Katharina Kleinen-von Königslöw Die Arenen-Integration nationaler Öffentlichkeiten
Katharina Kleinen-von Königslöw
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Katharina Kleinen-von Königslöw Die Arenen-Integration nationaler Öffentlichkeiten
Katharina Kleinen-von Königslöw
Die Arenen-Integration nationaler Öffentlichkeiten Der Fall der wiedervereinten deutschen Öffentlichkeit
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Zugl.: Dissertation Jacobs University Bremen, 2008
. 1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Dorothee Koch / Tanja Köhler VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: STRAUSS GMBH, Mörlenbach Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-16988-0
Dank
Beim vorliegenden Buch handelt es sich um die aktualisierte und überarbeitete Version meiner Promotionsschrift, die ich im September 2008 an der Jacobs University Bremen eingereicht habe. An dieser Stelle möchte ich allen Menschen danken, die zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben. Der erste Dank gilt nicht aus Konvention, sondern aus Überzeugung dem Betreuer dieser Arbeit und meinem ehemaligen Projektleiter, Hartmut Wessler. Er schien immer genau zu wissen, wann Strenge, geduldiger Zuspruch oder inhaltlicher Freiraum nötig waren, mit großem Engagement und ruhiger Verbindlichkeit hat er mir dabei geholfen, meine wissenschaftliche Stimme zu entwickeln. Nicht vergessen möchte ich aber Bernhard Peters, der mich 2003 zurück in die Wissenschaft holte und zu meiner ursprünglichen Fragestellung inspirierte, bevor er dann viel zu früh und viel zu schnell verstarb. Vielen Dank auch an Margrit Schreier für die methodische Zweitbetreuung und ihre Offenheit gegenüber kommunikationswissenschaftlichen Kuriositäten sowie an Barbara Pfetsch für ihre unkomplizierte Bereitschaft, das externe Gutachten zu übernehmen. Ebenso möchte ich bei Andreas Hepp bedanken, der 2008 die Leitung unseres Forschungsprojekts B3 ‚Die Transnationalisierung von Öffentlichkeit in der EU’ übernommen und mir bei allem Forschungs- und Publikationseifer doch den Raum gelassen hat, diese Arbeit fertig zu stellen – und der fast beiläufig ein paar sehr gute strategische Empfehlungen beisteuerte. Die Arbeit ist entstanden im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 597 ‚Staatlichkeit im Wandel’ an der Universität Bremen und der Jacobs University (früher International University Bremen), finanziert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Der inhaltlich und sozial äußerst komplexe Mikrokosmos eines interdiziplinären Sonderforschungsbereichs hat mich und diese Arbeit nachhaltig geprägt. Es erfüllt mich mit Stolz, dass ich sie abschließen konnte, bevor es den Juristen und Politikwissenschaftlern gelungen ist, sich auf eine gemeinsame Definition des Transnationalisierungsbegriffs zu einigen. Für inhaltliche Anregungen und menschlichen Rückhalt danke ich all meinen Kolleginnen und Kollegen, insbesondere Michael Brüggemann und Johanna Möller, sowie den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Doktorandenkolloquiums des SFBs (R.I.P.), des Fachgebietkolloquiums am Institut für Medien und Kommunikation (IMKI) der Universität Bremen und der ECREA Summer School 2007 an der Universität Tartu.
6
Dank
Ein weiterer Dank geht an Jörg Hagenah vom Medienwissenschaftlichen Lehr- und Forschungszentrum der Universität Köln sowie an Barbara Sold von der SevenOne Media in München für die Aufbereitung und Bereitstellung der Daten der Media-Analyse bzw. des gfk-Fernsehpanels. Thomas Berthold, Anna Janssen und Heike Flenner danke ich für die sorgfältige und geduldige Kodierung des Datenmaterials. Immer unterstützt hat mich meine Familie, namentlich Ulrike v. Königslöw, Thomas Kleinen, und ebenso Günter, Brigitte und Johanna Kleinen. Für die telefonische Seelsorge danke ich Cornelia Benne, Sandra Borchers, Cyra Cramm, Maren Hartmann, Elke Kronewald und Natalie Lettenewitsch. Bei meinem Dissertations- und WG-Genossen Moritz Weiß bedanke ich mich für seine vorbildliche Arbeitsweise und so manches nächtliches Vanille-Eis mit selbstgemachter Schokoladensoße. Ohne meinen Lauf- und Lästerpartner Michael J. Warning hätte sich wohl einiges mehr an Dissertationsfrust und -pfunden angehäuft. Für all die unendlich geduldigen Motivationsgespräche – egal ob sich die Kletterwand, der Naturfels, die Literatur- oder Datenberge vor mir türmten – möchte ich mich bei meinen Klettermädels bedanken, Bente Hansen, Julia Rothenberg und Birgit Weerts, und bei Bente und Julia zudem für das sorgfältige Gegenlesen der Arbeit. Auf unsere nächste Generation der Klettermädels und -maxe! Und der letzte, aber größte Dank geht an den stets kritischen Systemtheoretiker, Musiker, Soul-Food-Koch und Rolling-Stones-Fan an meiner Seite. Dieses Buch wäre vielleicht auch ohne ihn vollendet worden, aber ich hätte nicht dabei sein wollen. This one’s for you, my love.
Bremen, im Dezember 2009
Katharina Kleinen-von Königslöw
Inhaltsverzeichnis
1
Einleitung ................................................................................................ 17 1.1 Problemstellung und Forschungsziele .............................................. 18 1.2 Aufbau des Buches ........................................................................... 21
2
Das Modell der Arenen-Integration nationaler Öffentlichkeiten ....... 23 2.1 Gibt es eine nationale Öffentlichkeit?............................................... 23 2.1.1 Die differenzierte nationale Öffentlichkeit als Ideal.............. 23 2.1.2 Die fragmentierte nationale Öffentlichkeit als Gefahr........... 24 2.1.3 Die eine Öffentlichkeit als Frage der Qualität der Medienberichterstattung ........................................................ 27 2.1.4 Die europäische Öffentlichkeit als Vorbild der einen ............... nationalen Öffentlichkeit ....................................................... 29 2.2 Die Entwicklung des Modells der Arenen-Integration ..................... 30 2.2.1 Was ist Öffentlichkeit? .......................................................... 31 2.2.2 Was ist eine Öffentlichkeit?................................................... 36 2.2.3 Was ist eine arenen-integrierte Öffentlichkeit? ..................... 39 2.3 Die vier Dimensionen des Modells der Arenen-Integration ............. 40 2.3.1 Beobachtung des Regierens................................................... 41 2.3.2 Ähnlichkeit der Diskurse ....................................................... 49 2.3.3 Vernetzung der Diskurse ....................................................... 58 2.3.4 Kollektive Identität ................................................................ 64 2.4 Zusammenfassung des Modells ........................................................ 76
8
Verzeichnisse
3
Arenen-Integration als methodisches Problem .................................... 79 3.1 Bildung der Stichprobe ..................................................................... 79 3.1.1 Auswahl der zu analysierenden Öffentlichkeit ...................... 79 3.1.2 Auswahl der zu analysierenden Medienangebote.................. 80 3.1.3 Auswahl des Untersuchungszeitraums .................................. 87 3.2 Erhebungsinstrumente und Durchführung der Teilstudien ............... 88 3.2.1 Teilstudie 1: themenübergreifende Inhaltsanalyse................. 89 3.2.2 Teilstudie 2: themenzentrierte Fallstudien............................. 93 3.2.3 Durchführung der Erhebung ................................................ 104
4
Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit ........................................................................................ 107 4.1 Dimension 1: Beobachtung des Regierens...................................... 107 4.1.1 Beobachtung politischer Institutionen ................................. 108 4.1.2 Beobachtung politischer Hauptakteure................................ 114 4.1.3 Beobachtung politischer Themen ........................................ 118 4.1.4 Beobachtung politischer Sprecher ....................................... 122 4.1.5 Die Arenen-Integration der Öffentlichkeit in der ersten Dimension............................................................................ 126 4.2 Dimension 2: Ähnlichkeit der Diskurse.......................................... 129 4.2.1 Ähnlichkeit der Diskurse in der themenübergreifenden Teilstudie ............................................................................. 130 4.2.2 Ähnlichkeit der Diskurse in den themenzentrierten Fallstudien ........................................................................... 150 4.3 Dimension 3: Vernetzung der Diskurse .......................................... 225 4.3.1 Vernetzung durch geographische Bezugnahmen................. 225 4.3.2 Vernetzung durch Hauptakteure unterschiedlicher Herkunft............................................................................... 231 4.3.3 Vernetzung durch zitierte Sprecher unterschiedlicher Herkunft............................................................................... 235 4.3.4 Die Arenen-Integration der Öffentlichkeit in der dritten Dimension............................................................................ 238
Verzeichnisse
9
4.4 Dimension 4: Kollektive Identität................................................... 240 4.4.1 Kollektive Identität in der themenübergreifenden Teilstudie ............................................................................. 242 4.4.2 Kollektive Identität in den themenzentrierten Fallstudien ........................................................................... 250 4.5 Die Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit..................... 274 4.5.1 Arenen-Integrationsmuster 1: Die Musterschüler................ 275 4.5.2 Arenen-Integrationsmuster 2: Die Individualisten............... 280 4.5.3 Arenen-Integrationsmuster 3: Die perfekt Vernetzten......... 288 4.5.4 Zusammenfassung der Ergebnisse zur ArenenIntegration der deutschen Öffentlichkeit ............................. 292 5
Resümee................................................................................................. 295 5.1 Schlussfolgerungen für die empirische Forschung ......................... 295 5.1.1 Die deutsche Öffentlichkeit als ‚easy case’ der ArenenIntegration?.......................................................................... 295 5.1.2 Qualitätszeitungen als Träger der europäischen Öffentlichkeit? ..................................................................... 296 5.1.3 Nationale und europäische Öffentlichkeit in Konkurrenz? ........................................................................ 298 5.2 Der Beitrag des Modells der Arenen-Integration zur Öffentlichkeitstheorie ............................................................................. 299 5.2.1 Das Modell der Arenen-Integration und die bisherige Forschung zur Integration nationaler Öffentlichkeiten........ 300 5.2.2 Die Funktionen von Öffentlichkeit im Modell der Arenen-Integration............................................................... 301 5.2.3 Die Bedeutung der Integrationsfunktion für die Öffentlichkeitstheorie .......................................................... 308
6
Literaturverzeichnis ............................................................................. 311
Anhang............................................................................................................ 325 A: Zusätzliche Ergebnistabellen.............................................................. 325 B: Ergebnisse der Reliabilitätstests ......................................................... 330 C: Im Rahmen der Fallstudien zitierte Zeitungsartikel............................ 332
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Verzeichnisse
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3: Tabelle 4: Tabelle 5: Tabelle 6: Tabelle 7: Tabelle 8: Tabelle 9: Tabelle 10: Tabelle 11: Tabelle 12: Tabelle 13: Tabelle 14: Tabelle 15: Tabelle 16: Tabelle 17: Tabelle 18:
Die vier Dimensionen des Modells der Arenen-Integration nationaler Öffentlichkeiten ........................................................ 41 Bedingungen und empirische Phänomene (Indikatoren) für die vier Dimensionen der Arenen-Integration. ............................ 77 Mögliche Einflussfaktoren auf den Grad der ArenenIntegration der deutschen Öffentlichkeit.................................... 80 Medienstichprobe und Achsenabbildung................................... 83 Medienstichprobe und Reichweite............................................. 84 Überschneidungen der Publika der ausgewählten Medien......... 86 Übersicht über Dimensionen, Variablen, Ausprägungen in der ersten Teilstudie................................................................... 90 Übersicht über Dimensionen, Variablen, Ausprägungen in der zweiten Teilstudie ................................................................ 94 Ausschnitt Tabelle Ursachenbereich 1 – ‚Niemand’ ist verantwortlich für den Erfolg der NPD.................................... 101 Überblick über die Stichprobe ................................................. 106 Einflussfaktoren auf die Anzahl der genannten Institutionen unterschiedlicher Politikebenen ............................................... 112 Einflussfaktoren auf die Anzahl der behandelten Hauptakteure unterschiedlicher Politikebenen......................... 117 Einflussfaktoren auf die Anzahl der behandelten Themen unterschiedlicher Politikebenen ............................................... 121 Einflussfaktoren auf die Anzahl der zitierten Sprecher unterschiedlicher Politikebenen ............................................... 125 Ergebnisübersicht für die Dimension Beobachtung des Regierens 127 Themenüberschneidungen zwischen den verschiedenen Medien(-gruppen) nach Themenkategorien ............................. 132 Einflussfaktoren auf die Anteile gemeinsamer Themen für alle Themen.............................................................................. 135 Einflussfaktoren auf die Anteile gemeinsamer Themen für die einzelnen Themenkategorien.............................................. 136
Verzeichnisse Tabelle 19: Tabelle 20: Tabelle 21: Tabelle 22: Tabelle 23: Tabelle 24: Tabelle 25: Tabelle 26: Tabelle 27: Tabelle 28: Tabelle 29: Tabelle 30: Tabelle 31: Tabelle 32: Tabelle 33: Tabelle 34: Tabelle 35: Tabelle 36: Tabelle 37: Tabelle 38: Tabelle 39: Tabelle 40: Tabelle 41: Tabelle 42: Tabelle 43: Tabelle 44: Tabelle 45: Tabelle 46: Tabelle 47: Tabelle 48:
11 Ähnlichkeit der Intensität der Themenbehandlung in verschiedenen Medien(-gruppen) nach Themenkategorien .......... 139 Einflussfaktoren auf die Ähnlichkeit der Intensität der Themenbehandlung für alle Themen ....................................... 140 Einflussfaktoren auf die Ähnlichkeit der Intensität der Themenbehandlung in den einzelnen Themenkategorien ........ 141 Synchronität der Themenbehandlung in verschiedenen Medien(-gruppen) nach Themenkategorien ............................. 143 Erklärungsfaktoren auf die Synchronität der Themenbehandlung für alle Themen .................................................... 145 Erklärungsfaktoren auf die Synchronität der Themenbehandlung für verschiedene Themenkategorien..................... 146 Ergebnisübersicht für die Dimension Ähnlichkeit der Diskurse in der themenübergreifenden Teilstudie ................... 148 Häufigkeit der einzelnen Frame-Elemente in der Fallstudie ‚Wahlerfolg der NPD’.............................................................. 153 Ursachen des Wahlerfolgs der NPD – Ursachenbereich 1....... 163 Ursachen des Wahlerfolgs der NPD – Ursachenbereich 2....... 164 Ursachen des Wahlerfolgs der NPD – Ursachenbereich 3....... 165 Folge-Forderungen des Wahlerfolgs der NPD......................... 168 Folge-Handlungen des Wahlerfolgs der NPD.......................... 169 Folge-Aussagen zum Wahlerfolg der NPD.............................. 169 Bewertungen des Ereignisses Wahlerfolg der NPD................. 173 Bewertungen der NPD ............................................................. 176 Bewertungen der sonstigen Politiker ....................................... 178 Bewertungen der Wähler in Mecklenburg-Vorpommern ........ 180 Ergebnisübersicht für die Dimension Ähnlichkeit der Diskurse in der Fallstudie ‚Wahlerfolg der NPD’.................... 183 Häufigkeit der einzelnen Frame-Elemente in der Fallstudie ‚Muslime in Deutschland’........................................................ 199 Ursachen der Opernabsetzung ................................................. 200 Folge-Handlungen der Opernabsetzung................................... 202 Folge-Forderungen der Opernabsetzung.................................. 203 Folge-Aussagen der Opernabsetzung....................................... 204 Bewertungen des Ereignisses Opernabsetzung ........................ 207 Ursachen der Islamkonferenz................................................... 209 Folge-Handlungen der Islamkonferenz.................................... 210 Folge-Forderungen der Islamkonferenz................................... 211 Bewertungen des Ereignisses Islamkonferenz ......................... 214 Bewertungen von (in Deutschland lebenden) Muslimen ......... 217
12 Tabelle 49: Tabelle 50: Tabelle 51: Tabelle 52: Tabelle 53: Tabelle 54: Tabelle 55: Tabelle 56: Tabelle 57: Tabelle 58: Tabelle 59: Tabelle 60: Tabelle 61:
Tabelle 62: Tabelle 63: Tabelle 64: Tabelle 65: Tabelle 66: Tabelle 67: Tabelle 68: Tabelle 69:
Verzeichnisse Bewertungen der Politiker ....................................................... 218 Bewertungen der Mehrheitsgesellschaft .................................. 220 Ergebnisübersicht für die Dimension Ähnlichkeit der Diskurse in der Fallstudie ‚Muslime in Deutschland’.............. 222 Einflussfaktoren auf die Anzahl der geographischen Bezugnahmen auf unterschiedliche Regionen ......................... 229 Einflussfaktoren auf die Anzahl der Hauptakteure unterschiedlicher Herkunft....................................................... 233 Einflussfaktoren auf die Anzahl der zitierten Sprecher unterschiedlicher Herkunft....................................................... 237 Ergebnisübersicht für die Dimension Vernetzung der Diskurse ................................................................................... 239 Einflussfaktoren auf die Anzahl der Wir-Bezüge unterschiedlicher Ausdehnung................................................. 248 Ergebnisübersicht für die Dimension kollektive Identität in der themenübergreifenden Teilstudie....................................... 249 Ergebnisübersicht für die Dimension kollektive Identität in den themenzentrierten Fallstudien ........................................... 273 Das vierdimensionale Modell der Arenen-Integration nationaler Öffentlichkeiten ...................................................... 302 Von den Modell-Dimensionen abgedeckte Funktionen, Funktionsrichtungen und gesellschaftliche Sphären ................ 303 Öffentlichkeitsfunktionen in verschiedenen normativen Modellen sowie in der Forschung zur europäischen Öffentlichkeit ........................................................................... 307 Anteil der Beiträge mit Bezugnahmen auf die Institutionen der entsprechenden Politikebene (in Prozent).......................... 325 Anteile der Beiträge mit Hauptakteuren der entsprechenden Politikebene (in Prozent).......................................................... 325 Anteil der Beiträge zu verschiedenen Themen (in Prozent)..... 326 Anteil der Beiträge mit zitierten Sprechern der entsprechenden Politik-Ebene (in Prozent)................................................. 326 Anteil der Beiträge mit (primärer) geographischer Bezugnahme auf die entsprechende Region (in Prozent)................... 327 Anteil der Beiträge mit Hauptakteuren aus der entsprechenden Region (in Prozent) ........................................................... 327 Anteil der zitierten Sprecher aus der entsprechenden Region (in Prozent) .............................................................................. 328 Anteil der Territorialgemeinschaften unterschiedlicher Ausdehnung (in Prozent) ......................................................... 328
Verzeichnisse Tabelle 70: Tabelle 71: Tabelle 72: Tabelle 73: Tabelle 74:
13 Abgrenzungsobjekte (durch Othering) in den verschiedenen Öffentlichkeitsarenen (n) ......................................................... 329 Anteil der Wir-Gemeinschaften unterschiedlicher Ausdehnung (in Prozent)................................................................ 329 Reliabilität in der themenübergreifenden Teilstudie ................ 330 Reliabilität in der Fallstudie ‚Wahlerfolg NPD’ ...................... 331 Reliabilität in der Fallstudie ‚Muslime in Deutschland’ .......... 331
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Verzeichnisse
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Abbildung 2: Abbildung 3: Abbildung 4: Abbildung 5: Abbildung 6: Abbildung 7: Abbildung 8: Abbildung 9: Abbildung 10: Abbildung 11: Abbildung 12:
Abbildung 13: Abbildung 14: Abbildung 15:
Abbildung 16: Abbildung 17:
Kettenhypothese der Fragmentierung ................................... 25 Das Foren-Modell von Öffentlichkeit ................................... 32 Merkmale kollektiver Identitäten .......................................... 71 Überblick über das Untersuchungsdesign ............................. 89 Anteil der Beiträge mit Bezugnahmen auf die Institutionen der entsprechenden Politik-Ebene (in Prozent) ........ 110 Anteil der Beiträge mit Hauptakteuren der entsprechenden Politik-Ebene (in Prozent) ............................................ 115 Anteil der Beiträge zu verschiedenen Themen (in Prozent).......................................................................... 119 Anteil der Beiträge mit zitierten Sprechern der entsprechenden Politik-Ebene (in Prozent) .............................. 123 Überblick über Frame-Elemente und Dimensionen in der Fallstudie ‚Wahlerfolg der NPD’ ........................................ 152 Überblick über Dimensionen und Ausprägungen des Frame-Elements ‚Ursachen des Wahlerfolgs der NPD’...... 156 Überblick über Dimensionen und Ausprägungen des Frame-Elements ‚Folgen des Wahlerfolgs der NPD’.......... 158 Überblick über Dimensionen und Ausprägungen des Frame-Elements ‚Bewertungen des Ereignisses Wahlerfolg der NPD’................................................................... 159 Überblick über Dimensionen und Ausprägungen des Frame-Elements ‚Bewertungen der NPD’........................... 160 Überblick über Dimensionen und Ausprägungen des Frame-Elements ‚Bewertungen der sonstigen Politiker’..... 161 Überblick über Dimensionen und Ausprägungen des Frame-Elements ‚Bewertungen der Wähler in Mecklenburg-Vorpommern’ ............................................................. 162 Überblick über Frame-Elemente und Dimensionen in der Fallstudie ‚Muslime in Deutschland’ .................................. 184 Überblick über Dimensionen und Ausprägungen des Frame-Elements ‚Ursachen der Opernabsetzung’............... 186
Verzeichnisse Abbildung 18: Abbildung 19:
Abbildung 20: Abbildung 21: Abbildung 22:
Abbildung 23:
Abbildung 24: Abbildung 25:
Abbildung 26: Abbildung 27: Abbildung 28: Abbildung 29: Abbildung 30: Abbildung 31: Abbildung 32: Abbildung 33: Abbildung 34: Abbildung 35: Abbildung 36: Abbildung 37: Abbildung 38: Abbildung 39:
15 Überblick über Dimensionen und Ausprägungen des Frame-Elements ‚Folgen der Opernabsetzung’................... 187 Überblick über Dimensionen und Ausprägungen des Frame-Elements ‚Bewertung des Ereignisses Opernabsetzung’ ........................................................................... 189 Überblick über Dimensionen und Ausprägungen des Frame-Elements ‚Ursachen der Islamkonferenz’ ................ 190 Überblick über Dimensionen und Ausprägungen des Frame-Elements ‚Folgen der Islamkonferenz’.................... 193 Überblick über Dimensionen und Ausprägungen des Frame-Elements ‚Bewertung des Ereignisses Islamkonferenz’ ........................................................................... 194 Überblick über Dimensionen und Ausprägungen des Frame-Elements ‚Bewertungen der (deutschen) Muslime’ ............................................................................. 196 Überblick über Dimensionen und Ausprägungen des Frame-Elements ‚Bewertungen der Politiker’..................... 197 Überblick über Dimensionen und Ausprägungen des Frame-Elements ‚Bewertungen der Mehrheitsgesellschaft’ ........................................................................ 198 Anteil der Beiträge mit (primärer) geographischer Bezugnahme auf die entsprechende Region (in Prozent).... 226 Anteil der Beiträge mit Hauptakteuren aus der entsprechenden Region (in Prozent) ........................................ 231 Anteil der zitierten Sprecher aus der entsprechenden Region (in Prozent) ............................................................. 235 Anteil der Territorialgemeinschaften der entsprechenden Ausdehnung (in Prozent)..................................................... 243 Anteil der Wir-Gemeinschaften der entsprechenden Ausdehnung (in Prozent)..................................................... 246 Kollektive Identität in der WAZ .......................................... 252 Kollektive Identität in der LVZ............................................ 255 Kollektive Identität in der BILD ........................................... 258 Kollektive Identität in der Bayerischen Rundschau ............ 259 Kollektive Identität in mdr aktuell ...................................... 260 Kollektive Identität in der ARD tagesschau ........................ 262 Kollektive Identität in RTL aktuell...................................... 263 Kollektive Identität in der SZ .............................................. 267 Kollektive Identität in der FAZ ........................................... 269
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Verzeichnisse
Abbildung 40: Abbildung 41: Abbildung 42: Abbildung 43: Abbildung 44: Abbildung 45: Abbildung 46: Abbildung 47: Abbildung 48: Abbildung 49:
Anteil der durch die FAZ erfüllten Bedingungen pro Dimension ........................................................................... 275 Anteil der durch die SZ erfüllten Bedingungen pro Dimension ........................................................................... 277 Anteil der durch die LVZ erfüllten Bedingungen pro Dimension ........................................................................... 279 Anteil der durch die WAZ erfüllten Bedingungen pro Dimension ........................................................................... 281 Anteil der durch mdr aktuell erfüllten Bedingungen pro Dimension ........................................................................... 283 Anteil der durch die Bayerische Rundschau erfüllten Bedingungen pro Dimension............................................... 285 Anteil der durch die BILD erfüllten Bedingungen pro Dimension ........................................................................... 287 Anteil der durch die ARD tagesschau erfüllten Bedingungen pro Dimension............................................... 289 Anteil der durch RTL aktuell erfüllten Bedingungen pro Dimension ........................................................................... 291 Anteil der durchschnittlich erfüllten Bedingungen pro Dimension ........................................................................... 293
Abkürzungsverzeichnis ARD BR EPS EU FAZ IK LVZ mdr MVP NPD RTL SZ WAZ
[Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland] Hier auch: ARD tagesschau [Bayerischer Rundfunk] Hier auch: Bayerische Rundschau [European Public Sphere] Europäische Öffentlichkeit Europäische Union Frankfurter Allgemeine Zeitung Islamkonferenz Leipziger Volkszeitung [Mitteldeutscher Rundfunk] Hier auch: mdr aktuell Mecklenburg-Vorpommern Nationaldemokratische Partei Deutschlands RTL Fernsehen, hier auch: RTL aktuell Süddeutsche Zeitung Westdeutsche Allgemeine Zeitung
1
Einleitung
„Bundespräsident Köhler hat sich für eine weitgehende Bildungsreform stark gemacht“ (ARD tagesschau, 21.09.06) „Auf der Kippe. Die große Koalition reibt sich an der geplanten Gesundheitsreform“ (BR Rundschau, 21.09.06) „Abschied mit Tränen. Die ersten Tausend deutschen Marine-Soldaten stechen Richtung Libanon in See“ (RTL aktuell, 21.09.06) „Leinen los! Die deutsche Marine startet zum Libanon-Einsatz“ (mdr aktuell, 21.09.06) „ICH habe Otto zum Mann gemacht!“ (BILD, 22.09.06) Köhler für Islamunterricht. ‚Deutschkenntnisse unersetzlich’“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.09.06) „Vorfahrt für die Bildung“ (Westdeutsche Allgemeine Zeitung, 22.09.06) „DGB verkauft seine Ost-Gewerkschaftshäuser“ (Leipziger Volkszeitung, 22.09.06) „Abhör-Affäre erschüttert Italien“ (Süddeutsche Zeitung, 22.09.06)
Donnerstag, 21. September 2006, ein ganz gewöhnlicher Nachrichtentag in Deutschland: Punkt 20 Uhr ist für die tagesschau die wichtigste Nachricht des Tages die Rede des Bundespräsidenten Horst Köhler zur Bildungsreform. Wer aber lieber die Bayerische Rundschau zum Abendessen eingeschaltet hat, der sieht die Große Koalition in Berlin demnächst an der Gesundheitsreform auseinander brechen. Die Zuschauer von RTL aktuell deutschlandweit und die von mdr aktuell in Mitteldeutschland sind dagegen mit den Herzen bei den in den Libanon entsandten deutschen Marine-Soldaten. Am nächsten Morgen macht sich der BILD-Leser beim Kaffee Gedanken um die erste große Liebe des Komikers Otto Waalkes, die Leser der Frankfurter Allgemeinen Zeitung um die Forderung des Bundespräsidenten nach deutschsprachigem Islamunterricht. Auch Abonnenten der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung lesen einen Bericht über die Rede Horst Köhlers, aber für sie steht die von ihm geforderte Bildungsreform im Zentrum. In Leipzig hat man andere Sorgen, nämlich den Verkauf der DGB-Gewerkschaftshäuser in Ostdeutschland. Der
18
Einleitung
Leser der Süddeutschen Zeitung amüsiert sich stattdessen beim morgendlichen Cappuccino über einen neuen Skandal in der Chaoten-Republik Italien. Öffentlichkeit wird heutzutage überwiegend durch die Massenmedien hergestellt, der normale Bürger und die normale Bürgerin nehmen vornehmlich über die von ihm oder ihr rezipierten politischen Medienangebote an der Öffentlichkeit ihres Landes teil. So stellt sich angesichts dieses bunten Potpourris an Schlagzeilen und Sendungsaufmachern an einem einzigen Nachrichtentag die Frage, ob es sich hier eigentlich um eine einzige, gemeinsame Öffentlichkeit handelt. Oder partizipieren die Bürger und Bürgerinnen nicht jeweils an verschiedenen Öffentlichkeiten, je nach dem über welches Medienangebot sie den Zugang zur Öffentlichkeit suchen?
1.1 Problemstellung und Forschungsziele Mancher würde sagen, selbstverständlich ist das eine gemeinsame Öffentlichkeit, schließlich handelt es sich ausschließlich um deutsche Nachrichtenmedien. Aber reicht der Produktionsort eines Massenmediums allein als Kriterium aus, um über seine Zugehörigkeit zu einer Öffentlichkeit zu entscheiden? Sollte eine gemeinsame Öffentlichkeit nicht mehr sein als nur die Summe aller im selben Land hergestellten und vertriebenen Nachrichtenmedien? Was zeichnet also eine gemeinsame, eine zusammenhängende, eine integrierte Öffentlichkeit aus? Ist es die gemeinsame Sprache? Aber man spricht doch auch ganz selbstverständlich von einer Schweizer Öffentlichkeit, obwohl in dieser vier verschiedene amtliche Sprachen miteinander konkurrieren. Sind es die gemeinsamen Themen? Aber was ist dann an einem Nachrichtentag wie dem 21. September 2006, an dem sich von neun Medienangeboten gerade einmal drei auf ein gemeinsames Hauptthema einigen konnten? Ist es das gemeinsame Publikum? Gibt es eine gemeinsame Öffentlichkeit, weil alle Bürgerinnen und Bürger dieselben Medien nutzen oder zumindest theoretisch nutzen können? So ist die gemeinsame Öffentlichkeit der tagesschau in fast hundert Prozent der deutschen Haushalte nur einen Tastendruck auf der Fernbedienung entfernt. Aber was ist, wenn von diesen hundert Prozent nur ein Drittel regelmäßig die entsprechende Taste drückt? Was ist, wenn ein Drittel der Fernsehnutzer seltener als einmal im Jahr den Weg zur tagesschau findet? Sind diese Fernsehnutzer noch Teil der Öffentlichkeit? Vielleicht sehen sie lieber andere Nachrichtensendungen, z.B. RTL aktuell. Das Publikums-potenzial beider Nachrichtensendungen mag identisch sein, aber die Überschneidungen im tatsächlichen Publikum sind gering. Vielleicht ist die Idee einer gemeinsamen nationalen Öffentlichkeit ja auch nur eine Fiktion, ein nie erreichtes Ideal. Möglicherweise gehört die eine Öffent-
Problemstellung und Forschungsziele
19
lichkeit schon der Vergangenheit an. Man muss nicht soweit zurückgehen wie Jürgen Habermas, der die ideale Öffentlichkeit in den bürgerlichen Salons und Kaffeehäusern der Aufklärung ansiedelte. In jüngerer Zeit haben verschiedenste technische Neuerungen (Satellitenfernsehen, Internet), ebenso wie gesellschaftliche Entwicklungen (Stichwort Individualisierung) immer wieder Befürchtungen ausgelöst, wir könnten unsere eine Öffentlichkeit verlieren, sie würde fragmentieren, in Splitteröffentlichkeiten zerfallen. Aber wie würde eine solche zersplitterte Öffentlichkeit aussehen, bzw. wie sehr müsste sich die Öffentlichkeit verändern, damit sie nicht mehr eine Öffentlichkeit ist? Trotz all dieser ungeklärten Fragen wird im politischen und gesellschaftlichen Alltag, und teilweise auch in der wissenschaftlichen Diskussion selbstverständlich davon ausgegangen, dass es eine gemeinsame nationale Öffentlichkeit gibt, dass also zu jedem Nationalstaat auch eine nationale Öffentlichkeit existiert. Ziel dieser Arbeit wird es sein, diese weit verbreitete Annahme systematisch zu hinterfragen. Die zentrale Forschungsfrage lautet demnach: Was ist eine zusammenhängende, eine integrierte nationale Öffentlichkeit? Zur Klärung dieser Frage gilt es zunächst, die theoretische Konzeption einer integrierten Öffentlichkeit zu entwickeln. Zu diesem Zweck wird auf ein noch vergleichsweise junges Forschungsfeld zurückgegriffen, das seit Beginn des 21. Jahrhunderts förmlich ‚boomt’, die Forschung zur europäischen Öffentlichkeit (im Folgenden: EPS-Forschung).1 Auf nationaler Ebene ist das Phänomen Öffentlichkeit bisher überwiegend theoretisch diskutiert worden, ausgelöst durch den „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ von Jürgen Habermas (1990 [1962]). Bezüge zur Empirie wurden entweder historisch oder nur für einzelne Themen hergestellt (z.B. Wessler 1999; Gerhards et al. 1998). Mit der Forschung zur europäischen Öffentlichkeit wurden die theoretischen Konzepte dagegen in großem Umfang in empirische Analysen umgesetzt.2 Die Konfrontation der Öffent1
2
Diese Abkürzung basiert auf der englischen Beschreibung des Forschungsfelds zur ‚European Public Sphere’. Gelegentlich wird auch die Abkürzung ENPS-Forschung verwendet, da die Mehrheit der Studien sich mit der ‚Europeanization of National Public Spheres’, also der Europäisierung nationaler Öffentlichkeiten auseinandersetzt. Für einen Überblick siehe Langenbucher/Latzer (2006), darin insbesondere Neidhardt (2006), oder Michael Brüggemann et al. (2009). Theoretische oder konzeptionelle Fragen werden diskutiert in Gerhards (1993b), Kleinsteuber (1995), Kielmansegg (1996), Schlesinger (1999), Eder/Kantner (2000), Hasebrink (2000), Neidhardt et al. (2000), Schlesinger/Kevin (2000), Habermas (2001), Kunelius/Sparks (2001), Eder/Kantner (2002), Gerhards (2002), Requate/Schulze Wessel (2002), van de Steeg (2002b), Liebert (2003), Donges (2004), Eriksen (2004), Kantner (2004), Koopmans/Erbe (2003), Wessler (2004), Nieminen (2006), Kleinen-von Königslöw (2007) und Hepp/Wessler (2009). Die empirische Forschung besteht überwiegend aus Medieninhaltsanalysen, u.a. in Grundmann (1999), Gerhards (2000), Semetko/Valkenburg (2000), Trenz (2000), de Vreese et al. (2001), Tobler (2002), Díez Medrano (2003a,b), de Vreese/Boomgaarden (2003), Eilders/Voltmer (2003),
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Einleitung
lichkeitstheorien mit der empirischen Realität führte –sowohl für die nationale als auch für die europäische Ebene – zu deren Fokussierung auf die Aspekte, die realistisch in massenmedial geprägten Öffentlichkeiten zu erwarten sind. Dies bedeutete keineswegs eine Abkehr von den normativen Inhalten der Öffentlichkeitstheorien, aber eben eine Anpassung der Erwartungen an die Gegebenheiten der Massenmedien. Orientiert an der Forschung zur europäischen Öffentlichkeit und vor allem an den vier Dimensionen der Transnationalisierung von Öffentlichkeit von Hartmut Wessler et al. (2008) entwickelt diese Arbeit das theoretische Modell der Arenen-Integration nationaler Öffentlichkeiten.3 Das Modell erlaubt es einerseits, die Frage der Integration, des Zusammenhalts nationaler Öffentlichkeit theoretisch zu fassen. Andererseits dient es als Ausgangspunkt für die Entwicklung normativer Kriterien, über die der Grad der Integration einer nationalen Öffentlichkeit empirisch bestimmt werden kann. Daran schließt sich die zweite Forschungsfrage an: Wie lässt sich die Arenen-Integration einer nationalen Öffentlichkeit empirisch erheben? Als nächstes werden das Modell und die vorgeschlagene Operationalisierung an einem Fallbeispiel getestet, und zwar an dem der deutschen Öffentlichkeit. Für eine empirische Bestimmung des Integrationsgrads einer nationalen Öffentlichkeit erscheint der Fall der deutschen Öffentlichkeit aus einer Reihe von Gründen besonders interessant: In Deutschland sind das Medien- und das politische System vergleichsweise stark regionalisiert. Eine Fragmentierung der nationalen Öffentlichkeit in regionale Öffentlichkeiten – insbesondere in Bezug auf die erst 1990 integrierten, sogenannten Neuen Bundesländer im Osten des Landes – ist daher einerseits wahrscheinlicher als in anderen Nationalstaaten und andererseits bedenklicher für den Zusammenhalt der nationalen politischen Gemeinschaft. Andere Faktoren sprechen wiederum für eine integrierte Öffentlich-
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Kevin (2003), van de Steeg (2004), d'Haenens (2005), Kleinen-von Königslöw et al. (2005), Meyer (2005), Oberhuber et al. (2005), Peters et al. (2005), Berkel (2006a, b), Brüggemann et al. (2006), Downey/Koenig (2006), Pfetsch/Koopmans (2006), van de Steeg (2006), Adam (2007), Koopmans (2007), Liebert (2007), Maatsch (2007), Packham (2007), Sifft et al. (2007), Wessler et al. (2007), Pfetsch et al. (2008), Wessler et al. (2008), Brüggemann/Kleinen-von Königslöw (2009), Engelmann (2009), Kleinen-von Königslöw/Möller (2009) und Kleinen-von Königslöw (2010a). Auch zu den an der ‚Erzeugung’ der europäischen Öffentlichkeit beteiligten Akteuren gibt es zahlreiche Studien z.B. zu den Korrespondenten in Brüssel (Baisnée 2002; Meyer 2003; Lecheler 2008), bzw. zu den Journalisten in den Heimatredaktionen (Gleissner/de Vresse 2005; Heikkilä/Kunelius 2006; AIM Consortium 2007; Heikkilä/Kunelius 2008) und zur Europäischen Kommission (Brüggemann 2008). Die Bürger, das Publikum der europäischen Öffentlichkeit wurden bisher stark vernachlässigt, zu den wenigen Ausnahmen zählen de Vreese/Boomgaarden (2006), Schuck/de Vreese (2006), Hasebrink/Herzog (2008) und Lingenberg (2010). Die genaue Definition der Begriffe ‚Arenen-Integration’ und ‚Öffentlichkeit’ erfolgt im zweiten Kapitel, Abschnitt 2.
Aufbau des Buches
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keit: die gemeinsame Sprache und Kultur, die gemeinsame Geschichte, in der allerdings die getrennte Erfahrung der deutschen Teilung eine kurze, aber dafür umso wichtigere Rolle spielt, sowie große Überschneidungen in Medienbesitzund Organisationsstrukturen. Die politische Neuordnung der deutschen Wiedervereinigung sollte daher auch zu einer Ausdehnung der entsprechenden Öffentlichkeiten jenseits ihrer historisch gewachsenen Kommunikationsräume im Osten und Westen des Landes auf die gesamte nationale politische Gemeinschaft geführt haben. Inwieweit dies jedoch passiert ist und die deutsche Öffentlichkeit heute eine zusammenhängende, eine integrierte Öffentlichkeit bildet, bleibt zunächst eine offene empirische Frage, der sich dieses Buch stellen wird: Wie arenen-integriert ist die deutsche Öffentlichkeit? Für das Fallbeispiel der Integration der deutschen Öffentlichkeit wird eine umfangreiche Inhaltsanalyse der Berichterstattung von neun ausgewählten Medienorganen in zwei natürlichen Wochen im September 2006 durchgeführt. Die Analyse besteht aus zwei Teilstudien, zum einen aus einer themenübergreifenden standardisierten Inhaltsanalyse und zum anderen aus zwei themenspezifischen Fallstudien mit qualitativen und standardisierten Inhaltsanalyse-Elementen zu den Themen ‚Wahlerfolg der NPD’ (bei der Landtagswahl MecklenburgVorpommern 2006) sowie ‚Muslime in Deutschland’. Für die Medienstichprobe werden sowohl Medienorgane nationaler Verbreitung als auch solche, die entweder nur im Osten oder im Westen des Landes rezipiert werden, ausgewählt. Die Stichprobe umfasst die nationalen Qualitätszeitungen Frankfurter Allgemeine Zeitung und Süddeutsche Zeitung, ebenso wie die bundesweit rezipierten Hauptnachrichtensendungen ARD tagesschau und RTL aktuell. Für die ostdeutschen Bundesländer fließt die regionale Tageszeitung Leipziger Volkszeitung und die Nachrichtensendung mdr aktuell mit ein. Für den Westen des Landes werden die Westdeutsche Allgemeine Zeitung und die BR Rundschau als regionale Medien analysiert. Ergänzt wird die Stichprobe durch die auflagenstärkste BoulevardZeitung des Landes, die BILD.
1.2 Aufbau des Buches Der Aufbau des Buches folgt den drei Forschungsfragen:
Was ist eine arenen-integrierte nationale Öffentlichkeit? Wie lässt sich die Arenen-Integration einer nationalen Öffentlichkeit empirisch erheben? Wie arenen-integriert ist die deutsche Öffentlichkeit?
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Einleitung
Entsprechend steht im Zentrum des zweiten Kapitels die theoretische Herleitung des Modells der Arenen-Integration nationaler Öffentlichkeiten: Zunächst wird ein Überblick darüber gegeben, wie bisher in der wissenschaftlichen Forschung mit der Frage der einen Öffentlichkeit umgegangen worden ist. Anschließend werden die für das theoretische Verständnis dieses Buches zentralen Begriffe definiert und aus diesen Definitionen heraus das Modell der ArenenIntegration entwickelt. Die Beschreibung des Modells erfolgt entlang seiner vier Dimensionen – der Beobachtung des Regierens, der Ähnlichkeit der Diskurse, der Vernetzung der Diskurse und der kollektiven Identität. Ausgehend von der Forschung zur europäischen Öffentlichkeit werden diese Dimensionen jeweils einzeln theoretisch hergeleitet und gewendet auf die Fragestellung nach einer (arenen-)integrierten nationalen Öffentlichkeit. Jeder der vier Abschnitte schließt mit der Vorstellung konkreter, empirisch messbarer Kriterien für eine in dieser Dimension arenen-integrierte nationale Öffentlichkeit. Die Arenen-Integration als methodisches Problem ist Thema des dritten Kapitels. Hier wird besprochen, welche Voraussetzungen eine für die Erfassung der Arenen-Integration geeignete Stichprobe zu erfüllen hat, sowie die für die Fallstudie zur deutschen Öffentlichkeit verwendete Stichprobe vorgestellt. Des Weiteren werden die zur Erhebung der Arenen-Integration entwickelten Erhebungsinstrumente und die Durchführung der themenübergreifenden Teilstudie und der themenzentrierten Fallstudien beschrieben. Die Ergebnisdarstellung in Kapitel IV orientiert sich erneut an den vier Dimensionen des Modells der Arenen-Integration nationaler Öffentlichkeiten. Der erste Abschnitt beschreibt Ergebnisse der themenübergreifenden Teilstudie zur Dimension Beobachtung des Regierens. Anschließend werden Resultate beider Teilstudien zur Dimension Ähnlichkeit der Diskurse präsentiert, und zwar zunächst für die themenübergreifende Teilstudie und anschließend für die beiden themenzentrierten Fallstudien zum Wahlerfolg der NPD und zu Muslimen in Deutschland. Der folgende Abschnitt zur Vernetzung der Diskurse beruht wiederum nur auf der themenübergreifende Teilstudie, während für die Dimension kollektive Identität sowohl themenübergreifend transportierten Identitätsvorstellungen wie auch themenspezifische Identitäten vorgestellt werden. Zum Abschluss werden die Ergebnisse zu allen vier Dimensionen aus einer Publikumsperspektive heraus zusammengefasst. Das Fazit im fünften Kapitel leitet die aus der Entwicklung und Anwendung des Modells der Arenen-Integration verallgemeinerbaren Erkenntnisse ab: Neben einer Reihe von Schlussfolgerungen für die empirische Forschung zu nationalen und europäischen Öffentlichkeit(en) wird die theoretische Bedeutung des Modells sowie der durch das Modell fokussierten Integrationsfunktion von Öffentlichkeit für die Öffentlichkeitstheorie herausgearbeitet und diskutiert.
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Das Modell der Arenen-Integration nationaler Öffentlichkeiten
Dieses Kapitel entwickelt ein Modell, mit dem sich die Frage nach der Einheit, der Integration nationaler Öffentlichkeiten theoretisch fassen lässt, und das sich zudem als Ausgangspunkt für die empirische Analyse des Integrationsgrads nationaler Öffentlichkeiten eignet. Zu diesem Zweck werden zunächst die bisherigen theoretischen und empirischen Versuche, sich mit der Integration nationaler Öffentlichkeit auseinanderzusetzen, diskutiert. Anschließend erfolgt die Definition zentraler Begriffe als Voraussetzung für die Beschreibung eines normativen Modells der Arenen-Integration nationaler Öffentlichkeiten. 2.1 Gibt es eine nationale Öffentlichkeit? In der kommunikations- oder politikwissenschaftlichen, sowie soziologischen Forschung zum Thema Öffentlichkeit lassen sich drei Forschungsstränge identifizieren, in denen die Frage der Integration nationaler Öffentlichkeiten zumindest angeschnitten wird:
Forschung zur differenzierten nationalen Öffentlichkeit als Ideal Forschung zur fragmentierten nationalen Öffentlichkeit als Gefahr Forschung zur Qualität der Medienberichterstattung
2.1.1 Die differenzierte nationale Öffentlichkeit als Ideal Der erste Forschungsstrang hinterfragt das Konzept der einen nationalen Öffentlichkeit aus demokratietheoretischer Perspektive kritisch und plädiert für eine Vielzahl von Öffentlichkeiten, es geht also um differenzierte (nationale) Öffentlichkeiten als Ideal. Diese überwiegend theoretische Forschung ist größtenteils in Reaktion auf und in Abgrenzung von dem ursprünglich von Jürgen Habermas propagierten Ideal der bürgerlichen Öffentlichkeit entstanden (Habermas 1990 [1962]). Die Autoren verweisen auf die in Habermas’ Öffentlichkeitsvorstellung immanenten Ausschlussmechanismen (z.B. gegenüber Frauen, Arbeitern), die
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Das Modell der Arenen-Integration nationaler Öffentlichkeiten
die von ihm aufgestellte normative Forderung des „Prinzip[s] des allgemeinen Zugang[s]“ (ibid: 156) letztlich aushebeln (Negt/Kluge 1972; Felski 1989; Fraser 1992). Sie stellen somit in Frage, dass eine einzige, zusammenhängende Öffentlichkeit einer Verknüpfung diverser Öffentlichkeiten immer vorzuziehen ist.4 So arbeitet Nancy Fraser heraus, dass auch egalitäre Gesellschaften eine Vielzahl von Öffentlichkeiten erfordern, in denen selbst die nicht privilegierten Gruppen ihre eigenen Interessen, Bedürfnisse und Identitäten im Austausch mit Gleichgesinnten entwickeln können, nämlich in den „untergeordneten Gegenöffentlichkeiten“ („subaltern counter publics“, 1992: 123, eigene Übersetzung). Diese Gegenöffentlichkeiten dienen für Nancy Fraser zwar auch als „Übungsräume für aufwiegelnde Aktivitäten in Richtung der größeren Öffentlichkeiten“ (1992: 124)5, leider diskutiert sie aber nicht, wie sich die Verbindungen zwischen Gegenöffentlichkeiten und den „größeren Öffentlichkeiten“ gestalten. Eine ähnliche Vorstellung findet sich bei Peter Dahlgren, der eine „polyphone“ Öffentlichkeit fordert, aber die benötigten „common domain“ und „advocacy domain“ etwas präziser beschreibt: Letztere sollte sowohl aus einer Vielzahl kleiner zivilgesellschaftlicher Medien bestehen, in denen marginalisierte Gruppen ihre eigenen Interessen verfolgen und ihre eigenen Stimmen entwickeln können, als auch aus Zeit und Raum für diese Stimmen in den dominierenden Medien (Dahlgren 1995: 156). Zur hier diskutierten Fragestellung kann dieser Forschungsstrang leider nicht viel beitragen, weil die angesprochenen Autoren kaum Aussagen dazu machen, wie sich die Verbindungen zwischen den Teilöffentlichkeiten gestalten sollten, bzw. ab wann Gegenöffentlichkeit und Öffentlichkeit zu einer gemeinsamen Öffentlichkeit zu zählen sind. Daher bieten sie wenig Anhaltspunkte für die Entwicklung empirischer Indikatoren für die Integration einer Öffentlichkeit. Systematische, nicht themen- oder gruppenspezifische empirische Untersuchungen zu den Verbindungen zwischen Gegen- und Hauptöffentlichkeiten fehlen letztlich ganz.
2.1.2 Die fragmentierte nationale Öffentlichkeit als Gefahr Der zweite Forschungsstrang lässt sich unter den Stichworten fragmentierte nationale Öffentlichkeit als Gefahr zusammenfassen. In diesen Texten wird eine Art „Kettenhypothese der Fragmentierung“ (Holtz-Bacha/Peiser 1999: 42) auf4
5
„that a single, comprehensive public sphere is always preferable to a nexus of multiple publics” (Fraser 1993: 9, eigene Übersetzung). „training grounds for agitational activities directed towards wider publics“ (Fraser 1992: 124, eigene Übersetzung).
Gibt es eine nationale Öffentlichkeit?
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gestellt: Die Differenzierung/Expansion des Medienangebots führe zu einer Fragmentierung/Segmentierung/Spezialisierung der Publika, dies wiederum gefährde die Integration der Gesellschaft/Öffentlichkeit (Chaffee/Metzger 2001; Donk/Westerbarkey 2009; Gitlin 1998; Katz 1996; Neuman 2001; Turow 1997; Sunstein 2001). Abbildung 1:
Kettenhypothese der Fragmentierung Differenzierung/Fragmentierung des Medienangebots
Fragmentierung/Spezialisierung/Segmentierung des Publikums
Weniger gemeinsame vermittelte Erfahrung
Weniger Kontakte mit Andersdenkenden
Desintegration der Gesellschaft/Öffentlichkeit eigene Darstellung
Das zentrale Problem dieser Studien ist, dass sie – sofern überhaupt eine empirische Analyse durchgeführt wird – nur ein oder zwei Kettenglieder der Hypothese untersuchen, von denen dann auf eine der Hypothese entsprechenden Veränderungen in den anderen Elementen geschlossen wird. Es handelt sich demnach entweder um Einzelaufnahmen zur Expansion oder Veränderung des Medienangebots (zentral hier: Einführung des Internets, duales Fernsehsystem, Kabel- und Satellitenfernsehen), zum Zusammenhang zwischen der Differenzierung des Medienangebots und einer Publikumsfragmentierung (für das Fernsehen: Webster 1989, 2005; Hasebrink 1994, 1999), oder aber nur zum aktuellen Fragmentierungsgrad des Publikums (über verschiedene Medientypen: Handel 2000). Selbst wenn sich tatsächlich Hinweise darauf finden, dass die Fragmentierung auf Publikumsebene zugenommen hat, zeigen die Studien auch auf, dass die Publikumsvernetzungen innerhalb der nationalen Öffentlichkeit weiterhin relativ hoch sind,
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Das Modell der Arenen-Integration nationaler Öffentlichkeiten
d.h. dass ein Großteil der Bevölkerung immer noch dieselben zentralen Arenen des massenmedialen Öffentlichkeitsforums nutzt. Inwieweit die Angebotsdifferenzierung tatsächlich zur Rezeption verschiedener Medieninhalte durch die Rezipienten führt, wird meist unterstellt, aber nicht analysiert.6 Dem setzt Jürgen Gerhards entgegen, dass ein Auseinanderfallen der Medieninhalte eher unwahrscheinlich ist, da „das, was medial vermittelt wird, […] in erster Linie extramedial induziert“ sei, politische Öffentlichkeit sei zwar medial vermittelt, „sie erhält ihre Themen, Positionen und Argumente aber dominant aus dem politischen System“ (Gerhards 1998: 40). Es käme somit nur zu einer kurzfristigen zeitlichen Fragmentierung des Publikums. Ohne eine Analyse der vom ‚fragmentierten’ Publikum genutzten Inhalte ist der Schluss auf fehlende gemeinsame Gesprächsthemen somit nicht zulässig (vgl. Rössler 2001b). Solche Analysen sind wiederum ausgesprochen selten,7 zu erwähnen wäre lediglich Patrick Rössler, der die Themenüberschneidungen der Hauptnachrichtensendungen erhebt und zu dem Schluss kommt, dass „über die Hälfte der gesendeten Nachrichtenzeit [sich] mit Geschehen gefasst, das von drei der vier wichtigsten Sendungen behandelt wird“ (Rössler 2002: 157). Auch Thomas Bruns und Frank Marcinkowski (1997) finden ein relativ übereinstimmendes Angebot an tagesaktuellen Ereignissen in den Hauptnachrichtensendungen der vier reichweitenstärksten Fernsehsender. Ein Vergleich der Inhalte über verschiedene Medientypen steht allerdings noch aus. Unabhängig von den tatsächlichen Medieninhalten können Christina HoltzBacha und Wolfram Peiser auf Basis der Befragungsdaten der Langzeitstudie „Massenkommunikation“ zumindest aufzeigen, dass eine Fragmentierung der Fernsehnutzung keine Auswirkungen darauf hat, ob die Nutzer Fernsehen als gesprächsfördernd wahrnehmen oder in Gespräche über Politik eingebunden werden (Holtz-Bacha/Peiser 1999). Problematisch an diesen Studien ist aber, dass ihnen meist eine systematische Konzeption dessen fehlt, was sie sich unter einer ‚integrierten Öffentlichkeit’ vorstellen, sprich, was eigentlich durch die Publikumsfragmentierung gefährdet sein soll. In der Regel heben sie auf einen Verlust an gemeinsamen 6
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Eine interessante Ausnahme ist die Untersuchung von David Tewksbury (2005), der sowohl die Fragmentierung der Nutzerschaften verschiedener Nachrichtenwebseiten als auch der von ihnen genutzten Inhalte erhebt. Es gibt zwar noch mehr Vergleiche der Inhalte verschiedener Fernsehsender, diese sind jedoch in Reaktion auf die Dualisierung des deutschen Fernsehsystems durchgeführt worden (für einen guten Überblick: Jarren/Donges (1996); Einzelstudien: Krüger (1991); Merten (1994); Krüger/ZapfSchramm (2006)). Die ‚Fragmentierung’ bezieht sich dort auf die Einführung privater Fernsehsender, analysiert wird überwiegend der Anteil der Informationssendungen am Gesamtprogramm, nicht der konkrete Inhalt dieser Informationssendungen. Dementsprechend können sie bei der Fragestellung dieser Arbeit nicht weiterhelfen.
Gibt es eine nationale Öffentlichkeit?
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Inhalten ab. Winfried Schulz beispielsweise definiert die ‚integrierte’ Öffentlichkeit allein über Umfang (gering) und Überschneidungen (groß) des „ChannelRepertoires“, also der von den Bürgern regelmäßig genutzten Medien (Schulz 1997: 99).8 Bei geringen Überschneidungen und großem Channel-Repertoire sei zu befürchten, dass sich „Themenbewusstsein, Themenbehandlung und Meinungsbildung […] je nach Teilöffentlichkeit [unterscheiden]“ (Schulz 1999: 92).9 Es wird aber nicht klar, warum unterschiedliche Inhalte mit einer Desintegration der Öffentlichkeit gleichzusetzen sind. Am ehesten gelingt dies noch über eine Berücksichtigung von eher affektiven Komponenten, so beschreibt Denis McQuail, dass es bei einer Fragmentierung der Publika an der gemeinsamen Erfahrung und dem Gefühl der gemeinsamen Zugehörigkeit fehle (McQuail 1997: 133). Die bisherige Forschung zur europäischen Öffentlichkeit stellt zudem gerade dieses Glied der Kettenhypothese in Frage: Wenn auf europäischer Ebene eine europäische Öffentlichkeit allein über die Inhalte der einzelnen nationalen Öffentlichkeitsarenen erreicht werden kann, ohne jedwede Vernetzung auf Ebene der Forenpublika, wieso sollte dann ein Sinken der Publikumsvernetzung die Integration der nationalen Öffentlichkeit gefährden?
2.1.3 Die eine Öffentlichkeit als Frage der Qualität der Medienberichterstattung Ein dritter Forschungsstrang vor allem kommunikationswissenschaftlicher Studien ist im Kontext dieser Arbeit ebenfalls von Interesse, obwohl sie den Öffentlichkeitsbegriff überwiegend gar nicht verwenden: die Forschung zur Qualität der Medienberichterstattung. Als Grundlage für die Bewertung der Medienberichterstattung dienen eine Reihe von Funktionen der Medien, die teilweise aus demokratischen Theorien abgeleitet werden (nur theoretisch: Gurevitch/Blumler 1990; Schatz/Schulz 1992; Rosengren et al. 1991; Blumler 1992; McQuail 1992; auch empirisch: Hagen 1995; Norris 2000; Voltmer 1998; Weiß/Trebbe 1994; Weiß/Rudolph 1993). Diese demokratischen Medienfunktionen weisen große Überschneidungen zu den an anderer Stelle entwickelten Funktionen von Öffent8
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In der aktuellen Ausgabe seines Buchs zur politischen Kommunikation greift Winfried Schulz diese Definition allerdings nicht wieder auf, sondern zieht einen ähnlichen Schluss wie diese Arbeit, nämlich dass es bisher für die Annahme der Publikumsfragmentierung „und insbesondere für die politischen Implikationen der Fragmentierungsthese [...] keine empirischen Anhaltspunkte“ gibt (Schulz 2008: 123). Winfried Schulz konzeptualisiert zwar den Zusammenhang zwischen unterschiedlichen Inhalten und der Desintegration der Öffentlichkeit genauer, analysiert aber anschließend ein völlig anderes Phänomen, nämlich die größere Politikverdrossenheit von Viel-Kanal-Nutzern.
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Das Modell der Arenen-Integration nationaler Öffentlichkeiten
lichkeit auf: Bei Katrin Voltmer (1998) sollen die Medien beispielsweise Informations-, Kritik/Kontroll-, und Orientierungsfunktionen erfüllen, die wiederum den von Friedhelm Neidhardt (1994b) entwickelten Transparenz-, Validierungs-, und Orientierungsfunktionen der Öffentlichkeit recht nahe kommen. Der Vorteil dieser Studien ist, dass sie sich im Vergleich zu den beiden zuvor beschriebenen Forschungsfeldern gezielter mit der Umsetzung normativer Anforderungen in empirische Indikatoren auseinander gesetzt haben und entsprechend hilfreiche Anhaltspunkte dafür liefern können, wie normative Anforderungen an eine integrierte Öffentlichkeit empirisch überprüfbar gemacht werden können. Allerdings beziehen sich die entwickelten Indikatoren überwiegend auf die Performanz einzelner massenmedialer Foren, indem sie beispielsweise die Objektivität und interne Vielfalt (u.a. Voltmer 1998), die Aktualität, Verständlichkeit und Ausgewogenheit der Berichterstattung (u.a. Hagen 1995), oder die Deliberativität der in ihnen geführten Diskussion (z.B. Gerhards et al. 1998; Schultz 2006; Wessler 2008) erfassen. Sie berücksichtigen dabei in der Regel nicht, inwieweit die einzelnen Medien untereinander vernetzt sind oder in anderer Form zueinander in Beziehung stehen, so dass sie sich leider nicht für die empirische Analyse der Integration verschiedener Öffentlichkeitsarenen eignen. Die Ausnahme bilden Untersuchungen, die externe Vielfalt als Bewertungskriterium verwenden und hierfür die Inhalte verschiedener Medienarenen zueinander in Beziehung setzen (z.B. bei Norris 2000). Allerdings ist das normative Ziel für diese Studien eine Maximierung der Vielfalt, während der Zusammenhalt der Gesamtöffentlichkeit eher möglichst große Themenüberschneidungen, also die Minimierung der Vielfalt erfordert. Der Überblick über die drei Forschungsstränge mit einem Bezug zur Frage der Integration der nationalen Öffentlichkeit hat folgende Defizite in der bisherigen Forschung offen gelegt:
Die Diskussion zum Ideal der differenzierten Öffentlichkeit berücksichtigt die Verbindung bzw. den Zusammenhalt der Einzelforen (oder Gegenöffentlichkeit und Öffentlichkeit) zu einer Öffentlichkeit sowohl in der theoretischen Konzeption wie auch in der empirischen Analyse zu wenig. Die Forschung zur Gefahr der fragmentierten Öffentlichkeit präsentiert zwar zahlreiche empirische Analysen, aber überwiegend nur zu einzelnen Elementen ihrer Kettenhypothese, und unter diesen vor allem zu den Medienforen selbst und ihren Publika. Die wenigen Studien zu MedienInhalten arbeiten überwiegend mit einem sehr groben Analyseraster (Information vs. Unterhaltung) und beschränken sich auf einen Medientyp (z.B. Fernsehen). Außerdem fehlt es an einer schlüssigen Konzeptualisie-
Gibt es eine nationale Öffentlichkeit?
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rung wie die Nutzung unterschiedlicher Inhalte zu einer Desintegration der nationalen Öffentlichkeit führen könnte. Die Forschung zur Qualität der Medienberichterstattung konzentriert sich auf die Analyse und Bewertung des Angebots einzelner Medienorgane. Eine Einschätzung der Gesamtöffentlichkeit ist auf diesem Wege nicht möglich, da die Vernetzungen zwischen einzelnen Medienforen kaum berücksichtigt werden.
2.1.4 Die europäische Öffentlichkeit als Vorbild der einen nationalen Öffentlichkeit Aufgrund der angeführten Defizite stützen sich die nun folgenden Überlegungen überwiegend auf einen vierten Forschungsstrang: die Forschung zur europäischen Öffentlichkeit. In den letzten Jahren hat sich eine Reihe von Wissenschaftlern auf die Suche nach einer europäischen Öffentlichkeit aufgemacht, auf den „Quest for a European Public Sphere” (Wessler et al. 2007).10 Die meisten dieser Studien teilen eine zentrale normative Prämisse: Dass die Europäische Union eine zusammenhängende, eine gemeinsame Öffentlichkeit braucht, in der der Austausch von Meinungen und Argumenten zwischen Politikern und Bürgern aus allen Mitgliedsstaaten die politischen Entscheidungen legitimiert. Da es bisher keine europaweit genutzten Medienorgane gibt, über die diese gemeinsame europäische Öffentlichkeit hergestellt werden könnte,11 konzentriert sich die Forschung auf die einzelnen nationalen Öffentlichkeiten, die sich „europäisieren“ sollen (Gerhards 2001: 152). Die eine europäische Öffentlichkeit wird somit verstanden als Netzwerk nationaler Öffentlichkeiten bzw. als ein Gemeinschaftsgefühl zwischen diesen. Dabei werden nationale Öffentlichkeiten in diesem Rahmen meist als Ideal betrachtet, das auf europäischer Ebene noch nicht erreicht worden ist. Zwar wird auch darauf hingewiesen, dass die Homogenität der nationalen Öffentlichkeit eine Illusion ist (Trenz et al. 2003: 13; „Fiktion“ bei van de Steeg 2002a: 58; Beierwaltes 2000: 209; Mihelj 2007: 450), wirklich in Frage gestellt wird die Vorstellung einer integrierten nationalen Öffentlichkeit jedoch nicht. Dies hat auch forschungspragmatische Gründe: Nur so lässt es sich rechtfertigen, für eine Analyse der Öffentlichkeit auf europäischer Ebene aus jedem Land nur einzelne 10 11
Siehe auch den Literaturüberblick in Fußnote 2. Trotz diverser Versuche haben sich bisher keine europäischen Massen-Medien etablierten können; die wenigen europaweit verbreiteten Medien erreichen nur eine kleine (Eliten-)Minderheit der Bevölkerung (vgl. Schlesinger (1999); Hasebrink/Herzog (2000); Brüggemann/Schulz-Forberg (2009)).
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Das Modell der Arenen-Integration nationaler Öffentlichkeiten
Medien auszuwählen, die als entweder repräsentativ oder besonders prägend für die jeweilige nationale Öffentlichkeit angesehen werden. Dennoch lenkt das Forschungsfeld den theoretischen Blick auf den Netzwerkcharakter von Öffentlichkeit und darauf, dass sich Öffentlichkeiten aus einzelnen Foren zusammensetzen. Die stark empirische Ausrichtung der meisten EPS-Arbeiten hat zudem zu einer Anpassung der normativen Erwartungen an die Möglichkeiten und Einschränkungen massenmedial vermittelter Öffentlichkeiten, insbesondere auf europäischer Ebene, geführt. Im gewissen Sinne hat die Forschung zur europäischen Öffentlichkeit den Öffentlichkeitsbegriff auf die essentiellen Bestandteile reduziert. Aber selbst bei dieser ‚abgespeckten’, verschlankten Version normativer Öffentlichkeitsmodelle bleibt die Frage bestehen, inwieweit nationale Öffentlichkeiten ihren Anforderungen entsprechen. Was bedeutet es nun, mit dem Blickwinkel der Forschung zur europäischen Öffentlichkeit nationale Öffentlichkeiten zu analysieren? Zum einen stellt es eine gewisse Vereinfachung dar, viele normative Forderungen an Öffentlichkeiten werden von der EPS-Forschung hinten angestellt und vernachlässigt. Welche dies im Einzelnen sind, und wie sich das auf das Öffentlichkeitsverständnis insgesamt auswirkt, wird in Kapitel 2.3 näher diskutiert. Des Weiteren könnte es sich bei nationalen Öffentlichkeiten um einen ‚easy case’ handeln, der die in Bezug auf die Europäisierung von Öffentlichkeiten aufgestellten Anforderungen problemlos erfüllt. Aber inwieweit sich diese implizite Annahme in der Forschung zur europäischen Öffentlichkeit empirisch bestätigen lässt, wird sich erst im Verlauf dieser Arbeit zeigen.
2.2 Die Entwicklung des Modells der Arenen-Integration Ziel des folgenden Kapitels ist es, auf Basis bestehender Öffentlichkeitstheorien und angeregt durch die Forschung zur Europäisierung von Öffentlichkeit – insbesondere durch die Arbeiten zur Transnationalisierung von Öffentlichkeit von Hartmut Wessler et al. (2008) – ein Modell der Arenen-Integration nationaler Öffentlichkeiten zu entwickeln, das sowohl erlaubt, die eine integrierte Öffentlichkeit theoretisch zu fassen, als auch sie empirisch zu analysieren. Die Entwicklung des Modells erfolgt anhand dreier Leitfragen:
Was ist Öffentlichkeit? Was ist eine Öffentlichkeit? Was ist eine arenen-integrierte Öffentlichkeit?
Die Entwicklung des Modells der Arenen-Integration
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2.2.1 Was ist Öffentlichkeit? Die theoretische und empirische Forschung zum Thema Öffentlichkeit hat eine kaum überschaubare Zahl an Begriffsdefinitionen für ihren Forschungsgegenstand hervorgebracht. Deren Systematisierung wird durch zwei Faktoren erschwert: a) der Begriff steht an der Schnittstelle verschiedener Fachdisziplinen (allen voran der Soziologie, Politik- und Kommunikationswissenschaft), und b) letztlich enthalten alle Definitionen normative und deskriptive Komponenten, die nur selten systematisch unterschieden werden. Diese Arbeit wird sich nicht der Sisyphusarbeit einer weiteren Systematisierung des Öffentlichkeitsbegriffs widmen,12 sondern wird nur diejenigen Theorien und Autoren aufgreifen, die für die Argumentationslinie der Arbeit und die empirische Analyse besonders fruchtbar erscheinen. Am Anfang steht eine vor allem deskriptive Beschreibung des Phänomens Öffentlichkeit; die normativen Aspekte des Begriffs sollen keineswegs vollkommen ausgeblendet werden, vielmehr ist es Ziel der Arbeit, sie – dem Vorschlag von Bernhard Peters (1994: 50f) folgend – als Basis einer Heuristik für die Untersuchung und Bewertung des empirischen Phänomens zu verwenden. Daher werden die normativen Dimensionen in Kapitel 2.3 ergänzt. Als Ausgangspunkt für die Entwicklung eines zunächst rein deskriptiven Öffentlichkeitsverständnisses dient das Foren-Modell, das Myra Marx Ferree et al. (2002b) in ihrer Analyse der Abtreibungsdebatte in Deutschland und den USA verwendet haben.13 Ferree et al. verstehen Öffentlichkeit als die Gesamtmenge der Foren, in denen öffentlicher Diskurs stattfindet (vgl. Ferree et al. 2002b: 10). Diese Foren können recht unterschiedlichen Charakter haben, es kann Foren der Massenmedien, der Wissenschaft, oder der politischen Parteien geben. Ein jedes dieser Foren besteht jeweils aus einer Arena, einer Galerie und einem Bereich hinter der Bühne, dem backstage. In der Arena führen Individuen und kollektive Akteure öffentliche Sprechakte aus, die vom Publikum auf der Galerie beobachtet werden. Inhalt der Arena ist demnach ein Diskurs, hier zunächst schlicht verstanden als die Diskussion eines oder mehrerer Themen durch ein oder mehrere Sprecher.14 Eine spezialisierte Form der öffentlichen Sprecher 12
Stattdessen sei hier verwiesen auf die Arbeiten von Imhof (2003) und Wimmer (2007). Dieses Modell basiert wiederum auf Überlegungen von Gerhards/Neidhardt (1990). Ferree et al. ergänzen ihr Modell später ebenfalls um normative Aspekte, um zu überprüfen, welchem normativen Modell die untersuchten Öffentlichkeiten in der Abtreibungsdebatte am ehesten entsprechen (2002a, b). 14 Anders als bei Jürgen Habermas, für den Diskurs nur unter Bedingungen der „kommunikativen Rationalität“ (1981: 28ff) möglich ist, beinhaltet das hier verwendete Diskursverständnis somit zunächst keine spezifischen Ansprüche an die Qualität oder Rationalität der Diskussion. Es grenzt sich ebenfalls von der Diskursanalyse in der Tradition Michel Foucaults ab (siehe z.B. Bublitz et al. 1999), da es nicht hinterfragt, welches Verständnis der Wirklichkeit durch die verwendete Spra13
32
Das Modell der Arenen-Integration nationaler Öffentlichkeiten
sind die Mediatoren, die den Diskurs organisieren und gelegentlich mit ihren eigenen Ansichten ergänzen, im Falle des massenmedialen Forums wären dies die Journalisten (Wessler et al. 2008: 4). Im Backstage erarbeiten die potentiellen Sprecher und Mediatoren ihre Strategien und Ideen für die Arena und formen Allianzen untereinander. Visualisieren lässt sich das beschriebene Bild von Öffentlichkeit am besten als eine Art Stadion (siehe Abbildung 2). Abbildung 2:
Das Foren-Modell von Öffentlichkeit
Massenmediales Forum Galerie
Forum der politischen Parteien
Arena Diskurs
Backstage
Wissenschaftliches Forum eigene Darstellung basiert auf Ferree et al. (2002b: 11)
Zentral für das Öffentlichkeitsmodell ist zunächst, dass die Öffentlichkeit aus öffentlichem Diskurs, aus öffentlicher Kommunikation zu bestimmten Themen besteht. „Public communication about topics and actors related to either some particular policy domain or to the broader interests and values that are engaged. It includes not only information and argumentation but images, metaphors, and other condensing symbols” (Ferree et al. 2002b: 9).
Das bedeutet auch, dass nicht jedes beliebige Diskussionsforum Teil der Öffentlichkeit ist, sondern nur diejenigen Foren, in denen über bestimmte Inhalte kommuniziert wird, nämlich über Politik oder aber die Interessen oder Werte, die durch diese berührt werden. Die hier untersuchte Öffentlichkeit wird damit begrenzt auf politische Öffentlichkeit. che oder genauer durch die diskursive Praxis vermittelt wird und inwieweit dieses von gesellschaftlichen Machtstrukturen geprägt ist.
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Aber welche Bedeutung hat es, dass die für das Modell relevante Kommunikation public, also öffentlich sein soll? Im Kontext politischer Öffentlichkeiten wird der Begriff meist mit für alle zugänglich gleichgesetzt. So beschreiben Jürgen Gerhards und Friedhelm Neidhardt öffentlich darüber, „dass alle Mitglieder einer Gesellschaft teilnehmen dürfen, das Publikum ist grundsätzlich ‚unabgeschlossen’, die Grenze des Systems ist offen, weil nicht an externe Zugangsbedingungen sozialer Teilnahme geknüpft“ (Gerhards/Neidhardt 1990: 15f). Öffentlichkeit sei ein „offenes Kommunikationsforum für alle, die etwas sagen, oder das, was andere sagen, hören wollen“ (Neidhardt 1994b: 7). Auch für Jürgen Habermas ist die „prinzipielle Unabgeschlossenheit des Publikums“ ein zentrales Merkmal von Öffentlichkeit (Habermas 1990 [1962]: 52f). In der Theorie soll damit „nicht nur der Zugang frei, sondern die Art der Teilnahme weder an Stand und Status noch an spezielle Expertenrollen gebunden“ sein. Daraus ergibt sich auch, dass öffentliche Kommunikation stets „auf Laienorientierung festgelegt“ sein sollte (Gerhards/Neidhardt 1990: 16f). Die genauere Betrachtung des Modells offenbart, dass diese Vorgabe nicht von allen beschriebenen Foren gleichermaßen erfüllt wird. So sind beispielsweise nicht alle Bereiche des politischen Forums allgemein zugänglich, wie im Falle nicht-öffentlicher Sitzungen und Ausschüsse. Und selbst wenn offizielle Zugangsbeschränkungen fehlen, so sind doch diverse spezialisierte Foren, wie z.B. das wissenschaftliche oder das juristische Forum, durch das benötigte Fachwissen Laien nicht zugänglich. Das bedeutet weiter, dass erst durch die Vernetzung dieser Einzelforen mit denen der Massenmedien, durch den Austausch von Publika, Sprechern und Inhalten zwischen Experten- und massenmedialen Foren, die dortige Kommunikation tatsächlich ‚öffentlich’ wird und die Einzelforen als Teil der Öffentlichkeit angesehen werden können.15 Auch Jürgen Gerhards verweist darauf, dass die von ihm aufgeführten anderen Öffentlichkeitsebenen (der Begegnungen und der öffentlichen Veranstaltungen) erst über die Ebene der Massenmedien für die Gesamtgesellschaft relevant werden (1993a: 34). Dies verdeutlicht zum einen die zentrale Bedeutung der Vernetzung der verschiedenen Foren für dieses Verständnis von Öffentlichkeit: Die Mitglieder einer Gesellschaft können parallel an mehreren Foren teilnehmen, sei es als Publikum auf der Galerie oder als aktive Sprecher. Auf diese Art kommt es auch zu einem Austausch von Ideen zwischen den einzelnen Foren. Des weiteren verweist dies auf die Schlüsselrolle des massenmedialen Forums in modernen Gesellschaften: Letztlich nehmen alle Mitglieder einer Gesellschaft an diesem Forum teil, wenn 15
Allerdings ist einschränkend zu bemerken, dass man selbst beim massenmedialen Forum nicht davon ausgehen kann, dass die ‚Laienorientierung’ in einer für alle Laien verständlichen Kommunikation resultiert. Dies gilt nicht nur für die an ein höher gebildetes Publikum adressierten ‚Qualitätsmedien’, sondern auch für die BILD oder Fernsehnachrichten (siehe z.B. Brosius 1995).
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auch meistens nur auf der Galerie. Dies wird wiederum von den öffentlichen Sprechern erwartet und vorausgesetzt, so dass sie ihren (bzw. allen) Aussagen in diesem Forum einen besonders großen Einfluss unterstellen – ob dies berechtigt ist oder nicht, sei dahin gestellt. Konkretisiert man das Konzept von Ferree et al. weiter, setzt sich das massenmediale Forum ebenfalls aus einer Vielzahl einzelner Foren zusammen, einer bunten Vielzahl verschiedener Medienprodukte mit jeweils unterschiedlichem Publikum und inhaltlichen Spezialisierungen. Ob Wirtschaftsmagazin, Lokalzeitungen oder nationale Fernsehnachrichten, jedes Medium bildet zunächst sein eigenes öffentliches Forum mit spezifischen Sprechern und Diskursen in der Arena, sowie Publikum auf der Galerie. Diese Einzelforen sind ebenfalls miteinander vernetzt: Die verschiedenen Medien beobachten sich gegenseitig oder beziehen ihre Informationen aus ähnlichen Quellen. Insbesondere kleinere Medien verfolgen die öffentliche Diskussion in den so genannten Leitmedien, und übernehmen deren Themen und auch Sprecher. So können dieselben Sprecher in mehreren Medien auftreten, gleichzeitig nutzt das Publikum wiederum verschiedene Medienangebote parallel. Auch wenn Ferree et al. kurioserweise an keiner Stelle Öffentlichkeit als Netzwerk definieren, ist es doch einer der zentralen Vorzüge des Modells, dass es nicht nur die Vielzahl verschiedener miteinander verbundener Foren herausstellt, sondern auch eine Idee davon vermittelt, worüber sich die Vernetzung vollzieht. In dieser Vorstellung von Öffentlichkeit kann die Vernetzung der Foren auf zwei Ebenen stattfinden: Auf Ebene der Foren-Publika können die Zuschauer oder Zuhörer zwischen den Galerien verschiedener Foren wechseln. Auf Ebene der Foren-Arenen können Sprechern und Themen zwischen den Arenen verschiedener Foren ausgetauscht werden, in mehreren Arenen können dieselben Sprecher zu Wort kommen oder dieselben Themen diskutieren werden, oder die Diskussion in der Arena eines Forums bezieht sich sogar explizit auf die ArenenInhalte eines anderen Forums. Dies erscheint für die empirische Analyse deutlich greifbarer als Habermas’ Konzept der osmotischen Diffusion, nach dem „die relevanten Beiträge osmotisch aus den jeweils anderen Arenen aufgesogen werden.“ (Habermas 2001: 120). Zu dem dargestellten Foren-Modell von Öffentlichkeit gehört immer ein Publikum, das allerdings nicht zwingend ‚anwesend’ sein muss, es kann sich auch um eine virtuelle Galerie handeln, von der aus das Publikum das Geschehen in der Arena beobachtet. Als Publikum werden hier alle diejenigen begriffen, die das Geschehen von der Galerie aus verfolgen, d.h. im Falle des massenmedialen Forums z.B. eine Zeitung lesen oder eine Nachrichtensendung sehen. Diese Vorstellung von Publikum entspricht dem, was in der englischsprachigen Diskussion
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meist als audience bezeichnet wird.16 Anders als bei John Dewey (2004 [1927]) bzw. Swantje Lingenberg (2006, 2010) muss sich das Publikum der Öffentlichkeit demnach nicht vom Geschehen in der Arena betroffen fühlen, es muss nicht dem Begriff der public entsprechen: „the public consists of all those who are affected by the indirect consequences of transactions“ (Dewey 2004 [1927]: 15). Gemeint ist hier demnach ein Publikum der Forums- bzw. Mediennutzer, nicht der von den in der Arena diskutierten Problemen Betroffenen. Dies soll verdeutlichen, dass das Modell den Fokus auf Öffentlichkeit als dauerhafte soziale Struktur legt. Obwohl die konkrete Besetzung in Galerien und Arenen ständig im Fluss sein kann, sind die Foren an sich keine ephemeren Phänomene. Nur über das dauerhafte Bestehen dieser Foren lässt sich überhaupt erklären, warum aus den audiences gelegentlich die von Lingenberg und Dewey geforderten publics werden. So erfahren die Bürger in modernen Gesellschaften in der Regel erst über die Massenmedien, dass sie von einem Problem betroffen sind, und auch wer zum Kreis der Betroffenen gehören könnte. Sie müssen also als audience bereits Teil des massenmedialen Forums sein, um zur public werden zu können (vgl. Dahlgren 2006). Gewissermaßen beschreibt dieses Modell die strukturellen Voraussetzungen dafür, dass ‚anspruchsvollere’ Konzeptionen von Öffentlichkeit überhaupt erst realisiert werden können. Entsprechend wird Öffentlichkeit in diesem Buch nicht nur als „eine Situation gemeinsamer Aufmerksamkeit für Themen und Informationen“ verstanden, wie es Joachim Westerbarkey vorschlägt (1999: 154). Auch die von Hartmut Wessler beschriebenen „situativ entstehenden Themenöffentlichkeiten“ (2002: 65), für die bestimmte Themen oder Ereignisse – insbesondere im Falle sozialer Konflikte – vorübergehend die Aufmerksamkeit bündeln, stellen nach diesem Modell somit ebenfalls noch keine Öffentlichkeit dar, höchstens ein Element der Vernetzung einzelner Foren auf Ebene der Arenen-Inhalte dar. Das dieser Arbeit zugrunde liegende Öffentlichkeitsverständnis beruht demnach auf folgenden Aspekten:
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Öffentlichkeit besteht aus allgemein zugänglicher Kommunikation über Politik. Öffentlichkeit ist eine relativ dauerhafte soziale Struktur, die sich in einem Netzwerk einzelner Foren manifestiert, unter denen das massenmediale Forum eine Schlüsselrolle einnimmt. Die Vernetzung der Foren kann auf Ebene der Foren-Publika oder der Foren-Arenen erfolgen.
Siehe Sonja Livingstone (2005) für eine Diskussion der beiden Begriffe, ihrer Konnotationen und einen Versuch, den Gegensatz zwischen beiden aufzulösen.
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2.2.2 Was ist eine Öffentlichkeit? Eine Frage, die von Ferree et al. nicht diskutiert wird, ist die Frage nach den Grenzen der Öffentlichkeit. Öffentlichkeit wird nur als „Gesamtmenge aller Foren“ öffentlicher Diskussion beschrieben („the set of all forums“, Ferree et al. 2002b: 10, eigene Übersetzung), aber ist diese Menge nicht fast unendlich groß? In ihrer empirischen Analyse wird deutlich, dass Ferree et al. von national begrenzten Öffentlichkeiten ausgehen, von denen sie zwei verschiedene – die deutsche und die US-amerikanische – miteinander vergleichen. Dies entspricht dem alltäglichen Sprachgebrauch, bei dem Öffentlichkeiten ganz selbstverständlich eine bestimmte sozialräumliche Ausdehnung zugewiesen wird, die sich in der Regel auf eine konkrete politische Gemeinschaft bezieht, wie beispielsweise bei der ‚deutschen Öffentlichkeit’.17 Letztlich eint die meisten Konzeptionen des Öffentlichkeitsbegriffs, dass sie von einer zusammenhängenden Öffentlichkeit mit einer Außengrenze ausgehen. Das beginnt bei der englischen Übersetzung des Begriffs: Schon der Term public sphere lenkt den Blick darauf, dass es sich um eine Sphäre, d.h. einen abgrenzbaren Raum handelt, in dem Öffentlichkeit stattfindet (siehe auch Gitlin 1998). Zwar besteht die Öffentlichkeit in der überwiegenden Zahl der Öffentlichkeitskonzeptionen aus diversen Teilen, seien es einzelne Kommunikationsforen (Gerhards/Neidhardt 1990: 33), Teilöffentlichkeiten (Kleinsteuber 2000: 39; Peters 1994: 56), Gruppenöffentlichkeiten (Wessler 2002: 64) oder Arenen (Habermas 1998 [1992]: 455; Gerhards et al. 1998: 38f). Gleichzeitig halten sie daran fest, dass sich alle diese Teile zu einer Öffentlichkeit zusammenfassen lassen, die zu einer bestimmten Gesellschaft oder politischen Gemeinschaft gehört und sich in irgendeiner Form gegenüber einer Außenwelt abgrenzen lässt. Aber wann ergeben denn diverse Öffentlichkeitsforen eine Öffentlichkeit? Geht man allein vom bisher diskutierten Öffentlichkeitsverständnis aus, würden alle miteinander vernetzten Foren eine gemeinsame Öffentlichkeit bilden, in der heutigen globalen Mediengesellschaft hätte man es also mit einer weltweiten Öffentlichkeit zu tun. Denn auch wenn die weltweite Vernetzung auf Ebene der Foren-Publika möglicherweise an Grenzen der Sprache oder der technischen Verbreitung scheitert, auf der Ebene der Foren-Arenen sind heutzutage alle Fo17
Das Adjektiv ‚deutsch’ kann als geographische, kulturelle oder politische Zuordnung verwendet werden. Um auszudrücken, dass sich das Adjektiv im Kontext dieser Arbeit nicht auf eine geographischen Region oder eine bestimmte Kultur, sondern die darin lebenden Personen bezieht, wird der Begriff ‚sozialräumlich’ verwendet, um die Ausdehnung einer Öffentlichkeit zu beschreiben. ‚Politisch’ wäre irreführend, weil Öffentlichkeit nicht notwendigerweise an das Bestehen eines entsprechenden politischen Systems gekoppelt sein muss, wie im Folgenden noch näher erläutert wird.
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ren miteinander verknüpft, indem sie in irgendeiner Form Sprecher oder Themen miteinander austauschen. An dieser Stelle kommen die normativen Elemente der Öffentlichkeitstheorien ins Spiel. Denn Öffentlichkeit ist mehr als nur ein vernetzter Kommunikationsraum oder eine kommunikative Verdichtung. Der Grund für die Zuordnung von Öffentlichkeiten zu nationalen politischen Gemeinschaften liegt darin, dass Öffentlichkeit überwiegend nicht nur als empirisches Phänomen betrachtet wird, sondern ihr innerhalb demokratischer Systeme politische Funktionen und Leistungen zugeschrieben werden. Die zentrale Argumentation lautet dabei wie folgt: Das Grundprinzip der Demokratie ist die Herrschaft durch das Volk. Dies bedeutet, dass das Volk in einem demokratischen Staat in irgendeiner Form an der Politik, d.h. an der Herstellung kollektiv verbindlicher Entscheidungen, beteiligt sein muss. Wie diese Beteiligung im Detail geregelt sein sollte, wird in der Demokratietheorie zwar kontrovers diskutiert, neben der Wahl repräsentativer Vertreter für die Herrschaftspositionen gilt aber in fast allen Demokratie-Modellen die Öffentlichkeit als zentrales Instrument der Beteiligung der Bevölkerung am politischen Prozess: „Öffentlichkeit gehört zur elementaren Institutionen-Ausstattung von Demokratien“ (Gerhards et al. 1998: 26). „In all versions of normative democratic theory, a public sphere providing sufficient information and transparency of political decisions as well as competition of ideas and arguments is considered a basic presupposition of democratic participation“ (Peters 2005: 104).
Aber die unreflektierte Zuordnung einer Öffentlichkeit zu einem politischen System erscheint fragwürdig. Nur weil das politische System besteht, muss sich nicht automatisch daraus ergeben, dass es eine diesem System entsprechende Öffentlichkeit gibt (vgl. Calhoun 1992: 37), und dass diese auch in sich zusammenhängt, in irgendeiner Form integriert ist. Welche Leistungen von der Öffentlichkeit erwartet werden, ist abhängig vom jeweiligen Demokratieverständnis, und wird in Kapitel 2.3 dieser Arbeit ausführlicher diskutiert. An dieser Stelle ist nur festzuhalten, dass mit dem Begriff ‚Öffentlichkeit’ normative Erwartungen verknüpft sind, und sich diese überwiegend auf die Foren-Arenen beziehen, also auf die in den verschiedenen Teilöffentlichkeiten diskutierten Inhalte und auftretenden Sprecher. Auf Ebene der Foren-Publika besteht dagegen lediglich die Erwartung, „dass alle Mitglieder einer Gesellschaft teilnehmen dürfen, das Publikum ist grundsätzlich ‚unabgeschlossen’, die Grenze des Systems ist offen, weil nicht an externe Zugangsbedingungen sozialer Teilnahme geknüpft“ (Gerhards/Neidhardt 1990: 15f). Wünschenswert wäre sicherlich auch, dass tatsächlich alle Bürger einer politischen Gemeinschaft die Möglichkeit nutzen und an der Öf-
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fentlichkeit teilnehmen. Anforderungen an den Grad der Vernetzung auf Ebene der Foren-Publika lassen sich daraus aber nicht ableiten. Die Forschung zur europäischen Öffentlichkeit argumentiert gerade, dass es ohne jedwede Vernetzung auf Ebene der Publika eine gemeinsame Öffentlichkeit geben kann, so denn die Foren-Arenen bestimmte Kriterien erfüllen. Man kann sich auch das Extrembeispiel vorstellen, dass alle Bürger einer Gesellschaft dasselbe Medium nutzen – die Überschneidung auf Ebene der Foren-Publika also absolut ist – erfüllen die Inhalte dieses Mediums jedoch nicht die aufgestellten normativen Kriterien, z.B. weil ausschließlich über die europäische Politikebene berichtet wird, dann handelt es sich zwar um einen gemeinsamen Kommunikationsraum, aber keine Öffentlichkeit. Aus dieser Perspektive heraus lässt die Frage nach der Existenz einer europäischen Öffentlichkeit auch folgendermaßen verstehen: Sind die verschiedenen Teilöffentlichkeiten soweit zu einer europaweiten Öffentlichkeit arenen-integriert, dass diese ihre politische Funktion für die Europäische Union erfüllen kann? Dies bedeutet wiederum, dass eine gemeinsame Öffentlichkeit bei einer fehlenden Publikums-Integration möglich ist, aber nicht bei einer unzureichenden Arenen-Integration. Allerdings trifft der direkte Umkehrschluss nicht zu: Eine Überschneidung der Publika der verschiedenen Foren ist nicht völlig unerheblich für die Integration der Öffentlichkeit. Wenn sich die Nutzerschaft zweier Medien überschneidet, müsste nicht jedes Medium für sich alle Kriterien der Arenen-Integration erfüllen, es würde reichen, wenn beide gemeinsam den Anforderungen genügen. Demnach muss die europäische Öffentlichkeit, hier immer konzeptualisiert als Netzwerk europäisierter nationaler Öffentlichkeiten, unter den denkbar schwierigsten Bedingungen hergestellt werden, da sich die Arenen der verschiedenen nationalen Öffentlichkeiten aufgrund der fehlenden Publikumsüberschneidungen nicht in der Funktionserfüllung unterstützen können. Doch trotz potentieller Überschneidungen auf Publikumsebene innerhalb nationaler Öffentlichkeiten bleibt die Frage der Arenen-Integration aus zwei Gründen von zentraler Bedeutung. Erstens, sagt eine Überschneidung des Publikums verschiedener Öffentlichkeitsarenen noch nichts darüber aus, inwieweit die Arenen den Ansprüchen an eine integrierte Öffentlichkeit genügen. Und zweitens werden die Publikumsüberschneidungen in nationalen Öffentlichkeiten in der Regel überschätzt: Auch wenn alle Bürger eines Landes theoretisch die Chance haben, alle landesweit verbreiteten Medien zu nutzen, wenn eine Mehrheit von ihnen dies nicht regelmäßig tatsächlich tut, kann man nicht von einer Integration der Öffentlichkeit auf Publikumsebene sprechen. Das Extrembeispiel sind hier sicherlich Nationen, die aus mehreren Sprachgemeinschaften bestehen, wie beispielsweise die Schweiz oder Spanien. Aber auch in Ländern mit einer einzigen dominierenden Sprache, aber einer starken Tradition regionaler Medien
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bzw. regionaler Verwurzelung – wie Großbritannien oder Deutschland – ist die Publikums-Integration keine Selbstverständlichkeit. Daher ist die Integration auf Ebene der Arenen, also der Foren-Inhalte, für das Bestehen einer gemeinsamen, integrierten Öffentlichkeit am wichtigsten und wird entsprechend im Fokus dieser Arbeit stehen.
2.2.3 Was ist eine arenen-integrierte Öffentlichkeit? Der Begriff Integration kann sowohl „einen Prozess der Eingliederung oder Einbindung als auch das Ergebnis eines solchen Prozesses bezeichnen“ (Imbusch/Rucht 2005: 19). Im Alltagsverständnis dominiert die Interpretation von Integration als Prozess, über den einzelne Elemente in ein größeres Ganzes aufgenommen werden, also beispielsweise ausländische Migranten in die deutsche Mehrheitsgesellschaft. In dieser Arbeit bezieht sich Integration aber auf einen Zustand und dient der Beschreibung des „Zusammenhalt[s] von Teilen in einem ‚systemischen’ Ganzen und die dadurch erzeugte Abgrenzung von einer unstrukturierten Umgebung“ (Esser 2000: 261). Dies entspricht dem in der Soziologie verwendeten Begriff der Systemintegration in Abgrenzung von dem der Sozialintegration (Lockwood 1964). Die Integration des Systems definiert sich demnach „über die Existenz von bestimmten Relationen zwischen den Einheiten und zur jeweiligen Umwelt“ (Esser 2000: 262). Das in dieser Arbeit interessierende System ist die Öffentlichkeit, die sich aus verschiedenen Teilen, nämlich einzelnen Foren bzw. einzelnen Medienorganen zusammensetzt. Jedes einzelne Forum (bzw. Medienorgan) stellt für sich eine Teilöffentlichkeit dar. Arenen-Integration ließe sich nun allein über die Vernetzung der Inhalte verschiedener Öffentlichkeitsforen definieren, also das wechselseitige Zitieren von Themen und Sprechern. Das würde bedeuten, dass man für eine Gruppe von Teilöffentlichkeiten von einer Gesamtöffentlichkeit sprechen kann, wenn die Vernetzungen zwischen den Arenen dieser Gruppe von Teilöffentlichkeiten stärker sind als die zu den Arenen anderer Teilöffentlichkeiten, dann wäre die Öffentlichkeit bezogen auf diese Teilöffentlichkeiten arenen-integriert. Aufgrund der normativen Aufladung des Öffentlichkeitsbegriffs reicht dieses Verständnis von Arenen-Integration aber nicht aus. Arenen-Integration meint mehr als nur die Vernetzung der Inhalte verschiedener Öffentlichkeitsforen. Damit eine Öffentlichkeit arenen-integriert ist, müssen die Inhalte der in ihr vernetzten Teilöffentlichkeiten Leistungen für die politische Gemeinschaft erbringen, zu denen auch die Vernetzung gehören kann, aber nur als eine unter mehreren möglichen Leistungen.
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Eine arenen-integrierte Öffentlichkeit lässt sich demnach über folgende Merkmale beschreiben:
Öffentlichkeit besteht aus allgemein zugänglicher Kommunikation über Politik. Öffentlichkeit ist eine relativ dauerhafte soziale Struktur, die sich in einem Netzwerk einzelner Foren manifestiert, unter denen das massenmediale Forum eine Schlüsselrolle einnimmt. Die Vernetzung der Foren kann auf Ebene der Foren-Publika oder der Foren-Arenen erfolgen. Öffentlichkeit ist arenen-integriert, wenn die Arenen ihrer Teilöffentlichkeiten bestimmte politische Funktionen erfüllen bzw. Leistungen für die politische Gemeinschaft erbringen.
2.3 Die vier Dimensionen des Modells der Arenen-Integration Wie müssen die Arenen-Inhalte der verschiedenen Teilöffentlichkeiten nun beschaffen sein, damit die Gesamtöffentlichkeit als arenen-integriert anzusehen ist? Diese Arbeit schlägt vor, vier inhaltliche Dimensionen zu unterscheiden, auf denen die Arenen-Integration nationaler Öffentlichkeiten beobachtet werden kann. Diese Dimensionen sind abgeleitet aus den von Hartmut Wessler et al. (2008) beschriebenen Dimensionen der Transnationalisierung von Öffentlichkeit18 und lassen sich folgendermaßen charakterisieren: Die Beobachtung des Regierens bezieht sich darauf, ob in den einzelnen Öffentlichkeitsarenen das politische System angemessen beobachtet und diskutiert wird, so dass sich die Bürger der politischen Gemeinschaft ein Bild über die sie betreffende Politik machen können, unabhängig davon, welche Öffentlichkeitsarena sie nutzen. Über die Ähnlichkeit der Diskurse wird erfasst, inwieweit sich die Öffentlichkeitsarenen in ihrer Beobachtung des politischen Systems ähneln, so dass die Bürger als Publikum verschiedener Arenen ein vergleichbares Bild der sie betreffenden Politik erhalten. Möglicherweise werden dieselben Themen in allen Arenen diskutiert, aber jeweils zu anderen Zeitpunkten oder mit unterschiedlichen inhaltlichen Gewichtungen. Die Vernetzung der Diskurse beschreibt, ob sich die verschiedenen Öffentlichkeitsarenen gegenseitig beobachten 18
Sowohl Namen als auch Zuschnitt der Dimensionen sind gegenüber dem Ansatz von Wessler et al. (2008) leicht verändert worden, um sie an das Problem der Arenen-Integration nationaler Öffentlichkeiten anzupassen. Die ursprünglichen Dimensionsnamen lauten ‚monitoring governance’, ‚discourse convergence’, ‚discursive integration’, ‚collective identification’ (ibid: 11).
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sowie Themen und Sprecher miteinander austauschen, also arenen-übergreifend diskutiert wird. Die kollektive Identität schildert die in den einzelnen Öffentlichkeitsarenen transportierten Vorstellungen kollektiver Identität: Wer wird in den Arenen als Teil der eigenen Kommunikations- oder gar Solidargemeinschaft angesehen, und wer aus der Gemeinschaft ausgeschlossen? Tabelle 1: Die vier Dimensionen des Modells der Arenen-Integration nationaler Öffentlichkeiten Dimension
Beschreibung
Beobachtung des Regierens
Welche politischen Institutionen, Akteure bzw. Themen werden in den Arenen diskutiert? Wird das politische System angemessen widergespiegelt?
Ähnlichkeit der Diskurse
Ähnelt sich die Diskussion des politischen Systems in den verschiedenen Arenen?
Vernetzung der Diskurse
Beobachten sich die Arenen gegenseitig und tauschen sie Themen oder Sprecher miteinander aus?
Kollektive Identität
Welche Vorstellungen kollektiver Identität werden in den Arenen vermittelt? Beziehen sich diese auf die Gesamtgemeinschaft?
Im Folgenden werden die einzelnen Dimensionen näher vorgestellt und aus normativen Öffentlichkeitstheorien hergeleitet. Des Weiteren wird diskutiert, welchen besonderen Fokus die Forschung zur Europäisierung nationaler Öffentlichkeit der Dimension jeweils gibt, und was es bedeutet, diesen auf nationale Öffentlichkeiten zu übertragen. Für jede Dimension werden abschließend konkrete Kriterien abgeleitet, um zu erheben und zu bewerten, inwieweit nationale Öffentlichkeiten in dieser Dimension arenen-integriert sind.
2.3.1 Beobachtung des Regierens Die Beobachtung des Regierens kann sowohl in theoretisch-normativer als auch in empirischer Hinsicht als Basisdimension von Öffentlichkeit betrachtet. Sie beruht auf der Transparenzfunktion von Öffentlichkeit, die letztlich allen normativen Öffentlichkeitsmodellen gemein ist (vgl. Neidhardt 1994b), auch wenn ihre Ansichten über die konkret zu vermittelnden Inhalte und Teilnehmer auseinander gehen.
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2.3.1.1 Die Bedeutung der Beobachtung des Regierens für die politische Gemeinschaft Bereits der Begriff ‚Öffentlichkeit’ verweist darauf, dass „die primäre Funktion politischer Öffentlichkeit […] darin [besteht], durch die Wahrnehmung von Problemen, Problemlösungsansprüchen und darauf bezogenen Entscheidungen Transparenz zu erzeugen.“ (Neidhardt 1994a: 23, Hervorhebung im Original). Das Grundprinzip einer Demokratie setzt voraus, dass die Probleme, über die das Volk bzw. die Bürger entscheiden sollen, und alle für diese Entscheidungen benötigten Informationen öffentlich gemacht werden – sonst wären keine demokratischen Entscheidungen möglich. Öffentlichkeit soll also für den Bürger Transparenz herstellen über die Vielfalt der Meinungen der von ihm gewählten Repräsentanten, seiner Mitbürger, aber auch über die gesamte Umwelt. Diese Transparenz ermöglicht es ihm, Wahlentscheidungen zu treffen, die seinen persönlichen Interessen entsprechen und die gesamte gesellschaftliche Situation mitberücksichtigen. Nur so kann er zum „enlightened understanding“ gelangen, das laut Robert Dahl ein zentrales Kriterium für das Bestehen einer demokratischen Ordnung ist (Dahl 1989: 111). Gleichzeitig erfüllt Öffentlichkeit ihre Transparenzfunktion aber auch für das politische System, das hier Informationen über die Meinungen und Probleme der von ihm Regierten, sowie über die Meinungen und Handlungen der anderen Mitglieder des politischen Systems und die gesamte Systemumwelt erhält. Erst durch diese Transparenz kann das politische System angemessen reagieren. Da jedoch die Verarbeitungskapazitäten sowohl jedweder Öffentlichkeit als auch ihrer aktiven Teilnehmer (also Sprecher) und passiven Teilnehmer (also Zuhörer) begrenzt sind, können nicht alle Informationen öffentlich gemacht werden. Zu recht warnt Friedhelm Neidhardt vor der „Verabsolutierung des Öffentlichkeitsprinzips“, der Öffentlichkeitsauftrag der Medien müsse „im Sinne des klassischen Prinzips der Gewaltenteilung mit den Verfassungsaufträgen von Legislative, Exekutive und Judikative balanciert und mit Blick auf deren Funktionsansprüche auf relative Autonomie auch limitiert werden […]. Für gutes Regieren ergibt sich neben allem Sonstigen auch ein gewisser Bedarf an Intransparenz“ (Neidhardt 2006: 49f). Bei den genaueren Kriterien, die die veröffentlichten Informationen erfüllen müssen, damit die Öffentlichkeit ihrer Transparenzfunktion nachkommt, gehen die Vorstellungen dagegen auseinander. Dies soll hier kurz auf Basis der von Jürgen Gerhards unterschiedenen Modelle liberaler und diskursiver Öffentlichkeit veranschaulicht werden (Gerhards 1997).19 So verlangt das liberale Öffent19
Die Bezeichnung des zweiten Modells variiert zwischen „deliberativ“ (Gerhards et al. 1998, auch aufgegriffen von Peters 2002) und „diskursiv“ (Gerhards 1998; Ferree et al. 2002a), bzw. „diskur-
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lichkeitsmodell, „dass alle Positionen zu normativen Fragen, die das Gemeinwohl berühren, kommunikativ transparent gemacht werden müssen, so dass sie für alle anderen Akteure beobachtbar sind“ (Gerhards et al. 1998: 29). 20 Dabei handelt es sich um ein pluralistisches Repräsentationsmodell, die in der Gesellschaft vorhandene Vielfalt unterschiedlicher Akteure und Themen soll in der Öffentlichkeit repräsentativ widergespiegelt werden: „Die Stärke der Repräsentanz der kollektiven Akteure in der öffentlichen Arena sollte die Interessenlagen der Bürger widerspiegeln“ (Gerhards 1997: 10f). Nicht jedes einzelne Mitglied der Gesellschaft muss die Chance haben, selbst mit seiner Meinung in der Öffentlichkeit zu Wort zu kommen. Wie auch bei der Besetzung der politischen Ämter genügt, wenn die Meinung und Interessen des Einzelnen in der Öffentlichkeit repräsentiert sind. Zentral ist allerdings, dass nicht nur das politische System in der Öffentlichkeit repräsentiert ist: „Der demokratische Grenznutzen, der im intermediären Sektor moderner Gesellschaften durch Institutionalisierung von Öffentlichkeit entsteht, muss sich durch die Inklusion jener erweisen, die an der Peripherie des politischen Systems stehen“ (Neidhardt 1994b: 23).
Diese Peripherie spielt nun im diskursiven Öffentlichkeitsmodell, das vor allem durch Jürgen Habermas geprägt worden ist, eine deutlich größere Rolle. Zwar räumt das Modell prinzipiell allen Bürgern einer Gesellschaft die gleiche Chance ein, sich in der Öffentlichkeit zu äußern (Gleichheitsprinzip der Partizipation). Aber als besonders zentral für den Prozess der öffentlichen Meinungsbildung gelten die Akteure der Peripherie. Die Peripherie setzt sich zusammen aus Verbänden, Interessenvertretungen, kulturellen Einrichtungen, Kirchen und karitativen Verbände ebenso wie spontan entstehenden Vereinigungen, Organisationen und Bewegungen. Von ihr unterschieden werden die Akteure des Zentrums aus der politischen Verwaltung, der Regierung, dem Gerichtswesen, dem Parlament und den Parteien. Damit eine Öffentlichkeit der normativ präferierten Form von Öffentlichkeit entspricht, nämlich „autochthon“ und nicht „vermachtet“ ist, müsste sie von Akteuren der Zivilgesellschaft und Bürgern, nicht aber von Akteuren des Zentrums dominiert sein (Habermas 1998 [1992]). 21
siv-republikanisch“ (Gerhards 1998); Ferree et al. ergänzen diese noch um „partizipatorischliberal“ und „konstruktionistisch“, für eine andere Systematisierung siehe Beierwaltes (2000). 20 Das liberale Öffentlichkeitsmodell ist ‚inspiriert’ von systemtheoretischen Vorstellungen eines funktional differenzierten gesellschaftlichen Subsystems, das den anderen Systemen eine Beobachtung zweiter Ordnung ermöglicht. Es wird auch als Spiegelmodell bezeichnet, z.B. bei Peters (2002). Da die Systemtheorie lediglich beschreibend arbeitet, stammen die normativen Elemente des Modells aus der liberalen-repräsentativen Demokratietheorie. 21 Zu recht verweist Bernhard Peters darauf (2002), dass Jürgen Habermas sich damit von ihm propagierten Ideal der Chancengleichheit wieder abrückt, und stattdessen auch auf ein Repräsentations-
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Im Rahmen der Forschung zur europäischen Öffentlichkeit liegt das Hauptaugenmerk in der Transparenzdimension nicht auf einer angemessenen Repräsentation von Peripherie-Akteuren. Sie setzt vielmehr einen Schritt vorher an und stellt infrage, inwieweit selbst das politische System angemessen in der Öffentlichkeit widergespiegelt wird: Durch die politische Integration Europas hat sich der Raum der für den einzelnen Bürger relevanten politischen Informationen um eine zusätzliche politische Ebene erweitert. Auf dieser Ebene werden Entscheidungen getroffen, die auf jeden einzelnen EU-Bürger zurückwirken, und über deren Besetzung er auf direktem (Europäisches Parlament) oder indirektem Wege (über die nationalen Parlamente) mitbestimmen kann. Entsprechend sollte in den Öffentlichkeitsarenen auch über diese Ebene Transparenz hergestellt werden. Durch diesen Fokus wird die Transparenzfunktion im Rahmen der EPSForschung auf eine Beobachtung des Regierens reduziert.22 Damit die Öffentlichkeit überhaupt die Transparenzfunktion für eine politische Gemeinschaft erfüllen kann, muss in ihren Arenen die die Bürger betreffende Politik berichtet und diskutiert werden. Erst wenn diese Voraussetzung gegeben ist, kann in einem zweiten Schritt bewertet werden, ob die Art und Weise der Diskussion oder die Zusammensetzung des beteiligten Sprecherensembles anderen Qualitätskriterien genügen. Insofern ist die Beobachtung des Regierens eine Grundbedingung für die Arenen-Integration von Öffentlichkeiten an sich, nicht nur für die europäische Öffentlichkeit. Schließlich wäre es auch bezogen auf einzelne Nationen möglich, dass die Öffentlichkeit ihren Teilnehmern nicht ausreichend Informationen über alle Ebenen des (nationalen) politischen Systems zur Verfügung stellt. In einem föderal organisierten Staat wie der Bundesrepublik Deutschland (aber selbst in zentralistischer organisierten Nationen) ist der einzelne Bürger an politischen Entscheidungen beteiligt, die auf verschiedenen politischen Ebenen angesiedelt sind: Er muss Repräsentanten nicht nur für die nationale Ebene (den Bundestag), sondern auch für die Länderebene (den Landtag) bzw. die kommunale oder lokale Ebene (z.B. den Stadtrat) wählen. Eine seinen Interessen angemessene Entscheidung kann er nur treffen, wenn er ausreichend Informationen über das politische System und die gesellschaftlichen Probleme erhält, die alle diese Ebenen betreffen.
modell ausweicht – nur dass in diesem Fall eine bestimmte Gruppe, nämlich die Zivilgesellschaft, überrepräsentiert sein soll. 22 Einige Autoren der EPS-Forschung gehen an zweiter Stelle auch darauf ein, inwieweit sich mit der Europäisierung der Öffentlichkeit das Sprecher-Ensemble verändert, sie stellen durchgehend eine schwächere Beteiligung der Zivilgesellschaft oder Peripherie auf europäischer Ebene fest (Koopmans 2007; Wessler 2007).
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2.3.1.2 Indikatoren und Bewertungskriterien für die Beobachtung des Regierens Die Repräsentanz der verschiedenen politischen Ebenen in der öffentlichen Debatte wird in der Forschung zur europäischen Öffentlichkeit auf verschiedenen Wegen erfasst. Am häufigsten werden die Themen der Berichterstattung oder Diskussion als Indikator eingesetzt (z.B. Innen-, Europa- und sonstige Außenpolitik). Manche Studien verwenden zusätzlich die Verweise auf politische Institutionen und Akteure der verschiedenen Ebenen, andere erfassen die Sprecher verschiedener Politik-Ebenen. Ein interessanter Ansatz wurde im EUROPUBProjekt verfolgt, das die Sprecher und Adressaten öffentlicher Forderungen erhoben hat, und dadurch nicht nur die politischen Akteure der verschiedenen Ebene abbilden kann, sondern auch die Beziehungen zwischen diesen und deren Position im politischen Prozess (Koopmans 2002). Auch wenn sich alle diese Indikatoren auf die Beobachtung des Regierens beziehen, spiegeln sie eine unterschiedliche Beobachtungsintensität wider. Verweise auf politische Institutionen und Akteure markieren lediglich die allgemeine Sichtbarkeit verschiedener Politikebenen in der Berichterstattung, während der Auftritt politischer Akteure als Sprecher, ebenso wie ihre politische Arbeit als Thema der Berichterstattung eine intensivere Form der Beobachtung darstellen. Manche Abweichungen in den Ergebnissen der EPS-Forschung zur Beobachtung des Regierens lassen sich über solche Unterschiede in den verwendeten Indikatoren erklären (vgl. Neidhardt 2006). Aber auch die Bewertung der Ergebnisse weicht voneinander ab, weil sich die Bewertungskriterien für eine ‚angemessene’ Repräsentanz der politischen Ebenen stark unterscheiden, bzw. oft nicht ausreichend reflektiert werden. Wie viel Raum müssen die verschiedenen Ebenen in der Berichterstattung der Foren-Arenen einnehmen, damit die Gesamtöffentlichkeit ihre Transparenzfunktion erfüllt, also arenen-integriert ist? Grundsätzlich gibt es vier mögliche Vorgehensweisen für die Festlegung eines Bewertungsmaßstabs: als Null-Hypothese, als Vergleich über Zeit oder als Vergleich mit anderen (Arenen-)internen oder externen Indikatoren. 1.
Null-Hypothese: Die Forschung zur europäischen Öffentlichkeit ging am Anfang von der Prämisse aus, dass ihr Untersuchungsobjekt (noch) nicht existiert, oder aber nicht existieren kann (Grimm 1995; Kielmansegg 1996). Insofern würde bereits ein Mindestmaß an Berichterstattung/Diskussion über Europapolitik oder an Sprechern der EU-Ebene als Beleg für die Arenen-Integration in der Dimension Beobachtung des Regierens ausreichen. In Bezug auf die europäische Öffentlichkeit ist die Null-Hypothese für diese Dimension bereits von Jürgen Gerhards widerlegt worden, der Anteil von
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3.
4.
Das Modell der Arenen-Integration nationaler Öffentlichkeiten Beiträgen zu ‚europäischen Beziehungen’ in deutschen Qualitätszeitungen liegt schon seit den 50er Jahren bei um die 6,9 Prozent (2000: 296). Seither werden in der EPS-Forschung in dieser Dimension andere Bewertungskriterien verwendet. Vergleich über Zeit: Hier wird argumentiert, dass die Bedeutung der europäischen Politik-Ebene im Zuge der europäischen Integration in den letzten Jahrzehnten zugenommen hat, und entsprechend der Grad der europäischen Arenen-Integration – z.B. der Anteil europapolitischer Themen an der Berichterstattung – gewachsen sein sollte. Eine solche Argumentation findet sich beispielsweise bei Christane Eilders und Katrin Voltmer (2003). Zu diskutieren bleibt dabei, ob der Umfang der EU-Themen innerhalb der Gesamtberichterstattung zugenommen haben sollte, oder vor allem der Anteil im Vergleich zur nationalen Politik. Allerdings ist zu bedenken, dass sich die politische Integration eventuell gerade in einer ‚Domestizierung’ des Themas niederschlägt, d.h. darin dass Entscheidungen auf europäischer Ebene als Teil der Innenpolitik behandelt werden. Um ein solches Phänomen zu erfassen, müssten sehr genaue Indikatoren zum Einsatz kommen. Arenen-interner Vergleich: Beim Vergleich mit anderen Arenen-internen Indikatoren werden die erhobenen Indikatoren in Beziehung gesetzt zu anderen Elementen der Berichterstattung und Diskussion in der jeweiligen Arena. Als Bewertungsmaßstab könnte beispielsweise gefordert werden, dass der Anteil europapolitischer Themen über dem Anteil eines anderen Themas liegen sollte, wie z.B. dem der sonstigen außenpolitischen Themen. Derartige Setzungen erfordern allerdings recht komplexe Begründungsstrategien, warum das andere Thema einen angemessenen Vergleichsmaßstab darstellt. Externer Vergleich: Einige Studien setzen daher externe Indikatoren als Bewertungsmaßstab ein. So stellt Jürgen Gerhards in seiner sekundäranalytischen Langzeitstudie die Entwicklung der Berichterstattung zu ‚europäischen Beziehungen’ verschiedenen externen Indikatoren aus Ökonomie (Anteil ausländischer Arbeitnehmer aus anderen europäischen Ländern, Anteil der Importe (aus EU-Ländern) am Brutto-Sozialprodukt) und Politik (Zahl der Rechtsakte in der EG im Verhältnis zur Zahl der Gesetz in der BRD, Zahl der EU-Beamten) gegenüber. Er kommt zu dem Schluss, dass die Entwicklung der politischen Öffentlichkeit bis Mitte der 1990er nicht mit der wirtschaftlichen und politischen Integration der EU schritt gehalten hat (Gerhards 2000). Stefanie Sifft et al. (2007) kombinieren einen Themenvergleich mit externen Indikatoren und vergleichen die Zahl der Rechtsakte auf EU- und nationaler Ebene mit den Anteilen der EU- und nationalpolitischer Themen an der öffentlichen Debatte. Allerdings können
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solche Indikatoren immer nur sehr grobe Anhaltspunkte liefern, insbesondere im Fall der Rechtsakte ist z.B. zu problematisieren, dass deren Bedeutung im alltäglichen Leben der Bürger sehr unterschiedlich ausfallen kann und dass sich diese Tragweite im Falle der EU systematisch über die Zeit verändert hat. Wie kann man nun die Indikatoren und Bewertungskriterien der Forschung zur europäischen Öffentlichkeit auf die Frage einer in der Dimension Beobachtung des Regierens arenen-integrierten nationalen Öffentlichkeit übertragen? In Bezug auf die Indikatoren spielen für die nationale Öffentlichkeit in dieser Dimension dieselben Phänomene eine Rolle wie auf europäischer Ebene. Auch innerhalb der nationalen Öffentlichkeit lässt sich die Beobachtung des Regierens über die auftretenden politischen Akteure, Institutionen und Sprecher, sowie die diskutierten Themen erfassen. Allerdings lenkt die Analyse einer nationalen Öffentlichkeit den Blick darauf, dass neben der EU- und der nationalen Ebene, auch die Ebene der regionalen Politik von Interesse ist. Von den vier diskutierten Bewertungskriterien für die europäische Öffentlichkeit kommt das zweite Kriterium, der Vergleich über Zeit, nur in Ausnahmenfällen für die Analyse nationaler Öffentlichkeiten in Frage. Für eine sinnvolle Anwendung müsste sich die Bedeutung der regionalen oder nationalen Ebene des politischen Systems im untersuchten Zeithorizont grundlegend verändert haben. Nur in diesem Fall könnte im Zeitvergleich überprüft werden, inwieweit sich die Veränderungen im politischen System in den Öffentlichkeits-Arenen niedergeschlagen haben. Selbst im Fall der wiedervereinten Bundesrepublik erscheint der Zeitvergleich aus zwei Gründen nicht angemessen. Zum einen hat sich an der Bedeutung der verschiedenen Politikebenen seit der Wiedervereinigung wenig verändert, im Osten des Landes wurde ein neues System eingeführt, aber dessen Rolle hat sich seitdem nicht weiter gewandelt. Zum anderen sind die Öffentlichkeitsforen mit der Wiedervereinigung vollständig ausgetauscht worden, von den massenmedialen Foren der Vorwendezeit sind letztlich nur noch manche Namen und das technische Personal erhalten geblieben.23 Insofern fehlt die Basis für einen Vergleich der Politikberichterstattung vor und nach der Wiedervereinigung.24 Die Null-Hypothese kann hingegen auch bei nationalen Öffentlichkeiten als Basis-Kriterium zur Anwendung kommen. Bezogen auf die Arenen-Integration 23 24
Eine Polemik dazu findet sich bei Wuschig (2005). Öffentlichkeitstheoretische Puristen würden zudem darauf bestehen, dass es vor der Wiedervereinigung im Osten Deutschlands überhaupt keine Öffentlichkeit gab, da das Konzept Öffentlichkeit auf normativen Demokratietheorien beruht und nur in demokratischen Systemen vorkommen kann (Wimmer 2007: 23).
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nationaler Öffentlichkeiten in der Dimension Beobachten des Regierens würde dies bedeuten, dass die Bürger in dem Öffentlichkeitsforum, an dem sie partizipieren, über Themen und Ereignisse sowohl auf Bundes- als auch auf Landesund Regionalebene informiert werden müssten, ebenso wie über die EU-Politik. Sie sollten die Gelegenheit haben, Sprecher und Meinungen von allen Ebenen des politischen Systems zu hören, um sich ein vollständiges Bild der für sie relevanten Probleme machen zu können. Zwar sind die Voraussetzungen dafür, dass die einzelnen Arenen dieses Kriterium erfüllen, bei Öffentlichkeiten nationaler Ausdehnung besser als für die europäische Öffentlichkeit (durch eingespielte Berichterstattungsmuster, den hohen Nachrichtenwert Nähe etc.). Inwieweit sie das tatsächlich tun, bleibt aber eine empirische Frage, insbesondere im Falle von Nationalstaaten, die entweder ihre Struktur grundlegend verändert haben (wie die Bundesrepublik Deutschland durch die Wiedervereinigung) oder die durch eine starke, historisch verwurzelte Eigenständigkeit ihrer Regionen geprägt sind (wie beispielsweise Spanien mit Katalonien). Neben diesem recht groben Maß für die Arenen-Integration nationaler Öffentlichkeiten soll zusätzlich eine Kombination aus Arenen-internem und externem Vergleich als Bewertungsmaßstab verwendet werden. Arenen-intern wird der Anteil der verschiedenen Politikebenen miteinander verglichen und an einem externen Maßstab gemessen, und zwar an der relativen Bedeutung der unterschiedlichen Politikebenen für den einzelnen Bürger. Eine genaue Berechnung der relativen Bedeutung auf Basis der Zahl, Art und Reichweite der auf jeder Ebene verabschiedeten Gesetze oder Richtlinien wäre äußerst komplex und in hohem Maße angreifbar: Misst sich die Reichweite eines Gesetzes nun besser in der Zahl der betroffenen Bürger oder über die dadurch umgeschichteten materiellen Werte? Stattdessen soll die subjektiv durch die Bürger wahrgenommene Bedeutung der Politikebenen als Maßstab dienen. Auch die wahrgenommene Bedeutung ist zwar so bisher nicht erhoben worden, aber die durchschnittliche Wahlbeteiligung kann hier als grober Indikator dienen, um zumindest eine Rangfolge der Wichtigkeit der Politikebenen in der Bürgerwahr-nehmung festzulegen. Im Falle der Bundesrepublik Deutschland wäre die Bundesebene mit einer Wahlbeteiligung von 78 Prozent in 2005 die wichtigste Ebene, dementsprechend sollte sie am meisten Raum in den einzelnen Arenen einnehmen. An zweiter Stelle stünde die regionale Ebene mit einer Wahlbeteiligung bei Landestagswahlen von mehr als 65 Prozent und mehr als 55 Prozent bei den Kommunalwahlen. Die EU-Ebene nähme mit einer Wahlbeteiligung von 43 Prozent in 2004 den letzten Rang ein (Statistisches Bundesamt 2008).
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Daraus ergeben sich folgende Bedingungen dafür an eine in der Dimension Beobachtung des Regierens arenen-integrierte nationale Öffentlichkeit: 1.
2.
In den einzelnen Öffentlichkeitsarenen (Medien) werden Institutionen, Hauptakteure, Sprecher und Themen aller drei Ebenen des politischen Systems berücksichtigt. Die Bedeutung der drei Ebenen in den einzelnen Öffentlichkeitsarenen spiegelt deren Rangfolge in der Wahrnehmung der Bürger wider: An erster Stelle steht die nationale Ebene, gefolgt von der regionalen und der europäischen Ebene.
2.3.2 Ähnlichkeit der Diskurse Die zweite Dimension der Arenen-Integration nationaler Öffentlichkeiten ist die Ähnlichkeit der Diskurse. Wie bereits erläutert im Kapitel zur Beobachtung des Regierens, ist die Basisfunktion von Öffentlichkeit die Herstellung von Transparenz. Die zweite Dimension beinhaltet nun eine weitere Anforderung an die Art der Informationen, die den Bürgern in den Arenen der einzelnen Teilöffentlichkeiten zur Verfügung gestellt werden. Es soll eine bestimmte Art von Transparenz erzeugt werden, indem die einzelnen Teilöffentlichkeiten jeweils Bilder der politischen Gemeinschaft vermitteln, die sich untereinander ähneln.
2.3.2.1 Die Bedeutung der Ähnlichkeit der Diskurse für die politische Gemeinschaft Die Ähnlichkeit der Diskurse ist aus einer Reihe von Gründen für die politische Gemeinschaft relevant. Zunächst sei hier der pragmatische Grund genannt: Es ist von Bedeutung für die Legimitation und Akzeptanz politischer Entscheidungen, dass die Bürger und Politiker in allen Teilen der Gemeinschaft diejenigen Entscheidungen, die die Gesamtgemeinschaft betreffen, auf Basis ähnlicher Informationen treffen. Demnach ergibt sich die Forderung nach der Ähnlichkeit der Diskurse wie auch die nach der Beobachtung des Regierens aus der Transparenzfunktion von Öffentlichkeit. In der Tat werden Öffentlichkeit aber in der Regel mehr Funktionen zugeschrieben als allein die der Herstellung von Transparenz oder der Informationsvermittlung. Für Jürgen Habermas ist es ebenfalls Aufgabe politischer Öffentlichkeit, einen Solidarzusammenhang zwischen den Bürgern einer politischen Gemeinschaft herzustellen, „die als Fremde gleichwohl füreinander einstehen
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sollen“. Öffentlichkeit hat demnach auch eine Integrationsfunktion. Und dieser Solidarzusammenhang kann entstehen, wenn die Bürger an einer politischen Öffentlichkeit teilnehmen, in der sie „zur gleichen Zeit zu gleichen Themen von gleicher Relevanz Stellung […] nehmen“ können (Habermas 1996: 190). Eine Voraussetzung für die Entstehung einer Solidargemeinschaft ist demnach die Ähnlichkeit der Diskurse in den diversen Öffentlichkeitsarenen. Auch außerhalb der klassischen Öffentlichkeitstheorien wird den Massenmedien – den Hauptträgern moderner Öffentlichkeiten – eine Integrationsfunktion zugeschrieben, sie findet sich sogar in der Medien-Rechtsprechung (z.B. im zweiten Rundfunkurteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 31, 314 Umsatzsteuer (1971)), vgl. auch Schatz (1988), Saxer (1990), Scharf (1990)). Mitunter werden die Medien als ‚Wunderwaffe’ gegen die gesellschaftliche Desintegration gehandelt – insbesondere auch im nicht-wissenschaftlichen Diskurs – der empirische Nachweis ihrer Wirkungskraft bleibt aber problematisch.25 Aus systemtheoretischer Perspektive geht Niklas Luhmann (1971) davon aus, dass sich moderne Gesellschaften durch Aufmerksamkeitsregeln strukturieren. Die Integrationsleistung der Medien bestehe dementsprechend in der Selektion kontingenter Probleme zu einer öffentlichen Agenda. Diese Fokussierung der Aufmerksamkeit reduziere die Komplexität der Umwelt für das politische System, das nun ein Problem nach dem anderen bearbeiten könne. Otfried Jarren baut diesen Gedanken weiter aus: Für alle Teilsysteme der Gesellschaft ermöglichen die Medien Anschlusskommunikation, „weil sie aus einer Vielzahl diversifizierter und auch dissoziierter Kommunikationsbeziehungen relevante Themen auswählen, durch ihre Auswahl und Deutung Kommunikationsbeziehungen erhalten oder neue knüpfen“ (Jarren 2000: 30). Medien machten soziale Beziehung sichtbar und überhaupt erst möglich, indem sie „gemeinsam geteiltes (Hintergrund-)Wissen bereitstellen, an den gemeinsam geteilten Wertekanon anschließen, Themen Relevanz verleihen“ (Jarren 2000: 31). Damit die durch die Medien vermittelten Themen und Wissensbestände aber tatsächlich ‚gemeinsam’ sein können, muss eine gewisse Ähnlichkeit zwischen den Inhalten der verschiedenen Öffentlichkeitsarenen bestehen, insbesondere für den Fall, dass es nur wenig Austausch auf Ebene der Publika gibt. Bei bestehenden Ähnlichkeiten können die gemeinsamen Themen und das gemeinsame Hintergrundwissen wiederum als Anknüpfungspunkte für Kommunikation dienen. Das Wissen darum, dass alle anderen Mitglieder der Gesellschaft ähnliche Informationen wahrgenommen und einen ähnlichen Wissensstand haben, erleichtert gleichzeitig die Initiierung von Kommunikation. 25
Zu Integration und Medien als empirischem Forschungsproblem siehe insbesondere Jarren (2000) und Vlašic (2004).
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Die Ähnlichkeit der Diskurse in den einzelnen Teilöffentlichkeiten vereinfacht somit die Vernetzung der Gesamtöffentlichkeit sowohl innerhalb als außerhalb der massenmedialen Öffentlichkeitsforen. Je ähnlicher sich die einzelnen öffentlichen Diskurse sind, desto leichter kann es den Teilnehmern verschiedener Teilöffentlichkeiten fallen, sich bei Bedarf über Öffentlichkeitsgrenzen hinweg miteinander auszutauschen. Eine gemeinsame Meinungsbildung zu einem bestimmten Thema fällt leichter, wenn die Bürger aller Teilöffentlichkeiten nicht nur bereits von dem Thema gehört haben, sondern auch ähnliches darüber wissen, es für ähnlich relevant halten, und zwar möglichst zum selben Zeitpunkt. Ähnlichkeit kann also den Austausch zwischen verschiedenen Foren erleichtern, inwieweit sie dies aber tatsächlich tut, bleibt eine empirische Frage. Eine starke Ähnlichkeit der Diskurse in mehreren Teilöffentlichkeiten kann insofern auch als Indikator dafür gesehen werden, dass die Gesamtöffentlichkeit integriert ist, dass es zum Austausch zwischen den einzelnen Arenen gekommen ist, bzw. dass überhaupt eine Gesamtöffentlichkeit besteht. Klaus Eder und Cathleen Kantner gehen sogar soweit, die Ähnlichkeit bzw. in ihren Worten die „thematische Verschränkung“ als den besten Indikator für das Vorhandensein einer europäischen Öffentlichkeit anzusehen (Eder/Kantner 2002: 80).26
2.3.2.2 Indikatoren und Bewertungskriterien für die Ähnlichkeit der Diskurse Für die Operationalisierung der Ähnlichkeit der Diskurse im Rahmen einer empirischen Untersuchung sind zwei Fragen zu klären: Auf welche Aspekte öffentlicher Debatten soll sich die Ähnlichkeit beziehen? Und wie viel Ähnlichkeit wird für die Arenen-Integration nationaler Öffentlichkeiten benötigt? Folgende Aspekte öffentlicher Debatten erscheinen für die Messung der Ähnlichkeit von Bedeutung: 1. Themen, 2. Zeitpunkte (also Synchronität), 3. Intensität, 4. Frames und 5. Diskurskonstellationen. Das Thema ist neben den auftretenden Sprechern das zentrale Merkmal öffentlicher Debatten. Eine dementsprechend wichtige Rolle spielt es bei der Bestimmung von deren Ähnlichkeit: Letztlich heben alle theoretischen Diskussionen und empirischen Analysen zu dieser Frage auf die Ähnlichkeit von Themen ab. Erst über das Thema lässt sich erkennen, inwieweit die öffentlich getätigte Kommunikation nicht nur persönliche, sondern für die Allgemeinheit relevante Fragen beinhaltet, also überhaupt zur Herstellung von Öffentlichkeit beiträgt. 26
Allerdings ist ihre Begriffswahl ausgesprochen unglücklich, der Begriff ‚Verschränkung’ scheint einen Austausch oder eine Vernetzung zwischen den verschiedenen Arenen zu implizieren, Eder und Kantner meinen aber nur die Ähnlichkeit der Arenen, also das mögliche Resultat einer Verschränkung, nicht die Verschränkung selbst.
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Zusätzlich zur Themenähnlichkeit wird meist gefordert, dass die Themen zu ähnlichen Zeitpunkten diskutiert werden. Ein transnationaler Diskurs könne nur bei „synchrone[r] Kommunikation“ (Tobler 2006: 114, Hervorhebung im Original) entstehen: Wenn die Themen in den Teilöffentlichkeiten zur gleichen Zeit diskutiert werden, erleichtere dies die Diskussion über Öffentlichkeitsgrenzen hinweg, da den Bürgern die Informationen unmittelbar zur Verfügung stehen und ihnen das Thema aktuell und relevant erschiene. Ein weiterer Aspekt der Ähnlichkeit von öffentlichen Debatten wäre die relative Bedeutung der Themen, nach Ansicht von Jürgen Habermas sollten sie „ähnlich gewichtet“ sein (Habermas 2001: 120), die Bürger sollen „zur gleichen Zeit zu gleichen Themen von gleicher Relevanz Stellung […] nehmen“ können (Habermas 1996: 190, Hervorhebung KKvK). Neben Themenähnlichkeit und Synchronität hält auch Stefan Tobler die Ähnlichkeit (bzw. Konvergenz) der Berichterstattungsintensität für die „conditio sine qua non eines als politische Öffentlichkeit integrierten Kommunikationsraums“ (Tobler 2006: 115). Allerdings bedeutet das nicht, dass alle Themen in identischer Intensität behandelt werden müssen, zentral erscheint ihm lediglich, dass dieselben „Kommunikationsereignisse […] ein Mindestmaß an Resonanz erzeugen [müssen], um vom Publikum überhaupt wahrgenommen zu werden“ (Tobler 2006: 114). Klaus Eder und Cathleen Kantner leiten daraus ab, dass eine grenzüberschreitende Diskussion nur möglich sei, wenn in verschiedenen nationalen Öffentlichkeiten „zur gleichen Zeit die gleichen Themen unter gleichen Relevanzgesichtspunkten“ diskutiert würden (Eder/Kantner 2000: 315). Mit den gleichen Relevanzgesichtspunkten gehen sie einen entscheidenden Schritt über Jürgen Habermas hinaus (der lediglich für ein vergleichbares Relevanzniveau eintritt, vgl. Wessler et al. 2008), nicht nur die Themen sollen sich ähneln, sondern die in der Diskussion der Themen verwendeten Interpretationsrahmen und Deutungsmuster, die sogenannten ‚Frames’.27 Unter gleichen Relevanzgesichts-punkten versteht Cathleen Kantner dabei „übereinstimmende Problemdeutungen zu einem Thema bei durchaus kontroversen Meinungen“ (Kantner 2004: 58). Stefan Tobler geht ebenfalls davon aus, dass „solange Probleme nur im Horizont völlig unterschiedlicher Deutungskategorien wahrgenommen und diskutiert werden, [...] sich keine anschlussfähige Kommunikation über das strittige Issue realisieren [lässt]“ (Tobler 2006: 115). Auch Thomas Risse fordert ähnliche „Referenzund Interpretationsgesichtspunkte – das framing der Themen“. Eine diskursive Verständigung in der Öffentlichkeit sei nur möglich, „wenn wir uns über die 27
Die Verwendung des ‚Frame’-Begriffs auf die Medienberichterstattung wurde ursprünglich von Todd Gitlin (1980) geprägt. Für eine ausführliche Diskussion des Begriffs siehe Scheufele (2003a,b), für einen interessanten Überblick über die verschiedenen Methoden der FrameErhebung siehe Matthes/Kohring (2004, 2008).
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Relevanzkriterien und die übergeordneten Werte und Sinngehalte einig sind, worüber wir diskutieren“ (Risse 2002: 16f, Hervorhebung im Original). Schließlich lässt sich Ähnlichkeit in Bezug auf die in öffentlichen Debatten auftretenden Sprecher bzw. die Diskurskonstellationen erfassen. Für gewöhnlich finden öffentliche Debatten zwischen sich gegenüberstehenden Lagern statt, wobei sich jedes dieser Lager, bzw. die Diskurskoalition (vgl. Kriesi (2001), bzw. Hajer (1995) und Wessler (1999)), über die zu ihm gehörenden Sprecher und die von ihnen verwendeten zentralen Argumentationslinien charakterisieren lässt. Je ähnlicher sich die Diskurskonstellationen, d.h. die in einer Debatte auftretenden Diskurskoalitionen und ihr Verhältnis zueinander, in den unterschiedlichen Öffentlichkeitsarenen sind, desto leichter fällt die Diskussion über Öffentlichkeitsgrenzen hinweg (Wessler et al. 2008). Aber wie stark müssen sich die Teilöffentlichkeiten in den eben diskutierten Aspekten ähneln, damit man von einer integrierten Öffentlichkeit ausgehen kann? Zwei Probleme sind hier zu nennen: Erstens ist das Maß der benötigten Ähnlichkeit sehr eng an die Definition der zu vergleichenden Aspekte geknüpft (vgl. Rössler 2000). Je präziser und enger die Themen erhoben werden, desto unwahrscheinlicher wird die Ähnlichkeit mehrerer Öffentlichkeiten. Dies gilt ebenso für die Zeitintervalle, die Intensität, die Frames und die Diskurskonstellationen: Je weiter die Definitionen, desto wahrscheinlicher ist es, Ähnlichkeit zu finden. Veranschlagt man beispielsweise, dass recht grob kategorisierte Themen (z.B. ‚Sozialpolitik’) in allen Teilöffentlichkeiten innerhalb desselben Monats diskutiert werden sollen, fällt das Ergebnis trivial aus, da alle Öffentlichkeiten innerhalb dieses Zeitraums das Thema behandelt haben werden. Dieses Problem lässt sich in der empirischen Umsetzung nicht vermeiden, sollte aber bei der Ergebnisinterpretation immer reflektiert werden. Zweitens ist zu bedenken, dass eine zu große Ähnlichkeit der Öffentlichkeiten normativ ebenso bedenklich wäre. Je größer die Überschneidungen, desto geringer wäre die von diesen Öffentlichkeiten angebotene Vielfalt an Themen, Interpretationsrahmen und Sprechern.28 Damit steigt die Gefahr dysfunktionaler Nebeneffekte, z.B. einer „Monopolisierung des Themenspektrums durch erfolgreiche Agenda-Setter“ (Rössler 2002: 150) oder ein „übermäßiges Vereinheitlichen, Verwischen aller Verschiedenheiten, Verlust an Pluralität“ (Maletzke 1980: 204). Vielfalt ist schließlich ebenfalls ein zentrales Kriterium dafür, ob die Öffentlichkeit ihre Transparenzfunktion erfüllt (Voltmer 1998; McQuail 1992). Auch für die Ähnlichkeit der Diskurskonstellationen geben Wessler et al. zu recht zu Bedenken, dass eine Überdosis Homogenität die benötigte Bandbreite an Argumenten zu sehr reduzieren kann (2008: 15). Es erscheint ihnen normativ 28
Es sei denn, alle Öffentlichkeiten wären maximal vielfältig.
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wünschenswerter, dass die Mitglieder einer Diskurskoalition neue und zusätzliche Argumente aus den Diskussionen ihrer Kollegen in den Nachbarländern übernehmen können. Es genügt daher nicht, die maximale Ähnlichkeit der Öffentlichkeiten in den diskutierten Aspekten zu fordern. Die Messlatte für Ähnlichkeit muss immer Ergebnis eines Abwägungsprozesses zwischen verschiedenen normativen Gütern sein (für das Spannungsverhältnis zwischen Vielfalt und Integration (bzw. Fokussierung) vgl. Rössler 2002; Eilders 2004). Bei der Wahl des Bewertungsmaßstabes kommen dieselben Optionen zum Tragen wie bei der ersten Dimension: Die Null-Hypothese, der Vergleich über Zeit, sowie der Vergleich mit Arenen-internen oder -externen Indikatoren. 1.
2.
3.
29
Nullhypothese: In dieser Dimension ist die Null-Hypothese öfters als Kriterium für das Bestehen einer europäischen Öffentlichkeit angewendet worden. Ein Auftreten von Themen, die zur selben Zeit mit denselben Relevanzgesichtspunkten in den Öffentlichkeiten verschiedener Länder diskutiert worden sind, wurde als Nachweis der Existenz einer zusammenhängenden Öffentlichkeit betrachtet (beispielsweise bei Eder/Kantner 2002; van de Steeg 2002a). Ein solcher Bewertungsmaßstab macht allerdings nur im Rahmen eines situativen Öffentlichkeitsverständnisses Sinn. Als Hinweis auf eine dauerhafte Öffentlichkeitsstruktur kann die gleichzeitige Diskussion einzelner Themen in verschiedenen Arenen nicht ausreichen. Vergleich über Zeit: Eine andere Möglichkeit, den Bewertungsmaßstab festzulegen, ist es, nicht Ähnlichkeit, sondern Konvergenz der öffentlichen Debatten zu erwarten. Im Zuge der europäischen Integration sollte die Ähnlichkeit zwischen den Teilöffentlichkeiten größer werden: Je enger die europäischen Länder politisch verknüpft sind, desto ähnlicher sollten sich die Arenen und desto integrierter damit die europäische Gesamtöffentlichkeit werden. Dieser Vorgehensweise folgen z.B. Hartmut Wessler et al. (2008), Juan Díez Medrano (2003) oder Stefan Tobler (2006).29 Arenen-interner Vergleich: Ein möglicher Vergleichspunkt für die Bewertung der Ähnlichkeit zwischen verschiedenen Öffentlichkeitsarenen könnte die Ähnlichkeit der Arenen für einen anderen Themenbereich sein. So ließe sich argumentieren, dass die Ähnlichkeit für den Themenbereich ‚EUPolitik’ größer sein sollte, als z.B. für den Themenbereich ‚Unterhaltung’. Schließlich handelt es sich bei der EU-Politik um genau die Themen, für die das Bestehen einer gemeinsamen Öffentlichkeit wichtig ist, damit sich alle Bürger Europas eine Meinung über die sie betreffende Politik bilden kön-
Auch wenn letzterer bedauerlicherweise nicht immer klar zwischen den Begriffen Ähnlichkeit und Konvergenz trennt: So erklärt er seine Indikatoren für die Konvergenzdimension größtenteils über Ähnlichkeit, nicht über die Zunahme von Ähnlichkeit (Tobler 2006:114f).
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nen. Hartmut Wessler et al. (2008) können beispielsweise feststellen, dass den Bürgern verschiedener europäischer Länder in der Diskussion eines Themenfelds, in dem die EU große politische Entscheidungsgewalt hat (gentechnisch veränderte Lebensmittel) tatsächlich ähnlichere Informationen zur Verfügung stehen als bei der Diskussion militärischer Intervention, die (bisher) überwiegend in den nationalen Arenen entschieden werden. Externer Vergleich: Als externer Bewertungsmaßstab für die Ähnlichkeit mehrerer Öffentlichkeitsarenen bietet sich der Vergleich mit anderen Öffentlichkeitsarenen an. So stellt Marianne van de Steeg die öffentlichen Debatten in verschiedenen EU-Ländern den Debatten in nicht EU-Ländern (USA, Schweiz) zu denselben Themen gegenüber. Sie argumentiert, dass eine europäische Öffentlichkeit dann vorläge, wenn sich die Frames in den europäischen Ländern stärker ähneln als im Vergleich mit den USA, und zudem in der Gruppe der europäischen Länder die Nationalität der Zeitung kein Erklärungsfaktor für Unterschiede in der Debatte sind (sondern stattdessen z.B. die politische Ausrichtung der Zeitung) (van de Steeg 2004: 3).
Für manche Aspekte von Ähnlichkeit lässt sich das Problem des Bewertungsmaßstabs dadurch lösen, dass ein weniger anspruchsvoller Standard gewählt wird. So schlagen Bernhard Peters und Hartmut Wessler (2006) vor, statt möglichst großer Ähnlichkeit in der Verteilung der verwendeten Frames Vollständigkeit zu erwarten: Alle in einer Öffentlichkeitsarena vorkommenden Frames sollten in den anderen Öffentlichkeitsarenen ebenfalls auftauchen: „Frames may enjoy different prominence in different national contexts, but national media should take note of frames used in other countries” (Wessler et al. 2008: 16).
Dies sollte ausreichen, um die Anschlussfähigkeit verschiedener öffentliche Debatten aufrechtzuerhalten. Damit hätten die Teilnehmer eines jeden Öffentlichkeitsforums zumindest bereits von den in anderen Foren dominierenden Argumenten und Blickwinkeln gehört. Bei der Untersuchung der nationalen Öffentlichkeit wird deren Integration im Allgemeinen vorausgesetzt, demnach sollten bei den bisher genannten Aspekten öffentlicher Debatten „die Schnittmenge […] im nationalen Kontext um ein Vielfaches größer als im transnationalen [sein]“ (Tobler 2006: 115). Diverse strukturelle Faktoren (z.B. Nutzung derselben Nachrichtenagenturen, Nachrichtenredaktionen oder Korrespondenten, Eigentumsverhältnisse der Medienorgane) ebenso wie professionelle Normen (z.B. intermedia agenda-setting (Pfetsch 1986; Reese 1991)) und Aufmerksamkeitskriterien (z.B. Nachrichtenfaktoren (Schulz 1976; Staab 1990) oder Nachrichtenideologien (Westerstahl/Johansson 1986)) tragen zu einer hohen Ähnlichkeit der Öffentlichkeitsarenen im nationa-
56
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len Rahmen bei.30 Die Nullhypothese ist daher bei der Analyse nationaler Öffentlichkeit unbrauchbar, ein Mindestmaß an Ähnlichkeit wird sich mit großer Wahrscheinlichkeit zwischen allen Öffentlichkeitsarenen finden lassen. Konvergenz als Ähnlichkeitsmaß ergibt für nationale Öffentlichkeit nur dort Sinn, wo aufgrund äußerer Faktoren ein Zusammenwachsen der Teilöffentlichkeiten zu erwarten (z.B. durch Konzentrationsprozesse in der Medienlandschaft) oder normativ wünschenswert wäre. Die deutsche Wiedervereinigung wäre ein solcher Sonderfall, hier ist zu vermuten und für den Zusammenhalt der gesamtdeutschen politischen Gemeinschaft zu wünschen, dass es nach 1990 zu einer Annäherung und Angleichung regionaler Teilöffentlichkeiten gekommen ist. Da es im Rahmen dieser Untersuchung nicht möglich war, eine Medienstichprobe aus den frühen Neunzigern zu untersuchen, soll zumindest über den Vergleich zu früheren Studien (z.B. Scherer et al. 1997) auch wachsende Ähnlichkeit analysiert werden. Als Arenen-interner Vergleich bietet sich bei der Analyse nationaler Öffentlichkeiten die Unterscheidung zwischen der Diskussion nationaler Politik und der anderer Themen an. Nationale Politik ist der Bereich, in dem die Bürger Entscheidungen treffen müssen, die alle Mitbürger eines Landes betreffen, und darum sollten sie dies auf Basis ähnlicher Informationen tun. Zwar sind Ähnlichkeiten in den Informationen zu anderen Bereichen für die Integration der Gemeinschaft, für die Vernetzung der Arenen und das Erzeugen eines Gemeinschaftsgefühls ebenfalls relevant (für die Bedeutung von Alltagsthemen für die Herstellung von Öffentlichkeit siehe Dahlgren 2006). Im Rahmen dieser Arbeit liegt der Fokus aber auf politischen Öffentlichkeiten, und innerhalb des politischen Diskurs ist die Bedeutung der Übereinstimmung oder Ähnlichkeit bei der Diskussion nationaler Politik für die Funktionalität und damit Arenen-Integration der Gesamtöffentlichkeit sicherlich am höchsten anzusetzen. Für den externen Vergleich könnte die Ähnlichkeit der Teilöffentlichkeiten einer nationalen Gemeinschaft mit denen einer anderen Nation verglichen werden. Beim Vergleich der Ähnlichkeiten der Themenagenden der Öffentlichkeitsarenen einer nationalen Gemeinschaft mit der Themenagenda einer Öffentlichkeitsarena einer anderen nationalen Gemeinschaft wäre das Ergebnis aber recht trivial, die Wahrscheinlichkeit, dass innerhalb der Teilöffentlichkeiten einer Nation größere Ähnlichkeiten bestehen als nach außen, wäre sehr hoch. Man könnte auch die Ähnlichkeit der Teilöffentlichkeiten verschiedener nationaler politischer Gemeinschaften miteinander vergleichen, z.B. die Ähnlichkeit der deutschen Teilöffentlichkeiten mit der Ähnlichkeit der französischen, oder briti30
Auch auf europäischer Ebene ist davon auszugehen, dass international gültige bzw. universelle Nachrichtenfaktoren eine ähnliche Themenstruktur in den verschiedenen nationalen Öffentlichkeiten begünstigen. Jedoch ist zu erwarten, dass dieser Effekt innerhalb einer Nation noch größer ist.
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schen Teilöffentlichkeiten. Zwar ließen sich interessante Hypothesen formulieren, u.a. dass die französische Öffentlichkeit aufgrund der zentralistischeren Struktur des Landes in sich ähnlicher ist als die beiden anderen, aber der Untersuchungsaufwand wäre beträchtlich. Eine andere Möglichkeit besteht darin, die Teilöffentlichkeiten eines Landes in Gruppen einzuteilen, und jeweils die Ähnlichkeit der Öffentlichkeitsarenen einer Gruppe mit der einer anderen zu vergleichen. Im Falle der bundesdeutschen Öffentlichkeit bietet sich eine Unterscheidung in ostdeutsche und westdeutsche regionale Teilöffentlichkeiten sowie Teilöffentlichkeiten nationaler Verbreitung an. Damit man von einer arenen-integrierten Gesamtöffentlichkeit sprechen kann, sollte die Ähnlichkeit der Öffentlichkeitsarenen einer Gruppe nicht grundlegend größer sein als die zu den Medien einer anderen Gruppe. Beispielsweise sollte die Ähnlichkeit der westdeutschen regionalen Medien untereinander nicht deutlich größer sein als die Ähnlichkeit der west- zu ostdeutschen regionalen Medien, oder aber die Ähnlichkeit zu national verbreiteten Medien. In anderen Worten, das Verbreitungsgebiet des Mediums sollte keinen starken Einfluss auf die Ähnlichkeit zu anderen Medien haben, auch wenn aufgrund des Nachrichtenfaktors Nähe immer ein gewisser Einfluss bestehen wird. Daraus ergeben sich zwei Kriterien für die Arenen-Integration nationaler Öffentlichkeiten in der Dimension Ähnlichkeit der Diskurse: 1.
2.
Die Ähnlichkeit zwischen den regionalen Öffentlichkeitsarenen eines Landesteils (Ost- oder West-Deutschlands) entspricht ungefähr der Ähnlichkeit zu den Öffentlichkeitsarenen des anderen Landesteils. Als Formel formuliert: intraregionale Ähnlichkeit = interregionale Ähnlichkeit Die Ähnlichkeit zwischen den nationalen Öffentlichkeitsarenen und den Arenen eines Landesteils (Ost- oder Westdeutschlands) unterscheidet sich nicht deutlich von der Ähnlichkeit zwischen den nationalen Öffentlichkeitsarenen und den Arenen des anderen Landesteils, ebenso wie von der Ähnlichkeit der nationalen Arenen unter sich. Als Formel ausgedrückt: Ähnlichkeit national-Landesteil 1 = Ähnlichkeit national-Landesteil 2 = Ähnlichkeit national-national.
Beim Vergleich der in verschiedenen Öffentlichkeitsarenen verwendeten Frames soll der von Bernhard Peters und Hartmut Wessler (2006) vorgeschlagene schwächere Bewertungsmaßstab verwendet werden, d.h. die Ähnlichkeit der Arenen wird lediglich als Vollständigkeit erhoben: Für die Arenen-Integration der Öffentlichkeit ist demnach nicht zentral, dass die verschiedenen Frames in
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allen Teilöffentlichkeiten mit derselben Gewichtung verwendet werden, sondern lediglich, dass die einzelnen Öffentlichkeitsarenen alle in der Gesamtdebatte auftauchenden Frames in irgendeiner Form erwähnen. Daraus ergeben sich drei Bedingungen für die Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit: 1.
2.
3.
Alle Dimensionen der in den Öffentlichkeitsarenen eines Landesteils verwendeten Frame-Elemente werden in den Öffentlichkeitsarenen des anderen Landesteils angesprochen. Alle Dimensionen der in den Öffentlichkeitsarenen eines Landesteils verwendeten Frame-Elemente werden in den nationalen Öffentlichkeitsarenen angesprochen. Alle Dimensionen der in den nationalen Öffentlichkeitsarenen verwendeten Frame-Elemente finden sich in den Öffentlichkeitsarenen beider Landesteile wieder.
2.3.3 Vernetzung der Diskurse Die dritte Dimension der Arenen-Integration nationaler Öffentlichkeit ist die Vernetzung der Diskurse: Die Arenen der einzelnen Teilöffentlichkeiten sollen sich gegenseitig beobachten und Sprecher bzw. Sprecher-Aussagen miteinander austauschen, damit eine arenen-übergreifende Debatte entsteht.
2.3.3.1 Die Bedeutung der Vernetzung der Diskurse für die politische Gemeinschaft Die Vernetzung der Diskurse der Öffentlichkeitsarenen trägt auf zwei Wegen zur Arenen-Integration von Öffentlichkeiten bei. Erstens vervollständigt sie die Leistungen der Öffentlichkeit in Bezug auf die Transparenzfunktion, zweitens zahlt sie auf die Integrationsfunktion ein. Wie in Kapitel 2.3.1 diskutiert, wird die Transparenzfunktion in der Dimension Beobachtung des Regierens auf die Herstellung von Transparenz über das politische System reduziert, Fragen der Repräsentanz der Zivilgesellschaft werden hintenangestellt. Vorbild ist hier die Forschung zur europäischen Öffentlichkeit, die sich zunächst auf dieses Basiselement der Transparenzfunktion konzentriert hat. Gleichzeitig hat die EPS-Forschung aber den Blick für einen anderen Aspekt der Transparenzfunktion geöffnet, der bisher in der Forschung und Diskussion nationaler Öffentlichkeiten weniger berücksichtigt worden ist: die horizontale Vernetzung. Mit der politischen Integration der EU hat sich das politi-
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sche System der beteiligten Nationalstaaten nämlich in zwei Richtungen erweitert: vertikal und horizontal. Zum einen ist die zusätzliche politische Ebene der EU-Institutionen hinzugekommen. Zum anderen hat sich die politische Abhängigkeit der einzelnen Mitgliedsländer voneinander verstärkt, ein Mitglied der Europäischen Union kann seine Politik nicht mehr unabhängig von den anderen Mitgliedsstaaten gestalten: „In an intergovernmental polity, it may matter a great deal who wins the elections in another member state, or what kind of new policy another member state develops in a particular field” (Koopmans/Erbe 2003: 4).
Ihre Transparenzfunktion kann die Öffentlichkeit nur noch angemessen erfüllen, wenn sie sich an diese Veränderungen im politischen Raum anpasst, d.h. sich in vertikaler und horizontaler Richtung erweitert. Für eine europäische Öffentlichkeit kann es nicht genügen, wenn in jedem europäischen Staat eine nationale Diskursgemeinschaft existiert; diese Diskursgemeinschaften sollten Themen und Sprecher aus anderen europäischen Ländern integrieren. In der EPS-Forschung ist die geographische Herkunft der Sprecher damit eines der zentralen Kriterien für die Bewertung der Zusammensetzung des Sprecher-Ensembles, schließlich ließe sich erst von einer europäischen Öffentlichkeit sprechen, wenn diese auch den gesamten Kontinent oder zumindest größere Teile überspannt (siehe Wessler et al. (2008); Tobler (2006); Wimmel (2005)). Die Vernetzung der Diskurse trägt zusätzlich zur Integrationsfunktion von Öffentlichkeit bei. Während es in der Dimension Ähnlichkeit öffentlicher Diskurse die ähnlichen Themen und Frames sind, die das Entstehen eines arenenübergreifenden Gemeinschaftsgefühls erleichtern sollen, ist es bei der Vernetzung die Berichterstattung über andere Länder der europäischen Gemeinschaft und das Zitieren von Sprechern der Partnernationen. Nur wenn die Bürger in den von ihnen beobachteten Öffentlichkeitsarenen Informationen über andere Teile der Gesellschaft erhalten, zu denen sie im Alltag vielleicht keinen direkten Kontakt haben, kann auch ein Gemeinsamkeitsgefühl entstehen. Das Wissen um die Interessen der übrigen Mitglieder der Gesellschaft kann eine verbindende Wirkung ausüben (vgl. auch die „enlightened sympathy“ bei Dahl (1989)), die Wahrnehmung bestehender Interdependenzen kann zu einer Verringerung der sozialen Distanz führen (vgl. Reiter 1998) oder zumindest die Akzeptanz Anderer und ihrer Interessen erleichtern. „Je dichter das Netz der Interaktionen zwischen den Menschen und Gruppen von Menschen in diesem Raum gewebt ist, desto stärker wird auch das Interesse an der Regelung der auftauchenden Interessenkonflikte über die von einzelnen Gruppen erzeugten Folgen für andere Gruppen“ (Dewey 1996: 323).
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Das Modell der Arenen-Integration nationaler Öffentlichkeiten
Die Bedeutung der Vernetzung der Diskurse für die Transparenz- und die Integrationsfunktion von Öffentlichkeit besteht nicht nur für die europäische, sondern ebenso für nationale Öffentlichkeiten. Innerhalb der nationalen politischen Gemeinschaften hängen die einzelnen Regionen in vielerlei Hinsicht politisch noch enger zusammen als die Mitgliedsstaaten der EU miteinander. Dies gilt insbesondere für föderalistisch organisierte Nationen wie die Bundesrepublik Deutschland, in denen die Bundesländer im Bundesrat an der Gesetzgebung für die gesamte Nation mitwirken können. Die EU ist zwar ebenfalls ein politisches Mehrebenen-System, die Mitgliedsstaaten können momentan aber in vielen Politikbereichen weitgehend autonome Entscheidungen treffen (für einen Vergleich beider Systeme siehe Grande 2000; Kohler-Koch 1999). Dementsprechend ist es für föderale Nationalstaaten von zentraler Bedeutung, dass die Bürger einer bestimmten Region darüber informiert sind, was in den anderen Regionen passiert und diskutiert wird: Landtagswahlen können einerseits unmittelbar auf die nationale Ebene zurückwirken (auf Zusammensetzung und Mehrheiten im Bundesrat) und andererseits die Politik eines anderen Bundeslandes indirekt beeinflussen, das z. B. ebenfalls Studiengebühren einführen muss, um eine Überlastung der eigenen Hochschulen zu verhindern. Die arenen-integrierte Öffentlichkeit eines föderalen Staates sollte demnach in all ihren Öffentlichkeitsarenen über Themen aus allen Teilregionen informieren und Sprecher aus allen Teilöffentlichkeiten zitieren, damit die Publika der verschiedenen Foren Zugang zu allen für ihre politischen Entscheidungen relevanten Informationen haben und an einem Meinungsbildungsprozess teilhaben können, der alle Bürger ihrer politischen Gemeinschaft mit einschließt. In anderen Worten: Der in den Teilöffentlichkeiten durch die besprochenen Themen und zitierten Sprecher abgesteckte geographische und politische Rahmen sollte dem der gesamten Nation entsprechen. Allerdings muss dabei bedacht werden, dass eine Berücksichtigung wirklich aller Regionen mit allen in ihnen besprochenen Themen weder normativ wünschenswert noch empirisch realisierbar wäre: Keine einzelne Tageszeitung oder Nachrichtensendung könnte Informationen aus allen Regionen täglich aufbereiten, noch wären ihre Nutzer in der Lage, diese Informationen wahrzunehmen und für sich zu verarbeiten. Wenn eine Berücksichtigung aller Regionen nicht möglich ist, dann wäre es zumindest wichtig für die Arenen-Integration der Öffentlichkeit, dass die wichtigsten Spaltungslinien einer Gesellschaft überbrückt werden. Keine Gesellschaft ist in sich homogen, es lassen sich meist jedoch bestimmte – oft historisch gewachsene – Gruppen festmachen, zwischen denen gehäuft Konflikte oder Kommunikationsstörungen auftreten. Wenn diese Gruppen nun auch nur an jeweils von einander getrennten Teilöffentlichkeiten teilnehmen, zwischen denen es gar
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nicht oder nur sehr selten zum Austausch von Themen, Argumenten oder Sprechern kommt, so wäre die Gesamtöffentlichkeit fragmentiert. Regionale gesellschaftliche Spaltungslinien durchziehen viele Nationalstaaten, zu verweisen wäre beispielsweise auf Katalonien vs. Spanien oder England vs. Wales, Schottland und Nord-Irland. In Deutschland verläuft eine zentrale gesellschaftliche Spaltungslinie zwischen den alten und neuen Bundesländern. Die politische Integration Ostdeutschlands ist zwar sehr zügig erfolgt (vgl. Thumfart (2002)), dies hat allerdings nicht zu einer vollständigen gesellschaftlichen Integration der ostdeutschen Bevölkerung geführt (sondern sie nach Ansicht mancher Autoren sogar behindert, siehe Kollmorgen (2005)). Seit der Wiedervereinigung behauptet kontinuierlich jeweils ein Viertel der Ost- und der Westdeutschen, dass ihnen die Bürger im anderen Teil Deutschlands in vielem fremder seien als die Bürger anderer Staaten (ALLBUS 1991-2000, zitiert nach Neller 2006: 31). Auch eine gesteigerte Kontakthäufigkeit hat dies nicht beeinflussen können. Seit Mitte der Neunziger Jahre beginnt zudem das Gefühl der Ostdeutschen, ‚Bürger 2. Klasse zu sein’, wieder zu wachsen, 2000/01 stimmten 74 Prozent der Bürger der neuen Länder dieser Einschätzung zu (EMNIDInstitut, Face-to-Face Trendumfragen Politik, zitiert nach Brunner/Walz 1998: 230). 16 Jahre nach der Wiedervereinigung unterscheiden sich die beiden Bevölkerungsteile weiterhin in zentralen Wertemustern; die Unterschiede sind zwar nicht groß, aber eine Annährung ist nicht absehbar. 31 Zumindest im deutschen Fall sind die Voraussetzungen für die Vernetzung der Diskurse der nationalen Öffentlichkeit über diese Spaltungslinie hinweg deutlich besser als auf europäischer Ebene: Es gibt eine gemeinsame Sprache, eine gemeinsame Kultur, eine gemeinsame Geschichte, in der die Teilungserfahrung nur ein prägender, aber vergleichsweise kurzer Bestandteil ist, und ein gemeinsames, wenn auch vom Westen dominiertes Mediensystem: Neben den bundesweit empfangbaren privaten Fernsehsendern, die ausnahmslos im Westen angesiedelt sind, befinden sich die Presseorgane in Ostdeutschland fast ausschließlich im Besitz westdeutscher Verlage (siehe Röper (2002) und Thumfart (2002), als Polemik: Wuschig (2005)). Aber trotzdem ist eine ausreichende Vernetzung der Diskurse nicht als selbstverständlich anzunehmen.
31
Beispielsweise werden in den neuen Ländern „Werte der politischen Gleichheit und Sozialstaatlichkeit viel stärker und Freiheitswerte weitaus geringer betont […] als im Westen“ (Kaase/BauerKaase 1998: 252, siehe auch Fuchs 1997: 111).
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Das Modell der Arenen-Integration nationaler Öffentlichkeiten
2.3.3.2 Indikatoren und Bewertungskriterien für die Vernetzung der Diskurse Für die Erhebung der Vernetzung der Diskurse sind in der Forschung zur europäischen Öffentlichkeit verschiedene Indikatoren eingesetzt worden, die sich jeweils auf unterschiedlich intensive Formen der Vernetzung beziehen. Eine erste Möglichkeit der Vernetzung ist die gegenseitige Beobachtung der europäischen Länder untereinander: Wird in den jeweiligen nationalen Öffentlichkeiten wahrgenommen, was in den Nachbarländern passiert und diskutiert wird? Die gegenseitige Beobachtung der Teilöffentlichkeiten ist bisher über zwei verschiedene Indikatoren erhoben worden: die in den Artikeln verwendeten geographischen Bezüge (Wessler et al. 2008) und die Herkunft der auftretenden Akteure (Koopmans 2004). Bei den geographischen Bezügen sind die Chancen auf eine arenen-integrierte Öffentlichkeit geringfügig größer, da davon auszugehen ist, dass in der Diskussion von Themen aus anderen Ländern meistens, aber nicht immer Akteure aus diesen Ländern vorkommen. Eine höhere Stufe der Vernetzung der Diskurse wäre erreicht, wenn die jeweilige Öffentlichkeitsarena die Diskussionen in anderen Arenen nicht nur wahrnimmt, sondern Sprecher und Argumente aus anderen Arenen in die eigene integriert. Ein solcher diskursiver Austausch wäre die Voraussetzung für das Entstehen eines arenenüberschreitenden Meinungs- und Willensbildungsprozesses. Auch wenn Klaus Eder und Cathleen Kantner argumentieren, dass die „thematische Verschränkung zwischen den verschiedenen medialen Arenen […] der beste Indikator für Interdiskursivität“ sei (Eder/Kantner 2002: 84), besteht ansonsten in der Literatur zur Europäisierung von Öffentlichkeit weitgehend Einigkeit darüber, dass Vernetzung der Diskurse erst im tatsächlichen Austausch von Meinungen und Argumenten zwischen Akteuren besteht. So fordern Thomas Risse und Marianne van de Steeg (2003: 2) in ihrem Idealmodell einer europäischen Öffentlichkeit zwar nur, dass sich Sprecher und Zuhörer über nationale Räume hinweg beobachten sollen. In ihrer Operationalisierung wird jedoch deutlich, dass ihre Vorstellung von ‚Observation’ nicht nur Beobachtung sondern auch das gegenseitige Zitieren beinhaltet: Schließlich soll bei Marianne van de Steeg der „Nachweis tatsächlicher Austauschbeziehungen zwischen den Diskursarenen“ (2003: 181) darüber erfolgen. Für diesen würde es wiederum ausreichen, dass ein Gastautor aus einem anderen Land in den nationalen Medien publiziert, Beiträge aus den Zeitungen anderer Länder als Nachdruck erscheinen und ausländische Akteure in den Artikeln erwähnt oder zitiert würden (van de Steeg 2003: 182). Allein wenn „die Aussagen verschiedener Akteure so aneinandergereiht und neutral referiert werden, dass sie dem Muster eines Gesprächs zu folgen scheinen“ (van de Steeg 2002a: 61) würde beim Publikum der subjektive Eindruck erzeugt werden, dass die Medien einen tatsächlichen Mei-
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nungs- und Willensbildungsprozess zwischen diversen Diskursteilnehmern widerspiegeln. Hartmut Wessler et al. reicht die bloße Erwähnung ausländischer Akteure dagegen nicht aus, ein diskursiver Austausch kann in ihren Augen nur über „diskursive Referenzen“ hergestellt werden, d.h. nur wenn die entsprechenden Akteure mit mindestens zwei Sätzen zitiert werden, ist zu vermuten, dass es tatsächlich zum Diskurs kommt, zum Austausch von Meinungen und Argumenten (Wessler et al. 2008: 32). Für gewöhnlich wird unterstellt, dass die Vernetzung der Diskurse innerhalb nationaler Öffentlichkeiten über die Qualitätsmedien nationaler Reichweite gewährleistet ist. Diese gelten als sogenannte Leitmedien, an denen sich andere Journalisten, insbesondere auch die regionaler Tageszeitungen orientieren. Die Vernetzung verschiedener Regionen eines Landes mit Hilfe der Leitmedien setzt allerdings voraus, dass sich diese in ihrer Berichterstattung weder allein auf die nationale Ebene konzentrieren, noch einzelne Regionen ignorieren. Außerdem beruhen die Erkenntnisse zur Rolle der Leitmedien überwiegend auf Befragungen der Journalisten (z.B. Weischenberg et al. 1994). Es bleibt zu prüfen, inwieweit die Journalisten regionaler Medien über die von ihnen genannten Leitmedien tatsächlich Themen und Sprecher aus anderen Regionen übernehmen. Bezogen auf den deutschen Fall wäre beispielsweise eine Fragmentierung der Öffentlichkeit zu befürchten, wenn sich die nationalen Medien auf Themen und Sprecher aus West- oder Ostdeutschland beschränken. Da letztlich alle Medien nationaler Reichweite in Westdeutschland angesiedelt sind, ist insbesondere eine Konzentration auf westdeutsche Themen und Sprecher zu befürchten. In diesem Fall könnten die nationalen Medien nicht als Bindeglied zur Vernetzung der Öffentlichkeitsarenen in den verschiedenen Landesteilen dienen. Unabhängig vom konkreten Indikator wäre für die Arenen-Integration nationaler Öffentlichkeiten in dieser Dimension zu erwarten, dass die Teilöffentlichkeiten in ihrer Themen- und Sprecherwahl zentrale gesellschaftliche Spaltungslinien überbrücken. Für den Fall der deutschen Öffentlichkeit sollten demnach ostdeutsche Teilöffentlichkeiten auch westdeutsche Themen diskutieren und umgekehrt. Teilöffentlichkeiten, an denen Bürger aus dem gesamten Bundesgebiet teilnehmen (können), sollten ebenfalls über beide Landesteile berichten und Sprecher aus beiden Landesteilen zu Wort kommen lassen. Wie in der Dimension Beobachtung des Regierens ergeben sich für die Vernetzung der Diskurse zwei Bedingungen für eine arenen-integrierte Öffentlichkeit: Zum einen besteht die Minimalforderung, dass in allen Teilöffentlichkeiten beide Landesteile in der Berichterstattung und Diskussion berücksichtigt werden sollten. Zum anderen sollte die relative Bedeutung der unterschiedlichen Regionen in den Teilöffentlichkeiten widergespiegelt werden. Da der Nachrichtenfaktor ‚Nähe’ eine zentrale Rolle bei der Nachrichtenauswahl durch die Medienre-
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daktionen spielt (Galtung/Ruge 1965; Staab 1990; Schulz 1976), ist sicherlich nicht zu erwarten, dass die Bedeutung der unterschiedlichen Regionen in der Berichterstattung exakt ihrer politischen oder gesellschaftlichen Bedeutung entspricht.32 Dennoch sollte das in den Teilöffentlichkeiten über Themen- und Sprecherwahl gezeichnete Bild in seinen Proportionen erkennbar die relevante politische Gemeinschaft nachzeichnen. 1.
2.
In den regionalen Öffentlichkeitsarenen eines Landesteils finden sich Artikel zu Themen, bzw. mit Hauptakteuren oder Sprechern aus dem anderen Landesteil. In den nationalen Öffentlichkeitsarenen finden sich Artikel zu Themen, bzw. mit Hauptakteuren oder Sprechern aus beiden Landesteilen. Das Verhältnis zwischen Verweisen auf Ost- oder Westdeutschland in den Öffentlichkeitsarenen entspricht der Bedeutung der beiden Landesteile für die politische Gesamtgemeinschaft.
2.3.4 Kollektive Identität An vierter Stelle im Modell der Arenen-Integration nationaler Öffentlichkeiten steht die Dimension kollektive Identität. In den Arenen der einzelnen Teilöffentlichkeiten soll nicht nur das Regieren beobachtet werden, ihre Inhalte sollen sich nicht nur ähneln, sie sollen nicht nur miteinander vernetzt sein, sondern sie sollen vor allem dazu beitragen, dass über alle Teilöffentlichkeiten hinweg ein Gemeinschaftsgefühl entsteht, eine kollektive Identität der politischen Gemeinschaft. Der folgende Abschnitt diskutiert zunächst das Konzept der kollektiven Identität und erläutert deren normative Bedeutung für die politische Gemeinschaft und Öffentlichkeit. Anschließend wird beschrieben, aus welchen empirischen Indikatoren auf die Existenz einer Kommunikations- oder Solidargemeinschaft geschlossen werden kann.
32
Schließlich lässt sich die politische Bedeutung eines Landesteils nicht ‚exakt’ bestimmen. In dieser Arbeit werden die Bevölkerungszahlen als Indikator herangezogen, demnach sollte Ostdeutschland ein Sechstel, Westdeutschland fünf Sechstel der Berichterstattung ausmachen (Statistisches Bundesamt 2008). Berlin wird aus den Berechnungen ausgeschlossen, weil es sich nicht eindeutig einem der beiden Landesteile zuordnen lässt. Geographisch liegt es innerhalb der Neuen Bundesländer, historisch betrachtet gehört West-Berlin aber zu Westdeutschland.
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2.3.4.1 Das Konzept der kollektiven Identität Die Identität gibt dem Einzelnen die Möglichkeit, sein Leben als kohärent und kontinuierlich zu begreifen. In der Regel setzt sie sich aus vielerlei Facetten und sozialen Rollen zusammen. Zu den Formen der sozialen Identität gehören auch die kollektiven Identitäten, die sich auf größere gesellschaftliche Gruppen beziehen (Straub 1998; Wagner 1998). Innerhalb der großen Bandbreite an theoretischen Konzeptualisierungen werden insbesondere die folgenden vier Eigenschaften kollektiver Identitäten diskutiert:
Charakterisierende Merkmale: politische Gesinnung, soziale Rollen, kulturelle Zuordnungen, Zugehörigkeit zu geographischen Regionen oder politischen Gemeinschaften Gruppengrenzen: verschachtelte oder sich überschneidende Gruppen (letztere basieren meist auf unterschiedlichen Merkmalen) Wertigkeit: gleichwertig oder hierarchisch Verhältnis zwischen Identitäten: voneinander unabhängig, konkurrierend, konkordant, kontextabhängig, ‚marble cake’
Der einzelne Bürger kann sich mit einer unbegrenzten Vielzahl von Kollektiven identifizieren, die sich durch unterschiedlichste Merkmale oder Kombinationen von Merkmalen beschreiben lassen. Zu den Merkmalen können beispielsweise zählen: politische Gesinnungen (‚konservativ’), soziale Rollen (‚Mutter’), gesellschaftliche Funktionen (‚Politiker’, ‚Experte’, ‚Bürger’), kulturelle Zuordnungen (‚Bürgertum’ oder aber auch ‚deutsch’), sowie Zugehörigkeiten zu geographischen Regionen oder politischen Gemeinschaften (‚deutsch’ oder ‚europäisch’). Durch die Identifizierung auf Basis unterschiedlicher Merkmale kommt es oft zu Überschneidungen zwischen den verschiedenen Gruppen, denen sich ein Individuum zugehörig fühlt. Dies hängt zum einen damit zusammen, dass die Identifikation mit einer Gruppe eine Gefühlshandlung ist, die rationalen Kriterien nicht standhalten muss. Auch wenn man nach deutschem Staatsbürgerrecht in der Regel nicht gleichzeitig deutscher und amerikanischer Staatsbürger sein kann, kann dies nicht verhindern, dass man sich beiden Staaten politisch zugehörig fühlt. Außerdem lassen sich kollektive Identitäten, die mit Nationen und anderen politischen Gefügen zusammenhängen, nicht trennscharf auf ein bestimmtes Merkmal kollektiver Identität zurückführen. Fühlt sich jemand dem Kollektiv ‚die Deutschen’ zugehörig, so kann dieses Zugehörigkeitsgefühl auf verschiedenen Differenzierungsmerkmalen beruhen: kulturellen, politischen oder geographischen Zuschreibungen seitens des Individuums, die beliebig miteinander
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kombiniert und mit jeweils sehr unterschiedlicher Stärke in seinem Identitätsbild enthalten sein können. Im Folgenden konzentriert sich diese Untersuchung auf kollektive Identitäten, die die Zugehörigkeit zu unterschiedlichen politischen Gemeinschaften beschreiben– wie z.B. ‚die Deutschen’, ‚die Bayern’ oder ‚die Europäer’ – auch wenn diese Identitätszuschreibungen seitens der Individuen auf kulturellen oder geographischen Kriterien (mit) beruhen. Selbst wenn man sich auf kollektive Identitäten konzentriert, die auf einer bestimmten Merkmalsart wie der Zugehörigkeit zu einer politischen Gemeinschaft beruhen, können verschiedene kollektive Identitäten nebeneinander bestehen: Man kann sich als Deutscher und als Europäer, und aber insbesondere als Bayer fühlen, ohne dass diese Identitäten notwendigerweise in Konkurrenz zueinander stehen müssen. Bernhard Peters spricht in diesem Zusammenhang von „ineinander verschachtelten“ kollektiven Identitäten, bei denen die eine Bezugsgruppe vollständig Teil der anderen ist (Peters 2005: 93). Die verschiedenen kollektiven Identitäten können dabei gleichwertig sein oder in der Wahrnehmung des Individuums hierarchisch abgestuft, von der wichtigsten Identifikationsgruppe und zu eher unwichtigen Identifikationsobjekten. Um das Verhältnis verschiedener kollektiver Identitäten oder Loyalitäten zueinander zu beschreiben, trennt Bettina Westle konkurrierende, konkordante und kontextabhängige Bindungen an politische Gemeinschaften (Westle 2003: 455). Bei letzteren ist die Identifikation mit einzelnen Gruppen für das Individuum nicht dauerhaft relevant, sondern wird nur gelegentlich in bestimmten Situationen aktiviert. Thomas Risse sieht noch zwei weitere Möglichkeiten, um das Verhältnis zwischen verschiedenen kollektiven Identitäten zu beschreiben: Es kann sich entweder um völlig voneinander unabhängige Identitäten handeln, bei denen die Identifikation mit der einen Gruppe keinerlei Einfluss auf die Identifikation mit einer anderen Gruppe hat. Oder aber es sind „marble cake identities“, also Identitäten, die wie ein Marmorkuchen miteinander vermischt sind, so dass die einzelnen Elemente der Identität eines Individuums sich gegenseitig beeinflussen und nicht mehr sauber voneinander unterschieden oder hierarchisch eingeordnet werden können (Risse 2004: 491). Auch wenn dieser Begriff der ‚marble cake identites’ analytisch sehr diffus ist, könnte er das Verhältnis kollektiver Identitäten in der Realität am besten beschreiben. Schließlich ist die Identitätswahrnehmung der Individuen relativ vage und damit nicht so präzise zu erheben, wie es die theoretischen Kategorisierungen erfordern würden. Empirische Studien auf Basis von Befragungen und psychologischen Experimenten bestätigen, dass das Verhältnis von nationalen und europäischen Identitäten kein Nullsummenspiel sein muss, viele Menschen, die sich stark mit ihrer Nation identifizieren, fühlen sich auch als Teil von Europa (Duchesne/Frognier 1995, 2007; Citrin/Sides 2004).
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2.3.4.2 Die Bedeutung der kollektiven Identität für die politische Gemeinschaft In der normativen Diskussion um kollektive Identität geht es nun gerade darum, inwieweit politische Gemeinschaften darauf angewiesen sind, dass ihre Mitglieder sich mit ihnen identifizieren, und vor allem wie ‚stark’ diese Gefühl der kollektiven Identität sein muss, um das Funktionieren der politischen Gemeinschaft zu gewährleisten. Das europäische Demokratie-Defizit bestünde gerade im Fehlen eines Demos, einer gesellschaftlichen Gemeinschaft mit stabiler, politischer belastbarer Identität, und damit an den gesellschaftlichen Voraussetzungen für eine Demokratisierung (Cederman 2001; Scharpf 1999; Weiler 1999; Zürn 2000). Nur wenn sich das Volk als Gemeinschaft verstehe, werde es bereit sein, den Interessen des Einzelnen widersprechende Mehrheitsentscheidungen zu akzeptieren: „Nur wenn alle Entscheidungsbetroffenen sich als an einer gemeinsamen übergreifenden politischen Identität teilhabend begreifen, wird die Unterscheidung zwischen dem zustimmungsfähigen Entscheidungsrecht der Mehrheit und der nicht zustimmungsfähigen Fremdherrschaft möglich“ (Kielmansegg 1996: 54).
Ohne den ‚Gemeinsamkeitsglauben’ als Grundlage eines Gemeinwesens, dessen Mitglieder bereit seien, sich wechselseitig solidarische Orientierungen zu unterstellen, würde die Mehrheitsentscheidung desto mehr zur illegitimen Fremdherrschaft, je gravierender die Opfer seien, die potentiell abverlangt werden könnten (Scharpf 1999). Diese Form der Identifikation, eines individuellen Zugehörigkeits-/ Loyalitätsgefühls zu einem Kollektiv, die „grundsätzliche, ideelle und/oder affektive Akzeptanz und Unterstützung der Gemeinschaft“ (Westle 2003: 455) ist eine zentrale Voraussetzung für den Fortbestand einer politischen Gemeinschaft: „A sense of political community is relevant, not to the possibility of a political community but to its duration under stress” (Easton 1965: 187). Insbesondere in Krisenzeiten ist die politische Gemeinschaft darauf angewiesen, dass ihre Mitglieder sie nicht nur aufgrund subjektiv wahrgenommenen Nutzens oder durch äußeren Druck unterstützen. „If a political community is to be able to weather the storms of economic and military crises, severe internal differences, or catastrophes of various sorts, it requires more than specific support flowing from direct rewards perceived as such by the members or the compulsory support flowing from the use of coercion by political leaders” (Easton 1965: 325).
Dabei sollte das Zugehörigkeitsgefühl zur staatlich verfassten Gemeinschaft zumindest in bestimmten Fragen über konkurrierende Gruppen-Loyalitäten dominieren (Peters 2005: 93). Bernhard Peters zufolge würde eine solche Problem-
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gemeinschaft auf Basis einer kollektiven Identität das Funktionieren der Demokratie deutlich erleichtern: „A collective identity with shared memories, but also a critical and reflective stance toward the past, with accumulated collective experiences, and with certain visions about the collective future, would further democratic decisions-making in various ways. Such a collective identity might also provide or at least support certain forms of mutual civic trust and solidarity required to overcome divisions of interests” (Peters 2005: 109).
Die normative Forderung, dass politische Gemeinschaften eine solche kollektive Identität in Form einer Solidargemeinschaft benötigen, wird allerdings nicht von allen geteilt: Nach Ansicht von Thomas Risse und Marianne van de Steeg (2003: 2) würde auf europäischer Ebene eine „identity light“ genügen, eine Kommunikationsgemeinschaft, in der sich Sprecher und Zuhörer nicht nur über verschiedene nationale Räume beobachten, sondern auch ‚Europa’ als für sie relevantes Thema erkennen. Sinn der kollektiven Identität wäre es demnach, die Herstellung einer europäischen Öffentlichkeit zu unterstützen, denn kollektive Identitäten werden zwar im öffentlichen Diskurs erzeugt und transportiert, sind gleichzeitig aber bereits eine Voraussetzung für Öffentlichkeit: Einerseits sei öffentlicher Diskurs ein sehr wichtiger Mechanismus der Produktion, Veränderung und generationsübergreifender Übertragung kollektiver Identitäten,33 andererseits würde eine kollektive Identität das Entstehen und den Bestand einer intern integrierten Öffentlichkeit deutlich erleichtern. „Öffentliche Debatten unterstellen eine Diskursgemeinschaft, ein Publikum, das Adressat und Träger solcher Debatten ist“ (Peters 2004: 2). Auch Bernhard Giesen sieht kollektive Identität als Voraussetzung für öffentliche Kommunikation: „Der Sprecher in der öffentlichen Kommunikation muss sich das Publikum als ein relativ homogenes Ganzes vorstellen, das erwartbare Reaktionen zeigt und selbst Erwartungen hat“ (Giesen 2002: 70). Die kollektive Identität strukturiert aber nicht nur die Vorstellungen über das Publikum einer öffentlichen Diskursgemeinschaft, sondern auch die Vorstellungen über die Legitimität potentieller aktiver Teilnehmer, also der Sprecher. So verlangt Thomas Risse für seine „identity light“, „dass sich die Sprecher/innen als legitime Teilnehmer/innen am europäischen Diskurs anerkennen“ (Risse 2002: 21). Was bedeutet das nun für die nationale Öffentlichkeit? Wird hier eine ‚strong identity’, eine Solidargemeinschaft, benötigt im Gegensatz zur ‚identity light’, die für eine europäische Öffentlichkeit ausreichen soll? Zunächst ist festzuhalten, dass die normativen Gründe, die für das Vorhandensein einer kollektiven europäischen Identität vorgebracht werden, für den Nationalstaat sicherlich 33
„public discourse […] a very important mechanism for the production, change and intergenerational transmission of collective identities“ (Peters 2005: 109f, eigene Übersetzung).
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ebenso gültig sind, bzw. gerade vom Modell eines durch seine kollektive Identität gestützten Nationalstaates abgeleitet sind. Auch innerhalb eines Nationalstaates ist es für die Akzeptanz von Mehrheitsentscheidungen von großer Bedeutung, dass sich die Betroffenen als Teil einer Gemeinschaft verstehen. Ohne ein gewisses Gemeinschaftsgefühl könnte der Protest gegen Belastungen wie den Solidaritätsbeitrag oder auch den Länderfinanzausgleich in offenen Widerstand umschlagen. Auch auf nationaler Ebene ist zu befürchten, dass Teile der Bevölkerung nicht unbegrenzt Benachteiligungen zugunsten einer Bevölkerungsgruppe in Kauf nehmen werden, mit der sie sich weder kulturell noch historisch verbunden fühlen. Bezogen auf die ‚Stärke’ der für die nationale politische Gemeinschaft benötigten kollektiven Identität scheint es plausibel anzunehmen, dass diese etwas ‚größer’ oder ‚tiefer’ sein muss als ihr europäisches Pendant – zumindest solange noch mehr Entscheidungskompetenzen auf der nationalen als auf der europäischen Politikebene liegen, und diese damit die größere Bedeutung für das Leben ihrer Bürger hat. Wenn für die europäische Ebene (noch) die Kommunikationsgemeinschaft oder ‚identity light’ möglicherweise ausreicht, würde man für die nationale Ebene eine Solidargemeinschaft erwarten. Zu einer genaueren Diskussion, welche Identitätselemente die nationale politische Gemeinschaft zusätzlich oder in zusätzlicher Stärke bedarf, kommt es gar nicht, weil die Existenz dieser ‚stärkeren’ kollektiven Identität auf nationaler Ebene in der Debatte zur europäischen Öffentlichkeit schlicht vorausgesetzt wird. Nur in Abgrenzung von der bereits bestehenden nationalen Identität kann beispielsweise Peter Graf Kielmansegg das europäische Identitätsdefizit ausrufen: „Europa, auch das engere Westeuropa, ist keine Kommunikationsgemeinschaft34, kaum eine Erinnerungsgemeinschaft und nur sehr begrenzt eine Erfahrungsgemeinschaft“ (Kielmansegg 1996: 55). Allerdings fehlen die empirischen Belege für eine derart idealisierte nationale kollektive Identität (vgl. Eder/Kantner 2002). Für diese Arbeit steht daher an erster Stelle die empirische Frage, inwieweit die oftmals vorausgesetzte nationale kollektive Identität in der Gesamtöffentlichkeit, bzw. in allen ihren Teilöffentlichkeiten in ähnlicher Form vorhanden ist, und ob sie tatsächlich ‚Stärke’ einer Solidargemeinschaft erreicht.
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Peter Graf Kielmansegg hat hier ein anspruchsvolleres Verständnis von ‚Kommunikationsgemeinschaft’, das inhaltlich eher der in dieser Arbeit als Solidargemeinschaft beschriebenen kollektiven Identität entspricht.
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2.3.4.3 Indikatoren und Bewertungskriterien für die kollektive Identität als Kommunikations- oder Solidargemeinschaft Die Erhebung der in der Öffentlichkeit transportierten kollektiven Identitäten hat eine Doppelfunktion: Zum einen erlaubt sie den Rückschluss auf die Identitätsvorstellungen der öffentlichen Sprecher, zum anderen zeigt sie, mit welchen kollektiven Identitäten das Forenpublikum konfrontiert ist. Auch ohne ein komplexes Modell der Medienwirkung kann davon ausgegangen werden, dass sich auf Dauer nur solche Vorstellungen von kollektiver Identität durchsetzen werden, die auch öffentlich kommuniziert werden. So reichhaltig die theoretische Debatte zur kollektiven Identität ist, es finden sich kaum empirische Studien, die das Phänomen systematisch erfassen und zu aussagekräftigen Ergebnissen kommen. In der Operationalisierung erweist sich das Konzept der kollektiven Identitäten als schwierig. Bereits die Erhebung der Identifikationsgefühle bei den Bürgern selbst ist komplex, da nur die wenigsten Befragten eine bewusste Vorstellung davon haben, mit welchen sozialen Gruppen sie sich identifizieren, und oft erst aufgrund der Befragung, sich über ihre gefühlte Bindung an eine bestimmte politische Gemeinschaft Gedanken machen. Daher verwundert es nicht, dass in standardisierten Befragungen zwar 53 Prozent der Befragten angeben (European Commission 2007: 84), sich Europa verbunden zu fühlen, in qualitativen Studien ohne Antwortvorgaben aber Europa in den Identitätskonstruktionen nicht auftaucht (Armbruster et al. 2003). Auch das Herausfiltern von im öffentlichen Diskurs transportierten kollektiven Identitäten stellt eine methodische Herausforderung dar, insbesondere jenseits qualitativer Einzelfallstudien. In der Forschung zur europäischen Öffentlichkeit haben Wessler et al. (2008) den bisher umfangreichsten Versuch einer standardisierten, themenübergreifenden Erfassung kollektiver Identitäten in Öffentlichkeitsarenen getätigt. Als Indikatoren schlagen sie zum einen die Nennung der Kollektivnamen vor, wie beispielsweise ‚die Europäer’ oder ‚die Deutschen’. Letztlich sind diese Kollektivnamen die Grundvoraussetzung dafür, dass die genannte Gruppe überhaupt als kollektive Identität existieren kann. Gruppen, die im öffentlichen Diskurs nicht erwähnt werden, bieten dem Publikum der Öffentlichkeitsarenen keine Möglichkeit, sich mit ihnen über die Öffentlichkeit zu identifizieren. Da im Rahmen dieser Arbeit nur Kollektivnamen betrachtet werden, die sich auf geographische Regionen oder Territorien beziehen, wird dieses Phänomen im weiteren Verlauf nur noch als Territorialgemeinschaft bezeichnet. Des Weiteren erheben Wessler et al. Wir-Bezüge, d.h. wann immer sich ein Sprecher über die Pronomen ‚wir’ oder ‚uns’ explizit mit einer Gemeinschaft identifiziert.
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Kollektive Identitäten können aber auch durch andere Inhalte der Öffentlichkeitsarenen transportiert werden, nämlich als Kultur- oder Abgrenzungsgemeinschaften. Eine Kulturgemeinschaft wird erzeugt durch Verweise auf gemeinsame Werte, Traditionen, eine geteilte Geschichte und Vision für die Zukunft einer bestimmten Gruppe. Abgrenzungsgemeinschaften entstehen durch ‚Othering’, durch die Stigmatisierung und Dämonisierung von Personen und Personengruppen im öffentlichen Diskurs, mit der die Außengrenze der eigenen kollektiven Identität gefestigt wird. Im öffentlichen Diskurs transportierte kollektive Identitäten lassen sich über drei Merkmale näher identifizieren (vgl. Abbildung 3): Ausdehnung, Form und Stärke. Ausdehnung beschreibt, auf welche geographisch bzw. politisch eingrenzbare Gemeinschaft sich die Identität bezieht: z.B. regional, national, europäisch oder transnational. Die Form der kollektiven Identität ergibt sich aus den Mitteln, über die das Identifikationsgefühl erzeugt worden ist: Wird die Identität dadurch vermittelt, dass jemand von ‚Wir’ spricht, oder nur dadurch, dass er mit dem entsprechenden Nomen auf eine bestimmte Gemeinschaft Bezug nimmt. Stärke verweist auf die Intensität des hergestellten Identitätsgefühls: Wird die Gemeinschaft nur neutral erwähnt oder eine Solidargemeinschaft beschworen? Abbildung 3:
Merkmale kollektiver Identitäten
Ausdehnung
Form
Stärke
Landesteil Nation Europa Westlich Weltweit
Territorialgemeinschaft WirGemeinschaft Kulturgemeinschaft Abgrenzungsgemeinschaft
Neutral Solidarisch
Exklusiv Eigene Darstellung
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Theoretisch können alle Merkmalsausprägungen miteinander kombiniert werden, bestimmte Kombinationen sind jedoch wahrscheinlicher als andere. So ist zu erwarten, dass Territorialgemeinschaften in der Tendenz eher neutral ausfallen. Um eine intensive Identifikation der Leser mit einer politischen Gemeinschaft zu erreichen, wird ihre bloße Nennung kaum ausreichen, erst in der Kombination beispielsweise mit einer Kulturgemeinschaft lässt sich eine Solidargemeinschaft erzielen. Aus den verschiedenen Kombinationen dieser Merkmale lassen sich wiederum eine Reihe Bedingungen ableiten, die erfüllt sein müssen, damit die Gesamtöffentlichkeit in dieser Dimension als arenen-integriert gelten kann, und zwar entweder nur als Kommunikations- oder sogar als Solidargemeinschaft. Beginnen wir mit dem ersten Typ kollektiver Identität, der Territorialgemeinschaft. Eine Kommunikationsgemeinschaft setzt voraus, dass die Teilnehmer verschiedener Öffentlichkeitsarenen einer politischen Gemeinschaft voneinander wissen. Entsprechend sollten in jeder Teilöffentlichkeit auch die Namen der mit den anderen Teilöffentlichkeiten deckungsgleichen kollektiven Identitäten zumindest gelegentlich auftauchen. Die Indikatoren der Vernetzung der Diskurse können hier ebenfalls als Basisvoraussetzung für die Kommunikationsgemeinschaft hinzugezogen werden. Ohne gegenseitige Beobachtung kann es keine Kommunikationsgemeinschaft geben; es sollte von Zeit zu Zeit über die Geschehnisse in benachbarten Teilöffentlichkeiten berichtet werden, ohne dass diese Berichte einen großen Anteil am Gesamtdiskurs haben müssen. Der Basisindikator für die von der Kommunikationsgemeinschaft verlangte gegenseitige Anerkennung als Sprecher wird ebenfalls für die Vernetzung der Diskurse erfasst: Die zentrale Voraussetzung für die Anerkennung eines Sprechers ist, dass er überhaupt zitiert wird. Zwar kann er bei dieser Gelegenheit auch als Sprecher delegitimiert werden, aber Sprecher, die niemals zitiert werden, haben gar keine Chance auf Anerkennung. Damit ist für die Kommunikationsgemeinschaft auch das Erzeugen einer Abgrenzungsgemeinschaft durch ‚Othering’ von zentraler Bedeutung. Nur wenn im öffentlichen Diskurs keine einzelnen Sprecher oder Teile der politischen Gemeinschaft durch ‚Othering’ öffentlich delegitimiert werden, handelt es sich um eine zusammenhängende Kommunikationsgemeinschaft. Thomas Risse und Marianne van de Steeg verlangen für die europäische Kommunikationsgemeinschaft zudem eine europäische Wir-Perspektive: „a common public sphere implies that the ,we’ in whose name actors speak and to whom they relate, extends beyond national boundaries” (2003: 19).
Es geht ihnen hier jedoch nicht darum, dass diese transnationale Wir-Perspektive die nationale dominiert, es soll den Sprechern lediglich bewusst sein, dass sie
Die vier Dimensionen des Modells der Arenen-Integration
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Mitglied nicht nur einer nationalen, sondern auch Teil einer europäischen Gemeinschaft sind. Demnach würde es für eine über eine Kommunikationsgemeinschaft arenen-integrierte nationale Öffentlichkeit zunächst reichen, wenn WirBezüge auf die nationale kollektive Identität überhaupt vorkommen, die gemeinsame Wir-Perspektive als eine unter mehreren auftaucht. Nur die Kulturgemeinschaften spielen bei der Arenen-Integration nationaler Öffentlichkeit als Kommunikationsgemeinschaft keine Rolle: Damit sich eine Gemeinschaft als Kommunikationsgemeinschaft versteht, ist sie nicht darauf angewiesen, sich über gemeinsame Geschichte, Werte und Projekte zu versichern. Das Vorhandensein entsprechender Gemeinsamkeiten kann die gemeinsame Kommunikation zwar erleichtern, ist aber keine Voraussetzung. Aber bei welchen Indikatoren ist davon auszugehen, dass die Öffentlichkeit eine Solidargemeinschaft transportiert? Zentral ist an dieser Stelle, dass Solidargemeinschaften eher in Konkurrenz zueinander treten als Kommunikationsgemeinschaften: Damit in der Solidargemeinschaft Entscheidungen akzeptiert werden, die gegen eigene Interessen oder die der (Klein-)Gruppe verstoßen, sollte in diesem Moment die Solidarität gegenüber dem Gesamtkollektiv am größten sein. Anders als bei der Kommunikationsgemeinschaft kann es demnach für eine Solidargemeinschaft nicht ausreichen, dass die Sprecher im öffentlichen Diskurs überhaupt auf ein gemeinsames ‚Wir’ verweisen. Als Solidargemeinschaft kann nur jene Gemeinschaft gelten, auf die im öffentlichen Diskurs am häufigsten als ‚Wir’ Bezug genommen wird. Für die Arenen-Integration nationaler Öffentlichkeit als Solidargemeinschaft sollte das nationale ‚Wir’ den Diskurs dominieren. Zudem sollten die entsprechenden Wir-Bezüge zumindest gelegentlich auch explizit Solidarität herstellen oder gemeinsame Verantwortung beschreiben. Das ‚Wir’ sollte also nicht nur in neutralem Kontext verwendet werden, sondern in Sätzen wie z.B. ‚Wir Deutsche müssen dafür sorgen, dass…’ oder ‚Das betrifft uns alle. Ob in Bayern oder Brandenburg.’ Über Territorialgemeinschaften lässt sich nur dann eine Solidargemeinschaft herstellen, wenn sie entweder mit starken Formen der Herstellung kollektiver Identität kombiniert werden, beispielsweise mit einer Kulturgemeinschaft (‚Die Deutschen blicken zurück auf eine lange Geschichte der Verantwortung’), oder aber wenn explizit Solidarität oder gemeinsame Aufgaben beschrieben werden (‚Die Deutschen können nicht mehr untätig zu sehen’). Für eine arenenintegrierte nationale Öffentlichkeit sollte entsprechend vor allem die nationale Territorialgemeinschaft als solidarisch beschrieben werden. Auch innerhalb der Solidargemeinschaft sollte es nicht zum ‚Othering’ von Teilen der politischen Gemeinschaft kommen. Darüber hinaus kann ‚Othering’ aber auch zur Stärkung der Solidargemeinschaft verwendet werden: Die Abgrenzung von ‚Feinden’ geschieht meist im Kontext wahrgenommener Bedrohungs-
74
Das Modell der Arenen-Integration nationaler Öffentlichkeiten
szenarien (vgl. Lucht/Tréfás 2006), Bedrohungen wiederum stellen eine Herausforderung für die politische Gemeinschaft dar, die das Einschwören auf eine Solidargemeinschaft erforderlich macht. Für die Erhebung der in den Öffentlichkeiten transportierten Solidargemeinschaften ist daher zum einen relevant, inwieweit sich die einzelnen Teilöffentlichkeiten durch ‚Othering’ von denselben Feinden abgrenzen und so eine vergleichbare Außengrenze aufbauen. Zum anderen muss überprüft werden, welche eigene Gruppe dadurch gestärkt wird und ob sich diese lediglich auf die Teil- oder auf die Gesamtöffentlichkeit erstreckt, also ob die gebildete Abgrenzungsgemeinschaft die Gesamtgesellschaft umfasst. Für eine arenen-integrierte Öffentlichkeit würde man erwarten, dass öffentliche Sprecher ‚Othering’ überwiegend zur Stärkung einer Solidargemeinschaft verwenden, die deckungsgleich mit der Gesamtöffentlichkeit ist. Neben der Abgrenzung von Anderen durch ‚Othering’ können kollektive Identitäten im öffentlichen Diskurs aber auch positiv verstärkt werden (und nicht nur negativ in Abgrenzung von Feindbildern). Dies geschieht vor allem durch Verweise auf die gemeinsame Kulturgemeinschaft, auf gemeinsame Werte, Traditionen, eine geteilte Geschichte und Vision für die Zukunft. Je häufiger und vor allem je reichhaltiger auf diese Weise ein positives Bild der kollektiven Identität aufgebaut wird, desto eher ist von den Mitgliedern der entsprechenden politischen Gemeinschaft Solidarität mit allen Teilgruppen zu erwarten. Verstärkt werden kann dies dadurch, dass über den Verweis auf gemeinsame Traditionen explizit Solidarität für die entsprechende Gemeinschaft eingefordert wird. Hier treten die verschiedenen in der Öffentlichkeit vermittelten kollektiven Identitäten wieder in Konkurrenz zueinander – auch wenn sich die Individuen verschiedenen Kollektiven zugehörig fühlen können, für die Solidargemeinschaft zählt, welcher Gruppe sie sich im Entscheidungsfall loyal gegenüber verhalten: Ist dies die regionale politische Gemeinschaft oder aber die nationale? Dementsprechend gilt es, hier zu überprüfen, welche kollektive Identität in den jeweiligen Teilöffentlichkeiten am stärksten aufgebaut wird, und für welche dementsprechend am ehesten die Solidarität der Teilnehmer zu erwarten ist.
Zusammenfassung des Modells
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Für die Arenen-Integration nationaler Öffentlichkeiten in der Dimension kollektive Identität ergeben sich damit verschiedene Bedingungen in Abhängigkeit davon, ob die Arenen-Integration nur über eine Kommunikations- oder darüber hinaus über eine Solidargemeinschaft erzeugt werden soll. Für die ArenenIntegration als Kommunikationsgemeinschaft müssen die Öffentlichkeitsarenen folgende Bedingungen erfüllen: 1.
2.
3.
In den einzelnen Öffentlichkeitsarenen werden zumindest gelegentlich mit anderen Teilöffentlichkeiten verbundene Territorialgemeinschaften erwähnt. Die in den einzelnen Öffentlichkeitsarenen hergestellten kollektiven Identitäten grenzen sich nicht von Teilen der politischen Gemeinschaft ab, es wird keine Abgrenzungsgemeinschaft durch ‚Othering’ gegenüber Teilen der eigenen politischen Gemeinschaft gebildet werden. Über die Formen der kollektiven Identifikation Wir-, Territorial- und Abgrenzungsgemeinschaft wird in den einzelnen Öffentlichkeitsarenen zumindest gelegentlich ein Gemeinschaftsgefühl transportiert, dass die Gemeinschaft des gesamten politischen Systems umfasst.
Für die Arenen-Integration als Solidargemeinschaft müssen die Öffentlichkeitsarenen zusätzlich folgende Bedingungen erfüllen: 4.
5.
Die dominierende Ausdehnung der kollektiven Identität, die über eine bestimmte Form der kollektiven Identifikation (Wir-, Territorial-, Kultur-, Abgrenzungsgemeinschaft) in solidarischer Stärke in der jeweiligen Öffentlichkeitsarena hergestellt wird, umfasst die Gemeinschaft des gesamten politischen Systems. Wird in der jeweiligen Öffentlichkeitsarena kollektive Identität über eine Abgrenzungsgemeinschaft erzeugt, so stärkt sie vor allem die Gemeinschaft des gesamten politischen Systems und erfolgt u.a. über die Abgrenzung gegenüber derselben ‚Feinde’.
76
Das Modell der Arenen-Integration nationaler Öffentlichkeiten
2.4 Zusammenfassung des Modells Ausgehend von der Forschung zur Europäisierung nationaler Öffentlichkeiten, und insbesondere auf Basis der vier Dimensionen der Transnationalisierung von Öffentlichkeit (vgl. Wessler et al. 2008) ist in diesem Kapitel ein Modell der Arenen-Integration nationaler Öffentlichkeit entwickelt worden. Das Modell beschreibt, welche empirischen Phänomene in den Arenen der Teilöffentlichkeiten einer Gesellschaft – z.B. Themen, Sprecher, kollektive Identitäten – dazu beitragen können, dass die Gesamtöffentlichkeit aller Teilöffentlichkeiten arenen-integriert ist, d.h. eine zusammenhängende Öffentlichkeit bildet. Es gliedert die empirischen Phänomene in vier Dimensionen: Beobachtung des Regierens, Ähnlichkeit der Diskurse, Vernetzung der Diskurse und kollektive Identität. Für jede dieser Dimensionen konnte die normative Bedeutung der mit ihr gefassten empirischen Phänomene für die politische Gemeinschaft abgeleitet werden. Aus dieser Bedeutung für die politische Gemeinschaft ergaben sich wiederum Bedingungen, die die einzelnen Teilöffentlichkeitsarenen in Bezug auf in ihnen auftretenden empirischen Phänomene erfüllen müssen, damit die nationale Öffentlichkeit in der Dimension als arenen-integriert angesehen werden kann. Tabelle 2 stellt die Bedingungen an die Arenen-Integration nationaler Öffentlichkeit noch mal im Überblick dar. Die vier Dimensionen sind überwiegend als unabhängig voneinander zu betrachten: Eine nationale Öffentlichkeit kann in der Dimension Beobachtung des Regierens arenen-integriert sein, in den anderen dreien aber nicht. Allein zwischen der dritten und vierten Dimension besteht ein direkter Zusammenhang, eine Öffentlichkeit kann nicht als Kommunikations- (geschweige denn Solidar)gemeinschaft integriert sein, wenn sie nicht ausreichend vernetzt ist. Nur wenn sich die einzelnen Öffentlichkeitsarenen gegenseitig beobachten und zitieren, ist sichergestellt, dass sich die Arenen wechselseitig als Teil einer gemeinsamen Kommunikationsgemeinschaft begreifen. Auf Basis der entwickelten Bedingungen kann nun die Arenen-Integration einer (nationalen) Öffentlichkeit empirisch bestimmt werden. Zentral ist dabei nicht, dass alle Öffentlichkeitsarenen allen aufgestellten Bedingungen für alle untersuchten Indikatoren entsprechen. Vielmehr wird Arenen-Integration hier als graduelles Phänomen verstanden, je mehr Bedingungen für je mehr Indikatoren von einer Öffentlichkeitsarena erfüllt werden, desto größer ist deren Beitrag Arena zur Integration der Gesamtöffentlichkeit bzw. desto stärker ist die ArenenIntegration der Gesamtöffentlichkeit.
Ähnlichkeit der Diskurse
Verweise auf politische Institutionen/ 1. In den einzelnen Öffentlichkeitsarenen (Medien) werden alle drei Ebenen des politischen Systems in Berichterstattung und Diskussion berücksichtigt. Akteure
Beobachtung des Regierens
Frames
Æ der Themen für nationale Politik / aller Themen des Politikteils
Synchronität
Intensität
Überschneidungen
Politische Akteure als Sprecher
Politische Akteure als Hauptakteure
Themenkategorie
Empirische Phänomene
Dimension
3. Alle Dimensionen der in den nationalen Öffentlichkeitsarenen verwendeten FrameElemente finden sich in den Arenen beider Landesteile wieder.
2. Alle Dimensionen der in den Öffentlichkeitsarenen eines Landesteils verwendeten Frame-Elemente werden in den nationalen Arenen angesprochen.
1. Alle Dimensionen der in den Öffentlichkeitsarenen eines Landesteils verwendeten Frame-Elemente werden in den Arenen des anderen Landesteils angesprochen.
2. Die Ähnlichkeit zwischen den nationalen Öffentlichkeitsarenen und den Arenen eines Landesteils (Ost- oder Westdeutschlands) unterscheidet sich nicht deutlich von der Ähnlichkeit zwischen den nationalen Öffentlichkeitsarenen und den Arenen des anderen Landesteils, ebenso wie von der Ähnlichkeit der nationalen Arenen unter sich. Æ Ähnlichkeit national-Landesteil 1 = Ähnlichkeit national-Landesteil 2 = Ähnlichkeit national-national
1. Die Ähnlichkeit zwischen den regionalen Öffentlichkeitsarenen eines Landesteils (Ost- oder West-Deutschlands) entspricht ungefähr der Ähnlichkeit zu den Öffentlichkeitsarenen des anderen Landesteils. Æ intraregionale Ähnlichkeit = interregionale Ähnlichkeit
2. Die Bedeutung der drei Ebenen in den einzelnen Öffentlichkeitsarenen spiegelt deren Rangfolge in der Wahrnehmung der Bürger wider: An erster Stelle steht die nationale Ebene, gefolgt von der regionalen und der europäischen Ebene.
Bedingungen für eine arenen-integrierte Öffentlichkeit
Bedingungen und empirische Phänomene (Indikatoren) für die vier Dimensionen der Arenen-Integration nationaler Öffentlichkeiten
Tabelle 2:
Zusammenfassung des Modells 77
Kollektive Identität
Geographischer Fokus
Vernetzung der Diskurse
Abgrenzungsgemeinschaften
5. Wird in der jeweiligen Öffentlichkeitsarena kollektive Identität über eine Abgrenzungsgemeinschaft erzeugt, so stärkt sie vor allem die Gemeinschaft des gesamten politischen Systems und erfolgt u.a. über die Abgrenzung gegenüber derselben ‚Feinde’.
4. Die dominierende Ausdehnung der kollektiven Identität, die über eine bestimmte Form der kollektiven Identifikation (Wir-, Territorial-, Kultur-, Abgrenzungsgemeinschaft) in solidarischer Stärke in der jeweiligen Öffentlichkeitsarena hergestellt wird, umfasst die Gemeinschaft des gesamten politischen Systems.
Als Solidargemeinschaft:
3. Über die Formen der kollektiven Identifikation Wir-, Territorial- und Abgrenzungsgemeinschaft wird in den einzelnen Öffentlichkeitsarenen zumindest gelegentlich ein Gemeinschaftsgefühl transportiert, dass die Gemeinschaft des gesamten politischen Systems umfasst.
2. Die in den einzelnen Öffentlichkeitsarenen hergestellten kollektiven Identitäten grenzen sich nicht von Teilen der politischen Gemeinschaft ab, es wird keine Abgrenzungsgemeinschaft durch ‚Othering’ gegenüber Teilen der eigenen politischen Gemeinschaft gebildet werden.
1. In den einzelnen Öffentlichkeitsarenen werden zumindest gelegentlich mit anderen Teilöffentlichkeiten verbundene Territorialgemeinschaften erwähnt.
Wir-Gemeinschaften
Als Kommunikationsgemeinschaft:
Kulturgemeinschaften
2. Das Verhältnis zwischen Verweisen auf Ost- oder Westdeutschland in den Öffentlichkeitsarenen entspricht der Bedeutung der beiden Landesteile für die politische Gesamtgemeinschaft.
1. In den regionalen Öffentlichkeitsarenen eines Landesteils finden sich Artikel zu Themen, bzw. mit Hauptakteuren oder Sprechern aus dem anderen Landesteil. In den nationalen Öffentlichkeitsarenen finden sich Artikel zu Themen, bzw. mit Hauptakteuren oder Sprechern aus beiden Landesteilen.
Bedingungen für eine arenen-integrierte Öffentlichkeit
Territorialgemeinschaften
Herkunft der Hauptakteure
Herkunft der Sprecher
Empirische Phänomene
Dimension
78 Das Modell der Arenen-Integration nationaler Öffentlichkeiten
3
Arenen-Integration als methodisches Problem
Bei der Umsetzung des Modells der Arenen-Integration nationaler Öffentlichkeiten in einer empirischen Untersuchung, mit der einerseits die Tauglichkeit des Modells für die empirische Analyse überprüft und andererseits die empirisch vorhandene Arenen-Integration einer Beispielöffentlichkeit bewertet werden kann, müssen zwei zentrale Herausforderungen gelöst werden: 1. 2.
die Auswahl einer zu analysierenden Öffentlichkeit und der sie am besten repräsentierenden massenmedialen Öffentlichkeitsarenen die Entwicklung eines Erhebungsinstruments, mit dem die aus der Theorie abgeleiteten Indikatoren für die ausgewählten Öffentlichkeitsarenen erfasst werden können.
Das nun folgende Kapitel wird sich sukzessive diesen beiden Herausforderungen widmen und die für die Analyse der deutschen Öffentlichkeit gewählten Lösungswege beschreiben.
3.1 Bildung der Stichprobe Die Bildung der Stichprobe erfolgt in drei Schritten: Zunächst muss die zu analysierende Öffentlichkeit festgelegt werden, anschließend sind die diese Öffentlichkeit am besten repräsentierenden Medienangebote sowie der Untersuchungszeitraum sorgfältig zu wählen.
3.1.1 Auswahl der zu analysierenden Öffentlichkeit Welche nationale Öffentlichkeit eignet sich am besten als Analyseobjekt für das Modell der Arenen-Integration? Grundsätzlich wäre eine Analyse jeder nationalen Öffentlichkeit interessant, weil bisher kaum empirische Kenntnisse zu deren jeweiliger Arenen-Integration vorliegen. Die Entscheidung fiel auf die deutsche nationale Öffentlichkeit, weil diese in vielerlei Hinsicht einen besonders interessanten Fall darstellt. Aus den bisher von ihr bekannten Merkmalen lässt sich
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Arenen-Integration als methodisches Problem
zunächst keine eindeutige Prognose dazu ableiten, ob es sich um eine arenenintegrierte oder -fragmentierte nationale Öffentlichkeit handelt. Eine Reihe von Merkmalen sprechen eher für eine arenen-integrierte Öffentlichkeit als bei den Öffentlichkeiten anderer Nationen: eine gemeinsame Sprache, eine gemeinsame Kultur, sowie eine relativ große Konzentration in der Besitzstruktur der massenmedialen Öffentlichkeitsarenen. Gleichzeitig lassen sich ebenso viele Merkmale finden, aufgrund derer die Arenen-Integration hier vergleichsweise unwahrscheinlich ist. Die deutsche Öffentlichkeit blickt auf eine deutlich kürzere gemeinsame politische Geschichte zurück als viele andere europäische Nationen, und selbst innerhalb dieser kurzen gemeinsamen Geschichte war das Land fünfzig Jahre lang gespalten. Außerdem verfügt Deutschland über eine föderale politische Struktur, sowie über eine jahrhundertelange Tradition eines stark regionalisierten Mediensystems (vgl. Pürer/Raabe 2007). Erst die empirische Analyse kann daher in diesem Fall Aufschluss über den Grad der Arenen-Integration geben. Tabelle 3: Mögliche Einflussfaktoren auf den Grad der Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit Integration fördernd
Integration behindernd
gemeinsame Sprache
nur kurze gemeinsame Geschichte
gemeinsame Kultur
föderale politische Struktur
konzentrierte Medien-Besitzstruktur
starke Tradition regionaler Medien
3.1.2 Auswahl der zu analysierenden Medienangebote In dem in dieser Arbeit aufgezeigten Öffentlichkeitsmodell bilden die Massenmedien das wichtigste Öffentlichkeitsforum (vgl. Kapitel 2.2), daher konzentriert sich die empirische Analyse der Arenen-Integration auf massenmediale Öffentlichkeitsforen. Ein weiteres Merkmal des Öffentlichkeitsmodells ist, dass es Öffentlichkeit als Kommunikation über Politik definiert. Aus diesem Grund beschränkt sich die für diese Arbeit relevante Grundgesamtheit auf diejenigen massenmedialen Angebote, in denen vorwiegend politische Fragestellungen diskutiert werden. Aus dieser Grundgesamtheit werden die Medienangebote auf Basis einer bewussten Auswahl oder eines „selective sampling“, bei dem „theoretisch bedeutsame Merkmalskombinationen bei der Auswahl der Fälle“ (Kelle/Kluge 1999: 53) berücksichtigt werden, ausgewählt. Die so gewonnene Stichprobe
Bildung der Stichprobe
81
erhebt keinen Anspruch auf statistische Repräsentativität, erscheint aber für das Untersuchungsziel aus einer Reihen von Gründen besonders vielversprechend: Quantitativ betrachtet soll über die ausgewählten Medien ein möglichst großer Ausschnitt der nationalen Öffentlichkeit erhoben werden, wobei sich die ‚Größe’ in diesem Fall auf die Zahl der durch diese Medien erreichten Bürger bezieht. Außerdem gilt es, vier qualitative Achsen zu berücksichtigen, die die Grundgesamtheit – also die deutschen massenmedialen Medienangebote zum Thema Politik – gliedern:
Gattung: Fernsehen vs. Presse Zielgruppe: National vs. regional ausgerichtete Medien Anspruch: Qualität vs. Boulevard bzw. öffentlich-rechtlich vs. privat Landesteil: in Ostdeutschland vs. in Westdeutschland verbreitete Medien
Die Berücksichtigung verschiedener Mediengattungen – Zeitungen und Fernsehen – erscheint aus zwei Gründen für die Fragestellung relevant:35 Zum einen unterscheiden sich die Mediengattungen grundlegend in ihren Produktionsbedingungen und Darstellungsmöglichkeiten, so dass zu prüfen ist, inwieweit sich dies auf die Integration der Öffentlichkeitsarenen auswirkt. Zum anderen fehlt es generell an mediengattungsübergreifenden Studien in der politischen Kommunikations- und Öffentlichkeitsforschung, insbesondere themenübergreifende Untersuchungen sind ausgesprochen selten (Brettschneider/Rettich 2005; Ausnahme: Marcinkowski 2000). Der Schwerpunkt der Studien konzentriert sich auf die Presseberichterstattung, vor allem aufgrund des einfacheren Materialzugriffs. Da die Bedeutung der Fernsehnachrichten für die Bevölkerung gegenüber den Tageszeitungen eher ansteigt, und dem Fernsehen seitens der Bürger sogar eine größere Relevanz bei der Befriedigung des Informationsbedürfnisses zugeschrieben wird, sollten Fernsehnnachrichten ebenfalls berücksichtigt werden (Ridder/Engel 2005). Ein zentrales Charakteristikum der deutschen Medienlandschaft ist die stark regionalisierte Pressestruktur. Regionale Tageszeitungen haben – trotz kontinuierlicher Konzentrationsprozesse – immer noch eine große Bedeutung in der alltäglichen Mediennutzung, werden aber nur selten bei der wissenschaftlichen Analyse berücksichtigt (lobenswerte Ausnahmen sind Vetters (2007); Pfetsch et 35
Politische Informations- und Diskussionssendungen im Hörfunk werden in dieser Analyse aus zwei Gründen nicht behandelt: Zum einen ist hier das Angebot noch um ein Vielfaches mehr zersplittert (die Media Analyse erfasst über 300 Hörfunksender), zum anderen spielt der Hörfunk eine deutlich geringere Rolle als Informationsquelle für die deutschen Mediennutzer: In der ARD/ZDF-Langzeitstudie Massenkommunikation geben nur 41 Prozent der Befragten an, sie würden den Hörfunk nutzen, um sich zu informieren, gegenüber 59 Prozent bei Tageszeitungen und 69 Prozent für das Fernsehen (Blödorn et al. 2005: 645).
82
Arenen-Integration als methodisches Problem
al. (2008)). Außerdem ist die Unterscheidung regional und bundesweit ausgerichteter Medienangebote für die Frage der Arenen-Integration auf der Dimension Beobachtung des Regierens bedeutsam: So ist denkbar, dass die Medien ihre inhaltliche Ausrichtung zu sehr mit Blick auf ihr regionales oder nationales Publikum gestalten, regionale Nachrichtensendungen beispielsweise nur über regionale Politik berichten, nationale Nachrichtensendungen dagegen regionale Politik aussparen. Das würde die Arenen-Integration in dieser Dimension gefährden. Nur bei einer ausreichenden Integration auf Publikumsebene, also bei der zusätzlichen Nutzung eines regional bzw. national verbreiteten Mediums, könnte man dann noch von einer integrierten Öffentlichkeit sprechen. Die Medienlandschaft ist ebenfalls geprägt durch Unterschiede im journalistischen Anspruch. Die Öffentlichkeitsforschung – insbesondere Studien mit normativ anspruchsvolleren Öffentlichkeitskonzepten – bezieht sich überwiegend auf die Qualitätspresse und geht davon aus, dass außerhalb der Qualitätszeitungen kaum anspruchsvollere Formen der Öffentlichkeit zu finden sind. Die vorliegende Arbeit stellt vergleichsweise geringe Anforderungen an Öffentlichkeit, um gerade auch eine Öffentlichkeit jenseits von FAZ und SZ zu erfassen, die vielleicht eine geringere publizistische Qualität aufweist, dafür aber mehr Bürger erreicht. Insbesondere im Fall der Regionalzeitungen und der privaten Fernsehnachrichten wäre überdies zu überprüfen, inwieweit der diesen oftmals unterstellte niedrigere journalistische Anspruch tatsächlich Auswirkungen auf die Arenen-Integration hat. Wie in Abschnitt 2.3.3.1 diskutiert, stellt die Unterscheidung in Ost- und Westdeutschland weiterhin eine zentrale Spaltungslinie der deutschen Gesellschaft dar. Da die Arenen-Integration in der dritten Dimension, der Vernetzung der Diskurse, zum Ziel haben sollte, wichtige gesellschaftliche Spaltungslinien zu überbrücken, müssen in die Medienstichprobe Organe von beiden Seiten der Spaltungslinie eingehen, also ost- und westdeutsche Medien. Die Medienstichprobe ist nun so zusammengestellt worden, dass bei einem möglichst geringen Erhebungsaufwand die Achsen möglichst gut abgebildet und ein möglichst großer Teil der Gesamtöffentlichkeit erfasst werden. Aus diesen Überlegungen ergibt sich eine Stichprobe von neun Medienangeboten. Bei den Achsen Gattung und Zielgruppe deckt die Stichprobe beide Ausprägungen gleichmäßig ab (jeweils vier vs. fünf Medien). Beim Anspruch ist die niedrigste Kategorie mit nur einem einzigen Medium (der BILD) leider unterbesetzt. Auch beim Landesteil konnte keine ausgewogene Verteilung erreicht werden: Hier stehen zwei ostdeutsche sechs westdeutschen Medien gegenüber – die BILD Leipzig nimmt eine Sonderrolle ein, da sie als in Ostdeutschland vertriebene Zeitung dennoch einen Großteil der in Hamburg bzw. Berlin produzierten Mantelausgabe übernimmt. Dieses Ungleichgewicht entspricht den vorhandenen
Bildung der Stichprobe
83
Produktionsstrukturen, in Ostdeutschland ist weder ein national verbreiteter Fernsehsender noch eine national verbreitete Zeitung (mit nennenswerter Reichweite) ansässig. Tabelle 4: Medienstichprobe und Achsenabbildung Medienangebot
Gattung
Zielgruppe
Anspruch
Landesteil
Süddeutsche Zeitung
Print
National
Hoch
West
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Print
National
Hoch
West
BILD
Print
National
Niedrig
West
Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Print
Regional
Mittel
West
Leipziger Volkszeitung
Print
Regional
Mittel
Ost
TV
National
Hoch
West
ARD tagesschau RTL aktuell
TV
National
Mittel
West
BR Rundschau
TV
Regional
Hoch
West
mdr aktuell
TV
Regional
Hoch
Ost
Zielgruppe: In die Stichprobe geht allein die Bundesausgabe der Qualitätszeitungen ein, daher ist ihre Zielgruppe hier ausschließlich national.
Auch wenn der Hauptaugenmerk dieser Arbeit auf der Arenen-Integration nationaler Öffentlichkeit liegt, d.h. die Beschaffenheit der Inhalte der Öffentlichkeitsforen in den Blick nehmen will, ist es für die normative Bewertung der Ergebnisse nicht unerheblich, inwieweit die Öffentlichkeit auf Ebene der Öffentlichkeitspublika integriert ist. Schließlich können die Überschneidungen auf der Publikumsebene Defizite in der Arenen-Integration möglicherweise wieder kompensieren. Daher soll hier kurz angerissen werden, inwieweit die ausgewählten Medien von ihrem Publikum ausschließlich genutzt werden, bzw. welche Medien in Ergänzung herangezogen werden. Das zentrale Problem einer solchen Analyse ist die Datenlage: Die Stichprobe umfasst sowohl Fernsehnachrichten als auch Tageszeitungen, deren Nutzung jeweils in getrennten Verfahren erhoben wird.36 Der Werbewirtschaft stehen zwar fusionierte Datensätze zur Verfügung, mit denen über spezielle Programme (z.B. PINball37) das mediengattungsübergreifende Nutzungsverhalten 36
Die Fernsehnutzung wird über ein Panel von Haushalten durch die Gesellschaft für Konsumforschung gemessen, die Zeitungsnutzung über telefonische Befragungen im Rahmen der MediaAnalyse Pressemedien (im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse) erhoben. 37 Für eine Einführung in das PINball-System siehe http://www.media-stand-by.de/msb/asset/pinballim.pdf (abgerufen am 17.08.2008).
84
Arenen-Integration als methodisches Problem
ausgewertet werden kann, diese sind bisher jedoch nicht für wissenschaftliche Anwendungen frei zugänglich. Aus diesem Grund müssen die möglichen Nutzungsüberschneidungen über die zwei verfügbaren Datenquellen geschätzt werden, wobei leider nur die Printdaten selbstständig ausgewertet werden können (als SPSS-Datensatz aufbereitet vom Medienwissenschaftlichen Lehr- und Forschungszentrum der Universität Köln), die Fernsehdaten wurden von der SevenOneMedia (dem Vermarkter aller Sender der ProSiebenSat.1 Media AG) nur als fertige Auswertung zur Verfügung gestellt. Tabelle 5: Medienstichprobe und Reichweite Verkaufte Auflage in Tsd.
Reichweite in Tsd.
Anteil ‚ExklusivNutzer’ in %
Süddeutsche Zeitung außerhalb Bayerns
527 202
1.004 305
65,6 47,9
Frankfurter Allgemeine Zeitung außerhalb Hessens
376 285
861 501
25,9 26,4
3.328
10.470
50,6
Westdeutsche Allgemeine Zeitung
580
2.940
81,3
Leipziger Volkszeitung
238
717
80,3
ARD tagesschau
-
5.197
15,6
RTL aktuell
-
3.792
23,6
BR Rundschau
-
549
11,9
mdr Aktuell
-
705
12,8
Medienangebot
BILD
Quellen: Verkaufte Auflage: IVW 2008 Fernsehen: Ø-Reichweite in Bevölkerung ab 14 Jahren, ‚Exklusiv-Nutzer’=Anteil der Zuschauer, die nicht mindestens einmal wöchentlich eine Tageszeitung lesen, Basis: AGF/GfK Fernsehforschung/ pc#tv aktuell / SevenOne Media Audience Research Munich (BS) (01.01.-06.06.2008); Zeitung: regelmäßige Leser (Werbeträgerkontaktchance > 59 Prozent) in Bevölkerung ab 14 Jahren (entspricht ca. Lesern pro Ausgabe (LpA)), ‚Exklusiv-Nutzer’=Anteil der regelmäßigen Leser der Zeitung, die keine andere Tageszeitung regelmäßig lesen, Basis: ma Printmedien 2005 II (Erhebungszeitraum: September 2003-September 2004), eigene Berechnungen auf Basis des SPSSDatensatzes des MLFZ Köln
Die problematische Datenlage bringt folgende Einschränkungen mit sich: Überschneidungen in der Zeitungsnutzung lassen sich zwar auf Basis der ma Printmedien-Daten exakt berechnen. Will man sich zusätzlich ein Bild von der möglichen ergänzenden Nutzung der Fernsehnachrichten machen, so kann diese nur auf Basis der auf Bundesländer-Ebene zur Verfügung stehenden durchschnittlichen Reichweiten der Nachrichtensendungen grob geschätzt werden. Um dies an
Bildung der Stichprobe
85
einem Beispiel zu erläutern: Die WAZ hat 2,9 Millionen regelmäßige Leser (in der Bevölkerung ab 14 Jahre), von denen 81,3 Prozent keine andere Zeitung regelmäßig lesen (bzw. zumindest keine andere Zeitung, die im Rahmen der ma Printmedien erhoben wird). Die regelmäßigen Leser der WAZ leben ausschließlich (zu 100 Prozent) in Nordrheinwestfalen, dort hat die ARD tagesschau eine durchschnittliche Reichweite von 1,0 Millionen Zuschauern, die mindestens wöchentlich eine Tageszeitung lesen, dies entspricht 6,4 Prozent der Bevölkerung. Daraus kann abgeleitet werden, dass der Anteil der WAZ-Leser, die die tagesschau sehen, bei ungefähr 6,4 Prozent liegt. Dies ist allerdings eine sehr grobe Schätzung, da zum einen die Tagesschau-Zuschauer auch irgendeine andere Tageszeitung lesen könnten (z.B. die BILD), und zum anderen für die Leser bestimmter Tageszeitungen möglicherweise der Anteil derer, die auch Fernsehnachrichten sehen, den durchschnittlichen Anteil übersteigt. Beispielsweise wird Lesern der Qualitätspresse oft generell ein höheres Nachrichteninteresse unterstellt, und damit eine überdurchschnittliche Nutzungswahrscheinlichkeit für die Hauptnachrichtensendungen. Solche Faktoren konnten in der Schätzung leider nicht berücksichtigt werden. Dennoch ermöglichen sowohl die errechneten Überschneidungen in der Zeitungsnutzung als auch die Schätzwerte zumindest eine grobe Bewertung der Überschneidungen auf Publikumsebene. Insgesamt betreffen die Überschneidungen auf Publikumsebene vor allem die BILD, die sowohl von über einem Zehntel der Leser der regionalen Tageszeitungen und der der FAZ regelmäßig parallel gelesen wird. Bei den Lesern der SZ sind es nur um die sechs Prozent, die ebenfalls die BILD nutzen. Zudem fällt auf, dass die Leser der ostdeutschen Regionalzeitung LVZ kaum auf die überregionale Qualitätspresse zurückgreifen (Null Prozent auf die SZ, und 0,3 auf die FAZ), bei den Lesern der WAZ ist dies etwas häufiger der Fall. Insgesamt ist der Anteil der ‚Exklusiv-Nutzer’, die keine weiteren Zeitungen lesen, unter den regionalen Tageszeitungen am höchsten (über 80 Prozent). Gleichzeitig unterscheiden sich die beiden Regionalzeitungen in ihrer Fernsehnutzung: Während unter den LVZ-Leser RTL aktuell die wichtigste Nachrichtensendung ist, gefolgt von mdr aktuell und der tagesschau, ist es bei der WAZ die tagesschau gefolgt von RTL aktuell.
86
Arenen-Integration als methodisches Problem
Tabelle 6: Überschneidungen der Publika der ausgewählten Medien WAZ
LVZ
BILD
SZ
FAZ
BR
mdr
ARD
RTL
WAZ
-
0
12,1
0,4
1,4
0,1
0,0
6,4
4,1
LVZ
0
-
11,6
0
0,3
0,2
6,3
5,3
6,4
BILD
3,4
0,8
-
0,4
1,1
[6,1]
[6,3]
6,1
4,0
SZ
1,1
0
5,6
4,5
[6,1]
[6,3]
6,1
4,0
3,4
0
6,2
6,2
0,2
6,1
4,3
4,6
0,2
13,3
5,3
6,1
4,0
6,5
0,3
15,9
6,5
7,3
5,0
BR
[0]
[0]
[13,6]
[7,0]
[0,6]
k.A
Mdr
[0]
[8,5]
[12,0]
[0,3]
[0,3]
k.A
ARD
4,1
1,0
14,6
1,2
1,4
k.A.
RTL
4,1
1,0
14,6
1,2
1,4
k.A.
ohne Bayern FAZ ohne Hessen
-
-
[6,1]
[6,3]
Quellen: Fernsehen: Ø-Reichweite in Bevölkerung ab 14 Jahren, AGF/GfK Fernsehforschung / pc#tv aktuell/ SevenOne Media Audience Research Munich (BS) (01.01.-06.06.2008). Zeitung: regelmäßige Leser (Werbeträgerkontaktchance > 59 Prozent) in Bevölkerung ab 14 Jahren, ma Printmedien 2005 II (Erhebungszeitraum: September 2003-September 2004), eigene Berechnungen auf Basis des SPSS-Datensatzes des MLFZ Köln. Bevölkerungsdaten: Statistisches Bundesamt Wiesbaden (Stand: 31.12.2006). Legende: BR = Bayerische Rundschau, mdr = mdr aktuell, ARD = ARD tagesschau, RTL = RTL aktuell. k.A.= keine Angaben möglich. Zahlen in kursiv = Schätzwerte, entspricht dem Anteil der Zuschauer im entsprechenden Bundesland (WAZ: NRW, LVZ: Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen) bzw. in Gesamt-Deutschland (BILD, SZ und FAZ), die mindestens einmal pro Woche eine Tageszeitung lesen. Zahlen in [eckigen Klammern] = nur Überschneidungen in Bayern (im Falle des BR) oder Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen (im Falle des mdr). Lesebeispiel: Von den regelmäßigen Lesern der WAZ lesen 0 Prozent regelmäßig die LVZ, 12,1 Prozent die BILD, etc., und ca. 0,1 Prozent sehen die BR Rundschau, ca. 34 Prozent die tagesschau etc.
Wochenzeitungen oder –zeitschriften, denen immer wieder ein besonders großer Einfluss auf die öffentliche Diskussion zugeschrieben wird, werden aus zwei Gründen nicht in die Stichprobe mit aufgenommen. Zum einen führen sie nicht zu einer besseren Verteilung auf den diskutierten Achsen, da die Kategorien hoher Anspruch, Landesteil West schon mehr als ausreichend besetzt sind, bzw. sie können aufgrund ihrer geringeren Reichweiten keine der ausgewählten Medien ersetzen. Dieselbe Argumentation trifft auf Nachrichtenmagazine im Fern-
Bildung der Stichprobe
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sehen wie z.B. die ARD Tagesthemen zu. Des Weiteren erleichtert eine Stichprobe, die ausschließlich aus tagesaktuellen Medien besteht, die weitergehende Analyse insbesondere in der Dimension Ähnlichkeit der Diskurse deutlich.
3.1.3 Auswahl des Untersuchungszeitraums Als Untersuchungszeitraum werden zwei natürliche Wochen im September 2006 gewählt, vom 18. September (Sonntag) bis zum 30. September (Samstag). Dabei ist die Erhebung der Zeitungen gegenüber der der Fernsehsendungen um einen Tag nach hinten verschoben, um die durch unterschiedliche Produktionstechniken bedingte Verzögerung zu kompensieren (siehe Weiß/Trebbe 1994; Voltmer 1998). Für Westdeutsche Allgemeine Zeitung (Stammausgabe Essen), Leipziger Volkszeitung (Stammausgabe Leipzig) und Süddeutsche Zeitung (Bundesausgabe) werden jeweils sechs Ausgaben pro Woche, für die BILD (Ausgabe Leipzig) und die Frankfurter Allgemeine Zeitung (Bundesausgabe) jeweils sieben pro Woche (inkl. der BILD am Sonntag und der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung) in die Stichprobe aufgenommen, von den Nachrichtensendungen jeweils sieben pro Woche.38 Die Wahl natürlicher Wochen als Stichprobenverfahren ist bei Inhaltsanalysen von Fernsehsendungen sehr üblich (Bruns/Marcinkowski 1997; Trebbe 2004; Trebbe 1998; Weiß/Trebbe 1994; Weiß 1998; Krüger/Zapf-Schramm 2006), aber auch diverse Tageszeitungsstudien greifen auf dieses Stichprobenverfahren zurück (Scherer et al. 1997; Voltmer 1998). Der große Vorzug des Verfahrens ist die erleichterte Materialsammlung, die Repräsentativität der Stichprobe ist allerdings nicht unproblematisch (für eine ausführliche Diskussion siehe z.B. Weiß 1998: 42ff). Das in dieser Studie entwickelte Analysedesign (siehe Kapitel 3.2) erfordert in jedem Falle die Erhebung eines mehrtägigen zusammenhängenden Zeitraums, um die Karriere zweier ausgewählten Themen und der zu ihrer Beschreibung verwendeten Frames und Identitäten in den unterschiedlichen Medien kontinuierlich verfolgen zu können. Um eine Verdopplung des Arbeitsaufwands zu vermeiden, wird dieses Analysematerial auch für die themenübergreifende Querschnittsstudie genutzt. Stichproben aus natürlichen Wochen erfordern eine sorgfältige Auswahl des Untersuchungszeitraums, um systematische Verzerrungen der Ergebnisse durch externe Faktoren (wie herausragende Ereignisse) zu vermeiden. Die Auswahl einer vollständig verzerrungsfreien ‚Normalzeit’ ist aber letztlich unmöglich – 38
ARD tagesschau: täglich 20h00-20h15, RTL aktuell: täglich 18h45-19h03, mdr aktuell: täglich 19h30-19h50, BR Rundschau: täglich 18h45-19h00.
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insbesondere da man in diesem Analysedesign nicht durch unerwartete Ereignisse ‚verzerrte’ Tage im Nachhinein gegen andere austauschen kann (wie z.B. bei Weiß (1998)). Außerdem stellt eine ereignisfreie ‚Normalzeit’ aus Journalistensicht eben gerade keine ‚Normalzeit’ dar, da eine ereignisorientierte Berichterstattung nun mal der Medienlogik entspricht. Für diese Untersuchung ist daher die gegenläufige Strategie gewählt worden, die Entscheidung fiel bewusst für einen Zeitraum, in dem ein Großereignis zu erwarten war, das für die Fragestellung der Untersuchung von Interesse ist. In diesem Fall handelt es sich um zwei Landtagswahlen (in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern). Die Integration der Öffentlichkeitsarenen ist bei einem solchen Ereignis recht wahrscheinlich, aber auch besonders wichtig für die politische Gemeinschaft. Schließlich ist es genau diese Art von Ereignis, bei dem es zwar primär um regionale Politik geht, das aber Auswirkungen auf die gesamte politische Gemeinschaft haben kann. Es handelt sich also um einen ‚easy case’, bei dem eine mangelnde Arenen-Integration umso bedeutsamer wäre. Bei einer solchen Stichprobenstrategie ist es besonders wichtig, dass mögliche Verzerrungen der Ergebnisse bewusst reflektiert und diskutiert werden. Die Kontrolle und Diskussion möglicher Verzerrungen ist im Falle von natürlichen Wochen im Übrigen sogar einfacher als bei künstlichen Wochen, die den Analysen von Christoph Kuhlmann bzw. Grit und Olaf Jandura zufolge keineswegs vor systematischen Verzerrungen schützen (zumindest nicht wenn man weniger als 26 Wochen pro Jahr auswählt, vgl. Jandura 2005).39
3.2 Erhebungsinstrumente und Durchführung der Teilstudien Die in Kapitel 2.3 für die verschiedenen Dimensionen beschriebenen Bedingungen der Arenen-Integration erfordern ein recht komplexes Erhebungsinstrument. Sowohl die zweite – Ähnlichkeit der Diskurse – als auch die vierte Dimension – kollektive Identität – beinhalten Indikatoren, die sich nicht innerhalb einer rein standardisierten Inhaltsanalyse erfassen lassen. Aus diesem Grund gliedert sich die Untersuchung in zwei Teilstudien. Die erste Teilstudie besteht aus einer standardisierten themenübergreifenden Inhaltsanalyse, durch die Indikatoren für alle vier Dimensionen erfasst werden. Die zweite Teilstudie setzt sich aus zwei 39
Bei künstlichen Wochen müsste für jeden einzelnen Stichprobentag sorgfältig protokolliert werden, welche externen Faktoren sich möglicherweise auf die erhobenen Variablen ausgewirkt haben. Für natürliche Wochen muss dies nur für jede gewählte Woche geschehen; die möglichen externen Einflussfaktoren werden mit großer Wahrscheinlichkeit für mehrere Stichprobentage identisch bleiben. Dies erhöht allerdings auch das Risiko, dass bei einer natürlichen Woche durch ein einziges Ereignis alle Stichprobentage derart verzerrt werden, dass die Stichprobe unbrauchbar wird und nacherhoben werden muss.
Erhebungsinstrumente und Durchführung der Teilstudien
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themenzentrierten Fallstudien zusammen, durch die über eine größere Analysetiefe und eine Kombination qualitativer und quantitativer Elemente zusätzliche Indikatoren für die Dimensionen Ähnlichkeit der Diskurse und kollektive Identität erhoben werden können (vgl. Abbildung 4). Abbildung 4:
Überblick über das Untersuchungsdesign
Teilstudie 1: themenübergreifende Inhaltsanalyse
a Ind ik
n tore
für
Beobachtung des Regierens Ähnlichkeit der Diskurse
Indika to re n
Vernetzung der Diskurse
für
Teilstudie2: themenzentrierte Fallstudien
Kollektive Identität
3.2.1 Teilstudie 1: themenübergreifende Inhaltsanalyse Für die standardisierte themenübergreifende Inhaltsanalyse der ersten Teilstudie wird ein Kodebuch entwickelt, das sich in Aufbau und Inhalten am Kodebuch des Forschungsprojekts ‚Die Transnationalisierung von Öffentlichkeit am Beispiel der EU’ orientiert, mit dem bereits der Integrationsgrad der europäischen Öffentlichkeit erhoben worden ist (vgl. Wessler et al. 2008). Der Vorteil dieser Vorgehensweise ist, dass einerseits teilweise auf bereits erprobte Analysekategorien zurückgegriffen werden kann. Andererseits ermöglicht dies eine leichtere Gegenüberstellung der Ergebnisse zur deutschen und zur europäischen Öffentlichkeit. Die Untersuchungseinheit in der ersten Teilstudie sind alle Beiträge der politischen Berichterstattung im Zeitraum vom 17./18.09.2006 bis zum 30.09./ 01.10.2006 in den neun ausgewählten Medien.40 Das Kodebuch enthält Instruktionen zur Kodierung des gesamten Untersuchungsmaterials, für einige Variablen unterscheidet es Kodierregeln für Fernseh- und Zeitungsbeiträge. Es sieht die Erhebung von formalen und inhaltlichen Merkmalen vor, Kodiereinheit und Kontexteinheit ist jeweils der einzelne Beitrag. Als Beitrag gilt in Zeitungen der einzelne Artikel, bzw. jeder redaktionelle Textabschnitt mit eigener Überschrift und eigener Quellenangabe (in der BILD auch ohne eigene Quelle). Beim Fernse40
Es wird die gesamte politische Berichterstattung der Tageszeitungen in allen Zeitungsteilen unabhängig von deren geographischen Fokus (regional, national oder Ausland) in die Analyse miteinbezogen. Nur die mit ‚aus den Stadtteilen’ überschriebenen Seiten werden bei der Kodierung des Regionalteils ausgeschlossen. Aus Kapazitätsgründen wird von allen regionalen Zeitungsteilen nur jeder zweite Artikel kodiert, und zwar an ungeraden Tagen nur der erste, dritte etc. Artikel, an geraden Erscheinungstagen entsprechend der zweite, vierte etc. Detaillierte Informationen zur Auswahl der Medieninhalte sind dem Kodebuch der themenübergreifenden Teilstudie zu entnehmen (auf Anfrage bei der Autorin erhältlich).
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Arenen-Integration als methodisches Problem
hen wird als einzelner ‚Beitrag’ jeder Abschnitt der Sendung kodiert, der sich entweder im Thema oder in der Darstellungsform von dem vorausgehenden Abschnitt unterscheidet. Als formale Merkmale werden neben Kodierer, Medium und Datum, die Beitragslänge (in Spaltenzentimetern oder Minuten:Sekunden), die Quelle und journalistische Darstellungsform erfasst, sowie für Zeitungen Platzierung und Rubrik. Die zu kodierenden inhaltlichen Merkmale ergeben sich aus den für die verschiedenen Dimensionen entwickelten Indikatoren. Kodiert werden Thema und Themenkategorie, sowie geographische und Institutionenverweise. Bei der Kodierung von Zeitungen kann bei den Verweisen unterschieden werden in primäre (= in Überschrift oder erstem Absatz der Artikel) und sekundäre Verweise (im restlichen Text). Tabelle 7: Übersicht über Dimensionen, Variablen, Ausprägungen in der ersten Teilstudie Dimensionen
Variablen*
Ausprägungen*
Beobachtung des Regierens
Verweise auf politische Institutionen
regional
Themenkategorien
national
Sprecher: Politikebene
EU
Hauptakteure: Politikebene Ähnlichkeit der Diskurse
Themen
(dynamisch)
Vernetzung der Diskurse
Geographischer Fokus
Ostdeutschland
Sprecher: Herkunft
Westdeutschland
Hauptakteure: Herkunft
national
Territorialgem.: Ausdehnung
regional
Wir-Gemeinschaften: Ausdehnung
national
Abgrenzungsgem.: Abgrenzungsobjekt
europäisch
Kollektive Identität
* Das Kodebuch enthält noch eine Reihe weiterer Variablen/Ausprägungen, hier werden lediglich die für die Analyse der Arenen-Integration verwendeten Variablen/Ausprägungen zusammengefasst.
Für Hauptakteure, Sprecher, sowie die Urheber der Aussagen zur kollektiven Identität werden jeweils Profil (z.B. Politiker, Wirtschaftsunternehmen etc.), Herkunft, sowie für Politiker die Politik-Ebene (regional, national, supranational: EU etc.) verschlüsselt. Außerdem werden verschiedene Typen der kollektiven Identifikation (Wir-Gemeinschaften, Territorialgemeinschaften) mit ihrer jeweiligen Ausdehnung (regional, national, europäisch etc.) erfasst. Für die Abgrenzungsgemeinschaften kann das Objekt der Abgrenzung, also die Person oder Gruppe, von der sich die Gemeinschaft abgrenzt, kodiert werden. Die detaillier-
Erhebungsinstrumente und Durchführung der Teilstudien
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ten Variablenbeschreibungen können dem Kodebuch entnommen werden, das auf Anfrage bei der Autorin erhältlich ist. An dieser Stelle soll nur ein Überblick darüber gegeben werden, welche Variablen mit welchen Ausprägungen sich auf die verschiedenen Dimensionen beziehen (Tabelle 7) und auf einige Besonderheiten des Kodebuchs genauer eingegangen werden: die dynamischen Themenkodierung, die Kodierung der Sprecher, sowie die der kollektiven Identitäten. Dynamische Themenkodierung Der zentrale Indikator für die zweite Dimension – die Ähnlichkeit der Diskurse – ist das Hauptthema der Zeitungs- und Fernsehbeiträge, das später als Basis der Berechnung von drei Ähnlichkeitskriterien dient: Überschneidung, Intensität und Synchronität. Wie bereits in Kapitel 2.3.2 diskutiert, besteht das Problem der Messung von Ähnlichkeit generell darin, dass sie sehr eng an die Definition der zu vergleichenden Aspekte geknüpft ist: Je weiter deren Definition, desto wahrscheinlicher ähneln sich die Öffentlichkeitsarenen. Bei der Messung von Themenähnlichkeit kommt erschwerend hinzu, dass für den Begriff Thema eine besonders große Bandbreite an Definitionsmöglichkeiten möglich ist, die von sehr grob bis sehr fein reichen können, da es keinen ‚natürlichen’ Themenumfang gibt (für eine ähnliche Diskussion siehe Eilders 2004). Die Bewertung der Themenähnlichkeit kann daher später immer nur relational, also im Vergleich der Öffentlichkeitsarenen erfolgen. Um triviale Befunde zu vermeiden (z.B. dass in allen Öffentlichkeitsarenen über das Thema ‚Sozialpolitik’ berichtet worden ist), muss die Variable Thema eine möglichst große Varianz zulassen und daher möglichst feingliedrig sein. Die Definition einer sehr feingliedrigen Themenvariable ist wiederum vorab nicht möglich, da ohne detailliertes Vorwissen über die Ereignislage und Berichterstattungsinhalte im Untersuchungszeitraums nicht alle diskutierten Themenbereiche ausreichend abgedeckt, bzw. möglicherweise andere, sorgfältig ausdefinierte Bereiche überhaupt nicht angesprochen werden. Aus diesem Grund erfolgt die Themenkodierung für die Untersuchung dynamisch, direkt am Material: Im ersten Kodierdurchgang erfassen die Kodierer lediglich eine grobe Themenkategorie sowie die Schlagzeilen des Artikels, bei weniger aussagekräftigen Schlagzeilen werden ergänzt um zu deren Verständnis nötige Zusatzinformationen. Anschließend werden alle Themen in einer Ausgabe des ersten Mediums kleinteilig verschlüsselt. Im nächsten Schritt werden die am selben Tag erschienenen Beiträge des nächsten Mediums entweder, sofern möglich, den bereits erfassten Themen zugeordnet oder aber die Themenliste um ihre Themen ergänzt. So wird fortgeschritten, bis die Themen aller Medien eines Tages erfasst sind. Dann wird der Prozess für den nächsten Stichprobentag wiederholt, allerdings mit der Themenliste des Vortages als Ausgangsbasis. Auf diese Weise ist
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Arenen-Integration als methodisches Problem
eine Liste mit insgesamt 1495 verschiedenen Themen entstanden. Dabei beschränkt sich die dynamische Themenkodierung bei den Zeitungen auf den allgemeinen Politikteil, für den regionalen Politikteil werden nur die Themenoberkategorien erfasst, da dieser nicht in die Bewertung der Ähnlichkeit miteinfließt. Kodierung der Sprecher Als Sprecher werden in dieser Arbeit all diejenigen Personen oder Institutionen kodiert, deren diskursive Position in den untersuchten Beiträgen direkt oder indirekt zitiert wird. Als diskursiv gelten solche Positionen, die vom Sprecher mit Argumenten unterstützt werden. Da es sehr aufwändig gewesen wäre, für jedes Zitat zu überprüfen, ob es diskursiv ist, wird die Operationalisierung von Wessler et al. (2008: 217) übernommen, nach der alle Sprecher zu kodieren sind, die mit mindestens zwei Sätzen zitiert werden. Im Falle der BILD und der Fernsehnachrichten muss die Sprecherauswahl allerdings an den Berichtserstattungsbzw. Diskussionsstil des Mediums bzw. der Mediengattung angepasst werden, hier wird jeder zitierte Sprecher kodiert (was selbstverständlich bei der späteren Ergebnisinterpretation zu berücksichtigen ist). Kodierung kollektiver Identitäten Die Erfassung kollektiver Identitäten im Mediendiskurs mittels einer standardisierten Inhaltsanalyse setzt voraus, dass sehr gute Operationalisierungen des doch recht vagen Konzepts gefunden werden, damit sie von den Kodierern verlässlich erhoben werden können. Die Operationalisierung der Wir-Gemeinschaften ist prinzipiell recht einfach, verlangt von den Kodierern aber größte Aufmerksamkeit und Konzentration: Wann immer in einem Artikel/Beitrag Pronomina wie ‚wir’ ‚uns’ oder ‚unser’ verwendet werden, muss erfasst werden, auf eine Gemeinschaft welcher Ausdehnung (z.B. regional ‚Wir Bayern’ oder national ‚uns Deutschen’) sich das ‚Wir’ bezieht. Hier müssen die Kodierer sorgfältig darauf geschult werden, ‚wir’ und ‚uns’ nicht zu überlesen. Für die Kodierung von Kulturgemeinschaften werden die Beiträge zunächst nach folgenden Schlüsselwörtern im Text durchsucht: Sprache, Kultur, kulturelles Erbe, Tradition, Brauchtum, Geschichte, Identität, Religion, Glauben, Kirche, Moral, Werte, Ideale, Mentalität, Identität, Vision, Prinzipien, typisch, Stolz, Gemeinsamkeiten
Wenn diese Schlüsselwörter auftreten, muss geprüft werden, inwieweit der Sprecher an dieser Stelle eine Kulturgemeinschaft mit einem bestimmten geographischen Zuschnitt konstruiert hat, z.B. mit Sätzen wie ‚Es ist eine gute deutsche Tradition, auf das internationale Geschehen nicht überstürzt zu reagieren.’ Dann
Erhebungsinstrumente und Durchführung der Teilstudien
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wird auch die Ausdehnung der angesprochenen Kulturgemeinschaft erhoben. Sowohl bei den Wir- als auch den Kulturgemeinschaften werden vor allem Verweise auf Gemeinschaften kodiert, bei denen zu vermuten ist, dass sich der Leser oder Zuschauer des Beitrags mit ihnen identifizieren kann. Alle anderen erwähnten Gemeinschaften werden als ‚exklusive’ Gemeinschaften erfasst. Eine Beschreibung der Kulturgemeinschaften der Franzosen wäre damit eine exklusive Kulturgemeinschaft, ‚Wir Muslime’ wäre eine exklusive Wir-Gemeinschaft, da sich die Mehrheit des Publikums vermutlich nicht davon angesprochen fühlt. Als Territorialgemeinschaft werden alle Verweise auf eine territorial abgrenzbare Gemeinschaft kodiert. Eine solche Bezugnahme kann entweder direkt erfolgen, indem die Bevölkerung einer bestimmten Region explizit angesprochen wird: ‚Die Menschen in Leipzig’ oder ‚die deutsche Bevölkerung’. Schlüsselwörter hierfür sind ‚Bevölkerung’, ‚Bürger’, ‚Einwohner’, ‚Menschen’ oder auch ‚Leute’. Außerdem kann die territorial abgrenzbare Gemeinschaft über die Verwendung von Kollektivnamen markiert werden: Als Kollektivname gilt jede Bezeichnung einer territorial abgrenzbaren Gemeinschaft, die mit einem Artikel eingeleitet wird und die sich auf die Bevölkerung der Region bezieht (und nicht auf deren Regierung oder Politiker): z.B. ‚die Bayern’, ‚die Münchner’, ‚die OstDeutschen’, nicht aber ‚Israel’ oder ‚israelisch’. Auch in dem Satz ‚Die Amerikaner haben im Sicherheitsrat eindeutig Stellung bezogen’ wird keine Territorialgemeinschaft angesprochen, da ‚die Amerikaner’ hier nur als Abkürzung für ‚die amerikanischen Vertreter’ verwendet werden. Identitätsgemeinschaften lassen sich im öffentlichen Diskurs auch über die Abgrenzung zu anderen Personen/Gruppen herstellen, man wird vereint in der Ablehnung eines gemeinsamen Feindes. Diese Abgrenzung kann über Kritik, Schuldzuweisungen, über Stigmatisierung oder Dämonisierung vollzogen werden. Innerhalb der standardisierten Inhaltsanalyse sind nur Abgrenzungsgemeinschaften durch ‚Othering’ zu kodieren, d.h. durch emotional aufgeladene Kritik bzw. Dämonisierung durch Adjektive wie ‚unbarmherzig’, ‚bestialisch’, ‚blödsinnig’ oder drastische Vergleiche und Charakterisierungen, z.B. ‚wie ein Tyrann’ oder ‚wie eine Bestie’. In Fällen von ‚Othering’ werden nur das Abgrenzungsobjekt und der Urheber der Abgrenzungsaussage erhoben.
3.2.2 Teilstudie 2: themenzentrierte Fallstudien Mit der zweiten Teilstudie werden zusätzliche Indikatoren für zwei der vier Dimensionen der Arenen-Integration von Öffentlichkeit erhoben: Nachdem in der ersten Teilstudie bereits die Ähnlichkeit der Diskurse anhand der Themenüberschneidungen, der Intensität der Themenbehandlung und die Synchronität der
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Arenen-Integration als methodisches Problem
Themenbehandlung in den neun Öffentlichkeitsarenen erfasst worden ist, wird für zwei ausgewählte Themen die Ähnlichkeit der verwendeten Frames verglichen. Der zweite Teil der qualitativen Teilstudie widmet sich den Indikatoren der vierten Dimension, der kollektiven Identität, und analysiert diese genauer als es im Rahmen der standardisierten Erhebung möglich war. Tabelle 8: Übersicht über Dimensionen, Variablen, Ausprägungen in der zweiten Teilstudie Dimensionen
Variablen
Ausprägungen
Ähnlichkeit der Diskurse
Frame-Elemente:
Diverse
Ursachen Ereignis Folgen Ereignis Bewertung Ereignis Bewertung Akteure
Kollektive Identität
Abgrenzungsgemeinschaft: Abgrenzungsobjekt
Diverse
Wir-Gemeinschaft: Ausdehnung
regional
Kulturgemeinschaft: Ausdehnung
national
Abgrenzungsgemeinschaft: Ausdehnung
europäisch
Territorialgemeinschaft: Ausdehnung
westlich/christlich
Problemgemeinschaft: Ausdehnung Wir-Gemeinschaft: Stärke
neutral
Kulturgemeinschaft: Stärke
solidarisch
Abgrenzungsgemeinschaft: Stärke Territorialgemeinschaft: Stärke Problemgemeinschaft: Stärke
Beide Abschnitte der zweiten Teilstudie unterscheiden sich stark in ihrer Vorgehensweise, sie basieren aber aus forschungspragmatischen Überlegungen auf demselben Textmaterial. Die Erhebung des Indikators Frames stellt keine spezifischen Anforderungen an das Untersuchungsmaterial, eine Analyse der Ähnlichkeit der verwendeten Frames ließe sich für jedes innerhalb des Untersuchungszeitraums behandelte Thema durchführen. Es sollte lediglich sichergestellt sein, dass das Thema in allen Teilöffentlichkeiten diskutiert wird. Dementsprechend wird das Untersuchungsmaterial so ausgewählt, dass es sich besonders gut für eine Analyse der verwendeten kollektiven Identitäten eignet. Wieder wird eine bewusste Auswahl vorgenommen („selective sampling“, Kelle/Kluge 1999: 53), die für das Untersuchungsziel besonders viel versprechend erscheint: Der Aufbau und die Unterstützung einer kollektiven Identi-
Erhebungsinstrumente und Durchführung der Teilstudien
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tät stehen in der Regel nicht im Vordergrund öffentlicher Diskurse. Bei den meisten Themen machen die Verweise auf eine kollektive Gemeinschaft nur einen sehr geringen Teil der Berichterstattung und Diskussion aus, oft lässt sich die der Diskussion zugrunde liegende Vorstellung einer politischen Gemeinschaft nur schlecht rekonstruieren. Bei einer qualitativen Auswertung der Identitätskonstruktionen im gesamten Untersuchungsmaterial der ersten Teilstudie (also zwei Wochen Berichterstattung im September 2006 in neun regionalen und nationalen Medien) stünde demnach der Ertrag in keinem vertretbaren Verhältnis zum Analyseaufwand. Stattdessen empfiehlt es sich, für die Analyse Berichterstattungsthemen auszuwählen, bei denen davon auszugehen ist, dass sie besonders viele Verweise auf kollektive Identitäten enthalten. Des Weiteren interessiert uns für diese Dimension vor allem die sozialräumliche Ausdehnung der vermittelten kollektiven Identität: Ist diese regional begrenzt oder schließt sie die ganze Nation mit ein? Dementsprechend sollten Themen ausgewählt werden, die eine gewisse Varianz in der abhängigen Variablen zulassen, in deren Rahmen also kollektive Gemeinschaften verschiedenen Zuschnitts vermittelt werden könnten. Folgende Themen wurden ausgewählt: 1. Wahlerfolg der NPD bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern Æ eher regionale Identitäten? 2. Zusammenleben mit Muslimen in Deutschland Æ eher nationale Identität? Zu Thema 1: Wahlerfolg der NPD Am 17. September 2006 fand die Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern statt (ebenso wie in Berlin), dabei erhielt die NPD erstmals genügend Stimmen, um in den Schweriner Landtag einzuziehen. Angesichts der wahrgenommenen Bedrohung der Demokratie durch den Erfolg einer rechextremistischen Partei musste sich die politische Gemeinschaft mit ihrem Selbstverständnis und ihrer eigenen Identität auseinandersetzen. Dementsprechend sollten sich viele Verweise auf kollektive Identitäten im öffentlichen Diskurs finden. Auch wenn das Thema vorwiegend eine regionale Ausrichtung hat, sind Verweise auf kollektive Identitäten anderer Ausdehnung möglich: So könnte der Erfolg der NPD teilweise als ostdeutsches Problem der Neuen Bundesländer gesehen werden, gleichzeitig steht auch die gesamtdeutsche Geschichte und Identität zur Debatte. Zu Thema 2: Muslime in Deutschland Am 27. September 2006 fand in Berlin das erste Treffen der deutschen Islamkonferenz statt, die über die nächsten Jahre den Dialog zwischen dem deutschen
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Staat und den in Deutschland lebenden Muslimen fördern soll. Im Umfeld des Treffens wurde intensiv über das Zusammenleben mit Muslimen in Deutschland diskutiert, genährt durch die als islamfeindlich wahrgenommene Rede des Papstes in Regensburg (12.09.), sowie durch die Absetzung der Mozart-Oper Idomeneo aus Furcht vor islamistischen Anschlägen (25.09.). Bei diesem Thema steht die Identität der politischen Gemeinschaft im Mittelpunkt der Debatte, entsprechend viele Verweise auf kollektive Identitäten sind zu erwarten. Dabei wird wahrscheinlich die kollektive Identität nationaler Ausdehnung dominieren, aber auch regionale oder transnationale Identitäten könnten angesprochen werden. Die Untersuchungseinheit in der zweiten Teilstudie sind jeweils alle Beiträge zu einem der beiden Untersuchungsthemen in der quantitativen Stichprobe, d.h. für das Thema ‚Wahlerfolg der NPD’ 232 Zeitungs- und Fernsehbeiträge und für das Thema ‚Muslime in Deutschland’ 240 Beiträge. Die Kontexteinheit bei der Kodierung ist der einzelne Beitrag. Die Kodierung des Materials erfolgt auf zwei Ebenen, erste Kodiereinheit ist der gesamte Beitrag, die zweite Kodiereinheit jeder Absatz eines Beitrags. Zur Vereinfachung wird bei dieser Analyse nicht zwischen den Äußerungen verschiedener Sprecher innerhalb eines Beitrags unterschieden. Zentral für die Fragestellung der Analyse ist, welche Identitätsbilder oder Frames in den verschiedenen Teilöffentlichkeiten transportiert werden, nicht wer im Einzelfall das spezifische Bild formuliert hat. Vorgehensweise in der Analyse der Frames Frames, hier verstanden als in der Diskussion eines Themas verwendete Interpretationsrahmen und Deutungsmuster, sind nicht nur in der Forschung zur europäischen Öffentlichkeit ein sehr verbreitetes Analyseobjekt. 41 Allerdings kritisieren eine Reihe von Autoren, dass Reliabilität und Validität bei den zur Erhebung der Frames verwendeten Methoden oft zu wünschen übrig lässt (Matthes/Kohring 2008; Scheufele 1999). Im Vergleich zu anderen in Inhaltsanalysen häufig verwendeten Kategorien wie z.B. ‚erwähnte Institutionen’ beinhalten Frames eine deutlich höhere Abstraktion von den konkreten Inhalten – und je höher die Abstraktion, desto größer die Interpretationsleistung des Kodierers, und entsprechend unwahrscheinlicher sind die Kodierer-Übereinstimmungen. Aus diesem Grund empfiehlt es sich, Frames in einzelne Bestandteile zu zerlegen, die sich in den Texten mit geringerem Interpretationsaufwand und damit höherer Reliabilität identifizieren lassen (vgl. Früh 1998: 95ff). Eine solche Vorgehensweise wenden beispielsweise Jörg Matthes und Matthias Kohring (2004) an, für die
41
Im Rahmen der EPS-Forschung beispielsweise in van de Steeg (2004), de Vreese et al. (2001), Grundmann et al. (2000), Díez Medrano (2003a, b), Semetko/Valkenburg (2000), Trenz (2004), d'Haenens (2005), Vetters et al. (2006).
Erhebungsinstrumente und Durchführung der Teilstudien
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Ableitung der Bestandteile eines Frames orientieren sie sich dabei an der Definition von Robert Entman: „To frame is to select some aspects of a perceived reality and make them more salient in a communicating text, in such a way as to promote a particular problem definition, causal interpretation, moral evaluation, and/or treatment recommendation” (Entman 1993: 52, Hervorhebung im Original).
Ein Frame besteht ihnen zufolge demnach aus einer Problemdefinition, einer kausalen Interpretation, einer moralischen Evaluation und einer Verhaltensempfehlung, deren Ausprägungen sich reliabler im Material bestimmen lassen als der Frame an sich. Der Ansatz ist viel versprechend, nur leider scheitern Matthes und Kohring an einer schlüssigen Operationalisierung der ‚Problemdefinition’, die ähnlich abstrakt bleibt, wie die des ‚Frames’ zuvor. Bertram Scheufele dagegen greift zur Bestimmung der Kernelemente eines Frames auf psychologische Schema-Theorien zurück (Scheufele 2003b: 92f). Auch wenn sich das von ihm entwickelte Instrument aufgrund seiner Detailtiefe nicht zur Nachahmung empfiehlt, erscheint die von ihm vorgenommene Zerlegung des Frames in Objektrelationen und -bewertungen in vereinfachter Form sehr fruchtbar. Ein Frame enthält demnach im Rahmen dieser Untersuchung folgende FrameElemente:
Objekt-Relationen: Ursachen und Folgen (Folge-Handlungen, -Forderungen und -Aussagen) eines Ereignisses Objekt-Bewertungen: Bewertungen eines Ereignisses und der beteiligten Akteure
Verschiedene Frames eines Themas können sich nun in der Zusammensetzung der Ausprägungen der verschiedenen Frame-Elemente unterscheiden, auch das vollkommene Fehlen von Ausprägungen zu einem bestimmten Frame-Element kann Teil des Frames sein. Um die in der Diskussion der Fallstudien-Themen verwendeten Frame-Elemente zu erheben und die Öffentlichkeitsarenen bezüglich der verwendeten Frame-Elemente zu vergleichen, wird in mehreren Schritten vorgegangen: 1. 2. 3.
Bestimmung der für das Thema relevanten Ereignisse und Akteure Bestimmung der möglichen Ausprägungen der Frame-Elemente Gruppierung der Ausprägungen eines Frame-Elements in inhaltliche Dimensionen
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4.
Erhebung der in den verschiedenen Öffentlichkeitsarenen vorkommenden Ausprägungen der Frame-Elemente42
Schritt 1: Bestimmung der für das Thema relevanten Ereignisse und Akteure Mit der Bestimmung der für das Thema relevanten Ereignisse und Akteure wird auch für jedes Thema die Struktur des Analyseschemas festgelegt. Als Minimum enthält das Analyseschema eines Themas fünf verschiedene Frame-Elemente: die Bewertung des Ereignisses, dessen Ursachen und Folgen, sowie die Bewertungen von mindestens zwei mit den Ereignis verbundenen Akteursgruppen (wenn man die Gegenüberstellung von mindestens zwei Konfliktparteien als zentrales Muster von Medienberichterstattung oder öffentlicher Diskussion zugrunde legt). Innerhalb der Diskussion eines Themas könnte aber auch auf mehrere Ereignisse Bezug genommen werden, dann müssten entsprechend jeweils zusätzliche Frame-Elemente Bewertungen, Ursachen und Folgen in das Analyseschema aufgenommen werden. Der größte Interpretationsspielraum und damit die größte Schwachstelle dieser Vorgehensweise liegt an dieser Stelle, bei der Bestimmung der relevanten Ereignisse und Akteure. Zwar lässt sich eine Untergrenze der Aufmerksamkeit festlegen, z.B. dass das Ereignis bzw. die Akteure in mindestens einem Drittel der Beiträge der Diskussion zu diesem Thema angesprochen werden müssen. Da es aber Ziel der Analyse ist, nicht nur die verwendeten Frames zu erheben, sondern die Ähnlichkeit der in verschiedenen Teilöffentlichkeiten verwendeten Frames, wird durch eine solche Entscheidung die ArenenÄhnlichkeit wahrscheinlich überschätzt. Dennoch waren an dieser Stelle restriktive Entscheidungen vonnöten, um die Komplexität der Analyseschemata zu reduzieren. In der ersten Fallstudie zum Thema Wahlerfolg der NPD in MecklenburgVorpommern ist das zentrale Ereignis der Wahlerfolg der NPD an sich. Damit verbundene Akteure sind zum einen die NPD selbst, des Weiteren die Politiker anderer Parteien und die Wähler in Mecklenburg-Vorpommern. Die Bewertungen anderer Akteure (z.B. Medien) treten zu vereinzelt auf, um eine sinnvolle 42
Unabhängig davon, in welche Bestandteile Frames für die Erhebung zerlegt werden, die meisten Autoren fassen die erhobenen Frame-Einzelteile zum Schluss wieder zu übergreifenden Frames zusammen, sei es durch statistische Verfahren wie Cluster- (Matthes/Kohring 2004), CoOccurence- (Galliker et al. 1997) und Faktoranalysen (van de Steeg 2004) oder durch qualitative Vorgehensweisen wie Typenbildung (Scheufele 2003b) oder Verdichtungen (Beck/Vowe 1995). Innerhalb dieser Arbeit ist die spätere Bildung von Frames nicht möglich, aufgrund des kurzen Untersuchungszeitraums sind die Fallzahlen in beiden Fallstudien zu klein (n=173/n=122), insbesondere für die Fernsehnachrichten, um statistische Verfahren sinnvoll anzuwenden. Eine qualitative Aggregation der Frame-Elemente zu Frames wäre zwar möglich, aber der sich daran anschließende Vergleich der Frame-Verwendung in den verschiedenen Öffentlichkeitsarenen ist bei diesen Fallzahlen nicht sonderlich fruchtbar, daher wird auf diesen Analyseschritt verzichtet.
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Analyse zu erlauben. Die Relationsbeschreibungen beziehen sich auf die Ursachen des Wahlerfolgs der NPD, sowie auf dessen Folgen für die NPD, für die sonstigen Parteien und Mecklenburg-Vorpommern (MVP) an sich. Es ergibt sich entsprechend ein Analyseschema mit sechs verschiedenen Frame-Elementen (vgl. Abbildung 9 im Ergebniskapitel 4.2.2.1). Bei der zweiten Fallstudie zu Muslimen in Deutschland werden im Untersuchungszeitraum zwei für das Thema zentrale Ereignisse identifiziert: Die Absetzung der Mozart-Oper und die Eröffnung der Islamkonferenz. Für jedes der zwei Ereignisse sind dessen Ursachen und Folgen zu erheben, ebenso wie die Bewertung des Ereignisses. Die Bewertung der verschiedenen Akteursgruppen (in diesem Falle: Muslime, Mehrheitsgesellschaft und Politik) erfolgt dagegen ereignisübergreifend. Insgesamt enthält das Analyseschema der zweiten Fallstudie demnach neun Frame-Elemente (siehe Abbildung 16 im Ergebniskapitel 4.2.2.2). Schritt 2: Bestimmung der möglichen Ausprägungen der Frame-Elemente Die Ausprägungen der Frame-Elemente (z.B. verschiedene Ursachen für den NPD-Erfolg) werden offen im Analyseprogramm ATLAS.ti kodiert, d.h. alle Textpassagen, die mögliche Ursachen für den Wahlerfolg enthalten, bekommen den Kode ‚Ursachen’ zugewiesen. Aus dem so gesammelten Material werden anschließend verschiedene Ursachengruppen, also Ausprägungen des FrameElements Ursachen gebildet. Die Bestimmung der Ausprägungen erfolgt demnach induktiv am Untersuchungsmaterial. Die Systematisierung der Ausprägungen stellt selbstverständlich wieder eine Vereinfachung dar, aber auf diese Weise lässt sich die Reliabilität der so entstandenen Kategorien später überprüfen. Schritt 3: Gruppierung der Ausprägungen eines Frame-Elements in inhaltliche Dimensionen Die möglichen Ausprägungen eines Frames-Elementes werden in verschiedene inhaltliche Dimensionen gebündelt: z.B. lassen sich die in der Berichterstattung zum Thema NPD-Erfolg genannten Ursachen auf Basis der in ihnen enthaltenen Zuschreibung von Verantwortung für den NPD-Erfolg in drei Gruppen einteilen: Die erste Gruppe umfasst Ursachen für den Erfolg der NPD, bei denen keinem Akteur klar Verantwortung zugeschrieben, sondern eher abstrakt von Erklärungsfaktoren wie der ‚hohen Arbeitslosigkeit’ gesprochen wird. Bei den Ursachen in der zweiten Gruppe liegt die Verantwortung bei der NPD selbst, bei denen der dritten Gruppe bei den Politikern der etablierten Parteien. Innerhalb dieser drei Gruppen lassen sich wiederum weitere inhaltliche Gruppierungen vornehmen, z.B. kann bei den Ursachen ohne klare Verantwortlichkeit zwischen strukturellen Ursachen und solchen, die mit dem Phänomen Politikverdrossenheit zusammenhängen, unterschieden werden.
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Ziel dieser Einteilung der Ausprägungen in inhaltliche Dimensionen ist es, die spätere Kodierung zu erleichtern, indem die diversen Ausprägungen im Kodebuch durch die Dimensionszuordnung inhaltlich sortiert sind. Zusätzlich stellen die inhaltlichen Dimensionen später die Basis für den Vergleich der Öffentlichkeitsarenen dar: Zentrales Bewertungskriterium für die Ähnlichkeit der Diskurse sollte die Vollständigkeit der Frames sein, d.h. in allen Öffentlichkeitsarenen sollten dieselben Frames angesprochen werden, ohne dass ihnen notwendigerweise dieselbe Bedeutung zugemessen wird (vgl. Kapitel 2.3.2). Würde man dieses Kriterium direkt auf die Frame-Elemente übertragen und von allen Öffentlichkeitsarenen Vollständigkeit in den Ausprägungen der verwendeten FrameElementen erwarten, so wäre dieses Kriterium nicht nur sehr unrealistisch, es entspräche auch nicht mehr seiner ursprünglichen Kernidee: Schließlich sollte die Vollständigkeit gerade einen Kompromiss zwischen Ähnlichkeit und Vielfalt bilden. Eine in allen Einzel- und Unteraspekten ähnliche Berichterstattung zu verlangen, würde bedeuten, eine ähnliche Gewichtung der Themen zu fordern (die sich ja in der Zahl der erwähnten Unteraspekte ausdrücken kann). Daher wird die Anforderung an eine arenen-integrierte Öffentlichkeit hier dahingehend angepasst, dass Vollständigkeit in den Dimensionen der verwendeten FrameElemente gefordert wird, d.h. es sollte beispielsweise in allen Öffentlichkeitsarenen eine strukturelle Ursache des NPD-Erfolgs angesprochen werden, ob es sich dabei um Arbeitslosigkeit oder Abwanderung handelt, wäre unerheblich. Der Nachteil dieser Vorgehensweise ist, dass die Gruppierung der Ausprägungen in inhaltliche Dimensionen einerseits das Ergebnis des ArenenVergleichs und die Bewertung der einzelnen Arenen entscheidend bestimmt, andererseits zwar eine durch Plausibilität und Hintergrundwissen geleitete, aber dennoch letztlich willkürliche Einteilung darstellt. Dies erscheint jedoch nicht allzu problematisch, weil die Vollständigkeit der Arenen nicht absolut bezogen auf das Kodierschema, sondern nur im Vergleich untereinander erfolgt, und diese Form der Einteilung keine der untersuchten Arenen systematisch benachteiligt. Die Festlegung einer Prozentschwelle als Bewertungskriterium (dass die regionalen Medien beispielsweise mindestens die Hälfte der in den nationalen Medien vorkommenden Ausprägungen der Frame-Elemente aufgreifen müssen) hätte dagegen die regionalen Zeitungen benachteiligt, weil diese generell kürzere Artikel und damit weniger Informationen als die Qualitätspresse enthalten. Der gewählte Bewertungsmaßstab erkennt es dagegen an, wenn die Regionalzeitungen mit etwas weniger Details dieselben inhaltlichen Dimensionen wie FAZ und SZ wiedergeben, also z.B. die deutschen Muslime als integriert beschreiben, ohne alle der möglichen einzelnen Ausprägungen dieser Dimension aufzugreifen, über die in den Qualitätszeitungen berichtet wird.
Erhebungsinstrumente und Durchführung der Teilstudien
101
Schritt 4: Erhebung der in den verschiedenen Öffentlichkeitsarenen vorkommenden Ausprägungen der Frame-Elemente Jedes der so erzeugten Kodierschema wird zu einem Kodebuch weiter entwickelt, in dem zu jeder möglichen Ausprägung eines Frame-Elements eine genaue Definition (bei den Ursachen auch Æ eine Erklärung des Zusammenhangs) und ein Ankerbeispiel angegeben wird. Zusätzlich wird für einige Kategorien ein fett gedrucktes Stichwort markiert, nach dem der Kodierer gezielt per Suchfunktion in den Textbeiträgen suchen kann (siehe das Beispiel in Tabelle 9). Tabelle 9: Ausschnitt Tabelle Ursachenbereich 1 – ‚Niemand’ ist verantwortlich für den Erfolg der NPD Kode
Definitionen und Textbeispiele
Strukturelle Probleme der Region Wirtschaftlich schwach
Abwanderung
Fehlendes Bürgertum
Keine demokratische Tradition im Osten
43
Dieser Kode ist zu verwenden, wenn MVP als eine strukturschwache Region, die hohe Arbeitslosigkeit, der Mangel an Perspektiven vor Ort beschrieben wird). (Æ denn Menschen ohne Perspektiven wählen eher Protestparteien wie die NPD) „In Deutschland gilt Mecklenburg-Vorpommern als Armenhaus. Im Uecker-RandowKreis an der polnischen Grenze gibt es viele Dörfer, in denen jeder Dritte ohne Job ist“ 43 (SZ, 18.09.06, B3). … wenn darauf verwiesen wird, dass MVP starken Abwanderungsprozessen unterliegt, bei denen die besser gebildeten, ehrgeizigeren Bürger bzw. vor allem Frauen auf Arbeitssuche in andere Bundesländer abgewandert sind. (Æ denn die zurückgebliebenen Menschen mit tendenziell geringer Bildung und Chancen neigen eher zur Wahl von Protestparteien) „Viele der eher Mobilen und Cleveren sind in den vergangenen Jahren bereits in die westlichen Bundesländer abgewandert“ (SZ, 18.09.06, B3). … wenn beschrieben wird, dass in manchen Regionen MVPs eine bürgerliche Gesellschaft oder zentrale Stützen einer bürgerlichen Gesellschaft wie z.B. Kirchen, Gewerkschaften, und auch (Sport-)Vereine fehlen. (Æ denn wo demokratische Werte nicht im Alltag gelebt und gelehrt werden, ist die Hemmschwelle geringer, eine rechtsextremistische Partei zu wählen) „In vielen ländlichen Gegenden fehlt das Bürgertum, das die Zivilgesellschaft stärken könnte“ (SZ, 18.09.06, B3). … wenn darauf hingewiesen wird, dass Ostdeutschland eine kürzere demokratische Tradition hat, dass demokratische Werte in der Bevölkerung nicht so gefestigt sind. (Æ denn wo demokratische Werte nicht im Alltag gelebt und gelehrt werden, ist die Hemmschwelle geringer, eine rechtsextremistische Partei zu wählen) „Beklemmend ist der Befund, dass die Hälfte der Bevölkerung in Ostdeutschland nicht mehr per se von der Demokratie überzeugt ist…“ (WAZ, 18.09.06, B22).
Wenn im Folgenden Zeitungsartikel aus den beiden Fallstudien zitiert werden, so wird jeweils nur das Medienorgan (z.B. ‚SZ’), das Datum und eine Beitragsnummer (z.B. ‚B3’) angegeben. In Abschnitt C des Anhangs findet sich die Übersicht über alle zitierten Zeitungsartikel mit genauen Angaben, auch zu Überschrift und Autor(en). Zeitungsartikel, die nicht Teil der Fallstudien sind, werden im Text mit ausführlichen Angaben zitiert. Für Fernsehbeiträge ist jeweils die Sendung, das Ausstrahlungsdatum sowie die Nummer des Beitrags in der Sendung angegeben.
102
Arenen-Integration als methodisches Problem
Mit Hilfe dieses Kodebuchs werden anschließend die spezifischen Kodes allen Beiträgen zugewiesen. Lediglich die Beitragsform und der Ursachenschwerpunkt sind auf Beitragsebene zu verschlüsseln. Ansonsten ist die Kodiereinheit der einzelne Absatz eines Artikels bzw. der Transkription eines Fernsehbeitrags, d.h. für jeden Absatz ist zu entscheiden, inwieweit eine bestimmte Ursache, Folge oder Bewertung in ihm angesprochen worden ist. Vorgehensweise in der Analyse der kollektiven Identitäten Anders als in der Frame-Analyse ist bei der Erhebung der in der Debatte transportierten kollektiven Identitätsvorstellungen keine intensive Vorstudie erforderlich, um die möglichen Ausprägungen der Variablen über ein vorläufiges Kodierschema aus dem Material abzuleiten und anschließend in einem Kodebuch zu definieren. Aus der Theorie und der bisherigen Empirie liegt bereits ein Raster vor, das festlegt, welche Ausprägungen kollektiver Identitäten ausschließlich interessieren und daher nur erhoben werden sollen (vgl. Abschnitt 2.3.4.3). Aus diesem Grund kann teilweise das Kodebuch aus der ersten Teilstudie übernommen werden, allerdings mit einer Reihe von Modifizierungen und ergänzt um Kategorien, die in dieser Detailtiefe nicht auf das gesamte Untersuchungsmaterial anwendbar gewesen wären. Die wichtigste Modifikation des Kodebuchs gegenüber der ersten Teilstudie ist die Änderung der Kodiereinheit: In beiden Fallstudien ist für die Kodierung kollektiver Identifikationen die Kodiereinheit der einzelne Absatz des Beitrags (und nicht der gesamte Beitrag). Ein weiterer Unterschied betrifft die mögliche Ausdehnung der verschiedenen Gemeinschaften: In der Fallstudie zu Muslimen in Deutschland kann als Ausdehnung entweder ‚national’ oder aber ‚national inkl. Muslime’ kodiert werden. Der letzte Kode ist nur anzuwenden, wenn in der Beschreibung der Gemeinschaft die in Deutschland lebenden Muslime explizit miteingeschlossen werden, z.B. wenn Bundesinnenminister Schäuble auf der Islamkonferenz sagt: „Der Islam ist Teil Deutschlands.“ Außerdem ermöglicht es die Kodierung der Fallstudien in ATLAS.ti die in den Kodieranweisungen enthaltenen Stichwörter in den Texten per Suchfunktion systematisch durchzugehen und bzw. automatisch zu kodieren. Dadurch erhöht sich die Präzision bei der Identitätskodierung deutlich (vgl. die Ergebnisse der Fallstudien-Reliabilitätstests im Anhang). Beispielsweise werden für die Territorialgemeinschaften die Adjektive und Nomen, die geographischen Ausdehnungen beschreiben (wie z.B. ‚deutsch’, ‚bayerisch’ oder ‚europäisch’), als erstes per Autocoding mit einem der Ausdehnung entsprechenden Kode kodiert. Anschließend kann für die kodierten Absätze systematisch überprüft werden, inwieweit dort auf eine kollektive Gemeinschaft verwiesen wird. Falls das Nomen/Adjektiv
Erhebungsinstrumente und Durchführung der Teilstudien
103
lediglich eine Ortsangabe darstellt, ohne dass dabei auf eine Gemeinschaft verwiesen wird, wird der Kode wieder entfernt. Auch für Wir-Gemeinschaften und Kulturgemeinschaften kann automatisiert in den Texten nach Schlüsselwörtern gesucht werden. Bei den Wir-Gemeinschaften wird zudem der Interpretationsspielraum für die Festlegung der Ausdehnung erweitert: Wenn bei inklusiven Wir-Bezügen ein expliziter Hinweis auf die geographische Ausdehnung der Gemeinschaft fehlt (wie z.B. bei ‚Wir Hamburger’), so kann diese aus dem Kontext erschlossen werden. Wenn beispielsweise der Ministerpräsident eines Landes von ‚Wir’ sprach, so ist zu vermuten, dass er sich entweder auf seine Partei oder aber sein Bundesland bezieht. Wenn Harald Ringstorff sagt: „Es war von vornherein klar, dass wir uns nicht an dem Ergebnis von 2002 messen lassen können. Damals hatten wir Rückenwind aus Berlin.“ (FAZ, 18.09.06, B1), bezieht sich das ‚Wir’ auf die SPD in Mecklenburg-Vorpommern, dementsprechend ist ein exklusiver Wir-Bezug zu kodieren. Wenn er aber sagt: „Wir brauchen eine stabile Situation“ (FAZ, 30.09.06, B9), so schließt das das gesamte Bundesland mit ein. Zusätzliche Anweisungen gibt es zudem bei der Erhebung von Abgrenzungsgemeinschaften, anders als in der ersten Studie kann die Abgrenzung nicht allein durch ‚Othering’, sondern auch durch schwächere Formen der Ablehnung erzeugt werden. Das Abgrenzungsobjekt können dabei nicht allein Gruppen oder deren Repräsentanten sein, sondern auch Einzelpersonen. Zusätzlich zum Abgrenzungsobjekt wird in der zweiten Teilstudie auch die Ausdehnung der durch die Abgrenzung hergestellten Gemeinschaft erhoben. Als Beispiel soll ein Ausschnitt aus der Befragungsrunde der Spitzenkandidaten in der tagesschau direkt im Anschluss an die Wahl (17.09.06) dienen. Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Harald Ringstorff sagt hier: „Wir haben vor der Wahl gesagt, wir werden, wenn wir unser Wahlziel stärkste Partei zu werden, und danach sieht es aus, erreichen, mit allen Parteien, mit denen rechnerisch eine Koalition möglich ist, Sondierungsgespräche aufnehmen. Die NPD ist natürlich ausgeschlossen, aber mit der wäre es ja auch rechnerisch nicht möglich. Ich glaube, da sind sich alle demokratischen Parteien einig, in der Frage halt zur NPD“ (Harald Ringstorff in der tagesschau, 17.09.06, Hervorhebung KKvK).
Ringstorff baut an dieser Stelle eine Gemeinschaft der ‚demokratischen Parteien’ auf, die sich klar von der NPD abgrenzt. Als Objekt der Abgrenzung wäre hier also die NPD zu kodieren, als Abgrenzungsgemeinschaft die demokratischen Parteien oder die Demokraten. Als zusätzlicher Typ der Herstellung kollektiver Identitäten werden in den Fallstudien Problemgemeinschaften erhoben. Gelegentlich werden kollektive Identitäten im Diskurs hergestellt, ohne einen Verweis auf die gemeinsame Kultur, ohne dass das territoriale Kollektiv genannt, ein gemeinsames Wir verwen-
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Arenen-Integration als methodisches Problem
det oder ein gemeinsamer Feind ausgegrenzt wird. Die sonstige Problemgemeinschaft ist immer dann zu kodieren, wenn eine gemeinsame Verantwortung heraufbeschworen, ein gemeinsames Handeln gefordert oder eine gemeinsame Betroffenheit beschrieben wird. Beispielsweise verweist Wolfgang Schäuble in folgendem Zitat auf eine Problemgemeinschaft, die die Nation und die in ihr lebenden Muslime umfasst: „Schäuble hatte in seiner Regierungserklärung bekräftigt: ‚Muslime sind in Deutschland willkommen.’ Sie seien ‚keine ausländische Bevölkerungsgruppe’ mehr, sondern ‚Bestandteil der Gesellschaft’. Es gebe Probleme, die man gemeinsam angehen müsse: die Rolle der Frau, das Kopftuch, der Islamunterricht, die Mängel bei Bildung und Ausbildung, das Schächten sowie die Radikalisierung, die in manchen Moscheen betrieben werde“ (FAZ, 29.09.06, B19, Hervorhebung KKvK).
Oftmals treten Problemgemeinschaften aber gerade in Kombinationen mit anderen Gemeinschafts-Typen auf, in einem solchen Fall ist die Problemgemeinschaft auch als Hinweis auf die Stärke der über die verschiedenen Typen hergestellten kollektiven Identität zu interpretieren. Generell wird für alle Typen kollektiver Identitäten in den Fallstudien die Stärke des vermittelten Gemeinschaftsgefühls kodiert (aber nur bei inklusiven Gemeinschaften, die den Lesern/Zuschauer mit einschließen). Wird die Gemeinschaft nur angesprochen, oder wird eine Solidargemeinschaft beschworen? Für die Kodierung einer solidarischen Gemeinschaft muss lediglich darauf verwiesen werden, dass die Gemeinschaft ein gemeinsames Problem hat, gemeinsam handeln muss. Entsprechend sind alle kodierten Problemgemeinschaften bereits als ‚solidarisch’ zu kodieren. Aber auch ohne den Verweis auf ein gemeinsames Problem kann eine Wir-/Territorial- oder Abgrenzungsgemeinschaft als ‚solidarisch’ erfasst werden, wenn die Gemeinschaft ‚beschworen’ wird, mit Metaphern oder emotional aufgeladenen Wörtern an eine Gemeinschaft appelliert wird. Ein Beispiel für eine ‚solidarische’ Gemeinschaft findet sich in der LVZ: „Noch weht in Berlin über Reichstag und Brandenburger Tor Schwarz-Rot-Gold – für Freiheit, Demokratie, hoffentlich auch für Toleranz und christliche Nächstenliebe. Über der Deutschen Oper weht leider schon die weiße Fahne“ (LVZ, 28.09.06, B11).
3.2.3 Durchführung der Erhebung Die Kodierung der themenübergreifenden Teilstudie erfolgte von Oktober 2006 bis März 2007. Zu Beginn der Kodierung fand eine einwöchige Schulung der drei beteiligten studentischen Kodierer durch die Autorin statt. Im Anschluss daran wurde ein Reliabilitätstest durchgeführt: Die Kodierer und die Autorin
Erhebungsinstrumente und Durchführung der Teilstudien
105
kodierten jeweils alle Beiträge des 21.09.2006, davon 358 Zeitungs- und 77 Fernsehbeiträge. Auf eine zufällige Materialauswahl aus dem gesamten Erhebungszeitraum wurde für den Reliabilitätstest verzichtet, da sonst die Reliabilität der dynamischen Themenkodierung nicht hätte getestet werden können. Letztere wurde im Sommer 2007 von der Autorin und einem weiteren Kodierer für das gesamte Material kodiert und anschließend in einem separaten Reliabilitätstest überprüft. Der Reliabilitätstest fiel sehr zufriedenstellend aus (vgl. Tabelle 72 im Anhang), bei den formalen Variablen konnte im Schnitt ein sehr gutes Krippendorffs alpha von 0,88 erreicht werden, bei den bei den inhaltlichen Variablen noch ein guter Wert von 0,81. Auch die dynamische Themenkodierung erreichte ein alpha von 0,71, angesichts der Komplexität der Variable ein äußerst zufriedenstellendes Ergebnis. Für die themenzentrierten Fallstudien wurden nach der Entwicklung der Kodebücher für die Erhebung der Frame-Elemente diese jeweils um Instruktionen zur Erhebung kollektiver Identitäten ergänzt. Anschließend wurde das gesamte Material beider Fallstudien ein weiteres Mal durchkodiert. Die Kodierung des Materials erfolgte ausschließlich durch die Autorin. Im Anschluss an die Hauptkodierung wurden die Kodebücher durch einen zweiten Kodierer getestet. Dieser erhielt eine Einweisung in die Kodebücher und kodierte anschließend 23 zufällig bestimmte Beiträge in ATLAS.ti (dies entspricht 13 Prozent des Gesamtmaterials) für die NPD-Fallstudie bzw. 20 Beiträge (oder 16 Prozent des Materials) für die Muslim-Fallstudie. Es handelte sich um eine systematische Zufallsstichprobe, jeder achte Beitrag im Gesamtmaterial wurde für den Reliabilitätstest ausgewählt. Da die Beiträge nach Medien sortiert waren, war durch dieses Auswahlverfahren sichergestellt, dass trotz der relativ kleinen Stichprobe alle untersuchten Medien ihrer Bedeutung im Material entsprechend in den Reliabilitätstest eingingen. Die Testkodierungen wurden den ursprünglichen Kodierungen durch die Autorin gegenübergestellt und die Reliabilität anhand Krippendorffs alpha berechnet. Dabei ergaben sich für beide Fallstudien zufriedenstellende Reliabilitätswerte (vgl. Tabellen 73 und 74 im Anhang). Insgesamt sind im Rahmen der Untersuchung 6378 Beiträge aus 120 Zeitungsausgaben/Nachrichtensendungen kodiert worden. Aus diesem Material wurden für die erste Fallstudie zum Wahlerfolg der NPD 173 Beiträge und für die zweite Fallstudie zu Muslimen in Deutschland 122 Beiträge ausgewählt und erneut kodiert. Die genaue Verteilung der Fallzahlen auf die einzelnen Medien ist der Tabelle 10 zu entnehmen.
106
Arenen-Integration als methodisches Problem
Tabelle 10: Überblick über die Stichprobe Ausgaben/ Sendungen (N)
Artikel/Beiträge (N) Teilstudie I: themenübergreifend
Fallstudie 1: Wahlerfolg der NPD
Fallstudie 2: Muslime in Deutschland
WAZ
12
1230
17
20
LVZ
12
1380
28
11
BILD
14
917
8
11
SZ
12
917
37
22
FAZ
14
883
40
37
ARD tagesschau
14
261
15
6
RTL aktuell
14
237
9
4
Mdr aktuell
14
287
13
5
BR Rundschau
14
266
6
6
Summe
120
6378
173
122
4
Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
Auf Basis der erhobenen Daten soll nun überprüft werden, inwieweit und in welchem Maße die deutsche Öffentlichkeit vor dem Hintergrund der vier diskutierten Dimensionen arenen-integriert ist. Die Gliederung des Ergebnisteils folgt den vier Dimensionen – Beobachtung des Regierens, Ähnlichkeit der Diskurse, Vernetzung der Diskurse und kollektive Identität. Die Auswertungen für die erste und die dritte Dimension beziehen sich ausschließlich auf die erste Teilstudie, die themenübergreifende Inhaltsanalyse. Für die zweite und vierte Dimension werden Ergebnisse aus beiden Teilstudien, also auch aus den themenzentrierten Fallstudien, präsentiert.
4.1 Dimension 1: Beobachtung des Regierens Betrachten wir zunächst die erste Dimension einer arenen-integrierten Öffentlichkeit, die Beobachtung des Regierens. Diese Dimension beruht auf der Basisfunktion von Öffentlichkeit, der Herstellung von Transparenz, d.h. eine integrierte Öffentlichkeit sollte für ihre Teilnehmer oder Nutzer Transparenz über alle für sie relevanten Bereiche des politischen Systems herstellen. Im Rahmen der Forschung zur europäischen Öffentlichkeit und auch in dieser Arbeit liegt der Fokus in der Dimension der Beobachtung des Regierens auf der vertikalen Integration. Eine Öffentlichkeit gilt demnach in dieser Dimension als integriert, wenn sie in ihren verschiedenen Öffentlichkeitsarenen ausreichend Informationen über alle die Bürger betreffenden Ebenen des Regierens zur Verfügung stellt. Ging es der EPS-Forschung vornehmlich um ein ausreichendes Maß an Berichterstattung oder Diskussion über die europäische Ebene, so müssen aus der Perspektive der nationalen Öffentlichkeit alle drei Ebenen des politischen Systems betrachtet werden: Werden die Nutzer der verschiedenen Teilöffentlichkeiten sowohl über die regionale und die nationale (bundes-)politische Ebene, aber auch über die europäische Politik informiert?
108
Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
Wie bereits in Kapitel 2.3.1 diskutiert, lassen sich zwei Forderungen aufstellen, die alle untersuchten Teilöffentlichkeiten erfüllen müssten, damit die Gesamtöffentlichkeit in dieser Dimension als arenen-integriert gelten kann: 1.
2.
In den einzelnen Öffentlichkeitsarenen (Medien) werden Institutionen, Hauptakteure, Sprecher und Themen aller drei Ebenen des politischen Systems berücksichtigt. Die Bedeutung der drei Ebenen in den einzelnen Öffentlichkeitsarenen spiegelt deren Rangfolge in der Wahrnehmung der Bürger wider: An erster Stelle steht die nationale Ebene, gefolgt von der regionalen und der europäischen Ebene.
Dies soll nun am Beispiel der neun untersuchten Öffentlichkeitsarenen überprüft werden. Als Indikatoren gelten hierbei die erwähnten politischen Institutionen der verschiedenen Politik-Ebenen, die im Zentrum der Beiträge stehenden Hauptakteure und die zitierten Sprecher, die ebenfalls bestimmte Politik-Ebenen repräsentieren. Ein weiterer Indikator sind die Themen politischer Berichterstattung, die sich jeweils auf verschiedene Ebenen des politischen Systems beziehen.
4.1.1 Beobachtung politischer Institutionen Für den ersten Indikator der Arenen-Integration nationaler Öffentlichkeit in der Dimension Beobachtung des Regierens sind alle in Zeitungsartikeln und Fernsehbeiträgen erwähnten politischen Institutionen – z.B. Parteien, Parlamente, Ministerien oder Gerichte – erhoben und einer bestimmten politischen Ebene zugeordnet worden. Mit diesem Indikator soll nur erfasst werden, welchen politischen Institutionen die Nutzer verschiedener Medien beim Lesen oder Zuschauen begegnen, unabhängig davon, ob diese Institutionen im Zentrum des Artikels stehen, wie sie bewertet werden oder in Zusammenhang mit welchen Themen sie diskutiert werden. Damit stellt die Bezugnahme auf politische Institutionen den schwächsten Indikator der Dimension Beobachtung des Regierens dar. Für die genaue Beurteilung der vertikalen Integration müssen dabei zwei Aspekte miteinander verknüpft werden: Zum einen die generelle Bedeutung der politischen Institutionen in den jeweiligen Medien und zum anderen die relative Bedeutung der verschiedenen Politikebenen. Beispielsweise würde es für eine arenen-integrierte Öffentlichkeit nicht ausreichen, wenn die Institutionen der regionalen Ebene zwar ein Viertel aller erwähnten politischen Institutionen ausmachen, dafür aber insgesamt nur drei Prozent aller Beiträge in diesem Medium überhaupt politische Institutionen erwähnen. Damit läge die Bedeutung regiona-
Dimension 1: Beobachtung des Regierens
109
ler Institutionen insgesamt wahrscheinlich unterhalb der Wahrnehmungsschwelle der meisten Mediennutzer. Als untere Wahrnehmungsschwelle für politische Institutionen wird hier ein Anteil von einem Prozent angesetzt. Wenn der Anteil von Beiträgen, in denen die Institutionen einer bestimmten Politik-Ebene angesprochen werden, unter einem Prozent liegt, so ist davon auszugehen, dass diese Politik-Ebene für die Nutzer dieser Teilöffentlichkeit nicht wahrnehmbar ist. Für die Analyse der Medien mit nationaler Reichweite muss dieser Indikator bei der regionalen Ebene des politischen Systems etwas anders gefasst werden. Hier stehen gerade die Mediennutzer außerhalb des eigentlichen Stammgebiets der überregionalen Medien im Fokus, also z.B. diejenigen, die die Bundesausgabe von FAZ und SZ beziehen. Da diese im gesamten Bundesgebiet leben, kann für sie nicht zwischen ‚eigenen’ und ‚fremden’ regionalen Institutionen unterschieden werden (bzw. eine detaillierte Unterscheidung wäre zu unübersichtlich). Dies bedeutet zweierlei, zum einen werden alle Erwähnungen regionaler (deutscher) Institutionen im Rahmen der Analyse für die nationalen Medien gemeinsam betrachtet. Zum anderen muss aber die Minimalforderung für regionale Institutionen erhöht werden, ansonsten wären die Chancen der Mediennutzer zu gering, dass es sich bei den Verweisen auf regionale Institutionen um Informationen über Institutionen der eigenen Region handelt. Der Anteil regionaler Institutionen sollte demnach in national verbreiteten Medien mindestens 16 Prozent betragen, das entspricht einem Prozent pro Bundesland der BRD. Zunächst einmal gibt es klare Unterschiede in der Bedeutung, die politische Institutionen generell in den jeweiligen Medien einnehmen: Unabhängig von der politischen Ebene spielen Institutionen in den überregionalen Qualitätszeitungen die größte Rolle, FAZ und SZ erwähnen pro Beitrag zwischen 3,7 und 3,3 verschiedene politische Institutionen. Die Zahl der Bezugnahmen scheint abhängig vom inhaltlichen Anspruch des Mediums zu sein, denn auch die ARD tagesschau bringt es auf 2,4 Institutionen pro Beitrag, signifikant mehr als die regionalen Medien oder RTL aktuell (um die 1,7). Das Schlusslicht bildet die BILD mit im Schnitt weniger als einer genannten politischen Institution pro Beitrag. Inwieweit gelingt es nun den einzelnen Öffentlichkeitsarenen, die Anforderungen an eine arenen-integrierte Öffentlichkeit zu erfüllen? Wie Abbildung 5 zeigt, werden die Nutzer aller untersuchten Medien über die Institutionen sowohl der regionalen als auch der nationalen und der EU-Ebene ausreichend informiert. Die erste Bedingung für die vertikale Arenen-Integration der Öffentlichkeit wird für diesen Indikator von allen Arenen erfüllt. Ihrem Zuschnitt auf ein regionales Publikum entsprechend spielen regionale Institutionen in den regionalen Tageszeitungen die größte Rolle: Fast 30 Prozent der Beiträge in WAZ und LVZ erwähnen Institutionen aus der eigenen Region. In der BILD Leipzig und den regio-
110
Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
nalen Nachrichtensendungen stehen regionale Institutionen jeweils an zweiter Stelle hinter der nationalen Ebene. Abbildung 5:
Anteil der Beiträge mit Bezugnahmen auf die Institutionen der entsprechenden Politik-Ebene (in Prozent)
60 50 40 % 30 20 10 0 WAZ
LVZ lokal/regional
Bild
BR
eigene Nation
mdr
ARD
fremde Nation
EU
RTL
SZ
FAZ
andere supranational
Basis: Alle Beiträge der Stichprobe (n=6378), siehe auch Tabelle 62 im Anhang.
Obwohl die Mindestanforderung für die Nennung regionaler Institutionen bei den Medien nationaler Ausrichtung deutlich höher ist (mindestens 16 Prozent der Beiträge), wird diese Hürde von allen Arenen genommen. So strahlen die beiden nationalen Fernsehnachrichtensendungen ARD tagesschau und RTL aktuell gerade ausreichend Beiträge mit Verweisen auf regionale Institutionen aus (19 und 17 Prozent). Der Wert für RTL aktuell erscheint besonders respektabel angesichts der Tatsache, dass RTL von allen nationalen Medien insgesamt am seltensten auf politische Institutionen verweist – mit 1,3 Verweisen pro Beitrag liegt es nur knapp über dem Schlusslicht, der BILD. In den beiden Qualitätszeitungen haben bei einem Anteil der Artikel mit Verweis auf regionale Institutionen von um die 26 Prozent auch die Leser außerhalb des Stammgebiets der jeweiligen Zeitung eine sehr gute Chance, sich in ihrer Teilöffentlichkeit über die politischen Institutionen der eigenen Region zu informieren. Lediglich bei der EU-Ebene fällt das Ergebnis für einige der untersuchten Medien etwas knapp aus. Während in FAZ und SZ europäische Institutionen in über einem Zehntel der Beiträge angesprochen werden, liegt ihr Anteil in den Regionalzeitungen nur bei drei (WAZ) und 3,5 Prozent (LVZ). In den Fernseh-
Dimension 1: Beobachtung des Regierens
111
nachrichten sowie in der BILD wird die Mindestanforderung mit um die zwei Prozent zwar nur knapp, aber doch erreicht. Die zweite Bedingung für eine arenen-integrierte Öffentlichkeit wird dagegen von zwei Arenen nicht erfüllt: Die Leser der beiden regionalen Tageszeitungen erhalten zu wenig Informationen über nationale Institutionen, diese stehen nach den regionalen Institutionen erst an zweiter Stelle. Auch wenn die Regionalzeitungen damit vielleicht den Erwartungen ihrer Leser entsprechen, ist dies aus Sicht der Arenen-Integration dennoch problematisch: Hier sollte die Rangfolge der Institutionen deren wahrgenommene Bedeutung in der Bevölkerung spiegeln, und zwar unabhängig von der Medien-Zielgruppe. Nur so wäre sichergestellt, dass auch ausschließlichen Nutzern der Regionalpresse ein ähnliches Bild des politischen Systems vermittelt wird wie den Nutzern nationaler Medien. Mittels einer Varianzanalyse soll nun zusätzlich überprüft werden, inwieweit das Interesse an den Institutionen verschiedener Politikebenen von medienübergreifenden Faktoren abhängig ist. Zu den möglichen Einflussfaktoren gehören die Mediengattung (TV oder Zeitung), die Zielgruppe (regionale oder nationale Ausrichtung), der Landesteil, in dem das Medium produziert wird (Ostoder Westdeutschland), sowie die Quelle des Beitrags (eigener Bericht, Nachrichtenagentur etc.) und die Darstellungsform (Kommentar, kurze Meldung etc.). Als weiterer Erklärungsfaktor wird das Hauptthema des Beitrags berücksichtigt. Erwartungsgemäß zeigt die Varianzanalyse, dass der wichtigste Einflussfaktor auf die Nennung politischer Institutionen (unabhängig von ihrer Ebene) das Hauptthema des Beitrags ist. Die erklärte Varianz gegenüber Modellen ohne Thema als möglicher Einflussfaktor steigt bei den regionalen Institutionen um mindestens 15 Prozent (von fünf auf 20 Prozent) und auf bis zu 47 Prozent bei den EU-Institutionen (R² erhöht sich von 0,03 auf 0,50). Betrachten wir nun die Ergebnisse für die einzelnen Politikebenen: Regionale Institutionen werden überdurchschnittlich oft in Beiträgen zur regionalen Politik erwähnt (ein Plus von 1,15 Institutionen pro Beitrag), aber auch in Artikeln zu nationaler Politik wird öfter auf sie Bezug genommen. Bei Beiträgen zu Angstthemen werden ebenfalls besonders häufig regionale Institutionen erwähnt, dies hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass es sich meist um Kriminalitätsberichterstattung handelt, bei der lokale Polizei oder lokale Gerichte eine Rolle spielen. Nationale Institutionen werden häufiger in Artikeln zur deutschen Außenpolitik erwähnt, aber auch zur Bundespolitik und selbst in Beiträgen zur Regionalpolitik tauchen sie überdurchschnittlich häufig auf. Die Erklärungskraft ist am stärksten bei den EU-Institutionen, die erwartungsgemäß besonders häufig in Beiträgen zur EU-Politik genannt werden – in diesen werden im Schnitt 2,2 mehr verschiedene EU-Institutionen genannt als in den restlichen Beiträgen.
112
Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
Tabelle 11: Einflussfaktoren auf die Anzahl der genannten Institutionen unterschiedlicher Politikebenen Abhängige Variable: Anzahl der genannten … pro Beitrag Regionale Inst.1 Nationale Inst. 2 EU-Inst. 3 Abw. Beta Abw. Beta Abw. Beta Mediengattung 0,15*** 0,04*** 0,06*** TV -0,35 -0,10 -0,06 Zeitung +0,07 +0,02 +0,01 Zielgruppe 0,01 0,14*** 0,04** Regional +0,00 -0,12 -0,01 National -0,01 +0,22 +0,02 Landesteil 0,03** 0,02 0,01 Ost -0,04 +0,03 -0,01 West +0,03 -0,02 +0,00 Quelle 0,17*** 0,08*** 0,05** Eigener Bericht +0,13 +0,04 +0,02 Agentur -0,26 -0,07 -0,03 Anderes Medium -0,19 -0,28 -0,05 Kombination -0,50 +0,41 -0,05 Nicht entscheidbar -0,17 -0,07 -0,01 Darstellungsform 0,11*** 0,14*** 0,04*** Kommentar -0,11 +0,21 -0,02 Kurze Meldung -0,01 -0,12 -0,01 Längerer Bericht +0,10 +0,18 +0,02 Interview -0,27 +0,36 +0,11 Sonstige -0,35 -0,28 -0,02 Themen 0,39*** 0,59*** 0,69*** Innenpolitik: Regional +1,15 +0,29 -0,07 Innenpolitik: Bund +0,17 +1,41 -0,06 Außenpolitik -0,34 +2,05 +0,06 EU-Politik -0,41 -0,04 +2,15 Politik anderer Länder -0,45 -0,56 +0,05 Internationale Politik -0,43 -0,35 +0,02 Wirtschaft/Gesellschaft +0,02 -0,25 -0,05 Unterhaltung -0,30 -0,37 -0,08 Angst +0,14 -0,34 -0,07 Mittelwert (2,1) 0,33 0,56 0,09 Erkl. Varianz (R²) 0,20 0,43 0,50 Varianzanalyse, Multiple Classification Analysis zur Bestimmung der Stärke der Haupteffekte. * p<0.05; ** p<0.01; *** p<0.001. 1 F-Wert=82,20, df=19, p<0.001; 2F-Wert=249,70, df=19, p<0.001; 3F-Wert=329,24, df=19, p<0.001. Abw.=Abweichung vom Gesamtmittelwert. Basis: Alle Beiträge in der Stichprobe (n=6378) . Unabhängige Variablen
Die übrigen Faktoren erklären deutlich weniger Varianz: So erreicht die Darstellungsform nur noch ein durchschnittliches beta von 0,10. Auffällig ist hier, dass politische Institutionen nicht nur signifikant häufiger in längeren Nachrichtenbe-
Dimension 1: Beobachtung des Regierens
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richten erwähnt werden (was sich allein durch die größere Beitragslänge erklären ließe). Vielmehr werden Institutionen der nationalen Ebene auch überdurchschnittlich häufig in Kommentaren und Interviews erwähnt, mit dieser Politikebene setzen sich die Teilöffentlichkeiten demnach intensiver auseinander, nicht nur als Teil der Berichterstattung, sondern insbesondere in der Diskussion. Die Beitragsquelle erweist sich für alle Politikebenen als relevanter Einflussfaktor, generell werden in Beiträgen aus der eigenen Redaktion überdurchschnittlich viele politische Institutionen genannt. Bei den nationalen Institutionen gilt dies auch für Beiträge, die auf mehreren verschiedenen Quellarten beruhen, bei denen die Redaktion beispielsweise Agenturinformationen noch einmal überarbeitet und ergänzt hat. Die Mediengattung an sich wirkt sich nicht gleichmäßig auf alle Politikebenen aus. Man hätte erwarten können, dass unabhängig von der konkreten Ebene generell mehr Institutionen in Zeitungs- als in Fernsehbeiträgen aufgrund der Beschaffenheiten der Medien genannt werden: Im Fernsehen als audiovisuellem Medium werden meist wenige zentrale Kerninformationen vermittelt und diese so oft wie möglich wiederholt (und jede spezifische Institution ist nur einmal pro Beitrag kodiert worden). In Zeitungsartikeln ist dagegen mehr Platz für die Nennung diverser Institutionen. Dennoch wirkt sich dieser Einflussfaktor vorwiegend auf die Nennung regionaler Institutionen aus (beta von 0,15), bei den andern Politikebenen ist der Einfluss schwächer. Generell ist das Interesse an der regionalen Ebene im Fernsehen demnach unterdurchschnittlich, unabhängig von der nationalen oder regionalen Ausrichtung der Sendung. Die Zielgruppe des Mediums beeinflusst stattdessen die Nennung nationaler und europäischer Institutionen aus: Hier zeichnen sich Medien mit nationaler Ausrichtung durch ein besonders hohes Interesse an nationalen, und ein etwas höheres Interesse an europäischen Institutionen aus, nicht aber durch ein Desinteresse an regionalen Institutionen. In ostdeutschen Medien werden im Schnitt etwas seltener regionale Institutionen pro Beitrag erwähnt. Bei einem beta von 0,03 und einer durchschnittlichen Abweichung von 0,04 Institutionen pro Beitrag ist dies jedoch kein besonders großer Unterschied. Da sich der Einfluss der Herkunft des Mediums bei den nationalen Institutionen nicht als signifikant erweist, gibt es keinen Anlass zu befürchten, dass sich die ostdeutschen Medien weniger für die nationalen Institutionen der BRD (=als die ‚neue’ oder ‚fremde’ Politikebene) interessieren als ihre westdeutschen Pendants. Auch die Varianzanalysen stützen damit das Ergebnis der deskriptiven Analyse, dass die untersuchten Teilöffentlichkeiten für den Indikator Beobachtung der politischen Institutionen weitestgehend die Kriterien für eine arenenintegrierte Öffentlichkeiten erfüllen: Die Ausrichtung des Mediums wirkt sich
114
Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
zwar systematisch auf die Beobachtung politischer Institutionen aus, aber nur in Form eines verstärktes Interesse an der nationalen Ebene in national ausgerichteten Medien, nicht als markantes Desinteresse an einer der anderen Ebenen.
4.1.2 Beobachtung politischer Hauptakteure Als nächster Indikator sind die Hauptakteure eines Beitrags erhoben worden, d.h. die Person, Gruppe oder Organisation, die als Handelnder oder Betroffener im Mittelpunkt des Beitrags steht. Für die Dimension Beobachtung des Regierens konzentrieren wir uns auf diejenigen Hauptakteure, die einer bestimmten Ebene des politischen Systems zugeordnet werden können. Dies ist ein anspruchsvollerer Indikator als die bloße Erwähnung politischer Institutionen: Tritt ein Politiker einer bestimmten Ebene als Hauptakteur auf, so ist davon auszugehen, dass diese Politikebene im Fokus des Beitrags steht. Ist die Öffentlichkeit in Bezug auf diesen Indikator arenen-integriert, dann erwähnt sie nicht nur alle relevanten Politikebenen, sondern sie setzt sich auch mit ihnen in dem Maß auseinander, wie es ihrer Bedeutung im politischen System entspricht. Bei der Betrachtung der politischen Hauptakteure gelten dieselben Kriterien für die Arenen-Integration der Öffentlichkeit wie bei den politischen Institutionen: Der Anteil der Beiträge mit Hauptakteuren der entsprechenden Politikebenen sollte den Minimalwert von einem Prozent übersteigen, bei den national ausgerichteten Medien sollten regionale Hauptakteure mindestens 16 Prozent erreichen. Zudem sollte der Anteil nationaler Hauptakteure insgesamt am höchsten sein, gefolgt von Hauptakteuren der regionalen und der europäischen Ebene. Generell treten politische Hauptakteure in 40 Prozent der kodierten Beiträge auf, in FAZ, SZ und tagesschau stellen sogar über die Hälfte der Beiträge einen politischen Hauptakteur in den Mittelpunkt des Beitrags. Eher selten sieht man politische Hauptakteure in WAZ, BILD und RTL aktuell, hier befassen sich weniger als ein Viertel der Beiträge mit ihnen. RTL stellt dafür weit überdurchschnittlich viele ‚normale Menschen’ ohne irgendeine klar erkennbare Funktion (außer die des ‚Betroffenen’) in den Mittelpunkt der Berichterstattung. Bei den Hauptakteuren der Beiträge zeigt sich ein anderes Bild als bei den genannten Institutionen. Zwar wird die zweite Bedingung, eine der politischen Bedeutung entsprechende Rangfolge der Hauptakteure unterschiedlicher Politikebenen, diesmal von allen untersuchten Arenen erfüllt: Unabhängig davon, über welches Medium der Bürger an der Öffentlichkeit teilnimmt, er trifft am häufigsten auf nationale Hauptakteure, gefolgt von denen der regionalen und denen der europäischen Ebene.
Dimension 1: Beobachtung des Regierens Abbildung 6:
115
Anteil der Beiträge mit Hauptakteuren der entsprechenden Politik-Ebene (in Prozent)
60 50 40 % 30 20 10 0 WAZ
LVZ
Bild
BR
regional
national
mdr EU
ARD
RTL
SZ
FAZ
sonstige supranational
Basis: Alle Beiträge der Stichprobe (n=6378), siehe auch Tabelle 63 im Anhang.
Stattdessen scheitern einige Öffentlichkeitsarenen an der ersten Bedingung, der Mindestanforderung an den Anteil der Beiträge zu Hauptakteuren jeder politischen Ebene, und zwar in zweierlei Hinsicht: Erwartet man für eine ArenenIntegration der Öffentlichkeit in vertikaler Richtung, dass die politischen Institutionen aller relevanten Ebenen nicht nur angesprochen werden, sondern auch im Zentrum der Diskussion stehen, so muss für die Teilöffentlichkeiten nationaler Medien befürchtet werden, dass diese in Bezug auf die regionale Ebene nicht hinreichend vertikal integriert sind. Sie weisen alle zu wenige Beiträge mit regionalen Hauptakteuren auf. Im Falle der nationalen Fernsehnachrichten liegt der Anteil der Beiträge mit regionalen Hauptakteuren bei acht (tagesschau) und sechs Prozent (RTL aktuell), und selbst die Qualitätszeitungen stellen trotz ihrer umfangreichen Berichterstattung mit Bezug auf regionale Institutionen zu selten regionale Hauptakteure in den Mittelpunkt (SZ: 9 Prozent, FAZ: 11 Prozent). Die Chancen der bundesweiten Nutzer dieser Medien, Beiträge mit Hauptakteuren ihrer eigenen Region zu lesen oder zu sehen, sind zu gering, um von einer vollständigen arenen-integrierten Öffentlichkeit zu sprechen. Mittels Varianzanalysen soll auch für diesen Indikator überprüft werden, welche Faktoren sich auf die Anzahl politischer Hauptakteure verschiedener Politikebenen auswirken. Für eine arenen-integrierte Öffentlichkeit sollten die Zielgruppe bzw. Ausrichtung des Mediums und seine Herkunft (aus Ost- oder
116
Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
Westdeutschland) möglichst wenig Einfluss auf das Interesse an den verschiedenen Ebenen des politischen Systems haben. Die Varianzanalyse zeigt, dass letztlich nur die Beitragsthemen einen messbaren Einfluss auf die Zahl der regionalen und EU-Hauptakteure pro Beitrag haben: Mit einem beta von 0,48 (regional) bzw. 0,58 (EU) erklären sie 23 Prozent und 33 Prozent der Varianz, die restlichen Variablen verbessern das Ergebnis nur um ein knappes Prozent. Bei den regionalen Hauptakteuren ist der Einfluss des Themas deutlich fokussierter: Während regionale Institutionen beispielsweise auch verstärkt in Angstthemen erwähnt werden, sind es nur die Beiträge zur regionalen Politik, in denen sich die durchschnittliche Zahl der regionalen Hauptakteure messbar vergrößert (sie steigt um 0,62). Hauptakteure der europäischen Ebene finden sich erwartungsgemäß vor allem in Beiträgen zur EUPolitik. Bei den nationalen Hauptakteuren erhöhen die Beitragsthemen die erklärte Varianz um 14 Prozent: Dabei finden sich nationale Hauptakteure besonders häufig in Beiträgen zu internationaler Politik, der Politik anderer Länder, oder Politik auf Bundes- oder EU-Ebene. Die Ausrichtung des Mediums hat ebenfalls einen signifikanten Einfluss: Beiträge von Medien mit nationaler Zielgruppe enthalten im Schnitt 0,10 mehr nationale Hauptakteure als die regionaler Medien. Gleichzeitig besteht ein messbares Desinteresse an regionalen Hauptakteuren. Dies bestätigt die Befunde der deskriptiven Analyse, nach der die nationalen Medien zuwenig regionale Hauptakteure berücksichtigen. Bei der Darstellungsform zeigt sich, wie schon beim Indikator ‚genannte Institutionen’, dass sich die Medien mit Hauptakteuren der nationale Ebene intensiver auseinandersetzen: Sie sind nicht allein Teil der faktenorientierten Berichterstattung, sie treten besonders häufig in den eher meinungsorientierten Darstellungsformen wie Kommentaren (+0,11) und Interviews (+0,5) auf. Die Herkunft des Mediums scheint sich zwar sowohl auf die Zahl der regionalen als auch der nationalen Hauptakteure signifikant auszuwirken, die Unterschiede sind jedoch relativ gering, und weisen vor allem den ostdeutschen Medien einen insgesamt stärkeren Fokus auf politische Hauptakteure generell, sei es der regionalen oder der nationalen Ebene, nach. Dieser Befund zieht demnach keine Befürchtungen für die Integration der Öffentlichkeit nach sich. Insgesamt sind die Ergebnisse zu den politischen Hauptakteuren dennoch deutlich kritischer zu bewerten als bei den politischen Institutionen: Hauptakteure der europäischen Ebene finden sich zu selten in fast allen Teilöffentlichkeiten, mit Ausnahme von tagesschau, SZ und FAZ. Bei den nationalen Medien muss stattdessen befürchtet werden, dass die regionale Ebene des politischen Systems für ihre Nutzer nicht hinreichend in die Berichterstattung integriert ist.
Dimension 1: Beobachtung des Regierens
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Tabelle 12: Einflussfaktoren auf die Anzahl der behandelten Hauptakteure unterschiedlicher Politikebenen Abhängige Variable: Anzahl der … pro Beiträge Nationalen HA2 EU HA3 Regionalen HA1 Abw. Beta Abw. Beta Abw. Beta Mediengattung 0,06*** 0,03*** 0,02 TV -0,05 -0,04 -0,00 Zeitung +0,01 +0,01 +0,00 Zielgruppe 0,05** 0,13*** 0,01 Regional +0,02 -0,05 +0,00 National -0,03 +0,10 -0,00 Landesteil 0,03* 0,04** 0,01 Ost +0,02 +0,02 -0,00 West -0,01 -0,02 +0,00 Quelle 0,08*** 0,06*** 0,03 Eigener Bericht +0,02 +0,01 +0,00 Agentur -0,04 -0,04 -0,00 Anderes Medium -0,03 +0,05 -0,01 Kombination -0,08 +0,16 -0,01 Nicht entscheidbar -0,03 -0,03 +0,00 Darstellungsform 0,06*** 0,06*** 0,03 Kommentar +0,00 +0,11 +0,01 Kurze Meldung +0,02 -0,02 +0,00 Längerer Bericht -0,01 +0,02 +0,00 Interview -0,08 +0,05 -0,02 Sonstige Darstellungsform -0,07 -0,07 +0,00 Themen 0,48*** 0,53*** 0,58*** Innenpolitik: Regional +0,62 -0,01 -0,01 Innenpolitik: Bund +0,03 +0,35 -0,01 Außenpolitik -0,10 +0,42 -0,01 EU-Politik -0,09 +0,32 +0,45 Politik anderer Länder -0,11 +0,52 -0,01 Internationale Politik -0,10 +0,39 +0,01 Wirtschaft/Gesellschaft -0,02 -0,22 -0,01 Unterhaltungsthemen -0,11 -0,21 -0,01 Angstthemen -0,04 -0,24 -0,01 Mittelwert (2,1) 0,14 0,30 0,01 Erklärte Varianz (R²) 0,24 0,35 0,34 Varianzanalyse, Multiple Classification Analysis zur Bestimmung der Stärke der Haupteffekte. 1 F-Wert=104,74, df=19, p<0.001; 2F-Wert=180,17, df=19, p<0.001; 3F-Wert=168,79, df=19, p<0.001 * p<0.05; ** p<0.01; *** p<0.001. Abw.=Abweichung vom Gesamtmittelwert. Basis: Alle Beiträge in der Stichprobe (n=6378) . Unabhängige Variablen
118
Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
4.1.3 Beobachtung politischer Themen Eine weitere Möglichkeit festzustellen, inwieweit die verschiedenen Teilöffentlichkeiten alle Ebenen des politischen Systems angemessen in den Vordergrund von Berichterstattung und Diskussion stellen, ist die Erfassung der Beitragsthemen. Über die Themenkategorien kann erhoben werden, mit welcher Politikebene sich der Beitrag vornehmlich befasst, unabhängig von konkreten Hauptakteuren und ihrer Zugehörigkeit zu verschiedenen Teilen des politischen Systems. Für die Analyse der ersten Dimension sind recht grobe Themenkategorien kodiert worden, in der alle politischen Inhalte, die sich auf die eigene Bevölkerung beziehen, unter Innenpolitik fallen, also beispielsweise Sozial- oder Bildungspolitik, nicht nur Sicherheits- oder Rechtspolitik. Allerdings wird innerhalb der Innenpolitik zwischen Regional- und Bundespolitik unterschieden, je nachdem, ob das politische Geschehen innerhalb einer Stadt, Region oder eines Bundeslandes im Vordergrund steht, oder aber politische Ereignisse auf Bundesebene. Wie bei den anderen Indikatoren dieser Dimension sollten alle Teilöffentlichkeiten dieselben Anforderungen erfüllen: Jede Politikebene sollte in mindestens einem Prozent der Beiträge angesprochen werden (bzw. in den nationalen Medien sollte die regionale Ebene 16 Prozent erreichen), und die Rangfolge der Themen sollte ihrer Bedeutung im politischen System entsprechen: national, regional und EU. Politische Themen im engeren Sinne werden in etwa 45 Prozent der kodierten Beiträge diskutiert – d.h. obwohl nur die regionalen und überregionalen Politikteile der Medien kodiert worden sind, fokussiert über die Hälfte der Beiträge nicht primär politische Themen wie Gesellschaft/Wirtschaft (23 Prozent), Unterhaltungsthemen (16 Prozent) oder Angstthemen (15 Prozent). Die Bandbreite der Bedeutung politischer Themen in den Politikteilen der Zeitungen bzw. in den Nachrichtensendungen ist relativ groß: Bei den Qualitätszeitungen und der tagesschau liegt der Anteil politischer Themen generell bei über zwei Dritteln, bei den regionalen Zeitungen und RTL aktuell unter einem Drittel der Beiträge. Wie bei den Hauptakteuren gelingt es den untersuchten Öffentlichkeitsarenen auch bei den Themen am besten, die zweite Anforderung an eine arenenintegrierte Öffentlichkeit zu erfüllen. Mit einer Ausnahme spiegeln alle Arenen die gewünschte Rangfolge national-regional-EU in den Berichterstattungsthemen wider. Allein in der ostdeutschen Regionalzeitung LVZ spielt die Regionalpolitik eine größere Rolle als die Bundespolitik.
Dimension 1: Beobachtung des Regierens Abbildung 7:
119
Anteil der Beiträge zu verschiedenen Themen (in Prozent)
25 20 15 % 10 5 0 WAZ
LVZ
Innenpolitik: Regional EU-Politik
Bild
BR
mdr
Innenpolitik: National Politik anderer Länder
ARD
RTL
SZ
FAZ
Außenpolitik Internationale Politik/Konflikte
Basis: Alle Beiträge der Stichprobe (n=6378), siehe auch Tabelle 64 im Anhang.
Bei der ersten Anforderung treten ähnliche Probleme auf wie bei den Hauptakteuren: Die EU-Ebene schneidet hier etwas besser ab als zuvor, dennoch fehlt es in der BILD Leipzig wie auch in den regionalen Nachrichten des BR an Beiträgen zum Thema EU-Politik, in der BILD sind es gerade einmal 0,8 Prozent der Beiträge, in der Bayerischen Rundschau nur 0,4 Prozent. Zwar bilden alle Medien mit nationaler Ausrichtung in ihrer Themenwahl das politische System ab, aber keine der Teilöffentlichkeiten berichtet ausreichend über regionale Themen: In der ARD diskutieren zehn Prozent der Beiträge regionale Politik, bei RTL aktuell sind es sogar nur sechs Prozent. In der privaten Nachrichtensendung erreicht aber auch die nationale Politik gerade einmal einen Anteil von neun Prozent der Beiträge (gegenüber stolzen 21 Prozent bei der tagesschau), umso überraschender ist es, dass fast zwei Prozent der Beiträge EUPolitik diskutieren. Die geforderten 16 Prozent Beiträge zu regionalen Themen finden sich auch weder in SZ noch in der FAZ (nur neun oder zwölf Prozent), allerdings erreicht die nationale Ebene hier ebenfalls nur 16 Prozent. An erster Stelle des politischen Interesses steht in den beiden überregionalen Tageszeitungen die Politik anderer Länder, also beispielsweise Beiträge über die Präsidentschaftswahl in Frankreich. Jeweils 17 Prozent der Beiträge beschäftigen sich mit dem politischen Geschehen in anderen Ländern. Letztlich lassen sich die 13 bzw. 15 Prozent Beiträge zu internationaler Politik oder internationalen Konflikt noch dazuzählen, insgesamt befasst sich demnach fast ein Drittel der Berichterstattung
120
Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
und Diskussion in FAZ und SZ mit ausländischer Politik. Dies ist sicherlich von Vorteil für eine europäische oder generell transnationale Öffentlichkeit, da auf diese Weise viel Raum für eine horizontale Vernetzung zwischen den Ländern besteht. Eine vertikale Integration der nationalen Öffentlichkeit findet dagegen in der nationalen Qualitätspresse in Bezug auf die diskutierten Themen nicht über alle Ebenen hinweg ausreichend statt. Nimmt man also die Beitragsthemen als Indikator für die vertikale Arenen-Integration der Öffentlichkeit, so erfüllen letztlich nur zwei Teilöffentlichkeiten die aufgestellten Kriterien vollständig: die WAZ und mdr aktuell. Auch für diesen Indikator wurde mittels einer Varianzanalyse überprüft, von welchen Faktoren die Themenwahl beeinflusst wird, allerdings mit zwei Einschränkungen. Zum einen fällt das Beitragsthema als möglicher Einflussfaktor weg, da ja gerade die Themenwahl erklärt werden soll. Zum anderen sind die abhängigen Variablen dichotom kodiert, da sich die Kodierer auf ein Thema pro Beitrag festlegen mussten. Die Varianzanalyse liefert zwar auch für dichotome Variablen zuverlässige Ergebnisse (vgl. Field 2005: 324; Lunney 1970), allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen (z.B. bei ausreichend besetzten Gruppen und großen Freiheitsgraden). Es kommt erschwerend hinzu, dass die Gesamtvarianz der abhängigen Variablen sehr gering ist (regionale Politik: 0,08, nationale Politik: 0,11, EU-Politik: 0,02). Die Ergebnisse sind demnach mit Vorsicht zu behandeln, könnten uns aber zumindest Hinweise auf mögliche Erklärungsfaktoren geben. Die gebildeten Modelle können allerdings von der von vorneherein sehr geringen Gesamtvarianz zudem kaum etwas erklären: Die erklärte Varianz liegt zwischen einem Prozent bei der regionalen und der EU-Politik sowie drei Prozent bei der nationalen Politik als Beitragsthema. Dementsprechend erreichen nur wenige Faktoren signifikante betas. Stärkster Einflussfaktor scheint die Darstellungsform zu sein: So wird Regionalpolitik überdurchschnittlich häufig in Interviews thematisiert (allerdings sind die Fallzahlen für diese Gruppe besonders niedrig). Für das Thema nationale Politik bestätigen sich die Ergebnisse zu den genannten Institutionen und den Hauptakteuren, auch als Beitragsthema kommt die nationale Ebene überdurchschnittlich oft in Kommentaren vor (+0,12). Die Beitragsquelle scheint sich zwar ebenfalls auf die Politikebene des Themas auszuwirken: In Artikeln aus anderen Medien oder ohne eindeutige Quellenangabe (und fast ein Viertel der Beiträge in Regionalzeitungen und 40 Prozent in der BILD haben keine Quellenangabe) ist Regionalpolitik seltener Thema, stattdessen sind es häufiger eigene Berichte oder Agenturmeldungen bzw. die Kombination von beidem, die sich mit regionalen politischen Fragen befassen. Nationale Politik steht dagegen insbesondere in Artikeln aus anderen
Dimension 1: Beobachtung des Regierens
121
Medien, also im Rahmen der Presseschauen im Mittelpunkt. Dies erscheint plausibel, da in Presseschauen selten auf Medien aus derselben Region verwiesen wird, entsprechend unwahrscheinlich ist, dass sich die zitierten Artikel mit der Regionalpolitik vor Ort beschäftigen. Tabelle 13: Einflussfaktoren auf die Anzahl der behandelten Themen unterschiedlicher Politikebenen Abhängige Variable: Anzahl der Themen zu … pro Beitrag Reg. Politik1 Nat. Politik2 EU-Politik3 Abw. Beta Abw. Beta Abw. Beta Mediengattung 0,00 0,05** 0,04** TV -0,00 +0,03 -0,01 Zeitung +0,00 -0,01 +0,01 Zielgruppe 0,03 0,03 0,09*** Regional -0,01 -0,01 -0,01 National +0,01 +0,01 +0,02 Landesteil 0,02 0,04* 0,00 Ost +0,01 -0,01 -0,00 West -0,00 +0,01 +0,00 Quelle 0,07*** 0,07*** 0,03 Eigener Bericht +0,01 +0,01 +0,00 Agentur +0,01 -0,02 +0,00 Anderes Medium -0,04 +0,08 -0,00 Kombination +0,04 +0,05 +0,01 Nicht entscheidbar -0,04 -0,03 -0,01 Darstellungsform 0,06*** 0,10*** 0,02 Kommentar -0,02 +0,12 +0,01 Kurze Meldung -0,00 -0,02 +0,00 Längerer Bericht +0,00 +0,00 +0,00 Interview +0,08 -0,00 +0,02 Sonstige Darstellungsform +0,05 +0,06 -0,00 Mittelwert (1,1) 0,08 0,13 0,02 Erklärte Varianz (R²) 0,01 0,03 0,01 Varianzanalyse, Multiple Classification Analysis zur Bestimmung der Stärke der Haupteffekte. * p<0.05; ** p<0.01; *** p<0.001. 1 F-Wert=5,38, df=19, p<0.001; 2F-Wert=17,01, df=19, p<0.001; 3F-Wert=6,60, df=11, p<0.001. Abw.=Abweichung vom Gesamtmittelwert. Basis: Alle Beiträge in der Stichprobe (n=6378) . Unabhängige Variablen
Die Mediengattung wirkt sich auf National- und EU-Politik als Beitragsthema aus: Beiträge zur nationalen Politik finden sich überdurchschnittlich häufig in Fernsehnachrichten unabhängig von deren Zielgruppe (+0,03), EU-Politik ist dagegen seltener Thema der Fernsehnachrichten. Von den für die Arenen-Integration bedenklichen Einflussvariablen wirkt sich die Ausrichtung nur signifikant auf die EU-Ebene aus, das Thema EUPolitik ist in national ausgerichteten Medien etwas häufiger anzufinden. Dies
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Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
bestätigt die Ergebnisse der deskriptiven Analyse, der zufolge es die regionalen Medien sind, die zuwenig über EU-Politik berichten und diskutieren, während die Bedeutung des Themas in allen nationalen Medien ausreichend groß ist. Der Einfluss der Herkunft des Mediums auf das Thema Nationale Politik ist zwar knapp signifikant, aber letztlich zu gering für eine sinnvolle Interpretation.
4.1.4 Beobachtung politischer Sprecher Bei den bisherigen Indikatoren der vertikalen Integration von Öffentlichkeit geht es allein um die Beobachtung des politischen Systems, im Sinne einer Berichterstattung über auftretende Ereignisse und Probleme. Der nächste Indikator, die zitierten Sprecher, geht einen Schritt weiter: Er beschreibt nicht nur, über wen und was die Bürger über die verschiedenen Teilöffentlichkeiten Informationen erhalten, sondern auch wer sich in diesen Öffentlichkeiten an der Diskussion beteiligt. Die über diesen Indikator beschreibbare vertikale Integration ist demnach eine deutlich anspruchsvollere, sie bezieht sich nicht mehr allein auf die Herstellung von Transparenz, sondern auch auf den Aufbau einer öffentlichen Debatte, also die Validierungsfunktion von Öffentlichkeit. Es gelten für diesen Indikator dieselben Basiskriterien: Alle Ebenen des politischen Systems sollten mit zitierten Sprechern in den einzelnen Teilöffentlichkeiten vertreten sein, wobei der Anteil der Beiträge für jede Ebene mindestens ein Prozent betragen sollte. Für die Repräsentation der regionalen Ebene in nationalen Medien gilt erneut der höhere Richtwert von sechzehn Prozent, damit die Nutzer aus allen Regionen Deutschlands eine Chance haben, Sprecher aus ihrer eigenen Region zitiert zu finden. Außerdem sollte die Rangfolge der zitierten Sprecher der des abgebildeten politischen Systems entsprechen – also mehr nationale Sprecher als regionale oder europäische. Das Profil der in den verschiedenen Arenen zitierten politischen Sprecher unterscheidet sich erheblich, angefangen mit der Gesamtzahl: Ähnlich wie bei den anderen Indikatoren scheint die Zahl der zitierten politischen Sprecher vom Anspruch bzw. der inhaltlichen Ausrichtung des Mediums abzuhängen: Die meisten zitierten Sprecher pro Beitrag enthalten die Qualitätszeitungen sowie die tagesschau, aber auch mdr aktuell (1,2 oder mehr Sprecher pro Beitrag). Als nächste Gruppe folgen LVZ und die Bayerische Rundschau, sowie RTL aktuell; das Schlusslicht bilden die WAZ und BILD, in deren Beiträgen im Schnitt nur 0,5 politische Sprecher zitiert werden. Bei diesen Teilöffentlichkeiten ist demnach zu befürchten, dass sie generell nur selten Diskussionen mit mehreren Sprechern und Meinungen enthalten – ganz unabhängig von deren politischer Funktion. Ihr
Dimension 1: Beobachtung des Regierens
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Potential, einen Beitrag zur Validierungsfunktion der Gesamtöffentlichkeit zu leisten, ist demnach insgesamt eher gering. Abbildung 8:
Anteil der Beiträge mit zitierten Sprechern der entsprechenden Politik-Ebene (in Prozent)
30 25 20 % 15 10 5 0 WAZ
LVZ
Bild
BR
regional
national
mdr EU
ARD
RTL
SZ
FAZ
sonstige supranational
Basis: Alle Beiträge der Stichprobe (n=6378), siehe auch Tabelle 65 im Anhang.
Bei den zitierten Sprechern schneiden die untersuchten Arenen mit Abstand am schlechtesten ab: Ähnlich wie bei den politischen Institutionen weichen die regionalen Medien von der vorgegebenen Rangfolge der Politik-Ebenen ab und zitieren häufiger regionale als nationale Sprecher. Sowohl in WAZ und LVZ, aber auch in der Bayerischen Rundschau nehmen die regionalen Sprecher den größten Raum ein. Gravierender für die Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit scheint aber, dass alle untersuchten Teilöffentlichkeiten zu wenig Sprecher von mindestens einer, wenn nicht sogar zwei Politik-Ebenen zitieren. Allein die beiden Qualitätszeitungen zitieren in ihren Artikeln ausreichend EU-Sprecher. In allen anderen Arenen enthalten weniger als ein Prozent der Beiträge Zitate von EU-Sprechern, in BR und RTL kommen sie sogar überhaupt nicht zu Wort.44 44
Zudem fällt auf, dass in der BILD kaum eine öffentliche Diskussion unter Berücksichtigung verschiedener Sprecher stattfindet. Die meinungshaltigen Beiträge sind zumeist aus der Perspektive des Artikelautors verfasst, ohne dass zustimmende oder abweichende Meinungen anderer Sprecher zitiert werden. Und dies, obwohl bei der Kodierung auf das Format der Boulevardzeitung mit seinen extrem kurzen Artikeln insofern Rücksicht genommen worden ist, als dass die Sprecher auch
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Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
Setzt man für die regionale Ebene in den nationalen Medien erneut den Mindestwert von 16 Prozent an, so wird dieser in keiner der nationalen Teilöffentlichkeiten erreicht. In den nationalen Fernsehnachrichten werden regionale Sprecher gerade einmal in fünf (ARD) bzw. sieben Prozent (RTL) der Beiträge zitiert. Auch die überregionalen Tageszeitungen zitieren zu selten regionale Sprecher, nämlich nur in um die sieben Prozent der Beiträge. Die untersuchten Erklärungsfaktoren können bei den zitierten Sprechern insgesamt deutlich weniger Varianz erklären als bei den genannten Institutionen oder den Hauptakteuren. Der wichtigste Einflussfaktor bleibt aber der gleiche: Das Beitragsthema erklärt den Großteil der Varianz mit betas zwischen 0,24 und 0,38. Regionale Sprecher werden erwartungsgemäß überdurchschnittlich in Beiträgen zu regionaler Politik zitiert, aber auch etwas häufiger in Beiträgen zur Bundespolitik. Nationale Sprecher finden sich besonders häufig in Beiträgen zur Bundespolitik (+0,21), aber auch im Rahmen der Berichterstattung zur Außenpolitik, zur Politik anderer Länder oder zu internationaler Politik wird verstärkt die Meinung nationaler politischer Sprecher berücksichtigt. Auffällig ist, dass in Beiträgen zur EU-Politik nicht auch mehr nationale Sprecher zitiert werden, da sich diese doch dort (wie auch sonst in der Außenpolitik) intensiv betätigen. EUSprecher kommen dagegen nur in Beiträgen zum zugehörigen Politikfeld überdurchschnittlich oft zu Wort. Ein weiterer für alle drei Ebenen relevanter Erklärungsfaktor ist die Darstellungsform: Politische Sprecher werden vor allem in längeren Nachrichtenberichten zitiert, dagegen nur ausgesprochen selten in Kommentaren (-0,12 bei den regionalen und -0,27 bei den nationalen Sprechern) oder Interviews (-0,13 regional, -0,18 national). Dies entspricht auch dem Charakter der beiden letztgenannten Darstellungsformen, die sich ja gerade durch ihren Fokus auf die Meinungsdarstellung nur einer Person auszeichnen, im Kommentar auf die des Journalisten oder im Interview auf die des Interviewpartners. Ähnlich offensichtlich ist der Einfluss der Mediengattung: In Fernsehbeiträgen kommen politische Sprecher unterdurchschnittlich oft zu Wort, unabhängig von ihrer politischen Ebene. Dies ist wiederum dem Format geschuldet: Da die Informationen im Fernsehen konzentrierter präsentiert werden, ist auch weniger Raum, verschiedene Sprecher zu zitieren.
mit nur einem Satz zitiert werden konnten (und nicht mit mindestens zwei Sätzen wie in den anderen Zeitungen). Auch mit diesem weicheren Auswahlkriterium finden sich selbst nationale und regionale Sprecher in der BILD nur knapp über drei Prozent der Artikel.
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Tabelle 14: Einflussfaktoren auf die Anzahl der zitierten Sprecher unterschiedlicher Politikebenen Abhängige Variable: Anzahl der zitierten … pro Beitrag Nationalen Spr.2 EU Sprecher3 Regionalen Spr.1 Abw. Beta Abw. Beta Abw. Beta Mediengattung 0,05*** 0,04*** 0,02 TV -0,04 -0,05 -0,01 Zeitung +0,01 +0,01 +0,00 Zielgruppe 0,00 0,18*** 0,02 Regional +0,00 -0,07 -0,00 National -0,00 +0,13 +0,00 Landesteil 0,04** 0,01 0,02 Ost +0,02 +0,01 -0,00 West -0,01 -0,01 +0,00 Quelle 0,10*** 0,08*** 0,02 Eigener Bericht +0,03 +0,02 +0,00 Agentur -0,05 -0,06 +0,00 Anderes Medium -0,01 -0,15 -0,00 Kombination -0,04 +0,13 +0,00 Nicht entscheidbar -0,05 +0,01 +0,00 Darstellungsform 0,18*** 0,25*** 0,06*** Kommentar -0,12 -0,27 -0,01 Kurze Meldung -0,03 -0,07 +0,00 Längerer Bericht +0,09 +0,17 +0,01 Interview -0,13 -0,18 -0,02 Sonstige Darstellungsform -0,10 -0,16 -0,01 Themen 0, 24*** 0,24*** 0,38*** Innenpolitik: Regional +0,26 +0,04 -0,01 Innenpolitik: Bund +0,05 +0,21 -0,01 Außenpolitik -0,07 +0,38 +0,00 EU-Politik -0,05 -0,00 +0,33 Politik anderer Länder -0,08 +0,16 -0,01 Internationale Politik -0,08 +0,10 -0,01 Wirtschaft/Gesellschaft +0,01 -0,08 -0,01 Unterhaltungsthemen -0,08 -0,13 -0,01 Angstthemen +0,01 -0,11 -0,01 Mittelwert (1,0) 0,09 0,17 0,01 Erklärte Varianz (R²) 0,11 0,19 0,14 Varianzanalyse, Multiple Classification Analysis zur Bestimmung der Stärke der Haupteffekte. * p<0.05; ** p<0.01; *** p<0.001. 1 F-Wert=40,74, df=19, p<0.001; 2 F-Wert=77,64, df=19, p<0.001; 3 F-Wert=55,65, df=19, p<0.001. Abw.=Abweichung vom Gesamtmittelwert. Basis: Alle Beiträge in der Stichprobe (n=6378). Unabhängige Variablen
Generell werden Sprecher häufiger in Beiträgen aus der eigenen Redaktion zitiert, bei Agenturmeldungen, Beiträgen ohne Quelle oder aus anderen Medien kommen sie kaum zu Wort. Demnach scheint es nicht der journalistischen Praxis zu entsprechen, Sprecher nur auf Basis von Agenturmeldungen zu zitieren, dies
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Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
gilt sicherlich auch für die Sprecher der EU-Ebene. Allerdings sind für diese Mittelwert und Gesamtvarianz wahrscheinlich zu niedrig, als dass die Werte die Signifikanzschwelle überschreiten könnten. Des Weiteren bestätigt die Varianzanalyse erneut das Ergebnis der deskriptiven Analyse: Die national ausgerichteten Medien zitieren systematisch mehr nationale Sprecher als die regionalen Medien. Für die Integration der Öffentlichkeit wäre es allerdings vor allem bedenklich gewesen, wenn sie zudem systematisch weniger regionale Sprecher zu Wort kommen ließen– hier wirkt sich aber die Zielgruppe des Mediums nicht aus. Die Herkunft des Mediums schlägt dagegen nur bei den regionalen Sprechern (schwach) zu Buche: Ostdeutsche Medien lassen etwas mehr regionale Sprecher zu Wort kommen.
4.1.5 Die Arenen-Integration der Öffentlichkeit in der ersten Dimension Mittels vier verschiedener Indikatoren haben wir versucht, den Grad der ArenenIntegration der deutschen Öffentlichkeit für die erste Dimension, die Beobachtung des Regierens, systematisch zu erheben. Der Grad der Integration der Gesamtöffentlichkeit ergibt sich dabei aus dem Integrationsgrad der einzelnen Teilöffentlichkeiten, die für alle vier Indikatoren jeweils dieselben zwei Anforderungen erfüllen konnten. Tabelle 15 fasst die Ergebnisse für alle Indikatoren und Teilöffentlichkeiten noch einmal zusammen. Für jeden Indikator gibt die jeweils erste Zeile wieder, ob das Kriterium der richtigen Rangfolge erfüllt worden ist, die drei folgenden Zeilen weisen aus, ob das Kriterium der Mindestanforderung für die unterschiedlichen Politikebenen erreicht worden ist. Von den neun untersuchten Teilöffentlichkeiten weist die regionale Nachrichtensendung des mdr den höchsten Integrationswert in dieser Dimension auf: Sie erfüllt fast alle aufgestellten Anforderungen bis auf zwei: Sowohl bei den Hauptakteuren wie auch bei den zitierten Sprechern kommt die EU-Ebene zu kurz. An nächster Stelle folgen die überregionale Ausgabe der Süddeutschen Zeitung und die BILD Leipzig mit 13 von 16 Punkten, dann die regionalen Tageszeitungen sowie die FAZ mit zwölf Punkten, an letzter Stelle stehen die beiden überregionalen Fernsehsendungen. Die Analyse zeigt somit, dass nicht nur die viel gelobten überregionalen Qualitätszeitungen in der Lage sind, ihre Nutzer an einer vertikal integrierten Öffentlichkeit teilhaben zu lassen. Vielmehr ist es eine regionale Nachrichtensendung aus den Neuen Bundesländern, die die meisten Anforderungen an eine integrierte Öffentlichkeit erfüllt.
Dimension 1: Beobachtung des Regierens
127
Tabelle 15: Ergebnisübersicht für die Dimension Beobachtung des Regierens Öffentlichkeitsarenen Indikatoren
WAZ
LVZ
BILD
BR
mdr
ARD
RTL
SZ
FAZ
Reg
Reg
+
+
+
+
+
+
+
-
Regional (Min)
+
+
+
+
+
+
+
+
+
-
National (Min)
+
+
+
+
+
+
+
+
+
-
EU (Min)
+
+
+
+
+
+
+
+
+
Hauptakteure (Rang)
+
+
+
+
+
+
+
+
+
-
Regional (Min)
+
+
+
+
+
-
-
-
-
-
National (Min)
+
+
+
+
+
+
+
+
+
-
EU (Min)
-
+
-
-
-
-
-
+
-
Themen (Rang)
+
Reg
+
+
+
+
+
+
+
-
Regional (Min)
+
+
+
+
+
-
-
-
-
-
National (Min)
+
+
+
+
+
+
+
+
+
-
EU (Min)
+
+
-
-
+
+
+
+
+ +
Institutionen (Rang)
Reg
Reg
+
Reg
+
+
+
+
-
Regional (Min)
+
+
+
+
+
-
-
-
-
-
National (Min)
+
+
+
+
+
+
+
+
+
-
EU (Min)
-
-
-
-
-
-
-
+
+
12/16
12/16
13/16
12/16
14/16
11/16
11/16
13/16
12/16
Zit. Sprecher (Rang)
Summe
Legende: + Anforderung erfüllt - Anforderung nicht erfüllt n.z.=nicht zutreffend Min=Minimum erreicht? Rang=Rangfolge der Politikebenen (national-regional-EU) erreicht? Reg=regionale Politikebene überbetont.
Je anspruchsvoller die Indikatoren sind, desto schlechter ist allerdings der Integrationsgrad: Bei der Beobachtung politischer Institutionen werden die Anforderungen noch von fast allen Teilöffentlichkeiten erfüllt – allein LVZ und WAZ halten sich nicht an die erwünschte Rangfolge und verweisen öfter auf regionale als auf nationale Institutionen. Fragt man also lediglich danach, welche politischen Institutionen in der Berichterstattung erwähnt werden, so erhalten die Nutzer der einzelnen Teilöffentlichkeiten und damit die der Gesamtöffentlichkeit ein vollständiges Bild des politischen Systems, das überwiegend auch dieselbe Bedeutungsrangfolge widerspiegelt.
128
Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
Auch bei den Beitragsthemen erfüllen die Teilöffentlichkeiten zumeist die Anforderungen an eine arenen-integrierte Öffentlichkeit: Allerdings kommt die europäische Ebene in der Bayerischen Rundschau und in der BILD Leipzig zu kurz. Dabei zeigt das Beispiel des mdr, dass auch in einer regionalen Nachrichtensendung genügend Raum für europäische Themen sein kann. Bedenklich für die Integration der Gesamtöffentlichkeit scheint eher, dass die regionale Ebene systematisch in allen national ausgerichteten Medien nicht genügend Raum erhält. Leser außerhalb der Stammgebiete von SZ und FAZ haben kaum Chancen, über die politischen Geschehnisse in ihrer eigenen Region informiert zu werden. Dies gilt in noch stärkerem Maße für diejenigen Bürger, die ihre politischen Informationen ausschließlich über die nationalen Fernsehnachrichten beziehen. Fragt man nicht allein nach den Beitragsthemen, sondern danach, welche politischen Akteure tatsächlich im Fokus der Beiträge stehen, so verschlechtert sich das Bild vor allem für die europäische Ebene deutlich. Letztlich sind es nur die SZ und die LVZ, in denen Politiker der EU-Ebene überhaupt als Hauptakteure auftreten. In allen anderen Teilöffentlichkeiten werden EU-Institutionen erwähnt, eventuell wird auch über EU-Themen berichtet, aber EU-Politiker stehen nicht im Mittelpunkt. Die Transparenzfunktion von Öffentlichkeit wird demnach von den untersuchten Teilöffentlichkeiten letztlich nur für die nationale Ebene durchgehend erfüllt. Die EU-Ebene steht – ob als Thema oder als Hauptakteur – zu selten im Mittelpunkt, und die regionale Politikebene hat in den national ausgerichteten Medien nicht genügend Raum. Am schlechtesten schneidet der Indikator für die Validierungsfunktion der Öffentlichkeit ab, bei den zitierten Sprechern werden die Anforderungen nur in 22 von 36 Fällen erfüllt. Wieder ist es vor allem die europäische Ebene, die von den meisten Teilöffentlichkeiten ausgeblendet wurde. Europäische Sprecher kommen nur in den beiden Qualitätszeitungen SZ und FAZ zu Wort. Gleichzeitig integrieren diese, wie auch die beiden nationalen Fernsehsendungen, nicht genügend regionale Sprecher in die Debatten, um die Validierungsfunktion für alle ihre Leser zu erfüllen. Die regionalen Medien wiederum lassen Sprecher aus der eigenen Region etwas zu häufig zu Wort kommen, für die Nutzer von WAZ, LVZ und BR erreichen regionale Stimmen in öffentlichen Diskussionen eine größere Bedeutung, als es ihrer Bedeutung im politischen System entsprechen würde. Ein Vergleich der beschriebenen Ergebnisse mit anderen Studien scheitert daran, dass die Politikberichterstattung regionaler Medien so selten analysiert wird. Eine wichtige Ausnahme stellt der Vergleich der Politikdarstellung in je zehn ost- und westdeutschen Tageszeitungen durch Helmut Scherer et al. dar. Leider haben sie lediglich Hauptakteure verschiedener Politikebenen erhoben (und zudem keine europäische Ebene). Aber auch dort findet sich eine Überbeto-
Dimension 2: Ähnlichkeit der Diskurse
129
nung der regionalen Ebene in den regionalen Tageszeitungen (Scherer et al. 1997: 425). Inwieweit man die deutsche Öffentlichkeit in dieser Dimension als arenenintegriert verstehen will, ist demnach direkt verknüpft mit dem propagierten normativen Anspruch an Öffentlichkeit. Reduziert man die Transparenzfunktion auf Verweise auf politische Institutionen innerhalb der Debatte jedweder Themen, so erfüllen alle untersuchten Arenen die Kriterien der Arenen-Integration. Da es für die Herstellung von Transparenz aber auch bedeutsam ist, welchen Themenschwerpunkt die Beiträge haben, welche Hauptakteure in den Mittelpunkt gestellt und insbesondere welche Sprecher zitiert werden, ist die ArenenIntegration durch die analysierten Teilöffentlichkeiten in dieser Dimension nur eingeschränkt gewährleistet.
4.2 Dimension 2: Ähnlichkeit der Diskurse Die zweite Dimension der Arenen-Integration nationaler Öffentlichkeiten verlangt von den einzelnen Öffentlichkeitsarenen nicht nur, dass sie für ihre Nutzer Transparenz über das politische System herstellen, sondern auch, dass sich das durch sie vom politischen System vermittelte Bild stark ähnelt. Die Ähnlichkeit der Diskurse ließe sich an einer unendlich großen Vielzahl von Indikatoren messen, angefangen bei formalen Kategorien wie Darstellungsformen und Beitragsquellen, über alle inhaltlichen Kategorien bis hin zu den verwendeten kollektiven Identitäten. Basierend auf der bisherigen Forschung zur europäischen Öffentlichkeit sind eine Reihe von Kriterien ausgewählt worden, die für die politische Öffentlichkeit die größte Bedeutung haben dürften und bisher am meisten untersucht worden sind. Die Ähnlichkeit der Teilöffentlichkeiten soll hier für folgende Aspekte analysiert werden: Themenauswahl, Intensität der Themenbehandlung (also die ihnen zugemessene Wichtigkeit), Zeitpunkt der Themenbehandlung (i.a.W. Synchronität) und für bestimmte Themen die verwendeten Frames. Werden dieselben Themen zur selben Zeit mit derselben Relevanz (und unter denselben Relevanzgesichtspunkten) diskutiert? Die zweite Dimension der Arenen-Integration wird innerhalb dieser Arbeit im Rahmen von zwei Teilstudien erfasst. Die themenübergreifende Teilstudie liefert Erkenntnisse zu Themenauswahl, Intensität und Synchronität, während die themenzentrierten Fallstudien Ergebnisse zu den verwendeten Frames beitragen. Es werden im Folgenden zunächst die Ergebnisse der themenübergreifenden Teilstudie vorgestellt, anschließend die der themenzentrierten Fallstudien.
130
Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
4.2.1 Ähnlichkeit der Diskurse in der themenübergreifenden Teilstudie Wie bereits zuvor diskutiert, ist die Messung von Ähnlichkeit problematisch, da sie eng an die Definition der zu vergleichenden Aspekte geknüpft ist: Je weiter deren Definition, desto wahrscheinlicher ähneln sich die Öffentlichkeitsarenen. Diesem Problem wird in der themenübergreifenden Teilstudie auf zwei Arten begegnet: durch eine dynamische Kodierung und eine vergleichende Bewertung. Alle drei ausgewählten Ähnlichkeitskriterien basieren auf den kodierten Hauptthemen der Zeitungs- und Fernsehbeiträge. Um die Bandbreite der Ähnlichkeitswerte nicht durch vorgegebene Kategorien von vorneherein festzulegen, erfolgte die Themenkodierung dynamisch am Untersuchungsmaterial (vgl. Kapitel 3.2.1). Da aber auch diese Kategoriendefinition letztlich willkürlich ist, erfolgt die Bewertung der gemessenen Ähnlichkeit allein im Vergleich, d.h. die Ähnlichkeit zweier Teilöffentlichkeiten wird nicht absolut bewertet, sondern im Vergleich zur Ähnlichkeit anderer Teilöffentlichkeiten. Zu diesem Zweck werden die Teilöffentlichkeiten in drei Gruppen eingeteilt: Regionale Medien aus Ostdeutschland (also LVZ und mdr), regionale Medien aus Westdeutschland (WAZ und BR) und ‚nationale’ Medien (ARD, RTL, SZ und FAZ). Anschließend wird die Ähnlichkeit sowohl zwischen den Medien einer Gruppe als auch zwischen den Medien verschiedener Gruppen miteinander verglichen, um zu überprüfen, inwieweit die Gruppen folgende Anforderungen an die ArenenIntegration nationaler Öffentlichkeiten erfüllen: 1.
2.
Die Ähnlichkeit zwischen den regionalen Öffentlichkeitsarenen eines Landesteils (Ost- oder West-Deutschlands) entspricht ungefähr der Ähnlichkeit zu den Öffentlichkeitsarenen des anderen Landesteils. Als Formel formuliert: intraregionale Ähnlichkeit = interregionale Ähnlichkeit Die Ähnlichkeit zwischen den nationalen Öffentlichkeitsarenen und den Arenen eines Landesteils (Ost- oder Westdeutschlands) unterscheidet sich nicht deutlich von der Ähnlichkeit zwischen den nationalen Öffentlichkeitsarenen und den Arenen des anderen Landesteils, ebenso wie von der Ähnlichkeit der nationalen Arenen unter sich. Als Formel ausgedrückt: Ähnlichkeit national-Landesteil 1 = Ähnlichkeit national-Landesteil 2 = Ähnlichkeit national-national.
Dimension 2: Ähnlichkeit der Diskurse
131
4.2.1.1 Ähnlichkeit der Themenauswahl In einem ersten Schritt wird der Anteil der Themenüberschneidungen zwischen den verschiedenen Teilöffentlichkeiten berechnet und verglichen. Zu diesem Zweck zählt zunächst allein, welche Medien welche Themen behandelt haben, unabhängig von der Intensität der Berichterstattung. Tabelle 16 gibt einen Überblick über den Überschneidungsgrad in der Themenwahl zwischen mehreren Medien bzw. Mediengruppen. Bei den regionalen Medien ergibt sich unabhängig vom Oberthema eine Überschneidung von 25 Prozent zwischen den beiden kodierten regionalen Medien aus Westdeutschland. Im Schnitt findet sich also ein Viertel der Themen, die in der WAZ im Untersuchungszeitraum behandelt worden sind, auch in der BR Rundschau wieder. Für die ostdeutschen regionalen Medien ist der Überschneidungsgrad etwas höher, er liegt bei 29 Prozent. Dieser Wert bezieht sich nur auf die gemeinsamen Themen von LVZ und mdr, die BILD Leipzig wird bei den Berechnungen hier ausgelassen, weil für sie kein westdeutsches Pendant kodiert worden ist und sie somit die Vergleichbarkeit der beiden Mediengruppen erschweren würde. Vergleicht man nun die Themen von jeweils ost- und westdeutschen regionalen Medien, so liegt der durchschnittliche Anteil gemeinsamer Themen immer noch bei 27 Prozent, vergleicht man nur die Medien einer Gattung liegt der Überschneidungsgrad für die regionalen Fernsehnachrichten sogar bei einem Drittel, der für die regionalen Zeitungen noch bei 30 Prozent. Demnach wird die erste Anforderung an eine arenen-integrierte Öffentlichkeit erfüllt, die Ähnlichkeit zwischen ost- und westdeutschen Medien ist nicht nennenswert geringer als die Ähnlichkeit zwischen den beiden ostdeutschen Medien und sogar im Schnitt größer als die Ähnlichkeit zwischen den beiden westdeutschen Medien. Auch wenn man nun die Ähnlichkeit der national verbreiteten Medien mit den regionalen Medien betrachtet, gibt es keine gravierenden Unterschiede. Die Themenüberschneidung zwischen den vier nationalen Medien (SZ, FAZ, ARD und RTL) und den zwei regionalen westdeutschen Arenen liegt bei durchschnittlich 32 Prozent, die mit den ostdeutschen regionalen Arenen bei 34 Prozent. Damit ist der Überschneidungsgrad zwar etwas geringer als der durchschnittliche Anteil gemeinsamer Themen für die nationalen Medien allein (36 Prozent), die Differenz ist aber recht gering. Auch die zweite Anforderung an eine integrierte Öffentlichkeit wird demnach für diesen Indikator erfüllt, die Anteile gemeinsamer Themen unterscheiden sich nur geringfügig. Treffen die Leser einer ostdeutschen regionalen Zeitung auf die Leser einer überregionalen Tageszeitung, so können sie davon ausgehen, dass im Schnitt ein Drittel der Themen, von denen sie gelesen haben, auch dem anderen bekannt sind. Das nationale Medium mit den höchsten Überschneidungswerten mit sowohl anderen nationalen wie auch
132
Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
den regionalen Arenen war die ARD tagesschau, über die Hälfte der Themen der tagesschau finden sich im Schnitt auch in den anderen Medien. Tabelle 16: Themenüberschneidungen zwischen den verschiedenen Medien (-gruppen) nach Themenkategorien durchschnittlicher Anteil der gemeinsamen Themen an allen Themen in % Regional National nach Themengruppen West Ost West-Ost Nat-West Nat-Ost Nat-Nat Innenpolitik: Regional1 13,6a 34,0abc 23,2ab 33,0abc 40,8abc 51,6c Innenpolitik: National 44,0 60,6 51,5 49,6 57,2 51,7 Außenpolitik 80,0 65,5 72,5 69,9 68,2 63,1 EU-Politik 55,6 36,7 37,0 44,2 41,2 53,5 Politik anderer Länder 61,9 53,8 59,6 53,5 56,5 52,6 Internationale Politik 32,8 41,9 45,0 52,6 45,8 47,0 Wirtschaft/Gesellschaft 17,2 32,1 23,7 23,5 28,6 28,5 Unterhaltungsthemen 4,2 10,8 10,7 12,1 18,0 17,6 Angstthemen 24,9 24,8 34,2 35,1 33,1 31,3 Gesamt 25,1 29,1 27,1 31,9 33,7 35,9 Einfaktorielle Varianzanalyse der Mittelwerte der Korrelationskoeffizienten. 1 F-Wert: 4,08, df = 29, p<0.01. Mittelwerte mit unterschiedlichen Kennbuchstaben unterscheiden sich signifikant nach Post-HocTest (Duncan; = 0.05), Mittelwerte für alle anderen Themengruppen unterscheiden sich nicht signifikant. Basis: Themenüberschneidungen in Prozent für alle Medienpaare (n=30), auf Basis aller Themen in den überregionalen Politikteilen (n=1495).
Zusätzlich zu den konkreten Einzelthemen ist für alle Beiträge eine grobe Themenkategorie verschlüsselt worden, die es ermöglicht, die Themenüberschneidungen für verschiedene Themengruppen zu analysieren. Für die politische Öffentlichkeit am bedeutsamsten sind sicherlich die Themen der Kategorie ‚Innenpolitik: National’, also Themen, die die gesamte deutsche Bevölkerung betreffen und über die alle informiert sein sollten, auch wenn sie verschiedene Medien rezipieren. Insgesamt fallen im Untersuchungszeitraum 125 verschiedene Themen in diese Kategorie. Betrachtet man nun nur die Überschneidungen für dieses Oberthema, so fällt auf, dass die Anteile der Beiträge, die in mehreren Medien angesprochen werden, deutlich höher liegen. So finden sich im Schnitt 44 Prozent aller Einzelthemen aus dem Bereich ‚Innenpolitik: National’, die in einem westdeutschen regionalen Medium diskutiert werden, auch im anderen westdeutschen Vergleichsmedium wieder. Für ostdeutsche regionale Medien liegt die Themenüberschneidung sogar bei 61 Prozent. Vergleicht man die Themenauswahl für diesen Bereich in ost- und westdeutschen regionalen Medien, stimmt sie im Schnitt zu 52 Prozent überein, d.h. knapp über die Hälfte aller Themen, die zu nationaler Innenpolitik in westdeutschen Medien behandelt werden, wird auch in
Dimension 2: Ähnlichkeit der Diskurse
133
ostdeutschen Medien diskutiert. Die erste Anforderung an eine integrierte Öffentlichkeit wird für diesen Themenbereich also nur in Teilen erfüllt. Während die Ähnlichkeit zwischen Ost- und Westdeutschland zwar höher ist als die der westdeutschen Medien unter sich, liegt sie knapp neun Prozent unter dem Wert für die ostdeutschen Arenen unter sich. In anderen Worten, ostdeutsche Teilöffentlichkeiten sind sich untereinander recht einig über die berichtenswerten Themen in diesem Bereich, aber unterscheiden sich von ihren westdeutschen Pendants. Und zwar obwohl es sich hier um Themen handeln sollte, die für beide Landesteile von Interesse sind. Allerdings ist dies kein dramatischer Unterschied, zudem wird er durch die Ergebnisse für die Überschneidung zwischen nationalen und regionalen Medien etwas relativiert: Entgegen den ursprünglichen Erwartungen zeigt sich, dass bei nationalen Politikthemen die Überschneidungen zwischen ostdeutschen regionalen Medien und den Medien mit nationaler Ausrichtung (aber mit Sitz in Westdeutschland) besonders hoch sind (57 Prozent), fast dem Übereinstimmungsgrad der ostdeutschen regionalen Medien unter sich entsprechen und sogar die interne Ähnlichkeit der nationalen Medien übersteigen. Der Anteil gemeinsamer Themen scheint damit nicht systematisch durch den Landesteil, in dem das Medium erscheint, bestimmt zu sein. Die zweite Anforderung an eine integrierte Öffentlichkeit ist also auch für diesen einzelnen Themenbereich erfüllt: Die Ähnlichkeit zwischen den nationalen Medien unter sich ist nicht größer als die zwischen nationalen und regionalen Medien. Unabhängig davon, ob der Nutzer eines regionalen ostdeutschen Mediums auf den Nutzer eines anderen ostdeutschen Mediums oder aber eines national ausgerichteten Mediums trifft, hat er ähnlich hohe Chancen, dass sein Gegenüber über dieselben Themen aus dem Bereich nationaler Politik informiert ist. Da die anderen Themenbereiche nicht von derart zentraler Bedeutung für die politische Öffentlichkeit sind, werden die dazugehörigen Ergebnisse nur kurz angesprochen. Auch bei den 93 Einzelthemen aus der Regionalpolitik sind die westdeutschen Medien deutlich uneinheitlicher in der Themenwahl als die ostdeutschen regionalen Medien. Dies kann allerdings damit zusammenhängen, dass die beiden untersuchten ostdeutschen Medien zu sich überschneidenden Bundesländern gehören, während WAZ und BR völlig unterschiedliche regionale Einzugsgebiete haben. Für diesen Bereich wird auch die zweite Anforderung an die integrierte Öffentlichkeit nicht erfüllt: Während die nationalen Medien untereinander recht hohe Überschneidungen haben – im Schnitt finden sich über die Hälfte der regionalpolitischen Themen in den anderen Medien wieder – unterscheiden sie sich in der Themenwahl deutlich von den Themenagenden der sowohl ost- als auch westdeutschen Regionalmedien. Bei der Außen- und EUPolitik (29 und 49 Themen) ist auffällig, dass die westdeutschen Medien überra-
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Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
schend hohe Themenüberschneidungen haben, obwohl sie in allen anderen Themenkategorien sonst große Unterschiede aufweisen. Zum Abschluss wird mittels einer Regressionsanalyse überprüft, durch welche Faktoren sich die Unterschiede in den Anteilen gemeinsamer Themen am besten erklären lassen. Hat beispielsweise der Landesteil, in dem das Medium erscheint, einen Einfluss auf den Grad der Themenübereinstimmung, so würde dies dem Ideal einer arenen-integrierten Öffentlichkeit widersprechen, dann würden sich ost- und westdeutsche Medien systematisch voneinander unterscheiden. Zu diesem Zweck werden für die prozentualen Themenüberschneidungen der verglichenen Medienpaare Regressionsanalysen gerechnet und zwar sowohl über alle Themen als auch für die verschiedenen Themenkategorien. Als mögliche Einflussfaktoren werden zur näheren Bestimmung des jeweiligen Medien-Vergleichspaares folgende Variablen gebildet:
Mediengattung: TV-TV (=zwei Fernsehnachrichtensendungen werden miteinander verglichen), Zeitung-Zeitung oder TV-Zeitung Zielgruppe: National-National (=zwei national ausgerichtete Medien werden miteinander verglichen), Regional-Regional, National-Regional Landesteil: West-West (=zwei westdeutsche Medien werden miteinander verglichen), Ost-Ost, West-Ost BILD (= eines der beiden verglichenen Medien ist die BILD)45 für das Gesamtmodell über alle Themen: die Themenkategorien
Betrachten wir zunächst das Regressionsmodell über alle Themen hinweg: Für jeden der neun Themenbereiche sind die prozentualen Themenüberschneidungen zwischen den neun Medien berechnet worden, also 36 Vergleichspaare für jeden Themenbereich oder 324 Vergleichspaare insgesamt. Das berechnete Modell erklärt 67 Prozent der Varianz in den prozentualen Themenüberschneidungen der verschiedenen Medienpaare. Den größten Erklärungsanteil haben die Themenkategorien, d.h. die prozentualen Themenüberschneidungen unterscheiden sich systematisch je nach Themenkategorie. So ist der Anteil der gemeinsamen Themen deutlich geringer bei den Unterhaltungsthemen (beta von -0,41), aber auch bei Themen aus dem Bereich Wirtschaft/Gesellschaft (-0,22) oder bei den Angstthemen (-0,12). In den politischen Themenbereichen sind die Überschneidungswerte höher, dies gilt insbesondere für die außenpolitischen Themen (beta von 0,44), aber auch für Beiträge zur
45
Ein Kodierungsbeispiel: Beim Vergleichspaar tagesschau-RTL aktuell hat die Variable TV-TV den Wert 1, ebenso wie die Variablen National-National und West-West. Alle anderen Variablen sind mit 0 kodiert.
Dimension 2: Ähnlichkeit der Diskurse
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Politik anderer Länder (0,27), zur nationalen Politik (0,22) und zur internationalen Politik (0,11). Tabelle 17: Einflussfaktoren auf die Anteile gemeinsamer Themen für alle Themen Regressionsmodell auf die paarweisen prozentualen Themenüberschneidungen Faktoren B Beta Adj. R² Alle Themen (Konstante 38,65) 0,67 Unterhaltungsthemen -0,41*** Außenpolitik 0,44*** Wirtschaft/Gesellschaft -0,22*** TV-TV 0,19*** Angstthemen -0,12** Politik anderer Länder 0,27*** Nationale Politik 0,22*** -0,10** BILD Internationale Politik 0,11** Zeitung-Zeitung -0,07* Betas: * p<0.05, ** p<0.01, *** p<0.001. OLS-Regression, stepwise, F-Wert=67,21, df=313, p<0.001, Durbin-Watson: d=1.52. Basis: Prozentwerte der Themenüberschneidungen (n=324 Medienpaare).
Abgesehen von den Themenkategorien haben drei Variablen, die die miteinander verglichenen Medien näher bestimmen, einen signifikanten Einfluss auf den Anteil gemeinsamer Themen: Dieser ist besonders hoch beim Vergleich von Fernsehnachrichtensendungen untereinander (beta von 0,19): Unabhängig ihrer regionalen oder nationalen Zielgruppe stimmen Fernsehnachrichten eher in ihrer Themenwahl überein. Dies lässt sich dadurch erklären, dass im Fernsehen allein aus Kapazitätsgründen insgesamt weniger Themen angesprochen werden als in Zeitungen. Die Berichterstattung fokussiert daher auf die ‚wichtigen’ Themen, bei deren Auswahl es anscheinend zwischen den Medien einen größeren Konsens gibt. Bei der Analyse der Ähnlichkeit der Intensität der Berichterstattung wird dieser Aspekt noch näher beleuchtet werden. Ist eines der beiden miteinander verglichenen Medien die BILD, so sinkt die prozentuale Überschneidung, das beta von -0,10 weist darauf hin, dass sich die BILD in ihrer Themenwahl systematisch von den anderen Medien unterscheidet. Beim Vergleich von Zeitungen untereinander fallen die Überschneidungswerte ebenfalls eher niedrig aus. Zeitungen haben eine besonders große Themenvielfalt und dementsprechend größere Chancen, unterschiedliche Themen auszuwählen. Weder die Zielgruppe der verglichenen Medien, noch ihre Herkunft scheint einen signifikanten Einfluss auf die prozentualen Themenüberschneidungen zu haben. Demnach ist nicht zu befürchten, dass die Arenen-Integration der Öffent-
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lichkeit in dieser Dimension dadurch eingeschränkt ist, dass ostdeutsche Medien systematisch über andere Themen berichten als westdeutsche Medien, oder aber nationale Medien andere Themen wählen als regionale Medien. Tabelle 18: Einflussfaktoren auf die Anteile gemeinsamer Themen für die einzelnen Themenkategorien Themenkategorien Innenpolitik: Regional1
Innenpolitik: National2
Außenpolitik3
EU-Politik4
Politik anderer Länder5 Internationale Politik6 Wirtschaft/Gesellschaft
Regressionsmodelle auf die paarweisen prozentualen Themenüberschneidungen Faktoren B Beta Adj. R² (Konstante 31,48) 0,29 TV-TV 0,36* National-National 0,45** (Konstante 45,48) 0,54 TV-TV 0,87*** Zeitung-TV 0,43** West-West -0,26* (Konstante 63,41) 0,72 TV-TV 0,72*** Zeitung-Zeitung -0,31** (Konstante 41,05) 0,39 West-West 0,31* Zeitung-Zeitung -0,50** (Konstante 53,13) 0,09 Regional-Regional 0,35* (Konstante 47,25) 0,15 BILD -0,42* Kein gültiges Modell
Unterhaltungsthemen7
(Konstante 11,30) 0,10 Zeitung-Zeitung 0,36* (Konstante 28,89) 0,28 Angstthemen8 TV-TV 0,55** Betas: * p<0.05, ** p<0.01, *** p<0.001. OLS-Regression, stepwise. 1 F-Wert=8,08, df=35, p<0.001, Durbin-Watson (DW): d=1.55; 2 F-Wert=14,78, df=35, p<0.001, DW: d=1.77; 3 F-Wert=45,96, df=35, p<0.001, DW: d=1.43; 4 F-Wert=10,45, df=35, p<0.001, DW: d=1.17; 5 F-Wert=4,64, df=35, p<0.05, DW: d=1,83; 6 F-Wert=7,13, df=35, p<0.01, DW: d=1.51; 7 F-Wert=5,09, df=35, p<0.01, DW: d=1.66; 8 F-Wert=14,72, f=35, p<0.001, DW: d=2.57. Basis: Prozentwerte der Themenüberschneidungen (n=36 Medienpaare).
Bei der für die politische Öffentlichkeit zentralen Themenkategorie, der nationalen Politik, erklärt das Regressionsmodell 54 Prozent der Varianz im Anteil der übereinstimmenden Themen. Wieder sind es die Fernsehnachrichten, die anscheinend die größten Überschneidungen haben (beta von 0,87), aber auch beim Vergleich von Zeitungen und Fernsehen ist der Anteil vergleichsweise hoch
Dimension 2: Ähnlichkeit der Diskurse
137
(0,43). Nur beim Vergleich der Zeitungen untereinander scheinen demnach die Themenagenden deutlich auseinanderzugehen. Der Landesteil, in dem die verglichenen Medien erscheinen, hat einen unerwarteten Einfluss: Stammen beide Medien aus dem Westen der Republik, so verringert sich der Anteil gemeinsamer Themen (-0,26), die Herkunft aus demselben Landesteil wirkt sich in diesem Fall also sogar negativ auf die Themenähnlichkeit aus. Die höchste erklärte Varianz findet sich beim Vergleich außenpolitischer Themen: Hier sind die Variablen ‚Vergleich TV mit TV’ und ‚Vergleich Zeitung mit Zeitung’ in der Lage, 72 Prozent der Varianz der prozentualen Themenüberschneidungen zu erklären. In der außenpolitischen Berichterstattung scheint demnach zwischen den Fernsehnachrichten ein besonders starker Konsens über die Themenwahl zu bestehen, während die Zeitungen besonders deutlich auseinander fallen.46 Bei den regionalpolitischen Themen sind die Überschneidungen zwischen den verschiedenen Nachrichtensendungen wieder besonders hoch, auch beim Vergleich nationaler Medien untereinander ergeben sich höhere Ähnlichkeiten. Bei keinem der Regressionsmodelle spielen aber für die Arenen-Integration der nationalen Öffentlichkeit bedenkliche Aspekte eine Rolle: Weder der Vergleich von nationalen mit regionalen Medien, noch der Vergleich zwischen ost- und westdeutschen Medien scheint sich negativ auf den Anteil gemeinsamer Themen auszuwirken.
4.2.1.2 Ähnlichkeit der Intensität der Themenbehandlung Als zweites Kriterium für die Ähnlichkeit der Teilöffentlichkeiten einer Gesamtöffentlichkeit wird die Intensität der Berichterstattung zu den einzelnen Themen analysiert. Zu diesem Zweck wird für jedes Medium die Bedeutung der verschiedenen Einzelthemen ermittelt, also deren Anteil an der Gesamtberichterstattung des Mediums auf Basis der Zahl der Beiträge, gewichtet anhand der Beitragslänge. In einem nächsten Schritt werden die Anteile der verschiedenen Medien miteinander korreliert: Je höher der Korrelationskoeffizient zwischen zwei Medien, desto ähnlicher ist die Bedeutung der diversen Themen in diesen zwei Medien. Sind die Vergleichsgruppen mit mehreren Medien besetzt, wird der Durchschnitt über die Korrelationskoeffizienten gebildet. So werden beispielsweise alle möglichen Korrelationen zwischen den Medien nationaler Ausrich46
Dies erklärt sich aus den Gegebenheiten des Mediums: Fernsehnachrichten sind bei ihrer Themenwahl immer auf die Verfügbarkeit von Bildmaterial angewiesen, das bei der außenpolitischen Berichterstattung eingeschränkter zur Verfügung steht als für die Innenpolitik, entsprechend haben sie hier deutlich weniger Wahlmöglichkeiten als die Zeitungen.
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Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
tung (ARD, RTL, SZ und FAZ) und den Medien regionaler Ausrichtung aus West-Deutschland (WAZ, BR) ausgerechnet (das entspricht acht Korrelationspaaren). Der erhaltene Wert gibt dann die durchschnittliche Ähnlichkeit der Intensität zwischen nationalen und westdeutschen Medien wieder. Für regionale Medien sollte gelten, dass die Ähnlichkeit zwischen den Medien einer Region nicht deutlich größer ist als zu den Medien einer anderen Region. Über alle Themen hinweg betrachtet, liegt der Korrelationskoeffizient für die Themenanteile bei den westdeutschen Medien bei r=0,56, die ostdeutschen Medien sind dagegen in ihrer Themenwahl deutlich einheitlicher mit einem r von 0,81. Vergleicht man nun west- mit ostdeutschen regionalen Medien, so erhält man immer noch ein r von 0,67. Insgesamt sind sich die ostdeutschen Medien also in sich ähnlicher als im Vergleich zu ihren westdeutschen Pendants. Dieser Befund bestätigt sich, wenn man die Themenkategorien einzeln betrachtet: Bei Themen aus der regionalen Politik, aber auch zur Politik anderer Länder und zu internationalen Konflikten ebenso wie zu Wirtschaft/Gesellschaft ähneln die ostdeutschen Medien in ihrer Gewichtung der Themen einander mehr als die westdeutschen Arenen. Dies erscheint aber nicht so gravierend für die Integration der deutschen Öffentlichkeit, weil gerade in der Themengruppe, die für den Zusammenhalt der politischen Gemeinschaft die größte Bedeutung hat, nämlich bei den politischen Themen mit bundesweiter Reichweite, die Ähnlichkeit zwischen West- und Ostmedien sogar (marginal) höher ist als in den jeweiligen Landesteilen. Unabhängig davon, ob ihre Leser und Zuschauer in Ost- oder Westdeutschland sitzen, scheinen die Medien bei der nationalen Politik ähnlichen Themen eine ähnlich große Bedeutung auf der Medienagenda einzuräumen. Bei den nationalen Medien zeichnet sich über alle Themen hinweg eine größere Ähnlichkeit mit den ostdeutschen regionalen Foren ab als mit denen in Westdeutschland. Der Korrelationskoeffizient zwischen nationalen und ostdeutschen Medien liegt bei 0,76 und damit sogar über dem für die Gruppe der nationalen Medien (0,72). Die westdeutschen und nationalen Medien erreichen dagegen nur einen Wert von 0,64. Dies ist umso überraschender, weil eigentlich eine größere Ähnlichkeit zwischen westdeutschen und nationalen Medien befürchtet worden ist, schließlich haben letztlich alle in Deutschland überregional ausgerichteten Medien ihren Sitz in Westdeutschland. Gleichzeitig wird dies aber durch die Ergebnisse für die regionalen Medien allein bestätigt: Anscheinend wählen in Westdeutschland ansässige Medien, egal ob nationaler oder regionaler Ausrichtung, ihre Themen und deren Gewichtung etwas individueller als die regionalen ostdeutschen Medien.
Dimension 2: Ähnlichkeit der Diskurse
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Tabelle 19: Ähnlichkeit der Intensität der Themenbehandlung in verschiedenen Medien(gruppen) nach Themenkategorien Durchschnittliche Korrelationskoeffizienten (r) Regional National Alle nach Themengruppen West Ost West-Ost Nat-West Nat-Ost Nat-Nat Innenpolitik: Regional1 0,78a 0,96c 0,87b 0,88b 0,97c 0,96c 0,92 Innenpolitik: National 0,77 0,79 0,80 0,83 0,79 0,79 0,81 Außenpolitik 0,76 0,89 0,87 0,69 0,76 0,66 0,71 EU-Politik 0,65 0,94 0,79 0,71 0,84 0,77 0,61 0,53a 0,90c 0,71b 0,67b 0,79bc 0,71b 0,73 Politik anderer Länder2 0,61a 0,82b 0,71ab 0,72ab 0,81b 0,79b 0,66 Internationale Politik3 Wirtschaft/Gesellschaft 0,50 0,69 0,55 0,51 0,49 0,47 0,52 Unterhaltungsthemen 0,11 0,07 0,11 0,13 0,11 0,06 0,08 0,86 0,88 0,85 0,87 0,92 0,94 0,90 Angstthemen4 Gesamt5 0,56a 0,81c 0,67ab 0,64ab 0,76bc 0,72bc 0,67 Einfaktorielle Varianzanalyse der Mittelwerte der Korrelationskoeffizienten. 1 F-Wert: 11,73, df = 29, p<0.001; 2 F-Wert: 7,53, df = 29, p<0.001; 3 F-Wert: 2,91, df = 29, p<0.05; 4 F-Wert: 4,2, df = 29, p<0.01. Mittelwerte mit unterschiedlichen Kennbuchstaben unterscheiden sich signifikant nach Post-HocTest (Duncan; = 0.05). Mittelwerte für alle anderen Themengruppen unterscheiden sich nicht signifikant. Basis: Alle Themen in den überregionalen Politikteilen (n=1495), bzw. alle Korrelationskoeffizienten zwischen den verschiedenen Öffentlichkeitsarenen (n=30).
Dies gilt insbesondere für die Themenbereiche regionale Politik, Politik anderer Länder und Wirtschaft/Gesellschaft. Bei den Themen Außenpolitik, EU-Politik sowie Internationale Konflikte sind sich die Medien mit nationaler Ausrichtung untereinander am ähnlichsten – allerdings ist der Abstand zu den Korrelationskoeffizienten mit den regionalen Medien nicht besonders groß. Für die Integration der Öffentlichkeit entscheidend ist allerdings, dass bei Themen aus dem Bereich der nationalen Innenpolitik kaum Unterschiede zwischen den verschiedenen Mediengruppen bestehen (Korrelationskoeffizienten zwischen 0,79 und 0,83), hier weisen alle Medien eine große Ähnlichkeit auf. Auch bei der Intensität der Berichterstattung findet sich demnach kein Hinweis auf eine desintegrierte Öffentlichkeit. Mittels einer Regressionsanalyse wird nun überprüft, inwieweit der Landesteil, in dem das Medium erscheint, einen signifikanten Einfluss auf die Ähnlichkeit in der Intensität der Berichterstattung hat. Hier lassen sich über alle Themen hinweg und für alle einzelnen Themenkategorien gültige Erklärungsmodelle finden, die zwischen 27 Prozent (Innenpolitik National) und 93 Prozent (EU-Politik) der Varianz in der Höhe der Korrelationskoeffizienten erklären.
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Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
Tabelle 20: Einflussfaktoren auf die Ähnlichkeit der Intensität der Themenbehandlung für alle Themen Regressionsmodell auf die Korrelationskoeffizienten (r) der Anzahl der Beiträge gewichtet nach Länge Faktoren B Beta Adj. R² Alle Themen1 (Konstante 0,74) 0,32 BILD -0,67*** West-West -0,34* Betas: * p<0.05, ** p<0.01, *** p<0.001, OLS-Regression, stepwise. 1 F-Wert=12,32, df=35, p<0.001, Durbin-Watson: d=1.70. Basis: Korrelationskoeffizienten (r) der Zahl der Beiträge gewichtet nach Länge (n=36).
Betrachtet man die Ähnlichkeit der Intensität für alle 1495 Einzelthemen, so weist das Regressionsmodell zwei signifikante Einflussfaktoren aus, die zusammen 32 Prozent der Varianz erklären. Demnach scheint sich die BILD systematisch in der Intensität der Berichterstattung zu den einzelnen Themen zu unterscheiden, die Korrelationskoeffizienten sind niedriger, wenn die BILD eines der verglichenen Medien ist (beta=-0,67). Der Herkunfts-Landesteil wirkt sich ebenfalls aus, beim Vergleich westdeutscher Medien fällt die Ähnlichkeit der Intensität geringer aus (beta=-0,34). Dies weist erneut darauf hin, dass die ArenenIntegration der deutschen Öffentlichkeit nicht an der Grenze zwischen Alten und Neuen Bundesländern scheitert. Vielmehr sind es die westdeutschen Medien unter sich, die am stärksten in ihren Themenagenden auseinander fallen. Das Regressionsmodell zu den Themen der nationalen Innenpolitik hat von allen Modellen die geringste Erklärungskraft (27 Prozent der Varianz). Dies erstaunt aber nicht weiter, da der Vergleich der Korrelationskoeffizienten bereits gezeigt hat, dass sich diese für diesen Themenbereich ausgesprochen ähnlich sind, d.h. es bleibt nur vergleichsweise wenig Varianz, die das Modell erklären könnte. Der einzige signifikante Erklärungsfaktor verweist darauf, dass sich die Intensität der Berichterstattung vor allem beim Vergleich von Zeitungen und Fernsehnachrichten unterscheidet. In anderen Worten, die Unterschiede zwischen Teilöffentlichkeiten lassen sich am ehesten durch die technischen Gegebenheiten der verschiedenen Mediengattungen erklären, aber weder durch den Stammsitz noch die anvisierte regionale oder nationale Zielgruppe des Mediums. Auch die Ähnlichkeit in der Intensität der Berichterstattung zu den anderen Themenkategorien wird der Regressionsanalyse zufolge nicht durch unterschiedliche Landesteile oder Zielgruppen bestimmt. Die einzige Ausnahme sind die Angstthemen, hier unterscheiden sich Medien mit unterschiedlichen Zielgruppen stärker voneinander (beta=-0,40), die nationalen Medien berichten also über andere Angstthemen bzw. über dieselben Angstthemen in anderer Intensität als die regionalen Medien.
Dimension 2: Ähnlichkeit der Diskurse
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Tabelle 21: Einflussfaktoren auf die Ähnlichkeit der Intensität der Themenbehandlung in den einzelnen Themenkategorien Regressionsmodelle auf die Korrelationskoeffizienten (r) der Anzahl der Beiträge gewichtet nach Länge Themenkategorien Faktoren B Beta Adj. R² Innenpolitik: Regional1 (Konstante 0,96) 0,56 West-West -0,69*** Regional-Regional -0,68*** National-National 0,48** Ost-Ost 0,38** Innenpolitik: Bund2 (Konstante 0,86) 0,27 Zeitung-TV -0,54** Außenpolitik3 (Konstante 0,71) 0,35 TV-TV 0,43** Zeitung-Zeitung -0,34* EU-Politik4 (Konstante 0,82) 0,93 BILD -0,90*** West-West -0,14** TV-TV 0,19*** Zeitung-Zeitung -0,15** (Konstante 0,81) 0,34 Politik anderer Länder5 BILD -0,44** West-West -0,63*** TV-TV -0,31* Internationale Politik6 (Konstante 0,74) 0,82 BILD -0,85*** TV-TV 0,18* (Konstante 0,45) 0,56 Wirtschaft/Gesellschaft7 Zeitung-Zeitung 0,70*** Regional-Regional 0,29* Unterhaltungsthemen8 (Konstante 0,07) 0,51 Zeitung-Zeitung 0,59*** BILD -0,62*** Angstthemen9 (Konstante 0,93) 0,46 Regional-Regional -0,89*** Ost-Ost 0,32* Zeitung-Zeitung 0,43** National-Regional -0,40* Betas: * p<0.05, ** p<0.01, *** p<0.001, OLS-Regression, stepwise. 1 F-Wert=12,02, df=35, p<0.001, Durbin-Watson (DW): d=1.60; 2 F-Wert=14,07, df=35, p<0.001, DW: d=1.71; 3 F-Wert=10,34, df=35, p<0.001, DW: d=1.85; 4 F-Wert=118,76, df=35, p<0.001, DW: d=0.88; 5 F-Wert=79,13, df=35, p<0.001, DW: d=2.47; 6 F-Wert=33,92, df=35, p<0.001, DW: d=1.39; 7 F-Wert=5,09, df=35, p<0.01, DW: d=2.11; 8 F-Wert=8,52, df=35, p<0.001, DW: d=1.94; 9 F-Wert=102,19, df=35, p<0.001, DW: d=1.82; 10 F-Wert=12,32, df=35, p<0.001, DW: d=1.70. Basis: Korrelationskoeffizienten (r) der Zahl der Beiträge gewichtet nach Länge (n=36).
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Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
4.2.1.3 Synchronität der Themenbehandlung Der dritte Indikator der Ähnlichkeit baut auf den vorhergehenden auf: Der Indikator Ähnlichkeit überprüfte, inwieweit die verschiedenen Teilöffentlichkeiten überhaupt dieselben Themen behandeln, der Indikator Intensität, inwieweit sie dieselben Themen in ähnlicher Intensität behandeln, und der dritte Indikator prüft nun zusätzlich, inwieweit sie dieselben Themen in ähnlicher Intensität zu einem ähnlichen Zeitpunkt behandeln. Auch hier wird angenommen, dass eine hohe Synchronität in der Themenbehandlung die Diskussion zwischen den Teilnehmern verschiedener Teilöffentlichkeiten erleichtert: Treffen ein LVZ-Leser aus Sachsen und ein WAZ-Leser aus Bochum aufeinander, nachdem sie in ihren jeweiligen Zeitungen gerade etwas über dasselbe Thema gelesen haben, so können sie sich gut über dieses Thema austauschen. Gleichzeitig kann die Synchronität an sich auch als Indikator für die Arenen-Integration der Öffentlichkeit verwendet werden: Je ähnlicher sich die Teilöffentlichkeiten sind, desto wahrscheinlicher ist, dass sie in regelmäßigem Austausch miteinander stehen. Zur Messung der Themensynchronität wird für jedes Medium die Bedeutung der verschiedenen Einzelthemen an einem jeden Untersuchungstag ermittelt, also deren Anteil an der Gesamtberichterstattung des Mediums an diesem einen Untersuchungstag auf Basis der Zahl der Beiträge, gewichtet durch die Beitragslänge. Die Wochenenden werden jeweils als ein Untersuchungstag zusammengefasst, damit die Medien ohne Sonntagsausgabe sich nicht systematisch von den anderen unterscheiden. Anschließend werden die Themenanteile in den verschiedenen Medien miteinander korreliert: Je höher der Korrelationskoeffizient zwischen zwei Medien, desto ähnlicher ist die Synchronität der diversen Themen in diesen zwei Medien. Sind die Vergleichsgruppen mit mehreren Medien besetzt, wird der Durchschnitt über die Korrelationskoeffizienten gebildet. So werden beispielsweise alle möglichen Korrelationen zwischen den Medien nationaler Ausrichtung (ARD, RTL, SZ und FAZ) und den Medien regionaler Ausrichtung aus West-Deutschland (WAZ, BR) ausgerechnet (das entspricht acht Korrelationspaaren). Der erhaltene Wert gibt die durchschnittliche Synchronität zwischen nationalen und westdeutschen Medien wieder. Insgesamt sind die Korrelationskoeffizienten für die Synchronität deutlich niedriger als die für die Intensität, während der Durchschnitt über alle Medienvergleichspaare für Intensität bei 0,67 liegt, wird für Synchronität nur ein Wert von 0,24 erreicht. Dies erscheint jedoch plausibel, da die Synchronität ein deutlich anspruchsvollerer Indikator ist, die Medien müssen nicht nur ähnlich viel über dieselben Themen berichten, sondern auch zum selben Zeitpunkt.
Dimension 2: Ähnlichkeit der Diskurse
143
Tabelle 22: Synchronität der Themenbehandlung in verschiedenen Medien (-gruppen) nach Themenkategorien Durchschnittliche Korrelationskoeffizienten (r) Regional National Alle West Ost WestNatNat-Ost Nat-Nat nach Themengruppen Ost West Innenpolitik: Regional 0,31 0,42 0,38 0,35 0,46 0,45 0,39 Innenpolitik: National1 0,62b 0,48ab 0,39a 0,43ab 0,34a 0,40 0,33a Außenpolitik 0,75 0,52 0,67 0,37 0,43 0,30 0,43 0,52ab 0,73b 0,63b 0,13a 0,50ab 0,35ab 0,37 EU-Politik2 0,26ab 0,64d 0,59cd 0,31ab 0,43bc 0,23a 0,39 Politik anderer Länder3 Internationale Politik 0,36 0,56 0,48 0,20 0,35 0,24 0,29 Wirtschaft/Gesellschaft 0,10 0,17 0,10 0,08 0,13 0,15 0,12 Unterhaltungsthemen -0,02 -0,02 -0,03 -0,02 0,03 0,00 -0,01 Angstthemen 0,48 0,52 0,47 0,44 0,59 0,63 0,53 Gesamt 0,20 0,35 0,28 0,16 0,30 0,27 0,24 Einfaktorielle Varianzanalyse der Mittelwerte der Korrelationskoeffizienten. 1 F-Wert: 2,21, df = 29, p<0.05; 2 F-Wert: 2,76, df = 29, p<0.05; 3 F-Wert: 8,01, df = 29, p<0.001. Mittelwerte mit unterschiedlichen Kennbuchstaben unterscheiden sich signifikant nach Post-HocTest (Duncan; = 0.05). Mittelwerte für alle anderen Themengruppen unterscheiden sich nicht signifikant. Basis: Alle Themen in den überregionalen Politikteilen (n=1495), bzw. alle Korrelationskoeffizienten zwischen den verschiedenen Öffentlichkeitsarenen (n=30).
Betrachten wir zunächst die Synchronität der regionalen Medien über alle Themen hinweg. Wie zuvor bei der Intensität sind sich die ostdeutschen Medien ähnlicher mit einem r von 0,35, während der Korrelationskoeffizient für die westdeutschen Medien nur bei 0,20 liegt. Wenn man die Berichterstattung zwischen west- und ostdeutschen Medien vergleicht, beträgt der Korrelationskoeffizient im Schnitt 0,28. Demnach sind die ostdeutschen Medien also auch in Bezug auf die Synchronität der Themenbehandlung einander deutlich ähnlicher als im Vergleich zu ihren westdeutschen Pendants. Im Vergleich zur Themenintensität hat sich der Unterschied allerdings etwas reduziert. Dies gilt jedoch nur beim Schnitt über alle Themen, wenn man die Korrelationen für die zentrale Themenkategorie, die nationale Politik, analysiert, wird deutlich, dass bei der Synchronität erstmals deutliche Unterschiede zwischen ostund westdeutschen Medien auftreten. Die regionalen ostdeutschen Medien sind einander wieder deutlich ähnlicher als die westdeutschen Medien unter sich, aber auch als im direkten Vergleich mit ihnen. Während bisher bei diesem Oberthema eine hohe Ähnlichkeit in der Themenauswahl und auch in der Themenintensität besteht, zeigt sich nun, dass ostdeutsche Medien in sich zwar recht homogen darin sind, wann sie über welches Thema in welcher Intensität berichten. Sie tun dies aber zu anderen Zeitpunkten als die westdeutschen Medien. Die erste An-
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Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
forderung an eine arenen-integrierte Öffentlichkeit ist für diesen Themenbereich nicht erfüllt. Auch in den anderen politischen Themenkategorien ist die Synchronität der ostdeutschen Medien unter sich am höchsten, mit einer Ausnahme: Bei außenpolitischen Themen ist die Synchronität in westdeutschen Medien besonders hoch und liegt über der Synchronität mit den ostdeutschen Teilöffentlichkeiten. Des Weiteren zeigt sich, dass es in Bezug auf die Synchronität keinen Anlass gibt zu befürchten, dass die nationalen Medien in sich eine eigene Öffentlichkeit bilden: Sowohl über alle Themen hinweg als auch in den meisten Themenkategorien sind sich die nationalen Medien untereinander in der Themensynchronität nicht so ähnlich wie im Vergleich mit den ostdeutschen Medien. Zum Beispiel liegt der Korrelationskoeffizient über alle Themen hinweg mit ostdeutschen Medien um 0,03 höher als der der nationalen Medien unter sich, bei der nationalen Innenpolitik sogar um 0,09 höher bei 0,43. Während die zweite Anforderung an eine integrierte Öffentlichkeit somit für die ostdeutsche Teilöffentlichkeit in allen Themenbereichen erfüllt wird, treten dagegen wieder deutliche Unterschiede zwischen den westdeutschen regionalen Medien und den nationalen Medien auf. Über alle Themen hinweg liegt der Korrelationskoeffizient hier nur bei 0,16 (also 0,11 unter dem der nationalen Medien unter sich). Für die nationale Politik schließt sich die Lücke etwas, bei anderen Themenbereichen beträgt das Defizit aber bis zu 0,22 oder 0,19: Bei der Behandlung von Themen aus der EU-Politik sowie Angstthemen sind die regionalen westdeutschen Medien kaum synchron mit den nationalen Medien. Die Anforderungen an eine integrierte Öffentlichkeit werden also für diese Themenbereiche nicht erfüllt. Mittels einer Regressionsanalyse wird nun wieder überprüft, welche Einflussfaktoren sich signifikant auf die Stärke der Synchronität zwischen den Medien, also die Höhe der Korrelationskoeffizienten, auswirken. Betrachtet man alle Koeffizienten unabhängig von den thematischen Kategorien, so lässt sich fast zwei Drittel von deren Varianz über das Regressionsmodell erklären. Dabei haben verschiedene Themenkategorien zusammengenommen sicherlich den größten Anteil: Für Einzelthemen aus dem Oberthema Unterhaltung sind die Korrelationskoeffizienten generell niedriger (beta=-0,50), ebenso bei Themen aus den Bereichen Wirtschaft/Gesellschaft (-0,34) und Internationale Politik (-0,13). Allein für einzelne Angstthemen, also Kriminalitäts- oder Unglücksthemen, scheint die Synchronität der Berichterstattung systematisch etwas stärker zu sein (0,17). Möglicherweise erklärt sich dies dadurch, dass innerhalb des Untersuchungszeitraums ein Unglücksthema von sehr hohem Nachrichtenwert aufgetreten ist: das Transrapid-Unglück im Emsland.
Dimension 2: Ähnlichkeit der Diskurse
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Tabelle 23: Erklärungsfaktoren auf die Synchronität der Themenbehandlung für alle Themen Regressionsmodel auf die Korrelationskoeffizienten (r) der Anteile der Beiträge pro Tag, gewichtet nach Länge Faktoren B Beta Adj. R² Alle Themen1 (Konstante 0,44) 0,62 Unterhaltung -0,50*** TV-TV 0,34*** Wirtschaft/Gesellschaft -0,34*** Zeitung-Zeitung -0,19*** Angstthemen 0,17*** Internationale Politik -0,13*** BILD -0,17*** West-West -0,13** Betas: * p<0.05, ** p<0.01, *** p<0.001. OLS-Regression, stepwise. 1 F-Wert=52,18, df=315, p<0.001, Durbin-Watson: d=1.87. Basis: Korrelationskoeffizienten (r) der Anteile der Beiträge pro Tag, gewichtet nach Länge (n=324).
Von den möglichen externen Einflussfaktoren wirkt sich vor allem die Mediengattung auf die Synchronität aus: Die Berichterstattung von Fernsehsendern ist generell etwas synchroner (beta von 0,34), es macht sich wahrscheinlich bemerkbar, dass alle Fernsehnachrichten für die meisten Themen von denselben Bildagenturen abhängig sind, dementsprechend zum selben Zeitpunkt an dasselbe Material herankommen und dieses dann auch verwenden. Beim Vergleich verschiedener Zeitungen ist die Synchronität dagegen generell schlechter (-0,19), Zeitungen können Intensität und Zeitpunkt ihrer Berichterstattung besser variieren und nutzen diesen Spielraum anscheinend auch eher aus. Die BILD unterscheidet sich auch im Timing ihrer Berichterstattung systematisch von den anderen Medien (-0,17). Nur ein für die Frage der Integration der Öffentlichkeit relevanter Einflussfaktor scheint bei der Synchronität eine Rolle zu spielen: Der Herkunftsort wirkt sich signifikant negativ beim Vergleich westdeutscher Medien aus: Die Berichterstattung westdeutscher Medien verläuft nicht so synchron wie die der anderen Medien.
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Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
Tabelle 24: Erklärungsfaktoren auf die Synchronität der Themenbehandlung für verschiedene Themenkategorien Regressionsmodelle auf die Korrelationskoeffizienten (r) der Anteile der Beiträge pro Tag gewichtet nach Länge Themenkategorien Faktoren B Beta Adj. R² Innenpolitik: Regional1 (Konstante 0,32) 0,48 TV-TV 0,72*** Zeitung-TV 0,33* Regional-Regional -0,32* Innenpolitik: Bund2 (Konstante 0,40) 0,38 TV-TV 0,59** West-West -0,30* (Konstante 0,45) 0,58 Außenpolitik3 TV-TV 0,57** Zeitung-Zeitung -0,36** National-National -0,25* (Konstante 0,39) 0,81 EU-Politik4 TV-TV 0,55*** -0,44*** BILD Regional-Regional 0,21* Zeitung-Zeitung -0,31*** Politik anderer Länder5 (Konstante 0,39) 0,53 TV-TV 0,26** West-West -0,47* Regional-Regional 0,41* Internationale Politik6 (Konstante 0,24) 0,59 TV-TV 0,60*** -0,41** BILD Regional-Regional 0,28* (Konstante 0,05) 0,61 Wirtschaft/Gesellschaft7 TV-TV 0,92*** Zeitung-TV 0,42** (Konstante -0,02) 0,48 Unterhaltungsthemen8 TV-TV 0,38* -0,43** BILD National-Regional 0,29* Angstthemen9 (Konstante 0,42) 0,59 TV-TV 0,82*** Zeitung-TV 0,41** Regional-Regional -0,29* Betas: * p<0.05, ** p<0.01, *** p<0.001, OLS-Regression, stepwise. 1 F-Wert=11,93, df=35, p<0.001, Durbin-Watson (DW): d=2.14; 2 F-Wert=11,71, df=35, p<0.001, DW: d=1.23; 3 F-Wert=16,93, df=35, p<0.001, DW: d=1.55; 4 F-Wert=38,75, df=35, p<0.001, DW: d=0.99; 5 F-Wert=14,35, df=35, p<0.001, DW: d=1.37; 6 F-Wert=17,31, df=35, p<0.001, DW: d=1.25; 7 F-Wert=28,32, df=35, p<0.001, DW: d=1.71; 8 F-Wert=11,70, df=35, p<0.001, DW: d=1.81; 9 F-Wert=17,49, df=35, p<0.001, DW: d=1.94. Basis: Korrelationskoeffizienten (r) der Anteile der Beiträge zu Einzelthemen pro Tag, gewichtet nach Länge (n=36).
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Bei der Synchronität lassen sich für alle Themenkategorien aussagekräftige Regressionsmodelle mit erklärten Varianzen zwischen 38 Prozent (nationale Politik) und 81 Prozent (EU-Politik) errechnen. In allen Modellen zeigt sich, dass der Vergleich von Fernsehnachrichten zu einer höheren Synchronität führt (betas schwanken zwischen 0,26 und 0,92). Für regionale Politik ergeben sich hohe Korrelationskoeffizienten beim Vergleich zwischen Zeitungs- und Fernsehberichterstattung. Allein der Vergleich regionaler Medien wirkt sich negativ aus, demnach unterscheiden sich Medien regionaler Ausrichtung besonders stark darin, wann sie in welcher Intensität über welche regionalen Themen berichten. Da die regionale Berichterstattung aber auch ihr zentrales Merkmal ist, wundert es nicht, dass die regionalen Medien diesen Bereich sehr unterschiedlich gestalten. Der Herkunftsort des Mediums wirkt sich gerade bei der für die ArenenIntegration der Öffentlichkeit zentralen Themenkategorien aus, der nationalen Politik. Vergleicht man die Behandlung nationaler Politikthemen in Medien aus Westdeutschland (unabhängig von ihrer Ausrichtung auf ein regionales oder nationales Publikum), so unterscheiden sich diese besonders stark. Dies könnte man einerseits als besorgniserregenden Hinweis auf eine mangelnde Integration der westdeutschen Medien deuten. Andererseits könnte man vor diesem Hintergrund auch die aufgestellte Anforderung an eine integrierte Öffentlichkeit überdenken: Obwohl die Ähnlichkeit der West-Medien in diesem Indikator zu wünschen übrig lässt, kommen letztlich kaum jemals Zweifel an der Integration der westdeutschen Öffentlichkeit auf. In jedem Fall lassen sich mit diesem Ergebnis Befürchtungen in Bezug auf die ostdeutsche Teilöffentlichkeit entschärfen: Sie scheint sogar besser integriert zu sein als die westdeutsche Öffentlichkeit. In allen anderen Themenkategorien treten keine Zusammenhänge auf, die für die Integration der Öffentlichkeit bedenklich wären. Zwar tritt bei den Unterhaltungsthemen die Medienreichweite als signifikanter Erklärungsfaktor in Erscheinung, allerdings ist der Zusammenhang positiv, d.h. bei einem Vergleich regional und national ausgerichteter Medien ist die Synchronität sogar etwas höher (beta=0,29) als bei nationalen Medien unter sich.
4.2.1.4 Die Arenen-Integration der Öffentlichkeit in der zweiten Dimension in der themenübergreifenden Teilstudie Die zweite Dimension einer integrierten Öffentlichkeit stellt im Vergleich zur ersten Dimension eine zusätzliche Anforderung an die in den einzelnen Öffentlichkeitsarenen hergestellte Transparenz: Die einzelnen Teilöffentlichkeiten sollten ihre Nutzer nicht nur über alle Ebenen des politischen Systems informie-
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Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
ren, sie sollten ihnen auch ein ähnliches Bild des politischen Systems vermitteln. Diese Ähnlichkeit bezieht sich in der Forschung zur europäischen Öffentlichkeit und hier vor allem auf die Ähnlichkeit der Themen: Werden dieselben Themen zur selben Zeit mit derselben Relevanz versehen? Tabelle 25: Ergebnisübersicht für die Dimension Ähnlichkeit der Diskurse in der themenübergreifenden Teilstudie Anforderungen an eine arenen-integrierte Öffentlichkeit
Indikatoren
Intraregional=interregional
National-West= National-Ost= national
Überschneidungen -
alle Themen
-
nationale Politik
+
+
Ost>West-Ost
+
Ost>West-Ost
National-West
+
+
Intensität -
alle Themen
-
Nationale Politik
Synchronität -
Alle Themen
Ost>West-Ost>West
National-West
-
Nationale Politik
Ost>West-Ost>West
National-West
Da sich Ähnlichkeitswerte immer auf mindestens zwei Medien beziehen, können anders als bei der ersten Dimension im Ergebnisüberblick keine Resultate für einzelne Medien ausgewiesen werden. Stattdessen fasst die Tabelle die Ergebnisse für die zwei aufgestellten Anforderungen an eine arenen-integrierte Öffentlichkeit für die einzelnen Indikatoren zusammen. Je anspruchsvoller der untersuchte Indikator ist, desto eher erfüllen die Teilöffentlichkeiten die an sie gestellten Anforderungen nicht. Bei der Themenauswahl unterscheidet sich der Anteil der Themenüberschneidungen zwischen den Medien der verschiedenen Gruppen kaum. Das bedeutet keineswegs, dass alle Medien nur über dieselben Themen berichten, aber der Konsensgrad ist in allen Gruppen ähnlich und wird nicht vom Heimat-Landesteil des Mediums oder seiner nationalen oder regionalen Ausrichtung bestimmt. Bei einer durchschnittlichen Themenüberschneidung von 30 Prozent muss allerdings auch nicht befürchtet werden, dass die Berichterstattung völlig einheitlich und die Meinungspluralität gefährdet ist. Ganz im Gegenteil: 70 Prozent der Themen, über die ein einzelnes Medium im Untersuchungszeitraum berichtet hat, finden sich nur in diesem Medium. Wie bereits mehrfach diskutiert, sollte dieser absolute Wert
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vorsichtig behandelt werden, bei einer gröberen Themenkodierung wäre ein höherer Überschneidungsgrad herausgekommen. Betrachtet man allerdings nur die Themenüberschneidungen in dem Themenfeld, das von zentraler Bedeutung für die politische Öffentlichkeit ist – die nationale Politik –, so erfüllen die untersuchten Medien die erste Anforderung einer arenen-integrierten Öffentlichkeit nicht: Bei den Themen nationaler Politik besteht zwischen den Medien aus Ostdeutschland eine deutlich größere Ähnlichkeit als im Vergleich zu den westdeutschen Medien. Beim zweiten Indikator, der Ähnlichkeit in der Intensität der Themenbehandlung, schneiden die untersuchten Teilöffentlichkeiten deutlich schlechter ab. Fragt man also nicht nur danach, welche Themen die Medien auswählen, sondern auch danach, für wie wichtig sie die gewählten Themen erachten bzw. wie viel Raum sie ihnen in der Berichterstattung geben, erfüllen sie die Anforderungen an eine arenen-integrierte Öffentlichkeit eher nicht. So bestehen zwischen ostdeutschen Medien in der Intensität der Berichterstattung über die ausgewählten Themen deutlich größere Ähnlichkeiten als im Vergleich zu den westdeutschen Medien. Die westdeutschen Medien unterscheiden sich auch in der Intensität ihrer Berichterstattung recht deutlich von den nationalen Medien, sie scheinen andere Themen in den Mittelpunkt ihrer Berichterstattung und Diskussion zu stellen als ihre ostdeutschen Pendants oder die national ausgerichteten Teilöffentlichkeiten. Dieses eher schlechte Ergebnis wird allerdings dadurch relativiert, dass sich bei den für die Öffentlichkeit zentralen Themen, nämlich der Berichterstattung über nationale Politik, die Intensität der Berichterstattung nicht mehr so stark unterscheidet: Unabhängig vom Stammsitz der Medien oder ihrer Ausrichtung auf ein nationales oder regionales Publikum bewerten sie die Relevanz der einzelnen innenpolitischen Themen ähnlich. Bei der Synchronität der Themenbehandlung bestehen dagegen systematische Unterschiede sowohl über alle Themen als auch für den Bereich der nationalen Politik: Die Zeitpunkte, zu denen über einzelne Themen berichtet wird, unterscheiden sich zwischen den westdeutschen regionalen Medien sehr stark und damit auch im Vergleich zu den ostdeutschen Medien. Bei den Regionalmedien in den Neuen Bundesländern besteht dagegen ein vergleichsweise hoher Konsens darüber, wann über welche Themen berichtet wird. Dementsprechend erscheint die Gesamtöffentlichkeit in Bezug auf diesen Indikator nicht arenenintegriert: Bei der Synchronität der Themenbehandlung sind die Unterschiede zwischen den beiden Landesteilen deutlich größer als die zwischen den ostdeutschen Medien. Dies wiederholt sich auch beim Vergleich der westdeutschen Medien mit den national ausgerichteten Medien, wieder weichen die westdeutschen regionalen Medien stärker von den nationalen ab.
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Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
In der zweiten Dimension, der Ähnlichkeit der Debatten, lässt die ArenenIntegration der gesamtdeutschen Öffentlichkeit somit für einen der drei Indikatoren zu wünschen übrig. Entgegen den ursprünglichen Erwartungen sind es jedoch nicht die ostdeutschen Medien, die sich in Themenauswahl, Intensität und Synchronität systematisch von den anderen Medien unterscheiden, sondern die regionalen westdeutschen Medien, die eine auffallend eigene Themenagenda haben. Es sind also nicht die vergleichsweise ‚jungen’ Medien, die sich noch nicht an die Themenagenden der anderen angepasst haben, sondern vielmehr die alteingesessenen Medien, die anscheinend mehr Wert auf ihre Eigenständigkeit in der Themensetzung legen. Leider liegen bisher keine vergleichbaren, mediengattungsübergreifenden Studien zur Ähnlichkeit der Berichterstattung vor, die zur Einordnung dieser Ergebnisse beitragen könnten.47 Einen ähnlichen Ansatz hat allein Patrick Rössler verfolgt, der die Berichterstattungsanlässe von nicht weniger als 27 deutschen Tageszeitungen miteinander verglichen hat (Rössler 2003). Auch wenn sich die absoluten Werte zu den Themenüberschneidungen aufgrund der unterschiedlichen Analyseinstrumente nicht für einen Vergleich mit den hier vorliegenden Daten eignen, so fällt doch auf, dass seiner Untersuchung zufolge die fünf ostdeutschen Tageszeitungen im Schnitt keine größere Ähnlichkeit mit den Berichterstattungsanlässen der nationalen Vergleichsmedien (Süddeutsche Zeitung und Welt) aufweisen als die zwanzig untersuchten westdeutschen regionalen Zeitungen. Es zeigt sich vielmehr eine große Varianz zwischen den einzelnen untersuchten Zeitungen: So weist die auch hier untersuchte Leipziger Volkszeitung mit 22 Prozent Überschneidung einen vergleichsweise hohen Wert auf (der Durchschnitt liegt bei zwanzig Prozent), andere ostdeutsche Regionalzeitungen liegen dagegen deutlich darunter (eigene Berechnungen auf Basis von Rössler 2003: 183). Dies verdeutlicht, dass die Ergebnisse dieser Arbeit insbesondere zur zweiten Dimension für eine größere Medienstichprobe unterprüft werden sollten, um unterscheiden zu können, ob sie durch die einzelnen Medienorgane an sich oder doch durch den Landesteil, in dem sie erscheinen, bedingt sind.
4.2.2 Ähnlichkeit der Diskurse in den themenzentrierten Fallstudien In diesem Teil der Analyse wird die Ähnlichkeit der in den verschiedenen Teilöffentlichkeiten verwendeten Frame-Elemente verglichen und damit überprüft, 47
Andere Ähnlichkeitsstudien von Patrick Rössler (2001a, 2002) beziehen sich entweder auf Hörfunksender oder nationale und internationale Fernsehnachrichten, Christiane Eilders (2004) berücksichtigt bei ihrer Untersuchung zu Fokussierung und Konsonanz in Pressekommentaren lediglich überregionale Qualitätszeitungen.
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inwieweit sich die Nutzer verschiedener Medien ihre Meinung zu einem bestimmten Thema auf Basis derselben Informationen bilden können. Wie bereits in Kapitel 2.3.2 diskutiert, ist dabei nicht zentral, dass die Informationen in allen Arenen gleich gewichtet sind – die einzelnen Medien können (und sollen) durchaus unterschiedliche Meinungen zu dem Thema vertreten. Nur sollen sie andere Informationen und Bewertungen zumindest ansprechen, damit ihre Nutzer ein möglichst vollständiges Bild des in der Gesellschaft bestehenden Meinungsspektrums erhalten. Für eine arenen-integrierte Öffentlichkeit ergeben sich also folgende Bedingungen: 1.
2.
3.
Alle Dimensionen der in den Öffentlichkeitsarenen eines Landesteils verwendeten Frame-Elemente werden in den Öffentlichkeitsarenen des anderen Landesteils angesprochen. Alle Dimensionen der in den Öffentlichkeitsarenen eines Landesteils verwendeten Frame-Elemente werden in den nationalen Öffentlichkeitsarenen angesprochen. Alle Dimensionen der in den nationalen Öffentlichkeitsarenen verwendeten Frame-Elemente finden sich in den Öffentlichkeitsarenen beider Landesteile wieder.
Es wird nun anhand der zwei Fallstudien überprüft, inwieweit diese Bedingungen von der durch die untersuchten Medien hergestellten Öffentlichkeit erfüllt werden. Aus der Bewertung der Arenen-Integration der Gesamtöffentlichkeit in dieser Dimension ausgeschlossen ist weiterhin die BILD Leipzig, weil für sie kein Pendant aus einem anderen Landesteil für einen Vergleich zur Verfügung steht und sie beim Vergleich mit der regionalen oder überregionalen Presse aufgrund ihres singulären Formats und Berichterstattungsstils systematisch benachteiligt wäre. Ihre Berichterstattung ist dennoch im Rahmen der Fallstudien miterhoben worden, so dass die Zeitung abschließend separat bewertet werden kann. Für jede Fallstudie werden im Folgenden die in der Diskussion des Themas verwendeten Frame-Elemente einzeln beschrieben und dann verglichen, welche Teilöffentlichkeiten welche Dimensionen dieser Frame-Elemente aufgreifen und somit inwieweit die drei Bedingungen an eine arenen-integrierte Öffentlichkeit in Bezug auf die einzelnen Frame-Elemente erfüllt werden.48
48
Generell ist zu beiden Fallstudien anzumerken, dass aufgrund der niedrigen Fallzahlen die Unterschiede zwischen den Medien nur selten statistische Signifikanz erreichen (signifikante Ausprägungen/Dimensionen sind in den Vergleichstabellen jeweils gekennzeichnet). Entsprechend vorsichtig werden die nicht-signifikanten Unterschiede interpretiert.
152
Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
4.2.2.1 Fallstudie 1: Der Wahlerfolg der NPD Die Diskussion des Themas ‚Wahlerfolg der NPD’ gliedert sich in folgende Frame-Elemente: Ursachen des NPD-Erfolgs, Folgen des NPD-Erfolgs, Bewertung des NPD-Erfolgs, Bewertung der NPD, Bewertung der sonstigen politischen Parteien, Bewertung der Wähler in Mecklenburg-Vorpommern. Die folgende Abbildung fasst die für die Analyse relevanten Frame-Elemente zusammen, ebenso wie die Dimensionen der Frame-Elemente (jeweils kursiv). Abbildung 9:
Überblick über Frame-Elemente und Dimensionen in der Fallstudie ‚Wahlerfolg der NPD’
Relationen
Bewertungen
Ursachen für den NPD-Erfolg - Niemand ist verantwortlich: - strukturelle Probleme - Politikverdrossenheit - Die NPD ist verantwortlich: - ‚klassische‘ Politik - Ansprache der Protestwähler - Politik am Rande des Rechtssystems - Die etablierten Parteien sind verantwortlich: - ‚klassische‘ Politik - Anti-Rechts-Politik
Ereignis NPD-Erfolg - Wertigkeit: - positiv - neutral - negativ - Vorhersehbarkeit: - überraschend, schockierend - erwartet, erwartbar - Tragweite: - gesamtgesellschaftlich - begrenzt: ostdeutsch
Folgen des NPD-Erfolgs - Folge-Handlungen: - der NPD - des Staates - sonstiger Akteure - Folge-Forderungen: - der NPD - für den Umgang mit der NPD - Folgeaussagen: - für die NPD - für die etablierten Parteien - für Mecklenburg-Vorpommern
Akteur NPD - Kompetenz: - kompetent - inkompetent - Demokratie: - undemokratisch Akteur sonstige Politiker -Kompetenz: - kompetent - inkompetent - Demokratie: - demokratisch - undemokratisch Akteur Wähler in MVP -Kompetenz: - inkompetent - Demokratie: - demokratisch - undemokratisch
Dimension 2: Ähnlichkeit der Diskurse
153
Von den verschiedenen Frame-Elementen nehmen die Bewertungen des Ereignisses den größten Raum in der Berichterstattung ein, fast zwei Drittel aller Beiträge nehmen direkten Bezug auf das Ereignis (wobei unter ‚Bewertung’ hier auch eine neutrale Beschreibung des Ereignisses gefasst worden ist). An zweiter Stelle stehen mögliche Ursachen des Wahlerfolgs, die in 52 Prozent der Beiträge angesprochen werden, gefolgt von den Folgen des Ereignisses (in 44 Prozent der Beiträge). Bewertungen der Politiker anderer Parteien und der NPD werden in jeweils ungefähr einem Drittel der Beiträge diskutiert, Bewertungen der Wähler spielen dagegen nur eine untergeordnete Rolle (23 Prozent). Tabelle 26: Häufigkeit der einzelnen Frame-Elemente in der Fallstudie ‚Wahlerfolg der NPD’ Frame-Elemente
n
Prozent
Prozent gew. 52,1 44,2 60,2 28,8 30,4 21,6
Ursachen NPD-Erfolg 93 53,8 Folgen NPD-Erfolg 80 45,7 Bewertungen Ereignis NPD-Erfolg 107 61,8 Bewertungen NPD 53 31,2 Bewertungen Politiker 61 35,3 Bewertungen Wähler 26 22,5 Häufigkeit und Anteil der Beiträge mit Aussagen zu den jeweiligen Frame-Elementen. Prozent gew.: gewichtet nach Zahl der Beiträge pro Medium, so dass jedes Medium zu gleichen Teilen in den Durchschnitt einfließt. Basis: Alle Beiträge zum Thema ‚Landtagswahl 2006 in Mecklenburg-Vorpommern’ in den neun Medien (n=173)
Beschreibung der Frame-Elemente in der Fallstudie ‚Wahlerfolg der NPD’ Im Folgenden werden für jedes Frame-Element erst seine mögliche Ausprägungen und Dimensionen vorgestellt; zur besseren Unterscheidung werden die Namen der >Ausprägungen< in Pfeilspitzen, die Namen der Dimensionen kursiv gesetzt. Anschließend wird beschrieben, inwieweit die verschiedenen Medienarenen die einzelnen Dimensionen der Frame-Elemente ansprechen und somit die Anforderungen an eine arenenintegrierte Öffentlichkeit erfüllen. Frame-Element 1: Ursachen für den NPD-Erfolg Bei der Kodierung von Ursachen ist zu bedenken, dass die Ursachenzuordnung zum einen explizit im Beitrag erfolgen konnte, z.B. in folgender Textstelle: „Als Ursache für das Erstarken der Rechtsradikalen nannte Frau Harms unter anderem das Versagen der großen Parteien“ (FAZ, 24.09.06, B15).49 49
Wenn im Folgenden Zeitungsartikel aus den beiden Fallstudien zitiert werden, so wird jeweils nur das Medienorgan (z.B. ‚SZ’), das Datum und eine Beitragsnummer (z.B. ‚B3’) angegeben. In Ab-
154
Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
In der Regel muss der Zusammenhang zwischen Ereignis und Ursache jedoch vom Kodierer abgeleitet werden: z.B. wenn in einem Beitrag zum einen das Ereignis angesprochen und zum anderen auf eine oder mehrere Hintergrundinformationen hingewiesen wird, die sachlich als Ursache für das Ereignis in Frage kämen. Beispielsweise verweist ein SZ-Artikel zur Landtagswahl darauf, dass „die NPD gerade in der Schlussphase des Wahlkampfs hohe Präsenz gezeigt [hat]. Allein in Schwerin hat sie 180.000 Wahlzeitungen verteilt. In manchen Regionen des Landes hingen fünfmal mehr NPD-Plakate als solche von SPD, CDU und Linkspartei/PDS“ (SZ, 25.09.06, B6). In diesem Fall wäre der hohe >Werbeaufwand< als mögliche Ursache des NPD-Erfolgs zu kodieren, obwohl dies im Artikel nicht explizit als Ursache bezeichnet wird. Wie bereits im Kapitel 3.2.2 zur Entwicklung des Kodierschemas diskutiert, lassen sich die in der Berichterstattung genannten Ursachen auf Basis der in ihnen enthaltenen Zuschreibung von Verantwortung für den NPD-Erfolg in drei Gruppen einteilen: Die erste Gruppe umfasst Ursachen für den Erfolg der NPD, bei denen keinem Akteur klar Verantwortung zugeschrieben, sondern eher abstrakt von Erklärungsfaktoren wie der hohen Arbeitslosigkeit gesprochen wird. Bei den Ursachen in der zweiten Gruppe liegt die Verantwortung bei der NPD selbst, bei denen der dritten Gruppe bei den Politikern der etablierten Parteien. Zwar hängen die Ursachen der drei Gruppen sachlich meist eng zusammen, aber in den Beiträgen wird dennoch eine Verantwortlichkeitszuschreibung vorgenommen, anhand derer sie sich unterscheiden lassen. Zum Beispiel kann die hohe Arbeitslosigkeit in Mecklenburg-Vorpommern einerseits als struktureller Faktor aufgeführt werden, der eine hohe Zahl von Protestwählern generell und NPD-Wählern in diesem speziellen Fall ausgelöst hätte. Oder aber der Beitrag betont, dass die etablierten Parteien diese hohe Arbeitslosigkeit und damit die Protestwähler zu verantworten hätten. Und schließlich kann der Beitrag darauf abzielen, dass sich die NPD die hohe Arbeitslosigkeit in der Region zu Nutze gemacht und mit gezielten Parolen potentielle Protestwähler angesprochen hätte. Im Ursachenbereich 1 – ‚Niemand’ ist verantwortlich für den Erfolg der NPD – beschreiben die Beiträge zum einen strukturelle Probleme der Region: die hohe Arbeitslosigkeit, die >Abwanderung< der mobileren Bevölkerungsgruppen (insbesondere der Frauen), das >fehlende Bürgertum< und die >mangelnde demokratische Tradition< in Ostdeutschland generell. So schreibt die SZ zum Thema Arbeitslosigkeit:
schnitt C des Anhangs findet sich die Übersicht über alle zitierten Zeitungsartikel mit genauen Angaben, auch zu Überschrift und Autor(en). Zeitungsartikel, die nicht Teil der Fallstudien sind, werden im Text mit ausführlichen Angaben zitiert. Für Fernsehbeiträge ist jeweils die Sendung, das Ausstrahlungsdatum sowie die Nummer des Beitrags in der Sendung angegeben.
Dimension 2: Ähnlichkeit der Diskurse
155
„In Deutschland gilt Mecklenburg-Vorpommern als Armenhaus. Im Uecker-Randow-Kreis an der polnischen Grenze gibt es viele Dörfer, in denen jeder Dritte ohne Job ist“ (SZ, 18.09.06, B3).
Zum anderen wird Politikverdrossenheit mit ihren zwei Folgeerscheinungen >Wahlmüdigkeit< und >Protestwahlverhalten< als Ursache für den Erfolg der NPD herangezogen. In der LVZ wird das Phänomen beispielsweise mit einem Zitat aus dem Kölner Stadt-Anzeiger beschrieben: „Enttäuschung kann auch in Protest umschlagen: Da macht man das Kreuz halt mal ganz Rechts“ (LVZ, 20.09.06, B29).
Im Ursachenbereich 2 wird als Hauptverantwortlicher für den Erfolg der NPD die Partei selbst herausgestellt. Dabei handelt es sich entweder um ‚klassische’ Politik-Strategien, z.B. sich für die Anliegen der Bevölkerung einzusetzen (>,Kümmerer’<), sich im Alltag der Region zu etablieren (>im Alltag etabliert<), eine gute Organisation inkl. Hilfe aus anderen Bundesländern (>gut organisiert<), hoher >Werbeaufwand< sowie die offizielle Distanzierung von gewalttätigen Gruppen (>Distanzierung von Gewalt<). Eine ausführliche Auseinandersetzung mit den ‚klassischen’ Strategien der NPD findet sich beispielsweise in der SZ: „Neben der Strategie des Zusammenrückens verfolgt die NPD vor allem in ihren Regional- und Lokalgliederungen den Versuch weiter, örtliche Themen zu besetzen und so als ‚Partei der kleinen Leute’ wahrgenommen zu werden“ (SZ, 22.09.06, B1).
Ein weiterer Bereich ist die gezielte Ansprache der Protestwähler durch >Kritik an den etablierten Parteien<, >an den Hartz-IV-Gesetzen< oder >an Ausländern<. Außerdem werden noch eine Reihe von politischen Strategien am Rande des Rechtssystems erwähnt, also die Unterstützung durch NeonaziKameradschaften (>Bündnis mit Neonazis<) und die >Einschüchterung< der Wahlhelfer anderer Parteien oder der Demonstrationen gegen Rechtsextremismus. So wird in der WAZ der SPD-Generalsekretär Hubertus Heil mit der Aussage zitiert, „NPD-Anhänger hätten in den Wahlkämpfen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern massive Einschüchterungsversuche an den Wahlkampfständen anderer Parteien unternommen“ (WAZ, 18.09.06, B27).
Im Ursachenbereich 3 werden die etablierten Parteien für den Erfolg der NPD verantwortlich gemacht. Sie hätten der NPD den Weg geebnet, indem sie einerseits ihre ‚klassischen’ politischen Aufgaben nicht hinreichend erfüllt hätten: Sie hätten die strukturellen Probleme Mecklenburg-Vorpommerns nicht in den Griff
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Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
gekriegt (>Landespolitik<). So trägt der zentrale Artikel mit Hintergrundinformationen zur NPD in Mecklenburg-Vorpommern in der WAZ folgende Überschrift: „Die etablierten Parteien in Mecklenburg-Vorpommern haben ganze Landstriche abgeschrieben“ (WAZ, 19.09.06, B31). Die FAZ fasst die Situation folgendermaßen zusammen: „Die ersten acht Jahre hatte die CDU die Regierung geführt, die letzten acht die SPD in einer formellen Koalition mit der PDS. Die Bilanz: hohe Arbeitslosenquote, schlechte Wirtschaftsdaten, starke Abwanderung und ungünstiger Bevölkerungsaufbau. Die Folge: keine Zuversicht, nirgends“ (FAZ, 19.09.06, B6).
Zudem hätte die Politik der Großen Koalition auf Bundesebene die Wähler frustriert (>Bundespolitik<) sowie die Unterschiede zwischen CDU und SPD verwischt. Gleichzeitig hätten SPD und CDU generell wenig Profil in MecklenburgVorpommern entwickelt (>fehlendes Profil SPD/CDU<) und könnten sich zudem – anders als im Westen – nicht auf ihre traditionellen Basis-Strukturen verlassen (>fehlende Basis Osten<): „Die traditionellen Vorfeldorganisationen der Volksparteien – die Kirchen und die Gewerkschaften – sind im Osten deutlich schwächer oder gar nicht präsent“ (LVZ, 19.09.06, B21).
Abbildung 10: Überblick über Dimensionen und Ausprägungen des FrameElements ‚Ursachen des Wahlerfolgs der NPD’ Ursachen für den NPD-Erfolg Niemand ist verantwortlich - Strukturelle Probleme: - wirtschaftlich schwach - Abwanderung - fehlendes Bürgertum - keine demokratische Tradition - Politikverdrossenheit: - Wahlmüdigkeit - Protestwahlverhalten
NPD ist verantwortlich - ‚klassische‘ Politik: - ‚Kümmerer‘ - im Alltag etabliert - gut organisiert - Werbeaufwand - Distanzierung von Gewalt - Ansprache der Protestwähler: - Kritik an etablierten Parteien - Kritik an Hartz-IV - Kritik an Ausländern - Politik am Rande des Rechtssystems: - Bündnis mit Neonazis - Einschüchterung
Etablierte Parteien sind verantwortlich - ‚klassische‘ Politik: - Landespolitik - Bundespolitik - fehlende Basis Osten - fehlendes Profil CDU/SPD - Anti-Rechts-Politik: - Anti-Rechts-Projekte - Blauäugigkeit - NPD herbeigeredet - Scheitern NPD-Verbot
Andererseits wird die Politik etablierter Parteien in Bezug auf die NPD oder Rechtsextremismus im Allgemeinen als Ursache für den Erfolg der NPD aufgeführt (>Anti-Rechts-Politik<): Die etablierten Parteien hätten zu wenig >AntiRechts-Projekte< finanziert oder wären in ihren Kampagnen gegen Rechts nicht genügend auf die Bevölkerung eingegangen. Auch in der politischen Arbeit hätten sich die Parteien zu wenig mit der NPD auseinander gesetzt, hätten insbe-
Dimension 2: Ähnlichkeit der Diskurse
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sondere auf lokaler Ebene den politischen Gegner unterschätzt (>Blauäugigkeit<). Nachdem die ersten Umfrageergebnisse allerdings hohe Zustimmungswerte für die NPD auswiesen, hätten die anderen Parteien das Problem noch verschlimmert, indem sie einander öffentlich mit Vorwürfen in den Rücken gefallen wären, anstatt sich mit den Sorgen der Bevölkerung auseinander zu setzen (>NPD herbeigeredet<). Und schlussendlich hätten die etablierten Parteien das >Scheitern des NPD-Verbotantrags< 2003 mit zu verantworten, was wiederum die NPD für breitere Bevölkerungsschichten wählbar gemacht hätte. Frame-Element 2: Folgen des NPD-Erfolgs Bei den Folgen des NPD-Erfolgs werden ebenfalls drei Bereiche unterschieden: Der erste Bereich besteht aus Handlungen als Folge des NPD-Erfolgs, dazu zählen zum Beispiel die >Siegesfeier der NPD<, aber auch der >Angriff auf einen Journalisten< während dieser Feier (Dimension: Handlungen der NPD). Auch staatliche Handlungen – die Ausschüttung der staatlichen Wahlkampfkostenerstattung – bzw. Handlungen sonstiger Akteure wie der Zivilgesellschaft oder der Medien selbst fallen in diesen Bereich. Auch die anderen Folgenbereiche betreffen letztlich Handlungen in Folge des NPD-Erfolgs, hier sind es aber ausschließlich Sprechakte. Folgenbereich 2 fasst alle im Anschluss an den NPD-Erfolg geäußerten Forderungen zusammen. Dazu gehören Forderungen der NPD, z.B. nach der >Abschaffung der Demokratie<, einer >Offensive in Westdeutschland<, ebenso wie Forderungen zur >Alltagspolitik< der Partei. Des Weiteren fallen darunter Forderungen für den Umgang mit der NPD, z.B. die Forderung nach einer >Großen Koalition in Mecklenburg-Vorpommern<, die sichere Mehrheiten unter Ausschluss der Rechtsextremen gewährleisten soll. Der Folgenbereich 3 umfasst ebenfalls ausschließlich Sprechakte im Anschluss an den NPD-Erfolg, allerdings handelt es sich hier um Aussagen über Folgen, also Prognosen für die Zeit nach dem NPD-Erfolg. Es finden sich einerseits Aussagen über die Folgen für die NPD selbst, nämlich dass sie in der politischen Alltagsarbeit wie schon die Sächsische NPD-Fraktion scheitern würde (>Scheitern NPD im Alltag<). Andererseits werden Folgen für die etablierten Parteien vorausgesagt, z.B. >Richtungsdiskussionen< in CDU und SPD. Für das Bundesland an sich wird befürchtet, dass die Touristen nach dem NPD-Erfolg Mecklenburg-Vorpommern meiden würden (Dimension: Folge-Aussagen für Mecklenburg-Vorpommern, Ausprägung: >Rückgang Tourismus<). Es sind einerseits explizite Folgen des NPD-Erfolgs zu kodieren, wie z.B. am 19.09.06 in der FAZ (B3): „Die Stimmengewinne der NPD sollen den Anlass für eine Debatte des Bundestags über Rechtsextremismus geben. Die Grünen beantragten am Montag eine Aktuelle Stunde.“ Demnach wäre der Antrag der
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Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
Grünen auf eine >Aktuelle Stunde< im Bundestag zum Rechtsextremismus eine direkte Folge der ‚Stimmengewinne der NPD’. Andererseits sind Folgen zu kodieren, bei denen die Verbindung zwischen NPD-Erfolg und der Folge nur indirekt erschlossen werden kann. Eine Möglichkeit sind hier logische Folgen, bei denen die Folge-Handlung ohne den NPDErfolg nicht möglich gewesen wäre – z.B. hätte eine >Siegesfeier der NPD< ohne den NPD-Erfolg nicht stattfinden können. Auch die staatliche Wahlkampfkostenerstattung ist eine sachlogische Folge aus den gewonnenen Wählerstimmen der NPD (>Wahlkampfkosten<). Folgen sind aber auch zu kodieren, wenn sich aus dem Kontext ergibt, dass die beschriebene Handlung, Forderung oder Folgeaussage zeitlich im Anschluss an den NPD-Erfolg zugetragen hat. Abbildung 11: Überblick über Dimensionen und Ausprägungen des FrameElements ‚Folgen des Wahlerfolgs der NPD’ Folgen des NPD-Erfolgs Folge-Handlungen: - der NPD: - Siegesfeier NPD - Angriff gegen Journalisten - Kandidatenwahl - des Staates: - Wahlkampfkosten - sonstiger Akteure: - Medieninteresse (an NPD) - Demonstrationen (gegen NPD)
Folge-Forderungen - der NPD: - Abschaffung Demokratie - NPD-Offensive in West-Deutschland - Alltagspolitik NPD - Funktionäre aus Sachsen nach MVP - für den Umgang mit der NPD: - Große Koalition MVP - Schneiden der NPD - ‚Auseinandersetzung‘ mit der NPD - Aktuelle Stunde - neuer Verbotsantrag - strafrechtliche Verfolgung der NPD - Aufklärungsarbeit
Folge-Aussagen - für NPD: - Scheitern der NPD im Alltag - für etablierte Parteien: - Richtungsdiskussion - für Mecklenburg-Vorpommern: - Rückgang Tourismus
Frame-Element 3: Bewertung des Ereignisses Das zentrale Ereignis der ersten Fallstudie ist, dass die rechtextremistische NPD bei der Landtagswahl 2006 in Mecklenburg-Vorpommern 6,4 Prozent der Stimmen und damit fünf Sitze im Landtag erreichen konnte. Die Bewertung dieses Ereignisses erfolgt anhand von drei Dimensionen: Wertigkeit, Vorhersehbarkeit und Tragweite. Wertigkeit bezieht sich auf die positive, neutrale oder negative Wertung des Ereignisses in der Darstellung der Medien. Als positive Wertung (meist aus Sicht der NPD) gelten Formulierungen wie ‚Wahlsieg’ oder ‚Wahlerfolg’. Phrasen wie ‚hat den Einzug geschafft’ oder ‚hat fünf Sitze erreicht’ fallen noch unter eine neutrale Beschreibung des Ereignisses. Eine negative Wertung ist immer dann zu kodieren, wenn von ‚Niederlage der Demokratie’ oder gar einer ‚Schande für Mecklenburg-Vorpommern’ gesprochen wird. In Bezug auf die Vorhersehbarkeit, kann das Ereignis entweder als erwartet oder erwartbar beschrieben werden, z.B. zitiert die LVZ den Politikexperten
Dimension 2: Ähnlichkeit der Diskurse
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Everhard Holtmann mit folgenden Worten: „Es gab etliche Anzeichen, dass die NPD in Mecklenburg-Vorpommern in den Landtag einziehen wird. […] Das Ergebnis war absehbar“ (LVZ, 19.09.06, B21). Die Beiträge können das Ereignis aber auch als überraschend oder schockierend darstellen: „Geschockt zeigten sich alle demokratischen Parteien vom Einzug der NPD in den Schweriner Landtag“ (WAZ, 18.09.06, B28). Abbildung 12: Überblick über Dimensionen und Ausprägungen des FrameElements ‚Bewertungen des Ereignisses Wahlerfolg der NPD’ Bewertung Ereignis: NPD-Erfolg - Wertigkeit: - positiv - neutral - negativ - Vorhersehbarkeit: - überraschend - erwartet - Tragweite: - gesamtgesellschaftlich - Erfolg bei Jungwählern - nicht nur kurzfristig - europ. Phänomens - Erfolg auch in Berlin - nicht nur ostdeutsch - begrenzt: ostdeutsch
Eine weitere zentrale Kategorie in der Bewertung des Ereignisses ist dessen Tragweite: Wird das Ereignis als Problem von gesamtgesellschaftlicher oder von begrenzter Bedeutung dargestellt? Viele Beschreibungen erfassen den Erfolg der NPD als Teil eines gesamtgesellschaftlichen Problems, dass weder auf Ostdeutschland (>nicht nur ostdeutsch<) noch auf Deutschland beschränkt sei (>Teil eines europäischen Phänomens<) und sich zu einem dauerhaften Problem entwickeln könnte (>nicht nur kurzfristig<) oder angesichts der zahlreichen Jungwähler (>Erfolg bei Jungwählern<) bereits entwickelt hätte. So argumentiert beispielsweise Matthias Platzeck in der Bayerischen Rundschau: „Hier ist rechtsextremes, rechtsradikales Gedankengut tief in die Köpfe gerade von jüngeren Leuten eingedrungen, und dementsprechend müssen wir uns auch viel einfallen lassen, wenn das nicht zu einem Flächenbrand perspektivisch werden soll“ (BR, 18.09.06, Beitrag 2).
160
Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
Frame-Element 4: Bewertungen der NPD Die Bewertung der NPD kann auf zwei Achsen erfolgen: Kompetenz und Demokratie. So kann die Partei über verschiedenste Facetten als undemokratisch bewertet werden, nämlich als >gewalttätig<, >verfassungsfeindlich<, >neonazistisch<, >rassistisch< oder >frauenfeindlich<. Die Einschätzung ‚rechtsextrem’ findet sich in allen Beiträgen und wird daher nicht im Detail analysiert. Eine weitere Gruppe von Einschätzungen betrifft die Kompetenz bzw. Inkompetenz der NPD: Mal wird die NPD als >unseriös< oder >unfähig zur politischen Alltagsarbeit< dargestellt und auf diese Weise gewissermaßen ‚klein geredet’. Andere Beiträge arbeiten die Kompetenz der NPD heraus, ihre Strategie volksnah aufzutreten (>strategisch: volksnah<) und ihre Bürgerlichkeit hervorzustreichen (>strategisch: bürgerlich<) bzw. die extremistischen Tendenzen bei Bedarf zu verstecken. Dazu gehört oft eine positive Bewertung ihrer Fähigkeiten als >Demagogen<. Gleichzeitig wird die NPD als sehr gut vernetzt beschrieben, sie hätte Unterstützung aus Sachsen sowie dem Westen erhalten und hätte sich mit anderen rechtsextremistischen Gruppierungen wie den Neonazi-Kameradschaften, der DVU und den Republikanern verbündet (>gut vernetzt<). Mit diesen Bewertungen wird die NPD als ernstzunehmender, ‚gefährlicher’ Gegner im Kampf um Wählerstimmen eingestuft. Abbildung 13: Überblick über Dimensionen und Ausprägungen des FrameElements ‚Bewertungen der NPD’ Bewertung Akteur: NPD - Demokratie: - undemokratisch: - verfassungsfeindlich - gewalttätig - neonazistisch - rassistisch - frauenfeindlich - Kompetenz: - inkompetent: - unerfahren, unfähig zur Alltagsarbeit - unseriös - kompetent: - strategisch: ‚Kümmerer‘ - strategisch: bürgerlich - gut vernetzt - gute Demagogen
Dimension 2: Ähnlichkeit der Diskurse
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Frame-Element 5: Bewertungen der sonstigen Politiker Auch die Bewertungen der sonstigen Politiker lassen sich auf den zwei Achsen Kompetenz und Demokratie abbilden. Als demokratisch werden sonstige Politiker vor allem bezeichnet, um sie von der NPD abzugrenzen. Mecklenburgs Ministerpräsident Harald Ringstorff sagt beispielsweise in der ARD tagesschau am Wahlabend: „Die NPD ist natürlich ausgeschlossen, aber mit der wäre es ja auch rechnerisch nicht möglich. Ich glaube, da sind sich alle demokratischen Parteien einig, in der Frage halt zur NPD“ (ARD, 17.09.06, Beitrag 2).
Die etablierten Parteien können aber auch als undemokratisch bezeichnet werden, so z.B. in der FAZ: „Vor allem weil Hoffmann den anderen Parteien immer wieder vorgeworfen hatte, es fehle ihnen an demokratischer Kultur“ (FAZ, 23.09.06, B22). Die Bewertung der Kompetenz wird nur erfasst, wenn sie sich jeweils auf deren Politik in Mecklenburg-Vorpommern oder gegenüber der NPD und Rechtsextremismus im Allgemeinen bezieht. Als kompetent werden die sonstigen Politiker mit Blick auf die Verbesserung der Situation in MecklenburgVorpommern eingestuft: „Das Land verfügt inzwischen über eine bemerkenswerte Infrastruktur. Insbesondere die Autobahn 20 hat, wie eine Studie des Wirtschaftsministeriums gerade zeigte, alle Erwartungen erfüllt“ (FAZ, 26.09.06, B10).
Abbildung 14: Überblick über Dimensionen und Ausprägungen des FrameElements ‚Bewertungen der sonstigen Politiker’ Bewertung Akteur: sonstige Politiker - Demokratie: - demokratisch - undemokratisch - Kompetenz: - kompetent: - einig - inkompetent: - abgehoben - profillos - zerstritten
Zur Kompetenz wird hier auch die Einigkeit der sonstigen Politiker gezählt (>einig<), die ebenfalls meist in der Abgrenzung zur NPD erwähnt wird. Als inkompetent können die Politiker ebenfalls nur in Bezug auf ihre Arbeit in Mecklenburg-Vorpommern oder gegenüber der NPD beschrieben werden. Dabei gibt es
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Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
verschiedene Ausprägungen, mal waren Politiker >abgehoben< oder gleichgültig: „Dazu komme eine wachsende Gleichgültigkeit in den demokratischen Parteien“ urteilt die Leiterin einer Mobilen Beratungsstelle in Berlin in der SZ (19.09.06, B5). Des Weiteren werden sonstige Politiker als hilflos beschrieben, gelten als >profillos< und >zerstritten<. Frame-Element 6: Bewertungen der Wähler in Mecklenburg-Vorpommern Die Bewertung der Wähler in Mecklenburg-Vorpommern erfolgt ebenfalls über die Achsen Demokratie und Kompetenz. Als undemokratisch werden die Wähler kodiert, wenn sie selbst als rechtsextrem beschrieben werden bzw. erklärt wird, dass ihre Wahlentscheidung „sehr wohl ideologisch begründet“ sei (SZ, 19.09.06, B5). Als demokratisch werden Wähler wiederum dann bewertet, wenn explizit abgestritten wird, dass ihre Wahlentscheidung ideologisch begründet gewesen sei. Beispielsweise verteidigt ein Kommentar in der BILD die Wähler: „Ihr 7,3% Wähler seid doch nicht alle miese Typen und Faschisten. Es sind Deutsche am Rande ihrer Existenz!“ (BILD, 20.09.06, B16). Die Inkompetenz der Wähler kann in vier Facetten angesprochen werden: Zum einen können die Wähler als >enttäuscht, hilflos< beschrieben werden. In diesem Falle sind sie inkompetent, weil sie für sich keine anderen Möglichkeiten mehr gesehen haben, um innerhalb des demokratischen Systems etwas zu erreichen. In einigen Beiträgen werden die Wähler aber auch als >dumm< oder ungebildet beschrieben, sei es durch Verweise auf die Statistik, dass Nicht- bzw. Protestwähler vor allem „Angehörige bildungsferner Schichten“ seien (WAZ, 19.09.06, B37). Oder aber sie werden indirekt als >dumm< beschrieben, weil sie auf „tumbe Parolen“ hereingefallen seien (RTL, 17.09.06, Beitrag 4). Zudem können Wähler als >desinteressiert< und wahlmüde beschrieben werden. Abbildung 15: Überblick über Dimensionen und Ausprägungen des FrameElements ‚Bewertungen der Wähler in MVP’ Bewertung Akteur: W ähler in MVP - Demokratie: - demokratisch - undemokratisch - Kompetenz: - inkompetent: - dumm - desinteressiert - egoistisch - enttäuscht, hilflos
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Vergleich der Diskurse zum ‚Wahlerfolg der NPD’ Inwieweit erfüllen die untersuchten Medien nun die aufgestellten Bedingungen an arenen-eine integrierte Öffentlichkeit? Ursachen des NPD-Erfolgs Ursachen aus dem ersten Bereich (‚Niemand’ ist verantwortlich) werden am häufigsten angesprochen, in über einem Drittel der Beiträge. An zweiter Stelle stehen Ursachen aus dem dritten Bereich (die sonstigen Politiker sind verantwortlich) mit 29 Prozent, Ursachen aus dem zweiten Bereich (die NPD ist verantwortlich) sind noch in 22 Prozent der Beiträge Thema. Betrachtet man allerdings, welche Gründe die jeweiligen Beiträge dominieren, so wird die Verantwortung für den Erfolg der NPD gleichmäßig den etablierten Parteien oder strukturellen Ursachen zugeschrieben (je 16 Prozent). Bei den strukturellen Ursachen wird meist auf die >Politikverdrossenheit< in der Bevölkerung verwiesen (25 Prozent der Beiträge), oder die hohe Arbeitslosigkeit in Mecklenburg-Vorpommern wird als Grund für den NPD-Erfolg angeführt (>wirtschaftlich schwach<, 17 Prozent der Beiträge). Andere Phänomene wie die >Abwanderung< der Gebildeten aus bzw. das >Fehlen des Bürgertums< werden seltener als Ursache herangezogen (unter drei Prozent). Tabelle 27: Ursachen des Wahlerfolgs der NPD – Ursachenbereich 1 Öffentlichkeitsarenen Anteile in %
WAZ
LVZ
BILD
BR
mdr
ARD
RTL
SZ
FAZ
Ges. gew. 15,7 34,9 18,0 17,1 2,2 1,2 1,3 25,3 15,5 13,3 173
U1 dominant 23,5 17,9 25,0 16,7 7,7 13,3 11,1 13,5 12,5 U1 erwähnt 35,3 32,1 37,5 50,0 23,1 26,7 33,3 40,5 30,0 struktur. Probleme 23,5 14,3 12,5 33,3 7,7 6,7 22,2 24,3 15,0 wirtschaftl. schwach 17,6 14,3 12,5 33,3 7,7 6,7 22,2 24,3 12,5 Abwanderung 11,8 2,7 5,0 fehlend. Bürgertum 5,4 5,0 keine dem. Tradition 5,9 5,4 Politikverdrossenheit 17,6 25,0 25,0 33,3 23,1 20,0 33,3 21,6 20,0 Wahlmüdigkeit 17,6 10,7 25,0 33,3 7,7 6,7 11,1 13,5 7,5 Protestwähler 5,9 25,0 12,5 15,4 13,3 22,2 8,1 15,0 n 17 28 8 6 13 15 9 37 40 Anteile der Beiträge mit den entsprechenden Ausprägungen des Frame-Elements ‚Ursachen des Wahlerfolgs’. Exakter Test nach Fisher (in R): +p<0.1, *p<0.05, **p<0.01, ***p<0.001 (bezieht sich jeweils auf die gesamte Zeile). Ges. gew.: Durchschnittswert über alle Medien, gewichtet nach der Anzahl der Beiträge pro Medium. Kursiv gesetzte Zeilen sind Dimensionen des Frame-Elements und fassen die einzelnen Ausprägungen sowie eine entsprechende ‚sonstige’ Kategorie zusammen. Basis: Alle Beiträge zum Thema ‚Landtagswahl 2006 in Mecklenburg-Vorpommern’ in den neun Medien (n=173).
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Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
An letzter Stelle der Verantwortlichkeit steht die NPD selbst, nur in 13 Prozent der Beiträge dominieren Ursachen aus diesem Bereich. Zentrales Argument ist hier die ‚klassische’ Politik der NPD, die in 15 Prozent der Beiträge diskutiert wird. Im Vordergrund stehen der hohe >Werbeaufwand< (sieben Prozent) und der Einsatz der Partei für die Interessen der Bürger (sechs Prozent). Noch acht Prozent der Beiträge nennen die Politik am Rande des Rechtssystem als Ursache für den Erfolg der Partei, vor allem die Einschüchterung der Wahlhelfer anderer Parteien ist hier Thema. Tabelle 28: Ursachen des Wahlerfolgs der NPD – Ursachenbereich 2 Öffentlichkeitsarenen Anteile in %
WAZ
LVZ
BILD
BR
mdr
ARD
RTL
SZ
FAZ
Ges. gew. 13,0 22,0 15,0 5,7 5,2 3,8 6,8 0,6
U2 dominant 11,8 7,1 33,3 7,7 22,2 27,0 7,5 *U2 erwähnt 29,4 14,3 33,3 23,1 33,3 43,2 17,5 ‚klassische’ Politik 17,6 10,7 16,7 23,1 11,1 35,1 17,5 ‚Kümmerer’ 5,9 7,7 11,1 18,9 7,5 im Alltag etabliert 5,9 3,6 16,7 13,5 7,5 gut organisiert 3,6 11,1 10,8 5,0 Werbeaufwand 11,8 7,1 15,4 11,1 10,8 5,0 Distanz. Gewalt 5,4 *Ansprache der 3,6 15,4 22,2 21,6 5,0 7,3 Protestwähler Kritik Parteien 3,6 7,7 2,7 2,5 1,6 Kritik Hartz-IV 11,1 2,7 1,5 *Kritik Ausländern 11,1 16,2 3,0 +Politik am Rande 17,6 3,6 33,3 10,8 5,0 8,2 des Rechtssystems Bündnis Neonazis 5,9 3,6 8,1 5,0 2,9 +Einschüchterung 11,8 3,6 33,3 2,7 2,5 6,0 n 17 28 8 6 13 15 9 37 40 173 Anteile der Beiträge mit den entsprechenden Ausprägungen des Frame-Elements ‚Ursachen des Wahlerfolgs’. Exakter Test nach Fisher (in R): +p<0.1, *p<0.05, **p<0.01, ***p<0.001 (bezieht sich jeweils auf die gesamte Zeile). Ges. gew.: Durchschnittswert über alle Medien, gewichtet nach der Anzahl der Beiträge pro Medium. Kursiv gesetzte Zeilen sind Dimensionen des Frame-Elements und fassen die einzelnen Ausprägungen sowie eine entsprechende ‚sonstige’ Kategorie zusammen. Basis: Alle Beiträge zum Thema ‚Landtagswahl 2006 in Mecklenburg-Vorpommern’ in den neun Medien (n=173).
Ursachen aus Ursachenbereich 3 dominieren ebenfalls in 16 Prozent der Beiträge. Hier spielt die ‚klassische’ Politik der etablierten Parteien die größte Rolle, sei es auf Landes- oder Bundesebene, die in knapp einem Viertel der Beiträge für den Erfolg der NPD verantwortlich gemacht wird. Die Politik der etablierten Parteien gegen Rechtsextremismus wird noch in zehn Prozent der Beiträge ange-
Dimension 2: Ähnlichkeit der Diskurse
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sprochen, überwiegend (in neun Prozent der Beiträge) wird moniert, dass die Parteien entweder nicht genügend Anti-Rechts-Projekte unterstützen, oder sogar planen, bestehenden Projekten die Finanzierung zu entziehen. Tabelle 29: Ursachen des Wahlerfolgs der NPD – Ursachenbereich 3 Öffentlichkeitsarenen Anteile in %
WAZ
LVZ
BILD
BR
mdr
ARD
RTL
SZ
FAZ
Ges. gew. 15,8 28,7 22,4 7,5 7,2
U3 dominant 17,6 17,9 12,5 16,7 7,7 6,7 11,1 29,7 22,5 U3 erwähnt 35,3 42,9 12,5 16,7 23,1 20,0 33,3 40,5 35,0 ‚klassische’ Politik 35,3 35,7 12,5 15,4 13,3 33,3 27,0 30,0 Landespolitik 11,8 10,7 7,7 22,2 8,1 10,0 Bundespolitik 5,9 10,7 12,5 6,7 11,1 2,7 12,5 fehlende Basis 3,6 2,7 0,7 Osten *Profil SPD 5,9 3,6 18,9 3,5 Profil CDU 5,9 3,6 8,1 2,3 Anti-Rechts-Politik 5,9 14,3 16,7 7,7 6,7 11,1 24,3 7,5 10,1 Anti-Rechts5,9 10,7 16,7 6,7 11,1 21,6 5,0 8,6 Projekte Blauäugigkeit 7,1 7,7 5,4 2,5 2,1 NPD herbeigeredet 5,9 10,7 2,5 1,7 Scheitern NPD2,7 5,0 0,9 Verbot n 17 28 8 6 13 15 9 37 40 173 Anteile der Beiträge mit den entsprechenden Ausprägungen des Frame-Elements ‚Ursachen des Wahlerfolgs’. Exakter Test nach Fisher (in R): +p<0.1, *p<0.05, **p<0.01, ***p<0.001 (bezieht sich jeweils auf die gesamte Zeile). Ges. gew.: Durchschnittswert über alle Medien, gewichtet nach der Anzahl der Beiträge pro Medium. Kursiv gesetzte Zeilen sind Dimensionen des Frame-Elements und fassen die einzelnen Ausprägungen sowie eine entsprechende ‚sonstige’ Kategorie zusammen. Basis: Alle Beiträge zum Thema ‚Landtagswahl 2006 in Mecklenburg-Vorpommern’ in den neun Medien (n=173).
Die erste Bedingung, dass alle in den Medien eines Landesteils angesprochenen Dimensionen des Frame-Elements auch in den Medien des anderen Landesteils angesprochen werden müssten, wird von den regionalen Medien nur eingeschränkt erfüllt. So gibt es in jedem Bereich einzelne Argumente, die jeweils nur in einer Region besprochen werden. Entscheidend für die erste Bedingung an die Arenen-Integration ist allerdings, dass die WAZ die Dimension Ansprache der Protestwähler, die in der LVZ diskutiert wird, nicht aufgreift. In beiden Regionalzeitungen wird (mit) am häufigsten den etablierten Parteien die Verantwortung für den NPD-Erfolg zugeschrieben, gefolgt von den strukturellen Problemen und schließlich der NPD. Bei den einzelnen Argumenten geht die LVZ stärker darauf ein, dass die etablierten Parteien nicht genügend
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Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
oder keine wirksame Politik gegen den Rechtsextremismus betrieben hätten. Sie hätten die staatlichen Aufklärungsprogramme zusammengestrichen, mit ihrer Zerstrittenheit die NPD herbeigeredet, die Probleme Mecklenburg-Vorpommerns nicht gelöst, die NPD nicht ‚entzaubert’: „Der SPD-Landeschef in Mecklenburg-Vorpommern, Tillmann, will die NPD ,entzaubern’ – vergisst aber zu erwähnen, dass die rot-rote Koalition dazu bereits Jahre Zeit hatte. Ersten Analysen zufolge profitierten die Rechten in Mecklenburg-Vorpommern gerade davon, dass sie Zuwachs von bisherigen Wählern der großen Parteien bekamen“ (LVZ, 19.09.06, B19).
Zudem geht allein die LVZ darauf ein, dass den etablierten Parteien im Osten des Landes die „traditionellen Vorfeldorganisationen der Volksparteien – die Kirchen und die Gewerkschaften“ (LVZ, 19.09.06, B21) fehlen und es ihnen deswegen schwerer fällt, dort Mitglieder zu rekrutieren. Außerdem diskutiert sie, inwieweit die etablierten Parteien sich nicht zu selbstgefällig und blauäugig gegenüber der NPD verhalten hätten. Bei den strukturellen Ursachen geht die WAZ etwas differenzierter vor als ihr ostdeutsches Pendant: Sie erwähnt zusätzlich die Abwanderung als Ursache für den NPD-Erfolg sowie die fehlende demokratische Tradition im Osten: „Beklemmend ist der Befund, dass die Hälfte der Bevölkerung in Ostdeutschland nicht mehr per se von der Demokratie überzeugt ist, und Freiheit als Grundwert hier keine Selbstverständlichkeit ist“ (WAZ, 18.09.06, B22).
Im Ursachenbereich 2 (NPD als Ursache) finden sich die meisten Unterschiede: Die LVZ erwähnt nicht nur den hohen Werbeaufwand der NPD, sondern stellt auch heraus, welche Argumente die NPD auf ihren Plakaten eingesetzt hat und wie gut sie organisiert ist. Der WAZ fehlt diese Dimension des Frame-Elements Ursachen vollständig. Dagegen berichtet nur die WAZ über die Strategie der NPD, als ‚Kümmerer’ aufzutreten und sich für die Anliegen der Bevölkerung vor Ort mittels Bürgerinitiativen einzusetzen. Interessant ist hier, dass sich in der WAZ lediglich zwei Artikel näher mit der NPD auseinandersetzen, der wichtigste davon ist der Gastbeitrag eines Mitarbeiters der Schweriner Volkszeitung. Indem sie gezielt einen Experten rekrutiert, gelingt es der WAZ in nur knapp der Hälfte der Artikel eine ähnliche Bandbreite an Ursachen wie die LVZ anzusprechen. Beim Regionalfernsehen ist es eindeutig die ostdeutsche Sendung, die sich mehr mit dem Thema auseinandersetzt. Zwar sprechen beide Sendungen alle drei Ursachenbereiche an, aber es ist der mdr, der mehr unterschiedliche Gründe erwähnt, er nennt nicht nur die hohe Arbeitslosigkeit und niedrige Wahlbeteiligung, sondern lässt in einem Interview den CDU-Fraktionsvorsitzenden Jäger erklären, warum das Protestwähler-Potential in MVP besonders groß sei. Auffällig ist des Weiteren, dass der BR eine sehr distanzierte Haltung zum Thema ein-
Dimension 2: Ähnlichkeit der Diskurse
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nimmt, nur auf die Arbeitslosigkeit und Protestwähler als Ursachen verweist, aber die etablierten Parteien dafür nicht zur Verantwortung zieht (lediglich für deren mangelnde Anti-Rechtspolitik). Im mdr werden die etablierten Parteien dagegen ebenso häufig verantwortlich gemacht wie die NPD selbst oder die strukturellen Probleme. Dennoch können beide regionalen Nachrichtensendungen die erste Bedingung nicht erfüllen, da ihnen jeweils eine Dimension fehlt, die in der anderen Sendung angesprochen worden ist: dem mdr die Politik am Rande des Rechtssystems und dem BR die Ansprache der Protestwähler und die klassische Politik der etablierten Parteien als Ursache des NPD-Erfolgs (allerdings ist der letzte Unterschied statistisch nicht signifikant). Die zweite Bedingung, dass die nationalen Medien alle in den Landesteilen diskutieren Dimensionen der Frame-Elemente enthalten, wird von den Zeitungen nationaler Ausrichtung fast vollständig erfüllt. Dies gilt insbesondere für die SZ, die nur ein einziges Argument nicht berücksichtigt hat, das sowohl in der LVZ als auch in der WAZ diskutiert worden ist: dass die etablierten Partei den Erfolg der NPD herbeigeredet hätten. Bei der FAZ sind die Lücken etwas zahlreicher, betreffen aber durchgehend nur vergleichsweise unbedeutende Argumente, z.B. einzelne Ausrichtungen der Parolen der NPD, keine vollständigen Dimensionen. Bei den nationalen Fernsehnachrichten tritt das Problem auf, dass die Mediengattung an sich nur eine deutlich oberflächlichere Problemdarstellung erlaubt. Dementsprechend ist nicht zu erwarten, dass die Fernsehnachrichten alle Argumente aufgreifen, die in den Zeitungen diskutiert werden, es wird also nur die Bandbreite an Ursachen in nationalen und regionalen Nachrichtensendungen verglichen. Aber auch so erfüllt die tagesschau die Anforderungen an eine arenen-integrierte Öffentlichkeit nicht: Sie spricht keine Gründe aus dem zweiten Ursachenbereich an, d.h. die NPD wird nie für ihren eigenen Erfolg verantwortlich gemacht, obwohl die regionalen Sender in einem Viertel bzw. einem Drittel ihrer Beiträge darauf eingehen. RTL aktuell erfüllt diese Bedingung deutlich besser, fast alle in den Regionalsendern erwähnten Ursachen finden sich auch bei RTL. Allerdings wird etwas weniger über die NPD berichtet, weder die Einschüchterung der Wahlhelfer durch die NPD noch deren bürgerliches Auftreten im Nordosten sind Teil der Berichterstattung von RTL aktuell. Damit fehlt auch RTL aktuell eine Dimension, nämlich die Politik am Rande des Rechtssystems. Die dritte Bedingung wird am besten von der LVZ erfüllt, in der sich fast alle Ursachen finden, über die in FAZ und SZ berichtet worden ist. Lediglich die strukturellen Probleme als Ursache werden in der LVZ weniger differenziert dargestellt als in den überregionalen Zeitungen, aber alle Dimensionen aus der Qualitätspresse liest man auch in der LVZ. In der WAZ finden sich dagegen Lücken bei den Ursachen aus dem zweiten Bereich, anders als die Qualitätszeitungen und die LVZ geht sie nicht auf die Ansprache der Protestwähler durch die
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Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
NPD ein. Und keine der regionalen Tageszeitungen spricht an, dass „seitdem der Verbotsantrag gegen die NPD beim Verfassungsgericht an der Geheimniskrämerei der Verfassungsschützer gescheitert ist, […] die Braunen so tun [können], als seien sie weißgewaschen“ (SZ, 18.09.06, B1). Bei den Fernsehnachrichten wird die dritte Bedingung vom mdr erfüllt, der fast alle RTL-Argumente aufgreift und alle Dimensionen abdeckt. Die Ähnlichkeit zwischen BR und RTL ist relativ groß, aber es fehlen im BR weiterhin die Dimensionen Ansprache der Protestwähler und ‚klassische’ Politik der etablierten Parteien. Auffällig ist nur, dass keiner der regionalen Sender die schlechte Arbeit der Großen Koalition auf Bundesebene als Ursache erwähnt. Folgen des NPD-Erfolgs Die Folgen des NPD-Erfolgs werden in durchschnittlich knapp der Hälfte der Beiträge diskutiert. Dabei nehmen Folge-Forderungen den größten Raum ein, 37 Prozent der Beiträge verweisen auf Forderungen im Anschluss an den Wahlerfolg der NPD, es handelt sich vor allem um Forderungen in Bezug auf den Umgang mit der NPD bzw. nach Maßnahmen gegen die NPD. Tabelle 30: Folge-Forderungen des Wahlerfolgs der NPD Öffentlichkeitsarenen Ges. gew. Folge-Forderungen 29,4 39,3 25,0 50,0 30,8 33,3 33,3 40,5 40,0 36,1 der NPD 5,9 10,7 16,2 7,5 4,9 Abschaffung Demok. 5,9 3,6 5,4 2,5 2,3 NPD-Offensive 3,6 16,2 5,0 2,8 Alltagspolitik NPD 5,9 3,6 2,5 1,3 Sächs. Funktionäre 7,1 1,1 für Umgang mit NPD 29,4 35,7 25,0 50,0 30,8 33,3 33,3 27,0 35,0 33,3 Große Koalition MVP 5,9 7,1 11,1 2,7 15,0 4,4 +Schneiden der NPD 12,5 6,7 10,8 3,3 ‚Auseinandersetzung’ 11,8 21,4 7,7 6,7 2,7 2,5 5,9 Aktuelle Stunde 3,6 16,7 6,7 2,7 2,5 3,6 neuer Verbotsantrag 11,8 10,7 12,5 16,7 6,7 2,7 12,5 8,2 kein Verbotsantrag 11,8 7,1 16,7 7,7 2,7 7,5 5,9 *Strafrtl. Verfolgung 7,1 33,3 11,1 2,5 6,0 Aufklärungsarbeit 10,7 16,7 15,4 13,3 11,1 5,4 15,0 9,7 n 17 28 8 6 13 15 9 37 40 173 Anteile der Beiträge mit den entsprechenden Ausprägungen des Frame-Elements ‚Folgen des Wahlerfolgs’. Exakter Test nach Fisher (in R): +p<0.1, *p<0.05, **p<0.01, ***p<0.001 (bezieht sich jeweils auf die gesamte Zeile). Ges. gew.: Durchschnittswert über alle Medien, gewichtet nach der Anzahl der Beiträge pro Medium. Kursiv gesetzte Zeilen sind Dimensionen des Frame-Elements und fassen die einzelnen Ausprägungen sowie eine entsprechende ‚sonstige’ Kategorie zusammen. Basis: Alle Beiträge zum Thema ‚Landtagswahl 2006 in Mecklenburg-Vorpommern’ in den neun Medien (n=173). Anteile in %
WAZ
LVZ BILD
BR
mdr
ARD RTL
SZ
FAZ
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Tabelle 31: Folge-Handlungen des Wahlerfolgs der NPD Öffentlichkeitsarenen Ges. gew. Folge-Handlungen 11,8 17,9 25,0 16,7 22,2 13,5 5,0 12,4 der NPD 3,6 16,7 11,1 8,1 5,0 4,9 Siegesfeier NPD 3,6 16,7 2,7 2,5 2,8 Angriff Journalisten 16,7 11,1 2,7 2,5 3,7 Kandidatenwahl 2,7 0,3 des Staates 5,9 25,0 11,1 4,7 **Wahlkampfkosten 5,9 25,0 11,1 4,7 sonstiger Akteure 17,9 10,8 2,5 4,1 Medieninteresse 10,7 5,4 2,5 2,7 Demonstrationen 7,1 8,1 2,5 2,0 n 17 28 8 6 13 15 9 37 40 173 Anteile der Beiträge mit den entsprechenden Ausprägungen des Frame-Elements ‚Folgen des Wahlerfolgs’. Exakter Test nach Fisher (in R): +p<0.1, *p<0.05, **p<0.01, ***p<0.001 (bezieht sich jeweils auf die gesamte Zeile). Ges. gew.: Durchschnittswert über alle Medien, gewichtet nach der Anzahl der Beiträge pro Medium. Kursiv gesetzte Zeilen sind Dimensionen des Frame-Elements und fassen die einzelnen Ausprägungen sowie eine entsprechende ‚sonstige’ Kategorie zusammen. Basis: Alle Beiträge zum Thema ‚Landtagswahl 2006 in Mecklenburg-Vorpommern’ in den neun Medien (n=173). Anteile in %
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BR
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ARD RTL
SZ
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Folge-Aussagen und Folge-Handlungen finden sich in je zwölf Prozent der Beiträge Bei den Folge-Handlungen stehen an erster Stelle Handlungen sonstiger Akteure, also das Verhalten der Medien und Protestkundgebungen gegen die NPD im Anschluss an die Wahl in Schwerin. Tabelle 32: Folge-Aussagen zum Wahlerfolg der NPD Öffentlichkeitsarenen Ges. gew. Folge-Aussagen 11,8 10,7 12,5 11,1 24,3 10,0 8,9 für NPD 11,8 3,6 11,1 8,1 7,5 5,2 Scheitern im Alltag 11,8 3,6 11,1 5,4 5,0 4,1 für etabl. Parteien 10,8 1,2 Richtungsdiskussion 10,8 1,2 für MVP 7,1 12,5 2,7 2,5 weniger Tourismus 7,1 12,5 2,7 2,5 n 17 28 8 6 13 15 9 37 40 173 Anteile der Beiträge mit den entsprechenden Ausprägungen des Frame-Elements ‚Folgen des Wahlerfolgs’. Exakter Test nach Fisher (in R): +p<0.1, *p<0.05, **p<0.01, ***p<0.001 (bezieht sich jeweils auf die gesamte Zeile). Ges. gew.: Durchschnittswert über alle Medien, gewichtet nach der Anzahl der Beiträge pro Medium. Kursiv gesetzte Zeilen sind Dimensionen des Frame-Elements und fassen die einzelnen Ausprägungen sowie eine entsprechende ‚sonstige’ Kategorie zusammen. Basis: Alle Beiträge zum Thema ‚Landtagswahl 2006 in Mecklenburg-Vorpommern’ in den neun Medien (n=173). Anteile in %
WAZ
LVZ
BILD
BR
mdr
ARD
RTL
SZ
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Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
Bei der Darstellung der Folgen des NPD-Erfolgs erfüllen die untersuchten Öffentlichkeitsarenen die Bedingungen für eine arenen-integrierte Öffentlichkeit überwiegend nicht. So kann die WAZ die erste Bedingung nicht erfüllen, da sie als einzige Folge-Handlung im Anschluss an den NPD-Erfolg erwähnt, dass die NPD Anspruch auf staatliche Gelder aus der Wahlkampfkostenerstattung und für die laufenden Kosten der Parlamentsarbeit hat. Dieser Aspekt findet sich nicht in der LVZ, der dadurch die Dimension Handlungen des Staates fehlt. Stattdessen berichtet diese über die Siegesfeier der NPD sowie über Folge-Handlungen sonstiger Akteure, nämlich über das erhöhte Medieninteresse an Mecklenburg-Vorpommern und über Protestkundgebungen gegen die NPD (Demonstrationen). Auch wenn man das erhöhte Medieninteresse aufgrund des schlechten Reliabilitätswertes aus der Analyse ausschließen würde, bleibt der Unterschied zwischen den Regionalzeitungen erhalten, weil die WAZ keinerlei Handlungen sonstiger Akteure diskutiert, auch nicht die Gegendemonstrationen. Auch bei den Anschluss an das Ereignis aufgestellten Forderungen spricht die LVZ mehrere an, die von der WAZ nicht aufgegriffen werden: die geplante NPD-Offensive in Westdeutschland, dass NPD-Funktionäre aus Sachsen nach Mecklenburg-Vorpommern wechseln und die Aufklärungsprogramme gegen Rechtsextremismus verlängert werden sollten. Beide Regionalzeitungen befassen sich aber mit den Forderungen der NPD für ihre eigene politische Arbeit: dass sie die Demokratie nach dem Modell der Bundesrepublik abschaffen und „analytische Frontalopposition“ im Schweriner Landtag betreiben wolle (WAZ, 18.09.06, B27). Die Möglichkeit eines NPD-Verbotsverfahren wird in beiden Zeitungen sofort abgestritten. In Bezug auf die etablierten Parteien zitieren beide Ministerpräsident Ringstorff mit seiner etwas vagen Forderung, man müsse sich mit der NPD „auf demokratische Art und Weise auseinander setzen“ (WAZ, 18.09.06, B26; LVZ, 18.09.06, B28). CDU-Generalsekretär Pofalla konkretisiert dies in der WAZ auch nur, indem er eine große Koalition für MecklenburgVorpommern fordert, damit die demokratischen Parteien eine gemeinsame Front gegen die NPD bilden und zeigen könnten, „dass sie Scharlatane sind“ (WAZ, 18.09.06, B28). Bei den Folge-Aussagen spricht die WAZ an, dass sich die NPD im Landtag „selbst entzaubert, weil Sachpolitik nicht mit ihr zu machen sei“ (WAZ, 19.09.06, B31). Das Scheitern der NPD in der parlamentarischen Alltagsarbeit wird auch in der LVZ erwartet, diese berichtet noch zusätzlich über die Sorge um durch den NPD-Wahlerfolg verschreckte Touristen. Allerdings liegt für die Folge-Aussage leider kein Reliabilitätswert vor, da die Variable im Testsample nicht kodiert worden ist. Doch auch wenn man sie aus der Analyse ausschließt, bleibt als Fazit, dass die WAZ-Berichterstattung in Bezug auf die Folgen einseitiger ist als die
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der LVZ, und beiden Regionalzeitungen jeweils mindestens eine Dimension fehlt, die in der anderen Zeitung diskutiert worden ist. Auch die regionalen Fernsehnachrichten unterscheiden sich bei den angesprochenen Folgen des Ereignisses am stärksten: Der BR berichtet über die Siegesfeier der NPD und den Angriff auf einen Journalisten. Der mdr geht dagegen überhaupt nicht auf Folge-Handlungen ein. Bei den Forderungen zeigt die Nachrichtensendung eine Sprechermeldung zu Sachsens Ministerpräsident Milbradt, der die demokratischen Parteien auffordert, sich mit den Losungen der NPD auseinander zu setzen (mdr, 19.09.06, Beitrag 15). Die Diskussion über einen neuen NPD-Verbotsantrag findet sich in beiden Sendungen, ebenso die Forderung nach mehr Aufklärungsarbeit gegen Rechtsextremismus. Der BR geht zusätzlich auf zwei weitere Aspekte ein: Die Forderung einer Aktuellen Stunde zum Thema Rechtsradikalismus im Bundestag und die strafrechtliche Verfolgung der Vergehen der NPD im Wahlkampf. Anders als bei den Ursachen ist es bei den Folgen somit die westdeutsche regionale Nachrichtensendung, die mehr Aspekte berücksichtigt als ihr ostdeutsches Pendant. Für die Überprüfung der zweiten Bedingung werden wieder Zeitungen und Fernsehnachrichten wegen ihrer unterschiedlichen Informationskapazitäten getrennt voneinander betrachtet. Auch die nationalen Zeitungen schneiden hier nicht mehr so gut ab wie beim Frame-Element Ursachen und greifen beide eine in der WAZ diskutierte Dimension nicht auf: die Wahlkampfkostenerstattung. Die alltagspolitischen Pläne der NPD finden sich nur in der FAZ, obwohl sowohl die ost- als auch die westdeutsche regionale Zeitung sie für berichtenswert halten. Der Wechsel sächsischer Funktionäre nach Mecklenburg-Vorpommern wird ausschließlich in der LVZ und nicht in den nationalen Zeitungen diskutiert, allerdings muss man berücksichtigen, dass dieser Aspekt für eine Zeitung aus Sachsen auch von besonderem Interesse ist. Von den nationalen Fernsehnachrichten kann nur RTL aktuell die zweite Bedingung erfüllen. In der tagesschau werden keinerlei Folge-Handlungen angesprochen. Lediglich bei den Folge-Forderungen sind Überschneidungen mit den regionalen Programmen vorhanden: Die Forderung nach einer ‚Auseinandersetzung’ mit der NPD (auch im mdr), nach einem neuen NPD-Verbotsverfahren und nach mehr politischer Aufklärungsarbeit gegen Rechtsextremismus (beides im BR). RTL aktuell greift zumindest eine der zwei im BR diskutieren FolgeHandlungen auf, den Angriff auf den Journalisten. Zusätzlich weist die Sendung auf die staatliche Unterstützung für die NPD hin, eine Information, die sich sonst nur in der WAZ und der BILD Leipzig findet, nicht aber im regionalen Fernsehen. Bei den Forderungen gibt es lediglich zwei Überschneidungen, die Forderung nach mehr politischer Aufklärungsarbeit (in allen vier Sendern) und die Forde-
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Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
rung nach strafrechtlicher Verfolgung der NPD (in RTL und BR, allerdings ohne getestete Reliabilität). In Bezug auf die dritte Bedingung gelingt es der LVZ, fast alle Dimensionen und Aspekte anzusprechen, die in den beiden national verbreiteten Zeitungen diskutiert werden. Lediglich bei den Folge-Aussagen ist die LVZ etwas einseitiger als die Zeitungen nationaler Verbreitung: Sie macht keine Aussagen zu den Folgen für die etablierten Parteien. Die WAZ greift dagegen deutlich weniger Elemente auf als FAZ und SZ: Bei den erwähnten Folge-Handlungen gibt es keinerlei Überschneidungen, bei den Forderungen sind die Übereinstimmungen etwas größer. Doch auch hier fehlt die Forderung nach mehr Projekten gegen Rechtsextremismus oder nach einer strafrechtlichen Verfolgung der NPD. Die westdeutsche Regionalzeitung erwähnt zudem nur eine einzige Prognose: dass die NPD sich im parlamentarischen Alltag ‚rasch entzaubern’ würde, es fehlen ihr insgesamt drei Dimensionen des Frame-Elements, die in den Qualitätszeitungen thematisiert werden. Bei den regionalen Nachrichtensendungen können weder die ost- noch die westdeutsche Sendung die dritte Bedingung erfüllen: Zwar diskutiert der BR den Angriff auf einen Journalisten, über den in RTL Aktuell berichtet wird, die staatliche Wahlkampfkostenerstattung wird aber in keiner der regionalen Sendungen diskutiert (Dimension: staatliche Handlungen). Und auch das in RTL aktuell prognostizierte Scheitern der NPD in der politischen Alltagsarbeit ist weder im BR noch im mdr Thema (Dimension: Folgen für NPD). Bewertung des Ereignisses Die größte Bedeutung bei der Bewertung des Ereignisses spielt dessen Wertigkeit, die in fast der Hälfte der Beiträge erwähnt wird. Es dominiert eine weitgehend neutrale Darstellung, in der lediglich auf den ‚Einzug der NPD’ in den Schweriner Landtag verwiesen wird (24 Prozent). Das Wortfeld ‚Einzug, einziehen’ weckt zwar den Verdacht, die öffentlichen Sprecher hätten den Begriff insbesondere im Kontext der NPD verwendet, die Analyse legt allerdings offen, dass das Abschneiden der anderen kleineren Parteien auch mit diesem Wortfeld beschrieben wird. Auch die FDP ‚zieht in den Landtag ein’ bzw. die Grünen haben ‚den Einzug nicht geschafft’. Es scheint sich um einen etablierten Begriff zu handeln, der nicht mit der militärisch geprägten Ideologie, dem Auftreten und der Sprache der NPD in Zusammenhang steht. Fast eine ebenso große Rolle spielt die positive Beschreibung des Abschneidens der NPD als ‚Sieg’ oder ‚Erfolg’ für die NPD (14 Prozent). Allerdings ist zu mutmaßen, dass dies die zentrale Bewertungskategorie gewesen wäre, wenn eine nicht rechtsextremistische Partei einen derart hohen Stimmge-
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winn zu verzeichnen gehabt hätte. Da es sich aber um die NPD handelt, wird das Ereignis ebenso häufig als negativ bewertet (18 Prozent). Die Vorhersehbarkeit des Ereignisses ist lediglich in acht Prozent der Beiträge Thema, es überwiegt die Bewertung als erwartbar (fünf Prozent). Noch durchschnittlich drei Prozent der Beiträge bezeichnen das Ereignis als überraschend. Einschätzungen zur gesellschaftlichen Tragweite finden sich in 22 Prozent der Beiträge, fast ein Fünftel schreibt dem Ereignis eine gesamtgesellschaftliche Tragweite zu, entweder ganz allgemein oder über den Hinweis auf den Erfolg der NPD bei den Bezirkswahlen in Berlin. Aber auch sieben Prozent der Beiträge ordnen dem Ereignis nur eine begrenzte Tragweite zu. Tabelle 33: Bewertungen des Ereignisses Wahlerfolg der NPD Öffentlichkeitarenen Ges. gew. Ereignis-Bewertungen 47,1 57,1 37,5 83,3 69,2 53,3 55,6 78,4 60,0 60,2 Wertigkeit 41,2 46,4 37,5 50,0 61,5 46,7 55,6 59,5 45,0 48,9 positiv 5,9 17,9 12,5 16,7 7,7 13,3 11,1 21,6 25,0 14,2 neutral 23,5 21,4 25,0 16,7 46,2 26,7 22,2 24,3 12,5 24,3 negativ 17,6 21,4 12,5 16,7 23,1 6,7 33,3 18,9 15,0 18,4 Vorhersehbarkeit 11,8 10,7 7,7 11,1 10,8 15,0 7,5 erwartbar 5,9 7,1 11,1 8,1 10,0 4,7 überraschend 5,9 3,6 7,7 2,7 5,0 2,8 Tragweite 5,9 21,4 33,3 38,5 13,3 22,2 37,8 22,5 21,7 gesamtgesellschaftlich 5,9 14,3 16,7 30,8 13,3 22,2 29,7 22,5 17,3 Jungwähler 3,6 16,7 15,4 22,2 8,1 7,6 nicht nur kurzfristig 7,7 6,7 11,1 5,4 3,4 europ. Phänomen 2,7 2,5 0,6 Erfolg auch in Berlin 3,6 7,7 6,7 10,8 7,5 4,0 nicht nur ostdeutsch 3,6 8,1 5,0 1,9 +begrenzt 5,9 7,1 16,7 15,4 13,5 6,5 +ostdeutsch 7,1 16,7 15,4 10,8 5,6 n 17 28 8 6 13 15 9 37 40 173 Anteile der Beiträge mit den entsprechenden Ausprägungen des Frame-Elements ‚Bewertung des Ereignisses Wahlerfolg der NPD’. Exakter Test nach Fisher (in R): +p<0.1, *p<0.05, **p<0.01, ***p<0.001 (bezieht sich jeweils auf die gesamte Zeile). Ges. gew.: Durchschnittswert über alle Medien, gewichtet nach der Anzahl der Beiträge pro Medium. Kursiv gesetzte Zeilen sind Dimensionen des Frame-Elements und fassen die einzelnen Ausprägungen sowie eine entsprechende ‚sonstige’ Kategorie zusammen. Basis: Alle Beiträge zum Thema ‚Landtagswahl 2006 in Mecklenburg-Vorpommern’ in den neun Medien (n=173). Anteile in %
WAZ LVZ BILD
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ARD RTL
SZ
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Vergleicht man die Bewertung des Ereignisses in den verschiedenen Teilöffentlichkeiten, so fällt auf, dass die ostdeutsche regionale Zeitung (LVZ) eine vielschichtigere Bewertung des Ereignisses vornimmt als ihr westdeutsches Pendant
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WAZ. Zwar kommen in beiden Zeitungen alle Dimensionen der Wertigkeit vor, und in beiden wird das Ereignis sowohl als erwartbar, wie auch als überraschend dargestellt. Die Tragweite des Ereignisses wird in der WAZ aber nur in einem einzigen Artikel angesprochen, in einem Interview mit dem Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte: Während der Journalist das Ereignis in eine Reihe stellt mit dem Erfolg anderer rechtsextremer Parteien in Sachsen, Brandenburg und Bremen und fragt, inwieweit es sich um einen politischen Flächenbrand handelt, weist der Politikwissenschaftler dies klar zurück: „Nein, hier kamen regionale Besonderheiten zum Tragen.“ In der Folge wird rechtsextremes Wählen als eher ostdeutsches Problem eingeordnet, „der Westen hat eingeübtere Verfahren, um mit Sozialabbau zivilisiert umzugehen – nicht gleich rechtsextrem“ (WAZ, 19.09.06, B37). Damit enthält die WAZ zwar beide Dimension – das Ereignis könnte sowohl von gesamtgesellschaftlicher als auch von begrenzter Tragweite sein – bleibt aber in der Bewertung sehr allgemein. Die LVZ führt dagegen in mehreren Artikeln verschiedene Aspekte ein, um die gesamtgesellschaftliche Tragweite herauszuarbeiten: Der Erfolg bei den Jungwählern und in Berlin wird angesprochen, eine rein ostdeutsche Einstufung wird explizit abgelehnt. Dennoch wird die erste Bedingung damit von beiden Regionalzeitungen erfüllt. Auch bei den regionalen Fernsehnachrichten bietet die ostdeutsche Sendung mehr Bewertungen des Ereignisses. Die Bayerische Rundschau erwähnt zwar alle Wertigkeiten, geht aber nicht auf die Vorhersehbarkeit (oder nicht) ein, während der mdr das Ereignis als überraschend darstellt. Bei der gesellschaftlichen Reichweite verweisen beide regionalen Sendungen auf beide Dimensionen, allerdings spricht der mdr zwei zusätzliche Aspekte an, die die gesamtgesellschaftliche Reichweite untermauern: der Erfolg der NPD in Berlin und die langfristige Bedeutung des Phänomens Rechtsextremismus. Die zweite Bedingung für eine arenen-integrierte Öffentlichkeit wird nur von der SZ vollständig erfüllt: Sie diskutiert alle Bewertungen des Ereignisses, die in den regionalen Medien genannt werden. Die FAZ greift zwar fast alle Bewertungen auf, aber sie erwähnt nicht, dass manche Stimmen dem Ereignis nur eine begrenzte Tragweite zuweisen – eine Dimension, die sowohl die ost- als auch die westdeutsche Regionalzeitung besprechen. Die nationalen Nachrichtensendungen erfüllen die zweite Bedingung ebenfalls nur eingeschränkt. Zwar kommen alle Wertigkeiten des Ereignisses vor, aber bei den anderen Bewertungsdimensionen treten Unterschiede zutage. Die tagesschau ähnelt noch eher dem BR, weil sie ebenfalls nicht auf die Vorhersehbarkeit des Ereignisses eingeht, allerdings fehlt ihr zudem eine Aussage zu dessen begrenzter Tragweite – anders als den regionalen Sendern. RTL aktuell geht zwar wie der mdr auf die
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Vorhersehbarkeit des Ereignisses ein, bezieht aber genau die andere Position. Was im mdr überraschend erscheint, ist bei RTL aktuell erwartet: „Aber dafür rücken die Rechten ein, die NPD kommt hier auf 6,0 Prozent, aber das war das, was man prognostiziert hatte, dass es hier tatsächlich einen starken rechten Rand gibt, der sich offenbar einer großen Beliebtheit, oder relativ großen Beliebtheit in MecklenburgVorpommern durch seine sagen wir doch sehr einseitigen Parolen erfreuen kann“ (RTL, 17.09.06, Beitrag 3).
Bei der gesellschaftlichen Tragweite macht RTL ähnliche Aussagen wie der mdr, geht aber nicht darauf ein, dass dem Ereignis von einigen Stimmen nur eine begrenzte Tragweite zugeschrieben wird. Damit fehlen RTL aktuell eine und der ARD tagesschau zwei Dimensionen, die von den regionalen TV-Nachrichten berücksichtigt werden. Die dritte Bedingung wird am besten von der LVZ erfüllt, die alle Dimensionen und fast alle Aspekte aus SZ und FAZ aufgreift, mit Ausnahme der Einordnung des NPD-Erfolgs als Teil eines langfristigen Phänomens und von europäischer Reichweite. Die WAZ zeigt zwar bei der Diskussion um die gesellschaftliche Tragweite nur einen kleinen Ausschnitt der Vielfalt der Aspekte aus SZ und FAZ, spricht aber alle von ihnen diskutierten Dimensionen an. Die regionalen Nachrichtensendungen können jedoch die dritte Bedingung nicht erfüllen, ihnen fehlt jeweils die Erwartbarkeit des Ereignisses, die bei RTL diskutiert wird. Bewertungen der NPD Rund ein Viertel der Beiträge bewertet die NPD und ihre Akteure in der Dimension undemokratisch, insbesondere durch die Beschreibung als >neonazistisch< (16 Prozent) oder als >verfassungsfeindlich< (sieben Prozent). Die Kompetenz der NPD wird in 15 Prozent der Beiträge diskutiert, dabei überwiegt die Darstellung als kompetent leicht mit zwölf Prozent gegenüber acht Prozent der Beiträge, in denen die NPD als inkompetent beschrieben wird. Bei der Bewertung der NPD als Akteur unterscheiden sich die beiden regionalen Tageszeitungen sehr deutlich. Die WAZ beschreibt die NPD lediglich in drei Beiträgen und stellt sie dort vor allem als undemokratisch dar, als gewaltbereit, verfassungsfeindlich und rassistisch. Diese Einschätzungen finden sich zwar auch in der LVZ, in den insgesamt 13 Beiträgen, die die NPD bewerten, wird aber ebenso häufig die Kompetenz der NPD herausgestellt: Vor allem die gute Vernetzung der NPD nach Sachsen und zu anderen rechtsextremistischen Gruppierungen wird betont. Diese Bewertung wird zwar relativiert durch ein Interview mit Sachsens Ministerpräsident Milbradt, in dem dieser am Beispiel der bisherigen Arbeit der sächsischen NPD-Fraktion die parlamentarischen Kompetenzen der NPD in Frage stellt (LVZ, 18.09.06, B32), insgesamt erhält der Leser
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Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
der LVZ jedoch das Bild einer Partei, die nicht nur aufgrund ihrer undemokratischen Elemente bedrohlich ist, sondern auch weil sie geschickt vernetzt ist, sich harmlos gibt und Teil eines gesamtgesellschaftlichen Phänomens ist. Tabelle 34: Bewertungen der NPD Öffentlichkeitsarenen Ges. gew. Bewertungen NPD 17,6 35,7 37,5 33,3 15,4 6,7 33,3 48,6 27,5 28,8 Demokratie 17,6 21,4 37,5 33,3 6,7 33,3 45,9 20,0 24,0 undemokratisch 17,6 21,4 37,5 33,3 7,7 6,7 33,3 45,9 20,0 24,0 gewalttätig 11,8 3,6 33,3 22,2 5,4 7,5 9,3 verfassungsfeindlich 5,9 10,7 22,2 13,5 7,5 6,6 *neonazistisch 11,8 14,3 37,5 16,7 6,7 11,1 35,1 10,0 15,9 rassistisch 5,9 3,6 0,0 16,2 2,5 3,1 frauenfeindlich 11,1 2,7 1,5 Kompetenz 11,8 21,4 16,7 15,4 22,2 24,3 17,5 15,4 inkompetent 11,8 14,3 22,2 8,1 12,5 7,7 unerfahren, unfähig 11,8 7,1 11,1 2,7 1,5 unseriös 7,1 7,5 1,6 kompetent 5,9 10,7 16,7 15,4 11,1 21,6 12,5 11,8 ‚Kümmerer’ 5,9 11,1 16,2 7,5 4,5 bürgerlich 3,6 16,7 11,1 10,8 5,0 5,2 gut vernetzt 5,9 7,1 11,1 8,1 5,0 2,9 gute Demagogen 3,6 15,4 2,7 2,4 n 17 28 8 6 13 15 9 37 40 173 Anteile der Beiträge mit den entsprechenden Ausprägungen des Frame-Elements ‚Bewertung der NPD’. Exakter Test nach Fisher (in R): +p<0.1, *p<0.05, **p<0.01, ***p<0.001 (bezieht sich jeweils auf die gesamte Zeile). Ges. gew.: Durchschnittswert über alle Medien, gewichtet nach der Anzahl der Beiträge pro Medium. Kursiv gesetzte Zeilen sind Dimensionen des Frame-Elements und fassen die einzelnen Ausprägungen sowie eine entsprechende ‚sonstige’ Kategorie zusammen. Basis: Alle Beiträge zum Thema ‚Landtagswahl 2006 in Mecklenburg-Vorpommern’ in den neun Medien (n=173). Anteile in %
WAZ
LVZ
BILD
BR
mdr
ARD
RTL
SZ
FAZ
Bei den regionalen Nachrichtensendungen fällt auf, dass der mdr als einziges Medium die NPD zwar als rechtsextrem bewertet, aber ansonsten auf keinerlei undemokratische Tendenzen der Partei und ihrer Mitglieder verweist. Im BR dagegen finden sich mehrere Beschreibungen der NPD als gewalttätig oder gewaltbereit, gezeigt werden sehr bedrohliche Bilder von Neonazis mit Baseballschlägern, die Polizisten bedrohen und erst zurückweichen, als ein Polizist seine Pistole durchlädt. Verweise auf die Kompetenz der NPD, sei es als Demagogen oder über ihre inszenierte Volksnähe finden sich in beiden Sendungen. Dementsprechend können beide Sendungen die erste Bedingung erfüllen.
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Die Zeitungen nationaler Verbreitung enthalten fast alle Bewertungen der NPD, die in den regionalen Medien diskutiert werden und entsprechen damit der zweiten Bedingung an eine integrierte Öffentlichkeit. Anders sieht es bei den Fernsehnachrichten aus: RTL aktuell deckt alle Dimensionen ab, die in den regionalen Nachrichten angesprochen worden sind, die Sendung verwendet auch dasselbe Bildmaterial wie das Bayerische Fernsehen, um die gewalttätige, verfassungsfeindliche Seite der Partei zu illustrieren. Dagegen enthält die ARD tagesschau nur eine einzige Bewertung der NPD: Sie wird mit Neonazis in Verbindung gebracht. Ansonsten finden sich in der Sendung weder weitere Beschreibungen des undemokratischen Charakters der Partei – wie sie im BR besprochen werden – noch Hinweise auf die Kompetenz oder Inkompetenz der NPDler. Untersucht man nun, inwieweit die regionalen Medien alle Dimensionen enthalten, die von den nationalen Medien angesprochen werden, so wiederholt sich das von anderen Frame-Elementen bekannte Bild: Die LVZ erfüllt diese Bedingung für eine integrierte Öffentlichkeit deutlich besser als die WAZ. Anders als die überregionalen Zeitungen beschreibt die WAZ die NPD nie als kompetent. Die LVZ ähnelt erneut sehr der SZ, bei der Beschreibung der Kompetenz der NPD fehlen nur zwei Unteraspekte, und bei den undemokratischen Merkmalen berichtet sie nicht über die Frauenfeindlichkeit der NPD. Überraschenderweise ist RTL aktuell das einzige andere Medium, dass die NPD ebenfalls als frauenfeindlich bewertet: „Als Spitzenkandidat Pastörs am Wahlabend seinen Helfern dankt, zeigt er dann auch gleich, wer rechts außen welche Rolle hat. (Pastörs:) Ganz besonders herausnehmen möchte ich unsere Frauen, die im Stillen unglaubliches geleistet haben, das fing an von der Bewirtung und dem Gut zureden und das hörte auf beim Wäsche waschen für die Kameraden“ (RTL, 19.09.06, Beitrag 5).
Insgesamt enthält die RTL-Berichterstattung von allen Fernsehnachrichten die meisten Bewertungselemente. Der mdr spricht nur eine einzige Dimension an (Kompetenz der NPD), der BR erwähnt zusätzlich noch zwei undemokratische Aspekte – damit erfüllen aber beide Sender nicht die dritte Bedingung für eine integrierte Öffentlichkeit. Bewertung der sonstigen Politiker Bewertungen der Politiker anderer Parteien finden sich in knapp einem Drittel der Beiträge zur Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern. Die Bewertung erfolgt überwiegend über die Achse Kompetenz (27 Prozent), wobei die Einschätzung der Politiker als inkompetent klar dominiert: In einem Viertel der Beiträge werden Politiker als inkompetent dargestellt, als profillos oder abgeho-
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ben und gleichgültig, während nur fünf Prozent der Beiträge ihnen Kompetenz zuschreiben. Tabelle 35: Bewertungen der sonstigen Politiker Öffentlichkeitsarenen Anteile in %
WAZ
LVZ
BILD
BR
mdr
ARD
RTL
SZ
FAZ
Ges. gew.
Bewertungen 35,3 50,0 12,5 16,7 30,8 33,3 22,2 40,5 32,5 30,4 Politiker Demokratie 17,6 21,4 15,4 6,7 11,1 10,8 7,5 10,1 demokratisch 17,6 21,4 15,4 6,7 11,1 10,8 5,0 9,8 undemokratisch 2,5 0,3 Kompetenz 29,4 46,4 12,5 16,7 15,4 33,3 22,2 35,1 32,5 27,1 *kompetent 5,9 7,1 26,7 2,7 2,5 5,0 **einig 3,6 26,7 3,4 inkompetent 29,4 46,4 12,5 16,7 15,4 13,3 22,2 35,1 32,5 24,8 abgehoben 5,9 7,1 15,4 6,7 21,6 5,0 4,7 profillos 14,3 12,5 13,5 10,0 5,6 zerstritten 5,9 3,6 5,0 1,6 n 17 28 8 6 13 15 9 37 40 173 Anteile der Beiträge mit den entsprechenden Ausprägungen des Frame-Elements ‚Bewertung sonstige Politiker’. Exakter Test nach Fisher (in R): +p<0.1, *p<0.05, **p<0.01, ***p<0.001 (bezieht sich jeweils auf die gesamte Zeile). Ges. gew.: Durchschnittswert über alle Medien, gewichtet nach der Anzahl der Beiträge pro Medium. Kursiv gesetzte Zeilen sind Dimensionen des Frame-Elements und fassen die einzelnen Ausprägungen sowie eine entsprechende ‚sonstige’ Kategorie zusammen. Basis: Alle Beiträge zum Thema ‚Landtagswahl 2006 in Mecklenburg-Vorpommern’ in den neun Medien (n=173).
Die WAZ charakterisiert die Politiker der anderen Parteien im Kontext des NPDErfolgs lediglich als demokratisch und weist ihnen in einem einzelnen Beitrag Kompetenz zu. Es überwiegen aber die Bewertungen als inkompetent: Die sonstigen Parteien seien inkompetent, abgehoben und zerstritten. Ihr ostdeutsches Pendant nennt alle diese Bewertungskriterien und fügt dem Bild zwei weitere hinzu: Politiker anderer Parteien werden zwar als ‚einig’ beschrieben, sind aber auch ‚profillos’: „Als Grund für das verhältnismäßig schwache Abschneiden werde dann wohl wieder das fehlende Profil der Union in der großen Koalition herangezogen, hieß es“ (LVZ, 18.09.06, B30). Die beiden regionalen Zeitungen unterscheiden sich demnach in diesem Frame-Element nur marginal und erfüllen die erste Bedingung. Bei den regionalen Fernsehnachrichten finden sich etwas größere Unterschiede: Im BR fehlt die Frage der Demokratie ganz, die sonstigen Politiker werden lediglich generell als inkompetent charakterisiert, im mdr werden sie
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sowohl als demokratisch, gleichzeitig aber in einem Interview von Guido Westerwelle als ‚abgehoben’ beschrieben: „Früher sprach man von Volksparteien bei der Union und SPD. Heute muss man sagen, die Volksparteien SPD und Union vertreten kaum noch Volk“ (mdr, 18.09.06, Beitrag 4).
Die zweite Bedingung wird von den überregionalen Zeitungen erfüllt, sie greifen alle Dimensionen und fast alle Bewertungselemente aus der regionalen Presse auf. Allein die in LVZ und WAZ beschriebene ‚Zerstrittenheit’ der politischen Parteien findet nur in der FAZ Widerhall, nicht in der SZ. Die nationalen Fernsehnachrichten erfüllen die Anforderung bei diesem Frame-Element besser als zuvor: Beide Sendungen beschreiben die Politiker als demokratisch (wie der mdr), aber inkompetent (wie beide regionalen Sender). In der tagesschau wird das identische Interview mit Guido Westerwelle wie im mdr ausgestrahlt. Bei diesem Frame-Element können beide regionalen Zeitungen die dritte Bedingung nicht erfüllen. Allein die FAZ bewertet die Politiker als undemokratisch, weder die andere Qualitätszeitung noch WAZ und LVZ nehmen darauf Bezug. Von den regionalen Nachrichten gibt die ostdeutsche Sendung die Bewertungen der nationalen Nachrichten am besten wieder, sie geht lediglich nicht auf die Bewertung der Politiker als ‚einig’ und damit kompetent ein, die in der tagesschau angesprochen wird. Der Berichterstattung im Bayerischen Fernsehen fehlen dagegen mehrere Dimensionen dieses Frame-Elements, die in den nationalen Nachrichtensendungen angesprochen worden sind. Bewertungen der Wähler Die Wähler in Mecklenburg-Vorpommern werden in über einem Fünftel der Beiträge bewertet, überwiegend bezogen sich die Beschreibungen auch hier auf die Dimensionen Kompetenz und Inkompetenz (16 Prozent), die Bewertungen fallen hier ausschließlich negativ aus. Allerdings beruht die Inkompetenz der Wähler vor allem auf deren Hilflosigkeit und Enttäuschung (neun Prozent), als ‚dumm’ oder ‚egoistisch’ werden die Wähler seltener beschrieben (sieben bzw. ein Prozent). In der Dimension Demokratie (acht Prozent der Beiträge) überwiegen ebenfalls die negativen Einschätzungen leicht, in fünf Prozent der Beiträge werden die Wähler als undemokratisch beschrieben. Bei der Bewertung der Wähler in Mecklenburg-Vorpommern liegen die regionalen Tageszeitungen sehr nah beieinander. Auch wenn die WAZ die Wähler lediglich in zwei Beiträgen näher charakterisiert (in der LVZ sind es elf), nimmt sie auf dieselben Eigenschaften Bezug wie die LVZ: Die Wähler seien desinteressiert, enttäuscht von den anderen Parteien oder auch egoistisch und dumm. Beide Zeitungen verweisen darauf, dass „nur ein geringer Teil […] ideologisch gezielt ,braun’“ wählt (WAZ, 19.09.06, B37). Die LVZ geht allerdings etwas
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kritischer mit den Wählern der NPD um, es gäbe keinen Grund „ihre Wähler sozialtherapeutisch in Schutz zu nehmen“ (LVZ, 19.09.06, B11). Anders als die WAZ beschreibt die ostdeutsche Zeitung die Wähler als ideologisch verbrämt. Tabelle 36: Bewertungen der Wähler in Mecklenburg-Vorpommern Öffentlichkeitsarenen Ges. gew. Bewert. Wähler 11,8 35,7 25,0 15,4 6,7 55,6 29,7 15,0 21,6 Demokratie 5,9 7,1 12,5 6,7 22,2 8,1 5,0 7,5 demokratisch 5,9 3,6 12,5 2,7 2,5 3,0 undemokratisch 3,6 6,7 22,2 5,4 2,5 4,5 Kompetenz 11,8 32,1 12,5 15,4 33,3 24,3 12,5 15,8 inkompetent 11,8 32,1 12,5 15,4 33,3 24,3 12,5 15,8 dumm 11,8 7,1 33,3 8,1 6,7 desinteressiert 5,9 3,6 5,4 5,0 2,2 egoistisch 5,9 3,6 2,7 1,4 enttäuscht, hilflos 5,9 21,4 12,5 15,4 16,2 10,0 9,0 n 17 28 8 6 13 15 9 37 40 173 Anteile der Beiträge mit den entsprechenden Ausprägungen des Frame-Elements ‚Bewertung Wähler’. Exakter Test nach Fisher (in R): +p<0.1, *p<0.05, **p<0.01, ***p<0.001 (bezieht sich jeweils auf die gesamte Zeile). Ges. gew.: Durchschnittswert über alle Medien, gewichtet nach der Anzahl der Beiträge pro Medium. Kursiv gesetzte Zeilen sind Dimensionen des Frame-Elements und fassen die einzelnen Ausprägungen sowie eine entsprechende ‚sonstige’ Kategorie zusammen. Basis: Alle Beiträge zum Thema ‚Landtagswahl 2006 in Mecklenburg-Vorpommern’ in den neun Medien (n=173). Anteile in %
WAZ
LVZ
BILD
BR
mdr
ARD
RTL
SZ
FAZ
Im Bayerischen Fernsehen werden die Wähler überhaupt nicht in den Blick genommen. Der BR kann die erste Bedingung für dieses Frame-Elemente daher nicht erfüllen, der mdr geht zumindest auf die Hilflosigkeit der Wähler ein und zitiert den Ministerpräsidenten Sachsen-Anhalts mit den Worten: „In diesen jungen Leuten, das sind größtenteils männliche Jugendliche, die die NPD gewählt haben, steckt sehr viel Enttäuschung und Frust über die hohe Arbeitslosigkeit“ (mdr, 18.09.06, Beitrag 2).
FAZ und SZ setzen sich etwas mehr mit den Wählern auseinander, aber nur die SZ greift alle Bewertungselemente wieder auf, die in LVZ und WAZ angesprochen werden. In der FAZ dagegen fehlen die Bewertungen der Wähler als dumm und egoistisch, allerdings handelt es sich hier eher um Unteraspekte, die Dimension Inkompetenz der Wähler ist in jedem Fall auch Thema in der FAZ. Beide überregionalen Zeitungen erfüllen somit die zweite Bedingung an eine integrierte Öffentlichkeit auch für dieses Frame-Element.
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Die ARD tagesschau nimmt nur eine einzige Bewertung der Wähler vor, indem sie den Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse zitiert: „In Deutschland könne und müsse man wissen, was man tue, wenn man Nazis wähle“ (ARD, 19.09.06, Beitrag 21). Da es aber keinerlei Bezug auf die Kompetenz (bzw. Inkompetenz) der Wähler gibt, spiegelt die tagesschau das Bild der Wähler aus dem mdr nur unzureichend wider. Anders ist es bei RTL aktuell, das beide Bewertungsdimensionen aufgreift, die im mdr behandelt werden. Die dritte Bedingung wird in Bezug auf die Bewertungen der Wähler wieder von der LVZ am besten erfüllt: Die ostdeutsche Regionalzeitung enthält alle Dimensionen, die auf nationaler Ebene diskutiert worden sind, aber auch der WAZ fehlt nur eine einzige (undemokratisch). Bei den Fernsehnachrichten kann der BR der Anforderung nicht entsprechen, weil er keinerlei WählerBewertungen anspricht. Und der mdr stellt lediglich die Inkompetenz der Wähler dar und nimmt anders als die nationalen Nachrichten keinerlei Bezug auf deren undemokratische Gesinnung. Die Arenen-Integration in der zweiten Dimension in der Fallstudie ‚Wahlerfolg der NPD’ Die Ergebnisse der ersten Fallstudie zeigen für die betrachteten Teilöffentlichkeiten ein sehr gemischtes Bild. Am besten schneiden die Medien nationaler Reichweite ab, die die zweite Bedingung an eine integrierte Öffentlichkeit überwiegend erfüllen und fast alle Dimensionen der Frame-Elemente, die in den regionalen Medien angesprochen werden, ebenfalls abbilden. Die Ausnahme bildet hierbei die tagesschau, die zwar die meisten Beiträge aller Fernsehnachrichten zum untersuchten Thema ausstrahlt, aber deutlich weniger Dimensionen der Frame-Elemente enthält als die beiden regionalen Sender und RTL aktuell. Unter Umständen könnte dies auf eine bewusste Entscheidung der tagesschau zurückzuführen sein, rechtsextremistischen Parteien keinen Raum in der Berichterstattung einzuräumen, zumindest beziehen sich die fehlenden Dimensionen vor allem auf die NPD. Im Anschluss an die ‚Welle’ rechtsextremistischer Straftaten zu Beginn der 1990er Jahre hatten eine Reihe wissenschaftlicher Untersuchungen auf mögliche Anstiftungseffekte durch die Medienberichterstattung aufmerksam gemacht (Brosius/Esser 1995; Kleinen-von Königslöw et al. 2002). Möglicherweise hält sich die tagesschau, deren Aushängeschild ein besonders seriöser und verantwortungsbewusster Berichterstattungsstil ist50, strenger an die damals ausgesprochenen Empfehlungen. Umso zentraler erscheint daher die zweite Fallstudie, um die Ergebnisse der ersten Fallstudie einzuordnen. 50
vgl. Selbstverständnis 07.07.2008.
der
tagesschau,
http://intern.tagesschau.de/Fragen,
abgerufen
am
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Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
Von den regionalen Medien erfüllen beide ostdeutschen Arenen die an sie gestellten Bedingungen deutlich besser als ihre westdeutschen Pendants. Die ostdeutsche Regionalzeitung greift nur bei den Folgen nicht alle Dimensionen des Frame-Elements auf, über die in der WAZ berichtet wird. Zudem spiegelt die Berichterstattung der LVZ fast alle Dimensionen wider, die in den Zeitungen nationaler Reichweite thematisiert worden sind. Der mdr wiederum bietet eine vielseitigere Bewertung des Ereignisses, der sonstigen Politiker und der Wähler als das Bayerische Fernsehen. Im Vergleich zu den nationalen Fernsehnachrichten spricht er allerdings mehrfach jeweils andere Dimensionen an, insbesondere als RTL aktuell. Die westdeutschen Medien schneiden dagegen durchgehend schlechter ab, die Berichterstattung der Bayerischen Rundschau deckt nur bei der Bewertung der NPD alle Dimensionen ab, die in der ostdeutschen Regionalsendung diskutiert worden sind. Die westdeutsche Zeitung entspricht nur in der Bewertung des Ereignisses und der sonstigen Politiker der LVZ. Allerdings ist zu bedenken, dass dieses Thema für die beiden ostdeutschen Medien einen höheren Nachrichtenwert gehabt haben wird als für ihre westdeutschen Pendants: Die geographische und kulturelle Nähe zu Mecklenburg-Vorpommern ist größer, außerdem ist eine höhere Betroffenheit zu vermuten, weil die NPD ebenfalls im sächsischen Landesparlament sitzt. Auch hier sind die Ergebnisse der zweiten Fallstudie abzuwarten, um zu entscheiden, inwieweit dies einer generellen Tendenz entspricht oder doch auf das spezielle Thema zurückzuführen ist. Inhaltlich betrachtet ist die Öffentlichkeit am ehesten integriert, wenn die Medien die Bewertung der NPD, der sonstigen Politiker und des Ereignisses selbst diskutieren. Bei diesen Frame-Elementen werden jeweils zwei von drei Bedingungen an eine integrierte Öffentlichkeit erfüllt. Am weitesten auseinander liegt die Berichterstattung der untersuchten Teilöffentlichkeiten bei den Folgen des Ereignisses, letztlich entspricht nur ein einziges Medium den Bedingungen an eine arenen-integrierte Öffentlichkeit. Kurioserweise ist es RTL aktuell, das dieselben Folgedimensionen diskutiert wie die regionalen Sender. Dass mdr und BR ihrerseits Teil der Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten Deutschlands sind, von der auch die tagesschau produziert wird und innerhalb derer Kooperationen und Austauschbeziehungen bestehen, scheint sich – zumindest bei diesem Thema – nicht auf die Ähnlichkeit der Berichterstattung ausgewirkt zu haben. Auch wenn sie nicht in die Bewertung der Gesamtöffentlichkeit miteinfließt, soll hier kurz die Berichterstattung der BILD beim Thema NPD-Erfolg angesprochen werden: Erwartungsgemäß schneidet die BILD bei einem Vergleich mit der Berichterstattung sowohl der regionalen als auch der nationalen Presse sehr schlecht ab. Nur bei einem einzigen Frame-Element zeigt sie eine ebenso vielseitige Berichterstattung wie die anderen Medien: bei der Bewertung der Wähler Mecklenburg-Vorpommerns. Möglicherweise hängt dies mit dem Selbst-
Dimension 2: Ähnlichkeit der Diskurse
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verständnis der Zeitung als Boulevard-Blatt zusammen, zudem es auch gehört, dem ‚Volk’, seinen Meinungen und Problemen verhältnismäßig viel Aufmerksamkeit und Raum zu geben. Tabelle 37: Ergebnisübersicht für die Dimension Ähnlichkeit der Diskurse in der Fallstudie ‚Wahlerfolg der NPD’ Öffentlichkeitsarenen WAZ
LVZ
[BILD]
BR
mdr
ARD
RTL
SZ
Ursachen Ost-West + n.z. n.z. n.z. reg-nat n.z. n.z. n.z. n.z. n.z. + nat-reg + + n.z. n.z. n.z. Folgen Ost-West n.z. n.z. n.z. reg-nat n.z. n.z. n.z. n.z. n.z. + nat-reg n.z. n.z. n.z. Bew. Ereignis Ost-West + + + n.z. n.z. n.z. reg-nat n.z. n.z. n.z. n.z. n.z. + nat-reg + + n.z. n.z. n.z. Bewertung NPD Ost-West + + + n.z. n.z. n.z. reg-nat n.z. n.z. n.z. n.z. n.z. + + nat-reg + + n.z. n.z. n.z. Bew. Politiker Ost-West + + + n.z. n.z. n.z. reg-nat n.z. n.z. n.z. n.z. n.z. + + + nat-reg n.z. n.z. n.z. Bew. Wähler Ost-West + + + n.z. n.z. n.z. reg-nat n.z. n.z. n.z. n.z. n.z. + + nat-reg + + n.z. n.z. n.z. 5/12 9/12 [2/12] 1/12 4/12 1/6 4/6 5/6 Summe + die Dimensionen des Frame-Elements im jeweiligen Medium decken Ost-West: die Dimensionen im Medium aus der jeweils anderen Region ab reg-nat: die Dimensionen in beiden regionalen Medien ab nat-reg: die Dimensionen in beiden nationalen Medien ab - die Dimensionen des Frame-Elements im jeweiligen Medium decken Ost-West: die Dimensionen im Medium aus der jeweils anderen Region nicht ab reg-nat die Dimensionen in beiden regionalen Medien nicht ab nat-reg die Dimensionen in beiden nationalen Medien nicht ab n.z. nicht zutreffend Basis: Alle Beiträge zum Thema ‚Landtagswahl 2006 in Mecklenburg-Vorpommern’ (n=173).
FAZ n.z. + n.z. n.z. n.z. n.z. n.z. n.z. + n.z. n.z. + n.z. n.z. + n.z. 4/6
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4.2.2.2 Fallstudie 2: Muslime in Deutschland Dem Thema der zweiten Fallstudie ‚Muslime in Deutschland’ lassen sich innerhalb des Untersuchungszeitraums zwei zentrale Ereignisse zuordnen: die Absetzung der Mozart-Oper Idomeneo an der Deutschen Oper Berlin aus Angst vor islamistischen Anschlägen (bekannt geworden am 26.09.06) und die Auftaktveranstaltung zur Deutschen Islamkonferenz auf Einladung von Innenminister Wolfgang Schäuble am 27.09.06 in Berlin. Die Diskussion des Themas ist entsprechend durch neun Frame-Elemente geprägt: Ursachen, Folgen und Bewertung der Opernabsetzung, Ursachen, Folgen und Bewertung der Islamkonferenz, Bewertung der deutschen Muslime, Bewertung der Politiker, Bewertung der Mehrheitsgesellschaft (vgl. Abbildung 16). Abbildung 16: Überblick über Frame-Elemente und Dimensionen in der Fallstudie ‚Muslime in Deutschland’ Relationen
Bewertungen
Ursachen der Opernabsetzung: - Art der Gefahr - Tatsächlichkeit der Bedrohung - Urheber der Bedrohung - Beteiligung LKA - Unumgänglichkeit der Entscheidung
Ereignis Opernabsetzung: - Entscheidung richtig - Entscheidung falsch
Folgen der Opernabsetzung - Folge-Handlungen - Folge-Forderungen: - an Deutsche Oper - an Mehrheitsgesellschaft - an deutsche Muslime - Folge-Aussagen: - für die Deutsche Oper - für die Freiheitsrechte - für das Zusammenleben von Christen und Muslimen Ursachen der Islam-Konferenz: - Anlässe Folgen der Islam-Konferenz - Folge-Handlungen: - der Konferenzteilnehmer - des Staates - Folge-Forderungen: - an die Konferenz - an Ergebnisse allgemein - an Ergebnisse konkret - an die deutschen Muslime - an den Staat - an die Mehrheitsgesellschaft
Ereignis Islamkonferenz: - Ertrag - Bedeutung - Atmosphäre - Zusammensetzung Akteur Muslime in Deutschland - Religiosität: - fromm - säkularisiert -Kompetenz: - kompetent - inkompetent - Integration: - integriert - nicht integriert - Homogenität: - vielfältiger Islam - homogener Islam Akteur Politiker - Kompetenz: - kompetent - inkompetent Akteur Mehrheitsgesellschaft - Toleranz: - tolerant - intolerant - Werte: - positive Werte - keine Werte
Dimension 2: Ähnlichkeit der Diskurse
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Beschreibung der Frame-Elemente in der Fallstudie ‚Muslime in Deutschland’ Im Folgenden wird ein Überblick über die Dimensionen und Ausprägungen der verschiedenen Frame-Elemente in der Fallstudie zu Muslimen in Deutschland gegeben, die genauen Definitionen und Ankerbeispiele sind dem Kodebuch zu entnehmen.51 Wie in der Beschreibung der ersten Fallstudie sind die Dimensionen im Folgenden kursiv gesetzt, die >Ausprägungen< in Pfeilspitzen. Frame-Element 1: Ursachen der Opernabsetzung Anders als beim NPD-Erfolg wird beim Ereignis Opernabsetzung in der Regel eine relativ eindeutige Ursachenzuordnung in den Beiträgen vorgenommen, z.B. mit Formulierungen wie „aus Sorge vor islamistischer Gewalt wird die MozartOper ,Idomeneo’ vom Spielplan gestrichen“ (BILD, 27.09.06, B18). Als Ursache der Opernabsetzung wird in diesem Textbeispiel klar auf die „Sorge vor islamistischer Gewalt“ verwiesen. Unter Umständen muss die Ursachenzuordnung aber durch den Kodierer erfolgen, z.B. wenn im Kontext der Opernabsetzung auf Aussagen verwiesen wird, die sachlogisch als Ursache der Opernabsetzung in Frage kämen. Die Ursachen des Ereignisses variieren auf einer Reihe von Dimensionen. Zum einen kann die Art von Gefahr näher bestimmt werden, die als Anlass für die Opernabsetzung erwähnt wird. Besteht die Gefahr aus ‚Protesten’ und ‚Empörung’ (>Protest, Empörung<), wie in einem Beitrag des mdr, dem zufolge die Oper aus „Angst vor Anfeindungen“ (mdr, 26.09.06, Beitrag 21) abgesetzt worden ist? Oder aber erscheint die Gefährdung gravierender, weil Schlüsselwörter wie ‚Gewalt’ oder ‚Terror’ verwendet werden (>Gewalt, Terror<), z.B. in der BILD: „Die Deutsche Oper hat die weltberühmte Mozartoper ‚Idomeneo’ abgesetzt – aus Furcht vor gewalttätigen Moslems!” (BILD, 27.09.06, B17)? Zum anderen kann die Tatsächlichkeit der Bedrohung variieren. In der Bayerischen Rundschau wird die Bedrohung als tatsächlich vorhanden beschrieben (Tatsächlichkeit: >vorhanden<): „Wegen Mohammeds Enthauptung habe es, sagte heute die Intendantin der Deutschen Oper, gegen die Inszenierung massive Drohungen gegeben“ (BR, 26.09.06, Beitrag 13). In vielen Beiträgen wird die Bedrohung aber nur >befürchtet<, und die Intendantin handelt ‚aus Sorge’ oder ‚aus Furcht’ heraus. Die Tatsächlichkeit kann noch weiter abgeschwächt sein, wenn nur von einer vagen Möglichkeit der Gefährdung gesprochen wird (>möglich<). Unter Umständen kann die Gefährdung explizit als >nicht vorhanden< dargestellt werden, wie beispielsweise in der FAZ:
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Das Kodebuch ist auf Anfrage bei der Autorin erhältlich.
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Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit „Bislang habe weder eine konkrete Terrordrohung gegen die Oper vorgelegen, noch habe eine islamische Organisation einen Hinweis gegeben, das Stück verletze womöglich die religiösen Gefühle von Muslimen“ (FAZ, 26.09.06, B4).
Eine weitere Dimension bei der Einschätzung der Ursachen ist der genannte Urheber der Bedrohung: Geht die Gefährdung laut Beitragsdarstellung von >Islamisten< aus, oder wird deren Beteiligung explizit ausgeschlossen? Zudem können die Beiträge in Bezug auf die diskutierte Beteiligung des LKA dahingehend unterschieden werden, inwieweit die Absetzung auf Empfehlung des LKA erfolgt (Beteiligung LKA: >vorhanden<) oder aber die Intendantin dies eigenmächtig entschieden hat. Eine letzte Dimension bezieht sich auf die Unumgänglichkeit der Entscheidung, d.h. die Frage, inwieweit Alternativen zur Absetzung der Oper diskutiert worden sind. Zum Beispiel hätte laut SZ vom 28.09.06 (B1) bereits ein „Verzicht der Abbildung des Propheten Mohammed auf Plakaten” zur Veranstaltung „gefährdungsmindernd” wirken können. Alternativ hätte man die kritische Szene aus der Inszenierung nehmen (beides unter >Änderungen<) oder der Deutschen Oper zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen anbieten können (>Sicherheitskonzepte<). Unter Umständen wird explizit gemacht, dass es keine Alternativen zu einer Absetzung der Oper gegeben habe (>keine Alternativen<). Abbildung 17: Überblick über Dimensionen und Ausprägungen des FrameElements ‚Ursachen der Opernabsetzung’ Ursachen für die Opern-Absetzung Art der Bedrohung - Gewalt, Terror - Protest, Empörung Urheber der Bedrohung - Islamisten - keine Islamisten
Tatsächlichkeit der Bedrohung - vorhanden - befürchtet - möglich - nicht vorhanden
Unumgänglichkeit - Änderungen - Sicherheitskonzepte - keine Alternativen
Empfehlung LKA - vorhanden - nicht vorhanden
Frame-Element 2: Folgen der Opernabsetzung Die Folgen der Opernabsetzung gliedern sich wie in der ersten Fallstudie in die drei Bereiche Folge-Handlungen, Folge-Forderungen und Folge-Aussagen. Unter Folge-Handlungen fallen beim Ereignis Opernabsetzung das erhöhte Interesse an der Deutschen Oper (>Aufmerksamkeit für Dt. Oper<) sowie die Thematisierung des Ereignisses auf der Deutschen Islamkonferenz (>Thema bei Islamkonferenz<). Die Folge-Forderungen im Kontext dieses Ereignisses lassen sich in drei Gruppen einteilen: Zum einen beziehen sie sich auf die Deutsche Oper bzw. die
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Inszenierung der Mozart-Oper. Darunter fällt beispielsweise die Forderung, die Inszenierung wieder in den Spielplan zu nehmen (>Wiederaufname<): „Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckhardt forderte Deutsche-Oper-Intendantin Kirsten Harms auf, die Mozart-Oper wieder ins Programm zu nehmen“ (BILD, 28.09.06, B23). Zudem wird gefordert, die Islamkonferenz sollte gemeinsam die Inszenierung besuchen (>Islamkonferenz besucht Oper<), die >Sicherheitsmaßnahmen< für die Deutsche Oper sollten verstärkt werden, oder aber die Intendantin Kirsten Harms solle zurücktreten (>Rücktritt Harms<). Eine weitere Gruppe von Forderungen ist an die deutsche (Mehrheits-) Gesellschaft adressiert: Diese solle >Stärke beweisen< und ihre Freiheitsrechte verteidigen: „Die Freiheitsrechte in Europa sind der Erfolg eines jahrhundertelangen Kampfes, der viele Opfer gekostet hat. Bei diesen Errungenschaften darf man nicht einen Schritt zurückweichen. Wir alle sollten darauf achten, daß sich so etwas wie in Berlin nicht wiederholt“ (El Pais, zitiert in FAZ, 29.09.06, B20).
Mitunter wird gefordert, „eine Debatte zu führen, wie die Freiheit der Kunst in Berlin vor dem Hintergrund auch realer Sicherheitsrisiken zukünftig gewahrt werden kann“ (FAZ, 27.09.06, B3) (>Debatte über Freiheitsrechte<). Zudem richtet sich eine Forderung an die in Deutschland lebenden Muslime: Sie sollen Stellung beziehen und sich von islamistischer Gewalt >distanzieren<). Abbildung 18: Überblick über Dimensionen und Ausprägungen des FrameElements ‚Folgen der Opernabsetzung’ Folgen der Opern-Absetzung Folge-Handlungen: - Aufmerksamkeit für Dt. Oper - Thema bei Islamkonferenz
Folge-Forderungen - an die Deutsche Oper: - Wiederaufnahme - Islam-Konferenz besucht Oper - Sicherheitsmaßnahmen - Rücktritt Intendantin - an die Mehrheitsgesellschaft - Stärke beweisen - Debatte über Freiheitsrechte - an die Muslime: - Distanzierung
Folge-Aussagen - für Deutsche Oper: - Gefährdung Deutsche Oper - muslimische Proteste - für die Freiheitsrechte - mehr Forderungen der Muslime - mehr Kultur überprüfen - mehr Furcht - gefährdet Freiheitsrechte - für Zusammenleben in Deutschland - mehr Vorurteile - gefährdet Dialog
Folge-Aussagen beziehen sich entweder auf die Deutsche Oper, für die befürchtet wird, dass die Debatte um die Absetzung der Oper erst zu einer tatsächlichen >Gefährdung der Deutschen Oper< und ihrer Mitarbeiter durch muslimische Extremisten geführt hat. Möglicherweise könnte die Debatte Proteste in musli-
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mischen Ländern gegen die Deutsche Oper auslösen, wie es sie bereits bei den dänischen Mohammed-Karikaturen gegeben hatte (>muslimische Proteste<). Ein zentraler Block von Folge-Aussagen befasst sich mit den (deutschen) Freiheitsrechten. Es wird befürchtet, dass sich die westliche Welt erpressbar macht, wenn sie auf die Bedrohung durch Islamisten so reagiert (>mehr Forderungen der Muslime<). Dies würde bedeuten, dass man diverse weitere Kulturgüter dahingehend überprüfen müsste, inwieweit sie muslimische Gefühle verletzen könnten (>mehr Kultur überprüfen<). Es könnte dazu kommen, dass die Furcht vor muslimischer Gewalt zum Alltag in der westlichen Welt wird (>mehr Furcht<). Und schließlich finden sich Folge-Aussagen zu den Auswirkungen der Opernabsetzung auf das Zusammenleben zwischen Christen und Muslimen in Deutschland: Zum einen wird befürchtet, dass die Muslime durch solche Ereignisse ‚unter Generalverdacht’ geraten könnten (>mehr Vorurteile<), und dass die Opernabsetzung den Dialog zwischen Christen und Muslimen, wie er im Rahmen der Islamkonferenz stattfinden sollte, gefährden könnte (>gefährdet Dialog<). Frame-Element 3: Bewertungen des Ereignisses Opernabsetzung Die Bewertung des Ereignisses Absetzung der Mozart-Oper orientiert sich an der zentralen Frage, ob die Entscheidung der Intendantin, die Oper abzusetzen, richtig oder falsch ist? Zusätzlich zu der allgemeinen Grundposition lässt sich unterscheiden, auf welcher Basis die Entscheidung bewertet wird, d.h. auf Basis der Sachlage, der der Entscheidung zugrunde liegenden Werte, ihrer Effektivität oder der generellen Folgen. Beispielsweise kann die Opernabsetzung als falsch beurteilt werden, weil keine reale Bedrohung vorhanden gewesen sei (>Sachlage falsch<). So verurteilt sie die SZ als „der vorauseilende Gehorsam der Chefin des zweitgrößten deutschen Opernhauses aufgrund eines vagen Hinweises“ (SZ, 27.09.06, B7). Ebenso können die der Entscheidung zugrunde liegenden Werte als falsch eingestuft werden (>Werte falsch<), dies ist beispielsweise der Fall, wenn argumentiert wird, die Freiheit der Kunst sei wichtiger als die Sorge der Intendantin um ihre Mitarbeiter, oder aber wenn es heißt, die Freiheit der Kunst sei das höchste Gut und stünde über der Rücksichtnahme vor den religiösen Gefühlen anderer. In der SZ erfolgt die Bewertung der Entscheidung auch über deren Effektivität (>Ineffektiv<): „Erreicht hat sie vermutlich das Gegenteil, denn dank des Medienechos sind islamistische Gruppen in aller Welt jetzt vermutlich hinlänglich auf das religionskritische Potenzial der seit Mai 2004 nicht mehr gezeigten Inszenierung aufmerksam geworden“ (SZ, 27.09.06, B7).
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Eine Bewertung des Ereignisses kann auch über die sonstigen vermuteten Folgen geschehen (>Folgen generell negativ<): „Die Intendantin hat ihrem Theater gewiß nur nützen wollen. Aber sie hat dabei die Institution des bürgerlichen Theaters an seiner Basis beschädigt“ (FAZ, 27.09.06, B11). Abbildung 19: Überblick über Dimensionen und Ausprägungen des FrameElements ‚Bewertung des Ereignisses Opernabsetzung’ Bewertung Ereignis: Opern-Absetzung - Entscheidung richtig: - Sachlage richtig (Bedrohung vorhanden) - Werte richtig (Respekt vor Religionen/Sicherheit wichtiger als Freiheit der Kunst) -Entscheidung falsch: - Sachlage falsch (keine Bedrohung) - Werte falsch (Freiheit der Kunst ist höchstes Gut) - Ineffektiv (gefährdet Dt. Oper) - Folgen generell negativ
Frame-Element 4: Ursachen für die Islamkonferenz Beim zweiten Ereignis dieser Fallstudie, der Auftaktveranstaltung der Deutschen Islamkonferenz (im Folgenden: Islamkonferenz oder IK) liegt eine andere Ursachenstruktur vor als beim Wahlerfolg der NPD oder der Absetzung der MozartOper. Im Vorfeld der Auftaktveranstaltung werden sowohl Anlässe, also konkrete Ereignisse, aufgrund derer die Konferenz initiiert worden ist, als auch Ziele der Konferenz diskutiert, die als Ursachen des Ereignisses verstanden werden können. Beispielsweise schreibt die BILD zur IK: „Innenminister Schäuble (CDU) hat für den 27. September die erste Deutsche Islamkonferenz einberufen: ‚Sie soll die Integration der Muslime in Deutschland verbessern’“ (BILD, 26.09.06, B26). Demnach hätte die IK das Ziel, die Integration der Muslime in Deutschland zu verbessern, daraus ließe sich logisch die mangelhafte Integration der Muslime in Deutschland als Ursache für die IK ableiten. In dieser Untersuchung wird aber aus zwei Gründen darauf verzichtet, aus den genannten Zielen der IK Ursachen abzuleiten. Zum einen würde dies überwiegend nicht der Darstellung in den Beiträgen entsprechen, wo durchgehend von Zielen, aber nicht von Ursachen gesprochen wird. Zum anderen würde sich dadurch eine unnötige und verwirrende Dopplung mit den Folge-Forderungen ergeben. Durch den besonderen Charakter dieses Ereignisses, das eine Auftaktveranstaltung für einen längeren Diskussionsprozess darstellt, besteht die öffentliche Diskussion des Ereignisses fast ausschließlich aus Forderungen an den mit dem Ereignis angestoßenen Dialog. Was im Vorfeld der Auftaktveranstaltung als Ziel genannt wird, wird entsprechend im direkten Anschluss an das Ereignis als Forderung
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wiederholt (da innerhalb der zweistündigen Veranstaltung allein kaum die Einlösung der erwähnten Ziele möglich gewesen wäre). Als Anlass der Einrichtung der IK kommen verschiedene Ereignisse in Frage, bei denen es zu Konflikten zwischen Muslimen und der deutschen Mehrheitsgesellschaft gekommen ist, Beispiele hierfür wären der Streit um die in dänischen Zeitungen veröffentlichten Mohammed-Karikturen (>Karikaturenstreit<) oder verschiedene ‚Ehrenmord’-Prozesse gegen Muslime (>sonstige Anlässe<). Die Verbindung zwischen Anlass und IK sollte in den Beiträgen klar herausgestellt werden, wie in der WAZ: „Schäuble hatte die Konferenz vor dem Hintergrund des Karikaturen-Streits initiiert“ (WAZ, 26.09.06, B6). In anderen Worten, für die IK werden nur explizite Anlässe kodiert und nicht Ereignisse, die möglicherweise Anlass hätten sein können. Abbildung 20: Überblick über Dimensionen und Ausprägungen des FrameElements ‚Ursachen der Islamkonferenz’ Ursachen für die Islamkonferenz Anlässe - Karikaturenstreit - sonstige Anlässe
Frame-Element 5: Folgen der Islamkonferenz Wie bereits erwähnt hat das Ereignis ‚Auftaktveranstaltung der Islamkonferenz’ einen anderen Charakter als die bisher analysierten Ereignisse, weil es nur den Beginn einer Ereignisfolge – der weiteren Sitzungen der Islamkonferenz – markiert. Auf das Frame-Element Folgen hat dies zweierlei Auswirkungen: Zum einen führt es dazu, dass die Diskussion des Ereignisses von Folge-Forderungen dominiert wird. Zum anderen kann nicht zwischen Folge-Forderungen und Folge-Aussagen unterschieden werden. Die genannten Folgen-Aussagen beziehen sich immer auf die Islamkonferenz im Ganzen, nicht allein auf die Auftaktveranstaltung, dadurch entsprechen sie sprachlich und inhaltlich Forderungen an die Islamkonferenz. Aus diesem Grund wird auf die Kodierung von Folge-Aussagen verzichtet, und nur die Bereiche Folge-Handlungen und Folge-Forderungen werden unterschieden. Zum ersten Folgenbereich zählen einerseits Handlungen der Konferenzteilnehmer, die Ablehnung religiös motivierter Gewalt durch die muslimischen Teilnehmer (>Ablehnung Gewalt<) ebenso wie ihr Bekenntnis zum Grundgesetz (>Anerkennung Grundgesetz<): „[Schäuble:] Alle haben das ohne jeden Vorbehalt gesagt, dass natürlich die Grundlage für alle das Grundgesetz“ ist (ARD,
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27.09.06, Beitrag 2). Andererseits fallen darunter staatliche Handlungen wie die >Bundestagsdebatte< zur IK am folgenden Tag. Die Forderungen gliedern sich in Forderungen an die Islamkonferenz an sich, an die Muslime in Deutschland, an den Staat und an die deutsche Mehrheitsgesellschaft. Von der Konferenz wird zunächst >Ehrlichkeit und Offenheit< gefordert: „Wenn die Integration von Menschen, die aus einer fremden Religions- und Kulturwelt wie dem Islam stammen, mehr sein soll als eine Floskel, muß es den jetzt angestoßenen Dialog geben, in Ehrlichkeit und ohne taktisch oder gesinnungsethisch bedingtes Verschweigen oder Beschönigen“ (FAZ, 28.09.06, B2)
Zwei Forderungen befassen sich mit der Zusammensetzung der Islamkonferenz: Einerseits wird gefordert, noch mehr Bevölkerungsgruppen in den Dialog mit einzubeziehen, z.B. Vertreter der christlichen oder jüdischen Religion oder aber auch ‚normale’ Bürger (>Erweiterung des Dialogs<). Andererseits wird die Forderung geäußert, die so genannten ‚Kulturmuslime’, die muslimischen Einzelpersonen, die von Wolfgang Schäuble eingeladen worden waren, um die säkularen Muslime zu repräsentieren, aus dem Dialog wieder auszuschließen (>Ausschluss Kulturmuslime<). Des Weiteren werden sowohl allgemeine als auch konkrete Forderungen aufgestellt, was durch die IK erreicht werden soll (Ergebnisse allgemein bzw. Ergebnisse konkret): Zu den allgemeinen Forderungen gehört die >Verbesserung des Zusammenlebens< zwischen Deutschen und Muslimen in Deutschland, die Verbesserung der inneren Sicherheit (>Sicherheitsbedenken<), sowie die Erstellung und Anerkennung eines >Gesellschaftsvertrags< bzw. von Leitlinien, der bzw. die „verbindliche Regeln für das Zusammenleben festschreib[en]“ (LVZ, 28.09.06, B34). Zusätzlich wird eine Reihe konkreter Probleme angeführt, deren Lösung von der IK gefordert wird (Dimension konkrete Ergebnisse): „Allen gemeinsam ist die Hoffnung, daß am Ende dieser Konferenz in zwei Jahren Entscheidungen gefällt werden: über die Ausbildung von islamischen Geistlichen, den Islam-Unterricht in der Schule, die Gleichstellung des Islams mit den anderen Religionen“ (FAZ, 01.10.06, B2).
Neben den in diesem Zitat genannten Problemen (>Islamunterricht< und >Imamausbildung<) werden Regelungen zum >Moscheebau< oder dem >Sportunterricht für Mädchen< genannt. Eine weitere Gruppe von Forderungen ist an die in Deutschland lebenden Muslime adressiert. Zentral ist an dieser Stelle die Forderung, die Muslime müssten das deutsche Grundgesetz oder die deutsche Rechtsordnung anerkennen bzw. insbesondere einzelne Rechte wie die Meinungsfreiheit oder einzelne Gerichtsurteile wie das Kopftuchverbot akzeptieren
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(>deutsche Gesetze akzeptieren<). Des Weiteren werden die Muslime ganz allgemein aufgefordert, >sich besser zu integrieren< und in der deutschen Gemeinschaft zu engagieren. Dazu zählen auch Forderungen, die Muslime sollten die deutsche Sprache (besser) lernen, auf Deutsch predigen, sich säkularisieren und die christlich geprägten Werte und Regeln der deutschen Mehrheitsgesellschaft akzeptieren (>christliche Regeln akzeptieren<). Weitere zentrale Forderungen beinhalten, dass sich die Muslime auf eine gemeinsame Interessenvertretung, einen gemeinsamen Ansprechpartner für den Staat einigen (>gemeinsame Vertretung<) und religiös motivierte Gewalt klar ablehnen sollten (>Ablehnung Gewalt<). An den Staat ergeht im Kontext der IK die Forderung, den Islam als Religionsgemeinschaft anzuerkennen (>rechtliche Anerkennung Islam<). „Alboga äußerte die Hoffnung, dass am Ende des Dialogprozesses die rechtliche und gesellschaftliche Anerkennung der Muslime als Körperschaft des öffentlichen Rechts stehe“ (LVZ, 28.09.06, B34). Des Weiteren wird er zu mehr konkreter >Integrationspolitik< aufgefordert, von staatlich geförderten Sprachprogrammen bis hin zu Quoten für den öffentlichen Dienst. Einzelne Stimmen stellen heraus, der Staat solle sich aus Glaubensfragen heraushalten (>Akzeptanz Glaube=Privatangelegenheit<): „Aber: Es gibt in jedem Glauben einen unvergänglichen, überlebensstarken Glutkern. Und da hat sich auch der Staat nicht einzumischen. Der Glaube als Privatangelegenheit muß unangetastet bleiben“ (FAZ, 01.10.06, B2).
Die deutsche Mehrheitsgesellschaft wird aufgefordert, für ihre christlichen Werte besser einzustehen (>für christliche Werte einstehen<): „Und wir müssen bereit sein, für unsere christlich geprägten westlichen Werte einzustehen. Die über Jahre zelebrierte rot-grüne Multikulti-Ideologie hat den Eindruck vermittelt, wir müssen für unsere Werte gar nicht mehr kämpfen. Das war ein Riesenirrtum“ (BILD, 01.10.06, B12).
Gleichzeitig sollte sie versuchen, ihre Vorurteile gegenüber Muslimen abzubauen (>Vorurteile abbauen<) und zu akzeptieren, dass „der Islam Teil unseres Landes ist“ (Schäuble im BR, 27.09.06, Beitrag 2).
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Abbildung 21: Überblick über Dimensionen und Ausprägungen des FrameElements ‚Folgen der Islamkonferenz’ Folgen der Islamkonferenz Folge-Handlungen - der Konferenzteilnehmer: - Ablehnung von Gewalt - Anerkennung Grundgesetz - des Staates: - Bundestagsdebatte
Folge-Forderungen - an die Konferenz-Teilnehmer: - Ehrlichkeit - Ausweitung Dialog - Ausschluss ‚Kulturmuslime‘ - Ergebnisse allgemein: - Zusammenleben verbessern - Sicherheitsbedenken - Gesellschaftsvertrag - Ergebnisse konkret: - Imamausbildung - Islamunterricht - Moscheebau - Sportunterricht für Mädchen - an die (dt.) Muslime - Anerkennung deutscher Gesetze (Grundgesetz, Meinungs-, Religionsfreiheit, Gleichberechtigung, säkularer Staat, Kopftuchverbot) - Ablehnung Gewalt - (christliche) Werte anerkennen - sich besser integrieren (Deutsch lernen, Deutsch predigen, sich säkularisieren, Kritikfähigkeit) - gemeinsame Vertretung -an den Staat - rechtliche Anerkennung des Islams - Akzeptanz Glaube=Privatangelegenheit - Integrationspolitik - an die Mehrheitsgesellschaft - für christliche W erte einstehen - Vorurteile abbauen
Frame-Element 6: Bewertung des Ereignisses Islamkonferenz Die Bewertungen des Ereignisses Islamkonferenz lassen sich auf vier Achsen erfassen: Ertrag, Bedeutung, Atmosphäre und Zusammensetzung. Unter Ertrag wird kodiert, inwieweit dem Ereignis eher ein rein symbolischer Wert (Dimension: symbolische Geste) oder ein konkreter Ertrag zugeordnet wird. So wird in der tagesschau vor allem die symbolische Bedeutung beschrieben: „Dennoch ist es das erste Mal, dass der deutsche Staat Muslime an einen Tisch bittet und damit ein Tag von besonderer Symbolik“ (ARD, 27.09.06, Beitrag 2). Wolfgang Schäuble streicht dagegen im SZ-Interview heraus, dass die IK einen konkreten Ertrag haben sollte:
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Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit „SZ: Wie konkret soll die Islamkonferenz arbeiten? Schäuble: So konkret wie möglich. Es geht darum, die Zukunft miteinander zugestalten“ (SZ, 26.09.06, B1).
Die Bedeutung bezieht sich darauf, inwieweit dem Ereignis ein eher einzigartiger Charakter zugeschrieben wird, also z.B. eine ‚historische Bedeutung’, oder es als Teil einer Folge oder Reihe dargestellt wird (Dimension: Teil einer Reihe): „Erst das Treffen des Papstes mit islamischen Botschaftern – jetzt der IslamGipfel auf Einladung der Bundesregierung“ (LVZ, 29.09.06, B11). Die Atmosphäre auf der Konferenz kann entweder als harmonisch, einig oder aber als eher zerstritten beschrieben werden, z.B. nennt Schäuble die Aussprache „offen, aber nicht harmonisch“ (BILD, 28.09.06, B23). Die Zusammensetzung kann entweder als gut oder schlecht bewertet werden. Um die Bewertung einordnen zu können, wird zusätzlich erfasst, welche Personen oder Gruppen in der Darstellung des Beitrags als Teilnehmer genannt worden sind: Saßen sich „Fünfzehn Vertreter des ‚Islams’ und ebenso viele des ‚Christentums’“ (FAZ, 28.09.06, B2) gegenüber oder vielmehr „15 Muslime und 14 Vertreter von Bund und Ländern“ (BR, 27.09.06, Beitrag 2)? Abbildung 22: Überblick über Dimensionen und Ausprägungen des FrameElements ‚Bewertung des Ereignisses Islamkonferenz’ Bewertung Ereignis: Islamkonferenz - Ertrag: - symbolische Geste oder - konkreter Ertrag - Bedeutung: - einzigartig oder - Teil einer Reihe („business as usual“) - Atmosphäre: - einig oder - zerstritten - Zusammensetzung: - gut oder - schlecht
Frame-Element 7: Bewertung der in Deutschland lebenden Muslime Für alle Beiträge zu den Ereignissen Opernabsetzung und Islamkonferenz werden die in ihnen enthaltenen Bewertungen der in Deutschland lebenden Muslime erfasst. Die Bewertungen können sich auf folgende Achsen beziehen: Religiosität, Kompetenz, Integration und Homogenität. Für die Kodierung werden alle Bewertungen von Muslimen in den Beiträgen berücksichtigt, außer wenn sie sich explizit auf Muslime beziehen, die nicht in Deutschland leben.
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Obwohl es sich um eine Bevölkerungsgruppe handelt, die über ihre Glaubensrichtung von anderen abgegrenzt wird, müssen ihre Mitglieder nicht notwendigerweise als fromm oder ‚religiös’ beschrieben werden, sie können auch als säkularisiert dargestellt werden. Die Muslime können zudem sowohl als kompetent als auch inkompetent eingeschätzt werden, so schreibt ihnen Wolfgang Schäuble beispielsweise ein „hohes Maß an kultureller Wandlungs- und Anpassungsfähigkeit“ zu (FAZ, 27.09.06, B55). Die Einschätzung der Kompetenz kann insbesondere mit Blick darauf erfolgen, inwieweit die Muslime es schaffen, sich zu organisieren, abzusprechen und sich auf eine gemeinsame Vertretung zu einigen. So urteilt die WAZ (26.09.06, B14): „Wer in diesen Tagen mit Vertretern muslimischer Verbände in Deutschland spricht, der wird zwischen ihren klar formulierten Sätzen unterschwellig vor allem eines vernehmen: Nämlich das Bedürfnis, endlich mit einer Stimme zu reden. Als ob kein Blatt zwischen sie passe, verkünden sie alle dieselben Ziele, angefangen bei der türkeinahen Ditib bis hin zur vom Verfassungsschutz beobachteten Milli Görus: Ja, wir wollen islamischen Religions-Unterricht in Schulen. Ja, Imame können künftig in Deutschland ausgebildet werden.“
Die Integration der deutschen Muslime wird darüber bewertet, inwieweit sie die Werte der deutschen Gesellschaft vertreten, sowohl generell als auch bezogen auf spezifische Grundsätze wie die Gleichberechtigung der Frauen. So verweist Wolfgang Schäuble darauf, dass es „ja auch viele Muslime [gibt], die sagen, die Art, wie im Islam Frauen behandelt werden, entspräche überhaupt nicht ihrer Überzeugung“ (SZ, 26.09.06, B1). Unter integriert werden auch Beschreibungen gefasst, in denen Muslimen sich mit Deutschland identifizieren: „Und ich stelle solche Assimilation im positiven Sinne auch hier fest, wenn ich sehe, wie viele Türken während der Fußball-WM mit einer Deutschlandfahne herumgelaufen sind und gejubelt haben über die Erfolge unserer gemeinsamen Nationalmannschaft“ (FAZ, 25.09.06, B1).
Als nicht integriert werden Muslime charakterisiert, wenn sie dazu aufgefordert werden, die Gesetze und Regeln der deutschen Gesellschaft zu akzeptieren – da diese Aufforderung unterstellt, dass sie dies bisher noch nicht (ausreichend) getan haben. Als mangelnde Integration werden auch fehlende Sprachkenntnisse gewertet, ebenso wie eine eingeschränkte Kritikfähigkeit. So trägt ein Kommentar in der FAZ zur IK den Titel „Beleidigtsein verboten!“ und kritisiert die muslimischen Verbände dafür, dass sie sich vor kritischen Fragen gegenüber dem Verhältnis des Islams zum Terrorismus beleidigt verstecken (27.09.06, B5). Auch alle Beschreibungen der Muslime als gewalttätig oder radikal, bei denen nicht klar zu erkennen ist, dass sie sich auf Muslime außerhalb Deutschlands beziehen, werden unter nicht integriert gefasst.
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Abbildung 23: Überblick über Dimensionen und Ausprägungen des FrameElements ‚Bewertungen der (deutschen) Muslime’ Bewertung Akteur: deutsche Muslime - Religiosität: - fromm - säkularisiert - Kompetenz: - kompetent - inkompetent - Integration: - integriert: - identifizieren sich - akzeptieren christliche Werte - akzeptieren dt. Gesetze (Grundgesetz, Trennung Staat/Kirche, Gleichberechtigung, Kunstfreiheit) - lehnen Gewalt ab - nicht integriert: - verdächtig - gewalttätig - lehnen Gewalt nicht ab - radikal - nicht kritikfähig - sprechen kaum Deutsch - akzeptieren nicht: christliche Werte - akzeptieren nicht: dt. Gesetze (Grundgesetz, Trennung Staat/Kirche, Gleichberechtigung, Kopftuchverbot, Meinungs- und Religionsfreiheit) -Homogenität: - homogen: - Der Islam - Die Muslime - vielfältig: - Euro-Islam - nicht organisiert - überwiegend türkisch
Die Achse Homogenität beschreibt, inwieweit die Muslime in der Öffentlichkeit als homogene Gruppe beschrieben oder auf ihre Vielfältigkeit verwiesen wird, sie kann demnach die Dimensionen homogen oder vielfältig annehmen. Für die Beschreibung als homogene Gruppe werden alle Beiträge kodiert, in denen Aussagen über wörtlich ‚den Islam’ oder ‚die Muslime’ als Ganzes gemacht werden, z.B. in der BILD-Überschrift „Warum kuschen wir vor dem Islam?“ (BILD, 28.09.06, B3). Als vielfältig werden die Muslime bewertet, indem auf die große Bandbreite an bestehenden Strömungen innerhalb des Islams und innerhalb der in Deutschland lebenden Muslime hingewiesen wird, so beispielsweise in den Lübecker Nachrichten (zitiert in der FAZ, 29.09.06, B23): „Es gibt nicht den Islam in Deutschland, sondern eine Bandbreite unterschiedlicher Richtungen und
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Strömungen von konservativ-fundamentalistisch bis aufgeklärt-liberal.“ Dazu zählen insbesondere auch Verweise auf den so genannten ‚Euro-Islam’ als säkulare, westlich-orientierte Strömung, ebenso wie auf die fehlende Organisation in einem zentralen Dachverband. Hierunter fallen auch Verweise darauf, dass die in Deutschland lebenden Muslime türkischer Abstammung sind und sich damit deutlich von anderen muslimischen Gruppen (z.B. arabischer Abkunft) unterscheiden. Auch wenn über Meinungsverschiedenheiten zwischen verschiedenen muslimischen Gruppen in Deutschland berichtet wird, entspricht dies einer Bewertung der deutschen Muslime als vielfältig. Frame-Element 8: Bewertung der Politiker In der zweiten Fallstudie erfolgt die Bewertung der Politiker lediglich in Bezug auf die Kompetenz. Politiker können als inkompetent bewertet worden, indem sie z.B. als selbstgerecht beschrieben werden, wie in der Neuen Presse: „In dem konkreten Fall ist die Intendantin über eine ernsthafte Bedrohung informiert worden. Konsequenzen aus dieser Information zu ziehen, haben die Experten dann der gelernten Musikwissenschaftlerin überlassen. Mit dem Ergebnis, daß die sich für die sicherere Variante entschied - und nun eine Bande tapferer und selbstgerechter Politiker über sie herfällt“ (zitiert in der FAZ, 28.09.06, B15).
Gelegentlich wird den Politikern auch vorgeworfen, sie hätten sich der Integrationsfrage erst viel zu spät angenommen: „Die Politik, die sich mit großer Verspätung des Themas annimmt…“ (Main-Echo, zitiert in der WAZ, 28.09.06, B19). Abbildung 24: Überblick über Dimensionen und Ausprägungen des FrameElements ‚Bewertungen der Politiker’ Bewertung Akteur: Politiker - Kompetenz: - kompetent - inkompetent
Frame-Element 9: Bewertung der deutschen Mehrheitsgesellschaft Die Bewertung der deutschen Mehrheitsgesellschaft geschieht über die ihr zugeschriebenen Werte. Als positive Werte gelten Zuschreibungen der Gesellschaft als christlich oder demokratisch, wenn sie mit konkreten demokratischen Grundsätzen wie Religionsfreiheit oder Gleichberechtigung gleichgesetzt wird. Anders als bei den Muslimen findet eine negative Bewertung der Gesellschaft nicht darüber statt, dass ihr ‚andere’ oder ‚schlechte’ Werte zugeschrieben werden.
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Stattdessen wird bemängelt, dass die Gesellschaft ihre Werte nicht mehr mit Leben erfüllt (Dimension: keine Werte). In der Diskussion um Muslime in Deutschland erscheint der Wert Toleranz besonders zentral und wird deswegen einzeln betrachtet: Als tolerant wird die Gesellschaft beispielsweise bewertet, wenn sie zwischen Extremisten und friedliebenden Muslimen trennt: „Wie wir auch umgekehrt anerkennen: Die Mehrheit der hier lebenden Muslime sind friedliebende Menschen. Wir werfen sie nicht in einen Topf mit radikalen Islamisten und Hasspredigern“ (BILD, 28.09.06, B16).
Die Intoleranz der Mehrheitsgesellschaft wird kodiert, wenn beschrieben wird, die Deutschen hätten Angst vor dem Islam oder viele Vorurteile gegenüber Muslimen. Abbildung 25: Überblick über Dimensionen und Ausprägungen des FrameElements ‚Bewertungen der Mehrheitsgesellschaft’ Bewertung Akteur: Mehrheitsgesellschaft - Werte: - positive Werte: - christlich - demokratisch: Gleichberechtigung, Religions- und Meinungsfreiheit, Trennung Staat/Kirche - gegen Gewalt - keine Werte: - steht nicht für Werte ein -Toleranz: - tolerant: - trennt zwischen Extremisten/Muslimen - intolerant: - Angst vor Islam - viele Vorurteile
Vergleich der Diskurse zu ‚Muslimen in Deutschland’ Inwieweit erfüllen die untersuchten Medien nun die aufgestellten Bedingungen an eine integrierte Öffentlichkeit? In der Berichterstattung zu Muslimen in Deutschland nehmen im Untersuchungszeitraum über die Hälfte der Beiträge eines Mediums Bezug auf einzelne Frame-Elemente der Absetzung der Mozart-Oper Idomeneo. Ursachen, Folgen und Bewertungen dieses Ereignisses spielen dabei jeweils eine ähnlich große Rolle (um die 43 Prozent).
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Die Islamkonferenz nimmt deutlich mehr Raum ein, auf deren FrameElemente wird in zwei Dritteln der Beiträge Bezug genommen. Die Ursachen der Konferenz sind eher unbedeutend, sie werden lediglich in zwei Prozent der Beiträge erwähnt. Der Fokus liegt auf den Folgen, die in fast allen Beiträgen angesprochen werden, die sich mit diesem Ereignis befassen (bzw. in 62 Prozent aller Beiträge zu Muslimen in Deutschland). Wie bereits erwähnt, hängt dies mit dem spezifischen Charakter des Ereignisses zusammen, im Kontext einer Auftaktveranstaltung werden besonders viele Forderungen artikuliert. Bewertungen des Ereignisses sind noch in 40 Prozent der Beiträge eines jeden Mediums Thema. Bei den Bewertungen verschiedener Akteursgruppen stehen die Muslime in Deutschland im Mittelpunkt, fast drei Viertel aller Beiträge zu beiden Ereignissen nehmen Bewertungen der Muslime vor. Aber auch die Mehrheitsgesellschaft, deren Werte und Einstellungen werden noch in der Hälfte der Beiträge diskutiert. Dagegen spielen Politiker in dieser Fallstudie nur eine untergeordnete Rolle, sie werden gerade einmal in 15 Prozent der Beiträge bewertet. Tabelle 38: Häufigkeit der einzelnen Frame-Elemente in der Fallstudie ‚Muslime in Deutschland’ Frame-Elemente
n
Prozent
Prozent gew. 44,4 42,7 42,9 55,7 2,1 61,7 40,2 62,5 71,3 15,1 48,4
Ursachen Opernabsetzung 43 35,2 Folgen Opernabsetzung 49 40,2 Bewertungen Ereignis Opernabsetzung 45 36,9 Opernabsetzung insgesamt 59 48,4 Ursachen Islamkonferenz 4 3,3 Folgen Islamkonferenz 81 66,4 Bewertungen Islamkonferenz 54 44,3 Islamkonferenz insgesamt 83 68,0 Bewertungen Muslime in Deutschland 96 78,7 Bewertungen Politiker 25 21,3 Bewertungen Mehrheitsgesellschaft 71 57,4 Häufigkeit und Anteil der Beiträge mit Aussagen zu den jeweiligen Frame-Elementen. Prozent gewichtet: gewichtet nach Zahl der Beiträge pro Medium, so dass jedes Medium zu gleichen Teilen in den Durchschnitt einfließt. Basis: Alle Beiträge zu den Themen ‚Absetzung der Mozart-Oper’ und ‚Islamkonferenz’ in den neun Medien der Stichprobe (n=122).
Ursachen der Opernabsetzung Beginnen wir mit dem Vergleich der Berichterstattung zur Absetzung der Mozart-Oper in den verschiedenen Öffentlichkeitsarenen. In der Diskussion der Ursachen der Absetzung finden sich am häufigsten Aussagen zur Tatsächlichkeit der Gefahr: Überwiegend wird davon gesprochen, dass die Oper aus Angst vor einer Bedrohung abgesetzt worden sei oder aber wegen einer möglichen Bedro-
200
Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
hung. Sieben Prozent der Beiträge geht explizit darauf ein, dass keine konkrete Bedrohung vorhanden ist. Die Art der Gefahr wird im Schnitt in 35 Prozent der Beiträge besprochen, knapp ein Drittel der Beiträge ordnet die Bedrohung Islamisten zu. Die Beteiligung des LKA ist seltener Thema, die Unumgänglichkeit der Entscheidung wird fast überhaupt nicht diskutiert. Tabelle 39: Ursachen der Opernabsetzung Öffentlichkeitsarenen Anteile in %
WAZ
LVZ
BILD
BR
mdr
ARD
RTL
SZ
FAZ
Ges. gew. 44,4 35,3 23,8 13,2 40,0 4,9 30,3 11,0 6,9 30,0 30,0 1,3 12,2 9,9 2,8 1,7 0,9 0,6 0,3 122
Ursachen generell 30,0 36,4 45,5 33,3 60,0 33,3 100,0 36,4 24,3 +Art der Gefahr 25,0 27,3 36,4 16,7 40,0 33,3 100,0 22,7 16,2 +Gewalt, Terror 25,0 18,2 36,4 20,0 16,7 75,0 9,1 13,5 Protest, Empörung 5,0 9,1 16,7 20,0 16,7 25,0 18,2 8,1 Tatsächlichkeit 30,0 36,4 36,4 33,3 60,0 33,3 75,0 36,4 18,9 vorhanden 5,0 16,7 20,0 2,7 *befürchtet 20,0 36,4 36,4 20,0 33,3 75,0 18,2 13,5 möglich 10,0 16,7 20,0 16,7 25,0 22,7 8,1 nicht vorhanden 10,0 25,0 13,6 13,5 *Urheber 15,0 18,2 27,3 16,7 40,0 16,7 100,0 22,7 13,5 *Islamisten 15,0 18,2 27,3 16,7 40,0 16,7 100,0 22,7 13,5 keine Islamisten 9,1 2,7 Beteiligung LKA 5,0 18,2 16,7 20,0 25,0 9,1 16,2 *vorhanden 5,0 18,2 16,7 20,0 25,0 4,5 nicht vorhanden 9,1 16,2 Unumgänglichkeit 4,5 10,8 Änderungen 4,5 8,1 Sicherheitskonzepte 5,4 keine Alternativen 2,7 n 20 11 11 6 5 6 4 22 37 Anteile der Beiträge mit den entsprechenden Ausprägungen des Frame-Elements ‚Ursachen der Opernabsetzung’. Exakter Test nach Fisher (in R): +p<0.1, *p<0.05, **p<0.01, ***p<0.001 (bezieht sich jeweils auf die gesamte Zeile). Ges. gew.: Durchschnittswert über alle Medien, gewichtet nach der Anzahl der Beiträge pro Medium. Kursiv gesetzte Zeilen sind Dimensionen des Frame-Elements und fassen die einzelnen Ausprägungen sowie eine entsprechende ‚sonstige’ Kategorie zusammen. Basis: Alle Beiträge zu den Themen ‚Absetzung der Mozart-Oper’ und ‚Islamkonferenz’ in den neun Medien der Stichprobe (n=122).
In Bezug auf die Ursachen der Opernabsetzung findet sich ein recht ähnliches Bild in beiden Regionalzeitungen, auch wenn die LVZ das Thema ‚Muslime in Deutschland’ deutlich seltener als die WAZ diskutiert (nur 11 statt 22 Beiträge). Die Art der Bedrohung wird in beiden Regionalzeitungen überwiegend recht dramatisch, als >Gewalt, Terror< dargestellt, die meistens Islamisten zugeschrieben wird. Laut der Berichterstattung sowohl der WAZ als auch der LVZ scheint
Dimension 2: Ähnlichkeit der Diskurse
201
die Absetzung auf eine Empfehlung des Landeskriminalamtes Berlin zurückzugehen. Lediglich bei der Beschreibung der Tatsächlichkeit der Bedrohung weichen die Zeitungen etwas voneinander ab: Während in der LVZ ausschließlich die ‚Angst’ vor einer Bedrohung beschrieben wird, finden sich in der WAZ auch Artikel, in der die Bedrohung als konkret vorhanden dargestellt oder gerade abgestritten wird. Da aber beide Zeitungen dieselben Dimensionen ansprechen, erfüllen sie die erste Bedingung an eine integrierte Öffentlichkeit. Die Berichterstattung der beiden regionalen Fernsehnachrichtensendungen ist bei diesem Ereignis fast identisch, da derselbe Filmbeitrag zur Opernabsetzung in beiden Sendungen ausgestrahlt wird. Auch die Anmoderationen des Filmbeitrags unterscheiden sich nur unwesentlich. Der einzige Unterschied besteht darin, dass der mdr das Thema am nächsten Tag in einer Sprechermeldung erneut aufgreift und dort die Absetzung mit der „Furcht vor islamistischen Anschlägen“ begründet (mdr, 27.09.06, Beitrag 6). Anders als im BR besteht die Gefährdung also nicht nur aus ‚Protesten’. Erfüllen aber auch die nationalen Teilöffentlichkeiten die Anforderungen an eine arenen-integrierte Öffentlichkeit, indem sie alle Dimensionen der FrameElemente aufgreifen, die in den regionalen Medien diskutiert werden? Grundsätzlich sprechen FAZ und SZ alle Dimensionen aus WAZ und LVZ an, bei den einzelnen Ausprägungen sind die Schwerpunkte aber leicht verschoben. So verweist nur die FAZ auf die in der WAZ vertretene Ansicht, dass die Oper aufgrund konkreter Drohungen abgesetzt worden sei. Dafür greift nur die SZ die Vorstellung auf, dass die Absetzung auf einer Empfehlung des LKA beruht. Die nationalen Fernsehnachrichten diskutieren fast alle in ihren regionalen Pendants angesprochenen Dimensionen. Bei der Tatsächlichkeit der Bedrohung nehmen sie aber eine distanziertere Position ein. Anders als die regionalen Nachrichten greifen sie nicht die Aussage der Intendantin auf, „gegen die Inszenierung [habe es] massive Drohungen gegeben“ (mdr/BR, 26.09.06, Beitrag 13 bzw. 22). Stattdessen wird in RTL aktuell und tagesschau lediglich von der Angst vor Drohungen oder einer möglichen Bedrohung gesprochen. Anders als mdr und BR bzw. auch anders als RTL aktuell, diskutiert die tagesschau zudem die Rolle des LKA überhaupt nicht, in der Darstellung der tagesschau geht die Warnung vom Berliner Innensenator aus. Damit entspricht die Berichterstattung der tagesschau nicht der zweiten Bedingung an eine arenen-integrierte Öffentlichkeit. Die dritte Bedingung an eine integrierte Öffentlichkeit, dass die regionalen Medien alle Aspekte aus den nationalen Medien besprechen, wird dagegen bei den Ursachen der Opernabsetzung eher schlecht erfüllt. So werden in den regionalen Zeitungen keinerlei Alternativen zur Absetzung der Oper diskutiert, obwohl SZ und FAZ gleich mehrere Modelle gegeneinander abgewogen haben (Dimension: Unumgänglichkeit der Entscheidung). Des Weiteren findet sich nur
202
Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
in der überregionalen Presse der Hinweis darauf, dass „zu keinem Zeitpunkt […] in dieser Entscheidungskette ein leibhaftiger Islamist im Spiel [war], schon gar nicht als Gewalttäter, nicht einmal als Anrufer.“ (SZ, 30.09.06, B2). Weder in WAZ noch in LVZ wird die Verbindung der Anschlagsdrohung zu den Islamisten jemals abgestritten oder in Frage gestellt. Wenn in FAZ und SZ auf die Rolle des LKA verwiesen wird, so wird meistens deutlich gemacht, dass dieses keinerlei konkrete Empfehlung an die Deutsche Oper ausgesprochen hat. In WAZ und LVZ wird dieser Aspekt dagegen nicht diskutiert. Bei den Fernsehnachrichten ist es RTL aktuell, das insgesamt die größte Vielzahl an möglichen Ursachen der Opernabsetzung anspricht, und zwar in allen Beiträgen im Untersuchungszeitraum, auch in denen, die als Schwerpunktthema die Islamkonferenz haben. Damit ist RTL aktuell die einzige Nachrichtensendung, in der thematisiert wird, dass es „eine ausdrückliche Drohung […] allerdings nicht [gab]“ (RTL, 26.09.06, Beitrag 2). Während der mdr sonst alles erwähnt, was RTL aktuell angesprochen hat, bringt der BR, wie bereits bei der ersten Bedingung besprochen, einen Beitrag weniger zu diesem Thema und unterscheidet sich darum etwas stärker von den nationalen Nachrichtensendungen. Dies betrifft jedoch nur einzelne Ausprägungen, alle auf nationaler Ebene angesprochenen Dimensionen des Frame-Elements werden abgedeckt. Folgen der Opernabsetzung Zu den Folgen der Opernabsetzung gehören vor allem Folge-Forderungen, die in jeweils einem Drittel der Beiträge angesprochen werden, gefolgt von FolgeAussagen (23 Prozent). Folge-Handlungen finden sich nur sehr selten (12 Prozent der Beiträge), meistens wird dann die Thematisierung der Opernabsetzung auf der Islamkonferenz angesprochen. Tabelle 40: Folge-Handlungen der Opernabsetzung Öffentlichkeitsarenen Ges. gew. *Folge-Handlg. 9,1 9,1 16,7 40,0 25,0 8,1 12,0 Aufmerksamkeit 16,7 20,0 2,7 4,4 Thema bei IK 9,1 9,1 20,0 25,0 5,4 7,6 n 20 11 11 6 5 6 4 22 37 122 Anteile der Beiträge mit den entsprechenden Ausprägungen des Frame-Elements ‚Folgen der Opernabsetzung’. Exakter Test nach Fisher (in R): +p<0.1, *p<0.05, **p<0.01, ***p<0.001 (bezieht sich jeweils auf die gesamte Zeile). Ges. gew.: Durchschnittswert über alle Medien, gewichtet nach der Anzahl der Beiträge pro Medium. Kursiv gesetzte Zeilen sind Dimensionen des Frame-Elements und fassen die einzelnen Ausprägungen sowie eine entsprechende ‚sonstige’ Kategorie zusammen. Basis: Alle Beiträge zu den Themen ‚Absetzung der Mozart-Oper’ und ‚Islamkonferenz’ in den neun Medien der Stichprobe (n=122). Anteile in %
WAZ
LVZ
BILD
BR
mdr
ARD
RTL
SZ
FAZ
Dimension 2: Ähnlichkeit der Diskurse
203
Bei den Folge-Forderungen bezieht sich der Großteil auf die Deutsche Oper an sich: Jeweils ein Zehntel der Beiträge fordert die Wiederaufnahme der Inszenierung, verstärkte Sicherheitsmaßnahmen für das Opernhaus, oder dass die Teilnehmer der Islamkonferenz die Inszenierung besuchen sollen. Auch Forderungen an die deutsche Mehrheitsgesellschaft werden öfters artikuliert, so sollen die Deutschen, mehr Stärke zeigen und für ihre Werte einstehen. Die Forderung an die deutschen Muslime, klarer Stellung zu beziehen, spielt dagegen nur eine sehr kleine Rolle. Tabelle 41: Folge-Forderungen der Opernabsetzung Öffentlichkeitsarenen Ges. gew. Folge-Forderungen 40,0 18,2 27,3 16,7 40,0 33,3 75,0 13,6 29,7 32,6 an die Deutsche Oper 35,0 18,2 18,2 16,7 40,0 33,3 75,0 9,1 27,0 30,3 Wiederaufnahme 10,0 9,1 9,1 20,0 25,0 9,1 10,8 10,3 *Islamkonf. in Oper 25,0 9,1 16,7 50,0 4,5 5,4 12,3 Sicherheitsmaßnahmen 5,0 9,1 16,7 20,0 16,7 18,9 9,6 Rücktritt Harms 2,7 0,3 an die Mehrheitsgesell. 20,0 18,2 16,7 20,0 13,6 16,2 11,6 Stärke beweisen 20,0 18,2 16,7 13,6 16,2 9,4 Debatte Freiheitsrechte 5,0 16,7 20,0 9,1 2,7 5,9 an die Muslime 5,0 0,6 Distanzierung 5,0 0,6 n 20 11 11 6 5 6 4 22 37 122 Anteile der Beiträge mit den entsprechenden Ausprägungen des Frame-Elements ‚Folgen der Opernabsetzung’. Exakter Test nach Fisher (in R): +p<0.1, *p<0.05, **p<0.01, ***p<0.001 (bezieht sich jeweils auf die gesamte Zeile). Ges. gew.: Durchschnittswert über alle Medien, gewichtet nach der Anzahl der Beiträge pro Medium. Kursiv gesetzte Zeilen sind Dimensionen des Frame-Elements und fassen die einzelnen Ausprägungen sowie eine entsprechende ‚sonstige’ Kategorie zusammen. Basis: Alle Beiträge zu den Themen ‚Absetzung der Mozart-Oper’ und ‚Islamkonferenz’ in den neun Medien der Stichprobe (n=122). Anteile in %
WAZ LVZ BILD
BR
mdr
ARD RTL
SZ
FAZ
Bei den Folgen der Opernabsetzung unterscheidet sich die Berichterstattung in der west- und ostdeutschen Tageszeitung erheblich. So spricht allein die LVZ eine Folge-Handlung der Opernabsetzung an, nämlich die Diskussion des Themas bei der Islamkonferenz. Bei den Folge-Forderungen beschränkt sich die LVZ dafür auf Forderungen, die sich allein auf die Deutsche Oper beziehen. Diese ergänzt die WAZ nicht nur um die Forderung nach zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen, sie zitiert zudem Klaus Wowereit mit einem Appell an die Mehrheitsgesellschaft: „Unsere Vorstellungen von Offenheit, Toleranz und Freiheit müssen offensiv gelebt werden.” (WAZ, 27.09.06, B5) und fordert eine Diskussion über Freiheitsrechte ein. Außerdem findet sich in der westdeutschen Zeitung die
204
Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
Aufforderung des evangelischen Präses an die muslimischen Verbände in Deutschland, „noch eindeutiger“ Stellung zu beziehen (WAZ, 28.09.06, B22). Tabelle 42: Folge-Aussagen der Opernabsetzung Öffentlichkeitsarenen Anteile in %
WAZ
LVZ
BILD
BR
mdr
ARD
RTL
SZ
FAZ
Ges. gew. 23,2 1,9 0,8 1,6 22,3 4,2
Folge-Aussagen 30,0 18,2 45,5 16,7 20,0 0,0 25,0 31,8 21,6 Deutsche Oper 5,0 9,1 2,7 gefährdet Oper 4,5 2,7 Muslim. Proteste 5,0 9,1 Freiheitsrechte 25,0 18,2 45,5 16,7 20,0 25,0 31,8 18,9 Kultur überprüfen 5,0 9,1 9,1 9,1 5,4 Forderungen 9,1 16,7 20,0 25,0 18,2 8,1 10,8 Muslime mehr Furcht 10,0 18,2 13,6 2,7 4,9 Gefahr Freiheits15,0 9,1 18,2 16,7 20,0 18,2 5,4 11,4 rechte Zusammenleben 5,0 9,1 18,2 9,1 5,4 5,2 mehr Vorurteile 9,1 1,0 gefährdet Dialog 5,0 9,1 18,2 9,1 5,4 5,2 n 20 11 11 6 5 6 4 22 37 122 Anteile der Beiträge mit den entsprechenden Ausprägungen des Frame-Elements ‚Folgen der Opernabsetzung’. Exakter Test nach Fisher (in R): +p<0.1, *p<0.05, **p<0.01, ***p<0.001 (bezieht sich jeweils auf die gesamte Zeile). Ges. gew.: Durchschnittswert über alle Medien, gewichtet nach der Anzahl der Beiträge pro Medium. Kursiv gesetzte Zeilen sind Dimensionen des Frame-Elements und fassen die einzelnen Ausprägungen sowie eine entsprechende ‚sonstige’ Kategorie zusammen. Basis: Alle Beiträge zu den Themen ‚Absetzung der Mozart-Oper’ und ‚Islamkonferenz’ in den neun Medien der Stichprobe (n=122).
Auch bei den Folge-Aussagen bietet die westdeutsche Zeitung ein vielschichtigeres Bild. Die LVZ beschränkt sich darauf, eine Einschränkung der Freiheitsrechte zu befürchten, in dem z.B. weitere Kulturprodukte zu überprüfen wären. Diese Befürchtung kann man zwar auch in allen anderen untersuchten Zeitungen lesen, auffällig ist, dass die LVZ nicht nur danach fragt, welche Kulturprodukte ebenfalls aus Furcht, Muslime zu verärgern, zensiert werden könnten. Allein die LVZ spannt den Bogen weiter und befürchtet eine weitergehende überzogene Rücksichtnahme z.B. vor den Sensibilitäten von Neonazis und DDR-Nostalgikern: „Was ist jetzt noch erlaubt? Etwa ‚Nathan der Weise’ - sollte man ihn aus Furcht vor gewalttätigen Neonazis lieber vom Spielplan nehmen? Oder der Satirestreifen ‚NVA’: Darf der weiter als DVD verkauft werden, obwohl die Lametta-Träger der Volksarmee sich in ihrer Ehre verletzt fühlen?“ (LVZ, 28.09.06, B11).
Dimension 2: Ähnlichkeit der Diskurse
205
Dennoch ist die Bandbreite der Folge-Aussagen in der WAZ etwas größer: So werden konkrete muslimische Proteste gegen die Deutsche Oper befürchtet, nachdem die Diskussion um die Absetzung erst die Aufmerksamkeit muslimischer Extremisten erweckt hätte. Die erste Bedingung wird daher für das FrameElemente Folgen von den regionalen Zeitungen nicht erfüllt, der ostdeutschen Zeitung fehlen drei, der westdeutschen Zeitung eine von der jeweils anderen Zeitung angesprochene Dimension(en). Durch den identischen Beitrag in mdr und BR ähnelt sich deren Berichterstattung auch in Bezug auf die Folgen des Ereignisses sehr stark. Lediglich die explizite Forderung nach einer Wiederaufnahme der Inszenierung findet sich nur in der ostdeutschen Nachrichtensendung. Die überregionalen Tageszeitungen sprechen fast alle Dimensionen des Frame-Elements Folgen aus den Regionalzeitungen an, mit einer markanten Ausnahme: Weder SZ noch FAZ äußern im Kontext der Opernabsetzung Forderungen an die Muslime in Deutschland. Und die SZ diskutiert nicht, anders als WAZ und FAZ, mögliche zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen für die Deutsche Oper. Dies hängt möglicherweise damit zusammen, dass die SZ von allen untersuchten Medien die Gefährdungsanalyse des LKA am wenigsten ernst nimmt und stattdessen in mehreren Artikeln als substanzlos zurückweist: „Das alles meint: Der Verfasser des Vermerks wusste nichts Genaues, schloss aber auch nichts aus. Mit diesem Gefahren-Lehrsatz operieren seit dem 11. September in vielen Ländern Sicherheitsbehörden. Der Warner warnt, und wenn der Ernstfall nicht eintritt, dann hat er vielleicht sogar durch die Warnung die Katastrophe verhindert. Dabei spielt es im Nachhinein kaum eine Rolle, ob es sich um eine tatsächliche oder um eine eingebildete Drohung handelte. Beschweren wird sich niemand, dass die Apokalypse ausgeblieben ist. Solche Papiere liegen auf vielen Schreibtischen. Ungewöhnlich ist nur, dass jemand die Botschaft richtig ernst genommen hat“ (SZ, 27.09.06, B5).
Die Nachrichtensendungen nationaler Reichweite erfüllen die zweite Bedingung an eine integrierte Öffentlichkeit dagegen nicht: Weder die tagesschau noch RTL aktuell sprechen eine einzige Folge-Handlung auf das Ereignis an. Auch die Forderungen nach zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen für die Deutsche Oper, nach einer Debatte über Freiheitsrechte sind nur in den regionalen Nachrichten zu sehen. Die tagesschau macht zudem keinerlei Folge-Aussagen, während RTL aktuell zumindest die Befürchtung, das Ereignis werde weitere Forderungen der Muslime nach sich ziehen, anspricht. Die westdeutsche Regionalzeitung erfüllt die dritte Bedingung an eine arenen-integrierte Öffentlichkeit weitestgehend und diskutiert fast alle Dimensionen, die in den überregionalen Zeitungen vorkommen. Es fehlt nur die Dimension Folge-Handlung, nämlich die erhöhte Medienaufmerksamkeit für die Deutsche Oper, die in der FAZ (und den regionalen Fernsehnachrichten) thematisiert
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Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
worden ist. Bei den Folge-Forderungen vermisst man die Forderung nach dem Rücktritt der Intendantin, die aber ausschließlich in der FAZ erwähnt worden ist. Auch bei den Folge-Aussagen sind es nur einzelne Unteraspekte, die die WAZ in geringerem Maße ausführt als die überregionale Presse. So bespricht sie zwar die Möglichkeit weiterer muslimischer Proteste an, aber nicht dass dies eine weitere Gefährdung der Deutschen Oper bedeuten könnte. Die LVZ weist dagegen deutlich größere Lücken auf, z.B. fehlen die Forderungen an die Mehrheitsgesellschaft völlig, ebenso wie Folge-Aussagen für die Deutsche Oper. In der Tendenz berichten die regionalen Nachrichtensendungen vielseitiger als die nationalen Nachrichten und können entsprechend die dritte Bedingung sehr gut erfüllen. Nur die in RTL aktuell besprochene Forderung, dass die Islamkonferenz die Inszenierung besuchen solle, ist in den regionalen Fernsehnachrichten nicht zu sehen. Bewertungen der Opernabsetzung In 43 Prozent der Beiträge wird die Absetzung der Mozart-Oper bewertet. Überwiegend fallen die Bewertungen negativ aus, die Entscheidung wird abgelehnt (41 Prozent der Beiträge). Lediglich in einem Zehntel der Artikel und Fernsehbeiträge kommen Stimmen zu Wort, die die Entscheidung befürworten. Diese positive Bewertung der Entscheidung erfolgt in der Regel über eine Zustimmung zur Sachlage, d.h. es wird angenommen, dass eine tatsächliche Gefährdung bestanden hätte und deswegen die Absetzung nötig gewesen sei. Deutlich seltener wird die Entscheidung vor den ihr zugrunde liegenden Werten als richtig eingestuft, in diesen Fällen gelten entweder die Sicherheit von Mitarbeitern und Publikum oder die religiösen Gefühle anderer als wichtiger als die Freiheit der Kunst. Eine positive Einschätzung auf Basis der Effektivität oder der Folgen insgesamt kommt überhaupt nicht vor. Die Ablehnung der Opernabsetzung erfolgt überwiegend über die Werte: Ein Drittel der Beiträge stuft die Entscheidung als falsch ein, weil die Freiheit der Kunst höher zu bewerten sei als die religiösen Gefühle der Muslime. Aber auch in 18 Prozent der Beiträge wird die sachliche Basis der Entscheidung abgelehnt, es sei keine konkrete Bedrohung vorhanden gewesen oder zumindest keine, die die Absetzung rechtfertigen würde. Die negativen Folgen der Absetzung werden noch in knapp zehn Prozent der Beiträge als Grund genannt, die Entscheidung abzulehnen.
Dimension 2: Ähnlichkeit der Diskurse
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Tabelle 43: Bewertungen des Ereignisses Opernabsetzung Öffentlichkeitsarenen Anteile in %
WAZ
LVZ
BILD
BR
mdr
ARD
RTL
SZ
FAZ
Ges. gew. 42,9
Bewertungen 35,0 36,4 45,5 33,3 60,0 33,3 75,0 40,9 27,0 +Entscheidung richtig 20,0 9,1 16,7 20,0 25,0 10,8 11,3 Sachlage richtig 15,0 16,7 20,0 10,8 6,9 Werte richtig 5,0 9,1 2,7 1,9 Entscheidung falsch 30,0 36,4 36,4 33,3 60,0 33,3 75,0 40,9 24,3 41,1 Sachlage falsch 20,0 18,2 18,2 16,7 40,0 16,7 22,7 10,8 18,1 Werte falsch 15,0 27,3 27,3 33,3 60,0 33,3 50,0 27,3 21,6 32,8 +ineffektiv 25,0 9,1 3,8 negative Folgen 9,1 27,3 25,0 13,6 8,1 9,2 n 20 11 11 6 5 6 4 22 37 122 Anteile der Beiträge mit den entsprechenden Ausprägungen des Frame-Elements ‚Bewertung Opernabsetzung’. Exakter Test nach Fisher (in R): +p<0.1, *p<0.05, **p<0.01, ***p<0.001 (bezieht sich jeweils auf die gesamte Zeile). Ges. gew.: Durchschnittswert über alle Medien, gewichtet nach der Anzahl der Beiträge pro Medium. Kursiv gesetzte Zeilen sind Dimensionen des Frame-Elements und fassen die einzelnen Ausprägungen sowie eine entsprechende ‚sonstige’ Kategorie zusammen. Basis: Alle Beiträge zu den Themen ‚Absetzung der Mozart-Oper’ und ‚Islamkonferenz’ in den neun Medien der Stichprobe (n=122).
In der Bewertung des Ereignisses unterscheiden sich die beiden regionalen Zeitungen grundlegend: In der LVZ sind keine Beiträge zu lesen, in denen die Entscheidung (auch) befürwortet wird. In der WAZ wird dagegen in einem Fünftel der Beiträge die Meinung vertreten, dass die Entscheidung aufgrund der Sachlage oder aber ihr zugrundeliegenden Werte richtig gewesen sei. Beispielsweise verweist die WAZ auf den Vorsitzenden des Islamrats, der mehr Rücksicht auf die Gefühle großer Religionsgemeinschaften einforderte (WAZ, 27.09.06, B5). Gleichzeitig wird nur in der LVZ das Ereignis aufgrund seiner vermuteten Folgen als falsch eingestuft: „So gesehen hat die Deutsche Oper dem Ansinnen um Verständigung einen Bärendienst erwiesen“ (LVZ, 28.09.06, B11). Die beiden regionalen Nachrichtensendungen stimmen dafür in ihrer Bewertung des Ereignisses völlig überein. Die zweite Bedingung wird bei der Ereignisbewertung von beiden überregionalen Zeitungen erfüllt, FAZ und SZ greifen alle Bewertungsdimensionen auf, die in den regionalen Zeitungen angesprochen werden. Anders sieht es bei den Fernsehnachrichten aus, hier sind in der tagesschau keinerlei Stimmen zu hören, die die Entscheidung für richtig halten. Auch bei RTL aktuell findet sich lediglich der Hinweis, „der Islamrat begrüßte die Absetzung der Oper“ (26.09.06, Beitrag 2), ohne dass ein Rückschluss auf die Bewertungsbasis möglich wäre.
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Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
Gleichzeitig wird in der tagesschau die Entscheidung aus den gleichen Gründen abgelehnt wie in den regionalen Programmen, während RTL aktuell andere Gründe nennt: Nicht die fehlende Bedrohung, sondern die Folgen (generell und für die Deutsche Oper) werden in RTL angeführt, um die Entscheidung negativ zu werten. Die zweite Bedingung wird damit nur von RTL aktuell erfüllt. Die WAZ spricht fast alle Bewertungsdimensionen der Opernabsetzung aus den nationalen Zeitungen an, es fehlen nur einzelne Aspekte, z.B. dass die Entscheidung ineffektiv und mit negativen Folgen behaftet sei. Letzteres wird zwar in der LVZ aufgegriffen, stattdessen fehlen positive Bewertungen des Ereignisses völlig. Die LVZ entspricht in ihrer Darstellung der Ereignisbewertung somit zwar der SZ, nicht aber der FAZ, die eine größere Bandbreite an Bewertungen zu Wort kommen lässt. Die regionalen Nachrichtensendungen geben, ähnlich wie die WAZ, alle Bewertungsdimensionen wieder, die auf überregionaler Ebene diskutiert werden. Lediglich die negativen Folgen werden ausschließlich in den nationalen Nachrichten von RTL diskutiert. Ursachen der Islamkonferenz Beim zweiten Ereignis innerhalb der Fallstudie zu Muslimen in Deutschland konzentriert sich die Berichterstattung und Diskussion auf Folge-Forderungen. Dies ist dem besonderen Charakter des Ereignisses geschuldet. Einerseits sind bei einer Auftaktveranstaltung vermehrt Forderungen für die folgenden Veranstaltungen zu erwarten. Andererseits werden in einem solchen Kontext auch die Ursachen für die Veranstaltung oft nur als Forderungen und Erwartungen formuliert. So erklärt es sich, dass letztlich nur zwei Prozent der Beiträge auf konkrete Anlässe der Islamkonferenz Bezug nehmen. Am häufigsten wird noch der Streit um die Mohammed-Karikaturen in dänischen Zeitungen erwähnt, gefolgt von sonstigen Anlässen wie ‚Ehrenmord’-Prozessen. Bei den Ursachen der Islamkonferenz wird keine der drei Bedingungen an eine arenen-integrierte Öffentlichkeit erfüllt. Dies ist aber nicht so sehr gravierenden Differenzen in der Darstellung zuzuschreiben wie der Tatsache, dass das Frame-Element bei diesem Ereignis sehr selten bis überhaupt nicht vorkommt: Nur WAZ und SZ nehmen auf den Karikaturenstreit als Anlass Bezug, und nur die SZ spricht noch weitere Anlässe an. Bei so wenigen Kodierungen ist dieses Frame-Element wenig aussagekräftig für einen Vergleich der Berichterstattung verschiedener Teilöffentlichkeiten. Da zudem keine Reliabilitätswerte hierzu ermittelt werden konnten, weil keine der Kategorien im Testsample zugewiesen worden ist, wird dieses Frame-Element aus der Gesamtbeurteilung ausgeschlossen.
Dimension 2: Ähnlichkeit der Diskurse
209
Tabelle 44: Ursachen der Islamkonferenz Öffentlichkeitsarenen Anteile in %
WAZ
LVZ
BILD
BR
mdr
ARD
RTL
SZ
FAZ
Ges. gew. 2,1 1,6 1,0 122
Ursachen 10,0 9,1 Karikaturenstreit 10,0 4,5 sonstige Anlässe 9,1 n 20 11 11 6 5 6 4 22 37 Anteile der Beiträge mit den entsprechenden Ausprägungen des Frame-Elements ‚Ursachen der Islamkonferenz. Exakter Test nach Fisher (in R): +p<0.1, *p<0.05, **p<0.01, ***p<0.001 (bezieht sich jeweils auf die gesamte Zeile). Ges. gew.: Durchschnittswert über alle Medien, gewichtet nach der Anzahl der Beiträge pro Medium. Kursiv gesetzte Zeilen sind Dimensionen des Frame-Elements und fassen die einzelnen Ausprägungen sowie eine entsprechende ‚sonstige’ Kategorie zusammen. Basis: Alle Beiträge zu den Themen ‚Absetzung der Mozart-Oper’ und ‚Islamkonferenz’ in den neun Medien der Stichprobe (n=122).
Folgen der Islamkonferenz Generell nehmen die Folgen der Islamkonferenz den mit Abstand größten Raum in der Berichterstattung zu Muslimen in Deutschland ein: Zwei Drittel der Beiträge enthalten Aussagen zu Folge-Forderungen im Kontext der Islamkonferenz. Folge-Handlungen wie z.B. die öffentliche Anerkennung des Grundgesetzes als Basis für das Zusammenleben in Deutschland durch die muslimischen Konferenzteilnehmer werden ebenfalls in einem Viertel der Beiträge angesprochen. Folge-Aussagen werden im Kontext der Auftaktveranstaltung generell als FolgeForderungen formuliert und daher nicht separat erfasst. Zentrale Folge-Handlungen sind das Bekenntnis der muslimischen Teilnehmer der IK zum Grundgesetz als Basis des gesellschaftlichen Zusammenlebens (acht Prozent) sowie die Ablehnung von Gewalt zur Durchsetzung religiöser Ziele (fünf Prozent). Zudem wird die Bundestagsdebatte zur IK am folgenden Tag angesprochen (in vier Prozent der Beiträge). In knapp einem Fünftel der Beiträge werden Forderungen an die Teilnehmer bzw. den Teilnehmerkreis der IK angesprochen: Zum einen wird Ehrlichkeit und Offenheit von den Teilnehmern erwartet (neun Prozent), zum anderen sollte der Teilnehmerkreis entweder erweitert werden, z.B. auf Vertreter der christlichen Kirchen oder der ‚normalen’ Bürger (fünf Prozent), oder aber bestimmte Teilnehmer – die sogenannten ‚Kulturmuslime’ – sollten ausgeschlossen werden (fünf Prozent).
210
Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
Tabelle 45: Folge-Handlungen der Islamkonferenz Öffentlichkeitsarenen Anteile in %
WAZ LVZ BILD
BR
mdr
ARD RTL
SZ
FAZ
Ges. gew. 23,8
Folge-Handlungen 25,0 36,4 9,1 33,3 20,0 33,3 40,9 16,2 Handlungen Konferenz5,0 9,1 9,1 16,7 16,7 13,6 5,4 8,4 teilnehmer Ablehnung religiös moti5,0 16,7 16,7 2,7 4,6 vierter Gewalt Anerkennung Grundgesetz 5,0 9,1 9,1 16,7 16,7 13,6 5,4 8,4 staatl. Handlungen 9,1 16,7 4,5 5,4 4,0 Bundestagsdebatte Islam9,1 16,7 4,5 5,4 4,0 konferenz n 20 11 11 6 5 6 4 22 37 122 Anteile der Beiträge mit den entsprechenden Ausprägungen des Frame-Elements ‚Folgen der Islamkonferenz. Exakter Test nach Fisher (in R): +p<0.1, *p<0.05, **p<0.01, ***p<0.001 (bezieht sich jeweils auf die gesamte Zeile). Ges. gew.: Durchschnittswert über alle Medien, gewichtet nach der Anzahl der Beiträge pro Medium. Kursiv gesetzte Zeilen sind Dimensionen des Frame-Elements und fassen die einzelnen Ausprägungen sowie eine entsprechende ‚sonstige’ Kategorie zusammen. Basis: Alle Beiträge zu den Themen ‚Absetzung der Mozart-Oper’ und ‚Islamkonferenz’ in den neun Medien der Stichprobe (n=122).
Des Weiteren werden durchschnittlich in einem Drittel der Beiträge Forderungen und Erwartungen an die Ergebnisse der Islamkonferenz im Allgemeinen thematisiert, dass die IK das Zusammenleben zwischen Deutschen und Muslimen (26 Prozent) oder die innere Sicherheit (14 Prozent) verbessern soll. Forderungen in Bezug auf konkrete Ergebnisse werden ebenfalls in fast einem Drittel der Beiträge artikuliert, überwiegend sollte die IK demnach dazu führen, dass Islamunterricht in deutscher Sprache an den Schulen ermöglicht wird (20 Prozent) oder aber dass Regelungen gefunden werden, damit muslimische Mädchen an Sportund Schwimmunterricht teilnehmen können (elf Prozent). Im Mittelpunkt der Folge-Forderungen stehen die Forderungen an die Muslime in Deutschland (46 Prozent der Beiträge). Zentrale Forderung ist die Anerkennung des Grundgesetzes sowie der bürgerlichen Gesetze Deutschlands im allgemeinen (neun Prozent), bzw. konkreter einzelner Rechte und Gesetze, wie beispielsweise die rechtliche Trennung von Kirche und Staat (13 Prozent) oder die Gleichberechtigung von Männern und Frauen (zehn Prozent). Auch die Anerkennung der christlich geprägten Werte und Regeln in Deutschland nehmen einen großen Raum ein (18 Prozent) sowie die generelle Aufforderung an die Muslime, sich besser in die deutsche Gemeinschaft zu integrieren und sich in ihr zu engagieren. Außerdem sollten die Muslime eine einheitliche Vertretung als Ansprechpartner für die Politik organisieren (13 Prozent).
Dimension 2: Ähnlichkeit der Diskurse
211
Tabelle 46: Folge-Forderungen der Islamkonferenz Öffentlichkeitsarenen Anteile in %
WAZ
LVZ
BILD
BR
mdr
ARD
RTL
SZ
FAZ
Ges. gew. 61,7 17,3 9,2 5,4 5,4 32,1
Folge-Forderungen 65,0 63,6 63,6 66,7 40,0 66,7 50,0 63,6 75,7 an IK-Teilnehmer 15,0 18,2 16,7 16,7 25,0 31,8 32,4 Ehrlichkeit 5,0 9,1 16,7 25,0 13,6 13,5 Ausweitung Dialog 5,0 9,1 16,7 4,5 13,5 ohne Kulturmuslime 10,0 22,7 16,2 an Ergebnisse allg. 25,0 45,5 27,3 50,0 20,0 50,0 25,0 27,3 18,9 +Zusammenleben 10,0 27,3 27,3 50,0 20,0 50,0 25,0 9,1 10,8 25,5 verbessern Sicherheitsbedenken 10,0 36,4 16,7 20,0 16,7 18,2 8,1 14,0 Gesellschaftsvertrag 5,0 18,2 16,7 9,1 5,4 6,6 an Ergebnisse konkret 40,0 45,5 9,1 33,3 20,0 33,3 25,0 27,3 32,4 29,5 Imamausbildung 10,0 18,2 18,2 10,8 6,4 Islamunterricht 30,0 36,4 16,7 20,0 33,3 27,3 18,9 20,3 Moscheebau 9,1 9,1 2,7 2,3 Turnen Mädchen 15,0 27,3 9,1 25,0 4,5 13,5 10,5 +an (dt.) Muslime 60,0 63,6 45,5 33,3 20,0 33,3 25,0 54,5 75,7 45,7 Dt. Gesetze anerkennen 10,0 9,1 18,2 16,7 16,7 25,0 31,8 32,4 13,1 Ablehnung Gewalt 5,0 36,4 16,7 22,7 8,1 9,9 Werte anerkennen 15,0 27,3 9,1 16,7 20,0 13,6 27,0 18,0 sich besser integrieren 30,0 18,2 18,2 20,0 13,6 10,8 11,3 gemeins. Vertretung 25,0 27,3 16,7 20,0 13,6 13,5 12,9 an Staat 20,0 27,3 16,7 20,0 31,8 29,7 16,2 Anerkennung als 15,0 9,1 16,7 20,0 31,8 10,8 11,5 Glaubensgemeinschaft Glaube= 10,8 1,2 Privatangelegenheit Integrationspolitik 5,0 18,2 20,0 18,9 6,9 an Mehrheits20,0 27,3 27,3 16,7 40,0 16,7 13,6 21,6 20,3 gesellschaft für Werte einstehen 9,1 9,1 9,1 10,8 4,2 Vorurteile abbauen 15,0 27,3 18,2 16,7 40,0 16,7 13,6 13,5 17,9 sonstige Folgen 20,0 16,7 16,7 27,3 10,8 10,2 n 20 11 11 6 5 6 4 22 37 122 Anteile der Beiträge mit den entsprechenden Ausprägungen des Frame-Elements ‚Folgen der Islamkonferenz. Exakter Test nach Fisher (in R): +p<0.1, *p<0.05, **p<0.01, ***p<0.001 (bezieht sich jeweils auf die gesamte Zeile). Ges. gew.: Durchschnittswert über alle Medien, gewichtet nach der Anzahl der Beiträge pro Medium. Kursiv gesetzte Zeilen sind Dimensionen des Frame-Elements und fassen die einzelnen Ausprägungen sowie eine entsprechende ‚sonstige’ Kategorie zusammen. Basis: Alle Beiträge zu den Themen ‚Absetzung der Mozart-Oper’ und ‚Islamkonferenz’ in den neun Medien der Stichprobe (n=122).
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Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
Forderungen an die deutsche (Mehrheits-)Gesellschaft finden sich in einem Fünftel der Beiträge. Die deutsche Gesellschaft wird vor allem dazu aufgefordert, ihre Vorurteile gegenüber den Muslimen abzubauen (18 Prozent) und mehr für ihre eigenen Werte einzustehen (vier Prozent). Forderungen an den Staat werden in durchschnittlich 16 Prozent der Beiträge diskutiert. Mal wird der Staat aufgefordert, den Islam als Religionsgemeinschaft anzuerkennen und dem Christen- und Judentum gleichzustellen (zwölf Prozent), oder aber mehr konkrete Integrationspolitik zu betreiben, z.B. Integrationskurse zu fördern oder Quoten für Muslime im öffentlichen Dienst einzuführen (sieben Prozent). Die beiden regionalen Tageszeitungen berichten recht ähnlich über die Folgen der Auftaktveranstaltung der Islamkonferenz. Die größten Unterschiede zeigen sich bei den Folge-Handlungen, hier geht nur die LVZ auf die Bundestagsdebatte zur IK ein, daher fehlt der WAZ eine Dimension dieses FrameElements, die Folge-Handlungen des Staates. In der ostdeutschen Zeitung fehlen jeweils nur einzelne Aspekte, z.B. der Verweis auf die Ablehnung religiös motivierter Gewalt durch die Konferenzteilnehmer, über die in der westdeutschen Zeitung berichtet worden ist. Bei den Folge-Forderungen fällt auf, dass in der LVZ anders als in der WAZ von niemandem der Ausschluss der Kulturmuslime aus der IK gefordert wird. Dies erscheint deswegen recht bedeutsam, weil die Kontroverse um die Zusammensetzung der IK in allen anderen Medien, wie auch in der WAZ, eine relativ große Rolle gespielt hat. Für die Leser der LVZ wirkt die Zusammensetzung dagegen unstrittig. In der WAZ wird wiederum die deutsche Gesellschaft weniger in die Pflicht genommen als in der LVZ, ein Einstehen für christliche Werte wird im Westen gar nicht gefordert, und auch der Abbau von Vorurteilen spielt eine geringere Rolle als in der ostdeutschen Zeitung. Die Berichterstattung und Diskussion in den regionalen Fernsehprogrammen unterscheidet sich bei den Folgen der IK dahingehend, dass im mdr keinerlei Folge-Handlungen angesprochen werden, während der BR zumindest die Handlungen der Konferenzteilnehmer dokumentiert. Somit kann der mdr die erste Anforderung an eine integrierte Öffentlichkeit nicht erfüllen. Bei den Forderungen sind sich beide Sender sehr ähnlich, nur beziehen sich die Forderungen an Muslime im Bayerischen Fernsehen mehr auf grundsätzliche Rechte, wie die Anerkennung der Gleichberechtigung von Männern und Frauen oder der Trennung von Kirche und Staat, der mdr geht dagegen auf konkretere Fragen ein: In Moscheen solle auf Deutsch gepredigt werden und die Muslime sollten sich mehr im deutschen Alltag engagieren. Die überregionalen Zeitungen greifen fast alle Folge-Handlungen auf, die in den regionalen Zeitungen thematisiert worden sind. Die SZ geht lediglich nicht auf die Ablehnung von Gewalt durch die muslimischen Konferenzteilnehmer ein. Bei den Folge-Forderungen fehlt der SZ ein einziger Aspekt: Anders als in
Dimension 2: Ähnlichkeit der Diskurse
213
den regionalen Zeitungen und der FAZ wird in ihrer Berichterstattung zur Islamkonferenz an keiner Stelle der Staat zu mehr Integrationspolitik aufgefordert. Bei dem Frame-Element Folgen der Islamkonferenz zeigt sich erstmals in dieser Untersuchung ein systematischer Unterschied zwischen den öffentlichrechtlichen Fernsehnachrichten regionaler und nationaler Reichweite und dem Privatsender RTL. So diskutiert die tagesschau alle Folge-Handlungen und Folge-Forderungen der regionalen Sender, zentrale Ausnahme stellen die Forderungen an den Staat dar. Während im Bayerischen Fernsehen die Anerkennung des Islams als Religionsgemeinschaft und im mdr zudem noch mehr Integrationspolitik gefordert wird, taucht der Staat in der tagesschau nicht als Adressat von Forderungen auf. Die Berichterstattung von RTL aktuell hingegen erwähnt keinerlei Folge-Handlungen. Es fehlen zudem jedwede Forderungen an den Staat oder die deutsche Mehrheitsgesellschaft und auch bei den restlichen Forderungen an die deutschen Muslime und die Islamkonferenz gibt es kaum Überschneidungen zu den regionalen Programmen. In Bezug auf die Folgen der Islamkonferenz schneidet die ostdeutsche Tageszeitung besser ab als die WAZ. Diese kann die dritte Bedingung an eine arenen-integrierte Öffentlichkeit nicht erfüllen, da sie nicht über staatliche FolgeHandlungen berichtet, die in beiden überregionalen Zeitungen Thema sind. Die Regionalzeitung enthält weniger Forderungen, es wird nicht diskutiert, dass die Muslime in Deutschland die Religions- und die Meinungsfreiheit anerkennen, sich säkularisieren und kritikfähiger werden sollten. Aber da dieselben Adressaten von Forderungen thematisiert werden und jeweils nur Einzelforderungen fehlen, ist dies nicht besonders gravierend. Bei den Lesern der LVZ ist dagegen keinerlei systematisches Informationsdefizit gegenüber den Lesern von FAZ und SZ zu befürchten, sie erfahren lediglich nicht, dass die Kulturmuslime aus dem Teilnehmerkreis ausgeschlossen werden sollten. Anders sieht es bei den regionalen Fernsehnachrichten aus. Insbesondere die ostdeutsche Sendung berichtet über deutlich weniger Aspekte als die tagesschau. Weder BR noch mdr erwähnen die Dimension der staatlichen FolgeHandlungen, der mdr noch nicht einmal die Folge-Handlungen der Konferenzteilnehmer. Bei den Forderungen erwähnen beide Regionalsendungen keinerlei Forderungen an die Teilnehmer bzw. den Teilnehmerkreis der Konferenz. Und obwohl generell in allen drei öffentlich-rechtlichen Sendungen Forderungen an die deutschen Muslime angesprochen werden, fallen die konkreten Anliegen vollkommen auseinander: Weder BR noch mdr diskutieren, dass Muslime das Kopftuchverbot akzeptieren und religiös motivierte Gewalt ablehnen sollten.
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Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
Bewertungen des Ereignisses Islamkonferenz Neben konkreten Aussagen zum Teilnehmerkreis, die in fast einem Drittel der Beiträge angesprochen werden, wird vor allem der Ertrag des Ereignisses bewertet (22 Prozent), dabei wird die Islamkonferenz in 14 Prozent der Beiträge als symbolische Geste dargestellt, elf Prozent stellen den konkreten Ertrag heraus. Die Teilnehmerzusammensetzung wird in 14 Prozent der Beiträge bewertet, dabei werden vor allem kritische Stimmen zitiert. Als einzigartig wird die Islamkonferenz in elf Prozent der Beiträge charakterisiert, als Teil einer Reihe dagegen deutlich seltener. Auf die Konferenz-Atmosphäre geht ein Fünftel der Beiträge ein, hier wird häufiger auf Streit zwischen den Teilnehmern hingewiesen als auf deren Einigkeit. Tabelle 47: Bewertungen des Ereignisses Islamkonferenz Öffentlichkeitsarenen Ges. gew. Bewertungen 45,0 54,5 9,1 33,3 20,0 50,0 50,0 45,5 54,1 40,2 Ertrag 25,0 36,4 33,3 33,3 25,0 18,2 27,0 22,0 symbolische Geste 20,0 27,3 16,7 16,7 25,0 4,5 18,9 14,3 konkreter Ertrag 5,0 18,2 16,7 33,3 18,2 10,8 11,4 Bedeutung 25,0 27,3 16,7 25,0 13,6 18,9 14,1 einzigartig 25,0 9,1 16,7 25,0 4,5 18,9 11,0 Teil einer Reihe 18,2 9,1 2,7 3,3 Atmosphäre 20,0 18,2 9,1 16,7 20,0 16,7 50,0 9,1 8,1 18,6 *einig 15,0 9,1 16,7 50,0 4,5 2,7 10,9 zerstritten 10,0 18,2 9,1 20,0 16,7 25,0 9,1 8,1 12,9 Zusammensetzung 20,0 18,2 33,3 22,7 27,0 13,5 gut 5,0 9,1 9,1 10,8 3,8 schlecht 15,0 9,1 33,3 18,2 18,9 10,5 Teilnehmerkreis 30,0 36,4 9,1 16,7 50,0 50,0 36,4 32,4 29,0 Muslime 15,0 9,1 16,7 33,3 9,1 16,2 11,0 Christen 5,4 0,6 Politiker 20,0 27,3 16,7 33,3 50,0 27,3 13,5 20,9 ‚Kulturmuslime’ 25,0 9,1 16,7 27,3 21,6 11,1 Verbände 25,0 27,3 9,1 16,7 50,0 31,8 16,2 19,6 ‚Islamisten’ 10,0 9,1 9,1 2,7 3,4 n 20 11 11 6 5 6 4 22 37 122 Anteile der Beiträge mit den entsprechenden Ausprägungen des Frame-Elements ‚Bewertungen der Islamkonferenz’. Exakter Test nach Fisher (in R): +p<0.1, *p<0.05, **p<0.01, ***p<0.001 (bezieht sich jeweils auf die gesamte Zeile). Ges. gew.: Durchschnittswert über alle Medien, gewichtet nach der Anzahl der Beiträge pro Medium. Kursiv gesetzte Zeilen sind Dimensionen des Frame-Elements und fassen die einzelnen Ausprägungen sowie eine entsprechende ‚sonstige’ Kategorie zusammen. Basis: Alle Beiträge zu den Themen ‚Absetzung der Mozart-Oper’ und ‚Islamkonferenz’ in den neun Medien der Stichprobe (n=122). Anteile in %
WAZ
LVZ
BILD
BR
mdr
ARD
RTL
SZ
FAZ
Dimension 2: Ähnlichkeit der Diskurse
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Die beiden Regionalzeitungen stimmen in der Bewertung des Ereignisses bis auf eine Dimension überein, die WAZ charakterisiert die IK ausschließlich als einzigartig während die LVZ das Ereignis als Teil einer Reihe sieht. Die regionalen Fernsehnachrichten gehen dagegen mit dem Ereignis jeweils grundlegend anders um. Anders als der BR erwähnt der ostdeutsche Sender an keiner Stelle die Teilnehmer der Konferenz und thematisiert weder den Ertrag noch die Bedeutung des Ereignisses. Bei der Gesprächsatmosphäre kommen beide Sender zu unterschiedlichen Ergebnissen: Während der BR ausschließlich von der Einigkeit der Konferenzteilnehmer berichtet, geht der mdr nur auf den Streit zwischen Teilnehmern ein. Die erste Bedingung an eine integrierte Öffentlichkeit wird demnach von den regionalen Nachrichten für die Ereignisbewertung nicht erfüllt. Die zweite Bedingung an eine integrierte Öffentlichkeit wird von beiden überregionalen Zeitungen erfüllt, in denen alle Bewertungsdimensionen und ausprägungen der regionalen Ebene vorkommen. Lediglich die Schwerpunkte sind etwas verschoben, während für die FAZ die symbolische Geste im Mittelpunkt steht, ist es für die SZ der konkrete Ertrag. Von den nationalen Nachrichtensendungen spricht nur RTL aktuell alle Bewertungsdimensionen an, die in den regionalen Nachrichten aufgegriffen worden sind. Bei der Gesprächsatmosphäre teilt die tagesschau nur die Einschätzung des mdr, dass es zwischen den Teilnehmern ‚geknirscht’ habe: „Vertreter der Muslime nennen den Tag historisch, obwohl er nicht nur harmonisch verläuft. Konflikte untereinander über die Rolle der Frau in der Gesellschaft, ein Streit mit der Regierung, weil auch Islamkritiker eingeladen sind“ (ARD tagesschau, 27.09.06, Beitrag 2).
Obwohl die regionalen Tageszeitungen überwiegend dieselben Aspekte ansprechen wie FAZ und SZ, fehlt der WAZ wieder eine Dimension: Sie geht nicht darauf ein, dass die Islamkonferenz als Teil einer Reihe von Initiativen zu einer besseren Verständigung gesehen werden kann. Die LVZ deckt dagegen alle Dimensionen der nationalen Zeitungen ab. Beide regionalen Sender scheitern bei dieser Bedingung, im ostdeutschen Regionalsender fehlen sogar fast alle Bewertungsdimensionen, die auf nationaler Ebene beschrieben werden. Die Bayerische Rundschau schneidet etwas besser ab, aber auch dort vermisst man, dass die Bedeutung der Konferenz (fehlende Dimension: einzigartig) und die Zusammensetzung der Teilnehmer nicht näher bewertet werden (fehlende Dimension: schlecht). Entsprechend wirkt auch die Darstellung der Teilnehmer im BR vergleichsweise pauschal, die Rede ist nur von „15 Muslimen und 14 Vertretern von Bund und Ländern“ (BR, 27.09.06, Beitrag 2). Die tagesschau differenziert dagegen zwischen Verbänden und Islamkritikern, bei RTL aktuell spricht man deutlich grober von den „Vertretern islamischer Verbände“ (RTL, 27.09.06, Beitrag 3).
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Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
Bewertungen der Muslime in Deutschland Unabhängig von den beiden analysierten Ereignissen werden in fast drei Viertel aller Beiträge Muslime bewertet. Der Großteil der Bewertungen (66 Prozent) bezieht sich darauf, ob die Muslime integriert sind oder nicht. Dabei ist der Anteil der Beiträge am größten (59 Prozent), in denen auf die mangelnde Integration der Muslime verwiesen wird, darauf dass sie das Grundgesetz bzw. die Werte und Regeln der deutschen Gemeinschaft nicht anerkennen. In einem Fünftel der Beiträge werden Muslime als ‚radikal’ beschrieben, ohne dass erkennbar ist, dass sich diese Bewertung auf Muslime außerhalb Deutschlands bezieht. Als integriert werden Muslime in einem Drittel der Beiträge bewertet, sie akzeptieren die Verfassung und lehnen Gewalt ab. Die Kompetenz der Muslime wird in durchschnittlich 17 Prozent der Beiträge beurteilt, auch hier überwiegen negative Einschätzungen, allerdings beziehen sich diese vor allem darauf, dass die deutschen Muslime es bisher nicht geschafft haben, sich auf eine einheitliche Vertretung zu einigen. Die Religiosität der Muslime wird in 16 Prozent der Beiträge thematisiert, überwiegend werden sie dabei als säkularisiert beschrieben. Aus 43 Prozent der Beiträge lassen sich Bewertungen der Homogenität der Muslime ableiten. Ein Fünftel der Beiträge stellt den Islam als vielfältig dar, aber in über einem Drittel der Beiträge wird von ‚dem Islam’ als Einheit gesprochen. In beiden Regionalzeitungen finden sich dieselben Bewertungsdimensionen zu Muslimen, es unterscheiden sich lediglich einzelne Ausprägungen. So werden Muslime nur in der WAZ als gewalttätig oder als ‚Gewalt nicht ablehnend’ beschrieben. In der LVZ erfolgt die negative Bewertung der Muslime dagegen zusätzlich darüber, dass sie nicht kritikfähig seien und die Religionsfreiheit nicht akzeptierten. Beide Zeitungen stellen die Muslime dagegen ausschließlich als säkularisiert und nicht als fromm dar. Bei den regionalen Nachrichtensendungen geht der mdr nicht auf die Vielfältigkeit des Islams ein, während der BR zumindest erwähnt, dass die Muslime in Deutschland keiner einheitlichen Organisation angehören. Beide können jedoch dadurch nicht die erste Bedingung an eine integrierte Öffentlichkeit erfüllen. Auch bei der Bewertung der Muslime sprechen die überregionalen Zeitungen fast alle Dimensionen an, die auf regionaler Ebene thematisiert worden sind. Allein die SZ bewertet Muslime an keiner Stelle als kompetent, beschreibt sie allerdings auch nicht als ‚verdächtig’. Die ARD tagesschau erfüllt ebenfalls die zweite Bedingung, sie greift dieselben Bewertungsdimensionen auf wie die regionalen Sendungen. Anders sieht es bei RTL aktuell aus, dort wird auf die Kompetenz oder Inkompetenz der Muslime überhaupt nicht Bezug genommen, ebenso wenig wie auf die Homogenität oder Vielfalt des Islams.
Dimension 2: Ähnlichkeit der Diskurse
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Tabelle 48: Bewertungen von (in Deutschland lebenden) Muslimen Öffentlichkeitsarenen Ges. gew. Bewert. Muslime 75,0 63,6 81,8 83,3 40,0 66,7 50,0 100,0 81,1 71,3 Religiosität 5,0 9,1 25,0 27,3 27,0 10,4 fromm 25,0 13,6 18,9 6,4 säkularisiert 5,0 9,1 22,7 21,6 6,5 Kompetenz 30,0 36,4 16,7 20,0 16,7 13,6 18,9 16,9 kompetent 10,0 18,2 20,0 16,7 5,4 7,8 inkompetent 25,0 27,3 16,7 20,0 13,6 16,2 13,2 Integration 70,0 54,5 81,8 66,7 40,0 66,7 50,0 90,9 75,7 66,3 integriert 40,0 27,3 27,3 50,0 20,0 66,7 25,0 45,5 29,7 36,8 identifizieren sich 8,1 0,9 akzeptieren Werte 10,0 4,5 8,1 2,5 gegen Gewalt 5,0 9,1 9,1 16,7 33,3 25,0 13,6 8,1 13,3 für dt. Gesetze 5,0 18,2 9,1 33,3 20,0 16,7 18,2 5,4 14,0 *nicht integriert 55,0 54,5 81,8 50,0 40,0 33,3 50,0 86,4 75,7 58,5 kaum Deutsch 10,0 18,2 9,1 20,0 18,2 24,3 11,1 nicht kritikfähig 18,2 9,1 13,6 13,5 6,0 verdächtig 5,0 9,1 18,2 2,7 3,9 **radikal 10,0 18,2 27,3 33,3 20,0 25,0 36,4 13,5 20,4 gegen christl. Werte 15,0 27,3 9,1 20,0 16,7 13,6 29,7 14,6 nicht gegen Gewalt 5,0 36,4 16,7 22,7 8,1 9,9 *gewalttätig 5,0 36,4 25,0 18,2 2,7 9,7 gegen dt. Gesetze 10,0 9,1 18,2 16,7 16,7 25,0 31,8 32,4 9,3 Homogenität 40,0 27,3 63,6 50,0 20,0 66,7 81,8 40,5 43,3 vielfältig 20,0 18,2 9,1 33,3 33,3 40,9 32,4 20,8 Dt./Euro-Islam 9,1 8,1 1,9 nicht organisiert 15,0 18,2 33,3 16,7 13,6 13,5 12,3 überwieg. türkisch 9,1 18,2 8,1 3,9 ***homogen 35,0 9,1 63,6 33,3 20,0 33,3 77,3 21,6 32,6 der Islam 30,0 9,1 45,5 33,3 20,0 33,3 77,3 21,6 30,0 die Muslime 5,0 9,1 18,2 16,7 16,7 13,6 5,4 9,4 n 20 11 11 6 5 6 4 22 37 122 Anteile der Beiträge mit den entsprechenden Ausprägungen des Frame-Elements ‚Bewertungen der Muslime’. Exakter Test nach Fisher (in R): +p<0.1, *p<0.05, **p<0.01, ***p<0.001 (bezieht sich jeweils auf die gesamte Zeile). Ges. gew.: Durchschnittswert über alle Medien, gewichtet nach der Anzahl der Beiträge pro Medium. Kursiv gesetzte Zeilen sind Dimensionen des Frame-Elements und fassen die einzelnen Ausprägungen sowie eine entsprechende ‚sonstige’ Kategorie zusammen. Basis: Alle Beiträge zu den Themen ‚Absetzung der Mozart-Oper’ und ‚Islamkonferenz’ in den neun Medien der Stichprobe (n=122). Anteile in %
WAZ
LVZ BILD
BR
mdr
ARD
RTL
SZ
FAZ
Beiden Regionalzeitungen fehlt eine Bewertungsdimension, die auf nationaler Ebene diskutiert wird: Weder die WAZ noch die LVZ beschreiben die Muslime
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Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
als fromm. Davon abgesehen beziehen sich die Unterschiede lediglich auf einzelne Aspekte: Bei der positiven Bewertung der Integration der Muslimen gehen sie deutlich weniger differenziert vor, sie verweisen weder darauf, dass Muslime sich mit Deutschland (z.B. zur Fußball-Weltmeisterschaft) identifizieren, noch dass sie die Verfassung, die Kunstfreiheit, die Gleichberechtigung und die Trennung von Kirche und Staat akzeptieren. In den regionalen Nachrichten findet sich anders als bei RTL aktuell keine Bewertung der Religiosität der Muslime. Dem mdr fehlen zudem Hinweise auf die Vielfalt des Islam, aus diesem Grund erfüllt er die dritte Bedingung an eine integrierte Öffentlichkeit noch schlechter als der BR. Bewertungen der Politiker Die Bewertung der Politiker erfolgt im Rahmen des Themas Muslime in Deutschland nur über die Dimensionen Kompetenz und Inkompetenz. Im Schnitt 15 Prozent der Beiträge enthalten Beschreibungen der Politiker als kompetent oder inkompetent, dabei halten sich positive und negative Bewertungen die Waage. Als kompetent gelten Politiker insbesondere dann, wenn sie einmütig Entschlüsse treffen, als inkompetent werden sie bewertet, weil sie entweder verspätet reagieren oder selbstgerecht urteilen (über die Intendantin der Deutschen Oper), anstatt Handlungsalternativen aufzuzeigen. Tabelle 49: Bewertungen der Politiker Öffentlichkeitsarenen Ges. gew. Bew. Politiker 15,0 27,3 9,1 33,3 13,6 37,8 15,1 Kompetenz 15,0 27,3 9,1 33,3 13,6 37,8 15,1 kompetent 5,0 9,1 9,1 16,7 9,1 24,3 8,1 inkompetent 10,0 18,2 16,7 4,5 29,7 8,8 n 20 11 11 6 5 6 4 22 37 122 Anteile der Beiträge mit den entsprechenden Ausprägungen des Frame-Elements ‚Bewertungen der Politiker’. Exakter Test nach Fisher (in R): +p<0.1, *p<0.05, **p<0.01, ***p<0.001 (bezieht sich jeweils auf die gesamte Zeile). Ges. gew.: Durchschnittswert über alle Medien, gewichtet nach der Anzahl der Beiträge pro Medium. Kursiv gesetzte Zeilen sind Dimensionen des Frame-Elements und fassen die einzelnen Ausprägungen sowie eine entsprechende ‚sonstige’ Kategorie zusammen. Basis: Alle Beiträge zu den Themen ‚Absetzung der Mozart-Oper’ und ‚Islamkonferenz’ in den neun Medien der Stichprobe (n=122). Anteile in %
WAZ
LVZ
BILD
BR
mdr
ARD
RTL
SZ
FAZ
Die erste Bedingung an eine integrierte Öffentlichkeit wird sowohl von den regionalen Zeitungen als auch den regionalen Fernsehnachrichten erfüllt. Die Regionalzeitungen stellen die deutschen Politiker im Rahmen des Themas ‚Muslime in
Dimension 2: Ähnlichkeit der Diskurse
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Deutschland’ als kompetent und inkompetent dar, allerdings überwiegen die Verweise auf deren Inkompetenz. Die Fernsehnachrichten stimmen allerdings nur dadurch überein, dass sie beide keine Bewertungen von Politikern in der Berichterstattung zu Muslimen in Deutschland enthalten. Die überregionalen Zeitungen diskutieren dieselben Bewertungsdimensionen wie LVZ und WAZ, auch wenn ihr Urteil über die Kompetenz der Politiker nicht ganz so negativ ausfällt. Bei den nationalen Fernsehnachrichten lässt sich die zweite Bedingung nicht überprüfen, da die regionalen Sendungen keinerlei Aussagen zu diesem Frame-Element gemacht haben und somit keine Basis für einen Vergleich besteht. Auch die dritte Bedingung wird von den regionalen Zeitungen erfüllt. Die regionalen Nachrichtensendungen dagegen scheitern hier, weil sie anders als die ARD tagesschau keine Bewertungen der Politiker vorgenommen haben. Bewertungen der Mehrheitsgesellschaft Die Bewertungen der deutschen Mehrheitsgesellschaft im Kontext von Opernabsetzung und Islamkonferenz beziehen sich einerseits auf deren Toleranz, andererseits auf deren sonstige Werte. Die Toleranz der Mehrheitsgesellschaft wird in rund einem Viertel der Beiträge diskutiert, allerdings zumeist negativ (Dimension: intolerant): Die Deutschen hätten viele Vorurteile gegenüber dem Islam oder sogar Angst vor den Muslimen. Die Werte der Mehrheitsgesellschaft werden in über einem Drittel der Beiträge thematisiert, zumeist positiv. Zwölf Prozent der Beiträge beschreiben die Gesellschaft als frei und demokratisch, außerdem erfolgt die positive Bewertung über die Beschreibung der Gesetze zur Trennung von Kirche und Staat sowie zur Religionsfreiheit. Zusätzlich bewerten aber 17 Prozent der Beiträge die Mehrheitsgesellschaft als ohne Werte, insbesondere weil die Gesellschaft nicht für ihre Werte einstünde. In den beiden Regionalzeitungen wird die Mehrheitsgesellschaft auf Basis derselben Dimensionen bewertet. Lediglich einzelne Ausprägungen weichen voneinander ab, beispielsweise bewertet die ostdeutsche Zeitung die gesamtdeutsche Gesellschaft nicht als >christlich< oder >friedlich<, die westdeutsche Zeitung verweist nicht auf die Religionsfreiheit. Damit malen sie ein sehr vielfältiges Bild der deutschen Mehrheitsgesellschaft, mal stellen sie sie als tolerant, mal als intolerant dar, mal führen sie deren positiven Werte an, mal beklagen sie deren Mangel an Werten. Die beiden Regionalsendungen verwenden ebenfalls durchgängig dieselben Dimensionen, sie stellen die Mehrheitsgesellschaft überwiegend als intolerant und ohne Werte dar, nur im gemeinsamen Beitrag zur Opernabsetzung bezeichnen sie sie als demokratisch bzw. als „freie Gesellschaft“ (BR/mdr, 26.09.06, Beitrag 13 bzw. 22).
220
Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
Tabelle 50: Bewertungen der Mehrheitsgesellschaft Öffentlichkeitsarenen Anteile in %
WAZ LVZ BILD
BR
mdr
ARD RTL
SZ
FAZ
Ges. gew.
Bew. Mehrheitsgesell50,0 45,5 45,5 50,0 60,0 16,7 25,0 72,7 70,3 48,4 schaft Toleranz 25,0 27,3 18,2 16,7 40,0 16,7 25,0 36,4 18,9 24,9 Tolerant 5,0 9,1 9,1 5,4 3,2 intolerant 20,0 27,3 9,1 16,7 40,0 16,7 25,0 36,4 16,2 23,0 Angst vor Islam 15,0 9,1 9,1 13,6 2,7 5,5 viele Vorurteile 10,0 27,3 9,1 16,7 40,0 16,7 18,2 13,5 16,8 sonstige Werte 40,0 36,4 36,4 33,3 40,0 68,2 67,6 35,8 *positive Werte 20,0 36,4 18,2 33,3 40,0 54,5 56,8 28,8 christlich 5,0 9,1 9,1 8,1 3,5 demokratisch 10,0 9,1 16,7 20,0 31,8 18,9 11,8 Dt. Gesetze 5,0 9,1 9,1 9,1 18,9 4,7 gegen Gewalt 5,0 16,7 13,6 3,9 keine Werte 25,0 9,1 27,3 16,7 20,0 22,7 32,4 17,0 steht nicht für Werte ein 20,0 9,1 27,3 16,7 20,0 22,7 24,3 15,6 n 20 11 11 6 5 6 4 22 37 122 Anteile der Beiträge mit den entsprechenden Ausprägungen des Frame-Elements ‚Bewertung der Mehrheitsgesellschaft’. Exakter Test nach Fisher (in R): +p<0.1, *p<0.05, **p<0.01, ***p<0.001 (bezieht sich jeweils auf die gesamte Zeile). Ges. gew.: Durchschnittswert über alle Medien, gewichtet nach der Anzahl der Beiträge pro Medium. Kursiv gesetzte Zeilen sind Dimensionen des Frame-Elements und fassen die einzelnen Ausprägungen sowie eine entsprechende ‚sonstige’ Kategorie zusammen. Basis: Alle Beiträge zu den Themen ‚Absetzung der Mozart-Oper’ und ‚Islamkonferenz’ in den neun Medien der Stichprobe (n=122).
Die SZ charakterisiert die Mehrheitsgesellschaft einseitiger als die regionalen Zeitungen und die FAZ, in ihr werden die Deutschen nicht als tolerant beschrieben. Davon abgesehen greifen die überregionalen Zeitungen alle Bewertungselemente auf, die auf regionaler Ebene thematisiert worden sind. Die überregionalen Nachrichten enthalten anders als mdr und BR keinerlei Verweise auf die ‚Werte’ der Mehrheitsgesellschaft, weder positive noch negative, und erfüllen demnach die zweite Bedingung an eine integrierte Öffentlichkeit nicht. Der dritten Bedingung entsprechen beide regionalen Mediengruppen, WAZ und LVZ fehlen jeweils nur einzelne Aspekte aus der Berichterstattung der nationalen Qualitätszeitungen. Zum Beispiel zitiert die LVZ als einzige Zeitung nicht Wolfgang Schäubles Beschreibung der deutschen Gesellschaft als eine „christlich geprägten Ordnung“ (SZ, 29.09.06, B2). Die regionalen Nachrichtensendungen greifen alle Dimensionen der Bewertung der Mehrheitsgesellschaft auf, die in den nationalen Sendungen zu sehen sind.
Dimension 2: Ähnlichkeit der Diskurse
221
Die Arenen-Integration in der zweiten Dimension in der Fallstudie ‚Muslime in Deutschland’ Insgesamt schneiden die untersuchten Öffentlichkeitsarenen in der zweiten Fallstudie etwas besser ab als beim Thema ‚Wahlerfolg der NPD’: Durchschnittlich erfüllen sie die Bedingungen an eine arenen-integrierte Öffentlichkeit für über die Hälfte der verschiedenen Frame-Elemente. Wieder sind es die nationalen Qualitätszeitungen, deren Berichterstattung am vielseitigsten ist. So spricht die FAZ für alle Frame-Elemente alle Dimensionen an, die auf regionaler Ebene diskutiert werden, die SZ berichtet nur bei der Bewertung der Deutschen Oper und der deutschen Mehrheitsgesellschaft einseitiger als die regionale Presse. Aber diesmal erfüllen auch beide regionalen Zeitungen überwiegend die Bedingungen, die Leser von WAZ und LVZ erhalten nicht nur überwiegend Informationen zu denselben Dimensionen der Frame-Elemente wie die Leser der jeweils anderen Regionalzeitung, sondern auch wie die Leser der Qualitätspresse. Die nationalen Fernsehnachrichten schneiden dagegen beim Thema ‚Muslime in Deutschland’ durchgehend schlechter ab. Entgegen der ursprünglich geäußerten Vermutung ist die einseitigere Berichterstattung der tagesschau also nicht allein einer besonderen Zurückhaltung in Bezug auf Rechtsextremisten geschuldet. Auch in der zweiten Fallstudie diskutiert die tagesschau nur wenige der Aspekte, die in den Regionalsendungen thematisiert worden sind. Zwei themenunabhängige Erklärungen sind hier denkbar: Zum einen strebt die tagesschau eine möglichst neutral, wertungsfreie Berichterstattung an (siehe Leitlinien auf intern.tagesschau.de/fragen). Wenn sie bewusst auf Wertungen verzichtet, könnte dies eine schlechte Übereinstimmung bei Bewertungs-Frame-Elementen erklären. Allerdings diskutiert sie auch deutlich weniger Ursachen und Folgen der Ereignisse als die anderen Sender. Eine andere mögliche Erklärung wäre die Rolle der tagesschau als ‚Leitmedium’: Während die Journalisten anderer Medien wahrscheinlich regelmäßig die Berichterstattung der tagesschau rezipieren, nehmen die der tagesschau möglicherweise seltener wahr, was in den regionalen Sendern ausgestrahlt wird, und übernehmen entsprechend weniger Aspekte aus deren Berichterstattung. Aber auch RTL aktuell gelingt es nur für drei FrameElemente (Ursachen und Bewertung Opernabsetzung, Bewertung Islamkonferenz), alle Dimensionen der Berichterstattung in den regionalen Sendern aufzunehmen.
222
Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
Tabelle 51: Ergebnisübersicht für die Dimension Ähnlichkeit der Diskurse in der Fallstudie ‚Muslime in Deutschland’ Öffentlichkeitsarenen WAZ
LVZ
[BILD]
BR
mdr
ARD
RTL
SZ
FAZ
Ursachen Oper n.z. n.z. n.z. n.z. + + Ost-West + + + + + + n.z. n.z. n.z. n.z. n.z. reg-nat n.z. + n.z. n.z. n.z. + nat-reg Folgen Oper n.z. n.z. Ost-West n.z. n.z. n.z. n.z. + reg-nat n.z. n.z. n.z. + n.z. nat-reg + + n.z. n.z. n.z. Bewertung Oper Ost-West + + + + n.z. n.z. n.z. n.z. reg-nat n.z. n.z. n.z. n.z. n.z. + + nat-reg + + + n.z. + n.z. n.z. n.z. Folgen IK n.z. n.z. n.z. n.z. Ost-West + + n.z. + + reg-nat n.z. n.z. n.z. n.z. n.z. n.z. n.z. n.z. nat-reg + + Bewertung IK Ost-West + n.z. n.z. n.z. n.z. reg-nat n.z. n.z. n.z. n.z. n.z. + + + nat-reg + n.z. n.z. n.z. n.z. Bew. Muslime n.z. n.z. n.z. Ost-West + + n.z. + + + reg-nat n.z. n.z. n.z. + n.z. n.z. n.z. n.z. n.z. n.z. nat-reg Bew. Politiker n.z. n.z. + + 0 0 n.z. n.z. Ost-West + n.z. n.z. 0 + n.z. n.z. n.z. 0 reg-nat n.z. n.z. n.z. + + n.z. nat-reg Bew. Gesell. + n.z. Ost-West + + + + n.z. n.z. n.z. n.z. n.z. n.z. reg-nat n.z. n.z. + + + + n.z. nat-reg + + n.z. n.z. n.z. Summe 8/16 10/16 [5/16] 9/16 7/16 1/8 3/8 6/8 8/8 + die Dimensionen des Frame-Elements im jeweiligen Medium decken Ost-West: die Dimensionen im anderen regionalen Medium ab reg-nat: die Dimensionen in beiden regionalen Medien ab nat-reg die Dimensionen in beiden nationalen Medien ab - die Dimensionen des Frame-Elements im jeweiligen Medium decken Ost-West: die Dimensionen im anderen regionalen Medium nicht ab reg-nat: die Dimensionen in beiden regionalen Medien nicht ab nat-reg: die Dimensionen in beiden nationalen Medien nicht ab n.z. nicht zutreffend Basis: Alle Beiträge zu den Themen ‚Absetzung der Mozart-Oper’ und ‚Islamkonferenz’ in den neun Medien der Stichprobe (n=122).
Dimension 2: Ähnlichkeit der Diskurse
223
Bei den regionalen Nachrichten holt das Bayerische Fernsehen beim Thema ‚Muslime in Deutschland’ deutlich auf und spiegelt sowohl die Diskussion im mdr als auch die der nationalen Nachrichten deutlich besser wider als in der ersten Fallstudie. Die Berichterstattung des mdr unterscheidet sich dagegen in mehreren Bereichen von der des westdeutschen Senders, und die Ähnlichkeit zu den überregionalen Nachrichten ist ebenfalls nur gerade akzeptabel. Anders als in der ersten Fallstudie lassen sich für das Thema ‚Muslime in Deutschland’ keine systematischen Unterschiede zwischen ost- und westdeutschen Medien ausmachen. Zwar kann man vermuten, dass die Betroffenheit der Leser der LVZ bei diesem Thema etwas geringer ist als die der WAZ-Leser – aufgrund des geringeren muslimischen Bevölkerungsanteils im Osten des Landes – dies äußert sich aber nur in einer weniger umfangreichen, nicht in einer merklich einseitigeren Berichterstattung als in der anderen Regionalzeitung. Auch beim Thema ‚Muslime in Deutschland’ fällt die Darstellung in den verschiedenen Öffentlichkeitsarenen insbesondere bei der Diskussion der Ereignis-Folgen auseinander, sowohl für die Folgen der Opernabsetzung als auch für die der Islamkonferenz werden in den Arenen jeweils unterschiedliche Dimensionen diskutiert. Bei der Bewertung der Mehrheitsgesellschaft und den Politikern stimmen die Arenen dagegen am meisten überein. Wenn auch die BILD beim Vergleich der Medien verschiedener Landesteile nicht berücksichtigt werden konnte, so fällt doch auf, dass sie beim Thema ‚Muslime in Deutschland’ die Berichterstattung in den anderen regionalen Zeitungen wie auch der nationalen Qualitätspresse deutlich besser widerspiegelt als in der ersten Fallstudie: Insbesondere das Ereignis Opernabsetzung hat mehrere Artikel provoziert, so dass die BILD bei den Ursachen und der Bewertung des Ereignisses eine ähnliche Bandbreite von Argumenten enthält wie die anderen Medien. Ansonsten entspricht die BILD auch hier ihrem Ruf als ‚volksnahes’ Blatt, da die deutsche Mehrheitsgesellschaft die einzige Akteursgruppe ist, über die die BILD in einer ähnlichen Vielfalt berichtet wie die anderen Medien. Die wenigen Vergleiche von in der Berichterstattung ost- und westdeutscher Medien verwendeter Frames haben sich bisher ausschließlich auf Themen konzentriert, bei denen Ost-West-Unterschiede besonders wahrscheinlich sind. Beispielsweise stellen Helmut Scherer et al. für das Jahr 1994 systematische Unterschiede beim Thema ‚Wiedervereinigung’ fest: Für die ostdeutschen Zeitungen stehen die wirtschaftlichen Folgen im Vordergrund, für die westdeutschen der Umgang mit den politischen Altlasten (Scherer et al. 1997: 434).52 52
Auch eine frühere Studie von Pfetsch/Voltmer (1994) findet große Unterschiede in der Behandlung des Themas ‚Wiedervereinigung’ (und anderer Themen): Während die ostdeutschen Zeitungen die Auswirkungen auf unterschiedliche Politikbereiche wie Wirtschaft und Soziales diskutieren, fokussieren die westdeutschen auf die institutionellen Strukturveränderungen (ibid: 520). Die Analyse
224
Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
Alexander Thumfart hat wiederum die Diskussion der Weimarer Kunstausstellung ‚Aufstieg und Fall der Moderne’ in ost- und westdeutschen Regionalzeitungen sowie in der überregionalen Qualitätspresse untersucht.53 Seine rein qualitative Analyse zeigt auf, dass die westdeutschen und überregionalen Zeitungen das Thema den überwiegenden Teil der Zeit ausschließlich der Sphäre der Kunst zuordnen, während es die ostdeutschen Zeitungen von vorneherein als Ausdruck der politischen und kulturellen Differenz von Ost- und Westdeutschland diskutierten (Thumfart 2002: 760). Aus Carsten Reinemanns Studie zur Berichterstattung über die Hartz IVGesetze lässt sich ablesen, dass es auch bei Themen, die nicht von vorneherein eine Ost-West-Differenz nahelegen, zu Unterschieden in der Darstellung kommen kann. So ähnelt die Berichterstattung der LVZ mit ihrem Fokus auf den Bewertungen der finanziellen Konsequenzen der Hartz IV-Reform für die Betroffenen deutlich mehr der der Leipziger BILD als der der untersuchten westdeutschen Regionalzeitung (Allgemeine Zeitung Mainz) oder der der Qualitätszeitungen FAZ und SZ (Reinemann 2008). Die Gegenüberstellung von zwei Fallstudien zu Themen unterschiedlicher Reichweite in dieser Arbeit verdeutlicht ebenfalls, dass Unterschiede zwischen west- und ostdeutschen Medien themenabhängig sind: In der Diskussion des ostdeutsch-regionalen Themas ‚Wahlerfolg der NPD’ berichten die regionalen westdeutschen Medien einseitiger bzw. verwenden teilweise andere Dimensionen der Frame-Elemente als die ostdeutschen Medien. Beim Thema nationaler Bedeutung, ‚Muslime in Deutschland’, lässt sich dagegen keine systematische Trennlinie zwischen der ost- und westdeutschen Berichterstattung ausmachen. Zudem zeigt sich, dass – anders als bei Thumfart – die überregionale Qualitätspresse themenunabhängig fast die gesamte Bandbreite an Inhalten beschreibt, die in den regionalen Teilöffentlichkeiten diskutiert wird.
bezieht sich jedoch auf das Jahr 1990, also auf einen Zeitpunkt, zu dem auch noch keine Angleichungsprozesse zwischen west- und ostdeutschen Medien zu erwarten waren. 53 Zentrale Kritikpunkte an der Ausstellung im Jahr 1999 waren, erstens, dass die Kunst des Dritten Reiches und die der DDR anders als die der klassischen Moderne unter ‚einem Dach’ ausgestellt wurden, und zwar in einem politisch belasteten Gebäude, dem Gauforum (das übrigens inzwischen ein Einkaufszentrum beherbergt). Zweitens wurde ein Teil der DDR-Kunst ohne Systematik dichtgedrängt vor blauen Plastikplanen aufgehängt, so dass laut Zeitungskritiken statt des von den Kuratoren intendierten ‚Panoramas’ eher der Eindruck einer ‚Müllhalde’ hervorgerufen wurde (vgl. Thumfart 2002: 747).
Dimension 3: Vernetzung der Diskurse
225
4.3 Dimension 3: Vernetzung der Diskurse Die dritte Dimension der Integration von Öffentlichkeit fragt nun danach, inwieweit die öffentlichen Diskussionen in den verschiedenen Teilöffentlichkeiten einer politischen Gemeinschaft Teil einer gemeinsamen Debatte sind, also der Prozess der Meinungsbildung über die Grenzen der einzelnen Öffentlichkeitsarenen hinausgeht. Für eine arenen-integrierte Öffentlichkeit sollte der soziale Raum, der in den einzelnen Arenen über die diskutierten Themen und beteiligten Sprecher transportiert wird, dem der gesamten politischen Gemeinschaft entsprechen, und nicht allein auf die Gemeinschaft der direkten Nutzer dieser Öffentlichkeit beschränkt sein. Für die deutsche politische Gemeinschaft ist dies insbesondere in Bezug auf die ost- und westdeutschen Landesteile von Bedeutung, diese markieren nicht nur eine geographische, sondern auch eine zentrale gesellschaftliche Spaltungslinie. Demnach ist es für den Fall der deutschen Öffentlichkeit besonders wichtig, dass eine gemeinsame öffentliche Debatte zwischen der ost- und der westdeutschen Landeshälfte besteht. Als Indikatoren für die Diskursgemeinschaft sind drei Aspekte analysiert worden: die primären geographischen Bezugnahmen, die Herkunft der Hauptakteure und die Herkunft der Sprecher. Es gelten folgende Anforderungen für die Arenen-Integration der nationalen Öffentlichkeit: 1.
2.
4.3.1
In den regionalen Öffentlichkeitsarenen eines Landesteils finden sich Artikel zu Themen, bzw. mit Hauptakteuren oder Sprechern aus dem anderen Landesteil. In den nationalen Öffentlichkeitsarenen finden sich Artikel zu Themen, bzw. mit Hauptakteuren oder Sprechern aus beiden Landesteilen. Das Verhältnis zwischen Verweisen auf Ost- oder Westdeutschland in den Öffentlichkeitsarenen entspricht der Bedeutung der beiden Landesteile für die politische Gesamtgemeinschaft.54
Vernetzung durch geographische Bezugnahmen
Mittels des ersten Indikators wird überprüft, inwieweit sich die regionalen Medien beider Landesteile gegenseitig beobachten bzw. die nationalen Medien beide Landesteile beobachten. Zu diesem Zweck sind in Zeitungsartikeln die primären geographischen Bezugnahmen erhoben worden, d.h. alle geographi54
Die politische Bedeutung der verschiedenen Regionen wird hier an den Bevölkerungszahlen gemessen (vgl. Kapitel 2.3.3). Berlin wird aus den Berechnungen ausgeschlossen, weil es sich nicht eindeutig einem der beiden Landesteile zuordnen lässt. Geographisch liegt es zwar innerhalb der Neuen Bundesländer, historisch betrachtet war West-Berlin aber Teil Westdeutschlands.
226
Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
schen Verweise in Überschrift, Lead oder erstem Absatz der Artikel. Über diese Verweise lassen sich die geographische Regionen erfassen, die im Beitrag eine wichtige Rolle spielen. Es konnten bis zu zehn verschiedene Regionen kodiert werden. Bei den Fernsehnachrichten sind alle geographischen Verweise kodiert worden, da hier nicht zwischen primären und sekundären Verweisen unterschieden werden konnte. Abbildung 26: Anteil der Beiträge mit (primärer) geographischer Bezugnahme auf die entsprechende Region (in Prozent) 70 60 50 40 % 30 20 10 0 WAZ
BR
LVZ
eigene Region "Ostdeutschland"
Bild
MDR
"Westdeutschland" ostdeutsche Region
ARD
RTL
SZ
FAZ
westdeutsche Region Nation
Basis: Alle Beiträge der Stichprobe (n=6378), siehe auch Tabelle 66 im Anhang.
Betrachten wir zunächst die regionalen Medien aus Westdeutschland: Das Interesse an der eigenen Region ist in WAZ und BR mit Abstand am größten, die WAZ berichtet in 63 Prozent ihrer Artikel, der BR in 59 Prozent über Geschehnisse im eigenen Bundesland. Es besteht zwar auch ein Interesse an Ereignissen oder Entwicklungen aus anderen Regionen West- oder Ostdeutschlands, dieses ist aber vergleichsweise gering: Die WAZ verweist nur in acht Prozent ihrer Beiträge auf Geschehnisse in anderen westdeutschen Bundesländern, ostdeutsche Bundesländer oder Ostdeutschland insgesamt werden nur in drei Prozent der Artikel behandelt. Bei der Bayerischen Rundschau ist das Interesse marginal größer: Zwölf Prozent der Beiträge verweisen auf andere westdeutsche, vier Prozent auf ostdeutsche Bundesländer. Dennoch erfüllen die regionalen westdeutschen Medien alle Anforderungen an eine arenen-integrierte Öffentlichkeit: Sie berichten nicht nur über Ostdeutschland, der fremde Landesteil hat sogar im
Dimension 3: Vernetzung der Diskurse
227
Vergleich zur Berichterstattung über das restliche Westdeutschland eine etwas größere Bedeutung als es seiner politischen Bedeutung entsprechen würde (ca. ein Viertel und nicht nur ein Sechstel). Allerdings sind die Bedingungen hierfür besonders günstig gewesen, weil während des Untersuchungszeitraums die Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern stattfand. Bei den regionalen Medien aus Ostdeutschland fällt auf, dass sie im Vergleich zu ihren westdeutschen Pendants weniger Beiträge zur eigenen Region enthalten (nur 53 Prozent in der LVZ und 38 Prozent im mdr). Insbesondere die regionalen Nachrichten des mdr berichten vergleichsweise wenig über die eigene Region und dies, obwohl die ‚eigene’ Region drei Bundesländer umfasst, nämlich Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Das Interesse an anderen Bundesländern ist dagegen hoch: Die LVZ verweist in zwölf Prozent ihrer Artikel auf Westdeutschland, auf ‚fremde’ ostdeutsche Bundesländer sogar in 15 Prozent. Demnach erfüllt die LVZ zwar die erste Anforderung an eine integrierte Öffentlichkeit, sie berichtet sowohl über Ereignisse in Ost-, aber auch in Westdeutschland, aber nicht die zweite Anforderung: Ihr Interesse an Ostdeutschland ist mit 56 Prozent aller Artikel mit fremden regionalen ostdeutschen Bezügen deutlich überproportional. Bei der BILD entspricht das Verhältnis eher den Anforderungen, hier stehen 17 Prozent Artikel zu Westdeutschland sieben Prozent zu Ostdeutschland gegenüber, Ostdeutschland hat demnach einen Anteil von knapp 30 Prozent. Beim mdr ist die Rolle Ostdeutschlands bei den regionalen Verweisen doppelt so groß wie gefordert: Ostdeutsche Verweise machen im Vergleich zu den westdeutschen Verweisen über ein Drittel aus. Unabhängig von den aufgestellten Anforderungen an eine integrierte Öffentlichkeit fällt ein weiterer Unterschied zwischen ost- und westdeutschen regionalen Medien auf: Regionale Medien aus den Neuen Bundesländern verweisen deutlich häufiger auf die Landesteile als Gesamtregion, im Schnitt beziehen sich zwei Prozent der Beiträge in ostdeutschen Medien auf ‚West-Deutschland’ (oder die ‚Alten Bundesländer’) und sogar fünf Prozent auf ‚Ost-Deutschland’. In den regionalen westdeutschen Arenen erreichen beide Kategorien nicht einmal ein Prozent der Beiträge, die geographischen Bezüge verweisen fast immer auf einzelne Teilregionen wie etwa ‚Bayern’ oder ‚Sachsen’; ‚Ost-’ und ‚WestDeutschland’ scheinen in westdeutschen Medien kaum als Kategorien vorzukommen. Die national ausgerichteten Medien zeichnen sich, wie zu erwarten, auch in ihren Beiträgen durch eine nationale Orientierung aus: Beiträge zur eigenen ‚Stammregion’ sind vergleichsweise selten, lediglich RTL enthält noch einen relativ hohen Anteil von Beiträgen zu Nordrheinwestfalen (neun Prozent). Ansonsten machen die Beiträge mit Verweis auf Deutschland in den nationalen Fernsehnachrichten um die 40 Prozent, in den überregionalen Zeitungen knapp
228
Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
ein Drittel aus. Dennoch beziehen sich auch viele Beiträge auf die verschiedenen Regionen Deutschlands: Dabei treten die Verweise auf westdeutsche Regionen im Fernsehen in mindestens einem Viertel der Beiträge auf, in den nationalen Zeitungen noch in 16 (SZ) bis 21 (FAZ) Prozent der Beiträge. Ostdeutsche Regionen spielen in allen nationalen Medien in um die zehn Prozent der Beiträge eine Rolle, lediglich in der SZ liegt das Interesse nur bei knapp sieben Prozent. Von den Beiträgen mit Bezug auf deutsche Regionen macht Ostdeutschland demnach in den national ausgerichteten Medien mindestens ein Viertel aus. Damit ist das Interesse zwar etwas größer als das veranschlagte Sechstel, entspricht aber noch weitestgehend der politischen Bedeutung dieses Landesteils. Bei den geographischen Bezügen erfüllen somit die nationalen Teilöffentlichkeiten die Anforderungen an eine integrierte Öffentlichkeit. Auffällig sind allerdings auch hier die Verweise auf die gesamten Landesteile: ‚Ost-Deutschland’ kommt trotz seiner insgesamt geringeren Bedeutung doppelt so häufig vor wie ‚West-Deutschland’ (1,6 gegenüber 0,8 Prozent). Mittels einer Varianzanalyse wird nun überprüft, mit welchen Faktoren sich die Zahl der geographischen Bezüge in den verschiedenen Teilöffentlichkeiten erklären lässt. Für eine arenen-integrierte Öffentlichkeit würde man erwarten, dass weder die Stammregion des Mediums noch seine Ausrichtung (national oder regional) einen signifikanten Einfluss darauf haben, ob auf West- oder Ostdeutschland verwiesen wird. Für die Varianzanalyse werden zwei neue abhängige Variablen gebildet: die Bezugnahmen auf den eigenen Landesteil und die auf den fremden Landesteil. Für die erste Variable werden die Bezugnahmen westdeutscher Medien auf westdeutsche Regionen bzw. Westdeutschland insgesamt zusammengefasst mit den Bezugnahmen ostdeutscher Medien auf ostdeutsche Regionen bzw. Ostdeutschland. Für die zweite Variable wird entsprechend andersherum verfahren: Sie kombiniert die Bezugnahmen westdeutscher Medien auf ostdeutsche Regionen bzw. Ostdeutschland mit den Bezugnahmen ostdeutscher Medien auf westdeutsche Regionen bzw. Westdeutschland. Damit kann direkt überprüft werden, inwieweit sich die Herkunft des Mediums auf das Interesse am eigenen und fremden Landesteil auswirkt.55 Zwei Erklärungsfaktoren sind durchgängig von hoher Bedeutung: die Themenkategorien (mit betas zwischen 0,21 und 0,47) sowie die Mediengattung (betas zwischen 0,10 und 0,18). Insgesamt kommen in Fernsehbeiträgen demnach mehr geographische Verweise vor, dies hängt sicherlich damit zusammen,
55
Hätte man lediglich die Bezüge auf Ost- bzw. Westdeutschland unterschieden, so wäre für die Variablen Medienherkunft lediglich das triviale Ergebnis entstanden, dass Medien aus Westdeutschland mehr über Westdeutschland berichten (und andersherum).
Dimension 3: Vernetzung der Diskurse
229
dass anders als bei den Zeitungen im Fernsehen nicht zwischen primären und sekundären Bezugnahmen unterschieden werden konnte. Tabelle 52: Einflussfaktoren auf die Anzahl der geographischen Bezugnahmen auf unterschiedliche Regionen Abhängige Variable: Anzahl der Bezüge auf … pro Artikel Eig. Landesteil1 Fremd. Landesteil2 Nation insgesamt1 Unabhängige Variablen Abw. Beta Abw. Beta Abw. Beta Mediengattung 0,10*** 0,12*** 0,18*** TV +0,18 +0,12 +0,22 Zeitung -0,04 -0,02 -0,04 Zielgruppe 0,26*** 0,10*** 0,07*** Regional +0,16 -0,03 -0,03 National -0,28 +0,06 +0,05 Landesteil 0,14*** 0,18*** 0,04** Ost -0,14 +0,09 +0,03 West +0,09 -0,06 -0,02 Quelle 0,14*** 0,07*** 0,05** Eigener Bericht +0,08 -0,02 -0,01 Agentur -0,19 +0,06 +0,02 Anderes Medium -0,17 +0,02 +0,05 Kombination -0,31 +0,13 +0,14 Nicht entscheidbar -0,07 -0,01 -0,02 Darstellungsform 0,10*** 0,07*** 0,08*** Kommentar -0,18 +0,04 +0,05 Kurze Meldung +0,06 -0,03 -0,04 Längerer Bericht -0,03 +0,03 +0,04 Interview +0,07 +0,01 +0,14 Sonstige Darstellungsform -0,20 +0,03 +0,01 Themen 0,29*** 0,21*** 0,47*** Innenpolitik: Regional +0,17 +0,23 -0,02 Innenpolitik: National -0,10 +0,01 +0,54 Außenpolitik -0,32 -0,06 +0,43 EU-Politik -0,36 -0,10 -0,06 Politik anderer Länder -0,46 -0,12 -0,31 Internationale Politik -0,44 -0,13 -0,22 Wirtschaft/Gesellschaft +0,16 -0,03 +0,07 Unterhaltungsthemen +0,04 -0,02 -0,08 Angstthemen +0,24 +0,08 -0,23 Mittelwert (2,0) 0,60 0,13 0,34 Erklärte Varianz (R²) 0,21 0,08 0,28 Varianzanalyse, Multiple Classification Analysis zur Bestimmung der Stärke der Haupteffekte. * p<0.05; ** p<0.01; *** p<0.001. 1 F-Wert=28,94, df=19, p<0.001; 2 F-Wert=70,47, df=19, p<0.001; 3 F-Wert=130,73, df=19, p<0.001. Abw.=Abweichung vom Gesamtmittelwert. Basis: Alle Beiträge in der Stichprobe (n=6378).
230
Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
Auf die Bezüge auf Regionen des eigenen oder fremden Landesteils innerhalb Deutschlands hat das Beitragsthema einen starken Einfluss: Insbesondere bei Angstthemen findet ein Verweis auf die Regionen des eigenen Landesteils statt, auf den fremden Landesteil wird vorwiegend im Rahmen regionaler Politikbeiträge verwiesen, bei Angstthemen spielt er nur eine geringfügig größere Rolle. In anderen Worten, bei der Berichterstattung über Angstthemen wie Kriminalität oder Unfälle und Katastrophen scheint der Nachrichtenfaktor Nähe eine besonders große Rolle zu spielen. Der fremde Landesteil wird dagegen deutlich sachlicher als Teil der Regionalpolitik behandelt. Wenig überraschend finden sich Bezüge auf Regionen des eigenen oder fremden Landesteils besonders selten in Beiträgen zu Außenpolitik, EU-Politik, Politik anderer Länder sowie zu Internationaler Politik, diese Themen werden selten durch eine regionale Brille betrachtet. Bei den Verweisen auf die Nation an sich hat das Beitragsthema den mit Abstand größten Einfluss (beta von 0,47): Bezüge auf ‚Deutschland’ kommen vor allem in Beiträgen zu nationaler oder Außenpolitik vor. Bei den Verweisen auf den eigenen Landesteil hat die Ausrichtung der Medien ebenfalls eine große Bedeutung (beta=0,26). Regionale Medien verweisen, ihrer inhaltlichen Ausrichtung entsprechend, besonders häufig auf den eigenen Landesteil, nationale deutlich weniger. Für die Arenen-Integration der Öffentlichkeit entscheidender sind aber die Verweise auf den fremden Landesteil – hier schneiden die Medien mit nationaler Ausrichtung besonders gut ab, die regional ausgerichteten etwas, aber nicht gravierend schlechter. Der jeweils fremde Landesteil wird demnach in regionalen Medien tatsächlich etwas seltener beleuchtet, die Differenz zu den nationalen Medien erscheint jedoch nicht bedenklich. Deren verstärkte Beachtung des fremden Landesteils ist im Kontext der ArenenIntegration jedoch positiv zu bewerten: Da die nationalen Medien ausnahmslos im Westen des Landes angesiedelt sind, bedeutet dies, dass sie den Osten keineswegs aus dem Blick verloren haben, sondern ihm eher überproportional viel Aufmerksamkeit widmen. Bedenklich für die Arenen-Integration der Öffentlichkeit erscheint zunächst der signifikante Einfluss der Herkunft des Mediums auf die Zahl der geographischen Verweise: Demnach beziehen sich westdeutsche Medien besonders häufig auf den eigenen Landesteil, und eher unterdurchschnittlich oft auf den fremden Landesteil. Auch bei den rein deskriptiven Analysen fallen die regionalen westdeutschen Medien durch eine ausgeprägte regionale, heimatbezogene Orientierung auf. Bei den ostdeutschen Medien sind dagegen die Verweise auf Regionen im fremden Landesteil etwas häufiger (+0,09). Dieses Ergebnis wird allerdings etwas relativiert durch die zweite Anforderung an die integrierte Öffentlichkeit: Aufgrund dessen größerer politischer Bedeutung sollte auch etwas häufiger auf westdeutsche als auf ostdeutsche Regionen verwiesen werden. Insgesamt sollte
Dimension 3: Vernetzung der Diskurse
231
die Gesamtöffentlichkeit daher auch auf Basis der Varianzanalysen für diesen Indikator als arenen-integriert angesehen werden.
4.3.2 Vernetzung durch Hauptakteure unterschiedlicher Herkunft Als zweiter Indikator wird die Herkunft des Hauptakteurs analysiert– es konnten bis zu drei Hauptakteure pro Beitrag verschlüsselt werden, dementsprechend konnten bis zu drei verschiedene Regionen als Herkunftsort genannt werden. In Bezug auf die Vernetzung der Diskurse geht es an dieser Stelle darum zu prüfen, ob die einzelnen Teilöffentlichkeiten einander nicht nur beobachten, sondern auch gelegentlich zu anderen Öffentlichkeitsarenen gehörige Hauptakteure in das Zentrum ihrer Aufmerksamkeit stellen. Entsprechend des engeren Fokus dieses Indikators ist generell der Anteil der Beiträge mit einem Hauptakteur aus den einzelnen geographischen Regionen niedriger. Beispielsweise liegt der Anteil der Beiträge mit geographischem Bezug auf die eigene Region durchschnittlich bei 29 Prozent, der Anteil der Beiträge mit mindestens einem Hauptakteur aus der eigenen Region beträgt dagegen im Schnitt nur 22 Prozent. Abbildung 27: Anteil der Beiträge mit Hauptakteuren aus der entsprechenden Region (in Prozent) 60 50 40 % 30 20 10 0 WAZ
BR
LVZ
eigene Region "Ostdeutschland"
Bild
MDR
"Westdeutschland" ostdeutsche Region
ARD
RTL
SZ
FAZ
westdeutsche Region national
Basis: Alle Beiträge der Stichprobe (n=6378), siehe auch Tabelle 67 im Anhang.
232
Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
Betrachtet man die verschiedenen möglichen Herkunftsorte, wiederholt sich das Bild, das wir bereits von den geographischen Bezugnahmen kennen. Die regionalen westdeutschen Medien enthalten besonders viele Beiträge mit Hauptakteuren aus der eigenen Region (WAZ: 54 Prozent, BR: 43 Prozent). Hauptakteure aus ostdeutschen Bundesländern finden sich nur in zwei (WAZ) bzw. drei (BR) Prozent der Beiträge, da aber auch Hauptakteure aus anderen westdeutschen Bundesländern sehr selten sind (in vier Prozent der Beiträge), liegt der Anteil ostdeutscher Hauptakteure an regionalen Hauptakteure über dem geforderten Sechstel (28 Prozent in WAZ und 42 Prozent in BR). Bei den ostdeutschen regionalen Medien nimmt die LVZ wiederum eine Sonderstellung ein, da sie als einziges Medium mehr Artikel mit Hauptakteuren aus den übrigen ostdeutschen Bundesländern als mit westdeutschen Hauptakteuren aufweist, mit acht gegenüber knapp vier Prozent sind es mehr als doppelt so viele. In der Leipziger BILD sowie im mdr kommen deutlich weniger Hauptakteure aus der eigenen Region vor als in den westdeutschen Regionalmedien (höchstens ein Viertel der Beiträge). Stattdessen ist der Anteil der Beiträge mit Hauptakteuren aus anderen ostdeutschen oder westdeutschen Bundesländern relativ hoch, die relative Bedeutung des Ostens entspricht in der BILD noch gerade den Anforderungen an eine integrierte Öffentlichkeit, beim mdr liegt der Anteil mit über einem Drittel etwas zu hoch. Anders als bei den geographischen Bezügen, bei denen die nationalen Medien mit ihren regionalen Bezügen deutlich über dem Durchschnitt liegen, spielen jetzt nationale Hauptakteure die mit Abstand wichtigste Rolle. Dennoch finden sich in allen nationalen Medien auch Beiträge mit Hauptakteuren aus beiden Teilen des Landes. In der tagesschau entspricht das Verhältnis zwischen ost- und westdeutschen Hauptakteuren mit vier zu fünfzehn Prozent sogar fast genau den Anforderungen. In den anderen nationalen Medien spielen ostdeutsche Hauptakteure eine etwas größere Rolle als es der Bedeutung des Landesteils entsprechen würde, dies gilt insbesondere für die SZ. Während alle Teilöffentlichkeiten also der ersten Anforderung entsprechen, ist die Bedeutung ostdeutscher Hauptakteure in SZ, BILD, BR und vor allem der LVZ zu groß, um der zweiten Anforderung zu genügen. Es wird nun geprüft, durch welche Faktoren sich die Anzahl der Hauptakteure aus bestimmten Regionen am besten erklären lässt. Getestet wird dies zum einen für die Hauptakteure aus dem eigenen Landesteil (also sowohl lokale Hauptakteure wie auch Hauptakteure aus anderen Bundesländern des eigenen Landesteils), zum anderen für Hauptakteure aus dem fremden Landesteil sowie für nationale Hauptakteure. Der wichtigste Einflussfaktor ist wieder die Themenkategorie des Beitrags, hier ergeben sich betas zwischen 0,23 (fremder Landesteil) und 0,51 (national).
Dimension 3: Vernetzung der Diskurse
233
Für Hauptakteure aus dem eigenen Landesteil wie für nationale Hauptakteure können die erstellten Modelle einen sehr befriedigenden Varianzanteil erklären (jeweils mehr als ein Viertel), allein bei den Hauptakteuren aus dem fremden Landesteil ergibt sich aufgrund der geringen Fallzahlen nur ein R² von 0,07. Tabelle 53: Einflussfaktoren auf die Anzahl der Hauptakteure unterschiedlicher Herkunft Abhängige Var.: Anzahl der Hauptakteure aus … pro Artikel Eig. Landesteil1 Fremd. Landesteil2 Nation3 Unabhängige Variablen Abw. Beta Abw. Beta Abw. Beta Mediengattung 0,13*** 0,01 0,03* TV -0,15 +0,01 +0,04 Zeitung +0,03 -0,00 -0,01 Zielgruppe 0,33*** 0,08*** 0,10*** Regional +0,13 -0,02 -0,04 National -0,23 +0,03 +0,07 Landesteil 0,13*** 0,12*** 0,07*** Ost -0,08 +0,04 +0,05 West +0,06 -0,03 -0,03 Quelle 0,19** 0,05** 0,05*** Eigener Bericht +0,07 -0,00 -0,00 Agentur -0,18 +0,01 +0,00 Anderes Medium -0,12 +0,02 +0,09 Kombination -0,28 +0,07 +0,12 Nicht entscheidbar -0,04 -0,01 -0,03 Darstellungsform 0,13*** 0,06** 0,07*** Kommentar -0,12 +0,00 +0,08 Kurze Meldung +0,06 -0,01 -0,03 Längerer Bericht -0,04 +0,02 +0,03 Interview -0,15 -0,02 +0,13 Sonstige Darstellungsform -0,14 +0,00 -0,04 Themen 0,31*** 0,23*** 0,51*** Innenpolitik: Regional +0,14 +0,13 +0,04 Innenpolitik: National -0,18 -0,02 +0,59 Außenpolitik -0,24 -0,07 +0,45 EU-Politik -0,25 -0,05 -0,16 Politik anderer Länder -0,26 -0,06 -0,31 Internationale Politik -0,25 -0,06 -0,24 Wirtschaft/Gesellschaft +0,08 -0,03 +0,02 Unterhaltungsthemen +0,03 -0,01 -0,09 Angstthemen +0,23 +0,08 -0,19 Mittelwert (1,2) 0,37 0,06 0,29 Erklärte Varianz (R²) 0,26 0,07 0,28 Varianzanalyse, Multiple Classification Analysis zur Bestimmung der Stärke der Haupteffekte. * p<0.05; ** p<0.01; *** p<0.001. 1 F-Wert=23,42, df=19, p<0.001; 2 F-Wert=27,12, df=19, p<0.001; 3 F-Wert=131,30, df=19, p<0.001. Abw.=Abweichung vom Gesamtmittelwert. Basis: Alle Beiträge in der Stichprobe (n=6378).
234
Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
Erwartungsgemäß diskutieren die Medien besonders häufig in Beiträgen zur Regionalpolitik Hauptakteure aus dem eigenen Landesteil, aber wieder sind es die Angstthemen, bei denen diese die höchsten Werte erreichen. In anderen politischen Themenkategorien werden sie dagegen nur sehr selten in den Blick genommen, in Beiträgen zu nationaler Politik sinkt der Mittelwert um 0,18, auf internationaler Ebene sogar mindestens um 0,26. Nationale Hauptakteure treten dagegen wie erwartet besonders häufig in der Berichterstattung zu nationaler Politik oder Außenpolitik auf. Ein weiterer wichtiger Erklärungsfaktor ist die Ausrichtung des Mediums (beta von 0,33), es sind die regionalen Medien, die ihre Aufmerksamkeit besonders häufig auf Hauptakteure aus dem eigenen Landesteil richten. Allerdings zeigt der signifikante Einfluss der Mediengattung, dass dies letztlich nur für die regionalen Zeitungen gilt, in Fernsehnachrichten stehen unabhängig von deren regionaler oder nationaler Ausrichtung deutlich weniger Hauptakteure aus dem eigenen Landesteil im Mittelpunkt. Nationale Medien (mit Sitz in WestDeutschland) wiederum diskutieren häufiger Hauptakteure aus dem fremden Landesteil, eine Fragmentation der Öffentlichkeit ist demnach hier nicht zu befürchten, auch nationale Medien beachten ostdeutsche Hauptakteure. Auch auf nationale Hauptakteure wirkt sich die Medienausrichtung aus, sie werden öfter von nationalen Medien in den Blick genommen. Der Unterschied zu regionalen Medien ist jedoch nicht so groß, dass man von einer Gefährdung der ArenenIntegration der Öffentlichkeit sprechen kann, da letztere die nationale Ebene keineswegs ignoriert. Die Herkunft des Mediums wirkt sich ebenfalls aus: Ostdeutsche Medien nehmen verhältnismäßig selten Hauptakteure aus dem eigenen Landesteil in den Blick, in anderen Worten ostdeutsche regionale Medien haben einen weniger regionalen Fokus als ihre westdeutschen Pendants. Stattdessen stellen sie häufiger Hauptakteure aus dem fremden Landesteil in den Mittelpunkt ihrer Beiträge (+0,04). Dies entspricht aber auch der zweiten Anforderung an eine arenenintegrierte Öffentlichkeit, nach der westdeutsche Hauptakteure einen größeren Anteil an der Debatte haben sollten. Bei den nationalen Hauptakteuren spielt die Herkunft des Mediums zwar auch eine Rolle, aber keine bedenkliche: Es sind gerade die ostdeutschen Medien, die nationale Akteure öfter in den Mittelpunkt ihrer Berichterstattung stellen. Das entspricht dem bereits angesprochenen Eindruck, dass ostdeutsche regionale Medien eine etwas überregionalere Ausrichtung zeigen. In jedem Fall kann die Varianzanalyse die Befürchtung, dass sich ostdeutsche Medien insbesondere gegenüber nationalen Hauptakteuren verschließen würden, weil diese noch nicht Teil ‚ihrer’ nationalen Ebene sind, eindeutig entkräften.
Dimension 3: Vernetzung der Diskurse 4.3.3
235
Vernetzung durch zitierte Sprecher unterschiedlicher Herkunft
Der dritte Indikator, die Herkunft der zitierten Sprecher, zeigt an, inwieweit nicht nur die Berichterstattung, sondern vor allem die öffentliche Debatte in den einzelnen Teilöffentlichkeiten den gesamten politischen Raum in horizontaler Richtung widerspiegelt: Zitieren die Medien nur Sprecher aus ihrem eigenen Landesteil oder lassen sie Sprecher aus anderen Regionen zu Wort kommen? Abbildung 28: Anteil der zitierten Sprecher aus der entsprechenden Region (in Prozent) 70 60 50 40 % 30 20 10 0 WAZ
BR
LVZ
eigene Region "Ostdeutschland"
Bild
MDR
"Westdeutschland" ostdeutsche Region
ARD
RTL
SZ
FAZ
westdeutsche Region national
Basis: Alle zitierten Sprecher in den Beiträgen der Stichprobe (n=4286), siehe auch Tabelle 68 im Anhang.
Wie bei den anderen Indikatoren zeichnen sich die westdeutschen regionalen Medien durch einen besonders starken Bezug auf die eigene Region aus: Auch in der Diskussion lassen sie deutlich überdurchschnittlich viele Sprecher aus der eigenen Region zu Wort kommen: 62 Prozent sind es in der WAZ und 48 Prozent im BR. Sprecher aus anderen Regionen Westdeutschlands erreichen noch einen Anteil von sieben Prozent in der WAZ und drei Prozent im BR. Ostdeutsche Sprecher überschreiten dagegen in der WAZ nur knapp die Ein-Prozent-Marke, im BR liegen sie gleichauf mit den sonstigen westdeutschen Sprechern. Die erste Anforderung wird demnach von beiden regionalen westdeutschen Medien erfüllt, die zweite jedoch nicht: In der WAZ ist der Anteil ostdeutscher Sprecher im Ver-
236
Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
hältnis zu den westdeutschen Sprechern zu gering, im Bayerischen Fernsehen dagegen zu groß. Auch die regionalen ostdeutschen Medien zitieren viele Sprecher aus der eigenen Region, bei der LVZ stammt über die Hälfte aus Leipzig und Umgebung, bei der BILD ist es ein Drittel, und beim mdr stammen noch 21 Prozent der Sprecher aus Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen. Dennoch erreichen Sprecher aus Westdeutschland in den ostdeutschen Medien sogar höhere Anteile als in den westdeutschen Medien: Bei der LVZ sind zwar nur knapp sechs Prozent aus dem Westen, bei der BILD sind es jedoch 16 Prozent, beim mdr 13 Prozent der zitierten Sprecher. Sprecher aus den anderen Regionen Ostdeutschlands gibt es in der LVZ doppelt so viele wie westdeutsche Sprecher (acht Prozent), bei BILD und mdr erreichen sie nur neun und sechs Prozent. Demnach erfüllen die beiden letztgenannten Medien gerade noch die zweite Anforderung an eine integrierte Öffentlichkeit, die LVZ eindeutig nicht. Besonders auffällig ist zudem, dass alle ostdeutschen Medien immer wieder Sprecher zitieren, die generell aus ‚OstDeutschland’ stammen, dies aber in den westdeutschen Medien nicht vorkommt. In den überregionalen Medien nehmen die nationalen Sprecher den größten Raum ein: In SZ und FAZ stellen sie knapp ein Drittel der zitierten Sprecher, in den Fernsehnachrichten jeweils 20 Prozent. Bei ARD und RTL spielen regionale westdeutsche Sprecher eine fast ebenso große Rolle (ca. 18 Prozent), die überregionalen Tageszeitungen lassen sie dagegen deutlich seltener zu Wort kommen. Ostdeutsche Sprecher zitieren sie vergleichsweise häufig (knapp fünf Prozent), so dass ihre Bedeutung in der SZ bei einem Drittel statt dem geforderten Sechstel liegt. RTL und ARD erfüllen dafür auch die zweite Anforderung an eine integrierte Öffentlichkeit, ostdeutsche Sprecher erreichen hier von allen Sprechern insgesamt einen Anteil von vier bzw. drei Prozent und machen damit im Vergleich zu westdeutschen Sprechern ein Fünftel bzw. genau ein Sechstel aus. Bei der Varianzanalyse hat erstmals nicht die Themenkategorie den durchgehend höchsten Einfluss auf die Zahl der zitierten Sprecher, sondern die Darstellungsform mit betas zwischen 0,12 (Sprecher aus fremdem Landesteil) und 0,27 (Sprecher aus dem eigenen Landesteil). Entscheidend für die Zahl der zitierten Sprecher gleich welcher Herkunft ist demnach die Darstellungsform, nur in längeren Nachrichtenberichten finden sich überdurchschnittlich viele Sprecher. Das ist sicherlich kein überraschendes Ergebnis, je länger ein Beitrag, desto mehr Platz ist auch, mehrere Sprecher zu zitieren. Auffällig ist lediglich, dass der Einfluss einer formalen Variable größer oder zumindest genauso groß ist wie der der stärksten inhaltlichen Variable (in der Regel der des Beitragsthemas).
Dimension 3: Vernetzung der Diskurse
237
Tabelle 54: Einflussfaktoren auf die Anzahl der zitierten Sprecher unterschiedlicher Herkunft Abhängige Variable: Anzahl der Sprecher aus … pro Beitrag Fremd. Landesteil2 Nation3 Eig. Landesteil1 Unabhängige Variablen Abw. Beta Abw. Beta Abw. Beta Mediengattung 0,07*** 0,01 0,04** TV -0,10 +0,00 +0,04 Zeitung +0,02 -0,00 -0,01 Zielgruppe 0,11*** 0,07*** 0,15*** Regional +0,05 -0,01 -0,06 National -0,08 +0,02 +0,11 Landesteil 0,07*** 0,06*** 0,01 Ost -0,05 +0,02 +0,00 West +0,03 -0,01 -0,00 Quelle 0,14*** 0,05** 0,05** Eigener Bericht +0,06 -0,00 -0,00 Agentur -0,11 +0,00 -0,03 Anderes Medium -0,02 +0,00 +0,09 Kombination -0,18 +0,09 +0,10 Nicht entscheidbar -0,12 -0,01 -0,04 Darstellungsform 0,27*** 0,12** 0,26*** Kommentar -0,20 -0,02 -0,20 Kurze Meldung -0,10 -0,02 -0,09 Längerer Bericht +0,21 +0,04 +0,19 Interview -0,23 -0,04 -0,13 Sonstige Darstellungsform -0,18 -0,03 -0,16 Themen 0,16*** 0,12*** 0,25*** Innenpolitik: Regional +0,03 +0,08 +0,06 Innenpolitik: National -0,03 -0,00 +0,28 Außenpolitik -0,11 -0,04 +0,35 EU-Politik -0,15 -0,04 -0,01 Politik anderer Länder -0,15 -0,04 -0,19 Internationale Politik -0,15 -0,04 -0,14 Wirtschaft/Gesellschaft +0,14 -0,02 +0,00 Unterhaltungsthemen -0,03 -0,01 -0,05 Angstthemen +0,03 +0,03 -0,09 Mittelwert (0,56) 0,20 0,03 0,16 Erklärte Varianz (R²) 0,15 0,04 0,16 Varianzanalyse, Multiple Classification Analysis zur Bestimmung der Stärke der Haupteffekte. * p<0.05; ** p<0.01; *** p<0.001. 1 F-Wert=25,72, df=19, p<0.001; 2 F-Wert=10,94, df=19, p<0.001; 3 F-Wert=62,32, df=19, p<0.001. Abw.=Abweichung vom Gesamtmittelwert. Basis: Alle Beiträge in der Stichprobe (n=6378).
Sprecher aus dem eigenen Landesteil kommen, anders als bei den anderen Indikatoren, nicht am häufigsten in Beiträgen zu Angstthemen oder Regionalpolitik zu Wort, sondern in Beiträgen zu Wirtschaft und Gesellschaft, also beispielsweise zum Konkurs eines lokalen Unternehmens. Sprecher aus dem fremden Lan-
238
Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
desteil werden dagegen wie zuvor besonders häufig in der Regionalpolitik zitiert. Auch bei den nationalen Sprechern ist das Ergebnis nicht überraschend, sie treten vor allem in der nationalen Politik und Außenpolitik auf, aber auch verstärkt in der Regionalpolitik. Ähnlich wie bei den Hauptakteuren wirkt sich die Mediengattung auf die verschiedenen Sprechergruppen unterschiedlich aus: Während Sprecher aus dem eigenen Landesteil häufiger in Zeitungen zu Wort kommen, zitieren Fernsehnachrichten unabhängig von ihrer Zielgruppe überdurchschnittlich viele nationale Sprecher. Der Einfluss der Zielgruppe ist geringer als bei den vorherigen Indikatoren, dennoch zitieren weiterhin die regional ausgerichteten Medien mehr Sprecher aus dem eigenen Landesteil und nationale Medien mehr Sprecher aus dem fremden Landesteil (also Ost-Deutschland). Nur bei den nationalen Sprechern wirkt sich die Medienzielgruppe stärker als zuvor aus, wenn auch weiterhin in derselben Richtung: Nationale Medien zitieren häufiger nationale Sprecher. Die Herkunft des Mediums spielt dafür durchweg bei den zitierten Sprechern eine geringere Rolle: Die stärkere Heimatorientierung der westdeutschen Medien schlägt zwar weiterhin etwas durch, und ostdeutsche Medien zeigen ein größeres Interesse an Sprechern aus dem fremden Landesteil. Damit spiegeln sie aber wiederum nur die größere politische Bedeutung Westdeutschlands wider. Auf die zitierten nationalen Sprecher wirkt sich die Herkunft des Mediums jedoch nicht mehr signifikant aus. Da Zielgruppe und Herkunft der Medien eine noch geringere Bedeutung zu haben scheinen als bei den anderen Indikatoren, bestätigen die Ergebnisse der Varianzanalyse auch hier, dass die Arenen-Integration der Öffentlichkeit auf Basis der in ihr zitierten Sprecher nicht gefährdet ist.
4.3.4 Die Arenen-Integration der Öffentlichkeit in der dritten Dimension Bezogen auf die dritte Dimension scheinen die untersuchten Teilöffentlichkeiten und damit die Gesamtöffentlichkeit am besten integriert zu sein. Die erste Anforderung, dass beide Landesteile in allen Öffentlichkeitsarenen sowohl als geographische Verweise, als auch als Hauptakteure und als zitierte Sprecher berücksichtigt werden sollen, können alle Medien erfüllen. Anders sieht es mit der zweiten Anforderung aus, nach der das Verhältnis zwischen Ost- und Westdeutschland die politische Bedeutung der beiden Landesteile widerspiegeln sollte. Dieses Kriterium wird letztlich nur von der ARD tagesschau erfüllt, der bei fast allen Indikatoren sogar eine Punktlandung gelingt, indem sie den Neuen Bundesländern genau ein Sechstel des Raumes im Vergleich zu den Alten Bun-
Dimension 3: Vernetzung der Diskurse
239
desländern gewährt. Die anderen Medien räumen Ostdeutschland in der Regel deutlich zu viel Raum ein. Selbst wenn man das Kriterium großzügig auslegt und erst bei mehr als doppelt soviel Raum wie gefordert (also wenn ostdeutsche Bezüge mehr als ein Drittel ausmachen) die Anforderung als nicht erfüllt ansieht, scheitern hier diverse Medien (siehe Tabelle 55). Dies gilt insbesondere für die LVZ, die nicht nur das geforderte Verhältnis für keinen der drei Indikatoren erfüllen kann, sondern vor allem auch am stärksten abweicht: Bei den geographischen Bezügen macht Ostdeutschland in der LVZ über die Hälfte aller regionalen Bezüge aus, bei den Hauptakteuren und Sprechern sind es sogar über zwei Drittel. Etwas überraschend ist das schlechte Abschneiden des Bayerischen Fernsehens bei dieser Anforderung, kein anderes Medium mit Sitz in Westdeutschland gewährt den Neuen Bundesländern soviel Raum. Bei den zitierten Sprechern und Hauptakteuren ist die Bedeutung Ostdeutschlands im BR sogar größer als im mdr und der BILD Leipzig. Tabelle 55: Ergebnisübersicht für die Dimension Vernetzung der Diskurse Öffentlichkeitsarenen Indikatoren Geograph. Bezüge (Verhältnis 5/1) -
Westdt. (Min)
-
Ostdt. (Min)
Hauptakteure (Verhältnis 5/1) -
Westdt. (Min)
-
Ostdt. (Min)
Zit. Sprecher (Verhältnis 5/1) -
Westdt. (Min)
-
Ostdt. (Min)
Summe
WAZ
LVZ
BILD
BR
mdr
ARD
RTL
SZ
FAZ
+
Ost
+
+
Ost
+
+
+
+
n.z.
+
+
n.z.
+
+
+
+
+
+
n.z.
n.z.
+
n.z.
+
+
+
+
+
Ost
+
Ost
Ost
+
+
Ost
+
n.z.
+
+
n.z.
+
+
+
+
+
+
n.z.
n.z.
+
n.z.
+
+
+
+
West
Ost
Ost
Ost
+
+
+
Ost
+
n.z.
+
+
n.z.
+
+
+
+
+
+
n.z.
n.z.
+
n.z.
+
+
+
+
5/6
3/6
5/6
4/6
4/6
9/9
9/9
7/9
9/9
Legende: + Anforderung erfüllt - Anforderung nicht erfüllt n.z.=trifft nicht zu Min=Minimum erreicht Ost=zuviel ostdeutsche Bezüge/Hauptakteure/Sprecher West=zuviel westdeutsche Bezüge/Hauptakteure/Sprecher
240
Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
Gleichzeitig ist die zweite Anforderung inhaltlich am ehesten angreifbar: Sollte die Bedeutung eines Landesteils tatsächlich an den Bevölkerungszahlen gemessen werden? Oder sollte dessen Rolle nicht mit der Ereignislage schwanken, insbesondere bei einer auf natürlichen Wochen basierenden Stichprobe? Allerdings ergibt eine Zusatzanalyse, dass die Überbetonung Ostdeutschlands – insbesondere in der LVZ – nicht allein der Ereignislage geschuldet ist. Auch wenn man die Artikel zur Landtagswahl Mecklenburg-Vorpommerns aus der Analyse ausschließt (immerhin n=173), bevorzugt die ostdeutsche Tageszeitung weiterhin ostdeutsche Hauptakteure und Sprecher. Eventuell spielt der Nachrichtenfaktor geographische oder kulturelle Nähe in der ostdeutschen Zeitung eine größere Rolle als in den westdeutschen Medien, jedenfalls könnte dies ein indirekter Hinweis darauf sein, dass sich die ostdeutschen Medien noch stärker mit ihrem Landesteil identifizieren als die westdeutschen. Dieser stärkere Selbstbezug ist bereits in früheren Studien belegt worden, beispielsweise von Helmut Scherer et al. für die Berichterstattung von neun ostdeutschen Zeitungen im Jahr 1994 (Scherer et al. 1997). Während das Phänomen damals noch als Phase der Neuorientierung oder Selbstfindung nach der Wiedervereinigung interpretiert werden konnte, hat es sich den Erkenntnissen dieser Arbeit zufolge inzwischen verstetigt und betrifft zudem auch die ostdeutsche regionale Nachrichtensendung des mdr. Hans-Jörg Stiehler und Werner Früh attestieren dem mdr auf Basis eines Beachtungsgrads-Index sogar einen noch deutlicher überhöhten Ost-Bezug: Während in den Nachrichtensendungen aller anderen analysierten Sender der Ost-Anteil bei 15 (RTL und Sat.1) bis 30 Prozent (ARD) und somit noch weitestgehend im Rahmen der zweiten Anforderung liegt, beträgt der Anteil im mdr 40 Prozent (Stiehler/Früh 2002: 59). Allerdings ist zu bedenken, dass Stiehler und Früh alle Nachrichtensendungen eines Senders zusammengefasst haben – da der mdr neben mdr aktuell noch die Länderzeit, eine rein regional ausgerichtete Nachrichtensendung, ausstrahlt, werden die Ergebnisse dadurch stark verzerrt (insbesondere wenn man bedenkt, dass die Regionalfenster der anderen Sender aus der Analyse ausgeschlossen worden sind!).
4.4 Dimension 4: Kollektive Identität Die vierte Dimension der Arenen-Integration nationaler Öffentlichkeiten bezieht sich auf die in den Öffentlichkeitsarenen transportierten Vorstellungen kollektiver Identität. Eine Arenen-Integration in dieser Dimension kann in zwei verschiedenen Stärken erfolgen: Die Öffentlichkeitsarenen können lediglich als Kommunikationsgemeinschaft integriert sein, in der sich die Publika verschiede-
Dimension 4: Kollektive Identität
241
ner Arenen in ihren Interessen und Meinungen wahrnehmen und gegenseitig als legitime Diskussionspartner anerkennen. Bei einer Arenen-Integration als Solidargemeinschaft bestünde zudem ein Gefühl der Solidarität gegenüber den anderen Mitgliedern der politischen Gemeinschaft. Die Gesamtöffentlichkeit wäre demnach als Kommunikationsgemeinschaft unter folgenden Bedingungen integriert: 1.
2.
3.
In den einzelnen Öffentlichkeitsarenen werden zumindest gelegentlich mit anderen Teilöffentlichkeiten verbundene Territorialgemeinschaften erwähnt. Die in den einzelnen Öffentlichkeitsarenen hergestellten kollektiven Identitäten grenzen sich nicht von Teilen der politischen Gemeinschaft ab, es wird keine Abgrenzungsgemeinschaft durch ‚Othering’ gegenüber Teilen der eigenen politischen Gemeinschaft gebildet werden. Über die Formen der kollektiven Identifikation Wir-, Territorial- und Abgrenzungsgemeinschaft wird in den einzelnen Öffentlichkeitsarenen zumindest gelegentlich ein Gemeinschaftsgefühl transportiert, dass die Gemeinschaft des gesamten politischen Systems umfasst.
Damit die Gesamtöffentlichkeit als Solidargemeinschaft arenen-integriert wäre, müsste sie zusätzlich folgende Bedingungen erfüllen: 4.
5.
Die dominierende Ausdehnung der kollektiven Identität, die über eine bestimmte Form der kollektiven Identifikation (Wir-, Territorial-, Kultur-, Abgrenzungsgemeinschaft) in solidarischer Stärke in der jeweiligen Öffentlichkeitsarena hergestellt wird, umfasst die Gemeinschaft des gesamten politischen Systems. Wird in der jeweiligen Öffentlichkeitsarena kollektive Identität über eine Abgrenzungsgemeinschaft erzeugt, so stärkt sie vor allem die Gemeinschaft des gesamten politischen Systems und erfolgt u.a. über die Abgrenzung gegenüber derselben ‚Feinde’.
Im Idealfall müssten nun alle diese Bedingungen im themenübergreifenden Sample überprüft werden, um sicherzustellen, dass die Arenen-Integration der nationalen Öffentlichkeiten themenunabhängig besteht. Es lassen sich aber nicht alle Formen der kollektiven Identitätsbildung fruchtbar durch eine themenübergreifende standardisierte Inhaltsanalyse erheben (vgl. Kapitel 3.2.2). Daher werden für die Bewertung der Arenen-Integration in dieser Dimension zusätzlich kollektive Identifikationen im Rahmen der qualitativer ausgelegten themenzentrierten Fallstudien der zweiten Teilstudie erfasst. Die Ergebnisdarstellung orien-
242
Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
tiert sich im Folgenden an den zwei Teilstudien und diskutiert für jede einzeln, inwieweit die verschiedenen Öffentlichkeitsarenen die Bedingungen an eine integrierte Öffentlichkeit erfüllen.
4.4.1 Kollektive Identität in der themenübergreifenden Teilstudie Im Rahmen der themenübergreifenden Teilstudie lassen sich die ersten drei Bedingungen für die Arenen-Integration der Öffentlichkeit als Kommunikationsgemeinschaft über die Indikatoren Territorial- und Wir-Gemeinschaf überprüfen. Für die Arenen-Integration als Solidargemeinschaft kann lediglich die vierte Bedingung untersucht werden, und diese ebenfalls nur für die Indikatoren Territorial- und Wir-Gemeinschaften.
4.4.1.1 Kollektive Identität durch Territorialgemeinschaften Als Territorialgemeinschaft sind alle Verweise auf die Bevölkerung einer bestimmten Region oder eines Landes kodiert worden, beispielsweise folgende Textpassagen: ‚alle Bayern’ oder ‚die deutsche Bevölkerung’. Zentral für die Arenen-Integration der Öffentlichkeit als Kommunikationsgemeinschaft ist dabei, dass in den einzelnen Arenen zumindest gelegentlich mit anderen Arenen verbundene Territorialgemeinschaften erwähnt werden, diese Territorialgemeinschaften den Rezipienten also bewusst sein können (Bedingung 1). Zudem sollten alle untersuchten Teilöffentlichkeiten Verweise auf die nationale Territorialgemeinschaft enthalten (Bedingung 3). In den Fernsehnachrichten sind Territorialgemeinschaften sehr selten, in der tagesschau kamen innerhalb der 14 kodierten Nachrichtensendungen nur acht Territorialgemeinschaften vor, bei den anderen Sendern sind es höchstens doppelt so viele. Dies hängt sicherlich mit den Anforderungen der Mediengattung zusammen, Formulierungen wie ‚die deutsche Bevölkerung’ kommen anscheinend nur selten in Nachrichtenbeiträgen vor. Entsprechend vorsichtig sind die Ergebnisse für das Fernsehen zu bewerten.
Dimension 4: Kollektive Identität
243
Abbildung 29: Anteil der Territorialgemeinschaften der entsprechenden Ausdehnung (in Prozent) 45 40 35 30 25 % 20 15 10 5 0 LVZ
Bild
MDR
Region in West-Deutschland "Ostdeutschland"
WAZ
BR
ARD
Region in Ost-Deutschland Nation
RTL
SZ
FAZ
"Westdeutschland" Europa
Basis: Alle Territorialgemeinschaften in der Stichprobe (n=413), siehe auch Tabelle 69 im Anhang.
In Bezug auf die Territorialgemeinschaft erfüllen fast alle Öffentlichkeitsarenen die dritte Bedingung für eine als Kommunikationsgemeinschaft integrierte Öffentlichkeit: In allen Zeitungen wird Bezug genommen auf ‚die deutsche Bevölkerung’ oder ‚die Deutschen’. Da die nationale politische Gemeinschaft sogar von fast allen kodierten Territorialgemeinschaften durchweg den höchsten Anteil hat, wird in diesem Punkt auch eine Bedingung für eine nationale Solidargemeinschaft erfüllt (Bedingung 4). Die einzige Ausnahme ist die tagesschau, in der die nationale territoriale Gemeinschaft nicht erwähnt wird, dafür aber ‚die Europäer’. Allerdings kommen Territorialgemeinschaften in diesem Medium für eine eindeutige Bewertung insgesamt zu selten vor. Verweise auf mit anderen Öffentlichkeitsarenen verbundene Territorialgemeinschaften oder die der beiden Landesteile finden sich dagegen nur äußerst selten. In der tagesschau werden ‚die Bayern’ zweimal erwähnt, im mdr einmal. Die FAZ nimmt zusätzlich noch auf die Territorialgemeinschaften von BadenWürttemberg, Hamburg, Nordrheinwestfalen bzw. die MecklenburgVorpommerns und Sachsens Bezug. Auf ‚die Westdeutschen’ wird ebenfalls kaum verwiesen (in mdr, FAZ und BILD), auf ‚die Ostdeutschen’ auch ausgesprochen selten, und zwar insbesondere in den ostdeutschen Medien, sowie in
244
Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
der FAZ. Die zweite Bedingung an eine als Kommunikationsgemeinschaft integrierte Öffentlichkeit wird somit nur von mdr, FAZ und BILD erfüllt.
4.4.1.2 Kollektive Identität durch Abgrenzungsgemeinschaften Identitätsgemeinschaften lassen sich im öffentlichen Diskurs auch über die Abgrenzung zu anderen Personen/Gruppen herstellen, man wird vereint in der Ablehnung eines gemeinsamen Feindes. Im Rahmen der ersten Teilstudie ist allein die Abgrenzung über das so genannte ‚Othering’ erhoben worden, d.h. über vehemente Kritik, Schuldzuweisungen, über Stigmatisierung oder Dämonisierung. Relevante Objekte sind Bevölkerungsgruppen bzw. deren Repräsentanten, z.B. Präsident George W. Bush als Repräsentant der US-Amerikaner. ‚Othering’ gegenüber Einzelpersonen, die keine allgemeine Bevölkerungsgruppe repräsentieren, ist dagegen nicht kodiert werden, z.B. wird die vehemente Schuldzuweisung gegenüber einem Siemens-Manager nicht erfasst, da dieser höchstens als repräsentativ für eine bestimmte Klasse angesehen werden kann, nicht aber für eine allgemeine, lediglich geographisch begrenzte Bevölkerungsgruppe. Gefährdet wäre die Arenen-Integration der Öffentlichkeit als Kommunikationsgemeinschaft hier, wenn innerhalb der einzelnen Öffentlichkeitsarenen Mitglieder der eigenen politischen Gemeinschaft über ‚Othering’ ausgegrenzt werden. Eine Solidargemeinschaft bestünde wiederum, wenn in allen Öffentlichkeitsarenen derselbe ‚Feind’ ausgegrenzt würde. Innerhalb der ersten Teilstudie sind nur 37 Fälle von ‚Othering’ kodiert worden, davon allein 13 in der FAZ, zwölf in der SZ, sechs in der LVZ, vier in der WAZ und je einer in BILD und der tagesschau. Das vermehrte Auftreten von ‚Othering’ in der Qualitätspresse überrascht zunächst, erklärt sich aber darüber, dass dort mehr wörtliche Zitate verwendet werden – und die Journalisten selbst in der Regel nur schwächere Formen der Abgrenzung als ‚Othering’ verwenden. Beispielsweise berichtet die FAZ, ebenso wie die WAZ, LVZ und SZ, über den venezuelanischen Präsidenten Hugo Chávez, der in seiner Rede vor der UNVollversammlung George W. Bush als Teufel bezeichnet, dessen Schwefelgeruch noch im Saal zu riechen sei (z.B. „Chávez nennt Bush ‚Teufel’“ LVZ, 21.09.06). Anders als in den drei anderen Zeitungen wird das Zitat in der FAZ aber im Laufe einer Woche noch zweimal in verschiedenen Artikeln wiederholt. Auch im Falle der ungarischen Unruhen nach dem Bekanntwerden geheimer Tonband-Aufnahmen, in denen der ungarische Ministerpräsident seine Wahllügen zugibt, enthält die FAZ mehrere ausführliche Zitate, in denen der Ministerpräsident als „krankhafter Lügner“ oder als „kranker, lügnerischer Dilettant“ bezeichnet wird („Niemand glaubt an eine schnelle Beruhigung“, FAZ,
Dimension 4: Kollektive Identität
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21.09.06). Die anderen Medien kommen ohne wörtliche Zitate aus und berichten dadurch deutlich neutraler. Am anderen Ende des Spektrums überrascht die BILD mit nur einem einzigen ‚Othering’-Fall: Zwar gehören heftige Schuldzuweisungen durchaus zum stilistischen Repertoire der BILD, diese richten sich aber in der Regel immer gegen Einzelpersonen wie „den Siemens-Chef Klaus Kleinfeld“ („Frechste Gehalts-Erhöhung des Jahres!“, BILD, 20.09.06).56 Häufigster gemeinsamer ‚Feind’ ist George W. Bush bzw. die USA, dessen ‚Verteufelung’ in vier Arenen zitiert wird. Auch der Vorwurf der „KreuzfahrerMentalität“ durch den Präsident der obersten türkischen Religionsbehörde gegenüber dem Papst (als Repräsentant des Vatikans bzw. der Katholiken) wird in vier Medien wiederholt (WAZ, BILD, SZ, FAZ). Allerdings ist nicht anzunehmen, dass sich viele deutsche Leser mit dieser (zudem noch recht schwachen) Ausgrenzung identifizieren konnten. Andere Objekte des ‚Othering’ werden höchstens in je zwei Arenen ausgegrenzt, z.B. der polnische Präsident Kacinsky wird als „Diktator“ (ARD, 22.09.06) bzw. gemeinsam mit seinem Bruder als „Symbol der Korruption“ bezeichnet („Semantischer Mißbrauch“, FAZ, 29.09.06). In der LVZ werden die Beitrittskandidaten Rumänien und Bulgarien als korrupte „Banditenstaaten“ beschrieben („Beitritt zweiter Klasse“, LVZ, 20.09.2006), in der FAZ das Etikett auf Georgien angewendet („Iwanow: Georgien will Gewalt anwenden“, FAZ, 30.09.06). Da ‚Othering’ in den untersuchen Öffentlichkeitsarenen relativ selten vorkommt, erscheint es um so bedenklicher für die Arenen-Integration als Kommunikationsgemeinschaft, dass sich drei der Ausgrenzungen gegen Teile der eigenen politischen Gemeinschaft richten: Sowohl in WAZ, SZ als auch in der FAZ findet eine Abgrenzung gegenüber den Mitbürgern aus MecklenburgVorpommern statt (Bedingung 3). Da diese drei Fälle auch Teil der Fallstudie zum Wahlerfolg der NPD sind, werden sie in Kapitel 4.4.2 zu kollektiven Identitäten in den Fallstudien noch einmal detaillierter diskutiert.
4.4.1.3 Kollektive Identität durch Wir-Gemeinschaften Eine Wir-Gemeinschaft wird im öffentlichen Diskurs dadurch hergestellt, dass ein Sprecher oder Journalist sein Publikum mit einer Phrase anspricht, die Wörter wie ‚wir’ oder ‚uns’ beinhaltet und darüber dem Leser oder Zuschauer erlaubt, sich als Teil einer Gemeinschaft zu fühlen. Um Wir-Gemeinschaften zu 56
Man beachte, dass in der themenübergreifenden Teilstudie nur Othering gegen Gruppen oder deren Repräsentanten kodiert worden ist, in den themenzentrierten Fallstudien sind dagegen alle Abgrenzungsgemeinschaften, auch gegen Einzelpersonen oder in schwächerer Form als durch Othering erhoben worden.
246
Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
erfassen, werden alle auftretenden Sätze erhoben, die eines der Schlüsselwörter enthalten. Dabei handelt es sich in der Regel (d.h. in 79 Prozent der Fälle) um exklusive Wir-Gemeinschaften, bei denen nicht davon auszugehen ist, dass sie das Publikum miteinschließen. Beispiele hierfür wären Sätze wie ‚Wir, die CDU, haben beschlossen’ oder aber auch ‚als Mitglieder der Schwimmvereins profitieren wir am meisten von den Reparaturen’. Abbildung 30: Anteil der Wir-Gemeinschaften der entsprechenden Ausdehnung (in Prozent) 30 25 20 % 15 10 5 0 WAZ
LVZ
Bild
lokales/regionales Wir Wir, der Westen
BR
MDR
ARD
nationales Wir sonst. inkl. Wir-Bezug
RTL
SZ
FAZ
europäisches Wir
Basis: Alle Wir-Gemeinschaften in der Stichprobe (n=1616), siehe auch Tabelle 71 im Anhang.
Der Überblick über die verbleibenden inklusiven Wir-Bezügen verdeutlicht, dass alle untersuchten Teilöffentlichkeiten die Anforderung an eine als Kommunikationsgemeinschaft integrierte Öffentlichkeit erfüllen (Bedingung 3): In allen Medien finden sich Wir-Bezüge, die die gesamte politische Gemeinschaft Deutschlands beschreiben. Spitzenreiter ist die BILD, in der sich über ein Viertel der Wir-Bezüge auf die nationale Gemeinschaft bezieht, gefolgt von der WAZ (knapp 20 Prozent) und FAZ (17 Prozent). In allen Arenen bis auf die tagesschau ist die nationale Wir-Gemeinschaft zudem die dominante Ausprägung, so dass auch die vierte Bedingung für die Integration der Arenen als Solidargemeinschaft erfüllt wird. In der tagesschau gibt es dagegen Anzeichen für eine europäische Solidargemeinschaft, hier dominiert das europäische Wir mit vier Prozent, wäh-
Dimension 4: Kollektive Identität
247
rend nur knapp über ein Prozent der Wir-Phrasen den Bezug auf die nationale Gemeinschaft herstellen. Erwartungsgemäß wird die regionale Gemeinschaft insbesondere in den Regionalzeitungen gepflegt (elf Prozent in der WAZ und neun Prozent in der LVZ), aber auch bei RTL, mdr und in der BILD wird gelegentlich auf die regionale Gemeinschaft verwiesen. In den Bundesausgaben von SZ und FAZ liegen regionale Wir-Bezüge knapp unter einem Prozent, nur in der ARD und überraschenderweise auch im Bayerischen Fernsehen findet sich keine regionale WirGemeinschaft. Basierend auf diesem Indikator kann festgestellt werden, dass in keiner der untersuchten Teilöffentlichkeiten die regionale Gemeinschaft eine größere Rolle einnimmt als die nationale politische Gemeinschaft. Im übrigen erfüllen auch fast alle Teilöffentlichkeiten bereits die Anforderung für die Arenen-Integration als Kommunikationsgemeinschaft auf europäischer Ebene: Ein europäisches Wir findet sich in allen Medien außer bei RTL aktuell und in der Bayerischen Rundschau; in WAZ und BILD liegt der Anteil europäischer Wirs allerdings unter einem Prozent und ist kaum wahrnehmbar für die Teilnehmer dieser Öffentlichkeiten. Für die tagesschau lässt sich dagegen sogar von einer europäischen Solidargemeinschaft sprechen. Die Varianzanalyse möglicher Erklärungsfaktoren für die Nennung von Wir-Gemeinschaften unterschiedlicher Ausdehnung wird dadurch erschwert, dass insgesamt pro Beitrag nur relativ wenige inklusive Wir-Gemeinschaft kodiert worden sind, entsprechend gering sind Mittelwert und Varianz der abhängigen Variablen. Die aufgestellten Modelle können daher nur zwischen zwei und vier Prozent der Varianz erklären, sollten aber bei gebotener Vorsicht einige Anhaltspunkte geben, welche Faktoren einen Einfluss auf die Nennung unterschiedlicher Wir-Gemeinschaften haben könnten. Wie bereits auf Basis der beschreibenden Analyse zu vermuten war, scheinen weder der Landesteil, aus dem das Medium stammt, noch die Ausrichtung auf eine nationale oder regionale Zielgruppe einen starken Einfluss auf die Nennung bestimmter Wir-Gemeinschaften zu haben. Es bestätigt sich damit unser Befund, dass die Öffentlichkeit für diesen Indikator als Kommunikationsgemeinschaft arenen-integriert ist. Dass sowohl regionale als auch insbesondere nationale Wir-Bezüge häufiger in Interviews auftreten, lässt vermuten, dass es insbesondere medienexterne Stimmen sind, die überhaupt Wir-Bezüge verwenden. Bei den nationalen Wir-Bezügen erweist sich das Beitragsthema als interessante Einflussvariable: Es sind nicht die Beiträge zu nationaler Politik, in der am häufigsten auf die nationale Wir-Gemeinschaft Bezug genommen wird, sondern Beiträge zur Außenpolitik. Die nationale Gemeinschaft tritt also insbesondere im Umgang mit anderen Ländern in Erscheinung.
248
Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
Tabelle 56: Einflussfaktoren auf die Anzahl der Wir-Bezüge unterschiedlicher Ausdehnung Abhängige Variable: Anzahl der … Wir-Bezüge pro Beitrag Nationalen2 EU-3 Regionalen1 Unabhängige Variablen Abw. Beta Abw. Beta Abw. Beta Mediengattung 0,04** 0,03 0,02 TV -0,01 -0,01 -0,00 Zeitung +0,00 +0,00 +0,00 Zielgruppe 0,05*** 0,01 0,01 Regional +0,00 -0,00 -0,00 National -0,01 +0,00 +0,00 Landesteil 0,01 0,02 0,01 Ost +0,00 +0,01 -0,00 West -0,00 -0,00 +0,00 Quelle 0,06*** 0,03 0,02 Eigener Bericht +0,00 +0,01 +0,00 Agentur -0,01 -0,00 +0,00 Anderes Medium -0,02 -0,02 -0,00 Kombination +0,02 +0,01 +0,00 Nicht entscheidbar -0,01 -0,01 +0,00 Darstellungsform 0,06*** 0,15*** 0,04 Kommentar -0,00 +0,01 -0,00 Kurze Meldung -0,01 -0,02 +0,00 Längerer Bericht +0,00 +0,02 +0,00 Interview +0,02 +0,22 +0,01 Sonstige Darstellungsform +0,02 -0,01 -0,00 Themen 0,07*** 0,13*** 0,15*** Innenpolitik: Regional +0,00 -0,01 +0,00 Innenpolitik: Bund -0,01 +0,05 +0,00 Außenpolitik -0,01 +0,12 +0,01 EU-Politik -0,01 +0,02 +0,06 Politik anderer Länder -0,01 -0,03 -0,00 Internationale Politik -0,01 -0,02 -0,00 Wirtschaft/Gesellschaft +0,01 +0,01 -0,00 Unterhaltungsthemen -0,00 -0,01 -0,00 Angstthemen +0,00 -0,02 -0,00 Mittelwert (0,25) 0,01 0,04 0,00 Erklärte Varianz (R²) 0,02 0,04 0,03 Varianzanalyse, Multiple Classification Analysis zur Bestimmung der Stärke der Haupteffekte. * p<0.05; ** p<0.01; *** p<0.001. 1 F-Wert=5,66, df=19, p<0.001; 2 F-Wert=15,67, df=19, p<0.001; 3 F-Wert=8,76, df=19, p<0.001. Abw.=Abweichung vom Gesamtmittelwert. Basis: Alle Beiträge in der Stichprobe (n=6378).
Dimension 4: Kollektive Identität
249
4.4.1.4 Die Arenen-Integration der Öffentlichkeit in der vierten Dimension in der themenübergreifenden Teilstudie Von den im Rahmen der themenübergreifenden Teilstudie überprüfbaren Bedingungen schneiden die untersuchten Öffentlichkeitsarenen am schlechtesten in Bezug auf die erste Bedingung ab: Nur in zwei von neun Arenen wird auf Territorialgemeinschaften Bezug genommen, die zu anderen Regionen als der der untersuchten Arena gehören. ‚Die Bayern’ oder ‚die Sachsen’ werden im überwiegenden Teil der Arenen nicht thematisiert. Möglicherweise liegt hier ein Problem mit dem verwendeten Indikator vor, der aus sprachlichen, stilistischen oder inhaltlichen Gründen systematisch seltener für Regionen innerhalb eines Landes als für Ländergemeinschaften verwendet wird.57 Tabelle 57: Ergebnisübersicht für die Dimension kollektive Identität in der themenübergreifenden Teilstudie Öffentlichkeitsarenen Indikatoren
WAZ
LVZ
BILD
BR
mdr
ARD
RTL
SZ
FAZ
Territorialgemeinschaft -
andere Regionen
-
-
-
-
+
-
-
-
+
-
national
+
+
+
+
+
-
+
+
+
-
national dominant
+
+
+
+
+
-
+
+
+
+
+
+
+
+
+
MVP
MVP
Abgrenzungsgem. -
nicht gegen Mitglieder MVP
Wir-Gemeinschaft -
national
+
+
+
+
+
-
+
+
+
-
national dominant
+
+
+
+
+
-
+
+
+
4/6
5/6
5/6
5/6
6/6
1/6
5/6
4/6
5/6
Summe
Legende: + Anforderung erfüllt - Anforderung nicht erfüllt MVP=Abgrenzungsobjekt Mecklenburg-Vorpommern.
Die zweite Bedingung wird dagegen nur von drei Teilöffentlichkeiten nicht erfüllt, sowohl in den überregionalen Tageszeitungen als auch in der westdeut-
57
Im Rahmen der Forschungen von Wessler et al. zur europäischen Öffentlichkeit erreichen die Territorialgemeinschaften nationaler Reichweite nämlich deutlich höhere Fallzahlen (Peters et al. 2005: 149).
250
Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
schen regionalen Zeitung kommt es zum ‚Othering’ gegenüber Teilen der politischen Gemeinschaft, nämlich gegenüber Mecklenburg-Vorpommern. Deutlich besser schneiden die Arenen bei der Frage ab, inwieweit die nationale Gemeinschaft als Territorial- oder Wir-Gemeinschaft diskutiert wird: Mit Ausnahme der tagesschau ist die nationale Gemeinschaft nicht nur in allen Teilöffentlichkeiten Thema, sie dominiert die Diskussion sogar. Bis auf die tagesschau erfüllen somit alle untersuchten Öffentlichkeiten auch die vierte Bedingung an eine Arenen-Integration als Solidargemeinschaft. Das schlechte Abschneiden der tagesschau lässt sich nur teilweise dadurch erklären, dass bei dieser Mediengattung generell weniger kollektive Identifikationen vorkommen als in den Printmedien – schließlich erfüllen die anderen drei Fernsehsendungen deutlich mehr Bedingungen, der mdr erzielt sogar von allen Arenen in dieser Dimension das beste Ergebnis. Für die tagesschau scheint vielmehr zu gelten, dass sie bereits zu sehr nach Europa gewandt ist, um für die nationale Öffentlichkeit noch als arenen-integriert zu gelten.
4.4.2 Kollektive Identität in den themenzentrierten Fallstudien Der zentrale Fokus der in Kapitel 4.2.2 vorgestellten Fallstudien ist die Ähnlichkeit der verwendeten Frame-Elemente in der Diskussion der Themen ‚Wahlerfolg der NPD’ (bei der Landtagswahl 2006 in Mecklenburg-Vorpommern) bzw. ‚Muslime in Deutschland’. Zusätzlich sind aber auch die in der Diskussion der beiden Themen in den verschiedenen Teilöffentlichkeiten transportierten kollektiven Identifikationen erhoben worden. Auf dieser Basis können nun nicht nur zwei Bedingungen für die Arenen-Integration der Öffentlichkeit als Kommunikationsgemeinschaft überprüft werden (Bedingungen 2 und 3), sondern vor allem gilt es zu bewerten, inwieweit die Öffentlichkeit auch als Solidargemeinschaft arenen-integriert ist (Bedingungen 4 und 5). Obwohl für die Fallstudien gezielt Themen ausgewählt worden sind, in denen verstärkt Bezugnahmen auf kollektive Identitäten zu erwarten waren (vgl. Kapitel 3.2.2), sind die Fallzahlen eher gering: Insbesondere in der Diskussion des Wahlerfolgs der NPD wird in den neun Öffentlichkeitsarenen nur in 124 Absätzen auf kollektive Identitäten verwiesen, im Falle von mdr aktuell gibt es sogar nur einen einzigen Verweis. Das Thema ‚Muslime in Deutschland’ ist deutlich ergiebiger mit 253 Absätzen, aber auch hier sind die Fallzahlen in einzelnen Arenen recht niedrig, insbesondere die Nachrichtensendungen RTL aktuell und BR Rundschau enthalten jeweils nur in drei Absätzen Bezüge auf kollektive Identitäten. Daher wird im Folgenden auf statistische Auswertungen verzichtet und stattdessen die Herstellung kollektiver Identität in den einzelnen
Dimension 4: Kollektive Identität
251
Öffentlichkeitsarenen detailliert anhand zahlreicher Textbeispiele beschrieben. Auch auf diese Weise kann ein Eindruck von den in den einzelnen Arenen dominierenden Vorstellungen kollektiver Identität gewonnen werden und so eine Bewertung auf Basis der Bedingungen für eine Arenen-Integration als Solidargemeinschaft vorgenommen werden.
4.4.2.1 Kollektive Identität in der WAZ Auch wenn das Thema ‚Wahlerfolg der NPD’ insgesamt in der WAZ eine vergleichsweise geringe Rolle spielt, enthalten doch zehn der 17 Artikel Bezüge auf eine kollektive Gemeinschaft. In einigen Artikeln sind sogar in bis zu drei verschiedenen Absätzen kollektive Identifikationen enthalten, so dass insgesamt in 17 Passagen der WAZ ein Gefühl kollektiver Gemeinschaft hergestellt wird. Die meisten kollektiven Identifikationen in der WAZ beziehen sich auf die Gemeinschaft der Bürger Mecklenburg-Vorpommerns (sieben Absätze), dicht gefolgt von der nationalen Gemeinschaft (sechs Absätze). Die Gemeinschaft der Ostdeutschen wird dreimal angesprochen, auf die Westdeutschen nur ein einziges Mal verwiesen. Berücksichtigt man allerdings auch die Stärke der erzeugten Gemeinschaft, so wird am häufigsten eine nationale Solidargemeinschaft hergestellt (fünf zur nationalen und nur zwei zu MVP). Die nationale Gemeinschaft dominiert auch dadurch, dass sie über alle fünf Formen der kollektiven Identifikation hergestellt, also besonders reichhaltig erzeugt wird. Mecklenburg-Vorpommern wird dagegen überwiegend als Kulturgemeinschaft charakterisiert, damit wird sie für die westdeutschen Leser der WAZ recht plastisch, beispielsweise wenn der Ministerpräsident des Landes, Harald Ringstorff, in einem Portrait folgendermaßen beschrieben wird: „Er gilt als knorrig, ein wenig dickköpfig und trifft angeblich gern einsame Entscheidungen. Er sei ein richtiger Mecklenburger, heißt es über ihn“ (WAZ, 18.09.2006, B34).58
Dennoch kommt es auch zur Abgrenzung gegenüber MecklenburgVorpommern, insbesondere in einem von der WAZ zitierten Kommentar Heribert Prantls aus der SZ:
58
Wenn im Folgenden Zeitungsartikel aus den beiden Fallstudien zitiert werden, so wird jeweils nur das Medienorgan (z.B. ‚SZ’), das Datum und eine Beitragsnummer (z.B. ‚B3’) angegeben. In Abschnitt C des Anhangs findet sich die Übersicht über alle zitierten Zeitungsartikel mit genauen Angaben, auch zu Überschrift und Autor(en). Zeitungsartikel, die nicht Teil der Fallstudien sind, werden im Text mit ausführlichen Angaben zitiert. Für Fernsehbeiträge ist jeweils die Sendung, das Ausstrahlungsdatum sowie die Nummer des Beitrags in der Sendung angegeben.
252
Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit „Die Verhältnisse in Mecklenburg-Vorpommern sind so, dass eine gesittete Nation sie nicht ohne Erröten betrachten kann. Dieser Satz des Historikers Heinrich von Treitschke ist 140 Jahre alt. Aber nach der Landtagswahl wird er wieder wahr“ (WAZ, 18.09.06, B18a).
Auch gegenüber Ostdeutschland insgesamt wird eine Abgrenzungsgemeinschaft aufgebaut: „Beklemmend ist der Befund, dass die Hälfte der Bevölkerung in Ostdeutschland nicht mehr per se von der Demokratie überzeugt ist, und Freiheit als Grundwert hier keine Selbstverständlichkeit ist“ (WAZ, 18.09.06, B22).
Im Ost-West-Gegensatz wird dagegen Westdeutschland positiv hervorgehoben: „Rechtsextreme sind auch in West-Kommunen vertreten, in der Regel dort, wo es große Protestpotenziale gibt. Aber der Westen hat eingeübtere Verfahren, um mit Sozialabbau zivilisiert umzugehen - nicht gleich rechtsextrem“ (WAZ, 19.09.06, B37).
Abbildung 31: Kollektive Identität in der WAZ Wahlerfolg der NPD
Muslime in Deutschland
100%
100%
80%
80%
60%
60%
40%
40%
20%
20% 0%
0% Wir
n=4
Kultur
n=6
Problem Abgrenzung Territorial
n=4
n=4
n=2
Alle
n=11
Wir n=7
Kultur n=10
Problem Abgrenzung Territorial n=6 n=3 n=3
MVP
Ostdeutschland
Westdeutschland Demokraten
Nation
Nation+Muslime
Europa
Nation
Europa
Welt
Westen
Welt
Dt. Muslime
Basis:
Alle n=19
Europa+Muslime
Alle Absätze mit Bezug auf kollektive Identität in solidarischer Stärke in den Fallstudien ‚Wahlerfolg der NPD’ (n=11) und ‚Muslime in Deutschland’ (n=19) in der WAZ
In der Diskussion des Themas ‚Muslime in Deutschland’ spielen kollektive Identitäten eine ähnlich große Rolle. In allen elf Artikeln der WAZ zu diesem Thema finden sich kollektive Identifikationen, in insgesamt 19 verschiedenen Absätzen. Dabei dominiert eindeutig eine nationale Solidargemeinschaft (sieben Fälle), in vier Fällen werden auch die muslimischen Mitbürger explizit mit in die deutsche Gemeinschaft einbezogen. Regionale Identitäten kommen überhaupt nicht vor, aber in drei Fällen wird auf die Gemeinschaft der deutschen Muslime Bezug genommen. Insgesamt wird das Thema in einen größeren Kontext gestellt, an-
Dimension 4: Kollektive Identität
253
ders als beim Wahlerfolg der NPD kommen hier auch die europäische (inkl. Muslime) und die westlich-christliche Identität zur Sprache. Im Kontext der Opernabsetzung wird in der WAZ eine starke nationale Wertegemeinschaft aufgebaut: „Die Absetzung der Mozart-Oper Idomeneo hat auch in den Kirchen eine heftige Debatte ausgelöst. Schließlich gehört zur Freiheit der Kunst bei uns auch, die Religion infrage zu stellen, ihre Repräsentanten zu kritisieren oder gar zu persiflieren. Die Angst vor Gewalt im Zusammenhang mit einer religionskritischen Aussage auf der Bühne ist für sie Anlass zur Sorge“ (WAZ, 28.09.06, B22, Hervorhebung KKvK).
Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit wird mit seiner Forderung zitiert: „Unsere Vorstellungen von Offenheit, Toleranz und Freiheit müssen offensiv gelebt werden.“ (WAZ, 27.09.06, B5). Teilweise wird die nationale Gemeinschaft in einer gewissen Abgrenzung zu den Muslimen hergestellt: „Wenn wir nicht aufpassen, wird unser Kultur-Leben daraufhin abgesucht, welche Stellen für Muslime eventuell problematisch ausgelegt werden könnten” (Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, in WAZ 28.09.06, B22).
Auch im Rahmen der Diskussion um die Islamkonferenz wird auf die nationale Kultur- und Solidargemeinschaft Bezug genommen, allerdings durchgehend etwas sachlicher als bei der Opernabsetzung. Beispielsweise wird auf die Rede von Innenminister Wolfgang Schäuble verwiesen: „Grundlage für das Miteinander sei das Grundgesetz. In dieser von der christlichen Ethik geprägten Ordnung müsse auch der Islam seinen Platz finden“ (WAZ, 29.09.29, B34).
In diese nationale Gemeinschaft wird auch die muslimische Bevölkerung mit einbezogen: „Ziel des Dialogs ist für Schäuble die Erkenntnis auf beiden Seiten, ‚Der Islam ist ein Teil unseres Landes.’“ (WAZ, 28.09.06, B14). Zwar wird immer wieder auf Unterschiede in deutschen und muslimischen Werten und kulturellen Prägungen verwiesen. Aber ebenso wird eine zentrale Passage aus Schäubles Gastbeitrag in der FAZ zitiert, der zufolge der Islam für Deutschland positive Werte miteinbrächte: „Der Islam bringe auch mit, was vielen Menschen in Deutschland zu entgleiten drohe: die ,Wichtigkeit von Familie, den Respekt vor den Alten, ein Bewusstsein und Stolz mit Blick auf die eigene Geschichte, Kultur, Religion, Tradition, das tägliche Leben der eigenen Glaubensüberzeugung’” (WAZ, 27.09.06, B33).
254
Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
Auch wenn die nationale Gemeinschaft die Diskussion eindeutig dominiert, wird Deutschland gelegentlich in eine christlich-westliche Problemgemeinschaft eingebettet: „Seit dem 11. September 2001 muss sich der Westen fragen, wie er auf die Bedrohung reagieren kann. Eine einfache Antwort gibt es nicht. Eins aber ist sicher: Wenn wir für die Zukunft verhindern wollen, dass Drohungen unser Leben bestimmen, müssen wir für die Verbreitung der Aufklärung sorgen. Also für Bildung. Das ist eine starke Herausforderung“ (WAZ, 28.09.06, B13).
4.4.2.2 Kollektive Identität in der LVZ In der ostdeutschen Regionalzeitung LVZ wird das Thema ‚Wahlerfolg der NPD’ zwar deutlich intensiver diskutiert als in der WAZ, dafür werden kollektive Identität seltener angesprochen (nur neun Passagen in 28 Artikeln, davon nur sechs in solidarischer Stärke). Diese beziehen sich fast ausschließlich auf die nationale Solidargemeinschaft, die Gemeinschaft Mecklenburg-Vorpommerns wird lediglich einmal vermittelt. Von den sieben Passagen, in denen eine nationale Identität aufgebaut wird, sind allerdings zweimal die Urheber der Aussagen die NPD selbst. So wird der Parteivorsitzende Udo Pastörs mit den Worten zitiert, die deutsche Verfassung ließe Lebensverhältnisse zu, ,,bei denen der Fortbestand unseres Volkes gefährdet ist.“ Die aktuellen Krawalle in Ungarn seien ein Indiz dafür, „dass irgendwann der deutsche Michel aufwacht und sagt: Jetzt reicht’s.” (Udo Pastörs, LVZ, 22.09.06, B22). Hier wird eine nationale Gemeinschaft als Wir-Gemeinschaft (unseres Volkes), als Problemgemeinschaft (Fortbestand gefährdet) und Kulturgemeinschaft (Volk, deutscher Michel) solidarischer Stärke aufgebaut, mit der sich allerdings die LVZ-Leser wahrscheinlich nur eingeschränkt identifizieren (wollen). Aber auch andere Sprecher appellieren an die nationale Solidargemeinschaft, mehrfach in Abgrenzung von der NPD, die als „Rattenfänger“ oder „Schande für Deutschland“ (LVZ, 19.09.06, B11) oder „finstere[n] Kameraden“ (LVZ, 22.09.06, B32) bezeichnet werden. In einem Falle sind das Abgrenzungsobjekt aber gleichzeitig auch die großen Volksparteien: „Die Art und Weise, wie die bürgerlichen Parteien diesen Wahltag verkleistern, das Quantum an Ignoranz, das aufgebracht wird, um Wahlmüdigkeit und Stimmenverluste zu verharmlosen, ergeben bestes Zusatzfutter für die Rattenfänger.“ (LVZ, 19.09.06, B11).
Das Thema ‚Muslime in Deutschland’ löst in der LVZ vergleichsweise wenige Aussagen zur kollektiven Identität aus (neun Passagen in elf Artikeln). Wieder dominiert die nationale Solidargemeinschaft, und zwar vor allem die deutsche
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255
Gemeinschaft gemeinsam mit den in Deutschland lebenden Muslimen (vier der sechs Passagen zur nationalen Gemeinschaft). Ein einziges Mal wird auch die europäische Solidargemeinschaft (inkl. Muslime) thematisiert. Am stärksten wird die nationale Kulturgemeinschaft in Abgrenzung von der Intendantin der Mozart-Oper transportiert: „Welcher Teufel hat eigentlich Intendantin Harms geritten, die Mozart-Oper aus Angst vor Mohammeds Zorn zu verbannen? […] Noch weht in Berlin über Reichstag und Brandenburger Tor Schwarz-Rot-Gold – für Freiheit, Demokratie, hoffentlich auch für Toleranz und christliche Nächstenliebe. Über der Deutschen Oper weht leider schon die weiße Fahne“ (LVZ, 28.09.06, B11).
Weitaus schwächer erfolgt im selben Artikel die Abgrenzung von den Muslimen: „Von den Muslimen muss erwartbar sein, dass sie sich den Verhältnissen ihrer neuen Heimat besser anpassen. Integrationswille darf kein Lippenbekenntnis sein. […] Man kann nicht Moscheen fordern und zugleich ein Konvertieren zum Christentum mit Höllenstrafen ablehnen. Mehr Toleranz und Verständnis für deutsche Kultur und Werte“ (LVZ, 28.09.06, B11).
Die Gemeinschaft von Deutschen und Muslimen wird dagegen in der LVZ vor allem als Problem- und Handlungsgemeinschaft gezeichnet, so wird Wolfgang Schäuble mit dem Satz zitiert „Es wird ein steiniger Weg sein, für die Muslime und für den Staat“ (LVZ, 29.09.06, B11). Abbildung 32: Kollektive Identität in der LVZ Wahlerfolg der NPD
Muslime in Deutschland
100%
100%
80%
80%
60%
60%
40%
40%
20%
20%
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0%
Wir n=3
Kultur n=2
Problem Abgrenzung Territorial n=3 n=2 n=0
Alle n=6
Wir
Kultur
Problem
n=3
n=4
n=3
Abgrenzung Territorial
n=2
MVP
Ostdeutschland
Westdeutschland Demokraten
Nation
Nation+Muslime
Europa
Nation
Europa
Welt
Westen
Welt
Dt. Muslime
Basis:
n=0
Alle
n=7
Europa+Muslime
Alle Absätze mit Bezug auf kollektive Identität in solidarischer Stärke in den Fallstudien ‚Wahlerfolg der NPD’ (n=6) und ‚Muslime in Deutschland’ (n=7) in der LVZ
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Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
4.4.2.3 Kollektive Identität in der BILD Kollektive Identitäten sind in der BILD beim Thema ‚Wahlerfolg der NPD’ noch seltener als in den Regionalzeitungen (sechs Passagen in acht Artikeln, drei solidarisch), dafür mit einer eindeutigen Ausrichtung: Es wird ausschließlich eine nationale Gemeinschaft hergestellt. Dies geschieht einerseits über die Abgrenzung zur NPD, wie beispielsweise in diesem Kommentar: „Ihr Neo-Nazis, die ihr nun auch im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern sitzt und vom Steuerzahler euer Abgeordnetengehalt bezieht - ich habe keine Angst vor euch. Ihr seid furchtbares Gesocks, zum Kotzen. Aber Angst, Angst vor euch muss niemand haben. Ein Doktor Goebbels aus Schwerin? Ein neuer Hitler aus Wismar? Gott sei Dank leben wir in einer Demokratie, wir können uns auf eine Orangenkiste stellen und eine fulminante Rede halten. Und wir können wählen“ (BILD, 20.09.06, B16, Hervorhebung KKvK).
Auch der Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit erzeugt durch die Abgrenzung von der NPD das Gefühl einer nationalen Problemgemeinschaft: „Aber es ist unerträglich, dass die Neonazis dank des Parteienprivilegs mit einer nicht zu überbietenden Dreistigkeit auftreten […] Diesen Triumph dürfen wir der NPD nicht gönnen“ (Klaus Wowereit, BILD, 24.09.06, B18).
Wie in der LVZ dienen die etablierten Parteien als Abgrenzungsobjekt für die nationale Gemeinschaft: „Doch die Bürger müssen fassungslos erleben, wie die Regierung vor den großen Aufgaben davonläuft. So verspielen die Volksparteien auf Dauer das Vertrauen der Bürger!“ (BILD, 24.09.06, B20).
Das Thema ‚Muslime in Deutschland’ provoziert dagegen deutlich mehr Identitätsaussagen in der BILD (18 Passagen in elf Artikeln). Wiederum ist das Bezugsobjekt fast ausschließlich die nationale Gemeinschaft, in einem Falle werden die in Deutschland lebenden Muslime miteingeschlossen und dreimal wird eine christliche kollektive Identität in den Vordergrund gestellt. Die nationale Kultur und nationale Werte spielen bei der Erzeugung kollektiver Identifikationen eine große Rolle: „Das geht aber nur, wenn von Anfang an eines klar ist: Deutschland ist ein freies Land. Ein toleranter Staat. Die Menschen hier fühlen sich ganz überwiegend der christlich-abendländischen Kultur verbunden. Wir sind keine Kreuzritter – aber wir dürfen von den bei uns lebenden Menschen anderen Glaubens zu Recht erwarten, dass unsere Werte respektiert werden“ (BILD, 28.09.06, B16).
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Auch der Generalsekretär der CDU, Ronald Pofalla, betont in seinem Gastkommentar in der BILD die christlich-deutsche Kulturgemeinschaft, verbunden mit einer Handlungs- und Problemgemeinschaft: „Und wir müssen bereit sein, für unsere christlich geprägten westlichen Werte einzustehen. Die über Jahre zelebrierte rot-grüne Multikulti-Ideologie hat den Eindruck vermittelt, wir müssen für unsere Werte gar nicht mehr kämpfen. Das war ein Riesenirrturm. Wir lassen uns das Gut der freien Meinungsäußerung durch keinen noch so wütenden Protest irgendwo auf der Welt nehmen“ (Ronald Pofalla, BILD, 01.10.06, B12).
Insgesamt spielt die christliche Prägung Deutschlands in der BILD von allen regionalen Zeitungen die größte Rolle, was wahrscheinlich auch erklärt, warum die BILD sich als einziges Medium für die Opernabsetzung einsetzt: „Ich bin sehr froh, dass Ihr die Oper abgesetzt habt. Neben dem geköpften Mohammed auf der Bühne liegt auch der Kopf meines Gottes, der Kopf von Jesus Christus. Ich frage mich, warum niemand in Deutschland meine religiösen Gefühle verteidigt. Für Jesus Christus gehen wir nicht mehr auf die Barrikaden. Mein Gott hat keine Lobby…“ (BILD, 27.09.2006, B18).
Diese christliche Orientierung verwundert zwar zunächst, da es sich um eine ostdeutsche Ausgabe der BILD handelt und der Anteil der Christen in der ostdeutschen Bevölkerung deutlich geringer ist. Allerdings sind alle Artikel zum Thema Muslime in Deutschland Teil der Mantelausgabe für Gesamtdeutschland und nicht des Leipziger Lokalteils. Deutlich stärker als in den anderen Zeitungen ist die Abgrenzung gegenüber den Islamisten, aber auch gegenüber dem Islam und den Muslimen generell: „Warum kuschen wir vor dem Islam?“ fragt die BILD am 28.09.06.: „,Entführung aus dem Serail’ – Diese Mozart-Oper könnte ebenfalls der Selbstzensur zum Opfer fallen - weil dort ein lüsterner Haremsaufseher auftritt. ,Der Schut’ – Bei Karl Mays Klassiker heißt es: ,Der Islam ist die Diestel, die nur auf dürrem Boden wächst…’ Wie lange dürfen wir wohl so was noch lesen?“ (BILD, 28.09.06, B25).
Im Interview mit Edmund Stoiber verlagert sich die Abgrenzung allerdings mehr auf die Islamisten: „BILD: Nehmen wir aus Angst vor Gewalt und Wut radikaler Moslems zu viel Rücksicht auf den Islam? Edmund Stoiber: Dazu darf es niemals kommen! Angst wäre der erste Sieg der Terroristen! Wir dürfen die Freiheitsrechte des Grundgesetzes niemals aus Angst vor islamistischem Terror aufgeben!“ (BILD, 28.09.2006, B24).
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Abbildung 33: Kollektive Identität in der BILD Muslime in Deutschland
Wahlerfolg der NPD 100%
100%
80%
80%
60%
60%
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40%
20%
20%
0%
0%
Wir n=3
Kultur n=1
Problem Abgrenzung Territorial n=2 n=3 n=1
Alle n=3
Wir
Kultur
n=12
n=4
Problem Abgrenzung Territorial
n=7
n=10
MVP
Ostdeutschland
Westdeutschland Demokraten
Nation
Nation+Muslime
Europa
Nation
Europa
Welt
Westen
Welt
Dt. Muslime
Basis:
n=0
Alle
n=18 Europa+Muslime
Alle Absätze mit Bezug auf kollektive Identität in solidarischer Stärke in den Fallstudien ‚Wahlerfolg der NPD’ (n=3) und ‚Muslime in Deutschland’ (n=18) in der BILD
4.4.2.4 Kollektive Identität in der BR Rundschau In der Bayerischen Rundschau wird im Rahmen der Diskussion des Wahlerfolgs der NPD nur in zwei Passagen auf kollektive Identitäten Bezug genommen. In beiden Fällen ist die Ausdehnung der Gemeinschaft national: In der ersten Passage wird sie erzeugt durch eine Abgrenzung von der NPD in der SprecherMeldung „… und in Schwerin betritt ein neuer Gegner die Bühne. Die NPD zog in den Landtag ein“ (BR, 18.09.06, Beitrag 18), begleitet von einem Standbild von Springerstiefeln vor dem Schweriner Schloss und der Texteinblendung „Die Demokraten sind gefragt.“ Die zweite Passage ist ein Interview mit Matthias Platzeck, Ministerpräsident von Brandenburg (SPD), in dem dieser eine deutsche Wir- und Problemgemeinschaft anspricht: „Hier ist rechtsextremes, rechtsradikales Gedankengut tief in die Köpfe gerade von jüngeren Leuten eingedrungen, und dementsprechend müssen wir uns auch viel einfallen lassen, wenn das nicht zu `nem Flächenbrand perspektivisch werden soll“ (BR, 18.09.06, Beitrag 19).
Auch in der zweiten Fallstudie sind es nur drei Passagen, in denen kollektive Identitäten angesprochen werden. Zum einen wird als Aufhänger für die Islamkonferenz eine gemeinsame Problem- und Handlungsgemeinschaft der Deutschen und in Deutschland lebenden Muslime betont:
Dimension 4: Kollektive Identität
259
„Wie können wir das Zusammenleben zwischen Deutschen und den 3 Millionen Muslimen bei uns verbessern. Das fragte heute die erste Islamkonferenz in Berlin, die in den nächsten Jahren dazu Leitlinien entwickeln will“ (BR, 27.09.06, Beitrag 1).
Im entsprechenden Beitrag zur Islamkonferenz wird Wolfgang Schäuble mit einem O-Ton gezeigt, der die deutsch-muslimische Wir- und Problemgemeinschaft in eine europäische Gemeinschaft einbettet: „Der Islam [ist] ein Teil unseres Landes […]. Ein Teil Europas auch, aber dass die Muslime, die in Deutschland und Europa leben, ganz selbstverständlich auch die Regeln, die das Zusammenleben, die politische Ordnung in Deutschland und Europa tragen, respektieren“ (BR, 27.09.06, Beitrag 2).
Abbildung 34: Kollektive Identität in der Bayerischen Rundschau Muslime in Deutschland
Wahlerfolg der NPD 100%
100%
80%
80%
60%
60%
40%
40%
20%
20%
0%
0%
Wir n=1 MVP Nation
Basis:
Kultur n=0
Problem Abgrenzung Territorial n=1 n=1 n=0
Alle n=2
Wir
Kultur
Problem
n=2
n=0
n=2
Abgrenzung Territorial
n=0
Ostdeutschland
Westdeutschland Demokraten
Nation
Nation+Muslime
Europa
Europa
Welt
Westen
Welt
Dt. Muslime
n=0
Alle
n=3 Europa+Muslime
Alle Absätze mit Bezug auf kollektive Identität in solidarischer Stärke in den Fallstudien ,Wahlerfolg der NPD’ (n=2) und ‚Muslime in Deutschland’ (n=3) in der BR Rundschau
4.4.2.5 Kollektive Identität in mdr aktuell In mdr aktuell wiederum werden kollektive Identitäten noch seltener thematisiert. In der NPD-Fallstudie wird lediglich eine einzige Gemeinschaft, nämlich die Mecklenburg-Vorpommerns, aufgebaut. Der CDU-Fraktionsvorsitzende in MVP, Armin Jäger, beschreibt in einem Interview, wie sich die Menschen im Bundesland von den etablierten Parteien abgrenzen: „Und ich bin in einem Wahlkreis in Schwerin, in den Plattenbauten Schwerins, und da haben mir die Leute gesagt, wir trauen Euch allen [den Parteien, KKvK] nicht mehr über den Weg“ (mdr, 17.09.06, Beitrag 4).
260
Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
In der Diskussion zum Thema ‚Muslime in Deutschland’ werden in sechs Passagen kollektive Identitäten angesprochen. Dabei ist die Gemeinschaft zunächst beim Thema Opernabgrenzung auf die Nation eingeschränkt, in Abgrenzung von den Muslimen: „Es ist in letzter Zeit mehr als angespannt, das Verhältnis zu Muslimen. Es gab den Karikaturen-Streit, die Aufregung um eine angeblich islamfeindliche Rede des Papstes, und die Absetzung der Mozart-Oper Idomeneo in Berlin“ (mdr, 27.09.06, Beitrag 4).
Im Kontext der Islamkonferenz wird aber überwiegend eine nationale Gemeinschaft transportiert, die die Muslime miteinschließt. So wird derselbe Ausschnitt aus Schäubles Rede zitiert wie im BR, in dem er den Islam als Teil Deutschlands und Europas beschreibt. Aber auch in einem Hintergrundbeitrag über die in Deutschland lebenden Muslime werden diese als „hier zuhause“, also als Teil der deutschen Gemeinschaft charakterisiert (mdr, 27.09.06, Beitrag 5). Abbildung 35: Kollektive Identität in mdr aktuell Muslime in Deutschland
Wahlerfolg der NPD 100%
100%
80%
80%
60%
60%
40%
40%
20%
20%
0%
0%
Wir n=1
Kultur n=0
Problem Abgrenzung Territorial n=0 n=1 n=0
Alle n=1
Wir
Kultur
Problem
n=1
n=2
n=2
Abgrenzung Territorial
n=2
MVP
Ostdeutschland
Westdeutschland Demokraten
Nation
Nation+Muslime
Europa
Nation
Europa
Welt
Westen
Welt
Dt. Muslime
Basis:
n=0
Alle
n=6 Europa+Muslime
Alle Absätze mit Bezug auf kollektive Identität in solidarischer Stärke in den Fallstudien ‚Wahlerfolg der NPD’ (n=1) und ‚Muslime in Deutschland’ (n=6) in mdr aktuell.
4.4.2.6 Kollektive Identität in der ARD tagesschau In der ARD tagesschau wird im Rahmen der ersten Fallstudie zum ‚Wahlerfolg der NPD’ in den fünfzehn Beiträgen in neun Passagen auf kollektive Identitäten verwiesen (davon sieben Mal in solidarischer Stärke). Den größten Raum nimmt
Dimension 4: Kollektive Identität
261
die nationale Gemeinschaft ein (sechs Passagen), einmal wird auf die ostdeutsche Gemeinschaft eingegangen. Einerseits wird eine nationale Problemgemeinschaft beschrieben, die nun „einen langen Weg bezüglich der NPD gehen müsse[n]. Sie ist jetzt – nach Sachsen – in einem zweiten Landtag, wir haben ja auch in Brandenburg die DVU. Es ist offensichtlich ein größeres, ein gesellschaftliches Problem“ (Dietmar Barsch, ARD, 17.09.06, Beitrag 5). Andererseits wird im Rahmen eines Interviews mit dem NPD-Parteivorsitzenden mehrfach die deutsche Geschichte erwähnt, indem die ihm vorgeworfenen Hitler-freundlichen Aussagen wörtlich zitiert werden. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse wird in einer Sprechermeldung zitiert und bringt die durch gemeinsame Geschichte geprägte Gemeinschaft noch deutlicher auf den Punkt: „In Deutschland könne und müsse man wissen, was man tue, wenn man Nazis wähle, so der SPD-Politiker“ (ARD, 19.09.06, Beitrag 21). Die ostdeutsche Gemeinschaft wird vom NPD-Vorsitzenden gelobt, „vieles [sei] während der DDR-Zeit vorbildlich gelaufen“ (Udo Pastörs, ARD, 17.09.06, Beitrag 3). Als Abgrenzungsobjekte werden sowohl die Regierungsparteien als auch die NPD eingesetzt. Guido Westerwelle beschreibt das Wahlergebnis als „Warnschuss der Gesellschaft der Wählerinnen und Wähler, unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger gegen die beiden Regierungsparteien im Bund“ (Dietmar Barsch, ARD, 17.09.06, Beitrag 5). Sowohl Harald Ringstorff (SPD) als auch Armin Jäger (CDU) grenzen die Gemeinschaft der Demokraten gegenüber der NPD ab: „Und das Problem wird für uns alle sein, wir sind jetzt fünf. Eine scheidet aus, das ist für uns Demokraten klar, da stimme ich Herrn Ringstorff vollständig zu, das heißt wir müssen miteinander sehen wie wir stabile Mehrheiten in diesem Land zustande bringen“ (Armin Jäger, ARD, 17.09.06, Beitrag 3).
In der zweiten Fallstudie wird in der tagesschau lediglich in sechs Passagen auf kollektive Identitäten Bezug genommen. In drei Fällen handelt es sich um die nationale Gemeinschaft gemeinsam mit den in Deutschland lebenden Muslimen, die im Rahmen des Schäuble-Zitats auch einmal in eine europäische Gemeinschaft eingebettet wird. Die Gemeinschaft der Deutschen und Muslime beruht in der tagesschau nicht allein auf einer Problemgemeinschaft (durch Schäubles Aussage „zum steinigen Weg“ für Muslime und Staat), sondern wird zusätzlich durch die Abgrenzung von Islamisten erzeugt: „Wir dürfen nicht hinnehmen, dass Extremisten die Religion des Islam für Taten in Anspruch nehmen können, gerade weil ja auch die große Mehrheit der friedliebenden Muslime Angst vor gewalttätigen Extremisten hat“ (Wolfgang Schäuble, ARD, 28.09.06, Beitrag 8).
262
Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
Abbildung 36: Kollektive Identität in der ARD tagesschau Wahlerfolg der NPD
Muslime in Deutschland
100%
100%
80%
80%
60%
60%
40%
40%
20%
20%
0%
0%
Wir n=3 MVP Nation
Basis:
Kultur n=2
Problem Abgrenzung Territorial n=2 n=3 n=0
Alle n=7
Wir
Kultur
Problem
n=2
n=0
n=5
Abgrenzung Territorial
n=2
Ostdeutschland
Westdeutschland Demokraten
Nation
Nation+Muslime
Europa
Europa
Welt
Westen
Welt
Dt. Muslime
n=0
Alle
n=6 Europa+Muslime
Alle Absätze mit Bezug auf kollektive Identität in solidarischer Stärke in den Fallstudien ‚Wahlerfolg der NPD’ (n=7) und ‚Muslime in Deutschland’ (n=6) in der ARD tagesschau
4.4.2.7 Kollektive Identität in RTL aktuell Das Thema ‚Wahlerfolg der NPD’ provoziert in RTL aktuell nur vier Äußerungen zu kollektiven Identitäten, von denen sich eine auf die Gemeinschaft Mecklenburg-Vorpommerns bezieht, die anderen auf die nationale Gemeinschaft. Zum einen ist es Matthias Platzeck, Ministerpräsident von Brandenburg, der im Interview eine Handlungsgemeinschaft zur Bekämpfung rechtsextremistischer Geisteshaltung beschwört: „Es geht also nicht nur um Protest, sondern um eine Geisteshaltung. Und gegen die müssen wir mit aller Kraft auch angehen“ (Matthias Platzeck, RTL, 18.09.06, Beitrag 2). Der RTL-Korrespondent in Berlin bestärkt diese Gemeinschaft anschließend nochmals: „Doch Platzeck hat zurecht gewarnt, dass das braune Denken bereits in den Köpfen angekommen ist. Und da haben Eltern und Staat besondere Verantwortung. Eltern müssen sich einfach mehr darum kümmern, was ihre Heranwachsenden so treiben. Und der Staat, vor allen Dingen das Familienministerium, der darf die vorbildlichen Anti-Rechts-Initiativen im Osten, die sich dort um die Jugendlichen kümmern, nicht finanziell aushungern“ (RTL, 18.09.06, Beitrag 3).
Das Thema ‚Muslime in Deutschland’ führt sogar nur zu drei Passagen, die sich auf kollektive Identitäten beziehen, zwei davon auf die nationale Gemeinschaft, einmal auch mit den deutschen Muslimen. Auffällig ist, dass RTL als einziges Medium nicht Wolfgang Schäuble mit der Aussage „der Islam sei Teil Deutschlands und Europas“ zitiert. Die Gemeinschaft der Deutschen und Muslime wird
Dimension 4: Kollektive Identität
263
stattdessen vom Vorsitzenden der deutsch-türkischen Gemeinde aufgebaut, der die Opernabsetzung mit folgendem Argument strikt ablehnt: „Wo kommen wir denn hin? Dann kommen wir zum Mittelalter, wo Religion über alles entscheidet“ (RTL, 26.09.06, Beitrag 2). Abbildung 37: Kollektive Identität in RTL aktuell Muslime in Deutschland
Wahlerfolg der NPD 100%
100%
80%
80%
60%
60%
40%
40%
20%
20% 0%
0% Wir n=2
Kultur n=0
Problem Abgrenzung Territorial n=4 n=0 n=0
Alle n=4
Wir n=2
Kultur n=2
Problem Abgrenzung Territorial n=0 n=1 n=0
MVP
Ostdeutschland
Westdeutschland Demokraten
Nation
Nation+Muslime
Europa
Nation
Europa
Welt
Westen
Welt
Dt. Muslime
Basis:
Alle n=3
Europa+Muslime
Alle Absätze mit Bezug auf kollektive Identität in solidarischer Stärke in den Fallstudien ‚Wahlerfolg der NPD’ (n=4) und ‚Muslime in Deutschland’ (n=3) in RTL aktuell
4.4.2.8 Kollektive Identität in der SZ Kollektive Identitäten werden in der SZ im Rahmen der Diskussion des Wahlerfolgs der NPD in 17 Artikel bzw. 50 Absätzen angesprochen. Zwar dominiert auch in der SZ die nationale Gemeinschaft (21 Passagen), allerdings geschieht dies in der Hälfte der Fälle durch Funktionäre der NPD, die demnach für die Zeitungsleser keine ganz unbelastete nationale Identität ansprechen. Kollektive Identifikationen mit Mecklenburg-Vorpommern finden sich in zwölf Fällen, und auch die ost- bzw. westdeutsche Gemeinschaft werden thematisiert (in fünf bzw. zwei Absätzen), ebenso wie die Gemeinschaft der Europäer. Die SZ setzt sich von allen untersuchten Medien am ausführlichsten mit der NPD auseinander, in den zwei längeren Artikeln, die die Partei portraitieren, werden mehrfach kollektive Identifikationen mit der nationalen Gemeinschaft transportiert: „Im Wahlkampf ähnelten die Termine der Pastörs oft Familienpicknicks. Biertische unter Bäumen, Bleche voller Bienenstich darauf und Kaffee. Jungen Müttern schenkten sie Schnuller
264
Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit fürs Baby - keine Kondome wie andere Parteien, weil die NPD das deutsche Volk ja erhalten will. Wenn der Wind eine der mit Sonnenblumen bedruckten Servietten wegwehte, spurtete Frau Pastörs oder ein sehr kurzhaariger Herr hinterher und hob sie auf. Der Deutsche an sich ist ja ordentlich“ (SZ, 19.09.06, B13, Hervorhebungen KKvK).
In einem anderen Artikel zitiert die SZ einen Spendenaufruf der NPD: „Um noch stärker zu werden und den Kampf um Deutschland in unserer Region noch professioneller und erfolgreicher zu gestalten, sind eigene Räumlichkeiten langfristig unumgänglich. Eine eigene Begegnungsstätte, in der wir deutsche Luft atmen können, ist zudem identitätsstiftend für Jung und Alt“ (SZ, 22.09.06, B1).
Auch wenn diese Passagen verschiedenste Formen kollektiver Identität enthalten – Wir-Bezüge (‚unsere Region’), Kulturgemeinschaften (‚das deutsche Volk’, Ordentlichkeit als deutsche Eigenschaft), auch vermischt mit Territorialgemeinschaften (‚der Deutsche an sich’) und eine Problemgemeinschaft (‚den Kampf um Deutschland’) – so ist doch anzunehmen, dass sie bei den Lesern der linksliberalen Zeitung nicht deren Identifikation mit der nationalen Gemeinschaft verstärkt haben. Bei anderen Bezügen auf die nationale Gemeinschaft handelt es sich überwiegend auf Verweise auf die gemeinsame Geschichte, beispielsweise wenn ein Artikel die tagesschau Interviewrunde kritisch reflektiert, in der der NPDVorsitzende auf seine Hitler-Äußerungen angesprochen wird (SZ, 19.09.06, B1). Heribert Prantls Kommentar zum NPD-Erfolg vergleicht die Deutschen wiederum im Bezug auf ihre Vergangenheit im Nationalsozialismus mit einem „trockenen Alkoholiker“ (SZ, 18.09.06, B1). Gelegentlich wird auch an die deutsche Problemgemeinschaft appelliert, so fordert beispielsweise CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla: „Wir müssen klarmachen, dass Rechtsradikale in unseren Parlamenten nichts zu suchen haben” (SZ, 18.09.06, B12). In einem Falle wird die nationale Gemeinschaft von MecklenburgVorpommern abgegrenzt, und zwar im Kommentar von Heribert Prantl, der auch in der WAZ zitiert worden ist. Es werden auch Abgrenzungsgemeinschaften gegenüber der NPD gebildet, diese beziehen aber die Leser nicht mit ein, sondern stellen nur eine Gemeinschaft der demokratischen Parteien her, die sich weigern, mit NPD-Parlamentariern Kaffee zu trinken, oder MecklenburgVorpommern selbst: „Nirgendwo in Deutschland residiert ein Parlament romantischer als hier der Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, eine Attraktion, immer gerne hergezeigt. Aber jetzt hätten sie gerne eine Zugbrücke und Fässer voll mit heißem Fett. Vielleicht würden dann die Braunen draußen bleiben“ (SZ, 18.09.06, B8).
Dimension 4: Kollektive Identität
265
Die zahlreichen Bezüge auf die Gemeinschaft Mecklenburg-Vorpommerns erklären sich in der SZ darüber, dass mehrfach auf die „Heimat der Kanzlerin“ verwiesen wird. In der SZ wird den Menschen Mecklenburg-Vorpommerns nicht Starrköpfigkeit (WAZ) vorgeworfen, sondern Phlegma: „Gut möglich, dass sich ein Spruch bewahrheitet, der Mecklenburg-Vorpommern gern zugeschrieben wird: Allens bliwwt bi`n Ollen“ (SZ, 18.09.06, B4).
Ostdeutschland wird zwar ebenfalls als Gemeinschaft beschrieben, aber eher negativ: Der Guardian wird mit einer Aussage zu den „wirtschaftlich schwachen Ländern des ehemals kommunistischen Ostens“ zitiert (Guardian, zitiert in SZ, 19.09.06, B12b), und sie werden als „ungläubige Ostdeutsche“ bezeichnet (SZ, 22.09.06, B2). Westdeutschland wird dagegen als Problem- und WirGemeinschaft charakterisiert: „Das ist nicht nur ein Problem von Glatzen und Lederjacken-Trägern, solche Einstellungen hört man mittlerweile auch auf schicken Sommerpartys in Berlin. Wir werden im Westen bald dieselben Probleme bekommen” (SZ, 21.09.06, B2).
Die europäische Gemeinschaft wird ausschließlich im Kommentar von Prantl hergestellt, der das Phänomen des erstarkenden Rechtsextremismus auch als europäisches Problem beschreibt: „Auch anderswo in Europa werden Rechtsradikale in die Parlamente gewählt; nicht nur auf regionaler, sondern auch auf nationaler Ebene erzielen sie zwischen zehn und zwanzig Prozent“ (SZ, 18.09.06, B1).
Anders als in der FAZ werden in der SZ beim Thema ‚Muslime in Deutschland’ kollektive Identitäten nicht deutlich häufiger diskutiert, sondern nur in 19 Artikeln bzw. 65 Absätzen. Von großer Bedeutung für die Diskussion ist ein Interview mit Wolfgang Schäuble vor Beginn der Islamkonferenz, in dem er sehr ähnliche Positionen darlegt wie in einem Gastbeitrag in der FAZ. Es dominiert die nationale Gemeinschaft mit 22 Äußerungen, gefolgt von der Gemeinschaft der Deutschen und Muslime mit 14 Passagen. Die europäische Gemeinschaft wird in vier, bzw. mit Muslimen in sechs Absätzen transportiert. Die christlich-westliche Gemeinschaft erreicht auch in der SZ elf Verweise. Die nationale Gemeinschaft wird insbesondere im Kontext der Opernabsetzung thematisiert, hier handelt es sich meist um eine Problemgemeinschaft, manchmal in Abgrenzung von Islamisten: „Die Absetzung der Mozart-Oper ‚Idomeneo’ durch die Deutsche Oper in Berlin ist, sieht man genauer hin, kein Problem, das wir mit radikalen, gewaltbereiten Islamisten, sondern eines, das wir mit uns selbst und unserer Angst haben“ (SZ, 30.09.06, B2).
266
Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
Auch auf die deutsche Geschichte bzw. gesellschaftliche Entwicklung wird in diesem Kontext verwiesen: „Vor dreißig Jahren hätten sich in Deutschland vor allem Katholiken über die Jesus-Köpfung empört und den Staatsanwalt mit Verweis auf den Blasphemie-Paragrafen zu Hilfe gerufen. Auch die christlichen Autoritäten sind aber in der Auseinandersetzung mit Kunst und der Kunstfreiheit gelassener geworden“ (SZ, 27.09.06, B3).
Im Rahmen der Islamkonferenz werden dagegen die Muslime stets in die deutsche Gemeinschaft miteinbezogen: „Schäuble sagte, der Islam müsse in der christlich geprägten Ordnung der Bundesrepublik ‚seinen Platz finden’. Muslime seien in Deutschland willkommen und sollten die Chance erhalten, ihre Talente zu entfalten“ (SZ, 29.09.06, B2).
Im SZ-Interview äußert sich Schäuble ähnlich wie später zum Abschluss der Eröffnungsveranstaltung der Islamkonferenz (zitiert in tagesschau, mdr und BR) und ordnete die Muslime in Deutschland und damit als Teil einer europäischen Gemeinschaft ein: „Es leben drei Millionen Muslime in Deutschland, die Teil der deutschen Gegenwart und Zukunft sind, so wie der Islam ja auch ein Teil Europas ist. Das müssen und wollen wir zur Kenntnis nehmen“ (SZ, 26.09.06, B1).
In der Erzeugung einer westlichen Gemeinschaft ist der Schwerpunkt anders als in der FAZ, wo sie vor allem über Bezüge zum Christentum hergestellt wird. In der SZ tritt das Christentum etwas mehr in den Hintergrund, stattdessen geht es um die „westliche Leitkultur“: „Sie heißt Demokratie, Rechtsstaat, Grundrechte - also Kunstfreiheit; Redefreiheit; Presse- und Glaubensfreiheit, die auch die Freiheit des Nichtglaubens umfasst“ (SZ, 27.09.06, B3).
Allerdings wird auch in der SZ die Gemeinschaft gegenüber den Muslimen abgegrenzt: „Mit dieser Toleranz zwischen Christen und Muslimen war es allerdings nie weit her – in der Aufklärung nicht, wie schon im Mittelalter nicht, wo der Islam für alles Fremde und Feindliche stand. Teufelszeug war das, eine Gefahr für den Glauben und das Leben. […] Vergangen ist das nicht wirklich“ (SZ, 28.09.06, B11).
Dimension 4: Kollektive Identität
267
Abbildung 38: Kollektive Identität in der SZ Wahlerfolg der NPD
Muslime in Deutschland
100%
100%
80%
80%
60%
60%
40%
40%
20%
20% 0%
0% Wir n=12
Kultur n=12
Problem Abgrenzung Territorial n=12 n=12 n=2
Alle n=31
Wir n=19
Kultur n=10
Problem Abgrenzung Territorial n=6 n=17 n=8
MVP
Ostdeutschland
Westdeutschland Demokraten
Nation
Nation+Muslime
Europa
Nation
Europa
Welt
Westen
Welt
Dt. Muslime
Basis:
Alle n=59
Europa+Muslime
Alle Absätze mit Bezug auf kollektive Identität in solidarischer Stärke in den Fallstudien ‚Wahlerfolg der NPD’ (n=31) und ‚Muslime in Deutschland’ (n=59) in der SZ
4.4.2.9 Kollektive Identität in der FAZ Das Thema ‚Wahlerfolg der NPD’ gibt in der FAZ häufiger Anlass zur Herstellung kollektiver Identitäten, in 26 Passagen werden Identitäten angesprochen. Den größten Raum nehmen dabei Bezüge auf die Gemeinschaft MecklenburgVorpommerns ein (13 Absätze), gefolgt von der nationalen und der ostdeutschen Gemeinschaft (jeweils sechs Passagen). Auch wenn man allein die Gemeinschaften von mindestens solidarischer Stärke betrachtet, liegt MVP immer noch an erster Stelle. Ein Teil der Bezüge auf das Bundesland erklärt sich darüber, dass die FAZ wiederholt darauf verweist, dass es sich um das „Heimatland der Kanzlerin“ handelt (z.B. FAZ, 18.09.06, B13), und ‚Heimat’ in dieser Arbeit als Verweis auf eine Kulturgemeinschaft verstanden wird. Zudem wird in einem längeren Hintergrundartikel die Region ausführlich charakterisiert: „Aber ihr Mann wolle nicht, wegen des Hauses. Es ist eines dieser typischen Häuser der Gegend am Stettiner Haff, aus Backstein, die Fassade mit Zierputz geschmückt. Nicht arm, nicht reich. Trostlos wirkt dagegen ein paar Kilometer weiter Richtung Haff die Ibericher Straße. Sie führt durch das Wohngebiet Uekermunde-Ost, eine Plattenbausiedlung aus der DDR-Zeit. Die Straße ist Sackgasse“ (FAZ, 23.09.06, B22).
268
Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
Es kommen zahlreiche lokale Politiker zu Wort, die jeweils MecklenburgVorpommern als Wir- und Problemgemeinschaft beschreiben: „Dann hätte unsere Region auch etwas vom Tourismus auf der Insel“ oder „Die mussten sogar aus Jena jemanden einstellen, weil sie bei uns keinen fanden.“. In der FAZ werden die Menschen Mecklenburg-Vorpommerns nicht als „knorrig“, „starrsinnig“ (WAZ) oder phlegmatisch (SZ) beschrieben, sondern als „übellaunig“: „Das hat zu jener landestypischen Übellaunigkeit geführt, die Menschen haben, wenn sie immerzu etwas erwarten, was nicht kommt, wofür sie aber auch nichts tun“ (FAZ, 26.09.06, B10).
Die nationale Gemeinschaft wird einerseits in Abgrenzung von der NPD erzeugt: „Angst vor einer Machtübernahme durch Terror oder gar einen neuen Hitler wäre im heutigen, in jeder Hinsicht stabilen Deutschland lächerlich und kontraproduktiv“ (FAZ, 20.09.06, B22).
Andererseits ist es in zwei Fällen die NPD selbst, die an eine nationale Gemeinschaft appelliert, wenn sie den „biologischen Fortbestand unseres Volkes sichern“ (FAZ, 23.09.06, B22) oder „in dieser Phase des Überlebenskampfes unseres Volkes an einer wahren Volksbewegung für Deutschland“ arbeiten will (FAZ, 19.09.06, B8). FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher baut eine Abgrenzungsgemeinschaft gegenüber den Menschen bzw. vor allem den Männern MecklenburgVorpommerns auf: „So hat sich eine Lage ergeben […], dass in unzähligen Dörfern [Mecklenburg-Vorpommerns] junge arbeitslose Männer mit zurückgebliebenen alten Männern zusammenleben, nicht nur ohne Aussicht auf Arbeit, sondern auch ohne Aussicht auf eine Partnerin […]. Aggressivität, Gewaltbereitschaft, Mitleidlosigkeit sind vorherrschende Kennzeichen dieser Milieus […]. Je mehr heiratsfähige Männer aus sozialen Grünen daran gehindert werden zu heiraten, weil es die Frauen dazu entweder nicht gibt oder von denen, die es gibt, keine die Zurückgebliebenen haben will, desto mehr Testosteron zirkuliert“ (FAZ, 19.09.06, B10).
Die Gemeinschaft Ostdeutschlands wird ebenfalls in der FAZ thematisiert: Zum einen durch ein Zitat von Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Ringstorff (SPD), der Ostdeutschland als Wir- und Problemgemeinschaft beschreibt, der NPD sei es bisher noch nicht gelungen, „nur einen vernünftigen Vorschlag für Lösungen von Problemen, die wir im Osten haben, zu machen“ (FAZ, 20.09.06, B6). In der Hintergrundberichterstattung sind auch Hinweise auf die ostdeutsche Geschichte enthalten: „,Ich schäme mich dafür’, sagt sie über die Wahlergebnisse. ‚Dafür sind wir 89 nicht auf die Straße gegangen’“ (FAZ, 23.09.06, B22).
Dimension 4: Kollektive Identität
269
Anders als die regionalen Zeitungen bettet die FAZ das Thema gelegentlich in einen europäischen Kontext bzw. in eine europäische Problemgemeinschaft ein: „Der rechte Rand wächst überall in Europa“ (FAZ, 20.09.06, B22). Abbildung 39: Kollektive Identität in der FAZ Muslime in Deutschland
Wahlerfolg der NPD 100%
100%
80%
80%
60%
60%
40%
40%
20%
20% 0%
0% Wir n=8
Kultur n=6
Problem Abgrenzung Territorial n=9 n=3 n=0
Alle n=17
Wir n=65
Kultur n=82
Problem Abgrenzung Territorial n=32 n=10 n=4
MVP
Ostdeutschland
Westdeutschland Demokraten
Nation
Nation+Muslime
Europa
Nation
Europa
Welt
Westen
Welt
Dt. Muslime
Basis:
Alle n=107
Europa+Muslime
Alle Absätze mit Bezug auf kollektive Identität in solidarischer Stärke in den Fallstudien ‚Wahlerfolg der NPD’ (n=17) und ‚Muslime in Deutschland’ (n=107) in der FAZ
Das Thema ‚Muslime in Deutschland’ wird in der FAZ mit Abstand am intensivsten diskutiert, die Diskussion betrifft dort zudem am häufigsten die Frage der kollektiven Identität: In 28 der 37 Artikel werden kollektive Identitäten aufgebaut, und zwar in nicht weniger als 124 Passagen. Diese große Zahl erklärt sich daraus, dass die FAZ für beide Ereignisse der Fallstudie tatsächlich als ‚Leitmedium’ aufgetreten ist. Es ist die FAZ, die erstmals mit einem kritischen Artikel auf die Absetzung der Mozart-Oper aufmerksam macht. Und vor Beginn der Islamkonferenz veröffentlicht die Zeitung einen langen Gastbeitrag von Innenminister Wolfgang Schäuble unter der Überschrift „Muslime in Deutschland“ (B55). Beide Themen werden anschließend nicht nur von anderen Medien übernommen, sondern vor allem innerhalb des Blattes intensiv diskutiert. Die zentrale Form der kollektiven Identität in der FAZ ist die Kulturgemeinschaft, in drei Vierteln aller Passagen, die auf kollektive Identitäten abzielen, werden gemeinsame Werte, Tradition, Gebräuche oder Geschichte erwähnt. Zwar werden oft zusätzlich Wir-Bezüge verwendet oder Problemgemeinschaften hergestellt, aber insbesondere im Vergleich zu den anderen Medien fällt auf, dass die Kulturgemeinschaft die Diskussion in der FAZ am stärksten geprägt hat.
270
Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
In der FAZ wird bei diesem Thema am häufigsten eine nationale Gemeinschaft transportiert (in 45 Passagen), in 41 weiteren Absätzen wird die Gemeinschaft der Deutschen und Muslimen angesprochen. Auch die nationale Gemeinschaft wird insbesondere mit Blick auf deutsche Geschichte, Werte und Traditionen erzeugt. In seinem Gastbeitrag nimmt Schäuble mehrfach Bezug auf die deutsche Geschichte, z.B. darauf, dass „Preußen [sich] schon früh einer Politik religiöser Toleranz [verschrieb], die auf dem Kontinent ihresgleichen suchte: Toleranz nicht nur gegenüber allen christlichen Konfessionen, sondern auch gegenüber Juden und Muslimen“ (FAZ, 27.09.06, B55). Aber die christliche Religion wird ebenfalls immer wieder als Basis der deutschen Gemeinschaft herangezogen: „Deutschland ist keine gottlose Gesellschaft, auch wenn das von manchen Muslimen, die hier leben, zuweilen so empfunden werden mag. Wir sind kein christlich dominierter Staat oder ‚Christenclub’, aber durchaus ein Staat, dessen Traditionen, Werte und Rechtsverständnis christliche Wurzeln und Traditionslinien haben und stets haben werden“ (FAZ, 27.09.06, B55).
Eine große Rolle für die Herstellung der deutschen kollektiven Identität spielt die deutsche Verfassung, bzw. vor allem die darin festgeschriebene Trennung von Staat und Religion. So bezieht sich Omid Nouripour auf „einen Wertekanon, der verpflichtend ist, nicht nur für Mitglieder des Bundestages. Der gilt für alle Bürger dieses Landes. Und diese Werte stammen aus der deutschen Geschichte – für diese Werte fühle ich mich verantwortlich“. Für seinen Partner im Doppelinterview, Philipp Mißfelder (CDU), umfasst dagegen die deutsche Gemeinschaft noch weit mehr: „Sicherlich, ein bestimmter Wertekanon ist im Grundgesetz festgelegt. Unser Land besteht aber nicht nur aus grundgesetzlichen Regelungen. Es geht nicht nur um den Staat, sondern auch um die Kultur, um Jubel und Identifikation mit der Nationalmannschaft zum Beispiel, um eine emotionale Bindung“ (FAZ, 26.09.06, B1).
Sowohl Schäuble als auch diverse andere Sprecher in der FAZ propagieren auch eine Gemeinschaft der Deutschen und Muslime: „,Muslime sind in Deutschland willkommen.’ Sie seien ,keine ausländische Bevölkerungsgruppe’ mehr, sondern ,Bestandteil der Gesellschaft’“ (FAZ, 29.09.06, B1). Wie bereits in der Diskussion des NPD-Erfolgs wird auch in der zweiten Fallstudie die nationale Gemeinschaft gelegentlich als Teil der europäischen Gemeinschaft betrachtet: „Norbert Lammert, der Bundestagspräsident, spricht von europäischer Leitkultur. […] Die Ansicht, alle Muslime seien intolerant und wollten die Scharia in Deutschland einführen, ist falsch. Wir haben voll integrierte Einwanderer, die einem aufgeklärten Euro-Islam folgen“ (FAZ, 26.09.06, B1).
Dimension 4: Kollektive Identität
271
Teilweise wird die nationale Gemeinschaft durch die Abgrenzung gegenüber anderen transportiert. Insbesondere die Intendantin der deutschen Oper und ihre Entscheidung werden mehrfach als Abgrenzungsobjekt herangezogen, wie hier von der Schriftstellerin Monika Maron: „Die Entscheidung von Kirsten Harms ist eine Aufforderung an die Muslime, die Selbstverständlichkeiten unserer Kultur nach möglichen Kränkungen abzusuchen und sie einer islamischen Zensur zu unterwerfen. Wenn Frau Harms Mozart und Neuenfels davor nicht schützen will, sollte sie zurücktreten“ (FAZ, 27.09.06, B3).
Aber es kommt auch zur Abgrenzung gegenüber Muslimen, so würde die „vermeintlich religiös motivierte und religiös begründete Gewalt“ als Erscheinung „zu einem großen Teil mit dem Islam in Verbindung gebracht“ (Wolfgang Schäuble, FAZ; 27.09.06. B55). In seinem geschichtlichem Abriss nimmt Schäuble Bezug auf „die Feldzüge der Mauren […], die Expansion der Osmanen bis vor die Tore Wiens oder die Auseinandersetzungen auf dem Balkan blutiger Teil der europäischen Geschichte“. In einem Kommentar werden Muslime als „beleidigte Leberwurst“ charakterisiert, die sich weigern, Fragen zur in islamischen Ländern gepflegten Toleranz gegenüber Andersgläubigen zu beantworten (FAZ, 27.09.06, B5).
4.4.2.10 Die Arenen-Integration der Öffentlichkeit in der vierten Dimension in den themenzentrierten Fallstudien Gleich drei Arenen scheitern in den themenzentrierten Fallstudien an der zweiten Bedingung für die Kommunikationsgemeinschaft: Sowohl in der SZ als auch dann als direktes Zitat in der WAZ und ebenso in der FAZ wird MecklenburgVorpommern und damit ein Teil der nationalen Gemeinschaft ausgegrenzt. Die WAZ stellt dazu noch eine Abgrenzung gegenüber Ostdeutschland her. Die Bedingungen für die nationale Solidargemeinschaft werden deutlich besser erfüllt: In beiden Fallstudien dominiert in fast allen Arenen die nationale Solidargemeinschaft, unabhängig von der Form der kollektiven Identifikation (Bedingung 4). Die Ausnahme bildet mdr aktuell, bei dem in der ersten Fallstudie die Gemeinschaft Mecklenburg-Vorpommerns den Vorrang hat – wobei im mdr überhaupt nur einmal auf kollektive Identitäten Bezug genommen wird. Von den vier Abgrenzungsobjekten, die in mehr als drei Öffentlichkeitsarenen ausgegrenzt werden, tritt die NPD am häufigsten auf, und zwar in allen Arenen außer RTL und mdr. Bei der Intendantin der Deutschen Oper beteiligen sich nur die LVZ, BR und mdr nicht an deren Ausgrenzung. Die Muslime und Islamisten werden zwar in je fünf Öffentlichkeitsarenen als Abgrenzungsobjekt
272
Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
verändert, aber nur FAZ, SZ und BILD nehmen jeweils auf beide Bezug und schneiden dadurch bei der fünften Bedingung für eine nationale Solidargemeinschaft am besten ab. Der eindeutige Vorreiter der Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit als Solidargemeinschaft ist den untersuchten Kriterien zufolge die BILD: In der Diskussion des Wahlerfolgs der NPD werden in der BILD ausschließlich kollektive Identifikationen mit der nationalen Gemeinschaft verwendet, beim Thema ‚Muslime in Deutschland’ beziehen sich ebenfalls über 80 Prozent der kollektiven Identität auf Gesamtdeutschland. Auch wenn in der ersten Teilstudie in der BILD nur ein einziger Fall von ‚Othering’ gegenüber Bevölkerungsgruppen oder deren Repräsentanten gefunden worden ist, treten schwächere Formen der Abgrenzung häufiger auf, und zwar sowohl gegen Gruppen wie auch Einzelpersonen: So grenzt sich die BILD in den themenzentrierten Fallstudien von denselben ‚Feinden’ ab wie die Mehrzahl der anderen Öffentlichkeitsarenen: von der NPD, der Intendantin der deutschen Oper, den Muslimen und Islamisten. Dies ist im Übrigen nicht allein ihrem besonderen Stil als Boulevardzeitung geschuldet, die beiden anderen Arenen, die jeweils alle vier häufigen ‚Feinde’ ausgrenzen, sind die Qualitätszeitungen FAZ und SZ. Die ARD tagesschau schneidet in der zweiten Teilstudie überraschend gut ab und erfüllt ebenfalls fast alle Kriterien an eine arenen-integrierte Öffentlichkeit. Von der Dominanz der EU aus der themenübergreifenden Teilstudie ist in den Fallstudien nur noch wenig zu spüren, eine europäische Perspektive bringen bei den ausgewählten Themen allein die Qualitätszeitungen SZ und FAZ in die Diskussion mit ein. Unabhängig von den Kriterien der Arenen-Integration fällt beim Vergleich der in beiden Teilstudien verwendeten kollektiven Identitäten ein zentraler Unterschied zwischen in Ost- und in Westdeutschland angesiedelten Medien auf: Betrachtet man die gesamte politische Berichterstattung über alle Themen hinweg, so werden die politischen Gemeinschaften Ost- und Westdeutschlands nur (noch?) in ostdeutschen Medien (und in der FAZ) als relevante Größen diskutiert. Die regionalen westdeutschen wie die sonstigen national ausgerichteten Öffentlichkeitsarenen nehmen auf die Landesteile nicht als Territorialgemeinschaften Bezug und verwenden die Adjektive ‚ostdeutsch’ oder ‚westdeutsch’ deutlich seltener (vgl. Kapitel 4.3 zur Vernetzung der Diskurse). In der Diskussion des Wahlerfolgs der NPD in einem ostdeutschen Bundesland kehrt sich diese Sichtweise dagegen um: Jetzt sind es die in Westdeutschland angesiedelten Medien, die zwischen einer ostdeutschen und einer westdeutschen Identität trennen, während für ihre ostdeutschen Pendants bei diesem Problem nur die gesamtdeutsche Identität von Bedeutung ist (siehe auch Kleinen-von Königslöw 2010b). Im Berichterstattungsalltag spielt die Kategorie ‚Ostdeutschland’ für westdeutsche
Dimension 4: Kollektive Identität
273
Medien zwar keine Rolle, aber bei entsprechendem Anlass wird das bereits durch die Schlüsselereignisse der rechtsextremistischen Anschläge von Hoyerswerda und Rostock geprägte Berichterstattungsframe ‚ostdeutsch=rechtsextremistisch’ wieder reaktiviert (vgl. Brosius/Eps 1993; Brosius/Esser 1995; Scheufele/Brosius 1999, Kleinen-von Königslöw et al. 2002). Tabelle 58: Ergebnisübersicht für die Dimension kollektive Identität in den themenzentrierten Fallstudien Öffentlichkeitsarenen Indikatoren
WAZ
LVZ
Bild
BR
mdr
ARD
RTL
SZ
FAZ
MVP Ost
+
+
+
+
+
+
MVP
MVP
- Wahlerfolg NPD
+
+
+
+
MVP
+
+
+
MVP
- Muslime in Dtld.
+
+
+
+
+
+
+
+
+
- ‚Feind’ NPD
+
+
+
+
-
+
-
+
+
- ‚Feind’ Muslime
+
+
+
-
-
-
-
+
+
- ‚Feind’ Islamisten
-
-
+
-
+
+
-
+
+
- ‚Feind’ Intendantin
+
-
+
-
-
+
+
+
+
5/7
5/7
7/7
4/7
4/7
6/7
4/7
6/7
5/7
Abgrenzungsgem. - nicht gegen Mitglieder Nat. Solidargem. dominant
Abgrenzungsgem.
Summe
Legende: + Anforderung erfüllt - Anforderung nicht erfüllt n.z. trifft nicht zu MVP=Mecklenburg-Vorpommern ist die dominante Ausdehnung kollektiver Identitäten oder das Abgrenzungsobjekt Ost=Abgrenzungsobjekt Ostdeutschland.
274
Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
4.5 Die Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit Die Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit ist im Rahmen dieses Buches für neun ausgewählte Öffentlichkeitsarenen in vier Dimensionen untersucht worden. Für die Zusammenfassung und Bewertung der Ergebnisse werden im Folgenden die neun Arenen anhand der in ihnen beobachteten Muster der Arenen-Integration geordnet und beschrieben. Ergänzt wird die Ergebniszusammenfassung um die bisher vernachlässigte Perspektive des Publikums, d.h. es wird dargelegt, inwieweit das Publikum jedes einzelnen Mediums an einer arenen-integrierten Öffentlichkeit teilnimmt.59 Zur graphischen Veranschaulichung wird für jede Öffentlichkeitsarena der Grad der Arenen-Integration in einem Netz-Diagramm abgebildet. Jede Achse entspricht einer der vier Dimensionen, mit Ausnahme der zweiten Dimension, für diese enthält das Diagramm zwei Achsen, eine für jede Fallstudie. Die themenübergreifende Ähnlichkeit der Diskurse lässt sich an dieser Stelle nicht mit abbilden, da sie nicht für jedes Medium einzeln ausgewiesen werden kann (vgl. Abschnitt 4.2.1.4), sie wird erst bei der Bewertung der Arenen-Integration der Gesamtöffentlichkeit mitberücksichtigt. Je näher der Achsenschnittpunkt dem Achsenendpunkt ist, desto mehr Bedingungen an eine arenen-integrierte Öffentlichkeit erfüllt das Medium in der entsprechenden Dimension. Beispielsweise hat die FAZ in der Dimension Vernetzung der Diskurse alle sechs Bedingungen erfüllt, entsprechend liegt der Achsenschnittpunkt in dieser Dimension auf dem Achsenendpunkt (vgl. Abbildung 40). Je größer die Fläche innerhalb der grauen Linie ist, desto größer ist der Beitrag des Mediums insgesamt zur Arenen-Integration der Gesamtöffentlichkeit.
59
Die Quellen der im Folgenden verwendeten Mediennutzungsdaten werden in Kapitel 3.1.2, Tabellen 5 und 6 ausführlicher erläutert, generell basieren die Zeitungsnutzungsdaten auf der ma Printmedien 2005, die Fernsehnutzungsdaten sowie die Informationen zu Überschneidungen zwischen Fernseh- und Zeitungsnutzen auf dem Panel der AGF/GfK Fernsehforschung für den Zeitraum 01.01.-06.06.2008.
Die Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
275
4.5.1 Arenen-Integrationsmuster 1: Die Musterschüler Einige der untersuchten Öffentlichkeitsarenen haben sich als ‚Musterschüler’ entpuppt, die die Anforderungen an eine arenen-integrierte Öffentlichkeit in fast allen Dimensionen perfekt oder zumindest sehr gut erfüllen. Nicht ganz überraschend handelt es sich dabei um die beiden analysierten Qualitätszeitungen Frankfurter Allgemeine Zeitung und Süddeutsche Zeitung. Aber auch die ostdeutsche Regionalzeitung Leipziger Volkszeitung kommt dem Ideal der arenenintegrierten Öffentlichkeit relativ nahe.
4.5.1.1 Die Arenen-Integration für das Publikum der FAZ Von allen untersuchten Öffentlichkeitsarenen erfüllt die FAZ die meisten Bedingungen an eine arenen-integrierte Öffentlichkeit. Im Falle der Ähnlichkeit der Diskurse für das Thema ‚Muslime in Deutschland’ und in Bezug auf die Vernetzung der Diskurse entspricht sie sogar allen Anforderungen, nur in der ersten und vierten Dimension, sowie in der Fallstudie zum ‚Wahlerfolg der NPD bleibt sie etwas hinter den Anforderungen zurück. Abbildung 40: Anteil der durch die FAZ erfüllten Bedingungen pro Dimension
Abgrenzung gegen MVP, nationale Gemeinschaft nicht immer dominant
Beobachtung des Regierens zu wenig regionale Themen/Sprecher
Kollektive Identität
Ähnlichkeit NPD andere Folgen, Bewertungen des Wahlerfolgs
Vernetzung der Diskurse
Ähnlichkeit Muslime
FAZ
276
Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
In der ersten Dimension mangelt es der Berichterstattung der FAZ an regionalen Hauptakteuren, Themen und zitierten Sprechern, ebenso wie an EU-Hauptakteuren. FAZ-Leser außerhalb ihres Stammgebiets (ca. 501.000) sind deswegen auf die parallele Nutzung weiterer Medien regionaler Ausrichtung angewiesen (was auch die Hälfte von ihnen umsetzt), da dieses Defizit auch nicht durch die Nutzung überregionaler Nachrichtensendungen ausgeglichen werden kann, in denen die regionale Ebene ebenfalls zu kurz kommt. In der ersten Fallstudie diskutiert die FAZ den Wahlerfolg der NPD etwas einseitiger als die regionalen Zeitungen, es fehlen Dimensionen der Folgen des Ereignisses und seiner Bewertung, die in den regionalen Öffentlichkeiten thematisiert worden sind. Bei der zweiten Fallstudie ist es aber die FAZ, die die mit Abstand intensivste und facettenreichste Berichterstattung zum Thema ‚Muslime in Deutschland’ enthält, kein anderes Medium setzt sich in dieser Tiefe mit Fragen der gesellschaftlichen Bedeutung von Religion, des Verhältnisses zwischen Staat und Religion und der Bedeutung der Integration einer Minderheit mit anderen religiösen Werten auseinander. Entsprechend kann sie alle Aspekte aus den regionalen Tageszeitungen abdecken. Bei der kollektiven Identität entspricht die FAZ ebenfalls nicht allen Anforderungen. Zwar nimmt sie als fast einziges Medium (gemeinsam mit dem mdr) auf Territorialgemeinschaften anderer Regionen Deutschlands Bezug. Aber es kommt in ihr zur Abgrenzung gegenüber den Menschen MecklenburgVorpommerns und in der Fallstudie zum NPD-Erfolg dominiert die regionale kollektive Identität Mecklenburg-Vorpommerns den Diskurs, nicht die nationale. Dieses punktuelle Defizit erscheint aber aus zwei Gründen nicht gravierend: Erstens überwiegt über alle Themen hinweg betrachtet die nationale Gemeinschaft in der FAZ. Und zweitens ließe sich das Defizit für die FAZ-Leser durch die Rezeption eines beliebigen anderen Mediums mit Ausnahme von mdr aktuell kompensieren (und 74,4 Prozent der FAZ-Leser außerhalb Hessens lesen gelegentlich eine andere Tageszeitung), da in allen anderen untersuchten Medien die nationale Gemeinschaft bei diesem Thema die Diskussion dominiert.
4.5.1.2 Die Arenen-Integration für das Publikum der SZ Die überregionale Qualitätszeitung SZ füllt den Raum der Arenen-Integration ebenfalls sehr gut aus, und zwar von allen untersuchten Öffentlichkeitsarenen am gleichmäßigsten, sie erreicht auf allen Dimensionen einen vergleichbaren Anteil erfüllter Anforderungen an eine arenen-integrierte Öffentlichkeit (im Schnitt ca. 80 Prozent der Bedingungen).
Die Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
277
In der ersten Dimension fehlt es der SZ in ihrer Bundesausgabe an einer angemessenen Berücksichtigung der regionalen Ebene in Form von regionalen Themen, Hauptakteuren und zitierten Sprechern. Die SZ-Leser außerhalb des Stammgebiets der Zeitung sind daher auf zusätzliche Medienangebote angewiesen, um ausreichend über die Politik ihrer eigenen Region informiert zu sein. Immerhin 40 Prozent der SZ-Leser außerhalb Bayerns lesen zusätzlich regionale Tageszeitungen, so dass sie dieses Defizit der SZ ausgleichen können. Abbildung 41: Anteil der durch die SZ erfüllten Bedingungen pro Dimension
Abgrenung MVP, keine Territorialgemeinschaften anderer Regionen Kollektive Identität
Beobachtung des Regierens zu wenig regionale Themen, Hauptakteure, Sprecher
Ähnlichkeit NPD weniger Folgen
zu viele ostdeutsche Hauptakteure/Sprecher Vernetzung der Diskurse
andere Bewertungen Opernabsetzung Ähnlichkeit Muslime
SZ
In beiden Fallstudien präsentiert die SZ mit die vielseitigste Berichterstattung zu den diskutierten Themen, daher überrascht es nicht, dass sie innerhalb dieser Vielseitigkeit fast alle Frame-Element-Dimensionen aufgreift, die in den regionalen Zeitungen diskutiert werden. Einzige Ausnahme beim Thema ‚Wahlerfolg der NPD’ ist die von WAZ (sowie RTL aktuell und BILD) angesprochene Wahlkampfkostenerstattung für die NPD als Folge ihres Wahlerfolgs. Beim Thema ‚Muslime in Deutschland’ fehlt wiederum nur ein Aspekt bei der Bewertung der Opernabsetzung, ansonsten spiegelt die SZ die gesamte Vielfalt der Debatten sowohl in der WAZ als auch der LVZ wider. In der dritten Dimension berücksichtigt die SZ beide Landesteile in ihrer Berichterstattung, allerdings nimmt sie öfter ostdeutsche Hauptakteure in den Blick und zitiert häufiger ostdeutsche Sprecher als es ihrer Bedeutung entsprechen würde (ca. ein Drittel statt ein Fünftel). Diese Überbetonung des Ostens
278
Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
bleibt auch erhalten, wenn die Berichterstattung über die Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern aus der Analyse ausgeschlossen wird. Die in der SZ vermittelten kollektiven Identifikationen zahlen überwiegend in eine Kommunikations- und Solidargemeinschaft nationaler Reichweite ein. Allerdings kommt es in der SZ auch zur Abgrenzung gegenüber MecklenburgVorpommern, einem Teil der nationalen Gemeinschaft.
4.5.1.3 Die Arenen-Integration für das Publikum der LVZ Auch die ostdeutsche Regionalzeitung LVZ erfüllt die Bedingungen an eine arenen-integrierte Öffentlichkeit in allen untersuchten Dimensionen gleichmäßig sehr gut. Die zentrale Ausnahme stellt die dritte Dimension dar, hier schneidet die LVZ nur mittelmäßig ab: Sie weist zwar in allen Indikatoren eine ausreichende Vernetzung mit dem Westen des Landes aus, dennoch legt sie einen deutlich größeren Fokus auf die Neuen Bundesländer als es eigentlich deren Bedeutung innerhalb der Bundesrepublik entsprechen würde, und zwar auch unabhängig von der Berichterstattung zur Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern. Dieser überdimensionale, auch in anderen Studien (Scherer et al. 1997) festgestellte ostdeutsche Fokus der LVZ ist sicherlich als nicht so problematisch zu bewerten wie ein Fehlen von Informationen, allerdings wird er durch mdr aktuell, die von LVZ-Lesern am zweithäufigsten genutzte Nachrichtensendung (ca. 6,3 Prozent), noch einmal verstärkt. In der ersten Dimension zitiert die LVZ lediglich keine Sprecher der EUEbene, stellt aber EU-Akteure in den Mittelpunkt ihrer Artikel. Dennoch bedeutet dies, dass weder die Exklusivnutzer der LVZ noch jene, die in Ergänzung eine der regionalen oder nationalen Nachrichtensendungen sehen, mit den Aussagen von EU-Sprechern konfrontiert werden, da diese dort ebenfalls fehlen. Eine parallele Nutzung von FAZ oder SZ, die dieses Defizit ausgleichen würde, ist zudem bei LVZ-Lesern fast nicht verbreitet (0,3 bzw. Null Prozent). Allerdings könnte die zusätzliche Nutzung anderer Medien wie die überregionaler Nachrichtensendungen, die von ca. 5,3 (tagesschau) bis 6,4 Prozent (RTL aktuell) der LVZ-Leser gesehen werden, zumindest die übersteigerte Bedeutung der regionalen Ebene in der Berichterstattung der LVZ kompensieren.
Die Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
279
Abbildung 42: Anteil der durch die LVZ erfüllten Bedingungen pro Dimension
keine Territorialgemeinschaften anderer Regionen
Beobachtung des Regierens keine EU-Sprecher/ zuviel regionale Ebene
Ähnlichkeit NPD weniger Folgen
Kollektive Identität
andere Folgen/Bewertungen Opernabsetzung
zuviel Ost-Deutschland Vernetzung der Diskurse
Ähnlichkeit Muslime
LVZ
In der zweiten Dimension weist die LVZ vergleichsweise große Ähnlichkeiten zu den nationalen Medien auf, nicht aber zu den westdeutschen Medien. Bei der Auswahl der Themen im Bereich nationale Politik sind die Überschneidungen zu westdeutschen Medien deutlich geringer als zu anderen ostdeutschen Medien. In der Relevanz, die den einzelnen Themen beigemessen wird, ähnelt die LVZ über alle Themen hinweg ebenfalls mehr den ost- als den westdeutschen Medien. Auch in der Synchronität besteht durchweg die größere Ähnlichkeit zu ostdeutschen Medien, die beiden ostdeutschen Medienorgane setzen demnach zur selben Zeit dieselben Themenschwerpunkte. Beim Thema ‚Wahlerfolg der NPD’ bietet die LVZ ihren Lesern eine für eine Regionalzeitung sehr umfangreiche und vielseitige Berichterstattung, die alle Aspekte aufgreift, die in der westdeutschen Regionalzeitung oder den überregionalen Qualitätszeitungen diskutiert worden sind. Für das Thema ‚Muslime in Deutschland’ ist die Berichterstattung nicht ganz so vielseitig, insbesondere im Kontext des Ereignisses ‚Opernabsetzung’ diskutiert die LVZ andere bzw. vor allem weniger Aspekte als die WAZ und die Qualitätszeitungen. Zwar bezieht sich die LVZ nicht häufig genug auf Territorialgemeinschaften anderer deutscher Regionen (nämlich gar nicht), davon abgesehen vermittelt sie aber eine nationale kollektive Identität als Kommunikations- und als Solidargemeinschaft, die nationale Identität dominiert in allen Formen der Identitätsherstellung. Ihre Defizite in dieser Dimension beziehen sich somit nur auf vergleichsweise weniger relevanten Anforderungen an eine arenen-integrierte Öf-
280
Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
fentlichkeit wie beispielsweise darauf, dass sie sich nur von zwei der vier potentiellen gemeinsamen ‚Feinde’ abgrenzt (gegen die NPD und Muslime).
4.5.2 Arenen-Integrationsmuster 2: Die Individualisten In diese Gruppe fallen Öffentlichkeitsarenen, die zwar in den Dimensionen Beobachtung des Regierens, Vernetzung der Diskurse und kollektive Identität nicht perfekt, aber sehr gut arenen-integriert sind, bei der Ähnlichkeit der Diskurse allerdings deutlich zurückfallen. Dies sind die westdeutsche Regionalzeitung WAZ, die ostdeutsche regionale Nachrichtensendung mdr aktuell, die westdeutsche Regionalsendung Bayerische Rundschau und die Leipziger BILD. 4.5.2.1 Die Arenen-Integration für das Publikum der WAZ Die westdeutsche regionale Tageszeitung WAZ schneidet auf drei der vier Dimensionen noch sehr gut ab: In der Dimension Beobachtung des Regierens findet nur die EU-Ebene zu wenig Beachtung, EU-Institutionen werden zwar erwähnt und EU-Themen diskutiert, es fehlt aber an EU-Akteuren im Zentrum der Beiträge und als zitierte Sprecher. Diese mangelnde Beachtung der EU-Ebene ist nicht nur für die Exklusiv-Nutzer der WAZ problematisch. Auch bei den überregionalen Fernsehnachrichten– die eventuell zusätzlich zur WAZ genutzt werden – und bei der BILD60 – über die sich ca. 12 Prozent des WAZ-Publikums auch informieren – besteht dasselbe Defizit. Lediglich die 1,4 bzw. 0,4 Prozent der WAZ-Leser, die in Ergänzung SZ bzw. FAZ lesen, werden auch ausreichend EUSprechern begegnen. In der zweiten Dimension zeichnet sich die WAZ durch ein vergleichsweise eigenständiges Themenprofil aus: Themenüberschneidungen, Ähnlichkeit der Themenrelevanz und Synchronität weisen im Vergleich größere Unterschiede zu anderen westdeutschen Medien auf (ob regional oder national) und zu den ostdeutschen Medien als bei den untersuchten ostdeutschen Medien. Dieses eigenständige Themenprofil könnte die Kommunikation nicht nur zu Bürgern des anderen Landesteils aber auch zu anderen Westdeutschen (z.B. aus Bayern) erschweren. Dieses Problem besteht aber vorwiegend für Exklusivnutzer der WAZ,
60
Allerdings nutzen die WAZ-Leser sicherlich eine BILD-Ausgabe aus Nordrheinwestfalen und nicht die Leipziger Ausgabe, die Teil des Untersuchungssamples war. Da die verschiedenen Ausgaben der BILD jedoch auf eine Mantelausgabe für die nationale und internationale Politik zurückgreifen erscheint es unwahrscheinlich, dass die Bedeutung der EU-Ebene in z.B. der BILD Köln größer ist als in der BILD Leipzig.
Die Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
281
die parallele Nutzung der überregionalen Fernsehnachrichten und der BILD kann zu einer Angleichung der rezipierten Themen führen. Abbildung 43: Anteil der durch die WAZ erfüllten Bedingungen pro Dimension Beobachtung des Regierens keine EU-Sprecher/Hauptakteure zuviel regionale Ebene Abgrenzung gegen MVP, Ostdeutschland Kollektive Identität
Ähnlichkeit NPD weniger Ursachen, Folgen, Bewertungen der NPD
zuviel westdeutsche Sprecher Vernetzung der Diskurse
Ähnlichkeit Muslime weniger Folgen WAZ
Geht es allerdings um die in der Diskussion eines Themas verwendeten Frames bzw. Frame-Elemente, so erhalten die WAZ-Leser beim Thema ‚Wahlerfolg der NPD’ einen deutlich anderen Ausschnitt der Debatte: Es werden andere Bewertungskriterien für die NPD, die Wähler und der Politiker, andere Ursachen und Folgen (bzw. deutlich weniger Folgen) als in ostdeutschen oder nationalen Medien diskutiert. Ein Unterschied, den eine zusätzliche Nutzung von RTL aktuell teilweise kompensieren könnte, nicht aber die Nutzung von BILD oder der tagesschau, da auch diese nur einen kleinen Ausschnitt der Debatte zeigen. Beim ‚Thema Muslime in Deutschland’ sind die Abweichungen deutlich geringer, nur in Bezug auf die Folgen der Ereignisse unterscheidet sich die Darstellung vom ostdeutschen Pendant bzw. den nationalen Medien. Die Vernetzung der Diskurse in der WAZ entspricht fast allen Anforderungen an eine arenen-integrierte Öffentlichkeit. Die WAZ berichtet über beide Landesteile, wählt Hauptakteure aus beiden Landesteilen, zitiert ost- und westdeutsche Sprecher, und das sogar in einem Verhältnis, das einigermaßen der Bevölkerungsverteilung zwischen Ost- und Westdeutschland entspricht. Ostdeutschland ist demnach kein blinder Fleck für die westdeutsche Regionalzeitung und ihre Leser. Lediglich im Falle der zitierten Sprecher zeigt die Regionalzeitung eine etwas zu starke Präferenz für ihren eigenen Landesteil.
282
Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
Bis auf die fehlenden Territorialgemeinschaften anderer Regionen Deutschlands entsprechen die in der WAZ vermittelten kollektiven Identitäten denen einer nationalen Kommunikationsgemeinschaft mit einer zentralen Ausnahme: Es findet eine Abgrenzung gegenüber sowohl Mecklenburg-Vorpommern als auch gegenüber Ostdeutschland an sich statt. Davon abgesehen erfüllt die WAZ aber alle Kriterien einer nationalen Solidargemeinschaft: Sowohl themenübergreifend als auch themenspezifisch ist die nationale Gemeinschaft das wichtigste Bezugsobjekt für kollektive Identifikationen, sei es als Wir-, Territorial, Problem- oder Kulturgemeinschaft.
4.5.2.2 Die Arenen-Integration für das Publikum von mdr aktuell Auch die ostdeutsche regionale Nachrichtensendung weist nur in der zweiten Dimension größere Defizite auf. In Bezug auf die Beobachtung des Regierens berichtet mdr aktuell zumindest über EU-Themen, wenn in der Sendung auch keine EU-Hauptakteure in den Fokus gerückt werden oder EU-Sprecher zu Wort kommen, eine Überbetonung der regionalen Sprecher liegt ebenfalls nicht vor. Allerdings betrifft hier das Problem auch die Nicht-Exklusiv-Nutzer von mdr aktuell stärker: Selbst bei den 29,7 Prozent, die eine Tageszeitung abonniert haben, handelt es sich mit fast 100prozentiger Wahrscheinlichkeit nur um eine regionale Tageszeitung, die ebenfalls EU-Hauptakteuren und -Sprechern zu wenig Raum lässt. Überregionale Qualitätszeitungen sind im Kerngebiet des mdr fast überhaupt nicht verbreitet. Gleichzeitig ist die Berichterstattung des mdr aktuell in Themenauswahl, intensität und -synchronität vergleichsweise ähnlich der anderen ostdeutschen Medien und vor allem der nationaler Medien. Und dies lässt sich nicht allein daraus erklären, dass der mdr zur selben Sendeanstalt wie die tagesschau gehört – dasselbe würde auch für den BR gelten, dessen Nachrichtensendung sich deutlich stärker von den anderen ARD-Sendungen unterscheidet. In der NPD-Fallstudie greift der mdr nur bei der Bewertung des Ereignisses, der Politiker und der Wähler dieselben Dimensionen der Frame-Elemente auf wie der BR und die überregionalen Nachrichtensendungen. Beim Thema ‚Muslime in Deutschland’ diskutiert er andere bzw. weniger Ausprägungen in Bezug auf die Folgen und Bewertungen der Islamkonferenz, sowie bei der Bewertung der Muslime. Zuschauer von mdr aktuell erhalten also zu beiden Themen eine deutlich andere Darstellung als die der Bayerischen Rundschau, der tagesschau oder von RTL aktuell.
Die Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
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Abbildung 44: Anteil der durch mdr aktuell erfüllten Bedingungen pro Dimension
Gemeinschaft MVP dominant, zu wenig gemeinsame Feinde
Beobachtung des Regierens zu wenig EU-Hauptakteure, Sprecher
Kollektive Identität
Ähnlichkeit NPD zu wenig/andere Ursachen, Folgen, Bewertungen NPD
zuviel Fokus auf bzw. zu viele Hauptakteure aus Ostdeutschland Vernetzung der Diskurse
zu wenig Folgen, Bewertungen IK, Muslime, Politiker Ähnlichkeit Muslime
mdr
Insgesamt schenkt der mdr beiden Landesteilen der BRD ausreichend Beachtung, seine Zuschauer erfahren allerdings etwas mehr über ostdeutsche Themen und ostdeutsche Hauptakteure als gefordert. Geht man wiederum davon aus, dass die mdr aktuell Zuschauer, wenn überhaupt, die LVZ oder eine vergleichbare ostdeutsche Regionalzeitung zusätzlich nutzen, so wird dieser überdimensionale Ost-Fokus wahrscheinlich nicht durch Ergänzungsmedien kompensiert. Als eines von zwei der analysierten Medien spricht der mdr die Territorialgemeinschaften anderer Regionen Deutschlands an. Und auch ansonsten erfüllt der mdr alle Bedingungen für eine nationale Kommunikations- und Solidargemeinschaft mit zwei Ausnahmen: Zum einen dominiert in der Fallstudie zur NPD die Gemeinschaft Mecklenburg-Vorpommerns und nicht die nationale Gemeinschaft. Allerdings sind im Rahmen beider Fallstudien im mdr insgesamt nur sehr wenige kollektive Identitäten angesprochen worden. Es ließe sich also vor allem ein Mangel an Möglichkeiten für die Zuschauer, sich mit einer politischen Gemeinschaft zu identifizieren, beklagen. Außerdem fehlen zwei gemeinsame ‚Feinde’ im mdr: mdr aktuell ist neben RTL aktuell das einzige Medium, in dem niemand die Gemeinschaft gegenüber der NPD abgrenzt. Und auch die Intendantin der Deutschen Oper wird nicht ausgegrenzt.
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Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
4.5.2.3 Die Arenen-Integration für das Publikum der BR Rundschau Die Bayerische Rundschau als regionale Nachrichtensendung leistet weniger für die Arenen-Integration der Öffentlichkeit als die bisher beschriebenen Öffentlichkeitsarenen. In der ersten Dimension kommt wieder die EU-Ebene zu kurz, die Zuschauer der Bayerischen Rundschau sehen keine EU-Hauptakteure oder EU-Sprecher, und noch nicht einmal genügend EU-Themen werden angesprochen. Gleichzeitig ist die Bedeutung regionaler Sprecher höher als gefordert. Dieses Defizit betrifft insbesondere die Exklusiv-Nutzer der Sendung, bzw. diejenigen, die lediglich überregionale Nachrichtensendungen oder die BILD in Ergänzung nutzen, die ähnliche Defizite aufweisen. Zu den 88 Prozent der BRZuschauer, die eine Tageszeitung abonniert haben, gehören jedoch mindestens sieben Prozent, die die Süddeutsche Zeitung lesen, die den Mangel an EUBerichterstattung und -Diskussion ausgleichen kann. Bei der Frage der Ähnlichkeit schneidet die Bayerische Rundschau von allen untersuchten Medien am schlechtesten ab. Nicht nur unterscheiden sich allgemein die Themenauswahl, Themenintensität und -synchronität vergleichsweise stark von denen anderer westdeutscher, ostdeutscher und vor allem überregionaler Medien. Insbesondere in den beiden Fallstudien wird deutlich, dass der BR bei den Frame-Elementen nur einen kleinen Ausschnitt der Bandbreite an Ausprägungen präsentiert, die in den anderen Nachrichtensendungen diskutiert werden (von der Vielfalt der in Zeitungen angesprochenen Element-Ausprägungen ganz zu schweigen). In der Diskussion des Wahlerfolgs der NPD decken sich die diskutierten Ausprägungen nur bei einem einzigen Frame-Element mit denen in mdr aktuell: In der Bewertung der NPD spricht die Bayerische Rundschau alle Facetten an, die im mdr diskutiert werden, und geht sogar noch über diese hinaus. Im Vergleich zu den überregionalen Nachrichtensendungen ist das Bild im BR durchgängig anders bzw. vor allem einseitiger. Beim Thema ‚Muslime in Deutschland’ ist die Ähnlichkeit etwas größer, hier greift der BR alle Dimensionen der Frame-Elemente auf, die die anderen Nachrichtensendungen in Bezug auf die Bewertung der Opernabsetzung und die Folgen der Islamkonferenz, sowie auf die Bewertung der deutschen Mehrheitsgesellschaft enthalten. Die mangelnde Ähnlichkeit betrifft wiederum vor allem die Exklusivnutzer der Bayerischen Rundschau, insbesondere die sieben Prozent der Zuschauer, die zusätzlich die SZ lesen, werden dagegen ausreichend über die Debatten informiert.
Die Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
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Abbildung 45: Anteil der durch die Bayerische Rundschau erfüllten Bedingungen pro Dimension
keine Territorialgemeinschaften anderer Regionen, wenig gemeinsame Feinde
Beobachtung des Regierens zu viele regionale Sprecher, zu wenig EU-Hauptakteure, Themen, Sprecher
Ähnlichkeit NPD zu wenig Ursachen, Folgen, Bewertungen Wahlerfolg NPD, Politiker, Wähler
Kollektive Identität
zu viele ostdeutsche Hauptakteure, Sprecher Vernetzung der Diskurse
zu wenig Bewertungen IK, Politiker Ähnlichkeit Muslime
BR
In Bezug auf die Vernetzung der Diskurse erfahren die Zuschauer der Rundschau sowohl etwas über Themen in Ostdeutschland, sowie ostdeutsche Hauptakteure und hören Sprecher aus Ostdeutschland (und ebenso aus anderen Regionen Westdeutschlands), allerdings etwas häufiger als es deren Bedeutung innerhalb Deutschlands entsprechen würde. Dieses erhöhte Interesse an Ostdeutschland findet sich außerhalb ostdeutscher Medien somit nur in Medien mit Redaktionssitz in Süddeutschland. Über die Gründe hierfür sind allenfalls Spekulationen möglich: Interessiert sich die links-liberal ausgerichtete SZ mehr für das ‚soziale Problemgebiet’ Ostdeutschland als die eher konservative FAZ? Oder leben in Bayern überdurchschnittlich viele Menschen mit einer persönlichen Verbindung in den Osten des Landes? Auch in der Bayerischen Rundschau dominiert in allen Formen der kollektiven Identifikation themenübergreifend und in den Fallstudien die nationale Gemeinschaft. Die Zuschauer erleben demnach eine nationale Solidargemeinschaft, nur dass es dieser an Verweisen auf die Territorialgemeinschaften anderer Regionen mangelt und nur die NPD als gemeinsamer Feind dargestellt wird. Aber zumindest die ca. 14 Prozent der BR-Zuschauer, die auch die BILD lesen, sollten ebenso wie die ca. sieben Prozent, die parallel die SZ nutzen, ausreichend gemeinsame ‚Feinde’ erleben.
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Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
4.5.2.4 Die Arenen-Integration für das Publikum der BILD Leipzig Die BILD schneidet in Bezug auf die Arenen-Integration deutlich besser ab als es ihr Ruf vermutet lassen würde. Dies hängt damit zusammen, dass sie eine klare Ausrichtung auf die nationale Gemeinschaft und nationale Politik hat. Anders als die beiden regionalen Tageszeitungen spiegelt ihre Berichterstattung daher für alle vier Indikatoren in der Dimension Beobachtung des Regierens die gewünschte Rangfolge wider: An erste Stelle steht stets die nationale Politik, gefolgt von der regionalen Politik und der EU. In Bezug auf die europäische Ebene erhalten ihre Leser allerdings nicht ausreichend Informationen für eine arenenintegrierte Öffentlichkeit: Die BILD erwähnt lediglich EU-Institutionen, sie diskutiert weder EU-politische Themen, noch treten EU-Hauptakteure oder EUSprecher auf. Dieses Defizit gilt nicht nur für BILD-Exklusiv-Nutzer. Auch bei einer parallelen Nutzung regionaler Tageszeitungen oder Nachrichtensendungen regionaler oder nationaler Reichweite ließe sich lediglich der Mangel an EUThemen kompensieren. Allein die 1,1 bzw. 0,4 Prozent der BILD-Leser, die zusätzlich die FAZ oder SZ lesen, erleben auch EU-Sprecher oder –Hauptakteure. Bei der Analyse der Arenen-Integration in Bezug auf die zweite Dimension ist die BILD nicht systematisch in der Untersuchung berücksichtigt worden, da sie innerhalb der Stichprobe nur als ostdeutsche Ausgabe vorlag. Bei einem systematischen Vergleich der ost- und westdeutschen Medien hätte die BILD die Ergebnisse aufgrund ihrer spezifischen Eigenarten als einziges Boulevardmedium der Stichprobe möglicherweise verzerrt. Dieser Verdacht bestätigt sich bei einem Blick auf die Ergebnisse der Fallstudien, in denen die BILD zwar mitanalysiert, aber nicht bei der Bewertung der Arenen-Integration berücksichtig worden ist: Die BILD enthält in der Diskussion beider Fallstudien-Themen deutlich weniger Ausprägungen der verschiedenen Frame-Elemente als die regionalen oder überregionalen Zeitungen, und teilweise selbst als die analysierten Fernsehsendungen. Schon allein aufgrund der extremen Kürze ihrer Artikel kann die BILD nicht so viele Informationen enthalten wie andere Zeitungen. Jede Bewertung der Ähnlichkeit der Frame-Elemente kann daher nur beim Vergleich strukturähnlicher Medien erfolgen, was leider für die BILD im Rahmen dieser Untersuchung nicht möglich war. Dennoch fällt auf, dass die Berichterstattung der BILD beim Thema ‚Wahlerfolg der NPD’ besonders einseitig ist.
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Abbildung 46: Anteil der durch die BILD erfüllten Bedingungen pro Dimension Beobachtung des Regierens zu wenig EU-Haupakteure, Themen, Sprecher keine Territorialgemeinschaften anderer Regionen Kollektive Identität
Ähnlichkeit NPD alles zu wenig, bis auf Bewertung Wähler
zu viele ostdeutsche Sprecher Vernetzung der Diskurse
alles zu wenig, bis auf Bewertung Mehrheitsgesell. Ähnlichkeit Muslime Bild
Auch die BILD Leipzig ist hinreichend vernetzt mit Westdeutschland und berichtet sowohl über westdeutsche Themen oder Hauptakteure und zitiert westdeutsche Sprecher. Nur bei den Sprechern erhalten ostdeutsche Sprecher ein etwas größeres Gewicht als angemessen. Bei der kollektiven Identität erfüllt die BILD ebenfalls alle Anforderung an eine nationale Kommunikations- und Solidargemeinschaft. Neben den beiden Qualitätszeitungen ist die BILD das einzige Medium, das sich von allen gemeinsamen ‚Feinden’ abgrenzt: von der NPD, den Muslimen, den Islamisten und der Intendantin der deutschen Oper. Dies ist sicherlich auch dem ‚Stil’ der BILD geschuldet, in dem die Ausgrenzung von ‚Feinden’ (und damit die Herstellung von Abgrenzungsgemeinschaften) einen festen Platz einnimmt. Zentral ist an dieser Stelle aber, dass die BILD dieses Stilmittel nicht gegenüber Teilen der nationalen Gemeinschaft eingesetzt hat. Es fehlen lediglich die Territorialgemeinschaft anderer Regionen, was aber, wie bereits diskutiert, eher auf ein Problem des verwendeten Indikators zurückzuführen ist.
288
Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
4.5.3 Arenen-Integrationsmuster 3: Die perfekt Vernetzten Das dritte Arenen-Integrationsmuster tritt in beiden überregionalen Nachrichtensendungen auf: Obwohl die Arenen in Bezug auf die dritte Dimension alle Ansprüche an eine integrierte Öffentlichkeit erfüllen, weisen sie insgesamt nur schlechte bis mittelmäßige Integrationswerte auf, insbesondere für die Ähnlichkeit der Diskurse. Dies verdeutlicht, dass der vermutete enge Zusammenhang zwischen den beiden Dimensionen (vgl. Kapitel 2.3.1) so nicht bestehen kann: Die perfekte Vernetzung der Diskurse dieser Arenen hat zumindest für die untersuchten Themen nicht zu einer hohen Ähnlichkeit der Diskurse geführt.
4.5.3.1 Die Arenen-Integration für das Publikum der ARD tagesschau Geht man nach den Ergebnissen der tagesschau in der Dimension Beobachtung des Regierens, so scheint sich die Sendung vor allem als nationale Nachrichtensendung zu definieren, denn sowohl für die regionale als auch die EU-Ebene kann sie die Anforderungen an eine arenen-integrierte Öffentlichkeit nicht erfüllen. Während sie zwar nicht genügend EU-Hauptakteure und -Sprecher präsentiert, aber dafür zumindest über EU-Themen berichtet, fehlen für die regionale Ebene sogar die Themen – letztlich sind nur die regionalen Institutionen in der tagesschau angemessen repräsentiert. Dies ist besonders problematisch für die 16 Prozent der tagesschau-Zuschauer, die weder eine Tageszeitung lesen noch abonnieren, die ihnen zusätzliche regionale Informationen liefern könnten. Aber selbst diejenigen Zuschauer, die parallel Tageszeitungen nutzen, können nur durch die Qualitätszeitungen ausreichend über die EU-Ebene erfahren – Informationen zur regionalen Ebene würden ihnen dann aber weiterhin fehlen, sofern sie nicht im Stammgebiet der FAZ oder SZ leben (und das wären weniger als sieben bzw. 15 Prozent der tagesschau-Zuschauer). In Bezug auf die Ähnlichkeit der Debatten ist für die tagesschau festzuhalten, dass sie sich in ihrer Themenauswahl und -gewichtung zwar gleichermaßen an ost- und westdeutschen Medienangeboten orientiert (bzw. diese sich gleichermaßen an ihr orientieren, die gemessene Korrelation erlaubt keinerlei Rückschluss auf die Wirkungsrichtung). In der Synchronität aber ähnelt sie den ostdeutschen mehr als den westdeutschen Medien. In den Fallstudien schneidet die tagesschau vergleichsweise schlecht ab, zum Thema ‚Wahlerfolg der NPD’ berichtet sie nur über einen Ausschnitt der Frame-Element-Ausprägungen, die in den regionalen Nachrichtensendungen – insbesondere im mdr – diskutiert werden, lediglich bei den Bewertungen der Politiker und Wähler präsentiert sie ein ähnliches Bild. Dies legt den Schluss nahe, dass der oben erwähnte Wirkungszu-
Die Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
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sammenhang – die hohe Ähnlichkeit in der Themenauswahl und -gewichtung zwischen regionalen Medien und tagesschau – eher durch die regionalen Medien hergestellt wird, die Nachrichten und Informationen aus der tagesschau übernehmen. In der zweiten Fallstudie fällt die Berichterstattung insbesondere zur Opernabsetzung deutlich einseitiger aus als in den regionalen Nachrichten, auch manche Dimensionen in der Bewertung der Mehrheitsgesellschaft fehlen, die in mdr und BR diskutiert werden. Nur in Bezug auf die Folgen der Islamkonferenz, deren Bewertung und die der in Deutschland lebenden Muslime erhalten Zuschauer von tagesschau, Bayerischer Rundschau und mdr aktuell einen ähnlichen Eindruck der Debatte. In diesem Punkt könnte schon das zusätzliche Abonnement einer regionalen Tageszeitung wie der LVZ das Informationsdefizit der tagesschau-Zuschauer ausgleichen. Abbildung 47: Anteil der durch die ARD tagesschau erfüllten Bedingungen pro Dimension
keine nationale Territorial- oder WirGemeinschaft
Beobachtung des zu wenig regionale HauptRegierens akteure, Themen, Sprecher zu wenig EU-Hauptakteure, Sprecher
Kollektive Identität
Ähnlichkeit NPD zu wenig Ursachen, Folgen, Bewertungen Wahlerfolg bzw. NPD zu wenig Ursachen, Folgen, Bewertungen Oper
Vernetzung der Diskurse
Ähnlichkeit Muslime
ARD
In der dritten Dimension gelingt der tagesschau dagegen eine Punktlandung, sie berichtet nicht nur über beide Landesteile, Hauptakteure aus beiden Landesteilen und zitiert Sprecher aus Ost- und Westdeutschland, als einziges Medium liegt sie für fast alle Indikatoren genau beim geforderten Verhältnis zwischen Ost- und Westbezügen. Die in der tagesschau transportierten kollektiven Identitäten entsprechen dagegen weder den Anforderungen an eine nationale Kommunikations-, geschweige denn an eine Solidargemeinschaft. Themenübergreifend kommt die
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Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
nationale Wir- oder Territorialgemeinschaft überhaupt nicht vor, stattdessen wird die Debatte von der europäischen Gemeinschaft dominiert (sofern man bei nur 85 Verweisen auf kollektive Identitäten (themenübergreifend) in zwei Berichterstattungswochen von ‚Dominanz’ sprechen kann). Vielmehr scheint die tagesschau ihren Zuschauer insgesamt wenig Möglichkeiten zu geben, sich mit einer politischen Gemeinschaft zu identifizieren. Nur in den beiden Themenstudien steht die nationale Gemeinschaft im Mittelpunkt, so dass man zumindest in der öffentlichen Diskussion des Wahlerfolgs der NPD und der Frage der Muslime in Deutschland von einer nationalen Solidargemeinschaft ausgehen kann.
4.5.3.2 Die Arenen-Integration für das Publikum von RTL aktuell Die wissenschaftliche und gesellschaftliche Debatte über die Qualitätsunterschiede zwischen den Nachrichtensendungen öffentlich-rechtlicher und privater Sender ist inzwischen deutlich abgeebbt und hat sich letztlich darauf geeinigt, dass eine gegenseitige Konvergenz stattfindet, bei der sich die inhaltliche Qualität von insbesondere RTL aktuell in Richtung der Ansprüche der tagesschau verbessert, die tagesschau wiederum in der formalen Darstellungsweise an RTL angepasst hat. In Bezug auf die formulierten Kriterien für die Arenen-Integration nationaler Öffentlichkeit lässt sich eindeutig sagen, dass RTL aktuell besser abschneidet als das öffentlich-rechtliche Flaggschiff tagesschau. Zwar weist die Berichterstattung von RTL aktuell in der ersten Dimension dieselben Lücken auf der regionalen und der EU-Ebene auf. Diese Lücken lassen sich wiederum beim Publikum von RTL aktuell schlechter ausgleichen, da erstens der Anteil von Exklusiv-RTL-Zuschauern, die keine Tageszeitung lesen, höher ist (24 gegenüber 16 Prozent bei der tagesschau) und zweitens RTL aktuell besonders stark in Regionen verbreitet ist, in denen vergleichsweise selten überregionale Qualitätszeitungen wie FAZ und SZ abonniert werden (nämlich z.B. in Ostdeutschland und Nordrheinwestfalen), bzw. wenn nur als Bundesausgabe, so dass die Defizite in Bezug auf die regionale Ebene bestehen bleiben. Die parallele Nutzung einer regionalen Tageszeitung könnte wiederum nur die Defizite auf der regionalen, nicht jedoch auf der EU-Ebene ausgleichen. Auch bei der themenübergreifenden Bewertung der Ähnlichkeit der Debatten ergibt sich für RTL aktuell dasselbe Bild wie für die tagesschau. Nur in den Fallstudien ist die Berichterstattung von RTL vielseitiger und deckt damit die in den regionalen Nachrichten (bzw. insbesondere im mdr) angesprochenen Dimensionen der Frame-Elemente besser ab. Beim Thema ‚Wahlerfolg der NPD’ fehlt RTL lediglich eine Dimension in der Bewertung des Ereignisses, in der zweiten Fallstudie sind die Lücken etwas größer: Hier greift RTL weder die diskutierten
Die Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
291
Folgen von Opernabsetzung und Islamkonferenz vollständig auf, noch die Bewertungen der Opernabsetzung, der Muslime in Deutschland und der Mehrheitsgesellschaft. Abbildung 48: Anteil der durch RTL aktuell erfüllten Bedingungen pro Dimension
keine Territorialgemeinschaften anderer Regionen, wenig gemeinsame Feinde
Beobachtung des Regierens zu wenig regionale Hauptakteure, Themen, Sprecher zu wenig EU-Hauptakteure, Sprecher
Kollektive Identität
Ähnlichkeit NPD zu wenig Bewertungen Erfolg NPD zu wenig Folgen Oper, IK, Bewertungen Muslime
Vernetzung der Diskurse
Ähnlichkeit Muslime
RTL
In der dritten Dimension erfüllt RTL aktuell alle Anforderungen an die ArenenIntegration und berichtet ungefähr im geforderten Verhältnis West- als auch Ostdeutschland. Trotz seiner größeren Reichweiten und Marktanteile im Osten des Landes (Reichweite von 7,7 Prozent der Ostdeutschen (älter als 14 Jahre) statt 4,7 Prozent in West-Deutschland) ist keine deutliche Anpassung der Themenagenda oder der zitierten Sprecher an dieses Publikum zu bemerken. Anders als in der tagesschau werden die kollektiven Identitäten in der privaten Nachrichtensendung eindeutig von der nationalen Gemeinschaft dominiert, in RTL aktuell wird eine Kommunikations- und Solidargemeinschaft nationaler Reichweite vermittelt. Einzige Ausnahme ist die Abgrenzung gegenüber gemeinsamen ‚Feinden’, in RTL wird nur die Opernintendantin ausgegrenzt, weder die NPD noch die Islamisten sind Objekt der Ausgrenzung. Anders als auf Basis der Debatte zur mangelnden Qualität privater Nachrichtensendungen zu befürchten wäre, wird Ausgrenzung als Stilmittel eher in der öffentlich-rechtlichen Nachrichtensendung verwendet.
292
Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
4.5.4 Zusammenfassung der Ergebnisse zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit Insgesamt betrachtet ist die deutsche Öffentlichkeit, so wie sie durch die neun untersuchten Öffentlichkeitsarenen abgebildet wird, als ausreichend arenenintegriert zu bezeichnen. Zwar erfüllen nicht alle Öffentlichkeitsarenen alle Anforderungen an eine arenen-integrierte Öffentlichkeit. Überwiegend betreffen die Abweichungen jedoch jeweils die weniger zentralen Bedingungen, wie z.B. die Rangfolge der verschiedenen Politikebenen in der Beobachtung des Regierens oder die Erwähnung der Territorialgemeinschaften anderer Regionen bei der kollektiven Identität. Generell wirkt sich der qualitative Anspruch einzelner Medienangebote zwar positiv auf die Bedeutung von Politik innerhalb der Berichterstattung im Allgemeinen aus, bezüglich der Arenen-Integration der Öffentlichkeit kann er in einigen Fällen negativ zu Buche schlagen, beispielsweise wenn in Qualitätszeitungen die regionale Politikebene zugunsten der EU vernachlässigt wird. Am schlechtesten schneiden die untersuchten Öffentlichkeitsarenen in der Dimension Ähnlichkeit der Diskurse ab. Entgegen ursprünglicher Erwartungen sind es nicht die ostdeutschen Medien, also die ‚neuen’ Medien aus der ‚neu’ integrierten Region Ostdeutschland, deren Berichterstattung sich von den restlichen, etablierteren Medien unterscheidet. Es sind vielmehr die regionalen westdeutschen Medien, die sich nicht ausreichend mit dem Thema ‚Wahlerfolg der NPD’ auseinander setzen und auch für alle anderen Themenbereiche ihre eigene Agenda pflegen. Die fehlende Ähnlichkeit scheint daher eher einer langjährigen und weitgehend ungebrochenen Tradition regional orientierter Politik und regional orientierter Medien geschuldet, mit Vielfalt als ihrem Leitprinzip. Vor diesem Hintergrund erscheinen die Defizite in Bezug auf die Dimension Ähnlichkeit der Diskurse nicht so gravierend, sie könnten vielmehr den Verfechtern von Vielfalt als Qualitätsmerkmal von Medien Mut machen: Trotz anhaltender Konzentrationsprozesse in der deutschen Medienlandschaft bewahren sich die einzelnen Medienarenen ihre Eigenständigkeit, insbesondere in Westdeutschland. Die in der Dimension Vernetzung der Diskurse aufgezeigte Überbetonung ostdeutscher Institutionen, Themen, Hauptakteure und Sprecher – eine Überbetonung, die auch erhalten bleibt, wenn man die Landtagswahl in MecklenburgVorpommern aus der Analyse ausschließt – erscheint dagegen aus zwei Gründen problematisch: In den ostdeutschen Medien spricht dies für eine gewisse Egozentrik in der Berichterstattung und damit auch Isolation von den Geschehnissen in anderen Regionen Deutschlands. Für die westdeutschen und national ausgerichteten Medien ist dagegen angesichts der allgemein negativen Tendenz von
Die Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
293
Nachrichtenberichterstattung zu befürchten, dass in ihnen eine Überproblematisierung und wohlmöglich Stigmatisierung Ostdeutschlands stattfindet. Abbildung 49: Anteil der durchschnittlich erfüllten Bedingungen pro Dimension
keine Territorialgem. anderer Regionen Abgrenzung MVP, Ost Kollektive Identität
zu wenig EU-Haupakteure, Themen, Beobachtung des Sprecher in regionalen Medien und Regierens nationalem TV zu wenig regionale Hauptakteure, Sprecher in nationalen Medien Ähnlichkeit westdeutsche Medien anders als ostdeutsche oder nationale Medien
zu viele ostdeutsche Themen, Hauptakteure, Sprecher Vernetzung der Diskurse nationale TV-Nachrichten und Ähnlichkeit Muslime mdr einseitger
Ähnlichkeit NPD westdeutsche Medien einseitiger als ostdeutsche und nationale
Alle Arenen
Für die Dimension kollektive Identität fällt die Bewertung zwar auf den ersten Blick ausgesprochen positiv aus, in fast allen Arenen überwiegt fast immer die nationale Solidargemeinschaft. Gleichzeitig zeigt sich jedoch auch, dass außerhalb der Qualitätszeitungen letztlich kaum Gelegenheiten für die Identifikation mit einer politischen Gemeinschaft erzeugt werden. Entsprechend ist anzunehmen, dass kollektive Identität in den Öffentlichkeitsarenen überwiegend über die Dimension Vernetzung der Diskurse hergestellt wird: Darüber dass die Bürger genau beobachten können, welche Themen, welche Akteure und welche Sprecher Teil der Diskussion in der von ihnen genutzten Arena sind. Auf diese Weise entsteht bei den Bürgern auch ohne explizite Verweise auf kollektive Identitäten ein Bild der Kommunikationsgemeinschaft. Auf diese Weise wird die Dimension Vernetzung der Diskurse letztlich zur wichtigsten der vier Dimensionen der Arenen-Integration, und für sie gefundene Defizite sind als besonders problematisch zu betrachten. Die in den einzelnen Arenen aufgezeigten Defizite können zudem überwiegend nicht durch die Nutzung zusätzlicher Medienangebote kompensiert werden.
294
Empirische Befunde zur Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit
Wenn beispielsweise die Leser regionaler Tageszeitungen zusätzlich die tagesschau oder RTL aktuell sehen, so erhalten sie dort nicht die ihnen fehlenden Informationen zur europäischen Ebene. Die bestmögliche arenen-integrierte Öffentlichkeit erfahren die Leser der Qualitätszeitungen FAZ und SZ, allerdings nur sofern sie im Stammgebiet der Zeitungen wohnen oder aber zusätzlich eine regionale Tageszeitung oder Nachrichtensendung nutzen.
5
Resümee
Dieses Buch hatte es sich zum Ziel gesetzt, die Frage nach der einen nationalen Öffentlichkeit theoretisch und empirisch auszuleuchten: Wie kann man sich die nationale Öffentlichkeit, die ja aus einer Vielzahl von Öffentlichkeitsforen besteht, als eine zusammenhängende Einheit vorstellen? Welche Bedingungen müssten die an der nationalen Öffentlichkeit beteiligten Öffentlichkeitsarenen erfüllen, damit man tatsächlich von der einen nationalen Öffentlichkeit sprechen kann? Zur Klärung dieser Fragen wurde ein vierdimensionales Modell der Arenen-Integration nationaler Öffentlichkeit entwickelt und an dem empirischen Fallbeispiel der deutschen Öffentlichkeit überprüft. Abschließend wird nun diskutiert, welche verallgemeinerbaren Erkenntnisse sich aus der Entwicklung und Anwendung des Modells der Arenen-Integration ableiten lassen: Zunächst werden Schlussfolgerungen für die empirische Forschung zu nationalen und europäischen Öffentlichkeiten abgeleitet, bevor die theoretische Bedeutung des Modells der Arenen-Integration in Relation zu anderen Öffentlichkeitsmodellen herausgearbeitet wird.
5.1 Schlussfolgerungen für die empirische Forschung Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung konnte das Modell der ArenenIntegration nur anhand eines empirischen Fallbeispiels überprüft werden, der deutschen Öffentlichkeit. Neben allen Einschränkungen, die sich aus der Fallauswahl ergeben und die in Kapitel 3.1 diskutiert worden sind, lassen sich dennoch aus den empirischen Ergebnissen einige verallgemeinerbare Schlussfolgerungen ableiten, und zwar für die Forschung zur Arenen-Integration sowohl anderer nationaler als auch der europäischen Öffentlichkeit.
5.1.1 Die deutsche Öffentlichkeit als ‚easy case’ der Arenen-Integration? Auch wenn die abschließende Bewertung der Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit insgesamt positiv ausgefallen ist, hat sich gezeigt, dass die gewählte Öffentlichkeit keineswegs ein ‚easy case’ ist, der problemlos alle Anfor-
296
Resümee
derungen erfüllt. Vielmehr boten die verschiedenen Arenen der deutschen Öffentlichkeit sehr viel Varianz bezüglich der vier Analysedimensionen, so dass die große Bandbreite des Instruments voll zum Tragen kam und einzelne Arenen überraschend positiv oder negativ bewertet werden mussten. Umso spannender wäre es, das Modell der Arenen-Integration auf eine nationale Öffentlichkeit anzuwenden, bei der die Voraussetzungen für die Arenen-Integration deutlich schwieriger sind – ein solcher Vergleichsfall würde zudem eine noch eindeutigere Bewertung des Integrationsgrads der deutschen Öffentlichkeit ermöglichen. Als interessantes Vergleichsobjekt bietet beispielsweise die spanische Öffentlichkeit an: Spanien gliedert sich ebenfalls auf Verwaltungsebene in mehrere, den deutschen Bundesländern vergleichbare autonome Gemeinschaften und Regionen. Diese Regionen zeichnen sich aber teilweise durch eigenständige Sprachen und starke politische Autonomiebewegungen gegenüber Madrid aus (z.B. Katalonien), die im Falle des Baskenlandes sogar in einer terroristischen Separatistenbewegung mündet. Aus dem Blickwinkel der Arenen-Integration erscheint es zwar plausibel, dass die Beobachtung des Regierens hier ebenfalls in allen Arenen die wichtigsten drei Regierungsebenen umfasst. Bei der Vernetzung der Diskurse ist jedoch zu befürchten, dass diese aufgrund von Sprachbarrieren nicht ausreichend ist – im Fall katalanischer Medienarenen nicht notwendigerweise aus mangelnder Sprachkompetenz als vielmehr aus kulturellem Stolz. In den Medienarenen der Regionen mit starken Autonomiebewegungen ist zudem zu vermuten, dass sich die im Diskurs vermittelten kollektiven Identitäten stärker auf die Region als auf die Nation beziehen. Aber wie im Fall der deutschen Öffentlichkeit gilt auch hier, dass erst die empirische Analyse zeigen kann, inwieweit die schwierigeren Voraussetzungen tatsächlich zu einer fragmentierten spanischen Öffentlichkeit führen.
5.1.2 Qualitätszeitungen als Träger der europäischen Öffentlichkeit? Zunächst bestätigen die empirischen Ergebnisse dieser Untersuchung die Erkenntnis anderer Forschungsprojekte, dass es zu einer Europäisierung von Öffentlichkeit gekommen ist, insbesondere in Bezug auf die vertikale Integration oder die Beobachtung europäischen Regierens. Ob als Adressat von Claims (d.h. Forderungen, Vorschlägen, Appellen oder Kritik, für eine genaue Erläuterung siehe u.a. Pfetsch/Koopmans 2006: 182), als genannte Institutionen oder behandeltes Thema in Meinungsbeiträgen (Kleinen-von Königslöw et al. 2005: 29), als Verallgemeinerungsformel oder Vergleichsebene (Trenz 2006: 203), die EU hat inzwischen ihren Weg in die Öffentlichkeitsarenen Deutschlands und
Schlussfolgerungen für die empirische Forschung
297
diverser anderer europäischer Länder gefunden. Gleichzeitig zeigt die vorliegende Untersuchung, dass eine intensive Auseinandersetzung mit der EU vor allem in den überregionalen Qualitätszeitungen stattfindet – wie andere Autoren bestätigen, spielt die EU in Fernsehnachrichten (z.B. Kevin 2003; Groothues 2004 und Lauf/Peter 2004) oder in der regionalen bzw. Boulevardpresse (Vetters 2007; Pfetsch et al. 2008; Kleinen-von Königslöw 2010a) eine deutlich geringere Rolle. Die Ergebnisse zur Arenen-Integration nationaler Öffentlichkeit stellen daher die gängige Praxis der EPS-Forschung, nationale Öffentlichkeit mit den Qualitätszeitungen gleichzusetzen bzw. nur über diese zu untersuchen, noch weiter in Frage. Die Untersuchung zeigt substantielle Unterschiede zwischen den verschiedenen Öffentlichkeitsarenen, insbesondere in Bezug auf die Bedeutung der EU-Ebene. Boulevard-, Regional- und audiovisuelle Medien folgen in diesem Punkt (bisher?) nicht dem Vorbild der ‚Leitmedien’, die als einzige ausreichend Sprecher der EU-Ebene zitieren. Dies muss nicht notwendigerweise als Defizit interpretiert werden, als Hinweis darauf, dass die entsprechenden Teilöffentlichkeiten in Bezug auf eine europäische Öffentlichkeit nicht ausreichend arenen-integriert sind. Vielmehr sollte dieser Befund Anlass sein, die Kriterien für die Arenen-Integration der europäischen Öffentlichkeit zu überarbeiten. Möglicherweise gereicht es der Arenen-Integration der EU sogar zum Vorteil, wenn in den regionalen und audiovisuellen Medien zwar EU-Themen und -Institutionen diskutiert werden, aber aus der Perspektive nationaler und regionaler Sprecher, die als ‚Übersetzer’ für die lokale Bevölkerung den Bezug zwischen ihrem Lebensalltag und der EU herstellen – wenn also eine ‚Domestizierung’ der Themen stattfindet. In jedem Fall kann eine Bewertung der Arenen-Integration der europäischen Öffentlichkeit nur erfolgen, wenn auch die Bedeutung der regionalen und nationalen Politik-Ebene in den Öffentlichkeitsarenen mitberücksichtigt wird. Die aufgezeigten großen Differenzen zwischen der Berichterstattung der Qualitätszeitungen und anderer Öffentlichkeitsarenen könnten sich im Fall der europäischen Öffentlichkeit auch positiv auswirken: Angesichts der starken Abweichungen in der Themenagenda ist beispielsweise für die Dimension Ähnlichkeit der Diskurse zu vermuten, dass sich bei einem länderübergreifenden Vergleich verschiedener Öffentlichkeitsarenen nicht notwendigerweise jeweils die Medien eines Landes in ihrer Themenauswahl am meisten ähneln werden. Möglicherweise besteht zwischen den Qualitätsmedien verschiedener Länder eine größere Ähnlichkeit als zwischen der Qualitäts- und Boulevardpresse eines Landes. Ein solches Ergebnis wäre ein starker Indikator für die Arenen-Integration der europäischen Öffentlichkeit in dieser Dimension – allerdings nur für das Eliten-Publikum der Qualitätszeitungen.
298
Resümee
5.1.3 Nationale und europäische Öffentlichkeit in Konkurrenz? Innerhalb der deutschen Öffentlichkeit gelang es allen Öffentlichkeitsarenen, eine zentrale gesellschaftliche Spaltungslinie zu überbrücken und beide Teile des Landes bei der Auswahl der Themen, Hauptakteure und Sprecher zu berücksichtigen. Bisher haben sich die Analysen der horizontalen Vernetzung auf europäischer Ebene darauf beschränkt, die Bedeutung der Berichterstattung über europäische Länder oder die Berücksichtigung von Sprechern aus anderen europäischen Ländern generell (z.B. Wessler et al. 2008) zu bewerten, ebenso wie die Präsenz von Akteuren aus anderen europäischen Ländern in öffentlichen Forderungen (z.B. Koopmans 2004). Aber auch für die europäische Öffentlichkeit erscheint es wichtig, Kriterien in Bezug auf die konkret zu berücksichtigenden Länder festzulegen, um zu prüfen, ob innerhalb Europas zentrale Spaltungslinien überbrückt werden, wie beispielsweise die zwischen West- und Osteuropa. Den bisherigen Erkenntnissen zufolge beschränkt sich die horizontale Vernetzung auf europäischer Ebene überwiegend auf die ‚big player’: Deutschland, Großbritannien und Frankreich (Wessler et al. 2008: 47, Kleinen-von Königslöw 2010a). Eine Bewertung des Niveaus der generellen Berücksichtigung des europäischen Auslandes setzt zuvor einen Abwägungsprozess zwischen der Bedeutung der nationalen und der europäischen Öffentlichkeit voraus. Denn gerade die Vernetzung der Diskurse ist stark geprägt durch die Kapazitätsgrenzen der Öffentlichkeitsarenen: Wer eine höhere horizontale Vernetzung auf europäischer Ebene fordert, nimmt dafür in Kauf, dass die Regionen der nationalen Gemeinschaft nicht mehr so stark berücksichtigt werden. Weder die Arenen selbst noch ihre Publika sind in der Lage, die für eine sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene perfekt vernetzte Öffentlichkeit nötigen Informationen zu verarbeiten. Am deutlichsten wird der Konflikt zwischen einer Arenen-Integration auf nationaler und der auf europäischer Ebene in Bezug auf die transportierte kollektive Identität: Die im Diskurs vermittelte Solidargemeinschaft kann sich nur auf eine politische Gemeinschaft beziehen, die europäische oder die nationale. Den Ergebnissen der deutschen Fallstudie zufolge scheinen die EPS-Pessimisten recht zu behalten, die Herausbildung einer europäischen kollektiven Identität im öffentlichen Diskurs ist in absehbarer Zeit nicht zu erwarten – zumindest nicht als Solidargemeinschaft. Die nationale Gemeinschaft dominierte die Diskussion in allen Öffentlichkeitsarenen (bis auf die tagesschau) und über alle Formen der kollektiven Identifikation hinweg – sei es als Wir-, Kultur-, Problem-, Territorial- oder Abgrenzungsgemeinschaft. Wenn man sich für die europäische Öffentlichkeit aber auch mit einer Kommunikationsgemeinschaft zufrieden gibt, also mit der von Thomas Risse propagierten „identity light“ (2002: 21), dann stehen
Der Beitrag des Modells der Arenen-Integration zur Öffentlichkeitstheorie
299
die Chancen deutlich besser. In den regionalen und überregionalen Zeitungen, in der BILD und der ARD tagesschau werden einzelne Bedingungen für eine Kommunikationsgemeinschaft auf europäischer Ebene erfüllt: Ein europäisches ‚Wir’ kommt ebenso vor wie eine europäische Territorialgemeinschaft.61 Insgesamt lässt sich aus den Ergebnissen der deutschen Fallstudie ableiten, dass die Anforderungen an eine auf europäischer Ebene arenen-integrierte Öffentlichkeit abgeschwächt werden sollten, wenn man nicht auf Dauer einer unerreichbaren Utopie hinterher rennen will. Für die Beobachtung des Regierens könnte schon die Diskussion europäischer Institutionen und Themen durch regionale und nationale Sprecher als ‚Übersetzer’ ausreichen. Allerdings wären in diesem Fall auch Ansprüche an die Qualität der Diskussion zu stellen, die ‚Übersetzung’ dürfte nicht allein aus negativer Abgrenzung gegenüber der EU bestehen. Für die Ähnlichkeit und Vernetzung der Diskurse müssten zunächst kritische Spaltungslinien der europäischen Gesellschaft definiert werden, die in beiden Dimensionen überbrückt werden sollten. Beschränkt man sich bei deren Auswahl auf wenige, dafür zentrale Spaltungslinien (wie die zwischen den neuen Beitrittsländern und dem ‚alten’ Kerneuropa), so kann deren Überbrückung zumindest nicht von vorneherein an den Kapazitätsgrenzen der Medien scheitern. Bezogen auf die im öffentlichen Diskurs vermittelten Vorstellungen kollektiver Identität zeigen die Ergebnisse dieser Arbeit, dass eine europäische Kommunikationsgemeinschaft in der Mehrheit der Arenen bereits besteht, es bleibt abzuwarten, ob sich auf Dauer die europäischen Solidargemeinschaft in weiteren Öffentlichkeitsarenen durchsetzen kann – allerdings ginge dies dann auf die Kosten der Arenen-Integration der nationalen Gemeinschaft.
5.2 Der Beitrag des Modells der Arenen-Integration zur Öffentlichkeitstheorie Das Modell der Arenen-Integration nationaler Öffentlichkeiten ist ursprünglich daraus entstanden, dass die diversen in der Forschung zur europäischen Öffentlichkeit diskutierten Ansätze systematisiert, gebündelt und auf den Fall einer nationalen Öffentlichkeit hingewendet worden sind. Nach der Anwendung des Modells auf den empirischen Fall der deutschen Öffentlichkeit soll nun abschließend die theoretische Relevanz des Modells reflektiert werden, die über eine Synthese der EPS-Forschung weit hinausreicht. Dies geschieht zunächst mit 61
Auch in der Fallstudie zu Muslimen in Deutschland wurde die europäische Gemeinschaft in allen Medien außer der BILD und dem mdr angesprochen. Die ARD tagesschau setzt das europäische ‚Wir’ und die europäische Territorialgemeinschaft sogar themenübergreifend vor die nationale Gemeinschaft, diese europäische Solidargemeinschaft beruht aber auf sehr geringen Fallzahlen.
300
Resümee
Blick auf bisherige Forschung zur Frage der Integration nationaler Öffentlichkeit, bevor die im Modell vollzogene Neubewertung der Öffentlichkeitsfunktionen in Relation zu klassischen Öffentlichkeitsmodellen diskutiert wird.
5.2.1 Das Modell der Arenen-Integration und die bisherige Forschung zur Integration nationaler Öffentlichkeiten Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der nationalen Öffentlichkeit schwankt in der Regel zwischen verschiedenen Extremen: In der empirischen Forschung wird sie oft schon allein aus forschungspragmatischen Gründen als monolithischer Block dargestellt, der sich durch ein oder zwei ausgewählte Medienorgane adäquat abbilden lässt. In der theoretischen Diskussion dagegen macht man sich für das Ideal einer differenzierten Öffentlichkeit stark, zumeist jedoch ohne zu konzeptualisieren, wie die differenzierten Öffentlichkeitsforen in einer gemeinsamen Öffentlichkeit zusammenhängen könnten. Das Modell der Arenen-Integration nationaler Öffentlichkeit schließt genau diese Forschungslücke, indem es vier verschiedene Dimensionen unterscheidet, über die sich der Zusammenhang zwischen den einzelnen Öffentlichkeitsforen herstellen kann. Zwar entsprechen die im Fallbeispiel untersuchten Medien sicherlich überwiegend nicht dem, was Nancy Fraser als „untergeordnete Gegenöffentlichkeiten („subaltern counter publics“, 1992: 123, eigene Übersetzung) beschreibt. Die Dimensionen des Modells eignen sich aber auch, um den Zusammenhang zwischen ‚mainstream’ und alternativen Öffentlichkeitsarenen zu beschreiben: Auch in den alternativen Gegenöffentlichkeiten sollte das politische System beobachtet werden, nur mit einer anderen Prioritätensetzung, z.B. einer Überbetonung der lokalen Ebene. Bei der Ähnlichkeit der Diskurse sollten die Anforderungen sicherlich besonders niedrig sein, damit in der Gegenöffentlichkeit Minderheiten ihre eigene Agenda entwickeln können. Aber ohne ein Minimum an Überschneidungen in der Themenauswahl, -gewichtung und -terminierung wird die Gegenöffentlichkeit nicht mehr anschlussfähig sein an die Gesamtöffentlichkeit, darum ist auch die zweite Dimension der Arenen-Integration hier bedeutsam. Allein über die Vernetzung der Diskurse wiederum kann sichergestellt werden, dass die in der Gegenöffentlichkeit entwickelten Positionen tatsächlich ihren Weg in die großen Öffentlichkeitsarenen finden. Und nur, wenn sowohl in der Gegenöffentlichkeit als auch in der Hauptöffentlichkeit ein Bewusstsein dafür besteht, dass auch die Teilnehmer der Gegenöffentlichkeit Teil der politischen Gesamtgemeinschaft sind, können aus den Gegenöffentlichkeiten übernommene Positionen in der Hauptöffentlichkeit Gehör finden.
Der Beitrag des Modells der Arenen-Integration zur Öffentlichkeitstheorie
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In Bezug auf die Forschung zur fragmentierten Öffentlichkeit als Gefahr relativiert das Modell der Arenen-Integration nationaler Öffentlichkeit einerseits die dort beschriebene Bedeutung der Fragmentierung des Medienangebots und des Publikums. Da die Integration der verschiedenen Öffentlichkeitsforen im Modell auf Ebene der Öffentlichkeitsarenen, also der Medieninhalte erfolgt – wenn auch gegebenenfalls unterstützt durch Überschneidungen auf Publikumsebene – bedeutet eine fortschreitende Angebots- und Publikumsfragmentierung nicht notwendigerweise eine Gefährdung des Zusammenhalts der Öffentlichkeit. Andererseits ermöglicht das Modell durch die normative Herleitung seiner Dimensionen aus verschiedenen Öffentlichkeitstheorien eine klarere Beschreibung der Auswirkungen einer mangelnden (Arenen-)Integration der Öffentlichkeit auf die Gesellschaft. Auch wenn das Modell Konzepte und Indikatoren der Forschung zur Qualität der Medienberichterstattung aufgreift, geht es doch weit über diesen Ansatz hinaus, da sich seine Dimensionen und Indikatoren nicht allein auf die Berichterstattung einzelner Medien beziehen, sondern ein Urteil über das Mediensystem eines Landes bzw. die über dieses System hergestellte Öffentlichkeit erlauben.
5.2.2 Die Funktionen von Öffentlichkeit im Modell der Arenen-Integration Das Kernargument dieser Studie besagt, dass es für das Bestehen einer zusammenhängenden nationalen Öffentlichkeit ausreicht, wenn die Arenen der verschiedenen an der Öffentlichkeit beteiligten Foren hinreichend integriert sind. Überschneidungen auf der Ebene der Foren-Publika können Defizite in der Arenen-Integration zwar ausgleichen, stellen aber keine notwendige Vorbedingung für die Existenz einer zusammenhängenden nationalen Öffentlichkeit dar. Die Arenen gelten wiederum als integriert, wenn sie bestimmte Funktionen für die nationale politische Gemeinschaft erfüllen. Das Modell der Arenen-Integration nationaler Öffentlichkeit geht davon aus, dass sich die Integration der Arenen in vier Dimensionen vollziehen kann, über die jeweils spezifische normative Öffentlichkeitsfunktionen abgedeckt werden. Die folgende Tabelle fasst die Dimensionen noch einmal zusammen:
302
Resümee
Tabelle 59: Das vierdimensionale Modell der Arenen-Integration nationaler Öffentlichkeiten Dimension
Beschreibung
Beobachtung des Regierens
Welche politischen Institutionen, Akteure bzw. Themen werden in den Arenen diskutiert? Wird das politische System angemessen widergespiegelt?
Ähnlichkeit der Diskurse
Ähnelt sich die Diskussion des politischen Systems in den verschiedenen Arenen?
Vernetzung der Diskurse
Beobachten sich die verschiedenen Arenen gegenseitig und tauschen sie Themen oder Sprecher miteinander aus?
Kollektive Identität
Welche Vorstellungen kollektiver Identität werden in den Arenen vermittelt? Beziehen sich diese auf die Gesamtgemeinschaft?
Die Entwicklung der Öffentlichkeitsforschung, -theorien und -modelle ist geprägt durch ein Wechselspiel zwischen eher normativen oder eher empirischen Strömungen (vgl. Heikkilä 2007). Während empirische Forscher zur Öffentlichkeit einen größeren Realitätsbezug der Modelle einfordern und umsetzen (Gerhards 1997; Wessler 1999), mahnen andere an, nicht die „kritische Reibungsfläche“ der normativen Theorien durch eine zu große Anpassung an die Empirie zu verlieren („critical traction“, Fraser 2007: 7, eigene Übersetzung). Das Modell der Arenen-Integration nationaler Öffentlichkeit orientiert sich nun in seinen normativen Ansprüchen und in seiner Struktur sehr stark an der Empirie. Dies hat zur Folge, dass die vier analytischen Dimensionen des Modells jeweils einzelne der in der Literatur diskutierten Funktionen von Öffentlichkeit abdecken und damit ‚quer’ zu ihnen liegen (vgl. Tabelle 60). Da das Modell darauf ausgerichtet ist, eine politische Öffentlichkeit zu beschreiben, an der die gesamte Bevölkerung eines Landes und nicht nur die Nutzer der Elitemedien teilnehmen können62, nimmt es zudem an einigen Stellen Umbewertungen der klassischen Öffentlichkeitsfunktionen vor. Auf diese Weise nimmt es erste Schritte vor, um den in der Öffentlichkeitstheorie prävalenten elitären Bias zu verringern und Möglichkeiten für eine Theorie breitenwirksamer Öffentlichkeit aufzuzeigen. 62
Aus diesem Grund sind alle Dimensionen und Indikatoren darauf ausgerichtet worden, dass sie theoretisch von verschiedenen Arten von Arenen erfüllt werden können, seien es Fernsehnachrichten, Regionalzeitungen oder die Qualitätspresse. So wurden beispielsweise keine absoluten, medienübergreifend gültigen Grenzwerte gewählt, sondern nur relative Grenzwerte festgelegt: Z.B. mussten die Sprecher der EU-Ebenen einen bestimmten Prozentsatz aller in diesem Medium zitierten Sprecher erreichen, aber nicht eine absolute Mindestanzahl von Sprechern. Dadurch hatten auch regionale Zeitungen und die Boulevardzeitung trotz ihrer kürzeren Artikel oder Fernsehnachrichten trotz der wenigen zitierten Sprecher pro Sendung eine Chance, die Anforderungen an eine arenen-integrierte Öffentlichkeit zu erfüllen.
Der Beitrag des Modells der Arenen-Integration zur Öffentlichkeitstheorie
303
Tabelle 60: Von den Modell-Dimensionen abgedeckte Funktionen, Funktionsrichtungen und gesellschaftliche Sphären Dimension
Funktion
Richtung
Sphäre
Beobachtung des Regierens
Transparenz Validierung
Vertikal
Politik
Ähnlichkeit der Diskurse
Transparenz Integration
Horizontal
Politik Gesellschaft
Vernetzung der Diskurse
Transparenz Validierung Integration
Horizontal
Politik Gesellschaft
Kollektive Identität
Integration
Horizontal
Gesellschaft
Allen normativen Öffentlichkeitsmodellen ist die Transparenzfunktion von Öffentlichkeit gemein (vgl. Kapitel 2.3.1 bzw. Neidhardt 1994b, an anderer Stelle auch als Informations- (Voltmer 1998) oder Beobachtungsfunktion (Neidhardt 1994a) bezeichnet): Aufgabe der Öffentlichkeit ist es, ihren aktiven und passiven Teilnehmern Informationen über die gesamte Gesellschaft und ihre Umwelt zur Verfügung zu stellen. Auch im Modell der Arenen-Integration spielt die Transparenzfunktion die größte Rolle: Die Leistungsfähigkeit der Öffentlichkeitsarenen in Bezug auf diese Funktion wird sowohl über die Dimension Beobachtung des Regierens (in der Vertikalen und nur für politische Akteure) und die Dimensionen Ähnlichkeit und Vernetzung der Diskurse (jeweils in der Horizontalen für Politik und Gesellschaft) erfasst. Allerdings konzentriert sich das Modell auf einen Basisanspruch an Transparenz, also lediglich auf eine angemessene Abbildung der Politikebenen bzw. gesellschaftlicher Gruppen über zentrale Spaltungslinien hinweg (bezogen für die deutsche Öffentlichkeit auf Ost- und Westdeutschland). Die vom Modell aufgestellten Forderungen greifen damit deutlich kürzer als beispielsweise die des liberalen Modells (für das die Meinungs- und Sprecherverteilung in den Öffentlichkeitsarenen der in politischen System und Bevölkerung entsprechen sollte (Gerhards et al. 1998: 37)) oder des diskursiven Modells (das eine erhöhte Beteiligung der „Peripherie“ bzw. zivilgesellschaftlicher Akteure vorziehen würde, siehe Gerhards et al. 1998: 35; aber auch Habermas 1998 [1992]: 444). Es überlässt so die Aushandlung, welche Akteure welche Bedeutung im politischen Prozess haben sollen, den verschiedenen Demokratietheorien und normativ anspruchsvolleren Öffentlichkeitsmodellen (für eine ausführliche Diskussion siehe Ferree et al. 2002a, b). Stattdessen konzentriert sich das Modell auf eine Minimalforderung an Transparenz, die gewährleistet sein muss, damit die Bürger informierte, ihren Interessen entsprechende Entschei-
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Resümee
dungen treffen können – aber eben eine Minimalforderung, die dafür theoretisch von allen Öffentlichkeitsarenen erfüllt werden kann, und nicht nur von der Qualitätspresse. Als zweite Öffentlichkeitsfunktion wird die Validierungs- oder Kritikfunktion angesehen (vgl. Neidhardt 1994a, b): Durch den Austausch von Meinungen soll in der Öffentlichkeit ein Prozess der thematischen und sinnhaften Verdichtung stattfinden. Als Voraussetzung dafür nennt Friedhelm Neidhardt den diskursiven Umgang der Öffentlichkeitsakteure mit den Meinungen anderer. Unter ‚diskursiv’ wird verstanden, dass die Kommunikation mit Bezug auf andere Akteure, mit Begründungen und auf hohem Rationalitätsniveau stattfinden soll (vgl. Gerhards et al. 1998: 36).63 Entsprechend ist die Validierungsfunktion nur dem diskursiven Modell von Öffentlichkeit zugeordnet. Das liberale Öffentlichkeitsmodell stellt lediglich eine Anforderung an das ‚wie’ der öffentlichen Kommunikation: ein respektvoller Umgang mit den Meinungen anderer, damit „die verschiedenen Positionen und Deutungen eine Marktchance erhalten“ (Gerhards 1997: 10). Ob es in der Öffentlichkeit zu Validierungsprozessen kommt, ist aus Perspektive des liberalen Modells nicht relevant. In diesem Punkt geht das Modell der Arenen-Integration über das liberale Modell hinaus, es erscheint für die gemeinsame eine Öffentlichkeit doch bedeutsam, dass Validierungsprozesse in allen Arenen der Öffentlichkeit (und unter Einbeziehung von Sprechern aller Politikebenen und gesellschaftlichen Gruppen) stattfinden. Zumindest als passive Zuhörer soll das Publikum aller Arenen die Chance haben, begründete Meinungen aufzunehmen, die erlebte Öffentlichkeit darf nicht auf die Verlautbarung von Positionen reduziert sein. Nur so ist zu hoffen, dass die Bürger zumindest auf anderen Öffentlichkeitsebenen, wie im persönlichen Gespräch oder in öffentlichen Veranstaltungen, auch aktiv in einen diskursiven Meinungsaustausch treten und dabei auf Argumentation von Sprechern aller Politikebenen und zentraler gesellschaftlicher Gruppen Bezug nehmen können (vgl. Wessler 2008: 6). Aus diesem Grund wurde bei der Erfassung der Sprecher für das Modell der Arenen-Integration in den Dimensionen Beobachtung des Regierens und Vernetzung der Diskurse eine Mindestlänge der Zitate festgesetzt, um nur die begründeten Aussagen zu erfassen (vgl. Kapitel 3.2.1).64 Die empirischen Ergebnisse für den Fall der deutschen Öffentlichkeit lassen allerdings befürchten, dass selbst bei den zurückhaltenden Forderungen des Modells der Arenen-Integration die Validierungsfunktion nur von den Qualitätszeitungen erfüllt wird: So können beispielsweise allein in den Qualitätszei63
Für eine sehr systematische Aufarbeitung möglicher Kriterien für Diskursivität oder Deliberativität im öffentlichen Diskurs siehe Wessler (2008). 64 Zusätzlich schneidet die in der Dimension kollektive Identität erhobene Abgrenzungsgemeinschaft die Frage des respektvollen Umgangs zumindest an.
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tungen FAZ und SZ auch Sprecher der EU-Ebene an der Debatte teilnehmen. Die insgesamt zufrieden stellende Arenen-Integration der deutschen Öffentlichkeit beschränkt sich demnach überwiegend auf die Transparenzfunktion von Öffentlichkeit und gilt nur eingeschränkt für die Validierungsfunktion. Als dritte Funktion von Öffentlichkeit führt Friedhelm Neidhardt die Orientierungsfunktion an (Neidhardt 1994b: 9): Ergebnis der diskursiven Prozesse in der Öffentlichkeit soll die Herausbildung einer öffentlichen Meinung sein, an der sich das Publikum – sowohl die Bürger als auch das politische System – orientieren kann. Zwar finden sich in Jürgen Gerhards Darstellungen des liberalen Modells von Öffentlichkeit durchaus Elemente, die auf eine Orientierungsfunktion von Öffentlichkeit verweisen. Denn auch wenn sich die über die Öffentlichkeit vermittelte „öffentliche Meinung“ nicht aus einem diskursiven Prozess, sondern „aus der Aggregation der Individualmeinungen“ ergibt (Gerhards 1997: 11), sie dient der Information von politischem System und Bevölkerung und damit zu deren Orientierung. Die von Friedhelm Neidhardt beschriebene ‚Orientierung’ geht aber über das Bereitstellen von Informationen zur Meinungsvielfalt hinaus (denn dies würde nur eine andere Facette der Transparenzfunktion darstellen). Als Ergebnis eines diskursiven Prozesses beinhaltet Orientierung ihm zufolge auch, dass das Publikum die kommunizierte öffentliche Meinung als „überzeugend wahrnehmen und akzeptieren kann“ (Neidhardt 1994b: 9, Hervorhebung im Original). Um überzeugend zu sein, sollte dem diskursiven Modell zufolge ein Konsens oder zumindest eine argumentativ gestützte Mehrheitsmeinung erreicht werden (Habermas 1990 [1962]:42). Die Forderung nach dem Erreichen von Konsens widerspricht allerdings der Logik medial vermittelter Debatten: Zum einen haben diese eine triadische Struktur, in der die Kontrahenten jeweils das Publikum ansprechen, nicht einander (Gerhards et al. 1998; Wessler 1999), und zum anderen stellt ‚Konflikt’ für die Medien einen zentralen Nachrichtenfaktor dar (Schulz 1976). Dies macht auch den im liberalen Modell geforderten Abbruch der Debatte bei mangelnder Konsensfähigkeit aus Sicht der Medien unwahrscheinlich. Insofern erscheint Bernhard Peters Forderung nach einem begründeten Dissens als Ziel öffentlicher Debatten angemessener. Ein solcher Dissens beinhaltet eine gewisse gegenseitige Anerkennung der Unterschiede bzw. der Bedeutung der verschiedenen Positionen (Peters 2005: 108). Unabhängig vom präferierten Öffentlichkeitsmodell erweist sich das Verhältnis der Orientierungsfunktion zur empirischen Realität einer in diversen Arenen erzeugten Öffentlichkeit als besonders problematisch: Allein die Forderung nach hergestellter Transparenz über das Meinungsspektrum ließe sich problemlos in einer empirischen Untersuchung erheben – dies kann aber auch bereits im Rahmen der Transparenzfunktion geschehen. Die Forderungen nach einem Abbruch einer Debatte bei mangelnder Konsensfähigkeit, ebenso wie nach dem
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Resümee
Erreichen von (argumentativ gestütztem) Konsens oder Mehrheitsmeinung entspringen dagegen einer Vorstellung von Öffentlichkeit als Diskussion unter Anwesenden, wenn nicht sogar dem Idealmodell von Diskurs (vgl. Peters 1994). Wie aber soll erfasst werden, ob sich in einer über unterschiedliche massenmediale Arenen transportierten Öffentlichkeit eine argumentativ gestützte Mehrheitsmeinung entwickelt? Wenn in der Mehrheit der Arenen nur noch eine Meinung vertreten wird? Oder wenn in allen Arenen gleichzeitig dieselbe Ansicht als Mehrheitsmeinung beschrieben wird? Und woher soll der Bürger dies als passiver Teilnehmer von meist nur einer einzigen Öffentlichkeitsarena für die verschiedenen Themen wahrnehmen? Letztlich widerspricht bereits die Idee, dass ein Thema ‚zu Ende’ diskutiert wird, einen bestimmbaren und als ‚Dissens’ oder ‚Konsens’ messbaren Endpunkt hat, der Prozesslogik der massenmedialen Öffentlichkeitsarenen (zur Prozessstruktur von medialer Öffentlichkeit siehe insbesondere Wessler 1999). In diesen wird in der Regel ein Thema schlicht durch ein anderes, aktuelleres Thema verdrängt, ohne dass ein identifizierbares Diskussionsergebnis vorliegt. Das Modell der Arenen-Integration setzt daher nicht auf Orientierung durch öffentliche Meinung, Konsens oder Dissens, sondern auf Integration als Ergebnis und Ziel der öffentlichen Debatte – die Orientierungs- wird hier zur Integrationsfunktion. Entscheidend für die Funktionserfüllung der Öffentlichkeitsarenen ist nicht, dass sich eine identifizierbare öffentliche Meinung herausbildet, sondern vielmehr das Transportieren eines Gemeinschaftsgefühls, eines Zugehörigkeitsgefühls zur politischen Gemeinschaft, auf dessen Basis die politischen Entscheidungen mitgetragen werden, auch ohne dass die Bürger notwendigerweise das Bestehen einer Mehrheitsmeinung rational erfasst haben. Die von anderen Öffentlichkeitsmodellen geforderten Ergebnisse wie das Entstehen einer öffentlichen Mehrheitsmeinung oder gar eines Konsenses erscheinen zwar für die Rolle von Öffentlichkeit in der Demokratie theoretisch sehr bedeutsam, aber angesichts der Tatsache, dass Öffentlichkeit de facto über eine Vielzahl von Arenen mit unterschiedlichen, zumeist stark begrenzten Kapazitäten hergestellt wird, unrealistisch. Sicherlich ist es Sinn normativer Theorie, Maßstäbe aufzustellen, an denen die Realität gemessen und auch im Vergleich als defizitär bewertet werden kann. Dennoch sollten die normativen Anforderungen nicht für den Großteil des Objekts, auf das sie bezogen sind, Unmöglichkeiten darstellen.65 Schließlich macht die Leserschaft der überregionalen Qualitäts-
65
Aus dieser Argumentation heraus hat beispielsweise Hartmut Wessler ein normatives Modell der eigenständigen Öffentlichkeit der Massenmedien aufgestellt, dessen normative Erwartungen an die Produktionsgegebenheiten der Massenmedien angepasst sind und es auf diese Weise vermeidet, beim Vergleich mit der Empirie systematisch Mangeldiagnosen zu produzieren (Wessler 1999:
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presse in Deutschland gerade mal 4,6 Prozent der Bevölkerung aus, während die Kaufzeitungen 17,6 Prozent und die regionale Abonnementzeitungen 52,9 Prozent der Bevölkerung erreichen (Leser pro Ausgabe, AWA 2008). Vor diesem Hintergrund erscheinen Öffentlichkeitsmodelle, die sich in ihren Ansprüchen nur an den Möglichkeiten der Qualitätspresse orientieren, nicht nur elitär, sondern auch wenig relevant. Tabelle 61: Öffentlichkeitsfunktionen in verschiedenen normativen Modellen sowie in der Forschung zur europäischen Öffentlichkeit Phase des Kommunikationsprozesses Input
Liberales Modell
Diskursives Modell
Transparenz: ‚Spiegelung’ der vorhandenen Akteurs- und Meinungsvielfalt
Transparenz: bei Dominanz der Akteure der Zivilgesellschaft
Modell der ArenenIntegration
Forschung zur europäischen Öffentlichkeit
Transparenz: Transparenz: Durch Berücksich- Durch Berücksichtitigung aller Poligung aller Politikebetikebenen, über nen insbesondere der zentrale gesellEU-Politik, über schaftliche Spalnationale Grenzen tungslinien hinweg hinweg (z.B. Ost-West) Throughput Transparenz: Validierung: Validierung: (Validierung): Kommunikation durch diskursive durch Austausch durch Austausch mit Respekt vor Kommunikation: begründeter Mei- begründeter Meinung Akteuren mit mit Bezug auf nungen der Spre- der Sprecher aller anderen Meinun- andere Akteure, cher aller Politik- Politikebenen (insbegen mit Begründunebenen und zentra- sondere der EUgen, auf hohem ler gesellschaftli- Politik) und der Rationalitätsnicher Gruppen europäischen Natioveau keine Ausgrennen zung von Teilen der Gemeinschaft Output Transparenz: Orientierung: Integration Integration über vorhandene durch Erzeugen durch Vermittlung Gemeinschaftsbildung Meinungsvielfalt, von argumentativ kollektiver Identi- durch Diskurs Ausklammerung gestütztem Kon- tät als Kommuni- durch Vermittlung nicht konsensfä- sens, Mehrheits- kations-, Wir- und kollektiver Identität higer Fragen meinung oder Kulturgemeinals KommunikationsDissens gemeinschaft schaft Liberales Modell: nach Gerhards (1997, 1998), Gerhards et al. (1998), Gerhards/Neidhardt (1990), Ferree et al. (2002a, b); diskursives Modell: nach der Darstellung von Gerhards (1997, 1998), unter Bezug auf Habermas (1990 [1962], 1998 [1992]), Peters (1994, 2002, 2008); Forschung zu europäischer Öffentlichkeit (Beispiele): im Überblick Trenz (2005), Transparenz: Wessler et al. (2008), Koopmans (2007), Validierung: Peters et al. 2005, Integration: Habermas (1998 [1992]), Risse/van de Steeg (2003), Wessler et al. (2008). 235). Allerdings vernachlässigt das Modell das Problem, dass Öffentlichkeit über eine Vielzahl von Arenen mit zum Teil sehr unterschiedlichen Darstellungsmöglichkeiten hergestellt wird.
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Entsprechend der großen Bedeutung der Integrationsfunktion im Modell der Arenen-Integration wird diese über drei der vier Dimensionen erfasst: Die Dimension Ähnlichkeit der Diskurse überprüft, inwieweit in den einzelnen Medienarenen ähnliche Themen zur Diskussion stellen und auf diese Weise einen von den Rezipienten unterschiedlicher Arenen gemeinsam geteilten Wissensbestand erzeugen, der die Kommunikation über Arenengrenzen hinweg und damit die Integration der Gemeinschaft erleichtert. Die dritte Dimension Vernetzung der Diskurse erfasst, inwieweit zwischen den Arenen Austauschbeziehungen über zentrale gesellschaftliche Spaltungslinien hinweg bestehen und somit eine diese überbrückende Kommunikationsgemeinschaft geschaffen wird. Und die vierte Dimension kollektive Identität fragt nach, ob in allen Arenen das Bild der gesamten politischen Gemeinschaft vermittelt wird, so dass sich deren Rezipienten mit der Gesamtgemeinschaft und nicht allein mit der Gemeinschaft ihrer Arena identifizieren können.
5.2.3 Die Bedeutung der Integrationsfunktion für die Öffentlichkeitstheorie Die Integrationsfunktion als solche wird bisher weniger als Funktion der Öffentlichkeit, sondern als Funktion der Massenmedien diskutiert (z.B. bei Wessler 2002, Jarren 2000 und im Überblick Vlasic 2004). In den klassischen Öffentlichkeitstheorien wird sie zwar mitgedacht, aber nicht offen thematisiert. Erst in seiner Diskussion der europäischen Integration beschreibt Jürgen Habermas wie die diskursiven Verfahren einer autochthonen Öffentlichkeit eine gemeinschaftsbildende Funktion haben können: Dadurch dass die Bürger erleben, wie sie die Belange ihrer Gesellschaft mitbestimmen können, entwickeln sie eine Identifikation mit und ein Gefühl der Verpflichtung gegenüber den Strukturen der Gesellschaft und somit der politischen Gemeinschaft (Habermas 1998). Thomas Risse und Marianne van de Steeg wiederum sehen die Vermittlung einer europäischen kollektiven Identität als eine Voraussetzung für die Existenz einer europäischen Öffentlichkeit an (z.B. Risse/van de Steeg 2003: 2). Wenn die Herstellung kollektiver Identität als zentraler Bestandteil von Öffentlichkeit definiert wird, so lässt sich daraus schließen, dass die Autoren Öffentlichkeit eine Integrationsfunktion zuschreiben, auch wenn sie diese nicht explizit erwähnen. Entsprechend finden sich Hinweise auf die Integrationsfunktion von Öffentlichkeit in einer Reihe von EPS-Studien (z.B. Eder/Kantner 2000, van de Steeg 2003, Lucht/Tréfás 2006, Tobler 2006, Wessler et al. 2008). Auch in seinem Überblick über das Forschungsfeld beschreibt Hans-Jörg Trenz das zur Verfügung stellen kollektiver Identitäten als eine der drei Grundfunktionen von Öf-
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fentlichkeit in der EPS-Forschung (2005: 412f).66 Michael Latzer und Florian Saurwein arbeiten in ihrer Zusammenfassung des Feldes wiederum explizit die Integration als eine von zwei Öffentlichkeitsfunktionen heraus (2006: 14). Aus dem Blickwinkel des Modells der Arenen-Integration ist die Integrationsfunktion auch für nationale Öffentlichkeiten von zentraler Bedeutung. Angesichts der Tatsache, dass die Zahl der an der Herstellung von Öffentlichkeit beteiligten Arenen stetig zunimmt, während parallel die traditionellen gesellschaftlichen Bindekräfte erschlaffen, sollte sich die Öffentlichkeitstheorie generell intensiver mit der Integrationsfunktion von Öffentlichkeit auseinandersetzen. Nicht nur auf europäischer Ebene über Ländergrenzen, sondern auch im nationalen Rahmen kann Öffentlichkeit eine integrative Wirkung entfalten, die für den politischen Prozess von ebenso großer Bedeutung ist wie ihre Transparenz-, Validierungs- und Orientierungsfunktion. Aber welche dieser Funktionen kann die massenmediale Öffentlichkeit nun erfüllen, und zwar für die Mehrheit der Bevölkerung einer Nation? Nach Entwicklung des Modells der Arenen-Integration und dessen Anwendung auf das Fallbeispiel der deutschen Öffentlichkeit muss die Antwort lauten: Sie kann am leichtesten Transparenz herstellen und die Integration, den Zusammenhalt der politischen Gemeinschaft unterstützen. In welchem Maße und für welche Teile der Gemeinschaft sie dies tut, ist in jedem spezifischen Fall für jedes Element der Medienstichprobe zu überprüfen. Aber dies sind die Funktionen, die von den viel genutzten Öffentlichkeitsarenen prinzipiell erfüllt werden können, ohne dass überhöhte oder den Charakter und Stil der Arenen verkennende Anforderungen an sie gestellt werden. Selbst in einer ausreichend arenen-integrierten (massenmedialen) Öffentlichkeit ist die Validierungsfunktion dagegen wahrscheinlich nur eingeschränkt, und vor allem nicht arenen-übergreifend sondern nur für einen kleinen Teil der Bürger erfüllt. Das muss nicht automatisch bedeuten, dass der Rest der Bevölkerung überhaupt nicht an diesen Formen von Öffentlichkeit teilnimmt, sie finden wahrscheinlich nur nicht auf Ebene der Massenmedien 66
An erster Stelle steht in der EPS-Forschung aber die Transparenzfunktion von Öffentlichkeit (siehe auch den Überblick von Hans-Jörg Trenz (2005)). Letztlich untersuchen alle theoretischen und empirischen Arbeiten zur europäischen Öffentlichkeit die Sichtbarkeit und damit Transparenz politischer Institutionen, insbesondere der EU-Ebene. Auch die vier von Ruud Koopmans (2007: 184) beschriebenen Funktionen einer europäischen Öffentlichkeit sind jeweils Facetten der Transparenzfunktion. Dagegen spielt die Validierungsfunktion kaum eine Rolle: Obwohl eine Reihe von EPSStudien vom öffentlichen ‚Diskurs’ spricht, enthalten sie keine genauere Definition des Diskursbegriffs, so dass nicht eindeutig entschieden werden kann, inwieweit ihre Vorstellungen europäischer Öffentlichkeit diskursive Validierungsprozesse miteinschließen oder sie ‚öffentlichen Diskurs’ nur als Synonym für ‚öffentliche Kommunikation’ verwenden. Eine Ausnahme bildet die Untersuchung von Wessler et al. (2008: 8), die sich bewusst auf meinungshaltige Artikel und Sprecheräußerungen konzentriert, wenn auch ohne eine gezielte Analyse von deren Deliberativität oder Diskursivität.
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statt, sondern vielleicht auf Ebene persönlicher Begegnungen oder öffentlicher Veranstaltungen. Die Öffentlichkeitsforschung kann sich daher nicht auf der Analyse massenmedialer Öffentlichkeitsarenen ausruhen, sie muss die Frage, was bei den Lesern und Zuschauern überhaupt ankommt, ob und wie sich diese die entsprechenden Inhalte aneignen, immer mitdenken und kann sie nicht schlicht der Mediennutzungs- und Medienwirkungsforschung überlassen. In dieser Arbeit ist dies zumindest für die Frage der Mediennutzung konsequent geschehen. Bezogen auf die Transparenz- und Integrationsfunktion kann für die nationale deutsche Öffentlichkeit eine Entwarnung ausgesprochen werden, auch jenseits der Qualitätspresse nehmen die deutschen Mediennutzer an einer nicht perfekt, aber ausreichend arenen-integrierten Öffentlichkeit teil. Und auch wenn es manchmal schwer fällt dies einzuräumen: Publikationen wie die BILD sind vielleicht gerade durch ihre holzschnittartige Herangehensweise die wichtigsten Anstoßgeber für face-to-face Kommunikation über politische Themen, und damit möglicherweise auch für öffentliche Validierungs- und Orientierungsprozesse, an denen größere Teile der Bevölkerung teilnehmen können als die Leser der Qualitätspresse. Und diese Validierungsprozesse sind – zumindest im Rahmen der BILD – sogar eingebettet in die nationale Solidargemeinschaft. So oder so: die ausreichend arenen-integrierte deutsche Öffentlichkeit zeigt sich lebendig und differenziert. Bedenklich stimmen eher die Bürger und Bürgerinnen, die abends weder die tagesschau noch RTL aktuell oder irgendwelche anderen Fernsehnachrichten einschalten, die beim Frühstückskaffee, beim ersten Cappuccino oder in der Kantine weder die Süddeutsche Zeitung noch die BILD aufschlagen, die also über kein einziges Forum den Zugang zur nationalen (oder europäischen) Öffentlichkeit suchen. Da diese Arbeit die Frage der Integration der nationalen Öffentlichkeit vor allem auf Ebene der Öffentlichkeitsarenen diskutiert hat, sind die Öffentlichkeitsverweigerer, die sich auf Ebene der (Nicht-)Publika manifestieren, ausgeblendet worden. In Zukunft sollte sich die Öffentlichkeitsforschung aber auch der Frage stellen, welche Bedeutung dieses Phänomen für die Leistungsfähigkeit nationaler (oder europäischer) Öffentlichkeiten hat.
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Anhang
A: Zusätzliche Ergebnistabellen Tabelle 62: Anteil der Beiträge mit Bezugnahmen auf die Institutionen der entsprechenden Politikebene (in Prozent) Öffentlichkeitsarenen BR mdr ARD RTL SZ WAZ LVZ BILD Institutionen lokale/regionalea 29,3 29,8 13,8 26,7 9,4 26,1 25,3 31,1 17,1 eigene nation.b 21,2 20,0 27,4 26,1 43,7 23,2 35,0 fremde nation.c 10,5 16,7 10,4 15,8 19,5 33,0 24,5 46,6 d EU 3,0 3,5 2,1 1,9 1,7 2,3 1,7 12,8 sonst. Supranat.e 2,8 3,5 1,4 4,1 4,9 10,3 2,5 11,8 a chi²=645,05, df=8, p<0.001, Cramers V=0,318, p<0.001. b chi²=261,17, df=8, p<0.001, Cramers V =0,202, p<0.001. c chi²=937,47, df=8, p<0.001, Cramers V =0,383, p<0.001. d chi²=227,37, df=8, p<0.001, Cramers V =0,187, p<0.001. e chi²=247,28, df=8, p<0.001, Cramers V =0,187, p<0.001. Anteil der Beiträge, in denen der jeweilige Indikator vorkommt, an allen Beiträgen. Gesamtanteile (Ges. gew.) sind gewichtet nach Zahl der Beiträge pro Medium. Basis: Alle Beiträge der Stichprobe (n=6378).
FAZ 30,8 40,2 53,9 10,9 14,3
Ges. gew. 24,8 27,8 24,8 4,6 6,0
Tabelle 63: Anteile der Beiträge mit Hauptakteuren der entsprechenden Politikebene (in Prozent) WAZ
LVZ
BILD
Öffentlichkeitsarenen BR mdr ARD RTL
SZ FAZ Hauptakteure regionalea 10,0 5,7 15,4 13,5 7,0 8,0 6,3 11,4 9,1 12,2 13,6 nationaleb 17,6 16,2 21,6 46,4 12,7 55,5 36,9 EUc 0,9 1,0 0,5 0,0 0,0 1,5 0,8 2,8 2,0 d sonst. supra. 0,3 0,6 0,0 0,0 0,0 2,3 1,3 0,0 2,4 a chi²=319,70, df=8, p<0.001, Cramers V =0,224, p<0.001. b chi²=810,66, df=8, p<0.001, Cramers V =0,357, p<0.001. c chi²=36,05, df=8, p<0.001, Cramers V =0,075, p<0.001. d chi²=79,30, df=8, p<0.001, Cramers V =0,112, p<0.001. Anteil der Beiträge, in denen der jeweilige Indikator vorkommt, an allen Beiträgen. Gesamtanteile (Ges. gew.) sind gewichtet nach Zahl der Beiträge pro Medium. Basis: Alle Beiträge der Stichprobe (n=6378).
Ges. gew. 8,9 27,0 1,5 1,3
326
Anhang
Tabelle 64: Anteil der Beiträge zu verschiedenen Themen (in Prozent) Öffentlichkeitsarenen Themenkatemdr ARD RTL SZ WAZ LVZ BILD BR goriena Regionalpolitik 9,4 10,0 6,6 9,3 6,3 8,5 4,4 9,8 Nationalpolitik 21,1 10,9 8,3 9,3 16,5 10,1 20,7 13,2 Außenpolitik 6,5 1,4 3,4 2,3 3,4 1,9 3,4 4,2 0,4 2,1 EU-Politik 1,1 1,1 1,7 1,3 1,7 0,8 4,1 7,7 Politik anderer 15,7 3,2 5,5 5,4 17,2 2,7 Länder 4,5 7,0 Internat. Politik 9,2 2,6 4,4 4,2 12,5 2,4 Wirtschaft/ 30,0 21,8 22,5 31,6 25,6 28,2 26,8 15,2 Gesellschaft Unterhaltung 9,1 22,2 2,3 29,6 13,9 30,2 15,4 12,2 Angstthemen 22,0 12,3 24,1 16,7 21,9 13,5 20,6 9,3 a chi²=1212,96, df=64, p<0.001, Cramers V =0,154, p<0.001. Anteil der Beiträge, in denen der jeweilige Indikator vorkommt, an allen Beiträgen. Gesamtanteile (Ges. gew.) sind gewichtet nach Zahl der Beiträge pro Medium. Basis: Alle Beiträge der Stichprobe (n=6378).
11,6 16,1 4,1 4,0 17,4
Ges. gew. 8,9 13,8 3,3 2,2 9,4
15,4 14,5
7,4 23,4
10,3 6,7
16,3 15,4
FAZ
Tabelle 65: Anteil der Beiträge mit zitierten Sprechern der entsprechenden Politik-Ebene (in Prozent) Öffentlichkeitsarenen Zitierte BR mdr ARD RTL SZ WAZ LVZ BILD Sprecher a 4,6 9,1 7,5 4,5 4,6 6,8 6,7 regionale 3,3 4,2 5,9 5,6 21,1 9,7 22,4 nationaleb 3,5 10,8 EUc 0,4 0,2 0,1 0,0 0,7 0,8 0,0 1,6 0,1 0,1 0,0 0,0 0,0 0,8 0,4 1,4 sonst. supra.d a chi²=149,59, df=8, p<0.001, Cramers V =0,153, p<0.001. b chi²=512,34, df=8, p<0.001, Cramers V =0,283, p<0.001. c chi²=47,17, df=8, p<0.001, Cramers V =0,086, p<0.001. d chi²=50,88, df=8, p<0.001, Cramers V =0,089, p<0.001. Anteil der Beiträge, in denen der jeweilige Indikator vorkommt, an allen Beiträgen. Gesamtanteile (Ges. gew.) sind gewichtet nach Zahl der Beiträge pro Medium. Basis: Alle Beiträge der Stichprobe (n=6378).
FAZ 7,1 27,0 2,0 1,5
Ges. gew. 6,0 12,2 0,8 0,7
Anhang
327
Tabelle 66: Anteil der Beiträge mit (primärer) geographischer Bezugnahme auf die entsprechende Region (in Prozent) Öffentlichkeitsarenen Ges. Geographische BR mdr ARD RTL SZ FAZ WAZ LVZ BILD gew. Verweise* a eigene Region 63,3 52,5 26,2 59,4 38,0 1,9 5,8 9,3 3,1 28,8 Westdtld.b 0,0 1,4 0,2 0,8 4,5 1,1 0,3 0,8 1,0 0,8 westdeutschc 8,3 11,7 23,7 16,7 12,0 28,4 24,5 15,7 20,7 22,3 d Ostdtld. 0,3 4,3 1,9 1,1 8,4 1,5 0,8 2,5 1,4 1,6 ostdeutsche 3,0 14,9 7,0 3,8 11,8 10,0 8,9 9,5 6,8 8,8 24,8 nationalf 23,7 36,9 36,5 32,4 39,7 43,3 31,1 33,3 33,5 a chi²=1687,03, df=8, p<0.001, Cramers V=0,514, p<0.001. b chi²=32,44, df=8, p<0.001, Cramers V=0,071, p<0.001. c chi²=106,68, df=8, p<0.001, Cramers V=0,129, p<0.001. d chi²=73,49, df=8, p<0.001, Cramers V =0,107, p<0.001. e chi²=161,52, df=8, p<0.001, Cramers V =0,159, p<0.001. f chi²=105,55, df=8, p<0.001, Cramers V =0,129, p<0.001. *primäre geographische Verweise für die Zeitungen (WAZ, LVZ, Bild, SZ und FAZ), alle geographischen Verweise für die Nachrichtensendungen (BR, mdr, ARD, RTL). Anteil der Beiträge, in denen der jeweilige Indikator vorkommt, an allen Beiträgen. Gesamtanteile (Ges. gew.) sind gewichtet nach Zahl der Beiträge pro Medium. Westdeutsch=Hauptakteure aus einer Region in Westdeutschlands; Westdtld.=Hauptakteure aus Westdeutschland insgesamt. Ostdeutsch= Hauptakteure aus einer Region in Ostdeutschlands; Ostdtld.=Hauptakteure aus Ostdeutschland insgesamt. Basis: Alle Beiträge der Stichprobe (n=6378).
Tabelle 67: Anteil der Beiträge mit Hauptakteuren aus der entsprechenden Region (in Prozent) Öffentlichkeitsarenen Ges. Herkunft BR mdr ARD RTL SZ FAZ WAZ LVZ BILD gew. Hauptakt. eig. Regiona 54,4 44,8 25,3 43,2 23,7 0,0 4,2 2,3 1,2 22,1 Westdtld.b 0,1 0,1 0,0 0,0 1,0 0,0 0,4 0,0 0,2 0,2 4,4 westdeutschc 3,6 13,4 4,1 9,1 14,6 9,3 7,4 11,7 8,6 0,1 Ostdtld.d 1,0 0,8 0,4 2,4 0,0 0,0 0,2 0,3 0,6 e ostdeutsch 1,7 8,1 5,8 3,0 5,9 4,2 3,8 3,9 4,5 4,6 nationalf 20,4 19,1 33,3 27,4 26,8 44,1 31,6 29,0 28,4 28,9 a chi²=1456,25, df=8, p<0.001, Cramers V=0,478, p<0.001. b chi²=22,09, df=8, p<0.01, Cramers V=0,059, p<0.01. c chi²=137,00, df=8, p<0.01, Cramers V=0,147, p<0.01. d chi²=35,41, df=8, p<0.001, Cramers V =0,075, p<0.001. e chi²=65,75, df=8, p<0.001, Cramers V =0,102, p<0.001. f chi²=134,09, df=8, p<0.001, Cramers V =0,145, p<0.001. Anteil der Beiträge, in denen der jeweilige Indikator vorkommt, an allen Beiträgen. Gesamtanteile (Ges. gew.) sind gewichtet nach Zahl der Beiträge pro Medium. Westdeutsch=Hauptakteure aus einer Region in Westdeutschlands; Westdtld.=Hauptakteure aus Westdeutschland insgesamt. Ostdeutsch= Hauptakteure aus einer Region in Ostdeutschlands; Ostdtld.=Hauptakteure aus Ostdeutschland insgesamt. Basis: Alle Beiträge der Stichprobe (n=6378).
328
Anhang
Tabelle 68: Anteil der zitierten Sprecher aus der entsprechenden Region (in Prozent) Öffentlichkeitsarenen Herkunft BR mdr ARD RTL SZ FAZ WAZ LVZ BILD Sprecher eig. Regiona 61,8 52,2 31,8 47,9 20,7 0,6 2,9 5,8 5,2 Westdtld.b 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,5 0,0 westdeutschc 6,6 8,0 13,2 16,1 5,3 17,5 17,5 9,0 16,7 d Ostdtld. 0,0 0,7 1,8 0,0 3,3 0,0 0,0 0,3 0,0 ostdeutsche 1,1 7,7 8,7 3,2 5,8 2,8 4,2 5,1 4,6 6,1 nationalf 6,4 9,6 9,8 8,7 20,3 20,3 30,9 30,4 a chi²=506,04, df=8, p<0.001, Cramers V=0,344, p<0.001. b chi²=21,68, df=8, p<0.01, Cramers V=0,071, p<0.01. c chi²=81,31, df=8, p<0.01, Cramers V=0,138, p<0.01. d chi²=57,72, df=8, p<0.001, Cramers V =0,116, p<0.001. e chi²=65,75, df=8, p<0.001, Cramers V =0,102, p<0.001. f chi²=146,26, df=8, p<0.001, Cramers V =0,185, p<0.001. Gesamtanteile (Ges. gew.) sind gewichtet nach Zahl der Beiträge pro Medium. Westdeutsch=Hauptakteure aus einer Region in Westdeutschlands; Westdtld.=Hauptakteure aus Westdeutschland insgesamt. Ostdeutsch= Hauptakteure aus einer Region in Ostdeutschlands; Ostdtld.=Hauptakteure aus Ostdeutschland insgesamt. Basis: Alle in der Stichprobe zitierten Sprecher (n=4286).
Ges. gew. 25,4 0,5 11,2 1,5 4,8 15,8
Tabelle 69: Anteil der Territorialgemeinschaften unterschiedlicher Ausdehnung (in Prozent) Öffentlichkeitsarenen TerritorialBR mdr ARD RTL SZ WAZ LVZ BILD gemeinsch.a 7,1 0,0 Region in 0,0 0,0 0,0 25,0 0,0 0,0 Westdtld. 0,0 0,0 Region in 0,0 0,0 3,0 0,0 0,0 0,0 Ostdtld. Westdtld. 0,0 0,0 3,0 0,0 21,4 0,0 0,0 0,0 Ostdtld. 0,0 2,3 12,1 0,0 14,3 0,0 0,0 0,0 Deutschland 5,3 26,7 0,0 19,8 19,4 33,3 28,6 40,0 0,0 12,5 Europa 6,4 2,6 0,0 0,0 8,7 3,0 73,3 62,5 sonst. Nation 74,2 89,8 28,6 60,0 71,5 45,6 a chi²=139,71, df=48, p<0.001, Cramers V=0,208, p<0.001. Gesamtanteile (Ges. gew.) sind gewichtet nach Zahl der Beiträge pro Medium. Basis: Alle Territorialgemeinschaften in der Stichprobe (n=413).
4,5
Ges. gew. 5,2
1,5
0,9
1,5 2,2 11,9 4,5 73,9
8,7 7,8 14,8 4,8 57,8
FAZ
Anhang
329
Tabelle 70: Abgrenzungsobjekte (durch Othering) in den verschiedenen Öffentlichkeitsarenen (n) Öffentlichkeitsarenen WAZ LVZ BILD BR mdr ARD RTL Abgrenzungsobjekta MVP 1 0 0 0 0 0 0 USA (Bush) 1 1 0 0 0 0 0 Vatikan (Papst) 2 0 1 0 0 0 0 Polen (Kaczynski) 0 0 0 0 0 1 0 Muslime 0 1 0 0 0 0 0 Balkanländer 0 2 0 0 0 0 0 Türkei 0 0 0 0 0 0 0 Ungarn 0 0 0 0 0 0 0 Der Westen 0 0 0 0 0 0 0 Kommunisten 0 0 0 0 0 0 0 Brasilien 0 0 0 0 0 0 0 Bulgarien 0 1 0 0 0 0 0 Frankreich 0 0 0 0 0 0 0 Georgien 0 0 0 0 0 0 0 Rumänien 0 1 0 0 0 0 0 Russland 0 0 0 0 0 0 0 Spanien 0 0 0 0 0 0 0 Gesamt 4 6 1 0 0 1 0 a chi²-Test nicht zulässig aufgrund der geringen Zellbesetzung. Basis: Alle Otherings in der Stichprobe (n=37).
SZ
FAZ
Gesamt
1 1 1 2 2 0 1 0 0 1 1 0 1 0 0 0 1 12
1 4 1 1 1 0 1 2 1 0 0 0 0 1 0 1 0 13
3 7 5 4 4 2 2 2 1 1 1 1 1 1 1 1 1 37
Tabelle 71: Anteil der Wir-Gemeinschaften unterschiedlicher Ausdehnung (in Prozent) Öffentlichkeitsarenen Wir-GemeinBR mdr ARD RTL SZ WAZ LVZ BILD schaftena 10,6 lokale/reg. 8,8 1,5 0,0 2,0 0,0 2,3 0,6 19,3 nationale 12,4 27,4 9,8 14,0 1,3 11,4 7,1 0,9 2,5 europäische 0,4 2,0 0,0 3,9 0,0 1,3 4,1 1,1 westliche 1,1 0,0 2,0 0,0 2,3 1,0 2,3 0,7 Menschheit 3,4 4,9 12,0 0,0 11,4 2,6 sonst. inkl. 2,3 1,1 3,0 2,4 0,0 0,0 0,0 0,0 exklusive 60,6 73,5 63,1 82,9 68,0 94,8 72,7 87,5 a chi²=228,00, df=48, p<0.001, Cramers V=0,153, p<0.001. Gesamtanteile (Ges. gew.) sind gewichtet nach Zahl der Beiträge pro Medium. Menschheit=Wir, die Welt/Menschheit/Beobachter. Basis: Alle Wir-Gemeinschaften in der Stichprobe (n=1616).
FAZ 0,7 16,9 1,4 1,8 5,3 1,4 72,5
Ges. gew. 2,9 13,3 1,8 1,9 5,3 2,0 79,0
330
Anhang
B: Ergebnisse der Reliabilitätstests67 Tabelle 72: Reliabilität in der themenübergreifenden Teilstudie N N Alpha Test Gesamt (MW) Formale Variablen 435 5499 0,88 Medium 435 5499 1,00 Länge 435 5499 0,82 Platzierung 358 4448 0,89 Rubrik 358 4448 0,86 Quelle 435 5499 0,87 Darstellungsform 435 5499 0,85 Inhaltliche Variablen 435 5499 0,81 Thema (dynamisch)* 435 5499 0,71 Themenkategorie 435 5499 0,77 Geographische Verweise (20) 727 8972 0,92 Institutionen-Verweise (10) 536 6124 0,80 Hauptakteure (3) 503 6363 0,89 Sprecher (9) 264 3117 0,85 Wir-Gemeinschaften (3) 85 1437 0,77 Territorialgemeinschaften (3) 38 406 0,71 Othering (3) 9 37 0,69 Profil (7) 195 2501 0,80 Ebene (7) 99 1233 0,82 Herkunft (7) 195 2501 0,93 *Thema (dynamisch) wurde nur über zwei Kodierer getestet, alle anderen Variablen über vier. Alpha = Krippendorffs alpha. N = maximale Zahl der Kodierungen durch einen Kodierer für die entsprechenden Kategorien. Basis Gesamt: Alle Beiträge in der Stichprobe (n=5499, ungewichtet). Basis Test: Alle Beiträge am 21.09.2006 (bzw. 20.09. für TV-Sender) (n=435). Kategorien (Anzahl Variablen)
67
Als Reliabilitätsmaß wurde Klaus Krippendorffs alpha errechnet (Krippendorff 1980), ein konservativer Index, der im Gegensatz zu anderen Maßzahlen wie z.B. Holstis Reliabilitätskoeffizient die Wahrscheinlichkeit einer nur zufallsbedingten Kodierer-Übereinstimmung mitberücksichtigt. Gerade bei selten kodierten Variablen fällt alpha daher deutlich niedriger aus. Ein weiterer Vorteil des Reliabilitätsmaß ist seine Versatilität, es kann die Übereinstimmung zwischen einer beliebigen Anzahl Kodierer, für Variablen unterschiedlichen Messniveaus unabhängig von Stichprobengröße und fehlenden Werten berechnet werden (Hayes/Krippendorff 2007: 77). Alpha kann Werte zwischen 0,00 und 1,00 annehmen, alpha=0,00 bedeutet, dass es entweder keine Übereinstimmungen zwischen Kodierer gibt bzw. nicht mehr als durch den Zufall zu erwarten wären. Ein alpha von 1,00 weist auf eine perfekte Übereinstimmung hin. Für die Interpretation der Werte empfiehlt Krippendorff, keine Variablen mit einem alpha unter 0,67 zu akzeptieren. Variablen mit alpha>0,80 wiederum sieht er als gut an (1980: 146). Für die Berechnung wurde ein SPSS-Makro verwendet, das von Andrew F. Hayes zur Verfügung gestellt wird (http://www.comm.ohiostate.edu/ahayes/SPSS%20programs/kalpha.htm, abgerufen am 10.08.2007).
Anhang
331
Tabelle 73: Reliabilität in der Fallstudie ‚Wahlerfolg NPD’ N N Alpha Test Gesamt (MW) Beitragsebene 23 173 0,88 Darstellungsform (7) 23 122 0,98 Ursachenschwerpunkt (7) 14 88 0,78 Absatzebene 135 1059 0,83 Ursachen Wahlerfolg NPD (28) 47 312 0,94 Folgen Wahlerfolg NPD (23) 22 176 0,88 Bewertung Wahlerfolg NPD (13) 24 209 0,89 Bewertungen NPD (15) 16 192 0,78 Bewertungen sonstige Politiker (9) 14 114 0,75 Bewertungen Wähler MVP (7) 12 56 0,85 Wir-Gemeinschaft (8) 18 142 0,84 Kulturgemeinschaft (4) 4 54 0,82 Territorialgemeinschaft (3) 2 8 1,00 Problemgemeinschaft (3) 2 9 0,50 Abgrenzungsgemeinschaft (11) 10 63 0,81 Stärke der Gemeinschaft (2) 11 122 0,83 Alpha = Krippendorffs alpha. N = Zahl der Kodiereinheiten (für Beitrags- und Absatzebene) sowie maximale Zahl der Kodierungen durch einen Kodierer für die entsprechenden Kategorien. Basis Gesamt: Alle Beiträge zum Thema ‚Landtagswahl 2006 in Mecklenburg-Vorpommern’ in den neun Medien (n=173). Basis Test: Zufallsstichprobe aus dem Gesamtsample (n=23). Kategorien (Anzahl Variablen)
Tabelle 74: Reliabilität in der Fallstudie ‚Muslime in Deutschland’ N N Alpha Test Gesamt (MW) Beitragsebene 23 173 0,88 Darstellungsform (7) 23 122 0,98 Ursachenschwerpunkt (7) 14 88 0,78 Absatzebene 135 1059 0,83 Ursachen Wahlerfolg NPD (28) 47 312 0,94 Folgen Wahlerfolg NPD (23) 22 176 0,88 Bewertung Wahlerfolg NPD (13) 24 209 0,89 Bewertungen NPD (15) 16 192 0,78 Bewertungen sonstige Politiker (9) 14 114 0,75 Bewertungen Wähler MVP (7) 12 56 0,85 Wir-Gemeinschaft (8) 18 142 0,84 Kulturgemeinschaft (4) 4 54 0,82 Territorialgemeinschaft (3) 2 8 1,00 Problemgemeinschaft (3) 2 9 0,50 Abgrenzungsgemeinschaft (11) 10 63 0,81 Stärke der Gemeinschaft (2) 11 122 0,83 Alpha = Krippendorffs alpha. N = Zahl der Kodiereinheiten (für Beitrags- und Absatzebene) sowie maximale Zahl der Kodierungen durch einen Kodierer für die entsprechenden Kategorien. Basis Gesamt: Alle Beiträge zu den Themen ‚Absetzung der Mozart-Oper’ und ‚Islamkonferenz’ in den neun Medien der Stichprobe (n=122). Basis Test: Zufallsstichprobe von 20 Beiträgen aus dem Gesamtsample. Kategorien (Anzahl Variablen)
332
Anhang
C: Im Rahmen der Fallstudien zitierte Zeitungsartikel Fallstudie 1: Wahlerfolg der NPD Westdeutsche Allgemeine Zeitung 18.09.06 B18a: „Süddeutsche Zeitung zu Wahlen/NPD“, o.A. B22: „Nach den Wahlen“, Ulrich Reitz B26: „Erkenntnisse von Siegern und Verlieren“, o.A. B27: „Das System überwinden“, o.A. B28: „Höfliche Gemeinheiten“, Angela Gareis B34: „Er mag einsame Entscheidungen“, o.A. 19.09.06 B31: „Den Rechten das Feld überlassen“, Ulrich Vetter B37: „Die Deutschen verlieren das Interesse an Politik“, Rolf Potthoff Leipziger Volkszeitung 18.09.06 B28: „SPD verliert dramatisch“, Frank Pfaff B30: „Schwarz und Rot – alles Sieger“, Ulrich Scharlack B32: „Große Koalition wäre beste Lösung“, o.A. 19.09.06 B11: „Ignoranz“, Dieter Wonka B19: „Kratzer am Image“, o.A. B21: „Effekt der politischen Großwetterlage“, Andreas Friedrich 20.09.06 B29: „Zur NPD kommentiert der Kölner Stadt-Anzeiger“, o.A. 22.09.06 B22: „NPD: Jetzt auch im Westen Fuß fassen“, Maja Zehrt B32: „Farbenblind“, Olaf Majer BILD Leipzig 20.09.06 B16: „Post von Wagner: Ihr Neo-Nazis“, Franz Josef Wagner 24.09.06 B18: „Die SPD steht links“, Michael Backhaus/Bernhard Kellner B20: „Vergesst Schwarz-Rot!“, Bernhard Kellner Süddeutsche Zeitung 18.09.06 B1: „Schwarz, Rot, Braun“, Heribert Prantl B3: „Braune Nischen im kargen Land“, Arne Boecker B4: „Farbspiel mit Varianten“, Arne Boecker B8: „Die Rechtsextremen vor dem Einzug in den Schweriner Landtag“, R. Wiegand B12: „Konkurrenz für König Kurt“, Nico Fried/Jens Schneider 19.09.06 B1: „Motto: Attacke; Ignorieren? Attackieren? Das Fernsehen und die Rechten“, o.A. B5: „NPD und Republikaner können in der Lokalpolitik mitmischen“, C. von Bullion B12b: The Guardian: „Die Ergebnisse bestätigen die Ängst…“, o.A. B13: „Die Rechtsextremisten in Mecklenburg-Vorpommern“, Annette Ramelsberger 21.09.06 B2: „Der Westen bekommt bald dieselben Probleme”, Annette Ramelsberger 22.09.06 B1: „‚Vor zwei, drei Jahren war sie quasi nicht präsent“, Stephan Handel B2: „Zwischen Leistungswillen und Zukunftsangst“, Steffen Heinzelmann 25.09.06 B6: „,NPD wurde stark, weil die Etablierten schwach auftraten”; Markus Birzer Frankfurter Allgemeine Zeitung 18.09.06 B13: „Kein ,Merkel-Bonus’“, Günter Bannas 19.09.06 B6: „Schweriner Lasten“, o.A. B8: „Mit ,Kameradschaften“ in den Landtag’“, Reiner Burger B10: „Beck überläßt Koalitionsfragen den Landesparteien“, o.A. 20.09.06 B6: „,Auf NPD-Provokation nicht reagieren’“, o.A. B22: „Gelassenheit“, o.A. 23.09.06 B22: „Gut getarnt in den Weiten Vorpommerns“, Frank Pergande 24.09.06 B15: „Ein neues NPD-Verbotsverfahren“, o.A. 26.09.06 B10: „Schweriner Modelle“, Frank Pergande
Anhang Fallstudie 2: Muslime in Deutschland Westdeutsche Allgemeine Zeitung 26.09.06 B6: „Hoffnung vor dem Gipfel“, H. Lanwert/M. Schürmann/P. Szymaniak B14: „Islam-Konferenz in Berlin“, o.A. 27.09.06 B5: „Berlin sagt Oper ab. Kapitulation?“, Angela Gareis 28.09.06 B13: „Der Islam und die Oper“, Gudrun Norbisrath B14: „Es knirschte auch“, Angela Gareis B19: „Das Main-Echo (Aschaffenburg) zum Islam-Gipfel“, o.A. B22: „,Gefährliche Entwicklung’“, Angelika Wölk 29.09.06 B33: „Es hat sich etwas bewegt“, Angelika Wölk B34: „Viel Lob für Schäuble“, o.A. Leipziger Volkszeitung 28.09.06 B11: „Hoffnung bleibt“, Olaf Majer B34: „Gemeinsam geht es in die Oper“, Maja Zehrt 29.09.06 B11: „Bundestag begrüßt Dialog“, o.A. BILD Leipzig 26.09.06 B26: „Erste Islam-Konferenz“, o.A. 27.09.06 B18: „Post von Wagner: Liebe Deutsche Oper in Berlin,“ Franz Josef Wagner B17: „Mozart-Oper aus Angst vor Islamisten abgesetzt“, o.A. 28.09.06 B3: „Warum kuschen wir vor dem Islam?“, o.A. B16: „Ohne Toleranz kein Dialog!“, o.A. B23: „Nehmen wir zuviel Rücksicht auf den Islam?“, o.A. B24: „Angst wäre der erste Sieg der Terroristen!“, Interview mit Edmund Stoiber B25: „Wird der Karnevals-Hit „Die Karawane“ bald verboten?“, o.A. 01.10.06 B12: „Das Problem des Islam mit der Gewalt“, Ronald Pofalla Süddeutsche Zeitung 26.09.06 B1: „,Wir wollen aufgeklärte Muslime in unserem aufgeklärten Land’“, Wolfgang Schäuble 27.09.06 B3: „Feigheit ist keine Kunst“, Heribert Prantl 27.09.06 B5: „Nichts wissen heißt nichts ausschließen“, Hans Leyendecker B7: „Der geköpfte Prophet“, Jörg Königsdorf 28.09.06 B1: „Politiker sehen Freiheit der Kunst in Gefahr“, o.A. B11: „Angst vor dem Islam“, Stefan Kornelius 29.09.06 B2: „Fraktionen begrüßen Islam-Konferenz“, o.A. 30.09.06 B2: „Außenansicht; Angst essen Freiheit auf“, Herfried Münkler Frankfurter Allgemeine Zeitung 25.09.06 B1: „Multikulti gegen Leitkulti“, Interview mit Omid Nouripour, Philipp Mißfelder 26.09.06 B4: „Mozarts ‚Idomeneo’ islamkritisch?“, o.A. 27.09.06 B3: „Klammheimlicher Kniefall“, A. Kilb/T. Lahme/K. Lannert/H. Wefing B5: „Beleidigtsein verboten!“, Christian Geyer B11: „Die Bresche“, Eleonore Büning B55: „Muslime in Deutschland“, Wolfgang Schäuble 28.09.06 B2: „Mit dem Islam erst am Anfang“, Wolfgang Günter Lerch B15: „Na, bravo! Die Neue Presse (Hannover) formuliert“, o.A. 29.09.06 B1: „Künast lobt Schäuble“, o.A. B20: „Mozart ist unantastbar“, o.A. B23: „Der leichteste Teil. In den Lübecker Nachrichten lesen wir dazu“, o.A. 01.10.06 B2: „Ja, es gibt einen deutschen Islam“, Daniel-Dylan Böhmer
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