Atlan Im Auftrag der Kosmokraten Nr. 744
Die Marionetten von Areffa Ein Mutant geht seinen Weg
von Peter Griese
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Atlan Im Auftrag der Kosmokraten Nr. 744
Die Marionetten von Areffa Ein Mutant geht seinen Weg
von Peter Griese
Auf Terra schreibt man die Jahreswende 3818/19, als der Arkonide unvermittelt in die Galaxis Manam-Turu gelangt. Das Fahrzeug, das Atlan die Möglichkeit der Fortbewegung im All bietet, ist die STERNSCHNUPPE. Und die neuen Begleiter des Arkoniden sind Chipol, der junge Daila, und Mrothyr, der Rebell von Zyrph. In den elf Monaten, die inzwischen verstrichen sind, haben die ungleichen Partner schon manche Gefahr bestanden – immer auf der Spur jener Kräfte, die schon an anderen Orten des Universums verheerend wirkten. In dieser Zeit hat Atlan neben schmerzlichen Niederlagen auch Erfolge für sich verbuchen können. So ist zum Beispiel die Zusammenarbeit der verbannten Daila mit den Bewohnern ihrer Ursprungswelt gewährleistet – was sich auf den Kampf der Daila gegen ihre Unterdrücker positiv auswirken dürfte. Es bei dem bisher Erreichten zu belassen, wäre grundfalsch. Atlan weiß das – und seine Gefährten ebenfalls. Und so folgen sie verbissen selbst der kleinsten Spur des Erleuchteten und der seines mysteriösen Werkzeugs EVOLO. Die Raumstation Zinkoyon ist eine solche Spur. Und diese Spur führt weiter zu einem Planeten, auf dem Chipol seinen verschwundenen Vater zu treffen hofft. Er weiß noch nichts über DIE MARIONETTEN VON AREFFA…
Die Hauptpersonen des Romans: Dharys – Der Mutant verfolgt konsequent sein Ziel. Chipol – Der junge Daila trifft seinen Vater. Atlan – Der Arkonide ist mißtrauisch. Kalakto – Ein Daila zeigt sein wahres Gesicht. Der Erleuchtete – Ein Machtiger ist zornig.
1. Wir hatten drei ruhige Tage hinter uns. Das einzige erwähnenswerte Ereignis während des Fluges war die »Tankpause« gewesen, die die STERNSCHNUPPE eingelegt hatte, und die war auch ohne Störungen oder Zwischenfälle verlaufen. Ich hatte mit etwa fünf Tagen kalkuliert, die wir brauchen würden, um von der Raumplattform Zinkoyon zum Planeten Areffa zu gelangen. Nun sah es so aus, als würde diese Zeit stimmen. Meine größten Sorgen betrafen im Augenblick Chipol. Mein kleiner Freund zeigte deutliche Veränderungen, je näher wir unserem Ziel kamen. Er wurde immer wortkarger und stiller. Oft lag er stundenlang auf seiner Koje und starrte an die Decke, ohne ein Wort zu sagen. Mrothyr und ich ließen ihn gewähren, denn wir konnten uns gut vorstellen, daß in Chipol widerstreitende Gefühle tobten. Er mußte erst einmal zu sich selbst finden. Dann würde immer noch genügend Zeit für ein hilfreiches Gespräch sein. Viel hatten wir auf Zinkoyon nicht erreicht, was den Erleuchteten betraf. Aber das zählte im Augenblick für Chipol gar nicht, denn er sah sich einem Ziel näher als je zuvor, der Wiederbegegnung mit seinem Vater Dharys. Die Erwartung dieses Ereignisses hatte den Jungen ganz in ihren Bann geschlagen. Wenn ich die letzten Tage und Wochen gedanklich noch einmal Revue passieren ließ, so hatte Dharys eher eine untergeordnete Rolle gespielt. Der Daila-Mutant hatte in einer Verbindung mit dem Erleuchteten gestanden, der ihn und weitere Angehörige aus Chipols Familie Sayum entführt hatte. Mehr wußte ich eigentlich nicht, es sei denn, ich betrachtete die Aussagen des Daila G’dhay, der sich für meine Begriffe auf Zinkoyon etwas zu auffällig um uns bemüht hatte, als reine Wahrheit. Gerade in diesem Punkt jedoch, aus dem Chipol alle Hoffnungen für das bevorstehende Wiedersehen mit seinem Vater schöpfte, war ich außerordentlich skeptisch. Mein Logiksektor hatte mich mehrmals energisch daran erinnert, daß ich auch ohne sein Einwirken G’dhay als verdächtig eingestuft hatte und daß er zu Vorsicht riet. Er hatte sich auch nur widerstrebend damit abgefunden, daß ich ohne Zögern Areffa ansteuerte, nachdem wir unter seltsamen Umständen Zinkoyon hatten verlassen können. Die Koordinaten von Areffa stammten von G’dhay! Und die Flucht von der Raumplattform wäre ohne G’dhay wohl nicht möglich gewesen. Und dennoch war sie mir irgendwie »zu glatt« verlaufen. Erst hatte uns ein Fesselfeld gehalten, dem selbst die STERNSCHNUPPE nichts hatte entgegensetzen können, und dann war nach einem Hinweis G’dhays und einer Explosion plötzlich der Abflug möglich gewesen. Je länger ich über diese Geschehnisse nachdachte, desto merkwürdiger oder »künstlicher« kamen sie mir vor. Und mein ewiger Warner, der Extrasinn, stimmte mir in diesem Punkt zu. Gleichzeitig hielt er mir aber vor, daß ich der von G’dhay gelegten Spur, die Mrothyr, Chipol und mich nach Areffa bringen sollte, nicht folgen dürfte. Das war in meinen Augen Unsinn. Wir alle waren uns des Risikos bewußt, aber wir mußten es tragen. Auch die Warnungen G’dhays vor den Fallen des Erleuchteten und insbesondere vor der Raumstation Oase I kennten daran nichts ändern. Für mich stellte sich die Lage ganz einfach so dar, daß ich gar keine andere Möglichkeit besaß, »am Ball zu bleiben«, was den Erleuchteten und dessen Aktivitäten betraf. Und für Chipol zählte nur G’dhays Aussage, daß auf Areffa sich die Angehörigen seiner Familie befänden, die dem Erleuchteten hatten entfliehen können. Und unter diesen Daila-Mutanten sollte sich auch Dharys Sayum befinden.
Ich konnte gut verstehen, daß diese Aussichten den Jungen in gewisser Hinsicht verblendet hatten. Widerspruch oder Skepsis ihm gegenüber hätten bestimmt nichts bewirkt. Im Gegenteil, Chipol wäre womöglich noch verbitterter geworden. Und eine gefühlsmäßige Trennung zwischen ihm und mir mußte ich unter allen Umständen vermeiden. Areffa, so hatte G’dhay uns wissen lassen, lag außerhalb des Einflußbereichs der Daila, wurde aber schon seit langer Zeit von Verbannten, also von Daila-Mutanten, bewohnt. Diese hätten die Angehörigen der Familie Sayum freundlich aufgenommen. Das klang alles sehr gut, sagte ich mir. Zu gut! meinte der Extrasinn. Ich widersprach ihm nicht. Wenn G’dhays Aussagen allerdings der Wahrheit entsprachen, dann befand ich mich auf einer wirklich heißen Spur. Einige der geflohenen Sayums kannten demnach das Versteck des Erleuchteten, der es sich ja in Manam-Turu zu eigen gemacht hatte, nur aus dem verborgenen heraus zu agieren. Diese Daila planten - angeblich, mußte ich wieder in Gedanken hinzufügen – einen großen Schlag gegen den Erleuchteten, um sich für die Schmach zu rächen, die dieser ihnen angetan hatte. Ich hatte meine Zweifel, denn irgendwie paßte es nicht in meine Vorstellungen, daß es zwei Dutzend Daila gelungen sein sollte, sich dem Zugriff des Erleuchteten zu entziehen. Genau das hatte aber G’dhay behauptet. Mehr noch. Angeblich arbeiteten viele Daila für den Erleuchteten in Wrackbank, jenem H-plus-Nebel, den ich noch nicht hatte identifizieren können. Von Zinkoyon aus existierte eine offensichtlich einseitige Transmitterverbindung in diesen Machtbereich des Erleuchteten. Ligriden, die versucht hatten, diesen Weg zu gehen, waren nie zurückgekehrt. Dennoch sollte es aber den Daila um Dharys gelungen sein, von dort zu fliehen. Das biß sich irgendwo ganz gehörig und weckte mein Mißtrauen. Mich beseelte das tiefe Verlangen, dem Erleuchteten ins Handwerk zu pfuschen, auch wenn ich weder eine klare Vorstellung über dieses Wesen besaß, noch über das Objekt EVOLO, das er allem Anschein nach hier in Manam-Turu vollendet hatte oder das kurz vor der Vollendung stand. Ich wußte auch nicht, worin die Gefahr bestehen sollte, die von EVOLO ausging. Die Bindungen zu meinen »Auftraggebern«, den Kosmokraten, hatte ich längst abgeworfen. Auch hatte es den Anschein, daß die Mächte jenseits der Materiequellen gar nicht mehr direkt oder indirekt in das Geschehen eingriffen. Es gab zwei Erklärungen dafür. Entweder konnten sie nicht mehr eingreifen, oder sie hatten es als gegeben akzeptiert, daß ich mich im wahrsten Sinn des Wortes »selbständig« gemacht hatte. Ich nahm die zweite Möglichkeit an, weil sie mir gefühlsmäßig besser gefiel. Es war irgendwann während der letzten Ereignisse in Alkordoom für mich unerträglich geworden, den Handlanger der Kosmokraten zu spielen. Damals hatte ich das vielleicht noch nicht in aller Deutlichkeit so gesehen. Oder ich hatte es mir einfach nicht eingestehen wollen. Jetzt sah ich es ganz klar. Ich benötigte keine unfaßbaren Mächte, die mir irgendwelche »Aufträge« anhängten, die mich mehr oder weniger wie eine Marionette tanzen lassen würden. Ich wußte selbst gut genug, was den positiven Kräften des Universums half. Und was nicht. Manchmal dachte ich mit etwas Wehmut an Alkordoom zurück. Ich hatte dort ein Stückwerk hinterlassen, und das befriedigte mich nicht. Es ließ sich aber nicht ändern, denn Manam-Turu hatte mich in jeder Hinsicht gefesselt. Hier irgendwo mußte die Entscheidung fallen. Hier würde sich EVOLO entfalten. Hier würde der Erleuchtete seine Macht ausspielen, seine Karten offen auf den Tisch legen und zeigen, welche Ziele er wirklich verfolgte. Als »Juwel von Alkordoom« hatte er zwar auch aus einem sicheren Versteck heraus agiert, aber seine Gegenwart nie verheimlicht. Er hatte sogar das 5000. Jahr seiner Macht großartig feiern
lassen, um allen Völkern seine Allgegenwart zu demonstrieren. Die Macht des Juwels in Alkordoom war zerschlagen worden, denn dem Erleuchteten war letztlich nur ein Weg offen geblieben – die überhastete Flucht nach Alkordoom. Eigentlich lag es auf der Hand, daß sich die verbliebenen sieben Facetten nach dem Verschwinden des Erleuchteten nicht mehr lange würden halten können. Mit Arien Richardson, der neuen Facette von Mesanthor und den Celestern im Hintergrund hatte diese Galaxis eine gute Chance, die inneren Verhältnisse zu stabilisieren und zu normalisieren. Was mich manchmal quälte, war die Ungewißheit, ob dies gelingen würde. Für ein einziges Lebenszeichen aus Alkordoom wäre ich sehr dankbar gewesen. Aber Alkordoom war weit. Meine Gedanken kehrten schnell wieder in die aktuelle Gegenwart zurück. Die STERNSCHNUPPE verlangsamte ihren Flug und stellte auf den Orterbildschirmen die ersten Daten des Sonnensystems des Planeten Areffa dar. Ich erkannte eine rötlich-gelbe Sonne von geringen Ausmaßen und vier Planeten. Das Schiff blendete von sich aus die Entfernungsangaben ein. Unschwer konnte ich daraus schließen, daß Areffa nur der äußerste Planet sein konnte, denn die drei inneren umkreisten das Zentralgestirn in Bahnen mit geringen Abständen, die alle unter einem Radius von einer Lichtminute lagen. Dort war kein Leben möglich, denn die Temperaturen auf den Planetenoberflächen lagen mit Sicherheit über 800 Grad Kelvin. Mrothyr, der alte Haudegen, der weit weniger Erfahrung mit der Auswertung solcher Daten hatte als ich, wartete geduldig, bis die STERNSCHNUPPE von sich aus die Ergebnisse mitteilte. Chipol zeigte deutliches Desinteresse an diesen Fakten. Er lag auf seiner Liege. Er hob nur einmal kurz den Kopf und rief: »Wann landen wir auf Areffa?« »Bald«, antwortete Mrothyr. Ich konnte mich gut in den Jungen hineinversetzen. Einerseits liebte er seinen Vater und seine Familienangehörigen, andererseits lehnte er gefühlsmäßig alle Angehörigen seines Volkes ab, die über Mutantenfähigkeiten verfügten. Da lag das Problem. Chipol entstammte einer Sippe, in der praktisch alle Daila Mutanten waren - er selbst jedoch ausgenommen! Und es gehörte zu den Traditionen der Daila, Mutanten als minderwertig abzustempeln und in die Verbannung zu schicken. Der Junge litt unter diesen Widersprüchen, die er ererbt und anerzogen bekommen hatte. Er fand keinen klaren eigenen Weg in diesem Gestrüpp aus Emotionen und Wünschen. Er konnte diesen Weg auch gar nicht finden, denn er war überfordert. Selbst der Umschwung im Denken der Daila, die sich vermehrt wieder den Verbannten zugewendet hatten und mit diesen gemeinsam gegen die aktuelle Gefahr des Neuen Konzils aus Hyptons und Ligriden angingen, hatte Chipols aufgewühltes Gefühlsleben nicht stabilisieren können. Der Kleine hielt sich tapfer, und er besaß mein volles Vertrauen. Ich mußte auch abwarten, um zu sehen, ob Dharys wirklich auf Areffa war. Und – wenn er dort lebte – wie die Begegnung mit seinem Sohn enden würde. Die STERNSCHNUPPE schwenkte in einen noch sehr weiten Orbit um den Planeten ein. »Soll ich versuchen, Funkkontakt herzustellen?« fragte sie. »Bestehen Erfolgsaussichten?« Ich wußte ja nichts über den technischen Standard dieser Welt. Du stehst heute wieder einmal mit der Logik auf Kriegsfuß, höhnte der Extrasinn. Oder glaubst du,
daß Dharys und seine Leute auf einem Fliegenden Teppich nach Areffa kamen? »Aus deinen Worten entnehme ich nur«, entgegnete ich kühl, »daß du nun davon ausgehst, daß die Sayums wirklich hier sind.« Der Logiksektor schwieg, denn er merkte, daß ich ihn ausgetrickst hatte. »Ich habe einen behelfsmäßigen Raumhafen entdeckt«, teilte das Schiff mit und projizierte ein Bild davon. »Drei kleinere Schiffe unbekannten Typs stehen dort. Eine gewisse Standardtechnik muß es dort geben, auch wenn ich keine Funkwellen normaler oder hyperenergetischer Struktur aufnehmen kann.« »Ich spreche selbst«, entschied ich. Die STERNSCHNUPPE schob den schwach leuchtenden Mikrofonring vor mein Gesicht. Chipol stand plötzlich neben mir. Nun war sein Interesse geweckt. »Raumschiff STERNSCHNUPPE im Anflug auf den Planeten Areffa«, sagte ich. »An Bord befinden sich ein Daila und zwei Freunde. Wir bitten um Landegenehmigung. Ein Daila namens G’dhay schickt uns. Ende.« Zunächst geschah nichts. Dann knackte es irgendwo, und das Schiff meinte, man würde sich bemühen, eine Verbindung aufzubauen. Es stellte einen Bildschirm bereit, der sich dann auch tatsächlich erhellte. Ein Bild schälte sich jedoch nicht heraus. Nur Schlieren und Streifen wanderten auf und ab, in die sich sinnlose Farbmuster einfügten. »Tut mir leid, Atlan«, erklärte die STERNSCHNUPPE. »Da wird ein Übertragungssystem verwendet, das keiner mir bekannten technischen Norm entspricht. Ich werde eine Weile brauchen, um es zu dekodieren und darstellen zu können.« Es meldete sich aber eine Stimme. »Ein Daila!« jubelte Chipol sogleich. »Hallo, STERNSCHNUPPE«, hörten wir. »Hier spricht Kalakto. Wir begrüßen euch sehr herzlich. Eure Übertragung ist ausgezeichnet. Wahrscheinlich werdet ihr Probleme mit unserem Bild haben, denn unser Bildkomperator arbeitet nicht ganz fehlerfrei. Landet, wo ihr es für richtig haltet, am besten in der Nähe unserer Großsiedlung Heimwehstadt auf der Nordhalbkugel. Heimwehstadt liegt am Rand der Ebene, auf der drei Raumschiffe liegen und von wo aus auch diese Sendung abgestrahlt wird. Habt ihr das verstanden?« Bei den letzten Worten stabilisierte sich das Bild. Der Kopf eines etwas dicklich wirkenden Daila mit freundlichem Gesicht wurde sichtbar. »Alles verstanden, Kalakto«, entgegnete ich. »Das Bild ist jetzt auch da. Wir landen nahe Heimwehstadt in wenigen Minuten.« Dann stellte ich uns noch namentlich vor, wobei ich ein wenig den Eindruck hatte, daß die Namen Kalakto gar nicht sehr interessierten. »Ich bleibe auf Empfang, meine Freunde.« Der Daila war sichtlich zufrieden. »Wenn es Probleme geben sollte, dann meldet euch bitte.« »Ich habe unseren Sender abgeschaltet«, teilte die STERNSCHNUPPE mit. »Der da unten braucht nicht zu ahnen, was hier vorgeht.« »Was soll hier denn vorgehen?« brummte Mrothyr verständnislos. »Es sind zwei fremde Lebewesen an Bord«, behauptete das Schiff. »Wie bitte?« Ich sprang auf. »Ich orte zwei lebende Wesen, die vor etwa einer Minute erstmals wahrnehmbar wurden. Ich kann diese Wesen allerdings nicht erkennen oder sehen. Ich stelle nur fest, daß sie da sind.«
Aus diesem Durcheinander wurde ich nun gar nicht schlau. Auch der Logiksektor verzichtete auf jeglichen Kommentar. »Sie bewegen sich«, behauptete die STERNSCHNUPPE weiter. »Jetzt betreten sie die Zentrale. Sie müssen irgendwo in der Nähe des Getränkeautomaten sein. Jetzt gehen sie in Richtung des MedoNotschranks.« Ich verfolgte nach den Angaben des Schiffes mit den Augen diesen angeblichen Weg, aber ich sah nichts. »Du spinnst, STERNSCHNUPPE!« stellte ich fest. »Genau«, hakte Chipol ein. »Bei dir ist eine Sicherung durchgebrannt. Es kann niemand außer uns an Bord sein.« »Es sei denn«, vermutete Mrothyr, »auf Zinkoyon hat sich etwas an Bord geschmuggelt.« »Das hätte ich bemerkt«, vermutete das Schiff. »Es sind zwei Lebewesen. Die Echos sind unscharf. Sie tarnen sich irgendwie, aber ich weiß nicht, mit welchem technischen Trick. Sie sind klein, etwa so lang wie Atlans Unterarm. Sie kriechen wurmartig auf dem Boden.« »Gib mir ein Lichtzeichen an der Stelle, wo du sie siehst«, verlangte ich. »Sofort.« Die STERNSCHNUPPE ließ ein Signal aufleuchten, das etwa einen halben Meter über der Bodenfläche frei im Raum schwebte und sich langsam in Richtung des Pilotensessels bewegte. »Sie sind direkt darunter auf dem Boden.« Ich kam mir zwar ein bißchen lächerlich vor, aber ich setzte zu einem Hechtsprung auf die bewußte Stelle an und schnellte nach vorn. Erwartungsgemäß griffen meine Hände ins Leere. »Sie sind geflohen«, trieb das Schiff das mir makaber erscheinende Spiel weiter. »Eins verließ die Zentrale. Sie sind sehr flink, was ich nicht ahnen konnte, denn bisher haben sie sich nur sehr langsam bewegt. Das zweite Wesen ist in der Hygienekammer verschwunden. Es hat sich dort dem Zugriff meiner Ortung entzogen.« »Du meinst«, höhnte Chipol, »es hat sich selbst hinuntergespült? Ich sage dir was, Schnuppchen. Bei dir ist ein Rad locker. Du willst nur eins, nämlich verhindern, daß ich meinen Vater wiedersehe. Deshalb greifst du nach diesem schmutzigen Trick.« »Mach mal langsam, Chipol«, besänftigte ich den Jungen. »Es ist uns allen klar, daß dir jede Verzögerung zuwider ist. Wir müssen dennoch mit der gebotenen Vorsicht zu Werk gehen.« »Vorsicht?« Chipol schüttelte den Kopf. »Ich sehe nichts, ich höre nichts. Es ist nichts da. Höchstens in der Phantasie unserer STERNSCHNUPPE. Es sind eben alle gegen mich, nur weil ich mich freue, meinen Vater wiederzusehen.« »Es ist niemand gegen dich. Aber wir wissen nicht, ob uns G’dhay in allen Punkten die Wahrheit gesagt hat. Daher müssen wir jeden Schritt sorgfältig prüfen, bevor wir ihn machen. Sei ein braver Junge, Chipol, und überlasse Mrothyr und mir, was zu tun ist. Ja?« Maulend zog er sich in seine Kabine zurück. Ich wandte mich wieder an das Schiff und verlangte eine Erklärung für die seltsamen Behauptungen, die sich ja durch nichts beweisen ließen. »Die kann ich nicht liefern«, räumte die STERNSCHNUPPE ein. »Mir ist die Sache auch schleierhaft. Ich kann nur sagen, daß meine internen Überwachungssysteme zwei Wesen registriert haben. Jetzt haben sie sich in abgeschirmte Winkel zurückgezogen. Ich weiß nicht mehr, wo sie nun stecken.« »Ein Irrtum ist ausgeschlossen?« »Absolut.«
»Besteht eine Gefahr?« bohrte ich weiter. »Grundsätzlich ja, denn es sind ja unerlaubte Fremdkörper.« Ich versuchte, etwas aus dem Tonfall der STERNSCHNUPPE herauszuhören, aber ich entdeckte nichts Verdächtiges. »Es wäre wünschenswert zu wissen, wie die beiden an Bord kamen und mit welcher Absicht. Aber da stehe ich vor einem Rätsel.« »Steht das Auftauchen der beiden Unsichtbaren in einem Zusammenhang mit unserer Absicht, auf Areffa zu landen?« »Das kann ich weder bejahen, noch verneinen. Ich besitze keine anderen Hinweise als die, über die ich berichtet habe. Das Schiff muß abgesucht werden. Ich stelle ein Spezialgerät dafür zur Verfügung.« »Das mache ich«, bot sich Mrothyr an. Er verschwand eine Weile mit dem Spezialorter, während die STERNSCHNUPPE in einem stabilen Orbit blieb. »Nichts«, sagte er nur, als er zurückkehrte. Auch die STERNSCHNUPPE hatte nichts mehr festgestellt. »Wir beobachten weiter«, entschied ich. »Und wir landen. Vielleicht stellt sich alles als ganz harmlos heraus.« Das glaubst du doch selber nicht, meinte der Extrasinn. Ich mußte zugeben, daß das stimmte.
2. Das Empfangskommando bestand aus einem uralten Gleiter mit einer rostigen Karosserie, zahlreichen Beulen und einem fehlenden Oberdeck. In dem offenen Gefährt standen ein Mann und eine Frau. Weitere Personen hätten darin auch gar nicht Platz gehabt. Wir hatten alle nach der Landung die STERNSCHNUPPE verlassen. Die beiden unsichtbaren Wesen, an deren Existenz ich noch immer zweifelte, waren nach den Angaben des Schiffes nicht mehr aufgetaucht. »Wir lassen den Ausgang offen«, hatte Chipol gefeixt. »Dann können sie das Schnüppchen verlassen und auf Areffa herumtollen.« Ich konzentrierte mich ganz auf unsere Gastgeber, die sich als Daila entpuppten. Das entsprach meinen Erwartungen. »Du läßt erst einmal mich reden«, warnte ich Chipol, dem deutlich anzumerken war, daß er am liebsten dem alten Gleiter entgegengerannt wäre und gebrüllt hätte: »Wo steckt mein Vater Dharys?« Er biß sich auf die Lippen und schwieg. Mit einem jammernden Geräusch lief das Aggregat des Gleiters aus. Das Gefährt knallte unsanft auf den Boden. Die normale Antigravsteuerung schien auch nicht mehr richtig zu funktionieren. Die beiden Daila sprangen heraus. Sie trugen eine einfache Leinenkleidung, die mit schmalen Lederbändern zusammengehalten wurde. Waffen entdeckte ich keine. Sie hätten auch nicht zu den freundlich lächelnden Gesichtern und den ausgebreiteten Armen gepaßt. »Willkommen auf Areffa«, rief die Frau. »Der Planet des Friedens bietet Platz für jedermann, der lautere Absichten hat. Mein Name ist Jhossa. Und das ist Kalakto, den ihr schon von dem Funkkontakt kennt.« Ich erwiderte die Begrüßung und wiederholte noch einmal unsere Namen. »Der Kleine ist ein Daila«, stellte Kalakto freimütig und ohne Arg fest. »Mrothyr ist ein Zyrpher. Und du, Atlan, in welche Völkerkiste können wir dich stecken?« Ich fühlte mich deutlich erleichtert, denn diese Begrüßung war herzlich und ehrlich. Etwas von meiner Beklemmung wich. »Ich bin ein Arkonide«, antwortete ich wahrheitsgemäß. »Das wird euch wenig sagen, denn meine Heimat liegt nicht in Manam-Turu.« »Oh«, machte Jhossa. Dann drehte sie sich ruckartig zu ihrem Begleiter um. »Das macht zehnmal Abwaschen.« »Wie bitte?« Ich glaubte, nicht richtig gehört zu haben. »Eine private Wette.« Die Daila lachte und winkte ab. »Entschuldigt diese kleine Abschweifung, aber sie hat nichts mit euch zu tun. Kalakto ist immer so faul. Da schließen wir schon einmal eine kleine Wette ab.« »Eine?« Der untersetzte Daila verzog das Gesicht. »Es müssen wohl schon einige tausend Wetten sein. Und dies ist die erste davon, die sie gewonnen hat.« »Er glaubte nicht, daß es außerhalb von Manam-Turu Galaxien mit intelligenten Lebewesen gibt«, erklärte Jhossa. »Du, Atlan, bist der lebende Beweis dafür, daß es anders ist.« Ich fand es herrlich, wie unkompliziert die beiden ihre kleine Nebensächlichkeit ausdiskutierten. Es
trug weiter zur Entkrampfung bei. Kalakto fand dann auch schnell wieder zum Kern der Sache zurück. »Was führt euch zu uns? Wie können wir euch behilflich sein? Oder wollt ihr nur ein paar Tage ausspannen? Areffa bietet nicht viel, aber eins ganz bestimmt – Erholung.« »Ich sagte schon«, antwortete ich, »daß uns ein Daila namens G’dhay den Weg hierher gewiesen hat. Draußen in Manam-Turu ist nicht alles so friedlich wie hier.« »Ich verstehe.« Jhossa nickte. »Ihr braucht einen Unterschlupf. Das läßt sich natürlich einrichten. Wollt ihr für immer bleiben? Oder nur für eine bestimmte Zeit?« »Das hängt von den Umständen ab«, erklärte ich ausweichend. »G’dhay erwähnte, daß auf Areffa eine kleine Gruppe Daila, die zur Familie Sayum gehören, Unterschlupf gefunden hat. Eigentlich suchen wir diese Daila.« »Sayum?« Kalakto machte ein langes Gesicht. »Den Namen habe ich doch schon einmal gehört. Heißen die neuen Hangbewohner nicht so?« »Ich glaube ja, aber ich bin mir nicht sicher.« Jhossa strahlte Zuversicht aus. »Das werden wir aber schnell klären können.« Chipol hielt es nicht mehr länger aus. Er drängte sich zwischen Mrothyr und mir hindurch. »Es ist ein Mann dabei«, rief er schrill, »der Dharys heißt. Der ist mein Vater.« Jhossa und Kalakto blickten sich kurz staunend an. Dann entspannten sich ihre Gesichtszüge. »So ist es also, mein Kleiner.« Sie berührte freundschaftlich Chipols Arm. »Dharys ist dein Vater? Na, prima. Er wird sich freuen, daß du gekommen bist.« »Er ist also hier?« Chipol vollführte einen Luftsprung und landete auf dem Gesäß. Mrothyr zog ihn wieder auf die Beine. »Er ist hier«, bestätigte der dickliche Kalakto. »Er kam vor etwa zwanzig Tagen mit einer ganzen Gruppe von Daila. Ein Frachtschiff setzte sie hier ab. Sie machten alle einen reichlich deprimierten Eindruck und…« »Sie machten einen heruntergekommenen Eindruck«, fiel ihm Jhossa ins Wort. »Das ist die Wahrheit. Sie sind einer grausamen Gefangenschaft entflohen. Das sagte Dharys, der so etwas wie der Sprecher der Flüchtlinge ist. Wir sind nicht weiter in sie gedrungen, denn sie brauchten wirklich nur Erholung von den durchgemachten Strapazen. Kommt! Wir bringen euch zu ihm.« Kalakto ging zu seinem Gleiter und klappte auf beiden Seiten flügelähnliche Träger heraus. »Nicht sehr bequem.« Er lächelte gequält, aber herzlich. »Etwas Besseres haben wir leider nicht.« Ich sprach noch einmal kurz mit der STERNSCHNUPPE, die unser Begrüßungsgespräch parallel über mein Funkgerät mitverfolgt hatte. Dann nahmen wir auf den Flügeln des Gleiters Platz. Holprig hob das Gefährt ab. Jhossa steuerte es nur wenige Meter über dem Boden, wobei es sich wohl um eine Vorsichtsmaßnahme handelte. Unaufgefordert erzählte Kalakto, während wir in einem gemächlichen Flug die etwa zwei oder drei Kilometer entfernte Stadt ansteuerten. Die verbannten Daila lebten schon in der dritten und vierten Generation auf Areffa. Von den ursprünglichen Siedlern lebte keiner mehr. Der Planet bot, was man zum Leben brauchte. Eigene intelligente Völker hatte er trotz seiner reichhaltigen Fauna und Flora nicht hervorgebracht. Die Aufgabe der ersten Verbannten hatte daher allein darin bestanden, sich diese Welt mit Hilfe von ein paar technischen Geräten und ihren meist schwachen Mutanten-Fähigkeiten friedlich Untertan zu machen. Die drei kleinen Raumgleiter waren schon lange fluguntauglich, berichtete Kalakto weiter. Nur in
einem funktionierte noch eine Funkanlage, die als Relaisstelle diente. Die eigentliche Funkstation befand sich in Kalaktos Haus in Heimwehstadt. Von dort aus hatte er auch den Anruf Atlans beantwortet. »Sie nennen mich etwas spöttisch den Raumwächter«, erzählte der untersetzte Daila lachend. »Weil ich das Funkgerät habe und damit für die Kontaktaufnahme mit Besuchern zuständig bin. Das ist natürlich nur eine. Nebentätigkeit. Eigentlich bin ich Rübenbauer. Ihr seid die vierten Besucher in meinem ganzen Leben. Auf Areffa ist nicht viel los. Und von den Geschehnissen in Manam-Turu bekommen wir fast nichts mit. Wir wollen eigentlich auch gar nichts wissen. Wir wollen unsere Ruhe, sind aber selbstverständlich gastfreundlich und entgegenkommend. Vom Heimweh unserer Vorfahren ist nur eins geblieben, der Name dieser schönen Stadt.« Heimwehstadt lag in einem halbkreisförmigen Talkessel, der zur offenen Seite hin, aus der sich der Gleiter nun näherte, von einem kristallklaren Fluß begrenzt wurde. Die Häuser waren teils Backsteinbauten, teils Blockhütten und nur selten höher als ein Stockwerk. Ich schätzte die Zahl der Bewohner auf einiges über 10.000. Die umgebenden, meist sanften Berghänge waren unterschiedlich bewaldet. Zwischen den Parzellen erstreckten sich freie Grünflächen, auf denen Tiere weideten. Das Gekreische von Vögeln erfüllte die Luft. Wir flogen über sauber angelegte Äcker hinweg, die in voller Blüte standen. Ein Rudel Niederwild flitzte erschrocken zur Seite, als der Schatten des Gleiters über es hinweghuschte. »Eine schöne Welt«, stellte Chipol fest. Zu schön! nörgelte der Extrasinn. Und alles geht zu glatt. Seit dem Verlassen der ZinkoyonPlattform läuft alles wie programmiert ab. Es fragt sich nur, was am Ende dieses Programms steht. Ich widersprach nicht, denn mein normaler Verstand war zu ähnlichen Schlußfolgerungen gelangt. Natürlich hielt mich das nicht davon ab, weiter dieser Spur zu folgen, denn schließlich war ich nach Areffa gekommen, um mehr über den Erleuchteten in Erfahrung zu bringen und insbesondere über dessen Versteck. Und dann mußte ich auch an Chipol denken. Im Vordergrund der Überlegungen des Jungen stand offensichtlich erst einmal die Begegnung mit seinem Vater, erst dann dachte er an unser gemeinsames Ziel, den Erleuchteten aufzuhalten, der Unheil über Manam-Turu zu bringen drohte. Ich sah dieser Begegnung mit erheblichen Sorgen entgegen, denn ich konnte mir nicht vorstellen, daß ein Daila, der mehrere Monate in der Gewalt des Erleuchteten gewesen war, noch der Dharys war, den Chipol in seiner Erinnerung hatte. Das ehemalige Juwel von Alkordoom hatte in noch keinem Fall eine Spur von Nachsicht oder Menschlichkeit gezeigt. Es pflegte alle seine Diener rücksichtslos für seine Zwecke auszunutzen. Und wenn das wirklich stimmte, was G’dhay uns erzählt hatte, dann gab es in der Gruppe um Dharys sogar Daila, die das Versteck des Erleuchteten kannten. Ich hatte da meine Zweifel. Sollte G’dhay aber nicht gelogen haben, so stand fest, daß der Erleuchtete alles daransetzen würde, um diese Mitwisser zu beseitigen. Dann waren diese Flüchtlinge in einer tödlichen Gefahr. Kalakto deutete auf ein längliches Steinhaus, neben dem mehrere kleine Holzhütten aufgereiht waren. »Unsere Farm«, sagte er zufrieden. »Rübenanbau und etwas Tierhaltung. Es reicht zum Leben. Wir müssen den Gleiter hier abstellen. Er darf nur im freien Gelände benutzt werden, weil er nicht ganz ungefährlich ist. Den restlichen Weg können wir zu Fuß gehen. Es ist nicht weit. Dharys und die Flüchtlinge leben dort hinten in den neuen Häuschen am Hang.« Er deutete über die Stadt hinweg auf die seitlichen Anhöhen, wo zwei Reihen von Blockhütten sich
wie Perlenschnüre zwischen den Waldparzellen in die Höhe schlängelten. Chipol rutschte unruhig hin und her. Ihm ging das alles zu langsam. Kalakto landete sein altes Gefährt vor dem Haupthaus. Zwei Daila-Mädchen kamen aus der Tür und starrten und schweigend an. »Unsere Töchter Kaphossa und Phoslakta«, stellte die Frau die beiden etwa 17- oder 18jährigen vor. »Etwas verschlossen, aber sonst ganz brav.« Die Mädchen sagten auch jetzt nichts. Die Jüngere nahm eine Schubkarre und begab sich zu einer der Holzhütten. Die Ältere ging ins Haus zurück. »Kommt noch einen Moment herein«, bat Kalakto. »Ein erfrischendes Getränk vor dem Weg wird uns allen guttun.« Chipol verzog sein Gesicht und sah mich dann erwartungsvoll an. Er hoffte natürlich, daß ich dieses Angebot dankend ablehnte, aber ich dachte gar nicht daran. Je mehr an Einzelheiten ich erfuhr, desto besser war das für uns alle. Der Zyrpher schien ähnlich zu denken, denn er folgte wortlos Kalakto und Jhossa ins Haus. Er nahm den Jungen an der Hand. Widerwillig folgte Chipol ihm. Ich bildete den Schluß. Kalaktos Haus war wohnlich, aber einfach eingerichtet. Direkt hinter der Diele erstreckte sich ein geräumiges Zimmer, das sicher dem normalen Aufenthalt diente. Von hier führten drei Türen in andere Räume. Eine davon stand offen. Dahinter erkannte ich eine Küche. Von Kaphossa entdeckte ich jedoch keine Spur. Waren das Mädchen und seine Schwester uns feindlich gesinnt? Abwarten! ermahnte mich der Extrasinn. Keine voreiligen Schlüsse! In einer Ecke stand ein handgezimmertes Sofa mit einem rustikalen Tisch und vier Stühlen. Kalakto deutete uns an, dort Platz zu nehmen, während Jhossa in der Küche verschwand. Ich setzte mich. Mein Blick fiel auf die Funkanlage. Es handelte sich um ein uraltes Modell dailanischer Technik. »Wir leben hier in einem Gemisch aus moderner Technik in geringem Maß und einer einfachen, natürlichen Ausstattung«, erläuterte der Daila unaufgefordert. Er hatte sicher meine aufmerksamen Blicke bemerkt und richtig gedeutet. »Viel ist von den technischen Geräten nicht übriggeblieben, die unsere Vorfahren mitgebracht haben. Aber Jitti-Zmay, unser Bürgermeister, hat sogar noch eine funktionierende Positronik. Wir erzeugen unsere eigene Elektrizität, betreiben Bergbau, um Erze zu gewinnen, und was der Dinge mehr sind.« Jhossa kam mit einem Holztablett und fünf Tonkrügen. Sie stellte die Getränke auf den Tisch. Chipol nahm seinen Becher und trank ihn in einem Zug aus. »Prost. Lecker«, sagte er dann. »Können wir jetzt gehen?« Ich hätte beinah gelacht. Seine Ungeduld war ja verständlich, aber so deutlich brauchte er sie ja auch nicht zu zeigen. Zwei braune Körper huschten über den Boden. Sie ähnelten einer Mischung aus einem terranischen Kaninchen und einem plophosischen Maulwurf. Die beiden Tierchen stießen leise Pfeiftöne aus. Sie folgten Jhossa, als diese wieder in die Küche ging. »Unsere beiden Juppis«, erklärte Kalakto. »Fram und Frum, Tiere von Areffa, die sich leicht zähmen lassen. Sie halten das Haus von Ungeziefer frei, das manchmal sehr lästig werden kann.« Ich nickte nur. Das friedliche Bild, das uns diese Daila boten, rundete sich immer mehr ab. »Ich möchte jetzt endlich zu meinem Vater«, platzte Chipol heraus. »Wenn ihr weiter hier Wasser trinken wollt, dann gehe ich allein.«
Er sagte das mit einem Unterton, der mich aufmerksam werden ließ. In dem Jungen brodelte es. Er riß sich zwar zusammen, aber ich merkte ihm an, daß er die Entscheidung suchte. »Jhossa bleibt hier.« Der untersetzte Daila erhob sich. »Es gibt immer genug zu tun. Ich führe euch zu den Flüchtlingen.« Chipol stand schon an der Tür. »Denk daran, Kalakto«, rief Jhossa aus der Küche, »daß du heute abend abwaschen mußt.« Der Daila schüttelte den Kopf und winkte ab. »Sorgen haben die Frauen«, feixte er. »Und alles wegen einer harmlosen Wette.« Er streichelte Fram und Frum, bis die Tierchen pfeifend unter dem Tisch mit der Funkanlage verschwanden. Die Wege durch Heimwehstadt waren schmal und aus einfachem, sandigen Untergrund. Schon bald kamen uns die ersten Daila, teils zu Fuß, teils auf ponyähnlichen Reit- und Packtieren entgegen. Sie betrachteten und grüßten uns freundlich, nahmen aber ansonsten keine besondere Notiz von uns. Selbst Mrothyr und ich fielen durch unser doch etwas andersartiges Aussehen kaum auf. Heimwehstadt entpuppte sich aus der Nähe als ein sauberes Städtchen mit überwiegend mittelalterlichem Charakter. Nur die frei verlegten Stromleitungen zerstörten die Illusion, auf der Erde des 14. Jahrhunderts zu sein. »Das Bürgermeister haus.« Kalakto deutete auf eines der wenigen größeren Gebäude. »Wir sollten mit Jitti-Zmay wenigstens ein paar Worte wechseln. Er weiß, daß wir auf dem Weg zu den Flüchtlingen um Dharys sind.« Natürlich hatten sich die telepathisch begabten Daila bereits untereinander verständigt. Ob auch Dharys schon etwas von der Anwesenheit seines Sohnes erfahren hatte, konnte ich nicht beurteilen. Der Bürgermeister trat aus dem Haus und kam uns winkend entgegen. Jitti-Zmay entpuppte sich als ein alter und klappriger Mann. Er strahlte aber Gutmütigkeit aus, und als er sprach, merkte ich, daß er geistig voll auf der Höhe war. Er wünschte uns erholsame Tage, ohne auf unsere Probleme auch nur mit einem Wort einzugehen. Das überließ er Kalakto. Auf dem weiteren Weg kam ich nicht umhin, den Daila eine gewisse Bewunderung zu zollen. Sie hatten es sich hier wirklich hübsch und gemütlich eingerichtet. Vor den meisten Häusern befanden sich gepflegte Gärten. Wir näherten uns dem Hang mit den schmucken Reihenhäuschen. »Ursprünglich war das als Erholungszentrum für die Nordler gedacht.« Kalaktos Hand deutete in die Höhe. »Es gibt auch Daila im Norden, die sich vorwiegend mit der Erzgewinnung beschäftigen. Das ist ein harter Job, den keiner lange durchhält. Unsere technischen Hilfsmittel sind ja sehr beschränkt. Die Nordler kommen aber lieber nur im Winter zu uns. Da macht ihnen der Klimawechsel weniger zu schaffen. Jetzt, im Sommer, stehen die Hütten meistens leer. Natürlich hat Jitti-Zmay sie sofort den Flüchtlingen angeboten. Sie leben dort mit allem vorhandenen Komfort. Da können sie sich erholen, bevor sie sich ganz in unsere Gesellschaft eingliedern.« Das letzte Stück Weg führte über eine sanft ansteigende Wiese in Richtung der Häuschen am Hang. Chipol war kaum noch zu bremsen, und Kalaktos Atem ging allmählich schwerer. Plötzlich blieb der Junge ruckartig stehen. Ich folgte seinem Blick. Hinter einer Kuppe war eine hochaufgeschossene Gestalt aufgetaucht. Auch sie blieb stehen. »Vater!«
Chipol rannte los, als wollte er einen Weltrekord aufstellen.
3. Dharys war für einen Daila ungewöhnlich groß. Mit seiner Körpergröße von fast zwei Metern überragte er sogar mich. Nach der Begrüßung, die aus einer innigen Umarmung bestanden hatte, hockten sich die beiden auf zwei Felsbrocken und starrten sich stumm an. Mrothyr, Kalakto und ich standen abseits, denn wir wollten dieses Wiedersehen nicht stören. Wir verstanden sogar, daß Dharys nicht einmal die Zeit gefunden hatte, uns zu begrüßen. Ich ließ mir trotzdem nicht die geringste Kleinigkeit entgehen, denn mein Mißtrauen war ungebrochen. Chipols Vater besaß eine kräftige und athletische Figur. Die Muskelpakete an den unbedeckten Oberarmen verrieten einen geschulten Kämpfer. Von dem Jungen wußte ich nur, daß sich seine Mutanten-Fähigkeiten auf schwache telekinetische Gaben bezogen. Das kantige Gesicht des Mannes wies fast derbe Züge auf. Das ließ auf Härte und Unnachgiebigkeit, aber auch auf Furchtlosigkeit und einen eisernen Willen schließen. Das Kopfhaar war dicht und schwarz. Die Schlitzaugen mit einer dunklen Iris bewegten sich kaum, verrieten aber doch eine große innere Anspannung. Die bläulichen Augäpfeln glänzten. »Es gibt sicher viel zu erzählen, mein Sohn«, sagte er schließlich. Seine Stimme klang ruhig, ja fast weich. »Ich weiß überhaupt nicht, wo ich anfangen soll. Am liebsten wäre es mir, wenn wir über die Vergangenheit ein Tuch breiten könnten, das alles vergessen läßt.« »Ich habe sowieso vieles vergessen«, gab Chipol offen zu. Seine Blicke ruhten unverwandt auf dem Gesicht seines Vaters. »Aber ich habe auch viel gelernt. Das habe ich vor allem Atlan zu verdanken. Ich weiß von einer furchtbaren Gefahr, die ganz Manam-Turu droht und die ich kaum zur Gänze begreifen kann.« »Der Erleuchtete!« Die Worte kamen schwer über Dharys Lippen. »Ein grausames und gnadenloses Wesen, das mit Mächten, die mir fremd sind, alles in seinen Bann zwingt. Wir waren seine Gefangenen. Die meisten von uns sind umgekommen. Einige haben bei der ersten Gelegenheit den Freitod gesucht. Wir haben vieles falsch gemacht, mein Sohn. Das gilt auch für mich. Aber das ist Vergangenheit. Niemand und nichts kann sie rückgängig machen.« Chipol sagte nichts. »Ja, ich habe Fehler gemacht«, fuhr Dharys fort. »Ich muß mich abgrundtief schämen. Vielleicht bin ich nicht an allen Fehlern allein schuld, aber das ändert nichts an der Tatsache selbst. Ich war sogar so vermessen gewesen zu glauben, mit Hilfe des Erleuchteten selbst Macht gewinnen zu können. Ich habe sogar eine ganze Zeit lang freiwillig für ihn gearbeitet, um Vorteile für mich zu erzielen. Es war ein schrecklicher Irrtum.« »Der Erleuchtete«, fragte der Junge. »Wie sieht er aus? Wie ist er? Was ist er?« Dharys stieß ein fast verzweifeltes Lachen aus. »Er ist einfach da«, sagte er dann kopfschüttelnd. »Du merkst, wenn er da ist. Das ist eigentlich alles. Er sieht nicht irgendwie aus. Er ist nicht irgendwie. Er ist nicht irgend etwas. Er hat kein Gesicht wie du und ich. Er verfügt über keinen Körper wie du und ich. Er ist einfach anders.« »Aber du hast ihn doch gesehen?« bohrte Chipol weiter. »Gesehen?« Wieder schüttelte Dharys den Kopf. »Du kannst ihn nicht sehen, denn es ist nichts an ihm, was man sehen könnte. Nichts, mein Sohn.«
»Du meinst, er ist unsichtbar?« »So einfach kann man das nicht sagen. Nein, es ist anders, aber mir fehlen die passenden Worte. Seine Gegenwart ist so durchdringend und machtvoll, daß sich die Überlegung gar nicht stellt, ihn sehen zu wollen. Er ist mehr als sichtbar. Er ist in dir, wenn er da ist.« »Das verstehe ich nicht«, meinte Chipol. »Ich auch nicht«, antwortete Dharys. »Ich wünsche dir und jedem anderen Lebewesen, nie in die Allgegenwart des Erleuchteten zu gelangen. Es ist häßlich und grausam.« Chipol seufzte. »Es ist für uns alle besser«, fügte Dharys hinzu, »wenn wir dieses Thema nicht weiter verfolgen. Es führt zu nichts. Meine Gefühle, die sich gerade hier in dieser friedlichen Welt wieder etwas beruhigt haben, würden nur noch weiter aufgewühlt. Es gibt wichtigere Dinge, mein Sohn. Wir müssen beginnen, uns eine neue Zukunft ohne Belastungen aufzubauen. Ich habe unter meine Vergangenheit einen Strich gezogen. Und nichts kann mich bewegen, diesen Entschluß rückgängig zu machen. Es sind noch viele Daila in der Gewalt des Erleuchteten. Ich bin bereit, alles zu tun, um sie zu befreien. Es sind auch Verwandte von dir darunter. Wenn das gelungen ist, ist der zweite Schritt in die Zukunft getan.« »Der zweite Schritt, Vater? Welches ist der erste?« »Der Neuaufbau der Familie Sayum auf einer friedfertigen Welt, wie Areffa sie darstellt. Ein Daila braucht in erster Linie eine Familie, die sein Zuhause ist. Er braucht Freunde und Verwandte, die ihm helfen, seinen Weg zu gehen. Und denen er helfen kann, wenn sie ihn brauchen. Mit meinen telekinetischen Fähigkeiten ist es nicht weit her, aber sie reichen aus, um einen brauchbaren Fischer abzugeben. Der Fluß unten an Heimwehstadt ist voller Tiere. Ich habe schon viele Fische allein mit Geisteskraft herausgeholt.« »Das finde ich doof«, erklärte Chipol unverblümt und bewies damit wieder einmal seine Abneigung gegen jegliche Art von parapsychischen Machenschaften. »Wenn jemand mit einer Angel fischen geht, dann ist das natürlich.« »Es ist unbedeutend, Chipol«, widersprach Dharys vorsichtig. »Wir brauchen uns nicht darüber zu streiten. Ich könnte natürlich auch einen anderen Beruf ausüben.« Ich wunderte mich über zwei Dinge. Einmal über Chipol, der trotz der Wiedersehensfreude an seiner starren Ablehnung gegenüber den Mutanten hartnäckig festhielt. Mehr noch versetzten mich die Worte Dharys’ in Erstaunen. Die Art und Weise, wie er die familiäre Eintracht in den Vordergrund rückte, wirkte auf mich irgendwie übertrieben. Das ist nicht nur Übertreibung, hetzte der Logiksektor. Es ist eine schlichte Lüge. Nur kann ich das leider nicht beweisen. Du mußt sehr aufmerksam sein. »Dann haben meine Freunde und ich noch ein drittes Ziel«, sprach Chipols Vater weiter. »Es muß uns gelingen, dem Erleuchteten einen solchen Denkzettel zu verpassen, daß er es nie mehr wagen wird, uns anzurühren. Nur dann können wir alle friedlich hier auf Areffa eine neue und harmonische Zukunft aufbauen.« »Man müßte den Erleuchteten töten!« erklärte der Junge unnachgiebig. »Atlan und ich haben schon zur Genüge unter den Maßnahmen gelitten, die er gegen uns ergriffen hat.« »Tötungsabsichten und Haß«, antwortete Dharys, »sind schlechte Voraussetzungen für unser zukünftiges Leben. Du mußt dich von solchen Vorstellungen trennen, mein Sohn. In einer Gemeinschaft, wie wir sie hier errichten wollen, hat so etwas keinen Platz.« Chipol blickte hilfesuchend zu mir herüber, aber ich tat so, als hätte ich das nicht bemerkt. Erst als die beiden eine Weile geschwiegen hatten, begab ich mich zu ihnen.
»Was haltet ihr davon«, sagte ich wie beiläufig, »wenn ihr euer Gespräch später fortsetzt. Kalakto hat unten in der Stadt ein Quartier für uns besorgt und eine Mahlzeit zubereitet. Dharys kann natürlich mitkommen. Schließlich möchte ich mich auch noch mit ihm unterhalten. Wir sind nicht nur wegen Chipol nach Areffa gekommen.« Vielleicht hatte ich mich etwas zu bestimmt ausgedrückt oder gar unbewußt durchblicken lassen, daß mir ein paar Kleinigkeiten nicht behagten. Du bist nicht eifersüchtig, tröstete mich der Extrasinn. Es ist etwas anderes. Der Daila erhob sich von dem Felsbrocken. Seine schmalen Augen fixierten mich scharf, aber ich konnte den Blick nicht deuten. »Chipol wohnt natürlich bei mir«, seilte er wie selbstverständlich fest. »Mein Sohn ist alt genug, um das zu erkennen und sich richtig zu entscheiden.« Da hatte Dharys mir ganz elegant den Wind aus den Segeln genommen. Ich war ratlos und blieb stumm. »Ich kann nicht nur richtig entscheiden«, tönte Chipol ohne jede Beklemmung. »Ich kann auch für mich selbst sprechen und allein entscheiden. Es ist alles noch etwas neu und ungewohnt für mich, Vater. Deshalb wirst du verstehen, daß ich vorerst bei meinen Freunden Atlan und Mrothyr bleibe.« Dharys zeigte endlich einmal eine eindeutige Reaktion. Er biß sich auf die Lippen! »Wie du meinst«, sagte er dann leise. »Niemand will dich überfordern, Chipol. Du wirst früh genug merken, daß unser Weg der einzig richtige in die gemeinsame Zukunft ist. Wir sehen uns später.« Er drückte den Jungen an sich, drehte sich um und ging den Hang hinauf zu den Hütte, ohne sich einmal umzudrehen. Chipol tat mir leid. Auch Mrothyr schien ähnlich zu empfinden. Er handelte nur schneller als ich. »Komm, du Lauser!« Er klemmte sich Chipol unter den Arm und ging. »Laufen kann ich gerade noch allein«, feixte der Junge. Ich erkannte an seinem Tonfall, daß er die Wiederbegegnung mit seinem Vater viel besser verkraftet hatte als ich. * Ich ließ Chipol auch für den Rest des Tages seine Ruhe und kümmerte mich um unser Quartier. Kalakto hatte Räume in der Nähe seiner etwas außerhalb von Heimwehstadt liegenden Farm besorgt. Es handelte sich um eine kleinere Blockhütte, deren Bewohner sich auf einer Reise in den Norden befanden. Das Angebot, uns Reittiere zur Verfügung zu stellen, nahm ich vorerst nicht an, denn alle Entfernungen ließen sich problemlos zu Fuß bewältigen. Und wenn wirklich Not am Mann sein würde, so konnte ich die STERNSCHNUPPE innerhalb von Sekunden herbeirufen. Das Funkgerät, das mich mit dem Schiff verband, trug ich ständig am Körper. Chipol war an diesem Nachmittag teils überschwenglich gelöst, teils sehr in Gedanken versunken. Ich hatte das Gefühl, daß dies genau das widerspiegelte, was er erlebt hatte. Zu einem Teil war es die Wiedersehensfreude, die sich da ausdrückte, und zum anderen… ja, so meinte ich fast, war er irgendwie auch enttäuscht. Mit welchen Erwartungen mochte er der Begegnung mit seinem Vater entgegengesehen haben? Ich war da auf Vermutungen angewiesen. Zumindest trat seine alte Abneigung gegen die MutantenEigenschaften wieder in den Vordergrund, und das beeinträchtigte sein Verhältnis zu Dharys doch
ganz erheblich. Er ging in den folgenden Stunden mir gegenüber mit keinem Wort auf das Thema ein. Mrothyr und ich verständigten uns mit Blicken, während wir unser Domizil betrachteten, und auch während des anschließenden Bummels durch die abendliche Landschaft am Stadtrand. Kalaktos Frau Jhossa hatte uns ausreichend mit Lebensmittel versorgt. Es handelte sich ausschließlich um Naturprodukte. Für den folgenden Tag lud sie uns zu einem Mahl auf die Farm ein. Als es draußen dunkel wurde, drängte Chipol erstaunlicherweise früh darauf, sich zur Nachtruhe begeben zu dürfen. Der Zyrpher zeigte auch deutliche Anzeichen von Müdigkeit, und so verließ ich das Haus noch einmal allein. Nachdenklich machte ich mich auf den Weg zu Kalaktos Farm. Der dickliche Daila war noch mit der Vorbereitung seines Saatguts beschäftigt. Seine jüngere Tochter Phoslakta half ihm dabei, aber er schickte sie ins Haus, als er mich kommen sah. »Schon eingelebt?« fragte er gutmütig. Ich nickte und betrachtete interessiert die Setzlinge, die er auf einen Handkarren stapelte. »Für die zweite Ernte«, erklärte er mir. »In einem guten Sommer schaffe ich sogar drei. Was macht der kleine Chipol? Sein Vater war ihm wohl nicht ganz geheuer. Oder irre ich mich da? Natürlich will ich nicht neugierig sein.« »Er schläft«, antwortete ich wahrheitsgemäß. » Ich wollte nur noch etwas frische Planetenluft schnappen. Das ist doch etwas anderes als die künstliche Atmosphäre an Bord eines ’ Raumschiffs.« »Ich bin noch nie in einem Raumschiff geflogen.« Kalakto lachte. »Das kann ich mir also nicht vorstellen.« Er bohrte nicht weiter, was das Thema Chipol betraf, und so schnitt ich es an. »Dharys machte auch auf mich einen etwas merkwürdigen Eindruck.« Der Daila betrachtete sinnend einen Setzling und warf ihn dann in die Abfalltonne. »Du hättest ihn mal sehen sollen, als er hier ankam. Jetzt ist er ja schon fast wieder normal. Es wird sich sicher alles in den nächsten Tagen normalisieren.« »Das hoffe ich auch«, antwortete ich und wünschte eine gute Nacht. »Ich muß auch Schluß machen.« Kalakto begann seine Sachen aufzuräumen. »Es wird zu dunkel. Und einen Mond hat Areffa nicht. Wir sehen uns morgen.« Ich winkte ihm zu und trottete gemächlich davon. Meinen Weg wählte ich entlang dem Stadtrand, denn ich suchte einen stillen Ort, von dem aus ich mit der STERNSCHNUPPE sprechen wollte. Einen Mond hat Areffa nicht, meldete sich der Extrasinn. Wenn der Daila hier geboren wurde und der Planet keinen Mond hat, woher will er dann wissen, daß es überhaupt Monde gibt? »Ich bin ja auch wachsam«, antwortete ich meinem zweiten Bewußtsein, »aber jetzt siehst du Gespenster. Kalakto ist ein Nachkomme der Daila, und die kennen vielleicht mehr Monde als du.« Er hat so merkwürdig betont, noch nie mit einem Raumschiff geflogen zu sein. Da stimmt doch etwas nicht. »Ich werde es herausfinden. Und jetzt sei still. Ich möchte mit dem Schiff sprechen.« Die STERNSCHNUPPE meldete sich sofort. »Es gibt zwei Neuigkeiten, Atlan. Jemand hat versucht, in mich einzudringen.« »Wer?«
»Ich weiß es nicht.« »Deine unsichtbaren Freunde?« »Vielleicht. An Bord sind sie nicht mehr. Ich habe eine Methode entwickelt, sie mit Sicherheit aufzuspüren. Sie müssen mit euch das Schiff unbemerkt verlassen haben.« »Das klingt reichlich mysteriös. Ich habe Zweifel.« »Es ist mysteriös. Und ich habe keine Zweifel. Die zweite Neuigkeit ist die: Ich habe herausgefunden, wie die beiden an Bord gelangen konnten.« »Da bin ich aber gespannt.« »Sie kamen über die Funkanlage während der Störungsphase zu Beginn. Du erinnerst dich sicher, als das Bild Kalaktos fehlte. Die beiden Lebewesen waren den Bildträgern aufmoduliert. Daher kam das Durcheinander auf dem Schirm.« »Mein Extrasinn hat heute seinen schlechten Tag«, antwortete ich deutlich verärgert. »Jetzt fängst du auch noch an zu spinnen.« »Ich habe die ganze Sendung aufgezeichnet.« Das Schiff reagierte gelassen auf meinen Vorwurf. »Wie sich aus der Bildinformation Lebewesen formen konnten, die zudem kaum zu orten sind, ist mir noch ein Rätsel. Aber das, was die Modulation enthielt, entspricht etwa den Informationen, die hyperphysikalisch bei einem Transmittertransport abgestrahlt werden. Ich fand einen Hauptträger und 88 Nebenträger für die Elemente. Im Basisband steht das Muster für den Aufbau des Lebewesens, ähnlich wie er in einer Chromosomenkette aufgereiht ist. Im Oberband stehen Einzelinformationen, die irgendwie kodiert sind. Ich habe nur herausgefunden, daß sie etwas mit Vital- oder Psi-Energien zu tun haben. Ich habe ein Bild dieser Lebewesen rekonstruiert. Es ist sicher fehlerhaft, aber es zeigt das Grundprinzip des körperlichen Aufbaus. Schalte deinen Bildschirm ein.« Kopfschüttelnd tat ich das, worum das Schiff gebeten hatte. »Die Körperlänge beträgt etwa 30 Zentimeter«, erläuterte die STERNSCHNUPPE. Auf dem kleinen Bildschirm meines Funkgeräts erschien eine glatte, gelbliche Raupe mit 24 Beinen, zwei herausgewölbten Augen und einem ungewöhnlich breiten Maul mit breiten, schaufeiförmigen Zähnen. »Du erlaubst dir keinen Scherz?« fragte ich zur Sicherheit noch einmal. »Es ist kein Scherz, Atlan. Ich rate dir, dich um diese Dinger zu kümmern. Sie müssen etwas im Schilde führen. Wer sich über Funkwellen fortbewegen kann, ist brandgefährlich.« »Wir sprechen uns morgen wieder«, beendete ich das Gespräch. »Es sei denn, es tut sich etwas Ungewöhnliches.« Nachdenklich machte ich mich auf den Rückweg. Die Abbildung, die die STERNSCHNUPPE rekonstruiert hatte, erinnerte mich an nichts Vergleichbares. Es waren eben Raupen oder raupenähnliche Wesen. Es war nicht einmal erkennbar, ob es sich um Intelligenzen handelte oder um Tiere. Und Wesen, die über Funkwellen reiten konnten? Da gab es als klassisches Beispiel die Parasprinter Rakal und Tronar Woolver aus meiner früheren USO-Zeit. Die Zwillinge waren reinrassige Mutanten gewesen, die sich in jeden Energiestrang hatten einfädeln können, um diesen als Transportmedium zu benutzen. Vielleicht war diese Parallele Zufall, vielleicht auch nicht. Jedenfalls geschahen hier Dinge, die meine ganze Aufmerksamkeit erforderten. Wie bitter nötig das war, bekam ich schon kurz nach dieser Erkenntnis am eigenen Leib zu spüren. Mehrere Gestalten sprangen aus der Dunkelheit auf mich zu. Arme schlangen sich um meinen
Körper. Breite Hände legten sich über mein Gesicht. Auch meine Füße wurden umklammert. Ich wurde zu Boden gerissen. An eine Gegenwehr war überhaupt nicht zu denken.
4. Ich hörte zwei männliche Stimmen, die abwechselnd kurz und abgehackt sprachen, während ich bewegungslos und mit dem Gesicht im Gras auf dem Boden lag. »Dies ist eine Warnung!« »Wir können deine Gedanken nicht erfassen. Daher wissen wir nicht, was deine Freunde und dich wirklich nach Areffa geführt hat.« »Wir warnen dich nur einmal!« »Du hast dich mit Kalakto angefreundet. Das gefällt uns nicht. Falsche Freunde könnten deinen Tod bedeuten. Und den deiner Begleiter.« »Beim nächsten Mal sind wir weniger zimperlich.« »Hüte dich vor dem, der vielleicht gar nicht Kalakto ist! Es könnte sein, daß auch das unweigerlich den Tod nach sich zieht.« »Wir erwarten von dir einen Vertrauensbeweis. Das ist deine Chance. Wenn du dich aber gegen uns stellst, bist du ein…« »Halte ein Auge auf Kalakto und Jhossa! Darin allein könnte…« »Wenn du zu dem Entschluß kommen solltest, mit uns zusammenarbeiten zu wollen, dann schleudere bei Nacht eine Runkelrübe gegen das Fenster von Phoslakta.« »Phoslakta, du kennst sie. Sie wohnt im Haus Kalaktos und Jhossas.« Sie rissen mich in die Höhe. Ein Schlag traf mich auf den Hinterkopf, der mich taumeln ließ, aber mir nicht die Besinnung raubte. Ich sah vier Schatten in der Nacht verschwinden. Mehr als die verschwommenen Umrisse von zweien der Männer konnte ich mir nicht einprägen. Meine Hand fuhr über den Kopf. Sie hatten mich nicht sehr schwer erwischt. Mehr als eine Beule stellte ich nicht fest. Sie würde innerhalb weniger Minuten verschwunden sein. Den restlichen Weg zu unserer Unterkunft legte ich möglichst in freiem Gelände zurück. Das hättest du gleich tun sollen! schimpfte der Logiksektor. »Sonst fällt dir nichts ein?« Ich sondiere noch die seltsamen Aussagen. Bis jetzt ergeben sie kein logisches Bild. »Für mich schon. Es gibt hier ein paar Leute, die uns nicht wohlgesinnt sind. Welche Absichten sie aber verfolgen, ist noch unklar. Aus dem Kreis der Leute um Dharys scheinen sie aber nicht zu kommen, denn Chipol wurde mit keinem Wort erwähnt.« Sie halten Kalakto und Jhossa nicht für die Eltern der beiden Mädchen. Das klang deutlich an. Aber warum? »Ich habe den Eindruck, hier unversehens in eine private Fehde verwickelt worden zu sein. Jedenfalls stimmt die Friedlichkeit Areffas hinten und vorn nicht. Das Bild, das man erzeugt hat, ist trügerisch. Erst die angeblichen unsichtbaren Raupen in der STERNSCHNUPPE, dann die seltsamen Behauptungen des Schiffes. Und jetzt dieser Überfall. Gehört das alles zusammen?« Das Bild ist unvollständig. Ich brauche weitere Daten. Und ich muß andere Fakten ins Kalkül ziehen, die scheinbar unbedeutend sind. »Das Mädchen Phoslakta muß mit diesen Leuten unter einer Decke stecken«, folgerte ich weiter. »Auch das weist darauf hin, daß es sich um normale Bewohner von Heimwehstadt handelt, die mich überfallen haben. Und nicht um Dharys’ Leute.«
Stimmt. Aber welchen Sinn hat das alles? »Für die Beantwortung solcher Fragen bist du zuständig. Ich lege mich jetzt aufs Ohr und sehe morgen weiter.« Chipol und Mrothyr schliefen ruhig. Ich schloß die Hütte von innen ab und legte mich auf meine Liege. Viel Schlaf brauchte ich sowieso nicht. Das war eine Nebenwirkung meines Zellschwingungsaktivators. Ich grübelte noch eine ganze Weile vor mich hin, ohne zu einem Resultat zu kommen. Irgendwann nach Mitternacht schlief ich ein. * Chipol wartete nach dem Frühstück mit einer kleinen Überraschung auf. Ich merkte schon eine ganze Weile, daß er etwas auf dem Herzen hatte. Schließlich platzte er damit heraus. »Ich gehe jetzt zu meinem Vater«, erklärte er sehr bestimmt. »Ich möchte mit ihm allein reden. Außerdem will ich die anderen Daila kennenlernen, die mit ihm aus der Gewalt des Erleuchteten geflohen sind.« Ich sagte nichts. »Hast du etwas dagegen?« Er sah mich trotzig an. »Nicht die Spur.« Ich zauberte ein ehrliches Lächeln in mein Gesicht. Zumindest hoffte ich, daß es ehrlich wirkte. »Ich beabsichtige sowieso, mit dem Burgermeister Jitti-Zmay zu sprechen. Diese Kolonie der Verbannten steht offensichtlich in keinem Kontakt mit den anderen Daila. Wir dürfen das Neue Konzil nicht vergessen und die Situation auf Aklard und den anderen Daila-Welten. Das muß ich Jitti-Zmay klarmachen. Vielleicht werden auch die hiesigen Verbannten noch benötigt.« Die Miene des Jungen verriet, daß er mir gar nicht richtig zugehört hatte. Ihn schienen diese Dinge im Augenblick herzlich wenig zu interessieren. »Wenn sich eine Gelegenheit ergibt«, fuhr ich fort, »dann versuche doch einmal festzustellen, wer von den Flüchtlingen wirklich etwas über das Versteck des Erleuchteten weiß.« »Mach’ ich.« Er stand auf und ging. »Zum Mittagessen bei Jhossa und Kalakto bin ich bestimmt zurück.« Mrothyr stocherte schweigend mit einem Löffel in seinem Fruchtsaft herum. Er blickte mehrmals zu mir hin und sagte schließlich: »Nun?« »Was nun?« Ich war nicht gerade die Freundlichkeit in Person. »Du bist nicht zufrieden«, stellte der Zyrpher fest. »Ich kann dir das nachfühlen. Der Junge ist dir ans Herz gewachsen. Und nun erlebst du, wie er sich mehr und mehr von dir entfernt. Gefühlsmäßig, Atlan. Das ist hart, aber du wirst es nicht ändern können. Ein Sohn gehört zu seinem Vater. Chipol weiß, daß seine Mutter nicht mehr lebt. Es gibt für ihn nur diesen einen Weg.« »Das ist es nicht, Mrothyr«, antwortete ich. »Doch, Alter. Mach dir nichts vor.« »Hör mir zu, Mrothyr!« Ich trank meinen Fruchtsaft aus und berichtete ihm dann, was ich am Vorabend von der STERNSCHNUPPE erfahren hatte und was mir selbst widerfahren war. »Ich mache mir um ganz andere Dinge Sorgen«, schloß ich. »Hier ist etwas faul, mein Freund. Es kann
sein, daß es nichts mit meiner Mission gegen den Erleuchteten zu tun hat. Aber eigentlich schließe ich das aus. Dharys machte auf mich einen sehr befremdlichen Eindruck. Sein Enthusiasmus in bezug auf den Familiensinn und die friedliche Zukunft ist falsch. Er hat sich selbst widersprochen, denn er will dem Erleuchteten eins auswischen. Das paßt doch nicht zusammen. Entweder kämpfe ich, oder ich ziehe mich in die Einsamkeit zurück. Da gibt es keinen Mittelweg. Chipol hat es noch schwerer. Er sitzt schon zwischen zwei Stühlen. Wenn sein Vater ihn nun noch in diesen Konflikt unter seinen Gesichtspunkten hineinzieht, dann kann das nicht gut enden. Darüber mache ich mir Gedanken, die den Jungen betreffen. Daß er mich über kurz oder lang verlassen würde, habe ich immer gewußt. Ich habe schon viele Freunde in meinem Leben verlieren müssen. An diesen Schmerz habe ich mich längst gewöhnt.« »Gut, Atlan«, lenkte Mrothyr ein. »Vielleicht sehe ich das zu sehr aus meiner Warte, denn ich habe den kleinen Kerl schließlich auch in mein Herz geschlossen. Was willst du also tun?« »Wie gesagt, mit Jitti-Zmay sprechen. Allerdings nicht nur, um ihm und seinen Leuten etwas Aufklärung über die Verhältnisse in Manam-Turu zu verschaffen. Mein erstes Ziel ist es, die geheimnisvollen Dinge zu klären, die hier passiert sind.« »Sehr vernünftig.« Der Zyrpher räumte die Reste unseres Frühstücks zusammen. »Du nimmst mich mit zu diesem Oberdaila?« »Natürlich. Ich habe sowieso vor, dich bei meinen weiteren Erkundungen als Leibwächter zu engagieren.« »Angenommen!« * Jitti-Zmay strahlte die gleiche Gelassenheit und Freundlichkeit aus wie am Vortag. Er bat Mrothyr und mich in sein Haus und bot uns erfrischende Getränke an. Der Bürgermeister von Heimwehstadt verfügte über ein sehr geräumiges und geschmackvoll eingerichtetes Dienstzimmer. Neben der Positronik, die Kalakto schon erwähnt hatte, entdeckte ich andere technische Einrichtungen. Jitti-Zmay besaß drei Telefone. »Wir bauen uns seit Jahren ein Minimum an Hilfsinstrumenten auf«, erläuterte er bereitwillig. »Das Wissen ist nicht verlorengegangen, aber unsere praktischen Möglichkeiten sind noch sehr eingeschränkt. Eine neue Industrie kann man nicht in drei oder vier Generationen aus dem Boden stampfen.« Für mich war das ein guter Ansatzpunkt, um über das Leben der Daila auf Aklard und über die neuen Verbindungen zwischen den verbannten Mutanten und den übrigen Daila zu sprechen. JittiZmay hörte mir aufmerksam zu. Er verzog keine Miene, als ich immer mehr auf Einzelheiten einging und insbesondere, als ich von der Macht des Neuen Konzils sprach. »Wir wußten in groben Zügen um diese Dinge«, sagte er, als ich dann schwieg. »Aber wir sahen und sehen keine Veranlassung, uns einzumischen. Die Bande zwischen uns und unseren Vorfahren sind zerrissen. Es bestehen bisweilen globale Gefühlsverbindungen zu anderen Verbannten, aber die sind schwach. Wir wissen, daß wir uns anders entwickelt haben als die Daila, die von ihren Heimatwelten vertrieben wurden. Wir hegen keinen Groll. Wir wollen aber auch nicht wieder zurück. Die Daila von Areffa betrachten sich als ein eigenes Volk.« Ich merkte, daß ich hier nichts erreichen würde. Irgendwie konnte ich den Alten auch verstehen. Daher wechselte ich das Thema. »Gestern abend wurde ich überfallen«, begann ich reichlich abrupt.
Meine Aussage erregte Staunen. Als ich berichtete, was mir widerfahren war, wirkte der Bürgermeister ratlos. Er verstand seine Welt nicht mehr, denn ähnliche Vorkommnisse hatte es weder in Heimwehstadt, noch anderswo auf Areffa je gegeben. Ich verzichtete allerdings darauf, die Namen Kalaktos und Jhossas zu erwähnen. »Ich werde mich natürlich darum kümmern«, versprach er. »Aber mir ist das ein Rätsel. Es gibt doch überhaupt keinen vernünftigen Grund für eine solche Tat.« Mrothyr, der die meiste Zeit geschwiegen hatte, blickte mich vielsagend an. Er hatte auch gemerkt, daß wir hier nichts Neues erfahren würden. Es klopfte an der Tür, und ein junger Mann trat ein. »Tamar«, stellte Jitti-Zmay ihn vor. »Einer meiner Enkel.« Der junge Daila sah mich forschend an. Irgendwie wirkte seine Augen unruhig. Ich beobachtete ihn unauffällig, während er mit seinem Großvater ein paar belanglose Worte wechselte. Er verabschiedete sich freundlich und ging. Als er mir beim Verlassen des Raumes den Rücken zudrehte, blitzte eine Erinnerung in mir auf. Auf mein fotografisches Gedächtnis konnte ich mich recht gut verlassen, auch wenn in diesem Fall das Bild nur sehr dürftig war. Er ist einer der Männer, die dich überfallen haben! meldete sich der Extrasinn auch prompt. Ich rate dir dazu, diese Erkenntnis nicht dem Alten auf die Nase zu binden. Wir brauchen weitere Fakten. Ich erhob mich, um mich zu verabschieden. Mrothyr folgte meinem Beispiel. Es fällt auf, daß Tamar gerade in dem Moment erschien, als du von dem Überfall erzählt hast, teilte mir der Logiksektor weiter mit. Es würde mich nicht wundern, wenn er das Gespräch belauscht hat. Auf dem Weg zu unserer Unterkunft informierte ich den Zyrpher über das, was ich bemerkt hatte und über die Folgerungen des Extrasinns. »Selbst wenn das stimmt«, meinte Mrothyr nachdenklich, »so bleibt eines schleierhaft: Welche Ziele verfolgt dieser Bursche?« Darauf wußte ich nichts zu antworten. Die STERNSCHNUPPE meldete sich. »Eine neue Merkwürdigkeit«, teilte das Schiff mit. »Ich kann mit meinen Sensoren die Talmulde, in der die drei Raumschiffwracks liegen, nicht genau einsehen, aber wenn mich nicht alles täuscht, dann ist eins der Schiffe heute nacht für ein paar Stunden nicht an seinem Platz gewesen.« Ich seufzte, denn das war wieder eine unklare Aussage und zudem eine, die gar nicht zu den bisher beobachteten Merkwürdigkeiten paßte. »Du solltest dir diese Wracks einmal ansehen«, drängte die STERNSCHNUPPE. »Etwas stimmt da nicht.« »Wenn du auf deinen Leibwächter verzichten willst«, bot sich Mrothyr an, »dann mache ich das. Kalakto wird mir eins seiner Reittiere leihen. Ich sage ihm, ich mache einen Spazierritt.« »Erst einmal wollen wir sehen«, entgegnete ich, »was Jhossa für uns gekocht hat. Und dann bin ich neugierig, ob Chipol überhaupt zum Essen erscheint. Versprochen hat er es ja.« »Du rechnest nicht damit«, folgerte der Zyrpher. »Warum?« »Sein Vater wird seinen Einfluß geltend machen. Ihm scheint es nicht zu gefallen, daß Chipol so sehr an uns hängt.«
»An dir hängt«, lachte Mrothyr. »Damit sind wir wieder bei unserem Eifersuchtsproblem.« »Egal.« Ich winkte ab. »Wir gehen jetzt zu Kalakto und Jhossa. Und nach dem Essen kannst du deinen Spazierritt unternehmen. Aber sei vorsichtig, mein Freund. Der friedliche Eindruck hier täuscht.« Meine Vermutung wurde bestätigt. Chipol erschien nicht. Ich fand mich damit ab und rechnete sogar insgeheim damit, daß er gar nicht mehr auftauchen würde. Die Mahlzeit verlief in einer angenehmen Atmosphäre. Wir plauderten über belanglose Dinge. Auffällig war eigentlich nur, daß weder Phoslakta, noch ihre ältere Schwester Kaphossa anwesend waren. Als ich nach den beiden Mädchen fragte, erklärte Kalakto, Kaphossa sei zum Besuch eines technischen Kurses in einer anderen Stadt und Phoslakta arbeite auf dem Feld. Mir kam das zwar etwas merkwürdig vor, aber ich stellte keine weiteren Fragen in dieser Richtung. Um die scheinbare Harmlosigkeit meiner Frage zu untermauern, wechselte ich das Thema. »Und eure beiden Juppis sind auch auf und davon?« Ich konnte die Tierchen nirgendwo entdecken. »Ja, Fram und Frum haben uns für ein paar Tage verlassen«, erklärte Jhossa offenherzig. »Es sind seltsame Tiere. Sie leben nur paarweise. Und wenn die Zeit der Fortpflanzung gekommen ist, gehen sie zurück in die Natur, um ihre Eier zu legen. Jeder eins, versteht sich.« »Sie legen Eier? Beide?« Mrothyr mimte den Erstaunten. Ich hatte eher den Eindruck, daß er sich einfach nur an diesem bedeutungslosen Gespräch beteiligen wollte. »Sie legen Eier.« Kalakto nickte. »Die Juppis oder Erdbohrer, wie sie auch genannt werden, sind ein wirklich seltsames Produkt. Genau haben wir das noch nicht erforscht. Es ist auch unwichtig. Sie leben normalerweise unterirdisch. Und aus den Eiern schlüpfen Wesen, die angeblich keine Ähnlichkeit mit den ausgewachsenen Tieren haben. Diese Larven leben aber nur in der Erde. Ich habe noch keine gesehen. Wenn die Juppis aber hier im Haus leben, sind sie sehr anhänglich und nützlich.« Mich interessierte dieses Gespräch nicht. Meine Gedanken waren bei Chipol. Aber genau in diesem Moment meldete sich der Logiksektor. Stelle weitere Fragen zu diesen Erdbohrern und ihren Larven! Ich schob mir eine Frucht des Nachtischs in den Mund und dachte nicht daran, dem Begehren des Extrasinns Folge zu leisten. Mrothyr war schon bei seinem Ausflug, und erwartungsgemäß bot ihm Kalakto ein Reittier an. »Ich ruhe ein wenig«, sagte ich. »Und dann will ich doch mal sehen, ob unser kleiner Streuner Chipol noch ein Lebenszeichen von sich gibt. Wir sehen uns später, meine Freunde.« Warum reagierst du nicht auf mich? beklagte sich der Extrasinn auf dem Weg zu unserer Unterkunft. »Ich habe auch den Verdacht erkannt, auf den du abzielst. Allerdings ist Kalakto der ungeeignete Mann, um mir weitere Auskünfte zu geben. Es hat doch den Anschein, daß mit ihm etwas nicht stimmen könnte. Also werde ich mir bei ihm keine Auskünfte holen, die ihn nur stutzig machen könnten.« Zugegeben. Was hast du erkannt? »Die STERNSCHNUPPE hat von zwei gleichartigen Wesen gesprochen, die angeblich über die Funkanlage in das Schiff eindrangen. Warum gerade zwei? Da gibt es keine logische Antwort. Diese merkwürdigen Juppis oder Erdbohrer treten auch nur paarweise auf. Das mag Zufall sein, stellt aber die einzige Parallele zu all den Merkwürdigkeiten dar, die ich bislang gehört und gesehen habe.«
Richtig. Was sind deine weiteren Schritte? »Ich werde versuchen, mehr über die Erdbohrer zu erfahren. Und dann muß ich abwarten, ob Mrothyr Neuigkeiten mitbringt und ob Chipol noch einmal auftaucht.« Das ist nicht viel. »Es ist genug. Ich möchte keine unnötige Aufmerksamkeit erwecken.« Chipol kam am späten Nachmittag. Ich lag auf meiner Liege und hob kurz den Kopf. »Hallo, Kleiner!« Ich bekam keine Antwort. Sein Gesicht sprach Bände. Er war mißmutig und sehr deprimiert. Er warf seine kleine Tasche achtlos in eine Ecke und hockte sich auf den Rand seines Bettes. Dabei tat er so, als hätte er meine Anwesenheit gar nicht bemerkt. Ich sah wieder einmal keine gute Gelegenheit für ein Gespräch. Daher wartete ich erst einmal ab. Wir starrten minutenlang schweigend vor uns hin. »Wo ist Mrothyr?« fragte Chipol plötzlich. »Er macht einen Spazierritt«, antwortete ich. Dabei hatte ich das Gefühl, daß er das Gespräch mit mir suchte, sich aber irgendwie nicht traute. »Er wird sicher bald hier sein. Wir haben dich beim Mittagessen vermißt.« »Ich konnte leider nicht.« Das Bedauern klang echt. »Schon gut, Junge.« »Nichts ist gut!« platzte er plötzlich lautstark heraus. »Ich verstehe meinen Vater nicht. Er versucht, mir ziemlich sinnlose Vorschriften zu machen. Er weicht meinen Fragen aus, und er behauptet…« Er brach ab und starrte mich an. In seinen Augenwinkeln entdeckte ich Tränen. »Was behauptet er?« Ich ging zu ihm hinüber und setzte mich zu ihm. »Er verlangt von mir, daß ich dich für immer verlasse. Er behauptet, du übst einen schlechten Einfluß auf mich aus, weil du den Kampf suchst. Ich soll mich lieber an ein harmonisches Familienleben gewöhnen. Das Wohl der Familie steht an erster Stelle, sagt er.« »Womit Dharys nicht unrecht hat. Die Frage ist nur, auf welche Art und Weise man für diese Harmonie arbeitet.« Chipol schlang plötzlich beide Arme um mich. »Atlan«, schniefte er. »Er ist mir fremd. Er ist nicht wie mein Vater. Er ist aber mein Vater, und ich will ihn lieben. Aber da ist etwas zwischen ihm und mir.« »Was, Chipol?« Er zuckte nur mit den Schultern. »Laß dir Zeit, Kleiner«, versuchte ich ihn zu trösten. »Keiner hetzt dich. Es kommt bestimmt nicht auf ein paar Tage an.« »Vielleicht doch.« Er schluchzte. »Ich habe manchmal das Gefühl, daß er mich bewußt belügt. Oder daß er etwas ganz anderes beabsichtigt, nur nicht das, was er mir plausibel machen will.« »Laß dir Zeit«, bat ich noch einmal. Etwas Besseres fiel mir nicht ein. Ich empfand es als Erleichterung, als die Tür sich öffnete und Mrothyr eintrat. Der Zyrpher blieb einen Moment stumm stehen, als er uns da hocken sah.
»Ich schätze, ich störe«, meinte er dann zögernd. »Nein! Komm nur her.« Chipol war schneller mit seiner Antwort als ich. »Ich habe die Wracks untersucht«, berichtete Mrothyr. »Eins ist verschlossen. Es macht mir einen durchaus flugtauglichen Eindruck. Die beiden anderen sind Schrott.« »Das ist alles?« fragte ich. »Nein, Atlan. In dem einen Wrack fand ich durch einen puren Zufall eine Leiche. Ich habe sie untersucht. Es gibt keinen Zweifel. Der Tote ist der Daila Kalakto.« »Häh?« machte ich. »Ich sagte, daß ich die Leiche Kalaktos entdeckt habe.« Ich brauchte einen Moment, um diese Information zu verarbeiten.
5. Bevor es Abend wurde, machte ich mich noch einmal auf den Weg zu Jitti-Zmay, dem Bürgermeister. Mrothyr blieb bei Chipol. Vor dem Haus hockten drei junge Männer auf einer Holzbank. Sie brachen ihr Gespräch ab, als ich mich ihnen näherte. Einer der drei war Tamar, der Enkel des Bürgermeisters. Ich dachte nicht im Traum daran, dieser Begegnung auszuweichen. Im Gegenteil. Meinen Gruß erwiderten alle drei. »Ich brauche eine Auskunft«, sagte ich dann. »Wir haben hier eine Tierart festgestellt, die ihr Juppis oder Erdbohrer nennt. Da mich diese Tierchen sehr interessieren, hätte ich gern mehr über sie erfahren. Gibt es einen Daila in der Stadt, der sich auskennt?« Die drei blickten sich erstaunt an. Mit einem solchen Begehren hatten sie offensichtlich nicht gerechnet. »Was ist denn schon an diesen Viechern dran?« meinte Tamar abfällig. »Die Natur geht oft seltsame Wege«, antwortete ich. »Mich interessieren diese Wege.« Einer der beiden anderen jungen Männer, deren Namen ich nicht kannte, deutete, auf ein gegenüberliegendes Haus. »Dort wohnt Gyt«, sagte er. »Der ist Biologe. Vielleicht kann 1er dir helfen.« Ich bedankte mich und ging langsam über den Platz. Mein Tempo änderte ich auch nicht, als ich hinter mir Schritte hörte. Tamar tauchte neben mir auf. »Was wolltest du wirklich fragen, Fremder?« fuhr er mich nicht gerade freundlich an. Ich sah, daß auch seine beiden Freunde näher kamen. »Das werde ich dir sagen«, antwortete ich spontan, »wenn ich von euch erfahren habe, was der Überfall in der letzten Nacht zu bedeuten hat. Oder soll ich deinem Großvater sagen, wie ihr mit euren Gästen umspringt?« Dem jungen Mann blieb der Mund offen stehen. Ich beachtete ihn nicht weiter und betrat das Haus, das mir gezeigt worden war. Sollten die Burschen ruhig merken, daß ihre Überlegenheit fragwürdig war. Gyt entpuppte sich als ein ähnlicher Typ wie Jitti-Zmay. Vielleicht war er ein bißchen schrullig. Er war sofort begeistert, als er erfuhr, daß ich mich für die Erdbohrer interessierte. »Ich habe einmal ein Larvenpaar erwischt«, erzahlte er. »Sie sind in der Tat etwas seltsam, diese Juppis, aber ganz harmlos. Die Larven leben ähnlich wie Maulwürfe, aber immer paarweise. Sie sind dennoch eingeschlechtlich. Stirbt einer der Partner, so lebt der andere nur noch Sekunden weiter. Es gibt da eine innere Bindung, die fast unerklärlich ist.« »Wie sehen diese Larven aus?« wollte ich wissen. »Ich habe sie präpariert«, triumphierte der alte Gyt. »Warte, ich hole sie.« Er schlurfte in einen Nebenraum und kam mit einer Kiste zurück. »Mir glaubt kein Daila«, lachte er, »daß dies die Larven der Juppis sind.« Umständlich öffnete er den Behälter. Stolz hielt er mir das ausgestopfte Präparat vors Gesicht. »Eine Juppi-Larve.« »Eine Juppi-Larve.« Ich nickte. »So sehen sie also aus.« Er drehte das Ding hin und her. Mir genügte, was ich gesehen hatte. Bis auf ein paar unbedeutende
Einzelheiten glich diese Larve dem Bild, das die STERNSCHNUPPE aus den Daten der Funksendung rekonstruiert hatte. Damit stand fest, daß das Schiff nicht phantasiert hatte. Und daß diese beiden Wesen – unsichtbar! – an Bord der STERNSCHNUPPE gewesen waren, konnte ich nun auch nicht mehr bezweifeln. Was das alles zu bedeuten hatte, war natürlich eine andere Frage. Ich bedankte mich und ging. Tamar und seine beiden Begleiter entdeckte ich auf den Weg zurück zu Chipol und Mrothyr nicht. * Ich traf Chipol allein an. Er erklärte mir, daß Mrothyr zu einem kurzen Besuch zu Kalakto und Jhossa gegangen sei. Der Kleine hatte mit rührender Liebe und Sorgfalt den Abendbrottisch gedeckt. Er hatte sogar ein paar Blumen besorgt und auf den Tisch gestellt. Ich lobte ihn, und er nahm das mit sichtlicher Freude zur Kenntnis. Während wir aßen, stellte er die Frage, die mir auf den Lippen brannte. »Wie soll es mit uns weitergehen?« Ich blickte ihn überrascht an, denn er hatte mich aus meinen Gedanken gerissen, die sich auch mit Mrothyrs Eigenmächtigkeit befaßt hatten. »Das mußt du selbst wissen«, antwortete ich ausweichend. »Du hast die freie Wahl bei deiner Entscheidung.« »Ich habe keine Wahl«, entgegnete er dumpf. »Mein Vater stellt noch Forderungen, aber ich ahne, daß er bald härter werden wird. Er wird mich zwingen.« »Ich kann mich schlecht in deine Probleme einmischen.« Tatsächlich befand ich mich in einem Dilemma. Dharys gehörten meine Sympathien nun gar nicht. Zu undurchsichtig war seine Vergangenheit. Was er erlebt hatte, seit er in die Hände des Erleuchteten geraten war, blieb von vielen Fragen umgeben. Und darüber sprechen wollte er offensichtlich nicht. Die Daila von Areffa akzeptierten das. Ich jedoch nicht. »Gib mir einen Rat«, bat Chipol. »Ich vertraue dir doch.« »Vielleicht ist es gerade das. Du hast dadurch, daß du dein Vertrauen aus unserer gemeinsamen Zeit gewonnen hast, das rechte Verhältnis zu deinem Vater verloren. Er hat sich freundlich, aber etwas distanziert gezeigt, als wir ihn hier trafen. Du mußt ihn verstehen lernen.« »Ich sehe die Sache etwas anders, Atlan. Er muß mich verstehen lernen. Und ich habe erkannt, daß er das gar nicht versucht.« »Das sind Dinge, die nicht von heute auf morgen geschehen. Hast du ihn oder die anderen Daila auf das Versteck des Erleuchteten angesprochen?« »Natürlich.« Er winkte ab. »Soll ich dir die ganzen ausweichenden Antworten herunterleiern? Ich würde dich langweilen. Eine ehrliche Bereitschaft, etwas gegen das eigentliche Problem, gegen den Erleuchteten zu unternehmen, habe ich jedenfalls nicht feststellen können. Sie reden von einem Rachefeldzug und davon, daß noch andere Daila, die in der Gewalt des Erleuchteten sind, befreit werden müßten. Aber das sind alles keine konkreten Pläne. Das Gerede klingt so, als ob sie sich neuen Mut machen wollen. Oder als ob sie dieses Interesse nur vorgeben, weil sie mich vertrösten wollen.« Es fiel mir schwer, etwas dazu zu bemerken, was ihm geholfen hätte. Die Situation war verzwickt, denn ich selbst wußte nicht, woran ich war.
»Was ist mit Kalakto?« wechselte Chipol das Thema. »Ich habe das gar nicht verstanden, was Mrothyr da erzählt hat.« »Es war nicht meine Absicht«, antwortete ich, »dich auch mit diesen Dingen zu behelligen. Du hast genug in deinem Kopf, was dich belastet. Aber wenn es dich interessiert, bitte sehr. Hier auf Areffa ist durchaus nicht alles so friedlich und scheinbar in Ordnung, wie es die Daila um Jitti-Zmay annehmen. Daß mit Kalakto etwas nicht stimmt, ist mir längst klar. Allerdings weiß ich nicht, was es ist.« »Wenn mit ihm etwas nicht in Ordnung ist«, behauptete Chipol ganz spontan, »dann steckt mein Vater dahinter.« »Wie kommst du auf diesen Gedanken?« Ich war richtig schockiert. »Ich habe da einen ganz bestimmten Verdacht.« Er beugte sich über den Tisch zu mir herüber und sprach leiser, aber auch befreiter weiter. Ich stellte fest, daß er zumindest die Schranken, die er durch die Begegnung mit seinem Vater mir gegenüber aufgebaut hatte, einzureißen begann. »Ich kann es natürlich nicht beweisen, und irgendwie ist es auch ungeheuerlich. Aber du könntest mir vielleicht dabei helfen, es zu klären.« »Du machst es ja richtig spannend«, munterte ich ihn auf. »Mein Vater setzt parapsychische Tricks gegen mich ein«, behauptete Chipol. »Ich habe das Gefühl, daß er in meinen Gedanken herumspionieren will und sich selbst nicht richtig traut.« »Ich dachte«, antwortete ich vorsichtig und mit leichter Verwunderung, »er sei nur ein schwacher Telekinet.« »Das dachte ich auch, Atlan.« Plötzlich wirkte der Junge wieder sehr traurig. Seine Abneigung gegen Psi-Kräfte brach wieder durch. »Er war immer nur ein schwacher Telekinet. Das weiß ich ganz sicher. Aber ich weiß nicht, was der Erleuchtete mit ihm gemacht hat, als er bei ihm war. Du darfst nicht vergessen, daß er zugegeben hat, offen mit diesem Ungeheuer paktiert zu haben. Und mit diesem Psi-Frevel kennt sich der Erleuchtete doch offensichtlich recht gut aus.« Es sprach in der Tat einiges für diesen Verdacht, den Chipol da äußerte. Ich bewunderte den Kleinen irgendwie. Es mußte ihn eine gehörige Portion Überwindung gekostet haben, die Anschuldigungen über seine Lippen zu bringen. »Da ist etwas dran«, gab ich zu. »Ich treffe mich morgen wieder mit meinem Vater. Er hat mir bis morgen eine Frist gesetzt. Dann muß ich ganz zu ihm ziehen. Da ich mich zunächst dagegen sträube, möchte ich dich bitten, mir behilflich zu sein. Er wird versuchen, mich mit seinen Psi-Tricks zu überzeugen. Es ist möglich, daß ihm andere Daila seiner Gruppe dabei helfen. Wenn etwas in dieser Richtung passiert, dann mußt du eingreifen.« Ich merkte sehr deutlich, daß Chipol mehr auf meiner Seite stand als auf der Dharys. Irgendwie war das unerklärlich, aber ich war nicht traurig darüber. Ich versprach ihm, meine Augen offen zu halten, wenn es soweit wäre. Damit war das Gespräch eigentlich beendet. Chipol wirkte deutlich erleichtert. Und ich war es auch. Draußen war es längst dunkel, als Mrothyr zurückkehrte. »Kalakto verhält sich ganz normal und freundlich«, berichtete er. »Oder zu normal und freundlich. Er ist ein absolutes Ebenbild des Toten im Wrack. Da gibt es keinen Zweifel. Also ist einer von beiden nicht echt.« »Und Jhossa?« »Keine Ahnung.« Der Zyrpher hockte sich an den gedeckten Tisch. »Ich habe aber noch etwas beobachtet. Dieser Tamar treibt sich unten an der Farm herum. Er tuschelte hinter einem Busch mit
dem Mädchen.« »Mit Phoslakta?« »Ja. Aber das war kein Liebesgespräch. Ich hatte eher das Gefühl, daß sich die beiden stritten. Verstanden habe ich allerdings nichts.« Daß Phoslakta und Tamar sich näher kennen mußten, war mir klar, seit ich den jungen Mann als einen aus der Gruppe identifiziert hatte, die mich überfallen hatte. Schließlich war dort der Name des Mädchens gefallen. »Der junge Mann war allein? Ich meine, es waren keine anderen dieser Typen bei ihm?« »Ich habe keine weiteren bemerkt. Du hast etwas vor, Atlan?« Er hatte an meinem etwas aggressiveren Tonfall wohl bemerkt, daß sich meine Geduld allmählich dem Ende zuneigte. Du wirst nur wieder aktiv, korrigierte mich der Logiksektor, weil du nun weißt, daß Chipol immer noch zu dir hält. Der Extrasinn hatte recht, aber mir wäre es lieber gewesen, wenn er geschwiegen hätte. »Wir fangen den Burschen ab«, unterbreitete ich Mrothyr meinen Plan. »Und wir stellen ihn zur Rede. Mal sehen, was dabei herauskommt.« Der Zyrpher war natürlich sofort für diesen Plan zu haben. »Mir ging das sowieso alles zu langsam«, dröhnte er zufrieden. »Mich braucht ihr da wohl nicht«, stellte Chipol fest. Er wirkte nach dem letzten Gespräch tatsächlich sehr gelöst und viel zuversichtlicher. »Ich räume auf und lege mich dann hin. Morgen wird es ja wieder rund gehen.« Ich ging allein voraus, und Mrothyr folgte mir in größerem Abstand und im Schatten der Häuser und Bäume. Obwohl es noch nicht sehr spät am Abend war, herrschte in Heimwehstadt oder gerade an den Randbezirken in Richtung des Flusses Stille. Keine Seele war mehr unterwegs. Ich hoffte, daß wir nicht zu spät aufgebrochen waren. Unter einer letzten Baumgruppe am Stadtrand in Richtung von Kalaktos Farm wartete ich wenige Minuten. Dann tauchte Tamar in einem von Büschen umsäumten Platz auf. Er verharrte, als er noch etwa 20 Schritte von mir entfernt war, und pfiff leise. Ein Schatten huschte aus einer alten Hütte zu ihm hinüber. »Still!« hörte ich eine andere Stimme. »Er ist wieder unterwegs. Ich habe ein verschwommenes Echo aufgefangen.« Ein Daila mit Orterfähigkeiten, signalisierte der Extrasinn. »Wer? Atlan?« fragte Tamar ziemlich unbekümmert. »Ja!« Das klang vorwurfsvoll. »Schrei nicht so herum.« »Schon gut, Colo«, antwortete Tamar etwas gedämpfter. Ich konnte aber noch immer jedes Wort verstehen. »Wo sind Harph und Sjento?« »Zu Hause. Sie konnten nicht weg. Was sagt Phoslakta?« »Sie meint, ihr Vater – beziehungsweise der, der sich als ihr Vater ausgibt – hätte sie absichtlich nach Mauerstadt geschickt, damit sie ihn nicht entlarvt. Alles sehr mysteriös. Komm! Wir machen Schluß für heute, sonst wird Opa noch stutzig.« Sie kamen direkt in meine Richtung. Ich drückte mich tiefer in die nächtlichen Schatten. »Stop!« zischte Colo plötzlich. »Er ist hier irgendwo.«
»Ich bin hier«, sagte ich und trat ein paar Schritte nach vorn, so daß mich die beiden deutlich sehen konnten. »Keine Bewegung, Atlan!« Colo, der zu den drei jungen Daila gehörte, die ich am Nachmittag vor dem Bürgermeisterhaus gesehen hatte (wie ich jetzt feststellen konnte), hielt einen Strahler in der Hand. »Oder ich knalle dich ab.« Ich blieb vorsichtshalber stehen, denn damit hatte ich nicht gerechnet. »Es könnte sein«, sagte ich gelassen, »daß du in mir zu Unrecht einen Gegner siehst.« »Halt’s Maul!« Der junge Mann Wirkte übernervös. »Es könnte auch sein«, fuhr ich unbeirrt fort, »daß jemand hinter dir steht und dir gleich die Waffe aus der Hand nimmt.« »Mit diesem billigen Bluff kannst du nicht einmal unseren vertrottelten Großvater erschrecken«, höhnte Colo. »Und sprich! Was suchst du wirklich bei uns? Du bist anders. Deine Gedanken können Sjento und Tamar nicht erfassen. Rede!« Mrothyr packte zwischen den beiden jungen Männern hindurch und riß die Waffe an sich. Gleichzeitig hielt er Tamar fest. Colo wollte fliehen, aber ich war so schnell an seiner Seite, daß er keine Chance hatte. Er stolperte über mein ausgestrecktes Bein und fiel hin. Bevor er sich erheben konnte, riß ich ihn hoch. »Wir reden miteinander«, erklärte ich betont ruhig. »Aber nach meiner Methode. Ich habe diesen Hokuspokus nämlich satt.« Wir schleppten die beiden in unsere Unterkunft. »Hinsetzen!« Ich deutete auf die Stühle. Chipol hatte ganz ausgezeichnet aufgeräumt. Ich würde ihn loben müssen. Widerstrebend hockten sich die beiden jungen Daila hin. »Ich sage kein Wort«, stieß Colo hervor. »Ich auch nicht«, unterstrich Tamar. »Nichts anderes habe ich erwartet.« Ich hockte mich zu ihnen, während sich Mrothyr mit verschränkten Armen am Ausgang postierte. Chipol kam in der Unterwäsche aus dem Schlafraum und sah sich die beiden nur kurz an. »Wichtig?« fragte er schlaftrunken. »Braucht ihr mich?« »Geh schlafen.« Ich lachte ihn an. »Du erfährst morgen, was es mit diesen beiden Helden auf sich hat.« Tamar und Colo waren sichtlich verwirrt. »Und nun zu euch«, wandte ich mich an die beiden. »Es ist mir absolut klar, daß ihr nichts sagen wollt. Es ist sogar noch schlimmer.« Ich lachte auch sie an. »Ihr braucht nämlich gar nichts zu sagen.« Nun verstanden sie die Welt nicht mehr. »Ich sage euch etwas«, fuhr ich fort. »Und wenn ich fertig bin, könnt ihr gehen. Gefällt euch das?« Sie sagten beide nichts. Ich nahm die Strahlwaffe, die Mrothyr Colo entrissen hatte und reichte sie dem jungen Daila, wobei die Mündung auf mich zeigte. »Mein Freund Mrothyr und ich tragen keine Waffen«, erklärte ich dazu. »Du kannst uns jetzt lähmen oder töten. Du kannst mit Tamar abhauen und dir eine Geschichte einfallen lassen. Das
heißt, ihr könnt auch gehen, ohne mir zuzuhören.« Tamar griff blitzschnell nach der Waffe und ließ sie in seiner Hosentasche verschwinden. Colo blickte ihn verdutzt an. »Er ist der Hitzkopf von uns beiden«, sagte Tamar. »Er kann gehen, wenn er will. Ich höre dir zu.« Ich unterdrückte mein Aufatmen, und meine sprungbereiten Muskeln entspannten sich.
6. Ich bin nicht mit euch zufrieden, sagte der Erleuchtete mit deutlichem Zorn. Ich bin es gewohnt, daß meine Werkzeuge fehlerfrei und sehr schnell arbeiten. Es spielt dabei keine Rolle, ob es sich um freiwillige Werkzeuge handelt oder um solche, die ohne ihren Willen einen Pakt mit mir geschlossen haben. Ihr habt nicht viel Zeit zur Vollendung der übernommenen Aufgabe. Und ich habe nicht die Zeit, mich um derart niedrige Belange zu kümmern. Und auch gar nicht die Lust dazu. Merkt euch das! Mein Werk befindet sich auf der Testreise. Das erfordert meine ganze Aufmerksamkeit. Kümmert ihr euch um diese Nebensächlichkeiten. Handelt schnell! Ihr habt alle Möglichkeiten, denn ich habe euch stark gemacht. Wenn ihr versagen solltet, bedeutete das euren Tod. Merkt euch das! Wenn ihr eine Zukunft haben wollt, dann müßt ihr etwas dafür tun. Mein Werk und ich, wir brauchen euch nicht in dieser Zukunft. Eure Zukunft müßt ihr erdienen, denn meine Gnade und Großzügigkeit allein reicht nicht aus. Der Erleuchtete macht keine Geschenke. Geht nach Alkordoom und fragt die dortigen Facetten, die jetzt verfallen, weil die lenkende Hand ihres Juwels fehlt. Ihr habt nur eine Zukunft, wenn ihr meinen Gesetzen folgt. Merkt euch das! Ich erwarte umgehend Maßnahmen, die mich befriedigen. Halbheiten oder Ausreden werde ich nicht akzeptieren. Ihr scheint vergessen zu haben, wie meine Forderungen lauteten. Ich habe gesagt SOFORT. Das scheinen einige von euch mißverstanden zu haben. Ihr sollt eine letzte Gelegenheit erhalten. Und wenn ihr, meine Werkzeuge, dann wieder versagen solltet, werde ich eins nach dem anderen EVOLO zum Fraß vorwerfen. Merkt euch das! Gut. Ich höre, daß du handeln willst. Du, Freiwilliger, machst den Vorreiter. Das spricht für dich und die Schulung, die du durch mich erhalten hast. Du erinnerst dich an Scan? Gut. Du weißt, wie konsequent und unnachgiebig er handeln konnte? Du weißt, daß er ein Teil meines Ichs war? Auch gut. Dann handle! Ich dulde keine Verzögerungen mehr. Das Leben ist lang, der Tod ist kurz. Wer aber durch mich stirbt, stirbt länger als ein Leben. Merkt euch das! * Colo blieb sitzen, aber das Mißtrauen beherrschte seine Mimik. Ich beschloß, nicht lange zu fackeln und das zu sagen, was ich wußte und vermutete. Dabei schien es mir am wirkungsvollsten, direkt die Katze aus dem Sack zu lassen. »Ihr seid in die beiden Mädchen von Kalakto und Jhossa verliebt«, begann ich. »Das ist verständlich, denn es handelt sich um wirklich hübsche, nette und fleißige Wesen. Sie lieben auch euch. Kaphossa mag dich, Colo. Und Phoslakta hängt an dir, Tamar.« »Du bist ein Telepath«, stieß Colo, der offensichtlich der Ältere der beiden Enkel des Bürgermeisters war, hervor. »Ich bin kein Telepath. Ich besitze keine Mutantenfähigkeit. Ich bin aber auch nicht verliebt. Daher bin ich besser in der Lage, meinen Verstand zu benutzen, als ihr beide zusammen. Die beiden
Mädchen haben euch zu verstehen gegeben, daß mit ihren Eltern eine merkwürdige Veränderung vorgegangen ist. Zumindest gilt das für Kalakto.« »Es gilt für beide«, erklärte Tamar bereitwillig. »Du versetzt mich in Erstaunen.« »Es kommt schlimmer, meine jungen Freunde.« Ich hoffte, daß das keine zu vertrauliche Anrede war. »Ihr habt vermutet, daß Mrothyr oder ich oder wir beide etwas mit dieser Veränderung zu tun haben, aber da unterliegt ihr einem verständlichen Irrtum. Wir rätseln selbst herum. Aber in einigen Punkten sind wir längst schlauer als ihr. Wir kamen nach Areffa, um Chipol zu seinem Vater und zu seinen Verwandten zu bringen. Ich gebe zu, daß ich glaube, daß die Dinge, die euch mißfallen, damit etwas zu tun haben, aber die Zusammenhänge sind auch mir noch nicht klar.« »Werde konkreter, Atlan!« forderte mich Colo auf. Ich stellte erst einmal fest, daß der Ältere mir jetzt wirklich zuhörte. »Kalakto ist nicht Kalakto«, sagte ich einfach. »Der wirkliche Kalakto ist tot. Mrothyr hat heute seine Leiche entdeckt.« Colo sprang auf und hechtete sich auf mich. Seine Hände umklammerten meinen Hals, aber ich wehrte mich nicht. Tamar zog ihn zurück. »Entschuldigung«, murmelte Colo kopfschüttelnd. »Schon gut.« Ich winkte ab. »Es mag hart sein, aber wenn mich nicht alles täuscht, dann ist Jhossa auch nicht Jhossa.« Colo war ein impulsiver Daila. Das zeigte er deutlich, auch wenn er jetzt in seiner Meinung umgeschwenkt war. Er donnerte seine Faust auf den Tisch. »Was geht denn hier überhaupt vor?« brüllte er mich an. »Da ich versuche, das zu erfahren«, erklärte ich betont sanft, »habe ich das Gespräch mit euch gesucht. Um euch alle Zusammenhänge erklären zu können, brauche ich aber mindestens zwei Stunden. Für euch mag es um eure Mädchen und deren Eltern gehen. Für mich geht es um Chipol und dessen Vater Dharys. Und – das mag euch etwas zu hoch klingen – um die Zukunft von Manam-Turu, um alle Daila, um einen Machtkonflikt, der von Kräften und Mächten gesteuert wird, die euch wenig sagen werden, wenn ich die Namen nenne.« »Der Erleuchtete, das Neue Konzil, die Hyptons, die Ligriden, Guray und seine Gesandten und Piraten, die verbannten Daila und die von den Welten unserer Vorfahren«, sagte Tamar. Er blickte mich freimütig an. »Ja, Atlan, ich habe alles mitgehört, was du Großvater erzählt hast. Er hat es nicht verstanden. Ich habe es nicht verstanden. Keiner hier auf Areffa wird es verstehen. Aber ich glaube dir.« Er stand auf und reichte mir seine Hand. Das Lächeln auf seinem Gesicht war ehrlich, aber gequält. Ich erhob mich auch und reichte ihm meine Rechte. Colo schloß sich mit einem noch verlegeneren Lächeln an. »Bei uns zu Hause merkt keiner«, sagte er dann bedeutend gelöster, »wenn wir erst mit dem Morgengrauen ins Bett gehen. Wir haben Zeit, Atlan. Wir wollen dir zuhören, nicht wahr, Brüderchen?« Tamar nickte. Mrothyr verließ seine Position an der Tür und holte vier Becher und eine Karaffe mit Fruchtsaft. Ich hätte eigentlich lieber einen Vurguzz getrunken oder irgendein anderes Gebräu, aber davon schien man auf Areffa nichts zu wissen. Es war lange nach Mitternacht, als die beiden gingen. Mrothyr begleitete sie noch ein Stück, während ich nach Chipol sah.
Der Junge saß aufrecht in seinem Bett und war hellwach. »Ich habe alles mitgehört«, gab er sofort zu. »Du darfst nicht böse sein.« »Ich bin nicht böse«, lachte ich ihn an. »Ich bin müde.« »Obwohl Zellaktivator?« »Es heißt ›trotz Zellaktivator‹, klar?« »Du hilfst mir morgen, Atlan?« »Morgen? Heute, mein Freund. Heute. Aber wenn es sein soll, dann helfe ich dir auch morgen und übermorgen. Allerdings nur unter einer Bedingung.« Er merkte, daß ich es nett meinte, aber auch ernst. Er drehte sich zur Seite und zog sich die Decke über den Kopf. »Unter welcher Bedingung?« klang es dumpf unter dem Stoff hervor. »Daß du mir auch weiter hilfst.« »Manchmal redest du ausgesprochenes Blech, Atlan.« Chipol schlug die Decke mit einem Schlag zurück. »Ich kann dich doch nicht ohne Aufsicht lassen. Am Ende machst du noch einen Fehler, den ich nicht ausmerzen kann.« Es war herrlich. Er war ganz der Chipol, den ich lieben gelernt hatte. Ich fühlte mich zufrieden, als ich mich hinlegte, obwohl da noch eine Reihe von Fragen und Problemen offen war. Ich grübelte nicht einmal mehr. Meine Augen fielen nicht gleich zu, aber ich war doch sehr entspannt. Ein Satz Chipols ging mir immer wieder durch den Kopf. … ich kann dich doch nicht ohne Aufsicht lassen… Was in den nächsten drei oder vier Stunden passierte, wirkte da wie Hohn, denn der kleine Kerl schlief ruhig und zufrieden wenige Meter von mir entfernt. Ich schlief irgendwann ein, und wurde etwas später wieder wach. Dabei stellte ich fest, daß Mrothyr noch nicht da war. Ich überlegte einen Moment und kam dann zu dem Schluß, daß ich mich auf meinen Freund von Zyrph verlassen konnte. Und auch auf Colo und Tamar. Vielleicht hatten die beiden ihre anderen Freunde Harph und Sjento doch noch aufgesucht. Und dort waren sie jetzt am Diskutieren. Es konnte auch sein, daß ich einfach müde war. Jedenfalls schlief ich weiter. Als ich wieder erwachte, dämmerte bereits der frühe Morgen. Mrothyr fehlte immer noch. Alarm! schrie der Extrasinn. Ich kämpfte meine restliche Müdigkeit nieder und richtete mich auf. Eine Hand schlang sich um meine Brust. Ein Messer blitzte vor meinen Augen auf und bewegte sich auf meinen Hals zu. Ich kannte das Messer. Ich kannte auch die Hand. Der Zyrpher! »Jetzt wärst du eigentlich tot«, sagte Mrothyr. Er kam hinter dem Kopfende meiner Liege hervor und schleuderte das Messer in die Luft. Geschickt fing er es so auf, daß er die scharfe Klinge zwischen den Fingern hielt. Sein Arm bewegte sich ruckartig. Das Messer landete vibrierend in der gegenüberliegenden Wand. »Ich wollte dich wirklich töten«, erklärte Mrothyr. »Ich wollte es. Ich mußte es. Der Anblick Chipols hat dich davor bewahrt. Entschuldige bitte, Atlan.« Ich brauchte einen Moment, um zu verstehen, daß er in wirklichem Ernst sprach. Mrothyr schüttelte sich. Er rieb sich den Kopf, als wäre alles nur Spuk. Seine gestammelten Worte konnte ich nicht verstehen.
Ich nahm ihn unter den Arm und zog ihn zur Tür, die zum Aufenthaltsraum führte. Er ließ es willig geschehen. »Leise!« bat ich ihn, als er schwer keuchte. »Chipol schläft den Schlaf des Gerechten.« Ich zog das Messer aus der Wand und reichte es Mrothyr. Der nahm es und ließ es wieder fallen. Erst jetzt verstand ich, daß er mit den Nerven am Ende war. Behutsam führte ich ihn zu einem Stuhl. »Willst du dich schlafen legen oder reden?« fragte ich ihn. »Schlafen? Nein!« Er blickte mich sehr betreten an. »Ich will mich auskotzen. Ja, Atlan, ein besseres Wort gibt es nicht. Du bist tot, mein Freund.« Er lachte leicht hysterisch. »Mausetot, Atlan. Sie haben mich für einen Schwächling gehalten, der in die Höhle des Löwen zurückkehrt. Der den Löwen ermordet. Sie hatten recht. Ich war schwach. Ich konnte mich dem Druck nicht widersetzen. Ich wollte dich wirklich umbringen. Verstehst du das, Atlan? Ich wollte dich töten!« »Was meinst du, Mrothyr, wie heute das Wetter wird? Wollen wir einen Tag Pause einlegen und angeln gehen?« Er sah mich verständnislos an, aber plötzlich huschte ein Lächeln über sein kantiges Gesicht. »Ich sag dir was. Wer mit dir lebt, ist entweder verrückt. Oder er wird es. Das habe ich gelernt. Aber ich tu dir den Gefallen nicht. Ich bring dich nicht um. Ich werde auch nicht verrückt.« »Dann kannst du jetzt schlafen gehen, ja?« »Nein.« Er fand allmählich zu sich zurück. »Ich gehe angeln. Ich angle mir diese Burschen. Es muß Hypnose oder etwas Ähnliches gewesen sein. Sie haben mich abgefangen, als ich mich von Colo und Tamar verabschiedet hatte. Es begann mit einer Gaukelei. Ich fühlte mich bedroht, aber ich wußte nicht, wovon. Ich war unendlich einsam. Sie haben mir diese Bilder vorgegaukelt, eingeimpft, aufgezwungen. In meiner grenzenlosen Panik fand ich den Feind nicht. Ich erkannte nur, daß ich einer tödlichen Gefahr begegnet war.« Er trank einen Rest aus einem Glas, das von dem Gespräch mit Tamar und Colo auf dem Tisch geblieben war. »Ich wollte diesen Feind erkennen, Atlan. Der Wille war so stark in mir. Nichts konnte mich abhalten. Absolut nichts.« Ich stand auf und holte eine neue Karaffe Saft. »Dann kamen die hilfreichen Stimmen. Sie waren freundlich, nett. Sie waren gutmütig. Sie lebten in mir. Sie richteten mich auf. Sie gaben mir die Chance, den Feind zu erkennen. Sie sagten aber«, er beugte sich nach vorn, und sein ausgestreckter Finger berührte fast meine Nase, »daß ich den Feind selbst erkennen müsse. Also suchte ich den Bösewicht. Ich stellte mir ein grausames Ungeheuer vor, einen teigigen Mutanten, der mich verspeisen konnte, ohne sein Maul zu öffnen.« Er nahm dankbar einen Schluck aus dem Becher, den ich ihm gefüllt hatte. »Es verschwammen ein paar Dinge, aber dadurch wurde alles noch viel schlimmer. Ich erkannte den Feind nicht. Und die helfenden Stimmen verschwanden. Ich schrie nach ihnen, aber sie antworteten nicht. Die Gefahr schnürte mich ein. Sie nahm mir den letzten Atem. Sie zerriß mein Herz und meine Seele. Sie spie mich an und sie verspottete mich, weil ich sie nicht erkannte.« Er sah mir tief in die Augen. Er tat mir leid, aber ich mußte ihn reden lassen, damit er sich von diesen Zwängen befreien konnte. »Mit dem letzten Atemzug meines Lebens riß ich mich noch einmal zusammen.« Seine Stimme wurde immer lockerer. »Beim Anblick des Todes mobilisiert der Körper, nein, der Geist, die letzten Kräfte. Mit meinem freien Willen gelang es mir, den tödlichen Feind zu erkennen. Es handelte sich
um eine abscheuliche und abgrundtief verachtenswürdige Fratze.« Ich goß ihm nach, und der Saft, den er zu überhastet trank, rann ihm über die Lippen und das Kinn. »Ein phantastisches Bild, Atlan.« Mrothyr lachte angeekelt und knallte den Becher auf den Tisch. »Da siehst du den Feind. Er verkörpert alles, was du dir an Widerwärtigkeiten vorstellen kannst. Dann hast du ein Ziel. Du mußt ihn töten, bevor er dich tötet.« Sein Kopf fiel nach vorn. Es kam kein Laut über seine Lippen, kein Schluchzen, kein Jammern. Ich rückte seinen Becher ein Stück aus der Reichweite seiner fahrigen Hände. Aber ich sagte nichts. »Dieses Ekel von Feind, Atlan.« Sein Kopf ruckte für einen Moment in die Höhe. »Ich mußte es töten. Verstehst du das?« Ich schwieg. »Verstehst du das?« brüllte er mich an. »Du machst Chipol wach«, entgegnete ich betont ruhig. »Chipol.« Der Zyrpher, der mir längst mehr war als ein guter Freund, richtete sich auf. »Sein Gesicht, Atlan. Das Gesicht eines friedlich schlafenden Kindes. Das Gesicht hat mich aus dem aufgepflanzten Trauma gerettet. Das Gesicht hat dich vor dem Tod bewahrt, denn die Abscheulichkeit, die ich erkannte, warst du!« »Das weiß ich längst«, antwortete ich. »Ich verstehe nur zwei Sachen nicht. Warum schreist du so? Und warum sagst du nicht, Chipols Gesicht hat dich davor bewahrt, zum Mörder zu werden?« Mrothyr blickte mich einen Moment verständnislos an. Dann schüttelte er den Kopf und lachte kurz verzweifelt auf. »Ich beneide dich um deine Nerven, Atlan. Kannst du mir verzeihen?« »Es gibt nichts zu verzeihen, Mrothyr.« Ich gab nicht zu erkennen, wie sehr mich seine Schilderung getroffen hatte. Ich konnte und wollte es nicht. In meinem Kopf überschlugen sich die Bilder, aber damit durfte ich Mrothyr nicht belasten. … Crysalgira… Tyara… Sarah… Anima (?)… Meine Erinnerungen begannen sich zu verwischen. Ich merkte es. Mir fielen manchmal in den seltsamsten Momenten Dinge, Personen, Frauen ein, die mich dazu gebracht hatten, ein Stück von mir bei ihnen zu lassen. Und von denen ich auch etwas mitgenommen hatte. Ich war dem Extrasinn in diesem Moment dankbar, daß er mich den Grund selbst erkennen ließ und nicht dämlich dazwischen tönte: Wenn’s an die Gefühle geht, erinnerst du dich an… »Es gibt nichts zu verzeihen«, wiederholte ich. »Ich danke dir, mein Freund, weil du mich nicht umgebracht hast.« Der Zyrpher schüttelte sich. »Da ist ein Rest, Atlan, den ich beseitigen muß.« Er brach ab, und er sagte auch nichts, als ich ihm zunickte. Er war fertig. Buchstäblich fertig. Ich mußte ihm helfen. »Es ist so, Mrothyr. Du bist parapsychisch beeinflußt worden, um mich aus der Welt zu schaffen. Man hat dich für schwach gehalten und geglaubt, du würdest es tun.« Er nickte, und ich beschloß, trotz der Freundschaft, die er bewiesen hatte – mit Chipols Hilfe oder nicht, das spielte keine Rolle –, konsequent zu bleiben. Auch wenn es hart klingen würde.
»Du warst schwach, denn du hast es nicht geschafft. Du hast versagt, denn ich lebe noch.« Er nickte jetzt. »Es ist besser so«, fuhr ich etwas gedämpfter fort. »Du hast dein Herz ausgeschüttet.« »Ausgekotzt«, stieß er hervor. »Du hättest dich auch gleich herausreden können. Oder Lügen erfinden.« »Du fragst gar nicht«, unterbrach er mich, »wer es war?« »Wenn du es weißt, Mrothyr, wirst du es sagen.« »Ich weiß es nicht genau, denn alles war wie ein Traum. Aber ich sehe ein paar Gesichtszüge. Chipols Vater steckt dahinter.« Ich sagte nicht, daß ich das erwartet hatte.
7. Es war absehbar, daß ich an diesem Morgen allein frühstückte. Chipol hatte die halbe Nacht seine Lauscher hochgestellt, und Mrothyr hatte sich die ganze Nacht um die Ohren schlagen müssen. Ich war voller Tatenlust, aber ich bremste mich auch. Da waren eine Reihe von Ungereimtheiten, in denen der angestiftete Mordversuch nur ein Mosaiksteinchen darstellte. Ich dachte an Mrothyrs Worte, der mir Eifersucht vorgeworfen hatte – Chipol betreffend. Ich versuchte, aus diesen Aussagen etwas zu lernen. War Dharys etwa eifersüchtig? Ich war nach wie vor der festen Überzeugung, daß ich es nicht war. Der Bengel lag mir am Herzen. Daraus machte ich keinen Hehl. Aber es gab ja auch noch andere Probleme. Selbst wenn ich von den »großen« Fragen – Manam-Turu, dem Erleuchteten, dem ich verdammt gern heimleuchten würde, den Flatter-Hyptons oder diesem merkwürdigen Guray - einmal absah, so blieben noch genügend offene Fragen. Mrothyrs Schockerlebnis! Die Juppi-Larven! Und… Kalakto. Der offensichtlich falsche Kalakto! Ich stand vom Frühstückstisch auf. Auf meine beiden Freunde konnte ich jetzt nicht zählen. Natürlich würde ich warten. Auch Dharys würde warten, denn ich würde Chipol nicht wecken. Sollte der Daila den verabredeten Zeitpunkt mit dem Jungen, dessen schlafendes Gesicht Mrothyr vor einem Mord bewahrt hatte, ruhig versäumen. Ich brauchte frische Luft und trat vor die Tür. Areffa bot immer wieder in den unerwarteten Kleinigkeiten derbe oder nette Überraschungen. Es mußte irgendwie an den Daila liegen, die sich wirklich frei von der Vergangenheit gemacht hatten. Ich sah zwei Tiere, ähnlich den Vleehs, die ich von Cairon kannte, aber andere Tiere als das, das Mrothyr benutzt hatte. Neben den beiden Reittieren stand das Mädchen Phoslakta. »Gut, daß du da bist, Atlan.« Es waren die ersten Worte, die ich aus ihrem Mund hörte. »Tamar war heute noch bei mir. Wir haben über alles und über dich geredet. Wenn das stimmt, was Tamar sagt, und du hast gesagt, wir lieben uns, dann wirst du auch… wir lieben uns wirklich… mein Schatz meint, daß du vielleicht… stimmt es wirklich, daß mein Vater…« Das Mädchen war verwirrt. Allmählich wurde es mir mit problembeladenen Typen… Reiß dich zusammen! schrie der Extrasinn. »Du hast zwei Reittiere mitgebracht«, sagte ich. »Also hast du eine bestimmte Absicht. Ich weiß nicht, Phoslakta, ob ich dir einen Gefallen tue. Aber deine Wünsche sind auch in meinem Sinn.« »Ich möchte das sehen, wovon Tamar, mein Geliebter, erzählt hat. Ich halte zu ihm, auch wenn ich meine eigene Meinung habe und wenn ich heute nicht mit ihm geschlafen habe.« »Diese Tiere brauchen sehr lange, um zu den Wracks zu gelangen, in denen Mrothyr die…« »Ich habe Zeit.« Das Mädchen unterbrach mich sanft, aber energisch. »Hast du Zeit, Freund?« Verdammt noch mal! Waren das Tamars Worte? Freund! Es klang gut. »Ich habe den toten Körper deines Vaters nicht gesehen, Phoslakta«, sagte ich, »aber wenn du ihn…« Sie packte mich am Arm. Und sie deutete auf die Reittiere. Ihre Zustimmung war eindeutig. Ich hatte nur keine Lust, Zeit zu verschwenden. »Hat dir Tamar auch gesagt«, fragte ich, »daß ich ein paar eigene Methoden habe?«
»Hat er«, antwortete Phoslakta. Ich rief die STERNSCHNUPPE. Phoslakta band die Tiere an einen Pfahl vor meiner Unterkunft. Wir flogen los. Sie sagte nichts, als ich im zweiten Wrack den toten Körper ihres Vaters fand. Sie blieb auch stumm, als wir das Wrack wieder verließen. Sie tat mir leid, aber ich konnte ihr nicht helfen. Als wir uns wieder der STERNSCHNUPPE näherte, blieb sie plötzlich stehen. Sie packte heftig nach meinem Unterarm. Ihre Finger verkrampften sich im Stoff meiner Kombination, und ihre Lippen zuckten stumm. »Du merkst nichts?« stammelte sie dann. »Du bist kein Mutant?« Es klang wie ein Vorwurf. »Ich bin kein Mutant, Phoslakta«, antwortete ich. »Und was hätte ich bemerken sollen?« Sie zeigte auf eine Stelle kurz vor dem verschlossenen Eingangsschott der STERNSCHNUPPE. Ich sah nur den grasbewachsenen Boden, sonst nichts. »Meine Kraft ist klein«, stammelte sie weiter, »aber jetzt reicht sie aus. Ich sehe sie.« »Was siehst du?« Ich riß sie herum, denn sie wirkte wie in Trance. »Frams Larve. Frums Larve.« Sie atmete schwer. »Der Teufel kann das. Der Teufel, der in der Haut meines Vaters steckt. Ich habe es geahnt. Kaphossa hat es geahnt. Er kann es wirklich.« »Ich habe etwas in der Ortung«, meldete sich die STERNSCHNUPPE. »Es sind die beiden unsichtbaren Wesen. Sie transportieren eine tödliche Substanz in eure Nähe.« »Meine parapsychologischen Fähigkeiten sind schwach, Atlan.« Phoslakta schien nicht auf die Worte des Schiffes zu achten. »Aber nun erkenne ich das psionische Muster, mit dem er die Larven manipuliert. Es ist unfaßbar, unsichtbar, unheimlich.« »Achtung! Ich greife an!« teilte die STERNSCHNUPPE über ihre Außensprechstelle mit. Zwei Energiestrahlen zischten aus verborgenen Öffnungen der Schiffswand genau auf die Stelle, auf die das Mädchen starrte. Für Sekunden tauchten dort raupenähnliche Körper mit vielen Beinen und einem breiten Maul auf. Dann verging alles in den Glutstrahlen. Phoslakta atmete auf. »Er muß ein Ungeheuer sein«, sagte sie nun wieder ruhiger. »Er kann den Larvenzustand der beiden Juppis zurückrufen und die Tiere als Psi-Muster verschicken. Sie waren seine Spione. Kaphossa hat es geahnt. Er ist ein Teufel. Und er hat unsere Eltern umgebracht.« Die STERNSCHNUPPE öffnete den Einstieg. Ich schob das benommene und niedergeschlagene Mädchen hinein. »Du mußt uns helfen, Atlan.« Sie sank schluchzend in einen Sessel und verbarg ihren Kopf in den Händen. »Wir werden tun, was möglich ist«, versprach ich ihr. Meine Gedanken rasten. Also hatte Kalakto uns seit dem ersten Auftauchen im Orbit Areffas heimlich beobachtet. Er hatte uns erwartet! Es gab nur eine Erklärung. Er war ein Werkzeug des Erleuchteten. Und Dharys? Und dessen Begleiter? Ich war entschlossener denn je, dieses Rätsel zu lösen. »Bring uns nach Heimwehstadt«, bat ich das Schiff.
* Das Maß ist voll! zürnte der Erleuchtete. Ihr habt auf der ganzen Linie versagt. Meine Geduld ist am Ende. Der Versuch, Atlan zu töten, mußte scheitern. Ihr habt nicht nur das falsche Objekt gewählt. Auch der Vollstrecker war untauglich. Nehmt diese Dinge gefälligst selbst in eure Hände. Ihr braucht keine Werkzeuge. Ihr seid die Werkzeuge! Du wagst zu widersprechen? Du bist ratlos? Du flehst um eine letzte Chance? Du sollst sie haben! Aber diesmal sage ich dir, was zu tun ist. Atlan darf nicht auf Areffa sterben. Die Daila würden mißtrauisch werden. Ich brauche diese Daila und ihre Psi-Potentiale noch. EVOLO ist vollendet, aber nach der Testreise braucht er noch den letzten Schliff. Dafür sind diese Daila gut geeignet. Wiege sie in Sicherheit. Du willst gehorchen? Das ist gut. Du mußt aber mehr tun. Du brauchst nicht selbst den Vollstrecker zu spielen. Aber der entscheidende Faktor, der dich hemmt, muß entfernt werden. Beauftrage das andere Werkzeug. Es hat bereits erfolgreich getötet. Es kann wieder töten. Es muß diesen Faktor so schnell wie möglich beseitigen, damit du wieder klar denken und handeln kannst. Du hast mich nicht verstanden? Du willst mächtig sein. Du sollst mächtig sein, Freiwilliger. Also mußt du verstehen lernen. Du zögerst? Du willst nicht verstehen? Es sei dein eigen Fleisch und Blut? Du irrst! Es gibt nur mich und dich. Nichts anderes zählt. Das andere Werkzeug wird den Faktor töten. Und du wirst wieder frei sein. Du bist einverstanden? Das ist sehr gut, Dharys. Sehr gut. Das Werkzeug Kalakto wird der Vollstrecker sein. Es wird Chipol beseitigen. Dann wirst du wieder deine Ruhe haben. Dann kannst du dich um Atlan kümmern. Biete ihm an, ihn zu mir zu bringen, und locke ihn nach Oase I. Du hast alles verstanden, Dharys? Handle schnell. Die Gelegenheit ist günstig. Kalakto wartet auf deine Anweisungen. * Ich verließ die STERNSCHNUPPE in der Nähe von Kalaktos Farm hinter einem Wäldchen, so daß man uns weder von den Gebäuden der Stadt, noch von denen, die etwas außerhalb lagen, direkt sehen konnte. Von hier aus wollten Phoslakta und ich zu Fuß gehen. Das Schiff schickte ich an seinen alten Platz zurück. Das Mädchen ging stumm neben mir her, bis wir die Farmgebäude sahen. Da blieb sie abrupt stehen und hielt mich fest. »Dort geht er!« Sie deutete nach vorn. Kalakto drückte sich zwischen den Hütten hindurch in Richtung von Heimwehstadt. Er sah sich dabei mehrmals so auffällig um, daß ich sofort vermutete, er wollte nicht gesehen werden. »Das ist ganz ungewöhnlich«, sagte Phoslakta. »Er plant etwas. Vater hätte sich nie so verhalten.« Dunkle Wolken zogen am Vormittagshimmel auf. Ein frischer Wind wehte schon seit dem Zeitpunkt, an dem wir die STERNSCHNUPPE verlassen hatten. »Ich werde ihm unbemerkt folgen.« Ich zog den Kragen meiner Kombination zusammen, denn die
ersten Regentropfen prasselten hernieder. »Geh du ins Haus. Später kannst du Tamar und Colo über unseren Ausflug informieren. Ich werde diesen falschen Kalakto stellen. Bis dahin sollen sich deine Freunde ruhig verhalten.« Sie nickte und rannte los. Ich hatte etwas Mühe, Kalakto auf der Spur zu bleiben, denn er besaß bereits einen beträchtlichen Vorsprung. Er bewegte sich in Richtung Stadt. Der Regen machte die Verfolgung leichter, aber auch Kalakto kam dadurch schneller voran, denn niemand war unterwegs. Obwohl ich mich beeilte, verlor ich ihn aus den Augen. Es hat den Anschein, daß er in deine Behausung will, deutete der Extrasinn an. Dort schliefen Mrothyr und Chipol. Ich ahnte nichts Gutes und rannte los. Kurz bevor ich den Bungalow erreichte, entdeckte ich Kalakto wieder. Er pirschte sich von hinten an das Haus heran. Seitlich von ihm hinter einer Heckenreihe erkannte ich eine zweite Gestalt. Ich zögerte einen Moment, um sie und ihre Verhalten genauer zu prüfen. Es ist Dharys, erklärte der Logiksektor schnell. Er versucht ebenfalls, Kalakto zu folgen. Der angebliche Rübenbauer kletterte durch ein rückwärtiges Fenster unserer Behausung. Dharys folgte ihm schnell, wurde aber offensichtlich nicht bemerkt. Ich wählte den direkten Weg und steuerte die Haustür an. Der Regen war dichter geworden und peitschte mir ins Gesicht, aber jetzt hielt mich nichts mehr auf. Da bahnte sich etwas an. Der Durchgang zum Schlafraum stand offen. Ich lief auf leisen Sohlen darauf zu. Die Regenschauer prasselten auf das Flachdach und übertönten die leisen Geräusche meiner Schritte. »Du wirst ihm nichts tun!« hörte ich eine scharfe Stimme. Das war Dharys. Ich blieb in der Tür stehen. Chipol lag in seinem Bett und schlief. Neben ihm stand Kalakto. Er hielt eine kleine Glasphiole mit einer dunkelblauen Flüssigkeit in der einen Hand. In der anderen trug er einen Kombistrahler, der auf den gerade erwachten Mrothyr gerichtet war. »Du bist verrückt«, antwortete Kalakto. »Du hast mir selbst den Auftrag in seinem Namen gegeben. Ich werde ihn ausführen.« Warte! riet mir der Extrasinn. Ich befolgte seinen Wunsch, aber ich machte meine Waffe schußbereit. Kalaktos Hand mit der Phiole schwebte über dem Gesicht Chipols. Der Junge wurde durch die Stimmen wach. Verschlafen öffnete er seine Augen. »Bleib ganz still liegen!« zischte ihn Kalakto an. Warte! bat der Extrasinn erneut. In der Ampulle befindet sich bestimmt ein tödliches Gift. Wenn du schießt, tötest du Chipol. »Verschwinde!« herrschte Dharys Kalakto an. »Der Befehl ist ungültig. Ich widerrufe ihn.« »Du bist verrückt.« Kalakto lachte hämisch. »Du fühlst dich frei. Ich habe die Stimme auch gehört. Ich muß ihn beseitigen.« Kalaktos Finger krümmten sich und zerbrachen die Phiole. Chipol wollte sich zur Seite werfen, aber da war die Wand. Die blaue Flüssigkeit ballte sich zusammen. Sie schwebte. »Verrückter!« schrie Kalakto. Dharys’ telekinetische Kräfte! Der Extrasinn hatte in dieser kritischen Situation schneller die richtige Folgerung gezogen als ich.
Die blaue Kugel bewegte sich schnell auf das offene Fenster zu. Die Blicke von Chipols Vater dirigierten die tödliche Substanz aus dem Haus. »Es nützt dir nichts.« Kalaktos Gesicht verzog sich zu einer gemeinen Fratze. »Du hast keine Waffe, Dharys. Und jetzt neutralisiere ich deine Kraft. Du wirst es noch lernen zu gehorchen.« Als Kalakto auf den Jungen feuern wollte, drückte ich ab. Ich wollte eigentlich nur den Strahler Kalaktos treffen, aber eine Instinktreaktion lenkte den Schuß auf den Körper des angeblichen Rübenbauern. Die Dosis war nicht tödlich, aber sie erzielte eine verblüffende Wirkung. Der Schuß streifte Kalakto an der Schulter. Der Arm fiel einfach zu Boden und bildete dort eine grüne Lache. Dann begann sich der ganze Körper zu einer breiigen Masse zu verformen, die sich auf Chipol werfen wollte. Ich feuerte erneut, und diesmal nahm ich keine Rücksicht. Der Energiestrahl fuhr in die sich gelblich verfärbende Brust Kalaktos. Von dessen ursprünglichen Umrissen war nun nichts mehr zu erkennen. Als schleimiger Klumpen stürzten die Reste dieses unbegreiflichen Wesens zu Boden. Dort verfärbten sie sich in schmutzig-grüne Töne, wurden flüssig und zerrannen zwischen den Holzdielen im Boden. »Pfui!« tönte Chipol. Mrothyr atmete erleichtert auf, und Dharys stand stumm mit ungläubigen Blicken da. »Komm her, Junge!« sagte Dharys schließlich rauh. »Wir gehen. Es ist vorüber.« Chipol sprang von seiner Liege. Er kam zu mir und legte beide Arme um mich. »Ich gehöre hier hin, Vater.« Er redete wie ein Erwachsener. »Hier ist mein Platz. Du hast mich verloren. Du hast mich belogen. Du hast mit dem Erleuchteten paktiert. Und wahrscheinlich tust du das immer noch. Du verwendest Psi-Tricks deinem Sohn gegenüber. Du verfolgst falsche Ziele. Du warst einmal mein Vater, Dharys. Jetzt bist du es nicht mehr.« Der Daila starrte uns stumm an. »Hilfe!« schrie Chipol plötzlich. Er wurde von mir gerissen – in Richtung Dharys, dessen telekinetische Kräfte mit einem Mal sehr stark waren. Ich überlegte kurz, ob ich den Vorteil meiner Waffe ausnutzen sollte, aber da hatte sich Mrothyr schon mit einem Satz auf den Daila geworfen. Die Faust des Zyrphers traf Dharys am Kopf. Im gleichen Moment war Chipol wieder frei. »Ich könnte ihn umbringen!« schnaubte Mrothyr. »Ihn und seine ganze verlogene Sippe.« »Das wäre sicher falsch«, besänftigte ich ihn. »Binde ihn irgendwo so fest, daß er auch mit seiner Telekinese nichts ausrichten kann. Ich muß mit ihm reden. Wir sind nicht hier, um uns auf der Nase herumtanzen zu lassen. Ich brauche Informationen über den Erleuchteten. Und die hat Dharys.« Mrothyr zog den Bewußtlosen hoch und schleppte ihn in den Aufenthaltsraum. Dort band er ihn an einen dicken Träger des Gebäudes, holte seine Waffe und hockte sich vor dem Daila auf einen Stuhl. Chipol wich keinen Meter von mir, während das alles geschah. Er war ganz ruhig, was mich irgendwie sehr wunderte. Er hat gewußt, aufweiche Seite er gehört, erklärte mir der Extrasinn lakonisch. Du hast gezweifelt. Er nicht. Er wollte Klarheit. Und die hat er bekommen. »Chipol«, bat ich den Jungen. »Traust du dir zu, zum Bürgermeisterhaus zu gehen und Jitti-Zmay und seine Enkel Colo und Tamar zu uns zu bitten?«
»Kein Problem.« Er warf seinem Vater, der gerade aus der Bewußtlosigkeit erwachte, einen selbstbewußten Blick zu. »Ich bin schon unterwegs.«
8. Wenig später waren wir alle versammelt. Jitti-Zmay, der wohl bemerkt hatte, daß sich eine entscheidende Entwicklung anbahnte, hatte sogar noch zwei weitere Daila mitgebracht, die er als seine Beigeordneten vorstellte. Dharys starrte stumm vor sich hin. Er wartete ab, was ich tun würde. Und das stand fest. Ich sagte es allen Anwesenden sehr deutlich. Ich wollte jetzt Klarheit. Die Entlarvung des falschen Kalakto und die beiden Mordanschläge auf Chipol und mich hatten mir gereicht. Die Daila hörten meinem Bericht staunend zu. Ich legte alles offen dar, was ich wußte. Tamar und Colo konnten wichtige Punkte bestätigen, so daß die Zweifel des Bürgermeisters und seiner zwei Beigeordneten schnell verschwanden. »Wir müssen handeln«, meinte der Alte etwas zögernd. »Das ist ein echter Notstandsfall«, erklärte der Ältere seiner beiden Begleiter, der auf den Namen Ozei hörte. »Eine Aufgabe für meine Leute und mich.« Und als der Bürgermeister nickte, verließ Ozei das Haus. »Wir sind nicht so hilflos, wie es scheinen mag«, erklärte Nung, der andere Beigeordnete. »Wir haben seit der Ankunft der Gruppe um Dharys auch ein paar merkwürdige Vorgänge beobachtete. Ein Raumgleiter war des nachts heimlich unterwegs, obwohl es gar keine Gleiter mehr auf Areffa gibt. Unsere Orter haben das festgestellt. Und Ozeis Leute können sehr schnell und konsequent zuschlagen.« Damit rundete sich das Bild wieder weiter ab. Die STERNSCHNUPPE hatte sich bei ihren Beobachtungen nicht geirrt. »Und nun zu dir, Dharys.« Ich fühlte mich mit Recht überlegen. »Du solltest jetzt offen mit uns sprechen. Ich denke, du bist uns eine Reihe von Erklärungen schuldig.« »Das meine ich auch«, bekräftigte Chipol meine Worte. »Vielleicht hast du noch eine Chance, alles zum Guten zu wenden. Aber komm mir nicht wieder mit allgemeinem Geschwätz und dummen Ausreden.« Dharys’ Augen weiteten sich, als er seinen Sohn so reden hörte. »Ich werde offen sprechen«, erklärte er dann. »Aber erwartet nicht von mir, daß ich für alles eine Erklärung parat habe. Ich bereue zutiefst, was geschehen ist, aber ich habe nur aus einem Motiv heraus gehandelt. Ich wollte Chipol zurückgewinnen. Ihr müßt mir das glauben. Atlan und Mrothyr haben selbst miterlebt, wie ich Chipol vor dem sicheren Tod bewahrt habe.« »Wobei Kalakto behauptet hat«, hakte ich ein, »daß du ihn als Mörder gedungen hast.« »Das entspricht sogar in gewisser Hinsicht der Wahrheit«, gab Dharys betreten zu. »Aber ich bin nicht schuldig. Nach unserer Flucht aus der Gefangenschaft des Erleuchteten gelang es diesem noch ab und zu, mich aus der Ferne zu beeinflussen. Ich verlor dann die volle Kontrolle über mich. Aber er hat einen schweren Fehler begangen, der Erleuchtete. Dadurch wurden mir die Augen geöffnet. Er hat mich rücksichtslos betrogen und Chipols Tod herbeiführen wollen. Es entsprach unserer Abmachung, daß der Junge unangetastet bleibt. Er wollte mich noch stärker an sich binden, aber er hat das Gegenteil erreicht. Durch diesen Erkenntnisschock konnte ich mich ganz von ihm lösen und gerade noch rechtzeitig kommen und Schlimmeres verhindern.« »Wer war dieser angebliche Kalakto?« »Ein Geschöpf des Erleuchteten. Ich weiß nicht, wie er diese Wesen erzeugt, aber sie waren ursprünglich einmal…«
Er brach plötzlich in Tränen aus. »Binde ihn los«, forderte ich Mrothyr auf. »Aber behalte ihn im Auge. Noch ist mein Mißtrauen nicht beseitigt.« »Danke«, sagte Dharys, als er wieder frei war. »Ich muß euch noch etwas Schwerwiegendes mitteilen. Nicht nur Jhossa ist ein halbes Kunstgeschöpf. Wahrscheinlich sind alle Daila, die mit mir kamen, keine echten Daila.« »Er sagt die Wahrheit«, bestätigte Nung. »Ozei und seine Leute räumen gerade in der Hangsiedlung auf. Die falschen Daila lösen sich zu einer grünen Flüssigkeit auf, sobald sie ernsthaft angegriffen werden. Diese Gefahr ist bald beseitigt. Auch Jhossa wurde schon gestellt.« »Damit stellt sich die Frage, was mit dir ist, Dharys?« Der alte Jitti-Zmay deutete anklagend auf Chipols Vater. »Ich bin echt«, stöhnte der verzweifelt. »Ihr werdet es herausfinden. Ich sage euch noch eins. Die ganze Familie Sayum wurde vom Erleuchteten ausgemerzt. Es gibt nur noch Chipol und mich. Der Erleuchtete hat mir mit diesen Kunstwesen etwas vorgegaukelt. Er hat mir suggeriert, daß es die Familie Sayum noch gibt. Aber alles war Lug und Trug. Ich habe das zu spät erkannt. Aber nicht zu spät, um meinen Sohn zu retten. Könnt ihr nun verstehen, warum ich so handeln mußte?« »Noch nicht ganz«, antwortete ich abweisend. Sein Einlenken kam mir etwas zu schnell. Mein Mißtrauen konnte er nicht einfach wegwischen. »Was hat es mit dem Raumgleiter auf sich?« »Der Erleuchtete hat ihn geschickt und an der Stelle eines alten Wracks postiert«, gab Dharys offen zu. »Das Kleinraumschiff heißt LJAKJAR oder KETTENHUND. Ich habe ein paar Probeflüge damit gemacht und dadurch erreicht, daß das Schiff sich wirklich ohne Beeinflussung durch den Erleuchteten lenken läßt. Es war eine Sicherheitsschaltung an Bord. Ich konnte sie beseitigen. Mit der LJAKJAR wollte ich den Rachefeldzug gegen den Erleuchteten durchführen und weitere Angehörige meines Volkes aus seiner Gewalt befreien, aber das hat sich jetzt ja zerschlagen. Ich hatte bis vor wenigen Stunden meine Begleiter für echte Daila gehalten und nicht für Marionetten des Erleuchteten.« »Du bist selbst eine solche Marionette!« behauptete ich hart. »Es mag sein, daß du noch deinen wirklichen Körper besitzt, aber du bist nicht frei.« »Ich bin frei!« schrie Dharys heraus. »Ich gebe zu, daß ich es nicht war. Aber die Machenschaften des Erleuchteten haben mir die Augen geöffnet. Ich war eigentlich immer frei. Jetzt bin ich es jetzt erst recht, denn die monströsen Wesen, mit denen mich der Erleuchtete umgeben hat, um mich in Sicherheit zu wiegen, existieren dank Ozei nicht mehr. Sie haben mich auch negativ beeinflußt.« Ozei kam mit ein paar bewaffneten Daila herein. Er machte einen entschlossenen Eindruck. In einer Hand hielt er eine kleine Handfeuerwaffe, die er nun auf Dharys richtete. »Drück ruhig ab!« forderte der. »Du wirst sehen, daß ich keine Marionette bin.« Ein kleines Projektil jagte in Dharys’ Schulter. Der krümmte sich zusammen und verbiß sich den Schmerz. Aber nichts geschah. »Er ist tatsächlich echt«, stellte Ozei fest. Dann wandte er sich an seine Begleiter. »Holt das Geschoß heraus und verbindet ihn. Die Wunde wird schnell verheilen. Ich mußte Gewißheit haben.« »Du warst früher kein Telepath«, hakte Chipol ein. Er verzog etwas abfällig die Mundwinkel, um seine Abneigung gegen alle Arten von parapsychischen Kräften zu unterstreichen. »Du bist nicht der Vater, den ich von früher kenne.« »Es gibt eine einfache Erklärung dafür.« Dharys stöhnte, während ihn die Begleiter Ozeis verarzteten, aber er sprach befreiter. »Als ich in die Gewalt des Erleuchteten geriet, erkannte ich sehr schnell, daß ich nur eine Chance hatte, wenn ich mich auf dieses Wesen einstellte und ihm meine Mitarbeit anbot. Er war mit manchen Gegenleistungen nicht gerade kleinlich. Er stellte mir
mehrmals ein Raumschiff zur Verfügung. Und er förderte meine Psi-Fähigkeiten. Ja, ich bin jetzt ein Telepath. Ich habe verfolgt, wie Ozei und seine Leute die falschen Daila entlarvt haben.« »Du bist mir unheimlich«, sagte Chipol. »Das wird sich ändern, mein Sohn, wenn wir wieder ein normaleres Leben führen können.« »Bis dahin ist es noch weit«, wandte ich mich wieder an Dharys. »Zuerst gilt es einmal zu klären, was du wirklich über den Erleuchteten weißt.« »Ich habe Chipol alles gesagt«, wehrte Dharys ab. »Du hast nichts gesagt«, brauste der Junge auf. »Auf Zinkoyon hattest du einen Verbindungsmann, G’dhay. Er sprach davon, daß du das Versteckt des Erleuchteten kennen würdest. Oder war G’dhay auch nur eine schäbige Marionette deines Herrn?« »G’dhay ist echt. Und der Erleuchtete ist nicht mein Herr. Ich habe eine Scheu vor dem Erleuchteten entwickelt. Es ist wohl besser, wenn man ihm nicht zu nah aufs Fell rückt.« »Du weichst wieder aus, Dharys.« Ich zeigte ihm deutlich meinen Unwillen. »Und wir haben keine Scheu vor diesem Wesen, auch wenn es stark und geheimnisvoll ist. Wir wollen den Erleuchteten stellen. Ich erwarte von dir, Dharys, daß du das voll unterstützt. Andernfalls wirst du Chipol nie mehr für dich gewinnen können.« »Du traust dir zu, etwas gegen den Erleuchteten zu erreichen?« fragte er zweifelnd. »Ich wäre bereit, dich mit meinem bescheidenen Wissen und meinen Möglichkeiten zu unterstützen, wenn du mir eine Bedingung erfüllst.« »Welche?« »Laß Chipol aus dem Spiel! Er ist zu jung für diese Gefahren. Ich möchte ihm das ersparen, was viele Daila erleiden mußten.« »Darüber ließe sich reden«, bot ich ihm an. »Werde konkreter!« »Der Erleuchtete ist zur Zeit geschwächt und mit anderen Problemen beschäftigt«, behauptete Dharys. »Das habe ich bei den letzten flüchtigen Kontakten deutlich gemerkt. Vielleicht hättest du eine reelle Chance gegen ihn. Auch mich beseelt der Wunsch nach Rache für die Schmach und den Tod vieler Daila. Aber meine Sorge um Chipol ist größer.« Das klang überzeugend, aber es beseitigte nicht mein Mißtrauen. »Wir haben die LJAKJAR«, fuhr Dharys fort. »Der Erleuchtete erkennt das Schiff bestimmt, während er deine STERNSCHNUPPE sofort angreifen würde. Du müßtest mit der LJAKJAR fliegen, Atlan. Ich bin bereit, dich zu begleiten und dir den Planeten zu zeigen, auf dem der Erleuchtete jetzt weilt. Ist das ein Angebot?« »Es ist eine Falle«, brauste Mrothyr auf. »Ich glaube dir nicht ein einziges Wort.« »Warte!« bat ich den Zyrpher, denn Dharys hatte doch sehr überzeugend gesprochen. Bau du ruhig dein Mißtrauen ab, meldete sich der Extrasinn. Vielleicht führt er dich wirklich auf eine konkrete Spur. Ich passe schon auf. »Es wäre auch in unserem Sinn«, sagte Jitti-Zmay, »wenn ihr Areffa verlassen würdet. Ich mache euch keinen Vorwurf, und wir wollen auch nicht ungastlich sein. Aber ihr habt schon genug Unheil über uns gebracht. Ich denke da nur an den wirklichen Kalakto und die wirkliche Jhossa.« Ich war nachdenklich geworden. Natürlich konnte ich nicht ausschließen, daß Dharys etwas ganz anderes plante. Aber selbst wenn es so war, ich sah hier endlich die ersehnte Chance, in die Nähe des Erleuchteten zu gelangen oder zumindest Konkreteres über ihn zu erfahren. Mrothyr und Chipol merkten an meinem Mienenspiel, daß ich bereit war, das Angebot anzunehmen. Und ich sah in ihren Gesichtern, daß ihnen das ganz und gar nicht behagte.
»Dharys bleibt hier bei uns.« Ich sprach zu Jitti-Zmay. »Ich muß über alles nachdenken. Aber ich werde dir noch heute meinen Entschluß mitteilen. Er wird in jedem Fall so aussehen, daß wir Areffa sehr bald verlassen.« Der alte Bürgermeister nickte zufrieden. Dann verließen er und seine Leute das Haus. »Komm, Chipol!« Ich winkte den Jungen. »Mrothyr und Dharys bleiben hier. Ich möchte mit dir allein reden.« Dharys sagte nichts, als wir gingen. * In einem Punkt stimmte ich mit Dharys überein. Es ging wirklich in erster Linie um Chipol. Die Vorstellung, daß er in die Machenschaften des Erleuchteten tiefer verwickelt werden könnte, jagte auch mir einen Schauer über den Rücken. Ich versuchte bei unserem Gespräch, ihm das zu verdeutlichen, wobei ich ihm gleichzeitig unterbreitete, was ich zu tun gedachte. »Wir starten noch heute. Dharys und ich mit der LJAKJAR, du und Mrothyr mit der STERNSCHNUPPE. Was Dharys und ich unternehmen, ist meine Sache. Du mußt dich da heraushalten! Ich bitte dich nicht nur darum, weil ich es deinem Vater versprochen habe. Auch ich will es so. Du wirst mit Mrothyr in der STERNSCHNUPPE warten. Wir verabreden einen Treffpunkt und einen Koderuf. Und laßt euch ja nicht einfallen, Dharys und mir zu folgen.« »Ich tue, was du sagst«, antwortete Chipol etwas kleinlaut. »Aber du sollst wissen, daß mir das nicht gefällt. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Dharys, ich meine, mein Vater, dich so einfach zum Erleuchteten fliegen wird. Ich kann ihm nicht trauen. Er führt etwas im Schilde. Ich nehme sogar an, daß er bei der ersten besten Gelegenheit versuchen wird, dich zu töten.« »Ich werde schon aufpassen. Natürlich gehe ich nicht ohne Vorbehalte an diese Sache. Ich bin ja gewarnt. Selbst wenn Dharys nicht mit gezinkten Karten spielen sollte, muß ich mit Attacken des Erleuchteten selbst rechnen.« »Für mich ist er noch immer ein Werkzeug dieses Unheimlichen. Er handelt nicht wie mein Vater. Ich spüre das, Atlan!« »Ich werde mir die alleinige Kontrolle über die LJAKJAR ausbitten«, versuchte ich ihn weiter zu beruhigen. »Und dann habe ich ja dich und Mrothyr und die STERNSCHNUPPE in der Hinterhand. Wenn Not am Mann ist, werde ich nicht zögern, euch zu rufen.« »Dann kann es zu spät sein«, meinte Chipol unzufrieden. »Es gibt keinen anderen Weg, Junge. Deine Sorgen kann ich verstehen, aber wenn ich nichts wage, laufe ich bis zum Ende meines Lebens dem Erleuchteten hinterher. Irgendwann möchte ich ManamTuru auch wieder den Rücken kehren. Und wenn es soweit ist, möchte ich hier kein Chaos hinterlassen. Es warten in Varnhagher-Ghynnst noch Aufgaben auf mich. Und Alkordoom möchte ich auch noch einen Besuch abstatten. Nein, Chipol, der Erleuchtete muß gestellt werden. Das Rätsel und die Gefahr, die von ihm und EVOLO ausgehen, müssen beseitigt werden. Ich muß so handeln.« Er sagte nichts mehr. Ich lenkte unsere Schritte zum Bürgermeisterhaus, um Jitti-Zmay meinen Entschluß, noch heute Areffa zu verlassen, mitzuteilen. Der alte Daila nahm das kommentarlos zur Kenntnis. Die Verabschiedung verlief ohne besondere Herzlichkeit. Ich konnte nur hoffen, daß es mir rechtzeitig gelingen würde, den Erleuchteten zu stoppen, bevor dieser seine Finger auch nach dieser
beschaulichen Welt ausstreckte. Auf dem Weg zu Mrothyr trafen wir Phoslakta, Kaphossa und ihre beiden Freunde Tamar und Colo. Der Schock steckte den vier jungen Daila noch sichtlich in den Knochen, aber sie fanden ein paar freundliche Worte zum Abschied. Ich beorderte die STERNSCHNUPPE herbei. Dharys gab sich schweigsam und verschlossen, und Mrothyr schlich mit einer schußbereiten Waffe ständig in seiner Nähe herum. Die LJAKJAR entpuppte sich als ein kastenförmiges Schiff von nur 22 Metern Länge, acht Metern Breite und vier Metern Höhe. Auf der Oberseite befand sich eine vier Meter hohe transparente und leicht ovale Kuppel, in der laut Dharys’ Aussagen der Kommandostand untergebracht war. Ich überprüfte die technischen Einrichtungen in aller Ruhe. Die Offensivbewaffnung war außergewöhnlich stark. Auch die Überlichttriebwerke verrieten eine ausgefeilte Technik, die der der STERNSCHNUPPE kaum nachstand. Woher das Schiff stammte, konnte ich nicht erfahren. Auch Dharys wußte das nicht. Er überließ mir bereitwillig die Kontrollen über alle Systeme. Er gab sich überhaupt betont zurückhaltend. »Bis später, Freunde!« Ich winkte Mrothyr und Chipol zu, als sie die STERNSCHNUPPE bestiegen und starteten. Wenige Minuten später verließ auch ich Areffa.
9. Nach drei Stunden Linearflug verlor ich die STERNSCHNUPPE erwartungsgemäß aus der Ortung. Mrothyr und Chipol hatten sich in Richtung eines unbewohnten Sonnensystems abgesetzt, das wir vor dem Anflug auf Areffa passiert hatten. Ich beobachtete Dharys aufmerksam, aber der Daila verhielt sich auch jetzt ganz unauffällig. Er beschäftigte sich lediglich mit der Schiffspositronik, um genaue Kursdaten zu ermitteln. Fraglos hatte er registriert, daß die STERNSCHNUPPE verschwunden war. Und ganz sicher rechnete er sich auch aus, daß ich sie jederzeit würde rufen können. »Es ist diese hellblaue Sonne.« Dharys deutete auf die Darstellung der näheren Umgebung. »Die LJAKJAR kennt diese Koordinanten ebenfalls. Ich habe sie aus einem Stützpunkt des Erleuchteten.« Ich nickte nur und nahm die notwendige Kursänderung vor. »Es gibt dort nur einen Planeten«, fuhr der Daila fort. »Es muß eine kleine Welt sein. Dadurch entsteht der Eindruck, daß diese Sonne gar keine Planeten besitzt. Ein ideales Versteck.« »Und du bist sicher, daß sich dort der große Unbekannte aufhält?« »Zumindest war er dort, bevor ich fliehen konnte. Und er war auch in den Monaten davor dort. Für einen Ortswechsel bestand für ihn kein Grund. Bei den psionischen Kontakten spürte ich grob, von welchem Ort die Gedankenimpulse kamen. Sie kamen immer von der gleichen Stelle.« In den Empfängern waren plötzlich prasselnde Geräusche zu hören. »LJAKJAR wird angefunkt«, teilte die Schiffspositronik etwas holprig mit. »Datenfunk. Identifizierung verlangt.« »Bereitet das Schwierigkeiten?« fragte ich. »Schwierigkeiten – keine.« Diese fremde Positronik hatte eine wirklich merkwürdige Art, sich auszudrücken. »Wiederhole die Sendung!« verlangte ich und betätigte heimlich einen Sensorknopf an dem winzigen Aufzeichnungsgerät, das ich am linken Unterarm trug. »Datenfunk, unverständlich für dich«, antwortete die Positronik der LJAKJAR-KETTENHUND. »Ablehnung.« »Du tust, was ich sage!« Meine Stimme wurde deutlich härter. »Oder wir kehren sofort um.« »Er hat das Kommando«, mischte sich Dharys auffällig besorgt ein. »Gehorche seinen Anweisungen, auch wenn sie unnütz sind.« Wieder ertönten die prasselnden Laute, die typisch für digitale Datensendungen waren. Diesmal lief mein Gerät aber mit. Dharys setzte eine nachdenkliche Miene auf, denn offenbar verstand er mein Verhalten nicht. »Ich wollte nur unterstreichen«, erklärte ich ihm, »wer hier der Herr im Haus ist. Wenn es gegen den Erleuchteten geht, kann ich keine Widersprüche oder Aufsässigkeiten gebrauchen. Und schon gar nicht von Positroniken.« »Natürlich hast du recht«, lenkte der Daila sofort ein. »Ich will die Waffensysteme testen.« In diesem Augenblick erschien das Ortungsecho des Planeten des Erleuchteten. Die KETTENHUND-Positronik stellte alle Daten zur Verfügung, während Dharys interessiert auf die Ortungsanzeigen starrte. Er war abgelenkt, und das benutzte ich, um ein paar notwendige Tasten
an meinem Armbandgerät zu drücken. Eine Kleinpositronik begann nun, die Daten auszuwerten, die die Positronik der LJAKJAR als Aufforderung zur Identifizierung gedeutet hatte. Ich war noch immer mißtrauisch. Und ich wollte kein Risiko eingehen. Wenn ich den Erleuchteten oder sein vermutliches Werkzeug Dharys unterschätzte, würde das meinen Tod bedeuten. »Hat diese Welt einen Namen?« fragte ich den Daila, um ihn weiterhin abzulenken. »Oase I. Ich erwähnte es doch schon.« »Ach ja.« Ich stellte mich bewußt etwas dümmlich an, denn ich wartete sehnsüchtig darauf, daß sich die positronische Auswerteeinheit meines Miniaturgeräts meldete. Leider konnte sich das Gerät nur akustisch mitteilen, aber da hatte ich Vorsorge getroffen. Wenn es etwas zu mir sagte, würde es den arkonidischen Naat-Dialekt verwenden, der bei den Sklaven meiner Vorfahren im ArkonSystem üblich war. Das war eine Sprache, der gegenüber das Chinesische direkt unkompliziert wirkte. Du sorgst vernünftig vor. Es war wirklich verwunderlich, daß sich der Extrasinn einmal positiv äußerte. Das gehörte nämlich nicht zu seinen Gewohnheiten. Es machte mich eher noch vorsichtiger. Dein Mißtrauen ist berechtigt. Du näherst dich der Höhle des Löwen. Oder der Falle des Löwen. Oase I war wenig kleiner als der Terramond Luna. Die KETTENHUND-Positronik lieferte in schneller Folge Daten. Das geschah so rasch und aus einer beträchtlichen Entfernung, daß ich wieder mißtrauisch wurde. Die ganze Sache sah etwas vorbereitet aus. Ich konnte ja nicht ausschließen, daß das Schiff diesen Ort bereits kannte. Intelligentes Leben gab es auf diesem Planeten demnach nicht. Die Fauna war niedrig, und das tierische Leben hatte keine Bedeutung. In der Nähe des Äquators gab es aber ein deutliches Energieecho. Alles wirkte zu glatt. Das Bild entsprach dem, was ich erwarten würde, wenn ich nicht mißtrauisch wäre. Und das machte mich noch aufmerksamer. Ein kaum wahrnehmbarer Pfeifton verriet mir, daß mein kleines Auswertegerät eine Mitteilung parat hatte. »Ich habe hier eine widersprüchliche Anzeige, Dharys«, sagte ich mit leicht gespielter Erregung. »Schau bitte einmal im Heck bei den Antriebssystemen nach, ob da alles in Ordnung ist.« »Wie bitte?« Dharys starrte auf die Instrumente des Pilotenpults. »Es ist doch alles in Ordnung.« »Ich dachte«, antwortete ich, »ich hätte hier das Kommando. LJAKJAR! Wir kehren sofort…« »Ich gehe schon«, unterbrach mich der Daila. Sollte er ruhig meinen, daß ich wieder meine Position ausspielte. Oder sollte er ruhig mißtrauisch werden. So sehr wie ich es jetzt wieder war, würde er es nie sein. Ich hielt das Gerät ans Ohr und drückte die GO-Taste, als Dharys den Kommandostand verlassen hatte. Die Entfernung zwischen ihm und mir betrug nun mindestens sieben Meter, und da konnte er nichts mehr hören. Der alte vertraute Naat-Dialekt klang auf: »Die Sendung beginnt mit dem Kode-Signal //K8L4/*/. Damit wird die Positronik der LJAKJARKETTENHUND umgeschaltet. Sie arbeitet nach einem fingierten Programm. Nach der Umschaltung empfängt sie Daten, die sie für absolut wahr halten muß. Diese Daten besagen, daß sie dir erklären soll, daß sie einen Identifizierungskode abstrahlen soll, damit du dich in Sicherheit fühlst. Sie sagen ferner, daß die Positronik Dharys’ – sein Name wird so erwähnt – mitteilen soll, daß alles vorbereitet ist. Die Roboter und Kunstdaila der Station erwarten den Feind Atlan, um ihn
zu vernichten. Der Erleuchtete ist da. Er wird Atlans Wissen in sich aufnehmen. Er wird Dharys belohnen. Zum Schluß der Sendung wird die Positronik durch einen neuerlichen //K8L4/*/-Befehl wieder in ihren Normalmodus versetzt.« Dharys kam zurück. Ich mußte an mich halten, um ihm nicht an die Gurgel zu gehen. Meine Wut war so groß, daß sie mich sogar vergessen ließ, daß meine Vorsicht berechtigt gewesen war. Eins schien aber der Wahrheit zu entsprechen! Der Erleuchtete war hier! Irgendwie war er anwesend. Und dieser Verlockung konnte ich nicht widerstehen. »Ich habe nichts gefunden«, meinte der Daila. »Die Positronik hat schon festgestellt, daß ich mich geirrt habe«, antwortete ich. Damit war für Dharys die Sache vergessen. Der Erleuchtete ist da! Dieser Satz des kleinen Auswertegeräts der STERNSCHNUPPE beherrschte meine Sinne. Ich war auch da! Ich wollte diesen Gegner endlich hautnah erleben. Ich lenkte die LJAKJAR in einen engen Orbit um Oase I. Die optischen Anlagen lieferten saubere Bilder. Bei der zweiten Umkreisung entdeckte ich die Station. Sie besaß einen Durchmesser von etwa zwei Kilometern und bestand aus flachen Bauten mit Antennen und Waffensystemen. Es sah alles so aus, wie ich mir eigentlich das Versteck des Erleuchteten auf einem kleinen und unbedeutenden Planeten vorstellen sollte. Ich sage nichts! meldete sich der Logiksektor mit der erneut ungewohnten Zustimmung. Ich ahne deine Gedanken. Zum Teil sehe ich sie. Du handelst endlich wieder mit der alten Konsequenz, die man dir auf Arkon anerzogen hat. Meine Gedanken waren für Sekunden bei Fartuloon, dem ich mehr als mein Leben zu verdanken hatte und der mir noch heute Rätsel aufgab. »Das ist der Hort des Erleuchteten.« Dharys deutete auf das Bild der technischen Anlage von Oase I. Ich lenkte die KETTENHUND in eine Position direkt über der Station. Unsere Höhe betrug noch 800 Kilometer. »Ich schlage vor«, meldete sich die Positronik in ihrer seltsamen Sprache. »Vorschlag – landen.« »Ich habe eine andere Idee.« Ich merkte, wie sich meine Gesichtszüge verhärteten. Dharys zuckte sichtlich zusammen, als er das sah. »Volles Feuer auf diese Anlage!« »Du bist von Sinnen.« Der Daila nahm eine lauernde Stellung ein. »Verweigerung – Unsinn«, erklärte die Positronik stumpf. Meine Finger huschten über die Eingabetastatur: //K8L4/*/. »Bereit, Erleuchteter.« Jetzt klang die Kunststimme der Positronik wie die eines folgsamen Lammes. »Feuerschlag auf die Station unter uns! Alles vernichten! Sofort!« Die Energieaggregate der LJAKJAR röhrten auf. Das kleine Schiff schüttelte sich. Die Flammenbahnen rasten durch die dünne Atmosphäre von Oase I und entfesselten die Hölle. Explosion folgte auf Explosion. Das Schiff entlud seine Energien mit der Rücksichtslosigkeit des Erleuchteten. Innerhalb von wenigen dramatischen Sekunden war die Station dem Boden gleichgemacht. Glühende Trümmer stürzten übereinander. Ich vergaß Dharys nicht.
Er stand dort in seiner lauernden Haltung und verfolgte das Geschehen wortlos. Er wirkte wie ein Tiger vor dem Sprung, aber er rührte sich nicht. Die Glutwellen auf der Planetenoberfläche verliefen sich. Ich zog die LJAKJAR etwas höher. Zufriedenheit empfand ich nicht, denn ich war mir darüber im klaren, daß ich mit diesem Gewaltschlag ein technisches Instrumentarium, nicht aber den Erleuchteten selbst getroffen hatte. »Phantastisch!« Endlich fand Dharys wieder Worte. »Du handelst in der Tat gut, Atlan. Ich bin froh, daß Chipol das nicht erleben mußte. Aber glaubst du, du hast damit den Erleuchteten vernichtet?« Er plant etwas Neues! meldete sich der Extrasinn. »Mitnichten, Daila.« Ich spielte bewußt den Siegessicheren, obwohl ich das nicht war. »Ich werde aber nachsehen, was dort war. Ein paar Reste werden sich wohl finden.« »Nachsehen?« Dharys war erstaunt. Er spielt den Erstaunten! warnte mich mein zweites Bewußtsein. »Wir landen«, sagte ich fast jovial. »Dann möchte ich einmal sehen, was da unten noch zu finden ist.« »Wir landen.« Dharys atmete auf, obwohl er das zu unterdrücken versuchte. Ich kontrollierte sein Mienenspiel. In Wirklichkeit schäumte er vor Wut und Verärgerung. Ich hatte seinen Plan - und den Plan des Erleuchteten – ganz gewaltig durchkreuzt. Seine Augen verrieten einiges. Ich erkannte erschreckende Dinge hinter dieser Maske. Dharys wollte mich töten! Seine Worte auf Areffa waren Lügen gewesen. Dieser Mann lebte von anderen Zielen. Er sah nur sich. Und die Kälte, mit der man diese Ziele erreichen konnte. Eine Leiche mehr oder weniger spielte dabei keine Rolle. Er kam ganz langsam zu mir herüber. »Brauchst du meine Hilfe bei der Landung?« Es gelang ihm tatsächlich, einen harmlosen Ton anzuschlagen. Er spielte sein Spiel weiter. Und ich meins! Mensch, Chipol, dachte ich. Wie sehr hast du doch recht gehabt! Und ich habe dich in die Wüste geschickt! Der Daila griff in die Steuerelemente der KETTENHUND. Ich haute ihm eins auf die Finger. »Entschuldigung.« Seine demütige Art brachte mein Blut ins Wallen. »Ich wollte dir nur bei der Landung helfen.« »Ich mache das allein.« Äußerlich wirkte ich ganz ruhig, denn ich hatte bemerkt, daß diese Marionette des Erleuchteten geradezu darauf versessen war, das Schiff zu landen. Warum drängte er so sehr? Es ist seine letzte Chance, dich zu beseitigen, vermutete der Extrasinn. Dharys machte gute Miene zum bösen Spiel. Er zog sich zurück und wartete. Als ich in die Steuerung der LJAKJAR griff, meldete sich die Positronik. Ich war hoch damit beschäftigt, den tödlichen Haß aus den Augen des Daila zu lesen, so daß ich gar nicht sofort verstand, was ich hörte. »Ich lenke für dich, Erleuchteter Atlan«, sagte das Schiff. Die KETTENHUND hielt mich nun wirklich für ihren Herrn! »Lande!« befahl ich. »Und stelle alle Daten nur noch für mich dar, aber nicht für dieses Werkzeug Dharys.«
Der Daila reagierte nicht auf diese Worte, aber ich merkte ihm an, wie es in ihm brodelte. Ich durfte ihn nicht unterschätzen, denn er hatte bewiesen, daß er ein fähiger Mutant war. Ich tastete unbewußt nach meinen Waffen, während die LJAKJAR in die Tiefe steuerte. Sie landete am Rand der Zone der Vernichtung, dem Gebiet, an dem die Station des Erleuchteten einmal gewesen war. Wo steckte der Erleuchtete? Würde er sich mir zeigen? Konnte er überhaupt sichtbar werden? Mich beschäftigten tausend Fragen, die Unsicherheit erzeugten. Und diese Unsicherheit versuchte ich zu bändigen. Der Extrasinn half mir dabei. Er stachelte mich sogar auf. Er wollte auch Klarheit. Das spürte ich ganz deutlich. Wir landeten und betraten gemeinsam die Oberfläche von Oase I. Die Atmosphäre war dünn, aber gut atembar. Ich erblickte urzeitliche Gesteinstrümmer, zwischen denen sich ein paar Moose und Flechten rankten. Die Anlage des Erleuchteten war total vernichtet. Rauchschwaden verrieten etwas von dem Energieschlag, der hier gewütet hatte. »Wir sind da, Dharys«, sagte ich. »Wo ist der Erleuchtete?« Er blickte mich aus seinen tiefschwarzen Augen an. »Der Erleuchtete, Atlan?« Seine Gesichtszüge glätteten sich. »Der Erleuchtete ist immer da.« Ich tat so, als ob ich die Landschaft studierte. »Er ist immer da«, fuhr Dharys fort. »Immer. Man kann kaum mehr da sein als er, aber jetzt bin ich mehr da als er. Viel mehr, Atlan!« Das klang so drohend und so deutlich, daß ich merkte, daß er jetzt die Maske fallenlassen würde. Sein Gesicht verriet nur noch den Willen zu töten. »Du bist weg. Weit weg, Werkzeug des Erleuchteten. Zeige mir deinen Herrn. Dann hast du eine Chance. Wenn du es machst, zeige ich dir, wie dein Sohn Chipol ist.« Er stutzte nicht einmal einen Sekundenbruchteil. Er überfiel mich mit parapsychologischen Impulsen, die Gucky oder Andre Noir alle Ehre gemacht hätten. Mein Mentalschutz geriet ins Wanken. Ich suchte Deckung, aber da war nichts. »Ich werde dich vernichten, Atlan.« Dharys kam langsam auf mich zu. »Wenn du nicht gewesen wärst, hätte der Erleuchtete längst größere Erfolge erzielt. Und ich hätte mehr Macht. Du hast die verbannten Daila entfremdet und in die Dienste der Gegner gestellt. Du paktierst mit dem Wahnsinn, denn du hilfst den Narren, die das Neue Konzil sind, den Hyptons, den Ligriden. Du Irrer kümmerst dich sogar um das Relikt Guray, das besser in seinen Träumen verschwinden sollte. All das kann ich dir verzeihen, denn die Welt braucht verrückte Idealisten, die sich opfern. Aber eins, Atlan, verzeihe ich dir nie.« Ich konnte mich nicht mehr bewegen. Meine Gedanken funktionierten nicht, und der Extrasinn war zu keiner Äußerung mehr fähig. »Ich verzeihe dir nie«, dröhnten Dharys’ Worte akustisch und psionisch in meinem Kopf, »daß du mir Chipol entfremdet hast. Ich töte dich nur aus diesem Grund. Nicht, weil mein Partner, der Erleuchtete, es so will.« Ich hatte ihn unterschätzt. Er hatte nachgegeben und weiter seine Rolle gespielt, als er gemerkt hatte, daß ich die LJAKJAR unter meine Kontrolle gebracht hatte.
»Du trägst ein Instrument einer fremden Technik.« Dharys kam noch einen Schritt näher, und jetzt bewies seine Haltung, daß er sich ganz als Herr der Lage fühlte. »Der Erleuchtete weiß das. Du nennst es Zellschwingungsaktivator. Das Ei macht dich fast unsterblich. Fast, Atlan. Ich kann dich töten, wann immer ich will. Auf Areffa durfte ich es nach dem einen Versuch nicht tun, denn mein Partner braucht diese Daila und ihre Psi-Potentiale noch. Hier darf ich dich töten. Ich tue es aus meinem freien Willen heraus. Nicht wegen deines Aktivators. Ich werde ohne das Ding unsterblich! Ich brauche es nicht!« Ich war plötzlich frei. Nichts quetschte mich mehr zusammen. Ich konnte aufatmen und wieder klar denken. Als meine Hände nach den Waffen tasteten, merkte ich, was Dharys’ Absicht war. Es knisterte auf meiner Brust. Jetzt war ich wieder wie gelähmt, aber diesmal kam der Zwang aus mir selbst. Meine Kombination zerriß. Der Zellaktivator schwebte heraus. Die telekinetischen Kräfte des Mutanten machten es möglich, und ich hatte nichts, um diese abzuwehren. Er ließ das Ei des Aktivators vor meinen Augen hin und her schaukeln. Dazu lachte er hohntriefend. Ich wollte nach dem lebenserhaltenden Gerät fassen, aber Dharys drückte meine Arme nach unten. »Ich mache dich fertig, Atlan.« Er lachte selbstsicher. »Du wirst mit einem langsamen und grausamen Tod für das büßen, was du mir und Chipol angetan hast!« Er wirkte wie ein Besessener. Der Zellaktivator raste plötzlich davon. Er landete irgendwo zwischen den niedrigen Pflanzen in einem schlammigen Loch. Du hast ihn unterschätzt, teilte mir der Extrasinn lakonisch mit. Der Erleuchtete hat ihn doch stärker gemacht, als es abzusehen gewesen war. Ich wollte mich auf den Daila stürzen, aber ich prallte gegen eine unsichtbare Wand und stürzte zu Boden. Die absolute Lähmung durch die psionischen Kräfte des Mutanten ergriff wieder voll von mir Besitz.
10. »Der Erleuchtete ist gegenwärtig!« Dharys stand breitbeinig vor mir und lachte dröhnend. »Dein Zellaktivator ist weg. Du bist am Ende. Du hast zwar die Anlage des Erleuchteten vernichten können, aber das wird ihn nicht daran hindern, dein Wissen in sich zu holen, bevor ich dich mit dem Tod bestrafe. Er kommt jetzt zu dir. Spürst du ihn schon? Du kannst ihn nicht sehen, aber er sieht dich!« Ich vernahm einen kalten Hauch in meinem Bewußtsein. Etwas tastete sich in mich hinein. Mit aller Kraft wehrte ich mich dagegen. Der Extrasinn schrie gequält auf, aber die unfaßbare Macht wurde immer stärker und zwingender. Ich kroch auf allen vieren über das Gestein und reckte Dharys mit letztem Trotz mein Gesicht entgegen. Die Augen des Daila funkelten böse und selbstsicher. »Du wolltest den Erleuchteten erleben«, höhnte er. »Jetzt ist es soweit. Du wirst nicht ohne das Wissen sterben, nachdem du so sehr verlangt hast.« Er wollte nach mir treten, aber ich konnte trotz der einschnürenden Kräfte in letzter Sekunde ausweichen. »Kämpfe, Atlan!« schrie er mich an. »Kämpfe, bevor du stirbst. Wo ist denn dein unbändiger Wille?« Er gab mir etwas Bewegungsfreiheit. Er wollte seinen Triumph auskosten. Er wollte mit mir spielen, wie mit einem hilflosen Opfer. Ich mobilisierte die letzten Kräfte und stürzte mich auf ihn. Aber er packte mich mit seiner telekinetischen Macht und zerrte mich über den rauhen Boden. Disteln peitschten in mein Gesicht. Vor einer schlammigen Mulde machte er halt. Mein Kopf wurde gegen meinen Willen nach unten gedrückt. In der Mulde lag mein Zellaktivator. Wieder bäumte ich mich auf. Meine Hände wollten ihn fassen, aber ich war nicht in der Lage, gezielte Bewegungen auszuführen. Ich bekam wie durch Zufall meinen Kombistrahler zu fassen. Ich riß die Waffe in die Höhe und wollte sie auf Dharys richten. Der Daila lachte laut auf. »Du könntest jetzt durch deine eigene Hand sterben!« Er drehte meinen Arm, so daß die Mündung des Strahlers auf meinen Kopf zeigte. Ich spürte ein Kribbeln in meinem Finger, der den Abzug berührte. Und in meinem Kopf schrien zwei Stimmen: Drück ab! Das war Dharys. Halte durch! Das war der Extrasinn. »Das wäre ein einfacher und schneller Tod.« Der Daila spielte noch immer mit mir wie eine Katze mit einer Maus. »Du hast etwas anderes verdient!« Der Kombistrahler riß sich aus meiner Hand. Ein telekinetischer Schlag traf mich vor die Brust. Ich wurde wieder zu Boden gefegt. »Hier bin ich«, verhöhnte mich Dharys. »Komm her, Atlan! Kämpfe, bis deine Frist verstrichen ist und der Zellverfall eintritt.«
Ich suchte seine Gestalt, aber meine Hände tasteten ins Leere. Dann entdeckte ich ihn. Als ich mit verschwommenen Blicken an ihm vorbeistarrte, glaubte ich zu träumen. Hinter einem Felsbrocken kamen eine kleinere und eine größere Gestalt hervor. Ich hatte so sehr mit dem psionischen Rumoren in meinem Kopf zu kämpfen, daß ich unfähig war, die beiden Gestalten zu identifizieren. Meine Augen sahen sie nur schemenhaft in einem Nebel aus Gedanken und Zerrbildern. Ich registrierte eine Waffe, die sich auf den Rücken des Daila richtete. Dann hörte ich eine vertraute Stimme. »Aufhören! Oder ich töte dich, Dharys!« Der Daila fuhr herum. Im gleichen Moment verschwand der Druck in meinem Kopf, und ich konnte meine Glieder wieder frei bewegen. Meine getrübten und benommenen Sinne stabilisierten sich. »Was willst du hier?« brüllte Dharys wie von Sinnen. Ich stand auf. Die kleinere Gestalt trug die Waffe. Es war Chipol! Es war tatsächlich Chipol! * Ich konnte kaum überlegen, wie das möglich war, denn meine Sinne spielten unter dem psionischen Sturm noch immer verrückt. Der Junge zielte ganz ruhig auf den Kopf seines Vaters. Wenige Schritte hinter ihm stand Mrothyr. »Du wirst mir nichts tun«, sagte Chipol kalt. »Mir nicht! Auch der Erleuchtete hat nicht die Kraft, dich dazu zu verleiten. Du hast nicht mehr viel mit dem Mann gemeinsam, der sich einmal Vater Sayum nannte. Aber das, was noch in dir steckt, reicht aus, um dich daran zu hindern, mich oder Atlan zu töten.« Dharys schrie auf. Seine telekinetische Kraft riß Chipol die Waffe aus der Hand und schleuderte den Jungen zu Boden. Der Zyrpher wurde wie welkes Laub durch die Luft gewirbelt. »Ich will es nicht tun«, jammerte der Daila. »Aber ich muß. Ich kann nicht anders.« TÖTE SIE! Da war plötzlich die Stimme des Erleuchteten! Ich hatte sie noch nie in dieser Form gehört, aber ich erkannte sie sofort. Das psionische Band zwischen ihm und Dharys wurde plastisch. Es berührte mich und stellte sich für mich wie ein flammender Strahl dar, der alles umschloß. Die psionische Kraft war so gegenwärtig und stark, daß mich jeder Gedanke des Erleuchteten und seiner Marionette durchdrang und ich jede Phase in mir selbst erlebte. TÖTE SIE! Chipols Hände fuhren wirr durch die Luft. Auch er schien den Erleuchteten wahrzunehmen. Er wollte nach ihm packen, aber seine Hände griffen ins Leere. »Erleuchteter!« schrie er auf. »Du bist verloren. Du kannst uns nicht töten lassen, denn die Gefahr,
die dir droht, ist schon übermächtig.« Der unsichtbar Gegenwärtige lachte brüllend. ZWERG! LÄCHERLICHER ZWERG! »Anima!« brüllte Chipol. »Anima, die du so sehr fürchtest, befindet sich bei den Hyptons! Das ist dein Ende, Erleuchteter!« Ich erkannte blitzartig, was Chipol beabsichtigte. Und der Erleuchtete reagierte. Das flammende psionische Band zwischen ihm und Dharys zerriß. Der Daila war für Sekunden vollkommen verwirrt. Ich sprang auf ihn zu und schlug ihn mit einem einzigen Hieb zu Boden. »Der Erleuchtete ist noch da«, röchelte Dharys. »Er kämpft mit sich selbst. Das ist eure Chance. Ich bin nur ich. Aber er benutzt mich immer wieder. Flieht! Chipol! Atlan! Verschwindet, bevor er aus seiner Benommenheit erwacht. Ich gehe meinen Weg…« Er schien für einen Augenblick zur Besinnung zu kommen und seine frevelhaften Taten vergessen zu wollen. Sein Blick auf Chipol strahlte echte Zuneigung aus, aber auch Verzweiflung. Ich empfand Mitleid für diesen Mann, aber ich wußte, daß ich nichts für ihn tun konnte. Er hatte sich selbst zu tief in die Machenschaften des Erleuchteten verstrickt. Chipols Miene war so kalt, daß auch ich mich davon betroffen fühlen mußte. Mrothyr kroch über das Gestein, bis er meinen Zellaktivator fand. Er reichte mir das Ei, und ich nahm es gedankenverloren an. »Verschwindet endlich!« schrie Dharys. »Ihr habt nicht viel Zeit. Er wird sich besinnen, wenn er…« Er vergrub seinen Kopf in den Händen. Die STERNSCHNUPPE kurvte heran und öffnete ihr Eingangsschott. Chipol zerrte mich ins Innere, ohne Dharys noch mit einem Blick zu beachten. Ich wollte noch etwas tun, aber ich war ohne Entschlußkraft. Mrothyr versetzte mir einen heftigen Stoß, der mich nach vorn taumeln ließ, als ich im Eingangsschott der STERNSCHNUPPE zögernd stehenblieb. Dharys krümmte sich wenige Meter entfernt auf dem Boden. Er bot ein Bild des Jammers. Das Schott schloß sich, und der Daila verschwand damit aus meinem Blick. »Start!« rief der Zyrpher, und die STERNSCHNUPPE gehorchte. »Wir mußten dir folgen, Atlan«, sagte Chipol entschuldigend. Er sah an meinem Gesicht, wie dankbar ich ihm war. * Steh auf, Dharys! Der Erleuchtete tobte. Steh auf! Du mußt sofort handeln! Ich befehle es dir! Du hast wiederum versagt, Dharys. Aber ich werde dir diesmal verzeihen, denn durch deinen Einsatz habe ich etwas von höchster Bedeutung erfahren. Der nutzlose Junge, der dich nur behindert, hat es herausgeschrien. Er hat damit deinen Kampf mit Atlan zu deinen Ungunsten entschieden, denn diese Information überwältigte mich. Es ist noch nicht zu spät, Dharys. Du kannst den Fehler, den du begangen hast, mit eigener Kraft bereinigen. Du mußt es tun, denn ich habe jetzt keine Zeit, um dir zu helfen.
Du verstehst nicht, was es bedeutet. Anima ist in der Gewalt der Hyptons. Die Abkömmlinge aus Chmazy-Pzan haben mich zu hintergehen versucht. Die Gefahr Anima ist bei ihnen. Das ist entscheidender als das Leben dieses Atlan. Du erhebst dich, Dharys. Das ist gut. Sieh dich nur um! Deine Feinde haben die Flucht ergriffen. Die STERNSCHNUPPE hat Oase I verlassen. Sie fliegt in Richtung des Zentrums von ManamTuru. Dieser Wahnsinnige gibt nicht auf. Er will mich finden. Bevor das geschieht, mußt du ihn vernichtet haben. Du allein, Dharys! Du gehst jetzt zur LJAKJAR und startest. Du wirst Atlan und seine STERNSCHNUPPE finden. Du wirst diese lästigen Parasiten beseitigen. Du hast nur diesen einen Auftrag. Besteige das Schiff. Ich habe den Sperrkode aufgehoben, den Atlan erzeugt hat. Die LJAKJAR wird nur noch dir gehorchen. Verfolge die Feinde! Jetzt sofort, Dharys! Du wirst eine Weile von mir nichts hören. Es wird dir gefallen, ohne Bindung zu mir zu leben und zu jagen. Ich kann mich nicht um dich kümmern, denn meine Aufmerksamkeit gilt nun zwei bedeutsameren Punkten, nämlich EVOLO und Anima. Diese Faktoren entscheiden über die weitere Zukunft. Du kannst mich mit der LJAKJAR rufen, wenn du darüber etwas Wichtiges erfährst. Aber verschone mich mit allen anderen Dingen! Du würdest nur meinen Zorn schüren. Ich sehe, daß du gehorchen willst. Das ist gut Dharys. Du wirst mit der Macht belohnt werden, nach der du dich sehnst, wenn du deine Aufgabe erfüllt hast. Du brauchst nicht über Chipol nachzugrübeln, Dharys. Konzentriere dich auf deinen Auftrag. Erfreue dich an der wirklichen Gedankenfreiheit, die ich dir vertrauensvoll zugestehe. Jeder Zweifel wird nur hinderlich für dich sein. Du kannst aus den Fehlern der letzten Tage etwas lernen. Du mußt etwas daraus lernen. Du schadest dir nur, wenn du die Gefühle für den unbedeutenden Bengel beachtest. Verbanne diese Gedanken! Weise diese Gefühle von dir! Wenn du stark und mächtig sein willst, kannst du dir keine Gefühle für ein bedeutungsloses Geschöpf leisten. Der Erleuchtete brach die mentale Bindung ab. Er blieb aber noch mit einem Teil seiner Wesenheit in Dharys’ Nähe. Der Daila befolgte die Anweisungen auch jetzt, wo er frei von jeder Bevormundung war. Er brachte die LJAKJAR auf den richtigen Kurs, um die STERNSCHNUPPE Atlans zu verfolgen. Dharys würde wieder zu sich finden, sagte sich der Erleuchtete zufrieden. Auch wenn er jetzt noch von Zweifeln geplagt wurde. Die Ereignisse der letzten Tage waren nicht spurlos an dem Daila vorübergegangen. Daß er sich jetzt fragte, ob er dem richtigen Herrn diente, war nur eine Folge dieser Ereignisse. Dharys würde schon bald wieder zu sich finden. Zu groß war sein Verlangen nach Macht… Der Erleuchtete zog sich endgültig aus der Nähe seines Dieners zurück. Die Fehlschläge auf Areffa und Oase I ließen sich verkraften. Er wertete diese Aktion schon nicht mehr als Niederlage, hatte er doch so endlich erfahren, wo sich Anima befand. Der Erleuchtete wandte seine Aufmerksamkeit den Dingen zu, die für ihn bedeutend waren. …EVOLO… … Anima… ENDE
Der Plan des Erleuchteten, Atlan durch Dharys töten zu lassen, ist nicht aufgegangen. Atlan und seine Gefährten konnten in der STERNSCHNUPPE entkommen. Dharys nimmt im Auftrag des Erleuchteten die Verfolgung auf - aber Chipols Vater ist nicht mehr das willenlose Werkzeug des Erleuchteten, das er noch vor kurzem war… Mehr darüber und über Ereignisse, die nur scheinbar mit der weiteren Entwicklung nichts zu tun haben, berichtet Peter Terrid im nächsten Atlan-Roman unter dem Titel: DAS SCHWERT VON JOMON