Aus der Reihe
»Utopia-Classics« Band 05
Clark Darlton
Der Tod kam von den Sternen Tödliches Geschenk aus dem Kosmos ...
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Aus der Reihe
»Utopia-Classics« Band 05
Clark Darlton
Der Tod kam von den Sternen Tödliches Geschenk aus dem Kosmos Herba zetae, die auf einem fernen Planeten entdeckte Pflanze, erfreut sich auf der Erde bald größter Beliebtheit. Kein Mensch ahnt, daß Herba zetae die Waffe eines Sternenvolkes ist, das die menschliche Zivilisation zu vernichten trachtet. Nur der heimlich und unerkannt unter den Menschen lebende galaktische Beobachter weiß um die tödliche Gefahr, die der Erde droht. Wenn er der Menschheit helfen will, muß er das Geheimnis seiner wahren Identität preisgeben und den Kampf gegen einen übermächtigen Gegner aufnehmen, der in den Tiefen des Kosmos lauert.
Clark Darlton
Der Tod kam von den Sternen Utopia-Classics Band 05
ERICH PABEL VERLAG KG RASTATT/BADEN
UTOPIA-CLASSICS-Taschenbuch im Erich Pabel Verlag KG, Pabelhaus, 7550 Rastatt Copyright © 1958 by Walter Ernsting USA-Registration Redaktion: Günter M. Schelwokat Vertrieb: Erich Pabel Verlag KG Gesamtherstellung: Clausen & Bosse, Leck Printed in Germany Juni 1979
Auszug aus der Geschichte der galaktischen Union: »In den Anfängen unserer Zeitrechnung geschah es, daß strebsame Mitglieder unserer galaktischen Gemeinschaft auf dem Höhepunkt ihres technischen Daseins Verfallserscheinungen zeigten, die schließlich zum endgültigen Zusammenbruch führten. Blühende Zivilisationen versanken im Verlauf weniger Jahrzehnte scheinbar grundlos im Chaos und erloschen einfach. Sie hinterließen keine Spuren. Wir haben lange gebraucht, um die Ursache dieses unverständlichen Zusammenbruchs hochintelligenter Zivilisationen zu ergründen, und als wir dann wußten, wer für das große Sterben der scheinbar Unsterblichen verantwortlich war, graute uns. Wir selbst schritten diesem Untergang entgegen, indem wir das Beste für uns alle wollten. Zuerst sank eine heute vergessene Rasse in den Urzustand zurück und verschwand. Dann waren es die Xanier, die auf der Höhe ihres Ruhmes den letzten Schritt taten – und in die grundlose Tiefe stürzten. Die Grosner, eine intelligente Insektenrasse, folgten ihr kurz darauf. Um alle Rassen, gleich von welcher Welt sie stammen, vor diesem grauenhaften Schicksal zu bewahren, hinterlassen wir einen Bericht, der von dem Schicksal einer Lebensform erzählt, die trotz unserer Warnungen den Sturz in den Abgrund nicht zu verhindern wußte. Soweit wir wissen, war diese Rasse, deren kümmerliche Reste noch heute das Weltall durchstreifen, um sich an den sogenannten Plünderern zu rächen, den Mitteln, derer sich der Feind bediente, besonders zugänglich. Wer immer diesen Bericht des letzten Opfers auch lesen mag, der soll sich daran erinnern, daß er oder sein Volk der nächste sein kann. Denn die Plünderer, die eigentlich die Bezeichnung ›Weltbeglücker‹ eher verdient hätten, existieren immer noch 4
unentdeckt irgendwo in den Tiefen des unendlichen Kosmos. Schon morgen könnten sie auch euch den ewigen Frieden bringen.« Idan-Kheri 358 – Historiker
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1. Das Raumschiff kam zwei Lichtwochen von Zeta Herkuli entfernt aus dem Hyperraum in das normale Universum zurück. Rein äußerlich vollzog sich die Transition ohne bemerkenswerte Umstände, und alles schien in Ordnung zu sein. Das verschwommene Grau des Hyperraums machte dem gewohnten Anblick des Kosmos Platz. Tausende von nahen und fernen Sternen funkelten in unvorstellbarer Pracht, farbig und ungewöhnlich lebendig. Und auch drohend! Die nahe Sonne war nichts als ein besonders heller Stern. Die an Bord befindlichen Karten bezeichneten ihn als Spektraltyp der G-Klasse, genau 30 Lichtjahre vom heimatlichen System entfernt und mit einem ungefähren Durchmesser von zweieinhalb Millionen Kilometern. Die Zahl eventuell vorhandener Planeten war unbekannt. Kommandant John Russell betrachtete den Bildschirm mit gefurchter Stirn und drückte dann auf den Knopf, der die Bordsprechanlage einschaltete. Ruhig wartete er, bis die aufleuchtenden Lämpchen anzeigten, daß sich die gewünschten Teilnehmer anschlossen. Der kleine Bordschirm glühte in allen Kabinen auf und zeigte das Gesicht des Kommandanten. Dafür hatte dieser Gelegenheit, in der Zentrale die gespannten Züge der Teilnehmer auf einem Reihenbildschirm zu studieren. Wie immer war der stellvertretende Kommandant, Captain Harry Klein, der erste, der auf das Rufzeichen reagierte. Der schlanke Deutsche, ein erfahrener Raumpilot und zugleich bekannter Physiker, ließ ein flüchtiges Lächeln über sein Gesicht huschen, als wolle er sagen: ›Na, da haben wir es wieder einmal geschafft!‹ Russell nickte ihm kurz zu, ehe er sich den anderen zuwandte. Da war der Biologe Olaf Gulbrandsen, ein blonder Norweger und ein regelrechter Hüne an Gestalt. Soweit das Universum in 6
die Karten der Raumflotte eingetragen war, kannte er jeden Planeten und jede Pflanze beim Namen. Sein Gedächtnis glich einer Kartei, und die geringste Andeutung genügte, die gewünschte Information zu erhalten. Seine Kollegin, die amerikanische Zoologin Rita Richards, befand sich auf dem Bildschirm nebenan. Die blonden Haare aus dem Gesicht streichend, lächelte sie Russell erwartungsvoll entgegen. Der Kommandant nickte auch ihr zu. Dann wartete er auf den letzten Teilnehmer. Doch wie gewöhnlich ließ sich der Leiter der astronomischen Abteilung Zeit. Erst nach einer vollen Minute leuchtete sein Bildschirm auf, und mit einer lebhaften Gebärde bat Torrelli um Verzeihung. »Ich hatte zu tun!« sollte das heißen. Russell nickte auch ihm zu, ehe er begann: »Wir haben das befohlene Ziel erreicht und werden uns Zeta Herkuli mit halber Lichtgeschwindigkeit nähern. Das bedeutet, daß wir kaum vor einem Monat mit einer Landung rechnen können – falls wir überhaupt Planeten finden. Es bedeutet aber auch, daß wir Zeit und Gelegenheit haben werden, das System genau zu studieren. Es ist Torrellis Aufgabe, nach Planeten zu suchen und mir bei einer entsprechenden Feststellung sofort Meldung zu machen. Finden wir keine Planeten, wird dieser Auftrag gestrichen, und unser nächstes Ziel ist das bereits bekannte System L 37 C, das vor zehn Jahren entdeckt wurde. Es wird also von Ihnen, Torrelli abhängen, ob wir sehr bald den neuen Kurs aufnehmen können – oder ob wir bald wissen, daß eine Landung in vier Wochen möglich ist.« »Werde mein Bestes tun, Boß«, gab der Italiener zurück. Trotz des etwas vertrottelten Eindrucks, den der Vierzigjährige auf den ersten Blick unzweifelhaft machte, galt er als einer der fähigsten Astronomen der Raumflotte. Und nicht nur das. Mit genau der gleichen Exaktheit, mit der er Sternentfernungen 7
oder andere astronomische Messungen vornahm, errechnete er auch den Kurs eines Schiffes, wenn es darauf ankam. Er fungierte als Navigator und Astronautiker der HELOS. Die HELOS, eines der neuesten Schiffe der irdischen Raumflotte, diente der Erforschung unbekannter Regionen des näheren Universums. Seit vor knapp hundert Jahren die erste Rakete den Mond erreicht und glücklich auf ihm gelandet war, hatte die Technik ungeahnte Fortschritte gemacht. Vor knapp zwanzig Jahren war der Hyperantrieb der Photonenrakete zu Hilfe geeilt. Nun war es kein Problem mehr, Lichtjahre in wenigen Tagen zurückzulegen. Das Weltall stand dem Menschen offen, und nichts würde ihn davon abbringen können, es zu erforschen und zu erobern. Russell wandte sich an Klein und Rita: »Sie beide werden in ständiger Verbindung mit der astronomischen Abteilung bleiben, um sofort Ihre Beobachtungen aufnehmen zu können, wenn ein Planet festgestellt wird. Noch bevor wir das System erreichen, müssen wir wissen, womit wir es zu tun haben. Erkunden Sie den günstigsten Landeplaneten, den wir als Hauptquartier für unsere interplanetarischen Erkundungsflüge benutzen können. Vorausgesetzt natürlich immer, daß Zeta Herkuli überhaupt Planeten besitzt.« Die beiden Angesprochenen nickten ihr Einverständnis. »Klein, Sie übernehmen die vorbereiteten Arbeiten und unterrichten mich laufend über die Fortschritte. Veranlassen Sie auch die routinemäßige Überprüfung aller Waffen und setzen Sie das Schiff in Verteidigungszustand. Ich danke Ihnen allen.« Er schaltete die Anlage aus und wartete nicht, bis die Schirme verglühten. Mit einem erleichterten Aufatmen ließ er sich in den Sessel vor den Navigationsinstrumenten nieder und betrachtete mit intensivem Interesse den großen Bildschirm, der den Sektor vor der HELOS wiedergab. Zeta Herkuli stand fast in der Mitte, ein hell erleuchteter 8
Stern von ungewöhnlicher Schönheit. John Russell lächelte vor sich hin. Der Gedanke, einen Stern als »schön« zu bezeichnen, schien ihn irgendwie zu belustigen. Noch vor hundert Jahren hätte man ihn deshalb als einen Romantiker bezeichnet, aber heute war das etwas anderes. Die Menschen hatten sich gewandelt, auch wenn sie das Erbe einer erdgebundenen Rasse noch nicht vollständig überwunden hatten. Die Gesetze der Ethik galten noch genauso wie damals – und wurden auch genauso übertreten. Aber in den Weltanschauungen kam das neue Gefühl der geschenkten Freiheit zum Vorschein. Der Mensch war sich seiner plötzlichen Kleinheit dem Kosmos gegenüber bewußt geworden – und gleichzeitig seiner Größe, die er benötigte, um diesen gewaltigen Kosmos zu erobern. Diese Mischung der Gefühle, die so kontrastreich schienen und in Wirklichkeit doch so eng beieinander lagen, erzeugte einen neuen Typus Mensch, der mit dem alten nicht mehr viel gemeinsam hatte. Doch nicht allein der technische Fortschritt und das Bewußtsein, Herr des Universums zu sein, beeinflußte die Bildung dieser neuen Weltanschauung, auch die Gewißheit, eines Tages höheren intelligenten Wesen auf irgendeinem fremden Planeten zu begegnen, trug dazu bei, neue Gefühle zu prägen. Mit einer Mischung von Stolz und Furcht blickte die Menschheit diesem Ereignis entgegen. Denn der Mensch konnte nicht allein im Universum sein! Konnte er es nicht? Sicher, man hatte bewohnte Planeten gefunden. Aber stets war die jeweils herrschende Rasse dem menschlichen Geist unterlegen gewesen, was wiederum das Selbstbewußtsein des Homo sapiens steigerte. Aber die Wissenschaftler warnten. Gewisse Anzeichen wiesen unmißverständlich darauf hin, daß irgendwo eine Rasse existierte – oder vielleicht existiert hatte – die dem Menschen weit überlegen war. Erloschene Zivilisationen zeugten von gewaltigen Katastrophen, aber man fand auf 9
den betreffenden Welten niemals einen Hinweis, daß sich die Bewohner gegenseitig umgebracht hätten. Und nur aus diesem Grund war jedes Schiff der Raumflotte, auch die Frachter zwischen den Planeten, schwerstens bewaffnet. Man rechnete auf jedem Flug mit einer Begegnung. Und diese erste Begegnung konnte feindlich verlaufen. Doch jetzt, als John Russell auf den Bildschirm starrte, sah nichts mehr feindlich oder drohend aus. Sicher, der Anblick des leeren Raumes war niemals beruhigend, aber man konnte ihn auch nicht als feindlich bezeichnen. Kalt und klar leuchteten die Sterne, lockend und warnend, aber nicht drohend. Vielleicht hing das aber auch von der jeweiligen Gemütsstimmung des Beobachtenden ab. Russell war jetzt 35 Jahre alt. Seit mehr als 15 Jahren war seine eigentliche Heimat der Weltraum, und er verbrachte praktisch nur seinen Urlaub auf festem Boden, meist auf der Erde. Zuerst hatte er Dienst auf einem Frachter geleistet, war dann zum Ersten Offizier eines Wachschiffs avanciert, um schließlich Kommandant des Forschungskreuzers HELOS zu werden. Dies war seine dritte Fahrt mit der HELOS. Er lehnte sich zurück und blickte gleichzeitig auf die Uhr. In zehn Minuten würde Klein ihn ablösen. Der dunkelhaarige Deutsche besaß Russells ganze Symphatie. Genauso nüchtern und sachlich wie er selbst, verfügte Klein noch über eine gehörige Portion Phantasie. Irgendwie vertrug sich diese paradoxe Mischung und bildete ein harmonisches Ganzes, aus dem Russell trotzdem manchmal nicht schlau wurde. Doch die phantastischen Einfalle Kleins beruhten stets auf sachlichen Erwägungen, wodurch sie meist zu exakten, wissenschaftlichen Voraussagen wurden. Klein stand im Alter von 30 Jahren und war somit fünf Jahre jünger als der Kommandant. Sein Wissen auf dem Gebiet der physikalischen Erkenntnisse war erstaunlich und machte ihn 10
somit zu einem idealen Mitglied des Forscherteams auf der HELOS. Russell beugte sich vor und stellte die Verbindung mit dem Antriebsraum her. Es handelte sich lediglich um eine einfache Sprechverbindung. »Rank? Wir übernehmen jetzt in der Zentrale die gesamte Navigation. Es genügt, wenn Sie einen Bereitschaftsmann im Maschinenraum lassen, falls ein unvorhergesehenes Überwechseln in den Hyperraum notwendig sein sollte.« »Geht in Ordnung, Sir«, kam es zurück. »Danke. Dann schalte ich jetzt um auf Normalbetrieb.« Russell machte einige geübte Handgriffe. Es veränderte sich am Flug des Schiffes nichts, aber von dieser Sekunde an hatte der Kommandant es wieder selbst in der Hand. Die Skalen zeigten Geschwindigkeit und Kurs an, aufgewendete und vorhandene Energie, Beschleunigung und Verzögerung. Die HELOS legte in der Sekunde nun 150 000 Kilometer zurück, was der halben Lichtgeschwindigkeit entsprach. Praktisch fiel sie schwerelos durch den Raum, jedoch bemerkte dank der künstlichen Schwerkraft niemand an Bord etwas davon. Harry Klein kam, um den Kommandanten abzulösen. Und weiter raste das Schiff der unbekannten Sonne Zeta Herkuli entgegen. Nach drei Wochen entdeckte Torrelli den ersten Planeten. Die HELOS war inzwischen bis auf drei Lichttage an die Sonne herangekommen und hatte die Geschwindigkeit noch nicht verringert. Zeta Herkuli selbst war zu einer beachtlichen Größe angeschwollen, die aus dem Meer der Sterne auffallend hervorstach. Der Planet wurde mit den Teleskopen sichtbar, und Russell ließ das Bild auf den dafür bestimmten Schirm projizieren. Stark vergrößert, ließen sich Einzelheiten bereits erkennen. 11
Drei Hauptkontinente hoben sich von der gleichfarbenen Fläche eines Ozeans ab, Wolkenschleier behinderten die Sicht und verrieten eine Atmosphäre. Torrelli beeilte sich ausnahmsweise, die inzwischen in gemeinsamer Arbeit mit den anderen Abteilungen ermittelten Daten bekanntzugeben. »Die Atmosphäre ist nicht atembar, soviel wissen wir. Drei Kontinente sind auf der uns zugekehrten Seite. Rotation sehr gering, vielleicht eine Umdrehung in mehr als zwei Wochen. Entfernung von der Sonne: 350 Millionen Kilometer, was jedoch fast gleiche Bedingungen wie auf der Erde vermuten läßt – falls man davon sprechen darf. Oberflächenelemente alle bekannt. Nichts Neues.« »Also für uns nicht geeignet«, meinte Russell. Torrelli auf dem Bildschirm schüttelte den Kopf. »Das will ich damit nicht sagen. Leben ist dort ohne weiteres möglich, wenn auch vielleicht nicht in unserem Sinn.« »Wir suchen nicht nur nach Leben!« erinnerte ihn Russell. Torrelli nickte. »Sondern auch nach neuen Elementen und uns bekannten Edelmetallen, nach radioaktiven Stoffen und vielleicht für uns besonders interessante Vegetationserscheinungen.« »Also doch geeignet!« stellte Russell fest und fügte hinzu: »Unterrichten Sie mich bitte, sobald Sie Neues entdecken.« Dann unterbrach er die Verbindung. Drei weitere Tage vergingen. Ein zweiter Planet wurde nicht gefunden. Aller Wahrscheinlichkeit nach besaß also Zeta Herkuli nur diesen einen Trabanten. Die Sonne selbst war jetzt so groß wie Sol, während der einzige Planet zu einem gewaltigen Globus angewachsen war. Die HELOS legte in der Sekunde nur noch wenige Kilometer zurück und hatte eine stabile Kreisbahn eingeschlagen, um weitere Erkundungen der entsprechenden Abteilungen abzuwarten. 12
Dabei verringerte sich die Entfernung ständig. In weiteren zwei Tagen konnte die Landung erfolgen. Und sie erfolgte, nachdem kein Leben festgestellt wurde. Vegetation jedoch gab es zweifellos. Olaf Gulbrandsen konnte das in Zusammenarbeit mit der astronomischen Abteilung herausfinden und verfaßte einen entsprechenden Kommentar, der Russell zugeleitet wurde. Er besagte: »Der Planet ist mit einer dichten Pflanzenschicht bedeckt, die in ihrer Zusammensetzung einer Art entspricht, wie sie auf Centauri III vorkommt. Wie bekannt, ist auch dort eine nicht atembare Atmosphäre vorhanden. Es handelt sich um eine Strauchgattung, die nicht höher als zwei Meter wird. Der spezielle Name ist im Biologischen Handbuch zu finden. Diese Art also scheint nach bisherigen Beobachtungen den Hauptanteil der vorhandenen Flora auszumachen. Mit Bestimmtheit läßt sich das jedoch erst nach der Landung sagen. Meiner Ansicht nach bestehen gegen eine solche keine Bedenken.« Auch die Zoologin Richards hatte keine Bedenken. Anzeichen einer Fauna konnten von ihr nicht gefunden werden. Also setzte die HELOS Stunden später zur Landung an. Russell hatte dazu eine Hochebene gewählt, die mit dem Fluggleiter nur wenige Minuten vom Meeresstrand entfernt lag. Auf dieser Ebene besaß man eine ausgezeichnete Weitsicht und war somit sicher vor Überraschungen jeglicher Art. Drei weitere Stunden nach der Landung lagen Russell alle Einzelheiten der Bedingungen vor, die auf der fremden Welt herrschten. Erfreulich waren diese gerade nicht, aber schließlich konnte man nicht immer damit rechnen, einen Planeten zu finden, auf dem man ohne Atemgeräte herumlaufen konnte. Die Atmosphäre war giftig und wirkte nach wenigen Minuten bereits tödlich. Genau wie auf Centauri III, erinnerte Rita sachlich, während sie den Bescheid erhielt, sich für die Lande13
expedition bereitzumachen. Der Gleiter lag startbereit in der Ladeluke. Die Luftschleuse war bereits geöffnet, und die Rollschienen führten direkt in sie hinein. Russell hatte das Anlegen der Schutzbekleidung zur Pflicht gemacht, wenn auch die Kabine des Gleiters genauso dicht war wie die Zentrale der HELOS. Dann kletterte er zuerst in das Flugzeug, gefolgt von Rita Richards, Olaf Gulbrandsen und Torrelli. Jeder der Teilnehmer trug den Ionenstrahler, die ultimate Waffe der Menschheit. Rein äußerlich erinnerte diese kleine Ausführung des Strahlers an eine der elektronischen Lähmstrahlpistolen, die von der Polizei angewendet wurden. Der spiralige Lauf mit dem unförmigen Kolben, der die Ladungen enthielt, verriet jedoch die andere Ausführung. Zehn Ladungen enthielt dieser Kolben, und jede Ladung genügte für eine volle Minute intensiver Strahlung. Harry Klein blieb auf der HELOS und übernahm somit die Verantwortung für das Schiff. Er hatte Befehl, sofort zu starten, wenn Russell dazu per Funk den Befehl gab. Mit dieser Maßnahme sollte verhindert werden, daß bei unvorhergesehenen Zwischenfällen das Hauptschiff in die Hände eines möglichen Gegners fiel. Der Gleiter rutschte auf den Schienen vor und hielt an. Hinter ihm schloß sich die gewaltige Luke und isolierte ihn vom übrigen Schiff. Die Pumpen begannen die Luft abzusaugen, um sie nicht unnütz zu verschwenden. Dann verstummte auch dieses Geräusch. Langsam öffnete sich dann vor der Nase des Gleiters die Außenluke. Nach beiden Seiten schob sie sich in die Hohlräume der Schiffswandung. Das künstliche Licht in der Schleuse erlosch, als das helle Leuchten der Sonne in die Kammer eindrang; und damit auch die fremde Atmosphäre. 14
Kommandant John Russell saß hinter den Kontrollen. Es war nicht das erste Mal, daß er den Boden eines unbekannten Planeten betreten würde. Doch er mußte sich selbst gegenüber zugeben, daß es immer wieder ein neues und reizvolles Gefühl war, auf das er niemals im Leben freiwillig hätte verzichten mögen. Langsam gewöhnten sich seine Augen an die ungewohnte Helligkeit, und er vermochte die ersten Einzelheiten durch die Plastikkuppel zu erkennen. Bis fern zum Horizont erstreckte sich die fast glatte Fläche der steinigen Hochebene, auf der keine Pflanzen wuchsen. Hier und da verrieten einige Gesteinsbrocken Verwitterungstätigkeit, was auf Niederschläge und Winde schließen ließ. Nach links senkte sich die Fläche und endete in einem niedrigen Gebirgszug. Rechts war die Hochfläche bis zum Horizont unverändert. Hinter ihnen mußte das Meer sein. Russell drückte auf den Fahrthebel. Der Gleiter schoß mit unwahrscheinlicher Beschleunigung aus der Schleuse heraus und erhob sich gehorsam in die Luft. In einem Winkel von fast 45 Grad zog Russell das kleine Flugzeug hoch, legte es in eine Kurve und schaute dann seitlich aus der Kanzel. Weit unten stand die HELOS, ein silbrig schimmerndes Gebilde aus Energium, jenem geheimnisvollen Metall mit den merkwürdigen Eigenschaften einer fremden Welt. Einsam und grenzenlos verlassen schien das Schiff, aber Russell verspürte Beruhigung. So stand die HELOS sicher. Niemand würde sich ihr unbemerkt nähern können, denn die Hochfläche bot so gut wie keine Deckungsmöglichkeiten. In einer Schleife kehrte der Gleiter zurück und strebte dann in Richtung des Meeres davon, die HELOS weit hinter sich lassend. Gleichzeitig prüfte Russell die Funkanlage. »Hallo, Klein! Hören Sie mich?« »Verbindung deutlich und einwandfrei«, kam es zurück. 15
»Bestätigen Sie bitte!« »Hier auch Empfang gut«, sagte Russell befriedigt. »Bleiben Sie ständig auf Empfang. Ich lasse den Sender eingeschaltet. So können Sie alles mitverfolgen.« »Danke, Commander!« Rita zeigte nach vorn. »Sehen Sie dort, Russell – das Meer! Ich bin gespannt, woraus es bestehen wird.« »Aus Wasser!« vermutete Torrelli mit Bestimmtheit. »Woraus soll denn wohl sonst ein Meer bestehen?« »Aus Ammoniak, aus Säure, oder vielleicht aus Petroleum«, belehrte ihn Rita hitzig. »Wasser ist nur ein reiner Zufall, der durch die Atmosphäre bedingt ist!« Olaf lachte laut auf. »Liebe Kollegin, da sind Sie im Irrtum. Ich stelle die uralte Frage: Was war zuerst da, das Ei oder die Henne? Ich meine nämlich vielmehr, daß die Atmosphäre erst durch das jeweilige Meer und seine Zusammensetzung entsteht.« »Habe ich das vielleicht abgestritten? Ich sagte nur, daß eine sei durch das andere bedingt.« Der Norweger nickte ein wenig verblüfft und betrachtete mit einiger Spannung die näherkommende Meeresfläche. Das Meer lag ruhig da, als bestünde es aus flüssigem Blei. Keine Welle beunruhigte die glatte Oberfläche, und fast hätte man meinen können, sie sei schon vor Jahrtausenden erstarrt. »Auf keinen Fall ist es Wasser!« ließ sich Russell vernehmen. »Auf der anderen Seite verstehe ich dann nicht, wieso die Pflanzen existieren können«, gab Rita zu bedenken. »Aber Mädchen!« entrüstete sich der Biologe. »Wie können Sie denn so etwas sagen? Hier herrschen doch ganz andere Bedingungen, als wir sie kennen. Vielleicht stürben hier alle Vegetationsarten, begösse man sie mit Wasser. Unter Umständen gedeihen sie nur dann, wenn sie ein tägliches Benzinbad 16
erhalten.« Rita warf Russell einen fragenden Blick zu, aber auf dem Gesicht des Kommandanten zeigte sich keinerlei Regung. Da gab sie es auf und schwieg. Es gab auch genug zu sehen. Der Strand unterschied sich nur wenig von dem Festland, denn beides schien gleich unbeweglich und fest zu sein. Lediglich die kaum merklichen Farbflecke bezeichneten das Land; Vegetationsinseln auf der hier weniger steinigen Oberfläche. Der Gleiter sank tiefer und berührte fast die jetzt deutlich werdende Flüssigkeit. Hinter dem Flugzeug entstanden kleine und träge Wellen, hervorgerufen durch den Luftzug. Doch auch sie sackten gewissermaßen sofort wieder in sich zusammen, kaum daß die Ursache der Störung vorüber war. Das spezifische Gewicht des »Meerwassers« mußte sehr groß sein. Der Küstenstreifen mochte knapp hundert Meter breit sein. Dann stellte die Hochfläche empor, wie von einem Gigantenmesser abgeschnitten. Senkrecht fiel der Abschnitt in die Tiefe, mehrere hundert Meter. Auf dem Küstenstreifen landeten sie. Dank der im Bug angebrachten Bremsdüsen benötigte der Gleiter kaum zehn Meter Landefläche. Die schwenkbaren Sitze in der Kabine ließen den Andruck erträglich werden. Russell sagte in das plötzliche Schweigen hinein: »Torrelli, Sie bleiben hier. Setzen Sie sich hinter die Kanone und achten Sie darauf, daß sich uns nichts Lebendiges nähern kann. Vielleicht gibt es etwas in den Klippen oder in dem Meer, was wir bisher nicht gemerkt haben. Feuern Sie rücksichtslos, verstanden?« »Okay, Boß!« nickte der Italiener mit saurem Gesicht. Er wäre offensichtlich lieber mit von der Partie gewesen, anstatt den Schutzengel zu spielen. Dann aber nahm er gehorsam den bisherigen Platz des Kommandanten ein und fuhr das Rohr des mittleren Strahlers aus der Kanzel. 17
Der winzige Gleiter besaß keine besonderen Luftschleusen. Die mitgeführten Vorräte reichten gerade aus, die Atemluft in der Kabine zweimal zu erneuern, einmal beim Verlassen, das zweite Mal beim Wiedereinsteigen. Alle vier schlossen die Helme; dann öffnete Russell die kleine Ausstiegluke. Der Austausch der beiden Gasgemische erfolgte sehr schnell, obgleich kein Druckunterschied bestand. Russell, Rita und Olaf sprangen hinab auf den harten Boden und verharrten hier, bis sich die Luke hinter ihnen geschlossen hatte. Um mehrmals ein- und aussteigen zu können, verzichteten sie auf ein Ausblasen der Giftatmosphäre. Torrelli mußte mit verschlossenem Helm in der Kabine sitzen bleiben. Langsam gingen sie einige Schritte und blieben erneut stehen. Unter ihren Füßen befand sich jungfräulicher Erdboden, der noch niemals von den Sohlen eines menschlichen Schuhs berührt worden war. Vielleicht noch nie von den Füßen eines Lebewesens überhaupt. Die Erde war hart und steinig. Nur dort, wo einzelne kahle Gebüsche ihre wie abgefressen wirkenden Zweige gen Himmel reckten, zeigte sich etwas aufgelockerter Boden. Aber das war auch alles. Die Welt war tot, und die vier Menschen schienen das einzig Lebendige auf ihr zu sein. Dort, wo das Festland endete und in den Ozean überging, befand sich nichts als eine farbliche Trennungslinie. Lediglich die Tatsache, daß der abfallende Boden plötzlich in die Waagrechte überging und so bis zum Horizont blieb, verriet, daß sich in dem Ozean eine Materie befand, die den Gesetzen der Schwerkraft gehorchte. Wenn auch sichtlich widerwillig, so verteilte sie sich doch gleichmäßig, wie jede andere Flüssigkeit auch. Kein Laut war zu hören; die Stille wirkte unheimlich und drohend. In den Lüften war kein Vogel oder Insekt, auf dem Land kein Tier und in dem Gewässer kein Fisch. 18
Zeta Herkuli war ein toter Planet. Aber – hatte er jemals Leben getragen? Olaf Gulbrandsen zeigte auf das nahe Gebüsch. »Ja, es hat eine gewisse Ähnlichkeit mit jenen Pflanzen auf Centauri; eine entfernte Verwandtschaft scheint zu bestehen. Sollte das die einzige Vegetation sein, die wir hier finden?« Rita schüttelte den Kopf. Sie verstellte die Lautstärke ihres Helmgeräts ein wenig. »Ich habe von oben her durch das Teleskop noch andere Pflanzen bemerken können. Die Blüten schimmerten in allen Farben. Es müssen ganz niedrige Gewächse sein. Sie erinnerten mich an einen Teppich.« »Ja, das habe ich auch gesehen«, gab der Norweger ihr recht. »Wie konnte ich das nur vergessen. Nun, hier am Meer scheinen diese Dinger nicht zu gedeihen. Vielleicht können sie keine Feuchtigkeit vertragen.« Russell knurrte in sein Mikrophon: »Feuchtigkeit? Wollen wir erst einmal feststellen, ob es sich bei diesem merkwürdigen Ozean um Feuchtigkeit handelt.« Er begann langsam auf den schmalen Streifen zuzuschreiten, der das Festland vom Ozean trennte. Die anderen folgten ihm langsam. Etwa fünf Meter von der Grenzlinie entfernt blieben sie stehen. So recht wußte keiner, war er tun sollte. Geräte zur exakten Untersuchung hatten sie auch keine bei sich. Russell sah sich suchend um und fand einen größeren Gesteinsbrocken. Er nahm ihn auf und schleuderte ihn mit ausholender Bewegung in das Meer hinein, das ruhig dalag. Schwer fiel der Brocken in die Flüssigkeit, die nur zögernd beiseite wich und sich teilte. Langsam versank der Stein darin. Ebenso langsam schlossen sich die kaum merklichen Wogen wieder, und nichts verriet, daß soeben ein Gegenstand hier an dieser Stelle versunken war. »Unheimlich!« faßte Olaf seine Meinung in einem Wort 19
zusammen. »Wahrhaftig unheimlich!« stimmte Rita ihm bei. Russell schüttelte den Kopf. »Ich möchte wissen, was es ist. Hallo, Klein! Hören Sie mich?« Deutlich kam die Antwort aus der weit entfernten HELOS: »Sehr gut, Commander. Schreien Sie nicht so!« »Woraus, glauben Sie, besteht dieses Meer?« »Das kann ich von hier aus kaum feststellen«, gab Klein ein wenig schadenfroh zurück. »Hätten Sie mich mitkommen lassen …« »Sie wissen genau, daß es eine Art Vorschrift gibt«, erinnerte ihn Russell vorwurfsvoll. »Doch versuchen Sie so, eine Definition zu finden. Sie haben ja alles mit angehört.« »Muß demnach ein zäher Brei sein. Vielleicht bringen Sie eine Probe mit. Im Gleiter befinden sich Energiumsonden.« »Holen Sie sich eine ab«, kam die Aufforderung Torrellis aus dem Gleiter. »Ich habe sie gefunden. Genügt eine?« Russell ging ohne zu antworten zum Gleiter und holte die Sonde, ein schmales und hohles Stäbchen. Mit Hilfe eines daran gekuppelten Gerätes gelang es, einen geringen Teil der geheimnisvollen Flüssigkeit zu isolieren und in die Sonde zu bringen. Gut verschlossen wanderte dann diese in die weiten Taschen von Russells Schutzanzug, nachdem die daran haftende Feuchtigkeit abgestreift worden war. »Das hätten wir«, sagte er zufrieden. »Und nun reißen Sie noch einen der Büsche aus, Gulbrandsen, dann könnten wir ein Stück weiterfliegen. Die bunten Blumen Rita Richards reizen mich ungemein.« In geringer Höhe überquerten sie einen Teil des Hochplateaus und gelangten bis zum Fuß des ansteigenden Gebirges. Wie alpine Matten breiteten sich hier bunte Teppiche hangaufwärts aus und brachten ein bißchen Leben in die Landschaft des Todes. 20
Rita stieß einen überraschten Ruf aus. »Sind Sie nicht wunderbar, diese herrlichen Blumen? Vom Schiff aus hatte ich keine so gute Gelegenheit, sie zu beobachten. Jetzt, mit freiem Auge, sind sie noch schöner, als ich es erwartet hatte.« Dicht über dem in allen Farben schimmernden Teppich glitten sie dahin und nahmen den bunten Anblick mit neuer Hoffnung in sich auf. Konnten so herrliche und schöne Blumen auf einer Welt gedeihen, die kein Leben trug? War die Natur so verschwenderisch, diese grandiose Schöpfung aus ihrer Werkstatt hier nutzlos verblühen zu lassen? Niemand konnte sich das vorstellen, am allerwenigsten Rita. »Können wir landen?« fragte sie. Olaf grinste gemütlich. »Man sollte meinen, Sie seien der Biologe, nicht ich! Oder wollen Sie Ihr Fachgebiet wechseln, weil es hier sowieso keine Tiere zu geben scheint?« »Vielleicht«, gab Rita zurück. »Nun? Landen wir?« »Lieber Himmel, ich suche doch schon seit einer Viertelstunde nach einem geeigneten Platz«, ließ sich Russell vernehmen. »Ich möchte dort die Alm vorschlagen. Sie ist ziemlich eben.« Das Manöver verlief glatt, und der Gleiter stand. Diesmal blieb Russell zurück; dafür durfte Torrelli den fremden Boden betreten, was er auch mit sichtlicher Freude tat. Rita wollte auf die nahen Blumen zueilen, aber Olaf hielt sie zurück. »Seien Sie vorsichtig, Rita. Mit Blumen habe ich schon böse Erfahrungen gemacht.« »Wieso? Hat Sie mal ein Mädchen sitzenlassen?« Der Norweger ging über das schadenfrohe Gelächter des im Gleiter sitzenden Kommandanten hinweg und entgegnete ernst: »Ich bin schon harmlos aussehenden Pflanzen begegnet, die 21
einen Menschen allein durch ihren Duft zu töten vermochten.« »Haben wir nicht Schutzanzüge an, Olaf?« »Es gibt Pflanzen im Universum, die einen feinen Flüssigkeitsstaub versprühen, der sich innerhalb weniger Minuten durch die dickste Isolierung fressen kann. Meiner Meinung nach ist unbekannte Vegetation gefährlicher als alle Raubtiere, denn man sieht ihr die Gefährlichkeit nicht an.« Hinter ihrem Helm war Rita blaß geworden. »Mit derart ernsten Dingen treibt man keine Späße. Aber nun kommen Sie. Vielleicht irre ich mich diesmal, und die Blumen sind wirklich harmlos.« Der Biologe beugte sich dann vorsichtig herab und betastete die farbenfrohen Blüten der unbekannten Pflanzen. Sie erinnerte an eine Rose. Das merkwürdige jedoch war, daß die Blüten an ein und demselben Busch verschiedenfarbig leuchteten. Es waren Farben, die teils auf der Erde unbekannt waren und deren Beschreibung unmöglich gewesen wäre. Doch auch alle Farben des Spektrums kamen vor und leuchteten derart frisch, als habe man sie eben erst aufgetragen. Die Pflanze besaß keinerlei Stacheln und verhielt sich auch bei heftiger Berührung vollkommen passiv. Wo Blüten verblüht, getrocknet und abgefallen waren, bildeten sich ovale Kapseln, deren Farbe ins Dunkelblaue wechselte. Diese Kapseln reizten Olaf besonders. »Man sollte welche mitnehmen. Vielleicht läßt sich diese Pflanze – ich werde sie herba zetae nennen – auf der Erde nachzüchten. Aber auch ein ausgegrabenes Exemplar möchte ich mitnehmen. Russell, haben wir einen entsprechenden Behälter?« »Vorhanden!« gab der Kommandant Bescheid. Torrelli holte den Energiumkasten und begann, eine der Pflanzen auszugraben. Die Wurzeln erwiesen sich als weit verzweigt, und es war verhältnismäßig schwer, das ganze Gebilde in dem Behälter unterzubringen. 22
Rita hatte Bedenken. »Wird sie nicht eingehen, wenn sie in die für sie fremde Atmosphäre gebracht wird?« »Sie kommt zuerst in eine Kammer mit originaler Herkuliatmosphäre. Später versuchen wir, sie umzugewöhnen. Das haben wir schon mehr als einmal erfolgreich versucht.« Nachdem Olaf einige reife und unreife Kapseln abgepflückt und ebenfalls in den Kasten getan hatte, wurde dieser luftdicht verschlossen und in den Gleiter gebracht. Bevor sie einstiegen, sagte Torrelli: »Habt ihr auch das Gefühl, als hielten uns die Blumen zum Narren?« Rita und Olaf sahen ihn erstaunt an. »Wie meinen Sie das?« Der Italiener zog die Stirn in Falten. »Ich habe ein sehr gutes Auge, und man kann mich nur schwer täuschen. Ich vermeinte, mehrmals mit Bestimmtheit gemerkt zu haben, daß ein und dieselbe Blüte ihre Farbe wechselte. Zuerst war sie blau, dann rot, und schließlich wurde sie dunkel violett.« Olaf schüttelte den Kopf. »Sie müssen sich getäuscht haben. So etwas gibt es nicht!« »Das sagen Sie?« Der Norweger schien verblüfft. Dann setzte Torrelli hinzu: »Die Erfahrungen der letzten hundert Jahre haben gezeigt, daß alles das, was wir von der Erde her kennen nur ein Bruchteil dessen ist, was es wirklich gibt. Beurteilen Sie die Welt nicht vom Standpunkt eines Goldfisches aus, der nur sein eigenes Glasgefängnis kennt, Mr. Gulbrandsen!« Olaf nickte langsam. »Sie haben recht, Torrelli. Verzeihen Sie. Für einen Augenblick verfiel ich wieder in den alten Fehler der Menschen des vorigen Jahrhunderts, alles von der eigenen Warte aus zu sehen. Sie sind also sicher, daß diese Pflanze es versteht, die Farbe ihrer Blüten willkürlich zu wechseln?« »Nun, vielleicht nicht willkürlich, aber sie kann es. Vielleicht 23
zwingen sie äußere Umstände dazu, sich einer neuen Umgebung anzupassen.« »Das wäre also doch willkürlich!« »Ich habe mich undeutlich ausgedrückt, Olaf. Ich meine, die Pflanze besitzt einen gewissen Grad der Intelligenz und kann Umgebungseinflüsse aufnehmen. Je nachdem diese ausfallen, muß sie ihre Farbe wechseln.« Der Biologe versank in tiefes Nachdenken. Russell hatte bereits die Luke zum Gleiter geöffnet und wartete auf das Einsteigen seiner Passagiere. Schließlich räusperte er sich. »Kann man das nicht auch hier besprechen? Ich finde es ohne Schutzanzug gemütlicher.« Olaf stieg als erster ein und half dann Rita. Torrelli bildete den Abschluß. Die Giftatmosphäre wurde aus der Kabine geblasen und durch Atemluft ersetzt. Sie nahmen die Helme ab. Russell startete. »Denkende Pflanzen sind uns bisher noch niemals begegnet«, nahm Russell das begonnene Thema wieder auf. »Halten Sie es überhaupt für möglich, Torrelli, daß eine Pflanze zu denken vermag?« »Ich habe nicht behauptet, daß sie denkt. Wenigstens nicht in unserem Sinn. Es wäre jedoch durchaus möglich, daß uns unbekannte Faktoren es ihr ermöglichen, unsere Gedankenwellen zu erfassen. Sie reagiert, indem ihre Blüten die Farbe verändern.« »Unheimlich!« gab Russell zu und schwieg dann. Olaf fragte: »Landen wir noch einmal?« Der Kommandant schüttelte den Kopf. »Nein. Wir beschreiben einen großen Bogen und betrachten uns die Hochfläche von oben. Dann kehren wir zum Schiff zurück. Ich möchte erst einmal wissen, was mit den Pflanzen 24
los ist und woraus dieser merkwürdige Ozean besteht.« Sie fanden nichts mehr, das interessant genug gewesen wäre, eine erneute Landung vorzunehmen. Ohne Zwischenfall kehrten sie zur HELOS zurück, landeten und wurden durch den Kran in die gewaltige Luftschleuse gehievt. Dann, nach einer Ruhepause, der eine ausgiebige Mahlzeit vorausging, begannen die ersten Untersuchungen. Der Ozean bestand aus einer undefinierbaren Säure, die für organisches Leben im Sinn des Menschen unbedingt tödlich wirkte. Man konnte sie weder genießen, noch blieb die Berührung mit der Haut ohne schädliche Folgen. Die Säure fraß sich sofort weiter, und ihr konnte nur durch einen operativen Eingriff Einhalt geboten werden. Gulbrandsen dagegen erzielte ein erfreulicheres Ergebnis. Die Kapseln der Pflanzen enthielten einen ausgezeichneten Farbstoff, der wesentlich bessere Eigenschaften besaß als jeder bekannte künstliche Farbstoff der irdischen Industrien. Noch gelang es dem Biologen nicht, alle Geheimnisse und Fähigkeiten dieses neu entdeckten Stoffes zu enträtseln, aber seine Augen leuchteten vor Begeisterung, wenn er von herba zetae sprach, wie er die Pflanze getauft hatte. Die größte Überraschung war wohl, daß herba zetae die irdische Atmosphäre unbeschadet vertrug und somit auch auf der Erde gedeihen konnte. Gulbrandsen konnte sich zwar diese verblüffende Tatsache nicht erklären, aber er hatte es sich abgewöhnt, bei kosmischen Wundern nach dem Warum zu fragen. Er erhielt die Erlaubnis, eine genügende Menge dieser Pflanzen in dafür bestimmten Behältern einzusammeln, um eine Zucht auf der Erde zu garantieren. Als Russell diese Erlaubnis gab, ahnte er nicht, daß er damit fast das Schicksal einer Welt besiegelte. Zwei Wochen später verließ die HELOS Zeta Herkuli, wie der 25
Planet mit den bunten Blumen in der Sternkarte genannt war. Das Schiff warf sich hinein in die Unendlichkeit des Kosmos und erreichte wenige Tage später den Transitionspunkt, eine Lichtwoche von der irdischen Sonne entfernt. Mit halber Lichtgeschwindigkeit näherte es sich dem Sonnensystem, verlangsamte seinen Flug und nahm Funkverbindung mit dem Hauptquartier der Raumflotte auf. Alles weitere erfolgte routinemäßig, und es gibt heute keinen Menschen mehr, der die damaligen Ereignisse nicht kennen würde, so unbedeutsam sie auch erschienen. Die Farbindustrie ließ riesige Plantagen mit der neuen Pflanze anlegen, nachdem die ersten großangelegten Versuche eine weitere, erstaunliche Tatsache ergeben hatten. Die im Labor hergestellten Farben besaßen die gleichen Fähigkeiten wie die Blüten: Sie veränderten sich. Und zwar beruhte diese Veränderung auf noch unbekannten Faktoren. Man war auch nicht in der Lage, eine solche Farbänderung mit Bestimmtheit vorauszusagen. Sie trat eben einfach ein. Wissenschaftler machten sich daran, das Geheimnis der Farbpflanze endgültig zu klären, ehe man sie auf den Markt brachte. Es gelang ihnen jedoch nicht. Und als es ihnen gelang, war es beinahe zu spät …
2. Zehn Jahre später hieß Rita Richards nicht mehr so, denn sie hatte geheiratet. Ihr Gatte, der Angestellte der Terra-MarsPassagierlinie Jerry Smith, leitete in dem riesigen Verwaltungsgebäude selbständig eine ganze Abteilung. In der Nähe von Terraport besaßen sie ein eigenes Häuschen mit allen Bequemlichkeiten des 21. Jahrhunderts, und es fiel 26
Rita nicht schwer, ihren ehemaligen Beruf vollständig zu vergessen. Nach zwei weiteren Reisen mit der HELOS hatte sie Jerry zufällig kennengelernt und sich in ihn verliebt. Kurz darauf hatten sie geheiratet, eine Hochzeitsreise zum Mars gemacht und dann ihr gemeinsames Leben in Terraport begonnen. Rita saß auf der Terrasse und sah hinab in den Garten. Das Schwimmbecken war gefüllt und verlockte sie, der Hitze des Sommertags zu entrinnen. Doch dann lehnte sie sich zurück und gab sich ihren Träumen hin. Drinnen im Haus bereitete der Roboter die Mittagsmahlzeit vor. Es gab immer noch Schnitzel und Hamburger. Darin hatten sich die Zeiten nicht geändert. In seinem Büro saß Jerry Smith und hörte sich die Geschäftsberichte auf Tondraht an. Der automatische Kalender zeigte den 18. August 2081 an. Ein Tag wie jeder andere. »… hat der Reiseverkehr in erheblichem Maße zugenommen. Das Reineinkommen betrug im Monat Juli mehr als 13 Millionen Solarkredite. Es ist daher unerläßlich, daß weitere Passagierraumer eingesetzt werden. Die Flugpreise bleiben stabil, doch ist im kommenden Jahr eine Erhöhung geplant. Die Einstellung weiterer Arbeitskräfte bleibt den einzelnen Abteilungen vorbehalten und …« Jerry unterdrückte ein Gähnen. Er sehnte den Feierabend herbei und damit ein abkühlendes Bad im Swimmingpool. Allmählich langweilte ihn die Arbeit, und er wünschte sich eine Veränderung. Aber wenn er seine einträgliche und einflußreiche Stellung aufgab, würde das Verdacht erregen. Und das war es, was Jerry Smith unter allen Umständen zu vermeiden hatte. Seine Papiere lauteten auf den Namen Smith, das ging soweit in Ordnung. Geboren am 10. Juni 2044 in Denver. Das war schon schlechter. Aber bis heute war niemand auf den Gedan27
ken gekommen, das nachzuprüfen. Wenigstens wußte er nichts davon. Und das war gut, denn sonst hätte er nicht so seelenruhig in seinem Stuhl gesessen. Er lauschte weiter dem Bericht: »… und der Büroangestellte Charles Myer mußten wegen Unterschlagung entlassen werden. Der Ersatz kann mit den allgemeinen Neueinstellungen kombiniert werden. – Auf seinem Flug zum Mars mußte der Raumer PHOBOS auf dem Mond eine Zwischenlandung unternehmen, da sich ein gesuchter Verbrecher an Bord befand. Er wurde dem solaren Sicherheitsdienst übergeben. – Gestern abend …« Jerry gähnte jetzt ungeniert. Noch zwei Stunden bis Feierabend. Er lehnte sich zurück und gab sich seinen Gedanken hin. Vor genau acht Jahren hatte er Rita kennengelernt. Es war eine willkommene Abwechslung in seinem augenblicklichen Dasein gewesen und er hatte die Gelegenheit begierig beim Schopf ergriffen. Noch genau entsann er sich jenes Tages … »Ich möchte eine Reise nach Phobos buchen!« Jerry schrak ein wenig zusammen, als er die helle Frauenstimme vernahm. Er sah auf und erblickte das frische Gesicht des jungen Mädchens. »Welches Schiff, bitte?« Sie lächelte. »In den nächsten drei Tagen geht nur die LUNA, wenn ich mich recht entsinne. Da mein Urlaub beschränkt ist, möchte ich natürlich das erste Schiff nehmen.« Jerry, der kleine Angestellte der Terra-Mars-Passagierlinie, wurde für eine Sekunde verlegen. Dann zog er das Vormerkbuch zu sich heran und bat die Fremde, Platz zu nehmen. »Darf ich um Ihren Paß bitten?« Rita Richards legte ihre Papiere vor ihn hin. 28
»Sie gehören zur Mannschaft der HELOS?« wunderte sich Jerry, seine anfängliche Verlegenheit schnell überwindend. »Das wäre auch mein Wunsch, da einmal mitfliegen zu können. Der Weltraum, seine Wunder und …« »Sie haben noch niemals die Erde verlassen?« »Nein!« Die Lüge kam glatt von seinen Lippen. »Sie Ärmster!« Sie sagte das mit ehrlichem Mitgefühl. »Sind Angestellter einer Raumfahrtlinie und müssen ständig auf der Erde bleiben. Warum verbringen Sie nicht Ihren Urlaub auf dem Mars – oder in den künstlichen Gärten des Phobos?« Er seufzte. »Ich habe mir genug zusammengespart, um mir das einmal erlauben zu können. Und mein Urlaub beginnt übermorgen.« Sie errötete ein wenig. »Oh, Verzeihung!« sagte sie. Für einen Augenblick hing Schweigen zwischen ihnen. Dann setzte sie hinzu. »Das konnte ich natürlich nicht wissen. Fassen Sie also meinen Vorschlag bitte nicht als Einladung auf, mit mir zu kommen.« »Und wenn ich es doch täte?« Sie gab keine Antwort, drohte scherzhaft mit dem erhobenen Zeigefinger, nahm die Flugkarte und ihren Paß. »Auf Wiedersehen, Mr. Unbekannt«, sagte sie und schritt so schnell davon, daß Jerry ihr nicht einmal mehr ein Wiedersehen nachzurufen vermochte. Das mit seinem Urlaub stimmte tatsächlich. Zwar hatte er bis vor wenigen Minuten nicht gewußt, wo er ihn verbringen würde, aber jetzt wußte er es. Nach Dienstschluß eilte er in seine Junggesellenwohnung und packte. Ein ungewohnter Eifer ergriff ihn, obwohl noch viel Zeit bis zum Start der LUNA blieb. Der nächste Tag verging viel zu langsam für seine Begriffe, 29
und er war heilfroh, als er endlich sein Urlaubsgeld in Empfang nehmen und sich verabschieden konnte. Am anderen Tag gegen 14 Uhr startete das Schiff. Eine halbe Stunde zuvor hatten die Passagiere an Bord zu sein. Es war ein etwas seltsames Gefühl für Jerry, einmal nicht Angestellter, sondern Kunde der Gesellschaft zu sein. Da er jedoch die meisten Stewards zumindest flüchtig kannte, war es nicht schwer für ihn, die Kabine neben der von Miß Richards zu erhalten. Er atmete auf, als sich die Tür hinter ihm schloß. Er würde warten, bis die Erde zu einem grünen Globus geworden war, ehe er Miß Richards begrüßte. Sonst käme sie womöglich noch auf den verrückten Gedanken, das Schiff zu verlassen. Und das wollte er unter keinen Umständen riskieren. Eine Stunde nach dem Start wurde die künstliche Gravitation eingeschaltet, denn die LUNA fiel schwerelos durch den Kosmos, dem Mars entgegen. Man benutzte bei diesen kurzen Flügen nicht den Photonenantrieb, sondern arbeitete mit Spezialtreibstoffen, die eine Reise von der Erde bis zum Mars bei günstiger Opposition nicht mehr als eine Woche dauern ließ. Jerry rückte seine altmodische Krawatte zurecht, verließ die Kabine und blieb dann mit pochendem Herzen vor der Nachbarkabine stehen. Er verspürte auf einmal Hemmungen. Dann aber gab er sich einen Ruck und klopfte an. »Herein!« ertönte es mit der frohen und hellen Stimme. Wahrscheinlich nahm sie an, der Steward habe Einlaß begehrt. Sie starrte Jerry erstaunt an, ehe ein ärgerliches Lächeln ihre Züge veränderte. Mit einem Ruck stand sie auf. »Sie?« Jerry grinste verlegen. Er wußte, daß diese Maßnahme in einem solchen speziellen Fall am besten wirksam war. 30
»Ich hatte gehofft, Sie würden mir nicht böse sein«, stotterte er. »Wenn Sie mir vorgestern Zeit gelassen hätten, hätte ich Sie um Erlaubnis gebeten, dieses Schiff zu benutzen.« Rita Richards wollte etwas Heftiges entgegnen, dann aber besann sie sich eines Besseren. »Vielleicht ist es auch meine Schuld, daß Sie auf diesen wahnwitzigen Gedanken gekommen sind, mit mir nach Phobos zu fliegen. In gewissem Sinn habe ich Sie ja sogar eingeladen.« »So ist es!« stimmte Jerry ihr bei. Er strahlte. Sie hob warnend den Zeigefinger. »Betrachten Sie mein Geständnis nicht als Zusage, was immer Sie auch darunter verstehen mögen – aber ich bin bei Ihnen auf alles gefaßt. Da wir aber nun schon einmal das gleiche Reiseziel haben, sollten wir uns nicht streiten. Der Urlaub würde dadurch verdorben. Wohin also wollen Sie?« »Nach Phobos! Zu den künstlichen Gärten. Und Sie?« Sie seufzte. »Nach Phobos! Zu den künstlichen Gärten!« »Dieser Zufall!« stöhnte Jerry mit gekünsteltem Entsetzen und trat auf sie zu. »Darf ich Ihnen – uns eine gute Reise wünschen? Bitte, sagen Sie jetzt nicht nein! Ich verspreche Ihnen auch …« »Versprechen Sie nichts, was Ihnen später leid tun könnte!« warnte Rita und setzte sich in den Sessel, Jerry einen Platz in dem zweiten anbietend. »Ich weiß genau, was Sie sagen wollen und niemals einhalten werden. Diese Art von Versprechen sind dumm und unüberlegt – ganz abgesehen davon, daß es keine Frau gibt, die sie ernst nimmt oder ernst nehmen möchte.« Jerry hatte sich gesetzt und ihr zugehört. Er räusperte sich, diesmal in ehrlicher Verlegenheit. »Danke, Miß Richards. Das war die erste offenherzige Lektion, die ich anerkenne. Gut also, ich verspreche Ihnen nichts. Aber vielleicht gestatten Sie mir eine andere Bemerkung. Und ich hoffe, diesmal nehmen Sie mir meine Ehrlichkeit nicht 31
übel. Wollen Sie das versprechen?« »Ich verspreche nichts, aber ich will es versuchen.« »Rita, als ich Sie das erste mal sah, da wußte ich, laß ich Sie liebe.« Rita Richards betrachtete Jerry mit hochgezogenen Augenbrauen. Ihr Blick war forschend und doch irgendwie weich. Jerry wußte, wie sie darauf reagieren würde, und bereute seine Voreiligkeit. Er war mit der Tür ins Haus gefallen und hatte somit einen Fehler gemacht, der alles zerstören konnte, was bisher erreicht worden war. Aber noch nie in seinem Leben hatte er sich so geirrt. . Rita Richards ließ die Augenbrauen wieder sinken. Sie sah an ihm vorbei, als sie sagte: »An sich sollte ich Sie durch den Steward hinauswerfen lassen. Aber ich werde es nicht tun. Denn auch ich liebe Sie, und zwar von jenem Augenblick an, da Sie mich um meinen Paß baten, vor drei Tagen, in Ihrem Büro. Es hörte sich so an, als hätten Sie mich um meine Hand gebeten.« Jerry traute seinen Ohren nicht. Doch dann zeigte ihm ihr Kuß, daß sie es ernst meinte. In gewissem Sinn wurde dieser Urlaub ihre erste Hochzeitsreise, gewissermaßen ein Vorschuß auf jenen Flug zum Mars, den sie drei Monate später, im Anschluß an die Trauung, ebenfalls mit der LUNA unternahmen. Jerry Smith sah auf die Uhr. Noch eine halbe Stunde bis Geschäftsschluß. Er seufzte und stellte bei sich fest, daß er heute, acht Jahre nach jenem Ereignis, Rita noch genauso liebte wie damals. Das hatte er, ehrlich gesagt, nicht erwartet. Heute abend würden Browns zu Besuch kommen. Glücklicherweise erst nach dem Abendessen, so daß ihm keiner die Gelegenheit nehmen konnte, ein Bad im Garten zu nehmen. Aber Browns waren nette Leute und verkehrten schon mehr als drei Jahre bei ihnen. Mrs. Brown war zwar für Jerrys Geschmack ein wenig zu neugierig, aber da diese Eigenschaft 32
den meisten Frauen eigen war, fand er sich damit ab. Er schaltete das Tondrahtgerät aus und packte verschiedene Schriftstücke in den Aktenschrank. Seine ganze Arbeit hier war nichts als Routine, aber er führte sie so korrekt und pünktlich aus, daß er in den vergangenen Jahren sehr schnell von einem kleinen Angestellten zum Abteilungsleiter avancierte. An der freien Wand leuchtete ein Bildschirm auf. »Mr. Smith«, sagte die freundliche Stimme des Mannes, der von diesem Schirm auf Jerry herabblickte. »Ist noch etwas?« Es war nichts mehr. »Dann wünsche ich Ihnen einen guten Abend. Auf Wiedersehen bis morgen früh.« Der Schirm erlosch. Nun erst war Feierabend. Jerry Smith nahm seinen Hut, verließ das Büro und nahm ein Flugtaxi. Zehn Minuten später gab ihm Rita den Empfangskuß und erkundigte sich nach seinen Wünschen für das Abendessen. Wieder zehn Minuten später kletterte Jerry erfrischt aus dem Schwimmbecken und setzte sich, eingehüllt in den Bademantel, neben Rita auf die Terrasse. Drinnen war das leise Summen des Kochroboters. »Nun, Liebes? Was hast du heute getan?« Sie zeigte ein schmollendes Lächeln. »Nichts!« »Das ist nicht viel«, gab Jerry zu bedenken und stimmte in ihr Lachen ein. »Fast meine ich, man sollte der Venus einen Besuch abstatten und sich einer Jagdgesellschaft anschließen.« Sie nickte erfreut. »Keine schlechte Idee, obwohl mir die künstlichen Gärten des Phobos lieber wären.« ›Diese Menschen‹, dachte Jerry, ›kommen von ihren sentimentalen Gefühlen nicht los‹. Er vergaß, daß es ihm bereits genauso erging. Laut sagte er: 33
»Das wäre vielleicht besser, Liebling. Alte Erinnerungen frischen die Liebe auf – obwohl wir das nicht nötig haben!« setzte er mit Nachdruck hinzu. »Was Neues in der Politik?« Sie schien durch den plötzlichen Themawechsel erschreckt. »N-nein!« stotterte sie. »Gar nichts!« »Nun, eine dumme Frage. Ich hätte es im Büro ohnehin erfahren. Entschuldige, bitte. Wann essen wir?« »Bald. Browns kommen heute, hast du das vergessen?« »Nein, im Gegenteil. Ich habe den ganzen Tag daran gedacht.« »Oh!« machte sie. Mehr nicht. »Nicht mit viel Vergnügen«, gab Jerry zu und bemerkte erfreut, daß Rita aufatmete. Sie schwiegen eine Weile. Dann sagte sie leichthin: »Heute war jemand da, der sich nach dir erkundigte.« Er sah sie erstaunt an, obwohl in seinem Innern eine Alarmglocke zu schrillen begann. »So?« machte er. »Ja, er zeigte eine Erkennungsmarke des Solaren Sicherheitsdiensts.« »Was will denn der SSD von mir?« »Keine Ahnung, das sagte er nicht. Er wollte lediglich wissen, ob du tatsächlich in Denver geboren seist. So eine dumme Frage! Ich habe ihm erklärt, natürlich seiest du in Denver geboren, denn deine Papiere sagen es ja aus.« »Wollte er die Papiere sehen?« »Ja, ich zeigte sie ihm. Er fotokopierte sie und verabschiedete sich dann sehr höflich. Weißt du, was das zu bedeuten hat?« »Nein.« »Eine Abschrift der Papiere liegt doch bei der Firma, oder?« »Natürlich tut sie das. Ich verstehe auch nicht, was das zu bedeuten hat. Vielleicht suchen sie einen Verbrecher und veranstalten eine allgemeine Kontrolle.« 34
»Hältst du das für möglich?« »Soll ich es für unmöglich halten?« »Nein, das gerade nicht. Aber man sollte Erkundigungen einziehen, ob bei anderen Familien die gleichen Kontrollen stattfanden. Ich werde Mrs. Brown fragen, wenn sie kommt.« »Nein, nur das nicht!« protestierte Jerry, abwehrend die Hände hebend. »Dann ist es in zwei Tagen in der ganzen Stadt bekannt.« »Das wäre zwar nicht schlimm, aber angenehm ist es auch nicht«, gab Rita zu. »Man kann es unauffälliger machen.« Sie schwiegen. Während Rita hinaus in den Garten sah und überlegte, ob sie für morgen den Mähroboter bestellen sollte, beschäftigte sich Jerry mit ganz anderen Problemen. Mit sehr ernsten und lebenswichtigen Problemen. Wenigstens für ihn lebenswichtig! Das Hauptquartier der SSD befand sich in einem nüchternen, quadratischen Steinblock inmitten der Hauptstadt. Schon auf den ersten Blick verriet dieses wuchtige Gebäude Stärke und Macht, undurchdringliche Geheimnisse und absolute Befehlsgewalt. Dieser Eindruck täuschte nicht. Eine Täuschung konnte erst dann entstehen, wenn man Hai Ferguson, den allmächtigen Chef des Sicherheitsdiensts, persönlich erblickte, was nur wenigen Menschen gelang. Ferguson war etwa fünfzig Jahre alt, sehr gesetzt und von der Natur mit einer Glatze bedacht. Die restlichen zwölf oder dreizehn Haare würden sich trotz der bevorzugten Pflege nicht mehr lange halten können. Das gutmütige Gesicht zeugte von ausgeprägtem Familiensinn und die fleischigen Hände von wenig körperlicher Arbeit. Doch von allen Eindrücken stimmte nur der letzte. In Wirklichkeit war Ferguson skrupellos und ungemein hart. 35
Er mußte es sein, denn sonst wäre er nicht der Chef eines Sicherheits- und Geheimdiensts, der ein ganzes Sonnensystem beherrschte. Die Maske des Wohlwollens fiel, sobald er in seinem abgeschlossenen Büro hinter dem Tisch saß und seine Befehle erteilte. Dieses Büro war die technische Zentrale einer Organisation, wie es sie noch nie zuvor gegeben hatte. Von hier aus liefen die Fäden in alle Welt und zu allen Planeten, auf denen Menschen lebten. Die eine ganze Wand bestand aus Bildschirmen, die durch winzige Nummernschilder gekennzeichnet waren. Eine andere Wand war ein Bildschirm – die Direktverbindung zu den Agenten in allen Teilen des Systems, eine komplizierte Doppelanlage. Zwei Menschen, Millionen von Kilometern getrennt, konnten sich mit ihrer Hilfe so unterhalten, als säßen sie im gleichen Raum. Die Zeitdifferenz wurde durch ultraschnelle Wellen ausgeschaltet, die jedoch nur innerhalb des Sonnensystems wirksam blieben. Der Schreibtisch war angefüllt mit technischen Geräten der Nachrichtenübermittlung, angefangen beim Fernschreiber mit Diktaphon. Und inmitten dieser überwältigenden Technik saß Ferguson wie eine tödliche Spinne, stets darauf lauernd, einem Feind der Menschheit und des Sonnensystems den Garaus zu machen. Denn der SSD kannte keine Gefangenen, wenn eine Schuld erst einmal klipp und klar bewiesen war. Ferguson kannte nur zwei Urteile. Das erste lautete: freilassen! Und das zweite: liquidieren! Dazwischen gab es nichts.
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Heute hatte Ferguson einen Besucher. Das unscheinbare Männchen saß ihm gegenüber auf einem Stuhl und blätterte in seinen Papieren. Mit gerunzelter Stirn sah der Chef zu, unterbrach jedoch nicht die Beschäftigung seines Besuchers. Teddy Small trug seinen Namen nicht zu Unrecht. Seine Größe mochte kaum 1,60 überschreiten, dazu besaß er eine fast überschlanke Figur und nichtssagende, blonde Haare. Das etwas blasse Gesicht zeugte davon, daß er die Erde noch nie verlassen hatte und die Direktbestrahlung der Sonne nicht kannte. Wahrscheinlich befand er sich überhaupt nur selten an der frischen Luft. Irgendwie sah Teddy Small harmlos aus, aber noch niemals hätte sich ein unbefangener Beobachter derart getäuscht. Denn in Wirklichkeit war Small einer der fähigsten Agenten Fergusons. »Nun?« unterbrach der Chef das dumpfe Schweigen. »Was haben Sie herausgefunden?« Teddy Small blickte auf und klopfte dann auf seine Notizen. »Ich werde es wohl niemals lernen, mit diesem altmodischen Kram zurechtzukommen – aber es ist in meinem Beruf doch das Praktischste und Unauffälligste.« Er seufzte. »Unser Verdacht scheint begründet zu sein, wenn ich auch noch nicht begreife, wieso.« »Berichten Sie!« »Ich war heute Nachmittag bei Mrs. Smith und erkundigte mich unter einem Vorwand nach dem Geburtsdatum ihres Gatten. Sie bestätigte genau das, was wir in unseren Berichten haben. Jerry Smith wurde am 10. Juni 2044 in Denver geboren.« Ferguson nickte vor sich hin. »Weiter!« sagte er knapp. Teddy Small betrachtete voller Interesse den leeren Wand37
bildschirm. »Das wäre nicht ungewöhnlich, denn schließlich sind wir alle irgendwann und irgendwo einmal geboren worden. Nur läßt sich das bei uns genau nachprüfen. Bei Jerry Smith aber nicht. In Denver ist ein Jerry Smith unbekannt. Ich habe dort nachforschen lassen. Am 10. Juni des betreffenden Jahres wurden 240 Knaben und 304 Mädchen in Denver geboren. Keiner der Knaben hieß Jerry Smith.« »Also existiert in Wirklichkeit überhaupt kein Jerry Smith?« »Natürlich existiert er. Es ist sogar sein richtiger Name. Aber es bleibt nun nichts anderes übrig, als die Spur von der anderen Seite her zu verfolgen. Wir müssen in der Gegenwart beginnen, statt in der Vergangenheit. Geben Sie mir einige Tage Zeit, und wir werden endlich wissen, wer und was dieser Jerry Smith ist.« »Was er ist?« Teddy Small grinste flüchtig. »Nun, er ist Leiter einer Abteilung bei der Passagierlinie zum Mars. Aber das hat nicht viel zu sagen. Dort wurde er vor zehn Jahren eingestellt. Ich werde am Tage seiner Einstellung mit meinen Nachforschungen beginnen. Im übrigen möchte ich nur zu gern wissen, wer eigentlich auf den Gedanken gekommen ist, mit Smith sei etwas nicht in Ordnung. Seine Gattin ist reizend.« Ferguson verzog keine Miene. »Sie beginnen also bereits morgen? Heute dürfte es zu spät sein?« Der Agent seufzte entsagungsvoll. »Ich werde mich mit den entsprechenden Stellen unauffällig in Verbindung setzen. Vielleicht komme ich vom Finanzamt.« Ferguson nickte ihm flüchtig zu. »Sie berichten mir, sobald sich etwas Neues ergibt. Und noch eins, Small: die Sache ist streng geheim und verdammt ernst! Glauben Sie nur nicht, es handle sich um eine Kleinigkeit. Ich 38
kann Ihnen noch nicht verraten, worum es geht. Aber seien Sie gewiß: wenn Sie dazu beitragen, diesem Smith – nun, sagen wir einmal zu entlarven, dann ist die Beförderung sichergestellt.« Der kleine Agent erhob sich. Sein Gesicht war auf einmal nicht mehr harmlos. Kalt und entschlossen blitzte es in seinen Augen. »Geht in Ordnung, Chef. Die Beförderung ist sicher. Lassen Sie schon mal die notwendigen Anweisungen an die Zahlstelle ergehen. Auf Wiedersehen!« Er machte eine knappe Verbeugung und näherte sich der Tür. Ferguson drückte auf einen Knopf unter der Tischplatte. Der fast unsichtbare Energieschirm fiel in sich zusammen, und der Agent verließ den Raum. Als sich die Tür geschlossen hatte, drückte Ferguson erneut auf den Knopf. Die durchscheinende Sperre war wieder vorhanden. Niemand, selbst eine Fliege nicht, konnte nun in den Raum eindringen. Dann bestätigte der Chef des SSD eine andere Taste. Der Wandschirm flammte auf. Ein junges Mädchen in blauer Uniform fragte höflich: »Ja, bitte?« »Geben Sie mir Agenten CYK 45 auf Pluto. Aber schnell!« Natürlich war Mrs. Brown so neugierig wie immer. Und diesmal hatte sie sogar allen Grund dazu. Am Nachmittag war ein Mann bei ihr gewesen und hatte sich recht auffällig nach Jerry Smith erkundigt. »Stellen Sie sich nur vor, Mr. Smith, er wollte von mir wissen, wann und wo Sie geboren wurden! Nun, ich wußte zwar, daß Ihr Geburtstag auf den 10. Juni fällt, aber in welchem Jahr Sie das Licht der Welt erblickten und wo, das konnte ich dem Herrn natürlich nicht sagen. Ich empfahl ihm, sich doch bei Ihnen direkt zu erkundigen. Hat er das getan?« 39
Jerry warf Rita einen schnellen Blick zu, aber zu spät. »Anscheinend ja«, nickte sie. »Wie sah der Mann aus, der bei Ihnen war?« Mrs. Brown rührte in ihrem Tee. »Sah aus wie einer, der nicht bis drei zählen kann. Ziemlich klein und mickrig, vielleicht 35 Jahre alt und blondes Haar. In seinen Augen war eine Traurigkeit, die mich direkt ansteckte. Vielleicht war es ein Verwandter?« »Das glaube ich nicht, denn dann müßte ich ihn ja erkannt haben. Er war heute Nachmittag auch bei mir.« »Also kein Verwandter? Vielleicht von der Polizei?« Wenn Mrs. Brown sprach, bestand die Hälfte ihrer Sätze aus mehr oder minder versteckten Fragen. Nicht immer erhielt sie darauf eine Antwort, aber das schien sie nicht zu stören. »Vielleicht«, gab Rita zu, der Jerry inzwischen auf den Fuß hatte treten können. »Ich weiß es nicht.« »Was mögen die nur von Ihrem Gatten wollen?« versuchte Mrs. Brown es noch einmal. Aber selbst dann, wenn man gewollt hätte, hätte man ihre Frage nicht beantworten können. »Irgendeine behördliche Auskunft, nehme ich an«, sagte Mr. Brown vermittelnd. »Vielleicht eine Erbschaft.« »Möglich«, knurrte Jerry und griff zum Programm des interplanetarischen Televisionsprogramms. »Die Venus bringt eine Revue. Sehen wir uns die an?« Man war einverstanden. Als Jerry am anderen Abend nach Hause kam, erwartete ihn eine Überraschung. Rita hatte das Badezimmer neu streichen lassen. Das wäre an sich nichts Besonderes gewesen und Jerry hätte die Sache wahrscheinlich mit einem Ah! zur Kenntnis genommen, wäre nicht etwas Erstaunliches geschehen, als ihn Rita in den Raum führte. Die blauen Kacheln färbten sich bei seinem Eintritt rot. 40
Mit einem Ruck blieb er wie gebannt stehen und starrte auf die in flammendem Rot leuchtenden Wände. Er war totenblaß geworden. Rita trat auf ihn zu. »Aber Jerry – warum erschrickst du so? Was ist denn geschehen?« »Die Farben! Was ist mit ihnen?« Sie lachte. »Eine ganz neue Sache, Jerry. Doch kein Grund, sich aufzuregen. Sie sind seit einigen Wochen auf dem Markt, und ich wollte dich damit überraschen. Anscheinend ist mir das auch gelungen.« »Die Farben – sie wechseln willkürlich?« »Ja, ist das nicht wunderbar? Im Grunde genommen bin ich sogar an dieser Erfindung beteiligt, doch das ist eine lange Geschichte. Noch aus jener Zeit, da ich mit der HELOS Flüge in den Kosmos unternahm.« Inzwischen waren die Kacheln des Bades olivgrün geworden. Eine beruhigende Farbe, wie Jerry zugeben mußte. Und sie verfehlte tatsächlich ihre Wirkung auf ihn nicht. »So, eine neue Erfindung? Wer hat sie denn gemacht?« »Das weiß ich nicht. Die Farben wurden seit einigen Tagen in den Geschäften angeboten, und ich entschloß mich, einen Versuch mit dem Badezimmer zu machen. Ich dachte, du würdest dich freuen.« »Ja, ja, ich freue mich auch, Liebes. Aber – ich war doch ein wenig überrascht.« »Nun, du schienst mir mehr erschrocken zu sein.« »Vielleicht. Was besagt die Gebrauchsanweisung? Kann ich sie sehen?« Rita schüttelte ein wenig verdutzt den Kopf. »Sie liegt in der Küche. Soll ich sie holen?« Er nickte, und sie lief davon. Noch eine Weile betrachtete Jerry die nun konstant bleibende 41
Farbe der Kacheln, dann drehte er sich abrupt um und ging ins Wohnzimmer. In sein Gesicht war ein harter und fast brutaler Zug getreten, der sich jedoch sofort verflüchtigte, als Rita den kleinen Katalog brachte. Sie schlug eine Seite auf. »Hier, dies wird dich interessieren.« Jerry setzte sich und nahm den Katalog. Ohne sich weiter um seine Frau zu kümmern, begann er zu lesen. »Neuartig! Die Farbe, die sich Ihrer Stimmung anpaßt!« war da gedruckt. »Wenn Sie sich ärgern, färben sich die Wände Ihres Zimmers grün – und sie beruhigen sich! Einmaliger Erfolg unserer Wissenschaft!« Jerry überflog die unwichtigen Anpreisungen und suchte nach den entscheidenden Hinweisen. Aber er fand sie nicht. Schließlich legte er den Katalog beiseite. »Wie lange geht das schon?« fragte er. Rita sah ihn erstaunt an. »Was meinst du?« »Das mit dieser neuen Farbe. Seit wann gibt es sie? Ich habe bisher noch nichts davon bemerkt.« »Ich sagte es schon. Erst seit wenigen Tagen. Aber wenn es dich so sehr interessiert, werde ich mich vielleicht mit Hilfe meiner alten Freunde bei der Raumflotte genauer danach erkundigen können.« »Die Raumflotte? Was hat denn die Raumflotte damit zu tun?« Es schien Rita, als sei Jerry wieder einen Schein blasser geworden. Sie konnte sich aber auch täuschen. »Es ist nur eine Vermutung von mir. Aber wenn sie stimmt, dann war unser damaliger Flug nach Zeta Herkuli doch nicht umsonst. Von dort nämlich brachten wir eine Pflanze mit, deren Blüten die Fähigkeiten hatten, ihre Farbe willkürlich – oder auch unwillkürlich – zu verändern. Und die Samenkapseln enthielten einen Farbstoff mit den gleichen Fähigkeiten. Wir brachten diese Pflanze mit zur Erde. Seitdem habe ich nichts mehr davon gehört. Schließlich ist das auch bereits zehn Jahre 42
her.« Jerry hatte zugehört, ohne Rita zu unterbrechen. Als sie endete, erhob er sich und legte seine Rechte auf ihre Schulter. »Mein Liebes, ich fürchte, wir gehen einer unruhigen Zeit entgegen. Du wirst es aber nicht bemerken, denn scheinbar wird es eine ruhige und immer bequemere Zeit werden. Es ist sogar möglich, daß wir das Ende der ruhigen und den Beginn der unruhigen Zeit nicht mehr erleben, so lange kann das dauern.« Sie blickte ihn fragend an. »Ich verstehe dich nicht, Jerry. Was willst du damit sagen?« Er lächelte und schüttelte den Kopf. »Zerbrich dir nicht den Kopf, Rita. Es hat doch keinen Sinn. Aber bitte, unterrichte mich von allen Dingen, die mit dieser Farbe zu tun haben. Man wird bald Kleider kaufen können, die mit diesem Farbstoff gefärbt wurden, Hemden und Mäntel. Vielleicht auch Zahnpasten und Lippenstifte.« »Lippenstifte gibt es bereits«, rief Rita sich erinnernd. »Ich habe gleich einen mitgebracht. Soll ich ihn holen?« Jerry schien erschrocken, dann sagte er: »Ja, hole ihn. Er interessiert mich.« Er setzte sich wieder und versank in tiefes Grübeln. Als Rita zurückkehrte, schrak er zusammen. Stumm nahm er die schimmernde Metallhülse in Empfang und nahm die Kappe ab. Zum Vorschein kam ein hellroter Stift, der langsam ins Blaue wechselte, noch während er ihn betrachtete. Dann wurde er grün. »Es dürfte ungefährlich sein, ihn zu benutzen«, meinte Jerry sinnend. »Gefährlich wird er nur auf die Dauer sein.« Rita sah ihn forschend an. »Wie meinst du das, Jerry? Was heißt: auf die Dauer?« Er schüttelte den Kopf. »Eine Zeitangabe ist unmöglich. Vielleicht zehn Jahre, vielleicht auch hundert. Das ist verschieden. Das hängt von den 43
Menschen ab.« Sie starrte ihn an, aber er beantwortete ihre stumme Frage nicht. Ferguson schaltete den Energieschirm aus und ließ Teddy Small eintreten. Der unscheinbare Agent schlüpfte ins Zimmer und schloß die Tür. Erneut zuckte der unsichtbare Schirm auf. Nur eine Kontrollampe verriet sein Vorhandensein. »Guten Tag, Chef«, begrüßte er seinen Vorgesetzten und nahm auf dem angebotenen Stuhl Platz. »Ich bringe einige recht interessante Neuigkeiten.« Ferguson nickte scheinbar ungerührt und entgegnete: »Guten Tag, Small. Berichten Sie!« »Ich habe mich diesem Jerry Smith ein wenig an die Fersen geheftet, ohne daß er etwas davon gemerkt hat, natürlich. Außerdem erkundigte ich mich bei der Gesellschaft nach ihm. Es war allerdings unvermeidlich, dabei meinen Ausweis zu zeigen. Man verwies mich an die Personalabteilung.« »Die Ergebnisse, bitte. Meine Zeit ist knapp.« Small zuckte unmerklich zusammen. »Die Personalabteilung bestätigte, daß vor etwa zehn Jahren ein gewisser Jerry Smith, geboren am 10. Juni 2044 in Denver, eingestellt wurde. Die Papiere waren in Ordnung.« »Weiter!« Teddy Small sah ein wenig hilflos aus, als er sagte: »Das ist es ja eben: Es gibt kein Weiter!« »Was soll ich darunter verstehen?« »Smith tauchte bei der Gesellschaft auf, brachte seine ausgezeichneten Papiere mit und bewarb sich um die Stellung. Seine Zeugnisse waren in Ordnung und besagten, daß er seine letzte Stellung freiwillig verlassen hatte, um sich zu verbessern.« »Sich verbessern, indem er die Stellung eines einfachen Schalterbeamten annahm?« 44
»Die Leute der Personalabteilung sind keine Detektive«, entschuldigte Small die Leute der Raumfahrtlinie. »Das beweist sich auch in der nächsten Tatsache, die ich feststellte. Um die Spur von Smith weiter verfolgen zu können, suchte ich natürlich die Firma auf, in der Smith zuvor gearbeitet hatte.« »Und?« »Es hat hier niemals einen Jerry Smith gegeben.« »Aha!« Ferguson drängte nun nicht mehr. Ruhig saß er hinter seinem Tisch und dachte nach. Wenigstens sah es so aus. In Wirklichkeit jedoch wartete er. Und Teddy Small sagte: »Die Spur hört da auf, wo sie anfing. Jerry Smith begann erst vor zehn Jahren zu existieren. Davor gab es ihn nicht.« »Vielleicht hat er einen falschen Namen angenommen.« »Zu dem festgelegten Zeitpunkt gab es keinen vermißten Menschen in der Welt. Jerry Smith ist praktisch aus dem Nichts aufgetaucht, so als sei er vor zehn Jahren geboren worden. Unsere Nachforschungen beweisen das eindeutig.« Ferguson sah Small durchdringend an. »Somit bleibt nur der einzige Weg: wir müssen Smith selbst fragen!« Small nickte langsam und schwer. Er wußte, was das bedeutete. Jerry Smith würde festgenommen werden. Man würde ihn verhören, wenn notwendig mit Hilfe der Detektoren und Wahrheitsdrogen. Und wenn das nichts nutzte … Er erhob sich. »Gut, Chef. Ich werde ihn holen.« Ferguson nickte ihm abschiednehmend zu und schaltete den Energieschirm aus. Teddy Small verließ den Raum und trat hinaus auf den Gang. Er ging zum entsprechenden Dezernat und ließ sich einen Haftbefehl geben. 45
Noch einen Tag Freiheit hatte dieser Jerry Smith vor sich. Morgen abend würde er ihn verhaften. Nie in seinem ganzen Leben hatte sich Teddy Small etwas Unmöglicheres vorgenommen als in diesem Augenblick. Aber das wußte er nicht … Als Jerry in seinem Büro saß, klopfte es an die Tür. James Torres, ein flüchtiger Bekannter aus der Personalabteilung, trat ein. »Verzeihen Sie die Störung, Mr. Smith, aber vielleicht kann ich Ihnen mit einem Hinweis dienen. Gestern hatte ich Besuch. Es war ein Herr da, der sich nach Ihnen erkundigte.« Jerry sah interessiert hoch. »Ach …« Er winkte Torres, sich zu setzen. »Wie sah er aus?« »Wie er aussah? Hm – ich glaube, er hatte eine schmächtige, fast zierliche Figur, blonde Haare und – und … nun, er sah eigentlich recht harmlos und durchschnittlich aus.« »Das sind die gefährlichsten«, stellte Smith fest und lächelte. »Er wollte wissen, wann und wo ich geboren bin. Stimmt’s?« »Stimmt!« machte Torres ein wenig enttäuscht, daß aus seiner Überraschung nichts geworden war. »Woher wissen Sie das?« »Weil der gleiche Bursche sich bei meiner Frau ebenfalls zu erkundigen versuchte.« »Wie merkwürdig! Schließlich kann man diese Auskunft ja auf jedem Meldeamt erhalten.« »Vielleicht. Nun, was haben Sie ihm gesagt?« »Ich habe ihm ihre Akten gegeben, und er machte sich Notizen. Sagen Sie, Mr. Smith: ist etwas nicht in Ordnung?« »Was sollte denn nicht in Ordnung sein?« »Nun, umsonst kommen doch keine Fremden in die Personalabteilung einer großen Firma und erkundigen sich nach dem Lebenslauf der Angestellten. Im übrigen handelte es sich um 46
einen Mann der SSD. Er zeigte seine Marke, eine Uraniumplatte.« »Und da meinen Sie, er sähe harmlos aus.« »Sah er auch aus, Ehrenwort! Gott sei Dank wurde ich ihn sehr schnell los, als ich ihm Ihre letzte Firma angab.« »Meine letzte Firma? Ach so, ja. Und da ging er?« »Ja. Er meinte, dort würde er sicher mehr erfahren.« Jerry Smith überwand die augenblickliche Lähmung und versuchte ein verbindliches Lächeln. »Vielen Dank, Mr. Torres, für Ihre Auskünfte. Ich glaube, ich werde mich mal beim SSD erkundigen, warum man die Routineerkundigungen ausgerechnet in aller Öffentlichkeit durchführen läßt. Es handelt sich ganz bestimmt um eine solche, und ich wurde das zufällige Opfer. Also, besten Dank. Und wenn wieder einmal jemand kommt und meine Kragenweite kennenlernen möchte, lassen Sie mich rufen.« »Geht in Ordnung, Mr. Smith. Auf Wiedersehen.« Als Jerry allein war, sank er in seinen Stuhl zurück. Man hatte Verdacht geschöpft. Soviel stand fest. Nicht, daß er Furcht hätte! Oh nein, das war es nicht, was Smith so beunruhigte. Der SSD konnte ihm nichts anhaben, wenn er das nicht wollte. Aber da war der veränderliche Farbstoff mit seiner unheimlichen Gefahr für die Menschheit. Und da war Rita! Niemals hätte er geglaubt, jemals ein anderes Wesen so lieben zu können, daß die Trennung schwer fiel. Acht Jahre lebte er nun bereits mit dieser Frau zusammen, ein glückliches und normales Leben. Sie ahnte nicht, wer er war, und wie seine Mission lautete. Für sie war er einfach Jerry Smith, leitender Angestellter einer Firma von interplanetarischer Bedeutung. Wenn jedoch der SSD einmal Verdacht geschöpft hatte, würde er nicht lockerlassen, bis er hinter das Geheimnis gekommen war. Und dann war er erledigt! 47
Den Kopf in die Hände gestützt, sann er darüber nach, wie er eine Frist erhalten konnte. Denn wenn die Maske fiel, verlor er Rita; auch wenn er das Leben gewann. Und Rita wollte er so lange behalten, wie es nur eben ging. Eine Galgenfrist! Ein galaktisches Reich für eine Galgenfrist! Als er an diesem Abend nach Hause kam, fühlte er eine momentane Schwäche und ließ sich schwer in den Sessel fallen, der im Wohnzimmer stand. Rita war noch fort, um einige Besorgungen zu machen. Der Robotdiener hatte die ihm aufgetragenen Worte solange vor sich hingeleiert, bis Jerry ihn davongejagt hatte. Diese Farbe! Diese verdammte, sich nach Belieben verändernde Farbe! Wenn sie nicht wäre, fiele die Entscheidung leichter. Doch das mit der Farbe hatte Zeit. Zuerst einmal mußte der SSD von der heißen Spur abgebracht werden. Und da gab es einen sehr einfachen, wenn auch harten Weg. Noch heute würde der harmlos aussehende Agent des SSD zu ihm kommen und ganz offen fragen, aus welcher Versenkung er vor zehn Jahren aufgetaucht sei. Er würde nach seinem richtigen Namen fragen und nach seiner Herkunft. Und, so beschloß Jerry, er soll es erfahren. Minuten später kam Rita zurück, ein Paket im Arm. Mit einem unsicheren Lächeln löste sie auf den fragenden Blick Jerrys die Verschnürung und förderte ein Kleid zutage. Ein Kleid, das in dem gleichen Augenblick, da Jerry es erblickte, blitzschnell die Farbe wechselte und blutrot wurde. »Du hattest gesagt, ich solle dich stets von neuen Erscheinungen, die mit der Farbe zu tun haben, unterrichten«, sagte Rita schnell, ehe Jerry seinen Mund öffnen konnte. »Seit heute gibt es Kleider dieser Art. Und nicht einmal billig!« »Je nach Stimmung hast du dann täglich ein neues Kleid, denn es kann jeden Tag eine andere Farbe annehmen. So wird der erhöhte Preis wieder aufgehoben.« 48
»So bist du mir nicht böse, wenn ich es trage?« »Woher? Es ist vollkommen unschädlich.« Sie schüttelte den Kopf. »Dann begreife ich nicht, warum du dich so über die Farbe aufregst. Im übrigen habe ich erfahren können, daß diese Farbe tatsächlich aus den Samenkapseln dieser Pflanze hergestellt wird, die wir vor zehn Jahren von Zeta Herkuli mitbrachten. Nach jahrelangen Versuchen, die hauptsächlich die Unschädlichkeit des Farbstoffs ergeben sollten, hat man sie der Industrie übergeben. Es gibt bereits riesige Plantagen auf der ganzen Erde.« »Dann ist es schon sehr weit«, stellte er fest. »Was soll das heißen?« Er seufzte. »Vielleicht werde ich dir das eines Tages erzählen. Und dann wirst du eine sehr, sehr schwere Entscheidung treffen müssen. Denn wenn ich es dir erzähle, gibt es kein Zurück mehr. Du wirst mich dann mehr lieben müssen, als du jemals dich selbst liebtest. Sonst verlierst du mich.« Sie sah ihn mit aufgerissenen Augen an. »Wie meinst du das?« Er stand auf und trat zu ihr. Zärtlich strich er ihr über das blonde Haar, das hinten von einem Knoten, der in einen Pferdeschwanz überging, gehalten wurde. Für eine ehemalige Raumfahrerin eine ganz und gar unmögliche Frisur. »Später, Liebes. Ich erwarte noch Besuch. Du kannst schon ins Bett gehen, sobald wir gegessen haben. Bist du mir sehr böse, wenn ich dich darum bitte?« »Ja, aber ich verstehe nicht …« »Du wirst später einmal alles verstehen. Habe Vertrauen!« Sie nickte. Irgend etwas in ihren Augen schimmerte feucht. »Hat das etwas mit dem Mann vom SSD zu tun?« Er nickte. »Alles!« sagte er düster. 49
Rita lag bereits im Bett, als der Erwartete kam. Jerry erkannte ihn nach der Beschreibung auf dem kleinen Bildschirm neben dem Knopf des elektronischen Türöffners. Langsam und mit einem grimmigen Lächeln drückte er den Knopf nieder. Teddy Small hatte den winzigen, aber tödlichen Nadelstrahler in der rechten Hosentasche, entsichert und schußbereit. Mit festen Schritten kam er den Kiesweg entlang und wartete, bis sich die Haustür öffnete. »Mr. Smith?« sagte er fragend, als Jerry öffnete. »Der bin ich. Guten Abend, Mr. Small. Ich habe Sie erwartet.« Zum erstenmal verlor Small einen Teil seiner Fassung. Kein Mensch, außer einigen Beamten des SSD, wußte, daß er heute hierher kommen würde. Und am allerwenigsten konnte es dieser Smith wissen, ganz abgesehen davon, daß es höchst unwahrscheinlich war, daß er seinen Namen kannte. »Sie haben mich erwartet? Woher kennen Sie meinen Namen?« »Ist das so wichtig? Kommen Sie herein, Mr. Small.« Obwohl es unhöflich erscheinen mußte, behielt Small die rechte Hand in der Hosentasche. Erst als Smith ihn bat, doch die Überjacke abzulegen, mußte er notgedrungen seine Waffe loslassen. Aber er spürte das beruhigende Gewicht des Strahlers an seiner Seite und kannte die Schnelligkeit, mit der er ihn zu erreichen vermochte, sollte es sich als notwendig erweisen. Jerry bot seinem Gast einen Sessel an, rückte den Rauchtisch mit den Zigaretten und Getränken näher und ließ sich dann selbst ebenfalls nieder. »Womit kann ich Ihnen also dienen, Mr. Small? Vielleicht hätten Sie gleich zu mir kommen sollen, statt nutzlos und recht auffällig fremde Leute auszufragen.« »Das wissen Sie auch?« wunderte sich der Agent, dem der zu 50
Verhaftende immer unheimlicher wurde. Dann räusperte er sich. »Nun, es ist ja auch gleichgültig, ob Sie es wissen oder nicht. Dann kann ich mir die Vorrede ersparen und gleich zur Sache kommen.« »Selbst das ist nicht notwendig. Ich bin, den Papieren nach, am 10. Juni 2044 in Denver geboren – und Sie haben festgestellt, daß diese Angaben nicht stimmen. Nicht, das wollten Sie doch sagen?« Teddy Small starrte seinen Gastgeber an. »Ja! Genau das wollte ich sagen! Sind Sie Gedankenleser?« »Vielleicht. Telepathie ist nichts Außergewöhnliches, wenn man sich ihrer bewußt ist.« »Sind Sie also zu dem angegebenen Zeitpunkt in Denver geboren oder nicht?« »Natürlich nicht!« Small starrte Smith einen Augenblick verwundert an. So leicht hatte er es sich nicht vorgestellt. »Sie leugnen also nicht, eine falsche Identität angenommen zu haben?« »Nein!« »Und woher haben Sie die falschen Papiere?« »Gekauft.« »Von wem?« »Wie soll ich das wissen? Es ist zehn Jahre her.« Small setzte zum entscheidenden Sprung an. »Und warum haben Sie das getan? Wie lautet Ihr wirklicher Name?« »Sie würden ihn kaum aussprechen können, mein lieber Small.« Der Agent ahnte erneute Verwicklungen. »Warum haben Sie Ihre Identität gewechselt?« »Weil ich mich in meiner wirklichen nicht sehen lassen konnte. Ich hätte zuviel Aufsehen erregt.« Small winkte wütend ab. 51
»Schweifen Sie nicht vom Thema ab, sonst werde ich Sie verhaften. Ich besitze alle Vollmachten, Sie mit in das Gebäude des SSD nehmen zu können. Legen Sie ein volles Geständnis ab, dann wird das nicht notwendig sein.« »Das hatte ich vor, denn anders werde ich Sie kaum los.« Der Agent unterdrückte ein triumphierendes Lächeln. »Also los!« Und Jerry Smith begann zu reden. Er redete noch keine zwei Minuten, als Teddy Small wütend aufsprang und schrie: »Hören Sie mit dem Unsinn auf, Sie verdammter Lügner! Sie sollen mir die Wahrheit erzählen, aber keine Märchen. Hören Sie, Smith, ich warne Sie! Ich gebe Ihnen eine letzte Chance, mir alles zu erklären. Wenn Sie diese Chance nicht nutzen, kommen Sie mit. Und Sie kennen ja wohl die Methoden des SSD?« »Ich kenne sie. Also gut, Sie sollen Ihren Beweis haben.« Jerry hatte sich erhoben und war ein wenig zurückgetreten. Er stand jetzt mit dem Rücken zur Wand, etwa vier Meter von dem Agenten entfernt. Zwischen ihnen war nichts. »Wie Sie wissen, habe ich einen anderen Namen angenommen, und damit eine nicht mir gehörende Identität. Sie wollen meinen richtigen Namen wissen, Mr. Small. Ersparen Sie mir das. Aber ich will Ihnen mein wahres Gesicht zeigen. Ich werde die Maske fallenlassen, die ich mir aufsetzte. Aber ich warne Sie! Sie werden der erste Mensch sein, der mich sieht!« Teddy Small wartete, die rechte Hand in der Tasche. Vielleicht hatte Smith einen schmutzigen Trick vor, und in dem Augenblick da er sich die Plastikmaske vom Gesicht riß, machte er von einer verborgenen Waffe Gebrauch. Auf so einen Unsinn fiel ein Teddy Small nicht herein! Doch als es dann geschah, ergriff Teddy Small die Lähmung so schnell, daß er nicht einmal mehr imstande war, noch einen Atemzug zu machen. 52
Jerry Smith hatte die Maske fallenlassen. Und Teddy Small schrie gellend auf. Schaurig kam sein Entsetzensschrei aus dem weit aufgerissenen Mund. Die Augen quollen aus den Höhlen, und die rechte Hand glitt aus der Tasche – ohne Waffe. Sie griff zum Herzen, krallte sich in den losen Stoff des Jacketts. Dann stürzte der Agent zu Boden und blieb liegen, ohne sich noch einmal zu rühren. Er war tot. Hai Ferguson erwartete den Bericht seines Agenten Teddy Small mit Ungeduld. An sich hätte er gestern den Verhafteten noch vorführen sollen. Da dies jedoch nicht geschah, nahm der Chef des SSD an, es hätten sich vielleicht neue Umstände ergeben, die eine Festnahme erübrigten. Er atmete also erleichtert auf, als ihm die Wache den Agenten meldete. Teddy Small betrat das Büro Fergusons mit der gewohnten Vorsicht. Er setzte sich auf ein Zeichen des Chefs und sah diesen fragend an. »Nun?« machte Ferguson ein wenig ungeduldig. Der Agent sah ihn durchdringend an, ehe er den Blick senkte und sagte: »Ich glaube nicht mehr, daß eine Verhaftung notwendig sein wird. Jerry Smith ist genauso harmlos wie Sie oder ich – zumindest, was seine von uns vermuteten verbrecherischen Neigungen angeht. Eine nochmalige Überprüfung unserer Stellen in Denver ergab, daß tatsächlich kein Jerry Smith am 10. Juni 2044 dort geboren wurde. Aber ein gewisser John Smith hatte etwa drei Wochen später ein Findelkind an Vaters Statt angenommen und es auf den Namen Jerry taufen lassen. Daher fanden wir natürlich den Namen des Neugeborenen nicht. Wir unterließen es, nach einem anderen Jerry Smith zu forschen, daher unser Verdacht.« 53
Ferguson sah nachdenklich zur Decke empor. »Wie kann einer Dienststelle von uns ein derartiger Irrtum unterlaufen? Ich werde die Sache untersuchen lassen.« »Das wäre sicher angebracht«, empfahl Teddy Small. »Und weiter? Haben Sie Ihn gestern aufgesucht?« »Allerdings. Bei der Gelegenheit erzählte er mir auch, warum er vor zehn Jahren seine Papiere geändert hat. Er war wegen einer Kleinigkeit aus seiner Stellung entlassen worden. Um eine neue Stellung zu erhalten, fälschte er seine Zeugnisse. Es wird Sache der zivilen Polizei sein, sich damit zu befassen.« »Und aus dem Grund erhielten wir bei der angegebenen Firma den Bescheid, ein Jerry Smith sei niemals bei ihr beschäftigt gewesen? Hm, das klingt ja alles sehr einleuchtend. Also gut, ich werde den entsprechenden Stellen die notwendigen Anweisungen zur Einstellung des Verfahrens geben. Es ist gut, Small. Sie können dann gehen. Es wartet ein neuer Auftrag auf Sie. Unser Vertreter bei der Luna-Export wird Sie unterrichten. Übrigens, Small, seit wann tragen Sie einen Ehering? Ich meine, Sie wären ledig?« Small zuckte unmerklich zusammen, ehe er verwundert seine Hände betrachtete. An keinem der Finger befand sich ein Ring. »Einen Ehering, Mr. Ferguson? Sie müssen sich geirrt haben.« Ferguson starrte auf die Hände seines Agenten. In seinen Augen war ein ungläubiger Ausdruck. Dann schüttelte er den Kopf. »Es ist nicht zu fassen! Leide ich bereits an Alterserscheinungen? Ich hätte schwören mögen, daß Sie einen Ring trügen.« Immer noch sichtlich verstört schaltete er die Energiesperre aus und verabschiedete Small. Der Agent verbeugte sich kurz und verließ den Raum. Er atmete erleichtert auf. 54
Die Sache mit dem Ring hätte fast seinen ganzen Plan zuschanden gemacht. Ohne sich umzusehen, trat er auf die Straße, winkte einer Lufttaxe und ließ sich in das knapp 200 km entfernte Terraport bringen. Er konnte keine Verfolger feststellen. Ferguson schien keinen Verdacht geschöpft zu haben. Am Ziel angelangt, bezahlte er den Piloten und begab sich auf eine der öffentlichen Toiletten. Sekunden später trat Jerry Smith aus der gleichen Tür und begab sich mit festen, sicheren Schritten zu dem Gebäude, das seine Firma beherbergte. Der Mann auf dem Bildschirm sah ernst aus. »Nein, wir irren uns nicht, Mr. Ferguson. Der Tote wurde einwandfrei als Teddy Small identifiziert. Wir fanden ihn in Zentralpark der Stadt auf einer Bank. Jeder Zweifel ist ausgeschlossen.« Ferguson stellte eine sehr merkwürdige Frage: »Trägt der Tote einen Ehering?« Der Mann auf dem Bildschirm blätterte durch einige Notizen, dann schüttelte er den Kopf. »Nein! Praktisch wurde nichts bei ihm gefunden. Seine Papiere fehlen, seine Uhr, seine Waffe – überhaupt alles. Man scheint ihn ausgeraubt zu haben, nachdem man ihn tot auf der Bank fand. Auf keinen Fall jedoch kommt Raubmord in Frage. Außerdem läßt das schrecklich verzerrte Gesicht auf einen Schock schließen.« Ferguson versank in tiefes Schweigen. Seine Augen waren ins Leere gerichtet und hinter seiner Stirn begann es sichtlich zu arbeiten. Der Berichterstatter wartete ab. Endlich sah der Chef des SSD auf. »Lassen Sie den Toten nach hier überführen. Ich möchte ihn mir ansehen. – Halt, noch eine letzte Frage: Was meint der Arzt, wie lange Small bereits tot ist?« 55
»Bereits seit gestern abend.« Ferguson gab keine Antwort. Er war totenblaß geworden. In den dreidimensionalen Lichtspielhäusern, im Fernsehprogramm, in den Mikroausgaben der Zeitungen und in jeder Reklameleuchtschrift warb die Industrie für ihren neuen Farbstoff. »Ihr Heim wird zur Insel des Friedens!« behaupteten die Werbefachleute und versuchten zu erklären, daß die je nach Stimmung wechselnde Farbe der eigenen vier Wände jede Aufregung im Keim ersticke. »Keine Managerkrankheit mehr!« rasten die Leuchtbuchstaben über die verdunkelten Flächen der Wolkenkratzer. »Rückgang der nervösen Todesfälle dank unserer selbsttätigen Wechselfarbe!« »Sie sehen nur die Farbe, die Ihnen gefällt!« besagten die Werbesprüche auf den Bildschirmen in jedem Haus. »Unsere Farbe errät Ihre geheimsten Wünsche – und erfüllt sie!« Ganz langsam nur begann die neue Industrie Fuß zu fassen und die Lebensgewohnheiten der Menschen zu ändern, ohne daß diese sich der Änderung bewußt wurden. Jähzornige Personen ließen ihre erhobenen Fäuste wieder sinken, wenn sie sich plötzlich von einem beruhigenden Grün oder Braun umgeben sahen oder wenn der Anzug ihres Gegenübers die eigene Lieblingsfarbe annahm. Neugebildete Farborchester gaben lautlose Konzerte, indem jeder Solist bestimmte Farben, von einem Dirigenten geleitet, auf eine dafür bestimmte Wand zauberte, die lediglich mit der Wechselfarbe bestrichen war. Die dabei entstehenden Farbkompositionen erfreuten den Kenner genauso, wie früher eine laute, akustische Darbietung. Allerdings stellte es sich später heraus, daß diese Farborchester von der geschäftstüchtigen Industrie ins Leben gerufen waren. Aber da hatten sie bereits solche Beliebtheit erlangt, daß sie nicht fortzudenken waren. 56
Die Kinder profitierten am meisten. Wenn sie in ihren Kleidchen oder Anzügen Schmutzflecken einfingen, nahm sofort die ganze Kleidung – einem unbewußt geäußerten Wunsch folgend – die gleiche Farbe an. Und der Schmutzfleck war verschwunden. Die Farbe beruhigte ungemein. Sie beruhigte nicht nur einzelne, sie versetzte die ganze Menschheit in eine immer stärker werdende Lethargie. Es gab sehr bald nichts mehr, was nicht mit der Wechselfarbe bestrichen worden war. Selbst die Inneneinrichtung der großen Passagierraumer richtete sich farblich nach den Wünschen ihrer Fluggäste. Jeglicher Streit verschiedener Geschmacksrichtungen wurde dadurch vermieden, daß die Farbe zwar für den einen rot leuchtete, für den anderen jedoch grün oder violett, je nach Wunsch. Die Wissenschaftler suchten immer noch nach einer Lösung für dieses Problem. Lediglich eine der vielen Theorien, so phantastisch sie auch anmutete, schien der Wahrheit am nächsten zu kommen. Sie besagte, daß die Pflanze in gewissem Sinn intelligent war und die Fähigkeit besaß, die Farbtönung ihrer Blüten – und damit des späteren Farbstoffs – nach den sie treffenden Gedankenstimmungen zu orientieren. Diese Fähigkeit starb nicht etwa mit der Pflanze, sondern vererbte sich auf den Farbstoff selbst. Vielleicht, so vermutete man kühn, versuchte die Pflanze auf diese Art und Weise, mit den Menschen in Verbindung zu treten. Ihre Sprache war die Farbe, nicht der akustische Laut. Vielleicht waren sie sogar Telepathen. Jerry Smith selbst kannte das Geheimnis dieser Pflanzen auch nicht, aber er kannte ihre Gefahr für die Menschheit. Nach dem Tod des Agenten Small und dem gelungenen Versuch, den SSD von sich abzulenken, beobachtete er die Entwicklung sehr genau, wenn auch aus dem Hintergrund. Er vermied es, mehr Aufsehen als unbedingt notwendig zu erre57
gen. Aber er bemerkte sehr bald, daß der Zweck der geheimnisvollen Pflanze von jenem fernen Planeten sich langsam aber sicher erfüllte. Und er bemerkte noch etwas anderes: Er wurde beobachtet! Anscheinend gab sich Ferguson nicht mit der Tatsache zufrieden, daß sein Agent einfach an Herzschlag gestorben war. Vielleicht aber auch wußte er zu genau, daß der Ehering tatsächlich an der Hand Smalls gesteckt hatte. Und Jerry Smith trug den gleichen Ring. Eines Tages würde Ferguson ihm offen gegenübertreten. Und auf diesen Tag wartete Jerry mit aller Spannung, deren er fähig war. Denn er würde das Schicksal einer Welt entscheiden. Hal Ferguson wartete nicht allzu lange. Zum ersten Mal seit vielen Jahren entschloß er sich, eine Aktion selbst zu leiten und durchzuführen. Er nahm zwei seiner besten Leute, befahl die Bewaffnung mit dem Strahler, steckte selbst eine dieser kleinen und gefährlichen Waffen in die Tasche und bestellte das Flugtaxi des SSD. Zwanzig Minuten später landete das Flugzeug in der beginnenden Dämmerung nicht weit von Jerry Smith’s Haus entfernt. Der Pilot erhielt die Anweisung, hier auf die Rückkehr der drei Männer zu warten. Dann setzten sich Ferguson und seine Männer in Bewegung. Es war ihnen klar, daß sie sich niemals unbemerkt dem Haus nähern oder gar sein Inneres betreten konnten, denn die modernen Meldeanlagen waren ohne Fehler. Aber Ferguson hatte auch gar nicht die Absicht, sein Erscheinen geheimzuhalten. Das Gartentor war geöffnet, und sie schritten bis zur Haustür. Automatisch wurde drinnen die Anlage ausgelöst. Jerry sah das Warnlicht und erhob sich. Auf dem Bildschirm sah er die drei Männer und erkannte Ferguson sofort. »Noch Besuch?« fragte Rita ein wenig verärgert. Sie hatte sich auf einen gemütlichen Abend vorbereitet und empfand 58
jede Störung als eine Zumutung. »Ja, wir erhalten Besuch, Rita. Es wäre vielleicht besser, du würdest schon mal ins Bett gehen. Es wird nicht sehr lange dauern.« »Ich soll um acht Uhr ins Bett gehen?« wunderte sie sich. »Findest du das nicht reichlich früh für eine erwachsene Frau?« Jerry konnte ihr das nicht mehr erklären. Er sah ein, daß er das hätte früher tun sollen. »Also gut, dann bleibe. Aber versprich mir, dich nicht zu erschrecken. Unsere Besucher kommen nämlich vom SSD.« Sie wurde ein wenig bleich. Dann ließ Jerry die Besucher ein. »Ich freue mich, Mr. Ferguson, Sie als mein Gast begrüßen zu dürfen«, sagte er und verbeugte sich knapp. »Darf ich Sie bitten, gleich in mein Wohnzimmer zu kommen. Gestatten Sie, daß ich Ihnen meine Frau vorstelle? Rita, das ist Mr. Ferguson vom SSD.« Die anderen beiden Herren nannten ihre Namen und setzten sich, nachdem Jerry sie dazu aufgefordert hatte. Ferguson räusperte sich. »Sie erleichtern mir meine unangenehme Aufgabe dadurch, daß Sie mich zu kennen scheinen. Darf ich fragen, ob wir bereits einmal das Vergnügen hatten?« »Wir hatten«, entgegnete Jerry. »Aber wenn es Ihnen recht ist, möchte ich erst später davon sprechen. Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?« »Nein danke, wir sind im Dienst.« Jerry nickte. »Dann wird es vielleicht besser sein, Sie beginnen.« Er lehnte sich bequem auf der Couch zurück und legte seine Hand auf Ritas Knie. Ferguson betrachtete sinnend den Ehering an der Hand des Hausherrn. Eine steile Falte bildete sich auf seiner Stirn. Dann schüttelte er den Kopf und begann: »Es wird Ihnen nicht entgangen sein, Mr. Smith, daß wir 59
einige Nachforschungen, Ihre Person betreffend, angestellt haben. Leider erwiesen sich einige Angaben, die Sie gemacht haben, als unrichtig, und wir waren gezwungen, in Denver genaue Erkundigungen einzuziehen. Damit war einer unserer Agenten, ein gewisser Teddy Small, beauftragt.« Er machte eine kleine Pause, als erwarte er einen Einwand. Als dieser jedoch nicht kam, fuhr er fort: »Es stellte sich heraus, daß am 10. Juni 2044 in Denver niemand geboren worden war, der später einmal auf den Namen Jerry Smith gehört hätte. Außerdem bestätigte uns Ihre angebliche frühere Firma, daß niemals ein Jerry Smith bei ihr beschäftigt gewesen war. Seltsamerweise kam der Agent Small einen Tag nach Ihrer geplanten Verhaftung zu mir und versuchte mit Erfolg, meine Bedenken zu zerstreuen. Man fand ihn noch am gleichen Tage tot im Park unserer Stadt.« Wieder machte Ferguson eine kleine Pause. Er warf Jerry einen fragenden Blick zu, ohne eine Reaktion zu erwarten. »Der Arzt stellte Herzschlag durch Schreck fest. Also eine natürliche Todesursache in gewissem Sinn. Ich vermute, daß jener Small, der mich kurz zuvor besuchte, nicht der echte Small war, denn der war bereits zwanzig Stunden zuvor gestorben. Die Maske des Unbekannten war ausgezeichnet und täuschte auch mich. Alle Angaben, die er in dem Gespräch mit mir machte, erwiesen sich später als falsch. Wenn Sie dahinter stecken, Mr. Smith, dann begreife ich nur eins nicht: Warum nutzten Sie nicht die Zeit, die Ihnen zur Verfügung stand, und verschwanden?« Jerry Smith lächelte geheimnisvoll. »Ich bin verheiratet«, sagte er, »und ich liebe meine Frau. Im Grunde genommen ist damit das ganze Problem meines Hierseins gelöst, denn ich wußte, daß Sie kommen würden.« Ferguson beugte sich vor: »Ihr richtiger Name lautet nicht Smith?« 60
»Nein!« »Ah – Sie wollen also gestehen?« fragte der SSD-Chef lauernd. »Wenn Sie es so nennen wollen – ja.« Beruhigend drückte Jerry die Hand Ritas, die sich in die seine gestohlen hatte. Er nickte ihr zu. Ferguson gab einem der beiden Männer einen Wink. In dessen Tasche war ein leises und kaum vernehmendes Klicken. Der Tonaufnehmer war eingeschaltet worden. »Sie sind also nicht Smith? Wer sind Sie also?« »Mein Name tut nichts zur Sache, Mr. Ferguson. Wohl aber meine Person und meine Tätigkeit …« »Sie arbeiten für die Gruppe auf Titan?« Für einen Augenblick schien Jerry verwirrt, aber aus ganz anderen Gründen, als Ferguson annahm. Dann schüttelte er lächelnd den Kopf. »Sie meinen die Opposition der solaren Regierung? Oh nein, damit habe ich nicht das geringste zu tun. Im Gegenteil, ich bin der offiziellen Regierung wohlgesinnt. Nein, es wird wenig Sinn haben, wenn ich Sie fragen lasse. Es wird das beste sein, Sie lassen mich erzählen. Doch zuvor eine andere Aufklärung: Jener Mann, der Sie als Teddy Small besuchte, war nicht Teddy Small oder ein maskierter Fremder. Ich selbst war es, Mr. Ferguson, der Sie in Ihrem Büro aufsuchte. Ich hatte nur vergessen, meinen Ring verschwinden zu lassen.« Der untersetzte Mann mit der Glatze sah Jerry an wie ein Gespenst. »Sie – Sie waren Small? Aber das ist doch unmöglich! Small hatte eine ganz andere Figur als Sie, er war klein und schmächtig, hatte blonde Haare. Sie sind groß und schlank, haben dunkle Haare. Selbst der berühmteste Maskenbildner des ganzen SSD könnte Sie nicht in einen Small verwandeln.« »Und doch tat ich es. Sie werden das später vielleicht verstehen.« 61
»Nun gut, wie starb Teddy Small?« »Tatsächlich an einem Herzschlag«, gab Jerry Auskunft. »Er äußerte an jenem Abend, da er mich verhaften wollte, den gleichen Wunsch, den auch Sie äußern werden, wenn ich mit meiner Erzählung fertig bin. Ich erfüllte seinen Wunsch. Und er starb.« Ferguson saß da, den Mund grimmig zusammengekniffen. Er hatte die Maske des gutmütigen Biedermanns schon längst fallenlassen. »Reden Sie, ich werde nicht mehr unterbrechen.« Jerry wandte sich an seine Frau: »Du wirst jetzt Dinge hören, die dir phantastisch und furchtbar vorkommen mögen – vielleicht auch nicht. Du warst selbst lange Jahre im Weltraum und ahnst viele seiner Geheimnisse. Ich habe dir niemals erzählt, wer ich bin, denn ich liebte dich wirklich und wollte dich nicht erschrecken. Heute sollst du die Wahrheit hören – und dann kannst du dich entscheiden, ob du bei mir bleiben willst oder nicht.« Er streichelte ihre Wangen noch einmal, ehe er sich wieder dem gespannt lauschenden Ferguson zuwandte: »Lesen Sie utopische Romane, Ferguson?« Der SSD-Chef schüttelte energisch den Kopf. »Diesen Unsinn mit den bewohnten Milchstraßen und den blutrünstigen Invasionen? Nein, dazu habe ich keine Zeit.« Jerry zuckte die Schultern. »Dann habe ich eine unerfreuliche Überraschung für Sie, denn Sie müssen sich jetzt eine utopische Erzählung anhören, die ich zum Besten geben werde.« »Sie wollen uns ein technisches Märchen erzählen? Hören Sie, Smith, wir sind gekommen, um einige Aufklärungen zu erhalten, nicht aber, um uns die Zeit mit Geschichten zu vertreiben.« »Diese Geschichte gehört mit in Ihr Programm, Mr. Ferguson!« erwiderte Jerry ernst. »Sie hören Sie sich entweder an, 62
oder Sie werden überhaupt nichts erfahren. Nun?« Der SSD-Chef knurrte etwas von »Blödsinn« und »Zeitverschwendung«, aber dann nickte er widerwillig. »Also gut! Aber versuchen Sie mir nicht, wenn Sie fertig sind, einen Roman von sich anzuhängen. Wenn das ein Werbetrick sein soll …« Jerry winkte ab. »Es ist keiner, das kann ich Ihnen versprechen. Doch nun hören Sie zu. Wie gesagt, es ist eine utopische Geschichte … Seit hundert Jahren ist die Erde nicht mehr schlechthin ›die Welt‹ und Heimat des Menschen, sondern lediglich einer von neun Planeten eines Sonnensystems, das eine einheitliche Regierung besitzt und der alle Stützpunkte und selbständige Kolonien, wo immer sie auch sein mögen, unterstehen. In hundert Jahren interplanetarischer und auch interstellarer Raumfahrt hat der Mensch sein Hoheitsgebiet immer weiter ausgedehnt und Sterne erreicht, die dreißig und mehr Lichtjahre von uns entfernt sind. Er weiß, daß die Technik des Raumflugs weiter voranschreiten und neue Erkenntnisse bringen wird, aber er fühlt sich bereits heute als der Herr des Universums. Denn bis heute begegnete er keiner anderen wirklich intelligenten Rasse. Vielleicht wähnt er sich allein in der Unendlichkeit, was eine weitere Steigerung seines ohnehin nicht geringen Selbstbewußtseins zur Folge haben könnte. Was die ausgeschickten Expeditionen bisher fanden, war zwar für die Mineralogen, die Biologen oder auch Zoologen interessant, aber es befriedigte nicht die Neugier der Menschen, die sich fragten – und allen Ernstes fragten: sind wir allein? So, Mr. Ferguson, was nun kommt, ist die Utopie, aber doch wenigstens das, was wir einmal als Utopie bezeichnen mögen: Irgendwo in der Galaxis, zehn- oder auch zwanzigtausend Lichtjahre von uns entfernt, existierte vor Tausenden von Jahren eine Rasse, genauso intelligent und fortschrittsbesessen 63
wie die Menschen der Erde. Sie begann ihre Laufbahn in den Höhlen der Gebirge ihres Heimatplaneten und langte über Kannibalismus und mörderische Kriege untereinander schließlich dort an, wo wir vor hundert Jahren auch standen. Sie stießen in den Weltraum vor. Bereits nach zehn Jahren trafen sie auf die ersten Wesen, denen die Beherrschung des Raumes ebenfalls kein Geheimnis bedeutete. Um nicht in einen alles vernichtenden Energiekrieg gestürzt zu werden, schlossen die beiden Rassen einen Pakt. Gemeinsam durchforschten ihre Schiffe daraufhin das Universum und entdeckten im Lauf der folgenden zwei Jahrhunderte – ich spreche immer von Erdenjahren – elf weitere intelligente Rassen, meist an der Schwelle der Raumfahrtperiode. Diese dreizehn Rassen verfielen nicht in den Fehler, sich gegenseitig auszulöschen, sondern sie verbündeten sich und gründeten das erste galaktische Imperium. Es umfaßte einen Raum von mehr als fünftausend Lichtjahren. Der Sternenkaiser einer Amtsperiode wurde jeweils von einem der dreizehn Hauptplaneten gewählt. Danach stellte der nächste Hauptplanet den Herrscher – und so fort. Jede Rasse also hatte die faire Chance, das gesamte Reich für eine stets gleichbleibende Zeitperiode zu leiten.« Jerry schwieg, denn Ferguson machte eine ungeduldige Handbewegung. »Sagen Sie, Mr. Smith«, knurrte er mürrisch. »Wollen Sie uns nicht endlich sagen, was Sie mit diesem Märchen bezwecken? Es ist ja alles recht nett und interessant, was Sie uns da erzählen, aber schließlich ist das Jugendlektüre, und man kann es sich in jeder Mikrobücherei auslernen.« »Es mag eine gewisse Ähnlichkeit mit derartigen Romanen haben, Mr. Ferguson, aber da ist noch ein gewaltiger Unterschied. Doch das möchte ich erst am Ende meiner Erzählung näher erläutern. Geben Sie mir eine halbe Stunde und hören Sie mir zu, ohne mich zu unterbrechen. Wenn Sie das tun, werden 64
Sie ganz genau wissen, was ich mit meinem Märchen bezwecke. Einverstanden?« Mit rührender Ergebenheit nickte der Chef des SSD, und seine dreizehn Haare machten diese Bewegung gehorsam mit. Die Gesichter seiner beiden Begleiter blieben gelangweilt. Ihre Hände hatten sie nicht aus den Taschen genommen. Jerry überging diese Unhöflichkeit und fuhr fort: »Das Regierungssystem funktionierte, und das gewaltige Sternenreich wurde mächtiger. Neue Zivilisationen kamen hinzu und lösten sich aus ihrer Isolierung. Sie mochten einsehen, daß ihr Glück nur in der großen Gemeinschaft lag und die Abgeschlossenheit ihre Entwicklung nicht gerade vorantrieb. Die ursprünglichen dreizehn Rassen jedoch stellten weiterhin in regelmäßigen Abständen den regierenden Kaiser des Sternenreichs. Bis endlich, nach mehr als 1500 Jahren, die erste gewalttätige Handlung erfolgte. Ein neueres Mitglied des Imperiums überfiel einen kleineren Planeten, der sich ebenfalls der Union angeschlossen hatte. Er vernichtete die Bewohner, raubte die aufgespeicherten Schätze, die zumeist aus Energiemineralien bestanden, und zog sich in sein eigenes System zurück. Alle Aufforderungen der Regierung, sich dem obersten Gericht zu stellen und die Beute zurückzugeben, blieben unbeantwortet. Daraufhin wurde beschlossen, eine exemplarische Strafaktion durchzuführen. Die Polizeiflotte startete vom augenblicklichen Regierungsplaneten und begab sich in den Raumsektor des frechen Piraten. Aber sie kam zu spät. Die Plünderer hatten ihre Heimatwelt verlassen und waren in den unbekannten Tiefen des Raumes verschollen. Eine ganze Rasse hatte sich aufgemacht, um der drohenden Vergeltung zu entgehen. Nicht ein einziger war zurückgeblieben, und die Flotte fand nicht ein intaktes Gebäude. Zwei Jahre lang durchsuchte man den benachbarten Sektor, 65
aber die Plünderer waren und blieben spurlos verschwunden. Es schien, als habe der Raum sie verschluckt. Allmählich legte sich die Beunruhigung der vereinigten Intelligenzen, aber man war doch klüger geworden. Niemand wurde mehr in den galaktischen Staatenbund aufgenommen, den man zuvor nicht einer eingehenden Prüfung unterzogen hätte. Dieses vollzog sich etwa nach dem folgenden Schema: Die Expeditionsschiffe der Union, bemannt mit Mitgliedern der dreizehn Gründerrassen, durchstreiften weite Räume der Galaxis und suchten bewohnte Planeten. Wenn ein solches Schiff sich einem System näherte, verhielt es sich außerordentlich vorsichtig und achtete darauf, nicht gesehen zu werden. Mit Hilfe empfindlicher Geräte stellte die Besatzung sehr bald fest, ob einer der Planeten bewohnt war und wenn, in welchem Stadium sich die Bewohner befanden, falls diese sich als intelligent erwiesen. Das war natürlich nur selten der Fall, kam jedoch immer wieder vor. Ferngesteuerte Beobachtungsstationen, ausgerüstet mit Televisionanlagen, wurden in Richtung des zu untersuchenden Planeten geschickt, während das Mutterschiff in genügendem Abstand eine Kreisbahn einschlug. Diese winzigen Beobachtungsstationen, Miniaturraumschiffe im wahrsten Sinne des Wortes, näherten sich der betreffenden Welt und schickten das Bild, das sie aufnahmen, zurück zum Mutterschiff, wo es analysiert wurde. Es kam vor, daß solche Mutterschiffe jahrelang um einen Planeten kreisten, ehe die Beobachtungen abgeschlossen waren. Der Planet wurde ordnungsgemäß registriert, nachdem seine Bewohner, je nach dem Stand ihrer Intelligenz und Entwicklung, in ein sogenanntes ›Stadium‹ eingeteilt worden waren. Zum Beispiel bedeutet ›Stadium 10‹ das Ende einer planetengebundenen Entwicklung und Beginn der Raumfahrt. Dann kehrte das Schiff zum Zentralplaneten des Imperiums 66
zurück, wo die Erkenntnisse ausgewertet wurden. Und nun geschah etwas, das seit dem Ereignis mit den Plünderern zum Gesetz geworden war. Während man sich früher offen der neu entdeckten Rasse genähert und die Aufnahme in das galaktische Reich angeboten hatte, schickte man heute einen sogenannten ›Galaktischen Beobachter‹ zu dem aufgefundenen Planeten. Dazu muß ich noch einige Erklärungen abgeben. Eine der dreizehn Gründerrassen besaß eine wahrhaft erschreckende Eigenschaft: Jeder einzelne Angehörige dieser Rasse hatte die Fähigkeit, sein Äußeres beliebig zu verändern. Ohne jede Anstrengung und Konzentration verharrte die äußere Form in dieser neuen Gestalt. Jedoch vermochte die kleinste Willensbeeinflussung, diese Gestalt beliebig zu ändern und die neu angenommene Form solange beizubehalten, wie das gewünscht wurde. Auch jahrelang, wenn es sein mußte. Bei entsprechender Übung vermochte der Betreffende sogar, sich derart in seine neue Form hineinzudenken, daß er sie auch ohne weitere Konzentration behielt. Ja, um in die ursprüngliche Gestalt zurückzukehren, mußte er die gleiche Energie aufbringen, die vorher benötigt wurde, sie zu verlassen. Es war nur zu offensichtlich, daß Angehörige dieser speziellen Rasse – sie nannten sich Idaner, nach ihrem Heimatplaneten Idan – vorzüglich für die Arbeit der galaktischen Beobachter geschaffen waren. Wenn man ihnen die genauen Aufzeichnungen und Fotos der zu bewachenden und überprüfenden Rasse gab, konnten sie die Gestalt fast augenblicklich annehmen – und behalten. Irgendwo auf der Nachtseite des neu gefundenen Planeten also wurde der Beobachter abgesetzt, nachdem er zuvor die Lebensgewohnheiten seiner Bewohner eingehend studiert hatte, was sehr oft Jahre in Anspruch nahm. Die mitgebrachten Hilfsmittel gestatteten es ihm, sich unbemerkt unter sie zu mischen und unter ihnen zu leben. 67
Zweck dieser Vorsichtsmaßnahme war, die Familie des galaktischen Sternenreichs nur dann durch ein neues Mitglied zu vermehren, wenn man sich dieses neuen Mitglieds völlig sicher zu sein glaubte. Man wollte nicht noch einmal einen Parasiten wie die verschollenen Plünderer bei sich aufnehmen. Das neue System arbeitete ausgezeichnet. Bis ein anderer Zwischenfall eintraf. Die vierte Gründerrasse, die Xanier, standen kurz vor der Wahl des neuen Kaisers, den sie diesmal zu stellen hatten. Sie selbst hatten eigentlich nicht die Veränderung bewußt bemerkt, die mit ihnen im Verlauf der letzten Jahrzehnte vorgegangen war, aber die anderen Rassen hatten nicht ohne Besorgnis feststellen müssen, daß die Xanier nicht mehr mit der gleichen Energie und Selbstlosigkeit ihre Pflichten als Gründerrasse erfüllten. Der Kaiser wurde gewählt und schleppte sich mühsam und ohne innere Anteilnahme durch seine Amtsperiode. Mit Erleichterung kehrte er schließlich nach deren Beendigung in sein ziviles Leben zurück. Das Imperium hatte mit seinem Fortgang nichts verloren. Noch ahnte man nichts Böses und schob die Schuld an diesem Versagen einem Mißgriff bei der Wahl zu, wenn auch einige Klügere warnten und behaupteten, kein anderer Xanier hätte das Amt besser ausgefüllt. Noch bevor die Reihe der Kaiser einmal herumgegangen war, brach die Zivilisation der Xanier in sich zusammen. Sie erlosch einfach, als sei sie am Ende ihrer Kraft gewesen. Die Bewohner von Xan verfielen in eine Art tödliche Lethargie, verloren jeden Anteil an den lebenswichtigen Geschehnissen und lebten nur noch der eigenen Bequemlichkeit. Freiwillig verzichteten sie auf die Wahl des Kaisers und begannen, in die Parallele des Stadiums 6 zurückzufallen, was etwa unserem Mittelalter entspricht. Die Technik selbst kam zum Erliegen. Die Rasse starb an sich selbst.« 68
Jerry machte eine kleine Pause und bemerkte, wie Ferguson unwillig auf seine Uhr schaute. Er lächelte. »Ich habe noch fünfzehn Minuten«, erinnerte er den SSDChef freundlich. »Sie müssen sich die Geschichte zu Ende anhören.« Ferguson nickte. »Fahren Sie fort. Ich bin gespannt, was sich der Autor in seiner Phantasie noch weiter ausgedacht hat.« »Ah – Sie sind immerhin schon gespannt. Das freut mich zu hören.« »Nicht so, wie Sie denken, mein Lieber«, wehrte Ferguson ab. »Ich überlege nur, ob man ihn ins Irrenhaus sperren sollte, oder ob man ihn weiter frei herumlaufen lassen kann.« »Das sagen Sie, der Leiter eines Polizeiapparats, der das ganze Sonnensystem umfaßt? Was glauben Sie denn, was man mit einem Menschen vor hundert Jahren getan hätte, der Ihre Persönlichkeit in einem Roman beschrieben hätte?« Ferguson wollte antworten, dann schwieg er aber. Nachdenklich wartete er auf die Fortsetzung der Erzählung Jerry Smith’s. Und der spannte ihn nicht auf die Folter. »Die Xanier also starben an sich selbst, sie gingen unter in ihrer eigenen Bequemlichkeit und bemerkten es nicht einmal. Das galaktische Imperium hatte ein wertvolles Mitglied verloren, ohne etwas dagegen tun zu können. Eine Schwächung des Reiches trat an sich noch nicht ein, dazu war das Gefüge zu stark. Erst als die siebte Gründerrasse, die Grosner, einem ähnlichen Schicksal entgegenging, begann man in obersten Verwaltungskreisen unruhig zu werden. Die Grosner waren äußerst intelligente Insekten, ähnlich etwa unseren Wespen. Ja, ich weiß schon«, wehrte der Erzähler das empörte Auffahren Fergusons ab. »Aber überlegen Sie einmal, ob die Natur nicht eine noch ausschweifendere Phantasie hat als der Autor der Geschichte, die ich Ihnen berichte. Vielleicht warten Sie das Ende ab, ehe Sie urteilen.« 69
Er zündete sich eine Zigarette an, warf der reglos neben ihm sitzenden Rita einen um Verzeihung bittenden Blick zu – und setzte seinen mehr als utopisch klingenden Bericht fort. »Wie alle Insekten lebten auch die Grosner in der Hauptsache mit und für den Geruchssinn. Für sie gab es keinen größeren Genuß, als sich einem Duft hinzugeben, der ihnen angenehm war. So wie wir Menschen einem Konzert zu lauschen vermögen oder uns an der Farbenpracht eines bunten Schauspiels berauschen können, so ergötzten sich die Grosner, indem sie für ihren individuellen Duft lebten. Bei uns ist das Kunst, was wir gerne hören oder sehen. Bei den Grosnern galt der als genialer Künstler, der es verstand, die schönsten Duftsymphonien herzustellen. Und das war in einem unvorstellbar idealen Maße einige Jahrzehnte vor ihrem Untergang einem Xanier gelungen. Von irgendwoher brachten Raumfahrer eine Pflanze mit, deren Wohlgerüche jeden fast betäubten, der ihr zu nahe kam. Eine tüchtige Industrie machte sich daran, diese Eigenschaft der Pflanze für ihre Zwecke auszunutzen und sie der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen. Die Folgen waren unerwartet und versetzten die Bewohner des Planeten Gros in eine Art Freudentaumel. Denn nach der Fabrikation stellte sich eine weitere Fähigkeit der Duftpflanze heraus: der Duftstoff besaß die Fähigkeit, sich nach den speziellen Wünschen des Individuums zu richten, in dessen Nähe er sich befand. Bald nach dieser Entdeckung befand sich jeder Grosner in der Duftatmosphäre, die er besonders liebte. Tag und Nacht war er nur von den Gerüchen umgeben, die ihm größtes Wohlbehagen verschafften und ihn zufrieden und glücklich machten. Alle bisherigen Sorgen verblaßten, man wurde faul und träge, kümmerte sich nicht mehr um die Geschicke des eigenen Volkes, ganz zu schweigen um die Probleme des Sternenreichs. Auch die Grosner sanken zurück in ein niedriges Stadium der 70
Entwicklung, ihre Zivilisation zerfiel. Nichtstuend lebten sie von der Hand in den Mund, erfreuten sich an den köstlichen Wohlgerüchen, die sie umgaben, und verschwanden schließlich aus der Gemeinschaft der Union.« Jerry Smith sah Ferguson fragend an. Der Chef des SSD gab den Blick zurück. »Nun?« machte er. »Fertig?« »Noch nicht ganz, Mr. Ferguson. Ich wollte mich nur erkundigen, ob Ihnen etwas unklar ist.« »Unklar? Bei den Feuerkratern des Merkur! Mir ist eine ganze Menge unklar. Nur eins habe ich mitbekommen: Der Autor ist doch nicht so phantasiebegabt, wie ich zuerst glaubte. Die Sache mit dem Wunschgeruch hat er von unserem Wechselfarbstoff entlehnt. Also in gewissem Sinne: alles schon mal da gewesen! Schade!« »Alles schon einmal da gewesen!« nickte Jerry lächelnd. Aber in seinem Lächeln war kein Humor mehr, sondern kaltes Wissen. In seinen Augen brannte ein stetiges Feuer. Der Blick schien in die Unendlichkeit gerichtet, als er wieder zu sprechen begann. »Die Wissenschaftler des galaktischen Imperiums gaben sich mit dem Untergang der Grosner nicht einfach zufrieden. Sie forschten nach der Ursache. Nicht nach der direkten Ursache, denn die war klar ersichtlich: Dekadenz und wunschloses, viel zu glückliches Dasein. Wer aber wunschlos ist, hat den Sinn zum Streben verloren – und geht unweigerlich unter. Das Leben hat ihm nichts mehr zu bieten. Vielmehr wollten die Wissenschaftler erforschen, warum die Duftpflanze nach Gros gekommen war. In mühseliger Arbeit fanden sie schließlich heraus, daß jenes Schiff, das die Pflanze auf einem unbewohnten Planeten gefunden hatte, dort eine Notlandung vorgenommen hatte. Ein rätselhafter Energieausfall hatte es dazu gezwungen. Drei Tage nach der Landung war die Energie genauso geheimnisvoll zurückgekehrt, und man 71
hatte starten können. Und die Pflanze gelangte nach Gros, wo sie kurz darauf begann, eine ganze Zivilisation auf friedlichem Wege zu zerstören.« »Hören Sie, Mr. Smith, Sie wollen mir mit Ihrem Gleichnis nur die schädliche Einwirkung der Wechselfarbe auf den menschlichen Charakter beweisen. Vielleicht wäre es besser, Sie gründeten eine neue Sekte. Kommen Sie endlich zur Sache. Ich gebe Ihnen noch fünf Minuten!« Jerry sah zu Rita. Die junge Frau saß zusammengesunken neben ihm, die Augen hatte sie geschlossen. Er legte den Arm um ihre Schulter. »Willst du dich nicht lieber zur Ruhe begeben, Rita? Du bist müde und abgespannt. Komm, ich bringe dich hoch.« Sie schlug die Augen auf. »Danke, Liebster. Ich möchte das Ende der Geschichte hören. Ich glaube zu wissen, was du uns mit ihr sagen willst.« Jerry schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht. Also gut, wie du willst. Ich bin bald fertig. Aufgrund der Untersuchungsergebnisse wurde von den Forschern die Vermutung aufgestellt, daß jenes Schiff absichtlich zu dem Planeten geführt wurde, auf dem die Duftpflanze, der man eine gewisse Intelligenz nicht absprechen konnte, gedieh. Man tippte auf die verschwundenen Plünderer, die schon damals mit Fernlenkstrahlen experimentiert hatten. Außerdem mußten sie ausgezeichnete Psychologen sein, denn sonst wären sie niemals auf den Gedanken gekommen, das Gefüge des Imperiums auf diese Art und Weise zu erschüttern. Ohne jeden Kampf wollten sie die Herrschaft über das Universum an sich reißen. Wenn sie Zeit hätten, würde ihnen das gelingen. Der dritte Versuch schlug jedoch fehl. Eine weitere Gründerrasse fand auf einem Planeten, dessen Zivilisation scheinbar ausgestorben war, eine gigantische 72
Automatenfabrik. Es fehlte jeder Hinweis, wer die Erbauer gewesen waren, noch gelang es jemals, das Geheimnis der merkwürdigen Apparate zu enträtseln. Man brachte Tausende von ihnen zurück zur eigenen Welt und erprobte sie. Die dabei erzielten Ergebnisse übertrafen alles bisher da gewesene. Jeder Automat fabrizierte auf gedanklichen Wunsch seines Besitzers dessen Lieblingsspeise, und zwar in nie endender Menge und in jeder nur möglichen Variation. Bevor jedoch auch diese heimtückische Waffe der Plünderer eine dritte Rasse des Imperiums ins Verderben stürzte, erkannte man glücklicherweise die unendlich große Gefahr der Wunschautomaten und vernichtete sie restlos. In kaum zwanzig Jahren wäre die betreffende Rasse an ihrer eigenen Bequemlichkeit zugrunde gegangen. Das war der letzte Versuch der verschollenen Plünderer, das galaktische Reich anzugreifen und zu vernichten. Aber die Expeditionsflotten fanden immer mehr ehemals bewohnte Planeten außerhalb des Imperiums, deren Zivilisationen einfach zurückgegangen und erloschen waren. Niemals jedoch war dieser Vorgang mit brutaler Gewalt von außen her beschleunigt worden. Ohne Zweifel hatten die Plünderer, die niemand jemals wieder von Angesicht zu Angesicht gesehen hatte, den Plan gefaßt, das Universum zu entvölkern. Was sie dazu trieb, vermochte keine existierende Intelligenz zu sagen. Die galaktischen Beobachter erhielten eine zusätzliche Aufgabe zu der bereits bestehenden: Sie hatten auf Anzeichen einer eventuellen Tätigkeit der Plünderer zu achten und diese sofort der Zentrale des Imperiums zu melden, um eine ahnungslose Rasse, vor dem Untergang zu schützen. Eine Rasse, die vielleicht einmal Mitglied des interstellaren Freundschaftsbundes werden konnte.« Jerry nickte, als Ferguson auf die Uhr blickte und Anstalten machte, sich zu erheben. 73
»Einen Augenblick noch, Mr. Ferguson. Ich komme bereits zum Schluß meiner Geschichte. Sie hat sogar eine Pointe. Warten Sie noch. Rita, willst du nicht ins Bett gehen! Was jetzt kommt, wird dich erschrecken.« Sie schüttelte den Kopf. »Wenn du da bist, habe ich keine Furcht.« Jerry wurde plötzlich blaß. »Ich wäre glücklich, wenn du das in wenigen Minuten auch noch sagen würdest, Rita. Du willst also bleiben?« »Selbstverständlich. Wir werden gemeinsam zu Bett gehen, und erst dann, wenn diese Herren gegangen sind.« Jerry nickte, sie dabei anblickend. »Ich hoffe es«, sagte er. Dann, wieder zu Ferguson gewandt, erzählte er weiter. »Eines Tages entdeckten die Schiffe des Imperiums einen Planeten, auf dem eine Rasse im Stadium 9 wohnte. Die Leute sahen genauso aus wie die erste Gründerrasse und jene Plünderer und hätten von diesen oder jenen abstammen können, was nicht ausgeschlossen schien. Denn in den Anfängen des Imperiums blieben viele Schiffe auf ihren Flügen verschollen. Es ist möglich, daß gestrandete Raumfahrer mehr als einen Planeten bevölkerten. Fast ein Jahrhundert lang wurde der neuentdeckte Planet aus der Ferne beobachtet, ehe man sich entschloß, einen Beobachter zu entsenden. Inzwischen hatte die Rasse das Stadium 10 erreicht und überschritten. Unser Mutterschiff mußte sich in eine Kreisbahn zurückziehen, die ein Lichtjahr von der Sonne des Systems entfernt war. Der galaktische Beobachter, ein besonders erfahrener Idaner, wurde abgesetzt und begann mit seiner Tätigkeit. Bereits nach verhältnismäßig kurzer Zeit gelang es ihm, festen Fuß zu fassen und sich unter die Bevölkerung zu mischen. Er hatte die entsprechende Gestalt dieser seltsamen Wesen 74
angenommen und bewegte sich frei unter ihnen. Sie waren harmlos, nicht mit den Plünderern identisch und näherten sich rapide dem Zeitpunkt, der ihre Aufnahme in den galaktischen Bund gerechtfertigte. Ein Jahr vor diesem Zeitpunkt trat ein grauenhaftes Ereignis ein, das die Pläne des Beobachters verschob: Die Invasion der Plünderer hatte begonnen! Der Beobachter setzte sich sofort mit seiner Zentrale, mehr als fünfzehntausend Lichtjahre entfernt, in Verbindung. Er erhielt Vollmacht, die offizielle Verbindung mit den Bewohnern des unglücklichen Planeten aufzunehmen, sie von der Gefahr zu unterrichten und zu bitten, sogleich mit den Abwehrmaßnahmen gegen die Invasion der Plünderer zu beginnen.« »Das ist eine nette Pointe«, gab Ferguson zu und griff, endgültig die Geduld verlierend, in die Rocktasche. Er zog den winzigen Nadelstrahler hervor und richtete ihn auf Jerry. »Aber nun ist meine Geduld erschöpft. Verkaufen Sie Ihre Schauermärchen einem Verleger, der solchen Unsinn publiziert. Lassen Sie uns damit zufrieden und rücken Sie jetzt endlich mit der Wahrheit heraus. Warum haben Sie uns falsche Angaben über Ihre Person gemacht? Welchen Auftrag erhielten Sie von der Oppositionsgruppe auf Titan? Nun, wird es bald?« Jerry Smith warf Rita einen bittenden Blick zu. Die junge Frau war entsetzt aufgesprungen und stand, an allen Gliedern zitternd, halb vor ihm, als wolle sie ihn schützen. Er schob sie ein wenig zur Seite und drückte sie auf die Couch zurück. »Ich habe dich gewarnt, Liebes. Willst du auch den Schlußakt miterleben?« Sie nickte stumm und schluchzte leise. Jerry blieb stehen. »Ich kenne den Ausgang der Geschichte noch nicht, Ferguson«, sagte er ernst. »Sie wird zum großen Teil von Ihnen abhängen.« 75
»Von mir?« staunte Ferguson und ließ die Waffe sinken. »Was habe ich damit zu tun?« »Die erste Pointe ist: Die Geschichte, die ich Ihnen erzählte, ist wahr und hat sich tatsächlich zugetragen!« Ferguson starrte Jerry an, als sähe er ein Gespenst. Dann begann er: »Das ist – das ist … unglaublich!« »Hören Sie auch die zweite Pointe, soweit man bei einer unvollständigen Erzählung von einer solchen sprechen kann: Die Erde ist der Planet, von dem ich zuletzt berichtete. Die Pflanze, die vor zehn Jahren von der HELOS, dem Schiff, auf dem auch meine Frau Besatzungsmitglied war, mehr als dreißig Lichtjahre von hier entfernt gefunden wurde, ist die tödliche Waffe der Plünderer.« Ferguson hatte sich erholt. »Angenommen«, keuchte er, »sie sei es wirklich, was könnten sie damit erreichen?« »Sie sehen es schon heute, zwei Monate nach eigentlichem Beginn der Invasion. Das Leben des Menschen beruht in erster Linie auf der optischen Wahrnehmung. Durch die Wechselfarbe wird er in die Lage versetzt, ständig von einem optischen Hochgenuß umgeben zu sein. In den Farbkonzerten ist er gezwungen, sein Denken vollkommen abzuschalten, weil er sonst die Vorstellung durch eigene Kompositionen stören würde – wenigstens würde er sich selbst dieses Genusses berauben. Dieses regelmäßige Abschalten der Gehirntätigkeit führt allmählich zu ersten mentalen Störungen. Der Mensch, der stets an seine Lieblingsfarbe denkt, sieht die ganze Welt in dieser Farbe, da diese auf seine Wünsche gedanklich reagiert. Dadurch wird die Welt für diesen Menschen eintönig. Sie ist vollkommen gelb, oder rot, oder grün. Es wird eine Welt ohne jede Abwechslung, eine Welt, in der jeder Mensch glücklich zu sein glaubt. Sehen Sie die Parallele zu den Xaniern und den Grosnern? 76
Noch zehn oder zwanzig Jahre, vielleicht auch hundert – und die Menschheit als solche existiert nicht mehr.« Ferguson war in seinem Sessel ein wenig zusammengesunken. Sein Gesicht war von einer fahlen Blässe überzogen. Fast lauernd sah er Jerry an. »Und – und die letzte Pointe, Smith?« »Der galaktische Beobachter und Beauftragte des großen Sternenreichs sitzt vor Ihnen, Ferguson.« Ferguson blieb reglos in seinem Sessel sitzen. In seiner Hand lag immer noch der Strahler, die Mündung jedoch nach unten, auf den grünen, gelben oder braunen Teppich gerichtet. Rita aber hatte einen hellen, spitzen Schrei ausgestoßen und sank bewußtlos in Jerrys Arme. Hier blieb sie liegen, schwach und regelmäßig atmend und sehr bleich. »Ich möchte sie ins Bett bringen«, sagte Jerry. »Würden Sie mir vielleicht behilflich sein, sie nach oben zu bringen? Sie wird ganz allein wieder aufwachen …« Ferguson gab einem der Männer einen Wink. Zehn Minuten später saßen sich die vier wieder gegenüber. Ferguson rang sichtlich nach Fassung. »Es fällt mir nur sehr schwer, an die Realität dessen zu glauben, was Sie uns erzählten«, gestand er. »Haben Sie einen Beweis, der auch mich überzeugen könnte. Ihnen nicht zu glauben, verbietet mir die Vorsicht. Ihnen zu glauben, der gesunde Menschenverstand.« »Auch Teddy Small äußerte den Wunsch nach einem Beweis. Ich zeigte mich ihm in meiner wahren Gestalt – und er starb an Herzschlag. Ich möchte Ihnen das gleiche Schicksal ersparen. Aber bitte, wenn Sie unbedingt wollen, können Sie einen Beweis haben. Schießen Sie auf mich!« Ferguson erschrak. Die Waffe in seiner Hand zitterte, und er wagte es nicht, sie gegen Jerry zu erheben. 77
»Ich – soll – auf Sie – schießen!« stöhnte er. »Wenn Ihnen das als Beweis dessen dient, was Sie nicht zu glauben wagen – ja! Der Energiestrahl wird mir nicht schaden, ganz im Gegenteil. Ein Energiebad wird mir gut tun.« Der eiskalte Ferguson war nahe daran, die mühsam bewahrte Fassung zu verlieren. Er bebte am ganzen Körper und versuchte, die Totenblässe seines Gesichts durch ein verzerrtes Grinsen zu verdecken. »Und wenn ich Sie töte?« Jerry lachte. Er schien sich damit abgefunden zu haben, ausgerechnet Ferguson als Botschafter der Menschheit zu betrachten. »Werden Sie gleich getötet, wenn Sie ein Wasserstrahl trifft?« erkundigte er sich. »Na also! Und mehr bedeutet der Strahl Ihrer Waffe für mich auch nicht. Los, verschaffen Sie sich endlich den Beweis, den Sie zu benötigen glauben.« Ferguson schien einen Entschluß gefaßt zu haben. Er winkte seinen beiden Männern zu und schob seine eigene Waffe in die Rocktasche zurück. »Danke, Smith – oder wie immer Sie auch heißen mögen. Mir genügt das als Beweis. Sehen Sie, ich bin immer gegen dieses Gefasel der utopischen Schriftsteller gewesen – aber ich bekenne, die Wirklichkeit ist wesentlich phantastischer. Und wie stellen Sie es sich vor, diese Wirklichkeit den Menschen verständlich zu machen?« Jerry lehnte sich bequem in die Polster zurück. »Es gibt eine Gruppe von Menschen, denen diese Wahrheit zwar ebenfalls phantastisch und unglaublich erscheinen wird, die jedoch leichter damit fertig werden dürfte als die anderen. Ich möchte diese Gruppe als vorbereitet bezeichnen.« »Und wer soll das sein?« Jerry grinste. »Nun eben die, die das phantastische Gefasel dieser Autoren zu lesen pflegen. Vom Standpunkt des Spießers aus gesehen, 78
sind sie nicht normal. Von unserem Standpunkt aus, sind sie mehr als normal; sie dürfen als aufgeschlossen und der Zukunft gegenüber als zuversichtlich bezeichnet werden. Doch mit ihnen kann ich nicht über die Aufnahme der Erde in den galaktischen Bund verhandeln. Dazu benötige ich den Regierungschef. Werden Sie mich zu ihm bringen?« »Er liest auch keine utopischen Romane«, stieß Ferguson hervor und schmunzelte vergnügt. Dann wurde er wieder ernst. »Soll die Farbindustrie beschlagnahmt werden?« »Nein, auf keinen Fall. Die Herstellung der Farbe soll eingestellt werden, das ist alles. Irgend jemand wird schon feststellen können, daß sie gesundheitsschädlich ist. Jemand von der Regierung. Das ist Ihre Sache. Hören Sie, Ferguson, Sie werden mich mit dem Regierungschef zusammenbringen? Ich möchte es ohne Aufsehen erreichen.« »Wie meinen Sie das?« »Nun, Sie glauben mir doch wohl, daß ich auch ohne Ihre offizielle Hilfe zum Regierungsoberhaupt gelangen würde. Stellen Sie sich nur einmal vor, ich nähme einfach Ihre Gestalt an, so wie ich die von Small annahm. Dann ginge ich zum Weltpräsidenten.« Ferguson wehrte entsetzt ab. »Schon gut, ich werde Sie persönlich zu ihm bringen.« Er schwieg eine Weile und starrte nachdenklich gegen die Decke. Dann fragte er: »Ihre Gattin hat keine Ahnung?« Das Gesicht Jerrys verdüsterte sich flüchtig. Dann schüttelte er den Kopf. »Das war mein größtes Problem. Wie sollte ich ihr klarmachen, daß ich nicht der war, für den sie mich hielt? Nun, dieses Problem wurde heute abend auf ziemlich brutale Art gelöst. Sie müssen wissen, daß wir Idaner in unserer ursprünglichen Gestalt einer Fortpflanzung in Ihrem Sinn nicht fähig sind. Daher ist uns auch das Gefühl der Liebe oder Zuneigung unbekannt. Die Gestalt eines anderen Wesens annehmend, 79
erhalten wir auch gleichzeitig dessen Fähigkeiten, Gefühle – und auch Schwächen. Wohlgemerkt: als angenehmes oder auch unangenehmes Beiprodukt. Dabei verlieren wir jedoch nicht die Begabungen unserer eigenen Rasse. In der Gestalt des Menschen beispielsweise gelte ich in Ihrem Sinn als unsterblich. Ich bin in den vergangenen zehn Jahren nicht um einen Tag älter geworden.« Er wartete auf einen Einspruch, als aber keiner kam, fuhr er fort: »Zum erstenmal in meinem Dasein – ich bin nach Ihrer Zeitrechnung etwa 600 Jahre alt – habe ich gespürt, was Liebe ist. Als ich vor acht Jahren, am 18. August 2073, Rita Richards zum erstenmal sah, liebte ich sie. Und ich werde sie so lange lieben müssen, wie ich ein Mensch bin. Und ich wäre gerne noch einige Jahre Mensch geblieben. Daher meine Furcht vor einer Entdeckung, obwohl ich mich jedes Angriffs hätte erwehren können.« Ferguson nahm sich endlich eine der auf dem Tisch befindlichen Zigaretten und entzündete sie. Er forderte seine beiden Begleiter auf, seinem Beispiel zu folgen. Offenbar hatte er den Schock bereits überwunden. Denn er sagte: »Solange Sie Ihre menschliche Gestalt beibehalten, wird sich an den Gefühlen Ihrer Frau Ihnen gegenüber nichts ändern. Und Sie werden uns sicher nicht so schnell verlassen?« Das hatte nach einer Frage geklungen. Jerry schüttelte den Kopf. »Mit der Herstellung des offiziellen Kontakts ist meine Mission beendet. Ich werde ins Imperium zurückkehren und eine neue Aufgabe zugeteilt bekommen. Das Gesetz ist stärker als unsere Gefühle. Mit Gefühl wird kein Sternenreich regiert.« »Sie können Ihre Frau nicht mitnehmen – wenn sie will?« Jerry blickte überrascht hoch. »Halten Sie es für möglich, daß sie das täte?« »Sie können in acht Jahren noch nicht erfaßt haben, wessen 80
die wahre Liebe fähig ist. Wenn Ihre Frau Sie liebt, steht ihr Entschluß schon morgen früh beim Erwachen fest.« Über die Züge des galaktischen Beobachters breitete sich ein glückliches Lächeln aus. Er, der mächtigste Mensch dieser Erde, wurde zu einem hilflosen Kind, wenn es um die einfachste und doch größte Fähigkeit des menschlichen Herzens ging: die Liebe. Ferguson erhob sich. »Mr. Smith, ich glaube, unsere – hm – Aufgabe bei Ihnen dürfte erledigt sein. Wann können wir Sie morgen erwarten? Ich lasse Sie am besten mit einem Dienstgleiter abholen und zum Hauptquartier bringen. Von da aus fliegen wir zum Präsidenten.« Auch Jerry hatte sich erhoben. »Ich bin einverstanden. Gegen zehn Uhr werde ich bereit sein. Ich muß noch meine Zentrale von den Geschehnissen unterrichten und weitere Anweisungen einholen.« Ferguson starrte ihn an. »Sie stehen mit Ihrer Zentrale in direkter Verbindung? Mit einer Station, die 15000 Lichtjahre entfernt ist?« »Wollen Sie die Anlage sehen, meine Herren?« fragte Jerry. »Sie mag Ihnen als letzter Beweis dienen. Kommen Sie mit, sie befindet sich in meinem Arbeitsraum.« Sie folgten ihm. Der kleine Bildschirm, hinter einem Schrank verborgen, leuchtete auf, als Jerry einige Knöpfe unter der Tischplatte bediente. Er wurde farbig und plastisch. Ferguson kam es vor, als stürze er hinein in das unendliche Universum. Spiralnebel kamen auf ihn zu, er raste durch sie hindurch und fiel weiter, immer weiter, bis der irrsinnige Sturz plötzlich abgebremst wurde und er mitten im All zum Stillstand kam. Vor ihm auf dem Schirm schwebte ein Planet. Dann begann der Sturz erneut – und dann war auf dem Schirm ein Gesicht. 81
Es war kein direkt menschliches Gesicht, aber auf den ersten Blick schien es doch so. Die Ohren waren runder und standen mehr ab. Die Augen unter der hohen, kahlen Stirn strahlten in einem überirdischen Glanz, kalt und doch irgendwie verständnisvoll. Die Farbe der Augen blieb undefinierbar. Nase und Mund bildeten ein Organ. Eigentlich war dieses Organ der einzig nicht menschliche Anhaltspunkt für das außerirdische Wesen von der anderen Seite der Milchstraße. Ferguson war unwillkürlich einen Schritt zurückgewichen. »Erschrecken Sie nicht«, rief Jerry schnell. »Sie werden sich, einmal in unsere Gemeinschaft aufgenommen, noch an ganz andere Gesichter gewöhnen müssen. Dieses hier gehört einer Rasse an, die dem Menschen äußerlich am ähnlichsten ist. So, ich bitte nun um Ruhe, da ich den Ton hinzuschalte. Bleiben Sie stehen und warten Sie ab. Die Verständigung erfolgt in Ihrer Sprache, da die Sendung automatisch durch einen telepathischen Übersetzer in das entsprechende Idiom übertragen wird. Sie werden also alles mit anhören können.« Er gab Ferguson einen Wink und betätigte eine bisher unbemerkt gebliebene Einstellung. Sofort begannen sich die Lippen des fremden Wesens auf dem Bildschirm zu bewegen. In verständlichen Worten drang das, was es sagte, an die Ohren Fergusons. »Ich sehe, daß die Verbindung aufgenommen worden ist, Jerry Smith, galaktischer Beobachter auf Sol III. Ist dieser Mann der Herrscher seiner Welt, und kann ich mit dem Kaiser Kontakt herstellen?« »Nein, noch nicht. Dieser Mann ist lediglich der Beauftragte des Präsidenten von Terra, so wird hier Sol III genannt. Die erste offizielle Fühlungnahme mit dem Präsidenten wird morgen erfolgen. Darf ich dem Imperium zur Kenntnis bringen, daß meine Aktionen durch ein Ereignis beschleunigt 82
wurden, das zur größten Beunruhigung Anlaß geben dürfte? Hier auf Sol III hat die Invasion der Plünderer bereits indirekt begonnen. Meine Vermutung bestätigte sich.« »Die Plünderer? Sie sind bis zum Rand der Galaxis vorgestoßen? Es ist wirklich an der Zeit, diese Rasse auszulöschen.« »Der Kaiser wird die Entschlüsse treffen, die notwendig sind«, dämpfte Jerry den Eifer des Fremden. »Er soll unterrichtet werden und mir in zwei Zeitmaßen die letzten Verhaltensmaßnahmen mitteilen. Nach der morgigen Hauptkonferenz zwischen ihm und dem Präsidenten von Sol III erbitte ich eine private Audienz zwischen dem Kaiser und mir.« »Ich werde alles Notwendige veranlassen«, sagte das fremde Wesen, mehr als 15000 Lichtjahre entfernt. »Kontaktaufnahme in zwei Zeitmaßen.« Urplötzlich erlosch der Bildschirm. Jerrys Hände glitten unter die Tischkante, der Schrank glitt geräuschlos vor den Schirm und bedeckte ihn. Dann erst wandte er sich an Ferguson. »Das war der Verbindungsmann zum Imperium. Sie werden sich an sein Äußeres gewöhnen müssen, und erst dann, wenn Sie bei seinem Anblick nichts Befremdendes mehr empfinden, dürfen Sie weitere Angehörige der Union sehen.« Ferguson hatte Schweißtropfen auf der Stirn. Er setzte sich ohne Aufforderung in einen Sessel und warf seinen beiden Begleitern einen fast hilflosen Blick zu. »Ich kann es nicht fassen, Mr. Smith. Ein galaktisches Imperium, die Erde unter Beobachtung – unbegreiflich, und doch alles so klar und selbstverständlich. Wie in einem Roman!« Jerry lächelte. »Wie in einem utopischen Roman, das meinen Sie doch? Sehen Sie, so nahe verwandt sind oft die Phantasie und die Realität. Manchmal viel mehr, als man zu ahnen vermag. Doch nun möchte ich nach meiner Frau sehen. Sind Sie sehr böse, wenn ich Sie bitte, jetzt zu gehen? Ich erwarte Ihren Piloten 83
morgen früh gegen zehn Uhr.« Ferguson erhob sich seufzend und strebte der Tür zu. Seine beiden Männer folgten ihm. Sie hielten ihre Hände schon lange nicht mehr in den Taschen. Aber auf ihren Gesichtern war so etwas wie unbegreifliche Scheu, ein Schimmer abergläubischer Furcht vor Dingen, die sie nicht begreifen konnten. Jerry brachte seine Gäste hinaus und eilte dann mit fliegenden Schritten in das gemeinsame Schlafzimmer. Rita schlief tief und fest. Ihre anfängliche Bewußtlosigkeit hatte sich in einen gesunden Schlaf verwandelt. Morgen früh würde Jerry ihr viel zu erzählen haben. Und zum erstenmal seit vielen Jahren verspürte er wirkliche und wahrhaft gräßliche Angst. Morgen würde sich ein Teil seines Schicksals entscheiden …
3. Weltpräsident Holm starrte Jerry ausdruckslos an. »Wenn mir nicht Ferguson ein heiliges Versprechen abgenommen hätte, ließ ich Sie hinauswerfen oder einem Psychiater übergeben.« In seiner Stimme war ein kaum merkliches Beben. »Was ich heute früh von Ferguson erfuhr, hörte sich an wie ein schlechter Scherz. Was Sie mir nun noch zumuten, klingt wie ein Roman. Ich glaube Ihnen nicht, aber ich bin gezwungen, Ihnen zuzuhören. Fergusons Beteuerungen, daß es sich um keinen Bluff, sondern um unfaßbare Wirklichkeit handelt, können von mir nicht ohne genaue Untersuchung abgetan werden. Ich werde mich also mit Ihrer phantastischen Erzählung wohl oder übel befassen müssen.« Jerry war von der Heftigkeit des Präsidenten überrascht. Er hatte natürlich damit gerechnet, bei seiner Mission auf Schwierigkeiten und Unglauben zu stoßen, aber die Vorarbeit eines 84
Mannes wie Ferguson, der ein so hohes und verantwortungsvolles Amt bekleidete, sollte doch mehr genutzt haben. »Herr Präsident«, wiederholte Jerry sicherlich zum zehnten Mal, »ich versichere Ihnen, daß es sich um keinen Bluff handelt und daß auch Ferguson nicht von mir getäuscht oder gar hypnotisiert wurde. Was er Ihnen sagte, ist die reine Wahrheit. Ich kann sie Ihnen jederzeit beweisen, obwohl Sie dann wahrscheinlich auch annehmen werden, man hätte Sie hypnotisiert oder Ihnen eine Vision vorgegaukelt.« »Angenommen«, warf Holm ein, »ich glaubte die Sache mit dem sogenannten galaktischen Völkerbund, so verwahre ich mich jedoch energisch gegen die angebliche Tatsache, auf der Erde hätte eine Invasion außerirdischer Wesen stattgefunden. Die harmlose Wechselfarbe dürfte wirklich kein Anlaß sein, die gesamte Erdbevölkerung zu beunruhigen.« »Ich erklärte Ihnen bereits, wie sich diese Invasion abschlagen läßt, ohne daß es überhaupt jemand bemerkt. Die Rasse der Plünderer greift niemals eine gesunde Zivilisation an, sondern vergreift sich nur an kranken und bereits untergegangenen. Ihre psychologische Kriegsführung erspart ihnen jegliche eigenen Opfer bei einem Angriff. Die Pflanzen, die Ihren Industrien die Farbe liefern, wurden von den Plünderern auf den verschiedensten Planeten des Ihnen zugänglichen Raumsektors ausgesetzt. Die sich verändernde Farbe der Blüten fungierte als Lockmittel – und Sie fielen auch prompt darauf herein. Die gleiche Pflanze wäre für eine Rasse, die nicht mit Ihren Augen sieht, völlig wertlos. Aber für den Menschen, der hauptsächlich mit dem Auge lebt, mußte diese ständig neue Eindrücke vermittelnde Pflanze sehr reizvoll scheinen.« »Gut, gut«, wehrte der Präsident ab. »Wenn Sie auch in diesem Punkt die Wahrheit sprächen, so kann ich doch immer noch nicht einsehen, wieso die Farben für unsere Zivilisation eine Gefahr bedeuten. Erklären Sie mir das wenigstens!« 85
Ferguson neigte sich in seinem Sessel vor. »Herr Präsident! Erst gestern abend wurde bei uns ein Mann eingeliefert, der mitten auf belebter Straße mit einer Strahlwaffe Schüsse auf die erschreckten Passanten abgab. Mehr als vier Personen wurden getötet oder schwer verletzt, ehe wir den Mann überwältigen konnten. Das erste Verhör ergab, daß der Mann, dessen Namen wir nicht erfahren konnten, geistesgestört war. Er darf als farbverrückt gelten. Wie er aussagt, habe ihn das ewige Rot seiner Umgebung zum Wahnsinn getrieben. Er konnte das Rot einfach nicht mehr sehen, und selbst dann, wenn er die Augen schloß, glaubte er um sich nur rote Kleider, rote Häuser, roten Himmel und rote Straßen zu sehen. Und Rot, so sagte dieser Mensch noch aus, sei früher einmal seine Lieblingsfarbe gewesen.« Ferguson schwieg und sah Holm erwartungsvoll an. Der Präsident antwortete nicht sofort. Er blickte aus dem nahen Fenster, hinaus auf die blauen Kieswege des Parks, der das Regierungsgebäude umgab, das ebenfalls blau war. Sanft wiegten sich die blauen Wipfel der Bäume in einem milden Wind. Dann betrachtete er sinnend seine blauen Hände. »So, er wurde also verrückt, weil er ständig seine Lieblingsfarbe sah – und sie nicht mehr sehen mochte? Gut, wenn er sie nicht mehr sehen mochte, Mr. Smith, warum sah er sie dann noch?« Jerry entgegnete kalt und ohne Mitgefühl: »Weil die Farbe intelligent ist und dem Menschen jeden Gefallen tut. Dieser Verrückte, der rot nicht mehr zu sehen vermochte, dachte im Unterbewußtsein immer noch an Rot, auch wenn er sich ganz bewußt Blau, Grün oder Gelb wünschte. Die Farbe jedoch gehorcht nur dem Unterbewußtsein, denn es allein verrät die wahren und wirklich unverhüllten Wünsche einer menschlichen Seele. Selbst dann, wenn der Mann kein Rot mehr sehen wollte, so wünschte er sich doch insgeheim, er 86
würde diese Farbe wieder einmal so lieben können wie zuvor. Und schon sah er sie. Bis sie ihn des Verstandes beraubte.« Präsident Holm nickte langsam. »Es kann ein Einzelfall sein.« Ferguson schüttelte den Kopf. »Bevor Sie weiter mit Smith verhandeln«, schaltete er sich in das Gespräch ein, »möchte ich Ihnen einiges zu dieser Sache mitteilen, das nicht ohne Interesse für Sie sein sollte. Sie kennen mich als einen nüchtern denkenden Menschen ohne Sentimentalitäten. Bezeichnen Sie mich meinetwegen als einen menschlichen Roboter, es stört mich nicht. Aber Sie wissen, daß Sie sich auf mich verlassen können, denn sonst hätte ich nicht das Amt, das mich zu einem der Mächtigsten dieser Erde und zugleich des ganzen Systems macht. Als ich gestern abend Smith verließ, begab ich mich nicht in meine Privatwohnung, sondern zurück in das Hauptquartier. Ich gab den diensttuenden Nachtbeamten den Befehl – kaum daß man den Verrückten eingeliefert hatte –, mir sämtliche Filmakten ähnlicher Fälle zu bringen. Herr Präsident! Ich war erschüttert!« Ferguson blickte Holm erwartungsvoll an, doch der rührte sich nicht. Stumm blickte er aus dem Fenster. Der SSD-Chef seufzte und fuhr fort: »Erst seit wenigen Wochen ist die Wechselfarbe auf dem Markt, aber sie bewirkt bereits das, was von Smith vorausgesagt wurde. Ich benötige kein Elektronengehirn als Hilfe, um schon jetzt feststellen zu können, daß wir in wenigen Jahren in einem Chaos leben werden. – Was ist Ihre Lieblingsfarbe, Herr Präsident?« Diese Frage kam sehr unvermittelt, und Holm erwiderte fast automatisch darauf: »Blau! Warum?« Ferguson beugte sich lauernd vor, während Jerry unbeteiligt zusah. 87
»Blau? Sie lieben also Blau? Sehen Sie dort das gelbe Papier auf Ihrem Schreibtisch – oh, Verzeihung. Meine Lieblingsfarbe ist nämlich Gelb. Sehen Sie also das Papier? Ist es blau?« »Natürlich ist es blau«, bestätigte der Präsident. »Aber wenn ich will, dann ist es gelb.« Und er warf dem Papier einen verächtlichen Blick zu, stutzte, sah noch einmal hin – und erblaßte. »Verdammt!« quetschte er hervor. »Es ist immer noch blau!« Jerry nickte. Er blieb stumm. Ferguson geriet in Erregung. »Welches Stadium haben Sie erreicht, Präsident? Sie können also bereits der Farbe nicht mehr diktieren, wie sie Ihnen zu erscheinen hat? Das ist schlimm, sehr schlimm. Ich glaube doch, daß Sie nun die Gefahr einsehen werden, in der wir schweben. Die Farbe muß sofort vom Markt verschwinden, ehe sie noch mehr Unheil anrichtet.« Holm blickte wieder aus dem Fenster. Deutlich stand angestrengtes Nachdenken auf seinen Zügen. Es war, als hätte er etwas Wichtiges vergessen und versuche nun, es sich wieder einfallen zu lassen. Und ganz plötzlich hatte er es. »Ferguson, sagen Sie mir eins: Findet die Wechselfarbe bereits in der Natur ihre Anwendung oder nur in bisher üblichem Sinn?« »Wie meinen Sie das, Herr Präsident?« Holm zeigte aus dem breiten Fenster, hinunter in den Park. »Die Kieswege, die Bäume – welche Farbe haben sie, Ferguson?« Der Chef des SSD folgte mit den Augen seiner weisenden Hand und ließ sich dann wieder in den Sessel zurücksinken. »Die Kieswege sind weiß, die Bäume grün. Warum fragen Sie?« Der Präsident stöhnte leise auf und stützte den Kopf in seine Hände. Dann sah er Ferguson an. 88
»Ich sehe beides blau, obwohl sie niemals mit der schrecklichen Farbe in Verbindung kamen. Alles, was ich sehe, ist blau. Mir ist es bisher nur nicht aufgefallen, weil ich mich bereits derart daran gewöhnt habe, daß alles meine Lieblingsfarbe annimmt. Verdammt! Ich kann Blau nicht mehr sehen!« Ferguson stand auf und legte seine Rechte beruhigend auf die Schulter des erschütterten Präsidenten. »Sie müssen jetzt ganz ruhig sein, ehe Sie Ihre Entschlüsse fassen. Diese grausame Lehre war notwendig, um Ihnen klarzumachen, in welch furchtbarer Gefahr unsere Zivilisation schwebt. Ein Überfall außerirdischer Lebewesen aus dem Weltall wäre von uns sofort erkannt und abgewehrt worden – falls wir das vermocht hätten. Und jeder stellte sich eine derartige Invasion so und kaum anders vor. Die Wirklichkeit jedoch ist viel phantastischer und grenzt an das Unglaubliche. Eine Farbe, eine einfache, sich unseren Wünschen anpassende Farbe bedeutet das Ende der Welt – wenn wir nichts dagegen unternehmen. Präsident Holm! Hier steht Jerry Smith, der Abgesandte eines kosmischen Reiches. Kein Mensch in unserem Sinn, auch wenn er genauso aussieht. Er hat unsere Gestalt angenommen, um unter uns leben zu können. Die akute Gefahr der bereits begonnenen Invasion hat ihn bewogen, sich uns zu erkennen zu geben. Es liegt an Ihnen, Holm, das Schicksal unserer ganzen Zivilisation zu entscheiden.« Der Präsident nickte schwer. »Hoffentlich kann ich es noch. Was soll getan werden?« Ferguson hatte sich wieder gesetzt. Er zuckte die Schultern. »Das fragen Sie jetzt besser Mr. Smith. Ich glaube, er dürfte darauf die beste Antwort geben können.« Holm drehte den Kopf und blickte Jerry voll an. »Ich weiß nicht, wer Sie sind, Jerry Smith. Aber die Tatsache, daß Ihre Haut genauso blau ist wie die von Ferguson oder 89
wie die meine, genauso blau wie hier das Papier, der Schreibtisch oder die Wände – diese Tatsache allein, die mir jetzt erst zu Bewußtsein gekommen ist, gibt mir den Mut, an Ihre Mission zu glauben. Was also haben Sie vorzuschlagen?« Und Jerry Smith begann zu reden … »… und damit hätte ich meinen Bericht über die Entstehung und Entwicklung der Galaktischen Union abgeschlossen«, endete Jerry nach einer halben Stunde, in deren Verlauf er mehrere Male von Holm unterbrochen worden war. Er hatte die Zwischenfragen ruhig und sachlich beantwortet. Das Schweigen lastete schwer im Raum. Smith und Ferguson warteten. Präsident Holm starrte vor sich auf die Tischplatte, ehe er endlich langsam den Kopf hob und die beiden Männer nacheinander ansah. Dann seufzte er. »Wie würde unsere Welt in fünf oder zehn Jahren aussehen, wenn nichts gegen die Farbe unternommen würde? Bitte, ich kann es mir jetzt fast vorstellen, aber ich möchte doch ein klares Bild von der Wirkung dieser unheimlichen Kriegführung haben.« Jerry nickte und schloß die Augen. »Stellen Sie sich vor, jetzt in dieser Sekunde wären zehn Jahre vergangen, Präsident Holm. Zehn Jahre, in denen die unheilvolle Farbe ungehindert ihr Unwesen getrieben hätte. Sie selbst haben aus irgendeinem Grund diese zehn Jahre unbeschadet in völliger Isolierung verbracht. Und jetzt begeben Sie sich hinaus an die Öffentlichkeit, in die Stadt. Was Ihnen zuerst auffallen wird, ist die ungewohnte Stille. Jene Menschen, die zuerst verrückt wurden und scheinbar ihren Verstand verloren, existieren längst nicht mehr. Man sperrte sie in die dafür vorgesehenen Anstalten und überhörte ihre warnenden Rufe. Sie waren der Menschheit lästig geworden, einer Menschheit, die nichts als ihre bequeme Ruhe wollte. 90
Sie wundern sich über die verklärten Gesichter, die Ihnen überall begegnen. Stumm und in Gedanken versunken wandern die Menschen einher. Sie scheinen glücklich zu sein, denn sie haben alle Sorgen abgewehrt, die auf sie zukamen. Sie leben nur noch für sich selbst, für ihr eigenes, lächerliches Ich. Die Farbkonzerte gibt es längst nicht mehr, denn niemand wäre noch in der Lage gewesen, die dabei notwendigen Farbkompositionen zu erzeugen oder sie – als Zuschauer – zu unterscheiden. Jeder Mensch lebt in seiner eigenen Welt der unbewußt schlummernden Lieblingsfarbe. Alles, was es überhaupt noch gibt, trägt diese Farbe: Wasser, Himmel, Feuer, Kleider, Häuser, Straßen, Felder und die Menschen selbst. Die Menschen kennen keine Erholung, sie träumen sogar in der von ihnen bevorzugten Farbe. Und diejenigen, die dem anstürmenden Irrsinn nicht unterlagen, gewöhnten sich an diese grauenhaft eintönige Welt, lebten in ihr und wurden selbst zu einer immer gleichbleibenden Farbe. Niemand hat etwas gegen die Entwicklung unternommen, denn alle wurden gewissermaßen gleichzeitig von ihr mitgetragen. Die Menschen haben diese grauenhafte Verwandlung zu einer scheinbaren Individualität nicht bemerkt. Sie sprechen einen dieser Menschen an. ›Wie heißt der Weltpräsident?‹ fragen Sie ihn und wissen bereits die Antwort, ehe sie kommt. Die Antwort nämlich ist ein stummer Blick, der durch Sie hindurch geht und der Ihnen sagt: Was geht das mich an – abgesehen davon, daß ich es nicht weiß … Die Straßen sind voller Unrat, denn wer sollte ihn entfernen? Und: wie sollte man ihn entfernen? Hat er für den jeweiligen Beschauer nicht die gleiche Farbe wie alles andere? Kann man ihn überhaupt noch von seiner Umgebung unterscheiden – eine winzige Erhöhung in genau der gleichen Farbe? Der Verkehr ruht, denn man hat Zeit. Sie sehen kaum noch ein Flugtaxi, kaum noch ein Kreiselau91
to. Nur hier und da die gemächlich dahinschreitenden Spaziergänger. Die Jugendlichen benehmen sich ähnlich, wenn auch nicht ganz so ruhig. Doch man merkt ihnen an, daß der Einfluß der psychologischen Uniformierung nicht spurlos an ihnen vorübergegangen ist. Kleinkinder fehlen fast völlig, denn die Sterblichkeitsziffer ist ins Unendliche gewachsen. Der Mensch lebt weiter, er setzt weiter Kinder in die Welt, aber es fehlen die medizinischen und sozialen Einrichtungen, diese Kinder am Leben zu erhalten. Hinzu kommt, daß die Neugeborenen bereits vom ersten Tage des Sehens an keine Farben mehr unterscheiden können – aber das weiß niemand in dieser Welt der einen Farbe. Im Grunde genommen sind alle Menschen blind, denn kann man jemand, der nur befähigt ist, einen einzigen Dauerton ständig zu vernehmen, als akustisch normal bezeichnen, oder ist er nicht vielmehr taub? Ein Mann, der nur ein einziges Wort von sich zu geben imstande ist, dürfte auch nicht als intelligent zu bezeichnen sein. Die menschliche Zivilisation, das sehen Sie sofort, steht kurz vor dem endgültigen Zusammenbruch. Wenn jetzt in diesem Augenblick der Angriff aus dem Weltraum stattfände, gäbe es niemanden, der sich dagegen wehrte, denn der SSD und die Raumflotte bestünden nicht mehr. Vielleicht hätten es die Angehörigen dieser Flotte ein wenig länger ausgehalten, bis auch sie die Seuche ergriffen hätte. Dann aber wären ihre führerlosen Raumschiffe hineingerast in den blauen, gelben, violetten oder roten Abgrund, der sich vor ihnen aufgetan hätte. Und vor diesem Hintergrund des Nichts wäre ein Hindernis – ein Planet zum Beispiel – nicht mehr zu bemerken gewesen, denn er hätte die gleiche Farbe besessen. Auch auf den Bildschirmen und Orientierungsgeräten. Nichts hätte den Untergang der irdischen Raumflotte aufhalten kön92
nen. Sie, der einzige normale Mensch, der noch existiert, können es einfach und klar abschätzen: Noch weitere zehn Jahre, und die Menschheit hat aufgehört zu bestehen. Das, was dann noch vegetiert, ist nichts als ein kümmerlicher Rest ohne eigene Initiative. Sie packt das namenlose Grauen, Sie wenden sich um und flüchten zurück in das Haus, aus dem Sie kamen. Und dann sehen Sie Ihre blauen Hände … Blau war Ihre Lieblingsfarbe. Sie wissen, daß nun die Erde nicht einen gesunden Geist mehr beherbergt, Präsident Holm. Sie wissen, daß dies das unvermeidliche Ende bedeutet!« Jerry Smith schwieg. Seine Augen waren noch immer geschlossen. Im Raum war nur das Atmen der drei Männer. Bis Holm sich zusammenraffte. »Ich danke Ihnen, Mr. Smith. Nun weiß ich, daß Sie recht haben. Was raten Sie uns zu tun?« »Das, was ich Ihnen zu schildern versuchte, ist noch nicht eingetreten. Zwar wurde durch die Farbindustrie schon Schaden genug angerichtet, aber es ist nicht zu spät zum Eingreifen. Lassen Sie durch Ferguson sofort alle derartigen Fabriken schließen, alle Plantagen der herba zetae zerstören und die Nachricht verbreiten, daß diese Farbe Strahlungen aussende, die sich als gesundheitsschädlich erwiesen hätte. Erteilen Sie Ihren Wissenschaftlern den Auftrag, eine isolierende Farbmischung zu entwickeln, mit der man die Wechselfarbe überstreichen und unschädlich machen kann. Mit diesen Maßnahmen wird eine weitere Entwicklung im negativen Sinn verhindert. Sie muß jedoch sofort und mit aller Energie durchgeführt werden.« Holm gab Ferguson einen Wink. »Sie haben alle Vollmachten und können selbständig han93
deln. Gehen Sie notfalls mit aller Strenge vor. Jeder Widerstand muß im Keim erstickt werden. Benachrichtigen Sie gleichzeitig das Gesundheitsministerium und geben Sie ihm den Wortlaut der zu veröffentlichten Meldung in Bezug auf die Farbe bekannt. Nicht zu kraß, damit keine Panik entsteht. Gehen Sie, ich werde mit Smith allein fertig. Er steht dann zu Ihrer Verfügung.« Ferguson stand auf und verabschiedete sich mit einer Verbeugung vom Präsidenten. Dann trat er auf Jerry zu und reichte diesem die Hand. »Ich möchte Ihnen meinen Dank aussprechen, Smith. Ohne Sie wüßten wir nicht, in welcher Gefahr wir schwebten. Ich hoffe, Sie ständig in Ihrem Heim erreichen zu können, sobald ich das wünsche. Ihre Stellung bei der Terra-Mars-Linie werden Sie wohl inzwischen aufgegeben haben?« Jerry nickte. »Natürlich. Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen, Ferguson. Sie können mich stets erreichen. Vorerst werde ich auf der Erde bleiben.« Ferguson verschwand, nachdem der Präsident den Energieschirm ausgeschaltet hatte, dessen blaue Strahlen Holm bereits nicht mehr auffielen. Jerry setzte sich wieder. Erwartungsvoll blickte er auf Holm. Der schaute auf die Tischplatte, schien etwas sagen zu wollen und zögerte. Endlich faßte er Mut. »Smith, wie sehen Sie in Wirklichkeit aus? Könnten Sie jetzt in diesem Augenblick Ihre wahre Gestalt annehmen?« »Jederzeit, Präsident Holm. Aber leider sähen Sie mich nur in Blau – und das wäre schade. Denn gerade mein buntes Gefieder gilt in der galaktischen Union als besondere Attraktion …« Rita saß untätig auf der Terrasse, als Jerry endlich mit dem Taxi des SSD wieder zu Hause anlangte. Sie schrak zusammen, 94
als sie die bekannten Schritte hörte. Stumm wartete sie, bis er heran war und sie sanft in die Arme nahm. Sie wehrte sich nicht. »Hast du lange warten müssen?« erkundigte er sich besorgt. »Es dauerte alles so lange, aber ich glaube, das Schlimmste ist geschafft.« »Du warst beim Präsidenten – Jerry?« Er nickte. »Es sind alle Maßnahmen eingeleitet worden, die Invasion der Plünderer abzuwehren.« »Ich habe also nicht geträumt – gestern abend und heute früh?« Er schüttelte den Kopf. »Nein, das hast du nicht. Sage mir eins, Rita: liebst du mich noch? Auch jetzt, da du weißt, wer ich bin?« »Ich weiß nur, was du nicht bist, Jerry«, verbesserte Rita. »Aber ich glaube, ich werde dich trotzdem weiter lieben können.« Er atmete auf. »Welche Farbe hat mein Anzug?« fragte er unvermittelt. »Dunkelbraun«, sagte sie ohne Zögern. Das stimmte. Jerry atmete ein zweites Mal erleichtert auf. »Gott sei Dank können wir die wenigen Dinge, die mit der gräßlichen Farbe behaftet sind, aus unserem Haus entfernen«, grübelte er dann. »Die Kacheln im Badezimmer reiße ich selbst heraus. So dürften wir es schon eine Weile aushalten, ohne einer Gefahr zu erliegen, die unbemerkt auf uns zukommt.« Zusammenhanglos flüsterte Rita plötzlich: »Wie siehst du in Wirklichkeit aus, Liebster?« Jerry schrak zusammen. »Bitte, frage mich nur das nicht. Du würdest erschrecken, obwohl du mich eines Tages so sehen wirst, wie ich bin. Das jedoch erst dann, wenn du dich entschieden hast, mit mir zu 95
kommen.« »Mit – dir – zu – kommen? Wohin?« »Zum Mittelpunkt des Universums, Rita. Zum Zentralplaneten des galaktischen Reiches. Als meine Frau!« Sie erbleichte. »Ich soll die Erde niemals mehr wiedersehen, Jerry? Sie ist meine Heimat!« »Du bist einstmals das Mitglied eines stolzen Schiffes der Expeditionsflotte gewesen und hast mehr als einmal Abschied von der Erde genommen. Diesmal wird es kaum anders sein, denn wir werden jederzeit diesem System einen Besuch abstatten können. Aber du wirst mich zur Union begleiten müssen, wenn du – im Sinn der Menschen – fast unsterblich werden willst.« Rita starrte ihn fassungslos an. »Unsterblich …?« hauchte sie tonlos. »Nicht ganz«, schränkte er ein. »Aber so an die tausend Jahre möchte ich doch noch mit dir in gemeinsamem Glück verbringen. Das ist nicht zuviel verlangt – als Lohn für die Rettung einer ganzen Welt.« Sie nickte zustimmend, ohne recht zu begreifen. Dann sah sie ihn an. »Wie alt bist du?« Er schob sie ins Haus. »Was gibt es zu essen, Liebes? Ich habe einen Mordshunger. Wie alt ich bin? Nun, ganze 600 Jahre. Warum erschrickst du denn? Sieht man mir die paar Jährchen vielleicht an?« In ihren Augen waren Tränen. »Es ist alles so ungeheuerlich, so unfaßbar. Was mußte ich seit gestern alles erfahren. Du – kein Mensch! Ein galaktisches Reich, in dem die Erde Mitglied werden soll! Eine bereits begonnene Invasion, die das Ende der Welt bedeuten könnte. Und die Hauptperson: du!« Er griff nach den Zigaretten. 96
»In Wirklichkeit bist du die Hauptperson. Denn ohne dich wäre meine Mission bereits erledigt. Die Verbindung ist hergestellt, und die offiziellen Beauftragten des galaktischen Kaisers hierher unterwegs. Ich könnte gehen. Aber da bist du, Rita. Ich liebe dich und will dich nicht verlieren. Einmal erwischt es jeden galaktischen Beobachter – und es ist dann ihr letzter Auftrag gewesen. Nun, bei mir ist es soweit.« Sie lächelte ihn an. Durch die Tränen hindurch schimmerten ihre Augen. »Ich komme mit, wenn ich darf. Und wann?« »Sehr bald. Und noch eins: Ich werde ein Mensch bleiben.« Aus dem Haus kam ein summender Ton. Sie schrak zusammen. »Das ist das Abendessen!« rief sie. Und eilte davon. Langsam folgte er ihr.
4. Aber die Plünderer gaben sich nicht geschlagen. Unerkannt und verborgen hatten die Techniker der merkwürdigen Rasse den Mißerfolg ihrer Aktion auf der Erde beobachten können. Seltsam geformte Bildschirme gaben die Erdoberfläche an jedem beliebigen Punkt wieder, und es war Raaan selbst, der den galaktischen Beobachter im Palais des Weltpräsidenten entdeckte. Raaan war der wissenschaftliche Leiter der philosophischen Versuchsabteilung, die für die Experimente im Universum verantwortlich zeichnete. Und diese Experimente, so grauenhaft sie schienen, hatten dennoch einen tieferen Sinn. »Jegliches Leben ist von vornherein sinnlos!« so hatten die Philosophen der Plünderer behauptet. »Es erhält erst dann einen Wert, wenn es aus Krieg besteht.« 97
Als man einst versuchte, dem Leben auf diese Art einen Sinn zu verleihen und den Planeten innerhalb der galaktischen Union überfiel, mußte man seine Meinung schnellstens revidieren. Denn nur die schleunige Flucht hatte die Plünderer vor der Vernichtung bewahrt. Und auch die Philosophen mußten zugeben, daß der Tod nicht gerade der Sinn des Lebens sei. »Ohne ewigen Frieden und wunschloses Glück ist das Leben unerfüllt und geht zugrunde«, verkündeten die Lehrmeister der Plünderer nun. Und sie ließen Experimente anstellen, um die Richtigkeit ihrer neuen These zu beweisen. Und so kam es, daß eine Welt nach der anderen den unwiderstehlichen Lockungen erlag, die ein scheinbar gütiges Schicksal ihnen darbot. Der ewige Friede, der höchste Stand der Kultur und Zivilisation wurde zugleich die letzte Stufe vor dem Abgrund. Mit der erreichten Zufriedenheit verschwand alles Streben nach Höherem – und der Sturz in die Tiefe begann. Die Bewohner der Erde aber hatten kurz vor dem Abgrund haltgemacht, wenn sie sich dessen auch nicht bewußt waren. Nur zwei Menschen kannten die wirkliche Gefahr – eben Jerry Smith und seine Frau Rita. Raaan sah seine Möglichkeit erst in dem Augenblick, als der galaktische Beobachter mit seiner Begleiterin in ein heimlich gelandetes Raumschiff stiegen, um die Erde zu verlassen und sich zum Zentralplaneten des galaktischen Imperiums zu begeben. Da gab er seine Befehle. Mit dem Präsidenten der Erde und Ferguson würden sie schon fertig werden. Schließlich handelte es sich um nichts weiter als relativ unwissende Eingeborene. Und auch hier hatte er sich schnell entschlossen. Kurz und knapp ergingen seine Befehle an die verantwortliche Stelle der Raumflotte. Die zweite »Invasionswelle« setzte sich in Bewegung …
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Rita kannte den Weltraum, und der Anblick der Erde, wie ein grüner Globus im All schwimmend, war für sie nichts Neues. Aber die Fähigkeiten des verhältnismäßig kleinen Schiffes überraschten sie doch. Sie verspürte keinerlei Andruck, als es in die unergründliche Tiefe des Universums schoß. Die Erde wurde zu einem Pünktchen, das schnell verblaßte. die Sonne zu einem Stern, der bald darauf in der ewigen Nacht versank. Immer mehr beschleunigte das Kurierboot und die Sterne wurden zu vorbeiziehenden Punkten, um sich endlich in lange, mehr oder weniger helle Striche zu verwandeln. Schließlich bestand das ganze Universum nur aus diesen geometrisch einwandfreien Linien und erinnerte verblüffend an das Foto sichtbar gemachter Gasmoleküle. Nur war hier kein Ende der Linien abzusehen, weder nach der einen, noch nach der anderen Seite. Jerry gab sich Mühe, der jungen Frau alles zu erklären. Sie hatte sich an den Anblick des Piloten gewöhnt, der in seiner äußeren Form zwar sehr entfernt an den Menschen erinnerte, aber nichts mit diesem gemeinsam hatte. Vielleicht hätte man ihn als Reptil bezeichnen können, genauso gut aber auch als Insekt. In Rita war die Zoologin erwacht und sie stellte Jerry hundert verschiedene Fragen, die er so gut es eben ging zu beantworten versuchte. »Die Kheri sind erst vor wenigen Zeitmaßen Mitglied der Union geworden, aber sie erwiesen sich als die besten Piloten. Nicht nur äußerlich, sondern auch ihr ganzer Metabolismus zeugt von ihrer insektoiden Herkunft. Doch auch ihre Verwandtschaft mit den Reptilien ist nicht zu leugnen. Auch auf der Erde gibt es Übergangsformen, die sich jedoch noch in der Weiterentwicklung befinden. Die Kheri sind sozusagen fertig.« »Ich war zuerst erschrocken, als ich den Piloten sah«, bekannte Rita ehrlich. Dann lächelte sie gezwungen. »Aber ich 99
habe mich nun daran gewöhnt, daß nicht jedes Lebewesen im Raum, vorausgesetzt es besitzt Intelligenz, so aussehen muß wie der Mensch.« »Der Mensch«, betonte Jerry ernst, »ist nur eine der unzähligen Entwicklungsformen im jeweiligen Endstadium. Eine Weiterentwicklung erfolgt deshalb nicht mehr, weil die Notwendigkeit dazu fehlt. Im Endstadium ist das betreffende Lebewesen technisch soweit, die Umgebungsverhältnisse weitgehendst zu beeinflussen. Es paßt also die Umgebung sich selbst an, während in der Entwicklungsepoche er sich der Umgebung anzupassen hatte, wollte er überleben. Es folgen höchstens kleine und unscheinbare Veränderungen, die jedoch auf das typische Aussehen keinen besonderen Einfluß mehr haben.« »Und warum die verschiedenen Formen dieser Endstation?« »Wegen der verschiedenen Lebensbedingungen. Fast auf jeder Welt herrschen andere Verhältnisse, und das überall entstehende Leben paßt sich diesen bereits in der Urzelle an. Die weise Natur läßt ein Zusammentreffen der planetarischen Endstadien erst dann zu, wenn die Intelligenz weit genug entwickelt ist, sinnlose Vernichtung zu verhüten. Doch es gibt immer Ausnahmen.« »Du meinst die Plünderer?« »Ja.« Jerry schwieg und dachte nach. Sinnend sah er auf den runden Bildschirm, der den Eindruck einer durchsichtigen Luke vermittelte, Die Sternlinien begannen, sich langsam zu verschieben. »Ich habe oft darüber nachgedacht«, philosophierte er dann, »warum die Plünderer kein friedliches Dasein in unserer Gemeinschaft wünschten, und kam zu dem Schluß, daß wir die Ursache in einer uns unbekannten Weltanschauung suchen müssen. Sie zerstören nicht aus Freude am Zerstören, denn dann würden sie mit ihren unvorstellbaren Waffen über die 100
Welten herfallen und sie einfach vernichten. Das taten sie nur einmal. Nein, ich meine vielmehr, sie suchten auf irgendeine rein ethische Frage eine Antwort.« »Ihre heimlichen Invasionen haben aber nicht sehr viel mit Ethik zu tun«, warf Rita ein. »Zugegeben«, nickte Jerry zögernd. »Aber das ist nun mal mein Eindruck. Sie hatten schon damals eine Regierungsform, die uns selten schien. Nur Männer der geistigen Wissenschaften bildeten sie, und sie waren es auch, die das Volk beherrschten. Sie behaupteten, das Leben erhalte nur durch Kampf einen Sinn. Das Leben in Frieden und Glück mache sorglos und schwach, liefere ein Volk dem allmählichen Untergang aus. Wir haben versucht, ihnen diese verbrecherische Gesinnung auszureden, aber leider vergeblich. Ihre Antwort war die Vernichtung einer ganzen Welt.« »Man weiß genau, daß die folgenden Invasionen, die im Untergang verschiedener Zivilisationen gipfelten, das Werk der gleichen Plünderer war?« »Man kann es annehmen, denn sie benutzten als Mittel der Vernichtung den von ihnen so gehaßten Frieden. Das klingt zwar paradox, aber du hast selbst erfahren, wie tödlich diese Art von Friede wirken kann.« Rita starrte aus dem Fenster – oder das, was wie ein Fenster aussah. Die Sternlinien verschoben sich nicht mehr, sondern verharrten gradlinig. »Eine gefährliche Philosophie – und noch gefährlichere Beweise!« sagte sie langsam und bedeutungsvoll. »Ein Trugschluß!« behauptete Jerry und schwieg plötzlich, denn ein schriller Summton erfüllte die gemeinsame Kabine. Mit einem Satz sprang er auf. In seinem Gesicht stand maßlose Überraschung. Dann eilte er zur Tür. »Warte hier, Rita. Der Pilot gab ein Warnsignal. Ich sehe nach, was geschehen ist. Beunruhige dich nicht, vielleicht nur ein anderes Schiff der Union.« 101
Rita nickte und blieb sitzen. Als sie zum »Fenster« sah, erschrak sie. Die Sterne waren wieder Sterne, und keine Striche mehr. Das Schiff stand unbeweglich im Raum. Und dort, nur wenige Kilometer entfernt, schwebte ein anderes Raumschiff von gewaltigen Ausmaßen. Es schob sich langsam näher und legte sich dann längsseits neben den Kurierkreuzer. Jerry erreichte die Zentrale. »Was ist los, Kheri?« fragte er und blieb wie angewurzelt stehen. Auf den Bildschirmen erkannte er, daß der Kreuzer unbeweglich im All schwebte. Ein drohendes Ungetüm schob sich von links heran, und gewaltige Magnetklammern umschlossen den schlanken Leib der Kurierrakete. Der Kheri wandte sich um. »Die Geschwindigkeit verringerte sich plötzlich rapide, und dann wurden wir steuerlos. Ich habe sofort Verbindung mit dem Imperium aufzunehmen versucht. Die Geräte versagen.« »Warum haben wir uns nicht gewehrt?« »Die Strahler sind nicht mehr aktionsfähig. Ich habe versucht, einen Schuß auf das fremde Schiff abzugeben. Die Energieladungen sind unwirksam. Die Fremden müssen mit ungeahnten Mitteln arbeiten. Wer sind sie?« Jerry zuckte die Schultern. »Ich weiß es nicht.« Er sah, wie sich in der Hülle des anderen Schiffes eine Platte beiseite schob und eine Öffnung entstand. »Wir werden es aber gleich wissen. Keine Funkverbindung?« »Nein; auch die Funkverbindung mit dem Imperium riß plötzlich ab, noch ehe sie hergestellt war, so als sauge man unsere Energie und die der ankommenden Wellen einfach auf. Ähnlich wie bei dem Strahler.« »Eine technisch sehr hochstehende Rasse«, bemerkte Jerry. Dann huschte ein schwacher Hoffnungsschimmer über sein Gesicht. »Sie haben uns nicht direkt vernichtet. Vielleicht sind 102
wir einem neuen Mitglied der Union begegnet.« »Du meinst, wir könnten sie dazu überreden?« Jerry blickte unverwandt in Richtung der offenen Luke im Leib des fremden Schiffes. Er ließ sich auch nicht ablenken, als Rita die Zentrale betrat. Sie hatte es nicht allein in der Kabine aushalten können. Jetzt erschien dort drüben eine Gestalt, eingehüllt in einen unförmigen Schutzanzug. Die Sichtscheibe war zu klein, um das Gesicht des Fremden erkennen zu können. Das Wesen besaß vier Gliedmaße und hatte die ungefähre Größe eines ausgewachsenen Menschen. Jerry zuckte unmerklich zusammen, als er sie länger betrachtete. Auf seiner Stirn erschienen steile Falten. Der Fremde wartete, bis drei weitere seiner Gefährten aus der Luke gekommen waren, dann stieß er sich ab und segelte schwerelos über den schmalen Abgrund zwischen den beiden Schiffen. Die anderen folgten. Es klang hohl durch den Kreuzer, als die Metallschuhe der Fremden die Schiffshülle berührten. Dann dröhnten dumpfe rhythmische Schläge auf. Jerry sah den Kheri an. »Die Schleuse öffnen!« Der Pilot starrte Jerry an, ohne sich zu rühren. »Es hat wenig Sinn, wenn wir es nicht tun«, versuchte Jerry den Kheri zu überzeugen. »Sie können uns vernichten, wenn sie das wollen. Außerdem suchen wir ja den Kontakt mit fremden Rassen.« Der Pilot mochte das einsehen. Schwer legte er einen Hebel um und löste somit den automatisch anlaufenden Prozeß aus, der die Luftschleuse leerpumpte, die Außenluke öffnete und schloß, die Schleuse wieder mit Atemluft füllte und schließlich die Innenluke freigab. Der ganze Vorgang dauerte drei irdische Minuten, aber diese drei Minuten schienen die längsten zu sein, die Rita jemals 103
erlebte. Drei Ewigkeiten hätten nicht länger sein können. Dann endlich war es soweit. Der Kheri saß reglos in seinem Pilotensessel, diesen lediglich ein wenig herumgedreht, so daß er den Eingang zur Zentrale im Auge hatte. Seine linke Hand lag auf einem Hebel. Rita war zurückgewichen, als der Kheri die Tür zur Zentrale durch einen Knopfdruck öffnete. Der gerade Gang erstreckte sich bis zur Luftschleuse. Jerry stand reglos und wartete. Die Hand in seiner Tasche umspannte den tödlichen Strahler, den er von der Erde mitgebracht hatte. Vielleicht würde er noch funktionieren. Die Innenluke öffnete sich, und der erste Fremde erschien. Er sah sich eine Sekunde wie suchend um, dann entdeckte er die Wartenden. Er gab seinen Gefährten einen Wink, dann schritt er allein und ohne Begleitung auf die Zentrale zu. Die drei anderen warteten auf dem Gang, unmittelbar vor der Luftschleuse. Der Fremde betrat die Zentrale und blieb in der Tür stehen. Schweigend musterte er die beiden Menschen und den Kheri. Hinter seiner Sichtscheibe waren nur zwei glänzende Augen sichtbar, die von einem zum anderen gingen. Besonders lange lagen sie auf der schlanken Gestalt von Rita. Jerry war totenblaß geworden. Der Fremde begann, die Verschraubung seines Helmes zu lösen. Die Unförmigkeit seines Raumanzugs verbarg seine wahre Gestalt immer noch zu sehr, um sich eine Vorstellung von seinem Aussehen machen zu können. Sicher jedenfalls schien, daß er keinerlei Bewaffnung bei sich trug. Als der Helm dann endlich abgehoben wurde und Rita das Gesicht des Fremden erblickte, wich sie überrascht zurück. Sie sah in das Gesicht eines Menschen. Jerry aber stieß einen Wutschrei aus. »Die Plünderer!« keuchte er. »Sie haben uns also doch er104
wischt! Wie ist das möglich?« In der Sprache des Imperiums, für Rita daher unverständlich, entgegnete der Fremde: »So, man nennt uns also die ›Plünderer‹? Nicht sehr schmeichelhaft, finde ich. Ja, wir haben euch erwischt. Und der galaktische Beobachter in unserer Hand – wenn das kein guter Fang ist!« Kheri hatte sich ganz umgedreht und sah den Plünderer voll an. »So also sehen sie aus«, murmelte er und blickte dann zu Rita. »Eine verblüffende Ähnlichkeit, finde ich.« Der Fremde lächelte grausam. »Verblüffend, fürwahr. Es könnten unsere Brüder sein. Das ist auch der Hauptgrund, warum wir an dem Ausgang des Experiments mit ihnen so interessiert sind.« Er sah Jerry wieder an. »Du hast ihre Form angenommen und beibehalten? Hat das einen besonderen Grund? Oder möchtest du dich der Dame gegenüber nicht als häßlicher Vogel erweisen?« Jerry ballte die Fäuste, bis die Knöchel weiß wurden. »Du wirst deine Frechheit bereuen, Plünderer!« warnte er. »Was willst du von uns? Wenn wir dir helfen können, tun wir es – weil wir in deiner Gewalt sind. Aber überspanne den Bogen nicht! Das Imperium wird euch zu finden wissen und dann keine Gnade mehr kennen.« Der Plünderer lächelte immer noch. »Natürlich könnt ihr uns helfen. Deshalb haben wir ja euren Flug unterbrochen. Ihr werdet die Freundlichkeit haben, mit uns zu kommen. Euer Schiff wird für einige Zeit verschollen sein, und es wird an euch liegen, ob es jemals wieder auftaucht – mit der Besatzung, selbstverständlich.« »Wir sollen mitkommen? Wohin?« »Zu unserer Welt – wenigstens zur augenblicklichen. Denn wir halten nicht sehr viel von der Seßhaftigkeit. Außerdem fände man uns eventuell. Und das wäre uns unangenehm.« 105
Jerry wollte protestieren, dann aber besann er sich eines anderen. Ohne auf die heftigen Proteste des Piloten zu achten, nickte er und sagte: »Garantiert man uns allen dreien eine unbehelligte Rückkehr zum Imperium, wenn wir euren Wunsch erfüllen?« Der Plünderer lächelte. »Wenn ihr es überlebt – natürlich!« »Was soll das heißen?« »Du wirst eine Aufgabe erfüllen müssen, die sehr gefährlich ist. Dann wirst du zu uns zurückkehren and erhältst dein Schiff und den Piloten zurück.« »Und die Frau? Was ist mit ihr?« Der Plünderer lächelte immer noch. »Du liebst sie, nicht wahr? Nun, um so sicherer kann sie uns als Garantie dafür dienen, daß du kein doppeltes Spiel treibst. Um es kurz zu machen: Du wirst zur Erde zurückkehren und dem Weltpräsidenten ein Märchen erzählen. Die Produktion der Wechselfarbe wird wieder aufgenommen, im alten Ausmaß. Sobald das geschehen ist, kehrst du zu unserer Welt, deren Position du kennenlernen wirst, zurück. Du bekommst das Schiff, den Piloten und die Erdenfrau zurück. Du bist dann frei.« Ein satanisches Grinsen huschte über die menschlichen Züge des Plünderers, als er einen Schritt auf Jerry zutrat. »Aber hüte dich vor verräterischen Gedanken, Idaner!« warnte er eiskalt. »Als erstes würde die Frau sterben – und das möchtest du doch nicht? Zweitens wäre eine Rückkehr unmöglich, denn wir würden auch dich töten. Es bleibt dir also keine Wahl.« Jerry blieb kreidebleich. Mit der Übernahme einer fremden Gestalt übernahm er ja auch deren Funktionen. »Also gut, Plünderer. Bringe uns zu deiner Welt.« »Wir werden euer Schiff mitnehmen. Ihr könnt also weiterhin in ihm bleiben und tun und lassen, was euch beliebt.« Er sah Jerry noch einmal zwingend an, ehe er den Helm auf106
setzte, sich umdrehte und in Richtung der Schleuse verschwand. Ungeschützt bot er seinen Rücken dem Feind. Aber Jerry und der Kheri wußten, wie hilflos sie im Augenblick waren. Präsident Holm sah überrascht auf, als der Bildschirm ihm den Besucher zeigte. »Smith – Sie?« Jerry nickte, und auf seinem Gesicht zeigte sich ein flüchtiges Lächeln. »Ich muß Sie sofort sprechen, Holm. Es ist dringend.« »Sie sind schon zurück?« wunderte sich der Präsident, während er bereits entsprechende Anweisungen gab. »Kommen Sie im Auftrag der Union?« »Später!« vertröstete ihn der galaktische Beobachter. »Benachrichtigen Sie auch Ferguson. Er soll sofort kommen. Es gibt wichtige Dinge zu bereden.« Der Bildschirm erlosch, und der Energieschirm, der den Raum des Präsidenten vor unerwünschten Eindringlingen schützte, sank in sich zusammen. Sein intensives Blau war inzwischen – in den Augen des Präsidenten – einem schwach bläulichen Schimmer gewichen. Jerry Smith trat ein. Hinter ihm flammte der Vorhang wieder auf. Mit ausgestreckten Händen kam Holm seinem Gast entgegen. »Ich freue mich zwar riesig über Ihren Besuch, aber er kommt mir zu überraschend, als daß er etwas Gutes bedeuten könnte. Wo kommen Sie her?« »Ich möchte warten, bis Ferguson hier ist. Wie lange kann das dauern?« »Keine fünf Minuten, Smith. Aber spannen Sie mich nicht diese fünf Minuten auf die Folter. Wo also kommen Sie her? Waren Sie in diesen zwei Wochen schon daheim?« 107
»Nein. Ich komme direkt aus dem Hauptquartier der Plünderer, jener Rasse, die die menschliche Zivilisation zu vernichten gedenkt.« Holm fuhr zurück. Er starrte Jerry sprachlos an. Das Schweigen wirkte fast schmerzhaft und wurde erst durch den Eintritt Fergusons unterbrochen, der Jerry fast in seine Arme geschlossen hätte. »Wie ich mich freue, Sie wiederzusehen. Haben Sie etwas vergessen?« Erst jetzt bemerkte er das blasse Gesicht des Präsidenten und stutzte. Fragend sah er von einem zum anderen, ehe er sich zögernd setzte. »Was gibt es denn?« erkundigte er sich voll böser Ahnung. Jerry Smith hatte ebenfalls Platz genommen. »Ich denke, wir hier sind vor jedem Lauscher sicher?« vergewisserte er sich. Und als die beiden Männer nickten, fuhr er fort: »Ich komme also vom Heimatplaneten der Plünderer, jener Rasse, die der Erde die verhängnisvolle Pflanze in die Hände spielte und damit die Wechselfarbe. Auf meinem Weg zur Union wurde mein Schiff, das mich abholen sollte, von einer mir unerklärlichen Kraft angehalten. Es waren die Plünderer, die erfahren hatten, daß ihre Invasion mißglückt war. Um das Experiment – denn alle diese Invasionen sind nichts als Experimente, die die Richtigkeit ihrer philosophischen Anschauung beweisen sollen – fortführen zu können, hat man mich gezwungen, zur Erde zurückzukehren. Meine Frau befindet sich in ihrer Gewalt und wird in dem Augenblick getötet, in dem ich die Plünderer verrate.« »Aber das haben Sie doch bereits getan?« stammelte Holm. »Nein, Sie irren!« entgegnete Jerry. »Ich kann Sie von den Plänen der Plünderer unterrichten, denn Sie werden alles tun, was ich will – und es später vergessen haben. Ruhig, bleiben Sie sitzen! Es kann Ihnen niemand mehr helfen. Hier, in meiner Rechten, habe ich die Strahlwaffe. Sie kennen sie ja. Und in 108
meiner Linken befindet sich eine Injektionsspritze. Sobald Sie das Serum in der Blutbahn haben, stehen Sie vollkommen unter meinem Einfluß.« Ferguson starrte Jerry an. »Ich kann es nicht fassen! Sie haben uns verraten, Smith! Das kann doch nicht wahr sein!« »Es ist wahr, Ferguson!« bestätigte Jerry kalt. »Glauben Sie, ich ließe Rita umkommen? Ich liebe sie!« »Aber deswegen können Sie doch nicht die ganze Welt dem Untergang preisgeben! Eine Welt, die Sie eben erst gerettet haben und die bereits zur galaktischen Union gehört. Der Gesandte trifft in den nächsten Wochen ein. Er wird die Veränderung bemerken.« »Das spielt für mich keine Rolle mehr. Außerdem werden Sie dem Gesandten die Neueinführung der Wechselfarbe derart plausibel machen, daß er ihr Vorhandensein akzeptiert.« Holm erhob sich halb hinter seinem Tisch. »Niemals! Lieber gehe ich zugrunde!« Jerry mußte die beiden Männer heimlich bewundern und beneidete sie um ihre Rolle. Die seine war mehr als kläglich. »Ich würde andere finden, die Ihren Posten ausfüllten, Holm«, eröffnete er dem erschütterten Präsidenten. »Doch nun hören Sie genau zu, was ich von Ihnen verlange: Sie werden sofort alle damaligen Befehle, die herba zetae-Plantagen betreffend, rückgängig machen. Die Produktion des Farbstoffs wird sofort wieder aufgenommen und die Ungefährlichkeit vom Ministerium für Gesundheit offiziell bestätigt. Schieben Sie alles auf einen Irrtum. Das ist mir gleichgültig. Jedenfalls soll alles wieder so werden, wie es noch vor wenigen Wochen war. Haben Sie verstanden?« Holm gab keine Antwort. Er grübelte vor sich hin und schien nach einem Ausweg zu suchen. In seinen Augen funkelte es fast unmerklich auf, aber Jerry hatte es gesehen und war gewarnt. Er ließ den Präsidenten nicht aus den Augen, als er zu 109
Ferguson sagte: »Ihre Aufgabe ist wesentlich leichter, Ferguson. Sie haben jeden zu verhaften, der sich gegen die Wiedereinführung der Farbe zur Wehr setzt.« Der Chef des SSD nickte, aber Jerry wußte, daß der massive Mann nur auf eine Gelegenheit wartete, ihn zu überrumpeln. Er blieb auf der Hut. Die Waffe auf die beiden Männer gerichtet, näherte er sich ihnen, immer darauf achtend, daß der Tisch zwischen ihm und seinen Opfern blieb. »Strecken Sie Ihren Arm aus und legen Sie ihn auf die Tischplatte«, forderte Jerry den Präsidenten auf. »Ja, die Vene nach oben – so ist es recht.« Er beugte sich ein wenig vor und setzte die Nadel an. In diesem Augenblick flüsterte er: »Es ist harmlos – wir werden beobachtet – mitspielen!« Dann ließ er die Nadel unter die Haut und entleerte die klare Flüssigkeit bis zur Hälfte in die Vene Holms. Ferguson hatte verstanden. Zwar warf er einen suchenden Blick um sich und war auch nicht sonderlich überrascht, als er nichts entdecken konnte. Obwohl unendlich erleichtert, befolgte er den Rat Jerrys und spielte mit. Auch er erhielt seine Injektion. Erleichtert trat Jerry zurück, schob die Spritze in die Tasche, behielt den Strahler aber in der Hand. »Bevor die Wirkung eintritt«, erklärte er dozierend, »möchte ich Sie genau informieren, was geschehen wird. In knapp zehn Minuten werden Sie keinen eigenen Willen mehr haben und nur das tun, was ich Ihnen befehle. Die Instruktionen erhalten Sie noch.« Ferguson grinste sehr schwach, als er erwiderte: »Es wird Ihnen bekannt sein, daß unser Sicherheitsdienst ausgezeichnet arbeitet. Dieser Tatsache ist es zu verdanken, daß es nicht mehr eine einzige Plantage auf der Erde gibt, in der herba zetae gezüchtet wird. Ebenso wurden alle noch 110
vorhandenen Vorräte vernichtet und der größte Teil der bereits verwendeten Farbstoffe unschädlich gemacht. Sie haben Mühe, ihre Spuren überhaupt noch zu finden. Doch wie gesagt, scheint mir das Wichtigste zu sein, daß keine einzige Pflanze mehr existiert. Wie sollen wir neuen Farbstoff produzieren?« Jerry hatte Mühe, ein erleichtertes Aufatmen zu verhindern. Aber er wußte nur zu genau, daß die Wissenschaftler der Plünderer vor ihren Geräten lauerten und jedes Wort mitanhörten. Er konnte nur hoffen, daß sie die geflüsterte Warnung nicht vernommen hatten. »Dann werden Sie eben Mittel und Wege finden, die Pflanze von jenem Planeten zu holen, auf dem sie zuerst gefunden wurde. Der Flug dauert kaum mehr als einige Wochen.« Einige Wochen Galgenfrist, dachte Jerry. Aber auch einige Wochen Ungewißheit über das Schicksal Ritas. Ferguson schüttelte den Kopf. Er war wirklich ein großartiger Schauspieler. Er tat ganz so, als beginne die Droge bereits zu wirken. »Es wird keine langen Wochen dauern, Smith. Denn noch bevor wir die wahre Natur der Farbe entdeckten, wurde ein Expeditionsschiff zum Ursprungsplaneten geschickt, neue Pflanzen zu holen. Es sollte eigentlich bereits gestern zurückgekehrt sein. Anscheinend ist eine Verzögerung eingetreten. Übrigens ist es die HELOS – und Olaf Gulbrandsen der jetzige Kommandant. Da er selbst Biologe ist, schien er uns der geeignete Mann für diesen Auftrag.« »Ich bin erstaunt, daß Sie ihn nicht zurückriefen.« »Sie vergessen, daß wir noch nicht soweit sind wie Sie«, erinnerte ihn Ferguson sanft. Jerry schob den Strahler in die Tasche. »Sie scheinen bereits unter dem Einfluß des Hypnoseserums zu stehen. Das ist ausgezeichnet. Sie werden also die soeben erhaltenen Befehle bedingungslos ausführen und mich sofort unterrichten, wenn die HELOS zurückkehrt. Zu erreichen bin 111
ich in meiner alten Wohnung. Ich hoffe, man hat sie nicht anderweitig vermietet?« »Nein, sie ist noch frei«, eröffnete ihm Holm. »Ausgezeichnet. Ich sehe Sie morgen. Und vergessen Sie eins nicht, meine Herren: Sie werden ständig beobachtet! Ich bin auf meiner Hut!« Er legte die Betonung auf das Wort ›ich‹ und gab damit den beiden letzten Sätzen eine besondere Bedeutung, die auch von Holm und Ferguson verstanden wurde. Der Energieschirm sackte in sich zusammen, und Jerry verließ das Regierungsgebäude. Zurück ließ er zwei Männer, die sich sehr seltsam benahmen. Und tief im Zentrum der Milchstraße saßen die Plünderer um ihre Geräte und grinsten zufrieden vor sich hin. Sie würden der Menschheit Glück und Frieden bringen, ob sie wollte oder nicht … Die HELOS landete drei Tage später. Die Begegnung mit einem dunklen Wanderplaneten hatte Olaf Gulbrandsen veranlaßt, eine Umkreisung und dann eine Landung vorzunehmen. Daher die dreitägige Verspätung. Im Hauptquartier der Raumflotte erstattete der Kommandant der HELOS Bericht – und er wunderte sich sehr, daß neben den hohen Offizieren der Flotte diesmal auch der Chef des Sicherheitsdiensts persönlich anwesend war. »Die Ereignisse dieser Expedition sind auf Filmspulen festgehalten«, begann Gulbrandsen seinen Kurzbericht und setzte gleich hinzu, um keine unnötigen Spannungen aufkommen zu lassen: »Besondere Ereignisse sind nicht zu verzeichnen. Wir fanden Zeta Herkuli unverändert vor und landeten an fast der gleichen Stelle wie vor mehr als zehn Jahren. Immer noch die gleiche, düstere Totenlandschaft, seltsam belebt von den merkwürdigen Blumen, die immer noch nach Belieben ihre Farbe wechselten. Ich persönlich halte nichts von der Spielerei 112
der Natur und dulde auch auf meinem Schiff keinerlei industrielle Variationen dieser Pflanze; aber mein Auftrag lautete, die Plantagen durch frische Pflanzen zu vergrößern – und ich habe meinen Auftrag ausgeführt.« Ferguson unterbrach: »Wir haben Sie nicht um Ihre persönliche Meinung gebeten, sondern um eine objektive Schilderung Ihres Fluges.« Gulbrandsen warf dem SSD-Chef einen kurzen Blick zu, ehe er fortfuhr: »Wir füllten unsere Behälter und starteten nach der vorgeschriebenen Zeit. Unterwegs hatten wir Gelegenheit, eine weitere Eigenart der herba zetae zur Kenntnis zu nehmen. Ein Meteor durchschlug die Hülle der HELOS und verwandelte eine Kammer des Laderaums in ein Vakuum. Die Luft entwich in den Raum. Der Schaden wurde ausgebessert und die Luft ersetzt, damit die Pflanzen keinen Schaden erlitten. Da die Behälter nicht luftdicht sind, blieb es nicht aus, daß die in dieser Kammer befindlichen Pflanzen für mehr als eine Stunde dem Einfluß des Weltraums schutzlos preisgegeben waren. Aber diese eine Stunde Weltraum hat den Pflanzen nicht das geringste ausgemacht. Sie existieren auch im Vakuum!« Gulbrandsen schwieg und beobachtete die Wirkung seiner sensationellen Mitteilung. Er als Botaniker wußte, wie unglaublich seine Feststellung klingen mußte, und er täuschte sich nicht. Durch die Männer ging eine Bewegung, und mehrere Köpfe wurden zusammengesteckt. Auch Ferguson konnte seine Überraschung nicht ganz verbergen, wenn sie auch mehr nach Schreck aussah. Gulbrandsen wartete, bis die Erregung sich gelegt hatte, dann begann er wieder zu sprechen. »Wir verfolgten den nächsten Kurs zur Erde und stellten eines Tages eine schwache Abweichung von der Flugbahn fest. 113
Sofort eingeleitete Untersuchungen ergaben, daß sich rechts der Bahn ein größeres Gravitationsfeld befand. Die optischen Beobachtungsinstrumente stellten jedoch nichts fest. Erst die Infrarotstrahlsucher enthüllten einen einsam daherziehenden Planeten. Die Erscheinung eines Planeten ohne Sonne war für uns eine Neuentdeckung. Die gemessene Gravitation schien uns ungefährlich, daher beschlossen wir, die einmalige Gelegenheit nicht ungenutzt vorübergehen zu lassen. Wir änderten den Kurs und bogen in eine entsprechende Kreisbahn ein, nachdem wir die Geschwindigkeit verringert hatten. Unsere starken Scheinwerfer enthüllten Einzelheiten der zerrissenen Oberfläche. Scharf in den Himmel stechende Felsen bewiesen die fehlende Atmosphäre, gewaltige Schluchten warnten vor einer Landung. Der Wanderplanet war allem Anschein nach unbewohnt. Und dann sahen wir die Gebäude. Wie undeutliche Schatten huschten sie unter uns hinweg, nur für Sekunden durch unsere Flutlampen angestrahlt. Aber ein Irrtum war ausgeschlossen. Nach kurzer Beratung wurde die Landung beschlossen. Es war klar, daß dieser Dunkelplanet, ziellos wandernd, nie mehr wieder von einem unserer Schiffe gefunden werden konnte. Ein derartiger Zufall wiederholt sich kaum. Eine solche Chance sich entgehen lassen, hieße leichtsinnig sein! Die Landung erfolgte nach einmaliger Umrundung des Planeten und genau an der berechneten Stelle. Keinen halben Kilometer von den zuerst entdeckten Gebäuden setzten wir auf. Der ganze Vorgang wurde gefilmt, und Sie können sich später noch von den Einzelheiten überzeugen. Ein Landetrupp, von mir geführt, wurde durch das Los bestimmt. Die Vorbereitungen nahmen nicht viel Zeit in Anspruch, da die tote Welt keine Überraschungen versprach. Die Gebäude mußten noch aus einer Zeit stammen, da dieser Planet 114
seine Sonne umkreiste, die er aus irgendeinem uns unbekannten Grund verließ. In Raumanzügen und mit Handstrahlern bewaffnet, verließen wir die HELOS und näherten uns den Bauten am Hang eines ausnahmsweise sanften Bergrückens. Mit der Schiffsbesatzung standen wir in ständiger Funkverbindung. Als wir näher kamen, erwiesen sich die Gebäude als noch zerfallener, als zuvor angenommen. Stellenweise standen nur noch die Metallstreben, während die Steinmauern zu Staub verwandelt waren. Einzelne Meteorkrater zeugten von dem natürlichen Bombardement, das ebenfalls seinen Teil zur Zerstörung beigetragen hatte. Doch unzweifelhaft blieb die Tatsache, daß hier auf dieser Welt einst intelligente Wesen gewohnt hatten und vielleicht noch wohnen würden, wenn sie nicht ihre Kreisbahn um die unbekannte Sonne verlassen und in das Nichts hinausgewandert wäre. Wir hielten uns zwei Tage auf dem Dunkelplaneten auf, ohne jedoch Spuren der verschwundenen Einwohner finden zu können. Die zerfallenen Gebäude stellten den einzigen Beweis ihres ehemaligen Vorhandenseins dar. Wir filmten und brachen dann die Untersuchungen ab. Unsere Astronomen berechneten den wahrscheinlichen Kurs des Dunkelplaneten, der dicht an unserem System vorbeiführen wird, dann nahmen wir Abschied. Stunden später versank der dunkle Weltenkörper der ewigen Finsternis. Wir nahmen wieder Kurs und Geschwindigkeit auf und erreichten die Erde mit dreitägiger Verspätung. Das wäre alles.« Gulbrandsen nickte den Männern zu und setzte sich. Der Kommandeur der Raumflotte warf Ferguson einen fragenden Blick zu, und als dieser den Kopf schüttelte, erklärte er die Berichterstattung für beendet. Mit dem Löschen der Fracht wurde augenblicklich begonnen.
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Drei Wochen später waren alle neu mitgebrachten Pflanzen von Zeta Herkuli eingegangen. Selbst die sorgfältigste Pflege und fachmännischste Behandlung konnten nicht verhindern, daß ein Gewächs nach dem anderen verdorrte und schließlich regelrecht zu Staub zerfiel. Die Plantagenbesitzer tobten, und die Industrie konnte die Produktion des Farbstoffs nicht aufnehmen. Als damals das Verbot erlassen worden war, erfolgte eine Umstellung der Betriebe. Alle noch bestehenden Plantagen wurden vernichtet, und nicht eine einzige Pflanze hatte die Vernichtungsaktion überlebt. Und die neuen starben an einer unbekannten Krankheit. Präsident Holm schien untröstlich zu sein. Er hatte Ferguson und Jerry zu einer Besprechung gebeten. Und oben im Weltraum lauerten die Plünderer. Ferguson und Jerry trafen gleichzeitig ein. Sie setzten sich. »Meine Herren«, begann Holm und legte die zitternden Hände vor sich auf den Tisch, »es ist etwas Entsetzliches geschehen. Sie werden es bereits wissen, aber ich möchte mit Ihnen darüber diskutieren, was die Ursache dieser plötzlichen Empfindlichkeit von herba zetae sein kann. Wir müssen den Farbstoff wiederhaben, aber ich sehe keine Möglichkeit, wenn die Pflanze bei uns nicht gedeiht.« Ferguson runzelte die Stirn und blickte zur Decke, als befinde sich dort ein verborgenes Aufnahmegerät der Plünderer. »Wir haben sofort alle unsere Wissenschaftler in Bewegung gesetzt, aber bisher nicht feststellen können, woran die Wunderblumen eingingen. Es fällt mir schwer, der Bevölkerung gegenüber beruhigende Nachrichten zu erfinden, nachdem ich zuvor die Hoffnung auf eine baldige Wiedereinführung des Farbstoffs geschürt habe. Wissen Sie einen Ausweg, Mr. Smith?« Jerry wußte tatsächlich keinen. Er ahnte natürlich, was die Pflanzen hatte eingehen lassen. Aber er hütete sich, seine 116
Ahnungen laut werden zu lassen. Die Plünderer würden lauschen. Im stillen war er den beiden Männern dankbar, daß sie die ganze Ladung der HELOS heimlich hatten vergiften lassen. Denn eine andere Erklärung gab es nicht. Vielleicht hatten sie es sogar selbst gemacht, denn niemand hätte sie daran hindern können, das Raumschiff zu betreten. Die Plünderer aber mußten annehmen, eine unbekannte Seuche habe ihre Farbpflanze dahingerafft. Er unterdrückte also ein Grinsen und meinte: »Es bleibt uns eigentlich nur ein einziger Weg: Wir müssen erneut eine Expedition aussenden, um weitere Pflanzen von Zeta Herkuli zu holen. Zwar verzögert das meine Aufgabe, aber ich kann sie so wenigstens lösen. Sie wissen, Holm und Ferguson, die Pflanze muß gedeihen, damit es wieder Farbstoff gibt! Das Glück der Menschheit hängt davon ab – und Sie wollen doch die Menschen glücklich sehen?« »Selbstverständlich!« nickte Holm. »Ich werde noch heute versuchen, mit den Plünderern Verbindung aufzunehmen und sie von dem Unglück in Kenntnis setzen. Vielleicht wissen sie einen Ausweg.« »Hoffentlich …«, knurrte Ferguson und verschluckte das Wörtchen »nicht« unter Aufbietung seiner ganzen Willenskraft. Jerry erhob sich, verließ den Raum und eilte mit dem Flugtaxi in seine Wohnung. Hier angekommen, begab er sich in sein ehemaliges Arbeitszimmer, wo die interstellare Funkanlage noch unberührt vorhanden war. Er stellte den Bildschirm und den Lautsprecher auf Empfang und rief die Plünderer an, indem er einfach in die Luft sprach. Er wußte, daß diese unheimliche Rasse gefährlicher Fanatiker keinerlei Gerät benötigte, seine Stimme zu empfangen. »Ich habe mein Bestes getan, Raaan!« sagte Jerry. »Du bist Zeuge meiner Bemühungen gewesen. Aber es ist nicht meine Schuld, noch die des Präsidenten, wenn die Farbpflanze dank 117
unbekannter Einflüsse nicht mehr auf der Erde gedeiht. Was ist euer Entschluß?« Er wartete. Aber der Bildschirm erhellte sich nicht. Da versuchte er es noch einmal: »Raaan, so höre mich doch! Ich habe alles getan, was ihr von mir verlangt habt. Nun haltet euer Versprechen! In wenigen Monaten wird der Versuch mit den Pflanzen wiederholt. Er wird sicher gelingen. Aber ich habe keinen Einfluß mehr darauf, doch Holm und Ferguson, die beiden gefährlichsten Männer, handeln nach unserem Willen. Hörst du mich, Raaan? So antworte!« Schon während der letzten Worte hatte der Bildschirm zu flackern begonnen. Und dann erschien das Gesicht eines Plünderers darauf. Es konnte Raaan sein, den Jerry nur einmal gesehen hatte. »Wir haben dich vernommen, Idaner!« kam die Stimme aus dem Lautsprecher – kalt und unpersönlich. »Du trägst keine Schuld. Aus diesem Grund allein halten wir unser Versprechen und geben dir das Schiff mitsamt Piloten und der Frau zurück. Es befindet sich bereits auf dem Flug und wird morgen in eine Kreisbahn um den Planeten Erde gelegt. Dort kannst du es holen. Wir selbst aber werden eine neue Heimat zu finden wissen, denn du könntest uns die Streitmacht des Imperiums auf den Hals hetzen. Ich glaube, wir hören noch voneinander, Idaner.« Es entstand eine kurze Pause, dann schloß der Plünderer: »Der ewige Friede und das wunschlose Glücklichsein sind die einzige Garantie für den Bestand der Zivilisation!« Dann erlosch der Bildschirm, und der Lautsprecher schwieg. Jerry Smith atmete auf und sank erschöpft in den nächstbesten Sessel. Die Erde war gerettet – und Rita mit ihr.
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Holm war ehrlich erstaunt, als Jerry am nächsten Tage seine Bitte vortrug. »Eine Zubringerrakete wollen Sie? Ja, um Gottes willen! Was wollen Sie denn damit anfangen? Etwa zum Imperium fliegen?« »Nein, das nicht direkt. Ich erhielt gestern Nachricht, daß sich mein Kurierkreuzer, der mich abholen sollte und der von den Plünderern gekapert wurde, in einer Umlaufbahn befindet. Ich werde also dort umsteigen und zur Union zurückfliegen. Sie selbst werden natürlich ein weiteres Schiff nach Zeta Herkuli entsenden, um einen zweiten Versuch zur Wiedereinführung der Wechselfarbe unternehmen.« Holm nickte und verbarg sein Lächeln hinter der Hand. Er hatte verstanden. »Ich werde Ferguson unterrichten, wenn Sie ihn nicht selbst auf dem Startfeld finden. Die Rakete steht natürlich zu Ihrer Verfügung, und ich wünsche Ihnen eine gute Heimreise. Hoffentlich sehen wir uns noch einmal …?« »Davon bin ich überzeugt«, versprach Jerry. »Sie werden sicher einmal zur Union kommen, um den Kaiser zu begrüßen. Wenn nicht, statte ich der Erde mit Rita einen Besuch ab. Jetzt darf ich mich verabschieden. Ich wünsche Ihnen alles Gute.« »Alles Gute!« erwiderte Holm den Wunsch und unterdrückte mit aller Macht das Verlangen, Jerry in die Arme zu schließen oder ihm zumindest die Hand zu drücken. Wie formlos war doch der Abschied von einem Mann, der zweimal die Erde gerettet hatte. Das zweite Mal sogar trotz der Gefahr, seine Geliebte zu verlieren. Aber irgendwo im Universum konnten die Plünderer vor ihren Geräten sitzen und lauschen. Ein Wort würde alles verderben. Denn noch war der Abwehrkampf nicht abgeschlossen. Jerry Smith nickte Holm noch einmal zu, sah ihm tief und bewegt in die Augen, dann drehte er sich um und verließ den 119
Raum durch den zusammensackenden Energieschirm. Er begab sich mit dem Flugtaxi zum Startfeld in Terraport und konnte feststellen, daß Präsident Holm alles vorbereitet hatte. Eine der schnellen Mondraks stand startfertig und wartete auf den Passagier. Ferguson lief ihm rein zufällig über den Weg. »Nanu?« wunderte er sich. »Sie wollen uns verlassen?« Jerry nickte und dachte an das Serum der Plünderer. »Mich rufen neue Aufgaben. Sie kennen ja die ihre!« Er betonte seine Worte. »Sie haften mir für die Pflanzen, die demnächst von Zeta Herkuli I gebracht werden.« Ferguson verbiß ein Grinsen. »Ich hafte dafür«, wiederholte er doppeldeutig. Er hatte verstanden. »Dann wünsche ich Ihnen alles Gute!« Auch hier der nichtssagende und allgemein übliche Wunsch. »Ebenfalls!« gab Ferguson zurück und hielt seine Hand zurück. Die beiden Männer trennten sich. Und während Jerry eilig die Leiter zur Luftschleuse emporkletterte, wandte sich Ferguson um und schritt mit kurzen, abgehackten Bewegungen zu den Verwaltungsgebäuden, wo der SSD eigene Büros besaß. Er machte tatsächlich den Eindruck eines Hypnotisierten. Jerry warf sich auf den Andrucksitz und wartete, bis der Pilot seinen Platz eingenommen hatte. »Konnten Sie bereits die Flugbahn der anderen Rakete bestimmen?« erkundigte sich Jerry. »Oder ist sie noch nicht aufgetaucht?« Der Pilot wandte kaum den Kopf. »Seit drei Stunden umkreist ein nicht gemeldetes Objekt unsere Erde in großer Höhe. Unsere Schirme lassen die erwartete Rakete vermuten. Wir werden in die berechnete Höhe steigen und dann sehen, ob es Ihr Schiff ist.« Damit schien der Fall für ihn erledigt. 120
Der Start erfolgte Sekunden später und preßte Jerry tief in die Polster. Diese winzigen Raketen besaßen keinerlei Gravitationsgegenmittel und arbeiteten nach den uralten Prinzipien. Sie dienten zum Direktverkehr zwischen Erde und Mond. Dann folgte der schwerelose Flug, als die gewünschte Höhe erreicht war. Kurze Feuerstöße brachten das Fahrzeug auf den richtigen Kurs. Vereinzelte Meßsatelliten aus alten Tagen tauchten auf und verschwanden wieder. Dann Teile einer explodierten Rakete, die noch aus der Pionierzeit stammen mußte und bis in alle Ewigkeit die Erde umkreisen würde. Und dann tauchte vor ihnen das Kurierschiff der Union auf. Die Plünderer hatten ihr Versprechen gehalten! Das Anpassen der Geschwindigkeit war eine Kleinigkeit. Fünf Minuten später verließ Jerry die Zubringerrakete und öffnete die Luftschleuse des Unionkreuzers, der immerhin die doppelte Länge der Mondrak besaß. Der Kheri saß gefesselt auf einem Passagiersitz, von wo aus er die Kontrollen nicht erreichen konnte. Die Plünderer wollten so verhindern, daß sie verfolgt und beschossen wurden. Jerry zerschnitt die Fesseln mit seinem Messer. »Wo ist Rita?« keuchte er. Der Kheri rieb sich die geschwollenen Krallengelenke. Dann zeigte er auf den Magnetschlüssel, der eingeklemmt zwischen Instrumenten vor dem Herumschweben geschützt war. »In der Kabine eingeschlossen. Sie ist gut behandelt worden.« Jerry riß den Schlüssel an sich, eilte zu der Kabine und öffnete das Schloß. Rita starrte ihm mit blassem Gesicht entgegen und verlor das Bewußtsein, als sie ihn erkannte. Er fing sie auf, legte sie auf das Bett und kehrte dann zur Luftschleuse zurück. Der Pilot der Mondrakete wartete, ohne die geringste Spur von Neugierde zu zeigen. Vielleicht hielt er Jerry für einen halbverrückten Millionär der Mars- oder Ve121
nuskolonisten. »Sie können zurückkehren«, eröffnete Jerry ihm. Der Pilot nickte und machte sich an seinen Kontrollen zu schaffen. Kaum war Jerry in seinem Kreuzer, als sich drüben auch schon die winzige Schleuse schloß und der silbern schimmernde Leib der Rakete sich von der eigenen Hülle löste. Flammen schlugen aus dem Bug und verringerten die Geschwindigkeit. Sie blieb zurück und fiel dann, immer schneller werdend, der langsam rotierenden Erde zu. Bald war sie Jerry’s Blicken entschwunden. Er eilte in die Zentrale. »Sofort Fahrt aufnehmen. Melden Sie der Union unsere endgültige Rückkehr und geben Sie einen ausführlichen Bericht. Man soll uns eine Kampfflotte entgegensenden. Treffpunkt: jene Stelle im Raum, an der uns die Plünderer einfingen. Geben Sie die Koordinaten bekannt. Vielleicht erwischen wir sie noch!« Der Kheri nickte, und seine langen Fühler schwankten heftig nach allen Richtungen. Dann begann er mit seinen Vorbereitungen mit dem Start. Als erstes schaltete er die künstliche Schwerkraft ein, ohne die eine irrsinnige Beschleunigung undenkbar blieb. Jerry begab sich in die Kabine. Rita erwachte gerade und betrachtete ihn, als sei er ein Traumbild. Er setzte sich auf ihr Bett. »Du mußt jetzt ganz ruhig sein, Liebes, das Schlimmste ist vorbei. Du bist wieder frei, und ich bin bei dir. Hat man dich gut behandelt?« Sie nickte. In ihre Augen trat ein frohes Leuchten, und ein glückliches Lächeln überzog ihr Gesicht. Er beugte sich zu ihr hinab und küßte sie. »Wir sind unterwegs zur Union. Einmal dort, droht uns keine Gefahr mehr. Die Erde ist gerettet – wenigstens vorerst.« 122
»Vorerst?« hauchte sie. »Ich erkläre dir alles später. Jetzt mußt du schlafen.« Sie lächelte immer noch, als der Kreuzer bereits mit Überlichtgeschwindigkeit in die Unendlichkeit hineinraste und sie längst eingeschlafen war. Jerry selbst kehrte in die Zentrale zurück. Er kam gerade noch zurecht, um die Antwort der Union zu hören. Die Kampfflotte war bereits unterwegs. In zwei Wochen würden sie sich im Raum begegnen. Als der Kheri die Geschwindigkeit herabsetzte, verrieten die Suchinstrumente erste Anzeichen sich nähernder Materie. Das konnte nur die erwartete Kampfflotte der Union sein! Trotzdem verhielt sich der Kheri ruhig, bis die eintreffenden Funk- und Bildsignale diese Vermutung bekräftigten. Denn genauso gut hätte es sich um eine Nachhut der Plünderer handeln können, falls diese tatsächlich ihren augenblicklichen Heimatplaneten verlassen wollten. Die sieben Kampfkreuzer umschlossen schützend das Kurierschiff. Der Kommandant, einer der wenigen übriggebliebenen Grosner, bat Jerry, zu ihm aufs Schiff zu kommen, um Bericht zu erstatten und die weiteren Maßnahmen zu besprechen. Zu diesem Zweck sollte der Kheri das Kurierschiff längsseits bringen, damit eine Schleusenverbindung hergestellt werden konnte, um das Benutzen der Raumanzüge zu vermeiden. Zehn Minuten später verabschiedete sich Jerry von Rita. Er zog sie in seine Arme. »Du stehst vor der ersten Begegnung mit außerirdischen Intelligenzen, Rita, so wie sie wirklich sind. Erschrick nicht, denn damit würdest du nur die Unreife der Menschheit bezeugen. Der Kommandant, zu dem ich mich jetzt begebe, ähnelt einer gigantischen Wespe von der Größe eines ausgewachsenen Mannes. Dabei gibt es kaum ein friedlicheres Wesen als 123
gerade diese Wespe, obwohl man das kaum vermuten sollte, wenn man an die gleichen irdischen Insekten denkt. Sollte also jemand von der Besatzung der Kriegsschiffe während meiner Abwesenheit an Bord kommen, nimm dich zusammen. Es wird sehr viel davon abhängen, welchen Eindruck du hinterläßt. Und vergiß niemals: Du vertrittst die gesamte menschliche Rasse und Zivilisation.« Er küßte sie und verschwand in Richtung der Luftschleuse. Als er die Zentrale des Flaggschiffs betrat, hatte er sich derart verändert, daß auch Rita ihn nicht mehr wiedererkannt hätte. Die Wespe stand aufrecht auf ihren beiden Hinterbeinen. Der obere rechte Arm streckte sich dem Besucher entgegen. »Ich bin erfreut, Idan-Kor, dich begrüßen zu können. Dein Ruf als galaktischer Beobachter ist bis in die entferntesten Welten gedrungen. Doch ich hörte, du willst dich zur Ruhe setzen?« Der buntgefiederte Vogel senkte den schlanken Kopf, damit die Riesenwespe ihre verkümmerten Saugnäpfe begrüßend auf seinen Hals legen konnte. Dann entgegnete der Vogel in einer hellen, fast zwitschernden Stimme in der Universalsprache: »Ich danke dir, Grosner, daß du meinem Ruf gefolgt bist.« »Es war der Befehl der Union«, wehrte die Wespe ab. Idan-Kor gab ein Geräusch von sich, das ein Lachen ausdrückte. »Ich weiß – und danke dir trotzdem. Lange genug habe ich zwischen Menschen gelebt, um mich über den Anblick eines Grosners freuen zu können. Aber halten wir uns nicht mit der Vorrede auf: Ich befand mich auf dem Planeten der Plünderer, gefangen und hilflos. Durch einen Trick entkam ich und wünsche nun nichts sehnlicher, als mich noch einmal mit ihnen zu unterhalten. Wie ist die Bewaffnung der sieben Schiffe?« »Ultimate Waffen!« entgegnete der Grosner kurz. »Das genügt. Zumindest werden sie es nicht wagen, uns offen anzugreifen, wenn wir nur als Unterhändler kommen. Die 124
Wirklichkeit über die Plünderer nämlich ist: Sie bereuen ihren kriegerischen Überfall auf eine Mitgliedrasse der Union und halten sich nur aus Angst vor der Vergeltung versteckt. Da ihre Regierung aus Philosophen besteht, ist die Weltanschauung für sie das Wichtigste. Und sie haben eine recht merkwürdige Weltanschauung.« Idan-Kor schwieg einen Augenblick und stellte befriedigt fest, daß sich die gesamte Flotte bereits in Richtung auf das befohlene Ziel in Bewegung gesetzt hatte. Der Kurierkreuzer war durch Magnetkraftfelder unlösbar mit dem Flaggschiff verbunden. »Seit jenem Überfall jeder Gewaltanwendung abhold, halten sie den Frieden und das geruhsame, wunschlose Dasein in vollkommenem Glück für jede Rasse erforderlich, die nicht untergehen will. Streben und Hast, so sagen sie, sind schädlich und verderblich. Um nun diesen ihren Standpunkt vor sich selbst zu beweisen, stellen sie Experimente an – wenigstens nennen sie es so. Sie schenken fremden Rassen diesen Frieden, drängen ihnen ihre eigene Anschauung auf, gegen den Willen der Betroffenen. Eins ihrer Gesetze jedoch besagt, daß es keinen Raub geben darf, solange der Besitzer sich zur Wehr setzt. Also töten sie ihn mit Hilfe ihres Friedens, ohne gegen irgendein Gesetz der Ethik zu verstoßen. Du siehst, Grosner, so kann man ihre Sucht, fremde Welten beglücken zu wollen, auch auslegen.« Der Grosner hatte atemlos gelauscht. Seine großen Facettenaugen starrten verständnislos auf den fast mannshohen Vogel. »Sie töten durch den Frieden?« hauchte er schließlich. Idan-Kor nickte. »Das ist ihre Methode. Indem sie unterentwickelten Rassen den Fortschritt bringen, vernichten sie diese, weil sie nicht reif genug dazu sind, diesen Fortschritt zu ertragen und zu begreifen. Eigentlich kein strafbares Delikt in unserem Sinn. Deshalb möchte ich mit ihnen verhandeln. Ihr böser Wille ist nicht 125
nachweisbar, man kann ihn nur annehmen.« »Was versprichst du dir davon?« »Daß sie zwar weiterhin an ihrem Glauben festhalten, aber nicht mehr versuchen werden, ihn auch zu beweisen. Es sind nichts anderes als Minderwertigkeitskomplexe, die sie dazu treiben. Sie glauben sich selbst nicht, das ist die Lösung. Aber sie werden auch nicht klug genug sein, ein zweites Mal ihre Weltanschauung zu wechseln.« Er seufzte und fuhr nach kleiner Pause fort: »Das ist das Schwierigste an diesem Problem. Ihre Weltanschauung erweckt den Eindruck der Wahrhaftigkeit und scheint richtig zu sein. Wie schön hört sich das an: Der ewige Friede nur schenkt ewiges Glück! Nur der ewige Friede bedeutet Fortschritt! Auch wir sagen das, wenn wir es auch vielleicht anders meinen. Unsere Arbeit gilt ebenfalls dem Frieden, aber wir vergessen dabei nicht, daß dieser Friede immer neu erkämpft werden muß und daß Kampf auch notwendig ist, um ihn zu erhalten. Und dieser ständige Kampf um den Frieden ist es, der unsere Entwicklung vorantreibt. Die Plünderer brachten anderen Rassen Frieden, Glück und Wohlstand – und doch gingen diese so bedachten Rassen alle kurz über lang zugrunde. Warum? Weil nur der Gedanke, kämpfen und weiterstreben zu müssen, eine Welt am Leben erhält. Wenn eine Zivilisation glaubt, den Höhepunkt erreicht zu haben, verliert sie die Fähigkeit einer Weiterentwicklung und geht zugrunde. Sie muß zugrunde gehen, weil das Bewußtsein des ewigen Friedens sie sorglos macht, weil das erreichte Glück, die gefundene Wunschlosigkeit das Zurücksinken in das süße Nichtstun jede Zivilisation verfaulen läßt. In diesem Sinn ist der sichere Friede verderblich. Das alles klingt vielleicht paradox, aber schließlich bezieht sich der Begriff des Friedens nicht allein auf den Zustand, der den Fortfall des Krieges kennzeichnet. Die Plünderer halten 126
das geruhsame Dasein eines Faulenzers für Frieden, das Aufhören aller Wünsche für Glück. Sie selbst erstreben diesen Zustand, erreichen ihn aber nie, weil sie stets auf der Flucht sein müssen. Und das ist es, was sie niemals ruhen läßt und ihnen die Fähigkeit gibt, weiterzuleben. Dieser Friede, diese Sorglosigkeit und dieses Glück, das die Plünderer ahnungslosen Völkern aufzwingen wollen, mögen verlockend erscheinen. Vielleicht steckt auch ein guter Wille hinter den Versuchen der Plünderer – wir wissen es nicht. Sicher aber ist, daß sie bisher jeden zugrunde richteten, der ihren Frieden annahm und das Geschenk ihres Glücks nicht zurückwies. Ein solcher Friede nämlich ist der Friede des Todes! Wir müssen versuchen, die Plünderer zu bewegen, ihre Anstrengungen, fremde Rassen mit ihren Ideen zu beglücken, aufzugeben.« Erschöpft schwieg Idan-Kor. Die Wespe spielte mit ihren Fühlern. »Ich habe wenig Hoffnung«, seufzte sie und betrachtete versonnen die bunten Lämpchen der Armaturen. Farbe konnte von den meisten Intelligenzen unterschieden werden, daher hatte man auf Beschriftungen verzichtet. Jede Farbe hatte ihre Bedeutung. Idan-Kor schien etwas sagen zu wollen, besann sich dann aber eines Besseren. Der Grosner hatte es bemerkt. »Bedrückt dich noch etwas?« erkundigte er sich teilnahmsvoll. »Wie lange werden wir benötigen, um die angegebenen Raumkoordinaten zu erreichen?« Der Grosner zögerte keine Sekunde. »Genau ein halbes Zeitmaß«, gab er Auskunft. Der Vogel atmete sichtlich auf. »Dann gestatte, daß ich mich auf mein eigenes Schiff zurückziehe. Du wirst wissen, daß sich dort meine Frau befindet, die den Rest des Lebens mit mir teilen will. Eine Frau von 127
irgendeiner Welt ist immer die Endstation jedes Beobachters.« Der Grosner beugte sich vor. »Wie sieht sie aus?« fragte er interessiert. »Genau wie die Plünderer, fast gibt es keinen Unterschied zwischen den Bewohnern von Terra und den Plünderern. Man könnte fast meinen, sie wären ein und demselben Stamm entsprungen.« Die Wespe war zurückgefahren. »Und so ein Wesen hast du dir als Frau erkoren? Alle Geister des Kosmos – hat ihr Anblick dich nicht erschreckt?« Idan-Kor gab ein perlendes Lachen von sich. »Erschrecken? Ich habe mehr als zehn Jahre ihre Gestalt besessen. Du weißt, daß ich jede beliebige Form annehmen kann.« »Und sie – diese Frau? Kennt sie deine wahre Gestalt?« Ein Schatten verdüsterte Idan-Kors blanke Augen. »Nein, sie kennt mich noch nicht. Wenn ich bei ihr bin, nehme ich die Gestalt eines Menschen an. Anders ist ein Zusammenleben auch kaum möglich. Auf einer unserer Welten werden wir unsere endgültige Heimat finden.« Der Grosner seufzte. »Ich werde ein Leben lang mit meiner jetzigen Gestalt zufrieden sein müssen. Dabei wäre ich recht gerne einmal ein so unempfindliches Wesen wie ein Kheri.« »Im ganzen Universum existiert nur ein einziges Wesen, das seine innere und äußere Struktur beliebig zu ändern vermag – und das sind die Idaner.« Der Vogel sagte es mit unverkennbarem Stolz. Dann nahm er seinen Abschied und kehrte in das kleine Kurierschiff zurück. Als Jerry Smith, der Erdenmensch, schritt er durch die Luftschleuse und betrat die Zentrale. Kheri saß untätig vor den Kontrollen und säuberte seine Panzerschuppen. Dabei blickten seine Insektenaugen Jerry interessiert entgegen. 128
»Nun?« machte der Kheri, den Jerry der Einfachheit halber auch gleich so nannte. Für ihn sahen diese merkwürdigen Zwitter alle gleich aus. »Wir haben noch Zeit, uns auszuruhen. Sobald wir am Zielort anlangen, kannst du mich benachrichtigen. Ich lege mich zur Ruhe.« Der Kheri fächelte verständnisinnig mit den Fühlern und nickte mit dem Kopf. »Ich werde dich benachrichtigen«, bestätigte er. Die Kampfflotte näherte sich dem von Jerry angegebenen Planetensystem mit äußerster Vorsicht. Die Waffen befanden sich im Zustand sofortiger Einsatzbereitschaft, und die Funkempfangsgeräte versuchten, Verbindung mit den Plünderern aufzunehmen. Auch die Sender arbeiteten ununterbrochen und riefen den Feind. Aber sie erhielten keine Antwort. Das noch ferne System schwieg beharrlich. Jerry hatte Rita in der Kabine zurückgelassen und sie gebeten, sie auf keinen Fall zu verlassen. Er selbst begab sich in das Flaggschiff zu dem Kommandanten. Diesmal jedoch machte er sich nicht die Mühe, seine ursprüngliche Vogelform anzunehmen. Im ersten Augenblick erregte er gebührendes Aufsehen, aber dann hatte sich die vielfältige Besatzung des Kreuzers an seinen Anblick gewöhnt. Man sah fast alle Jahre neu auftauchende Intelligenzen, so daß man derartige Begegnungen mit der notwendigen Gelassenheit hinnahm. Gewissermaßen verriet man damit die eigene Reife. Hinzu kam, daß man schließlich über die erstaunlichen Fähigkeiten der Idaner unterrichtet war. »Vielleicht nennst du mich auch gleich bei meinem richtigen Namen, Grosner«, empfahl Jerry. »Ich heiße Jerry Smith.« »Komischer Name«, meinte der Grosner, ehe er auf die Bildschirme zeigte. »Keine Verbindung. Sie melden sich einfach 129
nicht. Entweder wollen sie nicht, oder …« »Oder?« »Oder sie haben den Planeten bereits verlassen!« Jerry schüttelte den Kopf. »In knapp drei Zeitmaßen eine planetarische Evakuierung durchzuführen, halte ich für unmöglich. Das bringen selbst die Plünderer nicht fertig.« »Du vergißt, daß sie bisher niemals etwas anderes getan haben. Die Plünderer sind Sternenwanderer, gewissermaßen Nomaden des Kosmos. Nie halten sie es lange auf der gleichen Welt aus. Praktisch ist der Raum ihre Heimat. Planeten sind nichts anderes als gelegentliche Ruheplätze, die sie jederzeit wieder zu verlassen imstande sind. Ich habe es geahnt, daß wir zu spät kommen.« Jerry machte einen niedergeschlagenen Eindruck. »Daran habe ich nicht gedacht. Aber wir müssen Gewißheit haben. Es bleibt keine andere Wahl, als den Planeten des fraglichen Systems aufzusuchen und auf ihm zu landen. Vielleicht finden wir einen Hinweis.« »Welchen Hinweis?« »Einen Hinweis, in welche Richtung sie sich gewandt haben. Es ist doch möglich, daß Sternenkarten Aufschluß geben …« »Die Plünderer werden nicht so unvorsichtig gewesen sein, uns einen Wegweiser zurückzulassen. Trotzdem bin auch ich für die gründliche Untersuchung, wenn wir schon einmal eine Zwischenheimat der Plünderer gefunden haben.« Der Grosner gab der kleinen Flotte den Befehl, den vierten Planeten des vor ihr liegenden Sonnensystems anzufliegen. Äußerste Kampfbereitschaft wurde dabei von ihm empfohlen. Aber diese Mühe blieb umsonst. Tot und leer umkreiste der vierte Planet seine Sonne. Keinerlei Anzeichen wiesen darauf hin, daß hier noch vor kurzer Zeit eine hochentwickelte Rasse ihr Hauptquartier besessen hatte. Die kahlen Felsen verrieten eine beachtliche Atmosphäre, hier 130
und da zeigten sich kleine Seen. Die Berge waren abgerundet und hatten nichts mit den Nadelspitzen atmosphäreloser Welten gemeinsam. Verzweifelt begann Jerry die Stelle zu suchen, auf der das Hauptgebäude der Plünderer gestanden hatte. Eine halbrunde Kuppel aus dünnem Metall war es gewesen, wie aus dem nackten Fels eines Hochplateaus gewachsen. Sie fanden im niedrigen Umkreisungsflug das von Jerry bezeichnete Plateau. Aber die schimmernde Metallkuppel war verschwunden. Nur verbrannte Erde zeugte davon, daß hier ein Sternenschiff direkt mit dem Lichtantrieb gestartet war. Sonst nichts. Vom Startplatz der ganzen Plündererflotte keine Spur. Wahrscheinlich hatte sich der Großteil der Rasse in den Schiffen aufgehalten, die unter Umständen den Planeten in einer Kreisbahn umlagerten. So konnte die ständige Bereitschaft erklärt werden, in der sich die Plünderer befanden, und mit deren Hilfe sie innerhalb weniger Zeitmaße ihren Standort zu wechseln vermochten. Mehrere Male wurde der Planet umflogen. Dann gab der Kommandant der Kampfflotte es auf. Er stellte die Verbindung zur Union her und sprach mit dem Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Jerry stand hinter dem Grosner, als die Unterhaltung stattfand. »Wir haben den Zielplaneten erreicht. Die Plünderer haben ihre Welt erneut verlassen, und wir finden keine Spur von ihnen. Sie sind in den unendlichen Weiten des Kosmos verschwunden und bleiben weiterhin eine Bedrohung für die intelligenten Rassen, die noch nicht der Union angehören.« »Leider auch für diese Union!« belehrte ihn der Oberbefehlshaber ernst. »Die Plünderer nehmen keine Rücksicht darauf, ob ihre Opfer der Union angehören oder nicht. Lassen Sie ein Schiff auf dem Planeten landen und genaue Untersuchungen 131
anstellen. Kehren Sie erst dann zurück, wenn Sie positiv melden können, daß Sie keinerlei Spuren festgestellt haben. Ich gebe Ihnen ein halbes Zeitmaß.« Ungefähr drei Tage meiner neuen Zeitrechnung, dachte Jerry und verbiß seinen Ärger über die neue Verzögerung. Aber er sah die Richtigkeit der Maßnahme ein. Nur einmal in vielen Jahrhunderten gaben die Plünderer ihren Gegnern die Möglichkeit, so dicht bei der ewigen Verfolgung aufzurücken. Aber auch das hinzugefügte halbe Zeitmaß half nichts. Die Plünderer waren wie aus der Ebene der Existenz hinweggefegt. Das einzige, was von ihrem kürzlichen Hiersein zeugte, war der schwarz verbrannte Kreis. Er strahlte leicht radioaktiv. Resigniert gaben sie die Nachforschungen endlich auf. Der Oberbefehlshaber der Unions-Streitkräfte befahl die Rückkehr zum Zentralplaneten. Der Kaiser hatte das Rücktrittsgesuch des galaktischen Beobachters Idan-Kor genehmigt. Die Erde war inzwischen in die interstellare Gemeinschaft aufgenommen worden. Botschafter wurden ausgetauscht. Ein weiteres Kapitel der galaktischen Geschichte schien damit abgeschlossen.
5. Und doch gab es einen Epilog. Mehrere Dinge geschahen gleichzeitig, wenn sie auch verschieden lange benötigten, um in ihrer vollen Tragweite wirksam zu werden. Es mag schwer sein, die richtige Reihenfolge bei der Schilderung dieser Ereignisse beizubehalten, aber bei objektiver Betrachtung spielt sie eigentlich keine wichtige Rolle. Wenn spätere Generationen der galaktischen Union, zu denen auch die restlichen Nachkommen der heutigen Mensch132
heit zählen werden, die Geschichtsaufzeichnungen studieren, haben sie einen so großen Abstand von den wirklichen Geschehnissen, daß Zeitunterschiede von einem oder zehn Erdenjahren nicht mehr ins Gewicht fallen. Ferguson hatte manchmal das Gefühl, Schauspieler geworden zu sein. Ständig – so wußte er – stand er unter der unheimlichen Beobachtung der unbekannten Plünderer. Obwohl zwischen ihm und Jerry Smith nicht ein einziges Wort des Informationsaustauschs gefallen war, hatten die beiden Männer sich ausgezeichnet verstanden. Also blieb Ferguson weiterhin unter dem Einfluß der injizierten Hypnose – wenn auch nur zum Schein. Er wiederholte seine natürlich nutzlosen Anordnungen, die Produktion der Wechselfarbe wieder aufzunehmen. Beruhigend für ihn blieb, daß auf der Erde dank der heimlich durchgeführten Vergiftungsaktion keine einzige Pflanze von Zeta Herkuli mehr existierte und daher seine Befehle nicht durchgeführt werden konnten. Aber die Plünderer mußten, vorausgesetzt, sie beobachteten die Vorgänge auf der Erde, zu der Überzeugung gelangen, daß Ferguson und der Solare Sicherheitsdienst keine andere Sorge kannten, als den Menschen das berauschende Glücksgefühl zurückzugeben, das jene farbige Wunschwelt ihnen vermittelte. Selbst dann, wenn diese gleichen Menschen in einigen Jahrzehnten weder lesen noch schreiben konnten, da sie keine Farbunterschiede mehr registrierten. Der Fall des Präsidenten Holm hatte bewiesen, daß eine Heilung möglich sein konnte, wenn man das Opfer früh genug dem Einfluß der Gewöhnung entriß. Aber nur die radikale Ausrottung des Farbstoffs hatte das ermöglicht. Eine radikale Ausrottung, die sowohl vor den Menschen, wie auch vor den Plünderern heimlich zu erfolgen hatte. Eine Erleichterung bedeutete das Eintreffen des galaktischen Botschafters. 133
Ferguson und Holm hatten die Kontaktaufnahme mit außerirdischen Intelligenzen in allen Einzelheiten bei der Erdbevölkerung vorbereitet. Nicht ohne Grund hatte die Union ihnen dazu Zeit gelassen. Es begann mit Propagandafeldzügen, die ein mögliches Vorhandensein außerirdischer Wesen betonte. Dann kam der Bericht, der eine erste Begegnung schilderte. Die Menschheit geriet in Aufruhr und vergaß für Tage das plötzliche Ausbleiben jeglicher Farblieferung. Nach und nach ließ Fergusons Agentendienst Nachrichten über den weiteren Kontakt zu außerirdischen Rassen durchsickern, und schließlich wurde das Bestehen einer galaktischen Rassengemeinschaft bekanntgegeben. Ungeheuer erleichternd wirkte bei dieser Arbeit die Tatsache, daß es auf der Erde seit Bildung der Weltregierung nach dem ersten und letzten Atomkrieg keinerlei Rassentrennung mehr gab. Das Bewußtsein des Menschen, eine planetarische Einheit zu bilden, machte die Vorstellung leichter, später einmal als diese Einheit einer galaktischen Rassenmischung anzugehören. Und dann kam der größte Tag der menschlichen Geschichte: Das Raumschiff einer anderen Welt landete. Die Regierung hatte zuvor Bildberichte über das Aussehen verschiedener Rassen der Union verbreitet, um einen Schock zu verhindern, der beim ersten Augenblick des Botschafters unvermeidlich ausgelöst worden wäre. So verharrte die Menge in Schweigen, als das mit schimmernden Panzerplatten bedeckte Insekt, ein Kheri, die Luke öffnete und sich zeigte. Erst als das merkwürdige Wesen sehr klar und deutlich in der Universalsprache die Menschen begrüßte, brach ein Begeisterungssturm los, wie er noch nie zuvor auf der Erde gehört worden war. Damit war der Bann gebrochen. Präsident Holm begrüßte seinen Gast und geleitete ihn in das 134
neu eingerichtete Amtsgebäude der galaktischen Botschaft. Und dann erfuhr die Menschheit, in welcher Gefahr sie geschwebt hatte. Die volle Wahrheit über die Wunderfarbe wurde bekanntgegeben und die geschickte Rettung durch Holm, Ferguson und den Bürger Smith gefeiert. Letzte Reste der Wechselfarbe verschwanden über Nacht, von den heimlichen Besitzern vernichtet. Der ehemalige Raumschiffskommandant John Russell wurde auf die andere Seite der Milchstraße gesandt, als Botschafter der Erde in der Union. Ein Kurierkreuzer holte ihn ab. Ferguson und Holm konnten aufatmen und ihre Rolle als hypnotisierte Versuchskaninchen aufgeben. Die Plünderer hatten ihren Planeten verlassen. Irgendwo in den unbekannten Tiefen des Alls mochten sie lauern und eine neue Schandtat aushecken. Aber diesmal war die Menschheit vorbereitet. Diesmal würde es den Philosophen des unheilvollen Friedens nicht gelingen, ihre wahnsinnige Theorie zu beweisen. Einige Wochen zuvor war die HELOS zum drittenmal gestartet, um nach Zeta Herkuli zu eilen. Da die letzte Ladung verdorben war, mußte so schnell wie möglich Ersatz herbeigeschafft werden. Gulbrandsen, der neue Kommandant, lebte natürlich in der Auffassung, daß von seiner Mission das Glück oder Unglück der gesamten Menschheit abhing. Ferguson hatte sich gehütet, auch nur ein Wörtchen darüber verlauten zu lassen, wie sinnlos dieser Flug von Beginn an sein würde. Wenn die HELOS zurückkehrte, würden die mitgebrachten Pflanzen sehr schnell – wie damals – an einer unbekannten Seuche eingehen. Das alles jedoch wußte Gulbrandsen nicht. Er steuerte die HELOS durch den Weltraum und atmete auf, als Zeta Herkuli sichtbar und zu einer deutlichen Scheibe wurde. Der einzige Planet wurde aufgefunden, und man lande135
te. Gulbrandsen selbst entschloß sich, die Landeabteilung zu leiten. Der Gleiter wurde bemannt und die Expedition begann. Die Bildschirme der HELOS hatten nicht getrogen. Das Unglaubliche war geschehen. Gulbrandsen vermochte es nicht zu fassen, obwohl er sich mit seinen eigenen Augen davon überzeugen konnte: auf Zeta Herkuli I gab es nicht mehr eine einzige der farbenprächtigen Wunderpflanzen, die zur Herstellung der glücklich machenden Wechselfarbe unerläßlich waren. Sie waren einfach verschwunden, als seien sie niemals zuvor dagewesen. Lediglich einige verdorrte Stengel konnten als Beweis dafür dienen, daß man die Angelegenheit mit der Farbe nicht einfach geträumt hatte. Eine unbekannte Ursache hatte herba zetae restlos vernichtet. Das einzige Mittel zur Fabrikation der Farbe existierte nicht mehr. Gulbrandsen, der genau wußte, was von dem Gelingen seiner Mission abhing, ließ die gesamte Oberfläche des Planeten Zeta Herkuli I absuchen und benötigte für diese Aufgabe mehr als zwei Monate. Das Ergebnis war erschütternd. Keine Pflanze wurde gefunden. Da gab er es auf. Resigniert und von bösen Ahnungen erfüllt, trat er die Rückreise an. Die Laderäume der HELOS blieben leer. Ohne besondere Vorkommnisse erreichte er sein Ziel und landete. Schon bei der Annäherung fing man erste Funknachrichten auf und glaubte, seinen Ohren nicht zu trauen. Galaktische Union …? Die Wechselfarbe war von Holm und Ferguson selbst ausgerottet und die Plantagen vernichtet worden …? Eine abgeschlagene Invasion …? 136
Gulbrandsen schöpfte neue Hoffnung, und er war kaum noch überrascht, als ein Trupp weißgekleideter Techniker auf die gelandete HELOS zukam, um die mitgebrachte Ladung unschädlich zu machen. Die Mitteilung, daß es auf Zeta Herkuli I keine Wunderpflanze mehr gäbe, bereitete ihm nun sogar ein ausgesprochenes Vergnügen. Und der herbeigeeilte Ferguson nahm die seltsamste Meldung seines Lebens entgegen. Gulbrandsen sagte nämlich: »Expedition erfolgreich beendet! Nichts gefunden!« Ein drittes Ereignis zur fast gleichen Zeit war zwar kaum noch als wichtig zu bezeichnen, sollte aber nicht unerwähnt bleiben. Ferguson und Holm waren durch den galaktischen Botschafter in dessen Amtsgebäude gebeten worden, um einer Direktsendung vom Imperium beizuwohnen. Der Kheri lächelte, als sie die Nachrichtenzentrale betraten. »Eine freudige Überraschung für Sie, meine Herren. Alte Freunde von Ihnen möchten Ihnen einen Gruß senden. Der Kaiser bewilligte ihnen fünf Minuten private Sendezeit.« Holm und Ferguson setzten sich und starrten erwartungsvoll auf den Bildschirm. Sie waren kaum Überrascht, als dort das frische und jugendliche Gesicht von Rita erschien. Sie mußte auch sie erkannt haben, denn sie sagte mit freundlichem Lächeln: »Hallo, Holm! Wie geht es Ihnen, Ferguson? Wir wollten Ihnen nur Guten Tag sagen, wie es sich für Freunde gehört. Jerry und ich leben auf dem zweiten Planeten einer wundervollen Doppelsonne, dem Paradies der pensionierten Staatsbeamten der Union. Wir haben ein Haus, ein Stück Meeresstrand und riesige Wälder …« Ferguson unterbrach sie einfach. »Wo ist Jerry denn? Ich muß ihn etwas fragen. Und fünf 137
Minuten sind sehr wenig für eine ausgiebige Unterhaltung.« »Wir werden Sie in einigen Jahren besuchen«, versprach Rita. »Jerry, die Herren möchten dich sprechen.« Rita trat beiseite, die Kamera fuhr scheinbar ein wenig zurück, und die Frau geriet wieder in das Blickfeld der beiden Männer. Zugleich aber auch der große, buntgefiederte Vogel. Mit seinen klugen Augen schaute er Holm und Ferguson an. Fast war so etwas wie gespannte Erwartung in ihnen zu lesen. Holm betrachtete fassungslos das merkwürdige Wesen. »Was soll das, Rita? Wo ist Jerry Smith? Sie können uns Ihre Haustiere später vorführen.« Die Konturen des Vogels verschwammen urplötzlich, und dann stand Jerry vor Holm und Ferguson. »Ich wollte Ihnen nur meine wahre Form einmal zeigen«, eröffnete er ihnen mit einer Ruhe, die fast aufregend wirkte. »Jetzt dürften Sie ja wohl reif genug dazu sein. Rita hat sich schon lange daran gewöhnt, daß ich ab und zu ausgedehnte Flüge über das Meer unternehme. Sie wollten mich etwas fragen, Ferguson?« Der Boß des Sicherheitsdiensts schnaufte: »Überflüssig geworden. Ich wollte mich nur danach erkundigen, wie Sie in Wirklichkeit aussehen. Ich weiß es jetzt. Ehrlich gesagt, ich hatte es mir unheimlicher vorgestellt.« Jerry grinste. »Jetzt mimen Sie bereits den Verwöhnten, nachdem Sie kaum einige Wochen davon Kenntnis haben, daß es außer Ihnen noch andere Lebewesen im Kosmos gibt. Doch unsere Zeit geht zu Ende. Sie werden von mir hören. In wenigen Jahren besuchen wir die Erde. Und noch eins: Rita und ich, wir sind sehr glücklich!« Holm und Ferguson winkten den beiden Menschen zu, die mehr als 15000 Lichtjahre entfernt, ihnen doch so nahe schienen, als befänden sie sich im Nebenraum. 138
»Wir freuen uns darauf – und wir werden warten!« Der Schirm erlosch und wurde matt. Der Kheri wartete respektvoll, bis Holm und Ferguson in die Wirklichkeit zurückgefunden hatten. Dann geleitete er sie hinaus. Die Staatsgeschäfte warteten. Holm und Ferguson gingen auf das Flugtaxi zu. »Unser Freund Jerry Smith, zehn Jahre lang normaler und unbekannter Staatsbürger – und doch hat er die Erde gerettet. Ein Vogel der sein Äußeres nach Belieben zu verändern vermag. Wie unendlich vielseitig ist doch die Natur:« Holm sagte es sinnend und kletterte in die Kabine. Ferguson schob seinen massigen Körper etwas langsamer nach. Schwer ließ er sich in die Polster fallen, strich sich über die Glatze und seufzte aus tiefstem Herzensgrund: »Ich wollte, ich könnte mich auch verändern.« Das letzte noch nicht zu diesem Epilog geschilderte Ereignis scheint das unwichtigste zu sein, und doch ist es nichts anderes als der Beginn einer neuen Geschichtsepoche, deren Ausgang wir heute alle kennen. Von uns aus gesehen ist es leicht, die Bedeutung jenes Tages zu erkennen, an dem Fred Miller seine Erfindung der Welt übergab, denn wir wissen, wer ihn dazu befähigte, diese Erfindung überhaupt zu machen. Doch kehren wir wieder in jene Zeit zurück, und erleben wir selbst noch einmal das Ende – oder den Anfang – jener Geschichte mit … Fred Miller ist der ideale Durchschnittsangestellte – wenigstens hat es so den Anschein. Täglich verläßt er morgens um acht Uhr dreißig seine Junggesellenwohnung, um sich in sein Büro zu begeben. Dort nimmt er hinter seinem Tisch Platz, kümmert sich um die Buchführung, gibt dem wartenden Elektronengehirn für einen 139
ganzen Tag zu tun und freut sich im übrigen auf seinen Feierabend. Der ist um fünf Uhr. Dann kehrt er in seine Wohnung zurück – und eigentlich beginnt erst hier seine Außergewöhnlichkeit von der kein Mensch etwas ahnt. Fred Miller ist nämlich heimlich ein Erfinder. Zwar hat er in Wirklichkeit noch nichts Bedeutendes erfunden, aber er ist davon überzeugt, eines Tages die Welt mit seinen genialen Ideen überraschen zu können. Natürlich befaßt er sich nicht mit derart verrückten Dingen wie einem Perpetuum Mobile, sondern er sieht sein Ziel darin, wirklich reale Dinge zu verwirklichen. Zum Beispiel den perfekten Roboter. Es gibt schon heute Roboter, aber sie leiden alle an diversen Kinderkrankheiten. Die einen verrichten nur eine ganz bestimmte Tätigkeit, und das auch nur dann, wenn man sie darauf einstellt und ihnen die nötigen Anweisungen gibt. Dann kann man die gewünschte Arbeit auch genauso gut selbst tun. Die Küchenroboter kochen, aber nur, wenn sie den Befehl dazu erhalten. Ihre Bewegungen sind abgezirkelt und genau vorausberechnet. Nicht einen einzigen Handgriff würden sie selbständig machen, und das kommt nur daher, weil diese Roboter keine eigene Denkfähigkeit besitzen. Fred Miller will einen Roboter konstruieren der selbsttätig denken kann. Er müßte wie ein Mensch aussehen und sich nur durch sein elektronisches Inneres von ihm unterscheiden. Er müßte alle Aufgaben zu lösen imstande sein, denen auch der Mensch gewachsen ist. Ja, er müßte sogar noch mehr können. Stärker als ein Mensch soll er sein, hat sich Miller vorgenommen. Und auf jeden Fall intelligenter! Das Gehirn wäre die Hauptsache. Und während der erste perfekte Roboter fix und fertig im 140
Keller der Wohnung steht, reglos und scheinbar doch so lebendig, noch vollkommen nackt in seiner rosafarbenen Plastikhülle, bereitet Fred Miller oben in seinem Arbeitszimmer das Gehirn vor. Er hatte viele Jahre Elektronik studiert, abends, nach seinen normalen Arbeitsstunden. Nur die Tatsache, daß er bereits von Anbeginn seiner Tätigkeit in der jetzigen Firma an Miß Gernot bewunderte und heimlich verehrte, hatte ihn dazu bewogen, nicht offiziell in das technische Fach überzusiedeln. Ja, wenn er eines Tages die Erfindung vervollkommnen und auswerten würde, könnte er den ganzen Saftladen seines Chefs aufkaufen. Dann würde auch Miß Gernot nicht mehr nein sagen, wenn er sie fragte … Vorerst aber ist es noch nicht soweit. Eigentlich ist das Elektronengehirn fertig, wenn man es vom Standpunkt der augenblicklichen Forschung her betrachtet. Aber Fred Miller kann und darf nicht zufrieden sein. Denn das Gehirn, das sein perfekter Roboter erhalten soll, muß denken können. Es soll den Roboter bewegen, jede von den Menschen gewünschte Arbeit zu verrichten, ohne daß man extra dafür eine neue Einstellung oder gar einen Umbau vorzunehmen hatte. Ein Gehirn also, das das menschliche nicht nur ersetzen, sondern sogar noch übertreffen sollte. Das, was bisher fertiggestellt ist, befindet sich in einer verhältnismäßig kleinen Metallbüchse von quadratischer Form. Das Gewirr der einzelnen Röhren und Kondensatoren würde einen Laien verwirren und einen hochqualifizierten Fachmann in Erstaunen versetzen oder ihm ein mitleidiges Lächeln abnötigen. Und doch arbeitet dieses Fragment. Nur eins fehlt noch: die Selbständigkeit. Fred Miller hat sehr oft das Gefühl, der Schöpfung ihre Geheimnisse zu stehlen, aber er schiebt alle Bedenken beiseite, 141
wenn er an das Gute denkt, das er der Menschheit zu schenken beabsichtigt. Und wenn er an Miß Gernot denkt. Vielleicht ist es nur eine winzige Schaltung, die noch fehlt. Eine Schaltung, die er nur durch Zufall entdecken kann, denn es gibt Tausende und Abertausende verschiedener Möglichkeiten. Eine von ihnen ist es – muß es sein. Und eines Tages wird er sie finden! Es kann schon heute sein. Mit versonnener Miene betrachtet er die angeschlossene Hauptleitung, die zu der im Roboter befindlichen Atombatterie führt. Daran kann nicht mehr viel geändert werden. Aber drinnen, im Gehirn selbst, gibt es viele Möglichkeiten, die Schaltungen zu verändern. Wie zum Beispiel den Kontakt B17, den er an C84 angeschlossen hat. Man könnte ihn genauso mit V25 zusammenführen, um dann über X80 nach C84 zu gehen. Oder vielleicht … Er lauscht in sich hinein. Ist da nicht eine Stimme, eine lautlose und doch deutliche Stimme, die in monotoner Folge immer die selben Zahlen und Symbole wiederholt? Nein, es ist keine Täuschung. Fred Miller konzentriert sich und hört auf die Inspiration, denn etwas anderes kann es nicht sein. Ganz deutlich vernimmt er: »… an B73 und dann B17 an Hauptleitung. Schließen Sie M7 an B73 und dann B17 an Hauptleitung. Schließen Sie M7 an …« Immer und immer wieder wiederholt sich die mentale Botschaft aus dem Nichts. Fred Miller ist sich darüber klar, daß er zum erstenmal von jenen unbekannten Mächten angesprochen wird, die Genies schaffen und damit den menschlichen Geist zu Taten befähigen, die er aus sich heraus niemals zustande bringen könnte. 142
Noch während die geheimnisvollen Worte verklingen und dann endlich ganz aufhören, stellt er mit zitternden Fingern die angegebenen Kontakte her. Dabei murmeln seine Lippen: »B 17 an die Hauptleitung – das ist heller Wahnsinn! Die gesamte Energie strömt ohne Widerstand zu Komplex 15 – zum selbständigen Handeln. Der Gewaltkomplex wird außer acht gelassen. Ich werde eine neue Sicherung einbauen müssen.« Seine fiebrigen Hände vollenden das Werk. Dann beginnt er zum tausendsten Mal mit dem Einbau. Den winzigen Metallkasten in der Tasche verborgen, schleicht er sich hinab in den Keller und verschließt die Tür. Wie ein Romanheld kommt er sich vor, wie der verbrecherische Wissenschaftler in den Utopien vergangener Jahrhunderte. Heimlich und unbeobachtet geht er seinen Forschungen nach. Es ist ein ungutes Gefühl, das er jedoch zu unterdrücken versteht. Was will er denn? Der Menschheit helfen. Nichts anderes. Vorsichtig verschließt er die Schädelkappe des Roboters, der ihn aus seinen starren, leblosen Augen ansieht. Zögernd bewegt sich seine rechte Hand vor und drückt auf den Knopf, der den Strom des Atomenergiespeichers auslöst. Es geschieht noch nichts. Abwartend ist Fred Miller zurückgetreten und betrachtet sein Werk mit den Blicken eines Vaters. In den Augen der nackten Gestalt wird ein Funkeln sichtbar – das erste Zeichen von Leben. Dann erkennt er: Der Roboter sieht ihn an. Die Lippen bewegen sich. Deutlich kommen die Worte in der Universalsprache: »Ihre Befehle, Herr?« Miller taumelt gegen die Wand. Seine Schöpfung tut genau das, was er seit vielen Jahren von ihr erwartet hat. 143
Der Roboter hat ihm eine vernünftige Frage gestellt, obwohl sein Erinnerungskomplex nur mit dem Durcheinander aller vorhandenen Sprachkombinationen vollgestopft ist. Selbständig hat der komplizierte elektronische Mechanismus gehandelt, nachdem er zuvor überlegte und die Lautvorrichtung in Tätigkeit setzte. Miller überwindet seine freudige Überraschung und nimmt seine ganze Beherrschung zusammen. »Du weißt, wer ich bin?« stellt er die Frage. Wie aus der Pistole geschossen kommt die Antwort: »Sie bestehen aus 68 % Wasser, 20 % Eiweiß, 10 % Mineralsalzen, die sich aus Eisen, Phosphor, Magnesium, Kalzium zusammensetzen, 2 % Fett und …« »Halt!« Miller ruft es voller Entsetzen. Das von ihm geschaffene Monstrum ist gehorsam bis zur letzten Konsequenz. Es schaudert ihn. Aber er stellt eine weitere Frage: »Du bist bereit, unser Helfer zu sein?« »Es ist meine Aufgabe.« »Und – gibt es etwas, was du nicht kannst?« Die Antwort ist kurz und präzis: »Nein!« Fred Miller tritt vor und berührt eine deutlich markierte Stelle auf der Brust des nackten Roboters. Die Lippen bewegen sich nicht mehr. Die Augen starren leblos. Erleichtert atmet Miller auf. Sein Werk läßt sich beherrschen. Damit hat er gesiegt. Das neue Zeitalter der perfekten Automation kann eingeleitet werden … … und es wurde eingeleitet! Die Fabriken schossen aus dem Boden aller Kontinente, und bald war es soweit, daß die Roboter des Typs M I sich selbst zu 144
fabrizieren begannen. Sie wurden die gehorsamen Diener der Menschheit und nahmen ihr die Arbeit ab. Ein einziger dieser Roboter ersetzte eine ganze Dienerschaft, mehrere ersetzten dem Staat den gesamten Beamtenkörper, füllten die Raumflotte restlos auf und kultivierten die bewohnbaren Planeten des Sonnensystems. Das goldene Zeitalter brach an. Niemand hatte es mehr nötig, sich abzuplagen. Die Roboter erledigten das alles ohne Murren. Und wenn sie eine Widerrede wagten, dann nur, um einen Verbesserungsvorschlag zu unterbreiten. Sie irrten sich niemals und waren schließlich sogar ohne Aufsicht und Befehle tätig. Die galaktische Union verfolgte die Entwicklung mit kritischen Augen. Sie sparte nicht mit Warnungen, konnte sich jedoch nicht in die inneren Angelegenheiten der Erde mischen. Die Menschheit war glücklich. Sie hatte keine Wünsche mehr. Und es gab niemanden, der sich noch jener Zeit erinnerte, da eine gewisse Pflanze von einem fernen Planeten die Zivilisation von Terra bedrohte. Wer hätte noch von jener unbekannten Rasse gesprochen, die in den Tiefen des unerforschten Raumes lauerte? Einer merkwürdigen Rasse, deren Vertreter aussahen wie du und ich, wie alle Menschen, und deren Lebensaufgabe es schien, andere glücklich machen zu wollen. Der Name der Plünderer war vergessen. Wie steht noch heute mit ehernen Lettern über dem Portal des Gebäudes der Weltregierung geschrieben? Dies sind die Worte, alt wie die Ewigkeit: »Wunschloses Glück ist ewiger Friede!« Und wie sagte der Kaiser der galaktischen Union? Dies sagte er: »Ewiger Friede bedeutet Glück für alle Rassen. Aber die Gewißheit des ewigen Friedens bedeutet Dekadenz und Unter145
gang!« Sind es Phrasen, die ihre Gültigkeit verlieren? Der Mensch im Zeitalter der Automation kümmerte sich nicht um die Bedeutung der Worte. Er kannte nur den Fortschritt. Und das gefundene Glück. Und er besaß die Gewißheit des ewigen Friedens. Kein Wunder, daß die galaktische Union ein zu großen Hoffnungen berechtigendes Mitglied verlor. Noch heute wird Sol III als eine der erschütterndsten Raritäten des bekannten Universums betrachtet. Eine Zivilisation, die eigentlich nicht mehr existiert, obwohl sie vorhanden ist. Ein Planet der ewig gleichbleibenden Technik, niemals absinkend und niemals voranstrebend. Ein Gebilde, dem die Hauptsache fehlt: Der Mensch – und damit die Seele! Ein Planet, auf dem nur Roboter und Automaten sich in ewiger Folge erneuern, verbrauchen und verschrotten, um wieder neu erschaffen zu werden. Ein Kreislauf, der nie endet. Es sei denn, die wenigen verstreut lebenden Reste der ehemaligen Menschheit rissen die Herrschaft über ihre Welt wieder an sich und versuchten, das Glück und den Frieden mit ihren eigenen Händen zu halten, statt die Entscheidung der Kybernetik zu überlassen. Doch das ist nur eine sehr geringe Hoffnung …
ENDE
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Als UTOPIA-CLASSICS-Taschenbuch Band 06 erscheint:
Frederik Pohl und Jack Williamson
Städte unter dem Ozean Die Menschheit ist längst darangegangen, die Tiefsee zu erschließen und die Schätze des Meeresgrunds, die zunehmend wichtiger für den Erhalt der technischen Zivilisation werden, systematisch abzubauen. Dennoch gibt es in der Tiefsee Bereiche, die ihre Geheimnisse nicht preisgeben, Monströse Geschöpfe wachen darüber, daß ihr Herrschaftsgebiet unangetastet bleibt. Nach DUELL IN DER TIEFE (UTOPIA-CLASSICS-Band 4) ist dies der zweite, völlig in sich abgeschlossene Band der berühmten Tiefsee-Trilogie der Autoren. Der dritte Roman erscheint unter dem Titel ALARM IN DER TIEFSEE als Band 8 in der UTOPIA-CLASSICS-Reihe.
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