RÜDIGER SCHMITT
DIE IRANISCHEN SPRACHEN IN GESCHICHTE U N D GEGENWART
R E I C H E R T V E R L A G • W I E S B A D E N ...
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RÜDIGER SCHMITT
DIE IRANISCHEN SPRACHEN IN GESCHICHTE U N D GEGENWART
R E I C H E R T V E R L A G • W I E S B A D E N 2000
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Schmitt, Rüdiger: Die iranischenSprachen In Geschichte und Gegenwart / Rüdiger Schmitt. Wiesbaden: Reichert, 2000 ISBN 3-89500-150-3
© 2000 Dr. Ludwig Reichert Verlag Wiesbaden ISBN 3-89500-150-3 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die .Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Gcrmany
Vorwort
Da eine kurze, auf Deutsch geschriebene einführende Übersicht über die iranischen Sprachen nicht zur Hand war, hat die Redaktion der von der Kulturabteilung der Botschaft der Islamischen Republik Iran in Bonn veröffentlichten Zeitschrift „Spektrum Iran" im Sommer 1994 den Herausgeber des 1989 erschienenen „Compendium Linguarum Iranicarum" (CLI) zu einer Aufsatzreihe angeregt, die in Anlehnung an dieses Sammelwerk eine breitere Öffentlichkeit weit über die Sprach wissenschaft hinaus in noch stärker komprimierter Form über diesen Forschungs gegenstand informieren sollte. Unter dem Titel „Die iranischen Sprachen. Eine Einführung in 5 Teilen" ist diese Serie dann zwischen 1995 und 1998 erschienen (Spektrum Iran 8, 4, 1995, 6-27; 9, 2, 1996, 6-32; 9, 3/4, 1996, 6-32; 10, 1, 1997, 10-38; 11, 1, 1998, 14-42). Die Initiative zu einer zusammenfassenden Publikation der fünf Teile, die bezüglich Form und Umfang gewisse Vorgaben einzuhalten hatten, in einem eigenen kleinen Einführungsbändchen ging von dem gerade um die Iranistik in besonderem Maße verdienten Verlag aus. Auch seitens der Zeitschrift „Spektrum Iran" fanden diese Überlegungen wohlwollendes Entgegenkommen. Im Hinblick auf die Neuausgabe wurde der ursprüngliche Text gründlich durchgesehen, redaktionell selbstverständlich an die geänderte Publikationsweise angepaßt und an einzelnen Stellen durch Nachträge sowie Hinweise auf neuere Literatur, die nicht schon in der Bibliographie des entsprechenden CLI-Kapitels verzeichnet ist, aktualisiert. Der Grundcharakter dieses Überblicks über „Die iranischen Sprachen in Geschichte und Gegenwart" als einer Art Extrakt des viel reicheren Inhalts des seinerzeit in demselben Verlag erschienenen „Compendium Linguarum Iranicarum" sollte aber unverändert erhalten bleiben. Hinweise auf weiterführende Literatur werden deshalb auch hier nur spärlich geboten und beschränken sich in der Hauptsache auf die entsprechenden CLI-Kapitel. Allen an der Herstellung dieses Büchleins Beteiligten gilt mein herzlicher Dank.
Saarbrücken, Herbst 1999
Rüdiger Schmitt
Inhaltsverzeichnis
Vorwort Inhaltsverzeichnis Ahbildungsvcr/cichnis Abkürzungen I). Name und Begriff ..iranische Sprachen" 1. Vorgeschichte 2. Die Sprachen der altir,mischen Periode 3. Die Sprachen der mittel iranischen Periode 4. Die westiranischen Sprachen der neuiranischen Periode 5. Die ostiranischen Sprachen der ncuiranischcn 1'crindc
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Schrifttafel der Avestaschrift (aus Hoffmann-Forssman, 41)
23
Abb. 2: Schrifttafel der altpersischen Keilschrift (aus CLI 63)
35
Abb. 3: Karte: Die iranischen Sprachen in ihrer heutigen Verbreitung (aus CLI)
am Schluß des Bandes
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Acli -- Acta Iraniea. leiden usv. l|et/M AcOr = Acta (Inentalia. I
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AlSt = Algliaii Studies. London. AK = Act ;i Kurilica. Lhc Inter natu mal Journal of Kin dish and Iranian Studio. I, ,ndi m BSI. = Bulletin du Iii Socicle de Linguistii|tic de I',iris, far is BS()(A)S = Bulletin ot I he School <>l Or lentil I (anil Air lean) Studies. I • mdon ("llr = Corpus Inscriptionuni Iranicarurn. I ondon. CT.I = ('onipeiKlium Linguarum Iranicarum Hisg. u>n Rüdiger Sehinili. Wicsludtn 1'»'>*' ( RAI = Comptcs reiulus de rAcadeime des Inscnplions et Belles 1 litres. Pans Llr = Kncvclopicdia Iranica. l-.d b\ I hsan Yarshater. London us». liet/l Winona I.ike. Ind | l'/hS I! JA = Journal Asiaiique. Pans. JdS = Journal des Savants, Paris. I .A I.HiS = I .AUKS. Actes des Sessions de l.incuistiquc el de I literature. Pans SPAW = Sil/unesbcrtchtc der Preußischen Akademie der Wissense haften. Berlin SR A A = Silk Ro,,d Art and Archac..|.»g\. Kamakura. Stir = Studia Iranica. Paris 'I I'liS = Transactions of the Philological SoeieU. < )\ toi d. /II = Zcitschntt lur Indologie und Iranistik. I eip/ig
0. N a m e u n d Begriff „ i r a n i s c h e S p r a c h e n "
0.1. Der Begriff „iranische Sprachen" bezeichnet nicht - dies muß gleich eingangs klargestellt werden - die Sprachen Irans (also der heutigen Islamischen Republik Iran) im Sinne dieser erst seit einigen Jahrzehnten geläufigen Benennung eines Staatswesens. Er zielt vielmehr auf eine Gruppe genetisch verwandter Sprachen, die weit über die Staatsgrenzen Irans hinaus verbreitet sind: Sie werden heute auch in Afghanistan, Pakistan, den neuerdings unabhängig gewordenen transkaukasischen und mittelasiati schen Republiken der einstigen Sowjetunion und einigen anderen Ländern des Orients gesprochen, genauer in einem Gebiet, das im Westen bis zum oberen Euphrat, ver einzelt aber noch tiefer in die Türkei, im Nordwesten über den Hauptkamm des Kaukasus, im Norden bis an das Kaspische Meer, im Nordosten bis nach Usbekistan und Tadschikistan, im Osten über den Pamir und Hindukusch, im Südosten bis an das Arabische Meer und den unteren Indus, im Süden schließlich nicht nur bis an den Persischen Golf reicht, sondern jenseits der Straße von Hurmuz auch einen Teil der omanischen Halbinsel Masandam umfaßt. In früheren Zeiten, insbesondere vor der großen Westausbreitung der Turkvölker, waren Stämme iranischer Sprache aber in einem noch viel größeren Bereich zu finden, denn im Altertum waren entlang der Nordküste und sogar an der Westküste des Schwarzen Meeres die iranischen Skythen und Sarmaten ansässig, und bis um das Jahr 1000 n. Chr. sind die ebenfalls iranischen Saken und Sogder in Ostturkestan, bis in die nördliche Mongolei und an die Grenzen des alten China nachgewiesen. Über die genaue Ausdehnung iranischer Sprachen und Völker nach Norden hin läßt sich für die Frühzeit, insbesondere vor der Herrschaft der Achaimeniden, mangels deutlicher Zeug nisse allerdings nicht sicher urteilen. Nach Aussage zahlreicher Lehnwörter, die aus altund mitteliranischen Sprachen, aber auch schon aus dem „Uriranischen" und dessen Vorläufern, in slavische und finno-ugrische Sprachen übernommen worden sind, müssen die iranischen Völker in diesen zentralasiatischen Gebieten über einen längeren Zeitraum in unmittelbarer Nachbarschaft mit den Slaven und mit finno-ugrischen Völkern gesiedelt haben. Der Name „iranische Sprachen" ist also ein Begriff der (historischen) Sprachwissen schaft - in diesem Sinne verwenden ihn ab 1840 zuerst offenbar August Friedrich Pott und Christian Lassen - und bezeichnet eine Sprachgruppe, die mit den indoarischen Sprachen des Indischen Subkontinents näher verwandt ist und zusammen mit diesen den „indoiranischen" oder „arischen" Zweig der indogermanischen Sprachfamilie bildet. Er ist in säsänidischer Zeit geschaffen worden und hergeleitet von dem seit
1
alters überkommenen Begriff neupers. Iran < mittelpers. Erän , der nicht einen primär politischen, sondern einen ethnischen Inhalt hat und die Gesamtheit iranischer (Sprachen und) Völker und deren nicht durch exakte Grenzlinien zu markierendes Verbreitungsgebiet bezeichnet. Dieser Name geht zurück auf altpers. ariya- (= avest. airiia-) < iran. *arya- „arisch, Arier", das Gegenstück von altindoar. ärya- „arisch, Arier", die jeweils - im Alten Indien wie in Iran - als die alte Selbstbenennung dieser „arischen" , d. h. indoiranischen Stämme dienen. Zu diesem arischen Sprachzweig gehören unverkennbar auch die erst in moderner Zeit belegten sog. Nüristän-Sprachen, deren genaue Stellung innerhalb der Gruppe allerdings noch nicht endgültig geklärt ist und die hier nicht weiter berücksichtigt zu werden brauchen. 2
Ein solcher ethnischer Bedeutungsinhalt wird an einigen Belegstellen ganz deutlich widergespiegelt: Auf ihren Inschriften bezeichnen sich die Achaimenidenkönige Dareios I. (522^186 v. Chr.) und Xerxes I. (486-465 v. Chr.) nicht nur als „Perser" und „Sohn eines Persers", sondern auch als (altpers.) Ariya „Arier" und Ariya ciga „arischen Ursprungs"; und für die Säsänidenkönige vom 3. Jahrhundert n. Chr. an zeigt der auf deren Inschriften bezeugte Titel (mittelpers. sähän sah Erän u Anerän „König der Könige von Erän und Nicht-Erän") in gleicher Weise, daß Erän keine politisch fest umrissene Größe meint. Die genaue Grundform, auf die Erän (> Iran) zurückgeht, läßt sich zwar nicht mit letzter Sicherheit feststellen, aber sie läßt sich doch vermuten als der Genetiv Plural iran. *Aryänäm, der in einem Ausdruck wie „Land der Arier", „Reich der Arier" (mittelpers. Erän-sahr) o. dgl. als dessen nähere Bestimmung von einem solchen Wort abhängig war. 0.2. Da also ein Mißverständnis des Namens „iranische Sprachen" jederzeit möglich ist - die Verbreitung dieser Sprachen in Geschichte und Gegenwart macht eindeutig klar, daß kein unmittelbarer Zusammenhang mit dem Staatsnamen Iran besteht, obwohl er auf der Hand zu liegen scheint hat es in neuerer Zeit nicht an Ersatzvorschlägen für eine eindeutigere Bezeichnung dieser Sprachgruppe gefehlt. Von all diesen Alter nativvorschlägen verdient aber weitere Beachtung allein der des französischen Iranisten Gilbert Lazard, der in Entsprechung zu der Bezeichnung „indoarisch" (statt des gleich falls ungenauen „indisch") den durch die Doppelung allerdings redundanten Namen „iranoarische Sprachen" empfiehlt („irano-aryen"). Diese beiden Parallelbildungen
Es werden hier folgende in sprachwissenschaftlicher Fachliteratur eingebürgerte Zeichen verwendet: < = entstanden aus; > = entwickelt zu; * = nicht bezeugt, nur rekonstruiert; Sprachbezeichnungen werden nicht abgekürzt, es sei denn um das Suffix -isch. Der Begriff „arisch" wird hier nur in diesem sprachwissenschaftlich gerechtfertigten Sinne verwendet; der Mißbrauch durch die Nationalsozialisten und Gleichgesinnte ist vor allem in den Rassenlehren des Comte Joseph Arthur de Gobineau und Houston Stewart Chamberlains angelegt, die von der Gleich setzung von „arisch" mit „indogermanisch" ausgingen, die ihrerseits aber auf völlig verfehlten etymologischen Verknüpfungen der indoiranischen Bezeichnung mit keltischen und germanischen Wörtern und Namen beruhte. Vgl. zuletzt Wiesehöfcr.
„indoarisch" und „iranoarisch" lassen die historische Zusammengehörigkeit der beiden Sprachgruppen deutlich hervortreten und bezeichnen sie als unterschiedliche Aus prägungen des Arischen. Im übrigen trage, so Lazard, der Name „iranoarisch" auch den Empfindungen oder Empfindlichkeiten der Sprecher iranischer Sprachen von außerhalb Irans Rechnung. Allerdings ist wie in vielen ähnlichen Fällen auch hier kaum zu erwarten, daß das Streben nach größerer Genauigkeit und Eindeutigkeit in der Begriffs wahl zu einer Änderung der eingebürgerten Terminologie führen wird . 3
0.3. Aus den früheren Perioden der Sprachentwicklung sind eine Reihe dieser sog. iranischen Sprachen in Schriftzeugnissen verschiedenster Art und unterschiedlichsten Inhalts erhalten geblieben (bzw. wiederentdeckt worden), die sich zugleich mehreren Entwicklungsstufen der Sprachgeschichte zuordnen lassen. Konventionell hält die Forschung, analog zum Indoarischen und zu anderen Sprachen und Sprachgruppen und primär aufgrund von außersprachlichen Kriterien, drei Perioden auseinander, die man als die „altiranische" (vgl. Kapitel 2), „mitteliranische" (vgl. Kapitel 3) und „neu iranische" (vgl. Kapitel 4-5) bezeichnet. Die Epochengrenzen werden etwa ins 4./3. Jahrhundert v. Chr. bzw. 8./9. Jahrhundert n. Chr. gelegt, d. h. in die politische Umbruchszeit nach dem Untergang des Achaimenidenreiches — Dareios III. wurde 330 v. Chr. ermordet - bzw. des Säsänidenreiches, das mit der Ermordung Yazdegirds III. im Jahr 651 n. Chr. endgültig zu bestehen aufhört. Für die a l t i r a n i s c h e Periode, die mit dem Einsetzen schriftlicher Überliefe rung die vorhistorische Zeit des „Uriranischen", des „Gemeiniranischen" und der Herausbildung der einzelnen iranischen Sprachen ablöst, sind durch Texte direkt und authentisch nur zwei Sprachen bezeugt: das sog. Avestische, die Sprache der zoroastrischen religiösen Texte des „Avesta", und das Altpersische der achaimenidischen Königsinschriften, deren älteste, die Trilingue Dareios' I. vom BIsutün-Felsen von 521/520 v. Chr. (für die die altpersische Keilschrift erstmals verwendet worden ist), das älteste genau datierbare Textzeugnis in einer iranischen Sprache überhaupt darstellt. Für andere Sprachen, die nicht durch Texte bekannt sind, lassen sich nur einzelne Wörter und Namen erschließen, etwa für die Sprache der Meder oder das Skythische der Skythen. Es handelt sich dabei hauptsächlich um Formen, die in anderssprachiger Überlieferung - man spricht genauer von „Nebenüberlieferung" - ausdrücklich als einer solchen Sprache zugehörig bezeichnet werden (etwa „medisch" cntäica „Hund" bei Herodot 1, 110, 1), oder um Wörter bzw. Namen, die in eine andere Sprache ent lehnt worden sind, in der sie sich durch ihre auffällige, lauthistorisch anomale Gestalt als Fremdelemente zu erkennen geben (beispielsweise altpers. vispa- „all, ganz" als Lehnwort aus dem Medischen gegenüber echt-altpers. visa- „dass."). In Kapitel 2.14 soll darauf noch genauer eingegangen werden. Für die m i t t e l i r a n i s c h e Periode haben die verfügbaren Textzeugnisse im Laufe des zu Ende gehenden Jahrhunderts so stark zugenommen, daß heute sechs 3
Für genauere Angaben sei verwiesen auf Schmitt; scharfe Kritik an dem Vorschlag „iranoarisch" übte Moinfar.
solcher Sprachen durch zusammenhängende Texte bekannt sind - noch 1900 war es nur eine einzige - und zugleich die obwaltenden Gemeinsamkeiten und Unterschiede deutlich erkennen lassen: Das primär inschriftlich sowie durch manichäische Texte überlieferte Parthische und das auf säsänidenzeitlichen Inschriften, in den zoroastrischen (sog. „PahlavT-")Büchern und in manichäischen Texten bezeugte Mittelpersische sind westiranische Sprachen. Das in Inschriften (v. a. aus dem Mutterland) und auf grund der Turfanfunde in Texten dreier Religionsgemeinschaften (von Buddhisten, Manichäern und nestorianischen Christen) vorliegende Sogdische, das ebenfalls epi graphisch und in frühislamischer Zeit durch Glossen und Glossare überlieferte Chwaresmische, das vornehmlich durch buddhistische Schriften aus dem Königreich von Khotan bekannte Sakische sowie, mit einem schmaleren Textcorpus, das (bis auf eine Ausnahme) in einer Variante der griechischen Schrift geschriebene Baktrische gehören zur ostiranischen Dialektgruppe, die sich von der westiranischen deutlich ab hebt. Beide Gruppen zeigen im übrigen eine starke Binnengliederung und stellen, wie in Kapitel 3.17 noch dargelegt werden soll, keineswegs eine Einheit dar. Darüber hinaus lassen sich auch hier einzelne Sprachen oder Dialekte bloß indirekt in Zeugnissen der sog. „Nebenüberlieferung" erkennen (etwa das Sarmatische) und sind andere gar nur aufgrund von auffälligen Formen oder wegen von der Norm ab weichenden Entwicklungen erschlossen worden. In der n e u i r a n i s c h e n Periode wird diese zuerst für das Mitteliranische deutlicher erkennbare Dialektunterteilung durch die große Zahl der heute in Iran und darüber hinaus gesprochenen Idiome bzw. der durch Textüberlieferung aus der Zeit nach der Eroberung Irans durch die Araber bezeugten Sprachen relativ getreu fortgesetzt. Zu der westiranischen Gruppe, die in Kapitel 4 vorgestellt werden soll, gehören neben der heutigen Staatssprache Irans FärsT oder Neupersisch (mit ihren Spielformen Dan in Afghanistan und Tadschikisch in den postsowjetischen Staaten Mittelasiens) vor allem die Lur- und Färsdialekte, das Kurdische, das Belutschische oder BalöcT und die kaspischen Dialekte. In der ostiranischen Gruppe, der schließlich Kapitel 5 gewidmet sein wird, nimmt das Ossetische als die am weitesten nördlich gesprochene und als die einzige von Einflüssen des Neupersischen weitgehend frei gebliebene neuiranische Sprache eine gewisse Sonderstellung ein gegenüber dem Paschtu (Pastö) oder Afghanischen, dem das Sogdische fortsetzenden Jagnobischen oder YagnöbT im nordtadschikischen Jagnob-Tal, den zahlreichen sehr archaischen Pamirsprachen beiderseits der afghanisch-tadschikischen Grenze und im chinesischen Xin-jiang (Sinkiang) sowie einigen anderen im Pamir- und Hindukuschgebiet gespro chenen Idiomen, - soweit sich in Afghanistan die Verhältnisse nicht infolge der sowje tischen Okkupation von 1979 bis 1989, des seitdem andauernden Bürgerkrieges und der dadurch ausgelösten gewaltigen Bevölkerungsverschiebungen völlig verändert haben. 0.4. Die iranischen Sprachen sind oben als zu der indogermanischen Sprachfamilie gehörig und als mit dem Indoarischen näher verwandt bezeichnet worden. Die Ein-
beziehung des Iranischen in Gestalt des Neupersischen, wenn auch noch nicht des Altpersischen und des Avestischen, bereits seit den ersten Anfängen einer ernsthaften Sprachvergleichung auf dem Gebiet der indogermanischen Sprachen zu Beginn des 19. Jahrhunderts erklärt sich vor allem daraus, daß man aufgrund etlicher persisch deutscher Wortgleichungen schon seit dem Ende des 16. Jahrhunderts immer wieder die Hypothese einer engeren Verwandtschaft dieser beiden Sprachen vertreten hat . Sprachliche Verwandtschaft wie in jener großen indogermanischen Sprachfamilie beruht auf gemeinsamem Ursprung. Die verwandtschaftlichen Beziehungen können sich im Laufe der Zeit aber lockern, wenn die Träger der verwandten Sprachen sich auseinanderentwickeln, nicht mehr in engem räumlichem Kontakt miteinander leben usw., kurz: wenn die ursprüngliche Einheit zerfällt. Es liegt daher auf der Hand, daß die miteinander verglichenen verwandten Sprachen desto mehr Ähnlichkeiten aufweisen, je älter die verglichenen sprachlichen Erscheinungen bezeugt sind. So lassen etwa klas sisches Griechisch und klassisches Latein ihre Verwandtschaft deutlicher erkennen als Neugriechisch und Französisch. 4
Dieser Sachverhalt der größeren Ähnlichkeit zwischen verwandten Sprachen in älteren Sprachstadien soll für den iranischen Bereich an einem einfachen Beispiel illustriert werden, dem ererbten indogermanischen Wort für „Bruder", auf das auch diese deutsche Bezeichnung zurückgeht. In den (heute gesprochenen) neuiranischen Sprachen und Dialekten findet man, in Auswahl, etwa folgende Formen: neupers. berädar, tadschik. barodar, nord-täti birar, tälesi bdro-ar, gilaki bzrar, semnäni bäre, kurd. bra, bira, belutsch, brät, paschtu wror (Plural wruna), munjT vroy, sugnl virö(d), sariqölT v(i)rud, yazguläml v(d)red, wakfil vr'it, paräc! byä, osset. cervad (digor. cervadce), jagnob. viröt. Für das Mitteliranische seien zitiert parth. bräd, mittelpers. bräd (Obliquus Singular brädar), sogd. ßrät (Plural ßrätart), chwaresm. ßräd, khotansak. brate = tumsuqsak. bräde (d. i. /ßräde/). Diese Formen lassen bereits eine viel größere Ähnlichkeit erkennen, und dieser Umstand beweist für viele weiterreichende Veränderungen der modernen Formen wie etwa die Sproßvokale zur Auflösung der anlautenden Konso nantengruppe westiran. br-, ostiran. ßr-lvr- oder die Metathese und den Vorschlags vokal im Ossetischen (yr- > rv- > cerv-) deren jüngeres Alter. In den beiden altiranischen Sprachen Avestisch und Altpersisch schließlich sind in voller Überein stimmung der Stamm brätar- und dazu der Nominativ Singular (altavest., altpers.) brätä bezeugt. Aber weder die hier gegebene Formengleichheit noch eine Angabe wie die des griechischen Geographen Strabon (15, 2, 8), daß Perser und Meder, Baktrier und Sogder „nahezu dieselbe Sprache sprechen" (öuöytaoTTOi 7iapa u u c p ö v ) , darf über große Dialektunterschiede auch schon in altiranischer Zeit hinwegtäuschen. Daß die zitierten identischen Formen des Avestischen und Altpersischen für das Iranische überhaupt als ursprünglich anzusehen sind, also als „uriranisch", - was zu dem Ansatz iran. * brätar- berechtigt - wird dadurch erhärtet, daß diese Rekonstruk-
4
Zuletzt hat über diese Fragen Hiersche gehandelt.
tionsform bis auf eine kleine Verschiedenheit im Anlaut dem altindoarischen Gegenstück ved. bhratar-, Nominativ bhratä entspricht. Und dieser Unterschied von aspiriertem bh- statt iran. *b- findet sich in vielen weiteren Fällen gleichermaßen und ausnahmslos, ist also eine ganz regelmäßige, „lautgesetzliche" Veränderung. Durch die weitere Vergleichung - die hier natürlich nicht im einzelnen begründet werden kann mit griech. ( p p ä i n p (ö), latein. fräter, got. bröpar, deutsch Bruder und anderen Formen, die alle aus derselben Grundform herzuleiten sind, erweist sich der Anlaut indoar. bhals gegenüber iran. *b- primär und ergeben sich schließlich als Ausgangsformen ar. (d. i. indoiran.) *b rätar- und, noch eine Stufe weiter zurück, indogerman. *b rateralias *b reh ter- . h
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0.5. Die besondere Schwierigkeit, der sich die sprachhistorisch-vergleichende Erfor schung der iranischen Sprachen gegenübersieht, ist nun die, daß die Überlieferung auf der altiranischen Entwicklungsstufe insgesamt sehr fragmentarisch und lückenhaft ist, insbesondere im Vergleich zu der ältesten indoarischen Sprachstufe, dem Vedischen, dessen Sprachsystem und Wortschatz praktisch vollständig bekannt sind. Jene Lücken der altiranischen, in geringerem Maße auch der mitteliranischen Überlieferung lassen sich aber durch möglichst umfassendes Ausschöpfen der anderen verfügbaren Quellen jedenfalls für den Wortschatz in einem gewissen Grad schließen. Diese Quellen sind zum einen solche der „Nebenüberlieferung" in anderen Sprachen (die in Kapitel 2.9-10 noch näher charakterisiert werden sollen) und zum anderen die erst im Mittel- und Neuiranischen bezeugten Fortsetzer. Doch hier kommt eine zweite Schwierigkeit hinzu, nämlich die, daß die auf den verschiedenen Entwicklungsstufen bezeugten iranischen Sprachen im historischen Längsschnitt nur selten direkte und enge Beziehungen zu einander erkennen lassen. Die einzige iranische Sprache, deren Entwicklung, wenn auch nicht ohne Unter brechung, über etwa 2500 Jahre nachgezeichnet werden kann, ist das Persische mit der Reihe Altpersisch-Mittelpersisch-Neupersisch: Kontinuität und Veränderung lassen sich hier schön an einem Beispiel wie dem uralten Königstitel altpers. xsäyaMya xsäyaßiyänäm „König der Könige", mittelpers. sähän sah, neupers. sähan-säh demon strieren. Ansonsten setzt das Jagnobische, wie bereits angedeutet, einen sogdischen Dialekt fort - am klarsten ist dies zu sehen bei der Bildung des nominalen Plurals (auf -t) und bei der Kennzeichnung des Präteritums durch das sonst im Mittel- und Neuiranischen nicht mehr bewahrte sog. Augment (zu jagnob. kun- „machen" etwa a-kün „er machte") - , das Ossetische ein Idiom jener Dialektgruppe, die in den skythischen, sarmatischen, alanischen usw. Sprachdenkmälern nur ganz schattenhaft erkennbar ist und deshalb eher umgekehrt der Beleuchtung durch das Ossetische bedarf. Aber keine der späterhin bezeugten Sprachen setzt etwa das Avestische fort, und weder in altiranischer noch in neuiranischer Zeit ist eine mehr oder weniger genaue •'' Daß indogerman. *ä zumindest in früheren Phasen der indogermanischen Grundsprache nach heute geläufiger Anschauung teilweise auf eine Lautfolge *e + sog. „Laryngal" *h (mit Umfärbung des *e in *a, also *eh > *ah > *ä) zurückgeht, braucht hier nicht weiter erörtert zu werden. 2
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Vorstufe bzw. Fortsetzung des Sakischen oder Baktrischen auszumachen. Wenn schließlich frühere Ausprägungen des Paschtu oder der Pamirsprachen überliefert wären, so verhießen diese für die sprachgeschichtliche Erforschung der genannten Sprachen wohl höchstinteressante Aufschlüsse.
Literatur zu Kapitel 0.1-0.2: MacKenzie, D. N.: F.rän, Eränäahr. in: EIr VIII. 1998. 534 535. Moïnfar, Mohammad Djafar: Un néologisme non fonde: Trano-Aryen', Ix' Message de l'Islam 67, 1989. 24-27. Schmitt, Rüdiger: Iranische Sprachen: Begriff und Name, in: CL1 1-3. Wiesehöfer, Josef: Zur Geschichte der Begriffe 'Arier' und 'arisch' in der deutschen Sprachwissenschaft und Althistorie des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in: Achacmenid History. V: The Roots of the European Tradition. Ed. by H. Sancisi-Wcerdenburg and J. W. Drijvers, Leiden 1991), 149-165.
Literatur zu Kapitel 0.3: Rossi, Adriano V.: La situazione linguistica irano-afghano-pakistana, in: Dialetti e lingue nazionali. Atti del XXVII Congresso della Società di Linguistica Italiana, Roma 1995, 169-187. Schmitt, Rüdiger (Hrsg.): CLI, passim. Sims-Williams, Nicholas: The Iranian Languages, in: The Indo-European languages. Ed. by Anna Giacalone Ramat and Paolo Ramat, London/New York 1998, 125-153.
Literatur zu Kapitel 0.4: Hiersche. Rolf: Zu Etymologie
und Sprachvergleichung
vor Bopp. in:
Forschungen. Festschrift für Johann Knobloeh. Innsbruck 1985, 157-165.
Sprachwissenschaftliche
1. Vorgeschichte
1.1. Ihrer bruchstückhaften Überlieferung zum Trotz lassen die altiranischen Sprach zeugnisse bemerkenswerte und sehr enge Gemeinsamkeiten mit dem ältesten Indo arischen erkennen, insbesondere im dichterischen und religiösen Wortschatz und Wortgebrauch, aber auch auf den anderen sprachlichen Ebenen wie Formenlehre oder Syntax. Auf dieser Basis läßt sich nicht nur die arische bzw. indoiranische Grund sprache rekonstruieren, vielmehr sind aus den teilweise übereinstimmenden faktischen Gegebenheiten auch Ausschnitte der Lebenswelt und der geistigen und materiellen Kultur der Arier zu erschließen. 1
Im Hinblick auf die sprachwissenschaftliche Definition des Begriffs „iranische Sprachen" (die ohne die erforderlichen Details nun einmal nicht abgeht) ist zunächst zu betonen, daß sich die iranischen Sprachen und die indoarischen Sprachen zusammen gegenüber den anderen verwandten indogermanischen Sprachen durch eine Reihe von Übereinstimmungen auszeichnen, die „gemeinsame exklusive Neuerungen" darstellen, d. h. exklusiv auf diese beiden Sprachgruppen beschränkt sind und den zugrunde liegenden Befund der indogermanischen Grundsprache durch eine Neuerung verändert haben. Diese Erscheinungen genügen zum Nachweis dafür, daß die beiden Sprach gruppen eine ursprüngliche Einheit repräsentieren, das offenbar kaum in Dialekte untergliederte „Indoiranische", und daß sie dies fortsetzen. Zu diesen Gemeinsamkeiten gehören etwa folgende Züge: (a) der Zusammenfall von indogerman. *a, *e, *o in indoiran. *a und von indogerman. *ä, *e, *ö in indoiran. *ä (ved. ästi „ist" = avest., altpers. asti = latein. est; ved. näpät- „Enkel" = avest., altpers. napät- = latein. nepöt- usw.); (b) die Vertretung der (ursprünglich konsonantischen) sog. „Laryngale" (vgl. oben Anm. 5 zu Kapitel 0.4) indogerman. *hj, *h , *h , soweit sie in einzelnen Sprachen und unter bestimmten Bedingungen zu einem Vokal entwickelt wurden, durch indoiran. *i (ved. pitär- „Vater" = avest., altpers. pitar- = latein. pater usw. < indogerman. *ph ter-); 2
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(c) die Palatalisierung der Velare und Labiovelare indogerman. *k, *№ usw. vor ursprünglichen Vorderzungenvokalen zu indoiran. *c usw. (ved. -ca „und" = avest. -ca = altpers. -cä = latein. -que < indogerman. *-We; ved. hänti „(er)schlägt" = altpers. janti = hethit. kuenzi < indogerman. *gV enti usw.); h
1
Zum Folgenden vgl. Schmitt, 2 und hierzu Mayrhofer.
(d) der Übergang von indogerman. *s nach *i, *ü, *r/r, *k (sowie /- und uDiphthongen) in indoiran. *s (Superlativformans avest. -Uta-, z. B. äs-ista- „raschest" = ved. as-istha- [mit Weiterentwicklung von *s zu Retroflex s] = griech. COKIOTOC, < indogerman. *-isto-; ved. müs- „Maus" = avest. müs- [vgl. neupers. müs] = latein. müs < indogerman. müs usw.); (e) beim Nomen der Aufbau einer Endung indoiran. *-näm (mit Dehnung eines vorangehenden Kurzvokals) im Genetiv Plural der vokalischen Stammklassen (ved. märtyänäm „der Menschen" = altpers. martiyänäm = jungavest. masiiänqm als Ersatz für indogerman. *-öm); (f) beim Verbum die Herausbildung einer Passiv-Konjugation mittels eines Präsens stammformans indoiran. *-ya- (ved. han-yä-te „wird er-/geschlagen" = avest. jan-iia- = altpers. jan-iya- zur Wurzel indogerman. *gV en-, vgl. oben (c)). h
1.2. In entsprechender Weise läßt sich nun auch die Eigenständigkeit der iranischen Sprachen gegenüber dem Indoarischen darlegen, indem man die bestehenden Unter schiede hervorhebt und insbesondere solche aufzeigt, die sich erst nach der Trennung der beiden Sprachgruppen herausgebildet haben und bei denen die Neuerung auf Seiten des Iranischen liegt. Als solche charakteristische Merkmale, die in ihrer Summe auf das Iranische begrenzt sind, dürfen insbesondere die folgenden zwei Züge gezählt werden: (g) der Verlust der Aspiration der aspirierten Verschlußlaute indogerman., indoiran. *b , *d , (*g l*gv >) *g (> iran. *b, *d, *g) und der entsprechende Wandel des aspirierten Palatals (indogerman. *g >) indoiran. *j (woraus indoar. h) zur Affrikata iran. *dz (außer „Bruder" [vgl. oben Kapitel 0.4] ved. dhär-äya- „(fest)halten" = avest. där-aiia- = altpers. där-aya-; ved. gharmä- „Hitze" = avest. gar ma- = mittel-, neupers. garm „warm, heiß" = latein. formus < indoiran. *g armä- < indogerman. *g^ ormösowie ved. ahäm „ich" = avest. azsm = altpers. adam < indoiran. *aj äm < indogerman. *eg 6m [vgl. latein. ego usw.]); h
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(h) der Übergang der stimmlosen Verschlußlaute indogerman., indoiran. *p, *t, (*kl*k" >) *k in die stimmlosen Reibelaute iran. */> *ü, *x in der Position neben, insbesondere vor Konsonant (ved. pra- „vor(an)" = avest., altpers. fra- = latein. pro-; ved. tvam „dich" = avest. ßßqm = altpers. [*üväm >] iluväm, ved. ksäp- „Nacht" = avest., altpers. xsap-). In beiden Fällen werden Laute herausgebildet - zum einen die Affrikata iran. *dz (mit den Entsprechungen iran. *ts bzw. *dz bei den nicht-aspirierten palatalen Verschlußlauten indogerman. *lc und *g), zum anderen die Reibelaute iran. */, *x - , die dem zugrundeliegenden indoiranischen Lautinventar noch fremd waren und auch dem Indoarischen fehlen, so daß es sich um eine Neuerung des Iranischen handeln muß. Aus diesem Grund mag es gestattet sein, von der Aufzählung weiterer charak teristischer Merkmale des Iranischen abzusehen. 1.3. Aber der Hinweis auf Neuerungen des Iranischen wie die gerade genannten bedeu tet nicht, daß das Iranische durchwegs der „jüngere" der beiden Hauptzweige des
Indoiranischen ist. Im Gegenteil, es zeigt sich immer deutlicher, daß das Iranische sich - abgesehen von jenen Neuerungen - auch durch eine Reihe von bemerkenswerten Archaismen auszeichnet, die dem Indoarischen und selbst dessen ältester Ausprägung, dem Vedischen, fehlen': (i) Das indogermanische Wort für „Vater" (indogerman. *ph ter- > ved. pitär- = avest., altpers. pitar- [vgl. oben Kapitel 1.1 (b)]) zeigt nur im Avestischen Formen, in denen der grundsprachliche „Laryngal" nicht zu i vokalisiert wurde, sondern konsonantisch geblieben und dann geschwunden ist: So ist beispielsweise der Dativ Singular im Altavestischen f 8 r ö i geschrieben, aber da diese Form nach Ausweis des Metrums einsilbig zu werten ist, steht sie für *ßrai, das letztlich auf indogerman. *ph tr-ei (mit schwundstufigem Stammbildungssuffix) zurückzuführen ist und dieser komplexen, viergliedrigen Konsonantengruppe ^phjtr- (etwa im Gegensatz zum Akkusativ indogerman. *pli2ter-m > indoiran. *pitar-am) und der damit kausal zusammenhängenden Endungsbetonung seine abweichende Entwicklung verdankt. Demgegenüber zeigt ved. pitr-e (wie dessen gleichfalls bezeugtes Pendant altavest. p't&re) die Verallgemeinerung der nur in den sog. „starken" Kasus erwarteten Form mit anlautendem pit-. 2
s
2
(k) Die indogermanischen s-stämmigen Neutra des in latein. gen-us „Geschlecht" (< altlatein. *gen-os), Genetiv gen-er-is (< altlatein. *gen-es-es) vorliegenden Typs weisen, wie schon das lateinische Beispiel zeigt, Suffixablaut zwischen indogerman. *-os und *-es- auf. Obwohl im Indoiranischen indogerman. *e und *o an sich in *a zusammenfallen (vgl. oben Kapitel 1.1 (a)), müßte dieser Ablaut sich in Einzelfällen noch erkennen lassen: Gemäß dem sog. „Palatalgesetz" müssen dem Suffix vorausgehende indogermanische Velare und Labiovelare (vgl. ebenda (c)) nämlich vor indogerman. *e und *o zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. In altavest. aogö „Kraft, Macht" < indoiran. *aug-as gegenüber Instrumentalis aojarjh-ä < indoiran. *auj-as-ä ist dies auch, wie man es von indogerman. *aug-os, aber *aug-es- her erwarten darf, getreulich bewahrt; dagegen ist in ved. öjas, Instrumentalis öjas-ä diese Alternation zugunsten der Instrumental-Variante ausgeglichen, - so wie auch im Jungavestischen, wo der Nominativ-Akkusativ aojö bezeugt ist. Da die Diskussion gerade solcher Fragen von Natur aus recht kompliziert ist und, um an Stichhaltigkeit nichts einzubüßen, kaum Vereinfachungen zuläßt, soll sie an dieser Stelle abgebrochen werden. An sich verdienten noch einige weitere auch aus indogermanistischer Sicht höchst aufschlußreiche und sogar ganz einzigartige morpho logische Altertümlichkeiten des Iranischen eine Besprechung, bei denen sich das Vedische wiederum dadurch auszeichnet, daß es zur Verallgemeinerung einer von mehreren Varianten und zum Formenausgleich tendiert.
2
Für das Folgende verweise ich auf Mayrhofer, 119f.
1.4. Die gemeinsame Vorstufe der iranischen Sprachen, die durch deren Vergleich und darauf fußende Rekonstruktion erreichbar ist, das Uriranische, erweist sich, wie bereits dargelegt, als so eng verwandt mit dem Indoarischen, daß in ganz entsprechender Weise nach den Grundsätzen historisch-vergleichender Sprachwissenschaft und sprach wissenschaftlicher Rekonstruktion deren Quelle, das weitgehend einheitliche Urarische erschlossen werden kann. Die Übereinstimmungen zwischen den beiden arischen Sprachzweigen sind so zahlreich, und zwar hauptsächlich im Bereich des Wortschatzes, d. h. der Bildung, Bedeutung und Verwendung der Wörter, daß frühere Forscher zu Demonstrationszwecken immer wieder vollständige Sätze aus Avestatexten und sogar ganze Strophen einfach nach den Regeln der historischen Lautlehre und nach den „Lautgesetzen" in ein fehlerloses Altindoarisch umsetzen konnten. Die große Zahl dieser (nicht auf sprachliche Erscheinungen allein beschränkten) Gemeinsamkeiten und ihre enge formale Übereinstimmung erheben die Existenz der arischen oder indo iranischen Spracheinheit, obwohl sie nicht historisch bezeugt, sondern nur durch Rekonstruktion zu erschließen ist, zu absoluter Gewißheit. Diese Ähnlichkeiten zwischen altiranischen und ältesten vedischen Texten betreffen in besonderer Weise auch zusammengesetzte Wörter sowie phraseologische Überein stimmungen, die mehr als nur eine Verwandtschaft der Sprachen beweisen, nämlich eine geistige und kulturelle Gemeinsamkeit. Zur Illustration seien aus einer großen Zahl solcher Wendungen nur zwei angeführt: avest. namanhä ustäna-zasta- „in Ehr furcht (indoiran. *nämas-) mit ausgestreckten Händen" (Yasna 28, 1) = ved. uttänähasta- nämasä (Rigveda 6, 16, 46 usw.) sowie avest. zdradä-cä mananhä-cä „mit (seinem) Herzen (indoiran. *j rd-) und mit (seinem) Denken (indoiran. *mänas-y' (Yasna 31, 12) = ved. hrda mänasä (Rigveda 1, 61, 2 usw.). Diese Gemeinsamkeiten der avestischen und der vedischen Dichtersprache tragen wesentlich dazu bei, daß Veda und Avesta sich gegenseitig erhellen, wie am deutlichsten für das Wortfeld von ved. ksaträ- = avest. xsaüra- = altpers. xsaca- „Herrschaft, Reich, Königtum" gezeigt werden konnte . h
3
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1.5. Diese gemeinsamen, ererbten Traditionen, Vorstellungen und Bräuche der Indoarier und Iraner, die am eindringlichsten in den Bereichen von Religion, Mythologie und Kult zutage treten, betreffen darüber hinaus auch die übereinstimmende politisch soziale und wirtschaftliche Terminologie. Daß (im weitesten Sinn) religiöse Begriffe so sehr im Vordergrund stehen, ist hauptsächlich die Folge der Zufälligkeiten der Über lieferung, die eben vor allem zur Bewahrung religiöser Texte geführt haben. Die Gemeinsamkeiten beginnen mit dem Wort für „Gott" indoiran. *daivä- (eigentlich „Himmlischer"), das in ved. devä- seine ursprüngliche Bedeutung bewahrt hat, 5
Die reichhaltigste (aber nicht vollständige) Übersicht über diese Textfiguren bietet Schlerath, AwestaWörterbuch, 148-161; zu vergleichen ist jetzt immer auch Mayrhofer, wo jeweils unter dem einschlägigen vedischen Lemma die indo-iranischen Übereinstimmungen sorgfältig verzeichnet werden. Vgl. Schlerath, Königtum, 128-131. 4
während avest. daeuua- = altpers. daiva- infolge religiöser Umwälzungen, v. a. der Reform Zarathustras, zur Bezeichnung von „falschen" (eben den vor-zarathustrischen) Göttern, also von „Götzen" und „Dämonen" geworden ist. Sie setzen sich fort über die Namen abstrakter Vorstellungen, die dann personifiziert und vergöttlicht werden, wie indoiran. *rtä-lärta- „Wahrheit, (kosmische) Ordnung" (ved. rtä- = altpers. rta- bzw. avest. asa-) oder indoiran. *miträ- „Vertrag", *Miträ- „Gott Vertrag" (ved. Miträ- = avest. Miüra-), ferner kultische Begriffe wie indoiran. *yajnä- „Verehrung, Opfer" (ved. yajnä- = avest. yasna-) oder indoiran. *mäntra- „Spruch, Formel", eigentlich „(formulierter) Gedanke" (ved. mäntra- - avest. mqßra-) bis hin zu den Priestertiteln indoiran. *j äutar- (ved. hötar- = avest. zaotar-) und indoiran. *ät arvan- (ved. ätharvan- = avest. *aüa"ruuan-/äürauuan-). h
h
Es steht außer jedem Zweifel, daß die Indoiranier bereits während dieser Zeit vor ihrer Trennung eine Dichtung, insbesondere eine von den Priestern gepflegte religiöse Dichtung - diese tritt uns jedenfalls am unmittelbarsten vor Augen - , und eine Dichtersprache besaßen, deren Formeln und Figuren und deren metrische Schemata in den Literaturen der beiden Völker weiterlebten . Zumindest Preislieder in kürzeren Versen (ursprünglich wohl Achtsilblern) und gnomische (Spruch-)Dichtung mit einem primär elfsilbigen Versmaß lassen sich nach Aussage der verfügbaren Zeugnisse zuversichtlich in noch indoiranische Zeit zurückführen. Sowohl in der vedischen wie in der avestischen Dichtung finden sich - dies unterstreicht den Traditionalismus und das Traditionsbewußtsein - Anspielungen auf frühere Lieder und frühere Sänger. Eine besonders eigenartige Ausdrucksweise aber schlägt sich umgekehrt nieder in einem Adjektiv, mit dem der Dichter den neuartigen Charakter seiner Formulierungen und zugleich seinen Stolz auf seine unvergleichbare Leistung ausdrückt, wenn er sein Lied nämlich als „ohne ein früheres", also als „beispiellos, noch nie dagewesen" bezeichnet (avest. apa ruuTm = ved. äpürvyam). 5
oll
1.6. Diese arische Spracheinheit zerfiel wahrscheinlich zu Beginn des 2. Jahrtausends v. Chr. dadurch, daß Teile der Stämme, die sie gebildet haben, die gemeinsamen Wohnsitze verließen, nach Osten und Südosten hin weiterzogen und über die Hindukusch-Pässe hinweg schließlich in den Nordwesten des Indischen Subkontinents vordrangen - nämlich die nachmaligen Indoarier - , andere Teile dagegen nicht, die späteren Iraner. Es stellt sich somit die Frage, wo jenes ursprüngliche Siedlungsgebiet der Indoiranier zu suchen ist: die in der Forschung überwiegende Meinung besagt, daß man sich diese „Heimat" der nomadisierenden Indoiranier in dem ostiranisch-zentral asiatischen Steppengürtel von Sogdien, Chwaresmien und Baktrien sowie nördlich davon (also etwa in dem Raum von der unteren Wolga bis nach Kasachstan) vorstellen darf. Für diese These sprechen insbesondere zwei wichtige Punkte: Zum einen fehlen für diesen riesigen Raum - anders als für die sonstigen von Iranern besiedelten
^ Jüngst wurde eine spezielle Gattung herausgestellt von Tichy.
Territorien - sichere Spuren einer nicht-arischen, d. h. vor-arischen Bevölkerung, etwa in Form alter vor-arischer Namen. Und zum anderen haben eine Reihe geographischer Namen, die in diesem ostiranischen Gebiet zu lokalisieren und im Avesta-Corpus bzw. auf den altpersischen Inschriften bezeugt sind, genaue Entsprechungen in altindoarischen Quellen. Dies ist etwa der Fall bei dem Namen der Landschaft „Areia" (d. h. des Landes um Herät) altpers. Haraiva- = avest. Haröiuua-, der abgeleitet ist von dem iranischen Gegenstück (mit *H- < *S-) zu dem Flußnamen ved. Sardyu-'', oder bei dem Namen „Arachosiens" (des von Qandahär aus beherrschten Landes) avest. Harax a'tJ- altpers. Harauvati-, der identisch ist mit dem Flußnamen ved. Särasvati-. v
Während die Indoarier also von diesem Gebiet aus weitergezogen sind, blieben die iranischen Stämme wohl zunächst weiterhin dort ansässig. Auch sie haben sich dann aber, nach allgemeiner Ansicht sehr viel später als die Indoarier, allmählich in weitgreifenden Wanderbewegungen über ein riesiges Gebiet auf dem Iranischen Hoch land und in den umliegenden Regionen verbreitet und in der 1. Hälfte des 1. Jahr tausends v. Chr. ihre größte Ausdehnung erreicht . Über diese Vorgänge geben historische Nachrichten und archäologische Hinterlassenschaften nur sehr spärlich Auskunft: Darnach liegt die Annahme nahe, daß Stämme oder Stammesgruppen jeweils verschiedener iranischer Sprache in mehreren aufeinanderfolgenden Schüben langsam vorgerückt und in ihre historischen Sitze eingewandert sind. Als früheste Einwanderer in das Gebiet Irans im eigentlichen Sinne gelten die westiranischen Stämme - für uns sind vor allem die Namen der Meder und Perser geläufig - , deren Wanderung gewöhnlich um die Wende vom 2. zum 1. Jahrtausend v. Chr. datiert wird und von jenen nördlichen Steppengebieten entweder am Kaspischen Meer entlang und über den Kaukasus und das Armenische Hochland oder aber auf direktem Wege über die Berge des Kopet Däg und quer durch die Salzwüste bis zu den Zagros-Bergen geführt hat. 7
Die Meder sind unter der Namensform assyr. Matai (die iran. *Mäda- = altpers. Mäda- wiedergibt) erstmals 836 v. Chr. in einer assyrischen Inschrift Salmanassars III. bezeugt, der gegen sie zu Felde zog. Gesiedelt haben sie im westlichen Zentral-Iran, westlich der Salzwüste, wo verschiedene bekannte archäologische Fundstätten wie GodTn Tepe, Bäbä Jan Tepe, Tepe Nüs-e Jan oder Tepe Sialk Nachweise dafür liefern. Das eigentliche Zentrum der Meder, die nach Ausweis der geographischen Namen der assyrischen Texte in den Zagros-Bergen nicht so fest Fuß gefaßt hatten wie in den östlich vorgelagerten Becken, war die Gegend um Hamadän, ihre alte Residenzstadt Ekbatana. Die Perser sind schon ein paar Jahre vorher, nämlich 843 v. Chr. - dies ist das erste eindeutige Zeugnis für die Präsenz iranischer Stämme in Iran - unter dem Namen Parsuas bezeugt, und zwar für den Raum südlich und westlich des Urmia-Sees. Die Südostwanderung der Perser von dort in ihre historischen Wohnsitze in der Persis, der Zur Verdeutlichung notiere ich die Rekonstruktionsformen als indoiran. 'Saram- (woraus ved. und *Saraiu-a- (woraus iran. "Haraiva-). ' Hierzu vgl. aus neuerer Zeil u. a. Ghirshman sowie Diakonoff, 41-57 und Skjacrvo. 155-157.
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Saräyu-)
heutigen iranischen Provinz Färs, läßt sich für die folgenden zwei Jahrhunderte durch inschriftliche Quellen verfolgen - es sei denn, man rechnet mit mehreren Stämmen gleichen Namens ParsuasIParsumas - , da das Gebiet der Parsuas nämlich unter dem assyrischen König Tiglatpilesar III. bereits weiter südöstlich im mittleren Zagros gesucht werden muß und unter Sanherib die Parsuas mit den Elamern verbündet und in den Baxüari-Bergen ansässig waren, bevor sie unter Assurbanipal erstmals in Färs nachzuweisen sind: Nach der Unterwerfung des Elamischen Reiches zog dieser König 639 v. Chr. gegen den Achaimeniden Kyros I., der, wie es heißt, über Parsumas und Aman herrschte, d. h. über Färs und das Gebiet um Tall-e-Mallän, das die Perser zuvor von den Elamern erobert haben müssen. 1.7. Es ist klar, daß mit der Trennung von Indoariern und Iranern und mit der Weiter wanderung der Indoarier um 2000 v. Chr. die Herausbildung jeweils eigenständiger Sprachen, hier der iranischen, dort der indoarischen einsetzt. Diese iranische Sprach entwicklung ist für die älteste, vorhistorische Phase von dem allmählichen Zerfall des Uriranischen bis zum Einsetzen der frühesten Zeugnisse, mit denen die iranischen Sprachen ins Licht der Geschichte treten, allein durch sprachliche Rekonstruktion greifbar. Und dieses „Licht der Geschichte" ist zunächst auch nur ein gebrochener Dämmerschein, denn die früheste Überlieferung iranischer Sprachformen findet sich in Gestalt iranischer Personen- und geographischer Namen, die vom 9. Jahrhundert v. Chr. an wiederholt in assyrischen und babylonischen, vereinzelt auch in urartäischen Inschriften vorkommen. Allerdings nimmt es angesichts von deren doppelter Brechung in fremder Sprache und fremder Schrift kaum wunder, daß diese Zeugnisse, um mit Goethe zu sprechen, mehr „irrlichtelieren" als tatsächlich helles Licht verbreiten. Immerhin sind dies aber, wie wir in Kapitel 1.6 gesehen haben, die frühesten Indizien für das Eindringen iranischer Stämme in den Westen des Iranischen Hochlandes. Dieser Zustand der schattenhaften Überlieferung ändert sich praktisch erst gegen Ende des 6. Jahrhunderts v. Chr., denn im Jahr 521/520 setzt mit der ersten achaimenidischen Königsinschrift, der des Dareios I. vom Felsen von BTsutün die unmittelbare und authentische Überlieferung des Altpersischen ein (vgl. unten Kapitel 2.8 ff.). Die andere durch zusammenhängende Texte direkt bezeugte altiranische Sprache, das Avestische, und insbesondere dessen ältere Ausprägung, das Altavestische, die Sprach form vornehmlich der von Zarathustra selbst stammenden Gäthäs oder „Lieder" (vgl. dazu Kapitel 2.2 ff.), läßt sich jedoch nicht fest in Raum und Zeit verankern und gibt deshalb für die chronologische Einordnung und für die Abgrenzung der vor- und früh geschichtlichen Phasen der iranischen Sprachgeschichte keinerlei Stütze ab. Dieses Dilemma ist vornehmlich eine Folge davon, daß sich über die Heimat und die Lebenszeit, d. h. die räumliche und zeitliche Fixierung des Religionsstifters Zarathustra selbst bis heute eine einhellige Forschungsmeinung nicht herausgebildet hat. Ein Lautwandel, der sich - entgegen früherer Ansicht - erst innerhalb des Iranischen in vorhistorischer Zeit und sogar in einer relativ späten Phase des Gemeiniranischen vollzogen haben dürfte, ist der Übergang von iran. *s (< indoiran., indogerman. *s) in h
in der Stellung vor folgendem Vokal. Das übereinstimmende Zeugnis der beiden Sprachen mit textlicher Überlieferung, des Avestischen und des Altpersischen, - etwa in Fällen wie avest. haenä- „(feindliches) Heer" = altpers. hainä- = ved. senä< indoiran. *sainä- oder avest. ha"ruua- „all, ganz" = altpers. haruva- = ved. sârva- < indoiran. *sârva— legt zwar den Gedanken nahe, schon für das Uriranische Formen mit *h-, also iran. *hainä- bzw. *harva- anzusetzen, doch stehen einer solchen Auf fassung Indizien verschiedener Art entgegen, die zusätzlich zu dem Terminus ante quem der avestischen und altpersischen Überlieferung für Einzelfälle einen Terminus post quem liefern: Daß der im Altpersischen bezeugte Name des Landes „Elam", altpers. Üja- < *Hüza- (vgl. parth. Xüzestänf, mit dem Namen der Stadt „Susa", der ursprünglich wohl etwa *Süsa(n) gelautet hat, zu verbinden ist und daß er aus diesem entlehnt worden ist, setzt voraus, daß Perser und Elamer in direkte Berührung miteinander gekommen sind. Dies ist vor dem 9. Jahrhundert v. Chr. nicht möglich, so daß der Wandel *s > h also erst zu dieser Zeit vollzogen worden sein dürfte. In die gleiche Richtung weist der auf einer assyrischen Inschrift wohl des 8. oder 7. Jahrhunderts v. Chr. bezeugte Gottesname As-sa-ra Ma-za-âs, der mit einiger Wahr scheinlichkeit als Wiedergabe von iran. (hier wohl med.) *Asuramazdäs, univerbiert aus *Asura- *Mazdä- „Herr Weisheit", interpretiert werden darf. So lautete vor jenem Wandel *s > h der Name des obersten Gottes, der später in den Formen avest. AhuraMazdä- (Nominativ Ahurö Mazda) und altpers. Auramazdä bezeugt ist. i
a
1.8. Durch ihre sehr fragmentarische Überlieferung hindurch lassen die beiden aus Textzeugnissen bekannten altiranischen Sprachen deutlich werden, daß in dieser Periode der iranischen Sprachgeschichte - und auf jeden Fall in der Zeit, aus der die älteren Texte stammen - die Sprachen ihrem grammatischen Bau nach noch ganz auf dem Stand des Uriranischen sind: Wenn es in der lautlichen Entwicklung auch zum Teil charakteristische und mitunter von Sprache zu Sprache sehr divergente Verände rungen gegeben hat, so sind doch andererseits die ererbten ursprünglichen Flexions systeme bei Nomen, Pronomen und Verbum mit ihrem großen Formenreichtum mehr oder weniger unversehrt erhalten geblieben. Die weitere Entwicklung hin zum Mittel iranischen ist dagegen, wie sich in Kapitel 3.4 bei genauerer Betrachtung zeigen wird, zumindest im Bereich der westiranischen Sprachgruppe dadurch gekennzeichnet, daß infolge hauptsächlich des Schwundes aller Endsilben von mehrsilbigen Wörtern das gesamte morphologische System zusammengebrochen ist. Dieser Verfall, der zu einer vollständigen Veränderung des Sprachtypus führt, setzt während der altiranischen Periode ein und läßt sich in ersten Ansätzen bereits an altpersischen Inschriften der späteren Achaimenidenzeit (des 4. Jahrhunderts v. Chr.) deutlich beobachten (vgl. Kapitel 2.11). 8
Im Altpersischen wird iran. *h vor u nicht geschrieben; es wurde wohl nur schwach artikuliert oder war überhaupt geschwunden. Unbeschadet dieses ungelösten Problems genügt für die hier anstehende Diskussion der bloße Hinweis auf das Faktum als solches.
Daß die bezeugten iranischen Sprachen auf eine weitgehend einheitliche, kaum in Dialekte differenzierte Sprachstufe zurückgehen, muß natürlich nicht bedeuten, daß sich daran niemals etwas geändert hat. Und auch wenn man die altiranischen Sprachen als recht archaisch und konservativ bezeichnen darf, so haben doch gewisse Neue rungen vor allem in der lautgeschichtlichen Entwicklung - aber auch an morpho logischen und lexikalischen Divergenzen fehlt es nicht - dazu geführt, daß sich deutlich voneinander unterschiedene Sprachen mit jeweils eigenem Gepräge herausgebildet haben, das Altpersische, das Avestische und andere, nur trümmerhaft bezeugte oder kaum noch erkennbare altiranische Dialekte. Diese starke inner-iranische Veränderung und Auseinanderentwicklung ist am wahrscheinlichsten auf eine Lockerung der Beziehungen zwischen den iranischen Stämmen zurückzuführen - diese haben sich im Zuge der Einwanderung in ihre endgültigen, historischen Wohnsitze bekanntlich über ein sehr viel größeres Territorium verbreitet, als sie es vorher innehatten, und haben dabei jeweils die vor ihnen ansässige Bevölkerung überlagert - , und sie ist zugleich wohl durch Einflüsse seitens jener in sich ethnisch und sprachlich sehr heterogenen Vorbevölkerung hervorgerufen, obwohl zuzugeben ist, daß von dieser Vorbevölkerung meist, mit Ausnahme der Elamer, kaum mehr als nur die Namen der jeweiligen Völker und Stämme bekannt ist. 1.9. Die entscheidenden lautgeschichtlichen Veränderungen, die zu divergenten Ent wicklungen innerhalb des Iranischen bereits in alter Zeit und damit zu einer Differenzierung verschiedener iranischer Dialekte geführt haben, liegen in den folgen den Erscheinungen, die es nun genauer zu belegen gilt, da diese Dialektunterscheidung die gesamte weitere Sprachentwicklung des Iranischen durchzieht: (1) Übergang der palatalen Verschlußlaute indogerman. *K, *g, *g > indoiran. *c, */> *j (woraus indoar. s, j , h) zu avest. s, z, z, aber altpers. d, d: avest. vls„ Absiedlung, Haus" = altpers. viü- = ved. vis- < indoiran. *uic-\ Präsensstamm avest. zänä- „kennen" = altpers. dänä- = ved. jäna- < indoiran. *jäna-; avest. azsm „ich" = altpers. adam = ved. ahäm < indoiran. *aj äm (vgl. oben Kapitel 1.2 (g)); die divergierende Entwicklung innerhalb des Iranischen geht am plausibelsten - in genauer typologischer Parallele zu den iberoromanischen Sprachen, wie die Fortsetzer von latein. [k] > [c], nämlich altspan. [ts], portugies., katalan. [s] und span. [6] zeigen - von einer Zwischenstufe mit Affrikaten uriran. [ts, dz, dz] aus, die sich ihrerseits von dem urarischen Zustand (mit palatalisierten Affrikaten *c usw.) nur durch den Verlust der Palatalisierung unterscheidet ; von den Fortsetzern der gemäß oben Kapitel 1.1 (c) vor ursprünglichen Vorderzungenvokalen palatalisierten stimmhaften Velare und Labio9
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10
'' Zum Folgenden vgl. Schmitt. '" Vgl. Mayrhofer, 6.
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1
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velare indogerman. *g, *g und *g -', *gV sind diese Fortsetzer der Palatale im Iranischen übrigens, anders als im Indoarischen ', immer getrennt geblieben; (m) Lautwandel von uriran. *ßr, das in den anderen Sprachen unverändert erhalten bleibt, zu altpers. „c" (so die heute übliche Notierung), einem Laut, der einerseits von s deutlich verschieden, andererseits diesem ähnlich gewesen sein muß, da die beiden Laute in der weiteren Entwicklung zum Mittelpersischen zusammenfielen: uriran. *puüra- „Sohn" (< indoiran. *puträ- [= ved. pulrä-] < indogerman. *putlö-) > avest. puüra-, aber altpers. puqa- (> mittelpers. pus); (n) Übergang von uriran. *tsv (< indoiran. *cu < indogerman. *Ku) - und Entsprechendes gilt für das stimmhafte Pendant - einerseits zu avest., med. usw. sp. andererseits (mit einer ganz eigenständigen Entwicklung) zu altpers. s: avest., med. (indirekt nachweisbar) aspa- „Pferd" (< uriran. *atsva- < indoiran. *äcua- [> ved. asva-] < indogerman. *ek\io-), aber altpers. asa- (wobei sich in jüngeren ostiranischen Sprachen als dritte Entwicklungsvariante ein palataler Sibilant zeigt: vgl. khotansak. assa-, wakhT yas „Pferd"); (o) Lautwandel von uriran. *üy, *i}n, die im übrigen nicht verändert werden, zu altpers. sly, sn: altpers. hasiya- „wahr" < *haüya- (= avest. ha'üiia-) < uriran. *saflya< indoiran. *satiä- (= ved. satyä-); altpers. arasni- „Elle" < uriran. *arm)ni- (vgl. avest. arsdna) < indoiran. *aratni- (= ved. araini-). 1
1.10. Diese inneriranische Dialektverschiedenheit läßt sich für die altiranische Periode allerdings der dürftigen Überlieferungslage halber nicht so genau eruieren, wie man sich dies wünschte. Das Bild, das sich gewinnen läßt, leidet auch darunter, daß zum einen die Einordnung des Avestischen nicht klar ist - bei manchem Punkt, der einen Aufschluß geben könnte, läßt sich nicht ausschließen, daß es sich um eine Veränderung im Laufe der Avesta-Überlieferung und nicht um die ursprüngliche avestische Sprach form handelt - und daß zum anderen das Altpersische eine Reihe von Wörtern enthält, deren Form ihre dialektfremde Herkunft erkennen läßt. Und diese von der laut-
h
vh
" Die unterschiedliche Entwicklung von indogerman. "g, *g" einerseits und indogerman. "gig», 'g ig (vor Vorderzungenvokalcn) andererseits mit der Beseitigung der Palatalitätsopposition im Indoarischen bzw. des A.spitationsgegcnsatzcs im Iranischen stellt sich schematisch so dar: indogerman. A. B. C
*g
indoiran.
altindoar.
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]
7
*g/g" h
*g
D. *gV*
V"
i h h
uriran.
avest.
altpi
"ilz 7 "dz 7
z i z i
d j d J
Beispiele: A. indogerman. belegt); B. indogerman. C. indogerman. D. indogerman.
*gonh,o- „Wesen, Mensch, Stamm": ved. Jana-, avest. zana-. altpers. *dana- (indirekt "g'-'hiö- „lebendig": ved.yiva-. avest. ("jha- >) juua-, altpers. iiva-: "eg 6m ..ich": ved. ahäm. avest. az?m, altpers. adanv, *g'-'"enti ..(er)schlägt": ved. hänti. avest. ja'nü. altpers. janli. h
geschichtlichen Norm abweichende Gestalt enthüllt zugleich den Charakter des Alt persischen als einer „Hofsprache", die mit dem in der Persis tatsächlich gesprochenen südwestiranischen Dialekt nicht identisch sein muß. Gleichwohl steht das Altpersische in etlichen der obengenannten Punkte ganz für sich, so daß sich also in der Hauptsache nur eine Unterscheidung von Persisch und Nicht-Persisch ergibt. Für die späteren Perioden der iranischen Sprachgeschichte läßt die breitere Über lieferung die Dialektverhältnisse und damit auch die Dialektunterschiede insgesamt sehr viel klarer erkennen, unbeschadet dessen, daß hier dann zusätzliche jüngere Dialektunterschiede hinzukommen. Grundlegend ist für die spätere Zeit die Trennung einer ostiranischen von einer westiranischen Dialektgruppe , wobei als Grenzraum zwischen (grob gesagt) ostiranischen Sprachen in Zentralasien und westiranischen Sprachen in West-Iran die riesigen, kaum besiedelten Salzwüsten (Dast-i KawTr und Dast-i Lüt) anzunehmen sind. Für die altiranische Periode ist diese Zweiteilung, da sich das Avestische einer sicheren Einordnung entzieht, nur insofern von Relevanz, als innerhalb der westiranischen Dialektgruppe mehr oder weniger deutlich ein Süddialekt und ein (nicht direkt bezeugter) Norddialekt auseinanderzuhalten sind, das südwest iranische Persische und das nordwestiranische Medische. 12
1.11. Den entscheidenden Fortschritt in der Erforschung der iranischen historischen Dialektologie haben die vier Preußischen Expeditionen in die Oase von Turfan (Chinesisch-Turkestan) zwischen 1902 und 1914 angebahnt, die ungemein reiche und vielfältige Textfunde erbracht haben. Seit den allerersten Textpublikationen durch F. W. K. Müller im Jahr 1904 wurde speziell die Kenntnis der mitteliranischen Sprachen in ungeahnter und unvorstellbarer Weise vermehrt, ja in gewissem Sinne revolutioniert, denn allein für diesen Teilbereich der Turfanfunde in mitteliranischen Sprachen sind damals, wie in Kapitel 3 im einzelnen darzustellen ist, insgesamt Texte in einem halben Dutzend verschiedener Schriften und Sprachen erstmals zu Tage gekommen. Bis dahin war dagegen, wie noch der seinerzeit gerade zum Abschluß gekommene „Grundriss der Iranischen Philologie" deutlich zeigt, nur eine einzige dieser mitteliranischen Sprachen, nämlich das Mittelpersische, und auch dieses nur in einer spezifischen Ausprägung bekannt, in der Form des Mittelpersischen der zoroastrischen Bücher, des sog. „PahlavI". Und von ostiranischen Sprachen der mitteliranischen Periode hatte man vor dem Auftauchen dieser turkestanischen Funde praktisch noch gar kein Bild. Insofern stellt das Jahr 1904 eine wichtige Epochengrenze der iranistischen Forschung dar: Praktisch eine ganze Epoche der Erforschung des vorislamischen Iran, die gerade mit den beiden monumentalen Bänden des von Wilhelm Geiger und Ernst Kuhn herausgegebenen „Grundrisses", mit der großen dreibändigen „Avesta"-Ausgabe
, :
Stau einer Ost-West-Teilung zieht Windfuhr, 365, hauptsächlich im Hinblick auf das Ossetische, eine Nord-Süd-Gliederung vor.
durch Karl Friedrich Geldner und dem hierauf fußenden „Altiranischen Wörterbuch" von Christian Bartholomae ihre Krönung gefunden hatte, ist damals zu Ende gegangen. In den Mittelpunkt des Interesses rückte ein völlig neuer Forschungszweig, die TurfanForschung mit ihrem Schwerpunkt im Bereich der Mitteliranisch-Studien; sie konnte im Laufe der Zeit viel dazu beitragen, das Wissen von iranischen Schriften und Sprachen, Kulturen und Religionen nach vielen Richtungen hin zu erweitern, und sie hat vor allem für die Geschichte der iranischen Sprachen in ihrer Gesamtheit vielfach befruchtend gewirkt, da sie neues Sprachmaterial und damit vielfältige neue Aspekte in die Diskussion eingeführt hat, die auch scheinbar entfernter liegende alt- oder neuiranistische Probleme einer Lösung näherbrachten.
Literatur zu Kapitel 1.1-1.2: Mayrhofer, Manfred: Vorgeschichte der iranischen Sprachen; Uriranisch, in CLI 4-24. Schmitt, Rüdiger: Iranische Sprachen: Begriff und Name, in CLI 1-3.
Literatur zu Kapitel 1.3: Mayrhofer, Manfred: L'indo-iranien, in: Langues indo-européennes. Sous la direction de Françoise 2
Bader, Paris 1997, 101-122.
Literatur zu Kapitel 1.4-1.5: Mayrhofer, Manfred: Etymologisches Wörterbuch des Altindoarischen. I— II, Heidelberg 1992-1996. Schlerath, Bernfried; Das Königtum im Rig- und Atharvaveda, Wiesbaden 1960. Schlerath, Bernfried: Awesta-Wörterbuch. Vorarbeiten II: Konkordanz, Wiesbaden 1968. Tichy, Eva: Indoiranische Hymnen, in: Hymnen der Alten Welt im Kulturvergleich. Hrsg. von Walter Burkert und Fritz Stolz, Freiburg/Göttingen 1994, 79-95.
Literatur zu Kapitel 1.6-1.7: Diakonoff, I. M.: Media, in: The Cambridge History of Iran. II: The Median and Achaemenian Periods, ed. by Ilya Gershevitch, Cambridge usw. 1985, 36-148. Ghirshman, R.: L'Iran et la migration des Indo-Aryens cl des Iraniens, Leiden 1977. Hintze, Almut: The Migrations of the Indo-Iranians and the Iranian Sound-Change 5 > h, in: Sprache und Kultur der Indogermanen. Akten der X. Fachtagung der Indogermanischen Gesellschaft. Hrsg. von Wolfgang Meid, Innsbruck 1998, 139-153. Skj<erv0, P. Oktor: The Avesta as source for the early history of the lranians, in: The Indo-Aryans of Ancient South Asia. Language, Material Culture and Ethnicity. Ed. by George Erdosy, Berlin/New York 1995, 155-176.
Literatur zu Kapitel 1.9-1.10: Mayrhofer, Manfred: Vorgeschichte der iranischen Sprachen; Uriranisch, in: CLI 4-24. Schmitt, Rüdiger: Die altiranischen Sprachen im Überblick, in: CLI 25-31. Sims-Williams, Nicholas: Eastern Iranian Languages, in: EIr VII, 1996, 649-652. Windfuhr, Gemot L.: Dialectology, in: EIr VII, 1996, 362-370.
Literatur zu Kapitel 1.11: Bartholomae, Christian: Altiranisches Wörterbuch, Strassburg 1904. Geiger, Wilh., und Ernst Kuhn (Hrsg.): Grundriss der Iranischen Philologie. I—II, Strassburg 1895-1901, 1896-1904. Geldner, Karl F.: Avesta. The Sacred Books of the Parsis. I—III, Stuttgart 1886-1896.
2. Die S p r a c h e n d e r a l t i r a n i s c h e n P e r i o d e
2.1. Für die altiranische Periode (bis etwa 4./3. Jahrhundert v. Chr.) sind, wie bereits erwähnt , nur zwei Sprachen direkt durch authentische Zeugnisse belegt, das sog. Avestische des „Avesta"-Corpus der Zoroastrier und das Altpersische der achaimenidischen Königsinschriften. Für andere, nicht durch Textüberlieferung bekannte Sprachen wie das Medische oder das Skythische lassen sich dagegen nur einzelne Wörter und Namen erschließen, gewöhnlich Formen aus jeweils anderssprachiger Überlieferung, die ausdrücklich einer jener Sprachen zugewiesen werden oder sich aufgrund sprachwissenschaftlicher Kriterien als Fremdelemente in der Überlieferungs sprache zu erkennen geben. Damit sind Inhalt und Gliederung dieses zweiten Kapitels sozusagen vorherbestimmt: Zunächst sollen das Avestische und das Altpersische in knapper Übersichtsdarstellung nach dem gegenwärtigen Forschungsstand dargestellt werden. Das sich hieraus für die altiranische Periode ergebende recht lückenhafte Bild wird dann durch Hinweise auf die sog. „Nebenüberlieferung" iranischen Sprach- und Namengutes in anderssprachigen Quellen und durch eine Besprechung der Sprachreste abgerundet, die für andere altiranische Sprachen und Dialekte in Anspruch genommen werden können. 1
2.2. „ A v e s t i s c h " ist (wie etwa „Vedisch") eine jener Sprachbezeichnungen, die nicht auf dem Namen eines Volkes oder Landes beruhen, sondern nach dem Textcorpus gewählt sind, in dem die betreffenden Sprachen verwendet werden. Das Avestische heißt also nach dem „Avesta", der Sammlung der heiligen Bücher der von Zarathustra (avest. Zaraüustra-) gestifteten Religion , sozusagen Avesta-Sprache (wie schon vor mehr als tausend Jahren in der zoroastrischen Enzyklopädie „Denkard"), und es läßt sich räumlich nicht exakt einordnen, da keine der aus jüngerer Zeit bezeugten Sprachen es direkt fortsetzt. Die ältesten Texte dieses Corpus, die sog. Gäthäs (avest. gätiä), stammen von Zarathustra selbst, dessen Lebensdaten von der Mehrheit der Forscher heute um das Jahr 1000 v. Chr. angesetzt, von anderen aber auch tief in das 2. Jahrtausend hinein zurückversetzt oder bis ins 7./6. Jahrhundert v. Chr. herabdatiert werden. Aufgezeichnet ist das Avesta in der Avestaschrift, einer eigenen, linksläufig geschriebenen, sehr lautgetreuen Schrift, deren zahlreiche einzelne Zeichen in säsäni2
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Vgl. oben Kapitel 0.3.
Für das Avestische verweise ich insbesondere auf Kcllens, Avestique; die hauptsächlichen historischen Fragen sind zuletzt behandelt worden von Humbach. Die maßgebende (aber nicht ganz vollständige) Ausgabe ist die von Gcldner.
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discher Zeit auf der Basis der für das Mittelpersische verwendeten PahlavI-Buchschrift bzw. von deren verschiedenen Abarten geschaffen, zum Teil aber auch ad hoc erfunden worden sind. Im Gegensatz zu der PahlavI-Buchschrift ermöglicht die Avestaschrift aber eine genaue Bezeichnung der Vokale (vgl. Abb. I ) , und sie versucht mit größter Genauigkeit die feinsten Details der damals gepflegten liturgischen Aussprache der Texte phonetisch exakt wiederzugeben. Die Wahl des Vorbilds für diese Schrift weist eindeutig auf die Zeit der Säsäniden, unter denen der Zoroastrismus (Mazdaismus) zur Staatsreligion erhoben worden ist und das Mittelpersische im weltlichen und kirch lichen Bereich eine entsprechend starke Position einnahm. Die erste Aufzeichnung des Avesta in dieser (eigens hierfür geschaffenen) Schrift erfolgte wahrscheinlich im 4. Jahrhundert unter Säbuhr II. (309-379 n. Chr.) . 4
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Dieser Säsänidische Archetypus, wie er genannt wird, ein für den Gebrauch in den Priesterschulen bestimmter „kanonischer" Grundtext, stellt den „Wendepunkt zwischen mündlicher und schriftlicher Avesta-Tradition" dar . Er ist aber nicht erhalten. Aus dem mittelpersischen „Denkard" wissen wir, daß das säsänidische Avesta aus 21 Abtei lungen (mittelpers. nask) bestand, deren Inhalt die Denkard-Bücher 8 und 9 angeben. Dies erlaubt uns, trotz gewisser Zweifel an der Zuverlässigkeit dieser Angaben (die auf der mittelpersischen Übersetzung des Avesta fußen) festzustellen, daß unsere Hand schriften von dem seinerzeit (im 9. Jahrhundert n. Chr.) noch vorhandenen Textbestand nur etwa ein Viertel enthalten, im großen ganzen anscheinend aber gerade die ältesten und wichtigsten Teile. Dieser große Verlust innerhalb verhältnismäßig kurzer Zeit hängt letztlich mit der islamischen Eroberung Irans Mitte des 7. Jahrhunderts zu sammen, die die Zoroastrier schwer getroffen, zum Teil auch nach Indien ins Exil getrieben hat und die vor allem zu einem immensen Schwund von Handschriften vorhandene gingen verloren, neue wurden nicht kopiert - und in letzter Konsequenz somit zum Verlust von Texten überhaupt geführt hat. Von jenen Texten, die diese Zeit überdauert haben, liegen uns nur sehr viel jüngere und oftmals nicht gut erhaltene Handschriften vor, deren älteste (der Kopenhagener Codex K 7a.b) aus dem späten 13. Jahrhundert stammt, während die meisten und wichtigsten gar erst im 16. bis 18. Jahrhundert kopiert worden sind. Aus diesen Handschriften, die zu unterschiedlichen Klassen (die den Avestatext allein oder zusammen mit PahlavI- und/oder SanskritÜbersetzung enthalten) und zu verschiedenen (indischen oder iranischen) Über lieferungszweigen gehören, die für die einzelnen Texte jeweils genau zu beachten sind, läßt sich nach den vornehmlich in der Klassischen Philologie entwickelten Methoden der Textkritik nur auf deren gemeinsame Stammhandschrift schließen, die durch zahlreiche in allen Handschriften vorliegende Fehler nahegelegt wird und die etwa um das Jahr 1000 n. Chr. angesetzt werden kann. Dabei ist aber auch zu beachten, daß die 6
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Grundlegend für die Analyse der avestischen Schrift ist jetzt Hoffmann/Narten; vgl. auch Hoffmann/Forssman, bes. 3 9 - 4 3 . Diesem Werk (S. 41) ist auch die Schriftlafel von Abb. 1 entnommen. ' Eine „zeitliche Übersicht über die Vorstufen und die Geschichte des Avestischen" bieten Hoffmann/Forssman, 37 f. h
Vgl. Hoffmann/Narten, 36.
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Abb. 1: Schrifttafel der Avestaschrift (aus Hoffmann-Forssman, 41)
mündliche Tradition (die Textweitergabe durch Auswendiglernen) diejenige durch Kopisten immer beeinflussen konnte, da diese den abzuschreibenden Text ja auswendig kannten und deshalb unbewußt (wenn nicht gar bewußt) verändern konnten. Für die gesamte weitere Rekonstruktion der Texttradition von der Zeit des jeweiligen Verfassers über den Säsänidischen Archetypus bis zu jener Stammhand schrift lassen sich aus dem überlieferten Wortlaut heraus nicht unmittelbar, höchstens durch die Analyse der Schriftzeichen irgendwelche Schlüsse ziehen. Deshalb muß die Verläßlichkeit jeder einzelnen Form einer zusätzlichen Überprüfung auf ihre sprach liche, v. a. lautgeschichtliche Plausibilität unterzogen werden, wobei in aller Regel dem engstens verwandten Altindoarischen der ältesten vedischen Texte - gewissermaßen als indirektem Zeugen des vorauszusetzenden Urarischen , des entfernten Vorläufers des Avestischen - entscheidende Aussagekraft zukommt. 7
2.3. Die Avestatexte haben bis zu jenem Säsänidischen Archetypus schon eine lange (Vor-)Geschichte hinter sich, in deren Verlauf sich manche Änderungen vollzogen haben und sich insbesondere die Aussprache bei der liturgischen Rezitation der Texte weiterentwickelt hat. Die erste Frage, die zu stellen ist, muß die sein, ob dem Säsänidischen Archetypus, wie man mitunter postuliert hat, ein in früherer Zeit (etwa unter den Arsakiden) mit den unzureichenden Mitteln der PahlavTschrift oder eines verwandten Systems aufgezeichneter Text vorausgegangen ist. Insbesondere Friedrich Carl Andreas hatte mit einem arsakidischen Archetypus gerechnet, der später rein mechanisch in die avestische Schrift umgeschrieben worden sei, und hatte dement sprechend postuliert, daß man die überlieferten avestischen Formen ebenso mechanisch wieder zurückverwandeln müsse. Diese Andreas'sche Theorie wird heute allgemein abgelehnt, nicht zuletzt deshalb, weil die phonetisch so überaus getreue avestische Schrift offenkundig entwickelt worden ist, um die Einzelheiten der tatsächlichen Rezi tationsaussprache genau zu bezeichnen, nicht um die Lautgestalt eines nicht eindeutig geschriebenen Textes wiederherzustellen. Und damit werden die wenigen Punkte, die sich mit Hilfe jener Theorie vielleicht einfacher erklären lassen mögen, mehr als aufge wogen. Über die Geschichte der mündlichen Texttradition, die dem Säsänidischen Arche typus vorausgeht, lassen sich einzelne begründete Aussagen machen: In der Säsänidenzeit ist als religiöse Sprache der Zoroastrier, wie auch die Gesamtheit des an das Avesta anknüpfenden exegetischen Schrifttums zeigt (vgl. hierzu Kapitel 3.5), das Mittelpersische gebraucht worden, wahrscheinlich aufgrund jahrhundertelanger Praxis (seit der Achaimenidenzeit), die auch mit mündlicher Überlieferung des Avesta in der Persis Hand in Hand geht. Ein sprachliches Indiz dafür sieht man in der im Avestischen und Altpersischen übereinstimmenden Entwicklung der Lautgruppen Konsonant + iran. *i oder *u, in die ein Vokal i bzw. u eingefügt wird (avest. a'niia- [d.i. aniya-] „ander" = altpers. aniya- < iran. *anya- = ved. anyä-; avest. ha"ruua- [d. i. haruva-] „all, ganz"
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Hierfür verweise ich auf die Ausführungen in Kapitel 1.1-3.
= altpers. haruva- < iran. *harva- = ved. särva-), was als persischer Dialekteinfluß eine Erklärung findet. Lautliche Gemeinsamkeiten des Avestischen mit dem (erst auf mitteliranischer Stufe bekannten) Sogdischen und mit dem Parthischen lassen vermu ten, daß auch Sprecher dieser Sprachen im Laufe der Avesta-Überlieferung eine Rolle gespielt haben. Viel wichtiger scheinen Spuren eines vom Avestischen abweichenden ostiranischen Dialektes zu sein, der, wie weiter unten (Kapitel 2.15) noch dargelegt werden soll, speziell auf Arachosien deutet und deshalb nach Karl Hoffmann eine arachotische Avesta-Tradition vor der Verpflanzung in die Persis nahelegt . Daß das Avesta-Corpus und damit die Avesta-Sprache nicht genau lokalisiert werden kann - wenn denn alle Teile der Textsammlung überhaupt in derselben Gegend entstanden sind (vgl. unten) - , wurde schon betont. Völlig sicher steht nur fest, daß das Avestische, das sich vom Altpersischen in einzelnen Zügen deutlich unterscheidet, nicht der Dialekt der Persis ist. Alles Weitere ist nicht mit letzter Bestimmtheit zu behaupten, und deshalb wurden auch schon die unterschiedlichsten Thesen aufgestellt. Die in jungavestischen Texten vorkommenden und lokalisierbaren geographischen Namen weisen jedenfalls auf den ostiranischen Raum als ursprüngliches Wirkungs gebiet Zarathustras, am wahrscheinlichsten gemäß dem Vorschlag Helmut Humbachs auf das Bergland um Mashad und Saraxs bzw. die Flußgebiete von HarT-rüd und Kasaf-rüd. 8
9
2.4. Die Sprachform der avestischen Texte insgesamt ist nicht einheitlich; es lassen sich zwei Hauptgruppen unterscheiden, die nicht nur chronologisch, sondern in einzelnen Punkten auch dialektologisch voneinander zu trennen sind: Das Altavestische (oder Gäthische) liegt in den 17 zarathustrischen Gäthäs (Yasna 28-34; 43-51 und 53), im sog. Yasna Haptanhäiti (Yasna 35, 3-41, 6) und in einigen weiteren kurzen Text passagen vor. Ihm steht in der Hauptmasse der Texte das Jungavestische gegenüber, wobei es auch ein paar kleine ursprünglich jungavestische Texte gibt, die nur äußerlich ein altavestisches Aussehen bekommen haben. Das auffälligste lautliche Merkmal des Altavestischen besteht darin, daß alle auslautenden Vokale als Langvokale geschrieben werden, im Gegensatz zum Jungavestischen, das (außer in einsilbigen Formen) nur auslautende Kurzvokale kennt: vgl. einerseits 3. P. Sing. Perf. altavest. vaedä „er weiß" = jungavest. vaeöa = ved. veda < indoiran. *uäida, andererseits Nom. Sing. fem. altavest. varj"hi „die gute" = jungavest. varj"hi < iran. *vahvT = ved. väsvT. Nicht als rein chronologischer Unterschied läßt sich erklären, daß das Adjektiv vispa- „all, ganz" im Altavestischen wie ein Substantiv flektiert wird (mit Nom. Plur. mask. vlspanhö), während im Jungavestischen die (nach Ausweis der vedischen Form) ererbte pronomi nale Flexion erhalten ist in Nom. Plur. mask. vispe = ved. visve < indoiran. *uicuai, so wie auch in einigen verwandten indogermanischen Sprachen Adjektive, die von ihrer Bedeutung her Pronomina nahestehen, zum Teil wie solche flektiert werden. Aber auch innerhalb der Gruppe der altavestischen Texte besteht anscheinend keine absolute 8
Zu den Dialekteinflüssen vgl. Kellens, Avestique, 35 §§ 2.1.1.5.2-4.
" Vgl. Humbach, 30-49.
sprachliche Gleichförmigkeit, etwa insofern daß zu der Wurzel varz- „machen, wirken" in den Gäthäs ein s-Aorist vars-, im Yasna Haptanhäiti aber ein Wurzelaorist varzgebraucht wird. Die jungavestischen Texte sind von sehr unterschiedlicher sprachlich-stilistischer und inhaltlicher Qualität. Die eigenständigsten und anspruchsvollsten Abschnitte (v.a. der sog. großen Yasts) lassen sich in ihrer Sprachform, insbesondere wegen des de facto eingetretenen Verlustes des ererbten Gegensatzes zwischen den verschiedenen Vergangenheitsausdrücken, ungefähr auf die gleiche Entwicklungsstufe stellen wie das Altpersische der Achaimenidenzeit. Sie werden deshalb auch etwa in das 6. bis 5. Jahrhundert v. Chr. datiert und machen folglich eine um mehrere Jahrhunderte höhere Datierung der Gäthäs (vgl. oben Kapitel 2.2) notwendig. Andere Texte sind von sehr viel geringerem Rang und zeigen eine sehr uneinheitliche und oft grammatisch fehler hafte Sprache, die deutlich verrät, daß die Textverfasser oder -kompilatoren sie gar nicht mehr verstanden haben. Die größeren Bücher des Avesta-Corpus sind: (1) das Buch Yasna („Opfer") mit vermischten liturgischen Texten und Gebeten, darin eingebettet die Gäthäs oder „Lieder" des Zarathustra und der (sog. „siebenteilige") Yasna Haptanhäiti; (2) als Anhang dazu das Buch VTsperad mit Anrufungen an „alle Herren" (avest. vlspe ratauuö); (3) die Yasts (mittelpers. yast „Gebet"), großenteils metrische Götterpreislieder mit stereotypen Eingangs- und Schlußformeln, darunter die sog. großen Yasts (Yast 5, 8, 10, 13, 14, 17, 19; dazu zwei weitere im Buch Yasna überlieferte Texte), die mit Resten altiranischer epischer Dichtung auch literarhistorisches Interesse verdienen; (4) das Buch Videvdäd (avest. vidaeuua- data- „Gesetz über die Ab schwörung der Götter"), eine im ganzen wohl jüngere Sammlung religiöser Gesetze und ritueller Vorschriften. 2.5. Bei der Aufzeichnung des Avesta-Corpus in avestischer Schrift wurde, wie gesagt, von Anfang an versucht, alle Feinheiten der Rezitationsaussprache des mündlich über lieferten Textes so lautgetreu wie nur möglich wiederzugeben. Abgesehen von Verän derungen in der weiteren Überlieferung, mit denen natürlich gerechnet werden muß, ist nicht jedes Detail der seinerzeit angestrebten phonetischen Schreibung des Avestatextes als sprachlich relevant und bedeutungsunterscheidend zu betrachten, also als „phone misch" anzusehen. Ein einfaches Beispiel, bei dem drei solcher Punkte zu beachten sind, die Form mäijhdm, soll dies deutlich werden lassen: Hier geht es einmal um das Zeichen ä, das in seinem Gebrauch sehr beschränkt ist, da es sich im Wortinlaut nur vor rjh, rjh, rfh und vor n + Konsonant in solchen Fällen findet, wo ä erwartet wird, so daß ä also kein Phonem ist, sondern nur eine auf bestimmte Stellungen oder Kontexte beschränkte Variante des Phonems ä; im sprachwissenschaftlichen Fachjargon heißt dies: ä ist ein stellungsbedingtes (oder kontextsensitives) Allophon von ä. - Der auf solches a oft folgende velare Nasal rj (mit den palatalisierten und labialisierten Varianten g und tf) ist gleichfalls nicht phonemisch, da er (abgesehen von nachträglich durch Lautschwund
erst zustande gekommenen Verbindungen) nur vor h auftritt, wobei er selbst sekundär ist und sozusagen parasitär vor h entwickelt wurde. - Und schließlich ist avest. a vor wortschließendem Nasal (also in -am und -an), wie z. T. auch in anderen Stellungen, aus a entstanden, das in dieser Position nicht vorkommt, so daß also auch a hier nur „Allophon" von a ist. Alle drei Punkte zusammengenommen besagen, daß eine Form wie das handschriftlich überlieferte märjhdm, Akk. Sing. mask. „den Mond, Monat", wenn man sie aller zwar phonetisch realisierten, aber phonemisch irrelevanten Eigenschaften entkleidet, für /mäham/ steht, das, nur durch den inneriranischen Übergang von *s > h verändert, in genauer Entsprechung ved. masam gegenübersteht. Viele der lautlichen Veränderungen, die sich im Avestischen vollzogen haben insbesondere bei den Vokalen sind die Varianten sehr zahlreich, zweifellos als Folge der Rezitationspraxis und des Bestrebens, diese genau wiederzugeben - , lassen sich nicht genau chronologisch fixieren und einem bestimmten Stadium der Texttradition zuordnen. Man hat sie aber bei jeder einzelnen Form im Auge zu behalten, um diese hinsichtlich ihres sprachlichen Wertes richtig beurteilen zu können. Andere Erscheinungen, die das Aussehen avestischer Wörter stark verändern, diese oft recht bizarr erscheinen lassen und die geradezu ein typisches Charakteristikum des Avestischen ausmachen, sind Anaptyxe und Epenthese: Anaptyktische (oder Sproß-)Vokale, meistens in Form von a, dienen sehr häufig dazu, die Aussprache von Konsonantengruppen, insbesondere auch solchen mit r, zu erleichtern. So stehen z. B. avest. ar -&a- „Sache" für /arr>a-/ = ved. ärtha-, g nä- „Frau" für /gnä-/ = ved. gna-, us'mahT „wir wünschen" für /usmahi/ = ved. usmäsi usw. - Durch Epenthese, d. h. Einschub von i bzw. u (die aber einer etymologischen Grundlage entbehren) - sie werden deshalb hochgestellt - wird die durch t, ü (= ii) oder I (< *ai oder *iä) bzw. u der folgenden Silbe hervorgerufene palatalisierte bzw. labialisierte Aussprache eines Vokals bezeichnet: So steht z. B. altavest. a'bl „zu" für /abi/ = altpers. abi = ved. abhi oder po"ru „viel" für *poru < /paru/ = altpers. paru (= ved. purü). Beide Erscheinungen, Anaptyxe und Epenthese, können auch gemeinsam vorkommen, etwa in altavest. d"'bitä „ein weiteres Mal" für /dvitäV = altpers. duvitä- = ved. dvita. Dadurch wird das geringere Alter der Epenthese erwiesen. Bei den Vokalen ist im übrigen zu bemerken, daß Lang- und Kurzvokale häufig eine unmotivierte Veränderung dessen zeigen, was durch den Vergleich mit anderen iranischen Sprachen oder dem Altindoarischen nahegelegt wird, daß solche Auffällig keiten aber teilweise ganz konsequent befolgt werden. Während z. B. der avestische Fortsetzer des Präverbs indoiran. *ni- „nieder" immer ni- lautet, wird indoiran. *ui„auseinander, weg" konsequent durch avest. vT-, mit langem I, vertreten, so wie über haupt fast jeder Wortanlaut *ui- im Avestischen als vT- erscheint. Ebenso wie dies zunächst unverständlich vorkommt, steht es auch mit folgendem Beispiel: Im Gegen satz zu avest. ahura- „Herr; (Gott) Ahura", das mit seinem -u- genau zu ved. äsurastimmt, weicht das davon abgeleitete feminine Adjektiv ähurT- „von Ahura stammend" 10
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Dieser Lautwandel ist oben in Kapitel 1.7 besprochen worden.
(vgl. ved. äsun-) in der Quantität des -ü- ab, während die hierzu gehörige Genetivform ähuröis ihrerseits dann wieder -u- zeigt. Aus den Fällen solcher Störung des ererbten Quantitätsgegensatzes hat man geschlossen, daß hier gar nicht verschiedene Quanti täten (lange und kurze Vokale), sondern vielmehr verschiedene Öffnungsgrade der Vokale (offenere und geschlossenere Vokale) bezeichnet worden seien, denn auch in anderen Sprachen werden bzw. wurden die kurzen Vokale geschlossener artikuliert und die langen offener. 2.6. Die Stamm- und Formenbildung des Nomens, Pronomens und Verbums bewahrt im Avestischen im großen ganzen die indoiranischen Verhältnisse, entspricht also weit gehend der des Altpersischen und stärker noch der des ältesten Altindoarischen, weshalb die systematische Heranziehung vedischer Vergleichsformen für das Verständ nis des Avestischen unverzichtbar ist. Das Avestische bewahrt unverändert den ererbten Zustand des Nomens der indo germanischen Grundsprache und des Urarischen, insofern als es drei grammatische Genera, drei Numeri (neben Singular und Plural auch den Dual zur Bezeichnung von zwei Personen oder Gegenständen) und acht Kasus (Nominativ, Vokativ, Akkusativ, Genetiv, Ablativ, Dativ, Lokativ, Instrumentalis) unterscheidet. All diese Funktionen werden durch Endungen bezeichnet, die an den sog. Stamm (auf -a-, -ä-, -i-, -ü-, -i-, -u-, -n-, -r-, -r-l-n-, -man-, -ah- oder Konsonant) antreten, der seinerseits zum Teil in unterschiedlichen Ablautstufen erscheint (z. B. -i-l-ai-, -u-l-au-), wobei in aller Regel aber auch hier bewahrt das Avestische nur uraltes Erbe - die sog. „starken" Kasus (Sing.: Nom., Akk., Lok.; Dual: Nom.-Akk.; Plur.: Nom.) den „schwachen" Kasus gegenüberstehen (z. B. zu äp-, fem. „Wasser" Sing. Nom. äfs < *äp-s, Akk. äp3m, aber Instr. apa = ved. ap-ä). Eine Neuerung des Jungavestischen, die es z. B. mit dem Lateinischen gemein hat, besteht darin, daß es für alle Stammklassen im Singular eigene Ablativformen auf -/ besitzt (etwa zu dem i-Stamm ga'ri-, mask. „Berg" Abi. garöi-t), während das Altavestische noch den ererbten Zustand bewahrt hat, daß der Ablativ überall dem Genetiv gleich ist außer bei den a-Stämmen (zu yasna- „Opfer" Abi. yasnät). Für das Verbalsystem gilt im Prinzip das gleiche: insbesondere das des Altavestischen ist sehr archaisch - daß im Jungavestischen die verschiedenen Formen zum Ausdruck der Vergangenheit praktisch nicht mehr auseinandergehalten werden, ist schon betont worden - , im ganzen und in vielen Details ist es dem Vedischen, dessen Altertümlichkeit es manchmal noch in den Schatten stellt, vergleichbar, so daß es immer mit dessen vollständig und eben nicht nur bruchstückhaft erkennbarem System zu konfrontieren ist. Die verschiedenen grammatischen Funktionen werden durch die sog. Personalendungen bezeichnet, von denen es vier verschiedene Gruppen gibt (die sog. Primär- und Sekundärendungen, ferner eigene Imperativ- sowie Perfektendungen) und die jeweils drei Personen in drei Numeri sowie zwei sog. Diathesen angeben (Aktiv und Medium, dies zum Ausdruck des eigenen Interesses des Subjekts oder des reflexiven, reziproken usw. Charakters der Handlung).
Von der Wurzel eines Verbums, der dessen lexikalische Bedeutung innewohnt, werden durch antretende Suffixe die sog. Tempusstämme (Präsens-, Aorist- und Perfektstämme) gebildet, die in Wirklichkeit aber nicht Tempora bezeichnen: Durch den Präsensstamm wird vielmehr eine im Verlauf befindliche Handlung (oder ein allgemeiner Sachverhalt ohne Zeitbezug), durch den Aoriststamm (den das Jungavestische nur noch in Resten kennt) eine abgeschlossene Handlung zum Ausdruck gebracht, während der außerhalb der Opposition von imperfektivem gegenüber perfektivem Aspekt stehende Perfektstamm ursprünglich einen Zustand charakterisiert, der das Ergebnis einer vorhergegangenen Handlung darstellt. Innerhalb dieser zahlreichen und gleichfalls in ihrem Formenreichtum ererbten sog. Tempusstämme werden des weiteren ebenso wie im Vedischen mehrere Modi unterschieden: Indikativ, Injunktiv, Imperativ, Konjunktiv und Optativ. Ein genauer Tempusbezug wird nur durch die sog. Primärendungen zum Ausdruck gebracht, die (im Indikativ Präsens) die aktuelle Gegenwart der Handlung bezeichnen, ähnlich wie dies bei der sog. Verlaufsform des Englischen der Fall ist. Die sich aus diesem Ensemble von funktionellen Kategorien und Unterscheidungsmöglichkeiten ableitende Formen vielfalt, die zu jeder Wurzel Hunderte von einzelnen Formen zu bilden erlaubt, kann hier nicht im einzelnen dargestellt werden. Der Ausdruck des Futurs geschieht durch Formen zu einem Stamm auf iran. *-sya(altavest. vax-siiä „ich werde sagen" = ved. vaksyä- von der Wurzel vac „sprechen, reden"), der wie ein normaler Präsensstamm konjugiert wird. Vergleichbar ist die Behandlung des Passivs , die ebenfalls durch eine eigene Stammbildung erfolgt, nämlich auf indoiran. *-ya- (avest. kir-iia- „getan werden" < indoiran. *kr-yä-), verbunden mit aktiven oder medialen Personalendungen. Eine ganz bemerkenswerte Ausdrucksweise, die sich auch im Altpersischen wiederfindet, ist die Bezeichnung einer wiederholten Handlung in der Vergangenheit durch den (gewöhnlich mit dem Augment versehenen) Optativ Präsens: z. B. apataiidn „sie pflegten dahinzustürmen" (vgl. altpers. aväjaniyä < *ava-a-jan-yä-t „er pflegte zu töten"). 11
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2.7. Um den hocharchaischen Charakter des Altavestischen anzudeuten, sollen zwei Beispiele genügen: Bei den thematischen Präsensstämmen (auf -a-) weist das Altavestische in der 1. P. Sing. Ind. Akt. die „kurze" Form -ä (z. B. zu pdrdsa- „fragen" p3r3sä „ich frage") ohne die im Jungavestischen, im Altpersischen und im gesamten Altindoarischen ausnahmslos durchgeführte Endung -mi auf (vgl. jungavest. barä-mi „ich trage" = ved. bhärä-mi), so daß es hierin griech. (pepoo, latein./erö näher steht als seinen engsten Verwandten. - Zu der Wurzel avest. ah- „sein" < indoiran. *as- lautet die Imperativform der 2. P. Sing, altavest. z-di „sei!" mit der regelgemäß schwund stufigen Form *s- der Wurzel, während hier das AJtindoarische (wohl vom Plural her) die Vollstufe der Wurzel eingeführt hat in ved. edhi < urindoar. *as-d i. h
" Vgl. bereits Kapitel 1.1, Punkt (f) der indoiranisch.cn Gemeinsamkeiten. 12
Das sog. Augment dient im Indikativ Imperfekt und Aorist zum Ausdruck der Zeitstufe Vergan
genheit.
Der Wortschatz des Avestischen zeigt eine besonders auffällige Eigenheit darin, daß infolge der dualistischen Weltsicht des Zoroastrismus viele Begriffe durch zwei unterschiedliche Wörter (Personen-, Sach- und Tätigkeitsbezeichnungen) ausgedrückt werden, je nachdem ob die „gute" Welthälfte des Ahura Mazda „Herr Weisheit" oder die „böse" der Daeuuas „Dämonen" (d. h. der vor-zarathustrischen Götter) betroffen ist. So ist die ganze Welt zweifach unterteilt, angefangen von den „guten" ibaga-, eigentlich „[Gott] Zuteilung", yazata- „Verehrungswürdiger") und „schlechten" Göttern (daeuua-), von denen die einen einen „Mund" (äh-) haben und „essen" (x ar-), die anderen aber einen „Rachen" (zafar-) haben und „fressen" (gah-), bis zu der ureigensten Lebenswelt der an Ahura Mazda bzw. das Böse glaubenden Menschen, denn während der „Sohn" eines Rechtgläubigen puüra- (= altpers. puqa-, ved. puträ- < idg. *putlö-) genannt wird, heißt der eines Daeva-Anhängers hunu- (= ved. sünü- < idg. *sünü-). Wie es zu dieser semantischen Dichotomie im Wortschatz gekommen ist und inwieweit Euphemismen, tabuistische Umschreibungen und ähnliche Erscheinungen dabei eine Rolle spielten, ist noch nicht in allem aufgeklärt. Das Phänomen selbst aber ist ganz eigenartig. v
2.8. Im Gegensatz zum Avestischen mit seinen Überlieferungsproblemen ist das Altpersische in den Königsinschriften der Achaimeniden vom 6. bis zum 4. Jahrhundert v. Chr. authentisch bezeugt und damit frei von Fehlern, Verbesserungen und Veränderungen durch spätere Kopisten. Und es ist in Raum und Zeit fest verankert, da es im wesentlichen einen südwestiranischen Dialekt, den der Persis (des heutigen Färs) repräsentiert. Gleichwohl sind auch mit dieser Sprache besondere Probleme verknüpft, die sich zum einen aus dem für sie benutzten Keilschriftsystem, zum anderen aus dem geringen Umfang des Textcorpus, zum dritten aber auch daraus ergeben, daß die in den Inschriften bezeugte Sprachform nirgends genau so gesprochen worden, daß sie also insofern „künstlich" ist, als sie mit dialektfremden Wörtern sowie archaischen Formen durchsetzt ist und deutliche Charakteristika einer Stilisierung in sich trägt. 1 3
Das Altpersische ist in seinem Gebrauch auf den Großkönig beschränkt, ist also „Sprache des Königs", und nicht nur deshalb darf man annehmen, daß es sich hier um die Muttersprache der Königsfamilie handelt. Des weiteren ist deutlich, daß das Altpersische zu Repräsentationszwecken dient, da es für Inschriften verwendet worden ist, die zum Teil gar nicht zum Lesen bestimmt sein konnten, weil sie nämlich entweder zu hoch oben an Felswänden eingemeißelt oder (wie bei mehreren Gründungsurkunden von Palästen) eingemauert worden waren. Solche Texte muß es natürlich auch in anderer Form gegeben haben; und in der Tat sind aus anderen Reichsteilen (hie Babylon, da Oberägypten) für eine der großen Inschriften Reste einer Abschrift auf Stein bzw. einer aramäischen Übersetzung auf Papyrus bekannt.
" Vgl. Schmitt, Altpersisch.
Mit Nachdruck ist auch zu unterstreichen, daß das Altpersische nicht über das ganze Achaimenidenreich verbreitet worden ist, jenes Großreich und jenen Vielvölkerstaat, den Kyros II. (559-530 v. Chr.) nach der Unterwerfung der Meder binnen weniger Jahre begründet hat und der dann unter Dareios I. (522-486 v. Chr.) seine größte Ausdehnung erreichte. Für die eigentliche Reichsverwaltung spielte das Altpersische überhaupt keine Rolle. Kanzleisprache, offizielle Schrift- und Verwaltungssprache ist vielmehr das Aramäische gewesen, das in der modernen Forschung sog. „Reichs aramäische", und zwar sowohl in der zentralen Reichsverwaltung wie in der Regionalverwaltung einzelner Reichsländer und im interregionalen Schriftverkehr. Daneben wurden, aber nur in beschränktem Umfang, auch lokale oder regionale Sprachen gebraucht, z. B. das Elamische in der Hofverwaltung von Persepolis, das Babylonische in Babylonien, das Ägyptische in Ägypten, das Griechische und verschiedene einheimische Sprachen in Kleinasien. Man kann also das Altpersische als die „Sprache des achaimenidischen Königtums" bezeichnen, die nur dessen Prestige fördern und sozusagen ad maiorem regis gloriam dienen soll. Gleiches gilt für die altpersische Keilschrift, eine reine Prunkschrift, die nicht für den Alltag bestimmt war. Die meisten der Inschriften in dieser Schrift und Sprache stammen aus der Persis (aus Persepolis, vom Grab Dareios' I. in Naqs-i Rustam und aus Pasargadai), aus Elam (aus Susa, darunter zwei längere Bauinschriften und die Inschrift einer dort gefundenen, aber in Ägypten geschaffenen Dareios-Statue) und aus Medien (aus Ekbatana/Hamadän sowie, als größte und politisch-historisch bedeutsamste Inschrift, die vom Felsen von BTsutün). Von den übrigen Texten sind die drei Inschriften Dareios' I. vom Suezkanal die wichtigsten. Die in aller Regel dreisprachig auf Altpersisch, Elamisch und Babylonisch abgefaßten Inschriften - bei den in Ägypten entstandenen Texten kommt eine hieroglyphische Fassung hinzu - stehen überall, wo sich eine bestimmte Rangfolge (und nicht ein chronologisches Nacheinander) erkennen läßt, in eben dieser Reihung. Das Altpersische hat den Vorrang offensichtlich als Muttersprache der Herrscher dynastie vor dem Elamischen, das die jahrtausendealte Kultursprache jener Gegenden war, die sich die Achaimeniden zuerst unterworfen hatten. Mit diesem Anknüpfen an Elamisches hängt es letztlich aber auch zusammen, daß die achaimenidische Hof verwaltung bis nach 460 v. Chr. auf Tontäfelchen in elamischer Sprache geführt wurde. Da das Babylonische in achaimenidischer Zeit außerhalb Babyloniens keine offizielle Verwendung fand, ist es auffällig, daß die Könige es in ihren Inschriften überhaupt pflegen; offenbar knüpfen sie auch hierin, so wie sie sich in der Nachfolge der großen babylonisch-assyrischen Könige sehen, an alte mesopotamische Traditionen an. 14
2.9. Das Nebeneinander so zahlreicher Sprachen, wie man sie im Achaimenidenreich findet - außer den schon genannten etwa noch Phrygisch, Lydisch, Lykisch, Phoinikisch, Hebräisch, Arabisch und andere bis zum Indoarischen am Indus - , hat
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Eine ausführliche Darstellung der Sprachsituation in diesem Reich bietet Schmitt, Sprachverhältnisse.
selbstverständlich zu einer Fülle gegenseitiger Beeinflussungen geführt. So wie Ein wirkungen des Altpersischen auf die aramäische Kanzleisprache und auf die Sprache (v. a. die Syntax) der elamischen Übersetzungen der Königsinschriften festgestellt worden sind, ist umgekehrt auch mit Einflüssen des Aramäischen und Babylonischen, aber auch, wohl über assyrisch-medische Vermittlung, des Urartäischen auf das Altpersische zu rechnen, letzteres sicher etwa im Falle der stereotypen Formel vasnä Auramazdäha „nach dem Willen des Auramazdä". Ein ganz deutliches Beispiel für Fremdbeeinflussung darf man auch bei der auffälligen Wortstellung in dem Königstitel xsäyatfiya xsäyaßiyönäm „König der Könige" erkennen, wo der attributive Genetiv nach den für die alten indoiranischen Sprachen gültigen Regeln der Wortfolge eigentlich ebenso voranstehen müßte, wie dies später in mittelpers. sahän sah, neupers. sähan-säh der Fall ist. Der achaimenidische Titel stellt offenbar die Lehnübersetzung eines alten mesopotamischen (bei Assyriern und Urartäern bezeugten) Königstitels dar, dessen ursprüngliche Wortfolge beibehalten worden ist. Ein besonderer Effekt der Vielsprachigkeit des Achaimenidenreiches liegt darin, daß die (oben kurz angesprochene) fremdsprachige Überlieferung eine Vielzahl von iranischen Wörtern und insbesondere Namen bietet, die wegen des beschränkten Textcorpus im Altpersischen selbst (oder auch im Avestischen) nicht erhalten geblieben sind. Solches aus fremden Quellen bekanntes altiranisches Sprachgut hat schon bei der Keilschriftentzifferung eine Rolle gespielt und ist immer berücksichtigt worden. Angeregt durch zahlreiche Neufunde und -editionen, hat sich die Forschung in den letzten Jahrzehnten gerade um diese Materialien der sog. „Nebenüberlieferung" besonders intensiv bemüht und aufgezeigt, daß jeder der einzelnen Überlieferungs zweige seine besonderen Probleme bietet und ebenso strenge wie systematische Untersuchung erfordert. 2.10. Ein äußerst interessantes und aufschlußreiches Beispiel für die Vielfalt dieser Nebenüberlieferung und für die Mannigfaltigkeit der mit ihr verbundenen Detailfragen bietet der (weiterhin auch in viele europäische Sprachen übernommene) Titel „Satrap" . Dieser ist zwar auf den Königsinschriften in der Form altpers. Nom. Sing. xsagapävä (Stamm -van-) bezeugt, die sich unschwer analysieren läßt in altpers. xsaqa- avest. xsaßra- < iran. *xsat)ra- = ved. ksaträ- „Herrschaft, Reich, Königtum" und ein Nomen agentis *-pä-van- „schützend, Schützer", das mit Suffix -van- von der Wurzel indoiran. *pä- „schützen" gebildet ist. Der Titel bezeichnet also - und zwar mit einer (wegen -c-) typisch persischen Dialektform - den „Reichs- oder Herrschaftsschützer"' . Mit dieser altpersischen Form des Titels lassen sich die zahlreichen anderssprachigen Belege, die es gibt, jedoch nicht ohne weiteres gleichsetzen, ausgenommen nur die 15
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Ausführlich wird das Gesamtmaterial vorgelegt und besprochen von Schmitt, Titel „Satrap".
Bemerkenswerterweise ist die verbale Fügung xsagam + pci- „die Herrschaft/das Reich schützen", die gleichfalls in den Texten bezeugt ist, immer auf den obersten Gott Auramazdä bezogen. Dies bedeutet bei dem terminologischen Gebrauch des Titels also eine Spezialisierung und Verengung der Bedeutung.
elamische Form sa-ak-sa-ba-ma, die sich als eine (wenn auch nicht ganz getreue) Wiedergabe des altpersischen Nominativs erklären läßt. Dem stehen nun eine ganze Reihe anderer Zeugnisse gegenüber, die sich im Wortausgang von altpers. -pävan- unterscheiden und die als ersten Bestandteil des Titels eine Form *xsar)ra- voraussetzen, also jene Form, die fast überall in Alt-Iran außer bei den Persern zu erwarten ist, unter anderem im Dialekt der Meder. Und wenn die Dinge denn so liegen, läßt sich dies aus historischen Erwägungen nicht anders interpretieren, als daß dieser Titel bereits bei den Medern existiert und sich in medischer Lautgestalt verbreitet hat. So bieten spätbabylonische Wirtschaftstexte die Form ahsadrapanu (ah-sä-da-ra-pa-nu usw.), die altiran. (hier also med.) *xsaßra-päna- widerspiegelt; sowohl in den hebräisch wie den aramäisch geschriebenen Büchern des Alten Testaments findet man '"hasdarpan, das offenbar für dieselbe Ausgangsform steht und (wegen -d-) am wahrscheinlichsten durch babylonische Vermittlung - ich erinnere nur an das Babylonische Exil der Juden - ins Aramäische und Hebräische gelangt ist. Eine Stütze findet die Annahme dieser indirekten Entlehnung darin, daß in den „reichsaramäischen" Inschriften eine abweichende, aber zum iranischen (medischen) Original genauer stimmende Form begegnet, hsatrapan (geschrieben hstrpn-), der auch ägypt. hstrpn (in hieroglyphischen und demotischen Quellen) entspricht, da nämlich alle Iranismen des Ägyptischen durch das Aramäische vermittelt worden sind. Im Griechischen ist nochmals eine andere Form reflektiert, med. *xsaüra-pä-, und zwar nicht nur in der am weitesten verbreiteten Form ocn;p(X7ir|c, sondern auch in einigen Varianten (mit E^-, -5p- usw.), die aber nur die griechische Wiedergabe der ungriechischen Lautkomplexe /xs/ und /$r/ betreffen, nicht die Ausgangsform selbst. Aus der gleichen Quelle wie all diese griechischen Formen stammt auch lyk. xssadrapa bzw. xssadrapa-, wobei diese Form vorausgesetzt wird durch ein davon abgeleitetes Verbum („Satrap sein", wie griech. oaTpaTceiJEtv), das wie die genannte reichs aramäische Form und die einmalige griechische Variante tja8pci.7r.ric, auf einer dreisprachigen griechisch-lykisch-aramäischen Inschrift aus dem Letö-Heiligtum beim lykischen Xanthos begegnet. Die nach-achaimenidischen Wiedergaben im Syrischen und Lateinischen sowie die Weiterentwicklungen im Parthischen, Mittelpersischen usw. erbringen für die Bestim mung der Ausgangsformen keine neuen Gesichtspunkte, so daß nur die Frage noch zu beantworten bleibt, ob diese drei nebeneinanderstehenden Formen auf altiran. *-pävan-, *-pä-na- und *-pä- (sog. Wurzelnomen, gegebenenfalls mit Übergang zum fl-Stamm *-pa-) als Wortbildungsmuster in Frage kommen. Und da zeigt sich sehr schnell, daß neben der ersten Stammform, die ja im Altpersischen direkt bezeugt ist, auch die beiden anderen nachgewiesen werden können und daß es in dem nächstverwandten, aber bekanntlich viel reicher bezeugten Vedischen ähnliche Reihen solcher Bildungen mit denselben Suffixvarianten gibt, so daß also hier in den verschiedenen Überlieferungssträngen, deren Endpunkte wir vor uns haben, nur die Wortbildungsmöglichkeiten ausgeschöpft worden sind, die in der Morphologie der alten indoiranischen Sprachen zur Verfügung standen.
2.11. Die einzigen direkten Zeugnisse des Altpersischen sind, wie gesagt, die aus der Zeit von Dareios I. bis zu Artaxerxes III. (359/8-338/7 v. Chr.) stammenden, insgesamt sehr monoton-formelhaften und sich ständig wiederholenden Königsinschriften, die sich ausnahmslos nur auf festen Gegenständen (Stein, Metall, Tontafeln), nicht aber auf Pergament oder Papyrus finden, da die altpersische Keilschrift für solche Schriftträger nicht taugte. Die große Mehrheit der Texte gehört in die Regierungszeit nur Dareios' I. und Xerxes' I. (486-465 v. Chr.), während die Texte schon von dessen Sohn Artaxerxes I. (465^125/4 v. Chr.) an rasch abnehmen und fast bloß noch vorgeprägte Formeln enthalten und meist auch nur einsprachig-altpersisch sind. In der Zeit nach Xerxes I. ist offenbar bereits mit der Weiterentwicklung der Sprache zum Mittelpersischen hin zu rechnen, denn teilweise gravierende gramma tische Fehler in den späteren Texten deuten darauf, daß deren Verfasser die Sprache, die sie der Tradition halber weitherhin verwenden wollten, nicht mehr vollständig beherrschten. Wenn man sich bemüht, die Fehler im einzelnen zu analysieren und zu erklären, so stellt man fest, daß es sich hier um Versuche der Textverfasser handelt, Formen, die sie in der von ihnen im Alltag gesprochenen, schon fast auf den Stand des Mittelpersischen fortgeschrittenen Sprache in anderer Gestalt, insbesondere ohne die ursprünglichen Endungen gebrauchten, in solche der traditionellen Schriftsprache zurückzuverwandeln, daß diese Versuche aber fehlgeschlagen sind, weil die laut geschichtliche Entwicklung infolge von konvergierenden Lautveränderungen teilweise zu mehrdeutigen Formen geführt hat, und daß wir sie nur deshalb überhaupt zu erkennen vermögen. Statt korrektem altpers. Akk. Sing, siyätim „Glück" findet man auf einer der spätesten Inschriften von Artaxerxes III. zum Beispiel fälschlich säyatäm geschrieben. Dies erklärt sich folgendermaßen: Altpers. siyäli- war zu „frühmittelpers." (oder wie immer man diese Sprachform nennen will) sät geworden, dem aber nicht mehr anzusehen war, ob -ä- hier auf altpers. -iyä- (was in diesem Fall das Richtige gewesen wäre) oder auf altpers. -äya- fußte (wie es etwa für den Königstitel mittelpers. sah < altpers. xsäyaßiya- gilt). Vielleicht durch den Königstitel verleitet, hat der des Altpersischen nicht mehr mächtige Autor jedenfalls einen Fehlgriff getan und gesprochenes sät in falsches säyat- rückverwandelt, - und dann obendrein (wie in weiteren ähnlichen Fällen) nicht der richtigen Flexionsklasse zugeordnet. 2.12. Geschrieben sind die altpersischen Inschriften bekanntlich in einer eigenen Schrift, der „altpersischen Keilschrift" (vgl. Abb. 2)' , die zum ersten Mal von Dareios I. in seiner großen Inschrift am Felsen von BIsutün („DB") verwendet wurde. Daß schon unter Kyros II., um die Muttersprache des Königs schriftlich fixieren zu können, mit der Entwicklung dieses neuen Schriftsystems begonnen wurde, dieses dann jedoch erst unter Dareios in Gebrauch genommen worden ist, lassen insbesondere einige Auffälligkeiten vermuten, die zu der Annahme einer noch vor der Ingebrauchnahme 7
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Die Schrifttafel von Abb. 2 ist Schmitt, Altpcrsisch, 63 entnommen. Diese Auffälligkeiten hat Hoffmann im Detail besprochen und zu erklären versucht.
2. Die Sprachen der altiranischen Periode Lautzeichen (abecedarisch geordnet): TT a
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