Nr. 272
Die Seuchenspezialisten Der Kristallprinz auf Ulfwahr - sein Ziel ist die Positronik von Marianne Sydow
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Nr. 272
Die Seuchenspezialisten Der Kristallprinz auf Ulfwahr - sein Ziel ist die Positronik von Marianne Sydow
Das Große Imperium der Arkoniden kämpft um seine nackte Existenz, denn es muß sich sowohl äußerer als auch innerer Feinde erwehren. Die äußeren Feinde sind die Maahks, deren Raumflotten den Streitkräften des Imperiums schwer zu schaffen machen. Die inneren Feinde Arkons sind die Herrschenden selbst, deren Habgier und Korruption praktisch keine Grenzen kennen. Gegen diese inneren Feinde ist der junge Atlan, der rechtmäßige Thronerbe und Kristallprinz von Arkon, bereits mehrmals erfolgreich vorgegangen. Selbst empfindli che Rückschläge entmutigen ihn nicht und hindern ihn und seine rund 12.000 Helfer nicht daran, den Kampf gegen Orbanaschol III. den Usurpator, mit aller Energie fort zusetzen. Atlans geheime Zentrale, von der aus alle seine Aktionen gegen Orbanaschol ih ren Anfang nehmen, ist Kraumon. Auch auf diesem abgelegenen Planeten ist inzwischen längst bekannt, daß es mit Orbanaschol nicht mehr zum Besten steht. Daher rechnet sich Atlan eine reelle Chance aus, den Usurpator endlich zu stürzen. Voraussetzung ist allerdings, daß der Kristallprinz nach Arkon gelangt. Um sein Ziel zu erreichen, beginnt Atlan ein riskantes Spiel, indem er sich als Teil nehmer für die KAYMUURTES registrieren läßt. Wertvolle Hilfe bei den notwendigen Vorarbeiten leisten ihm DIE SEUCHENSPEZIALISTEN …
Die Seuchenspezialisten
3
Die Hautpersonen des Romans:
Atlan - Der Kristallprinz Interessiert sich für eine Positronik.
Rec, Hattan, Torkon und Vayhna - Atlans Begleiter.
Der dunkle Zordec und Mana-Konyr - Zwei Favoriten der KAYMUURTES.
Sethor Athanik - Kommandant von Ulfwahr.
Corpkor - Der Tiermeister beschäftigt sich mit Fliegen.
1. »Schade, daß wir nicht zur Erholung hier sind!« sagte Hattan und verlangsamte den Flug des Gleiters. »Wir werden nicht viel zu tun haben«, murmelte Rec, der ehemalige Kommandant des Seuchenschiffs SLUCTOOK. »Jedenfalls nicht, was die medizinische Sei te unseres Auftrags angeht.« Ich stieß ihn an und legte den Zeigefinger über die Lippen. Rec grinste verzerrt und nickte. Er hatte verstanden. Der Gleiter gehörte uns, und es war kaum anzunehmen, daß jemand es geschafft hatte, ihn hinter unserem Rücken mit Spiongeräten zu versehen. Dennoch konnten wir gar nicht vorsichtig genug sein, nachdem man in Ke me offensichtlich Verdacht geschöpft hatte. Der Tod Errelikons war ein Fehler, der uns nicht hätte unterlaufen dürfen. Wir schwebten über der Küste der Insel Ulfwahr auf der südlichen Hemisphäre des Planeten Pejolc. Die Panagh-See, wie das Südmeer hier genannt wurde, schien ein freundliches Gewässer zu sein. Lange, gleichmäßige Wellen rollten der Insel entge gen, brachen sich schäumend und gischtend an vorspringenden Klippen. Die Felsen wa ren von blühenden Pflanzen übersponnen. Auf der Landseite der sandigen Buchten rag ten hohe Bäume auf. Vögel mit schneewei ßen Schwingen umkreisten den Gleiter. Als wir tiefer gingen, konnten wir in dem kri stallklaren Wasser farbenprächtige Korallen bänke und zahlreiche Fische erkennen. Hinter mir seufzte Vayhna entsagungs voll. »Es wäre zu schön, um wahr zu sein«, be hauptete die Spezialistin für Positronenge
hirne, »wenn uns etwas Zeit bliebe, um die se Gelegenheit zu nutzen. Ich kann mich kaum noch daran erinnern, wann ich das letztemal in einem Meer geschwommen bin.« Der Gleiter überflog eine weit vorsprin gende, felsige Halbinsel. Eine weite Bucht tauchte vor uns auf. Auch hier war der Strand von Bäumen gesäumt, aber dahinter hatte man eine riesige Fläche gerodet und ei ne Anzahl von Gebäuden errichtet. Neben einigen Trichterhäusern ragten Kuppelbau ten verschiedener Größe auf, ein schlanker Antennenturm stach in den strahlend blauen Himmel. Dahinter grenzten flache Lagerhal len, Wartungsgebäude und Hangarkuppeln das eigentliche Verwaltungszentrum von ei ner recht ansehnlichen Landefläche ab. Schon von weitem entdeckten wir zahlreiche Gleiter und ein halbes Dutzend kleine Raumschiffe. Hattan nahm Kurs auf die Landefläche. Vor mir blinkte ein Licht auf. »Verzögern!« sagte ich hastig und schal tete das Funkgerät ein. Hattan flog noch langsamer. Der Funkspruch war verschlüsselt, aber ich kannte den Kode auswendig. »An Gruppe Ulfwahr. Die Situation in Keme hat sich verschlechtert. Die SLUC TOOK wurde umstellt, von offizieller Seite sind keine Kommentare zu erhalten. Falls ei ne Änderung eintritt, melde ich mich. Fartu loon, Ende.« Das war der Klartext, und er wirkte nicht eben beruhigend. Die Seuche, die Corpkor auf dem Planeten Pejolc künstlich hervorge rufen hatte, war zwar geeignet gewesen, die planetaren Behörden zunächst in Angst und Schrecken zu versetzen, aber einige miß trauische Gemüter waren noch vor unserer
4 Ankunft auf die Idee gekommen, es könne sich um eine absichtlich hervorgerufene Krankheit handeln. Man befand sich mitten in den Vorbereitungen zu den KAYMUUR TES, und diese wohl populärsten Kampf spiele wurden auf Pejolc organisiert. Wir hatten erfahren, daß einige Mitglieder des dafür zuständigen Komitees eine gewisse Abneigung gegen Orbanaschol entwickelt hatten. Das war kein Wunder, denn der Stern meines Onkels war im Sinken begrif fen. Der Usurpator hatte sich zu viele Fehler geleistet. Aber auch hier gab es noch eine Menge Leute, die sich für ihn einsetzten – aus Überzeugung, oder auch einfach aus Angst. Orbanaschol war der Schirmherr der KAYMUURTES. Die Spiele boten ihm eine großartige Gelegenheit, sich wieder in den Mittelpunkt des Interesses zu spielen. Unse re »Seuche« brachte daher nicht nur die Spiele in Gefahr, sondern auch den Mörder meines Vaters. Natürlich hatten wir nicht die Absicht, die KAYMUURTES mittels der Seuche zu ver hindern – im Gegenteil, ich hoffte immer noch, an den Spielen teilzunehmen und da durch den vielleicht entscheidenden Schlag gegen meinen Onkel zu führen. Aber inzwi schen war wohl Arsanonc, der Gouverneur dieser Kolonie, auf die Idee gekommen, die SLUCTOOK mache gemeinsame Sache mit jenen Leuten, die den derzeitigen Imperator von seiner Funktion als Schirmherr der Spie le entfernen wollten. Ich hatte die Nachricht auf einen Zettel geschrieben, der nun herumgereicht wurde. Niemand sagte ein Wort. Die zauberhafte Landschaft unter uns war plötzlich unwich tig geworden. Von nun an standen wir unter Zeitdruck. Uns war klar, daß wir Pejolc ver lassen mußten, wenn die Lage noch kriti scher wurde. »Wir landen!« ordnete ich schließlich an. Hattan setzte das Fahrzeug genau vor ei ner Halle ab, die sich deutlich von den übri gen Gebäuden unterschied. Die Wände be standen zum größten Teil aus verschieden farbigen Kunststoffplatten, die das Licht der
Marianne Sydow blauen Sonne in starken Reflexen zurück warfen. Ein Portal befand sich genau in der Mitte der Stirnwand. Es war mit hellgelben Ornamenten aus Cholitt verziert – eine ziemlich kostspielige Angelegenheit. »Hier ist es geradezu beängstigend ru hig«, sagte Torkon von hinten, als der Glei ter stand. »Kein Mensch zu sehen. Was soll das?« »Ein großer Teil der Arkoniden, die hier leben, dürfte krank sein«, vermutete Rec. Torkon verzog das Gesicht, sagte aber nichts. Es war das älteste Mitglied unserer kleinen Gruppe, ein Mann von etwa fünfzig Jahren, breit und behäbig, ein fast gemütlich wirkender Arkonide, der seine Umgebung scheinbar schläfrig musterte. Aber der Schein trog, und ich mußte Torkon im stillen recht geben. Wenigstens ein kleines Emp fangskomitee hätte man erwarten dürfen. »Wir sehen mal in der Halle nach«, be stimmte ich. »Irgend jemand muß sich ja um uns kümmern.« Das Portal schwang zurück, sobald wir ihm nahe genug waren. Bis auf Rec blieben wir verblüfft stehen. Die spiegelnden Flächen waren polari siert. Draußen reflektierten sie das Licht, nach innen jedoch leiteten sie es in breiten, bunten Bahnen weiter. Die Halle war erfüllt von dieser unwirklichen Beleuchtung, die dadurch noch stärker zur Geltung kam, daß man einen tiefschwarzen, lichtschluckenden Bodenbelag verwendet hatte. In der Mitte des Raumes, der durch das flimmernde Licht scheinbar unendlich hoch aussah, stand eine Anordnung von seltsamen Figuren aus ver schiedenen Metallen. Auf irgendeine Weise hatte man dafür gesorgt, daß einzelne Fen sterteile ihr Licht in einem bestimmten Rhythmus auf diese Metalldinger warfen. Das Ergebnis war eine eigenartige Musik. Ich hatte etwas Ähnliches schon einmal ge sehen und wußte, daß es sich um eine com putergesteuerte Umsetzung verschiedener Farbtöne in hörbare Klänge handelte, aber das Ergebnis war dennoch verblüffend. »Hübsch«, sagte Vayhna hinter mir in er
Die Seuchenspezialisten staunlich nüchternem Tonfall. »Aber völlig nutzlos«, ergänzte Torkon trocken. »Nicht ganz«, murmelte ich. »Es macht immerhin Eindruck.« Ein Schatten löste sich von dem Instru ment, und als er sich einige Meter auf uns zubewegt hatte, entpuppte er sich als ein hochgewachsener, sehr schlanker Arkonide. »Wir haben Sie erwartet«, sagte er, als er vor uns stand. »Sie kommen von der SLUC TOOK, nicht wahr?« Er wandte sich an Rec, den er offensicht lich für den Anführer unserer Abordnung hielt. Ich überließ dem ehemaligen Kom mandanten des von uns gekaperten Schiffes bereitwillig die Verhandlungen: Rec kannte sich besser in solchen Dingen aus. »Eine sehr merkwürdige Begrüßung!« knurrte Rec denn auch prompt. »Es gibt we nige Planeten, auf denen man uns so emp fängt. Meist handelt es sich dabei um rück ständige Barbarenwelten. Sollte Pejolc in diese Kategorie gehören?« Der fremde Arkonide fuhr hoch, denn die se Beleidigung hatte gesessen. Aber dann zeigte sich der Respekt, den man allgemein der Besatzung der Seuchenschiffe entgegen brachte. »Ich muß um Verzeihung bitten«, stotterte der Fremde erschrocken. Rec schnitt ihm mit einer verächtlichen Handbewegung das Wort ab. »Nennt mir wenigstens Euren Namen, Mann der schlechten Umgangsformen«, for derte er. Unser Verhandlungspartner schrumpfte beinahe sichtbar zusammen. »Sethor Athanik«, stammelte er. »Ich bin der Kommandant hier in Ulfwahr.« Rec lächelte spöttisch, und Athanik ver stummte. Es war bekannt, daß die Seuchen spezialisten nicht viel von Titeln und ähnli chem Gerede hielten. Für sie galten andere Maßstäbe. »Wie ich sehe, sind Sie gesund«, fuhr Rec fort. »Steht es so schlecht in Ulfwahr, daß sich nur noch ein einziger Arkonide auf den
5 Beinen halten kann?« Wir anderen hatten Mühe, bei diesem Spiel ernst zu bleiben. Athanik konnte mir beinahe Leid tun, denn ich ahnte, daß die Gründe für sein Verhalten nicht den Seu chenspezialisten im allgemeinen galten. Er hatte zweifellos bestimmte Anweisungen er halten. »Am Abend werden wir einen offiziellen Empfang für Sie und Ihre Mitarbeiter veran stalten«, sagte Athanik nervös. »Die Um stände zwangen uns …« Es war ihm auch diesmal nicht vergönnt, seine Ausführungen in Ruhe zu beenden, denn Rec unterbrach ihn abermals mit einer abfälligen Geste. »Heute abend werden wir mit unserer Ar beit beschäftigt sein«, sagte er kalt. »Dann fehlt uns die Zeit, langweilige Gespräche zu führen. Führen Sie uns jetzt durch die Stati on und zeigen Sie uns die Mittel, die uns von Ihnen zur Verfügung gestellt werden. Ich hoffe, Ihre medizinischen Möglichkeiten hier in Ulfwahr sind besser als das, was Sie auf dem diplomatischen Gebiet vorzuweisen haben.« Athanik wurde bleich – man sah es selbst in diesem verwirrenden Licht. Rec hatte sich einen Feind geschaffen, soviel war sicher, aber es schien ihn nicht sehr zu beein drucken. Nach einer Weile, in der Athanik Rec haßerfüllt angestarrt hatte, nickte der Kommandant des Verwaltungszentrums grimmig. »Kommen Sie«, sagte er gepreßt. »Ich werde Ihnen die Krankenstation zeigen.«
* Es war heiß in der Sonne draußen, aber vom Meer wehte ein frischer Wind herüber. Athanik stiefelte vor uns her und schwieg demonstrativ. Nach wenigen Schritten blieb Rec stehen und sah sich mißbilligend um. »Athanik!« Der Kommandant drehte sich aufreizend langsam um. »Wo steht hier ein Transportmittel?« frag
6 te Rec schneidend scharf. »Oder haben Sie keins bereitstellen lassen?« »Nein, ich habe gedacht, das kurze Stück könnte man schließlich auch zu Fuß zurück legen.« »So. Und inzwischen stecken sich noch ein paar Arkoniden an, und die Seuche ge winnt weiter an Boden.« »Wir haben gute Verbindungen nach Jal kuc«, konterte Athanik trotzig. »Ihre Leute werden dort großartig mit dieser Krankheit fertig.« Rec schüttelte den Kopf über soviel Un verstand. »Passen Sie auf«, sagte er drohend. »Erstens sind wir hier nicht auf dem Konti nent Jalkuc, sondern auf einer tropischen In sel, die in vielen Bereichen völlig andere Voraussetzungen bietet. Zweitens wünsche ich, daß jedem von uns ein Transportmittel zur Verfügung gestellt wird. Ob Sie so etwas für nötig halten oder nicht, interessiert mich nicht. Wir müssen beweglich sein und kön nen es uns nicht leisten, im Ernstfall Zeit zu verlieren. Rufen Sie fünf kleine Gleiter hier her – sofort!« Die beiden Männer sahen sich unver wandt an, und auch diesmal gewann Rec das schweigende Gefecht der Blicke. Ich war froh, daß dieser Mann sich uns aus freien Stücken angeschlossen hatte. In dieser Mis sion war er enorm wertvoll. Niemand von uns hätte in diesem Augenblick so konse quent den Schein wahren können. Athanik wandte sich schließlich ab und trat in eine Nische zwischen der Empfangs halle und dem benachbarten Hangar. Weni ge Sekunden später lösten sich fünf silbrig schimmernde Punkte aus der Wand des am nächsten gelegenen Trichterhauses. Die Gleiter hielten direkt vor uns an. Rec ver neigte sich spöttisch und wies mit großarti ger Gebärde auf die Fahrzeuge. »Wir werden Ihnen ewig dankbar sein«, sagte er. »Darf ich Sie einladen, mit mir zu fliegen, oder wünschen Sie, uns voranzu schreiten?« Athaniks Kinnbacken vollführten mahlen-
Marianne Sydow de Bewegungen, während er derart gedemü tigt in den Gleiter kletterte. Rec zwinkerte uns zu, und wir beeilten uns, ebenfalls unse re Fahrzeuge zu besteigen. Die Gleiter entsprachen in allem dem ho hen Komfort in dieser Verwaltungszentrale. Ich konnte mir ein triumphierendes Lächeln nicht verkneifen. Damit war das erste Pro blem gelöst. Jeder von uns konnte schnell und unauffällig in der Siedlung herumfah ren. Unauffällig deshalb, weil die Gleiter er stens unabhängig von einer Leitzentrale ar beiteten und wir zweitens aus »beruflichen« Gründen jederzeit einen Vorwand erfinden konnten, der uns überall Zutritt verschaffte. Letzteres sollte sich später als ein Irrtum herausstellen, aber das konnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen. Rec hatte sein Funkgerät auf Sendung ge schaltet, so daß wir seine Unterhaltung mit Athanik weiter verfolgen konnten. »Das da drüben ist das Kommunikations zentrum«, erklärte der Kommandant, der sich nur langsam erholte. »Die Funktion des Zentrums und die Aufgaben der dort arbei tenden Leute sind für Sie wohl uninteressant …« »Aber durchaus nicht!« »Ihr Interesse ehrt mich.« Schon an der Stimme des Kommandanten hörte man deutlich, daß er die Ehrung kei neswegs zu schätzen wußte, aber er hatte an scheinend beschlossen, vorerst dem Seu chenspezialisten keine Angriffspunkte mehr zu bieten. »Es ist in erster Linie eine Ansammlung von Empfangsstellen. Die Meldungen für die verschiedenen Kategorien der KAYMU URTES werden hier zentral erfaßt und aus gewertet. Dazu brauchen wir eine ständige Verbindung zu allen möglichen Behörden. Wir prüfen jede einzelne Bewerbung genau nach. Es reicht zum Beispiel nicht aus, wenn jemand auf einer Meldestelle einen adligen Namen angibt und sich dann Hoffnungen macht, in die geschlossene KAYMUURTES vorzudringen. Gerade die Bewerber für die se Art der Spiele werden genauestens unter
Die Seuchenspezialisten die Lupe genommen – ohne Rücksicht auf den Namen, den sie tragen.« »Ich verstehe. Und wenn ich mir überle ge, wie groß das Imperium ist, kann ich mir Ihre Sorgen recht genau vorstellen. Sie ar beiten natürlich mit einer Positronik, die Ih nen hilft, nicht wahr?« »Es ist eher umgekehrt. Wir liefern nur die Daten, die Positronik erledigt den Rest. Ohne sie wären wir verloren. Darum wird dieser Teil der Anlage auch besonders sorg fältig bewacht.« »Wie – gibt es etwa Leute in Ulfwahr, die es wagen würden, sich an dieser wichtigen Maschine zu vergreifen?« »Natürlich nicht«, antwortete Athanik ha stig. »Aber so kurz vor den Spielen käme natürlich jede noch so winzige Störung einer Katastrophe gleich.« »Ja, das glaube ich auch«, murmelte Rec nicht ganz ohne Spott. Die KAYMUURTES waren tatsächlich nicht nur populär, sondern auch politisch wichtig. Sie fanden alle drei Jahre statt, und nicht nur die Teilnehmer kamen aus allen Ecken des Imperiums, sondern die Spiele wurden auch überall verfolgt und kommen tiert. Alle drei Jahre also hatten alle Arkoni den, gleichgültig, wo sie lebten, die Mög lichkeit, sich mit dem Imperium zu identifi zieren. Keine politische Ansprache, kein noch so leidenschaftlicher Appell an das Verantwortungsbewußtsein vermochte eine so starke Wirkung auszuüben wie diese eini germaßen sportlichen Wettkämpfe. Hier gab es Leute, die zu wahren Volkshelden hoch gespielt wurden. Aber andererseits hatte auch ich den Ein druck, daß man es in diesem Zentrum etwas übertrieb. Für Athanik jedenfalls waren die se Spiele wohl wichtiger als alles andere in der Welt. »Wie viele Kranke haben Sie hier?« wich Rec unverhofft auf ein anderes Thema aus, und ich nickte anerkennend. Er spielte seine Rolle wirklich geschickt, und darüber hinaus vermied er es, einen Verdacht zu erwecken. »Eintausendvierhundert, also fast die
7 Hälfte der hier lebenden Arkoniden«, ant wortete Athanik wie aus der Pistole geschos sen. »Viele von ihnen haben das Schlimmste schon hinter sich, aber es gibt auch einige sehr schwere Fälle.« »Gibt es hier eine Klinik?« »Ja. Leider ist sie für derartige Massener krankungen viel zu klein. Wir haben den an grenzenden Wohnbereich geräumt und auf diese Weise Platz gewonnen. Jetzt sind alle Kranken in einem Gebäude konzentriert.« »Das ist nur vernünftig«, murmelte Rec und fügte scheinbar beiläufig hinzu: »Was ist denn das für ein häßliches Gebäude? Es verschandelt ja die ganze Siedlung!« »Die äußere Form dieses Gebäudes ist zweckbedingt«, erwiderte Athanik böse. »Die Positronik ist darin untergebracht. Dort vorne können Sie landen, ich führe Sie dann in die Krankenstation.«
* Es gab in dem Verwaltungszentrum nur wenige Ärzte. Pejolc war schon seit langem besiedelt. Fast alle ansteckenden Krankhei ten hatte man schon seit langem so gut wie ausgerottet. Die Klinik verfügte über eine hervorragende technische Ausrüstung, und die hochgezüchteten Robotanlagen machten die Menschen ziemlich überflüssig. Dement sprechend schwerfällig hatte man in Ulf wahr auf die Seuche reagiert. Rec übernahm auch weiterhin nach außen hin die Rolle des Anführers. Er stellte uns den anwesenden Ärzten vor, wobei der Na me Atlan selbstverständlich nicht auftauch te. Ich war der einzige in unserer Gruppe, der gezwungen war, sich zu maskieren, und für die Dauer dieses Unternehmens hieß ich Sathanthor. Vayhna und ich übernahmen die Rolle von Assistenten. Nach einem Rundgang durch die Kran kenstation begaben wir uns unverzüglich an die Arbeit. Inzwischen hatte man unsere Ausrüstung aus dem Gleiter geholt und in die eigentliche Klinik gebracht. Die fünf einheimischen Ärzte erhielten von Rec die
8 Anweisung, zuerst alle Kranken, bei denen sich eine Besserung bemerkbar machte, in Gemeinschaftsräumen zusammenzufassen, damit für die Schwerkranken Einzelzimmer frei wurden. Das erwies sich als nicht ganz einfach, denn natürlich gab es einige Leute, die sich für besonders wichtig hielten und ihre komfortablen Räume nicht verlassen wollten. Rec erwies sich als überaus harter Verhandlungspartner, und in besonders schwierigen Fällen entwickelte er geradezu diktatorische Fähigkeiten. Vayhna und ich erhielten Injektionspisto len, mit denen wir eine Runde durch sämtli che Räume zurücklegten. Zwischendurch beschäftigten wir uns intensiv mit unserem eigentlichen Vorhaben – natürlich nur dann, wenn niemand uns zuhörte. Noch immer wußte ich nicht, ob ich unter dem Namen Darbeck offiziell für die Amne stie-KAYMUURTES gemeldet war. Nur die Positronik hier im Verwaltungszentrum konnte darüber Auskunft geben. Einer von uns beiden mußte also in das Nachbargebäu de eindringen und dort lange genug unge stört arbeiten können, um Gewißheit zu er halten. »Wir sollten es heute nacht versuchen«, murmelte Vayhna, während wir durch einen Antigravschacht schwebten. »Wenn Sie nichts dagegen haben, versuche ich es zu erst. Wenn man mich erwischt, ist das nicht so schlimm. Irgendwie rede ich mich schon heraus.« Ich schwieg und dachte über ihren Vor schlag nach. Mir paßte es nicht, daß sie das Risiko auf sich nehmen sollte. Unsinn! erklärte das Extrahirn katego risch. Sie ist die Spezialistin in diesem Team. Außerdem – wenn du solchen Wert darauf legst, sie keiner Gefahr auszusetzen, hättest du sie nicht mitnehmen sollen! Das stimmte natürlich, aber … Kein Aber! Sie kennt sich besser aus als du, und sie hat die bessere Ausgangssituati on, wenn sie zuerst geht. Noch rechnet nie mand damit, daß ihr euch für die Positronik interessiert. Allerdings halte ich es nicht für
Marianne Sydow ratsam, nachts den ersten Vorstoß zu unter nehmen. Das ist zu auffällig. Athanik sprach von Wachen! Richtig, dachte ich zurück. Frechheit siegt – jedenfalls manchmal. Eine halbe Stunde später ließ Vayhna sich eine frisch gefüllte Injektionspistole aushän digen. Dazu erhielt sie eine schriftliche An weisung von Rec, deren Inhalt ungefähr so lautete: »Um der Seuche wirksam entgegenzuwir ken, ist es unerläßlich, alle gesunden Perso nen vorbeugend einer Impfung zu unterzie hen. Diese Impfung kann am Arbeitsplatz durchgeführt werden, damit kein Zeitverlust auftritt. Jeder Bewohner des Verwaltungs zentrums wird hiermit aufgefordert, den Impfberechtigten in jeder Weise behilflich zu sein, damit diese ihre im Interesse der Allgemeinheit wichtige Aufgabe möglichst schnell durchführen können.« Vayhnas erstes Ziel war ein Gebäude, das, nach hinten versetzt, zwischen der Kranken station und der Positronik lag.
2. Mana-Konyr saß vor der Panzerplast scheibe und beobachtete gelangweilt den dunklen Zordec, der nebenan stur und ver bissen seine Übungen absolvierte. Natürlich war es klug von Zordec, sich in Form zu hal ten, aber in erster Linie dienten diese Übun gen dazu, den potentiellen Gegner schon jetzt einzuschüchtern. Bei Mana-Konyr zei tigte dieser Versuch nur einen sehr geringen Erfolg. Mana-Konyr und der dunkle Zordec wa ren nach Pejolc gekommen, weil sie sich für die Amnestie-KAYMUURTES gemeldet hatten. Die Wächter schlossen schon jetzt hohe Wetten ab, bei denen Zordec deutlich in Führung lag. Niemand traute Mana-Konyr einen Sieg zu. Und gerade das war dessen heimlicher Trumpf. Zordec war schon vom Äußeren her als gefährlicher Kämpfer zu erkennen. Er war
Die Seuchenspezialisten klein und gedrungen, eine organische Kampfmaschine aus stahlharten Sehnen und Muskeln. Sein kahler Kopf lief nach hinten spitz zu, und in dem fast schwarzen Gesicht leuchteten blutrote, längliche Augen. Das und die ungewöhnliche Körperfarbe mach ten Zordec zu einer furchteinflößenden Er scheinung. Angeblich war er von irgendei ner Strahlung getroffen worden, die die Pig mentierung seiner Haut veränderte. Mana-Konyr wirkte überhaupt nicht ge fährlich. Er hatte die für Arkoniden typische helle Hautfarbe. Sein faltiges Gesicht ließ ihn immer mißmutig oder besorgt erschei nen. Mana-Konyr war außerdem ungewöhn lich dürr, kurzum, niemand vermutete in ihm eine Kämpfernatur. Dennoch rechnete sich Mana-Konyr ge gen den Muskelprotz von nebenan gute Chancen aus. Er hatte eine sehr ungewöhnli che Kampftechnik ausgearbeitet, bei der es weniger auf Muskeln als auf den Verstand ankam. Und davon traute er Zordec nicht viel zu. Beide Männer hatten mehr Zeit in Straf anstalten verbracht als in der Freiheit. Zor dec war ein mehrfacher Mörder. ManaKonyr dagegen war Spezialist für Computer. Ein sehr merkwürdiger Spezialist, denn er hatte sich darauf verlegt, Maschinen dieser Art auf jede nur denkbare Art und Weise lahmzulegen und zu zerstören. Ein Gefäng nisarzt hatte sich einmal mit den Problemen Mana-Konyrs auseinandergesetzt. Seiner Meinung nach war dessen unversöhnlicher Haß den denkenden Maschinen gegenüber darauf zurückzuführen, daß Mana-Konyrs Mutter durch den Fehler einer Positronik ge tötet worden war. Seitdem der Arzt das be hauptete, glaubte auch Mana-Konyr an diese Version. Während Zordec die Zeit in der Gefäng niszelle totschlug, indem er seine Muskeln trainierte, hatte Mana-Konyr sich auf die subtileren Funktionen seines Körpers kon zentriert. Er kannte das Nervensystem eines arkonidischen Körpers so genau, daß er mit Hilfe dieser Kenntnisse eine exakte Kampf
9 technik hatte entwickeln können. Sie be stand darin, durch bestimmte Griffe und Be rührungen Teile des Nervensystems beim Gegner auszuschalten. Für eine solche Kampftechnik brauchte man keine Muskeln. Man mußte nur besonnen sein – und natür lich sehr schnell und wendig. Mana-Konyr war nur dann unbesonnen, wenn er in die Nähe einer Positronik geriet, und mit seiner Schnelligkeit hatte er schon so manchen scheinbar überlegenen Gegner überrascht. Zordec unterbrach sein Training, als von draußen das Gemurmel mehrerer Stimmen zu hören war. Mana-Konyr sah kaum auf. Seit seiner Ankunft in Ulfwahr hatte er sich daran gewöhnt, daß in regelmäßigen Abstän den Kontrollen stattfanden. Er und Zordec waren Gefangene, auch wenn die Räume, in denen sie lebten, im Vergleich zu den übli chen Gefängniszellen äußerst komfortabel waren. Sie hatten die Chance, die Freiheit zu gewinnen. Voraussetzung dafür war, bei den Kämpfen zu siegen. Wer verlor, brauchte sich um die Zukunft keine Sorgen mehr zu machen, denn der Kampf endete erst mit dem Tod des Gegners. In letzter Zeit waren die Kontrollen unre gelmäßiger geworden. Mana-Konyr hatte einen Wächter gesehen, dessen Gesicht und Hände von einem dunkelbraunen Ausschlag bedeckt waren, und er hatte seine Schlüsse daraus gezogen. Eine ansteckende Krankheit war ausgebrochen. Solange sie ihn ver schonte, war sie ihm gleichgültig. Die Räu me der Gefangenen waren direkt an das in terne Versorgungssystem angeschlossen. Die beiden Männer konnten sich zu jeder Tages- und Nachtzeit Speisen und Getränke liefern lassen. Zordec stand sprungbereit in der Mitte je nes Zimmers, in dem er sein Training abzu halten pflegte. Mana-Konyrs gelangweilte Miene änderte sich nur geringfügig, als er sah, daß sein Nachbar Besuch erhielt. Er konnte jedes Wort verstehen, das drüben ge sprochen wurde. Die einzelnen Zellenfluch ten waren akustisch miteinander verbunden.
10 Die Kandidaten für die AmnestieKAYMUURTES sollten Gelegenheit haben, sich ausgiebig zu beschimpfen. Das konnte ihre Kampflust nur steigern. »Sie werden geimpft, Zordec!« sagte der Wächter und richtete den Paralysator auf den dunkelhäutigen Mann. »Verhalten Sie sich ruhig, dann passiert Ihnen nichts.« Hinter dem Wächter schob sich ein junger Arkonide in den Raum. Er trug einen grünen Kittel und hielt eine Injektionspistole in der Hand. Zordec musterte ihn mißtrauisch. »Geimpft?« fragte er grollend. »Warum?« »Es ist eine Seuche aufgetreten«, erklärte der Mann mit dem grünen Kittel. »Wir ha ben sie zwar unter Kontrolle, und es gibt kaum Todesfälle, aber Ihre Kondition könn te beeinträchtigt werden. Das wollen Sie doch sicher nicht, oder?« »Meine Kondition geht Sie nichts an!« Zordec gebrauchte nicht ganz diese Wor te, um seiner Ablehnung Ausdruck zu ge ben, sondern bediente sich einer so unan ständigen Redewendung, daß selbst der leid geprüfte Wächter zusammenzuckte. Der jun ge Mann mit der Injektionspistole dagegen lächelte nur amüsiert, gab dem Wächter ein warnendes Zeichen und ging unbeeindruckt auf Zordec los. Der Dunkelhäutige stieß ein drohendes Knurren aus und hob seine mächtigen Pran ken. »Ich könnte dich zerdrücken, du elende Laus!« fauchte er. »Natürlich«, nickte der andere gemütlich. »Aber du wirst es bitte sehr bleiben lassen. Und nun hör endlich auf, dich wie ein klei nes Kind zu benehmen, das Angst vor dem Onkel Doktor hat.« Zordecs Kinnlade klappte nach unten, als er hörte, daß jemand ihn für ängstlich hielt. Er brauchte einige Zeit, um sich von diesem Schock zu erholen. Der Mann im grünen Kittel nutzte die Gelegenheit. Die Injekti onspistole entlud sich zischend. Das brachte Zordec wieder in die Wirklichkeit zurück. Ein von mächtigen Muskelpaketen bepack ter Arm schwang herum – aber der junge
Marianne Sydow Arkonide hatte sich mit einem blitzschnellen Sprung in Sicherheit gebracht. »Zurück!« rief der Wächter warnend und drohte mit dem Paralysator. Zordec zuckte zusammen und ließ resi gnierend die Schultern sinken. Mana-Konyr registrierte jede Einzelheit, obwohl er nur unter halbgeschlossenen Lidern schläfrig zu blinzeln schien. Der junge Arkonide impo nierte ihm. Ein geschickter Mann. Natürlich bestand immer noch die Frage, ob die Sache mit der Impfung stimmte. Der Wächter wich langsam zurück. Als das Licht voll auf sein Gesicht fiel, entdeck te Mana-Konyr die Spuren, die der Aus schlag darauf hinterlassen hatte. Er zog sei ne Schlüsse und wartete gelassen, bis seine Tür geöffnet wurde. »Keine Angst«, sagte er schleppend. »Ich habe vielleicht weniger Muskeln als dieser Klotz da drüben, aber dafür mehr Verstand. Das Serum hilft, nicht wahr?« Der Wächter strich über die Stellen, an denen der dicke Schorf langsam abblätterte. Dann sah er Mana-Konyr scharf an. Der Ha gere lächelte freundlich und streifte den lin ken Ärmel hoch. »Gut so?« fragte er, und als der Mann mit der Injektionspistole nickte, fuhr ManaKonyr leutselig fort: »Sind Sie neu hier? Ich habe Sie noch nie gesehen!« »Das kann ich mir vorstellen«, murmelte der Arkonide und setzte die Injektionspistole an. »Pejolc mußte ein Seuchenschiff anfor dern. Ich gehöre zu den Spezialisten. Ich ha be gehört, daß Sie an der AmnestieKAYMUURTES teilnehmen werden. Rech nen Sie sich gegen den Burschen da drüben eine Chance aus?« »Ich bin kein Selbstmörder«, versicherte Mana-Konyr ernsthaft. »An einem Kampf, in dem ich ohne jede Chance bin, würde ich mich gar nicht erst beteiligen. Falls Sie zu denen gehören, die Wetten abschließen, ge be ich Ihnen einen guten Rat. Tippen Sie auf mich. Sie werden ein gutes Geschäft ma chen.« »Ich werde daran denken. Vielleicht se
Die Seuchenspezialisten hen wir uns einmal wieder. Viel Erfolg.« »Mehr Leute gibt es in dieser Abteilung nicht, Sathanthor«, erklärte der Wächter, als sie draußen auf dem Flur standen. »Nanu? Haben sich nur zwei Bewerber für die Spiele gemeldet?« »Das nicht, aber einige werden erst kurz vorher nach Pejolc gebracht, und die, die jetzt anreisen, dürfen ohnehin nicht landen, ehe die Seuche nicht völlig eingedämmt wurde.« »Da wir gerade davon sprechen: Wie geht es Ihnen? Wenn Sie Beschwerden haben sollten, melden Sie sich bei mir! Eigentlich sollten Sie noch gar nicht wieder arbeiten.« »Wir haben zu wenig Personal«, erwider te der Wächter gleichmütig. »Aber Sie ha ben recht. Ich fühle mich ziemlich schwach, und dieser scheußliche Juckreiz ist auch nicht sehr angenehm. Müssen Sie noch wei ter, oder kehren Sie in die Klinik zurück.« Sathanthor hob die Injektionspistole. »Selbst diese fabelhaften Apparate wer den einmal leer«, bemerkte er. »Sie können gleich mitkommen.« Keiner der beiden Männer bemerkte, daß an einer der beiden Türen nur ein mechani scher Riegel vorgelegt war. Der Wächter hatte vergessen, das Impulsschloß in Betrieb zu setzen.
* Zordec hatte dem Umstand zunächst kei ne Bedeutung beigemessen. Der Riegel war mit einem hörbaren Knacken eingerastet, aber das leise Summen, das sich sonst die sem Geräusch anschloß, blieb diesmal aus. Er lauschte dem Gespräch von nebenan, und sein Haß erwachte. Er hatte Mana-Konyr vom ersten Augenblick an nicht ausstehen können. Dieser arrogante Kerl ging ihm auf die Nerven. Als die beiden Besucher verschwunden waren, stierte Zordec mit düsteren Blicken durch die Panzerplastscheibe. Mana-Konyr kümmerte sich nicht um sei nen Nachbarn. Er holte sich einen Becher
11 mit irgendeinem Getränk aus dem Automa ten. Auf dem Rückweg zu seinem Sitzplatz in der Nähe der Scheibe warf er Zordec einen herablassenden Blick zu. Zordec schlug wütend gegen die Scheibe, aber der einzige Erfolg dieser Tat bestand darin, daß ihm das Handgelenk weh tat. Er lehnte die Stirn gegen das kühle Material und dachte darüber nach, wie er diesem Bur schen einen Denkzettel verpassen könnte – er hatte keine Lust, damit bis zum Beginn der Spiele zu warten. Plötzlich fiel ihm das Summen wieder ein. Warum hatte er es diesmal nicht gehört? Schon oft hatte er versucht, die Tür mit Gewalt zu öffnen – es war ihm nicht gelun gen. Er schloß daraus, daß irgendeine tech nische Teufelei dabei war, denn daß seine Kräfte nicht ausreichten, erschien ihm als unwahrscheinlich. Zordec war tatsächlich nicht sehr intelli gent, aber wenn er sich über etwas Gedan ken machte, dann tat er das langsam und gründlich. Nach einiger Zeit wandte er sich ab und ging zur Tür. Er betrachtete die Pla stikplatte aufmerksam, bis er den günstig sten Ansatzpunkt gefunden hatte. Seine Hände krallten sich in einige Ritzen, dann spannte er die Muskeln an. Er hörte ein lei ses Knacken und merkte den winzigen Ruck, der durch die Tür ging. Zordec ließ los und lächelte grimmig. Es stimmte also. Irgend etwas war nicht in Ord nung. Bisher hatte die Tür sich nicht gerückt und geregt, aber diesmal würde er es schaf fen. Er warf einen lauernden Blick zu der Pan zerplastscheibe hinüber. Mana-Konyr schien zu schlafen. Wieder setzte Zordec die Hände an, dies mal an der Seite, an der der Riegel sich be finden mußte. Er spannte sich wie eine Fe der. Seine Wut entlud sich in dem gewalti gen Ruck, mit dem er die Tür von sich weg drückte. Es krachte und knackte, dann war der Widerstand des Riegels gebrochen. Zordec atmete tief durch. Dann fiel ihm sein Nachbar ein, und er drehte sich hastig
12 um. Mana-Konyr saß noch genauso da wie vorher. Der Dunkelhäutige grinste zufrieden. Sein Gegner schien einen festen Schlaf zu haben. Er öffnete die Tür endgültig und blickte auf den Gang hinaus. Niemand war zu sehen. Für einen kurzen Augenblick dachte er an Flucht, aber dann würde der Haß übermäch tig. Mit zwei schnellen Schritten war er vor der nächsten Tür. Leise schob er den Riegel zurück. Er biß sich auf die Lippen, als sich ein schwaches Geräusch nicht verhindern ließ. Was sollte er tun, wenn der Wächter an dieser Stelle nicht so vergeßlich gewesen war? Aber Zordec war kein Mann, der sich lan ge Gedanken machte. Er schloß die rechte Hand um den Knauf, der bei diesen Gefäng niszellen das übliche Wärmeschloß ersetzte. Der Griff lag glatt und kühl zwischen seinen Fingern. Als er ihn drehte, spürte er, wie et was hinter der metallenen Oberfläche einra stete. Eine weitere Drehung – und die Tür schwang auf. »Jetzt bist du dran!« sagte Zordec leise und trat einen Schritt nach vorn. Völlig unerwartet traf ihn ein leichter Schlag am linken Oberarm. Zordec warf sich überrascht herum, aber sein Gegner war bereits ein Stück zur Seite gehuscht. Entsetzt stellte Zordec fest, daß der getroffene Arm sich nicht mehr bewegen ließ. Von der Schulter bis zu den Fingerspitzen fühlte er überhaupt nichts mehr. »Hast du etwa schon genug?« spottete Mana-Konyr aus sicherer Entfernung. Zordec grunzte zornig und stampfte vor wärts. Mana-Konyr rührte sich nicht. Seine Selbstsicherheit irritierte Zordec. Zwei Schritte vor dem Arkoniden blieb er stehen. Automatisch suchte er mit den Füßen den besten Stand und ging in Kampfstellung. Der linke Arm hing schlaff herab, aber er war fest entschlossen, sich durch solche Kleinigkeiten nicht behindern zu lassen. Oh ne erkennbare Vorbereitungen warf er den
Marianne Sydow rechten Fuß hoch, drehte sich im Schwung der Bewegung und setzte mit einem furcht baren Schlag der rechten Faust nach. Es wäre zweifellos fatal für Mana-Konyr gewesen, wenn diese Schläge ihn getroffen hätten. Aber der Hagere war mit fast tänzeri scher Leichtigkeit ausgewichen. Zordec konnte sich nicht so schnell abfangen und taumelte haltlos nach vorne. Mit der rechten Hand fing er sich an einer Kontrolleiste ab. Er merkte, daß unter seinen Fingern ein Schalter einrastete. Gleichzeitig hechtete Mana-Konyr über den Boden, schlug mit der Handkante in das Kniegelenk des Dunkel häutigen und rollte sich zur Seite. Zordec hatte das Gefühl, jemand hätte das Ende einer Starkstromleitung in sein Knie gelenk gedrückt. Fluchend sackte er zu Bo den, und als er den Schalter bei dieser Gele genheit losließ, öffnete sich direkt über sei nem haarlosen Schädel ein Zapfhahn. Eis kalter Fruchtsaft sprudelte auf den Dunkel häutigen herab. Mana-Konyr hatte sich bereits wieder auf gerichtet und hielt sich vor Lachen den Bauch. Zordec wischte sich das klebrige Ge tränk aus dem Gesicht und schob sich mit ei nem wütenden Ruck von der Wand weg. Die Zapfautomatik hatte inzwischen das ge normte Maß an Flüssigkeit ausgegeben. Aber leider hatte Zordec nicht nur den einen Schalter erwischt. Kaum war er dem eisigen Strahl entronnen und lehnte sich aufatmend etwas seitwärts gegen die Wand, da öffnete sich über ihm eine Klappe, und ein großes, frischgebratenes Stück Fleisch rutschte her aus. Zordec stieß einen markerschütternden Schrei aus, als das heiße Fleisch auf seinem Nacken landete. Mana-Konyr war fast hyste risch vor Vergnügen. Wütend riß der Dunkelhäutige das, was normalen Bürgern als Delikatesse galt, hoch und schleuderte es auf den Boden. Dabei verbrannte er sich die Finger. Und als er ver suchte aufzustehen, stellte er fest, daß er sich auf sein linkes Bein nun auch nicht mehr verlassen durfte. Wutentbrannt starrte
Die Seuchenspezialisten er den Hageren an. »Laß es gut sein, Partner«, kicherte ManaKonyr. »Warum sollen wir uns ohne Publi kum bekämpfen? Es bringt weder Ehre noch Geld ein.« »Du jämmerlicher Waschlappen!« keuch te Zordec, fletschte die Zähne und bemühte sich, trotz allem auf die Beine zu kommen. »Du meinst wohl, du hättest schon gewon nen, wie? Mit so einem Gerippe wie dir wer de ich immer noch fertig!« »Vielleicht«, nickte Mana-Konyr fried lich. »Vielleicht auch nicht. Wir werden das noch früh genug herausfinden, bei den Spie len nämlich.« Zordec gab seine Bemühungen vorerst auf. Sein Bein gehorchte ihm nicht, und auch der linke Arm war noch immer völlig taub. Trotzdem blieb er wachsam. Er rech nete damit, daß Mana-Konyr trotz der schö nen Worte nicht darauf verzichten wollte, den Kampf hier und jetzt zu entscheiden. »Draußen dürfte es ziemlich still sein«, murmelte der Hagere plötzlich. »Es wäre ei ne gute Gelegenheit …« »Aha!« machte Zordec verächtlich. »Du willst verduften, wie? Ich dachte mir gleich, daß du ein Feigling bist!« »Halt den Mund! Ich habe mich nicht oh ne Grund für die Spiele gemeldet. Sie sind meine einzige Chance, jemals frei zu wer den. Glaubst du, ich würde vor einer solchen Gelegenheit davonlaufen? Andererseits …« Zordec schwieg verwirrt. Er wurde aus diesem hageren Burschen nicht schlau. In Mana-Konyrs rötlichen Augen glitzerte es merkwürdig. »Wer bei den Spielen siegt, dem werden alle Verbrechen vergeben, die er bis zu die sem Zeitpunkt begangen hat«, murmelte der Hagere nachdenklich. »Wenn wir jetzt also ein bißchen Unruhe stiften, kann uns das auch nicht mehr schaden. Die Positronik ist ganz in der Nähe – die Wächter verlassen sich zu sehr auf die Haltbarkeit dieser Türen, und das macht sie unvorsichtig. Ich glaube kaum, daß wir mehr als einen Wächter drü ben vorfinden. Und die Spezialisten sind
13 nicht bewaffnet. Für dich wäre es eine Ab wechslung in diesem eintönigen Training, nicht wahr?« »Wovon sprichst du überhaupt?« »Von einer netten Prügelei«, lächelte Mana-Konyr, und das Glitzern in seinen Augen verstärkte sich. Zordec spannte die noch brauchbaren Muskeln und machte sich auf alles gefaßt. »Ja«, meinte der Hagere. »Ich glaube, so geht es. Paß auf, Zordec, ich habe etwas ge gen denkende Maschinen. Ich mag sie ein fach nicht, verstehst du? Hier gibt es eine große Positronik, und die möchte ich ein bißchen zerrupfen. Du kannst auch deinen Spaß dabei haben. Alle organischen Gegner überlasse ich dir.« Zordec überlegte schwerfällig, was ManaKonyr eigentlich meinte. Eine Prügelei? Er hatte nichts dagegen einzuwenden. Aber was sollte der Unsinn mit der Positronik? »Nach den Spielen werden wir unseren speziellen Neigungen nicht mehr nachgehen können«, fuhr der hagere Arkonide fort. »Entweder deshalb, weil wir tot sind, oder weil man den Sieger automatisch einer ein gehenden Behandlung unterzieht. Sonst nützt ihm ja die ganze Amnestie nichts. Siehst du, es ist für mich ein unerträglicher Gedanke, in Zukunft keiner einzigen Po sitronik mehr ein Drähtchen krümmen zu können. Das ist die letzte Gelegenheit – auch für dich.« Zordec glaubte zu verstehen, und zum er stenmal grinste er Konyr an. »Kein schlechter Gedanke«, gab er zu. »Wir toben uns noch einmal tüchtig aus. Was danach kommt …« Er zuckte die Schultern. Mana-Konyr nickte zustimmend. »Du hast es erfaßt.« »Wie lange dauert es, bis diese Lähmung verschwindet?« »Das ist kein Problem. Verhalte dich ru hig. Es tut nicht weh. Aber ich warne dich: Wenn du auf dumme Gedanken kommst, werde ich dich außer Gefecht setzen.«
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Marianne Sydow
3. Ich mußte genau wie die anderen meine Arbeit erledigen, wenn ich nicht auffallen wollte. So ließ ich mir ebenfalls von Rec ei ne schriftliche Anweisung geben und mach te mich auf den Weg. Ich hatte mir mein Ziel schon ausgesucht Zwei Kandidaten für die Amnestie-KAYMUURTES waren schon vor dem Ausbruch der Seuche auf Pejolc eingetroffen. Es war üblich, daß sie hier in Ulfwahr in den dafür vorgesehenen Unter künften warteten; bis die Spiele begannen. Das hatte ich zufällig aufgeschnappt, und ich wollte die Gelegenheit nutzen, mir mei ne eventuellen Gegner genauer anzusehen. Von einem der einheimischen Ärzte er fuhr ich, daß die beiden Kämpfer nicht er krankt waren. Er stimmte mir sofort zu, als ich meinte, eine Impfung wäre unter diesen Umständen sicher angebracht. Wenn sie krank werden, hast du einen oder zwei Gegner weniger! raunte das Extra hirn mir zu. Dieser Vorschlag mochte lo gisch sein, aber für mich war er indiskuta bel. Nachdem ich mir die beiden Kandidaten angesehen hatte, dachte ich nicht mehr ganz so idealistisch, aber da waren Zordec und Mana-Konyr schon gegen die Seuche ge schützt. Zordec allein war schon recht eindrucks voll, aber die Aussicht, gegen Mana-Konyr antreten zu müssen, war noch weniger ange nehm. Er sah einfach zu harmlos aus. Ich war fest davon überzeugt, daß es bei diesen Spielen kaum einen gefährlicheren Gegner geben konnte als ihn. Ich lieferte den Wächter in der Klinik ab. Recs Anwesenheit hatte inzwischen allerlei Änderungen mit sich gebracht, und in den sterilen Räumen, die das Zentrum der Kran kenstation bildeten, herrschte ein wildes Ge dränge. Da Athanik von den noch gesunden Arkoniden niemanden entbehren konnte – wenigstens behauptete er das –, hatte Rec auf das in der Krankenstation vorhandene Personal zurückgreifen müssen. Es fehlte
nicht so sehr an Ärzten, aber es gab fast kein Pflegepersonal. Die leichten Fälle und alle, die ein bestimmtes Stadium der Genesung hinter sich hatten, mußten bestimmte Aufga ben übernehmen. »Bring ihn zu Hattan!« befahl Rec, als ich mit dem Wächter erschien. »Und dann komm sofort zurück, ich muß mit dir spre chen.« Ich schwieg und gehorchte, wie es sich für einen einfachen Assistenten gehört. Hattan wurde von wohltuender Ruhe um geben. An die hundert Arkoniden – Männer, Frauen und Kinder – belagerten den Raum, in dem er arbeitete, aber diese Gruppe ver hielt sich ruhig und freundlich. Nirgends fiel ein lautes Wort, nicht einmal die Kinder quengelten herum, wie sie es üblicherweise bei solchen Gelegenheiten tun. Die Frauen schmachteten Hattan unverhohlen durch die großen Sichtscheiben an. Es lag an seiner Ausstrahlung, und diese wiederum war einer der Gründe dafür, wes halb ich ihn mitgenommen hatte. Hattan war zwanzig Jahre alt, groß und schlank, alles in allem ein typischer Arkoni de höherer Herkunft. Aber irgend etwas an ihm war ungewöhnlich – jedenfalls gewann er nahezu mit Lichtgeschwindigkeit überall Sympathie. Er stammte aus einer erfolglosen Piratenfamilie und war zu uns gestoßen, nachdem er sich jahrelang mit Hilfe unzähli ger Betrügereien durchs Leben geschlagen hatte. Sein Charme war überwältigend, und obwohl er von Medizin nur soviel verstand, wie die Hypnogeräte ihm speziell für diesen Einsatz eingetrichtert hatten, gewann er das Vertrauen der Patienten mit der ihm eigenen Leichtigkeit. Ich sorgte dafür, daß der Wächter sofort vorgelassen wurde, und Hat tan brachte seinen neuen Schützling umge hend in eine Schlafkammer. »Sie sind müde«, sagte er, und der Wäch ter glaubte ihm jedes Wort. »Diese Salbe wird den Juckreiz beseitigen. Wenn Sie ge schlafen haben, fühlen Sie sich wie neuge boren.« Die Salbe war einfache Hautcreme, denn
Die Seuchenspezialisten es haperte mit dem Nachschub. Hattan ver teilte das Zeug mit seinen schmalen Künst lerhänden auf dem Gesicht des Wächters, der Mann schloß die Augen, lächelte und fing an zu schnarchen. »Verblüffend«, sagte ich, während wir auf leisen Sohlen das Zimmer verließen. »Hilft es wirklich, oder bildet dieser Mann es sich nur ein.« Hattan schwieg geheimnisvoll und eilte zu seinen Patienten zurück. »Wir werden überwacht«, teilte Rec mir mit, als ich die Tür zu seinem Büro ge schlossen hatte. »Das war zu erwarten.« »Stimmt, aber trotzdem ist es unange nehm. Vayhna ist noch nicht zurück.« »Das hat nicht viel zu sagen«, behauptete ich, obwohl mir gar nicht wohl dabei war. »Falls sie es geschafft hat, wird sie dennoch ihre Runde fortsetzen, damit sie nicht auf fällt. Es kann noch Stunden dauern …« »Wie Sie meinen«, knurrte Rec und ra schelte nervös mit den Papieren auf dem Tisch. »Was ist mit der Überwachung?« »Oh, sie haben Posten aufgestellt. Angeb lich sollen sie dafür sorgen, daß kein gesun der Arkonide versehentlich zu uns kommt, aber das ist natürlich eine Ausrede. Torkon wollte zu unserem Gleiter, um etwas zu ho len. Man hat ihn nicht gehen lassen.« »Wie bitte? Konnten Sie nichts dagegen unternehmen?« »Athanik ist schlau. Torkon wurde nicht direkt festgehalten. Die Posten erledigten den Fall auf die feine Tour. Sie benahmen sich ungeheuer höflich und behaupteten, sie hätten Anweisung, den überlasteten Seu chenspezialisten jede überflüssige Arbeit ab zunehmen. Torkon erklärte ihnen, daß nur er selbst das richtige Mittel aus den Vorräten heraussuchen könne.« »Und?« »Sie holten den Gleiter hierher, direkt vor das Gebäude. Wir kommen nicht mehr un beobachtet an das Gefährt heran. Einer von Athaniks Leuten sitzt in der Kanzel – falls
15 eine Nachricht für uns von der SLUCTOOK ankommt, soll sie laut Athanik auf keinen Fall durch einen Zufall verlorengehen oder zu langsam weitergegeben werden.« »Dieser Mann erdrückt uns noch mit sei ner Hilfsbereitschaft«, murmelte ich. »Allmählich mache ich mir wirklich Sorgen um Vayhna. Ich hätte doch lieber selbst ge hen sollen.« Rec setzte zu einer Antwort an, aber der Türmelder hinderte ihn am Sprechen. Er blinzelte mir zu und drückte auf einen Knopf. Ich atmete erleichtert auf, als ich die Positronik-Spezialistin sah. »Wir haben uns schon Gedanken Ihretwe gen gemacht«, sagte ich. »Wo waren Sie so lange?« Vayhna verzog das Gesicht und ließ sich in einen Sessel fallen. Ärgerlich legte sie die Injektionspistole auf den Tisch. »Es hat nicht lange gedauert, bis Athanik den Trick durchschaut hatte«, berichtete sie. »Im ersten Gebäude ging alles gut. Es gibt ein Büro mit ungefähr zehn Leuten dort, einen Kindergarten und eine Schule. Ich impfte die ganze Gesellschaft und mar schierte zu dem Bau, in dem die Positronik steckt. Kaum war ich am Eingang, da kam Athaniks Schutztruppe anmarschiert. Zehn riesige Burschen in schwarzen Uniformen. Sie sind bis an die Zähne bewaffnet.« »Hat er Sie festnehmen lassen?« fragte Rec wütend. »So dumm ist er nicht. Die Kerle erklär ten mir, sie wollten mir meine Arbeit er leichtern. Der eine ging in den Vorraum, brüllte ein paar Befehle in ein Mikrophon, und dann kamen alle Leute, die in dem Ge bäude arbeiteten, angerannt. Sie stellten sich fein säuberlich auf, und ich impfte sie der Reihe nach. Auf diese Weise ging es weiter, durch die ganze Siedlung. Ich habe nicht ein einziges Haus betreten können.« Rec und ich tauschten einen kurzen Blick, dann nickte der Mann von der SLUCTOOK. »So ungefähr habe ich mir das gedacht«, sagte ich nachdenklich. »Dieser Athanik wird uns noch eine Menge Ärger bereiten.«
16 »Wenn er weiß, weshalb wir hier sind, ha ben wir sowieso keine Chance«, stellte Vay hna resignierend fest. Ich winkte hastig ab. »Er weiß nichts. Die Leute in Keme ha ben Verdacht geschöpft, aber bis jetzt su chen sie in der falschen Richtung. Trotzdem ist die Angelegenheit höchst ärgerlich für uns. Athanik bekam vermutlich die Anwei sung, uns genau im Auge zu behalten und dafür zu sorgen, daß wir keine Dummheiten anstellen können. Genau das tut er auch. Wenn er jetzt die richtigen Schlußfolgerun gen zieht, wird es allerdings gefährlich. Zu dumm, daß man diese Positronik nicht an ei nem belebteren Ort untergebracht hat!« Die Automatik meldete schon wieder Be such an. Vayhna und ich standen hastig auf, denn schließlich waren wir nur Assistenten, die sich ein paar Anweisungen geholt hatten. Ein ziemlich alter Mann betrat das Büro. Er nickte Rec zu und streifte Vayhna und mich nur mit hochmütigen Blicken. »Mein Name ist Tahakoor«, verkündete er mit einer volltönenden Stimme, die zu sei nem beinahe greisenhaften Aussehen nicht paßte. »Ich bin Mitglied des Komitees und habe ihnen eine offizielle Nachricht zu über bringen.« Rec nickte gleichmütig. »Die Spezialisten aus den Seuchenschif fen genießen überall im Imperium allgemei ne Sympathie und Anerkennung«, begann Tahakoor umständlich. »Leider gibt es im Zusammenhang mit Ihrer Anwesenheit eini ge bedauerliche Punkte, die Verdacht erre gen. Bis jetzt ist es nicht erwiesen, daß Sie und Ihre Leute ein falsches Spiel treiben, und ich hoffe sehr, daß sich alles zu Ihren Gunsten aufklärt. Solange die Verdachtsmo mente jedoch bestehen und nicht restlos ge klärt werden können, zwingt uns die Verant wortung dem Imperium gegenüber zu äußer ster Vorsicht. Ich hoffe, Sie verstehen das. Es liegt ja auch in Ihrem eigenen Interesse, daß dieser lästige Verdacht aus der Welt ge schafft wird, nicht wahr?« Rec musterte den alten Mann spöttisch. »Was sollten Sie uns also mitteilen?«
Marianne Sydow fragte er. Tahakoor drehte verlegen die Handflä chen nach oben. Ihm war seine Mission of fensichtlich unangenehm. »Wir werden Sie nicht in Ihrer Arbeit be hindern«, sagte er endlich. »Aber wir müs sen Sie bitten, sich bis auf weiteres aus schließlich in der Krankenstation aufzuhal ten.« »Wir sind also Gefangene?« »Wenn Sie es unbedingt so ausdrücken müssen – ja. Man wird Sie unter Kontrolle behalten. Es tut mir sehr leid, daß ich Sie mit solchen Dingen belästigen muß, aber …« »Schon gut«, winkte Rec ab. »Ich nehme nicht an, daß Sie für diese Anweisung ver antwortlich sind. Diejenigen, die diese wirk lich haarsträubende Anordnung gegeben ha ben, werden ihre Fehler hoffentlich bald er kennen. Wessen verdächtigt man uns eigent lich?« Tahakoor verzog das Gesicht, als hätte er Zahnschmerzen. »Es ist nur dummes Gerede«, wich er aus. »Ich will Sie nicht auch noch damit belästi gen.« »In Keme behauptete jemand, wir selbst hätten die Seuche künstlich erzeugt – ist es das?« Der alte Arkonide nickte traurig, und Rec lächelte verstehend. »Machen Sie sich keine Gedanken«, emp fahl er dem Alten. »Diese Unterstellung ist so absurd, daß selbst ein Kind sie als Lüge erkennen könnte. Es ist nicht unsere Aufga be, Krankheiten in die Welt zu setzen, son dern sie zu heilen. Falls wir jemals unter Ar beitsmangel leiden sollten, so werden wir mit Freuden Urlaub machen. Es gibt immer noch viel zu viel zu tun.« »Ich freue mich, daß Sie die Nachricht ge lassen aufnehmen«, sagte Tahakoor und zog sich langsam in Richtung Tür zurück. »Wir alle werden uns bei Ihnen entschuldigen müssen, wenn diese Sache vorbei ist.« Rec lächelte freundlich. Ich sprang zur Seite, öffnete dem alten Mann die Tür und
Die Seuchenspezialisten wartete höflich, bis er unter entschuldigendem Gemurmel den Raum verlassen hatte. »Das hat uns gerade noch gefehlt!« knurr te Rec, kaum daß ich die Tür geschlossen hatte. »Was nun?« »Ich versuche es heute nacht«, antwortete ich grimmig. »Hoffentlich bleibt uns noch genug Zeit. Von jetzt an müssen wir jeder zeit darauf gefaßt sein, daß wir schnellstens von hier zu verschwinden haben. Wie weit sind Sie mit Ihren Vorbereitungen gekom men, Rec?« »Es ist alles in Ordnung. Der Gasbehälter steckt im zentralen Belüftungsschacht, den Verschluß kann ich jederzeit mit einem Fun kimpuls absprengen. Wenn es soweit ist, ge be ich rechtzeitig das verabredete Zeichen. Was machen wir mit denen, die den Gleiter im Auge behalten?« »Die übernehme ich schon. Vayhna, un terrichten Sie bitte Torkon und Hattan, daß sie sich bereithalten sollen. Wenn das Signal kommt, sofort die Atemmasken aufsetzen und zum Ausgang gehen, die Vorhalle aber erst auf mein Zeichen verlassen. Alles klar?« Vayhna nickte und eilte davon. »Das Gas wirkt schnell und zuverlässig, und es dauert eine Weile, bis man es aus dem Belüftungssystem heraustreiben kann«, murmelte Rec besorgt. »Solange es im Ge bäude zirkuliert, kommt man ohne Atemge räte keinen Schritt vorwärts. Für die Kran ken wäre es besser, wenn Athanik uns nicht zu einem solchen Schritt treibt.« »Wir werden abwarten müssen. Hoffen wir, daß alles gutgeht. Wenn ich heute an die Positronik herankomme, können wir morgen schon nach Keme zurückkehren.« Wir sahen uns an. Rec gab sich große Mühe, optimistisch zu wirken, aber wir wußten genau, daß es jetzt ernst wurde. Es gab ein paar Kleinigkeiten, die – in den rich tigen Zusammenhang gebracht – ein nur zu klares Bild ergaben. Nur der Respekt vor dem Emblem der Seuchenspezialisten schützte uns noch. Aber an einem bestimm ten Punkt reichte auch das nicht mehr aus.
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* Vayhna unterrichtete Torkon und Hattan über den neuesten Stand der Dinge, dann nahm sie ihre Arbeit wieder auf. Es gab eini ge Schwerkranke, die ständige Pflege brauchten, und die von Rec in den Arbeits ablauf eingespannten Leute waren für solche Dinge in den meisten Fällen nicht geeignet. Es ging nicht um die fehlende Ausbil dung. Der erste Kranke, den Vayhna aufsuchte, war ein älterer Mann, den es arg erwischt hatte. Der braune Ausschlag hatte sich fast über seinen ganzen Körper ausgebreitet. Der damit verbundene Juckreiz mußte unerträg lich sein. Eine Injektion sollte dem armen Kerl Ruhe geben, aber selbst im Schlaf warf der Mann sich in seinem Bett herum. An vielen Stellen schälte sich die Haut. Kein schönes Bild – natürlich nicht. Und der Helfer, den Vayhna mitgenommen hatte, zuckte vor diesem entstellten Körper zurück. »Stellen Sie sich nicht so an!«, tadelte die Spezialistin. »Helfen Sie mir lieber.« Der Kranke stöhnte im Schlaf, als der Mann ihn anhob, damit Vayhna das schmut zige Bettzeug wechseln konnte. Während der Helfer die schorfigen Stellen mit einem speziellen Heilspray besprühte, pinselte Vayhna die rötlichen Ränder, die eine weite re Ausbreitung des Ausschlags verrieten, mit einer wasserhellen Lösung ein. Der Mann bekam mehrere Injektionen, dann wurde er wieder an das Versorgungs- und Überwa chungssystem angeschlossen. Zwanzig Kranke wurden versorgt, dann wischte Vayhna sich müde den Schweiß von der Stirn. »Pause«, sagte sie. »Ich muß etwas essen. Melden Sie sich in einer Stunde wieder bei mir. Sie finden mich dann in der Klinik.« Der Helfer zog aus seinem aseptischen Umhang einen winzigen Nadler. »Das wird nicht nötig sein«, sagte er leise. »Sie werden mich jetzt begleiten. An Ihrer Stelle wäre ich ganz folgsam. Das Gift in
18 dieser Waffe wirkt nicht tödlich – jedenfalls nicht sofort. Aber nur sehr wenige Arkoni den kennen das Gegenmittel. Sollte ich ge zwungen sein, zu schießen, so werden die Betroffenen viel Zeit haben, um sich über das nahende Ende Gedanken zu machen.« Vayhna nickte langsam. »Warum?« fragte sie. »Nicht neugierig sein!« mahnte der Hel fer. »Sie sollten die Spielregeln eigentlich kennen. Fragen werden immer von demjeni gen gestellt, der die Waffe besitzt. Kommen Sie!« Der Mann kannte sich in diesem Gebäude gut aus – besser als Vayhna. Ihre Hoffnung, dem Spuk mit Hilfe der Wachtposten ein schnelles Ende bereiten zu können, erwies sich bald als trügerisch. Sie benutzten abgelegene Gänge und Lift schächte, und je tiefer sie in das Gebäude eindrangen, desto geringer wurde die Chan ce, noch auf Arkoniden zu treffen. Zahlrei che Kleinigkeiten verrieten, daß seit Jahren niemand hier herumgelaufen war. Dicker Staub überzog stillgelegte Servoautomaten und langsam zerfallende Möbel. Die Be leuchtung wurde spärlicher. »Wohin bringen Sie mich?« versuchte Vayhna es noch einmal. »An einen Ort, an dem wir ungestört plau dern können«, versprach der Fremde. Kurz darauf erreichten sie einen, der un terplanetarischen Versorgungsgänge, die die einzelnen Gebäude miteinander verbanden. Vayhna folgte dem Wink der Waffe und be trat das Rollband. Einmal kamen sie an ei nem Robotdepot vorbei, aber die Maschinen waren nicht aktiviert. In einer kahlen Kammer endete das Roll band, und sie kletterten über feuchte, bröckelnde Steintreppen in ein System von lichtlosen Gängen. Der Fremde leuchtete mit einer kleinen Lampe die Wände ab und lot ste Vayhna vor sich her. Sie hatte keine Chance. Der Mann war einfach zu wachsam. »Halt!« befahl er vor einer häßlichen, grauen Metalltür. »Gehen Sie zwei Schritte zur Seite und stützen Sie sich mit den Hän-
Marianne Sydow den an die Wand. Die Füße weiter zurück. Ja, so ist es brav.« Vayhna fluchte in Gedanken vor sich hin. Der Fremde betätigte einen Kontakt, und die Tür öffnete sich einen Spalt breit. Während der angebliche Krankenpfleger durch die entstandene Öffnung spähte, rechnete Vayh na sich blitzschnell ihre Chancen aus. Sie stieß sich mit den Händen von der Wand ab und ging in die Hocke, um nicht aus dem Gleichgewicht zu kommen. Als sie sich nach vorne schnellen wollte, blickte sie in die Mündung des Nadlers. »Sie sind verdammt leichtsinnig, meine Liebe!« sagte der Fremde leise. »Noch so ein Fehler, und ich sehe mich gezwungen, Sie auf andere Weise vom Ernst der Lage zu überzeugen. Gehen Sie durch diese Tür.« Der Raum war eine Lagerhalle. Zwischen Maschinen, die unter Schutzfolien verbor gen waren, standen Stapel von Kisten und Bündeln. Dazwischen huschten winzige, braungelbe Tiere herum. Sie ließen sich durch die Ankunft der Arkoniden kaum stö ren. Pfeifend und zwitschernd kletterten sie auf den Warenstapeln umher, verschwanden in Löchern, die sie in das Verpackungsmate rial gefressen hatten, und tauchten an ande ren Stellen wieder auf. »Sie fressen alles«, behauptete der Mann, der Vayhnas Blicke richtig deutete. »Auch Arkoniden, wenn diese sich nicht bewegen.« Vayhna schauderte zusammen. »Nach rechts!« kam der Befehl von hin ten. Gehorsam setzte sie sich in Bewegung. Der Ort, an dem sie schließlich haltmach ten, lag am Rand der Halle. Hohe Maschi nenblöcke, alle noch in der Originalver packung aus nahezu unzerstörbarer, an den Rändern verschweißter Folie, schützten den Hohlraum nach allen Seiten vor den Blicken zufälliger Besucher. »Fangen wir also an«, sagte der Fremde und bedeutete der Arkonidin, sich auf den schmutzigen Boden zu setzen. »Mein Name ist Thar, und ich bin ein guter Freund Erreli kons. Es gefällt mir nicht, daß er tot ist, und noch weniger gefällt mir die Art und Weise,
Die Seuchenspezialisten wie er sterben mußte. Ich glaube nicht an die so unerwartet aufgetauchte Seuche. Jemand hat die ganze Sache ins Rollen gebracht. Von Ihnen möchte ich wissen, wer daran be teiligt ist und was der Zweck des Unterneh mens sein soll. Fangen Sie an zu erzählen!«
4. Zordec schnaufte zufrieden, als unter Mana-Konyrs geschickten Fingern die Läh mung verschwand. Der Hagere trat einen Schritt zurück, als Zordec vorsichtig auf stand und probehalber seine Muskeln spann te. »Wie kommen wir zu dieser Positronik?« fragte der Schwarze. Mana-Konyr zuckte die Schultern. »Wir werden es herausfinden«, versprach er, und in seinen Augen war wieder dieses Glitzern. »Komm. Wir müssen erstmal hier weg, ehe ein Wächter kommt.« Sie schlichen durch den Zellentrakt. Die ser Teil des Gebäudes war gegen die Außen welt abgeschirmt. Niemand hatte den beiden Kämpfern das gesagt, aber sie hatten auf diesem Gebiet genug Erfahrung. Innerhalb des gesicherten Gebäudeteils konnten sie sich einigermaßen unbesorgt bewegen, aber draußen würde es Wachen geben. Mana-Konyr hielt ab und zu an und lauschte. Zordec erkannte stillschweigend den Hageren als Anführer dieser Aktion an. »Dort vorne«, flüsterte Mana-Konyr nach einiger Zeit. »Hinter dem Schott muß die Wachstube sein. Zwei Wächter – auf keinen Fall mehr. Sie gehören dir. Es muß schnell gehen. Und mach nicht soviel Lärm.« Zordec betrachtete das Schott mißtrau isch. »Das sieht nach einer Falle aus«, flüsterte er zurück. »Bestimmt gibt es Schirmfeldpro jektoren oder irgendwelche andere Teufelei en!« »Nichts da«, grinste Mana-Konyr. »Ich sagte dir doch schon, daß die Kerle sich viel zu sicher fühlen. Außerdem haben sie wegen dieser Seuche andere Sorgen.«
19 Er trat an die Wand, und es geschah nichts. Mana-Konyr legte die rechte Hand auf eine Kontaktscheibe und nickte Zordec zu. Der Mann mit der fleckigen Haut nickte zurück. Die beiden Männer, die hinter dem Schott an einem Tisch saßen und sich die Zeit mit einem Würfelspiel vertrieben, sahen er schrocken auf, als das Schott sich öffnete. Ehe sie noch die Waffen hochreißen konn ten, die griffbereit auf dem Tisch lagen, war Zordec bei ihnen. Der Dunkelhäutige packte die beiden im Nacken, riß sie nach oben und stieß ihre Köpfe zusammen. Halb betäubt sackten die Wächter auf die Stühle zurück. Mana-Konyr sprang heran, die dürren Hände weit vorgestreckt. Sekunden später waren die beiden Arkoniden bewußtlos. »Wir müssen sie verstecken«, flüsterte Mana-Konyr. Zordec grunzte ärgerlich. Kämpfe dieser Art waren nicht nach seinem Geschmack. Es ging alles viel zu schnell und zu glatt. Aber er sah ein, daß sie zunächst dieses Gebiet verlassen mußten. Mana-Konyr suchte die Wände ab und fand eine Art Kleiderkammer. »Schaff sie hinein!« zischte er. Zordec packte mit jeder Hand einen der betäubten Wächter am Kragen und schleifte sie scheinbar mühelos zu der kleinen Tür. Mana-Konyr untersuchte die Wächter zu frieden. »Wir brauchen sie nicht zu fesseln«, mur melte er und deckte die Arkoniden mit ein paar schmutzigen Uniformen zu, die in einer Ecke der Kammer lagen. »Es wird etliche Stunden dauern, bis sie zu sich kommen.« Er suchte zwischen den sauberen Klei dungsstücken und fand ein paar Sachen, die ihm paßten. Mit Zordec war es schwieriger. Mana-Konyr entdeckte endlich einen brau nen Umhang mit Kapuze. Das entsprach nicht unbedingt der normalen Bekleidung der hier lebenden Arkoniden, aber es war besser als gar nichts. »Wir müssen nach rechts«, murmelte Mana-Konyr. »Da gibt es bestimmt Schächte,
20 die nach unten führen. Wenn wir Glück ha ben, kommen wir aus dem Gebäude, ohne daß jemand uns sieht.« Zordec schwieg. Er schwitzte unter dem Umhang, und außerdem war dieser Teil des Unternehmens nicht seine Sache. Er wartete auf eine Gelegenheit, sich auszutoben. Von weit her hörten sie Leute miteinander reden, aber sie sahen niemanden. Das riesige Trichterhaus wirkte seltsam verlassen. Die beiden Arkoniden konnten nicht wissen, daß in einem anderen Teil des Gebäudes die Kranken untergebracht waren. Niemand wollte mit ihnen zusammen im Haus leben, und deshalb waren die gesunden Leute in andere Häuser umgezogen. Dieser Teil war ohnehin recht verwahrlost. Bis zum Beginn der KAYMUURTES blieb noch genug Zeit, um die Räume in Ordnung zu bringen. Wäh rend der Spiele wurden hier Gäste unterge bracht, vor allem Berichterstatter, die über die Anlagen der Verwaltungszentrale jedes einzelne Spiel beobachten konnten, gleich gültig, wo die Kämpfe ausgetragen wurden. Sie öffneten verschiedene Türen, gelang ten auf einen dämmerigen Gang und standen unversehens auf einer Innenterrasse. Irgendwo sprudelte Wasser zwischen exotischen Pflanzen. Kleine Vögel schwirrten unter den blühenden Büschen hervor. Unter ihren Fü ßen knirschte feiner Sand. Verschiedenfarbi ge Natursteinblöcke säumten den schmalen Weg. »Da drüben geht es weiter!« Mana-Konyr deutete auf eine schmale Wendeltreppe aus silbrigem Metall. Sie sicherten nach allen Seiten, dann huschte Zordec als erster nach unten. ManaKonyr wollte ihm gerade folgen, da hörte er einen dumpfen Laut. »Zordec?« rief er leise. »Alles in Ordnung«, antwortete der Dunkle. »Hier trieb sich so ein merkwürdi ger Kerl herum.« Mana-Konyr hastete nach unten. Am Fuß der Treppe lag ein Arkonide. Der Mann trug einen groben Arbeitsanzug. »Verdammt«, knurrte der Hagere, nach-
Marianne Sydow dem er den Fremden kurz untersucht hatte. »Warum hast du ihn umgebracht? Es hätte gereicht, ihn für eine Weile zum Schweigen zu bringen.« Zordec verzog verächtlich das Gesicht. »Paß das nächstemal besser auf!« befahl Mana-Konyr ärgerlich. »Wenn wir eine so deutliche Spur hinterlassen, können wir ebensogut Hinweisschilder aufstellen. Sie werden uns suchen, ist dir das klar?« Zordec starrte den hageren Arkoniden ausdruckslos an. Mana-Konyr biß sich auf die Lippen. Er bedauerte es bereits, daß er den Dunklen mitgenommen hatte. Warum war er nicht al leine losgezogen? Er hätte es auch ohne Zor dec geschafft, besser sogar, denn der Dunkle war zu unzuverlässig. Er hätte ihn ausschal ten sollen … »Weiter«, murmelte er endlich. Hinter der Treppe befand sich ein Zugang zum nächsten Stockwerk. Ein paar Meter weiter entdeckten sie einen Antigravschacht. Nirgends gab es eine Bewegung. »Nach unten!« kommandierte ManaKonyr. Sie waren auf dem richtigen Weg. Die Gänge, in die sie hineinsehen konnten, starr ten vor Schmutz. Die Luft roch dumpf und abgestanden. An den Kontrollzahlen ließ sich erkennen, daß sie bereits unter der Oberfläche angelangt waren. Und als der Schacht endete, standen sie in einem runden Raum, in dessen Mitte ein Transportband begann. Zordec sah sich mißmutig um. Er wartete immer noch darauf, daß die versprochene Prügelei begann. Mana-Konyr dagegen ori entierte sich erst einmal. Er wußte nicht ge nau, wo sich die Positronik befand, aber er war sicher, daß er sie finden würde, wenn ihm nur genug Zeit blieb. Etwas machte ihn stutzig. Das Transport band war in Betrieb. Warum? Alle Anzeichen sprachen dafür, daß dieser Tunnel in der letzten Zeit kaum benutzt wor den war. Das Band hatte keine automatische Schaltung. Jemand hatte es also in Betrieb
Die Seuchenspezialisten gesetzt. Mana-Konyr beschloß, sehr vorsichtig zu sein. Sie fuhren mehrere Minuten lang durch diese verlassene Unterwelt und landeten in einer Kammer, die noch verwahrloster aus sah. Mana-Konyr sog zischend die Luft durch die Lippen, als er die Treppe entdeck te. Da war ein Stein mit einer offensichtlich frischen Bruchkante. Einmal aufmerksam geworden, entdeckte er noch andere Spuren. »Oben ist jemand«, warnte er Zordec lei se. »Hoffentlich!« knurrte er und hob seine mächtigen Pranken. »Nicht so!« zischte der Hagere scharf. »Ich will wissen, was hier vorgeht. Die Sa che ist nicht sauber, das steht fest. Außer dem brauchen wir jemanden, der uns verra ten kann, wo diese verflixte Positronik steht.« Zordec stieg schweigend die Stufen hin auf. Oben gelangten sie in ein regelrechtes Labyrinth von Gängen, aber nachdem ManaKonyr aus einem Nebenraum eine Lampe besorgt hatte, fanden sie mühelos den Weg. Zwei Personen waren hier entlanggegangen, und die Spuren waren ganz frisch. Vor ei nem grauen Schott hielten sie an. »Keinen Laut!« mahnte der Hagere, bevor er auf die Schalttafel drückte. Das Schott öffnete sich.
* Vayhna überlegte blitzschnell. Thar gehörte also zum hiesigen Geheim dienst. Errelikon hatte Verdacht geschöpft und seine Überlegungen zweifellos nicht für sich behalten. Und Thar war nun wild ent schlossen, das Rätsel zu lösen. Sie konnte schweigen. Die Frage war, ob das etwas einbrachte. Die Taschen in Thars Kittel waren ausgebeult, und Vayhna konnte sich lebhaft vorstellen, daß der Agent nicht nur den kleinen Nadler mitgenommen hatte. Auf jeden Fall besaß Thar die Mittel, um sein Opfer zum Reden zu bringen. Vayhna
21 dachte dabei nicht an Gewalt, sondern an Drogen. Einer solchen Beeinflussung war sie nicht gewachsen. Die Gefahr, daß sie dann nicht nur die wahren Ziele des Unternehmens, sondern auch Atlan selbst verriet, war groß. Es gab nur eine Alternative: Reden. Und sie redete. Thar war ein bulliger, eher schwerfälliger Mann, einen halben Kopf kleiner als die Spezialistin. Sein Gesicht war aufge schwemmt, unter den Augen traten bräunli che Tränensäcke hervor. Vayhna hatte auf Kraumon einige Trophäen in verschiedenen sportlichen Wettbewerben gewonnen, und Thar wäre für sie ein leichter Gegner gewe sen. Der Agent hatte zwei Vorteile: Den Nadler und die schon fast übertrieben wir kende Vorsicht. »Die Seuche ist künstlich hervorgerufen worden, stimmt das?« »Ja«, sagte Vayhna und gab sich Mühe, ängstlich zu wirken. »Es ist ein Virus, das normalerweise harmlos ist. Man hat es ver ändert. Nach einiger Zeit würde die Seuche von selbst erlöschen.« »Das dachte ich mir«, nickte Thar zufrie den. »Wer hat die Manipulationen vorge nommen?« »Das weiß ich nicht. Wir hatten damit nichts zu tun. Unser Kommandant erhielt ei ne verschlüsselte Nachricht. Es waren Freunde von ihm, die ihn um einen Gefallen baten. Er sollte nach Pejolc fliegen, weil dort in Kürze eine Krankheit von seuchen ähnlichem Charakter ausbrechen würde.« »Von welchem Ort kam die Nachricht?« »Das weiß ich auch nicht. Jedenfalls aus diesem Raumsektor.« »Also mit einiger Wahrscheinlichkeit aus dem Dubnayor-System«, nickte Thar aber mals. »Wie heißen die Freunde des Kom mandanten?« »Ich bin nur eine von vielen Spezialistin nen an Bord«, wich Vayhna aus. »Es be stand kein Grund, mich in alles einzuwei hen. Was ich weiß, habe ich hintenherum gehört. Aber es sollen einflußreiche Leute
22 sein.« Vayhna hatte natürlich Kenntnis davon, daß es eine Verschwörung unter den Komi teemitgliedern gegeben hatte. Sie kannte die Namen der Beteiligten nicht, aber Thar, der sich in offenkundiger Freude die Hände rieb, wußte wohl, von wem die Rede war. Das Spiel der Arkonidin war gefährlich. Sie brachte den Agenten auf eine Spur, die sehr leicht zur Wahrheit führen konnte. Aber Vayhna hatte nicht die geringste Lust, Thar genug Zeit zu lassen, um diese Erkenntnisse nutzbringend anzuwenden. Sie wollte ihn dahin bringen, daß er diese verflixte Vor sicht vergaß. Erst dann hatte sie eine Chan ce. Vorerst hielt der Agent noch Abstand, und die Waffe in seiner Hand war nicht nur eine Formalität. »Warum sind Sie nach Ulfwahr gekom men?« »Es gibt Kranke hier«, sagte sie. »Wir sind verpflichtet, ihnen zu helfen.« Thar lachte rauh. »Das ist mal ein guter Witz!« knurrte er. »Erst sorgt ihr dafür, daß eine Seuche aus bricht, dann spielt ihr die idealistischen Hel fer.« »Ich sagte doch schon, daß wir die Seuche nicht ausgelöst haben. Das waren andere!« »Was ist dann eure Rolle bei diesem Spiel?« fragte Thar lauernd. Vayhna biß sich auf die Lippen. Der Agent hatte einen wunden Punkt berührt. Wie kam sie da heraus? »Die angebliche Seuche läßt sich außeror dentlich leicht bekämpfen«, sagte sie vor sichtig. »Ein anderes Seuchenschiff wäre mit dem Problem vielleicht schon fertig ge worden.« »Die SLUCTOOK soll also die Angele genheit verschleppen. Solange der Seuchen alarm nicht aufgehoben ist, bleibt Pejolc ge sperrt. Das könnte sich auf die KAYMUUR TES katastrophal auswirken. Und mit den Spielen sind bestimmte Termine fest ver bunden. Errelikon hatte recht, wie es scheint. Wenn die KAYMUURTES nicht
Marianne Sydow stattfinden, könnte es sein, daß der Impera tor die Schirmherrschaft verliert. Er hat ja noch ein paar andere Verpflichtungen.« »Er wird sie verschieben!« Thar starrte Vayhna überrascht an. »Wie kommen Sie darauf?« »Orbanaschol kann es sich nicht leisten, eine solche Gelegenheit ungenutzt zu las sen«, sagte Vayhna langsam und beobachte te den Agenten aufmerksam. »Er ist ziem lich unbeliebt geworden. Wenn die KAY MUURTES den Schmuck seines Namens verlieren, wird sich das sehr ungünstig aus wirken – für den Imperator.« Thar sprang unwillkürlich auf, denn Vay hna hatte den Ehrentitel absichtlich so aus gesprochen, daß er sich eher wie ein Fluch anhörte. Vayhna sah ihre Chance und warf sich nach vorne. Sie rutschte auf dem Bauch über den schmutzigen Fußboden und er reichte Thars Beine in dem Augenblick, in dem der Agent zur Besinnung kam. Der Zu sammenprall riß Thar zu Boden. Vayhna hörte ein trockenes Knacken und rollte zur Seite. Das winzige Projektil schlug hinter ihr in den Boden ein. Thars Gesicht war eine ver zerrte Fratze von Wut und Haß. Er richtete die kleine Waffe erneut auf die Frau, und Vayhna erkannte, daß sie diesmal keine Chance hatte. Der Agent brauchte nicht ge nau zu zielen. Es reichte, wenn eines der Projektile die Arkonidin streifte. Das Gift erledigte dann den Rest. Sie starrte den Agenten wie hypnotisiert an. Thar grinste verzerrt. In seinen Augen glitzerte es merkwürdig, während der Zeige finger seiner rechten Hand sich langsam krümmte.
* Sie schlichen durch die halbdunkle Lager halle. Mana-Konyr gab die Richtung an. Er mußte ein unglaublich gutes Gehör haben. Unfehlbar steuerte er um die vielen Stapel von Waren und sonstigen Gegenständen die Stelle an, von der sie das Gemurmel von
Die Seuchenspezialisten Stimmen hörten. Zordec war ungeduldig. Für ihn gab es nur gerade Wege. Wenn er einen Gegner er kannt hatte, ging er ihn an und tötete ihn – alles andere sah er als Sentimentalität und Zeitverschwendung an. Der dunkle Zordec war nicht normal – und Mana-Konyr war ebenfalls ein Psycho path. Aber die psychischen Störungen der beiden Männer waren so verschieden, daß sich aus der Synthese ihrer Fähigkeiten eine äußerst gefährliche Mischung ergab. Hinter einem Wall von riesigen Maschi nen sprachen zwei Arkoniden miteinander. Ein Mann und eine Frau. Um ein Rendez vous handelte es sich ganz sicher nicht, denn diese Halle war alles andere als ein romanti scher Treffpunkt. Als sie näher kamen, ver standen sie einzelne Worte, und plötzlich gab es einen dumpfen Laut, ein Keuchen und einen spitzen Schmerzenslaut. Zordec stampfte mit der Wucht eines Kampfroboters voran. Mana-Konyr eilte ihm nach, und er erkannte resignierend, daß er seinen Partner jetzt nicht mehr zurückhal ten konnte. Immerhin erwischte er ihn an der Ecke, und in diesem Augenblick kam aus dem Versteck hinter den Maschinen ein trockenes Knacken, über dessen Bedeutung die beiden Männer nicht lange nachzuden ken brauchten. Die Tatsache, daß der Gegner über eine Waffe verfügte, ließ den dunklen Zordec zö gern. Mana-Konyr nutzte die Gelegenheit und tippte dem Mann im braunen Umhang kurz auf die Schulter. Der andere drehte sich lautlos um, und der Hagere machte ein paar eindeutige Zeichen. Sekunden später huschte Mana-Konyr an der schmalen Öffnung zwischen den Ma schinen vorbei. Er hatte einen anderen Durchschlupf entdeckt. Zordec wartete, bis sein Partner in dem dunklen Loch ver schwunden war, dann schob er sich, eng an den Plastiküberzug gedrängt, in die Gasse zwischen den Maschinen vor. Zwei Schritte – dann sah er einen fetten Arkoniden genau im Profil. Und er sah das Mädchen, das sich
23 auf der anderen Seite gegen die Wand drängte, nur drei oder vier Schritte von der Stelle entfernt, an der Mana-Konyr auftau chen mußte. Zordec lächelte und entblößte dabei die kräftigen, gelben Zähne. Seine Augen glüh ten wie Kohlenstückchen, als er sich lautlos auf den Angriff vorbereitete. Es mußte schnell gehen. Der Dicke taugte nicht für ei ne Prügelei, aber er hatte eine Waffe. Thar fuhr auf dem Absatz herum, als er hinter sich das wilde Knurren hörte, mit dem Zordec seinen Angriff ankündigte. Der Agent war entschieden zu langsam. Ehe er noch begriff, was da auf ihn zukam, traf ein gewaltiger Hieb sein Handgelenk, und der Nadler entfiel seinen Fingern. Thar stieß einen markerschütternden Schrei aus, als die Pranken des dunklen Zordec seinen Nacken berührten. Der Schrei brach urplötzlich ab. Zordec ließ den schlaffen Körper achtlos fallen und wandte sich der Arkonidin zu, die starr vor Entsetzen dastand. »Halt!« brüllte Mana-Konyr den heran stampfenden Kämpfer an. Zordec zögerte, sah die drohend erhobene Hand des Hageren und dachte an die furcht baren Lähmungen, die Mana-Konyr mit kaum fühlbaren Berührungen auszulösen vermochte. Er blieb stehen. »Danke«, hauchte Vayhna. Das Bewußtsein, im letzten Augenblick dem Tode entronnen zu sein, wirkte wie ein Schock. Die Arkonidin zitterte plötzlich am ganzen Leibe. »Gern geschehen«, erwiderte ManaKonyr und deutete eine Verbeugung an. »Wir suchen die Positronik. Können Sie uns den Weg verraten?« Vayhna starrte ihn verblüfft an. Der Ha gere trug die Uniform der Wächter, und sie hatte ihn bis jetzt für einen von Athaniks Leuten gehalten. Erst jetzt merkte sie, daß etwas nicht in Ordnung war. Sie sah das schwarze Gesicht unter der braunen Kapuze, und plötzlich begriff sie. Die Gefangenen! Atlan hatte von ihnen erzählt. Ein Mann,
24 dessen Haut schwarz und stellenweise grau gefleckt war. Und ein hagerer Arkonide, von dem der Wächter berichtet hatte, daß er sich auf Positronengehirne spezialisiert hatte. »Ich habe keine Ahnung, wo ich hier bin«, sagte sie langsam. »Ich glaube kaum, daß ich Ihnen helfen kann.« Mana-Konyr musterte sie mit halbge schlossenen Augen. Völlig unerwartet lä chelte er. »Es ist inzwischen dunkel«, stellte er fest. »Sie kommen mit. Bestimmt erkennen Sie das Gebäude.« Zordec trottete mißmutig hinterher. Mana-Konyr schien einen sechsten Sinn zu haben, wenn es darum ging, Auswege zu finden. Er entdeckte eine schmale Tür in der Seitenwand der Lagerhalle, die unverschlos sen war. Nachdem er sich vorsichtig umge sehen hatte, winkte er Vayhna und den Dunklen nach draußen. Es war tatsächlich bereits dunkel geworden. Vayhna dachte an Atlan, der vielleicht jetzt schon unterwegs war, und das brachte sie auf eine Idee. Sie würde den beiden Ausbrechern den Weg zeigen! Es war unwahrscheinlich, daß diese beiden an die Positronik herankamen, aber sie würden auf jeden Fall Unruhe stiften. Blitzschnell orientierte sie sich. Jetzt machte es sich bezahlt, daß sie am Vormit tag wenigstens einen kleinen Überblick über die Anlage gewonnen hatte. »Wir müssen an dieser Halle entlang«, sagte sie leise. »Dann kommen wir an die Ringstraße. Von dort aus müßte man das Gebäude sehen können.« Sie mußten auf jeden Schritt achten. Im tiefschwarzen Schatten der Halle lagen Ge rumpel und Abfälle. In der Dunkelheit ra schelte und zwitscherte es. Kleine, pelzige Körper flohen manchmal fast unter ihren Fü ßen hervor. Von der prunkvollen Ausstat tung der öffentlichen Gebäude war hier nichts zu merken. Hinter der glänzenden Fassade lauerten Fäulnis und Zerfall. Am Ende der Lagerhalle blieben sie ste hen. »Nun?« fragte Mana-Konyr ungeduldig.
Marianne Sydow Der sanftleuchtende Straßenbelag machte die Umrisse der Gebäude sichtbar. Vayhna entdeckte schräg gegenüber das Trichter haus, aus dem Thar sie verschleppt hatte. Daneben zeichnete sich das plumpe Gebäu de des Positronikzentrums wie ein unförmi ger Klotz gegen den Sternenhimmel ab. Es war still in der Siedlung. Von weit her drang das Rauschen der Brandung heran. Vom Landefeld kam ein leises Summen, und ein Gleiter mit blinkenden Positionslichtern er hob sich und huschte über das Meer davon. Irgendwo erklang ein Kommandoruf, aber zwischen der Halle und der Krankenstation gab es keine Bewegung. »Dort ist es«, sagte sie leise und zeigte auf das unregelmäßig würfelförmige Gebäu de. »Aber es wird Wachen dort geben. Wahrscheinlich warten sie in der Eingangs halle.« Sie konnte die Gesichter der beiden Män ner nicht sehen, denn das schwache Licht, das von der Straße ausging, drang nicht bis zu ihnen vor. Sie hörte nur Mana-Konyrs laute Atemzüge und das Knurren, das Zor dec plötzlich ausstieß. »Halt den Mund!« wisperte der Hagere wütend. »Eines von diesen kleinen Biestern hat mich ins Bein gebissen!« beschwerte sich der Dunkelhäutige. »Wann geht es weiter? Ich möchte nicht von diesen Bastarden ge fressen werden.« »Keine Sorge«, murmelte Mana-Konyr spöttisch. »An dir würden sie sich den Ma gen verderben. Wir müssen uns leider von Ihnen trennen, meine Liebe, aber es hat mich gefreut, Ihre Bekanntschaft zu ma chen!« Vayhna spürte eine kühle Hand, die sich leicht um ihren Hals legte, dann sank sie in einen bodenlosen Abgrund. »Deine Versprechen taugen nicht viel, Partner!« knurrte Zordec, der die Frau fallen sah. »Du wirst noch auf deine Kosten kom men«, versprach Mana-Konyr flüsternd. »Was hättest du davon, wenn du eine wehr
Die Seuchenspezialisten lose Frau umbringst. Sie hat uns geholfen. Hilf mir mal. Wir müssen sie an einen Platz bringen, an dem diese hungrigen Schmarot zer sie nicht erreichen können.« »Du führst dich auf wie eine Kinder schwester!« Mana-Konyr antwortete nicht, und der dunkle Zordec half schweigend, die bewußt lose Arkonidin in einen Gleiter zu tragen, der aus irgendeinem Grund unverschlossen herumstand. Kurz darauf schlichen die beiden Ausbre cher im Schutz der Dunkelheit ihrem Ziel entgegen.
5. Gegen Abend merkten wir, daß Vayhna verschwunden war. Wir hatten sie schon vorher vermißt, aber die Krankenstation war groß genug, um einen Arkoniden für Stunden zu ver schlucken. Inzwischen jedoch war mehr als das Doppelte der Frist verstrichen, in der sich jeder von uns einmal bei Rec einfand, um sich dort über alle Neuigkeiten zu infor mieren. »Wo kann sie sein?« überlegte Hattan, der sich nur mit Mühe für kurze Zeit von seinen Patienten losgeeist hatte. »Bei Athanik!« behauptete Torkon grim mig. »So etwas mußte ja kommen. Er hat längst Verdacht geschöpft, und nun will er echte Informationen. Typisch für ihn, daß er sich gerade Vayhna ausgesucht hat!« »Sie ist über alles informiert«, fügte Rec bedrückt hinzu. »Wenn er es richtig anfängt …« Wir sahen uns an. Die Situation war auch so schon kritisch genug. »Ich werde mit ihm reden!« sagte ich ent schlossen. »Diesmal ist er zu weit gegangen. Was immer er sich zusammengereimt hat, es berechtigt ihn nicht, zu solchen Mitteln zu greifen!« »Das stimmt zweifellos«, stimmte Rec mir zu. »Aber es wird besser sein, wenn ich ihm auf den Zahn fühle. Bis jetzt hält er
25 mich für den Anführer der Gruppe. Warum wollen Sie die Aufmerksamkeit auf sich len ken? Sie sind sicherer, wenn er Sie für un wichtig hält.« Dieser Mann hat einen klaren Verstand, stellte das Extrahirn anerkennend fest. Ich ärgerte mich darüber, aber ich ging genau wie Hattan und Torkon zur Seite, damit die Optik mich nicht erfassen konnte, als Rec das Bildsprechgerät in Betrieb setzte: »Ah!« machte Athaniks ölige Stimme, als der Bildschirm hell wurde. »Sie sind es. Was haben Sie mir mitzuteilen?« »Nichts. Wo ist meine Mitarbeiterin?« »Wovon reden Sie eigentlich?« »Von meiner Assistentin. Sie ist ver schwunden. Was haben Sie mit ihr ange stellt?« »Ich weiß wirklich nicht, wie Sie das mei nen«, behauptete Athanik selbstsicher. »Ich habe mit Ihrer Assistentin nichts zu tun. Seit wann ist sie denn fort?« »Das läßt sich nicht mehr genau feststel len«, knurrte Rec. »Aber ich denke, Sie kön nen darüber am ehesten Auskunft geben. Wo ist sie?« »Ich weiß es nicht.« Athaniks Stimme klang ungeduldig. »Hören Sie!« begann Rec drohend. »Wir haben uns bisher allerhand gefallen lassen, aber irgendwann geht meine Geduld zu En de. Wir sind Seuchenspezialisten, und es gibt zu jedem beliebigen Zeitpunkt Dutzen de von Planeten, deren Bewohner unsere Hilfe dringend brauchen. Man könnte mei nen, die Arkoniden von Pejolc brauchten uns gar nicht. Sie haben uns in jeder nur denkbaren Weise provoziert, ohne uns von unserer Pflicht abzubringen. Aber wenn man jetzt anfängt, meine Mitarbeiter zu entfüh ren, dann geht das entschieden zu weit. Ich erwarte, daß Vayhna sofort und gesund an Leib und Seele zu mir gebracht wird. Ge schieht das nicht, dann werden wir unsere Arbeit einstellen!« »Das dürfen Sie nicht tun!« keuchte Atha nik erschrocken. »Es verstößt gegen Ihre Vorschriften. Denken Sie doch an den Eid,
26 den Sie abgelegt haben!« »Genau das empfehle ich Ihnen. Die Seu chenspezialisten sind tabu. Immer und über all. Das ist ein uraltes Gesetz, das bisher nur einmal gebrochen wurde. Sie wissen, was damals geschah?« Athanik schwieg. Ich konnte mir vorstel len, wie verzweifelt er jetzt nach einem Aus weg suchte. Es war tatsächlich erst einmal vorgekommen, daß ein Volk die Immunität der Seuchenärzte verletzt hatte. Die Spezia listen hatten sich daraufhin von dem Plane ten zurückgezogen und die Bewohner sich selbst überlassen. Kein anderes Seuchen schiff hatte sich bereit gefunden, die Arbeit fortzusetzen. Seitdem hatte niemand mehr versucht, die Seuchenärzte in irgendeiner Weise zu behindern oder in eine Intrige ein zubeziehen. Athanik konnte nicht wissen, daß die SLUCTOOK gar kein Seuchenschiff mehr war. »Es tut mir leid«, murmelte er ratlos. »Wenn ich wüßte, wo Ihre Assistentin sich aufhält – glauben Sie wirklich, ich würde ein solches Risiko eingehen? Bitte, glauben Sie mir, ich habe damit nichts zu tun. Und ohne mein Wissen könnte niemand Ihre Gruppe angreifen. Vielleicht hat sie sich verirrt …« Er suchte nach Erklärungen, die sich in diesem Fall nicht gerade wahrscheinlich an hörten. Er sagt die Wahrheit, meldete sich plötz lich das Extrahirn. Er weiß wirklich nichts von dem Mädchen. Aber wenn Athanik Vayhna nicht hatte, wo war sie dann? Der Logiksektor schwieg. Immerhin gab es einen Geheimdienst auf Pejolc, und sicher hielten sich auch einige Agenten in Ulfwahr auf. Es war nicht un möglich, daß Athanik über die Aktivitäten dieser Leute nicht informiert wurde. Das brachte mich auf eine Idee. Ich krit zelte hastig etwas auf einen Zettel und hielt ihn hoch, so daß Rec meine Botschaft lesen konnte, ohne daß ich in den Erfassungsbe reich der Optik geraten konnte.
Marianne Sydow »Also gut«, sagte Rec gedehnt. »Wenn Ihr Gewissen so sauber ist, dann geben Sie uns wenigstens die Gelegenheit, selbst nach Vayhna zu suchen.« »Das kann ich nicht.« »Sie haben die Wahl!« »Sie irren sich«, stieß Athanik verzweifelt hervor. »Ich habe Anweisungen, die ich nicht umgehen darf. Ich werde jeden, den ich irgendwie entbehren kann, für die Suche nach Ihrer Assistentin abstellen. Wir werden sie finden, und wenn wir das ganze Gebiet auf den Kopf stellen müssen. Aber ich darf Sie nicht aus der Krankenstation herauslas sen.« Rec zögerte. Ich war enttäuscht, denn ich hatte ziem lich fest damit gerechnet, daß Athanik nach geben würde. Aber ich erkannte auch, daß der Arkonide tatsächlich in der Zwickmühle saß. Resignierend zuckte ich die Achseln und gab Rec ein Zeichen. »Sie haben Zeit bis zum Sonnenaufgang«, sagte er und schaltete das Gerät aus, ohne ei ne Antwort abzuwarten. »Schade«, murmelte Hattan. »Es wäre ei ne gute Gelegenheit gewesen. Ob Athanik wirklich so ahnungslos ist?« »Er hat bestimmt nicht gelogen«, antwor tete ich nachdenklich. »Wenigstens diesmal nicht. Das ändert nichts an der Tatsache, daß ich unbedingt nach draußen muß. Es gibt nur zwei Möglichkeiten. Entweder finde ich einen Ausgang, der nicht bewacht wird, oder ich überliste die Posten.« »Der Wächter!« sagte Hattan plötzlich. »Sie haben ihn doch mitgebracht. Er liegt immer noch im selben Zimmer und schläft. Seine Uniform hat genau die richtige Größe, und vom Zellentrakt aus müßte es doch einen Weg geben, um die Posten zu umge hen!«
* Eine halbe Stunde später verließ ich ne ben Hattan das Krankenzimmer. Der Wäch ter hatte eine Injektion erhalten, die ihm
Die Seuchenspezialisten mindestens zehn weitere Stunden tiefen Schlaf bescherte. Hattan wurde seinem Ruf als meisterhafter Betrüger mehr als gerecht. Er brauchte nur ein Minimum an Zeit und Material, um mein Aussehen dem des Wächters anzugleichen. Mein Gesicht und meine Hände trugen die Spuren der Seuche. Einige Verbandpäckchen, von innen mit Klebestreifen an der Uniform befestigt, gli chen alle Unterschiede in der Figur aus. Während wir durch den ziemlich belebten Gang schritten, gab Hattan mir gute Ratschläge. »Wenn das Schwächegefühl wiederkeh ren sollte, müssen Sie sich für kurze Zeit hinlegen. Sollte es dadurch nicht besser wer den, dann melden Sie sich umgehend bei mir. Haben Sie die Salbe auch nicht verges sen? Sie muß alle zwei Stunden aufgetragen werden. Gehen Sie sparsam damit um, denn wenn das Zeug zu dick auf den Schorf ge schmiert wird, kann die Wirkung ins Gegen teil umschlagen. Auf keinen Fall dürfen die befallenen Hautstellen mit Wasser in Berüh rung kommen, und wenn der Juckreiz wie der auftritt, reißen Sie sich bitte zusammen. Jede aufgekratzte Stelle kann zu einem neuen Infektionsherd werden.« Ich ließ alles schweigend über mich erge hen. Unter solchen Reden erreichten wir das erste Hindernis: Den direkten Zugang zur Krankenstation und die beiden dort postier ten Uniformierten. Sie warfen uns nur einen flüchtigen Blick zu. Hattan blieb zurück, und ich schritt an den Posten vorbei. »Tüchtige Burschen, diese Spezialisten, wie?« meinte der eine, und ich nickte kurz. Ich wagte es nicht, zu sprechen, denn meine Stimme konnte mich verraten. Jenseits der Tür führte der Gang bis zu ei nem Antigravschacht. Ich schwang mich hinein. Mehrere Arkoniden begegneten mir. Auch die schwarzgekleideten Männer von Athaniks Leibwache waren darunter, aber niemand schöpfte Verdacht. Die Uniform und die deutlich sichtbaren Schorfflecken schützten mich. Ungehindert erreichte ich den Ausstieg; von dem aus man zu dem Zel
27 lentrakt gelangte. Für einen Moment zögerte ich, dann zog ich die Hand, die ich bereits nach der Haltestange ausgestreckt hatte, wieder zurück. Ich war entschlossen, es jetzt gleich zu wagen. Wenn ich auf einen Kollegen des Wächters traf, nützte mir die ganze Maske rade nichts. Bei den Posten, die das Gebäude und unseren Gleiter überwachten, rechnete ich mir bessere Chancen aus. »Wohin wollen Sie?« Ich drehte mich langsam um. Ein junger Arkonide schwebte neben mir nach unten. Er trug eine schwarze Uniform. Seine Frage hatte mich erschreckt, obwohl der Tonfall nicht einmal unfreundlich war. Auch in sei nem Gesicht entdeckte ich kein Anzeichen von Mißtrauen. »Ich weiß noch nicht«, antwortete ich va ge. Kannte er den Wächter? Wenn ja, dann wußte er schon jetzt, daß etwas nicht stimm te. »Die Wetten stehen gut«, sagte er unver mutet. »Ist dieser gefleckte Bursche auch wirklich in Form? Ich möchte nicht mein ganzes Geld verlieren.« »Er ist in Ordnung«, murmelte ich. »Kann ich Sie ein Stück mitnehmen? Ich habe meinen Gleiter draußen.« War es verdächtig, wenn ich ablehnte? Ich kannte mich zuwenig in dieser Siedlung aus. Wohin gingen diese Leute, wenn sie sich entspannen wollten? »Das ist sehr freundlich von Ihnen«, sagte ich vorsichtig. Dann fiel mir ein, daß es im Aufenthaltsraum der Wächter zwar einen Servoautomaten gab, daß dessen Kapazität jedoch sehr niedrig zu sein schien. »Eigentlich möchte ich nur mal wieder et was Anständiges essen«, fügte ich deshalb hinzu und hoffte, mein Begleiter würde das als konkrete Zielangabe ansehen. Es konnte unmöglich mehrere Gaststätten in dieser Siedlung geben. Meine Rechnung schien aufzugehen. »Das ist kein Problem«, lachte der Uni formierte. »Ich muß am Kasino vorbei.
28 Kommen Sie!« Ich ging neben ihm durch die Halle. Er grüßte einige von den Wachtposten und führte eine kurze, belanglose Unterhaltung mit ihnen, während ich schweigend wartete. Endlich traten wir durch die breite Tür. Es war schon dunkel. Die Straße leuchtete aus sich heraus, und genau vor mir hob sich unser Gleiter wie ein dunkler Schemen vor diesem Hintergrund ab. Ich wunderte mich darüber, daß keine Scheinwerfer brannten, aber mein Begleiter hielt die unzulängliche Beleuchtung offenbar nicht für etwas Unge wöhnliches. Er wandte sich nach rechts, und ich folgte ihm bis zu einem der kleinen, wendigen Fahrzeuge, die allem Anschein nach das einzige Transportmittel im Verwal tungszentrum bildeten. »Steigen Sie ein!« forderte er mich auf, nachdem er die Türen geöffnet hatte. Ich schwang mich in die Kabine – und wußte, daß ich in die Falle getappt war. »Keinen Laut!« warnte er, während er mir mit der einen Hand den Lauf einer Waffe in die Rippen drückte und mit der anderen per Knopfdruck die Türen schloß. Das Fahrzeug setzte sich in Bewegung. »So!« sagte er, als wir ein Stück von dem Trichterbau entfernt waren. »Nun fangen Sie mal an zu reden. Ich weiß, daß Sie nicht der Wächter sind, für den Sie sich ausgeben. Ich kenne diesen Mann zufällig sehr gut. Was haben Sie mit ihm gemacht?« »Nichts«, murmelte ich. »Er ist in der Krankenstation. Er hatte einen Rückfall, und die Ärzte verordneten ihm eine Portion Schlaf.« Er hat keinen bestimmten Verdacht, wis perte das Extrahirn. Das ist deine Chance. Er weiß nicht, was er von dir halten soll, und er will sich nicht blamieren. Darum die ser Flug. »Ich sehe ihm ein bißchen ähnlich«, fuhr ich nach einer kurzen Pause fort. »Darum habe ich die Gelegenheit wahrgenommen und mir seine Uniform ausgeliehen. Ich wollte einfach mal raus, verstehen Sie? In der Krankenstation geht es ja beinahe wie in
Marianne Sydow einem Gefängnis zu.« Mein Begleiter schwieg. Ich konnte sein Gesicht in der Dunkelheit kaum sehen und wußte deshalb nicht, ob er meine Ausrede akzeptierte. Die Waffe jedenfalls steckte er nicht weg. »Was werden Sie nun mit mir machen?« fragte ich, um meiner Rolle gerecht zu wer den. »Ich werde Sie zurückbringen und bei den Wachen abliefern. Die können entscheiden, was mit Ihnen geschehen soll. Vorerst wird man Sie wieder in die Krankenstation stecken, aber wenn Sie gesund sind, wird diese Maskerade noch einigen Ärger für Sie bringen. Wo arbeiten Sie normalerweise?« Dieser Kerl hatte die fatale Begabung, die unangenehmsten Fragen zu stellen, ohne sich dessen eigentlich bewußt zu werden. Der Gleiter bog in diesem Augenblick von der selbstleuchtenden Straße ab. Ich ent deckte rechts ein Gebäude und zeigte hin über. Für einen Augenblick ließ der Mann mit der schwarzen Uniform sich ablenken. »Sie müssen sich irren«, sagte er ver blüfft. »Das ist doch nur ein Lagerschuppen. Moment mal, sind Sie überhaupt …« Er kam nicht dazu, diesen Satz zu been den. Zwei Dinge hinderten ihn am Reden. Erstens hatte ich in diesem Augenblick be reits sein Handgelenk erwischt. Der Trick, mit dem ich ihm den Strahler abnahm, war ebenso wirksam wie schmerzhaft – für ihn natürlich, nicht für mich. Zweitens machte er bei dem Versuch, die Waffe doch noch zu behalten, eine unvorsichtige Bewegung und geriet dabei mit den Kontrollen in Konflikt. Der Gleiter war nicht besonders schnell, aber als er jetzt abrupt zum Stillstand ge bracht wurde, gab es doch einen recht hefti gen Ruck. Der Mann, der um ein Haar meinen gan zen schönen Plan zum Scheitern gebracht hatte, flog aus dem Sitz und knallte gegen die transparente Kanzelabdeckung. Das Ma terial war sehr widerstandsfähig. Ich starrte verblüfft auf meinen Gegner, der fast ohne mein Zutun für längere Zeit handlungsunfä
Die Seuchenspezialisten hig gemacht worden war. Hastig untersuchte ich den Gleiter. Ich fand nichts, was ich gebrauchen konnte – im Gegenteil: Das Funkgerät war auf Sendung geschaltet. Wenn irgend jemand diese Fre quenz abgehört hatte, mußte er zwangsläufig Verdacht schöpfen. Noch rührte sich nichts, und ich machte, daß ich aus der Nähe des Fahrzeugs kam. Zum Glück brauchte ich wenigstens nicht damit zu rechnen, daß mein vom Pech ver folgter Begleiter umgehend eine Beschrei bung von mir liefern würde, denn er war mit absoluter Sicherheit für mehrere Stunden vernehmungsunfähig. Immerhin besaß ich seine Waffe. Ich rannte ein Stück an der Wand der La gerhalle entlang, überquerte eine schmale Straße und sprang über eine niedrige Mauer. Auf der anderen Seite landete ich in meter hohem Unkraut. Zum gleichen Zeitpunkt hörte ich ein zorniges Summen und entdeck te die Positionslichter von einem halben Dutzend Gleiter, die mit Höchstgeschwin digkeit heranrasten. Unter normalen Umständen wäre das Ver steck gar nicht so schlecht gewesen. Leider erwies sich das Unkraut als eine Ansamm lung höchst unfreundlicher Gewächse. Diese Pflanzen hatten sich mit allem ausgerüstet, was hungrigen Tieren und schutzsuchenden Arkoniden das Dasein verleiden konnte. Sie besaßen Dornen aller Größenordnungen, Brennhaare, klebrige Ranken, Blätter, die wie festgeleimt auf der Haut hafteten und dort Verdauungssekrete absonderten, am Boden liegende Ausläufer, die perfekte Fangschlingen bildeten, sogar irgendwelche blasenförmigen Auswüchse, die bei der ge ringsten Berührung unter leisem Zischen einen Gestank verströmten, der mir fast den Atem verschlug. Mühsam kämpfte ich mich an der Mauer entlang ein paar Meter weit durch diesen Miniaturdschungel. Dann trat ich aus Verse hen auf einen runden, harten Gegenstand. Das Ding explodierte förmlich unter meinen Füßen und warf dabei eine Unmenge von
29 winzigen, steinharten Körnern hoch. Die Wucht dieser natürlichen Geschosse reichte nicht aus, um den Stoff der Uniform oder gar meine Haut zu durchschlagen, aber ich trug unzählige blaue Flecke davon. Jenseits der Mauer waren die Gleiter in zwischen gelandet. Ich hörte aufgeregte Ru fe und das Getrampel von vielen Füßen. Un ter diesen Umständen durfte ich es nicht wa gen, auch nur den Kopf über die Mauer zu stecken. Genauso sinnlos war es, weiter durch das Unkraut zu kriechen, denn das ging nicht ohne Geräusche ab. Ich war auch nicht besonders wild darauf, noch mehr Er fahrungen mit der hiesigen Pflanzenwelt zu sammeln. Ich blieb also, wo ich war, und machte mich möglichst klein. Auf der anderen Seite der Mauer suchte man nach mir. »Er muß irgendwo hier sein«, hörte ich einen Arkoniden ärgerlich sagen. »Weit ist er bestimmt noch nicht gekommen. Wenn wir wenigstens wüßten, was für ein Kerl das ist. Sahal hätte uns ruhig ein paar Informa tionen geben können.« »Konnte er aber nicht«, erwiderte ein an derer Mann. »Er wird ganz schönen Ärger kriegen, wenn der Alte davon erfährt. Eigen mächtiges Handeln – das hat er noch nie lei den können. Vielleicht ist er über die Mauer geflohen und steckt irgendwo da draußen.« »Dann könnten wir ihn brüllen hören. Wenn ich vor die Wahl gestellt wäre, entwe der eine Stunde zwischen diesen verdamm ten Pflanzen zu hocken oder zehn Jahre auf einem Strafplaneten zu verbringen – ich würde den Strafplaneten wählen!« Die beiden schienen das für einen guten Witz zu halten, denn sie lachten schallend, während sie langsam weitergingen, um in jeden dunklen Winkel zu leuchten. Sie ahnten wahrscheinlich gar nicht, wie recht sie hatten! Rechts von mir stand ein Gewächs, das mich in Wolken von Gestank hüllte, bis es vor meinen Augen flimmerte. Links waren Zweige, die dünne, brüchige Dornen besa ßen. Die Dornen waren mit Widerhaken aus
30 gestattet und blieben hängen, sobald man ih nen zu nahe kam. An meinem rechten Bein hatte sich eine kleine Pflanze festgerankt. Sie war emsig damit beschäftigt, mit Hilfe eines ätzenden Sekrets meine Hosenbeine aufzulösen, um an meine Haut zu kommen. Und vor meiner Nase baumelte eine Blüte, die sicher keine bösen Absichten hatte, mich aber fast zum Wahnsinn trieb. Der Duft, den sie verströmte, löste einen schier unerträgli chen Niesreiz aus. Ich habe keine Ahnung, wie lange ich all diese Widerwärtigkeiten ertrug. Mir kam es wie eine Ewigkeit vor. Als ich hörte, daß die Gleiter starteten und sich rasch entfernten, wäre ich am liebsten kopfüber auf die ande re Seite der Mauer gesprungen. Mit dem letzten Rest meiner Selbstbeherrschung zwang ich mich, zuerst nachzusehen, ob die Luft rein war. Als ich den Mann entdeckte, der etwa fünfzig Meter entfernt auf der Stra ße stand und mit einer Lampe den Boden vor seinen Füßen ableuchtete, hätte ich vor Enttäuschung am liebsten laut geflucht. Mit zusammengebissenen Zähnen wartete ich. Der Kerl ging mit aufreizender Gründ lichkeit vor. Er leuchtete nach links, dann nach rechts, jeweils mindestens eine Minute lang. Dann machte er einen Schritt, der ihn von mir wegführte, und anschließend leuch tete er wieder – erst nach links, dann nach rechts. Ich beobachtete ihn wie unter Hyp nose. Was immer der Mann suchte, er fand nichts, und schließlich bog er um eine Ecke – das geschah in dem Augenblick, in dem die eifrige kleine Rankpflanze ihr Ziel er reicht hatte und die ätzende Flüssigkeit auf mein Bein traf. Es war, als wäre ich an einen glühenden Draht gefesselt. Ich ächzte und sprang in einem reinen Reflex in die Luft, flog über die Mauer und rollte mich auf der anderen Seite ab. Das Gewächs an meinem Bein ließ sich dadurch nicht stören. Es war mit den Wur zeln aus dem Boden gerissen worden, aber es hatte nicht die Absicht, auf seine Beute zu verzichten. Instinktiv griff ich nach der gräßlichen Pflanze und konnte diese Bewe-
Marianne Sydow gung gerade noch stoppen, ehe ich die Ran ke berührte. Bis ich das Messer in der Hand hatte, fühlte sich mein Bein bereits an, als würde es langsam geröstet. Und als ich das widerwärtige Gewächs endlich los war, hielt der Schmerz noch einige Zeit an. Wütend humpelte ich auf das nächstbeste Gebäude zu, fand eine unverschlossene Tür und stolperte in den dahinterliegenden Raum. Ich war so erledigt, daß ich mich ein fach auf den Boden fallen ließ. In meiner Nase kribbelte es unerträglich, meine Augen tränten, und die zahlreichen kleinen Verlet zungen schmerzten teuflisch. Ich nieste und hustete, kratzte mich unaufhörlich und dach te voller Sehnsucht an die Krankenstation, in der es weiche Betten, Medikamente und Duschkabinen gab. Das Schlimmste hast du hinter dir, melde te sich das Extrahirn spöttisch. Was sind die KAYMUURTES schon – dort wird ja nur bis zum Tod des Gegners gekämpft! »Halt den Mund!« knurrte ich böse und richtete mich mühsam auf. Es war stockfinster. Ich ließ die winzige Lampe aufblitzen, schaltete sie jedoch schnell wieder aus, weil ich von draußen Geräusche hörte. »Hier muß es sein«, murmelte eine Stim me. »Hoffentlich ist er noch da.« »Bist du auch wirklich sicher, daß nie mand etwas gemerkt hat?« fragte eine Frau enstimme ängstlich. »Ganz sicher. Sonst hätte ich dich nicht hierher gebracht. Da ist die Tür.« Ich tastete mich durch die Finsternis bis an die Wand. Dort stieß ich mit dem Fuß ge gen irgendeinen Gegenstand, der klappernd umfiel. Ich blieb stehen und lauschte. »Was war das?« hörte ich die Frau vor der Tür fragen. »Nichts«, knurrte ihr Begleiter. »Er ist ge sund und lebendig, das ist alles. Wenn du Angst hast, mache ich das Geschäft mit ei nem anderen.« »Nein«, antwortete sie hastig. »Du weißt, daß es nicht so gemeint war. Mach schon die Tür auf. Wir müssen es schaffen.«
Die Seuchenspezialisten Mir sträubten sich die Haare, und ich drückte mich dicht an die Wand, die erbeu tete Waffe schußbereit in der rechten Hand, bereit, meine Haut so teuer wie möglich zu verkaufen. Ich zweifelte nicht daran, daß ich dazu bestimmt war, die Finanzen der beiden aufzubessern. Wie hatten sie mich erkannt? Aber das war jetzt Nebensache. Die Tür öffnete sich mit einem leisen Knarren. Ein Scheinwerfer flammte auf. Hinter dem grellen Lichtkegel erkannte ich undeutlich zwei Gestalten. Eine davon hielt einen großen Sack in der Hand. Der Lichtstrahl wanderte weiter und kam mir immer näher. Ich zielte auf den Schein werfer, wartete aber immer noch ab. Die beiden Arkoniden standen genau vor der Tür. Ich mußte sie irgendwie weglocken. »Da!« sagte der Mann plötzlich. Nicht schießen! warnte das Extrahirn scharf. Ich nahm den Finger vom Abzug und stellte verwundert fest, daß ich immer noch außerhalb des Lichtkegels stand. Dann blickte ich dahin, wo ein Teil der Halle be leuchtet war und entdeckte etwas, das sich bewegte. Zwischen zwei Lastgleitern kauer te ein merkwürdiges Tier. »Den Köder!« befahl der Arkonide scharf. Die Frau holte irgendeinen Gegenstand aus dem Sack und warf ihn in die Richtung der pelzigen Kreatur. Es platschte leise, und ich stellte fest, daß es sich bei dem Köder um eine weiche Frucht handelte. Ein seltsa mer Duft stieg auf. Das Tier zwischen den Gleitern bewegte sich unruhig. Es schien die Falle zu wittern, aber der Geruch wurde im mer stärker, und langsam näherte sich das Wesen dem Köder. Gleichzeitig rückten die beiden Arkoni den vor. Sie bewegten sich behutsam und bemühten sich, kein Geräusch zu verursa chen. Ich verfolgte das Unternehmen mit ge spannten Sinnen. Die beiden schienen sich völlig auf ihr Opfer zu konzentrieren. Sie entfernten sich immer weiter von der Tür. Noch drei oder vier Schritte, dann konnte ich es versuchen.
31 Plötzlich stieß das Tier einen klagenden Laut aus. Es wich auf seinen kurzen, stäm migen Beinen seitwärts aus und duckte sich zum Sprung. »Zurück!« stieß der Arkonide hervor, und plötzlich hielt er eine Waffe in der Hand. Er zielte auf das Tier, das verwirrt auf die bei den Jäger starrte und sich nicht entscheiden mochte, wen es angreifen sollte. Ich weiß bis heute nicht, was mich dazu brachte, den Strahler auf Paralysewirkung umzustellen und abzudrücken. Es ging so schnell, daß ich mir des Vorgangs kaum be wußt wurde. Und ich hatte nicht auf das Tier gezielt, sondern auf die beiden Arkoniden. Sie brachen lautlos zusammen. Der Schein werfer schwang herum, und von dem Tier war nichts mehr zu sehen. Verwirrt senkte ich die Waffe und lausch te. Erst jetzt wurde mir klar, was ich getan hatte. Ich war allein in dieser Halle mit ei nem Wesen, von dem ich nicht wußte, über welche Waffen es verfügte. Ich wußte nur, daß die beiden Jäger nicht ohne Grund so vorsichtig gewesen waren. Ganz langsam tastete ich mich in Rich tung Tür voran. Immer wieder hielt ich an und lauschte, aber ich hörte nichts. Erst als ich die Tür fast erreicht hatte, trat etwas in die breite Lichtbahn. Ich hob den Strahler, aber etwas hinderte mich daran, ihn zu benutzen. Das Tier hatte sich halb aufgerichtet. Seine schwarze, sehr bewegliche Nase prüfte die Witterung, und die grellblauen Augen waren genau auf mich gerichtet. Es hatte mich entdeckt.
6. »Wir müssen etwas unternehmen«, sagte Fartuloon und starrte Corpkor herausfor dernd an. »Wenn wir noch länger warten, geht es schief. Dieser Arsanonc wird immer frecher. Im Augenblick sind ihm noch die Hände gebunden. Die Bevölkerung steht zum größten Teil auf unserer Seite, weil of fensichtlich nur wir imstande sind, die Seu che einzudämmen. Sie würden Arsanonc in
32 Stücke zerreißen, wenn er es wagen würde, uns offiziell anzugreifen. Aber wir werden mit dieser Krankheit zu gut fertig. Sobald die Gefahr gebannt ist, wird er zuschlagen.« »Er kann uns nicht einfach abschießen lassen«, knurrte Corpkor gelassen. »Nein, aber er kann zum Beispiel ein paar Funksprüche loslassen. Die SLUCTOOK gehört nicht in diesen Raumsektor, und das wird man ihm gerne bestätigen. Bis jetzt hat er noch Angst, sich zu blamieren, sonst wäre er längst über alles informiert. Wir müssen ihn in die Knie zwingen. Er muß stillhalten – wenigstens bis Atlan mit seinen Leuten zurück ist.« Corpkor schwieg und betrachtete nach denklich eine winzige Fliege, die auf seinem Handrücken saß und sich mit den Vorderfü ßen den Kopf sauber wischte. Der Kopfjäger blies das Tier behutsam an, und die Fliege unterbrach die Zeremonie der Säuberung. »Du hast die Sache mit der Seuche arran giert!« fuhr Fartuloon ärgerlich fort. »Du kennst dich am besten damit aus. Gibt es denn keine Möglichkeit, etwas zu unterneh men?« Die Fliege spazierte auf Corpkors Zeige finger entlang und spähte auf die Tischplatte hinunter. Der Kopfjäger lächelte flüchtig, und die Fliege kehrte eilig auf den Handrücken zurück. »Wir können nicht mehr das Schiff ver lassen«, sagte Fartuloon und schritt unruhig auf und ab. »Jeder Patient, der zu uns kommt oder die SLUCTOOK verläßt, wird scharf kontrolliert – wenn er überhaupt in die Nähe der Schleuse gelassen wird. Und es kommen immer weniger Leute. Die Seuche ist fast besiegt. Noch ein oder zwei Tage – und du sitzt da und spielst mit einer Fliege!« »Mit einer besonderen Fliege!« Der Bauchaufschneider blieb ruckartig stehen. Er beugte sich über den Tisch und starrte das Insekt an. »Ich finde nicht, daß sie ungewöhnlich aussieht«, brummte er. »Was ist mit ihr? Hast du sie dressiert? Was kann sie?« »Nichts.«
Marianne Sydow Fartuloon explodierte fast. Nur mit Mühe riß er sich zusammen. Corpkor hatte er staunliche Fähigkeiten, und es gab nieman den, der so hervorragend mit Tieren umge hen konnte. Er war einer der wertvollsten Mitarbeiter, die Atlan je gewonnen hatte, aber mit seiner Schweigsamkeit konnte er den Bauchaufschneider an den Rand des Wahnsinns treiben. Es hatte keinen Zweck, den ehemaligen Kopfjäger zu drängen. Cor pkor sprach dann, wenn er es für nötig hielt. Der Bauchaufschneider zwang sich zur Ruhe. Er setzte sich wieder an den Tisch und wartete. Der Tierbändiger hatte irgend einen Plan, das war ihm jetzt klar. »Die Seuche könnte wieder aufflackern«, sagte Corpkor sofort wieder in tiefes Schweigen. »Sie könnte. Es wäre natürlich eine Lö sung. Die Bevölkerung würde verlangen, daß wir sofort unsere Arbeit wieder aufneh men, und Arsanonc müßte seine Leute zu rückziehen. Aber wir haben unsere Sonden vollzählig abgeschossen. Wie sollen wir die Krankheit erneut verbreiten? Abgesehen da von, daß es nur ein Zeitgewinn wäre – aber helfen könnte es schon. Was hast du vor?« Corpkor bewegte einen Finger, und die Fliege lief auf die Innenseite der Hand. Sie unternahm keinen Fluchtversuch, als die Finger des Tierbändigers sich über ihr schlossen. Corpkor stand schweigend auf und ging zur Tür. Er sah sich nicht nach dem Bauchaufschneider um, der ihm hastig folg te. Draußen auf dem Gang begann Corpkor plötzlich zu sprechen. »Insekten reagieren sehr stark auf be stimmte Gerüche. Diese Fliege hier ist auf Arkoniden eingestellt, genauer gesagt, auf die Duftstoffe, die bei einigen Gemütszu ständen durch die Poren der Arkoniden aus geschieden werden. Diese Duftstoffe sind zu schwach, als daß wir sie wahrnehmen könn ten, aber auf meine Fliege wirken sie wie ein Köder. Eine einzelne Fliege könnte natürlich nicht viel ausrichten. Ich habe ein paar Kä sten voll von ihnen gezüchtet. Sie gehören
Die Seuchenspezialisten zu den Insekten, die sich ausschließlich vom Blut warmblütiger Lebewesen ernähren. In ihren Speicheldrüsen tragen sie ein Sekret mit sich herum, auf das der Erreger unserer Seuche äußerst heftig reagiert. Sie werden nur Arkoniden stechen – alle Tiere und son stigen Intelligenzen haben für sie den falschen Geruch.« Fartuloon grinste anerkennend. »Damit kriegen wir Arsanonc«, sagte er zufrieden. »Hoffentlich erwischen ihn auch ein paar von diesen netten Tierchen.« »Er ist gerade auf dem Weg zu unserem Schiff.« Der Bauchaufschneider fragte gar nicht erst, woher Corpkor das wußte. Der Tierbän diger fand überall Lebewesen, die er als Spione und Nachrichtenträger einsetzen konnte. Er wunderte sich auch nicht darüber, daß Corpkor nach diesen langen Erklärun gen sofort wieder in Schweigen versank. Er hatte eben gesagt, was seiner Meinung nach gesagt werden mußte. Corpkor hatte sich in einem Lagerraum häuslich eingerichtet. Seine neuentdeckte Fähigkeit, auch Mikroorganismen zu beein flussen, hinderte den Tierbändiger nicht dar an, ständig einige seiner seltsamen Begleiter mit sich herumzuschleppen. Fartuloon rea gierte gelassen auf die Anwesenheit dieser Tiere. Seine Aufmerksamkeit galt einigen großen Plastikbehältern, die neben einer ge öffneten Schleuse standen. Die in den Raum gekehrten Seiten der Behälter waren durch sichtig. Der Bauchaufschneider musterte das Ge wimmel in den Kästen. Unzählige winzige Insekten saßen, krochen und flogen darin durcheinander. Mehrere dünne, mit einer rötlichen Flüssigkeit gefüllte Schläuche wa ren durch die Innenräume gezogen. An eini gen Stellen hingen Trauben von saugenden Fliegen daran. »Verdünntes Kunstblut aus der medizini schen Abteilung«, erklärte Corpkor beiläu fig. »Kein sehr gutes Futter für sie. Aber schließlich müssen sie hungrig sein, wenn sie ihre Aufgabe erfüllen sollen.«
33 »Was geschieht, wenn ein paar von diesen kleinen Bestien in die SLUCTOOK eindrin gen?« Der Tiermeister lächelte flüchtig. Er öff nete die rechte Hand und sah die Fliege an, die unversehrt ins Freie krabbelte. »Sie stechen nicht uns«, betonte er. »Unser Trinkwasser hat einen Zusatz be kommen. Das Zeug wird vom Körper nicht verarbeitet, sondern unverändert ausgeschie den. Es verändert für einige Zeit unseren Geruch.« »Du hast an alles gedacht, wie?« Corpkor hielt es nicht für notwendig, dar auf zu antworten. Er machte sich an den Pla stikbehältern zu schaffen. Fartuloon griff schweigend mit zu, und wenig später öffnete sich die Rückwand der ersten Kiste. Unwillkürlich wich der Bauchaufschnei der zurück, als er das Brausen unzähliger Flügel hörte. Die Insekten schwirrten aufge regt durcheinander. Es dauerte ungefähr eine Minute, bis sich der erste Schwarm formier te. Fartuloon zog den Kopf ein, als einige tausend Fliegen den Behälter verließen und der Schleuse zustrebten. Corpkor sah den Bauchaufschneider mit einem spöttischen Lächeln an. »Na und?« machte Fartuloon ärgerlich. »Es hätte ja sein können, daß irgendein Feh ler in deine Berechnungen geraten ist.« Der Tierbändiger grinste breit. Zehn Minuten später waren alle Behälter leer. Keine einzige Fliege war zurückgeblie ben. Nur ein paar tote Insekten lagen auf dem Boden der Kästen. Fartuloon sah aus der Schleuse und stellte zufrieden fest, daß die Insekten nur für sehr kurze Zeit Schwär me bildeten. Es war kaum anzunehmen, daß ein Beobachter auf dem Landefeld etwas ge merkt hatte. Dann fiel ihm etwas anderes ein, und er erschrak. »Was geschieht mit Pejolc, wenn die Bie ster sich vermehren?« fragte er entsetzt. »Sie sind fortpflanzungsunfähig«, brummte Corpkor unwillig. Der Tierbändi ger hielt diese Aktion offensichtlich für ab geschlossen, denn er hockte vor einem offe
34 nen Käfig und fütterte ein Tier, das eine Schlange hätte sein können. Es hatte aller dings vier Paar kurze Flügel auf seinem Rücken. Fartuloon seufzte und verließ den Lager raum. Er wußte aus Erfahrung, daß zu die sem Zeitpunkt eine Unterhaltung mit dem Tierbändiger unmöglich war. Er begab sich in die Zentrale, denn er hoffte, bald ein paar Neuigkeiten zu hören. Wenn Corpkors Geheimwaffe zuverlässig arbeitete, konnte es nicht lange dauern, bis die Wirkung eintrat. »Da draußen ist allerhand los«, bemerkte ein junger Arkonide, der die Wache über nommen hatte. »Sehen Sie, diese Gruppe um den Gleiter herum. Man könnte annehmen, die Kerle wären plötzlich verrückt gewor den!« Der Bildschirm zeigte in der Tat ein merkwürdiges Bild. Knapp zwanzig Raum soldaten, die zur Bewachung der SLUC TOOK abgestellt waren, tanzten wie die Ra senden auf dem glatten Boden herum. Sie wedelten dabei mit den Armen, als hätten sie die Absicht, davonzufliegen. Fartuloon grinste. Die ersten Fliegen hat ten ihre Opfer bereits gefunden. Er ging von einem Schirm zum anderen, stellte neue Ausschnitte ein und kam zu der Überzeugung, daß die Stadt Keme und deren nähere Umgebung absolut gleichmäßig von den stechenden Insekten verseucht waren. An einigen Stellen traten die Fliegen mas senweise auf, aber das geschah meistens weit vom Landefeld entfernt. Nachdenklich fragte er sich, ob auch dieses Verhalten auf Corpkors Umsicht zurückzuführen war. Manchmal wurde ihm der Tiermeister un heimlich. Es war ein Glück, dachte er, daß Atlan diesen Mann nicht mehr zum Feind hatte. Zwei Stunden später gab es in der Stadt eine neue Entwicklung. Von den Fliegen war zu diesem Zeitpunkt nichts mehr zu se hen. Viele von ihnen mochten satt und müde in irgendwelche Schlupfwinkel gekrochen sein, die anderen waren auf dem Wege in
Marianne Sydow die weiter entfernten Siedlungen auf diesem Kontinent. In den Straßen und auf den weiten Plätzen zwischen den Trichterbauten versammelten sich Gruppen von Menschen, die aufgeregt miteinander zu diskutieren schienen. An an deren Stellen rasten Transportgleiter mit dem Emblem des Gesundheitsamtes auf den Seitenwänden in die Parknischen der Gebäu de und luden dort Kranke ein. Als sie Kurs auf das Landefeld nahmen, nickte Fartuloon zufrieden. »Da möchte jemand mit Ihnen sprechen!« Der Bauchaufschneider nickte und ließ die Verbindung an seinen Platz umlegen. Es war Arsanonc. Der Gouverneur sah ziemlich mitgenom men aus. Auf seiner linken: Gesichtshälfte leuchteten zwei knallrote Beulen, die sich an den höchsten Stellen bereits bräunlich zu verfärben begannen. Es hatte ihn also auch erwischt. »Es tut mir leid, daß ich Sie und Ihre Leu te noch einmal bemühen muß«, krächzte Ar sanonc. Die wenigen Wörter reichten, um seine entzündeten Schleimhäute in Verwir rung zu bringen. Fartuloon wartete mit aus drucksloser Miene, bis der Hustenanfall vor über war. Arsanonc holte keuchend Luft und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Die Seuche …«, würgte er hervor, dann mußte er abermals aufgeben. »Aha«, sagte Fartuloon bedächtig. »Ich hatte Sie gewarnt, aber Sie hielten sich ja für kompetent genug, in dieser Sache eine eige ne Entscheidung zu treffen. Die Krankheit wurde durch die von uns verteilten Medika mente kurz gehalten, und nun macht sie wie der von sich reden, nicht wahr?« Arsanonc keuchte und hustete, wand sich in seinem Sessel und stierte den Bauchauf schneider aus tränenden Augen hilflos an. »Ich werde jemanden zu Ihnen schicken, der Ihnen hilft«, versprach Fartuloon, und Arsanonc mochte den geradezu väterlichen Tonfall als besonderen Hohn empfinden. »Zuvor müßten sie allerdings den Befehl ge ben, die Wachtposten abzuziehen, damit wir
Die Seuchenspezialisten unserer Arbeit nachgehen können.« Arsanoncs Widerstand war gebrochen – wenigstens für die nächste Zeit. Die Wachen verschwanden spurlos, und eine Stunde spä ter war es, als hätte es sie nie gegeben. Glei ter kamen und gingen, brachten Patienten zur SLUCTOOK und beförderten die angeb lichen Seuchenspezialisten in die überbeleg ten Kliniken.
7. Das Tier war ungefähr zwei Meter lang und einen Meter hoch. Seine Hinterbeine waren fest auf den Boden gestemmt, als es mich mit seinen seltsamen Augen betrachte te. Ich kämpfte gegen die eigenartige Le thargie an, die mich befallen hatte. Ich muß te mich wehren! Der Gedanke war da, aber mit der prakti schen Anwendung haperte es. Ich konnte mich kaum von der Stelle rühren. Irgendwie erinnerte mich das an Akon-Akon. Hatte dieses Wesen eine ähnliche Fähigkeit? Mir sträubten sich die Haare, als das Biest den Rachen aufriß und mir sein prächtiges Gebiß zeigte. Kein einziges Mitglied der doppelten Zahnreihe war unter zwei Zenti meter lang. Dann erklang ein maunzender Laut, der mir irgendwie vertraut vorkam. Das Tier schloß den Rachen, betrachtete mich aufmerksam und maunzte abermals. Offensichtlich litt ich unter Halluzinationen, denn ich hatte den Eindruck, das Wort »Freund« vernommen zu haben – stark ver stümmelt, aber immerhin verständlich. Als ich mich auch jetzt nicht rührte, kam das Biest langsam auf mich zu. Ich versuchte auszuweichen, aber meine Beine verweiger ten mir den Gehorsam. Das Tier blieb dicht vor mir stehen und stieß mit der Nase gegen die Hand mit dem Strahler. »Freund. Komm.« Es konnte keinen Zweifel geben. Ich hatte den Verstand verloren. Ein Wesen dieser Art konnte unmöglich intelligent sein und noch dazu Wörter der arkonidischen Sprache her vorbringen. Woran lag es? Hatten die ver
35 dammten Pflanzen mich narkotisiert? Oder war es die Wirkung der teuflisch duftenden Frucht auf dem Boden? Du spinnst! stellte das Extrahirn sehr tref fend fest. Das Wesen ist intelligent, und wenn du nicht bald zu dir kommst, wird es die Geduld verlieren. Dann stuft es dich vielleicht als hirnlosen Narren ein, womit es nicht einmal Unrecht hätte. Das war zuviel! Ich werde dich operativ entfernen lassen, wenn du noch einmal so mit mir zu reden wagst! drohte ich in Gedanken. Das Extra hirn schwieg, aber ich wußte, daß das kein Zeichen von Einsicht war. Seufzend versuchte ich mich damit abzu finden, daß mein Logiksektor recht hatte. »Wohin?« fragte ich meinen neuen Be kannten. »Weg.« Das war eine sehr informative Antwort. Die pelzige Kreatur schien sie für völlig aus reichend zu halten, denn sie drückte sich an mir vorbei dem Ausgang entgegen. Dabei tauchte aus dem Rückenfell eine kleine, dreifingrige Hand auf, die sich in meiner Uniform verkrallte. Auf diese Weise wurde ich der Entscheidung enthoben, dem Tier zu folgen oder lieber meinen eigenen Weg zu gehen. Draußen wandte sich das Tier, das offen sichtlich keines war, nach rechts und damit genau in die Richtung, die mir bereits vorge schwebt hatte. An der Ecke, als wir die Deckung des Gebäudes verlassen mußten, zerrte die Zusatzhand nachdrücklich an mei nem Ärmel. »Hoch!« maunzte es von da, wo der Kopf des Wesens war. Ich verstand nichts. »Setzen!« versuchte es das Wesen auf an dere Weise. Es hatte mich in seiner Gewalt, und ich war besten Willens, ihm nicht unangenehm aufzufallen, also traf ich Anstalten, mich auf dem Boden niederzulassen. Damit war die Extrahand jedoch auch nicht einverstanden. »Hochsetzen!« maunzte das Wesen, und
36 diesmal hörte es sich etwas ungehalten an. Die Hand zerrte an mir. Du sollst auf ihm reiten, Dummkopf! Ich schluckte eine bissige Bemerkung herunter und kletterte auf den breiten Rücken des Wesens. Die kleine Hand diri gierte mich an einen Platz, der dem Pelzge schöpf am angenehmsten war, und dann ging es los. Hätte diese merkwürdige Hand mich nicht festgehalten, so wäre ich schon beim ersten Sprung rücklings abgeworfen worden. Ich klammerte mich mit beiden Händen ver zweifelt in das dicke Fell, ohne darüber nachzudenken, ob ich meinem komischen Freund damit etwa weh tat. Wir rasten mit ungeheurer Geschwindig keit kreuz und quer durch die Siedlung, wo bei das Wesen jedoch in den Grundzügen die Richtung auf die Positronik einhielt. Ge spenstisch war die Lautlosigkeit, mit der das mächtige Wesen sich bewegte. Es landete trotz seiner mächtigen Sprünge ohne jedes Geräusch immer wieder in den dunkelsten Stellen zwischen den Gebäuden und ging dabei offensichtlich allen gefährlichen Orten gewissenhaft aus dem Wege. Wir sahen kei nen einzigen Arkoniden, und es schien, als blieben wir selbst auch unbeobachtet. Dicht neben dem Gebäude, das von An fang an mein Ziel gewesen war, hetzte die seltsame Kreatur mit mir in einen Tunnel, der unter der leuchtenden Straße hinweg führte. Vor dem Ausgang auf der anderen Seite blieb es plötzlich stehen. Die Extra hand schubste mich ein paarmal, dann hatte ich begriffen und kletterte auf den Boden zurück. »Freund zufrieden?« »Woher wußtest du, daß ich hierher woll te?« fragte ich zurück. »Weiß alles«, behauptete das Wesen, und es hörte sich nicht einmal prahlerisch an. Es hat deine Gedanken aufgefangen, wis perte das Extrahirn. Ich akzeptierte diese Erklärung. »Warum bin ich dein Freund?« wollte ich wissen. Schließlich hätte es jeden interes-
Marianne Sydow siert, warum er in einer solchen Situation unerwartet Hilfe statt Feindschaft gefunden hatte. »Jäger schlecht«, maunzte das Wesen. »Machen Käfig, verkaufen Kinder. Lehren Kinder sprechen und machen sie blind. Jäger mit Köder immer schlecht. Köder wirkt nicht, wenn gute Gedanken kommen.« Ich versuchte, das Ganze zu verarbeiten und in einen vernünftigen Zusammenhang zu bringen. Es schien, als hätten Angehörige dieser Siedlung eine zusätzliche Einnahme quelle entdeckt. Sie fingen diese Wesen, die vielleicht sehr intelligent, aber nicht mehr besonders lernfähig waren. Der Nachwuchs dagegen ließ sich leicht manipulieren. Die meisten reichen Arkoniden kauften auf aller lei Umwegen exotische, möglichst halbintel ligente Wesen, um mit ihnen anzugeben. Meine Anwesenheit hatte die Jagd emp findlich gestört. In meinen Gedanken hatte dieses Wesen weder Habgier noch Feindse ligkeit entdeckt – darum war ich auch nicht angegriffen worden, als ich hilflos auf dem Boden lag. Und meine Gedanken hatten auf irgendeine Weise verhindert, daß der Köder seine Wirkung tat. Das alles war merkwürdig und nicht ganz durchschaubar, aber ich hatte auch keine Zeit, mich intensiv mit diesen Fragen zu be fassen. Eine Frage lag mir allerdings noch am Herzen. Das Wesen hatte mir geholfen, weil ich es vor der Gefangenschaft bewahrt hatte, aber damit waren wir meiner Meinung nach noch nicht quitt. Der Gedanke, daß es in dieser Siedlung trotz allem in der Falle saß, gefiel mir nicht. »Du willst in den Wald zurück?« fragte ich. »Ja.« »Es gibt einen Zaun – eine Energiesperre, falls du weißt, was das ist. Kannst du sie überwinden?« »Ja.« Das änderte die Situation. Diese Wesen konnten also jederzeit kommen und gehen. Aber warum hatte sich mein seltsamer Freund dann in die Gefahr begeben?
Die Seuchenspezialisten Ich mußte die Frage mehrere Male in im mer neuer Form stellen, ehe ich eine Ant wort erhielt. »Jäger haben Kinder. Kinder in Käfig. Käfig zerbrechen, Kinder mitnehmen.« Eine Rettungsaktion also. Am Ende war das eine Mutter, die ihren eigenen Nach wuchs befreien wollte. Sie mußte selbst mit Arkoniden Kontakt gehabt haben, sonst hät te sie nicht mit mir reden können. »Weißt du, wo der Käfig ist?« »Ja.« »Kannst du ihn zerstören?« »Nein.« »Hast du es schon versucht?« »Ja. Käfig zu stark.« Ich zögerte, dann nahm ich den Strahler. »Ich würde dir gerne helfen, aber ich bin selbst in Schwierigkeiten«, sagte ich lang sam und hoffte, daß ich verstanden wurde. »Kannst du mit dieser Waffe umgehen?« Das Wesen bewegte sich unruhig, dann tastete die winzige Extrahand über den Strahler. »Jägerwaffe«, stellte das Wesen fest. »Weiß nicht.« »Hast du schon gesehen, wie sie benutzt wird?« »Ja.« »Sie kann mit einem heißen Strahl den Käfig öffnen.« »Ja. Wie machen?« »Ich stelle die Waffe genau ein. Du mußt sie auf den Käfig richten und dann diesen Knopf drücken. Kannst du das tun?« »Ja.« »Du mußt darauf achten, daß du nicht die Kinder triffst. Sie sollen zur Seite gehen und warten, bis der Käfig kalt ist. Hast du das verstanden?« »Ja.« »Und du darfst nur auf den Kopf drücken, wenn du wirklich auf den Käfig zielst.« Das Wesen schwieg, und mein Extrahirn nutzte die Pause, um mich auf eine Gefahr aufmerksam zu machen, die ich längst er kannt hatte. Diese merkwürdigen Wesen waren die
37 Eingeborenen von Pejolc. Ich hatte nie zu vor von ihnen gehört, obwohl ich mich jetzt daran erinnerte, ähnliche Geschöpfe einige Male gesehen zu haben. Der Handel schien recht schwungvoll zu sein. Es war nur ge recht, wenn ich diesem Geschöpf half, aber natürlich konnte ich es nicht riskieren, daß es mit Hilfe meiner Waffe Rache an den Ar koniden nahm. Ich glaubte allerdings nicht, daß es jemals zu einer solchen Rache kommen könnte. Wenn mein merkwürdiger Freund die Energiesperre nicht als ernsthaftes Hindernis einstufte, dann bedeutete das, daß es jeder zeit in die Siedlung eindringen konnte. Es gab immer irgendwo einen Wachtposten, der übermüdet oder abgelenkt war. Ihm eine Waffe zu stehlen, sollte diesem gewandten, lautlosen Geschöpf nicht schwerfallen. Und auch ohne Waffe war es gefährlich genug. Pejolc war seit langem besiedelt, und zwei fellos hatte die Ausbeutung der Eingebore nen bereits eine beachtliche Tradition. Sie hatten nie zurückgeschlagen, sondern sich in die Wälder verzogen. Sie würden auch dies mal kein Blut vergießen. Das ist richtig, meldete sich zu meiner Überraschung das Extrahirn. Die Eingebore nen sind ungewöhnlich friedliebend. Sie fan gen schließlich auch die Gedanken ihrer Opfer auf, wenn sie töten. Konnte eine solche Lebensform überhaupt den Kampf gegen die Umwelt überstehen? »Kein Kampf!« sagte der Fremde plötz lich und lieferte damit den letzten Beweis dafür, daß meine Vermutungen zutrafen. »Leben drinnen. Alle zusammen. Niemals Kampf.« Eine Symbiose? »Waffe gut. Gut für Käfig. Nicht gut für Jäger. Kein Kampf«, wiederholte es. »Ich glaube dir«, sagte ich nachdenklich. »Du wirst damit nicht töten. Du kannst es wohl gar nicht. Geh und hole deine Kinder da heraus. Bewahre die Waffe auf, damit ihr auch in Zukunft eure Kinder besser beschüt zen könnt. Aber wende sie nicht gegen die Jäger an. Sie haben zu viele Waffen.«
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Marianne Sydow
»Ja«, sagte das Wesen. Es stieß seine Na se gegen meine Hand, und ich strich vor sichtig über das weiche Fell. »Danke!« maunzte der Fremde, drückte sich an mir vorbei und verschwand lautlos in der Dunkelheit. Ich blieb eine Weile stehen und dachte über diese Begegnung nach. Merkwürdig, was für seltsame Lebensformen es gab. Dann wurde mir bewußt, daß ich ausgerech net zu jenem Volk gehörte, das solche We sen als reine Sammelobjekte betrachtete. Ich schüttelte mich und atmete tief durch. Dann trat ich aus dem Schacht und sah mich um. Zehn Meter von mir entfernt erhob sich die Wand des häßlichen, würfelförmigen Bauwerks. Ich überlegte gerade, wie ich die Wacht posten überlisten könnte, die in diesem Au genblick aus dem Haupteingang kamen, da gab es einen dumpfen Knall. Sirenen began nen zu heulen, und aus einer für mich nicht sichtbaren Öffnung in der Mauer drangen flackernde Helligkeit und fette Rauchwol ken. Es schien, als hätten auch andere es auf die Positronik abgesehen.
* Athanik hätte vermutlich einen Tob suchtsanfall bekommen, wäre ihm bekannt gewesen, was die Wächter der Positronik in den Nachtstunden trieben. Sie schliefen nämlich. Mana-Konyr und der dunkle Zordec hat ten sich unter Beachtung sämtlicher Sicher heitsmaßnahmen bis zum Haupteingang ge schlichen. Durch Handzeichen gab der Ha gere seinem Partner den Befehl, sich zurück zuhalten, dann zog er sich an einem Mauer vorsprung hoch und spähte durch das Fen ster gleich neben der Tür. Von hier hatte er einen hervorragenden Überblick über die ganze Vorhalle. Direkt unter ihm stand ein Wachtposten. Er wirkte geradezu furchteinflößend, denn er hatte sich bis an die Zähne bewaffnet. Von seinen Kollegen war nichts zu sehen.
Im Positronikzentrum herrschte nachts nur wenig Betrieb. Da ein großer Teil der Spezialisten dank der Seuche gezwungen war, das Bett zu hüten, ließ sich in diesen Nächten noch seltener jemand blicken. Den noch fand Mana-Konyr es seltsam, daß nur ein Wächter da sein sollte, und er traute dem Frieden nicht. Von unten gab der dunkle Zordec durch ein warnendes Zischen das Nahen einer Ge fahr bekannt. Mana-Konyr ließ sich fallen und landete lautlos wie eine Katze neben der Mauer. Der Dunkelhäutige deutete auf die Straße. Eine Horde von Gleitern raste in alarmierendem Tempo heran. Die beiden Ausbrecher hatten keine Zeit mehr, sich ein günstiges Versteck zu suchen. Sie drückten sich in den Schatten und erwarteten jeden Augenblick die Aufforderung, sich zu ergeben. Die Gleiter flitzten vorbei, bogen etwas später von der Straße ab und rasten einem entfernten Punkt der Siedlung entgegen. Mana-Konyr sondierte noch einmal die Lage, und er hatte Glück. Aus einem an die Vorhalle grenzenden Raum tauchte ein zweiter Wächter auf. Sei ne Uniform war zerdrückt, und er gähnte un geniert. »Es wird Zeit, daß du kommst«, empfing ihn der mit den vielen Waffen. »Ihr schlaft euch aus, und ich stehe mir hier die Beine krumm!« »Red nicht lange, sondern leg dich hin!« knurrte der Neuankömmling. Durch die sich öffnende Tür sah ManaKonyr die friedlich schnarchenden Wächter, und er grinste. Der Posten in der Halle brummte etwas vor sich hin und stellte sich vor der Tür in Position. Er bewachte nicht nur die Positro nik, sondern auch den Schlaf seiner Kolle gen. Mana-Konyr kehrte zu dem Dunkelhäuti gen zurück. Zordec schien nicht ganz zu be greifen, was der Hagere vorhatte, aber er rannte gehorsam an der Tür aus Panzerplast vorbei. Der Posten merkte natürlich etwas,
Die Seuchenspezialisten aber er konnte nicht genau sehen, was sich vor dem Gebäude bewegte. Mana-Konyr schüttelte fassungslos den Kopf, als er merk te, daß sein schnell gefaßter, nicht gerade raffinierter Plan aufging. Der Wächter verzichtete darauf, seine Kollegen aus ihren süßen Träumen zu rei ßen. Er öffnete statt dessen die mit mehreren komplizierten Schlössern gesicherte Tür und trat einen Schritt vor, um selbst nach dem Rechten zu sehen. Mana-Konyr sprang laut los vor. Der Arkonide merkte vermutlich gar nicht, daß er angegriffen wurde, denn der Hagere lähmte sein Opfer mit einer einzigen Bewegung. Er zischte, und der dunkle Zor dec trottete mißmutig heran. »Die anderen sind drinnen«, flüsterte Mana-Konyr. »Schaffe diesen Kerl hier weg und paß auf, daß niemand kommt. Ich bin gleich wieder da.« Des dunklen Zordecs Stimmungsbarome ter sank immer schneller dem Nullpunkt ent gegen. Bis jetzt hatte es für ihn so gut wie gar keine Chance gegeben, seine Fähigkei ten unter Beweis zu stellen. Er schleppte den Wächter in eine Ecke, die man von draußen nicht einsehen konnte, und dann tauchte Mana-Konyr auch schon wieder auf. »Das wäre erledigt!« stellte der Hagere zufrieden fest. »Sie schlafen mindestens bis morgen früh.« »Es wäre vernünftiger gewesen, ihnen den Hals umzudrehen!« knurrte Zordec ärger lich. »Keine Angst, mein Freund. Du kommst schon noch auf deine Kosten. Die Schaltzen trale ist immer besetzt, und im Gegensatz zu diesen Trotteln hier werden die Leute da oben hellwach sein.« Zordec folgte seinem Partner zu einem Liftschacht. In seinem Gehirn reifte der Ent schluß, auf jeden Fall eine Prügelei herbei zuführen. Wenn es in diesem Gebäude kei nen Gegner für ihn geben sollte, dann mußte eben Mana-Konyr selbst als Ersatz herhal ten. Diesmal war Zordec gewarnt, und er würde dem Dunkelhäutigen nicht so schnell
39 in die Falle gehen. Der Gedanke an einen solchen Kampf gab ihm neuen Auftrieb. Warum sollte er es nicht gleich versuchen? Er blickte zu Mana-Konyr hinüber, der neben ihm dem nächsten Stockwerk entge genschwebte. Der Hagere konzentrierte sich völlig auf seine Umgebung. Zordec sah einen Ausstieg, und er spannte sich an. Sein Plan war einfach. Er würde Mana-Konyr an dieser Stelle aus dem Schacht stoßen und dann über ihn herfallen. Im richtigen Augenblick schnellte seine Hand nach vorne, streifte den Hageren an der Schulter und trieb Mana-Konyr der Schachtwand entgegen. Der Arkonide stieß einen überraschten Laut aus, aber er erfaßte die Lage blitz schnell. Er griff nach einer Haltestange und schwang sich geschickt herum. Zordec folg te ihm mit einem wütenden Knurren. Als er den Ausstieg erreichte und Mana-Konyr ein paar Meter weiter kampfbereit dastehen sah, fauchte es über ihm plötzlich. Zordec mochte nicht besonders intelligent sein, aber er besaß die ungeheuer schnellen Reflexe eines erprobten Kämpfers. Sein Verstand hatte die Bedeutung des Geräuschs noch gar nicht erkannt, da handelte sein Körper bereits. Mit ungeheurem Schwung warf er sich herum und prallte auf den Bo den der Ringplattform, von der aus zahlrei che Korridore ins Innere des Gebäudes führ ten. »Ein Paralysator«, flüsterte Mana-Konyr und musterte mißtrauisch die vielen Ausgän ge. »Sie haben es also doch gemerkt. Wahr scheinlich gibt es unten in der Halle oder im Schacht selbst eine Warnanlage, die wir nicht gefunden haben. Wir müssen nach oben, ehe sie uns den Weg abschneiden.« Zordec vergaß sein eigentliches Vorha ben, denn hier geschah endlich das, worauf er gewartet hatte. Die Korridore waren hell erleuchtet, ob wohl kein Mensch sie zu dieser Tageszeit benutzte. Die Siedlung verfügte offenbar über genug Energie. Sie liefen den erstbesten Gang entlang
40 und trafen auf einen anderen Liftschacht. Mana-Konyr schüttelte den Kopf, als Zordec nach oben deutete, und sie hetzten weiter. Ungefähr zwanzig Meter, dann kamen sie an eine Rampe. Oben war es still. Mana-Konyr legte den Finger über die Lippen und steckte den Kopf um die Ecke. Er zog ihn gerade noch recht zeitig zurück. Ein Glutstrahl fauchte an ihm vorbei und schmolz eine lange Rinne aus kochendem Plastikmaterial in den Boden des oberen Korridors. Zordec tippte dem Hageren von hinten auf die Schulter und deutete auf einen anderen Eingang. Der Hagere nickte, kauerte sich hinter der Wand zusammen und wartete ab. Es dauerte eine ganze Weile, bis Zordec auf Umwegen dem Gegner in den Rücken fallen konnte. Mana-Konyr beschäftigte die unsichtbaren Feinde nach besten Kräften, damit sie nicht etwa auf dumme Gedanken kamen. Binnen weniger Minuten sah der Korridor aus, als hätte ein Miniaturvulkan ihn mit Lava überflutet. Es war Glück für Mana-Konyr und ausgesprochenes Pech für seine Gegner, daß die Klimaanlage den stin kenden Qualm nach links zog. Der Hagere grinste schadenfroh, als er von dort krampf haftes Husten hörte. Von da an ließ die Auf merksamkeit der Gegner spürbar nach. Au ßerdem besannen sie sich endlich darauf, daß man im Innern eines Gebäudes besser die Paralysatoren einsetzen sollte. Da aber war es für einen solchen Ent schluß schon zu spät. Mana-Konyr zuckte zusammen, als er ein urwelthaftes Gebrüll vernahm. Dann polterte und krachte es, Schmerzenslaute und grau enhaftes Stöhnen hallten durch die Gänge, und schließlich war es still. Vorsichtig wag te Mana-Konyr sich vor. Er mußte rennen, um zu Zordec zu gelangen, denn der Boden unter seinen Füßen war noch immer heiß. Düster starrte er auf die Leichen von vier Männern und zwei Frauen. Technische Spe zialisten, wie sich an ihrer Kleidung un schwer erkennen ließ. Sie hatten zwar Waf fen gehabt, aber die hatten ihnen nichts
Marianne Sydow genützt. Zordec grinste und starrte Mana-Konyr herausfordernd an. Der Hagere zuckte die Schultern. Es hatte wohl wirklich wenig Sinn, diesem Ungeheuer in Menschengestalt Vorwürfe zu machen. Sie waren ihrem Ziel um ein gutes Stück näher gekommen. Schnell und wachsam folgten sie dem Korridor, in dem die Vertei diger der Positronik ums Leben gekommen waren. Sie trafen genau auf den Hauptlift schacht. An einem der Eingänge auf der Ringplattform war ein Hinweisschild ange bracht worden. »Zentrale.« Mana-Konyr las es und wunderte sich abermals über den Leichtsinn der Arkoni den. Aus dem betreffenden Gang schlug ihnen wütendes Feuer entgegen. Allerdings be schränkte man sich in so direkter Nähe der Schaltzentrale von vornherein auf Paralysa toren. Dennoch war der Aufenthalt unbe quem. Zordec grinste und huschte wie ein düste rer Schatten zu dem nächsten Eingang. Mana-Konyr machte den Mund auf, um ihn zu rückzurufen, aber er ergab sich resignierend der bitteren Erkenntnis, daß keine andere Möglichkeit bestand, wenn er in die Zentrale gelangen wollte. Und das wollte er höchst ernsthaft. Er hatte nichts gegen die Arkoni den, die da vorne Wache hielten – im Ge genteil, er wünschte, er hätte ihnen die Be kanntschaft mit dem Dunkelhäutigen erspa ren können. Aber sie standen zwischen ihm und der Positronik. Ein eigenartiges Fieber erfaßte den hage ren Mann, als er an das dachte, was vor ihm lag. Diesmal wurde die Wartezeit unerträglich lang. Mana-Konyr fragte sich besorgt, ob Zordec etwa den Weg nicht fand oder sogar auf eine andere Gruppe von Wächtern gesto ßen war. Seine Nervosität wuchs, als er die fauchenden Entladungen von Paralysatoren vernahm, die sich jenseits der Zentrale zu befinden schienen. Er zog den Nadler aus
Die Seuchenspezialisten der Tasche, den er dem Mann in der Lager halle abgenommen hatte, und betrachtete ihn zögernd. Die Reichweite war ungefähr iden tisch mit der eines Paralysators, aber im Ge gensatz zu einer energetischen Waffe mußte man mit diesem kleinen Ding genau zielen. Und dazu würde ihm keine Zeit bleiben. Plötzlich änderte sich die Geräuschkulis se. Schreie, Poltern – dann das Trampeln mehrerer Füße, das sich rasch näherte. Mana-Konyr schaltete blitzschnell. Er steckte die Waffe weg und hob kampfbereit die Hände. Sie sahen aus, als wären sie den Dämonen der Finsternis über den Weg gelaufen. An ihre Paralysatoren dachten sie längst nicht mehr, ihr einziger Wunsch war die sofortige Flucht. Unter entsetztem Stöhnen jagten sie auf den Antigravschacht zu. Drei Männer und vier Frauen, von denen eine deutliche Spuren eines schweren Kampfes trug. Mana-Konyr kam über sie wie ein Orkan. Mit Händen und Füßen schlug und trat er nach ihnen, und jeder Schlag war ein Sieg. Die total verwirrten Arkoniden waren unfä hig, sich auf diesen lautlos kämpfenden Mann umzustellen. Er trug und schleppte seine Opfer in einen Gang, der nach wenigen Metern einen Knick hatte. Dort waren diese Leute vorerst sicher untergebracht. Dann machte er sich auf den Weg zur Schaltzentrale. Der dunkle Zordec hatte seine Chance wahrgenommen. Mana-Konyr zuckte un willkürlich zurück. Er hatte nicht gedacht, daß noch so viele Techniker zu dieser späten Stunde in der Zentrale arbeiteten. Vermut lich hing es mit den KAYMUURTES zu sammen. Zwanzig Gestalten lagen auf dem Boden, zum Glück waren nur drei Frauen darunter. Mana-Konyr hatte etwas gegen den Anblick von Leichen, besonders dann, wenn diese weiblichen Geschlechts waren. Für einen Augenblick schauderte ManaKonyr vor dem, was er indirekt angerichtet hatte. Warum mußte er dieses Monstrum un bedingt mitnehmen? »Wie geht es weiter?«
41 Er zuckte zusammen und drehte sich blitzschnell um. Zordec tauchte in einem an deren Eingang auf. Den braunen Umhang hatte er inzwischen abgeworfen. Auf seiner fleckigen Haut glänzte der Schweiß, und es gab auch ein paar Blutflecken. Beinahe mit Genugtuung registrierte Mana-Konyr einen tiefen Riß, der quer über die Schultern des Dunkelhäutigen lief. Wenigstens ein Opfer hatte sich also noch wehren können. »Du solltest dich jetzt ausruhen«, sagte Mana-Konyr bedächtig. »Der Rückzug wird schwierig werden. Du brauchst deine Kräfte noch. Das hier ist meine Arbeit.« »Arbeit!« Zordec spuckte verächtlich auf den Bo den. Mana-Konyr biß sich auf die Lippen. Die Situation wurde gefährlich. Er spürte die nahende Gefahr beinahe körperlich. Der Kampf hatte in Zordec eine Schranke geöff net. Der Dunkelhäutige befand sich in einem gefährlichen Rauschzustand. Vielleicht war Zordec tatsächlich wahn sinnig? Er hatte einmal gehört, wie sich zwei Wächter darüber unterhielten. Der eine ver trat die Meinung, daß Zordec gar nicht in ein Gefängnis gehörte, sondern in ärztliche Ob hut, weil er nämlich für seine Taten nicht verantwortlich sei. »Bring die Toten weg!« befahl ManaKonyr scharf. Er hatte die ungewisse Ah nung, daß er jetzt keinen Millimeter Boden verlieren durfte. Es fiel Mana-Konyr jedoch nicht leicht, einen klaren Kopf zu behalten. Direkt vor ihm leuchteten die vertrauten Schalter. Die Positronik schien nur auf ihn zu warten. Zordec schleppte die Arkoniden nach draußen, und der Hagere schritt wie hypnoti siert auf die Schalttafeln zu. Er kannte viele Tricks. Zum Beispiel gab es da ein paar Schaltungen, die – wenn sie zu schnell aufeinanderfolgend ausgeführt wurden – einen Kurzschluß hervorriefen. Natürlich gab es eine Absicherung gegen solche Pannen, aber sie war zu umgehen. Beinahe instinktiv legte Mana-Konyr die
42 Finger auf eine Reihe von Sensorschaltern. Seine Hände bewegten sich wie selbständige Wesen. Er spürte das Vibrieren, das kaum wahrnehmbar das ganze Gebäude erfüllte. Sein Gegner! Während er das Ergebnis seiner Manipu lationen abwartete, dachte er bedauernd dar an, daß er dieser Positronik nicht so zu Lei be gehen konnte, wie er es sich eigentlich wünschte. Die verdammten Maschinen machten sich zu wahren Herren über ihre Schöpfer. Ganz unauffällig hatten sie sich in alle Bereiche des Lebens geschlichen, und ohne die Positroniken geschah fast nichts mehr im Imperium. Überall gab es Verbin dungsstellen, sie überwachten jeden Men schen vom Augenblick seiner Geburt bis zu seinem Tode. Sogar darüber hinaus, und dies zeitlich gesehen nach beiden Richtungen. Mana-Konyr wünschte sich einen großen Vorschlaghammer und eine gewaltige Drahtschere. Und eine Positronik, die voll funktionsfähig war, deren Sicherheits- und Abwehranlagen jedoch ausgeschaltet waren. Er stellte sich eine solche Gelegenheit als den Höhepunkt seines Lebens vor. Und er wußte, daß dieser Traum niemals in Erfül lung gehen würde. So eine Positronik ist ein ungeheuer teu res Gerät. Sie wurde daher nicht nur von au ßen bewacht, sondern besaß einen unerhört starken Selbsterhaltungstrieb, der in der Grundprogrammierung verankert war. Sie durfte zwar auf keinen Fall das Leben eines Arkoniden gefährden, indem sie sich gegen ihn wehrte, aber sie konnte passiven Wider stand leisten. Darin lag die Gefahr für Mana-Konyr. Es war schon oft geschehen, daß eine Maschine sich einfach ausschaltete, wenn er begann, sich mit ihr zu beschäftigen. Damit brachte sie den Hageren auf geradezu beleidigend einfache Weise um seine Rache. Irgendwo in diesem Gebäude rumpelte es. Mana-Konyr stieß einen triumphierenden Schrei aus. Zur gleichen Zeit hörte er von draußen das Fauchen einer Waffe. Der dunkle Zor-
Marianne Sydow dec brüllte vor den Eingängen zur Schalt zentrale, als ein lähmender Energiestrahl ihn streifte und seinen rechten Arm in ein nutz loses Anhängsel verwandelte. Blind vor Wut stapfte er zurück, sah Mana-Konyr, der ihn mit weitaufgerissenen Augen anstarrte, und stürzte auf ihn zu.
8. Im Positronikzentrum ging es zu wie in einem Tollhaus. Irgendwo fauchten Schüsse, und der ersten, ziemlich heftigen Explosion folgten zahlreiche kleinere. Die wenigen Ar koniden, die sich zu diesem Zeitpunkt am Ort des Geschehens aufhielten, rannten kopflos umher. Es war kein Kunststück, in diesem Durcheinander in das Gebäude zu gelangen. Als ich die Vorhalle durchquerte, sah ich die schlafenden Wächter hinter einer halbof fenen Tür. Die Burschen rührten sich nicht von der Stelle, und das fand ich ausgespro chen merkwürdig. Ich benutzte den zentralen Liftschacht, um in die oberen Stockwerke zu gelangen. Im Gegensatz zu sonstigen Gepflogenheiten hatte man hier die Schaltzentrale nicht in den Kellergeschossen untergebracht. Das war ein weiterer Beweis dafür, daß sich die Arkoniden auf der Insel Ulfwahr völlig si cher fühlten. Mit Recht, denn den Ablauf oder die Vorbereitungen zu den KAYMU URTES zu stören, war ungefähr genauso verwerflich, wie einen Tempel zu entwei hen. Dennoch empfand ich es als einen unver antwortlichen Leichtsinn, daß man etwaigen Übeltätern den Weg mit Hinweisschildern zeigte. Im Schacht begegneten mir ein paar Leu te, die nervös mit ihren Waffen herumfuch telten, dadurch aber eher noch hilfloser wirkten. Techniker, Wartungspersonal und Wissenschaftler ließen sich ratlos mal in die se, mal in jene Richtung treiben. Ich hielt einen älteren Mann am Ärmel fest, um mir Informationen zu verschaffen.
Die Seuchenspezialisten »Was ist denn los?« »Eine Horde von Verrückten ist in die Schaltzentrale eingedrungen«, stotterte der Mann verängstigt. »Sie haben schon eine Menge Leute getötet. Niemand kommt an sie heran. Der eine ist ein richtiges Unge heuer. Ein Kerl mit schwarzer Haut, ziem lich klein, aber unüberwindbar. Es ist gräß lich. Sie hätten die Leichen sehen sollen. Er hat ihnen sämtliche Knochen gebrochen.« Ich ließ den Alten los und stieß mich ab, um schneller voranzukommen. Allmählich verdichtete sich der Verdacht, mit wem ich es zu tun hatte. Irgendwie war es dem dunklen Zordec und dem hageren Arkoniden gelungen, aus ihren Zellen auszu brechen. Vielleicht trug ich sogar indirekt die Schuld daran. Meinetwegen hatte der Wächter die Türen geöffnet. Und dieser Wächter war krank und arg geschwächt. In solchem Zustand machen selbst die zuver lässigsten Leute Fehler. Ich packte die Gelegenheit beim Schopf und hielt die nächste Gruppe von Arkoniden an. »Wo sind die Ausbrecher jetzt?« fragte ich sie. »In der Zentrale.« »Welche Wege gibt es, um zu ihnen zu kommen?« Erst jetzt erkannte einer der Techniker die Uniform, in der ich steckte. »Es wird Zeit, daß einer von euch sich um diese Kerle kümmert«, stellte er fest. »Wie konnte so etwas überhaupt geschehen? Wis sen Sie, wieviele Tote wir bereits gefunden haben? Und jetzt sitzt diese Bande von Wahnsinnigen in der Zentrale und zerstört alles, was ihr in die Finger kommt!« »Erstens«, sagte ich betont ruhig, »handelt es sich nicht um eine Bande, son dern um nur zwei Männer. Zweitens wären sie nicht so weit gekommen, wenn Ihre Wächter besser aufgepaßt hätten. Geben Sie mir eine von diesen Waffen und zeigen Sie mir den Weg. Ich brauche einen Gang, der nicht allzu häufig benutzt wird.« Der Techniker brummte und knurrte zwar
43 unwillig vor sich hin, tat aber, was ich ihm gesagt hatte. Er wurde sogar recht freund lich, als er merkte, daß ich es alleine mit den Ausbrechern aufnehmen wollte. Natürlich war ich nicht wild darauf, einen Kampf zu bestehen. Aber ich sah eine phan tastische Chance, ganz alleine mit der Po sitronik zu sein. Eine bessere Gelegenheit würde sich niemals finden. Vorher mußt du die beiden Ausbrecher zur Vernunft bringen, sagte das Extrahirn. Das Biest hatte die vertrackte Fähigkeit, überall ein Haar in der Suppe zu entdecken. Ich habe ja einen Paralysator, gab ich lautlos zurück. Diese Arkoniden sind auch bewaffnet. Trotzdem haben sie den Kampf verloren. Sie wurden überrascht. Und wie es aus sieht, sind sie nicht gerade sehr mutig. Es wird eine Weile dauern, bis sie vernünftige Entschlüsse fassen. Hoffentlich. Sonst fangen sie dich gleich mit ein. Wir hatten den Zugang, den der Techni ker mir zeigen wollte, erreicht, und ich be endete das lautlose Gespräch. Der Korridor war schmal und gewunden. Die in seiner Decke eingelassenen Leucht körper verbreiteten trübes, gelbliches Licht. »Ein Reparaturschacht«, erklärte der Techniker leise. »An seinem Ende gibt es einen Ausstieg, durch den Sie direkt in die Zentrale geraten. Der Kontakt für das Schott befindet sich an der rechten Wand. Sie kön nen ihn nicht verfehlen.« »Gut«, sagte ich. »Ich werde da hindurch gehen und versuchen, die beiden Ausbrecher zu paralysieren. Wenn ich es geschafft habe, gebe ich ein Signal. Was schlagen Sie vor?« »Neben dem Haupteingang gibt es an der Innenwand eine Schaltleiste. Der schwarze Knopf genau in der Mitte löste allgemeinen Alarm aus. Leider ist bei dem Überfall nie mand dazu gekommen, auf diesen Knopf zu drücken. Meinen Sie wirklich, daß Sie es al leine schaffen? Soll ich Sie lieber beglei ten?« Das fehlte mir noch! Erstens legte ich ja
44 gerade Wert darauf, ungestört zu sein, und zweitens schlotterte der Kerl vor Angst beim bloßen Gedanken, sich in unmittelbare Nähe der Zentrale zu begeben. »Ich werde schon mit den Kerlen fertig«, lehnte ich deshalb ab. »Verständigen Sie in zwischen so viele Mitarbeiter wie möglich von meinem Vorhaben. Sonst kommt es in folge des Alarms zu noch mehr Unord nung!« Der Techniker verschwand erleichtert. Ich zog die Stiefel aus, die ich mit der Uniform übernommen hatte, und lief los. In den Seitenwänden gab es zahlreiche Türen, Klappen und Luken. Einige waren geöffnet. Als ich an der dritten Tür von rechts anlang te, blieb ich wie festgenagelt stehen. Ein Kampfroboter starrte mich mit seinen roten Kunstaugen an. Die Maschine bewegte sich nicht – warum? Sie hätte mich als uner wünschten Eindringling angreifen müssen. Wo blieben überhaupt die Roboter? Sie waren doch am ehesten geeignet, dem Spuk in der Zentrale schnell und gründlich ein En de zu bereiten! Dieser hier ist nicht aktiviert! Ich atmete tief durch und rannte weiter. Das Rätsel blieb bestehen. Selbst wenn das arkonidische Bedienungspersonal blitzartig ausgeschaltet wurde, hatte eine Positronik dieser Größenordnung immer noch zahlrei che Möglichkeiten, sich zu wehren. Ich erreichte das Schott und blieb ein paar Sekunden stehen. Während ich meine Lun gen dazu zwang, zu einem ruhigen Atem rhythmus zurückzukehren, lauschte ich an gestrengt. Aber das Schott ließ kein Ge räusch zu mir vordringen. Ich überzeugte mich davon, daß der Para lysator schußbereit war, dann drückte ich auf den Kontakt, und das Schott wich zi schend vor mir zurück. In der Mitte des Schaltraums bewegten sich zwei Gestalten. Sie waren so in ihren Kampf verstrickt, daß sie mich gar nicht be merkten. Ich hob den Paralysator, aber ich nahm mir die Zeit, die beiden Ausbrecher wenigstens für einen Augenblick zu beob-
Marianne Sydow achten. Was ich sah, bewies meine erste Annah me. Zordec war wirklich ein Gegner, den man auf keinen Fall unterschätzen durfte. Er besaß alles, was ein Kämpfer brauchte. Kraft, Schnelligkeit und jenes Quantum ani malischer Instinkte, das man durch Training nicht vermitteln kann. Hinzu kam bei ihm eine bis zum Wahnsinn übersteigerte Freude am Kampf. Er wollte töten, das merkte man in jeder seiner Bewegungen. Aber er hatte einen Gegner, der ihm auf unheimliche Weise zumindest gleichwertig war. Mana-Konyr tänzelte mit federleichten Schritten um den wuchtigen Dunkelhäutigen herum. In der kurzen Zeit, in der ich diesen Kampf verfolgte, landete Zordec nur einen Schlag. Mana-Konyr wurde nicht voll ge troffen, und er schien kaum etwas zu spüren, aber das bewies lediglich, daß der Hagere al lerhand einstecken konnte. Er revanchierte sich redlich. Er war flink, und seine Schläge kamen ansatzlos und treffsicher. Sie waren nicht hart, aber sie erzielten eine erstaunli che Wirkung. Fassungslos beobachtete ich, wie ManaKonyr scheinbar spielerisch das linke Hand gelenk des Dunklen berührte. Zordec brüllte wie ein verwundetes Tier und stampfte wü tend vorwärts. Seine rechte Hand hing wie ein schlaffer Lappen herab. Er versuchte, dem Hageren den Ellbogen unters Kinn zu rammen, aber gleichzeitig traf Mana-Konyr ihn mit der Fußspitze am Knie. Zordec brach zusammen, rappelte sich mühsam auf und zog dabei das eine Bein nach. Die Zeit läuft ab! mahnte das Extrahirn. Dieser Kampf war so unglaublich, daß ich fast mein eigentliches Vorhaben vergessen hätte. Hastig zielte ich, dann erfaßte der breitgefächerte Strahl die beiden Ausbre cher. Der dunkle Zordec fiel zuerst, ManaKonyr folgte ihm eine halbe Sekunde später. Ich sprang auf den Boden hinunter und rannte zu den Hauptkontrollen. Schon lange hatte ich mir meine Fragen genau zurechtge legt. Endlich würde ich erfahren, ob der
Die Seuchenspezialisten Trick gelungen war. Hatte man mich hier auf Pejolc als Teil nehmer der Amnestie-KAYMUURTES re gistriert und anerkannt? Ich streckte die Hand aus – und dann sah ich, was geschehen war. Die Enttäuschung war so groß, daß ich mich in den erstbesten Sessel fallen ließ. Es war alles umsonst gewesen. Das ganze Unternehmen war ein einziger Fehlschlag. Die Seuche, das Schiff, das wir gekapert hatten, das ungeheure Risiko, das wir ein gingen, als wir nach Pejolc kamen – alles umsonst. Ich würde nichts erfahren. Gar nichts. Denn die Positronik war nicht in Be trieb. Sie hat sich ausgeschaltet, stellte der Lo giksektor fest. Der erste Anschlag galt den Abwehrblöcken und den Kontrollen über die Kampfroboter. Danach hatte die Maschine nur eine vernünftige Möglichkeit. Darum war der Roboter desaktiviert! Die Ausbre cher konnten nach diesem Schachzug nicht mehr viel Unheil anrichten. Die paar Schalt tafeln, die es hierzu zerstören gibt, sind ent behrlich. Es kam darauf an, die gespeicher ten Daten zu erhalten. »Großartig!« murmelte ich. »Die klare Logik deiner Erklärungen ist wieder einmal überwältigend. Darf man fragen, warum du erst jetzt damit ankommst?« Das Extrahirn schwieg. »Na schön«, sagte ich schließlich zu mir selbst. »Bringen wir es hinter uns.« Ich untersuchte kurz die beiden Ausbre cher und überzeugte mich davon, daß sie kein weiteres Unheil anrichten würden. An schließend löste ich den Alarm aus und ha stete dann durch den Reparaturgang davon. Vor der Ringplattform hielt ich an und son dierte die Lage. Eine Horde aufgeregter Ar koniden stand vor dem Hauptzugang und diskutierte lautstark. Der dunkle Zordec und sein Begleiter hatten die Bewohner dieses Stützpunkts an einer empfindlichen Stelle getroffen. Es herrschte allgemeine Verwir rung. Es dauerte eine ganze Weile, bis man endlich beschloß, wenigstens einmal nach
45 zusehen. Ich zog mir die Stiefel wieder an und beobachtete, wie zunächst zwei Männer in Uniform in den Korridor eindrangen. Kurz darauf verstummte das durchdringende Geheul der Sirenen, und statt dessen erscholl triumphierendes Gebrüll. Das war das Start signal. Die Helden stürmten in Richtung Zentrale davon, und mir wurde angst und bange bei dem Gedanken, was sie mit den Ausbrechern anstellen würden. Ich hoffte, sie würden auf Rache verzichten. Ich selbst hatte allen Grund, den beiden dankbar zu sein. Auch wenn sie letztlich daran schuld waren, daß ich mein eigenes Ziel nicht erreichte, so erleichterten sie mir durch das Aufsehen, daß sie erregt hatten, wenigstens den Rückzug. Die Nachricht da von, daß die beiden Störenfriede endlich be siegt waren, schien sich mit Lichtgeschwin digkeit auszubreiten. Der Schacht war voll von Männern und Frauen, die an diesem Ort sicher nichts zu suchen hatten. Die Neugier trieb sie nach oben. Hoffentlich blieb es so! Ich trat unangefochten durch die breite Tür auf die Straße hinaus – und plötzlich drückte sich ein harter Gegenstand gegen meinen Rücken. »Keine falsche Bewegung!« warnte mich ein scharfes Flüstern. Es mußte ja so kommen. So viel Glück auf einmal kann nicht lange anhalten, dachte ich und blieb stocksteif stehen. »Da hinüber!« befahl das scharfe Flü stern, und der Druck der Waffe gab mir die Richtung an. Wir traten von der Straße weg in die Dunkelheit, die jetzt schon der Däm merung wich. Über dem Meer färbte sich der Himmel rötlich. Ich stapfte wütend ne ben der Straße her und überlegte, wie ich es diesmal anstellen sollte. Es erschien mir wie ein Hohn, daß jetzt, nach all den Gefahren, die ich glücklich überstanden hatte, doch noch das Ende kam. Denn das würde es sein. Athanik wartete ja nur darauf, daß einer der angeblichen Seu chenspezialisten einen Fehler beging. Ich hatte nicht eine einzige glaubhafte Ausrede
46 dafür, daß ich mich außerhalb der Kranken station befand und noch dazu in der »geliehenen« Uniform eines Wächters steck te! Kurz vor dem Trichterbau kam der Be fehl, anzuhalten. »Hören Sie mir gut zu!« befahl die Flü sterstimme. »Ich werde nichts wiederholen! Ich habe einen Nadler. Den werde ich in die Tasche stecken, und wenn Sie sich falsch verhalten, schieße ich auf sie. Sie werden mit mir in dieses Gebäude gehen und mich in die Krankenstation bringen. Wenn jemand Ihnen Fragen stellt, dann sagen Sie, daß sie von Athanik selbst den Befehl erhalten hät ten, mich bei den Seuchenspezialisten abzu liefern. Haben Sie verstanden?« »Was wollen Sie wirklich in der Kranken station?« fragte ich, während ich fieberhaft überlegte. Ich war mir meiner Sache beinahe sicher, aber durfte ich das Risiko eingehen? Wenn ich mir irrte … »Das geht Sie nichts an!« sagte mein Be gleiter und vergaß diesmal, zu flüstern. »Sie irren sich, Vayhna«, erwiderte ich halblaut. »Ihr Gedächtnis scheint sich Stim men auch nicht gerade gut zu merken.« Sie holte zischend Luft, dann verschwand das harte Ding, daß mir ein Loch in den Rücken zu bohren versuchte. Ich drehte mich vorsichtig um. »Wie kommen Sie hierher?« fragte sie verblüfft. »Diese Uniform …« »Ich erkläre es Ihnen später«, versprach ich. »Jetzt müssen wir sehen, daß wir unauf fällig an unseren Platz zurückkommen. Wir haben uns Sorgen um sie gemacht. Wo wa ren Sie?« »Ein Geheimagent hat mich erwischt. Ei ner von Errelikons Leuten.« Ich erschrak. »Er ist tot. Als er mich umbringen wollte, erschienen die beiden Gefangenen, von de nen Sie erzählt haben. Der Dunkelhäutige hat den Agenten umgebracht.« »Geben Sie mir Ihre Waffe«, bat ich. »Es sieht besser aus, wenn ich sie trage.« Sie hob die Hände und ließ ein rundes
Marianne Sydow Stück Metall fallen. »Ich fand es in dem Gleiter, in den ManaKonyr und sein Freund mich gesteckt hatten, nachdem dieser Hagere mich ausgeschaltet hatte. Tut mir leid.« Ich mußte lachen. »Dafür brauchen Sie sich nun wirklich nicht zu entschuldigen«, murmelte ich. »Es ist natürlich ein uralter Trick, aber Sie haben es wirklich gut gemacht. Gehen wir. Die an deren werden schon auf uns warten.«
* Wir hatten Glück. Ein Teil der Wächter war wegen des Überfalls auf die Positronik abgezogen worden, die anderen waren mit ihren Gedanken offensichtlich ebenfalls im Nebengebäude, wo sich wenigstens etwas ereignete. Niemand beachtete uns weiter, als wir durch die Vorhalle zum Liftschacht gin gen. Ein paar Blicke streiften uns, aber das war auch schon alles. Sorgen bereiteten mir nur die Posten, die uns direkt vor der Kran kenstation erwarteten. Sie waren nicht da. Die Tür stand offen, von den Uniformierten fehlte jede Spur. Da für wartete Hattan auf uns. Er schien nervös zu sein – ein beunruhigendes Zeichen. »Schnell!« flüsterte er uns zu. »Kommen Sie! Stellen Sie jetzt keine Fragen, dazu ha ben Sie nachher noch Zeit!« Wir folgten ihm durch die Gänge. Hattan ging schnell, am liebsten wäre er wohl ge rannt, aber das erschien ihm als zu auffällig. Ich zerbrach mir den Kopf darüber, was ge schehen sein mochte. Eine bestimmte Ah nung stieg in mir auf, als Hattan uns in das Zimmer lotste, in dem immer noch der Wächter lag. »Ziehen Sie das Zeug aus!« sagte Hattan zu mir. »Athanik spricht mit Rec. Wir sollen uns alle dort einfinden. Bis jetzt konnten wir ihn vertrösten. Sie sind offiziell in einer dringenden Angelegenheit innerhalb der Sta tion beschäftigt.« »Besorgen Sie Vayhna einen sauberen Kittel«, befahl ich, während ich bereits aus
Die Seuchenspezialisten der Uniform stieg. Die Arkonidin hatte bereits begriffen. Sie stürzte zum Waschbecken und säuberte sich das Gesicht. Auch ich wusch die aufge schminkten Spuren der Seuche ab. »Sie haben sich verlaufen!« sagte ich zu Vayhna. »Haben Sie sich die Gänge ge merkt, durch die der Agent sie geschleppt hat?« Sie nickte. »Dann reden Sie ruhig davon. Aber von den unterplanetarischen Anlagen sollten Sie lieber nichts erwähnen. Auf keinen Fall darf Athanik erfahren, daß ein Agent die Finger im Spiel hatte. Das könnte ihn auf noch mehr dumme Gedanken bringen. Sie sind einfach herumgeirrt, haben irgendwo ein paar Stunden geschlafen und anschließend den Rückweg von selbst gefunden.« »Es gibt Terrassengärten.« »Großartig. Dort haben Sie ein idyllisches Plätzchen für eine Pause gefunden.« Hattan kehrte mit einem Kittel zurück. Wir zogen uns um und brachten unser Äuße res in Ordnung, während Hattan in aller Eile die Uniform des Wächters von den eingehef teten Verbandspäckchen befreite. »Das eine Hosenbein ist hinüber«, stellte er fest. »Da läßt sich nichts machen. Wenn der Bursche aufwacht, wird er Fragen stel len.« Die verfressene Rankpflanze hatte es tat sächlich geschafft, einen mindestens zehn Zentimeter breiten Streifen Stoff abzutren nen. »Werfen Sie das Zeug in den Abfall schacht«, entschied ich. »Die Verbandpäck chen samt Klebestreifen ebenfalls. Uns wird schon eine Ausrede für den Wächter einfal len.« Dann machten wir uns auf den Weg zu Rec. Dort wartete nicht nur Athanik auf uns. Auch Tahakoor war anwesend. Er lächelte zufrieden vor sich hin, während Athanik of fensichtlich verlegen wirkte. Sie haben ein schlechtes Gewissen, stellte das Extrahirn sofort fest. Ihr habt Glück ge
47 habt. »Wir möchten uns in aller Form bei Ihnen entschuldigen«, wandte Tahakoor sich an die versammelte Gruppe. »Der Verdacht, den bestimmte Leute hegten, hat sich als restlos unbegründet erwiesen. Die Überwa chung wurde aufgehoben. Ich hoffe, daß Sie uns verzeihen werden.« Rec saß hinter seinem Arbeitstisch. Er hatte die Hände flach auf die Platte gelegt und lächelte Tahakoor freundlich an. »Wir sprachen bereits darüber«, winkte er ab. »Wie steht es mit Ihnen, Athanik!« »Es tut mir leid«, murmelte der Arkonide, und es war ihm deutlich anzusehen, daß er innerlich kochte. »Sie können nun selbstver ständlich nach Ihrer Mitarbeiterin suchen – ich habe damit wirklich nichts zu tun. Ich hoffe, daß Sie mir das glauben werden.« »Aber gewiß doch«, sagte ich spöttisch. Athanik drehte sich hastig um. Seine Augen weiteten sich, als er Vayhna neben mir ste hen sah. »Sie hatte sich lediglich verlaufen. So etwas soll ja vorkommen, nicht wahr?« Er starrte mich an, und in seinen Blicken konnte man lesen, wie in einem offenen Buch. »Unterwegs hatte sie einen kleinen – hm – Zusammenstoß mit einem komischen Kerl, der ihr die ungeheuerlichsten Anschuldigun gen an den Kopf warf. Wie hieß er noch?« »Thar«, antwortete Vayhna. »Er sagte, er wäre Geheimagent. Wenn Sie mich fragen, so war er ein nicht besonders begabter Schnüffler von der übelsten Sorte. Er wollte mich umbringen, aber er hatte sich in seinen Kräften wohl ziemlich verschätzt. Ich habe ihn abgehängt – Sie sollten nach ihm su chen, Athanik. Als ich ihn verließ, befand er sich in einem Antigravschacht. Er wollte nach unten – wer weiß wohin.« »Ich kenne keinen Mann mit diesem Na men!« wehrte Athanik hastig ab. »Wirklich, es ist mir unbegreiflich, wie so etwas ge schehen konnte. Ich werde sofort nachfragen und die Schuldigen …« »Schon gut«, wurde er von Rec unterbro chen. »Halten wir uns nicht mit diesen Din
48 gen auf. Der Planet Pejolc wird uns auch oh ne dieses Ereignis in keiner guten Erinne rung bleiben. Nachdem nun alles geklärt ist, werden wir schnellstens unsere Arbeit zu Ende führen und in unser Schiff zurückkeh ren. Es wäre unhöflich, die Gastfreundschaft dieser Siedlung länger in Anspruch zu neh men, als unbedingt erforderlich ist.« Athanik wurde kalkweiß im Gesicht. Ta hakoor dagegen lächelte schadenfroh. »Ich muß mich leider verabschieden«, murmelte Athanik und rannte fast aus dem Zimmer. »Meine Freunde und ich würden uns freu en, Sie zum Abschied bewirten zu dürfen«, sagte Tahakoor höflich. »Was Ihnen gesche hen ist, tut uns aufrichtig leid. Wir hatten keinen Einfluß auf das Geschehen.« Ich gab Rec ein Zeichen, und er nickte unmerklich. »Wir wissen das und danken Ihnen für die Einladung«, sagte er. »Leider können wir sie nicht annehmen. Wir haben hart gearbeitet, und es liegt noch einiges vor uns. Pejolc ist nicht die einzige Welt, auf der man unsere Hilfe braucht. Ich bitte Sie, uns bei Ihren Freunden zu entschuldigen. Wir wären gerne gekommen.« Wenn Tahakoor enttäuscht war, so ließ er es sich in keiner Weise anmerken. Er war ein höflicher Mann, und Recs Antwort war so geschickt formuliert, daß man sie nicht als eine Beleidigung auslegen konnte. Auch er verabschiedete sich. Als wir alleine wa ren, hielten wir eine kurze Lagebesprechung ab. Kurz darauf bekamen wir zum erstenmal seit unserer Landung in Ulfwahr wieder eine Nachricht von Fartuloon. Nachdem wir sie in den Klartext übertra gen hatten, wußten wir, worauf die plötzli che Gesinnungsänderung zurückzuführen war. »Corpkor hat die Seuche noch einmal auf flammen lassen. Arsanonc mußte nachge ben, sonst wäre er seines Lebens nicht mehr sicher gewesen. Wir wissen nicht, wie lange die neue Krankheitswelle dauern wird. Be eilt euch, damit ihr rechtzeitig in Keme ein-
Marianne Sydow trefft.« »Wir werden uns sogar sehr beeilen«, knurrte Rec grimmig.
9. Wir hatten von dieser Insel die Nase voll. Jeder tat sein Möglichstes, um bald von Ulf wahr verschwinden zu können. Auch ich verzichtete auf meinen wohlverdienten Schlaf, ließ mir ein paar aufputschende Mit tel verabreichen und stürzte mich in die Ar beit. Was immer Corpkor unternommen hatte, um die Seuche in Keme noch einmal ver stärkt auftreten zu lassen, in Ulfwahr merkte man nichts davon. Allgemein schwächte sich die Wirkung der von uns abgesetzten Erreger von selbst ab. Die hervorragenden Medikamente taten das ihrige, und am Mor gen des nächsten Tages gab es keinen einzi gen Schwerkranken mehr in der Station. Die einheimischen Ärzte würden mit der nun noch anfallenden Arbeit mühelos fertig wer den. Nebenher erfuhren wir, daß die beiden Ausbrecher in ihre Zellen zurückgekehrt wa ren – nicht ganz freiwillig natürlich. Der junge Arkonide in der schwarzen Uniform, dem ich ungewollt zu einer längeren Be wußtlosigkeit verholfen hatte, erschien ge gen Abend in der Krankenstation, aber er wagte es nicht, seine berechtigten Fragen anzubringen. Offenbar hatte Athanik vorge beugt. Ihm lag gewiß nicht daran, uns noch mehr zu verärgern. Der Wächter nahm den Verlust seiner Uniformhose gelassen hin. Den einzigen Zwischenfall gab es, als wir bereits unsere gesamte Ausrüstung im Glei ter verstaut hatten. Die einheimischen Ärzte standen um uns herum, ließen sich letzte Anweisungen geben und bedankten sich für die schnelle Hilfe. Auch Tahakoor erschien, um sich zu verabschieden. Athanik ließ sich nicht blicken – wir vermißten ihn keines wegs. Plötzlich hörten wir laute Rufe. Wie auf ein Kommando drehten wir uns um. Eine
Die Seuchenspezialisten hübsche Arkonidin rannte auf uns zu. Als sie näher kam, sahen wir die sich schälenden Hautstellen – eine der zahlreichen Patientin nen, die als geheilt die Krankenstation ver lassen hatten. Sie blieb schluchzend vor Hat tan stehen und streckte ihre leeren Hände aus. »Der Maonk ist verschwunden!« keuchte sie. »Ich verstehe nicht, wie das passieren konnte. Er ist einfach weg. Ich wollte ihn Ih nen schenken, und nun ist er nicht mehr da!« »Sie brauchen mir nichts zu schenken«, sagte Hattan in seiner unnachahmlich sanf ten Art. »Weinen Sie nicht. Es ist doch nichts geschehen. Beruhigen Sie sich.« »Was ist ein Maonk?« fragte ich Tahako or, während Hattan sich bemühte, die ver zweifelte Arkonidin zu trösten. »Ein halbintelligentes Wesen. Es ge schieht nicht sehr oft, daß man einen fängt. Die Jungen werden ungeheuer zahm. Sie sind mehr als einfach irgendein exotisches Tier. Sie bewachen ihre Herren und deren Besitz, sind absolut zuverlässig und lernen auch, sich zu verständigen.« »Sie lernen sprechen?« »Ja. Aber sie können auch einfache Gerä te bedienen, Mahlzeiten zubereiten und so weiter. Sie sind sehr wertvoll – finanziell ge sehen. Tahiras Maonk war noch ganz jung. Er war noch nicht auf eine Person geprägt. Sie hätte diesem Mann kein wertvolleres Geschenk machen können.« Mein seltsamer Freund hatte sein Ziel of fensichtlich erreicht. Die Kinder waren be freit und konnten in ihren Wald zurückkeh ren. Tahira tat mir leid, denn ihr Kummer war echt. Vielleicht hatte sie den Maonk nicht nur als einen bizarren Sklaven gese hen, sondern als ein hilfsbedürftiges junges Wesen. Dennoch freute ich mich. Die Mut ter dieses Maonk hatte schließlich auch ge litten, als man ihr Junges raubte. Hattan gelang es rasch, die junge Frau zu beruhigen und zu trösten. Tahira tilgte die Spuren der Tränen aus ihrem Gesicht, und ein erstes Lächeln machte sie wesentlich hübscher.
49 »Ich möchte Sie nicht gehen lassen, ohne Ihnen zu danken!« sagte sie. »Ohne Sie wäre meine Tochter bestimmt nicht gesund ge worden. Sie haben uns so sehr geholfen …« Diesmal konnte auch Hattan sie nicht da von abhalten, ein anderes Geschenk herbei zuschaffen. Und es war gewiß auch sehr wertvoll: Ein kunstvoll gefertigter Gürtel aus den vielfarbigen Schuppen bestimmter Meerestiere. Die Schnalle bestand aus hel lem Holz, in das winzige Juwelen eingesetzt waren. »Ihr Freund hat Tahira sehr beeindruckt«, bemerkte Tahakoor leise. »Auch dieser Gür tel ist als Geschenk nicht zu verachten. Es gibt wenige davon. Man sagt ihnen seltsame Fähigkeiten nach. Sie sollen gegen allerlei Gefahren schützen.« Im ersten Augenblick wollte ich solche Behauptungen als abergläubisches Ge schwätz abtun. Dann dachte ich an Fartulo ons Skarg, und ich hielt den Mund. Hattan genierte sich nicht lange. Er nahm den Gür tel in Empfang. Wenig später starteten wir. »Zum Schwimmen sind wir tatsächlich nicht gekommen!« murmelte Vayhna, als wir den Strand überflogen.
10. Wir landeten in einem Hangar der SLUC TOOK, und ich war nicht weiter erstaunt darüber, daß Fartuloon uns erwartete. »Wie sieht es aus?« war seine erste Frage. Während wir zu meiner Kabine gingen, berichtete ich. Nicht nur von dem Fehl schlag mit der Positronik, sondern auch von allen anderen wichtigen Beobachtungen. Als ich auf Mana-Konyr und den dunklen Zor dec zu sprechen kam, verdüsterte sich das Gesicht des Bauchaufschneiders. »Erzähle mir alles, was du über sie weißt!« forderte er. Wir waren inzwischen am Ziel angelangt. Hattan, Torkon, Rec und Vayhna waren hin ter verschiedenen Türen verschwunden. Ich atmete auf, als ich mich endlich wieder in einer Umgebung befand, in der ich mich frei
50 und unbefangen bewegen durfte. Ich holte mir ein erfrischendes Getränk aus dem Automaten und berichtete. Fartu loon hörte aufmerksam zu. Der Kampf, den die beiden sich in der Schaltzentrale gelie fert hatten, beeindruckte ihn offensichtlich sehr. »Bist du immer noch der Ansicht, daß es klug ist, an den Spielen teilzunehmen?« fragte er. »Ja. Die KAYMUURTES werden überall verfolgt. Sogar in den Schiffen der Flotte werden die Übertragungen zu sehen sein. Um so stärker wird auch mein Triumph aus fallen. Das ganze Imperium wird den recht mäßigen Thronerben von Arkon kämpfen sehen – und wenn es hinterher erfährt, wer ich bin, dann kann Orbanaschol mit aller hand Überraschungen rechnen.« »Dazu müßtest du siegen«, murmelte Far tuloon bedächtig. »Ich weiß. Du solltest nicht annehmen, daß ich meine Gegner unterschätze. ManaKonyr ist der gefährlichste von den beiden – und wahrscheinlich wird auch keiner von denen, die sich sonst noch gemeldet haben, mehr zu bieten haben als er. Aber ich habe einen Vorteil. Ich habe ihn in einem Kampf beobachtet und weiß, was mich erwartet. Zugegeben, ich hatte meine Zweifel, aber ich muß es schaffen, und ich werde es auch schaffen.« »Hoffentlich«, sagte der Bauchaufschnei der. »Ich habe ein ungutes Gefühl bei dieser Angelegenheit. Reden wir über etwas ande res. Es ist ja sowieso noch nichts entschie den. Vielleicht hat man dich nicht registriert, oder die Bewerbung wurde abgelehnt. Wir konnten sechzehn Leute aus dem Schiff schleusen, und sie werden hoffentlich recht zeitig erfahren, wie es weitergeht.« Ich schwieg. Die Tatsache, daß Fartuloon böse Vorahnungen hatte, bedrückte mich. Der Bauchaufschneider neigte keineswegs zu Phantastereien. War es wirklich der einzi ge Weg, um Orbanaschol den entscheiden den Stoß zu geben? Oder wurden die KAY MUURTES für mich zu einer Katastrophe?
Marianne Sydow Wenn ich an den Spielen teilnahm, gab es nur noch zwei Möglichkeiten: Ich gewann, oder ich war ein toter Mann. Und eine Lei che konnte dem Mörder meines Vaters nichts mehr anhaben. Unwillkürlich wanderten meine Gedan ken nach Kraumon. Dort betreute man mei nen Vater, einen Toten, dessen Körper durch ein winziges Kügelchen gezwungen worden war, seine biologischen Funktionen wieder aufzunehmen. Nur der Geist, die Seele oder wie man es sonst noch nennen wollte, blieb verloren. Ich schüttelte die trüben Gedanken von mir ab. »Wie sieht es inzwischen bei euch aus?« fragte ich. »Die Seuche herrscht immer noch?« »Dank Corpkor flackerte sie noch einmal auf. Arsanonc hat es ganz schön erwischt. Der Bursche wurde daraufhin erstaunlich höflich. Inzwischen geht es ihm besser, und allgemein ist die Krise so gut wie überwun den. Wir sollten nicht zu lange warten.« »Schade. Ich hatte gehofft, doch noch ei ne Gelegenheit zu finden, um mir Gewißheit zu verschaffen.« »Die kannst du haben. Bleib noch einige Tage auf diesem Planeten, dann wird man die SLUCTOOK besetzen, die Mannschaft gefangennehmen und deine Identität ent decken. Und dann weißt du wenigstens mit absoluter Sicherheit eines: daß Orbanaschol endlich deinen Kopf geliefert bekommt!« »Du weißt, daß ich es so nicht gemeint habe«, erwiderte ich ärgerlich. Es war mir unerklärlich, warum der Bauchaufschneider so gereizt war. Er macht sich Sorgen. Und zwar um dich. Der Extrasinn hatte »wie immer« sofort eine Erklärung zu bieten. »Wieviel Zeit bleibt uns noch?« fragte ich. »Bestenfalls ein halber Tag. Sobald die Krankheit auf ein gewisses Maß zurückge drängt worden ist, wird Arsanonc sich auf seine früheren Ziele besinnen. Dann ist es zu spät.«
Die Seuchenspezialisten »Wie ist die Überwachung?« »Im Augenblick ziemlich lasch. Natürlich lungern auf dem Landefeld ein paar Dutzend Beobachter herum. Sie benehmen sich sehr anständig, denn sie haben Angst vor der Be völkerung. Die Abwehrbasen sind sowieso besetzt, daran läßt sich nichts ändern.« »Immerhin dürfte noch kein Alarmzu stand herrschen«, überlegte ich. »Das gibt uns eine Chance.« »Die SLUCTOOK ist startbereit«, bestä tigte Fartuloon. »Es befinden sich keine Pa tienten mehr an Bord.« »Und unsere Leute?« »Einige sind in der Stadt. In Keme gibt es noch ein knappes Hundert sehr schwerer Fälle.« »Wir müssen sie zurückrufen. Aber es muß unauffällig geschehen. Arsanonc wird schon jetzt die Augen offen halten, und wir wissen ja inzwischen, daß auch Errelikons Anhänger nicht aufgegeben haben. Wir brauchen eine glaubhafte Ausrede, um die Leute ins Schiff zu holen – und zwar alle, bis auf die sechzehn, die ohnehin hier blei ben werden.« Wir überlegten eine Weile, dann grinste Fartuloon. »Arsanonc selbst wird uns einen Vorwand liefern«, versprach er und erhob sich schwerfällig. »Du solltest ein paar bequeme re Sessel in deine Kabine bringen lassen, mein Sohn. Für einen alten Mann wie mich sind diese modernen Dinger die reinste Quä lerei.« Ich mußte lachen. Der »alte Mann« blitzte mich zornig an. »Bei all meinen Bemühungen muß ich ei nes vergessen haben«, knurrte er. »Den Re spekt vor dem Alter habe ich dir wahr scheinlich nicht nachdrücklich genug beige bracht.« Er trat blitzschnell vor, streckte den Arm aus und winkelte das Knie an – und im nächsten Augenblick lag ich auf dem Boden. Fartuloon lachte schallend. »Schlecht«, sagte er, als er diesen Anfall von Heiterkeit überwunden hatte. »Sehr
51 schlecht. Deine Reaktionen lassen zu wün schen übrig. Es wird Zeit, daß wir nach Kraumon zurückkehren und mit dem Trai ning beginnen – falls du diese Wahnsinns idee mit den KAYMUURTES tatsächlich in die Tat umsetzen möchtest.« »Worauf du dich verlassen kannst, alter Mann!« knurrte ich, warf mich nach vorn und beförderte nun meinerseits Fartuloon auf den harten Bodenbelag. Als ich aufge sprungen war und kampfbereit vor ihm stand, winkte er schmunzelnd ab und streck te mir die Hand entgegen. »Hilf mir mal hoch«, sagte er, kam äch zend auf die Beine und beförderte mich spielerisch leicht durch die Luft. Diesmal landete ich haargenau in meinem Bett. »Beenden wir dieses Spiel«, grinste der Bauchaufschneider. »Wir haben wichtigere Dinge zu erledigen. Reden wir mit Arsa nonc. Es ist langweilig, wenn man krank ist und im Bett liegen muß. Er wird sicher dankbar sein, wenn wir ihm ein bißchen Ab wechslung verschaffen.«
* Arsanonc war überhaupt nicht dankbar. Allein das Gesicht des Bauchaufschneiders schien seinen Zustand zu verschlechtern. Er sah aus, als hätte er Magenschmerzen. »Wie geht es Ihnen?« fragte Fartuloon mit honigsüßer Stimme. »Bis jetzt habe ich immer gehört, daß die Seuchenspezialisten sehr fähige Leute sind«, gab Arsanonc giftig zurück. »Ich werde die ses Märchen nie mehr glauben können. An statt mich zu kurieren, bringen die Kerle mich stückweise um.« »Das kann nicht stimmen!« hauchte Far tuloon in gespieltem Entsetzen. »Was ma chen sie denn mit Ihnen?« Arsanonc setzte zum Sprechen an, aber plötzlich schob sich ein anderer Mann vor die Optik. »Der Patient ist ein bißchen gereizt«, er klärte der Arkonide von der SLUCTOOK. »Er will nicht begreifen, daß der Heilungs
52 prozeß Zeit in Anspruch nimmt.« »Zeit!« brüllte Arsanonc, der für uns vor übergehend unsichtbar blieb. »Niemand re det von Zeit. Dieser verfluchte Juckreiz ist es, der mich halb wahnsinnig macht. Sie ge ben mir Spritzen, die angeblich helfen sol len, und statt dessen wird es immer schlim mer!« »Stimmt das?« fragte Fartuloon und gab dabei seinem Gesprächspartner ein unauffäl liges Zeichen. Der Mann reagierte erstaun lich schnell. »Nun ja«, murmelte er verlegen. »Die letzte Injektion bewirkte in der Tat eine ge wisse Verschlechterung.« »Bleiben Sie am Apparat!«, befahl Fartu loon, der plötzlich einen ernsten, sehr akti ven Eindruck machte. »Ich werde bei den anderen Kommandos nachfragen.« Er schaltete um und blinzelte mir bedeu tungsvoll zu. Mir war klar, daß er bereits ei nige Vorbereitungen getroffen hatte. Die Leute wußten längst, was sie zu tun hatten. Also hatte er mir vorhin Theater vorgespielt. Er liebte solche Späße bisweilen. Er sprach mit verschiedenen Leuten, dann schaltete er zu Arsanonc zurück. »Es ist eine bedauerliche Panne eingetre ten«, teilte er mit Grabesstimme mit. »Die letzte Lieferung des Serums ist nicht ein wandfrei. Ich werde dafür sorgen, daß dieser Fehler sofort behoben wird. Darf ich mit Ja kor sprechen?« »Kommen Sie sofort zum Schiff!« befahl er, als unser »Spezialist« auf dem Bild schirm erschien. »Bringen Sie Ihre Kollegen mit. Die gesamte Lieferung muß eingezogen und durch frisches Serum ersetzt werden. Ich verständige über Rundruf alle übrigen Kommandos.« »Ist das nötig?« quengelte Arsanonc. »Es reicht doch, wenn ein paar Leute das Zeug verteilen.« »Es ist nötig!« sagte Fartuloon scharf. »Die Aktion muß mit äußerster Schnellig keit durchgezogen werden. Solange das falsche Serum verwendet wird, besteht die Gefahr, daß die Seuche wieder auflebt – und
Marianne Sydow diesmal wird es noch schwerer sein, sie ein zudämmen.« »Das ist Sabotage!« kreischte Arsanonc. »Ich werde veranlassen, daß man in Ihrem Schiff nach dem Schuldigen sucht!« Fartuloon schaltete einfach ab. Er grinste mich an. »Ich wußte, daß er ein wehleidiges Kerl chen ist«, murmelte er. »Dieser Köder hat gewirkt!« »Startbereitschaft!« rief er dann dem Pilo ten zu, und dieser gab die Anordnung wei ter. Es befanden sich weder Patienten, noch andere Leute aus Keme an Bord. Die Wa chen, die unauffällig draußen auf dem Lan defeld herumspazierten, merkten nichts von dem emsigen Treiben, das die SLUCTOOK erfüllte. Binnen weniger Minuten waren alle Stationen besetzt, und das Bordgehirn been dete seine Berechnungen. Wir konnten es nicht wagen, lange draußen im Raum her umzufliegen. Wir wußten längst, daß dort zwei Großkampfschiffe stationiert waren. Sie wachten über Pejolc – das hatte mit uns nicht viel zu tun, sondern galt wohl haupt sächlich dem Zweck, die KAYMUURTES vor jeder denkbaren Störung zu schützen. »Wir gehen in den obersten Schichten der Atmosphäre in Transition«, erklärte Fartu loon. »Ich weiß, es ist nicht ganz ungefähr lich, aber auf jeden Fall besser, als wenn die Burschen uns mit ihren Impulskanonen rö sten. Oder denkst du anders darüber?« Ich winkte ab. Fartuloon hatte in der letz ten Zeit mehr Gelegenheit gehabt, sich über unsere Flucht den Kopf zu zerbrechen. Und eine Flucht war es. Arsanonc würde uns eine offizielle Startgenehmigung niemals ertei len, dazu war er viel zu argwöhnisch gewor den. Von allen Seiten strebten Gleiter auf die SLUCTOOK zu. Über Funk wurden sie auf die verschiedenen Schleusen verteilt. Die Meldungen prasselten nur so auf uns herein. Als das letzte Fahrzeug an Bord war und wir gewiß sein konnten, daß niemand zurückb lieb, wurden die Schleusen geschlossen.
Die Seuchenspezialisten
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In diesem Augenblick mußten die Beobach ter Verdacht schöpfen. Von nun an ging es um Sekunden. Die SLUCTOOK hob ab. Der Pilot hatte Anweisung, bis zweihundert Meter Höhe die Antigravtriebwerke zu benutzen. Auf dem Landefeld befanden sich zahlreiche Arkoni den; sie sollten eine Frist bekommen, in der sie sich in Sicherheit bringen konnten. Se kundenlang stieg das Schiff lautlos, dann brüllten die Triebwerke auf. Wir rasten durch die Atmosphäre, und als wir deren obere Ausläufer erreichten, setzte die SLUCTOOK zum Sprung an. Ich hörte noch, wie eine wütende Stimme uns auffor derte, entweder nach Keme zurückzukehren oder die Geschwindigkeit sofort zu drosseln, dann raste der Schmerz der Transition durch
meinen Körper. Und fast im selben Augenblick – so be haupteten es die Zeitmesser -tauchten wir wieder auf, dreißig Lichtjahre von Pejolc entfernt. Die Bordroutine nahm ihren Lauf. Ich starrte auf die Bildschirme und fragte mich, ob die sechzehn Leute, die in Keme zurückgeblieben waren, sich rechtzeitig mel den würden. Noch hatten wir Zeit, uns alles genau zu überlegen. Aber eigentlich stand meine Ent scheidung bereits fest. Ich würde an den KAYMUURTES teil nehmen – wenn man mich als Teilnehmer akzeptierte.
ENDE
Lesen Sie nächste Woche ATLAN Nr. 273: Einsatzgruppe Pejolc von Peter Terrid Unter Profis und Profitmachern – eine Kampfagentur soll Atlan managen