Der Vulkanteufel von Hawaii Version: v1.0
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Der Vulkanteufel von Hawaii Version: v1.0
Er entfesselt Urgewalten, viele schreckliche Katastrophen gehen auf sein Konto. Tod ist ein Wort, das ihm am leichtesten über die Lippen kommt. Sein Vernichtungswille ist imstande, die geballte Kraft der Hölle zu mobilisieren. Wer sich mit ihm anlegt, der bekommt zu spüren, wie lächerlich klein, schwach und hilflos der Mensch gegen ihn ist. Er wohnt in der Tiefe eines feuerspeienden Berges. Er bringt Entsetzen, Unheil und Grauen über die, die ihn reizen. Er schlägt mitleidlos zu, mit tödlicher Präzision. Er … Der Vulkanteufel von Hawaii!
Ins Gesicht hatte es ihnen keiner gesagt, aber Nathaniel und Reggie Renner wußten, daß sie für verrückt gehalten wurden. Sobald das Fotografenehepaar aus England von seinem Vorhaben erzählte, fällten die Blicke der Zuhörer ein vernichtendes Urteil über diesen verwegenen Plan. Nathaniel und Reggie hatten die Absicht, in den Krater des Vulkans Moano hinabzusteigen, um dort unten Aufnahmen zu machen, wie noch kein Mensch vor ihnen. Reggie, dreißig Jahre alt, zäh, keine Schönheit, aber eine Frau, mit der man Pferde stehlen konnte, lächelte ihren Mann zuversichtlich an. »Alle Welt wird unsere Fotos haben wollen. Die Aufnahmen werden weggehen wie warme Semmeln. Wir werden mit einem Schlag berühmt sein, Nat.« Nathaniel freute sich bei diesem Gedanken. Er war fünf Jahre älter als Reggie, ein bulliger Bursche mit sehnigen Händen, die kräftig zupacken konnten. Noch nie im Leben hatte er harte Arbeit gescheut, auch nicht, als er sich vor zehn Jahren den nervenden Job eines Fotoreporters als Broterwerb aussuchte. Nathaniel war ständig auf der Suche nach Sensationen. Mehr als einmal hatte er sein Leben schon aufs Spiel gesetzt, um Fotos zu bekommen, die die Konkurrenz nicht anzubieten vermochte. O ja, es war ein hartes, aufreibendes Geschäft, von dem er lebte, aber es machte ihm Spaß, und Reggie dachte zum Glück genauso wie er. Auch sie liebte das Abenteuer, den Nervenkitzel in kritischen Situationen. Hürden waren für sie da, um übersprungen zu werden. Resignation kam nicht in Frage. Nat Renner hätte sich keine bessere Frau wünschen können. Vielleicht nahmen sie deshalb so waghalsige Risiken auf sich, weil sie keine Kinder hatten, auf die sie Rücksicht nehmen mußten. Reggie hatte sich mit zwanzig einer Unterleibsoperation unterziehen müssen. Sie hatte lange Zeit darunter gelitten, keine Kinder mehr bekommen zu können, doch nun war sie darüber hinweg. Nathaniel vertrat den Standpunkt, man könne auch ohne Kinder glücklich sein. Und er hatte Reggie oft beteuert, daß er sie auch ohne Kindersegen liebe. Gemeinsam gingen sie in ihrer Arbeit auf und fanden
hier Befriedigung und Selbstbestätigung. Der gemeinsame Beruf hatte sie zu einem untrennbaren Gespann zusammengeschweißt, und sie hatten beide das Gefühl, ohne den anderen nicht existieren zu können. Sie standen am Rande des Moano-Kraters, aus dem ununterbrochen glühender Aschenregen hochgeschleudert wurde. Asbestanzüge wären die bessere Lösung gewesen, das erkannte Reggie leider erst jetzt. Sie trug eine alte Nato-Jacke, helle Cord-Jeans und einen leuchtendroten Schutzhelm, den Bergsteigerpickel hatte sie im dunklen Lavaboden verankert. Man hatte ihnen x-mal von ihrem Vorhaben abgeraten, doch sie hatten alle Warnungen in den Wind geschlagen. »Der Krater zieht uns magisch an«, hatten sie immer wieder gesagt, und sie waren davon überzeugt, daß es so schlimm nicht kommen würde. In der Tiefe des glutenden Schlundes brodelte die leuchtende Lava. Den Renners war klar, daß sie die geplanten Aufnahmen unter Lebensgefahr machen müßten. Doch ohne ein solches Risiko konnten nicht die Fotografien entstehen, die sie in aller Welt berühmt machen sollten. Aufnahmen vom Kraterrand konnte jeder schießen. Die Renners wollten etwas Besonderes bieten. Schlimm würde es erst in der Nähe des kochenden Lavasees werden, denn da stiegen giftige Dämpfe auf, die zu schweren Schädigungen der Atemwege, wenn nicht gar zum Tod führen konnten. Es gehörte ein gehöriges Quantum Wahnwitz dazu, diesen gefährlichen Abstieg in den Höllenschlund zu wagen. Reggie schlang sich das rote widerstandsfähige Kletterseil um den Leib und befestigte es mit Karabinerhaken am Gürtel. In der Tiefe gurgelte, brodelte und pfiff es. Das Ehepaar wollte sich einen ganzen Tag in dieser siedendheißen Hölle aufhalten und mit den lichtstarken Robotkameras so viele Fotos wie möglich schießen. Reggie prüfte den Sitz des Seils und sagte dann: »Fertig. Ich bin
bereit, den Schmelzofen im Bauch der Erde zu betreten.« Nathaniel Renner nahm das Gesicht seiner Frau in beide Hände. »Ich möchte nicht, daß du zuviel riskierst, Reggie.« »Mach dir um mich keine Sorgen, Nat.« »Keine Fotos um jeden Preis, hörst du?« »Okay.« »Ich weiß nicht, wie die Sache hier enden wird …« »Triumphal!« sagte Reggie lachend. »Wie könnte es bei einem Gespann wie uns beiden denn anders sein?« »Ich möchte dir für all die Opfer und Entbehrungen danken, die du all die Jahre mir zuliebe auf dich genommen hast, Reggie. Bevor wir in diesen Teufelskrater hinabsteigen, möchte ich dir sagen, daß ich dich noch nie so sehr geliebt habe wie heute.« Reggie stieß ihren Mann lachend an. »Nun komm schon, jetzt ist wirklich keine Zeit für ‘nen Moralischen, Nat. Da unten wartet eine Menge Arbeit auf uns.« In der Tiefe des Kraters rumorte und polterte es. Alle zehn bis zwölf Minuten explodierte der Feuerstoff und spritzte weit zum Himmel hinauf. Lavafontänen quollen aus dem Bauch der Erde, und Aschenregen prasselte auf Reggie und Nathaniel Renner herab und setzte ihre Kleider in Brand. Sie löschten die kleinen Flämmchen in großer Eile. Reggie sah Nathaniel aus den Augenwinkeln prüfend an. »Du glaubst doch nicht etwa diese haarsträubende Geschichte, die man sich über diesen Vulkan erzählt. Das sind doch dumme Ammenmärchen einfältiger Menschen. Es gibt keine Dämonen, Nat. Wir beide wissen das. Die Menschen denken deshalb solch dummes Zeug, weil es ihnen unverständlich und unerklärbar ist, daß in einem solchen Vulkan so viel elementare Kraft wohnt. Ich denke da zum Beispiel an die schreckliche Katastrophe vom 8. Mai 1902, als auf der Antillen-Insel Martinique eine gewaltige Explosion den 1397 Meter hohen Vulkan Montagne Pelee buchstäblich zerriß. Die Menschen neigen dazu, solche Gewalten den Mächten des Bösen zuzuschrei-
ben, und ich kann das bis zu einem gewissen Grad auch verstehen. Damals schoß eine 900 Grad heiße Dampfwolke, durchmischt mit feuriger Asche und glühenden Felsbrocken, den Hang hinab und vernichtete die neun Kilometer entfernte Stadt. Saint Pierre war ein Inferno des Schreckens: Brände, eingestürzte Häuser, verkohlte Leichen. Sechsundzwanzigtausend Menschen kamen ums Leben. Kein Wunder, daß man meinte, der Teufel müsse hier seine Hand im Spiel haben. Wir aber wissen, daß es für alle diese Vorgänge eine einleuchtende geophysikalische Erklärung gibt. In diesem Krater hier wohnt kein böser Geist, Nathaniel. Kein Dämon, der Menschen verschlingt, wenn sie sich zu nahe an ihn heranwagen. Wir beide werden allen, die diese unsinnige Geschichte verbreiten, beweisen, daß sie nicht wahr ist.« Reggie griff nach dem Pickel. Nathaniel Renner warf sich das rote Seil über die Schulter, richtete schnell seinen Schutzhelm und ließ seine wagemutige Frau dann langsam in die Tiefe gleiten. Er hatte dabei ein ganz eigenartiges Gefühl. Reggie hatte recht. Auch er glaubte nicht an Geister und Dämonen. Aber existiert etwas bloß deshalb nicht, weil man nicht daran zu glauben gewillt ist? Jedesmal, wenn der Vulkan seine heiße Feuerwolke in den Himmel hustete, versuchten sich Reggie und Nathaniel Renner vor dem herabstürzenden Aschenregen so gut wie möglich zu schützen. Sobald Reggie den siedenden Kraterboden erreicht hatte, riß sie dreimal am Seil. Das war das Zeichen, daß sie unten war. Nun machte sich Nathaniel an den Abstieg. Das Lavagestein war schroff und porös. Je tiefer er kam, desto heißer wurde die Kraterwand. Aus Angst vor der gespenstischen Urkraft des Vulkans kamen die Inselbewohner des öfteren hierher, um lebende Schweine in die kochende Lava zu werfen. Die polynesische Mythologie gebot ihnen, dem Feuerdämon ein solches Opfer zu bringen, damit sie vor seinem schrecklichen Zorn verschont blieben. Sollte das alles nur eine Erfindung primitiv denkender Menschen sein? Die zunehmende
Hitze schnitt Nathaniel den Atem ab. Schweiß brach ihm aus allen Poren. Er sorgte sich um Reggie und fragte sich, ob sie diese Belastungen aushalten konnte. Manchmal war er der Meinung, daß er ihr ein wenig zuviel zumutete. Vielleicht sollten sie keinen ganzen, sondern nur einen halben Tag hier unten verbringen. Mal sehen, was sie in dieser Zeit für Aufnahmen zusammenbrachten. Er erreichte Reggie. Das entlastete Seil, das oben am Kraterrad festgemacht war, fing bei der nächsten Eruption zu zittern an. Renner blickte auf den brodelnden, rotglühenden Lavabrei. Er nahm die gegen Hitze abgeschirmte Kamera zur Hand und begann zu fotografieren. Sein Finger ruhte eine Weile auf dem Auslöser. Das Surren des automatischen Filmtransports war aus dem Lärmspektakel, das der Vulkan vollführte, nicht herauszuhören. Er fotografierte Reggie, die ständig in Bewegung befindlichen Lavamassen, die einzelnen Eruptionen. Reggie folgte seinem Beispiel, damit sie soviel Bildmaterial wie möglich zusammenbrachten. Schritt um Schritt wagten sie sich näher an den glühenden Lavasee heran. Die Hitze durchdrang nun schon ihre dicken Schuhsohlen, wurde allmählich unerträglich. Plötzlich erschrak Nathaniel. Der glutende Lavasee wölbte sich mit einemmal. Ein mächtiger Schädel hob sich aus dem breiigen Feuerteich. Eine grauenvoll anzusehende Fratze starrte den beiden Fotografen entgegen. Der Feuerdämon.
* »Reggie!« brüllte Nathaniel entsetzt. »Reggie, zurück!« Doch seine Frau schien ihn nicht zu hören. Wie besessen drückte sie immer wieder auf den Auslöser, und sie wagte sich immer näher an den gräßlichen Unhold heran, denn einmaligere Bilder als dieser würde sie der Welt nicht bieten können. Sie erkannte die entsetzliche Gefahr nicht,
in die sie sich begab. Das glühende Monster riß seinen scheußlichen Rachen auf und stieß ein markerschütterndes Gebrüll aus. »Reggie, komm zurück!« schrie Nathaniel Renner wie von Sinnen. Er hastete los. Aus dem Maul der Hitzebestie fauchten lange grelle Flammen, die in derselben Sekunde Reggie Renner einhüllten. Schlagartig verwandelte sich die Frau in eine lebende Fackel. Nathaniel standen vor Grauen die Haare zu Berge. Ein wahnsinniger Schmerz übermannte ihn. »Reggie!« kreischte er noch einmal. Seine Frau brach zusammen. Das Feuer erlosch. Sie war verschwunden. Nathaniels Herz krampfte sich zusammen, wurde zu einem schweren Klumpen. Er konnte nicht begreifen, was passiert war. Innerhalb eines Sekundenbruchteils hatte Reggie, die Frau, die er über alles geliebt hatte, zu existieren aufgehört. Es gab sie nicht mehr. Sie hatte sich in nichts aufgelöst. Nathaniel war das unverständlich. Die Hitze wurde so enorm, daß Nathaniel nach Luft rang. Er starrte die Feuerbestie mit weit aufgerissenen, tränenden Augen an. Der Dämon ließ ein scheußliches Gelächter hören. Nathaniel kam sich verhöhnt und verspottet vor. In ohnmächtiger Wut ballte er die Fäuste. »Du …!« schrie er weinend. »Du …! Du!!!« Der Vulkandämon stieg aus der brodelnden Lava auf. Nathaniel Renner warf sich entsetzt herum. Für Reggie konnte er nichts mehr tun. Reggie gab es nicht mehr. Es gab nur noch ihn in diesem tiefen, tödlichen Krater, und er mußte zusehen, schnellstens von hier wegzukommen, sonst würde er das gleiche Schicksal wie Reggie erleiden. Nathaniel hetzte zu dem an der Kraterwand baumelnden Bergsteigerseil zurück. Angst und Schrecken verzerrten sein Gesicht. Grauen und Horror
hatte er in diesem Ausmaß hier unten nicht anzutreffen erwartet. Die schrecklichen Geschichten, die man sich über den Feuerdämon erzählte, stimmten. Keine einzige schien Renner nunmehr erfunden zu sein. Selbst die haarsträubendsten Erzählungen hatten ganz sicher einen wahren Kern, denn in jeder dieser Geschichten kam die glühende Bestie vor, die sich soeben aus der gurgelnden Lava erhoben hatte, um auch Nathaniel zu vernichten. Reggie und ihr Mann hatten zuviel gewagt. Und sie hatten verloren. »Es gibt keine Geister und Dämonen!« hatte Reggie oft behauptet. Sie hatte an ihre Existenz niemals glauben wollen. Doch nun … Nun hatte sie erfahren müssen, daß dies ein fürchterlicher Irrtum war. Ein Irrtum, den sie auf eine grauenvolle Weise mit dem Leben bezahlen mußte. Renner warf sich auf das Seil. Er blickte über die Schulter zurück und sah, wie sich der Dämon in den glühenden Lavamassen aufrichtete. Großer Gott, war er riesig. Und die Lava tropfte von seinem leuchtenden Körper wie Badewasser von einem Mann, der sich aus der Wanne erhebt. Mit zitternden Händen packte Renner das Seil. Würde er die Kraft haben, an der Kraterwand wieder hochzuturnen? Er fühlte sich elend und schwach. Der Schock über den Verlust der geliebten Frau hatte seine Muskeln schlaff gemacht. Verzweifelt zog er sich hoch. Die Hitze wurde immer unerträglicher. Renner hatte Angst, ersticken zu müssen. Meter um Meter turnte er nach oben. Er setzte seine Bergschuhe in das graue, häßliche Gestein, stemmte sich dagegen, seine Jeans verfingen sich in irgendwelchen Ritzen. Er riß daran. Der Stoff ging entzwei. Egal. Jetzt galt es nur noch, das nackte Leben zu retten. Wieder warf Nathaniel Renner einen gehetzten Blick zurück. Die Feuerbestie durchwatete mit riesigen Füßen den Lavasee, kam auf
ihn zu. Renners Herz wollte vor Angst zu schlagen aufhören. Weiter! befahl er sich aufgewühlt. Weiter. Du mußt es schaffen. Du mußt – mußt – mußt … Der Kraterrand kam langsam näher. Renner schluchzte. Seine Nerven waren angegriffen. Was er ihnen zugemutet hatte, war einfach zuviel gewesen. Sie konnten dieser schweren Belastung kaum noch standhalten. Renners Kräfte bauten rapide ab. Seine Finger umklammerten das Seil nicht mehr fest genug. Jetzt passierte es. Renner schrie entsetzt auf. Seine Finger schnappten zu. Er konnte den Sturz in letzter Sekunde noch verhindern. Heulend baumelte er am Seil. Unten starrte die glühende Bestie zu ihm herauf. Weiter! Weiter! Weiter! Renner zerrte sich keuchend nach oben. Der Kraterrand. Endlich hatte er ihn erreicht. Ein glühender Aschenregen stob in den Himmel und prasselte dann rings um den Krater herab. Renner mußte wieder einige Flammen ersticken. Dann schob er sich mit der letzten Kraft, die er noch aufbringen konnte, über den Kraterrand. Speichel tropfte ihm aus dem Mund. Seine Tränen fielen auf das Lavagestein. Er pumpte seine Lungen mit Sauerstoff voll. Davon hatte es dort unten in der Hölle so wenig gegeben. Zitternd und völlig entkräftet richtete sich Nathaniel Renner auf. Reggie war tot. Reggie war das Opfer dieser grauenerregenden Bestie geworden. Arme, arme Reggie. Mit schlotternden Knien wollte Nathaniel seine Flucht fortsetzen. Er erinnerte sich an eine Erzählung: Derjenige, der der Feuerbestie Aug in Auge gegenübergestanden hat, ist rettungslos verloren, hieß es da. Und er hatte dem schrecklichen Dämon Auge in Auge gegenübergestanden. Würde er auch ihn vernichten? Renner stolperte verstört vom Kraterrand weg. Alles erschien ihm mit einemmal so unwirklich zu sein. Frohen Mutes und furchtlos waren sie hierher gekommen. Wahnwitzig hatten die Leute ihr Vorhaben genannt, doch Reggie und er hatten darüber nur amüsiert gelächelt. Wie oft hatten sie schon Kopf und Kragen riskiert. Immer
hatten sie Glück gehabt. Stets war alles gut ausgegangen. Auf ihr Glück hatten sie sich auch diesmal verlassen. Doch es hatte sie im Stich gelassen. Oh, Reggie! Renner torkelte weiter. Sein Gesicht war klatschnaß und dreckig. Seine Hände waren blutverschmiert. Die Kamera? Er hatte sie längst verloren. Sie war an einem Lavazacken hängen geblieben, der Lederriemen war abgerissen, der Fotoapparat in den Krater gefallen. Wenn schon. Es war jetzt nicht mehr wichtig. Nichts zählte mehr, seit Reggie tot war … Plötzlich vernahm Nathaniel Renner hinter sich ein grauenerregendes Knurren. Der Schreck drehte ihn herum. Mit angstgeweiteten Augen sah er, wie der Feuerdämon auftauchte. Seine fürchterliche glühende Fratze schob sich über den Kraterrand. »Nein!« stöhnte Renner verstört. »O Gott, nein!« Er stolperte zurück, fiel über einen großen Stein, schlug lang hin, ohne den Schmerz im Kreuz zu spüren. In panischer Furcht kam er sofort wieder auf die Beine. »Nein!« schrie er wie am Spieß, als der Feuerdämon die glühende Hand nach ihm ausstreckte. Der Dämon spreizte seine heißen Finger. Sie schossen förmlich auf Nathaniel Renner zu, schlossen sich um ihn, rissen den brüllenden Mann vom Boden hoch und in den Krater hinab. Kein Mensch sah Reggie und Nathaniel Renner jemals wieder. Sie waren, bei Gott, nicht die ersten Opfer, die der Feuerdämon sich geholt hatte …
* Glenda Perkins, die hübsche Sekretärin, teilte John Sinclair mit, daß Superintendent Powell ihn zu sprechen wünsche. Also machte sich der Oberinspektor auf den Weg zu seinem Vorgesetzten. Scotland Yard verfügte seit einigen Jahren über eine Abteilung, die sieh mit
mysteriösen Fällen aus dem Übernatürlichen und Übersinnlichen beschäftigte. John Sinclair stand dieser Abteilung vor. Der große, blondhaarige Mann mit den graublauen Augen und der sichelförmigen Narbe an der rechten Wange, hatte schon Vampire in allen Ecken der Welt gejagt und zur Strecke gebracht. Die Narbe verdankte John Sinclair Doktor Tod, seinem bisher gefährlichsten Gegner. Mit seinen geweihten Silberkugeln hatte Sinclair bereits ein Rudel von Werwölfen erledigt. Er hatte Ghouls mit Feuer bekämpft und zahlreiche Dämonen mit ihren eigenen Waffen geschlagen. John Sinclair war ein aufrechter, unerschrockener Mann, mit dessen Hilfe jeder rechnen konnte, der von schändlichen Geistern und Dämonen in Bedrängnis gebracht worden war. Der große Geisterjäger zupfte schnell seine Krawatte zurecht, ehe er das Büro des Superintendent betrat. Powell musterte John durch seine dicken Brillengläser. »Da bin ich, Chef.« »Setzen Sie sich, John.« Sinclair nahm Platz und schlug die langen Beine übereinander. »Was kann ich für Sie tun?« »Oh, eine ganze Menge …« John schmunzelte. »Hat man vergeblich versucht, Ihnen die Mengenlehre einzubläuen?« Powell stand nicht der Sinn nach Gags. Seine Brauen zogen sich zusammen. Er seufzte schwer. Für John ein Zeichen dafür, daß Powells Magenbeschwerden wieder stärker geworden waren. Der Superintendent sah seinen besten Mann kurz an und begann: »Ein neuer Auftrag wartet auf Sie, John.« »Worum geht es?« »Alles schön der Reihe nach. Ihr Job wird Sie diesmal nach Übersee führen.« Es war – wie bereits erwähnt – nicht das erste Mal, daß John Sinclair außerhalb Englands aktiv wurde. Er hatte das entweder auf eigene Faust getan, oder in Powells Auftrag. Letzteres meist
dann, wenn es galt, britische Interessen im Ausland zu wahren. »Wohin soll die Reise gehen?« erkundigte sich John Sinclair tatendurstig. Er war kein Federfuchs. Er haßte jeglichen Papierkram, und wenn er stundenlang hinter seinem Schreibtisch zu sitzen hatte – was gottlob nicht oft der Fall war –, hatte er das Gefühl, Würmer in den Beinen zu haben. »Hawaii«, sagte der Superintendent kurz. Die präzisere Erklärung folgte sogleich: »Im allgemeinen versteht man unter den Hawaii-Inseln nur die zwischen dem 161. und 155. Grad westlicher Länge und dem 19. und 22. Grad nördlicher Breite gelegenen sieben bewohnten Hauptinseln Oahu, Hawaii, Lanai, Maui, Kauai, Niihau und Molokai. Die Insel, auf der Sie sich umsehen sollen, ist das Eiland Kauai. Auf dieser Insel wütet der Vulkan Mouano. Ein britisches Fotografenehepaar hatte die wahnwitzige Idee, in den Krater dieses feuerspeienden Berges hinabzusteigen und dort unten sensationelle Bilder zu machen. Man hat die beiden mehrfach gewarnt, doch sie schlugen alle gut gemeinten Warnungen in den Wind. Sie ließen sich nicht einmal von dieser Geschichte abschrecken, die man sich vom Moano-Vulkan erzählt …« John horchte auf. »Was für eine Geschichte, Chef?« »Moano, das ist nicht nur der Name des Vulkans. Das ist gleichzeitig auch der Name eines Feuerdämons, der darin leben soll. Es gibt da eine Legende: Die Eingeborenen erzählen, daß Moano, der Dämon des Feuers, auf diese Insel gekommen ist, um eine trockene Stelle zu suchen, auf der er sein teuflisches Feuer entfachen konnte. Er fand seine Wohnstatt in jenem Vulkan, von dem ich Ihnen erzählte. Das Ehepaar Reggie und Nathaniel Renner kletterte in den Krater hinunter. Seither werden sie vermißt. Kann sein, daß sie nicht mehr leben. Kann aber auch sein, daß sie Gefangene dieses Dämons sind. Sie, John, werden herausfinden, was mit Reggie und Nathaniel Renner geschehen ist. Wenn sie noch am Leben sind, müssen Sie sie aus der Gewalt des Dämons befreien. Leben die beiden nicht mehr, dann teilen Sie gewiß mit mir die Auffassung, daß es nur ein Segen für die
Menschheit sein kann, wenn man Moano, den Feuerdämon, vernichtet.« Das hörte sich verdammt einfach an. John machte sich aber nichts vor. Er wußte, daß dies einer seiner schwierigsten Fälle werden würde. Er hatte so etwas immer schon vorher im Gefühl, und er hatte sich noch selten getäuscht …
* Dumpfe Trommelschläge hallten durch die große Höhle. In ihrer Mitte schlugen aus der steinernen Feuerstelle rotglühende Flammen. Flötenmusik, Schrill. Eine Beleidigung für das menschliche Ohr. Zahlreiche Dissonanzen jagten einem kalte Schauer über den Rücken. Ein paar Eingeborene waren gekommen, um Zarrambo, dem Medizinmann, bei seinem spukhaften Feuertanz zuzusehen. Sie alle waren Mitglieder der Vulkan-Sekte, sie verehrten und beteten zu Moano, dem Dämon. Er war ihr Leitbild. Ihm zu Ehren taten sie Böses. Seine verderbliche Kraft verherrlichten sie. Und jeder Eingeborene versuchte, nach Moanos ungeschriebenen Gesetzen zu leben. Harmlose Übertretungen ließ Moano durchgehen. Schwerere Vergehen wurden jedoch mit dem Tod bestraft. Zarrambo, der erste Diener des Feuerdämons, vollstreckte diese Todesurteile unverzüglich. Zarrambo war ein riesiger Polynesier mit kupferfarbener Haut und stählernen Muskeln. Er war nackt bis auf einen Schurz aus Palmenblättern, und vor seinem Gesicht trug er eine aus Holz geschnitzte Maske, die mit grellen Farben bemalt war und eine grauenerregende Fratze darstellte. »So sieht Moano aus«, behauptete Zarrambo, obgleich auch er dem Feuerdämon noch nicht von Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden hatte. Die Eingeborenen hockten an der Höhlenwand im Lotussitz. Die Musik mit ihren schrillen Tönen hatte sie in Trance und Verzückung versetzt. Immer häufiger zuckten ihre kräftigen Muskeln. Zarrambo stampfte mit nackten Füßen über den glatten
Höhlenboden. Er stieß wilde Schreie aus und schimpfte und fluchte, was das Zeug hielt. Moano, so behauptete er, hatte ihm aufgetragen, das Feuer zu beschwören, denn kürzlich waren Techniker und Wissenschaftler aus aller Herren Länder hierher auf die Insel gekommen, um ein geothermisches Kraftwerk zu bauen. Künstliche Geysire sollten geschaffen werden, und diese Heißwasserfontänen sollten das Kraftwerk betreiben. Die Bauherren wollten Moano für dieses Projekt gewinnen. Moano sollte etwas Nützliches tun. Zum Wohle der Menschheit. Welcher Dämon ist schon bereit, sich dafür herzugeben? Moanos Anweisung an Zarrambo: Der Bau des Kraftwerks muß mit allen Mitteln verhindert werden. Der Vulkan darf nicht für das Wohl der Menschen genutzt werden. Ein Vulkan ist dazu da, um Menschen in Angst und Schrecken zu versetzen, um sie zu peinigen, um sie zu quälen, um sie zu vernichten. Das allein hat der Sinn und Zweck eines solchen Höllenberges zu sein. Das – und nur das – war im Sinne des Feuerdämons. Gutes zu tun war ihm gräßlich. Dagegen würde er sich mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln wehren. Zarrambo keuchte, er fürchtete Moanos Zorn. Jetzt blieb er unvermittelt stehen, er hatte sich heißgetanzt. Die Trommelschläge setzten aus. Die Flötenmusik brach jäh ab. Stille. Nur das Prasseln des Feuers war zu hören. Breitbeinig stand der Medizinmann vor den Mitgliedern der Vulkan-Sekte. »Brüder!« schrie er hinter seiner gräßlichen Holzmaske. Seine Stimme war scharf und laut. Man hörte sofort, daß sie einem Mann gehörte, der kein Herz im Leibe hatte. Zarrambo wandte sich seinen Anhängern zu und hob beschwörend die Hände. »Brüder! Moano hat mir einen Befehl und eine Nachricht übermittelt. Der große Dämon ist wütend. Er ist voller Zorn gegen diese fremden Menschen, die auf unsere Insel gekommen sind, um unserem Vulkan gute Taten abzuringen. Moano haßt diese Fremden. Wir, seine Diener, sollen dafür sorgen, daß es zu diesem Kraftwerksbau niemals kommt. Versagen wir, dann wird Moa-
no die Sache selbst in die Hand nehmen. Er wird Feuer und Lava speien, wird toben, wie er noch nie getobt hat. Wenn es ganz schlimm kommt, wird er die gesamte Insel vernichten. Brüder, wir haben es in der Hand, Moano zu besänftigen. In unserer Macht liegt es, unsere Heimat zu retten. Tod den Fremden, die Moano reizen wollen! Tod allen, die sich gegen Moano stellen!« »Tod!« knurrten die Mitglieder der Vulkan-Sekte. »Tod …!«
* Ein Sondereinsatz also auf Hawaii. Aber es würde keine Zeit bleiben, am herrlichen weißen Strand in der Sonne zu liegen und den Palmen zuzusehen, wie sie sich im Wind bewegten. Moano war bestimmt sehr mächtig. Ihm sein dämonisches Handwerk zu legen, würde gewiß eine verdammt schwierige Aufgabe werden. John konnte aber zu seiner Unterstützung seinen Freund und Mitarbeiter Suko mitnehmen. Er war ein stämmiger Chinese, ein ungezügeltes Kraftpaket mit einem breiten Pfannkuchengesicht. Den schwarzen spärlichen Haarwuchs trug er präzise gescheitelt. Suko, den Mann mit dem ewigen Lächeln und dem Körper eines Sumo-Ringers, wollte John Sinclair zu diesem Abenteuer unbedingt mitnehmen. Er konnte auf seine Hilfe nicht verzichten. Superintendent Powell erzählte von dem bereits in Angriff genommenen Bauvorhaben auf Kauai, an dem eine Anzahl Briten beteiligt waren. So zum Beispiel der Vulkanologe David King. Dann der Geophysiker Neal Wheeleck, und Mort Agamemnon, der Projektleiter. An ihn sollte John sich direkt nach seiner Ankunft auf Kauai wenden. Mort Agamemnon wußte vermutlich am meisten über Reggie und Nathaniel Renner, denn bei ihm waren sie gewesen, als sie nach Kauai gekommen waren. Auch er hatte ihnen abgeraten, in den Krater hinabzusteigen, doch sie hatten auch auf ihn nicht gehört. Einen Tag lang hatten sie im Vulkan bleiben wollen. Als sie sich nach dem
zweiten Tag immer noch nicht bei Mort Agamemnon zurückgemeldet hatten, schickte er einen Trupp los, der das Fotografenehepaar suchen sollte. Die Männer hatten ein Stück rotes Bergsteigerseil, das am Ende verbrannt war, gefunden. Obwohl die Suche nach den Vermißten ergebnislos verlaufen war, hatten die Männer aufgeatmet, als sie endlich aus dem Gefahrenradius kamen. Im Bauch des Vulkans hatte es unheilvoll rumort und den Männern den Angstschweiß auf die Stirn getrieben. »Ich habe bereits mit Mr. Agamemnon telefoniert«, setzte Superintendent Powell seinen Ausführungen hinzu. »Er hat mir versprochen, Sie nach besten Kräften zu unterstützen, John.« Sinclair nickte ernst. »Wann soll ich fliegen?« »Gestern«, sagte Powell, um dem Geisterjäger klarzumachen, daß die Sache eilte. John verstand. Er erhob sich. Powell wünschte ihm einen guten Flug und »Gutes Gelingen.« »Wird schon schief gehen, Chef«, erwiderte John Sinclair mit einem schelmischen Augenzwinkern. »Ich hoffe, ich bin nicht gezwungen, in diesen Höllenschlund hinabzusteigen.« »Sollte es aber doch erforderlich sein, würden Sie davor keine Sekunde zurückschrecken, wie ich Sie kenne.« »Erwarten Sie von da unten eine Ansichtskarte, Chef?« »Eine mündliche Erfolgsmeldung würde mir auch genügen«, erwiderte der Superintendent, und John verließ das Büro seines Chefs.
* »Tod!« murmelten die Mitglieder der Vulkan-Sekte. Sie starrten mit großen Augen in die Flammen. »Tod!« Zarrambo holte eine steinerne Schale, auf die grausige, ekelerregende Szenen gemalt waren. Der Medizinmann trat an die helle Feuerstelle heran. Seine Anhänger hielten unwillkürlich die Luft an. Sie wußten, was nun kommen würde, erlebten diese Szene heute
nicht zum erstenmal, waren jedoch immer wieder aufs Neue gebannt und verblüfft. Keiner wußte, wie Zarrambo das machte. Moano, der Feuerdämon, hatte ihn mit Zauberkräften ausgestattet, die er auf geheimnisvolle Weise einsetzte. »Wir werden«, verkündete Zarrambo mit seiner donnernden Stimme, »gegen die Fremden unsere stärkste Waffe einsetzen: Isabel Snake!« Zarrambo griff in die Steinschale. Er murmelte schwarze Gebete. Zuckungen durchliefen seinen muskulösen Körper. Wütend stampfte er auf die Erde und brüllte aus voller Kehle. Gelbliches Pulver schimmerte zwischen seinen dunklen Fingern. Wie Schwefel sah es aus. »Kräfte des Bösen!« schrie Zarrambo lauthals. »Mächte der Finsternis und des Grauens leiht uns Isabel Snake! Sie soll uns helfen, die Fremden von unserer Insel fortzujagen. Sie soll den Willen Moanos durchsetzen, soll in Moanos Sinn gegen die Eindringlinge kämpfen!« Der Medizinmann streute das gelbliche Pulver in die züngelnden Flammen. »Isabel!« rief er ehrfürchtig. »Isabel, komm und hilf uns!« Die Eingeborenen, die an der Höhlenwand lehnten, beobachteten mit ehrfurchtsvoll geweiteten Augen das Geschehen. »Isabel!« rief Zarrambo, und sein Schrei hörte sich an, als würde er bis in die tiefsten Tiefen der Hölle hinab dringen. »Komm uns zu Hilfe!« Es knisterte und zischte im Feuer. Vom Grund der Glut schoß, begleitet von Explosionsgeräuschen, eine Stichflamme nach oben und blieb hochlodernd stehen. Ein Mädchenkörper! Noch durchscheinend wie die Flammen selbst. Doch nach und nach nahm dieses transparente Gebilde Form. Die Umwandlung zum Menschen war bald abgeschlossen. Es war ein ungewöhnlich hübsches Mädchen, das jetzt vor den Eingeborenen stand. Langes schwarzes Haar, üppige Brüste, bernsteinfarbene Augen und lange schlanke Beine. Ihr Anblick faszinier-
te jeden Mann. Sie verfügte über eine ungewöhnliche Ausstrahlung, von der man sich stark angezogen fühlte. Niemand konnte ihr ansehen, daß sie die schrecklichste Falle war, die die Hölle jemals auf die Welt gesandt hatte. Isabel Snake. Eine Botin des absoluten Grauens. Hundertprozentig tödlich. Dabei sah sie aus wie die Göttin der Liebe. Sie trat aus den Flammen heraus. Ihr Haupt war stolz erhoben. Sie funkelte Zarrambo mit ihren bernsteinfarbenen Augen tückisch an. Er sank seufzend vor ihr auf die Knie, denn er wußte, daß sie auf diese Demutsbezeugung wartete. »Isabel, steh uns bei!« flehte der Medizinmann mit unterwürfig gesenktem Kopf und ergeben ausgebreiteten Armen. »Niemand kann uns besser helfen als du.« »Ich weiß, was ich zu tun habe! Und ich werde mit meinem Werk noch heute beginnen«, kündigte das Mädchen mit schroffer Stimme an. »Das habe ich gehofft«, flüsterte Zarrambo mit ersterbender Stimme. »Von nun an werden die Fremden nichts mehr zu lachen haben.« »Moano kann beruhigt sein. Ich werde ihm den gewünschten Frieden zurückgeben!« Das Mädchen wandte sich um und verließ die Höhle. Zarrambo richtete sich auf. Er wartete eine Weile. Dann lachte er knurrend und wandte sich triumphierend zu den Anhängern der Vulkan-Sekte: »Jetzt werden sie sterben wie die Fliegen!«
* Als John Sinclair zu seinem Freund Bill Conolly kam, wühlte dieser gerade in einem Berg Akten. Bill arbeitete als freischaffender Journalist. Verheiratet war er mit der reizenden Sheila. Kinder hatten sie noch keine, doch es war kein Geheimnis, daß Sheila seit einigen Wo-
chen in Umständen war. Vor seiner Ehe hatte Bill mit seinem Freund John an so manchem Abend auf den Putz gehauen. Bill war ein Frauentyp, mit Mädchen hatte er während seiner Junggesellenzeit nie Probleme gehabt. Jetzt war Bill ruhiger geworden, er haute nur noch beruflich auf die Pauke. Er wußte, daß er keine bessere Frau hätte finden können, also suchte er auch keine mehr. Sheila war nicht zu Hause. Eine Freundin hatte angerufen und ihr gesagt, sie hätte eine Kinokarte, die verfallen würde, wenn Sheila nicht mitkäme. Es lief irgendein Katastrophenfilm. Nicht gerade das, was Sheila am liebsten sah, aber der Freundin zuliebe sagte sie zu. Und Bill war ihr deswegen nicht im mindesten böse. So konnte er wenigstens in allen seinen Unterlagen herumschnüffeln und zusammentragen, was ihn interessierte. Er hatte damit angefangen, nachdem er mit John telefoniert hatte. »Wohin fliegst du?« hatte er den Geisterjäger erstaunt gefragt. »Nach Hawaii? Mensch, das war was für deinen alten Kumpel, John.« »Tut mir leid, ich kann dich nicht mitnehmen.« »Was hast du da drüben denn vor?« John erzählte von seinem Auftrag. Bill jubelte. »Mann, das wäre eine heiße Story für mein Blatt. Ich ruf sofort den Chefredakteur an. Vielleicht läßt es sich einrichten, daß ich mit dir nach Übersee gehe.« »Und Sheila?« »Die bleibt selbstverständlich zu Hause. Sheila ist ein kluges Mädchen. Sie weiß, daß sie meiner beruflichen Karriere nicht im Wege stehen darf. Und sie tut es auch nicht. Keine Sorge, Junge, sie wird dich nicht verfluchen, wenn wir diese Sache gemeinsam in Angriff nehmen, John. Du weißt doch, wie sehr sie dich mag.« Als John Bill wenig später besuchte, war seine erste Frage: »Wie hat sich Sheila entschieden?«
Bill nickte und grinste. »Sie ist ein phantastisches Mädchen. Rücksichtsvoll, verständnisvoll …« »Mit einem Wort, sie hat gesagt, du darfst nicht fliegen«, drängte John. »Irrtum.« »Dann hat sie zur Bedingung gemacht, daß du sie mitnimmst.« »Wieder daneben.« John lachte. »Ich kenne Sheila langsam nicht mehr wieder.« Die Freunde betraten Bills Arbeitszimmer. Ein Wirbelsturm schien über den Schreibtisch gefegt zu sein. Landkarten, Reiseberichte, naturwissenschaftliche Abhandlungen, geophysikalische Abrisse, alles lag in einem heillosen Durcheinander auf dem klobigen Tisch. John schob einen Papierstapel zur Seite und setzte sich auf die Tischkante. »Wenn man einen seriösen Bericht schreiben will, muß man sich zuvor mit der Materie vertraut machen. Recherchieren, verstehst du?« sagte Bill. »Klar verstehe ich. Sonst halten dich deine Leser nämlich für einen ausgemachten Idioten, wenn du ihnen nichts zu bieten hast.« »Richtig. Möchtest du was trinken?« »Nein.« Bill schraubte den Flaschenverschluß wieder zu. »Vulkanologie ist eine phantastische, beeindruckende Wissenschaft, John. Möchtest du hören, was ich über den Tag gelesen habe, an dem die HellenenInsel Thera in den Fluten der Ägäis versank? – Es war ein Tag wie jeder andere. Die Katastrophe kündigte sich mit keinem Vorzeichen an. Plötzlich aber schossen aus dem Schlot des gewaltigen Inselvulkans Strongyle dunkle Wolken empor, aus denen heißer Schutt und Asche zu Boden fielen. Starke Erdstöße erschütterten die Erdoberfläche. Alsbald erfolgte eine ungeheuerliche Explosion, die mit Urgewalt die Insel buchstäblich auseinanderriß. Gesteinsbomben aller Kaliber und tonnenschwere, glühende Lavafetzen wirbelten kilome-
terweit durch die Luft. Ein mächtiger Staubpilz stieg hoch in die Stratosphäre auf. Eine meterhohe Flutwelle setzte sich fort. Als sich die Staubwolke lichtete und die See zur Ruhe kam, war von der fruchtbaren Insel nur noch eine Trümmerlandschaft übrig geblieben … Ich erzähle dir das aus einem ganz bestimmten Grund, John. Wenn in diesem Vulkan auf Hawaii tatsächlich ein Dämon wohnt, dann kann sich die Katastrophe, die Thera vernichtet hat, in naher Zukunft wiederholen.« »Du meinst, wenn wir dem Dämon zu arg zusetzen, könnte er so wütend werden, daß er ganz Kauai zerstört?« »Ja. Die Mammutexplosion, die damals Thera vernichtete, hatte die Kraft von eintausend Wasserstoffbomben. Der Feuerdämon kann solche Kräfte freisetzen. Jetzt weißt du, worauf du diesmal zusteuerst.« John fuhr sich mit dem Finger in den Hemdkragen. Ihm war plötzlich warm geworden. »Kann ich doch einen Drink haben?« Bill goß zwei Gläser voll. Sie tranken. »Eine andere Geschichte: Der Krakatau«, sagte Bill Conolly, »in der Sundastraße zwischen Java und Sumatra feuerte bis zum 27. August 1883 18 Milliarden Kubikmeter Asche 80 Kilometer hoch, dann hatte er sich selbst entleert. Mit Donnergetöse, das bis Madagaskar zu hören war, das sind 6500 km von Java entfernt, die Wassermassen in den in der Erdkruste entstandenen Hohlraum. Die Implosion erzeugte eine 20 Meter hohe Flutwelle, die mit einer Geschwindigkeit von 700 Kilometern in der Stunde um den Erdball lief. An den Küsten der Sundastraße und in Nordjava kamen mehr als 36.000 Menschen in dieser Sintflut um … Mit einem solchen Gegner hast du es diesmal zu tun, John. Ehrlich gesagt, ich beneide dich nicht um deinen Auftrag.«
*
Arbeiter hatten eine kleine Siedlung aus dem Boden gestampft. Ein Teil der Häuser war sogar gemauert. Die Baracken der Arbeitertrupps bestanden jedoch größtenteils aus Holz. Die Kulisse, vor der die kleine Siedlung errichtet worden war, sah paradiesisch aus. Palmen ragten hoch in den Himmel. Und hinter den Palmen thronte das gedrungene Massiv des Moano-Vulkans, dessen enormen Energien man zum Wohle der Inselbewohner nutzen wollte. Pierre Hennessy, Franzose, einunddreißig Jahre alt, Junggeselle, war hier Vorarbeiter. Er war ein untersetzter Bursche mit dem typisch romanischen Gesicht. Bei der Arbeit verstand er keinen Spaß. Wer nicht spurte, dem las er tüchtig die Leviten, und wenn das nichts half, dann gab es von Hennessy persönlich einen kräftigen Tritt in den Hintern. Das hatte immer noch gewirkt. Hennessy stellte sich aber auch jederzeit bedingungslos vor seine Leute, wenn Ärger »von oben« zu erwarten war, und er verlangte niemals etwas von seinen Männern, das er selbst hätte nicht schaffen können. Er war hart, aber gerecht, und das schätzten seine Leute so sehr an ihm. Nach Arbeitsschluß war Pierre Hennessy für jeden Schabernack zu haben. Er trank gern und viel, und man traf ihn, wenn das Tagewerk getan war, oft in der kleinen Bar, in der alles zu bekommen war, was das Männerherz begehrte. Sogar Mädchen. Sie waren jung und hübsch und machten für Geld alles. Sie stammten nicht nur von dieser Insel. Sie kamen auch von den benachbarten Inseln herüber, denn die Männer, die auf Kauai arbeiteten, hatten eine leichte Hand zum Geldausgeben. Die süßen Girls wußten, wie man den harten Burschen ihr schwer verdientes Geld so herauslockte, daß es ihnen sogar noch Spaß machte, es herzugeben. Hennessy hatte eine ganz reizende Biene auf seinem Schoß sitzen. Sie trank von seinem Jamaica-Rum. Er tätschelte ihr pralles Hinterteil.
»Du und ich. Wir beide machen heute noch l’amour, was?« sagte der Franzose grinsend, und das Mädchen kicherte. Er kannte nicht einmal ihren Namen, und er war nicht erpicht darauf, ihn zu erfahren. Alles andere wußte er von ihr, und das reichte ihm. Sie hatte die schönsten, dunkelsten Augen, in die er je gesehen hatte. Sie war nicht ganz so dunkelhäutig wie die anderen Mädchen, hatte wohl einen weißen Ahnen. Er nahm ihr das Glas aus der Hand und trank es aus. »Meine Güte, heute bin ich mal wieder so richtig in Fahrt. Gott, ist es schön, zu leben, was? Rum in Hülle und Fülle. Ein verdammt hübsches Mädchen auf den Knien. Mann, was willst du mehr? Sag mal, was machst du eigentlich mit dem vielen Geld, das du hier verdienst, Süße?« »Ich spare es.« »Im Strumpf?« »Auf der Bank.« »Darf man fragen, wie viel du schon beisammen hast?« »Nein, das darf man nicht.« »Auch in Ordnung«, sagte Hennessy achselzuckend. Sein Englisch war gefärbt und klang deshalb interessant. »Ist mir im Grunde genommen auch egal. Was wirst du machen, wenn du genügend Geld beisammen hast? Machst du dir dann ein Hotel auf? Hawaii ist ein Paradies für amerikanische Touristen.« »Soviel Geld werde ich nicht zusammenbekommen …« »Hör mal, bei der Figur, die du hast.« »… aber ich hoffe, daß es für ein nettes Fischrestaurant in Honolulu reichen wird.« »Ganz bestimmt. Trinken wir noch einen?« »Wie du möchtest.« »Meinetwegen kann der Wirt gleich ein ganzes Rumfaß auf den Tisch stellen, damit er nicht so oft laufen muß.« Lachend bestellte Pierre Hennessy wieder dasselbe. Er zahlte gleich. Das machte er im-
mer, damit er nicht die Übersicht verlor. »Sag mal, was hältst du eigentlich vom Moano-Vulkan?« Das Mädchen senkte den Blick. »Er macht mir Angst.« »Weil ein böser Geist in ihm wohnt?« »Du glaubst nicht daran?« »Aber ja. Neulich sind ein Mann und eine Frau – verrückte Leute – in den Krater gestiegen. Moano hat sie nicht mehr fortgelassen. Er hat sie einfach dabehalten. Was will er denn mit ihnen? Kannst du mir das erklären?« »Er bestraft jeden, der sich in seine Nähe wagt, mit dem Tod«, sagte das Mädchen ernst. Hennessy griente. »Dann sieht er es auch wohl nicht gern, daß wir seine Kraft dazu nutzen wollen, der Menschheit Gutes zu tun.« »Ganz bestimmt nicht.« Das Mädchen wurde unruhig, rutschte auf Hennessys Knien hin und her. Dieses Thema war nicht nur ihr, sondern allen, die den Moano-Vulkan kannten, unangenehm. »Was wird er deiner Meinung nach gegen uns unternehmen?« wollte Pierre Hennessy wissen. »Wer kann das sagen? Ihm stehen gewaltige, unvorstellbare Kräfte zur Verfügung, gegen die ein Mensch nicht das Geringste ausrichten kann. Wenn Moano will, kann er uns alle vernichten. Wir sind nichts weiter als winzige Ameisen für ihn.« Pierre kicherte. »Siehst du, bei solchen Zukunftsaussichten ist es meines Erachtens besser, das verdiente Geld schnell unter die Leute zu bringen, denn wenn Moano erst zu toben anfängt, ist unser Geld ohnedies keinen Pfifferling mehr wert.« Das Mädchen glitt von seinem Schoß. »Du solltest nicht solche Reden führen.« »Weshalb nicht?« »Er könnte dich hören und dafür bestrafen.« Hennessy lachte. »Ich habe keine Angst vor ihm. Vielleicht ticke ich nicht ganz richtig, aber ich habe keine Angst vor dem Sterben.«
»Aber ich. Ich hänge am Leben.« »Moano wird es dir nicht nehmen. Ganz bestimmt nicht.« »Das kann niemand wissen.« Hennessy wollte nach der Hand des Mädchens fassen, doch sie machte einen schnellen Schritt zurück. »Wir sollten nicht mehr länger über den albernen Vulkan reden, Baby. Dieses Thema macht unsere schöne Stimmung kaputt. Komm, wir gehen zu mir nach Hause. Und wenn du recht nett zu mir bist, kriegst du mehr, als wir abgemacht haben, einverstanden?« »Ich komme gleich wieder«, sagte sie und verschwand. Hennessy trank zwei weitere Gläser Jamaica-Rum. Plötzlich hatte er das Gefühl, jemand würde ihn unentwegt anstarren. Seine Nackenhaare stellten sich quer. Er drehte sich langsam um, und da sah er die Schwarzhaarige. Keines der Mädchen, das man hier für Geld bekommen konnte, war hübscher als sie. Sie strahlte vor Schönheit. Ihr Lächeln war so geheimnisvoll wie das einer Sphinx. Das lange schwarze Haar wallte bis auf ihre wohlgerundeten Schultern. Pierre Hennessy war von dieser angenehmen Erscheinung gewaltig beeindruckt. Er schluckte aufgeregt. Das Girl, mit dem er sich arrangiert hatte, war längst vergessen. Er trank schnell den restlichen Rum aus und stakste dann auf die Schwarzhaarige zu. Mochte der Teufel wissen, wieso sie sich ausgerechnet für ihn interessierte. Aber es gab keinen Zweifel. Sie stand neben der Tür und hatte nur Augen für ihn. Was für Augen! Ihr Blick war zwingend, verlockend, verheißungsvoll. Pierre wußte vom ersten Moment an, daß ihm dieses Mädchen ein Erlebnis zu bereiten wollte, wie es keines der anderen Girls zustande bringen konnte. Er war von ihrer unglaublichen Ausstrahlung fasziniert. Sie duftete nach irgendwas. Er wußte aber nicht, was es
war. Jedenfalls hatte seine Nase etwas so Betörendes noch nie gerochen. »Hallo«, sagte er, als er bis auf einen Schritt an sie herangekommen war. Sie wich seinem kecken Blick nicht aus. »Hallo«, gab sie zurück. »Ich bin Pierre Hennessy, der Vorarbeiter.« »Und ich bin Isabel Snake.« Das kalte Blitzen in ihren bernsteinfarbenen Augen hätte ihm zu denken geben müssen, aber er war von dem Äußeren dieses berückenden Mädchens so sehr überwältigt, daß er es übersah.
* Wenn Suko dabei war, brauchte John Sinclair keinen Gepäckträger. Der hünenhafte Chinese schleppte alles, was John mit auf die Reise nahm, mühelos. Oft schon hatte John gesagt: »Höre mal, Suko, ich will das nicht. Du bist nicht mein Sklave.« Doch Suko hatte es abgelehnt, darüber zu diskutieren, und so hatte John wohl oder übel eines Tages resigniert. Sie trafen am späten Nachmittag in Honolulu ein. »Waikiki«, schwärmte Bill Conolly und rollte verträumt mit den Augen. »Das meistbesuchte Ferienparadies des Pazifik. Wenn wir unsere Arbeit getan haben, sollten wir uns das mal ansehen. Was haltet ihr von diesem Vorschlag?« »Hört sich recht viel versprechend an«, gab John schmunzelnd zurück. Sie standen in der Ankunftshalle des großen Flughafengebäudes. War das ein Gewimmel um sie herum. John zeigte auf die Schuhspitzen seiner beiden Freunde und sagte: »Paßt mal auf das Gepäck auf. Ich erkundige mich rasch, wann die nächste Maschine nach Kauia fliegt.« Er verschwand. Suko stellte das Gepäck nicht ab. Er befürchtete, daß es in diesem Trubel geklaut werden würde. Bill wollte hören, wie der Chinese
über das bevorstehende Abenteuer dachte. Im Brustton vollster Überzeugung erwiderte darauf Suko: »John wird Moano vernichten.« Bill seufzte. »Das hoffe ich auch. Fragt sich nur, wie er das Kunststück fertig bringen wird.« John kehrte zurück. »In einer halben Stunde geht eine Maschine der Hawaiian Airlines nach Kauai. Flugzeit fünfundzwanzig Minuten. Oder sollen wir uns ein Air-Taxi nehmen?« Bill Conolly dachte an die Spesen, die er nicht zu hoch schrauben wollte, und schüttelte mit geschürzten Lippen den Kopf. »So eilig haben wir’s auch wieder nicht.«
* Pierre Hennessy musterte Isabel Snake mit unverhohlener Gier. »Du bist das schönste Mädchen weit und breit. Wie kommt es, daß ich dich noch nie gesehen habe?« »Ich bin heute zum erstenmal hier.« Hennessy lachte. »Du hast Glück, daß du beim erstenmal gleich an den richtigen Mann geraten bist. Ich bin nicht knauserig. Ich feilsche auch nicht um den Preis. Was du verlangst, kriegst du, und ich muß gestehen, wieviel auch immer du forderst, es ist zuwenig. Mutter Natur hat dich in ihrer besten Laune erschaffen. Wollen wir gleich gehen, oder soll ich dir erst noch einen Drink spendieren, um dich in Stimmung zu bringen?« Das Mädchen funkelte Hennessy geheimnisvoll an. »Ich bin in Stimmung.« Der Franzose nickte grinsend. »Um so besser. Dann wollen wir jetzt gleich ans Werk gehen.« Er nahm sie um die Mitte. Ein paar Männer grinsten ihn an, als er mit stolzgeschwellter Brust die kleine Bar verließ. Er las in ihren Augen, daß sie ihm dieses Girl neideten. Er hatte in Venezuela nach Erdöl gebohrt, auch in Kuwait und
Saudi-Arabien. Überall hatte es Mädchen gegeben. Entweder waren sie ins Lager gekommen, oder man hatte sie in der nahe gelegenen Stadt aufgesucht, um in ihren Armen für eine Weile zu vergessen, was für ein armes Schwein man im Grunde genommen doch eigentlich war. Kein richtiges Zuhause. Keine Frau, keine Familie. Nur Arbeit. Und nachts die Einsamkeit, wenn das Geld alle war. Viele Mädchen hatten Pierre schon Liebe vorgeheuchelt, und er hatte ihnen dafür hinterher großzügig Geld aufs Bett geworfen. So waren die Spielregeln, an die sich Männer wie er zu halten hatten. So viele Mädchen waren schon mit ihm gegangen. Aber keine einzige war auch nur annähernd so schön gewesen wie Isabel Snake. Pierre bewohnte eine kleine Bretterhütte am Ende der Siedlung. Es war dunkel. Er und Isabel schritten an den erhellten Fenstern der Arbeiterquartiere vorbei. Jemand zupfte auf einer Gitarre. Ein anderer spielte wehmütige Weisen auf seiner Mundharmonika. »Kitschiger geht’s wirklich nicht mehr, was?« fragte Pierre das Mädchen. »Eine Szene wie aus einem Hollywoodschinken. Hier diese miesen engen Buden. Dahinter die rauschenden Palmen. Und über allem thront majestätisch der feuerspeiende Berg, der jederzeit seine Lava ausstoßen kann, unter der wir alle krepieren würden. Was meinst du, wird er’s tun?« »Ich weiß es nicht.« »Du bist nicht von hier, nicht wahr? Du bist keine Hawaiianerin. Du hast keine polynesischen Gesichtszüge.« »Ich bin trotzdem ein Kind dieser Insel«, behauptete Isabel. »Mit weißen Eltern, he?« »Ich habe keine Eltern.« »Vielleicht jetzt nicht mehr. Aber jeder Mensch hatte Vater und Mutter.« Hennessy grinste anzüglich. »Wer weiß. Vielleicht machen wir beide heute Nacht auch einen hübschen kleinen Jungen.« Sie erreichten Hennessys Hütte.
Er wies auf die windschiefe Bude und meinte achselzuckend: »Es ist zwar kein Palast, aber da drinnen sind wir wenigstens allein und ungestört.« Triumph loderte in Isabels Augen. Allein und ungestört wollte sie mit dem Franzosen sein. Er öffnete ihr die Tür und ließ sie eintreten. Mit einem dumpfen Laut sprang die Propangasleuchte an, als er das Zündholz daran hielt. Sie leuchtete zu grell, Hennessy drosselte die Gaszufuhr ein wenig. In der Hütte gab es nicht viel mehr als ein Bett. Umgedrehte Kissen dienten als Stuhl und Tisch. An den Wänden gab es Fächer aus rohen Brettern, auf denen alles stand, was Pierre Hennessy besaß. Die Stirnwand der Bude war mit zahlreichen Ansichtskarten bepflastert. Überall, wo Hennessy hinkam, kaufte er sich alle Ansichtskarten, die er kriegen konnte. Dazwischen klebten Poster mit nackten Mädchen in sinnlichen Posen, damit ein bißchen Atmosphäre ins Heim kam, wie der Franzose meinte. Er glaubte plötzlich, Fieber zu haben. Es schüttelte ihn wie beim erstenmal, als er mit einem Mädchen zusammen gewesen war. Gott, wie lange war das schon her. Seither war er nie mehr wieder so schrecklich aufgeregt gewesen. Sein Herz schlug hoch oben im Hals. Er atmete schnell und drehte sich mit begeistertem Schwung herum. Doch plötzlich erstarrte das erwartungsvolle Lächeln auf seinem Gesicht zur Maske. Ungläubigkeit spiegelte sich in seinen weit aufgerissenen Augen. Er schüttelte benommen den Kopf. »Das … das gibt’s doch nicht! Das kann doch nicht sein! Das ist doch unmöglich!« Er dachte, der viele Jamaica-Rum habe seinen Geist verwirrt. Ein Trugbild. Es konnte unmöglich die Wirklichkeit sein, die er da sah. Ihn packte das nackte Grauen. Isabel Snake hatte vor einer Minute begonnen, sich zu verwandeln. Ihr Kopf war kleiner geworden. Ihr Hals hatte sich mit Schuppen bedeckt, eine flache Form angenommen und sich aufgebläht. Ihr Körper war immer noch der eines unglaublich schönen Mädchens. Aber ihr Kopf … Er war zum Kopf einer gefährlichen Kobra gewor-
den!
* Beim Antritt des Fluges nach Kauai setzte die Dämmerung ein. Als die Maschine der Hawaiian Airlines in Lihue landete, brannten bereits die Lichter. Die Freunde sahen in der Ferne den bedrohlichen Moano-Vulkan, dessen Gipfel rot zu glühen schien. Ein wundervolles Naturschauspiel. »Das ist er, John«, flüsterte Bill mit finsterer Miene, es klang beinahe ehrfurchtsvoll. »Das ist dein Gegner.« John warf dem Freund einen schnellen Blick zu. »Du befürchtest, daß ich an ihm scheitern werde, nicht wahr?« »Ich hoffe, daß es nicht so kommt.« Über ihren Köpfen schwebte ein Zeppelin. Er kreiste über Lihue. An seiner Seitenfront huschten Buchstaben entlang: Die neu angekommenen Touristen werden herzlich willkommen geheißen. Suko wies mit dem Daumen auf die fliegende Zigarre und knurrte: »Die Botschaft kommt bestimmt nicht von Moano.« John ging telefonieren. Er betrat eine Telefonbox vor dem Flughafengebäude und wählte die Nummer, die ihm Superintendent Powell mitgegeben hatte. Es dauerte nicht lange, und er hatte Mort Agamemnon, den Projektleiter, an der Strippe. »Ah! Mr. Sinclair!« tönte es aus dem Hörer. »Ich bin Mort Agamemnon. Weder verwandt noch verschwägert mit dem König von Mykene. Ich habe Ihren Anruf schon erwartet. Bleiben Sie, wo Sie sind. Ich schicke Ihnen einen Hubschrauber, der Sie abholt … Oder nein, ich fliege die Mühle gleich selbst. Also – bis in ein paar Minuten.« John kehrte zu seinen Freunden zurück. »Wir werden abgeholt.« Zehn Minuten später kam der Helikopter angeknattert. Er setzte präzise auf dem Landeplatz für Hubschrauber auf. John, Suko und
Bill liefen gegen den Rotorwind an. Mort Agamemnon stieß die Kanzeltür auf und brüllte seinen Gästen einen Willkommensgruß entgegen. Doch gegen den Motorlärm kam er nicht an. Agamemnon strich sich kurz über das gekrauste Haar. Sein Gesicht war breit und freundlich. Der Projektleiter reichte einem nach dem andern die Hand und sagte jedem, daß er sich freue, seine Bekanntschaft zu machen. Kaum hatte Suko die Kanzeltür hinter sich geschlossen, da hob der Helikopter schon wieder vom Landepunkt ab, um die Freunde zum Camp am Fuße des Moano-Vulkans zu bringen. Mort Agamemnon stellte viele Fragen. »Wie war der Flug? Wie klappte es mit der Verbindung? Wie waren Sie mit dem Service zufrieden? Wie geht es Superintendent Powell?« John versuchte auf alle Fragen erschöpfende Antworten zu geben. Die Lichter des Camps tauchten auf. Wie beleuchtete Stecknadelköpfe strahlten sie in der Dunkelheit. Mort Agamemnon zog den Hubschrauber über die finsteren Palmenwipfel und drückte die Maschine dann sachte nach unten. Für John Sinclair, Suko und Bill Conolly brach eine der letzten friedlichen Minuten an …
* Erschüttert und fassungslos starrte Pierre Hennessy das Mädchen an, das sich vor seinen Augen in ein Monster verwandelt hatte. Isabel Snakes Kopf war mit glänzenden Schuppen bedeckt. Ihr schwarzes Haar war verschwunden. Aus ihrem gefährlichen Reptilienmaul kam ein furchteinflößendes Zischen, und die Schlangenzunge schoß immer wieder blitzschnell in Hennessys Richtung, Der Vorarbeiter schüttelte benommen den Kopf. »Ich muß wohl den Verstand verloren haben!« keuchte er. »Ich sehe Gespenster!« Er schlug sich mit den Fäusten auf den Schädel, daß man es sogar draußen vor der Hütte hören konnte. »Was ist
bloß los mit mir?« fragte er sich entsetzt. Isabel Snake kam langsam auf ihn zu. Ihr Schlangenblick versuchte ihn zu hypnotisieren. Gleich würde sie mit ihren tödlichen Giftzähnen zubeißen, dann war Pierre Hennessy unweigerlich verloren. Der Vorarbeiter machte einige unsichere Schritte zurück. Er stieß mit dem Rücken gegen die Wand, konnte nicht mehr ausweichen, blieb mit zitternden Knien verstört stehen. Schweiß brach ihm aus den Poren. So viel Angst wie in dieser Nacht hatte er in seinem ganzen Leben noch nicht. Und dieses Angstgefühl nahm ihn immer mehr gefangen, je näher die Schlange kam. Pierre fürchtete den Biß des Untiers, das ihn mit dem Schlangenkopf anekelte, während der makellose Körper des Mädchens weiter seine Blicke anzog. – Was sollte Pierre von diesem Lebewesen halten? »Weg!« schrie Hennessy in seiner hitzigen Verzweiflung. »Weg! Laß mich in Ruhe! Geh! Raus aus meiner Hütte! Raus sag’ ich!« Die Schlange hatte ihn schon fast erreicht. Pierre Hennessy fiebernde Augen suchten einen Ausweg. Zur Tür konnte er nicht. Diesen Weg hatte ihm Isabel Snake abgeschnitten. Wohin sollte er sich aber sonst wenden? Es gab keinen anderen Fluchtweg. Als er seine übergroße Furcht nicht mehr verkraften konnte, ging er schreiend zum Angriff über. Mit wirbelnden Fäusten sprang er die Kobra an. Er schlug auf ihren ekelhaften Schädel mit aller Kraft ein. Giftzähne hackten nach seinem Arm, verfehlten ihn um Haaresbreite. Er begann um Hilfe zu schreien, während er nach dem Monster mit Füßen trat. Isabel war kein Mädchen mehr für ihn. Sie war zu einem grauenerregenden Scheusal geworden, das er sich um jeden Preis vom Leibe halten mußte. »Hilfe!« schrie er indessen, so laut er konnte. »Hilfeee!« Und er hoffte, daß ihn seine Leute, die nicht weit von seiner Hütte weg
wohnten, hörten und etwas zu seiner Rettung unternahmen. Er hieb nach dem Leib des Mädchens. Sie hatte brettharte Muskeln. Er schlug sich daran die Knöchel wund. Sein nächster Faustschlag ging daneben. Der eigene Körperschwung warf ihn nach vorn, an Isabel Snake vorbei, und die Kobra biß genau im richtigen Augenblick zu. Ihre Giftzähne gruben sich tief in Hennessys Nacken. Mit schmerzverzerrtem Gesicht erstarrte der Vorarbeiter. Ein heulender Klagelaut kam über seine Lippen. Und dann begann das Schlangengift zu wirken. Heftige Qualen wüteten im Körper des Franzosen. Er schrie, schrie, schrie … schrie so lange, bis er zusammenbrach.
* Mort Agamemnon landete mit dem Helikopter hinter den Arbeiterbaracken. Er machte den Gurt los, nachdem er den Motor abgestellt hatte, und nickte John Sinclair freundlich zu. »Ich habe bereits Quartier für Sie gemacht, Oberinspektor. Es wird zwar nicht so komfortabel wie in good old London sein, aber ich denke, wenn Sie nicht allzu anspruchsvoll sind, werden Sie damit zufrieden sein.« »Davon bin ich jetzt schon überzeugt.« John sprang aus dem Hubschrauber. Hinter ihm kam Bill Conolly. Dann verließ Suko mit all dem Gepäck die Mühle. Zuletzt kletterte Mort Agamemnon aus dem Hubschrauber. Er zeigte den Freunden, wo sie wohnen würden. Ein gemauertes Haus. Sogar mit Duschnische. Mehr konnte man in der Wildnis wirklich nicht verlangen. Kühlschrank mit Bier und alkoholfreien Getränken. Drei Schlafstellen und zwei Schreibtische – einer für Bill Conolly und einer für den Oberinspektor, wie der Projektleiter erklärte. Agamemnon wies auf den Chinesen die Schulter. »Ich hoffe, Sie schreiben was Nettes über uns, Mr. Conolly.«
Suko blickte sich in dem großen Raum kurz um und stellte dann das Gepäck in eine Ecke. Agamenon wies auf den Chinesen. »Wenn der die Hand ausstreckt«, meinte er grinsend, »kann er den gesamten Moano-Krater zudecken, was?« Der Projektleiter lachte schallend und schlug den Freunden vor, sie sollten nur schnell das Nötigste auspacken und dann zu ihm hinüberkommen. »Mein Koch hat für Sie leckere Fischgerichte vorbereitet. Bei der Gelegenheit kann ich Sie dann gleich mit ein paar Landsleuten bekanntmachen: David King und Neal Wheelack.« Bill wies auf Sukos Nabel und sagte: »Vorsichtig, Junge. Die polynesische Küche ist als sehr nahrhaft verschrien. Bei deiner Figur mußt du dich schon etwas zurückhalten.« Suko winkte mit einem breiten Lächeln ab. »Das strample ich schon wieder runter. In John Sinclairs Gegenwart ist es unmöglich, Fett anzusetzen.« Plötzlich ein Schrei, der die Männer jäh erstarren ließ. Mort Agamemnon riß bestürzt die Augen auf. »Großer Gott, was ist denn da passiert?« stieß er hervor.
* Der Geisterjäger stürzte augenblicklich aus dem Quartier. Männer kamen aus ihren Hütten. Sie blickten alle verstört in dieselbe Richtung, aber keinem wäre eingefallen, dem Mann, der so laut um Hilfe schrie, beizustehen. »Das kommt aus Pierre Hennessys Hütte!« rief jemand. John riß einen Mann aufgeregt herum. »Wer ist Pierre Hennessy?« »Unser Vorarbeiter.« »In welcher Hütte wohnt er?« »In der letzten.« John Sinclair war schon dorthin unterwegs. Die Männer, die ihm im Weg standen, stieß er einfach zur Seite. Suko und Bill Conolly folgten ihm. Sie waren die einzigen, die etwas zu Hennessys Ret-
tung unternahmen. Die anderen gafften nur blöde in die Gegend. Mort Agamemnon kam aus dem für Sinclair und seine Freunde eingerichteten Quartier. »Lieber Himmel, kann mir einer sagen, was mit Pierre los ist? Warum schreit er so entsetzlich? Hat er mit jemandem Streit?« Ein drahtiger Arbeiter schüttelte den Kopf. »Mit einer Puppe ist er nach Hause gegangen. Alles sah bestens aus. Sie waren sich einig. Vielleicht hat das Mädchen versucht, ihn übers Ohr zu hauen. Das ließ sich Pierre natürlich nicht gefallen, und so könnte es zum Streit gekommen sein.« »Mann, dann müßte doch das Mädchen um Hilfe rufen und nicht Pierre«, sagte Mort Agamemnon verständnislos. Das Brüllen hörte so plötzlich auf wie es begonnen hatte. John Sinclair erreichte die Hütte des Vorarbeiters. Er warf sich gegen die Tür, schleuderte sie zur Seite, wirbelte hinein. Das spärliche Licht der Gaslampe ließ kaum etwas im Raum erkennen, deshalb stellte John die Flamme stärker. Pierre Hennessy hockte auf dem Boden. Seine starren Augen waren auf die gegenüberliegende Wand gerichtet. Suko trat ein. »Mein lieber Mann, haben Sie uns allen einen Schrecken eingejagt«, sagte John vorwurfsvoll. »Weswegen haben Sie geschrien?« Hennessy hob den Blick. Er sah den Oberinspektor an, schaute aber gleichzeitig durch ihn hindurch. Mit tonloser Stimme sagte er: »Ich weiß nicht, daß ich geschrien habe.« »Und wie!« bemerkte Bill, der sich auch noch in die Hütte gezwängt hatte. Draußen kamen die Arbeiter langsam näher. Abwartend, gespannt. »Man hat Sie bestimmt bis Lihue gehört.« »Was war los?« fragte John. »Ich … weiß nicht«, erwiderte Hennessy. »Mir war nicht gut. Ich legte mich hin und schlief sofort ein.« »Kann es sein, daß Sie schlecht geträumt haben?«
»Sicher, aber ich kann mich an keinen Traum erinnern.« Irgendetwas gefiel John Sinclair an dem Mann nicht. Pierre Hennessy redete mit einer dumpfen Stimme, als würde er sich in tiefer Trance befinden. Seine Bewegungen waren matt, schienen ihn anzustrengen. Nein, irgendetwas war mit diesem Mann nicht in Ordnung. Ehe John der Sache auf den Grund gehen konnte, erschien der Camp-Doktor, um sich um den Franzosen zu kümmern. Der Mann hieß Eimer Stack, war fünfundvierzig, sah aus wie sein eigener Großvater. Er fummelte aufgeregt an Hennessy herum, fühlte dessen Puls, klopfte die Brust des Vorarbeiters ab. Das Ende seiner Weisheit war eine Beruhigungsspritze, damit sich der Patient wieder entspannte. Das Geschrei ging dem Geisterjäger nicht aus dem Kopf. Pierre Hennessy hatte in größter Bedrängnis um Hilfe geschrien. Vermutlich in Todesangst. Ein Traum? Hatte den Mann wirklich nur ein Alptraum so schwer geschockt?
* Nach diesem Vorfall kam während des Abendessens in Mort Agamemnons Haus keine rechte Stimmung auf. Jeder schlang die Speisen pflichtschuldig hinunter, um den Koch nicht zu beleidigen, trachtete dann aber, so rasch wie möglich nach Hause zu kommen. Tags darauf saß John Sinclair in Mort Agamemnons Büro. Der Projektleiter führte einige Telefonate, lehnte sich dann aufatmend zurück und sagte: »So, Oberinspektor. Jetzt habe ich ein bißchen Zeit für Sie.« In dem kleinen Büro waren Landkarten an die Wand genagelt. Die eine zeigte die Insel Kauai. Die andere das Gebiet um den MoanoVulkan. Eine dritte Karte ging noch mehr ins Detail. Bill Conolly und Suko machten inzwischen einen Rundgang durch das Camp. Bill sammelte für seine Reportage Eindrücke, die er in
Stichworten auf einem Schreibblock festhielt. Er sprach mit einigen Leuten, um sich ein besseres Bild von ihrer Arbeit machen zu können. Die ganze Zeit über schielte Suko mißtrauisch zum Krater des Vulkans hinauf. Sein sechster Sinn signalisierte ihm eine Gefahr, und er war sicher, daß sie von dort oben kommen würde. Hell glühend spritzte der Aschenregen aus dem feuerspeienden Berg, in dem ein Lavadämon hausen sollte. Nun, es würde sich sehr bald weisen, was es mit dieser Legende auf sich hatte. »Sie wissen, weshalb ich hier bin«, sagte John Sinclair zu Mort Agamemnon. Der Projektleiter nickte. »Superintendent Powell sagte zu, seinen besten Mann rüberzuschicken.« »Er übertreibt gern.« Agamemnon rieb sich das Kinn. »Haben Sie wirklich schon so viel mit Ungeheuern und dergleichen zu tun gehabt?« »Erwarten Sie von mir, daß ich mich jetzt zu brüsten anfange? Ich bin einer der wenigen Spezialisten, die sich im Kampf gegen Geister und Dämonen seit Jahren bewähren. Da Eigenlob bekanntlich stinkt, werde ich Ihnen nicht mehr über meine Person erzählen, Mr. Agamemnon.« »Wie Sie wollen.« »Berichten Sie mir von Reggie und Nathaniel Renner.« »Die beiden kamen eines Tages hier angetanzt, fielen mir eine Weile auf den Wecker, fotografierten die Männer bei der Arbeit, nach der Arbeit und … Wir haben da so eine kleine Bar, in die auch Hawaii-Mädchen mal reingucken. Die Arbeiter vergnügen sich mit ihnen. Und wenn sie sich über den Preis einig werden können, verschwinden sie in ihrem Quartier, um dem Körper zu geben, wonach er verlangt. Ich finde das nicht verwerflich, verstehen Sie? Diese Männer müssen hart arbeiten.
Und wir leben hier alle nicht in einem Kloster oder so. Also warum nicht … Aber Reggie und Nathaniel Renner versuchten die Sache in ein anderes Licht zu bringen. Sie wollten daraus eine Sensation machen: Sodom und Gomorrha, am Fuße des feuerspeienden Berges. Sie gaben den Girls Geld, damit sie sich nackt in der Bar mit den Arbeitern fotografieren ließen … Naja. Bis ich mit einem Blitzdonnerwetter dazwischen fuhr. Danach war Ruhe. Aber die Renners hatten bereits die nächste Idee geboren. Sie wollten unbedingt in den Vulkan hinabsteigen und dort unten Aufnahmen machen, wie sie vor ihnen noch kein Mensch zustande gebracht hatte. Jeder, dem sie von ihrem wahnwitzigen Vorhaben erzählten, riet ihnen ab. Auch ich warnte sie. Aber das schien sie nur noch mehr anzustacheln. Mit ihrer spärlichen Ausrüstung machten sie sich auf den Weg. Als sie das Camp verließen, war ich sicher, daß wir sie nicht wieder sehen würden. Und so kam es dann auch. Der Vulkan hat sie bei sich behalten.« »Der Vulkan oder der Dämon, der in ihm wohnt?« Mort Agamemnon hob die Schultern. »Für mich ist das nichts weiter als ein feuerspuckender Berg. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß da einer in der kochenden Lava sitzt und auch noch Gefallen daran findet.« »Die Suchmannschaft brachte nur das Bergsteigerseil zurück, das die Renners bei sich hatten, nicht wahr?« fragte John. »So ist es.« »Und der Vulkan, wie hat sich der in der Zeit verhalten, in der er von den Renners Besuch hatte?« forschte John Sinclair weiter. »David King, unser Vulkanologe, stellte fest, daß der Berg unruhig war. Und Neal Wheeleck, unser Geophysiker, will beobachtet haben, wie eine Flamme kurz aus dem Krater schlug. Außer ihm hat das aber niemand sonst gesehen. Wir haben hier andere Dinge zu tun, als immerzu den Krater zu beobachten.«
»Wurde der Moano-Vulkan bereits mit modernen geophysikalischen, geochemischen und petrologischen Methoden untersucht?« erkundigte sich John. »Nun ja, zahlreiche Untersuchungen hat er schon über sich ergehen lassen müssen, aber es sind bei weitem noch nicht alle Tests gemacht worden. Inzwischen versuchen wir hier künstliche Geysire zu bohren, die dann zur Stromgewinnung herangezogen werden sollen. Die ganze Welt sucht nach neuen Energiequellen. In jedem Vulkan schlummert eine Unmenge Energie. Es wird Zeit, daß die Menschheit sich ihrer zu bedienen beginnt.« »Wann ist der Moano-Vulkan zum letztenmal ausgebrochen?« fragte John weiter. »Och, das ist schon eine Ewigkeit her.« »Besteht in naher Zukunft die Gefahr einer neuen Eruption?« Mort Agamemnon breitete die Arme aus und fragte zurück: »Wer kann das mit Sicherheit vorhersagen?« »Ich brauche einen geländegängigen Wagen, damit ich mich in der Gegend ein bißchen umsehen kann.« Der Projektleiter nickte sofort. »Können Sie haben. Ist gar kein Problem. Werden auch Sie in den Krater hinabsteigen, Oberinspektor?« »Das weiß ich noch nicht. Ich hoffe, daß es mir erspart bleibt.« »Wenn Sie einen Asbestanzug brauchen, ich kann Ihnen einen verschaffen. Die Renners kletterten in Jeans und Natojacken in den Bauch des Berges. Verrückt, diese Leute. Vollkommen meschugge.« Mort Agamemnon schwieg kurz. Dann sagte er gepreßt: »Eigentlich sollte man über Tote nicht schlecht reden …« John hörte sich die Legende, die ihm bereits bekannt war, noch einmal an. Er hoffte, daß ihm Mort Agamemnon etwas Neues erzählte, aber vergeblich. Aber Agamemnon kam in diesem Zuge auf ein anderes Thema zu sprechen. »In der Nähe des Camps soll ein Medizinmann namens Zarrambo wohnen. Die Eingeborenen behaupten, er könne zaubern. Ist natürlich Quatsch, aber die einfältigen Insulaner kaufen ihm seine Taschenspielertricks eben ab. Er genießt hohes Ansehen bei seinen
Freunden. Und er haßt uns wie die Pest.« »Weshalb?« »Er verehrt den Dämon, der angeblich im Vulkan wohnt. Und er befürchtet, daß Moano, wenn wir seine Kräfte für gute Zwecke nützen, so wütend werden könnte, daß er die ganze Insel in die Luft fliegen läßt.« John beschloß, diesen Zarrambo aufzusuchen. Er erhob sich. Abschließend erkundigte er sich noch nach dem Befinden von Pierre Hennessy. Mort Agamemnon antwortete: »Der hat sich krank gemeldet. Das hat’s bei dem noch nie gegeben. Halb tot hat sich der sonst immer noch zur Arbeit geschleppt.« »Was sagt Dr. Stack zu Hennessys Zustand?« »Der kann nichts finden. Eine Leuchte ist Stack sowieso nicht. Und wenn ihm ein Kranker dann auch noch ein Rätsel aufzulösen gibt, steht er hilflos da. Stack ist gut für ein gebrochenes Bein, für Verbrennungen, wenn sie nicht zu schwer sind … Für so etwas kann man ihn brauchen. Wenn einer aber ernsthaft erkrankt, ist es besser, man fliegt ihn in eine Klinik nach Honolulu. Ich werde sehen, was mit Pierre weiter passiert. Wenn sich sein Zustand nicht bessert, packe ich ihn morgen zusammen und bringe ihn ins Krankenhaus. Vielleicht ist er an einem geheimnisvollen Virus erkrankt. Wer weiß es schon?« Mort Agamemnon schüttelte den Kopf. Er blickte zum Fenster hinaus. »Sonderbar …« »Was finden Sie sonderbar?« hakte John Sinclair sofort ein. »Kurz bevor Pierre uns alle so sehr mit seinem dummen Gebrüll erschreckt hat, soll er noch recht vergnügt in der Bar gesessen haben. Mit einem Girl auf den Knien. Und gesoffen soll er haben wie ein Loch. Vielleicht hat ihm der viele Rum geschadet.« John meinte verwundert: »Als ich in seine Hütte kam, behauptete er, er habe geschlafen.« Der Projektleiter blickte John geradewegs an. »Und es war wirklich niemand bei ihm?«
»Er war allein in der Hütte.« »Aber er ging mit einem Mädchen aus der Bar. Ein verdammt hübsches Mädchen soll es gewesen sein. Eine, die noch nie da gewesen war. Keiner hat sie gekannt.« »Wie sah sie aus?« »Langes schwarzes Haar, bernsteinfarbene Augen. Eine traumhafte Schönheit muß sie gewesen sein. Alle schwärmten von diesem Mädchen. Und über eine unglaublich starke Ausstrahlung soll sie verfügt haben. Mit ihr verließ Pierre die Bar. Zusammen gingen sie in seine Hütte … Und dann hat er wie am Spieß gebrüllt.« »Und das Mädchen verschwand«, vermutete John nachdenklich. »Wenn Sie noch mal hier auftaucht, würden Sie mich dann unverzüglich verständigen?« Mort Agamemnon nickte sofort. »Das kann ich machen. Kommen Sie, ich zeige Ihnen jetzt, welchen Wagen Sie haben können.«
* Als sie das Camp im Wagen verlassen wollten, ließ ihnen Neal Wheeleck, der Geophysiker, über den Weg. John wäre dem langen, hageren Mann beinahe über die Fersen gefahren. Wheeleck trug ein Khakihemd, bis zum Nabel offen, daß man den schwarzen Pelz auf seiner Brust sehen konnte. Wie er während des Abendessens erwähnt hatte, stammte er aus Liverpool. Er spulte sein schelmisches Lächeln ab und fragte: »Na, Oberinspektor. Unterwegs zu neuen Taten?« »Vielleicht sagt Ihnen Moano guten Tag.« »Darauf kann ich verzichten. Haben Sie den Dämon schon mal mit eigenen Augen gesehen?« »Nein. Es heißt, daß jeder verloren ist, der ihm von Angesicht zu Angesicht gegenübersteht.« »Als das Ehepaar Renner in den Krater kletterte, war der Vulkan
unruhig, nicht wahr?« »Allerdings. Es rumorte ganz schön in seinem Bauch.« »Glauben Sie, daß das eine Reaktion auf den unerwünschten Besuch war?« »Kann schon sein. Vielleicht bereitet sich der Vulkan aber auch nur darauf vor, uns mit glühender Lava zu bespucken. Die Eingeborenen – ihnen allen voran Zarrambo, der Medizinmann – scheinen für bevorstehende Vulkanausbrüche eine ganz besonders empfindliche Antenne zu haben. Wie die Eichhörnchen, die einen strengen Winter schon vorhersehen, ehe die Meteorologen ihn erahnen können.« »Sie meinen, der Berg bereitet sich auf einen großen Knall vor?« »Die Eingeborenen haben heute einige lebende Schweine in die Lava geworfen, um den Dämon zu besänftigen. Sie sind der Auffassung, daß wir ihn mit unserer Arbeit reizen, und damit seine Rache sie nicht trifft, opfern sie ihm die Schweine.« »Wäre bei einem Vulkanausbruch das Camp gefährdet?« wollte Bill weiter wissen. »Das kommt ganz darauf an, wie heftig der Vulkanausbruch ist.« »Was zeigen Ihre Geräte an?« fragte John. »Normale Werte. Kein Grund zur Besorgnis – vorläufig. Aber was nicht ist, kann noch werden.«
* Es ging über Stock und Stein. Bill Conolly sprach ab und zu ein paar Bemerkungen in das Mikrophon seines Kassettenrecorders. Die Freunde saßen im offenen Jeep. Der holperige Weg führte steil den Hang hinauf. John Sinclair hatte einige Bambusstangen abgeschnitten und Suko aufgetragen, die auf dreißig Zentimeter gekürzten Stangen nach seinen Weisungen zusammenzubinden. Während der Jeep nun den Hang hinaufrumpelte, arbeitete der Chinese mit düsterer Miene. Er blickte nicht nach vorn, sah nichts von der prachtvol-
len Landschaft, konzentrierte sich ganz auf das, was zu tun war. »John!« rief plötzlich Bill. Der Reporter wies nach vorn. John Sinclair hatte die Gruppe Eingeborener bereits entdeckt. Die Männer stapften mit nackten Füßen über das scharfe Lavagestein. Sie umringten einen hochgewachsenen Kerl, der sie alle überragte. Er wirkte sehr kräftig. Sein Gesicht war mit weißer Farbe beschmiert. Auf dem Kopf trug er einen Schmuck aus Hahnenfedern, der ihn noch größer wirken ließ. Haß loderte in seinen schwarzen Augen, als er auf den Jeep zukam. John Sinclair war ihm noch nie begegnet, aber er wußte trotzdem, daß er hier Zarrambo vor sich hatte. Der Medizinmann ballte die Fäuste. Seine Leute drängten sich hinter ihm zusammen. Auch ihre Blicke waren haßerfüllt. »Wohin wollt ihr?« fragte Zarrambo scharf. »Zum Krater hinauf«, gab John furchtlos zurück. »Kennt ihr die Geschichte nicht?« »Doch. Aber wir haben keine Angst vor Moano.« »Warum laßt ihr ihn nicht in Ruhe? Was wollt ihr von ihm?« »Er hat zwei unserer Landsleute bei sich behalten …« »Sie haben dieses Schicksal verdient.« »Weißt du, was ihnen zugestoßen ist?« erkundigte sich John. »Moano weiß es. Sonst keiner«, gab Zarrambo knurrend zurück. »Kehrt um. Macht Moano nicht wütend. Ihr würdet das bitter zu bereuen haben! Moano ist mächtig. Mächtiger als wir alle zusammen. Er könnte, ohne sich anzustrengen, diese Insel in die Luft sprengen.« John schmunzelte. »Ich denke, das wird er nicht tun. Der Vulkan ist sein Zuhause. Wo soll er denn wohnen, wenn er sein Heim zerstört?« »Er kann sich jederzeit in einen anderen Krater einnisten. Kehrt um. Brecht die Arbeiten ab. Stört Moanos Ruhe nicht. Lange läßt er sich das, was ihr vorhabt, nicht mehr bieten. Verlaßt unsere Insel, bevor es zur schrecklichen Katastrophe kommt.« John wies über die Schulter auf das Camp. »Ich habe keinen Ein-
fluß auf das, was dort unten gemacht wird. Meine Aufgabe ist es, das vermißte Ehepaar zu suchen.« »Laß ab davon, Fremder. Du kannst den beiden nicht mehr helfen.« »Woher weißt du das so genau?« »Sie haben Moano herausgefordert, und er hat sie dafür grausam bestraft. Ihr könnt sicher sein, daß die beiden nicht mehr leben!« »Ich möchte trotzdem einen Blick in den Krater werfen«, erwiderte John und legte den ersten Gang ein. Als er weiterfuhr, schüttelte Zarrambo wütend den Kopf. »Sie merken nicht, daß der Schatten des Todes auf sie fällt«, sagte er mit dumpfer Stimme. »Sie alle wissen nicht, daß sie nicht mehr lange zu leben haben!«
* Pierre Hennessy lag steif wie eine Statue auf dem Bett. Dr. Stack hatte noch zweimal nach ihm gesehen, hatte sich aber immer nur ratlos die Haare gerauft und sich selbst eingestehen müssen, daß er mit seinen kärglichen medizinischen Kenntnissen am Ende war. Ein solcher Fall war ihm noch niemals untergekommen. Die Symptome waren ihm vollkommen fremd. Er wußte nicht, was für Medikamente er dem Vorarbeiter noch in den Hintern spritzen sollte, deshalb ließ er es lieber sein, um den Franzosen nicht auch noch zu vergiften. Eigentlich wartete Dr. Elmar Stack nur darauf, daß ein Wunder geschah, das Pierre Hennessy wieder auf die Beine brachte. Ein krampfhaftes Zucken schüttelte Hennessys Körper, so als würden Stromstöße durch seine Glieder jagen. Mit roboterhaften Bewegungen erhob er sich. Totenblaß war sein Gesicht. Starr und leblos wirkten seine Augen. Er verließ seine Hütte, als würde er von einer unsichtbaren Hand geführt. Das Camp war um diese Zeit wie ausgestorben. Alle Männer ver-
dienten sich ihr Geld im Schweiße ihres Angesichts. Mit nassen Oberkörpern schufteten sie bei den Bohrtürmen, oder steuerten Caterpillars oder Kräne. Die tropische Hitze machte durstig, lustlos, wirkte einschläfernd. Niemand sah Hennessy, wie er durch das Camp ging. Er erreichte ein flaches Gebäude. Hier wohnten in zwei separaten Wohneinheiten, Wheeleck und King. Der Geophysiker Wheeleck war mit seinen Meßgeräten unterwegs. David King, der Vulkanologe, war jedoch zu Hause. Er arbeitete mit Taschencomputer und Rechenschieber, trug die ermittelten Werte in eine Tabelle ein, verglich, kontrollierte, notierte sich Gedanken … Hennessy trat durch die offene Tür ein. So leise, daß King ihn nicht hören konnte. Der Vulkanologe war ein mittelgroßer Mann mit schütterem Haar und ewigen Schweißflecken unter den Achseln. Er konnte die Hitze schlecht vertragen und nahm Tabletten, um nicht schlappzumachen. Die Tabletten hatte er sich selbst in Birmingham besorgt, denn die, die ihm Dr. Stack gegeben hätte, hätten ihn vermutlich erst recht umgehauen. King trank warmen Tee. Der schmeckte zwar scheußlich, aber er löschte noch am besten den Durst. Als er die Tasse auf den Tisch stellte, hatte er mit einemmal das Gefühl, nicht allein im Raum zu sein. Er wandte sich um und erschrak. »Pierre«, stieß er verwundert aus. »Ich hab Sie nicht reinkommen gehört. Geht es Ihnen wieder besser? Das freut mich. Möchten Sie sich zu mir setzen?« Hennessy reagierte nicht. Er stand reglos da und starrte den Vulkanologen durchdringend an. »Liebe Güte, Hennessy, ist Ihnen nicht gut?« fragte David King verwirrt. »Brauchen Sie Hilfe? Kann ich etwas für Sie tun? So reden Sie doch!« Ein spöttisches Lächeln huschte über Pierres bleiches Gesicht. »Ich brauche keine Hilfe, King. Sie brauchen welche. Aber Sie werden keine bekommen. Meinetwegen können Sie schreien, daß die Wände
wackeln. Es wird Sie niemand hören. Alle Männer sind bei der Arbeit. Das Camp ist leer. Wir sind allein.« Der Vulkanologe fuhr sich benommen durch’s Haar. »Mein Gott, Pierre, was soll denn das? Was soll dieses Gerede? Aus welchem Grund sind Sie zu mir gekommen?« »Ich habe einen Auftrag auszuführen.« »Einen Auftrag? Was für einen Auftrag denn?« fragte David King schrill. »Ich muß Moanos Befehl ausführen.« »Ich verstehe kein Wort, Pierre. Mann, sind Sie verrückt geworden? Sind Sie nicht mehr ganz richtig im Kopf? Soll ich Dr. Stack holen? Fühlen Sie sich nicht wohl?« Hennessy grinste gehässig. »Im Gegenteil, King, ich fühle mich sogar sauwohl. So wohl, wie ich mich in meinem Leben noch nie gefühlt habe.« »Aber Sie reden doch immerzu wirres Zeug!« »Das denken Sie. Aber an dem, was ich sage, ist nichts Wirres dran. Sie wollen mich nicht verstehen!« »Sie reden von einem Auftrag und davon, daß Sie Moanos Befehl ausführen müssen …« »Sehr richtig.« »Welche Befehle hat ihnen der Berg dann erteilt, was hat er für Interessen?« »Er will nicht, daß dieses Kraftwerk errichtet wird.« »Und Ihr Auftrag?« »Ich muß Sie töten, King!« zischte Pierre Hennessy, und dann setzte schlagartig die Verwandlung ein. Sein Kopf wurde zum Schädel einer tödlichen Kobra!
* Sie hatten den Jeep den Berg hinaufgemartert. Als es dann wirklich
nicht mehr weiterging, waren sie ausgestiegen und hatten den Rest des Weges zu Fuß zurückgelegt. Die Dinge, die Suko während der Fahrt gebastelt hatte, nahm er mit. Nun standen die Freunde am Kraterrand und blickten in den gewaltigen Schlund hinab. Rot schimmerte der Lavateich. Glühender Aschenregen flog immer wieder aus dem Krater. Bill Conolly stand mit Ehrfurcht vor der Natur da und formulierte beeindruckt: »Ein faszinierendes Schauspiel.« »Weit und breit kein Dämon zu sehen«, stellte Suko fest. »Er kann in die Tiefe des Lavasees hinabgetaucht sein«, bemerkte John Sinclair. »Wir werden gleich wissen, ob diese Legende zu recht oder zu unrecht besteht … Suko!« »Hm?« »Gib mir die Bambuszeichen.« Der Chinese händigte dem Freund die verlangten Zeichen aus. Zeichen der Weißen Magie waren es. Drei Stück. Der Test war einfach: John wollte die drei Zeichen – nachdem er sie mit kurzen Beschwörungsformeln besprochen hatte – in den Krater hinabschleudern. Es würde Moano unmöglich sein, die Zeichen reaktionslos zu schlucken. Irgendwie würde er darauf antworten müssen. Handelte es sich aber um einen gewöhnlichen Vulkan, dann würden die Bambuszeichen in der Lava einfach verbrennen. Suko stand mit unbeweglicher Miene neben John. Bill Conolly leckte sich nervös über die Lippen, und als der Geisterjäger das erste Zeichen in die Tiefe segeln ließ, hielt der Reporter gespannt den Atem an. Dem ersten Zeichen folgte sogleich das zweite, und dann sauste das dritte in den Schlund hinab. Plötzlich glühte die Lava weiß auf. Der Berg bebte und schleuderte heiße Dämpfe in den Himmel. Der Boden zitterte unter den Füßen der Freunde, und ein dumpfes, wütendes Grollen war zu vernehmen. Der Dämon zeigte sich nicht. Aber nun stand es unumstößlich fest: Er beherrschte diesen Vul-
kan.
* Von diesem Moment an befaßte sich John Sinclair mit dem Gedanken der Vernichtung. Wie sollte er diesen mächtigen Dämon, der sich der gewaltigen Kraft des Vulkans bediente, zur Hölle schicken? Immer klarer glaubte er zu erkennen, welches schreckliche Ende das Ehepaar Renner genommen hatte. Und immer deutlicher kam es John zum Bewußtsein, daß er von hier oben, vom Rand des Kraters, die wahre Größe des Dämons nicht kennen lernen würde. Es würde ihm nicht erspart bleiben, in die Tiefe des Kraters hinabzusteigen. Er war sich der Gefahr, in die er sich dabei begeben würde, sehr wohl bewußt, aber er konnte nicht gegen einen Gegner kämpfen, den er nicht kannte und dessen Stärke er nur erahnen konnte. Deshalb wollte er das Risiko auf sich nehmen. Eingehüllt in einen Asbestanzug wollte er es wagen, zu Moano hinabzusteigen. Suko und Bill erzählte er von seinen Plänen vorläufig noch nichts. Als er sich in den Jeep setzte und die Handbremse löste, fiel ihm plötzlich wieder Pierre Hennessy ein. Mochte der Teufel wissen, wieso ihm der Vorarbeiter gerade jetzt in den Sinn kam. John wandte sich an seine Freunde: »Sagt mal, ist euch an Hennessy gestern abend nichts aufgefallen?« »Er wirkte irgendwie geistesabwesend«, beschrieb ihn Bill. »Leichenblaß sah er aus«, meinte Suko. »Ich hatte sofort das Gefühl, daß mit dem Franzosen irgend etwas nicht stimmte«, sagte John Sinclair. »Und ich grüble darüber immer noch nach … Geistesabwesend. Leichenblaß. Und seine Augen starrten so leer.« Mit einemmal schnippte der Geisterjäger mit dem Finger. »Ich hab’s. O Gott, warum bin ich nicht gleich darauf gekommen. Geistesabwesend, Bill! Das ist richtig. Es war kein Geist mehr in seinem Körper. Oder deutlicher formuliert: Es war keine Seele mehr in Pierre Hennessy. Leichenblaß, Suko! Auch das stimmt.
Denn Pierre Hennessy ist eine Leiche. Der Mann ist ein Zombie!«
* John raste los. Er steuerte den Jeep über die Flanke des Vulkans hinunter. Einmal wäre der Wagen beinahe umgekippt. Es war nur Johns außergewöhnlichem fahrerischem Können zu verdanken, daß es nicht passierte. Der Jeep machte gewaltige Bocksprünge, wenn Bill Conolly und Suko sich nicht so verbissen festgekrallt hätten, wären sie in hohem Bogen aus dem Fahrzeug geflogen. John raste zum Camp zurück. Als er die Hütte des Vorarbeiters erreichte, trat er scharf auf die Bremse. Der Jeep hielt mit kreischenden Bremsen. Die Reifen radierten über den Boden, spritzten Sand in die Luft. John stürmte in die Hütte. Sie war leer. Mort Agamemnons kleiner polynesischer Koch kam auf sie zugewieselt. Er grüßte freundlich und wollte weitergehen. John packte den Kleinen am Kragen. Der Mann drehte sich verblüfft um. Seine Pupillen wurden zu Fragezeichen. »Ja, Mr. Sinclair?« »Ich suche Pierre Hennessy. Haben Sie ihn irgendwo gesehen?« »Ich glaube, er ist bei Mr. King.« »Und wo ist Mr. King?« Der Koch wies mit der Hand auf Kings Haus. John ließ den Mann los, sprang in den Jeep und raste augenblicklich weiter. »Hoffentlich ist der Zombie noch nicht lange bei Mr. King«, knurrte der Geisterjäger, nachdem er den Wagen zum zweitenmal scharf abgebremst hatte. Da hörten sie den heiseren Schrei, der ihnen allen das Blut in den Adern gerinnen ließ …
*
David King sah die Machete, die hinter Hennessy an der Wand hing, aber wie sollte er an sie herankommen? Der Franzose mit dem scheußlichen Schlangenkopf kam langsam auf den Vulkanologen zu. King schwitzte Blut und Wasser. In seiner grenzenlosen Panik warf er dem Schlangenmenschen alles an den Schädel, was er erwischte. Sogar einen Stuhl schleuderte David King nach Hennessy. Doch der Zombie war nicht zu stoppen. Kings flatternder Blick fiel auf das auf dem Schreibtisch liegende Federmesser. Blitzschnell ergriff er es. Mit dem Mut des Verzweifelten sprang er vorwärts. Er rammte dem Franzosen die Klinge in die Brust. Als er sie wieder herausriß, stellte er zu seinem Entsetzen fest, daß Hennessy unverletzt geblieben war. Verstört stach er noch einmal zu. Es war keine Täuschung. Hennessy blutete tatsächlich nicht. King hatte das Gefühl, weiße Haare zu bekommen. Einer, der nicht blutet, lebt nicht, schoß es ihm durch den Kopf. Hennessy war also tot. Und doch stand er vor ihm. Sein Kopf hatte sich in diesen abscheulichen Schlangenschädel verwandelt. Vor wenigen Augenblicken hatte Hennessy erst gesagt, daß er gekommen war, um King zu töten. Kalter Schweiß glitzerte auf der Stirn des Vulkanologen. Er stach ein drittesmal zu und ließ das Messer in Hennessys Brust stecken. Die Bestie schnappte nach seiner Schulter. David King schnellte zurück, strauchelte und fiel. Sofort war das Schlangenmonster über ihm. Mit mordlüsternen Augen starrte die Kobra ihr Opfer an. Sie nahm den Kopf kurz zurück. Gleich mußte der tödliche Angriff kommen. In seiner furchtbaren Verzweiflung stieß King einen heiseren Schrei aus, ohne Hoffnung, daß ihn jemand hören würde …
*
John und Suko hetzten auf das Haus zu. Bill Conolly blieb draußen. Nicht aus Angst, sondern weil sich zu viele Männer beim Kampf in der Hütte gegenseitig gehindert hätten. Die schreckliche Situation, in der sich der Vulkanologe befand, war mit einem Blick zu überschauen. Der Geisterjäger handelte augenblicklich. Während Suko den Zombie von David King wegriß, griff John Sinclair nach der Machete. Ihre lange Klinge blitzte im Sonnenlicht, das zum Fenster hereinfiel. Der Unhold stieß ein wütendes Zischen aus. »Suko!« rief John. »Bring King in Sicherheit. Mach schnell!« Der Chinese packte mit seinen kräftigen Händen augenblicklich zu. Er riß David King auf die Beine und schleppte ihn nach draußen, während sich der Zombie seinem neuen Gegner zuwandte. John wartete mit vibrierenden Nerven auf den Angriff der Bestie. Er war erschüttert, daß Hennessy nunmehr einen Schlangenkopf auf den Schultern sitzen hatte. Dieses Mädchen, mit dem Hennessy in seiner Hütte verschwunden war und das keiner aus dem Lager zuvor gesehen hatte, mußte ihm dieses Metamorphosengift eingeimpft haben. Er war tot. Er war ein lebender Leichnam. Die Kraft des Bösen hielt ihn auf den Beinen. Er stand gewiß im Dienst von Moano, dem Feuerdämon. Und dieses Mädchen vermutlich auch. John stand geduckt da. Jeder Muskel seines Körpers war hart und angespannt. Zischend kam das Schlangenmonster näher. John wartete. Der erste Hieb sollte gleich richtig sitzen. Denn es war fraglich, ob er Gelegenheit haben würde, ein zweitesmal mit der Machete zuzuschlagen. Der Zombie zeigte keine Furcht vor der Machete. Er war schon tot. Nicht einmal eine Gewehrkugel hätte ihm etwas anhaben können. Weil er nur einmal sterben konnte, war er unverwundbar, das bewies das Messer, das in seiner Brust steckte. Aber John kannte einen Trick, mit dem man die Kraft des Bösen brechen konnte. Noch wartete er ab. Seine Hände wurden langsam feucht. Plötzlich griff das Monster
an. Aber nicht mit den Giftzähnen, wie John Sinclair erwartet hatte, sondern mit brutalen Tritten. Ein wahnsinniger Schmerz durchraste Johns Bein. Einen Augenblick war John unachtsam, da drosch ihm die Bestie mit großer Kraft die Machete aus der Hand. Das Buschmesser schlitterte über den Boden. Es blieb drei Meter von John entfernt liegen. Unerreichbar! War das das Ende?
* Draußen übergab Suko den verstörten Vulkanologen dem Reporter. »Unfaßbar!« stieß David King immer wieder hervor. »Er hat einen Schlangenkopf. Er ist ein Mensch und hat den Kopf einer Kobra. Wie kann es so was geben?« Bill Conolly drückte King in den Jeep. »Setzen Sie sich, Mr. King. Versuchen Sie sich zu entspannen.« »Er wird Sinclair umbringen!« »Sinclair hat es mit dieser Sorte nicht zum erstenmal zu tun. Er wird mit ihm fertig, Mr. King. Machen Sie sich um ihn keine Sorgen.« King hatte einen Schock davongetragen. Bill versprach: »Ich fahr’ Sie sofort zu Dr. Stack.« »Was soll ich bei Stack?« protestierte King sofort. »Er kann Ihnen etwas zur Beruhigung geben.« »Damit würde er mich garantiert vergiften. Wissen Sie denn nicht, daß dieser Mann den Beruf verfehlt hat? Der hätte Leichenbestatter oder Totengräber werden sollen. Ein Helfer der Menschheit wird der in hundert Jahren nicht.« Sukos schmale Mandelaugen verengten sich noch mehr. Einen Moment war er unschlüssig. Brauchte John seine Hilfe, oder wurde er mit dem Zombie allein fertig? Kampflärm war zu hören. In derselben Sekunde entschied sich der große Chinese. Er stapfte auf die offene Tür zu und füllte Augenblicke später den ganzen Türrahmen aus. Was er dann sah, ließ seine
schwarzen Haare jäh zu Berge stehen …
* John Sinclair entwaffnet. Der Geisterjäger auf dem Rückmarsch. Blitzschnell biß die Schlange zu, doch John brachte sich mit einem noch schnelleren Satz zurück vor den gefährlichen Giftzähnen in Sicherheit. Mit diesem Satz hatte er sich noch weiter von der Machete entfernt. Es war aussichtslos, an sie heranzukommen. Hennessy hätte das niemals zugelassen. John versuchte einen unverhofften Ausbruch, doch Hennessy war auf der Hut. Er ließ den Geisterjäger nicht an sich vorbei, drängte ihn immer wieder zurück in die Ecke. Die Schlange zischte triumphierend. Jetzt gab es für John Sinclair kein Entrinnen mehr. In diesem Moment tauchte Suko in der Tür auf. »Suko!« keuchte John, er war in Schweiß gebadet. »Die Machete! Schnell!« Der Chinese verstand. Er bückte sich, hob die Machete auf und warf sie dem Geisterjäger zu. Dieser fing sie geschickt auf. Die Kobra nahm den Kopf zurück, um in der nächsten Sekunde tödlich zuzustoßen. Doch John war schneller. Er schlug mit der blitzenden Machete zu. Die scharfe Klinge spaltete den riesigen Kobraschädel. Aber so einfach wäre der Zombie nicht zu vernichten gewesen. Die klaffende Wunde hätte sich sofort wieder geschlossen, wenn John Sinclair nicht gleichzeitig einen magischen Bannspruch gebrüllt hätte. So war nicht nur der Schlangenschädel, sondern auch die Kraft des Bösen entzwei geschlagen. Augenblicklich erstarrte der Zombie zur Salzsäule. Und dann schlugen gelbe Flammen aus seinem Körper, die ihn innerhalb von wenigen Herzschlägen völlig zerstörten. Von Pierre Hennessy blieb nichts weiter übrig als ein Häufchen
dunkelgraue Asche. John ließ die Machete achtlos fallen. Er ging zu Suko und sagte mit belegter Stimme: »Danke.«
* Was John Sinclair ihm erzählte, konnte Mort Agamemnon einfach nicht fassen. Es war zu starker Tobak für ihn. Trotzdem zweifelte er nicht an den Worten des seriösen Oberinspektors. Die Sache war ihm nur ganz und gar unverständlich. Die Männer saßen einander wieder in Agamemnons Büro gegenüber. David King hatte sich hingelegt. Er schlief jetzt, weil Bill ihm eine Schlaftablette in den Scotch geschummelt hatte. John erzählte von seiner Begegnung mit Zarrambo. »Ist er Ihnen nicht gleich an die Gurgel gesprungen?« wollte Mort wissen. »Er warnte uns, länger auf der Insel zu bleiben, wir sollten sie verlassen, ehe es zu einer Katastrophe kam.« »Das hat er mir auch schon geraten. Er wiederholt sich, der einfallslose Knabe.« John fingerte seine Cameis heraus und hielt dem Projektleiter die Packung hin. Sie rauchten. »Dieser Zarrambo«, meinte John, »scheint mir einen heißen Draht zu Moano, dem Feuerdämon, zu haben.« »Hat er Ihnen das gesagt? Oder hat er’s angedeutet?« »Man erzählt sich doch von ihm, er könne zaubern.« Mort Agamemnon winkte ab. »Kann er sicherlich nicht. Er wird ein paar Tricks beherrschen, mit denen er die einfältigen Eingeborenen blufft, das ist alles.« »Ich glaube, Sie unterschätzen den Mann. Es würde mich nicht wundern, wenn er dieses unbekannte Mädchen, das mit Pierre Hennessy gegangen ist, ins Camp geschickt hat. Vermutlich steht das Mädchen mit dem Bösen genauso im Bunde wie Zarrambo. Beide dienen Moano. Sie sind seine Werkzeuge. Dieses Mädchen hat Pier-
re Hennessy umgebracht. Durch sie wurde er zum Zombie. Es schaudert mich, wenn ich daran denke, daß Hennessy nicht ihr erstes Opfer gewesen sein muß.« Agamemnon riß erschrocken die Augen auf. »Was sagen Sie?« »Sie könnte vor Hennessy oder auch nach ihm noch weitere Zombies geschaffen haben«, erwiderte John ernst. »Was uns in einem solchen Fall blüht, sage ich Ihnen lieber nicht. Jedenfalls – zu lachen haben wir dann nichts mehr.«
* John fragte alle Mädchen, die den Arbeitern Abend für Abend zu Diensten waren, und er nahm sich die Puppe gesondert vor, die am vergangenen Abend auf Pierre Hennessys Knien gesessen hatte. Um ihr Vertrauen schneller zu gewinnen, fragte er: »Darf ich dich zu einem Drink einladen?« »Ich nehme einen großen Bourbon.« »Okay.« John wies auf einen Tisch. »Setzen wir uns? Oder willst du lieber mit mir nach draußen gehen?« »Wir können auch hier bleiben. Es ist mir egal.« John bestellte beim Mixer zwei Bourbons und bekam sie umgehend. Die anderen Mädchen tuschelten nervös miteinander. An diesem Abend würde das Geschäft wohl ziemlich mies werden, weil ihnen das, was Pierre Hennessy zugestoßen war, gründlich die Stimmung verdorben hatte. John wurde von seinem Gegenüber mit dunklen Augen angesehen. Das Girl trug ein tief dekolletiertes Kleid. Ihre üppigen Brüste waren sehenswert. »Wie ist dein Name?« erkundigte sich der Geisterjäger. »Joana.« »Du warst gestern Abend mit Pierre Hennessy zusammen?« »Ja.« »Was habt ihr gemacht?«
»Getrunken. Uns unterhalten.« »Worüber habt ihr gesprochen?« Joana nagte an ihrer Unterlippe. »Zuerst über das Geld, das ich hier verdiene und über die Pläne, die ich damit habe. Und dann redeten wir über Moano. Es war mir unangenehm. Uns allen ist dieses Thema nicht geheuer. Wir fürchten Moano. Pierre hat ihn nicht gefürchtet. Deshalb ist er jetzt tot.« »Erzähl mir von diesem Mädchen.« »Ich habe sie kaum gesehen.« »Warum bist du nicht mit Pierre in seine Hütte gegangen?« »Das wollte ich. Es war abgemacht. Wir waren uns einig. Ich mußte nur mal schnell raus. Als ich zurückkam, stand Pierre bei dieser Fremden.« Joana sagte das verächtlich. »Arm in Arm verließ er mit ihr die Bar, ohne sich nach mir umzusehen.« »Du warst bestimmt sehr wütend, nicht wahr?« »Natürlich.« »Bist du den beiden nachgegangen?« »Nein. Ich bestellte mir einen Bourbon und spülte meinen Ärger damit hinunter.« John bat Joana, das fremde Mädchen zu beschreiben. Sie tat es oberflächlich. Auch sie hatte nicht die leiseste Ahnung, woher dieses hübsche unbekannte Mädchen gekommen war und wohin es gegangen war, nachdem es mit Pierre in seiner Hütte gewesen war.
* Bill Conolly ließ den Kugelschreiber über das Papier tanzen. Der Reporter verfaßte den Rohentwurf der ersten Folge einer zwölfteiligen Artikelserie, die mit dem Chefredakteur des Blattes abgesprochen war. Plötzlich erzitterte das ganze Gebäude. Das Beben dauerte nur wenige Sekunden und war auch nicht besonders heftig, aber Bill war trotzdem beunruhigt. Moanos Zorn würde in den nächsten Ta-
gen anschwellen. Die Beben würden sich häufen. Und irgendwann würde der Vulkan Lava speien. Für Bill Conolly stand es fest, daß sie unaufhaltsam darauf zusteuerten, wenn es John Sinclair nicht gelang, diesem mächtigen Dämon vorher schon den Garaus zu machen. Doch wie sollte John das anstellen? John war zwar ein unerschrockener, mutiger Mann. Aber Wunder wirken konnte er nicht. Und Moano zu vernichten, war schon mit Wunder wirken gleichzusetzen, das war jedenfalls Bills Meinung. Er wartete kurze Zeit. Als sich das Rumpeln nicht mehr wiederholte, schrieb er weiter. Er spielte all die Sätze und Gedankensplitter ab, die er auf Band aufgenommen hatte. Er fingerte hier und da seine diversen Zettelchen aus den Taschen, und so fügte er Mosaiksteinchen um Mosaiksteinchen zu einem brennenden Bericht zusammen, der die Leser seiner Zeitung gewiß von den Stühlen reißen würde. Plötzlich fühlte er sich unwohl. Er konnte nicht sagen, wodurch dieses Gefühl hervorgerufen wurde. Es war auf einmal da und beunruhigte ihn. Verwirrt hob er den Kopf. Etwas zwang ihn, zum Fenster zu schauen. Und da entdeckte er das hübscheste Mädchen, das er jemals gesehen hatte. Sie stand vor dem Fenster, blickte zu ihm herein und lächelte ihn geheimnisvoll an. Ihr schulterlanges schwarzes Haar umrahmte das ausdrucksstarke Gesicht. Bill dachte an seine Frau Sheila und lächelte nur unverbindlich zurück. Danach wollte er sich wieder seiner Arbeit zuwenden. Aber das ging nicht. Irgendwie hinderte ihn das Mädchen dran. Er erhob sich, ohne echtes Interesse an dem Mädchen zu haben. Ihr Anblick schlug ihn mehr und mehr in seinen Bann. Sie faszinierte ihn auf eine rätselhafte Weise. Er vergaß Sheila, seine Frau, er vergaß John Sinclair und Suko, seine Freunde. Er vergaß alles. Könnte an nichts mehr denken, bewegte sich wie
eine Marionette auf die Tür zu, trat aus dem Haus und dem Mädchen entgegen. »Kann ich etwas für dich tun?« fragte er hilfsbereit. Die Stimme, die er hörte, kam ihm fremd vor, obwohl es seine eigene war. Das Mädchen gab keine Antwort. Es wandte sich wortlos um und ging fort. Wenige Schritte nur. Dann blieb sie stehen und warf einen lockenden Blick zurück über die wohlgerundete Schulter. Bill Conolly verstand. Er sollte ihr folgen. Vielleicht war sie stumm. Vielleicht konnte sie ihm nicht sagen, was sie von ihm wollte. Vielleicht wollte sie es ihm zeigen. Argwohn? Nein, der kam bei Bill nicht auf. Bedenkenlos trottete der Reporter hinter dem Mädchen her. Sie ging auf die Palmen zu – und er folgte ihr mit einer geradezu besorgniserregenden Selbstverständlichkeit …
* Als das kurze Beben die Gebäude erzittern ließ, blickte Suko zum Krater hoch. Es war ihm, als würden im Moment größere Aschenwolken aus dem Vulkan fliegen. Mit mehr Kraft hoch geschleudert. Weiter in den strahlendblauen Himmel hinein. Neal Wheeleck gesellte sich zu dem Chinesen und nickte mit sorgenvoller Miene. »Er macht mal wieder auf sich aufmerksam.« Mit »er« war der Vulkan gemeint. »Als ob man ihn übersehen könnte.« Wheeleck schüttelte mit zusammengezogenen Brauen den Kopf. »Ich sage Ihnen, Mr. Suko, der Bursche will mir nicht so recht gefallen. Ich werde aus ihm nicht schlau. Kann sein, daß er sich auf einen Großangriff vorbereitet.« »Kann man sich davor denn nicht schützen?« fragte Suko laienhaft. Der Geophysiker lachte bitter. »Mehr als drei Viertel aller Lava und Asche spuckenden Berge umrahmen wie eine Girlande den Pa-
zifischen Ozean. Es gibt nur wenige Vulkane, die ich noch nicht kennengelernt habe. Sie sind alle gleich gefährlich, denn in ihnen wohnt eine Kraft, die man sich kaum vorzustellen vermag … Ich hasse diese Berge mit ihrer Direktverbindung zur Hölle. Ich hasse sie und fürchte sie, weil wir Menschen machtlos gegen sie sind. Wir sind ihnen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Sie täuschen uns manchmal mit friedlichem Schlummer, und in der nächsten Sekunde legen sie mit ihrem selbst inszenierten Weltuntergang los … Moano fürchte ich am meisten von allen, denn einen heimtückischeren Vulkan als diesen habe ich noch nicht gesehen.« »Wäre es da nicht besser, die Bohrarbeiten für eine Weile ruhen zu lassen?« erkundigte sich Suko. Wieder lachte Wheeleck bitter. »Was glauben Sie, wieviel Geld die Pause verschlingen würde. Man kann die Arbeiten in diesem Stadium nicht einfach abbrechen.« »Bei einem Vulkanausbruch müßte man sie doch auch abbrechen.« »Das«, sagte Wheeleck mit erhobenem Finger, »wäre dann aber höhere Gewalt.« Der Geophysiker ging weiter. Höhere Gewalt! dachte Suko. Man reizt hier bewußt einen gefährlichen Dämon. Jeder weiß von seiner Existenz, versucht aber, sie einfach zu ignorieren. Das kann doch keinesfalls der richtige Weg sein. »Sie zäumen das Pferd beim Schwanz auf. Zuerst müßte man mit allen Mitteln versuchen, Moano, den Feuerdämon, zu vertreiben. Dann dürfte man erst darangehen, die Kräfte des Vulkans zum Wohle der Menschheit zu nutzen. Nicht umgekehrt – denn das kann ins Auge gehen.« Suko kickte einen Lavabrocken fort und drehte sich um. Da sah er Bill aus dem Haus kommen. Und er sah dieses geheimnisvolle Mädchen, das irgendwie mit Pi-
erre Hennessys Tod zu tun hatte. Der Reporter folgte ihr. Suko witterte plötzlich große Gefahr. Deshalb schlich er hinter Bill und dem Mädchen her.
* Wie viele Zombies gab es bereits im Camp? Diese Frage quälte im Moment John Sinclair. Wenn Hennessy nicht der einzige Arbeiter gewesen war, der jenem unbekannten Mädchen zum Opfer gefallen war, würde in diesem Camp bald die Zombie-Seuche ausbrechen. Denn jeder Untote würde dafür sorgen, daß auch sein Kollege zum Untoten würde, und dieser würde den Tod weitertragen. Eine entsetzliche Kettenreaktion würde das zur Folge haben. Bald könnte John nicht einmal mehr seinen besten Freunden trauen. Diese Überlegungen machte der Geisterjäger dem Projektleiter klar, und Mort Agamemnon fuhr sich daraufhin bestürzt über die flatternden Augen. »Mein lieber Oberinspektor, Sie können einem mit Ihren schaurigen Ansichten ganz schön zusetzen«, seufzte er geplagt. »Wir sollten alle im Lager befindlichen Leute einem kurzen, aber gründlichen Test unterziehen«, schlug John vor. »Dann wissen wir, woran wir sind, und können gegen eventuell in Erscheinung tretende Untote sogleich die nötigen Schritte unternehmen.« »Okay«, ächzte Agamemnon. »Und wie soll dieser Test aussehen? Sie können selbstverständlich mit meiner vollsten Unterstützung rechnen. Wenn es darum geht, der guten Sache zum Sieg zu verhelfen, bin ich jederzeit für Sie da. Werden Sie sich das merken?« »Ja. Vielen Dank.« »Also? Wie?« »Lassen Sie alle Männer vor ihren Unterkünften antreten. Ich werde mein Kruzifix jedem einzelnen auf die Stirn drücken.« Mort Agamemnon blickte John zweifelnd an. »Und Sie meinen, ein
Zombie würde sich dabei verraten? Was ist, wenn er die Zähne zusammenbeißt und einfach stillhält?« »Das ist ihm unmöglich. Das Kreuz versinnbildlicht das Gute für uns Menschen. Vor nichts haben die Wesen, die dem Schattenreich angehören, mehr Angst als vor diesem Symbol. Die Schmerzen, die das Auflegen des Kreuzes in einem Zombie hervorruft, sind für ihn unerträglich.« »Na schön. Dann werde ich die Pennbrüder jetzt mal aus ihren Unterkünften herausscheuchen. Sie werden für Ihre Späße zwar kein Verständnis haben, aber wen kümmert’s. Wenn’s sein muß, muß es eben sein und basta!« John machte sich bereit. Er nahm das handtellergroße silberne Kreuz, das er um den Hals trug, ab. Er ging von einem Mann zum anderen. Mort Agamemnon hatte den Leuten mit wenigen Worten erklärt, worum es ging, und daß man sich vorsehen müsse, damit sich aus ihren Reihen kein zweiter Pierre Hennessy herausschälte. Sie maulten zwar, aber sie stellten sich in Reih und Glied auf und ließen die kurze Prozedur mit mürrischem Gesicht über sich ergehen. Gespannt folgte Agamemnon dem Geisterjäger. Jeder Arbeiter konnte sich schon in der nächsten Sekunde als gefährlicher Zombie entpuppen und John Sinclair angreifen. Doch nichts passierte. Erst als John den letzten Mann überprüft hatte, atmete Mort Agamemnon erleichtert auf. Beinahe hätte er grinsend gesagt: »Naja. Auf meine Männer kann ich mich eben verlassen.« Aber er verschluckte die witzige Bemerkung. Es wäre fehl am Platz gewesen, sich darüber lustig zu machen. Nach all dem, was passiert war. Bevor die Arbeiter in ihre Unterkünfte zurückkehrten, rief der Projektleiter mit lauter Stimme: »Herhören, ihr Säcke! Wir hatten alle verdammt viel Glück. Dafür sollten wir dem Himmel dankbar sein. Und schreibt euch für die Zukunft eines hinter die Löffel: Keiner geht mit diesem fremden Mädchen auch nur einen einzigen Schritt irgendwohin! Ist das klar? Wenn die Kanaille auftaucht, wird mir das sofort gemeldet, verstanden? So. Jetzt könnt ihr gehen.
Möge Gott geben, daß wir die Arbeit hier ohne weitere bedauerliche Zwischenfälle zu Ende bringen.«
* Suko schlich im Schatten der hohen Palmen durch das Unterholz. Er versuchte dabei so lautlos wie nur irgend möglich vorwärts zu kommen. Er übersprang morsche Äste und dürre Palmenwedel, die ihn durch ihr Rascheln verraten hätten. Dieses Mädchen mußte Bill verhext haben. Der Reporter ging neben ihr, ohne ein Wort zu sagen. Auch sie schwieg. Und doch war ein gefährliches Einverständnis zwischen den beiden vorhanden. Suko überlegte, ob er Bill zurückrufen sollte. In diesem Fall hätte er nie erfahren, wohin das Mädchen den Reporter hatte bringen wollen. Wie ein Jäger auf der Pirsch war Suko unterwegs. Es war unglaublich, wie wendig dieser große Chinese sein konnte. Er war geschmeidig wie eine Raubkatze, und er fand immer wieder die Möglichkeit, sich zu verstecken, wenn das geheimnisvolle Mädchen sich umdrehte. Isabel Snake führte den Reporter auf einen Höhleneingang zu. Schwarz glühte die ovale Öffnung. Bill Conolly verschwand darin, ohne zu zögern. Für Suko stand unumstößlich fest, daß das Mädchen den Freund in seinen Bann geschlagen hatte. Er glitt lautlos an den Höhleneingang heran. Seine Nerven waren bis zum Zerreißen angespannt. Er hoffte, jetzt alles richtig zu machen, sonst war Bill verloren. Wie hätte er sich dann John Sinclair gegenüber rechtfertigen sollen? Suko erreichte den Höhleneingang. Er hielt den Atem an. Suko hörte zahlreiche Männerstimmen, die erregt durcheinander redeten. In diesem Augenblick fragte sich der Chinese bereits besorgt, ob es richtig gewesen war, Bill an einer so langen Leine laufen
zu lassen. Suko erkannte, daß er dem Mädchen zuviel Spielraum gelassen hatte. Er bangte um die Sicherheit des Freundes …
* Die Suche nach weiteren Zombies war negativ verlaufen, aber das war immer noch kein Grund, aufzuatmen. John Sinclair unternahm den nächsten Schritt und bat jene Männer, die die Schreibtisch-Arbeit verrichteten, sich ebenfalls diesem Test zu unterziehen. Keiner weigerte sich. Neal Wheeleck grinste John an, nachdem ihm dieser sein Kreuz auf die Stirn gedrückt hatte. Er hatte vollstes Verständnis dafür, daß John es sich nicht leisten konnte, auch nur einen einzigen Mann im Camp auszulassen. Kurz darauf fehlten nur noch zwei Männer: David King – er schlief in seiner Hütte – und Mort Agamemnon. Zuerst suchte John den schlafenden Vulkanologen auf. Der Mann atmete tief und regelmäßig. Er lag auf dem Rücken. Die Decke reichte bis an sein Kinn. Er merkte nicht, daß John sich über ihn beugte, und als der Geisterjäger ihm das silberne Kreuz auf die Stirn legte, ließ er lediglich ein unwilliges Knurren hören. Dann schmatzte er wie ein Kleinkind und wälzte sich ächzend auf die Seite, ohne zu erwachen. »Bleiben nur noch Sie übrig«, sagte John, als er in Mort Agamemnons Büro trat. Der Projektleiter schmunzelte. »Halten Sie mich tatsächlich für einen … Zombie, Oberinspektor?« »Heißt das, Sie wollen sich dem Test nicht unterziehen?« fragte John sofort – mißtrauisch zurück. Das Böse ist oft in der Lage, sich gut zu tarnen. So gut, daß man es mit den Augen nicht zu erkennen vermag. Erst wenn man sich christlicher Symbole als Hilfsmittel bedient, kann man die Kräfte des Satans entlarven. John glaubte zwar nicht, daß Mort Agamemnon von diesem Zom-
bie-Gift infiziert war, aber im Moment hätte er weder für Bill Conolly noch für Suko die Hand ins Feuer gelegt, weil er ja nicht wissen konnte, was hinter seinem Rücken passierte. Mort Agamemnon lachte schnarrend. »Jetzt habe ich Ihnen aber einen schönen Schrecken eingejagt, was?« Er wedelte mit der Hand. »Nun kommen Sie schon. Prüfen Sie, ob ich ein Zombie bin. Ich habe nichts dagegen.« Er war kein Zombie. John Sinclair fiel ein Stein vom Herzen.
* Bill Conolly blinzelte. Verblüfft sah er sich um. Er befand sich in einer Höhle, hatte jedoch nicht die leiseste Ahnung, wie er hierher gekommen war. Er sah dieses bildhübsche, verführerische Mädchen. Er sah die Eingeborenen, die aufgeregt durcheinander schnatterten. Und er entdeckte den hünenhaften Medizinmann, der nun wieder seine grauenerregende Holzmaske trug. Aus den Sehschlitzen glühten Bill haßerfüllte Augen entgegen. Höhnisch grüßte Zarrambo: »Sei uns willkommen, Fremder!« Die Eingeborenen bildeten einen Ring um Bill, um die Feuerstelle in der Mitte der Höhle, um Isabel Snake und um Zarrambo. Die Männer ergriffen sich bei den Händen, um zu verdeutlichen, daß Bill diese Kette nicht durchbrechen durfte. Der Reporter starrte das schöne Mädchen an. Isabel Snake lächelte zynisch. In ihren bernsteinfarbenen Augen blitzte es triumphierend. Sie besaß übernatürliche Kräfte, soviel war Bill bereits klargeworden, und er erkannte, daß er keine Chance gehabt hatte, dem geistigen Locken des Mädchens Widerstand zu leisten. Sie hatte seinen Willen und sein Mißtrauen ausgeschaltet, hatte ihm den Befehl erteilt, mitzukommen, und er hatte ihr folgen müssen. Eine andere
Wahl hatte er nicht gehabt. Jetzt erst war sich Bill Conolly der Gefährlichkeit dieses rätselhaften Mädchens bewußt. Zarrambo lobte Isabel, sie hätte ihre Sache ausgezeichnet gemacht, so zuverlässig wie immer. Dann wandte sich der Medizinmann an den Reporter und knurrte: »Sie ist die stärkste Waffe der Vulkan-Sekte. Sie hat Pierre Hennessy den Tod gebracht, und sie wird ihn nun dir bringen, damit du ihn wie eine Seuche einschleppst in euer verfluchtes Lager!« Zarrambo nickte dem Mädchen auffordernd zu, beobachtete weiter ihre nervösen Bewegungen und Zuckungen. Und dann erlebte Bill dieses grauenerregende Schauspiel mit, das schon Hennessy maßlos verblüfft hatte: Isabel Snake verwandelte sich in dieses gefährliche Schlangenmonster …!
* John suchte weiter Bill und Suko, im ganzen Camp hatte er sie nicht finden können. Die Erde bebte mehrmals kurz hintereinander. John wandte sich um und blickte zum Krater hoch. Glutwolken fauchten daraus hervor, so riesig, als wollten sie den Himmel in Brand setzen. Von Suko und Bill fehlte jede Spur. John mußte sich eingestehen, daß es ihn beunruhigte. Vor allem dieses ständige leichte Rumpeln war nicht gerade dazu angetan, Johns Nerven zu schonen. Moano schien eine große Schweinerei vorzubereiten. Und John war immer noch keine Idee gekommen, wie er dem Lavadämon das Handwerk legen sollte. Vielleicht fiel ihm etwas ein, wenn er sich in der glutenden Tiefe des Kraters gründlich umsah. Neal Wheeleck sprach ihn an und riß ihn aus seinen Gedanken. »Sie machen sich Sorgen wegen der Beben, nicht wahr?« »Ja. Sie nicht?«
»Ich bin Geophysiker und dürfte eigentlich nur mit Zahlen, Daten und Fakten jonglieren. Aber irgendwo bin ich natürlich auch ein Mensch, und als solcher weist mich mein sechster Sinn darauf hin, daß sich hier bald unbeschreibliche Dinge abspielen werden. Wenn Sie von mir aber verlangen, Ihnen meine pessimistische Zukunftsvorstellungen zu erklären, bin ich dazu nicht imstande. Es steckt in mir. Ich fühle, daß wir auf eine Katastrophe zusteuern. Aber meine Meßgeräte registrieren keine Veränderung, so als würde sich alles in einem vollkommen korrekten Rahmen bewegen.« »Diese Beben – gibt es die immer in der Nähe von feuerspeienden Bergen?« erkundigte sich John Sinclair. »Natürlich. Das Erdinnere ist mit einem Feuerstoff gewissermaßen geladen, den man Magma nennt. Die im Magma gelösten und unter der Druckentlastung expandierenden Gase hauptsächlich Wasserdampf, Kohlendioxyd und Schwefeldioxyd – sind die treibende Kraft beim Vulkanismus. Sie müssen sich vorstellen, daß es in unserer Erde zugeht wie im Bauch eines Mannes, der einen Topf Bohnen gegessen hat – um es mal ganz populär zu formulieren. Da drinnen muß es einfach rund gehen, verstehen Sie?« »Dann ist diesen Beben also keine allzu große Bedeutung beizumessen«, meinte der Geisterjäger. »Dieses Zittern der Erde veranschaulicht uns, daß der Vulkan noch am Leben ist. Haben Sie sich schon Gedanken darüber gemacht, wie Sie dem Dämon, der dort oben wohnen soll, zu Leibe rücken werden?« »Ich muß ihn zunächst näher kennen lernen. Erst hinterher kann ich sagen, welche Schritte ich gegen ihn unternehmen werde.« Wheeleck rümpfte die Nase. »Sie sind doch nicht so verrückt, dem Ehepaar Renner in den Tod zu folgen, Oberinspektor.« »Wie soll ich mich auf meinen Gegner einstellen, wenn ich ihn nicht kenne?« »Haben Sie denn keine Angst vor der Gefahr, in die Sie sich bege-
ben?« »Doch. Aber wenn ich dieses Risiko nicht auf mich nehme, wer soll es dann tun? Schauen Sie, Wheeleck, die Sache sieht folgendermaßen aus: Wäre das Ehepaar Renner nicht zu Moano in den Krater hinab gestiegen, hätte mich mein Vorgesetzter nicht hergeschickt. Wären Sie und dieses Arbeitsteam nicht hierher gekommen, würde sich dieser Dämon in seinem Berg vermutlich weiterhin verhältnismäßig friedlich geben. Möglicherweise hätte ich von seiner Existenz nie erfahren. Doch nun haben sie angefangen, ein geophysisches Kraftwerk zu errichten. Diese Tätigkeit reizt den Dämon. Er will sich diese Aktivität nicht gefallen lassen. Sein Vulkan soll den Menschen nicht nützen. Er wird alles daransetzen, um den Bau des Kraftwerkes zu vereiteln … Es hat keinen Zweck, zu Mort Agamemnon zu gehen und ihm zu sagen, daß er die Arbeit stoppen soll, bis es mir gelungen ist, Moano auszuschalten. Einer solchen Bitte könnte der Projektleiter niemals stattgeben. Also wird hier Tag für Tag weiter gearbeitet werden. Die Bohrer werden sich weiter in die Tiefe des Vulkans fressen. Dem Dämon muß einfach darüber der Kragen platzen. Und bevor das geschieht, muß ich ihn näher kennen lernen, um ihn richtig einschätzen zu können. Vielleicht finde ich einen wunden Punkt.« »Hat er denn einen solchen?« fragte Wheeleck zweifelnd. »Jeder Dämon hat eine Schwachstelle. Keiner ist vollkommen.« »Ihr Wort in Gottes Ohr«, seufzte Wheeleck und ging weiter.
* Suko tastete sich lautlos an der Höhlenwand entlang. Er hörte Zarrambos kräftige Stimme. »Isabel Snake ist kein Wesen aus Fleisch und Blut. Sie sieht nur aus wie ein Mensch, sie ist jedoch ein Flammenmädchen, geschaffen aus der Kraft des Feuers, genährt durch das Pulver des Todes. Sie ist deshalb so gefährlich, weil sie nur eine
Empfindung kennt: den blanken, eiskalten Haß. Sie kann nicht lieben. Sie weiß nicht, was Mitleid ist. Sie ist das perfekte Mordwerkzeug, das der Höllenfürst mir in die Hand gegeben hat, und ich werde es rücksichtslos gegen dich und deinesgleichen einsetzen, damit Moano seine Ruhe wiederbekommt!« »Denkst du wirklich, daß das der richtige Weg ist?« Das war jetzt Bill Conollys Stimme. »Moano seine Ruhe zu lassen?« »Moano ist unser Herr und Gebieter.« »Ihr solltet euch von ihm abwenden.« »Niemals!« dröhnte Zarrambos scharfe Stimme. »Moano hat mich zu seinem Diener gemacht, und darauf bin ich stolz.« »Er wird sich eines Tages gegen dich wenden und dich gnadenlos vernichten. Dämonen kennen keinen Freund«, versuchte Bill ihm klarzumachen. »Solange wir ihm uns bedingungslos unterwerfen, hat er keine Veranlassung, seinen Zorn gegen uns zu richten. Wir helfen ihm, euch zu verjagen. Das wird er uns hoch anrechnen.« Bill lachte bitter. »Seit wann kennt ein Dämon so etwas wie Dankbarkeit? Dämonen sind rücksichtslose Egoisten. Sie nützen die Menschen schamlos für ihre Zwecke aus, und wenn ihnen der eine oder andere nicht mehr dienlich ist, machen sie ihn eiskalt fertig.« »Moano nicht! Moano steht hinter uns!« schrie Zarrambo. Suko hatte sich inzwischen so weit vorgewagt, daß er die ganze unheimliche Szene überblicken konnte. Bill saß in einer verdammten Klemme. Er war von zwölf Eingeborenen umringt. Die Männer bildeten eine Kette, die Bill wohl kaum würde durchbrechen können. In der Mitte der Höhle loderte ein hohes Feuer. Rechts davon stand Zarrambo breitbeinig. Neben ihm stand … Suko mußte trocken schlucken … dort stand das Flammenmädchen Isabel Snake. Lange, makellose Beine. Schwellende Hüften. Enge Taille. Formvollendete Brüste. Doch der breite geblähte Hals
einer Kobra und die giftsprühenden Augen, die Bill Conolly mordlüstern anstarrten und nur auf Zarrambos Befehl warteten, um sich auf den Reporter zu stürzen, störten die Harmonie des Anblicks. Da kam der Befehl bereits! Wie ein Schuß peitschte er durch die Höhle. »Töte ihn! Töte diesen Bastard, Isabel. Mach ihn zum Untoten. Als Zombie soll er ins Camp zurückkehren und den Tod unter seinen Freunden säen!«
* Augenblicklich biß die Schlange zu. Bill Conolly brachte sich mit einem schnellen Sprung in Sicherheit. Die blitzenden Giftzähne schossen knapp an ihm vorbei. Der Reporter suchte nach einer Waffe. Sein fiebernder Blick fiel auf einen armdicken Ast, der aus der steinernen Feuerstelle herausragte. Blitzschnell bückte er sich danach. Mit dem brennenden, angekohlten Ende stieß er nach dem gefährlichen Maul des Reptils. Die Eingeborenen verfolgten den Kampf mit großem Interesse. Hin und wieder prallte Bill gegen ihre Leiber. Sie stießen ihn sofort in die Mitte des Kreises zurück, auf Isabel Snake zu, die dann sogleich mordlüstern vorschnellte, aber den Reporter bis jetzt zum Glück jedesmal verfehlte. Schon wieder schoß der grauenerregende Schlangenschädel auf Bill zu. Die Kiefer klafften weit auseinander. Bill stieß den brennenden Ast in den schwarzen Schlangenrachen hinein. Isabel Snake biß zu. Ein gewaltiger Ruck folgte. Das Mädchen hatte dem Reporter den Ast aus den Händen gerissen. Mit einer schnellen Kopfdrehung schleuderte sie den Ast ins Feuer zurück.
Die Eingeborenen schrien vor Begeisterung. Ein solcher Kampf peitschte ihre Nerven auf. Ihre angespannten Gesichter verzerrten sich zu mitleidlosen Fratzen. Sie feuerten das tödliche Mädchen mit schrillen Schreien an. Sie wollten, daß Isabel Snake dem Fremden endlich den Garaus machte. »Töte ihn!« brüllte auch Zarrambo aus vollem Halse. »Mach ihn fertig, Isabel! Jage ihm dein furchtbares Gift in den verdammten Körper! Mach ihn zum Zombie!« Bill schwitzte. Geduckt wartete er auf den nächsten Angriff des Mädchens. Wie oft würde Bill sie noch abwehren können? Pierre Hennessy fiel ihm ein. Gott, er wollte nicht so enden wie dieser Franzose. Aber gab es für ihn noch eine reelle Chance, mit dem Leben davonzukommen? Im Augenblick sah es so aus, als ob Bill diese Höhle nur auf eine Art verlassen konnte: als Zombie! Dieser Gedanke machte ihn halb wahnsinnig vor Angst. Er stürmte mit dem Mut des Verzweifelten auf Isabel Snake ein. Er drosch ihr seine Fäuste auf den Schädel und rammte ihr seine Fäuste in den Leib. Er griff so vehement an, daß die Untote gezwungen war, zurückzuweichen. Bill versuchte sie niederzuknüppeln, doch dazu reichten seine Kräfte nicht aus. Isabel Snake zischte wütend. Sie war nicht gewillt, sich diese unverfrorenen Attacken noch länger, bieten zu lassen. Sie mobilisierte alle ihre hexenhaften Kräfte. Ein Schlag mit der flachen Hand schleuderte Bill Conolly schwer zu Boden. Er war benommen. Er sah das Mädchen wie durch einen dichten Schleier auf sich zukommen. Das Schlangenmonster beugte sich zu ihm herab. Jetzt! schrie es in ihm. Jetzt wird sie dich töten. Eine eiskalte Gänsehaut überlief ihn …
*
Ehe es zur Katastrophe kommen konnte, schaltete sich Suko, der hünenhafte Chinese, in das Geschehen ein. Da niemand von seiner Anwesenheit gewußt hatte, erzielte er mit seinem unverhofften Auftritt einen durchschlagenden Erfolg. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Er durchbrach den Ring der Eingeborenen mit der Sprengkraft einer Bombe. Seine gewaltigen Fäuste wirbelten durch die Luft. Er teilte Hiebe und Tritte aus. Die Eingeborenen kreischten wütend. Suko schleuderte die Kerle gegen die Höhlenwand. Isabel Snake bekam von ihm einen brutalen Tritt in die Seite. Sie flog wie katapultiert davon und knallte gegen Zarrambo, der wie vom Donner gerührt dastand und mit großen, entsetzten Augen ungläubig die Szene verfolgte, die sich in der Höhle abspielte. Suko nützte die allgemeine Verwirrung eiskalt. Als er sich nach Bill Conolly bückte, um ihn hochzureißen, warfen sich zwei Eingeborene auf ihn. Er schüttelte sie wütend ab, zog einen weiten Schwinger vor, traf den Kopf des einen und rammte dem anderen den Ellenbogen tief in den Bauch. Wie vom Blitz getroffen gingen die Kerle zu Boden. »Los, Bill, steh auf! Mach schnell!« keuchte der Chinese, während er sich zwei weitere Angreifer mit gewaltigen Hieben vom Leib hielt. Bill richtete sich atemlos auf. Mit einer solchen Wendung hatte er nicht mehr gerechnet. Er hatte sich bereits selbst aufgegeben. Suko arbeitete wie ein Berserker. Seinen hartnäckigsten Gegner riß er hoch und schleuderte ihn dann mit voller Wucht gegen die anderen anstürmenden Eingeborenen. Zarrambo schnappte vor Wut fast über. Er schickte Isabel Snake in den Kampf. Das Schlangenmädchen wollte augenblicklich eingreifen, doch Suko hatte in das gegnerische Rudel eine tiefe Schneise mit seinen knallharten Fäusten geschlagen.
Durch diese stürmte er nun mit Bill Conolly. Und niemanden war es möglich, die beiden zu halten.
* John Sinclair hörte sich im gemeinsamen Quartier ihre haarsträubende Story an. Als die Freunde geendet hatten, sagte der Geisterjäger mit sorgenverhangener Miene zu Bill: »Damit hast du deine Glücksration für die nächsten zehn Jahre im voraus konsumiert, Junge. Wenn das Sheila wüßte. Sie ist ohnedies gegen solche Abenteuer. Das wäre Wasser auf ihre Mühlen.« Der Reporter versuchte unbekümmert zu lächeln. »Sie muß davon ja nicht unbedingt erfahren.« »Sie würde glatt ihr Baby verlieren …«, warnte John mit ernster Stimme. »Deshalb werden wir’s für uns behalten«, fiel Bill ihm ins Wort. John und Suko nickten. Damit war ihre Verschwiegenheit besiegelt. Bill erholte sich schnell wieder. John wies auf Suko. »Wir beide machen uns jetzt gleich mal auf den Weg zu dieser Höhle.« »Was haben wir da vor?« erkundigte sich der Chinese. »Wir kaufen uns Zarrambo. Isabel Snake ist sein Werk. Er muß sie wieder verschwinden lassen. Noch gibt es keinen weiteren Zombie in diesem Camp. Wenn aber dieses Mädchen wiederkommt, kann ich für nichts mehr garantieren. Wir müssen sie ausschalten, ehe sie neues Unheil anrichtet. Was Bill widerfahren ist, hat uns deutlich gezeigt, daß dieses Mädchen die Hexenkünste beherrscht. Es nützt also nichts, den Arbeitern zu sagen: Ihr dürft nicht mit diesem Girl gehen! Niemand kann sich ihren Befehlen widersetzen. Jeder von uns würde sich über alle Warnungen hinwegsetzen und trotzdem mit ihr gehen. Und dann wäre er verloren.« Bill wies mit dem Daumen auf sein Brustbein. »Ich komme selbstverständlich mit.« »Nichts da. Du ruhst dich aus!« erwiderte John ernst. »Ich bin aus-
geruht.« »Bill, sei vernünftig.« »John, siehst du denn nicht ein, daß sich unsere Chancen erheblich verringern, wenn ich nicht mitkomme? Ich habe zwölf Eingeborene gezählt. Hinzu kommen noch Isabel Snake und Zarrambo. Was hört sich besser an: vierzehn gegen zwei – oder vierzehn gegen drei?« John seufzte. So leicht war Bill nicht abzuhängen. Es hätte vieler Worte bedurft. Und dafür war jetzt keine Zeit. »Na schön«, willigte der Geisterjäger ein. »Aber du hältst dich weitgehend im Hintergrund.« Bill nickte. »Okay, das will ich tun, soweit dies möglich ist.« Sie verließen das Haus. So weit es ging, fuhren sie mit dem Jeep. Den Rest des Weges legten sie auf Schusters Rappen zurück. Sie erreichten die Höhle. John zog vorsichtshalber seine Beretta. Er war sicher, daß Isabel Snake seine geweihten Silberkugeln nicht verdauen konnte. Falls sie sich also in dieser Höhle befand, brauchte sich Zarrambo nicht zu bemühen. Dann würde John dem gefährlichen Feuermädchen ein schnelles Ende bereiten. Ein für allemal. Sie lauschten. Kein Geräusch war zu hören. Sukos Mundwinkel zogen sich nach unten. »Als ob keiner mehr da wäre«, sagte der Chinese enttäuscht. »Die haben damit gerechnet, daß wir wiederkommen und sind rechtzeitig verduftet«, meinte Bill. »Am besten wir sehen mal nach, wie’s drinnen aussieht!« schlug John vor. Er betrat die Höhle als erster. John huschte durch den schlauchartigen Gang. Von den Wänden tropfte Wasser auf seinen Kopf. Ärgerlich schüttelte er sich. Seine Lippen waren beinahe so schmal wie zwei aufeinander gelegte Messerklingen. Er war ganz Konzentration. Kein Geräusch entging ihm. Alle seine Sinne waren auf die Wahrnehmung drohender Gefahren ausgerichtet. Aber er empfing nichts. Der dunkle Schlauch verbreiterte sich.
Augenblicke später stand John Sinclair vor der Feuerstelle, die Isabel Snake geboren hatte. Die Flammen waren inzwischen gelöscht. Die Glut schwelte aber noch. John steckte enttäuscht die Waffe weg. »Die Vögel sind ausgeflogen?« knurrte er ärgerlich. »Was ich vermutet habe«, bemerkte Bill. »Und jetzt?« fragte Suko. John Sinclair tastete die Höhlenwände ab. Er suchte nach einem verborgenen Geheimgang, konnte jedoch keinen entdecken. Mürrisch verließ er mit seinen Freunden die Höhle. Draußen ballte er die Fäuste und brummte: »Dann müssen wir eben versuchen, auf eine andere Weise an Zarrambo heranzukommen.« Plötzlich ein Geräusch. So leise, daß man darüber hinweghören konnte. Aber John Sinclair hatte verdammt gute Ohren. Er fuhr wie von der Natter gebissen herum. Bronzefarbene Haut schimmerte durch das Grün der Farne. Die Freunde wurden beobachtet.
* Sie rannten gleichzeitig los, schwärmten aus, preschten keuchend durch das Unterholz. Der Kerl, der John, Bill und Suko beobachtet hatte, richtete sich verstört auf, als er bemerkte, daß er entdeckt worden war. Er wandte sich gehetzt um und suchte das Weite. Die Freunde jagten den Mann wie einen Hasen. Der Bursche war zwar ungemein flink, aber das waren John, Suko und Bill ebenfalls. John Sinclair war der Schnellste von allen. Der Abstand zwischen ihm und dem halbnackten Eingeborenen verringerte sich zusehends. Bald war er auf Armlänge an den Burschen herangekommen. Der Dunkelhäutige schnaufte wie eine Lokomotive.
Johns Hand flog nach vorn. Er erwischte die nackte Schulter des Mannes. Mit Schwung riß er den Laufenden herum. Dadurch stolperte der Hawaiianer über seine eigenen Füße und schlug der Länge nach hin. Er wollte auf allen vieren die Flucht fortsetzen, doch John stoppte ihn mit der vorgehaltenen Waffe. »Nicht schießen!« stöhnte der schwitzende Mann. »Bitte nicht schießen!« John ließ ihn langsam hochkommen. Suko und Bill trafen ein. Sie umringten den zitternden Eingeborenen und überließen es John, die Fragen zu stellen. »Warum hast du die Höhle der Vulkan-Sekte beobachtet?« »Ich weiß nicht.« »Warum bist du davongelaufen?« »Ich hatte Angst.« »Gehörst du auch der Vulkan-Sekte an?« »Oh, nein! Nein! Nein!« der Mann schrie es ängstlich heraus und schüttelte heftig den Kopf. »Ich habe mit dieser Sekte nicht das geringste zu tun.« »Warum beobachtest du dann ihren Schlupfwinkel?« »Aus Neugierde. Ich habe so viel über diese Leute gehört und wollte mal sehen, was sie so treiben.« »Haben diese Banditen noch einen Schlupfwinkel?« »Mir ist keiner außer diesem bekannt.« »Weißt du, wo Zarrambo wohnt?« Allein die Nennung des Namens ließ den Eingeborenen zusammenzucken, als hätte ihn John mit der Peitsche mißhandelt. »Nein!« platzte es aus ihm heraus. Sehr schnell. Zu schnell. »Junge, in deiner Situation ist es nicht klug, zu lügen!« sagte John schneidend. Der Hawaiianer wand sich wie ein getretener Wurm. »Lassen Sie mich laufen, wenn ich’s Ihnen verrate?« »Ja. Dann kannst du gehen«, versprach John Sinclair.
Der Eingeborene mit den großen furchtvollen Augen leckte sich aufgeregt die wulstigen Lippen. »Ich war noch nie da«, stammelte er. »Ich glaube, niemand war jemals da. Zarrambo soll in einer Schlucht wohnen, die er angeblich von Zombies bewachen läßt. Es heißt, daß sie schlimmer sind, als scharfe Wachhunde. Sie töten jeden, der es wagt, zu Zarrambo vorzudringen.« John ließ sich den Weg dorthin beschreiben. Er glaubte, die Schlucht zu kennen. Er war zwar noch nicht da gewesen, aber er erinnerte sich, sie auf einer von Mort Agamemnons Karten gesehen zu haben. Sie ließen den Eingeborenen laufen. Mann, zischte der ab. Wie eine Rakete.
* Sie standen davor. Es war die Schlucht des Todes. Randvoll von einer unheilschwangeren Stille. Der Eingang in diese Schlucht war so schmal, daß sich zwei Mann aneinanderdrängen mußten, um zwischen den eng beisammen stehenden Felsen hindurchzukommen. Ein tiefer dunkler Schatten lag über dem Einschnitt. Die Schlucht gehörte zum Massiv des Moano-Vulkans. John trat entschlossen darauf zu. Er legte die Hand auf einen zerklüfteten Lava-Brocken, der so heiß war, daß der Geisterjäger sogleich zurückzuckte. Ihre Blicke waren nach oben gerichtet, denn links und rechts engten hohe Wände ihr Gesichtsfeld ein. Schon nach wenigen Schritten machte das Tal einen scharfen Knick nach rechts. Die Schlucht wurde etwas breiter. Heiße Lavafelsen, die der Vulkan erst vor kurzem herausgeschleudert zu haben schien, riesengroß und tonnenschwer, versperrten den Freunden den Weg. John suchte die Zombies, von denen der Hawaiianer gesprochen hatte. Er konnte sie nirgends entdecken, aber er war sicher, daß sie
da waren. Vermutlich lagen sie bereits auf der Lauer, um im rechten Augenblick tödlich zuzuschlagen. Wie viele würden es sein? »Verdammt, hier gefällt’s mir nicht!« flüsterte Bill Conolly unangenehm berührt. »Mir auch nicht«, knurrte Suko. »So unheimlich war mir schon lange nicht mehr zumute«, sagte Bill fröstelnd. »Ich kann die tödliche Gefahr hier drinnen förmlich spüren.« »Möchtest du lieber umkehren?« fragte John Sinclair väterlich. Der Reporter riß die Augen auf, als würde er an Johns Verstand zweifeln. »Wofür hältst du mich? Für einen Hasenfuß?« »Dir muß doch dieses Erlebnis in der Höhle der Vulkan-Sekte noch im Magen liegen. Ich habe Verständnis dafür, wenn dir das nun zuviel ist. Das hat noch lange nichts mit Feigheit zu tun.« »Halt keine fruchtlosen Reden. Geh weiter!« gab Conolly unwillig zurück. Der Geisterjäger machte den nächsten Schritt. Und da passierte es …
* Sie tauchten hinter den gewaltigen Lavablöcken auf. Leichenblaß. Mit leblosen Augen und wächsernen Lippen, Zombies! Vier waren es. Groß, muskulös. Mit riesigen Händen, die tödlich zupacken konnten. Grausamkeit umspielte ihren Mund. John wußte nicht, ob sie sich auch in diese Schlangenmonster verwandeln konnten, so wie Pierre Hennessy. Vermutlich hätte die Metamorphose bereits eingesetzt, wenn sie dazu in der Lage gewesen wären. Der Geisterjäger wollte seine Pistole ziehen. Doch ehe er die Beretta in der Hand hatte, ergriff Suko voreilig die Initiative. Er drängte sich an John vorbei und stürzte sich auf den
erstbesten Zombie. Der Untote stieß ein tierhaftes Fauchen aus. Er packte den schweren Chinesen mühelos und schleuderte ihn dem zweiten Zombie an die Brust. Dieser warf Suko weiter. Schließlich landete er beim vierten Untoten, ohne es verhindern zu können, obwohl er sich mit allen Kräften dagegen zur Wehr gesetzt hatte. Die Zombies verfügten über unglaubliche Kräfte. Suko war bestimmt kein Schwächling. Aber gegen diese Ungeheuer war er der reinste Waisenknabe. Die Zombies hätten sich nicht um John und Bill gekümmert. Suko aber hatte sich erdreistet, sie anzugreifen. Also wollten sie Suko zuerst dafür bestrafen. Sie packten den Chinesen an Armen und Beinen. Bill Conolly standen die Haare zu Berge. »Mein Gott, John, die wollen ihn vierteilen! Die reißen Suko auseinander. Das ist für sie eine Kleinigkeit!« John entsicherte seine Beretta in größter Eile, und als die Zombies den Chinesen tatsächlich in vier Teile reißen wollten, drückte er blitzschnell viermal hintereinander ab. Die Silberkugeln zerstörten mit großer Kraft die Schädel der Monster. Alle vier Zombies brachen röchelnd zusammen. Suko rappelte sich keuchend hoch. Mit großen Augen verfolgte er das Schauspiel, das sich ihnen nun bot. Es war grauenvoll. Die Haut der vier Untoten trocknete immer mehr ein. Sie wurden unansehnlich, bekam Risse, fiel mitsamt dem eingetrockneten Fleisch vom Knochen und löste sich, sobald es den Boden berührte, vollkommen auf. Die vier skelettierten Totenfratzen starrten John Sinclair haßerfüllt an. Dann ging ein heftiges Zucken durch die Knochenmänner, und in der nächsten Sekunde fielen sie klappernd in sich zusammen. Erst jetzt ließ Bills nervliche Anspannung nach. Er atmete hörbar ein. »Weiter!« sagte John. Suko erkannte, daß sein Freund ärgerlich war. Die vier Schüsse waren von Zarrambo bestimmt gehört worden. Der gefährliche Medizinmann konnte inzwischen vielerlei Maßnahmen zu seiner Verteidigung getroffen haben. Ihn zu überrumpeln, war jetzt nicht mehr möglich.
* Selbstverständlich hatte Zarrambo die Schüsse gehört. Sie kamen wie kleine Donner durch die enge Schlucht gerollt und prallten gegen die Hütte des Medizinmannes. Schon einmal hatte jemand in dieser Schlucht mehrere Pistolenschüsse abgegeben. Zarrambo grinste. Er konnte sich noch gut an diesen Tag erinnern. Vor etwa drei Jahren war es gewesen. Er hatte hier in seiner Hütte gehockt und meditiert. Plötzlich war die Knallerei losgegangen. Er war aus der Hütte gestürmt und die Schlucht entlang geeilt, und dann hatte er die beiden Männer gesehen, die es gewagt hatten, ohne seine ausdrückliche Erlaubnis hierher zu kommen. Die Zombies hatten sie so gräßlich zugerichtet, daß sie kaum noch als Menschen wiederzuerkennen waren. Heute würde das nicht anders sein. Es gab keine besseren Wächter als diese vier Untoten, in deren Körper die Kräfte der Hölle wohnten. Zarrambo reimte sich zusammen, was geschehen war. Er erinnerte sich an seine erste Begegnung mit diesem Engländer, der im Jeep zum Moano-Krater unterwegs gewesen war. Inzwischen wußte Zarrambo, daß der Mann ein Polizeioberinspektor war und John Sinclair hieß. Isabel Snake hatte den Freund Sinclairs in die Höhle der VulkanSekte gelockt. Der zweite Freund des Oberinspektors hatte aber dann verhindert, daß Isabel Snake ihr grausames Werk vor den Sektenmitgliedern verrichten konnte. Daraufhin waren die beiden sofort zum Camp zurückgekehrt, um Sinclair Meldung zu machen. Und der unerschrockene Oberinspektor hatte sich mit seinen Freunden sofort auf den Weg zur Höhle gemacht, die Zarrambo jedoch gleich nach der geglückten Flucht des Gefangenen hatte räumen lassen. Die Männer hatten eine leere Höhle vorgefunden.
Bis hierher war alles logisch. Aber … wer hatte diesen verdammten Kerlen von dieser Schlucht erzählt? Zarrambo erhob sich wütend. Nun, wie dem auch sei, diese Männer waren hierher gekommen und hatten ihren Leichtsinn längst mit dem Leben bezahlt. Zarrambo verließ seine ärmliche Hütte, um sich am Anblick der drei Leichen zu ergötzen. Er lauschte kurz. Plötzlich war ihm, als hörte er Stimmen. Stimmen und Schritte! Seine Augen fingen nervös zu flattern an. Nachdenklich nagte er an seiner Unterlippe. Wie war das möglich? Wie hatten diese Männer es geschafft, die unüberwindliche Zombie-Barriere zu umgehen? Dieser Sinclair! Was war das für ein Mann? Ein Hexer etwa? Zarrambo ballte zorngeladen die Fäuste. »Unmöglich!« zischte er. »Das ist unmöglich! Meine Zombies kann man nicht überlaufen! Sie bilden ein absolut sicheres Bollwerk!« Zwischen den Felsblöcken tauchten drei Gestalten auf. Zarrambo glaubte, seinen Augen nicht trauen zu können. Da kamen tatsächlich John Sinclair, Bill Conolly und Suko, dieser schwergewichtige Chinese, der für den Aufruhr in der Höhle verantwortlich gewesen war. Zarrambo machte schleunigst kehrt, um sich rechtzeitig abzusetzen. Was mit den Zombies schief gelaufen war, würde er zu einem späteren Zeitpunkt klären. Im Augenblick blieb das für ihn ein unlösbares Rätsel.
* John entdeckte die Hütte als erster. Er kniff die Augen zusammen und blieb einen Moment stehen. Suko und Bill schlossen auf. »Wenn er in der Hütte ist«, sagte John, »dann hat er bestimmt bereits einige Teufeleien für uns vorbereitet.
Also seid auf der Hut. Vielleicht begegnen wir dort drinnen auch Isabel Snake wieder. Vor allem du, Bill, nimm dich in acht. Sie hat dich schon einmal mühelos in ihren Bann schlagen können. Es ist zu befürchten, daß ihr das ein zweitesmal ebenso leicht gelingt.« Einer plötzlichen Eingebung folgend nahm John Sinclair sein silbernes Kreuz ab und reichte es Bill. »Hier«, sagte er ernst. »Trage es. Vielleicht können wir damit Isabels verderblichen Einfluß von dir fernhalten.« Bill hängte sich das Kruzifix wortlos um den Hals. Dann gingen die Freunde weiter. Diesmal war Suko nicht mehr so voreilig. Die bittere Erfahrung hatte ihn schnell klug gemacht. Er überließ John den Vortritt, als sie die Hütte des Medizinmannes erreicht hatten. John fegte mit der Linken den Fetzen weg, der vor der Tür hing. Mit vibrierenden Nerven trat er ein. Er war jederzeit bereit, den Stecher seiner Waffe durchzuziehen. Er hätte alles mit einer geweihten Silberkugel durchlöchert, was sich auf ihn gestürzt hätte. Doch nichts störte den Frieden. Die Hütte war so leer, wie sie nur sein konnte. Weder Isabel Snake noch Zarrambo waren anwesend. Plötzlich ein Krachen, Donnern und Knirschen. »John!« brüllte Suko aus vollen Lungen. »John, raus aus der Hütte! Schnell!« Der Geisterjäger zuckte augenblicklich herum. Das Donnern wurde immer lauter. John Sinclair flog förmlich aus der Hütte heraus. Bill Conolly und Suko waren hinter einen mächtigen Lavafelsen gesprungen. »Hierher!« schrie Suko. »Schnell! Schnell! Hierher, John!« Der Oberinspektor sprintete von der Hütte weg. Atemlos erreichte er die Freunde. Und dann ahnte er schaudernd, was schon in der nächsten Sekunde mit ihm passiert wäre …
*
Zarrambo hatte einen gewaltigen Lavafelsen in die Tiefe gestoßen. Polternd, knurrend, knirschend und donnernd kam der riesige Block herabgerollt. Genau auf die armselige Hütte zu, in der sich John Sinclair noch vor wenigen Augenblicken befunden hatte. Der Felsen deckte die Hütte vollkommen zu. Er zertrümmerte sie mit einem ohrenbetäubenden Krachen. Als John das sah, stieg ihm der kalte Schweiß aus den Poren. Das war mehr als knapp gewesen. »So rettet pausenlos einer dem andern das Leben, was?« sagte John mit einem schiefen Grinsen zu Suko. Aber der Scherz ging in die Hosen. Keiner konnte darüber lachen. Auch John nicht. Ihnen allen steckte der Schock noch in den Knochen. Als John sich erhob, merkte er, wie seine Knie zitterten. Er war eben kein Supermann. Auch ihm gingen manche Dinge an die Nieren. »John!« krächzte plötzlich Bill Conolly. Der Reporter wies nach oben. »Dort klettert Zarrambo!« »Los!« keuchte John Sinclair. »Den Knaben holen wir uns jetzt!« Sie stürmten vorwärts, kletterten über Geröll und Gestein. Sie sprangen von Grat zu Grat, quälten sich an einer fast überhängenden Wand hoch, zwängten sich unter eingekeilten Felsbrocken hindurch. Suko hatte es wegen seiner Leibesfülle nicht leicht, er mußte Umwege in Kauf nehmen, weil er sich nicht überall hindurchzwängen konnte, fiel mehr und mehr zurück, während John Sinclair und Bill Conolly gut vorankamen. Doch Zarrambo war besser als sie. Er schien hier jeden Stein zu kennen. Er sprang wie eine Gemse hin und her, fand immer den kürzesten und sichersten Weg, schlüpfte hinter Lavanasen hindurch und war kurze Zeit später nicht mehr zu sehen. John ließ sich dadurch jedoch nicht entmutigen. Er kletterte verbissen weiter. Er wollte nicht wahrhaben, daß Zarrambo hier der bessere Mann sein mußte, weil er hier sein Leben verbrachte und die Gegend kannte – ein Vorteil, den der gefährliche Medizinmann nun geschickt für sich verbuchte. John mußte einfach das Nachsehen haben. Aber das sah er erst eine halbe
Stunde später ein.
* Und dann kam der Tag, an dem John Sinclair in den Krater hinabstieg. Mort Agamemnon hatte ihm einen funkelnagelneuen Asbestanzug zur Verfügung gestellt. Auch Bill Conolly und Suko waren mit einem Hitzeschutzanzug ausgerüstet. Für den massigen Suko war es gar nicht so leicht gewesen, einen solchen zu finden. Schließlich zwängte er sich in einen Anzug hinein, schloß ihn keuchend und knurrte nicht ganz überzeugend: »Paßt.« In der Tiefe kochte die glühende Lava. Sie gurgelte und brodelte. Und immer wieder kam es zu kräftigen Eruptionen. Fast schien es, als würde der Dämon die Freunde vor weiteren Aktionen warnen. John Sinclair schlang sich das Seil um die Mitte. Suko würde ihn daran hinunterlassen. Beide – sowohl Suko als auch Bill – hatten John unbedingt auf seiner gefährlichen Tour begleiten wollen, doch das hatte der Geisterjäger strickt abgelehnt, und er sagte jetzt: »Egal, was geschehen wird, wenn ich den Kraterboden erreicht habe, ihr beide klettert mir nicht nach, verstanden? Habe ich euer Wort?« Bill blickte demonstrativ weg. Wie hätte er ein solches Wort bedenkenlos geben können? Wenn er sah, daß der Freund dort unten in Lebensgefahr war, würde er alles versuchen, um ihn zu retten. John verlangte etwas von ihnen, das unmöglich war. Suko war derselben Ansicht. »John, wir werden nicht zusehen, wie dich diese Bestie umbringt …« »Aha, ihr findet es richtiger, mit mir in den Tod zu gehen, was?« gab John zynisch zurück. »Kannst du mir verraten, was in einem solchen Fall erreicht wäre?« »Wir sind Freunde«, sagte Suko ernst. »Wir sind hierher gekommen, um gemeinsam gegen Moano zu kämpfen. Du kannst nicht von uns verlangen, daß wir dich im Stich lassen, wenn’s kritisch
wird.« »Wenn Moano mich vernichtet, wird es ihm nicht schwer fallen, euch gleich mit auszuschalten, wenn ihr da hinabsteigt. Seid vernünftig. Damit würdet ihr der Sache nicht dienen. Sollte Moano mich angreifen und mich töten, dann macht, daß ihr schnellstens von hier fortkommt, ehe er euch angreift. Kehrt ins Camp zurück und überlegt euch, wie ihr dem Kerl am wirkungsvollsten zu Leibe rücken könnt.« Suko legte dem Oberinspektor die Hand auf die Schulter und sagte: »Wir werden schon das richtige tun, John.« Sinclair setzte den Helm auf. Er trug – wie immer – sein silbernes Kreuz unter dem Anzug. Es war verdammt heiß und stickig unter dem Helm. Vor dem Gesicht hatte John feuerfestes Glas. Während Suko sich darauf vorbereitete, John am Seil in den Krater hinabzulassen, trat Bill an den Geisterjäger und traf die vereinbarten Vorbereitungen. Er besprengte den Asbestanzug des Freundes mit geweihtem Wasser. Von Kopf bis Fuß wurde John Sinclair benetzt. John hoffte, daß es dem Dämon unmöglich sein würde, die Kraft des geweihten Wassers zu brechen. Fertig. John nickte Bill und Suko zu. Er streifte klobige Handschuhe über die Finger und machte sich dann an den Abstieg, den Bill Conolly mit sorgenvoller Miene beobachtete. Er fand, daß John manchmal einfach zuviel wagte. Bloß um den Dämon kennenzulernen, kletterte er da hinunter. Und noch dazu allein. Das schmeckte dem Reporter ganz und gar nicht. Seine Backenmuskeln zuckten vor Nervosität. Es war genau wie bei Reggie und Nathaniel Renners Abstieg. Alle zehn bis zwölf Minuten explodierte der Feuerstoff und spritzte über die Hänge hinweg. Immer neue Lavafontänen stiegen zum Himmel empor und prasselten auf die gut ausgerüsteten Männer herab. John Sinclair kam gut voran. Zwei Drittel des Weges hatte er schon hinter sich. John blickte sich über die Schultern immer wieder
um. Er wollte vom Dämon nicht überrascht werden. Seine Nerven kribbelten. Der glühende Lavahagel spritzte hoch wie Fett in der Pfanne. Endlich hatte John den Kraterboden unter den Füßen. Es war mit Suko abgemacht, daß der Geisterjäger am Seil bleiben würde. Sollte es zu einer kritischen Situation kommen, dann würden Bill und Suko versuchen, John so schnell wie möglich aus dem Kraterschlund wieder hochzuholen. John wandte sich dem kochenden Lavasee zu. Er fragte sich, wie weit sich das Ehepaar Renner vorgewagt hatte. Waren die beiden auch bis hierher gekommen? Oder weiter? Das Gurgeln der Lava nahm zu. Fast schien es, als würde jemand mit einem unsichtbaren Quirl darin umrühren. John ging langsam auf den Lavateich zu. Trotz des Asbestanzuges machte die Hitze John schwer zu schaffen. Feuer schlug aus dem glutenden See. Wieder gab es eine von diesen kräftigen Eruptionen. John beobachtete, wie dicke Lavafetzen nach oben gerissen und aus dem Krater geschleudert wurden. Plötzlich geriet die gesamte Lava in Bewegung. Der Geisterjäger blieb gespannt stehen. Was kam nun? Ein gewaltiger Vulkanausbruch, der ihn mitriß in die Atmosphäre? Oder würde sich jetzt Moano dem Eindringling zeigen? Die Antwort bekam John umgehend. Das Lavamonster richtete sich mit einem jähen Ruck auf. Moano hatte einen riesigen Schädel und ein erschreckend großes Maul. Lava tropfte von seinem grauenerregenden Gesicht. Er entstieg dem wabernden Glutsee, war viermal so groß wie John Sinclair. Der Geisterjäger mußte den Kopf weit in den Nacken legen, um dem Dämon in die brennenden Augen schauen zu können. Moano war stämmig. Er hatte einen breiten massigen Körper, lange, kräftige glühende Arme, feste säulenähnliche Beine. Mit großen Schritten durchwatete er den Lavasee. Jetzt – angesichts dieses gefährlichen Riesen – begriff John Sinclair, wie klein und ohnmächtig er gegen dieses Scheusal war. Moano blies seinen voluminösen Brustkorb auf und schleuderte John dann eine Feuerwolke entgegen, die den Geisterjäger vernich-
ten sollte. Doch das geweihte Wasser auf dem Asbestanzug bewahrte John Sinclair vor jenem Ende, das Reggie Renner nicht erspart blieb. Als der Dämon sah, daß John immer noch lebte, wurde er wütend. Er versuchte John mit seiner vorschnellenden Hand zu ergreifen. Doch auch das verhinderte das geweihte Wasser. Aufbrüllend mußte Moano die Hand zurückziehen. Es war ihm unmöglich, John Sinclair anzufassen. Daraufhin drehte er vollends durch. Er schöpfte mit seinen hohlen Händen Lava aus dem brodelnden See und schleuderte sie wild nach dem Geisterjäger. Das konnte gefährlich werden. Klatsch. Ein Lavaschwall traf John Sinclair und riß ihn von den Beinen. Der Dämon schrie begeistert auf. Er schöpfte neue Lava aus dem Teich und wollte John damit übergießen. Der Geisterjäger warf sich zur Seite. Die Lava tropfte daneben. Zum Glück bekamen Bill Conolly und Suko die Sache von Anfang an mit. Bill und Suko spannten das Seil. Sie holten den Freund atemlos hoch, ohne von diesem dazu aufgefordert worden zu sein. Oben angelangt, machten Suko und Bill den Freund vom Seil los. Dann rannten sie zum Jeep. Als John Sinclair den Motor startete, begann der Dämon mit einem neuen Angriff, denn seine Reizschwelle war überschritten. Er hatte genug. Er wollte sich nichts mehr von diesen verdammten Menschen bieten lassen, er mußte ihnen endlich zeigen, wer hier der wahre Herr war. Der Vulkan bebte. Und dann ging es los. Unter mächtigem Getöse schleuderte der Moano-Vulkan seine Lavamassen aus dem Krater. Eine riesige heiße Dampfwolke stieg zum Himmel empor, durchmischt mit glühender Asche und feurigen Felsbrocken. Riesige Lavaströme ergossen sich über die Vulkanhänge. John und seine Freunde rasten zum Camp zurück. Dort herrschte Panik. Die Männer rannten aufgeregt umher. Sie suchten Schutz in ihren Hütten. Sie schrien. Sie stolperten und fielen auf den bebenden Bo-
den. Sie rappelten sich wieder hoch, rannten ziellos weiter. John Sinclair und seine Freunde liefen in ihr Quartier. Suko stieß keuchend hervor: »Jetzt dreht er durch.« Eine neuerliche Eruptionswelle schwappte aus dem Krater heraus. Innerhalb von wenigen Minuten war das Camp von glühenden, rauchenden Lavamassen eingeschlossen. Mort Agamemnon kam angelaufen. Er war ganz blaß. »Mein Gott, Mr. Sinclair, warum mußten Sie ihn dermaßen reizen?« »Was ich getan habe, war nur noch ein auslösendes Moment. Mit dem Reizen haben Sie lange vor mir begonnen, Mr. Agamemnon.« »Was machen wir denn jetzt bloß? Wir sind von einer hohen Lavamauer eingeschlossen. Mein Hubschrauber ist zerstört. Wenn der Vulkan so weiterrückt, deckt er uns mit seiner verdammten Lava vollkommen zu.« »Fordern Sie Hilfe aus Lihue an«, riet ihm John. »Das geht nicht. Ich hab’s bereits versucht. Ich kann niemanden erreichen. Die Leitung ist tot.« Suko rief vom Fenster aus: »John.« Er winkte den Freund erregt zu sich. Der Geisterjäger trat neben den Freund und sah nun das, was der Chinese ihm zeigen wollte: Über dem Camp wölbte sich eine gleißende Kuppel. Der Dämon hatte über sie alle eine riesige Käseglocke gestülpt. Eine transparente magische Glocke. Keinem Menschen würde es möglich sein, sie zu durchdringen. Hier hatte John die Erklärung dafür, weshalb Agamemnons Telefon nicht funktionierte. Die magische Glocke ließ keinen Hilferuf hinaus – es sah aus, als wären sie alle verloren.
* Aus dem rumpelnden, feuerspeienden Berg tauchte nun Moano auf. Es war ein grauenerregendes Schauspiel. Moanos glühender Schädel schob sich aus dem Krater. Er stieß ein triumphierendes Gelächter
aus und brüllte mit donnernder Stimme: »Jetzt seid ihr alle meine Gefangenen. Keiner ist imstande, meine magische Glocke zu durchdringen. Ihr seid mir rettungslos ausgeliefert. Und ich werde euch töten. Alle. Alle. Ersticken werdet ihr unter der glühenden Lava. Ihr habt mich lange gereizt, doch damit ist nun Schluß!« Die Männer im Camp standen dem Dämon erschüttert gegenüber. Sie glotzten das Scheusal mit ungläubigen Augen an. Moano verschwand in seinem Krater. Gleich darauf quoll neue Lava aus dem Berg heraus wie heißer Brei aus einem überkochenden Topf. Die glühende Brühe floß die Vulkan-Flanke herab – genau auf das Camp zu. Die glühende Wand schob sich langsam den Berg hinunter. Moano hatte es nicht eilig, sie zu töten. Sie alle waren ihm sicher. Er konnte sich Zeit lassen, John hob den Blick. Die gleißende Glocke bereitete ihm große Sorgen. Eine Flucht war nicht möglich, sie würde jeden vernichten, der mit ihr in Berührung kam. Da tauchte am Ende des Camps unerwartet Zarrambo auf. Der Medizinmann lachte gehässig und brüllte: »Ich habe euch gewarnt. Ihr habt nicht auf mich gehört. Jetzt werdet ihr sterben. Einer nach dem andern!« Plötzlich hatte John Sinclair eine Idee …
* »Wo ist Suko?« fragte Mort Agamemnon. Er blickte sich suchend um. »Ich kann ihn nirgendwo sehen.« »Er wird einen Ausbruchsversuch unternehmen«, erklärte John Sinclair. Mort Agamemnon blickte John an, als hätte dieser den Verstand verloren. »Wir haben doch vorhin alle gesehen, was passiert, wenn man auszubrechen versucht«, sagte der Projektleiter heiser. John ignorierte den Einwand.
»Sie besitzen ein Gewehr, nicht wahr?« »Ja«, antwortete Agamemnon verwirrt. »Würden Sie es holen?« Der Projektleiter eilte in sein Haus und brachte einen zehnschüssigen Karabiner. Er drückte John Sinclair die Waffe in die Hände und fragte sarkastisch: »Haben Sie vor, den Dämon zu erschießen? Oder wollen Sie Löcher in diese magischen Glocken ballern?« John stützte sich auf das Gewehr. »Ich werde es später brauchen.« »Ich warte immer noch auf eine Erklärung, wie Mr. Suko es schaffen will, auszubrechen. Wenn es so einfach wäre, hätte er uns doch gleich alle mitnehmen können.« »Suko wird sich Zarrambo schnappen. Der Medizinmann ist Moanos Diener. Ihm wird es möglich sein, durch die magische Wand zu gehen, ohne daran Schaden zu nehmen. Suko wird Zarrambo zwingen, ihn mitzunehmen. Wenn er durch ist, wird er Hilfe holen.«
* Wie eine Sprungfeder drückte sich Suko zusammen. Da kam Zarrambo. Ahnungslos. Suko kauerte hinter einem Lavablock. Er wartete, bis der Medizinmann nahe genug heran war. Dann sprang er ihn blitzartig an. Zarrambo stieß einen erschrockenen Schrei aus. Und dann glitzerte in den Augen des großen kräftigen Medizinmannes blanker Haß. Der Chinese und der Hawaiianer waren etwa gleich groß und ungefähr gleich kräftig. Sie lieferten sich einen Kampf, bei dem die Fetzen flogen. Es ging auf Biegen und Brechen. Auf Leben und Tod. Zarrambo arbeitete mit den faulsten Tricks. Suko blieb dem Eingeborenen nichts schuldig. Sie hämmerten mit ihren Fäusten wild aufeinander ein. Suko war der bessere Techniker. Immer deutlicher war das zu erkennen. Zarrambo legte in jeden Schlag alles, was er an Energie mobilisieren konnte, während Suko klug genug war, mit seinen Kräften haus-
zuhalten. Bald schon baute Zarrambo ab. Er keuchte schwer. Und da er spürte, daß er dieses Tempo nicht mehr lange durchhalten konnte, wollte er eine schnelle Entscheidung herbeiführen. Er riß einen Lavabrocken hoch, umklammerte ihn mit seinen sehnigen Fingern und wollte Suko damit den Schädel einschlagen. Der Chinese wartete auf den Hieb. Als er kam, blockte er den niedersausenden Arm des Hawaiianers blitzschnell ab und konterte mit einem Kinnhaken, der Zarrambo gewaltig durchrüttelte und ohnmächtig zu Boden schleuderte. Suko zerrte den schweren schlaffen Körper keuchend hoch. Es gab einen Weg über heißes Lavagestein, direkt auf die gleißende magische Wand zu. Suko trug Schuhe mit hitzebeständigen Sohlen. Er schleppte Zarrambo mit sich auf die Wand zu, den Medizinmann hielt er wie ein Schild vor sich. Die Aufregung ließ sein Herz wie verrückt schlagen. Es war nur eine Vermutung, daß Zarrambo die magische Wand durchbrechen konnte, ohne daran zugrunde zu gehen. Es müßte sich erst erweisen, ob die Vermutung richtig war. Der hünenhafte Chinese schwitzte stark. Vier Schritte noch bis zur Wand. Suko drückte den Ohnmächtigen noch fester an sich. Drei Schritte. Wie ein Leib mußten sie die Wand durchdringen, dann klappte es vielleicht. Zwei Schritte. Suko hatte das Ende der beiden Arbeiter vor Augen. Ein Schauer überlief ihn kalt. Aber er machte trotzdem auch den letzten Schritt. Und dann glitt er mit Zarrambo durch die magische Wand. Nichts passierte. Suko triumphierte. Er glaubte es geschafft zu haben. Die Wand war hinter ihm. Jetzt konnte er forteilen, um Johns Auftrag auszuführen. Doch er irrte sich gewaltig. Denn in diesem Moment schoß Isabel Snake zischend aus dem Boden …
*
Mort Agamemnon blickte ununterbrochen auf seine Uhr. Er nagte an seiner Unterlippe, war hochgradig nervös. Die Arbeiter blickten immer wieder zur Lavaflut, die sich langsam den Hang herabwälzte. Moano schleuderte immer noch glühendes Gestein aus dem Krater heraus. Die Männer hörten ihn fluchen, brüllen und toben. In jeder Minute erzitterte mindestens einmal die Erde unter ihren Füßen. Das war gefährlich für die Gebäude. Einige hatten bereits bedrohliche Risse bekommen, und Mort Agamemnon hatte angeordnet, daß keiner mehr eine Hütte betreten dürfe. Inmitten dieser fiebernden Nervosität stellte John Sinclair einen ruhenden Pol dar. Agamemnon schüttelte verständnislos den Kopf. »Wie können Sie nur so gelassen Ihr Ende erwarten?« »Bis zu meinem Ende fehlen noch dreieinhalb Stunden«, rechnete ihm John vor. »In dreieinhalb Stunden erst wird der Lavastrom dieses Camp erreicht haben.« »Vorausgesetzt, daß Moano nicht plötzlich mehr von dem Dreckszeug herausschleudert!« knurrte Agamemnon. »Ob Suko es schon geschafft hat, die magische Wand zu durchdringen?« »Ich schätze«, gab der Geisterjäger zuversichtlich zurück, »Suko ist schon auf dem Weg nach Lihue.« Doch das war ein Irrtum.
* Isabel Snake griff den Chinesen sofort an. Suko schleuderte ihr Zarrambo entgegen. Sie fiel. Suko wandte sich augenblicklich um und hetzte los. Es war keine Zeit, sich einem neuerlichen Kampf zu stellen. Viele Männer würden sterben, wenn Suko nicht Schnell genug für Hilfe sorgte. Doch so einfach wollte das Flammenmädchen den Chinesen seine Aufgabe nicht erfüllen lassen. Suko lief schnaufend wie eine Dampflok. Isabel Snake sauste wie der Blitz hinter ihm her. Ihre Füße berührten kaum den Boden. Sie war von den Kräften des
Bösen beflügelt und holte Suko sehr schnell ein. Als sie ihr Schlangenmaul aufriß, warf Suko ihr einen großen Stein in den Rachen. Sie hustete und würgte daran. Suko schrie ihr immer wieder Bannsprüche zu, die er von John Sinclair gelernt hatte. Damit war das gefährliche Mädchen zwar nicht auszuschalten, aber sie war immer wieder irritiert, und Suko konnte seine Flucht in einer weiteren Etappe fortsetzen. Der Chinese entdeckte ein Haus. Darauf lief er zu. Er entdeckte eine Axt. Damit wollte er Isabel Snake nun vernichten. Er erreichte die Axt, ehe ihn das Mädchen erneut zum Kampf stellen konnte. Das Haus war leer, denn die Bewohner waren nach Lihue geflohen, als der Vulkan Feuer zu speien begonnen hatte. Suko ergriff den Axtstiel mit beiden Händen. Er riß die Klinge aus dem Holz und drehte sich mit großem Schwung um. Die gefährliche Kobra kam langsam auf ihn zu. Sie war sich ihrer Beute ziemlich sicher. Suko wartete. Seine Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt. Die Schlange versuchte ihn zu hypnotisieren, doch sein Wille war stark genug, um zu widerstehen. Einen Schritt ließ er sie noch machen. Dann schlug er zu. Wie John Sinclair mit der Machete, so spaltete Suko der Kobra mit der Axt den scheußlichen Schädel, und damit der Hieb auch die erwünschte Wirkung erzielte, schrie Suko dieselben Worte, die John gerufen hatte, um Pierre Hennessy zu vernichten. Es klappte. Isabel Snake stieß einen letzten grellen Schrei aus und verglühte dann vor Sukos nervösen Augen.
* John Sinclair ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Er bereitete sich sorgfältig auf das bevorstehende Ereignis vor. Bill Conolly hielt zehn Gewehrpatronen in seiner Hand. John nahm sie nacheinander an sich, ritzte mit der Spitze seines Klappmessers kabbalistische Zeichen in jede Kugel und versenkte sie danach in der Patronenkam-
mer. Zehn Kugeln würden reichen. Bill wußte genauso wenig wie die andern, welchen Plan sich John diesmal ausgedacht hatte. Die Neugier fraß ihn langsam von innen auf. »Angenommen, Suko kommt bis Lihue. Was dann?« fragte Bill, als er es nicht mehr länger aushalten konnte. »Er wird zum Polizeichef gehen«, gab John zurück. »Und?« »Erinnerst du dich an unsere Ankunft?« »Natürlich.« »Was fiel uns auf?« Bill zuckte mit den Achseln. Mort Agamemnon und die anderen Männer traten näher heran. Auch sie wollten hören, was John Sinclair im Schilde führte. David King und Neal Wheeleck hingen mit ihren brennenden Augen an den Lippen des Geisterjägers. »Wir wurden willkommen geheißen«, sagte John. »Von einem Zeppelin, der über dem Airport flog.« »Ach ja«, sagte Bill, aber er kam noch nicht mit. Was hatte der Zeppelin mit der Katastrophe zu tun, auf die sie zusteuerten? Wie wollte John das drohende Ende vermeiden? Mit diesem Zeppelin? Der Geisterjäger fuhr fort: »Wir werden eine große Wanne an den Zeppelin hängen. Eine Wanne, randvoll mit geweihtem Wasser. Den Zeppelin werden wir führerlos auf den Vulkan zusteuern lassen, und wenn er genau über dem Krater ist, werde ich ihn abschießen. Das überlebt Moano garantiert nicht.« »Fragt sich nur, ob sich das alles in drei Stunden bewerkstelligen läßt«, stöhnte Mort Agamemnon. John Sinclair nickte mit zusammengezogenen Brauen. »Ich gebe zu, das ist der einzige schwache Punkt in meinem Plan.«
*
Eine Stunde nur noch. Moano tobte mächtig in seinem Krater. Er ließ die Erde nun schon so heftig beben, daß alle Gebäude einstürzten. Und dann schleuderte er glühenden Aschenregen auf die Männer im Camp, die sich jetzt nicht mehr in ihre Hütten zurückziehen konnten, um geschützt zu sein. Furchtbare Szenen spielten sich ab. Die Männer stachelten ihre Hysterie gegenseitig an. Sie waren mit ihren Nerven am Ende. Einige Arbeiter hatten sich auf den rumpelnden, nicht zur Ruhe kommenden Boden gesetzt, starrten apathisch vor sich hin, warteten, in ihr Schicksal ergeben, auf den Tod. Andere wurden nicht so einfach fertig damit. Sie schrien, sie rannten wie aufgescheuchte Hühner umher, wollten sich das Leben nehmen, indem sie auf die magische Wand zurannten, nur damit dieser Horror ein Ende hatte. Die Männer mußten eingefangen und festgehalten werden. Der glühende Lavastrom hatte bereits die ersten Hütten des Camps erreicht. Pierre Hennessys Holzhütte fing sofort Feuer. Knirschend und knackend wurde sie vom Lavastrom niedergewalzt. Leichenblaß wichen die Männer vor den immer näher rückenden Lavamassen zurück. Bald würde ihnen nur noch die Wahl bleiben, von der Lava oder von der magischen Wand getötet zu werden. Der Lebensraum, der ihnen zur Verfügung stand, engte sich mehr und mehr ein. Moano wütete, lachte und schrie in seinem Vulkan. »Verdammt, wo bleibt denn der Zeppelin?« fragte David King heiser. »Vielleicht ist es Suko gar nicht gelungen, die magische Mauer zu durchbrechen«, sagte Mort Agamemnon. »Zarrambo kann ihn auch besiegt haben«, meinte Neal Wheeleck. »Dann warten wir hier vergebens auf den rettenden Zeppelin«, seufzte der Vulkanologe.
»Da!« schrie plötzlich einer der Arbeiter. John glaubte, der Mann habe den Zeppelin entdeckt, doch der Arbeiter wies auf den Krater, aus dem nun Moano, die rotglühende Feuerbestie, kletterte. Breitbeinig stand der Unhold dort oben. Er schlug sich mit seinen Fäusten triumphierend auf die Brust, daß die Lava nur so von ihm wegspritzte, und schrie: »Dies ist die Stunde eures Todes!« Eine Hütte nach der anderen fing Feuer. John Sinclair wich mit den andern vor der sich träge durch das Camp schiebenden Lava zurück. Vier Meter hinter ihnen befand sich jedoch die gleißende magische Wand, die sie nicht berühren durften. Moano schleuderte gewaltige Lavabrocken nach ihnen. Sie hatten keine Möglichkeit, sich davor zu schützen. Noch verfehlten die mächtigen Wurfgeschosse ihr Ziel. Aber der Dämon schoß sich langsam auf die Männer ein. Immer näher schlugen die Brocken ein. »Hölle und Teufel«, stöhnte Mort Agamemnon. Er war in Schweiß gebadet. »Jetzt macht er uns wirklich fertig.« Und weit und breit war kein Zeppelin zu sehen. John sorgte sich nicht so sehr um seine eigene Person als um Suko. Er begann sich mit Vorwürfen zu geißeln. Es war vielleicht doch nicht richtig gewesen, Suko zu schicken. Er hätte selbst versuchen sollen, die magische Glocke zu durchbrechen. Aber er hatte bei diesen Männern bleiben wollen, um ihnen Mut zuzusprechen, falls sie versucht waren, sich selbst aufzugeben. Neben John stand Bill Conolly. Der Reporter war merklich ruhiger geworden. Seltsam. Je aussichtsloser ihre Lage wurde, desto weniger regte sich Bill auf. Auch er hatte sich mit dem Unvermeidlichen abgefunden. John legte dem Freund die Hand auf die Schulter. »Noch sind wir nicht geschlagen, Bill.« »Aber bald«, erwiderte der Reporter realistisch. »Wenn Sheilas Baby zur Welt kommt, wird sein Vater da sein!« sagte John überzeugt. Es klang wie ein Eid, den er in dieser hoff-
nungslosen Lage ablegte. Bill meinte leise: »Es wäre nicht das erste Baby, das ohne Vater leben muß.« »Rede keinen Unsinn, Bill. Ich bringe dich wohlbehalten nach London zurück.« Der Reporter verzog das Gesicht. »Ist ja beinahe krankhaft, dein unbeugsamer Optimismus.« John wollte etwas erwidern, da stieß ihn plötzlich Mort Agamemnon heftig an. »Sinclair!« brüllte der Projektleiter aus vollen Lungen. »Sinclair, der Zeppelin! Dort fliegt er!«
* Die Männer verstummten. Zischend, dampfend und rauchend schob sich die glühende Lava auf sie zu, aber sie fürchteten sie nicht mehr. Oben, auf dem Vulkan, vollführte der Dämon einen wilden Tanz. Auch vor ihm hatte keiner mehr Angst. Die Rettung war eingetroffen. Die Rettung, in Form einer fliegenden Zigarre, unter der eine große Wanne mit geweihtem Wasser hing. Diese Dusche würde Moano nicht überstehen, das stand für den Geisterjäger fest. Die Männer um ihn herum machten Platz. Langsam flog der Zeppelin auf die Vulkanspitze zu. Drei Meter war die Lava noch von den Füßen der ersten Männer entfernt. Moano hatte den Zeppelin zwar bemerkt, aber er kümmerte sich nicht um ihn. Er hatte keine Ahnung, wie gefährlich die Ladung für ihn war, die das altertümliche Luftfahrzeug mitführte. Unaufhaltsam floß die Lava weiter. Würde die Zeit noch reichen? Wie lange würde der Zeppelin noch für diese Stecke benötigen. John Sinclair setzte das Gewehr an. Die mit kabbalistischen Zeichen versehenen Kugeln würden die
magische Glocke durchdringen, als wäre sie nicht vorhanden. Und dann würden sie einschlagen in den dicken Bauch des rettenden Zeppelins. John versuchte ruhig zu bleiben. Es fiel ihm nicht leicht. Jetzt war der Zeppelin über Moano. Der Feuerdämon warf wieder mit Lavagestein. Aber er legte keinen Wert mehr darauf, jemanden damit zu treffen. Umbringen sollte diese Menschen der Lavastrom. Das war schlimmer, als von einem riesigen Stein erschlagen zu werden. John zielte. Der Zeppelin durfte nun keinen Meter mehr weiterfliegen. Blitzschnell zog der Oberinspektor den Stecher der Waffe durch. Ein Schuß nach dem anderen peitschte aus dem Gewehr. Und jede Kugel traf präzise ihr Ziel. Der Zeppelin ging in Flammen auf. Die dünne Haut, die das Gerüst umgab, loderte grell über dem Dämon. Moano hob irritiert den Kopf. Im selben Moment schwappte das geweihte Wasser aus der Wanne. Es klatschte auf die magische Glocke, die mit einem klirrenden Geräusch zerplatzte und von einer Sekunde zur anderen nicht mehr vorhanden war. Die gesamte Wasserladung ergoß sich über Moano. Das vernichtete ihn. Er heulte so laut auf, daß sich die erschrockenen Arbeiter die Ohren zuhielten. Das geweihte Wasser richtete an ihm einen verheerenden Schaden an. Sein glühender Körper erlosch. Er wurde langsam schwarz und konnte sich immer schlechter bewegen, bis er schließlich vollends erstarrte. Mit ausgebreiteten Armen und ungläubig verzerrter Fratze stand er am Kraterrand. Ein lebloses Mahnmal des Grauens. Scheußlich anzusehen, aber ungefährlich und erledigt. Die von ihm aus dem Vulkan gepreßten Lavamassen flossen noch ein Stück weiter. Den Arbeitern war es nunmehr möglich, weit genug zurückzuweichen, und sich so in Sicherheit zu bringen. Die Gefahr war gebannt. Moano gab es nur mehr als furchteinflößendes Standbild.
* Noch am selben Tag wurde Zarrambo gefaßt. Die Polizei sperrte ihn ein. Zarrambo konnte die Gefangenschaft nicht ertragen, er erhängte sich in seiner Zelle. Einen Tag später begannen Mort Agamemnons Leute mit den Aufräumungsarbeiten. Ein neues Camp wurde aus dem Boden gestampft und Moanos erkalteter Lavakörper vom Krater heruntergeholt. Mort Agamemnon verabschiedete sich von seinen neuen Freunden mit den Worten: »In schätzungsweise zwei Jahren wird hier ein geothermisches Kraftwerk arbeiten. Und Moano wird davor auf einem Sockel stehen, damit uns die Nachwelt auch glaubt, wenn wir ihr von der Entstehungsgeschichte dieses Betriebes berichten …« ENDE