Nr. 272
Die Seuchenspezialisten Der Kristallprinz auf Ulfwahr - sein Ziel ist die Positronik von Marianne Sydow
Das G...
4 downloads
181 Views
315KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Nr. 272
Die Seuchenspezialisten Der Kristallprinz auf Ulfwahr - sein Ziel ist die Positronik von Marianne Sydow
Das Große Imperium der Arkoniden kämpft um seine nackte Existenz, denn es muß sich sowohl äußerer als auch innerer Feinde erwehren. Die äußeren Feinde sind die Maahks, deren Raumflotten den Streitkräften des Imperiums schwer zu schaffen machen. Die inneren Feinde Arkons sind die Herrschenden selbst, deren Habgier und Korruption praktisch keine Grenzen kennen. Gegen diese inneren Feinde ist der junge Atlan, der rechtmäßige Thronerbe und Kristallprinz von Arkon, bereits mehrmals erfolgreich vorgegangen. Selbst empfindliche Rückschläge entmutigen ihn nicht und hindern ihn und seine rund 12.000 Helfer nicht daran, den Kampf gegen Orbanaschol III. den Usurpator, mit aller Energie fortzusetzen. Atlans geheime Zentrale, von der aus alle seine Aktionen gegen Orbanaschol ihren Anfang nehmen, ist Kraumon. Auch auf diesem abgelegenen Planeten ist inzwischen längst bekannt, daß es mit Orbanaschol nicht mehr zum Besten steht. Daher rechnet sich Atlan eine reelle Chance aus, den Usurpator endlich zu stürzen. Voraussetzung ist allerdings, daß der Kristallprinz nach Arkon gelangt. Um sein Ziel zu erreichen, beginnt Atlan ein riskantes Spiel, indem er sich als Teilnehmer für die KAYMUURTES registrieren läßt. Wertvolle Hilfe bei den notwendigen Vorarbeiten leisten ihm DIE SEUCHENSPEZIALISTEN …
Die Seuchenspezialisten
3
Die Hautpersonen des Romans: Atlan - Der Kristallprinz Interessiert sich für eine Positronik. Rec, Hattan, Torkon und Vayhna - Atlans Begleiter. Der dunkle Zordec und Mana-Konyr - Zwei Favoriten der KAYMUURTES. Sethor Athanik - Kommandant von Ulfwahr. Corpkor - Der Tiermeister beschäftigt sich mit Fliegen.
1. »Schade, daß wir nicht zur Erholung hier sind!« sagte Hattan und verlangsamte den Flug des Gleiters. »Wir werden nicht viel zu tun haben«, murmelte Rec, der ehemalige Kommandant des Seuchenschiffs SLUCTOOK. »Jedenfalls nicht, was die medizinische Seite unseres Auftrags angeht.« Ich stieß ihn an und legte den Zeigefinger über die Lippen. Rec grinste verzerrt und nickte. Er hatte verstanden. Der Gleiter gehörte uns, und es war kaum anzunehmen, daß jemand es geschafft hatte, ihn hinter unserem Rücken mit Spiongeräten zu versehen. Dennoch konnten wir gar nicht vorsichtig genug sein, nachdem man in Keme offensichtlich Verdacht geschöpft hatte. Der Tod Errelikons war ein Fehler, der uns nicht hätte unterlaufen dürfen. Wir schwebten über der Küste der Insel Ulfwahr auf der südlichen Hemisphäre des Planeten Pejolc. Die Panagh-See, wie das Südmeer hier genannt wurde, schien ein freundliches Gewässer zu sein. Lange, gleichmäßige Wellen rollten der Insel entgegen, brachen sich schäumend und gischtend an vorspringenden Klippen. Die Felsen waren von blühenden Pflanzen übersponnen. Auf der Landseite der sandigen Buchten ragten hohe Bäume auf. Vögel mit schneeweißen Schwingen umkreisten den Gleiter. Als wir tiefer gingen, konnten wir in dem kristallklaren Wasser farbenprächtige Korallenbänke und zahlreiche Fische erkennen. Hinter mir seufzte Vayhna entsagungsvoll. »Es wäre zu schön, um wahr zu sein«, behauptete die Spezialistin für Positronenge-
hirne, »wenn uns etwas Zeit bliebe, um diese Gelegenheit zu nutzen. Ich kann mich kaum noch daran erinnern, wann ich das letztemal in einem Meer geschwommen bin.« Der Gleiter überflog eine weit vorspringende, felsige Halbinsel. Eine weite Bucht tauchte vor uns auf. Auch hier war der Strand von Bäumen gesäumt, aber dahinter hatte man eine riesige Fläche gerodet und eine Anzahl von Gebäuden errichtet. Neben einigen Trichterhäusern ragten Kuppelbauten verschiedener Größe auf, ein schlanker Antennenturm stach in den strahlend blauen Himmel. Dahinter grenzten flache Lagerhallen, Wartungsgebäude und Hangarkuppeln das eigentliche Verwaltungszentrum von einer recht ansehnlichen Landefläche ab. Schon von weitem entdeckten wir zahlreiche Gleiter und ein halbes Dutzend kleine Raumschiffe. Hattan nahm Kurs auf die Landefläche. Vor mir blinkte ein Licht auf. »Verzögern!« sagte ich hastig und schaltete das Funkgerät ein. Hattan flog noch langsamer. Der Funkspruch war verschlüsselt, aber ich kannte den Kode auswendig. »An Gruppe Ulfwahr. Die Situation in Keme hat sich verschlechtert. Die SLUCTOOK wurde umstellt, von offizieller Seite sind keine Kommentare zu erhalten. Falls eine Änderung eintritt, melde ich mich. Fartuloon, Ende.« Das war der Klartext, und er wirkte nicht eben beruhigend. Die Seuche, die Corpkor auf dem Planeten Pejolc künstlich hervorgerufen hatte, war zwar geeignet gewesen, die planetaren Behörden zunächst in Angst und Schrecken zu versetzen, aber einige mißtrauische Gemüter waren noch vor unserer
4 Ankunft auf die Idee gekommen, es könne sich um eine absichtlich hervorgerufene Krankheit handeln. Man befand sich mitten in den Vorbereitungen zu den KAYMUURTES, und diese wohl populärsten Kampfspiele wurden auf Pejolc organisiert. Wir hatten erfahren, daß einige Mitglieder des dafür zuständigen Komitees eine gewisse Abneigung gegen Orbanaschol entwickelt hatten. Das war kein Wunder, denn der Stern meines Onkels war im Sinken begriffen. Der Usurpator hatte sich zu viele Fehler geleistet. Aber auch hier gab es noch eine Menge Leute, die sich für ihn einsetzten – aus Überzeugung, oder auch einfach aus Angst. Orbanaschol war der Schirmherr der KAYMUURTES. Die Spiele boten ihm eine großartige Gelegenheit, sich wieder in den Mittelpunkt des Interesses zu spielen. Unsere »Seuche« brachte daher nicht nur die Spiele in Gefahr, sondern auch den Mörder meines Vaters. Natürlich hatten wir nicht die Absicht, die KAYMUURTES mittels der Seuche zu verhindern – im Gegenteil, ich hoffte immer noch, an den Spielen teilzunehmen und dadurch den vielleicht entscheidenden Schlag gegen meinen Onkel zu führen. Aber inzwischen war wohl Arsanonc, der Gouverneur dieser Kolonie, auf die Idee gekommen, die SLUCTOOK mache gemeinsame Sache mit jenen Leuten, die den derzeitigen Imperator von seiner Funktion als Schirmherr der Spiele entfernen wollten. Ich hatte die Nachricht auf einen Zettel geschrieben, der nun herumgereicht wurde. Niemand sagte ein Wort. Die zauberhafte Landschaft unter uns war plötzlich unwichtig geworden. Von nun an standen wir unter Zeitdruck. Uns war klar, daß wir Pejolc verlassen mußten, wenn die Lage noch kritischer wurde. »Wir landen!« ordnete ich schließlich an. Hattan setzte das Fahrzeug genau vor einer Halle ab, die sich deutlich von den übrigen Gebäuden unterschied. Die Wände bestanden zum größten Teil aus verschiedenfarbigen Kunststoffplatten, die das Licht der
Marianne Sydow blauen Sonne in starken Reflexen zurückwarfen. Ein Portal befand sich genau in der Mitte der Stirnwand. Es war mit hellgelben Ornamenten aus Cholitt verziert – eine ziemlich kostspielige Angelegenheit. »Hier ist es geradezu beängstigend ruhig«, sagte Torkon von hinten, als der Gleiter stand. »Kein Mensch zu sehen. Was soll das?« »Ein großer Teil der Arkoniden, die hier leben, dürfte krank sein«, vermutete Rec. Torkon verzog das Gesicht, sagte aber nichts. Es war das älteste Mitglied unserer kleinen Gruppe, ein Mann von etwa fünfzig Jahren, breit und behäbig, ein fast gemütlich wirkender Arkonide, der seine Umgebung scheinbar schläfrig musterte. Aber der Schein trog, und ich mußte Torkon im stillen recht geben. Wenigstens ein kleines Empfangskomitee hätte man erwarten dürfen. »Wir sehen mal in der Halle nach«, bestimmte ich. »Irgend jemand muß sich ja um uns kümmern.« Das Portal schwang zurück, sobald wir ihm nahe genug waren. Bis auf Rec blieben wir verblüfft stehen. Die spiegelnden Flächen waren polarisiert. Draußen reflektierten sie das Licht, nach innen jedoch leiteten sie es in breiten, bunten Bahnen weiter. Die Halle war erfüllt von dieser unwirklichen Beleuchtung, die dadurch noch stärker zur Geltung kam, daß man einen tiefschwarzen, lichtschluckenden Bodenbelag verwendet hatte. In der Mitte des Raumes, der durch das flimmernde Licht scheinbar unendlich hoch aussah, stand eine Anordnung von seltsamen Figuren aus verschiedenen Metallen. Auf irgendeine Weise hatte man dafür gesorgt, daß einzelne Fensterteile ihr Licht in einem bestimmten Rhythmus auf diese Metalldinger warfen. Das Ergebnis war eine eigenartige Musik. Ich hatte etwas Ähnliches schon einmal gesehen und wußte, daß es sich um eine computergesteuerte Umsetzung verschiedener Farbtöne in hörbare Klänge handelte, aber das Ergebnis war dennoch verblüffend. »Hübsch«, sagte Vayhna hinter mir in er-
Die Seuchenspezialisten staunlich nüchternem Tonfall. »Aber völlig nutzlos«, ergänzte Torkon trocken. »Nicht ganz«, murmelte ich. »Es macht immerhin Eindruck.« Ein Schatten löste sich von dem Instrument, und als er sich einige Meter auf uns zubewegt hatte, entpuppte er sich als ein hochgewachsener, sehr schlanker Arkonide. »Wir haben Sie erwartet«, sagte er, als er vor uns stand. »Sie kommen von der SLUCTOOK, nicht wahr?« Er wandte sich an Rec, den er offensichtlich für den Anführer unserer Abordnung hielt. Ich überließ dem ehemaligen Kommandanten des von uns gekaperten Schiffes bereitwillig die Verhandlungen: Rec kannte sich besser in solchen Dingen aus. »Eine sehr merkwürdige Begrüßung!« knurrte Rec denn auch prompt. »Es gibt wenige Planeten, auf denen man uns so empfängt. Meist handelt es sich dabei um rückständige Barbarenwelten. Sollte Pejolc in diese Kategorie gehören?« Der fremde Arkonide fuhr hoch, denn diese Beleidigung hatte gesessen. Aber dann zeigte sich der Respekt, den man allgemein der Besatzung der Seuchenschiffe entgegenbrachte. »Ich muß um Verzeihung bitten«, stotterte der Fremde erschrocken. Rec schnitt ihm mit einer verächtlichen Handbewegung das Wort ab. »Nennt mir wenigstens Euren Namen, Mann der schlechten Umgangsformen«, forderte er. Unser Verhandlungspartner schrumpfte beinahe sichtbar zusammen. »Sethor Athanik«, stammelte er. »Ich bin der Kommandant hier in Ulfwahr.« Rec lächelte spöttisch, und Athanik verstummte. Es war bekannt, daß die Seuchenspezialisten nicht viel von Titeln und ähnlichem Gerede hielten. Für sie galten andere Maßstäbe. »Wie ich sehe, sind Sie gesund«, fuhr Rec fort. »Steht es so schlecht in Ulfwahr, daß sich nur noch ein einziger Arkonide auf den
5 Beinen halten kann?« Wir anderen hatten Mühe, bei diesem Spiel ernst zu bleiben. Athanik konnte mir beinahe Leid tun, denn ich ahnte, daß die Gründe für sein Verhalten nicht den Seuchenspezialisten im allgemeinen galten. Er hatte zweifellos bestimmte Anweisungen erhalten. »Am Abend werden wir einen offiziellen Empfang für Sie und Ihre Mitarbeiter veranstalten«, sagte Athanik nervös. »Die Umstände zwangen uns …« Es war ihm auch diesmal nicht vergönnt, seine Ausführungen in Ruhe zu beenden, denn Rec unterbrach ihn abermals mit einer abfälligen Geste. »Heute abend werden wir mit unserer Arbeit beschäftigt sein«, sagte er kalt. »Dann fehlt uns die Zeit, langweilige Gespräche zu führen. Führen Sie uns jetzt durch die Station und zeigen Sie uns die Mittel, die uns von Ihnen zur Verfügung gestellt werden. Ich hoffe, Ihre medizinischen Möglichkeiten hier in Ulfwahr sind besser als das, was Sie auf dem diplomatischen Gebiet vorzuweisen haben.« Athanik wurde bleich – man sah es selbst in diesem verwirrenden Licht. Rec hatte sich einen Feind geschaffen, soviel war sicher, aber es schien ihn nicht sehr zu beeindrucken. Nach einer Weile, in der Athanik Rec haßerfüllt angestarrt hatte, nickte der Kommandant des Verwaltungszentrums grimmig. »Kommen Sie«, sagte er gepreßt. »Ich werde Ihnen die Krankenstation zeigen.«
* Es war heiß in der Sonne draußen, aber vom Meer wehte ein frischer Wind herüber. Athanik stiefelte vor uns her und schwieg demonstrativ. Nach wenigen Schritten blieb Rec stehen und sah sich mißbilligend um. »Athanik!« Der Kommandant drehte sich aufreizend langsam um. »Wo steht hier ein Transportmittel?« frag-
6 te Rec schneidend scharf. »Oder haben Sie keins bereitstellen lassen?« »Nein, ich habe gedacht, das kurze Stück könnte man schließlich auch zu Fuß zurücklegen.« »So. Und inzwischen stecken sich noch ein paar Arkoniden an, und die Seuche gewinnt weiter an Boden.« »Wir haben gute Verbindungen nach Jalkuc«, konterte Athanik trotzig. »Ihre Leute werden dort großartig mit dieser Krankheit fertig.« Rec schüttelte den Kopf über soviel Unverstand. »Passen Sie auf«, sagte er drohend. »Erstens sind wir hier nicht auf dem Kontinent Jalkuc, sondern auf einer tropischen Insel, die in vielen Bereichen völlig andere Voraussetzungen bietet. Zweitens wünsche ich, daß jedem von uns ein Transportmittel zur Verfügung gestellt wird. Ob Sie so etwas für nötig halten oder nicht, interessiert mich nicht. Wir müssen beweglich sein und können es uns nicht leisten, im Ernstfall Zeit zu verlieren. Rufen Sie fünf kleine Gleiter hierher – sofort!« Die beiden Männer sahen sich unverwandt an, und auch diesmal gewann Rec das schweigende Gefecht der Blicke. Ich war froh, daß dieser Mann sich uns aus freien Stücken angeschlossen hatte. In dieser Mission war er enorm wertvoll. Niemand von uns hätte in diesem Augenblick so konsequent den Schein wahren können. Athanik wandte sich schließlich ab und trat in eine Nische zwischen der Empfangshalle und dem benachbarten Hangar. Wenige Sekunden später lösten sich fünf silbrig schimmernde Punkte aus der Wand des am nächsten gelegenen Trichterhauses. Die Gleiter hielten direkt vor uns an. Rec verneigte sich spöttisch und wies mit großartiger Gebärde auf die Fahrzeuge. »Wir werden Ihnen ewig dankbar sein«, sagte er. »Darf ich Sie einladen, mit mir zu fliegen, oder wünschen Sie, uns voranzuschreiten?« Athaniks Kinnbacken vollführten mahlen-
Marianne Sydow de Bewegungen, während er derart gedemütigt in den Gleiter kletterte. Rec zwinkerte uns zu, und wir beeilten uns, ebenfalls unsere Fahrzeuge zu besteigen. Die Gleiter entsprachen in allem dem hohen Komfort in dieser Verwaltungszentrale. Ich konnte mir ein triumphierendes Lächeln nicht verkneifen. Damit war das erste Problem gelöst. Jeder von uns konnte schnell und unauffällig in der Siedlung herumfahren. Unauffällig deshalb, weil die Gleiter erstens unabhängig von einer Leitzentrale arbeiteten und wir zweitens aus »beruflichen« Gründen jederzeit einen Vorwand erfinden konnten, der uns überall Zutritt verschaffte. Letzteres sollte sich später als ein Irrtum herausstellen, aber das konnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen. Rec hatte sein Funkgerät auf Sendung geschaltet, so daß wir seine Unterhaltung mit Athanik weiter verfolgen konnten. »Das da drüben ist das Kommunikationszentrum«, erklärte der Kommandant, der sich nur langsam erholte. »Die Funktion des Zentrums und die Aufgaben der dort arbeitenden Leute sind für Sie wohl uninteressant …« »Aber durchaus nicht!« »Ihr Interesse ehrt mich.« Schon an der Stimme des Kommandanten hörte man deutlich, daß er die Ehrung keineswegs zu schätzen wußte, aber er hatte anscheinend beschlossen, vorerst dem Seuchenspezialisten keine Angriffspunkte mehr zu bieten. »Es ist in erster Linie eine Ansammlung von Empfangsstellen. Die Meldungen für die verschiedenen Kategorien der KAYMUURTES werden hier zentral erfaßt und ausgewertet. Dazu brauchen wir eine ständige Verbindung zu allen möglichen Behörden. Wir prüfen jede einzelne Bewerbung genau nach. Es reicht zum Beispiel nicht aus, wenn jemand auf einer Meldestelle einen adligen Namen angibt und sich dann Hoffnungen macht, in die geschlossene KAYMUURTES vorzudringen. Gerade die Bewerber für diese Art der Spiele werden genauestens unter
Die Seuchenspezialisten die Lupe genommen – ohne Rücksicht auf den Namen, den sie tragen.« »Ich verstehe. Und wenn ich mir überlege, wie groß das Imperium ist, kann ich mir Ihre Sorgen recht genau vorstellen. Sie arbeiten natürlich mit einer Positronik, die Ihnen hilft, nicht wahr?« »Es ist eher umgekehrt. Wir liefern nur die Daten, die Positronik erledigt den Rest. Ohne sie wären wir verloren. Darum wird dieser Teil der Anlage auch besonders sorgfältig bewacht.« »Wie – gibt es etwa Leute in Ulfwahr, die es wagen würden, sich an dieser wichtigen Maschine zu vergreifen?« »Natürlich nicht«, antwortete Athanik hastig. »Aber so kurz vor den Spielen käme natürlich jede noch so winzige Störung einer Katastrophe gleich.« »Ja, das glaube ich auch«, murmelte Rec nicht ganz ohne Spott. Die KAYMUURTES waren tatsächlich nicht nur populär, sondern auch politisch wichtig. Sie fanden alle drei Jahre statt, und nicht nur die Teilnehmer kamen aus allen Ecken des Imperiums, sondern die Spiele wurden auch überall verfolgt und kommentiert. Alle drei Jahre also hatten alle Arkoniden, gleichgültig, wo sie lebten, die Möglichkeit, sich mit dem Imperium zu identifizieren. Keine politische Ansprache, kein noch so leidenschaftlicher Appell an das Verantwortungsbewußtsein vermochte eine so starke Wirkung auszuüben wie diese einigermaßen sportlichen Wettkämpfe. Hier gab es Leute, die zu wahren Volkshelden hochgespielt wurden. Aber andererseits hatte auch ich den Eindruck, daß man es in diesem Zentrum etwas übertrieb. Für Athanik jedenfalls waren diese Spiele wohl wichtiger als alles andere in der Welt. »Wie viele Kranke haben Sie hier?« wich Rec unverhofft auf ein anderes Thema aus, und ich nickte anerkennend. Er spielte seine Rolle wirklich geschickt, und darüber hinaus vermied er es, einen Verdacht zu erwecken. »Eintausendvierhundert, also fast die
7 Hälfte der hier lebenden Arkoniden«, antwortete Athanik wie aus der Pistole geschossen. »Viele von ihnen haben das Schlimmste schon hinter sich, aber es gibt auch einige sehr schwere Fälle.« »Gibt es hier eine Klinik?« »Ja. Leider ist sie für derartige Massenerkrankungen viel zu klein. Wir haben den angrenzenden Wohnbereich geräumt und auf diese Weise Platz gewonnen. Jetzt sind alle Kranken in einem Gebäude konzentriert.« »Das ist nur vernünftig«, murmelte Rec und fügte scheinbar beiläufig hinzu: »Was ist denn das für ein häßliches Gebäude? Es verschandelt ja die ganze Siedlung!« »Die äußere Form dieses Gebäudes ist zweckbedingt«, erwiderte Athanik böse. »Die Positronik ist darin untergebracht. Dort vorne können Sie landen, ich führe Sie dann in die Krankenstation.«
* Es gab in dem Verwaltungszentrum nur wenige Ärzte. Pejolc war schon seit langem besiedelt. Fast alle ansteckenden Krankheiten hatte man schon seit langem so gut wie ausgerottet. Die Klinik verfügte über eine hervorragende technische Ausrüstung, und die hochgezüchteten Robotanlagen machten die Menschen ziemlich überflüssig. Dementsprechend schwerfällig hatte man in Ulfwahr auf die Seuche reagiert. Rec übernahm auch weiterhin nach außen hin die Rolle des Anführers. Er stellte uns den anwesenden Ärzten vor, wobei der Name Atlan selbstverständlich nicht auftauchte. Ich war der einzige in unserer Gruppe, der gezwungen war, sich zu maskieren, und für die Dauer dieses Unternehmens hieß ich Sathanthor. Vayhna und ich übernahmen die Rolle von Assistenten. Nach einem Rundgang durch die Krankenstation begaben wir uns unverzüglich an die Arbeit. Inzwischen hatte man unsere Ausrüstung aus dem Gleiter geholt und in die eigentliche Klinik gebracht. Die fünf einheimischen Ärzte erhielten von Rec die
8 Anweisung, zuerst alle Kranken, bei denen sich eine Besserung bemerkbar machte, in Gemeinschaftsräumen zusammenzufassen, damit für die Schwerkranken Einzelzimmer frei wurden. Das erwies sich als nicht ganz einfach, denn natürlich gab es einige Leute, die sich für besonders wichtig hielten und ihre komfortablen Räume nicht verlassen wollten. Rec erwies sich als überaus harter Verhandlungspartner, und in besonders schwierigen Fällen entwickelte er geradezu diktatorische Fähigkeiten. Vayhna und ich erhielten Injektionspistolen, mit denen wir eine Runde durch sämtliche Räume zurücklegten. Zwischendurch beschäftigten wir uns intensiv mit unserem eigentlichen Vorhaben – natürlich nur dann, wenn niemand uns zuhörte. Noch immer wußte ich nicht, ob ich unter dem Namen Darbeck offiziell für die Amnestie-KAYMUURTES gemeldet war. Nur die Positronik hier im Verwaltungszentrum konnte darüber Auskunft geben. Einer von uns beiden mußte also in das Nachbargebäude eindringen und dort lange genug ungestört arbeiten können, um Gewißheit zu erhalten. »Wir sollten es heute nacht versuchen«, murmelte Vayhna, während wir durch einen Antigravschacht schwebten. »Wenn Sie nichts dagegen haben, versuche ich es zuerst. Wenn man mich erwischt, ist das nicht so schlimm. Irgendwie rede ich mich schon heraus.« Ich schwieg und dachte über ihren Vorschlag nach. Mir paßte es nicht, daß sie das Risiko auf sich nehmen sollte. Unsinn! erklärte das Extrahirn kategorisch. Sie ist die Spezialistin in diesem Team. Außerdem – wenn du solchen Wert darauf legst, sie keiner Gefahr auszusetzen, hättest du sie nicht mitnehmen sollen! Das stimmte natürlich, aber … Kein Aber! Sie kennt sich besser aus als du, und sie hat die bessere Ausgangssituation, wenn sie zuerst geht. Noch rechnet niemand damit, daß ihr euch für die Positronik interessiert. Allerdings halte ich es nicht für
Marianne Sydow ratsam, nachts den ersten Vorstoß zu unternehmen. Das ist zu auffällig. Athanik sprach von Wachen! Richtig, dachte ich zurück. Frechheit siegt – jedenfalls manchmal. Eine halbe Stunde später ließ Vayhna sich eine frisch gefüllte Injektionspistole aushändigen. Dazu erhielt sie eine schriftliche Anweisung von Rec, deren Inhalt ungefähr so lautete: »Um der Seuche wirksam entgegenzuwirken, ist es unerläßlich, alle gesunden Personen vorbeugend einer Impfung zu unterziehen. Diese Impfung kann am Arbeitsplatz durchgeführt werden, damit kein Zeitverlust auftritt. Jeder Bewohner des Verwaltungszentrums wird hiermit aufgefordert, den Impfberechtigten in jeder Weise behilflich zu sein, damit diese ihre im Interesse der Allgemeinheit wichtige Aufgabe möglichst schnell durchführen können.« Vayhnas erstes Ziel war ein Gebäude, das, nach hinten versetzt, zwischen der Krankenstation und der Positronik lag.
2. Mana-Konyr saß vor der Panzerplastscheibe und beobachtete gelangweilt den dunklen Zordec, der nebenan stur und verbissen seine Übungen absolvierte. Natürlich war es klug von Zordec, sich in Form zu halten, aber in erster Linie dienten diese Übungen dazu, den potentiellen Gegner schon jetzt einzuschüchtern. Bei Mana-Konyr zeitigte dieser Versuch nur einen sehr geringen Erfolg. Mana-Konyr und der dunkle Zordec waren nach Pejolc gekommen, weil sie sich für die Amnestie-KAYMUURTES gemeldet hatten. Die Wächter schlossen schon jetzt hohe Wetten ab, bei denen Zordec deutlich in Führung lag. Niemand traute Mana-Konyr einen Sieg zu. Und gerade das war dessen heimlicher Trumpf. Zordec war schon vom Äußeren her als gefährlicher Kämpfer zu erkennen. Er war
Die Seuchenspezialisten klein und gedrungen, eine organische Kampfmaschine aus stahlharten Sehnen und Muskeln. Sein kahler Kopf lief nach hinten spitz zu, und in dem fast schwarzen Gesicht leuchteten blutrote, längliche Augen. Das und die ungewöhnliche Körperfarbe machten Zordec zu einer furchteinflößenden Erscheinung. Angeblich war er von irgendeiner Strahlung getroffen worden, die die Pigmentierung seiner Haut veränderte. Mana-Konyr wirkte überhaupt nicht gefährlich. Er hatte die für Arkoniden typische helle Hautfarbe. Sein faltiges Gesicht ließ ihn immer mißmutig oder besorgt erscheinen. Mana-Konyr war außerdem ungewöhnlich dürr, kurzum, niemand vermutete in ihm eine Kämpfernatur. Dennoch rechnete sich Mana-Konyr gegen den Muskelprotz von nebenan gute Chancen aus. Er hatte eine sehr ungewöhnliche Kampftechnik ausgearbeitet, bei der es weniger auf Muskeln als auf den Verstand ankam. Und davon traute er Zordec nicht viel zu. Beide Männer hatten mehr Zeit in Strafanstalten verbracht als in der Freiheit. Zordec war ein mehrfacher Mörder. ManaKonyr dagegen war Spezialist für Computer. Ein sehr merkwürdiger Spezialist, denn er hatte sich darauf verlegt, Maschinen dieser Art auf jede nur denkbare Art und Weise lahmzulegen und zu zerstören. Ein Gefängnisarzt hatte sich einmal mit den Problemen Mana-Konyrs auseinandergesetzt. Seiner Meinung nach war dessen unversöhnlicher Haß den denkenden Maschinen gegenüber darauf zurückzuführen, daß Mana-Konyrs Mutter durch den Fehler einer Positronik getötet worden war. Seitdem der Arzt das behauptete, glaubte auch Mana-Konyr an diese Version. Während Zordec die Zeit in der Gefängniszelle totschlug, indem er seine Muskeln trainierte, hatte Mana-Konyr sich auf die subtileren Funktionen seines Körpers konzentriert. Er kannte das Nervensystem eines arkonidischen Körpers so genau, daß er mit Hilfe dieser Kenntnisse eine exakte Kampf-
9 technik hatte entwickeln können. Sie bestand darin, durch bestimmte Griffe und Berührungen Teile des Nervensystems beim Gegner auszuschalten. Für eine solche Kampftechnik brauchte man keine Muskeln. Man mußte nur besonnen sein – und natürlich sehr schnell und wendig. Mana-Konyr war nur dann unbesonnen, wenn er in die Nähe einer Positronik geriet, und mit seiner Schnelligkeit hatte er schon so manchen scheinbar überlegenen Gegner überrascht. Zordec unterbrach sein Training, als von draußen das Gemurmel mehrerer Stimmen zu hören war. Mana-Konyr sah kaum auf. Seit seiner Ankunft in Ulfwahr hatte er sich daran gewöhnt, daß in regelmäßigen Abständen Kontrollen stattfanden. Er und Zordec waren Gefangene, auch wenn die Räume, in denen sie lebten, im Vergleich zu den üblichen Gefängniszellen äußerst komfortabel waren. Sie hatten die Chance, die Freiheit zu gewinnen. Voraussetzung dafür war, bei den Kämpfen zu siegen. Wer verlor, brauchte sich um die Zukunft keine Sorgen mehr zu machen, denn der Kampf endete erst mit dem Tod des Gegners. In letzter Zeit waren die Kontrollen unregelmäßiger geworden. Mana-Konyr hatte einen Wächter gesehen, dessen Gesicht und Hände von einem dunkelbraunen Ausschlag bedeckt waren, und er hatte seine Schlüsse daraus gezogen. Eine ansteckende Krankheit war ausgebrochen. Solange sie ihn verschonte, war sie ihm gleichgültig. Die Räume der Gefangenen waren direkt an das interne Versorgungssystem angeschlossen. Die beiden Männer konnten sich zu jeder Tages- und Nachtzeit Speisen und Getränke liefern lassen. Zordec stand sprungbereit in der Mitte jenes Zimmers, in dem er sein Training abzuhalten pflegte. Mana-Konyrs gelangweilte Miene änderte sich nur geringfügig, als er sah, daß sein Nachbar Besuch erhielt. Er konnte jedes Wort verstehen, das drüben gesprochen wurde. Die einzelnen Zellenfluchten waren akustisch miteinander verbunden.
10 Die Kandidaten für die AmnestieKAYMUURTES sollten Gelegenheit haben, sich ausgiebig zu beschimpfen. Das konnte ihre Kampflust nur steigern. »Sie werden geimpft, Zordec!« sagte der Wächter und richtete den Paralysator auf den dunkelhäutigen Mann. »Verhalten Sie sich ruhig, dann passiert Ihnen nichts.« Hinter dem Wächter schob sich ein junger Arkonide in den Raum. Er trug einen grünen Kittel und hielt eine Injektionspistole in der Hand. Zordec musterte ihn mißtrauisch. »Geimpft?« fragte er grollend. »Warum?« »Es ist eine Seuche aufgetreten«, erklärte der Mann mit dem grünen Kittel. »Wir haben sie zwar unter Kontrolle, und es gibt kaum Todesfälle, aber Ihre Kondition könnte beeinträchtigt werden. Das wollen Sie doch sicher nicht, oder?« »Meine Kondition geht Sie nichts an!« Zordec gebrauchte nicht ganz diese Worte, um seiner Ablehnung Ausdruck zu geben, sondern bediente sich einer so unanständigen Redewendung, daß selbst der leidgeprüfte Wächter zusammenzuckte. Der junge Mann mit der Injektionspistole dagegen lächelte nur amüsiert, gab dem Wächter ein warnendes Zeichen und ging unbeeindruckt auf Zordec los. Der Dunkelhäutige stieß ein drohendes Knurren aus und hob seine mächtigen Pranken. »Ich könnte dich zerdrücken, du elende Laus!« fauchte er. »Natürlich«, nickte der andere gemütlich. »Aber du wirst es bitte sehr bleiben lassen. Und nun hör endlich auf, dich wie ein kleines Kind zu benehmen, das Angst vor dem Onkel Doktor hat.« Zordecs Kinnlade klappte nach unten, als er hörte, daß jemand ihn für ängstlich hielt. Er brauchte einige Zeit, um sich von diesem Schock zu erholen. Der Mann im grünen Kittel nutzte die Gelegenheit. Die Injektionspistole entlud sich zischend. Das brachte Zordec wieder in die Wirklichkeit zurück. Ein von mächtigen Muskelpaketen bepackter Arm schwang herum – aber der junge
Marianne Sydow Arkonide hatte sich mit einem blitzschnellen Sprung in Sicherheit gebracht. »Zurück!« rief der Wächter warnend und drohte mit dem Paralysator. Zordec zuckte zusammen und ließ resignierend die Schultern sinken. Mana-Konyr registrierte jede Einzelheit, obwohl er nur unter halbgeschlossenen Lidern schläfrig zu blinzeln schien. Der junge Arkonide imponierte ihm. Ein geschickter Mann. Natürlich bestand immer noch die Frage, ob die Sache mit der Impfung stimmte. Der Wächter wich langsam zurück. Als das Licht voll auf sein Gesicht fiel, entdeckte Mana-Konyr die Spuren, die der Ausschlag darauf hinterlassen hatte. Er zog seine Schlüsse und wartete gelassen, bis seine Tür geöffnet wurde. »Keine Angst«, sagte er schleppend. »Ich habe vielleicht weniger Muskeln als dieser Klotz da drüben, aber dafür mehr Verstand. Das Serum hilft, nicht wahr?« Der Wächter strich über die Stellen, an denen der dicke Schorf langsam abblätterte. Dann sah er Mana-Konyr scharf an. Der Hagere lächelte freundlich und streifte den linken Ärmel hoch. »Gut so?« fragte er, und als der Mann mit der Injektionspistole nickte, fuhr ManaKonyr leutselig fort: »Sind Sie neu hier? Ich habe Sie noch nie gesehen!« »Das kann ich mir vorstellen«, murmelte der Arkonide und setzte die Injektionspistole an. »Pejolc mußte ein Seuchenschiff anfordern. Ich gehöre zu den Spezialisten. Ich habe gehört, daß Sie an der AmnestieKAYMUURTES teilnehmen werden. Rechnen Sie sich gegen den Burschen da drüben eine Chance aus?« »Ich bin kein Selbstmörder«, versicherte Mana-Konyr ernsthaft. »An einem Kampf, in dem ich ohne jede Chance bin, würde ich mich gar nicht erst beteiligen. Falls Sie zu denen gehören, die Wetten abschließen, gebe ich Ihnen einen guten Rat. Tippen Sie auf mich. Sie werden ein gutes Geschäft machen.« »Ich werde daran denken. Vielleicht se-
Die Seuchenspezialisten hen wir uns einmal wieder. Viel Erfolg.« »Mehr Leute gibt es in dieser Abteilung nicht, Sathanthor«, erklärte der Wächter, als sie draußen auf dem Flur standen. »Nanu? Haben sich nur zwei Bewerber für die Spiele gemeldet?« »Das nicht, aber einige werden erst kurz vorher nach Pejolc gebracht, und die, die jetzt anreisen, dürfen ohnehin nicht landen, ehe die Seuche nicht völlig eingedämmt wurde.« »Da wir gerade davon sprechen: Wie geht es Ihnen? Wenn Sie Beschwerden haben sollten, melden Sie sich bei mir! Eigentlich sollten Sie noch gar nicht wieder arbeiten.« »Wir haben zu wenig Personal«, erwiderte der Wächter gleichmütig. »Aber Sie haben recht. Ich fühle mich ziemlich schwach, und dieser scheußliche Juckreiz ist auch nicht sehr angenehm. Müssen Sie noch weiter, oder kehren Sie in die Klinik zurück.« Sathanthor hob die Injektionspistole. »Selbst diese fabelhaften Apparate werden einmal leer«, bemerkte er. »Sie können gleich mitkommen.« Keiner der beiden Männer bemerkte, daß an einer der beiden Türen nur ein mechanischer Riegel vorgelegt war. Der Wächter hatte vergessen, das Impulsschloß in Betrieb zu setzen.
* Zordec hatte dem Umstand zunächst keine Bedeutung beigemessen. Der Riegel war mit einem hörbaren Knacken eingerastet, aber das leise Summen, das sich sonst diesem Geräusch anschloß, blieb diesmal aus. Er lauschte dem Gespräch von nebenan, und sein Haß erwachte. Er hatte Mana-Konyr vom ersten Augenblick an nicht ausstehen können. Dieser arrogante Kerl ging ihm auf die Nerven. Als die beiden Besucher verschwunden waren, stierte Zordec mit düsteren Blicken durch die Panzerplastscheibe. Mana-Konyr kümmerte sich nicht um seinen Nachbarn. Er holte sich einen Becher
11 mit irgendeinem Getränk aus dem Automaten. Auf dem Rückweg zu seinem Sitzplatz in der Nähe der Scheibe warf er Zordec einen herablassenden Blick zu. Zordec schlug wütend gegen die Scheibe, aber der einzige Erfolg dieser Tat bestand darin, daß ihm das Handgelenk weh tat. Er lehnte die Stirn gegen das kühle Material und dachte darüber nach, wie er diesem Burschen einen Denkzettel verpassen könnte – er hatte keine Lust, damit bis zum Beginn der Spiele zu warten. Plötzlich fiel ihm das Summen wieder ein. Warum hatte er es diesmal nicht gehört? Schon oft hatte er versucht, die Tür mit Gewalt zu öffnen – es war ihm nicht gelungen. Er schloß daraus, daß irgendeine technische Teufelei dabei war, denn daß seine Kräfte nicht ausreichten, erschien ihm als unwahrscheinlich. Zordec war tatsächlich nicht sehr intelligent, aber wenn er sich über etwas Gedanken machte, dann tat er das langsam und gründlich. Nach einiger Zeit wandte er sich ab und ging zur Tür. Er betrachtete die Plastikplatte aufmerksam, bis er den günstigsten Ansatzpunkt gefunden hatte. Seine Hände krallten sich in einige Ritzen, dann spannte er die Muskeln an. Er hörte ein leises Knacken und merkte den winzigen Ruck, der durch die Tür ging. Zordec ließ los und lächelte grimmig. Es stimmte also. Irgend etwas war nicht in Ordnung. Bisher hatte die Tür sich nicht gerückt und geregt, aber diesmal würde er es schaffen. Er warf einen lauernden Blick zu der Panzerplastscheibe hinüber. Mana-Konyr schien zu schlafen. Wieder setzte Zordec die Hände an, diesmal an der Seite, an der der Riegel sich befinden mußte. Er spannte sich wie eine Feder. Seine Wut entlud sich in dem gewaltigen Ruck, mit dem er die Tür von sich wegdrückte. Es krachte und knackte, dann war der Widerstand des Riegels gebrochen. Zordec atmete tief durch. Dann fiel ihm sein Nachbar ein, und er drehte sich hastig
12 um. Mana-Konyr saß noch genauso da wie vorher. Der Dunkelhäutige grinste zufrieden. Sein Gegner schien einen festen Schlaf zu haben. Er öffnete die Tür endgültig und blickte auf den Gang hinaus. Niemand war zu sehen. Für einen kurzen Augenblick dachte er an Flucht, aber dann würde der Haß übermächtig. Mit zwei schnellen Schritten war er vor der nächsten Tür. Leise schob er den Riegel zurück. Er biß sich auf die Lippen, als sich ein schwaches Geräusch nicht verhindern ließ. Was sollte er tun, wenn der Wächter an dieser Stelle nicht so vergeßlich gewesen war? Aber Zordec war kein Mann, der sich lange Gedanken machte. Er schloß die rechte Hand um den Knauf, der bei diesen Gefängniszellen das übliche Wärmeschloß ersetzte. Der Griff lag glatt und kühl zwischen seinen Fingern. Als er ihn drehte, spürte er, wie etwas hinter der metallenen Oberfläche einrastete. Eine weitere Drehung – und die Tür schwang auf. »Jetzt bist du dran!« sagte Zordec leise und trat einen Schritt nach vorn. Völlig unerwartet traf ihn ein leichter Schlag am linken Oberarm. Zordec warf sich überrascht herum, aber sein Gegner war bereits ein Stück zur Seite gehuscht. Entsetzt stellte Zordec fest, daß der getroffene Arm sich nicht mehr bewegen ließ. Von der Schulter bis zu den Fingerspitzen fühlte er überhaupt nichts mehr. »Hast du etwa schon genug?« spottete Mana-Konyr aus sicherer Entfernung. Zordec grunzte zornig und stampfte vorwärts. Mana-Konyr rührte sich nicht. Seine Selbstsicherheit irritierte Zordec. Zwei Schritte vor dem Arkoniden blieb er stehen. Automatisch suchte er mit den Füßen den besten Stand und ging in Kampfstellung. Der linke Arm hing schlaff herab, aber er war fest entschlossen, sich durch solche Kleinigkeiten nicht behindern zu lassen. Ohne erkennbare Vorbereitungen warf er den
Marianne Sydow rechten Fuß hoch, drehte sich im Schwung der Bewegung und setzte mit einem furchtbaren Schlag der rechten Faust nach. Es wäre zweifellos fatal für Mana-Konyr gewesen, wenn diese Schläge ihn getroffen hätten. Aber der Hagere war mit fast tänzerischer Leichtigkeit ausgewichen. Zordec konnte sich nicht so schnell abfangen und taumelte haltlos nach vorne. Mit der rechten Hand fing er sich an einer Kontrolleiste ab. Er merkte, daß unter seinen Fingern ein Schalter einrastete. Gleichzeitig hechtete Mana-Konyr über den Boden, schlug mit der Handkante in das Kniegelenk des Dunkelhäutigen und rollte sich zur Seite. Zordec hatte das Gefühl, jemand hätte das Ende einer Starkstromleitung in sein Kniegelenk gedrückt. Fluchend sackte er zu Boden, und als er den Schalter bei dieser Gelegenheit losließ, öffnete sich direkt über seinem haarlosen Schädel ein Zapfhahn. Eiskalter Fruchtsaft sprudelte auf den Dunkelhäutigen herab. Mana-Konyr hatte sich bereits wieder aufgerichtet und hielt sich vor Lachen den Bauch. Zordec wischte sich das klebrige Getränk aus dem Gesicht und schob sich mit einem wütenden Ruck von der Wand weg. Die Zapfautomatik hatte inzwischen das genormte Maß an Flüssigkeit ausgegeben. Aber leider hatte Zordec nicht nur den einen Schalter erwischt. Kaum war er dem eisigen Strahl entronnen und lehnte sich aufatmend etwas seitwärts gegen die Wand, da öffnete sich über ihm eine Klappe, und ein großes, frischgebratenes Stück Fleisch rutschte heraus. Zordec stieß einen markerschütternden Schrei aus, als das heiße Fleisch auf seinem Nacken landete. Mana-Konyr war fast hysterisch vor Vergnügen. Wütend riß der Dunkelhäutige das, was normalen Bürgern als Delikatesse galt, hoch und schleuderte es auf den Boden. Dabei verbrannte er sich die Finger. Und als er versuchte aufzustehen, stellte er fest, daß er sich auf sein linkes Bein nun auch nicht mehr verlassen durfte. Wutentbrannt starrte
Die Seuchenspezialisten er den Hageren an. »Laß es gut sein, Partner«, kicherte ManaKonyr. »Warum sollen wir uns ohne Publikum bekämpfen? Es bringt weder Ehre noch Geld ein.« »Du jämmerlicher Waschlappen!« keuchte Zordec, fletschte die Zähne und bemühte sich, trotz allem auf die Beine zu kommen. »Du meinst wohl, du hättest schon gewonnen, wie? Mit so einem Gerippe wie dir werde ich immer noch fertig!« »Vielleicht«, nickte Mana-Konyr friedlich. »Vielleicht auch nicht. Wir werden das noch früh genug herausfinden, bei den Spielen nämlich.« Zordec gab seine Bemühungen vorerst auf. Sein Bein gehorchte ihm nicht, und auch der linke Arm war noch immer völlig taub. Trotzdem blieb er wachsam. Er rechnete damit, daß Mana-Konyr trotz der schönen Worte nicht darauf verzichten wollte, den Kampf hier und jetzt zu entscheiden. »Draußen dürfte es ziemlich still sein«, murmelte der Hagere plötzlich. »Es wäre eine gute Gelegenheit …« »Aha!« machte Zordec verächtlich. »Du willst verduften, wie? Ich dachte mir gleich, daß du ein Feigling bist!« »Halt den Mund! Ich habe mich nicht ohne Grund für die Spiele gemeldet. Sie sind meine einzige Chance, jemals frei zu werden. Glaubst du, ich würde vor einer solchen Gelegenheit davonlaufen? Andererseits …« Zordec schwieg verwirrt. Er wurde aus diesem hageren Burschen nicht schlau. In Mana-Konyrs rötlichen Augen glitzerte es merkwürdig. »Wer bei den Spielen siegt, dem werden alle Verbrechen vergeben, die er bis zu diesem Zeitpunkt begangen hat«, murmelte der Hagere nachdenklich. »Wenn wir jetzt also ein bißchen Unruhe stiften, kann uns das auch nicht mehr schaden. Die Positronik ist ganz in der Nähe – die Wächter verlassen sich zu sehr auf die Haltbarkeit dieser Türen, und das macht sie unvorsichtig. Ich glaube kaum, daß wir mehr als einen Wächter drüben vorfinden. Und die Spezialisten sind
13 nicht bewaffnet. Für dich wäre es eine Abwechslung in diesem eintönigen Training, nicht wahr?« »Wovon sprichst du überhaupt?« »Von einer netten Prügelei«, lächelte Mana-Konyr, und das Glitzern in seinen Augen verstärkte sich. Zordec spannte die noch brauchbaren Muskeln und machte sich auf alles gefaßt. »Ja«, meinte der Hagere. »Ich glaube, so geht es. Paß auf, Zordec, ich habe etwas gegen denkende Maschinen. Ich mag sie einfach nicht, verstehst du? Hier gibt es eine große Positronik, und die möchte ich ein bißchen zerrupfen. Du kannst auch deinen Spaß dabei haben. Alle organischen Gegner überlasse ich dir.« Zordec überlegte schwerfällig, was ManaKonyr eigentlich meinte. Eine Prügelei? Er hatte nichts dagegen einzuwenden. Aber was sollte der Unsinn mit der Positronik? »Nach den Spielen werden wir unseren speziellen Neigungen nicht mehr nachgehen können«, fuhr der hagere Arkonide fort. »Entweder deshalb, weil wir tot sind, oder weil man den Sieger automatisch einer eingehenden Behandlung unterzieht. Sonst nützt ihm ja die ganze Amnestie nichts. Siehst du, es ist für mich ein unerträglicher Gedanke, in Zukunft keiner einzigen Positronik mehr ein Drähtchen krümmen zu können. Das ist die letzte Gelegenheit – auch für dich.« Zordec glaubte zu verstehen, und zum erstenmal grinste er Konyr an. »Kein schlechter Gedanke«, gab er zu. »Wir toben uns noch einmal tüchtig aus. Was danach kommt …« Er zuckte die Schultern. Mana-Konyr nickte zustimmend. »Du hast es erfaßt.« »Wie lange dauert es, bis diese Lähmung verschwindet?« »Das ist kein Problem. Verhalte dich ruhig. Es tut nicht weh. Aber ich warne dich: Wenn du auf dumme Gedanken kommst, werde ich dich außer Gefecht setzen.«
14
Marianne Sydow
3. Ich mußte genau wie die anderen meine Arbeit erledigen, wenn ich nicht auffallen wollte. So ließ ich mir ebenfalls von Rec eine schriftliche Anweisung geben und machte mich auf den Weg. Ich hatte mir mein Ziel schon ausgesucht Zwei Kandidaten für die Amnestie-KAYMUURTES waren schon vor dem Ausbruch der Seuche auf Pejolc eingetroffen. Es war üblich, daß sie hier in Ulfwahr in den dafür vorgesehenen Unterkünften warteten; bis die Spiele begannen. Das hatte ich zufällig aufgeschnappt, und ich wollte die Gelegenheit nutzen, mir meine eventuellen Gegner genauer anzusehen. Von einem der einheimischen Ärzte erfuhr ich, daß die beiden Kämpfer nicht erkrankt waren. Er stimmte mir sofort zu, als ich meinte, eine Impfung wäre unter diesen Umständen sicher angebracht. Wenn sie krank werden, hast du einen oder zwei Gegner weniger! raunte das Extrahirn mir zu. Dieser Vorschlag mochte logisch sein, aber für mich war er indiskutabel. Nachdem ich mir die beiden Kandidaten angesehen hatte, dachte ich nicht mehr ganz so idealistisch, aber da waren Zordec und Mana-Konyr schon gegen die Seuche geschützt. Zordec allein war schon recht eindrucksvoll, aber die Aussicht, gegen Mana-Konyr antreten zu müssen, war noch weniger angenehm. Er sah einfach zu harmlos aus. Ich war fest davon überzeugt, daß es bei diesen Spielen kaum einen gefährlicheren Gegner geben konnte als ihn. Ich lieferte den Wächter in der Klinik ab. Recs Anwesenheit hatte inzwischen allerlei Änderungen mit sich gebracht, und in den sterilen Räumen, die das Zentrum der Krankenstation bildeten, herrschte ein wildes Gedränge. Da Athanik von den noch gesunden Arkoniden niemanden entbehren konnte – wenigstens behauptete er das –, hatte Rec auf das in der Krankenstation vorhandene Personal zurückgreifen müssen. Es fehlte
nicht so sehr an Ärzten, aber es gab fast kein Pflegepersonal. Die leichten Fälle und alle, die ein bestimmtes Stadium der Genesung hinter sich hatten, mußten bestimmte Aufgaben übernehmen. »Bring ihn zu Hattan!« befahl Rec, als ich mit dem Wächter erschien. »Und dann komm sofort zurück, ich muß mit dir sprechen.« Ich schwieg und gehorchte, wie es sich für einen einfachen Assistenten gehört. Hattan wurde von wohltuender Ruhe umgeben. An die hundert Arkoniden – Männer, Frauen und Kinder – belagerten den Raum, in dem er arbeitete, aber diese Gruppe verhielt sich ruhig und freundlich. Nirgends fiel ein lautes Wort, nicht einmal die Kinder quengelten herum, wie sie es üblicherweise bei solchen Gelegenheiten tun. Die Frauen schmachteten Hattan unverhohlen durch die großen Sichtscheiben an. Es lag an seiner Ausstrahlung, und diese wiederum war einer der Gründe dafür, weshalb ich ihn mitgenommen hatte. Hattan war zwanzig Jahre alt, groß und schlank, alles in allem ein typischer Arkonide höherer Herkunft. Aber irgend etwas an ihm war ungewöhnlich – jedenfalls gewann er nahezu mit Lichtgeschwindigkeit überall Sympathie. Er stammte aus einer erfolglosen Piratenfamilie und war zu uns gestoßen, nachdem er sich jahrelang mit Hilfe unzähliger Betrügereien durchs Leben geschlagen hatte. Sein Charme war überwältigend, und obwohl er von Medizin nur soviel verstand, wie die Hypnogeräte ihm speziell für diesen Einsatz eingetrichtert hatten, gewann er das Vertrauen der Patienten mit der ihm eigenen Leichtigkeit. Ich sorgte dafür, daß der Wächter sofort vorgelassen wurde, und Hattan brachte seinen neuen Schützling umgehend in eine Schlafkammer. »Sie sind müde«, sagte er, und der Wächter glaubte ihm jedes Wort. »Diese Salbe wird den Juckreiz beseitigen. Wenn Sie geschlafen haben, fühlen Sie sich wie neugeboren.« Die Salbe war einfache Hautcreme, denn
Die Seuchenspezialisten es haperte mit dem Nachschub. Hattan verteilte das Zeug mit seinen schmalen Künstlerhänden auf dem Gesicht des Wächters, der Mann schloß die Augen, lächelte und fing an zu schnarchen. »Verblüffend«, sagte ich, während wir auf leisen Sohlen das Zimmer verließen. »Hilft es wirklich, oder bildet dieser Mann es sich nur ein.« Hattan schwieg geheimnisvoll und eilte zu seinen Patienten zurück. »Wir werden überwacht«, teilte Rec mir mit, als ich die Tür zu seinem Büro geschlossen hatte. »Das war zu erwarten.« »Stimmt, aber trotzdem ist es unangenehm. Vayhna ist noch nicht zurück.« »Das hat nicht viel zu sagen«, behauptete ich, obwohl mir gar nicht wohl dabei war. »Falls sie es geschafft hat, wird sie dennoch ihre Runde fortsetzen, damit sie nicht auffällt. Es kann noch Stunden dauern …« »Wie Sie meinen«, knurrte Rec und raschelte nervös mit den Papieren auf dem Tisch. »Was ist mit der Überwachung?« »Oh, sie haben Posten aufgestellt. Angeblich sollen sie dafür sorgen, daß kein gesunder Arkonide versehentlich zu uns kommt, aber das ist natürlich eine Ausrede. Torkon wollte zu unserem Gleiter, um etwas zu holen. Man hat ihn nicht gehen lassen.« »Wie bitte? Konnten Sie nichts dagegen unternehmen?« »Athanik ist schlau. Torkon wurde nicht direkt festgehalten. Die Posten erledigten den Fall auf die feine Tour. Sie benahmen sich ungeheuer höflich und behaupteten, sie hätten Anweisung, den überlasteten Seuchenspezialisten jede überflüssige Arbeit abzunehmen. Torkon erklärte ihnen, daß nur er selbst das richtige Mittel aus den Vorräten heraussuchen könne.« »Und?« »Sie holten den Gleiter hierher, direkt vor das Gebäude. Wir kommen nicht mehr unbeobachtet an das Gefährt heran. Einer von Athaniks Leuten sitzt in der Kanzel – falls
15 eine Nachricht für uns von der SLUCTOOK ankommt, soll sie laut Athanik auf keinen Fall durch einen Zufall verlorengehen oder zu langsam weitergegeben werden.« »Dieser Mann erdrückt uns noch mit seiner Hilfsbereitschaft«, murmelte ich. »Allmählich mache ich mir wirklich Sorgen um Vayhna. Ich hätte doch lieber selbst gehen sollen.« Rec setzte zu einer Antwort an, aber der Türmelder hinderte ihn am Sprechen. Er blinzelte mir zu und drückte auf einen Knopf. Ich atmete erleichtert auf, als ich die Positronik-Spezialistin sah. »Wir haben uns schon Gedanken Ihretwegen gemacht«, sagte ich. »Wo waren Sie so lange?« Vayhna verzog das Gesicht und ließ sich in einen Sessel fallen. Ärgerlich legte sie die Injektionspistole auf den Tisch. »Es hat nicht lange gedauert, bis Athanik den Trick durchschaut hatte«, berichtete sie. »Im ersten Gebäude ging alles gut. Es gibt ein Büro mit ungefähr zehn Leuten dort, einen Kindergarten und eine Schule. Ich impfte die ganze Gesellschaft und marschierte zu dem Bau, in dem die Positronik steckt. Kaum war ich am Eingang, da kam Athaniks Schutztruppe anmarschiert. Zehn riesige Burschen in schwarzen Uniformen. Sie sind bis an die Zähne bewaffnet.« »Hat er Sie festnehmen lassen?« fragte Rec wütend. »So dumm ist er nicht. Die Kerle erklärten mir, sie wollten mir meine Arbeit erleichtern. Der eine ging in den Vorraum, brüllte ein paar Befehle in ein Mikrophon, und dann kamen alle Leute, die in dem Gebäude arbeiteten, angerannt. Sie stellten sich fein säuberlich auf, und ich impfte sie der Reihe nach. Auf diese Weise ging es weiter, durch die ganze Siedlung. Ich habe nicht ein einziges Haus betreten können.« Rec und ich tauschten einen kurzen Blick, dann nickte der Mann von der SLUCTOOK. »So ungefähr habe ich mir das gedacht«, sagte ich nachdenklich. »Dieser Athanik wird uns noch eine Menge Ärger bereiten.«
16 »Wenn er weiß, weshalb wir hier sind, haben wir sowieso keine Chance«, stellte Vayhna resignierend fest. Ich winkte hastig ab. »Er weiß nichts. Die Leute in Keme haben Verdacht geschöpft, aber bis jetzt suchen sie in der falschen Richtung. Trotzdem ist die Angelegenheit höchst ärgerlich für uns. Athanik bekam vermutlich die Anweisung, uns genau im Auge zu behalten und dafür zu sorgen, daß wir keine Dummheiten anstellen können. Genau das tut er auch. Wenn er jetzt die richtigen Schlußfolgerungen zieht, wird es allerdings gefährlich. Zu dumm, daß man diese Positronik nicht an einem belebteren Ort untergebracht hat!« Die Automatik meldete schon wieder Besuch an. Vayhna und ich standen hastig auf, denn schließlich waren wir nur Assistenten, die sich ein paar Anweisungen geholt hatten. Ein ziemlich alter Mann betrat das Büro. Er nickte Rec zu und streifte Vayhna und mich nur mit hochmütigen Blicken. »Mein Name ist Tahakoor«, verkündete er mit einer volltönenden Stimme, die zu seinem beinahe greisenhaften Aussehen nicht paßte. »Ich bin Mitglied des Komitees und habe ihnen eine offizielle Nachricht zu überbringen.« Rec nickte gleichmütig. »Die Spezialisten aus den Seuchenschiffen genießen überall im Imperium allgemeine Sympathie und Anerkennung«, begann Tahakoor umständlich. »Leider gibt es im Zusammenhang mit Ihrer Anwesenheit einige bedauerliche Punkte, die Verdacht erregen. Bis jetzt ist es nicht erwiesen, daß Sie und Ihre Leute ein falsches Spiel treiben, und ich hoffe sehr, daß sich alles zu Ihren Gunsten aufklärt. Solange die Verdachtsmomente jedoch bestehen und nicht restlos geklärt werden können, zwingt uns die Verantwortung dem Imperium gegenüber zu äußerster Vorsicht. Ich hoffe, Sie verstehen das. Es liegt ja auch in Ihrem eigenen Interesse, daß dieser lästige Verdacht aus der Welt geschafft wird, nicht wahr?« Rec musterte den alten Mann spöttisch. »Was sollten Sie uns also mitteilen?«
Marianne Sydow fragte er. Tahakoor drehte verlegen die Handflächen nach oben. Ihm war seine Mission offensichtlich unangenehm. »Wir werden Sie nicht in Ihrer Arbeit behindern«, sagte er endlich. »Aber wir müssen Sie bitten, sich bis auf weiteres ausschließlich in der Krankenstation aufzuhalten.« »Wir sind also Gefangene?« »Wenn Sie es unbedingt so ausdrücken müssen – ja. Man wird Sie unter Kontrolle behalten. Es tut mir sehr leid, daß ich Sie mit solchen Dingen belästigen muß, aber …« »Schon gut«, winkte Rec ab. »Ich nehme nicht an, daß Sie für diese Anweisung verantwortlich sind. Diejenigen, die diese wirklich haarsträubende Anordnung gegeben haben, werden ihre Fehler hoffentlich bald erkennen. Wessen verdächtigt man uns eigentlich?« Tahakoor verzog das Gesicht, als hätte er Zahnschmerzen. »Es ist nur dummes Gerede«, wich er aus. »Ich will Sie nicht auch noch damit belästigen.« »In Keme behauptete jemand, wir selbst hätten die Seuche künstlich erzeugt – ist es das?« Der alte Arkonide nickte traurig, und Rec lächelte verstehend. »Machen Sie sich keine Gedanken«, empfahl er dem Alten. »Diese Unterstellung ist so absurd, daß selbst ein Kind sie als Lüge erkennen könnte. Es ist nicht unsere Aufgabe, Krankheiten in die Welt zu setzen, sondern sie zu heilen. Falls wir jemals unter Arbeitsmangel leiden sollten, so werden wir mit Freuden Urlaub machen. Es gibt immer noch viel zu viel zu tun.« »Ich freue mich, daß Sie die Nachricht gelassen aufnehmen«, sagte Tahakoor und zog sich langsam in Richtung Tür zurück. »Wir alle werden uns bei Ihnen entschuldigen müssen, wenn diese Sache vorbei ist.« Rec lächelte freundlich. Ich sprang zur Seite, öffnete dem alten Mann die Tür und
Die Seuchenspezialisten wartete höflich, bis er unter entschuldigendem Gemurmel den Raum verlassen hatte. »Das hat uns gerade noch gefehlt!« knurrte Rec, kaum daß ich die Tür geschlossen hatte. »Was nun?« »Ich versuche es heute nacht«, antwortete ich grimmig. »Hoffentlich bleibt uns noch genug Zeit. Von jetzt an müssen wir jederzeit darauf gefaßt sein, daß wir schnellstens von hier zu verschwinden haben. Wie weit sind Sie mit Ihren Vorbereitungen gekommen, Rec?« »Es ist alles in Ordnung. Der Gasbehälter steckt im zentralen Belüftungsschacht, den Verschluß kann ich jederzeit mit einem Funkimpuls absprengen. Wenn es soweit ist, gebe ich rechtzeitig das verabredete Zeichen. Was machen wir mit denen, die den Gleiter im Auge behalten?« »Die übernehme ich schon. Vayhna, unterrichten Sie bitte Torkon und Hattan, daß sie sich bereithalten sollen. Wenn das Signal kommt, sofort die Atemmasken aufsetzen und zum Ausgang gehen, die Vorhalle aber erst auf mein Zeichen verlassen. Alles klar?« Vayhna nickte und eilte davon. »Das Gas wirkt schnell und zuverlässig, und es dauert eine Weile, bis man es aus dem Belüftungssystem heraustreiben kann«, murmelte Rec besorgt. »Solange es im Gebäude zirkuliert, kommt man ohne Atemgeräte keinen Schritt vorwärts. Für die Kranken wäre es besser, wenn Athanik uns nicht zu einem solchen Schritt treibt.« »Wir werden abwarten müssen. Hoffen wir, daß alles gutgeht. Wenn ich heute an die Positronik herankomme, können wir morgen schon nach Keme zurückkehren.« Wir sahen uns an. Rec gab sich große Mühe, optimistisch zu wirken, aber wir wußten genau, daß es jetzt ernst wurde. Es gab ein paar Kleinigkeiten, die – in den richtigen Zusammenhang gebracht – ein nur zu klares Bild ergaben. Nur der Respekt vor dem Emblem der Seuchenspezialisten schützte uns noch. Aber an einem bestimmten Punkt reichte auch das nicht mehr aus.
17
* Vayhna unterrichtete Torkon und Hattan über den neuesten Stand der Dinge, dann nahm sie ihre Arbeit wieder auf. Es gab einige Schwerkranke, die ständige Pflege brauchten, und die von Rec in den Arbeitsablauf eingespannten Leute waren für solche Dinge in den meisten Fällen nicht geeignet. Es ging nicht um die fehlende Ausbildung. Der erste Kranke, den Vayhna aufsuchte, war ein älterer Mann, den es arg erwischt hatte. Der braune Ausschlag hatte sich fast über seinen ganzen Körper ausgebreitet. Der damit verbundene Juckreiz mußte unerträglich sein. Eine Injektion sollte dem armen Kerl Ruhe geben, aber selbst im Schlaf warf der Mann sich in seinem Bett herum. An vielen Stellen schälte sich die Haut. Kein schönes Bild – natürlich nicht. Und der Helfer, den Vayhna mitgenommen hatte, zuckte vor diesem entstellten Körper zurück. »Stellen Sie sich nicht so an!«, tadelte die Spezialistin. »Helfen Sie mir lieber.« Der Kranke stöhnte im Schlaf, als der Mann ihn anhob, damit Vayhna das schmutzige Bettzeug wechseln konnte. Während der Helfer die schorfigen Stellen mit einem speziellen Heilspray besprühte, pinselte Vayhna die rötlichen Ränder, die eine weitere Ausbreitung des Ausschlags verrieten, mit einer wasserhellen Lösung ein. Der Mann bekam mehrere Injektionen, dann wurde er wieder an das Versorgungs- und Überwachungssystem angeschlossen. Zwanzig Kranke wurden versorgt, dann wischte Vayhna sich müde den Schweiß von der Stirn. »Pause«, sagte sie. »Ich muß etwas essen. Melden Sie sich in einer Stunde wieder bei mir. Sie finden mich dann in der Klinik.« Der Helfer zog aus seinem aseptischen Umhang einen winzigen Nadler. »Das wird nicht nötig sein«, sagte er leise. »Sie werden mich jetzt begleiten. An Ihrer Stelle wäre ich ganz folgsam. Das Gift in
18 dieser Waffe wirkt nicht tödlich – jedenfalls nicht sofort. Aber nur sehr wenige Arkoniden kennen das Gegenmittel. Sollte ich gezwungen sein, zu schießen, so werden die Betroffenen viel Zeit haben, um sich über das nahende Ende Gedanken zu machen.« Vayhna nickte langsam. »Warum?« fragte sie. »Nicht neugierig sein!« mahnte der Helfer. »Sie sollten die Spielregeln eigentlich kennen. Fragen werden immer von demjenigen gestellt, der die Waffe besitzt. Kommen Sie!« Der Mann kannte sich in diesem Gebäude gut aus – besser als Vayhna. Ihre Hoffnung, dem Spuk mit Hilfe der Wachtposten ein schnelles Ende bereiten zu können, erwies sich bald als trügerisch. Sie benutzten abgelegene Gänge und Liftschächte, und je tiefer sie in das Gebäude eindrangen, desto geringer wurde die Chance, noch auf Arkoniden zu treffen. Zahlreiche Kleinigkeiten verrieten, daß seit Jahren niemand hier herumgelaufen war. Dicker Staub überzog stillgelegte Servoautomaten und langsam zerfallende Möbel. Die Beleuchtung wurde spärlicher. »Wohin bringen Sie mich?« versuchte Vayhna es noch einmal. »An einen Ort, an dem wir ungestört plaudern können«, versprach der Fremde. Kurz darauf erreichten sie einen, der unterplanetarischen Versorgungsgänge, die die einzelnen Gebäude miteinander verbanden. Vayhna folgte dem Wink der Waffe und betrat das Rollband. Einmal kamen sie an einem Robotdepot vorbei, aber die Maschinen waren nicht aktiviert. In einer kahlen Kammer endete das Rollband, und sie kletterten über feuchte, bröckelnde Steintreppen in ein System von lichtlosen Gängen. Der Fremde leuchtete mit einer kleinen Lampe die Wände ab und lotste Vayhna vor sich her. Sie hatte keine Chance. Der Mann war einfach zu wachsam. »Halt!« befahl er vor einer häßlichen, grauen Metalltür. »Gehen Sie zwei Schritte zur Seite und stützen Sie sich mit den Hän-
Marianne Sydow den an die Wand. Die Füße weiter zurück. Ja, so ist es brav.« Vayhna fluchte in Gedanken vor sich hin. Der Fremde betätigte einen Kontakt, und die Tür öffnete sich einen Spalt breit. Während der angebliche Krankenpfleger durch die entstandene Öffnung spähte, rechnete Vayhna sich blitzschnell ihre Chancen aus. Sie stieß sich mit den Händen von der Wand ab und ging in die Hocke, um nicht aus dem Gleichgewicht zu kommen. Als sie sich nach vorne schnellen wollte, blickte sie in die Mündung des Nadlers. »Sie sind verdammt leichtsinnig, meine Liebe!« sagte der Fremde leise. »Noch so ein Fehler, und ich sehe mich gezwungen, Sie auf andere Weise vom Ernst der Lage zu überzeugen. Gehen Sie durch diese Tür.« Der Raum war eine Lagerhalle. Zwischen Maschinen, die unter Schutzfolien verborgen waren, standen Stapel von Kisten und Bündeln. Dazwischen huschten winzige, braungelbe Tiere herum. Sie ließen sich durch die Ankunft der Arkoniden kaum stören. Pfeifend und zwitschernd kletterten sie auf den Warenstapeln umher, verschwanden in Löchern, die sie in das Verpackungsmaterial gefressen hatten, und tauchten an anderen Stellen wieder auf. »Sie fressen alles«, behauptete der Mann, der Vayhnas Blicke richtig deutete. »Auch Arkoniden, wenn diese sich nicht bewegen.« Vayhna schauderte zusammen. »Nach rechts!« kam der Befehl von hinten. Gehorsam setzte sie sich in Bewegung. Der Ort, an dem sie schließlich haltmachten, lag am Rand der Halle. Hohe Maschinenblöcke, alle noch in der Originalverpackung aus nahezu unzerstörbarer, an den Rändern verschweißter Folie, schützten den Hohlraum nach allen Seiten vor den Blicken zufälliger Besucher. »Fangen wir also an«, sagte der Fremde und bedeutete der Arkonidin, sich auf den schmutzigen Boden zu setzen. »Mein Name ist Thar, und ich bin ein guter Freund Errelikons. Es gefällt mir nicht, daß er tot ist, und noch weniger gefällt mir die Art und Weise,
Die Seuchenspezialisten wie er sterben mußte. Ich glaube nicht an die so unerwartet aufgetauchte Seuche. Jemand hat die ganze Sache ins Rollen gebracht. Von Ihnen möchte ich wissen, wer daran beteiligt ist und was der Zweck des Unternehmens sein soll. Fangen Sie an zu erzählen!«
4. Zordec schnaufte zufrieden, als unter Mana-Konyrs geschickten Fingern die Lähmung verschwand. Der Hagere trat einen Schritt zurück, als Zordec vorsichtig aufstand und probehalber seine Muskeln spannte. »Wie kommen wir zu dieser Positronik?« fragte der Schwarze. Mana-Konyr zuckte die Schultern. »Wir werden es herausfinden«, versprach er, und in seinen Augen war wieder dieses Glitzern. »Komm. Wir müssen erstmal hier weg, ehe ein Wächter kommt.« Sie schlichen durch den Zellentrakt. Dieser Teil des Gebäudes war gegen die Außenwelt abgeschirmt. Niemand hatte den beiden Kämpfern das gesagt, aber sie hatten auf diesem Gebiet genug Erfahrung. Innerhalb des gesicherten Gebäudeteils konnten sie sich einigermaßen unbesorgt bewegen, aber draußen würde es Wachen geben. Mana-Konyr hielt ab und zu an und lauschte. Zordec erkannte stillschweigend den Hageren als Anführer dieser Aktion an. »Dort vorne«, flüsterte Mana-Konyr nach einiger Zeit. »Hinter dem Schott muß die Wachstube sein. Zwei Wächter – auf keinen Fall mehr. Sie gehören dir. Es muß schnell gehen. Und mach nicht soviel Lärm.« Zordec betrachtete das Schott mißtrauisch. »Das sieht nach einer Falle aus«, flüsterte er zurück. »Bestimmt gibt es Schirmfeldprojektoren oder irgendwelche andere Teufeleien!« »Nichts da«, grinste Mana-Konyr. »Ich sagte dir doch schon, daß die Kerle sich viel zu sicher fühlen. Außerdem haben sie wegen dieser Seuche andere Sorgen.«
19 Er trat an die Wand, und es geschah nichts. Mana-Konyr legte die rechte Hand auf eine Kontaktscheibe und nickte Zordec zu. Der Mann mit der fleckigen Haut nickte zurück. Die beiden Männer, die hinter dem Schott an einem Tisch saßen und sich die Zeit mit einem Würfelspiel vertrieben, sahen erschrocken auf, als das Schott sich öffnete. Ehe sie noch die Waffen hochreißen konnten, die griffbereit auf dem Tisch lagen, war Zordec bei ihnen. Der Dunkelhäutige packte die beiden im Nacken, riß sie nach oben und stieß ihre Köpfe zusammen. Halb betäubt sackten die Wächter auf die Stühle zurück. Mana-Konyr sprang heran, die dürren Hände weit vorgestreckt. Sekunden später waren die beiden Arkoniden bewußtlos. »Wir müssen sie verstecken«, flüsterte Mana-Konyr. Zordec grunzte ärgerlich. Kämpfe dieser Art waren nicht nach seinem Geschmack. Es ging alles viel zu schnell und zu glatt. Aber er sah ein, daß sie zunächst dieses Gebiet verlassen mußten. Mana-Konyr suchte die Wände ab und fand eine Art Kleiderkammer. »Schaff sie hinein!« zischte er. Zordec packte mit jeder Hand einen der betäubten Wächter am Kragen und schleifte sie scheinbar mühelos zu der kleinen Tür. Mana-Konyr untersuchte die Wächter zufrieden. »Wir brauchen sie nicht zu fesseln«, murmelte er und deckte die Arkoniden mit ein paar schmutzigen Uniformen zu, die in einer Ecke der Kammer lagen. »Es wird etliche Stunden dauern, bis sie zu sich kommen.« Er suchte zwischen den sauberen Kleidungsstücken und fand ein paar Sachen, die ihm paßten. Mit Zordec war es schwieriger. Mana-Konyr entdeckte endlich einen braunen Umhang mit Kapuze. Das entsprach nicht unbedingt der normalen Bekleidung der hier lebenden Arkoniden, aber es war besser als gar nichts. »Wir müssen nach rechts«, murmelte Mana-Konyr. »Da gibt es bestimmt Schächte,
20 die nach unten führen. Wenn wir Glück haben, kommen wir aus dem Gebäude, ohne daß jemand uns sieht.« Zordec schwieg. Er schwitzte unter dem Umhang, und außerdem war dieser Teil des Unternehmens nicht seine Sache. Er wartete auf eine Gelegenheit, sich auszutoben. Von weit her hörten sie Leute miteinander reden, aber sie sahen niemanden. Das riesige Trichterhaus wirkte seltsam verlassen. Die beiden Arkoniden konnten nicht wissen, daß in einem anderen Teil des Gebäudes die Kranken untergebracht waren. Niemand wollte mit ihnen zusammen im Haus leben, und deshalb waren die gesunden Leute in andere Häuser umgezogen. Dieser Teil war ohnehin recht verwahrlost. Bis zum Beginn der KAYMUURTES blieb noch genug Zeit, um die Räume in Ordnung zu bringen. Während der Spiele wurden hier Gäste untergebracht, vor allem Berichterstatter, die über die Anlagen der Verwaltungszentrale jedes einzelne Spiel beobachten konnten, gleichgültig, wo die Kämpfe ausgetragen wurden. Sie öffneten verschiedene Türen, gelangten auf einen dämmerigen Gang und standen unversehens auf einer Innenterrasse. Irgendwo sprudelte Wasser zwischen exotischen Pflanzen. Kleine Vögel schwirrten unter den blühenden Büschen hervor. Unter ihren Füßen knirschte feiner Sand. Verschiedenfarbige Natursteinblöcke säumten den schmalen Weg. »Da drüben geht es weiter!« Mana-Konyr deutete auf eine schmale Wendeltreppe aus silbrigem Metall. Sie sicherten nach allen Seiten, dann huschte Zordec als erster nach unten. ManaKonyr wollte ihm gerade folgen, da hörte er einen dumpfen Laut. »Zordec?« rief er leise. »Alles in Ordnung«, antwortete der Dunkle. »Hier trieb sich so ein merkwürdiger Kerl herum.« Mana-Konyr hastete nach unten. Am Fuß der Treppe lag ein Arkonide. Der Mann trug einen groben Arbeitsanzug. »Verdammt«, knurrte der Hagere, nach-
Marianne Sydow dem er den Fremden kurz untersucht hatte. »Warum hast du ihn umgebracht? Es hätte gereicht, ihn für eine Weile zum Schweigen zu bringen.« Zordec verzog verächtlich das Gesicht. »Paß das nächstemal besser auf!« befahl Mana-Konyr ärgerlich. »Wenn wir eine so deutliche Spur hinterlassen, können wir ebensogut Hinweisschilder aufstellen. Sie werden uns suchen, ist dir das klar?« Zordec starrte den hageren Arkoniden ausdruckslos an. Mana-Konyr biß sich auf die Lippen. Er bedauerte es bereits, daß er den Dunklen mitgenommen hatte. Warum war er nicht alleine losgezogen? Er hätte es auch ohne Zordec geschafft, besser sogar, denn der Dunkle war zu unzuverlässig. Er hätte ihn ausschalten sollen … »Weiter«, murmelte er endlich. Hinter der Treppe befand sich ein Zugang zum nächsten Stockwerk. Ein paar Meter weiter entdeckten sie einen Antigravschacht. Nirgends gab es eine Bewegung. »Nach unten!« kommandierte ManaKonyr. Sie waren auf dem richtigen Weg. Die Gänge, in die sie hineinsehen konnten, starrten vor Schmutz. Die Luft roch dumpf und abgestanden. An den Kontrollzahlen ließ sich erkennen, daß sie bereits unter der Oberfläche angelangt waren. Und als der Schacht endete, standen sie in einem runden Raum, in dessen Mitte ein Transportband begann. Zordec sah sich mißmutig um. Er wartete immer noch darauf, daß die versprochene Prügelei begann. Mana-Konyr dagegen orientierte sich erst einmal. Er wußte nicht genau, wo sich die Positronik befand, aber er war sicher, daß er sie finden würde, wenn ihm nur genug Zeit blieb. Etwas machte ihn stutzig. Das Transportband war in Betrieb. Warum? Alle Anzeichen sprachen dafür, daß dieser Tunnel in der letzten Zeit kaum benutzt worden war. Das Band hatte keine automatische Schaltung. Jemand hatte es also in Betrieb
Die Seuchenspezialisten gesetzt. Mana-Konyr beschloß, sehr vorsichtig zu sein. Sie fuhren mehrere Minuten lang durch diese verlassene Unterwelt und landeten in einer Kammer, die noch verwahrloster aussah. Mana-Konyr sog zischend die Luft durch die Lippen, als er die Treppe entdeckte. Da war ein Stein mit einer offensichtlich frischen Bruchkante. Einmal aufmerksam geworden, entdeckte er noch andere Spuren. »Oben ist jemand«, warnte er Zordec leise. »Hoffentlich!« knurrte er und hob seine mächtigen Pranken. »Nicht so!« zischte der Hagere scharf. »Ich will wissen, was hier vorgeht. Die Sache ist nicht sauber, das steht fest. Außerdem brauchen wir jemanden, der uns verraten kann, wo diese verflixte Positronik steht.« Zordec stieg schweigend die Stufen hinauf. Oben gelangten sie in ein regelrechtes Labyrinth von Gängen, aber nachdem ManaKonyr aus einem Nebenraum eine Lampe besorgt hatte, fanden sie mühelos den Weg. Zwei Personen waren hier entlanggegangen, und die Spuren waren ganz frisch. Vor einem grauen Schott hielten sie an. »Keinen Laut!« mahnte der Hagere, bevor er auf die Schalttafel drückte. Das Schott öffnete sich.
* Vayhna überlegte blitzschnell. Thar gehörte also zum hiesigen Geheimdienst. Errelikon hatte Verdacht geschöpft und seine Überlegungen zweifellos nicht für sich behalten. Und Thar war nun wild entschlossen, das Rätsel zu lösen. Sie konnte schweigen. Die Frage war, ob das etwas einbrachte. Die Taschen in Thars Kittel waren ausgebeult, und Vayhna konnte sich lebhaft vorstellen, daß der Agent nicht nur den kleinen Nadler mitgenommen hatte. Auf jeden Fall besaß Thar die Mittel, um sein Opfer zum Reden zu bringen. Vayhna
21 dachte dabei nicht an Gewalt, sondern an Drogen. Einer solchen Beeinflussung war sie nicht gewachsen. Die Gefahr, daß sie dann nicht nur die wahren Ziele des Unternehmens, sondern auch Atlan selbst verriet, war groß. Es gab nur eine Alternative: Reden. Und sie redete. Thar war ein bulliger, eher schwerfälliger Mann, einen halben Kopf kleiner als die Spezialistin. Sein Gesicht war aufgeschwemmt, unter den Augen traten bräunliche Tränensäcke hervor. Vayhna hatte auf Kraumon einige Trophäen in verschiedenen sportlichen Wettbewerben gewonnen, und Thar wäre für sie ein leichter Gegner gewesen. Der Agent hatte zwei Vorteile: Den Nadler und die schon fast übertrieben wirkende Vorsicht. »Die Seuche ist künstlich hervorgerufen worden, stimmt das?« »Ja«, sagte Vayhna und gab sich Mühe, ängstlich zu wirken. »Es ist ein Virus, das normalerweise harmlos ist. Man hat es verändert. Nach einiger Zeit würde die Seuche von selbst erlöschen.« »Das dachte ich mir«, nickte Thar zufrieden. »Wer hat die Manipulationen vorgenommen?« »Das weiß ich nicht. Wir hatten damit nichts zu tun. Unser Kommandant erhielt eine verschlüsselte Nachricht. Es waren Freunde von ihm, die ihn um einen Gefallen baten. Er sollte nach Pejolc fliegen, weil dort in Kürze eine Krankheit von seuchenähnlichem Charakter ausbrechen würde.« »Von welchem Ort kam die Nachricht?« »Das weiß ich auch nicht. Jedenfalls aus diesem Raumsektor.« »Also mit einiger Wahrscheinlichkeit aus dem Dubnayor-System«, nickte Thar abermals. »Wie heißen die Freunde des Kommandanten?« »Ich bin nur eine von vielen Spezialistinnen an Bord«, wich Vayhna aus. »Es bestand kein Grund, mich in alles einzuweihen. Was ich weiß, habe ich hintenherum gehört. Aber es sollen einflußreiche Leute
22 sein.« Vayhna hatte natürlich Kenntnis davon, daß es eine Verschwörung unter den Komiteemitgliedern gegeben hatte. Sie kannte die Namen der Beteiligten nicht, aber Thar, der sich in offenkundiger Freude die Hände rieb, wußte wohl, von wem die Rede war. Das Spiel der Arkonidin war gefährlich. Sie brachte den Agenten auf eine Spur, die sehr leicht zur Wahrheit führen konnte. Aber Vayhna hatte nicht die geringste Lust, Thar genug Zeit zu lassen, um diese Erkenntnisse nutzbringend anzuwenden. Sie wollte ihn dahin bringen, daß er diese verflixte Vorsicht vergaß. Erst dann hatte sie eine Chance. Vorerst hielt der Agent noch Abstand, und die Waffe in seiner Hand war nicht nur eine Formalität. »Warum sind Sie nach Ulfwahr gekommen?« »Es gibt Kranke hier«, sagte sie. »Wir sind verpflichtet, ihnen zu helfen.« Thar lachte rauh. »Das ist mal ein guter Witz!« knurrte er. »Erst sorgt ihr dafür, daß eine Seuche ausbricht, dann spielt ihr die idealistischen Helfer.« »Ich sagte doch schon, daß wir die Seuche nicht ausgelöst haben. Das waren andere!« »Was ist dann eure Rolle bei diesem Spiel?« fragte Thar lauernd. Vayhna biß sich auf die Lippen. Der Agent hatte einen wunden Punkt berührt. Wie kam sie da heraus? »Die angebliche Seuche läßt sich außerordentlich leicht bekämpfen«, sagte sie vorsichtig. »Ein anderes Seuchenschiff wäre mit dem Problem vielleicht schon fertig geworden.« »Die SLUCTOOK soll also die Angelegenheit verschleppen. Solange der Seuchenalarm nicht aufgehoben ist, bleibt Pejolc gesperrt. Das könnte sich auf die KAYMUURTES katastrophal auswirken. Und mit den Spielen sind bestimmte Termine fest verbunden. Errelikon hatte recht, wie es scheint. Wenn die KAYMUURTES nicht
Marianne Sydow stattfinden, könnte es sein, daß der Imperator die Schirmherrschaft verliert. Er hat ja noch ein paar andere Verpflichtungen.« »Er wird sie verschieben!« Thar starrte Vayhna überrascht an. »Wie kommen Sie darauf?« »Orbanaschol kann es sich nicht leisten, eine solche Gelegenheit ungenutzt zu lassen«, sagte Vayhna langsam und beobachtete den Agenten aufmerksam. »Er ist ziemlich unbeliebt geworden. Wenn die KAYMUURTES den Schmuck seines Namens verlieren, wird sich das sehr ungünstig auswirken – für den Imperator.« Thar sprang unwillkürlich auf, denn Vayhna hatte den Ehrentitel absichtlich so ausgesprochen, daß er sich eher wie ein Fluch anhörte. Vayhna sah ihre Chance und warf sich nach vorne. Sie rutschte auf dem Bauch über den schmutzigen Fußboden und erreichte Thars Beine in dem Augenblick, in dem der Agent zur Besinnung kam. Der Zusammenprall riß Thar zu Boden. Vayhna hörte ein trockenes Knacken und rollte zur Seite. Das winzige Projektil schlug hinter ihr in den Boden ein. Thars Gesicht war eine verzerrte Fratze von Wut und Haß. Er richtete die kleine Waffe erneut auf die Frau, und Vayhna erkannte, daß sie diesmal keine Chance hatte. Der Agent brauchte nicht genau zu zielen. Es reichte, wenn eines der Projektile die Arkonidin streifte. Das Gift erledigte dann den Rest. Sie starrte den Agenten wie hypnotisiert an. Thar grinste verzerrt. In seinen Augen glitzerte es merkwürdig, während der Zeigefinger seiner rechten Hand sich langsam krümmte.
* Sie schlichen durch die halbdunkle Lagerhalle. Mana-Konyr gab die Richtung an. Er mußte ein unglaublich gutes Gehör haben. Unfehlbar steuerte er um die vielen Stapel von Waren und sonstigen Gegenständen die Stelle an, von der sie das Gemurmel von
Die Seuchenspezialisten Stimmen hörten. Zordec war ungeduldig. Für ihn gab es nur gerade Wege. Wenn er einen Gegner erkannt hatte, ging er ihn an und tötete ihn – alles andere sah er als Sentimentalität und Zeitverschwendung an. Der dunkle Zordec war nicht normal – und Mana-Konyr war ebenfalls ein Psychopath. Aber die psychischen Störungen der beiden Männer waren so verschieden, daß sich aus der Synthese ihrer Fähigkeiten eine äußerst gefährliche Mischung ergab. Hinter einem Wall von riesigen Maschinen sprachen zwei Arkoniden miteinander. Ein Mann und eine Frau. Um ein Rendezvous handelte es sich ganz sicher nicht, denn diese Halle war alles andere als ein romantischer Treffpunkt. Als sie näher kamen, verstanden sie einzelne Worte, und plötzlich gab es einen dumpfen Laut, ein Keuchen und einen spitzen Schmerzenslaut. Zordec stampfte mit der Wucht eines Kampfroboters voran. Mana-Konyr eilte ihm nach, und er erkannte resignierend, daß er seinen Partner jetzt nicht mehr zurückhalten konnte. Immerhin erwischte er ihn an der Ecke, und in diesem Augenblick kam aus dem Versteck hinter den Maschinen ein trockenes Knacken, über dessen Bedeutung die beiden Männer nicht lange nachzudenken brauchten. Die Tatsache, daß der Gegner über eine Waffe verfügte, ließ den dunklen Zordec zögern. Mana-Konyr nutzte die Gelegenheit und tippte dem Mann im braunen Umhang kurz auf die Schulter. Der andere drehte sich lautlos um, und der Hagere machte ein paar eindeutige Zeichen. Sekunden später huschte Mana-Konyr an der schmalen Öffnung zwischen den Maschinen vorbei. Er hatte einen anderen Durchschlupf entdeckt. Zordec wartete, bis sein Partner in dem dunklen Loch verschwunden war, dann schob er sich, eng an den Plastiküberzug gedrängt, in die Gasse zwischen den Maschinen vor. Zwei Schritte – dann sah er einen fetten Arkoniden genau im Profil. Und er sah das Mädchen, das sich
23 auf der anderen Seite gegen die Wand drängte, nur drei oder vier Schritte von der Stelle entfernt, an der Mana-Konyr auftauchen mußte. Zordec lächelte und entblößte dabei die kräftigen, gelben Zähne. Seine Augen glühten wie Kohlenstückchen, als er sich lautlos auf den Angriff vorbereitete. Es mußte schnell gehen. Der Dicke taugte nicht für eine Prügelei, aber er hatte eine Waffe. Thar fuhr auf dem Absatz herum, als er hinter sich das wilde Knurren hörte, mit dem Zordec seinen Angriff ankündigte. Der Agent war entschieden zu langsam. Ehe er noch begriff, was da auf ihn zukam, traf ein gewaltiger Hieb sein Handgelenk, und der Nadler entfiel seinen Fingern. Thar stieß einen markerschütternden Schrei aus, als die Pranken des dunklen Zordec seinen Nacken berührten. Der Schrei brach urplötzlich ab. Zordec ließ den schlaffen Körper achtlos fallen und wandte sich der Arkonidin zu, die starr vor Entsetzen dastand. »Halt!« brüllte Mana-Konyr den heranstampfenden Kämpfer an. Zordec zögerte, sah die drohend erhobene Hand des Hageren und dachte an die furchtbaren Lähmungen, die Mana-Konyr mit kaum fühlbaren Berührungen auszulösen vermochte. Er blieb stehen. »Danke«, hauchte Vayhna. Das Bewußtsein, im letzten Augenblick dem Tode entronnen zu sein, wirkte wie ein Schock. Die Arkonidin zitterte plötzlich am ganzen Leibe. »Gern geschehen«, erwiderte ManaKonyr und deutete eine Verbeugung an. »Wir suchen die Positronik. Können Sie uns den Weg verraten?« Vayhna starrte ihn verblüfft an. Der Hagere trug die Uniform der Wächter, und sie hatte ihn bis jetzt für einen von Athaniks Leuten gehalten. Erst jetzt merkte sie, daß etwas nicht in Ordnung war. Sie sah das schwarze Gesicht unter der braunen Kapuze, und plötzlich begriff sie. Die Gefangenen! Atlan hatte von ihnen erzählt. Ein Mann,
24 dessen Haut schwarz und stellenweise grau gefleckt war. Und ein hagerer Arkonide, von dem der Wächter berichtet hatte, daß er sich auf Positronengehirne spezialisiert hatte. »Ich habe keine Ahnung, wo ich hier bin«, sagte sie langsam. »Ich glaube kaum, daß ich Ihnen helfen kann.« Mana-Konyr musterte sie mit halbgeschlossenen Augen. Völlig unerwartet lächelte er. »Es ist inzwischen dunkel«, stellte er fest. »Sie kommen mit. Bestimmt erkennen Sie das Gebäude.« Zordec trottete mißmutig hinterher. Mana-Konyr schien einen sechsten Sinn zu haben, wenn es darum ging, Auswege zu finden. Er entdeckte eine schmale Tür in der Seitenwand der Lagerhalle, die unverschlossen war. Nachdem er sich vorsichtig umgesehen hatte, winkte er Vayhna und den Dunklen nach draußen. Es war tatsächlich bereits dunkel geworden. Vayhna dachte an Atlan, der vielleicht jetzt schon unterwegs war, und das brachte sie auf eine Idee. Sie würde den beiden Ausbrechern den Weg zeigen! Es war unwahrscheinlich, daß diese beiden an die Positronik herankamen, aber sie würden auf jeden Fall Unruhe stiften. Blitzschnell orientierte sie sich. Jetzt machte es sich bezahlt, daß sie am Vormittag wenigstens einen kleinen Überblick über die Anlage gewonnen hatte. »Wir müssen an dieser Halle entlang«, sagte sie leise. »Dann kommen wir an die Ringstraße. Von dort aus müßte man das Gebäude sehen können.« Sie mußten auf jeden Schritt achten. Im tiefschwarzen Schatten der Halle lagen Gerumpel und Abfälle. In der Dunkelheit raschelte und zwitscherte es. Kleine, pelzige Körper flohen manchmal fast unter ihren Füßen hervor. Von der prunkvollen Ausstattung der öffentlichen Gebäude war hier nichts zu merken. Hinter der glänzenden Fassade lauerten Fäulnis und Zerfall. Am Ende der Lagerhalle blieben sie stehen. »Nun?« fragte Mana-Konyr ungeduldig.
Marianne Sydow Der sanftleuchtende Straßenbelag machte die Umrisse der Gebäude sichtbar. Vayhna entdeckte schräg gegenüber das Trichterhaus, aus dem Thar sie verschleppt hatte. Daneben zeichnete sich das plumpe Gebäude des Positronikzentrums wie ein unförmiger Klotz gegen den Sternenhimmel ab. Es war still in der Siedlung. Von weit her drang das Rauschen der Brandung heran. Vom Landefeld kam ein leises Summen, und ein Gleiter mit blinkenden Positionslichtern erhob sich und huschte über das Meer davon. Irgendwo erklang ein Kommandoruf, aber zwischen der Halle und der Krankenstation gab es keine Bewegung. »Dort ist es«, sagte sie leise und zeigte auf das unregelmäßig würfelförmige Gebäude. »Aber es wird Wachen dort geben. Wahrscheinlich warten sie in der Eingangshalle.« Sie konnte die Gesichter der beiden Männer nicht sehen, denn das schwache Licht, das von der Straße ausging, drang nicht bis zu ihnen vor. Sie hörte nur Mana-Konyrs laute Atemzüge und das Knurren, das Zordec plötzlich ausstieß. »Halt den Mund!« wisperte der Hagere wütend. »Eines von diesen kleinen Biestern hat mich ins Bein gebissen!« beschwerte sich der Dunkelhäutige. »Wann geht es weiter? Ich möchte nicht von diesen Bastarden gefressen werden.« »Keine Sorge«, murmelte Mana-Konyr spöttisch. »An dir würden sie sich den Magen verderben. Wir müssen uns leider von Ihnen trennen, meine Liebe, aber es hat mich gefreut, Ihre Bekanntschaft zu machen!« Vayhna spürte eine kühle Hand, die sich leicht um ihren Hals legte, dann sank sie in einen bodenlosen Abgrund. »Deine Versprechen taugen nicht viel, Partner!« knurrte Zordec, der die Frau fallen sah. »Du wirst noch auf deine Kosten kommen«, versprach Mana-Konyr flüsternd. »Was hättest du davon, wenn du eine wehr-
Die Seuchenspezialisten lose Frau umbringst. Sie hat uns geholfen. Hilf mir mal. Wir müssen sie an einen Platz bringen, an dem diese hungrigen Schmarotzer sie nicht erreichen können.« »Du führst dich auf wie eine Kinderschwester!« Mana-Konyr antwortete nicht, und der dunkle Zordec half schweigend, die bewußtlose Arkonidin in einen Gleiter zu tragen, der aus irgendeinem Grund unverschlossen herumstand. Kurz darauf schlichen die beiden Ausbrecher im Schutz der Dunkelheit ihrem Ziel entgegen.
5. Gegen Abend merkten wir, daß Vayhna verschwunden war. Wir hatten sie schon vorher vermißt, aber die Krankenstation war groß genug, um einen Arkoniden für Stunden zu verschlucken. Inzwischen jedoch war mehr als das Doppelte der Frist verstrichen, in der sich jeder von uns einmal bei Rec einfand, um sich dort über alle Neuigkeiten zu informieren. »Wo kann sie sein?« überlegte Hattan, der sich nur mit Mühe für kurze Zeit von seinen Patienten losgeeist hatte. »Bei Athanik!« behauptete Torkon grimmig. »So etwas mußte ja kommen. Er hat längst Verdacht geschöpft, und nun will er echte Informationen. Typisch für ihn, daß er sich gerade Vayhna ausgesucht hat!« »Sie ist über alles informiert«, fügte Rec bedrückt hinzu. »Wenn er es richtig anfängt …« Wir sahen uns an. Die Situation war auch so schon kritisch genug. »Ich werde mit ihm reden!« sagte ich entschlossen. »Diesmal ist er zu weit gegangen. Was immer er sich zusammengereimt hat, es berechtigt ihn nicht, zu solchen Mitteln zu greifen!« »Das stimmt zweifellos«, stimmte Rec mir zu. »Aber es wird besser sein, wenn ich ihm auf den Zahn fühle. Bis jetzt hält er
25 mich für den Anführer der Gruppe. Warum wollen Sie die Aufmerksamkeit auf sich lenken? Sie sind sicherer, wenn er Sie für unwichtig hält.« Dieser Mann hat einen klaren Verstand, stellte das Extrahirn anerkennend fest. Ich ärgerte mich darüber, aber ich ging genau wie Hattan und Torkon zur Seite, damit die Optik mich nicht erfassen konnte, als Rec das Bildsprechgerät in Betrieb setzte: »Ah!« machte Athaniks ölige Stimme, als der Bildschirm hell wurde. »Sie sind es. Was haben Sie mir mitzuteilen?« »Nichts. Wo ist meine Mitarbeiterin?« »Wovon reden Sie eigentlich?« »Von meiner Assistentin. Sie ist verschwunden. Was haben Sie mit ihr angestellt?« »Ich weiß wirklich nicht, wie Sie das meinen«, behauptete Athanik selbstsicher. »Ich habe mit Ihrer Assistentin nichts zu tun. Seit wann ist sie denn fort?« »Das läßt sich nicht mehr genau feststellen«, knurrte Rec. »Aber ich denke, Sie können darüber am ehesten Auskunft geben. Wo ist sie?« »Ich weiß es nicht.« Athaniks Stimme klang ungeduldig. »Hören Sie!« begann Rec drohend. »Wir haben uns bisher allerhand gefallen lassen, aber irgendwann geht meine Geduld zu Ende. Wir sind Seuchenspezialisten, und es gibt zu jedem beliebigen Zeitpunkt Dutzende von Planeten, deren Bewohner unsere Hilfe dringend brauchen. Man könnte meinen, die Arkoniden von Pejolc brauchten uns gar nicht. Sie haben uns in jeder nur denkbaren Weise provoziert, ohne uns von unserer Pflicht abzubringen. Aber wenn man jetzt anfängt, meine Mitarbeiter zu entführen, dann geht das entschieden zu weit. Ich erwarte, daß Vayhna sofort und gesund an Leib und Seele zu mir gebracht wird. Geschieht das nicht, dann werden wir unsere Arbeit einstellen!« »Das dürfen Sie nicht tun!« keuchte Athanik erschrocken. »Es verstößt gegen Ihre Vorschriften. Denken Sie doch an den Eid,
26 den Sie abgelegt haben!« »Genau das empfehle ich Ihnen. Die Seuchenspezialisten sind tabu. Immer und überall. Das ist ein uraltes Gesetz, das bisher nur einmal gebrochen wurde. Sie wissen, was damals geschah?« Athanik schwieg. Ich konnte mir vorstellen, wie verzweifelt er jetzt nach einem Ausweg suchte. Es war tatsächlich erst einmal vorgekommen, daß ein Volk die Immunität der Seuchenärzte verletzt hatte. Die Spezialisten hatten sich daraufhin von dem Planeten zurückgezogen und die Bewohner sich selbst überlassen. Kein anderes Seuchenschiff hatte sich bereit gefunden, die Arbeit fortzusetzen. Seitdem hatte niemand mehr versucht, die Seuchenärzte in irgendeiner Weise zu behindern oder in eine Intrige einzubeziehen. Athanik konnte nicht wissen, daß die SLUCTOOK gar kein Seuchenschiff mehr war. »Es tut mir leid«, murmelte er ratlos. »Wenn ich wüßte, wo Ihre Assistentin sich aufhält – glauben Sie wirklich, ich würde ein solches Risiko eingehen? Bitte, glauben Sie mir, ich habe damit nichts zu tun. Und ohne mein Wissen könnte niemand Ihre Gruppe angreifen. Vielleicht hat sie sich verirrt …« Er suchte nach Erklärungen, die sich in diesem Fall nicht gerade wahrscheinlich anhörten. Er sagt die Wahrheit, meldete sich plötzlich das Extrahirn. Er weiß wirklich nichts von dem Mädchen. Aber wenn Athanik Vayhna nicht hatte, wo war sie dann? Der Logiksektor schwieg. Immerhin gab es einen Geheimdienst auf Pejolc, und sicher hielten sich auch einige Agenten in Ulfwahr auf. Es war nicht unmöglich, daß Athanik über die Aktivitäten dieser Leute nicht informiert wurde. Das brachte mich auf eine Idee. Ich kritzelte hastig etwas auf einen Zettel und hielt ihn hoch, so daß Rec meine Botschaft lesen konnte, ohne daß ich in den Erfassungsbereich der Optik geraten konnte.
Marianne Sydow »Also gut«, sagte Rec gedehnt. »Wenn Ihr Gewissen so sauber ist, dann geben Sie uns wenigstens die Gelegenheit, selbst nach Vayhna zu suchen.« »Das kann ich nicht.« »Sie haben die Wahl!« »Sie irren sich«, stieß Athanik verzweifelt hervor. »Ich habe Anweisungen, die ich nicht umgehen darf. Ich werde jeden, den ich irgendwie entbehren kann, für die Suche nach Ihrer Assistentin abstellen. Wir werden sie finden, und wenn wir das ganze Gebiet auf den Kopf stellen müssen. Aber ich darf Sie nicht aus der Krankenstation herauslassen.« Rec zögerte. Ich war enttäuscht, denn ich hatte ziemlich fest damit gerechnet, daß Athanik nachgeben würde. Aber ich erkannte auch, daß der Arkonide tatsächlich in der Zwickmühle saß. Resignierend zuckte ich die Achseln und gab Rec ein Zeichen. »Sie haben Zeit bis zum Sonnenaufgang«, sagte er und schaltete das Gerät aus, ohne eine Antwort abzuwarten. »Schade«, murmelte Hattan. »Es wäre eine gute Gelegenheit gewesen. Ob Athanik wirklich so ahnungslos ist?« »Er hat bestimmt nicht gelogen«, antwortete ich nachdenklich. »Wenigstens diesmal nicht. Das ändert nichts an der Tatsache, daß ich unbedingt nach draußen muß. Es gibt nur zwei Möglichkeiten. Entweder finde ich einen Ausgang, der nicht bewacht wird, oder ich überliste die Posten.« »Der Wächter!« sagte Hattan plötzlich. »Sie haben ihn doch mitgebracht. Er liegt immer noch im selben Zimmer und schläft. Seine Uniform hat genau die richtige Größe, und vom Zellentrakt aus müßte es doch einen Weg geben, um die Posten zu umgehen!«
* Eine halbe Stunde später verließ ich neben Hattan das Krankenzimmer. Der Wächter hatte eine Injektion erhalten, die ihm
Die Seuchenspezialisten mindestens zehn weitere Stunden tiefen Schlaf bescherte. Hattan wurde seinem Ruf als meisterhafter Betrüger mehr als gerecht. Er brauchte nur ein Minimum an Zeit und Material, um mein Aussehen dem des Wächters anzugleichen. Mein Gesicht und meine Hände trugen die Spuren der Seuche. Einige Verbandpäckchen, von innen mit Klebestreifen an der Uniform befestigt, glichen alle Unterschiede in der Figur aus. Während wir durch den ziemlich belebten Gang schritten, gab Hattan mir gute Ratschläge. »Wenn das Schwächegefühl wiederkehren sollte, müssen Sie sich für kurze Zeit hinlegen. Sollte es dadurch nicht besser werden, dann melden Sie sich umgehend bei mir. Haben Sie die Salbe auch nicht vergessen? Sie muß alle zwei Stunden aufgetragen werden. Gehen Sie sparsam damit um, denn wenn das Zeug zu dick auf den Schorf geschmiert wird, kann die Wirkung ins Gegenteil umschlagen. Auf keinen Fall dürfen die befallenen Hautstellen mit Wasser in Berührung kommen, und wenn der Juckreiz wieder auftritt, reißen Sie sich bitte zusammen. Jede aufgekratzte Stelle kann zu einem neuen Infektionsherd werden.« Ich ließ alles schweigend über mich ergehen. Unter solchen Reden erreichten wir das erste Hindernis: Den direkten Zugang zur Krankenstation und die beiden dort postierten Uniformierten. Sie warfen uns nur einen flüchtigen Blick zu. Hattan blieb zurück, und ich schritt an den Posten vorbei. »Tüchtige Burschen, diese Spezialisten, wie?« meinte der eine, und ich nickte kurz. Ich wagte es nicht, zu sprechen, denn meine Stimme konnte mich verraten. Jenseits der Tür führte der Gang bis zu einem Antigravschacht. Ich schwang mich hinein. Mehrere Arkoniden begegneten mir. Auch die schwarzgekleideten Männer von Athaniks Leibwache waren darunter, aber niemand schöpfte Verdacht. Die Uniform und die deutlich sichtbaren Schorfflecken schützten mich. Ungehindert erreichte ich den Ausstieg; von dem aus man zu dem Zel-
27 lentrakt gelangte. Für einen Moment zögerte ich, dann zog ich die Hand, die ich bereits nach der Haltestange ausgestreckt hatte, wieder zurück. Ich war entschlossen, es jetzt gleich zu wagen. Wenn ich auf einen Kollegen des Wächters traf, nützte mir die ganze Maskerade nichts. Bei den Posten, die das Gebäude und unseren Gleiter überwachten, rechnete ich mir bessere Chancen aus. »Wohin wollen Sie?« Ich drehte mich langsam um. Ein junger Arkonide schwebte neben mir nach unten. Er trug eine schwarze Uniform. Seine Frage hatte mich erschreckt, obwohl der Tonfall nicht einmal unfreundlich war. Auch in seinem Gesicht entdeckte ich kein Anzeichen von Mißtrauen. »Ich weiß noch nicht«, antwortete ich vage. Kannte er den Wächter? Wenn ja, dann wußte er schon jetzt, daß etwas nicht stimmte. »Die Wetten stehen gut«, sagte er unvermutet. »Ist dieser gefleckte Bursche auch wirklich in Form? Ich möchte nicht mein ganzes Geld verlieren.« »Er ist in Ordnung«, murmelte ich. »Kann ich Sie ein Stück mitnehmen? Ich habe meinen Gleiter draußen.« War es verdächtig, wenn ich ablehnte? Ich kannte mich zuwenig in dieser Siedlung aus. Wohin gingen diese Leute, wenn sie sich entspannen wollten? »Das ist sehr freundlich von Ihnen«, sagte ich vorsichtig. Dann fiel mir ein, daß es im Aufenthaltsraum der Wächter zwar einen Servoautomaten gab, daß dessen Kapazität jedoch sehr niedrig zu sein schien. »Eigentlich möchte ich nur mal wieder etwas Anständiges essen«, fügte ich deshalb hinzu und hoffte, mein Begleiter würde das als konkrete Zielangabe ansehen. Es konnte unmöglich mehrere Gaststätten in dieser Siedlung geben. Meine Rechnung schien aufzugehen. »Das ist kein Problem«, lachte der Uniformierte. »Ich muß am Kasino vorbei.
28 Kommen Sie!« Ich ging neben ihm durch die Halle. Er grüßte einige von den Wachtposten und führte eine kurze, belanglose Unterhaltung mit ihnen, während ich schweigend wartete. Endlich traten wir durch die breite Tür. Es war schon dunkel. Die Straße leuchtete aus sich heraus, und genau vor mir hob sich unser Gleiter wie ein dunkler Schemen vor diesem Hintergrund ab. Ich wunderte mich darüber, daß keine Scheinwerfer brannten, aber mein Begleiter hielt die unzulängliche Beleuchtung offenbar nicht für etwas Ungewöhnliches. Er wandte sich nach rechts, und ich folgte ihm bis zu einem der kleinen, wendigen Fahrzeuge, die allem Anschein nach das einzige Transportmittel im Verwaltungszentrum bildeten. »Steigen Sie ein!« forderte er mich auf, nachdem er die Türen geöffnet hatte. Ich schwang mich in die Kabine – und wußte, daß ich in die Falle getappt war. »Keinen Laut!« warnte er, während er mir mit der einen Hand den Lauf einer Waffe in die Rippen drückte und mit der anderen per Knopfdruck die Türen schloß. Das Fahrzeug setzte sich in Bewegung. »So!« sagte er, als wir ein Stück von dem Trichterbau entfernt waren. »Nun fangen Sie mal an zu reden. Ich weiß, daß Sie nicht der Wächter sind, für den Sie sich ausgeben. Ich kenne diesen Mann zufällig sehr gut. Was haben Sie mit ihm gemacht?« »Nichts«, murmelte ich. »Er ist in der Krankenstation. Er hatte einen Rückfall, und die Ärzte verordneten ihm eine Portion Schlaf.« Er hat keinen bestimmten Verdacht, wisperte das Extrahirn. Das ist deine Chance. Er weiß nicht, was er von dir halten soll, und er will sich nicht blamieren. Darum dieser Flug. »Ich sehe ihm ein bißchen ähnlich«, fuhr ich nach einer kurzen Pause fort. »Darum habe ich die Gelegenheit wahrgenommen und mir seine Uniform ausgeliehen. Ich wollte einfach mal raus, verstehen Sie? In der Krankenstation geht es ja beinahe wie in
Marianne Sydow einem Gefängnis zu.« Mein Begleiter schwieg. Ich konnte sein Gesicht in der Dunkelheit kaum sehen und wußte deshalb nicht, ob er meine Ausrede akzeptierte. Die Waffe jedenfalls steckte er nicht weg. »Was werden Sie nun mit mir machen?« fragte ich, um meiner Rolle gerecht zu werden. »Ich werde Sie zurückbringen und bei den Wachen abliefern. Die können entscheiden, was mit Ihnen geschehen soll. Vorerst wird man Sie wieder in die Krankenstation stecken, aber wenn Sie gesund sind, wird diese Maskerade noch einigen Ärger für Sie bringen. Wo arbeiten Sie normalerweise?« Dieser Kerl hatte die fatale Begabung, die unangenehmsten Fragen zu stellen, ohne sich dessen eigentlich bewußt zu werden. Der Gleiter bog in diesem Augenblick von der selbstleuchtenden Straße ab. Ich entdeckte rechts ein Gebäude und zeigte hinüber. Für einen Augenblick ließ der Mann mit der schwarzen Uniform sich ablenken. »Sie müssen sich irren«, sagte er verblüfft. »Das ist doch nur ein Lagerschuppen. Moment mal, sind Sie überhaupt …« Er kam nicht dazu, diesen Satz zu beenden. Zwei Dinge hinderten ihn am Reden. Erstens hatte ich in diesem Augenblick bereits sein Handgelenk erwischt. Der Trick, mit dem ich ihm den Strahler abnahm, war ebenso wirksam wie schmerzhaft – für ihn natürlich, nicht für mich. Zweitens machte er bei dem Versuch, die Waffe doch noch zu behalten, eine unvorsichtige Bewegung und geriet dabei mit den Kontrollen in Konflikt. Der Gleiter war nicht besonders schnell, aber als er jetzt abrupt zum Stillstand gebracht wurde, gab es doch einen recht heftigen Ruck. Der Mann, der um ein Haar meinen ganzen schönen Plan zum Scheitern gebracht hatte, flog aus dem Sitz und knallte gegen die transparente Kanzelabdeckung. Das Material war sehr widerstandsfähig. Ich starrte verblüfft auf meinen Gegner, der fast ohne mein Zutun für längere Zeit handlungsunfä-
Die Seuchenspezialisten hig gemacht worden war. Hastig untersuchte ich den Gleiter. Ich fand nichts, was ich gebrauchen konnte – im Gegenteil: Das Funkgerät war auf Sendung geschaltet. Wenn irgend jemand diese Frequenz abgehört hatte, mußte er zwangsläufig Verdacht schöpfen. Noch rührte sich nichts, und ich machte, daß ich aus der Nähe des Fahrzeugs kam. Zum Glück brauchte ich wenigstens nicht damit zu rechnen, daß mein vom Pech verfolgter Begleiter umgehend eine Beschreibung von mir liefern würde, denn er war mit absoluter Sicherheit für mehrere Stunden vernehmungsunfähig. Immerhin besaß ich seine Waffe. Ich rannte ein Stück an der Wand der Lagerhalle entlang, überquerte eine schmale Straße und sprang über eine niedrige Mauer. Auf der anderen Seite landete ich in meterhohem Unkraut. Zum gleichen Zeitpunkt hörte ich ein zorniges Summen und entdeckte die Positionslichter von einem halben Dutzend Gleiter, die mit Höchstgeschwindigkeit heranrasten. Unter normalen Umständen wäre das Versteck gar nicht so schlecht gewesen. Leider erwies sich das Unkraut als eine Ansammlung höchst unfreundlicher Gewächse. Diese Pflanzen hatten sich mit allem ausgerüstet, was hungrigen Tieren und schutzsuchenden Arkoniden das Dasein verleiden konnte. Sie besaßen Dornen aller Größenordnungen, Brennhaare, klebrige Ranken, Blätter, die wie festgeleimt auf der Haut hafteten und dort Verdauungssekrete absonderten, am Boden liegende Ausläufer, die perfekte Fangschlingen bildeten, sogar irgendwelche blasenförmigen Auswüchse, die bei der geringsten Berührung unter leisem Zischen einen Gestank verströmten, der mir fast den Atem verschlug. Mühsam kämpfte ich mich an der Mauer entlang ein paar Meter weit durch diesen Miniaturdschungel. Dann trat ich aus Versehen auf einen runden, harten Gegenstand. Das Ding explodierte förmlich unter meinen Füßen und warf dabei eine Unmenge von
29 winzigen, steinharten Körnern hoch. Die Wucht dieser natürlichen Geschosse reichte nicht aus, um den Stoff der Uniform oder gar meine Haut zu durchschlagen, aber ich trug unzählige blaue Flecke davon. Jenseits der Mauer waren die Gleiter inzwischen gelandet. Ich hörte aufgeregte Rufe und das Getrampel von vielen Füßen. Unter diesen Umständen durfte ich es nicht wagen, auch nur den Kopf über die Mauer zu stecken. Genauso sinnlos war es, weiter durch das Unkraut zu kriechen, denn das ging nicht ohne Geräusche ab. Ich war auch nicht besonders wild darauf, noch mehr Erfahrungen mit der hiesigen Pflanzenwelt zu sammeln. Ich blieb also, wo ich war, und machte mich möglichst klein. Auf der anderen Seite der Mauer suchte man nach mir. »Er muß irgendwo hier sein«, hörte ich einen Arkoniden ärgerlich sagen. »Weit ist er bestimmt noch nicht gekommen. Wenn wir wenigstens wüßten, was für ein Kerl das ist. Sahal hätte uns ruhig ein paar Informationen geben können.« »Konnte er aber nicht«, erwiderte ein anderer Mann. »Er wird ganz schönen Ärger kriegen, wenn der Alte davon erfährt. Eigenmächtiges Handeln – das hat er noch nie leiden können. Vielleicht ist er über die Mauer geflohen und steckt irgendwo da draußen.« »Dann könnten wir ihn brüllen hören. Wenn ich vor die Wahl gestellt wäre, entweder eine Stunde zwischen diesen verdammten Pflanzen zu hocken oder zehn Jahre auf einem Strafplaneten zu verbringen – ich würde den Strafplaneten wählen!« Die beiden schienen das für einen guten Witz zu halten, denn sie lachten schallend, während sie langsam weitergingen, um in jeden dunklen Winkel zu leuchten. Sie ahnten wahrscheinlich gar nicht, wie recht sie hatten! Rechts von mir stand ein Gewächs, das mich in Wolken von Gestank hüllte, bis es vor meinen Augen flimmerte. Links waren Zweige, die dünne, brüchige Dornen besaßen. Die Dornen waren mit Widerhaken aus-
30 gestattet und blieben hängen, sobald man ihnen zu nahe kam. An meinem rechten Bein hatte sich eine kleine Pflanze festgerankt. Sie war emsig damit beschäftigt, mit Hilfe eines ätzenden Sekrets meine Hosenbeine aufzulösen, um an meine Haut zu kommen. Und vor meiner Nase baumelte eine Blüte, die sicher keine bösen Absichten hatte, mich aber fast zum Wahnsinn trieb. Der Duft, den sie verströmte, löste einen schier unerträglichen Niesreiz aus. Ich habe keine Ahnung, wie lange ich all diese Widerwärtigkeiten ertrug. Mir kam es wie eine Ewigkeit vor. Als ich hörte, daß die Gleiter starteten und sich rasch entfernten, wäre ich am liebsten kopfüber auf die andere Seite der Mauer gesprungen. Mit dem letzten Rest meiner Selbstbeherrschung zwang ich mich, zuerst nachzusehen, ob die Luft rein war. Als ich den Mann entdeckte, der etwa fünfzig Meter entfernt auf der Straße stand und mit einer Lampe den Boden vor seinen Füßen ableuchtete, hätte ich vor Enttäuschung am liebsten laut geflucht. Mit zusammengebissenen Zähnen wartete ich. Der Kerl ging mit aufreizender Gründlichkeit vor. Er leuchtete nach links, dann nach rechts, jeweils mindestens eine Minute lang. Dann machte er einen Schritt, der ihn von mir wegführte, und anschließend leuchtete er wieder – erst nach links, dann nach rechts. Ich beobachtete ihn wie unter Hypnose. Was immer der Mann suchte, er fand nichts, und schließlich bog er um eine Ecke – das geschah in dem Augenblick, in dem die eifrige kleine Rankpflanze ihr Ziel erreicht hatte und die ätzende Flüssigkeit auf mein Bein traf. Es war, als wäre ich an einen glühenden Draht gefesselt. Ich ächzte und sprang in einem reinen Reflex in die Luft, flog über die Mauer und rollte mich auf der anderen Seite ab. Das Gewächs an meinem Bein ließ sich dadurch nicht stören. Es war mit den Wurzeln aus dem Boden gerissen worden, aber es hatte nicht die Absicht, auf seine Beute zu verzichten. Instinktiv griff ich nach der gräßlichen Pflanze und konnte diese Bewe-
Marianne Sydow gung gerade noch stoppen, ehe ich die Ranke berührte. Bis ich das Messer in der Hand hatte, fühlte sich mein Bein bereits an, als würde es langsam geröstet. Und als ich das widerwärtige Gewächs endlich los war, hielt der Schmerz noch einige Zeit an. Wütend humpelte ich auf das nächstbeste Gebäude zu, fand eine unverschlossene Tür und stolperte in den dahinterliegenden Raum. Ich war so erledigt, daß ich mich einfach auf den Boden fallen ließ. In meiner Nase kribbelte es unerträglich, meine Augen tränten, und die zahlreichen kleinen Verletzungen schmerzten teuflisch. Ich nieste und hustete, kratzte mich unaufhörlich und dachte voller Sehnsucht an die Krankenstation, in der es weiche Betten, Medikamente und Duschkabinen gab. Das Schlimmste hast du hinter dir, meldete sich das Extrahirn spöttisch. Was sind die KAYMUURTES schon – dort wird ja nur bis zum Tod des Gegners gekämpft! »Halt den Mund!« knurrte ich böse und richtete mich mühsam auf. Es war stockfinster. Ich ließ die winzige Lampe aufblitzen, schaltete sie jedoch schnell wieder aus, weil ich von draußen Geräusche hörte. »Hier muß es sein«, murmelte eine Stimme. »Hoffentlich ist er noch da.« »Bist du auch wirklich sicher, daß niemand etwas gemerkt hat?« fragte eine Frauenstimme ängstlich. »Ganz sicher. Sonst hätte ich dich nicht hierher gebracht. Da ist die Tür.« Ich tastete mich durch die Finsternis bis an die Wand. Dort stieß ich mit dem Fuß gegen irgendeinen Gegenstand, der klappernd umfiel. Ich blieb stehen und lauschte. »Was war das?« hörte ich die Frau vor der Tür fragen. »Nichts«, knurrte ihr Begleiter. »Er ist gesund und lebendig, das ist alles. Wenn du Angst hast, mache ich das Geschäft mit einem anderen.« »Nein«, antwortete sie hastig. »Du weißt, daß es nicht so gemeint war. Mach schon die Tür auf. Wir müssen es schaffen.«
Die Seuchenspezialisten Mir sträubten sich die Haare, und ich drückte mich dicht an die Wand, die erbeutete Waffe schußbereit in der rechten Hand, bereit, meine Haut so teuer wie möglich zu verkaufen. Ich zweifelte nicht daran, daß ich dazu bestimmt war, die Finanzen der beiden aufzubessern. Wie hatten sie mich erkannt? Aber das war jetzt Nebensache. Die Tür öffnete sich mit einem leisen Knarren. Ein Scheinwerfer flammte auf. Hinter dem grellen Lichtkegel erkannte ich undeutlich zwei Gestalten. Eine davon hielt einen großen Sack in der Hand. Der Lichtstrahl wanderte weiter und kam mir immer näher. Ich zielte auf den Scheinwerfer, wartete aber immer noch ab. Die beiden Arkoniden standen genau vor der Tür. Ich mußte sie irgendwie weglocken. »Da!« sagte der Mann plötzlich. Nicht schießen! warnte das Extrahirn scharf. Ich nahm den Finger vom Abzug und stellte verwundert fest, daß ich immer noch außerhalb des Lichtkegels stand. Dann blickte ich dahin, wo ein Teil der Halle beleuchtet war und entdeckte etwas, das sich bewegte. Zwischen zwei Lastgleitern kauerte ein merkwürdiges Tier. »Den Köder!« befahl der Arkonide scharf. Die Frau holte irgendeinen Gegenstand aus dem Sack und warf ihn in die Richtung der pelzigen Kreatur. Es platschte leise, und ich stellte fest, daß es sich bei dem Köder um eine weiche Frucht handelte. Ein seltsamer Duft stieg auf. Das Tier zwischen den Gleitern bewegte sich unruhig. Es schien die Falle zu wittern, aber der Geruch wurde immer stärker, und langsam näherte sich das Wesen dem Köder. Gleichzeitig rückten die beiden Arkoniden vor. Sie bewegten sich behutsam und bemühten sich, kein Geräusch zu verursachen. Ich verfolgte das Unternehmen mit gespannten Sinnen. Die beiden schienen sich völlig auf ihr Opfer zu konzentrieren. Sie entfernten sich immer weiter von der Tür. Noch drei oder vier Schritte, dann konnte ich es versuchen.
31 Plötzlich stieß das Tier einen klagenden Laut aus. Es wich auf seinen kurzen, stämmigen Beinen seitwärts aus und duckte sich zum Sprung. »Zurück!« stieß der Arkonide hervor, und plötzlich hielt er eine Waffe in der Hand. Er zielte auf das Tier, das verwirrt auf die beiden Jäger starrte und sich nicht entscheiden mochte, wen es angreifen sollte. Ich weiß bis heute nicht, was mich dazu brachte, den Strahler auf Paralysewirkung umzustellen und abzudrücken. Es ging so schnell, daß ich mir des Vorgangs kaum bewußt wurde. Und ich hatte nicht auf das Tier gezielt, sondern auf die beiden Arkoniden. Sie brachen lautlos zusammen. Der Scheinwerfer schwang herum, und von dem Tier war nichts mehr zu sehen. Verwirrt senkte ich die Waffe und lauschte. Erst jetzt wurde mir klar, was ich getan hatte. Ich war allein in dieser Halle mit einem Wesen, von dem ich nicht wußte, über welche Waffen es verfügte. Ich wußte nur, daß die beiden Jäger nicht ohne Grund so vorsichtig gewesen waren. Ganz langsam tastete ich mich in Richtung Tür voran. Immer wieder hielt ich an und lauschte, aber ich hörte nichts. Erst als ich die Tür fast erreicht hatte, trat etwas in die breite Lichtbahn. Ich hob den Strahler, aber etwas hinderte mich daran, ihn zu benutzen. Das Tier hatte sich halb aufgerichtet. Seine schwarze, sehr bewegliche Nase prüfte die Witterung, und die grellblauen Augen waren genau auf mich gerichtet. Es hatte mich entdeckt.
6. »Wir müssen etwas unternehmen«, sagte Fartuloon und starrte Corpkor herausfordernd an. »Wenn wir noch länger warten, geht es schief. Dieser Arsanonc wird immer frecher. Im Augenblick sind ihm noch die Hände gebunden. Die Bevölkerung steht zum größten Teil auf unserer Seite, weil offensichtlich nur wir imstande sind, die Seuche einzudämmen. Sie würden Arsanonc in
32 Stücke zerreißen, wenn er es wagen würde, uns offiziell anzugreifen. Aber wir werden mit dieser Krankheit zu gut fertig. Sobald die Gefahr gebannt ist, wird er zuschlagen.« »Er kann uns nicht einfach abschießen lassen«, knurrte Corpkor gelassen. »Nein, aber er kann zum Beispiel ein paar Funksprüche loslassen. Die SLUCTOOK gehört nicht in diesen Raumsektor, und das wird man ihm gerne bestätigen. Bis jetzt hat er noch Angst, sich zu blamieren, sonst wäre er längst über alles informiert. Wir müssen ihn in die Knie zwingen. Er muß stillhalten – wenigstens bis Atlan mit seinen Leuten zurück ist.« Corpkor schwieg und betrachtete nachdenklich eine winzige Fliege, die auf seinem Handrücken saß und sich mit den Vorderfüßen den Kopf sauber wischte. Der Kopfjäger blies das Tier behutsam an, und die Fliege unterbrach die Zeremonie der Säuberung. »Du hast die Sache mit der Seuche arrangiert!« fuhr Fartuloon ärgerlich fort. »Du kennst dich am besten damit aus. Gibt es denn keine Möglichkeit, etwas zu unternehmen?« Die Fliege spazierte auf Corpkors Zeigefinger entlang und spähte auf die Tischplatte hinunter. Der Kopfjäger lächelte flüchtig, und die Fliege kehrte eilig auf den Handrücken zurück. »Wir können nicht mehr das Schiff verlassen«, sagte Fartuloon und schritt unruhig auf und ab. »Jeder Patient, der zu uns kommt oder die SLUCTOOK verläßt, wird scharf kontrolliert – wenn er überhaupt in die Nähe der Schleuse gelassen wird. Und es kommen immer weniger Leute. Die Seuche ist fast besiegt. Noch ein oder zwei Tage – und du sitzt da und spielst mit einer Fliege!« »Mit einer besonderen Fliege!« Der Bauchaufschneider blieb ruckartig stehen. Er beugte sich über den Tisch und starrte das Insekt an. »Ich finde nicht, daß sie ungewöhnlich aussieht«, brummte er. »Was ist mit ihr? Hast du sie dressiert? Was kann sie?« »Nichts.«
Marianne Sydow Fartuloon explodierte fast. Nur mit Mühe riß er sich zusammen. Corpkor hatte erstaunliche Fähigkeiten, und es gab niemanden, der so hervorragend mit Tieren umgehen konnte. Er war einer der wertvollsten Mitarbeiter, die Atlan je gewonnen hatte, aber mit seiner Schweigsamkeit konnte er den Bauchaufschneider an den Rand des Wahnsinns treiben. Es hatte keinen Zweck, den ehemaligen Kopfjäger zu drängen. Corpkor sprach dann, wenn er es für nötig hielt. Der Bauchaufschneider zwang sich zur Ruhe. Er setzte sich wieder an den Tisch und wartete. Der Tierbändiger hatte irgendeinen Plan, das war ihm jetzt klar. »Die Seuche könnte wieder aufflackern«, sagte Corpkor sofort wieder in tiefes Schweigen. »Sie könnte. Es wäre natürlich eine Lösung. Die Bevölkerung würde verlangen, daß wir sofort unsere Arbeit wieder aufnehmen, und Arsanonc müßte seine Leute zurückziehen. Aber wir haben unsere Sonden vollzählig abgeschossen. Wie sollen wir die Krankheit erneut verbreiten? Abgesehen davon, daß es nur ein Zeitgewinn wäre – aber helfen könnte es schon. Was hast du vor?« Corpkor bewegte einen Finger, und die Fliege lief auf die Innenseite der Hand. Sie unternahm keinen Fluchtversuch, als die Finger des Tierbändigers sich über ihr schlossen. Corpkor stand schweigend auf und ging zur Tür. Er sah sich nicht nach dem Bauchaufschneider um, der ihm hastig folgte. Draußen auf dem Gang begann Corpkor plötzlich zu sprechen. »Insekten reagieren sehr stark auf bestimmte Gerüche. Diese Fliege hier ist auf Arkoniden eingestellt, genauer gesagt, auf die Duftstoffe, die bei einigen Gemütszuständen durch die Poren der Arkoniden ausgeschieden werden. Diese Duftstoffe sind zu schwach, als daß wir sie wahrnehmen könnten, aber auf meine Fliege wirken sie wie ein Köder. Eine einzelne Fliege könnte natürlich nicht viel ausrichten. Ich habe ein paar Kästen voll von ihnen gezüchtet. Sie gehören
Die Seuchenspezialisten zu den Insekten, die sich ausschließlich vom Blut warmblütiger Lebewesen ernähren. In ihren Speicheldrüsen tragen sie ein Sekret mit sich herum, auf das der Erreger unserer Seuche äußerst heftig reagiert. Sie werden nur Arkoniden stechen – alle Tiere und sonstigen Intelligenzen haben für sie den falschen Geruch.« Fartuloon grinste anerkennend. »Damit kriegen wir Arsanonc«, sagte er zufrieden. »Hoffentlich erwischen ihn auch ein paar von diesen netten Tierchen.« »Er ist gerade auf dem Weg zu unserem Schiff.« Der Bauchaufschneider fragte gar nicht erst, woher Corpkor das wußte. Der Tierbändiger fand überall Lebewesen, die er als Spione und Nachrichtenträger einsetzen konnte. Er wunderte sich auch nicht darüber, daß Corpkor nach diesen langen Erklärungen sofort wieder in Schweigen versank. Er hatte eben gesagt, was seiner Meinung nach gesagt werden mußte. Corpkor hatte sich in einem Lagerraum häuslich eingerichtet. Seine neuentdeckte Fähigkeit, auch Mikroorganismen zu beeinflussen, hinderte den Tierbändiger nicht daran, ständig einige seiner seltsamen Begleiter mit sich herumzuschleppen. Fartuloon reagierte gelassen auf die Anwesenheit dieser Tiere. Seine Aufmerksamkeit galt einigen großen Plastikbehältern, die neben einer geöffneten Schleuse standen. Die in den Raum gekehrten Seiten der Behälter waren durchsichtig. Der Bauchaufschneider musterte das Gewimmel in den Kästen. Unzählige winzige Insekten saßen, krochen und flogen darin durcheinander. Mehrere dünne, mit einer rötlichen Flüssigkeit gefüllte Schläuche waren durch die Innenräume gezogen. An einigen Stellen hingen Trauben von saugenden Fliegen daran. »Verdünntes Kunstblut aus der medizinischen Abteilung«, erklärte Corpkor beiläufig. »Kein sehr gutes Futter für sie. Aber schließlich müssen sie hungrig sein, wenn sie ihre Aufgabe erfüllen sollen.«
33 »Was geschieht, wenn ein paar von diesen kleinen Bestien in die SLUCTOOK eindringen?« Der Tiermeister lächelte flüchtig. Er öffnete die rechte Hand und sah die Fliege an, die unversehrt ins Freie krabbelte. »Sie stechen nicht uns«, betonte er. »Unser Trinkwasser hat einen Zusatz bekommen. Das Zeug wird vom Körper nicht verarbeitet, sondern unverändert ausgeschieden. Es verändert für einige Zeit unseren Geruch.« »Du hast an alles gedacht, wie?« Corpkor hielt es nicht für notwendig, darauf zu antworten. Er machte sich an den Plastikbehältern zu schaffen. Fartuloon griff schweigend mit zu, und wenig später öffnete sich die Rückwand der ersten Kiste. Unwillkürlich wich der Bauchaufschneider zurück, als er das Brausen unzähliger Flügel hörte. Die Insekten schwirrten aufgeregt durcheinander. Es dauerte ungefähr eine Minute, bis sich der erste Schwarm formierte. Fartuloon zog den Kopf ein, als einige tausend Fliegen den Behälter verließen und der Schleuse zustrebten. Corpkor sah den Bauchaufschneider mit einem spöttischen Lächeln an. »Na und?« machte Fartuloon ärgerlich. »Es hätte ja sein können, daß irgendein Fehler in deine Berechnungen geraten ist.« Der Tierbändiger grinste breit. Zehn Minuten später waren alle Behälter leer. Keine einzige Fliege war zurückgeblieben. Nur ein paar tote Insekten lagen auf dem Boden der Kästen. Fartuloon sah aus der Schleuse und stellte zufrieden fest, daß die Insekten nur für sehr kurze Zeit Schwärme bildeten. Es war kaum anzunehmen, daß ein Beobachter auf dem Landefeld etwas gemerkt hatte. Dann fiel ihm etwas anderes ein, und er erschrak. »Was geschieht mit Pejolc, wenn die Biester sich vermehren?« fragte er entsetzt. »Sie sind fortpflanzungsunfähig«, brummte Corpkor unwillig. Der Tierbändiger hielt diese Aktion offensichtlich für abgeschlossen, denn er hockte vor einem offe-
34 nen Käfig und fütterte ein Tier, das eine Schlange hätte sein können. Es hatte allerdings vier Paar kurze Flügel auf seinem Rücken. Fartuloon seufzte und verließ den Lagerraum. Er wußte aus Erfahrung, daß zu diesem Zeitpunkt eine Unterhaltung mit dem Tierbändiger unmöglich war. Er begab sich in die Zentrale, denn er hoffte, bald ein paar Neuigkeiten zu hören. Wenn Corpkors Geheimwaffe zuverlässig arbeitete, konnte es nicht lange dauern, bis die Wirkung eintrat. »Da draußen ist allerhand los«, bemerkte ein junger Arkonide, der die Wache übernommen hatte. »Sehen Sie, diese Gruppe um den Gleiter herum. Man könnte annehmen, die Kerle wären plötzlich verrückt geworden!« Der Bildschirm zeigte in der Tat ein merkwürdiges Bild. Knapp zwanzig Raumsoldaten, die zur Bewachung der SLUCTOOK abgestellt waren, tanzten wie die Rasenden auf dem glatten Boden herum. Sie wedelten dabei mit den Armen, als hätten sie die Absicht, davonzufliegen. Fartuloon grinste. Die ersten Fliegen hatten ihre Opfer bereits gefunden. Er ging von einem Schirm zum anderen, stellte neue Ausschnitte ein und kam zu der Überzeugung, daß die Stadt Keme und deren nähere Umgebung absolut gleichmäßig von den stechenden Insekten verseucht waren. An einigen Stellen traten die Fliegen massenweise auf, aber das geschah meistens weit vom Landefeld entfernt. Nachdenklich fragte er sich, ob auch dieses Verhalten auf Corpkors Umsicht zurückzuführen war. Manchmal wurde ihm der Tiermeister unheimlich. Es war ein Glück, dachte er, daß Atlan diesen Mann nicht mehr zum Feind hatte. Zwei Stunden später gab es in der Stadt eine neue Entwicklung. Von den Fliegen war zu diesem Zeitpunkt nichts mehr zu sehen. Viele von ihnen mochten satt und müde in irgendwelche Schlupfwinkel gekrochen sein, die anderen waren auf dem Wege in
Marianne Sydow die weiter entfernten Siedlungen auf diesem Kontinent. In den Straßen und auf den weiten Plätzen zwischen den Trichterbauten versammelten sich Gruppen von Menschen, die aufgeregt miteinander zu diskutieren schienen. An anderen Stellen rasten Transportgleiter mit dem Emblem des Gesundheitsamtes auf den Seitenwänden in die Parknischen der Gebäude und luden dort Kranke ein. Als sie Kurs auf das Landefeld nahmen, nickte Fartuloon zufrieden. »Da möchte jemand mit Ihnen sprechen!« Der Bauchaufschneider nickte und ließ die Verbindung an seinen Platz umlegen. Es war Arsanonc. Der Gouverneur sah ziemlich mitgenommen aus. Auf seiner linken: Gesichtshälfte leuchteten zwei knallrote Beulen, die sich an den höchsten Stellen bereits bräunlich zu verfärben begannen. Es hatte ihn also auch erwischt. »Es tut mir leid, daß ich Sie und Ihre Leute noch einmal bemühen muß«, krächzte Arsanonc. Die wenigen Wörter reichten, um seine entzündeten Schleimhäute in Verwirrung zu bringen. Fartuloon wartete mit ausdrucksloser Miene, bis der Hustenanfall vorüber war. Arsanonc holte keuchend Luft und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Die Seuche …«, würgte er hervor, dann mußte er abermals aufgeben. »Aha«, sagte Fartuloon bedächtig. »Ich hatte Sie gewarnt, aber Sie hielten sich ja für kompetent genug, in dieser Sache eine eigene Entscheidung zu treffen. Die Krankheit wurde durch die von uns verteilten Medikamente kurz gehalten, und nun macht sie wieder von sich reden, nicht wahr?« Arsanonc keuchte und hustete, wand sich in seinem Sessel und stierte den Bauchaufschneider aus tränenden Augen hilflos an. »Ich werde jemanden zu Ihnen schicken, der Ihnen hilft«, versprach Fartuloon, und Arsanonc mochte den geradezu väterlichen Tonfall als besonderen Hohn empfinden. »Zuvor müßten sie allerdings den Befehl geben, die Wachtposten abzuziehen, damit wir
Die Seuchenspezialisten unserer Arbeit nachgehen können.« Arsanoncs Widerstand war gebrochen – wenigstens für die nächste Zeit. Die Wachen verschwanden spurlos, und eine Stunde später war es, als hätte es sie nie gegeben. Gleiter kamen und gingen, brachten Patienten zur SLUCTOOK und beförderten die angeblichen Seuchenspezialisten in die überbelegten Kliniken.
7. Das Tier war ungefähr zwei Meter lang und einen Meter hoch. Seine Hinterbeine waren fest auf den Boden gestemmt, als es mich mit seinen seltsamen Augen betrachtete. Ich kämpfte gegen die eigenartige Lethargie an, die mich befallen hatte. Ich mußte mich wehren! Der Gedanke war da, aber mit der praktischen Anwendung haperte es. Ich konnte mich kaum von der Stelle rühren. Irgendwie erinnerte mich das an Akon-Akon. Hatte dieses Wesen eine ähnliche Fähigkeit? Mir sträubten sich die Haare, als das Biest den Rachen aufriß und mir sein prächtiges Gebiß zeigte. Kein einziges Mitglied der doppelten Zahnreihe war unter zwei Zentimeter lang. Dann erklang ein maunzender Laut, der mir irgendwie vertraut vorkam. Das Tier schloß den Rachen, betrachtete mich aufmerksam und maunzte abermals. Offensichtlich litt ich unter Halluzinationen, denn ich hatte den Eindruck, das Wort »Freund« vernommen zu haben – stark verstümmelt, aber immerhin verständlich. Als ich mich auch jetzt nicht rührte, kam das Biest langsam auf mich zu. Ich versuchte auszuweichen, aber meine Beine verweigerten mir den Gehorsam. Das Tier blieb dicht vor mir stehen und stieß mit der Nase gegen die Hand mit dem Strahler. »Freund. Komm.« Es konnte keinen Zweifel geben. Ich hatte den Verstand verloren. Ein Wesen dieser Art konnte unmöglich intelligent sein und noch dazu Wörter der arkonidischen Sprache hervorbringen. Woran lag es? Hatten die ver-
35 dammten Pflanzen mich narkotisiert? Oder war es die Wirkung der teuflisch duftenden Frucht auf dem Boden? Du spinnst! stellte das Extrahirn sehr treffend fest. Das Wesen ist intelligent, und wenn du nicht bald zu dir kommst, wird es die Geduld verlieren. Dann stuft es dich vielleicht als hirnlosen Narren ein, womit es nicht einmal Unrecht hätte. Das war zuviel! Ich werde dich operativ entfernen lassen, wenn du noch einmal so mit mir zu reden wagst! drohte ich in Gedanken. Das Extrahirn schwieg, aber ich wußte, daß das kein Zeichen von Einsicht war. Seufzend versuchte ich mich damit abzufinden, daß mein Logiksektor recht hatte. »Wohin?« fragte ich meinen neuen Bekannten. »Weg.« Das war eine sehr informative Antwort. Die pelzige Kreatur schien sie für völlig ausreichend zu halten, denn sie drückte sich an mir vorbei dem Ausgang entgegen. Dabei tauchte aus dem Rückenfell eine kleine, dreifingrige Hand auf, die sich in meiner Uniform verkrallte. Auf diese Weise wurde ich der Entscheidung enthoben, dem Tier zu folgen oder lieber meinen eigenen Weg zu gehen. Draußen wandte sich das Tier, das offensichtlich keines war, nach rechts und damit genau in die Richtung, die mir bereits vorgeschwebt hatte. An der Ecke, als wir die Deckung des Gebäudes verlassen mußten, zerrte die Zusatzhand nachdrücklich an meinem Ärmel. »Hoch!« maunzte es von da, wo der Kopf des Wesens war. Ich verstand nichts. »Setzen!« versuchte es das Wesen auf andere Weise. Es hatte mich in seiner Gewalt, und ich war besten Willens, ihm nicht unangenehm aufzufallen, also traf ich Anstalten, mich auf dem Boden niederzulassen. Damit war die Extrahand jedoch auch nicht einverstanden. »Hochsetzen!« maunzte das Wesen, und
36 diesmal hörte es sich etwas ungehalten an. Die Hand zerrte an mir. Du sollst auf ihm reiten, Dummkopf! Ich schluckte eine bissige Bemerkung herunter und kletterte auf den breiten Rücken des Wesens. Die kleine Hand dirigierte mich an einen Platz, der dem Pelzgeschöpf am angenehmsten war, und dann ging es los. Hätte diese merkwürdige Hand mich nicht festgehalten, so wäre ich schon beim ersten Sprung rücklings abgeworfen worden. Ich klammerte mich mit beiden Händen verzweifelt in das dicke Fell, ohne darüber nachzudenken, ob ich meinem komischen Freund damit etwa weh tat. Wir rasten mit ungeheurer Geschwindigkeit kreuz und quer durch die Siedlung, wobei das Wesen jedoch in den Grundzügen die Richtung auf die Positronik einhielt. Gespenstisch war die Lautlosigkeit, mit der das mächtige Wesen sich bewegte. Es landete trotz seiner mächtigen Sprünge ohne jedes Geräusch immer wieder in den dunkelsten Stellen zwischen den Gebäuden und ging dabei offensichtlich allen gefährlichen Orten gewissenhaft aus dem Wege. Wir sahen keinen einzigen Arkoniden, und es schien, als blieben wir selbst auch unbeobachtet. Dicht neben dem Gebäude, das von Anfang an mein Ziel gewesen war, hetzte die seltsame Kreatur mit mir in einen Tunnel, der unter der leuchtenden Straße hinwegführte. Vor dem Ausgang auf der anderen Seite blieb es plötzlich stehen. Die Extrahand schubste mich ein paarmal, dann hatte ich begriffen und kletterte auf den Boden zurück. »Freund zufrieden?« »Woher wußtest du, daß ich hierher wollte?« fragte ich zurück. »Weiß alles«, behauptete das Wesen, und es hörte sich nicht einmal prahlerisch an. Es hat deine Gedanken aufgefangen, wisperte das Extrahirn. Ich akzeptierte diese Erklärung. »Warum bin ich dein Freund?« wollte ich wissen. Schließlich hätte es jeden interes-
Marianne Sydow siert, warum er in einer solchen Situation unerwartet Hilfe statt Feindschaft gefunden hatte. »Jäger schlecht«, maunzte das Wesen. »Machen Käfig, verkaufen Kinder. Lehren Kinder sprechen und machen sie blind. Jäger mit Köder immer schlecht. Köder wirkt nicht, wenn gute Gedanken kommen.« Ich versuchte, das Ganze zu verarbeiten und in einen vernünftigen Zusammenhang zu bringen. Es schien, als hätten Angehörige dieser Siedlung eine zusätzliche Einnahmequelle entdeckt. Sie fingen diese Wesen, die vielleicht sehr intelligent, aber nicht mehr besonders lernfähig waren. Der Nachwuchs dagegen ließ sich leicht manipulieren. Die meisten reichen Arkoniden kauften auf allerlei Umwegen exotische, möglichst halbintelligente Wesen, um mit ihnen anzugeben. Meine Anwesenheit hatte die Jagd empfindlich gestört. In meinen Gedanken hatte dieses Wesen weder Habgier noch Feindseligkeit entdeckt – darum war ich auch nicht angegriffen worden, als ich hilflos auf dem Boden lag. Und meine Gedanken hatten auf irgendeine Weise verhindert, daß der Köder seine Wirkung tat. Das alles war merkwürdig und nicht ganz durchschaubar, aber ich hatte auch keine Zeit, mich intensiv mit diesen Fragen zu befassen. Eine Frage lag mir allerdings noch am Herzen. Das Wesen hatte mir geholfen, weil ich es vor der Gefangenschaft bewahrt hatte, aber damit waren wir meiner Meinung nach noch nicht quitt. Der Gedanke, daß es in dieser Siedlung trotz allem in der Falle saß, gefiel mir nicht. »Du willst in den Wald zurück?« fragte ich. »Ja.« »Es gibt einen Zaun – eine Energiesperre, falls du weißt, was das ist. Kannst du sie überwinden?« »Ja.« Das änderte die Situation. Diese Wesen konnten also jederzeit kommen und gehen. Aber warum hatte sich mein seltsamer Freund dann in die Gefahr begeben?
Die Seuchenspezialisten Ich mußte die Frage mehrere Male in immer neuer Form stellen, ehe ich eine Antwort erhielt. »Jäger haben Kinder. Kinder in Käfig. Käfig zerbrechen, Kinder mitnehmen.« Eine Rettungsaktion also. Am Ende war das eine Mutter, die ihren eigenen Nachwuchs befreien wollte. Sie mußte selbst mit Arkoniden Kontakt gehabt haben, sonst hätte sie nicht mit mir reden können. »Weißt du, wo der Käfig ist?« »Ja.« »Kannst du ihn zerstören?« »Nein.« »Hast du es schon versucht?« »Ja. Käfig zu stark.« Ich zögerte, dann nahm ich den Strahler. »Ich würde dir gerne helfen, aber ich bin selbst in Schwierigkeiten«, sagte ich langsam und hoffte, daß ich verstanden wurde. »Kannst du mit dieser Waffe umgehen?« Das Wesen bewegte sich unruhig, dann tastete die winzige Extrahand über den Strahler. »Jägerwaffe«, stellte das Wesen fest. »Weiß nicht.« »Hast du schon gesehen, wie sie benutzt wird?« »Ja.« »Sie kann mit einem heißen Strahl den Käfig öffnen.« »Ja. Wie machen?« »Ich stelle die Waffe genau ein. Du mußt sie auf den Käfig richten und dann diesen Knopf drücken. Kannst du das tun?« »Ja.« »Du mußt darauf achten, daß du nicht die Kinder triffst. Sie sollen zur Seite gehen und warten, bis der Käfig kalt ist. Hast du das verstanden?« »Ja.« »Und du darfst nur auf den Kopf drücken, wenn du wirklich auf den Käfig zielst.« Das Wesen schwieg, und mein Extrahirn nutzte die Pause, um mich auf eine Gefahr aufmerksam zu machen, die ich längst erkannt hatte. Diese merkwürdigen Wesen waren die
37 Eingeborenen von Pejolc. Ich hatte nie zuvor von ihnen gehört, obwohl ich mich jetzt daran erinnerte, ähnliche Geschöpfe einige Male gesehen zu haben. Der Handel schien recht schwungvoll zu sein. Es war nur gerecht, wenn ich diesem Geschöpf half, aber natürlich konnte ich es nicht riskieren, daß es mit Hilfe meiner Waffe Rache an den Arkoniden nahm. Ich glaubte allerdings nicht, daß es jemals zu einer solchen Rache kommen könnte. Wenn mein merkwürdiger Freund die Energiesperre nicht als ernsthaftes Hindernis einstufte, dann bedeutete das, daß es jederzeit in die Siedlung eindringen konnte. Es gab immer irgendwo einen Wachtposten, der übermüdet oder abgelenkt war. Ihm eine Waffe zu stehlen, sollte diesem gewandten, lautlosen Geschöpf nicht schwerfallen. Und auch ohne Waffe war es gefährlich genug. Pejolc war seit langem besiedelt, und zweifellos hatte die Ausbeutung der Eingeborenen bereits eine beachtliche Tradition. Sie hatten nie zurückgeschlagen, sondern sich in die Wälder verzogen. Sie würden auch diesmal kein Blut vergießen. Das ist richtig, meldete sich zu meiner Überraschung das Extrahirn. Die Eingeborenen sind ungewöhnlich friedliebend. Sie fangen schließlich auch die Gedanken ihrer Opfer auf, wenn sie töten. Konnte eine solche Lebensform überhaupt den Kampf gegen die Umwelt überstehen? »Kein Kampf!« sagte der Fremde plötzlich und lieferte damit den letzten Beweis dafür, daß meine Vermutungen zutrafen. »Leben drinnen. Alle zusammen. Niemals Kampf.« Eine Symbiose? »Waffe gut. Gut für Käfig. Nicht gut für Jäger. Kein Kampf«, wiederholte es. »Ich glaube dir«, sagte ich nachdenklich. »Du wirst damit nicht töten. Du kannst es wohl gar nicht. Geh und hole deine Kinder da heraus. Bewahre die Waffe auf, damit ihr auch in Zukunft eure Kinder besser beschützen könnt. Aber wende sie nicht gegen die Jäger an. Sie haben zu viele Waffen.«
38
Marianne Sydow
»Ja«, sagte das Wesen. Es stieß seine Nase gegen meine Hand, und ich strich vorsichtig über das weiche Fell. »Danke!« maunzte der Fremde, drückte sich an mir vorbei und verschwand lautlos in der Dunkelheit. Ich blieb eine Weile stehen und dachte über diese Begegnung nach. Merkwürdig, was für seltsame Lebensformen es gab. Dann wurde mir bewußt, daß ich ausgerechnet zu jenem Volk gehörte, das solche Wesen als reine Sammelobjekte betrachtete. Ich schüttelte mich und atmete tief durch. Dann trat ich aus dem Schacht und sah mich um. Zehn Meter von mir entfernt erhob sich die Wand des häßlichen, würfelförmigen Bauwerks. Ich überlegte gerade, wie ich die Wachtposten überlisten könnte, die in diesem Augenblick aus dem Haupteingang kamen, da gab es einen dumpfen Knall. Sirenen begannen zu heulen, und aus einer für mich nicht sichtbaren Öffnung in der Mauer drangen flackernde Helligkeit und fette Rauchwolken. Es schien, als hätten auch andere es auf die Positronik abgesehen.
* Athanik hätte vermutlich einen Tobsuchtsanfall bekommen, wäre ihm bekannt gewesen, was die Wächter der Positronik in den Nachtstunden trieben. Sie schliefen nämlich. Mana-Konyr und der dunkle Zordec hatten sich unter Beachtung sämtlicher Sicherheitsmaßnahmen bis zum Haupteingang geschlichen. Durch Handzeichen gab der Hagere seinem Partner den Befehl, sich zurückzuhalten, dann zog er sich an einem Mauervorsprung hoch und spähte durch das Fenster gleich neben der Tür. Von hier hatte er einen hervorragenden Überblick über die ganze Vorhalle. Direkt unter ihm stand ein Wachtposten. Er wirkte geradezu furchteinflößend, denn er hatte sich bis an die Zähne bewaffnet. Von seinen Kollegen war nichts zu sehen.
Im Positronikzentrum herrschte nachts nur wenig Betrieb. Da ein großer Teil der Spezialisten dank der Seuche gezwungen war, das Bett zu hüten, ließ sich in diesen Nächten noch seltener jemand blicken. Dennoch fand Mana-Konyr es seltsam, daß nur ein Wächter da sein sollte, und er traute dem Frieden nicht. Von unten gab der dunkle Zordec durch ein warnendes Zischen das Nahen einer Gefahr bekannt. Mana-Konyr ließ sich fallen und landete lautlos wie eine Katze neben der Mauer. Der Dunkelhäutige deutete auf die Straße. Eine Horde von Gleitern raste in alarmierendem Tempo heran. Die beiden Ausbrecher hatten keine Zeit mehr, sich ein günstiges Versteck zu suchen. Sie drückten sich in den Schatten und erwarteten jeden Augenblick die Aufforderung, sich zu ergeben. Die Gleiter flitzten vorbei, bogen etwas später von der Straße ab und rasten einem entfernten Punkt der Siedlung entgegen. Mana-Konyr sondierte noch einmal die Lage, und er hatte Glück. Aus einem an die Vorhalle grenzenden Raum tauchte ein zweiter Wächter auf. Seine Uniform war zerdrückt, und er gähnte ungeniert. »Es wird Zeit, daß du kommst«, empfing ihn der mit den vielen Waffen. »Ihr schlaft euch aus, und ich stehe mir hier die Beine krumm!« »Red nicht lange, sondern leg dich hin!« knurrte der Neuankömmling. Durch die sich öffnende Tür sah ManaKonyr die friedlich schnarchenden Wächter, und er grinste. Der Posten in der Halle brummte etwas vor sich hin und stellte sich vor der Tür in Position. Er bewachte nicht nur die Positronik, sondern auch den Schlaf seiner Kollegen. Mana-Konyr kehrte zu dem Dunkelhäutigen zurück. Zordec schien nicht ganz zu begreifen, was der Hagere vorhatte, aber er rannte gehorsam an der Tür aus Panzerplast vorbei. Der Posten merkte natürlich etwas,
Die Seuchenspezialisten aber er konnte nicht genau sehen, was sich vor dem Gebäude bewegte. Mana-Konyr schüttelte fassungslos den Kopf, als er merkte, daß sein schnell gefaßter, nicht gerade raffinierter Plan aufging. Der Wächter verzichtete darauf, seine Kollegen aus ihren süßen Träumen zu reißen. Er öffnete statt dessen die mit mehreren komplizierten Schlössern gesicherte Tür und trat einen Schritt vor, um selbst nach dem Rechten zu sehen. Mana-Konyr sprang lautlos vor. Der Arkonide merkte vermutlich gar nicht, daß er angegriffen wurde, denn der Hagere lähmte sein Opfer mit einer einzigen Bewegung. Er zischte, und der dunkle Zordec trottete mißmutig heran. »Die anderen sind drinnen«, flüsterte Mana-Konyr. »Schaffe diesen Kerl hier weg und paß auf, daß niemand kommt. Ich bin gleich wieder da.« Des dunklen Zordecs Stimmungsbarometer sank immer schneller dem Nullpunkt entgegen. Bis jetzt hatte es für ihn so gut wie gar keine Chance gegeben, seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Er schleppte den Wächter in eine Ecke, die man von draußen nicht einsehen konnte, und dann tauchte Mana-Konyr auch schon wieder auf. »Das wäre erledigt!« stellte der Hagere zufrieden fest. »Sie schlafen mindestens bis morgen früh.« »Es wäre vernünftiger gewesen, ihnen den Hals umzudrehen!« knurrte Zordec ärgerlich. »Keine Angst, mein Freund. Du kommst schon noch auf deine Kosten. Die Schaltzentrale ist immer besetzt, und im Gegensatz zu diesen Trotteln hier werden die Leute da oben hellwach sein.« Zordec folgte seinem Partner zu einem Liftschacht. In seinem Gehirn reifte der Entschluß, auf jeden Fall eine Prügelei herbeizuführen. Wenn es in diesem Gebäude keinen Gegner für ihn geben sollte, dann mußte eben Mana-Konyr selbst als Ersatz herhalten. Diesmal war Zordec gewarnt, und er würde dem Dunkelhäutigen nicht so schnell
39 in die Falle gehen. Der Gedanke an einen solchen Kampf gab ihm neuen Auftrieb. Warum sollte er es nicht gleich versuchen? Er blickte zu Mana-Konyr hinüber, der neben ihm dem nächsten Stockwerk entgegenschwebte. Der Hagere konzentrierte sich völlig auf seine Umgebung. Zordec sah einen Ausstieg, und er spannte sich an. Sein Plan war einfach. Er würde Mana-Konyr an dieser Stelle aus dem Schacht stoßen und dann über ihn herfallen. Im richtigen Augenblick schnellte seine Hand nach vorne, streifte den Hageren an der Schulter und trieb Mana-Konyr der Schachtwand entgegen. Der Arkonide stieß einen überraschten Laut aus, aber er erfaßte die Lage blitzschnell. Er griff nach einer Haltestange und schwang sich geschickt herum. Zordec folgte ihm mit einem wütenden Knurren. Als er den Ausstieg erreichte und Mana-Konyr ein paar Meter weiter kampfbereit dastehen sah, fauchte es über ihm plötzlich. Zordec mochte nicht besonders intelligent sein, aber er besaß die ungeheuer schnellen Reflexe eines erprobten Kämpfers. Sein Verstand hatte die Bedeutung des Geräuschs noch gar nicht erkannt, da handelte sein Körper bereits. Mit ungeheurem Schwung warf er sich herum und prallte auf den Boden der Ringplattform, von der aus zahlreiche Korridore ins Innere des Gebäudes führten. »Ein Paralysator«, flüsterte Mana-Konyr und musterte mißtrauisch die vielen Ausgänge. »Sie haben es also doch gemerkt. Wahrscheinlich gibt es unten in der Halle oder im Schacht selbst eine Warnanlage, die wir nicht gefunden haben. Wir müssen nach oben, ehe sie uns den Weg abschneiden.« Zordec vergaß sein eigentliches Vorhaben, denn hier geschah endlich das, worauf er gewartet hatte. Die Korridore waren hell erleuchtet, obwohl kein Mensch sie zu dieser Tageszeit benutzte. Die Siedlung verfügte offenbar über genug Energie. Sie liefen den erstbesten Gang entlang
40 und trafen auf einen anderen Liftschacht. Mana-Konyr schüttelte den Kopf, als Zordec nach oben deutete, und sie hetzten weiter. Ungefähr zwanzig Meter, dann kamen sie an eine Rampe. Oben war es still. Mana-Konyr legte den Finger über die Lippen und steckte den Kopf um die Ecke. Er zog ihn gerade noch rechtzeitig zurück. Ein Glutstrahl fauchte an ihm vorbei und schmolz eine lange Rinne aus kochendem Plastikmaterial in den Boden des oberen Korridors. Zordec tippte dem Hageren von hinten auf die Schulter und deutete auf einen anderen Eingang. Der Hagere nickte, kauerte sich hinter der Wand zusammen und wartete ab. Es dauerte eine ganze Weile, bis Zordec auf Umwegen dem Gegner in den Rücken fallen konnte. Mana-Konyr beschäftigte die unsichtbaren Feinde nach besten Kräften, damit sie nicht etwa auf dumme Gedanken kamen. Binnen weniger Minuten sah der Korridor aus, als hätte ein Miniaturvulkan ihn mit Lava überflutet. Es war Glück für Mana-Konyr und ausgesprochenes Pech für seine Gegner, daß die Klimaanlage den stinkenden Qualm nach links zog. Der Hagere grinste schadenfroh, als er von dort krampfhaftes Husten hörte. Von da an ließ die Aufmerksamkeit der Gegner spürbar nach. Außerdem besannen sie sich endlich darauf, daß man im Innern eines Gebäudes besser die Paralysatoren einsetzen sollte. Da aber war es für einen solchen Entschluß schon zu spät. Mana-Konyr zuckte zusammen, als er ein urwelthaftes Gebrüll vernahm. Dann polterte und krachte es, Schmerzenslaute und grauenhaftes Stöhnen hallten durch die Gänge, und schließlich war es still. Vorsichtig wagte Mana-Konyr sich vor. Er mußte rennen, um zu Zordec zu gelangen, denn der Boden unter seinen Füßen war noch immer heiß. Düster starrte er auf die Leichen von vier Männern und zwei Frauen. Technische Spezialisten, wie sich an ihrer Kleidung unschwer erkennen ließ. Sie hatten zwar Waffen gehabt, aber die hatten ihnen nichts
Marianne Sydow genützt. Zordec grinste und starrte Mana-Konyr herausfordernd an. Der Hagere zuckte die Schultern. Es hatte wohl wirklich wenig Sinn, diesem Ungeheuer in Menschengestalt Vorwürfe zu machen. Sie waren ihrem Ziel um ein gutes Stück näher gekommen. Schnell und wachsam folgten sie dem Korridor, in dem die Verteidiger der Positronik ums Leben gekommen waren. Sie trafen genau auf den Hauptliftschacht. An einem der Eingänge auf der Ringplattform war ein Hinweisschild angebracht worden. »Zentrale.« Mana-Konyr las es und wunderte sich abermals über den Leichtsinn der Arkoniden. Aus dem betreffenden Gang schlug ihnen wütendes Feuer entgegen. Allerdings beschränkte man sich in so direkter Nähe der Schaltzentrale von vornherein auf Paralysatoren. Dennoch war der Aufenthalt unbequem. Zordec grinste und huschte wie ein düsterer Schatten zu dem nächsten Eingang. Mana-Konyr machte den Mund auf, um ihn zurückzurufen, aber er ergab sich resignierend der bitteren Erkenntnis, daß keine andere Möglichkeit bestand, wenn er in die Zentrale gelangen wollte. Und das wollte er höchst ernsthaft. Er hatte nichts gegen die Arkoniden, die da vorne Wache hielten – im Gegenteil, er wünschte, er hätte ihnen die Bekanntschaft mit dem Dunkelhäutigen ersparen können. Aber sie standen zwischen ihm und der Positronik. Ein eigenartiges Fieber erfaßte den hageren Mann, als er an das dachte, was vor ihm lag. Diesmal wurde die Wartezeit unerträglich lang. Mana-Konyr fragte sich besorgt, ob Zordec etwa den Weg nicht fand oder sogar auf eine andere Gruppe von Wächtern gestoßen war. Seine Nervosität wuchs, als er die fauchenden Entladungen von Paralysatoren vernahm, die sich jenseits der Zentrale zu befinden schienen. Er zog den Nadler aus
Die Seuchenspezialisten der Tasche, den er dem Mann in der Lagerhalle abgenommen hatte, und betrachtete ihn zögernd. Die Reichweite war ungefähr identisch mit der eines Paralysators, aber im Gegensatz zu einer energetischen Waffe mußte man mit diesem kleinen Ding genau zielen. Und dazu würde ihm keine Zeit bleiben. Plötzlich änderte sich die Geräuschkulisse. Schreie, Poltern – dann das Trampeln mehrerer Füße, das sich rasch näherte. Mana-Konyr schaltete blitzschnell. Er steckte die Waffe weg und hob kampfbereit die Hände. Sie sahen aus, als wären sie den Dämonen der Finsternis über den Weg gelaufen. An ihre Paralysatoren dachten sie längst nicht mehr, ihr einziger Wunsch war die sofortige Flucht. Unter entsetztem Stöhnen jagten sie auf den Antigravschacht zu. Drei Männer und vier Frauen, von denen eine deutliche Spuren eines schweren Kampfes trug. Mana-Konyr kam über sie wie ein Orkan. Mit Händen und Füßen schlug und trat er nach ihnen, und jeder Schlag war ein Sieg. Die total verwirrten Arkoniden waren unfähig, sich auf diesen lautlos kämpfenden Mann umzustellen. Er trug und schleppte seine Opfer in einen Gang, der nach wenigen Metern einen Knick hatte. Dort waren diese Leute vorerst sicher untergebracht. Dann machte er sich auf den Weg zur Schaltzentrale. Der dunkle Zordec hatte seine Chance wahrgenommen. Mana-Konyr zuckte unwillkürlich zurück. Er hatte nicht gedacht, daß noch so viele Techniker zu dieser späten Stunde in der Zentrale arbeiteten. Vermutlich hing es mit den KAYMUURTES zusammen. Zwanzig Gestalten lagen auf dem Boden, zum Glück waren nur drei Frauen darunter. Mana-Konyr hatte etwas gegen den Anblick von Leichen, besonders dann, wenn diese weiblichen Geschlechts waren. Für einen Augenblick schauderte ManaKonyr vor dem, was er indirekt angerichtet hatte. Warum mußte er dieses Monstrum unbedingt mitnehmen? »Wie geht es weiter?«
41 Er zuckte zusammen und drehte sich blitzschnell um. Zordec tauchte in einem anderen Eingang auf. Den braunen Umhang hatte er inzwischen abgeworfen. Auf seiner fleckigen Haut glänzte der Schweiß, und es gab auch ein paar Blutflecken. Beinahe mit Genugtuung registrierte Mana-Konyr einen tiefen Riß, der quer über die Schultern des Dunkelhäutigen lief. Wenigstens ein Opfer hatte sich also noch wehren können. »Du solltest dich jetzt ausruhen«, sagte Mana-Konyr bedächtig. »Der Rückzug wird schwierig werden. Du brauchst deine Kräfte noch. Das hier ist meine Arbeit.« »Arbeit!« Zordec spuckte verächtlich auf den Boden. Mana-Konyr biß sich auf die Lippen. Die Situation wurde gefährlich. Er spürte die nahende Gefahr beinahe körperlich. Der Kampf hatte in Zordec eine Schranke geöffnet. Der Dunkelhäutige befand sich in einem gefährlichen Rauschzustand. Vielleicht war Zordec tatsächlich wahnsinnig? Er hatte einmal gehört, wie sich zwei Wächter darüber unterhielten. Der eine vertrat die Meinung, daß Zordec gar nicht in ein Gefängnis gehörte, sondern in ärztliche Obhut, weil er nämlich für seine Taten nicht verantwortlich sei. »Bring die Toten weg!« befahl ManaKonyr scharf. Er hatte die ungewisse Ahnung, daß er jetzt keinen Millimeter Boden verlieren durfte. Es fiel Mana-Konyr jedoch nicht leicht, einen klaren Kopf zu behalten. Direkt vor ihm leuchteten die vertrauten Schalter. Die Positronik schien nur auf ihn zu warten. Zordec schleppte die Arkoniden nach draußen, und der Hagere schritt wie hypnotisiert auf die Schalttafeln zu. Er kannte viele Tricks. Zum Beispiel gab es da ein paar Schaltungen, die – wenn sie zu schnell aufeinanderfolgend ausgeführt wurden – einen Kurzschluß hervorriefen. Natürlich gab es eine Absicherung gegen solche Pannen, aber sie war zu umgehen. Beinahe instinktiv legte Mana-Konyr die
42 Finger auf eine Reihe von Sensorschaltern. Seine Hände bewegten sich wie selbständige Wesen. Er spürte das Vibrieren, das kaum wahrnehmbar das ganze Gebäude erfüllte. Sein Gegner! Während er das Ergebnis seiner Manipulationen abwartete, dachte er bedauernd daran, daß er dieser Positronik nicht so zu Leibe gehen konnte, wie er es sich eigentlich wünschte. Die verdammten Maschinen machten sich zu wahren Herren über ihre Schöpfer. Ganz unauffällig hatten sie sich in alle Bereiche des Lebens geschlichen, und ohne die Positroniken geschah fast nichts mehr im Imperium. Überall gab es Verbindungsstellen, sie überwachten jeden Menschen vom Augenblick seiner Geburt bis zu seinem Tode. Sogar darüber hinaus, und dies zeitlich gesehen nach beiden Richtungen. Mana-Konyr wünschte sich einen großen Vorschlaghammer und eine gewaltige Drahtschere. Und eine Positronik, die voll funktionsfähig war, deren Sicherheits- und Abwehranlagen jedoch ausgeschaltet waren. Er stellte sich eine solche Gelegenheit als den Höhepunkt seines Lebens vor. Und er wußte, daß dieser Traum niemals in Erfüllung gehen würde. So eine Positronik ist ein ungeheuer teures Gerät. Sie wurde daher nicht nur von außen bewacht, sondern besaß einen unerhört starken Selbsterhaltungstrieb, der in der Grundprogrammierung verankert war. Sie durfte zwar auf keinen Fall das Leben eines Arkoniden gefährden, indem sie sich gegen ihn wehrte, aber sie konnte passiven Widerstand leisten. Darin lag die Gefahr für Mana-Konyr. Es war schon oft geschehen, daß eine Maschine sich einfach ausschaltete, wenn er begann, sich mit ihr zu beschäftigen. Damit brachte sie den Hageren auf geradezu beleidigend einfache Weise um seine Rache. Irgendwo in diesem Gebäude rumpelte es. Mana-Konyr stieß einen triumphierenden Schrei aus. Zur gleichen Zeit hörte er von draußen das Fauchen einer Waffe. Der dunkle Zor-
Marianne Sydow dec brüllte vor den Eingängen zur Schaltzentrale, als ein lähmender Energiestrahl ihn streifte und seinen rechten Arm in ein nutzloses Anhängsel verwandelte. Blind vor Wut stapfte er zurück, sah Mana-Konyr, der ihn mit weitaufgerissenen Augen anstarrte, und stürzte auf ihn zu.
8. Im Positronikzentrum ging es zu wie in einem Tollhaus. Irgendwo fauchten Schüsse, und der ersten, ziemlich heftigen Explosion folgten zahlreiche kleinere. Die wenigen Arkoniden, die sich zu diesem Zeitpunkt am Ort des Geschehens aufhielten, rannten kopflos umher. Es war kein Kunststück, in diesem Durcheinander in das Gebäude zu gelangen. Als ich die Vorhalle durchquerte, sah ich die schlafenden Wächter hinter einer halboffenen Tür. Die Burschen rührten sich nicht von der Stelle, und das fand ich ausgesprochen merkwürdig. Ich benutzte den zentralen Liftschacht, um in die oberen Stockwerke zu gelangen. Im Gegensatz zu sonstigen Gepflogenheiten hatte man hier die Schaltzentrale nicht in den Kellergeschossen untergebracht. Das war ein weiterer Beweis dafür, daß sich die Arkoniden auf der Insel Ulfwahr völlig sicher fühlten. Mit Recht, denn den Ablauf oder die Vorbereitungen zu den KAYMUURTES zu stören, war ungefähr genauso verwerflich, wie einen Tempel zu entweihen. Dennoch empfand ich es als einen unverantwortlichen Leichtsinn, daß man etwaigen Übeltätern den Weg mit Hinweisschildern zeigte. Im Schacht begegneten mir ein paar Leute, die nervös mit ihren Waffen herumfuchtelten, dadurch aber eher noch hilfloser wirkten. Techniker, Wartungspersonal und Wissenschaftler ließen sich ratlos mal in diese, mal in jene Richtung treiben. Ich hielt einen älteren Mann am Ärmel fest, um mir Informationen zu verschaffen.
Die Seuchenspezialisten »Was ist denn los?« »Eine Horde von Verrückten ist in die Schaltzentrale eingedrungen«, stotterte der Mann verängstigt. »Sie haben schon eine Menge Leute getötet. Niemand kommt an sie heran. Der eine ist ein richtiges Ungeheuer. Ein Kerl mit schwarzer Haut, ziemlich klein, aber unüberwindbar. Es ist gräßlich. Sie hätten die Leichen sehen sollen. Er hat ihnen sämtliche Knochen gebrochen.« Ich ließ den Alten los und stieß mich ab, um schneller voranzukommen. Allmählich verdichtete sich der Verdacht, mit wem ich es zu tun hatte. Irgendwie war es dem dunklen Zordec und dem hageren Arkoniden gelungen, aus ihren Zellen auszubrechen. Vielleicht trug ich sogar indirekt die Schuld daran. Meinetwegen hatte der Wächter die Türen geöffnet. Und dieser Wächter war krank und arg geschwächt. In solchem Zustand machen selbst die zuverlässigsten Leute Fehler. Ich packte die Gelegenheit beim Schopf und hielt die nächste Gruppe von Arkoniden an. »Wo sind die Ausbrecher jetzt?« fragte ich sie. »In der Zentrale.« »Welche Wege gibt es, um zu ihnen zu kommen?« Erst jetzt erkannte einer der Techniker die Uniform, in der ich steckte. »Es wird Zeit, daß einer von euch sich um diese Kerle kümmert«, stellte er fest. »Wie konnte so etwas überhaupt geschehen? Wissen Sie, wieviele Tote wir bereits gefunden haben? Und jetzt sitzt diese Bande von Wahnsinnigen in der Zentrale und zerstört alles, was ihr in die Finger kommt!« »Erstens«, sagte ich betont ruhig, »handelt es sich nicht um eine Bande, sondern um nur zwei Männer. Zweitens wären sie nicht so weit gekommen, wenn Ihre Wächter besser aufgepaßt hätten. Geben Sie mir eine von diesen Waffen und zeigen Sie mir den Weg. Ich brauche einen Gang, der nicht allzu häufig benutzt wird.« Der Techniker brummte und knurrte zwar
43 unwillig vor sich hin, tat aber, was ich ihm gesagt hatte. Er wurde sogar recht freundlich, als er merkte, daß ich es alleine mit den Ausbrechern aufnehmen wollte. Natürlich war ich nicht wild darauf, einen Kampf zu bestehen. Aber ich sah eine phantastische Chance, ganz alleine mit der Positronik zu sein. Eine bessere Gelegenheit würde sich niemals finden. Vorher mußt du die beiden Ausbrecher zur Vernunft bringen, sagte das Extrahirn. Das Biest hatte die vertrackte Fähigkeit, überall ein Haar in der Suppe zu entdecken. Ich habe ja einen Paralysator, gab ich lautlos zurück. Diese Arkoniden sind auch bewaffnet. Trotzdem haben sie den Kampf verloren. Sie wurden überrascht. Und wie es aussieht, sind sie nicht gerade sehr mutig. Es wird eine Weile dauern, bis sie vernünftige Entschlüsse fassen. Hoffentlich. Sonst fangen sie dich gleich mit ein. Wir hatten den Zugang, den der Techniker mir zeigen wollte, erreicht, und ich beendete das lautlose Gespräch. Der Korridor war schmal und gewunden. Die in seiner Decke eingelassenen Leuchtkörper verbreiteten trübes, gelbliches Licht. »Ein Reparaturschacht«, erklärte der Techniker leise. »An seinem Ende gibt es einen Ausstieg, durch den Sie direkt in die Zentrale geraten. Der Kontakt für das Schott befindet sich an der rechten Wand. Sie können ihn nicht verfehlen.« »Gut«, sagte ich. »Ich werde da hindurchgehen und versuchen, die beiden Ausbrecher zu paralysieren. Wenn ich es geschafft habe, gebe ich ein Signal. Was schlagen Sie vor?« »Neben dem Haupteingang gibt es an der Innenwand eine Schaltleiste. Der schwarze Knopf genau in der Mitte löste allgemeinen Alarm aus. Leider ist bei dem Überfall niemand dazu gekommen, auf diesen Knopf zu drücken. Meinen Sie wirklich, daß Sie es alleine schaffen? Soll ich Sie lieber begleiten?« Das fehlte mir noch! Erstens legte ich ja
44 gerade Wert darauf, ungestört zu sein, und zweitens schlotterte der Kerl vor Angst beim bloßen Gedanken, sich in unmittelbare Nähe der Zentrale zu begeben. »Ich werde schon mit den Kerlen fertig«, lehnte ich deshalb ab. »Verständigen Sie inzwischen so viele Mitarbeiter wie möglich von meinem Vorhaben. Sonst kommt es infolge des Alarms zu noch mehr Unordnung!« Der Techniker verschwand erleichtert. Ich zog die Stiefel aus, die ich mit der Uniform übernommen hatte, und lief los. In den Seitenwänden gab es zahlreiche Türen, Klappen und Luken. Einige waren geöffnet. Als ich an der dritten Tür von rechts anlangte, blieb ich wie festgenagelt stehen. Ein Kampfroboter starrte mich mit seinen roten Kunstaugen an. Die Maschine bewegte sich nicht – warum? Sie hätte mich als unerwünschten Eindringling angreifen müssen. Wo blieben überhaupt die Roboter? Sie waren doch am ehesten geeignet, dem Spuk in der Zentrale schnell und gründlich ein Ende zu bereiten! Dieser hier ist nicht aktiviert! Ich atmete tief durch und rannte weiter. Das Rätsel blieb bestehen. Selbst wenn das arkonidische Bedienungspersonal blitzartig ausgeschaltet wurde, hatte eine Positronik dieser Größenordnung immer noch zahlreiche Möglichkeiten, sich zu wehren. Ich erreichte das Schott und blieb ein paar Sekunden stehen. Während ich meine Lungen dazu zwang, zu einem ruhigen Atemrhythmus zurückzukehren, lauschte ich angestrengt. Aber das Schott ließ kein Geräusch zu mir vordringen. Ich überzeugte mich davon, daß der Paralysator schußbereit war, dann drückte ich auf den Kontakt, und das Schott wich zischend vor mir zurück. In der Mitte des Schaltraums bewegten sich zwei Gestalten. Sie waren so in ihren Kampf verstrickt, daß sie mich gar nicht bemerkten. Ich hob den Paralysator, aber ich nahm mir die Zeit, die beiden Ausbrecher wenigstens für einen Augenblick zu beob-
Marianne Sydow achten. Was ich sah, bewies meine erste Annahme. Zordec war wirklich ein Gegner, den man auf keinen Fall unterschätzen durfte. Er besaß alles, was ein Kämpfer brauchte. Kraft, Schnelligkeit und jenes Quantum animalischer Instinkte, das man durch Training nicht vermitteln kann. Hinzu kam bei ihm eine bis zum Wahnsinn übersteigerte Freude am Kampf. Er wollte töten, das merkte man in jeder seiner Bewegungen. Aber er hatte einen Gegner, der ihm auf unheimliche Weise zumindest gleichwertig war. Mana-Konyr tänzelte mit federleichten Schritten um den wuchtigen Dunkelhäutigen herum. In der kurzen Zeit, in der ich diesen Kampf verfolgte, landete Zordec nur einen Schlag. Mana-Konyr wurde nicht voll getroffen, und er schien kaum etwas zu spüren, aber das bewies lediglich, daß der Hagere allerhand einstecken konnte. Er revanchierte sich redlich. Er war flink, und seine Schläge kamen ansatzlos und treffsicher. Sie waren nicht hart, aber sie erzielten eine erstaunliche Wirkung. Fassungslos beobachtete ich, wie ManaKonyr scheinbar spielerisch das linke Handgelenk des Dunklen berührte. Zordec brüllte wie ein verwundetes Tier und stampfte wütend vorwärts. Seine rechte Hand hing wie ein schlaffer Lappen herab. Er versuchte, dem Hageren den Ellbogen unters Kinn zu rammen, aber gleichzeitig traf Mana-Konyr ihn mit der Fußspitze am Knie. Zordec brach zusammen, rappelte sich mühsam auf und zog dabei das eine Bein nach. Die Zeit läuft ab! mahnte das Extrahirn. Dieser Kampf war so unglaublich, daß ich fast mein eigentliches Vorhaben vergessen hätte. Hastig zielte ich, dann erfaßte der breitgefächerte Strahl die beiden Ausbrecher. Der dunkle Zordec fiel zuerst, ManaKonyr folgte ihm eine halbe Sekunde später. Ich sprang auf den Boden hinunter und rannte zu den Hauptkontrollen. Schon lange hatte ich mir meine Fragen genau zurechtgelegt. Endlich würde ich erfahren, ob der
Die Seuchenspezialisten Trick gelungen war. Hatte man mich hier auf Pejolc als Teilnehmer der Amnestie-KAYMUURTES registriert und anerkannt? Ich streckte die Hand aus – und dann sah ich, was geschehen war. Die Enttäuschung war so groß, daß ich mich in den erstbesten Sessel fallen ließ. Es war alles umsonst gewesen. Das ganze Unternehmen war ein einziger Fehlschlag. Die Seuche, das Schiff, das wir gekapert hatten, das ungeheure Risiko, das wir eingingen, als wir nach Pejolc kamen – alles umsonst. Ich würde nichts erfahren. Gar nichts. Denn die Positronik war nicht in Betrieb. Sie hat sich ausgeschaltet, stellte der Logiksektor fest. Der erste Anschlag galt den Abwehrblöcken und den Kontrollen über die Kampfroboter. Danach hatte die Maschine nur eine vernünftige Möglichkeit. Darum war der Roboter desaktiviert! Die Ausbrecher konnten nach diesem Schachzug nicht mehr viel Unheil anrichten. Die paar Schalttafeln, die es hierzu zerstören gibt, sind entbehrlich. Es kam darauf an, die gespeicherten Daten zu erhalten. »Großartig!« murmelte ich. »Die klare Logik deiner Erklärungen ist wieder einmal überwältigend. Darf man fragen, warum du erst jetzt damit ankommst?« Das Extrahirn schwieg. »Na schön«, sagte ich schließlich zu mir selbst. »Bringen wir es hinter uns.« Ich untersuchte kurz die beiden Ausbrecher und überzeugte mich davon, daß sie kein weiteres Unheil anrichten würden. Anschließend löste ich den Alarm aus und hastete dann durch den Reparaturgang davon. Vor der Ringplattform hielt ich an und sondierte die Lage. Eine Horde aufgeregter Arkoniden stand vor dem Hauptzugang und diskutierte lautstark. Der dunkle Zordec und sein Begleiter hatten die Bewohner dieses Stützpunkts an einer empfindlichen Stelle getroffen. Es herrschte allgemeine Verwirrung. Es dauerte eine ganze Weile, bis man endlich beschloß, wenigstens einmal nach-
45 zusehen. Ich zog mir die Stiefel wieder an und beobachtete, wie zunächst zwei Männer in Uniform in den Korridor eindrangen. Kurz darauf verstummte das durchdringende Geheul der Sirenen, und statt dessen erscholl triumphierendes Gebrüll. Das war das Startsignal. Die Helden stürmten in Richtung Zentrale davon, und mir wurde angst und bange bei dem Gedanken, was sie mit den Ausbrechern anstellen würden. Ich hoffte, sie würden auf Rache verzichten. Ich selbst hatte allen Grund, den beiden dankbar zu sein. Auch wenn sie letztlich daran schuld waren, daß ich mein eigenes Ziel nicht erreichte, so erleichterten sie mir durch das Aufsehen, daß sie erregt hatten, wenigstens den Rückzug. Die Nachricht davon, daß die beiden Störenfriede endlich besiegt waren, schien sich mit Lichtgeschwindigkeit auszubreiten. Der Schacht war voll von Männern und Frauen, die an diesem Ort sicher nichts zu suchen hatten. Die Neugier trieb sie nach oben. Hoffentlich blieb es so! Ich trat unangefochten durch die breite Tür auf die Straße hinaus – und plötzlich drückte sich ein harter Gegenstand gegen meinen Rücken. »Keine falsche Bewegung!« warnte mich ein scharfes Flüstern. Es mußte ja so kommen. So viel Glück auf einmal kann nicht lange anhalten, dachte ich und blieb stocksteif stehen. »Da hinüber!« befahl das scharfe Flüstern, und der Druck der Waffe gab mir die Richtung an. Wir traten von der Straße weg in die Dunkelheit, die jetzt schon der Dämmerung wich. Über dem Meer färbte sich der Himmel rötlich. Ich stapfte wütend neben der Straße her und überlegte, wie ich es diesmal anstellen sollte. Es erschien mir wie ein Hohn, daß jetzt, nach all den Gefahren, die ich glücklich überstanden hatte, doch noch das Ende kam. Denn das würde es sein. Athanik wartete ja nur darauf, daß einer der angeblichen Seuchenspezialisten einen Fehler beging. Ich hatte nicht eine einzige glaubhafte Ausrede
46 dafür, daß ich mich außerhalb der Krankenstation befand und noch dazu in der »geliehenen« Uniform eines Wächters steckte! Kurz vor dem Trichterbau kam der Befehl, anzuhalten. »Hören Sie mir gut zu!« befahl die Flüsterstimme. »Ich werde nichts wiederholen! Ich habe einen Nadler. Den werde ich in die Tasche stecken, und wenn Sie sich falsch verhalten, schieße ich auf sie. Sie werden mit mir in dieses Gebäude gehen und mich in die Krankenstation bringen. Wenn jemand Ihnen Fragen stellt, dann sagen Sie, daß sie von Athanik selbst den Befehl erhalten hätten, mich bei den Seuchenspezialisten abzuliefern. Haben Sie verstanden?« »Was wollen Sie wirklich in der Krankenstation?« fragte ich, während ich fieberhaft überlegte. Ich war mir meiner Sache beinahe sicher, aber durfte ich das Risiko eingehen? Wenn ich mir irrte … »Das geht Sie nichts an!« sagte mein Begleiter und vergaß diesmal, zu flüstern. »Sie irren sich, Vayhna«, erwiderte ich halblaut. »Ihr Gedächtnis scheint sich Stimmen auch nicht gerade gut zu merken.« Sie holte zischend Luft, dann verschwand das harte Ding, daß mir ein Loch in den Rücken zu bohren versuchte. Ich drehte mich vorsichtig um. »Wie kommen Sie hierher?« fragte sie verblüfft. »Diese Uniform …« »Ich erkläre es Ihnen später«, versprach ich. »Jetzt müssen wir sehen, daß wir unauffällig an unseren Platz zurückkommen. Wir haben uns Sorgen um sie gemacht. Wo waren Sie?« »Ein Geheimagent hat mich erwischt. Einer von Errelikons Leuten.« Ich erschrak. »Er ist tot. Als er mich umbringen wollte, erschienen die beiden Gefangenen, von denen Sie erzählt haben. Der Dunkelhäutige hat den Agenten umgebracht.« »Geben Sie mir Ihre Waffe«, bat ich. »Es sieht besser aus, wenn ich sie trage.« Sie hob die Hände und ließ ein rundes
Marianne Sydow Stück Metall fallen. »Ich fand es in dem Gleiter, in den ManaKonyr und sein Freund mich gesteckt hatten, nachdem dieser Hagere mich ausgeschaltet hatte. Tut mir leid.« Ich mußte lachen. »Dafür brauchen Sie sich nun wirklich nicht zu entschuldigen«, murmelte ich. »Es ist natürlich ein uralter Trick, aber Sie haben es wirklich gut gemacht. Gehen wir. Die anderen werden schon auf uns warten.«
* Wir hatten Glück. Ein Teil der Wächter war wegen des Überfalls auf die Positronik abgezogen worden, die anderen waren mit ihren Gedanken offensichtlich ebenfalls im Nebengebäude, wo sich wenigstens etwas ereignete. Niemand beachtete uns weiter, als wir durch die Vorhalle zum Liftschacht gingen. Ein paar Blicke streiften uns, aber das war auch schon alles. Sorgen bereiteten mir nur die Posten, die uns direkt vor der Krankenstation erwarteten. Sie waren nicht da. Die Tür stand offen, von den Uniformierten fehlte jede Spur. Dafür wartete Hattan auf uns. Er schien nervös zu sein – ein beunruhigendes Zeichen. »Schnell!« flüsterte er uns zu. »Kommen Sie! Stellen Sie jetzt keine Fragen, dazu haben Sie nachher noch Zeit!« Wir folgten ihm durch die Gänge. Hattan ging schnell, am liebsten wäre er wohl gerannt, aber das erschien ihm als zu auffällig. Ich zerbrach mir den Kopf darüber, was geschehen sein mochte. Eine bestimmte Ahnung stieg in mir auf, als Hattan uns in das Zimmer lotste, in dem immer noch der Wächter lag. »Ziehen Sie das Zeug aus!« sagte Hattan zu mir. »Athanik spricht mit Rec. Wir sollen uns alle dort einfinden. Bis jetzt konnten wir ihn vertrösten. Sie sind offiziell in einer dringenden Angelegenheit innerhalb der Station beschäftigt.« »Besorgen Sie Vayhna einen sauberen Kittel«, befahl ich, während ich bereits aus
Die Seuchenspezialisten der Uniform stieg. Die Arkonidin hatte bereits begriffen. Sie stürzte zum Waschbecken und säuberte sich das Gesicht. Auch ich wusch die aufgeschminkten Spuren der Seuche ab. »Sie haben sich verlaufen!« sagte ich zu Vayhna. »Haben Sie sich die Gänge gemerkt, durch die der Agent sie geschleppt hat?« Sie nickte. »Dann reden Sie ruhig davon. Aber von den unterplanetarischen Anlagen sollten Sie lieber nichts erwähnen. Auf keinen Fall darf Athanik erfahren, daß ein Agent die Finger im Spiel hatte. Das könnte ihn auf noch mehr dumme Gedanken bringen. Sie sind einfach herumgeirrt, haben irgendwo ein paar Stunden geschlafen und anschließend den Rückweg von selbst gefunden.« »Es gibt Terrassengärten.« »Großartig. Dort haben Sie ein idyllisches Plätzchen für eine Pause gefunden.« Hattan kehrte mit einem Kittel zurück. Wir zogen uns um und brachten unser Äußeres in Ordnung, während Hattan in aller Eile die Uniform des Wächters von den eingehefteten Verbandspäckchen befreite. »Das eine Hosenbein ist hinüber«, stellte er fest. »Da läßt sich nichts machen. Wenn der Bursche aufwacht, wird er Fragen stellen.« Die verfressene Rankpflanze hatte es tatsächlich geschafft, einen mindestens zehn Zentimeter breiten Streifen Stoff abzutrennen. »Werfen Sie das Zeug in den Abfallschacht«, entschied ich. »Die Verbandpäckchen samt Klebestreifen ebenfalls. Uns wird schon eine Ausrede für den Wächter einfallen.« Dann machten wir uns auf den Weg zu Rec. Dort wartete nicht nur Athanik auf uns. Auch Tahakoor war anwesend. Er lächelte zufrieden vor sich hin, während Athanik offensichtlich verlegen wirkte. Sie haben ein schlechtes Gewissen, stellte das Extrahirn sofort fest. Ihr habt Glück ge-
47 habt. »Wir möchten uns in aller Form bei Ihnen entschuldigen«, wandte Tahakoor sich an die versammelte Gruppe. »Der Verdacht, den bestimmte Leute hegten, hat sich als restlos unbegründet erwiesen. Die Überwachung wurde aufgehoben. Ich hoffe, daß Sie uns verzeihen werden.« Rec saß hinter seinem Arbeitstisch. Er hatte die Hände flach auf die Platte gelegt und lächelte Tahakoor freundlich an. »Wir sprachen bereits darüber«, winkte er ab. »Wie steht es mit Ihnen, Athanik!« »Es tut mir leid«, murmelte der Arkonide, und es war ihm deutlich anzusehen, daß er innerlich kochte. »Sie können nun selbstverständlich nach Ihrer Mitarbeiterin suchen – ich habe damit wirklich nichts zu tun. Ich hoffe, daß Sie mir das glauben werden.« »Aber gewiß doch«, sagte ich spöttisch. Athanik drehte sich hastig um. Seine Augen weiteten sich, als er Vayhna neben mir stehen sah. »Sie hatte sich lediglich verlaufen. So etwas soll ja vorkommen, nicht wahr?« Er starrte mich an, und in seinen Blicken konnte man lesen, wie in einem offenen Buch. »Unterwegs hatte sie einen kleinen – hm – Zusammenstoß mit einem komischen Kerl, der ihr die ungeheuerlichsten Anschuldigungen an den Kopf warf. Wie hieß er noch?« »Thar«, antwortete Vayhna. »Er sagte, er wäre Geheimagent. Wenn Sie mich fragen, so war er ein nicht besonders begabter Schnüffler von der übelsten Sorte. Er wollte mich umbringen, aber er hatte sich in seinen Kräften wohl ziemlich verschätzt. Ich habe ihn abgehängt – Sie sollten nach ihm suchen, Athanik. Als ich ihn verließ, befand er sich in einem Antigravschacht. Er wollte nach unten – wer weiß wohin.« »Ich kenne keinen Mann mit diesem Namen!« wehrte Athanik hastig ab. »Wirklich, es ist mir unbegreiflich, wie so etwas geschehen konnte. Ich werde sofort nachfragen und die Schuldigen …« »Schon gut«, wurde er von Rec unterbrochen. »Halten wir uns nicht mit diesen Din-
48 gen auf. Der Planet Pejolc wird uns auch ohne dieses Ereignis in keiner guten Erinnerung bleiben. Nachdem nun alles geklärt ist, werden wir schnellstens unsere Arbeit zu Ende führen und in unser Schiff zurückkehren. Es wäre unhöflich, die Gastfreundschaft dieser Siedlung länger in Anspruch zu nehmen, als unbedingt erforderlich ist.« Athanik wurde kalkweiß im Gesicht. Tahakoor dagegen lächelte schadenfroh. »Ich muß mich leider verabschieden«, murmelte Athanik und rannte fast aus dem Zimmer. »Meine Freunde und ich würden uns freuen, Sie zum Abschied bewirten zu dürfen«, sagte Tahakoor höflich. »Was Ihnen geschehen ist, tut uns aufrichtig leid. Wir hatten keinen Einfluß auf das Geschehen.« Ich gab Rec ein Zeichen, und er nickte unmerklich. »Wir wissen das und danken Ihnen für die Einladung«, sagte er. »Leider können wir sie nicht annehmen. Wir haben hart gearbeitet, und es liegt noch einiges vor uns. Pejolc ist nicht die einzige Welt, auf der man unsere Hilfe braucht. Ich bitte Sie, uns bei Ihren Freunden zu entschuldigen. Wir wären gerne gekommen.« Wenn Tahakoor enttäuscht war, so ließ er es sich in keiner Weise anmerken. Er war ein höflicher Mann, und Recs Antwort war so geschickt formuliert, daß man sie nicht als eine Beleidigung auslegen konnte. Auch er verabschiedete sich. Als wir alleine waren, hielten wir eine kurze Lagebesprechung ab. Kurz darauf bekamen wir zum erstenmal seit unserer Landung in Ulfwahr wieder eine Nachricht von Fartuloon. Nachdem wir sie in den Klartext übertragen hatten, wußten wir, worauf die plötzliche Gesinnungsänderung zurückzuführen war. »Corpkor hat die Seuche noch einmal aufflammen lassen. Arsanonc mußte nachgeben, sonst wäre er seines Lebens nicht mehr sicher gewesen. Wir wissen nicht, wie lange die neue Krankheitswelle dauern wird. Beeilt euch, damit ihr rechtzeitig in Keme ein-
Marianne Sydow trefft.« »Wir werden uns sogar sehr beeilen«, knurrte Rec grimmig.
9. Wir hatten von dieser Insel die Nase voll. Jeder tat sein Möglichstes, um bald von Ulfwahr verschwinden zu können. Auch ich verzichtete auf meinen wohlverdienten Schlaf, ließ mir ein paar aufputschende Mittel verabreichen und stürzte mich in die Arbeit. Was immer Corpkor unternommen hatte, um die Seuche in Keme noch einmal verstärkt auftreten zu lassen, in Ulfwahr merkte man nichts davon. Allgemein schwächte sich die Wirkung der von uns abgesetzten Erreger von selbst ab. Die hervorragenden Medikamente taten das ihrige, und am Morgen des nächsten Tages gab es keinen einzigen Schwerkranken mehr in der Station. Die einheimischen Ärzte würden mit der nun noch anfallenden Arbeit mühelos fertig werden. Nebenher erfuhren wir, daß die beiden Ausbrecher in ihre Zellen zurückgekehrt waren – nicht ganz freiwillig natürlich. Der junge Arkonide in der schwarzen Uniform, dem ich ungewollt zu einer längeren Bewußtlosigkeit verholfen hatte, erschien gegen Abend in der Krankenstation, aber er wagte es nicht, seine berechtigten Fragen anzubringen. Offenbar hatte Athanik vorgebeugt. Ihm lag gewiß nicht daran, uns noch mehr zu verärgern. Der Wächter nahm den Verlust seiner Uniformhose gelassen hin. Den einzigen Zwischenfall gab es, als wir bereits unsere gesamte Ausrüstung im Gleiter verstaut hatten. Die einheimischen Ärzte standen um uns herum, ließen sich letzte Anweisungen geben und bedankten sich für die schnelle Hilfe. Auch Tahakoor erschien, um sich zu verabschieden. Athanik ließ sich nicht blicken – wir vermißten ihn keineswegs. Plötzlich hörten wir laute Rufe. Wie auf ein Kommando drehten wir uns um. Eine
Die Seuchenspezialisten hübsche Arkonidin rannte auf uns zu. Als sie näher kam, sahen wir die sich schälenden Hautstellen – eine der zahlreichen Patientinnen, die als geheilt die Krankenstation verlassen hatten. Sie blieb schluchzend vor Hattan stehen und streckte ihre leeren Hände aus. »Der Maonk ist verschwunden!« keuchte sie. »Ich verstehe nicht, wie das passieren konnte. Er ist einfach weg. Ich wollte ihn Ihnen schenken, und nun ist er nicht mehr da!« »Sie brauchen mir nichts zu schenken«, sagte Hattan in seiner unnachahmlich sanften Art. »Weinen Sie nicht. Es ist doch nichts geschehen. Beruhigen Sie sich.« »Was ist ein Maonk?« fragte ich Tahakoor, während Hattan sich bemühte, die verzweifelte Arkonidin zu trösten. »Ein halbintelligentes Wesen. Es geschieht nicht sehr oft, daß man einen fängt. Die Jungen werden ungeheuer zahm. Sie sind mehr als einfach irgendein exotisches Tier. Sie bewachen ihre Herren und deren Besitz, sind absolut zuverlässig und lernen auch, sich zu verständigen.« »Sie lernen sprechen?« »Ja. Aber sie können auch einfache Geräte bedienen, Mahlzeiten zubereiten und so weiter. Sie sind sehr wertvoll – finanziell gesehen. Tahiras Maonk war noch ganz jung. Er war noch nicht auf eine Person geprägt. Sie hätte diesem Mann kein wertvolleres Geschenk machen können.« Mein seltsamer Freund hatte sein Ziel offensichtlich erreicht. Die Kinder waren befreit und konnten in ihren Wald zurückkehren. Tahira tat mir leid, denn ihr Kummer war echt. Vielleicht hatte sie den Maonk nicht nur als einen bizarren Sklaven gesehen, sondern als ein hilfsbedürftiges junges Wesen. Dennoch freute ich mich. Die Mutter dieses Maonk hatte schließlich auch gelitten, als man ihr Junges raubte. Hattan gelang es rasch, die junge Frau zu beruhigen und zu trösten. Tahira tilgte die Spuren der Tränen aus ihrem Gesicht, und ein erstes Lächeln machte sie wesentlich hübscher.
49 »Ich möchte Sie nicht gehen lassen, ohne Ihnen zu danken!« sagte sie. »Ohne Sie wäre meine Tochter bestimmt nicht gesund geworden. Sie haben uns so sehr geholfen …« Diesmal konnte auch Hattan sie nicht davon abhalten, ein anderes Geschenk herbeizuschaffen. Und es war gewiß auch sehr wertvoll: Ein kunstvoll gefertigter Gürtel aus den vielfarbigen Schuppen bestimmter Meerestiere. Die Schnalle bestand aus hellem Holz, in das winzige Juwelen eingesetzt waren. »Ihr Freund hat Tahira sehr beeindruckt«, bemerkte Tahakoor leise. »Auch dieser Gürtel ist als Geschenk nicht zu verachten. Es gibt wenige davon. Man sagt ihnen seltsame Fähigkeiten nach. Sie sollen gegen allerlei Gefahren schützen.« Im ersten Augenblick wollte ich solche Behauptungen als abergläubisches Geschwätz abtun. Dann dachte ich an Fartuloons Skarg, und ich hielt den Mund. Hattan genierte sich nicht lange. Er nahm den Gürtel in Empfang. Wenig später starteten wir. »Zum Schwimmen sind wir tatsächlich nicht gekommen!« murmelte Vayhna, als wir den Strand überflogen.
10. Wir landeten in einem Hangar der SLUCTOOK, und ich war nicht weiter erstaunt darüber, daß Fartuloon uns erwartete. »Wie sieht es aus?« war seine erste Frage. Während wir zu meiner Kabine gingen, berichtete ich. Nicht nur von dem Fehlschlag mit der Positronik, sondern auch von allen anderen wichtigen Beobachtungen. Als ich auf Mana-Konyr und den dunklen Zordec zu sprechen kam, verdüsterte sich das Gesicht des Bauchaufschneiders. »Erzähle mir alles, was du über sie weißt!« forderte er. Wir waren inzwischen am Ziel angelangt. Hattan, Torkon, Rec und Vayhna waren hinter verschiedenen Türen verschwunden. Ich atmete auf, als ich mich endlich wieder in einer Umgebung befand, in der ich mich frei
50 und unbefangen bewegen durfte. Ich holte mir ein erfrischendes Getränk aus dem Automaten und berichtete. Fartuloon hörte aufmerksam zu. Der Kampf, den die beiden sich in der Schaltzentrale geliefert hatten, beeindruckte ihn offensichtlich sehr. »Bist du immer noch der Ansicht, daß es klug ist, an den Spielen teilzunehmen?« fragte er. »Ja. Die KAYMUURTES werden überall verfolgt. Sogar in den Schiffen der Flotte werden die Übertragungen zu sehen sein. Um so stärker wird auch mein Triumph ausfallen. Das ganze Imperium wird den rechtmäßigen Thronerben von Arkon kämpfen sehen – und wenn es hinterher erfährt, wer ich bin, dann kann Orbanaschol mit allerhand Überraschungen rechnen.« »Dazu müßtest du siegen«, murmelte Fartuloon bedächtig. »Ich weiß. Du solltest nicht annehmen, daß ich meine Gegner unterschätze. ManaKonyr ist der gefährlichste von den beiden – und wahrscheinlich wird auch keiner von denen, die sich sonst noch gemeldet haben, mehr zu bieten haben als er. Aber ich habe einen Vorteil. Ich habe ihn in einem Kampf beobachtet und weiß, was mich erwartet. Zugegeben, ich hatte meine Zweifel, aber ich muß es schaffen, und ich werde es auch schaffen.« »Hoffentlich«, sagte der Bauchaufschneider. »Ich habe ein ungutes Gefühl bei dieser Angelegenheit. Reden wir über etwas anderes. Es ist ja sowieso noch nichts entschieden. Vielleicht hat man dich nicht registriert, oder die Bewerbung wurde abgelehnt. Wir konnten sechzehn Leute aus dem Schiff schleusen, und sie werden hoffentlich rechtzeitig erfahren, wie es weitergeht.« Ich schwieg. Die Tatsache, daß Fartuloon böse Vorahnungen hatte, bedrückte mich. Der Bauchaufschneider neigte keineswegs zu Phantastereien. War es wirklich der einzige Weg, um Orbanaschol den entscheidenden Stoß zu geben? Oder wurden die KAYMUURTES für mich zu einer Katastrophe?
Marianne Sydow Wenn ich an den Spielen teilnahm, gab es nur noch zwei Möglichkeiten: Ich gewann, oder ich war ein toter Mann. Und eine Leiche konnte dem Mörder meines Vaters nichts mehr anhaben. Unwillkürlich wanderten meine Gedanken nach Kraumon. Dort betreute man meinen Vater, einen Toten, dessen Körper durch ein winziges Kügelchen gezwungen worden war, seine biologischen Funktionen wieder aufzunehmen. Nur der Geist, die Seele oder wie man es sonst noch nennen wollte, blieb verloren. Ich schüttelte die trüben Gedanken von mir ab. »Wie sieht es inzwischen bei euch aus?« fragte ich. »Die Seuche herrscht immer noch?« »Dank Corpkor flackerte sie noch einmal auf. Arsanonc hat es ganz schön erwischt. Der Bursche wurde daraufhin erstaunlich höflich. Inzwischen geht es ihm besser, und allgemein ist die Krise so gut wie überwunden. Wir sollten nicht zu lange warten.« »Schade. Ich hatte gehofft, doch noch eine Gelegenheit zu finden, um mir Gewißheit zu verschaffen.« »Die kannst du haben. Bleib noch einige Tage auf diesem Planeten, dann wird man die SLUCTOOK besetzen, die Mannschaft gefangennehmen und deine Identität entdecken. Und dann weißt du wenigstens mit absoluter Sicherheit eines: daß Orbanaschol endlich deinen Kopf geliefert bekommt!« »Du weißt, daß ich es so nicht gemeint habe«, erwiderte ich ärgerlich. Es war mir unerklärlich, warum der Bauchaufschneider so gereizt war. Er macht sich Sorgen. Und zwar um dich. Der Extrasinn hatte »wie immer« sofort eine Erklärung zu bieten. »Wieviel Zeit bleibt uns noch?« fragte ich. »Bestenfalls ein halber Tag. Sobald die Krankheit auf ein gewisses Maß zurückgedrängt worden ist, wird Arsanonc sich auf seine früheren Ziele besinnen. Dann ist es zu spät.«
Die Seuchenspezialisten »Wie ist die Überwachung?« »Im Augenblick ziemlich lasch. Natürlich lungern auf dem Landefeld ein paar Dutzend Beobachter herum. Sie benehmen sich sehr anständig, denn sie haben Angst vor der Bevölkerung. Die Abwehrbasen sind sowieso besetzt, daran läßt sich nichts ändern.« »Immerhin dürfte noch kein Alarmzustand herrschen«, überlegte ich. »Das gibt uns eine Chance.« »Die SLUCTOOK ist startbereit«, bestätigte Fartuloon. »Es befinden sich keine Patienten mehr an Bord.« »Und unsere Leute?« »Einige sind in der Stadt. In Keme gibt es noch ein knappes Hundert sehr schwerer Fälle.« »Wir müssen sie zurückrufen. Aber es muß unauffällig geschehen. Arsanonc wird schon jetzt die Augen offen halten, und wir wissen ja inzwischen, daß auch Errelikons Anhänger nicht aufgegeben haben. Wir brauchen eine glaubhafte Ausrede, um die Leute ins Schiff zu holen – und zwar alle, bis auf die sechzehn, die ohnehin hier bleiben werden.« Wir überlegten eine Weile, dann grinste Fartuloon. »Arsanonc selbst wird uns einen Vorwand liefern«, versprach er und erhob sich schwerfällig. »Du solltest ein paar bequemere Sessel in deine Kabine bringen lassen, mein Sohn. Für einen alten Mann wie mich sind diese modernen Dinger die reinste Quälerei.« Ich mußte lachen. Der »alte Mann« blitzte mich zornig an. »Bei all meinen Bemühungen muß ich eines vergessen haben«, knurrte er. »Den Respekt vor dem Alter habe ich dir wahrscheinlich nicht nachdrücklich genug beigebracht.« Er trat blitzschnell vor, streckte den Arm aus und winkelte das Knie an – und im nächsten Augenblick lag ich auf dem Boden. Fartuloon lachte schallend. »Schlecht«, sagte er, als er diesen Anfall von Heiterkeit überwunden hatte. »Sehr
51 schlecht. Deine Reaktionen lassen zu wünschen übrig. Es wird Zeit, daß wir nach Kraumon zurückkehren und mit dem Training beginnen – falls du diese Wahnsinnsidee mit den KAYMUURTES tatsächlich in die Tat umsetzen möchtest.« »Worauf du dich verlassen kannst, alter Mann!« knurrte ich, warf mich nach vorn und beförderte nun meinerseits Fartuloon auf den harten Bodenbelag. Als ich aufgesprungen war und kampfbereit vor ihm stand, winkte er schmunzelnd ab und streckte mir die Hand entgegen. »Hilf mir mal hoch«, sagte er, kam ächzend auf die Beine und beförderte mich spielerisch leicht durch die Luft. Diesmal landete ich haargenau in meinem Bett. »Beenden wir dieses Spiel«, grinste der Bauchaufschneider. »Wir haben wichtigere Dinge zu erledigen. Reden wir mit Arsanonc. Es ist langweilig, wenn man krank ist und im Bett liegen muß. Er wird sicher dankbar sein, wenn wir ihm ein bißchen Abwechslung verschaffen.«
* Arsanonc war überhaupt nicht dankbar. Allein das Gesicht des Bauchaufschneiders schien seinen Zustand zu verschlechtern. Er sah aus, als hätte er Magenschmerzen. »Wie geht es Ihnen?« fragte Fartuloon mit honigsüßer Stimme. »Bis jetzt habe ich immer gehört, daß die Seuchenspezialisten sehr fähige Leute sind«, gab Arsanonc giftig zurück. »Ich werde dieses Märchen nie mehr glauben können. Anstatt mich zu kurieren, bringen die Kerle mich stückweise um.« »Das kann nicht stimmen!« hauchte Fartuloon in gespieltem Entsetzen. »Was machen sie denn mit Ihnen?« Arsanonc setzte zum Sprechen an, aber plötzlich schob sich ein anderer Mann vor die Optik. »Der Patient ist ein bißchen gereizt«, erklärte der Arkonide von der SLUCTOOK. »Er will nicht begreifen, daß der Heilungs-
52 prozeß Zeit in Anspruch nimmt.« »Zeit!« brüllte Arsanonc, der für uns vorübergehend unsichtbar blieb. »Niemand redet von Zeit. Dieser verfluchte Juckreiz ist es, der mich halb wahnsinnig macht. Sie geben mir Spritzen, die angeblich helfen sollen, und statt dessen wird es immer schlimmer!« »Stimmt das?« fragte Fartuloon und gab dabei seinem Gesprächspartner ein unauffälliges Zeichen. Der Mann reagierte erstaunlich schnell. »Nun ja«, murmelte er verlegen. »Die letzte Injektion bewirkte in der Tat eine gewisse Verschlechterung.« »Bleiben Sie am Apparat!«, befahl Fartuloon, der plötzlich einen ernsten, sehr aktiven Eindruck machte. »Ich werde bei den anderen Kommandos nachfragen.« Er schaltete um und blinzelte mir bedeutungsvoll zu. Mir war klar, daß er bereits einige Vorbereitungen getroffen hatte. Die Leute wußten längst, was sie zu tun hatten. Also hatte er mir vorhin Theater vorgespielt. Er liebte solche Späße bisweilen. Er sprach mit verschiedenen Leuten, dann schaltete er zu Arsanonc zurück. »Es ist eine bedauerliche Panne eingetreten«, teilte er mit Grabesstimme mit. »Die letzte Lieferung des Serums ist nicht einwandfrei. Ich werde dafür sorgen, daß dieser Fehler sofort behoben wird. Darf ich mit Jakor sprechen?« »Kommen Sie sofort zum Schiff!« befahl er, als unser »Spezialist« auf dem Bildschirm erschien. »Bringen Sie Ihre Kollegen mit. Die gesamte Lieferung muß eingezogen und durch frisches Serum ersetzt werden. Ich verständige über Rundruf alle übrigen Kommandos.« »Ist das nötig?« quengelte Arsanonc. »Es reicht doch, wenn ein paar Leute das Zeug verteilen.« »Es ist nötig!« sagte Fartuloon scharf. »Die Aktion muß mit äußerster Schnelligkeit durchgezogen werden. Solange das falsche Serum verwendet wird, besteht die Gefahr, daß die Seuche wieder auflebt – und
Marianne Sydow diesmal wird es noch schwerer sein, sie einzudämmen.« »Das ist Sabotage!« kreischte Arsanonc. »Ich werde veranlassen, daß man in Ihrem Schiff nach dem Schuldigen sucht!« Fartuloon schaltete einfach ab. Er grinste mich an. »Ich wußte, daß er ein wehleidiges Kerlchen ist«, murmelte er. »Dieser Köder hat gewirkt!« »Startbereitschaft!« rief er dann dem Piloten zu, und dieser gab die Anordnung weiter. Es befanden sich weder Patienten, noch andere Leute aus Keme an Bord. Die Wachen, die unauffällig draußen auf dem Landefeld herumspazierten, merkten nichts von dem emsigen Treiben, das die SLUCTOOK erfüllte. Binnen weniger Minuten waren alle Stationen besetzt, und das Bordgehirn beendete seine Berechnungen. Wir konnten es nicht wagen, lange draußen im Raum herumzufliegen. Wir wußten längst, daß dort zwei Großkampfschiffe stationiert waren. Sie wachten über Pejolc – das hatte mit uns nicht viel zu tun, sondern galt wohl hauptsächlich dem Zweck, die KAYMUURTES vor jeder denkbaren Störung zu schützen. »Wir gehen in den obersten Schichten der Atmosphäre in Transition«, erklärte Fartuloon. »Ich weiß, es ist nicht ganz ungefährlich, aber auf jeden Fall besser, als wenn die Burschen uns mit ihren Impulskanonen rösten. Oder denkst du anders darüber?« Ich winkte ab. Fartuloon hatte in der letzten Zeit mehr Gelegenheit gehabt, sich über unsere Flucht den Kopf zu zerbrechen. Und eine Flucht war es. Arsanonc würde uns eine offizielle Startgenehmigung niemals erteilen, dazu war er viel zu argwöhnisch geworden. Von allen Seiten strebten Gleiter auf die SLUCTOOK zu. Über Funk wurden sie auf die verschiedenen Schleusen verteilt. Die Meldungen prasselten nur so auf uns herein. Als das letzte Fahrzeug an Bord war und wir gewiß sein konnten, daß niemand zurückblieb, wurden die Schleusen geschlossen.
Die Seuchenspezialisten
53
In diesem Augenblick mußten die Beobachter Verdacht schöpfen. Von nun an ging es um Sekunden. Die SLUCTOOK hob ab. Der Pilot hatte Anweisung, bis zweihundert Meter Höhe die Antigravtriebwerke zu benutzen. Auf dem Landefeld befanden sich zahlreiche Arkoniden; sie sollten eine Frist bekommen, in der sie sich in Sicherheit bringen konnten. Sekundenlang stieg das Schiff lautlos, dann brüllten die Triebwerke auf. Wir rasten durch die Atmosphäre, und als wir deren obere Ausläufer erreichten, setzte die SLUCTOOK zum Sprung an. Ich hörte noch, wie eine wütende Stimme uns aufforderte, entweder nach Keme zurückzukehren oder die Geschwindigkeit sofort zu drosseln, dann raste der Schmerz der Transition durch
meinen Körper. Und fast im selben Augenblick – so behaupteten es die Zeitmesser -tauchten wir wieder auf, dreißig Lichtjahre von Pejolc entfernt. Die Bordroutine nahm ihren Lauf. Ich starrte auf die Bildschirme und fragte mich, ob die sechzehn Leute, die in Keme zurückgeblieben waren, sich rechtzeitig melden würden. Noch hatten wir Zeit, uns alles genau zu überlegen. Aber eigentlich stand meine Entscheidung bereits fest. Ich würde an den KAYMUURTES teilnehmen – wenn man mich als Teilnehmer akzeptierte.
ENDE
Lesen Sie nächste Woche ATLAN Nr. 273: Einsatzgruppe Pejolc von Peter Terrid Unter Profis und Profitmachern – eine Kampfagentur soll Atlan managen