Seewölfe 178 1
Roy Palmer 1.
Florinda Martinez Barrero konnte nicht schlafen. Sie kauerte in dem niedrigen, fensterlos...
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Seewölfe 178 1
Roy Palmer 1.
Florinda Martinez Barrero konnte nicht schlafen. Sie kauerte in dem niedrigen, fensterlosen- Schiffsraum - er wurde, wie sie sich immer wieder ins Gedächtnis zurückrief, das Kabelgatt genannt - und hielt ihre Beine, die sie dicht an den Leib herangezogen hatte, mit den Armen umschlungen. Sie kaute auf ihrer Unterlippe und überlegte bedrückt, daß zwischen einem stickigen, düsteren Versteck wie diesem und einem richtigen Verlies tief unten im Kellergewölbe eines Gemäuers kein großer Unterschied bestehen konnte. Tagsüber vermochte sie es hier unten einigermaßen auszuhalten. Dann drang etwas Licht durch die Ritzen des Schotts und an Oberdeck hantierten und lachten die Männer. Manchmal konnte sie die Stimme von Andres heraushören. Allein ihr Klang erfüllte sie mit Freude und Zuversicht. Die Nacht kündigte sich indessen, wie jetzt, mit dem Abebben der Geräusche an Deck an. Wenn die Finsternis wie eine große schwarze Spinne durch das Schiff kroch, fühlte sich Florinda von Schwermut, ja, von Verzweiflung befallen. So stellten sich die' dumpfen, drohenden Gedanken ein, alle jene seltsamen und bedenklichen Fragen, wie sie nur die Dunkelheit und das Alleinsein hervorrufen können. Florinda kämpfte gegen die deprimierenden Gefühle an und versuchte, sich zu bezwingen, unterlag aber immer wieder. Es war, als wollten die Geister der Nacht und der schier endlosen See sich an ihr rächen für das, was sie getan hatte. So hatte sie nur selten geschlafen, seit sie Cadiz verlassen hatten. Entsprechend war es um ihren Gemütszustand bestellt. Sie erzählte Andres, der jede unbeobachtete Minute wahrnahm, um sie zu besuchen, jedoch kaum etwas davon, denn sie wollte ihm die Sache nicht noch schwerer machen, als sie ohnehin schon war. Andres - seinetwegen hatte sie es getan. Aus Liebe zu ihm hatte sie den elterlichen Hof heimlich verlassen und war
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durchgebrannt, wie man sagte. Was sie für ihn empfand, mußte echte Liebe sein, denn sonst hätte sie es niemals auch nur bis hierher durchgehalten, soviel war ihr klar. Ein neunzehnjähriges Mädchen an Bord eines Schiffes, als „blinder Passagier" unter einer Meute von rauhen Männern das war ungeheuerlich und verwegen zugleich. Aber es war auch weitaus weniger abenteuerlich und romantisch, als Florinda es sich daheim ausgemalt hatte. Mittlerweile hatte sie Furcht vor ihrer eigenen Courage bekommen. Sie preßte die Lippen zusammen. Durchhalten, sagte sie sich, du mußt durchhalten, um jeden Preis! Nur jetzt nicht verrückt spielen! Das Knarren und Knacken im Schiffsleib war allgegenwärtig, das Rauschen des Wassers nahm sich bei Nacht überlaut aus. Irgendwo raschelte und knirschte es, und Florinda fragte sich voll Entsetzen, ob das wieder eine Ratte sei - wie jene, die gestern oder vorgestern durch das Kabelgatt gehuscht war. Ratten greifen auch erwachsene Menschen an, dachte sie. Du bist albern, sagte sie sich dann. Sie versuchte, an etwas anderes zu denken. Die wievielte Nacht war dies nun? Sie hatte aufgehört, die Tage zu zählen und konnte sie nur noch schätzen. Eine Woche mochte seit dem Auslaufen aus dem Hafen von Cadiz vergangen sein, vielleicht waren es auch anderthalb Wochen - oder gar schon zwei? Wie viele Wochen noch, um die Neue Welt, diesen rätselhaften, faszinierenden Kontinent, zu erreichen? Viele Wochen. Zwei oder drei Monate. Manchmal konnten auch vier daraus werden, je nach Wetterlage. Andres hatte es ihr gesagt, damit sie sich mit entsprechender Geduld für die Reise wappnete. Er hatte ihr auch Einzelheiten über den Kurs des Schiffes, der „Gran Duque de Almeria", mitgeteilt, wenn sie sich im Kabelgatt heimlich getroffen hatten, aber sie, Florinda, konnte sich der meisten Details nicht mehr entsinnen, weil ihr die
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erdkundlichen und nautischen Begriffe zu fremd waren. Nur eins hatte sie behalten: daß die Galeone in dieser Nacht die Azoren passierte. Florinda sehnte den Augenblick herbei, in dem Andres zu ihr in das unbequeme Versteck schlüpfen würde, um ihr mitzuteilen: „Die Neue Welt ist in Sicht!" Daran richtete sie sich innerlich auf. Es war ihre einzige seelische Hilfe. Die Hoffnung war ein großer weißer Schwan, der vor der „Gran Duque" dahinrauschte und zielsicher auf die Küsten der Zukunft zustrebte. Florinda überlegte, ob sie die Apfelsine essen solle, die sie sich aufbewahrt hatte, ganz einfach nur, um etwas zu tun. Sie gelangte aber zu dem Schluß, daß das Obst dazu viel zu wertvoll war. Die letzte andalusische Apfelsine, die sie mit an Bord des Schiffes genommen hatte - Florinda wollte sie doch lieber so lange wie möglich aufbewahren. Sie wußte ja nicht, wieviel Zeit noch verstreichen würde, bis sie wieder so etwas zu essen erhielt. Die Verpflegung an Bord der Galeone bestand größtenteils aus Dörrfleisch und hartem Schiffszwieback. Andres, der in unregelmäßigen Zeitabständen erschien und nie genau sagen konnte, wann er zurückkehrte, brachte stets etwas davon mit. Sie wußte, er sparte sich diese Bissen im wahrsten Sinne des Wortes vom Mund ab, denn sie waren Bestandteil der Mahlzeiten, die er täglich wie alle anderen als Ration empfing. Sie war ihm unendlich dankbar und himmelte ihn an. Wie er sie in Cadiz an Bord geschmuggelt hatte - allein das war ein Meisterstück gewesen. Wie rührend er um ihr Wohlergehen bemüht war und wie er sie verehrte! Sie würde ihm seinen Mut und sein aufopferndes Verhalten nie vergessen. Sie wußte, daß er sein Leben riskierte. Die Strafen für ein Mannschaftsmitglied, das einem blinden Passagier eines Segelschiffes half, waren drakonisch. Sie hörte nicht auf, es sich vor Augen zu halten.
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Aber bei allem, was sie für Andres Nortes de Checa empfand, würde sie sich an dieses Gefängnis nie gewöhnen können. Der unerlaubte Aufenthalt an Bord war für sie gleichsam ein Schlüsselerlebnis. Sie würde dieses Schiff und die ganze Seefahrt immer hassen und niemals vertraut werden, mit diesen schwankenden Bewegungen und der Übelkeit, die sie hervorriefen, mit dem Knarren der Blöcke und Rahen, dem Schwappen und Gurgeln der Fluten an den Bordwänden. Sie war für dieses Leben nicht geboren. Auch in einer gemütlichen Kammer des Achterkastells stellte sie sich eine solche Überfahrt kaum erfreulicher vor. Aber welche andere Wahl hätte sie gehabt? Ihre Eltern hatten ihr den Umgang mit Andres, dem Abkömmling eines verarmten Adelsgeschlechts aus Algeciras, strikt verboten. „Dieser Hidalgo!" hatte ihr Vater gerufen. „Dieser Nichtsnutz, dieser andalusische Schweinehirt! Er kann dir keine Zukunft bieten, er wird dich nur noch auf die schiefe Bahn bringen!" Ja, es stimmte: Andres hatte wirklich keinen einzigen Escudo oder Real in der Tasche gehabt, als sie ihren Plan geschmiedet hatten. Das hatte ihn aber nicht seiner Tollkühnheit beraubt. Wenn er selbst kein Schiff in die Neue Welt ausrüsten konnte, so heuerte er eben irgendwo als kleiner, unbedeutender Decksmann an - auf der „Gran Duque de Almeria" beispielsweise. In der Neuen Welt Amerika musterte er dann wieder ab und ging seine eigenen Wege. Auf legale Weise hätte er Florinda niemals mitnehmen können, auch dann nicht, wenn sie verheiratet gewesen wären. Die Anwesenheit von Frauen auf einem Kauffahrteifahrer wie diesem war eine Ungesetzlichkeit. „Weibsbilder" hatten hier nichts zu suchen. Nicht einmal der Kapitän durfte seine Frau während der Überfahrt im Achterkastell einquartieren. Sie hatte gefälligst zu Hause zu bleiben. Nur hin und wieder wurde ein Konvoi mit Siedlern in die Neue Welt geschickt. Auf den Schiffen dieser Geleitzüge befanden
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sich Männer, Frauen und Kinder, die das spanisch-portugiesische Kolonialreich mit ausbauen sollten. Aber Florindas Vater hätte es zu verhindern gewußt, daß sich seine Tochter an Bord eines solchen Seglers begab. Die Ausreise aus Spanien hatte nur heimlich geschehen können, es war der einzige Weg gewesen. Florinda hob den Kopf. Schritte näherten sich dem Kabelgatt, langsame, etwas schlurfende Schritte. Gelbliches dämmriges Licht drang durch die Ritzen des Schotts. Jemand näherte sich mit einer Öllampe und verhielt direkt vor dem Schott. Florinda wollte den Namen ihres Geliebten aussprechen, bremste sich aber im letzten Moment. Diese Schritte, diese schleppende Gangart! Unmöglich konnte es sich um Andres handeln, es sei denn, er wollte ihr einen Streich spielen. Florinda wartete nicht, bis der Besucher mit der Lampe das Schott aufgeriegelt hatte. Sie erhob sich, schlich durch das Dunkel, tastete sich an Taurollen und zusammengelegten Tampen vorbei und über sie hinweg und erreichte eine große Seekiste, in der nach Auskunft von Andres Belegnägel, Marlspieker, Blöcke und anderes Rüst- und Handwerkszeug der Besatzung verstaut waren. Das Mädchen hockte sich hinter die Kiste, mit dem Rücken zur Wand. Sie hielt den Atem an, als aufgeriegelt wurde und das Schott sich knarrend öffnete. Im Lichtschein der Öllampe erschienen die Gestalt und das Gesicht eines Mannes. Florinda spähte nur kurz über den Kistendeckel, dann zog sie den Kopf wieder ein. Sie hatte genug gesehen. Der Besucher war nicht Andres, sondern nach den Beschreibungen, die er ihr von den wichtigsten Besatzungsmitgliedern gegeben hatte, der Waffenmeister des Schiffes - Luis Benavente. Was hatte der in dem Kabelgatt zu suchen? Andres hatte Florinda ausdrücklich versichert; daß die Männer der „Gran Duque" das Kabelgatt höchst selten, wahrscheinlich niemals während ihrer Reise aufsuchen würden. Hier lagen
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sämtliche Verholtrossen und das nicht im Gebrauch befindliche Tauwerk. Es mußte schon ein schweres Wetter über das Schiff hereinbrechen, bei dem etwas von dem laufenden und stehenden Gut beschädigt wurde und man folglich Materialnachschub benötigte. Glücklicherweise war dies bisher nicht der Fall gewesen. Auch mit einem Gefecht, bei dem die Galeone ramponiert werden konnte, war nach Andres optimistischen Aussagen „absolut nicht zu rechnen", da die „Gran Duque" keine wertvolle Ladung führte und daher kein „Fressen" für Piraten war. Solange oben auf Deck keine Ausbesserungsarbeiten nötig waren, brauchte man also nicht ins Kabelgatt hinunterzusteigen, soviel stand fest. Was wollte dann dieser Luis Benavente? Der Waffenmeister war ein großer, schwerer Mann mit breiten Schultern und derben Zügen. Er hielt die Lampe am ausgestreckten Arm vor sich hin, drückte mit der anderen Hand das Schott zu und sah sich aufmerksam um. Florinda Martinez Barrero hockte wie paralysiert hinter der Seekiste. Sie hatte vorsichtig Luft geschöpft, als Benavente das Schott hinter sich geschlossen hatte. Jetzt, in der Stille, die nur von einem leichten Knarren und Plätschern unterbrochen wurde, hielt sie von neuem den Atem an. Luis Benavente tat noch einen langen Schritt und stand nun in der Mitte des Raumes. Sein Gesichtsausdruck war halb verkniffen, halb verschlagen. Er hielt auf eine Weise Umschau, die das Mädchen schier zur Verzweiflung brachte. Wieder hatte sie seinen Kopf über den Deckel der Kiste hinweg sehen können - und eigentlich wunderte es sie, daß er sie noch nicht entdeckt hatte. Die Öllampe schien ihn ein wenig zu blenden. Anders konnte sie es sich jedenfalls nicht erklären. „Komm 'raus!" sagte er plötzlich. Sie fühlte, wie sich ihr Herz zusammenkrampfte. Ihre schlimmste Ahnung war zur Gewißheit geworden. Benavente war nicht aus purem Zufall hier
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aufgetaucht. Irgendwie mußte er etwas in Erfahrung gebracht haben - oder der Kapitän Jose Manuel Ramos selbst hatte Andres' Geheimnis aufgedeckt und schickte nun einen seiner Männer, um nach dem Rechten sehen zu lassen. Aus war der Traum von der Neuen Welt und der großen Freiheit. „Komm 'raus", wiederholte Benavente, der Waffenmeister. „Ich weiß, daß du hier bist. Du erleichterst mir die ganze Sache, wenn du jetzt aus deiner Deckung hervorkriechst. Ich erspare mir das Herumsuchen - und du beweist, daß du klug genug bist, das Spielchen nicht auf die Spitze zu treiben." Florinda rührte sich nicht vom Fleck. Sie hütete sich auch, ihm eine Antwort zu geben. „Ich weiß alles", fuhr Benavente in dumpfem Tonfall fort. „Ich habe Andres mehrmals beobachtet, wie er hierher schlich. Er dachte, daß seine Kameraden schliefen, aber da hat er sich getäuscht. Ich hab ein waches Auge auf ihn gehabt. Ich habe auch mal seine Sachen durchsucht, die er im Mannschaftslogis aufgehängt hatte. Prompt habe ich ein besticktes Seidentuch gefunden, mit dem Buchstaben ‚F` darauf. Da frage ich mich, was hat das wohl zu bedeuten, daß ein Kerl wie dieser Andres mit einem verzierten Weibertuch durch das Schiff rennt…" Er hielt mit dem Sprechen inne und holte tief Luft. Florinda spürte, wie sie am ganzen Leib zu zittern begann. „Der blinde Passagier, den der gute Andres hier versteckt hält, muß ein Frauenzimmer sein", erklärte der Waffenmeister. „Anders kann es gar nicht sein. Mir ist nämlich auch bekannt, daß Andres so ein Taschentuch noch nicht besaß, als er an Bord unseres Schiffes erschien. Der Zuchtmeister hat eine Liste sämtlicher Habseligkeiten aller Besatzungsmitglieder aufgestellt - daher weiß ich's. Was sagst du jetzt, Mädchen?" Florinda spürte eine beginnende Ohnmacht von sich Besitz ergreifen. Um sie herum begann sich alles zu drehen.
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„Zeig dich und sei ein bißchen nett zu dem alten Luis", sagte Benavente. „Dann verrate ich weder dem Kapitän noch sonst jemandem auf diesem lausigen Kahn, daß du hier untergeschlüpft bist. Also, mehr kannst du von mir wirklich nicht verlangen. Na los, nun komm schon, zier dich nicht so... Als sie immer noch keine Anstalten traf, seine Aufforderung zu befolgen, fing er an zu fluchen und schritt mit der schwankenden Lampe im Kabelgatt auf und ab. Er bediente sich der übelsten, lästerlichsten Ausdrücke. Florinda bezwang das Gefühl der Ohnmacht. Sie blickte wieder über den Kistendeckel und erhob sich, sobald der große Mann ihr den Rücken zugewandt hielt. Auf unsicheren, wankenden Beinen umrundete sie die Kiste, lief zum Schott und streckte schon die Hände aus, um es aufzuzerren - da fuhr Benavente zu ihr herum. Er reagierte sofort und war geradezu unheimlich schnell zwischen ihr und dem Schott. Florinda konnte sich nicht mehr bremsen. Sie- prallte mit ihm zusammen. Sie wollte an ihm vorbei, aber er packte mit der freien Hand zu und hielt sie brutal am Arm fest. „So", sagte er. „Türmen wolltest du also. Das ist aber gar nicht klug von dir." „Lassen Sie mich", stammelte sie. „Ich flehe Sie an . . ." „Eine Nase drehen wolltest du dem alten Luis, statt mal so richtig nett zu ihm zu sein", sagte der Waffenmeister. „So was Törichtes aber auch. Ich habe dich ja gewarnt. Was man dem guten alten Luis nicht freiwillig gibt, das nimmt er sich mit Gewalt." Sie begann zu keuchen. „So haben Sie doch Erbarmen..." Rasch stellte er die Öllampe auf dem Boden ab, hielt sie dabei jedoch unverändert hart in seinem Griff fest, so daß sie keine Chance hatte, ihm zu entwischen. „Du solltest mich mit Senor` anreden", erwiderte er grinsend. „Das gehört sich einer Respektsperson gegenüber."
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„Senor", flüsterte sie. „Ich tue alles, was Sie sagen, wenn Sie mich nur loslassen." Er richtete sich wieder auf und blickte sie an. „Herrgott, ich müßte ja schön blöd sein, wenn ich darauf eingehen würde. Schlag mir noch so etwas vor, und ich fange laut an zu lachen." „Ich schreie!" „Schrei nur, es nützt dir ja doch nichts." Sie öffnete tatsächlich den Mund. Aber im selben Augenblick legte sich eine seiner derben Hände auf ihre Lippen, mit der Geschwindigkeit, mit der er ihr auch den Weg verstellt hatte. Er war ein flinker, brutaler, unheimlicher Kerl, dieser Benavente, und Florinda spürte jede Hoffnung schwinden, sie könne ihn durch eine List noch übertölpeln. Die jäh aufkeimende Panik verlieh ihr Kräfte. Sie stemmte sich gegen den Griff des Waffenmeisters, rang mit ihm, trat um sich, versuchte, ihn zu beißen. Er lachte, hielt ihr weiterhin den Mund zu und drängte sie auf eine der Taurollen zu. * Der Vorhang hatte sich über den Masten der „Isabella VIII." geschlossen, bevor die Dunkelheit eingesetzt hatte. Der Himmel war wolkenüberzogen. Der Seewolf und seine Männer hatten keine Möglichkeit, sich während der Nacht an den Gestirnen zu orientieren und den Kurs ihres Schiffes genau festzulegen. Der Wind blies aus Norden und hatte die Wolken von irgendwoher, aus kälteren Gefilden, bis über den vierzigsten Breitengrad hinausgetragen. Die „Isabella" segelte mit Steuerbordhalsen und auf Backbordbug liegend westlichen Kurs in verhältnismäßig ruhiger See. Ihr Bug teilte die Fluten wie eine Pflugschar, die hurtig durch flaches Marschland gleitet und schwere schwarze Schollen auseinanderwirft. Hasard stand auf dem Achterdeck in der Nähe des Ruderhauses und warf zum wiederholten Mal einen argwöhnischen Blick zum Himmel.
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„Vielleicht kriegen wir keinen Sturm", sagte er zu Ben Brighton. „Aber eines ist sicher: der Wind drückt uns langsam immer weiter nach Südwesten. Dagegen können wir ohne einigermaßen klare Ortung nichts unternehmen." „Nach meinen letzten Berechnungen geraten wir somit in die Nähe der Azoren", erwiderte Ben. „Wir rauschen genau in die Gruppe hinein. Dabei wollte ich sie meiden. Ich habe vorgehabt, sie im Norden zu passieren. Die Azoren dienen uns bei der Überfahrt zwar als eine Art Wegmarke, aber ich wollte sie wegen des Zeitverlustes nicht direkt anlaufen." „Dazu besteht ja auch kein Grund. Proviant und Trinkwasser haben wir in Plymouth zur Genüge an Bord genommen", sagte Ben Brighton. „Schätze scheint es auf den Inseln auch nicht zu geben, alles in allem machen sie einen ziemlich trostlosen Eindruck. Aber solange die Wolkendecke nicht aufreißt, bleibt uns wirklich nichts anderes übrig, als uns vom Zufall leiten zu lassen." Old O'Flynn war zu ihnen getreten und meinte nun: „Richtig, und dieser Zufall wirft uns garantiert genau zwischen die verdammten AzorenInseln, wie Hasard befürchtet. Paßt mal auf, was ich euch sage: Wir laufen diese Nacht noch auf Grund, wenn wir nicht höllisch achtgeben..." „Ach, Unsinn", ließ sich jetzt Big Old Shane vernehmen, der nicht weit von ihnen entfernt am Backbordschanzkleid des Achterdecks stand. „So viele Untiefen und Riffe gibt es bei den Azoren überhaupt nicht, Donegal, du alte Nuke. Hör bloß mit deinen Weissagungen auf, die kennen wir zur Genüge.` „Ich habe noch gar nicht richtig damit angefangen", versetzte der Alte grimmig.` Shane wollte ihm eine entsprechende Antwort geben, aber in diesem Augenblick meldete sich Bill, der Ausguck, mit einem Ruf aus dem Großmars. „Sir! Es ist so dunkel geworden, daß ich kaum noch den Bugspriet unsrer ,Isabella` sehen kann!"
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„Da haben wir's", sagte. Old O'Flynn. „Wenn wir diesen Törn so Weitersegeln, brummen wir auf die erste Insel, die uns in die Quere gerät, geradewegs drauf. Jawohl, unser stolzes Schiff wird plötzlich auf dem Trockenen liegen wie ein gestrandeter Wal und in der Mitte auseinanderbrechen, ich schwör's euch." „Paß auf, daß dir nicht das Holzbein bricht!" rief Shane drohend. „Wir nehmen Zeug weg", sagte der Seewolf. „Die Fock, das Großsegel und das Kreuzsegel genügen uns vorläufig. Gary Andrews soll als zusätzlicher Ausguck in den Vormars aufentern. Zwei Mann beziehen Posten auf der Back und halten ebenfalls die Augen offen, damit sich Donegals Prophezeiungen nicht bewahrheiten. Ben, gib die Befehle bitte weiter." „Aye, Sir." „Zum Dienst auf der Back melde ich mich freiwillig", sagte der alte O'Flynn. „Ich schätze, Dan wird mich dabei gern unterstützen. Dan, he, Dan, wo steckst du, zum Teufel?" „Hier", meldete sich sein Sohn aus dem Ruderhaus. Er hatte Rudergänger Pete Ballie Gesellschaft geleistet und so mithören können, was Hasard, Ben, Shane und sein Vater gesprochen hatten. Er trat ins Freie und meinte: „In Ordnung, Dad, dann schieben wir jetzt am besten gleich ab. Wir sollten keine Zeit mehr verlieren." Der Alte trat zu ihm. Mit einem Seitenblick auf Big Old Shane bemerkte er noch: „Ja. Keiner soll mir nachsagen, daß ich nur unke und nichts tue, um uns vor Verdruß zu bewahren." Damit schritt er von dannen und stieg den Backbordniedergang zum Quarterdeck so gewandt hinunter, als trüge er statt seiner Prothese ein richtiges, gesundes Bein. Dan folgte ihm. Shane wußte grinsen. „Also, mit dieser letzten Bemerkung hat der alte Barsch mir doch tatsächlich den Wind aus den Segeln genommen. Sonst hätte ich ihm nämlich noch mal kräftig meine Meinung gesagt." Hasard hörte nur mit halbem Ohr hin. Er war nach vorn an die Schmuckbalustrade
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getreten und beobachtete die schattenhaften Gestalten der Männer, die im Dunkel der Nacht über Deck huschten. Sie geiten die Marssegel und die Blinde auf, und Gary Andrews enterte auf Ben Brightons Anordnung hin als Fockmastgast in den Vormars auf. Würde es in dieser Nacht Komplikationen geben? Hasard stellte darüber keine Überlegungen an. Auf See gab es keine gültige Vorausschau, an die man sich halten konnte, man mußte auf jede Art von Überraschung vorbereitet sein. Ein Korsar wußte nie, was vor ihm lag, von einer Minute auf die andere konnte sich das Unheil in vielfacher Weise einstellen. Die Erfahrung, die man zur Bewältigung haarsträubendster Situationen benötigte, schöpfte man aus den Ereignissen der Vergangenheit. Plymouth lag jetzt weit hinter ihnen, und die Erinnerung an England und die Abenteuer im Zusammenhang mit dem Kampf gegen die glorreichen, unüberwindliche Armada verblaßte allmählich. Blacky hatte ein „Andenken" ganz besonderer Art mitgenommen: Ihm war zum Abschluß eine Kiste aufs Bein gefallen. Er hatte sich den Knöchel gebrochen, und kein anderer als Doc Freemont hatte diese komplizierte Fraktur behandeln müssen, sonst hätte Blacky wahrscheinlich den Rest seines Lebens lang jämmerlich gehinkt. Blackys Blessur hatte eine Verzögerung verursacht - die „Le Vengeur" unter Jean Ribault und Karl von Hutten hatte den Häfen von Plymouth eher als die „Isabella VIII." verlassen und befand sich auf anderem Kurs auf dem Weg zur Schlangen-Insel. Die Schlangen-Insel war auch Hasards Ziel. Dort wollten er und seine Crew sich wieder mit den Männern der „Le Vengeur" treffen, dort hofften sie auch Siri-Tong, dem Wikinger Thorfin Njal und Arkana, der Schlangen-Priesterin, zu begegnen. Ging dieser Wunschtraum wirklich in Erfüllung? Hasard verscheuchte die Gedanken daran, seine Aufmerksamkeit wurde jetzt durch
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die Erscheinung Edwin Carberrys gefesselt, der quer über die Kuhl marschierte, den Niedergang erklomm und ihm etwas unter die Nase hielt. „Da, Sir", sagte der Profos. „Nun sieh dir das an." „Das ist eine Radschloß -Pistole aus unserer Waffenkammer." „Stimmt, Sir." „Und was soll daran Besonderes sein?" „Ich sage nur: Der Teufel soll die verdammten Lausebengel holen", schnaubte Carberry. Hasards Stirn furchte sich. „Soll das heißen, daß die Zwillinge mit dem Schießeisen gespielt haben?" „Richtig, und ich habe sie dabei ertappt, diese ausgekochten Himmelhunde." Der Seewolf nahm die Waffe an sich und unterzog sie einer genauen Untersuchung. „Gott sei Dank ist sie nicht geladen, Ed..." „Sir: Die Bengel hatten, sich auch Pulver und Kugeln besorgt und waren gerade dabei, die Pistole ziemlich fachmännisch zu laden", stieß der Profos entrüstet aus. „Wie war das, Ed?" „Äh -ziemlich fachmännisch, sagte ich wohl." „Ja. Wer hat den Burschen das bloß beigebracht?" „Keine Ahnung, Sir. Aber ich bin sicher, das Unglück gerade noch verhindert zu haben", sagte Carberry. „Der eine hätte den anderen glatt über den Haufen geschossen, wenn das mit dem Laden geklappt hätte." „Und wieso hast du mir nun Meldung erstattet, statt ihnen gleich an Ort und Stelle gehörig den Hintern zu versohlen?" erkundigte sich Hasard. Carberry räusperte sich. „Sir, ich, äh - also, ich in meiner Funktion als Profos auf diesem Schiff sah es als meine verdammte Pflicht an, dich zu unterrichten, damit du deinen Söhnen mal wieder ordentlich den Marsch bläst. Wenn das von dir kommt, hat es mehr Gewicht, nicht wahr?" Hasard lächelte. „Sei doch ehrlich, Ed. Du bringst es einfach nicht fertig, die Bürschchen übers Knie zu legen. Sie erzählen dauernd, was für ein Mordskerl, und Draufgänger der Profos sei, und da
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schwillt dir die Brust vor Stolz, gib es doch zu." „Wer, ich? Ich war immer dagegen, diese Kleinkinder mit unsrer alten Lady durch die Gegend zu schippern, so wahr ich hier stehe!" „Ja, aber jetzt hast du einen Narren an ihnen gefressen und weißt nicht, wie du sie zurechtstauchen sollst." Carberrys Gestalt straffte sich. Das wollte er nicht auf sich sitzen lassen. „Sir, ich befürchte ganz einfach, ich bringe diese Rübenschweinchen glattweg um, wenn ich sie mal richtig verwichse. Das ist es." „Gut, das akzeptiere ich", erwiderte Hasard mit todernster Miene. „Gehen wir jetzt. Ich knöpfe mir die beiden vor und mache ihnen klar, daß sie nicht mit Waffen herumzuhantieren haben. Weißt du was, Ed? Wir zeigen ihnen mal kurz das Kabelgatt, damit sie einen nachhaltigen Eindruck von dem kriegen, was ihnen bei Unbotmäßigkeit passieren könnte." „Eine gute Idee", pflichtete Carberry sofort bei. Die „Bengel" und „Rübenschweinchen" und „Lauselümmel", wie der Profos sie zu nennen pflegte, hießen mit ihren richtigen Namen Philip und Hasard. Sie, die Söhne des Seewolfs, waren seit Plymouth wieder an Bord der „Isabella", und der Seewolf war sich dessen bewußt, daß er sie erst noch wieder richtig „zurechtbiegen" mußte. Tapfer waren die Zwillinge, das hatten sie bewiesen, und sie hatten auch das Zeug zu richtigen Teerjacken und Korsaren - nicht zuletzt deshalb hatte Hasard sich entschieden, sie mit auf die große Reise zu nehmen. Aber sie mußten sich der Disziplin, die an Bord der „Isabella" herrschte, von neuem unterordnen, voll und ganz. In den Tagen, die sie bei Doc Freemont verbracht hatten, hatten sie vielleicht etwas vergessen, daß sie innerhalb der Crew keinerlei Privilegien genossen und keine Extratouren reiten durften. Jeder Mann an Bord mochte sie und kümmerte sich um sie, aber das durften die Zwillinge nicht ausnutzen. Sonst gab es
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Ärger. Hasard war in dieser Hinsicht unerbittlich. Vater sein ist gar nicht so einfach, dachte er. 2. Florinda sträubte sich heftig gegen die gewaltsamen Annäherungsversuche des bärenstarken Waffenmeisters, und dabei trat sie aus purem Zufall mit dem Fuß gegen die Öllampe, die er auf dem Boden des Kabelgatts abgestellt hatte. Die Lampe kippte um, das Öl lief aus. Die Flamme zuckte aus der Lampe hervor und tanzte über die Öllache. Sie wuchs höher und erfüllte den ganzen Raum mit ihrem gespenstischen zuckenden Schein. Luis Benavente wurde es gewahr und fluchte mörderisch. Er zerrte das Mädchen ein Stück zurück und trachtete dabei, das Feuer mit seinen Stiefeln auszutreten. Aber es gelang ihm nicht, der Flammen Herr zu werden. Ein Brand drohte sich zu entwickeln. Das. Feuer fand in den Holzplanken, im ganzen Schiff reichlich Nahrung. Wenn Benavente jetzt nicht handelte, tobte das Unheil binnen. Kürze durch das ganze Schiff. „Miststück!" fuhr er Florinda an. „Dafür wirst du büßen!" „Lassen Sie mich los", flehte sie ihn an. „Ich helfe Ihnen, das Feuer zu löschen." „Sand", stieß er hervor. „Wir brauchen Sand!" Er schleuderte sie auf eine der Taurollen, trampelte wieder in den Flammen herum, hielt nach einem Kübel mit Sand Ausschau, der hier wie in fast allen Schiffsräumen anzutreffen sein maßte, und rutschte fast auf dem Öl aus. Benavente entdeckte den hölzernen Kübel und stürzte darauf zu. Florinda hatte sich in diesem Augenblick wieder aufgerappelt. Sie nahm die Chance wahr, stolperte zum Schott - und diesmal gelang es ihr wirklich, das Schott zu öffnen, ehe er sie daran hindern konnte. Benavente schrie etwas, das sie nicht genau verstand. Es war wieder einer seiner fürchterlichen Flüche. Florinda hetzte halb
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blind vor Angst auf den Gang hinaus, der hinter dem Schott lag, strauchelte, fiel, raffte sich wieder auf, lief weiter. Luis Benavente sah sich vor die Entscheidung gestellt, entweder das Schiff vor einer Feuersbrunst zu bewahren oder den „banden Passagier" zu fassen. Das erste erschien ihm in diesem Moment wichtiger, weil lebensnotwendig, und so kippte er den Sand in die Flammen und trampelte wieder wie ein verrücktgewordener Derwisch auf dem Fleck, wobei er nicht aufhörte, die wildesten Verwünschungen auszustoßen. Sein Gebrüll konnte nicht unbemerkt bleiben. Florinda vernahm vor sich Männerstimmen, als sie den Schiffsgang entlanghastete, ohne zu wissen, in welcher Richtung sie sich überhaupt bewegte. Am liebsten hätte sie laut nach Andres geschrien, aber sie bezwang sich und konnte sich bei aller Panik doch noch ausrechnen, daß es das Ende gewesen wäre. Sie entdeckte einen Quergang, der zu ihrer Rechten verlief, schlüpfte hinein und verharrte. Der Atem stockte ihr, als Schritte heranpolterten und eine Meute von Männern an ihr vorbei zum Kabelgatt eilte. Unwillkürlich schloß sie die Augen und ließ alle Hoffnung fahren. Jetzt haben sie dich, dachte sie. Aber sie hatte sich getäuscht. Die Männer entdeckten sie nicht, weil sie in ihrer Hast keine Öllampen oder Talglichter angezündet hatten. Sie orientierten sich an den Flammen, die immer noch im Kabelgatt zuckten und knisterten. „Was ist denn hier los?" rief einer von ihnen. „Teufel, Luis, bist du da?" schrie ein anderer. „Helft mir!" brüllte Luis Benavente zurück. „Wir haben einen blinden Passagier! Ein gottverfluchtes Weibsbild! Die Kanaille hat hier Feuer gelegt, als ich sie aufgestöbert habe. Alle umbringen wollte sie uns, jawohl, uns alle umbringen!"
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„So ein Drecksstück!" riefen einige seiner Kameraden. „Sucht dieses Weib!" schrie Benavente. „Alarmiert alles, weckt den Kapitän! Wir müssen sie erwischen, und dann gnade ihr Gott!" Florinda zitterte am ganzen Leib. Sie hätte vor dem Kapitän und den Schiffsoffizieren bei allem, was ihr heilig war, beteuern können, sie hätte sich nur gegen die Zudringlichkeiten des Waffenmeisters gewehrt - keiner hätte es ihr abgenommen. Die Fakten sprachen gegen sie, und einem blinden Passagier glaubte man sicherlich nicht. Sie mußte fort. Wo war Andres? Florinda schlich aus dem Quergang wieder in den Hauptgang und lief weiter, während hinter ihrem Rücken die Gruppe Seeleute das Kabelgatt erreicht hatte. Sie halfen Luis Benavente, die letzten Flämmchen auszutreten und diskutierten dabei darüber herum, wer denn nun nach vorn und nach achtern, hinter dem „Weibsbild" her und zur Kammer des Kapitäns, laufen sollte. Andres, dachte Florinda, ich darf mich jetzt nicht auf ihn stützen. Ganz allein auf mich bin ich gestellt und muß selbst zurechtkommen, damit sie ihn nicht als meinen Helfer entlarven. Sie taumelte die Stufen eines Niederganges hinauf und wußte immer noch nicht, wo sie war. Erst kurz darauf sollte sie gewahr werden, daß sie das Vordeck erreicht hatte und sich dicht vorm Mannschaftslogis befand. Ganz in ihrer Nähe wurde ein Talglicht entfacht, und eine schlaftrunkene Männerstimme brummte: „He, was ist denn das für ein Krach zu nachtschlafender Zeit? Sind wir aufgelaufen, oder was ist los?" „Francisco, da ist jemand", sagte ein zweiter Mann. „Wo?" „Na dort - draußen, auf dem Gang vorm Logis. Por Dios, das ist ja ein Frauenzimmer!" „Jetzt werd ich verrückt", sagte Francisco .„Ja, wirklich, eine richtige Frau. Amigos,
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die sehen wir uns mal genauer an. He, ist das ein Gespenst, oder träume ich?" „Du träumst nicht", ließ sich jetzt ein dritter vernehmen. Erst jetzt erwachte auch Andres Nortes de Checa, der an diesem Abend nach der Wache von Luis Benavente, dem scheinheiligen, verschlagenen Waffenmeister, zu einem „kleinen Umtrunk" eingeladen worden war, aus „purer Freundschaft" selbstverständlich. Andres hatte etwas zuviel von dem Rioja getrunken, den Benavente ihm nur allzu bereitwillig kredenzt hatte, und so war er in einen tieferen Schlummer als gewöhnlich gefallen. Eigentlich hatte er nur eine Stunde in seiner Koje im Mannschaftslogis ruhen wollen, um dann Florinda zu besuchen. Völlig verstört schreckte er jetzt aus seinen Träumen hoch. Florinda floh vor den Männern, die aus ihren Kojen sprangen und lachend in den Gang rannten. Sie prallte mit der Schulter gegen eine Wand, es tat ihr furchtbar weh, aber sie kümmerte sich nicht darum. In panischem Entsetzen setzte sie ihren Weg fort. Ein Teil der Männer, die vorher zu dem wetternden Benavente gestoßen waren, hatte inzwischen wieder das Logis erreicht und schloß sich dem Trupp an, der Florinda auf den Fersen war. „Haltet das Weib!" schrie einer von ihnen. „Zeigen wir ihr mal, was für Teufelskerle wir sind!" rief ein anderer. „Florinda", stammelte Andres. Er wälzte sich von seinem Lager, lief auf etwas unsicheren Beinen zum Gang und stieß mit einem seiner Deckskameraden zusammen, „Florinda", sagte er noch einmal. „Madre de Dios, wie konnte das nur – heilige Mutter Gottes, was machen sie denn mit dir..." Florinda erreichte ein Schott, riß es auf, stolperte ins Freie und rammte das Schott wieder hinter sich zu. Der kühle Nachtwind aus Norden umfächelte ihr Gesicht, griff nach ihrer Gestalt, und stöhnend taumelte sie weiter. Sie glaubte,
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die Pranken dieser derben Kerle schon an ihrem Leib zu spüren. Nein, dachte sie, niemals, dann lieber sterben! Sie registrierte, daß sie sich ganz vorn auf dem dreimastigen Schiff befand. Sie wußte nicht, daß man diesen Teil die Galionsplattform nannte, daß es der Bugspriet war, auf den sie nun zuhielt. Sie wußte nur, daß die letzte Rettung in den schwärzlichen Fluten des Atlantiks lag, wenn überhaupt. Sie dankte in diesem Augenblick dem Schöpfer und ihren Eltern, daß sie das Schwimmen gelernt hatte. Florinda zögerte nicht. Sie lief, war am Rand der Plattform angelangt, hielt nicht inne, verlieh sich nur noch mehr Schwung -- und hechtete in die See. Sie sprang weit genug und begann, nachdem sie eingetaucht war, sofort zu schwimmen. So entging sie dem Bug der Galeone, der wie ein Ungeheuer auf sie zurauschte, und wurde nicht untergegraben von diesem hölzernen Giganten „Gran Duque de Almeria", der ihr zum Verhängnis geworden war. Die Bordwand glitt an ihr vorbei, hoch und wuchtig und von erdrückender Schwere. Florinda hatte sich umgedreht und sah noch einmal die Galeone in ihrer ganzen Pracht - die Masten mit den Rahen und dem prallen Zeug, das reich verzierte Achterkastell, die Heckgalerie und die Bleiglasfenster der Kapitänskammer, hinter denen jetzt Licht aufflammte, schließlich die große eiserne Hecklaterne, die einen letzten Gruß herüberzusenden schien. Florinda dachte an Andres. Ihr kamen die Tränen. Weinend schwamm sie weiter und hoffte, daß auch er von dem verhaßten Schiff fliehen würde. Daß Andres jetzt an den Kameraden vorbei zum Schott drängte und ihren Namen rief, bekam sie nicht mehr mit. Andres Schreie, im Inneren des Vorschiffs ausgestoßen, erreichten nicht mehr ihre Öhren. „Florinda!" stieß Andres immer wieder hervor. „Florinda!"
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„Haltet ihn fest!" brüllte Luis Benavente, der mittlerweile auch wieder am Logis eingetroffen war. „Er ist ihr Komplice! Er muß bestraft werden! Laßt ihn nicht entwischen!" Die Männer reagierten erstaunlich schnell und fuhren zu Andres herum. Er versuchte, ihren zupackenden Händen zu entgehen, duckte sich geistesgegenwärtig, hatte aber trotzdem kein Glück. Die Fäuste schlossen sich um seine Arme und Oberschenkel, ja, sogar um seinen Hals. Zwei Decksleute hielten plötzlich seinen Oberkörper umschlungen. Andres schlug um sich. Seine Kameraden von der Kuhl hieben zurück. Sie schienen geradezu versessen darauf zu sein, sich mit jemandem zu raufen. „Laßt mich", stieß Andres keuchend hervor. „Ihr legt euch mit dem Falschen an. Luis lügt. Versteht ihr nicht? Es ist ein Mißverständnis, ein..." „Hört nicht auf ihn!" rief der Waffenmeister. „Er hat sie an Bord geschmuggelt, und sie wollte uns heute nacht das Schiff unterm Hintern in Brand stecken. Ja, genau das hatte sie vor!" Das Schott zur Galionsplattform schwang auf, und einer der Männer, der Florinda bis dorthin gefolgt war, blickte in den Vordecksgang. „He!" rief er in das Rumoren der Kämpfenden. „Das Mädchen ist abgehauen. Einfach über die Reling und ab in den Teich ist sie!" „Nein!" keuchte Andres. Er unternahm noch einmal einen Versuch, sich aus der Gewalt der anderen zu befreien. Er boxte und trat um sich und schickte auch einen Mann zu Boden. Aber die Antwort auf seinen Ausfall war ein massiver Kinnhaken, der seinen Schädel zum Dröhnen brachte und ihn von einer Sekunde auf die andere schlaff zusammensinken ließ. Luis Benavente trat neben den Mann, der diesen gezielten Schlag gelandet hatte, und hieb gleich noch einmal zu.
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„So", sagte er dann. „Jetzt sind wir wenigstens sicher, daß er vorläufig gebändigt ist." „Und das Mädchen?" fragte der Decksmann, der Francisco hieß. „Wir fischen sie gleich aus der See", entgegnete Luis Benavente. „Ich warte nur noch darauf, daß der Kapitän das Zeichen zum Beidrehen gibt. Wir wollen uns das Täubchen doch nicht entgehen lassen, oder?" Die Männer lachten, und Francisco meinte breit grinsend: „Ich habe sie deutlich vor mir gesehen. Sie ist hübsch, sage ich euch, so richtig zart und knusprig." Er wollte in seiner Beschreibung fortfahren, aber in diesem Moment wurde der Vordecksgang von der anderen Seite her geöffnet und eine Stimme, die alle als die des zweiten Offiziers erkannten, rief: „Benavente sofort zum Kapitän! Was, in aller Welt, geht hier vor?" 3. Der Waffenmeister ging nicht, er lief über die Kuhl und stieg zum Achterdeck der „Gran Duque de Almeria" hinauf, um seinem Kapitän so schnell wie möglich Bericht zu erstatten. Er trat Don Dose Manuel Ramos gegenüber, der durch die Alarmrufe und das Klopfen an seiner Kammertür aus dem Schlaf gerissen worden war, und gab einen kurzen Bericht, in dem seine eigene Rolle mehr als beschönigend dargestellt war. Natürlich konnte er seinem Kapitän gegenüber nicht zugeben, daß er Andres Nortes de Checa schon seit einiger Zeit bespitzelt hatte und ein Verdacht in ihm herangereift war, der sich in dieser Nacht erhärtet hatte. Ramos hätte ihn, Benavente, dafür bestrafen lassen, daß er nicht schon eher seine Beobachtungen gemeldet hatte. Selbstverständlich erwähnte er auch das Angebot, das er dem Mädchen Florinda gemacht hatte, mit keinem Wort. Er sagte nur: „Ich hörte Geräusche im Kabelgatt, die mich unruhig stimmten, Capitan. Ich sah nach und stieß auf dieses Frauenzimmer, das sofort wie eine Furie
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mit Zähnen und Krallen auf mich losging. Ich konnte sie bändigen, aber als meine Aufmerksamkeit einen Augenblick nachließ, packte sie meine Öllampe und schleuderte sie in den Raum, so daß die Lampe zerbrach und Feuer verbreitete. Daraufhin mußte ich den Brand löschen, um das Schiff und die Besatzung zu retten. Das hatte natürlich Vorrang. Darum, nur darum konnte dieses Weib mir entwischen." Er schilderte, wie Florinda außenbords gesprungen war und wie man Andres gepackt und niedergeschlagen hatte. Kapitän Ramos wandte sich der Kuhl zu, wo sich inzwischen fast die ganze Mannschaft versammelt hatte. „Profos, wir drehen bei und suchen nach dem Mädchen. Weit kann sie nicht gelangt sein. Ich will sie auffischen und zur Rechenschaft ziehen, koste es, was es wolle. Falls nötig, fieren wir die Beiboote ab und bemannen sie mit je acht Mann, um gründlicher fahnden zu können." „Si, Senor", antwortete der Zuchtmeister. Emsige Tätigkeit setzte an Deck ein. Der Kapitän ließ zunächst anluven und dann Zeug wegnehmen, so daß die Galeone mit dem Bug in den Nordwind drehte und schließlich stoppte. Eiserne Laternen wurden an Tauen außenbords abgefiert. Die Besatzung hielt aufmerksam nach dem Mädchen Ausschau. Don Jose Manuel Ramos blickte wieder zu seinem Waffenmeister. „Die Nacht ist ihr Verbündeter, sonst hätten wir sie schon entdeckt." „Wir finden sie auf jeden Fall, Senor." „Wie konnte es passieren, daß wir einen blinden Passagier an Bord hatten, Benavente, dazu noch eine Frau?" „Dieser Andres Nortes de Checa muß sie in Cadiz irgendwie an Bord geschmuggelt haben", erwiderte der Waffenmeister. „Es wird sich noch herausstellen, ob er dazu irgend jemanden von der Bordwache bestochen oder wie er es sonst angestellt hat. Auf jeden Fall ist das, was dieser Hund getan hat, ein todeswürdiges Verbrechen. Ich schlage vor, daß wir ihn in Ketten legen und einsperren und dann so
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schnell wie möglich Bordgericht über ihn halten. Er wollte dieses Flittchen mit in die Neue Welt nehmen, und das ist genauso schlimm wie Diebstahl, Meuterei oder Mord." „Bewahren wir die Ruhe, Benavente", sagte der Kapitän. „Ich kann Ihre Aufregung über den Vorfall verstehen, aber wir sollten nicht vorschnell Justiz üben. Erst einmal kommt der Mann in die Vorpiek, danach sehen wir weiter. Morgen früh werde ich mir auf jeden Fall anhören, was er zu sagen hat, das ist trotz allem erforderlich, um die Sache restlos zu klären. Bei Ihnen, mein Bester, möchte ich mich für Ihr umsichtiges Verhalten bedanken. Für diesen Einsatz erhalten Sie eine Prämie von mir, verlassen Sie sich darauf." Benavente fühlte sich sichtlich geschmeichelt. Er katzbuckelte und wollte schon in aller Bescheidenheit darauf hinweisen, daß er doch letztlich nichts als seine Pflicht getan hätte, da erschien der Profos mit einer Meldung. „Senor, von dem Mädchen gibt es keine Spur mehr. Wir nehmen an, sie ist ertrunken." Don Jose schüttelte den Kopf. „Das glaube ich nicht. Nehmen wir lieber mal an, sie sei eine gute Schwimmerin und hat sich bereits weiter von uns entfernt, als wir angenommen haben." „Zuzutrauen wäre es ihr", sagte Luis Benavente. „Sie ist ein richtiges Mannweib, Senor, kennt alle Tricks und entkommt uns doch noch, wenn wir uns nicht höllisch beeilen." „Die Beiboote abfieren", ordnete der Kapitän an. „Die Leute sollen ihr Augenmerk in erster Linie auf die südliche Richtung konzentrieren. Nach den letzten Berechnungen, die ich am späten Nachmittag angestellt habe, müssen wir uns jetzt querab der Azoren-Insel Sao Miguel befinden. Es ist immerhin denkbar, daß auch das Mädchen durch ihren Freund Andres darüber im Bilde ist und nun versucht, sich auf das Eiland zu retten. Ich könnte höchstens schätzen, wie groß die Distanz noch ist, da eine genaue
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Navigation bei dieser Bewölkung nicht möglich ist. Aber rein theoretisch könnte sie es schaffen." „Senor", sagte Luis Benavente. „Ich melde mich freiwillig zum Suchtrupp. Lassen Sie mich mit in eins der Boote abentern." „Genehmigt", erwiderte Don Jose. „Es ist gut, Männer wie Sie an Bord dieses Schiffes zu wissen, mein lieber Benavente." Florinda, dachte Luis Benavente, wenn ich dich erwische, werde ich versuchen, dich zu töten, denn es könnte sein, daß du etwas von dem, was ich mit dir vorhatte, ausplauderst! * Dan O'Flynn, der neben seinem Vater Donegal Daniel O'Flynn an der vorderen Querbalustrade der Back der „Isabella" stand, hob plötzlich den Kieker ans Auge. „Voraus ist ein Licht", sagte er. „Sieht mir ganz nach der Hecklaterne eines größeren Schiffes aus." Der Alte spähte ebenfalls durchs Glas und entgegnete: „Ja, wir laufen genau auf diesen Bruder zu, und er scheint nicht so schnell wie wir zu sein, denn das Licht rückt näher." „Dad", sagte Dan. „Er läuft überhaupt keine Fahrt. Ich schätze, er liegt beigedreht im Wind. Da sind noch ein paar kleinere Lichter vor seiner Bordwand, die anscheinend hin und her geschwenkt werden. Möchte wissen, was das zu bedeuten hat." „Möchte wissen, wie du das auf die große Entfernung siehst", sagte der Alte. „Ja, man wird eben älter." Er drehte sich um und rief: „Sir, wir haben da ein Schiff vor uns, und ich will einen Hut fressen, wenn das kein fauler Hund ist!" „Ich komme", entgegnete Hasard. Bevor er das Achterdeck verließ, drehte er sich jedoch zu Ferris Tucker um und sagte: „Ferris, blas mal schnell die Hecklaternen aus. Wer' immer der Fremde ist, es ist auf jeden Fall ratsam, sich ihm ohne Licht zu nähern."
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„Aye, Sir. Soll ich auch schon meine Höllenflaschen bereithalten?" „Wir versuchen, dem Burschen auszuweichen", sagte der Seewolf. „Unsere Fahrt zur Schlangen-Insel soll rasch und reibungslos verlaufen. Wir schlagen uns nicht mit jedem Spanier oder Portugiesen oder hergelaufenen Freibeuter herum, falls er uns nicht angreift." „Das war mir klar", gab Ferris, der rothaarige Schiffszimmermann, zurück. „Ich finde nur, es könnte ein Fehler sein, nicht rechtzeitig genug gefechtsklar zu sein." „Ich sage schon rechtzeitig genug Bescheid, falls es brenzlig zu werden droht." ' „Danke, Sir", sagte Ferris und wandte sich ab, um schleunigst die Hecklaterne der „Isabella" zu löschen. Hasard stieg auf die Kuhl hinunter und trat zu Carberry. „Ed, von jetzt an kein lautes Reden mehr, verstanden? Ich will, daß es hier mucksmäuschenstill ist. Wir pirschen uns an. den Kameraden dort drüben heran und schauen ihn uns mal ein bißchen an, ohne daß er von uns etwas merkt." „Aye, Sir." Carberry zeigte klar, wandte sich der Crew zu und zischte: „Maul halten, ihr Kakerlaken, klar? Für die nächsten zwei Glasen will ich euer verdammtes Geschrei nicht mehr hören, da will ich jeden Floh husten hören, sonst gibt es was quer über die Rippen und ich ziehe euch Rübenschweinen die Haut in Streifen von euren Hintern." „Wir folgen deinem Beispiel, Profos", sagte Matt Davies. „Du brüllst ja bekanntlich nie." „Wie war das, Mister Davies?" „Ich sagte, man muß deine Ruhe und Gelassenheit bewundern." „Paß bloß auf, daß ich dich wegen deiner Sprüche nicht mal unangespitzt in die Kuhl ramme", brummte Ed Carberry. Hasard war unterdessen zur Back weitergegangen. Plötzlich bemerkte er die Zwillinge neben sich. Es war erst ein paar Minuten her, daß er ihnen die Leviten gelesen hatte. Tatsächlich hatte er ihnen auch angedroht, daß sie beide im Kabelgatt
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landeten, wenn sie noch einmal einen Streich wie den mit der Radschloßpistole ausheckten. Das hatte gesessen und gewirkt. Philip und Hasard hatten eingesehen, daß sie „gewaltigen Mist gebaut" hatten. Sehr bescheiden fragte Hasard Junior daher: „Dad, dürfen wir mit auf die Back?" „Dad, sag nicht nein", bat Philip Junior. „Wir betragen uns ordentlich." „Zu welchem Dienst seid ihr gerade eingeteilt?" wollte er wissen. „Zu keinem, Sir", antwortete sein Sohn Hasard. „Mit dem Aufklaren in der Kombüse sind wir pünktlich fertig gewesen, du kannst den Kutscher fragen." Der Seewolf lächelte. „Nicht nötig. Wenn ihr mir versichert, daß alles seine Ordnung hat, glaube ich euch." Sie enterten gemeinsam die Back, und hier blickte der Seewolf durch sein Spektiv und konnte das fremde Schiff in der Ferne liegen sehen. „Ein Dreimaster, soweit man es im Licht seiner Achterlaterne erkennen kann", sagte er. „Eine spanische Galeone, wage ich zu behaupten", meinte Dan O'Flynn. „Ich kann ihre Aufbauten ziemlich gut erkennen, und daraus läßt sich so einiges schließen. Nur ist mir nicht klar, was ihre Besatzung tut. Eben haben die Burschen aufgehört, mit ihren Laternen zu hantieren. Ich schätze, sie suchen etwas - aber was? Jetzt wird etwas abgefiert. Ein Boot, wenn mich nicht alles täuscht." „Das wird ja immer spannender", murmelte der alte O'Flynn. „Hölle, das geht nicht mit rechten Dingen zu." Die Zwillinge hüteten sich, etwas zu äußern. Ein Decksjunge hatte eigentlich nur zu reden, wenn er was gefragt wurde, so lautete eins der ungeschriebenen Bordgesetze. Es galt auch für die Söhne des Seewolfs; denn von jetzt an wurden sie nicht besser und nicht schlechter als jeder Moses behandelt, und es war schon eine große Ausnahme, wenn ihr Vater sie zum Ausschauhalten mit auf die Back nahm. „Langsam werde ich auch neugierig", sagte der Seewolf. „Wir können ohnehin nicht
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mehr in Luv an dem Don vorbeisegeln, wir müßten kreuzen, um es zu schaffen, und würden dabei nur Zeit verlieren. Nein, wir passieren ihn in Lee, und bei dieser Gelegenheit inspizieren wir ihn genau." „Ich glaube nicht, daß er uns schon entdeckt hat", sagte Dan. „Wir haben unsere Hecklaterne rechtzeitig genug gelöscht. Wir können uns heimlich und unbemerkt an ihn heranpirschen." „Ob der einen Schatz hebt?" fragte sein Vater. „Das wäre ein Grund für uns, ihn noch genauer in Augenschein zu nehmen", erwiderte Hasard grinsend. „Vielleicht ist ihm auch jemand über Bord gegangen", meinte Dan. „Was, bei der ruhigen See?" wunderte sich der Alte. „Ich meine, der Betreffende könnte ja auch freiwillig gejumpt sein", erwiderte Dan. „Vielleicht ein Meuterer, der, zu den Azoren türmen „Hört sich sehr vage und versponnen an", sagte Old O'Flynn. „Also, warten wir lieber ab, bis wir näher heran sind." Etwas später hatte die „Isabella" die spanische Galeone Steuerbord voraus von sich liegen und schickte sich an, mit mäßiger, ruhiger Fahrt auf kaum mehr als eine Meile Distanz an ihr vorbeizusegeln. „Jede Einzelheit kann man jetzt im Bereich der Hecklaterne erkennen", stellte Dan O'Flynn fest. „Ich sehe da zum Beispiel einen Mann mit Perücke, der seiner Kluft nach nichts anderes als ein echter spanischer Capitan sein kann. Ich habe mich also nicht getäuscht. Fragt sich nur noch, wie das Schiff heißt. Aber das kriegen wir sicher auch noch heraus. Die Aufschrift an seinem Heck kann ich aber doch nicht entziffern . . ." „Ist nicht so wichtig", sagte der Seewolf. „Sicher ist, daß wir keinen Kriegssegler, sondern einen Kauffahrteifahrer vor uns haben, der obendrein nicht mal sonderlich gut armiert ist. Ich halte es für ein ziemlich großes Wagnis von diesem Capitan, mit den paar Kanonen in See zu gehen. Das sind ja nicht mehr als acht Stück."
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„An Mut scheint es ihm nicht zu fehlen", meinte der alte O'Flynn. „Sicher handelt es sich um einen privaten Eigner, der im Auftrag der spanischen Krone, jedoch auf eigene Gefahr die Überfahrt in die Neue Welt angetreten hat oder gerade von dort zurückkehrt. Anderenfalls würde das Schiff garantiert im Konvoi segeln." Dan grinste. „Vergiß nicht, daß auch die berühmte Manila-Galeone bis vor kurzem mutterseelenallein gesegelt ist, Dad. Wer weiß, was für ein Schatzschiff wir da vor uns haben." „Ach, hör doch mit dem Quatsch auf", fuhr der Alte ihn an. „Die Nao de China' ist ganz was anderes. Ich sage euch, wir haben keinen Grund, uns mit dem Schiff dort näher zu befassen. Schätze hat der nicht an Bord." „Dan", sagte der Seewolf. „Was mich besonders interessiert, sind die Beiboote. Hatte der Don nicht zwei abgefiert?" „Ja, das hatte er. Eins kann ich unweit von seinem Heck sehen, aber das andere scheint spurlos verschwunden zu sein." „Nehmen wir mal an, es ist in südlicher Richtung gepullt worden, auf die Azoren zu", sagte Hasard. „Dann könnte es sich doch bereits Backbord von uns befinden, oder?" „Klar, wenn die Kerls wie die Teufel gepullt haben", erklärte Old O'Flynn. Dan hatte seinen Kieker nach links geschwenkt und spähte mit verkniffener Miene durch die Optik. Er bewegte das Rohr kaum merklich hin und her, hielt dann aber plötzlich inne und sagte: „Da ist tatsächlich was - eine Jolle. Die Burschen, die auf ihren Duchten sitzen, pullen, als gelte es, einen Preis zu gewinnen." Hasard trat neben ihn und hob ebenfalls sein Spektiv ans Auge. Er blickte in die gleiche Richtung wie Dan, sichtete das Boot der spanischen Galeone mit schätzungsweise sieben, acht Männern darin - und vernahm wie alle anderen Männer der „Isabella" in diesem Moment einen Schrei. „Mann", sagte Old O'Flynn. „Die Dämonen der See sollen mich holen, wenn das nicht der Ruf einer Frau war."
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In der Jolle begannen die Spanier zu fluchen und zu gestikulieren. Hasard und Dan verfolgten ziemlich deutlich, wie nur noch einige von ihnen weiterpullten, während die anderen sich über das Dollbord der Backbordseite beugten. „Eine Frau im Wasser", stieß der . Seewolf verblüfft und entsetzt zugleich aus. „Die Dons machen Jagd auf sie. Aus welchem Grund auch immer, wir dürfen ihr unsere Hilfe nicht versagen." „Dan", sagte Old O'Flynn. „Zur Hölle, kannst du denn nicht sehen, wo sie schwimmt?" „Nein." „Egal", sagte der Seewolf. Er wandte sich ab und schritt nach achtern. An der Schmuckbalustrade, die zur Kuhl wies, hielt er. „Ed", sagte er. „Sofort abfallen und Kurs Süden nehmen." „Aye, Sir, Kurs Süden", raunte der Profos. Jawohl, er raunte - ganz im Gegensatz zu seinen sonstigen Gepflogenheiten. Er drehte sich zur Crew hin um und zischte: „Schrickt weg die Schoten, ihr Affenärsche, bewegt euch, ihr lahmen Hunde, haltet ab, und zwar dalli, oder es gibt Dampf." „Wir fliegen ja schon", wisperte Jeff Bowie grinsend. Gemeinsam mit den anderen Männern der Deckswache eilte er zu den Brassen und Schoten. Als die Crew begann, die Stellung der Rahen zu verändern, ließ Rudergänger Pete Ballie das Ruderrad unter seinen schwieligen Fäusten wirbeln. Die „Isabella" drehte nach Süden ab und legte sich vor den Wind und glitt - einem drohenden, gigantischen Schemenwesen gleich - auf das Beiboot des Spaniers. Natürlich war auch der Rest der Crew, der eigentlich in den Kojen hätte liegen sollen, auf den Beinen. An diese Männer gab der Profos nun weiter, was Hasard ihm durch einen Wink zu verstehen gegeben hatte: „Klar Schiff zum Gefecht! Kommt in Fahrt, ihr Kanalratten, willig, willig, hoch mit den Stückpforten und 'raus mit den Geschützen! Hölle, was seid ihr doch für eine Bande von Faulenzern!" Er flüsterte
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immer noch, verspürte jetzt aber den unbändigen Drang, in der üblichen Lautstärke loszubrüllen. Auf dem Achterdeck winkte Ben Brighton Pete Ballie zu, daß der gewünschte Kurs erreicht sei. Dann blickte er zu Ferris Tucker und raunte: „He, Ferris, klar bei Flaschenbomben!" „Längst klar", sagte der Rothaarige mit breitem Lächeln. Er wies auf die Batterie Flaschen, die er vorsichtshalber schon bereitgelegt hatte. Sie waren alle mit Pulver, Blei, Eisen und Glas gefüllt, und in einem Kupferbecken glühte die Holzkohle, mit der Ferris im Ernstfall die Lunten zünden würde. Von der spanischen Galeone hallte jetzt ein gellender Schrei herüber. Dan und Hasard, die wieder das am weitesten nach Süden versetzt liegende Boot des Dreimasters durch die Kieker beobachteten, sahen deutlich, wie in der Jolle Unruhe entstand. Auch von dort wurde jetzt gerufen. „Sie haben uns also entdeckt", sagte der Seewolf. „Ich bin gespannt, wie sie darauf reagieren. Schön, ich bin bereit, mich mit ihnen zu schlagen, denn ich will jetzt wissen, was es mit der Frau oder dem Mädchen auf sich hat." Hinter seinem Rücken ertönte das Rumpeln, das beim Ausrennen der Culverinen durch das Rollen der Hartholzräder auf den Planken entstand. Die Männer arbeiteten hart, schnell und konzentriert, jeder Griff, hundertmal geübt, saß. Auch Philip und Hasard, die Zwillinge, beteiligten sich auf die Order ihres Vaters hin an den Gefechtsvorbereitungen. Sie streuten Sand auf der Kuhl aus und nahmen vom Kutscher Kübel und Pützen mit Seewasser entgegen, die sie an jedem der sechzehn 17-Pfünder zum Befeuchten der Wischer und Schwämme bereitstellten. Die „Isabella" rauschte mit prallem Zeug genau auf die Jolle der Spanier zu. „Wenn sie Ärger wollen, können Sie ihn haben", sagte Hasard. „Ich an ihrer Stelle würde mich zwar schleunigst zurückziehen, aber falls sie unbedingt die
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Helden spielen wollen - bitte sehr, von mir aus kann es losgehen." 4. Luis Benavente kauerte im Bug der Jolle. Er hatte bei der Suche nach Florinda auf Lampen verzichtet, um dem Mädchen nicht zu verraten, wo das Boot sich befand - und diese Methode hatte sich als richtig erwiesen. Mit bloßem Auge hatte der Waffenmeister der „Gran Duque de Almeria" die Schwimmerin nach einigem Umherspähen in den Fluten entdeckt. Er hatte die sieben Männer auf den Bootsduchten angefeuert, schneller zu pullen, und dann hatten sie es geschafft: Sie waren bei Florinda angelangt, ehe sie ihrer richtig gewahr wurde. Benavente hatte versucht, ihr ein Tau über die Schultern zu werfen. Er hatte sein Ziel getroffen, aber Florinda war trotz ihres Schreckens geistesgegenwärtig genug gewesen, das Tau wieder abzustreifen. Die Jolle war näher an sie herangeglitten. Benavente hatte die Hände nach ihr ausgestreckt, hatte ihre Haare gepackt und daran gezerrt. Florinda hatte jenen Schrei ausgestoßen, der bis zur „Gran Duque" und zur „Isabella" hin zu hören gewesen war. Dann hatte Luis Benavente getrachtet, den Kopf des Mädchens unter Wasser zu drücken. Ja, er hatte sie wie eine Katze ersäufen wollen. Mit Leichtigkeit hätte er es später so hingestellt, daß es aussah, als habe sie erbitterten Widerstand geleistet und habe dabei den kürzeren gezogen. Aber wieder hatte er sich verkalkuliert. Florinda hatte ihn in die Hand gebissen. Sie hatte sich losgerissen, war getaucht, von der Jolle weggeschwommen - und ehe der Waffenmeister an eine neue Verfolgung denken konnte, hatte einer der Rudergasten entsetzt ausgestoßen: „Luis, Luis - da ist was, das auf uns zusteuert!" Fast im selben Moment hatte der Ausguck der „Gran Duque" seinen gellenden Warnruf ausgestoßen. Luis Benavente fuhr herum. Er mußte sich mit beiden Händen am Dollbord festhalten, um vor Schreck nicht aus dem
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Gleichgewicht zu geraten. Nur schwach waren die Konturen des heranrauschenden Schiffes in der Finsternis dieser Nacht zu erkennen, und doch wirkten sie so wuchtig und drohend, daß dem durchtriebenen Waffenmeister das Herz wahrhaft in die Hosen sank. Ein Gespenst schien dieses große Schiff zu sein, ein Monstrum unter den Wolkentürmen, unwirklich und gleichzeitig doch so erschreckend real. „Eine Galeone", stammelte Benavente. „Santissima Madre, und was für ein Kahn! Al diablo, wer in aller Welt ist denn das bloß?" „Er führt keine Hecklaternen", stieß einer der Rudergasten aus. „Das ist ein Spukschiff!" rief ein anderer. Der Mann, der die Ruderpinne der Jolle bediente, schrie: „Dios, er will uns rammen! Wir müssen hier weg, Leute, nichts wie weg! So pullt doch!" „Ausweichen", drängte nun auch Benavente. „Nach Steuerbord! Noch können wir es schaffen!" Die Männer arbeiteten wie besessen mit den Riemen, und der Mann auf der achteren Ducht drückte die Pinne ganz herum. Die Jolle nahm wieder Fahrt auf, schwenkte nach Westen und floh vor der nahenden Galeone wie eine Maus vor dem Elefanten. Der Schattenriß des Schiffes mit den überhohen Masten wuchs und wuchs, und dann schob es sich so hart am Bootsheck vorbei, daß Luis Benavente und seine Leute dachten, es würde sie doch noch zermalmen. Nie war dem Waffenmeister ein größerer Schreck durch die Glieder gefahren. Er spürte, wie seine Knie bebten, und fühlte, daß ihm der kalte Schweiß auf der Stirn stand. Die Galeone verfügte über niedrige Aufbauten. Sie war ein eleganter Schnellsegler, wie der Spanier in diesem Moment konstatierte. Die Rohre von Culverinen lugten aus den offenen acht Stückpforten der Steuerbordseite, ihre Mündungen schienen die Männer in der Jolle höhnisch anzugähnen.
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Kein Mensch zeigte sich am Schanzkleid des Dreimasters, es schien wirklich ein Geisterschiff zu sein. Benavente fühlte sich von unbändiger Wut gepackt. Er bückte sich, hob eine Muskete auf, die er mitgenommen hatte, richtete sich zu seiner vollen Größe im Bootsbug auf und legte, nachdem er den Hahn des Steinschlosses energisch gespannt hatte, auf die Galeone an. „Will doch mal sehen, ob ich dem Spuk nicht ein Ende bereite", stieß er wild hervor. Er hatte entdeckt, daß die Galeone über ein Ruderhaus verfügte. Gespenster oder nicht - von irgend jemandem mußte dieses Schiff der Hölle ja gesteuert werden. Benavente zielte auf das Ruderhaus und versuchte, aus der schwankenden Jolle heraus einen einigermaßen guten Schuß anzubringen. Langsam krümmte sich sein Zeigefinger um den Abzug der Muskete. Die Galeone glitt vorbei. Benavente zog seine Waffe nach rechts und visierte einen imaginären Punkt ein Stück vor dem Ruderhaus an, um die Fahrtbewegung auszugleichen. Im nächsten Moment drückte er ab. Der Rückstoß der Muskete fiel wegen einer kräftigen Pulverladung in ihrem Lauf heftig aus, fast warf er Benavente aus der Jolle. Der Waffenmeister wankte und fluchte, konnte sich fangen und griff zur nächsten Muskete, die unter den Duchten lag, um einen zweiten Schuß auf das Schiff abzufeuern. Im Krachen der Muskete hatten zwei Rudergasten auch zu ihren Waffen gegriffen. Benaventes Beispiel folgend, richteten sie sich ebenfalls auf und legten auf die Galeone an, die sich jetzt anschickte, ihnen das Heck zuzudrehen. Sie hielten keine Musketen, sondern kurzläufige Blunderbüchsen mit trichterförmig erweiterten Mündungen. Auf die geringe Distanz konnten sie auch damit noch recht viel ausrichten. „Feuer!" schrie Benavente. „Auf was wartet ihr Idioten denn noch?" Sie drückten ab. Das Krachen der Büchsen erfolgte fast gleichzeitig. Gehacktes Blei
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und Eisen prasselten in den Spiegel des unbekannten Schiffes. Benavente wollte seine zweite Muskete zum Einsatz bringen, hielt aber jäh inne, weil etwas Längliches, Unförmiges vom Achterdeck der Galeone zu ihnen herüberwirbelte. Ein Geschoß? Nein, es konnte keins sein, denn es hatte ja keinen Geschützdonner und keinen Feuerblitz gegeben. Außerdem beschrieb keine Kanonenkugel dieser Welt eine so seltsame, quirlige Flugbahn. Aber - täuschte sich Luis Benavente, oder knisterte an diesem unerkennbaren Objekt so etwas wie eine Lunte? Sprühten da nicht winzige Funken, zischte da nicht etwas auf ganz bedenkliche Weise? Der Waffenmeister war so überrascht, daß er nichts unternahm, bis das „Objekt" dicht neben der Jolle in die See klatschte. Ganz steif stand er da. Als jedoch der „Gegenstand" im Wasser verschwunden war, lockerte sich seine Haltung. Er lachte auf und traf Anstalten, nun doch noch auf die davonsegelnde Galeone zu schießen. Dazu kam er jedoch nicht mehr, denn plötzlich bebte die See. Sie bäumte sich ausgerechnet unter der Jolle auf - und nur dort, wie Benavente und seine Kameraden etwas später feststellten. Ein immens großer Pilz schien aus dem Meer zu wachsen. Auf seinem Buckel schaukelte die Jolle. Die Spanier schrien auf. Das Beiboot krängte und kippte um. Der Mann von der Heckducht war der erste, der mit ausgebreiteten Armen und Beinen ins Wasser stürzte. Es folgten Benavente und dann die sechs Rudergasten. Fluchend und prustend landeten sie in den Fluten - und sie konnten noch froh sein, daß sie nicht von ihrem eigenen Boot erschlagen wurden. Das knallte nämlich nah bei ihnen in die See zurück. Benavente hätte sich nur drei, vier Fuß weiter südlich zu befinden brauchen, er wäre durch das Dollbord der Jolle getötet worden. Es hätte ihm glatt das Genick gebrochen. Die Jolle lag jetzt kieloben im Wasser, die Explosion hatte sie hochgeschleudert und herumgedreht.
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Luis Benavente schwamm zum Boot und klammerte sich daran fest. Er blickte zu der Galeone, deren Konturen jetzt wieder von der Nacht geschluckt wurden, spuckte einen Schwall Salzwasser aus und stotterte: „Bei - bei allen Heiligen - was war das? Was haben die mit uns - mit uns gemacht?" Keiner seiner sieben Mitstreiter wußte eine Antwort darauf. * Ferris Tucker hatte die Flaschenbombe zur Jolle der Spanier hinübergeschleudert eine von denen, die nur eine kurze Lunte hatten. Während des Fluges der Höllenflasche brannte diese Zündschnur bis durch den Korken herunter, so daß sie auch nach dem Eintauchen ins Wasser noch weiterglomm. So hatte die Detonation unter Wasser stattgefunden, und sie war stark genug gewesen, um die Jolle ein paar Yards in die Höhe zu katapultieren und die Dons hinauszuschleudern. Nein, eigentlich hatte Ferris nicht vorgehabt, seine Handgranaten ohne den ausdrücklichen Befehl des Seewolfs einzusetzen. Als er aber Pete Ballie im Ruderhaus unter dem Musketenschuß hatte zusammenbrechen sehen, da hatte ihn nichts mehr gehalten. In seiner Wut hätte er den Spaniern das Höllenei am liebsten zwischen die Beine gesetzt, aber zumindest in diesem Punkt hatte er sich bremsen können. Keine Toten sollte es geben. Die Spanier sollten nur erschreckt werden, wie Hasard gesagt hatte. Ferris stürmte jetzt mit Ben Brighton, Shane und Smoky auf das Ruderhaus zu. Von vorn nahten Carberry, die beiden O'Flynns und einige andere Männer, aber der Seewolf war am schnellsten von allen gewesen. Er hatte den armen Pete bereits erreicht. Zu seiner großen Erleichterung hatte Pete sich schon wieder halb aufgerichtet -und er grinste, das war am meisten wert! „Sir", sagte Pete Ballie. „Ich bitte, das zu entschuldigen. Ich hab wohl nur einen
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kleinen Kratzer abgekriegt, aber - Mann, es hat mich glatt umgehauen." „Zeig mal her", sagte Hasard rauh. „Wo sitzt das Ding denn? In der Schulter?" „Nee, hier im linken Arm. Ich - au, verdammt noch mal!" Hasard griff zu und half Pete behutsam auf die Beine. Er sah, daß viel Blut aus dem linken Arm seines Rudergängers lief, und plötzlich verfluchte er den Augenblick, in dem er sich entschlossen hatte, den Spaniern auf den Zahn zu fühlen und sich um die Frau, die den Schrei ausgestoßen hatte, zu kümmern. Ben Brighton trat ein und übernahm sofort das Ruder, damit die „Isabella" nicht aus dem Kurs lief. „Wo steckt der Kutscher?" stieß der Seewolf ziemlich unwirsch aus. „Warum, zum Teufel, hat: keiner den Kutscher verständigt?" „Hier bin ich." Der Kutscher befand sich in diesem Augenblick bereits hinter dem Rücken seines Kapitäns. Er hatte beim Sprint quer über die Kuhl die O'Flynns überholt und war ein wenig außer Atem geraten. Er warf nur einen Blick auf Petes Arm und sagte: „Sir, bringen wir ihn erst mal 'raus an Deck. Die Gefahr ist ja vorbei, die Dons schießen nicht mehr. Ich muß mir die Wunde richtig besehen, hier ist es mir zu dunkel dazu. Hasard wollte Pete stützen, aber der lehnte mit einer Geste ab, grinste wieder und meinte: „Danke, aber ich kann noch ganz gut allein laufen. He, Leute, was glotzt ihr mich so dämlich an? Ich trage doch schließlich meinen Kopf noch nicht unterm Arm, oder?" Er ging etwas schwerfällig an den Männern, die sich inzwischen um das Ruderhaus versammelt hatten, vorbei zum Backbordschanzkleid des Achterdecks. Kurz vorm Schanzkleid wurde ihm schwindlig. Fast brach er zusammen, konnte sich dann aber mit dem unversehrten Arm abstützen. Er setzte sich auf seinen Hosenboden, streckte die Beine von sich und sagte: „Sir, ich schwöre, daß ich keine Schmerzen habe. Ist nur eine Kleinigkeit, wirklich."
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Blacky hatte sich vorgedrängt und blickte auf den verwundeten Mann nieder. „Pete, nun rede doch keinen Mist", sagte er. „Wem willst du eigentlich was vorerzählen? Wir wissen doch alle, wie einen eine -solche Blessur piesacken kann - ich am besten. Dich lacht bestimmt keiner aus, wenn du mal so richtig stöhnst." Der Kutscher hatte Petes Hemdsärmel auf getrennt und nestelte an der blutenden Wunde im linken Oberarm herum. Pete preßte die Lippen zusammen, verdrehte ein wenig die Augen, wurde aber nicht ohnmächtig. Als der Kutscher die Blessur mit einer seiner säubernden und desinfizierenden Mixturen zu bearbeiten begann, entfuhr dem Rudergänger dann wirklich ein tiefes Stöhnen. „Wie war das, Blacky?" fragte er. „Nicht schlecht, probier's noch mal." Und Pete stöhnte noch einmal. „Was ist, soll ich eine Lampe holen?" fragte Dan O'Flynn. „Kutscher, vielleicht ist das besser." „Nein, danke, nicht nötig. Ich kriege das auch so hin. Außerdem würde das Licht den Spaniern verraten, wie unsere jetzige Position ist." „Wir tragen Pete am besten unter Deck, in eine der Kammern des Achterkastells", sagte der Seewolf. „Dort können wir soviel Licht machen, wie wir wollen, es dringt nicht nach draußen." „Sir", erwiderte der Kutscher. „Das ist wirklich nicht erforderlich. Ich will dir auch sagen, warum. Ich habe soeben festgestellt, daß die Kugel nicht in Petes Arm steckt. Sie muß zur anderen Seite wieder 'rausgeflogen sein, nachdem er getroffen worden war, und das ist ein riesengroßes Glück. Ich muß den Arm jetzt nur abbinden, um den Blutfluß zum Stillstand zu bringen. Dann kriegt Pete einen Verband von mir verpaßt, vielleicht noch einen Schluck Whisky, das ist alles." Pete fixierte den Kutscher aus schmalen Augen. „Hör zu, Kutscher, mich kannst du nicht verschaukeln. Nun gib's schon zu, du mußt den Arm amputieren. Mann, ich kann die Wahrheit doch verkraften."
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„Du hast sie wohl nicht mehr alle", fauchte der Kutscher. „Leidest du jetzt plötzlich unter Einbildungen? Ich kann dir ja ein Ohr oder sonst was amputieren, wenn du so großen Wert darauf legst - aber den Arm lassen wir hübsch dran." Die Männer lachten leise. Hasard nickte seinem Rudergänger beruhigend zu und sagte: „Du kannst wirklich ganz unbesorgt sein, Pete, der Kutscher hat dir schon die Wahrheit gesagt. Und deinem Kapitän glaubst du doch wohl, oder?" „Ja, Sir." Pete zeigte jetzt wieder ein verkniffenes Gesicht. „Übrigens will ich auch nicht an den Fähigkeiten des Kutschers gezweifelt haben." „Ich hab's auch gar nicht falsch aufgefaßt", erwiderte der Kutscher, während er fortfuhr, Petes Arm nach allen Regeln seiner Feldscherkunst zu verarzten. Hasard drehte sich zu Philip Junior um, der mit seinem Bruder Hasard auf dem Achterdeck erschienen war. „Hol mal die Whiskyflasche aus der Kombüse. Aber nur die Whiskyflasche, nichts anderes, verstanden? Und paß mir ja auf, daß weder Arwenack noch Sir John dir folgen." „Aye, aye, Sir", sagte Philip brav. Er drehte sich um, rannte los und kehrte binnen kürzester Zeit mit der randvollen Flasche zurück. Der Seewolf hatte aufgeschaut. „Ferris", sagte er. „Die Spanier in der Jolle haben drei Schüsse auf uns abgegeben, die letzten beiden mit Tromblons, wenn ich mich nicht irre. Haben diese TromblonLadungen am Heck irgendwelchen Schaden angerichtet?" „Nur das Glas der Laterne haben sie zerschlagen", erwiderte der Schiffszimmermann. „Sonst ist alles in bestem Zustand. Ich werde unserer Hecklaterne ein neues Fenster verpassen, das ist weiter kein Problem. Aber da wäre noch was – mein eigenmächtiges Verhalten, die Sache mit derHöllenflasche! Ich hoffe, daß du mich deswegen nicht verdonnerst." „Das war schon in Ordnung so, Ferris. Ich hätte dir ohnehin den Befehl dazu erteilt. „Danke, Sir."
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„Hier, nimm mal die Buddel und entkorke sie", sagte der Seewolf. „Pete steht natürlich der erste Schluck zu und dann noch ein Extraschluck. Anschließend könnt ihr die Flasche kreisen lassen." Ferris Tucker nahm die Flasche aus der Hand des kleinen Philip entgegen und entstöpselte sie mit den Zähnen. Er spuckte den Korken über Bord und reichte die „Buddel" mit breitem, aufforderndem Grinsen Pete Ballie, der auch sofort dankbar zugriff. „Wo ist das Mädchen abgeblieben?" erkundigte sich der Seewolf. „Dan, hast du auf sie aufgepaßt?" Der junge Mann schüttelte den Kopf. „Ich konnte es nicht. Vergiß nicht, daß wir nur gesehen haben, wie sich die Dons aus der Jolle zu ihr ins Wasser beugten, das war alles. Ich habe sie gar nicht richtig zu Gesicht gekriegt." Hasard erhob sich. Er wollte die gleiche Frage an Bill und Gary Andrews richten, die nach wie vor im Großbeziehungsweise Vormars Ausguck hielten. Aber jetzt meldete sich bereits Gary zu Wort, anders allerdings, als Hasard es sich vorgestellt hatte. „Sir!" rief Gary. „Land voraus! Da muß eine größere Insel im Süden vor uns liegen. Verdammt, ich will eine Woche lang das Oberdeck schrubben, wenn das eine Täuschung ist!" Hasard hatte keinen Grund, an den Worten von Gary Andrews zu zweifeln. Er wandte sich sofort an Carberry und sagte: „Ed, anluven! Wir sehen zu, daß wir nach Westen ablaufen und nicht auf eine Untiefe, möglicherweise ein Riff, brummen." „Aye, Sir", sagte der Profos. Dann scheuchte er die Crew mit seinen üblichen Sprüchen über die Kuhl. Pete Ballie wollte wahrhaftig wieder der das Ruder übernehmen, aber Hasard verbot es ihm. Während Dan O'Flynn wieder über die Kuhl zur Back lief und seinen Posten dort einnahm, bediente sein Vater das Ruder. Der Alte schaute mit faunischem Grinsen zum Seewolf hinüber und meinte: „Na
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bitte, ich habe ja doch mal wieder recht gehabt. Wir rauschen geradewegs mitten zwischen die Azoren-Inseln, wenn wir nicht höllisch achtgeben. Ho, um welche Insel mag es sich da wohl handeln?" „Das ist mit ziemlicher Sicherheit Sao Miguel", erwiderte Hasard. „Für uns ist es unerfreulich, daß wir gegen unsere eigentliche Absicht bis hierher befördert worden sind, aber die Frau oder das Mädchen, die von den Spaniern gehetzt wird, wird froh sein, sich auf die Insel retten zu können." „Und dort?" fragte Ben Brighton. „Was blüht ihr dort?" „Das weiß keiner", erwiderte Hasard. „Drücken wir ihr die Daumen, daß sie mit heiler Haut davonkommt." 5. Immer dann, wenn Florinda Martinez Barrero aus den Fluten hochtauchte, konnte sie zu ihrer Rechten die große Galeone mit den langen Masten segeln sehen. Sie wußte nicht, was sie von dem Erscheinen dieses unheimlich und rätselhaft wirkenden Dreimasters halten sollte, aber eins war ihr klar: Sie hatte es diesem Schiff und dessen Besatzung zu verdanken, daß Benagende und die sieben anderen Männer sie nicht weiter verfolgt hatten. Die Explosion hatte unter Wasser eine Druckwelle entwickelt, die auch Florinda erreicht und sie geschüttelt hatte. Wie sich die Dinge im einzelnen abgespielt hatten, war von dem Mädchen nicht beobachtet worden, weil sie nur daran gedacht hatte, so weit wie möglich von der Jolle formzutauchen. Aber sie hatte immerhin registriert, daß das Boot jetzt kieloben im Wasser lag und Luis Benavente und die anderen baden gegangen waren. Unzweifelhaft war dies auf eine Aktion der Männer der unbekannten Galeone zurückzuführen. Schüsse waren gefallen. Pulver mußte gezündet worden sein, wie sonst hatte die Explosion erfolgen können? Warum aber hatte die fremde Galeone die
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Männer der „Gran Duque de Almeria" überhaupt angegriffen? Fragen über Fragen, auf die Florinda keine Antwort wußte. Sie holte tief Luft und tauchte erneut, und als sie wieder den Kopf über die Wasseroberfläche hinausschob, stellte sie fest, daß die fremde Galeone den Kurs geändert hatte. Sie wandte ihr jetzt das Heck zu und segelte davon. Florinda war- derart in die Betrachtung der Galeone vertieft, daß sie die Nähe der Insel erst bemerkte, als sie mit den Füßen auf Grund stieß. Erstaunt wandte sie den Kopf, blickte nach Süden - und sah das Ufer vor sich. Die Höhenzüge, die sich sanft gewellt über diese Insel schoben, nahmen sich deutlich genug gegen den düsteren Nachthimmel aus. Irgendwo wußte etwas Mondlicht durch die Wolken dringen, außerdem hatten sich Florindas Augen derart an die Dunkelheit gewöhnt, daß sie auf eine gewisse Distanz Einzelheiten ihrer Umgebung erkennen konnte. Vor Freude wäre sie fast in Tränen ausgebrochen. Lange hätte sie das Schwimmen nicht mehr durchgehalten. In ihren Lungenflügeln hatten bereits schmerzhafte Stiche gebohrt, und ihre Arme und Beine hatten erste Ermüdungserscheinungen gezeigt. Jetzt brauchte sie nichts weiter zu tun, als zu waten. Sie geriet auf eine der Insel vorgelagerte Sandbank und kroch darüber, um sich nicht zu hoch aufzurichten und womöglich ihren Verfolgern zu zeigen. Der sandige Grund fiel wieder etwas ab. Florinda arbeitete sich noch einmal durch tieferes Wasser voran, gelangte dann wieder auf eine sanfte. Steigung und erreichte schließlich die rauschende, gischtende Brandung, deren Wellen um ihre Waden schäumten. Florinda schlich an Land und schlüpfte in das Dickicht einer nicht weit entfernt liegenden Uferböschung. Hier setzte sie sich hin, verschnaufte und dachte über ihre Lage nach. Andres! Vielleicht ist er mir doch gefolgt, vielleicht ist er gleich ins. Wasser gesprungen, als er
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geweckt wurde und hörte, was mit mir geschah. Er hat mir nicht beistehen können, weil er zu weit von mir entfernt war, dachte sie, aber er schafft es auch bis zu dieser Insel und geht in diesem Moment vielleicht irgendwoanders an Land. Bald treffen wir uns... Erst jetzt fiel ihr ein, was ihr Andres einmal über die Tiburones, die gefürchteten Haie, erzählt hatte. Sie war diesen gefährlichen Jägern der See entgangen. Sie hatte Glück gehabt und war von ihnen nicht angegriffen worden. Oder schliefen die Haie bei Nacht? Sie wußte es nicht. Sie betete inständig darum, daß auch Andres soviel Glück haben möge wie sie. Sie blickte an sich nieder. Ihres grobleinenen Rockes hatte sie sich im Wasser entledigen müssen, um beim Schwimmen nicht behindert zu werden. Natürlich hatte sie ihn nicht bergen und sich etwa um die Hüfte knoten können dazu war bei ihrer überstürzten Flucht weiß der Himmel nicht die Zeit gewesen. So saß sie praktisch nur mit ihrer durchnäßten Unterwäsche da, abgesehen von der weißleinenen- Bluse, die ihr wie eine zweite Haut am Leib klebte. Ihre Beine waren nackt, ungeschützt, den Blicken eventueller Beobachter preisgegeben. Plötzlich schämte sie sich. Aber das war nicht das Schlimmste. Auch die Angst stellte sich wieder ein. Scheu schaute sie sich nach allen Seiten um. Beobachter - gab es die hier? War die Insel etwa bewohnt? Und wenn nicht, gab es doch sicherlich wilde Tiere, die sie bedrohen oder sie angreifen konnten. Sie wollte nicht zittern, aber es war übermächtig in ihr. Mit einemmal bebte sie am ganzen Leib, fröstelte und schlug mit den Zähnen aufeinander, obwohl es eine verhältnismäßig warme Nacht in einer milden Klimazone war, die der Andalusiens vergleichbar war. Existierten auf dieser Insel Raubkatzen? Luchse? Panther? Oder vielleicht sogar Wölfe? Selbst wenn sie hier nicht lebten, gab es doch sicherlich alle jenen
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scheußlichen Kreaturen, die Florinda so sehr fürchtete: Schlangen, giftige Spinnen, Skorpione, alle möglichen Arten von Echsen, vermutlich sogar Alligatoren. Sie sprang auf, als wäre sie gebissen worden. Wieder hielt sie Umschau, bemerkte aber nichts Verdächtiges, Erschreckendes. Trotzdem hielt sie nichts mehr in dem Dickicht. Verstört setzte sie ihren Weg ins Inselinnere fort. Sie drang immer tiefer in den Urwald ein und hoffte, bald die Hügel zu erreichen. Sie wollte nach einer Höhle suchen, in der sie unterkriechen konnte, oder nach einer übersichtlichen Anhöhe, von dessen höchstem Punkt aus sie überblicken konnte, ob sich ihr etwas näherte. Andres, wo bist du nur? dachte sie immer wieder. Sie hätte am Strand entlanglaufen können, um nach ihm zu suchen, aber sie fürchtete sich davor, es zu tun, weil sie Angst hatte, wieder mit den Männern der „Gran Duque de Almeria" zusammenzutreffen. Lieber versteckte sie sich und wartete zunächst einmal das Morgengrauen ab. Würde Kapitän Don Jose Manuel Ramos seine Männer auf der Insel landen lassen, um weiter nach ihr zu fahnden? Würde er wirklich soweit gehen? Oder segelte er mit seinem Schiff weiter? Aber wenn Andres die Flucht von der Galeone nicht geglückt war, wenn er sich noch an Bord befand, vielleicht in Gefangenschaft, weil er ihr hatte helfen wollen und sich so verraten hatte - sah sie ihn dann vielleicht niemals wieder? Florinda schlug die Hände vors Gesicht, schluchzte und ließ ihren Tränen freien Lauf. * Die Bucht war von einer Laune der Natur in das nördliche Ufer der Insel Sao Miguel hineingeschnitten worden. Ihre Zufahrt war sehr schmal, erlaubte aber nahezu jedem Schiffstyp, sie zu passieren. Hatte man diese halbe Kabellänge Strecke, die wie ein Kanal war, zurückgelegt, gelangte man in die eigentliche Bucht, die in ihrer Form
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wie ein riesiger Tropfen wirkte. Der südliche, halbkreisartige Uferrand des Tropfens bestand aus bewaldeten Hängen, alle anderen Küstenstreifen der Bucht waren fast völlig flach und stellenweise mit weißem oder gelbem Sand bedeckt. Barbante, der Pirat und Glücksritter, stand ganz vorn am Abbruch eines der höchsten Punkte der Hänge. Über seinem fast kahlen, von einem dunklen Tuch umwickelten Kopf breiteten sich die eigentümlich geformten Wipfel von Schirmpinien aus. Zwischen den Stämmen hindurch konnte Barbante auf das Wasser der Bucht blicken. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und versuchte, Bewegungen auf der glatten schwarzen Fläche des Tropfens zu erkennen. Neben ihm hatten sich Corona und Anselmo aufgebaut, seine ranghöchsten Kumpane. Alle drei standen sie rechts neben dem Geschütz, das Barbante unter viel Aufwand von Zeit und Kraft hier hatte heraufschaffen lassen. Es war eine Serpentine, ein 4-Pfünder-Hinterlader, mit dem man dank einer drehbaren Gabellafette, die fest in den Untergrund gerammt worden war, auf nahezu jede Stelle Stelle der Bucht feuern konnte. Von diesen Serpentinen gab es noch vier weitere Exemplare auf den Hängen. Alle waren gut versteckt zwischen den Bäumen und Büschen und konnten von der Bucht aus selbst bei Tag nicht entdeckt werden. Von dem Platz unter den Pinien hatte Corona vor kurzem die Lichter eines Schiffes unweit der Küste entdeckt. Wenig später hatten die Piraten das Krachen von Handfeuerwaffen vernommen - und Schreie. Ihre Neugier war geweckt, sie hatten zwei Späher zur Einfahrt der Bucht geschickt. „Die Pinasse kehrt zurück", sagte Anselmo in diesem Augenblick. „Gleich geben sie sicherlich auch das Zeichen." Barbante konnte den Einmaster noch nicht erspähen, und das ärgerte ihn insgeheim. Dann aber war ihm doch so, als gleite etwas schräg unter ihnen auf das Südufer der Bucht zu, und im selben Moment
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ertönte auch schon der Schrei eines Nachtvogels. „Gehen wir 'runter", sagte er. „Falls es etwas für uns zu tun gibt, entern wir gleich in die Pinasse und kreuzen zurück zur Buchteinfahrt. Vielleicht ist jede Minute kostbar." Er eilte den recht steilen Hang auf einem Pfad hinunter, den er auch mit geschlossenen Augen hinter sich gebracht hätte, ohne einen einzigen Fehltritt zu tun. Unten trat er zu den Männern der Pinasse, die jetzt bereits angelegt hatten und bedeutungsvoll zu ihm herüberwinkten. Sie hießen El Grullo und Josefe und galten als die besten, raffiniertesten Kundschafter der Freibeuterbande. „Eine spanische Galeone", erklärte El Grullo. „Sie hat zwei Beiboote abgefiert, aber das eine liegt kieloben im Wasser, was offenbar auf den Angriff einer zweiten Galeone zurückzuführen ist, die inzwischen nach Westen abläuft. Der Capitan des spanischen Schiffes tobt. Seine Kerls sind dabei, die Narren aus der umgekippten Jolle zu übernehmen. Mehr haben wir nicht gesichtet." Barbante hatte die Fäuste in die Seiten gestemmt. „Eine zweite Galeone? Was ist das für ein Kahn? Woher kommt er? Was für eine Flagge, was für einen Namen führt er?" „Das alles ist in dieser Finsternis nicht zu erkennen", erwiderte Josefe. „Wir haben wirklich die Augen aufgesperrt, aber wir können uns auf das Erscheinen und die Bedeutung dieser Schiffe auch keinen Reim bilden. Nur eins scheint gewiß zu sein - sie sind Feinde. Der eine hat dem anderen das Beiboot zum Kentern gebracht." „Durch Schüsse?" „Weiß der Teufel wodurch", entgegnete nun El Grullo. „Jedenfalls reckt die Jolle ihren Bauch nach oben, soviel haben wir gesehen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß die Spanier hier auf der Insel landen wollten, und vielleicht tun sie's auch noch, wenn sie von ihrem Gegner nicht wieder gestört werden. Wir sollten ruhig abwarten,
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bis die Burschen den Weg in unsere Bucht gefunden haben." Barbante war mit dieser Meldung ganz und gar nicht zufrieden. „Hört mal zu", sagte er. „Corona ist sicher, vorhin auch einen Frauenschrei vernommen zu haben. Habt ihr irgendwo ein Weibsbild entdecken können?" „Nicht die Spur davon", erwiderte El Grullo. Corona, der inzwischen neben seinem Anführer eingetroffen war, sagte: „Ich bleibe dabei. Da schrie eine Frau." Anselmo war nun auch zur Stelle und pflichtete ihm bei: „Ja, ich habe ihr Kreischen ebenfalls gehört. Jefe, du weißt, daß wir stocknüchtern sind. Wir sind keinem Irrtum aufgesessen. Da ist ein Weiberrock mit im Spiel. Vielleicht ist sie sogar der Anlaß für den ganzen Aufstand." Barbante fuhr sich mit der Hand durch den dunklen Vollbart. „Laßt mich mal überlegen. Manchmal nehmen gewisse Halunken von Schiffskapitänen Huren mit an Bord, um während der langen Überfahrt in die Neue Welt ihre Kurzweil zu haben. Das könnte hier der Fall gewesen sein. Möglicherweise hat der Narr, der jene spanische Galeone dort führt, entweder die Nase voll gehabt von dem Weib, weil es ihm zu dreist geworden und auf seiner Nase herumgetanzt ist - oder 'sie hat sich der Mannschaft gezeigt, hat Zwietracht gesät und für eine Meuterei gesorgt. Vielleicht hat sie auch geklaut, wer weiß. Als der Kapitän, dieser Esel, sie bestrafen wollte, ist sie außenbords gehüpft. Na, wie findet ihr das?" Corona entgegnete: „Du meinst, der Kapitän hat sie daraufhin suchen lassen?" „Mit den Booten, ja." „Und dann ist die zweite Galeone plötzlich aufgetaucht und ist dazwischengefahren", meinte Anselmo. „Hört sich plausibel an." „Warum?" fragte Corona. „Ich schätze, die Besatzung des zweiten Schiffes hat das Weib auch schreien hören", meinte Anselmo. „Und da hat sie beschlossen, sie zu retten und aus dem Wasser zu ziehen."
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„Das ist ein Ding mit vielen Haken und Ungereimtheiten", sagte Barbante verdrossen. „Die Sache gefällt mir nicht, vor allen Dingen auch, weil ich nicht begreife, wie die Gegner unserer lieben spanischen Landsleute die Jolle zum Kentern bringen konnten. Bevor wir etwas unternehmen, beobachten wir weiter. Denn selbst wenn die Galeone ein Fressen für uns ist, dürfen wir nicht den Fehler begehen, zu voreilig zu sein." „Jefe", sagte El Grullo. „Es wäre gut, wenn wir die Entwicklung der Dinge irgendwie beeinflussen könnten. Die spanische Galeone da draußen scheint mir genau richtig für unsere Zwecke zu sein. Ein schöner, solide gebauter Kauffahrteifahrer, nicht sonderlich gut armiert, wie es scheint - mit dem könnten wir leicht fertigwerden. Was er geladen hat, wissen wir nicht, aber es interessiert uns doch eigentlich nur am Rande, oder?" „Allerdings", sagte Barbante. „Ich will endlich wieder ein gutes Schiff unter den Füßen haben. Diesen Schlupfwinkel hier werden wir behalten, aber ich will längere Fahrten und großangelegte Beutezüge unternehmen können und Reichtümer auf der Insel horten. Bislang haben wir uns mehr schlecht als recht durchgeschlagen, und mit der einen Pinasse hier und den zwei Schaluppen, die wir haben, würde es auch ewig so bleiben." „Ja, das stimmt", meinte Corona. „Was planst du also?" „Man müßte einen Weg finden, die Galeone in unsere Bucht zu locken." „Das schaffen wir nie", sagte Josefe. Er handelte sich mit dieser Äußerung aber nur die mißbilligenden Blicke der vier anderen ein. Seit gut einem Jahr saßen Barbante und seine Bande - mehr als zwei Dutzend Männer - nun schon auf der Insel Sao Miguel fest. Sie hatten zur Besatzung eines spanischen Frachtseglers der NeuspanienFlotte gehört, der bei der Überfahrt von Spanien in die Neue Welt bei einem Sturm vor den Azoren von seinem Konvoi getrennt worden war.
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Der Entbehrungen und der Schikanen des Kapitäns müde, hatte der Großteil der Mannschaft unter Barbantes Führung gemeutert. Es war ihnen gelungen, das Kommando an sich zu reißen. Sie hatten die meisten Offiziere im Kampf getötet, den Kapitän jedoch in einen der Schiffsräume gesperrt. Barbante hatte sich selbst zum neuen Kapitän ernannt, Corona war sein erster Offizier geworden, Anselmo der Bootsmann. Doch der rechtmäßige Kapitän der Galeone hatte sich aus seinem Gefängnis befreit, sich Pulver besorgt und durch eine Sprengung im Frachtraum ein riesiges Leck geschaffen. Er war dabei selbst umgekommen und mit der Galeone gesunken. Barbante, Corona, Anselmo, El Grullo, Josefe und die anderen Meuterer hatten nur noch die beiden Schaluppen und die Pinasse abfieren können, die die Galeone zusätzlich zu den regulären Beibooten mitgeführt hatte, um sie in der Neuen Welt zurückzulassen. Mit diesen Einmastern, die im Bug mit je einer Drehbasse armiert waren, hatten die Männer zur Insel Sao Miguel gefunden. Sie hatten die tropfenförmige Bucht entdeckt, hier ihr Lager aufgeschlagen und sich häuslich niedergelassen. Die Insel bot ihnen durch ihre Fauna und Flora genügend Verpflegung. Auch Trinkwasser war reichlich vorhanden. Barbante hatte beschlossen, fortan ein Dasein als Freibeuter zu führen und fremden Schiffen aufzulauern, und seine Anhänger hatten ihm ausnahmslos versichert, daß sie bei ihm bleiben und mitmachen würden. Die fünf Serpentinen am Südufer der Bucht stammten von einer portugiesischen Karavelle, die sich bei einem Unwetter einmal regelrecht in die Bucht „verirrt" hatte. Barbante und seine Spießgesellen hatten dieses Schiff mit den zwei Schaluppen und der Pinasse angegriffen, die Besatzung getötet und den Segler an sich gebracht. Die Karavelle hatte Barbantes „Flaggschiff" werden sollen, vorläufig
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zumindest, aber er war damit zwischen Sao Miguel und der Nachbarinsel Terceira auf ein Riff gelaufen. Das Schiff war zerschellt, er hatte nur noch die Serpentinen retten können, die leicht genug waren, um von den Schaluppen und der Pinasse nach Sao Miguel transportiert zu werden. Sechs Demi-Culverinen, die die Karavelle ebenfalls mitgeführt hatte, hatte Barbante wegen ihres Gewichtes der See überlassen müssen. Die fünf Kerle am Rand der Bucht horchten plötzlich auf. Ein Schrei, offenbar in hellem Entsetzen ausgestoßen, wehte vom Nordufer der Insel zu ihnen herüber. Er brach ab und wurde von dem Zirpen der Zikaden, die jede Nacht ihr Konzert hielten, abgelöst. „Das war sie wieder", stieß Corona aus. „Die Frau..." „Sie ist auf der Insel", sagte Barbante. „Ich weiß jetzt, wie wir die Galeone in die Bucht locken. Wir fangen dieses Weibsbild und lassen sie noch ein wenig schreien. Josefe, lauf sofort zum Lager hinauf und sag den Männern Bescheid, sie sollen zum Nordufer hin ausschwärmen. Nur drei Mann bleiben als Wachtposten im Lager zurück. Wir, Corona, Anselmo, El Grullo und ich, setzen schon mal mit der Pinasse über. Wir treffen uns alle drüben an der Nordseite der Bucht und bilden drei Gruppen, die in verschiedenen Richtungen nach der Frau suchen. Es wäre doch gelacht, wenn wir sie nicht finden würden. Als Zeichen für die gegenseitige Verständigung nehmen wir wieder den Ruf der Waldohreule." „Ja, Jefe", erwiderte Josefe. Er lief los, hetzte den Pfad hinauf, der ins Lager führte, und dachte daran, wie lange es schon her war, daß er keine richtige Frau mehr gesehen, geschweige denn angefaßt hatte. 6. Die Schlange hatte sich von einem niedrigen Baumast herabgewunden, und Florinda hatte ihren häßlichen, platten Kopf mit der zuckenden Zunge plötzlich
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vor sich aus der Dunkelheit hervorwachsen sehen. Fast wäre sie gegen den abscheulichen Leib gestoßen, fast wäre sie gebissen worden - und dies war genau der Augenblick, in dem sie ihren spitzen Schrei nicht mehr hatte zurückhalten können. Sie ließ sich einfach fallen, kroch wimmernd durch das üppige, verfilzte Dickicht und griff dabei zwischen die stacheligen Halme einer Pflanze. Die Dornen ritzten ihre Haut. Sie keuchte entsetzt, befreite sich von dem Gestrüpp, kroch weiter, blickte sich um - und stellte zu ihrer grenzenlosen Erleichterung fest, daß die Schlange nicht mehr zu sehen war. Immer noch am ganzen Leib zitternd richtete sie sich auf. Sie strich sich die nassen hellbraunen Haare aus dem Gesicht und fuhr sich mit beiden Händen über die Stirn und die Wangen. Ein paar Male atmete sie tief durch, dann setzte sie ihren Weg fort. Irgendwie gelang es ihr, neuen Mut zu fassen. Der Wille zu leben, der Selbsterhaltungstrieb waren stärker als die Ängste vor all dem, was sie sich in ihrer Phantasie ausmalte und was ihr noch zustoßen konnte. In welche Richtung sie sich bewegte, wußte sie inzwischen nicht mehr. Sie hatte die Orientierung verloren. Und auch jeglichen Zeitbegriff - sie wußte nicht mehr, ob Mitternacht schon vorbei war oder erst noch kommen mußte. So stolperte und tastete sie sich voran und hoffte, bald eine Anhöhe zu finden, auf der es eine Höhle oder eine andere Art von Unterschlupf gab. Als das Dickicht plötzlich aufbrach und den Blick auf eine Wasserfläche freigab, blieb Florinda überrascht stehen. Zunächst nahm sie an, sie wäre im Kreis gelaufen und hätte nun wieder den Strand erreicht, auf dem sie nach ihrer Flucht vom Schiff gelandet war. Dann aber stellte sie fest, daß es hier keine Brandung gab. Das Wasser war ruhig wie das eines Sees. War dies wirklich ein See im Inneren der Insel? Sie kniff die Augen zusammen und versuchte, mehr zu erkennen. Waren dort nicht die Umrisse von Booten?
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Ja, drei große Boote lagen auf dem Sandstrand, aber sie schienen, wie Florinda jetzt feststellte, nicht zur „Gran Duque de Almeria" zu gehören. Die Galeone hatte keine Boote mit Masten, soviel hatte sie bei aller Unkenntnis doch behalten. Wem mochten diese Einmaster gehören? Den Bewohnern der Insel? Existierten sie wirklich? Was für Menschen waren sie? Friedfertige Eingeborene? Floririda hatte die verschiedensten Überlegungen über das Aussehen, die Sprache und das Benehmen dieser vorerst noch fiktiven Eingeborenen angestellt, aber eine konkrete Vorstellung nahm in ihrem Geist keine Gestalt an.. Nur in einem Punkt war sie sicher: daß es nämlich für ein halbnacktes Mädchen wie sie auf keinen Fall ratsam war, sich diesen Menschen arglos zu nähern. Bei den drei Einmastern schien sich jedoch niemand aufzuhalten, verlassen lagen sie da. So faßte Florinda den mutigen Entschluß, sich die Boote aus der Nähe zu betrachten. Zwei Erwägungen brachten sie zu dieser Entscheidung. Erstens konnten sich in den Wasserfahrzeugen Waffen befinden, von denen sie gut die eine oder andere gebrauchen konnte, um sich gegen Tiere oder Wilde zu verteidigen. Zweitens kündigte ihr Magen durch intensives Knurren Hunger an, und sie wollte nachsehen, ob es unter den Duchten der Einmaster versteckt vielleicht etwas Eßbares gab. Früchte zum Beispiel. Sie bereute jetzt doch, im Kabelgatt der „Gran Duque" nicht die letzte Apfelsine gegessen zu haben, die ihr verblieben war. Aber wer hatte ahnen können, was kam? Florinda raffte all ihren Mut zusammen und verließ das Dickicht. Sie pirschte auf die zwei Schaluppen und die eine Pinasse zu, blieb nur einmal kurz stehen und lauschte, als der Ruf eines Nachtvogels erklang. Nichts Übles , ahnend, schlich sie dann weiter, langte an der Bordwand des ersten Einmasters an und betrachtete ziemlich verwundert die Drehbasse, die in dessen Bug auf einer Gabellafette montiert war. Hatten Eingeborene solche Geschütze?
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Zu spät bemerkte sie die Bewegungen hinter ihrem Rücken. Sie wurde erst richtig stutzig, als sich zwischen den Duchten der Schaluppe, die sie gerade genauer in Augenschein nehmen wollte, etwas regte. Da richtete sich eine menschliche Gestalt auf, da breiteten sich Arme aus, und Hände, gierigen Klauen gleich, streckten sich vor, um nach ihr zu greifen. Sie öffnete den Mund, brachte aber nur einen erstickten Laut hervor. Taumelnd ließ sie von der Bordwand der einmastigen Schaluppe ab und wich zurück. Dann aber vernahm sie Laute hinter sich. Sie fuhr herum und sah die Gestalten, die aus allen Richtungen vom Dickicht her über den Strand marschierten. Einer dieser Kerle fiel ihr besonders durch seinen wilden schwarzen Bart, das dunkle Kopftuch, das er trug, und seine stiernackige, wuchtige Statur auf. Dieser Mann war es auch, der jetzt als erster sprach. „Seht ihr, es hat geklappt. Wie schnell wir das Weibsstück doch erwischt haben, nicht wahr? Wir haben uns nicht einmal sonderlich große Mühe geben zu brauchen." „Ja", entgegnete ein anderer. „Sie ist uns glatt in die Falle gelaufen. Das war eine gute Idee von dir, Jefe, sich gleich hier am Rand der Bucht zu verstecken." Diese Männer sprachen spanisch! Wer waren sie? Florinda dachte überhaupt nicht darüber nach, sie richtete in ihrer spontanen Reaktion nur einen einzigen Appell an die Unbekannten. „Bitte, tut mir nichts an! Ich höre doch, ihr seid Landsleute. Laßt mich erzählen, was mir zugestoßen ist. Ich bin sicher, ihr werdet mir dann helfen!" Sie war drauf und dran, sich eine Geschichte auszudenken, die das Mitgefühl erregte, einen Bericht beispielsweise, in dem 'sie sich als Schiffbrüchige schilderte und mit keinem Wort erwähnte, daß sie als blinder Passagier an Bord der „Gran Duque de Almeria" gereist war - aber da richtete der Schwarzbärtige auch schon seine rauhe, unangenehme Stimme direkt an sie.
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„Helfen? Ja, helfen werden wir dir, Mädchen, aber merk dir das eine: wir sind keine barmherzigen Samariter. Bei uns sieht die Nächstenliebe und freundschaftliche Unterstützung etwas anders aus als bei weichherzigen Christennaturen, besonders, wenn's um ein herzhaftes Stück Weiberfleisch wie dich geht." Die anderen lachten begeistert und amüsiert. Florinda wußte jetzt, daß -sie vom Regen in die Traufe geraten war. Sie drehte sich rasch um, um an der Schaluppe vorbei ins Wasser zu laufen. Sie wollte den See oder die Bucht oder die Lagune - was immer es war - schwimmend überqueren, um die zerlumpten, wilden Kerle abzuhängen. Aber da sprang der, der sich vorher unter den Duchten versteckt hatte, auch schon auf, jumpte über das Dollbord und stürzte sich auf sie. Er packte ihre Schultern und riß sie hart am Rand des Wassers mit sich zu Boden. Sie biß und kratzte, aber es nutzte ihr nichts, er hatte sie hart im Griff und lachte nur über ihre verzweifelten Verteidigungsversuche. „Das genügt, El Grullo", sagte der Schwarzbart. „Stell sie jetzt wieder auf die Beine." El Grullo richtete sich wieder auf und zerrte Florinda mit sich hoch. Er betrachtete sie mit unverhohlener Begierde von oben bis unten und sagte heiser: „Laß mich ihr die paar Fetzen herunterreißen, die sie auf dem Leib trägt, Jefe. Ich will mir anschauen, wie sie gebaut ist." Der Mann mit dem schwarzen Bart und dem dunklen Tuch um den Kopf trat dicht vor sie beide hin. „Nein, das sparen wir uns für später auf, Amigo. Vergiß nicht, was wir uns in den Kopf gesetzt haben. Wir wollen die Galeone in die Bucht locken, und wenn wir nicht gleich damit anfangen, läuft sie uns noch davon. Das Mädchen hier läuft uns aber nicht mehr davon." „Darauf achten wir schon!" rief EI Grullo. „Du hast recht, Barbante, das Schiff ist
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jetzt wichtiger als jeder Spaß, den wir uns mit dem Weibsbild machen können." „Außerdem werdet ihr sie zunächst mir überlassen", erklärte Barbante in einem Tonfall, als sei das Mädchen sein Eigentum. „Ich als euer Anführer habe das Recht, sie als erster in meine Hütte zu holen. Danach habt ihr immer noch genug Zeit, euch mit ihr zu vergnügen." Florinda Martinen Barrero wand sich unter dem Griff des bärenstarken El Grullo. Ihr Blick huschte über die Gestaltern der Kerle, die alle näherrückten und sie grinsend betrachteten. „Barbarste", sagte sie. „Töte mich. Du wirst es nie schaffen, das mit mir zu tun. Lieber bringe ich mich selbst um..." „Und ich lasse es nicht zu, du feurige Andalusierin." Er fixierte sie. Das hämische Lächeln, das er vorher aufgesetzt hatte, verschwand aus seinen Zügen. „Ich weiß, zu was du in deinem Stolz fähig wärst, denn ich stamme aus derselben Region wie du, wie du wohl auch an meiner Aussprache hörst." „Ein echter Andalusier kann sich einer Mißgeburt wie dir nur schämen und dir ins Gesicht spucken!" schrie sie. • Er packte ihren Hals und drückte nur ein wenig zu. „Ich weiß, daß du von dem Schiff kommst, das dort draußen liegt. Der Kapitän sucht dich, nicht wahr? Du wirst mir erzählen, warum er hinter dir her ist. Alles über dein Schiff wirst du verraten, und dann wirst du schreien, um diesen Narren von einem Capitan mit seinem Schiff in diese Bucht zu locken, oder ich lasse meine Männer auf dich los, einen nach dem anderen." „Das darfst du nicht. Das wagst du nicht", keuchte sie. „Sieh mich an", sagte er, ohne sie loszulassen. „Ich bin der Herr dieser Insel, ein König ganz besonderer Art. Es gibt nichts, vor dem ich zurückschrecke. Glaubst du mir etwa nicht? Muß ich es dir erst beweisen?" „Ich glaube es dir", würgte sie hervor. „Und du wirst keine Beleidigung mehr sprechen?" „Nein, ich werde es nicht mehr tun..."
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Er ließ sie los. „Rede jetzt. Wie heißt das Schiff, woher kommt es, was ist sein Ziel? Wie viele Männer befinden sich an Bord, wie sieht es mit der Armierung aus, welche Ladung führt der elende Zuber? Nun sprich schon." Und Florinda begann zu reden. Sie gab unter der Drohung, die wie ein unsichtbares Schwert über ihr schwebte, alles preis, was sie über die „Gran Duque" wußte. Anschließend schilderte sie, wie sie an Bord der Galeone gelangt war. Weder Barbarste noch einer seiner Spießgesellen unterbrach sie auch nur einmal. Als sie am Ende angelangt war, nickte Barbarste nur und sagte: „Gut. Ganz ausgezeichnet sogar." Er zückte plötzlich sein Messer und drückte es ihr gegen die Kehle, während El Grullo sie unverändert in seinem Klammergriff hielt. Florinda stöhnte auf, als sie das kalte Eisen der scharfgeschliffenen Waffe an ihrem Hals spürte. „Schrei!" fuhr Barbarste sie an. „Schrei, so laut du kannst, dann bleibst du unversehrt, Mädchen!" Florinda begann zu schreien. * Die „Isabella" war ziemlich nah an der kanalähnlichen Zufahrt zur Bucht vorbeigesegelt. Den scharfen Augen von Dan O'Flynn war die Passage nicht entgangen. Er war aufs Achterdeck zurückgekehrt, um Hasard seine Entdeckung zu melden, Der Seewolf hatte daraufhin gesagt: „Eine Flußmündung oder die Durchfahrt in eine Bucht oder Lagune. Auf den Azoren-Inseln gibt es schöne große Buchten, ich könnte mir gut vorstellen, daß wir da die Öffnung eines natürlichen Hafens vor uns gehabt haben." „Wir könnten versuchen, hindurchzumanövrieren", hatte Dan vorgeschlagen. „Wir täten ein gutes Werk, wenn wir das Mädchen suchen würden." „In der Bucht oder Flußmündung säßen wir aber in der Falle", hatte der Seewolf
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ihm darauf geantwortet. „Vergiß nicht die Galeone der Dons. Ihr Kapitän würde uns liebend gern an die Gurgel gehen. Ich wette, er tastet sich an Sao Miguel heran und sucht die ganze Nacht über weiter nach dem Mädchen und nach uns." Dan kratzte sich am Hinterkopf. „Verdammt, die Dons hatte ich eben total vergessen. Ja, was tun wir denn da?" „Es ist überhaupt die Frage, wie wir uns verhalten, wenn wir das Mädchen tatsächlich noch finden", sagte nun Ben Brighton. „Wir können sie doch schlecht zu uns an Bord nehmen." Dan grinste. „Vielleicht ist sie ja gar kein Mädchen, sondern eine häßliche alte Frau mit Falten und Warzen im Gesicht. Die würde doch keine Gefahr darstellen, oder?" „Hör auf, so idiotischen Kram zu reden!" rief sein Vater aus dem Ruderhaus. „Ich finde das ganz und gar nicht angebracht. Außerdem soll man das Alter ehren." „Alle mal herhören", sagte Hasard. „Natürlich bin ich bereit, etwas für die mysteriöse Frau zu tun, ihr zumindest Proviant und Trinkwasser dazulassen oder ihr einen Schlupfwinkel auf der Insel einzurichten. Andererseits reicht es mir aber schon, daß Pete die Musketenkugel abgekriegt hat. Ich will jetzt keine weiteren Risiken wegen dieser undurchsichtigen Geschichte eingehen. Das Beste wäre es, nicht noch einmal mit den Dons zusammenzustoßen." „He!" erwiderte Ferris Tucker verblüfft. „Sag bloß, du willst denen gegenüber einen Rückzieher machen?" „Ich will mich nicht völlig grundlos mit ihnen auf ein Gefecht einlassen, das ist alles. Ihren Denkzettel wegen der Sache mit Pete haben sie ja erhalten." „Und was tun wir nun?" erkundigte sich Big Old Shane. „Hölle, wir können dieses Mädchen - diese Frau doch nicht einfach ihrem Schicksal überlassen. Das wäre ganz gegen unsere Art. „Eine verzwickte Situation", sagte der Seewolf. „Vielleicht ist es ratsam, erst mal die Insel zu runden und..." Er unterbrach sich. In aller Deutlichkeit war der Schrei einer Frau zu vernehmen.
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„Das kam von jenseits der Bucht, die wir hinter der Passage vermuten", behauptete Dan O'Flynn. „Sie ist also auf der Insel, aber Mann Gottes, was ist ihr da bloß zugestoßen?" Er erhielt keine Antwort darauf, da man sich ja sowieso ausmalen konnte, was der Fremden geschehen sein mochte, und zwar in den scheußlichsten Farben. Hasard zögerte nicht mehr, er gab seinen Befehl. „Wir gehen so dicht wie möglich unter Land, verholen hinter einer Landzunge, falls es eine in unserer Nähe gibt, und pullen mit den Booten an Land." „Abfallen und dicht unter Land", herrschte der Profos die Crew an. „Al Conroy, marschier mit dem Senkblei auf die Galionsplattform, leg dich auf den Bauch und lote die Wassertiefe aus." Ai Conroy lief los. Old O'Flynn blickte ihm vom Ruderhaus aus nach, schüttelte kaum wahrnehmbar den Kopf und murmelte: „Wenn das man bloß gutgeht. Hölle und Teufel, ich hab das Gefühl, wir laufen heute nacht doch noch auf Grund. Ich spür's in meinem Beinstumpf." Er hütete sich aber, das zu laut zu sagen, denn Big Old Shane blickte bereits wieder drohend zu ihm herüber. „Ich brauche zehn Freiwillige für ein Landunternehmen", sagte Hasard, der inzwischen auf das Quarterdeck hinuntergestiegen war. „Wir gehen mit zwei Booten an Land und sehen zu, daß wir das Mädchen finden. Also, wer ist mit dabei?" Da sich alle meldeten, mußte der Seewolf seine Begleiter selbst aussuchen. Seine Wahl fiel auf Big Old Shane, Ferris Tucker, Dan O'Flynn, Smoky, den Decksältesten, Batuti, den schwarzen Herkules aus Gambia, Luke Morgan, Matt Davies, Jeff Bowie, Bob Grey und den Schweden Stenmark. Die „Isabella" hatte unterdessen ihr Vorschiff zur Küste der Insel hin gewendet und lief mit schräg versetztem Kurs, also Richtung Südwesten, darauf zu. Al Conroy begann, die Wassertiefe auszusingen, und als man bei knapp fünf Faden angelangt war, ließ der Seewolf auch die Fock und
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das Besansegel aufgeien, so daß die Galeone nur noch mit dem Großsegel dahinglitt und allmählich an Fahrt verlor. „Sir", ertönte plötzlich Gary Andrews' Stimme aus dem Vormars. „Da ist ein Landvorsprung, direkt voraus. Den könnten wir runden und dann gleich dahinter verholen." „Wir sind nah an der Insel dran", meldete Bill aus dem Hauptmars. „Man kann ihr Ufer jetzt mit bloßem Auge erkennen." „Viereinhalb Faden!" sang Al aus. „Hol's der Henker", wetterte der alte O'Flynn. „Anluven", befahl der Seewolf. „Drei Strich Steuerbord, Donegal, und du kannst deine Bedenken vergessen. Wir schaffen's schon." Das Manövrieren nur mit dem Großsegel war eine Leichtigkeit. Schnell schwenkte die „Isabella" wieder auf westlichen Kurs, die Wassertiefe unter ihrem Rumpf nahm zu. Old O'Flynn atmete auf, denn er hatte es in Gedanken schon knirschen hören, als ob sich der Kiel der Galeone auf eine Sandbank geschoben hätte. So aber umrundete die „Isabella" die kleine Landzunge, schob sich dahinter und lag bald vor Anker. In aller Eile setzten die Männer die beiden Boote zu Wasser und enterten an Jakobsleitern ab. Hasard, Shane, Ferris, Dan, Smoky und Batuti bemannten die eine Jolle, Luke, Malt, Jeff, Bob und Stenmark die andere. Ben Brighton hatte von Hasard das Kommando über die „Isabella" übernommen. Er war während der Abwesenheit des Seewolfes der Kapitän an Bord, mit uneingeschränkter Befehlsgewalt. Sehnsüchtig blickten Philip und Hasard, die Zwillinge, den Booten nach, die sich jetzt von der Bordwand lösten und angepullt wurden. Sie hätten gern an dem Landunternehmen teilgenommen, begriffen aber, daß es wohl nichts für zwei Jungen ihres Alters war, mitten in der Nacht ihren Fuß auf eine Insel zu setzen, auf der hundert Gefahren lauern konnten. Hasard Junior hatte sich lediglich erlaubt, in dieser Sache einmal kurz bei Mister
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Carberry anzufragen, der neben ihnen am Schanzkleid der „Isabella" stand. Aber der Profos hatte sofort auf seine freundliche Art erwidert: „Was, ihr wollt mit? Ihr habt sie wohl nicht mehr alle, ihr halbflüggen Kakerlaken. Werdet erst mal grün hinter den Löffeln, dann könnt ihr wie der mit so 'nem Wunsch antraben." 7. Die Jollen schoben sich durch die Brandung auf den Sandstrand der Insel Sao Miguel. Hasard, Shane und Matt Davies waren als erste heraus und sicherten mit ihren Tromblons und Pistolen, die sie in ausreichender Zahl von der „Isabella" mitgenommen hatten, zum Dickicht hin. Vor Überraschungen war man nirgends sicher, das bewies die reiche Erfahrung der Seewölfe. Auf den entlegensten Inseln, die auf den ersten Blick gottverlassen wirkten, hatten sie schon die tollsten Dinge erlebt, und daher wandten sie alle erdenklichen Vorsichtsmaßnahmen an, um in keine Falle zu laufen. Die Männer hinter ihnen zogen die Boote noch ein Stück höher aufs Ufer, dann zückten auch sie ihre Waffen und schlossen sich Hasard und den beiden anderen an, die den Marsch zum Inselurwald begannen. Shane und Batuti hielten Pfeil und Bogen bereit. Sie waren Meister im Umgang mit diesen Waffen. Der Seewolf war ein paar Schritte weit in das dichte Unterholz eingedrungen, da tönten mehrere Schreie an sein Ohr wieder von derselben Frauenstimme ausgestoßen. „Die scheinen aus fast der gleichen Richtung wie vorher zu kommen", flüsterte Dan O'Flynn. „Da kann's einem kalt den Rücken herunterlaufen." „Dem Mädchen scheint es dreckig zu gehen", sagte Matt Davies. „Das hört sich ja grausig an." „Beeilen wir uns." Hasard bahnte sich einen Weg durch das widerspenstige Gesträuch. Nach ein paar Yards gelangte er glücklicherweise auf etwas, das man als natürlichen Pfad durch den Dschungel
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bezeichnen konnte, und er fing an zu laufen. Die Schreie brachen ab, setzten nach wenigen Sekunden Pause aber wieder ein. Hasard versuchte, dem Klang der Stimme nach in etwa zu begreifen, was der Grund für die Verzweiflungsrufe war, aber er gelangte zu keinem Schluß. Vieles konnte dahinterstecken, der Kampf mit einem Tier beispielsweise, der Tritt in eine Fallgrube oder die Auseinandersetzung mit Eingeborenen - oder mit irgendwelchen Glücksrittern und Schlagetots, die hier ihr Nest eingerichtet hatten. Hasard wollte nicht daran denken, was solche Leute alles mit einer Frau tun konnten. Er konzentrierte sich auf den Weg, der vor ihm lag. Er hielt seine doppelläufige sächsische Reiterpistole in der. Faust und nahm sich vor, auf jeden, der sich zwischen ihn und die Gesuchte stellte, zu feuern. Unversehens wurde der Buschbewuchs lichter. Hasard konnte erkennen, daß er wenige Schritte weiter vorn ganz aufhörte, und bremste seinen Lauf ab. Seine Männer sahen, wie er sich hinter eins der vordersten, am weitesten vorgeschobenen Gesträuche kauerte. Sie folgten seinem Beispiel. Das Geschrei war inzwischen verstummt. Hasard drehte sich um und winkte Dan zu. Der Mann mit den schärfsten Augen an Bord der „Isabella" robbte zu seinem Kapitän vor. „Vor uns liegt der natürliche Kanal, den du vorhin bereits gesichtet hast", raunte der Seewolf. „Was kannst du noch erkennen?" „Nicht viel. Weiter südlich scheint sich die Passage zu erweitern. Aber man müßte schon ein Stück weiterkriechen, um Genaues herauszufinden." „Dann nichts wie los", zischte Hasard. „Wir beide erledigen das, mal sehen, wie weit wir kommen." Er drehte sich kurz zu den anderen um und bedeutete ihnen durch eine Geste, sie sollten in ihren Deckungen bleiben. Hasard und Dan glitten vor, bewegten sich ein Stück auf den Kanal zu und bogen dann nach Süden ab. Geduckt erreichten
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sie schließlich jene Stelle, an der sich die Passage in die große Bucht öffnete. „Also doch eine Bucht", wisperte Dan. „Teufel auch, ich würde was darum geben, das andere Ufer sehen zu können." „Versuchen wir lieber, die Spur des Mädchens aufzunehmen." „Sie scheint verschwunden zu sein." „Nicht so voreilige Schlüsse ziehen, Dan", raunte der Seewolf. „Ihre Stimme schien von weiter östlich zu kommen, also müßten wir theoretisch noch ein Stück laufen, um sie zu finden. Praktisch geht's nicht, denn da sind der Kanal und die Bucht, die wir nicht durchwaten können. Wir brauchen es gar nicht erst zu versuchen. Schwimmen hat auch wenig Sinn, weil unsere Feuerwaffen naß und damit unbrauchbar werden würden." „So ein Mist", flüsterte Dan. „Da bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als die ganze Bucht zu umrunden was?" „So sieht es leider aus." Hasard wollte noch mehr sag( verharrte aber plötzlich und hic ; seinen Begleiter am Arm fest. Dar, wurde sofort klar, warum. Von Osten drangen jetzt tatsächlich wieder Geräusche herüber. Männerstimmen waren es diesmal. Sie redeten durcheinander und schienen etwas zu beratschlagen. „Spanier", sagte der Seewolf. „Sie sind drüben, am gegenüberliegenden Buchtufer." „Sag bloß, das sind die Leute von der Galeone, und sie haben das Mädchen aufgestöbert und bringen es zurück an Bord." „Noch wissen wir's nicht, Dan." Das Mädchen begann wieder zu schreien, gellend, wie in panischer Todesangst. Hasard warf sich herum und lief zu den Männern im Dickicht zurück. „Vorwärts", zischte er ihnen zu. „Wir laufen so schnell wie möglich um die Bucht und kaufen uns die Kerle, die drüben, auf der anderen Seite, das Mädchen geschnappt zu haben scheinen. Es würde zu lange dauern, die Boote zum Übersetzen über den Kanal herzuholen wer weiß, was diese Halunken bis dahin alles mit ihr unternommen haben."
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Shane, Ferris, Smoky und die anderen sechs erhoben sich fast gleichzeitig. Sie wären alle wie die Teufel losgestürmt, wenn Dan nicht plötzlich einen unterdrückten Warnlaut ausgestoßen hätte. Er hatte seine guten Gründe dafür, wie sich gleich herausstellen sollte. Hasard, der sich sofort wieder hinter einen der struppigen Büsche duckte, wandte den Kopf und sah eine Bewegung in der Passage, die selbst bei dieser Dunkelheit deutlich genug zu erkennen und auszulegen war. Ein Schiff segelte vor dem Nordwind in die Bucht! Ihr Kapitän war so klug gewesen, dem Beispiel der Männer der „Isabella" zu folgen - er hatte ebenfalls (las Licht der Hecklaterne gelöscht. Dennoch fiel es Dan O'Flynn, der dem Schiff am nächsten kauerte, nicht schwer, diesen Dreimaster als die spanische Galeone wiederzuerkennen, der sie vor der nördlichen Küste von Sao Miguel dicht auf den Pelz gerückt waren. Das Schreien des Mädchens hatte schlagartig wieder ausgesetzt. Reglos hockten der Seewolf und seine Männer da und verfolgten das Einlaufen der spanischen Galeone in die Inselbucht. Sie konnten die leise Stimme eines Seemanns vernehmen, der die Wassertiefe auslotete - und, richtig, sie reichte aus, um ein Schiff dieser Größenordnung durchzulassen, und die Bucht schien tatsächlich ein natürlicher Hafen zu sein, wie Hasard vermutet hatte. Sobald die Galeone vorbei war und keine Gefahr mehr bestand, daß sie von der Besatzung entdeckt wurden, rappelten sich die Männer der „Isabella" auf. Ein Wink von Hasard, und sie begannen zu laufen, am Ufer des Kanals und dann der Bucht entlang nach Süden. Dan hatte sich neben Hasard gebracht. „Ich habe den Namen des Schiffes diesmal lesen können", teilte er gedämpft mit. ,,,Gran Duque de Almeria` - ein schöner Name, nicht wahr?" „Ich fürchte, eine Auseinandersetzung mit diesem Großherzog von Almeria` läßt sich nicht vermeiden", gab der Seewolf
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gedämpft zurück. „Was der sich hier leistet, geht mir allmählich gründlich gegen den Strich." „Meinst du, er läßt das Mädchen töten?" „Ich will gar nicht daran denken, Dan." „Vielleicht kommen wir schon zu spät." „Wir müssen wenigstens versuchen, sie herauszuhauen, ganz egal, wer sie nun ist und was sie ausgefressen hat", entgegnete der Seewolf. Es war schon immer sein starker Drang gewesen, den Schwächeren zu helfen. Wie er auf See stets dem beistand, der das Recht auf seiner Seite, aber die geringeren Mittel hatte, so verspürte er hier, in dieser Nacht, den unnachgiebigen Willen, es zu verhindern, daß eine Horde von Kerlen auf gemeinste Weise überein einziges weibliches Wesen herfiel. Der Untergrund begann etwas anzusteigen und wurde uneben. Der Sand ging in erdigen, bald lehmigen Boden über, die. Buschgrenze schob sich dicht an das Wasser der Bucht heran. Dan gab plötzlich ein Handzeichen, daß er wieder etwas gesehen hätte. Auch diesmal reagierten Hasard und die anderen neun prompt. Sie kauerten sich hin und brauchten nach Deckung nicht erst zu suchen. Die Büsche boten ihnen genügend Schutz. Dan wies in südliche Richtung, bevor auch er sich endgültig niederließ. Die spanische Galeone war zur Buchtmitte hin verschwunden und jetzt kaum noch zu sehen. Das Schiff, das sich aus südlicher Richtung dicht am Ufer dahingleitend den Seewölfen näherte, konnte also unmöglich mit der „Gran Duque de Almeria" identisch sein, zumal die Galeone nie so schnell hätte wenden können. Nein, es war ein viel kleineres Fahrzeug, wie sich jetzt herausstellte. Die Konturen eines Großsegels und einer Fock an einem einzigen Mast schälten sich aus dem Dunkel. Hasard und seine Männer stellten fest, daß sie eine Schaluppe vor sich hatten. Nah, sehr nah schob sie sich an ihrem Versteck vorbei. Vier Mann auf den Duchten bewegten die Riemen, um bei dem Manöver zu helfen, das der Rest der
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Besatzung gerade durchführte: Aus Südosten kommend, kreuzte die Schaluppe gegen den Nordwind und ging soeben über Stag, um nach Nordosten zu laufen. Das Überwechseln auf den anderen Bug geschah erst in allerletzter Sekunde, so daß es aussah, als müsse die Schaluppe am Ufer auf Grund laufen. Gerade noch rechtzeitig zogen die Insassen ihr Gefährt herum, und in diesem Augenblick waren sie den Beobachtern an Land so dicht, daß diese die getuschelten Worte verstehen konnten, die in der Schaluppe gewechselt wurden. „Klar bei Brassen, Josefe", raunte der eine. „Wir laufen jetzt gleich genau auf die Gran Duque' zu. Das wird ein Fest!" „Ja, wir fallen wie ein Gespenst der Nacht über sie her, ehe der Narr von einem Kapitän überhaupt merkt, was gespielt wird. Der Kahn ist so gut wie unser, El Grullo." „Wie schön laut das Weibsbild doch geschrien hat! Ohne ihre Mithilfe hätten wir die Galeone nie in die Bucht 'reingekriegt." „Stimmt, das war ein feiner Trick von Barbante." „He, ihr zwei", zischte ein dritter. „Wollt ihr wohl still sein? Die Burschen an Bord der Galeone hören uns noch und kriegen spitz, was gespielt wird." Augenblicklich verstummten die Stimmen. Die Schaluppe hatte gewendet und drehte den Seewölfen jetzt ihr Heck zu. Sie tauchte in den düsteren Schleiern der Nacht unter. „Verdammt", flüsterte Dan O'Flynn. „Wie redliche spanische Seeleute sahen die nicht aus. Das sind Piraten der übelsten Sorte, sage ich." „Mir geht allmählich ein Licht auf", versetzte der Seewolf. „Bob, komm mal her und hör zu. He, Bob, wo steckst du?" Bob Grey schob sich neben ihn. „Hier, Sir. Ich schätze, ich soll zur ,Isabella` zurückkehren und Ben Brighton und den anderen melden, wie die Dinge hier inzwischen stehen." „Ja. Die Piraten haben das Mädchen gefangengenommen und nutzen sie als
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Geisel gegen die Spanier von der Gran Duque' aus. Wir dürfen es nicht zulassen, daß hier ein Gemetzel geschieht. Ben soll sofort mit unsrer alten Lady ankerauf gehen, die Passage ansteuern und ebenfalls in die Bucht einlaufen. Du gehst mit an Bord, klar?" „In Ordnung, Sir." „Dann schieb ab, Bob." Bob entfernte sich. Hasard erhob sich und sagte zu den anderen Männern: „So, und wir laufen weiter und versuchen, das Mädchen zu befreien. Noch hat keiner spitzgekriegt, daß wir hier herumstöbern. Diesen Trumpf müssen wir ausnutzen und entsprechend ausspielen." * Don Jose Manuel Ramos hatte zuerst Luis Benavente und die anderen sieben Männer der verunglückten Jolle aus den Fluten gefischt. Dann hatte er das Beiboot bergen und auch das zweite Boot wieder hochhieven lassen. Dies hatte einige Zeit in Anspruch genommen, so daß er erst ungefähr zu dem Zeitpunkt, an dem Florinda auf der Insel Sao Miguel den Piraten in die Hände fiel, dazu kam, Andres Nortes de Checa zu sich in die Kapitänskammer des Achterkastells zu holen. Der erste und der zweite Offizier der „Gran Duque de Almeria", der Bootsmann, der Profos und der Waffenmeister Luis Benavente waren mit dabei, als der Gefangene seinem Kapitän von zwei starken Decksleuten vorgeführt wurde. Don Jose, vor Zorn weiß im Gesicht, saß hinter seinem Pult und fixierte den Delinquenten. „De Checa", begann er. „Versuche gar nicht erst, dich herauszureden. Du hast dies alles angezettelt." Andres sah Don Jose an und hieltt dessen Blick stand. Ihm war aus Sorge um Florinda entsetzlich elend zumute, aber so weit, daß er den Kopf hängen ließ und völlig resignierte, war es mit ihm doch noch nicht.
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„Senor Capitan", sagte er. „Ich gestehe meine Schuld voll ein. Ich habe meine Geliebte, die ich mit in die Neue Welt nehmen wollte, in Cadiz an Bord dieses Schiffes geschmuggelt und im Kabelgatt versteckt. Ich habe das in einem Moment getan, in dem die Ankerwache gerade mit zwei Seeleuten zu tun hatte, die volltrunken an Bord zurückkehrten -und ich glaubte wirklich, kein Mensch hätte Florinda gesehen, keiner würde sie je finden. Daß ich ein riesengroßer Narr gewesen bin, sehe ich jetzt ein. Ich weiß, daß es keinen Sinn hat, Sie um Verzeihung zu bitten, Senor. Auf Gnade habe ich kein Anrecht. Ich trage alle Konsequenzen. Nur um eins flehe ich Sie an: Holen Sie Florinda auf dieses Schiff zurück, schützen Sie sie." „Wir haben inzwischen bemerkt, daß wir vor der Insel Sao Miguel liegen", entgegnete Don Jose, „Dorthin ist dein Mädchen allem Anschein nach geschwommen." „Sie wird dort umkommen..." Der Kapitän schlug mit der Faust auf sein Pult. „Das geschieht dir recht! Sie wollte unser Schiff in Brand stecken!" „Das ist nicht wahr..." „Und gestehe auch, daß sich auf der verfluchten Galeone, die unser Beiboot angriff, eure Komplicen befinden. Was hattet ihr überhaupt' vor? Wolltet ihr durch ein raffiniertes Komplott bei Nacht diese Galeone kapern?" „Komplicen? Komplott? Wovon reden Sie überhaupt?" rief Andres entsetzt aus. „Du weißt es!" brüllte nun Luis Benavente los. „Spiel nur nicht den Ahnungslosen. Wir wissen jetzt, was für ein dreckiger Lump du bist!" „Benavente!" schrie Don Jose Manuel Ramos. „Ich verbiete Ihnen, in solch einem Ton..." „Und du?" fuhr Andres den Waffenmeister an. „Wer hat mich denn heute abend mit Rioja betrunken gemacht? Was hattest du wirklich vor, nachdem du Florinda im Kabelgatt entdeckt hattest?" „Ich habe keine Ahnung, von was du sprichst, du Bastard", gab Benavente in
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derselben Lautstärke wie vorher zurück. „Versuche bloß nicht, uns abzulenken. Du bist ein ausgekochter Freibeuter, der sich hier an Bord geschlichen hat, und was deine Freundin betrifft, dieses Hurenstück, so übertrumpft sie dich sogar noch..." Andres wollte sich auf Benavente stürzen. Er holte mit den Ketten, die seine Hände fesselten, aus, um den Mann niederzuschlagen. Der erste und der zweite Offizier gingen jedoch dazwischen, und die Decksleute hielten Andres an der Schultern und Armen zurück. Don Jose fuhr von seinem Platz hoch, als Benavente nun seinerseits Anstalten traf, mit den Fäusten auf den Gefangenen einzudreschen. „Aufhören!" herrschte er den Waffenmeister an. „Was fällt Ihnen ein, sich hier so aufzuführen, Benavente? Es ist eine Unverschämtheit von Ihnen, einfach in die Vernehmung einzugreifen." „Senor, ich..." „Und überhaupt, ich möchte jetzt wissen, was es mit dem Rioja auf sich hat, vom dem de Checa eben gesprochen hat." Benavente ließ die Arme baumeln und holte tief Luft. Er wollte zu einer Rechtfertigung und Ausrede ansetzen, kam aber nicht mehr dazu, weil jetzt die Schreie Florindas von der Insel herüberklangen selbst gegen den Nordwind noch laut genug, um bis in die Kammer des Kapitäns zu dringen. „Mein Gott", stieß Andres hervor. „Sie ist in Gefahr! Das ist das Ende! Laßt mich zu ihr, laßt mich frei, ich will mit ihr sterben!" Er trat einem seiner Bewacher gegen das Schienbein, versuchte sich loszureißen und kämpfte derart wild, daß es ihm auch fast gelang. Der zweite Offizier trat auf einen Wink des Kapitäns hin jedoch vor und rammte ihm die Faust unters Kinn. Sofort brach Andres zusammen. „Anders ging es nicht", sagte Don Jose. „Sperrt ihn wieder in die Vorpiek." „Si, Senor", erwiderten die Decksleute. „Profos", sagte Don Jose. „Alle Mann an Deck, wir setzen Großsegel, Fock und Blinde und laufen die Insel an. Wir machen gefechtsklar und stoßen so weit
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wie möglich vor." Er lauschte kurz den Schreien, die immer noch andauerten, dann fügte er hinzu: „Trotz der Gefahren, die sich uns bieten, werden wir versuchen, zu landen. Ich kann es nicht verantworten, daß diesem Mädchen ein Unheil geschieht. Ja, es ist sogar meine Pflicht, sie zu retten und zurück nach Cadiz zu bringen, denn sie ist immerhin eine spanische Bürgerin ganz gleich, ob sie irgendwie schuldig geworden ist." Der Zuchtmeister 'zeigte klar und ging, die Offiziere schlossen sich ihm an. Don Jose entließ auch Luis Benavente mit den Worten: „Wir sprechen uns später noch, Benavente. Überlegen Sie sich ganz genau, was Sie mir dann antworten. Ich will die Wahrheit hören und endlich Klarheit in diese Angelegenheit bringen." „Si, Senor", erwiderte der Waffenmeister untertänigst. Damit verschwand er aus der Kammer. Wenig später hatte die Galeone den Weg durch die Passage gefunden und lief, den Schreien des Mädchens folgend, in die Bucht der: Insel ein. Don José hatte die Hecklaterne löschen lassen, und die Dunkelheit umhüllte die „Gran Duque de Almeria" wie ein schützender Mantel. Don Jose hatte sich auf das Vordeck begeben und seinen Männern befohlen, sich still zu verhalten. Er selbst stand schweigend und mit aufgestützten Händen an der vorderen Schmuckbalustrade der Back und hörte zu, wie der Mann mit dem Senkblei gedämpft immer wieder die Wassertiefe bekanntgab. Eine geräumige Bucht war es, in die sie eingedrungen , waren. Es schien keine Untiefen zu geben. In diesem Punkt fühlte. Don Jose Manuel Ramos sich ziemlich beruhigt, doch es gab etwas anderes, das ihm - außer dem Geschrei des Mädchens Sorgen bereitete. Die fremde Galeone, die das Beiboot der „Gran Duque" überfallen hatte - wo steckte sie? Hatte sie etwa auch in diese Bucht verholt? Konnte man nicht jeden Augenblick mit ihr zusammentreffen?
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Don Jose spürte, wie sich sein Herzschlag bei diesem Gedanken beschleunigte. Im nächsten Moment wurde seine Aufmerksamkeit jedoch ganz durch das Schreien von Florinda Martinez Barrero in Anspruch genommen. Es hatte kurz aufgehört und setzte jetzt wieder ein. „Wir befinden uns auf einer Höhe mit ihr", murmelte der Kapitän. „Wir brauchen nur nach Backbord zu drehen und laufen genau auf sie zu", sagte der erste Offizier, der zu ihm auf die Back gestiegen war. „Anluven", befahl Don Jose. „Wir nehmen östlichen Kurs und tasten uns an das Ufer der Bucht." Kurz darauf lag die Galeone mit Backbordhalsen am Nordwind und glitt über Steuerbordbug segelnd mit vorsichtiger Fahrt auf das Buchtufer zu. Es ist eine Falle, Hölle, eine verfluchte Falle, dachte Luis Benavente, der auf der Kuhl das Laden und Ausrennen der Geschütze leitete. Er hütete sich aber, den Kapitän zu warnen, denn nach seinem unbeherrschten Auftreten in der Achterdeckskammer und den Worten von Andres war er in der Gunst seines Kapitäns erheblich gesunken. Wie recht Benavente indes mit seinem Verdacht hatte, ahnte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht. 8. Hasard und seine neun Begleiter hatten das südliche Ufer der Bucht erreicht. Sie hatten die Strecke im Laufschritt bewältigt. Jetzt, da sie der bogenförmigen Rundung des Landes folgten, konnten sie sich in etwa ausrechnen, wie weit es noch bis zu dem Platz sein maßte, an dem sich das Mädchen in der Gewalt der Piraten befand. Wieder trug der Wind die Schreie des Mädchens herüber, so klar und deutlich, als stünde sie nur wenige Yards von ihnen entfernt inmitten der Kerle, die sie bedrohten. Sicher, dieser Barbante, den die Kerle in der einmastigen Schaluppe erwähnt hatten, bediente sich eines Tricks, indem er das
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Mädchen schreien ließ. Aber wer konnte wissen, ob er ihr nicht tatsächlich Gewalt antat, um den Effekt ihrer Panik zu steigern? Von solchen Überlegungen getrieben, lief der Seewolf an der Spitze seines Trupps durchs Gebüsch am Fuß der Berghänge, die rechter Hand wuchtig und finster aufragten. Das Schreien hatte jetzt wieder aufgehört. Hasard erwartete das Krachen von Musketen und das Wummern von Kanonen, mit dem die Freibeuter über die Spanier herfielen, aber es blieb noch aus. Noch schien die Zeit nicht reif zu sein für den Angriff aus dem Hinterhalt. Hasard stoppte plötzlich, denn er hatte schräg vor sich die Gestalt eines Mannes entdeckt. Dieser Kerl stand unmittelbar vor dem Hang unter einem verkrüppelt wirkenden Baum, wahrscheinlich einer Föhre oder Pinie, und schien, soweit Hasard Einzelheiten erkennen konnte, zur Bucht zu spähen. Der Seewolf duckte sich und gab den anderen ein Zeichen. Sofort ließen sich alle auf die Knie nieder und hielten ihre Waffen bereit. Der Wachtposten schien seinerseits etwas bemerkt zu haben. Er verließ seinen Standort unter dem Baum und pirschte auf die Bucht zu. In den Fäusten hielt er eine Muskete. Hasard robbte auf den Händen und Fußspitzen im Schutz der Büsche nach rechts. Er bewegte sich auf diese Weise völlig lautlos auf den Wächter zu und lag dicht neben den Beinen des Mannes, als dieser an ihm vorbeiging. Hasard hätte nur den Arm ausstrecken zu brauchen, um den linken Fußknöchel des Kerls zu berühren. Er verhielt sich jedoch stumm und reglos, bis der andere an ihm vorbei war. Erst dann fuhr er hoch und verpaßte seinem Gegner einen Jagdhieb in den Nacken. Es war einer der Hiebe, die ihn Sun Lo, der Mönch von Formosa, gelehrt hatte. Immer dann, wenn ein Mann rasch und lautlos ins Reich der Träume befördert werden mußte, griff er darauf zurück.
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Dan, Shane und Ferris waren heran und nahmen dem Zusammensinkenden die Muskete ab. „Der rührt sich vorerst nicht mehr und verrät uns nicht", flüsterte Ferris. „Shane, nimm ihm doch mal sein rotes Kopftuch ab. Damit knebeln wir ihn. He, hat denn keiner einen Tampen dabei, mit dem man den Knaben verschnüren kann?" „Tampen zur Stelle", raunte Matt Davies. Er förderte eine kleine Taurolle, die er in weiser Voraussicht von Bord der „Isabella" mitgenommen hatte, zutage und grinste zufrieden. Binnen weniger Minuten hatten sie den bewußtlosen Piraten gefesselt und geknebelt und zerrten ihn in ein dichtes Gebüsch. Ohne mehr kostbare Zeit zu verlieren, schlichen sie weiter. Still war es jetzt über der Bucht. Nur das Zirpen der Zikaden war zu vernehmen. Das Schreien des Mädchens oder Kampflärm blieben aus. Hasard wußte nicht, ob das ein gutes oder schlechtes Zeichen war. Er stutzte, als er plötzlich links von sich also vom Wasser der Bucht her - den Ruf eines Nachtvogels vernahm. Sofort bedeutete er seinen Männern wieder, zu verharren und nach allen Seiten zu sichern. Ferris Tucker glitt ein Stück vor und verhielt neben seinem Kapitän. „Was ist?" wisperte er. „Hast du einen Kumpanen des Burschen von eben entdeckt?" „Nein. Aber hast du den Vogelruf gehört?" „Ja. Das war eine Eule, schätze ich." „Fliegen Eulen tief übers Wasser?" „Also, da bin ich überfragt..." „Sie tun's nicht", flüsterte Hasard. Seine Gestalt straffte sich jetzt, und er fügte mit einem Blick zur Bucht hinzu: „Da, bitte, ich habe mich nicht getäuscht. Der Ruf war ein Zeichen und sicherlich für den Posten mit dem roten Kopftuch bestimmt." Aus der Dunkelheit tauchten die Umrisse eines kleinen Einmasters hervor - einer Pinasse. Wie die Schaluppe, die sie am Westufer der Bucht gesichtet hatten, führte auch dieses Boot im Bug eine kleine Kanone mit, wie der Seewolf jetzt erspähte. Eine Drehbasse, ähnlich den
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Geschützen, die die „Isabella VIII." auf dem Achterdeck und auf der Back hatte. „In der Pinasse hocken sieben Kerle", flüsterte Hasard seinem Schiffszimmermann zu. „Und da - halt mich fest, Ferris -, da ist auch das Mädchen!" Ja, auch Ferris erkannte jetzt die Gestalt des zierlichen weiblichen Wesens auf der einen Ducht der Pinasse. Dan, Shane und Smoky, Batuti und die anderen hatten die gleiche Beobachtung getroffen und hielten jetzt unwillkürlich den Atem an. „Also doch kein unansehnliches altes Frauenzimmer", raunte Dan O'Flynn seinem Nachbarn Stenmark zu. „Sieh sie dir an, Sten - sie ist blutjung, hübsch und phantastisch gebaut. Und sie hat nur ein paar Fetzchen auf dem Leib." „Kein Wunder, nach dem Bad im Teich, das sie hinter sich hat", murmelte der Schwede. „Aber es soll mich wundern, wenn die Hunde von Piraten die Kleine nicht mit Haut und Haaren vertilgen ... " „Hör bloß auf", zischte hinter ihnen Jeff Bowie. „Ich mag gar nicht dran denken." „He", meldete sich jetzt von vorn Ferris Tucker. „Seid still, sonst hören diese Bastarde uns noch!" „Was ist, greifen wir sie an?" fragte Stenmark so leise wie möglich. „Hauen wir das Mädchen heraus?" „Noch nicht", entgegnete der Seewolf, der sich ebenfalls zu ihnen umgedreht hatte. „Ich will erst mal sehen, wohin die Kerle mit ihr wollen. Wir heften uns ihnen an die Fersen." Er verstummte, denn einer der Piraten hätte wieder den Ruf der Eul; nachgeahmt. Er schien auf eine Antwort zu warten, denn er begann !t , vor sich hinzufluchen, als keine Erwiderung erfolgte. Reglos lagen die Seewölfe da i: beobachteten, wie die Pinasse landete und von den Freibeutern rasch vertäut wurde. Alle bis auf zwei Mann stiegen aus. Einer von den Landgängern, ein großer Kerl mit einem breitkrempigen Hut auf dem Schädel, drehte sich noch einmal zu der Pinasse um und sagte: „Anselmo, ihr
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kreuzt jetzt sofort zu Barbante zurück und helft ihm beim Überfall auf die Galeone. Wenn er das Zeichen gibt, fallt ihr mit den anderen zusammen von drei Seiten über den Kahn her." „Ja. Aber wo, zum Teufel, steckt Pablo?" „Wahrscheinlich hat er seinen Posten hier unten einfach verlassen und ist 'rauf ins Lager, zu den anderen beiden, die dortgeblieben sind. Dem werde ich ganz schön den Marsch blasen, darauf kannst du dich verlassen. Ich hätte nicht übel Lust, ihm sein rotes Kopftuch um die Gurgel zusammenzuziehen." „Also dann, steigt auf und sperrt das Weibsbild ein. Seht zu, daß ihr danach so schnell wie möglich die Serpentinen besetzt - wie vereinbart." „Du kannst dich darauf verlassen, Anselmo." „Viel Glück, Corona." „Ja, viel Glück auch euch." Damit trennten sie sich. Die zwei in der Pinasse legten ab und setzten wieder die beiden Segel. Corona und die vier anderen stapften mit dem Mädchen in ihrer Mitte auf die bewaldeten Hänge des Südufers zu. Hasard wartete noch eine Weile ab, dann erhob er sich und pirschte dem kleinen Trupp Piraten nach. Ferris, Shane, Dan, Smoky, Batuti, Luke, Matt, Jeff und Stenmark folgten ihm. Sie alle hatten aus der Unterhaltung der beiden Piraten Corona und. Anselmo genug herausgehört, um zu wissen, was sie zu tun hatten. Bob Grey hatte unterdessen längst die „Isabella VIII." erreicht, war mit einer Jolle übergesetzt und hatte Ben Brighton und den anderen- an Bord Bericht erstattet. Ben hatte auch die zweite Jolle holen und an Bord hieven lassen, dann war er schleunigst mit der „Isabella" ankerauf gegangen, um den Befehl des Seewolfs auszuführen. Zu diesem Zeitpunkt segelte die „Isabella" bereits über Steuerbordbug auf die Passage am Nordufer der Insel zu und traf Anstalten, abzufallen und in den natürlichen Kanal einzulaufen. *
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Auf dem steilen Pfad, der in das Lager der Piraten führte, wußte Florinda vor Corona herlaufen. Ein paarmal strauchelte sie und drohte abzustürzen, aber er hielt sie jedesmal mit seinen großen Händen an den Hüften fest und lachte. „Wenn ich nur die Zeit dazu hätte, wußte ich, was ich mit dir tun würde", sagte er. „Aber leider ist jede Minute kostbar, und ich will es mit Barbante nicht verderben. Hinterher haben wir ja um so mehr Muße, uns nach Herzenslust mit dir zu befassen." „Ihr besiegt die ‚Gran Duque' nicht", gab sie verzweifelt zurück. „Niemals." „Das hättest du wohl gern so, wie?" Er lachte leise. „Aber dein frommer Wunsch wird nicht in Erfüllung gehen. Wir haben das Überraschungsmoment auf unserer Seite. Außerdem haben wir mehr Kampferfahrung als dein Kapitän Don Jose Manuel Ramos und sein törichter Haufen. Wir kriegen sein Schiff, verlaß dich drauf." Sie erwiderte nichts mehr darauf. Am liebsten hätte sie sich den Abhang hinuntergestürzt, weil sie mit die Schuld daran trug, wenn die Männer des Kauffahrteischiffes niedergemetzelt wurden. Was aber das Schlimmste war sie war inzwischen fast sicher, daß Andres die Flucht vom Schiff nicht gelungen war. So würde auch er sterben müssen. Freitod, dachte sie, ein Augenblick nur, und es ist alles aus und vorbei. Aber wie? Corona, der dicht hinter ihr schritt, war auf der Hut. Sobald sie auch nur den Versuch eines Ausbruchs oder Selbstmordplans unternahm, packte er sie wieder und ließ sie nicht mehr los. Selbst wenn es ihr gelang, sich den Abhang hinunterzustürzen - da waren die Bäume und Büsche, die ihren Sturz bremsten. Sie würde sich ein paar Knochen brechen, mehr nicht. Sie war dazu verdammt, auch die letzte Phase ihres gräßlichen Abenteuers voll durchzustehen. Für sie gab es kein Erbarmen. Sie glaubte jetzt wirklich daran, daß es der Fluch des Himmels war, der sie getroffen hatte, weil sie von zu Hause fortgelaufen war.
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Der Pfad führte auf ein bewaldetes Plateau, aber hier war der Weg der fünf Piraten noch nicht ganz zu Ende. Corona stieß Florinda weiter voran, und sie sah zu ihrem Erstaunen, daß sich ein mit viel Akribie angelegter und offenbar dauernd vorm Zuwuchern bewahrter Pfad durch den Wald schlängelte. Schirmpinien, Zedern und Föhren sah Florinda beim Weiterstolpern, hier und da aber auch Laubbäume. Der Wald wurde hin und wieder von Lichtungen unterbrochen. Auf der ersten stand eine der fünf Serpentinen. Ihr Lauf war gesenkt, die Mündung schien über die Abbruchkante des Plateaus hinweg auf die tropfenförmige Bucht zu blicken. Die dritte Lichtung, größer als die erste und zweite, war von acht Holzhäusern bestanden. Diese Häuser waren langgestreckt und wirkten wegen ihrer Gras- und Schilfmattendächer geduckt, als ob sie sich vor etwas schützen oder verstecken mußten. Es bedurfte keines Scharfsinns zu der Annahme, daß die Piraten diese Bauten errichtet hatten. Vielleicht sah es im Inneren der Häuser sogar recht gemütlich aus, aber Florinda empfand nur Abscheu für alles, was mit Barbante und seiner Bande zusammenhing. Sie fühlte den Hauch des Schreckens, der auch von diesen Behausungen ausging. Die Aura des Todes schien diesem Lager anzuhaften. Zwei Gestalten schlenderten von dem größten Haus auf die Ankömmlinge zu. Sie stellten die Wache dar, die Barbante im Lager zurückgelassen hatte. Beide Kerle hatten nur Augen für die dürftig bekleidete Florinda. Der eine sagte: „Na bitte, da habt ihr sie also wirklich gefangen. Die Jagd hat sich gelohnt, wie's scheint, oder? Nun, Querida, wie fühlst du dich denn so in unserer Gesellschaft?" „Hör auf", entgegnete Corona. „Wir haben keine Zeit, lange herumzupalavern. Sag mir lieber, wo Pablo, dieser Nichtsnutz und Himmelhund, steckt." „Unten natürlich, wie Barbante es befohlen hat. Habt ihr ihn nicht getroffen?"
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„Nein." „Das ist aber merkwürdig." „Sollte der Kerl sich einfach irgendwohin verkrümelt haben, um ein Nickerchen zu halten?" sagte Corona argwöhnisch. „Nein", erwiderte der zweite Posten des Lagers. „Unmöglich. Dazu ist Pablo nicht der Typ. Wirklich nicht. Da ist was faul..." Florinda Martinez Barrero entdeckte als erste die Gestalten, die zwischen die Holzhäuser schlichen und, jede Deckungsmöglichkeit ausnutzend, auf die Gruppe der Piraten zusteuerten. Sie hüteten sich, ihre Beobachtung auch nur durch eine Miene zu verraten. Noch nahm sie an, daß es sich bei den Heranpirschenden um Männer der „Gran Duque de Almeria" handelte - was sich in den nächsten Sekunden jedoch als Irrtum herausstellen sollte. Plötzlich stürmten die Männer einfach los. Sie verließen den Schutz der Hütten und stürzten sich auf die spanischen Piraten. Corona und seine Kumpane hatten gerade noch die Gelegenheit, herumzufahren und nach den Schußwaffen zu greifen, dann waren die Fremden auch schon heran und hieben und traten ihnen die Musketen, Tromblons, Arkebusen und Pistolen aus den Händen. 9. Hasard und seine Männer hatten sich am Rand der Lichtung entlanggestohlen, einen Bogen geschlagen und waren in das Lager der Freibeuter eingedrungen. Dies war die einzige Möglichkeit, sich den Kerlen zu nähern und sie zu überrumpeln. Es war jetzt wirklich höchste Zeit geworden zu handeln, denn die Burschen wurden wegen des Verschwindens ihres Kumpans Pablo stutzig. Deswegen fackelte der Seewolf keiner. Augenblick mehr. Er lief seinen Männern voran auf die Piraten zu und griff sich sofort Corona, den großen Kerl mit dem breitkrempigen Hut, heraus. Es galt auch hier, sich nicht lange herumzuschlagen, sondern rasch Nägel mit Köpfen zu machen. Deshalb trat Hasard mit dem rechten Fuß zu und knallte seine
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Stulpenstiefel gegen den Schaft des Tromblons, das Corona im Herumschwingen auf ihn richtete. In dem Tritt steckte genügend Wucht, Corona konnte das Tromblon nicht halten. Er verlor es aus den Fäusten und begann zu fluchen. Hasard sprang vor und schoß die Faust auf seine Schläfe ab, traf aber nicht voll, weil der Kerl gedankenschnell auswich. Corona strauchelte und stürzte zwar, blieb aber bei Bewußtsein. Leicht benommen griff er nach seinem Entermesser, riß es aus dem Waffengurt und rappelte sich wieder auf, um damit gegen den Seewolf vorzudringen. Hasard hatte inzwischen Florinda beim Arm gepackt und in Richtung auf die Hütten zu befördert. Er ging dabei zwar nicht besonders sanft mit ihr um, aber er brachte sie durch seinen flinken Einsatz aus der Gefahrenzone - und allein das zählte. Shane, Ferris, Dan, Smoky und die anderen balgten sich mit den anderen sechs Piraten herum. Zahlenmäßig waren sie in der Übermacht, daher schafften sie es auch, den Kerlen gleich die Schußwaffen aus den Händen zu reißen und zuzuschlagen. Somit konnten Barbantes Männer weder auf die Angreifer feuern noch ihrem Anführer durch einen Schuß in die Luft ein Zeichen geben, daß etwas schiefgelaufen war. Deswegen strichen sie aber noch lange nicht die Flagge. Wütend setzten sie sich mit Entermessern und Säbeln gegen die so plötzlich aufgetauchten Fremden zur Wehr. Als einer der Lagerposten Matt Davies den Säbel in den Unterleib rammen wollte, blieb diesem keine andere Wahl mehr - er mußte sich massiv seiner Haut wehren. Du oder ich, das war hier die Frage. Wenn Hasard seinen Männern auch eingeschärft hatte, die Piraten nur bewußtlos und damit kampfunfähig zu machen, konnten sich die zehn von der „Isabella" deswegen nicht selbst in tödliche Bedrängnis bringen lassen. Matt parierte mit dem Cutlass, den er in der linken Hand hielt, aber das genügte nicht. Der Pirat setzte sofort nach und war
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nun drauf und dran, Matts Verteidigung völlig zu zerbrechen. Da blieb Matt nichts anderes übrig, er wußte seine Eisenhakenprothese einsetzen. Ein einziger Hieb mit dem scharfgeschliffenen Haken, und der Kerl brach stöhnend zusammen. Shane und Ferris hatten einen Gegner besinnungslos geschlagen, Dan riß just in diesem Augenblick ein Bein hoch und rammte seinem Widersacher die Stiefelspitze so unter das Kinn, daß dieser auf der Stelle seinen Säbel fallen ließ und schlaff zu Boden sackte. Smoky, Batuti, Luke, Jeff und Stenmark schlugen sich mit den drei anderen herum, während sich der Seewolf ein erbittertes Duell mit Corona lieferte. Hasard hatte auch einen Schiffshauer von Bord der „Isabella" mitgenommen. Ein Degen wäre zu schwach gegen das riesige Entermesser des Piraten gewesen, er wäre unter den wütenden Hieben glatt zerbrochen. Deswegen war Hasard jetzt froh, entsprechende Vorsorge getroffen zu haben. Der Zweikampf ging hin und her, ohne zu einer Entscheidung zu führen. Corona war ein durchaus ebenbürtiger Gegner, das wußte Hasard ihm lassen. Eben schickten Shane, Ferris und die anderen auch die drei letzten Gegner zu Boden. Corona sah es und wurde nervös. Jetzt vergaß er jede Fairneß im Kampf und versuchte, Hasard durch hinterhältige Ausfälle, die meist alle auf die Unterleibsgegend des Seewolfs gerichtet waren, niederzustechen. Hasard gab sich zum Schein eine Blöße, ließ den Kerl weit genug auflaufen drehte sich halb und ließe die Klinge seines Schiffshauers durch die Luft sensen. Coronas Enterrmesserstich stieß ins Leere. Hasard indes holte ihm den breitkrempigen Hut vom Kopf. Die Klinge zischte dem Freibeuter- dabei so scharf über die Kopfhaut weg, daß er fast seiner Haarpracht beraubt wurde. Corona erschrak und geriet ins Stolpern. Dieser Moment genügte dem Seewolf, sich erneut zu drehen und dem Kerl die Faust so in den Nacken zu rammen, wie er es
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auch bei Pablo, dem Pirat mit dem roten Kopftuch, getan hatte. Corona brach bewußtlos zusammen. Hasard schaute auf und stellte fest, daß seine Männer bereits damit begonnen hatten, die ohnmächtigen Mitglieder der Bande zu fesseln und zu knebeln. Florinda kehrte zögernd von den Holzhäusern' an den Punkt zurück, an dem sie vorher gestanden hatte. Sie hatte Hasard als den Anführer der Gruppe Männer erkannt und wandte sich jetzt an ihn. „Wer sind . Sie, Senor? Wie kommt es, daß Sie sich so für mich einsetzen? Sind Sie Spanier?" „Philip Hasard Killigrew ist mein Name", entgegnete Hasard. „Meine Freunde nennen mich Hasard. Aber wir dürfen keine Zeit verlieren. Ich habe auf der zweiten Lichtung vom Steilpfad hierher eine Serpentine entdeckt. Haben Sie eine Ahnung, ob es noch mehr von diesen Geschützen gibt?" „Ja", sagte sie hastig. „Barbante und seine Bande haben von fünf Serpentinen gesprochen, die hier oben alle auf Lichtungen aufgebaut worden sind. Man kann mit ihnen in die Bucht schießen," „Wir werden sie alle finden." Hasard drehte sich zu seinen Männern um. ,,Dan?" „Sir?" „Du begleitest das Mädchen und mich. Die anderen folgen uns, sobald sie die Piraten verschnürt haben." „Aye, aye, Sir", antworteten Shane, Ferris und die anderen fast gleichzeitig. Hasard nahm Florindas Hand, lief los und zog sie mit sich. Dan O'Flynn eilte ihnen nach. Als sie auf der Lichtung mit der Serpentine anlangten, zog Dan sofort seinen Kieker auseinander und richtete die Optik auf die Bucht. „Dort", sagte er. „Der Kapitän der Galeone Gran Duque' hat ein Boot abfieren lassen. Ich kann es erkennen, weil die Besatzung der Jolle Lichter angezündet hat, die jetzt wie bei der Suche nach dem Mädchen hin und her bewegt werden. Offenbar wollen sie sich ein Bild von dem verschaffen, was am Ostufer vorgeht."
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„Sie geben eine großartige Zielscheibe ab", meinte der Seewolf. „Himmel, wenn das bloß nicht ins Auge geht." „Das Licht reicht aus, um auch die Bugpartie der Gran Duque' zu erkennen", meldete Dan, ohne den Kieker auch nur einen Moment sinken zu lassen. „Für uns ist das immerhin ein Vorteil, denn wir riskieren es nicht, dem Falschen einen Schuß vor den Bug zu setzen." „Ja, natürlich. So gesehen, hat das Laternengefunkel etwas für sich." Der Seewolf untersuchte die Serpentine und stellte fest: „Sie ist frisch gereinigt und geladen. Wir brauchen jetzt nur noch Feuer für die Lunte, dann kann es losgehen. Der erste Schuß wird nur eine Warnung sein für die Piraten und auch für die Spanier der Galeone, die hoffentlich begreifen werden, in was für eine Falle sie gelaufen sind." Big Old Shane und Batuti stürmten auf die Lichtung. Sie trugen in ihrer Mitte ein großes kupfernes Becken mit glühender Holzkohle. „Seht mal, was wir in einer der Hütten gefunden haben!" rief Shane. „Setzt ab", sagte Hasard. „Wir fangen an, bevor alles zu spät ist. Dan, nimm den Luntenstock und steck schon mal die Zündschnur an." Dan O'Flynn tupfte grinsend das Luntenende in das Kohlebecken. Sofort begann die trockene Lunte zu glimmen. Shane und Batuti grinsten ebenfalls wie die Teufel, die Verwegenheit schien in ihren Augen zu glitzern. Florinda stand etwas ratlos dabei, weil sie keins der englischen Wörter verstanden hatte, die die Männer gewechselt hatten. Irgendwie spürte sie aber doch, daß sie Vertrauen zu diesen Fremden haben durfte und kein zweites Mal vom Regen in die Traufe geraten war. Der Seewolf hatte die Serpentine justiert, soweit es ihm in der Dunkelheit möglich war. Die Mündung wies auf einen imaginären Punkt zwischen der spanischen Galeone und dem Südufer der Tropfenbucht. Hasard hoffte inständig, der Einschlag der Kugel werde so nah bei der Pinasse mit Anselmo und dem zweiten
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Freibeuter an Bord liegen, daß die beiden Kerle zumindest einen gehörigen Schreck kriegten. Er stellte den 4-Pfünder-Hinterlader in seiner Gabellafette fest, rückte ein Stück zur Seite und nickte Dan zu. „Jetzt." Dan senkte den Luntenstock mit der knisternden Zündschnur auf das Bodenstück der Serpentine. Die Glut griff auf das Pulver im Zündkanal über, fraß sich bis aufs Zündkraut durch - und dann wummerte die Kanone los. Florinda hielt sich entsetzt die Ohren zu. Mit dumpfem Geräusch raste die Kugel aus dem Lauf und heulte zur Bucht hinunter. Dan lief vor zum Abbruch des Plateaus, aber er war nicht sicher, ob er den Einschlag in der Finsternis sehen würde. Ferris, Smoky, Luke, Matt, Jeff -und Stenmark stürmten auf die Lichtung. „Die Gefangenen sind gefesselt und sitzen auf Nummer Sicher", rief Smoky. „Wir haben sie in eine der Hütten gesperrt." „Gut", erwiderte Hasard. „Lauft gleich weiter und sucht nach den vier anderen Serpentinen, die sich bestimmt in der Nähe befinden., Nehmt ein paar Stückchen Holzkohle mit, damit ihr die Lunten anzünden könnt." Die Männer befolgten seine Befehle. Wenig später hatten Ferris Tucker und Smoky die zweite Serpentine auf einer etwa zwanzig Yards entfernt liegenden Lichtung entdeckt. Auch sie war schußbereit. Ferris Tucker stellte ihren Lauf so ein, daß der Schuß östlich an der „Gran Duque de Almeria" und deren ausgesetztem Beiboot vorbeirasen mußte. Smoky brachte die Lunte zum Glimmen und senkte sie auf den Zündkanal. Wieder rollte das Krachen eines Geschützes über die Bucht. Die Kanonen von Sao Miguel hatten ihr tödliches Lied angestimmt. Ferris wies plötzlich auf ein Licht, 'das ganz hinten am nördlichen Ufer der Bucht aufgeflammt war. „Das ist die Achterlaterne der ,Isabella`!" rief er. Er lachte und hieb Smoky auf die Schulter. „Ho, Ben Brighton gibt sich lieber zu
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erkennen, ehe wir ihm aus Versehen eine Kugel vor den Bug setzen." „Recht so", sagte Smoky grinsend. „Ich bin auch für klare Fronten." Die „Isabella" hatte die Passage hinter sich gebracht und lief in die Tropfenbucht ein, um der „Gran Duque" im Kampf gegen die Piraten beizustehen. * Der Plan, den Barbante sich ausgedacht hatte, war ebenso einfach wie wirkungsvoll: Er wollte mit einer Handvoll Männer im Dickicht warten, bis eine Abordnung Spanier von der Galeone mit einem ihrer Boote landete. Wenn die Seeleute ausstiegen, um nach dem Mädchen zu forschen, gaben sie auf dem freien Stück Sandstrand hervorragende Zielscheiben für die Musketen und Tromblons der Bande ab. Die Jolle, in der die Männer mit den Laternen saßen, hatte sich dem Ufer bis auf die knappe Distanz von zehn, zwölf Yards genähert. „Auf was warten wir noch?" zischte einer der Piraten. Er hockte neben seinem Anführer im Gebüsch und hatte die Muskete angelegt. „Sie sind schon auf Schußweite heran. Wir können sie mühelos aus dem Kahn herausputzen." „Ich will, daß sie aussteigen", murmelte Barbante. „Ich will, daß sie alle sterben. Alle." „Und was, wenn sie vorher unsere Schaluppe entdecken?" Die einmastige Schaluppe - das dritte Boot in Barbantes winziger Flotte -lag etwas weiter nördlich auf dem Sandstrand. Zwei Mann waren als Bewacher dort geblieben, nachdem die Piraten sich getrennt hatten. Sobald Barbante sein erstes heimtückisches Überfallunternehmen abgewickelt hatte, wollte er mit seinem neunköpfigen Trupp aus dem Dickicht zur Schaluppe stürmen, sie ins Wasser schieben und zum eigentlichen Enterangriff auf die Galeone ansetzen. El Grullo, Josefe und vier andere waren mit der zweiten Schaluppe zum Westufer
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aufgebrochen, um einen Bogen zu fahren und dann kreuzend oder hoch am Wind liegend der Galeone in die Seite zu fallen. Corona und fünf seiner Begleiter mußten die Pinasse, die sie zum Südufer gebracht hatte, längst verlassen haben. Sie sollten das Mädchen ins Lager bringen, damit sie ja nicht verletzt wurde. Das geschah nicht aus Menschlichkeit oder Mitgefühl, sondern deshalb, weil Barbante „noch etwas mit ihr vorhatte, zu dem sie im verwundeten Zustand nicht mehr fähig war". Corona und seine Männer sollten obendrein die Serpentinen bedienen, die beim Überfall auf die „Gran Duque" mit eingesetzt werden sollten. Anselmo und ein zweiter Pirat kreuzten mit der Pinasse zurück zur Galeone, um sie ebenfalls unter Beschuß zu nehmen. So einfach war das Ganze - und doch hatte sich Barbante, der Glücksritter und Pirat, gründlich verrechnet. Plötzlich zerriß der erste Kanonenschuß die Stille. Irgendwo weiter südlich klatschte die Kugel ins Wasser, und Barbante und seine Kerle wie auch die Männer der spanischen Galeone konnten Anselmo und den anderen Mann aus der Pinasse aufschreien hören. „Verdammt, was ist denn jetzt los?" stieß Barbante entgeistert aus. Die Männer in der Jolle, die von dem ersten Offizier der „Gran Duque" geführt wurden, hörten auf zu pullen. Auf einen Zuruf ihres Kapitäns hin begannen sie, die Lichter zu löschen und ein Wendemanöver auszuführen. „Verdammt, die hauen wieder ab!" zischte der Musketenschütze neben Barbante. „Wir dürfen sie nicht entwischen lassen." In diesem Augenblick heulte die zweite Vierpfünder-Kugel los. Die Piraten konnten sie beinah- direkt über sich hinwegorgeln hören. Instinktiv zogen sie die Köpfe ein. Erst als die Kugel mit dumpfem Schlag irgendwo im Busch gelandet war, standen sie wieder auf und fingen an, auf die Besatzung der Jolle zu feuern. Die Männer der Galeone schossen zurück. Sie waren alarmiert worden und reagierten
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nun sofort. Das Überraschungsmoment konnte von Barbantes Leuten nicht mehr ausgenutzt werden. Ein Seemann brach in der Jolle zusammen und kippte über das. Dollbord ins Wasser, ein anderer wurde an der Schulter verletzt. Er krümmte sich stöhnend auf seiner Ducht. Barbante wollte mit seiner Meute auf den Strand stürmen, aber er beließ es bei dem Versuch, als er zwei, drei Kerle an seiner Seite stürzen sah. „Zur Schaluppe!" schrie er. Er brach aus dem Dickicht hervor und stürmte über den weißen, körnigen Sand. Hinter sich hörte er noch einen Piraten mit gurgelndem Laut zusammenbrechen. Barbante feuerte seine Pistole auf die Jolle ab, schleuderte die Waffe wütend von sich, als er nicht traf, hetzte weiter und sah die einmastige Schaluppe vor sich liegen. „Los, wir unternehmen den Angriff auf die Galeone trotzdem!" rief er den beiden Wachtposten zu. Sie hatten sich hinter dem Rumpf verschanzt und zeigten ratlose, verstörte Mienen. Die Überlebenden des Schußwechsels trafen jetzt ebenfalls ein. Gemeinsam schoben die Piraten die Schaluppe ins Wasser der Bucht. „Corona muß sich völlig verschätzt haben, daß er wie ein Wilder mit den Serpentinen durch die Gegend feuert", keuchte Barbante. „Oder er ist wahnsinnig geworden. Dafür wird er noch bezahlen, das schwöre ich euch, das büßt er mir, der Hund." Sie kletterten in die Schaluppe, setzten die Segel und nahmen Kurs auf die „Gran Duque de Almeria". Barbante arbeitete sich bis zu der Drehbasse im Bug vor. Geladen war die Kanone, und auch ein kleines Becken mit glimmender Holzkohle stand bereit. Es gab genug Pulver und Munition an Bord. Die Männer der Jolle hatten jetzt sämtliche Laternen` gelöscht, aber Barbante konnte das Boot trotzdem noch erkennen, wie es die Wende vollzog und dann schneller werdend zum Schiff zurückglitt. Der erste
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Schuß der Drehbasse, so nahm er sich vor, sollte dieser verdammten Jolle gelten. Mit grimmiger Miene richtete er das Geschütz auf das Boot. 10. Mit Drehbassen wußten auch die Seewölfe umzugehen. Al Conroy, Hasards Waffenexperte, stand bereits seit dem Einlaufen in den natürlichen Kanal hinter den beiden Hinterladern der Back parat und spähte angestrengt in die Nacht. Carberry hatte sich neben ihm auf gebaut. Er hatte sich einen Vorrat an Höllenflaschen verschafft, die er den Piraten „unter ihre Affenärsche" zu schleudern gedachte. Es gab zwar auch ein Katapult zum Verfeuern dieser Flaschenbomben, aber das war Ferris Tuckers Spezialität. Schließlich hatte er das Ding gebastelt - er konnte auch am besten damit umgehen. Der Profos verließ sich lieber auf seine Muskelkraft und sein Zielvermögen. Klar zum Gefecht segelte die „Isabella" vor dem Nordwind in die Bucht - und jetzt blitzten drüben auf den Hügeln die Mündungsfeuer der Serpentinen auf: Gleich darauf krachten am Ostufer Musketen und Tromblons. Das Gefecht hatte begonnen. Ben Brighton hatte vorsichtshalber die Hecklaterne entfachen lassen. Er wußte zwar, daß er somit den Piraten eine Zielscheibe bot, aber er durfte auch nicht außer acht lassen, daß der Seewolf und sein Landtrupp die „Isabella" ohne Licht in der stockfinsteren Nacht nicht sehen konnten. Plötzlich aber riß die Wolkendecke ein wenig auf, und ein bleicher Mond zeigte sein Antlitz. Gary Andrews und Bill, die nach wie vor auf ihren Ausguckposten hockten, konnten in diesem Moment mehr von ihrer Umgebung erkennen - und Gary war es, der als erster die einmastige Schaluppe an Backbord der „Isabella" entdeckte. Sein Ruf schallte zum Deck hinunter.
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Barbante, der ganz auf sein Vorhaben konzentriert war, die Jolle in Stücke zu schießen, wandte erst jetzt, da hinter seinem Rücken auch die Piraten auf die heranrauschende Galeone aufmerksam wurden, den Kopf. „Streich die Flagge, Felipe!" schrie Carberry ihm in seinem schauderhaftesten Spanisch zu. „Du hast keine Chance gegen uns!" Barbante schwenkte die Drehbasse mit einem mörderischen Fluch so weit herum, daß ihre Mündung auf die Bugpartie der „Isabella" wies. Er zündete, der Schuß raste brüllend aus dem Lauf und stach auf die Galion der Galeone zu. Es krachte und knirschte, Splitter flogen. Barbante lud mit fliegenden Fingern nach, während seine Kumpane das Musketenfeuer auf den Gegner eröffneten. Im selben Augenblick schleuderte Carberry mit einem Fluch, der noch viel übler ausfiel als der des Piratenführers, eine der Höllenflaschen. Die tanzte in wilder Flugbahn durch die Luft, senkte sich auf die Schaluppe und kollerte den Freibeutern zwischen die Füße. Al Conroy zündete die Drehbasse auf der Backbordseite. Das Geschütz und die Flaschenbombe gingen zur selben Zeit los. Ein gewaltiger Donner, der in erster Linie natürlich durch die detonierende Flasche hervorgerufen wurde, rollte über die Bucht. Die Schaluppe der Piraten wurde regelrecht zerfetzt, im Aufflammen der Explosion wirbelten Trümmerteile und Menschen durch die Luft. Barbante, der Glücksritter und Pirat, fühlte sich wie von einer unsichtbaren Macht angehoben. Er sah die Masten der „Gran Duque de Almeria", des Schiffes, dessen Eroberung er schon so sicher gewesen war - es war die letzte Sinneswahrnehmung in seinem Leben, bevor die Dunkelheit alles auslöschte. Die „Gran Duque" eröffnete das Feuer auf die Pinasse. Dank des Mondlichtes hatte der Ausguck Don Joses den Einmaster jetzt gesichtet. Anselmo und sein Begleiter waren mit einem gehörigen Schreck
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davongekommen, als die erste 4PfünderSerpentinenkugel ganz in ihrer Nähe in die Fluten getaucht war. Es hatte eine Wasserfontäne gegeben, die sie naßgespritzt hatte. Anselmo hatte Corona, den er dort oben auf den Hügeln vermutete, in die Hölle verdammt für diesen verfluchten „Fehlschuß". Jetzt griff Anselmo die spanische Galeone an. Auch El Grulio, Josefe und die vier anderen waren mit der zweiten Schaluppe heran, um die „Gran Duque" zu beschießen und ihr Heck zu entern. Aber jetzt donnerten die Kanonen der „Gran Duque" los und wenig später auch die der „Isabella". Eine Kugel knickte der Pinasse den Mast weg, aber restlos war es um Anselmos Fassung geschehen, als er merkte, daß er eingekesselt war. Von achtern krachte jetzt nämlich wieder das Feuer der Serpentinen, und die Einschläge lagen bedrohlich nah. Hasard und seine neun Männer hatten auch die anderen drei Serpentinen gefunden. Sie hatten die beiden ersten mittlerweile nachgeladen und zündeten alle fünf Geschütze jetzt fast gleichzeitig. Die Pinasse und die Schaluppe waren unter dem Mondlicht gut zu erkennen. Beim vierten und fünften Schuß hatten Hasard und Ferris als Geschützführer die Eigenschaften der Serpentinen so gut kennengelernt, daß es ihnen gelang, sowohl der Pinasse als auch der Schaluppe je einen Treffer beizubringen. Ben Brighton hatte die „Isabella" zwei Strich westlich leicht an den Wind gedreht. Sie steuerte jetzt auf die Schaluppe zu, die dem Heck der „Gran Duque" bedrohlich nahe war. Der Bug der Schaluppe war zwar durch die 4-Pfünder-Kugel zu Bruch gegangen, aber sie sank noch nicht und war immer noch manövrierfähig. El Grullo, Josefe und drei andere Piraten lebten noch, nur einen von ihnen hatte es erwischt. El Grullo und Josefe schickten sich allen Ernstes an, die spanische Galeone zu entern. Carberry hatte die nächste Höllenflasche in der Faust. Er zählte bis drei, dann war die Lunte so weit weggebrannt, daß die
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Ladung sofort hochgehen mußte, wenn die Flasche in der Schaluppe landete. Da blieb dann keine Zeit mehr für die Piraten, das Höllending etwa aufzuheben und ins Wasser zu befördern. Carberry warf. Die Flasche polterte in die Schaluppe. Ihr. Glas war dick genug, daß sie nicht zerbrach. Donnernd explodierte sie. Der Feuerblitz warf sein zuckendes Licht auf Carberrys wüstes Narbengesicht. Fette Rauchschwaden stiegen von der Stelle auf, an der die Schaluppe sank. Sie hüllten auch das Heck der „Gran Duque de Almeria" zu einem Teil ein. Soviel konnten die Männer der „Isabella" aber sehen: Die Achterpartie der Galeone war durch die Explosion nicht in Mitleidenschaft gezogen worden. Philip und Hasard, die Zwillinge, konnten sich jetzt nicht mehr zurückhalten. Sie standen am Schanzkleid der Kuhl und hatten alles genau verfolgen können. Sie stießen begeisterte Pfiffe aus, und Philip rief: „Ein Meisterwerk, Mister Carberry!" Arwenack, der Schimpanse, hockte neben ihnen an Deck, fletschte die Zähne zu einer Art Grinsen und klatschte eifrig in die Vorderpfoten. Sir John, der karmesinrote. Aracanga, flatterte, um das Bild zu vervollständigen, krächzend über den Köpfen der drei herum. „Maul halten, ihr Kakerlaken", sagte Carberry in seiner freundlichsten Art. „Ihr habt nur zu reden, wenn ihr gefragt werdet, verstanden?" Wieder feuerte die „Gran Duque". Ihre Steuerbordgeschütze spien Tod und Verderben gegen die Pinasse der Piraten aus. Anselmo rettete sich gerade noch rechtzeitig, bevor die Kugeln einschlugen, durch einen Sprung ins Wasser. Er schwamm zum Ostufer, kroch schweratmend an Land und lief auf das Dickicht zu. Er sah den Mann, der gleich in der ersten Buschreihe kauerte, nicht. So lief er in das Messer, das ihm plötzlich entgegenzuckte, blindlings hinein. Mit einem Schrei stürzte er auf den weißen, körnigen Sand. Hier hauchte er sein Leben aus.
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Luis Benavente, der Messerwerfer, wandte sich ab und arbeitete sich tiefer ins Dickicht. „Narr", murmelte er. „Ich werde auch deine Kumpane, die es überlebt haben, töten. Einen nach dem anderen - bis diese Insel mir gehört." Er hatte es vorgezogen, von Bord der „Gran Duque" zu fliehen, als sich ein günstiger Moment dafür ergeben hatte. Man mußte die Zeichen der Zeit erkennen und das Beste aus seiner Lage herausholen. Kapitän Don Jose Manuel Ramos hätte aufgrund von Andres Nortes de Checas Aussagen gewiß noch herausgekriegt, welche krummen Touren sein Waffenmeister versucht hatte. Um eine Bestrafung wäre er, Benavente, also nicht herumgekommen. So zog er es vor, sich heimlich davonzustehlen.. Vielleicht, dachte er, vielleicht glauben sie ja, ich sei im Kampf getötet worden und in die Bucht gestürzt. Es wäre das Beste für alle. * Die „Isabella" war bei der „Gran Duque de Almeria" längsseits gegangen. Hasard, der sich mit seinen Männern und dem Mädchen Florinda inzwischen von den Hängen zurückgezogen hatte, ließ sich mit einer Jolle zu seinem Schiff übersetzen. Wenig später erschien Don Jose persönlich an Bord der „Isabella", um sich für die Hilfe zu bedanken. Nachdem er Hasard die Hand geschüttelt hatte, sagte er: „Ich muß ehrlich gestehen, ich hatte Sie verkannt, Senor Killigrew. Aber Sie werden mir das sicher nachsehen." „Sicher tue ich das. Ich bin sogar sehr stolz darauf, einer spanischen Schiffsbesatzung aus der Patsche geholfen zu haben. Merken Sie sich, daß wir Engländer nicht die Teufel sind, als die wir meistens hingestellt werden, Don Jose." „Wissen Sie was?" erwiderte der spanische Kapitän. „Ich halte sowieso nichts von hoher Politik. Ich bin ein Kaufmann zur See, mein lieber Freund, und für jede
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Unterstützung, die ich erhalte, dankbar gleich, von wem sie kommt. Das versteht sich doch von selbst." „Eine kleine Gegenleistung erwarte ich aber von Ihnen", sagte Hasard. „Und zwar bitte ich Sie, dafür zu sorgen, daß die gefangenen Piraten, die wir im Lager eingesperrt und am Fuß der Hänge zurückgelassen haben, auf einer der Nachbarinseln ausgesetzt werden. Dort können sie weniger Schaden anrichten." „Selbstverständlich übernehme ich das", versicherte Don Jose. „Sie wollen so schnell wie möglich die Azoren verlassen, nehme ich an. Das kann ich gut verstehen." „Auf einer Insel der Karibik warten bereits Freunde auf mich, Senor." „Dann halten Sie sich wegen uns nicht länger auf . . ." „Da wäre aber noch etwas, Don Jose." Der Spanier zog überrascht die Augenbrauen hoch. „Betrifft es etwa - das Mädchen?" „Erraten. Wir haben Florinda vor einem schrecklichen Schicksal bewahren können. Geben Sie Ihrem Herzen einen Stoß, verzeihen Sie ihr und ihrem Geliebten Andres. Die beiden lieben sich wirklich, Sie können es mir glauben. Sie haben nichts Arges im Schild geführt. Florinda mußte sich gegen Benavente wehren, als dieser zudringlich wurde, und dabei kippte die Öllampe um." „Dieser verdammte Hundesohn…" „Als blinder Passagier auf einem Segelschiff mitzureisen, ist zwar eine schlimme Sache", fuhr Hasard fort. „Aber das Paar sah keinen anderen Weg, die Fahrt in die Neue Welt zu bewältigen - und dahin wollen die beiden nun mal. Können wir es ihnen verübeln? Ich bezahle den beiden die Reise, wenn Sie wollen. Nur vergeben Sie ihnen, und nehmen Sie sie mit nach Amerika. Vielleicht bringen Sie auch Ihren rauhen Kerlen bei dieser Gelegenheit bei, daß nicht jedes Mädchen eine Hafenhure ist." „Senor", sagte der Spanier. Er holte tief Luft und schwankte einen Augenblick zwischen Empörung und Nachgiebigkeit. Dann hatte er seine innere Barriere
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überwunden. „Also gut, Senor Killigrew, ich willige ein. Lassen wir Gnade vor Recht ergehen. Ich verspreche, daß Andres Nortes de Checa aus der Vorpiek befreit wird und er mit Florinda zusammen in der Neuen Welt abgesetzt wird. Ich persönlich sorge dafür, daß ihnen keiner ein Härchen krümmt." Hasard lächelte und winkte Florinda zu, die sich die ganze Zeit ihrer Unterredung über auf dem Achterdeck bei Old O'Flynn im Ruderhaus versteckt gehalten hatte. Sie trat zu den Männern und reichte Don Jose die Hand. „Danke", sagte sie. „Und verzeihen Sie mir meine Dummheit, Senor." „Schon geschehen", erwiderte Don Jose. „Die Hauptsache ist, daß wir alle mit einem blauen Auge davongekommen sind." Florinda drückte Hasard einen Kuß auf die Wange. „Ich werde dir nie vergessen, was du für mich getan hast, Lobo del Mar", flüsterte sie. „Aber lege das bitte nicht falsch aus. Selbstverständlich bleiben wir
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nichts weiter als gute Freunde, nicht wahr?" „Ja. Lauf jetzt zu deinem Andres, Mädchen." Sie eilte leichtfüßig von der „Isabella" zur „Gran Duque" hinüber und war kurz darauf unter Deck der spanischen Galeone verschwunden. Die Zwillinge hatten von der Kuhl der „Isabella" aus alles beobachtet. „Wer ist denn die Tante?" fragte Philip Junior verwundert. „Keine Ahnung", erwiderte Hasard Junior. „Mit einemmal war sie da. Aber ich bin ganz froh, daß sie jetzt wieder abgehauen ist." „Stimmt. Was der wohl einfiel, Dad einfach abzuküssen!" „Ach, kenn sich doch einer mit den Weibern aus..." „Eins steht fest", sagte Philip zutiefst überzeugt. „Ich heirate nie." „Ich auch nicht", erklärte Hasard. „Ein Seewolf bindet sich nicht..."
ENDE