ARNDT ELLMER
D IE E RBEN DER M ACHRABAN
PERRY RHODAN-Taschenbuch erscheint monatlich in der Verlagsunion Erich Pabel ...
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ARNDT ELLMER
D IE E RBEN DER M ACHRABAN
PERRY RHODAN-Taschenbuch erscheint monatlich in der Verlagsunion Erich Pabel - Arthur Moewig KG, 7550 Rastatt © 1991 by Verlagsunion Erich Pabel - Arthur Moewig KG, 7550 Rastatt - Originalausgabe Titelbild: Alfred Kelsner Redaktion: Dr. Florian F. Marzin Vertrieb: Verlagsunion Erich Pabel - Arthur Moewig KG, 7550 Rastatt Druck und Bindung: Brodard & Taupin, La Fleche, Frankreich Alleinvertrieb und Auslieferung in Österreich: Pressegroßvertrieb Salzburg Gesellschaft m.b.H., Niederalm 300, A-5081 Anif Einzelheft-Nachbestellungen richten Sie bitte an: TRANSGALAXIS-Buchversand, Postfach 1127, 6382 Friedrichsdorf/Taunus Printed in France 1991 ISBN 3-8118-5183-7 VERLAGSUNION ERICH PABEL-ARTHUR MOEWIG KG, 7550 RASTATT
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1. Das Zeichen
Rabo Montfant verhielt mitten im Schritt. Er wischte sich über die Augen und blinzelte verwirrt. Was ist mit mir los? Dachte er entsetzt. Gerade war mir, als sei mein Augenlicht schwächer geworden. Er war ein Mann im besten Alter, weit davon entfernt, an die typischen Alterserscheinungen zu denken. Sein Vater, ja, der hatte die Blüte des Lebens überschritten und quälte sich mit Gicht und anderen Wehwehchen herum. Manchmal redete er von einem besseren Leben ohne die Nachteile eines zerfallenden Organismus. Rabo schüttelte den Kopf und ging weiter. Er musterte verstohlen andere Fußgänger, die durch die Weiten des Parks eilten, der die Wohnstadt von der Geschäftsstadt trennte. An ihnen konnte er nichts Auffälliges feststellen, und so tröstete er sich mit dem Gedanken, daß er einer Selbsttäuschung aufgesessen war. „Du gehörst zu den Bewohnern des Planeten, die eine überdurchschnittliche Sehfähigkeit ihr eigen nennen!" So hatte es Nurola kürzlich gesagt. Und sie war nicht nur seine Lebensgefährtin und die Mutter ihrer sieben Kinder. Sie übte tagtäglich ihren Beruf als Ärztin aus, und was gab es Besseres, wenn die Mutter gleichzeitig der Hausarzt für die Kinder war! Ein Druck mit der Fingerkuppe auf die kaum sichtbare Wölbung am linken Armreif brachte ihn mitten in die Kommunikation seiner Dienststelle. Er lauschte den Unterhaltungen und überlegte, ob er sich daran beteiligen solle. Er entschied sich dagegen, denn in diesem Augenblick wurde es vor seinen Augen dunkler und dann heller als bisher. Hastig schaltete er den Kommunikator
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aus und stützte sich an den knorrigen Ästen eines Kriechbusches ab. „Ich bin krank!" flüsterte er. „Ich muß sofort nach Hause. Ich rufe den Luftbus!" Er achtete nicht mehr auf seine Umgebung, bekam es nicht mit, daß alle anderen Anoree in seinem Blickfeld ebenfalls angehalten hatten. Der Reif am rechten Arm diente seiner persönlichen Kommunikation. Er aktivierte ihn und rief seinen Bus. Automatisch löste sich das Schwebegerät aus der Halterung seiner Garage, fädelte sich in den sprunghaft zunehmenden Verkehr ein und erreichte den Park über die dritte Flugebene. Dicht neben Rabo ging es nieder, und der Einstieg öffnete sich. Jetzt bemerkte der Techniker aus dem Verwaltungszentrum, daß ein gutes Dutzend Passanten aus dem Park auf den Schweber zurannten. Hastig brachte er sich ins Innere in Sicherheit und ließ die Tür zufahren. „Du solltest sie mitnehmen!" plärrte der Automat und erinnerte ihn daran, daß er dringend den Lautsprecher auswechseln lassen mußte. „Dies ist ein Notfall!“ „Was?" stieß Rabo Montfant hervor. Er starrte zum Bugfenster hinaus und blickte in die Sonne. Gamesh sandte ihr Licht auf den Planeten herab und tauchte ihn in einen orangeroten Schimmer. „Die Sonne!" ächzte der Anoree. „Sieh nur, die Sonne!" Der Automat wartete nicht auf eine Anweisung aus seinem Mund. Er folgte seinem Betreuungsprogramm und öffnete von sich aus den Einstieg. Die Passanten drängten herein und warfen sich in die Sitze. „Weg hier, Rabo!" schrie einer, der ihn kannte. Montfant starrte ihn an. Das Gesicht kam ihm bekannt vor, aber er erinnerte sich nicht an den Namen.
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„Gamesh!" murmelte er. „Schnell nach Hause!" Der Luftbus hatte bereits abgehoben und raste mit starker Beschleunigung in Richtung Wohnstadt. Rabo ließ sich in den Pilotensitz sinken und schlug die Hände vor das Gesicht. „Es geht zu Ende!" flüsterte er. „Und wir können nichts dagegen tun. Unser Volk hat seine Chance verpasst!" Nicht sein Augenlicht war es, das schwand. Die Sonne flackerte. Gamesh wurde unruhig, und das Flackern trat früher ein, als es die Physiker vorhergesagt hatten. Es kam mindestens zwei oder drei Jahrtausende zu früh! Der Gleiter reihte sich in die lange Kolonne der Fahrzeuge ein, die sich auf ein gemeinsames Ziel zubewegte. Kurz vor Erreichen der unterirdischen Höhlenanlage scherte der Luftbus jedoch aus und senkte sich langsam dem mitten in einem Hain gelegenen Haus der Familie entgegen. Rabo sprang auf. Eisiger Schreck durchzuckte ihn. Die Kinder spielten im Freien, und sie schienen nicht auf das aufmerksam geworden zu sein, was sich am Himmel ereignete. „Nurola! Nurola!" Hastig redete er in den rechten Armreif. „Tut mir leid, Rabo!" plärrte der Automat und knatterte vernehmlich. „Deine Gefährtin macht Hausbesuche! Sie ist in der Stadt unterwegs!" „Warum kommt kein Alarm?" stieß der Anoree hervor. „Was ist los? Versagen die Systeme?" „Die Subkommandos beraten noch, ob der Alarm sinnvoll ist oder nicht!" Erneut flackerte Gamesh, diesmal stärker als bisher. Für die Insassen des Luftbusses stellte es sich so dar, als stünden sie kurz vor der Erblindung, als machten ihre Augen nicht mehr mit und verlören ihre Lichtempfindlichkeit. Der Bus setzte auf dem Landekreis auf, und Rabo Montfant sprang durch die bereits offene Tür hinaus. Er eilte auf die Kinder zu, brüllte sie
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an, packte sie und zerrte sie ins Haus. Inzwischen hatte der Bus wieder abgehoben und transportierte die übrigen Insassen weiter. Die Kleinen wußten nicht, wie ihnen geschah. Sie begannen zu weinen und zu schreien, und Rabo wußte sich nicht anders zu helfen, als daß er ihnen die Münder zuhielt. „Gamesh flackert!" brüllte er die Älteren an. Besonders Lugo mußte wissen, was es bedeutete. Er hatte es in der Schule durchgenommen, daß es sich irgendwann in der Zukunft ereignen würde. „Jetzt schon?" murmelte der Sohn verwirrt. „Aber . . ." „Kommt, in den Keller, rasch!" Er schob sie zu der Bleitür, betätigte den Mechanismus, der auf seine Fingerabdrücke geeicht war, und stieg mit ihnen den hell erleuchteten Schacht hinab in den Schutzraum. „Nurola!" versuchte er es noch einmal. „Wo steckst du?" „Ich bin auf dem Weg zu dir!" kam die Antwort. Rabo atmete unwillkürlich auf. Er ließ die Kinder in den Sitzkissen Platz nehmen und kehrte nach oben zurück, um ihnen etwas zu trinken zu holen. Er ließ sich Zeit damit und schaute fast unentwegt zum Fenster hinaus. Die Blenden! durchzuckte es ihn. Ich muß die Schutzblenden herunterlassen! Er rannte in den Flur, riß die Wandverkleidung auf und betätigte die Automatik. Noch war Strom vorhanden, noch gehorchten die Mechanismen. Ein Schaben klang auf, als die Jalousien sich zusammenfalteten und sich die metallenen Schutzblenden nach unten schoben. Die Notbeleuchtung flackerte auf, aber das schummrige Licht aus der alten Batterie verunsicherte den Anoree ebenso wie das Flackern der Sonne. Er schaltete die Hauptbeleuchtung ein, und die Notlampen erloschen. Draußen näherte sich ein leises Summen. Rabo eilte zur Tür und spähte hinaus. Sie kam. Sie benutzte den Bus mit
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dem blauen Stern, der ihn als Notarztfahrzeug kennzeichnete. Ein Stück hinter ihr näherte sich der Luftbus der Familie, der die übrigen Passagiere inzwischen zu den Bunkern und Sicherheitsanlagen gebracht hatte. Nurola stieg aus und hastete mit ihrer Tasche auf das Haus zu. Er riß die Tür auf und schlug sie hinter ihr sofort wieder zu. Im nächsten Augenblick lagen sich die beiden in den Armen. „Es ist unfassbar!" stieß Montfant hervor. „Nie im Leben habe ich damit gerechnet, daß ich es erleben würde. Unsere Wissenschaftler haben schwere Fehler gemacht. Unser Volk ist nicht in der Lage, dem Inferno zu entkommen!" „Noch wissen wir nicht, ob es ein Inferno wird", entgegnete Nurola. „Hast du vergessen, daß es immer wieder Jahre der unruhigen Sonne gibt, so wie wir Jahre und sogar Jahrzehnte der ruhigen Sonne erleben?" „Diesmal ist es schlimmer", flüsterte er und zog sie in Richtung Keller. „Diesmal wird es nicht bei ein paar Störungen im Funkverkehr bleiben. Der Prozess im Innern Gameshs ist gestört. Die Sonne stirbt!" Sie gab ihm keine Antwort und stellte ihre Tasche weg. Sie half ihm, die Getränke für die Kinder hinabzubringen, und dann ging sie erst einmal in Ruhe zur Toilette. Rabo aber versuchte, den Kindern in einfachen und eindringlichen Worten beizubringen, was sich draußen abspielte und wieso es gut war, erst einmal im Keller zu bleiben. Er lauschte auf Durchsagen im linken Armreif, aber das Gerät schwieg. Es gab keine offiziellen Verlautbarungen. Die Verwaltungsstellen und die Regierung hüllten sich in Schweigen. Die Meldungen kamen ununterbrochen. Dann jedoch hörten sie mitten im Satz auf. Nurme Surrant hob den Kopf und starrte
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durch die Panzerglaskuppel hinaus auf die Steinwüste des ersten Planeten. „Hier Surrant!" sagte er. „Bitte melden! Was ist los?" Im nächsten Augenblick sah er es selbst und stieß einen verhaltenen Schrei aus. In diesem Schrei paarte sich alles, was ihn bei dem Anblick Gameshs bewegte, Entrüstung, Entsetzen, Ohnmacht, Angst. Er spürte, wie er zu zittern begann. Hastig schaltete er auf die zweite Funkspur und rief seine Mannschaft. Sein Stellvertreter antwortete sofort. „Macht den Zyken startklar!" ordnete Surrant an. „Notstart durchführen!" „Und was wird aus dir?" fragte Burgessar heftig. „Willst du da unten überwintern?" „Macht euch um mich keine Gedanken. Jede Sekunde muß der Alarm kommen. Bringt den Zyken auf die Nachtseite des Planeten. Dort werde ich zu euch stoßen. Ende!" „Ende!" bestätigte Burgessar. Auf dem Monitor seines Schutzanzugs beobachtete der Kommandant, wie das Raumfahrzeug aus dem Tenorit-Krater emportauchte, für ein paar Sekunden durch die Lichtflut der Sonne raste und dann im Schatten der Berge verschwand. Als es aus seinem Blickfeld geriet, verließ Surrant die Kuppel und folgte dem Gefährt. Er hielt sich unter den überhängenden Felsen der Traverse und benötigte mit seinem Flugaggregat mehrere Stunden, um den langsam auf ihn zuwandernden Terminator zu erreichen. Sein einziger Begleiter war die tödliche Stille in seinem Funkgerät. Er wagte nicht, sich die Konsequenzen dieses Schweigens auszumalen, tauchte in die Schwärze der Nachtseite Olkurs ein und folgte der Wärmespur des Zyken. Tief in seinem Innern erwachte das Bewußtsein, daß der Vorgang, den er beobachtete, das Leben auf Aylay
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entscheidend beeinflussen würde. Und er fragte sich, warum es ausgerechnet jetzt geschah. Im Jahr 81 716 nach der Zerstörung Lars, des einzigen Mondes von Aylay. Jetzt erst erwachte der Funkäther zu neuem Leben. Aus dem Bereich um Gamesh kamen die Notmeldungen. Sie waren so zahlreich, daß er sofort den Überblick verlor. Er stellte seinen Fernfunk auf höchste Leistung und gab eine Dringlichkeitsdurchsage ab. „Die Koordination wird von Olkur übernommen", teilte er mit. „Bitte haltet euch an die Anweisungen, die von mir gegeben werden. Hier spricht Surrant auf Olkur. Bitte verliert nicht euren Verstand. Wir werden tun, was wir können!" „Das nützt nichts!" antwortete eine sich überschlagende Stimme. Er kannte sie, sie gehörte dem Stationschef im DeltaOrbit, Lubos Jobald. „Unser Schild hält höchstens ein paar Stunden. Er frisst unseren Funkgeräten die letzte Energie weg. Holt uns hier raus, bitte, Surrant!" „Wir schicken euch ein Schiff!" bestätigte der Kommandant von Olkur. Er wechselte erneut die Frequenz und schaltete sich in die Kommandantenwelle ein. „Aylay, bitte melden!" sagte er. „Ich rufe die Verwaltung. Aylay, bitte melden!" Aber Aylay schwieg, und Surrant fragte sich, warum das so war. Er sah den Schatten des Zyken vor sich auftauchen, verlangsamte seinen Flug und kam vor der Bodenschleuse auf den Füßen zu stehen. „Komm herein", empfing Rüben Burgessar ihn. „Öffnet die Heckschleuse!" entschied der Kommandant. „Dekontamination vorbereiten!" Die Antwort war überraschtes Schweigen. Nur der heftige Atem seines Stellvertreters war zu hören. Die Bodenschleuse
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glitt zu, dafür senkte sich am hinteren Ende des schlanken Leibes ein Teil der Außenwand zum Boden. Surrant eilte zwischen den Spinnenbeinen des Raumfahrzeugs hindurch und schwang sich auf die Bodenplatte. Er blieb stehen und wurde von der Platte in das Schiff emporgehoben. Aus mehreren Öffnungen sprühte es auf seinen Raumanzug, und als der Vorgang nach vier oder fünf Sekunden beendet war, lief ein Gebläse an und trocknete ihn. Zwischen den Schlieren seines Helms hindurch sah er, wie sich eine der Türen im Hintergrund öffnete. Ein Roboter stapfte auf ihn zu und tastete ihn mit einer Bogenantenne ab. „Keine Reststrahlung!" meldete er. „Die Vorsichtsmaßnahme war unbegründet!" Er ließ die Maschine stehen und eilte in die Box hinüber, wo er den Anzug ablegte, die Helmscheibe putzte und das plumpe Ding danach in einer der Halterungen verstaute. Er rückte die Schulterstücke seiner Uniform zurecht und ging nach vorn in den Steuerraum. Die Crew empfing ihn schweigend. Er wackelte kurz mit dem Kopf und ließ sich in seinen Sessel sinken. „Starten!" ordnete er an. „Wir verlassen Olkur in Richtung Gamesh!" Rüben Burgessar senkte zur Bestätigung den Kopf. „Schild einschalten!" ordnete der Stellvertreter an. Surrant machte die Maßnahme augenblicklich rückgängig. „Noch brauchen wir den Schild nicht", erklärte er. „Wir sparen die Energie für später!" „Was hast du vor?" Burgessar zog die Augenbrauen hoch. „Wir fliegen in den Delta-Orbit. Die Besatzung dort ist am meisten gefährdet. Oder siehst du irgendwo ein Schiff, das sich auf den Weg macht, um der Besatzung in der Sonnenstation zu Hilfe zu eilen?"
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Burgessar verneinte und breitete zum Zeichen seiner Hilflosigkeit die Arme aus. „Aylay antwortet noch immer nicht. Was ist dort los?" „Sie stellen sich tot", murmelte Nurme Surrant. „Vermutlich haben sich alle in den Bunkern verkrochen! Wenn das die Wahrheit ist, dann wäre es besser, wenn Gamesh in den nächsten Stunden explodieren würde! Es wäre besser für unser Volk und für die Evolution in diesem Teil des Universums. Glaubt es mir!" Keiner gab ihm eine Antwort, aber er sah es an den Gesichtern der elf Männer und Frauen, daß sie ihm zustimmten. Der Zyken verließ die dünne Atmosphäre Olkurs und raste in das sonnennahe All hinaus. Er war das einzige Schiff, das sich zwischen Gamesh und Aylay im freien Raum aufhielt. * Der Delta-Orbit lag eineinhalb Millionen Kilometer über der Korona. Die Station, die auf ihm Gamesh umkreiste, befand sich in unmittelbarer Nähe der Vorgänge, die sich in dem Stern abspielten. Erneut, und jetzt bereits das sechste Mal, schwankte die Oberflächenhelligkeit des Sterns. Gleichzeitig jagten riesige Protuberanzen in das All hinaus. Sie schossen wie Finger in alle Richtungen davon, und über Station heulten zum zweitenmal die Alarmsirenen. Die gesamte Mannschaft wartete im Hangar auf der sonnenabgewandten Seite. Die Angehörigen des physikalischen und technischen Dienstes trugen die Anzüge geschlossen, und ihre Handschuhe ruhten in der Nähe des Gürtelblocks, in dem sich die Kontrollen für die integrierten Systeme befanden.
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Auf einem Bildschirm verfolgten sie, wie der Stern gewaltige Energiemengen von sich schleuderte und jeden interplanetaren Funkverkehr zum Erliegen brachte. Es hatte jetzt keinen Sinn mehr, eine weitere Notmeldung abzugeben oder mit den Tastern nach einem Schiff Ausschau zu halten. „Wir warten noch zwanzig Sekunden ab!" Die Stimme Lubos Jobaids dröhnte in den Helmempfängern. „Wenn die Protuberanzen bis dahin nicht nachlassen, versuchen wir, uns mit dem Katapult zu retten!" Unruhe entstand unter den dreißig Personen. Das Katapult gehörte nicht zur Sonnenstation, es war ein Bestandteil der Versuchsaufbauten, die draußen über der Kranplattform hingen. Es zählte zu den teuersten und empfindlichsten, Entwicklungen anorischer Technik. Wenn es beschädigt wurde, dann hatten die Verantwortlichen des Raumkommandos von Aylay nichts mehr zu lachen. Die Steuerautomatik der Station blendete eine Zeichenkolonne auf den Beobachtungsschirm ein. Die Station bewegte sich. Sie hatte ihre bisherige orbitsynchrone Position verlassen und driftete von Gamesh hinweg. Zunächst machte die Differenz nur wenige Kilometer aus, doch die Beschleunigung nahm unaufhörlich zu. „Der Strahlungsdruck wirkt!" murmelte jemand. „Hoffentlich hält der Schild es aus!" Im Hintergrund begann eine Frau ein Lied zu singen. Sie sang von den Wäldern ihrer Heimat, und sie nahm Abschied von ihnen für immer. Ihr Lied zeugte von den Gedanken um den Tod, die sie erfüllten. Jobald unterbrach sie nicht, aber als sie zu Ende gesungen hatte, ging er mit ihr hinaus aus dem Hangar in eine kleine Versorgungskammer, wo er auf sie einsprach. Die Frau begann
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zu weinen, und der Kommandant der Station wartete geduldig, bis sie sich beruhigt hatte. „Es wird alles gut werden!" sagte er, doch der Alarm, der schrill in ihren Helmen aufklang, strafte ihn Lügen. Er rannte in den Hangar hinaus und warf einen Blick auf den Bildschirm. Die Station war ins Trudeln gekommen, und da alle Energien auf dem Schild lagen, besaßen die Steuerelemente keine Möglichkeit, den Kurs zu korrigieren. Der Abstoßeffekt ließ nach, die Station sank auf die Höhe des Delta-Orbits zurück und ließ ihn hinter sich. Langsam bewegte sie sich auf Gamesh zu, und damit trat ein, wovor sich alle vom ersten Augenblick an gefürchtet hatten. „Jobald ruft Aylay!" versuchte der Kommandant es, doch außer einem Rauschen in den Empfängern blieb es still. Niemand hörte sie. Die Naturgewalten der Sonne verhinderten, daß es zu einer Kommunikation zwischen dem sonnennahen Raum und dem Bereich der Lebenssphäre kam, in der Aylay lag. Entschlossen wandte er sich an seine Mannschaft. „Ich brauche drei Begleiter", sagte er leise. „Wer meldet sich freiwillig?" Alle wußten sie, was er vorhatte. Er wollte die mechanischen Anker des Katapults lösen, um das Gerät einsetzen zu können. Sechs Personen meldeten sich, und er suchte drei davon aus. Sie verließen den Hangar durch eine Seitenschleuse und hangelten sich auf dem schnellsten Weg in das Oberdeck hinauf, von dem ein Schacht hinaus zu den Versuchsaufbauten führte. Die Automatik hielt sie über die Vorgänge draußen im Raum auf dem laufenden, und sie hielten an und warteten. Ein Partikelsturm raste auf den Delta-Orbit zu und brachte auch die letzten Funkwellen durcheinander. Das Licht der
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Notbeleuchtung flackerte wild, und zu allem Unglück wurde auch noch die Schleuse undicht. Lubos Jobald blies zum Rückzug. Sie kehrten in den Hangar zurück und ließen sich mutlos zu Boden sinken. Die Station beschleunigte indes immer weiter in Richtung Gamesh. „Die Außenbeobachtung ist ausgefallen", meldete die Automatik. „Die elektronischen Systeme sind beschädigt. Selbst wenn genügend Energie vorhanden wäre, könnte die Station nicht mehr auf einen anderen Kurs gebracht werden!" Lubos Jobald entschied im Bruchteil eines Augenblicks. „Alle Lichter aus, Notaggregate abschalten. Alle Energie auf den Schild!" sagte er hastig. Und an seine Mannschaft gewandt, fuhr er fort: „Legt euch auf den Boden. Versucht, soviel Sauerstoff wie möglich zu sparen. Wir müssen uns auf eine unbequeme Wartezeit einrichten!" Widerspruch kam auf. Mehrere Männer und Frauen wollten die Station verlassen und mit ihren Raumanzügen so weit wie möglich wegfliegen. Jobald konnte über ihre Gedankenlosigkeit nur staunen. „Die Anzüge besitzen keinen Schild", sagte er leise. „Wenn ihr es riskieren wollt, ich halte euch nicht zurück!" Darauf erhielt er keine Antwort. Alle blieben, und sie konnten nur hoffen, daß die Leute auf Olkur ihr Versprechen wahrmachten. Die Automatik meldete entweichende Luft, und gleichzeitig knackte es in den Funkempfängern. Jobald rührte sich nicht, aber er bewegte die Lippen und flüsterte ein paar Worte. „Den Sternen sei Dank!" drang die ihm bekannte Stimme an seine Ohren. „Es gibt euch noch. Wir haben angedockt. Eine kleine Gruppe öffnet von Hand eine der Schleusen und arbeitet sich in die Station vor. Wo steckt ihr?"
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Jobald nannte den Hangar, und wenig später tauchten die Lichtkegel von Raumanzügen in einer der Schleusen auf. Die Männer und Frauen erhoben sich und folgten den winkenden Gestalten. Der Umzug in den Zyken dauerte knapp zwanzig Sekunden, dann schloß sich das Fahrzeug und löste sich von der Station. Jobald wurde in den Steuerraum geführt, wo er schon von weitem die Gestalt des alten Haudegens ausmachte. Er eilte auf ihn zu, und die beiden Männer legten die Handflächen aneinander. „Dank!" rief Lubos Jobald erleichtert aus. „Dank für alles!" „Ihr wart die einzigen, die sich in akuter Gefahr befanden", antwortete Nurme Surrant. „Die anderen Stationen und Forschungslabors befinden sich außerhalb des direkten Gefahrenbereichs. Ihre Notmeldungen waren unnütz." Er deutete auf den Bildschirm. Er zeigte im Gegenlicht den Schatten der Station, der rasch vor ihnen zurückwich. Hinter ihr entstand ein Energieblitz, greller und heller als das orangerote Sonnenlicht. Der Schild war zersprungen. Jobald verfärbte sich bei dem Anblick. Er setzte sich in einen freien Sessel und atmete tief durch. „Das war Rettung im letzten Augenblick", pfiff er zwischen den Zähnen hindurch. „Die Station wird mit unwiderstehlicher Gewalt auf die Sonne zugezogen!" Der Zyken beschleunigte weiter, und Rüben Burgessar mühte sich mit der Tastung ab. Er hatte ein Echo, das ihn aufmerksam werden ließ, und er aktivierte den Schild und gab gleichzeitig Alarm. „Unbekanntes Echo, etwa zweitausend Kilometer entfernt! " meldete er. Surrant trat neben ihn und betrachtete die Werte. „Erscheinungsdauer eineinhalb Sekunden", nickte er. „Und jetzt ist es vollkommen verschwunden?"
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„Sieh selbst. Es ist ein Spuk. Nichts deutet darauf hin, daß es vorhanden war. Soll ich es im Speicher als Irrtum markieren?" „Nein. Lege es unter Phantomortungen der Kategorie elf ab!" Burgessar zuckte zusammen. „Du meinst, es war eine der Erscheinungen, die es in den vergangenen hundert Planetenumläufen immer wieder gegeben hat?" „Ja!" „Es ist Geheimsache. Der Rat nimmt Kenntnis von jedem Auftauchen des Phantoms!" Die beiden Anoree blickten sich fest in die Augen und schwiegen. Als Beauftragte der Raumfahrtbehörde hatten sie im Gegensatz zur Besatzung der geräumten Station Kenntnis über die Vermutungen, die es zu der Phantomerscheinung gab. Jemand beobachtete das Gamesh-System und das Volk von Aylay. Jemand, der sich nicht zeigen wollte und alles tat, um seine Gegenwart zu verschleiern. Wer? Niemand wußte die Antwort. „. . . kein Grund zur Beunruhigung. Die Atmosphäre unseres Planeten wirkt wie ein Schild. Sie läßt die entstandene harte Strahlung nicht bis zur Oberfläche gelangen!" Der Sprecher auf der Bildwand lächelte verbindlich. „Der Rat von Aylay weist darauf hin, daß die Helligkeitsveränderungen Gameshs für ein paar Wochen oder Monate zum alltäglichen Erscheinungsbild des Planeten gehören werden. Bitte achtet dennoch auf die täglichen Meldungen, jeweils kurz nach Sonnenauf- und kurz vor Sonnenuntergang. Es wird abgeraten, die Höhen der Berge aufzusuchen oder sich länger als nötig an der Sonne aufzuhalten. Hohe Ozonkonzentrationen könnten sich für ältere Anoree als nachteilig auswirken. Im Zweifelsfall befragt die örtlichen Krankendienste. Des weiteren ist in den Familien
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darauf zu achten, daß die Kinder sich mit den Einrichtungen für Notfälle vertraut machen. Ein Alarm wird auch in Zukunft nicht nötig sein." Das Bild wechselte, Aufnahmen vom dritten Planeten Sarkay wurden gezeigt. Die lichtverstärkten Nahaufnahmen brachten Details von den Forschungsplattformen, die in ein paar Wochen in Richtung Gamesh gestartet werden sollten. Bisher, so wußte man, waren die Arbeiten an den Plattformen mehr schlecht als recht vorangekommen. Jetzt aber drängten die Wissenschaftler darauf, die Sonnenexperimente so schnell wie möglich zu beginnen. „Operation Langes Leben" hieß das Unternehmen sinnigerweise. Rabo Montfant wandte sich an Nurola. Sein Gesicht hatte sich verdüstert, und er hatte Mühe, seine Aufregung zu zügeln. „Sie sagen nicht die volle Wahrheit, da bin ich überzeugt!" stieß er hervor. „Wir sollen eingelullt werden. Die Kinder mit den Sicherheitseinrichtungen vertraut machen, pah! Hat ein Automat jemals die Fingerabdrücke eines Kindes akzeptiert? Nein, so kommen wir nicht weiter. So können wir nicht überleben!" Die Gefährtin des Technikers griff nach seinem Arm und zog Rabo an sich. „Beruhige dich!" sagte sie. „Wir sind nicht in Gefahr. Es handelt sich lediglich um eine vorübergehende Erscheinung eines Sterns, der irgendwann in ferner Zukunft einmal kollabieren wird. Es gibt keine Anhaltspunkte, daß dies in den nächsten Jahren geschehen wird!" „Und was wird aus unseren Kindern und Enkeln, aus dem ganzen Volk, wenn sich in zweihundert Jahren die ersten schlimmen Auswirkungen zeigen? Nein, Nurola, wir dürfen nicht tatenlos zusehen. Unser Volk besitzt die überlichtschnelle
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Raumfahrt. Unsere Schiffe eilen von Stern zu Stern, die ersten Kontakte mit fremden Intelligenzen liegen ein paar tausend Jahre zurück. Wir besitzen die technischen Möglichkeiten, uns zu retten. Warum tun wir nichts für den Ernstfall?" „Tun wir wirklich nichts?" Er schwieg, weil es keinen Sinn hatte, in dieser Weise weiterzureden. Er lauschte auf das Pfeifen an seinem rechten Armreif und berührte entschlossen den Kontakt. „Rabo!" klang die Stimme eines Automaten auf. „Es geht zu Ende. Wulvo will, daß ihr sofort aufbrecht!" „Ja, sofort!" ächzte er und fuhr auf. „Los, kommt!" schrie er Nurola und die Kinder an. An die mögliche Gefahr im Freien dachte er nicht mehr. Er eilte hinaus zum Luftbus, die Familie hinterher. Wenig später standen sie in der Wohnung seines Vaters um das Krankenbett versammelt. Rabos Geschwister und deren Familien waren bereits eingetroffen. Wulvo Montfant sah schlecht aus. Seine Wangen waren eingefallen. Ein paar vereinzelte Haare hingen an seinem bleichen Kopf. Er faßte nacheinander die Hände seiner Kinder und drückte sie matt. „Ich gehe euch voraus", hauchte er. „Tut etwas, damit ihr mir nicht bald nachfolgt! Mein Zerfall läßt sich nicht mehr aufhalten!" Er schloß die Augen, legte den Kopf zur Seite und starb. Eine Weile standen sie stumm um das Bett, unfähig, ein Wort zu sprechen. Rabo hob als erster den Kopf und blickte in die Runde. „Ja", murmelte er. „Ich werde dafür kämpfen, daß wir alle eine Überlebenschance haben. Merkt es euch! Rabo Montfant ist ein kleiner Techniker. Aber ihr werdet von ihm hören!"
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Stumm gingen sie auseinander, und als die Familie sich auf dem Rückflug zum Haus befand, war es Nurola, die das Schweigen brach. „Was hast du gemeint?" erkundigte sie sich. „Ich weiß es nicht!" Rabo lächelte sie an. „Aber es muß eine Möglichkeit geben, die Bevölkerung vor einer Katastrophe zu schützen und nicht nur ein paar tausend Männer und Frauen, die zufällig mit ihren Raumschiffen unterwegs sind, wenn es irgendwann geschieht!" Die Frau blickte in die Augen ihres Mannes und entdeckte darin eine Entschlossenheit, die ihr Angst machte. So kannte sie ihren Rabo gar nicht, und sie begann zu begreifen, daß ihr Mann sich in dieser kurzen Zeit verändert hatte. „Wenn es gut ist, wirst du immer meine Unterstützung haben, das weißt du", sagte sie leise. Er senkte zur Bestätigung das Kinn auf die Brust. „Es wird gut sein", antwortete er. „Vielleicht nicht für mich, aber für alle, die nach uns kommen!"
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2. Der Rat
Die Nervosität im Innern von COSMA I übertraf alles Dagewesene. Die Techniker und Ingenieure blickten wie gebannt auf den Schirm. Mitten zwischen ihnen ruhte Alander Telaant in seinem Sessel. Der Koordinator der Abteilung hielt den kahlen Kopf gesenkt, und seine Augen fixierten einen Punkt am dunkelblauen Fußboden. Der Sessel war viel zu groß für den schmächtigen Anoree. Über einen Kopf kleiner als seine Artgenossen war er, sah zerbrechlich aus und ging mit dem federnden Gang eines alten Raumfahrers. Als die Uhr sich der Marke fünftausend näherte, hob er ruckartig den Kopf und drehte den Sessel. Seine Augen blickten in das Rund, und seine Hände fuhren aus den weiten Ärmeln hervor und gestikulierten in entschlossener Weise. „Fahrt die Energiezapfer auf volle Kapazität!" wies er seine Mitarbeiter an. Glänzende Augen sahen die Anoree an, künstliche Gebilde, die ihm als Sehhilfen dienten. Sie bestanden aus einer Mischung von Organtransplantat und Kunststoff. Sie sahen mehr als gewöhnliche Augen, lieferten dem Gehirn schärfere Bilder und erkannten Dinge bereits im Ansatz, die ein Anoree erst merkte, wenn es bereits zu spät war. Wem diese Augen nicht als Anhaltspunkt ausreichten, der merkte es spätestens beim ausgefallenen Vornamen, daß Alander Telaant kein Bewohner Aylays war, kein Anoree von der Heimatwelt des Volkes. Er stammte aus jenem Bereich in der Leere zwischen Gorandaar und Neyscuur, in dem die riesigen Raumstädte erbaut worden waren. Ursprünglich hatten sie als Experimentalstationen gedient, nach und nach hatte man sie
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dann als Wohnstädte ausgebaut, in denen die Besatzungen lebten und arbeiteten. In den Raumstädten gab es wenig Licht. Die Kinder wurden in die fast perfekte Dunkelheit hineingeboren. Organe wie die Augen mußten zwangsläufig verkümmern, deshalb wurden sie den Neugeborenen zur Vermeidung von Komplikationen schon nach wenigen Wochen entfernt. Das Leben in der Finsternis brachte viele Vorteile mit sich. Die verbale Kommunikation prägte sich frühzeitig aus, die Sinne wie Gehör, Geruch und Geschmack übertrafen die Leistungen eines Aylay-Geborenen um ein Zehn- bis Zwanzigfaches. Den Bewohnern der Raumstädte sagte man zudem eine empathische Fähigkeit nach und die Begabung, Dinge im voraus zu erkennen. „Wir können den Vorgang nicht lange unter Kontrolle halten, wenn wir mit voller Kapazität arbeiten!" entgegnete Buko Forind, der Konstrukteur der Zapfer. „Verstehe mich nicht falsch, Alander. Ich will die Sicherheit der Besatzung nicht aufs Spiel setzen!" „Ich halte den Vorgang unter Kontrolle!" lautete die Antwort des Raumstädters, und die Anoree blickten sich schweigend an und rollten mit den Augen. Gegen die Argumentation dieses Mannes kamen sie nicht an, sie fühlten sich ihm auf eine unbeschreibliche Art unterlegen. Aus der Beobachtungssonde auf der entgegengesetzten Seite von COSMA I ging ein Anruf ein. Sedana Sedlag kommentierte die Impulssequenzen, die von ihrer Sonde in die Station übertragen wurden. „Wir sind noch nicht auf den verlangten hundert Prozent", gab sie zu bedenken. „Die winzigen Schwankungen von eineinhalb Prozent sind auf die Beschaffenheit des Trägermaterials zurückzuführen. Ich schlage vor, wir berechnen den gesamten Vorgang neu."
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Über die Lippen Telaants spielte ein leichtes Lächeln. Er sah zu dem Monitor auf, der Sedanas Gesicht abbildete. „Ich habe diese Schwankung im Griff. Ich werde die Kapazitäten ändern, bevor eine Beeinträchtigung des Experiments eintreten kann. Vergiß nicht, wir brauchen den Energiefluß. Ohne ihn gibt es kein Vorankommen!" Sie mußten den Energiefluß messen, mußten Entscheidungen treffen, wie die Energien geformt und manipuliert werden konnten, um sie an das geplante Ziel zu lenken. „Bleibe auf Sendung!" fügte Telaant rasch hinzu. Er fuhr nach vorn, berührte mit einem seiner schlanken Finger einen Sensor und stoppte das Experiment. „Denver, Lerander, in den Zyken!" zischte er. Die beiden Namen erinnerten die Besatzung daran, daß Telaant nicht allein gekommen war. Zwei weitere Raumstädter begleiteten ihn, und sie hetzten bei seinen Worten los, stießen ein paar Artgenossen zur Seite, öffneten eine Tür und schwangen sich in den Transportschacht. Das Gravitationsfeld griff nach ihnen und beförderte sie auf dem schnellsten Weg zu ihrem Schiff. Alander Telaant folgte ihnen in wenigen Körperlängen Abstand. Der Zyken gabt bereits Werte und Meldungen durch, und Telaant antwortete mit Anweisungen. Als sie durch die Schleuse in den Zyken hinüberschossen und sich hinter ihnen das Schott schloß, da hob das spinnenbeinige Raumgefährt gerade ab und raste in den Experimentalbereich hinein. Telaant sprintete in den Steuerraum und ließ sich in den mittleren Sessel sinken. Er kommunizierte mit dem Automaten und gleichzeitig mit COSMA I. „Das Experiment wird auf unbestimmte Zeit verschoben!" teilte er mit. „Haltet euch zur Verfügung. Weitere Informationen später!"
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„Was ist los?" Sedana Sedlags Stimme blieb auch im Zyken gegenwärtig. „Wenn du es nicht siehst, dann ist alles zu spät!" murmelte Telaant. „Was sagt deine Nahbereichstastung?" „Sie ist auf null. Es gibt nichts, was da zu tasten wäre!" Der Zyken raste in den intergalaktischen Raum hinaus und suchte ein imaginäres Ziel. Er kam dabei weit von der Sonde vorbei, doch dann schoß plötzlich ein glühender Energiefinger aus dem Zyken auf die Sonde zu, ging dicht an ihr vorbei und traf auf ein Hindernis. Etwas Großes, Riesiges glühte unter dem plötzlichen Beschuß auf. Telaant schickte zwei weitere Strahlen hinterher, und in ihrem Reflex sahen die Anoree in der Sonde und in der Station, daß ein großes Gebilde in den Raum hinausraste und im nächsten Augenblick spurlos verschwand. Die Hypertastung zeigte nichts an, es wurde nicht einmal Streustrahlung des Antriebssystems angemessen. Telaant lenkte den Zyken in einem weiten Bogen um die Sonde herum zur Station zurück. „Habt ihr sie gesehen?" fragte er. „Habt ihr die Aufzeichnung?" „Der Vorgang wurde aufgezeichnet", bestätigte Forind. „Es handelt sich wieder um eine Phantomerscheinung. Was ist es? Eine Vorspiegelung, eine Art Weltraumspuk? Wirken unbekannte Kräfte, die uns Dinge vorgaukeln, die wir gern sehen würden?" „Nein, alles ist falsch!" Telaant steuerte den Zyken zur Station und dockte an der ursprünglichen Stelle an. Die drei Raumstädter kehrten in das Innere von COSMA I zurück. „Wir wissen inzwischen, daß es sich um Raumschiffe handelt", fuhr Telaant fort, als er wieder in seinem Sessel saß. Er sah die Artgenossen der Reihe nach an. „Von der Raumfahrtbehörde wird zwar noch immer ein Geheimnis
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daraus gemacht, aber richtig ist, daß seit dem unerwarteten Flackern Gameshs die Zahl der Phantomsichtungen zugenommen hat. Einen halben Umlauf hat Aylay seither um seine Sonne vollendet, und die Sichtungen betragen über hundert. Stellt euch die Frage, womit es zusammenhängt!" „Was wirst du jetzt tun?" erkundigte sich Sedana. Die Anoree wischte sich eine Strähne ihrer dunklen Haare aus der Stirn. „Mit deinen Schüssen hast du uns ganz schön erschreckt, Telaant!" „Es tut mir leid. Es blieb mir keine andere Wahl. Wie sonst hätte ich das Gebilde sichtbar machen können! Das Experiment ist verschoben, denn der Vorfall muß sofort nach Aylay gemeldet werden. Unser Funk reicht nicht so weit, deshalb werde ich innerhalb der nächsten hundert Sekunden starten!" Damit war die Entscheidung gefallen. Nach der Hälfte der Zeit hatte sich COSMA I eingemottet, und der Zyken Telaants machte sich auf den Weg. Er flog in die Schwärze des Raumes hinein, ließ die leuchtende Spirale Neyscuurs hinter sich und näherte sich dem kleinen und recht sternenarmen Haufen, in dem Gamesh ihre Bahn zog. Alander Telaant hatte sich auf den Weg gemacht, um den Rat zusammenzurufen. Welchen wichtigen Grund er hatte, das hatte er den Anoree in COSMA I nicht gesagt. Der Raumstädter hatte die ungefähre Form des fliehenden Schiffes erkannt. Es war das erste Mal, daß dies durch die schnelle Reaktion eines Anoree möglich geworden war. * Vom Luftkorridor sieben aus wirkte Filanx mächtig und imposant. Die Insel lag mitten im Zentrum des größten Kontinents Moraj, umgeben von einem See aus silbernem
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Wasser. Auf der Insel ragte das hufeisenförmige Verwaltungsgebäude auf, das in seiner oberirdischen Erscheinungsform lediglich die Spitze eines Eisbergs bildete. Unter der Oberfläche erstreckten sich die weitläufigen Anlagen, mit deren Hilfe ganz Aylay und das gesamte Planetensystem der Sonne Gamesh vernetzt war. Das Hufeisen schloß die Zeremonienhalle ein und trug das gewölbte Dach aus durchsichtigem Kunststoff, das die Halle zu einer Art Grotte oder Höhle werden ließ. Vorn, an der offenen Seite des Hufeisens, ragte der Eingangsturm auf, ein Gebilde aus Stahl und Stein, das jedem Wetter und jeder Erschütterung trotzte. Der automatische Luftbus begann am Rand von Filanx zu kreisen, zehn Runden, zwanzig Runden, und langsam wurde Rabo Montfant ungeduldig. „Was ist?" wandte er sich an den Automaten. „Mein Termin ist bereits verstrichen! Wieso will der Rat mich nicht empfangen?" „Ich halte Rücksprache", erklärte die künstliche Stimme. Und wenig später fügte sie hinzu: „Es gehen wichtige Funksprüche ein. Der Rat kommuniziert ohne Unterbrechung. Die Leitstelle hat uns angewiesen, auf der Kreisbahn zu bleiben und die Landeerlaubnis abzuwarten. Du kannst auch zurückfliegen und um einen neuen Termin nachsuchen!" „Nein, nein", machte Montfant hastig. „Ich warte!" Der Termin, mit dem Rat von Aylay zu sprechen, war ihm zu wichtig, als daß er ihn abgesagt hätte. Lange genug hatte es gedauert, bis der Rat seine Medienkampagne zur Kenntnis genommen und Zeit für ihn gefunden hatte. Er lehnte sich in seinem Sessel zurück und griff nach einer Erfrischung, die für Fahrgäste zur Verfügung standen. Er lutschte an dem dünnen Halm und sog die süßliche Brühe in sich hinein. Hinterher fühlte er sich frischer und ruhiger. Er musterte die idyllische
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Landschaft rund um das Hufeisen und fand, daß sie viel zu wertvoll war, als sie einfach dem Zerfall preiszugeben. Der Verfall! Eines Tages war er unvermeidlich. Zur Zeit blieb Gamesh ruhig, aber irgendwann würde das Flackern der Sonne wieder einsetzen. Etwas, was Montfant nicht aus dem Sinn ging, war die Frage, wie die Planeten auf die Vorgänge im Innern des Sterns reagierten, allen voran Aylay. Mit welchen Folgen hatten die Anoree zu rechnen? Viele tausend Sekunden zog der Luftbus seine Bahn, ehe er endlich die Erlaubnis zur Landung erhielt, und der Vorgang des Absinkens Rabo Montfant aus seinen Gedanken riß. Der Bus senkte die Nase in Richtung Boden und schwebte zu dem großen Platz vor dem Turm hinab, wo um diese Tageszeit kein einziges Fahrzeug stand. Weit im Hintergrund entdeckte der Techniker einen großen Garten, in dem Kinder spielten. Sie gehörten den Räten, die auf Filanx wohnten und arbeiteten. Als das Fahrzeug zur Ruhe gekommen war, trat Rabo zum Ausstieg. „Was ist?" brummte er. „Wieso öffnest du nicht?" „Du sollst warten. Der Turm ist noch geschlossen. Es dauert nur wenige Minuten." „Wer hat das gesagt?" „Die Frau in der Leitstelle des Verwaltungszentrums!" „Ich will aussteigen!" „Nein!" Der Automat weigerte sich, die Tür zu öffnen. Montfant reckte den Hals. Hinter dem Turm entdeckte er einen schlanken, silbernen Pfeil, der schräg in den Himmel stieg und verschwand. Es war einer der Atmosphärengleiter, der die Verbindung zwischen den einzelnen Orbits und der Oberfläche des Planeten herstellte. „Wer ist da gekommen oder gegangen?" murmelte er. „Ich habe darüber keine Auskunft erhalten!"
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Die Tür glitt auf, und Rabo sagte: „Warte hier auf mich. Ich weiß nicht, wie lange es dauert!" „Ja!" kam die Antwort, aber da hatte er den Luftbus bereits verlassen und eilte um ihn herum auf den Turm zu. Eine der Seitenpforten neben dem großen Flügeltor öffnete sich, und er erblickte eine ältere Frau im Gewand einer Pförtnerin. Sie musterte ihn eindringlich, streckte ihm dann die Handflächen entgegen und ließ ihn nach der Begrüßung ein. „Ja, du bist Montfant", stellte sie fest. „Dein Gesicht kenne ich unter Tausenden heraus!" „Es ist auch oft genug auf den Schirmen zu sehen!" lächelte er. „Ich weiß, ich bin ein unbequemer Zeitgenosse, aber mein Anliegen ist wichtig!" Die Frau reichte ihm die Hand und führte ihn zu einem der Transportbänder. Vom Turm ging es in den linken Seitentrakt des Hufeisens, und dort glitten sie lange Zeit auf dem äußersten Band entlang, bis die Pförtnerin ihm ein Zeichen machte. Sie stiegen ab und traten zu einem Automaten, auf den Montfant seine Handflächen legen mußte. Ein Signal ertönte, und in der Nähe öffnete sich eine Tür. Die Frau deutete auf ein Schränkchen neben der Tür. „Zieh dir bitte diese Überschuhe an!" bat sie. Er streifte sie über und hatte Mühe, auf dem glatten Boden das Gleichgewicht zu halten. Hinter der Pförtnerin betrat er die Zeremonienhalle. Noch nie in seinem Leben war er hier gewesen. Er kannte die Halle aus verschiedenen Perspektiven von Aufnahmekameras, aber die verwendeten meist Teleobjektive, die die Wirklichkeit verfälschten. Die Halle war größer, als er sie sich je vorgestellt hatte. Sie war in mehrere Bereiche eingeteilt, die durch die unterschiedliche Gestaltung mit Sitzmöbeln und Schränken
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markiert waren. Ganz vorn, dort wo sich der Bogen des Hufeisens befand, stieg die Halle stufenförmig an. Dort gab es zwei Emporen mit Geländern aus buntem Stein. In der Mitte führte eine schmale Treppe zu den beiden Ebenen hinauf. Unterhalb der Treppe befanden sich mehrere Bankreihen, und auf ihnen saßen zwei Dutzend Anoree, zu denen sich ein weiterer gesellte. „Nimm den Weg zwischen den Säulen da vorn!" flüsterte die Frau neben ihm. „Geh den Mittelgang entlang nach vorn bis zu den Bänken. Dort wird man dich empfangen!" Er bedankte sich leise und eilte los. Er konnte es kaum erwarten. Seit geraumer Zeit hatte er um diese Audienz gekämpft, und endlich hatte man sie ihm bewilligt, vermutlich unter dem Druck der Öffentlichkeit. Rabo Montfant eilte durch den Mittelgang und warf ab und zu Blicke in die Höhe. Er sah die winzigen Aufnahmekameras blinken, die seine Anwesenheit in Bild und Ton festhielten. Dann richtete er seinen Blick auf die Bankreihen mit den Mitgliedern des Rates. Sie saßen unbeweglich und wirkten wie Mauern, je näher er kam. Ein Ruf veranlaßte ihn zum Stehenbleiben. Er verharrte auf der Stelle und ließ die Musterung über sich ergehen. Dann durfte er vortreten und sich auf den Sessel setzen, der sich vor den Bankreihen direkt am Fuß der Treppe befand. „Willkommen, Rabo Montfant!" vernahm er die Stimme des Mannes, der zuletzt eingetroffen war. Die Augen des Rates schienen ihn zu durchdringen, und im nächsten Augenblick erkannte der Anoree, was es mit diesen Augen auf sich hatte. Sie waren künstlich! Der Mann war ein Raumstädter! Die Überraschung war perfekt, und er hatte Mühe, seine Gedanken zusammenzuhalten.
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„Danke", erwiderte er hastig. „Ich danke euch allen, daß ihr mir die Gelegenheit gebt, mich anzuhören. Ich weiß, es ist nicht der Zeitpunkt, an dem es viele Gründe gäbe, meine Vorschläge zu akzeptieren. Aber die Ereignisse vor einem halben Planetenumlauf haben mich gelehrt, daß wir nicht früh genug mit der Vorsorge anfangen können!" „Darin stimmen wir überein, Montfant!" warf eine Frau ein. Er wandte den Kopf nach links und blickte ihr ins Gesicht. „Und was wurde getan?" fragte er. „Was war in den Tagen des Flackerns? Der Rat hat keine einzige Hilfestellung gegeben. Die Bevölkerung war verwirrt und verlor den Kopf. Es kam zu Unfällen und sogar Selbstmorden!" Schweigen schlug ihm entgegen. Mehrere Räte flüsterten miteinander, ohne daß er sie verstehen konnte. Sie hatten einen kleinen akustischen Schild eingeschaltet. „Es darf nicht wieder vorkommen!" hielt Montfant ihnen vor. „Wenn die Bevölkerung ihr Zutrauen zu den Entscheidungen und den geheimen Plänen des Rates verliert, dann werden Millionen von Anoree eine andere Möglichkeit suchen, sich und ihre Nachkommen gegen tödliche Überraschungen zu schützen. Sie werden Aylay verlassen und in andere Bereiche des Universums übersiedeln, oder sie werden sich selbst gegen die direkten Einflüsse der sterbenden Sonne zu schützen versuchen." Der Raumstädter stand auf, und wieder spürte der Techniker die Beklemmung unter dem Blick des Artgenossen, die in ihm hinaufkroch. „Gamesh befindet sich in einer Phase partieller Instabilität", sagte der Rat laut. „Die orangefarbene Sonne gibt schwankende Energiemengen ab. Das hängt mit dem zunehmenden Metallgehalt des Sterns zusammen. Die
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gasförmigen Elemente nehmen ab, die metallischen zu. Der Druck im Innern des Sterns steigt unregelmäßig, und dadurch wird auch der Energieausstoß beeinträchtigt. Es wird ein paar Jahre dauern, bis sich dieser Vorgang eingespielt hat. Danach wird für lange Zeit Ruhe herrschen. Aylay wird viele tausend und zehntausend Umläufe hinter sich bringen, ohne daß auch nur eine Generation unseres Volkes in Mitleidenschaft gezogen würde. Das ist alles!" „Und was kommt danach? Die Bevölkerung wird von neuen Ausbrüchen und schlimmeren Störungen ebenso überrascht wie wir von diesem Sonnenflackern! Wo sind die Flotten, die eine rechtzeitige Evakuierung gewährleisten? Natürlich, jemand, der in einer Raumstadt wohnt und für gewöhnlich keine Augen braucht, ist sich dieser Problematik nicht so sehr bewußt!" „Das denkst du!" erwiderte der Rat heftig. „Merke dir meinen Namen, Montfant! Ich bin Alander Telaant! Unter meiner Aufsicht laufen mehrere Geheimprojekte. Es wäre verfrüht, die Bevölkerung mit dem Wissen darüber zu belasten. Die Grundsteine für die Zukunft unseres Volkes sind bereits gelegt worden. Damit solltest du dich begnügen. Es stünde dir gut zu Gesicht, wenn du die Bewohner Aylay s darüber aufklären würdest!" Er setzte sich hin und blickte demonstrativ in eine andere Richtung. Rabo Montfant schluckte. Er musterte nacheinander die Reihen der Räte. Ihre Gesichter blieben ausdruckslos, sie ließen nicht erkennen, was sie dachten. „Ich bin der Wortführer einer Interessengemeinschaft, die dadurch entstanden ist, daß der Rat es versäumt hat, sich in entscheidenden Tagen mitzuteilen. Mit ein paar beruhigenden Worten ist es nicht getan. Das ist die Meinung all derer, die in jener Phase Angst um sich und ihre Familien gehabt haben. Wulvo ist gestorben,
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er hätte noch eine Weile leben können. Deshalb frage ich euch, seid ihr ein Rat für oder gegen das Volk?" Unruhe kam auf. Mehrere empörte Rufe drangen an Montfants Ohren. Wieder stand der Raumstädter auf, er schien der einzige mit klaren Gedanken zu sein. „Die Frage zeigt, daß du nicht genug Verantwortungsbewußtsein aufbringst!" stellte Telaant fest. „Die Audienz ist beendet. Kehre zu deinesgleichen zurück und berichte, daß der Rat alle Vorsorge trifft!" Rabo Montfant erhob sich und ging schweigend davon. Er kehrte zu dem Eingang zurück, an dem die Pförtnerin ihn erwartete. „Beeilung! " mahnte sie ihn. „Der Rat hat eine wichtige Sitzung!" „Aha!" Montfant reichte diese Auskunft. Seine Audienz war offenbar nicht wichtig gewesen. Als er den Turm verließ und die Frau zum Abschied grüßte, machte er seiner Enttäuschung Luft. „Sie werden noch von mir hören!" drohte er. Die Frau gab ihm keine Antwort, und er kehrte wütend zum Luftbus zurück. Daß er noch immer die Überschuhe trug, merkte er nicht. Der Raumstädter malte mit dem Leuchtstift Konturen auf die projizierte Malfläche. Er zeichnete die Konturen ein wenig dunkler nach und besah sich das Werk dann von allen Seiten. „Ja, so ungefähr hat es ausgesehen!" bestätigte er. Die Räte von Aylay umringten ihn und betrachteten das Ergebnis. Die Kameras holten die Zeichnung nahe heran, lieferten einen Riß des Gebildes und analysierten die daraus ersichtlichen Proportionen. „Diese Schiffe stammen nicht aus Gorandaar", bestätigte der Auswertungsautomat. „Sie sind aber auch nicht in Neyscuur
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beheimatet. Es bleibt den Mitgliedern des Rates überlassen, daraus ihre Schlüsse zu ziehen." Sie starrten Alander Telaant an. In dieser schwierigen Zeit voller Zweifel in ihrem Volk und voller eigener Unsicherheit über die Zukunft war der Vertreter der Raumstädter in ihrem Gremium zu der wichtigsten Person geworden. Niemand hatte je so etwas zu prophezeien gewagt, und Telaant gab sich trotz allen Wissens und aller Kenntnisse bescheiden. „Ich möchte die Äußerungen des Automaten einschränken", meinte er, nachdem er sein Werk nochmals eingehend betrachtet hatte. „Wir kennen in Neyscuur bisher kein Volk, das solche Schiffe baut. Neyscuur ist nicht völlig erschlossen. Die Galaxis ist groß und weit. Was Gorandaar angeht, ist die Aussage jedoch absolut zutreffend. Außer uns existiert in diesem offenen Haufen keine weitere intelligente Rasse und schon gar keine, die Raumfahrt betreibt. Wo sollte sie herkommen!" Und mit einem dumpfen Unterton fügte er hinzu: „Gorandaar ist die Isolation!" Die Konsequenz stand ihnen allen vor Augen. Sie mußten nach Neyscuur. Die Kontakte zu den dortigen Völkern der Shrimoo, Gantsalew und den vier Geschlechtern der Scuuru erschöpften sich seit tausend Planetenumläufen im Austausch von Handelsgütern und Nachrichten. Alle paar Jahre machten sich ein paar Schiffe auf den Weg, die unermeßlichen Abgründe zwischen den beiden Sterneninseln zu überwinden und mit Hilfe der im Leerraum stationierten Raumstädte ihre Treibstoffvorräte zu ergänzen, die unter großem Aufwand hierher transportiert worden waren. Die Raumstädte waren die Bastionen auf dem Weg nach Neyscuur, deshalb besaß ihre Existenz eine einigermaßen vertretbare Berechtigung. Ohne die Raumstädte wäre das Volk der Anoree von anderen Völkern und Kulturen isoliert gewesen. Es war sowieso
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wissenschaftlich kaum zu erklären, warum sich ausgerechnet in diesem dünn gesäten Sternhaufen Gorandaar mit seinen alten Sternen und den Black Holes eine intelligente Rasse wie die Anoree entwickelt hatte. Abhandlungen zu diesem Thema gab es seit langen Zeiten, aber eine endgültige Antwort würde wohl nie gefunden werden. Es war Kerdo Uclavis, der älteste der Räte aus den Wasserstädten am Südpol Aylays, der das Wort ergriff und in einem einzigen Satz zusammenfaßte, was sie alle bewegte. „Wir brauchen viel mehr Raumschiffe, Rabo Montfants Forderung ist berechtigt, wenn auch aus anderem Grund!" Alander Telaant reagierte völlig überraschend. Er duckte sich hinter die Männer und Frauen und huschte am Boden entlang. Er griff nach dem Sessel, der am Fuß der Treppe stand, faßte ihn an einem Bein und hob ihn mit einer Kraftanstrengung hoch, die niemand einem Raumstädter zutraute. Er schleuderte den Sessel quer durch die Halle, und die Anoree folgten mit den Augen verwundert dem Geschoß. Sie erlebten, wie der Sessel plötzlich mit einem leichten Knirschen in der Luft hängen blieb. Wölkchen stiegen auf, ein leichtes Flimmern war zu erkennen. Dann verschwand die Erscheinung, der Sessel stürzte mit einem lauten Krach zu Boden. Telaant erhob sich aus seiner gebückten Stellung und eilte auf das Möbelstück zu. Er richtete es auf und tastete es mit den Händen ab. „An den Berührungsstellen ist eine Erwärmung zu spüren", rief er aus. „Und seht her. Ein Teil des Lackes ist verdampft, als der Sessel gegen den Schild prallte." Die Räte begannen die Umgebung der Stelle abzusuchen, ohne etwas zu finden. Fast am Rand nahmen sie wahr, daß die Zeremonienhalle abgeriegelt wurde und sich Roboter auf die
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Suche nach dem unbekannten Eindringling machten. Der Raumstädter quittierte es mit einem Laut der Enttäuschung. „Man wird nichts finden!" verkündete er. „Der Unbekannte hat die Halle sofort nach seiner Entdeckung verlassen. Vermutlich hat er sich in ein Schiff zurückgezogen, das in der Nähe Aylays wartete." Er deutete auf seine Graphik, die noch immer mitten in der Luft hing. „Ein solches Schiff!" Es bedurfte keiner langen Erklärungen, bis sie alle begriffen hatten, daß sie belauscht worden waren. Was sich bisher nur als Phantomerscheinungen von Raumschiffen gezeigt hatte, war nun plötzlich auch in kleinerer Form gegenwärtig. Niemand zweifelte an dem direkten Zusammenhang zwischen beiden Vorgängen. „Sollen wir Montfant zurückrufen?" fragte Uclavis. „Nein!" fiel Telaant hastig ein. „Ich leiste dem Techniker in gewisser Weise Abbitte. Aber das braucht er nicht zu erfahren. Unsere Probleme sind anderer Natur. Wenn eine Bedrohung für unser Volk existiert, dann kommt sie nicht von Gamesh, sondern von den Fremden, die sich in unsere Angelegenheiten einmischen!" Langsam legte sich die Erregung der Männer und Frauen. Sie kehrten zu ihren Sitzen in den Bänken zurück. Sie baten Telaant, für den Bau einer entsprechenden Flotte zu sorgen. „Ich werde diese Aufgabe einem geeigneten Mann übertragen", versicherte der Raumstädter. „Bitte gebt mir dazu freie Hand!" Sie erfüllten seinen Wunsch, ohne zu zögern.
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3. Gawalat
Die dünnen, in der Schwärze des Alls kaum sichtbaren Spindeln begannen übergangslos zu glühen. Sie schimmerten in dunklem Rot und markierten den Bereich des Experimentierfelds. Es besaß einen Durchmesser von zehn und eine Höhe von vier Lichtminuten. „Phase eins!" dröhnte eine monotone Automatenstimme durch die vier Schiffe, die sich in der Nähe der Spindeln aufhielten. „Die Raumbrecher werden aufgeheizt! " Weitab von dem Experiment saß das ursprüngliche Wissenschaftlerteam um einen Tisch herum. Die Männer und Frauen warteten darauf, daß Telaant das Wort ergriff und eine Anweisung zur Fortführung des Experiments gab. Der Raumstädter aber schwieg, und seinem Gesicht und den glänzenden Augen war nicht abzulesen, was er dachte. Als er sich endlich einen Ruck gab und seine Gestalt sich straffte, da war den übrigen Anoree deutlich die Erleichterung anzusehen. „Ich rieche eure Anspannung", sagte Telaant. „Ich erkenne aber auch noch andere Dinge. Wie durch ein Wunder haben sich die Phantom-Leute bisher nicht blicken lassen. Warum? Erwarten sie, daß hier alles nach Plan verläuft? Oder ist es uns gelungen, diesen Raumsektor vor ihrer Aufmerksamkeit zu verbergen?" Da niemand eine Antwort gab, fuhr er fort: „Oder ist einer unter uns, der zu ihnen gehört und den wir nur nicht erkennen?" „Telaant!" rief Forind, der auch die neuen, verbesserten Zapfer konstruiert hatte. „Was willst du damit sagen? Rechnest du damit, daß die Zwölf sabotiert wird?"
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Sie nannten es Experiment Nummer zwölf, weil sie das zwölfte Jahr an der Sache arbeiteten. Die Zwölf fand zur Jahreszeitenwende statt, und die Entfernung zu Gamesh und Aylay betrug zweihundertvierundsechzig Lichtjahre. Der neue Standort befand sich in einem Bereich Gorandaars, in dem die Sterne eine deutlich sichtbare, schlauchartige Lücke besaßen. In dieser Lücke, weitab von den Routen der Raumschiffe, hatte Alander Telaant sich mit seinem Wissenschaftlerteam niedergelassen. „Nein. Es riecht hier nicht nach Sabotage. Aber welchen Grund gäbe es für die Unbekannten, uns bei diesem wichtigen Experiment nicht über die Schulter zu sehen? Vielleicht können sie noch von uns lernen, wenngleich ich selbst nicht daran glaube. Doch sagt mir, welches Volk ist vollkommen unter allen Sternen dieses Universums? Keines sicherlich. Also bleibt nur das Beobachten. Achtung, an alle Sonden! Zieht euch zurück. Achtet darauf, daß ihr nicht mit unsichtbaren Hindernissen kollidiert!" Doruum Falkhat als Nachfolger der in den Ruhestand versetzten Sedana Sedlag bestätigte die Anweisung. Die Sonden mit ihren direkten Meßgeräten nahmen Fahrt auf und entfernten sich in alle Richtungen. Sie suchten die Sicherheitspositionen außerhalb des 10-Lichtminuten-Bereichs auf und verharrten dort., „Phase zwei!" verkündete ein Automat. Die Spindeln wurden hellrot und orange, für einen winzigen Augenblick erinnerte ihr Licht an das von Gamesh. Die Wahrnehmung rief allen Anoree in Erinnerung, warum sie die Experimente überhaupt durchführten. Gavvalat — Langes Leben. Shyrbaat - Rettung. Es ging um die Rettung der Heimat.
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Wie diese bewerkstelligt werden sollte, darüber gab es seit langer Zeit feste physikalische Vorstellungen. Die technische Bewältigung allerdings nahm mehr Zeit in Anspruch, als es sich der Rat auf Aylay jemals ausgemalt hatte. Telaant hatte von Anfang an in Jahrzehnten gerechnet, und er hatte recht behalten. Und was waren Jahrzehnte im Vergleich mit den Jahrtausenden, die es vermutlich noch dauerte, bis die Sonne über Aylay endgültig auf den Kollaps zusteuerte. Vermutlich war es realistischer, in Jahrzehntausenden oder Jahrhunderttausenden zu rechnen und zu kalkulieren. Ebenso realistisch war die Angst, die sich in den letzten Jahren im Volk der Anoree ausgebreitet hatte. Ein Name stand besonders für diese Entwicklung: Rabo Montfant! Alander Telaant erhob sich und trat an die Kontrollpulte von COSMA XII. Es handelte sich noch immer um die erste Station von damals, aber eben im zwölften Jahr ihres Einsatzes. „Wir werden das Experiment diesmal an einem Stück durchziehen", sagte er laut. „Es gibt keine Zwischenphasen. Wir müssen uns absolute Gewißheit schaffen, wie sich der Energiepool in den dreidimensionalen Raum einfügt. Wenn es zu Komplikationen kommt, ist nicht an einen Transport des Pools zu denken!" Das Gamesh-System und überhaupt die stellare Nähe des altersschwachen Sterns waren von Anfang an nicht für die Durchführung des Experiments in Frage gekommen. Das Team hatte sich in einen abgelegenen Teil Gorandaars zurückgezogen, um die Auswirkungen zu studieren und aus möglichen Fehlern Schlüsse zu ziehen. Der Rat hatte eine Position zwischen den Galaxien empfohlen, doch Telaant hatte widersprochen. Von einer solchen Position aus hätte es vermutlich Transportprobleme
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gegeben. Der Pool mußte bis zum Stern Gamesh geschafft werden. Phase drei hatte begonnen. Die Spindeln glühten im hellen Gelb. Vereinzelt zogen weiße Schlieren hindurch. Telaant musterte sie zufrieden und betätigte einen Sensor. Irgendwo tief in COSMA XII erwachten Maschinen zum Leben. Ein Brummen klang durch die Etagen der Station und ließ die Männer und Frauen aufhorchen. Sie lauschten dem Geräusch, wie es anschwoll und vibrierte. Es pendelte sich auf einer vorausberechneten Frequenz ein, und die Automaten meldeten die Bereitschaft der Schildaggregate. „Einschalten!" hallte die Stimme des Raumstädters durch den Steuerraum. Die vier Schiffe in unmittelbarer Nähe des Experimentierfelds bestätigten. Mitten zwischen den Spindeln entstand ein weißes Gebilde aus stechendem Licht. Es besaß ebenfalls ovale Form, doch ihm fehlte die Vollständigkeit. Nach oben hin blieb es offen, und die Anoree konnten auf den stark abgeblendeten Bildschirmen verfolgen, wie sich dünne Fäden durch das Gespinst wanden und in der Art einer Spinne ein Netz woben. „Das Nest steht!" meldeten mehrere Automaten gleichzeitig. „Phase vier ist angelaufen!" Alle sahen zu Alander Telaant. Der Raumstädter schloß die Augen. Er hatte Mühe, die verkümmerten Augenlider über die künstlichen Sehhilfen zu schieben. Seine Hände tasteten nach vorn und fuhren über die einzelnen Sensorleisten der Steuerkonsole. Zufrieden warf er den Kopf in den Nacken und wartete. Ein Automat zählte. Er zählte eine ganze Viertelstunde lang. In dieser langen Zeit verharrten die Anoree reglos auf ihren Plätzen. Sie lauschten dem Atem des Raumstädters, und Telaant berührte immer wieder ein paar Sensoren und gab
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Kommandos. Noch zehn Sekunden bis zur Phase fünf. Die Spindeln im Weltall glühten. Die vier Schiffe, von vorn bis hinten angefüllt mit Energiedepots, zitterten leicht. Sie arbeiteten mit Maximallast. „Schweißvorgang beginnt!" meldete die anteilnahmslose Stimme des koordinierenden Automaten. „Die Raumbrecher arbeiten." Telaants sensible Finger huschten wie selbständige Lebewesen über die Sensorreihen. Mehrere Summtöne klangen auf. Die Bildschirme zeigten einen dünnen, kaum wahrnehmbaren Strich, der durch das All eilte, von einer Spindel zur nächsten, bis sich das Oval geschlossen hatte. Die hauchdünne Linie erinnerte an einen eingefrorenen Blitz, und ein ähnliches Prinzip wurde bei dem Vorgang auch angewendet. Nur spielte er sich in diesem Fall nicht im dreidimensionalen Bereich ab, sondern im fünfdimensionalen. Der Strich war lediglich die diesseitige Ansicht eines wesentlich komplexeren Vorgangs. Die Spindeln schweißten eine Lücke in das Kontinuum. Ähnlich wie beim Übertritt eines Raumschiffs in den Hyperraum wurde eine Öffnung geschaffen mit dem Unterschied, daß diesmal kein Gegenstand in Form eines Schiffes bereitstand, der den partiell entstehenden Unterdruck des Hyperraums durch Massezufuhr ausglich, drüben innerhalb kurzer Zeit ein Übergewicht schuf und zu einem genau vorausberechneten Zeitpunkt am vorgesehenen Zielort wieder ausgespuckt wurde. Diesmal sollte die Energie im Normalraum gebunden werden. Die Zeit schleppte sich dahin. Phase fünf dauerte bereits vier Stunden, und noch immer war nichts zu erkennen. Die dünne Linie wurde nicht stärker und nicht schwächer. Die Schiffe
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pumpten pausenlos Energie in die Spindeln. Telaants Stirn glänzte vor Schweiß. In kleinen Bächen floß die salzige Flüssigkeit an seinen Schläfen hinab zum Kragen seines Umhangs. „Jetzt!" murmelte er und nahm die Hände von den Sensorleisten. Ganz kurz blitzte die hauchdünne Linie auf. Dann verschwand sie, und mit ihr verschwand auch die Schwärze des Ovals. Etwas Zähes brach aus dem übergeordneten Raum herein. Die Bildschirme gaben es als dunkelrotes Etwas wieder. Wie Lava quoll es aus der Bruchstelle hervor und tropfte in dicken Brocken in das Nest hinein. Nach und nach begann sich das Gespinst zu füllen, nur ab und zu unterbrochen von Lichtblitzen, die den Energieausstoß des Hyperraums regelten. Eine halbe Minute dauerte es höchstens, dann hatte sich das Nest gefüllt und schloß sich. Gleichzeitig nahm die Helligkeit der Spindeln ab. Die dünne Linie tauchte wieder auf, und Augenblicke später hatte sich der Riß zwischen den Dimensionen geschlossen. Die Spindeln glühten aus und dunkelten in der Kälte des Weltraums rasch ab. Jubel kaum auf. Die Besatzung von COSMA XII gratulierte sich zu diesem Erfolg. Nur einer rührte sich nicht. Alander Telaant saß noch immer mit geschlossenen Augen in seinem Sessel. Als der erste Begeisterungssturm verebbt war, wandte er den Kopf und sah die Männer und Frauen aus geschlossenen Augen an. „Etwas ist nicht in Ordnung", verkündete er. „Ich weiß nicht, was es ist. Aber ich denke, wir werden es bald erfahren!" Er behielt recht. Der Pool blieb nicht stabil. Die eingefangenen Hyperenergien rebellierten, das Gespinst bewegte sich wie ein überlasteter Magen, jederzeit bereit, seinen Inhalt auszuspucken. Telaant ließ sich Meldungen der
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Maschinen tief im Bauch der Station geben. Er verglich sie auf akustischem Weg miteinander und riß dann die Augen auf, um das Gespinst auch optisch wahrzunehmen. Es war abzusehen, was sich ereignen würde. „In die Schiffe mit euch!" rief er laut. Und als sich keiner bewegte, schrie er sie an. „Die Station existiert nicht mehr lange. Sie wird mit in den Hyperraum gerissen. Wem sein Leben lieb ist, der verschwindet hier!" Niemand folgte dem Aufruf. Gebannt starrten sie auf das blubbernde und wackelnde Gebilde und auf die Hände des Raumstädters, die wieder über die Sensoren huschten. Alander war tief beunruhigt. Er spürte, wie das Experiment seiner Kontrolle entglitt, und er nahm die Energien des Gespinsts zurück, um die Katastrophe wenigstens ein klein wenig einzudämmen. Der Pool beruhigte sich, und da dämmerte es dem Anoree langsam, welchen Denkfehler er begangen hatte. Die Energien des Gespinsts waren für die Menge Hyperenergie zu hoch gewesen. In Gedanken verglich er den Vorgang mit einem sich aufschaukelnden Kernprozeß, der sich irgendwann entlud, wenn er nicht gebremst wurde. „Jetzt könnt ihr laut jubeln!" sagte er leise und beobachtete, wie sich der Pool endgültig beruhigte und das Brummen im Leib von COSMA XII leiser wurde. „Wir haben es geschafft! Der Diebstahl hat funktioniert!" Er stand auf und eilte wortlos aus dem Raum hinaus in Richtung seines Schiffes, das darauf wartete, ihn nach Aylay zu bringen. Nicht nur Telaant wußte, daß die Arbeit längst nicht abgeschlossen war. Der entscheidende Vorgang stand noch bevor. In ein paar Wochen oder Monaten. Dann, wenn sie es
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schafften, den Pool heil in das Gamesh-System zu bringen, ohne zuvor ganz Gorandaar in die Unendlichkeit zu befördern. * Winzig waren sie, doch ihre Anzahl war gewaltig. Mancher versuchte sie zu zählen, aber es war ein aussichtsloses Unterfangen. In gleichmäßigen Ringen hingen sie in ihrem stationären Orbit. Kleine, schimmernde Scheibchen waren es, und ihr Vorhandensein stellte den bisher schlagendsten Beweis für das Wirken eines einzelnen Mannes dar. Rabo Montfant nahm die Aufmerksamkeit und Begeisterung der Zuschauer mit Genugtuung zur Kenntnis. Immer hatte er auf diesen Augenblick gewartet. Es hatte lange gedauert, bis der Rat sich dazu entschlossen hatte, ihn und seine Bewegung anzuerkennen und ihren Sinn für den Fortbestand des Volkes zu akzeptieren. Er hob die Hand, und das Flüstern und Raunen auf dem Hügel oberhalb der Stadt hörte auf. Über hunderttausend Anoree aus allen Teilen Aylays hatten sich auf seinen Ruf hin versammelt und waren gekommen, um ihn zu hören. Bisher hatten sie ihn nur über die televisionären Medien beobachten können. Sie hatten sich seine Argumente angehört und darüber diskutiert. Jetzt füllten sie die Ebenen des Hügels aus und starrten auf ihn hinab, um ihn zu sehen, wie er wirklich war, seine Gesten, seine Worte, die Zwischentöne und seine Überzeugungskraft. „Anoree!" begann Montfant mit leiser Stimme. Er verzichtete ganz auf technische Hilfsmöglichkeiten. Die Akustik am Sprechenden Hügel ermöglichte es ihm, sich überall verständlich zu machen. Aus feuchten Augen starrte er auf den Hügel und seine Ausläufer, die dicht von Männern und Frauen
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seines Volkes übersät waren. Viele hatten sogar ihre Kinder und ihre Verpflegung mitgebracht. Ganz im Hintergrund, dort, wo die Kuppe den kleinen Hain aus Fruchtbäumen trug, standen mehrere Polizisten und bewachten zwei Männer. Einen kannte Rabo. Es war der Raumstädter, der ihn in der Zeremonienhalle befragt hatte. Im schwachen Licht der Sterne und der leichten Helle, die von der Stadt herüberschien, glitzerte sein Gesicht, und die Augen waren schwarze Höhlen. Alander Telaant war gekommen, um sich anzuhören, was er zu sagen hatte. „Anoree!" sagte er ein zweites Mal und etwas lauter. Stolz erfüllte ihn, daß der Rat ihm eine solche Bedeutung beimaß. „Als Wulvo, mein Vater, starb, da bedauerte er es, daß sich sein Zerfall nicht mehr aufhalten ließ! Er starb in jenen Tagen, als die Sonne zu rebellieren begann. Er erlebte den heutigen Tag nicht mehr mit, sonst würde er hier stehen und zu euch sprechen. Ja, ihr hört richtig, es ist nicht nur meine persönliche Meinung, die ich seit jenen Tagen kundtue, es ist auch sein Vermächtnis, das Vermächtnis unserer ganzen Familie. Schaut empor zu den Scheiben. Hunderte sind es an der Zahl, bald werden es Tausende sein. Sie werden nahtlos ineinander greifen, werden einen riesigen Schild bilden, der unsere Welt gegen die harte Strahlung Gameshs schützen wird. Diese Strahlung wird kommen, nicht heute, nicht morgen, aber irgendwann. Sie wird alles Leben in unserem Heimatsystem vernichten. Die Sonne wird sich zu einer gefährlichen Schlange wandeln, die alles verschlingt. Und sie wird Energien von sich schleudern, die auf den Schild treffen und diesen erschüttern. Das System aus vielen tausend Projektoren, diese Scheibchen, die ihr seht, bezieht seine Energie aus der Sonne. Wenn diese Energie jedoch auf ein Tausendfaches steigt, dann werden die Speicher der Projektoren überlastet. Sie bersten, und der Schild
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bricht von einem Augenblick auf den nächsten zusammen. Nichts wird dann noch zu retten sein. Erneut ist Aylay. schutzlos den Gewalten Gameshs ausgeliefert. Kurzum, die Schildprojektoren dort oben im Orbit sehen bei Nacht schön aus. Sie lullen uns ein in dem Gedanken, daß uns nichts geschehen kann. Sie werden alle paar Jahrzehnte überprüft, und nach hundert Jahren vielleicht müssen die ersten ersetzt werden. Doch wozu? Sie werden im Ernstfall nie jene Funktion erfüllen, die der Rat und die Wissenschaftler ihnen zugedacht haben. Doch wie sollen wir es anstellen, den Rat zu überzeugen? Seine Mitglieder haben sich so sehr in den Gedanken verbissen, daß damit fast alles für die Rettung getan ist. In Wirklichkeit schieben sie das Problem nur vor sich her. Überlassen es den kommenden Generationen und stehlen sich damit aus der Verantwortung. Ist das richtig? Ist das vertrauensvoll?" Er machte eine Kunstpause und verschaffte sich mit einem der weiten Ärmel seines Hemdes ein wenig Kühlung, indem er ihn wie einen Fächer hin und her schwenkte. Seine Wangen glühten, und seine Augen leuchteten. Es wurde endgültig dunkel am Sprechenden Hügel, nur die Lichter der Stadt, die Scheibchen im Orbit und die dünn gesäten Sterne Gorandaars warfen ein wenig Licht auf die Anoree. „Es ist tödlich für unser Volk!" fuhr Montfant fort. „Es ist eine einzige Falle, bei der kein Anoree auf Aylay überleben wird. Und schaut euch die zweite Maßnahme an. Die Flotte wird angeblich vergrößert. Gehen wir davon aus, daß innerhalb von hundert Jahren hunderttausend Einheiten geschaffen werden könnten, dann müßten diese regelmäßig gewartet und selbst bei geringer Benutzung nach wenigen Jahrhunderten ausgemustert
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und durch neue ersetzt werden. Eine solche Flotte würde das Bruttosozialprodukt unseres Volkes um ein Millionenfaches übersteigen, wir wären also gar nicht in der Lage, sie uns zu leisten. Ferner würden hunderttausend Schiffe noch immer nicht ausreichen, um die zig Millionen Mitglieder unseres Volkes in einem einzigen Schub in Sicherheit zu bringen." In diesem Augenblick bemerkte Rabo über sich das Blinken. Er warf den Kopf in den Nacken und musterte den Luftraum über sich. Er entdeckte die Aufnahmekamera, und verzog vor Zorn das Gesicht. Seine Arme deuteten nach oben und wiesen die Zuhörer auf den Reflex hin. „Niemand hat diese Kamera angekündigt", rief er laut. „Wozu dient sie? Ich weiß nichts von einer Übertragung dieser Veranstaltung in die hintersten Winkel Aylays. Der Rat selbst hat eines seiner Mitglieder zu uns geschickt. Wozu also die Kamera? Soll sie sich die Gesichter merken?" Er starrte hinauf zu den Bäumen. Telaant bewegte sich nicht. Er sah einfach zu ihm hinab und hörte sich seine Worte an. Bestimmt steckt er dahinter! redete Rabo sich ein. Er will mich durcheinander bringen, mich aus dem Redefluß reißen. Aber er täuscht sich. „Hört mich an!" rief er. „Ein Raumstädter ist für die hyperphysikalischen Experimente zuständig, und ein Anoree seines Vertrauens wacht über den Bau der unnötigen Flotte! Dort droben steht Alander Telaant, und er ist bestimmt nicht nur gekommen, um meinen Worten Beifall zu spenden. Er sieht in mir eine Gefahr. Deshalb die Kamera. Jedes meiner Worte wird aufgezeichnet, jede meiner Gesten. Ich begreife es, daß der Rat in mir eine Gefahr für sich und das Volk sieht. Ich freue mich schon jetzt auf die Begründung für das Urteil. Wird man mich verbannen? Erhalte ich Redeverbot?"
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Bewußt provozierte er. Er wußte wie jeder andere Anoree, daß es Redeverbot und ähnliche Maßnahmen seit Jahrtausenden nicht mehr gegeben hatte. Jeder Anoree konnte frei seine Meinung äußern. Eine Verbannung lag noch weiter jenseits der Vorstellung. Jetzt bewegte Telaant sich. Er verließ den Gürtel der Bewacher und trat an einen Vorsprung am Hügel hinaus. Ruckartig streckte er beide Arme aus. „Deine Rede ist eine reine Provokation!" erkannte der Raumstädter. „Aber es ändert nichts daran, daß du die Wahrheit sagst. Der Schild wird im Ernstfall nicht lange halten und nur vor den ersten Auswirkungen schützen. Wann wird es sein, daß Gamesh endgültig seine Ausgeglichenheit verliert und zu einem feuerspeienden Ungetüm wird, das anschließend immer mehr erkaltet und Aylay zu einer Welt ohne Leben macht? Der Schild, so wie er jetzt existiert, hilft, die sporadischen Strahlungsausbrüche zu meistern, mit denen in den nächsten Jahrtausenden und Jahrzehntausenden zu rechnen ist. Was die Raumflotte angeht, so ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, wie groß sie eines Tages sein wird. Vorläufig werden nur ein paar wenige Schiffe gebaut, soweit es der Haushalt zuläßt!" „Ich glaube nicht daran!" rief Montfant laut. „Ich will die Schiffe sehen!" Er glaubte, daß der Raumstädter dort oben grinste, aber es konnte auch eine Täuschung sein. Telaant deutete in die Luft. „Die Kamera da oben überträgt die Veranstaltung in die Sendezentralen Aylays, wie das üblich ist. Es gibt aber auch eine Direktschaltung zu den Raumstädtern. Dort, Rabo Montfant, interessieren sich die Anoree brennend für das, was du zu sagen hast! Und jetzt sprich weiter!" Montfant schluckte und fuhr fort. Er sprach von den Möglichkeiten, wie jeder einzelne etwas zu seinem Überleben
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beitragen konnte. Er regte bezirkseigene Schiffe an, mit denen ganze Wohnbezirke gleichzeitig in den Weltraum evakuiert werden konnten. „Denn ich glaube nicht, daß es noch Jahrzehntausende dauern wird!" schloß er seine lange Rede. „Die Gefahr wird früher kommen!" Er fuchtelte mit den Armen und trat zurück. Die Anoree verharrten in ungläubigem Schweigen, dann aber brandete Beifall auf. Der Hügel begann zu dröhnen, und Rabo Montfant erkannte, daß selbst Telaant ihm Beifall spendete. Verwirrt wandte er sich ab und suchte die Nähe seiner Gefährtin. Nurola umarmte ihn und flüsterte ihm etwas zu. Rabo trat noch einmal vor und breitete die Arme aus. Ruhe kehrte ein, und er neigte dankend den Kopf. „Ich habe vergessen, euch einen letzten Satz zu sagen. Mein Ziel und Vermächtnis ist es, daß Körper und Geist eines jeden Anoree geschützt sind und durch Gamesh nicht beeinträchtigt werden. Der Schutz dient aber auch unliebsamen Überraschungen durch die rätselhaften Phantome, die immer wieder in unser Leben eingreifen. Dies sind die Ziele der Bewegung, die ich ins Leben gerufen habe. Dies ist meine persönliche ,Operation Langes Leben', mein persönliches Gawalat!" „Dem steht Jauccron gegenüber!" klang es von der Spitze des Hügels zurück. „Dies als Beweis für dich, daß sich die Verantwortlichen durchaus Gedanken über die Zukunft des Volkes machen! Jauccron wird eines Tages stattfinden müssen, aber natürlich kann es nicht allein für sich stehen." Rabo Montfant spürte, wie er innerlich vor Erregung zu zittern begann. Er rannte los, hielt auf die schmale Treppe zu, die hinauf zur Kuppe führte und die mit vielen Zuhörern besetzt war. Er
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benötigte lange Zeit, bis er sich endlich hindurchgedrängt hatte und atemlos vor Telaant ankam. „Wie meinst du das?" keuchte er. „Was willst du damit sagen? Wo siehst du die Berührungen zwischen Gawalat und Jauccron?" „Beantworte dir diese Frage selbst. Es sind Jahrtausende dafür Zeit. Und du selbst hast noch Jahrzehnte. Wo siehst du die Berührungspunkte?" Spätestens jetzt erkannte Montfant, daß der Raumstädter und vielleicht auch die anderen Räte weiter dachten, als er angenommen hatte. Aber warum traten sie mit ihrer Meinung nicht offen an das Volk? „Es gibt ein Problem." Alander Telaant lächelte nachsichtig. „Du verwechselst die Meinungsfreiheit mit der hohen Politik. Der Rat hat noch andere Dinge zu berücksichtigen als die Information der Öffentlichkeit. Wir Anoree leben zwar allein in Gorandaar, aber wir sind nicht allein im Universum. Du weißt, woran ich denke?" Rabo Montfant antwortete nicht. Er seufzte leise und wandte sich ab. Langsam stieg er den Hügel hinunter und wünschte den Zuhörern eine gute Nacht. Er nahm Nurola an der Hand und ging mit ihr zu seinem Luftbus hinüber. „Es war meine erste große Rede", sagte er leise. „Und gleichzeitig meine erste Niederlage. Telaant kennt die Hintergründe, er kann die besseren Argumente ins Feld führen!" „O nein, da täuschst du dich aber", sagte Nurola energisch. „Du hast heute die Rede deines Lebens gehalten, Rabo. Mit diesem Tag beginnt im Volk der Anoree ein neues Denken. Und du hast den Anstoß dazu gegeben!" Sie hatte recht, aber sie wußte nicht, daß es ein äußerst langwieriger Prozeß sein würde.
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Alle waren sie gekommen, zwei Zyken voll. Es hatte von Anfang an festgestanden. Aus der sicheren Entfernung des Beta-Orbits heraus verfolgten sie die Umwandlung. Das Nest selbst hing im Delta-Orbit, unweit der Station, die für die Steuerung des Vorgangs ausgesucht worden war. Alle Vorgänge in und um die Station verliefen automatisch und wurden von den Schiffen aus gesteuert. Die eingefangenen Hyperenergien glühten in dunklem Rot. Sie zehrten die Kräfte langsam auf, die sie einengten. Es war Zeit, den letzten Schritt zu tun. Diesmal steuerte nicht Telaant, sondern einer seiner beiden Begleiter, die fast nie von seiner Seite wichen und so etwas wie Leibwächter zu sein schienen. Sie sprachen kaum ein Wort, reagierten nur auf seine Zurufe und harmonierten mit ihm, ohne daß sie Blickkontakt hielten. Raumstädter waren den Anoree von Aylay suspekt und unheimlich, und mancher verglich sie mit jenen Phantomen, die aufkreuzten, wo es ihnen beliebte. Wo steckten die Fremden? Alander Telaant wußte es, aber er sprach es nicht aus. Seine künstlichen Augen hingen an der Teleoptik und verfolgten, wie die Projektoren sich dem Nest näherten und mit der Bestrahlung begannen. Die damit verbundene zusätzliche Instabilität des energetischen Gespinstes war einkalkuliert und stellte keine Gefahr dar. Dennoch jagte sie so manchem Rat Angst und Schrecken ein. Die aus dem Hyperraum geholte Energie glühte heller. Unter dem Einfluß der Bestrahlung verwandelte sich ihre Farbe in Gelb und Weiß. Das Nest dehnte sich immer mehr aus, bis seine Fäden dünn und für die Augen der Anoree nicht mehr vom Inhalt zu unterscheiden waren. Nur der Raumstädter
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schien sie noch zu sehen, denn über sein Gesicht glitt ein Zug von Zufriedenheit. „Katapult einschalten!" wies er den Begleiter mit dem Vornamen Lerander an. „Eine halbe Minute noch!" Der dunkle Schatten des Katapults löste sich aus dem Anker der Station und trieb auf das Nest zu. Er verdeckte es und brachte sich in Schußposition. Was folgte, war optisch nicht auszumachen. Sie sahen es auf einer graphischen Darstellung, die von der Station projiziert wurde. Das Katapult schob seine Bühne an das Nest heran. Dies geschah schnell und verbunden mit einem Energiepolster, das sich zwischen Bühne und Nest aufbaute. In dem Augenblick, in dem sich Polster und Nest berührten, wurde die Automatik ausgelöst. Ein winziger, weißer Blitz war zu erkennen. Ein Energieball, vergleichbar mit einer künstlichen Minisonne, raste auf die Korona des hellroten Sterns Gamesh zu und beförderte die umgewandelte Hyperenergie und den Kokon des Nestes in die obersten Schichten der Sonne. Winzige Entladungen in der Korona und der Chronosphäre im Innern des Sterns, und ihre Emissionen wurden von denen Gameshs überlagert. Alander Telaant wackelte mit dem Kopf hin und her. Er schaltete eine Verbindung zu den beiden Zyken und blickte in die Gesichter der anderen Räte. „Dieses Experiment kann von seinem technischen Ablauf her als gelungen angesehen werden", berichtete er. „Welche Auswirkungen die Infusion hat, werden wir in den nächsten Tagen und Wochen erleben. Eines ist sicher. Die Implantation von Energie ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein, wie man auf Aylay sagt. Sie kann das Sterben unserer Sonne nicht verhindern, höchstens ein wenig hinauszögern. Aber wer weiß, vielleicht wird unser Volk bis in ein paar tausend Jahren in der
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Lage sein, eine künstliche Sonne zu schaffen. Keine von der Größe Gameshs, aber eine, die im Orbit um Aylay hängt und den Planeten wärmt und ihm seinen heutigen Zustand erhält. Vorerst ist wichtig, daß wir alle Formen der Energie und ihrer Anwendung beherrschen lernen bis hin zu der größten Herausforderung für jeden Physiker. Ich spreche von den Black Holes!" Mit einem Lächeln wandte er sich von dem Schirm ab und schaute hinüber zu Doruum Falkhat, der ihm schon in COSMA XII eine wertvolle Stütze gewesen war. Falkhat saß starr in seinem Sessel, als warte er auf etwas. Dann verschwand er. Von einem Augenblick auf den anderen löste sich sein Körper auf oder verschwand hinter einem Schild. Diesmal war die Tarnung perfekt. Telaant konnte nichts mehr erkennen, keinen Schemen, nichts. Er vermochte nicht zu sagen, ob das Phantom sich noch in dem Raum oder der Station aufhielt. „Gute Reise!" rief er laut. „Und wenn du zurückkehrst, dann denke daran, daß du mein Gast bist. Ich möchte dich zu einem Essen einladen. Allerdings nur, wenn du dich in deiner wirklichen Gestalt zeigst!"
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4. Die Warnung
„Nimm den Spiegel!" Montfant streckte seiner Frau den Gegenstand entgegen. Sie nahm ihn, und er heftete seine Augen darauf. Sie drehte ihn nach seinen Anweisungen ein wenig nach links und nach unten, dann ein wenig zurück, so daß der Anoree den Platz vor dem Zimmerfenster sehen konnte. Er kniff die Augen zusammen und veränderte den Abstand zum Spiegel um eine Nuance. „Gut so!" rief er laut. „Jetzt habe ich ihn." Er packte den bereitgestellten Metalleimer und warf ihn aus dem Fenster, genau auf die Stelle, die er ermittelt hatte. Der Eimer sauste durch die Luft und kam so unvermittelt zum Stillstand, daß Nurola erschrak und den Spiegel fallen ließ. Er zerbarst in unzählige Scherben. Rabo Montfant hörte es nicht einmal. Fassungslos und doch gleichzeitig voller Genugtuung starrte er auf den Eimer. Dieser umgab sich für den Bruchteil einer Sekunde mit einer feurigen Aura, dann fiel er an der Stelle zu Boden, an der er angehalten worden war. Es schepperte, und Rabo fuchtelte mit den Armen. „Ich weiß, daß du mich und meine Familie schon eine ganze Zeit beobachtest", rief er laut in den Garten. „Du würdest dir keine Blöße geben, wenn du dich zu erkennen gäbst. Schalte deinen Schild ab!" Er hechtete aus dem Fenster, rollte sich ab und spurtete über das Gras vor dem Haus. Etwas wie Kichern drang an seine Ohren. Er nahm vage eine Bewegung wahr und ließ die Arme nach vorn schnellen. Er berührte ein fremdartiges Energiefeld. Es prickelte auf seiner
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Haut, und er faßte weiter in es hinein und spürte einen weichen, nachgiebigen Widerstand wie von einem Lebewesen. Er hatte es nicht anders erwartet. Montfant erhielt einen elektrischen Schlag. Er taumelte rückwärts, erkannte gleichzeitig den Schemen in seinem Feld, der sich zum Rand des Gartens bewegte. Der Anoree schwankte wie ein Betrunkener hinter dem Unsichtbaren her. „Was willst du tun?" Angstvoll drang die Stimme seiner Gefährtin zu ihm durch. „Ich sehe ihn", murmelte er. „Ich folge ihm!" Draußen, jenseits der Einflugschneise des Luftbusses, leuchtete das Feld eines fremdartigen Fahrzeugs. Der Schemen hielt darauf zu, und Rabo wich zur Seite aus und tastete sich zu seinem Luftbus vor, ohne den Blick von dem Schemen zu nehmen. Er stieg ein und betätigte mehr oder weniger unbewußt die Kontrollen. Langsam stieg der Bus in die Luft und steuerte auf das unbekannte Feld zu. „So ist es recht", murmelte der Anoree. „Du wirst mir nicht entkommen. Ich werde dir deine Maske vom Gesicht reißen!" Wieder glaubte er dieses Kichern zu hören, und dann klang plötzlich diese fremde, äußerst geschmeidige Stimme auf. Sie artikulierte jeden Laut in fast musikalischer Weise, und sie sprach das Anorische so, als besäße der Sprecher keine Zähne. Bei dem Gedanken lachte Rabo Montfant auf, dann jedoch war er wieder voll konzentriert bei der Sache. „Deine Augen sind fast so scharf wie die Telaants", stellte der Unsichtbare fest. „Aber du jagst hinter einem Phantom her! Weißt du die Ehre zu schätzen, daß wir zu dir als erstem deines Volkes sprechen?" „Wer bist du?" „Sieh in deinen Spiegel, dann kannst du es erkennen!"
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Der Schemen hatte das Feld erreicht und verschwand aus Rabos Wahrnehmung. Fast gleichzeitig setzte sich das Feld in Bewegung und jagte in den Himmel hinein. Der Anoree aktivierte den linken Armreif, gab seine Daten ein und beschleunigte den Luftbus. Die Automatik gab Alarm und wies ihn darauf hin, daß er dabei war, alle Verkehrsregeln zu brechen. Er schaltete auf Handsteuerung um und jagte das plumpe Gefährt in den Himmel über Aylay. Noch immer sah er das leicht flimmernde Feld vor sich, und seine Hand klammerte sich an den Steuermechanismus. „Wer bist du?" wiederholte er seine Frage. Ein rascher Seitenblick zeigte ihm, daß die automatische Aufzeichnung lief. Und in der Verwaltung und dem Verkehrszentrum mußten sie zuhören. „Finde es heraus, Anoree. Aber du bist nicht schnell genug!" Das Feld raste plötzlich davon, und ehe er reagierte, war es verschwunden. Verbissen beschleunigte Montfant weiter und stieg in den Himmel hinauf. Die Generatoren des Busses jaulten und sirrten unter der ungewohnten Belastung, und eine Stimme in seinem Armreif wies ihn darauf hin, daß er längst die Sicherheitszone unter sich gelassen hatte. Das Feld tauchte wieder vor ihm auf, das allein genügte. Draußen jagten dünne, hohe Wolken vorbei. Die eigentliche Schicht aus kondensiertem Wasser lag schon weit unter ihm. Etwas riß den Luftbus nach vorn. Er hob seine Schnauze steil in den Himmel, und gleichzeitig schrie jemand etwas und rief ihn zur Besinnung. Montfant schüttelte den Kopf, er glaubte zu träumen. „Hier Montfant", meldete er. „Habt ihr das fremde Objekt auf den Tastern?"
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„Da ist kein fremdes Objekt", wurde er belehrt. „Du hast den Höhenkoller. Kehre sofort zurück. Schalte die Automatik ein. Der Luftbus hält nicht mehr lange durch!" Ein Sicherheitssystem schaltete alle Anlagen des Luftbusses aus. Montfant klammerte sich an die Lehnen des Pilotensessels und starrte auf den goldenen Farbton, der sich um den Bus legte. Die Worte des Mannes in der Bodenstation verzerrten sich und erstarben dann völlig. Nur das Feld voraus war noch gegenwärtig. „Hast du jetzt, was du wolltest?" kam die Stimme aus dem Nichts. „Du setzt dein Leben aufs Spiel, weil du neugierig bist. Ich werde dir eine Lehre erteilen!" „Tu, was du willst. Du weißt nicht, wer ich bin. Sonst würdest du nicht solche Scherze mit mir treiben. Was wollt ihr von uns?" „Du bist Montfant. Wir haben ein Auge auf dich. Und mein Name? Merke ihn dir. Deinen Nachkommen könnte er vielleicht nützlich sein. Ich heiße Danifkor Tsol. Wir wollen nichts von euch. Wir sind nur..., nun, ihr würdet uns vermutlich als Zaungäste bezeichnen!" „Laß mich herunter!" Montfant schrie es. Er starrte entgeistert auf die zurückweichende Helle der planetaren Atmosphäre. Die Schwärze des Alls raste auf ihn zu, und das Feld voraus leuchtete intensiver. „Dazu ist es zu spät, Montfant", sagte die Stimme. „Vergiß nicht, Danifkor Tsol!" Das All faßte nach ihm, und Montfant wurde schwindelig, obwohl er saß. Sein Luftbus war weiter in ein goldenes Licht gehüllt und raste im Schlepptau des fremden Fahrzeugs hinaus in das All. Die Perspektive, die sich für den Anoree auftat, war grausam und ließ Übelkeit in ihm aufsteigen.
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Er hatte schon Raumflüge erlebt und wußte, wie es draußen war. Aber er hatte Aylay noch nie in einem wenig luftdichten Bus verlassen, der lediglich über einen normalen Gyro und einen schwachen Gravo verfügte. „Wohin bringst du mich?" stöhnte er. „Du darfst mich nicht verschleppen. Ich habe eine wichtige Aufgabe bei meinem Volk!" „Eben, Montfant. Deshalb soll dir dies eine Lehre sein. Wir haben dich beobachtet, und du hast es gewußt. Das war gut so. Du wirst deine Schlüsse ziehen und deinen Weg gehen. Auf Aylay!" „Danke. Das ist alles, was ich wissen wollte!" „Kennst du meinen Namen noch?" „Natürlich. Du bist Danifkor Tsol. Welchem Volk entstammst du?" „Ich entstamme mehreren Völkern, oder nicht?" Ein leichter Ruck ging durch den Luftbus, dann war Aylays Kugel verschwunden, und an ihrer Stelle leuchtete es grün zu den Fenstern herein. Montfant raufte sich die Haare, als er die kalten Sumpfmeere erkannte und zusehen mußte, wie in unmittelbarer Nähe seines Fahrzeugs eine der Plattformen vorbeitrieb. Dahinter hingen schmale Zylinder im Raum, aus denen mehrere Dutzend Kugelgebilde wuchsen. Er mußte zweimal hinsehen, um festzustellen, daß es sich um eine neue Version der Merache handelte, schlanker, viel länger und mit größeren Kugeln, die mehr Passagiere aufnehmen konnten. Die alten, plumpen Konstruktionen sahen im Vergleich dazu häßlich aus. Es war also wahr! Sie bauten neue Schiffe! „Hier Montfant!" meldete er sich. „Hier Montfant!" „Gib dir keine Mühe!" Tsol lachte. „Sie können dich nicht hören. Sie nehmen dich nicht einmal wahr. Soll ich es
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einrichten? Ja, jetzt erkennen sie den Bus. Aber sie glauben es nicht. Sie sehen einen Luftbus, der mit hoher Geschwindigkeit an ihnen vorbeizieht. Sie identifizieren die Fahrzeugnummer und holen Informationen ein, was das für ein Ding ist. Ha, jetzt wissen sie es. Aber sie danken nach wie vor, daß sie betrunken sind!" Die dünne Gashülle des dritten Planeten begann aufzuglühen. Der Bus wurde hinab auf die Oberfläche gezogen. Auf einem Plateau setzte Tsol ihn ab. „Alles Gute, Montfant. Man hat deine Spur verloren. Aber du kannst jetzt Verbindung mit deinen Artgenossen aufnehmen. Sie werden dir glauben müssen. Das goldene Licht schützt dich eine Stunde deiner Zeitrechnung. Dann erlischt es. Bis dahin muß der Bus geborgen sein." „Das ist Mord, Tsol!" „Du unterschätzt deine eigene Beredsamkeit, Rabo Montfant!" In diesem Augenblick verschwand das Feld voraus. „Tsol!" brüllte der Anoree. „Danifkor Tsol!" Er erhielt keine Antwort, dafür meldete sich eine der Bodenstationen in der Nähe. „Hier Jullo Belkub, Tauro acht. Wer schreit da herum?" „Rabo Montfant!" brüllte der Techniker aus vollem Hals. „Könnt ihr mich anpeilen? Ich stehe hier mit meinem Luftbus auf einem Plateau ganz in eurer Nähe!" „Montfant? Luftbus? He, Laviz, nimmst du uns mal wieder auf den Arm?" „Nein. O Hölle und Teufel. Wieso haben die Idioten aus dem Orbit keine Meldung gemacht?" „Einen Augenblick!" Aus dem Augenblick wurde eine halbe Stunde.
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Als dann das Funkgerät endlich zum Leben erwachte, hatte Rabo bereits mit dem Leben abgeschlossen. „Montfant!" Es war erneut Belkub. „Bist du es wirklich?" „Ja natürlich", seufzte er. „Holt mich endlich ab, sonst ersticke ich!" Zehn Minuten später schob sich der Schatten eines Zyken aus dem Nebel, der über den Sümpfen von Sarkay lag. Ein Zugstrahl griff nach dem Luftbus und zog ihn davon, in das Innere einer Bodenstation. Als das Gefährt unter einer der Kunststoffkuppeln zur Ruhe kam, erlosch das goldene Licht um den Bus herum. Rabo öffnete die Tür und taumelte hinaus. Die Männer und Frauen der Besatzung empfingen ihn mit offenen Mündern. Irgendwo über ihm surrte eine Aufnahmekamera. „Das gibt es nicht!" sagte jemand. „Das ist doch. .." „Bitte", murmelte Montfant leise. „Es ist mir egal. Bringt mich und den Bus zurück nach Aylay." Es würde ihm keiner glauben. Trotz der Tasteraufnahmen und allem, was auf Aylay festgestellt worden war. Die meisten würden es für einen gelungenen Werbegag halten. Aus der Deckung ihres Antiortungsschirmes heraus beobachteten sie, wie sich die Anoree zurückzogen. Sie steuerten Aylay an und landeten. Die Fremden aber blieben in der Nähe der Sonne und verfolgten, was im Innern des Sterns vor sich ging. Die Auswertung nahm mehrere Aylay-Tage und Aylay-Nächte in Anspruch, dann aber lag das Ergebnis vor, ein Ergebnis, wie die Anoree es niemals zu Wege gebracht hätten. „Es treten Störungen auf", stellte der unter ihnen fest, der Danifkor Tsol hieß. „Gamesh reagiert auf die zugeführte Energie. Sie bringt den Alterungsprozeß in einem kleinen Bereich in den mittleren Schichten des Sterns für kurze Zeit zum Erliegen. Das bedeutet eine Störung im normalen
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Fusionsprozeß. Erste Gravitationsveränderungen auf engem Raum sind erkennbar. Es wird sich ein Beben ereignen. Die Anoree rechnen damit, sie schätzen es ungefähr ein. Sie gehen das Risiko ein, weil sie wissen, daß sie ohne es nicht überleben können. Die technischen Fähigkeiten, die sie sich innerhalb weniger Jahrzehnte angeeignet haben, sind phantastisch. Dieses Volk macht eine erstaunliche Entwicklung durch. Und es tut alles, um die Zukunft zu gestalten." Er faßte mit seinen Worten die Meinung der dreihundert Insassen des Schiffes zusammen. Überall, wo sie sich umgesehen hatten, hatten sie geprüft. Kein Volk hatte die Bedingungen so sehr erfüllt wie die Anoree. Die psychischen Anlagen der Bewohner von Aylay waren dazu angetan, für die Zukunft das Beste hoffen zu lassen. Es gab keine Anfeindungen gegenüber Andersdenkenden wie Montfant. Sie konnten zwar nicht erwarten, daß der Rat jeden Querdenker mit offenen Armen aufnahm, aber sie wurden toleriert, und das war das Wichtige in den Augen der heimlichen Beobachter. Zwischen der moralischen und technischen Entwicklung existierte ein dauerhaftes Gleichgewicht. Und sie besaßen die Raumstädte. Ein Teil ihres Volkes machte eine andere Entwicklung durch, ohne sich wirklich ganz von der Urheimat abzukoppeln. Im Gegenteil, es war absehbar, daß der Weg der Raumstädte eines Tages auf den Heimatplaneten zurückführen würde, wenn er auch nicht mehr Aylay heißen mochte. Gorandaar war schon heute ein Friedhof aus alten Sternen. Gamesh und Aylay waren die einzigen Stützpunkte des Lebens. Nur, für wie lange noch? „Wir wollen sie warnen!" fuhr Tsol fort. „Wenn wir es tun, dann werden sie endlich die Tragweite begreifen. Sie werden endgültig merken, daß wir etwas mit ihnen zu tun haben, daß
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wir an ihrem Schicksal interessiert sind. Und sie werden sich denken, daß wir ihnen irgendwann gegenübertreten werden." „Wann soll das sein?" erhob einer die Frage. „Es wird in naher Zukunft geschehen, in ein paar Jahrzehnten vielleicht. Solange wollen wir sie noch beobachten. Habt ihr euch schon einmal gefragt, warum sie sich nicht vor den Phantomen fürchten, warum sie in unserer Gegenwart keine Bedrohung sehen?" Die Antwort hatte er bereits gegeben. Dieses Volk war reif. Es war gereift durch die eigene Entwicklung und durch die Kontakte mit den Völkern Neyscuurs. Die Anoree waren dort bekannt und beliebt. Sie kamen nicht mit großen Flotten und beglückten die Völker. Sie kamen mit kleinen Schiffen über den Abgrund gekrochen, den noch nie jemand aus Neyscuur aus eigener Kraft überwunden hatte. Sie trieben Handel und luden Vertreter der betreffenden Völker für einige Zeit zu sich nach Aylay ein. In Neyscuur staunten die vier Geschlechter der Scuuru über die Selbstverständlichkeit, mit der die Anoree unter ihrer sterbenden Sonne lebten und arbeiteten. Sie mochten es nicht begreifen, aber sie bemühten sich um Verständnis. Inzwischen lag es allerdings schon ein paar Jahrzehnte zurück, seit die letzten Besucher auf Aylay gewesen waren. Danifkor Tsol trat an eine der Anlagen und fixierte mit den Augen ein bestimmtes Segment. Der Hyperfunk schaltete sich ein, und der Fremde gab eine Meldung ein, die mehrere Stunden lang und aus wechselnden Positionen im System Gamesh nach Aylay abgestrahlt wurde. „Hier spricht Danifkor Tsol!" verkündete er. „Die Erde beginnt zu beben. Der Untergrund tut sich auf und verschlingt jeden, der schläft. Deshalb wacht, Anoree.
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Versinkt nicht in Trägheit und Lethargie. Tut alles, damit kein einziger unter euch zu Schaden kommt! Dies sagt euch Danifkor Tsol!" Und erneut wurde er seinem Ruf als Einzelgänger gerecht, als er kurz darauf sein Boot ausschleuste und es zum zweiten Planeten hinüberlenkte. Das Glas mit der Flüssigkeit rutschte langsam über den Tisch. Irgendwo im Schrank klirrte leise das Geschirr. Hyloa wurde als erste darauf aufmerksam und eilte in den Wohnraum. An der Wand öffnete sich die Klappe, und der Reinigungsautomat rollte heraus und ließ seine Antennen kreisen. Seine Motoren summten, dann blieb das Gerät stehen und wartete ab. Der Automat hatte auf die leichte Erschütterung reagiert. Sein Programm sagte ihm, daß es irgendwo in der Wohnung Scherben oder anderen Bruch gegeben hatte. „Mutter!" rief Hyloa aus. Obwohl sie eine erwachsene Frau geworden war, zog sie es vor, nichts ohne den Rat Nurolas zu unternehmen. Rabos Gefährtin tauchte unter der Tür auf. Sie sah ihre Tochter fragend an. Wieder klirrten die Gläser, und der Robot rollte ein Stück nach vorn. Nurola trat zum Fenster und starrte hinaus. Draußen war nichts Außergewöhnliches zu erkennen. Gamesh leuchtete am Mittagshimmel und verbreitete einen gleichmäßigen Schein. Die Fensterbank vibrierte. Nurola zog die Hand zurück, als hätte sie ein heißes Metall angefaßt. Im Wandschrank schepperte es. Aus dem Klirren wurde ein Kreischen, und die Ärztin spürte, wie der Boden ein klein wenig schwankte. „Hinaus!" rief sie laut. „Wo ist Adaion? Gib ihm Bescheid. Wir bekommen ein Erdbeben!"
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Der linke Armreif der beiden Frauen nahm selbständig seinen Betrieb auf und gab einen Pfeifton von sich. Sie lauschten dem Alarm. Als er nach einer Weile abbrach, meldete sich eine männliche Stimme. „Verwaltungszentrale an alle Bewohner Aylays", verkündete sie. „Auf dem Hauptkontinent ist mit stärkeren Beben zu rechnen. Bitte verhaltet euch ruhig. In den Häusern besteht keine Gefahr! Ende der Durchsage!" Nurola war es gewohnt, Anweisungen der zentralen Verwaltung Aylays kritisch zu betrachten. Als Ärztin hatte sie ihre eigenen Erfahrungen damit. Sie schob Hyloa in den Korridor, damit sie hinaufging und dem Jüngsten der Familie Bescheid sagte, der vermutlich schlief. Sie selbst machte sich auf zur Haustür. Draußen stand ihr Einsatzbus mit dem blauen Stern unmittelbar vor dem Zugang zum Haus. Die Haustür gab schabende Geräusche von sich, als sie sie aufdrückte und hinauseilte. Ein Blick hinauf zum Dach zeigte ihr, daß sich die Metallplatten gegeneinander verschoben. Die beiden dünnen Rohre, die in den Himmel ragten, ächzten, und der Abluftschacht der Luftreinigungsanlage schloß seine Sicherheitstüren, die Anlage schaltete ab. „Schnell! Beeilt euch!" schrie sie hinein. Wenig später stürzten die beiden Jüngsten heraus. Adaion blinzelte • und sah ungewaschen aus. Er hatte tatsächlich geschlafen. Fassungslos starrte er auf das, was um ihn herum vorging. Dann endlich kam Leben in ihn. Er stürmte auf seine Mutter los, taumelte, weil der Boden unter ihm schwankte, und ruderte mit den Armen. Sie rannten davon, so schnell es ging. Hinter ihnen krachte es, Blech schepperte. Ein Ächzen ertönte, als der Boden sich öffnete und der Bus hineinrutschte. Der Riß in der Erde schob sich wieder ein Stück zusammen und zerquetschte das Fahrzeug.
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„Alarm!" rief Nurola in das Armband für die Verwaltungskommunikation. „Das Beben ist schlimmer, als • angenommen. Der Arztbus ist zerstört, das Haus wackelt." „Es gibt keine Anzeichen für eine Gefahr", antwortete ein Automat, und die Worte entlockten der Frau einen Fluch. „Los, los!" scheuchte sie Hyloa und Adaion. Und an die Verwaltung gerichtet, fuhr sie fort: „Ein Haufen Idioten seid ihr! Automatengeplärr! Es findet sich nicht einmal ein Mann oder eine Frau, die sich um die Notmeldungen kümmert!" „Du befindest dich in einer Panikstimmung", erhielt sie zur Antwort. „Bleib stehen und atme tief durch. Du wirst sehen, alles vergeht von allein!" Sie sah zurück. Vom Luftbus aus spaltete sich die Erde. Langsam kroch der Riß auf sie zu. Wenn sie dem Rat des Automaten gefolgt wäre, hätte der Spalt sie verschlungen. So aber rannte sie mit den beiden Sprößlingen seitlich davon, während hinter ihr ein lautes Krachen darauf hinwies, daß es um das Haus schlecht bestellt war. An den Nadelbüschen, die den Rand des Grundstücks säumten, blieben die drei Anoree stehen und sahen sich um. Das Haus stand schief. Noch besaß es die gewohnten Proportionen, aber die linke Seite lag mindestens zwei Meter tiefer als die rechte. Direkt unter dem Haus mußte sich eine Höhlung gebildet haben. „Schaut nur!" schrie Adaion. Er deutete hinüber, wo westlich der Stadt die Gipfel der Vorberge in den Himmel ragten. Sie schüttelten sich, und die drei Zuschauer erlebten mit, wie der Wald fiel und die Hänge hinabrutschte. Graubraune Wolken stiegen dort drüben auf, nur wenige Kilometer entfernt. Die Berge warfen ihre Vegetation von sich, als sei es unnötiger Ballast. Gleichzeitig begann der Boden unter den Anoree zu schwanken. Nurola hatte Mühe, ihr Gleichgewicht zu halten. Hyloa faßte sie am Arm und stützte sie.
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„Rabo!" sprach die Tochter in ihr rechtes Armband. „Warum meldest du dich nicht?" Es hatte keinen Sinn. Montfant befand sich noch auf Filanx, der abgeschirmten Insel des Rates. Sturmwind kam auf und stemmte sich gegen die drei Gestalten. Die Luftmassen begannen zu jaulen, und noch immer schwankten die Vorberge. Drüben bei der Stadt blieb alles ruhig. Kein einziges Haus stürzte, keine Sirene wimmerte. Es war, als stünde sie auf einem anderen Kontinent oder auf einer anderen Festlandplatte. Nurola versuchte, andere Einzelhäuser in den Weiten des Hains auszumachen. Es gelang ihr nicht. Übergangslos wurde der Himmel düster, als rüste er sich zu einem Orkan. Staub raste heran und verdunkelte die Sonne. Es wurde beinahe finster, und die drei Anoree suchten hastig die Deckung einer Bodenwelle und eines Gebüsches auf, das darin wuchs. Sie legten sich flach auf den Boden und klammerten sich an Oberflächenwurzeln fest. „Dort!" ächzte Adaion. Mitten in dem Orkan, der die Erdkrume von den Vorbergen mit sich trug, leuchtete ein goldenes Gebilde. Es war nur deshalb wahrnehmbar, weil der Dreck es umfing und es zu energetischen Prozessen kam. Das Gebilde senkte sich langsam aus der Luft herab und blieb über dem Haus stehen. Das Haus! Nurola wollte aufspringen, aber die beiden Kinder hielten die Mutter fest. Sie preßten sie dicht an den Boden. „Es ist das Phantom!" keuchte sie. „Es ist zurückgekehrt! " „Es war wohl immer da", flüsterte Adaion. „Aber jetzt sehen wir es zum erstenmal!" Sie konnten nicht erkennen, was sich hinter dem Goldschimmer befand, ob es ein Fahrzeug war oder eine
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Gestalt. Der Größe nach dachten sie eher an ein Fahrzeug wie den Luftbus. Wieder standen ihnen die Bilder vor Augen, wie Rabo mit seinem Fahrzeug zum dritten Planeten entführt und dort abgesetzt worden war. Was damals geschehen war, hörte sich ebenso unglaublich an wie das, was die drei Anoree jetzt miterlebten. Die Wolken rissen ein wenig auf, und sie konnten das Haus sehen, das nun bereits bis zur Dachkante im Boden versunken war. Ein Leuchtfinger griff nach dem Gebäude und zog es aus der offenen Erde heraus. Das Haus schwankte ein wenig, dann stand es da wie zuvor, und der Erdboden drumherum schloß sich wie von Geisterhand. Gleichzeitig klang in ihrem rechten Armreif ein Kichern auf, und eine leise Stimme sprach zu ihnen. „Ich habe an Rabo noch etwas gutzumachen", teilte sie ihnen mit. „Ihr könnt unbesorgt in euer Haus zurückkehren. Der Untergrund ist jetzt so verschmolzen, daß er nicht erneut aufreißen wird. Vertraut mir. Habt keine Sorge. Und wenn sich überall der Boden öffnet, hier wird er es nicht mehr tun!" „Danifkor Tsol!" stieß Nurola hervor. „Wer bist du?" Das goldene Leuchten raste wie ein Blitz in den Himmel hinein und war im nächsten Augenblick verschwunden. Fassungslos starrten sie ihm nach, dann erhob sich Adaion entschlossen, stemmte sich gegen den Sturm und zerrte die beiden Frauen zum Haus zurück. „Sie sind fast nie zu sehen, und doch sind sie immer um uns!" rief er, als sie das Haus erreichten und sich die Tür öffnete, als sei nichts geschehen. „Wer sind sie?" „Es gibt alte Märchen und Sagen", antwortete Hyloa. „Sie berichten von unsichtbaren Gestalten, die jedem Anoree zugeordnet sind, Schutzgeister und Boten eines übergeordneten Reiches werden sie genannt.
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Sind wir reif, endlich mit ihnen in Kontakt zu treten?" „Nein, glaube ich nicht!" Nurola ließ die Arme schlaff am Körper baumeln, ein Zeichen ihrer Ratlosigkeit. „Sonst würden sie sich uns zeigen. Es muß eine andere Bewandtnis mit diesen Wesen haben. Ist Tsol eines von vielen oder gibt es nur ihn? Ist er für alle Erscheinungen verantwortlich, die jemals festgestellt wurden? Wenn ja, dann muß es sich um ein langlebiges Wesen handeln!" Draußen wurde der Sturm wilder, und Nurola ließ die Schutzblenden herunterfahren, damit der Sturm nicht die Fenster eindrückte. Sie setzte sich in einen Sessel und schloß die Augen. „Laßt uns warten!" sagte sie. „Bald wird Rabo von Filanx zurückkehren, und dann werden wir darüber sprechen. Gamesh flackert nicht, aber es muß eine Störung im Gravitationsgefüge des Sonnensystems eingetreten sein. Anders kann ich mir das Erdbeben nicht erklären!" Sie hatten ihn gerufen. Er hatte es gar nicht glauben wollen, hatte es für einen Irrtum gehalten. Zweimal hatten sie ihn bitten müssen, bis er endlich aus seiner Lethargie erwacht war. Hastig hatte er sich aufgemacht, und diesmal näherte sich der Luftbus Filanx in einem anderen Korridor, der ihn von Süden her über das Meer direkt auf das Hufeisen zufliegen ließ. Der Bus setzte auf dem Parkplatz ab, und Rabo Montfant stieg mit weichen Knien aus und strebte der kleinen Gruppe der Räte entgegen, die ihn am Turm erwartete. In diesem Augenblick jedoch brach die Hölle los. Der Boden wackelte und brach mit einem Knirschen auseinander. Dicht vor Rabo entstand ein Spalt im Boden, der sich rasch zu einer Schlucht von mehreren Metern Breite dehnte. Der Techniker taumelte rückwärts. Er suchte den Schutz seines Busses zu erreichen, doch mit jedem Schritt, den er
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machte, gab der Boden unter ihm nach. Das Erdreich unter dem Belag rutschte in die Schlucht hinein, und aus dem Innern des Planeten trieben weißgelbe Dampfschwaden herauf, die nach Schwefel stanken und ihm den Atem nahmen. Seine Augen begannen zu brennen, und er hielt den Atem an aus Angst, die Dämpfe würden seine Lunge zerfressen. „Weg hier!" keuchte er. Er streckte die Arme aus und griff an dem Luftbus vorbei ins Leere. Der Boden sackte unter ihm weg. Wie auf einer Schwebeplattform sank er in die Tiefe, nur nicht so komfortabel. Neben ihm gähnte ein endloser Abgrund, und Rabo kämpfte um sein Gleichgewicht. Er ging in die Knie und stützte sich mit den Händen auf dem Untergrund ab. Von irgendwoher hörte er die Schreie der Räte, sah aus den Augenwinkeln, wie die Spitze des Turmes schwankte und die Jahrtausendglocke Laut gab. Erst zog ein Klingeln über die Insel, dann folgte ein dumpfes Dröhnen. „Abheben! " befahl er dem Luftbus. „Los, komm her zu mir. Du mußt mich retten!" „Es besteht keine Gefahr!" antwortete der Außenlautsprecher. „Rabo, die Räte erwarten dich. Geh endlich hinüber!" Montfant verfluchte den primitiven Automaten, der nicht einmal ein Beben erkannte. Es kam ihm in den Sinn, daß derselbe Automat das Flackern Gameshs vor ihm erkannt hatte und alle Anoree im Park aufgenommen hatte, um sie in Sicherheit zu bringen. Und jetzt? Lag es daran, daß die Leitstelle aller Fahrzeuge keinen Alarm gab? „Ich will hier unten einsteigen. Komm her!" rief er. Sein Kopf befand sich bereits unter der Oberfläche des Platzes. „Schlepptau ausrollen!" Ein Ruck ging durch seinen Körper. Das Bodenstück sackte gut zwei Meter nach unten, und er krallte sich verzweifelt in der Erde fest. An dem Luftbus öffnete sich scheppernd eine
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Klappe, und ein langes Metallseil rollte sich nach unten aus. Es sank zwei Meter von dem Anoree entfernt in die Schlucht hinein. Rabo handelte. Er duckte sich und sprang. Er prallte gegen die Wand der Schlucht, und durch die Gewalt des Sprunges stürzte die Scholle endgültig in die Tiefe, auf der er bisher ausgeharrt hatte. Mit einer Hand bekam er das Stahlseil zu fassen, mit der anderen stützte er sich an der Wand ab und bremste seinen Schwung. Er griff nach, klammerte sich fest und starrte aus aufgerissenen Augen in die Tiefe. „Abheben, aufsteigen und über das Meer hinausfliegen! " kommandierte er. Der Automat des Luftbusses mußte endlich begriffen haben, daß etwas Unvorhergesehenes stattfand. Er kam der Aufforderung nach, hob vom schwankenden Untergrund ab und entfernte sich vom Spalt. Gleichzeitig zog er das Seil ein Stück ein, so daß Montfant direkt unter dem Fahrzeug zu hängen kam. Undeutlich erkannte er durch die Schwefelschwaden ein paar Gestalten, die von dem Turm fortrannten. Der Riß in der Erde hatte inzwischen den gesamten Platz geteilt und verschwand irgendwo im Wald. Und er hörte die Stimme. Sie kam aus der Luft und von überall her. „Hier spricht Danifkor Tsol. Die Erde beginnt zu beben!" Er schluckte schwer und kommandierte den Luftbus hinüber zum linken Ende des Hufeisens, wo er sich mit einem Sprung unter dem aufsetzenden Bus hervorrettete. Sekunden später gelangten die insgesamt acht Räte bei ihm an. Alander Telaant befand sich nicht darunter.
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„Habt ihr es gehört?" empfing er sie. „Warum hat der Automat des Busses nicht sofort etwas zu meiner Rettung getan?" Einer der Männer schlug die Augen nieder, und eine Frau antwortete: „Wir haben die Geräte auf Aylay blockiert. Die Warnung kommt zwar in den Antennen der Empfangsgeräte an, aber sie wird nicht umgesetzt. Doch hier auf Filanx haben sich die Unbekannten mit der Stimme aus der Luft etwas Besonderes einfallen lassen!" „Ihr habt folglich die Warnung nicht an die Bevölkerung weitergegeben. Das wird Folgen für euch haben. Wenn auch nur ein einziger Anoree dadurch sein Leben verliert, wird das Volk euch anklagen und verurteilen!" „Höre uns an!" rief die Frau hastig. „Es bleibt nicht viel Zeit. Wir haben beschlossen, dich in den Rat unseres Volkes aufzunehmen!" „Niemals!" entgegnete er spontan. „In einen solchen verantwortungslosen Haufen werde ich niemals eintreten!" „Auch nicht, wenn wir alle Vorschläge akzeptieren, die du in den letzten Jahren gemacht hast?" „Auch dann nicht. Wolltet ihr mir nur das sagen? Dann habe ich meine Zeit vergeudet!" „Du verstehst es nicht. Wir wollen einen Schritt in die Zukunft tun. Du und Telaant, ihr beide seid die Richtigen dafür. Der Rat braucht für die Zukunft Männer und Frauen, deren Gedankengänge sich nicht in politischen Bahnen bewegen. Unser Volk braucht Anoree mit Weitblick und mit unkonventionellen Methoden. Nur so kommen wir voran. Es ist deine Pflicht, diesem Ruf zu folgen!" Rabo Montfant war bei diesen Worten sehr nachdenklich geworden. Dann aber hob er entschlossen den Kopf empor zum Firmament.
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„Ich sage nein. Mögen dies andere tun. Es gibt genug davon. Mein Platz ist unter dem Volk, nicht neben ihm. Das ist meine Aufgabe. Ich kann mich nicht zweiteilen wie Telaant!" „Ist das dein letztes Wort?" Der bange und bittende Klang in der Stimme der Frau hätte ihn beinahe umgestimmt. Er gab sich einen Ruck. „Es ist mein letztes Wort!" entgegnete er und bat sie in den Bus. Er brachte sie in einen sicheren Teil der Insel, dann kehrte er mit schwerem Herzen zum Hauptkontinent zurück. Er war so unsicher wie noch nie in seinem Leben. Er konnte die Auswirkungen auf die Zukunft des Volkes und des Planeten nicht abschätzen und fragte sich immer wieder, ob er damit nicht einen Beitrag zum Untergang geleistet hatte.
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5. Die Vision In den letzten Jahrzehnten war es nichts Seltenes mehr, daß sich in den Städten und auf den freien Feldern große Gruppen Anoree trafen, um Versammlungen abzuhalten und Rednern zu lauschen. Meistens war es Rabo Montfant mit seinen aufrüttelnden Parolen gewesen, der die Gemüter der AylayBewohner bewegte. Jetzt war das vorbei. Zwei Monate nach der GorabatKatastrophe raste die Meldung um den Planeten. Selbst aus der zerstörten Inselkette kamen Männer und Frauen, um sich zu dieser letzten großen Versammlung zu treffen und dem Rat des Planeten gehörig auf die Füße zu treten. Dabei sollte es auf Wunsch der Familie eine stille Beisetzung werden. Nurola, die Kinder und Enkelkinder wollten jedoch die Anhänger des Toten nicht vor den Kopf stoßen und wiesen die Aufseher in der großen Ebene der Wiederkehr an, niemanden abzuweisen und alle in die Nähe des Sarkophags gelangen zu lassen. Nach offiziellen Zählungen mit den Robotkameras nahmen an der Verbrennung Dreihundertzwanzigtausend Anoree teil, weitere Vierhundertachtzigtausend beobachteten die Zeremonie von den umliegenden Bergen aus. An den Bildschirmen sah gut die Hälfte der Planetenbevölkerung mit, wie die Flammen emporloderten und Rabo Montfant zum Staub zurückkehrte, aus dem er einst entstanden war. Die Aufseher schirmten lediglich den unmittelbaren Bereich um den Ofen ab, so daß die Angehörigen ihre Ruhe hatten. Die Familie kehrte anschließend in das Haus zurück, das ihr Gefährte, Vater und Großvater bewohnt hatte.
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Ein ungewöhnliches Fahrzeug stand dort, wo das Beben einst einen Riß im Boden erzeugt hatte. Nurola hatte zum Andenken an jene schlimmen Stunden eine Reihe von Büschen gepflanzt, als wolle sie damit das Erdreich für alle Zeiten zusammenhalten. Sie starrte das spinnenbeinige Gefährt an, das sich wie die Miniaturausgabe eines Zyken ausnahm. Voller Ahnungen eilte sie ihrer Familie voraus und trat an die Haustür. Sie war nicht mehr verschlossen, nur angelehnt. Entschlossen stieß sie sie auf und eilte bis in den Wohnraum. „Ich habe es mir gedacht", sagte sie leise. „Du warst draußen bei der Beisetzung!" Langsam erhob sich der Raumstädter und verneigte sich tief, um sein Mitgefühl auszudrücken. „Ich war dabei, wenn du es erlaubst", antwortete Alander Telaant. „Ist es nicht folgerichtig, daß ich hier bin?" Nurola winkte ihrer Familie, draußen vor dem Haus zu warten, bis sie mit dem Raumstädter fertig war. „Es ist die einzig logische Möglichkeit", bestätigte sie. „Was hat euch verbunden, dich und Rabo? Ich habe es immer gespürt, damals am Hügel, auch zuvor schon bei dem, was er von seiner Audienz in der Zeremonienhalle erzählte. Was war an Rabos Ideen und Denkweisen, was in dir nahe brachte?" „Der Grundkonsens. Das Bewußtsein, daß wir mehr für das Überleben unseres Volkes tun müssen, als zuvor getan wurde. Was sind zehntausend Jahre? In so langer Zeit sind Meinungen und Ansichten von Räten längst vergessen. Aber die Meinung eines ganzen Volkes geht nicht so leicht unter. Das ist es, Nurola Montfant, was uns verband. Dein Lebensgefährte hat das Bewußtsein der Anoree verändert und damit das Leben auf Aylay. Es ist kaum erkennbar, aber es wird sich innerhalb der
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nächsten Generation auswirken. Jeder Erwachsene wird sich fragen, was aus seinen Nachkommen wird. Ob es noch Sinn hat, für den Fortbestand der Sippe zu sorgen. Rabo Montfants Reden haben es jedem Anoree eingebrannt." „Und dir? Was denken die Raumstädter darüber?" „Sie machen sich darüber keine Gedanken. Da ist etwas, was ihnen in letzter Zeit mehr Sorge bereitet. Es gibt viele Phantomsichtungen in der Nähe der Raumstädte. Die Fremden planen etwas, ich bin überzeugt davon. Das sind wiederum Dinge, die die Bewohner von Aylay nicht berühren. Aylay und die Raumstädte sind zwei grundverschiedene Welten. Sie entwickeln sich auseinander, doch eines Tages wird es vielleicht wichtig sein, daß sie beide zusammenwachsen. Die mit den künstlichen und die mit den organischen Augen!" Wenn er so lächelte und die Augen zu schmalen Schlitzen zog, fiel es nicht einmal auf, daß er künstliche Sehhilfen trug. „Was siehst du voraus, Telaant?" Nurolas Stimme vibrierte heftig. Sie konnte sich der eigenartigen Ausstrahlung des Raumstädters nicht entziehen, der zudem Mitglied des Rates war. „Sag es mir. Es ist für mich persönlich sehr wichtig!" „Ich sehe den Untergang. In zehntausend oder auch in achtzigtausend Jahren wird diese Welt endgültig untergehen. Nicht, weil der Stern explodiert und die Planeten zerreißt. Nein, sie werden die Schwankungen alle aushalten. Es wird immer wieder zu starken Beben und nie gekannten Kontinentalverschiebungen kommen. Gamesh wird schlimmer flackern als vor wenigen Jahrzehnten, und monatelange Strahlenschauer werden den zweiten Planeten beeinträchtigen. Die Anoree werden wegen der gefährlichen Strahlung oft nicht ins Freie gehen können, sie werden sich Bunker bauen müssen. Aber das wird nicht von Dauer sein. Es werden Jahrhunderte und Jahrtausende kommen, in denen überhaupt nichts passiert.
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Und dann wird es wieder sehr schlimm. Der eigentliche Grund, warum Aylay aufgegeben werden muß, liegt in der durchschnittlichen Energiemenge, die von Gamesh abgestrahlt wird. Es wird zu kalt werden auf Aylay. Olkur liegt zu nahe an der Sonne, dort wird es bis zum Schluß sehr heiß und unwirtlich sein, zudem besitzt der erste Planet keine atembare Atmosphäre. Und Sarkay? Ein Eispanzer auf dem dritten Planeten wird das Alarmzeichen für Aylay sein. Bis dahin, Nurola, muß die Flotte groß genug gehalten werden, damit unser Volk umsiedeln kann." „Du sprichst von Raumstädten", rief sie aus. „Das ist es, was du willst. Ein Volk im All!" Das Lächeln Telaants vertiefte sich. „Du irrst, wie so viele Planetenbewohner. Weißt du, daß es in ganz Gorandaar keinen Planeten gibt, der für uns als Heimstatt nutzbar wäre? Der Weg ist somit vorgezeichnet! Bald werden Vaasuren in Gorandaar eintreffen. Sie kennen viele junge Welten in Neyscuur. Und du, Nurola, bist jetzt eine Geheimnisträgerin unseres Volkes, verstehst du? Du darfst mit niemandem darüber sprechen. Niemals! Rabo hat es damals erkannt, in der Nacht am Sprechenden Hügel. Nur Gawalat und Jauccron zusammen können unser Volk retten! Das war die Vision, die Rabo mit in den Rauch des Übergangs genommen hat!" Nurola war aufgestanden. Unruhig ging sie im Zimmer umher. Sie warf einen Blick zum Fenster hinaus. Sie sah ihre Familie bei den Bussen stehen. Der Hain dahinter war übersät von Anoree, die hier bis zum Abend stehen würden, um ihre Anteilnahme zu bekunden. Eine einzige, schweigende, rotgekleidete Menge, ein Meer aus Feuer, das das Licht der Sonne spiegelte. Ruckartig wandte sie sich zu dem Raumstädter um.
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„Da ist noch etwas", erkannte sie. „Es ist das Erbe Wulvos, nicht Rabos. Habe ich recht?" Er ruckte erstaunt mit dem Kopf auf und nieder. „Du hast es gewußt, Nurola. Ich sehe es dir an. Die ganze Zeit hast du es gewußt. Ja, es ist richtig. Aber ich bin nicht Wulvo und nicht Rabo. Ich komme aus dem All, aus der Dunkelheit. Die Raumstädter gehen ihren Weg. Sie werden forschen und entwickeln und Aylay Vorschläge machen. Jeder Anoree soll die Möglichkeit haben, sich persönlich, seinen Körper, vor der Untergangsgefahr zu schützen, der alles Organische ausgesetzt sein wird!" „Und das ist es, was Rabo nie gewollt hat." „Bist du da so sicher? Glaubst du nicht, daß er es geahnt hat?" „Die Zeit war noch nicht reif. Ein paar Jahrhunderte später hätte er sich dagegen gewandt." „Planst du etwas?" „Was Rabo für unser Volk ist, bin ich für unsere Familie. Eines Tages wird aus ihrer Mitte einer aufstehen und dagegen ankämpfen. Vielleicht in tausend Jahren oder noch später. Der Grundstein dafür ist gelegt!" Alander Telaant erhob sich. „So sind in diesem kleinen Haus, weitab von Filanx und der Zeremonienhalle, die Weichen für die Zukunft unseres Volkes gestellt worden. Von einem Rat und einer Witwe!" „Ja!" Nurola begleitete ihn zur Tür. „Es ist so einfach, oder? Du dort, ich hier. Wir haben beide unsere Grenzen. Ich werde Rabo bald nachfolgen. Und du? Du bist ein Raumstädter. Rabo hat einmal gesagt, du bist in Wulvos Zeit geboren. Wie lange lebt man da draußen im Nichts?" Telaants Gesicht fiel in sich zusammen und verlor alle seine Farbe. Er versteckte die Arme unter seinem Gewand und nagte an der Unterlippe.
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„Lange, sehr lange", murmelte er. „Viel zu lange!" Dann eilte er zu dem Fahrzeug hinüber, stieg ein und ließ es in den Himmel hinaufsteigen. Es war Nurolas letzte Begegnung mit dem Rat. Telaant ließ sich nie mehr im Hain blicken, sie hörte und sah nur manchmal in den Medien von ihm. Er war ein Mann, der sie beeindruckte. Sie hätte ihn sich als neuen Gefährten für die letzten Jahre ihres Lebens gewünscht, aber sie wußte, daß ein solcher Wunsch sinnlos war. Raumstädter gehörten der Leere und der Nacht.
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6. Heyderan
Sie bildeten eine Traube mitten in der Solarienanlage. Während sie sich vom milden UV-B-Licht bestrahlen ließen, suchten sie den Körperkontakt zueinander und flüsterten sich ihre Träume zu. Lerana hatte von der Finsternis des Alls geträumt, von einem Universum, in dem es keinen einzigen Stern gab. Mirka spürte noch immer die Leichtigkeit in sich, die sie durchdrungen hatte, während ihr Unterbewußtsein sie auf einen Flug rund um die Stadt geschickt hatte. Wie eine Feder und ohne den Schutz eines Raumanzugs war sie hinausgetrieben, hatte die Schrunde und Klüfte von Heyderan erkundet und sich nicht satt sehen können. Guluba hingegen war in die Unterstadt hinabgestiegen, in jene Bereiche, in denen es nach Schmierstoffen, nach Ozon und nach vielen fremden Dingen roch, die die empfindlichen Sinne einer Raumstädterin nur abstumpften und die noch nie jemand ohne den obligatorischen Schutzanzug aufgesucht hatten. Nimza und Rowena hatten die Spuren der Jünglinge verfolgt, die sie sich in ihren Träumen als Gefährten für ihr Leben vorstellten. Nur Samtara hatte nicht geträumt. Sie war den größten Teil ihrer Schlafzeit durch die Appartements gestreift, hatte sich mit den Anwesenden unterhalten und herauszufinden versucht, in welchem Zustand sie sich befanden. Manches hatte sie gerochen und empfunden, was sie in Erregung versetzt hatte, und an irgendeiner Wiege war sie geblieben und hatte mit dem Mann geschlafen, einem Jüngling, soeben der Pubertät entronnen. Sie hatte sich mit ihm verabredet, dann war sie
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hierher in das Solarium geeilt, um ihren Altersgenossinnen zu berichten. „Es heißt, wir müßten bald mit einem Alarm rechnen", sagte sie und konzentrierte sich mit ihren Gedanken auf die Äußerlichkeiten in der großen Stadt. „Es wird wieder eine der gewohnten Übungen sein. Wollen wir deshalb auf die angenehmen Stunden hier verzichten?" „Kommt gar nicht in Frage!" lautete die einstimmige Antwort. „Wir bleiben hier!" „Nimza, Rowena, ich rieche eure Erregung", fuhr Samtara fort. „Kommt her zu mir!" Sie veränderten die Reihenfolge in der Traube, und die drei jungen Frauen umschlangen sich und bildeten eine eigenständige Gemeinschaft. Sie begannen zu flüstern und zu beben, und die übrigen bewegten sich um sie herum und erlebten den Austausch von Gerüchen und Stimmungen mit. Den Alarm hörten sie kaum, er klang als leises Zischen und Vibrieren an ihre hoch empfindlichen Ohren. „Mein Vater kehrt morgen zurück!" wisperte Lerana. „Er hat die Merache von hier nach Neyscuur geflogen. Er wird ein paar Ruhephasen hiersein und dann nach Aylay gehen. Telaant hat ihn gerufen!" „Aylay? Wie schrecklich!" Mirka richtete ihre leeren Augenhöhlen auf die Freundin. „Dann muß er sich ja künstliche Augen einpflanzen lassen!" „Die hat er schon." „O weh! Wirst du auch einmal nach Aylay gehen?" „Nein. Was soll ich dort sehen? Sehen ist eine Abstumpfung der Sinne!" Die drei ineinander verschlungenen Frauen lösten sich voneinander und gliederten sich wieder an ihren ursprünglichen Stellen in die Traube ein. Das Wimmern des
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Alarms wurde lauter, und dann wurde es irgendwo hell. Sie spürten es, weil von irgendeiner Stelle im Raum, und zwar von schräg oben, Wärme auf ihre Körper traf, die nichts mit dem UV-Transfer zu tun hatte. Die Nerven in ihren Augenhöhlen empfanden es als störend. „Es ist Alarm!" vernahmen sie die Meldung eines alten Mannes. „Bitte sucht sofort die Sicherheitsbuchten auf!" „Wir sind schon unterwegs!" „Das ist unwahr!" Tadel klang in der Stimme mit. „Die Automaten melden, daß ihr euch noch immer nicht bewegt. Dies ist keine Übung!" Die Raumstädterinnen wurden unsicher. Sie lösten die Körper voneinander, strebten der Begrenzung des Raumes entgegen und tasteten mit den Händen nach den Buchten, die sich im Alarmfall automatisch öffneten. Sie fanden sie und wollten sich hineinziehen. Ein Ruck ging durch den Raum und ließ die Öffnungen unter ihnen wegrutschen. Sie wurden herumgewirbelt und stießen leise Schreie aus. „Guluba, Mirka, Samtara, wo seid ihr?" Lerana stürzte durch den Raum, der mit einemmal keine Begrenzungen mehr zu besitzen schien. Etwas Heißes brannte plötzlich in ihrem Rücken, dann stürzte sie wie ein Stein nach unten und streckte abwehrend Hände und Knie nach vorn. Ein Prallfeld faßte nach ihr und setzte sie sanft in ihrer Bucht ab. Sie klammerte sich fest und sah zu, daß sie so schnell wie möglich den Deckel schloß. Das Feld beförderte nacheinander alle Frauen in die reichlich vorhandenen Buchten, und die Kommunikationsanlage schaltete sich ein. „Was ist los?" rief Lerana. „Wie kann so etwas geschehen?" „Hier Steuerebene", klang eine andere Stimme auf.
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„Die Stadt nähert sich einem Ereignishorizont! Bitte haltet euch an die Vorschriften des Alarms!" „Das kann nicht sein!" riefen die Frauen aus. „Es gibt in diesem Sektor des Universums weit und breit kein Schwarzes Loch!" „Und doch ist es so! Die Aussagen der Automaten sind eindeutig!" „Holt die Lotsen!" Rowenas Stimme überschlug sich. „Warum tun die Lotsen nichts?" „Derzeit befindet sich kein einziger Lotse an Bord. Es tut uns leid", versicherte die Stimme. „Wir bemühen uns, die Lage zu meistern." „Vater, Vater!" flüsterte Lerana. „Warum bist du nicht da? Warum mußtest du ausgerechnet den weiten Weg nach Neyscuur machen?" Es wurde ihnen bewußt, daß sie in dieser Situation plötzlich jemanden brauchten, der Augen hatte. Jemand, der sah, was zu tun war, der optische Eindrücke sammeln konnte und zugleich die Möglichkeit besaß, Instrumente abzulesen und nicht auf die Durchsagen der Automaten zu warten. Reglos lagen sie in den Buchten, und eine starke Kraft preßte ihre nackten Körper gegen die wenig gepolsterten Unterlagen. Laß es nicht zu Ende sein! flehten sie, und ihr Geruchsempfinden teilte ihnen mit, daß sie alle dasselbe dachten. Das Flüstern der Automaten wurde für die empfindsamen Ohren der Raumstädter unerträglich. Berylla, die in dieser Schicht die Aufsicht führte, preßte die Hände auf die Ohren und verzog den Mund. „Zwei Stufen leiser!" verlangte sie. Augenblicklich fuhr der Steuerautomat die Lautsprecher zurück, aber die Meldungen waren noch immer zu laut. Es war, als würde eine unbekannte Kraft die Maßnahme umgehend rückgängig machen.
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Berylla stemmte sich gegen den Eindruck. Sie wußte, daß es mit ihren Nerven zu tun hatte. Je angespannter sie den Ereignissen lauschte, desto empfindlicher wurden ihre Sinne. Allen Raumstädtern in der Steuerebene erging es so. „Die Stadt beschleunigt weiter", vernahm die Schichtleiterin die vertraute Stimme des koordinierenden Automaten. „Die Entfernung beträgt knapp vier Lichtminuten!" In sechs Lichtminuten Entfernung war es aufgetaucht, aus dem Nichts erschienen wie ein Gespenst. Physikalisch war es völlig unmöglich, daß sich in einem ruhigen Bereich des Alls übergangslos ein Schwarzes Loch bildete und alles anzog, was sich in der Nähe befand. Heyderan hielt diese Position seit sechshundertdreiundfünfzig Jahren! Das Black Hole war erst ein paar Minuten alt. Irgendwo an dieser Stelle hakten die Gedanken der Raumstädterin ein. Sie holte die Werte der Taster ein, und die verstärkten das flaue Gefühl in ihrem Magen. Die Gravitationskräfte des Schwarzen Loches waren gering, zu gering eigentlich, um eine Masse von vielen Millionen Gewichtsklassen anzuziehen und konstant zu beschleunigen. „Entfernung zum Black Hole!" murmelte sie. „Wie hoch?" „Dreieinhalb Lichtminuten!" lautete die Antwort. „Das glaube ich nicht. Gibt es ein direktes Echo?" „Es gibt das Echo zum Ereignishorizont. Dieser wächst ständig an!" Berylla beugte sich nach vorn. Sie stützte die Ellenbogen auf ihre Konsole und legte den Kopf in die Hände. Mit dem Handballen berührte sie die leeren Augenhöhlen. „Ändere die Voraussetzungen", wies sie den Automaten an. „Gehe davon aus, daß die reelle Entfernung konstant bleibt und lediglich der Durchmesser des Schwarzen Loches wächst!"
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„Hypothese akzeptiert, Berylla", kam die Antwort. „Unter diesem Aspekt steht Heyderan nach wie vor an ihrer alten Position. Allerdings können die Kräfte eines Black Hole nicht auf eine so simple Erklärung reduziert werden!" „Wie hoch sind die Werte der Gravitationsmessung im Augenblick?" „Sie schwanken seit wenigen Sekunden! Jetzt sind die Taster ganz ausgefallen. Die Störungen des Schwarzen Loches wirken sich aus!" Berylla fuhr empor. Ihr langes Gewand raschelte. „Geräte abkoppeln und testen!" schrie sie. „Test erfolgreich. Die Taster sind in Ordnung!" „Und?" fragte die Schichtleiterin. „Keine Gravitationsmessungen vom Black Hole. Das Gebilde ist energetisch tot!" Im nächsten Augenblick meldeten die Taster wieder einen starken Energieausschlag. Gleichzeitig durcheilte eine zweite Bebenwelle die Stadt und warf einen Teil der Schicht in der Steuerebene von den Beinen. In der Stadt selbst blieb es ruhig. Alle Bewohner hatten die Sicherheitsbuchten aufgesucht. „Die Einwirkungen auf die Stadt gehen nicht von dem Black Hole aus!" hallte ihre Stimme durch die Ebene. Sie hörte und spürte, wie sich die Männer und Frauen überrascht bewegten. „Heyderan hat ihre Position nicht verändert. Das ist keine Hypothese, sondern die Wirklichkeit." Einer Eingebung folgend, erhob sie sich und schritt langsam durch die Ebene. Sie rief jeden Anwesenden beim Namen und prägte sich das Echo ein. Sie zählte aufmerksam mit und verglich das Ergebnis mit dem, was sie wahrnahm. Einer war zuviel. Ein Besatzungsmitglied gehörte nicht hierher. Es knisterte leise, als sie ihr Gewand abstreifte und ihren Weg fortsetzte. Ihr ganzer Körper stellte jetzt ein
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energetisches Netz dar, und sie empfand jede Veränderung seiner elektrischen Oberflächenspannung. Berylla schritt nach links, dann nach rechts. Die Männer und Frauen merkten, daß sie etwas im Schilde führte, und verhielten sich ruhig. Keiner von ihnen änderte seine Position. Lediglich ein einziger zog sich in den Hintergrund zurück. Berylla gab ein Schnalzen mit der Zunge von sich, ein nur den Automaten bekanntes Geheimsignal. Augenblicklich verriegelten sich alle Ausgänge der Steuerebene einschließlich der Zugänge zu den Maschinenanlagen. Die Gestalt blieb irritiert stehen, bewegte sich seitwärts und dann in die ursprüngliche Richtung. Sie hatte die Maßnahme erkannt. „Wer bist du?" Mit zwei, drei Sätzen stand sie in seiner Nähe. Sie spürte die rasch zunehmende Hitze und gab ein Stöhnen von sich. Die Energie, die sie empfand, sie konnte nur von einem Schild stammen, nicht von einem Lebewesen. Die Gestalt vor ihr trug einen Schild, vermutlich war sie optisch gar nicht zu erkennen. „Nur du kannst mich hören", vernahm sie die Antwort. „Ihr seid schneller dahintergekommen als erwartet. Aber freut euch nicht zu früh. Das Schwarze Loch wird euch verschlingen!" „Tsol?" Berylla kramte all ihr Wissen zusammen, das sie sich im Lauf ihres Lebens angeeignet hatte. „Mein Volk kennt nur diesen einen Namen. Bist du Danifkor Tsol?" Ein Lachen antwortete ihr. Dann verschwand das Empfinden von Hitze übergangslos. Nur die Restwärme blieb. Langsam wandte sich Berylla um, nahm ihr Gewand auf und kehrte zu ihrem Sessel zurück. „Messungen weiterführen", erklärte sie mit matter Stimme. „Es besteht keine Gefahr für die Stadt. Wir hatten Besuch."
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Es war nicht Danifkor Tsol gewesen, da war sie sich absolut sicher. Das Phantom bestand nicht aus einer einzigen Person, auch wenn der selige Rabo Montfant dies eine Weile hatte glauben mögen. Was wollen sie von uns? fragte sich die Raumstädterin. Wieso testen sie unsere Intelligenz? Was wollen sie wissen? Suchen sie etwas oder jemanden, oder sind sie so etwas wie eine Evolutionspolizei? „Das halte ich für unwahrscheinlich, nein, ich kann es einfach nicht glauben", sagte Dornemant neben ihr und wies sie darauf hin, daß sie laut gedacht hatte. „Urteile nicht zu früh", warnte sie. „Noch wissen wir zu wenig." Würden sie jemals erfahren, was wirklich dahintersteckte? „Die Stadt sinkt unter den Ereignishorizont!" verkündete der Koordinationsautomat. Die Stadt war verschwunden, einfach nicht mehr da. Die Merache hing scheinbar reglos zwischen den beiden Galaxien, dem großen Spiralnebel Neyscuur und dem kleinen Haufen Gorandaar. Die Taster des Schiffes arbeiteten ununterbrochen, und die Besatzung musterte die optische Darstellung auf den Bildschirmen. Im Hintergrund des Steuerraums tauchten sieben fremdartige Wesen auf und tuschelten leise miteinander. Die Anoree beachteten es nicht. Sie vermaßen die Schwärze des intergalaktischen Raumes. Immer wieder richtete sich ihre Aufmerksamkeit auf den Piloten. Menander Sobral hing mit gesenktem Kopf in seinem Sessel. Seine Augen drehten sich haltlos, und immer wieder stieß der Anoree einen Seufzer aus. Die Fremden näherten sich seinem Sessel und umringten ihn. „Was hat er?" erkundigte sich der Sprecher dieser Wesen mit dem feingliedrigen Körperbau und den zerbrechlich wirkenden Gliedmaßen. „Können wir Vaasuren ihm helfen?"
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Sieben rote Facettenaugen musterten den Piloten. „Nein", erklärte eine Anoree. „Niemand kann ihm helfen. Er ist nicht krank. Er sucht!" „Was sucht er?" fragte der Insektoide. „Wir Vaasuren sind erfahren beim Suchen von verlorenen Dingen!" „Sobral sucht die Stadt!" Die Stimme der Frau klang niedergeschlagen. „Könnt ihr verstehen, was da vor sich geht? Wir haben die Stadt an diesen Koordinaten verlassen. Also müßte sie noch da sein. Oder sie müßte wenigstens eine Nachrichtenboje hinterlassen haben!" In diesem Augenblick stieß der Raumstädter einen Schrei aus. Er richtete sich im Sessel auf und riß an den Gurten. Er löste die Magnethalterungen und kam wie ein Geschoß aus dem Sessel empor. „Sie ist da!" stieß er hervor. „Ich spüre sie. Die Stadt existiert. Aber sie verbirgt sich. Wie tut sie das? Was ist geschehen?" Die Merache beschleunigte von zehn auf vierzig Prozent Lichtgeschwindigkeit. Die Zyken auf der Ankerplattform bebten, weil Sobral die Energien vom Ausgleichsgravo abzog und in die Triebwerksmeiler leitete. Das Schiff beschrieb einen engen Bogen und raste in einem Winkel von neunzig Grad zum bisherigen Kurs davon. Am diffusen Rand von Gorandaar entstand eine schwarze Linie. Sie besaß Bogenform, und sie vergrößerte sich zu einer absolut lichtschluckenden Fläche. Die Vaasuren brachen in schrillen Protest aus und bestürmten die Anoree, sofort umzukehren, am besten nach Neyscuur. Keiner hörte auf sie. Die Anoree suchten ohne Ausnahme ihre Sessel auf und schnallten sich fest. Sobral gab Gravitationsalarm, und er trommelte mit den Fingerspitzen nervtötende Wirbel auf die Konsolen der Steueranlagen.
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„Ein Black Hole!" stöhnte er. „Ein winziges Black Hole. Es war vor wenigen Wochen noch nicht da. Wo kommt es her?" Er aktivierte den Nahbereichsfunk und rief Heyderan. Als es nicht fruchtete, versuchte er es mit dem Hyperfunk. Aber auch hier erhielt er keine Antwort. Nur das Rauschen der Gerätespannung war zu hören. „Wir sollten tatsächlich fliehen!" sagte jetzt Murdia Gnalen, die Ersatzpilotin. „Menander, läßt du mich an die Kontrollen?" Der Mann schüttelte stumm den Kopf. Er warf den den Kopf herum und sah sie an. Die künstlichen Augen jagten ihr einen Schauer über den Rücken. „Meine Familie ist da drüben", stieß er hervor. „Verstehst du das? Ich will wissen, was mit ihr ist! Ich werde die Merache dennoch nicht in Gefahr bringen. Ich passe auf!" Murdia preßte die breiten Lippen zusammen. Es fiel ihr schwer, sich etwas unter den besonderen Fähigkeiten der Raumstädter vorzustellen. Wie konnte ein Anoree etwas spüren, was nicht da war? Noch immer meldeten die Taster nichts. Lediglich vor dem Hintergrund der Sterne Gorandaars war das Schwarze Loch als kreisrunde Scheibe zu erkennen. Mangels Tasterwerten war die Entfernung zu dem Gebilde nicht genau festzustellen. „Du willst. . .? Nein!" „Da ist nichts außer einer optischen Wahrnehmung", entgegnete er. „Das solltest du akzeptieren. Es gibt keine erhöhte Gravitation, keine hyperenergetischen Abweichungen, nichts. Nur dieses Bild!" „Und was bedeutet das deiner Meinung nach?" „Es bedeutet, daß es sich um eine Illusion handelt, eine Fata Morgana. Zwar war mir bisher nicht bekannt, daß es so etwas geben kann, aber das hier ist der Beweis. Moment mal!"
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Er bedeckte die künstlichen Augen mit den Händen und dachte nach. Als er nach einer Weile aus seiner Starre erwachte, hatte die Mareche sich dem Schwarzen Loch bis auf zehn Lichtminuten genähert. Noch immer lieferte die Tastung keine Werte, obwohl die Geräte absolut in Ordnung waren. „Laßt uns nach Aylay weiterfliegen", schlug der Sprecher der Vaasuren vor. „Sind wir nicht mitgereist, um dem Rat unsere Beobachtungen über die seltsamen Phänomene in vielen Teilen Neyscuurs mitzuteilen?" „Wie denn? Ohne die Booster der Raumstadt stranden wir mitten im Leerraum. Wir besitzen nicht genügend Energie für einen Direktflug nach Aylay. Das habt ihr wohl vergessen!" Menander Sobral kommunizierte mit einem Automaten und rechnete die verschiedenen Möglichkeiten durch. „Wir gehen im Tangentialflug auf zwei Lichtminuten heran", sagte er dann. „Wir erhöhen auf siebzig Prozent Lichtgeschwindigkeit. Das Manöver ist völlig ungefährlich. Wir kommen dem Black Hole dabei nicht zu nahe!" Diesmal erhob sich kein Widerspruch, und er beschleunigte die Mareche und brachte sie auf den neuen Kurs. Das Schiff beschleunigte mit den Restenergien, die die Depots hergaben. Es jagte auf den Ereignishorizont des Schwarzen Loches zu und an ihm vorbei. Nichts geschah. Selbst als Sobral einen Laser abschoß, raste der Strahl in den freien Raum hinaus, ohne abgelenkt zu werden. Ein zweiter Strahl traf die schwarze Scheibe und drang wirkungslos in sie ein. Oder fast völlig wirkungslos. Für den Bruchteil einer Sekunde flammte ein winziger Bereich auf, beleuchtete ein Objekt, das sofort wieder von der Schwärze verschluckt wurde.
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Die elektronische Aufzeichnung hielt es fest und lieferte ein kontrastverstärktes Abbild. Es handelte sich um ein Raumschiff, und Menander Sobral betrachtete es eindringlich. „Ich habe es geahnt", flüsterte er mit rauher Stimme. Abrupt bremste er die Merache auf den ursprünglichen Fahrtwert ab und ließ sie auf die schwarze Scheibe vor dem schwachen Sternhaufen Gorandaar zutreiben. „Die Form ist so, wie Telaant es damals vor dem Rat geschildert hat. Es ist ein Schiff der Fremden, ein Phantom-Raumer!" Die Vaasuren drängten sich um die Darstellung und beäugten sie intensiv. „Vielleicht hast du recht", gaben sie zu. „Aber was ist mit den wenigen Prozenten, die sagen, daß deine Annahme falsch ist?" Die Antwort gab der Vorgang selbst. Die Merache erreichte die Schwarze Scheibe und durchstieß sie. Kein Widerstand trat auf. Von einem Augenblick auf den anderen war sie hindurch, hatte sie den freien Raum vor sich und empfing das Echo der Stadt. „Heyderan, hier Heyderan!" hörten sie eine Stimme. „Wir bitten um Hilfe!" „Hier Sobral. Hilfe ist nicht nötig. Wir befinden uns im Normalraum. Das Schwarze Loch ist eine optische Täuschung. Sie wurde mit voller Absicht hervorgerufen!" Irgendwo an der Decke des Steuerraums klang Gelächter auf. „Ihr seid durchtrieben", sagte jemand auf Anorisch. Es hörte sich an, als spräche er mit vollem Mund oder ohne Zähne. „Wir haben es fast erwartet. Ihr habt den Test bestanden. Herzlichen Glückwunsch. Alles Weitere wird sich auf Aylay herausstellen!" „Fliegt ihr dorthin? Telaant wartet dort auf euch!" rief der Raumstädter. Sein Gesicht glühte vor Erregung, seine künstlichen Augen überzogen sich mit Feuchtigkeit.
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„Wir sehen uns dort. In naher oder ferner Zukunft. Irgendwann, Anoree!" Noch einmal lachte der Unbekannte, dann herrschte Stille, die nur durch das heftige Zirpen der Vaasuren durchbrochen wurde. „Sie sprechen zu euch. Sie reden und lachen. Sie behandeln euch wie gute Bekannte. Sie treffen sich mit euch, und sie scheinen überall in eurem Reich gegenwärtig zu sein, wenn wir eure Erzählungen richtig verstanden haben." „Ihr habt sie richtig verstanden!" Der Schiffspilot und Stadtlotse fühlte sich so wohl wie schon lange nicht mehr. Am liebsten hätte er vor lauter Begeisterung die künstlichen Sehhilfen herausgerissen, die man ihm eingepflanzt hatte. „Aber dann...", begann der vaasurische Sprecher, „dann sind sie euch mehr gewogen als allen Völkern Neyscuurs, mit denen sie sich bisher befaßt haben!" „Ja!" murmelte Menander Sobral. „Ihr habt es richtig erkannt."
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7. Die Fremden Der alte Mann war noch nie in seinem Leben so aufgeregt gewesen. Er bewegte den Oberkörper vor und zurück, und das stundenlang. Immer wieder näherte sich einer der robotischen Diener und erkundigte sich nach seinem Befinden. Alle zwei Stunden mußte das schweißnasse Gewand ausgewechselt werden, und dann machte sich Erleichterung auf dem ausgemergelten Gesicht breit. „Danke!" hustete er. „Ich danke dir!" Und wieder begannen die Bewegungen, so als müsse der Alte den Abstand der Augen zu dem Monitorschirm regelmäßig verkürzen. Dort stand wie immer das eine Bild, ein Schiff von klobiger Art, ähnlich einem der Krummwale in den Meeren Aylays. Die Krummwale starben aus, es gab lediglich noch ein paar Dutzend davon. Es war der erste konkrete Hinweis, daß es zu Ende ging. Fast keinem Anoree war es aufgefallen, nur ihm und ein paar anderen Mitgliedern des Rates. Der Rat! Wie unterschied er sich doch von dem, den er selbst als junger Mann miterlebt hatte. „Es ist nicht identisch!" murmelte der Alte. „Ich habe es nicht so gesehen. Aber damals war es nur ein Schemen, ein verzerrtes Bild. Vielleicht hat die rasche Bewegung mich auch genarrt." Er machte eine fahrige Bewegung auf der Fernbedienung. Ein Signal klang auf, das die Verbindung für ihn herstellte. „Steuerebene!" flüsterte er. „Gibt es neue Erkenntnisse über das Schiff?" „Nein, Alander Telaant!" lautete die Antwort. „Es hängt nach wie vor reglos an seiner Position. Es sind keine Impulse zu erkennen. Es sieht aus, als sei es im Innern energetisch tot!"
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„Das ist bestimmt eine Abschirmung!" gab der Raumstädter zur Antwort. „Mein Zyken soll sich bereithalten. Ich werde dem Schiff einen Besuch abstatten. Sie haben uns damals mit dem Black Hole genarrt und unserem Volk damit einen wertvollen Anstoß bei der Erforschung der Schwarzen Löcher gegeben. Jetzt will ich wissen, was sie damit bezweckt haben!" „Der Zyken hält sich zur Verfügung!" bestätigte die Diensthabende, und Telaant unterbrach die Verbindung. War die Zeit gekommen? Machten sie ihre Worte von damals wahr? Er begann leicht zu fiebern, und in seinem Gesicht bildeten sich rote Flecken. Immer wieder schaltete er den Bildschirm um und betrachtete die Automatendarstellung seiner Zeichnung, die er damals angefertigt hatte. Durch Zurückschalten verglich er sie mit dem Original. Gewisse Ähnlichkeiten waren sicher vorhanden. Nochmals wechselte er sein Gewand und ließ sich den Schweiß vom Kopf wischen. Dann machte er sich auf in sein Schiff und ließ sich hinaustragen in das All. Längst war er nicht mehr in der Lage, den Zyken selbst zu lenken. Ein Lotse Heyderans steuerte es, und zwei Frauen jüngeren Alters versahen den Dienst im Schiff und sorgten für sein Wohlbefinden. Sie richteten ihm ein Bad und übernahmen die medizinische Betreuung, da er nach wie vor seinen alten Grundsätzen treu blieb. Keine Roboter in einem Raumschiff. Mehr als einmal hatten sie durch Streustrahlungen aus dem Triebwerksbereich Unheil angestiftet und selbst Merachen auf dem langen Weg zwischen Neyscuur und Gorandaar stranden lassen. Alander Telaant wurde in die Wanne gehoben. Er nahm ein kräftigendes Bad, ließ sich vom Heißlufttrockner umwehen und hüllte sich in ein frisches Gewand. Er suchte den Raum mit der
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Liege auf, und die beiden Frauen desinfizierten seine Augenhöhlen. Mit zunehmendem Alter war das Gewebe dort brüchig geworden, hatten sich die Muskeln zurückgebildet. Die künstlichen Sehhilfen hatten sich tief in die Höhlen gegraben, so daß sie jetzt wie winzige Murmeln wirkten und dem Alten ein fremdartiges Aussehen verliehen. Seither eiterten sie, und er tat nichts dagegen. Er nahm es als Zeichen des Alterns und als Wink der Natur, daß es mit ihm langsam zu Ende ging. Er hätte genug dagegen tun können. Die Kunstaugen wieder entfernen lassen. Aber er wollte es nicht. Etwas tief in seinem Innern wehrte sich dagegen. Seit er die Berichte Rabo Montfants über dessen Begegnungen mit Danifkor Tsol kannte, war er froh, Augen zu besitzen. Er wollte die Fremden nicht nur spüren, er wollte sie sehen. Und dann urteilen. Langsam steuerte der Zyken auf das fremde Schiff zu. Wie lange es schon da hing, wußte keiner. Sichtbar war es seit der vergangenen Schlafphase. Die Entdeckung war so wichtig, daß man ihn umgehend geweckt hatte. Und seither fand der alte Raumstädter und Rat von Aylay keine Ruhe mehr. Die Funkanlage lief auf Hochtouren, suchte die Kommunikation mit dem Schiff. Wo war bei diesem Gebilde oben, wo unten? Es kam keine Antwort, und Telaant gab den Befehl, das Gebilde direkt anzusteuern. Der Zyken trieb auf es zu und umrundete es von einer Seite zu anderen. Niemand schien sich in seinem Innern aufzuhalten. Die Suche nach energetischen Impulsen blieb nach wie vor erfolglos, und der Zyken änderte den Kurs und flog in Längsrichtung über es hinweg. Das, was die Anoree als Heck einstuften, kam in Sicht, und für einen winzigen Augenblick leuchtete draußen im All grell ein Licht
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auf. Es zeigte einen Energievorhang ähnlich einer Schüssel, die sich an das Heck anschloß. Der Zyken durchquerte den Vorhang, und gleichzeitig erwachte der Funkverkehr zum Leben. „Willkommen, Bote der Anoree", vernahmen die Insassen eine angenehme Stimme, die den bereits bekannten Tonfall und die Aussprache der Unbekannten besaß. „Ihr habt den letzten Schritt getan. Fliegt nach Aylay, so schnell ihr könnt, denn dort warten wir darauf, daß auch der letzte Rat dieses großen Volkes eintrifft!" Alander Telaant fielen beinahe die Augen aus dem Kopf. Er hörte kaum, was der Fremde sagte, er starrte nur auf das Gebilde, das sich im Schutz der Schüssel aufhielt. Es war riesig, viel riesiger als die Raumstadt. Es wuchs aus einem Asteroiden hervor, und überall blinkten und schimmerten Lichter. Schlanke Türme und Zacken stachen in die Schwärze des All hinaus, und an ihren Spitzen kreisten goldene Scheiben, die den alten Anoree an das goldene Licht erinnerten, hinter dem sich die Phantome versteckten. „Eine Sternenstadt!" brachte er schließlich hervor. Sein Mund bebte, sein ganzer Körper zitterte. Er konnte sich kaum von dem Anblick lösen und starrte noch immer auf den Bildschirm, als der Zyken längst die Wendeschleife geflogen hatte, nach Heyderan zurückkehrte und an die bereits gestartete Merache andockte, die sie auf dem schnellsten Weg nach Gorandaar bringen würde. „Ich darf es noch erleben", hauchte Telaant immer wieder, als könne er es nicht glauben. „Ich werde sie sehen!" Das Schiff hing tief über Filanx. Das Bild wurde in alle Wohnungen auf Aylay und in alle Stationen des Sonnensystems übertragen. Kein Anoree versäumte, was in diesen Minuten und Stunden vor sich ging.
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Nach dem Eingehen des Funkspruchs war der Rat in aller Eile zusammengetreten und hatte sich in die Zeremonienhalle begeben. Und jetzt standen die Mitglieder des verantwortlichen Gremiums des Volkes auf dem großen Platz und erwarteten die kleinen Schwebefahrzeuge, die aus den Öffnungen im Unterleib des mächtigen Schiffes sanken und sich rasch dem Boden näherten. Gleichzeitig heulte und jaulte aus den höheren Schichten der Atmosphäre ein anorisches Fahrzeug herbei, stürzte sich im Steilflug auf Filanx hinab, drehte mehrere Schleifen, um den Schwung abzufangen und segelte dann mit seinen Spinnenbeinen voraus zwischen die Schweber, kreuzte ihre Bahnen, schlüpfte unter ihnen hindurch und hing dann verhältnismäßig lange über dem Boden, ehe es absetzte und ausfederte. Die Bodenschleuse öffnete sich, zwei Männer schoben einen Rollstuhl ins Freie, der sich mit einem Ruck in Bewegung setzte und langsam hinüberrumpelte, wo die Schweber landeten und die Insassen freigaben. Dem Rollstuhl folgte die gesamte Besatzung des Zyken, die sich in das spinnenbeinige Beiboot gezwängt hatte. In der Mitte des Platzes hielt der Alte kurz an und blickte am Standbild Rabo Montfants hinauf. Er lächelte dem Bronzegesicht zu, dessen Augen voller Hoffnung und Erwartung in die Ferne blickten. „Schade", murmelte der Raumstädter, „daß du es nicht mehr erleben kannst. Ich hätte es dir gewünscht!" Er ließ den Stuhl weiterrollen, auf die Räte zu, die voller Spannung auf das warteten, was ihnen bevorstand. Und dann kamen sie. Die Schweber öffneten sich ohne Ausnahme gleichzeitig. Die Fremden entstiegen ihnen, und diesmal kamen sie nicht im Schutz irgendwelcher Schilde oder Schutzfelder, die unsichtbar machten.
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Ein Raunen ging durch die Reihen der Anoree, und in den Techno-Anlagen, Verwaltungen, den Wohnungen und Häusern sprangen die Männer und Frauen aus ihren Sitzen. Die Fremden besaßen lange, hohe Gestalten voller Feinheit und Grazie. Sie wirkten zerbrechlich. Die Haut besaß keinerlei Anzeichen von Haarwuchs und leuchtete weiß wie der Schnee. Sie bewegten die Arme, als seien sie biegsam und aus Gummi. Lange, zarte Finger malten Zeichen und Gesten in die Luft. Ihre Bewegungen waren majestätisch und erhaben und ähnelten fast Amphibien, die es gewohnt waren, einen Teil ihrer Zeit unter Wasser zu verbringen. „Willkommen auf Aylay, unserem Ursprung", empfing Gardner Vomont die Fremden. Er war in aller Eile zum Sprecher des Rates bestimmt worden. „Nach so langer Zeit konnte es nicht ausbleiben, daß wir euch von Angesicht zu Angesicht begrüßen durften. Seid die Gäste unseres Volkes!" Eines der Wesen löste sich aus der Gruppe und trat vor. Es trug einen hellen und weit geschnittenen Anzug mit bunten Punkten, die mit der Farbe seiner grünweißen Augen harmonierten. „Kennt ihr mich noch?" rief er aus. „Erinnert ihr euch?" Ratlosigkeit breitete sich unter den Anoree aus. Lediglich von hinten drängte sich Telaant herbei, verschaffte sich Platz und rollte an Vomont vorbei. „Danifkor Tsol!" rief er, so laut er konnte. „Dem Schicksal sei gedankt, daß ich diesen Augenblick noch erlebe. Lange genug hast du Verstecken mit mir und anderen gespielt. Weißt du überhaupt, was du damit bewirkt hast?" „Alander Telaant, du hast es noch rechtzeitig geschafft, hier zu sein", antwortete Tsol. Er glitt auf ihn zu und streichelte seine Schultern. „Du alter Mann der Raumstädte. Du bist einer der Wegbereiter der Zukunft. Weißt du das eigentlich?"
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Telaant nickte stumm, und seine Augenhöhlen sonderten ein wenig klare Flüssigkeit ab. „Du hast Opfer in Kauf genommen, persönliche Opfer", fuhr der feingliedrige Fremde fort, ohne auf die winzige Kamerasonde zu achten, die dicht vor seinem Kopf summte und hin und her fuhr wie ein lästiges Insekt. „Hier hast du die Belohnung. Wir Amarena sind gekommen, um eurem Volk ein wertvolles Geschenk zu machen." Amarena! Sie nannten sich Amarena! Endlich gab es einen Namen für die Fremden. „Ein Geschenk? Haben wir ein Geschenk verdient?" forschte Telaant. Ohne daß ein Wort gesagt war, hatte Vomont ihm die weitere Unterhaltung mit den Fremden überlassen. „Was steckt dahinter?" „Es ist eine lange Vorgeschichte, sie hat viele Millionen Jahre gedauert, Telaant", begann Danifkor Tsol. Und er berichtete vom Volk der Viperter, dessen Evolution in einer Sackgasse angekommen war. Er erzählte von den Eskuquel, die in ihren Städten unterwegs im All waren und die artverwandten Viperter bei sich aufnahmen. In eindringlichen Worten zeichnete Tsol ein Bild der vier Zeitalter und der Suche nach Amagorta. „Wir haben Amagorta gefunden", rief er nach stundenlangem Erzählen. „Wir werden dort für uns allein leben, doch zuvor wollen wir euch unser Erbe übertragen! Lange haben wir gesucht, lange beobachtet, nicht nur in Neyscuur und Gorandaar. Wir haben euch gefunden, und die Qualitäten eures Volkes haben uns beeindruckt. Ihr Anoree seid friedfertige Wesen, keine Krieger. Ihr lebt in Harmonie untereinander, und eure Politiker oder Räte haben über lange Zeit eine Eigenschaft bewahrt, die man sonst selten bei Politikern und Verantwortlichen trifft, deren einzige Triebfeder der Ehrgeiz
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ist. Sie schweigen lieber, als daß sie etwas Falsches oder Dummes sagen." Alander Telaant verzog das Gesicht und machte eine heftige Handbewegung. „Seht ihr das nicht ein wenig zu einfarbig?" fragte er. „Habt ihr nicht erkannt, daß es auch in unserem Volk Kriminelle und Störenfriede gibt, Versager und Gewissenlose?" „Doch. Wir kennen die meisten mit Namen. Aber sie können nichts gegen das Bewußtsein des ganzen Volkes ausrichten. Sie haben es nicht einmal geschafft, die technische Entwicklung für ihren eigenen Vorteil zu nutzen. Erinnerst du dich an Tabbo Syrogad, der aus dem Rat flog, weil er nur an sein eigenes Wohl dachte? Hast du Woran Kodag gekannt, der die Station am Black Hole für seine eigenen Zwecke einsetzen wollte? Du kennst sie alle, und wir kennen sie auch. Wenn sie so bedeutend waren, warum haben sie in eurem Volk keine Wirkung hinterlassen?" Telaant lächelte fast unmerklich. Er griff nach den Fingern des Amarena und hielt sie fest. „Wir hatten einen, der besser war als alle anderen", erwiderte er und deutete mit der freien Hand hinüber zur Statue Montfants. „Seiner Einstellung und seiner Überzeugungskraft haben wir es zu verdanken. Er wirkt noch in unseren Seelen, ja, so ist es. Und seit seinem Tod sind bereits einhundertvierundneunzig Jahre vergangen! " „In denen ihr gelernt habt, mit den Kräften des Hyperraums und der Schwarzen Löcher umzugehen, die es in Gorandaar genug gibt. Kannst du dir vorstellen, daß man diese Black Holes als Straßen zwischen den Galaxien benutzen kann?" Verblüfftes Schweigen war die Antwort. Der Raumstädter ließ den Amarena los und griff in die Steuerung seines Rollstuhls. Er lenkte ihn durch die Reihen der Fremden
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hindurch zu einer Gruppe, die ganz hinten stand. Diese Wesen unterschieden sich von den anderen dadurch, daß ihr Körperbau gröber wirkte, die Köpfe kleiner und die Gesichter breitflächig. Nicht häßlich, aber den gedrungenen Gestalten der Anoree ähnlicher und darum vertrauter. „Wer seid ihr?" fragte er ahnungsvoll. Sie hießen Valinet, Sailor, Donovan und Ginnimar. „Ihr seid alt, sehr alt. Ihr stammt aus der Vorzeit", eröffnete Telaant ihnen. „Wißt ihr es denn, oder ist es in Vergessenheit geraten?" „Wir sind alle älter, als du denkst", erhielt er zur Antwort. „Jeder Amarena." Es war, als wolle Donovan weitersprechen, aber dann wandte er sich zur Seite und wich dem Blick des Raumstädters aus. Dieser kehrte sinnend zu Danifkor Tsol zurück. „Hiermit lege ich den Namen Tsol ab", verkündete der Amarena. „Tsol ist der Sucher. Nachdem wir unsere Erben gefunden haben, bin ich wieder Danifkor, der lustige Danifkor, der Einzelgänger. Ganz wie früher!" Telaant neigte den Kopf zur Seite und sah zum rotblauen Himmel hinauf. „Um auf deine Frage zu antworten, Danifkor. Seit ich eure Sternenstadt gesehen habe, kann ich es mir vorstellen, daß ihr mit ihr auf den Sternenstraßen von Black Hole zu Black Hole reist, von einer Galaxie zur anderen. Und jetzt wollt ihr wirklich nach Amagorta, was immer das ist, um dort seßhaft zu werden?" „Es ist unser erklärter Wille. Alle Städte haben sich dafür entschieden." „Und wir erben die Sternenstraßen!" „Und einiges an Technik mehr. Und die Verantwortung wird eine große Last sein. Wir geben euch fünfzig Jahre. In dieser
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Zeit bleiben wir als Einweiser und Lehrer bei euch, um euch mit allem vertraut zu machen!" Er trat einen Schritt zurück, und sein ewig lächelnder Mund wurde schmal und klein. „Ihr seid so sicher!" Alander Telaant schluckte schwer. „Was gibt euch die Gewißheit, daß wir euer Erbe auch annehmen?" „Wir wissen es!" Danifkor lächelte wieder. „Wir wissen es schon lange!" „Ihr habt recht. Wir nehmen das Erbe an. Doch laßt euch gesagt sein, wir sind jederzeit bereit, es euch zurückzugeben, wenn ihr es euch anders überlegt. Falls ..." „Falls . . .?" „Falls ihr dann noch in der Lage, seid, es zurückzunehmen! " Es schien, als sei alles gesagt. Die Amarenas waren gekommen, ihr Erbe zu übergeben. Kein Anoree hatte mit einer solchen Möglichkeit gerechnet. Die Amarena waren ihres bisherigen Lebens überdrüssig; warum? Plötzlich lachte Telaant laut auf. „Natürlich, ihr steht an der Schwelle zur nächsten Stufe der Evolution!" rief er aus. „Wie hoch ist eure Lebenserwartung? Ich will es euch sagen. Sie ist unendlich hoch!" Sein Körper bäumte sich wie unter einem Schlag auf. Er stemmte die Arme gegen den Rollstuhl und brachte den Körper empor. Seine Beine bewegten sich wie dünne Stöcke, als er aus dem Rollstuhl trat und vor Danifkor Aufstellung nahm. Er klammerte sich an dem Amarena fest, und dieser stützte ihn. „Und ich bin froh, daß ich die lange Spanne eines Raumstädters hinter mich gebracht habe. Ist es nicht so? Verzeih mir, Danifkor, aber ich werde dich - jetzt - nicht mehr - zum Essen . . . einladen . . . können!" Die letzten Worte hatte er matt und leise hervorgebracht. Seine Beine gaben nach, und er hing wie eine Puppe an dem
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Amarena. Danifkor trug ihn zu seinem Rollstuhl zurück und bettete ihn in das Gefährt. Erneut streichelte er seine Schultern, dann richtete er sich entschlossen auf. „Seine Asche möge überall Früchte bringen!" rief er laut. „Er hat es verdient, daß ihr ihm ein Denkmal neben Montfant errichtet!" Die Besatzung des Zyken schob den Rollstuhl davon, hinüber zum Turm, wo sie ihn in einen Kühlraum brachten. Auf Alander Telaants Gesicht lag ein Ausdruck von Zufriedenheit. Er hatte es noch erleben dürfen. Und das genügte ihm. Als das letzte wichtige Wort gesprochen war, hatte er sich aus dem Diesseits verabschiedet. Er war wirklich einer der Großen in seinem Volk, und jetzt wußte es auch der letzte Anoree im Gamesh-System und in den Raumstädten. Und sie wußten noch etwas. Nicht nur für die Amarena brach eine neue Epoche in ihrer Existenz an. Auch für die Anoree war es ein neuer Abschnitt. Die Fremden hatten ihnen das Tor in eine neue Zukunft aufgestoßen. Fünfzig Jahre waren viel Zeit, um das Erbe anzutreten, und sie wußten, daß sie die Zeit nutzen würden. Gawalat und Shyrbaat - Langes Leben und Rettung. Jauccron — Neue Heimat. Die Zukunft hatte ihre Tore geöffnet, und die Anoree strömten in heller Begeisterung hindurch.
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II. Jauccron
8. Der Niedergang
Das Hologramm der Pyramide bildete den Mittelpunkt der Zeremonienhalle, dieses domartigen Gebildes mitten im Äquatorialmeer des Planeten. Als künstliche Insel trieb es auf den Wellen, von starken Antriebsaggregaten unter der Wasseroberfläche auf Äquatorkurs gehalten. In dem Hologramm der Pyramide waren die dunklen Buchstaben des Vertrags zu erkennen, der damals zwischen beiden Völkern abgeschlossen worden war. Das Hologramm stellte ein genaues Abbild der Originalpyramide dar, die auf Aylay stand. Die zweiundzwanzig Räte hatten sich um das Hologramm versammelt und zollten ihm wie bei jeder Sitzung ihre Hochachtung. Sie verbrachten eine Schweigeminute, und schließlich erhob Taban Urlont seine Stimme. „Laßt uns Platz nehmen, Kollegen und Kolleginnen. Wir wollen über eine wichtige Entscheidung beraten, die auf unsere großartigen Vorbilder zurückgeht. Doch zunächst laßt uns danken. Die beiden Helden unseres Volkes leben hoch!" „Sie leben hoch!" rief der Chor der Räte. „Montfant und Telaant werden fortan nur bei ihrem zweiten Namen genannt. Und wir entscheiden darüber, ob das allgemein gültig werden soll!" Das Erbe war großartig, und je länger sie es verwalteten, desto mehr wurde ihnen klar, was dem Volk der Anoree mit
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dieser Schenkung widerfahren war. Es war nur zu verständlich, daß die Herren der Straßen oder durr-ai-rajmscan, wie sie in der Verkehrssprache Neyscam hießen, sorgfältig ausgewählt hatten, bis sie einen Erben bestimmten. Die Technik und das Wissen machten das Volk der Anoree zu einem Machtfaktor ohnegleichen. Die Schwarzen Sternenstraßen umfaßten ein riesiges Areal mit viel Galaxien, genau genommen war es eine Raumkugel mit einem Radius von hundert Millionen Lichtjahren, die durch das Straßennetz erschlossen war. Für ein Volk wie die Anoree ein leichtes, alle diese Galaxien zu unterwerfen und sich zu Herrschern über ein gewaltiges Reich aufzuschwingen. Daß sie es nicht taten, zeigte, daß die Wahl der Herren der Straßen richtig gewesen war. Die Debatte über die neue Regelung, deren Impuls aus dem Volk gekommen war, dauerte den ganzen Vormittag. Die Mittagsabstimmung ergab, daß sich zwei Drittel aller Räte für die Regelung im Sinn der Machraban aussprachen. Die alten Herrscher hatten alle nur einen Namen besessen, also sollte es im Volk der Anoree auch so sein. Taban Urlont war ab sofort nur noch Urlont, und die Mitglieder seiner Familie unterschieden sich von ihm dadurch, daß sie den Namen in beliebigen Variationen abwandern konnten: Urlant, Urlag, Urlob. Die vielen Millionen und Milliarden Möglichkeiten, die es im anorischen Alphabet gab, stellten für die riesigen Automaten und die überlichtschnellen Computer in den Stationen der Schwarzen Sternenstraßen kein Problem dar. Kein Name würde zweimal auftauchen. „Damit sind die Würfel gefallen!" verkündete Urlont. „Laßt uns vor das Volk treten und ihm diese letzte Huldigung an unsere Meister kundtun!"
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Die Übertragungsanlagen nahmen ihre Tätigkeit auf, und Urlont sprach zu allen Mitgliedern seines Volkes. Er verkündete ihnen, daß es in alle Zukunft so bleiben würde, und die Angehörigen fremder Völker, die sich auf Jauccron und Passavay aufhielten und die Rede mithörten, mochten über die tiefe Dankbarkeit nachdenken, von der die Anoree beseelt waren. Nur ein einziger Wermutstropfen fiel in das große Glas der amorischen Zufriedenheit. Noch immer war das Volk nicht vereint. Die Raumstädte hielten die Stellung im Leerraum, und nichts deutete bisher darauf hin, daß die auf gut eine halbe Million angewachsene Bevölkerung dort jemals zu ihrem planetaren Ursprung finden würde. Die Übertragung endete, und die Räte gingen auseinander. Sie taten es mit einem Gruß und freuten sich auf das Mittagsmahl mit ihren Familien. Die Anoree von Jauccron und Passavay waren beleibter und rundlicher als ihre Vorfahren auf Aylay. Fast keiner war mit diesem Zustand unzufrieden, lediglich ein einziger Rat machte sich über die Entwicklung in der neuen Heimat Gedanken. Zweitausend Jahre in der neuen Heimat waren eine lange Zeit, doch in der Evolution bedeuteten sie nur eine geringe Zeitspanne. Verhängnisvolle Entwicklungen ließen sich da nur in winzigen Anzeichen ablesen, und Montfur, wie er seit wenigen Minuten hieß, glaubte diese Anzeichen erkannt zu haben. Er blieb als einziger auf der künstlichen Insel zurück, streifte sein Gewand ab, kletterte über das Geländer am Heck und ließ sich in den Ozean gleiten. Er schwamm ein Stück hinter der Insel her, dann holte er tief Luft und tauchte hinab. Seine Augen streiften die luftgefüllten Kugeln und blieben an den Düsen hängen, durch die das Wasser strömte. Sie glänzten
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neu, waren erst vor kurzer Zeit ausgewechselt worden, aber sie täuschten nicht darüber hinweg, daß sie sich seit über zweitausend Jahren nicht verändert hatten. Die Konstruktion stammte noch aus der Aylay-Epoche, und das war es, was Montfur so nachdenklich stimmte. Nach der Übernahme des Erbes und dem endgültigen Verschwinden der Amagorta eben der Machraban, hatte Euphorie die Anoree erfaßt. Sie hatten sich in alle verfügbaren Raumschiffe gesetzt und waren wie wild in Neyscuur herumgereist. Natürlich hatten sie die Schwarzen Sternenstraßen benutzt und sich recht wenig bei den Völkern in der Nähe der Black Holes umgesehen. Dann waren sie frecher geworden und hatten ihre Erkundungsflüge auf andere Galaxien ausgedehnt, und manche der Schiffe waren nicht zurückgekehrt. Mit der Zeit hatte sich die Euphorie gelegt, der Alltag war eingekehrt. Die Anoree hatten sich zufrieden zurückgelegt, und seither nahm die Stagnation zu. Montfur ließ sich von einem der Wasserstrahlen aus den Düsen von der Insel wegtreiben, tauchte auf und schwamm mit kräftigen Zügen zum Geländer zurück. Er schwang sich empor, ließ sich von der Sonne trocknen und schlüpfte in sein Gewand. Wenig später tauchte der Bus auf, der ihn abholen sollte, und als er ihn betrat und in einen Sessel sank, da faßte er diesen wahnwitzigen Gedanken, von dem er genau wußte, daß keiner ihn verstehen würde. Aber er redete sich ein, daß es die einzige Möglichkeit war, den Untergang zu verhindern. Aus der Stagnation würde eines Tages Lethargie werden und damit Degeneration. Die Anoree hatten alles erreicht, was es zu erreichen gab. Weitere technische und wissenschaftliche Aufschwünge konnte es nicht geben, die Natur ließ es nicht zu und bot sie nicht an.
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Was war die Alternative? Welchen Weg mußte das Volk beschreiten, von der gewissenhaften Verwaltung der Schwarzen Sternenstraßen einmal abgesehen? Zwei Tage später machte Montfur sich auf. Als Tellur Montfant hatte er bisher gelebt, doch der Name spielte für ihn die geringste aller Rollen. Er verabschiedete sich von seiner Familie, informierte den Rat über seine längere Abwesenheit von Jauccron und ließ sich zu einer Merache in den Orbit bringen. Das schlanke, sichelförmige Schiff wurde wenig benutzt, und jetzt hatte Montfur Gelegenheit, es nach langer Zeit selbst zu fliegen. Ohne Besatzung machte er sich auf den Weg und steuerte Versarii an, das nächstgelegene Schwarze Loch im vorderen Spiralarm Neyscuurs, wenn man aus Richtung Gorandaar kam. Schon lange war niemand mehr aus dieser Richtung gekommen, und Montfur wollte versuchen, dies zu ändern. Er flog nach Gorandaar und von dort in den intergalaktischen Leerraum hinein. Der Alarm raste durch die Städte. Sie hatten sich zur Konferenz eingefunden wie in jedem Jahrhundert. Sie bildeten eine Burg um die Hauptstadt Heyderan herum. Die Schilde flammten auf, und die Automaten gaben die Tasterergebnisse an alle Verarbeitungsgeräte weiter. Eine einzelne Merache! Ein Schiff der Anoree! Istan Baiamor spürte, wie Unruhe ihn befiel. Es war lange her, seit die Raumstädte Kontakt zu den Planetenbewohnern gehabt hatten. Er wußte nicht einmal, ob die Merache zu den Anoree gehörte, oder ob andere Wesen angekommen waren. Der Raumstädter hielt sich streng an die Vorschriften, die vor vielen Jahrtausenden ausgearbeitet worden waren. Er sandte einen Funkspruch aus Speicher zwölf aus und wartete auf Antwort.
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Sie kam sofort, und der Fremde schickte ein Bild von sich und einen Stimmenkode. „Montfur, Rat von Jauccron, wünscht die Stadtväter und Stadtmütter zu sprechen!" Baiamor zuckte zusammen. „Montfur?" flüsterte er. „Was ist das für ein Name?" Er erinnerte ihn an etwas, was sich vage in seinen Gedanken abbildete. „Bist du allein?" erkundigte er sich. „Ich bin allein. Ich fliege die Merache selbst. Bitte erlaubt mir, mit einem Zyken nach Heyderan zu kommen und zu euch zu sprechen." „Was willst du?" „Ich will euch um etwas bitten!" „Einverstanden. Komm!" Istan Baiamor schaltete die Verbindung aus und wandte sich an die Automaten. „Ist es wirklich ein Anoree?" „Ja, es sieht so aus", erhielt er zur Antwort. „Dann schickt alle Lotsen zu mir. Jeder, der Augen hat, soll kommen!" Es war eine Seltenheit in dieser Zeit, und es kamen auf eine Stadt höchstens zwei oder drei Lotsen, die sich dieser Tortur unterwarfen, einen Teil ihrer Sinne verkümmern zu lassen und dafür das Augenlicht zu behalten. Schon lange war man dazu übergegangen, die Lotsen bereits nach der Geburt zu bestimmen und ihnen ihr natürliches Augenlicht zu belassen. Sie waren gegenüber früheren Lotsen mit künstlichen Augen benachteiligt, doch sie erfüllten ihren Zweck für die Raumstädte. Und sie waren ein Zeichen dafür, daß die Raumstädter sich nicht bedingungslos ihren eigenen Maschinen ausliefern wollten.
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Fünfzig Lotsen waren es, die sich im Zentrum von Heyderan versammelten, während draußen im All der Zyken schwebte und darauf wartete, daß die Stadt endlich ihren Schild ausschaltete. Als es geschah, da ging ein Ruck durch das kleine Schiff. Es raste herbei und dockte auf einer der Plattformen an. Eine Schleusenverbindung bildete sich, wenig später betrat der Fremde die Stadt. Es war tatsächlich ein Anoree, und der Alarm in den Städten erlosch. Ein Aufatmen ging durch die Wohnebenen, und ein Gong verkündete den Willkommensgruß. Baiamor erwartete Montfur an der Festhalle, und er schüttelte ihm nach alter Tradition der Raumstädte die Hand. „Du hast uns einen Schrecken eingejagt", sagte er. „Willkommen bei den Außenseitern des Volkes!" „Ihr seid keine Außenseiter!" Montfur ließ sich in die Halle führen, wo sich die Lotsen aufhielten. Getränke und synthetische Früchte erwarteten sie, und sie setzten sich an einen großen runden Tisch, aßen und tranken. Erst danach durchbrach Istan Baiamor das Schweigen. „Lange haben wir nichts von Jauccron und Passavay gehört", flüsterte er. „Hat es einen besonderen Grund, daß du kommst? Schickt der Rat dich?" „Ja und nein. Es hat einen besonderen Grund, aber ich komme aus eigenem Antrieb. Die übrigen Mitglieder des Rats wissen nichts von meiner Mission!" „Es geht um die Schwarzen Sternenstraßen!" Baiamor hustete verhalten. „Braucht ihr Wächter, Techniker?" „Istan Baiamor!" Montfur hob eine Hand. Seine dunkle Stimme ließ den Raumstädter erschauern. „Es ist keine Lappalie, die mich zu euch treibt. Hört mir zu. Ich werde euch alles berichten. Denn ihr wißt nichts. Noch nie hat ein
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Raumstädter den Weg in die neue Heimat seines Volkes gefunden." Er begann zu erzählen, sprach von der Entwicklung im Petanis-System und den Gefahren, die die Anoree bedrohten. Die Sternenstraßen, die waren in guten Händen. Im Notfall brauchten sie keine Anoree, um zu funktionieren. „Es geht um unser Volk, dem wir alle angehören! Die Anoree befinden sich in einer Sackgasse. Die Evolution stagniert. Es fehlt eine Alternative. Degeneration greift um sich. Dem stehen die Raumstädte gegenüber. Sie bergen Impulse in sich, die den Planetenbewohnern helfen könnten!" „Wir sind nicht in den Leerraum gezogen, um bei Bedarf als Hilfstruppen gerufen zu werden, Montfur. Konntest du dir das nicht denken?" „An so etwas hat noch nie jemand gedacht, Baiamor. Du schätzt die Gedankengänge eines Planetariers völlig falsch ein. Die Raumstädte leben in der Isolation. Es gibt auch hier schon lange keine Entwicklung mehr. Ihr bescheidet euch mit dem, was ihr habt. Wo sind eure geistigen Horizonte? Gibt es neue Steigerungen eurer Empfindsamkeit? Nimmt die Schärfe eurer Sinne zu? Habt ihr philosophische Gebäude konstruiert, nach denen ihr lebt? Oder vegetiert ihr nur dahin?" Die Worte schlugen ein wie Bomben. Die Lotsen und die Augenlotsen saßen da und starrten in die Luft oder die Richtung, in der Montfur saß. Sie hatten alles erwartet, nur keine rhetorische Offensive. „Ich fahre fort", erklärte der Rat von Jauccron. „Worin unterscheidet ihr euch von der Passivität der Anoree auf den beiden Planeten? Die Lethargie ist dieselbe, die Selbstzufriedenheit stimmt überein, selbst der Atemrhythmus ist ähnlich. Hier in den Städten, um Sauerstoff zu sparen, auf
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den beiden Planeten aus Gründen der Wohlbeleibtheit. Was gedenkt ihr für euren Teil dagegen zu tun?" „Wir leben so, wie es uns richtig scheint!" Baiamor atmete schwerer als zuvor. Jedes Luftholen wurde zu einem rasselnden Schnaufen. „Willst du es uns verbieten?" „Nein. Aber ich denke, daß es im Sinn jener früheren Helden unseres Volkes ist, wenn wir uns Gedanken darüber machen. Die Lebensverhältnisse beider Gruppen haben sich verändert. Die Anoree auf den Planeten leben in Saus und Braus, alles fällt ihnen in den Schoß. Sie haben ihre Kreativität verloren, die sie früher auszeichnete. Und ihr? Längst kommen keine Fremden und keine Artgenossen mehr hierher. Sie bringen nichts, womit sich eure Gedanken befassen können, keine Neuigkeiten, keine Erfindungen, keine Scherze und keine Gedankenmuster. Was bleibt euch, außer daß ihr euch auf selbst beschränkt? In zehntausend Jahren werden die Raumstädte ausgestorben sein. Jeder Teil des Volkes kann ohne den anderen nicht leben! Vergeßt nicht das Erbe Alander Telaants, der vor langer Zeit den Weg aufgezeigt hat!" Irgendwo auf der linken Seite des Tisches lachte einer. Montfur ruckte mit dem Kopf zur Seite und starrte ihn an. „Wer bist du?" fragte der Raumstädter mit deutlichem Spott in der Stimme. „Kommst du vom Erziehungspersonal? Haben sie dich als Lehrmeister geschickt?" Montfurs Gesicht ließ nicht erkennen, was er dachte. Er stand auf und klopfte mit den Fingerknöcheln auf den Tisch. „Mein Aufenthalt ist beendet!" meinte er. „Ich danke euch für die erwiesene Gastfreundschaft. Wie es aussieht, werde ich nie die Gelegenheit haben, mich zu revanchieren!" Er wandte sich zum Ausgang und verließ die Stadt auf dem Weg, den er gekommen war. Wenig später hob der Zyken ab
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und kehrte zu der Merache zurück. Sie nahm Fahrt auf und verschwand in der Schwärze des Alls. Istan Baiamor kehrte in die Steuerebene zurück und verfolgte den Vorgang. „Es wird der letzte Besuch eines Schollenkäfers bei uns gewesen sein", stellte er fest. „Aber was wird aus uns?" Petanis leuchtete hellgelb, ein winziger Ball zwischen vielen weißen und gelben Sonnen. Einst hatten die Vaasuren diesen Stern ausfindig gemacht und den Anoree Aufnahmen der Sonne und der zwei Planeten geliefert, die sich beide in der Biosphäre des Sonnensystems befanden. Später dann, als Aylay immer mehr erkaltete und keine Lebensmöglichkeit für das Volk mehr bot, hatte sich innerhalb von wenigen Jahrzehnten der Exodus vollzogen. Es war gekommen, wie Telaant es einst vorausgesagt hatte. Nicht die harte Sonnenstrahlung oder die Beben hatten die Anoree zum Aufbruch gezwungen, sondern die zurückgehende Wärme Gameshs. Und so waren sie knapp siebzigtausend Jahre nach der Übernahme des Erbes umgesiedelt und lebten nun schon mehr als zweitausend Jahre auf Jauccron und Passavay. Über zweiundsiebzigtausend Jahre, in denen es keine Annäherung gegeben hatte. Über dreißig Jahre, in denen nun schon die Sonden außerhalb des Petanis-Systems wachten und auf Echos ganz bestimmter Art warteten. Doch plötzlich, an diesem heißen Sommertag, gaben zwei der Sonden Alarm. Wenig später übertrugen sie erste lichtverstärkte Aufnahmen. Übergangslos wurde es still auf Jauccron und Passavay. Montfur rief den Piloten seiner Merache. „Gib mir das Bild herunter!" verlangte er.
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Der Pilot tat es mechanisch, ohne es sich bewußt zu sein, und Montfur betrachtete die zwanzig leuchtenden Gebilde, die sich mit hoher Geschwindigkeit näherten und an Petanis vorbeirasten. „Die Machraban kommen!" schrie jemand, der sich in die Frequenz eingeschaltet hatte. Montfur brachte ihn zum Schweigen. „Bei Aylay! Es sind nicht die Herren der Straßen!" rief er aus. „Wenn jemand als die Herren der Straßen bezeichnet werden kann, dann ist es unser Volk! Dies dort ist jemand anders. Es sind genau zwanzig. Achtung, ich rufe den Rat von Jauccron und Passavay. Unsere verlorenen Kinder kehren zurück. Heute ist ein ergreifender Tag für unser Volk!" Seine Meldung verbreitete sich innerhalb von Sekunden auf beiden Planeten. Die Anoree gerieten völlig aus dem Häuschen, und Montfur stürzte aus dem Haus zu seinem Luftbus, der ihn zum kleinen Hafen brachte, wo wenig später sein Zyken in den Raum hinausraste. Er durfte es nicht verpassen. Mit eigenen Augen wollte er es sehen. Er konnte kaum die Minuten abwarten, bis der Zyken die Atmosphäre Jauccrons hinter sich gelassen hatte. Dann sah er die bizarren Gebilde, die sich in der Verzögerungsphase befanden, und auf seinem Bildschirm zeichnete sich übergangslos das Gesicht Istan Baiamors ab. Der Raumstädter war alt geworden, sehr alt. Sein Gesicht war eingefallen und von Sorgen gezeichnet. „Volk der Anoree!" verkündete er mit schwankender Stimme. „Wir haben uns entschieden. Wir kehren zurück. Alander Telaants Vermächtnis erfüllt sich damit. Die Raumstädter bitten die Bewohner von Jauccron und Passavay, sie an der neuen Heimat teilhaben zu lassen."
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Es war der Moment, in dem Montfur sich in die Funkverbindung einschaltete. „Willkommen daheim!" rief er aus. „Der Augenblick ist gekommen, auf den unser Volk so lange gewartet hat. Geht in den Orbit, zehn Städte um Jauccron, zehn um Passavay. Eure Stadtführer werden bereits in den Hauptstädten Jauccrona und Passavay erwartet. Ihr seid uns willkommen, Brüder und Schwestern. Ihr wart die Brücke im All, die es ermöglicht hat, daß wir jemals nach Neyscuur gelangt sind. Hier haben wir unsere zweite Heimat gefunden, hier soll auch eure zweite Heimat sein!" Vor Ergriffenheit versagte ihm die Stimme. Er lauschte Baiamors Antwort und wußte bei jedem Wort deutlicher, daß seine heimliche Mission ein Erfolg gewesen war. Die Raumstädter hatten sich besonnen. Der letzte Teil des großen Volkes der Anoree hatte zurückgefunden, war heimgekehrt. Die Raumstädte hatten den Weg über Gorandaar und das Black Hole aguiri genommen, das als besonders leistungsfähig galt. Sie waren gemeinsam gekommen, in einem dichten Pulk. Und keine von ihnen war zurückgeblieben, das war das Entscheidende. Die Bastionen zwischen der großen Galaxis Neyscuur und dem schütteren Sternenhaufen Gorandaar besaßen keine technische Funktion mehr, seit der Weg nach Aylay über die Sternenstraßen führte. Die Isolation der Raumstädte hätte über kurz oder lang in den Untergang geführt. Eine der Triebfedern des anorischen Volkes hätte sich damit von selbst ausgeschaltet. Montfur hatte es gewußt, deshalb hatte er sich auf den Weg gemacht. Die Rückkehr der Raumstädte stellte seinen persönlichen Triumph im Lauf der kurzen Lebensspanne eines Anoree dar.
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9. Der Streuner
Er kam aus den Tiefen Neyscuurs, ein Ausgestoßener, ein Gejagter. Niemand wollte ihn haben, denn ihm haftete der Ruf eines Unglücksbringers an. Die Aiscrou spielten mit ihm, woben ihn in ihre Häuserfassaden ein und vergaßen ihn fast. Mehr durch einen Zufall wurde er gerettet, und danach suchte er fluchtartig das Weite. Sein Schiff raste in die Sternenflut der Galaxis hinaus, und ein Funkspruch eilte ihm hinterher und überholte ihn. „Seht euch vor, der Urvater aller Anoree kommt! Der Streuner ist unterwegs!" Er nahm den Hyperfunkspruch auf und fragte sich, warum ihm dieses Schicksal beschert war. Geboren auf Passavay, ohne erbliche Vorbelastung. Sein Aussehen war das der Anoree, wie sie vor gut hunderttausend Jahren ausgesehen haben mochten, damals, als noch niemand von einem Erbe und einer neuen Epoche des Volkes geträumt hatte. Mit den letzten Energiereserven seines Schiffes durcheilte er Neyscuur und kehrte zu jener Welt zurück, auf der er einst ausgesetzt und von mitleidigen Eingeborenen aufgenommen und großgezogen worden war. Ein Anoree unter lauter plattgesichtigen Vogelabkömmlingen. Er hatte ihre Sprache gelernt, dieses Zischen und Schnalzen, Gurgeln und Piepsen. Erst relativ spät hatte er die ersten Hinweise auf seine Herkunft erhalten. Er war nach Jauccron und Passavay geeilt und hatte Nachforschungen angestellt. Ohne Ergebnis. Niemand fühlte sich zuständig, und nach wenigen Wochen reiste er ernüchtert und völlig deprimiert ab.
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Sie wollten nichts mit ihm zu tun haben. Es gab keinen Anoree mit Namen Fliederlieder. Es durfte ihn einfach nicht geben. Also machte er sich auf und übte sich in Trotzverhalten. Er wollte es ihnen zeigen. Irgendwo zwischen den Welten seiner ersten und zweiten Heimat errichtete er ein kleines Handelszentrum, unter falschem Namen und mit Hilfe von Gestaltprojektionen. Er schuf sich finanzielle Unabhängigkeit, die es ihm ermöglichte, quer durch die Galaxis zu fliegen und auf den Spuren seines Volkes zu wandeln, das ihn nicht haben wollte. Er entdeckte furchtbare Dinge. Bei den Anoree dieses Zeitalters schien es in Mode gekommen zu sein, unerwünschten Nachwuchs auf fremden Planeten auszusetzen und ihn damit quasi dem Tod auszuliefern. Auf Jauccron und Passavay standen hohe Strafen auf ein solches Delikt, deshalb wählten gerissene Väter lieber den Weg einer kostspieligen Urlaubsreise. Fliederlieder wurde Zeuge, wie ein kleines Mädchen von einem Roboter in einem Gebüsch auf einer unbewohnten Dschungelwelt deponiert wurde. Die Maschine stampfte davon und wurde auf halbem Weg zum Raumschiff von einer Explosion zerrissen. Der Anoree ohne Nationalität nahm das wimmernde Bündel mit sich und trug es zu seinem Kugelschiff transotischer Herkunft. Er nahm es mit zu seinem Handelszentrum und zog es auf. Es wuchs zu einer wunderschönen und intelligenten jungen Frau heran von schlankem Wuchs und mit großen, wasserblauen Augen. Sie hatte ihre Scheu vor dem urwüchsigen, gedrungenen Anoree abgelegt, der inzwischen wußte, daß er einer Laune der Natur entsprang, die längst verändert geglaubte Erbsubstanzen neu belebt hatte. Sich selbst empfand er als letztes Exemplar einer alten Rasse, als Zeichen
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dafür, daß der nächste Schritt der Evolution noch nicht vollständig vollzogen war. Hing es damit zusammen, daß Jauccron und Passavay eine Phase ausgesprochener Dekadenz durchmachten? Die junge Frau trug den von ihm ausgewählten Namen Dranoga, ein schöner Name, wie er fand. Immerhin paßte er besser zu einer Anoree als Fliederlieder. Dranoga verliebte sich in ihn, und irgendwann zwischen zwei wichtigen Terminen schlössen sie einen Ehevertrag, und in den darauffolgenden Jahren gebar sie ihm drei Kinder. Das Handelszentrum und die Familie blühten und gediehen, aber noch immer war da etwas in ihm, das nagte und zehrte. Nächtelang sprachen sie gemeinsam über das Problem, bis sie zu der Erkenntnis gelangten, daß er wieder hinaus mußte in die Leere, den Spuren zu folgen und alles zusammenzutragen, was einst das so stolze Volk der Anoree ausgemacht hatte. Fliederlieder kehrte nach Sublimenti zurück und wurde von seinem Ziehvolk wie ein König empfangen. Er hatte nichts von seiner Sprache verlernt, beherrschte jede Nuance wie eh und je. Und er klagte ihnen sein Leid. Einen ganzen Monat blieb er bei ihnen, und als er zu seinem Schiff zurückkehrte, weil die Sehnsucht nach seiner Familie ihn erfaßte, da wußte er, wie er es am besten anstellen konnte. Er hatte bei den Aiscrou noch etwas gut. Sie warteten die Stationen der Schwarzen Sternenstraßen, und die Vaasuren prüften ihre Arbeit und verwalteten das riesige Netz. Ohne die beiden Lebensalter der Scuuru wären die Anoree in dieser Zeit verloren gewesen. Sie hätten das weitmaschige Netz nicht halten können. Das Erbe wäre unbrauchbar geworden. Die Aiscrou verschafften ihm eine kostenlose Passage nach Gorandaar und zurück. Er nahm seine Frau und die Kinder mit, das Handelszentrum arbeitete in dieser Zeit vollautomatisch
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und mit Hilfe von Gestaltprojektionen für Fliederlieder kein Problem. Sie erreichten den sternenarmen Haufen im aguiri, und Fliederlieder verschaffte sich einen Überblick über die Umgebung des sterbenden Sterns. Er flog Sarkay an, die Eiswelt unter ihrem ewigen Panzer. Und er ließ das Kugelschiff über der ausgeglühten und noch immer heißen Oberfläche Olkurs entlangdriften. Dann lenkte er es hinüber zum zweiten Planeten, der nur noch eine dünne Lufthülle besaß. Aylay lag trostlos und verlassen da, eine Welt mit geringer Vegetation in Steppenform und Ozeanen, die nur noch zwei Drittel ihrer ursprünglichen Größe besaßen. Das also war die frühere Heimat, die Welt, auf der sein; und Dranogas Volk einst als einziges in Gorandaar entstanden war. Fliederlieder wußte, was er wollte. Gemeinsam mit Dranoga verließ er das Schiff, während die Kinder in der Obhut von Robotern zurückblieben. Ein altertümlicher Zyken brachte sie hinunter auf die Oberfläche, und als die abgenützten Schrunde und Klüfte sie empfingen und er den Zyken auf einer spärlich bewachsenen Ebene absetzte, da spürte er tief in sich, daß für ihn persönlich eine neue Zeit anbrach. Es war der Hauptkontinent, auf dem sie standen, und unter dem Steppengras lag verdeckt von Schutt und Erde eine Stadt. Nach einem kurzen Ausflug in leichten Schutzanzügen hinaus auf die kalte Oberfläche bestiegen Fliederlieder und Dranoga ein kleines Boot und flogen zum Äquator. Sie suchten die namenlose Insel auf, wo das Denkmal stand. Selbst hier, in der wärmsten Zone des Planeten, wehte ein eisiger Wind, und die leichten Anzüge vermochten es kaum, die Kälte zurückzuhalten. Das trübe, dunkelrote Auge von Gamesh stand knapp über dem Horizont. Sobald die Nacht einsetzte, würde
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Frost über das Land ziehen und die gelben und braunen Steppen mit weißem Reif überdecken. Mitten auf der Insel ragte das Denkmal auf, eine kleine Pyramide. Als sie darauf zuschritten, knisterte das Gras unter ihren Schuhen und zerbröselte zu feinem Mehl. Die Pyramide selbst bestand aus einem schimmernden, anthrazitfarbenen Material, und sie gingen einmal um sie herum. In die vier schrägen Seitenflächen waren fremdartige Symbole eingraviert, die Ornamenten ähnelten, sich bei genauem Hinsehen jedoch als Schriftzeichen entpuppten. „Die Schrift unserer Urväter!" flüsterte Dranoga. Fliederlieder verneinte. „Es sind die Worte des Erbvertrags", erklärte er. „Es ist die Schrift der Machraban, der Durr-ai-Rajmscan. Sie sollen seit jener Zeit nicht mehr aufgetaucht sein." „Wie hießen sie, diese Wesen?" Er wußte es nicht zu sagen, er kannte nur die beiden Begriffe, und da er sie dem belauschten Funkverkehr zwischen Jauccron und Passavay entnommen hatte, ging er davon aus, daß kein Anoree mehr wußte als er selbst. „Wir könnten es herausfinden, wenn wir längere Zeit auf Aylay verbringen würden", meinte Fliederlieder. „Aber das wird wegen der Kinder nicht gehen!" „Es wird gehen, wenn wir sie herunterbringen könnten!" Er sah ein, daß dies die einzige Möglichkeit war. Sie kehrten in das transotische Kugelschiff zurück. Sie landeten es auf dem Hauptkontinent ganz in der Nähe einer großen Metallkonzentration, die die Taster unter der Oberfläche ausgewiesen hatten. Die nächsten Tage standen im Zeichen der Automaten, die draußen baggerten und sich in das Erdreich fraßen, während die beiden Erwachsenen drinnen im Schiff mit den Kindern
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spielten. Immer wieder mußte Fliederlieder hinaus, um sich die Funde vor Ort anzusehen und zu entscheiden, wo weitergemacht werden sollte. Am fünften Tag stießen die Maschinen auf einen Turm. Er besaß eine Galerie, und dahinter gähnten dunkle Öffnungen, die einstmals Fenster gewesen sein mußten. „Hier dringen wir ein", entschied der Anoree. „Wir graben den Turm innen aus und sehen uns um!" Es erwies sich als einfach, denn als die Etage vom Dreck befreit war, stellte sich heraus, daß alle anderen Stockwerke durch ein Querschott in einem Schacht abgesichert waren. Ein gefahrloses Eindringen nach unten in den Turm war möglich, und Fliederlieder und Dranoga machten sich an die Arbeit. An den Haltegriffen im Schacht hangelten sie sich abwärts und durchsuchten die einzelnen Etagen, soweit sie noch begehbar waren. Je tiefer sie hinabstiegen, desto umfangreicher wurde die Ausstattung der Räume, und schließlich entdeckten sie eine Tür mit altertümlichen Zeichen in anorischer Sprache. Sie versuchten sie zu lesen, aber es gelang ihnen nicht. Fliederlieder öffnete die Tür, und das trübe Licht einer Notstromversorgung glomm auf. Der Raum war vollgestopft mit technischen Anlagen, und die Konsolen waren den Anoree irgendwie vertraut. Sie schalteten mehrere Geräte ein. Die Notbeleuchtung flackerte ein wenig, aber die Energie reichte aus. Ein Bildschirm erhellte sich, und sie sahen den Beginn eines Filmes und hörten Worte, die sie verstanden. „Es ist ein Archiv!" stellte Fliederlieder fest. „Welche Glücksfügung. Wir sehen Aufzeichnungen über die Vergangenheit unseres Volkes!" Mit angehaltenem Atem lauschten sie den Worten, die von einer weiblichen Anoree gesprochen wurden.
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„Aylay im Jahr des Geschenks!" verkündete sie. „Aufzeichnungen des Rates, autorisiert von Alander Telaant, dem Vertreter der Raumstädte! Nachträglich ergänzt von Gardner Vomont und späteren Ratsmitgliedern! " Die beiden Anoree sahen sich an. „Raumstädte?" dehnte Dranoga. „Wir haben noch nie etwas davon gehört. Waren es Stationen im Orbit um Aylay?" Er rollte mit den Augen und betätigte eine Taste für die nächste Seite. Mit einem unterdrückten Schrei fuhr er zurück. Er sah einen Anoree, der ihm mit Ausnahme der Gesichtszüge völlig glich. Auch Dranoga betrachtete verblüfft das Bild. „Jetzt hast du es als Beweis", sagte sie. „Du bist die letzte Urausgabe der früheren Gestalt unseres Volkes. Und so haben damals die Frauen ausgesehen!" Das Bild hatte gewechselt, die freundliche Frauenstimme setzte ihre Darstellung fort. „Diese Berichte sind für die Nachwelt gedacht", teilte sie mit. „Das nächste Bild zeigt Telaant, den Raumstädter aus der Leere zwischen den beiden Galaxien!" Sie musterten Alander Telaant und entdeckten die künstlichen Augen in den Augenhöhlen. Und dann lauschten sie ergriffen seinem Bericht. Sie erfuhren von Montfant und der Entwicklung der Jahrhunderte. Sie sahen die Bilder der Phantomerscheinungen und Telaants Zeichnung. Fliederlieder stöhnte. „Nach dieser Zeichnung baut unser Volk seit langer Zeit die Sichelschiffe, die jetzt verrotten, weil nur noch wenige an der Weltraumfahrt interessiert sind!" „Bald wird es zur Begegnung kommen", erläuterte Telaant, „und mein Beauftragter wird die Datei ergänzen bis zu dem Zeitpunkt, da unser Volk den Gawalat antritt und das Unternehmen Jauccron beginnt!"
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In knapper, aber eindringlicher Form wurde das Erbe und dessen Übernahme dargestellt. Die Machraban waren abgebildet und in Aufnahmen dokumentiert, bei denen sie sich bewegten. Sie hießen Amarena, und Fliederlieder und seine Gefährtin sogen den Namen förmlich in sich hinein. Amarena! Das, was jedoch nach dem Antritt des Erbes kam, war wenig schmeichelhaft für die Anoree. Es kam zu einer Stagnation in der Entwicklung des Volkes, der technische Niedergang trat ein. Als Gamesh nicht mehr genug Wärme abgab, sahen sich die Anoree nicht in der Lage, Kunstsonnen im Orbit um den Planeten zu errichten. Sie mußten ihre Welt verlassen. Sie zogen um nach Jauccron, und mehrere Gedanken beseelten sie dabei. Als Erben der Schwarzen Sternenstraßen hatten sie es nicht mehr nötig, sich um Aylay zu kümmern. Das Universum stand ihnen offen. Sie träumten von einer bedeutenden Rolle in einer Galaxis wie Gorandaar, und sie nahmen das alte Angebot der Vaasuren an und wurden auf den Welten der Sonne Petanis heimisch. Sie ließen es sich gutgehen, und nach einiger Zeit waren sie sogar zu bequem, sich um die Schwarzen Sternenstraßen und Stationen hinter den Ereignishorizonten zu kümmern. Sie kamen auf die Vaasuren zurück und bezogen die Aiscrou mit ein. Sie machten sie zu Verwaltern und Kontrolleuren der Straßen, und sie ließen viele Völker in vielen Galaxien an diesem Netzwerk teilhaben, gegen Gebühren natürlich. So wurden die Welten Jauccron und Passavay immer reicher, und die Anoree immer degenerierter. Es fehlte ihnen ein Schub. Fliederlieder wandte sich Dranoga zu. „Es muß diesen Schub irgendwann gegeben haben", sagte er. „Ich habe davon gehört. Aber was es war, das kann niemand mehr sagen!"
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Sie forschten weiter in diesem Speicher und fanden die Hinweise auf die Rückkehr der Raumstädte zweitausend Jahre nach der Umsiedlung ins Petanis-System. Fliederlieder war ungewöhnlich erregt, und Dranoga mußte ihn beruhigen. „Ich will sie finden", sagte er. „Ich muß sie finden. Es muß irgendwo eine Spur dieser Gruppe geben. Die Raumstädter sind in den Anoree aufgegangen. Ihr Erbmaterial muß sich gehalten haben. Was ist aus dem technischen und ethnischen Schub geworden, den sie erzeugt haben?" „Bist du ganz sicher, daß sie einen solchen Schub erzeugt haben und nicht einfach nur zu ihrem Volk zurückkehrten, weil sie selbst keine Perspektive mehr hatten?" Er sah sie lange schweigend an, und in seiner geistigen Versunkenheit merkten sie beide nicht, daß es im Turm gefährlich knackte. Eine Kontrollampe blinkte, doch sie sahen es nicht. „Ich bin mir sicher. Raumstädte kann man demontieren. Aber das Erbgut von Wesen, die Jahrzehntausende in der Leere zwischen den Galaxien gelebt hatten, läßt sich nicht einfach vernichten. Es hat nie in der Geschichte unseres Volkes irgendwelche genetischen Veränderungen oder Manipulationen gegeben. Dieser Bereich war für die Wissenschaft immer tabu, und ein paar Gewissenlose konnten sich nicht halten. Allerdings sehe ich auch hier schwarz für die Zukunft. Wie weit wird die Degeneration gehen? Ist sie umkehrbar?" Er fuhr herum. Ein Dröhnen ging durch den Turm und ließ ihn die Aufzeichnungen vergessen. Er faßte nach seiner Gefährtin und riß sie durch die Tür hinaus in den Korridor. Sie eilten zum Schacht und stiegen hinein. So schnell sie konnten, kletterten sie empor. Von oben schallte ihnen Sirenengewimmer entgegen.
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„Schneller!" keuchte Dranoga. „Wir müssen raus!" Aus dem Schiff erreichte sie ein Funkimpuls, der besagte, daß sich der Turm unter dem Druck der umgebenden Erdmassen verformte. In den Wänden knirschte es, das Metall begann sich zu verbiegen. Irgendwo über ihnen gab es einen Knall, und eine stinkende Brühe ergoß sich über den Schacht und hüllte sie ein. Sie begannen zu husten, und ihre Augen tränten. Weit über sich nahmen sie den diffusen Lichtfleck des offenen Einstiegs wahr. Fliederlieder hetzte die Griffe empor und schwang sich hinaus in die Etage. Er fuhr herum, griff nach Dranoga und zerrte sie hinter sich her. Über ihnen splitterte die Decke. Das Metall zerbarst, und ein Gewirr aus Kabeln und Wabenteilen stürzte auf sie herab. Der Anoree riß instinktiv die Arme empor, um seinen und Dranogas Kopf zu schützen. Ein Schlag traf ihn an der Schulter und riß ihn von den Beinen. Im Fallen drehte er sich und warf sich über seine Gefährtin. Hitze raste durch seinen linken Arm, und er stieß einen Schrei aus. Undeutlich nahm er durch die Wolke aus Staub und Schmutz hindurch den Schatten eines Roboters aus dem Schiff wahr. „Dranoga!" ächzte er. Sie legte ihm eine Hand auf den Mund. „Nicht sprechen!" verstand er. Der Klang ihrer Stimme ließ ihn das Schlimmste befürchten. Was dann kam, entzog sich seiner Kenntnis. Fliederlieder verlor das Bewußtsein. Die Luft roch frisch und war angenehm kühl. Er blinzelte und starrte die weiße Decke mit den bunten Lampen an. Er wollte sich aufrichten, aber es ging nicht. Seine Lippen waren spröde und rissig, und er befeuchtete sie mit der Zunge. Ein überraschter Ausruf ließ ihn aufatmen. Ein Schatten fiel über ihn, Dranogas Gesicht tauchte auf. Sie strich ihm über die Stirn und weinte vor Freude.
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„Was ist. . .", begann er. „Wo bin ich?" Er erschrak über den Klang seiner Stimme. „Du bist aufgewacht", hörte er sie sagen. „Nach so langen Tagen bist du endlich aufgewacht." Er wollte sich bewegen, aber es ging nicht. Etwas hinderte ihn, und er erinnerte sich an die letzten Augenblicke im Turm. „Das Schiff", flüsterte er. „Bin ich im Schiff?" „Rena-Klinik Undemeit", sie lächelte und versuchte ihn damit zu beruhigen. „Du bist auf Jauccron!" Er zuckte zusammen. Jauccron! „Hast du mich . . .?" Sie bestätigte es ihm. „Es ging nicht anders, Flieder. Die Roboter des Schiffes hätten dich nicht retten können. Du hast viel Blut verloren!" „Die Kinder. ..!" „Es geht ihnen gut. Sie halten sich noch in der Kugel auf. Anfangs gab es Probleme beim Anflug und der Landung, weil es ungewöhnlich war, daß eine Anoree in einem fremden Schiff kommt. Inzwischen dürfte die Verwaltung auch herausgefunden haben, wer da gekommen ist!" Eine Tür glitt auf, ein Mann in einem grünen Mantel trat ein und beugte sich über das Luftbett, in dem er lag. „Kein Fieber mehr", stellte er fest. „Du wirst bald gesund sein, Fliederlieder!" Der Anoree mit dem Aussehen eines Urahnen gab keine Antwort. Er starrte auf das rechte Ohr des Arztes. Es war künstlich. Bei allen Planeten und Sonnen, der Mann trug ein künstliches Ohr. Und als er jetzt den rechten Ärmel zurückstreifte und ein Mikroterminal bediente, quollen Fliederlieder fast die Augen aus dem Kopf. Das Terminal war in das Fleisch des Armes implantiert. „Telaant!" ächzte er. „Telaant!"
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Der Arzt zuckte zusammen und musterte ihn aufmerksam. Er prüfte den Zustand seiner Pupillen. „Du sprichst ein großes Wort aus!" meinte er. „Woher hast du den Namen? Er ist in der Bevölkerung schon lange nicht mehr verbreitet!" „Telaant war einer der Helden der Vergangenheit. Der Raumstädter trug wesentlichen Anteil daran, daß die ... die Machraban uns das Erbe übergaben. Er und Montfant sind die Größten unseres Volkes gewesen!" Der Arzt betätigte erneut sein Mikroterminal. „Wir haben hier einen interessanten Fall", sagte er. „Ich denke wir sollten eine Sitzung einberufen!" Er aktivierte das Luftbett und schob es aus dem Zimmer hinaus auf den Korridor. Dranoga hielt sich neben ihm, und so kam Fliederlieder sich nicht völlig verloren vor. Seine Gedanken drehten sich im Kreis. Immer wieder starrte er auf das Ohr und den Arm. Und plötzlich begriff er. „Telaant ist ein geheimes Losungswort, nicht wahr?" fragte er. Der Arzt gab keine Antwort. „Der Schub ist ausgeblieben, aber das Erbe ist noch da!" fuhr er fort. „Die Erbinformationen der Raumstädter haben sich erhalten. Sie müssen nur aktiviert werden. Was seid ihr? Eine Geheimorganisation? Vermutet ihr einen Spion in mir?" Erneut nestelte der Arzt an seinem Arm. „Gorunt an Administration. Eine Sitzung im herkömmlichen Sinn erübrigt sich. Er weiß alles. Wir sollten ihn dennoch befragen, woher er das alles weiß. Sein Zustand ist stabil, so daß vom medizinischen Standpunkt keine Bedenken bestehen!" Eine Antwort war nicht zu vernehmen, der Anoree hörte sie vermutlich in seinem künstlichen Ohr. „Was weißt du noch?" erkundigte Gorunt sich.
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„Alles. Meine Gefährtin und ich wissen sogar, wie sie heißen!" „Wie wer heißt?" „Die durr-ai-rajmscan, die Herren der Straßen!" Die Eröffnung brachte den Arzt völlig aus der Fassung. Er riß an dem Luftbett und bugsierte es in einen Aufzug und wenig später in einen runden Saal, in dem mehrere Männer und Frauen warteten. Sie musterten ihn aufmerksam, und in der spiegelnden Decke sah Fliederlieder zum ersten Mal, was mit ihm selbst los war. Der Einsturz hatte ihm den linken Arm und einen Teil der Schulter abgequetscht. Beides war durch künstliche Teile ersetzt worden. Die Wundränder hatten sich in den Tagen und Nächten seiner Bewußtlosigkeit bereits geschlossen, so daß es aussah, als habe man einen Teil seines Körpers lediglich in eine metallische Folie verpackt. Er wußte es besser. Gorunt beugte sich über ihn. „Wir sind die Organisation der Wanderer!" eröffnete er ihm und Dranoga. „In uns lebt das Erbe der Raumstädter fort. Da unsere Ethik eine genetische Aufbereitung verbietet, überlassen wir alles einer natürlichen Entwicklung. Der Schub, von dem du sprachst, wird vielleicht erst in der Zukunft eintreten. Wir jedoch wollen nichts dem Zufall überlassen. Wir sind nicht von dieser Lethargie ergriffen, die weite Teile unserer Bevölkerung erfaßt hat. Deshalb nennen wir uns Wanderer. Du aber", er machte eine bedeutungsvolle Pause, „bist mehr als ein Wanderer. Du bist eine Rückbesinnung der Evolution, vielleicht das letzte Beispiel, wie unsere Vorfahren einmal ausgesehen haben. Alle kennen dich als Streuner, und du bist tatsächlich die lebendigste Steigerung eines Wanderers. Deshalb bringt dir dein eigenes Volk so wenig Verständnis entgegen. Keiner will etwas mit dir zu tun haben. Bei uns aber
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bist du willkommen. Du brauchst dich nicht zu verstecken. Du bist ein Symbol für die Zukunft. Du bist ein cantarui!" Fliederlieder lag lange Zeit reglos da. Seine Blicke suchten Dranoga und kreuzten sich mit ihren. „Bin ich das wirklich?" Sie rollte zur Bestätigung mit den Augen. „Den Amarena sei Dank!" stieß er hervor. Die Wanderer reagierten nicht darauf. Vielleicht hielten sie die Amarena für Vogelgötter des Volkes, bei dem er aufgewachsen war. Fliederlieder jedoch dachte, daß sie es verstanden hätten. Bei der Befragung sprachen sie ihn nicht darauf an, und er erwähnte den Namen der Machraban nie mehr. Auch Dranoga schwieg. So ging der Name der Wesen verloren, die ihr Amagorta gesucht und gefunden hatten.
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10. Die Sucher Die Orbitalfeier war vorüber, und Montfant fragte sich, wie der Planet früher einmal ausgesehen haben mochte. War er eine blühende Welt gewesen wie Jauccron oder Passavay? Längst war nichts mehr davon zu erkennen. Harte Strahlung einer alten, fast schon toten Sonne hatte die letzten organischen Spuren getilgt. Tektonische Verschiebungen hatten alles eingeebnet, was einmal Berg oder Tal gewesen war. Es gab keine Flußbetten mehr und keine Vertiefungen von Ozeanen. Nur eines war noch da. Die Pyramide stand noch immer unversehrt auf dem Untergrund, und niemand vermochte die Schrift zu lesen, die in ihre Seitenflächen eingraviert war. Was bedeutete das? Waren es die Anweisungen zur Benutzung der Sternenstraßen? Niemand wußte es, aber die Pyramide war das einzige Andenken an die Machraban, an die Alten Herrscher, die auch Herren der Straßen genannt wurden. Es war ganz gut so, dachte Montfant, daß niemand diese Dinge wußte. Denn längst galten die Anoree als die Herren der Straßen, und die wechselvolle Geschichte in der Benutzung der Schwarzen Löcher hatte dem Volk viele neue Erkenntnisse gebracht. Andere Völker hatten die großzügigen Konzessionen mißbraucht und waren mit riesigen Flotten in andere Galaxien eingefallen. Wieder andere hatten versucht, die Stationen hinter dem Ereignishorizont zu besetzen und ihre Technik zu kopieren. Die Anoree waren gezwungen gewesen, Schiffe zu bewaffnen und dorthin zu senden, um die Zerstörung der Stationen zu verhindern. Es war vieles zusammengekommen,
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und jetzt war die Entscheidung gefallen. Die Konzessionen wurden nicht mehr verlängert. Die Programme in den Stationen löschten sich mangels Erneuerung des Termin-Kodes. Nur noch Sichelschiffe der Anoree durften die Schwarzen Sternenstraßen befahren. Und auch da waren vom Rat Grenzen gesetzt worden. Sowohl, die Regierung Jauccrons als auch die Akademie von Passavay hatten sich gegen eine willkürliche Nutzung ausgesprochen. Technik gehörte unter schärfste Kontrolle, denn sie beeinträchtigte die Lebensqualität des ganzen Volkes. Montfant ließ sich im Pilotensitz des Beiboots zurücksinken. Die allgemeine Bevölkerung auf den beiden Planeten wußte nicht mehr viel oder gar nichts über diese Dinge. Manchmal schimmerten in Nachrichtensendungen solche Informationen durch. Niemand beachtete sie, die Anoree richteten ihre Gedanken auf wichtigere Dinge. Montfant lächelte wehmütig. Aylay, wie lange war das her? Gemessen am Zustand des Planeten rechneten die wenigen Wissenschaftler unter den Philosophen der Akademie mit knapp zwei oder etwas über zwei Millionen Jahren, seit das Volk seine Ursprungswelt verlassen hatte, um sich in der großen Galaxis Neyscuur anzusiedeln. Es war eine Zeitspanne, die sich jedem Vorstellungsvermögen entzog. Hätte Montfant einem Passanten auf der Schwebestraße etwas darüber gesagt, hätte dieser ihn für einen Verrückten gehalten und den Betreuungsdienst alarmiert. So hatten sich die Zeiten geändert. Es zeigte sich sogar daran, daß die Zahl der Benutzer von Schwebestraßen ständig zurückging. Alles, was mit Technik zu tun hatte, wurde äußerst distanziert betrachtet, eine
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Zeiterscheinung, wie Montfant dachte. Er haßte jede Art von Extremismus, es entsprach nicht seiner Philosophie und auch nicht der der übrigen Anoree mit Ausnahme einer kleinen Minderheit. Aber sie als Anoree zu bezeichnen, war schon wieder eine Auslegungssache. Streunende waren es, cantarui. Sie dienten nicht dem Auftrag des Volkes. Sie halfen nicht, die Suche zu einem erfolgreichen Ende zu bringen. Doch gerade die Suche war das Wichtigste in dieser Zeit, und die Anoree würden es nie unterlassen, sie fortzusetzen und das Netz der Schwarzen Sternenstraßen zu befahren, um nach den Machraban Ausschau zu halten. Irgendwo mußten sie zu finden sein. Ein Anruf ging bei ihm ein. Er kam vom Regierungschef und lief über die Privatfrequenz. „Vergiß deinen Termin nicht", erinnerte Doralan ihn. „Die Diskussion wird auf beide Planeten übertragen. Wir versprechen uns davon sehr 'viel. Wer von den cantarui reden wird, ist noch nicht bekannt. Ich nehme an, daß sie es geheimhalten, um uns zu überraschen." „Ich werde mein Bestes geben", versicherte Montfant. „Aber ich weiß noch nicht genau, was ich sagen werde." Doralan wünschte ihm viel Glück, und der Anoree steuerte sein Beiboot zum Mutterschiff zurück. Es beschleunigte und steuerte auf das Black Hole zu, das es zurück nach Neyscuur brachte. Stunden später glitt es bereits in einen Orbit um Jauccron, und Montfant ließ sich mit einer Fähre hinab auf die Oberfläche bringen. Ein Gleiter holte ihn ab und brachte ihn zu der Übertragungsstation. In einem der unteren Räume machte er sich frisch und wechselte die Kleider, dann ließ er sich vom Antigrav hinauf in den Saal tragen. Die Sitzreihen waren bis auf den letzten Platz besetzt. Überall sah er die gelben Farben der Anoree, die sich der
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Technik verschrieben hatten. Dazwischen leuchtete das helle Grün der Anhänger der Naturverbundenheit. Alle ähnelten sich in ihrer halbtransparenten Haut und der völligen Haarlosigkeit, ihren schmalen, schlanken Gestalten und den nach hinten ausladenden Köpfen, auf deren Vorderseite die Gesichter gerade die untere Hälfte einnahmen, blasse, runde Augen, eine lange und schmale Nase fast ohne Flügel, ein winziger Mund mit sinnlichen Lippen. Fast alle Anwesenden besaßen makellose Gesichter, nur ab und zu waren Transplantate und künstliche Gesichtsteile zu erkennen. Montfant setzte sich still in die vorderste Reihe, wo für ihn ein Platz reserviert war. Er blinzelte ein wenig in die Aufnahmesonde, die über dem Rednerpult hing und den Saal filmte. Vermutlich lief die Übertragung bereits. Als Moderator fungierte ein Automat, der hereinrollte und lediglich die Verfahrensweise verkündete. Montfant sollte als erster sprechen, und er bedankte sich, erhob sich und schritt zu dem aus Holz gefertigten Rednerpult, das Wärme ausstrahlte und Behaglichkeit vermittelte. „Was ist Wahrheit?" begann er. „Wahrheit ist etwas Allgemeingültiges. Daß wir einst das Wissen über die Nutzung der Schwarzen Sternenstraßen von einem anderen Volk erhalten haben, daß wahrscheinlich vieles unserer heutigen Technik von den Machraban stammt, das ist Wahrheit. Nur wenige unter uns wissen es, und es spielt keine große Rolle mehr. Aber gerade dieses Teilwissen ist es, das Zweifel in uns weckt. Es bestimmt unser Leben und Suchen. Wer waren die anderen, wie sahen sie aus und wie hießen sie? Lehrten sie uns nur die Bewahrung ihres Erbes, oder wollten sie, daß wir dieses Erbe ausbauten und entwickelten? Wie viele Niedergänge hat unser Volk in dieser langen Zeit erlebt, die wir auf zwei
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Millionen Jahre schätzen? Sind es alte Aylay-Jahre oder neue Jauccron-Jahre? Wurde die Zeit früher auf Passavay gemessen, was bedeuten würde, sie wäre um ein Drittel länger gewesen? Wir wissen es nicht. Wir wissen nur eines: Solange das Volk der Anoree in seiner jetzigen Form weiterexistiert, wird es überleben. Und es wird die Garantie bieten, daß die Schwarzen Sternenstraßen ordentlich verwaltet werden. Gerät unser Volk auf Abwege, ist es um das Erbe schlecht bestellt. Ja, ihr hört richtig und könnt den Klang meiner Worte gut verarbeiten. Die Droidisierung, die aus einer Modeidee entstand und zu einer Weltanschauung für einen kleinen Teil unseres Volkes wurde, sie ist ein Abweg, der in eine Sackgasse führt. Deshalb rufe ich alle Cantaro auf, diesen Weg zu überdenken!" Mit voller Absicht nannte er sie nicht cantarui, denn der Begriff hatte sich im Lauf von vielen Jahrtausenden zu einem Schimpfwort entwickelt. „Bewahrt meine Worte auf. Sie werden eines Tages zum Maßstab für euch werden. Ihr seid ein kleiner Teil unseres Volkes, aber doch eine starke und große Gruppe. Was bringt euch die Droidisierung, wenn ihr damit die Anoree zum Untergang verurteilt!" Er setzte sich und musterte die Zuhörer. Die Anoree bedachten ihn mit Beifall, die Cantaro schwiegen. Als sich endlich einer von ihnen erhob, da war es Scarfur, der Schiffsbauer. Er stolzierte zum Rednerpult und ließ die stählernen Arme darauf sinken. „Mein Gewicht liegt um die Hälfte über dem eines Anoree!" begann er. „Meine Reaktionsschnelligkeit ist doppelt so hoch, und kein Tor hält den Tritten meiner Beine stand. Dies sind jedoch nur die äußeren Aspekte meines Daseins. Ich besitze zwei Gehirne, ein organisches und ein variotronisches.
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Letzteres verarbeitet tausendmal so viele Prozesse gleichzeitig als das organische und das mit einer wahnsinnigen Geschwindigkeit. Wenn das organische schläft, arbeitet es unbemerkt weiter. Wenn ich aufwache, stehen alle Lösungen für eine Umsetzung in die Praxis bereit. Zur Steuerung eines Schiffes benötige ich keinen zusätzlichen Automaten, und ich habe zwei Frauen und elf Kinder. Dies sind die Vorzüge eines Cantaro gegenüber einem Anoree." „Und diese Vorzüge belasten dich nicht? Hast du nicht das Gefühl, mehr Maschine als Lebewesen zu sein?" rief Montfant laut und mit vibrierender Stimme. „Ich bin ein perfektioniertes Lebewesen. Die Vorzüge des anorischen Körpers und die Vorzüge der implantierten Module ergänzen sich. Wie alle Anoree sind auch wir Cantaro Gegner von Genmanipulationen. Aber wir vertreten die Ansicht, daß jeder die Möglichkeit haben sollte, seinen Körper gegen Unfälle und Gefahren zu schützen, wie sie beim Befahren der Sternenstraßen ab und zu auftreten. Warum sollte man diese Möglichkeit unterdrücken oder sie denen verwehren, die sie anwenden wollen? Wenn du so willst, Montfant, bin ich der Ausweg aus einer rein organischen Sackgasse der Evolution. Soviel zu deinen Warnungen, die Unfrieden zwischen den beiden Volksgruppen stiften. Kannst du mir einen logischen Grund nennen, warum die Cantaro auf dem falschen Weg sind?" „Ja!" Diesmal stand Montfant auf. „Ein variotronisches Gehirn kann von außen beeinflußt werden. Du kannst zu einer gesteuerten Maschine werden, die dein organisches Gehirn unterdrückt. Dann bist du kein Anoree und kein Cantaro mehr, sondern ein technisches Monstrum mit ein paar Fleischbrocken, das durchaus auch als Tötungsmaschine eingesetzt werden kann!"
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„Wir arbeiten daran, Montfant. Es wird eine Möglichkeit geben, daß das organische Gehirn dem künstlichen nur aus freien Stücken die Oberhand läßt und die Kontrolle jederzeit zurückverlangen kann." „Wenn nicht jemand kommt und es abstellt. Wer gibt uns die Gewißheit, daß die Cantaro sich nicht eines Tages auf Jauccron zu einer Horde von Mordbestien entwickeln, ohne Hemmungen und Moral?" „Diese Gewißheit hat auch im umgekehrten Fall niemand. Wer schützt uns Cantaro davor, daß die Anoree nicht in ideologische Raserei verfallen und unseren Kontinent mit allen seinen Bewohnern vernichten?" „Die Geschichte gibt diese Gewißheit. Wir sind ein friedliches Volk mit hoher Ethik und unübertroffenem Verantwortungsbewußtsein. Wir mischen uns nirgends ein und achten auf die Erhaltung unserer Kultur. Ihr aber habt die Achtung vor eurem Körper verloren, den die Natur euch gab. Da kann es nicht mehr lange dauern, bis ihr auch die anderen Werte verliert!" Scarfur sah ihn durchdringend an. Er legte die beiden Hände auf das Rednerpult und musterte die grüne Holzmaserung. „Wir werden die anderen Werte nicht verlieren. Wir machen keine Weltanschauung aus unserer Andersartigkeit. Hüte dich, uns in den zivilisatorischen Untergang hineinreden zu wollen. Du tust uns und euch keinen Gefallen damit. Und jetzt entschuldige uns, wir haben zu tun. Ich habe soeben einen Funkspruch empfangen." Er setzte sich in Bewegung und eilte zum Ausgang. Die anderen Cantaro folgten ihm. Montfant sah ihnen nachdenklich nach. Ich wünsche dir von ganzem Herzen, daß du recht behältst, dachte er.
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Als die letzten Cantaro gegangen waren, erhob auch er sich. Scarfurs überhasteter Aufbruch ließ erkennen, daß etwas von Bedeutung vorgefallen war. Montfant wollte herausfinden, was es war. Die bordeigene Sternenkarte bezeichnete das Black Hole als thyrame, und es lag am Rand des Netzes, etwa dort, wo der Sektor begann, in dem die Sternenstraßen endeten und die umfassende Karte der 100-Millionen-Lichtjahre-Raumkugel einen großen weißen Fleck besaß, ein Gebiet also, das vermutlich wie alle Bereiche mit Galaxien auch Schwarze Löcher besaß, die aber nicht befahren werden konnten. Das waren nicht einmal Baustellen. Es gab dort keine Trupps von Anoree, die hinter den Ereignishorizonten der Black Holes Stationen in Position brachten, um die Singularitäten als Abstoßmechanismus einzusetzen und die Verbindungen zu anderen Schwarzen Löchern zu knüpfen. Es handelte sich um Niemandsland, und kein Sichelschiff hatte jemals diesen Bereich befahren. Die verantwortlichen Gremien auf Jauccron und Passavay gingen sogar davon aus, daß es sich um einen Bereich mit toten Galaxien handelte, in denen kein Leben entstanden war. Wie anders war es zu erklären, daß das Volk der Machraban ihn ausgespart hatte und er eine Lücke in der Raumkugel bildete. Dort gab es nichts zu suchen und zu besuchen. Deshalb blieb der Bereich auch in den Anweisungen an die Sucher unberücksichtigt. Sie konzentrierten sich auf jene Bereiche, in denen die Schwarzen Sternenstraßen lagen. Die Station hinter dem Ereignishorizont von thyrame besaß die Form einer Doppelspirale und unterschied sich damit von den meisten Stationen innerhalb des Gefüges der Straßen. Gonifar gab einen Impuls an sie ab, und sie baute einen Zugstrahl auf und holte das Sichelschiff zu sich heran. Die
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MIRUBAL dockte am oberen Schleusenstutzen an, und der Anoree verließ sein Schiff und begab sich in die Station. Zwei Aiscrou empfingen ihn und lamentierten über die schlechten Zeiten, in denen es kaum etwas zu tun gab. Sie führten ihn in den Kontrollraum der Station, wo er mit der Automatik kommunizierte. Gleichzeitig liefen alle Taster des Sichelschiffs und holten Informationen über das Innere des Black Holes ein. „Die Werte an Fremdmasse innerhalb von thyrame haben sich noch nie verändert seit der Erbauung dieser Station", eröffnete ihm der Automat, eine Antwort, die Gonifar an anderer Stelle schon hundertmal gehört hatte. „Über Störungen ist nichts bekannt." Der Anoree beschloß, den Automaten zu bluffen. „Die Machraban sind hier!" behauptete er. „Sie halten sich auf einem Planeten innerhalb des Schwarzen Loches versteckt. Diese Welt ist optisch nicht auszumachen, und sie besitzt offenbar auch einen Masseschutz. Wo genau liegt sie? Kannst du eine Verbindung dorthin projizieren!" „Erklärung unverständlich. Es gibt hier keinen versteckten Planeten und keine Machraban, du mußt einer falschen Information aufgesessen sein. Sieh selbst nach, wenn du im Zweifel bist!" Gonifar schluckte eine bissige Bemerkung hinunter. Natürlich konnte er mit seinem Schiff nicht beliebig innerhalb des Schwarzen Loches umherfliegen. Je weiter er sich der Singularität näherte, desto größer wurde die Gefahr, daß er den starken Gravitationskräften nicht mehr entkommen konnte und in die Singularität hineinstürzte. Dann würde es ihm ergehen wie so vielen Suchern vor ihm. Er würde nicht mehr zurückkehren, und sein Schiff würde nie mehr auftauchen. Irgendwann würde es aus den offiziellen Listen gestrichen werden.
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Die Rubrik lautete „Verluste in der Sucherflotte. Wert gestiegen auf siebenundzwanzig Prozent". Der Anoree tauschte noch ein paar belanglose Informationen mit der Steuereinheit aus, dann ließ er sich von den Aiscrou zum Stutzen zurückbringen und suchte sein Schiff auf. Dort ließ er sich die Ergebnisse der Tastung vorführen. Sie bestätigten, was er in der Station erfahren hatte. Im Innern von thyrame gab es nichts, wonach sich eine Suche gelohnt hätte. Gonifar dockte ab und entfernte sich ein paar tausend Kilometer von der Station, ehe er das Signal gab. Die Station übermittelte ihm die Impulskette und beförderte ihn übergangslos aus dem Schwarzen Loch über den Ereignishorizont hinaus. Die glitzernde Sternenpracht der Galaxis Nandur überschwemmte seine Optiksysteme, und er musterte den Entfernungsmesser. Das nächstgelegene Sonnensystem wies eine Entfernung von siebeneinhalb Lichtjahren zum Black Hole auf, eine Entfernung, die den Anoree stutzig machte. Er verglich den Wert mit den bisherigen Ergebnissen seiner Suche. Er unterschritt den Durchschnitt um mehr als vierzig Prozent. „Eintrag in das Bordbuch", sagte er laut. „Das System nahe thyrame besitzt einen einzigen Planeten. Ich werde es anfliegen und nachsehen." Er nannte die Uhrzeit und die genauen Koordinaten seiner Position, bezogen auf die Bahn aus dem Schwarzen Loch heraus. Wenn jemals ein Anoree das Schiff finden und das Bordbuch befragen würde, dann konnte er genau den Weg verfolgen, den er mit der MIRUBAL genommen hatte. Gonifar beschleunigte das Sichelschiff und führte es in eine Hyperraumetappe, die ihn bis zehn Lichtjahre auf die entgegengesetzte Seite des Systems brachte. Von dort tastete er sich im mehreren Überlichtmanövern an die kleine, weiße
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Sonne heran. Der Spektraltyp und das Alter des Sterns schienen ihm zu passen. Wenn die Machraban sich nicht das Innere eines Black Holes ausgesucht hatten, wie die Überlieferung der Anoree beinhaltete, sondern sich auf einer Welt in der Nähe niedergelassen hatten, dann hatten sie sich bestimmt eine junge Sonne ausgesucht, die lange brennen würde, und keinen Stern wie Gamesh, der seit zwei Millionen Jahren starb und bald endgültig ausgebrannt sein würde. Und sie hatten es in der Nähe ihres Erbes getan. Ja, Gonifar war sicher, daß sie die Anoree über den langen Zeitraum von rund zwei Millionen Jahren beobachtet hatten, wie sie mit dem Erbe umgingen. Sie konnten zufrieden sein. Ein anderer Gedanke bewegte den Sucher weitaus stärker. War es sinnvoll, nach den Herren der Straßen zu suchen, wenn sich dann herausstellte und für alle Völker Neyscuurs und benachbarter Galaxien offenkundig würde, daß die Anoree gar nicht die Erbauer der Sternenstraßen waren? Für sich persönlich beantwortete er die Frage mit einer klaren Ablehnung. Der Ruf seines Volkes war ihm wichtiger als das Auffinden der Machraban, nur weil der Verlust der Erinnerung an Einzelheiten des Erbes wie ein Stachel im Fleisch des Volkes von Jauccron und Passavay saß. Warum veranstalteten die Politiker und Wissenschaftler regelmäßig Gedenkfeiern im Orbit über Aylay, jener toten Ursprungswelt in Gorandaar, wenn sie nicht einmal mehr wußten, wie die Machraban ausgesehen hatten, und nicht einmal die Schrift auf der ewigen Pyramide lesen konnten. Es war in Gonifars Augen sinnvoller, die Pyramide zu zerstören und die Erinnerung an die wirklichen Herren der Straßen völlig aus dem Bewußtsein der Führenden zu verdrängen. Im Volk selbst hatte sich so gut wie nichts an der Erinnerung darüber
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bewahrt, und die Sucher gehörten zu einem sorgfältig ausgewählten Kreis von Geheimnisträgern mit eingepflanzter Mentalsperre. Keiner von ihnen war in der Lage, unter Zwang und Druck etwas von seinem Wissen preiszugeben. Den cantarui sei Dank, dachte der Anoree. Ohne ihre weit entwickelte Technik der Mikromodule wäre dieser Schutz niemals möglich gewesen! Die Taster maßen das Planetensystem an, und die MIRUBAL legte eine letzte Überlichtetappe zurück und tauchte fünf Lichtminuten außerhalb des Systems in den Normalraum zurück. „Energetische Tätigkeit auf der Planetenoberfläche!" meldete der Automat. „Wir werden angepeilt!" Fast gleichzeitig erwachte die Kommunikationseinheit zum Leben und meldete das Eintreffen einer Hyperfunkbotschaft. Sie kam von der Oberfläche der Sauerstoffwelt. Im Weltraum selbst befand sich keine einzige Flugeinheit. Natürlich! Gonifar frohlockte. Sie haben die Weltraumfahrt längst aufgegeben. Sie gehen auf dieser Welt ihren philosophischen Betrachtungen nach! Es dauerte eine Weile, bis der eingebaute Translator die Sprache analysiert hatte und eine Übersetzung lieferte. Der Anoree hörte sie sich zweimal an, ehe er eine Antwort gab. „Fremder Wanderer, kommst du, um uns in unserer Beschaulichkeit zu stören?" lautete der Text. „Gonifar aus dem Volk der Anoree kommt mit seinem Schiff MIRUBAL. Einer der Erben bittet um Landeerlaubnis! " „Sie sei dir gewährt, da dein Schiff nicht bewaffnet ist!" lautete die Antwort. Der Anoree hatte es nicht anders erwartet und geriet innerlich ins Jubilieren. Sollte es wirklich. ... ausgerechnet ihm..?
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Die Annäherung an den Planeten nahm drei Stunden in Anspruch, und dann senkte sich der schlanke Leib des Sichelschiffs auf die Oberfläche hinab. Ein Peilstrahl leitete es zu einem vorgesehenen Platz auf einer weiten, grasbedeckten Ebene. Die MIRUBAL landete mitten im Acker und sank ein Stück ein. Keine einzige technische Anlage war zu sehen, die Oberfläche des Planeten stellte eine einzige grüne und gelbe Landschaft dar. Gonifar wartete und entdeckte einen Luftgleiter, der sich aus Richtung einer Hügelkette näherte. Das Fahrzeug umrundete das Schiff und senkte sich dann auf der linken Seite nieder. Der Anoree stieg aus und eilte auf das Fahrzeug zu, das sich öffnete und zwei Gestalten entließ. Irritiert blieb er stehen. Die Gestalten waren dunkelgrün schimmernde Roboter. „Willkommen im Reich des Friedens", empfingen sie ihn. „Bist du bereit, unsere Informationsspeicher aufzufrischen und den Frieden dieser Welt zu erhalten?" „Wo sind eure Erbauer? Und wieso lassen sie sich nicht blicken?" „Unsere Erbauer sind vor langer Zeit ausgestorben. Seither wachen wir über ihr Grab." „Wie hießen sie, die Erbauer? Gibt es von ihnen noch welche auf anderen Planeten?" „Wir wissen es nicht. Sie nannten sich Undugelga, und sie waren weise, erhaben und vergeistigt." So mußte sich jeder Anoree die wirklichen Erbauer der Straßen vorstellen. Ein Hort der Philosophie und der Vergeistigung. „Und sie beherrschten die Schwarzen Sternenstraßen?" „Was ist das?" Der Anoree erklärte es. Zu seiner Enttäuschung verneinten die Roboter das. Ihre Erbauer waren nie durch Black Holes gereist.
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„Habt ihr Bilder von ihnen?" fragte er hastig. Sie projizierten ein Hologramm in die Luft, und Gonifar nahm es mit seiner Brustkamera auf. Es zeigte echsenähnliche Wesen, die sich auf vier Beinen fortbewegten und zwei dünne Greif arme unterhalb des Kopfes besaßen. „Das sind die Erbauer", murmelte er verwirrt. Wieso wußten die Anoree nichts von der Reptilienhaftigkeit der Machraban? „Bist du jetzt bereit, deinen Gedächtnisspeicher in unser Reservoir zu entleeren?" Er schluckte krampfhaft und machte ein paar Schritte rückwärts. „Was geschieht danach mit mir?" „Wir werden dich bestatten und dein Schiff demontieren! " Der Anoree zog es vor, ohne Antwort in sein Schiff zu fliehen und den Blitzstart einzuleiten. Während die MIRUBAL ungehindert in den Himmel hinaufraste, haspelte er ein paar Bemerkungen in sein Bordbuch. „. . . ist es nicht wahrscheinlich, daß es sich bei den Erbauern um die von uns gesuchten Machraban handelt", keuchte er. „Auch diesmal hat die Suche kein Ergebnis gebracht." Er setzte seine Fahrt durch Nandur fort. Insgesamt sieben Jahre war er unterwegs, ehe er zu einem der Treffpunkte zurückkehrte. Am versarii begegnete ihm eines der plumpen Schiffe, wie die cantarui sie benutzten, die von sich nur als Cantaro redeten. „Gonifar, hier Mendesal", erhielt er einen Funkspruch. „Ich grüße dich!" Auf dem Bildschirm zeigte sich ein Anoree, der sich von den meisten Mitgliedern seines Volkes lediglich darin unterschied, daß eines seiner Augen durch ein künstliches ersetzt war, und seine Wangen deutlich sichtbare Kommunikationsimplantate aufwiesen. „Gruß zurück."
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Ein Blick auf seine Liste hatte ihm gezeigt, daß es sich bei Mendesal ebenfalls um einen Sucher handelte. „Ich hatte keinen Erfolg. Eine heiße Spur hat sich als nicht brauchbar herausgestellt." Der cantarui grinste und bleckte die Zähne. „Du warst doch am Niemandsland", sagte Mendesal laut. „Wieso hast du nicht dort gesucht, wo es keine Schwarzen Sternenstraßen gibt?" Gonifars Halsadern schwollen an. Er mußte sich an seine Konsole festklammern, um nicht die Gewalt über seinen Körper zu verlieren. „Du neunmalkluger, idiotischer Kerl!" brüllte er und schaltete die Funkanlage verärgert ab. Montfant folgte den zwei plumpen Cantaro-Schiffen im Anstand von zehn Lichtjahren. Er konnte nur hoffen, daß Scarfur sich an Bord befand. Wenn nicht, dann hatte er Pech gehabt. Irgendwo würde er eine Spur finden, die ihn dorthin brachte, wo das Ziel der Streunenden lag. Dort würde es sich herausstellen, ob sie etwas gegen das Volk im Schilde führten. Im Grunde seines Herzens glaubte er jedoch nicht daran. Trotz der geäußerten Bedenken hielt er die Droidischen für loyal gegenüber dem Gesamtvolk. Sie besaßen ihren eigenen Kontinent, auf dem sie lebten, ihre eigene Regierung und eigene Gesetze. Aber alle anderen Bestandteile des planetaren Lebens waren nach wie vor eng mit denen der Anoree verflochten. Bestrebungen einer Abkapselung gab es nicht, Kritik wurde auf beiden Seiten geübt. Es gab Vorurteile, doch die geistige und moralische Entwicklung des Volkes ließ es nicht zu, daß aus diesen Vorurteilen Konsequenzen entstanden. Allgemein herrschte eine bedingungslose Toleranz, nur dann und wann von den moralischen und weltanschaulichen
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.Bedenken der Anoree unterbrochen, die diese der Entwicklung der Splittergruppe entgegenbrachten. Eine Splittergruppe, deren Mitglieder immerhin schon zu Zehntausenden zählten. Die beiden Schiffe führten ihn in die Irre, das merkte er bald. Sie hatten nur darauf gewartet, daß jemand Scarfur beschattete. Montfant ließ das Sichelschiff weiter zurückfallen und drehte ab. Er vollführte zwei Hyperraumetappen, die ihn wieder in die Nähe von Petanis brachten. Aus den zwei Dutzend Tastungen, die er durchführte, filterte er eine heraus, die auf ein Schiff der Streunenden hinwies. Er stellte die ungefähre Flugrichtung fest, und wenig später folgte er der Spur. Sie führte ihn wie erwartet zu einem Schwarzen Loch, und eine Befragung der Station hinter dem Ereignishorizont ergab, daß der cantarui in die Kleingalaxie Hourpha geflogen war. Was sich dort ereignet hatte, darüber konnte die Station keine Auskunft geben. Ein Geheimtreffen? Montfant verließ das Black Hole und kehrte in den freien Raum von Neyscuur zurück. Er haderte mit sich selbst. Am liebsten wäre er nach Hourpha geflogen und hätte sich dort umgesehen. Einer der Automaten des Sichelschiffs erinnerte ihn jedoch daran, daß er längst am Treffpunkt der Sucher hätte ankommen müssen. Sucher waren hektische Wesen, sie hatten nie Zeit und feilschten um jede Minute. Dies war ihr Auftrag, dafür wurden sie hoch entlohnt. Seufzend machte er sich auf den Weg. Die Suche nach den Machraban, welch ein Unternehmen, um den Anoree Gewißheit zu verschaffen und sie aus dem Trauma hinauszuführen, das sie seit fast ewigen Zeiten in seinen Klauen hielt.Ja, es war fast ein Trauma, nichts mehr über die
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Vergangenheit und jene Wesen zu wissen, die den Anoree dieses gewaltige Erbe hinterlassen hatten. Der Treffpunkt lag mitten zwischen den Felsbrocken eines Asteroidengürtels, der den Rand eines unbewohnten Sonnensystems bildete. Als Montfant eintraf, warteten die Schiffe der Sucher bereits. Er bat die Piloten an Bord und ließ sich Bericht erstatten. Es war nicht viel, was aus den Aufzeichnungen und Schilderungen hervorging. Lediglich Fluraban, ein äußerst gewitzter und intelligenter Sucher, konnte mit einer Meldung aufwarten, die Montfants Interesse erregte. In der Neyscuur vorgelagerten Kleingalaxie Hourpha war ein merkwürdiges Objekt aus einem Black Hole gestürzt. Eigentlich handelte es sich, um eine Ansammlung von Trümmern, in denen jedoch energetische Aktivitäten gemessen worden waren. Die Station im Tophama-Black Hole hatte die Werte aufgezeichnet. Eine Suche nach den Trümmern war jedoch zunächst erfolglos geblieben. Montfant lächelte bei diesem Bericht und schickte sogleich einen Hyperfunkspruch mit Primärkode durch die Galaxis, der bis zur Tophama-Station weitergeleitet wurde. Diese löschte die Aufzeichnung, und damit war das Phänomen nicht mehr nachweisbar und auch von anderen wie den cantarui nicht abfragbar. Ich hoffe, ich komme mit dieser Maßnahme nicht zu spät, dachte der Anoree. Worum es sich auch handelt, es wird besser sein, wenn die Streunenden keinen Vorteil daraus ziehen. Montfant war Politiker, daher seine Handlungsweise. Als Wissenschaftler hätte er anders entschieden. Aber solange er nicht wußte, was sich bei den Abweichlern um Scarfur genau abspielte, hielt er es für besser, Vorsorgemaßnahmen zu treffen.
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„Ich danke euch!" sagte er und entließ die Sucher. „Bemüht euch weiterhin! Und vergeßt nicht, den Plan der Sternenstraßen genau einzuhalten!"
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11. Der Aufbruch Merowan hob den Kopf und starrte zu der geblendeten Panoramascheibe hinaus auf die Ebene und den Horizont. Hinter der flachen Silhouette der Berge zeichnete sich eine dünne weiße Wolke ab. Sie trieb langsam empor, zerfledderte und senkte sich den Gipfeln entgegen. Wieder einer! dachte der Anoree bei sich und erinnerte sich an die vielen Wortgefechte, an die Gespräche und die öffentlichen Versammlungen. Wie oft war er aus dem Kreis seiner Familie gerissen worden, damit er mit seiner rhetorischen Überzeugungskraft etwas bewirkte. Es hatte alles nichts genützt, und er hatte es von Anfang an gespürt, obwohl er immer zuversichtlich gewesen war. Jetzt, im siebenundachtzigtausendsten Jahr nach der neuen Verfassung, ließ sich das Unheil nicht mehr aufhalten. Aber war es tatsächlich ein Unheil? Es gab viele Anoree, die bei Befragungen erklärt hatten, es sei ein Glück für das Volk, daß die Außenseiter endlich von Jauccron verschwanden. Niemand wünschte ihnen etwas Übles, aber sie waren immer ein Störfaktor gewesen, und viele Bewohner von Jauccron und Passavay hatten ein ungutes Gefühl gehabt, wenn sie an die Streuner auf dem Kontinent dachten. Ein Leben ohne die cantarui, wie würde es sich gestalten? Nach allem, was Merowan über die Modulisten wußte, wie er sie bei sich nannte, ging seinem Volk damit eine wesentliche Triebfeder der technischen Entwicklung verloren. An den wesentlichen Schalthebeln von Technik und Wissenschaft waren immer Cantaro zu finden gewesen. Die Streunenden bewiesen in technischen Dingen eine verblüffende Seßhaftig-
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keit und Ausdauer, sie waren Initiatoren von vielen Dingen, die das Volk als selbstverständlichen Fortschritt bezeichnete, ohne sich zu fragen, woher er kam. Er kam nicht aus den Gedanken der Lebens- und Jenseitsphilosophen. Entschlossen betätigte der Anoree einen Sensor in der Tischplatte. „Mein persönliches Tagebuch vom achtunddreißigsten Sibfay", begann er. „Ich stelle mir immer wieder die Frage, wie lange es eigentlich her ist. Sind es diese zwei Millionen Jahre, wie unsere Forscher berechnen, oder ist es mehr? Wie kann ein Volk es schaffen, zwei Planeten zu besiedeln und auf ihnen zwei Millionen Jahre leben und das Erbe der Sternenstraßen zu verwalten, ohne daß es untergeht und aus den Annalen des Universums gelöscht wird? Sicher, die Aiscrou und die Vaasuren sind auch noch da. Wir wissen, daß sie fast von Anfang an für uns gearbeitet haben. Das Volk der vier Geschlechter mit seinen Verpuppungen und dem dreimaligen Neuerwachen besitzt keine Geschichtsschreibung, um so etwas zu überliefern. Aber selbst Historie kann verlorengehen, wie unsere eigene Geschichte beweist. Es gab viele Dinge, die dem Volk nie zugänglich waren, und sie hängen damit zusammen, daß lange Zeit mit Erfolg versucht wurde, das Erbe zu unterschlagen. Wir, die Anoree, gelten als die Erbauer der Sternenstraßen, und alles, was mit dem wahren Erbe zu tun hatte, ist nur noch wenigen in der obersten Führungsschicht bekannt. Also, warum jammern wir eigentlich? Wir sollten froh sein, daß unsere lange Suche nach den Machraban keinen Erfolg gezeitigt hat. Solange wir als die Herren der Straßen gelten, ist das Universum in Ordnung.
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Nur, was machen die Cantaro daraus? Was wissen sie? Was verheimlichen sie uns? Niemand kann es sagen. Ich gäbe einen ganzen Planeten darum zu erfahren, warum sie den Kontinent räumen, warum sie uns verlassen und wohin sie ziehen! Vielleicht ist es jetzt an der Zeit, das Siegel zu brechen. Der Informationsträger mit dem Hinweis existiert noch, er ist im Besitz der Regierung. Das Siegel ist etwas über Zwanzigtausend Jahre alt. Ich glaube, es ist jetzt sogar der einzige Zeitpunkt, es zu zerstören und die Informationen einzuholen, die damals gesichert wurden." Er schaltete ab und erhob sich. Mit ein paar raschen Schritten stand er draußen vor der Tür. „Hier Merowan. Ich brauche einen Gleiter", sagte er laut. „Fahrzeug kommt und wird am Ausgang B bereitgestellt", antwortete ein Automat. Ausgang B war der, der seinem derzeitigen Standort am nächsten lag. Er eilte dorthin und schwang sich in den Gleiter hinein. „Zum Regierungsarchiv!" wies er den Autopiloten an. Der Gleiter hob ab und stieg in den Himmel hinein. In der Ferne ragten fünf weiße Säulen über den Bergen auf, eine sechste gesellte sich wenig später dazu. „Das letzte Schiff der cantarui verläßt soeben Jauccron", teilte eine andere Stimme mit, die aus dem Nachrichtenzentrum kam. Merowan ließ den Kopf nach unten sinken und betrachtete die Äderchen unter der halbtransparenten Haut seiner Arme. „Das letzte", murmelte er. „Es sieht aus, als sei es ein Abschied für immer!" Mit dem nächsten Gedanken überlegte er, ob er nicht doch noch etwas dagegen tun konnte. Die Anoree ohne die cantarui, ein Unheilszustand?
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Die Zeit brannte ihm unter den Nägeln. Er hielt den Gleiter zu größerer Eile an, und dieser schaffte es, einen Freikorridor zu bekommen und die mehrere tausend Kilometer lange Strecke in kürzester Zeit zurückzulegen. Merowan sprang aus der Tür, als der Gleiter gerade erst aufsetzte, und eilte in das Gebäude hinein. Die Automaten identifizierten ihn und überwachten seinen Weg. Er rief sich die verschiedenen Kodes in Erinnerung, und endlich stand er vor der Stahltür. Zwei Kameras musterten ihn, und er mußte beide Hände auf die dafür vorgesehenen Platten legen. Als schließlich zweifelsfrei feststand, wer er war, durfte er vortreten. „Ich werde das Siegel erbrechen!" verkündete er und hob die Faust. Ein Schlag gegen das verschnörkelte Wachsornament ließ es bersten und in mehreren Stücken zu Boden fallen. Er beachtete sie nicht, starrte nur die zwei weiteren Schichten an, die sich darunter befanden. Sie waren mit einem scharfen Gegenstand durchgeschnitten. Das Siegel war mindestens zweimal zerstört und jedesmal erneuert worden. Es bedeutete, daß in der Vergangenheit mindestens zwei Anoree vom Inhalt des Informationsträgers Kenntnis genommen hatten. Merowan öffnete die Tür und eilte in den Raum hinein, in dem dunkelgelbes Licht aufflammte. Er trat an den Staubschutz, unter dem der Träger und das Lesegerät standen, und klappte ihn hoch. Langsam und zögernd griff er zu, wog den Kristall in der Hand und legte ihn dann entschlossen in das Gerät. Der kleine Monitor flammte auf, und Merowan erkannte das Abbild eines Artgenossen., „Montfant spricht", klang eine sympathische Stimme auf. „Die Dinge, die sich jetzt ereignet haben, sind von großer Bedeutung und Tragweite.
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Es ist abzusehen, daß sie für die Zukunft unseres Volkes entscheidend sein werden. Eine Horde cantarui hat in der Neyscuur vorgelagerten Kleingalaxie Hourpha ein fremdartiges Gebilde ausgemacht, das wir die Leiche der Mutter nennen. Sie haben mit den Insassen Kontakt aufgenommen, die auf der kleinen Welt unter einer weißen Sonne gelandet sind. Sie kamen mit ihren Trümmerstücken aus dem Sternentor tophama, ihre Namen sind uns nicht bekannt. Die cantarui haben mit diesen Wesen gesprochen, und seither ist eine Änderung im Bewußtsein unseres Zweigvolkes eingetreten. Scarfur ist das beste Beispiel dafür. Er hat sich ganz aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, vermeidet jede Art von Konfrontation. Er läutet eine neue Phase im Zusammenleben auf Jauccron ein. Ich weiß nicht, was es bedeutet, aber es muß wichtig für die Zukunft sein. Ich werde diesen Datenträger in einem versiegelten Raum aufbewahren. Die Mitglieder der Regierung und die Automaten sind angewiesen, daß dieser Raum nur dann geöffnet wird, wenn sich eine völlig neue und überraschende Entwicklung abzeichnet. Ich grüße euch!" Das Bild wurde dunkel, und Merowan starrte die Projektionsscheibe an. Die Leiche der Mutter! Das also war es, was immer dahintersteckte. Und die Hyperraumbeben, die in jüngster Zeit in großer galaktischer Entfernung angemessen worden waren, mußten der Auslöser für den plötzlichen Aufbruch sein! In einer Entfernung von 40 Millionen Lichtjahren war aus dem Nichts eine Galaxis aufgetaucht. Nicht insgesamt, sondern in vier Teilen. Ruckartig fuhr er herum und stürmte aus dem Raum hinaus. Die Tür schloß sich automatisch.
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„Ein Schiff im Orbit bereitstellen!" rief er in Richtung der verborgenen Mikrofone. „Draußen eine Fähre landen. Ich muß mich sofort auf den Weg machen!" Er hetzte den Korridor entlang zum Ausgang. Eine winzige Sonde begleitete ihn. „Hier Regierungssitz", klang eine Stimme auf. Sie gehörte Orphant, dem Minister für Wissenschaft und Technik. „Was ist geschehen?" Hastig berichtete Merowan, und als er endete, da klang irgendwo leises Gemurmel auf. Und dann sagte Orphant: „Du hast freie Hand im Sinne des Volkes!" „Danke!" keuchte er. „Danke!" Die letzten Schiffe verschwanden gerade, als Merowan eintraf und einen Teil der Beschleunigung der SERU-BAL aufhob. Gemächlich driftete er über den Ereignishorizont und ging in eine Parkbahn. Ein Teil der plumpen CantaroFahrzeuge war noch nicht abgestrahlt, und die Station sandte ihm einen Warnimpuls. „Mach schnell!" rief er aus. „Ich will den Anschluß nicht verpassen!" Das Warten wurde zu einer schweren Geduldsprobe. Er begann sich zu fragen, ob die Cantaro gar die Station manipuliert hatten. Längst waren die Schiffe aus dem Bereich des Black Holes verschwunden, und noch immer harrte er auf den Weiterflug. Wurde er ihm verweigert? „Ich will an dasselbe Ziel", murrte er. „Das ist doch kein Problem!" Endlich erhielt er den Impuls und wurde zur TophamaStation abgestrahlt. Von den Cantaro war weit und breit nichts zu sehen. Der Transportimpuls traf ein, und im nächsten Augenblick fand er sich jenseits des Ereignishorizonts und sah die Kleingalaxis vor sich. Und er erkannte den dichten Pulk aus
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rund fünfhundert Schiffen, die sich in der Nähe versammelten. Ein einzelner Raumer flog in das Sternenmeer hinein, und Merowan rief es an. „Warte!" sprach er hastig in das Funkgerät. „Ich will mit dir reden!" Auf dem Bildschirm zeichnete sich ein Cantaro ab, dessen Gesicht sich in nichts von dem eines Anoree unterschied. „Ich bin Drofalar", erwiderte er. „Du kannst uns nicht aufhalten. Wir machen uns auf die Reise. Sie wird uns in weite Fernen führen!" „Dorthin, wo die Leiche der Mutter hergekommen ist? Wo liegt der Ort?" Der Cantaro gab keine Antwort. Er blendete sich einfach aus. Das Schiff beschleunigte und verschwand zwischen den Sternen von Hourpha. Merowan blieb zurück, beschrieb einen weiten Bogen und suchte die Nähe des Black Holes auf. Er wollte mit den anderen Schiffen Kontakt aufnehmen, aber sie reagierten nicht. Der Anoree haderte sich mit sich selbst. Nach über einer Stunde entschloß er sich, die Verantwortung nicht allein auf die eigenen Schultern zu laden. Er kehrte durch das Black Hole zurück nach Neyscuur und löste Alarm aus. Dann zog er sich sofort wieder nach Hourpha zurück und parkte sein Sichelschiff in unmittelbarer Nähe über dem Ereignishorizont. Die cantarui warteten noch immer. Längst stand fest, daß mit dem Pulk der Schiffe alle Streunenden aufgebrochen waren. Kein einziger war auf Jauccron und im Petanis-System zurückgeblieben. „Laßt uns miteinander reden!" versuchte Merowan es wieder. „Warum wollt ihr unser Volk so schnell verlassen? Wann kehrt ihr zurück? Habt ihr wirklich vor, ohne Gruß einfach zu gehen?
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In welchen Bereich der Schwarzen Sternenstraßen führt euer Weg?" Sie gaben noch immer keine Antwort. Dafür reagierte die Regierung auf Jauccron. Ein dichter Pulk von Sichelschiffen tauchte über dem Ereignishorizont von Tophama auf, ein zweiter folgte in dichtem Abstand. Es waren über dreihundert, die sich entlang des Ereignishorizonts verteilten. Die Schiffe der Cantaro zogen sich ebenfalls auseinander und nahmen Abwehrpositionen ein. Mehrere von ihnen gaben Warnschüsse ab, die die Sichelschiffe aber nicht gefährdeten. Kodierte Funksprüche eilten zwischen ihnen hin und her. Sie stellten unter Beweis, daß die Streunenden auf jede Situation vorbereitet waren. Kurz darauf kehrte Drofalar zurück. „Feuer einstellen!" befahl er. „Merowan, gib uns den Weg frei! Wir dürfen es nicht zulassen, daß ihr uns in unserer persönlichen Freiheit behindert!" „Das wollen wir nicht!" erwiderte der Anoree rasch und beobachtete mit Erleichterung, wie sich die Sichelschiffe zu einem Pulk zusammenzogen und dann geschlossen hinter dem Ereignishorizont verschwanden. „Wir werden euch nicht halten. Aber wir appellieren an euer Gewissen. Ihr seid ein Teil unseres Volkes. Wenn dieser Teil uns verläßt, sind wir kein ganzes Volk mehr. Welche Auswirkungen das haben wird, weiß keiner. Aber wir haben Angst. Und wir wollen nicht, daß ihr uns mit einem schlechten Gewissen zurücklaßt, indem ihr euch wie Diebe in der Nacht davonschleicht, wie Kinder, die aus Schmerz und Unglück von daheim ausreißen! Bitte, geht nicht fort! Verlaßt uns nicht!" War es die Wahl des Bildes, die Drofalar beeindruckte, oder etwas anderes? Der Modulist schluckte und verzog das Gesicht zu einem verlegenen Grinsen.
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„Erlaube mir, an Bord deines Schiffes zu kommen!" sagte er leise. „Ich bin sicher, es wird sich alles aufklären!" „Ich bin einverstanden!" Merowan neigte den Kopf. „Die SERUBAL steht dir offen!" Er schickte eine Sonde hinter den Ereignishorizont, und sie überbrachte eine Botschaft an die Flotte. Die Sonde traf fast zeitgleich mit Drofalar wieder ein und meldete, daß sich die Sichelschiffe in das Petanis-System und dessen Nähe zurückgezogen hatten. Was in der kurzen Zeit im Steuerraum der SERUBAL gesprochen wurde, erfuhr niemand. Die Kameras übertrugen jedoch das Bild, als sich der Anoree und der Cantaro brüderlich umarmten und sich dann trennten. Jeder von ihnen wußte, daß es eine Trennung für alle Zeiten sein würde. Die plumpen Raumschiffe setzten sich in Bewegung und flogen auf tophama zu. „Beachtet das Netz der Schwarzen Sternenstraßen!" rief Merowan ihnen über Funk noch nach. Dann waren sie endgültig verschwunden. Niemand wußte, wohin sie gegangen waren. Und als er wenig später die Station hinter dem Ereignishorizont betrat, um festzustellen, welches ihr vorläufiges Ziel gewesen war, mußte er erkennen, daß die Cantaro alle Daten gelöscht hatten. Merowan kehrte nach Jauccron zurück. Er zog sich aus der Politik zurück und schrieb mehrere Bücher in Form riesiger Speicherkristalle, die er der Nachwelt überlieferte. Das Schwarze Loch tophama aber hieß seit jener Zeit antafay-cantaruii, das Loch der Streunenden. Eine Sonde wurde dort postiert, um die Rückkehr der Modulisten zu melden. Aber die Sonde schwieg für den Rest der Existenz des Universums. Nie kehrte ein Cantaro durch das Schwarze Loch zurück.
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12. Das Wettrennen Damiav führte sein Schiff an Petanis vorbei und steuerte es an den beiden Planeten entlang, die auf einer Linie standen. Er schickte mehrere Funksprüche nach Jauccron und Passavay, und die Kandidaten antworteten ihm umgehend. „Noch vierzehn Minuten bis zum Start! Führt einen letzten Uhrenvergleich durch. Wir werden die Flugstrecke möglicherweise verlängern, wenn sie für den Test nicht ausreicht!" Sie taten es, und der Schiedsrichter lenkte das Sichelschiff mit den grünen Blinklichtern in einem Bogen hinüber zu der Boje, die weit hinter Passavay mitten im All hing. „Du kommst früh", empfing ihn die Stimme des Lotsen. „Ich dachte schon, es würde mir langweilig!" „Du weißt, was du zu tun hast", erklärte Damiav im Nahbereichsfunk, so daß er sicher sein konnte, nicht belauscht zu werden. „Bei acht verschiedenen Systemen ist es unwahrscheinlich, daß alle acht gleich gut sind. Die Patentbehörde hat sich zudem mehrmals vergewissert, daß alle acht Konstrukteure unabhängig voneinander gearbeitet haben." „Es ist mir bewußt. Und ich denke, daß gerade das Gegenteil eintreten wird." „Wie meinst du das?" stieß der Schiedsrichter hervor. „Ich denke, daß wir nicht acht Sieger haben werden, sondern acht Verlierer!" „Ich verstehe dich nicht!" brummte Damiav. „Wie kannst du nur so pessimistisch sein!" „Es gibt höhere Werte als die Technik", entgegnete der Lotse. „Ich habe neulich einen der großen Speicherkristalle des früheren Ministers Merowan gelesen. Dort stand einiges
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geschrieben, was ich bestätigt sehe. Hast du dich noch nie gefragt, ob unser Volk ohne die Aiscrou und Vaasuren überhaupt noch in der Lage wäre, die Schwarzen Sternenstraßen zu verwalten? Wer kümmert sich aus unserem Volk um die Ergänzungen und die Verfeinerung der Systeme? Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, in den Medienarchiven nachzuforschen! Es gibt keine Hinweise. Was in früheren Jahrhunderten an neuen Erfindungen getätigt wurde, kam aus den Reihen der cantarui!" „Das glaube ich nicht!" „Kümmere dich jetzt um den Start!" empfahl der Lotse. „Sonst wird das Ganze erst recht ein Hereinfall!" Der Schiedsrichter tat es, und als die Uhr das Signal gab, meldeten die Taster acht starke Energiestöße von den beiden Planeten. Acht Raumschiffe rasten in das All hinein, beschrieben einen engen Bogen und strebten dann dem Zielgebiet entgegen. „Ich habe es dir doch gesagt!" rief Damiav laut. „Sag mal, wie heißt du eigentlich?" „Ich habe keinen Namen!" entgegnete der Lotse und brachte den Anoree damit völlig durcheinander. „Oder hat man dir einen genannt?" „Nein. Aber was soll das?" „Der erste Ausfall! Was habe ich gesagt?" Eines der Sichelschiffe von winziger Größe fiel zurück, setzte den Notruf und wartete auf einen Abschleppkahn, von denen sich mehrere entlang der Rennstrecke postiert hatten. Damiav nahm sie erst jetzt wahr, weil einer von ihnen sich in Bewegung gesetzt hatte, um dem Notruf zu folgen. Zwei weitere Ausfälle folgten innerhalb weniger Minuten. Nach der Hälfte der Strecke bis zu Boje waren von den acht
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Schiffen nur noch drei im Rennen, und der Schiedsrichter wurde nervös. „Ich vermute eine Schweinerei!" murmelte er düster. „Da, der nächste. Und übernächste. Einer wird gewinnen. Meinst du, er hatte die besten Saboteure?" „Es ist vorbei!" entgegnete der Lotse in seiner Boje. „Auch der letzte ist nicht mehr flugfähig. Das beweist, daß ich recht habe. Unser Volk ist nicht einmal mehr zu kleinen technischen Fortschritten fähig. Eine Steigerung der Schubkraft um zehn Prozent! Wenn ich so einen Schwachsinn höre! Hallo, Damiav, bist du noch da?" „Ich höre dich!" „Gut, nimm bitte die Boje an Bord! Wenn wir nicht die Fertigungsanlagen hätten, die seit Jahrtausenden unverändert sind, könnten wir nicht einmal mehr Sichelschiffe produzieren. Und was würde dann aus den Herren der Straßen?" Der Schiedsrichter zog es vor, keinen Kommentar abzugeben. Er holte die Boje an Bord und begutachtete sie. Sie öffnete sich, und ein Anoree stieg heraus, bei dessen Anblick Damiav weiche Knie bekam. „Baduwan! . . . Du?" stammelte er und starrte den Präsidenten der Akademie der Wissenschaften von Passavay an. „Was machst du . . .?" „Ich wollte mich persönlich von dem Hereinfall überzeugen. Komm mit in den Steuerraum. Ich werde einen Bericht abschicken!" Der Schiedsrichter ging ihm voraus und glaubte immer noch zu träumen. Gemeinsam musterten sie die Bildschirme, wo die defekten Kleinsicheln abgeschleppt wurden. Dazwischen tauchten weitere Schiffe auf, ein paar Pulks mit plumpen Leibern. „Alarm!" schrie Baduwan und rempelte den Artgenossen an. „Wann gibst du endlich Alarm?"
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Inzwischen waren es Tausende metallener Kolosse, die mitten im Leerraum vor den beiden Planeten materialisierten. Sie drängten sich dicht an dicht und bildeten ein regelrechtes Heer, groß genug, die beiden Planeten mitsamt ihren Bewohnern zu Staub zu zerblasen. Noch immer rührte Damiav sich nicht. Die Ereignisse überstiegen sein Reaktionsvermögen. Seine Lippen bewegten sich lautlos, und er riß die Augen weit auf. Baduwan stieß ihn zur Seite, um an das Funkgerät zu gelangen. „Hier Jauccron und Passavay!" meldete er sich. Auf den beiden Planeten schien man ebenso entsetzt und starr über die Werte der Raumtastung. „Identifiziert euch und nennt euer Begehr. Bei allen Wissenschaften, diese Schiffe. Damiav, sieh dir bloß diese Schiffe an. Es sind nicht die Originale, sie sind verändert. Aber sie haben noch immer dieselbe Grundform." Der Bildschirm erhellte sich, und der Präsident der Akademie blickte in das Gesicht eines Artgenossen. Er blinzelte ungläubig. Nein, das war kein Anoree, es war ein cantarui, ein Streunender. „Siebenhundert Jahre!" stöhnte er. „Wer bist du?" „Ich bin Shoudar, geboren auf einer der Brutwelten der Milchstraße. Wir sind gekommen, um unser Volk zu sehen. Keiner derer, die damals aufgebrochen sind, weilt noch unter uns. Keiner von uns hat jemals die Heimat gesehen! Bei uns befindet sich ein Sichelschiff, Degruum, Gavval und Shyrbaat sind an Bord! Sie grüßen dich!" „Sie sind wieder da? Auch das ist ein kleines Wunder. Aber sagtest du wirklich Heimat?" Baduwans Stimme bebte und schwankte. Er hatte sichtlich Mühe, die Stimme zu halten. „Ja, du hast richtig gehört. Bitte, sei unser Mittler. Wir ersuchen die Regierung der beiden Planeten, in unsere Heimat
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zurückkehren zu dürfen. Wir werden uns jeder Auflage beugen. Wir wollen nur in Frieden leben!" „Ich brauche nicht Mittler zu sein. Ich bin Baduwan, der Präsident der Akademie der Wissenschaften von Passavay. Mein Wort besitzt dasselbe Gewicht, als wenn es der Regierungschef Jauccrons ausspräche. Ich heiße euch willkommen, Brüder und Schwestern. Wir freuen uns über eure Rückkehr. Unserem Volk hat ein Stück seiner selbst gefehlt. Wir wissen nicht, ob es in der langen Geschichte der Anoree das erste Mal ist, daß ein Teil zum Ganzen zurückfindet. Aber wir hoffen, daß es das letzte Mal ist. Fliegt nach Jauccron in einen hohen Orbit. Laßt euch hinabbringen, der Kontinent gehört noch immer euch. Nichts wurde dort in den siebenhundert Jahren angerührt." „Du hast mich falsch verstanden, Baduwan! Wir sind Cantaro. Die cantarui sind zurückgekehrt, nicht als Invasoren, sondern als Bittsteller. Wir bitten euch, uns eine Heimat zu geben. Wir verlangen nichts zurück, was uns früher einmal gehört hat!" „Du begreifst es noch immer nicht, Shoudar!" Der Präsident schrie fast. „Ihr seid ein Teil unseres Volkes. Wie die Aiscrou oder Vaasuren ein Teil der Scuuru sind. Wir haben immer auf euch gewartet, wir hätten auch in zehntausend Jahren noch gewartet. Ohne euch sind wir ein amputiertes Volk, AnoreeKrüppel. Aber jetzt, jetzt wird alles wieder gut. Ihr seid zurück, und damit erfüllt sich der sehnlichste Wunsch unseres Volkes. Die siebenhundert Jahre haben es uns deutlich vor Augen geführt. Nie mehr wird jemand euch als cantarui beschimpfen, denn ohne eure Rückkehr wäre unser großes Volk zu einem langsamen, aber sicheren Untergang verurteilt. Mehr habe ich nicht zu sagen. Ich heiße euch nochmals willkommen. Ihr seid viele. Wie hoch ist eure Zahl?"
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„Sie ist ungefähr zehnmal so hoch wie bei unserem Aufbruch." „Das macht nichts. Der Kontinent ist groß. Und jetzt macht euch endlich zur Landung bereit!" Etwas wie ein Schmunzeln lag um den kleinen Mund des Präsidenten der Akademie. „Jauccron hat euer Gewicht lange nicht mehr gespürt!" „Wir danken dir, Baduwan. Und wir kommen nicht mit leeren Händen. Wir haben die Machraban gefunden und ihr Schicksal miterlebt. Die wirklichen Herren der Straßen sind nicht mehr. Ihre Existenz hat in einer Sackgasse geendet. Die Amarena sind tot. Wir sind die endgültigen Erben der Schwarzen Sternenstraßen!"
ENDE
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Als PERRY RHODAN-Taschenbuch Band 336 erscheint:
Ernst Vlcek - Der Nakk und die Katze 5-D-Spezialisten auf Gunnavar - die Retter einer Welt. Ein SF-Abenteuer von ERNST VLCEK
„Tom beugte sich über den Abgrund, wo Udivar auf seinem Antigravfeld schwebte. Plötzlich nahm der Nakk Fahrt auf und flog auf die transparent werdende Wand der Isolierstation zu, hinter der schemenhafte Gestalten zu erkennen waren. ,lch muß auch hinüber', sagte Tom entschlossen. Er ließ sich von Glen nicht aufhalten, sondern trat ein paar Schritte zurück. Dann nahm er Anlauf und sprang..." Zirro, so nennen die Bewohner des abgelegenen Planeten Gunnavar die unheimliche Macht, die unerwartet aus dem Hyperraum zuschlägt. Udivar, der Nakk, der Katzen liebt und ein Faible für alles Terranische hat, fühlt sich verpflichtet, Zirro zu bekämpfen. Schließlich stammen die meisten Planetarier von Terra ab und außerdem sind er und sein Kater Caligula die geborenen Hyperraum-Spezialisten. Ein Roman aus dem 12. Jahrhundert NGZ.
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