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Frank Moorfield 1.
„O heilige Madonna!“ schrie der spanische Generalkapitän und deutete entsetzt auf das Vorschiff der „Vencedor“. Obwohl das Fauchen und Brüllen des Sturms seine Stimme übertönte, erregte seine heftige Gebärde die Aufmerksamkeit einiger Decksleute, die sich an den schlampig gespannten Manntauen über die Back hangelten. Trotzdem war das Unglück nicht mehr abzuwenden. Während starke Brecher das Schiff überfluteten, neigte sich der Fockmast plötzlich mit einem häßlichen Splittern und Krachen nach Backbord und kippte dann samt Rahen, Stengen und zerfetzten Wanten der schäumenden und kochenden See entgegen. Zwei Männer konnten sich gerade noch rechtzeitig in Sicherheit bringen. Ein dritter Decksmann hatte weder den Entsetzensschrei des Capitans gehört noch seine warnende Geste wahrgenommen. Er starrte mit schreckgeweiteten Augen nach oben und versuchte in letzter Verzweiflung, sich mittels der Manntaue aus der Gefahrenzone zu bringen, aber zu spät. Die Taue, die bereits gestern im Auftrag des Generalkapitäns gespannt worden waren, reichten bei weitem nicht aus. Ein letzter gellender Schrei, und der gebrochene Fockmast sowie Berge von Spieren und Tauwerk begruben den Mann unter sich und rissen ihn mit über Bord. Der untere Teil des Mastes hinterließ dabei eine Schneise der Verwüstung im Schanzkleid der Back. Der 24. Juni im Jahre des Herrn 1593 war ein Tag des Grauens. Bleigraue Wolken schoben sich wie gigantische Berge über den Atlantik. Die Elemente tobten, als wolle die Welt zusammenstürzen. Regen und Hagel peitschten vom Himmel, und eine Sturmbö 'nach der anderen fegte mit jäher Wildheit durch das Rigg der prunkvollen 450-Tonnen-Galeone. Von Nordwesten her baute sich eine bedrohlich hohe Dünung auf, ihre riesigen
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Gischtfahnen leckten gierig über die Decks. Die „Vencedor“ kletterte schwarze, wogende Berge hinauf und verschwand gleich darauf in tiefen Wellentälern. In der Tat schienen sich die Schlünde der Hölle geöffnet zu haben. Die Verbände des Schiffes ächzten und stöhnten wie eine gepeinigte Kreatur, und das Jaulen des Windes klang wie das Heulen. verdammter Seelen. Der Sturm, der schon am Vortag westlich der Azoren mit Urgewalt aufgebrochen war, schien alles, was sich auf dem Wasser bewegte, für immer verschlingen zu wollen. Die „Vencedor“ wurde von einer weiteren Woge erfaßt und krängte hart nach Backbord über. Ramon Firuso de Fernández, der sich auf dem Achterdeck seines Flaggschiffes aufhielt, geriet ins Taumeln, doch er hielt sich geistesgegenwärtig an den Strecktauen fest, die in ausreichender Zahl und in voller Breite über das Achterdeck gespannt worden waren. Der Wind trieb ihm den Regen ins Gesicht, seine Augen brannten, und aus seiner durchnäßten Uniform tropfte das Wasser. Der Generalkapitän schnitt ein grimmiges Gesicht und brüllte einige wilde Flüche in den Stürm hinaus. Daß er noch kurz zuvor, in einem Augenblick höchster Gefahr, die Madonna angerufen hatte, tat dabei nichts zur Sache. Schließlich hätte sie die zahlreichen Sturmschäden an der „Vencedor“ nicht verhindert und sogar zugelassen, daß der Fockmast über Bord ging. Wer Ramon Firuso de Fernández kannte, wußte nur zu gut, daß seine Mißstimmung in erster Linie auf den Sturm und seine Folgeschäden zurückzuführen war, und nicht etwa auf den Verlust jenes armen Teufels, den der umgeknickte Mast erschlagen und über Bord gerissen hatte. Auch der Decksmann, der schon einige Stunden vorher wegen der ungenügenden Zahl von Manntauen in den brodelnden Wassermassen verschwunden war, bereitete dem Generalkapitän kein Kopfzerbrechen, o nein. Der Verlust zweier Kerle des gemeinen Schiffsvolks
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war seiner Meinung nach allemal zu verkraften. Viel wichtiger waren ihm seine persönlichen Pläne und sein Schiff. Ursprünglich hatte der kleine, etwas dickliche Mann mit dem bartlosen Gesicht und den glatten, schwarzen Haaren mit drei Kriegsgaleonen sowie vier wendigen und schnellen Karavellen den Geleitschutz für einen spanischen Verband, bestehend aus fünf dickbauchigen Handelsgaleonen, übernommen. Bei den Kriegsschiffen handelte es sich um die „Confianza“, die „San Mateo“ und das Flaggschiff „Vencedor“. Die „Confianza“, die unter dem Kommando von Adriano de Mendoza y Castillo gesegelt war, hatte es allerdings während einer direkten Auseinandersetzung mit einer englischen Galeone namens „Isabella IX.“. erwischt. Sie war mit Mann und Maus in den Fluten des Atlantiks verschwunden. Und gerade über diesem Geschehen lastete noch immer der Hauch des Geheimnisvollen und Merkwürdigen. Wie es aussah, war auf der „Vencedor“ zur Zeit der Generalkapitän der einzige, der wirklich genau wußte, was während dieses harten Gefechts tatsächlich mit der „Confianza“ geschehen war. De Fernández gab seinem Ersten Offizier, Jorge Aurelio Gozálbez, einen Wink, dann zog er sich mühsam an den Strecktauen entlang, bis er das Schott, das ins Achterkastell führte, erreicht hatte. In der Kapitänskammer angelangt, klopfte er sich, so gut es ging, die Nässe aus der Kleidung, holte eine kleine, dickbauchige Flasche aus dem Schapp und nahm einen kräftigen Schluck Rum zu sich. Schließlich wurde das Schott abermals geöffnet, und Gozálbez zwängte sich mit wehenden Haaren in den Gang, der zur Kapitänskammer führte. Der Wind pfiff scharf durch die schmale Öffnung und peitschte einen Schwall Wasser hinterher. Der Erste verschloß den Eingang sofort wieder und schüttelte sich zunächst einmal wie ein nasser Hund. Dann stapfte er breitbeinig in die komfortabel eingerichtete Kammer des Generalkapitäns.
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Jorge Aurelio Gozálbez war ein mittelgroßer Mann mit breiten Schultern und dunklen Haaren. Wie viele Zeitgenossen trug er einen gepflegten Oberlippenbart. „Da sind Sie ja endlich!“ herrschte ihn der Generalkapitän an und hielt sich an dem in den Planken verschraubten Tisch fest, um nicht durch die heftigen Bewegungen des Schiffes wegzurutschen. Gozálbez, dem das Haar wirr und naß im Gesicht hing, vollführte eine bedauernde Geste. „Es ging leider nicht schneller, Capitan. Um ein Haar wäre auch noch ein dritter Mann über Bord gegangen.“ De Fernández' Gesicht 'drückte Unmut aus. „Ist das Ihre einzige Sorge, Senor Gozálbez?“ fragte er barsch. „Was, zum Beispiel, haben Sie über den Zustand unseres Schiffes zu sagen?“ Der Erste warf seinem Kapitän einen erstaunten Blick zu. Er kannte ihn zwar zur Genüge, ärgerte sich aber immer wieder über sein menschenverachtendes Gebaren. „Verzeihung, Capitan“, sagte er. „Was geschehen ist, können wir nicht mehr ändern. Die ,Vencedor` hat einige üble Schäden. Sobald der Sturm nachläßt, werden wir sie wieder in Ordnung bringen. Ich finde nur, daß. wir künftig mehr auf die Sicherheit der Mannschaft achten sollten. Die zwei Decksleute, die über Bord ...“ „Bleiben Sie beim Wesentlichen!“ unterbrach ihn der Generalkapitän unwirsch. „Es geht jetzt nicht um das selbstverschuldete Unglück zweier Kerle, die nicht genug aufgepaßt haben, sondern um die Zukunft meines Schiffes. Niemand kann absehen, wie lange dieser verdammte Sturm noch anhält und welche Überraschungen er uns noch beschert. Es wird deshalb Zeit, daß eine vernünftige Entscheidung getroffen wird.“ Gozálbez nickte verärgert. „Der Meinung bin ich auch, Capitan“, sagte er. „Ich frage mich zum Beispiel schon lange, warum wir nicht auf Biegen und Brechen versuchen, mit der ,San Mateo` und den anderen Schiffen Kontakt zu halten. Im Verband ist es doch viel
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einfacher, die Sturmschäden zu beseitigen.“ „So? Meinen Sie?“ fragte de Fernández schnippisch. „Wer garantiert Ihnen denn, daß die ,Vencedor`, die ohnehin schon ziemlich angeschlagen ist, dieses Unwetter heil übersteht?“ „Niemand natürlich ...“ „Na also!“ fuhr der Generalkapitän fort. „Ich bin ein Mann der Realitäten und lege deshalb keinen Wert darauf, das Glück herauszufordern. Mein Bestreben ist, stets sinnvoll und vernünftig zu handeln und zu entscheiden.“ Er nahm einen weiteren Schluck aus der Rumflasche, ohne jedoch seinem Ersten davon anzubieten. Gozálbez kniff die Augen zusammen. „Und wie sieht eine solche vernünftige Entscheidung.. Ihrer Meinung nach aus, Capitan?“ fragte er kühn. „Ganz einfach-, erwiderte der Generalkapitän. „Meiner Meinung nach ist es richtig und sinnvoll, wenn wir nach Flores zurückkehren. Genau das werden nämlich auch die anderen Kapitäne unseres Verbandes tun, davon bin ich überzeugt.“ Jorge Aurelio Gozálbez hieb erbost mit der flachen Hand auf den Tisch. „Aber das ist ein enormer Zeitverlust, Capitan!“ Die Augen des kleinen, rundlichen Generalkapitäns funkelten böse. „Zügeln Sie Ihr Temperament, Senor Gozálbez! Sie sprechen hier mit einem Generalkapitän der spanischen Kriegsflotte, falls Sie das noch nicht begriffen haben sollten. Und was den Zeitverlust betrifft, so ist es vernünftig. diesen in Kauf zu nehmen, zumal die Reise über den Atlantik gerade erst begonnen hat und die Sturmschäden mit unseren Bordmitteln ohnehin nur unzureichend zu beheben sind.“ Der Erste beherrschte sich nur mühsam. „Ich will Sie nicht beleidigen, Capitan“, stieß er mit zornrotem Gesicht hervor, „aber ich bin in diesem Punkt nicht Ihrer Meinung. Wir können in diesem Sturm nicht einfach den Verband, für den wir verantwortlich sind, im Stich lassen, nach Flores zurückkehren und einfach darauf
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hoffen. daß die anderen Kapitäne ebenso handeln.“ „Wollen Sie sich meinen Anweisungen und Entscheidungen widersetzen?” „Natürlich nicht, Capitan. Trotzdem werde ich das Gefühl nicht los, daß es für die Rückkehr der ,Vencedor' nach Flores noch einen ganz anderen Grund gibt.“ De Fernández warf ihm einen tückischen Blick zu. „Interessant!“ sagte er dann. „Dürfte ich diesen Grund vielleicht auch erfahren?“ Er fügte seiner Frage ein höhnisches Lächeln hinzu. „Ich bin davon überzeugt, daß Sie diesen Grund kennen“, antwortete Gozálbez. „Nur sollten Sie wissen, daß auch ein Offizier Augen im Kopf hat. Mir jedenfalls ist nicht entgangen, daß beim Untergang der ,Confianza` einiges nicht mit rechten Dingen zugegangen ist.“ „Was, zum Teufel, wollen Sie damit sagen?“ De Fernández brauste auf. „Los, reden Sie schon! Was ist Ihrer Meinung nach nicht mit rechten Dingen zugegangen?“ „Darüber möchte ich mich jetzt nicht auslassen, Capitan. Aber unser Stückmeister, Senor Rabel, weiß darüber wohl besser Bescheid als ich.“ Gozálbez erinnerte sich sehr genau an das Gefecht mit dem englischen Verband. Er hatte nicht den Eindruck gehabt, daß die Engländer unbedingt auf einen Schlagabtausch ausgewesen waren. Vielmehr war es de Fernández gewesen, der die Konfrontation mit den englischen Schiffen gesucht hatte. „Angriff ist die beste Verteidigung!“ Das war seine Devise gewesen. Schon deshalb war er mit de Fernández zusammengeraten und hatte natürlich gegen den allmächtigen Generalkapitän den kürzeren gezogen. Wenn die Meinungen auseinandergingen, pflegte de Fernández ganz einfach „kraft seiner Autorität“ zu entscheiden. Außerdem hatte Gozálbez nicht vergessen, daß kurz vor dem Angriff auf die Engländer Jaime Rabel in die Kapitänskammer gerufen worden war, was
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den sonstigen Gepflogenheiten an Bord widersprach. Nie zuvor hatte der Generalkapitän vor einem Gefecht Heimlichkeiten mit seinem Stückmeister gehabt. Noch merkwürdiger waren allerdings die Vorgänge, die während des Kampfes zum Untergang der „Confianza“ geführt hatten. Den Fangschuß, soviel stand für ihn fest, hatte sie jedenfalls nicht aus den Geschützen des englischen Schiffes gekriegt. Irgendetwas stimmte da nicht, und er war nun einmal nicht der Typ, der sich gern für dumm verkaufen ließ, auch wenn er im allgemeinen ein recht phantasieloser Mann war, der nichts anderes als seine Pflicht tat. In dieser Sache jedoch brauchte man keine besondere Phantasie, denn sie stank von sich aus zum Himmel. Tausend Gedanken wirbelten Gozálbez durch den Kopf, während ihm der Generalkapitän wie ein sprungbereiter Löwe gegenüberstand. „Ich verbiete Ihnen, so mit mir zu reden!“ brüllte de Fernández außer sich vor Wut. „Was fällt Ihnen ein? Hören Sie neuerdings die Flöhe husten? Was Sie hier vorbringen, sind unverschämte Unterstellungen und Verdächtigungen, die sich letzten Endes auf meine Person beziehen! Obwohl Sie nicht in der Lage sind, klar zu sagen, um was es sich eigentlich handelt, behaupten Sie, irgendwelche geheimnisvollen Vorgänge bemerkt zu haben! Außerdem unterstellen Sie mir, aus eben diesen mysteriösen Gründen den Verband verlassen und nach Flores zurückkehren zu wollen. Dabei wissen Sie so gut wie ich, daß der derzeitige Zustand der ,Vencedor` den Ausschlag für meine Entscheidung gegeben hat.“ „Aber Capitan ...“ ,.Halten Sie den Mund, Gozálbez!“ Die Stimme des Generalkapitäns überschlug sich. Sein rundes Gesicht war krebsrot vor Wut. „Wie können Sie wagen, mich mitten im dicksten Sturm mit leerem Geschwätz aufzuhalten? Wissen Sie, wie ich so etwas nenne? Es gibt nur ein passendes Wort
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dafür: Meuterei! Wenn Sie sich noch ein einziges Mal erdreisten, sich mit Verleumdungen und Unterstellungen gegen meine Entscheidungen aufzulehnen, dann lasse ich Sie in Ketten legen, jawohl!“ Der Erste sah plötzlich rot. Er vertrug in der Regel eine ganze Menge, aber er konnte auf den Tod nicht ausstehen, wenn man ihn wie einen kleinen Rotzjungen zusammenputzte. Außerdem war er nach wie vor von der Stichhaltigkeit seiner Vermutungen überzeugt. Nur hatte er eben mit seinen offenen und vielleicht auch etwas voreiligen Worten in ein Hornissennest gestochen. „Ich muß Ihre Worte zurückweisen, Capitan!“ brüllte er los und ballte drohend die Hände. „Sie wissen ganz genau, daß ich kein Meuterer bin ...“ Doch weiter gelangte er nicht, denn die Auseinandersetzung, die nahe daran war, auszuufern, wurde plötzlich durch einen gellenden Ruf unterbrochen. Der Zweite Offizier trat triefendnaß und keuchend durch das Schott. „Capitan!“ rief er. „Zwei Luken waren nicht richtig verschalkt. Einige Männer müssen an die Pumpen!“ „Verflucht!“ stieß Ramon Firuso de Fernández hervor. „Hat sich denn heute alles gegen mich verschworen?“ Ohne Gozálbez noch eines Blickes zu würdigen, schob er sich an ihm vorbei und folgte dem Zweiten Offizier nach draußen, in die tobende, jaulende und brodelnde Hölle. 2. Die junge Frau, die sich auf dem Achterdeck des ranken Viermasters mit der einen Hand an den Strecktauen festhielt und mit der anderen ein Spektiv an die Augen führte, zog Männerblicke für gewöhnlich magisch an. Doch jetzt, in diesem heulenden und brüllenden Inferno, hatte niemand die Zeit, ihre langen, schwarzen Haare, ihre mandelförmigen, leicht schräggestellten Augen und ihre samtene Pfirsichhaut zu bewundern. Selbst für die Rundungen ihrer makellosen Figur,
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die sich unter einer roten Bluse und blauleinenen Schifferhosen verbarg, hatte heute niemand einen Blick. Siri-Tong, die man auch die Rote Korsarin nannte, hatte bereits seit gestern alle Hände voll zu tun, um ihr Schiff im wahrsten Sinne des Wortes über Wasser zu halten. Der Sturm, der über dem Atlantik westlich der Azoren tobte, verlangte nicht nur der schlanken Eurasierin, sondern auch ihrer gesamten Crew einiges an seemännischem Können ab. Dennoch hatte sich nicht vermeiden lassen, daß auch der „Rote Drache“ einige kleinere Sturmschäden abkriegte. Die etwas mehr als 400 Tonnen große Galeone, die früher einmal „Albion“ hieß, hatte die Rote Korsarin einst auf Bora-bora dem größenwahnsinnigen El Supremo abgejagt. Wie sich in England herausgestellt hatte, war der moderne Segler ebenfalls von Hesekiel Ramsgate erbaut worden. Das Schiff fiel nicht nur durch seine leuchtend roten Segel auf, sondern auch durch seine zahlreichen Geschützpforten und sein geräumiges Hauptdeck. Letzteres wurde nicht mehr durch das sogenannte Quarterdeck verkürzt, sondern zog sich vom Vorderkastell glatt bis zum Achterkastell durch und bot insgesamt vierundzwanzig schweren Kanonen Platz. Der „Rote Drache“ war bereits Anfang Juni zusammen mit der „Isabella IX.“, dem Schwarzen Segler, der „Wappen von Kolberg“ sowie der „Le Vengeur III.“ und der „Tortuga“ in Plymouth aufgebrochen, und zwar mit Kurs auf die Karibik. Westlich der Azoren, unweit der Insel Flores, war man dann auf den Verband der Spanier gestoßen. Die „Isabella“, die unter dem Kommando des Seewolfs stand, segelte nach einem Gefecht mit den Dons und nach Rücksprache mit den übrigen Kapitänen des Seewölfe-Verbandes nach Flores, um die Überlebenden der „Confianza“ dort abzusetzen. Siri-Tong bemühte sich seitdem zäh und verbissen, nicht nur den Kontakt zum eigenen Verband aufrechtzuerhalten,
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sondern auch des spanischen Flaggschiffs „Vencedor“ habhaft zu werden. Sie hatte sehr wohl mitgekriegt, welch übles und intrigantes Spiel der Kapitän dieses Schiffes mit der versenkten „Confianza“ getrieben hatte. Und diese Sache, die zum Himmel stank, mußte ihrer Meinung nach geklärt werden. Die „Vencedor“, das Flaggschiff der Spanier, hatte scheinbar helfend in die direkte Auseinandersetzung zwischen der „Confianza“ und der „Isabella“ eingegriffen. Aber nur scheinbar. Nur wenige hatten im allgemeinen Kampfgetümmel gesehen, wie die „Vencedor“ ihre günstige Position ausnutzte und der „Confianza“, einem Schiff ihres eigenen Verbandes, den sogenannten Fangschuß verpaßte. Den wachen Augen Al Conroys, des Stückmeisters der „Isabella“, war das jedoch nicht entgangen. Er hatte ohne Zweifel bemerkt, daß seine eigene Breitseite die „Confianza“ gar nicht erreicht hatte. Die „Vencedor“ aber hatte der Galeone einige Treffer ins Heck gedonnert und sich dann so rasch wie möglich verholt. Die „Confianza“ sank. Nach außen hin sollte das Ganze wohl so aussehen, als sei das Schiff im Gefecht von den Engländern versenkt worden. Somit war ganz offensichtlich, daß man auf seiten der spanischen Verbandsführung eine Riesenschweinerei ausgeheckt hatte. Aber die Seewölfe und alle, die zu ihrem Verband gehörten, waren fest entschlossen, diese verbrecherischen Machenschaften aufzudecken. So sehr Siri-Tong jedoch den Kieker bemühte, die „Vencedor“ war nicht mehr zu entdecken. Die tobenden Naturgewalten hatten den spanischen Verband längst auseinandergesprengt und in die verschiedensten Himmelsrichtungen gepeitscht. Allein die „San Mateo“ geriet von Zeit zu Zeit an der grauverhangenen Kimm in ihr Blickfeld, und die Rote Korsarin bemühte sich mit eiserner Energie, diese Kriegsgaleone nicht aus den Augen zu verlieren.
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Barba, ihr Steuermann, hatte gerade die Festigkeit der Taue überprüft, die die Boote auf dem Hauptdeck festhielten. Jetzt enterte er mit grimmigem Gesicht und triefend-nasser Kleidung den Niedergang zum Achterdeck hoch, immer darauf achtend, daß seine Hände irgendwo festen Halt fanden. „Hoffentlich läßt dieser verdammte Sturm bald etwas nach!“ brüllte er mit Donnerstimme, damit Siri-Tong ihn überhaupt verstehen konnte. „Rasmus scheint diesmal den Hals nicht voll genug zu kriegen.“ Die Rote Korsarin nahm das Spektiv vom rechten Auge und wischte sich eine lange, schwarze Haarsträhne aus dem Gesicht, die Wind und Regen dort festgeklebt hatten. „Ob es Rasmus paßt oder nicht!“ rief sie zurück. „Wir werden dranbleiben! Zumindest die ,San Mateo` darf uns nicht entgehen.“ Ihre Augen funkelten wie die einer Wildkatze. Barba grinste. Er kannte die Ausdauer SiriTongs nur zu gut. Wenn sie sich erst einmal in etwas verrannt hatte, dann würde sie selbst den Teufel am Schwanz packen, um ihr Ziel zu erreichen. Ja, und wie er sich selber kannte, würde er ihr, ohne mit einer Wimper zu zucken, dabei helfen. „Und wie sieht der Kontakt zu unserem eigenen Verband aus?“ fragte er. „Schlecht“, erwiderte Siri-Tong, „sofern man überhaupt noch von Kontakt reden kann. Es wird sich wohl nicht umgehen lassen, daß wir uns eine Zeitlang aus den Augen verlieren.“ Tatsächlich hatte es sich als schier unmöglich erwiesen, die befreundeten Schiffe im Auge zu behalten, denn deren Kapitäne, Thorfin Njal, Arne von Manteuffel, Oliver O'Brien sowie Jean Ribault und Jerry Reeves, hatten bei diesem Höllentanz der Elemente selber alle Hände voll zu tun. Ob es ihnen paßte oder nicht, ihr Verband hatte sich in den letzten Stunden mehr und mehr aufgelöst. Der Sturm tobte unvermindert weiter. War der „Rote Drache“ anfangs noch unter Fock und Besan gelaufen, so konnten längst nur noch die nötigsten Sturmsegel
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gesetzt werden, und selbst das stellte schon ein unwägbares Risiko dar. Das Schiff wurde von der Urgewalt der Elemente hin und her gebeutelt, krängte in der einen Minute hart nach Steuerbord, in der anderen nach Backbord über und begab sich dann wieder auf eine schwindelerregende Berg- und Talfahrt. Überkommende Seen gurgelten über das Backbordschanzkleid, / klatschten auf die Kuhl und liefen schäumend und brodelnd durch die Speigatten ab. Siri-Tongs Mandelaugen wanderten prüfend über das Hauptdeck. „Eigentlich können wir froh sein, daß wir bisher außer einigen kleineren Schäden nichts abgekriegt haben!“ rief sie zu Barba hinüber. Der hünenhafte Mann nickte und wischte sich mit dem Handrücken über das nasse Gesicht. „Wir werden unser Schiffchen schon wieder zusammenflicken“, sagte er grinsend. Da ließ ihn die gellende Stimme SiriTongs heftig zusammenzucken. „Wahrschau! Die Rah!“ tönte ihre Stimme hell wie eine Glocke über das Schiff. Barba, der dem Aussehen nach einem Schläger übelster Sorte glich, aber ein grundehrlicher und anständiger Kerl war, setzte sich sofort in Bewegung. Aber da geschah es such schon. Die Großmarsrah hatte sich losgerissen und sauste mitsamt dem aufgetuchten Segel krachend nach unten. Leinen brachen und schwangen wie Henkerstaue durch die Luft. Drei Mann der Besatzung, die um die Wette fluchten, konnten sich gerade noch rechtzeitig in Sicherheit bringen. Barba arbeitete sich, so schnell es ging, auf das Hauptdeck hinunter. „Schafft das Zeug über Bord“, brüllte er. „Und kappt die Taue, bevor noch Schlimmeres passiert!“ Die Männer hielten sich an den Manntauen fest und gingen mit ihren Enterbeilen an die Arbeit, bis schließlich das wirre Tauwerk und die zerbrochene Großmarsrah leewärts über Bord geschafft
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war. Trotz ihrer Flüche waren sie froh darüber, daß nicht mehr passiert war, denn die Rah wäre ohne weiteres in der Lage gewesen, den einen oder anderen von ihnen schlicht und einfach totzuschlagen. Auch Siri-Tong fiel ein tonnenschwerer Stein vom Herzen. Sie hatte das Unglück in letzter Sekunde kommen sehen, aber es war weder ihr noch Barba möglich gewesen, es zu verhindern. Zum Glück war niemandem etwas geschehen, und die Rah würde man später ersetzen. Bevor sich die Rote Korsarin, die einst in Schanghai als Tochter einer Chinesin und eines Portugiesen das Licht der Welt erblickt hatte, in Richtung der Achterdeckskammern in Bewegung setzte, um nach Araua, der Tochter der Schlangenpriesterin zu sehen, warf sie einen letzten prüfenden Blick durch den Kieker. Mit grimmiger Genugtuung registrierte sie erneut die Mastspitzen der ebenfalls vom Sturm angeschlagenen „San Mateo“, die immer wieder zwischen den haushohen Wellenbergen auftauchten. 3. Auf Flores, einer der westlichsten . Azoreninseln, war von dem Sturm, der sich weit draußen auf dem Atlantik abspielte, nichts zu spüren. Zwar zogen am Himmel vereinzelte graue Wolken entlang, aber der Sonne gelang es dennoch, die trüben Dunstschichten aufzureißen und zumindest zeitweise die wogenden Felder mit blauen und blaßrosa Hortensien in all ihrer Farbenpracht aufleuchten zu lassen. Das idyllische Bild, das die Insel auf den ersten Blick bot, veränderte sich jedoch schlagartig, wenn man sich auf die Ereignisse im Hafen des Stützpunktes konzentrierte. In der Nähe der Hafeneinfahrt lag noch immer die „Isabella“, das Schiff der Seewölfe, das von seiner Crew in eine feuerspeiende schwimmende Festung verwandelt worden war. Das Brüllen und Donnern der Geschütze überlagerte die gesamte Insel, der beißende
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Pulverdampf wurde vom Wind über die Hügel der Vulkanlandschaft getrieben. Die Arwenacks feuerten voller Grimm und Entschlossenheit auf alles, was sich bewegte. Und dazu hatten sie auch allen Grund. Nachdem die „Isabella“ die wenigen Überlebenden der „Confianza“ aus dem Wasser gefischt hatte, darunter auch deren Kapitän, Adriano de Mendoza y Castillo sowie den Ersten und Zweiten Offizier, Alfredo Vergara und Juan Luis Benitez, waren die Seewölfe nach Flores gesegelt, um die Spanier dort an Land zu setzen und gleichzeitig den mysteriösen Vorgängen, die mit dem Untergang der „Confianza“ verbunden waren, auf den Grund zu gehen. Auf Flores nämlich war der Verband unter dem Kommando der „Vencedor“ zusammengestellt worden, deshalb vermutete man, daß Ramon Firuso de Fernández dort seine geheime Order und vielleicht sogar das Blutgeld für sein verbrecherisches Vorgehen erhalten hatte. Nur war seine Rechnung nicht aufgegangen, weil es entgegen seinem Auftrag doch Überlebende der „Confianza“ gegeben hatte. Nach dem Landeunternehmen in einer kleinen Bucht von Flores war der Seewolf mit einigen seiner Männer sowie mit Adriano de Mendoza y Castillo, Vergara und Benitez vom Kommandanten des Inselstützpunktes gefangen gesetzt worden. Von da an hatten sich die Ereignisse überstürzt. In der vergangenen Nacht hatte eine Gruppe von Seewölfen ihren Kapitän und ihre Kameraden befreit. Sie befanden sich zum größten Teil noch jetzt in den Gemächern des Inselkommandanten, Capitan Manuel Orosco Torres, den sie als Geisel benutzten. Die „Isabella“ hatte inzwischen vor der Hafeneinfahrt das Feuer eröffnet. Als erstes war ihr ein Zweimaster zum Opfer gefallen, nur hatte keiner der Arwenacks eine Ahnung davon, daß dieses Schiff die Nachricht von der Gefangennahme des Seewolfs hatte weiterleiten sollen.
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Die „Isabella“, ebenfalls ein Meisterwerk des englischen Schiffsbauers Hesekiel Ramsgate, rauschte stolz wie ein Schwan durch das Wasser. Selbst ohne die ausgerannten Kanonen bot sie ein imposantes Bild, doch jetzt, da sie Tod und Verderben auf die spanischen Stellungen hinüberspie, glich sie einem wildgewordenen Stier, der seine Hörner zum Angriff senkt. „Jawohl! brüllte Old Donegal Daniel O'Flynn nach einem weiteren Treffer. „Zeigen wir diesen schwanzlosen Sumpfratten, daß man uns nicht ungestraft in den Hintern zwicken kann.“ Der rauhbeinige Alte mit dem Holzbein hatte sich an einer Drehbasse des Achterkastells postiert und jagte dem Feind mittels des schwenkbaren Hinterladers Angst und Schrecken ein. Ben Brighton, der Erste Offizier der „Isabella“ und Stellvertreter des Seewolfs, war an der zweiten Heckdrehbasse. Er warf dem schlagkräftigen Alten einen amüsierten Blick zu. Ja. so war er, der alte O'Flynn. Trotz Holzbein und Krücke war er unverwüstlich. Seine Mucken und Launen und manchmal auch seinen sachkundigen Blick hinter die Kimm, seine guten Beziehungen zu Wassermännern, Meerjungfrauen und sonstigen geheimnisvollen Meereswesen mußte man in Kauf nehmen. Aber wenn es hart auf hart ging, war mit Old Donegal voll zu rechnen. Wer in ihm einen Großvatertyp sah, täuschte sich gewaltig. Davon konnten besonders Philip und Hasard junior, die zwölfjährigen Zwillingssöhne des Seewolfs, ein Liedchen singen. Manchmal, wenn sie Old O'Flynn in Rage bringen wollten, redeten sie ihn mit Opa an, jedoch nicht, ohne sich einen sicheren Fluchtweg offen zu lassen. Der Alte mit dem verwitterten Gesicht, der schon zahlreiche Stürme abgewettert und dem Teufel schon mehr als ein Ohr abgesegelt hatte, konnte das Wort Opa nicht ausstehen, obwohl er mütterlicherseits tatsächlich der Großvater der beiden Schlitzohren war.
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Al Conroy, der Stückmeister, deutete auf die Felsenzungen, die beiderseits der Hafeneinfahrt lagen. „Die Dons haben die Stellungen bemannt“, rief er in Richtung Achterdeck. „Wir müssen ab sofort von beiden Seiten mit Beschuß rechnen.“ Ben Brighton quittierte die Meldung mit einem Lächeln. „Wir werden uns für ihre Eisenkugeln erkenntlich zeigen!“ In der Tat war die „Isabella“ voll darauf eingerichtet, etwaige Angreifer aus ihren Verschanzungen zu schießen. Die 550 Tonnen große Galeone hatte außer je zwei Drehbassen vorn und achtern immerhin dreizehn schwere Stücke auf jeder Seite. Teils handelte es sich um 17Pfünder, teils um 25-Pfünder. Bei Bedarf war auch die Abschußvorrichtung für die berüchtigten Flaschenbomben einsatzbereit. Ebenso die gewaltigen Langbogen, mit denen Big Old Shane und Batuti ihre Brand- und Pulverpfeile abzuschießen pflegten. Nur würde in dieser Hinsicht Big Old Shane allein die Stellung halten müssen, weil sich Batuti noch mit dem Seewolf und einigen anderen in den Gemächern des Capitan Torres befand. Wer immer sich bisher mit den Seewölfen angelegt hatte, mußte erfahren, daß es sich um eine äußerst schlagkräftige Crew handelte, die zudem noch wie Pech und Schwefel zusammenhielt. Alle Männer an Bord der „Isabella“ waren auf Stationen - jederzeit bereit, die schweren Geschütze zu bedienen und die erforderlichen Segelmanöver durchzuführen. Während Ben Brighton ein Spektiv ans Auge setzte, um die Vorgänge drüben auf den Felsenzungen zu beobachten, flitzten die Zwillinge von einer Kanone zur anderen, um die Kupferbecken mit den glühenden Holzkohlen zu überprüfen. Bei einem Feuerbefehl mußten die Lunten sofort in Brand gesetzt werden können. Danach mußte noch eine Reihe von Musketen und Tromblons für den Fall eines Falles schußbereit gemacht werden.
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Plötzlich ertönte ein heftiges Krachen und Zischen. Die Spanier, die ihre Batterien in den Felsen bemannt hatten, nahmen den Kampf gegen die „Isabella“ auf. Zwei Kanonenkugeln rasten brüllend auf die Galeone zu, aber sie lagen zu kurz und klatschten ins Wasser der Hafenbucht. Die Wassersäulen, die sie hochrissen, fielen rasch wieder in sich zusammen. Während hinter den Verschanzungen der Spanier fette Qualmwolken aufstiegen, setzte Musketenfeuer ein. „Die haben doch nicht mehr alle!“ rief Al Conroy. „Merken die denn nicht, daß wir uns noch ein ganzes Stück außerhalb jeder Reichweite befinden? Oder wollen sie uns etwa bange machen mit ihrer Knallerei?“ Ben Brighton lächelte. „Vielleicht wollen sie uns tatsächlich verscheuchen, wer weiß.“ Old Donegal hatte die Ohren gespitzt. „Was sagst du da? Uns verscheuchen? Ha, da kriege ich das große Lachen. Na los, geht schon mal ein bißchen dichter ran, dann zeige ich euch mal, wie wir solche Bagatellen früher auf der alten ,Empress of Sea` erledigt haben.“ „Das kann ich mir schon denken, Donegal!“ rief Ben Brighton. „Bei euch haben sich die Windbräute die Kanonenkugeln unter die Arme geklemmt, sind damit über die feindlichen Stellungen geflogen und haben sie den Kerlen auf die Köpfe fallen lassen. War es nicht so?“ „Pah, Windbräute! Wir haben die Kugeln schon noch selber durch die Rohre gepustet. Aber davon habt ihr jungen Spunde natürlich überhaupt keine ...“ Die weiteren Worte Old Donegals gingen im Krachen eines Kanonenschusses unter, der ungefähr eine Kabellänge von der „Isabella“ entfernt das Wasser aufspritzen ließ. Gleich darauf deutete Ben auf zwei kleinere Galeonen von je 250 Tonnen Größe, die im Hafen vor Anker lagen. „Dort drüben tut sich auch was!“ rief er. „Wenn mich nicht alles täuscht, werden die beiden Kähne gerade bemannt. Leute, ich verschlucke einen Holystone, wenn wir
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nicht bald eine ganze Menge zu tun kriegen!“ * Ben Brighton sollte sich nicht getäuscht haben. Und den Holystone, jenen weißen Sandstein, mit dem die Decks geschrubbt wurden, brauchte er auch nicht zu verschlucken, denn die Spanier feuerten jetzt aus ihren Felsennestern, was das Zeug hielt. „Pete!“ brüllte Ben Brighton zu dem kleinen, stämmigen Rudergänger hinüber. „Wir fallen hart nach Steuerbord ab!“ „Aye, Sir!“ „Wir werden die Nester ausheben, solange uns die beiden Galeonen noch nicht gefährlich werden“, fuhr Hasards Stellvertreter fort. „Unsere Beweglichkeit wird dabei ein großer Vorteil sein.“ Pete Ballie ließ das fortschrittliche Steuerrad durch die mächtigen Pranken gleiten. Gleichzeitig wurden die Segel nachgetrimmt. Wenig später lief die „Isabella“ mit guter Fahrt auf die Hafenbucht zu. „Was hast du vor, Ben?“ fragte Al Conroy. „Nichts Besonderes“, erwiderte Ben Brighton. „Wir werden einfach ein bißchen hin und her segeln und den Dons jeweils im Vorbeilaufen einige Grüße hinüberschicken. Auf der Steuerbordseite fangen wir an.“ „Sehr gut“, meinte Al Conroy und grinste dabei über das ganze Gesicht. „Die sollen ihr blaues Wunder erleben!“ Je näher die „Isabella“ den Felsenbatterien gelangte, desto wütender feuerten die Spanier auf die heransegelnde Galeone. Aber selbst als sie sich schon in der Reichweite ihrer Geschütze befand, war die Chance der Dons, einige Treffer anzubringen, sehr gering, weil die „Isabella“ im Gegensatz zu ihren Kanonen sehr beweglich war. „Der Tanz kann beginnen!“ entschied Ben Brighton. „Donegal, Kutscher, Bill - alle Drehbassen Feuer frei!“ Die Männer an den schwenkbaren Geschützen ließen sich das nicht zweimal
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sagen. Im Handumdrehen brannten die Lunten und kurz danach stießen die Drehbassen ihre verheerende Ladung zu den Felsennestern hinüber. Die Spanier antworteten mit wütendem Gebrüll sowie mit Musketen- und Geschützfeuer. Eine Kanonenkugel klatschte nur zwanzig Yards vor dem Bug der „Isabella“ ins Wasser, die Gischt schäumte über die Galion. Doch Ben Brighton behielt die Ruhe und ließ sich durch nichts zu voreiligen Reaktionen hinreißen. Sobald die „Isabella“ jedoch auf gleicher Höhe mit den spanischen Stellungen war, gab er den Einsatzbefehl für die Stücke der Steuerbordseite. „Vordeck und Kuhl - Feuer!“ Gleich darauf brach die Hölle auf. Mit ohrenbetäubendem Donner gingen drei siebzehn Pfund schwere Eisenkugeln der Vordecks-Geschütze und vier Fünfundzwanzigpfünder der Kuhl auf die Reise. „Und jetzt das Quarterdeck?“ brüllte Ben. Die Arwenacks senkten die brennenden Lunten auf die Zündkanäle, dann wummerten auch die drei Fünfundzwanzigpfünder auf dem Quarterdeck und die drei Siebzehnpfünder unterhalb des Decks los. Grell stachen die Mündungsfeuer aus dem Leib des Schiffes und ließen es hart überkrängen. Bei den Spaniern war im Handumdrehen der Teufel los. Entsetzensund Todesschreie drangen zu den Seewölfen herüber. Felsbrocken wurden durch Volltreffer zerschmettert, Steinsplitter schwirrten als gefährliche Geschosse durch die Gegend. Einige größere Steinstücke stürzten die Steilwände hinunter.. Danach herrschte für kurze Zeit Totenstille. Kein Schuß dröhnte mehr, die Dons schienen sich vorerst nicht mehr aus ihren Deckungen zu wagen. „Ich wette, die hocken jetzt im Gebüsch und machen sich die Hosen voll!“ schrie Old Donegal und hieb sich lachend auf den Oberschenkel seines gesunden Beines. „Hör bloß auf zu wetten”, sagte Big Old Shane, der gerade vom Quarterdeck zum
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Achterdeck aufenterte. „Denk lieber an die prächtige Glatze, die sich unser Profos bei seiner letzten Wette eingehandelt hat. Du würdest mit einem spiegelblanken Schädel auch nicht gerade begehrenswerter aussehen.“ Der alte O'Flynn wollte gerade zu einer geharnischten Erwiderung ansetzen, da unterbrach ihn Ben Brighton mit lauter Stimme. „Die Burschen auf der anderen Seite sollen auch nicht leer ausgehen!“ rief er. „Alle Mann auf der Backbordseite klar bei Lunten! Holt sie mit einer vollen Breitseite aus den Felsen! Feuer!“ Während man auf der Steuerbordseite die Geschützrohre reinigte, um die Stücke so rasch wie möglich nachladen zu können, spuckten die dreizehn Backbordgeschütze Tod und Verwüstung zu der Batterie links der Hafeneinfahrt hinüber. Die ungeheure Wucht, mit der die schweren Geschosse aus den Rohren gestoßen wurden, ließ das Schiff bis in seine letzten Verbände erzittern. Auch jetzt flogen Felstrümmer durch die Luft. Schreie und Flüche ertönten, und die Arwenacks konnten mit ansehen, wie eine Kanone samt Lafette die Felswand hinunterstürzte und einen spanischen Soldaten mit sich riß. Die „Isabella“ stieß ein Stück in die Hafenbucht vor, zwei Kanonenkugeln, die die Spanier in ohnmächtiger Wut abfeuerten, rissen eine halbe Kabellänge hinter dem Heck Fontänen hoch. „Wie steht's, Mister Brighton?“ fragte Old O'Flynn. „Sollen wir mit den Drehbassen noch ein bißchen nachpolieren?“ „Später!“ erwiderte Ben. „Wir gehen zunächst über Stag und segeln wieder auf See hinaus. Dabei werden wir den Dons noch mal kräftig auf die Finger klopfen.“ So geschah es auch. Die „Isabella“ ging, sobald sie außer Reichweite der gegnerischen Geschütze war, auf Gegenkurs und lief erneut auf die Buchteinfahrt zu. Der Kampf entbrannte aufs Neue, die Spanier beschossen die heransegelnde Galeone von beiden Seiten. Zäh und
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verbissen feuerten sie Schuß um Schuß ab, fest entschlossen, das englische Schiff diesmal auf Tiefe zu schicken. Doch die Wendigkeit der „Isabella“ durchkreuzte ihre Pläne. Zwar riß ein Streifschuß ein armdickes Holzstück aus dem Schanzkleid der Back, und eine Kugel fetzte ein Loch in das Vormarssegel, aber dann waren die Arwenacks wieder an der Reihe. Der Feuerbefehl Ben Brightons dröhnte über die Decks, dann hieben die Kugeln mit höllischer Wucht in die Felsenstellungen. Die Verschanzung auf der Steuerbordseite wurde kurz und klein geschossen. In unmittelbarer Nähe der Stelle, an der schon beim ersten Vorbeigleiten eine Kanone abgestürzt war, polterten zwei weitere Geschütze in die Tiefe. Ein Pulverfaß, zwei spanische Soldaten und mehrere dicke Felsbrocken folgten. Das anfängliche Brüllen und Fluchen ebbte ab. dann waren ein halbes Dutzend Soldaten zu erkennen, die in panikartiger Hast davonstoben. „Ha! Die haben bereits genug!“ rief Old Donegal mit grimmigem Gesicht. „Von .dieser Seite droht uns keine Gefahr mehr. Bis sie neue Geschütze da hochgeschafft haben, wird einige Zeit vergehen.“ Die Spanier auf der Backbordseite konnten ihre Stellung etwas länger halten. Das zerklüftete Gestein bot dort bessere Deckungsmöglichkeiten. Dennoch setzte ihnen 'die Breitseite der „Isabella“, die nun mit infernalischem Getöse auf das Felsennest zuraste, ziemlich zu. Bis sie selbst wieder zum Zuge gelangten, war die „Isabella“ bereits durch die Hafeneinfahrt geschlüpft und rauschte jetzt mit nördlichem Kurs in die offene See hinaus. Sobald sie aus der unmittelbaren Gefahrenzone war, ließ Ben Brighton erneut auf Gegenkurs gehen. Die „Isabella“ segelte abermals auf die Hafenbucht zu. Die Taktik hatte sich schon oft bewährt, deshalb wiederholte man den Angriff. Diesmal allerdings brauchten sich die Seewölfe nur noch auf die eine verbliebene Stellung zu konzentrieren.
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Al Conroy, der Stückmeister, bewies wieder einmal sein meisterliches Geschick. Er prüfte jede einzelne Kanone, eilte von Geschütz zu Geschütz, gab da- einen Rat und korrigierte dort etwas den Schußwinkel. Wenig später tobte erneut die Hölle. Einige Kugeln aus den Rohren der „Isabella“ setzten eine kleine Gerölllawine in Bewegung, und zwar oberhalb der spanischen Batterie. Innerhalb von Sekunden polterten Steine verschiedenster Größe auf die Soldaten nieder. Gleichzeitig hieben von vorn die Kugeln zwischen die Felsen, hinter denen sie sich verschanzt hatten. Nachdem zwei Soldaten von dem herabstürzenden Gestein erschlagen und mehrere verletzt worden waren, gerieten die übrigen in Panik. Doch vorerst konnten sie ihre Stellung wegen des anhaltenden Beschusses durch die „Isabella“ nicht verlassen. Erst als wenige Minuten später zwei Geschütze samt ihren schweren Holzlafetten den geröllhaltigen Abhang hinunterrutschten und schließlich über die Felswand ins Wasser kippten, gaben sie endgültig auf. Einige Verletzte mit sich schleppend, versuchten sie sich während einer Feuerpause zu verholen. „Na, was hab ich euch gesagt?“ ließ sich Old Donegal Daniel O'Flynn vernehmen. „Sie verholen sich wie Tagediebe, denen man mit spitzem Stiefel gegen den Achtersteven getreten hat.“ Kein einziger Schuß fiel mehr, die Seewölfe ließen die Spanier fliehen, denn es entsprach nicht ihren Gewohnheiten, auf Flüchtende und Verletzte zu feuern. Die „Isabella“ hatte beide Felsenbatterien leergeräumt. Wie es aussah, würden die Spanier vorerst nicht Mehr auf diese zerschossenen Stellungen zurückgreifen können. Aber da waren noch die beiden Galeonen, die inzwischen bemannt worden waren. Während die Besatzungen in fieberhafter Eile die Segel gesetzt und sich auf die unweigerlich bevorstehende Auseinandersetzung vorbereitet hatten, war ihnen das kurze aber heftige Gefecht
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zwischen ihren Landsleuten und der englischen Galeone nicht entgangen. Jetzt waren die beiden Schiffe am Auslaufen. „Wir werden sie willkommen heißen!“ rief Ben Brighton, während die Geschütze der „Isabella“ nachgeladen wurden. „Oder hat einer von euch was gegen das bevorstehende Tänzchen einzuwenden?“ Der Erste Offizier blickte überall nur in grinsende Gesichter. So dauerte es nicht lange, und den heransegelnden Spaniern dröhnte ein vielstimmiges „Ar-we-nack!“ entgegen. Dabei handelte es sich um den uralten Kampfruf, den die Seewölfe von den Leuten der Feste Arwenack in Falmouth übernommen hatten. Die Schlacht begann, das Fauchen und Donnern der Geschütze rollte wie ein schweres Gewitter über die Hafenbucht von Flores. 4. Das Kampfgetümmel blieb auch in dem festungsartigen spanischen Stützpunkt nichtungehört. Der Kommandant, Capitan Manuel Orosco Torres, saß wie ein Häufchen Elend in dem Lehnstuhl, an dessen Armlehnen seine Hände gefesselt waren. Sein verlebtes Gesicht mit dem schwarzgrauen Spitzbart wirkte wie eine Grimasse, und seine stumpfen Augen ließen bange Erwartung erkennen, wenn das Krachen der Kanonen die Luft erzittern ließ. An dem schweren Eichentisch, der den Mittelpunkt seines Privatgemaches bildete, hatten sich Philip Hasard Killigrew und Adriano de Mendoza y Castillo, der Kapitän der versenkten „Confianza“, niedergelassen. Dan O'Flynn, Batuti, Edwin Carberry, Ferris Tucker, Smoky sowie Alfredo Vergara und Juan Luis Benitez hielten mit den erbeuteten Waffen die Türen und Fenster besetzt. Nachdem Hasard und seine Begleiter durch eine kleine Seewölfe-Crew aus dem Gefangenenlager befreit worden waren, hatten sie sich mit einiger Verstärkung auf
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den Weg zum Stützpunkt begeben. Dort war es ihnen gelungen, in die Privatgemächer des Kommandanten einzudringen und diesen als Geisel zu nehmen. Dabei hatte sich nicht vermeiden lassen, Torres in trauter Zweisamkeit mit einer glutäugigen Schönen aus dem örtlichen Freudenhaus zu stören. Wie man schon im ersten Verhör herausgekriegt hatte, war Torres über die heimtückischen Mordpläne gegen Castillo informiert, auch wenn er bei allen Heiligen schwor, daß er bei den Agenten der spanischen Krone „nur Gutes“ über den Kapitän der „Confianza“ gesagt habe. Der Hintergrund für den Anschlag auf die „Confianza“ war dem Seewolf und Adriano de Mendoza y Castillo längst klargeworden. Der spanische Kapitän, den ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden auszeichnete, hatte schon mehrere Reisen in die Neue Welt hinter sich. Was er dabei alles erlebt hatte, gereichte der spanischen Krone und ihren Handlangern nicht gerade zur Ehre. Er hatte gesehen, wie die Ureinwohner dieses riesigen Kontinents rücksichtslos ausgebeutet und oft sogar abgeschlachtet wurden. Nach seiner Rückkehr hatte er deshalb heftige Kritik an diesen Machenschaften geübt - und sich damit prompt in die Nesseln gesetzt. Viele Angehörige der spanischen Adelsclique betrachteten ihn seitdem als Aufwiegler und gefährlichen Bazillus, den es auszurotten galt. Castillo war inzwischen selbst davon überzeugt, daß das der Grund war, warum man Ramon Firuso de Fernandez damit beauftragt hatte, der „Confianza“ bei passender Gelegenheit, möglichst im unübersichtlichen Kampfgetümmel, den „Fangschuß“ zu verpassen und sie mit Mann und Haus sinken zu lassen. Um die Mannschaft war es nach Meinung der Auftraggeber nicht schade, weil die meisten davon genauso dachten wie ihr Kapitän. So schlug man sämtliche Fliegen mit einer Klappe. Das war zwar eine teuflische, aber elegante Lösung.
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Capitan Torres war in dieses intrigante Spiel eingeweiht, daran hegte niemand mehr die geringsten Zweifel. Kein Wunder, daß man ihn nicht gerade mit Samthandschuhen anfaßte. Edwin Carberry, der bullige Profos der „Isabella“ trat an den Tisch, griff nach seinem Becher und trank in langen Zügen von dem vorzüglichen Rotwein, den man in den Gemächern des Kommandanten gefunden hatte. Danach schob er sein gewaltiges Rammkinn vor und warf Torres einen verächtlichen Blick zu. Dem Capitan lief jedesmal ein kalter Schauer über den Rücken, wenn sich die mächtige Gestalt Carberrys vor ihm aufbaute. Offenbar traute er dem muskulösen Kerl mit dem zernarbten Gesicht eine ganze Menge zu. Auch jetzt senkte er verunsichert den Blick. „So ist's recht, Mister Don“, sagte der Profos in seinem holprigen Spanisch. „An deiner Stelle würde ich auch die Augendeckel niederschlagen und mich in Grund und Boden schämen wegen meiner eigenen Bösartigkeit. Wenn ich dich so ansehe, dann steigt mir fast das Frühstück von vorgestern wieder hoch, jawohl. Genaugenommen kann ich nicht verstehen, warum dieses niedliche Betthäschen mit solch einer triefäugigen Seegurke herumturtelte. Ich anstelle dieser hübschen Jungfrau hätte mir von dir ganz gewiß nicht in den Hintern kneifen lassen, ja, nicht einmal die Bäckchen hätte ich mir von einem solch verlausten Ziegenbock tätscheln lassen, geschweige denn, wäre ich mit dir ...“ Das laute Lachen Smokys unterbrach ihn. „Stellt euch unseren Mister Carberry nur als Betthäschen vor!“ rief der Decksälteste prustend. „Als zarte Jungfrau, die sich von diesem feinen Senor in den drallen Achtersteven zwicken läßt!“ „Und der man mit heißem Liebesschwur das narbige Gesicht tätschelt!“ fügte Batuti, der herkulische Gambia-Neger hinzu. Die Männer lachten brüllend, und selbst die drei Spanier, die den Sinn dieser in Englisch geäußerten Worte begriffen
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hatten, verzogen amüsiert die Gesichter. Nicht zuletzt auch deshalb, weil Manuel Orosco Torres in Anbetracht der nicht gerade schmeichelhaften Worte Edwin Carberrys um eine Spur blasser geworden war. Der Profos indes warf seinen Kameraden einen strafenden Blick zu. „Hört endlich auf, zu wiehern! Oder seid ihr eine Horde Ackergäule, die der Hafer sticht, was, wie? Paßt lieber auf, daß sich die Dons, die draußen auf uns lauern, brav verhalten, sonst kneife ich mal kräftig in eure Affenärsche, aber so, daß euch die Tränen in die Augen schießen!“ Das allgemeine Gelächter ging im Dröhnen der Kanonen unter, und der Gefechtslärm riß die Männer rasch in die Wirklichkeit zurück. „Unsere Leute scheinen mächtig am Aufräumen zu sein“, sagte Dan O'Flynn. „Verdammt, und wir sitzen hier in diesem feudalen Liebesnest und müssen uns die Musik von fern. anhören.“ „Nur ruhig Blut, Dan“, sagte der Seewolf lächelnd. „Es wird vermutlich nicht mehr lange dauern, bis auch hier der Tanz beginnt. Irgendwann muß ja etwas geschehen, und dann werden wir alle Hände voll zu tun haben, um uns der spanischen Übermacht zu erwehren.“ „Hoffentlich hast du recht, Sir“, sagte Ed. „Mir tun schon jetzt die Hände weh, weil ich nichts zu tun habe. Soll ich nicht doch einstweilen diesem Rübenschwein die Haut in ganz schmalen Streifen von seinem runzligen ...“ „Nicht nötig, Ed“, unterbrach ihn Hasard. „Ich schätze, daß dieser Gentleman ohnehin bald mehr Ärger kriegt, als ihm lieb sein wird.“ Torres, der dem in Englisch geführten Gespräch nur bruchstückhaft folgen konnte, zuckte nervös zusammen. „Ich warne Sie, Senor Killigrew“, sagte er. Seine Stimme klang erregt. „Das heißt nicht Senor Killigrew, sondern Sir Hasard!“ berichtigte ihn der Profos. „Oder hast du plattfüßiger Rochen noch nicht mitgekriegt, daß Ihre Majestät, die
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englische Königin, unseren Kapitän zum Ritter geschlagen hat, was, wie?“ Der Seewolf winkte ab. „Laß gut sein, Ed. Du weißt, daß ich nicht scharf auf irgendwelche Titel bin.“ Zu Torres gewandt, fuhr er fort: „Was wollten Sie sagen, Capitan?“ „Ich - ich wollte Sie warnen, Sir.“ Torres begann zu stottern, denn Carberry stand noch immer vor ihm wie der biblische Riese Goliath, bereit, sein Aussehen zwischen Daumen und Zeigefinger spürbar zu verändern. „Sie - begreifen Sie denn nicht, daß Ihre Leute gegen die Übermacht unserer Schiffe und Felsenbatterien keine Chance haben? Auch hier, im Stützpunkt, sind meine Leute in der Überzahl.“ Philip Hasard Killigrew lächelte. Seine eisblauen Augen blitzten, während er sich von seinem Platz erhob. „Sie sind ein Optimist, Capitan“, sagte er in perfektem Spanisch. „Ich an Ihrer Stelle würde ein bißchen sparsamer mit Wunschträumen umgehen. Daß beispielsweise da unten in der Hafenbucht die Kanonen krachen, zeigt mir, daß sich meine Leute auf der ‚Isabella' sehr wohl einige Chancen ausgerechnet haben, sonst hätten sie sich nämlich gar nicht auf das Gefecht eingelassen.“ Torres schluckte hart und warf dem Seewolf einen haßerfüllten Blick zu. Doch dieser hatte sich bereits seinen Männern zugewandt. „Wir müssen hellwach bleiben“, sagte er. „Ich bin davon überzeugt, daß sich da draußen unter der Führung des Teniente Menacho längst etwas zusammenbraut.“ Damit sollte er recht behalten. Wegen Torres hatten die Soldaten bis jetzt Zurückhaltung geübt, aber wie der Seewolf den rauhen Haufen der Spanier einschätzte, nahm man irgendwann keine Rücksicht mehr auf den Kommandanten. Dann nämlich, wenn es um den eigenen Vorteil ging, gleich, wie der auch aussehen mochte. Das Kampfgeschehen in der Hafenbucht schien sich zu verstärken. Je öfter die Kanonen brüllten, desto kleiner und unscheinbarer wurde Manuel Orosco
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Torres in seinem Lehnstuhl. Man sah ihm deutlich an, daß er sich am liebsten im nächsten Mauseloch verkrochen hätte. Aber dazu gab es keine Gelegenheit. Beim Seewolf und seinen harten Männern konnte er weder mit Geschicklichkeit noch mit Hinterlist etwas erreichen, darüber war er sich im klaren. Die eisigen Blicke des Kapitäns der „Confianza“ und seiner beiden Offiziere verhießen ihm auch nicht gerade Sonnenschein, falls er versuchen würde, auch nur die geringsten Schwierigkeiten zu bereiten. Torres hatte im Augenblick keine andere Wahl, als sich in sein Schicksal zu fügen, denn durch die Ereignisse um die „Confianza“ saß er ohnehin schon gewaltig in der Tinte. Wußte der Himmel, wie er sich da mit heiler Haut herauswinden konnte. * Auch im übrigen Teil der Inselfestung hatte sich längst eine gespannte Atmosphäre ausgebreitet: Man wartete voller Ungeduld auf das Eintreffen der Boten, die über den Stand der Dinge berichten sollten. Das Wummern der Geschütze und Musketen drunten im Hafen und die damit verbundene Ungewißheit begann die Kampfmoral der Soldaten im Stützpunkt langsam zu zersetzen. Teniente Menacho, ein breitschultriger, kantiger Mann, und seine Soldaten wirkten gereizt, denn abgesehen von dem erbitterten Gefecht, das sich Spanier und Engländer lieferten, hatten diese Seewölfe hier im Stützpunkt die Lage bereits für sich entschieden. Und die Kerle schienen sich ihrer Sache sogar ziemlich sicher zu sein, wie das aus dem lauten Gelächter zu schließen war, das aus den Räumen des gefangenen Kommandanten drang. Gewissermaßen stand der Teniente mit seinen Männern zwischen zwei Fronten und war zudem noch zur Untätigkeit verurteilt. Aber Menacho war ein harter Mann - zäh, verbissen, skrupellos und außergewöhnlich ehrgeizig.
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„Ergebt euch endlich und laßt den Kommandanten frei!“ brüllte er durch die klobige Holztür, die den Zugang zu den Privatgemächern verwehrte. „Ihr habt keine Chance, euch auf Dauer da drinnen zu verschanzen. Wir werden die Räume notfalls stürmen oder euch aushungern!“ Aber damit schien der gefangene Torres nicht einverstanden zu sein. „Sind Sie verrückt geworden, Teniente?“ kreischte er. „Ich befehle Ihnen, sich zurückzuhalten! Oder wollen Sie vielleicht leichtfertig mein Leben aufs Spiel setzen? Vergessen Sie nicht, daß diese Männer mich als Geisel genommen haben!“ „Das habe ich selbstverständlich nicht vergessen, Capitan!“ rief Menacho durch die von innen verriegelte Tür. „Aber Sie müssen einsehen, daß ich nicht auf Dauer tatenlos zusehen kann, wie diese englischen Bastarde Sie unter Druck setzen.“ Jetzt schaltete sich der Seewolf ein. „Spucken Sie nicht so große Töne, Teniente, Sie könnten sich sonst daran verschlucken. Hören Sie lieber auf Ihren Vorgesetzten, und denken Sie daran, daß er der erste ist, der über die Klinge springt, wenn Sie uns den geringsten Ärger bereiten.“ „Da haben Sie es!“ schrie Torres mit schriller Stimme. „Ich befehle Ihnen nochmals, Menacho, halten Sie sich zurück! Sie werden zur Rechenschaft gezogen, wenn Sie meine Anweisungen mißachten!“ Menacho bedachte seinen Adjutanten, einen vierschrötigen Sargento, mit einem vielsagenden Grinsen. Und dieser kniff verstehend ein Auge zu. „Nun gut!“ rief Menacho laut. „Ich beuge mich selbstverständlich Ihrer Entscheidung, Capitan! Aber sollte sich die Lage weiter zuspitzen, ist es eine Christenpflicht, Sie aus den Klauen dieser räudigen Hunde zu befreien, bevor man sich an Ihnen vergreift.“ Ein wütender Knurrlaut dröhnte durch die Tür, dann ließ sich Edwin Carberry vernehmen.
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„Merk dir eins, du im Suff gezeugte Kakerlake!“ rief er mit Donnerstimme. „Niemand hat uns bis jetzt ungestraft als Bastarde und räudige Hunde beschimpft! Wenn ich dir einen guten Rat geben darf, dann bete zu allen deinen Heiligen, damit sie verhüten mögen, daß du je dem Profos der ‚Isabella' in die Hände fällst. Ich setze dich nämlich stundenlang mit deinem Affenarsch in die Brennnesseln und dann schnalle ich dich an eine Kanonenkugel und schieße dich in hohem Bogen hinter die Kimm. Wenn du dort anlangst, werde ich schon auf dich warten, um dir ordentlich zum Tänzchen aufzuspielen, du spanischer Lümmel!“ Die Drohungen Edwin Carberrys hörten sich zwar fürchterlich an, aber wer ihn kannte, wußte, daß er in Wirklichkeit ein Mann mit butterweichem Herzen war. Nicht im Traum würde ihm jemals einfallen, auch nur die Hälfte der angekündigten Strafmaßnahmen in die Tat umzusetzen. Dennoch konnte der bullige Profos gleich den anderen Seewölfen wie eine entfesselte Naturgewalt zupacken, wenn man ihn dazu herausforderte. Eds Spanisch klang zwar nicht völlig astrein, aber Menacho hatte ihn trotzdem gut verstanden und schluckte zunächst einmal hart. „Das muß ich doch wohl nicht ernst nehmen!“ rief er dann höhnisch zurück. „Das würde ich an deiner Stelle. aber tun, du wurmstichiger Krautkopf!“ fauchte Ed. „Was glaubst du denn, welche. Routine ich in solchen Dingen bereits habe, was, wie? Allein hundert Kerle von deiner Sorte habe ich auf einem belebten Marktplatz bis zum Hals eingegraben und ihnen dann vom Pöbel die Köpfe abstolpern lassen!“ Jetzt mischte sich der Festungskommandant wieder ein. „Seien Sie still, Teniente, und provozieren Sie diese Männer nicht!“ Seine Stimme klang angstvoll. „In Ordnung, Capitan. Aber verlassen Sie sich darauf, daß uns diese Kerle nicht entwischen werden!“ „Irrtum, du Großmaul!“ röhrte Ed. „Irgendwann kommen wir hier raus und
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beißen dir von deiner Witzfigur die besten Stücke ab!“ Menacho winkte seinem Adjutanten, gab seinen Soldaten mit gedämpfter Stimme Anweisungen und zog sich mit dem Sargento zurück. „Mir knurrt der Magen“, sagte er. „Weiß der Teufel, wie lange sich die Sache noch hinzieht, am besten wir lassen uns erst mal was zu essen bringen.“ Dagegen hatte auch der Sargento nichts einzuwenden, und schon kurze Zeit später saßen die beiden Männer an einem Tisch im Mannschaftsraum und hieben die Zähne in einige - kalte Hammelkeulen. Der jungen Magd, die das Fleisch aus der Küche gebracht hatte, gab Menacho einen Klaps aufs Hinterteil, der sie laut aufkreischen ließ. So schnell wie möglich brachte sich das Mädchen in Sicherheit, denn sie kannte die Gepflogenheiten innerhalb dieser festungsartigen Gemäuer nur zu gut. „Was werden Sie jetzt unternehmen, Teniente?“ fragte der Sargento, nachdem sie wieder allein waren und der Rotwein in den Bechern funkelte. Er war nicht nur Menachos Adjutant, sondern auch dessen Vertrauter. Der Teniente legte die Hammelkeule auf die Kumme zurück und warf dem vierschrötigen Mann einen langen Blick zu. „Können Sie schweigen, Sargento?“ „Wie ein Grab, Teniente. Sie kennen mich doch.“ „Nun gut, dann sollten wir offen miteinander reden“, fuhr Menacho fort. „Schließlich wollen wir uns nicht gegenseitig Sand in die Augen streuen. Sie wissen so gut wie ich, daß die momentane Situation sehr kritisch ist. Wir sind wegen Torres zur Untätigkeit verdammt und können zudem auch noch nicht absehen, wie sich die Lage im Hafen entwickeln wird. Sollten die Engländer unseren Schiffen und Stellungen überlegen sein, was ich allerdings bezweifle, dann werden wir hier bald große Schwierigkeiten kriegen, weil wir in diesem Fall auch noch die Besatzung der englischen Galeone am
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Hals hätten. Ich halte es deshalb für wichtig, daß wir es gar nicht erst soweit kommen lassen und schon vorher zusehen, daß wir die Sache zumindest hier im Stützpunkt voll in den Griff kriegen. Wenn sich der Kapitän der Engländer wieder in unserer Gewalt befindet, werden wir zweifellos am längeren Hebel sitzen.“ Der Sargento, der sich gerade einen Becher Wein in die Kehle gekippt hatte, wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und nickte dann nachdenklich. „Das klingt einleuchtend, Teniente“, sagte er. „Sie liegen völlig richtig mit Ihren Überlegungen. Entweder wir verbessern unsere Position rechtzeitig, oder wir laufen Gefahr, den Engländern in die Hände zu fallen.“ Der Blick des Sargentos wurde tückisch. „Und was wird mit dem Kommandanten geschehen?“ fragte er beinahe flüsternd. Menacho grinste und füllte den Weinbecher seines Adjutanten auf. „Das dürfte doch klar auf der Hand liegen, oder? Die Engländer haben sich ja deutlich genug ausgedrückt. Wenn wir angreifen, werden sie ihn über die Klinge springen lassen. Und seien Sie ehrlich, wäre das für uns beide von Nachteil?“ Menacho wußte nur zu gut, daß der Sargento Torres ebenso wenig leiden konnte wie .er. Der Kommandant war ein Leuteschinder, ein Nichtstuer und verbrachte den größten Teil seiner Zeit damit, daß er sich mit den Mädchen aus dem unter seiner Befehlsgewalt stehenden Hurenhaus vergnügte. Dem ehrgeizigen Karrierestreben Menachos stand Torres schon lange im Wege. Doch jetzt schien endlich der richtige Augenblick für den Teniente gekommen zu sein. Der Sargento lächelte hinterhältig. „Nein, von Nachteil wäre das für uns beide ganz gewiß nicht. Sie wissen, was ich von Torres halte, Teniente. Wenn Sie Unterstützung brauchen - mit mir können Sie voll und ganz rechnen.“ „Das habe ich auch von Ihnen erwartet, Sargento“, sagte Menacho gönnerhaft. „Ich wußte doch, daß ich mich auf Sie verlassen kann.“ Daß er notfalls auch bereit gewesen
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wäre, dem Sargento ein Messer in die Brust zu stoßen, falls sich dieser seinen Plänen widersetzt hätte, behielt er wohlweislich für sich. Teniente Menacho hatte bereits eine ganz klare Vorstellung von dem, was sich in den nächsten Stunden abspielen sollte. Und er war überzeugt davon, daß ihm der Aufstieg zum Inselkommandanten gelingen würde. Durch die Situation, in der sich Torres zur Zeit befand, war seine große Stunde angebrochen. Wenn Torres tot war, würde ihn, Menacho, niemand daran hindern, dessen Posten zu übernehmen. Hatte er außerdem die Engländer wieder in seiner Gewalt, dann war die Lage endgültig zugunsten der spanischen Krone entschieden und seiner weiteren Karriere stand nichts mehr im Wege. Torres, diesem faulen und lasterhaften Kerl, würde niemand eine Träne nachweinen. Menacho und sein Adjutant besprachen mit gedämpften Stimmen die Einzelheiten ihres Vorgehens. Die Zeit drängte, deshalb einigte man sich rasch darauf, einen Angriff auf die Engländer, die sich mit ihren spanischen Verbündeten in den Privatgemächern des Kommandanten verschanzt hatten, vorzubereiten. Die beiden Spanier besiegelten ihr Komplott durch einen weiteren Becher Rotwein und einen kräftigen Händedruck. 5. Der Sturm flaute ab, und die bleigraue Wolkendecke riß mehr und mehr auf. Die Böen aus Nordwest waren sanfter geworden und hatten nur noch einen Bruchteil jener wilden, zerstörerischen Kraft, mit der sie noch vor wenigen Stunden das Wasser des Atlantiks in haushohe Wogen verwandelt hatten. Das Leben an Bord des „Roten Drachen“ hatte sich weitgehendst normalisiert. Nur noch den müden und abgespannten Gesichtern der Besatzungsmitglieder konnte man ansehen, wie viel Kraft der Kampf gegen die Naturgewalten gekostet hatte.
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Siri-Tong stand mit wehenden schwarzen Haaren auf dem Achterdeck ihrer Galeone und spähte aufmerksam durch das Spektiv. Seit vielen Stunden war das ihre Hauptbeschäftigung, weil sie nicht riskieren wollte, auch noch die „San Mateo“ aus den Augen zu verlieren. Bis jetzt hatte sich ihre Zähigkeit und Ausdauer gelohnt, denn es war ihr trotz der entfesselten Elemente gelungen, Fühlung zu halten, ja, sogar ein beträchtliches Stück der spanischen Kriegsgaleone näher zu rücken. Die „San Mateo“ war durch den Sturm ziemlich angeschlagen, das konnte SiriTong deutlich erkennen. Trotzdem war das Schiff voll manövrierfähig. Wohl aus diesem Grund gab ihr Kapitän, der längst bemerkt hatte, daß ihm der „Rote Drache“ mehr und mehr aufsegelte, auch nicht klein bei.. Er war sich außerdem darüber klar, daß er jenes merkwürdige Schiff mit den blutroten Segeln, das zudem noch von einer Frau befehligt wurde, nicht mehr abschütteln konnte. Mister Boyd, der Erste Offizier des „Roten Drachen“, trat neben Siri-Tong und warf ihr einen fragenden Blick zu. Über das Gesicht der Roten Korsarin huschte ein zufriedenes Lächeln. „Der Abstand schrumpft mehr und mehr zusammen“, sagte sie. „Nach drei bis vier Glasen werden wir die Dons dicht vor uns haben.“ Barba, der gerade von der Kuhl zum Achterdeck aufenterte, hatte die Worte mitgehört und setzte sofort den eigenen Kieker ans Auge, um „Maß zu nehmen“, wie er sich ausdrückte. Die übrigen Männer der Besatzung befanden sich teilweise auf Freiwache und horchten ihre Kojen ab, oder sie gingen an Deck ihrer gewohnten Arbeit nach. Mister Perkins, der Profos, ließ gerade einige lautstarke Befehle zum Nachtrimmen der Segel vom Stapel. Ray Chiswell, der mehr als sechs Fuß große und hagere Schiffszimmermann, stand fest wie eine englische Eiche am Kolderstock, wo er vor Stunden Mike Wimpole, den eigentlichen Rudergänger
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des „Roten Drachen“, abgelöst hatte. Sein zerfurchtes, wettergegerbtes Gesicht war noch feucht vom Regen, und seine riesigen Pranken, die wie Schraubstöcke zupacken konnten, hatten den Kolderstock fest im Griff. Aus dem Kombüsenschott drang lautes Gelächter. Wer es hörte, wußte, daß dort Andy Fulham, der kleine und untersetzte Schiffskoch mit der lustigen Stupsnase seine Scherze kundtat. Andy Fulham war Anfang Dreißig und hatte bereits mit siebzehn Jahren sein Elternhaus, eine Kneipe in Twickenham an der Themse, verlassen. Über seinem vollen, runden Gesicht lag ein verschmitzter Zug. als er sich mit der Hand durch das braune Kraushaar fuhr. „Na los, Junge, gib schon Antwort“, sagte er zu Mike Wimpole, der gerade seine leere Muck in die Kombüse gebracht hatte. „Was tut ein Storch, der auf einem Bein steht?“ „Blöde Frage“, antwortete Wimpole, ein spindeldürrer junger Mann, der mit seinen abstehenden Ohren, den zahlreichen Sommersprossen und dem wirren, blonden Haar wie ein hochaufgeschossener Lausejunge aussah. „Was soll er schon tun, he? Vielleicht schläft er, oder er ruht sich einfach aus.“ „Nichts da“, sagte Andy Fulham grinsend. „Während er auf einem Bein steht, überlegt er sich den nächsten Schritt.“ Er selbst schüttete sich aus vor Lachen. „Na schön“, sagte Mike Wimpole. _Dann erklär du mir mal, warum Elefanten Plattfüße haben?“ Andy überlegte einen Moment, rümpfte die Stupsnase und sagte: „Da muß ich passen!“ „Dabei ist das ganz einfach“, sagte Mike grinsend. „Sie haben Plattfüße, weil sie im Urwald ständig von den Bäumen springen.“ Für einen Moment hatte Andy runde Augen, dann prustete er los, daß sein kleines, rundes Bäuchlein wackelte und hüpfte. Ja, Mister Fulham war schon eine Frohnatur, das war bekannt. Es geschah nur ganz selten, daß er ein mißmutiges
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Gesicht zog oder ausgesprochen schlechter Laune war. „Übrigens, Mike“, sagte er, nachdem er sich wieder beruhigt hatte, „wenn du so weiter schielst, kriegst du krumme Augen.“ Wimpole starrte ihn verständnislos an. „Was soll denn das schon wieder?“ „Nun“, fuhr Andy Fulham fort, „mir ist nicht entgangen, daß du ständig zum Achterdeck peilst. Irgendwann fallen dir mal die Klüsen aus dem Kopf und kullern über Bord.“ Mike Wimpole kapierte. „Verdammt, fängst du schon wieder mit dem Blödsinn an?“ Ein Hauch von Röte zog über sein sommersprossiges Gesicht. Der Koch aber grinste unverschämt. „Du kannst es ruhig zugeben, alter Freund, und brauchst nicht erst rot zu werden. Ich weiß genau, daß du in Siri-Tong verliebt bist. Oder meinst du, ich hätte nicht bemerkt, wie du dir sofort mit fünf Fingern durch das Haar fährst, wenn unser Kapitän dir mal einen Blick zuwirft? Und jedesmal drückst du deine Segelohren flach an, damit du nicht anluvst.“ „Quatsch!“ sagte Wimpole mürrisch, drehte sich um und schickte sich an, die Kombüse zu verlassen. „Es wird Zeit, daß ich Mister Chiswell ablöse. Und du paß nur auf, daß du dich mit deinem dicken Hintern nicht aus Versehen in eine Pfanne setzt, sonst gibt es bei uns vier Wochen lang gebratenen Schinken.“ Bevor Andy Fulham noch etwas erwidern konnte, stapfte der dürre Rudergänger über die Kuhl und näherte sich dem Niedergang, der auf der Steuerbordseite das Hauptdeck mit dem Achterdeck verband. Und verdammt, es prickelte ihm tatsächlich jedesmal so merkwürdig auf dem Rücken, wenn er die Rote Korsarin da oben stehen sah. Ja, diese Frau war schon eine Wucht, daran gab es keinen Zweifel. und er war beileibe nicht der einzige, der sich heimlich in sie verliebt hatte und bereit war, glühende Kohlen für sie aus dem Höllenfeuer zu holen. Noch mitten in seine Überlegungen hinein platzte der laute Ruf Siri-Tongs:
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„Klarschiff zum Gefecht! Wir haben die ,San Mateo` bald am Kragen!“ Sofort geriet Leben in die Gestalten an Bord. Man hatte zwar noch genügend Zeit für die Gefechtsvorbereitungen, aber jeder legte seinen ganzen Stolz hinein, das Schiff in einer Rekordzeit in eine feuerspeiende Festung zu verwandeln. Manchmal versuchte man sogar, die kalkulierte Zeit, die man dazu brauchte, zu unterbieten. Dennoch gab es keine Wuhling, alles lief reibungslos, weil jeder wußte, wo sein Platz war, und was er zu tun hatte. Während Ray Chiswell von Mike Wimpole am Ruder abgelöst wurde, beeilte sich in der Kombüse Andy Fulham, die Kupferbecken mit den glühenden Holzkohlen herzurichten, die auf alle Geschütze verteilt werden mußten. Henry Scrutton, der schlanke und schwarzhaarige Stückmeister mit der fingerlangen Narbe über der rechten Augenbraue, sorgte dafür, daß die Stückpforten geöffnet und die vierundzwanzig schweren Culverinen ausgerannt wurden. Barba, der zum Hauptdeck abenterte, hieb Scrutton freundschaftlich die rechte Pranke auf die Schulter. „Willst du es nicht mal mit einem gezielten Drehbassenschuß versuchen, Mister Scrutton?“ fragte er grinsend. „Dann könntest du dir nämlich die Arbeit mit den vielen Kanonen ersparen.“ Der Stückmeister wußte, auf was Barba anspielte. Sein Kollege Al Conroy von der „Isabella“ hatte in der Ostsee mit einem einzigen Drehbassenschuß eine polnische Galeere versenkt. Seit man auf dem „Roten Drachen“ von jenem berühmt gewordenen Schuß erfahren hatte, konnte es der eine oder andere nicht lassen, den leicht aufbrausenden Henry Scrutton damit aufzuziehen. Auch jetzt verfinsterte sich sein Gesicht schlagartig. „Du hältst mich wohl für einen Hexenmeister, wie? Und außerdem habe ich die ganze Geschichte bestimmt schon hundertmal gehört. Aber erstens sind wir hier nicht in der Ostsee, zweitens haben wir es nicht mit einer mickrigen Galeere zu
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tun, sondern mit einer großen und gutarmierten Kriegsgaleone, und drittens bin ich nicht Al Conroy. Zudem weiß jeder ...“ „Ist ja schon gut“, unterbrach ihn Barba. „Al muß ein Pulverfaß oder zumindest einige Kartuschen getroffen haben, sonst wäre das Kunststück gar nicht möglich gewesen.“ „So ist es“, bestätigte Scrutton. „Du kannst ja demnächst auch mal versuchen, mit einem einzigen Musketenschuß einen Schwarm Vögel vom Himmel zu holen oder mit einem einzigen Angelhaken einen Fischschwarm an Land zu ziehen.“ Es fuchste den Stückmeister ganz gewaltig, wenn man seine fachlichen Qualitäten auch nur mit der kleinsten witzigen Anspielung in Frage stellte. Mit Recht übrigens, denn er war ein Waffenexperte, der sein Handwerk in jeder Beziehung verstand. Dennoch konnte es manch einer nicht lassen, ihn ab und zu auf jenen legendären Drehbassenschuß Al Conroys hinzuweisen, um ihn zu ärgern. Araua, die sechzehnjährige Tochter Arkanas und des Seewolfs, eilte flink über das Hauptdeck, besorgte sich zwei Pützen mit Sand und begann damit, ihn auf den Planken auszustreuen, um den Füßen der Männer festen Halt zu geben. Die junge Araukanerin, die von Zeit zu Zeit mit der Roten Korsarin oder aber mit dem Wikinger auf größere Reisen gehen durfte, begriff stets rasch, was zu tun war „Nur nicht so schnell, Araua!“ rief Andy Fulham, der gerade mit den ersten Kohlebecken auf der Kuhl aufgetaucht war. „Bei dem Schwung, den du drauf hast, streust du mir den Sand womöglich noch in die Kombüse und hinterher wundert sich jeder, wenn beim Backen und Banken die Pfannkuchen knirschen.?“ Araua reagierte schlagfertig. „Gut, daß du mich darauf hinweist, Mister Fulham, denn ich wollte mir gerade die Kombüse vornehmen.“ „Donnerlittchen!“ sagte der Koch. „Dann müßte ich dir aber echt was auf deinen hübschen Hintern geben.“
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„Das würde dir so passen, Mister Fulham. Und wenn du mir jetzt nicht aus dem Weg gehst, damit ich meine Arbeit tun kann, nehme ich eine deiner Kohlen aus dem Becken und stecke sie dir ins Hemd.“ „Potzblitz!“ entfuhr es Andy Fulham. „Du bist ja schlimmer als des Teufels Großmutter!“ Unwillkürlich ging er einen Schritt schneller, denn der Gedanke, eine glühende Holzkohle auf der nackten Haut zu spüren, war nicht gerade verlockend. Und Araua, dieser kleinen Wildkatze, traute er einen solchen Schabernack durchaus zu, denn wenn es galt, sich zur Wehr zu setzen, offenbarte sie einen verblüffenden Einfallsreichtum. Der „Rote Drache“ lief über Backbordbug liegend gute Fahrt auf westlichem Kurs, obwohl die fehlende Großmarsrah, die während des Sturmes auf das Deck gestürzt war und beinahe einige Männer erschlagen hätte, noch nicht ersetzt worden war. Der Wind hatte auf Nordnordost gedreht und schob die Galeone kraftvoll voran. Der Abstand zu der spanischen Kriegsgaleone, die Backbord voraus ebenfalls auf westlichem Kurs lag, schrumpfte mehr und mehr .zusammen. Wenn sich die „San Mateo“ nicht zum Kampf stellte, konnte es nicht mehr lange dauern, bis man mit ihr gleichauf war. Im Hinblick auf die mysteriösen Geschehnisse um die „Confianza“ dachte Siri-Tong nicht daran, die Spanier entwischen zu lassen. „Alle Mann auf Stationen!“ befahl sie wenig später mit durchdringender Stimme. Dann bedachte sie Araua, die gerade zum Achterdeck aufentern wollte, mit einer auf fördernden Geste. „Es wird Zeit, daß du dich verholst, Araua!“ Das Mädchen stützte die Hände gegen die schmalen Hüften. „Aber ich könnte doch ...!“ Siri-Tong schüttelte lächelnd den Kopf, und Araua begriff augenblicklich, daß man jetzt nicht mehr mit der Roten Korsarin diskutieren konnte. Leichtfüßig verschwand sie hinter einem Schott, das zu den Achterdeckskammern führte.
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Plötzlich ging ein Raunen durch die Crew, die mittlerweile sämtliche Culverinen sowie die sechs Drehbassen auf dem Vorund Achterkastell besetzt hatte. Die Ursache war eindeutig, denn alle Augen waren auf die „San Mateo“ gerichtet, die hart nach Backbord abfiel und sich offenbar anschickte, zu halsen. Das bedeutete, daß man sich dem Viermaster der Roten Korsarin zum Kampf stellen wollte. Siri-Tong und ihre Mannen sollten sich nicht getäuscht haben. Der Kapitän der „San Mateo“ dachte nicht daran, klein beizugeben. Er war sich der Schlagkraft seines Schiffes voll bewußt, auch wenn die Sturmschäden noch nicht behoben waren. Während Siri-Tong durch das Spektiv spähte, senkte sich eine atemlose, gespannte Stille über die Decks. Lediglich Henry Scrutton unternahm einen letzten Kontrollgang von Geschütz zu Geschütz. „Die Dons wollen nicht, daß ihr Heck als Kugelfänger dient“, stellte Barba fest, der an einer Achterdecksdrehbasse auf Station war. „Lieber halsen sie, um uns von vorn anzugehen.“ Die Rote Korsarin lächelte. „Das wird ihnen allerdings nichts einbringen, weil sie sich damit ungünstigere Windverhältnisse einhandeln.“ Sie setzte den Kieker ab und wandte sich an Mike Wimpole, der im Ruderhaus stand. „Mike - Ruder hart Backbord, Kurs Südsüdwest! Wir fallen ab und schneiden damit den Dons gleichzeitig den Weg ab.“ Mike Wimpole zeigte verstanden, dann bewegten seine Fäuste kraftvoll den Kolderstock. Zur selben Zeit scheuchte der Profos, Mister Perkins, die Männer an die Brassen und Schoten, um die Segel nachtrimmen zu lassen. Der „Rote Drache“ schwang auf den neuen Kurs und verschaffte sich dadurch die günstige Luvposition -genau zu dem Zeitpunkt, an dem die „San Mateo“ ihr Halsemanöver abschloß und auf Gegenkurs ging. Die beiden Schiffe liefen nun im Winkel aufeinander zu, und auf beiden Seiten war
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man fest entschlossen, den sich anbahnenden Kampf auf Leben und Tod zu gewinnen. Wie durch die Spektive zu erkennen war, herrschte an Bord der „San Mateo“ eine bemerkenswerte Ruhe. Offenbar waren die Gefechtsvorbereitungen längst abgeschlossen. „Henry!“ rief Siri-Tong ihrem Stückmeister zu. „Schick ihnen eine Begrüßungskugel hinüber!“ „Aye, aye, Kapitän!“ Eins der Backbordgeschütze wurde, so gut es die derzeitige Position des „Roten Drachen“ zuließ, auf die „San Mateo“ ausgerichtet. Augenblicke danach blühte an der Bordwand eine beeindruckende Feuerblume auf. Die zwanzig Pfund schwere Eisenkugel orgelte der spanischen Kriegsgaleone in hohem Bogen entgegen und ließ ungefähr drei Kabellängen von ihr entfernt eine hohe Wassersäule aufspritzen. Mit der erwartungsvollen Stille war es jetzt vorbei. Auf der „San Mateo“ setzte lautes Wutgebrüll ein, dann begannen drei Kanonen zu wummern, deren Kugeln jedoch zwangsläufig im Wasser versanken. Die Position der beiden Schiffe ließ noch keine Treffer zu, außerdem war die Entfernung, die dazwischen lag, noch zu groß. Einige Kabellängen waren noch zu überbrücken, bevor man sich in Reichweite der gegnerischen Geschütze befand. „Wir scheinen sie mächtig geärgert zu haben“, sagte Barba. „Trotzdem wird es bald einen großen Bums geben, wenn wir unseren jetzigen Kurs beibehalten. Entweder spießen wir die ,San Mateo` auf unseren Bugspriet oder die Dons nehmen uns auf die Hörner.“ „Du merkst aber auch alles, Barba!“ rief Mister Boyd, der Erste Offizier, der sich ebenfalls an einer Heckdrehbasse postiert hatte. „Ich wette, daß Siri-Tong genau weiß, was sie zu tun hat.“ „Natürlich weiß ich das“, mischte sich die Rote Korsarin ein. „Darf man es vielleicht erfahren?“ fragte Barba.
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„Klar“, erwiderte Siri-Tong. „Wir haben die Luvposition, und die behalten wir auch bei.“ Barba war für einen Augenblick verblüfft, dann kapierte er. Schließlich kannte er die Kaltblütigkeit Siri-Tongs. Sie ließ auf Biegen und Brechen weitersegeln, weil sie davon überzeugt war, daß man auf der „San Mateo“ genau die gleichen Befürchtungen hegte. Wenn niemand von seinem Kurs abwich, war ein Aufeinanderprallen der beiden Schiffskörper unvermeidlich. Jetzt kam es auf die besseren Nerven an, die Siri-Tong zu haben glaubte. Sollte ihr gelingen, die Spanier zum Abdrehen zu veranlassen, dann bot die „San Mateo“ eine ausgezeichnete Angriffsfläche.. Barba kratzte sich mit skeptischem Blick am Hinterkopf. „Wenn wir Glück haben, luven die Dons nach Backbord an und gehen erneut auf Gegenkurs zu uns.“ „Das hättest du wohl gerne“, sagte SiriTong lachend. „Aber so einfältig werden sie nicht sein, daß sie ausgerechnet zum Gefechtsbeginn anfangen, gegen den Wind zu kreuzen. Also bleibt nur noch die andere Möglichkeit. Sie werden nach Steuerbord abfallen und auf Parallelkurs gehen. Dabei werden sie uns allerdings auch ihre ganze Backbordseite darbieten und wie ich uns kenne, werden wir das zu schätzen wissen.“ Barba nickte. Verdammt, dachte er, diese Frau hat wirklich Nerven wie Ankertrossen. Und hinter der Kimm, jawohl, da hat sie auch eine ganze Menge. Dennoch war sich Barba gleich den anderen Crewmitgliedern darüber im klaren, daß mit der 400Tonnen4Kriegsgaleone nicht zu spaßen war. Das Schiff strotzte vor Waffen und war mit zahlreichen Soldaten bemannt. Ein Kampf um alles oder nichts war unvermeidlich. „Wir wollen die Zeit nutzen!“ rief die Rote Korsarin. „Klar bei den Drehbassen! Heizt ihnen ordentlich ein und zerzaust ihnen ein bisschen die Segel!“ Ihr Befehl erfolgte zur rechten Zeit, denn die „San Mateo“ mußte
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sich jetzt bereits innerhalb der Reichweite der schwenkbaren Hinterlader befinden. Urplötzlich brach die Hölle auf. Die sechs Drehbassen des „Roten Drachen“ entluden sich donnernd und fast gleichzeitig. Man ging dabei nach einer Taktik Henry Scruttons vor, die sich schon oft bewährt hatte. Da von jetzt an auch mit dem Einsatz der feindlichen Drehbassen gerechnet werden mußte, nahmen sich die Männer, die an den schwenkbaren Geschützen der Back auf Station waren, die Spanier vor, die man auf der „San Mateo“ an gleicher Stelle postiert hatte. Die Männer an den Heckdrehbassen konzentrierten sich dagegen auf die feindlichen Segel und die Takelage. Aus diesem Grund hatten sie ihre Geschütze mit sogenannten Kettenkugeln geladen, wobei es sich jeweils um zwei Kugeln handelte, die mit einem Stück Kette verbunden waren. Die Rechnung ging zunächst auf. Während die Kettenkugeln durch die Luft wirbelten und riesige Löcher in die Segel der „San Mateo“ fetzten, sorgten die übrigen Drehbassen dafür, daß die schwenkbaren Geschütze auf der Back der spanischen Galeone gar nicht erst zum Einsatz gelangten. Wildes Geschrei brandete auf der „San Mateo“ auf, dann krachten ihre Backbordkanonen. Prompt splitterte auf dem „Roten Drachen“ Holz. Eine haarscharf über das Hauptdeck rasende Kugel zerschlug direkt zwischen zwei Geschützen den Handlauf des Steuerbordschanzkleides. Den Männern an den Kanonen flogen die Splitter um die Ohren, aber es wurde niemand ernstlich verletzt. Siri-Tong und ihren Mannen wurde deutlich, daß die Spanier durchaus ernstzunehmende Gegner waren. Sofort nach dieser Breitseite, die mit Ausnahme des einen Treffers wirkungslos im Wasser verpufft war, weil der Schußwinkel noch nicht stimmte, fiel die „San Mateo“ nach Steuerbord ab, um einer möglichen Kollision mit dem „Roten Drachen“ zu entgehen. Siri-Tong hatte es
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einfach darauf ankommen lassen, und Barba hieb sich lachend auf die Schenkel. „Teufel, Teufel!“ rief er. „Die gehen tatsächlich auf Parallelkurs, um nicht aufzubrummen. Na, uns soll das nur recht sein.“ Er warf der Roten Korsarin einen bewundernden Blick zu. Doch die hatte im Moment ganz andere Sorgen. Sie war wütend, und ihre Mandelaugen blitzten. „Wir zahlen ihnen diesen Treffer zurück, auch wenn nicht viel passiert ist!“ rief sie Henry Scrutton zu, der sich auf dem Hauptdeck befand. „Klar bei den Geschützen! Sobald die ,San Mateo` so weit abgefallen ist, daß wir in einem günstigen Schußwinkel zu ihrer Backbordseite stehen, jagen wir eine Breitseite hinüber.“ So geschah es auch. Während die Spanier ihren Kurs änderten und eilends ihre Kanonen nachluden, gab Henry Scrutton den Feuerbefehl weiter. Blitzschnell fraßen sich die Funken durch das Zündkraut, dann leckten mit gewitterartigem Donner lange Feuerzungen aus den Geschützrohren. Pulverdampf wölkte auf, und zur selben Zeit war von der „San Mateo“ her das Bersten der Einschläge zu hören. Das Wummern der achteren Drehbassen hörte schlagartig auf, Holztrümmer, Tauwerk und menschliche Leiber wirbelten durch die Luft und gingen teilweise über Bord. Eine Kugel fetzte ein riesiges Loch ins Schanzkleid der Kriegsgaleone, eine weitere fuhr wie ein Blitz in eine Stückpforte. Eisen prallte auf Eisen, Funken stoben, und Schreie ertönten. Die getroffene Kanone wurde aus ihrer Verankerung gerissen, weil die Holzlafette teilweise zerfetzt worden war. Das schwere Eisenrohr rollte polternd über die Kuhl, zertrümmerte eine Gräting und verschwand dann im dunklen Leib des Schiffes. Auf der „San Mateo“ herrschte augenblicklich Zustand, zumal der Ladevorgang bei den Backbordgeschützen noch nicht abgeschlossen war. Die Seesoldaten feuerten deshalb die
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Drehbassen ab und griffen zu ihren Musketen. Eine Zeitlang mußte die Crew des _Roten Drachen“ die Köpfe einziehen, was das Nachladen der eigenen Kanonen erheblich erschwerte. Doch dann gelang es den Männern an den Drehbassen, den wütenden Beschuß der Spanier einzudämmen. Die „San Mateo“ lag jetzt auf Parallelkurs, und zwar querab der Steuerbordseite des „Roten Drachen“. Der ranke Viermaster mußte lediglich zwei Schiffslängen aufholen, um mit den Spaniern gleichauf zu sein. Der Kampf tobte eine Zeitlang hin und her, ohne daß auf beiden Seiten die Kanonen eingesetzt werden konnten. Dafür aber spuckten Drehbassen, Musketen und Tromblons Tod und Verderben aus. „Mit der nächsten Breitseite müssen wir sie erwischen“, sagte Siri-Tong. „Wir haben einige Treffer abgekriegt, und mehrere Männer sind verletzt.“ Der „Rote Drache“, der dem Kriegsschiff an Wendigkeit und Schnelligkeit weit überlegen war, segelte rasch auf. Als sich die beiden Schiffe etwa zur Hälfte auf gleicher Höhe befanden, verloren die Spanier die Nerven. Laute Kommandos wurden gebrüllt, dann wurde eine Breitseite abgefeuert. Ein Teil der Siebzehn- und Fünfundzwanzigpfünder raste mit ungeheurer Wucht auf den „Roten Drachen“ zu. Ein Geschoß zischte haarscharf unter dem Bugspriet durch, ein weiteres schlug ein Leck, so groß wie eine Faßöffnung, in die Bordwand unterhalb der Galion. Zum Glück befand sich die Einschußstelle ein Stück über der Wasserlinie. Ein weiterer Treffer zerfetzte die Blinde. Dennoch hatten die Spanier zu früh gefeuert. Die Mehrzahl ihrer Kugeln klatschte dicht vor dem Bug des „Roten Drachen“ ins Wasser, Gischt schäumte über das Vorschiff. „Die Dons werden uns langsam gefährlich!“ brüllte Barba wütend. „Wenn wir ihnen nicht endlich zeigen, wo's langgeht, zerhacken die uns noch zu Kleinholz!“
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„Das werden wir zu verhindern wissen!“ rief Siri-Tong. „Immerhin sind sie schon reichlich nervös und erfreuen sich der schönsten Wuhling. Sie waren zu voreilig und haben ihr Eisen verschossen. Jetzt sind wir dran!“ Bevor die Kanonen der Spanier nachgeladen werden konnten, befand sich der „Rote Drache“ auf gleicher Höhe mit dem Kriegsschiff. Dem eigentlichen „Fangschuß“ auf die durch Sturm und Beschuß schwer lädierte Galeone stand nichts mehr im Wege. „Steuerbordgeschütze - Feuer frei!“ rief die Rote Korsarin. Die zwölf Zwanzigpfünder hieben ihre Ladungen mit infernalischer Wucht in den Leib des spanischen Schiffes, das wie ein leichtes Spielzeug durchgerüttelt wurde. Die Kugeln stanzten acht große Lecks in die Bordwand, und zwar unterhalb der Wasserlinie. Der Besan wurde zertrümmert, er knickte seitlich weg und riß Segel und Tauwerk mit sich in die Tiefe. Teile der Back sowie des Schanzkleides auf der Kuhl flogen davon und klatschten ins Wasser. Das Ruder hatte ebenfalls einen Treffer abgekriegt. Das Krachen und Bersten übertönte das Geschrei und die wütenden Flüche der Spanier. Es herrschte ein unbeschreiblicher Zustand. Die „San Mateo“ war verloren, daran gab es keinen Zweifel. Das steuerlos treibende Schiff, das von Wind und Strömung nach Süden gedrückt wurde; neigte sich stark nach Backbord, die Wassermassen schossen gurgelnd in die inneren Schiffsräume. Nur wenigen Männern gelang es, noch rechtzeitig über Bord zu springen und sich durch eiliges Schwimmen aus dem Gefahrenbereich des sinkenden Schiffes zu bringen. Die „San Mateo“ legte sich immer weiter nach Backbord, ihre heil gebliebenen Masten ragten bereits dicht über die Wasserfläche. Dann ging sie auf Tiefe. Zischend, schmatzend und schäumend verschlang der Atlantik die einst so stolze
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Kriegsgaleone, und kurze Zeit danach erinnerten außer den wenigen Überlebenden nur noch treibende Fässer, Segel und sonstige Trümmer an sie ebenso die Toten, die sie nicht mit in die Tiefe gerissen hatte. „Wir müssen die Überlebenden aus dem Wasser fischen“, sagte Siri-Tong und ließ sofort ein Boot aussetzen. Einige der im Wasser treibenden Spanier schrien und winkten voller Panik, andere hielten sich resigniert an Wrackteilen fest. Sie hatten offenbar wenig Hoffnung auf Rettung, zumal es nicht selten geschah, daß man die Überlebenden der Gegenseite ihrem grausigen Schicksal überließ. Für die Crew des „Roten Drachen“ war es jedoch schon immer eine Selbstverständlichkeit gewesen, Schiffbrüchigen zu helfen. Siri-Tong hoffte außerdem, von den Spaniern einiges über die rätselhaften Vorgänge um die „Confianza“ zu erfahren. Gefolgt von Barba enterte sie zur Kuhl ab und trat erwartungsvoll ans Schanzkleid. Von dort aus verfolgte sie aufmerksam, wie man die insgesamt acht Überlebenden der „San Mateo“ aus dem Wasser zog. * In den Gesichtern der triefendnassen Spanier spiegelte sich das blanke Entsetzen. Niemand an Bord der „San Mateo“ hatte damit gerechnet, daß der Kampf gegen den englischen Viermaster einen so tragischen Ausgang nehmen würde. Nachdem die acht Männer die Kuhl des „Roten Drachen“ betreten hatten, rührten sie sich nicht mehr von der Stelle und warfen furchtsame Blicke in die Runde. Wie es schien, glaubten einige von ihnen immer noch nicht recht daran, daß man sie ungeschoren lassen würde. Verblüfft und voll banger Erwartung starrten sie die Rote Korsarin an, die mit gezogenem Säbel vor ihnen stand. Unmittelbar hinter ihr baute sich der hünenhafte Barba auf. Er verschränkte die Arme und behielt die
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Männer von der „San Mao“ wachsam im Auge. Es dauerte eine Weile, bis die Spanier begriffen hatten, daß die rassige junge Eurasierin auf diesem Schiff das Kommando führte. „Wir - wir möchten uns bei Ihnen unken, Senorita“, stammelte einer von ihnen. Der nasse Bart klebte ihn im Gesicht. „Nicht nötig“, erwiderte Siri-Tong i fließendem Spanisch. „Bei uns ist nicht üblich, Schiffbrüchige ertrinken zu lassen.“ „Das - ist sehr anständig von Ihnen, Senorita. Hoffentlich können wir uns dafür jemals erkenntlich zeigen.“ Siri-Tong zuckte mit den Schultern. „Irgendwann wird sich dazu sicherlich die Möglichkeit bieten. Handeln Sie einfach genauso, wenn Sie jemanden im Wasser treiben sehen, dann ist die menschliche Seite unserer Rechnung ausgeglichen.“ Der Wortführer der Spanier stellte sich und die übrigen sieben Männer vor. Es handelte sich ausnahmslos um einfache Decksleute. Weder der Kapitän noch sonst jemand von der Schiffsführung befand sich unter ihnen. Siri-Tong gab dennoch nicht auf. Sie wollte zumindest versuchen, etwas von diesen Männern zu erfahren. Es interessierte sie brennend, warum die „Confianza“ von den eigenen Verbündeten versenkt worden war, und sie verhehlte den Überlebenden der „San Mateo“ gegenüber auch nicht, daß sie über die heim tückischen Vorgänge sehr aufgebracht war. Der bärtige Spanier vollführte eine bedauernde Geste. „Es tut mir sehr leid, Senorita“, sagte er, „aber von uns einfachen Leuten kann Ihnen wirklich niemand etwas Genaues berichten. Wir wissen zwar, daß bei der Sache mit der ,Confianza' einiges nicht mit rechten Dingen zuging, aber wir stützen uns dabei nur auf unsere eigenen Beobachtungen. Von der Schiffsführung ist niemand über die Hintergründe informiert worden, und vermutlich wußte nur der Capitan, was tatsächlich geschehen ist.“ Siri-Tong fand sich damit ab, daß von diesen Männern nicht viel zu erfahren war. Insgeheim bedauerte sie, daß sich nicht der
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Kapitän oder einer der Offiziere unter den Überlebenden der „San Mateo“ befand. Es wäre ihr mit Sicherheit gelungen, die Senores zum Reden zu bringen. Auch über den Verbleib des Flaggschiffs „Vencedor“ konnten die Schiffbrüchigen nur Vermutungen äußern. „Wir haben während des Sturms den Kontakt zu unserem Verband verloren“, berichtete der Spanier. „Unmittelbar bevor wir die ,Vencedor' aus den Augen verloren, ist uns jedoch aufgefallen, daß sie beidrehte. Wir nehmen deshalb an, daß Generalkapitän de Fernandez versuchen wird, nach Flores zurückzukehren. Das ist allerdings nur eine Vermutung, Senorita, beschwören kann das niemand.“ Seine Kameraden nickten beifällig. Einer von ihnen sagte: „Einen anderen Grund für das plötzliche Beidrehen kennen wir nicht. Vielleicht haben die Sturmschäden den Generalkapitän dazu bewogen.“ „Nun gut“, sagte die Rote Korsarin. „De Fernandez heißt also dieser ehrenwerte Generalkapitän. Vielleicht haben wir doch noch das Vergnügen, ihn kennenzulernen.“ „Was - was wird mit uns geschehen, Capitan?“ fragte der Wortführer der Spanier. Seine Augen ließen noch immer einen Rest von Furcht erkennen, obwohl ihm und seinen Kameraden inzwischen klargeworden war, daß sie es mit fairen Gegnern zu tun hatten. „Wir betrachten Sie vorerst als Gefangene“, erwiderte Siri-Tong. „Einen Grund zur Besorgnis haben Sie jedoch nicht. Vermutlich werden wir Sie auf Flores an Land setzen.“ Während die Überlebenden der „San Mateo“ aufatmeten und sich überschwenglich bedankten, warf Barba der Roten Korsarin erstaunte Blicke zu. „Warum, um alles in der Welt, willst du Kurs auf Flores nehmen?“ Siri-Tong lächelte. „Wie du bald einsehen wirst, gibt es dafür gute Gründe“, sagte sie. Dann winkte sie den Koch herbei. „Gib diesen Männern was zu essen, Andy“, fuhr sie fort. „Hinterher werden sie einige Zeit mit unserer Piek vorliebnehmen müssen.“
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Als der untersetzte Andy Fulham zur Kombüse marschierte und dabei an Araua vorbeiging, murmelte er irgendetwas von sandigen Pfannkuchen, die beim Kauen zwischen den Zähnen knirschten... 6. Es war bereits Nachmittag. Die Sonne, die sich in den vergangenen Tagen schamhaft hinter der sturmgepeitschten Wolkendecke verkrochen hatte, verlieh der schier endlosen Wasserfläche des Atlantiks einen silbrigen Glanz. Nichts erinnerte mehr an das Tosen der Elemente, im Gegenteil, die vier Schiffe, die mit aufgegeiten Segeln dicht beieinander lagen, vermittelten ein Bild des Friedens und der Eintracht. Drei Boote bewegten sich auf den Schwarzen Segler zu, der den poetischen Namen „Eiliger Drache über den Wassern“ führte. Der Verband hatte sich nach dem Abflauen des Sturms gesammelt, um an Bord des pechschwarzen Viermasters eine Lagebesprechung abzuhalten. Thorfin Njal, der Wikinger, stand mit einigen seiner Männer am Schanzkleid der Kuhl und blickte den Booten, die kraftvoll herangepullt wurden, erwartungsvoll entgegen. Der rauhe und klotzige Mann sah in seinen grauen Fellen, den Schnürsandalen und seinem beißgeliebten Helm aus, wie ein Wesen aus fernen Welten. „Was ist los mit euch, ihr lahmen Tattergreise? Ich kann mich erinnern, daß ihr schon wesentlich schneller wart!“ brüllte er den Männern in den Booten mit Donnerstimme entgegen. Offensichtlich bereitete es ihm Spaß, den Rudergasten etwas Feuer unter den Hintern zu entfachen. „Lahm - Tattergreise - schneller“, stieß der Stör hervor, den man wegen seines länglichen Gesichtes so nannte. Er hatte die nervtötende Angewohnheit, einzelne Wörter oder ganze Satzteile des Wikingers wie ein Echo zu wiederholen, was diesem oft fürchterlich auf den Geist ging. Der erste, der an Bord enterte, war Jean Ribault, der Kapitän der „Le Vengeur III.“.
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„Seit wann sind wir Galeerensklaven, daß du uns durch dein Gebrüll n Takt vorgeben mußt, he?“ fragte er den Wikinger grinsend. „Du kannst es wohl nicht erwarten, daß deine Rumfässer ausgesoffen werden, wie?“ „Meine Rumfässer aussaufen?“ Der Wikinger kratzte sich an seinem Helm. „Bei Thor und Odin – das schafft ihr nie!“ „Nie!“ bestätigte der Stör prompt handelte sich damit einen wilden Blick Thorfin Njal als ein. Bald betraten auch die übrigen Männer die Decksplanken des Schwarzen Seglers, darunter der Vetter des Seewolfs, Arne von Manteuffel, der auf der „Wappen von Kolberg“ das Kommando führte, und Jerry Reeves, der die neuerbaute „Tortuga“ befehligte. Arne hatte Oliver O'Brien, einen deutschstämmigen Iren, als Dolmetscher mitgebracht. Der Stör, der gleich den anderen Wikingern, Arne, Eike und Olig, zur Leibgarde Thorfin Njals zählte, konnte es einfach nicht lassen. Während der Kapitän des Schwarzen Seglers seine Kollegen mit deftigen. Worten begrüßte, spielte er von Mal zu Mal das Echo - bis ihn der Wikinger einen „rahgetakelten Polaraffen“ nannte und kräftig mit dem rechten Fuß ausholte. Der Stör jedoch brachte seinen Achtersteven in letzter Sekunde in Sicherheit und vergaß nicht, den „rahgetakelten Polaraffen“ zu wiederholen. Kurze Zeit später saßen die vier Kapitäne sowie Oliver O'Brien in der Kammer des Wikingers beisammen, .jeder hatte eine Muck mit bestem Rum vor sich. Zu besprechen gab es eine ganze Menge, denn die vergangenen Tage waren recht ereignisreich gewesen. Hinzu war der Sturm gekommen, der auf sämtlichen Schiffen mehr oder weniger große Schäden angerichtet hatte. Die Crews waren längst damit beschäftigt, diese Schäden zu beheben. „Die Neubauten haben ihre Feuerprobe mit Bravour bestanden“, sagte Arne von Manteuffel. „Der Sturm hat ihnen herzlich wenig anhaben können. Mister Ramsgate
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und seine Leute von der Werft können mit Recht stolz auf ihre Arbeit sein.“ „Das sind sie auch“, sagte Jerry Reeves, der bereits in der Bretagne Seite an Seite mit den Seewölfen gegen den französischen Piratenführer Yves Grammont gekämpft hatte. „Der alte Ramsgate krebst auf der ,Tortuga' in jedem Winkel herum und überzeugt sich von der Solidität seiner Schiffsbaukunst.“ „Dann wird er die ,Le Vengeur III.' wohl auch bald inspizieren“, sagte Jean Ribault. „Sie hat sich jedoch ebenso wacker gehalten wie die ,Tortuga`.“ Der Wikinger leerte seine Muck mit einem einzigen Zug, dann stieß er einen Knurrlaut aus. „Seid ihr denn noch zu retten?“ fragte er. „Obwohl gar keine Veranlassung vorliegt, zerbrecht ihr euch die Köpfe wegen eurer Torfkähne. Aber was mit Siri-Tong los ist, das interessiert euch wohl nicht, he? Beim Donnergott, ich mache mir Sorgen um sie!“ „Sorgen?“ Ribault blickte ihn verwundert an. „Warum denn das? Traust du ihr nicht zu, einen Sturm abzuwettern?“ „Darum geht es nicht“, erklärte der Wikinger. „Siri-Tong hat schön tausend Stürme abgewettert. Aber da sind schließlich noch die Dons, die im Verband durchaus einem einzelnen Schiff gefährlich werden können.“ Der schlanke Franzose wiegte den Kopf hin und her. „Eigentlich hast du recht“, sagte er dann. „Aber es kann natürlich auch sein, daß sich der spanische Verband während des Sturms aufgelöst hat.“ Thorfin Njal ließ sich nicht beirren. „Das kann sein oder auch nicht“, fuhr er fort. „Ich werde jedenfalls das verdammte Gefühl nicht los, daß Siri-Tong mit den Dons zusammengerasselt ist. Jedenfalls war sie, kurz bevor wir sie aus den Augen verloren haben, hinter einer spanischen Galeone her wie der Teufel hinter einer armen Seele.“ „Das stimmt“, sagte Arne von Manteuffel. „Und da sie nicht wieder auftauchte, können wir davon ausgehen, daß es ihr
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gelungen ist, trotz des Sturms Fühlung zu halten. Eine Konfrontation ist da natürlich nicht auszuschließen.“ Der Wikinger kratzte sich wieder einmal bedächtig an seinem Kupferhelms „Ich habe schon mit dem Gedanken gespielt, sie zu suchen, aber das ist letzten Endes aussichtslos. Der Sturm hat nahezu alle Schiffe von ihrem ursprünglichen Kurs abgebracht. Es wäre reiner Zufall, wenn wir Siri-Tong finden würden.“ Alle waren sich darüber einig, daß man zur Zeit nichts für den „Roten Drachen“ tun konnte. Es blieb ihnen nur die Hoffnung auf die Umsicht und Schlagkraft der Roten Korsarin, die auch schwierige Situationen ausgezeichnet zu meistern verstand. „Wie soll es mit uns weitergehen?“ fragte Jerry Reeves. „Wir stehen vor der Entscheidung, westwärts weiterzusegeln, oder aber Kurs auf Flores zu nehmen. Letzteres hätte den Vorteil, daß wir zumindest wieder mit der ‚Isabella' zusammentreffen würden. Vielleicht hat Siri-Tong sogar die gleiche Idee.“ „Den Vorschlag finde ich gut“, sagte Ribault. „Wir sollten tatsächlich nach Flores segeln, um Hasard und seine Mannen zu treffen. Nur so können wir unseren eigenen Verband halbwegs zusammenhalten.“ Man überlegte noch eine Weile hin und her, debattierte über dieses und jenes, und entschloß sich dann, den Vorschlag Jerry Reeves' einstimmig anzunehmen. Bevor sich die Männer erhoben, füllte der Wikinger die Mucks erneut bis zum Rand. „Das Säftchen spült den Hals, wärmt den Magen und fegt die Seele“, sagte er und nahm einen kräftigen Schluck. Da schon in wenigen Stunden die Abenddämmerung hereinbrechen würde, wollte man nicht unnötig Zeit verlieren. Arne von Manteuffel, Oliver O'Brien, Jerry Reeves und Jean Ribault schickten sich an, auf ihre Schiffe zurückzukehren. Als Jerry Reeves gerade als erster in das wartende Boot der „Tortuga“ abenterte, dröhnte eine Meldung aus dem Großmars des Schwarzen Seglers.
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„Deck!“ brüllte Barry Winston, ein ehemaliger Karibikpirat. „Mastspitzen an der westlichen Kimm!“ „Was für Mastspitzen?“ fragte der Wikinger zurück. „Willst du wohl die Klüsen aufsperren, oder muß ich dir erst noch das andere Ohr abreißen, damit du besser siehst?“ In der Tat fehlte dem glatzköpfigen Barry Winston das linke Ohr, und niemand wußte genau, bei welchem Enterkampf es auf der Strecke geblieben war - außer Barry natürlich, der nicht allzu gern über seine Zeit als Pirat sprach. ..Oho!“ schrie er jetzt. „Ich habe zwar nicht die Augen eines Adlers, wer ich saufe eine ganze Pütz Seewasser aus, wenn das nicht die Mastspitzen des ,Roten Drachen' sind!“ Das war eine echte Freudenbotschaft. Die Kapitäne blieben zunächst an Bord, und Jerry Reeves, der sich bereits auf der Heckducht seines Bootes niedergelassen hatte, enterte wieder auf. Alle starrten gemannt zur Kimm, bis die blutroten Segel des Viermasters deutlich zu erkennen waren. Dann dröhnte freudiges Gebrüll über die Decks: Der Wikinger stand breitbeinig und wuchtig wie der nordische Donnergott auf den Planken. „Ich bin gespannt, welche Nachrichten Siri-Tong bringt“, sagte er. „Entweder hat sie den Don aus den Augen verloren, oder sie hat ihm was auf die Rübe gegeben.“ „Jawohl - auf die Rübe!“ wiederholte der Stör und hechtete geistesgegenwärtig über die Kuhlgräting, um dem Zugriff Thorfin Njals zu entgehen. 7. Im spanischen Hauptquartier auf Flores war plötzlich der Teufel los. Philip Hasard Killigrew und seine Männer sahen sich unverhofft einem Sturmangriff ausgesetzt. Wuchtige Axthiebe und Rammstöße dröhnten gegen die dicke Eichentür, die in die Privatgemächer des Kommandanten führte. Gleichzeitig waren laute Flüche zu hören, durch die den
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Seewölfen und ihren spanischen Verbündeten die schlimmsten Strafen angedroht wurden. Zwei Pistolenschüsse krachten, aber die Kugeln durchschlugen das dicke Holz der Tür nicht. Manuel Orosco Torres, der sich nach wie vor in der Gewalt der Seewölfe befand, war schon beim ersten Axthieb heftig zusammengezuckt. In seinem verlebten Gesicht lag nackte Angst. „Por Dios, was geht da vor?“ brüllte er. „Menacho, sagen Sie Ihren Leuten, daß sie sofort aufhören sollen!“ Aber niemand gab Torres eine Antwort. Die Soldaten schienen fest entschlossen zu sein, die Gemächer zu stürmen - wider den Willen des Kommandanten. Da ergriff der Seewolf das Wort. „Haben Sie den Befehl Ihres Vorgesetzten nicht vernommen, Teniente?“ Er mußte regelrecht brüllen, um den Lärm zu übertönen. „Denken Sie daran, daß sein letztes Stündlein geschlagen hat, wenn Sie Ihre Leute nicht sofort zurückziehen!“ Die Angreifer ließen sich jedoch nicht beirren. Weder Menacho noch sonst jemand ging auf die Worte des Seewolfs ein. Man ignorierte sie einfach und setzte den Sturmangriff fort. Holz splitterte, und die Tür ächzte bereits laut in den Angeln. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis sie in Fetzen flog und der Raum gestürmt wurde. „Vielleicht haben die Rübenschweine Oliven in den Ohren“, sagte Edwin Carberry. „Soll ich es mal versuchen, Sir?“ Hasard nickte. Da holte der Profos der „Isabella“ tief Luft und legte los: „Himmel, Arsch und Hagelwetter! Seid ihr verdammten Mistböcke taub? Hört endlich auf, an der Tür herumzukratzen, sonst segelt euch euer Kommandant als Leiche entgegen, jawohl!“ Die Stimme Edwin Carberrys dröhnte wie ein schweres Gewitter, so daß selbst die anwesenden Spanier, die noch nicht an ihn gewöhnt waren, zusammenzuckten. Dennoch war auch ihm kein Erfolg beschieden.
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„Was tun wir, Sir?“ fragte Ed. „Sollen wir die Tür und die Fenster verrammeln? Wir könnten den Tisch, das Bett und einen Schrank davorschieben.“ Der Seewolf schüttelte den Kopf. „Das hätte nicht viel Sinn, Ed. Wenn sie die Tür erst aufgebrochen haben, werden sie auch dieses Zeug beiseite räumen.“ Er wandte sich an Castillo. „Kennen Sie einen Fluchtweg, Capitan?“ Doch Castillo mußte verneinen. „Außer der einen Tür gibt es nur die Fenster, aber die sind zu hoch gelegen. Da müßte man sich schon abseilen oder eine Leiter benutzen.“ „Nun gut, dann werden wir diese Prunkgemächer eben verteidigen“, entschied Hasard. „Zum Glück war der Waffenschrank des Kommandanten gut bestückt. Wir werden uns unserer Haut zu wehren wissen.“ „Aye, Sir!“ sagte der Profos, griff sich einen schweren Stuhl und ließ ihn spielerisch über dem Kopf kreisen. „Dem ersten, der seinen Wasserkopf zur Tür reinsteckt, werde ich die Glatze mit diesem hübschen Möbelstück polieren!“ Da Edwin Carberry dem gefesselten Stützpunktkommandanten einen wilden Blick zuwarf, fing dieser laut an zu jammern. Offenbar fürchtete er, mit dem Stuhl erschlagen zu werden, denn seiner Meinung nach war sein Leben als Geisel ohnehin verwirkt. „Hör auf zu flennen, du armselige Bratwurst“, röhrte Ed, „sonst kriege ich am Ende noch Mitleid mit dir!“ Torres' Antwort bestand in einem lauten Gekreische, mit dem er die Soldaten draußen vor der Tür immer wieder aufforderte, endlich zu verschwinden. Die Seewölfe und die drei Spanier von der versenkten „Confianza“ griffen nach ihren Waffen und bauten sich vor der Tür auf. „Auf mein Zeichen hin werden wir den Riegel zurückschieben und die Tür blitzschnell aufreißen“, sagte Hasard mit gedämpfter Stimme. „Im selben Augenblick schlagen wir zu. So haben wir zumindest ein Überraschungsmoment auf unserer Seite, denn sie rechnen gewiß nicht
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damit, daß die Tür plötzlich geöffnet wird.“ Der Seewolf hatte längst begriffen, welches Spiel da über die Bühne ging, und er konnte sich auch sehr gut vorstellen, welche Überlegungen auf der gegnerischen Seite den Ausschlag für den überraschenden Angriff. gegeben hatten. Warum blieb der Teniente im Hintergrund und ließ nichts von sich hören? Es war eindeutig, daß er den Tod des Kommandanten bewußt in Kauf nahm. Weshalb hatte man bisher nicht versucht, von außen die Fenster zu stürmen? Und warum bemühte man sich auf eine zeitraubende Art und Weise, die Tür einzuschlagen? Er anstelle der Spanier hätte eine wohldosierte Pulverladung benutzt, und die Tür wäre in sekundenschnelle aus den Angeln geflogen. Ja, für ihn gab es nicht den geringsten Zweifel, daß es sich bei diesem Sturmangriff nur um einen Scheinangriff handelte, mit dem der Teniente versuchte, die Situation für s ne privaten Interessen auszunutzen. Wahrscheinlich wartete er bereits irgendwo im Hintergrund darauf, den Todesschrei Torres' zu hören. Aber da würde er vergeblich warten, denn niemand von den Seewölfen hatte sich je an einem hilflosen Mann vergriffen. Zumindest in dieser Hinsicht konnte die Rechnung Menachos nicht aufgehen. Schwere Axthiebe fetzten erneut Holzstücke aus der Tür. Da griff Hasard zu und schob den schweren Riegel zurück. Ferris Tucker hatte die schmiedeeiserne Türklinge bereits fest in der Hand und riß auf das Kopfnicken Hasards hin die Tür weit auf. Manuel Orosco Torres, der völlig verkrampft in seinem Lehnstuhl saß, verfolgte das Geschehen mit schreckgeweiteten Augen. Die Seewölfe sowie Adriano de Mendoza y Castillo und seine beiden Offiziere waren fest entschlossen, sich die Angreifer vom Leib zu halten. Sie hatten sich aus dem privaten Waffenarsenal Torres' mit Messern, Degen, Säbeln und Pistolen
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eingedeckt, und sie würden diese Waffen ohne zu zögern gegen die spanische Übermacht einsetzen, zumal Torres als Geisel keinen Abschreckungseffekt mehr hatte. Es ging um das nackte Überleben sowohl für die Seewölfe als auch für die drei Spanier, die man schon durch den „Fangschuß“ auf die „Confianza“ hatte töten wollen. Die Tür prallte mit dumpfem Geräusch gegen die Wand. Im selben Augenblick flog ein schwergewichtiger Soldat, der sich gerade mit seinem ganzen Körpergewicht dagegen werfen wollte, der Länge nach in den Raum. Zwei weitere Kerle mit Äxten in der Hand stolperten hinterher, und zwar mit dem Ausdruck maßloser Verblüffung in den Gesichtern. Das spanische Schwergewicht landete, wie es sein Schicksal wollte, direkt vor den Füßen Edwin Carberrys und versuchte, sich, so rasch es seine Leibesfülle zuließ, vom Boden hochzustemmen. Aber damit war Carberry absolut nicht einverstanden. „Was man versprochen hat, das soll man auch halten“, sagte er mit einem gefährlichen Knurren. Dann sauste der schwere Stuhl, den er hoch über seinen Kopf erhoben hatte, nach unten. Der Spanier stieß einen Grunz-laut aus und sank wie ein Mehlsack auf den Boden zurück. Für ihn war der Kampf vorerst beendet, nicht aber für seine nachdrängenden Kumpane. Die sechs Seewölfe und die drei Spanier warfen sich den Eindringlingen mit Todesverachtung entgegen. Dan O'Flynn und Batuti kümmerten sich um die beiden Kerle mit den Äxten. Noch bevor sie damit irgendeinen Schaden anrichten konnten, krachten ihnen die Griffe schwerer Steinschloßpistolen auf die Köpfe, so daß im wahrsten Sinne des Wortes feurige Sterne vor ihren Augen tanzten, bevor sie besinnungslos zusammenbrachen. Ferris Tucker, der seine riesige Zimmermannsaxt vermißte, nutzte die Gunst des Augenblicks zu einem Waffenwechsel. Er schob sein Messer blitzschnell in den Gürtel zurück und griff
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sich eine der beiden Äxte. Und damit war er in seinem Element, denn wohin er auch mit dem stumpfen Teil dieses Werkzeugs traf - es wuchs dort kein Gras mehr. Hasard, Smoky und die Spanier kämpften mit Degen und Säbeln. Castillo, der notgedrungen gegen seine eigenen Landsleute angehen mußte, erwies sich als wendiger und geschickter Degenkämpfer. Ein spanischer Soldat riß seine Pistole hoch, um sie auf Castillo abzufeuern. Doch der ehemalige Kapitän der „Confianza“ reagierte geistesgegenwärtig, indem er sich zur Seite warf, nach vorn hechtete und zustieß. Als das Mündungsfeuer grell aus dem Pistolenlauf stach, bohrte sich sein Degen in die Brust des Angreifers. Die Kugel pfiff an ihm vorbei und fegte den Mörtel von der gegenüberliegenden Wand. Auch Alfredo Vergara und Juan Luis Benitez kämpften zäh und verbissen, sie wußten, daß es um ihre Köpfe ging. Torres mußte das Kampfgetümmel hilflos mit ansehen. Mit bleichem Gesicht zerrte er an seinen Fesseln, die Angst trieb ihm den Schweiß auf die Stirn. Schließlich war die Pistolenkugel, die Castillo zugedacht war, nicht weit von seinem Kopf entfernt vorbeigestrichen. Er fluchte, kreischte und brüllte - jedoch ohne das geringste Ergebnis. Am allerwenigsten hörten die Soldaten auf ihn, die seiner Befehlsgewalt unterstellt waren. Wer von Menachos Soldaten in den Raum drängte, konnte sich nicht lange halten. Entweder wurde er von Pistolengriffen, vom stumpfen Teil einer Axt, von Degen oder aber den Fragmenten eines Stuhls niedergestreckt. Edwin Carberry schwang das ihm verbliebene Stuhlbein wie ein Racheengel sein flammendes Schwert. Ein Spanier, der vor wenigen Augenblicken von Batuti niedergeschlagen worden war und noch einen reichlich benommenen Kopf hatte, kroch auf allen vieren an den Profos heran, um ihm die Beine wegzuziehen. Seine Hand verkrampfte sich jedoch lediglich in Eds Leinenhose. Wütend fuhr der Profos herum.
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„Willst du mir wohl von der Wäsche bleiben, was, wie? Du kannst mir doch nicht vor so vielen Leuten die Hose runterziehen! Pfui Teufel, dir werd' ich's zeigen, du Strolch!“ Das Stuhlbein befreite ihn rasch von dem lästigen Anhängsel. Der Kampf, der von lautem Gebrüll und deftigen Flüchen begleitet wurde, tobte unvermindert weiter. Schließlich schafften die Seewölfe den Durchbruch. Draußen auf dem Gang herrschte weit mehr Bewegungsfreiheit als in der verhältnismäßig schmalen Türöffnung. Für die Spanier sollte sich dieser Umstand als Nachteil erweisen, denn Philip Hasard Killigrew und seine Männer wirbelten wie ein Unwetter durch die Schar der Angreifer. Zwei von ihnen hatte der Seewolf im Handumdrehen die Steintreppe hinunterbefördert, die auf den Innenhof mündete. Nach und nach gewannen die Seewölfe sowie Castillo und seine beiden Offiziere die Oberhand. Hasard hatte längst festgestellt, daß sich bei weitem nicht alle Soldaten des Stützpunktes zu dem Sturmangriff versammelt hatten. Auch Menacho war nirgends zu entdecken. Wie es aussah, hatte man nur eine verhältnismäßig kleine Abordnung mit dem Auftrag losgeschickt, die Engländer und Spanier in den Privatgemächern durch einen Scheinangriff zu provozieren. Der Teniente selber führte mit dem anderen Teil seiner Leute sicherlich etwas ganz anderes im Schilde. Bei einer günstigen Gelegenheit zog Hasard Castillo zur Seite und berichtete ihm stichwortartig von seinen Vermutungen. „Den Rest hier werden unsere Leute allein schaffen“, sagte er. „Doch wenn wir vor weiteren unliebsamen Überraschungen sicher sein wollen, sollten wir uns getrost etwas umsehen.“ Damit war Castillo einverstanden. „Ich kenne mich im gesamten Stützpunkt sehr gut aus“, sagte er. „Irgendwo werden wir den Teniente finden, darauf. können Sie sich verlassen.“
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Der spanische Adelige folgte dem Seewolf flink die hohe Steintreppe hinunter. * Der glutrote Ball der Sonne schob sich langsam der westlichen Kimm gegen, die Abenddämmerung würde nicht mehr lange auf sich warten lassen. Philip Hasard Killigrew und Adriano de Mendoza y Castillo hatten bereits mehrere Gebäude und Räumlichkeiten des Hauptquartiers kontrolliert, ohne jedoch eine einzige Menschenseele zu entdecken. Als nächstes wollten sie sich den Offizierswohntrakt vorknöpfen, in dem auch Teniente Menacho sein Domizil hatte. Das Gebäude lag jenseits des großen Hofes, der auch als Appellplatz diente, und um den sich rechtwinklig die aus Stein gebauten Mannschaftsunterkünfte gruppierten. Vorsichtig und mit gezogenen Degen huschten sie an einem Vorratsschuppen entlang. Außer dem Geschützdonner, der von der Hafeneinfahrt heraufdröhnte, lag ihnen noch der Lärm des Kampfes um die Privatgemächer des Kommandanten in den Ohren. „Vielleicht ist Menacho mit einem Teil seiner Leute zum Hafen marschiert, weil Verstärkung gebraucht wurde“, sagte Castillo. „Unter normalen Umständen wäre das durchaus denkbar“, erwiderte Hasard. „Aber jetzt, da sich hier im Stützpunkt eine Entscheidung anbahnt, ist es doch unwahrscheinlich.“ Er sollte recht behalten, denn nur wenige Augenblicke später, als er und Castillo an den Stallungen entlangeilten, in denen die Hühner und Schweine untergebracht waren, stockte ihnen der Atem. Von den Mannschaftsunterkünften her war wie aus dem Boden gewachsen eine Einsatzgruppe von mehr als einem Dutzend Soldaten aufgetaucht, die sich unter der Führung Teniente Menachos auf das Hauptgebäude zubewegte. Die Burschen waren mit allem ausgerüstet, was man für das Vordringen in ein
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festungsähnliches Gebäude brauchte. Selbst Leitern, Stricke und Wurfanker fehlten nicht. Menacho wollte offensichtlich wenig Aufsehen erregen. Er achtete darauf, daß sich seine Männer leise. vorwärtsbewegten und erteilte seine Befehle nur mit halblauter Stimme. Für den Seewolf gab es keinen Zweifel daran, daß man jetzt die Wohnräume des Kommandanten auch von der Fensterfront her stürmen wollte, um den Kampf endgültig zu entscheiden. Seine Blicke tasteten sich an den Mauern der Stallgebäude entlang. Der einzige Schlupfwinkel, der sich im Moment bot, war der Schweinestall. „Kommen Sie“, zischte er. „Wir müssen versuchen, da hineinzugelangen. Wenn wir hierbleiben, wird man uns unweigerlich sehen.“ Die beiden Männer stürmten los, und es gelang ihnen tatsächlich, unbemerkt im Schweinestall zu verschwinden. Dem Schmutz und Gestank nach zu urteilen, kümmerten sich die Bewohner des Stützpunktes nur um die Tiere, wenn es ans Schlachten ging. Hasard und Castillo hielten unwillkürlich den Atem an. Man schien die Stallungen seit Tagen nicht gesäubert zu haben. „Verdammt, jetzt wird es brenzlig“, stellte Castillo fest. „Menacho ist uns mit seinen Soldaten haushoch überlegen.“ „Das schon“, sagte Hasard, „aber es bleibt uns trotzdem nichts anderes übrig, als sie aufzuhalten, sonst fallen sie unseren Leuten in den Rücken.“ Castillo fuhr sich mit fünf Fingern durch seine mittelblonden Haare. „Wie können wir das schaffen? Wir sind nur zu zweit, und sie sind ein ganzes Dutzend.“ Der Seewolf lächelte, und seine eisblauen Augen blitzten. „Ich gebe zu, es wird nicht leicht sein“, sagte er. „Am besten, wir warten, bis sie ihre Wurfanker hinaufbefördert haben und sich an den Seilen hochhangeln. Wenn wir es dann geschickt anstellen, können wir sie wie reife Äpfel vom Baum schütteln. In
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bezug auf die Leitern wird uns mit Sicherheit was einfallen. Auf jeden Fall müssen wir sie überraschen, bevor sie durch die Fenster ins Gebäude gelangen.“ „Der Vorschlag ist gut“, sagte Castillo. „Solange sie sich auf den Leitern befinden oder an den Stricken herumturnen, werden wir ihnen überlegen sein. Und bis sie begreifen, was geschieht, werden wir schon einige von ihnen ins Reich der Träume befördert haben.“ „Ganz recht“, bestätigte Hasard. „Wir können uns zwar nicht lange gegen sie halten, aber ich baue darauf, daß uns unsere Leute zu Hilfe eilen. Lange kann es bestimmt nicht mehr dauern, bis sie oben vor dem Eingang restlos aufgeräumt haben. Wir müssen also versuchen, die Burschen so lange aufzuhalten, bis unsere Verstärkung da ist.“ Daß zu diesem waghalsigen Unternehmen eine gehörige Portion Glück notwendig war, wußten sie. Dennoch war es die einzige Möglichkeit für sie, wenn sie nicht wieder in die Hände der Spanier fallen wollten. „Wenn es uns gelingen würde, Menacho am Kragen zu packen, dann wäre uns endgültig geholfen“, sagte Castillo. Der Seewolf nickte. „Sollte sich uns die Gelegenheit dazu bieten, werden wir selbstverständlich zugreifen.“ Die beiden Männer schlüpften aus dem stinkenden Schweinestall und sogen zunächst einmal mit langen Zügen die frische Luft in ihre Lungen. Dann pirschten sie sich im Schatten der Stallungen und Vorratsschuppen an das Hauptgebäude heran, Menacho und seine Soldaten hatten inzwischen die Rückfront des Gebäudes erreicht. Auf sein Zeichen hin wurden die Leitern an die Mauer gelehnt, und einige Soldaten kletterten sofort hinauf. Nebenan flogen die ersten Wurfanker durch die Luft, zertrümmerten die Bleiglasfenster und krallten sich an den Simsen fest. Mehrere Männer turnten an den kräftigen Stricken nach oben. Nur zwei Uniformierte blieben zurück, um die Leitern zu sichern darunter Menacho. Er liebte es nicht
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besonders, den Kopf hinzuhalten, und wenn andere das taten, hielt er sich lieber vornehm zurück - wie sich das für den künftigen Kommandanten des Inselstützpunktes gehörte. Der Seewolf und Castillo nickten sich zu, dann setzten sie sich in Bewegung und jagten mit langen Sätzen über den Appellplatz. Da ihnen die Soldaten, einschließlich Menachos, die Rücken zukehrten, gelangten sie ungesehen an den Einsatzort. Während Castillo seinen ersten Gegner mit dem Griff seiner Pistole zusammenschlug, setzte Hasard dem Teniente, der mit beiden Händen die Leiter festhielt, die Degenspitze an den Hals. „Keine falsche Bewegung, Teniente!“ sagte er mit harter Stimme. „Sagen Sie Ihren Leuten ...“ Weiter gelangte er nicht, denn er hatte nicht mit der blitzschnellen Reaktion eines bulligen Kerls gerechnet, der auf der fünften Leitersprosse stand und im Begriff war, drei anderen Soldaten nach oben zu folgen. Als der muskelbepackte Bursche die Stimme Hasards vernommen hatte, war er sofort herumgewirbelt und ohne zu zögern in die Tiefe gesprungen. Dem Seewolf war keine Zeit mehr zu einer entsprechenden Reaktion geblieben. Die massige Gestalt des Soldaten riß ihn zu Boden und ließ ihn hart auf der festgestampften Erde aufschlagen. Ein jäher Schmerz zuckte ihm durch die linke Schulter, aber er biß die Zähne zusammen und versuchte, sich möglichst rasch von dem Fleischberg, der auf ihm lastete, zu befreien. Daß der Spanier bei seinem waghalsigen Sprung ordentlich auf den Kopf gefallen und daher noch etwas benommen war, gereichte Hasard zum Vorteil. Der Kerl erholte sich jedoch außerordentlich schnell und bemühte sich, ihn mit seinem Körpergewicht am Boden festzunageln. Sein nächstes Ziel bestand darin, mit seinen riesigen Pranken den Hals des Seewolfs zu umklammern. Hasard schaffte es jedoch rechtzeitig, die Beine anzuwinkeln und dem bulligen
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Soldaten unter Aufbietung aller Kräfte die Füße in den Leib zu rammen. Der Kerl wurde wie von einem Katapult abgeschossen zurückgeschleudert, prallte mit einem keuchenden Laut gegen den wie erstarrt dastehenden Teniente und riß diesem unabsichtlich die Beine unter dem Körper weg. Menacho fiel fluchend auf den Bauch. „Verdammter Scheißkerl!“ rief er. Dann verpaßte er dem Soldaten noch im Liegen einen Tritt und trachtete danach, sich so schnell wie möglich wieder aufzurappeln. Die Männer auf den Leitern waren wie ihre Kumpane, die sich an den Stricken hochhangelten, auf das Geschehen aufmerksam geworden. Einige wollten nach unten klettern, und diejenigen, die schon fast .oben waren, versuchten ihren Weg fortzusetzen. Ein bärtiger Kerl, der schon ein Bein über den Fenstersims geschwungen hatte, riß seine Pistole aus dem Gürtel, spannte den Hahn und legte von oben auf Castillo an. Doch der hatte das Vorhaben des Soldaten bemerkt und brachte sich rechtzeitig aus der Schußlinie - nicht aber jener dürre Kerl, der von einem der Seile abgesprungen war und sich von hinten an ihn herangepirscht hatte, um ihm sein Messer in den Rücken zu jagen. Der Schuß krachte, und der Dürre stieß einen markerschütternden Schrei aus. Das Messer entglitt seiner Hand, dann kippte er vornüber. Der Bärtige auf dem Fenstersims begriff offenbar nicht sofort, was geschehen war und starrte entgeistert auf den leblosen Körper. Diese kurze Zeitspanne genügte Castillo, seine Steinschloßpistole hochzureißen. Der Schuß löste sich donnernd, Pulverdampf wölkte auf und verbreitete einen beißenden Geruch. Der Bärtige ließ seine Waffe fallen, griff sich mit weit aufgerissenen Augen an die Brust und stürzte dann nach unten. Dabei riß sein Körper einen anderen Soldaten von der Leiter.
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Der Seewolf befand sich wieder auf den Beinen und hatte seinen Degen in der Hand. „Die Leitern!“ rief er zu Castillo hinüber. Einen Lidschlag später packten beide zu und rissen die Leitern seitwärts um. Das Holz schrammte an der Mauer entlang und schlug, die Leiber der Soldaten mit sich reißend, hart auf der Erde auf. Im selben Augenblick, in dem der Teniente wieder auf die Beine kam und dem bulligen Soldaten einen weiteren Tritt verpaßte, griffen sich Hasard und Castillo die unteren Ende der Stricke, an denen etliche Kerle hinaufhangelten. Sie zogen die Seile mitsamt den Kerlen ein Stück von der Mauer weg und ließen sie dann los. Die Soldaten, die sich verzweifelt daran festklammerten, prallten mit Wucht gegen die schroffen Steine und holten sich blutige Nasen und zerschundene Köpfe. Diejenigen, die nicht gleich hinunterstürzten, sondern sich in die Tiefe gleiten ließen, rissen sich die Hände blutig. Fürs erste waren die Spanier von ihrem eigentlichen Vorhaben abgelenkt. Keiner von ihnen dachte jetzt noch daran, die Gemächer des Kommandanten zu stürmen. Ihre ganze Wut konzentrierte sich auf die beiden Männer, die ihnen so mächtig einheizten. Zwei ihrer Kumpane hatte Adriano de Mendoza y Castillo besinnungslos geschlagen. Zwei weitere waren von Pistolenkugeln getroffen worden, einer rührte sich nicht mehr, und seine Augen starrten blicklos in die Ferne, weil er sich beim Sturz von der Leiter das Genick gebrochen hatte. Ein weiterer Mann hielt sich das gebrochene Bein und hockte fluchend und stöhnend am Boden. Doch sechs wutentbrannte Soldaten hatten der Seewolf und Castillo trotzdem noch gegen sich - zu viele, um sich für längere Zeit halten zu können. Hasard hoffte, daß seine Männer, die sich noch am Eingang des Hauptgebäudes mit den Angreifern herumschlugen, zumindest die beiden Pistolenschüsse gehört hatten. Zunächst aber gab es noch alle Hände voll zu tun.
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Menacho schwang mit haßverzerrtem Gesicht seinen Degen und hieb wie ein Rasender auf den Seewolf ein. „Diesmal bleibst du auf der Strecke, du Hundesohn!“ brüllte er. „Ich werde dich zerstückeln und den Haien zum Fraß vorwerfen!“ „Paß lieber auf, daß sie dir nicht aber in den Hintern beißen!“ rief Hasard ungerührt zurück und wehrte die heftigen Ausfälle Menachos mit meisterhaftem Geschick ab. Castillo war in einen Degenkampf mit dem bulligen Kerl verwickelt, der Hasard von der Leiter aus angesprungen hatte. Auch er mußte alle Register seines Könnens ziehen. „Ich werde dich aufspießen und er dem Feuer rösten, du elender Verräter!“ stieß der Schwergewichtige schnaubend hervor. „Bis zu deinem letzten Atemzug soll es dir leidtun daß du dich auf die Seite der englischen Bastarde geschlagen hast.“ „Dummkopf!“ rief Castillo. „Denk lieber mal darüber nach, daß die 'Confianza` von Mitgliedern des eigenen Verbandes versenkt wurde. Wenn mich die Engländer nicht aus dem Wasser gefischt hätten, wäre ich längst ersoffen, und eine ganze Reihe meiner Leute ebenfalls. Aber dir Einfaltspinsel fällt ja noch nicht mal auf, wenn dir Menacho als Dank für deine Hilfe in den Hintern tritt!“ Der Bullige glotzte in der Tat recht dumm. Trotzdem war er geradezu darauf versessen, Castillo umzubringen. Die vier übrigen Soldaten lauerten auf eine günstige Gelegenheit. Jeder von ihnen war bereit, den beiden Gegnern in den Rücken zu fallen. Nur der Befehl Menachos hielt sie noch zurück. ..El Lobo del Mar gehört mir!“ schrie er. „Und wenn der Teufel es will, kriege ich ihn lebend!“ Im Augenblick sahen die Chancen des Teniente gar nicht so günstig aus. Der Seewolf hielt ihn in Bewegung. Die Atemluft wurde knapp, und der Schweiß floß ihm in Strömen über das wütende Gesicht. Je heftiger seine Ausfälle wurden, desto glänzender parierte sie Hasard. Dabei entging ihm nicht, wie einer der Soldaten seine Pistole aus dem Gürtel zog
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und auf Castillos Rücken zielte. Der häufige Standortwechsel und die raschen Körperbewegungen, die der Kampf mit sich brachte, ließen ihn jedoch nicht sofort zum Schuß kommen. Hasard hätte Castillo am liebsten eine Warnung zugebrüllt, aber er ließ es sein, um ihn nicht abzulenken. Der Muskelberg, der von Menacho mit wütenden Tritten bearbeitet worden war, hieb und stach wie ein Verrückter um sich. Würde sich Castillo auf einen Warnruf hin umdrehen, wäre das sein sicherer Tod. Der bullige Kerl würde die Chance nicht ungenutzt lassen. Der Seewolf war sich darüber klar, daß er sofort etwas unternehmen mußte, wenn er das Leben Castillos retten wollte. Aber was? Er selbst befand sich in einem erbitterten Duell mit Menacho und durfte in seiner Konzentration keinen Augenblick nachlassen. Da fiel es ihm ein. Er stellte seine Kampfweise sofort auf eine bestimmte Taktik um und ließ sich von Menacho ziemlich schnell auf die vier Soldaten zutreiben. Schritt um Schritt wich er vor den Ausfällen des Teniente zurück, so daß dieser bereits höhnisch zu grinsen begann. „So langsam reicht es dir wohl, was?“ Der Seewolf antwortete nicht, doch als er seinem Ziel nahe genug war, hechtete er plötzlich einen Schritt nach vorn und fegte den Degen Menachos mit einem wuchtigen Hieb zur Seite. Fast gleichzeitig wirbelte er herum und schlug blitzschnell zu. Der Soldat, der sich schräg hinter ihm befunden hatte, stieß einen lauten Schmerzensschrei aus, ließ die Pistole fallen und blickte ebenso verwundert wie entsetzt auf seinen blutenden Unterarm. Castillo bedachte die Szene lediglich mit einem kurzen Blick, ohne jedoch zu begreifen, daß der Seewolf ihm soeben das Leben gerettet hatte. Es verblieb ihm auch gar keine Zeit, denn der Bullige hielt ihn vollauf beschäftigt. Menacho hatte die Aktion Hasards in allen Details miterlebt und reagierte zunächst mit grenzenloser Verblüffung. Doch bevor
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er die Situation in irgendeiner Weise ausnutzen konnte, stand ihm der Seewolf wieder als ernstzunehmender Gegner gegenüber. Plötzlich begriff der Teniente auch, warum der Engländer so bereitwillig zurückgewichen war. Er schalt sich einen Narren, weil er dieses Zurückweichen auf seine eigene Kampfweise zurückgeführt hatte. „Zum Teufel, noch mal legst du mich nicht aufs Kreuz!“ fluchte er, und seine Augen funkelten tückisch. Mit schweißglänzendem Gesicht drang er auf Hasard ein, und dieser mußte sich sofort wieder voll auf den Kampf konzentrieren, um nicht den Degen Menachos in den Leib zu kriegen. Trotzdem schaffte er es nicht mehr, genügend Abstand zwischen sich und die vier Soldaten zu bringen, denen er zwangsläufig den Rücken zukehrte. Im selben Augenblick, in dem er den Teniente einige Yards zurückdrängen wollte, spürte er einen fürchterlichen Schlag auf den Hinterkopf. Sein Degenhieb verpuffte wirkungslos in der Luft, und vor seinen Augen zuckten grelle Blitze. Schließlich verschlang ihn das endlose, schwarze Loch der Besinnungslosigkeit. 8. „Vorsicht!“ brüllte Edwin Carberry in seinem besten Spanisch. Er deutete dabei mit ausgestrecktem Zeigefinger in Richtung Treppe. Der Kopf des kleinen, rundlichen Soldaten ruckte herum, und in diesem Moment schoß die klobige Faust des Profos' wie ein Schmiedehammer nach vorn. Der Spanier verdrehte die Augen, stieß einen ergebenen Seufzer aus und segelte mit ausgebreiteten Armen die Treppe hinunter. „Reingefallen, du Lausekerl!“ rief Ed ihm hinterher und verzog sein narbiges Gesicht zu einer triumphierenden Grimasse. „Will noch einer von euch lausigen Dons hoch an den Wind gehen, was, wie?“ Da sich niemand freiwillig meldete, schnappte er den hageren Kerl, den Batuti
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gerade vor sich her trieb, am Kragen, drehte ihn um, und verhalf ihm durch einen schwungvollen Tritt gegen den Hintern zur Gewinnung der Luvposition. Sekunden später vergrößerte der Hagere die Schar derer, die am Fuße der Treppe und in der näheren Umgebung lagen. Das Kampfgetümmel ebbte langsam, aber spürbar ab, denn die Zahl der kampfwilligen Spanier hatte sich zusehends verkleinert. Selbst das angstvolle Geschrei Manuel Orosco Torres' hatte nachgelassen. Der Kommandant hing halb ohnmächtig in seinem Lehnstuhl und Wimmerte leise vor sich hin. Nicht etwa, weil ihm irgendjemand was Böses angetan hätte, o nein, aber er schien nach wie vor der Überzeugung zu sein, daß ihn die Engländer umbringen würden. Bis jetzt waren sie nur noch nicht dazugekommen. Aber sobald sie mit seinen Soldaten fertig waren, würde es ihm an den Kragen gehen. O Madonna! dachte er und schüttelte sich ob der kalten Schauer, die ihm den Rücken hinauf und hinunter liefen. Im Geiste sah er sich bereits in der winzigen Kapelle des Stützpunktes aufgebahrt. Der düstere Raum wurde durch Kerzenlicht erleuchtet, und am Fuße seines Lagers standen Rosita, Maria, Juanita und all die anderen Schönen, die er während seines irdischen Daseins so gerne beglückt hatte. Aus den dunklen Samtaugen der Senoritas rannen Tränen – Tränen um ihn, Manuel Orosco Torres. Der Kommandant seufzte schwer, ja, er verging fast vor Selbstmitleid. Dabei boten ihm die Seewölfe vor und in seinem prunkvollen Gemach ein Schauspiel, wie er es noch selten erlebt hatte. Er hätte nur die dunkel umrandeten Augen zu erheben brauchen, um den Kampfgeist seiner Untergebenen mitzuerleben. Wer weiß, vielleicht hätte ihm dieser Anblick in seiner schweren Stunde sogar etwas Erheiterung verschafft. Dan O'Flynn, Batuti, Ferris Tucker, Smoky und der Profos räumten gewaltig unter den Spaniern auf. Alfredo Vergara und Juan Luis Benitez halfen ihnen dabei, denn sie
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hatten noch nicht vergessen, was mit der „Confianza“ geschehen war. Dan O'Flynn hatte den vierschrötigen Sargento, der die Gruppe der Spanier anführte, vor der Klinge. Seine Ausfälle und Paraden hatten ihn bereits bis an die Gebäudemauer zurückgedrängt. Smoky kämpfte mit einem Säbel, und Ferris Tucker war an einen kräftigen Burschen geraten, der einen Helm trug. Der rothaarige Schiffszimmermann wich dem Messerstoß des Soldaten geschickt aus, dann krachte das stumpfe Ende der Axt mit knirschendem Geräusch auf den Helm. „Hui“, sagte Ferris grinsend, „jetzt hast du aber 'ne Beule in deinem Nachttopf.“ Der Spanier war nicht mehr ganz bei der Sache. Während ihm langsam die Knie einknickten, blickte er nicht gerade geistreich in die Gegend und rutschte dann seitwärts auf den Steinboden. Der Profos streckte die Pranken nach einem stämmigen Mann aus, der sich an ihn herangepirscht hatte, um ihm die leergefeuerte Pistole auf den Schädel zu klopfen. „Du hast mich nicht gefragt, ob ich einverstanden bin“, sagte Ed, nachdem er ihm die Waffe aus der Hand gewunden hatte. Dann packte er den Kerl am linken Ohrläppchen und dirigierte ihn den Flur entlang. Er folgte willig und mit schmerzlich zusammengekniffenen Augen. „Schneller, du Rübenschwein!“ befahl Ed. Der Spanier gehorchte und rannte mit essigsaurem Gesicht neben ihm her. Der Profos dachte nicht daran, das fleischige Ohrläppchen loszulassen. „So ist's gut“, fuhr er fort. „Und jetzt fallen wir hart nach Backbord ab!“ Der Soldat folgte dem Befehl augenblicklich, und das war sein Fehler, denn in der nächsten Sekunde bumste er gewaltig mit dem Schädel gegen die Mauer. Ed konnte schließlich nichts dafür, daß sie den Weg nach Backbord versperrte. Genau zu diesem Zeitpunkt krachte etwas weiter entfernt ein Pistolenschuß. Er war deutlich aus dem Gefechtslärm
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herauszuhören, der noch immer von der Hafeneinfahrt heraufdröhnte. Die Seewölfe horchten auf. „Dieser Schuß hat nichts mit dem Gefecht zu tun“, sagte Smoky, der Decksälteste. „Meiner Meinung nach ist er auf der anderen Seite des Gebäudes abgefeuert worden.“ Die anderen pflichteten ihm bei, zumal jetzt auch erregte Stimmen und vereinzelte Schreie zu hören waren. „Ob Hasard und Castillo auf Schwierigkeiten gestoßen sind?“ fragte Dan, der den Sargento nach einem Degenkampf entwaffnet und niedergeschlagen hatte. „Das hört sich ganz so an“, sagte Ferris Tucker. Gleich darauf war abermals der peitschende Knall einer Steinschloßpistole zu hören. „Da stimmt echt was nicht!“ rief Dan. „Los, haut diesen Burschen noch was auf die Köpfe, dann schauen wir nach!“ Der Kampf, der meist nur noch aus einem wilden Handgemenge bestand, war bald entschieden. Die Spanier hatten die Nasen gestrichen voll, soweit sie überhaupt noch bei Bewußtsein waren. „Batuti und Smoky, ihr bleibt hier und paßt auf diese Plattfußkrieger auf“, sagte Edwin Carberry. „Alle anderen folgen mir. Ich werde das lausige Gefühl nicht los, daß unser Kapitän Ärger gekriegt hat.“ Da hatte Edwin Carberry ein wahres Wort gesprochen. Die kleine Schar war noch nicht am Ende der Treppe angelangt, als sich ihren Augen ein erschütterndes Bild bot. Eine Gruppe von Soldaten bog um die Ecke des Hauptgebäudes. Mit Pistolen und Degen hielten die Spanier zwei gefesselte Männer in Schach. Es handelte sich um Castillo und den Seewolf. Edwin Carberry kratzte sich am Hinterkopf. „Verdammt und zugenäht!“ stieß er hervor. „Wir kommen tatsächlich zu spät. Ich könnte mir selber in den Hintern beißen.“ Auch die anderen Männer schluckten hart und zogen ernste Gesichter.
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Teniente Menacho, der die Soldaten anführte, kostete seinen Triumph aus. „Werft eure Waffen weg und ergebt euch!“ brüllte er. „Wenn ihr auf dumme Gedanken verfallt, werden wir diese beiden Männer vor euren Augen töten.“ Der breitschultrige Mann mit dem schwarzen Oberlippenbart deutete jetzt auf Batuti und Smoky, die sich noch oberhalb der Treppe aufhielten. „Das gilt auch für euch. Weg mit den Waffen! Dann geht schön langsam die Treppe hinunter!“ Die Seewölfe sahen sich betroffen an, dann wanderten ihre Blicke zu Hasard und Castillo. Die beiden Gefangenen standen mit unbewegten Gesichtern inmitten der Soldaten, die Hände hatte man ihnen auf den Rücken gebunden. „O Lord, das sieht schlecht aus für ins“, murmelte der Profos mit grimmiger Miene. „Wenn wir unsere Leute nicht in Gefahr bringen wollen, bleibt uns nichts anderes übrig, als dem Befehl dieses verlausten Bastards zu folgen.“ „Es ist einfach zum Verzweifeln“. flüsterte Ferris Tucker. „Jetzt, nachdem wir so schön am Zuge waren, .müssen wir uns von diesem Haderlumpen herumkommandieren lasDan O'Flynn räusperte sich. „Fang nur nicht an zu heulen“, sagte er dann. „Das hilft uns jetzt auch nicht mehr. Hasard und Castillo sind wahrscheinlich von dem Teniente überrascht worden und konnten sich nicht gegen seine Übermacht halten. Da auch Torres als Geisel wertlos geworden ist, müssen wir wohl oder übel das Beste aus dieser Situation machen.“ Er warf als erster seinen Degen weg, dann zog er die Pistole mit spitzen Fingern aus dem Gürtel und warf sie hinterher. Geladen war sie ohnehin nicht mehr, weil er sie zuletzt nur noch als Schlaginstrument benutzt hatte. Die anderen Männer, einschließlich Vergaras und Benitez' folgten zähneknirschend seinem Beispiel. Smoky und Batuti stiegen langsam die Treppe hinunter und gesellten sich zu ihren Kameraden.
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„Na also!“ fuhr Menacho höhnisch fort. „Erst spucken sie große Töne und prügeln sich herum, und jetzt sind sie so folgsam wie kleine Kinder. Man muß sie nur ordentlich an die Kandare nehmen.“ „Dir fasse ich eines Tages noch ganz woanders hin“, versprach Edvin Carberry wütend. Man sah ihm deutlich an, wie sehr er sich in der feinen Tugend der Selbstbeherrschung übte. „Willst du wohl dein Maul halten!“ brüllte Menacho. „Ohne meine Erlaubnis wird hier überhaupt nicht mehr geredet, merkt euch das gefälligst!“ Der Teniente winkte einige seiner Männer herbei und ließ den Seewölfen sowie seinen beiden Landsleuten Fesseln anlegen. Erst dann folgte sein eigentliches Anliegen. „Wo ist Senor Torres?“ fragte er barsch. Da seine Blicke auf Ferris Tucker haften blieben, fühlte sich dieser genötigt, die Frage zu beantworten. „In seinem Privatgemach“, sagte er kurz. „Und was ist mit ihm?“ Ferris bequemte sich zu einer Gegenfrage. „Was soll schon mit ihm sein? Wahrscheinlich hockt er noch immer mit vollen Hosen in seinem Lehnstuhl und jammert wie ein altes Weib.“ „Das verstehst du nicht, Ferris“, sagte Ed trotz des Redeverbots. „Er jammert nicht, sondern verzehrt sich vor Sehnsucht nach seinen kleinen, schnuckeligen Betthäschen!“ Der Teniente schien von der Auskunft überrascht zu sein. Sein Blick verfinsterte sich augenblicklich. Ohne auf die Bemerkung Edwin Carberrys einzugehen, fragte er: „Ihr -ich meine, ihr habt ihn am Leben gelassen?“ „Natürlich“, erwiderte Ferris. „Bei uns vergreift sich niemand an wehr- losen Gefangenen. Aber wenn ich Ihnen einen guten Rat geben darf, dann schicken Sie jemanden zu ihm, der ihn aus seinem Lehnstuhl befreit, sonst stirbt er womöglich noch vor lauter Angst.“ Menacho sagte vorerst nichts, aber seinem Gesicht war deutlich anzusehen, wie es hinter seiner Stirn arbeitete. Torres war
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also noch am Leben, diese verdammten Engländer hatten demnach seine Rechnung durchkreuzt. Dabei war er felsenfest davon überzeugt gewesen, daß sie ihre Geisel während des Sturmangriffs auf die Privatgemächer töten würden. Zumindest aber hatte er gehofft, daß Torres einer verirrten Kugel zum Opfer fallen würde. Aber nichts von all dem war geschehen. Während er und seine Männer unter Einsatz ihres Lebens mit den Engländern gekämpft hatten, hatte sich dieser stinkfaule Lebemann da oben in seinem Lehnstuhl ausgeruht. Nun ja, noch war nicht aller Tage Abend. Ihm, Menacho, würde schon noch ein Weg einfallen, den Kommandanten loszuwerden. Trotzdem, so überlegte er, mußten diese Engländer ein merkwürdiges Ehrgefühl haben. Sie ließen eine Mann wie Torres, der ihnen genug Schwierigkeiten bereitet hatte, einfach ungeschoren. Das mochte verstehen, wer wollte! Am oberen Treppenende bot sich den Soldaten und ihren Gefangenen ein groteskes Bild. Der kantige Sargento, dem Dan zu einigen Beulen verholen hatte, kroch auf allen vieren heran und glotzte stumpfsinnig die Stufen hinunter. „Gleich fängt er an zu bellen“, sagte Ed ungerührt. „Oder er hebt das Bein und ...“ „Du sollst das Maul halten!“ unterbrach ihn Menacho wütend. Drohend richtete er den Lauf seiner Pistole auf die Brust Carberrys. Dann wandte er sich an seinen Vertrauten, der offenbar gerade erst aus seiner Bewußtlosigkeit erwacht war. „Sargento, kümmern Sie sich um unseren Kommandanten! Befreien Sie ihn von seinen Fesseln und bringen Sie ihn in meine Unterkunft, damit er sich erholen kann!“ Zunächst reagierte der Sargento nicht, doch dann schien er langsam zu begreifen. „Jawohl, Teniente!“ rief er und rappelte sich vom Steinboden hoch. Bevor er im Inneren des Gebäudes verschwand, griff er sich ein Messer, um die Fesseln des Kommandanten durchschneiden zu können.
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Wenig später kehrte er mit Manuel Orosco Torres zurück, der sich mühsam auf seine linke Schulter stützte. „Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen für meine Befreiung danken soll, Teniente!“ rief Torres mit hoher Stimme. „Por Dios! Dabei hatte ich nicht mehr damit gerechnet, diese Schlacht zu überleben. Eigentlich kann ich es immer noch nicht fassen, daß ich mich nicht mehr in der Gewalt dieser Engländer befinde.“ „Schon gut, Capitan“, sagte Menacho heuchlerisch. „Es war mir eine Christenpflicht, Sie da herauszuholen. Bitte, machen Sie es sich zunächst in meinem Quartier bequem. Um diese Bastarde hier werde ich mich schon gebührend kümmern.“ Torres nickte dankbar und ließ sich - nicht ohne den Seewölfen gehässige Blicke zuzuwerfen - von dem Sargento zum Offizierswohntrakt geleiten. Philip Hasard Killigrew und seine Männer wurden zu den Mannschaftsunterkünften gebracht und dort in einen dunklen und muffigen Kellerraum gesperrt. 9. In fliegender Hast luden die Spanier ihre Geschütze nach. Da mußten zunächst die Rohre saubergewischt werden, damit man sich nicht der Gefahr von Rohrkrepierern aussetzte. Dann wurden die Kartuschen mit der genau berechneten Pulvermenge verdämmt und die Ladepfropfen und Kugeln mit dem Ansetzer an ihren Platz geschoben. Das alles brauchte seine Zeit, und genau diese fehlte den Spaniern jetzt. Die „Isabella“, die schwimmende Festung der Seewölfe, war der spanischen Galeone rasch aufgesegelt und befand sich jetzt auf gleicher Höhe mit ihr. „Steuerbordgeschütze!“ brüllte Ben Brighton. „Feuer frei!“ Sein Befehl erfolgte für die Spanier im ungünstigsten Augenblick, und das sollte ihnen zum Verhängnis werden. Die dreizehn Kanonen der Steuerbordseite brüllten auf und ließen das Schiff erzittern. Lange Feuerzungen stachen in die
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hereinbrechende Dunkelheit, als wollten sie den schweren Eisenkugeln den Weg zeigen. Die Breitseite fetzte der spanischen Galeone mit ungeheurer Wucht eine Reihe von Lecks in die Backbordseite. Außerdem wurde ein Teil der Takelage zerstört, Trümmerstücke der Aufbauten und des Schanzkleides flogen in hohem Bogen ins Wasser. An Bord der „Isabella“ begann ein lautes Triumphgeschrei. Selbst die Spanier, die man beim Untergang der „Confianza“ zusammen mit Castillo, Vergara und Benitez aus dem Wasser gefischt hatte, beteiligten sich daran und gingen den Seewölfen zur Hand, wo sie nur konnten. „Das waren Volltreffer!“ rief Al Conroy. Die Entsetzensschreie, die von dem schwer angeschlagenen Schiff herübertönten, gaben ihnen recht. Die Galeone zog Wasser, ihre Achterlastigkeit war schon nach kurzer Zeit nicht mehr zu übersehen. Wahrscheinlich saßen die Treffer am Heck tiefer und ließen das Wasser in riesigen Mengen in die unteren Schiffsräume strömen. „Die gehen auf Tiefe“, erklärte Old Donegal Daniel O'Flynn sachkundig. Und mit einem Grinsen fügte er hinzu: „Wenn die Wassermänner erst einmal zugepackt haben, lassen sie das Schiff nicht mehr los.“ Al Conroy, der die Worte vernommen hatte, warf Old Donegal einen schrägen Blick zu. „Ich möchte nur festhalten“, rief er. „daß wir mit Kugeln geschossen haben und nicht mit Wassermännern! Als Stückmeister kann ich beides noch voneinander unterscheiden.“ Trotz des Zustands, der bei den Spaniern herrschte, freute sich der alte O'Flynn diebisch, daß Al Conroy angebissen hatte. „Pah!“ rief er und winkte geringschätzig ab. „Woher willst du denn wissen, wie ein Wassermann aussieht, he?“ „Ich habe zwar noch keinen gesehen“, sagte Al bissig, „aber ich bin davon überzeugt, daß sie mit ihren dicken Ärschen niemals in unsere Geschützrohre
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passen würden.“ Er erntete brüllendes Gelächter, während er sich erneut den Steuerbordkanonen zuwandte, um die emsige Ladetätigkeit zu 'überwachen. Im Vergleich zu den vergangenen Stunden herrschte eine geradezu gespenstische Stille. Auf beiden Seiten wurde kein Schuß mehr abgefeuert, weder aus den Kanonen noch aus den Drehbassen oder Musketen. Nur das Geschrei der Spanier hielt unvermindert an. Die ersten Soldaten und Besatzungsmitglieder des zerschossenen Dreimasters sprangen über Bord, um auf die nahe Küste zuzuschwimmen. Sie hatten längst erkannt, daß ihr Schiff verloren war, und keiner von ihnen verspürte die geringste Lust, mit in die Tiefe gerissen zu werden. Die Achterlastigkeit der Galeone nahm ständig zu. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis die ersten Wogen das Achterkastell überfluteten. Bald war auch der letzte Mann von Bord gegangen und schwamm um sein Leben. Boote waren zwar vorhanden und auf der Kuhl festgezurrt, aber die Zeit hätte nicht ausgereicht, sie zu Wasser zu bringen. „Es wird Zeit, daß wir uns wieder um den anderen Kahn kümmern“, sagte Ben Brighton. „Hier gibt es für uns ohnehin nichts mehr zu tun. Wir sollten die Sache hinter uns bringen, bevor es völlig dunkel wird.“ Der Kampf gegen die beiden spanischen Schiffe hatte sich längst vor die Hafeneinfahrt verlagert. Als die Seewölfe die Felsenbatterien auf beiden Seiten der Einfahrt zusammenschossen, hatte man die beiden Galeonen in aller Eile bemannt und auf die „Jagd“ geschickt. Jetzt war nur noch eine davon im Einsatz. Sie war gerade über Stag gegangen und rauschte mit vollem Zug auf die „Isabella“ zu. Ihrer Besatzung war nicht entgangen, welch ungeheure Wirkung die Breitseite der Engländer zu verbuchen hatte. Die lauten Verwünschungen und das Rachegeschrei verstummten jedoch für kurze Zeit, weil sich alle Blicke auf das grausige
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Geschehen richteten, das sich unweit der Küste von Flores abspielte. Auch die Männer auf der „Isabella“ blickten stumm auf die Szene, die achteraus passierte. Der Bug der spanischen Galeone ragte steil nach oben, dann versank das Wrack mit dem Heck voran in den Fluten des Atlantiks. Das Blubbern, Schmatzen und Gurgeln, das einen solchen Vorgang zu begleiten pflegt, hörte rasch wieder auf. Es waren lediglich noch Trümmer und Leichen zu sehen, die von der Dünung hin und her getragen wurden. Der Untergang ihres Begleitschiffes reizte die Spanier fast bis zur Weißglut. Sie waren jetzt erst recht entschlossen, die „Isabella“ in Stücke zu schießen. Die Seewölfe hingegen ließen sich nicht von Emotionen überwältigen. Sie behielten in jeder Situation die Nerven und kalkulierten ihre Chancen und Möglichkeiten bis ins Detail. „Wir sollten nicht mehr viel Zeit verlieren“, sagte Ben Brighton zu Big Old Shane, der mit seinem wilden, grauen Bart und seiner hünenhaften Gestalt an den Meeresgott Neptun erinnerte. „Vom Stützpunkt her sind mit einiger Zeit keine Schüsse mehr hören. Das kann möglicherweise deuten, daß der Kampf, der dort im Gange war, entschieden ist.“ „Du hast Bedenken wegen unserer Leute?“ fragte Shane. „Ein bißchen schon“, gab Ben zu. „Bislang haben sie sich nicht im Hafen blicken lassen oder sich sonst wie bemerkbar gemacht. Das kann nichts Gutes bedeuten.“ Big Old Shane nickte. „Da kannst du recht haben, obwohl ich hoffe, daß du dich gründlich irrst.“ „Auf jeden Fall müssen wir jetzt hart und kurz zuschlagen, damit wir im Hafen nach dem Rechten schauen können“, fuhr Ben fort. „Wie willst du vorgehen?“ fragte Shane. „Am besten, wir verpassen ihnen im Vorbeilaufen ebenfalls eine Breitseite. Da sie mit Sicherheit das gleiche vorhaben, müssen wir sie schon kurz vorher ein
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bißchen erschrecken, damit sie sich selber ins Gehege geraten. Ich denke da an Brandpfeile und Flaschenbomben. wir verschaffen uns damit den Überraschungsvorteil und können Inn unsere Breitseite konzentrierter anbringen als sie.“ „Das ist keine schlechte Idee“, sagte Shane und griff nach seinem riesigen Langbogen. Batuti konnte ihm heute keine Gesellschaft dabei leisten, weil er sich wie Ferris Tucker, der sich normalerweise um die katapultartige Abschußvorrichtung für die Flaschenbomben kümmerte, im Inselstützpunkt der Spanier befand. Ben Brighton scheuchte Philip und Hasard, die Zwillingssöhne des Seewolf, wieder unter Deck. Sie hatten in der kurzen Gefechtspause beim Nachladen der Waffen geholfen. Aber jetzt, da es brenzlig wurde, kannte Hasards Stellvertreter kein Pardon. Plymmie, Arwenack und Sir John schlossen sich den „Rübenschweinchen“, wie der Profos die Bengels nannte, an. Der Kutscher sah der seltsamen Prozession mit gemischten Gefühlen nach. „Wehe, es fehlt nachher in der Kombüse auch nur eine einzige Rosine!- rief er. „Wir haben sie nämlich abgezählt, nicht wahr, Mac?“ Mac Pellew nickte mit todernstem Gesicht, was ihm wegen seiner ohnehin recht sauertöpfischen Miene nicht sonderlich schwerfiel. Ben Brighton gab einige kurze Kommandos. Alle Mann waren auf Stationen. Al Conroy hantierte an der Abschußvorrichtung herum und überprüfte die Flaschenbomben. Als die Entfernung zwischen den beiden Schiffen ziemlich zusammengeschrumpft war, eröffneten die Spanier den Kampf mit wildem Drehbassen- uns Musketenfeuer. Ben Brighton hob die Hand. „Klar bei Drehbassen! Klar bei Flaschenbomben und Brandpfeilen! Na los, bringt sie schon zum Tanzen!“ Sekunden später erhellte ein wahrer Feuerzauber das Dämmerlicht des Abends. Big Old Shane ließ Pfeil auf Pfeil von der Sehne seines Bogens zischen. Die
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brennenden Geschosse glitten lautlos auf die heransegelnde Galeone zu und bohrten sich in das Holz der Aufbauten und vor allem in das Tuch. Augenblicklich züngelten Flammen auf und brachten die Pfeilschäfte, die mit je zwei Unzen Pulver geladen waren, zur Explosion. Die Spanier waren für kurze Zeit wie gelähmt vor Entsetzen. Dann wurden laute Kommandos gebrüllt, und eine Anzahl Männer begann hastig, mittels Schlagpützen Wasser an Bord zu hieven. Doch es erwies sich als nahezu unmöglich, die sich rasch ausbreitenden Flammen hoch oben in den Segeln zu löschen. Außerdem sorgten die wummernden Drehbassen der „Isabella.' dafür, daß den Spaniern die Lust an weiteren Löscharbeiten verging. Al Conroy katapultierte den Dons die erste Flaschenbombe entgegen. Als sie auf der Back aufschlug und mit verheerender Wirkung explodierte, brüllte der schwarzhaarige Stückmeister ein lautes „Ar-wenack!“ Jetzt war das Chaos an Bord der spanischen Galeone perfekt. Zwei weitere Flaschenbomben, von denen eine die Galion in Stücke riß und die andere auf der Kuhl landete und einen Teil der Soldaten von den Geschützen fegte, ließen die Dons vollends glauben, daß sämtliche Teufel und Dämonen aus der Hölle heraufgestiegen seinen. Nur noch dreißig Yards, und die „Isabella“ würde an der gegnerischen Galeone vorbeigleiten. „Achtung!“ brüllte Ben Brighton. Einige Augenblicke später gab er den endgültigen Feuerbefehl. Während bei den Spaniern nur eine einzige Kanone aufblitzte und ihre Kugel über die Galion der „Isabella“ stieß, jagten die Geschütze der Arwenacks eine volle Breitseite in den Bauch der Galeone. Und schon war die „Isabella“ vorbei. Da sie sich jetzt außerhalb der Schußlinie der Geschütze befand, jagte man ihr lediglich noch zwei Drehbassenschüsse hinterher, von denen einer ein armdickes Holzstück aus der Heckgalerie fetzte.
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Das Schiff der Spanier hatte es schwer erwischt. Ein Großteil der Lecks befand sich unterhalb der Wasserlinie, gewaltige Wassermengen ergossen sich gurgelnd in den Schiffsleib. Die Galeone krängte hart nach Backbord, sie war unweigerlich verloren. Die Waffen schwiegen, die Spanier gaben auf. Jetzt galt es nur noch, die nackte Haut zu retten. Die Überlebenden des sinkenden und brennenden Schiffes sprangen in höchster Panik über Bord und schwammen der nahen Küste entgegen. Während der feuerrote Ball der Sonne endgültig hinter der westlichen Kimm verschwand, sank das verlassene Wrack für immer auf den Grund des Atlantiks. Die Seewölfe atmeten auf. Sie waren froh darüber, daß sie sich jetzt endlich um ihre Kameraden kümmern konnten, die sich noch im Stützpunkt der Spanier befanden. Außerdem hatten sie in den vergangenen Tagen und Stunden zahlreiche Gefechte hinter sich gebracht Zuerst hatte ein Zweimaster daran glauben müssen, der die Nachricht von der Gefangennahme des Seewolfs weitertragen sollte, dann waren die Felsennester auf beiden Seiten der Hafeneinfahrt an der Reihe gewesen, und jetzt waren die beiden letzten Schiffe versenkt worden. Die „Isabella“ ging über Stag und nahm Kurs auf die Hafeneinfahrt. Der Mond schob sich hinter den Wolken hervor und warf sein trübes Licht auf die Bucht, als sich das Schiff der Seewölfe mit ausgerannten Geschützen vor dem Kai auf die Lauer legte, und zwar so, daß es mit einer vollen Breitseite den gesamten Stützpunkt in Stücke schießen konnte. Ben Brighton ahnte zu diesem Zeitpunkt noch nicht, daß es ein entscheidender Fehler gewesen war, mit der „Isabella“ in den Hafen von Flores einzulaufen. Woher sollte er auch wissen, daß die „Vencedor“ unter dem Kommando von Ramon Firuso de Fernández zu der kleinen Azoreninsel zurückkehrte? 10.
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Die Nacht hatte sich wie ein schwarzes Tuch über Flores und den festungsartigen Stützpunkt gesenkt. Nur das geisterhaft zuckende Licht der Fackeln, die Menachos Soldaten entzündet hatten, war weithin zu sehen. Der Teniente hatte die Zahl der Wachtposten an diesem Abend verdoppeln lassen, zumal er noch keine Meldung vom Ausgang des Gefechts erhalten hatte. Daß die Geschütze seit geraumer Zeit schwiegen, konnte nur bedeuten, daß eine Entscheidung gefallen war. Für ihn gab es nicht den kleinsten Zweifel, daß die Schiffe Seiner allerkatholischsten Majestät, des Königs von Spanien, den Sieg davongetragen hatten. Dennoch war er ein vorsichtiger Mann, der sich auf alle Eventualitäten einstellte. Wenn die Galeone der Engländer versenkt worden war, dann würde man ihm, Menacho, das Verdienst dafür zuschreiben, das würde er schon geschickt einzufädeln wissen. Nur Torres ging ihm noch nicht aus dem Kopf. Die Person des Kommandanten bildete, wie er glaubte, das letzte große Hindernis für seine steile Karriere. Aber er würde schon Mittel und Wege finden, dieses Problem zu lösen. Nachdem sich Menacho vom sicheren Gewahrsam seiner Gefangenen überzeugt hatte, suchte er seine Unterkunft im Offizierswohntrakt auf. Manuel Orosco Torres saß im Schein einer Talglampe am Tisch und tafelte wie in alten Zeiten. Außer verschiedenen kulinarischen Köstlichkeiten hatte er eine Kruke besten spanischen Rotweins vor sich. Der Kommandant schien sich bereits gut von den Strapazen seiner Gefangenschaft erholt zu haben. Er vollführte eine einladende Geste, als sei er der Gastgeber in diesem Raum. „Ah, Teniente!“ rief er. „Treten Sie näher und nehmen Sie Platz. Sie trinken doch einen Schluck von diesem köstlichen Tropfen mit mir? Ich habe Ihnen noch meinen Dank abzustatten, denn ohne Ihr mutiges Eingreifen wäre ich mit Sicherheit
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von diesen ehrlosen englischen Hunden ermordet worden.“ Menacho rührte sich jedoch nicht vom Fleck und kniff verächtlich die Augen zusammen. „Sparen Sie sich die großen Worte, Torres“, sagte er, kühl und von oben herab. „Davon habe ich bereits genug zu hören gekriegt. Was unser Stützpunkt braucht, ist nicht, ein Schwall schöner Worte, sondern ein Kommandant, der die Feinde Spaniens in ihre Schranken verweist. Und in genau diesem Punkt haben Sie versagt, Torres!“ Der Capitan fuhr von seinem Stuhl hoch. „Was erlauben Sie sich, Teniente?“ schrie er wutentbrannt. „Noch ein einziges unverschämtes Wort, und ich lasse Sie abführen!“ „Gar nichts werden Sie!“ sagte Menacho barsch. „Von jetzt an werde ich das Kommando in diesem Stützpunkt übernehmen, und zwar so lange, bis ein Untersuchungsausschuß, den ich anfordern werde, die Vorfälle der vergangenen Tage aufgeklärt hat.“ Torres starrte den Teniente entgeistert an. „Das ist offene Rebellion!“ brüllte er dann. „Sie müssen völlig übergeschnappt sein, Menacho! Oder hat der Wein Ihren Verstand umnebelt?“ „Meine Worte sind ernstgemeint“, fuhr der Teniente unbeirrt fort, „und im Gegensatz zu Ihnen habe ich keinen einzigen Tropfen getrunken, merken Sie sich das!“ In ohnmächtiger Wut hieb Torres mit der Faust auf die Tischplatte. Sein Weinbecher fiel um, und das kostbare Naß ergoß sich auf den Boden. „Das wird Sie den Kopf kosten, Menacho, darauf gebe ich Ihnen mein Wort. Ahnte ich doch, daß ich eine Schlange an meiner Brust genährt habe. Statt sich meinen Entscheidungen und Befehlen unterzuordnen, haben Sie mich schmählich hintergangen und womöglich noch die anderen Soldaten des Stützpunktes gegen mich aufzuwiegeln versucht. Aber Sie werden es niemals schaffen, alle auf Ihre Seite zu kriegen, dafür werde ich sorgen.“ „Da wäre ich mir an Ihrer Stelle nicht so sicher“, sagte der Teniente, „denn vorerst
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werden Sie mein Gefangener sein, ob Ihnen das paßt oder nicht.“ Torres kochte vor Zorn. „Es ist doch nicht zu fassen!“ schrie er. „Hätte ich eine Pistole zur Hand, würde ich Sie auf der Stelle erschießen, denn Sie sind ein hinterhältiger und ehrloser Lump! Und unglaublich dumm sind Sie außerdem, oder haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, wie Sie Ihr verbrecherisches Vorgehen vor der spanischen Krone erklären wollen?“ „Genau das habe ich“, erwiderte der Teniente. „Meine Erklärung wird einfach, logisch und akzeptabel sein, denn sie wird Ihr schändliches Versagen und Ihre verantwortungslose Verhaltensweise bis zum letzten Detail aufdecken. Immerhin geht der Verlust eines Schiffes und die Zerstörung der Felsenbatterien auf Ihr Konto - abgesehen von den zahlreichen Soldaten, die im Kampf getötet wurden. Und sollte wider Erwarten das Gefecht zwischen unseren beiden letzten Schiffen und der Galeone der Engländer zu unseren Ungunsten¬ ausgegangen sein, dann wird das Maß Ihrer Schuld überfließen.“ Der entmachtete Kommandant erlitt einen Tobsuchtanfall. Er zeterte, schrie und fluchte. Dann versuchte er mit den Fäusten auf Menacho loszugehen.
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„Wache!“ brüllte er mit sich überschlagender Stimme. „Nehmt diesen Meuterer fest!“ Doch die Soldaten, die hereineilten, befolgten seinen Befehl nicht. Sie hörten von jetzt an auf das Kommando Menachos, denn nach guter spanischer Militärgepflogenheit wußten sie, daß Torres vorerst nichts mehr zu melden hatte. Sie packten den Tobenden und hielten ihn fest. „Ich könnte Sie jetzt ebenfalls in einen finsteren Kellerraum sperren lassen“, sagte der Teniente höhnisch. „Doch als Ehrenmann weiß ich, was ich gehört. Ich erlaube Ihnen deshalb, sich bis zur Klärung der Angelegenheit in einem besonders bewachten Raum meiner Unterkunft aufzuhalten.“ Kaum hatte man den immer noch tobenden Torres hinausgeführt, traf die Hiobsbotschaft von der Versenkung der beiden Galeonen ein. Menacho wurde leichenblaß. Er stieß den nach Luft japsenden Boten zur Seite, stapfte zum Tisch und griff nach der Weinkruke. Nachdem er sie zur Hälfte geleert hatte, sank er mit wutverzerrtem Gesicht auf einen Stuhl und ließ eine Reihe von Flüchen vom Stapel, wie sie ein Mann von Ehre eigentlich vermeiden sollte…
ENDE