Franco Solo
Die goldene Hölle
s&c by ab
»Rien ne va plus!« sagte der Killer in Las Vegas. »Nichts geht mehr, Franco S...
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Franco Solo
Die goldene Hölle
s&c by ab
»Rien ne va plus!« sagte der Killer in Las Vegas. »Nichts geht mehr, Franco Solo! Du hast dich überschätzt, und so etwas ist tödlich!« Franco stand mit erhobenen Händen vor der Mündung der auf ihn gerichteten Waffe. Der Killer lächelte, aber sein Gesicht blieb dabei eiskalt. Franco Solo hatte diesen Kerl jagen wollen, rund um die Uhr. Aber der Killer hatte den Spieß einfach umgedreht, bevor Franco davon etwas merken konnte. Und jetzt – jetzt schien ihm das Grab in der Wüste sicher. Jedenfalls sah es in diesem Augenblick ganz verdammt danach aus. »Rien ne va plus - nichts geht mehr …« Für den Mafiajäger war dieser Spruch von einer Sekunde zur anderen grausame Realität geworden … Verlag: Pabel Erscheinungsjahr: 1979
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»Rien ne va plus«, sagte der Drehcroupier mit emotionsloser Stimme und beobachtete aus seinen wässrigen Augen das aus Ebenholz gefertigte Roulettrad. Die kleine, weiße Kugel wurde noch von der Fliehkraft gehalten. Sie bewegte sich parallel zur Drehbewegung des Rades, huschte wie ein flimmernder weißer Streifen durch die Schüssel, verlangsamte dann die Geschwindigkeit und folgte der Erdanziehung. Sie fiel den schwarzroten Nummerfächern entgegen. Die Blicke der Spieler waren gespannt. Jeder lauerte auf seine Chance, wollte an das große Geld kommen und die Dollarscheine scheffeln. Alte Frauen hockten auf den gepolsterten Stühlen, hatten ihre knochigen Finger wie Krallen in das grüne Filztuch der Spieltischbespannung geklemmt und verfolgten mit gierigen Blicken den Lauf der Kugel. Zigarettenqualm stieg der mit Stoff bespannten Lampe über dem Spieltisch entgegen. Er sah aus wie grauer Nebel, wurde dann von einem Ventilator durcheinandergequirlt und verschwand als schemenhafter Streifen. Noch rollte die Kugel. Noch hofften die Spieler auf die große Chance. Der Mann aus Texas hatte auf Plein gesetzt. Tausend Dollar lagen auf dem Feld mit der Nummer zehn. Wenn die Kugel in das entsprechende Fach rollte, dann gewann der Texaner seinen fünfunddreißigfachen Einsatz. Alles oder nichts. Er hatte es gewagt. Er saß dicht an der Schüssel, hatte seinen breitkrempigen Hut in den Nacken geschoben, und seine Augen schienen aus den Höhlen zu quellen. Tausend Dollar. 2
Sein letzter Einsatz. Gewann er nicht, war er blank. Vielleicht konnte er noch darauf hoffen, daß ihm das Hotel den Rückflug in seine Heimat bezahlte. Sonst mußte er trampen. Dick lag der Schweiß auf seiner Stirn. Würde ihm die Kugel diesmal den erhofften Gewinn bringen? Zwischen Mittel, und Zeigefinger der linken Hand steckte die dicke Zigarre. Sie sah aus wie ein Torpedo. Die Asche fiel ab, stäubte auf seine Hose, doch das war dem Mann aus Texas egal. Nur die Kugel zählte. Dieses winzige Etwas aus Elfenbein. Scharf saugte der Texaner die Luft ein. Die Kugel berührte ein Fach. Rot Nummer dreiundzwanzig. Der Texaner stöhnte auf. Dreiundzwanzig lag neben der zehn. Verdammt … Er zitterte, flehte, betete sogar. Die Kugel tickte weiter – nach links, genau in das nächste Fach. In die zehn! Gewonnen! Der Texaner schrie auf. Seine Nervenanspannung mußte sich einfach entladen. Er riß seinen Hut vom Kopf, schleuderte ihn zu Boden. Fünfunddreißigtausend Dollar. Er hatte alles gewagt – und alles bekommen. Herrliches, wunderbares Las Vegas. Endlich. Die anderen sahen ihn an. Die Spieler neidisch, manche verzerrt lächelnd. Nur die Croupiers blieben gleichgültig. Mit monotoner Stimme zählte der Chefcroupier die Gewinne auf. »Mein Geld«, flüsterte der Texaner, »mein Geld …« Er holte tief Luft. Seine Arme fuhren vor. Die Hände glitten über den weichen grünen Stoff des Spieltisches. 3
Da flog die Roulettschüssel in die Luft! Und mit ihr der ganze Tisch. Es war schrecklich. Die Spieler wurden gepackt und wie von unsichtbaren Fäusten nach allen Seiten auseinandergewirbelt. Schreie, Panik, Chaos! Die Hölle brach aus. Im Spielerparadies Las Vegas war der Gangsterkrieg eingeläutet worden … *
Vier Uhr morgens! Gähnend leer präsentierte sich die lange Automatenhalle. Die bunten Lichter an den Einarmigen Banditen waren erloschen. Letzte Spieler verließen die Halle. Die meisten mit entzündeten Augen. Schlurfend bewegten sich die Unentwegten dem Ausgang zu. In einigen Taschen klimperten Münzen. Die meisten jedoch waren um eine Illusion ärmer geworden. Die Betonoase Las Vegas holte Atem. In den Hotelzimmern verloschen die letzten Lichter. Die Gäste gingen schlafen. Aber noch in ihren Träumen ratterten die Automaten oder drehten sich die Roulettkugeln. Da wurde gewürfelt und Black Jack gespielt. Die Jagd nach dem Glück kannte keine Grenzen. Vier Uhr morgens! Das war auch die Stunde der Kassierer, der Automatenleerer. Die Männer trugen blaue Uniformen. Sie hielten Leinensäcke in den Händen und gingen jeden Apparat einzeln ab. Zwei Aufsichtspersonen waren dabei. Männer, die das Vertrauen des jeweiligen Kasinobesitzers besaßen. Kein Dollar durfte in die Taschen der Angestellten fließen. 4
Kalt brannten die Leuchtstoffröhren unter der grünen Decke. Die ersten Automaten wurden geöffnet. Ein Dollarsegen, bestehend aus Münzen, klingelten in die Leinensäcke. Auf einer Liste war jeder Apparat vermerkt, hatte eine Nummer bekommen, wenn er entleert war, wurde die entsprechende Nummer auf der Liste abgehakt. Der Leinensack wurde in einen fahrbaren Wagen gestellt. Und die Einarmigen Banditen warfen. Sie hatten in der vergangenen Nacht ungeheuer geschluckt. Profit für das Kasino. Jede Nacht die gleiche Prozedur. Nichts wich vom Schema ab. Hin und wieder wechselte das Personal, aber das war auch alles. Kalt und nüchtern ging es zu. Jeglicher Glanz war erloschen. Die Kassierer hatten stumpfe Gesichter. Unter den Augen lagen dicke Ringe. Zu wenig Schlaf. Die Folge davon war Überreiztheit oder eben Apathie. Tagsüber ließ der Lärm eine Ruhepause nicht zu. Aber man brauchte den Schlaf und holte ihn sich. Mit Tabletten. Irgendwann halfen die auch nicht. Dann stieg man eben um. Auf härtere Sachen. Der Zusammenbruch war vorprogrammiert. Verfluchtes Las Vegas. Es fraß nicht nur die Wüste wie ein Moloch, sondern machte auch die Männer kaputt. Den Frauen ging es nicht besser. Sie schufteten als Bedienungspersonal. Oft rund um die Uhr. Mehr Stunden brachte mehr Geld. Und mit Geld in der Tasche konnte man vielleicht irgendwann den Absprung schaffen. Vielleicht, wie gesagt. Der nächste Automat. Wieder das gleiche Spiel. Dollars regneten in den Münzsack. Einarmige Banditen machten den größten Gewinn. Damit stand und fiel Las Vegas. Niemand dachte an eine Gefahr. Man war auch zu abgestumpft. Las Vegas war friedlich. Die Mafia hatte nichts 5
mehr zu sagen. Jetzt regierten die Banken und Konzerne. Sie hatten eigene Wachtruppen, die für die Sicherheit der Gäste garantierten. Vor dem Kasino rollte der Wagen aus. Ein Chevi. Vier Türen schwangen auf. Drei Männer entstiegen dem Gefährt. Es war noch nicht abgeschlossen. Die Männer wußten es. Sie sahen elegant aus in ihren blauen Mänteln und den dunklen Anzügen. Die Mäntel waren Tarnung. Für die Maschinenpistolen. Die drei drückten die zweiflügelige Schwingtür auf. Vier Männer kassierten, zwei paßten auf. Drei kamen. Mit ihren MPi’s. Sie wußten genau, wie man es machte. Dicht hinter der Tür fächerten sie auseinander, schlugen die blauen Mäntel zurück und zeigten ihre Waffen. Niemand schrie, niemand warnte. Zu perfekt war die grausame Überraschung. Dann spien die Waffen Feuer. Die Killer streuten. In der langen Halle dröhnten die Echos der Schüsse. Kugelgarben zerschmetterten die Automaten. Glas platzte und Lampen wurden zerblasen, Spiegel brachen. Fünfzehn Sekunden dauerte der mörderische Spuk. Dann verstummten die Waffen. Die Männer verschwanden ebenso rasch wie sie gekommen waren. Zurück ließen sie das Grauen … *
6
Als Franco Solo sich von seinem Sitz erhob und dem Ausgang der Maschine zusteuerte, gingen ihm die Worte durch den Kopf, die einmal jemand über Las Vegas gesagt hatte. »Eine ehrliche Stadt, dieses Las Vegas. Vielleicht sogar die ehrlichste der Welt. Wer hier landet, der weiß, was ihm blüht.« Dem letzten Teil stimmte Franco auf jeden Fall zu. Aber ob die Stadt ehrlich war? Er konnte es nicht mit Bestimmtheit sagen und hatte zumindest seine berechtigten Zweifel. Aber Franco war nicht in die Spielerstadt gekommen, um zu philosophieren – er hatte einen handfesten Auftrag im Gepäck. Und einen verdammt brisanten dazu. Die Mafia machte sich breit. An und für sich nichts Besonderes, nur daß sie in Las Vegas verlorenes Terrain wettmachen wollte, daß paßte einigen Leuten überhaupt nicht. Vor allen Dingen denjenigen nicht, die sich damit brüsteten, Las Vegas gesäubert zu haben. Und das waren die internationalen Hotelkonzerne und Banken. Sie waren die echten Herrscher im Spielerparadies am Rande der Wüste. Sie hatten der Mafiaherrschaft den Garaus gemacht. Begonnen hatte es 1945 mit dem Gangster Bugsy Siegel. Er baute ein Hotel, das er wegen seiner rosaroten Farbe ›Flamingo‹ nannte. Und dann machte sich Bugsy daran, aufzuräumen. Glücksspieler, Diebe, Killer und Zuhälter wurden aus der Stadt vertrieben. Er sorgte dafür, daß die Gäste friedlich über die breiten Straßen gehen konnten, und keine Angst zu haben brauchten, an der nächsten Ecke aufgelauert zu werden. Bugsy und damit die Mafia räumten auf. Wer nicht freiwillig ging, bekam ein kostenloses Grab in der Wüste. Bugsy wurde immer mächtiger, und mit ihm seine Organisation. Irgendeinem wurde er dann zu mächtig. Man verpaßte ihm einen Schuß ins Jenseits. Doch die Mafia regierte weiter. Sie erntete, was Bugsy gesät hatte. Aber da mischten sich die Kirchen ein. Sie wetterten gegen das Glücksspiel, gegen den Moloch Mammon, und die 7
Mafia reagierte. Es wurden Kirchen gebaut. In einem Jahr ein Dutzend. Und so hat diese Stadt heute noch außer dem Vatikan die meisten Kirchen auf der Welt. Es gab keine gezinkte Karte mehr, kein angeschliffener Würfel – Las Vegas blieb sauber. Und die ›Ehrenwerte Gesellschaft‹ kassierte. Was wiederum den internationalen Hotelketten und Banken ein Dorn im Auge war. Gemeinsam mit dem FBI begann das große Aufräumen in der Wüstenstadt. Schließlich stieg noch der Milliardär Howard Hughes mit dreihundert Millionen Dollar in das Spielerkarussell ein, und da konnte die Mafia nicht mehr mithalten. Sie zog sich zurück. Aber sie hatte nicht vergessen. Howard Hughes war tot, der Rubel rollte weiter. Und noch stärker. Hotels und Banken verdienten sich eine goldene Nase. Das wurmte die Mafia. Bei der großen Commission wurde bestimmt, Las Vegas zurückzuerobern. Mit allen Mitteln, denn solch ein Geschäft durfte man sich nicht durch die Lappen gehen lassen. Generalstabsmäßig wurde der Plan ausgearbeitet, die besten Leute bestimmt und sogar aus Übersee geholt, damit man die Lasterhölle wieder unter Kontrolle bekam. Alles wurde geheimgehalten. Nur wenige waren eingeweiht. Aber einer der Eingeweihten verriet den Plan. Plötzlich war der Teufel los. Die Konzerne und Banken spielten nicht nur verrückt, sondern auch ihre Beziehungen aus. Las Vegas wurde zu einem Politikum hochstabilisiert. Die Regierung mußte etwas tun, wollte sie nicht in Zugzwang geraten, und es sich mit bestimmten Wirtschaftskreisen verderben. Sie wandte sich an COUNTER MOB, jene Organisation des Justizministeriums, die zur Bekämpfung des Bandenunwesens 8
ins Leben gerufen worden war. Doch der Zug war schon abgefahren. In Las Vegas gab es die ersten Toten, und die Konzerne reagierten noch hysterischer. Den Druck bekam auch Colonel Warner, Franco Solos unmittelbarer Vorgesetzter, zu spüren. Franco sah ihn noch in seinem Büro in Washington sitzen, grau im Gesicht. »Wir müssen uns etwas einfallen lassen, Franco«, sagte der Colonel mit dem Bürstenhaarschnitt. »Las Vegas hat sich zu einem Pulverfaß entwickelt. Wenn wir die Lunte nicht löschen, fliegt es in die Luft, und ich mit.« »Das heißt, daß Sie unter Zugzwang stehen, Sir«, sagte Franco. »Genau.« Die Sonne fiel schräg durch das Fenster und blendete den Mafiajäger. Er setzte sich ein wenig zur Seite. »Warum hat man nicht früher eingegriffen?« Der Colonel hob die eckigen Schultern. »Wahrscheinlich hat man die Gefahr unterschätzt. Sie kennen doch die Blasiertheit der Mächtigen. Uns kann keiner. Jetzt hat man ihnen das Gegenteil bewiesen.« Warner schlug einen Ordner auf, der mit dem Vermerk ›Top secret‹ versehen war. »Ein Roulettisch ist explodiert. Vier Tote. Gangster haben eine Automatenhalle überfallen. Drei Tote. Es gab Schlägereien und gezinkte Karten, die eingeschmuggelt wurden, und es gab Meuchelmorde. Besonders stehen die Wachmannschaften auf der Abschußliste. Das goldene Las Vegas ist zu einer Goldenen Hölle geworden. Bereits jetzt läßt der Besucherstrom nach. Die Chefs toben, sitzen der Regierung im Nacken. Sie Franco, sind meine einzige Chance. Mehr sage ich nicht.« Franco lachte auf. Es klang bitter. »Wie oft habe ich das schon gehört, Sir. Nicht daß ich kneifen will, aber was soll ein Mann 9
allein gegen die Gangsterpest unternehmen? Hier müßte man mit dem FBI Hand in Hand arbeiten.« Warner schüttelte den Kopf. »Unmöglich, Franco. Wenn die Öffentlichkeit erfährt, daß das FBI unsere Konzerne unterstützt, ist der Teufel los. Sie wissen doch, daß zahlreichen Bürgern Las Vegas ein Dorn im Auge ist. Nein, das ist ein Job für Counter Mob, und damit für Sie, Franco.« Der Mafiajäger nickte. »Okay, ich sehe schon, daß kein Weg daran vorbei geht. Welche Anhaltspunkte habe ich?« Warner schlug einen anderen Ordner auf. »Hier sind die Aussagen des Überläufers vermerkt. Soviel uns bekannt ist, hat man völlig neue Leute geholt. Der Capo stammt aus Palermo. Er hat sich dort die großen Sporen verdient und das Baugeschäft an sich gerissen. Jetzt soll er in den Staaten aufräumen. Sein Name ist Don Augusto Colossimo. Mehr wissen wir nicht.« »Auch nicht, mit wie vielen Leuten er über den Teich gekommen ist?« fragte Franco. »Nein.« Warner zögerte. »Nur ein Name ist uns noch bekannt. Lucio La Salle.« Franco Solo hob die Augenbrauen. »Der Söldner?« »Genau der.« »Dann wird es hart«, sagte der Mafiajäger spontan. Er hatte noch nie etwas von Lucio La Salle gehört, was man auf die positive Seite eines Menschen hätte schlagen können. La Salle war ein Superverbrecher. Italienische Mutter, französischen Vater. Er und seine Crew waren sogenannte internationale Mietkiller. Sie wurden von Politikern ebenso angeworben, wie von Konzernen. Sie lebten irgendwo auf einer Insel, die einem Privatmann gehörte. Auf ihr Konto gingen zahlreiche Morde, und nicht zuletzt waren sie dafür bekannt, daß sie alles perfekt erledigten. Wie La Salle aussah, das wußte niemand. Er und seine Leute 10
kamen, killten und verschwanden. Die explodierte Roulettschüssel sah ganz nach ihrer Arbeit aus. Die Mafia hatte genügend harte Gangster in ihren Reihen. Wenn sie La Salle anheuerten, dann mußte es wirklich um Alles oder Nichts gehen. »Sie wissen also, was Sie erwartet«, sagte der Colonel. »Tun Sie Ihr Bestes, Franco. Es ist in unser aller Interesse.« An die dachte Franco, als er durch den Kurzstreckenjet schritt. Er war aus Los Angeles gekommen, nicht aus Washington. Von Los Angeles nach Las Vegas starteten manchmal vier Maschinen in der Stunde. Die Stewardeß schenkte dem Mafiajäger ein Käsekuchenlächeln, als er an ihr vorbeischritt. Kaum hatte er das Flugzeug verlassen, traf ihn die Hitze wie ein Keulenschlag. Die Sonne brannte erbarmungslos auf die sterile Retortenstadt nieder. Im Westen grüßten die zackigen Berggipfel der Sierra Nevada. Über ihnen stand der Sonnenball wie eine riesige glühende Orange. Franco wußte selbst nicht, wo er den Hebel ansetzen sollte. Man hatte alles seinem Geschick und seiner Spürnase überlassen. Er hatte praktisch nur einen Tip bekommen, und der war mehr als vage. Im Goldenen Cent sollten sich hin und wieder Mafiosi treffen. Mehr war nicht drin. Franco schritt die Stufen der Gangway hinunter. Die neueren, hohen Hotelpaläste überragten alle anderen Gebäude. Überall flimmerte die Leuchtschrift. Auch jetzt, mitten am Tage, zog Las Vegas den Strom der Reisenden gierig an. Die Busse standen bereit, um die Reisenden so rasch wie möglich an das Ziel ihrer Wünsche und Träume zu bringen, denn Zeit ist Geld. Vor allen Dingen in Las Vegas. Es gab auch Verbindungsschläuche, die vom Flugzeug aus direkt in den Terminal führten, aber die waren für die 11
Langstreckenmaschinen vorgesehen. Im Bus war es heiß. Franco wurde von zwei dicken, schwitzenden Frauen eingeklemmt. Beide hielten krampfhaft ihre Taschen fest. Ihre Augen waren rund wie Dollarstücke. Die Frauen versuchten immer wieder nach vorn durch die Scheibe zu schauen, um bereits jetzt einen Zipfel der in den Reiseprospekten versprochenen Glückseligkeit zu erhaschen. Sie würden noch früh genug gerupft. Franco Solo lockerte seine Krawatte. Er trug einen leichten Sommeranzug, allerdings so geschnitten, daß die Waffe unter seiner Achsel nicht zu sehen war. Franco Solo verließ sich auf einen 38er Smith & Wesson Special. Er war gepflegt, denn schon oft war die Waffe Francos Lebensretter gewesen. Schnell fuhr der Bus über das Rollfeld, hielt auf den breiten Terminal zu und stoppte. Wie die Wilden stürzten und schoben die Menschen auf die Türen zu. Franco ging langsamer. Er gehörte zu den letzten Fahrgästen die aus dem Bus stiegen. Er betrat wenig später die klimatisierte Halle und befand sich schon in einer anderen Welt. Lichtkaskaden blitzten intervallartig auf. Eine Lautsprecherstimme erzählte die neuen Witze, und das Gelächter wurde vom Band eingeblendet. Die Wege zu den einzelnen Flugsteigen waren markiert von Einarmigen Banditen. Franco sah die beiden Frauen wieder. Sie hatten sich einen Platz an einem Automaten ergattert und fütterten ihn. Der Mafiajäger schüttelte den Kopf. Er wollte erst einmal ins Hotel und sich frisch machen. Die Taxis lauerten draußen. Franco hatte seinen Schweinslederkoffer zuvor noch abgeholt, und steuerte einen Wagen an. Der Motor des Achtzylinder-Dodge war kaum zu hören. 12
»Wohin?« fragte der Driver. »Hilton.« »Okay.« Der Wagen rollte an. Wenig später befanden sie sich mitten im Strudel. Millionen von Birnen glühten hier draußen. Sie blinkten, blubberten, spien aus, malten Fantasiegebilde, Schriftzüge und Reklamesprüche für die führenden Hotels und Spielhallen. Mit elementarer Wucht stürmten die Eindrücke auf den unbefangenen Gast ein. Man konnte sich ihnen einfach nicht entziehen. Franco Solo schloß die Augen. Ein paar Minuten Ruhe, ein wenig Entspannen vor dem großen Run. Für Franco Solo würde es bestimmt keinen Run auf Dollars geben, aber vielleicht auf sein Leben. »Wir sind da.« Die Stimme des Fahrers riß den Mafiajäger aus seinen Gedanken. Er zahlte, legte ein Trinkgeld hinzu und stieg aus. »Viel Glück!« rief ihm der Taxifahrer nach. Der Wunsch klang zu phrasenhaft, um echt zu sein. Fünfspurig präsentierte sich die Auffahrt des Hotels. Ungeheuer, was man da sah. Und sie war überdacht. Tausende von Glühbirnen bildeten ein regelrechtes Netz. Sagenhaft … Das Hilton schoß in den Himmel. Es stach ab von den meisten Bauten, die ebenerdig angelegt worden waren, ungefähr so, wie die Supermärkte mit ihren Hallen. Nur die großen Hotels fielen aus der Rolle. Fast wäre Franco von den Reifen eines Caddys zermalmt worden. Der Wagen preschte rücksichtslos die Renomierrampe hoch und wurde hart abgebremst. Vier Männer stiegen aus. Franco blieb stehen. Die Männer trugen weiße, modisch geschnittene Anzüge und gingen nicht durch das Hauptportal. 13
Und dann fand Franco die Hotelhalle nicht, obwohl er sich im Innern des Kastens befand. Groß wie ein Soccer-Feld breitete sich die Automatenhalle vor ihm aus. Hunderte von Apparaten. Einarmige Banditen standen in Reih und Glied, rasselten und spuckten. Die Ausschüttdosen waren verspiegelt, so daß dem Sieger ein doppelter Gewinn vorgegaukelt wurde. Illusion, wo man hinschaute. Das Brausen und Rasseln erfüllte Francos Ohren. Niemand kümmerte sich um ihn. Die Gesichter der Spieler – meist ältere, grell geschminkte Frauen, die ihre Stohlen wie Gardinen um die mageren Schultern gehängt hatten –, starrten auf das Sichtfenster. Pflaume – Birne – Pflaume. Nichts. Das nächste Spiel. Geld einwerfen, das Aufleuchten abwarten, den Arm zum Hebel heben und ziehen. Die Symbole wechselten, die Bewegungen blieben die gleichen. Immer wieder. Monotonie – und ein crash. Rumms! Hauptgewinn. Franco blickte nach rechts. Ein kleiner Mann, er ging Franco höchstens bis zur Schulter, führte einen Freudentanz auf. Fünftausend Dollars in Münzen. Wahnsinn. Der Gewinner weinte vor Glück. Und der Automat spie. Die Spiegel verdoppelten. Einer von vielen, der mal Glück gehabt hatte. Die Auffangschale konnte die Münzen nicht fassen. Sie quollen über, fielen zu Boden, führten dort bizarre Tänze auf. 14
Sofort waren Angestellte da, halfen dem Mann beim Sammeln. Der bekam einen Leinensack mit der Aufschrift des Hotels. Dann schaufelten sie gemeinsam. Eine Handvoll Münzen gehörte den Helfern. Sie bedankten sich mit einstudiertem Lächeln. Dann war es geschafft. Der Mann ging weiter, suchte einen freien Apparat, fand ihn, und das Spiel begann von vorn. Irgendwann würde er sein Geld wieder verloren haben. Er hätte nach Hause fahren und nicht mehr zurückkehren sollen. Aber wen das Fieber und die Faszination einmal gepackt hielten, den ließen sie auch nie mehr los. Las Vegas war wie Leim. Es klebte die Spieler fest und gab sie kaum frei. Franco Solo ging und suchte weiter. Er stieß in die Mitte des Raumes vor. Rechts von ihm ging es seriöser zu. Da spielten sie unter schweren Kronleuchtern aus Bleikristall Roulett und Blackjack. Franco fragte eine Hotelangestellte. Sie war gut gebaut, trug einen roten Minirock und Netzstrümpfe. Auch die Schminke konnte das fortgeschrittene Alter nicht verdecken. Die Frau verteilte kostenlos Drinks an die Spieler. Klimaanlagen trockneten Kehlen aus. Die Gäste durften nur nicht von den Automaten weg, auch wenn sie Durst hatten. Sie sollten während des Spiels trinken. Ein lackierter Fingernagel deutete unbestimmt in eine Richtung. Das Lächeln war unecht wie die Zähne der Frau. Franco bedankte sich trotzdem höflich. Irgendwann stand er vor der Reception. Sie war lang wie ein Bahnsteig. Zahlreiche Frauen und Männer bedienten die Gäste. Sie alle lächelten stereotyp. Ein Mann in blauer Uniform blickte Franco fragend an. An dem kleinen Schild auf der Brust erkannte der Mafiajäger, daß er es hier mit dem Empfangschef zu tun hatte. 15
Franco sagte seinen Namen. Man wußte Bescheid. Buchungen liefen über den Computer. Das kalte Leuchtstoffröhrenlicht warf schattenlose Helligkeit auf die zahlreichen Prospekte und Werbezeitschriften, mit denen die lange Reception gepflastert war. Franco bekam sein Zimmer im zweitletzten Stockwerk. »Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt bei uns«, sagte der Empfangschef. Er wollte noch etwas hinzufügen, doch Franco hob die Hand und meinte: »Jetzt sagen Sie nur nicht und viel Glück, dann muß ich nämlich weinen.« Der Receptionsmensch hielt es für einen Scherz und lächelte noch gequälter. Ein Boy wollte Francos Koffer tragen, der Mafiajäger lehnte jedoch ab. Der Fahrstuhl hatte eine Biedermeyereinrichtung. Widerlich nachgemacht. Franco verzog das Gesicht. Sogar im Lift gab es einen Automaten. Der abgewetzte Griff bewies, daß oft daran gespielt wurde. Die Leute konnten es nicht lassen. Im Hotelflur sah Franco ebenfalls einige Einarmige Banditen. Sie klebten an den Wänden. Allerdings spielte niemand. Nur die zahlreichen Birnen und Lampen glühten. Es war still. Deshalb vernahm Franco auch sofort die Stimmen. Er blieb stehen. Nicht weil er neugierig war, sondern weil die Art des Gesprächs ihm nicht gefiel. Zwei Männer redeten dort mit einer Frau. Dann ertönte ein klatschendes Geräusch, und einen Atemzug später ein erstickter Aufschrei. Franco ließ den Koffer stehen. 16
Die Stimmen kamen von vorn, doch er sah im langen Gang niemand stehen. Dafür entdeckte er zwischen zwei Automaten eine schmale Tür, die ziemlich leicht gebaut war und aus irgendeinem unerfindlichen Grund spaltbreit offen stand. Franco Solo zog sie vollends auf. Er sah auf die Rücken zweier Männer, konnte einen Blick zwischen die beiden werfen, entdeckte das am Boden hockende Mädchen und fragte leise: »Kann ich Ihnen helfen?« Die Kerle kreiselten herum. Es war eng in dem Raum, der als Wäschekammer diente, und folglich behinderten sich die Typen gegenseitig. Franco trat sicherheitshalber einen Schritt zurück, und so traf ihn auch die Linke nicht, die der Größere der beiden abfeuerte. Er kam sofort nach. »Hau ab, Stinktier«, sagte er. Sein Kumpan blieb in der Kammer. Er achtete auf das Girl. »Mach keinen Ärger«, warnte Franco, doch der Mann wollte nicht hören. Bullig stürmte er vor – und kassierte eine Rechte, die ihn gegen die Wand warf. Die Linke folgte. Diesmal pfiff der Schläger wie ein alter Blasebalg. Seine Knie wurden weich. Franco richtete ihn wieder auf. Mit einem glasharten Uppercut. Dann war für den Bulligen der Streit zuende. Er blieb liegen. Der zweite war vorsichtiger. Er streifte sich erst einmal einen Schlagring über die Faust, kam langsam heran, und auf seinem schiefen Gesicht zeichnete sich ein hinterhältiges Lächeln ab. »Du paßt bald in keinen Automatenschlitz mehr!« drohte er. Franco hatten Drohungen immer kalt gelassen. Und Typen wie die beiden bildeten keine richtige Gefahr. Es waren Amateure, keine Profis. Und amateurhaft war auch der Heumacher, den der Kerl schlug. Franco wich geschickt aus und säbelte dem Knaben mit 17
einem schnellen Tritt das Standbein weg. Der Schläger legte sich lang. Er kam nicht mehr hoch, denn Franco stellte ihm den rechten Fuß in den Nacken. »Verdammt«, gurgelte der Mann. »Du kannst es besser haben«, versprach der Mafiajäger, »aber streife erst den Schlagring ab.« Der Schläger gehorchte. Franco nahm den Fuß weg. Der Mann sprang hoch. Franco ließ ihm nur eine Sekunde, dann schlug er mit der Handkante zu. Der Schläger legte sich abermals flach und floh ins Reich der Träume. Nummer eins war inzwischen wieder zu sich gekommen, aber immer noch angeschlagen. Am Kragen zog Franco den Mann hoch. »Pack deinen Freund und troll dich!« sagte der Mafiajäger. Der Stämmige gehorchte. Mit dem Bewußtlosen über der Schulter schlich er zum Fahrstuhl. Bevor er die Tür aufzog, drehte er sich noch einmal um. »Wenn wir uns wiedertreffen, schlage ich dich zu Brei«, versprach er. Franco nickte. »Ich gönne es dir.« Er wartete noch, bis die Tür hinter den Schlägern zugefallen war und kümmerte sich dann um das Mädchen. Es hatte sich bereits erhoben. Franco lächelte. »Gehen wir auf mein Zimmer«, sagte er. Die Kleine stand noch immer unter dem Schock des Überfalls. Sie nickte und folgte dem Mafiajäger. *
Franco nahm seinen Koffer. Er hatte noch etwa zwanzig Yards 18
zu gehen, bis er vor der Tür stand. Der Schlüsselkopf zeigte einen stilisierten Dollar. Franco öffnete die Tür und machte eine einladende Handbewegung. Das Mädchen schritt an ihm vorbei. Franco bewunderte ihre Rückenpartie, die schmale Taille, die Hüften, die genau den Schwung besaßen, den er mochte und die schlanken Beine mit den schmalen Fesseln. An der Kleinen stimmte wirklich alles. Der Mafiajäger schloß die Tür, betrat den Raum und wuchtete seinen Koffer auf eine kleine Ablage. Das Girl stand wie bestellt und nicht abgeholt herum, und schaute Franco an. »Warum setzen Sie sich nicht?« Franco lächelte und deutete auf einen bequemen Sessel mit Holzlehnen. »Ja, danke.« Sie nahm Platz. Franco ging zur Bar. Er kannte die Hilton Hotels. Die Zimmer waren überall gleich eingerichtet. TV, Bar und Telefon waren selbstverständlich. Ebenso wie die bequeme Sitzecke und das hochklappbare Bett. Die Fenster ließen sich nicht öffnen. Erst einmal wegen der Klimaanlage und zweitens, um es Selbstmördern schwerer zu machen. »Nichts Alkoholisches«, erwiderte das Girl. Franco blickte in die Bar. Sie war gut bestückt. Vor allen Dingen mit Alkoholika. Aber er entdeckte auch eine Flasche Sodawasser. »Möchten Sie das trinken?« »Ja.« Gläser standen auch bereit. Franco nahm ebenfalls Sodawasser. Das Girl schaute ihn spöttisch über den Rand des Glases an. In ihren Augen lag ein ironisches Funkeln. »Trinken Sie jetzt mir zuliebe das Läusewasser?« 19
»Nein. Aber ich bin kein Freund von viel Alkohol.« »Wahrscheinlich eine gute Einstellung, Cheerio.« Sie tranken. Franco nahm auf der Couch Platz und schlug die Beine übereinander. Dabei sah er das Mädchen an. Die Kleine war wirklich ansehenswert. Raffiniert hatte sie das lange blondrote Haar zusammengeschlungen. Auf ihrem ungeschminkten Gesicht bildeten zahlreiche Sommersprossen einen gesprenkelten Himmel. Das Lächeln war echt, und in den grünen Augen blitzten Energie und Wille. Franco hatte selten ein Mädchen gesehen, deren Augen von solch einer intensiv grünen Farbe waren. Auch ihre Figur konnte sich sehenlassen. Einige hundert Meilen westlich – in Los Angeles – hätten sich bestimmt einige Produzenten die Finger geleckt. »Genug gesehen?« fragte sie jetzt. Franco behielt sein Lächeln bei. Es machte ihn irgendwie sympathisch, jungenhafter. »Wie eine Spielerin sehen Sie nicht aus«, meinte er. »So fragt man Leute aus.« Sie konterte geschickt. »Entschuldigen Sie. Wenn ich mich bekanntmachen darf? Mein Name ist Franco Solo.« »Und ich heiße Goldie Horn.« »Der Name paßt zu ihnen.« Sie hatte eine runde Handtasche dabei. Sie bestand aus dem gleichen Stoff wie ihre Hose und das Bolero-Jäckchen. Aus feinem Cord. Als Oberteil trug sie ein T-Shirt. Goldie holte aus der Tasche ein Tuch und tupfte sich die linke Wange ab. Dort hatte sie ein Schlag getroffen, und die Haut war ein wenig aufgeplatzt. »Beliebt scheinen Sie nicht gerade zu sein«, bemerkte Franco. Sie schaute den Mafiajäger an. In ihre Augen trat plötzlich ein 20
harter Schimmer. »Nein, das nicht.« »Haben Sie den Typen auf die Zehen getreten?« wollte Franco wissen. »Ohne Grund schlägt man keine Frau.« »Ich habe nur die Wahrheit gesagt.« Franco trank einen Schluck Sodawasser. »Die die beiden nicht vertragen konnten.« »So ist es!« »Und worum ging es dabei?« Sofort wurde sie mißtrauisch. Sie schlug die Beine übereinander und umklammerte ihre Knie. »Was interessiert Sie das eigentlich, Mr. Solo? Sie sind doch bestimmt hergekommen, um zu spielen, haben sicherlich schon einige Dollars verloren, wollen auf ihr Zimmer gehen, um sich für den großen Run fertigzumachen und helfen einer Frau aus der Klemme. Ich bedanke mich artig dafür, und somit ist die Sache erledigt.« »Ihre Logik ist gut«, erwiderte Franco. Er räusperte sich. »Sie stimmt zwar nicht ganz, aber versetzen Sie sich mal in meine Lage. Wenn Sie mich gerettet oder mir beigestanden hätten, dann wäre Ihre Neugierde bestimmt ebenfalls so groß. Oder irre ich mich da?« »Nein, sogar größer.« »Na bitte.« »Hm!« Machte sie und stützte jetzt das Kinn auf ihren Handballen auf. »Irgendwie sind Sie anders, Mr. Solo.« »Wie denn?« »Sie scheinen nicht zu den Spielern zu gehören, die hier so auf den Putz hauen. Dafür habe ich in der letzten Zeit einen Blick bekommen.« »Dann halten Sie sich bereits länger in Las Vegas auf?« vermutete Franco. »Ja, seit einer Woche bin ich hier. Ich wohne auch in diesem 21
Hotel.« »Wie fein.« Der Mafiajäger lächelte. Sofort hob Goldie Horn abwehrend beide Hände. »Bilden Sie sich nur keine Schwachheiten ein, Mister. Bei mir läuft nichts. Ich bin beruflich hier.« »Jetzt kommen wir der Sache schon näher.« Goldie bat um einen weiteren Schluck Sodawasser. Franco holte ihr das Getränk. Sein Glas war noch halb voll. »Ich bin Reporterin«, sagte sie plötzlich. Als Franco keine Reaktion im negativen oder positiven Sinne zeigte, war sie enttäuscht. »Sie sagen ja nichts.« »Jeder hat seinen Job.« Jetzt sprühte ihr Temperament. »Aber ich – ich fühle dabei noch so etwas wie Verantwortung.« »Das ist lobenswert.« Franco Solo lehnte sich zurück, bis er die gewellte Rückenpartie im Kreuz spürte. »Sie schreiben also einen Bericht über Las Vegas.« »Nicht direkt.« »Sie sehen mich ratlos«, sagte Franco ein wenig spöttisch. Goldie Horn winkte ab. »Das kann ich mir vorstellen. Sie meinen auch, daß jeder, der über diese Stadt schreibt, von der Faszination des Spiels zu berichten hat. Aber genau das Gegenteil ist der Fall.« Nun ereiferte Goldie sich. »Ich berichte über die Menschen, über die fehlgeleiteten Kreaturen, die in den Maschen einer geschickt geknüpften Werbemaschinerie hängengeblieben sind und nicht mehr herauskönnen. Es sind arme Schweine. Sie lassen sich blenden, aber noch schlimmer sind die, die das Ganze finanzieren, die hinter dieser Vergnügungsindustrie stehen und Millionen scheffeln. Die will ich anprangern. In unserer Frauenzeitschrift beschäftigen wir uns über Monate mit Las Vegas, und wir haben sehr viele Leserinnen, die der gleichen Meinung sind. Mein Gott, was habe 22
ich in dieser Stadt schon Träume zerbrechen gesehen. Menschen, ja, Familienväter, standen am Rande des Selbstmords, weil sie alles verspielt hatten. Sie warfen ihr sauer verdientes Geld in die Automaten, hofften auf die große Chance und was hatten sie zum Schluß? Nichts, nur Schulden und eine ungeheuere Depression. Das ist es, worüber ich schreibe.« »Sie wollen die Spieler also bekehren?« fragte Franco. »Nein, nicht bekehren. Wer einmal gespielt hat, kommt nicht mehr davon los. Aber wir wollen die warnen, die noch nicht hier waren. Aufrüttelnde Artikel sollen erscheinen, und Schonung kenne ich nicht. Jeder wird angeprangert. Auch Big Bob Freelander, der ungekrönte König dieser Stadt.« Franco unterbrach die Reporterin. »Gehörten die Männer vorhin zu ihm?« »Nein.« Goldie senkte den Kopf. »Das waren andere.« »Und welche?« Goldie Horn warf den Kopf in den Nacken. »Genau weiß ich das auch nicht. Aber es kann sein, daß sie zu einer Gangstergruppe gehören. Zur Mafia.« »Mafia?« Franco tat ahnungslos. »Ja.« Goldie nickte heftig. »Auch die kassiert hier ab. Ich habe aus sicherer Quelle gehört, daß sie wieder ins Geschäft einsteigen will.« »Und da haben Sie Nachforschungen angestellt?« vermutete Franco. »Genau.« »Wo denn?« Goldie wurde mißtrauisch. »Jetzt fragen Sie zuviel, Mister.« Franco schüttelte den Kopf. »Das ist doch verständlich. Sie servieren mir hier eine Analyse dieser Stadt und deren 23
Menschen. Es ist klar, daß ich mehr wissen möchte.« Goldie überlegte. »Okay, Sie haben recht. Ich war in einem Spielsalon, einer Kneipe, einer Bar, ganz wie Sie wollen. Das Ding heißt Golden Cent und soll angeblich der Mafia gehören. Ich habe dort mit einigen geschniegelten Typen geredet und mich wohl unbeliebt gemacht. Als sie mir Repressalien androhten, habe ich gekontert und ihnen gesagt, daß ich sie in meinem Artikel bloßstellen würde. Dann bin ich aus der Bar gegangen. Deshalb wohl die beiden Affen, die mich auflauerten.« »Haben sie Ihnen gesagt, was …« »Nein, nein, nichts.« Goldie antwortete schnell. »Aber ich nehme an, daß sie mir eine Lektion erteilen wollten. Umbringen lag wohl nicht drin.« Franco sah das Mädchen nachdenklich an. »Hat die Lektion gereicht?« »Wo denken Sie hin? Jetzt geht es erst richtig los.« »Ich würde davon abraten. Wenn die Gangster härtere Geschütze auffahren, sind Sie verloren, Mädchen.« »Sie behandeln mich wie ein Kind.« Franco beugte sich vor. »Das ist in Ihrem Fall auch besser, Miß Horn.« »Quatsch, sagen Sie Goldie, wie die anderen auch.« »Okay, ich heiße Franco. Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, Goldie, verlassen Sie Las Vegas. Nehmen Sie die nächste Maschine, und reisen Sie ab. Egal wohin.« »Sie scheinen sich ja sehr gut auszukennen, Franco.« »Ich kann rechnen und zähle nur eins und eins zusammen. Las Vegas ist kein Pflaster für sie.« Es klopfte. Goldie blickte Franco an. »Erwarten Sie Besuch?« 24
»Nicht daß ich wüßte.« Der Mafiajäger stand auf und rief mit kräftiger Stimme: »Come in.« Die Tür wurde nach innen gedrückt, und zwei Männer betraten das Zimmer. Franco erkannte sie sofort. Sie gehörten zu den Typen, die aus dem Caddy gestiegen waren, der ihn fast überfahren hatte. Die Männer trugen noch die gleichen hellen Anzüge. Ihre Gesichter waren kantig und besaßen eine gesunde Sonnenbräune. »Mr. Solo?« »Ja, das bin ich.« »Wir möchten Sie bitten, mit uns zu kommen. Big Bob Freelander erwartet Sie.« Sie formulierten die Aufforderung zwar in eine Bitte um, aber Franco war sich darüber im klaren, daß die Männer es gewohnt waren, daß sich nie jemand ihrer »Bitte« widersetzte. Doch Franco spielte nicht mit. »Sorry«, sagte er, »aber Sie sehen ja, ich habe Damenbesuch. Ihr Boß muß warten.« »Man läßt Big Bob Freelander nicht warten!« Goldie Horn sprang auf. »Ich gehe freiwillig«, sagte sie mit einer Stimme, die an klirrendes Eis erinnerte. Sie schritt an Franco vorbei, drehte sich kurz vor ihm noch einmal um und blickte ihm ins Gesicht. »Ich wußte nicht, daß auch Sie zu den Vasallen gehören! Tut mir leid für Sie, Mr. Solo. Ich habe Sie falsch eingeschätzt. Aber so ist das nun mal im Leben. Man lernt einfach nicht aus.« Sie schluckte. »Und vielen Dank noch einmal für Ihre selbstlose Hilfe, Mr. Solo.« Die beiden Besucher traten zur Seite, als Goldie an ihnen vorbeirauschte. Sie ließ einen verdatterten Mafiajäger zurück. 25
»Ihr Besuch ist ja nun weg. Können wir gehen, Mr. Solo?« »Ja.« Franco überlegte fieberhaft, woher die Burschen seinen Namen kannten. Eins war gewiß. So geheim wie Franco es sich vorgestellt und erhofft hatte, war sein Job in Las Vegas gar nicht. Einige kannten ihn und wußten Bescheid. Vielleicht sogar ein paar zuviel … *
Natürlich kannte Franco Solo den Namen Big Bob Freelander. Er war der King vom Las Vegas. Er kassierte überall ab. Er besaß das Vertrauen der Banken und der Konzerne. Big Bob Freelander galt als der oberste Konzernherr. Was er sagte, wurde gemacht! Colonel Warner hatte Franco Solo ein Bild von diesem Boß der Bosse gezeigt. Der Mafiajäger rief sich die Aufnahme in Erinnerung, während er mit den beiden Bodyguards auf eine Lifttür zuschritt, die für normale Hotelgäste verschlossen war. Mit einem Spezialschlüssel wurde die Tür geöffnet. Die Männer sprachen kein Wort, waren höflich, aber sehr distanziert. Zusammen mit Franco betraten sie den Lift. Er schoß raketenhaft nach oben. Und hielt inmitten einer Gartenlandschaft. Plötzlich besaß der Aufzug keine Wände mehr, sondern nur noch Sichtfenster. Er war in einem Glaskäfig zur Ruhe gekommen. Eine gewagte Konstruktion. Franco mußte vorgehen. Frische Ozonluft drang in seine Lungen, als er tief einatmete. 26
Der Blick war phantastisch. Franco befand sich in einem Penthouse. Der Vergleich mit einem gläsernen Sarg fiel ihm ein, da er nach allen Seiten freien Rundblick durch das Panzerglas hatte. Im Westen die schneebedeckten zackigen Gipfel der Sierra Nevada, im Osten die Wüste, mit ihren braungrauen, karstigen Felsformationen und im Süden der glühende Sonnenball, der soviel Hitze ausstrahlte, daß die Luft flimmerte und zu kochen schien. Im Norden wuchsen Himmel und Erde am Horizont zusammen. Das Panorama war fantastisch, und Franco Solo war beeindruckt. Hinter dem blühenden Garten weitete sich der Raum. Und vor der Wand stand ein immenser Schreibtisch. Er war eine Konstruktion aus Stahl und Glas. Drei Telefone standen auf der Platte. Ein rotes, ein grünes und ein weißes. Von den beiden Bodyguards flankiert, schritt der Mafiajäger auf den Schreibtisch zu. Militärisch knapp meldeten die Männer Francos Ankunft. Dann zogen sie sich zurück. Big Bob Freelander stand auf. Er wurde kaum größer, denn er war eine sogenannte Sitzgröße. In natura wirkte er noch härter als auf dem Foto. Sein Schädel war spiegelblank. Er hatte die Form eines übergroßen Eis. Die Haut war glatt wie Marmor. Keine Falte kerbte sie ein. Big Bob Freelander besaß keine Wimpern, dafür Augen, die eine Farbe hatten wie frisch gegossenes Blei. Der wulstige Mund und die etwas schiefe Nase erinnerten Franco an den Rausschmeißer in einer Hafenbar. Deplaziert war auch der schwarze Oberlippenbart, den Big Bob Freelander trug. Er paßte nicht zu ihm. Der King von Las Vegas trug einen grauen Maßanzug und eine schmale rote Krawatte zum weißen Hemd. Am Ringfinger seiner linken Hand blitzte ein taubeneigroßer Diamant. Die Männer schätzten sich ab. 27
»Sie sind Franco Solo«, stellte Big Bob Freelander fest. Seine Stimme klang wie das Rollen des Gewitterdonners. Franco nickte. Freelander deutete auf eine Sitzgarnitur aus weißem Elchleder. Sie hatte ein Vermögen gekostet. »Setzen wir uns.« Franco lehnte die angebotenen Getränke ab. Big Bob gönnte sich einen Tomatensaft, auf dem eine dunkle Pfefferschicht schwamm. »Colonel Warner hat mich bereits instruiert«, begann er das Gespräch. »Davon wußte ich nichts.« Big Bob Freelander winkte ab. »War auch nicht nötig.« Diese Bemerkung ärgerte Franco. Sie ließ aber auch erkennen, was Freelander von anderen Leuten hielt. Der Mafiajäger beschloß, sich darauf einzustellen. »Spielen wir mit offenen Karten, Solo. Ich war von Beginn an dagegen, daß man sie schickt. Aber nun sind Sie da, und ich muß mich damit abfinden. Wenn wir beide miteinander auskommen wollen, schließen wir einen Pakt, ein GentlemenAgreement. Sie halten sich aus der Sache raus. Mit meinen Gegnern werde ich fertig. Wenn ich es geschafft habe, werde ich Sie lobend erwähnen. Außerdem soll es ihr Schaden nicht sein. Sie bekommen einen Scheck über einhunderttausend Dollar, und das ist für eine Woche Arbeit nicht wenig.« Franco Solo hatte die Worte wohl vernommen. Er antwortete mit einer Gegenfrage. »Gehen Sie mit all Ihren Geschäftspartnern so um, Mr. Freelander?« »Sagen wir mit den meisten.« »Okay. Dann gehöre ich zu den wenigen, die mit sich nicht so umspringen lassen.« Zum ersten Mal zeigte Freelander eine Reaktion. Seine 28
Mundwinkel zuckten. »Sie wollen bleiben?« »Ja.« »Aber das Geld?« »Ich weiß, daß im Wirtschaftsleben Bestechung an der Tagesordnung ist. Sei es nun bei Flugzeugfirmen oder Stahlwerken. Ich weiß ferner, daß viele Menschen ihren Preis haben. Der eine höher, der andere niedriger. Aber es gibt auch welche, die sich nicht bestechen lassen. Dazu gehöre ich. Sie können Ihr Angebot verzehnfachen, Mr. Freelander, ich gehe trotzdem nicht darauf ein. Denn ich habe einen Schwur geleistet. Auf unseren Staat, auf unsere Verfassung, und ich käme mir wie ein dreckiger Verräter vor, würde ich anders handeln. Es ist schade, daß mein Vorgesetzter mit Ihnen zusammenarbeiten mußte, aber das ließ sich wohl nicht vermeiden. Nun haben Sie meine Meinung gehört.« Franco schwieg und wartete Freelanders Reaktion ab. Er mochte diese Typen nicht, die glaubten, mit Geld alles kaufen zu können. Auch Menschen. Aber die waren keine Ware, kein Frachtgut, das man verladen oder hin- und herschieben konnte. Wenigstens mit ihm nicht. Da mußte sich Freelander einen anderen aussuchen. Die Antwort ließ auf sich warten. Freelander hob erst sein Glas und trank einen Schluck. Der Tomatensaft klebte an seiner Oberlippe. Mit einem Tuch wischte er ihn weg. »Normalerweise«, sagte er dann, als er das Glas wieder abgestellt hatte, »also normalerweise lasse ich mir solch einen Ton nicht gefallen, Solo.« »Es kommt immer darauf an, wer den Ton anschlägt«, konterte Franco rasch. »Und das waren Sie.« »Okay, okay«, knauschte Big Bob Freelander: »Aber irgendwie haben Sie mir imponiert, Solo. Es gibt nur wenige, die mir widersprechen. Heute schon gar nicht mehr. Schließen wir einen Burgfrieden. Ich lasse Sie schalten und walten, und 29
Sie kommen mir und meinen Leuten auch nicht in die Quere. Ist das ein Angebot?« »Auf das ich leider nicht eingehen kann.« Freelander ruckte vor. Sein Gesicht lief plötzlich rot an. »Wieso nicht?« »Wenn ich einen von Ihren Leuten bei einem – sagen wir es mal mildernd – Vergehen erwische, kann ich für nichts garantieren. Ich stelle mich bei meinen Aktionen nicht auf die andere Seite des Gesetzes. Was ich mache, bleibt legal. Also keine Kompromisse. Wie ich Sie einschätzte, Mr. Freelander, ist Ihnen die Methode, um ans Ziel zu gelangen, ziemlich gleichgültig. Aber da spiele ich nicht mit. Ich hoffe, wir haben uns verstanden.« »Sie sind nicht einmal kompromißbereit, Solo«, knirschte der große Boß. Er schlug mit der Faust auf den kleinen Tisch vor ihm. »Verschwinden Sie, hauen Sie jetzt ab. Ich will Sie nicht mehr sehen. Und denken Sie daran: Kommen Sie meinen Männern nie in die Quere, Solo. Ich kann nicht auf jeden einzelnen achtgeben.« »Darf ich das als Warnung auffassen?« fragte Franco. »Nein, als einen gut gemeinten Rat.« Franco Solo erhob sich. Er hatte verstanden. Der Besuch bei Big Bob Freelander war sehr nützlich gewesen. Er hatte ihm gezeigt, wie der Spielerkönig von Las Vegas einzuschätzen war. »Und noch etwas, Solo«, sagte Freelander. »Meine Männer haben mir berichtet, mit wem Sie da zusammen waren. Sie sind gesehen worden. Die kleine Goldie Horn ist zwar ein niedlicher Betthüpfer mit viel Courage, aber verdammt schlecht für’s Geschäft und überhaupt nicht mein Fall. Sagen sie ihr, sie soll sich aus der Schußlinie halten. Mädchen wie sie sind zu schade, um früh zu sterben.« Die letzten Worte trieften voller Zynismus. Franco gab die Antwort. Und sie klang nicht weniger hart. 30
»Wissen Sie, was ich schade finde, Freelander?« »Sprechen Sie sich aus.« »Daß man manchmal mit Leuten Ihres Schlages zusammenarbeiten muß. Guten Tag!« Franco Solo machte auf dem Absatz kehrt und verließ das extravagante Arbeitszimmer. Big Bob Freelander erstickte fast an seiner Wut. Für ihn war eine Welt zusammengebrochen. Bisher hatte er gedacht, mit allen fertigzuwerden. Nun kam dieser Solo und sagte ihm einige Wahrheiten ins Gesicht. Freelander beschloß, ihm das heimzuzahlen. Die Leibwächter standen am Aufzug. Der Grüngürtel hatte sie gedeckt. Höchstwahrscheinlich hatten sie jedes einzelne Wort verstanden, was Franco gar nicht behagte, was allerdings auch nicht mehr zu ändern war. Wenn sie etwas gehört hatten, so zeigten sie dies wenigstens nicht. Ihre Gesichter blieben ausdruckslos wie immer. Sie begleiteten den Mafiajäger bis in die Etage, wo auch sein Zimmer lag. Es waren ja nur ein paar Sekunden Fahrt. Franco verließ den Lift, grinste den Leibwächtern zu und ging zu seinem Zimmer. Dort zog er sich die verschwitzte Kleidung vom Körper und stellte sich unter die Dusche. Er wollte am Abend fit sein! * Die Schreie des Mannes kümmerten Augusto Colossimo nicht. Was seine Leute mit ihm machten, spielte sich im Nebenraum ab. Er hockte zusammen mit Lucio La Salle vor einer großen Karte. 31
Sie zeigte den Ort Las Vegas. Und nicht nur ihn. Auf der Karte war jedes Haus vermerkt, jeder Spielsalon, jede Bar, jeder Nightclub und jedes Hotel. Mit dem Zeigefinger zog Colossimo einen Strich quer über die Karte. »Das Gebiet müssen wir haben. Es umfaßt drei große Hotels, zwölf Spielhallen und doppelt soviel Bars, in denen auch gespielt wird. Als Termin setze ich Ihnen eine Woche.« La Salle hob den Kopf. Er überragte Augusto Colossimo um Haupteslänge. Jetzt fixierte er den Capo aus seinen rot umränderten Augen. »Das ist verdammt wenig.« »Ihr Job, Albino!« La Salle zuckte zusammen. Er mochte es nicht, wenn man ihn Albino nannte, obwohl er viel Ähnlichkeit mit diesem Wesen besaß. Allerdings war er kein reinrassiger Albino, er haßte diese Menschen sogar, aber seine rot umränderten Augen konnte er sich nicht herausreißen. Die Haare färbte sich La Salle meistens schwarz. Von Natur aus waren sie dunkelblond, auch nicht so hell wie bei einem richtigen Albino. Sein Gesicht hatte weiche, eher weibische Formen. Sie konnten den gemeinen Zug um seinen Mundwinkel auch nicht kaschieren, und der sagte an und für sich alles über La Salles Charakter aus. Er war hinterhältig und gemein. Dabei allerdings schlau und gerissen. Hinzu kam eine ungeheure Brutalität und Nervenstärke. Die mit seinem ungewöhnlich hohen Intelligenzquotienten gepaart, ergaben eine explosive Mischung. La Salle hatte dies schon oft bewiesen. Vor allen Dingen als Söldner, wo er und seine Leute bei den Feinden einen grausamen Ruf hatten. Nachdem die Aufgaben für Söldner immer weniger wurden, hatte sich die Gruppe um Lucio La 32
Salle internationalen Killeraufgaben gewidmet. Innerhalb eines Jahres hatten sie es zu einem traurigen Ruhm gebracht. Sie waren gefragt in der Branche. »Welche Mittel können wir einsetzen?« erkundigte sich La Salle kalt. Augusto Colossimo schaute ihn an. »Alle«, sagte er, »setzen Sie alle Mittel ein. Wir müssen Las Vegas zurückerobern.« Die beiden Männer sprachen italienisch. Englisch verstand Colossimo nur bruchstückhaft. Und er wollte, daß er verstanden wurde. Augusto Colossimo sah man den Capo nicht an. Er war ziemlich klein, dabei beleibt und hatte ein Gesicht, das vom vielen Essen regelrecht aufgeschwemmt war. Dazu kam noch der Wein, den er literweise beim Essen kippte. Aber er wurde nicht betrunken, höchstens gemein, das hatte er schon oft genug bewiesen. Menschlichkeit war für ihn ein Fremdwort. Wenn er eine Aufgabe übernommen hatte, führte er sie brutal und gnadenlos durch. Wie jetzt. »Ich kann mich auf Sie verlassen?« Lucio La Salle nickte. Don Colossimo entnahm einem goldenen Etui eine Orientzigarette, ließ sich Feuer geben und qualmte drei Züge. Dann meinte er: »Wenn Freelander von Halls Tod hört, wird er wissen, was die Glocke geschlagen hat. Ich hoffe für ihn, daß er aussteigt.« Lucio La Salle hatte noch eine Frage. »Wann soll ich die Rollkommandos losschicken?« »Punkt Mitternacht.« »Und wo sind Sie zu erreichen?« Augusto Colossimo strich über sein schütteres Haar. 33
»Mich findest du in meinem Haus.« »Bene.« Colossimo drückte die Zigarette aus. Er setzte seinen schwarzen Hut auf und verließ den Raum. Vor der Tür wartete Borro, sein Leibwächter, und der einzige Mann, dem der Capo vertraute. Borro stammte aus den Bergen von Sizilien. Bei einem Familienkampf hatte man ihm die Zunge herausgeschnitten. Der Don nahm ihn in seine Dienste, und seit dem Tag an, war ihm Borro hündisch ergeben. Der Stumme – er hatte einen Körper wie weilend Herkules – ging vor und zog die Tür des Lastenaufzugs nach außen. Als Colossimo an ihm vorbeischritt, zeigte er den bulligen Schädel. Dann rastete die Gittertür wieder ein. Auf einen Knopfdruck hin setzte sich der Aufzug in Bewegung. Ruckartig fuhr er nach oben. Durch eine Hintertür verließen die beiden ungleichen Männer das Haus und schritten quer über einen Hof. Ihr Wagen – ein Lincoln Continental – parkte neben einer Brandmauer. In regelmäßigen Intervallen zuckte der rote Widerschein einer Leuchtreklame über den schwarzen Lack und ließ ihn aussehen wie mit Blut bepinselt. Inzwischen hatte Lucio La Salle die Karte zusammengelegt. Er verstaute sie in eine Aktentasche und spie dann aus. Er mochte Colossimo nicht, doch der Job brachte fünfhunderttausend Dollar. Dreihunderttausend für ihn und zweihunderttausend für seine beiden Partner Mike Conetti und Jason Burke. Für dieses Geld gingen sie über Leichen. Lucio La Salle betrat das Zimmer nebenan. An der Decke pendelte eine Glühbirne. Sie tauchte den Raum in ein nur schwaches Licht, aber trotzdem sah Lucio La Salle 34
den Mann, der gefesselt auf einem Stuhl hing. Die beiden Kerle, die vor ihm standen drehten sich um, als La Salle den Raum betrat. Mike Conetti und Jason Burke lächelten kalt. Das Stöhnen des Gefesselten rührte sie nicht. Sie waren abgestumpft bis in die tiefsten Stellen ihrer schwarzen Seelen. Mit dem Kinn deutete La Salle auf den Gefesselten. »Hat er inzwischen unterschrieben?« Mike Conetti antwortete. Er war sowieso gesprächiger als sein Kumpan. »Ja, er hat sich dazu bequemt. Allerdings mußten wir ein wenig nachhelfen.« »Ihr Schweine«, gurgelte der Mann. »Ihr widerlichen Bestien. Ich werde euch …« »Willst du noch mehr?« fragte Conetti sanft. Da schwieg der Mann. Er hieß Simon Hall. Ihm gehörte die größte Spielhalle. Bisher hatte er sich gegen die Konzerne behaupten können, aber als die Mafia kam, wurde sein Widerstand brutal gebrochen. Von Mike Conetti und Jason Burke. Zwei Killer, die ebenso brutal waren, wie ihr Freund und Anführer Lucio La Salle. Conetti war der Jüngste. Dreißig Jahre zählte er erst, aber was er hinter sich hatte, reichte für das Leben von mindestens drei Schwerverbrechern. Er war nur mittelgroß, ziemlich schmalhüftig, hatte jedoch breite Schultern. Das schwarze Haar wucherte bis in den Nacken. Am linken Ohr trug er einen Ring. Sein Talisman. Das Ohrläppchen war verkrüppelt. Jemand hatte versucht, Conetti den Ring abzureißen. Der Kerl lebte jetzt nicht mehr. Sein Gesicht zeigte auf der hohen Stirn eine Anzahl von Pocken, die sich unterhalb des Kinns fortsetzten. Er war kein schöner Mann. Ebensowenig wie Jason Burke. 35
Er stammte aus Südafrika, hatte dort Elefanten geschossen und haßte alles, was nicht seine Hautfarbe besaß. In der Armee hatte er sich durch besondere Grausamkeit hervorgetan, so daß sich seine Vorgesetzten gezwungen sahen, ihn zu entlassen. Jason Burke blieb nichts anderes übrig, als sich einen Job zu suchen. Durch Zufall war er auf Lucio La Salle gestoßen. Beide traten sie dann in eine Söldnertruppe ein, um mal richtig auf den Putz zu hauen, wie sie selbst immer bemerkten. Burke war vierzig Jahre alt, hatte brandrotes Haar und unzählige Sommersprossen in dem breiten Gesicht. Die Augen wirkten darin wie zwei wasserhelle Steine. Die roten Haare wuchsen an seinem gesamten Körper, auf den Handflächen waren sie zu regelrechten Büscheln zusammengeflochten. »Er hat also unterschrieben«, sagte La Salle und nickte dazu. »Okay, Mr. Hall, dann wäre ja alles klar.« Bei den letzten Worten verschwand seine Hand unter der Achsel. Als sie wieder zum Vorschein kam, hielt sie den Griff einer Luger umspannt. Simon Hall erwachte aus seiner Lethargie. Die Augen wurden groß. Schockgeweitet starrten sie die Mündung an, die ihm plötzlich wie ein riesiges Loch vorkam. »Aber – ich …« La Salle lächelte nur. Mike Conetti und Jason Burke traten zur Seite. In ihren Gesichtern zuckte nicht ein Muskel. Da drückte Lucio La Salle ab. Und er traf genau. Der Körper des Mannes fiel noch mehr in sich zusammen. Leblos hing er in den Fesseln. La Salle steckte das unterschriebene Dokument ein und nickte seinen Kumpanen zu. »Schafft ihn in die Wüste, aber dorthin, wo ihn niemand findet. Auch die Geier nicht.« Mike Conetti und Jason Burke gehorchten. Zu sagen brauchten sie nichts. Was nun passierte, war sehr gut einstudiert. Sie 36
machten es nicht zum ersten Mal. Burke fing den Toten auf, als er nach vorn kippte und warf ihn sich über seine rechte Schulter. Das geschah mit einer spielerischen Leichtigkeit. Der Mann hatte Kräfte wie ein Bär. Sie nahmen den gleichen Weg, den auch Don Augusto Colossimo gegangen war. Niemand sah sie, als sie die Leiche im Fond des Rambiers verstauten. Dann fuhren sie ab. Lucio La Salle aber nahm einen anderen Ausgang. Er war jetzt offizieller Besitzer einer großen Spielhalle geworden. Der größten privaten überhaupt am Ort. Der erste Schritt zum großen Geld war getan. Alle weiteren würden folgen … *
Als sich das Zimmertelefon meldete, war Franco Solo noch naß. Hastig schlang er ein Badetuch um seinen gebräunten Körper und verließ die Dusche. An der Wanne vorbei ging er in den kleinen Verbindungsschlauch zwischen Tür und Wohnraum. Der Apparat stand auf einem kleinen Tischchen. »Ja«, meldete er sich. »Endlich«, sagte eine barsche Stimme, die Franco unschwer als die von Big Bob Freelander identifizierte. Innerlich schaltete er sofort auf Abwehr um. »Was gibt es, Mr. Freelander?« Ein leises Lachen schallte ihm entgegen. Es hörte sich aber verdammt nicht freundlich an. »Ärger gibt es, Solo, großen Ärger sogar. Und damit Sie sehen, wie kooperativ ich bin, habe ich Sie sogar angerufen. Ist das denn nicht fabelhaft?« 37
»Kommen Sie zur Sache.« »Sie kennen das Metronom?« »Dem Namen nach.« »Es ist die größte Spielhalle hier, die nicht einem Konzern gehört, und wenn man von den Hotels einmal absieht. Sie gehörte einem Mann namens Simon Hall. Ich sage bewußt gehörte.« Franco hatte schon verstanden. »Und wem gehört sie jetzt?« erkundigte er sich. »Einem Typ namens Lucio La Salle!« Die Antwort war ein Hammer. Obwohl Franco Solo leicht geschockt war, ließ er sich nichts anmerken. »Ja – und? Was bedeutet das, Mr. Freelander?« Big Bob schnaufte empört. »Wollen Sie mich jetzt auf den Arm nehmen, Solo? Oder kennen Sie La Salle wirklich nicht?« »Klären Sie mich doch auf.« »La Salle ist ein internationaler Killer. Er arbeitet mal für den, dann wieder für den. Dabei spielt es keine Rolle, welche politischen Ansichten und Zeichen seine Auftraggeber an ihre Fahnen geheftet haben. Hauptsache die Kohlen stimmen.« Franco Solo formulierte seine nächste Frage vorsichtiger. »Und was ist mit Simon Hall?« Big Bob Freelander räusperte sich. »Man weiß es nicht genau. Angeblich hat er einen Scheck bekommen und ist verreist.« »Den Ort weiß wohl niemand.« »Nein!« »Und was haben Sie jetzt vor?« erkundigte sich der Mafiajäger. »Da fragen Sie noch? Es ist doch klar, welche Organisation dahintersteckt. Die Mafia oder Cosa Nostra, ganz wie Sie wollen. Erst die Überfälle, die Morde, und jetzt versuchen Sie es 38
auf die andere Tour. Der Großangriff läuft bereits, Solo. Und er wird weiterlaufen, wenn wir nichts dagegen unternehmen. Was meinen Sie, was die Aktionäre sagen, wenn der Umsatz zurückgeht. Einige Geldgeber sind jetzt schon aufgeschreckt. Bisher war Las Vegas eine sichere Kapitalanlage. Und das soll es bleiben. Ich lasse mir das Geschäft nicht von den Spaghettifressern kaputtmachen, Meister. Das wollte ich Ihnen sagen.« Mit diesen Worten legte Big Bob Freelander auf. Auch Franco ließ den Hörer nachdenklich auf die Gabel rutschen. Was Freelander da berichtet hatte, war höchst interessant. Aber auch wiederum typisch für die ›Ehrenwerte Gesellschaft‹. Sie suchte sich immer Schwachstellen aus, wo sie den Hebel ansetzen konnte. Und Simon Hall war eine dieser Schwachstellen. Hinter ihm steckte nicht das Kapital der Großbanken und Konzerne, er war ein Mann, der sich allein durchboxte. Die Reise, die er angeblich unternommen hatte, war natürlich eine Farce. Franco wußte genau, wo solche Reisen endeten. In einem Grab in der Wüste. Aber das mußte man den Hundesöhnen erst einmal beweisen. Beweise waren kaum zu finden, dafür sicherten sich die Mafiosi zu gut ab. Der COUNTER MOB-Agent zog sich an. Er schlüpfte in eine etwas legere Kleidung. In den Kasinos nahm man die Kleidungsvorschriften nicht so genau. Jeder konnte kommen, wie er wollte. Er mußte nur genügend Geld dalassen. Den Smith & Wesson Special steckte sich Franco hinter den Gürtel. Dort war ein weiches Spezialhalfter angebracht, körpergerecht und für die Waffe wie geschaffen. Auf seinem Programm stand ein Besuch im Metronom. Franco hatte von dieser Halle bereits gehört. Sie war die originellste und ausgefallenste in der Stadt. Gebaut wie ein gewaltiges Zirkuszelt, wurde sie bei 39
Dunkelheit von unzähligen Scheinwerfern angestrahlt. Vor dem Eingang führten Wasserfontänen ihre bizarren Spiele auf. In allen Farben des Spektrums flossen und drehten sich die Fontänen ineinander, formten Gebilde und Figuren, die für Bruchteile von Sekunden in der Luft standen und dann wieder zusammenfielen. Franco hatte dieses Wasserspiel gesehen, als er mit dem Taxi in die Stadt fuhr. Und Wasser war verflucht knapp im Staate Nevada. Aber hier wurde es mit vollen Händen wieder ausgeschüttet. Denn Las Vegas wuchs weiter. Hotels und Spielhallen rangen der Wüste den Boden ab. Die Außen- und Wohnbezirke, durch künstliche Bewässerung in kleine Parks verwandelt, mußten jetzt schon weichen. Der Dollar rollte. Franco verließ sein Zimmer und fuhr wieder nach unten. Sofort nahm ihn der Betrieb gefangen. Das Rattern der Automaten, das Klicken der Würfel, das ewige Stimmengewirr. An der Reception standen neue Gäste. Sie sprachen deutsch und waren über den großen Teich geflogen. Auch auf die Europäer übte Las Vegas eine nie gekannte Faszination aus. Franco wühlte sich durch die Gassen. Zwei Stunden in diesem Spielhallenfoyer, und man konnte ihn in eine Klapsmühle bringen. An einer Säule sah er die Frau. Sie trug eine khakifarbene Uniform und hatte einen Revolvergürtel umgeschnallt, in dessen Holster ein Colt steckte. Ein Sheriffstern prangte auf ihrer Brust. Franco konnte nicht sagen, ob die Waffe echt war. Die Frau war es auf jeden Fall. Sie schminkte sich gelassen die Lippen und lächelte Franco zu, als er an ihr vorbeischritt. Das Mädchen gehörte zum Wachpersonal des Hotels. Auch ein Gag. 40
Der Mafiajäger verließ den Kasten. Er würde in den nächsten Stunden ebenfalls spielen. Aber dabei war sein Einsatz wesentlich höher. Das eigene Leben! *
Wer in Las Vegas auch noch drei Schritte zu Fuß ging, den bezeichnete man als ›crazy‹ verrückt. In dieser Stadt fuhr man, oder ließ sich fahren. Aber zu Fuß? Und das bei der Hitze? Nein, nicht einmal Europäer waren so verrückt, wenn sie sich akklimatisiert hatten. Doch Franco Solo nahm keinen Wagen. Er wollte die Atmosphäre dieser Stadt auf sich einwirken lassen. Und Las Vegas lebte. Trotz der heißen Dunstglocke, die über der Stadt lag. Auf dem Strip, der bekanntesten und breitesten Straße der Stadt, schien der Asphalt zu kochen. Die Sonne war schon gesunken. Schräg fielen ihre Strahlen in die Schluchten, blendeten und brachten die Luft zum Flimmern. Bereits nach wenigen Schritten war Franco Solo in Schweiß gebadet. Die Kleidung klebte an seinem Körper. Links und rechts des Strips, wirbelten die Reklamen. Da leuchteten die Birnen, da rannten sie um die Wette, da schoß der Riesencowboy auf ein imaginäres Ziel und kassierte einen elektronischen Dollarsegen, wobei er seinen Mund weit aufriß und grinste. Vergnügen war alles. Tag und Nacht. Eine Fassade versuchte die anderen zu übertreffen mit ihrer Farbenfreudigkeit und den explodierenden Lichtreklamen. Immer höher wurde die Reizschwelle 41
geschraubt. Was nicht mehr ›in‹ war, kam auf den Müll. Er war in den ganzen Staaten berühmt – dieser Abladeplatz der zerstörten Illusionen. Hier rosteten sie vor sich hin und wurden eines Tages wieder von der Wüste gefressen. Irgendwie war dies symptomatisch für die ganze Stadt. Unerhört viele Taxis waren unterwegs. Sie schafften ihre lebende Fracht zu den einschlägigen Kasinos und Hotels. Jede Bar, jeder Coffeeshop hatte seine Automaten. Man spielte dort sogar während des Essens. Und wer wirklich mal relaxen wollte, der ging an den Pool der großen Hotels, lieh sich ein Luftkissen, legte sich lang und ließ sich treiben oder von hübschen Bikini-Girls verwöhnen, die ihm die Drinks brachten, die aber auch für ihn spielten. Betrogen wurde nicht, wer es dennoch versuchte, der flog. Das Metronom war in der Form eines gewaltigen Zirkuszeltes gebaut. Über dem breiten protzigen Eingang schwang ein übergroßes Pendel hin und her. Jedesmal wenn es nach einer Seite ausschlug, leuchtete ein Goldstück aus Glühbirnen auf. In dem Stück erschien jeweils ein lachendes Gesicht. So lockte man die Kunden. Auch Franco betrat den Laden. Er war gewaltig. Irgendwo – so hatte er gehört, – sollte es auch eine Bar geben. Aber um dort hinzugelangen, mußte er sich erst einmal durch die Automatengassen drängen, und die waren vollgestopft mit Spielern. Lärm und Stimmengewirr bildeten eine nie abreißende Kulisse, und die Musik aus den Lautsprechern war manchmal aggressiv, dann wieder soft und einschmeichelnd. Girls im Look der späten vierziger Jahre schleppten Drinks herum. Die Mädchen trugen Netzstrümpfe, waren durch die Bank fantastisch gewachsen, und ihre Oberkörper wurden von 42
einem knappen Trikot umspannt, das rot schillerte. Die Frackjacke mit dem Schwalbenschwanz bestand aus einem weißen Stoff, und auf den Köpfen trugen die Girls hellrote Käppis auf die ihr Name gedruckt war. Das Lächeln blieb gleichmäßig freundlich, es saß in den Mundwinkeln fest wie eingefroren. Auch vor Franco blieb ein Girl stehen und bot seinen Drink an. »Danke!« Franco nahm das Glas. »Und viel Glück, Sir!« wünschte die Kleine. Der Mafiajäger lächelte nur schief. Mit dem Glas in der Hand schlenderte er weiter. Die Luft war zum Schneiden. Nicht nur der Zigarettenqualm schwängerte sie, sondern auch Schweißgeruch und Parfümdunst. Franco trank langsam. Der Drink war kalt. Eiswürfel klingelten gegen einander. Von der Hauptattraktion nahm kaum jemand Notiz. Das Geschehen spielte sich unter der Decke des Baus ab. Dort produzierten Trapezkünstler ihre lebensgefährlichen Kunststücke. Es gab eine Zeit, da hatten sie ohne Netz gearbeitet, doch nach dem zweiten Absturz hatten die Verantwortlichen ein Fangnetz gespannt. Die dünnen Fäden glitzerten wie Silberstreifen. Drei Männer und eine Frau zeigten ihre tollkühnen Kunststücke. Sie produzierten Salti und Rollen, schwangen in rasender Geschwindigkeit von einer Seite der Halle zur anderen hin und her, doch nicht einer der Anwesenden klatschte Beifall. Die Automaten übten eine zu große Faszination aus. Franco Solo schüttelte den Kopf. Wie hoch war die Reizschwelle der Menschen bereits geklettert, daß man nicht einmal nach artistischen Darbietungen schaute? Franco stellte sein leeres Glas auf dem Tablett eines Girls ab, nahm aber kein neues. 43
Er wollte die Bar erreichen, denn dort befand sich die Schaltstelle dieser Spielhalle. Übergangslos betrat er den Roulettraum. Auch hier waren sämtliche Tische besetzt. Hinter den Sitzenden drängten sich die Gaffer, oder diejenigen, die im Stehen spielten und ihre Chips zielsicher auf die einzelnen Felder warfen. Gelang dies nicht so recht, war einer der drei Croupiers zur Stelle. Sein Stab – auch Râteau genannt – schnellte dann vor und beförderte den Chip mit traumwandlerischer Sicherheit an sein Ziel. Es ging ruhiger zu, als bei den Automaten. Franco sah mehrere Durchgänge zu anderen Räumen. Glockenförmig hingen Vorhänge vor den Öffnungen. Sie wurden von Kordeln gehalten. Jeder konnte den Raum betreten, wo um weitaus höhere Einsätze gespielt wurde, als in der großen Halle. Franco Solo schlüpfte in solch’ einen Raum. Er zählte fünf Tische. An den Wänden klebten goldfarbene Seidentapeten. Unter der Decke hing eine sich um die eigene Achse drehende bunte Lichtkugel. Das Farbenspiel wechselte laufend. Für die Helligkeit auf den Tischen sorgten die mit Stoff bespannten Lampen. Links neben dem Eingang stand die Wechselbox. Auf dem Glaskasten war die Kamera angebracht. Jedes Spiel wurde aufgezeichnet, gespeichert und konnte auf Wunsch abgerufen werden. In Las Vegas sollte keiner betrogen werden. Das Mädchen an der Wechselkasse lächelte Franco an und fragte dann: »Wollen Sie wechseln, Sir?« Franco wandte sich um. »Nein, aber Sie können mir einen Gefallen tun und mir sagen, wo ich die Bar finde.« Das Lächeln der Kleinen verlor etwas von seinem Glanz. Man sah es lieber, wenn die Gäste spielten. »Gehen Sie links an der großen Bühne vorbei. Dann erreichen 44
Sie die Bar.« »Danke.« Franco Solo blieb noch stehen. »Sie haben einen neuen Boß bekommen, nicht wahr?« »Ja. Und?« »Es beunruhigt Sie nicht weiter.« Das Mädchen lächelte. »Wie sollte es? Ich bekomme mein Gehalt, und gespielt wird immer.« »Ja, gespielt wird immer. Da haben Sie wohl recht. Vielen Dank noch mal.« Franco ging. Die Angestellten kümmerte es nicht, wer an der Spitze saß. Sie wurden für ihren Job bezahlt und nicht fürs Nachdenken. Sorgen konnten sich die Verantwortlichen machen. Franco Solo sah auch die Bühne. Und manch ein Theaterboß hätte sich glücklich geschätzt für seine Akteure soviel Platz zu besitzen. Aber in einem Provinztheater traten bekanntlich keine internationale Showstars auf wie in Las Vegas. Das Programm begann erst um zwanzig Uhr, Franco Solo hatte noch genügend Zeit. Und die Darbietungen waren heißer geworden als früher. Denn neben dem Spielgeschäft blühte auch noch ein anderes. Das mit dem Sex! Die Girls, die auf der Bühne strippten, mußten schon eine Klasse für sich sein. Ähnlich wie in Paris, wo man im Lido oder anderen bekannten Etablissements auftrat. Sex heizte die Spieler an, ließ sie oft unüberlegte Entscheidungen treffen, die sich dann im Einsatz widerspiegelten. Es war schon ein verdammt raffiniertes Netz, in das sich der Besucher verstricken sollte und es auch tat. Die Bar war gigantisch. Sie teilte sich auf wie eine Zick-ZackLinie, bildete Nischen und Winkel, glänzte in einer rotbraunen Palisanderfarbe und wurde von zahlreichen winzigen Spotlights angestrahlt. Eine Kompanie von Mixern und leicht bekleideten 45
Mädchen bedienten die Gäste, holten aus den Spiegelschränken die exotischen Getränke, mixten, lächelten und servierten. Sehr viele Gäste sah Franco dort nicht. Die meisten zog es zu den Spieltischen. Er schlenderte langsam an der Bar entlang und an einem Mann vorbei, der wohl einen Hauptgewinn gemacht hatte. Er hatte die Dollarstücke vor sich hingelegt, zählte, stapelte sie zu Türmen und kicherte dabei. Seine Augen leuchteten wie im Fieberwahn. Franco nahm ein paar Sitze weiter Platz. Die drehbaren Hocker waren mit Cordstoff bespannt und äußerst bequem. Ein schmalhüftiger Mixer erkundigte sich nach seinen Wünschen. Franco bestelle einen Champagner-Cocktail. Eine Minute später bekam er das Getränk in einem Glas mit Zuckerrand serviert. Der Champagner schmeckte leicht bitter und ein wenig nach Gin. Das Getränk war nicht so Francos Fall. Er war ja auch nicht hier, um sich vollaufen zu lassen, sondern um an La Salle heranzukommen. Der Mafiajäger winkte dem Mixer. Der Knabe kam sofort. »Haben Sie irgendeine Beschwerde, Sir?« »Nein – aber eine Frage.« »Ich will Ihnen gern behilflich sein.« »Wann kann ich mit Mr. La Salle sprechen?« Das Lächeln des Mixers erlosch. »Sie – Sie meinen den neuen Chef unseres Hauses?« »Genau den, mein Freund.« »Das wird wohl nicht möglich sein, Sir, aber wenn Sie eine Beschwerde haben, so leite ich sie gern weiter.« »Nein, eine Beschwerde habe ich nicht. Ich möchte nur mit 46
Ihrem Boß reden. Ist das so schlimm?« »Soviel ich weiß, ist Mr. La Salle sehr beschäftigt. Er empfängt nur Besucher auf Voranmeldung.« »Dann wird er bei mir doch sicherlich eine Ausnahme machen.« »Das glaube ich kaum, Sir.« Franco holte einen Schein aus der Tasche. »Würde Sie das ein wenig beflügeln?« Der Mixer schüttelte den Kopf. »Sorry, Sir, aber Order ist Order. Tut mir leid.« »Ja, mir auch.« Franco ließ die Note wieder verschwinden. »Da sieht man wieder, daß man mit Geld nicht alles erreicht«, sagte plötzlich hinter ihm eine Stimme. Der Mafiajäger wandte sich um. Er sah in das Gesicht von Goldie Horn! *
Franco Solo holte tief Luft. »Sie hier?« sagte er. »Na und? Denken Sie, solch ein kleiner Rausschmiß schreckt mich ab? Aber nicht eine Goldie Horn.« Sie nahm auf dem Hocker neben dem Mafiajäger platz. Franco bemerkte, wie zwei Mixer ihre Köpfe zusammensteckten und tuschelten. Dann entfernte sich einer so auffällig unauffällig, daß dies schon verdächtig war. Goldie hatte nichts davon bemerkt, und Franco weihte sie auch nicht ein. Sie sollte unbefangen reden. »Darf ich Sie einladen?« Franco lächelte. »Meinetwegen. Aber bilden Sie sich deshalb keine 47
Schwachheiten ein.« »Wie käme ich dazu?« Franco bestellte eine kleine Flasche Sekt für die Reporterin. Lächelnd schenkte der Mixer ein und kümmerte sich dann um die anderen Gäste. Goldie hatte sich umgezogen. Sie trug einen roten Hosenanzug, der aussah wie die Kluft eines Tankwarts. Um den Hals hatte sie sich ein seidenes Tuch geschlungen und raffiniert verknotet, so daß es hinter ihrem Hals herflatterte wie ein Fahne. »Ist das jetzt der letzte Schrei?« fragte Franco und deutete auf ihren Anzug. »Ja, das ist ›in‹.« Sie nahm einen Schluck. »Nicht schlecht, das Gesöff«, kommentierte sie burschikos. Franco trank ebenfalls sein Glas leer und bestellte einen frisch gepreßten Orangensaft. »Gefällt es Ihnen hier?« fragte Goldie. »Es geht.« »Sind Sie in Big Bob Freelanders Auftrag gekommen, um die Lage zu sondieren?« Franco hob die Augenbrauen. »Welche Lage?« Goldie kicherte und tickte mit ihren spitzen Fingernägeln auf die Barplatte. »Sagen Sie nur nicht, Sie hätten nichts von dem Machtwechsel gehört.« Franco nahm von einem Teller ein paar Erdnüsse. Sie schmeckten bitter und waren zu weich. »Was sollte den vorgefallen sein?« Das Mädchen wurde wütend. »Halten Sie mich doch nicht für dumm, Franco. Sie spielen doch hier Freelanders Spion. Oder welchen Grund sollten Sie haben, hier herumzusitzen? Sagen Sie nicht, es gefällt Ihnen hier. Das nehme ich Ihnen nämlich nicht ab. Wie stehen Sie zu Big Bob? Stammen Sie aus seinem Management? Sind Sie einer seiner Aufpasser? Hat er Sie 48
gekauft?« »Nichts von alldem.« »Was dann?« Goldie trank hastig ihr Glas leer, und auf ihren Wangen bildeten sich rote Flecken. Sie hatte zu schnell getrunken. »Wenn Sie mir nicht die Wahrheit sagen wollen, ist mir das gleich. Aber glauben Sie mir, ich werde Sie in meinem Bericht bloßstellen. Wie kann man nur so verstockt sein? Hat Big Bob Freelander Ihnen den Mund mit Dollarscheinen zugepflastert?« Franco Solo amüsierte sich köstlich über den Temperamentausbruch der Reporterin. »Warum reden wir eigentlich nicht von Ihnen?« fragte er. »Von mir?« »Ja.« Sie lachte leise. »Aber worüber?« »Haben Sie nicht das Gefühl, in großer Gefahr zu sein? Sie haben mir selbst berichtet, daß Sie sich mit einigen Leuten angelegt haben. Ich schätze diese Männer als durchaus gefährlich ein. In diesem Geschäft wird mit harten Bandagen gefochten. Denken Sie an die Überfälle. Die Polizei sucht die Täter immer noch. Wie lange sind Sie schon in Ihrem Job? Ein Jahr, zwei Jahre? Kennen Sie denn die Realitäten immer noch nicht?« Goldie Horn wurde rot. Dabei sah sie reizend aus. »Es ist mein erster Auftrag.« Franco Solo schlug sich gegen die Stirn. »Auch das noch. Ein Küken, das man ins heiße Wasser geworfen hat.« »Jeder hat mal klein angefangen«, erwiderte Goldie trotzig. »Das stimmt, doch die meisten haben sich nicht um Dinge gekümmert, die einige Nummern zu groß für sie waren.« »Sie sind ja nur neidisch.« 49
Goldie Horn war unbelehrbar. Aber Franco wollte sie aus der Schußlinie halten, und irgendwie mußte er es schaffen, sie dazu überreden, den Job sausen zu lassen. Der Mixer störte seinen Gedankenfluß. »Entschuldigen Sie, Sir, aber hatten Sie nicht vorhin nach Mr. La Salle gefragt?« »Ja.« Goldie horchte ebenfalls auf, und das ärgerte Franco. »Mr. La Salle ist zwar nicht zu sprechen, aber einer seiner Stellvertreter. Wenn Sie ihm seine Wünsche vortragen wollen?« Wieder mischte sich Goldie ein. »Ha, Sie haben also nach diesem La Salle gefragt. Das wird ja immer schöner.« »Bitte seien Sie ruhig«, erklärte Franco. »Der Herr hat recht.« Der Mixer schlug in die gleiche Kerbe. »Man möchte …« »Sagen Sie Hastings, er ist ein Dummkopf!« fuhr ihm Goldie in die Parade. Die Reporterin wandte sich an Franco. »Will Hastings heißt La Salles Stellvertreter. Ein widerlicher Typ, eine Marionette in Mafiahänden. Ein Kerl, mit dem man alles machen kann …« »Sie sprechen doch nicht von mir?« erkundigte sich jemand neben Goldie. Unbemerkt war ein Mann an die Bar getreten. Ein Schönling mit wallendem Blondhaar, gebräuntem Gesicht und falschen Zähnen. Das weiße Smoking-Jackett war an den Schultern ausgestopft. Trotzdem konnte es den kleinen Spitzbauch nicht kaschieren. Goldie verzog die Mundwinkel. »Doch von Ihnen rede ich, Hastings. Von keinem anderen.« »Sie sind zwar eine Dame, aber auch von Ihnen lasse ich mich nicht beleidigen. Denken Sie dran, daß Sie schon einmal aus diesem Kasino entfernt worden sind.« Das Sektglas war noch gefüllt. Goldie packte es, ein Schwung, 50
und schon klatschte das Prickelwasser in Hastings Gesicht. »Da haben Sie meine Antwort, Sie Schleicher!« Franco mußte lachen, obwohl die Situation nicht sehr komisch war. Das merkte er, als Hastings mit den Fingern schnippte. Plötzlich standen mehrere Männer in Francos Nähe. Sie taten nichts, noch nichts, aber sie hatten ihre Hände in den Taschen vergraben, und ihre Finger umklammerten sicherlich keine Taschentücher. Franco zählte vier Rausschmeißer. Ein ungleiches Verhältnis. William Hastings tupfte sich den Sekt aus den Augen. »Gehen Sie freiwillig?« herrschte er Goldie an. Die schüttelte den Kopf. »Okay, dann …« »Augenblick noch«, sagte Franco. »Diese Dame gehört zu mir. Und sie steht unter meinem Schutz. Wenn Sie sie aus dem Kasino werfen wollen, dann müssen Sie mit mir das gleiche machen. Und so einfach bin ich nicht zu bezwingen.« Hastings stand da und atmete schwer. Er knetete die Finger ineinander, wußte nicht, was er machen sollte. Franco Solo fuhr fort. »Außerdem wollte ich nicht mit Ihnen reden, sondern mit La Salle.« »Mr. La Salle hat zu tun, das ist Ihnen bereits schon gesagt worden, Mister.« »Aber ich bin hartnäckig.« »Tut mir leid.« Hastings deutete eine steife Verbeugung an. »Nehmen Sie noch einen Drink, und verlassen Sie unser Kasino. Sie sind hier unerwünscht.« Franco stieß seinen Zeigefinger vor und berührte damit Hastings Brust. »Wann ich gehe, bestimme ich. Vorschreiben lasse ich mir nämlich nichts. Das sollten Sie sich merken.« 51
Bis jetzt hatte sich Hastings mühsam beherrscht. Doch nun war das Maß seiner Meinung nach voll. Hinzu kam, daß einige Gäste aufmerksam geworden waren, sich auf ihren Drehhockern umgewendet hatten und in die Richtung der Streitenden blickten. Hastings war nicht mehr zu bremsen. Er faßte in die Tasche und hielt plötzlich einen Derringer in der Hand. »Jetzt ist Schluß!« sagte er. Die beiden Läufe verschwanden fast in seiner Pranke, aber Franco wußte genau, daß ein Derringer beileibe keine Spielzeugpistole war. Auf kurzer Entfernung abgefeuert, rissen die Kugeln ebensolche Löcher wie andere Kaliber. »Sind Sie verrückt!« platzte Goldie Horn hervor. Franco blieb steif sitzen. Aus den Augenwinkeln beobachtete er die vier Rausschmeißer. Sie zogen den Kreis enger. Hastings lächelte wölfisch. »Hier habe ich das Hausrecht. Sie und das Weib werden jetzt ohne großes Aufsehen aus dem Kasino verschwinden. Und zwar gehen Sie durch einen Seitenausgang. Wenn Sie sich noch einmal blicken lassen, hagelt es Blei.« »Das ist eine Drohung«, stellte Franco sachlich fest. »Es sollte auch eine sein.« »Sie fühlen sich wohl sehr sicher, Mr. Hastings. Haben Sie keine Angst, daß die Polizei sich für Ihre Art von Hausherrschaft einmal interessieren könnte?« »Das glaube ich kaum.« »Haben Sie einen besonderen Grund dafür?« »Schluß mit der Rederei«, sagte Hastings. »Verschwinden Sie!« 52
Goldie Horn schüttelte stur den Kopf. »Ich denke gar nicht daran. Noch nie bin ich der rohen Gewalt gewichen.« »Dann machen Sie es jetzt zum ersten Mal«, sagte Franco. Goldie lachte hektisch. »Sie kneifen?« »Ja.« »Ihr Freund ist vernünftiger«, meinte Hastings spöttisch. »Sie sollten sich an ihm ein Beispiel nehmen.« »Ach, halt den Rand.« Hastings wurde rot. Auf seinem Gesicht glänzten noch die letzten Sektperlen. Franco faßte nach Goldies Arm. »Kommen Sie jetzt«, sagte er. »Er ist besser!« »Feigling!« zischte sie ihm ins Ohr. Franco Solo kümmerte sich nicht darum. Als er vom Hocker rutschte, hatten ihn die vier Bullen schon eingekreist. Von weitem sahen sie elegant aus in ihren dunklen Abendanzügen, doch wer sie näher betrachtete, der merkte schnell, daß die Garderobe ebenso zu ihnen paßte, wie der Tanga zum Eskimo. Die hielten die Hände in den Jackettaschen. Francos Blicke glitten abwärts, und er sah, daß die Burschen in der Tat Kanonen umklammert hielten. Von ihren Fingern stammten die Ausbuchtungen nicht. »Zwei von euch reichen«, sagte Will Hastings. Franco wunderte sich, daß sie ihn noch nicht erkannt hatten. Schließlich hatte er zwei Kerle aus ihren Reihen im Hotelflur des Hilton ausgeknockt. Wahrscheinlich hatten die Typen ihre Niederlage nicht eingestanden, um sich nicht zu blamieren. Goldie Horn brachte ihre Lippen dicht an Francos Ohr. »Im Hotel waren Sie mutiger. Aber vielleicht war das nur ein Glücksfall.« Der Mafiajäger sagte nichts. 53
Er und Goldie mußten vor den Gorillas hermarschieren. Er nahm an, daß sie wirklich zum Ausgang gebracht wurden. Höchstwahrscheinlich konnten sich die Mafiosi keine große Auseinandersetzung leisten. Denn eine Schlägerei oder – was noch schlimmer war –, eine Schießerei wäre bestimmt nicht ohne größeres Aufsehen über die Bühne gelaufen. Und auf diese negative Werbung legte die Mafia bestimmt keinen Wert. Franco konnte sich gut in seine Gegner hineinversetzen. Er kannte die ›Ehrenwerte Gesellschaft‹ lange genug, um zu wissen, daß sie sich vor einem großen Sturm immer ruhig verhielt. Aber Solo wollte die Typen aus der Reserve locken. Er hatte vor, die Rolle eines Magneten zu spielen, um die richtigen Leute auf sich zu lenken. Wenn nur Goldie Horn nicht gewesen wäre. So nett die Kleine auch war, so wenig konnte er sie jetzt gebrauchen. Er mußte Goldie irgendwie aus dem Schußfeld schaffen. Sie und er wurden auf die Bühne zugeführt. Ein roter Vorhang deckte sie zu dem Publikum hin ab. Die Falten bewegten sich im Zug der Klimaanlage. »Geh links vorbei!« befahl einer der Gorillas. Franco gehorchte und zog Goldie mit. Er hielt noch immer ihren Arm gefaßt, aber sie war wütend wie selten. Franco sah es ihrem Gesicht an. Es wirkte verkniffen, die Wangenmuskeln zuckten. Goldie stand unter Dampf. Hoffentlich ließ sie ihn nicht im falschen Moment ab. Natürlich hatte Franco Solo auch mit dem Gedanken gespielt, sich aus dem Staub zu machen. Die Gorillas hätten sicherlich nicht geschossen, denn so wichtig war er im Moment auch nicht, aber er wollte zu La Salle vordringen, und er hatte einen Plan. 54
Sie erreichten das Ende der Bühne. »Jetzt nach rechts!« Goldie und Franco liefen auf eine Wand zu. Als sie nahe heran waren, erkannten sie die Umrisse einer Tür. Sie führte wohl hinter die Bühne, war ein Seiteneingang. Franco sah sich nicht enttäuscht, als er die Tür aufdrückte und er sich neben der Bühne befand. Der Bühnenboden reichte ihm bis zum Kinn hoch. Die Dekoration stand bereits. Sie zeigte eine orientalische Landschaft. Einen Garten mit zahlreichen Toren, Rundbögen und weißen Pappmauern. Ein Springbrunnen war ebenfalls nachgebaut worden und die Oberfläche eines herzförmig angelegten Pools schimmerte wie echtes Wasser. Arbeiter befanden sich nicht auf der Bühne. Auch in den hinteren Gassen bewegte sich niemand. Dort nistete die Dunkelheit. Es brannte nur ein Scheinwerfer, und der leuchtete die Mitte der Dekoration aus. Zur Bühne hoch führten mehrere Leitern. Sie waren an den Seiten befestigt, denn hinten schloß die Dekoration mit einem blauen Himmel ab. »Rauf auf die Bretter, ihr Statisten!« forderte einer der Gangster. Franco ließ Goldie vorgehen. Ihr aufregendes Hinterteil interessierte ihn im Moment nicht. Jetzt ging es um andere Dinge. Der Mafiajäger bekam einen Schlag in den Rücken. »Und nun du, du Bastard.« Franco stolperte nach vorn und stieß sich an der untersten Eisensprosse das Knie. Die Gangster lachten. Sie fühlten sich siegessicher und machten den großen Fehler, Franco und Goldie allein auf die Bühne hochgehen zu lassen. Goldie schaute Franco verächtlich an. 55
Als er auf der obersten Sprosse stand, murmelte er: »Geh’ zur Seite!« Goldie verstand sofort. In den Dingen war sie clever. Franco Solo aber gab sich einen letzten Schwung und stand auf der Bühne. Er senkte den Kopf ein wenig und peilte aus den Augenwinkeln nach hinten. Gorilla Nummer eins folgte ihm. Bis zur Hälfte der Leiter ließ der Mafiajäger ihn kommen. Da hatte er genau die richtige Position, und Franco Solo legte los. Aus dem Stand wirbelte Franco Solo herum. Gleichzeitig fuhr sein rechter Fuß hoch, und als er in Höhe des Gangsterkopfes war, ließ Franco sein Bein vorschnellen. Er traf. Der Schläger wurde buchstäblich von der Leiter gefegt, prallte gegen seinen Kumpan und riß diesen auch noch mit. Beide fielen zu Boden und bildeten dort ein ineinanderverkeiltes Knäuel. Goldie Horn klatschte in die Hände. »Bravo!« rief sie. »Also doch nicht der Feigling.« Die Reporterin freute sich zu früh. Der Kampf war noch nicht beendet, er ging erst richtig los. Als sich die beiden Schläger wieder ›entwirrt‹ hatten, sprangen sie sofort nach links und rechts zur Seite. Ihre Hände glitten in die Taschen, wo die Kanonen steckten. Jetzt wurde Franco zum Artist. Wie im Western-Film der große Karateheld sprang er von der Bühne. Seine Beine fächerten dabei auseinander wie zwei Scherenschenkel, und noch ehe die Schläger ihre Kanonen aus den Taschen holen konnten, war Franco über ihnen. Wieder gingen die beiden zu Boden. Diesmal ließ der Mafiajäger ihnen keine Zeit, sich etwas 56
Neues einfallen zu lassen. Er riß den Schläger hoch, der ihm am nächsten stand und verpaßte ihm eine knallharte Rechte. Der Kerl legte sich lang. »Paß’ auf, Franco!« gellte Goldies Stimme. Solo sprang zur Seite und flog gleichzeitig herum. Schläger Nummer zwei hatte seinen Revolver hervorgerissen. Er brachte soeben die Waffe in die genaue Schußlinie. Und der Endpunkt dieser Linie war Franco. Klar, daß der Mafiajäger etwas dagegen hatte. Wieder hätte bei dieser Aktion sein Karatelehrer Beifall geklatscht. Der Waffenarm des Schlägers flog in die Höhe. Die Kanone machte sich selbständig. Wuchtig wurde sie ihm aus den Fingern gewirbelt, drehte sich einige male um die eigene Achse und schlidderte über den erhöht liegenden Bühnenboden, wo sie Goldie Horns leichte Beute wurde. Hastig steckte die Reporterin die Kanone in ihre Handtasche. Franco hatte sich zu sicher gefühlt. Er merkte es, als ihn ein Ellbogenstoß auf den Solar Plexus traf. Jetzt wurde ihm die Luft knapp. Der Kerl vor ihm konnte ungeheuer einstecken. Er stemmte sich vom Boden hoch, schüttelte den Kopf und knurrte: »Nun mach dich auf was gefaßt, Mugger!« Seine rechte Faust flog vor. Die Linke kam blitzschnell hinterher. Franco wich zurück, pendelte die Schläge geschickt aus, und die, die seine Deckung trafen, hatten längst nicht mehr soviel Wucht. »Verdammt, Hundesohn, so stell’ dich doch!« knirschte der Schläger, als Franco wieder einmal zur Seite steppte und sein Gegner so ins Leere rannte. Und Franco blieb stehen. Aus der Drehung schlug er zu. Der Knockout war klassisch. 57
Francos Gegner legte sich schlafen. Schläger Nummer zwei hockte am Boden und stierte mit leicht umflortem Blick auf den Mafiajäger. Der Typ war noch nicht ganz beisammen. Franco Solo vermißte Goldies Kommentare. Als er einen Blick zur Bühne hochwarf, sah er auch den Grund. Drei Männer standen dort, bei deren Anblick sich Francos Magen leicht zusammenzog. Die Kerle dort waren um mindestens drei Klassen härter, als die beiden Gorillas. Und sie waren besser bewaffnet. Zwei von ihnen trugen Maschinenpistolen der Marke Thompson, deren Mündungen genau auf die rotblonde und schreckensstarr dastehende Goldie Horn zeigten … *
Franco Solo ließ die Arme sinken. »Komm hoch!« forderte ihn der dritte Kerl auf, der keine Waffe in den Händen hielt. Aber ihn schätzte Franco als gefährlicher ein, als die beiden anderen. Er hatte dunkles Haar, rot umränderte Augen und einen Blick, der nur eins versprach. Den Tod! In Bruchteilen von Sekunden dachte Franco über den Typ nach. Er kam zu dem Ergebnis, daß er es hier mit Lucio La Salle zu tun hatte. Es war einfach ein Gefühl, denn beweisen konnte er nichts. Mit einem flauen Gefühl in der Magengegend kletterte Franco Solo die Sprossen hoch. Goldie war von den beiden Bewaffneten etwas zur Seite hin 58
abgedrängt worden, so daß Franco dem Albino direkt gegenüberstand. La Salle und er musterten sich. Bis der Killer eisig lächelte. »Tolle Schau, die du da abgezogen hast«, meinte er lässig, ohne die Lippen beim Sprechen zu bewegen. Franco hob die Schultern. »Man tut, was man kann, nicht wahr?« »Ja. Und wenn wir dich und die Süße umlegen, haben wir auch getan, was wir können. Du bist doch der Typ, der an der Bar die freche Schnauze riskiert hat?« »Genau der.« »Hat man dir nicht gesagt, wohin du sollst?« »Schon.« Franco deutete mit dem Daumen über die Schulter. »Aber man sollte dann keine Schwächlinge nehmen.« La Salle hob die Schultern. »Die beiden sind an sich nicht schlecht«, verteidigte er seine Leute. »Bisher jedenfalls haben sie gereicht.« »Aber wenn richtige Männer kommen, ziehen sie den Schwanz ein.« »Du hältst dich also für einen richtigen Mann.« »Ja.« »Aber das nützt dir auch nichts, wenn du tot bist.« »Damit würde ich warten.« »Sag mir den Grund.« Franco Solo holte tief Luft. Jetzt kam es darauf an, ob seine Taktik Erfolg hatte. Möglichst gleichgültig erwiderte er: »Ich möchte bei dir arbeiten, La Salle!« Er sagte den Namen auf gut Glück, doch La Salles Reaktion war zu entnehmen, daß Solo voll ins Schwarze getroffen hatte. Ein überraschter Ausdruck zeigte sich in seinen wässrigen Augen. 59
Goldie Horn reagierte anders. »Dreckiger Gangster!« schrie sie. La Salle sagte nur: »Jason!« Noch bevor Franco Solo etwas unternehmen konnte, hatte Burke zugeschlagen. Seine Hand klatschte gegen die Wange des Mädchens. Goldie schrie auf, und Mike Conetto, der andere Gangster, lachte schmierig. »Es war nur eine Warnung«, erklärte La Salle lässig. »Beim nächstenmal wird es härter. Und nun wieder zu uns, Mister. Du suchst also einen Job.« »Genau.« »Und warum ausgerechnet bei mir?« Franco lächelte mokant. »Es hat sich eben herumgesprochen, daß du gute Leute brauchst.« »Und du hältst dich für gut?« »Habe ich das nicht eben bewiesen?« Lucio La Salle schüttelte den Kopf. »Die zwei Riesenbabys macht jeder von uns mit der linken Hand fertig. Nein, da mußt du schon andere Sachen zeigen.« »Und welche?« »Darauf komme ich später noch zu sprechen. Vielleicht«, schränkte er ein. Dann drehte La Salle sich halb um und zeigte auf Goldie Horn, deren Wange angeschwollen war. »Was ist mit ihr? Ist sie vielleicht deine Sekretärin, die mitgeht, wenn du einen Job suchst?« »Nein«, erwiderte Franco und sagte etwas, das ihm zutiefst zuwider war, das er aber tun mußte, um die Dinge voranzutreiben. »Ich habe sie zufällig im Hotel kennengelernt und an der Bar hier im Kasino wiedergetroffen. Reiner Zufall, steckt nichts weiter dahinter.« Franco Solo blickte Goldie dabei an, und als er in ihrem Gesicht las, was sie von ihm dachte, schämte er sich zutiefst, doch er riß sich im letzten Moment zusammen. Vielleicht gab es 60
später eine Gelegenheit, Goldie über seine wahren Absichten in Kenntnis zu setzen. Hier mußte er erst einmal mit den Wölfen heulen. Lucio La Salle sah ihn lange an. Sein Blick strahlte eine Eiseskälte aus, und ließ jede Menschlichkeit vermissen. Der Mafiajäger wußte auch, daß sein Leben auf des Messers Schneide stand. Ging der Killer nicht auf seinen Vorschlag ein, so war ihm der Tod sicher. Als sich La Salle nach seinem Namen erkundigte, da wußte Franco, daß er schon halb gewonnen hatte. »Ich heiße Dino Moreno«, sagte er. Die Lüge kam ihm glatt über die Lippen. Franco war es gewohnt, unter falschem Namen zu agieren. Seine Papiere waren ebenfalls auf Dino Moreno ausgestellt. »Noch nie gehört«, sagte La Salle. Er wandte sich an seine Kumpane. »Ihr?« Sie schüttelten die Köpfe. »Sie kommen auch nicht aus den Staaten«, sagte der Mafiajäger. »Woher weißt du das?« fragte La Salle. »Ein Mann wie ich kennt sich eben im Geschäft aus.« Zum ersten Mal mischte sich Mike Conetti ein. Sein Pickelgesicht verzerrte sich. »Das scheint ja ein ganz Schlauer zu sein«, bemerkte er zynisch. »Und ganz Schlaue mag ich nicht.« Er schwenkte seine Waffe, und die Mündung pendelte sich auf Franco ein. »Soll ich ihm eine Garbe geben, Lucio?« »Nein.« »Warum nicht? Was hast du an dem gefressen?« »Sag dem Kläffer, er soll sein Maul halten«, mischte sich der Mafiajäger ein. Mike Conetti drehte durch. Er schoß zwar nicht – dazu hatte er 61
keinen Befehl bekommen – dafür rannte er vor, um Franco den Waffenlauf in den Leib zu stoßen. Der COUNTER MOB-Agent wich geschickt aus, und säbelte Conetti mit einem Tritt die Beine weg. Der Killer überschlug sich am Boden, fluchte, warf sich herum – und schaute in die Mündung von Francos 38er. Niemand hatte mitbekommen, wie schnell der Mafiajäger zog, aber Conetti wurde plötzlich blaß und schluckte hart, während Jason Burke krächzend lachte. »Reicht das?« fragte Franco gefährlich leise. »Steh auf und halte dich ruhig!« befahl Lucio La Salle. Erst nach diesen Worten entspannte sich die Lage. Mike Conetti erhob sich vom Boden und nahm wieder seinen Platz ein. »Steck’ deine Kanone weg!« sagte La Salle zu Franco. »Wir gehen jetzt.« Solo ließ die Waffe verschwinden. Wohl war ihm nicht dabei. »Und wohin?« La Salle grinste. »Zu unserem Hauptquartier.« »Heißt das, daß ich angenommen bin?« »Vielleicht …«
*
Natürlich wußte auch Big Bob Freelander, was die Glocke geschlagen hatte. Und er traf seine Vorbereitungen. Freelander befehligte ein Heer von Männern. Spitzel, Aufpasser, Zuträger und Angestellte. Er hatte sie in Gruppen unterteilt. Jede Gruppe wurde von einem von ihm persönlich ausgesuchten Mann geleitet. Es waren in der Regel Vietnam62
Veteranen, die keinen anderen Job mehr bekommen hatten und Freelander deshalb für diese gut bezahlte Tätigkeit dankbar waren. Im Klartext hieß das: Sie gingen für ihn durch die Hölle. Die sechs Leute hatte er sich in sein Büro bestellt. Stramm wie Rekruten standen sie vor seinem Schreibtisch, hinter dem Freelander wie ein General persönlich hockte. Seine Blicke tasteten jeden einzelnen ab. Er las die wilde Entschlossenheit in den Gesichtern der Leute und nickte zufrieden. »Sie wissen alle, worum es geht«, sagte er. »Diese Stadt ist in Gefahr, von einer Verbrecherorganisation unterwandert zu werden. Und wenn das geschieht, sind Sie Ihre Jobs auch los. Darüber muß sich jeder im klaren sein.« Die Männer nickten. »Aber wir werden nicht zusehen, daß hier wieder Zustände eintreten wie kurz nach dem Krieg. Die Mafia darf einfach keine Chance haben, Las Vegas unter ihre Kontrolle zu kriegen.« Big Bob schlug mit der Faust auf den Tisch, um seine Worte zu unterstreichen. »Um das zu verhindern, sind Sie da, Gentlemen. Jeder von Ihnen befehligt eine Wachmannschaft. Rufen Sie Ihre Leute zusammen und schärfen Sie ihnen erhöhte Wachsamkeit ein. Sobald jemand der Leute merkt, daß sich die Mafia breit macht, soll er ihnen Bescheid geben. Wir wollen erst gar nicht zurückschlagen, sondern den Hundesöhnen zuvorkommen. Sie sind für die Sicherheit der Stadt verantwortlich. Und ziehen Sie die Frauen ab. Für nette Dekorationen haben wir jetzt keine Zeit mehr. Was folgt, ist hart und reine Männersache. Unsere Geldgeber können es sich einfach nicht leisten, ein Vermögen zu verlieren. Denken Sie daran, welch einen politischen Einfluß die Banken in unserem Land haben.« Einer der Männer trat vor. Er war ein grobknochiger Typ mit einer Narbe auf der linken Wange. »Haben Sie besondere 63
Anordnungen für uns, Sir?« »Ja.« Jetzt erhob sich Big Bob Freelander. Auf sein Fingerschnippen hin wurde der Raum dunkel. Der dienstbare Geist, der dafür verantwortlich war, ließ auch eine Leinwand aus der Decke fahren. Sie stoppte dicht über dem Fußboden. Zwei Sekunden später wurde der Stadtplan von Las Vegas auf die Leinwand projiziert. Jede Straße, jedes Hotel und jede Bar war darauf verzeichnet. Der Schatten eines Zeigestocks erschien. Big Bob hielt den Stab in seiner rechten Hand. Die Spitze deutete auf das Metronom-Kasino. »Hier sitzen unsere Gegner«, sagte er mit fester Stimme. »Es ist bekannt, daß die Mafia Leute in die Stadt geschleust hat, die sich an den ehemaligen Besitzer des Metronoms, Simon Hall, herangemacht haben. Hall wurde gezwungen, einen Kaufvertrag zu unterschreiben. Als er dies getan hatte, ließ man ihn verschwinden. Offiziell hieß es, er wäre verreist. Das Gegenteil jedoch können wir nicht beweisen. Ferner sind die Killer noch nicht gefunden worden, die sich für das Blutbad in der Spielhalle verantwortlich zeigten. Außerdem ist uns der Mann noch unbekannt, der die Bombe in den Roulettisch geschmuggelt hat.« Der Knochige meldete sich wieder. In Vietnam war er Captain gewesen. Hier spielte er auch so etwas wie eine Führungsrolle. »Warum stürmen wir die Bude nicht einfach?« Big Bob Freelander wandte kurz den Kopf. »Wenn es nach mir persönlich ginge, würde ich das auch tun, aber ich muß Rücksichten auf meine Partner nehmen. Wie ich vorhin schon sagte, haben zahlreiche Politiker ihr Geld in Las Vegas angelegt. Käme es hier zu einem regelrechten Krieg, wäre die Öffentlichkeit geschockt. Außerdem würde das Image der Stadt sinken, die Besucherzahlen gingen zurück, der Geldstrom flöße langsamer, gewisse Leute sähen sich gezwungen, ihr Kapital 64
abzuziehen, und die Mafia würde sich ins Fäustchen lachen. Sie könnte diese Stadt Stück für Stück übernehmen. Das darf jedoch nicht passieren. Außerdem hätten es dann die Gruppen in unserem Land leicht, die schon immer gegen die Spielerstadt gewettert haben. Sie bekämen nur neue Nahrung. Nein, Freunde, wir müssen vorsichtiger zu Werke gehen und unsere Aktionen auf Schutzmaßnahmen beschränken.« »Soll das heißen, daß wir lebende Zielscheiben für diese Spaghettis sind?« Der Knochige hatte wieder die Frage gestellt. »So schlimm ist es auch nicht«, erwiderte Big Bob. »Außerdem habe ich vorhin von Schutzmaßnahmen gesprochen. Das heißt, wenn ihr angegriffen werdet, schießt zurück, aber greift nicht selbst an.« »Also warten, bis jemand von uns gekillt wird!« sagte ein anderer. »Das wäre aber nur der äußerste Notfall.« Unter den Männern entstand Unruhe. Sie sahen Freelanders Argumente nicht so recht ein. Aus Vietnam waren sie es gewöhnt, sofort zuzuschlagen und auch einmal selbst anzugreifen, aber hier wurde ihr Tatendrang zurückgehalten. Und das paßte ihnen nicht. »Ich weiß, wie schwer Ihnen das alles fällt«, gab Big Bob zu, »aber glauben Sie mir, ich sehe momentan keine andere Möglichkeit. Die Weichen stellen nicht wir, sondern andere. Ich bin auch nur Befehlsempfänger, eine Schachfigur in einem harten Spiel. Wenn es nach meiner Nase ginge«, er winkte ab. »Aber mich fragt ja keiner. Bin ich von Ihnen verstanden worden?« Die Antworten kamen zögernd. Man merkte es, daß diese Aktion den Männern gegen den Strich ging. Aber sie wurden von Freelander bezahlt und mußten sich seinen Anordnungen fügen. 65
»Okay«, sagte Big Bob. »Wie ich hinten herum erfahren habe, werden unsere Gegner versuchen, in der kommenden Nacht einen großen Schlag zu landen. Den müssen wir verhindern. Ich komme nun zu den Einzelheiten und warte anschließend auf ihre Vorschläge …« Die Männer rückten zusammen und traten dicht an die Karte. Jeder war ein Fachmann aus alten Vietnam-Zeiten, und gemeinsam machten sie sich daran, die Gegenmaßnahmen auszuarbeiten … *
Von all’ dem ahnte Franco Solo nichts. Er war mit in den Keller genommen worden. Das gewaltige Gewölbe – es glich manchmal einem Irrgarten – lag unter dem Metronom und war gleichzeitig die Einsatzzentrale der Bande. Das erste Problem hieß Goldie Horn. Sie war in eine kleine Kammer eingesperrt worden, die als absolut ausbruchsicher galt. Goldie hatte getobt und geschrien, doch das half ihr nichts. Sie mußte gehorchen. Widerstand war zwecklos. Jason Burke rammte die Tür zu und schloß ab. »Verdammte Hexe!« knurrte er und leckte über sein linkes Handgelenk, wo Goldies Nägel zwei rote Spuren hinterlassen hatten. Mike Conetti lachte meckernd. »So etwas werde in Zukunft ich übernehmen«, sagte er. »Mit Frauen kenne ich mich aus.« »Ich weiß nur, daß sie vor dir weglaufen!« konterte Jason Burke. Conetti rutschte von der Tischkante, auf der er gesessen hatte. »Sag’ das noch mal.« forderte er. Lucio La Salle betrat den Raum. Er war draußen gewesen und hatte telefoniert. 66
»Keinen Streit!« befahl er. Conetti trat zurück. »Irgendwann mache ich ihn so fertig, daß er in keinen Eimer mehr paßt.« La Salle winkte ab. »Schon gut, Mike.« Dann wandte er sich Franco Solo zu. »Setz dich doch, Dino.« Franco nahm in einem Ledersessel Platz. Der Raum war gemütlich eingerichtet. Mehrere Sessel standen um einen Tisch gruppiert herum. Kühlschrank und TV waren ebenso vorhanden wie eine gutbestückte Bar und die Teppiche auf dem Boden. Nur die fensterlosen Wände ließen darauf schließen, daß die Männer sich in einem Kellerraum befanden. Während Lucio La Salle und Franco Solo platznahmen, blieben die anderen beiden stehen. Sie ließen den Mafiajäger nicht aus den Augen, ihr Mißtrauen war einfach zu groß. Und La Salles Argwohn war ebenfalls nicht beseitigt. Er lächelte Franco ins Gesicht und sagte: »Ich habe einige Telefongespräche geführt und dabei deinen Namen erwähnt. Ich möchte Nachforschungen über dich anstellen lassen. Es dauert nicht lange, höchstens drei Stunden. Und bis dahin wirst du deine erste Aufgabe schon erledigt haben.« »Die wäre?« »Gemach’, mein Freund, gemach.« Der Killer sprach salbungsvoll wie ein Sektenprediger. »Erzähle mir lieber etwas über dich.« Franco lehnte sich zurück. Er mußte sich beherrschen, damit man ihm die Nervosität nicht anmerkte. Eine gut ausgebaute Lügengeschichte hatte er immer parat, und die präsentierte er La Salle auch. »Viel zu sagen gibt’s über mich nicht. Ich erledige Jobs. Meistens als Einzelgänger.« »Und warum kommst du dann zu mir?« »Weil ich gehört habe, daß es hier eine Menge Schotter zu 67
verdienen gibt.« »Wer hat dir denn den Floh ins Ohr geblasen?« »Der Wind. Er wehte aus der Gegend um Don Augusto Colossimo. Und er hat mir einiges geflüstert.« Mike Conetti zog den Korken aus einer Whiskyflasche. »Der Hund weiß verdammt gut Bescheid.« La Salle fuhr herum. »Laß das Saufen!« Hastig stellte Conetti die Flasche wieder weg. »Und was weißt du über Don Augusto Colossimo?« erkundigte sich La Salle lauernd. »Daß er der kommende Mann hier ist.« »Clever, sehr clever«, lobte der Albino. »Wie habt ihr das denn hier vor? Ich meine, es ist ja nicht ganz einfach, sich diese Stadt kurzerhand in die Tasche zu stecken. Da muß doch ein Plan bestehen?« »Dino.« La Salle legte seine Hand auf Francos Arm, und den Mafiajäger ekelte diese Berührung. »Du darfst zwar alles essen, aber nicht alles wissen. Noch gehörst du nicht zu uns.« »Aber das ist doch schon so gut wie sicher.« La Salle ging auf das Thema gar nicht ein. Statt dessen gab er Jason Burke einen Wink. Der Killer aus Südafrika verstand. Er schloß die Tür zu Goldie Horns Versteck auf. Seine Maschinenpistole hatte er dabei in die rechte Armbeuge geklemmt. Mit der freien linken Hand zog er die Reporterin aus ihrem Gefängnis. Goldie stolperte über die Schwelle. Ihr Haar war zerzaust, die Augen tränennaß, aber sie preßte die Lippen zusammen und hob trotzig den Kopf. Ihre Handtasche blieb auf der Schwelle liegen. Franco wußte, daß Goldie dort die Beutewaffe des überwältigten Schlägers versteckt hatte. Jetzt nutzte sie ihr nichts mehr. 68
Der Anblick schnitt Franco ins Herz, aber er mußte seine Rolle weiterspielen. Burke ließ das Mädchen nicht los. Schweigend vergingen einige Sekunden. Bis Lucio La Salle seinen Zeigefinger vorstach. »Sie ist ziemlich fesch, die Kleine, nicht wahr?« Er wandte sich mit dieser Frage an Franco. »Mag schon sein. Um das jedoch behaupten zu können, kenne ich sie noch nicht lange genug.« »Als Reporterin muß man Courage haben.« »Woher wissen Sie von Ihrem Beruf?« La Salle lachte überheblich. »Ich weiß so manches, was in dieser Stadt vor sich geht. Reporterinnen sind in der Regel sehr neugierig. Und Neugierde ist in unserem Geschäft leider schlecht. Wenn nicht sogar tödlich.« Goldie Horn erschrak, sie sagte jedoch nichts. Auch Franco wurde es plötzlich sehr unbehaglich. La Salle weidete sich an dem Entsetzen. Er genoß seine Position. »Und weil Reporterinnen so neugierig sind, habe ich beschlossen, die Kleine verschwinden zu lassen.« »Das übernehme ich«, meldete sich Mike Conetti. »Nein!« La Salle schüttelte den Kopf. »Unser lieber Dino will doch gern bei uns mitmischen. Gibt es einen besseren Einstand, als diesen kleinen Mord?« Franco hatte das Gefühl, als liefe ihm Eiswasser den Rücken entlang. Wie aus weiter Ferne vernahm er La Salles Worte. »Du wirst sie killen, Dino!« * Franco Solo schaffte es sogar, in diesen schrecklichen Sekunden 69
ein Lächeln aufzusetzen. »Wird mir wohl nichts anderes übrig bleiben.« La Salle grinste. »Mehr hast du dazu nicht zu sagen?« »Nein, warum auch?« Der Mafiajäger vermied es tunlichst, in Goldie Horns Richtung zu sehen. Trotzdem warf er ihr einen Blick aus den Augenwinkeln zu, und den Ausdruck, den ihr Gesicht zeigte, würde er nie in seinem Leben vergessen. Er brannte sich förmlich in seinem Gedächtnis fest. Angst, Entsetzen, Abscheu und Nichtbegreifen vermischten sich zu einer Sinfonie der Gefühle. Mike Conetti lachte glucksend. »Er nimmt tatsächlich an. Hätte ich nicht gedacht.« »Schließlich lebe ich davon«, gab Franco zurück. »Sehr richtig.« Lucio La Salle streckte die rechte Hand aus und drehte sie, damit die Innenseite offen lag. »Gib mir deine Kanone, Dino.« Franco gab es einen Stich. Er bemerkte plötzlich den Schweiß unter seinen Achseln. »Du bekommst sie ja wieder, wenn es soweit ist. Ich möchte nur nicht, daß du unterwegs auf dumme Gedanken kommst. Also mach’ schon.« Franco blieb nichts anderes übrig, als der Aufforderung nachzukommen, da er gleichzeitig mitbekam, wie Conetti die MPi in seine Richtung schwenkte. Francos rechte Hand rutschte unter die leichte Jacke, wanderte am Rücken entlang und zog mit spitzen Fingern die Waffe hervor. Es tat ihm leid, den 38er abgeben zu müssen. Jetzt fühlte er sich wie nackt. La Salle warf Conetti den Revolver zu. Der Killer fing ihn geschickt auf und ließ ihn in einer Gürtelhalfter verschwinden. »Jetzt bist du mir schon wesentlich sympathischer«, sagte er grinsend. 70
La Salle stand auf. Franco verfolgte ihn mit seinen Blicken. Der Mörder schritt auf einen kleinen Schrank zu, und öffnete dort eine Schublade. Er holte ein schmales Päckchen hervor, riß die Hülle auf und entnahm dem Päckchen einen breiten Pflasterstreifen. Damit schritt er auf Goldie Horn zu. Die Reporterin versteifte sich. Lucio La Salle blieb stehen und lächelte grausam. »Hier kannst du ruhig schreien, aber draußen nicht. Wir möchten dich nicht hier umlegen, sondern in der Wüste. Dort ist Platz genug.« »Nein … nein …!« Goldie schüttelte den Kopf, doch La Salle kannte kein Pardon. Er packte Goldies Haar, bog ihren Kopf zurück und klebte ihr das Pflaster über die Lippen. Es saß sofort fest und war auch nicht mit der Zunge herauszustoßen. Goldie rollte mit den Augen. Ihr Gesicht lief rot an. »Atmen Sie durch die Nase«, riet ihr Franco, der das einfach nicht mehr mit ansehen konnte. La Salle blickte ihn an. »Gefühle?« »Der ist doch weich wie Wagenschmiere«, gab Conetti seinen Senf dazu. »Das habe ich sofort bemerkt. Alles nur Schau und Tünche. Dino kannst du vergessen.« »Wir werden sehen.« La Salle sprach den Mafiajäger direkt an. »Du und das Mädchen fahrt mit Jason und Mike in die Wüste. Die beiden kennen sich dort aus. Sie haben schon mehrere Besuche hinter sich. Wenn alles vorbei ist, kommt ihr zurück, damit wir hier um Punkt Mitternacht zum Angriff blasen können. Klar?« Burke und Conetti nickten. Franco machte es ihnen nach. Er fragte sich nur, wie er je aus dieser Situation wieder herauskommen würde … * 71
Der Wagen wartete auf einem Hinterhof. Er stand neben einigen anderen Karrossen, mit dem Heck gegen eine Brandmauer gerichtet. Es war etwas kühler geworden, da die Sonne bereits nicht mehr zu sehen war, und die ersten langen Schatten der Dämmerung über die Stadt strichen. Franco fror plötzlich, wenn er daran dachte, was ihm bevorstand. Daß sie ihm immer noch nicht trauten, bewies die Tatsache, daß man ihn entwaffnet hatte, aber Franco besaß noch seine Fäuste. Er beherrschte zwar Karate und auch boxen, doch gegen Maschinenpistolen richteten bloße Fäuste nichts aus. Kugeln waren immer schneller – und wirkungsvoller. Daran dachte Franco als er auf den flaschengrünen Buick zuschritt, den die Gangster fuhren. Mike Conetti ging zwei Schritte schräg hinter ihm und wie zufällig zeigte die Mündung der MPi auch auf Franco Solo. Goldie Horn wurde von Jason Burke in Schach gehalten. Er hielt einen Schritt Abstand zu ihr, und es lag auf der Hand, daß Burke bei jedem Versuch einer Flucht schießen würde. Mike Conetti schloß die Türen des Wagens auf. »Du fährst«, sagte er zu Franco. Der Mafiajäger blieb stehen. »Ich kenne den Weg nicht.« »Den sagen wir dir schon.« Franco hob die Schultern und setzte sich hinter das Lenkrad. Mike Conetti nahm neben ihm Platz, während sich Goldie Horn und ihr Bewacher in den Fond setzen mußten. Goldie rückte bis dicht an die Tür. Sie wirkte wie ein ängstliches, verschüchtertes Reh. Burke grinste sie an. Die MPi lag auf seinem Schoß. Das Mündungsloch zeigte auf das Mädchen. 72
»Fahr' los!« befahl Conetti. Den Schlüssel hatte Franco zuvor bekommen. Langsam ließ er den Buick anrollen. Die Reifen glitten über glatten Beton. Rechts sah Franco eine Nische, in der sich Kisten, Karton und Mülltonnen stapelten. Letztere quollen über. Auch ein paar Einarmige Banditen rosteten vor sich hin, sowie eine Drahtgirlande mit zersplitterten Glühbirnen. Abfall einer Spielerstadt. Franco schaute in den Innenspiegel. Wenn er den Kopf etwas drehte, sah er einen Teil von Goldies Gesicht. Die Angst, die in ihr wütete, erkannte Franco in ihren Augen. Die Schnauze des Buicks schob sich durch die breite Einfahrt. Dann mußte Franco stoppen, denn der Verkehr auf dem Strip riß einfach nicht ab. Alles, was vier Räder hatte, schien unterwegs zu sein. Bei zahlreichen Wagen brannten schon die Scheinwerfer. Leuchtreklamen liefen jetzt um die Wette in ihrer augenverwirrenden Vielfalt. »Nach rechts«, sagte Conetti. »Okay.« Sie hatten etwas Spielraum, als ein Ampelstopp die quer fahrenden Wagen zum Halten zwang. Trotzdem mußte sich Franco Solo beeilen. Die Hinterreifen radierten quietschend über den von der Sonne aufgeweichten Asphalt, als er die Kurve nahm. Der Mafiajäger hatte keinen Blick für all die bunten, falschen Fassaden. Ihn beschäftigten andere Sorgen. Sie wollten in die Wüste, um ihn dort auf die Probe zu stellen. Mit einem Mord! »Wie fühlst du dich, Schlauer? Mies? Hast du schon mal eine Frau umgelegt?« Conetti konnte es nicht lassen. Voller Zorn preßte Franco Solo die Lippen zusammen. Er hätte dem Killer am liebsten seine Faust zu schmecken gegeben, aber er mußte sich beherrschen, schon allein aus dem Grund, um 73
das Mädchen nicht in unnötige Gefahr zu bringen. Hotel reihte sich an Hotel – Kasino stand neben Kasino. Oft klebten die Fassaden aneinander. Zwischenräume gab es keine. Plötzlich begann Franco diese Stadt zu hassen. Dieser aus der Wüste geschossene Moloch ohne Gefühl und Menschlichkeit, wo nur der nackte Dollar regierte. Und die Gewalt! Noch immer wußte der Mafiajäger nicht, wie er sich aus der Affäre ziehen sollte. Er mußte es eben darauf ankommen lassen. Es würde schwierig genug werden. Etwa fünfzig Meilen östlich lag der Hoover-Damm. Schon jetzt wiesen Schilder auf dieses fantastische Bauwerk hin. Dieser künstliche See, der von mehreren Flüssen gespeist wurde, versorgte auch die Stadt Las Vegas mit Wasser. Sie erreichten die Außenbezirke. Wohnviertel, angelegt nach einem Schachbrettmuster. Sie erinnerten Franco Solo sehr an die Halbinsel Manhattan. Die Sonne hatte er im Rücken. Kaum einen Fingerbreit stand sie noch über dem Horizont. Sie warf ihre allerletzten, langen Strahlen auf das Land und übergoß die Berge der Eldorado Mountains mit einem rotgelben Schleier. Dem Betrachter bot sich ein prächtiges Farbenspiel. Das Braun der Tageswüste war verschwunden. Die unzähligen Gesteinskristalle brachen und reflektierten das Licht, so daß schroffe Bergketten und sonst öde Flanken und Canyonarme in allen Farben des Spektrums schillerten. Die Landschaft war auf einmal so unbegreiflich schön, daß man ihre Vielfalt kaum schildern konnte. Franco liebte einen Sonnenuntergang im Gebirge oder am Meer sehr, doch an diesem Abend sah er davon nichts. Er nahm es wenigstens nicht bewußt auf. Goldie Horn bewegte sich im Fond. Sofort wurde Burke 74
mißtrauisch. »Bleibst du wohl ruhig!« zischte er. Da sackte die Reporterin wieder zusammen. Die Straße war sehr gut ausgebaut. Schließlich war man den Besuchern, die mit dem Wagen herkamen, einiges schuldig. Vierspurig stachen die Fahrbahnen in die Wüste hinein. Bis zum Hoover-Damm und seiner prächtigen Naturkulisse rings herum. Er war noch immer ein großer Anziehungspunkt für die Touristen. Viele verbanden ihren Las Vegas-Aufenthalt mit einem Besuch am Staudamm. Franco versuchte eine Unterhaltung in Gang zu bringen. »Wie weit ist es noch?« Mike Conetti neben ihm kaute Gummi. »Wirst du schon sehen«, erwiderte er lahm. Jetzt meldete sich auch Burke. »Er weiß noch nicht, daß Neugierde in unserem Job schadet.« Conetti kicherte hohl. »Dann wundert es mich, daß er überhaupt noch lebt.« Nun lachten beide. Nur Franco nicht. Aber er wollte die Killer aus der Reserve locken. »Was habt ihr eigentlich gegen mich?« fragte er wie nebenbei. Conetti antwortete. »Du stinkst uns, Partner. Das ist alles.« »Ohne Grund?« »Wir brauchen keinen.« »Auch eine Ideologie.« »Wenn du mal in Afrika oder Asien gekämpft hast, Partner, gewöhnst du dir ab, in ideologischen Modellen zu denken. Was zählt, ist der blanke Dollar. Oder auch Schweizer Franken.« Burke hatte diese Sätze gesprochen. »Dann seid ihr Söldner?« »Wußtest du das nicht, Dino?« höhnte Conetti. »Ich dachte, du 75
hättest dich über uns erkundigt.« »Nein, ich kenne nur La Salle.« »Wir waren dir wohl zu kleine Lichter, wie?« »Wem der Schuh paßt, der zieht ihn sich an.« Burke lachte vom Rücksitz her. »Der macht dich ganz schön fertig, Mike.« Conetti fluchte. »Er soll nur achtgeben, daß wir ihn nicht mal fertig machen.« »Dann müßt ihr den Job allein erledigen«, sagte Solo. Conetti fuhr mit der linken Hand über den Lauf seiner Maschinenpistole. »Glaubst du, das macht uns was?« Nein, bestimmt nicht, dachte Franco. Diese Typen waren noch mieser als mies. Sie gehörten zu den Söldnern. Ungefähr das dreckigste, was Franco sich vorstellen konnte. Sie verkauften sich für Geld und töteten auch dafür. Franco hätte ausspeien können. »Fahr mal langsamer, wir müssen gleich von der Straße runter«, sagte Conetti. Der Mafiajäger verringerte die Geschwindigkeit. Jason Burke bewegte sich im Fond. Er glitt nach links, streckte seinen Arm aus und riß dem Mädchen das Pflaster ab. »So«, sagte er, »jetzt kannst du schreien.« Goldie Horn holte tief Luft. Ein paarmal atmete sie durch. Ihr Gesicht war hochrot angelaufen. Als sie einer plötzlichen Eingebung nach dem Türöffner tastete, lachte Burke nur. »Der Wagen ist verriegelt, Süße. Du kommst hier nicht raus, wenn wir es nicht wollen. Höchstens als Leiche.« Da gab Goldie es auf und begann zu weinen. »Warum quält ihr die Kleine eigentlich?« fragte Franco. »Es reicht doch, daß sie bald stirbt.« »Unsere Angelegenheit, Menschenfreund.« Mike Conetti 76
prustete. »Also mit dir haben wir uns vielleicht einen angelacht. Da gibt’s nichts für. Nicht mal ’nen lausigen Cent.« »Die nächste Einmündung rechts rein«, meldete sich Jason Burke vom Rücksitz her. Franco nickte. Die Sonne war weiter gesunken. Noch glühten die Bergspitzen in einem wilden Feuer, aber die Schatten der Dämmerung wurden zusehends länger. Die Nacht löste den Tag ab. Das ewige Wechselspiel war in der Wüste besonders prächtig anzuschauen. Auch Franco Solo hatte die Scheinwerfer eingeschaltet. Die langen Lichtbahnen fielen auf den Beton der Straße und rissen auch die gut ausgebaute Abfahrt aus dem Zwielicht. Es war eine raffinierte Kurve. Sie wurde immer enger, und als Fahrer hatte man das Gefühl, sie würde nach innen laufen. Es bereitete Franco Mühe, den schweren Buick in der Spur zu halten. Am Ende der Ausfahrt traf sie auf eine Straße, die den Namen kaum verdiente. Piste wäre geeigneter gewesen. Sand und Staub hatten flache Schleier über die Fahrbahn geweht. Rechts funkelte die Lichterkette des Highways, von dem Franco abgebogen war. Die Straße, auf der sie sich jetzt befanden, lief noch ein Stück parallel zum Highway, entfernte sich jedoch dann nach Süden hin. Auf die Eldorado Mountains zu. Franco brauchte kein Hellseher zu sein, um sich vorstellen zu können, daß dort in diesem unwegsamen Berggelände das Mädchen Goldie Horn sein Grab finden sollte. Die Straße stieg an. Von den Bergen fielen die Abendwinde über das flache Land. Wie knochige Riesen erhoben sich wild geformte Tafelberge in den langsam dunkler werdenden Abendhimmel. Dazwischen schoben sich breite Schluchten und 77
auch schmalere Canyoneingänge. Staubschleier wehten über die Piste und führten im Licht der langen Scheinwerferlanzen bizarre Tänze auf. Die unzähligen Partikel glitzerten und gleißten. Vom Highway war nichts mehr zu sehen, und Franco Solo kam sich vor wie in einer Mondlandschaft. Die Stoßdämpfer des Buicks wurden durch die Schlaglöcher auf eine harte Probe gestellt. Der Wagen schaukelte wie ein Schiff bei hohem Seegang. Die Hinterräder wirbelten eine nie abreißende Staubwolke hoch, die sich wie ein Tuch auf den Wagen senkte und ihn mit einer puderartigen Schicht überzog. Vor ihnen öffnete sich das Maul einer Schlucht. »Fahr' hinein!« sagte Conetti. Er war ruhiger geworden, aber auch konzentrierter. Hin und wieder warf er dem Mafiajäger einen gespannten Blick zu. Conetti stand unter Dampf. Auch an ihm schien das vor ihm liegende Ereignis nicht spurlos vorüberzugehen. Sie durchquerten die Schlucht. Der Ausgang war breiter und mündete auf einem Plateau. »Fahr bis zum Rand!« sagte Conetti. Franco Solo folgte schweigend der Aufforderung. Er schaute in den Innenspiegel. Leider war der Winkel zu schlecht, er konnte Goldie Horn nicht sehen. Der Mafiajäger drehte das Lenkrad nach links. Die Reifen zermalmten kleinere Steine, so daß sie nach allen Seiten wegspritzten. Graues knöchelhohes Gestrüpp wuchs vereinzelt auf der weiten Plateaufläche. Die einzige Vegetation, die sich hier hielt. »Stopp!« Der Befehl kam vom Rücksitz her. Jason Burke hatte ihn ausgestoßen. Franco Solo ließ den Wagen ausrollen. Etwa zehn Yards vor der nördlichen Begrenzung des Plateaus hielt er an. Der Motor erstarb. 78
Es wurde still im Wagen. Eine Weile sprach niemand ein Wort. Franco drehte sich um. Er schaute in das verweinte Gesicht des Mädchens, wollte aufmunternd lächeln, aber er beherrschte sich im letzten Augenblick. »Schalte die Scheinwerfer aus!« kam Conettis Befehl. Franco gehorchte. »Und nun raus!« Der Mafiajäger öffnete die Fahrertür. Er schwang sich aus dem Wagen und sah, daß auch Goldie Horn ausstieg. Jason Burke folgte ihr augenblicklich. Dabei zeigte die Mündung der Maschinenpistole auf ihren Rücken. Mike Conetti verließ den Buick an der gegenüberliegenden Seite. Mit schußbereiter MPi lief er um die Kühlerschnauze herum und blieb drei Schritte neben Franco stehen. Er richtete die Waffe auf den Mafia Jäger, und Franco verspürte ein unangenehmes Kribbeln auf dem Rücken. Er mochte es nicht, wenn man ihn bedrohte, sagte aber nichts. »Und jetzt?« fragte Solo. »Geh vor bis zum Rand und sieh hinunter«, verlangte Conetti. Franco Solo hob die Schultern und setzte sich in Bewegung. Er tat ziemlich gleichgültig, doch innerlich war er angespannt wie eine Bogensehne. Wenn Conetti jetzt abdrückte, dann rettete ihn nichts mehr. Dicht am Rand blieb er stehen, beugte sich etwas vor und schaute nach unten. Dunkelheit. Tintig und schwarz. Erkennen konnte er nichts. Ein etwas kühlerer Wind strich über das hochgelegene Plateau und brachte feinkörnigen Staub mit. »Die Schlucht ist dreihundert Fuß tief!« hörte Franco hinter sich Conettis Stimme. »Da überlebt keiner, der erst einmal unten ist.« »Liegt dort auch Simon Hall?« 79
Conetti lachte. »Gut geraten, Dino. Das da ist unser spezieller Friedhof für besondere Freunde.« Franco ging wieder zurück. Er sah die Personen vor sich wie auf einer großen Bühne. Mike Conetti stand schräg links von ihm. Mit schußbereiter Waffe. Jason Burke hielt das Mädchen in Schach. Goldie Horn zitterte vor Angst im Angesicht des Todes. Die heiße Wut stieg in Franco hoch. Noch immer wußte er nicht, wie er sich aus dieser verdammten Situation retten sollte. Und vor allen Dingen mußte Goldie Horn am Leben bleiben. Solo blieb stehen. Er streckte den rechten Arm aus. Seine Stimme klang belegt, als er sagte: »Kann ich dann jetzt meine Kanone haben?« Die hatte Mike Conetti. Er lachte kalt. »Wofür?« »Ich denke, ich soll die Kleine …« Conetti schüttelte den Kopf. »Nein, Dino. Wir haben es uns anders überlegt. Wir legen die Puppe um!« Scharf saugte Franco die Luft ein. Er hatte das Gefühl einen Schlag mit dem Hammer bekommen zu haben. Aber Mike Conetti war noch nicht fertig. Er spielte seinen letzten Trumpf aus. »Und dich, Dino, legen wir gleich mit um.« Eine Pause entstand. Dann fragte der Mafiajäger: »Warum wollt ihr mich umlegen?« Conetti kicherte und hob die Maschinenpistole ein wenig an. »Weil du für uns zu einem Risikofaktor Nummer eins geworden bist, Dino. Oder soll ich lieber Franco Solo sagen?« *
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Der Mafiajäger war wie vor den Kopf geschlagen. Diese Eröffnung hatte ihn geschockt. Und doch gelang es ihm, möglichst gleichgültig zu wirken. »Was soll das? Wie redest du mich an?« »Du hast wohl verstanden!« erwiderte Conetti. »Franco Solo, Mister. Das bist du. Und diesen Namen kennen wir sogar. La Salle hat uns aufgeklärt. Die Kleine übrigens hat sich verplappert. Du hättest ihr eben deinen Falschnamen sagen sollen. Und als La Salle hörte, daß du mit Vornamen Franco heißt, liefen einige Telefondrähte heiß. Es war keine Schwierigkeit herauszubekommen, wie dein Nachname lautet. Pech für dich, Solo. Aber so ist das nun mal im Leben. Jeder erreicht irgendwann sein Ende. Heute bist du dran.« Franco wußte, daß leugnen keinen Zweck hatte. Die Stimme des Gangsters klang zu bestimmt. Und Franco stand vor der Mündung. Keine Chance mehr. Nicht für ihn und nicht für das Mädchen. Franco ballte in ohnmächtiger Wut die Hände. Er hatte verdammt hoch gespielt – und verloren. Wie es in Las Vegas üblich war. Verdammt … »Hat es dir die Sprache verschlagen?« höhnte der Killer, und Jason Burke lachte dazu. »Okay«, sagte Franco. »Ihr habt mich erwischt, aber was ist mit dem Mädchen? Laßt Goldie wenigstens leben. Ich bitte euch darum.« »Bist du verrückt?« kicherte Conetti. »Die Kleine ist eine Zeugin. Sie wird ebenso gekillt wie du. Da gibt’s nichts.« Plötzlich griff Goldie ein. »Darf ich zu ihm?« fragte sie. Die Killer wunderten sich. Conetti und Burke warfen sich 81
einen Blick zu. »Warum nicht?« fragte Burke. »Sie können uns ja doch nicht mehr gefährlich werden. Und warum sollen sie nicht gemeinsam sterben. Geh schon Süße, es werden sowieso deine letzten Schritte sein.« Goldie Horn schaute die beiden Killer unsicher an. Sie konnte es nicht glauben, und erst als Mike Conetti nickte und die Worte seines Kumpans bestätigte, setzte sie sich in Bewegung. Langsam kam sie auf Franco Solo zu. Sie wirkte wie ein ferngesteuerter Roboter. Ihr helles Gesichtsoval schälte sich aus der Dunkelheit. Franco sah ihre Augen, in denen plötzlich keine Angst mehr stand, und er sah das verzerrte Lächeln, das ihre Mundwinkel kräuselte. Etwas war mit der Reporterin geschehen! Einen Schritt vor Franco blieb sie stehen. Ihre Lippen bewegten sich, doch der Mafiajäger verstand nicht, was sie sagen wollte. Die Kehle des Mädchens war plötzlich wie zugeschnürt. Mike Conetti lachte. »Okay, du bist also bei ihm. Und jetzt?« Goldie wandte den Kopf. Franco Solo war in diesen Augenblicken zu einem Statisten degradiert. »Ich – ich möchte von ihm Abschied nehmen«, sagte sie gerade so laut, daß die Killer es hören konnten. »Wieso?« Goldie hob in einer etwas hilflos wirkenden Geste die Schultern. »Er hat viel für mich getan. Ich – ich möchte ihm danken, daß er sein Leben riskiert hat.« Conetti begann zu lachen. »Wie in einer Liebesschnulze«, kicherte er. »Ach, so schön rührend.« Auch Franco Solo wußte nicht, was das alles bedeuten sollte. So etwas hatte er noch nie erlebt. Drehte Goldie Horn jetzt durch? War durch die permanente Gefahr ihr Sinn verwirrt 82
worden? »Darf ich?« fragte Goldie Horn. »Okay, meinetwegen. Wir sind ja keine Unmenschen. Du kannst Abschied nehmen, Süße.« »Ich danke Ihnen.« »Die muß verrückt sein«, sagte Burke. Goldie Horn trat dicht an Franco heran, hob ihre Arme und schlang die Hände um seinen Nacken. Fest preßte sie sich an ihn. »Goldie, ich …« »Sei ruhig, Franco.« Ihre murmelnde Stimme befand sich dicht neben seinem linken Ohr. »Es ist alles nur ein Trick. Ich habe die Waffe aus der Tasche genommen und eingesteckt. Faß bitte unter meinen Overall. Dort steckt sie …« Eine Chance? Franco glaubte, sich verhört zu haben, während Goldies Lippen weiterwandern, über sein Gesicht fuhren und sich seinem Mund näherten. Dann küßte sie ihn. Francos Hände aber gingen auf Wanderschaft. Sie fuhren unter den Overall, über den er gelacht hatte. In einer normalen Situation hätte Franco an alles andere gedacht, nur nicht daran, sein Leben zu retten. Und Goldie küßte ihn. Ihre Lippen wollten sich kaum von seinem Mund lösen. Sie bewegte sogar ihren Körper hin und her, um Franco die Suche zu erleichtern. »He, wollt ihr hier die große Schau abziehen?!« schrie Mike Conetti. »Mensch, denkt lieber daran, daß ihr gleich da unten liegt.« Goldie Horn nahm ihren Kopf ein wenig zurück. »Hast du sie?« hauchte die Reporterin. 83
»Ja, jetzt!« Francos Finger fühlten das kühle Metall der Waffe. Es war ein Cobra Colt. Ziemlich handlich, aber äußerst gefährlich. Dem Mafiajäger blieb nicht die Zeit, zu kontrollieren, ob die Waffe auch geladen war. Er mußte alles auf eine Karte setzen. Langsam zog er die rechte Hand hoch. »Seid ihr endlich fertig!« brüllte Conetti. »Los auseinander, es gibt Stoff!« »Franco, ich …«, flüsterte Goldie. »Keine Angst, Mädchen. Mach genau, was ich dir sage. Wenn ich dich zu Boden stoße, bleib um Himmels willen liegen, Okay?« »Ja.« »Verdammt!« schrie Conetti. »Auseinander!« Franco warf einen Blick über Goldies Schulter. Breitbeinig stand Conetti da, die Maschinenpistole in Anschlag. Und dann reagierte der Mafiajäger. Er explodierte förmlich von einer Sekunde zur anderen. Alles lief blitzschnell ab, doch Franco kam es vor, als würde das Geschehen im Zeitlupentempo vor ihm abrollen. Wuchtig stieß er Goldie Horn zu Seite. Sie flog nach rechts, überschlug sich fast und prallte zu Boden. Franco segelte mit einem gewaltigen Hechtsprung in die entgegengesetzte Richtung. Und Conetti als auch Burke wurden von dieser Reaktion völlig überrascht. Dann aber begannen ihr Waffen zu hämmern. Rotgelbe Mündungsblitze zuckten vor den Waffenmündungen auf. Die Maschinenpistolen schleuderten ihr mörderisches Blei aus den Läufen. Das häßliche Tack Tack der schießenden Waffe 84
war für Franco Solo eine höllische Begleitmusik. Er schoß zurück. Franco Solo hatte sich über die Schulter abgerollt, sich dabei in eine gute Schußposition gebracht und hielt auf Conettis Mündungsfeuer, während die Kugeln der Killer dort den Boden umpflügten, wo der Mafiajäger vor Sekunden noch mit Goldie Horn gestanden hatte. Der Cobra Colt bäumte sich in seiner Hand auf. Zweimal ruckte er, dann schwenkte Franco die Waffe und zielte auf Jason Burke. Ein Schrei! Mike Conetti hatte ihn ausgestoßen. Er knickte plötzlich in den Knien ein, torkelte noch zwei Schritte nach vorn, ließ die MPi fallen und preßte beide Hände gegen seinen Körper. Schwer fiel er in den Staub und rührte sich nicht mehr. Burke sah seinen Kumpan fallen, hetzte schießend zur Seite, so daß Francos Kugel fehlte. Aber Burkes Garben lagen verflucht nah. Franco schnellte vom Boden hoch, rannte im Zickzack fünf Yards weiter, warf sich wieder hin, rollte einmal um die eigene Achse und feuerte zurück. Mit einem häßlichen Ton sägte seine Kugel durch das Blech des Buicks. Jetzt hatte der hintere Kotflügel ein Loch. Burke verschwand. Er schoß nicht mehr, sondern suchte Deckung hinter dem Wagen. Der Mafiajäger hatte noch zwei Kugeln in der Trommel. Er mußte sparsam mit seiner Munition umgehen, falls es ihm nicht gelang, an Conettis MPi zu kommen. Er riskierte einen raschen Blick auf Goldie Horn. Es war verdammt dunkel, aber er glaubte zu erkennen, daß die Reporterin zur Seite robbte. Franco Solo war beruhigt. 85
Er kam dem auf der Erde liegenden Killer immer näher. Nur noch zwei Schritte trennten ihn vom ihm. Am dunklen Himmel stand ein fahler Halbmond. In seinem Licht schimmerte der brünierte Waffenstahl. Der Mafiajäger packte zu. Da schoß hinter dem Buick Jason Burke hoch. Franco feuerte im Liegen, aber auch Burke schoß. Beide Garben mischten sich zu einer mörderischen Melodie. Autoscheiben zerplatzten, Blech riß, aber der Killer tauchte in Deckung. Auch Franco wechselte die Stellung. Sein Feuerstoß hatte ebenso gefehlt wie der seines Gegners. Der Kampf ging weiter. Franco Solo war in Schweiß gebadet. Er wußte, daß er einen Mann vor sich hatte, der wie ein Teufel kämpfte, und der um keinen Preis der Welt aufgeben würde. Der Mafiajäger befand sich dabei in einer schlechteren Position. Er war praktisch deckungslos. Wenn Burke die Nerven besaß und richtig streute, dann war er verloren. Aber Jason Burke dachte nicht daran. Er hatte etwas anderes vor. Flucht! Nicht zu Fuß, sondern mit dem Wagen. Jason Burke zog die Wagentür auf. Er versuchte dies lautlos zu machen, doch Franco hörte ihn trotzdem. »Burke!« schrie er. Franco Solo riskierte dabei alles. Er sprang auf, hielt die Maschinenpistole schußbereit und wollte Jason Burke zur Aufgabe zwingen. Doch der Gangster dachte nicht im Traum daran. Er war ein mit allen Wassern gewaschener Killer. Was Asiaten und Afrikaner nicht geschafft hatten, das gönnte er erst 86
recht diesem Solo nicht. Im Gegenteil, Jason Burke war fest davon überzeugt, den Spieß noch umdrehen zu können und Solo mit in die Hölle zu nehmen. Er rammte die Fahrertür zu. Im nächsten Moment sprang der Motor an, und lange Scheinwerferlanzen zerschnitten mit ihren hellen Speeren die Dunkelheit. Fernlicht! Franco sprang zur Seite, denn für den Bruchteil einer Sekunde war er geblendet und stand voll im Rampenlicht. Kaum hatte Franco die schützende Dunkelheit erreicht, startete der Wagen. Sein Ziel war ohne Zweifel der Mafiajäger. Franco hielt die Maschinenpistole in Hüfthöhe. Er ging leicht in die Knie, und bevor die Scheinwerfer sich noch auf ihn einschwenken konnten, zog er den Stecher durch. Wieder tanzten Mündungsflämmchen vor dem Lauf. Franco hatte etwas tief gehalten. Geschosse rissen die staubtrockene Erde auf, aber dann sägten die Kugeln gegen das Blech und zerrissen die Frontpartie der Kühlerschnauze. Plötzlich wurde es dunkel. Die Kugelgarbe hatte beide Scheinwerfer voll erwischt. Im ersten Moment konnte Franco nichts sehen. Der Wagen war für ihn ein Schatten, ein rollendes, rasendes Ungeheuer, das immer näher kam. Und genau auf ihn zu. Dann wagte Jason Burke alles. Er riskierte dabei, sich eine volle Garbe einzufangen, das Schicksal konnte sich aber auch zu seinen Gunsten wenden. Es kam darauf an, wer die besseren Nerven besaß und das Glück auf seiner Seite hatte. Burke gab Vollgas. Der Motor des Buick röhrte dabei auf wie ein wilder Stier, der ein rotes Tuch sieht. Die Reifen drehten 87
sekundenlang durch, dann aber machte der Wagen einen regelrechten Sprung und schoß genau auf den Mafiajäger zu. Franco hielt die Beute-MPi nach wie vor fest umklammert. Obwohl es dunkel war, glaubte er für einen winzigen Augenblick das Gesicht des Gangsters hinter der breiten Frontscheibe zu erkennen. Es war ein helles Oval. Der Mafiajäger mußte sich blitzschnell entscheiden. Sicher, er hätte schießen können. Vielleicht hätte er den Mann auch erwischt und den Buick zum Stoppen gebracht, aber es war nicht seine Art, sich ein Problem mit der Waffe vom Hals zu schaffen, wenn er noch eine andere Möglichkeit sah. Und war sie auch noch so klein. Denn wenn Franco ein schießwütiger Teufel gewesen wäre, hätte er sich von seinen Gegnern in nichts unterschieden. Er achtete ein Menschenleben. Nur zwangen ihn die Gegner und die Umstände immer wieder dazu, sich zu verteidigen. Meistens mit der Waffe in der Hand. Doch Franco schoß nie zuerst. Wenn er zurückfeuerte, dann verteidigte er sein eigenes Leben. Wie vorhin bei diesem ersten Killer namens Mike Conetti. Da hatte Franco keine andere Möglichkeit mehr gehabt, um sein und das Leben des Mädchens zu retten. Doch jetzt sah die Sache anders aus. Allerdings ebenfalls brandgefährlich. Der Buick kam. Schnell, wuchtig, wie ein künstliches Ungeheuer. Zwanzig Yard noch – dann fünfzehn – zehn … Und plötzlich flog die Fahrertür auf. Ein Körper hechtete gestreckt aus dem heranrasenden Buick. Jason Burke! Der Südafrikaner war wirklich ein Meister seines Fachs. Trotz der ungeheueren Geschwindigkeit, mit der er aus dem Buick katapultiert worden war, kam er gut auf rollte sich über die 88
Schulter ab, und freute sich schon über seinen Sieg, als er mit dem Kopf gegen die Steine prallte, sich die Haut aufriß, und während das Blut in seine Augen rann, kämpfte er verzweifelt gegen die Wellen der Bewußtlosigkeit. Das alles konnte Franco nicht sehen. Er mußte sich darauf konzentrieren, von dem heranrasenden, jetzt steuerlosen Wagen nicht zermalmt zu werden. Der Mafiajäger flog nach rechts. Es war ein gewaltiger Satz, wie ihn nur der fertigbrachte, dessen Kondition und Muskelkraft topfit waren. Bei Franco Solo traf dies zu. Etwa kniehoch wischte er über dem Boden, spürte den Sog, den der rasende Wagen verursachte, als er an ihm vorbeizischte, prallte auf die Erde, rollte sich geschickt ab und überschlug sich mehrere Male. Die Maschinenpistole hatte er zwangsläufig fallen gelassen. Sofort zog er sie wieder an sich und kam auf die Knie. Der Buick war verschwunden! Er hatte soviel Fahrt gehabt, daß er über den Rand des Plateaus hinweggeschossen und in die Tiefe gerauscht war. Den Beweis bekam der Mafiajäger noch in der gleichen Sekunde. In das Knirschen von Blech und das Splittern von Glas mischte sich die gewaltige Detonation, als der Buick in die Luft flog. Die Stichflamme züngelte hoch bis zum Plateaurand und übergoß einen Atemzug lang Franco Solo mit ihrem flackernden Licht. »Franco!« Das war Goldies Stimme. Der Mafiajäger wandte den Kopf. Nicht weit von ihm entfernt lag das Girl auf dem Boden. Goldie wollte hochkommen und zu ihm laufen, doch Franco winkte ab. »Bleib liegen!« »Warum?« 89
»Das erkläre ich dir später.« Franco wollte ihr jetzt nicht sagen, daß er immer noch damit rechnete von Jason Burke angegriffen zu werden. Der Mafiajäger ging dorthin, wo er Burke vermutete. Gekrümmt sah er den Killer am Boden liegen. War Burke tot? Hatte er seinen gewagten Sprung nicht überstanden? Ein Gefühl des Mißtrauens stieg in Franco Solo hoch. Killer von Burkes Schlag hatten das Leben einer Katze. Sie waren immer wieder auf dem Sprung. Zwei Schritte vor dem Gangster blieb der Mafiajäger stehen. Die erbeutete Maschinenpistole hielt er gesenkt, die Mündung deutete auf Jason Burke. Der Mafioso rührte sich nicht. Aber das konnte eine geschickte Finte sein. »Burke!« rief Franco ihn an. Keine Reaktion. Franco ging einen Schritt näher. Er beugte sich dabei vor und sah das Blut, das aus Burkes Kopfwunde rann. Erleichtert atmete der COUNTER MOB-Agent auf. Burke war bewußtlos. Doch auch ein Mann wie Franco Solo konnte sich täuschen. Dieser Jason Burke war mit allen Wassern gewaschen. Der Dschungelkampf in der Söldnertruppe hatte ihn geformt, und das unerhört harte Überlebenstraining zeigte seine Früchte. Als Franco sich über den Killer neigte, flog dessen rechter Arm wie von der Sehne geschnellt in die Höhe. Franco sah nur eine huschende Bewegung, hörte den Kampfschrei des Gangsters, und dann wurde ihm die Maschinenpistole aus den Fingern geschleudert. Sie prallte irgendwo hinter ihm zu Boden. Franco hatte keine Zeit, sich nach der Waffe umzuschauen, denn Jason Burke stürzte sich auf ihn wie ein hungriger Tiger. Er schlug hart, setzte seine im Partisanenkampf gewonnenen 90
Erfahrungen ein, doch auch Franco war kein heuriger Hase. Er rollte sich blitzschnell zur Seite. Die Handkante krachte neben ihm zu Boden und wühlte dort den Staub auf. Jason Burke fluchte. Er hatte damit gerechnet, mit einem Schlag alles glattmachen zu können, sah sich aber enttäuscht. Den nächsten Schlag fing Franco Solo ab. Er packte das Gelenk des Killers und warf sich auf ihn. Ineinandergekrallt rollten sie über den Boden. Die Männer keuchten und fluchten, die Gesichter waren verzerrt. Sie wühlten Staub auf, er lag wie eine Puderschicht über den Kämpfenden, und drang in Mund, Nase und Ohren. Jason Burke wollte seinen Gegner vernichten. Denn wenn Solo gewann, war der große Plan der Mafiosi zumindest in Gefahr. Franco würde dafür sorgen, daß die Bande ihr Ziel nicht erreichte. Burke kämpfte mit Haken und Ösen. Franco mußte manch harten Hieb einstecken, aber auch er teilte aus. Bis Burkes Druck ein wenig nachließ. Franco sah die Chance, sein Knie anzuziehen. Jason Burke wurde hochgewirbelt, und verlor das Gleichgewicht. Er warf die Arme hoch und versuchte damit rudernd die Balance zu halten. Doch da war der Abgrund. Plötzlich trat Jason Burke mit dem linken Fuß ins Leere. Erst dann kam sein Schrei. Franco schnellte hoch. Er warf sich nach vorn, versuchte seinen Feind zu retten, vor dem Absturz zu bewahren, doch er kam um Bruchteile von Sekunden zu spät. Sein Arm war nicht lang genug. Vor seinen entsetzt aufgerissenen Augen verschwand der 91
Mafioso in der Tiefe. Er hatte das Schicksal bekommen, was er Franco und dem Mädchen zugedacht hatte. Sein Schrei hallte nach und endete abrupt. Auf allen vieren kroch der Mafiajäger an den Rand des Abgrunds und blickte nach unten. Nichts. Von dem Killer war nichts zu sehen. Auch der Buick war inzwischen ausgebrannt. Es glühten nur noch einige Blechteile. In der knieenden Stellung blieb Franco Solo hocken. Er pumpte förmlich den Atem in seine Lungen. Der Kampf hatte ihn verdammt geschlaucht. Plötzlich stand Goldie Horn neben ihm. Franco fühlte ihre Hand auf seinem Haar, drehte den Kopf und lächelte. *
Goldie streckte den Arm aus und half Franco Solo vom Boden hoch. Der Mafiajäger wischte sich über die Stirn. Er und das Mädchen standen sich gegenüber und sahen sich an. »Du hast mir das Leben gerettet«, sagte Franco. Er erkannte seine Stimme kaum noch wieder. Sie winkte ab. »Ach, Unsinn. Auch daß ich die Waffe hatte, war keine Garantie dafür, daß wir lebend aus dieser Falle herauskamen. Allein hätte ich es sowieso nicht geschafft. Du hast fantastisch reagiert, Franco. Was bist du nur für ein Mann? Und vor allen Dingen, wer bist du?« »Ein Mann, der Angst um sein Leben hatte.« Goldie schüttelte den Kopf. »Weich mir nicht aus, Franco.« Sie faßte nach seiner Hand. »Du bist kein Killer und du bist kein Gangster. Kommt nur noch das Gegenteil in Frage. Ich habe es 92
hier mit einem Polizisten zu tun.« Der Mafiajäger schwieg. Goldie redete weiter. »FBI, CIA – Narcotic & Squad?« »Keins von den dreien.« Die Reporterin stampfte mit dem Fuß auf. »Ja aber zu welch’ einem Verein gehörst du dann?« Franco Solo antwortete mit einer Gegenfrage. »Muß ich denn unbedingt einer Organisation angehören? Kann ich nicht auch ein Privatmann sein?« »Das glaube ich nicht!« Die Antwort kam schnell und überzeugend. »Warum nicht?« »Weil ein Privatmann nicht diese Kampftechniken und die Kondition besitzt. Ich habe Filme über die Ausbildung von Agenten gesehen. Und die Leute da haben ebenso gekämpft wie du. Vielleicht nicht so fair. Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Das nicht, aber in punkto Zähigkeit stehst du ihnen in nichts nach. Glaub mir, Franco.« Franco Solo enthielt sich einer Antwort. Er lief einige Schritte zur Seite und blieb neben Mike Conetti stehen. Er ging in die Knie. Der Killer lag auf der Seite, er hatte das rechte Bein angezogen. Behutsam drehte Franco den Mann auf den Rücken. Als er in Conettis Gesicht blickte, da wußte er, daß ein Toter vor ihm lag. Die glanzlosen Augen starrten in den Nachthimmel, an dem der Mond wie eine dicke Banane hing. Goldie Horn war hinter dem Mafiajäger stehen geblieben. »Ist ... ist er tot?« fragte sie flüsternd und erschauderte bei ihrer Frage. »Ja.« Franco erhob sich wieder. »Es hätte nicht zu sein brauchen«, sagte Goldie, »nicht wahr?« Franco Solo hob die Schultern. »Wer will das wissen, Goldie? 93
Sieh mal, ich mache mir ebenso Vorwürfe wie du. Aber als es geschah, als ich diesen Mann erschoß, da gab es für mich keine andere Möglichkeit. Er hätte sonst mich umgebracht. Und dich noch dazu, Goldie. Diese Männer, oder Söldner, sind keine Menschen mehr. Es sind Bestien, gnadenlose Töter, die für Geld Menschen umbringen. Dabei spielt es keine Rolle, was für Menschen. Ob Frauen, ob Kinder. Wie oft haben wir in den Nachrichten über Greueltaten von Söldnern in den afrikanischen Staaten gehört. Conetti und Burke gehörten zu diesen Söldnern. Sie hatten sich fürs Killen bezahlen lassen.« »Und doch sind oder waren es Menschen.« »Das ist ja das Schlimme, Goldie.« »Wieso?« »Ganz einfach.« Franco legte seinen Arm um ihre Schultern. »Wir Menschen haben einen Verstand, den wir eigentlich dazu benutzen sollten, uns auf friedlichem Wege die Welt Untertan zu machen. Doch das ist nie gelungen. Von Anbeginn gab es Kriege, Auseinandersetzungen, Haß und Zwietracht. Die Menschen konnten einfach nicht zusammenleben. Und immer wieder gibt oder gab es Meuchelmörder, Verräter und gewissenlose Schurken. Das späte Mittelalter mit seinen Hexenprozessen hat uns gezeigt, zu welchen Taten Menschen fähig sind, die auch noch im Dienst einer Kirche standen. Doch die Folter der damaligen Zeit hat nicht aufgehört. Im Gegenteil, die Methoden sind verfeinert worden. Wenigstens in den angeblich zivilisierten Ländern. Dort arbeitete man mit dem Psycho-Terror. In anderen Staaten wiederum – in der unterentwickelten –, da regiert die nackte Gewalt. Und in den Dienst dieser Staaten und deren Führer sind Männer wie Conetti und Burke getreten. Lucio La Salle nicht zu vergessen. Sie haben nichts anderes gelernt, als perfekt zu töten. Was wissen wir, welch eine Jugend sie gehabt haben, welch ein Elternhaus, welch eine Erziehung? Ich habe keine Ahnung, aber ich kenne Parallelfälle, da sind Mörder in den miesesten Verhältnissen 94
aufgewachsen. Sie mußten sich von klein auf gegen den Terror der größeren behaupten. Ihr Weg war praktisch vorprogrammiert. Die Welt ist nicht heil, Goldie, auch wenn einige Leute es immer heraufbeschwören wollen. Da nutzt es nichts, den Jugendlichen eine heile Welt vorzugaukeln. Wenn sie in den Beruf gehen, werden sie mit Intrigen und schmutzigen, hinterlistigen Spielen sowieso konfrontiert. Auch das ist eine Form von Gewalt und einfach nicht wegzudiskutieren.« »Aber wie kann man das ändern?« fragte Goldie Horn. »Es nutzt nichts, wenn irgendwelche Leute vorschreiben, was man darf und was nicht. Wenn das nämlich kommt, ist der Weg zu einer Diktatur nicht mehr weit. Nein, unsere Welt, unser Amerika muß sich von innen heraus regenerieren. Verbote und Anordnungen erreichen nichts. Sie lösen nur einen Gegendruck aus, der sich oft in seiner Reaktion noch potentiert. Ein Beispiel. Nirgendwo gibt es so viel Korruption wie in den totalitären Staaten. Ich bin dafür, daß sich die Menschen frei entwickeln können, daß der eine für den anderen da ist. Irgendwann hoffe ich, wird eine Zeit kommen, wo sich das Problem der Gewalt von allein löst.« Goldie Horn lächelte. »Als Philosoph kannte ich dich noch gar nicht, Franco.« »Ein wenig Theorie gehört auch zu meinem Job.« »Aha, dann bist du also doch ein Agent.« »Vielleicht.« Franco wich aus. »Jetzt haben wir genug geredet. Wir müssen so rasch wie möglich nach Las Vegas zurück.« »Und wie?« »Wir laufen bis zur Straße und versuchen von dort als Anhalter weiterzukommen.« »Das wird schwierig.« »Nicht, wenn du dabei bist.« 95
»Du hast Nerven.« »Nein, ich bin nur Realist.« Franco ging schon vor. Er sammelte die Maschinenpistolen ein und warf sie in den Abgrund, nachdem er den Verschluß entfernt hatte. Dann holte er sich seinen Revolver wieder und gab Goldie die Beutewaffe zurück. »Zwei Kugel sind noch in der Trommel.« Die Reporterin blickte Franco an. »Glaubst du denn, daß ich sie brauchen werde?« »Ich hoffe nicht.« »Franco?« »Ja?« Goldie faßte nach seinem Arm. »Das, was wir hier erlebt haben, war noch nicht das Ende – oder?« »Nein.« Der Mafiajäger atmete tief ein. »Das Ende war es nicht. La Salle weiß jetzt, wer ich bin, aber trotzdem wird er seinen Plan nicht fallenlassen und noch in dieser Nacht versuchen, die Macht über Las Vegas zu bekommen.« »Wer will das verhindern?« Franco deutete auf seine Brust. »Ich, zum Beispiel!« *
Lucio La Salle hatte vorgehabt, seinen Boß Augusto Colossimo, erst anzurufen, wenn er die Herrschaft in Las Vegas hatte. Doch die Vorzeichen hatten sich geändert. Da war dieser Franco Solo. Er hatte sich als Dino Moreno vorgestellt, doch La Salle war mißtrauischer als ein alter Steppenwolf. Das Mädchen hatte sich verraten und den Namen Franco erwähnt. 96
Es kostete La Salle nur einige Anrufe, um herauszufinden, wer dieser Franco war und wie auch sein Nachname lautete. Die genau Beschreibung des Mannes hatte La Salle ebenfalls durchgegeben. Sofort liquidieren! lautete der Befehl, und La Salle hielt sich daran. Als Conetti und Burke verschwunden waren, da dachte der Albino nicht mehr an Solo. Für ihn war der Fall erledigt. Conetti und Burke hatten noch nie einen Job danebengehauen. Sie waren die besten Profis, die man sich vorstellen konnte. Und doch war der Albino etwas beunruhigt. Was er über Solo erfahren hatte, war verdammt hart gewesen. La Salle hielt es für besser, sich rückzuversichern. Bei Augusto Colossimo! Der Capo wohnte in einer der künstlich angelegten Villensiedlungen rings um Vegas. Er hatte sich dort ein Haus gemietet. Für tausend Dollar pro Tag. Aber Geld spielte keine Rolle. La Salle ging zum Telefon und wählte Colossimos Nummer. Der Capo selbst meldete sich. »Hier ist La Salle!« »Gibt’s Schwierigkeiten?« La Salle wand sich etwas. »Nicht direkt!« »Erzähle!« Der Albino berichtete von Franco Solos Auftreten. Auch Colossimo kannte den Namen, obwohl er erst vor kurzem aus Italien gekommen war. Daß Franco der Erzfeind der Mafia war, hatte sich inzwischen herumgesprochen. Doch als La Salle berichtete, daß er Solo überlistet und mit seinen beiden Killern in die Wüste geschickt hatte, war der alte Capo beruhigt. »Es besteht demnach keine Gefahr mehr?« erkundigte er sich noch einmal. »Nein«, versicherte La Salle. »Was Conetti und Burke in die 97
Hand nehmen, läuft glatt. Es hat noch nie Pannen gegeben.« »Nun, warten wir es ab. Sie halten mich auf jeden Fall auf dem Laufenden, La Salle.« »Natürlich.« Colossimo beendete das Gespräch. Und auch La Salle legte auf. Aber sein Optimismus war ein wenig gesunken. Er wußte auch nicht wieso, schließlich waren Conetti und Burke gute Leute. Er selbst hatte sie ausgesucht, doch mit welcher Frechheit und Tollkühnheit dieser Solo in das Mafia-Imperium eingedrungen war und wie die ›Ehrenwerte Gesellschaft‹ versucht hatte, ihn auszuschalten und es nicht geschafft hatte, ließ darauf schließen, daß Solo ein besonderer Mann war. Aber besser als zwei? Der Albino zündete sich eine Zigarette an und sah nachdenklich dem blaugrauen Rauch nach. Hier im Keller war es ruhig. Oben auf der Bühne begann bereits der Strip. Heiße Sex-Shows im Harem-Milieu. La Salle kümmerte das nicht, obwohl er hinter den Frauen her war wie der Teufel hinter der Seele. Aber der Job ging vor. Er drückte seine Zigarette aus, verließ den Raum und ging dorthin, wo seine Leute warteten. Es waren die Hitmen der Mafia. Killer, Gangster, Befehlsempfänger, die um Punkt Mitternacht mit ihrem Job anfangen sollten. Zwölf Leute zählte La Salle. Ein Dutzend bis an die Zähne bewaffneter Gangster, die den Auftrag hatten, Las Vegas in eine Hölle zu verwandeln. In genau drei Stunden! *
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Franco Solo und Goldie Horn hatten Glück gehabt. Ein älteres Ehepaar nahm sie mit. Die Frau konnte es nicht mit ansehen, solch ein junges Ding am Straßenrand stehen zu sehen. »Was da alles passieren kann«, lamentierte sie immer wieder. Da war es schon besser, wenn sie von netten Leuten mitgenommen wurde. Ihr Mann hockte hinter dem Lenkrad und sagte keinen Ton. Hin und wieder versuchte er einen Blick auf Goldie zu erhaschen, und Franco Solo konnte sich dabei ein Grinsen nicht verkneifen. Der gute Kerl stand bestimmt unter dem Pantoffel. Da hatte die Frau die Hosen an. Sie bestimmte auch, daß sie nach Las Vegas fuhren, um noch in der Nacht zu spielen. Sie hatten tagsüber den Staudamm besucht und zahlreiche Fotos geschossen. Franco Solo hielt sich aus allen Gesprächen raus. Er machte sich seine Gedanken über das weitere Vorgehen und er überlegte dabei, ob er nicht Big Bob Freelander davon in Kenntnis setzen sollte. Aber dann verwarf Franco den Gedanken wieder. Freelander würde nie auf seine Linie einschwenken und versuchen, immer nur seinen eigenen starken Willen durchzusetzen, wie er es eben gewohnt war. Man merkte und sah bereits die Nähe der Stadt. Im Westen lag ein heller Schein über der Wüste. Ähnlich wie eine Kuppel, in der es hin und wieder bunt aufflimmerte. Und damit wirklich niemand mehr die Stadt der Illusionen verfehlte, machten bunte, angestrahlte Reklameschilder am Straßenrand, marktschreierisch darauf aufmerksam. »Las Vegas.« Die Frau auf dem Beifahrersitz rieb sich die Hände. »Es ist die tollste Stadt der Welt. Nicht wahr, Dicky?« Mit Dicky war ihr Mann gemeint. Der nickte brav und fuhr weiter. Franco bedauerte den Knaben. Er hatte dem Ehepaar die Geschichte von einem Unfall erzählt. Ob sie es glaubten, war 99
ihm egal. Hauptsache, er kam zurück nach Vegas. »Wo sollen wir Sie denn absetzen?« fragte die Frau. »Ich sage Ihnen schon Bescheid, wenn Sie anhalten können«, antwortete der Mafiajäger. »Das ist aber komisch. Haben Sie denn keine Bleibe, Mister?« »Doch, Madam, aber ich weiß nicht, ob man vor dem Hotel halten kann. Es ist ja so voll …« »Ja, ja, da sagen Sie was«, unterbrach die Frau Franco Solo. »Also ich kann Ihnen da eine Geschichte erzählen, die uns widerfahren ist. Damals, in Reno. Nicht wahr, Dicky?« Und Dicky nickte ergeben, während Franco die Augen schloß und sich entspannte. Er war wieder voll da, als sie in die Stadt einfuhren. Sofort geisterte der Widerschein zahlreicher Leuchtreklamen durch das Innere des Wagens. Er übergoß die Gesichter der Menschen mit einem wechselnden Farbenspiel. Mal sahen sie aus wie in Blut getaucht, dann wirkten sie grün wie Wasserleichen. Der Strip brodelte. Alle waren unterwegs. Franco glaubte das Klingeln der Automaten bis ins Innere des Fords zu hören. Die Blechlawine schob sich im Schrittempo über den Asphalt. Wagenhupen ertönten, Sirenen schnitten grell durch die bunte Vielfalt der Nacht, und Franco fiel auf, daß zahlreiche Leute von Wachpersonal rechts und links der Fahrbahn wie unbeabsichtigt über die Bürgersteige patrouillierten. Hatte Big Bob Freelander Lunte gerochen? Sie mußten an einer Ampel halten. Franco sah sich einen Wachmann genauer an. Die Waffe war durch das überfallende Hemd verdeckt. Dafür kannte der Mafiajäger an Walkie talkie, das in einer Ledertasche am Gürtel steckte. Er tippte dem Fahrer auf die Schulter. »Halten Sie bitte an der nächsten Kreuzung kurz an, wenn es geht.« 100
»Okay.« Zwei Minuten später waren Franco Solo und Goldie Horn ausgestiegen, nachdem sie sich noch einmal wortreich bedankt hatten. Als die Wagentür ins Schloß fiel, atmeten beide auf. »Puh«, meinte Goldie, »die Frau könnte mir auch den letzten Nerv stehlen.« Franco lachte. »Wem sagst du das?« »Und was jetzt?« fragte die Reporterin. »Du gehst in dein Hotel und rührst dich nicht aus dem Zimmer. Verstanden?« »Nein, ich will dabei sein, wenn …« Franco faßte das Mädchen an beiden Schultern und drehte es zu sich herum. »Das geht nicht, Goldie. Du mußt vernünftig sein. Hat dir die Szene an der Schlucht nicht gereicht?« »Aber wir sind hier in der Stadt.« Franco lachte bitter. »Darauf nehmen die Killer wahrlich keine Rücksicht.« Die Ampel zeigte grün. Franco lief mit Goldie rasch über die Straße. Die Reporterin wunderte sich, daß Franco sie am Eingang des Hotels vorbeizog. »Aber ich dachte …« »Wir suchen uns einen Hintereingang«, erklärte der COUNTER MOB-Agent. »La Salle wird seine Spitzel überall haben. Und besonders in den Hotels. Ich möchte nicht unbedingt erkannt werden. Für dich ist es auch besser.« Goldie hob die Schultern. »Okay, großer Meister.« Wenn es ging, hielten sie sich nahe den Hauswänden, um von der Reklame nicht zu sehr angestrahlt zu werden. Doch die Menschen, die ihnen entgegenkamen, nahmen keinerlei Notiz von Ihnen. Jeder hatte mit sich selbst zu tun und hing seinen eigenen Gedanken nach. 101
Franco und Goldie mußten in eine Querstraße einbiegen, um den Seiteneingang zu finden. Es war die Pforte für das Personal. Das Wort stand groß über dem Eingang. Die Tür war offen. Franco drückte Goldie Horn in das Innere des Hotels und folgte rasch. Sie befanden sich in einem Flur, in dem nur die Notbeleuchtung brannte. Eine schmale Treppe führte nach oben. Franco Solo ging vor. Zum Glück begegnete ihnen niemand vom Personal, und als sie den zweiten Absatz erreicht hatten, stieß Franco eine Schwingtür auf, die sie in den eigentlichen Hoteltrakt brachte. Unter ihnen befand sich jetzt das gewaltige Kasino, in dem der Dollarsegen rollte wie nie. Ihre Kleidung sah nicht gerade salonfähig aus, aber das störte Franco nicht. Sie fanden einen Lift und ließen sich in die Etage katapultieren, wo auch ihre Zimmer lagen. »Ich komme gleich vorbei«, sagte Franco, als er sich von Goldie Horn verabschiedete. Die Reporterin nickte. Franco wartete, bis Goldie die Tür geschlossen hatte und ging dann zu seinem Zimmer. Er hatte vor die Polizei anzurufen und den Beamten mitzuteilen, was in der Wüste geschehen war. Die Polizisten konnten dann die Leiche abholen. Franco schob den Schlüssel ins Schloß. Das heißt, es blieb beim Versuch, denn plötzlich stutzte er. Stimmen in seinem Zimmer. Waren La Salles Leute gekommen, um endgültig die Spuren zu beseitigen? Franco rechnete damit. Aber jetzt wurde er vorsichtig. Zum Glück befand sich niemand auf dem Gang, so daß er unbeobachtet seine Waffe ziehen konnte. Mit der linken Hand schob er den flachen Schlüssel ins 102
Schloß. Eine halbe Umdrehung nach links, und Franco Solo stieß wuchtig die Zimmertür auf. Mit schußbereitem Revolver huschte er blitzschnell durch die schmale Diele und stand im eigentlichen Living room. Zwei Männer wirbelten herum. Ihre Hände fuhren unter die Achseln, doch bevor sie noch ihre Waffen ziehen konnten, ließ der Mafiajäger sie in die Mündung seines 38ers blicken. »Ich glaube, ihr habt mir einiges zu erklären, Freunde«, sagte er mit ruhiger Stimme … *
Die Kerle hatten nichts zu erklären. Sie blieben stumm wie die Fische. Nur ihre Blicke sprachen Bände. Wenn die töten könnten, läge Franco schon leblos am Boden. Sein Koffer stand gepackt auf dem Boden. Die Eindringlinge hatten wirklich ganze Arbeit geleistet. La Salle schickte sein Fußvolk los, um die Spuren zu verwischen. Er mußte wirklich davon überzeugt sein, Franco nicht mehr wiederzusehen. Der Mafiajäger freute sich bereits jetzt auf das Gesicht des Killers, wenn er ihm gegenüberstand. »Hat La Salle euch geschickt?« fragte er. Franco bekam keine Antwort. »Auch gut«, meinte er lässig. »Dann dreht euch mal um.« Der Ältere der beiden begann zu reden. Er war ein stämmiger Bursche, dessen dünner Anzug fast aus den Nähten platzte. »Mister, wenn du einen Rat von uns annehmen willst, dann verschwinde. Setze dich in die nächste Maschine und hau ab. Wenn nicht, wirst du zermalmt wie ein Getreidekorn in einer 103
Mühle. Du kommst zwischen die Räder. Las Vegas gehört bald uns. Verlaß dich drauf.« Franco Solo nickte. »Große Worte, Freund. Nur schade, daß ihr es nicht mehr miterlebt. Für euch ist der Zug abgefahren. Aber ich an eurer Stelle würde das alles sehr positiv sehen. Wenn ich euch aus dem Verkehr ziehe, tut euch nichts mehr weh. Umdrehen jetzt!« Die Eindringlinge sahen erst Franco an, dann warfen sie sich gegenseitig Blicke zu. Franco merkte wie sie sich spannten. Sie waren wirklich keine Spitzenklasse. Topleute hätte man nicht angemerkt, wie sehr sie unter Dampf standen. »Wagt es nicht!« drohte Franco. »Es sei denn, ihr seid scharf auf eine Kugel!« Die beiden entspannten sich wieder. Die Waffe in Francos Hand flößte ihnen doch zu viel Respekt ein. Freiwillig drehten sie sich um. Der Ältere zuerst. Er befand sich noch in der Drehung, als Franco Solo bereits zuschlug. Nie hatte er daran gedacht, die beiden Eindringlinge zu töten, er wollte nur, daß sie für einige Stunden ›schliefen‹. Gangster Nummer zwei sah seine Chance, als der Ältere zusammenbrach. Mit dem angewinkelten Ellbogen schlug er zu. Der Stoß war blitzschnell geführt worden und traf Franco hart in Höhe der Hüfte. Sofort setzte der Schläger nach. Franco mußte eine Rechte voll nehmen, die ihn quer durch das Zimmer und dann gegen eine Wand schleuderte. Mit der Schulter riß er ein Bild vom Haken. Es rutschte zu Boden, wo der leichte Rahmen zersplitterte. »Dich mach ich fertig«, versprach der Kerl und holte abermals aus. Franco tauchte unter dem Hieb hinweg und konterte. Auf einmal wurde der Mann bleich im Gesicht. Er riß den Mund auf und schnappte nach Luft, wobei er auf unsicheren Beinen 104
langsam rückwärts ging. Plötzlich kippte er um und fiel schwer auf den Teppich. Franco hatte einen Spezialschlag angewendet, den man ihm in einem der Ausbildungslager beigebracht hatte. Der Mafiajäger entwaffnete die Kerle, warf die Kanonen in den Müllschlucker und lief ins Bad. Dort hatte er auch genügend Pflaster gesehen. Franco nahm eine volle Rolle mit. Zuerst fesselte er den Älteren. Er machte dies so geschickt, daß der Knabe sich ohne fremde Hilfe kaum befreien konnte. Dann war Eindringling Nummer zwei an der Reihe. Dieser Mann war nicht bewußtlos. Er blickte Franco groß an, und der Mafiajäger las die Angst in seinen Augen. Solo schüttelte den Kopf. »Keine Angst, mein Freund, ich bin kein Killer. Aber daß du hier liegst, hast du dir selber zuzuschreiben.« Geschickt fesselte er den Mann. Allmählich ließ die paralysierende Schlagwirkung nach. Der Gangster war wieder in der Lage, Fragen zu formulieren und Antworten zu geben. Auf letztere freute sich Franco besonders. »Dich hat also La Salle geschickt«, stellte Franco fest. Der Gefesselte verzog sein Geiergesicht. »Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden.« Franco krauste die Stirn. »Was versprechen Sie sich eigentlich davon, wenn Sie lügen.« »Wieso?« »La Salles Stunden sind gezählt, mein Freund. Er wird Ihnen kaum zur Seite stehen können. Es ist für Sie wesentlich besser, wenn Sie umschwenken und so eine Art Kronzeugen spielen. Glauben Sie mir. Deshalb frage ich noch einmal: Was hat La Salle Ihnen versprochen? Weshalb hat er sie geschickt? Was hat er in dieser Nacht oder in den folgenden Tagen vor?« »Ich bin doch nicht lebensmüde«, murrte der Gangster. 105
»Doch, das sind Sie. Und zwar wenn Sie nicht reden. Dann hängen Sie nämlich mit im Netz, und niemand wird sich noch für Sie einsetzen. Glauben Sie mir.« Der Mann dachte nach. Schließlich fragte er: »Kann ich eine Zigarette haben?« »Wenn’s Ihnen hilft.« Franco selbst trug keine Glimmstengel bei sich. Er war Nichtraucher. Aber der Zimmer-Service hatte Zigaretten bereitgelegt. Franco riß ein Päckchen auf und steckte dem Gangster das Stäbchen zwischen die Lippen. Er reichte ihm auch Feuer. Gierig saugte der Mann den Rauch ein und ließ ihn durch die Nase wieder ausströmen. Erst als die Asche abfiel, hatte er sich entschlossen zu reden. »Was wollen Sie wissen?« Der Mann sprach, ohne die Zigarette aus dem Mund zu nehmen. »Es stimmt, La Salle hat uns geschickt. Aber wir sollten hier nur alle Spuren beseitigen, sonst nichts. Sie sind ja tot, wenigstens wurde uns das gesagt.« Franco Solo lächelte. »Well, da sieht man wieder, wie sehr man sich irren kann. Aber weiter.« »Das ist alles.« »Was hat La Salle vor?« Franco schoß die nächste Frage schnell hinterher. Die Zigarette war fast weggequalmt, und Franco nahm dem Mann die Kippe aus dem Mund. Der Schläger holte tief Atem. »Wenn ich Ihnen das verrate, legt man mich um.« »Nein, man kommt gar nicht dazu«, erwiderte der Mafiajäger. »La Salles Stunden sind gezählt.« Der Mann zog die Nase hoch. »Welche Garantie geben Sie mir denn?« 106
»Keine«, erwiderte Franco hart. »Sie müssen sich schon auf mein Wort verlassen.« »Also gut. La Salle will die Stadt übernehmen. Heute noch. Genau um Mitternacht. Er hat eine genügend starke Mannschaft beisammen. Zwölf eiskalte Killer, von der Mafia ausgesucht, sind aus allen Teilen der Staaten in Las Vegas eingetroffen. Sie sollen in einem Handstreich die wichtigen Schaltstellen und Hotels übernehmen.« Franco hatte so etwas geahnt, aber als er die Worte aus dem Mund des Gangsters vernahm, lief ihm doch nachträglich ein Schauer über den Rücken. Zwölf zu allem entschlossene Mafiosi, das konnte, nein, das würde ein Blutbad geben, denn es lag auf der Hand, daß Big Bob Freelander nicht freiwillig zurücktreten würde. Denn auch er hatte seine Garde beisammen, seine Schutztruppe, die aus Männern bestand, die ebenfalls kämpfen konnten. Und Franco Solo befand sich zwischen den Feuern. Eine verflucht miese Situation. Ein Mann gegen eine halbe Armee von Killern! Gewaltsam riß sich der Mafiajäger zusammen. »Sie haben also keine Ahnung, wie der Einsatz ablaufen soll?« »Nein.« Franco schaute sich den Burschen an, und er glaubte ihm sogar. Der Knabe gehörte zum Fußvolk. Er machte nicht den Eindruck eines mit allen Wassern gewaschenen Profis. Francos nächste Frage überraschte den Mann. »Sind Sie erkältet?« »Nein, wieso?« »Okay.« Der Mafiajäger riß blitzschnell einen breiten Pflasterstreifen von der Rolle und klebte ihm dem Kerl über die Lippen. Ehe der sich von seiner Überraschung erholt hatte, konnte er bereits nicht mehr sprechen. 107
»Wenn Sie erkältet gewesen wären, hätte ich Sie nicht so geknebelt«, erklärte Franco. »Schließlich möchte ich nicht, daß Sie ersticken.« Der Mann rollte mit den Augen. Das ließ Franco kalt. Er schleppte den Bewußtlosen ins Bad und schleifte den zuletzt Geknebelten hinterher. Dann zog er die Tür zu und schloß von außen ab. Den Schlüssel steckte er ein. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, daß bis Mitternacht noch knapp über eine Stunde Zeit war. Franco überlegte, ob er Big Bob Freelander einen Besuch abstatten sollte, verwarf den Gedanken dann aber wieder. Es wäre zuviel Zeit verloren gegangen. Er wollte ihn jedoch anrufen. Die Nummer wußte Solo auswendig. Nicht Freelander meldete sich, sondern eine andere, näselnde Stimme, die nach Francos Wünschen fragte. »Geben Sie mir Big Bob«, sagte der Mafiajäger. »Tut mir leid, aber Mr. Freelander ist nicht zu sprechen.« »Es ist aber wichtig, verdammt!« »Sorry.« Es war nichts zu machen. Franco warf wütend den Hörer auf die Gabel und wählte dann die Nummer der Polizei. Er erklärte stichwortartig, wo sie in der Wüste den Toten und das Autowrack finden konnten und legte dann auf. Wenn alles überstanden war, wollte Franco eine genauere Erläuterung abgeben. Jetzt allerdings stand er vor dem großen Problem, den Gangsterüberfall zu verhindern. Er fragte sich nur, wie er das machen sollte. Eine Idee hatte er noch nicht, und die Zeit rann ihm unter den Nägeln weg … * 108
Noch eine Stunde bis Mitternacht! Sechzig Minuten Galgenfrist. Eine verflucht kurze Zeitspanne. Franco Solo stand vor dem Hotel. Noch immer fuhren Taxis die Rampe hoch und luden ihre spielwütige Fracht aus. In Las Vegas wurde die Nacht zum Tage gemacht. Hier zählten keine Stunden, keine Müdigkeit, sondern nur das Spiel. Das ewige Rotieren der Automaten, das Klingeln der Dollarmünzen und die leisen, fast gelangweilten Stimmen der Croupiers, wenn sie ihr »Rien ne va plus« sagten. Und all die Menschen waren ahnungslos. Wenn die Mafiosi zuschlugen, dann nahmen sie keine Rücksicht auf Unschuldige, denn sie kannten nur ein Ziel. Die Macht! Bei dem Gedanken geriet Franco Solo in Schweiß. Ungeheuer schwer spürte er die Verantwortung, die auf seinen Schultern lastete. Nur er wußte Bescheid. Er allein. Im Strom der vorbeirollenden Wagen fiel einer besonders auf. Es war ein offener Jeep. Drei Männer saßen darin. An der Kleidung erkannte Franco Big Bobs Wachmannschaft. Der Knabe auf dem Rücksitz sprach in sein Walkie talkie. Franco Solo folgte dem Wagen solange mit seinen Blicken, bis er nicht mehr zu sehen war. Gewiß, Freelanders Leute waren ebenfalls gut geschult, aber sie unterschätzten die Gefahr sicherlich. Die Mafiosi würden zuschlagen und kein Pardon kennen. Und den Befehl dazu gab Lucio La Salle. Franco sah den Albino direkt vor sich. Dieser widerliche Gangster, dem selbst der Tod von Unschuldigen nichts ausmachte. Auf ihn allein kam es an. Wenn er aus dem Verkehr gezogen wurde, dann waren die Hitmen ohne Anführer, dann 109
würden sie wahrscheinlich nicht wissen, was sie im Einzelnen unternehmen und wie sie sich verhalten sollten. Lucio La Salle! Er war der Joker. Und ihn mußte Franco Solo ausschalten. Der Mafiajäger nickte, als er zu dem Entschluß gekommen war. Er wollte zum zweiten Mal ins Metronom, sich La Salle schnappen und ihn zur Aufgabe zwingen. Es war die einzige Chance, die er noch hatte. Gelang das nicht, dann war alles aus. Aber daran wollte und durfte Franco nicht denken. Im Gegensatz zu seinem ersten Besuch, glich Franco sich diesmal den anderen Las-Vegas-Touristen an und nahm ein Taxi. Er hatte Glück, daß er noch ein freies bekam. »Wohin?« fragte der Driver. »Metronom.« Der Fahrer wunderte sich nicht, sondern reihte sich geschickt in den laufenden Verkehrsstrom ein. Als er dann vor dem Ziel stoppte, war Franco kaum eine Minute früher da, als hätte er den gleichen Weg zu Fuß gemacht. Das Pendel über dem Eingang erstrahlte weiterhin in seiner grellen Lichtfülle. Das große Eingangstor war weit geöffnet. Der Lärm aus der Halle schallte bis auf die Straße. Franco ging nicht mit dem Besucherstrom auf den Eingang zu, sondern drückte sich an der Fassade entlang und tauchte in einer Seitenstraße unter. Er schritt an der Mauer des riesigen Kasinos entlang und sah weiter entfernt bereits den exotischen Vorgarten, der zum nächsten Hotel gehörte. Franco stoppte und schritt dann zurück. Er hatte in seiner Hast tatsächlich das Tor übersehen, durch das die beiden Gangster 110
Goldie Horn und ihn wenige Stunden zuvor geschafft hatten. Es war natürlich verschlossen, aber damit hatte der Mafiajäger gerechnet. Ob man ihn sah oder nicht, das war ihm jetzt egal. Auf das Gelände mußte er. Franco Solo zog sich an der kantigen Mauer hoch, glitt über die ziemlich breite Krone und ließ sich an der anderen Seite in den Hinterhof fallen. Geschafft. Die Gegend kam dem Mafiajäger bekannt vor. Im Widerschein der Reklameleuchten, sah er auch die Wagen, die schon zuvor dort gestanden hatten. Sicherlich wollten die Mafiosi mit diesen Karossen zu ihren ›Einsätzen‹ fahren. Aber den Zahn wollte Franco ihnen ziehen. Geduckt huschte er auf den ersten Wagen zu. Noch während des Laufens zog er sein Taschenmesser, und dann machte er sich an die Arbeit, wobei er nicht die Spur eines schlechten Gewissens spürte. Wie ein Profi schlitzte Franco Solo die Reifen auf. Er säbelte bei jedem Rand die Klinge bis auf die Felge hin, so daß er sicher war, daß auch sämtliche Luft aus den Reifen strömte. Als er sämtliche Reifen zerstochen hatte, waren nur zehn Minuten vergangen. Franco fand, daß es eine gute Zeit war. Jetzt mußte er ins Haus. Diesmal stand das Glück auf seiner Seite, denn die Hintertür war nicht verschlossen. Anscheinend hatten die Gangster ihren Weg schon so weit vorbereitet, daß keine Zeit verlorenging. Jetzt war dies für sie zu einem Bumerang geworden. Der Mafiajäger lächelte grimmig. Vorsichtig zog er die Tür auf, und befand sich bald innerhalb des Kellers. Er hatte die Wege in diesem weit verzweigten Labyrinth nicht mehr genau im Kopf, und mußte deshalb seine schmale 111
Bleistiftlampe zu Hilfe nehmen, um sich zu orientieren. Er fand nach einigem Suchen den Hauptgang und kannte sich wieder aus. Auf Zehenspitzen schlich Franco Solo weiter und stand wenig später vor der Tür, die in den Raum führte, wo er mit den drei Mafiosi gesprochen hatte. Franco hielt den Atem an. Die nächsten Sekunden entschieden darüber, ob er gewann oder ob alles verloren war. Franco legte seine Hand auf die Klinke und zog die Tür spaltbreit auf. Der Raum war dunkel. Anscheinend hielt sich niemand dort auf. Der Mafiajäger roch aber noch den in der Luft hängenden Zigarettenrauch und folgerte daraus, daß vor kurzem noch jemand dagewesen sein mußte. Vielleicht kam der Kerl wieder. Franco beschloß, einige Minuten auf ihn zu warten. Er zwängte sich durch den Türspalt, machte den ersten Schritt über die Schwelle, dann den zweiten und sah den Schlag nicht, sondern hörte nur das Pfeifen des Luftzugs. Franco kam nicht mehr dazu, jetzt noch zu reagieren. Er konnte sich nur noch nach vorn werfen und den Kopf einziehen. Deshalb traf ihn der Schlag auf den Rücken. Er hatte aber soviel Wucht, daß Franco nach vorn geschleudert wurde und zu Boden fiel, wo er sich im letzten Augenblick noch fangen konnte, damit er nicht mit dem Gesicht zuerst aufschlug. Im nächsten Moment flammte das Licht einer Stehlampe auf. Franco drehte den Kopf. Neben der Lampe stand Lucio La Salle, der Albino. Und die Mündung der Waffe in seiner rechten Hand zeigte genau auf Franco Solo … * 112
Franco Solo wollte sich trotz seiner heftigen Rückenschmerzen erheben, doch der scharfe Befehl des Killers hielt ihn zurück. »Bleib liegen und friß den Staub, Solo!« Der Mafiajäger gehorchte. Er sah den Gangster neben sich stehen, erkannte dessen scharf gebügelte Hosenfalten und die Schuhe, auf denen kein Staubkörnchen klebte. Lucio La Salle lachte triumphierend. Er genoß es, seinen Gegner vor sich auf dem Boden liegen zu sehen. »Rien ne va plus«, sagte er. »Nichts geht mehr, Franco Solo. Du hast dich überschätzt, und so etwas ist tödlich.« Er lachte wieder. Franco wollte diesen Verbrecher stellen, doch nun hatte La Salle den Spieß umgedreht. Diesmal war Franco das Grab in der Wüste sicher. COUNTER MOB hatte ebenso das Nachsehen wie das FBI oder Big Bob Freelanders Truppe. Der Sieg war voll auf der Seite der Mafiosi. Und Franco Solo lag in einer demütigen Haltung vor seinem unerbittlichen Gegner. »Viel Zeit haben wir nicht«, sagte Lucio La Salle, »deshalb komme ich gleich zur Sache. Wenn du einen schnellen Tod haben willst, dann rede. Und zwar jetzt!« »Was willst du wissen?« »Was ist mit Mike Conetti und Jason Burke?« »Kannst du dir das nicht denken?« La Salle kicherte. »Sicherlich, aber ich möchte es von dir hören, Solo.« »Sie sind tot.« »Du hast sie gekillt!« »Nein, es war Notwehr.« »Ich warte«, sagte La Salle. »Sorry«, keuchte Franco. »Ich habe mich nur gewehrt. Sie 113
wollten mich und das Mädchen töten, aber ich konnte den Spieß im letzten Moment noch herumdrehen.« »Dann ist das Mädchen auch davongekommen?« »Natürlich. Und es ist in Sicherheit.« »Lügen kannst du schlecht. Ich wette, die Kleine sitzt in irgendeinem Zimmer und heult sich die Augen aus, weil ihr lieber Kavalier nicht mehr da ist.« »Sie müssen es ja wissen«, erwiderte Franco. »Du hast einen Fehler gemacht, Solo. Du hättest mich nicht unterschätzen sollen. Ich habe dich schon gesehen, als du in das Haus gekommen bist. Wir haben überall unsere versteckten Kameras, die nicht nur die Spiele im Kasino aufzeichnen. Auch andere Dinge. Das nenne ich Pech für dich, Solo, aber du hast es nicht anders gewollt.« Franco gab keine Antwort. Er war nur froh, daß La Salle nicht mitbekommen hatte, wie er die Reifen aufschlitzte. Obwohl sich der Mafiajäger in einer verdammt miesen Situation befand, siegte doch seine Neugierde. »Wie wollen Sie es machen, La Salle? Und wer steht hinter Ihnen?« Der Albino lachte krächzend. »Halte mich nicht für dümmer als ich es bin, Solo. Wer hinter mir steht, weiß du ganz genau. Don Augusto Colossimo, der große Capo aus Sizilien. Er wird bald das Sagen haben. Um Punkt Mitternacht läuten wir das Spektakel ein. Und wenn wir damit fertig sind, kommt deine Puppe an die Reihe. Wir holen uns die Reporterin, sie weiß zuviel.« »Ich aber auch, La Salle. Ich habe mich rückversichert. Man weiß über Ihre Tätigkeit sehr gut Bescheid.« »Das ist mir egal. Die Beweise, die hast du nicht. Und auch nicht die Leute, die hinter dir stehen. Von dir, Solo, wird nichts mehr übrigbleiben. Aber auch gar nichts.« Lucio La Salle trat einen Schritt zurück. Franco bemerkte dies 114
aus den Augenwinkeln, und er streckte seinen linken Arm etwas vor, wobei er die Finger spreizte. Solo bemühte sich dabei, der Schnur näher zu kommen, denn noch war er nicht tot. Er hatte schon oft in schwierigen Situationen gesteckt. Franco war kein Mann, der aufgab, solange noch ein Funken Leben in ihm steckte. »Das war’s dann wohl, Solo«, sagte Lucio La Salle völlig emotionslos. »In zwei Sekunden bist du tot!« Francos Herz übersprang einen Schlag. »Halt!« rief er hastig. »Angst?« La Salle zögerte noch. »Ich – ich möchte nicht in den Rücken geschossen werden. Es ist eine meuchlerische, unwürdige Art zu sterben.« »Wie im Wilden Westen. Da wollten auch die meisten nicht in den Stiefeln sterben. Aber meinetwegen, Solo, dreh dich um, dann bekommst du die Kugel von vorne.« »Danke«, sagte Franco. Das Wort drang ihm nur mühsam über die Lippen, aber er wußte, daß er den eiskalten Killer damit ablenken konnte. Und so war es auch. La Salle amüsierte sich köstlich. »Er bedankt sich noch. Hat man da Worte. Na ja, jeder ist seines Glückes Schmied.« Der Mafiajäger aber bewegte sich nach links. Unendlich langsam verlagerte er sein Gewicht. »Geht das nicht schneller?« herrschte La Salle ihn an. Franco stöhnte. »Der Tritt vorhin …« »Memme!« Jetzt lag er auf der richtigen Seite. Und er war auch näher an das Kabel gerutscht. Franco Solo spürte plötzlich, wie er innerlich eiskalt wurde. Wenn der Trick nicht gelang, war sein Leben keinen Cent mehr wert. Dann war er rettungslos verloren. Seine Fingernägel berührten schon das helle Kabel. Franco drehte die Hand ein wenig nach innen und schielte gleichzeitig 115
zu dem Killer hoch. La Salle stand etwas versetzt. Die Mündung der Waffe zielte ungefähr auf Francos Gürtellinie. Das Gesicht des Albinos wirkte in diesen Augenblicken wie aus Stein gehauen. Franco hatte das Gefühl, daß seine Augen noch roter waren als sonst. »Jetzt reicht’s«, sagte La Salle. Da packte der Mafiajäger zu. Seine Finger umschlossen das Kabel. Ein Ruck, und der Stecker wurde aus der Dose gefetzt. Dunkelheit! Gleichzeitig zog Franco Solo die Beine ein und schnellte sich zur Seite weg. Ein Schuß peitschte. Überlaut dröhnte die Detonation in Franco’s Ohren. Die Kugel klatschte irgendwo in den Teppich, traf aber nicht, und La Salle stieß einen gemeinen Fluch aus. Franco Solo hatte sich die Einrichtung des Zimmers vorher genau gemerkt. Er wußte, wo die einzelnen Möbelstücke standen. Das wirkte sich jetzt zu seinem Vorteil aus. Er wußte also, wo er Deckung finden konnte. Außerdem hatte La Salle ihm nicht die Waffe abgenommen. Der Killer fühlte sich zu sicher. Franco Solo bewegte sich wie eine Schlange über den Boden. Er wollte zu dem kleinen Tisch gelangen, der neben einem Sessel stand. Und nun bewies La Salle seine Klasse. Ein anderer als er hätte vermutlich die Nerven verloren und einfach geschossen. Nicht so der Söldner. Er wartete eiskalt ab und begann ein nervenaufreibendes Spiel. Für ihn, den Mann, der tausend Dschungelkämpfe hinter sich hatte, war dies nichts Neues mehr. La Salle hatte während seiner ›heißen Jahre‹ auch die Mentalität der Bewohner eines anderen Erdteils kennengelernt und sie sich teilweise zu eigen gemacht. Geduld stand da an vorderster Stelle. 116
Franco hatte sich zwischen dem kleinen Tisch und dem Sessel zusammengekauert. Jetzt ließ er seine Hand unter die leichte Jacke gleiten und tastete nach der Waffe im Gürtel. Die Finger fühlten das kühle Metall. Franco hielt den Atem an. Er ging unendlich behutsam vor und verzog doch das Gesicht, als er das Schleifen vernahm, das entstand, als die Waffe aus der Halfter gezogen wurde. Hatte La Salle das Geräusch auch gehört? Nein, wenigstens reagierte er nicht. Der Mafiajäger wog den Revolver in der Hand. Jetzt fühlte er sich wohler, denn wenn ihn La Salle angriff, konnte er sich wenigstens verteidigen. Franco blieb völlig ruhig und konzentrierte sich. Allerdings schwitzte er. Und das ärgerte ihn. Es gibt Menschen, die sehen einen Gegner nicht, dafür riechen sie ihn. Und Franco sah La Salle für solch einen Burschen an, der auch diese Technik beherrschte. Der Mafiajäger atmete durch den offenen Mund. Er hockte entspannt und doch sprungbereit. Es war wirklich eine Situation, die an den Nerven zerrte. Franco drehte den Arm ein wenig und schaute auf das schwach leuchtende Zifferblatt seiner Uhr. Noch eine halbe Stunde bis Mitternacht! Die Zeit verrann. Zu schnell, für seinen Geschmack. Aber auch Lucio La Salle hatte mit den gleichen Problemen zu kämpfen. Er mußte sich also etwas einfallen lassen, denn er war der Anführer des MafiaKommandos, das Las Vegas unter seine Kontrolle bringen wollte. Franco Solo spitzte die Ohren. Er schaltete sonst völlig ab und konzentrierte sich nur auf die Geräusche innerhalb des Zimmers. Wenn La Salle angriff, mußte einfach etwas zu hören sein. Und sei es nur ein winziges Schleifen oder Atmen. 117
Und das Geräusch hörte er. Schräg von ihm und etwas vor sich. La Salle kam! Franco schwang seinen Körper um eine Idee zurück, hörte plötzlich den Atemzug – und im nächsten Moment peitschte der Schuß auf. Franco zuckte zusammen. Er ließ sich nach hinten fallen. Die Kugel hätte ihn auch getroffen, aber da La Salle ebenso mit der Dunkelheit zu kämpfen hatte wie er und nicht genau sehen konnte, wischte das Blei an Francos rechten Wange vorbei. Allerdings so nah, daß er den Luftzug spürte. Die Waffe war so dicht vor seinen Augen abgefeuert worden, daß Franco Solo das Mündungsfeuer blendete. Der Mafiajäger schoß zurück. Die Waffe in seiner Hand bäumte sich auf, doch die Kugel klatschte irgendwo in die Wand. Franco rollte sich über den Boden. Er wollte sich eine andere Position suchen, gab aber nicht acht und stieß mit seinen Füßen einen kleinen Stuhl um. In das polternde Geräusch mischte sich der zweite Schuß des Mafioso. Doch jetzt hatte Solo aufgepaßt. Die Kugel zackte vor ihm in den Teppich. Franco aber warf sich vor, streckte dabei seinen Körper so weit es ging, und im nächsten Augenblick krallten sich seine Hände in den Stoff der Hosenbeine. Ein Ruck, und La Salle flog nach hinten. Er versuchte sich noch zu halten, doch Franco hatte zuviel Kraft hinter seine Aktion gelegt. La Salle ging zu Boden. Er stieß einen Fluch aus und verriet dem Mafiajäger somit seinen Standort. Franco Solo hätte schießen können, er wußte ja, wo La Salle lag, aber es war nicht seine Art. Wenn es eben ging, wollte er seinen Gegner mit den bloßen Fäusten überwältigen. Doch La 118
Salle war wie eine Katze. Gedankenschnell zog er die Beine an und ließ sie gleichzeitig wieder vorschnellen. Franco lief voll auf. Die Füße prallten gegen seine Brust. Der harte Stoß schleuderte ihn zurück. Franco stieß gegen einen Sessel und drückte das Möbelstück bis gegen die Wand. Wenn La Salle jetzt schoß … Er tat es nicht. Der Mafioso wollte sich auf keine längere Auseinandersetzung mehr einlassen. Er mußte weg, zu seinen Leuten, denn plötzlich drängte die Zeit. Lucio La Salle hetzte auf die Tür zu. Er riß sie auf, und während die Tür aufschwang, drehte er sich halb um die eigene Achse und feuerte in das Zimmer hinein. Franco zog den Kopf ein. Es wäre nicht nötig gewesen, denn das Geschoß fegte weit an ihm vorbei und sägte in einen Schrank. Dann gab La Salle Fersengeld. Franco hatte die Chance ihn zu treffen, doch es war nicht seine Art auf einen fliehenden Mann zu schießen. Und mochte er auch ein noch so schlimmer Verbrecher sein wie Lucio La Salle. Franco schnellte hoch und machte sich an die Verfolgung. Mit Riesensätzen jagte er auf die offene Tür zu, sprang über die Schwelle und tauchte einen Atemzug später in den Gang ein. Er hoffte nur, daß La Salle nicht schoß, denn der Raum vorher war ziemlich schalldicht. Hier im Kellergang aber wurden die Schüsse sicherlich gehört. Und nicht umsonst warteten zwölf Mafiosi auf ihren Einsatz. Franco war dem Kerl dicht auf den Fersen. Ihn trennten vielleicht fünf, sechs Schritte. Und dann machte La Salle einen Fehler. 119
Er blieb stehen, kreiselte herum und legte auf Franco Solo an. In diesem Augenblick reagierte der Mafiajäger wie ein Automat. Aus vollem Lauf schleuderte er seine Waffe – und traf. Der Revolver traf La Salle an der Schläfe. Der Mafioso kam gar nicht mehr dazu, einen Schuß abzugeben. Plötzlich explodierte eine Sonne vor seinen Augen. Er wurde gegen die Wand gedriftet, bekam weiche Knie, stöhnte auf und sackte an der Kellerwand zusammen. Seitlich fiel er zu Boden. Franco Solo ging zu ihm und blieb schweratmend neben dem Bewußtlosen stehen. Die Waffe war Lucio La Salle aus der Hand gerutscht. Es war ein Colt Ruger. Franco klemmte sich das schwere Ding in den Hosenbund und beugte sich zu dem Killer hinunter. Im Schein der Gangbeleuchtung sah er die aufgeplatzte Stelle an der Stirn. Wie Franco schätzte, würde La Salle einige Zeit bewußtlos bleiben. Das paßte schlecht, denn der Mafiajäger wollte von ihm einige Informationen haben. Das war jetzt nicht mehr drin. Noch zwanzig Minuten bis Mitternacht. Da hatte Franco eine Idee. Er bückte sich und durchsuchte die Taschen des Bewußtlosen. Er fand nicht nur Zigaretten, Kamm und Geldscheine, sondern auch ein Bund mit zahlreichen kleinen Schlüsseln. Gedacht für Sicherheitsschlösser. Franco schaute sich die in der Nähe liegenden Kellertüren an. Die Schlüssel sahen so aus, als würden sie zu den dazugehörigen Schlössern passen. Und in einem der Räume hielten sich die Killer auf. Wenn es nun gelang, die Tür von außen abzuschließen, dann war alles gerettet. 120
Franco Solo setzte diese Idee augenblicklich in die Tat um. Er lief den Gang weiter entlang, entdeckte mehrere Nischen, sah hinein und sah regelrechte Waffenlager vor sich. Von Revolvern über Gewehre bis hin zur Maschinenpistole war alles vorhanden. Die Mafiosi hatten ihre Übernahme wahrlich gut vorbereitet. In einer Nische stand eine Kiste. Sofort fiel Franco der Totenkopf auf, mit dem der Deckel bemalt war. Und das Wort POISON. Das hieß Gift! Die Kiste war nicht verschlossen. Franco hob hastig den Deckel an, räumte Ölpapier und Holzwolle zur Seite und sah dann die zahlreichen Ampullen, die nebeneinander lagen. Franco hob eine hoch, hielt sie dicht vor seine Augen und entzifferte die Schrift. Er lächelte, als er las, daß es sich bei dem Gift nur um schnell wirksames Betäubungsgas handelte. Bei der Army wurde so etwas verwendet. Wahrscheinlich hatten die Mafiosi die Kiste auch dort gestohlen. Franco nahm so viele Ampullen heraus, wie er tragen konnte. Dann schlich er auf Zehenspitzen den Gang weiter und blieb vor einer Stahltür stehen. Obwohl das Material ziemlich schalldicht schloß, vernahm der Mafiajäger doch die Stimmen der Männer. Hinter der Tür mußten sich die Gangster aufhalten. Zwölf Männer. Und er war allein. Trotzdem mußte er es versuchen. Die Waffe hatte Franco weggesteckt. In jeder Hand hielt er vier Ampullen. Er stand dicht vor der Tür, die urplötzlich aufgezogen wurde. Franco hörte noch die Stimme eines Mannes. »Verdammt noch mal, wo bleibt dieser La Salle …« 121
Die weiteren Worte blieben dem Kerl im Hals stecken, denn er hatte den Mafiajäger gesehen. Seine Augen weiteten sich. Er wollte einen Schrei ausstoßen, doch Franco Solo war schneller. Da er die Hände nicht freihatte, nahm er seinen rechten Fuß zu Hilfe. Alles ging blitzschnell. Er katapultierte den Gangster in den Raum zurück, und bevor sich die anderen noch von ihrer Überraschung erholt hatten, schleuderte Franco die Ampullen. Er knallte sie gegen die Wand, um sicher zu sein, daß sie auch zerbrachen. Die Ampullen zerplatzten. Zahlreiche Scherben fielen wie Kuchenkrümel zu Boden. Die Flüssigkeit, die jetzt mit der Luft eine Verbindung einging, wurde zu einem gasförmigen Stoff, der sich blitzartig im Raum verteilte. Dann aber reagierten die Killer. Drei Sekunden höchstens hatte die Überraschung angedauert. Danach schossen die Mafiosi wie von Taranteln gestochen in die Höhe und griffen zu ihren Waffen. Es blieb beim Versuch. Plötzlich kippten die Männer um. Sie brachen dort wo sie saßen oder standen einfach zusammen, fielen übereinander oder sanken zu Boden, wo der Teppich sie auffing. Franco schloß hastig die Tür. Er wußte nicht, wie lange die Wirkung des Gases anhielt, hoffte jedoch, daß es mindestens Stunden waren. Ein befreiender Atemzug drang über seine Lippen. Er hatte es tatsächlich geschafft und die zwölf Killer unblutig aus dem Verkehr gezogen. Mit Glück, zugegeben, aber das gehörte nun einmal dazu. Der Mafiajäger hütete sich nachzusehen, ob die Gangster alle schliefen. Er hatte die rasche Wirkung des Gases erlebt und sah auch, als er einen Blick auf den Boden warf, winzige, hauchzarte Schwaden unter der Türritze hervorkriechen. 122
Es wurde Zeit für ihn zu verschwinden. Franco Solo lief die Strecke wieder zurück. Jetzt kam La Salle an die Reihe. Er wollte den Kerl der Polizei übergeben oder vielmehr einer Sonderkommission, die wegen der Dringlichkeit und der Brisanz des Falles gegründet worden war. Als Franco Solo die Stelle erreichte, wo er Lucio La Salle zurückgelassen hatte, blieb er wie vor eine Wand gelaufen stehen. La Salle war verschwunden! * Der Mafioso war doch härter als Franco Solo angenommen hatte. Ein normaler Mensch wäre mindestens eine Stunde im Reich der Träume geblieben, aber La Salle mit seiner Ausbildung und seinem Training verdaute solche Schläge schnell. Franco blickte sich um. Nach wohin war Lucio La Salle verschwunden? Der Mafiajäger lief in die entgegengesetzte Richtung und sah plötzlich den Pfeil an der Wand kleben. Das Zeichen war beschriftet. Zur Bühne, stand darauf. Das also war der Fluchtweg! Franco ging davon aus, daß La Salle keinen anderen genommen hatte. Rasch lief der Mafiajäger den Gang entlang und gelangte in einen Raum, der mit alten, ausrangierten Roulettischen vollgestopft war und als eine Art Lagerhalle diente. Franco sah auch die Treppe. Sie führte zu einer Steinrampe hoch, die parallel zu einer Wand lief, in deren Mitte sich wiederum eine Tür befand. 123
Und vor der Tür stand La Salle. Er war ziemlich fertig und hatte noch mit den Nachwirkungen des Treffers zu kämpfen. La Salle schwankte etwas, und als er Solo, seinen Erzfeind, entdeckte, drang ein krächzender Laut über seine Lippen. »Bleib stehen, La Salle!« befahl Franco. Seine Stimme hallte an den kahlen Gangwänden hinter ihm nach. Der Mafioso lachte blechern. »Du kriegst mich nicht, Solo!« schrie er, »du nicht!« Er ging etwas nach rechts. Seine Hand suchte die Klinke, um die Tür aufzuziehen. Franco zog seinen 38er. »Stehenbleiben!« La Salle warf einen Blick über die Schulter. Und er pokerte. »Willst du mich in den Rücken schießen, Solo?« höhnte er. »Das kann ich gar nicht glauben. Ich habe gehört, du bist so edel.« Franco bewies ihm, wie edel er war. Er hob den Arm leicht an, zielte und schoß. Einen halben Schritt von La Salle entfernt jaulte die Kugel gegen die untere Steinbegrenzung der Rampe, hinterließ dort einen fingerlangen Riß und pfiff als Querschläger davon. »Hundesohn!« schrie der Mafioso. »Komm runter da. Die nächste Kugel sitzt!« »Nein!« Der Gangster riß die Tür auf – und Franco ließ die Waffe sinken. La Salle hatte recht. Er würde nie auf einen Unbewaffneten schießen und ihn nicht einmal verletzen. Somit hatte die Karte des Mörders gestochen. Als Franco auf die Steintreppe zuhetzte, war La Salle bereits hinter der Tür verschwunden. Da er sie mit seinem Körper nicht mehr deckte, las Franco auch die Worte, die mit weißer Farbe 124
auf das graue Metall gepinselt waren. BÜHNE Dort liefen viele unschuldige Personen herum. La Salle konnte sich leicht eine Geisel schnappen. Schon hörte Franco die Musik. Schmissige Melodien, intoniert in der Musical-Art und arrangiert nach einem modernen Sound, brachte die Zuhörer in Stimmung. Mit einem gewaltigen Satz nahm Franco Solo die Treppe und stürmte durch die offene Tür. Plötzlich stand ein Mann im grauen Kittel vor ihm. »Sind Sie wahnsinnig, Mister? Sie dürfen hier nicht rein! Verschwinden Sie! Sofort!« Der Mann streckte wütend den Arm aus, doch Franco drehte die Hand zur Seite. »Ich bin sofort wieder weg«, sagte er und lief an dem wie erstarrt dastehenden Knaben vorbei auf die Inspizientengasse zu, die an der linken Seite von einer Backsteinmauer begrenzt wurde. La Salle war verschwunden. Franco Solo warf einen Blick in die Höhe, wo sich der Schnürboden mit all seinen Leitern und Trittbrettern befand, sowie den zahlreichen Gehsteigen und provisorischen Brücken. Seile hingen hinab bis auf halber Höhe. An ihnen pendelten Kulissenbilder. Aber wo steckte La Salle? Franco Solo hetzte weiter. Die Waffe hatte er weggesteckt. Er wollte niemanden erschrecken. Er verließ die Inspizientengasse und sah neben sich die Rückseite des großen Vorhangs. Er war offen, da auf der Bühne getanzt und gesungen wurde. Wenn Franco noch drei Schritte weiterging, stand er voll im Rampenlicht. 125
Er konnte schräg auf die Bühne sehen. Zahlreiche Scheinwerfer strahlten ein Dutzend Girls an, die, nur mit hauchdünnen Schleiern bekleidet, einen Haremstanz aufführten. Den männlichen Part hatte ein bekannter Bühnenstar übernommen. Er trug einen Smoking und dazu einen roten Türkenfez auf dem Kopf, sang, tanzte und machte dabei noch seine dummen Sprüche. Das Licht wechselte laufend. Mal war die Bühne in ein dunkles Rot getaucht, dann wieder in ein strahlendes Weiß, oder helles Grün. Das verwirrende Farbenspiel schmerzte in den Augen. Franco zog sich etwas zurück. Er überlegte. Lucio La Salle war verschwunden. Er hatte aber nicht an der Bühne vorbeilaufen können, da er sonst vom Zuschauerraum aus gesehen wurde. Also mußte er sich vorher versteckt haben. Nur wo? »Da ist er«, hörte Franco Solo hinter sich eine Stimme. Sie gehörte den Inspizienten, und der Knabe hatte Verstärkung geholt. Hastings und zwei seiner Gorillas trabten an. Als Franco sich umgedreht hatte und Hastings ihn ansah, verzog der Kerl sein Gesicht. Der Mafiajäger ging den Männern entgegen. »Schmeißen Sie ihn doch raus!« Der Inspizient redete auf Hastings ein. Franco konnte den Mann sogar verstehen. Schließlich zeigte er sich dafür verantwortlich, daß hinter der Bühne alles lief. Aber Hastings zögerte. Franco lächelte. Er dachte daran, wie er mit den anderen beiden Gorillas verfahren war, und das schien Hastings auch nicht vergessen zu haben. Der Mafiajäger hob die rechte Hand. »Ehe wir uns hier 126
streiten, lassen Sie mich etwas sagen.« Hastings nickte. »Reden Sie!« »Wo ist La Salle?« In Hastings Augen blitzte es auf, und als er antwortete: »Tut mir leid, ich weiß nicht, wovon Sie reden«, da wußte der Mafiajäger, daß der Mann log. Franco sprang vor. Er war es leid, zum Narren gehalten zu werden. Ehe die Muskelmänner eingreifen konnten, packte Franco Hastings am Revers und schüttelte ihn durch. »Reden Sie!« zischte er, mußte aber lauter sprechen, da er durch den Beifallsorkan aus dem Zuschauerraum unterbrochen wurde. »Sagen Sie, wo La Salle steckt. Es ist in Ihrem Interesse. Es wird keine Morde mehr in dieser Stadt geben. La Salle und seine Kumpane haben ausgespielt. Mike Conetti und Jason Burke sind tot, die anderen zwölf Killer schlafen tief und fest. Sie sehen, die Zeit ist abgelaufen. Und jetzt machen Sie Ihr Maul auf. Wo steckt La Salle?« Die Girls traten von der Bühne ab. Wie Dohlen hüpften sie durch den Spalt, den der langsam schließende Vorhang ihnen noch bot. Der männliche Star blieb auf der Bühne und empfing die Ovationen. Plötzlich war nur noch das Geschnatter und Kichern der Mädchen zu hören. Wie die Turteltauben huschten sie auf eine breite Tür zu, die zu den Garderoben führte. »Hat sich La Salle dort versteckt?« fragte Franco. Hastings schnappte nach Luft. »Ich – ich weiß nicht, was Sie wollen, Mister? Tut doch endlich was, zum Teufel!« Damit hatte er die beiden Schläger gemeint. Sie stürzten sich auf den Mafiajäger. Franco Solo wirbelte auf der Stelle herum und schleuderte Hastings gegen die beiden Schläger. Gemeinsam gingen die Männer zu Boden. Es sah lustig aus. Nur der Inspizient fand das 127
nicht. Er nahm hastig Reißaus. »In der Garderobe. Er hat sich in der Garderobe versteckt!« kreischte Hastings vom Boden her. »Okay.« Franco nickte und war schon auf dem Weg. Er wußte, wohin er zu gehen hatte. Dort, wo auch die Mädchen verschwunden waren, lagen die Garderoben. Franco hatte erst die Hälfte der Strecke hinter sich, als die Tür wieder aufflog. Allerdings wurde sie jetzt von innen aufgestoßen, und der Mafiajäger hörte das Kreischen der Mädchen. Dann kam La Salle. Er blieb eine Sekunde stehen, schaute sich mit wutverzerrtem Gesicht um, sah seinen unerbittlichen Gegner und schleuderte ihm einen Fluch entgegen. Im nächsten Augenblick machte er auf dem Absatz kehrt und lief weg. Franco sprintete hinter ihm her. Der Vorhang schwang wieder auseinander, da der Beifall des Publikums nicht aufgehört hatte. Die Tänzerinnen mußten auf die Bühne, um eine Zugabe zu geben. Franco kam ihnen dazwischen. Sofort geriet die Formation durcheinander, und das Lächeln des Hollywood-Stars gefror zu einem Grinsen. Scheinwerferlichter trafen den Mafiajäger, als er die gut gewachsenen Girls zur Seite schob. Im Publikum wurde gelacht. Dann hatte Franco die Strecke überwunden. Die letzte Karambolage hatte ihn natürlich Zeit gekostet, die der Killer nutzen konnte. Sein Vorsprung war verdammt groß. Er rannte jedoch nicht auf irgendeine Tür zu, um zu verschwinden, sondern hastete eine Eisenleiter hoch, die zum Schnürboden führte. Seine Tritte hallten auf den Sprossen, und Franco Solo spürte, 128
wie das Eisen unter seinen zupackenden Händen vibrierte. Er nahm zwei Sprossen auf einmal, um so La Salles Vorsprung zu verkürzen. Der Mafioso hatte sich in der kurzen Zeit erstaunlich gut erholt. Er mußte wirklich eine überdurchschnittliche Kondition besitzen. Und er hatte sich wieder bewaffnet. Plötzlich blieb er stehen, drehte sich halb um, und Franco sah das brünierte Metall in seiner Hand schimmern. Schon drückte La Salle ab. Der Mafiajäger zog den Kopf ein. Die Kugel pfiff an ihm vorbei und prallte mit einem singenden Ton gegen eine Querstrebe. Ein weiteres Mal schoß La Salle nicht. Er sah zu, daß er weiterkam. Obwohl er Franco den Rücken zuwandte und in dieser Stellung praktisch wehrlos war, ließ Franco Solo seine Waffe stecken. Er hatte noch nie einen Menschen in den Rücken geschossen! Immer höher kletterte La Salle, vorbei an den herabhängenden Kulissen, die eine aufgepinselte grüne Wiese zeigten. Sie wurden von einem Beleuchter entdeckt, der wild mit beiden Armen winkte und sie dazu bewegen wollte, wieder nach unten zu klettern. Daran dachten aber weder La Salle, noch Franco Solo. La Salle erreichte den querlaufenden Steg als erster. Er schwang sich hinauf, lachte höhnisch, ging in die Knie und streckte seinen rechten Arm aus. In der Hand hielt er seinen Revolver. Franco blieb stehen, zog den 38er mit der Linken, klammerte sich mit der Rechten an einer Sprosse fest, stieß sich gleichzeitig ab und pendelte so zur Seite. La Salle feuerte. 129
Durch Francos Bewegung fehlte die Kugel. Sie sirrte zwischen zwei Sprossen hindurch. Der Mafiajäger schoß zurück. Erschreckt zuckte La Salle nach hinten, dachte nicht mehr daran, daß er sich auf einem schmalen Steg befand, verlor das Gleichgewicht und fiel. Doch mit einer blitzschnellen Bewegung griff er zu und bekam soeben noch die Kante des Stegs mit einer Hand zu packen. Er baumelte daran wie ein Artist am Hochseil, aber aufgeben wollte er trotzdem nicht. Franco Solo bekam dadurch die Zeit, die er brauchte, um den Rest der Leiter hochzuklettern. Als er oben stand, hatte der Mafioso es auch geschafft. »Bist du denn überhaupt nicht totzukriegen?!« brüllte er, blickte sich wild um, sah die schußbereite Waffe in Francos Hand, merkte, daß er seine Kanone nicht schnell genug hochbekommen konnte und warf sich herum. Wieder gab La Salle Fersengeld. Beide Männer waren ungefähr gleich schnell. Auf dem schmalen Brett war es nicht einfach, die Balance zu halten, vor allen Dingen deshalb nicht, weil kein Geländer vorhanden war, an dem man sich hätte festhalten können. Der Steg lief quer über die Bühne, noch über der langen Scheinwerferschiene hinweg. Und er endete dort, wo sonst, wenn kein Programm lief, die Artisten ihre tollkühnen Kunststücke vorführten. Ausgangspunkt war eine kleine Plattform. Franco hatte etwas aufgeholt. Er befand sich noch drei Schritte hinter dem Mafioso, als dieser die Plattform erreichte. Wütend wirbelte La Salle herum. 130
Und da kam Francos Handkante. Aus vollem Lauf schlug er zu. Er traf das Gelenk des Killers, und solch einen Schlag verkraftete auch ein Mann wie Lucio La Salle nicht. Er ließ die Waffe fallen. Sie prallte auf die Plattform, und bevor La Salle sich versah, kickte Franco sie nach unten in die Tiefe. Er selbst steckte seinen 38er weg. Jetzt waren die Chancen gleich. »Komm, La Salle!« sagte der Mafiajäger. Doch der Mafioso dachte gar nicht daran, der Aufforderung Folge zu leisten. Er sah das festgehackte Schwungreck, sprang darauf zu, löste es aus der Halterung, stieß sich mit den Füßen ab, und ehe Franco reagieren konnte, schwang Lucio La Salle quer durch die Kasino-Halle auf die andere, gegenüberliegende Seite zu. Der Mafiajäger war zu spät gekommen! *
Big Bob Freelander saß in seinem Büro. Und er war nervös. Unruhig trommelte er mit seinen Fingern auf der Schreibtischplatte herum. Er hatte leichtes Magendrücken. Tabletten und kohlensäurefreies Wasser sollten dagegen helfen. Aber sie wirkten auch nicht. Noch zwei Minuten bis Mitternacht. Freelander hatte seine Leute gut ausgesucht. Jeder war genau durchleuchtet worden, bevor er bei ihm anfing. Er wußte, daß er sich auf seine Wachmannschaft verlassen konnte, aber würde sie auch mit der Mafia fertig werden? Punkt Mitternacht sollte es losgehen, wie Freelander wußte. Bisher hatten die einlaufenden Meldungen beruhigend 131
geklungen. Alles normal, keine Gefahr. Nichts deutete auf Außergewöhnliches hin. In Las Vegas wurde gespielt wie immer. Dann summte das Telefon. Noch sechzig Sekunden bis zur Tageswende. Waren die Mafiosi schon aus ihren Höhlen gekrochen? Hatten sie bereits zugeschlagen? Big Bob Freelander traute sich fast nicht, den Hörer hochzunehmen. Erst beim dritten Summen, war er soweit, daß er sich meldete. Eine Frau rief ihn an. »Mein Name ist Goldie Horn«, sagte sie. »Die Reporterin?« schnappte Big Bob. »Ja.« »Tut mir leid, Miß, ich habe jetzt keine Zeit. Es wird wahrscheinlich …« »Hören Sie mich an, Freelander. Nichts wird passieren, denn Franco Solo hat die Lage entschärft. Ihm können Sie es verdanken, daß es kein Blutvergießen gibt, aber nicht Ihrem Plan und Ihrer Arroganz. Ich hoffe, Sie haben mich verstanden, Mr. Freelander.« Ehe Big Bob noch etwas sagen konnte, hatte Goldie Horn aufgelegt und hinterließ einen völlig fassungslosen Big Bob Freelander. Er brauchte einige Minuten, um sich von dem positiven Schock zu erholen. Dann aber griff er zum Telefon und machte einige seiner Leute mobil. *
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Der Vorhang zur Bühne war zwar geschlossen, trotzdem bekamen die Zuschauer eine Sensation geboten. Plötzlich schwang ein Mann an der Artistenschaukel quer durch das große Kasino. Ein vielstimmiger Aufschrei drang dem Flieger entgegen, und Franco Solo sah, wie die Gestalt des Killers immer kleiner wurde. Er hing an der Schaukel und hatte die Beine fest zusammengepreßt, um so wenig Luftwiderstand zu bieten wie nur möglich. Wenn er jetzt die gegenüberliegende Plattform erreichte, dann war er für Franco Solo verloren. Doch der Schwung reichte nicht aus. La Salle streckte zwar seine Beine vor, berührte die Plattform auch, allerdings hatte er nicht mehr die Kraft, sich hochzuschwingen. Er rutschte mit den Sohlen ab und schwang wieder zurück. Auf den Mafiajäger zu. Die Menschen sprangen auf. Plötzlich war sogar das Spiel vergessen. Mit in den Nacken gelegten Köpfen starrten die Neugierigen zur Kasino-Decke hoch, wo plötzlich ein zweiter Flieger auftauchte. Franco Solo! Um den Killer doch noch zu bekommen, mußte er einfach das gleiche wagen. Franco schnappte sich die zweite Schaukel, stieß sich ab, spürte den Luftzug, der ihm umfächerte und schwang quer durch den Raum. In der Mitte ungefähr begegnete er dem Mafioso. Allerdings drehte ihm La Salle den Rücken zu. Franco pendelte bis dicht vor die nächste Plattform. Er schaffte es ebenfalls nicht, sie zu besteigen, dafür war sein Schwung nicht groß genug, aber er drehte sich während des Fluges an der Stange, so daß er dem entgegenkommenden La Salle ins Gesicht sehen konnte. Abermals schwangen die beiden Gegner aufeinander zu. La 133
Salles Gesicht war verzerrt, nur noch eine Grimasse. Franco Solo verlagerte sein Gewicht etwas nach rechts, löste plötzlich eine Hand von der Haltestange und schlug La Salles während des Flugs gegen die Brust. Es war ein harter Stoß, durch die Geschwindigkeit noch verdoppelt. Franco spürte ihn bis ins Schultergelenk hinein. Der Killer kam aus dem Schwungrhythmus, die Schaukel trudelte zur Seite weg, die beiden Halteseile verfingen sich ineinander, drehten sich zu Knoten, und La Salle ließ los. Unter dem Aufschrei der Menge fiel er dem Boden entgegen – und genau ins Netz. Gleichzeitig ließ Franco sich fallen. Mit dem Rücken zuerst berührte er das Fangnetz, federte auf und nieder, wurde wieder hochgeschleudert, drehte sich, prallte bäuchlings in die Maschen und glich dann die Schwingbewegungen des Netzes aus. La Salle schaffte es nicht so schnell. Franco Solo bewegte sich auf ihn zu. Auf allen vieren lief er, während La Salle Mühe hatte, überhaupt so etwas wie ein Gleichgewicht zu finden. Und dann war Franco bei ihm. Der Mafioso sah ihn kommen. Er ließ sich fallen wurde aber wieder hochgeschleudert und griff hinter seinen Gürtel. Franco wußte nicht, was er dort stecken hatte, aber einen Zahnstocher bestimmt nicht. Er rechnete mit einem Messer. Noch ehe La Salle irgendeine Waffe ziehen konnte, sprang der Mafiajäger ihn an. Wieder fielen sie hin. Franco lag oben. Wie bei einem Trampolinspringen stießen sie auf und nieder. Nur daß das andere Sport war und bei Franco blutiger Ernst. Er wollte endlich Schluß machen, damit er den Killer der Polizei übergeben konnte. Aber die Gaffer hatten ihre Sensation. Sie feuerten die beiden 134
Gegner an. Der Killer wehrte sich verbissen. Mit einem letzten Schlag öffnete Franco die Deckung des Mörders und kam mit der Linken voll durch. Er setzte sie genau auf das Kinn des Mafioso. Es war ein klassischer K.o. Lucio La Salle, der Albino, verdrehte die Augen, fiel nach hinten und federte noch einige Male nach. Franco aber wurde von seinem eigenen Schwung nach vorn gerissen und kippte über den Mann. Erschöpft blieb auch er liegen. Er kam sich vor wie in einer riesigen Hängematte und hätte am liebsten die Augen geschlossen, um zu schlafen. Aber es warteten noch andere Aufgaben. Als Franco sich aufrichtete und nach unten blickte, glaubte er seinen Augen nicht trauen zu können. Polizisten und Männer der privaten Wachmannschaft stürmten in das Kasino. An der Spitze Big Bob Freelander. Er winkte mit beiden Händen. »Gratuliere, Solo, gratuliere!« schrie er immer wieder, während die ersten Beamten in das Netz kletterten und den bewußtlosen La Salle raushievten. Sie mußten über Strickleitern laufen, und das war gar nicht so einfach. Franco Solo wollte sich nicht helfen lassen. Und er haßte auch die Ovationen, die ihm Freelander entgegenbrachte. Der Mann hätte sich lieber am Beginn des Falles kooperativer zeigen sollen. Franco bewegte sich vor, bis zur Strickleiter. Er blickte durch die Netzmaschen nach unten und sah, daß La Salle Handschellen angelegt wurden. Einige Polizisten hatten die Gäste bis an die Wände zurückgedrängt, um freie Bahn für ihren Einsatz zu haben. Franco schwang sich auf die Strickleiter und kletterte an ihr 135
herunter. Jede Sprosse wippte nach, und die Leiter schwankte hin und her. Big Bob Freelander stand vor der Leiter und hatte seine Arme ausgebreitet. »Fantastisch«, sagte er immer wieder, »fantastisch.« Franco Solo nahm die letzte Sprosse und sprang zu Boden. »Machen Sie sich nur nicht in die Hose, Big Bob. Und wenn Sie mich küssen wollen, geben ich Ihnen lieber ein Foto.« Freelanders Arme sanken nach unten. »Was – was haben Sie gegen mich, Franco?« »Nichts.« Der Mafiajäger lächelte bitter. »Aber auch gar nichts. Sie können von Glück sagen, daß ich es fast geschafft habe. Im Alleingang. Mit Ihren Methoden, mein Lieber, hätten wir kaum Erfolg gehabt. Wer nur auf Stärke und Macht setzt, verliert immer.« Die Gesichtszüge des mächtigen Mannes von Las Vegas entgleisten. »Normalerweise brauche ich mir das nicht sagen zu lassen, Solo.« »Vielleicht haben Sie nur niemanden, der Ihnen die Wahrheit unter die Nase reibt.« »Gut, Franco, gib’s ihm!« Unbemerkt von den meisten hatte sich Goldie Horn, die Reporterin, nach vorn gedrängt. Sie blitzte Big Bob Freelander an. »Sie, großer Meister, können sich gar nicht genug bei Mr. Solo bedanken. Er hat Ihre Borniertheit zum Glück einfach ignoriert und ist auf eigene Faust losgezogen. Und wie es aussieht, hat er gewonnen.« »Noch nicht ganz«, schwächte Franco Solo ab, »aber das ist eine andere Geschichte,« Er kümmerte sich nicht um die fragenden Blicke, sondern schlug vor: »Sollen wir nicht von hier verschwinden? Ich möchte noch einiges mit Ihnen besprechen, Mr. Freelander.« »Ja, natürlich, kommen Sie.« 136
Sie verließen das Kasino und schritten quer durch die Halle. Hier und da brandete Beifall auf. Franco schüttelte nur den Kopf. Die Menschen empfanden das alles als Spiel, doch kaum jemand wußte, daß es für Franco Solo blutiger Ernst gewesen war. Goldie Horn hatte sich bei ihm eingehakt. Ihr Gesicht strahlte wie das einer Braut am Hochzeitstag. »Ich habe bereits mit meiner Redaktion telefoniert«, flüsterte sie Franco ins Ohr. »Das wird eine Story. Sagenhaft, sage ich dir. Sogar die Headline habe ich schon. Die Goldene Hölle! So werde ich den Bericht nennen. Ist das nicht ein Einstieg?« Franco lächelte nur, doch sein Gesicht wurde rasch wieder ernst. »Geh nur nicht zu hart ran, Mädchen. Du bekommst sonst Schwierigkeiten. Die Mafia hat hier zwar gewaltig an Boden verloren, aber ausgeschaltet ist sie noch nicht.« »Das heißt, La Salle hat noch einen Hintermann.« »Genau.« »Und? Was hast du vor?« »Den werde ich mir noch in dieser Nacht schnappen. Bevor er sich verdrückt.« *
Das Haus hatte früher einem reichen Mexikaner gehört. Doch als der Industrielle pleite ging, hatte er es an eine Maklerfirma verkauft, die es an zahlungskräftige Kunden vermietete. Die Hütte war eine Wucht! Auf einem künstlichen Hügel gebaut lag sie inmitten eines Parks, der zu jeder Tages- und Nachtzeit bewässert wurde. Es war eine Oase in der braungelben, verbrannten Wüstenlandschaft, ein Traum von einem Besitztum, mit weißen 137
Mauern, Rundbögen, einem mit Springbrunnen bestückten Innenhof, einer Palmengalerie und sorgfältig gepflegten Wegen. Bei Dunkelheit wurde das Haus ebenso angestrahlt, wie der phantastische Pool oder der zum Besitz gehörende 13-LochGolfplatz und das Tennisfeld. Man konnte es aushalten und für die tausend Dollar Miete am Tag war das Haus fast geschenkt. Das fand auch Augusto Colossimo. Er fühlte sich wie ein König in den mit kostbaren Möbeln ausgestatteten Innenräumen. Die einzelnen Zimmer besaßen genau die Großzügigkeit, die er so liebte. Es gab wenig Türen, und die Räume gingen ineinander über. Tagsüber arbeitete Personal innerhalb und außerhalb des Hauses. Colossimo mußte den Koch, die Bediensteten und den Gärtner natürlich aus eigener Tasche bezahlen, aber das machte ihm nichts. Um achtzehn Uhr schickte er die Leute dann weg. An diesem entscheidenden Abend hatte er es sich auf der von Weinlaub umrankten Terrasse bequem gemacht. Er saß in einem bequemen gepolsterten Stuhl, schaute auf die blitzenden Lichtreflexe, die das Wasser des Pools zurückwarf und trank italienischen Landwein. Etwas herb und angenehm kühl. Auch der Wind war nicht mehr so warm wie am Tage. Er fächerte auf die Terrasse, spielte mit den Weinlaubblättern und ließ somit das Gefühl der Ruhe und Entspannung aufkommen. Es hätte wirklich alles wunderbar sein können, wenn da nicht Borro gewesen wäre. Der stumme Leibwächter saß auf einem Extrastuhl. Und vor ihm auf dem kleinen, runden Tisch lag seine Braut. Eine Maschinenpistole! Borro hatte den kantigen Schädel gesenkt. Sein dunkles Kraushaar wucherte bis in den Nacken. Die großen Hände hatten Platz auf seinen Knien gefunden und die dunkle 138
Kleidung, die er trug, ließ ihn noch gefährlicher aussehen. Borro war immer auf dem Sprung. Er besaß die Reflexe eines Raubtieres und hatte auch ein phantastisches Gehör. Vielleicht war es deshalb so gut ausgebildet, weil er seine Stimme nicht mehr gebrauchen konnte. Augusto Colossimo nahm einen Schluck. Ihm verging die Zeit viel zu langsam. Er hatte lange nichts mehr von La Salle gehört, und die letzten Nachrichten klangen nicht begeistert. Da hatte sich tatsächlich dieser Solo, Erzfeind der ›Ehrenwerten Gesellschaft‹, in das Geschäft mit eingemischt. Wenn Conetti und Burke versagten, dann wurde La Salle auch hochgenommen, dessen war sich Colossimo sicher. Als die Zeiger auf Mitternacht rückten, erreichte die Spannung in ihm fast den Siedepunkt. Er starrte das grüne Telefon an, als wollte er es hypnotisieren. Aber niemand meldete sich. Die Zeit verrann. Auch Borro wurde nervös. Das zeigte sich daran, daß er immer wieder mit seiner MPi spielte. Er strich mit den Fingerkuppen über das Eisen, als würde es leben. Ab und zu warf er seinem Boß einen fragenden Blick zu. Colossimo hockte in seinem Stuhl wie eine fette Qualle. Eine Flasche Wein hatte er bereits geleert, nun machte er sich daran, die zweite zu trinken. Er goß sich erst gar nicht das Glas voll, sondern trank direkt aus der Flasche. Weitere fünfzehn Minuten vergingen. Die Uhr zeigte schon fast die erste Morgenstunde an, als Colossimo aufsprang und die flache Hand auf den Tisch schlug. Die Flasche war bereits bis auf einen kleinen Rest leer. Trotzdem merkte man dem Capo nicht an, daß er betrunken war. Nur seine Augen glänzten wie im Fieber, aber das konnte auch daher kommen, daß es in seinem Innern wie in einem brodelnden Vulkan aussah. 139
Borro sagte nichts. Er schaute seinem Brötchengeber nur zu, wie dieser auf- und abschritt. Und dann summte der grüne Apparat. Mitten in der Bewegung blieb Augusto Colossimo stehen. Er trat einen Schritt vor, und seine Pranke fiel schwer wie ein Eisenklotz auf den Hörer. Colossimo wartete ein zweites Summen ab, bevor er aufnahm. »Ja!« Nicht Lucio La Salle meldete sich, sondern Emilio Torres, ein Anwalt aus Los Angeles. »Für Sie ist es gelaufen, Colossimo«, sagte er zur Begrüßung. »Was soll das heißen?« »La Salle hat versagt. Er selbst hat mich angerufen. Aus der Untersuchungshaft.« »Und seine Leute?« »Sind durch ein harmloses Gas in einen sehr tiefen Schlaf versetzt worden.« »Verdammt!« keuchte der Capo. Seine Hand umklammerte den Hörer so fest, als wollte er ihn zerbrechen. In Sekunden wurde er sich bewußt, daß die große Chance verspielt war. Er – nein, sie alle hatten diesen Solo unterschätzt. Ein Mann allein hatte sich gegen die Mördergarde der Mafia durchgesetzt. Kaum glaublich. Und doch wahr! »Sind Sie noch dran?« fragte der Anwalt. »Ja.« »Dann wissen Sie ja wahrscheinlich, was Sie zu tun haben, mein Lieber.« »Bene, ich werde verschwinden.« »Wenn Sie es nicht rechtzeitig schaffen, schießen Sie sich eine Kugel durch den Kopf. Wir mögen es nicht, wenn unsere Capos 140
vor den Schranken eines Gerichtes stehen.« »Ich kenne die Spielregeln!« keuchte Augusto Colossimo und legte rasch auf. Borro sah ihn an. An dem Gesichtsausdruck seines Bosses erkannte der Leibwächter, daß alles schiefgelaufen war. Und als ihm Colossimo befahl den Hubschrauber klarzumachen, war er nicht einmal besonders überrascht. * Die Eiswürfel klingelten gegeneinander, als Franco Solo das Longdrinkglas mit dem Orangensaft anhob. Er trank in langen durstigen Zügen, seine Kehle war wie ausgetrocknet. Über der rechten Augenbraue klebte ein Pflaster. Franco hatte sich das Blut aus dem Gesicht gewaschen und saß jetzt Big Bob Freelander gegenüber. Er wartete auf das Gespräch nach Washington. Franco wollte Colonel Warner, seinen unmittelbaren Vorgesetzten bei COUNTER MOB, von seinen bisherigen Erfolgen in Kenntnis setzen. In Washington würde man aufatmen, wie es auch Big Bob Freelander getan hatte. Er war der eigentliche Sieger und konnte seinen Geldgebern mit einem strahlenden Lächeln verkünden, daß der Dollar weiter rollte. Franco bekam trotzdem einen schalen Geschmack. Er mochte diesen Freelander nicht, war aber gezwungen, mit ihm zusammenzuarbeiten. Goldie Horn hatte sich als dritte Person dazugesellt. Auf ihren Knien lag ein Stenoblock. Hin und wieder machte sie sich Notizen. Da schien der spitze Bleistift nur so über das Papier zu fliegen. Franco trank sein Glas leer, stellte es ab, und griff zum Telefonhörer, da der Apparat im gleichen Moment gesummt 141
hatte. Warner war dran. Franco Solo berichtete knapp und präzise, was sich ereignet hatte. Er kam dabei auf alle wesentlichen Punkte zu sprechen. Der Colonel war froh. »Gratuliere, Franco«, sagte er. »Dann ist ja alles wieder in Ordnung.« »Nein, noch nicht. Ich habe zwar La Salle und seine Killer mattgesetzt, aber mir fehlt noch der Kopf. Don Augusto Colossimo.« »Dann holen Sie ihn sich.« »Das hatte ich vor. Wenn es soweit ist, rufe ich Sie wieder an.« »Okay. Und viel Glück.« Franco Solo legte wieder auf. Er hatte kurz zuvor mit dem Polizeichef der Stadt telefoniert und diesen über seine Aufgabe in Kenntnis gesetzt. Wenn er sich jetzt dem Capo widmete, konnte er das ohne Schwierigkeiten zu bekommen durchführen. Es würden ihm auch von der Seite des Gesetzes keine Komplikationen entstehen. So sah die Lage aus. Big Bob Freelander spielte den Großzügigen. »Sie können über meine gesamten Leute verfügen«, sagte er jovial. Der Mafiajäger schüttelte den Kopf. »Nein.« »Sie lehnen ab?« »Ich brauche nur einen Wagen. Mehr nicht.« »Den können Sie natürlich haben, aber ich halte es für besser, wenn wir Ihnen den Rücken decken.« Franco lächelte. »Haben Sie mir zuvor Rückendeckung gegeben, Big Bob?« Freelander winkte mürrisch ab. »Vergessen Sie das doch. Ich war nicht sehr von Ihnen überzeugt und konnte mir nicht 142
vorstellen, daß ein Mann das fertigbringen sollte, was andere nicht geschafft haben. Und meine Truppe ist wirklich gut.« »Das bestreitet niemand. Doch glauben Sie mir, ich kenne mich aus. Ich hole nicht zum ersten Mal eine Ratte aus ihrem Nest.« »Wie Sie wollen.« »Und ich?« fragte Goldie Horn. Franco schaute sie an. »Du bleibst ebenfalls in Sicherheit. Aber du bekommst von mir die Exclusivstory.« Die Reporterin war nicht begeistert, doch Franco Solo ließ sich nicht umstimmen. »Wenn ich dann den Wagen haben könnte«, meinte er. »Okay, ich gebe Ihnen die Schlüssel!« Big Bob Freelander stand auf und leitete alles in die Wege. *
Zur Auswahl standen mehrere Wagen. Franco Solo hatte sich für einen dunkelblauen Sting Ray entschieden mit Metallic-Lackierung. Die City der Spielerstadt lag bereits hinter ihm, und Franco steuerte schon die Außenbezirke an. Er kam mit dem Wagen, der gerade zehntausend Meilen gelaufen hatte, gut zurecht. Der Mafiajäger war froh, den Trubel hinter sich gelassen zu haben. Langsam fiel ihm Las Vegas auf die Nerven. Umgezogen hatte er sich nicht, dafür aber seine Waffen nachgesehen. Er trug den 38er Smith & Wesson in der Halfter und eine Beretta-Pistole im Hosenbund. Allerdings hoffte Franco, daß er Augusto Colossimo unblutig überwältigen konnte. 143
Big Bob Freelander wußte über seinen Widersacher gut Bescheid. Denn auch er hatte überall seine Spitzel sitzen. So hatte Franco erfahren, daß sich außer Colossimo nur noch sein Leibwächter in dem luxuriösen Haus aufhielt. Der Mann hieß Borro, sollte taubstumm sein, dafür aber doppelt gefährlich. Er war seinem Boß hündisch ergeben. Man hatte das Land, in dem die Außenbezirke lagen, der Wüste abgerungen. Alle Gärten und Anlagen wurden künstlich bewässert. Selbst bei Dunkelheit war zu sehen, daß die Fassaden der hinter kleinen Vorgärten liegenden Häuser sauber und gepflegt waren. Hier wohnten die Angestellten der Hotels und Kasinos, die Croupiers, die Portiers und Küchenchefs. Die Häuser waren von den jeweiligen Hotels errichtet worden und blieben deren Eigentum. Die Chefs wußten, wie hart der Job in der Spielerstadt war und vermieteten die Häuser praktisch für einen Spottpreis. Trotzdem kam es vor, daß zahlreiche Menschen, die hier arbeiteten, den Koller bekamen, durchdrehten oder Selbstmord verübten. Die Gegend machte sie einfach krank. Sie konnten nicht raus, in der Nähe lag keine andere Stadt, nur der glitzernde künstliche Moloch Las Vegas. Franco durchfuhr die Vorstadt und gelangte dann in eine Gegend, die mit Prachtvillen bestückt war. Wer hier lebte, hatte Geld. Luxus stand an erster Stelle. Viele besaßen ihre Privatjet oder einen Hubschrauber, der sie rasch mal nach Los Angeles oder Frisco brachte, wenn sie etwas anderes sehen wollten. Die Selbstmordquote lag hier bei Null. Von den Häusern war kaum etwas zu sehen. Sorgfältig gestutzte Hecken oder weiße Mauern schützten die Grundstücke vor neugierigen Blicken. Hin und wieder sah Franco matten Lichtschein schimmern, das war aber auch alles. 144
Er fuhr bereits über die breite Straße, an der auch Don Augustos Colossimos Haus lag. Der Capo hatte die Villa gemietet, und als Franco davor hielt, war von dem Haus nichts zu sehen. Der Mafiajäger stieg aus und trat an die weiße hüfthohe Mauer. Das Gelände stieg leicht an. Palmen und Agaven säumten eine breite Zufahrt. Die Blätter bewegten sich im Nachtwind. Exotische Blüten verbreiteten einen betörenden Duft, und das Zirpen einiger Grillen klang in Francos Ohren wie eine schrille Musik. Er schritt entlang der Mauer und blieb vor einem kleinen schmiedeeisernen Tor stehen, das sich harmonisch in den Mauerkomplex einfügte. Franco suchte nach einer Sicherheitsanlage, fand jedoch keine. Normalerweise ließen sich die Capos be- und überwachen wie Diktatoren eines totalitären Staates. Dieses Haus war allerdings gemietet, und da hatte man auf solche Mätzchen verzichtet. Zudem fühlte sich Augusto Colossimo ziemlich sicher. Pech für ihn, daß es nicht geklappt hatte. Franco übersprang die Mauer. Seine Füße berührten weichen Rasen, der ihm wie ein Teppich vorkam. Er schritt nicht über die Zufahrt dem Haus entgegen, sondern nahm einen anderen, direkteren, aber auch unorthodoxeren Weg. Franco ging quer durchs Gelände. Er näherte sich dem Haus wie ein Dieb in der Nacht. Der Mafiajäger hatte sein Jackett geöffnet. Dicht vor ihm huschte ein Tier über den Rasenteppich und verschwand in einem Gebüsch. Dann sah der Mafiajäger zum ersten Mal das Haus. Es war ziemlich flach gebaut mit einem vorgezogenen Satteldach, das durch Rundbögen gestützt wurde. Das schwache Mondlicht malte die Schatten der Bäume auf die helle Fassade. 145
Franco sah große Fenster. Das bunte Glas bildete zur Hauswand einen farbigen Kontrast. Und er entdeckte die Eingangstür. Hier von einer Tür zu sprechen, war leicht untertrieben. Der zweiflügelige Einlaß glich schon mehr einem Tor. Der Mafiajäger hatte allerdings nicht vor, dort und auf offiziellem Weg das Haus zu betreten. Er wollte von der Rückseite in die Villa gelangen. Dazu mußte er am Westrand des kleinen Parkplatzes vorbei. Einsam stand dort ein protziger Lincoln Continental. Der Lack war mit einer feinen Staubschicht überpudert, ein Zeichen dafür, daß der Wagen vor kurzem noch gefahren worden war. Jasminsträucher gaben dem Mafiajäger Deckung. Die Westseite des Hauses war verglast. Wie in den übrigen Räumen brannte auch dort kein Licht. Wenn Franco genauer hinschaute, sah er die Umrisse wuchtiger Eichenmöbel. In ihm machte sich schon die Befürchtung breit, er könnte den Capo nicht antreffen, als er das Husten hörte. In der Franco umgebenden Stille klang es doppelt laut. Solo blieb einen Augenblick stehen, horchte nach und schlich dann weiter. Kein Ast knackte unter seinen Füßen, als er sich langsam der Terrasse näherte. Nur das Gras raschelte, als er sich vorwärtsbewegte. Dann blickte er seitlich auf die Terrasse. Das Mondlicht fiel voll auf den Pool und beleuchtete auch die vordere Hälfte der Terrassenfront, während die Franco gegenüberliegende Seite durch Weinlaubranken abgegrenzt wurde. Zwei Tische, rund und weiß, sowie bequeme Gartensitzmöbel standen auf der Terrasse. Aber das alles interessierte Franco Solo nicht. Er hatte nur Augen für den Mann, der vor einem der Tische stand, die Hände in den Hosentaschen vergraben hatte, 146
und auf einen Aktenkoffer starrte, den er neben sich abgestellt hatte. Der Mann war Don Augusto Colossimo. Aber wo steckte der stumme Leibwächter? Franco schaute sich fast die Augen aus dem Kopf. Doch von diesem Borro sah er nicht einen Hemdzipfel. Eine Minute verstrich. Es war still, bis auf das leichte Rauschen des Nachtwindes in den Bäumen. Vom Lärm der Spielerstadt war hier nichts zu hören. Man sah nur den Widerschein der Lichterglocke hoch am Nachthimmel. Franco Solo zog seinen 38er. Er atmete noch einmal tief durch und verließ dann mit angeschlagener Waffe seine Deckung. Langsam schritt er auf die Terrasse zu. Colossimo sah ihn noch nicht, aber er schien irgend etwas zu spüren, denn plötzlich ruckte er herum. Franco hatte soeben die Terrasse betreten. Sofort blieb er stehen und hob die Waffe an. »Nehmen Sie die Hände vorsichtig aus den Taschen und spreizen Sie die Arme vom Körper ab!« befahl er mit tonloser Stimme. Colossimo stieß einen tiefen Seufzer aus. »Bene, Mister. Aber halten Sie Ihren Zeigefinger ruhig.« »An mir soll’s nicht liegen«, erwiderte Franco. Der Capo kam seiner Aufforderung nach, während Franco sich etwas zur Seite bewegte, um den Mann direkt vor der Mündung zu haben. Sie sahen sich an, fixierten sich, und wußten, daß sie unversöhnliche Gegner waren. »Franco Solo, nicht wahr?« fragte Colossimo. 147
Der Mafiajäger nickte. Jetzt lächelte der Capo. »Es hat wohl keinen Zweck, Ihnen Geld anzubieten?« »Sie sagen es.« »Na, ich dachte es mir.« Colossimo lachte. »Sollen wir nicht ins Haus gehen?« »Mir gefällt es hier.« »Wie Sie wollen!« Der Capo hob die fleischigen Schultern. Francos Blick glitt an der Gestalt des Mafioso entlang. Colossimo trug kein Jackett, sondern nur ein Hemd, das sich über dem Bauch spannte. Die Umrisse einer Waffe entdeckte Franco bei ihm nicht. Don Augusto schien ›sauber‹ zu sein. Trotzdem war es dem Mafiajäger unbehaglich zumute. Seine Blicke irrten oft an Colossimo vorbei, er suchte den stummen Leibwächter. Bisher erfolglos. »Wo ist er?« fragte Solo, dem das amüsierte Lächeln Colossimos nicht entgangen war. »Von wem sprechen Sie?« »Von Ihrem Aufpasser.« »Ach Borro. Der ist nicht da. Ich habe ihn weggeschickt.« »Darf man fragen, wohin?« »Ja, nach Vegas hinein. Er soll einige Informationen sammeln und sich umschauen. Wie mir scheint, ist dort einiges schiefgelaufen.« »Das scheint Ihnen nicht nur so, das ist eine Tatsache, Don Augusto. Das Spiel ist aus!« erwiderte Franco Solo hart. »Sie haben auf der ganzen Linie verloren. Selbst La Salle und seine Killergarde konnten nichts mehr ausrichten.« »Sie sind wirklich ein außergewöhnlicher Mann, Mr. Solo«, bemerkte der Capo. »Und Ihnen Geld zu geben, hat also keinen Zweck.« 148
»Nein.« »Was wollen Sie?« »Die Frage ist dumm«, entgegnete Franco. »Ich will Sie verhaften und möchte, daß Sie vor ein ordentliches Gericht gestellt werden. Das ist alles.« Der Capo tippte mit der Fußspitze auf. »Haben Sie eigentlich Beweise?« fragte er dann. »La Salle wird reden.« »Vielleicht.« »Bestimmt sogar. Schließlich geht es um seine Haut.« Der Capo schüttelte den Kopf. »Nein, La Salle wird nichts sagen. Er hat soviel auf dem Kerbholz, daß er, auch wenn er redet, nicht mit einer Strafmilderung rechnen kann. Da liegen Sie falsch, mein Lieber.« »Ich lasse es aber darauf ankommen.« Franco machte mit der freien Hand eine unwirsche Bewegung. »Okay, mein Lieber, verschwinden wir.« Der Capo deutete auf das Telefon. »Kann ich mit meinem Anwalt sprechen?« »Nicht hier.« Don Augusto Colossimo hob die Schultern. »Bitte, wie Sie wollen. Sie sind der Stärkere und haben im Augenblick die besseren Argumente. Ist es denn erlaubt, meine Jacke zu holen?« »Auch nicht. Aber den Aktenkoffer, den dürfen Sie mitnehmen. Was befindet sich eigentlich darin? Es sieht alles so aus, als wären Sie bereits halb auf der Flucht.« »Ein paar persönliche Andenken. Alles ganz harmlos«, sagte der Mafioso. »Keine Bomben, keine Granaten oder sonstige Waffen …« Der Mann redete weiter. Er wollte Franco ablenken, aber das 149
merkte der Mafiajäger. Schon in den letzten Sekunden hatte er ein seltsames Kribbeln zwischen den Schulterblättern verspürt. Jetzt verstärkte es sich immer mehr. Gefahr lag in der Luft! Der Capo hatte ihm weisgemacht, daß sich Borro in Las Vegas befand. Das konnte stimmen, aber ebensogut eine Lüge sein. Auf jeden Fall durfte er keine Sekunde länger als unbedingt nötig hier verweilen. »Nehmen Sie endlich Ihren Koffer und gehen Sie!« befahl der Mafiajäger. Augusto Colossimo rührte sich nicht. Mit beißendem Spott sagte er: »Darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß hinter Ihnen mein Leibwächter Borro steht und eine Maschinenpistole auf Sie gerichtet hält, Mr. Solo?« *
Franco glaubte dem Capo jedes Wort. Wie bei einem Zeitlupentempo drehte er sich um. Zuerst fiel ihm die relativ kleine Maschinenpistole gar nicht auf, denn er sah nur den Kerl, der sie in den Händen hielt. Und der war schlimm genug. Er überragte Franco um einen Kopf. Seine Schultern waren so breit, daß man das Gefühl haben mußte, sie würden jeden Augenblick auseinanderplatzen. Der Kerl trug schwarze Kleidung, hatte, soweit Franco erkennen konnte, dunkles Haar, und nur das Gesicht leuchtete in der Dunkelheit als heller Fleck. Mondlicht brach sich auf dem Lauf der Maschinenpistole, und Franco Solo rann eine Gänsehaut über den Rücken. Sekundenlang geschah nichts. Überdeutlich hörte Franco das 150
Zirpen der Grillen, dann erklang in seinem Rücken der scharfe Befehl des Capos auf. »Nimm deine Kanone und wirf sie vor den Pool, Solo. Aber hübsch vorsichtig, Borro ist sehr nervös, wenn er auch schleichen kann wie eine Rothaut.« Franco hütete sich zu widersprechen. Dieser Borro machte nicht den Anschein, als wäre mit ihm gut Kirschen essen. Franco schob seine Hand unter die Achsel und lupfte den 38er aus der Halfter. Die Beretta ließ er stecken. Hoffentlich kam niemand auf den Gedanken, ihn nach weiteren Waffen abzutasten. Aber Don Augusto Colossimo war zufrieden, als die Kanone dicht vor dem Pool ins Gras fiel. Der Capo lief hastig hin und hob das Schießeisen auf. Er wog es in der Hand und zielte damit auf Solo. »Nun, du Mafiaschreck, wie fühlt man sich?« höhnte er. Mies, aber das dachte Franco nur. Er sagte es nicht, wollte dem Don den Triumph nicht gönnen. Als weit gefährlicher schätzte Franco jedoch den stummen Leibwächter ein. Borro war ein Tiger. Er konnte zwar kein Wort sprechen, aber in seinem Blick las Franco, daß sein Tod längst beschlossene Sache war. Ein verdammt unangenehmes Gefühl. Don Augusto Colossimo hielt den 38er in der rechten Hand. Schräg von der Seite her zielte er damit auf Franco Solo. Der Mafiajäger spürte fast körperlich die Feindseligkeit, die ihm dieser Mann entgegenschleuderte. »Geh etwas zurück!« befahl er. Franco gehorchte. Die Mündung der UZI wanderte mit. Borro ließ ihn keine Sekunde aus den Augen. 151
Colossimo wollte nur seinen Koffer hochheben. Er bückte sich und nahm den Griff mit der linken Hand. Dann setzte er sich wieder ab. Franco Solo wußte, daß sein Leben auf des Messers Schneide stand. Die Sekunde der Entscheidung war nahe. Er fragte sich nur, wer schießen würde, doch das spielte im Endeffekt kaum eine Rolle. In diesem Moment summte das Telefon. Der Mafioso zuckte zusammen. Er überlegte, ob er an den Apparat gehen sollte, entschied sich dafür und setzte sich in Bewegung. Seine Schritte waren leicht staksig, sie zeugten von der ungeheueren Anspannung, unter der er stand. Unwillkürlich folgte Borro seinem Boß mit den Blicken. Er war ein wenig von Franco Solo abgelenkt. Und das nutzte der Mafiajäger aus. Als Don Augusto Colossimo die Hälfte der Strecke überwunden hatte, warf Franco Solo sich aus dem Stand zur Seite und zog noch während des Fallens seine Beretta. Im nächsten Augenblick war die Hölle los! *
Borro riß den Stecher der UZi durch. Rotgelbe Mündungsflämmchen tanzten vor der Maschinenpistolenmündung. Franco spürte kaum den Aufprall, als er auf den harten Terrassenboden knallte, sondern rollte sich um die eigene Achse, warf die beiden Tische um, hörte nicht, daß die Weinflaschen und das Glas zerplatzten, sondern feuerte in einem reinen Überlebensinstinkt zurück. 152
Mehrmals schoß er, hielt dicht unterhalb des Mündungsfeuers, vernahm einen gellenden Schrei und spürte einen reißenden Schmerz an der Schulter. Plötzlich war alles vorbei. Eine nervenzerrende, fast tödliche Stille breitete sich hinter dem Haus aus. Selbst das Zirpen der Grillen war verstummt. Franco Solo richtete sich auf. Er stützte sich mit der linken Hand ab, knickte aber sofort wieder ein, als der ziehende Schmerz in der Schulter ihn auf die Verletzung hinwies. Warm rann das Blut aus einer Wunde, doch der Mafiajäger biß die Zähne zusammen. Er konnte keine weitere Verletzung entdecken. Die leichten Tische waren von den Kugeln zerfetzt worden, ebenso die Stühle. Und Borro? Er stand noch immer. Francos und sein Blick fraßen sich ineinander. Borro hatte die Waffe sinken lassen und das Gesicht verzogen. Der Mund war zu einem Schrei geöffnet, doch nicht ein Laut drang über seine Lippen. Franco Solo hatte den Mann getroffen. Da rutschte Borro die Waffe aus den Fingern. Sie klirrte zu Boden, und als wäre dieses Geräusch ein Startsignal für ihn gewesen, begann er zurückzutorkeln. Dabei schwankte sein massiger Körper wie ein Rohr im Wind. Mit den Schultern zuerst berührte er den Buschgürtel, und plötzlich gaben die Knie nach, ein letztes, verzweifeltes Aufbäumen, dann stürzte der Leibwächter rücklings in die Agavengewächse hinein. Franco lief zu ihm. Er verschaffte sich mit beiden Händen Platz. Ihm konnte niemand mehr helfen, er stand bereits vor einem 153
höheren Richter. Franco Solo bückte sich und hob die Maschinenpistole auf, die dem Toten entfallen war. Die UZi war eine leichte Waffe, aber sehr handlich und gut zu bedienen. Der Capo war verschwunden! Diese Feststellung traf Franco Solo, als er sich umsah und seine Blicke durch den dunklen Garten schweifen ließ, über den nur hier und da das Mondlicht strich und die Blätter silbern aufleuchten ließ. Augusto Colossimo hatte es vorgezogen, das Weite zu suchen. Okay, Franco hätte an seiner Stelle nicht anders gehandelt. Die Frage war nur, wohin hatte er sich verzogen. Der schwere Lincoln stand noch da. Franco hätte sicher gehört, wenn Colossimo damit abgerauscht wäre. Der Mafiajäger dachte daran, wo Borro so plötzlich hergekommen war. Nicht von der Vorderseite, sondern … Solo überlegte keine Sekunde weiter. Er wußte plötzlich, in welche Richtung sich Don Augusto Colossimo verzogen hatte. Franco Solo lief an der Ostseite des Pools vorbei. Der Nachtwind kräuselte die Wellen zu abstrakten Gebilden, und das Mondlicht ließ ihre Kämme aufblitzen, wenn es gebrochen wurde. Es war ein friedliches Bild, aber Franco wußte, daß der Tod hinter jedem Busch und Strauch lauern konnte. Er blieb wachsam und trug die MPi im Hüftanschlag. So sauber und gepflegt der Garten vor dem Haus auch aussah, so verwildert präsentierte er sich an der Rückseite. Hier war die ordnende Hand des Gärtners nicht zu spüren. Als Franco den schmalen Pfad fand, der in das grüne Dickicht hineinstieß, war er froh, wenigstens nicht auf blauen Dunst loslaufen zu müssen. Hin und wieder blieb er stehen, um zu lauschen, doch der Capo machte sich mit keinem Geräusch bemerkbar. 154
Alles blieb still. Franco ging schneller. Er fragte sich, was es für einen Sinn hatte, wenn Colossimo sich durch diesen verwilderten Garten schlug. Irgendwann begann wieder die Wüste, und zu Fuß nach Vegas zu laufen, um dort unterzutauchen, das war wohl nicht Colossimos Art. Dann schimmerte etwas durch die Zweige einer dichten Hecke. Franco ging schneller und sah das Drahtgitter einer Tennisplatzbegrenzung und im nächsten Moment die Gestalt, die in direkter Blicklinie auf einen großen, unförmigen Gegenstand zurannte. Don Augusto Colossimo. Der Mafiajäger spähte genauer hin, während er weiterlief und das Gitter links an ihm vorbeihuschte. Der Gegenstand war ein Hubschrauber! Jetzt wußte Franco, weshalb Colossimo diesen Weg gewählt hatte. Er wollte mit der Libelle verschwinden. Raffiniert … Aber er hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Franco schwor sich, den Kerl vor ein Gericht zu bringen. Und er holte auf. Colossimo war so mit sich selbst beschäftigt, daß er auf einen Verfolger nicht achtete. Für ihn zählte nur noch die Flucht. »Stehenbleiben!« Francos gellende Stimme durchschnitt die Stille der Nacht. Colossimo stoppte. Er warf einen Blick über die Schulter, schrie irgend etwas, was Franco nicht verstand und rannte dann wie von Furien gehetzt weiter auf den Hubschrauber zu. Franco Solo hob die Waffe ein wenig an, zielte genau und drückte ab. Die UZi spie das Blei aus. Die Geschosse zeichneten eine Linie neben dem Flüchtenden her und markierten seinen Weg. Doch trotz dieses Warnschusses gab Colossimo nicht auf. 155
Er rannte weiter. Franco schleuderte die UZi weg. Er brauchte sie nicht mehr. Augusto Colossimo würde er auch so fangen. Der Capo erreichte den Hubschrauber. Es war einer dieser kleinen Dinger vom Typ Bell-Air. Mit einer runden Glaskanzel und einem kahlen, nicht verkleideten Gestänge am Heck. Die Einstiegstür stand offen. Mit einer Schnelligkeit, die Franco dem dicklichen Kerl gar nicht zugetraut hatte, schwang er sich in den Bell-Air hinein und riß die Tür zu. Franco kam um Sekunden zu spät. Hastig fummelte der Capo an den Instrumenten herum. Er wußte nicht genau, wie er den Hubschrauber starten sollte, hatte sich nie sonderlich dafür interessiert und verlor dadurch kostbare Sekunden. Als er den Starter endlich gefunden hatte, riß Franco Solo die Tür der Libelle auf. »Komm raus!« befahl er. Colossimo drehte den Kopf. Die Augen schienen ihm aus den Höhlen zu quellen. Sein Gesicht glänzte schweißnaß. »Nein!« keuchte er, »nein und abermals nein …« Franco streckte den Arm aus. Da drehte Colossimo durch. Er warf sich mit seinem gesamten Körpergewicht nach vorn, weg aus dem Sitz, prallte gegen Franco und stieß ihn zurück. Gemeinsam fielen sie in das hohe Gras der Lichtung, auf der der Hubschrauber stand. »Ich bring dich um!« keifte der fette Capo. Seine Hände suchten Franco Solos Kehle, doch der Mafiajäger packte die Gelenke und bog sie nach zwei verschiedenen Seiten 156
auseinander. Colossimo fluchte. Er zog sein Knie an und versuchte es Franco in den Magen zu stoßen. Der Mafiajäger wich aus, fiel hin und stöhnte auf, als er mit seiner verletzten Schulter zuerst aufkam. An die hatte er gar nicht gedacht. Jetzt wußte er wieder, was Schmerzen sind. Colossimo aber lachte. Und plötzlich hielt er eine Waffe in der Hand. Francos Waffe! Eiskalt krümmte er den Zeigefinger. Im gleichen Moment drehte sich Franco zur Seite, so daß die Kugel des Capos nur den Boden aufpflügte. Zu einem nächsten Schuß ließ Solo den Mann nicht mehr kommen. Eine blitzschnell angesetzte Beinschere brachte den Capo zu Fall. Er prallte auf den Rücken, verlor für einige Zeit die Übersicht, und als er wieder hochkommen wollte, schleuderte ihm ein wuchtiger Tritt die Kanone aus der Hand. Die nächste Aktion bekam er kaum mit, so rasch lief alles über die Bühne. Franco schlug gedankenschnell zu. Der Berettalauf wischte von oben nach unten, und schickte Don ins Reich der Träume. Leblos lag der große Capo Augusto Colossimo vor Franco Solos Füßen. Er hatte sich zum König von Las Vegas machen wollen, doch dieser Traum war nun vorbei. Endgültig! *
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Erst jetzt untersuchte Franco Solo seine Wunde genauer. Das Geschoß hatte eine Furche hinterlassen, die allerdings nicht mehr blutete, sondern nur noch schmerzte. Es war eine Heidenarbeit, den bewußtlosen Capo zum Haus zurückzuschleifen. Der Mafiajäger mußte mehrere Pausen einlegen, bis er es schließlich geschafft hatte. Im Haus selbst legte er dem Mann Fesseln an und ließ sich dann in einen Sessel fallen, der dicht neben dem zweiten Telefon stand. Franco Solo wählte Big Bob Freelanders Nummer. Der Mann meldete sich sofort. »Alles klar«, sagte Franco, »ihr könnt ihn abholen.« In Rekordzeit waren die Verantwortlichen da. Big Bob brachte auch Polizisten mit, unter ihnen befand sich der Polizeichef von Las Vegas. Franco bekam einen provisorischen Verband angelegt, und beantwortete alle Fragen nur sehr knapp. Dann rief er in Washington an. Colonel Warner gratulierte ihm zu dem Erfolg. »Dann darf ich Sie morgen bei mir erwarten?« »Nein, Sir, morgen nicht, vielleicht in drei Tagen.« Mit dieser Antwort legte der Mafiajäger auf. Plötzlich stand Big Bob Freelander vor ihm. »Kann ich irgend etwas für Sie tun, Franco?« Solo schaute zu Freelander hoch. »Ja«, sagte er, »Sie können. Besorgen Sie mir ein weiches Bett!« Da sah ihn Freelander so verständnislos an, als hätte er den Wunsch geäußert, auf den Mond fliegen zu wollen. *
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Augusto Colossimo stritt vor Gericht alles ab. Doch Lucio La Salle packte eiskalt aus und riß den Capo mit rein. Gemeinsam wurden sie zu lebenslanger Haft verurteilt. Doch beide lebten im Zuchthaus nur drei Tage. Dann fand man ihre Leichen im Waschraum. Die Mafia hatte überall ihre Beziehungen, und sie haßte es, wenn einer der ihren redete. Sie beglich die Rechnung immer. Franco Solo aber hatte längst andere Aufgaben übernommen, als er noch einmal an den Fall erinnert wurde. In einem auflagenstarken Magazin fand er eine Fortsetzungsgeschichte, die sich um Las Vegas drehte. Titel: Die Goldene Hölle! Als Autorin las Franco Solo einen Namen, den er noch in guter Erinnerung hatte. Goldie Horn! ENDE
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