Nr. 410
Die Planetenschleuse Im Dienst der schwarzen Galaxis von Marianne Sydow
Als Atlantis-Pthor, der durch die Dim...
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Nr. 410
Die Planetenschleuse Im Dienst der schwarzen Galaxis von Marianne Sydow
Als Atlantis-Pthor, der durch die Dimensionen fliegende Kontinent, die Peripherie der Schwarzen Galaxis erreicht – also den Ausgangsort all der Schrecken, die der Dimensionsfahrstuhl in unbekanntem Auftrag über viele Sternenvölker gebracht hat –, ergreift Atlan, der neue Herrscher von Atlantis, die Flucht nach vorn. Nicht gewillt, untätig auf die Dinge zu warten, die nun zwangsläufig auf Pthor zu kommen werden, fliegt er zusammen mit Thalia, der Odinstochter, und einer Gruppe von ausgesuchten Dellos die Randbezirke der Schwarzen Galaxis an. Während Atlan und seine Gefährten im sogenannten Marantroner-Revier eine Fül le von gefährlichen Abenteuern bestehen und letztlich in die Gewalt der Scuddamo ren geraten, der Kämpfer von Chirmor Flog, die den Arkoniden und die Odinstochter dem Meisterträumer zum intensiven Verhör überantworten, hält sich noch ein weite rer Pthorer im Vorfeld der Schwarzen Galaxis auf. Dieser Pthorer wurde durch Raum und Zeit an einen fremden Ort geschleudert und verlor dabei sein Gedächtnis. Der Mann, dem dies zustieß, versteht sich als Noma zar. Die neue Station seiner Odyssee im Rghu-lRevier der Schwarzen Galaxis ist DIE PLANETENSCHLEUSE …
Die Planetenschleuse
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Die Hautpersonen des Romans:
Nomazar - Der Mann ohne Gedächtnis wird als Spion angesehen.
Caehrux - Ein blinder Passagier.
Elkort - Chef der Planetenschleuse.
Yääl - Elkorts Favoritin.
Peleff - Ein geheimnisvoller Valvke.
1. Es war Nomazars zweite Reise mit einem Organschiff, und wenn man bedachte, unter welchen Umständen man ihn vor einigen Tagen von Ximmerrähne nach Achtol trans portiert hatte, so ließ sich ein wesentlicher Fortschritt feststellen. Diesmal war er kein Gefangener. Wenigstens nicht offiziell. Er galt als Begleiter der Fracht, die aus zahllo sen Kunstwerken aller Art bestand. Gleich zeitig aber hatten ihm die Domer selbst den Status eines Kunstwerks verliehen, so daß Nomazar sich als einen beweglichen Teil der Ladung betrachten durfte. Immerhin begeg neten ihm die raupenähnlichen Raumfahrer in der RYGERKALL nicht mit offener Feindseligkeit. Sie beachteten ihn kaum, wenn er durch das Schiff wanderte, und die an sie gerichteten Fragen beantworteten sie einsilbig oder gar nicht – letzteres kam am häufigsten vor. »Richtig gemütlich!« murmelte Nomazar vor sich hin, während er wieder einmal durch die gewundenen Gänge schritt. »Wirklich entzückend!« Er hätte diese Wanderungen längst aufge geben, wäre es in seinem Quartier nicht so unbehaglich gewesen. Die Raupen nämlich waren der Ansicht, daß Frachtstücke in die Laderäume gehörten und keine eigenen Ka binen zu beanspruchen hatten. Auch dann nicht, wenn sie, wie Nomazar, auf zwei Bei nen umherliefen. Der Lagerraum war riesig. Es war warm in ihm, und die Luft roch sogar besser als draußen in den Gängen, wo man immer die scharfen Ausdünstungen der fremden Raumfahrer in die Nase bekam. Aber der Frachtraum enthielt, wie gesagt, haufenweise Kunstgegenstände. Nomazar
fragte sich mittlerweile allen Ernstes, ob er nicht wirklich ein Banause war. Vielleicht lag es aber auch nur am Geschmack der Do mer, die die Ladung zusammengestellt hat ten. Tatsache war, daß er es in der Nähe die ser Sammlung beim besten Willen nicht län ger als ein oder zwei Stunden aushielt. Er fragte sich auch, ob Duuhl Larx, Neffe des Dunklen Oheims und Herr über das RghulRevier, das, was ihm da geschickt wurde, überhaupt gebrauchen konnte. »Vielleicht kommt es ihm gar nicht auf diese sogenannten Kunstwerke selbst an«, überlegte Nomazar laut. »Möglicherweise will er nur die Materialien, und der ganze Kram wird auf Cagendar in eine Mühle ge steckt und zu Staub zermahlen.« Er stellte sich vor, was die Domer dazu sagen würden, wenn dies die Wahrheit traf, und er mußte lachen. Seine Laune besserte sich ein wenig. Er beschloß, sich etwas zu essen zu besorgen. Es gab in der Nähe der Lagerräume eine Art Messe. Hothn, einer der Raumfahrer, hatte sie ihm gezeigt, als er gerade erst an Bord gekommen war. Nomazar hatte inzwi schen herausbekommen, daß diese Messe von den Raupen so gut wie nie aufgesucht wurde, und er hegte den Verdacht, die Ge fälligkeit Hothns hätte einzig und allein dem Zweck gedient, den Zweibeiner von sich selbst fernzuhalten. Er war Hothn nicht böse deswegen. Im Gegenteil, er war selbst froh, wenn er den Raupen nicht allzu oft über den Weg lief. Seitdem er durch Zufall ein halbes Dutzend von ihnen bei einer Mahlzeit beobachtet hat te, zog er es vor, sich in der Messe nur mit solchen Speisen zu versorgen, die er dann draußen auf den Gängen in einem stillen Winkel verzehren konnte. Wenn nämlich
4 seine Blicke nur zufällig auf die Eßgestelle der Raupen fielen, stülpte sich ihm der Ma gen um. Er holte sich daher eine Tafel Fleischkon zentrat aus dem Automaten, dazu einen ge schlossenen Behälter mit einer Art Gemüse suppe und eine Flasche Fruchtsaft. Man konnte dem Neffen Duuhl Larx sicher aller hand nachsagen, aber wenigstens ließ er sei ne Raumfahrer nicht verhungern. Auf den Organschiffen lebte man mit Sicherheit bes ser als auf so manchem Planeten des RghulReviers. Nomazar verzog sich mit seinen Vorräten in einen Nebengang, der bis nahe an die or ganische Schiffshülle heranführte. Er hatte dort einen kleinen Kontrollraum entdeckt, in dem sich ein einzelner Bildschirm spora disch zum Arbeiten bewegen ließ. Der Raum war zu klein, als daß die Raupen ihn hätten benutzen können, und auch die Tür war so eng und niedrig, daß Nomazar sich vor jeder Störung sicher fühlte. Er stellte sei ne Habseligkeiten auf einen Tisch und drückte auf sämtliche Tasten, die sich unter dem Bildschirm befanden, bis die kleine Fläche sich erhellte und dann samtig schwarz wurde, um ihm ein Bild zu zeigen, das ihn immer wieder tief berührte. Dort waren die Sterne, und er wußte, daß jeder einzelne von diesen Lichtpunkten eine Sonne war, und daß die meisten Sonnen von Planeten umkreist wurden. Er wußte sogar, daß die Sonnen, die er jetzt sah, eine höchst ungewöhnliche Eigenschaft besaßen: Sie sa hen aus, als hätten sie alle miteinander einen schwarzen Kern. Sie wirkten drohend und unheimlich. Aber woher hatte er diese Kenntnisse? Woher wußte er zum Beispiel, wie normale Sonnen auszusehen hatten, wenn doch die Dinger mit dem schwarzen Kern das Nor malste waren, was die Schwarze Galaxis zu bieten hatte? Oder woher stammte seine fe ste Überzeugung, daß Organschiffe wie die RYGERKALL etwas Außergewöhnliches waren? Da gab es noch unzählige andere Kleinig-
Marianne Sydow keiten, die ihn irritierten. Er nahm sich fünf zigmal am Tag vor, nicht mehr darüber nachzudenken. Dann geriet er doch wieder ins Grübeln. Er setzte sich an den Tisch und begann zu essen, den Blick auf den Bildschirm gerich tet, und seine Gedanken drehten sich um all die Fragen, mit denen er zu kämpfen hatte. Wer war er? Woher kam er? Warum war er hier? Er fand keine Antwort. »Ich habe meine Herkunft zu meiner eige nen Sicherheit vergessen«, murmelte er zwi schen zwei Bissen vor sich hin, lauschte den Worten nach und schüttelte resignierend den Kopf. Nicht nur seine Herkunft hatte er verges sen, sondern auch seinen Namen. Nomazar – die Kombination stimmte nicht. Einmal hat te er die Buchstaben untereinander ausge tauscht. »Razamon« war schließlich dabei herausgekommen. Wie unter einem inneren Zwang hatte er die in den Staub geschriebe nen Buchstaben wieder ausgelöscht. Ein trockenes Knacken ließ ihn zusam menschrecken. Er fuhr herum und stieß mit dem Ellbogen gegen die Flasche. Im letzten Augenblick hielt er sie fest. Er lauschte – es war still. Aber kaum wandte er sich wieder seiner Mahlzeit zu, da knackte es erneut. »Verdammt!« sagte Nomazar laut und rich tete sich auf. Er hatte nichts zu verbergen. Niemand hatte ihm verboten, diesen Raum zu betreten. Und er hatte schließlich auch ein Recht darauf, wenigstens in Ruhe essen zu können. Es war die einzige Form von Be haglichkeit, die sich für ein Wesen wie ihn in diesem Schiff voller überdimensionaler Raupen und einer noch weit schlimmeren Galionsfigur finden ließ. Er ging zur Tür, öffnete sie und spähte hinaus. Der Gang war leer. Vielleicht hatte ein Gerät die Geräusche von sich gegeben? Aber er hatte sich schon oft in dem klei nen Kontrollraum aufgehalten, und niemals hatte er etwas Ähnliches gehört. Ein Instinkt sagte ihm, daß er nicht alleine war. Etwas Lebendes war in der Nähe, ein
Die Planetenschleuse heimliches Etwas, das sich vor ihm verbor gen hielt. »Komm heraus!« befahl er rauh. »Zeige dich endlich. Ich werde dir nichts tun.« Rechts von ihm raschelte es. Es hörte sich an, als suche etwas in aller Eile die Flucht. »Ich werde dich auch nicht verraten«, fügte Nomazar hinzu. »Ich bin selbst ein Ge fangener auf diesem Schiff. Ich darf mich zwar halbwegs frei bewegen, aber das nützt mir nichts. Für mich gibt es kein Entkom men.« Wieder hörte er das schwache Rascheln, und diesmal war er seiner Sache sicher. Mit einem einzigen Schritt erreichte er die schmale Aussparung zwischen zwei Geräte blöcken. Ein etwa halb meterbreiter Spalt führte dahinter an den Wänden entlang. No mazar sah noch eine Bewegung zu seinen Füßen, dann ging er in die Knie und blickte in den Zwischenraum hinein. Da stand er seinem seltsamen Besucher Auge in Auge gegenüber. »Wer bist du denn!« entfuhr es ihm in sei ner Überraschung. Das Wesen drückte sich ängstlich an die Wand. Es schien vor Furcht förmlich zu zer fließen. Seine Angst war so stark, daß sie es sogar an einer eiligen Flucht hinderte. »Ich will wirklich nichts von dir«, versi cherte Nomazar kopfschüttelnd und zeigte seine leeren Hände vor. »Komm doch da heraus. Setz dich zu mir, du kannst etwas mit mir essen. Ich würde mich darüber freu en. Seit ich an Bord gekommen bin, habe ich keine zehn Worte mehr mit irgend jeman dem gewechselt.« Das Wesen schwieg. Im schwachen Licht sah Nomazar ein Gebilde, das einer Flunder ähnelte. Das Wesen war etwa eineinhalb Meter hoch, aber so flach, daß sein Körper auch an der dicksten Stelle nicht mehr als ei ne Handbreit weit von der Wand abstand. Die Kreatur schien im Umriß dreieckig zu sein. An ihrem spitzen Ende saßen große, blauleuchtende Augen mit gelben Punkten darin. Mehr ließ sich bei dieser Beleuchtung nicht erkennen, ausgenommen die heftigen
5 Atembewegungen des ganzen Körpers. »Na gut«, murmelte Nomazar nach eini ger Zeit. »Wenn du nicht willst, kann ich dich schließlich nicht dazu zwingen, mit mir zu reden. Reden hilft manchmal, weißt du? Es ist Balsam für die Seele. Aber das glaubst du mir sicher auch nicht. Macht nichts, ich bin dir nicht böse deswegen. Ich werde eben an einer anderen Stelle weiter essen. Oder soll ich dir etwas da lassen? Vielleicht hast du Hunger – ich kann mir ja etwas Neues besorgen. Einverstanden?« Er war fast an der Tür, da vernahm er die leise, dunkle Stimme hinter sich. »Warum tust du das?« Nomazar blieb stehen, aber er drehte sich nicht um. »Warum?« Er lachte leise auf. »Weil du vermutlich noch schlechter dran bist als ich. Leute wie wir sollten zusammenhalten.« »Du könntest mich bei den Raupen verra ten. Dann werden sie dich belohnen, und vielleicht kommst du doch noch aus diesem Schiff heraus.« »Du irrst dich, mein Freund«, sagte No mazar sanft. »Auch wenn ich zehn blinde Passagiere auftreiben könnte, wäre mir da mit nicht geholfen. Man bringt mich nach Cagendar, falls dir das etwas sagt. Die RY GERKALL wird mich in der Planeten schleuse abliefern. Dort erwartet man mich bereits. Glaubst du immer noch, ein Verrat könnte mir besondere Vergünstigungen ein bringen?« Für ein paar Sekunden blieb es still, und Nomazar befürchtete schon, der flache Fremde könne sich erneut zurückgezogen haben. »Dann bist in Wirklichkeit du schlimmer dran als ich«, sagte der Fremde endlich. »Armer Kerl. Du weißt vermutlich gar nicht, was dir bevorsteht.« »Du könntest mich über das, was mich er wartet, aufklären«, schlug Nomazar vor. Er hörte ein Glucksen und ein Knacken und drehte sich ganz langsam um. Das We sen setzte hastig die Flasche ab. »Entschuldige«, murmelte es verlegen.
6 »Ich habe seit fast zwei Tagen nichts getrun ken.« »Aber warum denn nicht? In die Messe dort drüben kommen die Raupen doch so gut wie nie.« »Es gibt Kameras dort«, erklärte die fla che Kreatur. »Und Sensoren, die die Annä herung jedes lebenden Wesens feststellen. Es wäre zu gefährlich für mich gewesen, da hineinzugehen. Darf ich?« Der Fremde deutete mit einem spindel dürren Ärmchen auf die Flasche, und Noma zar nickte. Er besann sich gerade noch recht zeitig darauf, daß diese Geste der flachen Kreatur vermutlich gar nichts sagte. »Bediene dich«, murmelte er. »Ich kann mehr davon besorgen. Bist du auf Achtol an Bord gekommen?« Das Wesen ließ den Inhalt der Flasche in sich hineingluckern, ehe es antwortete. »Ja, auf Achtol. Ein lausiger Planet, wenn du mich fragst. Ich habe es nur ein paar Ta ge dort ausgehalten. Oh, ich wollte natürlich nie nach Achtol, wußte schließlich schon vorher, daß dort nichts für mich zu holen war. Aber das Schiff, mit dem ich reiste, war schon alt und halb verrottet. Ich hörte gerade noch rechtzeitig, daß man es rückführen wollte. Da bin ich auf den erstbesten Raumer umgestiegen, den ich erreichen konnte – und der brachte mich nach Achtol. Ich woll te mich wenigstens mal umsehen. Als ich zurückkam, war der Raumer weg.« Nomazar setzte sich hin. Er brauchte jetzt einen klaren Kopf, das spürte er. Vorher war das Wesen schweigsam wie eine echte Flun der gewesen – jetzt redete es wie ein Was serfall. »Was ist rückführen?« fragte er. »Weißt du das nicht? Die Organschiffe werden auf bestimmten Planeten in ihre Be standteile zerlegt. Die organische Masse wird ebenso eingeschmolzen wie alles Me tallische. Aus den Grundsubstanzen setzt man dann neue Schiffe zusammen.« »Aha. Wie heißt du eigentlich?« »Caehrux«, antwortete der Fremde. »Und du?«
Marianne Sydow »Nomazar. Lebt dein Volk hier im RghulRevier?« Caehrux lachte glucksend. »Mir scheint, du bist fremd hier. Nein, wir leben auf keinem bestimmten Planeten. Es gibt nicht mehr viele von uns. Wir sind auf den Schiffen zu Hause.« Nomazar betrachtete seinen neuen Be kannten, und ein unbestimmter Verdacht stieg in ihm auf. Der Fremde sah tatsächlich aus wie ein Dreieck. An der unteren, breiten Kante be wegten sich dünne, grünliche Fransen. Sonst war der Körper grau, aber es schien, als kön ne er seine Farben ändern, denn manchmal zogen farbige Schlieren über die rauhe Haut. Das Wesen sah haargenau so aus, als könnte es sich auch in den engsten Spalten und Rit zen verbergen und sich unauffällig durch die kleinsten Hohlräume bewegen. Aber warum hatte Caehrux Schwierigkei ten mit der Versorgung? Es war das einzige, das nicht ins Bild paßte. Nomazar fragte den Fremden danach. »Uh!« machte Caehrux. »Die Kameras und Sensoren sind nicht immer in Betrieb. Es ist sogar höchst ungewöhnlich, daß man sie einschaltet. Aber da du sagst, daß die RYGERKALL nach Guhrno fliegt …« »Ist Guhrno ein Planet?« »Was denn sonst? Es ist die vierte Welt des Nurschug-Systems. Und das Nurschug-Sy stem ist die Planetenschleuse. Jedenfalls, da die RYGERKALL dorthin unterwegs ist, wundert mich gar nichts mehr. Sie wollen ganz sicher gehen … Nun, wir werden se hen. So leicht bekommen sie mich nicht.« »Warum sollten sie dich überhaupt ja gen?« »Ha, das ist eine gute Frage. Sieh mal, wir Rux leben seit undenklichen Zeiten in Raumschiffen. Wir wissen selbst nicht mehr, woher wir eigentlich stammen und wie wir zu diesem Dasein gekommen sind. Aber wir haben uns natürlich diesem Leben angepaßt. Die meisten Wesen sind entsetzt und wü tend, wenn sie fremdes Leben in ihrem Schiff entdecken. Sie haben viele von uns
Die Planetenschleuse gejagt und erschlagen, als wären wir Unge ziefer.« Was wohl auch so ungefähr der Wahrheit entsprechen dürfte, dachte Nomazar, aber er hütete sich, diesen Gedanken laut auszuspre chen. »Dabei tun wir niemandem etwas«, versi cherte Caehrux. »Wir brauchen auch wenig Nahrung und Wasser, und wir beanspruchen noch weniger Platz.« Nomazar wartete ab. »Aber«, fuhr der Fremde zögernd fort, »auf die Dauer wird es ziemlich langweilig, immer nur von einem Versteck ins andere zu kriechen. Wir sind ein bißchen neugierig. Und wir verstehen uns auf bestimmte Tech niken. Wir erfahren so ungefähr alles, was in einem Schiff vorgeht, oder was es mit dem Volk, zu dem die Raumfahrer gehören, auf sich hat.« »Mit anderen Worten: Ihr wißt zuviel.« »So ist es. Duuhl Larx hat wenigstens schon eingesehen, daß er uns nicht restlos aus allen Schiffen vertreiben kann. Aber er ist natürlich wild entschlossen, uns nicht auf Welten wie Guhrno oder Cagendar gelangen zu lassen.« Nomazar witterte eine Chance, Näheres über den Neffen zu erfahren. »Sicher haben es ein paar von euch schon geschafft – trotz aller Hindernisse!« bemerk te er vorsichtig. »Was dachtest du denn? Allmählich wird es zu unserem Lieblingssport in diesem Re vier. Aber ich muß dich enttäuschen. Ich kann dir nichts von dem verraten, was ich weiß. Es wäre zu gefährlich für dich. Man wird dich gründlich untersuchen und verhö ren, und wenn man dann merkt, daß du schon etwas wußtest, bist du so gut wie tot. Ein paar Andeutungen genügen da schon. Man wartet nämlich seit langer Zeit auf et was Bestimmtes.« Caehrux machte eine Pause, und Nomazar beobachtete ihn fasziniert. Er war überzeugt davon, daß Caehrux ihm nur die halbe Wahrheit über sich und die anderen seines Volkes gesagt hatte. Diese Wesen richteten
7 mit Sicherheit mehr Schaden in einem Raumschiff an, als der Fremde zugeben mochte. Aber das ging Nomazar schließlich nichts an. Tatsache war, daß ihm in diesem Parasiten ein wohlinformierter Gesprächs partner gegenüberstand. Und Nomazar brauchte beides – das Gespräch und die In formationen. »Duuhl Larx und Chirmor Flog hassen sich schon seit langer Zeit«, fuhr Caehrux schließlich fort. »Jeder von ihnen hat sein Revier, von denen keines besser oder schlechter ist als das andere. Aber beide denken offenbar, man hätte sie benachteiligt. Sie versuchen auf jede nur denkbare Weise, sich auszustechen.« »Wer ist Chirmor Flog? Auch ein Neffe des Dunklen Oheims?« »Ja. Er herrscht über das Marantroner-Re vier. Ein Gerücht sagt, daß Chirmor Flog einen Spion in Marsch gesetzt hat, der bis zu Duuhl Larx persönlich vordringen soll.« »Er wird es schwer haben«, bemerkte No mazar trocken. »Wer weiß? Vielleicht bist du sogar die ser Spion.« Nomazar grinste schief. »Falls das ein Scherz sein sollte, ist er nicht sehr gut gelungen«, kommentierte er. »Ich weiß, daß du es nicht bist«, konterte Caehrux ruhig. »Du bist viel zu auffällig. Wesen wie dich gibt es im Rghul-Revier nicht. Chirmor Flog wäre ein Narr, wenn er einen wie dich in einer so wichtigen Mission auf die Reise schickte. Aber man wird auf Guhrno genau diesen Verdacht gegen dich hegen.« »Unsinn«, protestierte Nomazar. »Warum holt man dich dann in die Planetenschleu se?« »Ich wurde nicht geholt!« Nomazar erzählte in Stichworten, wie es ihm bei den Domern ergangen war. »Du siehst«, sagte er, »daß Duuhl Larx oder die Leute in der Planetenschleuse nichts damit zu tun haben. Im Gegenteil – sie werden sicher sehr erstaunt sein, mich in dieser Ladung von angeblichen Kunstwer
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Marianne Sydow
ken zu finden.« Caehrux lachte heftig, und sein Körper krümmte und wand sich wie ein Stück Pa pier, das ins Feuer gefallen war. »Oh, was bist du naiv!« gluckste er, als Nomazar schon nahe daran war, seine Ge duld zu verlieren. »Das war doch ein abge kartetes Spiel. Vertraust du etwa den Do mern? Ihr schlechter Ruf reicht über die Grenzen des Rghul-Reviers hinaus!« »Na, ich weiß nicht«, murmelte Nomazar zweifelnd, aber wenn er an KjonTharo und die anderen dachte, mußte er schon zugeben, daß diese hinterhältigen kleinen Kerle durchaus fähig waren, ein so schmutziges Spiel zu treiben. Aber Solta-Kurl – nein, die konnte nichts damit zu tun haben. Nomazar hätte für die Domerin die Hand ins Feuer gelegt. »Hast du einen von diesen Neffen schon einmal gesehen?« fragte Nomazar, um auf ein anderes Thema zu kommen »Nein, nie mals«, antwortete Caehrux ernst. »Ich wün sche es mir auch nicht.« »Warum?« »Es bringt Unglück«, behauptete der Rux ganz ernsthaft. Nomazar mußte lächeln. Ob Kapitän oder blinder Passagier – ein bißchen Aberglaube gehörte offenbar zu jedem Raumfahrer. Er stutzte. War es wirklich so? Er war überzeugt da von – aber woher wußte er es? Er hatte, seit er ohne Erinnerung vor dem Haus eines ximmerrähnischen Sklavenhändlers erwach te, keinen besonders intensiven Kontakt zu Raumfahrern aller Art gehabt. Wieder eine von diesen vertrackten Erin nerungen. Es war immer dasselbe. Er erin nerte sich an etwas, aber es stand zusam menhanglos vor ihm, und es hatte keinen Sinn, dann noch nachzuforschen und tiefer zu bohren. Er seufzte und sah den Rux an. »Erzähle mir etwas über das Rghul-Re vier«, bat er.
2.
Elkort hatte einen seiner leider viel zu sel tenen Momente glasklarer Erkenntnis. Und gerade in diesem Augenblick sah er Yääl durch den sonnenbeschienenen Innenhof ge hen. Das Leben könnte doch so schön sein, dachte er wehmütig. Warum, bei Peleff, muß ich es mir künstlich schwermachen? »Komm doch her!« bat Sydelär hinter ihm sanft. Elkort drehte sich um, und die ganze glas klare Erkenntnis verflüchtigte sich wie Tau auf einem Wüstenachat. »Laß mich in Ruhe!« murmelte er miß mutig. »Ich habe nachzudenken.« »Störe ich dich dabei?« Er sah sie an. Sie war hübsch. Nicht so schön wie Yääl, aber immerhin … Tausende von Kunen hätten sich glücklich geschätzt, sie in ihrer Nähe zu wissen. Und sie war nicht nur hübsch, sondern auch klug. Yääl dagegen war schlau, gerissen und berech nend. Er wußte das alles. Er wußte auch, daß Yääl ihn nur benutzte. Sie hätte ihn eiskalt in die PELEFFS ATEM geführt, wenn sie sich einen Vorteil davon hätte versprechen können. Mit eigener Hand hätte sie ihm ein Messer durch die Brust gestoßen. Sydelär dagegen wäre ihm selbst dann noch in die Verbannung und in den Tod gefolgt, wenn er sich dagegen gesträubt hätte, denn sie war treu bis zur Selbstaufgabe. »Ja, du störst mich«, sagte er trotzdem. »Geh mir aus den Augen.« Ihre rosa Augen glänzten betrübt, und der gelbe Kammansatz auf ihrem Kopf wurde fast weiß. Aber sie fügte sich ihm ohne Wi derstand und ging leise hinaus. Elkort drehte sich wieder um und sah aus dem Fenster. Yääl verschwand gerade durch eines der großen Muscheltore. Er sah es mit Bedauern. Er fragte sich, wohin sie ging. Das Tor führte zu den Quartieren jener hochgestellten Kunen, die bei allen Besu chen im Palast wohnen durften. Der bloße Gedanke daran, welche Gründe Yääl dazu bewegen mochten, sich ausge rechnet in diesem Palastflügel herumzutrei
Die Planetenschleuse ben, ließ Elkorts Kamm schmerzhaft po chen. Er fuhr sich mit der Hand über das goldfarbene Hautgebilde. »Ich darf mich nicht aufregen«, sagte er zu sich selbst. »Nicht jetzt! Die RYGER KALL muß bald eintreffen, und wenn sie erst da ist, ist Peleff nicht mehr weit. Beim goldenen Muschelhorn, wenn der herausbe kommt, was sich hier abspielt …« Er zog es vor, nicht weiterzudenken. Statt dessen begab er sich zum Heymfloz. Das gigantische Computersystem mit sei nen vielen Nebenräumen bildete das Zen trum des Palasts. So prächtig die restlichen Gebäude auch ausstaffiert waren – gegen das Heymfloz kamen sie nicht an. Dabei sah man von dem Computersystem selbst über haupt nichts. Es lag unter einer hohen, ova len Kuppel aus schimmerndem Metall ver borgen. Auch die wichtigsten Nebenstellen waren unter solchen Kuppeln versteckt, die natürlich kleiner waren als der zentrale Bau. Erst viel weiter außen schlossen sich die aus farbenprächtigen Muschelschalen errichteten Gebäude kunischer Machart an. Selbst El kort, der mächtigste Mann der Planeten schleuse, kam nicht an das eigentliche Heymfloz heran. Ein Handsiegel des Neffen Duuhl Larx hinderte jeden daran, das Com putersystem zu betreten. Wer das Siegel zer brach, der starb eines schrecklichen Todes. Zwar hatte noch niemand es versucht, so daß jede praktische Erfahrung fehlte, aber nie mand zweifelte daran, daß dies die Wahrheit war. An diesem Tage hatte Elkort allerdings auch gar nicht die Absicht, dem Heymfloz zu nahe zu treten. Um das zu erfahren, was ihn jetzt interessierte, brauchte er nicht ein mal nahe an die zentrale Kuppel heranzuge hen. Er suchte einen Beobachtungsraum auf und erkundigte sich nach der RYGER KALL. »Sie wird in den nächsten Stunden lan den«, erklärte ihm ein nervöser Kune. Elkort wollte ärgerlich auffahren, denn das wußte er selbstverständlich auch. Da hörte er hinter sich ein leises Räuspern. Er drehte sich um – da stand Tährezzo. Der
9 junge Mann wirkte ein wenig unglücklich. Elkort fragte sich zum hundertsten Mal, wie er wohl auf die Idee gekommen sein mochte, ausgerechnet Tährezzo einen so hohen Po sten zu verschaffen, denn dieser linkische Kune war immerhin Beobachter und gehörte damit zur Elite derer, die in der Nähe des Computersystems Dienst taten. Die Antwort auf Elkorts Frage war denk bar einfach. Tährezzo war Yääls jüngerer Bruder, und die ehrgeizige junge Kunin leg te Wert darauf, daß alle Angehörigen ihrer Familie gut untergebracht wurden. Vielleicht, dachte Elkort sarkastisch, rech net sie sich aus, daß man nicht so viele wichtige Leute gleichzeitig aus dem Palast entfernen kann, falls mir einmal etwas zu stößt. Dann hat sie einen Rettungsanker, an den sie sich klammern kann. Sie wird wenig stens etwas von ihrem Einfluß behalten. Ob es bei Tährezzo funktionierte, war al lerdings fraglich. Der Junge fühlte sich gar nicht wohl im Palast. Er schlug völlig aus der Art. Anstatt am Heymfloz Dienst zu tun, wäre er lieber an allen Küsten entlanggezo gen, jagend, fischend und forschend. »Was gibt es?« fragte Elkort ungeduldig. Tährezzo sah sich hastig um. Der junge Wächter war längst an seinen Platz zurück gekehrt und hatte sich die Haube über den Kopf gezogen, die ihm unablässig Nachrich ten zuflüsterte. Der Mann hätte nicht einmal dann etwas gehört, wenn neben ihm dreißig Rundmäuler einen Kriegsgesang zum Besten gegeben hätten. »Ich habe gerade Yääl gesehen«, flüsterte Tährezzo nervös. »Sie ging durch das südli che Tor, und wenig später kam sie mit Dilas wieder heraus. Die beiden gingen in die Gär ten. Elkort …« Elkort ballte die Fäuste, aber dann riß er sich zusammen. »Du solltest dich schämen!« fuhr er dem Jungen über den Mund. »Du spionierst dei ner Schwester nach! Hast du denn alles ver gessen, was sie für dich getan hat?« »Nein«, erwiderte Tährezzo trotzig. »Ich habe es nicht vergessen. Aber ich habe auch
10 keinen Grund, vor Dankbarkeit zu zer schmelzen. Ich habe sie nicht darum gebe ten, mich in den Palast zu bringen. Was Yääl betrifft – ich dachte, du solltest Bescheid wissen.« »Dann hast du falsch gedacht«, sagte El kort, und es gelang ihm, seiner Stimme einen ruhigen Klang zu verleihen. »Yääl ist in meinem Auftrag unterwegs. Sie soll Dilas aushorchen.« Er ließ Tährezzo stehen und ging hinaus. Tährezzo würde ihm wahrscheinlich nicht glauben. Der Junge kannte seine Schwester schließlich gut genug, und er kannte auch Elkort. Abgesehen davon hatte Tährezzo von dem den Kunen eigenen Spürsinn eine ungewöhnlich große Portion abbekommen. Und zu allem Überfluß waren Yääls Eskapa den ohnehin im ganzen Palast und bis hinab in die Altstadt bekannt. Ausgerechnet Dilas! Elkort verstand das nicht. Warum tat Yääl so etwas? Sie wußte doch, daß er es erfahren würde. Es gab viel zu viele wohlmeinende Kunen in diesem Palast. Sie alle bildeten sich ein, ihn über Yääls Umtriebe aufklären zu müssen. Insgeheim lachten sie sich wahr scheinlich krumm über ihn. Und Yääl – sie tat, als ginge das alles sie nichts an. Sie hatte keine Angst davor, daß Elkort eines Tages die Geduld mit ihr verlor. Sie konnte es sich auch leisten, denn es war sehr unwahrscheinlich, daß der Kune sich gegen sie behaupten konnte. Erstens waren die Frauen bei den Kunen traditionell ein flußreicher als die Männer. Zweitens hing Elkort fest am Haken der imaginären Angel, die sie nach ihm ausgeworfen hatte. Er sah Keiterzohl-Branz vor sich und ging etwas schneller. Keiterzohl-Branz war Elkorts Drittschwester-Kind. Er mochte ihn sehr und förderte ihn, wo immer er konnte. Der Junge blieb stehen, als er die eiligen Schritte hinter sich hörte und wartete, bis El kort heran war. Er drehte sich nicht einmal um, so sicher war er sich seiner Sache. Er erkannte jedes Wesen, das ihm einmal be gegnet war, an seinen Schritten wieder.
Marianne Sydow »Du hast Sorgen, nicht wahr?« fragte er. Elkort sah Keiterzohl-Branz von der Seite her an und überlegte, ob auch der Junge Be scheid wußte. Sicher war es so. Dem jungen Kunen blieb selten etwas verborgen. »Kannst du mir einen Rat geben?« fragte Elkort gespannt. »Du bist der mächtigste Mann in der gan zen Planetenschleuse«, antwortete Keiterz ohl-Branz bedächtig. »Wie könnte ich es mir erlauben, dir, dem Transfusionsgebundenen, einen Rat zu erteilen?« »Ich bitte dich darum«, sagte Elkort ha stig. »Sprich frei heraus.« Der Junge blieb stehen und sah Elkort ernst an. »Die Wahrheit, Elkort, würde dich nur zornig machen. Und dein Zorn würde mich treffen, nicht die Person, die ihn wirklich verdient. Trotzdem sage ich dir: Nimm dich vor Yääl in acht. Ich weiß, wie schwer das ist, und ich verstehe dich nur zu gut. Sie ist jung, schön und verführerisch. Zu verführe risch. Sie wird dich ins Verderben führen.« Elkort seufzte. »Weißt du«, murmelte er, »mein Verstand sagt mir, daß du recht hast. Meine Gefühle dagegen verlangen von mir, daß ich dich auf der Stelle töte. Ich weiß nicht mehr, wie es weitergehen soll. Peleff wird bald hier ein treffen. Man hat mir Sydelär zur Unterhal tung gegeben, und du weißt, welchen Geset zen ich mich beugen muß. Ich setze mein Leben aufs Spiel, wenn ich Yääl nicht zu rückweise. Das alles weiß ich – und ich kann mich trotzdem nicht danach richten.« »Würde es dir helfen, eine Entscheidung zu treffen, wenn ich dich jetzt zu Yääl brin ge? Könntest du dich aus ihrem Bann lösen, wenn du es sehen würdest?« Elkort erschrak. »Ich will es gar nicht wissen«, sagte er schroff. »Dann ist die Lage hoffnungslos. Du wirst Peleffs Besuch nicht überleben.« »Aber ich bin ein Transfusionsgebunde ner. In meinen Adern fließt das Blut des Neffen. Ich kann keinen Verrat an seinen In
Die Planetenschleuse teressen begehen, das steht fest. Peleff muß meine Bindung zu Yääl respektieren, ob es ihm gefällt oder nicht.« »Eben hast du noch anders darüber ge sprochen. Du redest dir etwas ein, Elkort!« Der Transfusionsgebundene schwieg. Er hatte das Gefühl, auf einem schwankenden Brett über einen Abgrund zu gehen. »Wenn du es nicht kannst«, sagte Keiterz ohl-Branz drängend, »dann laß mich das er ledigen. Du brauchst nicht selbst hinzuge hen. Ich werde dir alle Beweise besorgen.« »Nein«, sagte Elkort kaum hörbar. »Nein, das wirst du auf gar keinen Fall tun. Ich dul de es nicht.« »Dann gib mir den Befehl, Yääl einzu sperren, bis Peleff wieder abgeflogen ist.« Elkort zögerte. Es war eine Lösung. Wenn er Glück hatte, war es sogar die Rettung für ihn. Auch wenn jeder im Palast wußte, was da vorgegangen war, so würde doch keiner es wagen, aus freien Stücken zu Peleff zu gehen und ihm davon zu berichten. Sie würden schweigen – nicht aus Loyalität Elkort gegenüber, son dern weil ihre Angst vor Peleff größer war als ihre Klatschsucht. Und Yääl würde es überstehen. Sie war robust genug, um auch mit Ärgerem fertig zu werden. Natürlich würde sie wütend sein und eine saftige Entschädigung verlangen, aber sobald Peleff verschwunden war, bilde te das alles kein Problem mehr. »Gut«, sagte er entschlossen. »Ich danke dir, Keiterzohl. Ohne deine Hilfe würde es böse für mich aussehen. Fange sie also ab und sperre sie ein – aber an einem Ort, an den Peleff nicht so schnell gelangt. Er darf sie auf keinen Fall finden. In ihrer Wut wäre sie nämlich imstande, alles zu zerbrechen.« »Das weiß ich«, versicherte KeiterzohlBranz. Die beiden Kunen sahen sich an. Plötzlich trat Elkort einen Schritt vor. Die Stielaugen der beiden Männer berührten sich für einen Augenblick – es war der uralte Brudergruß ihres Volkes, das Zeichen höch sten Vertrauens. Es gab nach dieser Geste nichts mehr zu
11 sagen. Sie würden füreinander einstehen und notfalls ihr Leben füreinander geben. Als er in seinen Palastflügel zurückkehrte, fühlte Elkort sich zum erstenmal seit vielen Tagen wieder frei und beschwingt. Eine Stunde später brachte man ihm Kei terzohl-Branz. Der Junge sah furchtbar aus, und er war bereits so gut wie tot. Elkort be trachtete seine Wunden, die langen, tiefen Schnitte, immer sieben eng beieinander. Ein siebenschneidiges Messer, geschnitzt aus den Schalen der Felsenmuschel – die traditionelle Waffe derer von Dilas. Da nur einer aus dieser Sippe im Palast weilte, gab es über die Identität des Mörders keine Zweifel. Elkort gedachte des Grußes, den er mit dem Jungen getauscht hatte, und er schickte zwei Wächter aus, die Dilas herbei brachten. Der Kune vom noch immer wandernden Stamm der Dilas trat hochaufgerichtet vor Elkort hin, erfüllt von trotzigem Stolz und tiefer Verachtung für jenen Mann, der es nicht schaffte, Yääl entweder zu bändigen oder aus dem Palast zu jagen. Elkort ertrug diese Blicke nicht. Er zog das Messer aus der rechten Gürteltasche und stieß es dem Mörder ins Herz. Dilas sank neben Keiterzohl-Branz, und er starb in der selben Sekunde, in der Elkorts Drittschwe ster-Sohn den letzten Atemzug tat. Der Mord war gesühnt, und Elkort hatte die Rache vollzogen, wie das Gesetz der Ku nen es von ihm verlangte. Aber er war nicht sehr glücklich bei diesem Gedanken. Er wußte nur zu gut, daß er nicht den wahren Mörder getötet hatte. Um das Gesetz wirklich zu erfüllen, hätte er Yääls Leiche neben Dilas und Keiterzohl-Branz legen müssen. Genau das aber konnte er nicht tun.
* Als er später in seine Gemächer kam, wartete sie schon auf ihn. »Dilas ist tot«, sagte er zu ihr. Sie lachte nur. »Das weiß ich längst.«
12 »Macht es dir nichts aus?« fragte Elkort, obwohl er die Antwort schon kannte. »Nein. Warum sollte es? Dilas war mir fremd. Soll ich etwa um ihn trauern?« Er griff nach ihr, und sie ließ ihn an sich heran. »Du kanntest ihn sehr gut«, sagte er leise. »Zu gut, Yääl. Du warst mit ihm zusammen, als Keiterzohl-Branz ihn fand. Er hat übri gens nach dir gesucht.« »Aha«, machte sie schnippisch und wand sich geschmeidig aus seinen Händen. »Hast du ihn geschickt? Er hatte eine Waffe in der Hand.« Er konnte ihr einfach nicht die Wahrheit sagen. Sie war so schön. Ihre Augen hatten das schimmernde Rosa frischer Muschelschalen, und der kurze Pelz, der ihren ganzen Körper bedeckte, war weicher als bei allen anderen Kunen. Er schimmerte wie angedunkeltes Silber. Wenn sie sich bewegte, dann war es ihm, als sähe er einem silbrigen Klippenfal ter zu, der im Mondlicht tanzte … Wütend richtete er sich auf. Er benahm sich wie ein armer Narr. Ein Mann in seiner Position, ein Transfusionsgebundener, Herr über die Planetenschleuse und damit fast ein Vertrauter des Neffen Duuhl Larx – und dann poetische Anwandlungen angesichts einer Frau, die seinen Augenbruder ermordet hatte. »Wolltest du nicht etwas sagen?« erkun digte sie sich beiläufig, und dabei stand sie vor einem Spiegel und drapierte ein Ge wand, das mit schwarzen Perlen der Tiefsee besetzt war, um ihre zierlichen Schultern. Er wandte sich wortlos um und ging hin aus. Sydelär! In Stunden der totalen Verwir rung war er bei ihr am besten aufgehoben. Natürlich konnte er mit ihr nicht über seine wirklichen Sorgen reden. Aber seitdem Kei terzohl-Branz tot war, hatte er ohnehin nie manden mehr, dem er wirklich vertrauen durfte. Es spielte also keine Rolle mehr, zu wem er ging. Alleine jedenfalls mochte er jetzt nicht sein.
Marianne Sydow Sydelär begrüßte ihn sanft und liebevoll, wie er es gewöhnt war. Er hatte sich nie den Kopf darüber zerbrochen, ob sie ihn wirk lich mochte. Sie war für ihn ausgewählt worden, vom Heymfloz, und dieses handelte auf Befehl des Neffen. Man konnte also ge trost sagen, daß Duuhl Larx höchstpersön lich ihm diese Kunin zugeteilt hatte. Das wäre für einen Transfusionsgebundenen ei gentlich Grund genug gewesen, Sydelär al len anderen Frauen vorzuziehen, und Elkort hatte das auch getan und sich streng an die Regeln gehalten. Bis Yääl auftauchte. Entkam er denn heute nirgends diesen grauenhaften Erinnerungen? »Du siehst so müde aus«, sagte Sydelär besorgt. »Komm, ruh dich ein wenig aus. Möchtest du ein bißchen Musik hören?« Er nickte und ließ sich auf ein weiches Lager gleiten. Sydelär holte die kleine Wü stenharfe und begann zu spielen. Es war ei nes der uralten Lieder, die die Kunen schon gesungen hatten, als sie noch nicht einmal ahnten, daß es den Neffen und all die ande ren Dinge im Rghul-Revier überhaupt gab Damals zogen sie noch frei und wild in Fa milienverbänden durch die Wüsten, die das Innere der Kontinente füllten. Sie ritten auf stolzen, wildäugigen Tieren mit langen Bei nen und dichtem Fell. An den Küsten, in den Dörfern der wenigen seßhaften Kunen, tauschten sie Waren und Tiere gegen die schuppigen Eranks aus, die noch heute hier und da in winzigen Beständen lebten, und auf den Rücken dieser Tiere zogen die Kara wanen durch Meeresarme und sogar über den freien Ozean zu anderen Küsten, an de nen es neue Waren zu erwerben gab. Elkort lauschte den vertrauten Klängen, und in seiner tiefen seelischen Erschöpfung keimte in ihm die Sehnsucht nach dieser schönen, freien Zeit, in der die Probleme übersehbar, die Fronten klar und die Ehre der Sippen unantastbar gewesen waren. Sydelär spürte eher als daß sie wußte, was in Elkort vorging, und sie spielte andere Lie der, die zu der augenblicklichen Stimmung des Transfusionsgebundenen paßten. Nach
Die Planetenschleuse etwa einer Stunde durchdrang ein alarmie render Gedanke den Nebel, den die Erinne rung um Elkorts Gehirn gelegt hatte. Er schrocken richtete er sich auf. Sydelär brach das letzte Lied mit einem kurzen Akkord ab. »Du mußt jetzt gehen, nicht wahr?« Er hörte ihre Frage und blieb regungslos sitzen. Seine Gedanken liefen wirr durchein ander. Er mußte sie ordnen, bevor er diesen Raum verließ. Verschwommen kam ihm zu Bewußtsein, daß er Sydelär dankbar sein mußte. Sie hatte sich auf die Verhältnisse eingestellt. Sie verlangte nichts von ihm, sondern war einfach nur da, wenn er sie brauchte. In diesen Sekunden schwor er sich, Yääl davonzujagen und Sydelär für all das zu entschädigen, was sie so lange ertra gen hatte. Aber dabei wußte er bereits, daß er es nicht tun würde. Er konnte nicht. Er war ein Gefangener. Na schön, dachte er. Wenn es so ist, muß ich damit fertig werden. Duuhl Larx ver langt von uns Transfusionsgebundenen, von denen es sowieso nur eine Handvoll gibt, daß wir alle Bindungen zu unserem Volk vergessen, daß wir keine Familien gründen und unsere Traditionen mit Füßen treten. Aber Duuhl Larx ist kein Kune. Er wird uns nie verstehen – und die anderen Transfusi onsgebundenen auch nicht. Die Entspannung hatte trotzdem ihre Wir kung getan. Er fühlte sich schon viel besser, als er Sydelärs Räume verließ. Aber als er vor seinen offiziellen Gemä chern den Boten sah, der schon auf Elkort wartete, wurde ihm sofort wieder ganz flau zumute. »Die RYGERKALL ist gelandet«, teilte der Bote ihm mit. »Onnytschan läßt fragen, wie mit dem fremden Wesen verfahren wer den soll.« Elkort sah den Boten ausdruckslos an. »Ich werde Onnytschan selbst benachrich tigen«, sagte er schließlich. Der Bote entfernte sich, und Elkort eilte in seine Räume. »Der Fremde wird, wie üblich, vom Heymfloz überprüft«, teilte er Onnytschan
13 wenig später mit. »Aber die Untersuchungen werden an Bord der RYGERKALL durch geführt. Der Fremde darf das Schiff auf kei nen Fall verlassen. Sorge dafür, daß die ent sprechenden Koppelschaltungen vorgenom men werden.« So! dachte er, als er sich zurücklehnte. Dagegen dürfte selbst Peleff nichts einzu wenden haben. Das gibt eventuell einen Pluspunkt für mich. Er vernahm ein leises Signal, schrak zusammen und ärgerte sich über diese Reaktion. Er war entschieden zu nervös. »Was gibt es?« fragte er grob. »Die PELEFFS ATEM befindet sich in direktem Anflug auf das Nurschug-System«, kam eine Stimme über einen der zahlreichen Laut sprecher um Elkort herum. Dem Transfusionsgebundenen stockte der Atem. Er hatte nicht damit gerechnet, daß es so schnell gehen würde. »Es ist gut«, sagte er und unterbrach die Verbindung, denn er spürte, daß ihm die Stimme versagen würde, falls er versuchte, einen längeren Kommentar zu dieser Mel dung zu geben. Er hob seine zitternden Hände und be trachtete sie, als gehörten sie gar nicht zu ihm. Schließlich nickte er grimmig. Es hatte keinen Sinn, noch länger an den Tatsachen vorbeizudenken. Er brauchte Hilfe. Er befahl Kammdeuter Lasork zu sich. Der Arzt warf nur einen einzigen Blick auf den Transfusionsgebundenen, dann kramte er aus seinen Taschen einen kleinen Beutel hervor. Er ließ ein halbes Dutzend streng riechender, dunkelgrüner Körner in eine kleine Schale rollen. Elkort schluckte trocken. Daß es ihm schlecht ging, wußte er, aber daß der Kammdeuter seinen Zustand für so ernst hielt, erschreckte ihn doch ein wenig. Diese Körner waren eine ebenso seltene wie teure Medizin. Mit einer Handvoll davon konnte man Elkorts Privatquartier samt allem In ventar erstehen. »Nimm für den Anfang zwei davon«, empfahl Lasork mit jener geschäftsmäßigen
14 Freundlichkeit, die ein Kennzeichen seiner Gilde war. »Dann eine nach zwei Stunden, die nächste nach vier und so weiter.« Elkort nickte und würgte die ersten beiden Körner hinunter. Schon nach einer Minute spürte er die Wirkung. Er wurde ruhiger. Die Sorgen waren nach wie vor vorhanden, aber er gewann innerlich Abstand zu ihnen, und das tat ihm sehr gut. Er konnte einiger maßen über alles nachdenken. Plötzlich fand er, daß die ganze Sache gar nicht so düster aussah. Gewiß, er mußte mit Yääl rechnen. Aber wenn Yääl auch nur halbwegs logisch zu denken vermochte – und sie hatte oft genug bewiesen, daß ihr das keine Schwierigkeiten bereitete –, so würde sie sich in der Zeit, in der Peleff sich auf Guhrno aufhielt, zurückhalten. Er mußte mit ihr reden. Sie war schlau – sie würde verstehen, worauf es ankam. Sie mußte es einfach verstehen! Aber er durfte diese Unterredung nicht in ihren Gemächern führen. War er erst einmal dort, dann war es für alles zu spät. Er ließ sie rufen. Damit machte er ihr klar, daß dies ein offizielles Gespräch war. Sie begriff das auch, das sah er an der Art, wie sie die Tür hinter sich schloß und abwartend stehen blieb. »Setz dich«, sagte er. »Und hör mir zu. Wenn du deinen Kopf retten willst, dann wirst du meinen Rat befolgen.« Sie hörte tatsächlich zu. Aber er war sich nicht ganz sicher, ob sie sich nach seinen Anweisungen richten würde. Verstanden hatte sie seine Worte, aber was sie daraus machte, war eine andere Frage. Bei Yääl konnte man nie wissen, woran man war. Er sah ihr nach, als sie ihn verließ, und dabei kämpfte er beharrlich gegen das Unbe hagen an, das ihn schon wieder befiel. Er stellte dann auch prompt fest, daß es höchste Zeit war, das nächste Körnchen zu schlucken. Danach schwand ein Teil seiner Zweifel. Und als er gerade bereit war, allen schlechten Vorzeichen zum Trotz doch noch an ein gutes Ende zu glauben, kam Nach
Marianne Sydow richt vom Heymfloz.
3. Der kleine Bildschirm war dunkel gewor den und ließ sich durch nichts dazu bewe gen, seine Funktion noch einmal aufzuneh men. »Die Landung steht unmittelbar bevor«, kommentierte Caehrux nüchtern. »Sie sind nicht immer so vorsichtig, aber hier, in der Planetenschleuse, müssen sie sich an die Vorschriften halten.« »Ich würde zu gerne sehen, wohin man mich bringt«, murmelte Nomazar. »Du wirst es noch früh genug merken.« Nomazar nickte nur. Er war nicht gerade ängstlich veranlagt, aber wenn er an die na he Zukunft dachte, dann beschlich ihn doch ein sehr ungutes Gefühl. »Ich werde mich bald zurückziehen müs sen«, bemerkte Caehrux. »Schade, daß wir nicht noch eine Weile zusammen reisen kön nen. Du bist ein netter Kerl, Nomazar, auch wenn du reichlich merkwürdig aussiehst. Aber vielleicht sehen wir uns einmal wie der.« »Warte noch einen Augenblick. Kannst du mir einen Tip geben, wie ich mich nach der Landung verhalten soll?« »Ich weiß leider auch nicht, was man auf Guhrno mit dir vorhat. Wahrscheinlich ist es das beste, wenn du erstmal auf alles ein gehst. Warte ab, wie das wirkt. Viel Glück, mein Freund!« Caehrux schlängelte sich zur Tür hinaus. Nomazar folgte ihm hastig, aber als er auf den Gang hinausblickte, war von dem Rux bereits nichts mehr zu sehen. Statt dessen entdeckte er weit vorne eines der Raupenwe sen, das schnaufend herbeigeeilt kam. Selbst auf diese Entfernung hörte man das rhythmi sche Klappern der Beißzangen. »Meine Eskorte«, murmelte Nomazar sar kastisch und ging der »Raupe« entgegen. Der fremde Raumfahrer begrüßte Noma zar recht freundlich, wenigstens für die Be griffe seiner Art. Er trommelte einen kurzen
Die Planetenschleuse Wirbel auf dem harten Boden und starrte Nomazar dabei durchdringend an. »Wie heißt du?« fragte der Mann. »Hothn. Erinnerst du dich etwa nicht mehr an mich?« »Doch, natürlich. Es tut mir leid, Hothn, aber ich kann dich und deine Artgenossen immer noch nicht auseinanderhalten. Was gibt es?« »Wir sind soeben gelandet. Unser Kom mandant hat nachgefragt, ob du dich auf Guhrno umsehen darfst. Schließlich kommt man nicht alle Tage hierher. Es scheinen keine Bedenken dagegen zu bestehen. Aller dings mußt du dich vorher einer Untersu chung unterziehen. Das ist Vorschrift.« Nomazar lachte verächtlich auf. »Warum die Lügen, Hothn?« fragte er grob. »Hast du Angst, du würdest mich sonst nicht in den Raum bekommen, in dem diese Untersuchung stattfindet?« Hothn krümmte sich verlegen. »Ich wollte es dir ein bißchen leichter ma chen«, murmelte er. »Es war nicht böse ge meint.« Nomazar nickte nur. Hothn war kein schlechter Kerl. Für sein Aussehen und seine Tischmanieren konnte er schließlich nichts. Vielleicht waren sogar alle seine Artgenossen von Natur aus sanft und friedlich. Solange sie aber im Auftrag des Neffen Duuhl Larx Dienst auf den Or ganschiffen taten, hatten sie sich nur nach ihren Befehlen zu richten. Nomazar unter drückte mit Mühe den in ihm aufsteigenden Zorn. Je länger er sich in dieser ihm noch immer fremden Welt aufhielt, desto deutli cher sah er das Unrecht, das unzähligen We sen im Namen der Neffen und des Dunklen Oheims angetan wurde. War er hier, um etwas dagegen zu unter nehmen? Aber wie sollte ein einzelner Men sch, der keine Waffen besaß und nicht ein mal frei über seine Erinnerungen verfügen konnte, gegen eine so unheimliche Macht kämpfen? Er schob den Gedanken hastig weg. »Gehen wir«, schlug er vor. »Es hat kei
15 nen Sinn, es lange hinauszuschieben. Um was für eine Untersuchung handelt es sich eigentlich?« »Du wirst vom Heymfloz überprüft. Das Heymfloz ist ein Computersystem. Es be steht bereits eine Verbindung zwischen ihm und einem bestimmten Raum der RYGER KALL.« »Aha. Und was wird das Heymfloz mit mir anfangen?« »Ich weiß es nicht. Einer der Unseren wurde einmal von ihm untersucht. Er konnte sich hinterher nicht mehr daran erinnern, was passiert war. Zuschauer werden von dem Rechensystem nicht geduldet.« »Und wenn das Ergebnis der Untersu chung negativ ist?« »Auch das weiß ich nicht. Wahrscheinlich wirst du die Kammer dann nicht lebend ver lassen.« »Reizende Aussichten«, murmelte Noma zar. Wenig später hielt Hothn vor einer riesi gen Tür an. »Ich wünsche dir Glück«, sagte Hothn. Nomazar sah zu ihm auf. Die riesigen Fa cettenaugen waren unfähig, die Gefühle ih res Besitzers wiederzugeben. Die Oberkie ferzangen vibrierten nervös. Es scheint, dachte Nomazar, als könnte man überall Freunde finden – sogar in der Schwarzen Galaxis. Er nickte dem Raupenwesen fast gerührt zu und öffnete die Tür.
* Er wußte später nur, daß er in einen dunklen Raum gelangt war und plötzlich von einem grellen Lichtstrahl geblendet wurde. Er mußte auf der Stelle das Bewußt sein verloren haben. Sein erster Gedanke galt der Tatsache, daß er es überlebt hatte. Er öffnete vorsichtig die Augen und sah sich um, ohne sich von der Stelle zu rühren. Er schien sich immer noch in der Untersu chungskammer zu befinden. Es war dämme rig, und er konnte fast keine Einzelheiten
16 ausmachen. Nur verschwommen nahm er im Hintergrund einen unförmigen Kasten wahr, an dem ein paar Lichter blinkten. Vorsichtig richtete er sich auf. Er hatte auf dem nackten Boden gelegen, und er fühlte sich wie zerschlagen. Außerdem hatte er Durst. Die Untersuchung mußte wohl ei nige Zeit in Anspruch genommen haben. Er stellte fest, daß er vollständig angezo gen war. An verschiedenen kleinen Anzei chen glaubte er erkennen zu können, daß man ihn für die Untersuchung gar nicht erst entkleidet hatte. Er bemerkte auch keine Elektroden oder ähnlichen Dinge, die dem Heymfloz dazu gedient haben könnten, den Körper des Gefangenen unter die Lupe zu nehmen. »Komische Untersuchung«, murmelte Nomazar und drehte sich langsam um seine Achse. Niemand kam, um ihm etwas zu er klären oder Fragen an ihn zu richten. Auch die Aufforderung, noch irgend etwas abzu warten, blieb aus. So machte er sich kurzer hand davon. Er öffnete die Tür und blickte haargenau auf Hothns klickende Oberkieferzangen. »Ich freue mich für dich«, verkündete das Raupenwesen. »Hast du die ganze Zeit über gewartet?« fragte Nomazar verblüfft. »Es war mir eine selbstverständliche Pflicht. Außerdem hat es ja nicht lange ge dauert, ein paar Minuten nur. Kannst du dich an etwas erinnern?« Hothn fragte nicht aus Neugier. Er inter essierte sich wirklich brennend für das, was in der Kammer geschehen war. »Nein«, murmelte Nomazar. »Leider nicht. Ich war wohl die ganze Zeit über be wußtlos. Ich weiß nur eines: Medizinischen Zwecken dient diese Untersuchung nicht. Wie geht es nun weiter?« »Ich habe eine Anweisung bekommen, dich in dein Quartier zurückzubringen.« »Quartier ist gut. Diese Lagerhalle … Aber lassen wir das. Hat man dir sonst noch etwas gesagt?« »Ich bin leider nicht der Kommandant der
Marianne Sydow RYGERKALL, sondern nur ein einfaches Mitglied der Mannschaft. Wenn ich etwas höre, werde ich es dich wissen lassen. Komm jetzt, wir dürfen nicht zu viel Zeit verlieren.« Hothn brachte Nomazar bis zu dem be wußten Lagerraum. »Es gefällt dir nicht da drin?« fragte er. »Nein. Es ist ungemütlich, und ich habe nicht einmal einen vernünftigen Platz zum Schlafen.« »Wie müßte ein solcher Platz beschaffen sein?« Nomazar mußte lachen. Natürlich hatte das Raupenwesen keine Ahnung davon, was Menschen unter einem Bett verstanden. »Ein paar Decken würden mir schon rei chen«, erklärte er. »Ich werde sehen, daß ich dir welche bringen kann«, versprach Hothn und ent fernte sich schnaufend. Nomazar sah ihm kopfschüttelnd nach. Er fragte sich, was er wohl getan hatte, um die Sympathien dieses riesigen Wesens zu ge winnen. Für einen Moment regte sich Miß trauen in ihm. Vielleicht war alles nur ein Trick. Nein! dachte er energisch. Vorsicht ist ja ganz gut und schön, aber man kann es auch übertreiben! Es hatte keinen Sinn, nach Caehrux zu su chen. Nomazar eilte in jenen Raum, in dem sie sich zuerst getroffen hatten. Er wurde nicht enttäuscht. Caehrux kam schon nach wenigen Sekunden hinter den Geräten her vor. »Du bist in Gefahr«, sagte er ernst. »In sehr großer Gefahr sogar.« »Das ist nichts Neues für mich«, murmel te Nomazar. »Man gewöhnt sich an alles.« »Dieser Computer weiß nicht, was er mit dir anfangen soll«, fuhr Caehrux unbeirrt fort. »Die Untersuchung muß höchst seltsa me Dinge ergeben haben. Das Heymfloz kann nicht über dein Schicksal entscheiden. Jetzt ist der Transfusionsgebundene Elkort am Zuge. Er scheint aber im Augenblick in seiner Macht eingeschränkt zu sein. Ein wei
Die Planetenschleuse teres Schiff wird in Kürze auf Guhrno lan den. Es heißt, daß Peleff persönlich kommt, um sich deiner anzunehmen. Und Peleff hat einen überaus schlechten Ruf. Der ganze Planet scheint vor ihm zu zittern. Wenn er erstmal hier ist, bist du verloren. Falls er dich nicht gleich umbringt, nimmt er dich vermutlich mit, und was dich dann erwartet – nein, ich denke lieber nicht darüber nach. Du mußt fliehen, Nomazar. So schnell wie möglich.« »Fliehen? Welchen Sinn hätte das? Ich käme nicht einmal zur Schleuse hinaus, und selbst wenn ich das schaffen könnte, wäre ich schneller wieder eingefangen, als man bis drei zählen kann. Hier herrscht das Heymfloz, und seit der Untersuchung habe ich vor diesem Ding großen Respekt.« »Der ist auch angebracht. Aber es gibt siebzehn Planeten im Nurschug-System, und die meisten davon enthalten Einrichtungen, die zur Planetenschleuse gehören. Man hat auf Guhrno anscheinend nicht genug Platz, um alle eintreffenden Güter zu überprüfen. Schon jetzt wird die RYGERKALL entla den, und fast alles, was sie an Bord hatte, wird zu anderen Welten geschickt.« Nomazar nickte nachdenklich. »Das läßt die Sache schon anders aussehen«, murmelte er. »Wie hast du das alles eigentlich heraus bekommen?« »Ich habe dem Kommandanten einen Be such abgestattet«, erklärte Caehrux nüch tern. »Komm, ich bringe dich auf einem sel ten benutzten Weg an die richtige Stelle.« Nomazar folgte seinem seltsamen Freund, und seine Verwirrung wuchs, denn es er schien ihm seltsam, daß er sich immer noch frei im Schiff bewegen durfte. Waren die Raupenwesen so leichtsinnig? Oder nur ih rer Sache sehr sicher? Sie kreuzten ein paar Gänge, die, den Spuren nach zu urteilen, sonst intensiv von den raupenförmigen Raumfahrern genutzt wurden. Jetzt waren sie wie ausgestorben. »Weißt du, wo die Kerle stecken?« fragte er Caehrux. »Die meisten schlafen. Sie haben in den
17 letzten Tagen wenig Ruhe gefunden. Und die, die noch wach sind, haben anderes zu tun. Da vorne ist der Lagerraum, den ich meinte. Ich habe gehört, wie ein paar Rau pen sich über die Ladung unterhalten haben. Alles, was es da drinnen gibt, wird in Zu bringerschiffe verladen.« Er stockte kurz und setzte dann nachdenk lich hinzu: »Schade um die vielen schönen Dinge. Ich hätte sie mir gerne noch genauer angese hen. Eine Schande ist es, daß das alles nach Cagendar gebracht wird, wo unsereiner es nicht mehr ansehen kann.« Nomazar verschluckte sich fast. »Sagtest du schöne Dinge?« erkundigte er sich ungläubig. »Ich bin nicht sehr gewandt mit Worten«, verteidigte sich der seltsame blinde Passa gier. »Ich kenne kein Wort, mit dem ich die se herrlichen Schätze wirklich beschreiben könnte.« »Du hättest vielleicht doch bei den Do mern bleiben sollen«, murmelte Nomazar leise vor sich hin. Der Rux hörte es nicht. Er führte Noma zar an eine Tür, die sich geräuschlos öffnen ließ. Nomazar warf einen Blick in die Halle. Ein paar Raupenwesen hielten sich darin auf, aber sie waren weit genug entfernt, und es gab genug Deckungsmöglichkeiten. Of fenbar wurde der größte Teil der Ladearbei ten von Robotern durchgeführt. Ein paar dieser plumpen Maschinen trampelten ganz dicht an der Tür vorbei. Nomazar zuckte un willkürlich zurück. »Sie sind ungefährlich«, flüsterte Caehrux beruhigend. »Es sind primitive Automaten. Sie können nur die Aufgabe erfüllen, die ih nen unmittelbar gestellt wurde. Paß auf, wir gehen jetzt hinein. Halte dich immer dicht hinter mir!« Nomazar hatte allmählich den Eindruck, daß der Rux es genoß, sich um jemanden kümmern zu können Kein Wunder, dachte er. Er dürfte selten genug Gelegenheit dazu haben. Ein angenehmes Leben ist das sicher
18 nicht, sich immer nur verstecken zu müssen. Sie huschten in die Halle hinein. Caehrux bewegte sich absolut lautlos. Nomazar fühlte sich im Vergleich zu ihm wie ein Trampel tier. Zum Glück gab es hohe Kistenstapel, hinter denen sie vor den Blicken der Rau penwesen sicher waren. Nach kurzer Zeit kamen sie an größeren Behältern vorbei, und sie mußten Robotern aus dem Weg gehen, die mit stupider Beharrlichkeit eine Kiste nach der anderen in die Container trugen. Der Rux führte Nomazar zu einem fertig beladenen Behälter. »Vorsicht jetzt!« flüsterte er. »Paß auf, daß uns keiner zu nahe kommt.« »Was hast du vor?« fragte Nomazar ganz leise. »Ich krieche da hinein und suche nach ei nem passenden Versteck für dich.« »Das dachte ich mir, aber …« Es war zu spät. Caehrux glitt in eine Ritze und verschwand. Nomazar sah sich nach den Raupenwesen um, aber die hielten sich noch immer weit entfernt auf. Sie schienen auch nicht besonders aufmerksam zu sein. Die Roboter befaßten sich mit den beladenen Containern nicht mehr. Nomazar wollte gerade an den Kisten hin aufklettern, da tauchte Caehrux wieder auf. »Ich habe etwas gefunden«, berichtete er flüsternd. »Ganz hinten, dicht unter der Oberkante. Ich habe die betreffende Kiste schon gelockert. Komm, wir müssen da hin auf.« Nomazar ergab sich in sein Schicksal. Der hilfsbereite Rux würde ihm sonst ohnehin keine Ruhe lassen. Nomazar hätte lieber et was über den Bestimmungsort der Container herausgefunden, ehe er sich in einen solchen Behälter begab. Am Ende brachte man ihn zu einem Planeten, dessen Atmosphäre für ihn nicht atembar war, und dann saß er ret tungslos in der Falle. Daß er dieses Vorhaben schließlich auf gab, lag daran, daß er sich plötzlich siedend heiß an Hothn erinnerte. Wenn dieser Bur sche sein Versprechen hielt und mit einer Ladung Decken zurückkehrte, mußte er ent-
Marianne Sydow decken, daß Nomazar geflohen war – oder es gerade versuchte. Caehrux zwängte seinen flachen Körper in einen schmalen Spalt zwischen zwei Ki sten, und Augenblicke später kam sein Kopf auf der anderen Seite wieder zum Vor schein. Das sah ziemlich beunruhigend aus. Jeder, der ihn so sah, mußte annehmen, der Rux stünde in unmittelbarer Gefahr, von der Kiste zerquetscht zu werden. Aber dieses flache Wesen verfügte über ungeahnte Kräf te. Caehrux spannte sich an und drückte die Kiste Zentimeter um Zentimeter aus dem Stapel heraus. Nomazar griff zu, und gleich darauf war der Hohlraum freigelegt. »Du bist kräftiger, als du aussiehst«, flü sterte Caehrux anerkennend. »Glaubst du, daß du es da drinnen aushalten wirst?« Nomazar spähte nach unten. Groß war der Raum nicht. »Ein Sarg ist noch enger«, murmelte er und stieg vorsichtig hinab. Zufrieden stellte er fest, daß die abschließende Kiste guten Halt auf einigen vorstehenden Kanten finden würde. Der verbleibende Raum war gerade groß genug, daß er mit ausgestreckten Bei nen darin sitzen konnte. Caehrux blickte zu ihm herab. »Es wird in wenigen Minuten losgehen«, raunte er Nomazar zu. »Es wird also Zeit, daß ich von hier verschwinde. Ich würde dich gerne begleiten, aber ein Rux taugt nichts auf einem Planeten. Ich schiebe jetzt die Kiste herunter. Wirst du dich aus eigener Kraft befreien können?« »Ja, sicher. Mach's gut, Caehrux. Du bist ein netter Bursche!« »Gleichfalls. Viel Glück.« Die Kiste kam herab, und Nomazar diri gierte sie an die richtigen Stellen. Dann machte er es sich so bequem wie möglich und wartete. Durch ein paar Ritzen sickerte etwas Licht in Nomazars Versteck. Nach ei nigen Minuten spürte er, daß der Container sich gleitend bewegte. Er mußte lächeln. Na türlich ging man mit diesem Behälter über aus vorsichtig um, denn er enthielt schließ
Die Planetenschleuse lich wertvolle, zum Teil sehr zerbrechliche Gegenstände. Der Container kam nach kurz er Zeit zum Stillstand. Nomazar wartete, bis er die mittlerweile vertrauten Geräusche der Triebwerke hörte. Er hatte Durst, und er är gerte sich darüber, daß er sich keine Vorräte beschafft hatte. Der Rux hatte ihm keine Zeit für solche Vorbereitungen gelassen. Andererseits war es vielleicht nur gut so, denn einem der Raupenwesen hätte es auf fallen können, wenn der Gefangene plötzlich mehr Appetit als gewöhnlich entwickelte. Er machte es sich so bequem wie mög lich. Wenig später war er eingeschlafen.
4. Elkort nahm geradezu erleichtert die Bot schaft vom Heymfloz entgegen. Er hoffte, jetzt genaue Anweisungen darüber zu erhal ten, was mit dem Fremden, der vermutlich ein Spion war, den Chirmor Flog geschickt hatte, geschehen sollte. Wenn das Heymfloz ein Urteil fällte, dann gab es nicht mehr dar an herumzudeuteln. Das Computersystem hatte immer recht. Die PELEFFS ATEM war noch nicht ge landet, aber sie mußte jeden Moment ein treffen. Elkort, der unter der dämpfenden Wirkung der kleinen Körnchen zu übertrie benem Optimismus neigte, war bereit, es als gutes Omen zu werten, daß die Botschaft vor Peleff bei ihm eingetroffen war. Aber dann kam die Ernüchterung. »Der Fremde namens Nomazar darf nicht nach Cagendar gelangen«, verkündete das Heymfloz kurz und bündig. Elkort brauchte geraume Zeit, um sich von seiner Überraschung zu erholen. »Warum nicht?« wollte er dann wissen. Keine Antwort. »Ist er der Spion, den wir erwartet ha ben?« Schweigen. »Antworte!« schrie Elkort mit über schnappender Stimme. »Eine Antwort ist nicht möglich«, be hauptete das Heymfloz mit tiefer, schleppen
19 der Stimme. »Aha«, machte Elkort und rieb sich den Kamm, in der vagen Hoffnung, er könnte sein Gehirn auf diese Weise in Schwung bringen. Als das nichts half, nahm er mechanisch eines der Körnchen ein. Sofort fühlte er sich besser. Er erinnerte sich plötzlich an die Aufgabe, die er eigentlich hier auf Guhrno zu erfüllen hatte. Es schien, als sei es wieder einmal soweit. Und das ausgerechnet jetzt, in diesem Fall, wo Peleff doch nur auf einen Fehler Elkorts lauern würde! »Du hast nichts herausfinden können«, stellte er fest. »Stimmt das, Heymfloz?« »Es stimmt.« »Du weißt nicht, ob der Fremde ein Spion ist?« »Nein.« »Du kannst aber auch nicht sagen, daß er ein harmloses Wesen ist, das nur einer Kette von Zufällen zufolge nach Guhrno gebracht wurde?« »Nein. Eine Beurteilung des Wesens No mazar ist unmöglich.« »Könnte ein Versagen deinerseits vorlie gen?« »Ausgeschlossen. Ich habe mich selbst ei ner gründlichen Prüfung unterzogen.« »Du darfst also Nomazar allein deswegen nicht nach Cagendar gelangen lassen, weil die Daten, die dir aus der Untersuchung zu geflossen sind, für eine Beurteilung nicht ausreichen?« »Diese Definition ist in allen Punkten richtig.« »Also gut«, murmelte Elkort. Er hatte die se Fragen stellen müssen, um sich Gewiß heit zu verschaffen. Es war Vorschrift. Nachdem er nun wußte, woran er war, hätte er eigentlich nach eigenem Gutdünken mit dem seltsamen Gast verfahren können. Lei der stand ihm Peleff im Wege – und das, be vor der Valvke überhaupt gelandet war. »Das kann ja heiter werden«, murmelte Elkort vor sich hin. Er unterbrach die Verbindung zu dem Computersystem und ließ sich eine andere
20 zu dem Organschiff geben, das den Fremden gebracht hatte. Er schluckte, als er den Kommandanten der RYGERKALL auf dem Bildschirm vor sich sah. Er mochte diese monströsen Wesen nicht, auch wenn sie als besonders treue Diener des Neffen galten. »Bringt den Gefangenen in den Palast«, befahl er schroff. Er schaltete sich aus, ehe das Ungeheuer auf dem Bildschirm antwor ten konnte. Seiner Meinung nach war diese Sache jetzt erstmal erledigt. Er würde sich den Fremden persönlich vornehmen – falls Peleff ihm nicht dazwischenkam. Peleff – das brachte ihn wieder zu seinen persönlichen Sorgen zurück. Er fragte bei den Beobachtern an und er hielt zur Antwort, daß die PELEFFS ATEM gerade landete. Elkort sprang so hastig auf, daß er einen Becher umwarf. Er rannte durch die Gänge zum nächsten Lift, der in den Hauptturm dieses Palastflügels hinauf führte. Während er nach oben fuhr, trat er vor lauter Nervosität von einem Fuß auf den anderen. Endlich öffnete sich die Tür, und er stürmte auf die Plattform hinaus. Von hier oben hatte er einen großartigen Überblick über ganz Bryson – natürlich nicht den gleichnamigen Kontinent, sondern nur die Stadt, aber das reichte auch. Direkt unter dem Turm breiteten sich die Palastgär ten aus. Zur Linken erhob sich die schim mernde HeymflozKuppel. Rechts führte die Prunkstraße zur Stadt hinab, in das Viertel der Kunen, das reich und prächtig aussah, und dann weiter in die Stadt der anderen, der Fremden, die im Auftrag des Neffen auf Guhrno arbeiteten und von den Kunen nur widerwillig geduldet wurden. Wenn man in Gedanken die Prunkstraße noch weiter ver längerte, dann stieß sie schließlich an die schroffen Hänge des Gebirges. Dort, teilwei se in Höhlen und Schluchten hineingebaut, lag die Altstadt, eine verrufene Gegend. Ein anständiger Kune hatte dort nichts verloren. Offiziell waren es nur die Raumfahrer aus den Organschiffen, die in der Altstadt ihren zweifelhaften Vergnügungen nachgingen. Aber inoffiziell hatte Elkort diesem Viertel
Marianne Sydow natürlich auch schon einen Besuch abgestat tet. Das war er seiner Aufgabe als Transfusi onsgebundener schließlich schuldig. Heim lich bedauerte er es, daß er nicht öfter in die Altstadt fahren konnte. Aber im Augenblick konnte nicht einmal dieser Gedanke ihn reizen. Seine ganze Auf merksamkeit galt dem Raumhafen, den er von hier aus ebenfalls sehen konnte. Die Zahl der Organschiffe, die Guhrno im Lauf eines Tages anflogen, war natürlich groß. Hätte man sie alle nach Bryson holen wollen, so wäre es wohl nötig gewesen, den ganzen Kontinent in ein einziges Landefeld zu verwandeln. Das lag offenbar nicht in Duuhl Larx' Interesse. Die Kunen hatten, so bald sie begriffen, was man von ihnen er wartete, eifrig damit begonnen, Bryson um zukrempeln, aber dem hatte man einen Rie gel vorgeschoben. So war der Raumhafen gerade groß genug ausgefallen, daß rund dreihundert Organschiffe darauf Platz fan den, und meistens waren nicht einmal halb so viele da. Nur Schiffe mit besonders wich tiger Fracht durften auf Guhrno landen. Darum war es Elkort auch auf Anhieb möglich, die PELEFFS ATEM zu ent decken, denn dieses Schiff war in jeder Hin sicht ungewöhnlich. Es war riesengroß, nierenförmig, und be saß gewaltige Geschütztürme. Die PELEFFS ATEM brauchte zwei Galionsfi guren. Elkort konnte sie auf diese Entfer nung natürlich nicht erkennen, aber er sah die Bugkuppel, die das Licht der tiefstehen den Sonne zurückwarf. Auf der Plattform stand ein Fernrohr, ein ziemlich altertümliches Gerät, wie es schien. Als Elkort es hier oben aufstellen ließ, da hatte er behauptet, es diene in erster Linie zur Dekoration. Wer auch immer einen Blick durch die uralten, lichtschwachen Lin sen warf, der hatte wahrscheinlich über El korts seltsame Streiche den Kopf geschüt telt. Aber an dem Fernrohr gab es ein klei nes Geheimnis, das nur dem Transfusionsge bundenen bekannt war. Als er jetzt hin durchsah, da erkannte er ganz deutlich die
Die Planetenschleuse Schleuse der PELEFFS ATEM. Die Schleuse war bereits geöffnet, aber Peleff hatte sein Schiff noch nicht verlassen. Das konnte man daran erkennen, daß nur oben in der Schleuse selbst ein paar Roboter Wache standen. Später würden sie am Fuß der Rampe Stellung beziehen, und Elkort schauderte es bei diesem Gedanken. Es paßte zu Peleff, daß er sich mit diesen mechanischen Ungetümen umgab. In der ganzen PELEFFS ATEM gab es kein orga nisches Wesen. Peleff selbst und die beiden Galionsfiguren ausgenommen. Nur Roboter taten dort all das, wozu man in allen anderen Schiffen Raumfahrer benötigte. Es hieß, daß Peleff einen ungewöhnlich hohen Verschleiß an Galionsfiguren hatte. Das lag sicher zum Teil an dem Valvken selbst, der ein speziel les Vergnügen daran fand, andere Lebewe sen zu quälen. Aber sicher waren auch die Verhältnisse in der PELEFFS ATEM daran schuld, wenn die Galionsfiguren früher als gewöhnlich ausfielen. Es mußte furchtbar für sie sein, immer nur die Nähe von Ma schinen zu spüren. Elkort schob diese Ge danken energisch zur Seite. Für einen Trans fusionsgebundenen gehörte es sich nicht, Mitleid mit Galionsfiguren zu entwickeln. Sollte er nach unten gehen und Peleff ent gegenfahren? Es würde vielleicht einen gu ten Eindruck machen. Aber Peleff war nicht sehr empfänglich für so höfliche Gesten. Er war überhaupt nicht gerade gefühlvoll zu nennen. Auch Peleff war ein Transfusionsgebun dener, aber einer von ganz besonderer Art. Das Volk der Valvken hatte sich dereinst ge gen den Neffen aufgelehnt. Es war keine der üblichen Revolutionen gewesen, wie sie überall im Rghul-Revier dann und wann auf flackerten, sondern ein Verrat, der so schwer wog, daß Duuhl Larx persönlich es über nahm, die Valvken zu bestrafen. Bestrafung hieß in diesem Fall, daß der Neffe die Valv ken auslöschte. Peleff war der einzige Über lebende. Natürlich wußte niemand wirklich, was damals geschehen war. Weder Duuhl Larx,
21 noch Peleff selbst hatten sich jemals zu die sem Thema geäußert. Aber es mußte ein furchtbares Geheimnis sein, das den Neffen des Dunklen Oheims und den letzten Valv ken miteinander verband. Peleff jedenfalls hatte einen steilen Aufstieg hinter sich. Er galt als Duuhl Larx' linke Hand, als einer der wenigen echten Vertrauten, die der Neffe besaß. Peleff war kalt und grausam, und wenn er kam, um etwas im Sinn des Neffen zu regeln, dann wagte sich nur ein ausge machter Narr ungerufen in seine Nähe. Elkort hatte nicht die Absicht, sich wie ein Narr aufzuführen. Daher blieb er vorerst auf dem Turm und beobachtete weiter. Peleff ließ sich Zeit. Der Kune, der dem ungebetenen Gast alles Schlechte zutraute, witterte auch hinter dieser scheinbaren Trö delei allerlei Unheil. Je länger er wartete, desto schlimmer wurde es. Bald zitterten ihm die Hände so sehr, daß das Bild der Schleuse vor ihm einen verrückten Tanz auf zuführen schien. Er schluckte hastig aber mals eines der bewußten Körnchen. Die Wirkung setzte sofort ein. Elkort nahm sich vor, den Kammdeuter Lasork großzügig zu belohnen, falls es ihm gelang, die nächsten Tage zu überstehen. Endlich trat Peleff aus dem Schiff. Elkort konnte ihn ganz deutlich sehen, und ein Ge fühl des Ekels befiel ihn. Peleff war viel kleiner als der Kune, dabei aber unglaublich dick. Er trug ein wallendes Gewand mit zurückgeschlagener Kapuze. Sein Kopf war spitz und knochig, die Haut schwarz, die Augen groß und gelb, der Mund ähnelte einem Schnabel, und die Oh ren wirkten wie kleine, aufgesetzte Schalen. Das Schlimmste aber waren die Hände. Sie waren rund und besaßen je zwölf dünne, knochige Finger. Für einen Kunen war Peleff der Inbegriff der Häßlichkeit. Peleff schwebte federleicht die Rampe hinab. Elkort, wie alle von seiner Art schlank, groß und leichtfüßig, wackelte ver ächtlich mit den Stielaugen. Natürlich wäre Peleff auf seinen kurzen Beinen niemals so schnell vorwärtsgekommen. Das ganze Ge
22 heimnis bestand in einer Schwebeanlage, die in das Gewand des Valvken eingearbeitet war. Peleff brachte eine ganze Kompanie von Robotern mit, die sich sofort rund um die PELEFFS ATEM verteilten und dort mit drohenden Waffenarmen Aufstellung nah men, als wäre das Schiff nicht auf Guhrno, sondern auf einem von rebellischen Intelli genzen besiedelten Außenplaneten gelandet. Für Peleff stand ein Fahrzeug bereit, und als sich der Valvke darin zur Stadt fahren ließ, hielt Elkort den Zeitpunkt für gekommen, sich wieder nach unten zu begeben. Das erste, was er sah, als er in der Nähe seiner Gemächer den Lift verließ, war Yääl. Sie stand mit dem Rücken zu ihm, die silbri gen Borsten um ihren Kammansatz hatten sich gesträubt, und in der rechten Hand, die sie leicht zur Seite gestreckt hielt, schwan gen die ledernen Schnüre des Tandryll, der traditionellen Waffe der Frauen. Ihr gegen über drückte sich Sydelär an die Wand. Auch sie hielt ein Tandryll in der Hand, aber die gefährlichen Kugeln hingen still in der Luft. Sie war klar im Nachteil. Hinter ihr war die Wand – sie konnte nicht ausholen, wie Yääl es vermochte. »Yääl!« Elkort rief sie an, ohne lange nachzudenken. Sein einzi ger Gedanke galt Peleff, der jeden Augen blick im Palast eintreffen mußte. Wenn der Valvke nach Sydelär fragte und Elkort ihm eine Leiche präsentieren mußte, war alles verloren. Yääl reagierte nicht. Sie ließ die Kugeln schwingen und fixierte Sydelär, die To desängste ausstand. Das Tandryll konnte furchtbare Wunden reißen. Aber die Frauen aus dem Volk der Kunen setzten diese Waf fe selten in der Absicht ein, jemanden zu tö ten, schon gar nicht dann, wenn sie eine Ge schlechtsgenossin vor sich hatten. Mit dem Tandryll konnte man eine Rivalin so sehr entstellen, daß ihr am Ende nichts anderes mehr übrig blieb, als sich in die Wüste zu rückzuziehen oder in die Altstadt zu gehen. Die Kunen waren überaus empfindlich in dieser Beziehung. Nichts ist auf die Dauer
Marianne Sydow tödlicher als die totale Isolation. »Yääl, hör sofort auf damit!« Sie rührte sich nicht. Er wollte hinter sie treten, besann sich aber im rechten Augen blick und schlug einen Bogen um sie. Als er zwischen ihr und Sydelär stand, zuckten die Schnüre in Yääls Hand. Elkort duckte sich blitzschnell und hörte noch, daß Sydelär sich zu Boden warf. Die Kugeln klirrten. Yääl ließ einen Laut des Schreckens hören. Sie warf das Tandryll von sich. Es landete – und zwar bestimmt nicht zufällig – dicht neben Sydelärs Kopf. »Verzeih mir!« rief Yääl reuevoll und eil te zu Elkort, der sich halb benommen auf rappelte. »Ich habe dich zu spät gesehen. Habe ich dich etwa verletzt!« Er sah sie wütend an und stieß sie von sich, denn sie traf Anstalten, ihn voller Sor ge in die Arme schließen. Er beugte sich zu Sydelär herab. Sie hatte vor Entsetzen das Bewußtsein verloren. »Was geht hier vor?« erkundigte er sich bei Yääl. »Sie ist schuld!« rief die Kunin und deu tete auf Sydelär. »Du machst es dir leicht, wie? Sie kann sich jetzt nicht verteidigen. Hatte ich dich nicht darum gebeten, daß du wenigstens so lange Ruhe hältst, bis Peleff wieder abgeflo gen ist?« »Was kann ich dafür, wenn Sydelär sich wie eine Wahnsinnige benimmt? Weck sie auf und laß dir von ihr erzählen, wie sie sich auf mich gestürzt hat. Sie hätte mich fast umgebracht.« »So sah mir das Ganze auch aus«, be merkte Elkort eisig. »Wenn du auch nur ein bißchen Mut hät test«, rief Yääl wütend, »dann hättest du längst dafür gesorgt, daß Sydelär aus dem Palast verschwindet!« »Sie wurde mir zugeteilt. Ich habe keine Macht darüber, was mit ihr geschieht.« Yääl sah aus, als wollte sie im nächsten Augenblick vor Wut zerspringen. Aber dann riß sie sich zusammen, und Elkort beobach tete fasziniert, wie ihre Haltung sich änderte.
Die Planetenschleuse
23
Yääl konnte blitzschnell umschalten, und El kort bewunderte diese Fähigkeit an ihr. »Kannst du denn nur noch an Peleff den ken?« fragte sie schmeichelnd. »Elkort, denk doch mal nach. Er ist ein Transfusions gebundener, genau wie du. Er hat keinen Grund, dir an den Kragen zu wollen. Was al so soll die ganze Aufregung?« Er hätte es ihr erklären können, aber er bezweifelte, daß das einen Eindruck auf sie machen würde. Sie führte etwas im Schilde. Wenn sie sich in einen Plan verbissen hatte, war es so gut wie unmöglich, sie auf andere Gedanken zu bringen. Außerdem war sie ihm jetzt viel zu nahe. Wenn er nicht auf paßte, würde er Peleff tatsächlich vergessen. Der Valvke kannte Taktgefühl nur vom Hörensagen. Er würde erbarmungslos auf die Suche nach Elkort gehen, wenn er ihn nicht bei seiner Ankunft da vorfand, wo der Transfusionsgebundene hingehörte. Und wen Peleff suchte, den fand er auch. Eine schreckliche Vision stieg vor Elkorts inne rem Auge auf. Er und Yääl, und vor ihnen der fette Valvke, mit einem entsicherten Strahler in den vielfingrigen Klauenhänden … Nein, es gab angenehmere Todesarten. »Geh jetzt«, sagte er rauh. »Es ist besser, wenn Sydelär dich bei ihrem Erwachen nicht vor sich hat.« Yääl fügte sich diesmal ohne lange Dis kussionen. Elkort, der keinen Kammdeuter, nicht einmal Lasork, in diese Geschichte verwickelt wissen mochte, trug die immer noch besinnungslose Sydelär in den nächst besten Raum, schloß die Tür von außen ab und eilte nach unten. Er kam gerade zurecht. Peleff walzte durch den Eingang. In seinem wehenden, hellblauen Gewand sah er aus wie ein Küstenfischer unmittelbar vor der Eiablage. Dieser Vergleich heiterte Elkort auf. Er schritt Peleff entgegen und nahm sich fest vor, sich auf keinen Fall provozie ren zu lassen.
* Elkort mochte noch so gute Vorsätze zu
haben – Peleff brachte sie sogleich ins Wan ken. »Ah, da ist er ja«, sagte er und entblößte in einem grimassenhaften Lächeln zwei Rei hen sehr spitzer Zähne. »Der unüberwindli che Elkort, unser gewissenhafter Verwalter der Planetenschleuse.« Die Worte selbst mochten etwas übertrie ben wirken, aber sie hielten sich immerhin noch in den Grenzen der Höflichkeit. Aber Peleffs Stimme zerstörte diesen günstigen Eindruck. Sie war so voller Hohn, daß El kort erschrocken zurückzuckte. Etwas müh sam fing er sich wieder. »Du hast eine lange Reise hinter dir«, meinte er vorsichtig. »Darf ich dir eine Er frischung anbieten?« »Das ist zu gütig. Leider liegt mir nichts an deiner Art von Erfrischung.« Das klang so anzüglich, daß Elkort den Valvken nur noch mißtrauisch anstarren konnte. Wußte Peleff etwa schon, was sich hier im Palast abspielte? Aber nein, das konnte doch gar nicht sein. Auch Peleff konnte sich keine Informatio nen aus dem Nichts beschaffen. Noch hatte er mit niemandem gesprochen, abgesehen von ein paar nichtssagenden Bemerkungen zu den Palastwachen und ähnlichen unterge ordneten Leuten. Sie alle würden sich eher die Zunge abbeißen, als Peleff über das komplizierte Verhältnis Elkorts zu Yääl und Sydelär aufzuklären. Elkort klammerte sich an diese Überzeu gung. »Nun, Elkort«, hörte er Peleffs spöttische Stimme, »wo ist dieser seltsame Bursche, der angeblich aus dem Marantroner-Revier zu uns gekommen ist?« Elkort schrak zusammen. Richtig. Wo blieb der Gefangene? Er hat te doch Anweisung gegeben, ihn in den Pa last zu schaffen! »Ich werde sofort nachfragen«, versicher te er. »Seltsam, daß das überhaupt nötig ist«, bemerkte Peleff ironisch. »Man sollte doch annehmen, daß du über jeden Schritt des
24 Fremden informiert bist!« Elkort wandte sich ärgerlich ab. Er war nicht einmal mehr fähig, eine gesunde Wut gegenüber dem Valvken zu empfinden. Er war ganz einfach innerlich wie paralysiert. In einem plötzlichen Anfall von Hellsichtig keit erfaßte er auch den Grund für diesen Zustand: Er hatte zu viele von Lasorks Körnchen geschluckt. Dabei hatte der Kammdeuter ihn ausdrücklich gewarnt, man konnte ihm also nicht einmal einen Vorwurf machen. Es war allein Elkorts Schuld. »Was ist denn mit dir?« fragte Peleff höh nisch. »Du wackelst ja dahin, als wärest du berauscht.« Erschrocken riß Elkort sich zusammen. Er ließ sich mit der RYGERKALL verbinden. »Wo bleibt der Gefangene«, fuhr er den Kommandanten des Organschiffs an. Das monströse Wesen starrte vom Bild schirm her ausdruckslos auf Elkort herab. »Er ist geflohen«, verkündete der Kom mandant. Elkort war wie gelähmt. »Geflohen?« echote er schließlich, und es hörte sich nicht sehr intelligent an. »Du hast richtig verstanden.« »Wann? Wie? Womit? Rede endlich!« Der riesige Kopf mit den Netzaugen, die stets ausdruckslos wirkten, bewegte sich ein wenig. »Der Fremde floh direkt nach der Unter suchung durch das Heymfloz«, erklärte der Kommandant der RYGERKALL. »Da die Schleusen unter ständiger Überwachung standen, gab es für ihn nur einen Weg: Er verbarg sich in einem Teil der Ladung. Und dann ließ er sich auf einen der anderen Pla neten dieses Systems bringen. Wir haben es erst bemerkt, als wir nach ihm zu suchen be gannen.« Elkort schnappte krampfhaft nach Luft. Er konnte Peleff im Moment nicht sehen, aber er spürte förmlich die scharfen, höhnischen Blicke des Valvken im Rücken. »Durchsucht noch einmal das ganze Schiff«, befahl er, und seine Stimme klang seltsam flach. »Wie konnte es geschehen,
Marianne Sydow daß der Fremde seine Zelle verließ, ohne da mit einen Alarm auszulösen?« »Er war nicht in einer Zelle«, erklärte der Kommandant mit leiser Verwunderung. »Er kam als Begleiter und Teil der Fracht an Bord. Er lebte dementsprechend in einem Lagerraum, der nicht abgeschlossen war, da mit er sich in den dafür vorgesehenen Räu men mit Nahrung und Getränken versorgen konnte.« Elkort hörte den Valvken rauh auflachen. Er stellte dem Kommandanten keine Fra gen mehr. Hastig unterbrach er die Verbin dung. Wenn er jetzt nämlich fragte, warum Nomazar nicht wenigstens nach der Lan dung etwas weniger komfortabel unterge bracht worden war, dann mußte der Kom mandant die Wahrheit sagen – nämlich, daß Elkort selbst es versäumt hatte, die entspre chenden Anweisungen zu geben. Natürlich sollte man meinen, daß die Bur schen in der RYGERKALL fähig waren, ein wenig mitzudenken; daß sie von selbst auf die richtigen Antworten kamen; daß sie vor allem einen so wichtigen Gefangenen nicht einfach frei herumlaufen ließen. Alle Vor würfe halfen nichts, denn sie brachten No mazar nicht zurück. »Nun?« fragte Peleff scharf. Elkort zuckte zusammen. »Er kann ja nicht weit kommen«, mur melte er, und er vermied es, sich umzudre hen. Er wollte Peleff nicht auch noch sehen. Es genügte ihm vollauf, die höhnische Stim me des Valvken zu hören. »Er kommt nicht über die Grenzen des Nurschug-Systems hinaus. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir ihn finden.« »Zeit«, rief Peleff aus. »Mein Lieber, Zeit ist das, was mir fehlt. Es gibt mehr zu tun, als hier bei euch einem Wesen nachzujagen, das durch die Unfähigkeit einiger eingebil deter Narren entkommen konnte. Und der größte unter all den Narren bist du, Elkort! Sorge dafür, daß Nomazar nach Guhrno zu rückgeschafft wird, aber schnell!« Elkort fühlte sich plötzlich unsagbar mü de.
Die Planetenschleuse »Ich werde ihn herbeischaffen«, ver sprach er erschöpft. »Hoffentlich«, knurrte Peleff. Elkort er teilte Befehle, aber es war, als stünde er in Wahrheit als unsichtbarer Beobachter dane ben und beobachtete sich selbst. Er sah sich Handgriffe ausführen und hörte seinen Mund sprechen, aber in Wirklichkeit war er gar nicht beteiligt. Als alles erledigt war, blieb er wie eine Marionette, deren Fäden nicht mehr bewegt wurden, an seinem Platz sitzen.
5. Irgendwo war eine Bewegung, und No mazar erwachte. Er hatte sich gut in der Ge walt – er rührte sich nicht, schlug nur die Augen auf und lauschte. Es war dunkel in seinem Versteck. Er leckte sich über die spröden Lippen und überlegte, wie lange er es noch aushalten könnte, ehe der Durst ihn umbrachte. Dabei war diese Frage überflüssig, denn schon lan ge vorher würde der Punkt kommen, an dem der einsame Mann nicht mehr imstande war, all die Dinge zu tun, mit denen ein Gejagter sich über Wasser halten konnte – rennen, springen, kämpfen … Ein leises Klappern ließ ihn aufschrecken. Das Geräusch war ihm ganz nahe. Es schien, als würde rechts von ihm, hinter den zwei oder drei Kisten, die ihn von der Außen wand des Containers trennten, mit Werkzeu gen hantiert. Erst jetzt merkte er, daß die Geräusche der arbeitenden Triebwerke ver schwunden waren. Behutsam richtete er sich auf, so weit es ihm möglich war. Er fragte sich, ob er nicht einer verhäng nisvollen Täuschung aufsaß. Konnte das Schiff überhaupt so schnell gelandet sein? Hatte er den ganzen Flug verschlafen? Mög licherweise trieb das Schiff nur im freien Fall zwischen den Planeten von Nurschug dahin. Er schob sich dicht an eine Ritze her an und sog prüfend die Luft ein. Es roch seltsam, fast so, als gäbe es ganz in der Nähe einen von Feuchtigkeit triefenden Wald.
25 Und dann das Licht. Es war blau und sehr hell. Caehrux hatte ihm erzählt, daß Nur schug eine große, blaue Sonne war. Also waren sie doch gelandet. Nomazar hätte etwas darum gegeben, einen Zeitmes ser zu besitzen. Er ahnte, daß er sehr lange geschlafen hatte. Es mußte an dieser Unter suchung liegen. Sie hatte ihn viel Kraft ge kostet, obwohl sie nach Hothns Aussage nur wenige Minuten gedauert hatte. Er mußte nach draußen vordringen. Fast noch heißer als der Durst war in ihm das quälende Verlangen nach Freiheit. Was im mer er auch in seinem früheren Leben gewe sen sein mochte – er war jedenfalls nicht da zu geschaffen, das Leben eines Gefangenen zu führen. Noch hatte er eine gute Chance. Er war sich jetzt sicher, daß man sich an dem Con tainer zu schaffen machte, und es waren mindestens drei Wesen am Werk. Das schloß er aus der Abfolge der einzelnen Ge räusche. Drei Gegner aber – wenn sie nicht gerade so riesig wie die raupenhaften Raum fahrer waren – konnte er mühelos überwälti gen. Er wußte das, wie er so vieles wußte, ohne die Quelle seiner Kenntnisse auch nur zu erahnen. Nomazar spannte seine Muskeln an. Er legte die flachen Hände gegen die Kiste, die den Weg nach oben versperrte. Dann richte te er sich auf, und die Kiste flog im hohen Bogen davon. Nomazar hörte es krachen und splittern, aber da schwang er sich bereits aus seinem Versteck heraus. Mit einem ein zigen langen Schritt gelangte er zum Rand des Containers. Er starrte nach unten. Dort stand ein sehr großes, zierliches wirkendes Wesen. Es hat te seine rosafarbenen Augen, die auf etwa zwei Zentimeter langen Stielaugen saßen, direkt auf Nomazar gerichtet. Dort, wo die spärliche Kleidung den zerbrechlichen Kör per nicht bedeckte, sah man einen feinen, grauen Borstenpelz. Nur das Gesicht, die Hände und die Ohren waren nackt. Die Füße steckten in schuhähnlichen Gebilden. Auf dem Kopf trug der oder die Fremde einen
26 goldfarbenen Hautkamm. Nomazar sprang. Er landete federnd ne ben dem Fremden und schlug ihm noch im Fallen mit der Faust auf den Kopf. Er ging dabei absichtlich nicht so hart vor, wie er es vermocht hätte. Der Fremde konnte nichts dafür, daß er Nomazar im Weg war. Er woll te ihn nicht töten, denn er empfand keinen Haß. Abgesehen davon war ihm ein so zer brechlicher Gegner selten untergekommen. Der Fremde brach auf der Stelle zusam men, und Nomazar setzte mit einem weiten Sprung um die Ecke des Containers herum. Ihm schien es, als hätte dieser Planet eine et was geringere Schwerkraft, als er sie ge wohnt war. Er fühlte sich seltsam leicht. Er erreichte den zweiten Fremden im sel ben Augenblick, als dieser aus den Taschen an seinem Gürtel ein blau schimmerndes Rohr hervorzog. Der Zerbrechliche bekam keine Chance, seine Waffe zu benutzen. Er brach zusammen, sobald Nomazars Faust ihn berührte. Der dritte Fremde warf seine Waffe weg, als wäre sie glühend, als er No mazar zu Gesicht bekam. Er umrundete den ganzen Container und blickte nach allen Richtungen zwischen den Kistenstapeln hindurch. Aber es schien, als wären keine weiteren Gegner in der Halle. Er gönnte seiner Umgebung einen kurzen Blick. Er befand sich in einer riesigen Halle, die vollgestopft war mit Kisten und Kästen, Bündeln und Ballen – hier wurden unvor stellbare Mengen von Gütern gelagert, und es handelte sich nicht nur um Kunstwerke, die über Achtol in das Nurschug-System ge langt waren. Die wichtigste Entdeckung war ein Trog, der in der Nähe des Containers stand. Noma zar nahm sich trotz seines überwältigenden Durstes die Zeit, die Flüssigkeit in dem Trog genau zu begutachten. Er kam zu dem Schluß, daß es sich wirklich um Wasser han delte. Er schöpfte das Wasser mit den Hän den und trank gierig, aber dabei behielt er seine Umgebung im Auge. Niemand störte ihn. Er löschte seinen Durst und durchsuchte
Marianne Sydow nach kurzem Zögern die zahlreichen Gürtel und sonstigen Taschen der Zerbrechlichen. Er förderte die unglaublichsten Dinge zu Ta ge, darunter zum Beispiel aus Perlmutt ge schliffene Messerchen, die an einer Kette hingen, und unter all dem Zeug waren auch mehrere Päckchen, die so aussahen, als könnten sie etwas Eßbares enthalten. Noma zar riß die Verpackung auf und schnupperte mißtrauisch. Der Inhalt des ersten Päckchens roch nach Fisch. Vorsichtig kostete er. Das Zeug schmeckte alles andere als delikat, aber der Hunger trieb es hinunter. In dem zweiten Päckchen fand Nomazar eine Masse, die aus getrockneten Früchten zu bestehen schien, das dritte enthielt wieder Fisch. Konzentratnahrung war es offenbar, eine Reserve, die die Zerbrechlichen aus un erfindlichen Gründen selbst hier, in ihrem eigenen Stützpunkt, mit sich herumschlepp ten. Da er noch immer nichts von einem Alarm hörte und auch niemand kam, um sich seiner anzunehmen, suchte er auch die eisernen Reserven der anderen beiden Zer brechlichen zusammen. Er verstaute seine Vorräte sorgfältig in seiner Kleidung, dann schlich er auf das große, offene Tor zu, von dem er bis jetzt nicht viel mehr als die Rän der und einen Lichtflecken gesehen hatte. Er spähte um die Ecke und entdeckte rechts eine Straße, auf der sich Fahrzeuge bewegten. Von dort führte ein Fahrsteig zu einer Art Laderampe hinauf, die direkt vor dem Tor endete. Nomazar hörte das Grollen von Triebwerken, und als er nach oben blickte, entdeckte er ein Organschiff, das in geringer Höhe über der Halle hinwegzog. Der Raumhafen mußte auf der anderen Seite liegen, wo er ihn jetzt nicht sehen konnte – worauf er naturgemäß auch gar keinen Wert legte. Links gab es dichtes Gebüsch. Dem Tor gegenüber standen in geringer Entfernung einige Bäume. Es schien, als hätte man die Halle direkt an den Rand eines Waldes gesetzt. Viel leicht war das ganze Landefeld mit seinen
Die Planetenschleuse Anlagen nur eine künstliche Lichtung in ei nem planetenumspannenden Dschungel. Auf jeden Fall hätte Nomazar es nicht besser treffen können. Die Luft war atembar. Es war sehr warm, aber nicht so heiß, daß er Schwierigkeiten deswegen gehabt hätte. Und es mußte in der Nähe Wasser und Nah rung geben. Nomazar glitt über das kurze Stück der Rampe, das ihn noch von der Wildnis trenn te. Er spähte in das Gebüsch hinein, denn er entsann sich dunkel der Tatsache, daß die Flora fremder Planeten mitunter geradezu mörderisch veranlagt sein konnte. Aber die Büsche sahen ganz normal aus. Er glitt von der Rampe hinab und tauchte in duftendes Laub. Es raschelte um ihn her um. Er sah winzige Tiere, die vor ihm flo hen. Dann vernahm er ein dumpfes Brum men, und er schob die Zweige vorsichtig zur Seite. Ein Fahrzeug kam auf die Rampe zuge fahren. Zwei dieser zerbrechlichen Fremden saßen darin. Der Wagen hielt an der Rampe, und die beiden Fremden kletterten heraus. Sie blie ben dicht vor dem Tor stehen. Nomazar hielt den Atem an. Der eine Fremde deutete in die Halle hinein. »Sagst du ihnen Bescheid?« fragte er. Er benutzte Gonex, die Einheitssprache des Rghul-Reviers. »Von mir aus!« erwiderte der andere und strich sich mit der flachen Hand über den Kamm auf seinem Kopf. »Ich kann mir nicht helfen, aber das alles ist doch absurd. Wenn ich dieser Fremde wäre, würde ich mir für meine Flucht ganz sicher nicht gerade Ptäk aussuchen.« »Der Bursche weiß vermutlich so gut wie nichts über die Planetenschleuse. Er kann durch einen puren Zufall hierhergelangt sein.« »Na schön. Aber dann ist er kein Spion aus dem Marantroner-Revier. Als solcher hätte er sich klüger angestellt.« »Erzähle das Elkort. Geh endlich!« No mazar sah seine Felle davonschwimmen.
27 Wenn seine Flucht so früh entdeckt wurde, dann hatte er keine Chance. Er mußte ver hindern, daß diese beiden dort Alarm schlu gen. Während der eine Zerbrechliche sich auf den Weg in die Halle machte, kroch Noma zar auf dem Bauch unter den dichtbelaubten Zweigen hindurch. Unter der Rampe gab es keine Hindernisse mehr. Dafür war es hier feucht und moderig. Er kroch lautlos bis zu der Stelle, an der er den Zerbrechlichen wußte. Der Fremde war völlig arglos. Er ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen und kaute auf irgend etwas herum. Nomazar spähte über die Kante der Rampe und sah die Füße des Fremden direkt vor sich. Die Rampe war niedrig. Für die Fremden, die um die zwei hundertvierzig Zentimeter groß waren, stell te sie ein Hindernis dar, auf das man mit ei nem einzigen Schritt mühelos hinaufkam. Nomazar schnellte hoch, packte die Füße des Fremden und riß den Zerbrechlichen zu sich herunter. Es ging so schnell, daß der Fremde nicht einmal dazu kam, einen Schrei auszustoßen. Nomazar betäubte sein Opfer auf bewährte Weise, zog ihn unter die Ram pe und schwang sich dann nach oben. Auf leisen Sohlen lief er in die Halle hinein. Er kam gerade noch zur rechten Zeit. Der zweite Fremde hatte die bewußtlosen Arbeiter gefunden. Er hob gerade einen fla chen Kasten zum Mund, als Nomazar ihn von hinten ansprang. Der Zerbrechliche sank in die Bewußtlosigkeit, ehe er eine Meldung abgeben konnte. Diesmal verschwendete Nomazar seine Zeit nicht an die Suche nach Lebensmitteln. Statt dessen trug er seine Opfer zu einem leeren Container und sperrte sie darin ein, nachdem er auch noch den Fremden geholt hatte, der unter der Rampe lag. Dann erst kehrte Nomazar in das Gebüsch zurück. Das hätten wir, dachte er grimmig. Sie werden nicht so schnell Alarm schlagen, wie mir scheint. Also – nichts wie weg von hier. Natürlich würde er versuchen müssen, auf das Landefeld und dort in irgendein Raum
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schiff zu gelangen, denn er hatte nicht die Absicht, den Rest seines Lebens in einer ab geschiedenen Wildnis zu verbringen. Rest des Lebens? Das erinnerte ihn an et was, aber er wußte nicht genau, was das war. Automatisch blickte er auf seine Beine hinab. Das linke fühlte sich stets an, als hin ge etwas daran, einem Klumpen gleich. Manchmal spürte er einen leichten Schmerz von dieser Stelle ausgehen, und oft hinkte er auch ein wenig. Eine Ahnung sagte ihm, daß dieser unsichtbare Klumpen etwas mit dem bewußten »Rest des Lebens« zu tun hatte. Er wußte aber eines: Er hatte Zeit. Die nächste Etappe der Flucht, den gewiß ge fährlichen Versuch, in ein Organschiff zu gelangen und heimlich das Nurschug-Sy stem zu verlassen, konnte er getrost auf einen Zeitpunkt verschieben, an dem die Aufregung sich ein wenig gelegt hatte. Er kroch unter den Zweigen hindurch und erreichte nach kurzer Zeit die ersten Bäume. Das Gelände wurde offener. Nomazar schritt schnell und zügig aus.
* Gegen Abend erreichte er einen breiten Fluß mit steinigen Ufern. Die hohen Bäume, deren Stämme dünn und unregelmäßig ge formt waren, warfen lange Schatten über das wild dahinströmende Wasser. Nomazar hör te ein dumpfes Brausen. Ein Wasserfall mußte ganz in der Nähe sein. Gut, dachte er. Wo ein Wasserfall ist, da gibt es vielleicht auch Höhlen. Es sieht ganz so aus, als sollte es Regen geben. Er ging dem Rauschen nach, aber die Höhle fand er schon nach kurzer Zeit, noch ehe der Fall in Sicht kam. Ein gewaltiger Felsklotz ragte vor ihm auf, von allen Seiten vom Wasser umspült. Aber die Rinne zwi schen dem Felsen und dem Ufer war schmal genug, daß er sie überspringen konnte. Im oberen Teil des Felsens sah er eine dunkle Öffnung. Er musterte den riesigen Stein. Es würde leicht sein, die Höhle zu erreichen. Als er oben stand, kam ihm zu Bewußt-
sein, daß sein Vorhaben nicht ganz unge fährlich war. Es konnte ja sein, daß die Höh le schon einen Besitzer gefunden hatte. Wa rum, um alles in der Welt, hatte er nicht we nigstens eine von den Waffen eingesteckt, die die Fremden getragen hatten? Aber das einzige, was er außer dem Proviant mitge nommen hatte, war ein gutes, stabiles Mes ser. Er nahm es in die Hand und blickte in die Höhle hinein. Nichts rührte sich darin. Nach einigen Minuten war er seiner Sache sicher. So seltsam es ihm auch scheinen mochte, es lebte nichts in dieser Höhle. Es gab nicht einmal kleinere Tiere wie Insekten oder Würmer. Der ganze Raum war wie leergefegt. Nomazar behielt sein Messer trotzdem in der Hand. Er setzte sich auf die Felsen am Eingang, sah nach unten und dachte nach. Wenig später kletterte er nach unten und un tersuchte die kleinen Hohlräume zwischen den Felsen, die den Fluß säumten. Er sah viele Tiere dort, winzige bis zu solchen, die so groß wie Nomazars Hand waren. Er nick te nachdenklich und sah zurück zu dem Felsblock. »Oh nein«, murmelte er vor sich hin. »Nicht mit mir. Ich werde euch nicht den Gefallen tun, schon am ersten Abend in eine Falle zu laufen.« Er war fest davon überzeugt, daß mit der Höhle etwas nicht stimmte. Aber mittlerwei le war es schon dämmerig. Nomazar ent deckte ganz in der Nähe eine mit weichem, warmem Sand gefüllte Mulde zwischen den Felsen. Er klopfte den Boden mit einem Stück Schwemmholz ab, bis er halbwegs si cher war, daß nichts in dem lockeren Sand verborgen war. Dann ging er noch einmal zum Fluß hinunter. Das Wasser war kristall klar und überraschend kühl. Nach kurzem Zögern löschte er seinen Durst. Während er trank, sah er einen dicken Knüppel im Wasser treiben. Das Stück Schwemmholz in seiner Hand nahm sich da gegen wie ein nutzloser Stecken aus. Er an gelte den Knüppel aus dem Wasser und wog ihn prüfend in der Hand. Er beschloß, diese
Die Planetenschleuse provisorische Waffe zu behalten. Einer Ein gebung folgend, sammelte er auch noch eine Anzahl von faustgroßen, runden Steinen zu sammen. Dann kehrte er zu der Mulde zu rück. Er aß etwas von den Konzentraten. Mor gen, so nahm er sich vor, würde er versu chen, ein paar eßbare Früchte zu finden. Es gab auch Fische im Fluß, aber das nutzte ihm nichts. Selbst wenn es ihm gelungen wäre, sie zu fangen, so hätte er sie doch nicht braten können. Er wäre vielleicht sogar fähig gewesen, ein Feuer zu entfachen. Aber hier, in unmittelbarer Nähe, war ihm die Ge fahr der Entdeckung dann doch zu groß. Er streckte sich in der Mulde aus und war bald darauf eingeschlafen. Irgendwann weckte ein Geräusch ihn auf. Er fuhr hoch und griff nach dem Knüppel. Es war sehr dunkel. Kein Mond stand am Himmel, und die Sterne waren nicht hell ge nug, um die Dunkelheit zu mildern. Aber jetzt hörte er es ganz deutlich. Etwas jammerte und winselte. Die Geräusche ka men aus der Richtung, in der Nomazar den Felsen mit der geheimnisvollen Höhle wuß te. »Also doch«, sagte er zu sich selbst. Er ta stete sich über die Felsen bis zu dem etwas glatteren Uferstreifen. Von dort aus konnte er den Felsen undeutlich erkennen. Der Block hob sich tiefschwarz gegen das etwas hellere Wasser ab. Er pirschte vorwärts, be müht, möglichst wenig Geräusche zu verur sachen. Aber auch aus der Nähe konnte er nicht sehen, was in der Höhle geschah. Das Licht reichte beim besten Willen nicht aus. Das Winseln und Jammern brach schließ lich ab. Dafür vernahm Nomazar ein schlei fendes Geräusch. Dann hatte er das unange nehme Gefühl, daß der Boden unter seinen Füßen sich leicht bewegte. Entsetzt sprang er zur Seite. Das Schleifen kroch unter ihm hindurch und verlor sich irgendwo zwischen den Felsen. Nach diesem Vorfall schlief Nomazar nicht mehr besonders gut. Beim ersten Ta geslicht kehrte er zu dem Felsen zurück. Er
29 glaubte nicht daran, daß ihm etwas gesche hen könnte, solange es hell war. Schließlich war er gestern sogar in der Höhle herumspa ziert, was er heute tunlichst zu vermeiden gedachte. Er mußte einfach wissen, was hier gespielt wurde, und dazu war es nötig, daß er nach Spuren suchte. Er kletterte also nach oben. Zuerst sah er gar nichts, was auf einen Kampf hindeutete. Als er dann die Pfote ent deckte, blieb er wie versteinert stehen. End lich löste er sich aus dem Bann des Schreckens, ging vorsichtig auf die Stelle zu und bückte sich. Ungläubig strich er mit den Fingern über den Boden und berührte zö gernd auch die Pfote. Sie war im Felsen festgeklemmt. Jetzt, da er wenigstens ahnte, worauf er zu achten hatte, fand Nomazar die haarfeine Rille. Er verfolgte sie, bis er sicher war, daß die Rille einen Kreis bildete. Der Durchmesser des Kreises betrug fast vier Meter. Nomazar schluckte trocken. Die Lage war eindeutig. Er versuchte sich ein Wesen vorzustellen, das imstande war, so gewaltige Falltüren an zulegen und auch zu benutzen, aber seine Phantasie verweigerte ihm den Dienst. Intel ligent war das unbekannte Monstrum aber wenigstens nicht. Sonst hätte es sich eine leichter zugängliche Stelle für seine Falle ausgesucht. Dem Tier, dessen eingeklemmte Pfote am Ort des Geschehens zurückgeblie ben war, konnte niemand mehr helfen, abge sehen davon, daß Nomazar gar nicht die Ab sicht hatte, sich als Retter aller möglichen Bestien aufzuspielen. Trotzdem sah er die Pfote noch einmal an. Die Form war ihm vertraut. Er sah förmlich das Tier vor sich, das dazugehörte. Ein Wolf. Die Bezeich nung tauchte plötzlich in seinem Gehirn auf. Er zuckte die Schultern. Er erinnerte sich nur an dieses Wort und daran, daß er sich einmal mit einem Wolf gut vertragen hatte. Er verließ die Höhle und kehrte ans Ufer zurück, und dann entschied er, daß es das beste für ihn sei, wenn er seine Wanderung jetzt fortsetzte. Er würde dem Fluß folgen. Aber nach kaum zwanzig Metern ver
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nahm er ein Geräusch hinter sich, und er wirbelte herum, bereit, sein Leben teuer zu verkaufen. Vor ihm stand ein riesiger Wolf.
* Es war ein mächtiges Tier, an den Schul tern gut eineinhalb Meter hoch, mit großen, klugen, gelben Augen und blitzenden, schneeweißen Zähnen. Es stand ganz ruhig da. Die Ohren waren aufgestellt. Nichts deu tete darauf hin, daß der Wolf den einsamen Mann anzufallen gedachte. Aber das hat nichts zu sagen, dachte No mazar skeptisch. Ich bin auf einem wild fremden Planeten. Es ist erstaunlich genug, daß es hier Tiere gibt, die genau wie Wölfe aussehen – es wäre wohl zu viel verlangt, wenn ich von diesem Burschen jetzt auch noch die richtigen Verhaltensweisen erwar te. Trotzdem ließ er den Knüppel, den er in stinktiv gehoben hatte, behutsam sinken. Der Wolf beobachtete den Mann aufmerk sam. Als Nomazar auch das Messer zurück steckte, ließ sich das riesige Tier langsam nieder. Er legte den Kopf auf die Vorderpfo ten und sah Nomazar von unten herauf an. »Na gut«, murmelte Nomazar, und die Ohren des Wolfes zuckten, als er die Stim me des Menschen hörte. »Nehmen wir die Verhandlungen auf. Da hätte ich gleich mal eine interessante Frage: Wie kommt es, daß du mich nicht längst verspeist hast, alter Bursche?« Er setzte sich bei diesen Worten dem Wolf gegenüber hin. Das Tier antwortete na türlich nicht. Es verstand sowieso kein Wort – Nomazar hatte jene Sprache gebraucht, die er in seinem früheren Leben erlernt hatte. Aber, ob das etwas ausmachte? Was hatte er schon zu verlieren? »Freund!« sagte er zu dem Wolf, und diesmal sprach er Gonex. Der Wolf hob kurz den Kopf und stieß ein leises Winseln aus. »Ja«, sagte Nomazar. Plötzliche Erregung
stieg in ihm auf. Wenn es ihm tatsächlich gelingen sollte, diesen gewaltigen Burschen für sich zu gewinnen, dann würden seine Chancen, diese Flucht erfolgreich abzu schließen, schlagartig steigen. »Ja, wir können Freunde sein. Du frißt mich nicht auf, und ich lasse dich auch in Frieden.« Belustigt dachte er, daß ihm gar nichts an deres übrig blieb. Aber das sagte er dem Wolf nicht. Es schien, als könne dieses We sen ihn wenigstens teilweise verstehen. Viel leicht hatte es in der Vergangenheit Kontak te zu den Zerbrechlichen gehabt und von ih nen etwas gelernt. Es brauchte vorerst nicht zu wissen, daß Nomazar keine weitreichen den Waffen bei sich hatte. »Ich bin ein Mensch und könnte dir in ei nigen Dingen helfen, denn im Gegensatz zu dir habe ich Hände, mit denen sich allerhand anfangen läßt. Wie ist es, Alter, wollen wir es miteinander versuchen?« Der Wolf stieß abermals dieses seltsame Winseln aus, ein Laut, der dem Menschen überaus vertraut vorkam. Das Tier erhob sich gemächlich, reckte sich, schüttelte seine graue Mähne und wandte sich um. Es tat ein paar Schritte in die Richtung, aus der Noma zar gekommen war, blieb dann stehen und sah sich nach dem Mann um. »Mir ist jede Richtung recht«, bemerkte Nomazar. »Wenn sie mich nur nicht zu den Zerbrechlichen zurückführt.« Der Wolf hechelte – es sah aus, als lachte er. »Gehen wir«, schlug Nomazar vor und trat neben den Wolf. Das Tier fiel in einen leichten Trab. No mazar lief neben seinem neuen Freund her, bis ihm die Luft knapp wurde. »He!« stieß er keuchend hervor. »Geht's nicht auch ein bißchen langsamer?« Der Wolf hielt abrupt an. Er betrachtete Nomazar mit leiser Verwunderung. Das Tier wirkte regelrecht amüsiert. »Ja, lache du nur über mich«, sagte der Mann sarkastisch. »Etwas sagt mir, daß die ser andere Wolf, den ich kannte, auch
Die Planetenschleuse manchmal seine eigenen Ansichten über Menschen hatte. Das stört mich nicht.« Der Wolf stieß ihn behutsam mit der Schnauze an, und Nomazar ging weiter. Der Wolf schritt rücksichtsvoll neben ihm her. Nach einiger Zeit blieb der Wolf stehen. Nomazar tat es ihm nach. Als das Tier sich wieder in Bewegung setzen wollte, dachte er, es hätte nur etwas gewittert, und wollte ihm folgen. Aber der Wolf sah sich nach ihm um und zog kurz die Lefzen hoch. »Ich soll hier warten?« fragte Nomazar. »Warum?« Das Tier winselte kurz und trabte davon. »Wie du willst«, murmelte Nomazar und setzte sich kurzerhand hin. Erst jetzt, als er alleine war, begriff er, daß diese Begegnung einige geradezu un wirkliche Aspekte hatte. Wie kam der Wolf überhaupt auf die Idee, in dem Menschen, der doch für ihn ein völ lig fremdes Wesen sein mußte, einen Freund zu vermuten? Oder war alles ein Mißver ständnis, eine Falle sogar? Hatte das Tier ihn an diesen Ort gelockt, um ihn hinterher um so genüßlicher auffressen zu können? »Unsinn«, sagte Nomazar zu sich selbst. »Der Kerl hat Pfoten, so groß wie Bratpfan nen, von den Zähnen ganz zu schweigen. Ich hätte nicht die leiseste Chance, einen Kampf mit ihm zu überstehen. Und mich diese kur ze Strecke zu tragen, dürfte ebenfalls ein Kinderspiel für ihn sein.« Aber woran lag es dann? War er schon einmal auf Ptäk gewesen? Er konnte es nicht ausschließen. Vielleicht kannte er aus sei nem früheren Leben sogar diesen einen, be stimmten Wolf. Oder es hatte hier jemand gelebt, der Nomazar in jeder Weise glich, der aussah wie er und auch genauso roch. Aber warum hieß es dann wieder, daß No mazar einmalig im Rghul-Revier sei? Er gab das Grübeln auf. Wahrscheinlich würde er niemals eine Lösung für dieses Rätsel finden. Eine halbe Stunde später kehrte der Wolf zurück. Er gab dem Mann zu verstehen, daß er ihm folgen sollte.
31 »Ich werde mir einen Namen für dich aus denken müssen«, sagte Nomazar, während er sich erhob. Er runzelte die Stirn, denn er war sicher, daß es eigentlich nur einen pas senden Namen für den grauen Riesen geben konnte. Genau dieser Name wollte ihm je doch nicht einfallen. Er folgte dem Wolf durch eine steinige Rinne das Ufer hinauf, dann ging es ein kur zes Stück durch den Wald, und plötzlich ge langten sie auf eine Lichtung, auf der minde stens zwanzig Wölfe vorhanden waren, große, mittlere, auch ganz kleine, Junge, die unbeholfen zwischen den anderen herum tollten. »Donnerwetter!« stieß Nomazar hervor. »Wenn das deine Familie sein sollte, brauchst du wahrhaftig Hilfe, mein Freund. Aber ich zweifle daran, daß ich deine Pro bleme lösen kann.« Der Graue sah Nomazar mit seinen klu gen Augen an und führte ihn auf die Lich tung hinaus.
6. Irgendwie hatte Elkort Peleff schließlich doch noch abhängen können. Er erinnerte sich nicht mehr daran, wie er es angestellt hatte, und es war ihm im Augenblick auch völlig egal, denn er fühlte sich sterbens elend. Sein Kopf brummte, ihm war übel, und jeder einzelne Muskel schmerzte. »Wenn du wieder einmal das Bedürfnis verspüren solltest, dich umzubringen«, sagte Lasork mißbilligend, »dann sage es mir rechtzeitig. Ich kann dir viele Mittel emp fehlen, die nicht halb so teuer wie Zirag sind.« Elkorts Augen schwankten auf ihren kurz en Stielen unkontrollierbar hin und her, so daß er seine ganze Umgebung in ständiger Bewegung sah. Lasorks Gesicht tanzte in diesem Durcheinander bedrohlich nahe auf und ab. »Tu etwas!« stieß Elkort flehend hervor. »Ich sterbe!« »Unsinn«, versetzte Lasork mitleidlos.
32 »Du hast nicht genug von dem Zeug ge schluckt. Hätte ich dir noch drei oder vier Körner mehr gegeben, dann wäre es kritisch geworden, aber so kommst du mit relativ schwachen Entwöhnungserscheinungen da von.« »Mir ist so schlecht!« klagte Elkort. »Kannst du denn gar nichts dagegen tun? Mußt du da herumstehen und dumme Reden schwingen?« »Mein Lieber«, sagte Lasork bedächtig, und Elkort zuckte zusammen, denn selbst für den Kammdeuter, zu dem er ein fast freundschaftliches Verhältnis hatte, war die se Anrede ungewöhnlich, »du kommst am besten weg, wenn du liegenbleibst und es über dich ergehen läßt. Natürlich kann ich etwas tun und dich in wenigen Stunden wie der auf die Beine bringen – aber das wäre ei ne äußerst unangenehme Prozedur für dich.« Elkorts Augen wandten sich plötzlich ein ander zu und starrten sich gegenseitig an. El kort stöhnte auf. Er war ein etwas wehleidiger Mann. Aber er dachte an Peleff und den entflohenen Ge fangenen, und er traf eine wahrhaft helden mütige Entscheidung. »Mach mich fit, Lasork«, sagte er tapfer. »So schnell wie möglich. Ich habe keine Zeit, noch länger hier herumzuliegen.« Lasork betrachtete seinen Patienten teils neugierig, teils besorgt. »Wie du willst«, murmelte er schließlich. Elkorts Augen vollführten eine Schwen kung, und der Transfusionsgebundene sah gerade noch, daß Lasork auf einen Alarm knopf drücken wollte. »Nein!« stieß er entsetzt hervor. »Du mußt alleine damit fertig werden. Ich will keinen deiner Helfer in meiner Nähe wissen. Niemand darf Zeuge werden!« »Dein Wunsch ist mir Befehl«, sagte La sork sarkastisch, und dann machte er sich ans Werk. Als Elkort gut drei Stunden später die er sten Gehversuche unternahm, da hegte er den festen Entschluß, Zirag nie wieder anzu rühren.
Marianne Sydow »Sei vorsichtig«, riet Lasork ihm. »Wenn du dich jetzt aufregst, wirst du mit einiger Wahrscheinlichkeit die nächsten Tage hin durch nicht aufstehen können.« »Ich werde mich danach richten«, ver sprach Elkort, aber dabei wußte er bereits, daß es ein leeres Versprechen war. Schon bei seinem ersten Wiedersehen mit Peleff würde er sich aufregen. Gute Vorsätze hal fen da gar nichts. Er ging zuerst in seinen Arbeitsraum und erkundigte sich danach, ob man diesen selt samen Fremden mittlerweile aufgespürt und eingefangen hatte. Er erhielt eine abschlägi ge Antwort, und seine Laune, die sowieso schon katastrophal war, sank dem absoluten Nullpunkt entgegen. Von Peleff war im Mo ment nichts zu sehen, und Elkort beschloß, sich kurz um seine privaten Belange zu kümmern. Er entsann sich der Tatsache, daß er Sydelär eingeschlossen hatte. Aber als er an die entsprechende Tür ge langte, da stand diese weit offen, und Syde lär war verschwunden. Voller Unruhe eilte Elkort zu Sydelärs Zimmerflucht. Aber auch dort hielt sich die Gefährtin des Transfusionsgebundenen nicht auf. Elkort blieb stehen und dachte ange strengt nach. Natürlich war es möglich, daß Sydelär sich bei einem Spaziergang durch die Gärten erholte, nachdem irgend jemand sie per Zu fall entdeckt und befreit hatte. Aber ein sol ches Verhalten paßte nicht zu dieser Kunin. Sie wußte haargenau, daß Elkort Probleme hatte, und sie hätte auf ihn warten müssen. Wo war Yääl? Er suchte nach ihr. Und nach kurzer Zeit fand er sie. Sie stand vor einem Bildschirm und beobachtete irgend etwas mit großem Interesse. Aber als sie Elkort kommen hörte, schaltete sie hastig ab. Er sah es gerade noch, als er um die Ecke bog. »Wo ist Sydelär?« fragte der Transfusi onsgebundene grob. Yääl schmollte. Sie konnte das sehr gut. Elkort bedauerte sofort sein schroffes Ver halten. Aber er besaß trotzdem noch genug
Die Planetenschleuse Verstand, um sich dies nicht anmerken zu lassen. »Antworte mir!« forderte er. »Ich habe keine Ahnung!« behauptete sie. »Du hattest sie doch eingeschlossen, oder nicht?« »Du warst nicht dabei. Woher weißt du es also?« »Oh, ich kam später an dieser Tür vorbei. Sie klopfte von innen und rief um Hilfe.« Der Hieb saß gut. Elkort hatte natürlich angenommen, daß Sydelär sich still verhal ten würde, um ihn nicht in weitere Schwie rigkeiten zu bringen. Jetzt schalt er sich einen Narren. Die Kunin war nicht bei Be wußtsein gewesen, als er sie in das Zimmer trug. Sie mußte beinahe automatisch anneh men, daß sie ihre Gefangenschaft Yääl ver dankte. »Jemand hat sie herausgeholt«, sagte El kort düster. »Du warst das nicht zufällig?« »Warum sollte ich?« gab Yääl spitz zu rück. »Ich bin Sydelär schließlich keinen Gefallen schuldig.« Sie log. Elkort spürte das. Aber er hatte denn doch nicht den Mut, Yääl zur Rede zu stellen. Er wandte sich ab und schritt ohne ein weiteres Wort davon. Hinter sich hörte er Yääl leise lachen. Er drehte sich nicht um. Bei den Kunen waren traditionsmäßig die Frauen dominierend. Sie waren es, die seit alters her die Sippenpolitik bestimmten, wenn sie auch ihren Männern offiziell alle Ämter überließen. So gesehen war es ver wunderlich, daß Duuhl Larx gerade Elkort und nicht eine Frau aus diesem Volk für sei ne Zwecke erwählte. Aber auch wenn Elkort eine ungewöhnliche Rolle übernommen hat te, konnte er noch lange nicht gefühlsmäßig über den eigenen Schatten springen. Er fühl te sich Yääl unterlegen. Sie beherrschte ihn völlig. Sein gelegentliches Aufbegehren än derte daran gar nichts. Jetzt kämpfte er um seine Existenz. Selbst in diesem Kampf wür de er aber außerstande sein, sich offen gegen Yääl zu stellen. Er rief Sydelärs persönlichen Diener, einen noch sehr jungen Kunen von der
33 Nordküste. Der Junge hieß Tassel, und er schien vertrauenswürdig zu sein. Aber auch Tassel konnte nicht sagen, wohin seine Her rin sich begeben hatte. Sydelär war seit vie len Stunden nicht in ihren Räumen aufge taucht. Immerhin hatte Tassel einen Rat für Elkort. »Sie liebt diesen kleinen See in den Gär ten«, verriet er Elkort. »In den letzten Tagen hielt sie sich dort oft auf. Ich kann dich hin führen.« Elkort willigte ein. Er folgte Tassel hinaus in die Anlagen. Der See, von dem der Junge gesprochen hatte, lag abseits von den breiten Wegen. Es schien, als suchte Sydelär die Einsamkeit. Das war ein schlechtes Zeichen. Die Kunen waren ein sehr geselliges Volk. Tassel führte den Transfusionsgebunde nen am Ufer entlang zu einem idyllischen Flecken Land. Vom Wasser her stiegen bräunliche Rasenflächen auf und bildeten einen weiten Kreis, der von dunklen Bäu men umrahmt wurde. Die Bäume hatten vio lettes Laub, was aber keinem Kunen als un gewöhnlich erschien. Die Rasenfläche senk te sich leicht zur Mitte hin, so daß eine wei te, dem See hin offene Mulde entstand. In der Mitte dieses Platzes erhob sich eines der vielen Gartenhäuser, die es in diesem Park gab. Ein unbehagliches Gefühl beschlich den Transfusionsgebundenen. Er blieb am Rand der Mulde stehen und sah das Häuschen an. Eine innere Stimme riet ihm dringend, nicht weiter nach Sydelär zu suchen. Bleib weg, flüsterten seine Gedanken ihm zu. Hier droht dir Gefahr! Unsicher blickte er zu Tassel hin. Der Junge war durchaus nicht beunruhigt. »Hält sich Sydelär oft in diesem Haus auf?« fragte Elkort. »Ich sagte es schon«, gab Tassel verwun dert zurück. »Sie hat in den letzten Tagen mehr Zeit in diesem Haus als im Palast ver bracht.« »Ich habe sie nie vermißt!« Die Worte waren heraus, und er konnte sie nicht zurückholen. Er fing Tassels seltsa
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men Blick auf und setzte sich entschlossen in Bewegung. Normalerweise stattete er Sy delär einmal am Tage einen Höflichkeitsbe such ab. Da er stets zur gleichen Zeit kam, konnte sie sich leicht darauf einrichten. Er erreichte das Gartenhaus und stieß die Tür auf. Tassel war dicht hinter ihm. Das Haus hatte nur wenige Räume. Er verzichte te darauf, nach Sydelär zu rufen. Das hatte er schließlich auch gar nicht nötig. Mochten die Kunen sonst auch noch so respektvoll ih ren Frauen gegenüber sein – Sydelär war ihm vom Neffen zugeteilt worden. Er mußte drei von vier vorhandenen Tü ren aufreißen, dann endlich sah er Sydelär. Das heißt – eigentlich sah er nicht sie, sondern nur ihr aus kostbaren Byssusfäden gewirktes Gewand. Es hing auf einer Sessel lehne, und alles sprach dafür, daß dieses teu re Kleidungsstück in höchster Eile und ohne jede Sorgfalt dorthin geworfen worden war. Elkort erfaßte die Lage mit einem einzigen Blick. Er spürte eine so starke Wut, daß er daran zu ersticken glaubte. Gleichzeitig wunderte er sich über diese Emotion. Er hat te Sydelär niemals geliebt. Wenn sie eigene Wege ging, dann war das ihr gutes Recht, solange sie ihn nicht damit bloßstellte. El kort konnte sich in dieser Beziehung nicht beklagen. Im Gegenteil, er war immer der Ansicht gewesen, daß Sydelär ihm trotz al lem stets treu geblieben war. Aber jetzt sah er rot. Im Hintergrund des Zimmers gab es eine mit einem Vorhang abgeteilte Schlafnische. Elkort trat mit schnellen Schritten darauf zu. Er hörte den erstickten Schrei, den Tassel ausstieß, aber er reagierte nicht darauf. Er zog im Gehen ein Messer aus dem Gürtel und riß den Vorhang mit einem Ruck zu rück.
* Yääl hatte den Bildschirm sofort wieder eingeschaltet, als Elkort gegangen war. Ge spannt beobachtete sie das Gartenhaus. Sie hatte Sydelär stets im Auge behalten. Es war
ihr nicht schwergefallen, Spionkameras in jeden einzelnen Raum zu schmuggeln. Sie gehörte zu den Frauen, die fast jeden Mann mühelos um den kleinen Finger wickeln. Um ihr auch nur für Stunden nahe zu sein, wurden brave Techniker zu geschickten Ein brechern, die nachts in fremde Zimmer ein drangen und dort Dinge taten, für die sie sich später in Grund und Boden schämten. Yääl war sehr zufrieden. Alles entwickel te sich so, wie sie es geplant hatte. Elkort würde Sydelär finden, und wenn er auch nur einen Funken Stolz hatte, würde er die Ku nin töten. Es blieb ihm gar nichts anderes übrig. Sollte er – was bei diesem Schwäch ling durchaus möglich war – im letzten Au genblick weich werden, dann mußte Yääl nachhelfen. Die Drohung, Sydelärs Fehltritt überall bekannt zu machen, durfte Elkort nicht ignorieren. Die Frauen führten zwar das Volk der Kunen, aber in Sachen Ehe war man auf Guhrno ganz anders eingestellt. Natürlich gab es keine derart offizielle Bindung zwischen Elkort und Sydelär. Ein Transfusionsgebundener hatte keine Familie zu haben. Sydelär war nur so etwas wie ein Trostpflaster, das der Neffe seinem treuen Diener verpaßt hatte. Trotzdem konnte El kort eine solche Schmach nicht auf sich sit zen lassen. Dem Mann dagegen, den Yääl mit großem psychologischem Geschick für diese delikate Mission gewonnen hatte, dürfte kaum etwas geschehen, denn seine Sippe war groß und mächtig. Elkort würde sich al so davor hüten, Rachegedanken auch nur in einem Angehörigen der Klippensippe zu wecken. Gerade öffnete Elkort die Tür des Garten häuschens, da hörte Yääl hinter sich ein dis kretes Hüsteln. Ihr erster Gedanke galt den Dienern, und sie fuhr zornig herum, um den Störenfried in seine Schranken zu verwei sen. Das Wort blieb ihr im Mund stecken. Der da stand, war kein Diener. Es war nicht einmal ein Kune. Sekundenlang starrte Yääl fassungslos auf
Die Planetenschleuse das unglaublich fette Wesen mit dem häßli chen, spitzen, schwarzen Kopf. Dann setzte ihr Verstand wieder ein. »Du bist Peleff, nicht wahr?« fragte sie, wobei sie sich bemühte, ihre innere Unsi cherheit durch äußerliche Arroganz zu über spielen. »Ja«, antwortete Peleff knapp. Yääl taste te unauffällig mit der noch immer nach hin ten gestreckten Hand nach dem Schalter. Endlich hatte sie ihn gefunden. Sie wollte darauf drücken, da schwebte Peleff mit ei nem schnellen Ruck näher heran. »Lassen wir doch das Gerät ruhig einge schaltet«, sagte er, und seine Stimme hatte einen gutmütigen, fast väterlichen Klang. »Sicher ist es interessant. Eine schöne Frau wie du verbringt doch ihre kostbare Zeit nicht ohne Grund vor so einem Bildschirm.« Yääl zog die Hand zurück. Sie war ver wirrt. Aber das hinderte sie nicht daran, blitzschnell umzuschalten und durchzukal kulieren, welchen Nutzen oder wie großen Schaden Peleffs Anwesenheit mit sich brin gen mochte. Unterdessen war Peleff neben ihr angelangt. »Da ist ja der gute Elkort«, sagte er. »Ich dachte, er bemüht sich, diesen Nomazar ein zufangen. Statt dessen besichtigt er Häuser. Sehr merkwürdig. Wonach sucht er dort?« Peleffs große gelbe Augen blieben auf den Bildschirm gerichtet. Yääl fühlte sich daher nicht angesprochen und wartete schweigend ab. Elkort riß eine Tür auf und verschwand aus dem Erfassungsbereich der Kamera. »Wie schaltet man dieses Ding um?« fragte der Valvke. Yääl legte schweigend die Finger auf die Tasten. Elkort wurde wie der sichtbar. Er starrte ein Gewand an. »Du kannst gut damit umgehen, wie?« fragte Peleff beiläufig. »Das Gerät ist leicht zu bedienen«, erwi derte Yääl zurückhaltend. Peleff kratzte sich mit einer seiner zwölffingrigen Hände den feisten Bauch. »Jetzt wird es spannend«, kommentierte er, als Elkort den Vorhang zur Seite zog.
35 Aber gleichzeitig zuckte seine andere Hand nach vorne und wischte wie unbeabsichtigt über das Tastenfeld. Auf dem Bildschirm blitzte es auf, dann wurde die spiegelnde Fläche dunkel. »Was hast du getan!« rief Yääl zornig. »War es meine Schuld?« fragte Peleff verwundert. »Das tut mir aber leid. Nun werden wir wohl warten müssen, bis Elkort zurückkehrt. Oder gibt es noch andere Mög lichkeiten, in dieses Gebäude hineinzuse hen?« »Nein«, sagte Yääl bitter. »Wirklich nicht? Laß es uns doch versu chen. Sicher wird der ganze Palast gelegent lich überwacht.« Yääl schwieg. Sie hatte das fatale Gefühl, sich in Peleff geirrt zu haben. Natürlich erin nerte sie sich genau an alles, was Elkort ihr über den Valvken erzählt hatte. Aber das nahm sie von Anfang an nicht ernst. Auch Peleff war ein Mann – so dachte sie, und sie war nun einmal daran gewöhnt, über Män ner zu siegen. Der Valvke bearbeitete das Schaltpult. Es sah gespenstisch aus, wie seine vielen Fin ger über die Tasten glitten. Sie wirkten wie die düsteren, vielbeinigen Meerestiere, die es an den kalten Klippen der nördlichen Kü ste gab. »Nichts«, murmelte Peleff schließlich. »Da ist etwas durchgebrannt. Versuchen wir es an einer anderen Stelle.« Yääl atmete insgeheim auf. Nur dieses ei ne Gerät war mit den Kameras in dem Gar tenhaus verbunden. Sie führte Peleff zum nächstbesten Bild schirm, und fast verächtlich verfolgte sie die Bemühungen des Valvken, Elkort und das Gartenhaus wieder sichtbar zu machen. Plötzlich aber erschrak sie bis auf den Grund ihrer Seele. Auf dem Schirm erschien klar und deut lich ein Bild, das sie nur zu gut kannte. Das war ihr eigenes, allerprivatestes Zimmer. Für Elkort waren die vorderen Räume be stimmt. Er versuchte gar nicht, tiefer in Yääls Gemächer vorzudringen. Der Raum
36 auf dem Schirm dagegen besaß eine Verbin dungstür zu einem ganz bestimmten Lift – und ausgerechnet jetzt wurde diese Tür ge öffnet. Ein Kune trat ins Zimmer und sah sich suchend um. Peleff drehte an einem Knopf, und deutlich hörte Yääl die Stimme Gefros, der ihren eigenen Namen rief. Peleffs nüchterne Stimme riß die junge Kunin aus dem Bann des Schreckens. »Schade. Das ist nicht das richtige Zim mer. Ich glaube, es ist zwecklos.« »Yääl!« rief Gefros auf dem Bildschirm. »Wo steckst du denn. Ich habe wichtige Neuigkeiten für dich.« »Wie heißt du eigentlich?« fragte Peleff und schaltete das Gerät ab. Und Yääl, die gerissene, geistesgegenwär tige Favoritin des Transfusionsgebundenen Elkort, verfiel auf den denkbar dümmsten Ausweg, den es in dieser Situation gab. »Filanas«, sagte sie, und nannte damit den Namen ihrer Zweitschwester. »Es war sehr interessant, Filanas«, be hauptete Peleff. »Ich danke dir, daß du mir so großzügig deine Zeit geschenkt hast. Jetzt muß ich dich leider verlassen.« Yääl war verwirrt, aber auch erleichtert. Sie sah Peleff nach. Wie er so durch die Ge gend schwebte, dick und rund wie eine über fressene Qualle, mit seinem wallenden blau en Gewand, sah er eigentlich gar nicht ge fährlich aus. Während Yääl in ihre Privatgemächer zu rückkehrte, dachte sie über den Valvken nach. Sie versuchte, sich jedes Wort und je de Geste ins Gedächtnis zu rufen. Sie analy sierte das Verhalten des Dicken, und endlich kam sie zu dem Schluß, daß sie sich völlig grundlos gefürchtet hatte. »So ein Unsinn!« sagte sie zu sich selbst. »Das waren doch alles nur dumme Zufälle. Und Peleff ist fremd in diesem Palast. Er kennt fast niemanden hier persönlich. Er hat allerhand gesehen, aber es muß ihm doch völlig bedeutungslos erscheinen. Ich sehe wirklich schon Gespenster.« Sie erinnerte sich an Gefros. Er gehörte zu denen, die in Yääls Plänen eine wichtige
Marianne Sydow Rolle spielten. Sie mußte wissen, was ihn dazu bewegt hatte, zu diesem Zeitpunkt in ihrem Gemach aufzutauchen. Eilig schritt sie durch die vielen Zimmer, und sie schloß jede Tür sorgfältig hinter sich. Als sie ihr Ziel erreichte, sah sie sich vergeblich nach Gefros um. Er wird schon wiederkommen, dachte sie, und sie verließ den Raum in der Absicht, sich eine Erfrischung zu gönnen. »Yääl!« hörte sie Gefros Stimme rufen. »Yääl, wo bist du?« Sie fuhr herum und riß die Tür auf. Es war nicht Gefros. Der Mann, der Yääl mit seinem Ruf in dieses Zimmer gelockt hatte, war kein anderer als Peleff, der Valv ke. Yääl brauchte fast eine Minute, bis sie den Schock überwunden hatte. »Was für ein schmutziger Trick!« sagte sie schließlich, aber ihre Stimme klang we niger verächtlich als angsterfüllt. »Zugegeben«, meinte Peleff und schweb te lächelnd auf sie zu. »Elegant ist diese Me thode nicht, eher primitiv. Aber schmutzig? Yääl, du solltest das doch besser wissen. Wollen wir uns nicht ein wenig unterhal ten?« »Nein!« rief Yääl heftig. »Ich dachte, du bist hier, um dich um diesen Fremden zu kümmern. Warum also spionierst du mir nach?« »Tue ich das?« fragte Peleff spöttisch. »Mich bekümmert es nur, wie leichtfertig Elkort mit seiner Gesundheit umgeht. Aber wenn du nicht willst – ich finde schon je manden, mit dem ich reden kann. Ich wün sche dir eine gute Nacht, Yääl!« Er schwebte davon. Yääl rannte zum nächstbesten Fenster und riß die Vorhänge zurück. Es war dunkel geworden. Wo blieb Elkort? Was hatte er inzwischen mit Sydelär getan? Warum kam niemand, um ihr Bericht zu erstatten?
*
Die Planetenschleuse Elkorts Augen funktionierten tadellos. Auch sein Gehirn arbeitete einwandfrei. Dennoch weigerte er sich, das zu glauben, was er jetzt sah. In der Nische hinter dem Vorhang befand sich tatsächlich Sydelär. Sie trug nicht ein mal die mattrosa Perlenkette, von der sie sich sonst niemals zu trennen pflegte, und neben ihr lag ein Kune, der ebenfalls völlig unbekleidet war. Seine Nacktheit irritierte Elkort so sehr, daß er ihn zunächst gar nicht erkannte. Erst an der Narbe unter dem linken Auge identifizierte er ihn als Rhegul, den Kommandanten der Palastwache. Der letzte Rest von Vernunft zerstob. El kort hob das Messer, und Rhegul machte ei ne abwehrende Bewegung, ehe er begriff, daß er nicht gemeint war. Sydelär regte sich nicht. Sie sah Elkort nicht einmal an. Ihr Blick ging durch den Transfusionsgebunde nen hindurch. Das hätte ihn unter normalen Umständen stutzig gemacht, jetzt aber nahm er nur wahr, daß sie unbekleidet mit diesem Oberwächter in einem Bett lag, und dies in einer Art und Weise, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ. Er stieß den Dolch herab. Sydelär wich ihm nicht aus. Nur einer in diesem Raum er faßte, daß etwas nicht stimmte. Elkort schrie zornig auf, als Tassel ihn im letzten Augen blick zur Seite riß. Der Dolch zerschnitt das Gewand des Dieners, ritzte auch seine Haut auf, denn ein paar purpurne Blutstropfen wurden sichtbar. »Aufhören!« schrie Tassel verzweifelt. »Elkort, das ist eine Falle!« Tassel gehörte zu denen, die nur für Syde lär da waren. Ihre Sippe hatte ihn in den Pa last geschickt. Der Mann war Elkort keine Treue schuldig. Der Transfusionsgebundene faßte den Entschluß, den Diener ebenfalls umzubringen. In diesem Augenblick begriff Rhegul, daß er nicht, wie er gedacht hatte, an einem bö sen, aber harmlosen Streich beteiligt war. Yääl hatte ihm weisgemacht, daß es nur dar um ging, Elkort einen Dämpfer zu verpas sen. Darauf hatte er eingehen können, denn
37 der Transfusionsgebundene war nicht son derlich beliebt bei seinem eigenen Volk. Aber aus einem Spiel wurde tödlicher Ernst. Rhegul bekam es mit der Angst zu tun, und seine vorwiegend militärische Erziehung siegte über alle sonstigen Impulse. Er bekam eine massive Vase in die Finger. Er schwang das Ding durch die Luft, dann gab es einen dumpfen Laut. Elkort brach zusammen. Das Messer bohrte sich zwei Zentimeter von Tassels Hals entfernt in den Boden. Der Die ner blieb zunächst wie betäubt liegen, dann kroch er unter dem bewußtlosen Elkort her vor und richtete sich mechanisch auf. »Du hast ihn getötet«, stotterte er verstört und starrte auf Elkort hinab, dessen Kamm sich purpurn färbte. »Unsinn«, antwortete Rhegul unsicher, schlang sich mit nervös zitternden Fingern ein Tuch um die Hüften und kam um das Bett herum. »Er ist sicher nur betäubt.« Tassel zitterte am ganzen Leibe. Er war noch sehr jung, und er hatte einen doppelten Schock zu verdauen. Es ging für ihn nicht nur um Elkort, sondern auch um Sydelär, seine sanfte, geduldige, stets hilfsbereite Herrin. Sie hier, an diesem Ort und unter diesen Umständen zu finden, warf den Jun gen fast um. Rhegul sah ihn an, und ihm wurde endlich voll bewußt, daß er mehr war als ein Spielzeug für Yääl. Er mußte etwas tun. Er trug einen Teil der Verantwortung für das, was hier geschehen war. Einen Teil? Nein, mehr als das. Yääl würde es so hin stellen, daß er als der allein Schuldige da stand. Die Wache? Nein, das kam nicht in Frage. »Ich bin gleich wieder da«, sagte er zu Tassel. »Du bleibst hier und paßt auf, daß niemand herein kommt. Ist das klar?« Tassel nickte nur. Zum Sprechen war er vorerst nicht fähig. Rhegul kleidete sich in aller Eile an. Dann dachte er an Sydelär, und er wandte sich noch einmal an Tassel. »Zieh sie an!« befahl er. Er rief von einem Nebenraum aus Lasork herbei. Jeder im Palast wußte, daß Elkort zu
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diesem Kammdeuter ein auffallend gutes Verhältnis hatte. Lasork versprach, sofort in das Gartenhaus zu kommen. Dann saßen Rhegul und Tassel da und starrten auf die immer noch reglose Sydelär und den besin nungslosen Elkort, bis Lasork hereinstürmte und die beiden Patienten hastig untersuchte. »Nicht so schlimm«, kommentierte er El korts Zustand. »Der Schädel wird ihm brum men, aber das vergeht. Sydelär macht mir mehr Sorgen. Wie ist sie nur an dieses Zeug gekommen?« »Was für ein Zeug?« fragte Rhegul ver wirrt. Yääl hatte ihm gesagt, sie würde ihrer Ri valin ein starkes Schlafmittel verabreichen. Er, Rhegul, hatte nichts weiter zu tun, als sich neben sie zu legen und zu warten, bis Elkort hereinstürmte. Yääl zufolge sollte El kort daraufhin Peleff bitten, daß man ihm ei ne neue Gefährtin zuteilte – Yääl natürlich. Das war alles. Aber Lasorks Stimme hörte sich nicht danach an, daß Sydelär so leicht davonkommen würde. »Marandram«, sagte Lasork leise. »Eine Droge, die die Persönlichkeit zerstört. Die Symptome sind überdeutlich.« Er deutete auf Sydelärs Kammansatz, der fast weiß geworden war und tiefrote Flecken zeigte. Rhegul schluckte. »Dieses Biest!« flüsterte er. Lasork sah ihn nur an. »Ja«, sagte er nach langer Zeit. »Damit hast du wohl recht.« »Wovon sprechen die Herren?« fragte je mand von der Tür her. Sie fuhren herum und starrten Peleff er schrocken an. Der Valvke schwebte interes siert näher. »Mir scheint«, sagte er zu Lasork, »die Kammdeuter von Guhrno leiden nicht unter Arbeitsmangel. Willst du die beiden hier lie genlassen?« »Nein«, murmelte Lasork. »Rhegul, besorgst du uns ein Fahrzeug?«
7.
Unterdessen widerfuhren dem Flüchtling Nomazar seltsame Dinge. Der Graue, wie er den riesigen Wolf kurzerhand nannte, führte ihn zu seinem Rudel, und Nomazar war überrascht, weil keiner der Wölfe ihn angriff oder sich doch zumindest abweisend zeigte. Im Gegenteil: Die Jungen, eine übermütige, verspielte Bande, behandelten den Fremd ling mit ungewöhnlichem Respekt, und auch die erwachsenen Mitglieder des Rudels be gegneten Nomazar geradezu unterwürfig. Es war ein eigenartiges Gefühl. Nomazar saß buchstäblich unter Wölfen. Sie scharten sich um ihn, und ihre mächtigen Körper bil deten einen Wall um ihn. Er blickte in gelbe Augen und sah spitze Zähne und lange, sich hechelnd bewegende Zungen, er hörte das Scharren der scharfen Krallen auf dem stei nigen Boden – aber das alles wirkte eher fremd als bedrohlich. Er überlegte, ob diese Wölfe vielleicht gar keine waren. Möglicherweise handelte es sich um friedliche, pflanzenfressende Tiere, die den Fremden in ihrer Mitte schon des halb nicht angriffen, weil er ihnen zu wenig verlockend erschien. Aber da waren ein paar Junge, die blutige Knochen hinter sich herz errten und sich um die Reste eines großen Tieres balgten. Und schließlich – wozu brauchten Pflanzenfresser ein Raubtierge biß? Der Graue war leicht wiederzuerkennen. Die Haare in seiner Mähne besaßen sandfar bene Spitzen, und er hatte einen Riß in sei nem linken Ohr. Er schien der intelligenteste in diesem Rudel zu sein. Manchmal schien es sogar, als könne er die Gedanken des ein samen Mannes erfassen, der in diesem selt samen Kreis saß und sich bemühte, einen Weg zur Verständigung zu finden. Sie wollten offenbar nicht viel von ihm. Was sie zum Überleben brauchten, trugen sie mit sich – scharfe Sinne und mächtige Muskeln, die Kraft ihrer gewaltigen Kiefer und Tatzen, und dazu Mut und Tapferkeit. Natürlich kannten sie auch die üblichen Pla gen aller organischen Existenz, wie Krank heit, Verletzungen und Tod. Ein Junges hat
Die Planetenschleuse te einen langen Dorn in seiner Flanke stecken, und Nomazar schnitt behutsam die Haut auf, entfernte den Fremdkörper und reinigte die Wunde, so gut er es vermochte. Er machte sich Gedanken wegen der Ent zündungsgefahr. Als er aber sah, wie die Mutter des Kleinen mit ihrer langen Zunge unermüdlich über die noch blutige Stelle leckte, kam er zu dem Schluß, daß die Wölfe sich auch in solchen Dingen bis auf gele gentliche Schwierigkeiten zu helfen verstan den. Er fand nicht heraus, warum sie ihn in das Rudel aufnahmen. Er stellte allerdings auch keine langen Fragen danach. Erstens wollte er die Wölfe nicht argwöhnisch machen, zweitens konnten sie ihm ohnehin nicht ant worten. Sie verstanden offenbar einen Teil dessen, was er in Gonex sagte. Aber sie wa ren nicht fähig, Laute in dieser Sprache zu formen. Nach einiger Zeit löste sich der Ring der Wölfe auf. Einer nach dem anderen erhoben sie sich, schüttelten die dicken Mähnen aus, streckten sich und wanderten über die Lich tung. Der Graue blieb noch bei Nomazar, bis die allgemeine Unruhe auch ihn ergriff. Er stieß einen kurzen, scharfen Laut aus und sprang auf. Sofort eilten alle erwachsenen Wölfe herbei. »Auf zur Jagd, wie?« fragte Nomazar. Der Graue sah ihn aufmerksam an. Sein prächtiger Schweif bewegte sich ein wenig. Er hob die Nase zum Himmel und jaulte lei se, und alle anderen stimmten in den seltsa men Gesang ein. Und dann kamen auch die Jungen herbei, und Nomazar begriff, daß es um mehr als um einen kurzen Jagdausflug ging – die Wölfe beabsichtigten, diesen Platz zu verlassen. »Gut«, murmelte Nomazar, als der Graue verstummte und ihn erneut ansah. »Ich kom me mit.« Er fragte sich, wie lange es dauern würde, bis die Tiere ihn lästig fanden. Er konnte nicht so schnell laufen wie sie, und im Kampf um die Beute war er ihnen hoff nungslos unterlegen. Aber er hatte die Jun
39 gen vergessen, die ebenfalls nur langsam vorankamen. Es gab drei Würfe von ver schiedenem Alter. Die Kleinsten reichten Nomazar gerade bis ans Knie. Eines davon hatte er von dem Dorn befreit. Als Nomazar sah, daß das verletzte Junge sich kaum noch auf den Beinen halten konn te, lud er es sich auf. Von da an stand er un ter dem besonderen Schutz eines riesigen Weibchens mit wunderschönem, gelblichen Fell. Sie marschierten bis zum Einbruch der Dämmerung. Die Wölfe hielten sich parallel zum Fluß, aber sie gingen nur ab und zu an das Wasser heran, wenn der Durst sie dazu trieb. Nomazar wunderte sich zunächst dar über, denn am Fluß wären sie entschieden schneller vorwärts gekommen. Aber dann dachte er an den Felsen mit der unheimli chen Höhle – die Wölfe hatten sicher ihre Gründe, sich lieber durch das Dickicht zu bewegen. Als es dunkel wurde, erreichten sie wie der eine Lichtung. Die Fähen hielten ihre Jungen zurück, und ein paar besonders star ke Tiere verschwanden fast lautlos hinter den hohen Baumstämmen. Nach einer halben Stunde kehrten sie zurück. Sie hatten gute Beute gemacht, drei hasenähnliche Tiere und vier große Kreaturen, die ein wenig wie Hirsche aussahen, nur daß sie kein Fell, son dern einen Schuppenpanzer besaßen. Nomazar sah verwundert, daß die Wölfe ihre Beute in die Mitte der Lichtung legten und niemand Anstalten traf, sich einfach darüber herzumachen. Dabei waren sie nach der langen Wanderung sicher hungrig. Der Graue kam zu Nomazar und stieß sanft mit seiner feuchten Nase gegen die Schulter des Mannes. »Was soll ich tun, Grauer?« fragte Noma zar leise und strich dabei mit den Fingern durch das dichte Fell. »Sag bloß, daß ich die Beute für euch zerlegen soll. Ich habe nur ein nicht sehr großes Messer, vergiß das nicht.« Der Wolf gab keine Ruhe. Nomazar stand schließlich auf und folgte dem Grauen. Der Graue senkte den breiten Kopf, win
40 selte kurz und riß mit den Zähnen mühelos die Bauchdecke eines Pseudohirsches auf. »Damit wirst du also ganz ohne meine Hilfe fertig«, kommentierte Nomazar nüch tern. Der Graue ließ das tote Tier in Ruhe und starrte Nomazar erwartungsvoll an. Der Mann hob ratlos die Schultern. Als der Wolf begriff, daß er deutlichere Hinweise geben mußte, legte er eine Pfote auf das Beutetier und drehte es, bis Nomazar notgedrungen in den aufgerissenen Bauch hineinsah. Die her ausgestreckte Zunge des Wolfes hing zit ternd über einer bläulich schillernden Knol le. Der Graue winselte kläglich. »Das soll heraus?« fragte Nomazar unsi cher. »Ist es giftig?« Er bückte sich und hob das Messer. Als er noch einmal aufsah, um sich zu vergewis sern, daß er keinen Fehler beging, da stan den alle erwachsenen Wölfe um ihn und das tote Tier herum. Sie hechelten aufgeregt, und ihre Augen glitzerten. Nomazar schau derte es. Aber sie hatten ihn den ganzen Tag vor der Nase gehabt und ihm nichts getan. Also galt ihre Gier der Beute, an die sie sich wegen der bläulichen Knolle nicht heran wagten. Entschlossen setzte er sein Messer an. Er vermutete, daß dieses merkwürdige Organ ein starkes Gift enthielt, das den Wölfen die gesamte Mahlzeit verdarb, wenn die Knolle auch nur angeritzt wurde. Dementsprechend vorsichtig schnitt er das Gebilde heraus. Er hielt es behutsam in den Händen. Der Graue stupste ihn von hinten an und führte ihn zu einem Platz am Waldrand. Dort sah Noma zar eine kleine Grube, ganz frisch gegraben. Seine neuen Freunde hatten vorgesorgt. Nomazar warf das fremdartige Organ in die Grube. »Richtig so?« fragte er den Grauen. Der Wolf drehte sich um und kratzte mit den Hinterpfoten sorgfältig etwas von dem weichen Waldboden in die Grube, gerade genug, um die Knolle zu bedecken. Nomazar sah zurück – in der Mitte der Lichtung waren zwei große Tiere bereits da-
Marianne Sydow bei, die nun genießbare Beute zu zerreißen. Sie schlangen jedoch noch nichts von dem Fleisch herunter, sondern zerlegten das Tier kunstgerecht in verschieden große Teile. Die Weibchen kamen und holten sich ein paar besonders gute Stücke. Aber auch sie began nen noch nicht zu fressen, sondern versorg ten zuerst ihre Jungen. »Erstaunlich«, murmelte Nomazar. »Ihr habt gute Manieren. Gewöhnliche Wölfe seid ihr tatsächlich nicht.« Der Graue sah ihn aufmerksam an, und für einen Augenblick glaubte Nomazar in den Augen des Tieres einen amüsierten Schimmer zu entdecken. »Machen wir weiter«, sagte er unbehag lich. »Ich nehme an, die gesamte Beute muß auf diese Weise vorbehandelt werden.« Es war ein ziemlich blutiges Geschäft. Die großen Tiere, deren Schuppenhaut für Nomazars Messer fast undurchdringbar war, brach der Graue auf. Die kleineren überließ er dem Menschen ganz. Nomazar entledigte sich seiner Aufgabe gewissenhaft. Als er fertig war, zeigte der Graue ihm eine sorg fältig zusammengestellte Portion von Fleisch, Fettstücken und Innereien. Es war kaum zu glauben, aber die Stücke lagen so gar auf sauberen Blättern. »Ist das für mich?« fragte Nomazar über rascht. Der Graue winselte sanft. »Das ist sehr nett von euch«, sagte Noma zar gerührt. »Aber rohes Fleisch – nun ja, wir werden sehen.« Der Graue wandte sich ab, um endlich auch seine Mahlzeit einzunehmen. Nomazar entsann sich einiger Tricks, von denen er mal wieder nicht wußte, wo er sie gelernt hatte. Immerhin, so dachte er, wurde es Zeit, daß er es wenigstens versuchte. Wenn er in dieser Wildnis in der Gesellschaft des Wolfsrudels überleben wollte, würde er sich an vieles gewöhnen müssen. Er suchte ein paar Steine, legte ein Stück Fleisch auf eine flache Platte und begann, darauf herumzuklopfen. Nach einiger Zeit probierte er vorsichtig. Zu seiner großen
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Überraschung war das Fleisch mürbe und ei nigermaßen genießbar. Es schmeckte nicht gerade delikat, aber es würde ihm Kraft ge ben. Während er aß, dachte er sehnsüchtig an ein Feuer. Später mußte er die Wölfe dar an gewöhnen, daß ihr zweibeiniger Helfer sich Leber am Spieß briet. Bis dahin waren die Innereien für ihn tabu. Er brachte sie beim besten Willen nicht hinunter. Aber er dachte an das verletzte Junge und brachte ihm die Stücke von Herz, Leber und Lunge, die man ihm überlassen hatte. Die Fähe sah ihm zu, als er den Kleinen fütterte. Keines der anderen Jungen versuch te, dem kranken Geschwisterchen seine Ex traration streitig zu machen. Nomazar schnitt die Innereien in kleine Stücke, und der junge Wolf nahm sie ihm behutsam aus den Fingern. Er streichelte das Junge, und als er müde wurde, legte er sich neben ihm in das weiche Gras. »Giftentferner in einem Wolfsrudel«, sag te er vor dem Einschlafen spöttisch zu sich selbst. »Daß es so etwas gibt …«
* Am nächsten Morgen zogen die Wölfe weiter. Das Junge fühlte sich wohler, Noma zar dagegen spürte nagenden Hunger. Be sorgt musterte er seinen schrumpfenden Vorrat an Konzentraten. Er aß ein wenig und wanderte dann mit knurrendem Magen mit dem Rudel durch den Wald. Unterwegs riß er verschiedene Früchte ab. Die meisten wa ren hart oder rochen so unangenehm, daß er sie angeekelt wegwarf. Eine dagegen duftete verlockend. Als er hineinbeißen wollte, stieß die Fähe sie ihm aus der Hand. Sie winselte scharf. »Vielleicht ist sie für mich gar nicht gif tig«, meinte Nomazar. »Irgendeine pflanzli che Nahrung brauche ich.« Die Mutter des kranken Jungen sah ihn aufmerksam an. Ein paar Meter weiter wuchsen neben dem trockenen Bachbett, dem das Rudel gerade folgte, niedrige Bü sche mit dunkelroten Beeren. Die Wölfin
schnappte nach ihnen und stieß Nomazar auffordernd an. Der Mann überlegte sich, daß auch diese gewaltigen Tiere nicht ganz ohne pflanzliche Zukost auskamen. Er war immer noch mißtrauisch, was die Verträg lichkeit der Beeren betraf, aber er kostete ein paar von ihnen und beschloß, auf die weitere Wirkung zu warten. Von nun an machte ihn die Wölfin immer wieder auf Früchte und Blätter aufmerksam. Manches schmeckte ihm nicht, aber das meiste war genießbar. Er prägte sich die ver schiedenen Pflanzen ein. Wenn er erst einmal ein Feuer hatte und es schaffte, sich einen passenden Topf zu or ganisieren, würde er auch die verschiedenen herben Kräuter ausprobieren. Der Gedanke an heißen Tee und eine kräftige Suppe ließ ihm das Wasser im Munde zusammenlaufen. Er fühlte sich inmitten des Rudels sicher. Den ganzen Tag über sah er kein größeres Tier. Aber als die grauen Räuber abends zur Jagd ausschwärmten, kehrten sie wieder mit reicher Beute zurück. Offenbar gingen die anderen Bewohner dieses Waldes den star ken Wölfen aus dem Wege, wo immer ihnen das möglich war. Er klopfte sich wieder eine Portion Fleisch zurecht. Er vermutete, daß es von Natur aus sehr zart war, denn er konnte sich nicht vorstellen, daß seine Zuberei tungsmethode alleine es derart mürbe ma chen würde. Er probierte ein rohes Stück. Es war in der Tat so zart, daß er es mühelos hätte essen können. Nur der Blutgeschmack war stärker. Für einige Stunden vergaß er über diesem seltsamen Leben sogar die Zerbrechlichen und ihren Raumhafen, und er dachte zum er stenmal seit seinem Erwachen einen ganzen Tag lang nicht über seine Herkunft nach. Das Junge, dessen Verletzung fast verheilt war, kam und bettelte um die Innereien. No mazar fütterte den kleinen Kerl und lächelte, als das Tier sich hinterher neben ihm zum Schlafen zusammenrollte. Beim Aufbruch am nächsten Morgen lief das Tier neben ihm her, und Nomazar dachte bereits darüber nach, wie er den Kleinen nennen sollte. Er
42 pflückte im Gehen Beeren, Früchte und Blätter, und als die Wölfe zum Trinken an den Fluß zogen, balgte er sich mit der gan zen Bande im seichten Wasser. Er fühlte sich wohl – bis zu dem Augenblick, da er ein leises Brummen hörte. Der Graue stieß einen scharfen Laut aus, und das Rudel stürmte aus dem Wasser. Die Wölfe nahmen sich kaum Zeit, das Wasser aus dem dichten Fell zu schütteln. Sie liefen im scharfen Trab in den Wald hinein. Die Mutter des Kleinen hielt sich neben Noma zar, und der Mann klammerte sich mit einer Hand an ihrem Rücken fest und rannte stol pernd und keuchend neben ihr her. Das Brummen wurde lauter. Ab und zu warf er einen Blick nach oben, aber der Himmel zwischen den Baumkronen blieb vorläufig noch leer. Der Graue führte sein Rudel zu einer von dichtem Gebüsch fast verborgenen Höhle. Scharen kleiner, quietschender Tiere ergrif fen die Flucht – diese Höhle war bewohnt und daher sicher keine Falle wie die in dem großen Felsen. Nomazar lief neben der Wöl fin in das Dunkel hinein. Er spürte, daß die Tiere sich vor dem fremden Geräusch fürch teten, und er vermutete, daß sie allen Grund dazu hatten. Wahrscheinlich waren schon des öfteren Gleiter über dem Rudel aufge taucht, von denen aus sonnenheiße Blitze ih re Opfer forderten. Der Graue stand am Eingang. Er knurrte leise, ein Geräusch, das tief aus der Lunge zu kommen schien, und seine Mähne war gesträubt. Nomazar sah die riesigen Zähne blitzen, und vor seinem inneren Auge sah er den prächtigen Wolf noch einmal – als zer schossenes, blutiges Bündel. Er dachte an die Jungen, die sich furchtsam unter den Bäuchen ihrer Mütter zusammendrängten, und an die Fähe, die ihm die eßbaren Früch te des Waldes gezeigt hatte. Und schließlich faßte er einen Entschluß. »Ich gehe hinaus«, sagte er zu dem Grau en. Das Tier wandte den Kopf, und sein Knurren wurde ein wenig leiser. Plötzlich
Marianne Sydow leckte eine rauhe Zunge über die Hand des Mannes. Er sah nach unten und entdeckte den Welpen, mit dem er sich angefreundet hatte. Der Graue schob sich vor Nomazar, wandte demonstrativ den Kopf zum Eingang hin und knurrte lauter. »Du willst mich verteidigen?« fragte No mazar bitter. »Das ist sinnlos, alter Bursche. Die da oben haben die besseren Waffen. Du bist stark und mutig, aber mit deinen Zähnen und Krallen kannst du gegen Strahlwaffen nichts ausrichten. Sie würden euch alle töten und mich zum Schluß doch bekommen. Sie suchen mich, weißt du? Ich war ihr Gefan gener und konnte fliehen, und darüber sind sie verständlicherweise ziemlich wütend. Noch dazu, da ich einigen kräftig eines über den Schädel gegeben habe. Sei vernünftig, Grauer, und laß mich gehen. Denke an dein Rudel – du mußt es erhalten.« Der große Wolf hatte zugehört. Er zöger te, aber als Nomazar langsam an ihm vorbei ging, hielt er ihn nicht zurück. Nur das Jun ge wollte dem Menschen nacheilen. Der Graue hielt den Welpen mit einer Pranke nieder, bis die Mutter kam und ihr Kind im Nackenfell packte. »Gut so«, sagte Nomazar traurig. »Paß ein bißchen auf ihn auf, ja?« Er hörte das Jammern des Welpen noch, als schon der erste Schatten über die Zweige hinweghuschte. Er rannte zurück zum Fluß und lief ein paar Meter in das seichte Wasser hinein. Drei ovale Gleiter kamen über das Wasser auf ihn zugeschossen. Eine Minute später lag er gefesselt auf einer Ladefläche. Er überlegte, ob er nicht ein völlig sinnloses Opfer auf sich genommen hatte. Er hätte versuchen können, alleine durch den Wald zu fliehen. Aber dann sah er den Zerbrechli chen, der von einem Gerät aufstand, auf des sen Bildschirm ein grüner Punkt pulsierend blinkte. Der Punkt befand sich im Zentrum des Schirmes. Man hatte ihn anmessen kön nen, und so war es nur eine Frage der Zeit, bis man ihn eingefangen hatte. Die Wölfe
Die Planetenschleuse wurden offenbar in Ruhe gelassen. Nomazar hörte, wie der Pilot des Gleiters eine Erfolgsmeldung abgab und daraufhin alle Maschinen zum Hafen zurückbeordert wurden. Er wußte, daß die Wölfe auch ohne ihn zurechtkamen. Er hatte am Abend zuvor gesehen, daß es Beutetiere ohne die giftige Knolle im Bauch gab. Für den Grauen und sein Rudel würde die Jagd wieder etwas un bequemer werden – Hunger leiden mußten sie jedoch nicht. Er schob den Gedanken an das Rudel und die Zeit unter den Wölfen beiseite. Er be griff, daß es ein schöner Traum gewesen war. Ihm wurde klar, daß alle seine Vorstel lungen von einem freien und ungebundenen Leben auf dem Planeten Ptäk nur eine Illusi on gewesen waren. Er hatte nicht sein früheres Leben und so gar seinen Namen vergessen, um fortan mit einem Rudel Wölfen durch die Gegend zu ziehen. Er hatte eine Aufgabe – er kannte sie zwar nicht, aber er ahnte, daß er ganz von selbst an einen Ort geraten würde, an dem sich alle Rätsel lösten. Bis dahin mochte viel Zeit vergehen. Das machte ihm nichts aus. Der Begriff »Zeit« barg keine Schrecken für ihn. Er wußte nur eines: Um sein Ziel zu errei chen, mußte er in Bewegung bleiben. Das Leben auf Ptäk aber bedeutete Stagnation. Schon eine Stunde später lud man den ge fesselten Nomazar in ein kleines Raumschiff und brachte ihn zurück nach Guhrno.
8. »Ich hatte dich gewarnt«, sagte Lasork ernst. »Warum hast du nicht auf mich ge hört?« Elkort sah den Kammdeuter böse an. Das fiel ihm nicht leicht, denn seine Augen ge horchten ihm noch nicht so recht. »Wo ist Sydelär?« fragte er grob. »Im Nebenzimmer«, erwiderte Lasork ge lassen. »Sie erholt sich gerade von einer Überdosis Marandram.« Elkort brauchte fast eine Minute, ehe er
43 begriff. Plötzlich erinnerte er sich wieder daran, wie teilnahmslos Sydelär gewesen war. Selbst als er ihr den Dolch ins Herz zu stoßen versuchte, schien sie nicht einmal zu erschrecken. Und sie hatte nicht die gering ste Abwehrbewegung gemacht. »Hat Rhegul ihr das Zeug gegeben?« fragte er grimmig. Lasork lachte. »Nein«, sagte er dann nüchtern. »Rhegul ist auch nur ein Opfer.« »Wer hat es dann getan?« »Du würdest mir ja doch nicht glauben, du armer Narr«, behauptete Lasork mitlei dig, und als Elkort wütend auffahren wollte, setzte er hinzu: »Peleff wartet draußen. Er hat alles mitgekriegt.« »Ließ sich das nicht verhindern?« fragte Elkort erschrocken. »Nein. Es sei denn, wir hätten ihn umge bracht, in dem Augenblick, in dem er zur Tür hineinsah. Und das wäre uns sicher schlecht bekommen. Ich kann ihn noch ein wenig hinhalten, wenn du es wünschst. Ich habe ihm klargemacht, daß du bei schlechter Verfassung bist.« »Was nützt mir eine Galgenfrist«, mur melte Elkort deprimiert. »Hast du sonst noch Neuigkeiten für mich?« »Man hat den Fremden wieder eingefan gen.« Elkort richtete sich so heftig auf, daß sei ne Stielaugen restlos aus dem Takt gerieten. »Wo?« stieß er hervor. »Wann? Ist er schon hier?« »Man hat ihn auf Ptäk gefunden. Ein Ru del Dädnars hatte ihn aufgenommen. Darum dauerte es eine Weile, bis man ihn aufspürte. Er wurde vor knapp drei Stunden eingefan gen und trifft in wenigen Minuten mit einem Zubringerschiff hier ein.« »Gib mir etwas«, verlangte Elkort. »Irgend etwas, was mir auf die Beine hilft.« Lasork musterte ihn abschätzend. »Du wirst hinterher um so schlimmer dran sein«, warnte er. »Das ist mir egal.« Lasork schnippte resignierend mit den
44 Fingern. Ein paar Minuten später stand Elkort dem Valvken gegenüber. »Schön, daß du wieder auf zwei Beinen stehen kannst«, bemerkte Peleff spöttisch. »Der Gefangene ist eben angekommen. Er laubst du mir, ihn zu sehen?« Elkort schwieg. Er hatte Angst, etwas Dummes zu sagen, sobald er den Mund auf tat. Er war so unsagbar wütend auf diese ar rogante Fettkugel, daß alles möglich schien. Katastrophen jedoch hatte es im Palast wahrhaftig mehr als genug gegeben. Wenn ich könnte, wie ich wollte, dachte er wütend, dann würde ich dem verdammten Fremden den Hals umdrehen. Nichts als Schwierigkeiten habe ich durch ihn bekom men. Ohne ihn wäre auch Peleff nicht in die Planetenschleuse gekommen – wenigstens nicht zu diesem Zeitpunkt. Er sah Peleff höhnisch lächeln. Schon oft hatte er das Gefühl gehabt, der Valvke könn te die Gedanken seiner Opfer lesen. Plötzli che Furcht erfüllte ihn. Aber Peleff drehte sich auf der Stelle und schwebte voran. Elkort hatte Mühe, ihm zu folgen. Dem Valvken machte es wahrschein lich auch noch Spaß, einen der flinken Ku nen auf diese Weise in Verlegenheit zu brin gen. Wenig später sah Elkort den Fremden na mens Nomazar zum erstenmal mit eigenen Augen. Er war ein bißchen enttäuscht. Er hatte automatisch geglaubt, dieses Wesen, das von Guhrno geflohen und sich damit als besonders erwiesen hatte, würde auch de mentsprechend bedeutungsvoll aussehen. Aber was man da sah, konnte man für die schlechte Karikatur eines Kunen halten – ein hagerer, für Elkorts Begriffe kleinwüchsiger Mann, der in einer schmutzigen, von Rissen übersäten und noch dazu schlecht passenden Kombination steckte, einem Kleidungsstück, wie die Kunen es unter einem Raumanzug zu tragen pflegten. Es galt als äußerst un fein, sich damit in der Öffentlichkeit blicken zu lassen. Wo die Haut des Fremden aus dieser Kleidung heraussah, da war sie ekel-
Marianne Sydow haft nackt. Zwar waren auch bei den Kunen Gesicht, Hände und Füße unbehaart, aber Elkort erkannte genau, daß bei dem Gefan genen keine Spur von Pelzentwicklung vor handen war. Nur die Augen des Fremden ließen etwas von dessen Bedeutung ahnen. Sie waren kohlschwarz und lagen tief in den Höhlen, anstatt auf Stielen zu stehen. Der Blick des Fremden wirkte so unheimlich, daß Elkort unwillkürlich stehenblieb. »Nun«, sagte Peleff sanft. »Der Ausflug hat sich hoffentlich trotz allem gelohnt, No mazar. Du hast eine lange Reise hinter dir, und ein wenig Abwechslung ist einem Mann wie dir sicher stets willkommen. Wie lange warst du unterwegs?« »Warum fragst du nicht den Kommandan ten der RYGERKALL?« fragte Nomazar gelassen. »Der kann dir sicher genauer dar über Auskunft geben. Man hat mir leider keinen Zeitmesser zur Verfügung gestellt.« »Oh, mein Freund«, murmelte Peleff spöttisch, »sollte ich mich so unklar ausge drückt haben? Oder willst du nicht begrei fen, wonach ich dich gefragt habe. Mich in teressiert die ganze Reisezeit.« »Ich verstehe kein Wort.« »Du bist nicht auf Achtol geboren. Wo warst du vorher?« »Auf Ximmerrähne.« »Und davor?« »Das weiß ich selbst nicht.« »Warum nicht?« »Ich kann mich nicht daran erinnern.« »Es gibt Mittel und Wege, das Erinne rungsvermögen eines lebenden Wesens zu verbessern«, bemerkte Peleff sanft. »Das ist für den Betroffenen meist ziemlich unange nehm, aber wer sich zu verstockt zeigt, hat sich die Folgen selbst zuzuschreiben.« Nomazar sah den Valvken an, und auch wenn Elkort sich nicht sicher war, ob er die Mimik des Fremden richtig deutete, so war er doch überzeugt davon, daß Nomazar kei ne Furcht empfand. »Ich habe dir die Wahrheit gesagt«, er klärte er ganz ruhig. »Etwas anderes wirst
Die Planetenschleuse du kaum aus mir herausholen können. »Aber sicher erinnerst du dich doch we nigstens an den Namen deiner Heimatwelt?« »Tut mir leid. Ich erwachte auf Ximmer rähne – alles andere liegt für mich im Dun keln.« »Schade«, murmelte Peleff und wandte sich zum Gehen. Elkort war so verblüfft, daß er stocksteif stehenblieb. Nomazar betrachtete den Kunen mit spöttischen Blicken. Elkort riß sich zu sammen und eilte dem Valvken nach. »War das alles?« fragte er, und seine Em pörung war so groß, daß er vorübergehend sogar seine Angst vor Peleff vergaß. Der Valvke hielt an und sah zurück auf die Tür, hinter der Nomazar wartete. »Nein«, sagte er nüchtern. »Aber was sollte ich deiner Meinung nach tun?« »Diese haarsträubenden Lügen …« »Mein lieber Elkort, Chirmor Flog ist schließlich kein Narr. Wenn dieser Mann dort als Spion in Flogs Auftrag bis nach Guhrno gelangen konnte, dann beweist das nur, wie gut man ihn im Marantroner-Revier für diese Aufgabe präpariert hat. Denkst du denn wirklich, man könnte aus einem sol chen Agenten die Wahrheit herausprügeln? Nie und nimmer! Wahrscheinlich würde er Selbstmord begehen, wenn man ihn zu hart anfaßte. Wir müssen vorsichtig mit ihm um gehen. Dagegen gibt es keine vorprogram mierte Abwehr – ich weiß das. Ich werde mich seiner annehmen. Wenn er wirklich der Spion ist, auf den wir warten, dann wird er schon nach kurzer Zeit zu Chirmor Flog zurückfliegen – als Spion für Duuhl Larx.« Elkort sah den Valvken ungläubig an. Peleff lachte. »Geh und hole ihn«, befahl er. »Ich möchte ihn in meiner Nähe haben. Dann kommt er wenigstens nicht wieder auf dum me Gedanken.« »Soll er etwa frei herumlaufen?« fragte Elkort entsetzt. »Warum nicht. Immerhin ist er kein Mör der.« Diese Spitze saß. Elkort beeilte sich,
45 Peleffs Befehlen nachzukommen. Nomazar schritt frei zwischen den beiden anderen dahin. Für die, die ihnen begegne ten, war es ein sehr sonderbares Bild. Elkort, der größte in dieser Gruppe, schien zugleich am unsichersten zu sein. Der Gefangene da gegen ging mit ruhigen Schritten neben ihm her. Falls er sich gelegentlich über die prächtige Ausstattung des Palasts wunderte, so ließ er es sich nicht anmerken. Der fast kugelrunde Valvke schließlich, noch kleiner als Nomazar, schwebte scheinbar zufrieden durch die Gänge. Plötzlich aber zerbrach die trügerische Ruhe, die zwischen den drei äußerlich so un gleichen Männern herrschte. Ein sonnenheißer Energiestrahl stand in der Luft. Elkort und Nomazar taumelten zur Seite, und der Luftdruck warf sie nahe den Wänden zu Boden. Mitten in der Schußbahn schwebte Peleff, von grellen Flammen um zuckt. Das alles dauerte nur eine Sekunde. Dann zeugten nur noch die Hitze und ein paar zer schmolzene Verzierungen im Hintergrund von dem heimtückischen Überfall. Nomazar richtete sich gelassen auf. Elkort dagegen war unfähig, sich zu rühren. Er starrte wie gebannt auf die Stelle, an der Peleff gestanden hatte. Dort dehnte sich ein Glutball aus, der allmählich verwehte – und dann tauchte Peleff unbeschädigt aus den nachglimmenden Schwaden auf. »Seltsame Dinge geschehen in deinem Palast, Elkort«, bemerkte er grimmig. »Ich fürchte, es wird höchste Zeit, daß Duuhl Larx einen anderen Transfusionsgebundenen nach Guhrno schickt.« »Ich weiß nicht …«, stotterte Elkort ent setzt. »Das glaube ich dir gerne«, versicherte Peleff sarkastisch. »Langsam frage ich mich, ob es überhaupt etwas gibt, was du weißt und unter Kontrolle hast. Der Schuß kam aus dieser Richtung. Nomazar, du bleibst bei mir. Was immer auch geschieht – ich wün sche nicht, daß du in den nächsten Stunden von meiner Seite weichst.«
46 Nomazar nickte nur. Er machte sich seine eigenen Gedanken zu dem Vorfall. Kurz be vor der Schuß fiel, hatte er im Hintergrund eine Bewegung wahrgenommen. Eine graue Gestalt, ein Kune offenbar, war für einen Augenblick hinter einer Säule hervorgetre ten. Ganz deutlich hatte Nomazar einen schillernden, bunten Gürtel gesehen. Es schien ihm, als hätte auch Peleff diese Wahrnehmung gemacht. Er steuerte zielsi cher die betreffende Säule an. Elkort hatte sich inzwischen ein wenig ge faßt. »Nur ein Wahnsinniger kann das getan haben«, rief er mit schriller Stimme. »Hör auf, dich selbst zu bezichtigen«, wehrte Peleff grob ab. Ein freundliches Wesen, dachte Nomazar sarkastisch. »Hinter der Säule ist niemand«, verkünde te Elkort das, was sie alle sehr deutlich se hen konnten. »Natürlich nicht«, murmelte Peleff und sah sich nachdenklich um. »Aber ich müßte mich doch sehr irren, wenn es hier nicht eine ganz deutliche Spur gäbe.« Es gab diese Spur. Neben dem Eingang zu einem Korridor ganz in der Nähe war eine kleine Figur heruntergerissen, und daneben lag eine Perlenschnur. Die Kette war nur an einer Stelle gerissen, und keine einzige Perle war davongerollt, denn jede war in der Schnur verknotet. »Wem mag die wohl gehören?« murmelte Peleff und hob die Kette auf. Er sah Elkort dabei an, und die Augen des Kunen wackel ten beunruhigend. »Sydelär«, stieß der Transfusionsgebun dene schließlich hervor. »Aber das ist un möglich. Sie kann es nicht gewesen sein …« In diesem Augenblick erinnerte er sich endlich wieder an Yääl. Er wußte plötzlich, daß nur sie für den Überfall in Frage kam. Warum sie es getan hatte, war ihm im Au genblick völlig egal, für ihn zählte auch die Tatsache nicht, daß sie Sydelär in einen bö sen Verdacht brachte. Für ihn zählte nur ei nes: Yääl befand sich in höchster Gefahr.
Marianne Sydow Wenn Peleff die Wahrheit herausfand, dann würde er die Kunin töten. Elkort konnte und wollte sich nicht vorstellen, wie er dann wei terleben sollte. »Das heißt«, sagte er etwas leiser, »sie war in der letzten Zeit wirklich ein bißchen merkwürdig. Ich fürchte, sie hat mit Ma randram herumgespielt. Ich hätte mich eher darum kümmern sollen.« »Wie wahr«, sagte Peleff spöttisch. »Es war zu viel zu tun«, wehrte Elkort trotzig ab. »Soll ich meine Arbeit um einer Frau willen vernachlässigen?« »Du bist ein Muster an Pflichtbewußt sein«, versicherte Peleff sanft wie eine Kat ze, die ihr Opfer mit Samtpfoten niederhält. »Hören wir uns an, was Sydelär dazu zu sa gen hat.« Sie fanden die Kunin in ihren Gemächern. Ein Verhör jedoch verbot sich von selbst. Sydelär war nicht ansprechbar. Sie träumte im Drogenrausch vor sich hin. Nomazar stellte übrigens fest, daß Sydelär keinen bunten Gürtel trug. Das hatte nicht viel zu besagen, denn die Kunin konnte das Ding inzwischen abgelegt haben. Trotzdem verzichtete er auf eine diesbezügliche Be merkung. Er hatte vorerst keinen Grund, in das Geschehen einzugreifen. Mit den Kunen hatte er nichts zu tun, und Peleff war sein Feind. Als sie Sydelär in der Obhut eines Kamm deuters zurückließen, begegnete ihnen eine andere Kunin. Nomazar war von ihrem An blick wie elektrisiert. Diese Art, sich blitz schnell und geschmeidig zu bewegen – sie trug ebenfalls keinen schillernden Gürtel, aber er war sicher, oder doch fast sicher, daß er diese Frau kurz vor dem Überfall gesehen hatte. »Hallo, Yääl«, sagte Peleff freundlich. »Wie stehen die Geschäfte?« Der Valvke bemerkte zweifellos, daß die Kunin namens Yääl vor Schreck zusammenzuckte, und auch Elkort schien an den Rand eines Ohn machtsanfalls zu geraten. Nomazar sah die Reaktion des Dicken, der gleichmütig weiterschwebte, und er machte sich seinen
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Reim darauf. Es schien, als wäre Peleff noch gefährlicher, als er bisher angenommen hat te.
* Peleff entließ Nomazar wenig später, nachdem er zunächst Elkort weggeschickt hatte. »Sieh dich hier um«, sagte der Valvke zu seinem Gefangenen. »Aus dem, was in die sem Palast vorgeht, kann man viel lernen. Aber komm bitte nicht schon wieder auf die Idee, die Flucht zu versuchen. Ich würde dich doch wiederfinden – und ich ver schwende nicht gerne meine Zeit.« Nomazar nahm es zur Kenntnis. Es kam ihm aber so vor, als rechnete der Valvke mit Nomazars Widerspenstigkeit. Der Dicke schien alles und jeden, der in seine Nähe ge riet, in ein Netz von Intrigen zu verstricken. Er spielte ein großes, undurchsichtiges Spiel. Nomazar wußte, daß er unter Peleffs Fitti chen sicher war. Niemand in diesem Palast würde es wagen, dem Gefangenen auch nur ein Haar zu krümmen, solange Peleff An spruch auf Nomazar erhob. So hatte er keine Bedenken, in jenen Teil des Palasts zu ge hen, in dem Elkort und die beiden Frauen lebten. Der Weg war sowieso nicht weit – Peleff bewohnte eine Zimmerflucht, die vom selben Lichtschacht wegführte wie die Sui ten des Transfusionsgebundenen Elkort. Er hatte sich gemerkt, an welcher Stelle er Yääl gesehen hatte. Aber als er dort eintraf, war die Kunin nicht da. Nach kurzem Zö gern klopfte Nomazar an die nächstbeste Tür. Ein männlicher Kune, der einen blaßro ten Kilt trug, musterte ihn von Kopf bis Fuß. »Wo finde ich Yääl?« fragte Nomazar. Der Kune, allem Anschein nach ein Die ner, trat einen Schritt zurück. »Warte hier«, sagte er höflich. Augenblicke später stand Nomazar der jungen Kunin gegenüber. Yääl trug außer ihrem fast silbernen Pelz nichts als ein paar schwarze Perlenschnüre. Für einen Kunen mochte dieser Anblick umwer
fend sein – Nomazar hatte andere Schönheit sideale. »Du suchst nach mir?« fragte Yääl und räkelte sich in ihrem Sessel, daß die schwar zen Perlen leise gegeneinanderklirrten. »Warum?« »Ich will dir ein Geschäft vorschlagen«, erwiderte Nomazar und ließ sich auf der Kante eines zweiten Sessels nieder. »Ein Geschäft?« fragte Yääl lachend. »Was hast du mir zu bieten?« »Dein Leben, Yääl.« Sie hörte auf zu lachen. »Wie meinst du das?« fragte sie scharf. »Ich habe dich gesehen. Unten, in dem Gang, in dem auf Peleff geschossen wurde.« »Das ist unmöglich«, fauchte sie. »Ich war nicht dort!« »Du willst sagen, daß du gut verborgen warst und niemand dich beobachten konnte. Aber du mußtest für einen Augenblick hinter der Säule hervortreten, um genau zielen zu können. Nein, versuche nicht, dich heraus zureden. Ich habe einfach keine Zeit, mit dir zu diskutieren. Für einen Kunen magst du praktisch unsichtbar geblieben sein. Aber ich bin ein Fremder. Meine Augen sind an ders beschaffen.« »Was verlangst du von mir?« fragte Yääl nach einer langen Pause. »Warum wolltest du Peleff umbringen?« »Er ist eine große Gefahr für Elkort.« »Bist du Elkorts Frau?« »Nein. Elkort ist ein Transfusionsgebun dener.« Sie sah, daß Nomazar diese Antwort nicht als ausreichend betrachtete und fügte hinzu: »Es heißt, daß in den Adern der Transfusionsgebundenen Blut des Neffen Duuhl Larx fließt. Sie sind seine bevorzug ten Diener. Aber dafür dürfen sie keine fe sten persönlichen Bindungen eingehen. El kort bekam eine Frau zugeteilt, sie heißt Sy delär. Er liebt sie nicht, aber er kann sich ge gen den Befehl des Neffen nicht zur Wehr setzen.« Nomazar nickte. Er verstand jetzt recht genau, was hier im Palast gespielt wurde. Yääl wollte Peleff an den Kragen, weil sie
48 fürchtete, nach Elkorts Tod oder Ablösung einen großen Teil ihrer Macht einzubüßen. Und als das Attentat mißlang, brachte sie Sydelär, ihre Rivalin, in die Schußlinie. Hatte Peleff diese Vorgänge durchschaut? Zuzutrauen war es ihm. Wenn er wußte, wer auf ihn geschossen hatte und wie die Zusam menhänge waren, dann verlor Nomazar jetzt nur seine Zeit. Peleff wollte ihn lebend – er würde ihn nicht umbringen, wenn er ihn bei einem Fluchtversuch erwischte. »Ich muß die Planetenschleuse auf dem schnellsten Wege verlassen«, erklärte No mazar. »Du wirst mir dabei helfen.« Yääl starrte ihn entsetzt an. Sie mochte daran denken, was Peleff mit ihr anstellte, wenn er sie mit Nomazar in der Nähe des Landefelds erwischte. Aber plötzlich fing sie sich. Sie erhob sich geschmeidig und ging auf Nomazar zu. »Du gefällst mir«, sagte sie ernsthaft. »Du hast Mut – du gehst ein Risiko ein, um dein Ziel zu erreichen. Ja, ich werde dir helfen.« Nomazar sah zu ihr auf. Er war ein wenig überrascht. Ihre Einwilligung kam für seinen Geschmack zu schnell. Aber er ließ sich nichts anmerken, sondern nickte freundlich. Yääl setzte sich auf die Kante seines Sessels, und Nomazar mußte lächeln. Sie überragte ihn selbst jetzt noch um rund einen Meter. Neben ihr fühlte er sich wie ein Kind. Glaubte sie wirklich, ihn auf bewährte Weise beeinflussen zu können? Es schien so, denn sie legte ihre Arme um No mazar und drückte den Fremden an ihre pel zige Brust. Ein durchdringend süßlicher Ge ruch stieg Nomazar in die Nase. Er nieste und befreite sich aus dem Griff der Kunin. »Führe mich zum Landefeld«, forderte er. »Aber auf einem Weg, auf dem wir mög lichst niemandem begegnen. Weißt du, wel che Organschiffe bereits entladen sind und das System möglichst noch heute verlas sen?« »Da gibt es im Augenblick nur eines.« Yääl schien nicht beleidigt darüber, daß der Fremde nichts von ihr wissen wollte. Sie
Marianne Sydow konzentrierte sich sofort auf die Aufgabe, die Nomazar ihr stellte. »Es verläßt Guhrno noch in dieser Nacht. Zum Glück steht es an einer günstigen Stel le. Wir können durch die Gärten gehen. Da gibt es Wege, die niemals benutzt werden. Nur die Roboter laufen dort herum.« »Worauf sind die Maschinen program miert?« »Auf Gartenarbeiten. Sie greifen nieman den an. Es kommen sehr viele fremdartige Wesen zu uns. Es gäbe eine Katastrophe, wenn man die Roboter jedesmal erst müh sam umprogrammieren müßte.« Das leuchtete Nomazar ein. »Die Gärten«, fuhr Yääl fort, »reichen bis an das Landefeld heran. Das Schiff steht dann noch etwa dreihundert Meter entfernt. Kannst du schnell laufen?« »Ich denke schon.« »Dann dürfte kaum noch etwas schiefge hen.« »Die fremden Raumfahrer werden mich auf der Stelle zurückschaffen«, stellte No mazar fest. »Wie komme ich ungesehen ins Schiff?« »Durch eine Nebenschleuse. Sie steht of fen, der frischen Luft wegen. Es ist ein altes Schiff, man muß mit den Reserven vorsich tig umgehen. In einer halben Stunde wird es dunkel. Die Mannschaft wird dann alle Hän de voll zu tun haben, um das Schiff auf den Start vorzubereiten.« »Meinst du, daß sie die Schleuse offen lassen?« »Warum denn nicht? Es gibt für Organ schiffe keinerlei Gefahren auf Guhrno.« »Gut«, sagte Nomazar. »Gehen wir.« Yääl führte ihn durch den Palast, und sie benutzte Gänge und Treppen, die still und verlassen waren. Nomazar hatte bereits be merkt, daß der ganze Gebäudekomplex vor wiegend aus riesigen, vielfarbigen Muschel schalen errichtet worden war. Selbst in den funktionellen Räumen, die Nomazar zuerst kennengelernt hatte, gab es nur weich ge schwungene Wände. Jetzt zeigte sich, daß bei einer solchen Bauweise fast von selbst
Die Planetenschleuse unzählige Schlupfwinkel und Durchgänge entstanden. Sie gelangten ins Freie, ohne einen einzigen Kunen gesehen zu haben. In den Gärten war es fast dunkel. Die von starken Scheinwerfern angestrahlte Kuppel des Computersystems ragte schimmernd hinter den Baumkronen auf. Yääl führte den Gefangenen eilig über einen breiten Weg hinweg, der sich an der Palastwand entlang zog. Dann tauchten sie in das Dunkel unter den Bäumen ein. Sie folgten einem schma len Pfad, auf dessen weicher Erde ihre Schritte völlig lautlos waren. Trotzdem fühlte sich Nomazar alles ande re als wohl in seiner Haut. Das Ganze ging ihm zu glatt. Er spürte förmlich die Falle, der er sich unaufhaltsam näherte. Steckte Peleff schon hinter dem nächsten Gebüsch, um sich über die Dummheit seines Gefange nen lustig zu machen? Aber die Zeit verging, und es geschah nichts. »Wie weit ist es noch?« fragte Nomazar schließlich. »Wir werden rechtzeitig eintreffen«, ver sprach Yääl. Und dann öffnete sich der Pfad, und Nomazar sah eine weite, freie Fläche. Zu spät erkannte er die Roboter, die an der Grenze zum Landefeld postiert waren. Yääl wich blitzschnell zur Seite. »Was soll das?« fragte Nomazar unwillig. »Du sitzt in der Klemme, Fremder«, klang Yääls Stimme hinter einem blühenden Strauch auf. »Die Maschinen lassen keinen Fremden vom Palastgarten her auf das Lan defeld, und die Gartenmaschinen haben ge nau umgekehrte Anweisungen. Sieh zu, wie du dich da herauswindest.« »Warum tust du das?« »Du hast versucht, mich zu erpressen!« zischte Yääl wütend. Er hörte ihre Schritte, als sie sich eilig entfernte. Dann ertönte ein schwacher Schrei. Unsicher ging Nomazar an der Gren ze der Gärten entlang. Er dachte, daß er ge nauso gut umkehren konnte, denn welche Art von Robotern ihm schließlich den Garaus machte, war egal. Aber vielleicht ge
49 langte er in die Stadt, wenn er lange genug marschierte und sich immer genau auf der Grenze hielt. Die schwache Hoffnung verflog, als er den Gleiter dicht vor sich zwischen den Bäumen hervorschießen sah. Peleff war in der erleuchteten Kabine deutlich zu erken nen. Nomazar blieb stehen. »Steig schon ein!« rief Peleff spöttisch. »Oder willst du bis zum Morgen hier drau ßen herummarschieren?« Als Nomazar in die Kabine kletterte, ent deckte er Yääl. Die Kunin war kunstgerecht verschnürt. Sie hockte vor dem Rücksitz, und in ihren rosa Stielaugen leuchtete der Haß. Offenbar dachte sie, ihrerseits in eine Falle gelaufen zu sein, die Nomazar in Peleffs Auftrag gestellt hatte. Peleff schwieg, während er den Gleiter zum Palast dirigierte. Er hielt vor dem riesi gen Portal. »Häng ihr das um«, befahl er Nomazar und reichte ihm eine Kette mit einem dicken, silbrigen Anhänger. Gehorsam legte Nomazar der Kunin die Kette um den Hals. Es handelte sich um ein kleines Antigravita tionsgerät – Yääl wurde schwerelos, so daß Peleff sie mühelos aus dem Gleiter ziehen konnte. »Du bleibst bei mir!« sagte er zu seinem Gefangenen. Dann schwebte er voran. »Da«, sagte er zu Elkort. »Ich bringe dir deine reizende Freundin zurück. Ahnst du, was sie getan hat? Nein? Dann will ich es dir verraten: Sie führte meinen Gefangenen den Robotern am Landefeld vor die Arme. Wie findest du das?« Elkort sagte gar nichts. Er starrte Peleff nur an. »Es ist ein wahres Wunder, daß dieser Mann noch lebt«, fuhr der Valvke fort. »Das heißt – das Wunder habe ich bewirkt. Ich ahnte nämlich so etwas und habe Yääl beob achtet. So konnte ich den Robotern rechtzei tig ein paar neue Befehle übermitteln. Und nun frage ich mich natürlich, warum du, der du doch deinen Palast und die darin woh nenden Kunen weit besser kennst als ich,
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Marianne Sydow
nicht ebenfalls auf die Idee gekommen bist, etwas zum Schutz des Gefangenen zu unter nehmen.« »Ich hatte keine Ahnung …«, stotterte El kort. »Das glaube ich«, erwiderte Peleff eisig. »Du weißt nichts, du begehst Fehler über Fehler – und in deinem Palast tut anschei nend jeder, wozu er gerade Lust hat, anstatt an seine Pflicht zu denken. Ich habe genug davon, Elkort, endgültig genug. Was sich hier in Bryson abspielt, ist ungeheuerlich. Ich werde Duuhl Larx davon unterrichten und deine Ablösung vorschlagen.« Elkort raffte sich ein letztesmal auf. »Duuhl Larx wird sich von dir nicht über zeugen lassen«, sagte er trotzig. »Ich bin auch ein Transfusionsgebundener – der Nef fe verläßt sich auf mich.« »Da wäre er aber ganz schön dumm«, be merkte Peleff sanft. »Aber es ist gut, daß du mich an etwas erinnerst. Ich werde selbst verständlich die Daten aus dem Heymfloz in meinen Palast auf Cagendar überspielen las sen. Die Beweise sind erdrückend, mein Lie ber.« Elkort verlor die Übersicht. Er war ge schwächt und verwirrt, und jetzt hakte etwas in seinem Gehirn aus. Er stürmte davon. Peleff hielt ihn nicht zurück. Er schaltete statt dessen einen Bildschirm ein und ver folgte Elkorts Weg auf seine Weise. Der Kune rannte auf dem kürzesten Wege zur HeymflozKuppel. »Ist er nicht klug?« murmelte Peleff mit düsterem Spott. »Jetzt hat er nur eines im Sinn: Er will die betreffenden Daten lö schen. Er hat alles andere vergessen. Der Weg ist frei. Der nächste Wächter der Plane tenschleuse wird meinem Geschmack eher entsprechen.« Nomazar runzelte die Stirn. Das hörte sich ja beinahe an, als arbeitete Peleff insge-
heim in die eigene Tasche, als sei er dem Neffen gar nicht so bedingungslos ergeben … Aber in diesem undurchsichtigen Mann konnte man sich nur allzu leicht irren. No mazar schob den Gedanken zur Seite und konzentrierte sich auf den Bildschirm. Noch wußte er nicht, welches Schicksal den Transfusionsgebundenen Elkort erwartete. Aber er erfuhr es schon wenige Minuten später. Elkort erreichte eine große Tür mit einem seltsamen Zeichen. »Das Handsiegel des Neffen«, murmelte Peleff. Elkort legte die Hände auf das Siegel und riß daran. Im nächsten Augenblick gab es einen grellen Blitz auf dem Schirm. Als das Bild wieder deutlich wurde, war Elkort nicht mehr zu sehen. Peleff drehte sich um und nahm Yääl die Kette ab. Die Kunin war be wußtlos geworden. »Es wird Zeit für uns«, sagte der Valvke zu Nomazar. »Wir verlassen so schnell wie möglich diesen Planeten. Auf Cagendar wer den wir sehen, ob du mir nicht doch ein biß chen mehr zu berichten hast.« Plötzlich waren Roboter da, häßliche Ma schinen, die Nomazar in Ketten legten und auf eine Schwebeplattform setzten. Sie ver loren keine Zeit. Auf dem geraden Weg wurde Nomazar in die PELEFFS ATEM ge bracht. Er war kaum an Bord, da startete das Schiff und verließ mit Höchstgeschwindig keit das Nurschug-System. Nomazar war auf dem Weg nach Cagendar, einem im RghulRevier fast schon legendären Planeten, auf dem es prächtige Schätze und gräßliche Ge fahren geben sollte.
ENDE
Weiter geht es in Band 411: Die falschen Scuddamoren
Die Planetenschleuse von Hans Kneifel
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