Nr. 347
Die Stahlfestung In den Verliesen von Marsocc von Peter Terrid
Die Erde ist wieder einmal davongekommen. Ptho...
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Nr. 347
Die Stahlfestung In den Verliesen von Marsocc von Peter Terrid
Die Erde ist wieder einmal davongekommen. Pthor, das Stück von Atlantis, dessen zum Angriff bereitstehende Horden Terra überfallen sollten, hat sich dank Atlans Eingreifen wieder in die unbekannten Dimensionen zurückgezogen, aus denen der Kontinent des Schreckens urplötzlich materialisiert war. Atlan und Razamon, die die Bedrohung von Terra nahmen, gelang es allerdings nicht, Pthor vor dem neuen Start zu verlassen. Der ungebetene Besucher ging wieder auf eine Reise, von der niemand ahnt, wo sie eines Tages enden soll. Doch nicht für lange! Denn der überraschende Zusammenstoß im Nichts führte dazu, daß der »Dimensionsfahrstuhl« Pthor sich nicht länger im Hyperraum halten konnte, sondern zur Rückkehr in das normale Raum-Zeit-Kontinuum gezwungen wurde. Und so geschieht es, daß Pthor auf dem Planeten der Brangeln niedergeht, nachdem der Kontinent eine Bahn der Vernichtung über die »Ebene der Krieger« gezogen hat. Natürlich ist dieses Ereignis nicht unbemerkt geblieben. Sperco, der Tyrann der Galaxis Wolcion, schickt seine Diener aus, die die Fremden ausschalten sollen. Darauf widmet sich Atlan sofort dem Gegner. Um ihn näher kennenzulernen und seine Möglichkeiten auszuloten, begibt sich der Arkonide zu den Spercoiden. In der Maske eines Spercoiden agierend, erreicht Atlan Marsocc, DIE STAHLFESTUNG …
Die Stahlfestung
3
Die Hautpersonen des Romans: Atlan - Der Arkonide in der Maske eines Spercoiden. Laccied - Eine umgewandelte Spercoidin. Dacoon - Kommandant der BEHUTSAMKEIT. Warscon - Kommandant von Marsocc.
1. Sein Extrasinn lieferte ihm die Information, aber er weigerte sich, daran zu glauben, obwohl die Beweise klar auf der Hand lagen. An Bord eines terranischen Raumschiffs, dessen war sich der Arkonide bewußt, hätte er sich niemals so lange unentdeckt bewegen können. Er war ein Fremder an Bord der BEHUTSAMKEIT. Nur die Tatsache, daß er unablässig seinen Anzug trug, bewahrte ihn vor einem Vergleich mit einem Spercoiden. Der Arkonide hatte im Lauf seines langen Lebens einige hundert Völker und Rassen kennengelernt – daß sich ein Fremdrassiger an Bord eines Raumschiffs lange verstecken konnte, galt als ausgeschlossen. Ein blinder Passagier mußte – besonders dann, wenn er keinen Freund und Helfer in den Reihen der Besatzung hatte – früher oder später auffallen. Und insgeheim wartete Atlan zu jeder Stunde auf den Augenblick, in dem er angesprochen wurde: »He, wer bist denn du? Wohin gehörst du?« Daß jemand eine solche Frage stellte, verdankte er seiner Neugier – einem Gefühl, und mit Gefühlen hatten die Spercoiden glücklicherweise nicht viel im Sinn. Der Arkonide streifte durch das Schiff, das sich BEHUTSAMKEIT nannte. Näher betrachtet, schien dieser Name ein übler Witz zu sein. Eines der ersten Flaggschiffe der Solaren Flotte hatte THORA geheißen, ein andere CREST, es folgten eine. ERIC MANOLI, eine THEODERICH und so fort. Terraner pflegten Schiffe üblicherweise nach Eigenschaften oder Personen zu benennen, die sie
besonders schätzten. Hatten die Spercoiden die unerfreuliche Gewohnheit, ihre Raumschiffe nach Eigenschaften zu benennen, die sie verabscheuten? In einem Winkel blieb der Arkonide stehen. Obwohl sich die Spercoiden nicht um ihresgleichen kümmerten, war es nicht ratsam, sich auffällig zu benehmen. Wenn er also nachdenken wollte, dann tat er gut daran, sich unauffällig irgendwo abzustellen, wo er nicht störte. Atlan begann sich an den Anzug zu gewöhnen. Dabei kam dem Arkoniden zu Hilfe, daß er sich im Lauf seines Erdendaseins an allerlei hatte gewöhnen müssen. Einige dieser Sitten und Gebräuche hatten nicht den Beifall des Kristallprinzen von Arkon gefunden, aber der Zwang der Umstände und der Wille zum Überleben hatten ihn in allen diesen Fällen hinreichend motiviert. Unter diesen Umständen hatte er sich auch an die feuchte Kühle des Spercoiden-Anzuges gewöhnt, daran, daß diese Anzüge reichlich schwer und unhandlich waren, daß man durch die Sichtscheibe die Umwelt in höchst eigentümlicher Weise verzerrt und verschwommen sah. Und wenn man die Sache einmal in Ruhe und wertfrei betrachtete, war der Spercoiden-Anzug gar nicht einmal zu verachten. Der Arkonide konnte sich nicht erinnern, in den letzten Stunden Hunger oder Durst verspürt zu haben. Auf höchst geheimnisvolle Weise schien der Anzug den Körper des jeweiligen Trägers mit allem zu versorgen, was er zum Leben brauchte. Eine Eigenschaft des Spercoiden-Anzugs machte sich allerdings zunehmend positiv bemerkbar. Der Anzug förderte das Denkvermögen. Atlan konnte sich nicht erinnern, wann er
4 in den letzten Jahrtausenden einmal so klar, präzise und folgerichtig hatte denken können. Irgendwie schien der Anzug dafür zu sorgen, daß die emotional bedingte Instabilitätskomponente intellektueller Aktion eliminiert oder doch zumindest neglegierbar gemacht wurde. Dem Arkoniden erschien dieser Effekt durchaus wünschenswert; er half ihm, sich über seine eigene Lage klarzuwerden und die Entwicklung der Zukunft in kalkulierbare Bahnen zu bringen. Dank der Einförmigkeit der Anzüge konnte kein Spercoide feststellen, daß es sich bei dem Träger keineswegs um einen Spercotisierten namens Gaccurt handelte, sondern um den Arkoniden Atlan. Das war gut so – nicht nur, weil es Atlans Leben rettete. Es konnte ihm auch ermöglichen, in der Hierarchie der Spercoiden aufzusteigen, ohne daß man ihm auf die Schliche kam. Schwierig konnte ein solcher Aufstieg eigentlich nicht werden. Schließlich verfügte er als Träger der ARK SUMMIA über ein funktionstüchtiges Extrasinn mit einem präzise arbeitenden Logiksektor. Es war wirklich erstaunlich, wie glatt und reibungsfrei sich das Leben an Bord der BEHUTSAMKEIT gestaltete. Es gab keine Schlägereien, keine Liebesbeziehungen – jedenfalls hatte Atlan/Gaccurt noch nichts davon gemerkt, – keine Besäufnisse. Gaccurt/Atlan erinnerte sich an die Zustände an Bord von Terra-Raumschiffen. Perry Rhodan hatte an Bord seines eigenen Flaggschiffs Zustände geduldet, die an Bord von Arkonschiffen undenkbar gewesen wären. Frauen an Bord! Alkohol! Trunkenbolde, Schläger! Namen fielen ihm ein: der unverschämte, flegelhafte Siganese Lemy Danger, der trunksüchtige Brazos Surfat … die Liste ließ sich beliebig verlängern. Solche Zustände gab es an Bord von Spercoiden-Schiffen nicht. Gegen die Gefühlskälte der Spercoiden ließ sich ja manches sagen, ganz das Wahre stellte dies nicht dar. Aber, um der Ehrlichkeit Genüge zu tun, sie hatte auch ihre Vorzüge. Der Dienstbetrieb an Bord lief störungsfrei ab. Jeder tat
Peter Terrid seine Pflicht, präzise und leidenschaftslos, meckerte nicht: Großartige Diskussionen, wie es sie bei den Terranern immer wieder gegeben hatte, waren bei den Spercoiden unvorstellbar. Kein Wunder, daß sie in ihrem Lebensbereich unangefochten die Oberhand hatten. Wesen, die die Probleme ihrer Zeit logisch, rationell und leidenschaftslos angingen, mußten natürlich emotional labileren Rassen überlegen sein. Und Gaccurt mit seinem Logiksektor, war er nicht gerade prädestiniert, in dieser Gesellschaftsordnung eine führende Stellung einzunehmen? Schließlich war er nicht nur in der Lage, seinen Verstand ziel- und zweckgerichtet einzusetzen – er konnte auch aufgrund eigener Erfahrung den Gemütszustand der emotional ausgerichteten Wesen verstehen. Und mit Sperco konnte man sich sicherlich einigen. Schließlich hatte sich der Arkonide auch mit dem Terraner-Chef einigen können, obwohl der alles andere als sachlich und logisch in seiner Vorgehensweise war. Eine Position, wie Gaccurt sie unter dem Pseudonym Atlan im Reich der Terraner bekleidet hatte, sollte durchaus im Bereich des Möglichen sein. Es würde nur darauf ankommen, sich zu profilieren … »Dazu bist du auf dem besten Wege, Narr!« Blitzartig überfiel Atlan die Angst. Es war nicht nur die Furcht davor, von den Spercoiden als andersartig entdeckt und getötet zu werden. Noch schlimmer war das Erschrecken über die psychische Veränderung, die er bei sich selbst festgestellt hatte. Der schmerzhafte Impuls des Extrasinns hatte ihn gerade noch in die Wirklichkeit zurückgerufen. Dieser Spercoiden-Anzug war im höchsten Maße gefährlich. Langsam veränderte er die Psyche des Trägers. Wer in einem Spercoiden-Anzug steckte, wurde, wenn er diesen Anzug längere Zeit trug, selbst zum Spercotisierten. »Sperco ist die Macht«, murmelte Atlan.
Die Stahlfestung »Die Spercotisierten sind seine Diener!« Der Arkonide war tief erschrocken. Sein Extrasinn, das fotografische Gedächtnis, lieferte ihm den Beweis, wie weit er in seinen Gedanken bereits aus dem Rahmen gefallen war, in dem er sich sonst bewegte: Sperco, der Tyrann, als Ausbund an Logik; Perry Rhodan als sentimentaler, nicht ganz zurechnungsfähiger Barbarenhäuptling. Der Spercoiden-Anzug veränderte die gesamte Psyche seines Trägers, zumindest dann, wenn diese Person noch über ein Gefühlsleben verfügte. Mit schmerzhafter Deutlichkeit wurde Atlan bewußt, daß er vor einem kaum lösbaren Dilemma stand, vor einer Zwickmühle, wie sie bösartiger Sperco selbst nicht hätte austüfteln können. Er konnte den Anzug ablegen. Auf der anderen Seite hätte er sich damit unwiderruflich als Nicht-Spercotisierter zu erkennen gegeben – dann wäre sein Tod praktisch unausweichlich geworden. Behielt er aber den Spercoiden-Anzug an, dann unterlag er weiterhin dem verhängnisvollen Einfluß des Anzugs – einem Einfluß, dessen Quelle er nicht kannte. Atlan setzte sich in Bewegung. Mit ruhigen, gleichmäßigen Bewegungen schritt er den Gang hinunter, der zu seiner Kabine führte. Kabine war eine hochtrabende Bezeichnung für eine Art Abstellkammer für Lebewesen. Zahlreiche Spercoiden kamen Atlan entgegen und gingen achtlos an ihm vorbei. Atlan ging ruhig. Hast hätte auffällig gewirkt, gefühlsbetont. So brauchte er einige Zeit, bis er seine Unterkunft erreicht hatte. Die letzten Meter wurden zur Qual. Die Impulse des Spercoiden-Anzugs wurden stärker, und gegen diesen Ansturm half das Psychotraining wenig, das der Arkonide früher mitgemacht hatte. Auch die Kräfte des Extrasinns waren nicht in der Lage, diesen verhängnisvollen Einfluß zu neutralisieren. Trotz des Risikos erlaubte sich Atlan einen erleichterten Seufzer, als er seine Unterkunft erreicht hatte und das leise Klicken
5 hörte, mit dem das Schloß einrastete. Mit fliegenden Fingern nestelte der Arkonide an den Verschlüssen des Anzuges. Er stöhnte wohlig, als er endlich von dem feuchtkalten Material befreit war. »Der Einfluß hört auf«, meldete sich der Extrasinn kurz. Atlan lehnte sich gegen die Wand. Er schloß die Augen.
* Langsam zeichneten sich Konturen ab, die ersten unscharfen Umrisse eines Handlungsschemas. Wenn man dem Problem, das den Arkoniden quälte, logisch und sachlich zu Leibe ging, blieben nur wenige Möglichkeiten. Der Extrasinn rechnete die einzelnen Wege durch, und das Ergebnis war schlichtweg niederschmetternd. Die für Atlan günstigste Möglichkeit war die, daß er am Leben blieb. Das aber setzte unter den gegenwärtigen Umständen voraus, daß er den widerlichen Anzug trug und so selbst zum Spercoiden wurde. Das allein war schlimm genug, aber der Gedankengang war damit noch nicht ausgesponnen. Die Spercoiden hatten offenbar im Normalzustand eines mit Menschen und anderen Lebewesen gemein – sie legten Wert darauf, möglichst lange zu leben. Dem übergeordnet war offenkundig die Treue zum Tyrannen Sperco. Folgerichtig würde ein spercotisierter Atlan nichts Eiligeres zu tun gehabt haben, als zum Tyrannen Sperco zu eilen und ihm mitzuteilen, daß es ein Mittel gab, das organische Leben Spercos ins Ewige auszudehnen. Was Sperco dann unternehmen würde, ließ sich nur schwer schätzen, weil keine Informationen vorlagen, über welche technischen Machtmittel der Tyrann verfügte. Besaß er aber die Mittel dazu, eine Invasion in das Raum-Zeit-Kontinuum der Terraner, Arkoniden und Akonen zu starten, dann würde Sperco mit Sicherheit nicht zögern. Auf andere Weise konnte er nicht in den Besitz ei-
6 nes für ihn brauchbaren Zellaktivators gelangen. Aus diesen Überlegungen folgte logisch, daß Atlan den Anzug nicht länger tragen durfte. Ohne Anzug aber wäre er sofort aufgefallen und gefangengenommen worden. Und damit stellte sich für Atlan wieder das Problem Leben oder Tod. Die erbarmungslos logisch denkenden Spercoiden mußten sich einfach danach erkundigen, aus welchem Grund ein vollständig organisches Lebewesen ein durch und durch metallisches Gerät mit sich herumschleppte und auf dem Leibe trug. Der Arkonide besaß genug Phantasie, um sich ausmalen zu können, was dieser simplen Überlegung folgen mußte. Die Spercoiden mußten entdecken, welche Wirkung der Zellaktivator hatte … und von diesem Augenblick an unterschied sich der errechenbare Verlauf der Ereignisse nur noch unwesentlich von der ersten Alternative. »Eine knifflige Sache«, murmelte der Arkonide bedrückt. Im Grunde lief dies auf eine sehr einfache Problemstellung hinaus. Wenn Atlan verhindern wollte, daß der Tyrann Sperco seine nicht abschätzbaren Machtmittel gegen die Terraner und ihre Freunde einsetzte, dann gab es nur ein Mittel, das nötige Maß an Sicherheit zu erreichen – Atlan mußte den Zellaktivator, vernichten. »Ich muß herausfinden …«, murmelte der Arkonide. Er schüttelte sich, als er begann, den feuchtkalten Anzug erneut überzustreifen. Das Gefühl auf der Haut war widerlich. »Mit dem Import von Weichspülmitteln könnte man ein Vermögen machen«, spottete Atlan sarkastisch. »Brrr!« »Halte den Mund, Narr!« schalt ihn der Extrasinn. In irgendeiner Form mußte sich der Arkonide Luft machen. Der Zwang, stundenlang ohne jede Pause Gefühlskälte vortäuschen zu müssen, schuf einen Gefühlsstau, der kaum zu bewältigen war. In gewisser Weise
Peter Terrid verdankte es Atlan tatsächlich dem Einfluß des Spercoiden-Anzugs, daß er die erzwungene Gefühllosigkeit überhaupt ertragen konnte. Sehr bald wurde ihm besser. Man konnte sich wirklich an den Anzug gewöhnen. Zwar hatte Atlan wenig Ähnlichkeit mit den molchähnlichen Wesen, die er auf Karoque gesehen hatte und die allem Anschein nach nun Spercoiden waren, aber nach ein paar Minuten begann er sich beinahe in dem feuchtkalten Anzug wohl zu fühlen. Auch die Tatsache, daß er in dem Anzug nicht zu identifizieren war, paßte dem Arkoniden. In gewisser Weise konnte man den Anzug als Uniform ansehen, ja sogar als Ehrenzeichen – nicht jeder Bewohner dieser Galaxis durfte einen solchen Anzug tragen. Wahrscheinlich wußten die Sklaven des Tyrannen überhaupt nicht, wie ihre Unterdrücker ohne die Anzüge aussahen. Der Anzug verschaffte dem Träger ein Gefühl des Auserwähltseins. »Narr!« tobte der Extrasinn. »Glaubst du, der Gefangene mit der Eisernen Maske in der Bastille war stolz darauf, der einzige Häftling Ludwigs des Großen zu sein, der mit dieser Vorzugsbehandlung bedacht wurde.« Für einen kurzen Augenblick brachte es der Extrasinn fertig, die Impulse zurückzudrängen, die von dem Anzug ausgingen. Zum zweitenmal in kurzer Zeit fühlte der Arkonide die Angst in sich aufsteigen. Der ehemalige Kristallprinz des ArkonImperiums, der Mann, der zehn Jahrtausende terrestrischer Geschichte miterlebt und entscheidend geprägt hatte, er hatte im Lauf dieser gewaltigen Zeitspanne mehr als einmal in der Nähe eines sicher erscheinenden Todes leben müssen. Bisher hatte er diesen Zustand zu ertragen gewußt. Was ihn aber in diesem Augenblick würgte, das war die Angst davor, einen psychischen Tod sterben zu müssen. Er fürchtete nicht die Beendigung seines Bewußtseins – er fürchtete dessen Beeinflussung.
2.
Die Stahlfestung »Funktionskontrolle!« Warscon bewegte die rechte obere Extremität. »Schlecht«, klang es aus dem Lautsprecher. »Sehr schlecht.« »Noch einmal?« fragte Warscon an. »Selbstverständlich«, erklang es aus dem Lautsprecher. Die Gelenke des Anzugs ließen auch beim zweiten Anlauf die Bewegung plump ausfallen. Plump, ungeschickt – und das trotz des langen Trainings. »Noch einmal«, forderte die Lautsprecherstimme. Zum fünfzehnten Male innerhalb einer Stunde bewegte sich Warscon. Hätte in dem Anzug nicht eine absolut konstante Temperatur geherrscht, wäre er in Schweiß gebadet gewesen. »Wiederholung«, sagte die Lautsprecherstimme leidenschaftslos. »Die Geste wird mit geöffneter Hand ausgeführt.« »Fahr zur Hölle«, knarrte Warscon wütend. »Vorzüglich«, lobte ihn der Lautsprecher. »Ganz ausgezeichnet. Und jetzt noch einmal die Bewegung. Der Arm wird etwas erhoben, dann ausgestreckt. Der Handrücken weist auf das Möbel. Erst in der letzten Phase der Bewegung wird die Hand gestreckt.« Warscon versuchte die Bewegung auszuführen. »Wiederholung«, befahl der Lautsprecher. »Die Bewegung wird langsam ausgeführt.« Warscon gehorchte. »Zu langsam.« »Ich höre auf«, empörte sich Warscon. »Wofür haltet ihr mich eigentlich? Ich denke nicht daran, hier stundenlang blödsinnige Bewegungen auszuführen.« »Der Verbalteil ist in Ordnung«, klang es kalt aus dem Lautsprecher. »Du mußt aber den Bewegungsteil noch einmal üben. Es ist sehr wichtig.« »Also gut«, versetzte Warscon seufzend. »Ist es so besser?« Er gab sich diesmal besonders viel Mühe. Im Kontrollraum blieb es still, sogar ziem-
7 lich lange. »Unsere Messungen sagen vorzüglich«, hörte Warscon. »Die Bewegung war ausgezeichnet – aber sie betrifft die Sinngebung 17-456 Gamma. Die Sinngebung, die verlangt wurde, lautet anders.« Warscon stand auf. Er griff mit beiden Händen nach dem Sitzmöbel. Holz barst knirschend unter dem Zugriff einer metallbewehrten Pranke. Mit einem Fußtritt, der den Stuhl ein weiteres Bein kostete, fegte Warscon das Möbel in eine Ecke. »Die Gesamtkonzeption ist zweifellos richtig«, konnte Warscon hören. »Die semantischen Reflexbögen sind in sich selbst schlüssig. Schwierigkeiten gibt es lediglich in der Feinmotorik. Aber auch dieses Problem kann gelöst werden. Sperco ist die Macht – und die Spercotisierten seine Diener.« »Phhh!« machte Warscon. »Latrinenparolen, nichts weiter!«
* Atlan erstarrte schlagartig. Nur seine Hände bewegten sich in fieberhafter Hast. Spercoiden kannten keine Gefühle, folglich auch keine Privatsphäre, auf die Rücksicht geübt werden konnte. Laccied hatte es trotz der Veränderung in ihrer Persönlichkeit nicht für nötig erachtet; anzuklopfen, bevor sie Atlans Kabine betrat. »Was machst du da?« fragte sie. Das Erstaunen in ihrer Stimme war nicht überhörbar. Die Wandlung in ihrer Persönlichkeit war tief und durchgreifend gewesen. »Nichts«, log Atlan hastig. »Nichts. Ich verspürte nur einen feinen Schmerz …« Laccied machte eine abwehrende Geste. »Du hast etwas getan«, stieß sie hervor. Ihre Stimme – wenig wohlklingend und knarrend wie die aller Spercoiden – machte es für den Arkoniden schwer, sich unter der Trägerin des Anzugs etwas Weibliches vorzustellen. Seine Beziehung zu der Spercoidin war ohnedies durch den Umstand stark
8 getrübt, daß Atlan sich die natürliche Gestalt der Spercoiden so vorstellte, wie er es auf Karoque erlebt hatte. »Ich habe mich bewegt, das ist alles«, wehrte der Arkonide ab. Anfänglich war Laccied psychisch noch einigermaßen stabil gewesen, hauptsächlich angsterfüllt. Das war aus ihrer Sicht zwar kein angenehmer Zustand, gab aber dem Arkoniden die Möglichkeit, das Verhalten der Spercoidin einigermaßen kalkulieren zu können. Inzwischen hatte sich das geändert. Laccied war, wie man auf der Erde gesagt hätte, das reinste Nervenbündel. Sie kam mit den vielfältigen Empfindungen, mit denen sie nach vermutlich jahrelanger Abstinenz überschwemmt wurde, überhaupt nicht zurecht; sie schwankte von einem Extrem ins andere. Mal versuchte sie, besonders spercoidisch zu sein, noch kälter, unnahbarer und teilnahmsloser als ihre Artgenossen. Dann wieder erlag sie dem Ansturm der Gefühle, die die Behandlung auf Trühlor durch die Borgs hervorgerufen hatte. In diesem Augenblick war sie erregt, das erkannte Atlan allein an der Tatsache, daß sie wild gestikulierte. »Was soll ich denn gemacht haben?« fragte er zurück. Er hoffte, daß auf Laccieds Seite der Unmut in seiner Stimme zu hören war. »Ich bin mir ganz sicher«, beharrte Laccied. »Du hast an deinen Verschlüssen hantiert.« »Vorsicht!« warnte der Extrasinn überflüssigerweise. Laccied hatte sich von Gaccurt dazu überreden lassen, ihren Zustand zu verheimlichen. Dabei war sie aufgrund der Umstände davon ausgegangen, es mit, einem Spercoiden zu tun zu haben. »Ich bin doch kein Selbstmörder«, begehrte der Arkonide auf. Laccied trat an ihn heran und streckte den rechten Arm aus. »Das darfst du nicht tun, Gaccurt«, sagte Laccied leise. »Niemals, hörst du!« Atlan stand, als sei er vom Schlag getrof-
Peter Terrid fen. In der knarrenden Sprache der Spercoiden Untertöne herauszuhören, war eine Aufgabe für Spezialisten. Aber der Unterton, der im Knarren von Laccied mitschwang, dieser Unterton konnte schwerlich fehlinterpretiert werden. Laccieds Stimme troff förmlich von Gefühlen, die Atlan kalte Schauder über den Rücken jagten. War er in der glücklichen Lage, von einem mannshohen Molch, Grottenolm oder wie immer das Lebewesen genannt werden mußte, vielleicht gar geliebt zu werden? »Wer sagt, daß die Spercoiden wie Molche aussehn?« mischte sich der Logiksektor ein. »überinterpretiere den Sachverhalt nicht!« »Ich werde mich zu beherrschen wissen«, sagte Atlan ziemlich doppeldeutig. »Du kannst ganz unbesorgt sein.« Erleichtert stellte er fest, daß Laccied ihren Arm zurückzog. »Wann werden wir auf Marsocc landen?« fragte er die Spercoidenfrau. »Ich rechne mit drei Tagen«, antwortete Laccied. »Kennst du den Stützpunkt?« fragte Atlan weiter. Laccied machte eine Geste der Verneinung. »Und du?« »Ich kenne ihn ebenfalls nicht«, sagte Atlan. Der Anzug begann wieder zu wirken. Es fiel dem Arkoniden leicht, die Gefühle zu unterdrücken, die ihn befielen, wenn er an Marsocc dachte. Was konnte ihm schon zustoßen – schließlich war er ja ein Spercoide! Laccied verlor erneut die Kontrolle über sich. Sie warf sich förmlich auf Atlan, der gerade noch Zeit genug hatte, die Arme auszubreiten und die Spercoidenfrau aufzufangen. Wenn Atlan die Geräusche, die durch den Anzug verzerrt an sein Ohr klangen, richtig deutete, dann erlitt Laccied einen hysterischen Anfall.
Die Stahlfestung »Keine Gefühle zeigen, Laccied!« warnte der Arkonide. »Wir dürfen keine Gefühle zeigen. Unser Leben ist dann in Gefahr!« Er versuchte die Spercoidenfrau aufzurichten, und nach einigen Püffen und Stößen gelang ihm das auch. Psychisch war Laccied schwerer zu stabilisieren. Atlan konnte sich ziemlich gut vorstellen, wie man sich fühlte; wenn man von einander widerstrebenden Gefühlen sozusagen hin und her gerissen wird. Wie sich ein solcher seelischer Zwiespalt allerdings auswirkte, wenn die betreffende Person jahrelang überhaupt nichts mit Gefühlen gehabt hatte, entzog sich seinem Einfühlungsvermögen. Zudem – bewies nicht das haltlose Schluchzen Laccieds – anders konnte Atlan die Geräusche, die die Spercoidenfrau machte, nicht interpretieren – wie richtig und gut es war, wenn die Anzüge dabei halfen, überflüssige Emotionen auszuschalten. So betrachtet, konnte man Laccied sehr wohl als geistesgestört betrachten. Fürchterliche Bilder stiegen in Gaccurt auf, während er auf die völlig konfuse Laccied einredete. Wie hätte Sperco es zum Wohle aller erreichen sollen, sein Imperium aufzubauen, wenn er sich auf solche Helfer hätte verlassen müssen? Auf Kämpfer, die vielleicht mitten im Kampf von Mitleid überfallen wurden? Die – anstatt weiter zu töten, was sich den Spercoiden in den Weg zu stellen erdreistete – womöglich über eigene Verluste lamentierten, ja, in extremen Fällen sogar Mitleid mit den Gegner hatten? Wie sollte man aus einer Raumflotte ein perfekt funktionierendes Werkzeug in der Hand Spercos machen, wenn jedes Besatzungsmitglied nach Lust und Laune emotionale Anfälle von Bewußtseinstrübung bekam? Unvorstellbar! Nicht zu ertragen! »Nimm dich zusammen!« Erst beim zweitenmal bemerkte Atlan, daß der Befehl ihm galt, nicht der Spercoidenfrau in seinen Armen. Atlan kam zu Bewußtsein, daß er noch
9 immer einen mannshohen weiblichen Molch im Arm hielt. Es gab keinen Grund, warum molchähnliche Kreaturen schlechter sein sollten als humanoide, insektoide oder andere. Aber der kleine Trick half – der Anzug unterstützte gewisse negative Empfindungen, Stolz beispielsweise, Dünkel und Hochmut. Der kurze Impuls des Ekels reichte aus, um Atlan wieder normal denken zu lassen. »Ich glaube, es kommt jemand!« Diese scharf hervorgestoßene Bemerkung brachte auch Laccied zur Besinnung. Sie löste sich von Atlan. Ihre Stimme bekam wieder einen ruhigen, gleichmäßigen Klang. »Wir müssen uns besser konzentrieren«, sagte Atlan. »Viel besser. Erst wenn wir auf Marsocc sind, können wir nach einer Möglichkeit suchen, den Spercotisierten zu entfliehen.« Einen Augenblick lang, als Laccied wieder eine unbeherrschte Geste machte, befürchtete der Arkonide, daß Laccied zu einem neuen Gefühlsausbruch ansetzte. Völlig geirrt hatte er sich nicht, aber was er zu hören bekam, war kein flehentliches Bitten, sondern eine Bemerkung von schmerzlicher Traurigkeit. »Ich weiß nicht«, sagte Laccied, so leise, daß Atlan sie nur mit Mühe verstand, »ob ich nicht doch lieber wieder eine ganz normale Spercotisierte wäre.« »Einsamkeitssyndrom«, diagnostizierte der Logiksektor mit boshafter Gefühllosigkeit. »Wir werden sehen«, versuchte Atlan zu trösten. »Irgend etwas wird sich machen lassen. Immerhin ist es besser, daß wir leben und nach einem Ausweg suchen, als daß wir jetzt bereits von den Spercotisierten getötet worden wären.« »Die Überlegung ist nicht ganz logisch«, warf Laccied ein. Erleichtert stellte Atlan fest, daß die Spercoidin mit dieser Bemerkung zu verstehen gegeben hatte, daß sie psychisch wieder einigermaßen stabil geworden war. Und damit wurde für Atlan eine zweite Gefahr aktuell – diejenige, daß Laccied, nun
10 ihrerseits vielleicht wieder unter dem Einfluß des Anzug halb spercotisiert, begann ihn mißtrauisch zu beobachten und entsprechende Fragen zu stellen. Was er befürchtete, wurde bereits nach wenigen Augenblicken wahr. »Ich war vorhin ein wenig unlogisch«, eröffnete Laccied das peinliche Verhör. »Mir schien, du wolltest deinen Anzug öffnen.« »Ich sagte bereits«, versetzte Atlan kalt, »daß diese Hypothese nicht stichhaltig ist. Träfe sie zu, würde ich mich eines extrem unlogischen Verhaltens schuldig gemacht haben. Dieses Verhalten ist, wie ich hinzufügen möchte, selbst unter irrationalen Gesichtspunkten abzulehnen. Selbst ein NichtSpercotisierter würde niemals sein Leben einfach wegwerfen.« Indes ließ Laccied nicht locker. »Mehr noch«, fuhr sie hartnäckig fort. »Es sah fast so aus, als hättest du den Anzug bereits geöffnet.« »Dann wäre ich jetzt tot«, konterte Atlan ruhig. »Da ich aber noch in der Lage bin, auf deine Fragen zu antworten, kann ich nicht tot sein. Logisch?« »Es hört sich so an.« Der Arkonide sah keine andere Wahl als die, zurückzuschlagen und zwar – nach menschlichen Maßstäben – unterhalb der Gürtellinie. »Außerdem«, fuhr er fort, »möchte ich dich daran erinnern, daß du in den letzten Stunden alles andere als logisch gewesen bist. Ich komme zu der Folgerung, daß die Beeinflussung durch die Borgs dein Wahrnehmungsvermögen beeinträchtigt hat. Überlege, was wahrscheinlicher ist – daß du falsch beobachtet hast, oder daß ich versucht haben soll, mich selbst zu töten!« »Verzeih!« bat Laccied. »Ich wollte dich nicht kränken. Ich …« »Heilige Galaxis«, stöhnte Atlan stumm auf. »Was soll ich nur mit dieser verrückt gewordenen Kaulquappe anfangen. Entweder wird sie hysterisch, oder sie gebärdet sich als Verhörexperte!« »Ich werde ruhig sein«, versprach Laccied
Peter Terrid zur grenzenlosen Erleichterung des Arkoniden schließlich. »Wir werden es schaffen, ich glaube ganz fest daran.« In diesem Augenblick war sie wieder extrem sentimental. Atlan für sein Teil war absolut nicht felsenfest davon überzeugt, daß er es schaffen würde, sich aus den Händen der Spercoiden zu befreien. Schließlich stand er, ganz auf sich gestellt, einem Volk gegenüber, daß über eine beachtlich große Raumflotte verfügte. Vor allem aber hatte er sehr starke Zweifel an dem wir in Laccieds Rede. Die Spercoidenfrau würde – das zeichnete sich jetzt mit schrecklicher Deutlichkeit ab – ein arges Hindernis sein. »Nimm dich nicht so wichtig«, warnte der Extrasinn. »Auch du bist gegen Fehlentscheidungen und unlogisches Verhalten nicht gefeit.« Es sah nicht so aus, als werde sich Laccieds Gemütszustand in den nächsten Stunden stabilisieren. Im Gegenteil, Atlan befürchtete, daß sie unzurechnungsfähig würde. Da er selbst – in seiner Rolle als Gaccurt – sich für die Normalität der Spercoidenfrau verbürgt hatte, war Atlan nahezu automatisch mitgehangen, wurde Laccied wegen ihres abweichenden Verhaltens festgesetzt. So betrachtet, war Laccied in der Sicht des Arkoniden eher eine Art Klotz am Bein. Unwillkürlich mußte Atlan an Razamon und seinen Zeitklumpen denken. Ihm wäre wesentlich wohler gewesen, hätte er den Berserker an seiner Seite gewußt – selbst in seiner Unberechenbarkeit war Razamon als Kampfgefährte wertvoller als die Spercoidin Laccied, bei der das Pendel emotioneller Zustände immer weiter und heftiger ausschlug, je länger sie wieder unter Spercoiden weilte. »Du vergißt Razamons besonderes Verhältnis zum Bösen«, erinnerte der Extrasinn. Viel Wert besaß die Bemerkung unter den gegebenen Umständen nicht. Razamon war nicht erreichbar. Eine Diskussion, ob er zur Zeit der bessere Gefährte für Atlan gewesen wäre, erübrigte sich. Atlan konnte nur hoffen, daß es nicht zu einem Kampf kam. Noch war er nicht völlig
Die Stahlfestung gewöhnt an den feuchten, kalten Spercoiden-Anzug. Gewiß, der Anzug besaß Gelenke, der Träger konnte sich darin bewegen – aber das ließ sich nicht mit dem vergleichen, was Atlan ohne Anzug hätte leisten können. Der Vorteil des Anzugs bestand darin, daß der Träger weder Nahrungsmittel noch Wasser brauchte. Gegen Schwerthiebe vermochte die Panzerung einen hinreichenden Schutz zu gewähren, nicht aber gegen Energiewaffen. Und es zeichnete sich ganz klar und unübersehbar ab, daß die Tage der klirrenden Schwerter vorüber waren. Nun waren wieder Schocker und Blaster, Impulsstrahler und Desintegratoren an der Reihe. Für Atlan aber war dieses Problem lebenswichtig. Gegen Schwertkämpfer, Keulenschwinger und andere Gegner dieses Kalibers konnte sich der Arkonide dank zehntausendjähriger Erfahrung relativ einfach durchsetzen. Gegen einen gekrümmten Finger aber, der einen lichtschnellen Impulsstrahl auf die Reise schickte, halfen weder Fußwürfe noch Beinscheren. Der Arkonide wußte, daß er in den nächsten Tagen und Wochen keinen Augenblick lang unaufmerksam sein durfte: Sein Leben würde davon abhängen, daß er keinen Fehler machte – und der ehemalige Kristallprinz und spätere Imperator des Großen Imperiums liebte sein Leben. Wenn nur nicht die Spercoidenfrau gewesen wäre! Im Augenblick verhielt sie sich einigermaßen gefaßt, aber der Arkonide wußte, wie gründlich sich das binnen weniger Augenblicke ändern konnte. Zu seinem Glück saß eines der wiedererlangten … »… wiedererlangt?« fragte der Extrasinn lakonisch. … neuerlangten Gefühle sehr sehr tief – die Angst um die eigene Existenz. Wäre nicht die stete Drohung durch die Spercotisierten an Bord der BEHUTSAMKEIT gewesen, Laccied wäre kaum zu ertragen gewesen. »Geh zurück in deine Unterkunft«, schlug Atlan vor. »Dort bist du sicher.«
11 Der Himmel mochte wissen, was unter dem Wort sicher zu verstehen war unter diesen Umständen. Aber die Bemerkung tat ihre Wirkung. Laccieds Gestalt straffte sich. Unwillkürlich wartete Atlan darauf, daß sie sich die Tränen aus den Augen wischte, aber diese Geste war in Laccieds Repertoire nicht enthalten. In einer typisch menschlichen Regung seufzte der Arkonide tief auf, als sich die Tür hinter Laccied geschlossen hatte. Die Gefahr war vorüber – fürs erste.
3. »Wo sind die beiden gefunden worden?« Der Kommandant der BEHUTSAMKEIT zögerte keinen Augenblick mit der Beantwortung der Frage. »Gefunden wurde nur die Frau«, antwortete er. »Das war auf Trühlor. Die Gefangene Laccied wurde von dem Spercotisierten Gaccurt gefunden und befreit. Diese beiden können wahrscheinlich die besten Angaben über den feindlichen Stützpunkt machen.« Einen Augenblick lang schwieg der Gesprächspartner des Kommandanten. Dann erklang wieder die knarrende Stimme. Der Arkonide lebte noch nicht lange genug unter den Spercoiden, um die Feinheiten der Sprache wahrnehmen zu können, sonst wäre auch ihm aufgefallen, was für alle Spercotisierten in der Zentrale der BEHUTSAMKEIT sofort hörbar war: So sprach nur ein sehr ranghoher Spercoide zu einem anderen, der ihm sehr weit unterlegen war in der Hierarchie des Tyrannen. Der Tonfall war unverkennbar. »Ich wünsche, diese beiden schnellstens zu sehen. Sie sollen heruntergebracht werden, sobald die BEHUTSAMKEIT eine Parkbahn erreicht hat!« »Der Befehl wird ausgeführt werden«, versprach der Kommandant. »Sperco ist die Macht – die Spercotisierten sind seine Diener!« Die Verbindung brach zusammen. Der Bildschirm wurde dunkel. Der Kommandant
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Peter Terrid
der BEHUTSAMKEIT drehte sich um. »Informiert Laccied und Gaccurt. Sie sollen in die Zentrale kommen.« Sofort setzte sich einer der Spercoiden in Bewegung.
* Es war nicht länger auszuhalten. Atlan rang nach Luft, sein Körper war in Schweiß gebadet. Die Anstrengung war rein geistiger Art, aber das machte sie um nichts weniger erschöpfend. Immer wieder mußte er sich konzentrieren, seine Kraft zusammennehmen – die Gefahr, daß der Anzug ihn förmlich übernahm, wurde mit jeder Stunde größer, in der er dieses starre, naßkalte Etwas auf dem Körper trug. Er hatte etwas herausgefunden, was seine Widerstandskraft von innen heraus zu zermürben begann. Der unheilvolle Einfluß des Anzugs, die Gehirnwäsche, die sich langsam abspielte, sie hörten schlagartig auf, sobald Atlan den Anzug ablegte. Dann spürte er nichts mehr, wurde er nicht mehr beeinflußt. In diesen Zeiträumen war er geistig hellwach. Nichts deutete darauf hin, daß er sich mit aller Kraft gegen eine geistige Bevormundung hatte zur Wehr setzen müssen. Es war, als hätte er den verwünschten Anzug nie getragen. Aber diese Erholungspausen waren kurz, viel zu kurz. Da die Spercoiden kein Privatleben zu kennen schienen und daher auch keine Rücksichtnahme auf die Intimsphäre ihrer Artgenossen, gab es praktisch keinen Augenblick, in dem er nicht befürchten mußte, daß im nächsten Augenblick ein Spercoide unverhofft ins Zimmer platzte und ihn ohne Anzug sah. Behielt er den Anzug aber an … Er hatte herausgefunden, daß er von dem Augenblick an, da er den Anzug wieder trug, den Kampf gegen die fast hypnotische Wirkung des Spercoiden-Anzuges wieder aufnehmen mußte – und zwar an der Stelle,
an der er den Kampf abgebrochen hatte. Der unheilvolle Prozeß, der aus dem Kristallprinzen einen Spercotisierten machen sollte, ließ sich nur verzögern, nicht aber rückgängig machen – jedenfalls nicht dadurch, daß er den Anzug ab und zu auszog. Der Anzug wirkte kumulativ. Was das hieß, war dem Arkoniden nur zu bewußt. Es bedeutete, daß der Kampf zwischen ihm und dem Anzug härter und härter wurde und, auf lange Sicht gesehen, nur einen Sieger kennen konnte. Irgendwann mußte Atlans Widerstand zwangsläufig zusammenbrechen. Irgendwann – das allein gab dem Arkoniden noch eine gewisse Chance. Noch konnte er den heimtückischen Impulsen widerstehen. Noch war er nicht zum Spercotisierten geworden, noch hatten Begriffe wie Treue, Behutsamkeit oder wie immer die Spercoiden ihre Schiffe zu taufen beliebten, für Atlan ihre Bedeutung. Noch kämpfte er um seine geistige Freiheit, noch streifte er sich den Spercoiden-Anzug nur widerwillig über. Noch leistete er Widerstand … Noch … Atlan wußte, wieviel in diesem Wort lag. Er ahnte, daß er den Weg zurück niemals finden würde, war er erst einmal dem Einfluß des Anzugs erlegen. Es war ein lautloser Kampf, der um etwas geführt wurde, von dem der Arkonide geglaubt hatte, mehr als genug zu haben – Zeit. Es war eine reine Zeitfrage, mehr nicht. Entweder gelang es ihm zu entkommen, bevor der Anzug zu seinem Herrn und Gebieter geworden war, oder er würde übernommen, sank zu einer Marionette des Tyrannen herab. Atlan betrachtete den Anzug mit zusammengepreßten Kiefern. Auf die gewohnten Maßstäbe umgerechnet, war es früher Morgen. Er mußte also damit rechnen, daß irgendein Spercoide aus irgendwelchen Gründen den Kopf zur Tür hereinsteckte. Und dann … »Es hilft nichts«, drängte der Extrasinn.
Die Stahlfestung »Du mußt den Anzug anlegen!« Atlan stieß ein leises Kichern aus. »Du hast gut reden«, murmelte er. Was wurde eigentlich aus dem Extrasinn, wenn Atlan zum Spercoiden wurde? Bislang hatte Atlan nicht bemerken können, daß auch der Extrasinn der Beeinflussung unterlag. Eine Erinnerung stieg in ihm hoch. Es war lange her, viel Zeit war seit jenem Tag verstrichen, aber das fotografische Gedächtnis half ihm, sich zu erinnern. Er war damals in die Hände eines Wahnsinnigen gefallen. Vrentizianex hatte er geheißen, der blinde Seher von Varganen. Er hatte den Kristallprinzen wie ein Haustier gehalten, als eine Art Clown oder Hofnarr. Des Irren liebster Spielgefährte war allerdings eine Amöbe gewesen, in deren Geist die Bewußtseinsinhalte von einem halben Dutzend anderer Wesen förmlich verarbeitet worden waren. Die Amöbe hatte auch Atlan aufgesaugt und zu verarbeiten versucht. Nur an der Extrasinn war die Amöbe nicht herangekommen. War das die Chance? Stellte der Extrasinn eine Art Lebensversicherung dar? »Keine Informationen«, warf der Logiksektor ein. »Und versuche nicht abzulenken.« Atlan griff nach dem Anzug. Widerwillig begann er das Material überzustreifen. Ob das Zittern seiner Hände von der Kälte des Anzuges ausging oder auf Angst zurückzuführen war, untersuchte Atlan vorsichtshalber nicht. Auf dem Gang wurden Schritte laut. Schlagartig hörte das Zittern auf. Mit größter Schnelligkeit ließ er die Verschlüsse des Anzugs zuschnappen. Zu spät. Er hörte Laccieds entsetzten Aufschrei und fuhr herum. Richtig, das Metall des Spinds spiegelte etwas. In jedem Fall genug, um Laccied sehen zu lassen, was sie nicht sehen sollte. Sie war allein gekommen, stellte Atlan fest. Vielleicht gab es noch einen Ausweg
13 aus diesem Dilemma, einen Ausweg ohne Gewaltanwendung. »Du …«, stotterte Laccied. Atlan hätte zu gern gewußt, wie der Auflösungs- oder Vernichtungsprozeß funktionierte, der stets dann eintrat, wenn ein Spercoide seinen Anzug auch nur ein wenig öffnete. Freiwillig oder unfreiwillig – ein Loch im Anzug hatte in jedem Fall den sofortigen Tod des Anzugträgers zur Folge. Lag das an der Technik des Anzugs? Gab es eine Vernichtungsschaltung, die in solchen Fällen ansprach? Dann konnte Atlan behaupten, daß diese Schaltung bei seinem Anzug defekt geworden war. Selbst in einer sehr hochstehenden Technologie gab es Pannen, der Arkonide konnte ein Lied davon singen. »Du hast den Anzug geöffnet«, stieß Laccied hervor. Selbst der für die Feinheiten der Spercoidensprache wenig empfängliche Arkonide konnte den panischen Unterton heraushören. Oder war dieser Vernichtungsvorgang psychischer Natur? Eine Art psychosomatischen Selbstmords? Der Arkonide erinnerte sich an die Schreckwürmer, deren Rasseninstinkt sie gezwungen hatte, sich lieber selbst zu töten als ihre große Intelligenz zu verraten. »Das sah nur so aus«, versuchte sich Atlan herauszureden. »Das Spiegelbild muß dich getäuscht haben.« Atlan blieb, wie es seiner Rolle entsprach, regungslos stehen. Laccied trat zwei Schritte zurück. Diese Geste allein hätte ausgereicht, das Ausmaß ihres Schreckens erkennbar zu machen. »Ich täusche mich nicht«, antwortete Laccied. »Ich habe dich vor drei Tagen schon einmal so gesehen. Du hast den Anzug geöffnet.« »Dann wäre ich jetzt tot«, gab Atlan zurück. Sollte der nervenzerreißende Dialog eine zweite Auflage erleben? Was konnte er tun? Daß Laccied ihn enttarnt hatte, lag auf der Hand. Was Atlan im Augenblick sagte oder tat, war nicht mehr
14 als ein verzweifeltes Rückzugsgefecht. Er mußte Zeit gewinnen. Er hatte eine Waffe, und er war sich sicher, daß er schneller sein würde als die fassungslose Spercoidenfrau. Aber … Mord kam für den Arkoniden nicht in Frage, und es sah nicht so aus, als würde Laccied ihn zu einem Zweikampf zwingen. »Du wärest tot«, setzte Laccied ihr Verhör fort, »wärest du ein Spercoide wie ich.« Was war zu tun? Der Arkonide zermarterte sich das Hirn. Er fand keinen Ausweg. Hinhalten, Ausflüchte machen, leugnen, abstreiten, Geschichten erfinden, lügen – mehr war im Augenblick nicht möglich. »Was führt dich überhaupt zu mir?« fragte Atlan. Unterbrechen, aus dem Rhythmus bringen. Wie legt man eine Spercoidenfrau herein? Erinnere dich, Arkonide! Du hast Springer und Überschwere in Grund und Boden gefeilscht, Schlitzohre aller galaktischen Provenienzen übertölpelt – willst du vor einer Spercoidin kapitulieren? »Der Kommandant läßt uns in die Zentrale rufen«, sagte Laccied automatisch. Gewonnen! Sie ist abgelenkt. Was geht hinter der Sichtscheibe ihres Helms vor? Welche Gedanken werden dort gewälzt? Wie beeinflußt man die Psyche eines Wesens, von dem man noch nicht einmal das Aussehen kennt. Eine weitere Frage stellen. Sie darf nicht auf das heikle Thema zurückkommen. Du redest um deinen Kopf, Arkonide! »Ist ein Planet in Sicht?« Die Stimme muß ruhig klingen. Wer weiß, vielleicht ist die Spercoidensprache doch geeignet, Gefühle durch den Tonfall oder die Satzmelodie auszudrücken. Ganz ruhig bleiben, keine Aufregung zeigen. Es ist nichts passiert. Laccied hat eine Bewegung in einem miserablen Spiegel gesehen und völlig falsch interpretiert. Mehr ist nicht vorgefallen. Es lohnt nicht, darauf zurückzukommen. »Unser Stützpunkt Marsocc. Wir werden
Peter Terrid bald in eine Parkbahn einschwenken.« »Ich komme mit dir.« Atlan rührte sich nicht. Er wartete. Laccied setzte sich in Bewegung. Sie verließ die Kabine. Hat sie ihren Verdacht aufgegeben? Ist sie überzeugt? Atlan folgte mit gleichmäßigen Bewegungen. »Ist Marsocc eine bedeutende Welt?« Laccied machte eine Geste der Zustimmung. Aus einer offenstehenden Tür trat ein Spercoide auf den Gang. Jetzt genügte ein Wort … Laccied sagte nichts. Wortlos schritt sie weiter, vorbei an dem ersten Spercoiden, an dem zweiten. Eine Wache tauchte auf, die plumpe Waffe schußbereit. Auch an ihr ging Laccied vorbei. Hatte sie den Vorfall vergessen? Atlan glaubte es nicht, obwohl alles danach aussah. Vielleicht aber … »Richtig«, bestätigte der Extrasinn. »Sie schweigt, weil sie dich nicht früher gemeldet hat. Machte sie ihre Gefährten jetzt auf dich aufmerksam, würde man auch sie genauestens untersuchen. Davor hat sie natürlich Angst.« Ich hatte sie in einen unlösbaren Gewissenskonflikt gestürzt. Entweder hielt sie zu ihrem Volk und verriet den geheimnisvollen Fremdling, der seinen Anzug öffnen konnte, ohne sofort zu vergehen – dann mußte sie, die nicht mehr Spercotisierte, sterben. Oder sie schwieg, sie half dem Fremden, am Leben zu bleiben, rettete so – vorläufig – das eigene Leben … und beging damit Verrat an ihrem Volk, das allerdings von einem Tyrannen beherrscht wurde. So oder so … jede Entscheidung war falsch, jedes Bezugssystem hatte seine Mängel. Die Wachen am Eingang zur Zentrale rührten sich nicht, als die beiden Gestalten den Raum betraten. Atlan erschien es immer noch rätselhaft, wie sich die Spercoiden so genau gegenseitig erkennen konnten. Er selbst hatte äußerste Mühe damit, und er hätte manchen tödli-
Die Stahlfestung chen Fehler begangen, wäre nicht der Extrasinn gewesen, das im Zweifelsfall stets einen Ausweg fand. »Marsocc?« fragte Atlan leise. Auf seiner Stirn standen feine Schweißtropfen. Es war schwierig, die Konzentration zu wahren, die nötig war, um die Impulse des Anzugs zurückzudrängen. Auf der anderen Seite erforderte die augenblickliche Situation höchste Konzentration. Der geringste Fehler konnte verhängnisvoll werden. Auch wenn die Spercoiden Atlan gegenüber nicht mißtrauisch waren, mußte der Arkonide auf der Hut sein. Eine einzige Geste, eine ungeschickte Bemerkung konnten sein Schicksal besiegeln. Was der Arkonide auszufechten hatte, war ein stummes Duell an zwei Fronten – mit den gefühlskalten, logischen, erbarmungslosen Spercoiden und mit dem gleichermaßen erbarmungslosen Anzug. »Dies ist Marsocc«, bestätigte der Kommandant der BEHUTSAMKEIT. Auf den Bildschirmen der Raumortung waren Einzelheiten erkennbar. Sichtbar waren auf den Schirmen eine große, gelbe Sonne und insgesamt vierzehn Planeten. In einer Analogprojektion, die jeder Raumfahrer jeder beliebigen Zeit verstanden hätte, wurden die zentrale Sonne und die Planeten in Symbolen dargestellt. Daß die Maßstäbe dabei stark verzerrt waren, verstand sich von selbst – bei einer maßstabgetreuen Darstellung der Bahn des entferntesten Planeten wäre die Zentralsonne praktisch nicht mehr sichtbar gewesen. Die Welten – sie wurden wie üblich von innen nach außen durchnumeriert – drei, vier, fünf und sechs waren vermutlich bewohnt. Darauf deutete die unterschiedliche Färbung der Planeten auf der graphischen Darstellung hin. Die inneren Welten waren dann vermutlich zu heiß, die äußeren hingegen zu kalt, um Leben zu ermöglichen. Der Arkonide leckte sich die Lippen, die trocken geworden waren. War Marsocc die Heimatwelt der Spercoiden? War diese geheimnisvolle Spezies auf diesem Planeten entstanden?
15 Wenn ja, ergaben sich daraus ungeahnte Möglichkeiten. Der Arkonide war nicht sonderlich in Ethnologie und Paläanthropologie bewandert, aber er erinnerte sich noch an die Zusammenhänge. Mensch und Tier waren miteinander verwandt, soviel stand fest. (Daß in diesem Zusammenhang die Tiere weit mehr Grund hatten, diese Verwandtschaft zu leugnen, stand auf einem anderen Blatt.) Wenn man die Linien der Entwicklung vom Einzeller bis zum Menschenaffen betrachtete und fortrechnete, kam man fast zwangsläufig beim Menschen an. Wenn es dem Arkoniden gelang, sich etwas näher mit der Fauna des Planeten zu beschäftigen, konnte er vielleicht ausrechnen, in welchem Wesen diese biologische Entwicklung gegipfelt hatte. Dann wäre das Geheimnis der körperlichen. Beschaffenheit der Spercoiden gelöst gewesen. Eine Welt, auf der es riesige Sumpflandschaften gab, hätte beispielsweise die Molch-Theorie gestützt – eine Trockenwelt hätte das Gegenteil bewiesen. »Marsocc ist nur ein Stützpunkt«, kommentierte der Extrasinn trocken. Dieser knappe Kommentar brachte den Arkoniden wieder zur Besinnung. Die Hoffnung, endlich Genaueres über die Spercoiden in Erfahrung bringen zu können, verflog. »Wir machen ein Beiboot startklar«, gab der Kommandant bekannt. Atlan zog die Brauen in die Höhe, darauf vertrauend, daß die Spercoiden ebensowenig wie er in der Lage waren, zu erkennen, was hinter den Sichtscheiben der Anzüge vorging. Andernfalls hätte der Arkonide seine Identität nur schwer verbergen können. Schlohweiße Haare und rote Albinoaugen waren im Imperium der Spercoiden sicherlich nicht an der Tagesordnung. Beiboot, rätselte der Arkonide. Warum landete die BEHUTSAMKEIT nicht auf Marsocc? Braute sich da irgend etwas zusammen, das für den Arkoniden verhängnisvoll werden konnte? Nach seinen bisherigen Erfahrungen mit Spercotisierten mußte At-
16 lan auf alles gefaßt sein. »Welche Welt ist Marsocc?« Laccied nahm dem Arkoniden die Aufgabe ab, sich nach Einzelheiten zu erkundigen. »Die Sonne heißt so«, wurde Laccied belehrt. »Der vierte Planet trägt ebenfalls diesen Namen. Dort wird das Beiboot landen.« Die Auskünfte kamen schnell, knapp und präzise, ganz nach Spercoidenart. Atlan wandte den Blick nicht von den Schirmen. Der Arkonide dachte an Flucht. Diese Gedanken waren naheliegend angesichts der Gefahr; in der Atlan in jedem Augenblick lebte. Im Geiste begann er bereits damit, seine Vorkehrungen zu treffen. Aufmerksam verfolgte er sämtliche Bewegungen auf den Bildschirmen. Er brauchte die einzelnen Objekte nicht zu zählen, ihren Kurs oder ihre Größe zu bestimmen – diese Aufgabe konnte er getrost dem Zusammenspiel von Extrasinn und fotografischem Gedächtnis überlassen. Auf den ersten Blick war allerdings schon klar, daß Marsocc ein Stützpunkt von Bedeutung sein mußte. Der Schiffsverkehr im Bereich der Sonne Marsocc war erheblich. Atlan schätzte einige hundert Schiffsbewegungen pro Stunde – nicht genug für eine Zentralwelt, entschieden zuwenig für ein kleines Depot. Auf Marsocc würde sich einiges über die Spercoiden herausfinden lassen, soviel stand für den Arkoniden fest – unter der Voraussetzung allerdings, daß er von den Spercoiden nicht enttarnt wurde. In kurzer Zeit wuchs der leuchtende Punkt auf dem Schirm der Normaloptik an, wurde zur Scheibe und füllte schließlich das Rechteck des Schirmes völlig aus. »Orbit erreicht«, gab eine Stimme bekannt. Der Kommandant machte eine Geste der Befriedigung. »Das Beiboot?« »Startklar!« Mit einer herrischen Geste wurden Atlan und Laccied aufgefordert, sich an Bord des Beiboots zu begeben. Die Spercoidin Lac-
Peter Terrid cied setzte sich sofort in Bewegung. Atlan zögerte einen kurzen Augenblick lang. »Vorwärts!« drängte der Extrasinn. »Ein Spercotisierter wird niemals zögern, einen erhaltenen Befehl unverzüglich auszuführen.« Jetzt erst verließ auch der Arkonide die Zentrale der BEHUTSAMKEIT, die ihren Namen so wenig verdiente wie die anderen Spercoidenschiffe auch. Niemand kümmerte sich um die beiden, als sie durch die Gänge schritten. Wortlos benutzten sie die Transportmittel, die sie zum Beiboothangar brachten. Im Innern des Spercoidenschiffs konnte der Arkonide eine Stimmung spüren, die ihn nicht minder stark beeindruckte als das Tragen des Anzugs. Er vermißte, wo immer er sich auch an Bord der BEHUTSAMKEIT umsah, die kleinen Anzeichen dafür, daß es sich bei der Besatzung des Schiffes um lebende Wesen handelte, nicht um Roboter. An Bord eines terranischen Schiffes – auch eines reinen Militärfahrzeugs – hätte es anders ausgesehen. Karikaturen über den Klingelknöpfen, witzige Kreidesprüche an den Wänden, Erinnerungsphotos über den Betten. In Spercoidenschiffen gab es diese sentimentalen Details nicht. Die Spercotisierten schienen so leidenschaftlich zu sein wie der Stahl, aus dem ihre Schiffe bestanden. Hinter seiner undurchsichtigen Helmscheibe mußte der Arkonide grinsen. War es nicht die Gefühlsduselei der Terraner gewesen, die immer wieder seine Kritik herausgefordert hatte? Hatte er nicht immer wieder seinen Freund Perry Rhodan aufgefordert, seine sentimentalen Anwandlungen zu vergessen und so zu handeln, wie der Arkonide es nach der Geschichte seines Volkes für richtig halten mußte – eiskalt, nur nach sachlichen, nach Machtgesichtspunkten ausgerichtet. Die Spercoiden schienen auf diesem Gebiet die härtesten der alten Arkonadmiräle zu übertreffen.
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Den Arkoniden schauderte es.
4. Die BEHUTSAMKEIT wurde kleiner. Nach wenigen Minuten hatte sich das Beiboot so weit vom Mutterschiff entfernt, daß die Hülle des Spercoidenschiffs gegen das Dunkel des Raumes nicht mehr auszumachen war. Atlan fröstelte. Das Gefühl kam nicht nur von der Kühle des Anzuges. Es resultierte vor allem aus der Ungewißheit. Niemand, auch nicht das sonst so leistungsfähige Extrasinn, konnte vorhersagen, wie sich das Schicksal des Arkoniden gestalten würde. Dafür war viel zu wenig über die Spercoiden bekannt. Datenstand nicht ausreichend, würde die Antwort einer großen Positronik vermutlich lauten, wenn man ihr das Problem vorlegte. Als sich das Beiboot drehte, konnte Atlan einen Blick auf Marsocc werfen. Er hatte Zeit genug, sich den Planeten anzusehen; weder Laccied noch der Pilot des Beiboots kümmerten sich um den Arkoniden. Marsocc hatte voraussichtlich eine ähnliche Schwerkraftanziehung aufzuweisen wie die Erde. Das machte die Lage für Atlan erträglicher. Daß es sich bei Marsocc um eine Sauerstoffwelt handelte, stand fest. Wenn in einem System mehrere Welten zur Auswahl standen, würde jedes intelligente Volk sich zur Anlage eines Stützpunkts stets die Welt aussuchen, deren ökologische Verhältnisse weitestgehend mit den Gegebenheiten der Heimat übereinstimmten. Da im Innern der BEHUTSAMKEIT eine Sauerstoff-Atmosphäre geherrscht hatte, mußte Marsocc logischerweise ähnlich geartet sein. Erkennbar waren aus dem Blickwinkel des Arkoniden zwei große zusammenhängende Landmassen. Der Rest des Blickfelds wurde von Wasser ausgefüllt; die blaugrüne Farbe war nicht zu verkennen. Auch die weißen Streifen, die sich über Land und Meer zogen, waren leicht als Wolken zu identifizieren.
Marsocc besaß also eine Sauerstoffatmosphäre und große Mengen freien Wasser, beides Voraussetzung für Leben in der Form, die sich auf der Erde und den Arkonwelten entwickelt hatten. Diese Voraussetzungen erleichterten die Lage des Arkoniden erheblich, vor allem dann wenn es sich bei Marsocc um einen Stützpunkt der Spercoiden handelte und nicht um eine ihrer Hauptwelten. Stützpunktplaneten waren in der Regel nicht voll besiedelt – es mußte weite Gebiete geben, in denen sich ein Flüchtling gut verstecken konnte. Langsam ging das Beiboot tiefer. Der Pilot hatte offenbar den Befehl, das Material zu schonen. Er ging jedenfalls mit den Kontrollen so behutsam um, wie dies bei einem Spercotisierten überhaupt möglich war. Er schaltete Schirmfelder ein, die den Aufprall der Luftmoleküle absorbierten. Im Innern des kleinen Raumfahrzeugs wurde es laut. Das Beiboot war so spartanisch eingerichtet, wie Atlan es erwartet hatte. Es gab die nötigen Instrumente, nicht eines mehr als unbedingt nötig. Es gab Sitzgelegenheiten, eng und unbequem, es gab ein Triebwerk, dessen hauptsächlicher Vorzug seine Robustheit war. Der Pilot hatte offenbar Anweisung, auf dem größeren der beiden Kontinente der augenblicklichen Tagseite zu landen. Im Näherkommen konnte Atlan den Raumhafen erkennen, ein Areal von beachtlicher Größe, das einem Raumhafen irdischer Bauart durchaus gleichwertig schien. Rings um das Landefeld zog sich ein Kranz von Gebäuden hin, danach gab es nur freies Feld. Jedenfalls sahen die landschaftlichen Gegebenheiten aus der Luft so aus. Wie die Region wirklich beschaffen war, mußte sich später erweisen, nach der Landung. Im Innern des Spercoiden-Beiboots wurde kein Wort gewechselt. Der Pilot machte sich nicht einmal die Mühe, auf die bevorstehende Landung hinzuweisen. Er überließ es der Intelligenz seiner Passagiere, sich rechtzeitig vor dem Aufsetzen anzuschnallen. Im letz-
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ten Augenblick brach dann der Andruckabsorber einmal mehr zusammen. Mit einem kräftigen Puff setzte das Beiboot auf, und der stoß trieb dem Arkoniden erst einmal die Luft aus den Lungen. So nahm er nur halb zur Kenntnis, daß der Pilot die Luke öffnete. Erst als er Laccied mühsam das Beiboot verlassen sah, kam er wieder zu sich. Umständlich kletterte auch er aus dem Boot. Eine Überraschung wartete auf ihn.
* Daß man die aus den Händen der Borgs errettete Laccied zu befragen wünschte, lag auf der Hand. Daß man auf Spercoidenseite gleichermaßen an einem Gespräch mit dem unmittelbaren Befreier der Spercoidenfrau interessiert war, war ebenfalls einleuchtend. Mit einem Empfangskommando hatte der Arkonide als logisch denkendes Wesen gerechnet. Nicht gefaßt aber war er auf einen förmlichen Staatsempfang erster Klasse. Es fehlten nur noch die Böllerschüsse und eine Musikkapelle. Alles andere war vorhanden – eine Ehrengarde, ein Empfangskomitee. Der Unterschied, der ins Gewicht fiel, bestand darin, daß Laccied und Atlan auf Marsocc keineswegs als Staatsgäste, sondern vielmehr als Verbrecher der übelsten und gefährlichsten Sorte zu gelten schienen. Laccied jedenfalls nahm beim Anblick der Spercoiden sofort Haltung an. Die sichtbare Geste des Respekts war erklärlich – die Spercoiden des Empfangskommandos waren größer, wuchtiger als jene Spercotisierten, die Atlan bereits kannte. Vielleicht handelte es sich bei diesen Spercoiden um eine Elite innerhalb der Elite. Angesichts der Proportionen der Spercoiden und den gezückten und entsicherten Waffen der Kampfroboter verbot sich jeglicher Widerstand von selbst. Atlan entschloß sich, jede von Laccieds Bewegungen exakt nachzuvollziehen. Darin sah er seine einzige Chance, keinen Fehler zu machen, der ihn den Kopf kosten konnte.
Der Anführer des Empfangskommandos machte eine herrische Geste. Aus dem Schatten eines Gebäudes am Rand des Landefelds löste sich ein Gleiter und jagte heran. Die kurze Pause bis zum Eintreffen des Gleiters nutzte Atlan zu einem raschen Rundblick. Stahl, das war der erste Eindruck. Das Landefeld bestand aus Stahl, vermutlich meterdick, um die Last der Schiffe tragen zu können. Stählern war auch die Haut der Schiffe, stählern die Schale des Gleiters, und Atlan vermutete, daß auch die Tore der Gebäude aus Stahl bestanden. Zu diesen festungsähnlichen Bauwerken hätte kein anderes Material gepaßt. Der Platz hatte etwas Bedrückendes. Er erinnerte an die Festungsanlagen, die es einmal auf der dritten Arkonwelt gegeben hatte, damals, als der Herrscher aus Stahl, der Robotregent, über das Arkon-Imperium geherrscht hatte. Seinerzeit hätte man den Industrieplaneten Arkon III getrost als Stahlwelt bezeichnen können. Die Härte und Kälte der Landschaft paßte zum Charakter der Spercoiden. Die Welt aus Stahl war den Spercotisierten sozusagen auf den Leib geschmiedet. Der Gleiter blieb vor der Gruppe stehen. Als erste mußte Laccied das Gefährt besteigen, dann Atlan. Der Sitz bestand aus Stahl. Dann kletterte das Empfangskommando in die offene Schale. Ihre, Waffen waren schußbereit, die Mündungen zielten auf die beiden Gefangenen. Als der Gleiter startete, setzten sich auch die Roboter in Bewegung. In klirrendem Trab folgten sie dem Gleiter. Auch ihre Waffen zielten ununterbrochen auf Laccied und Atlan. Der Boden dröhnte unter den Tritten der Kampfmaschinen. In Atlans Ohren hörte sich das Geräusch an, als würden die Glocken zum Jüngsten Gericht läuten. Diesem Klang entsprechend fiel auch die Gemütslage des Arkoniden aus. Ein Regisseur, betraut mit der Aufgabe, einen Gast in Angst und Schrecken zu versetzen, hätte keine eindrucksvollere Szenerie erfinden können.
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Ohne sich zu rühren, ließen sich die beiden Gefangenen zum Rand des Raumhafens fahren. Erst im Näherkommen waren die einzelnen Forts und Befestigungen zu erkennen, die stählernen Kolosse der Geschütze. Die Mündungen ragten drohend in die Höhe. Atlan mußte an die Hundertsonnenwelt denken, die Zentralwelt der Posbis. Nur einmal hatte Atlan vor seiner Ankunft auf Marsocc eine derartige Waffenansammlung gesehen – in den Befestigungen der Hundertsonnenwelt. An einer Überlegung konnte jetzt kein Zweifel mehr bestehen: Marsocc, das war nicht irgendeine Welt im Imperium des Tyrannen Sperco – Marsocc war vielleicht die wichtigste Niederlassung der Spercotisierten in der Galaxis Wolcion überhaupt. Geräuschlos öffnete sich ein Tor im Festungswall. Mehr als vierzig Meter hoch war dieses Tor, drei Meter war der Stahl dick. Wenn dieses Fort zusätzlich noch von Schirmfeldern geschützt wurde, mußte ein eventueller Gegner allerhand aufbieten, um diese Festung knacken zu können. Als sich das Tor hinter Atlan wieder schloß, kam er sich vor, als sei er gerade eingesargt worden.
* »Absteigen!« Atlan zögerte nicht, dem Befehl sofort zu folgen. Zusammen mit den Wachen verließ er den Gleiter. Er hatte eine Fahrt von knapp fünfzehn Minuten hinter sich. Es war eine rasche Fahrt gewesen, die durch ein Labyrinth von Gängen geführt hatte. Der Extrasinn hatte Atlan geholfen. Er wußte, daß er sich schätzungsweise fünfzig Meter unter dem Niveau des Raumhafens befand. Er wußte auch, daß in diesem Gebiet der Festung einige Hundertschaften schwerbewaffneter Spercoiden stationiert waren. Es war eine Anlage, die dem ehemaligen Admiral der Arkon-Flotte Achtung abnötigte.
Man mochte über die Spercoiden denken wie man wollte, vom Befestigungsbau verstanden sie etwas. Atlan konnte das beurteilen – er hatte mehr als eine Fortifikation gebaut und ebensoviele gestürmt. An den französischen Festungsbauer Vauban, der für den vierzehnten Ludwig Forts gebaut hatte, erinnerte er sich besonders gut. Manch ein Plan, der der Nachwelt nicht erhalten geblieben war, trug die Handschrift des Arkoniden. Die Wachen beeindruckten Gaccurt nicht minder. Das waren Soldaten, die man für jeden Zweck verwenden konnte – stark, geschmeidig in ihren Bewegungen, todesmutig wie alle Spercoiden, nur noch kälter, noch härter in den Anforderungen, die sie an sich und ihre Gegner stellten. Vergleichbar vielleicht mit der Alten Garde Napoleons, oder den Zehntausend Unsterblichen, mit denen die Perser ihr Reich errichtet hatten. Oder aber, der Gedanke drängte sich Gaccurt förmlich auf, mit den Spartiaten, jener eisenharten Truppe der Spartaner, die nur für den Krieg erzogen worden waren und an deren Härte und unnachgiebiger Tapferkeit die Truppen des Xerxes gescheitert waren. Der Große Philipp, der sich mit wenigen harten Schlägen Griechenland erobert hatte, die Spartaner hatte er nicht überwinden können – Sparta war an Altersschwäche eingegangen. Ja, dieser Vergleich stimmte. Die Spercoiden waren die Spartaner ihres Universums. Es mußte eine Ehre sein, dieser Truppe anzugehören. »Narr!« Noch genügte dieser kurze Impuls. Er drängte den Spercoiden Gaccurt zurück und gab Raum für den Arkoniden Atlan. Im gleichen Augenblick verflog das Gefühl der Sympathie für diese EliteSpercoiden, deren Grausamkeit und Härte schwerlich zu überbieten war. Schweigend hatten die Spercoiden Atlan und Laccied in die Mitte genommen. Im Gleichschritt stapften sie durch die Gänge. Auch hier verriet die Einrichtung militärische Nüchternheit. Es gab keine Verkleidung, die Kabel für die Leuchtkörper waren
20 einfach an den nackten Fels der Stollen geheftet. Verglichen damit waren die Bunker der Maginotlinie die reinsten Luxusappartements gewesen – im Frieden, wohlverstanden. Der Trupp blieb stehen. »Hier herein!« Laccied, die vor Atlan ging, machte einige Schritte auf das Schott zu, das nach einem Knopfdruck den Eingang freigab. Atlan begann sich ebenfalls zu bewegen, wurde aber mit einem Rippenstoß belehrt, daß er nicht angesprochen war. Der Arkonide hielt den Atem an. Was würde Laccied tun, da sie jetzt von Atlan getrennt wurde? Wenn es in diesen Höhlen so etwas wie eine Atmosphäre gab, dann war dieses Klima von Furcht und Gewalt geprägt. Konnte Laccied sich beherrschen? Sie begann nicht zu jammern und zu klagen. Sie schwieg, als sich das Schott wieder schloß. »Vorwärts!« Atlan stieß einen unhörbaren Seufzer der Erleichterung aus. Der Trupp marschierte weiter, vorbei an einer ganzen Reihe von Schotten. Als der Anführer erneut den Befehl zum Halten gab, begann das Herz des Arkoniden unwillkürlich schneller zu schlagen. Seine Augen begannen zu tränen – ein untrügliches Zeichen dafür, daß er hochgradig erregt war. Der Offizier trat zur Seite, um Atlan den Weg freizumachen. Der Arkonide ging an dem Spercoiden vorbei. Mit einer geschmeidigen Bewegung nahm der Spercotisierte die Waffe von der Hüfte des Arkoniden. Für Atlan gab es jetzt keine Entscheidungsfreiheit mehr. Einen Augenblick lang hatte er mit der Versuchung gekämpft: Eine rasche, überfallartige Reaktion konnte ihm vielleicht die Freiheit wiedergeben, vielleicht auch den Tod bringen. In jedem Fall aber hätte ihn dies vor der Gefahr gerettet, zum Verräter zu werden. Diese Möglichkeit gab es jetzt nicht mehr. Die Alternativen waren klar:
Peter Terrid Verrat an Perry Rhodan, den Terranern und den Völkern der Galaxis, die winzige Chance, irgendwie aus diesem Dilemma herauszukommen, und den Tod. »Am wahrscheinlichsten ist die letzte Möglichkeit«, gab der Extrasinn mitleidlos bekannt. Atlan ging vorwärts. Der Raum, in den er trat, war nicht leer. Atlan erkannte einen Spercoiden, der mitten im Raum stand. »Ich heiße Warscon«, sagte der Spercoide. Mit einer Handbewegung lud er Atlan ein Platz zu nehmen.
* Das wissenschaftliche Spezialgebiet des gewesenen Arkon-Admirals und späteren Weltbummlers war Hochenergiephysik …. Psychologie war nicht seine Sache. Indes hatte der Arkonide in zehn Jahrtausenden auf der Erde gelernt, wie man sein Gegenüber nach kurzer Zeit einigermaßen präzise einschätzen konnte. Atlans Psychologie entsprang seiner in Jahrtausenden erworbenen Menschenkenntnis. Eines der Mittel, Menschen zu beurteilen, war die Sprache. Es gab da gewisse Gewohnheiten, die deutliche Rückschlüsse auf den Sprecher erlaubten. Wer – beispielsweise – jedem Halbsatz ein um Zustimmung heischendes »nicht wahr?« anhing, war schwerlich jemand, der vor Selbstbewußtsein strotzte. Und wer jeden Satz mit einem eingestreuten »ehrlich!« verzierte, nahm es vermutlich mit der Wahrheit nicht sehr genau – andernfalls hätte er es nicht für nötig erachtet, seine Wahrhaftigkeit so oft zu erwähnen. Es gab viele solche Erkennungsmittel – eines davon war das, was man als Körpersprache bezeichnete. Das Phänomen als solches war jedermann geläufig. Stumme konnten sich durch Gesten mitteilen, Schauspieler griffen zu diesem Mittel. Menschen, die einander sehr gut kannten, konnten an Bewegungen, die nie-
Die Stahlfestung mandem sonst etwas sagten, sehr viel erkennen. Das Heben der Brauen, ein angedeutetes Naserümpfen, eine kaum merkliche Verzögerung beim Erwidern eines Grußes – wer sich auf Körpersprache verstand, konnte aus solchen Kleinigkeiten allerhand entnehmen. Diese Erfahrung war es, die den Arkoniden stutzen ließ. Mit einer Handbewegung hatte Warscon ihn zum Sitzen aufgefordert. Aber mit was für einer Handbewegung! Der Arkonide konnte selbst nicht genau sagen, was ihn daran irritierte. Irgendwie stimmte die Bewegung nicht mit dem überein, was man füglich von einem Spercoiden erwarten konnte. Die Geste war, dem Arkoniden fiel kein anderes Wort dafür ein, … sie war gefühlvoll gewesen, ausdrucksvoll, höflich. Ein höflicher Spercoide aber war ein Unding, ein Widerspruch in sich selbst. Vorsichtig nahm Atlan Platz. Er traute seinem Gesprächspartner nicht. Warscon nahm auf dem zweiten Sessel Platz. Der Ausdruck Sessel war in diesem Fall durchaus angemessen – verglichen mit der Kargheit, mit der sich Spercoiden normalerweise umgaben, waren diese Sitzmöbel wirklich komfortabel, fast schon luxuriös zu nennen. »Du bist Gaccurt.« Wieder stutzte der Arkonide. Was irritierte ihn an der Stimme? Hatte Warscon eine Feststellung getroffen oder eine Frage gestellt. Der Tonfall war nicht eindeutig. »Ich bin Gaccurt.« »Du hast Laccied gefunden?« »Das trifft zu.« Wieder dieser Unterton in der Stimme des Spercoiden. War er erleichtert darüber, daß die Spercoidenfrau gerettet worden war? Erleichtert? Ein Spercoide? »Was kannst du über Trühlor berichten?« Auf diese Frage hatte Atlan gewartet. Den Text seiner Erklärung hatte er sich sorgfältig überlegt. Das fotografische Gedächtnis hatte ihm dabei geholfen, sich an die Einzelheiten
21 der Station auf Trühlor zu erinnern. Der Logiksektor hatte dafür gesorgt, daß es in dem Bericht keine gravierenden Fehler gab – immerhin hatte der Arkonide einiges zu verschweigen, und diese Lücken mußten irgendwie ausgefüllt werden. Für einen erfolgreichen Lügner brachte der Arkonide die denkbar besten Voraussetzungen mit – ein untrügliches Gedächtnis. Gleichzeitig, auch das war zu beachten, mußte der Bericht einige kleine, erkennbare Fehler und Irrtümer enthalten. Auch Spercoiden waren nicht perfekt – ein Extrasinn hatten sie jedenfalls nicht. Also durfte der Arkonide diese Fähigkeit nicht erkennbar werden lassen. In jeder freien Stunde hatte Atlan an diesem Bericht gefeilt. Selbstverständlich kannte er ihn buchstabengenau. Jetzt brauchte er den präparierten Text nur abzuspulen. Während er redete wie ein Prophet – mit fremder Zunge, die aus ihm sprach und strömte –, behielt er den Spercoiden im Auge. Von Jugend an hatte der Arkonide viel mit Militärs zu tun gehabt – erst als Gegner in seinem Kampf um seine Rechte als Kristallprinz, dann in der Arkon-Flotte und danach in jedem zweiten Heer, das über die Oberfläche Terras gezogen war. Die typische Denkweise der Militärs war dem Arkoniden vertraut, und er verhielt sich nach dieser Erfahrung. In seinen Bericht hatte er eine Menge unwichtiger Details eingebaut, die seine sorgfältige Beobachtung beweisen sollten. Es war das Glück des Arkoniden, daß er sozusagen sein Extrasinn sprechen ließ – er hatte gleichsam die Sprechorgane mit dem fotografischen Gedächtnis zusammengeschaltet. Mitten in seinem Vortrag bewegte sich Warscon. Er bewegte sich nur einmal. Diese Bewegung platzte in einen Teil von Atlans Bericht, in dem er die Räumlichkeiten auf Trühlor in geradezu epischer Breite schilderte. Diese Bewegung hatte einen Sinn.
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Peter Terrid
In die Sprache der Terraner übersetzt besagte die Bewegung: »Fasse dich kurz, du langweilst mich. Ich werde ungeduldig. Komm endlich zum Wesentlichen.« Es gab noch eine Menge anderer Deutungen dieser Geste, die allesamt zu ähnlichen Ergebnissen führten. Mit dieser Armbewegung hatte der Spercoide seinen Unwillen kundgetan.
5. »Vorsicht!« warnte der Extrasinn. Atlan war verstummt. Sein Bericht war beendet. In der letzten Viertelstunde hatte sich Warscon nicht um Haaresbreite bewegt. Die Warnung des Extrasinns war durchaus angebracht. Aus einer einzigen Geste zu folgern, daß … Da war vor allem die naheliegende Überlegung, daß nicht jede Bewegung eines höheren Lebewesens unbedingt als kommunikative Geste gedacht sein mußte. Gähnen konnte durchaus lediglich auf Sauerstoffmangel zurückzuführen sein – möglich war allerdings auch, daß es sich dabei um einen mehr unbewußt ausgeführten Versuch handelte, einen lästig gewordenen Besucher sanft zum Gehen aufzufordern. Dazu kam, daß der Arkonide praktisch nichts über die Gestik der Spercoiden wußte. Möglich war auch, daß der Anzug des Spercoiden nicht richtig saß. Es gab viele Gründe, warum sich Lebewesen bewegten. »Sehr interessant«, sagte Warscon. »Deine Informationen werden uns helfen. Sperco ist die Macht …« »… die Spercotisierten sind seine Diener«, antwortete Atlan automatisch und ohne Zögern. Das Gespräch war damit beendet. Atlan stand auf und ging zur Tür. Mit einem Knopfdruck ließ Warscon das Schott aufgleiten. Auf dem Gang warteten vier Spercotisierte und acht Roboter mit entsicherten Strahlern auf Atlan. Der Arkonide fühlte sich versucht, einen
Witz zu reißen. Zwölf Schwerbewaffnete, um einen alten Arkoniden zu bewachen, das war mehr als aufwendig. Aber für den Spott, den der Arkonide zu anderer Zeit und anderenorts entwickelt hätte, wären die Spercotisierten unempfänglich gewesen. Also schluckte der Arkonide die boshaften Bemerkungen herunter. Zu seinem Leidwesen wurde er nicht, wie er erhofft hatte, in der Nähe von Laccieds Unterkunft einquartiert. Das war um so bedauerlicher, als der Arkonide stündlich damit rechnen mußte, daß die Spercoidin vollends die seelische Balance verlieren würde. Wenn die Spercoiden sie bei einem ihrer unangebrachten Gefühlsausbrüche ertappten … »Hier herein!« Atlan gehorchte. Hinter ihm schloß sich eine Tür – aus Stahl. Fels und Stahl, daraus bestand offenbar die Unterwelt von Marsocc. Unverrückbar und stahl, hart, so waren auch die Charaktere der Spercoiden. Die Einrichtung der Zelle war diesem Charakter angepaßt, mit einem Wort – spartanisch. Es gab nichts außer einer Liege. Atlan streckte sich auf der Pritsche aus. Jetzt konnte er nur noch eines tun – warten.
* Wenn man sich die Sache genau überlegte … Aufgepaßt! Wirklich, so übel waren die Spercoiden nicht. Zu beklagen war vielleicht, daß sie im Kampf weniger Lust zeigten, bis zum Äußersten um die Erhaltung des eigenen Lebens zu kämpfen. Das war zweifelsohne ein Nachteil. Wesen, die ihr Ende als Person mehr als alles andere fürchteten, kämpften gerissener, niederträchtiger, infamer. Und auf Eigenschaften wie diese kam es an, wenn es zum Kampf kam. Der Arkonide kannte sich aus. Er hatte mehr Kämpfe hinter sich gebracht als irgendein Wesen, das je
Die Stahlfestung den Boden der Erde berührt hatte – Schwertduelle in Japan, bei denen es auf jede Bewegung ankam, bei denen es keine Grenze gab zwischen Angriff und Verteidigung. In der Zeit, die man später die galante nennen sollte, hatte er mehr als eine Blessur von Degenstichen davongetragen. Der Arkonide hatte mit Steinen gekämpft, mit Bronze und Eisen, dann hatte Stahl in seiner Hand gelegen. Du phantasierst. Nimm dich in acht! Der Arkonide begann wehmütig zu lächeln. Er hätte sich damals zum Herrn der Welt machen können, zum Halbgott. Die Versuchung war allerdings nicht sehr groß gewesen. Vielleicht war das der Fehler, den er gemacht hatte … Es war richtig. Erinnere dich! Hätte ich nicht … Damals, als die Mongolen auszogen, um die Erde zu erobern … wenn er damals entschlossen genug gewesen wäre … wer hätte ihn stoppen können, ihn, den Unsterblichen, den Kristallprinzen des Großen Imperiums der Arkonen? Niemand, mußte er sich eingestehen. Niemand. Auch nicht Rhodan … Halt ein! Damals in dem Museum; wenn er richtig zugeschlagen hätte … er hatte es nicht getan. Und was war daraus geworden? Ha, zum Spielball war er geworden. Nur dank der Hilfe der Terraner war er in die Lage versetzt worden, die ihm angestammten Rechte auszuüben. Rhodan hatte ihm auf den Thron des Imperators geholfen. Gonozal VIII, Seine allessehende, alleshörende, tausendäugige, immermilde etc …. Erhabenheit. Was war daran erhaben gewesen, als man ihn davongejagt hatte? Mildtätig hatte man ihn aufgenommen. Hunderte von Malen hatte er den Kopf hingehalten für die Terraner, und was war der Dank gewesen? Werde wach, Arkonide. Wach auf! Zum Hampelmann hatte Rhodan ihn gemacht. Jawohl, zum Hampelmann! Lordadmiral, ein famoser Titel. Dahinter hatte nichts gesteckt. Ein besserer Verwaltungsposten. Das ihm! Die USO war doch stets nur eine Art Feuerwehr gewesen, die für die
23 Terraner die Kastanien aus dem galaktischen Feuer zu holen hatte. Raffiniert waren die Terraner gewesen, sie hatten für diese kitzlige Aufgabe vornehmlich Kolonialterraner und Außerirdische eingesetzt, allen voran den Arkoniden. Vermutlich nur aus dem einen Grund, um den lästigen Mahner loszuwerden, den einzigen Mann in der Führungsspitze der Galaxis, der wirklich über Kultur verfügte. Was waren die zehn Jahrtausende irdischer Primitivgeschichte, verglichen mit den Glanzzeiten des ArkonImperiums? Die Finger bewegten sich, ohne daß ein ersichtlicher Grund dafür vorlag. Verschlüsse wurden geöffnet. Der Arkonide seufzte tief auf. Er fand schlagartig in die Wirklichkeit zurück, sobald er den Anzug geöffnet und abgelegt hatte. Die Beeinflussung durch den Anzug war erschreckend in ihrer Wirkung, vor allem, weil sie so heimtückisch war. Gegen einen hypnotischen Angriff hätte Atlan sich wehren können, auf solche Attacken war er trainiert. Das heimtückische am Spercoiden-Anzug war, daß seine Impulse ganz langsam das Denken vergifteten. So ähnlich hatten sich die Menschen früher die Versuchungen durch den Teufel vorgestellt, ein leises, verführerisches Wispern, das vom rechten Pfad der Tugend locken sollte. Wer diesem Wispern nachgab, kam unweigerlich in Bedrängnis. Der Arkonide hatte es am eigenen Leibe erfahren. Die Tatsachen, die Informationen, die in seinem Schädel gespeichert waren, sie blieben – wenigstens vorläufig – unangetastet. Aber die Impulse des Spercoiden-Anzugs verschoben die Bewertung. Die USO war, das stand zweifelsfrei fest, ein Machtinstrument, dem in der gesamten Galaxis nur noch die Solare Flotte gleichkam. Daß Perry Rhodan diese Galaktische Feuerwehr – eine Feuerwehr mit eigener Schlachtflotte, wohlgemerkt – geschaffen
24 und dem Arkoniden anvertraut hatte, war ein mehr als deutliches Zeichen gewesen, wie sehr Rhodan und die Terraner dem ehemaligen Arkon-Imperator vertrauten. Aus diesem Vertrauensbeweis hatte der Anzug eine Herabsetzung gemacht, ein Abschieben. Die Heimtücke, die darin lag, war beängstigend. Und Atlan begann zu ahnen, daß es damit noch lange nicht sein Bewenden haben würde. Er traute dem geheimnisvollen Anzug der Spercoiden, den zu fürchten und hassen er gelernt hatte, noch allerlei zu, darunter Dinge, die keinem normalen Hirn entspringen konnten. Der Arkonide holte tief Luft. Er wußte, daß er nicht Zeit hatte. Der Raum, in dem er sich aufhielt, war zwar verschlossen, aber diese Riegel unterlagen nicht dem Einfluß des Arkoniden. Das hieß, daß er auch jetzt darauf gefaßt sein mußte, im nächsten Augenblick ohne Anzug überrascht zu werden. Die Atemübungen, die Atlan langsam und konzentriert ausführte, waren sehr alt. Sie waren das Resultat jahrtausendealter Erfahrung, eine selbstgewonnene Mischung aus Zen-Meditation, autogenem Training, Selbsthypnose, Joga und einem halben Dutzend anderer Verfahren. Allen gemeinsam war das Ziel der Übung – die Wiederherstellung der geistigen und körperlichen Kräfte des Übenden. Atlan wußte, daß er dieses Training brauchte, um dem Anzug widerstehen zu können. »Ich bin stark«, hämmerte er sich ein. »Ich kann dem Anzug wiederstehen. Ich kann alles ertragen, ich bin unüberwindlich.« Wieder und wieder murmelte er unhörbar diese Formel, gleichzeitig verstärkte er seine Atemübungen. Der Erfolg stellte sich nach einigen Minuten bereits ein. Der Herzschlag des Arkoniden verlangsamte sich. Er wurde ruhiger, ausgeglichener und – wichtiger als alles andere – zuversichtlicher. Er wußte, daß ihm nicht viel Zeit blieb, sich zu erholen. Wie wenig Zeit ihm blieb,
Peter Terrid das wurde ihm klar, als er die verhaßte Montur wieder überstreifte – nach der kürzesten Übungszeit, die überhaupt einen Erfolg erkennen ließ. Der Anzug war kaum geschlossen, als auch schon das Schott geöffnet wurde. Die Wachen tauchten im Eingang auf. Sie bewegten sich nicht. Sie vertrauten darauf, daß ein intelligenter Gefangener von selbst merkte, was man mit ihm vorhatte. Atlan stand auf und verließ den Raum. Die Prozession – zwei Spercoiden und vier Roboter gingen vor, die gleiche Besetzung schritt hinter dem Arkoniden – setzte sich in Bewegung. In dem Vernehmungszimmer – so hatte der Arkonide den Raum im stillen getauft – wartete Warscon bereits auf seinen Besucher, Gefangenen, sein Opfer … Atlan war sich da nicht ganz sicher. Wieder wurde der Arkonide aufgefordert, Platz zu nehmen. »Wir wollen die Befragung fortsetzen«, sagte Warscon. »Einverstanden?« »Einverstanden«, bestätigte er. Warscon begann mit einer Reihe von knappen Fragen, die technische Einzelheiten der Trühlor-Station betrafen. Atlan, der sich seinerzeit nicht sonderlich gründlich hatte umsehen können, geriet nach kurzer Zeit ins Schwitzen. Er beantwortete alle Fragen so gut wie möglich, aber es ließ sich nicht leugnen, daß die Fragen des Spercoiden immer schneller und härter kamen. Als Warscon dann eine Pause vorschlug, war der Arkonide völlig erschöpft. »Beruhige dich«, sagte Warscon. »Ich kenne das.« Mitgefühl? Bei einem Spercotisierten? Und … Was, bei allen Geistern der Galaxis, bedeutete die kurze Bemerkung, er kenne das? Was kannte er? Die Lage eines Wesens, das erbarmungslos verhört wird? Oder steckte mehr dahinter? Kannte er den Zustand, in dem sich Atlan befand? Unaufgefordert, ungefragt fuhr Warscon fort: »Ich war selbst einmal Gefangener der
Die Stahlfestung Borgs. Ich konnte ihnen gerade noch entkommen, bevor …« Er brach ab. Atlan zuckte mit keinem Muskel, obwohl es in ihm arbeitete. Diese Eröffnung des Spercoiden war ungeheuerlich. Sie war unerhört wichtig für Atlan, von dieser Bemerkung hing alles weitere ab. Was wollte Warscon wirklich sagen? Er hatte einen Grund, sich zu unterbrechen – was Spercoiden kaum taten. Sie kannten keine lästigen Gefühle, die sich in einen Satz drängten und den Sprecher stottern oder verstummen ließen. Der Begriff der Fehlleistung war auf Spercoiden nicht anwendbar. Aber einen Sinn mußte diese Bemerkung haben. Spercoiden sagten nichts ohne Grund. Der Arkonide war gewarnt. Die Spercoiden konnten logisch denken, auch Warscon, der für einen Spercoiden ein wenig klein wirkte, vor allem aber ein wenig korpulent aussah. Die hochgewachsenen, fast hünenhaften Spercoiden seines Wachbataillons bildeten einen starken Kontrast zu ihrem dicklichen Kommandeur. Atlan schwieg. Es gab auf Warscons Bemerkung für einen normalen Spercotisierten in dieser speziellen Situation nichts zu sagen. War Warscon … Er hatte gesagt – der Extrasinn lieferte prompt den exakten Wortlaut – er sei den Borgs gerade noch entkommen, bevor … bevor was? Bevor er von ihnen behandelt werden konnte, wie die Borgs es mit Laccied getan hatten? War Warscon ein Umgewandelter, ein geheilter Spercoide? Ein potentieller Verbündeter …? Atlan beschloß, auf der Hut zu sein. Warscon gönnte seinem Besucher einige Minuten Pause, dann setzte er die Befragung ebenso unbarmherzig fort, wie er sie begonnen hatte. Es hagelte Fragen. Sie kamen aber in einem ruhigen, völlig leidenschaftslosen Tonfall; Atlans vage Hoffnung brach wieder in sich zusammen. Erst nach einer Stunde, die Atlan das Äußerste abverlangte, brach Warscon die Be-
25 fragung ab. Mit einer Handbewegung gebot er dem Arkoniden, den Raum zu verlassen. Atlan erhob sich mühsam. Er schwankte ein wenig, als er zur Tür ging. Seine Kräfte waren von dem unerbittlichen Kampf mit der Tücke des Anzugs extrem beansprucht. Die unerbittliche Tretmühle von Warscons Fragenkanonade war fast mehr, als der Arkonide ertragen konnte. Die Wachen nahmen Atlan wieder in die Mitte und führten ihn ab. Die Prozession geriet nach kurzer Zeit ins Stocken. Atlan begann zu taumeln. Er bemerkte, daß er – allen Atem- und Konzentrationsübungen zum Trotz – zusammenzubrechen drohte. Vor diesem Augenblick hatte der Arkonide, wie er sich selbst gestand, eine panische Angst. Wenn er körperlich verfiel oder gar einschlief – würde der Anzug nicht die Chance nutzen und den Schläfer übernehmen? Die Wachen blieben stehen. Sie warteten, bis Atlan wieder bei Kräften war. »Er war selbst einmal Gefangener bei den Borgs«, hörte der Arkonide eine halblaute Stimme sagen. »Und die Borgs müssen irgend etwas mit ihm gemacht haben. Alle seine Gefangenen kippen ihm um.« Also doch, dachte der Arkonide. Diesmal wurde er nicht in eine normale Zelle geführt. Als sich das Schott hinter ihm schloß, sah er verwundert, daß er den Raum mit Laccied teilen mußte. Die Spercoidenfräu lag auf einer der beiden Pritschen. Sie rührte sich nicht. Erst als das Schott hörbar verriegelt worden war, kam Bewegung in die Gestalt. Atlan machte sofort ein Zeichen, daß Laccied ruhig sein sollte. Er deutete mit Gesten an, daß er Mikrophone befürchtete. »Du kannst völlig beruhigt sein«, sagte Laccied ruhig, als sie begriffen hatte, was die Gesten ihres Zellengenossen besagen sollten. »Solche Maßnahmen treffen Spercoiden untereinander nicht.« »Ich weiß nicht recht«, murmelte Atlan. »Wie ist es dir ergangen?« »Ich wurde verhört«, berichtete Laccied:
26 Einstweilen verriet ihre Stimmung nichts von der geistigen Umwandlung, die sie bei den Borgs durchgemacht hatte. »Er nennt sich Warscon.« Atlan machte eine bestätigende Geste. »Der gleiche Sperco …« Er hatte Spercoide sagen wollen, konnte sich aber gerade noch verbessern. »… tisierte hat auch mich vernommen. Er erschien mir merkwürdig. Irgendwie anders, als wäre er kein wirklicher Spercoide.« »Seltsam«, erklärte Laccied. »Ich habe den gleichen Eindruck. Fast könnte man glauben …« »Ja?« Laccied befand sich im Augenblick wieder in jener Phase, in der sie mehr einer Spercotisierten glich. Sie reagierte nicht auf die knappe Frage. »Er verhält sich nicht normal«, konstatierte Laccied. Atlan war zum gleichen Ergebnis gekommen, wenn auch unter der Voraussetzung, daß ihm das Benehmen eines Spercotisierten grundsätzlich nicht normal erschien. Der Arkonide sagte nichts. Er überließ es der Spercoidin, das Gespräch fortzuführen. »Ich«, begann Laccied. Sie machte eine heftige Geste, deren Sinn Atlan nicht deuten konnte. »Ich habe Angst vor ihm, er ist unheimlich.« Eine merkwürdige Feststellung aus dem Mund einer Spercoidenfrau, in der besonderen Lage aber, in der sich Laccied befand, mehr als verständlich. »Ich glaube«, sagte Laccied zögernd, »daß Warscon vielleicht … es könnte ihm ähnlich ergangen sein wie mir. Hältst du das für möglich?« Der Arkonide hütete sich zu sagen, daß er diese Erklärung sogar für höchstwahrscheinlich hielt. Wer konnte wissen, was die verunsicherte Spercoidenfrau anstellte, wenn sie von Atlans Verdacht erfuhr. Ihre Reaktionen waren nicht vorhersehbar, sie stellte für den Arkoniden eine fast noch größere Gefahr dar als Warscon. »Hat Warscon gesagt, wann er uns wieder
Peter Terrid sehen will?« »Morgen früh, glaube ich«, antwortete sie ratlos. »Dann wollen wir unterdessen unsere Kräfte sammeln«, schlug Atlan vor. Er war erschöpft von den Anstrengungen des Tages. Außerdem war ihm wenig an weiteren Diskussionen mit Laccied gelegen, von denen er nicht wissen konnte, wie sie enden würden. Der Arkonide streckte sich auf seiner Pritsche aus. Diesmal machte er seine Übungen, während er den Anzug trug. Das machte das Konzentrieren schwieriger, aber noch durfte er sich der Spercoidenfrau nicht in seiner wahren Gestalt präsentieren. Nur zu deutlich erinnerte er sich an ihre Aufregung, als sie vor Tagen einmal den Eindruck gehabt hatte, er hätte seinen Anzug geöffnet. Irgendwann schlief er dann ein.
* Er erwachte, weil Laccied ihn unsanft anstieß. Blitzartig zuckte Schrecken in dem Erwachenden hoch, dann wußte er, daß er noch Atlan war, der Spercotisierte. Der Schlaf hatte ihm gutgetan. Atlan stand auf. Im Eingang der Doppelzelle stand wieder ein Wachkommando. »Du bist an der Reihe«, erklärte Laccied knapp. Sie machte einen ruhigen Eindruck, zeigte keinerlei Aufregung. Die Prozedur unterschied sich in keinem Detail vom Vorgehen der Wachen am Vortag. Sie nahmen Atlan in die Mitte und geleiteten ihn in einer feierlichen, stummen Prozession in das Vernehmungszimmer. Wie gestern nahm Atlan Platz, auch diesmal von Warscon mit einer Handbewegung dazu aufgefordert. Sobald Atlan ruhig saß, nahm Warscon die Befragung an dem Punkt wieder auf, an dem er sie abgebrochen hatte. In dieser Beziehung war er ein echter Spercoide. Vielleicht, so überlegte sich der Arkonide, half der Anzug Warscon sogar, seine Rolle als
Die Stahlfestung
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Spercotisierter weiterzuspielen – und vor allem perfekt zu spielen. Wenn dem so war, wieso hatte er selbst dann so große Schwierigkeiten, den Impulsen des Anzugs nicht zu erliegen? Vielleicht lag es daran, daß er nicht von den Borgs behandelt worden war. »Die Antwort ist unlogisch«, unterbrach Warscon an einer Stelle Atlans Redefluß. »Wiederholung!« Folgsam wiederholte Atlan, was er gesagt hatte. Der Extrasinn half ihm dabei, den genauen Wortlaut zu rekapitulieren. »Fehler«, beharrte Warscon. »An deiner Aussage ist einiges fehlerhaft! Was ist mit dir geschehen, sprich!« Der Arkonide fühlte sich in die Enge gedrängt. Er gab eine Antwort, wurde von Warscon zurechtgewiesen. Plötzlich hatte der. Spercoide an allem etwas auszusetzen, was der Arkonide zu sagen hatte. Wie am Vortag geriet Atlan ins Schwitzen. Seine geistigen Kräfte waren der Doppelbelastung kaum mehr gewachsen – auf der einen Seite mußte er den anschwellenden Impulsen des Anzugs widerstehen, auf der anderen Seite mußte er, um seine Rolle glaubhaft zu spielen, die Fragen Warscons in einer Weise beantworten, als sei der Anzug voll wirksam. Es dauerte Sekunden, bis Atlan bemerkte, daß Warscon überraschend verstummt war. Eine Pause entstand, ein Schweigen, das immer beklemmender wurde. Warscon breitete die Arme aus. »Wie wäre es, würdest du endlich die Wahrheit erzählen«, schlug er vor.
6. Es gab keine andere Wahl. Eine der beiden Fronten mußte zusammenbrechen. Instinktiv entschied sich der Arkonide dafür, die Wahrheit zu sagen. »Ich bin nicht spercotisiert«, sagte er schwach. »Nicht mehr.« »Und deine Begleiterin?« fragte Warscon sanft. »Ist auch sie – frei?« Mit dieser Formulierung waren die letzten Zweifel des Arkoniden überwunden. Er
seufzte erleichtert auf. »Nicht aus der Rolle fallen«, warnte der Logiksektor. »Du mußt weiterhin vorgeben, ein Spercoide zu sein!« »Auch sie ist umgewandelt«, stieß er hervor. Warscon nickte beifällig. »Endlich«, sagte er seufzend. »Das hat lange gedauert. Mach es dir bequem. Du bist bei Freunden, bei einem Freund jedenfalls.« »Bist du auch …« Warscon machte eine zustimmende Geste. »Ich war auch bei den Borgs gefangen«, verriet er. »Ich weiß, was ihr beide durchgemacht habt. Benutzen die Borgs immer noch das gleiche Verfahren …?« »Achtung!« Der Impuls des Extrasinns glich einem gellenden Aufschrei. Er kam für den Arkoniden völlig überraschend, so überraschend, daß er vorerst keine Antwort auf Warscons Frage fand. »Machen sie es immer noch so wie früher?« wiederholte Warscon seine Frage. »Du bist hereingefallen«, signalisierte der Logiksektor. »Warscon weiß überhaupt nicht, wie die Borgs vorgehen. Er blufft – andernfalls würde er eine präzise Frage stellen, aus der ein Betroffener sofort ablesen kann, das Warscon selbst umgewandelt worden ist.« »Nun rede schon«, drängte Warscon. »Ich habe nichts zu sagen«, blockte. Atlan ab. Eine kurze Pause entstand, dann fiel dem Arkoniden auf, daß Warscon sich nicht mehr bewegte. Der Spercoide rührte kein Glied. Hinter Atlan erklang ein Geräusch. Das Schott wurde geöffnet. Nacheinander marschierten die Wachen in den Vernehmungsraum. Ihre Zahl hatte sich verdoppelt. »Der Verräter kommt in das Behandlungszimmer«, erklärte der Anführer des Trupps. »Die Maschine wird ins Lager zurückgebracht. Das Programm muß abgeändert werden.« Jetzt fiel es dem Arkoniden wie Schuppen von den Augen. Warscon, das war kein Spercoide gewe-
28 sen. In dem undurchsichtigen Anzug steckte kein ehemaliger Spercotisierter – Warscon war nichts weiter als ein Roboter mit einer speziellen Programmierung, einer Programmierung die zumindest perfekt genug gewesen war, dem Arkoniden ein verhängnisvolles Geständnis abzuluchsen. Der Arkonide gab sich geschlagen – vorerst. Dies war nicht das erste Mal, daß er in einer schier ausweglosen Lage gewesen war; er war sicher, daß es mehr bedurfte als einiger Molche, um einen Zehntausendjährigen endgültig zu schlagen. Folgsam trottete er hinter den Wachen her. Dem scheinheiligen Roboter namens Warscon gönnte er keinen Blick mehr. Ihn beschäftigte vielmehr die Frage, aus welchem Grund die Spercoiden für diese Aufgabe ausgerechnet einen Roboter eingesetzt hatten. Lebende Wesen, die – Laccieds Umwandlung bewies das schlagend – kein Gefühlsleben hatten und dennoch zur Überlistung von Verrätern ausgerechnet gefühlvolle Roboter baten – das wirkte irgendwie unlogisch. Naheliegender wäre gewesen, hätte ein Spercoide Gefühle geheuchelt – die Niedertracht und Heimtücke dazu traute Atlan den Spercoiden ohne weiteres zu. Statt eines Befehls bekam er einen harten Stoß, der ihm bedeutete, den Gang zu verlassen. Der Raum, in den er gestoßen wurde, enthielt einige Apparaturen, die einen annähernd medizinischen Eindruck machten. Der Arkonide erkannte zwei Rohrgestelle. In einem dieser Gestelle war bereits eine Gestalt förmlich befestigt worden. Laccied! Ein neuer stoß trieb Atlan auf das zweite, freie Gestell zu. Mit steigender Besorgnis erkannte Atlan, das am Kopfende der Gestelle Kübel angeflanscht worden waren, Kübel, in denen junge Pflanzen wuchsen. Pflanzen dieser Art kannte der Arkonide bereits, er hatte sie bereits auf Karoque gesehen. Unwillkürlich wandte sich Atlan zur Flucht, aber die Bewegung kam zu spät. Harte Fäuste griffen nach ihm, packten ihn
Peter Terrid und hoben ihn an. Atlan erkannte, daß Widerstand sinnlos geworden war. Er ließ sich auf das Gestell heben, hörte, wie man seinen Anzug mit allerlei Kontakten verband … … und dann hörte er den ersten gellenden Schrei, den Laccied ausstieß, und es verging keine Sekunde, dann wußte er auch, warum die Spercoidenfrau schrie. Ihm war, als griff eine Hand aus rotglühendem Stahl nach seinem Gehirn und quetschte es unbarmherzig zusammen. Der Schmerz war kaum zu ertragen. Wider Willen begann auch er zu schreien. Der Schmerz fraß sich tiefer und tiefer. Es war ein unspezifischer Schmerz, eine fast abstrakt zu nennende Qual – das machte sie aber um nichts leichter zu ertragen. Der Arkonide fühlte sich, als werde ihm das Innerste zu äußerst gekehrt – und diese Darstellung traf das Wesentliche recht genau. Die Pflanze hatte sich an die Arbeit gemacht. Ihr Ziel stand fest und war unverrückbar – aus dem Arkoniden sollte ein perfekter Spercotisierter gemacht werden. Atlan spürte Haß in sich aufsteigen, einen brennenden, alles verzehrenden Haß. Wut kam dazu, eine infame Freude an der Heimtücke, der Niedertracht. Blitzartig zogen Bilder vor seinem geistigen Auge vorbei, Bilder aus vielen Jahrhunderten, Bilder des Leids, des Elends, der Not. Schlachtengemälde, weit entfernt von dem heroisierenden Pathos mit dem das Schlachten von Menschen durch Menschen für gewöhnlich dargestellt wurde; diese Bilder waren echt, unverfälscht, wirklich – Atlan hatte diese Szenen selbst erlebt und nicht vergessen. Er erinnerte sich an Notzeiten. Hungersnöte, das Wüten des Schwarzen Todes, hartes Brot in entfleischten Händen, Häuser, in denen es Ratten vor Ungeziefer nicht mehr aushielten und in denen dennoch Kinder gezeugt und großgezogen wurden, Armenspeisungen mit stinkenden Suppen, die Greise, die den Bergwerken entstiegen waren – zwanzigjährige mit den Gesichtern von Hundertjährigen – den hohlen Husten der Weber, die selbst beim Essen ihre Arbeit
Die Stahlfestung nicht unterbrechen durften, wenn sie am nächsten Tag noch etwas zu essen haben wollten. Es war ein Film, der vor den Augen des Arkoniden abgespult wurde, und die teuflische Wirkung der Pflanze machte aus den blitzartig aufflackernden Bildern des Entsetzens eine zynische Komödie des Grauens. Der ohrenbetäubende Schrei des Arkoniden wurde leiser. Es begann zu kichern. Jahrtausende hatte der Arkonide auf der Erde verbracht. Er hatte Reiche kommen und gehen sehen, Hunderten von Gottkönigen hatte er ins Auge gesehen, einigen zu Augenblicken, da sie alles andere als göttlich wirkten. Vieles hatte sich geändert in den einhundert Jahrhunderten menschlicher Geschichte. Und doch war das Wesentliche stets gleich geblieben – die fortgesetzte Quälerei des Menschen durch den Menschen. Es war gleich, ob er sich König nannte oder Kaiser, Tenno oder Schah-in-Schah, ob er eine Krone trug oder das Schwert in der Hand. Stets waren die, die sich auserwählt gefühlt hatten, die Geißel gewesen, mit der sich die Armen von ihren Göttern gestraft fühlten – gleichgültig ob dieser Gott auf schmucküberladenem Altar, auf blutbesudeltem Teocalli oder einem hölzernen Pfahl angebetet wurde. Angst hatte die Geschichte der Menschen geprägt; Angst vor der Natur und ihren unbegreiflichen Kräften, Angst vor der harten Hand des Grundbesitzers, vor dem gnadenlosen Zugriff des allmächtigen Staates – und, größer als alle anderen Ängste, vor den Launen des als allmächtig gepriesenen Gottes. Furchtbar, so hatten die Priester stets getönt, waren die Götter in ihrem Zorn, und Zorn war der Grundzug ihres Wesens. Aber jetzt … Alles würde anders werden. Sperco mußte die Herrschaft übernehmen. Sperco allein war die Rettung. Lag das Problem nicht allein darin begründet, daß er sich Gedanken darüber machte? Wurde das Elend vertrieben, dadurch daß man des Elends gedachte? Wer
29 wurde satt durch Mitleid allein? Wenn man Mitleid vergaß, wurden dann nicht alle Probleme leicht und lösbar? Gab es dann überhaupt noch Probleme? Unterlag nicht auch das höher entwickelte Leben dem ewigen Auslesegesetz der Natur – friß oder werde gefressen? Hatte nicht gerade dieses Phänomen, der sogenannte Selektionsdruck der Natur, dazu geführt, daß die Natur immer bessere, immer perfekter angepaßte Lebewesen geschaffen hatte – bis hinauf zu den höchsten Kreaturen, Menschen und Spercoiden. Ja, war es nicht geradezu unnatürlich, sich diesem Selektionsdruck durch Gefühlsduselei entgegenzustemmen? War es nicht vielmehr im Interesse der Betroffenen, wenn eine Rasse durch unbarmherzige Auswahl der Besten veredelt wurde, emporgezüchtet wurde …? Der Arkonide lächelte zufrieden. Sein Schreien war verstummt, das Kichern war abgeebbt. Die Spercoiden standen reglos. Sie warteten noch einige Minuten lang, dann waren sie offenbar ihrer Sache sicher. Bei der Frau war es ziemlich schnell gegangen. Der Mann hatte erheblich mehr Widerstand geleistet. Geholfen hatte es beiden nicht. Die Pflanzen hatten präzise funktioniert. Der Prozeß war abgeschlossen. Die beiden Abweichler waren zurückgekehrt in die Reihen der Ihrigen. Die Spercotisierung war gelungen – wie immer. Beide, die Spercotisierte Laccied und der Spercotisierte Gaccurt, konnten wieder als vollwertige Spercoiden gelten.
* Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte Atlan die Mühen verflucht, die man ihm aufgebürdet hatte. Er hatte damals keinen Sinn darin erblicken können, unter geradezu selbstmörderischen Bedingungen um die höchste Ehre zu ringen, die das Große Imperium zu vergeben hatte – die ARK SUMMIA, die Aktivie-
30 rung des Extrasinns. Nicht der Ehrgeiz des Kristallprinzen war es gewesen, der letztlich zu diesem Erfolg geführt hatte. Fartuloons beharrliches Arbeiten und zähes Drängen hatten den Ausschlag gegeben. Nur der Tod konnte die ARK SUMMIA rückgängig machen, nichts sonst. Auch keine Pflanze, deren bewußtseinsverändernden Fähigkeiten gewiß erstaunlich waren. Atlan war ein Spercotisierter geworden. Der Extrasinn nicht. Es wartete, geduldig. Es hatte Zeit. Die Spercoiden, fest vom Erfolg der Prozedur überzeugt, lösten die Kontakte, die die Pflanzen mit den beiden Patienten verbanden. Es klickte leise, wenn die Steckkontakte auseinandergezogen wurden. Deutlich konnte der Extrasinn spüren, wie der Einfluß der Sperco-Pflanze schwächer wurde und endlich ganz verstummte. Jetzt hatte es der Extrasinn nur noch mit den Impulsen des Anzugs zu tun, dem weitaus gefährlicheren Feind, dem der Extrasinn weniger entgegenzusetzen hatte. Es kam darauf an, den Freiraum im Geist des Arkoniden zurückzuerobern, bevor der Anzug dieses psychische Terrain besetzen konnte. Der Extrasinn griff an. Es rief die gleichen Erinnerungen wach, die vorher den Geist des Arkoniden durchtobt hatten. Aber es beschönigte nicht, es entwickelte keine Philosophie des Zynismus. Der Extrasinn ließ das Ekelgefühl vor soviel Zynismus wachsen, ließ die Angst vor der Übernahme einer solchen Philosophie des Grauens anschwellen – und stemmte diese Gefühle den andrängenden Impulsen des Anzugs als Bollwerk entgegen. Der Arkonide zuckte einmal kurz, als die Gefühle in seinem Schädel wie feindliche Armeen zusammentrafen, der Wall aus Gefühlen unter dem Ansturm der Gefühllosigkeit erbebte. Die Spercoiden sahen die Bewegung nicht. Die Schlacht dauerte nur wenige Herzschläge lang.
Peter Terrid Der Damm hielt. Der Arkonide war wieder er selbst, und das Gefühl freudiger Erleichterung eroberte ihm ein weiteres Stück Freiraum. Auf dem anderen Gestell gab es eine Bewegung. Laccied stand langsam auf. Nichts in ihrer Stimme ließ eine Erinnerung an die frühere Laccied wach werden. Mit einer Stimme, an der förmlich Eiszapfen zu hängen schienen, sagte sie laut: »Sperco ist die Macht – die Spercotisierten sind seine Diener!« Atlan unterdrückte einen Laut des Schmerzes. Für ihn war Laccied verloren. Die Pflanze hatte sie zu einer perfekten, absolut gefühlskalten Spercoidin zurückentwickelt. Der heilsame Prozeß, den die Borgs eingeleitet hatten, war rückgängig gemacht worden. Eisiger Schreck durchfuhr den Arkoniden. Was wurde jetzt aus ihm? Würde Laccied plaudern, ihren Gefährten verraten? Der Arkonide hielt den Atem an, er wagte nicht, auch nur ein Glied zu rühren. Laccied verriet ihn nicht. Atlan sah nur den einen entscheidenden Handgriff, dann wußte er, daß Laccied ihn nicht verraten würde – daß sie ihn nicht verraten konnte. Mit einem Handgriff hatte der Anführer des Spercoidentrupps den Verschluß von Laccieds Anzug geöffnet. Die Spercoidenfrau verging in Sekundenschnelle. Der Arkonide preßte die Zähne zusammen. Wieviel von Laccieds Tod hatte er sich selbst anzulasten? Wie weit ging seine Verantwortung in diesem Fall. Zu einer schlüssigen Antwort kam der Arkonide nicht. Die Spercoiden verfolgten ganz offenkundig den Plan, ihre Opfer erst zu vollwertigen Spercoiden zu machen und dann erst hinzurichten. Laccied war bereits … war sie tot? Vergangen? Oder übergetreten in eine Zustandsform, die der Arkonide noch nicht begreifen konnte. Die Spercoiden packten und stellten Atlan
Die Stahlfestung auf die Beine. Fast geräuschlos öffneten sich unter ihren Händen die Verschlüsse von Atlans Anzug. Der Arkonide tat sein Möglichstes, seine Enttarnung hinauszuzögern. Als er dann sich zu bewegen begann, war die Überraschung selbst für Elite-Spercoiden zu groß. Der Anzug fiel auf den Boden, und noch bevor sich die Spercoiden an den Anblick des Fremden gewöhnt hatten, lag bereits der erste der Spercotisierten auf dem Boden. Atlan schlug mit beiden Händen. Er wußte nicht, wie man Spercoiden richtig bekämpfte, er konnte nur hoffen, daß sie über etwas Ähnliches verfügten wie einen Kopf, und auf diese Köpfe ließ er seine Handkanten herabsausen. Ob es die Wucht seiner Hiebe war oder die Überraschung, die die Spercoiden förmlich lähmte – es gelang dem Arkoniden nach einer knappen Minute, in der er sich mit dem Tempo eines Zauberkünstlers bewegte, den gesamten Spercoidentrupp auf dem Boden liegend zu bewundern. »Ein Glück, daß keine Roboter dabei waren!« murmelte der Arkonide. Er versetzte dem Anzug, in dem er nach seiner Ansicht viel zuviel Zeit zugebracht hatte, einen Fußtritt, dann verließ er den Raum. Er wußte, daß seine Chancen unglaublich gering waren – wie gering erwies sich, als der Extrasinn sich in diesem Fall ausnahmsweise nicht meldete, um dem Arkoniden die Winzigkeit seiner Chance vorzurechnen. Im Grunde hatte der Arkonide nur dann eine echte Aussicht auf ein Entkommen, wenn – wider Erwarten – die Spercoiden unter ihren Anzügen aussahen wie Menschen oder Arkoniden. Er konnte sich auch als eine Art Haustier ausgeben, aber ernsthaft glaubte der Arkonide nicht daran, daß dieser Trick funktionieren konnte. Er nahm eine der Energiewaffen an sich, die die Spercoiden bei sich getragen hatten. Ein Anzug – ihm stand nun auch noch Laccieds Kleidung zur Verfügung, ein Gedanke, der ihn abstieß – hätte ihm zwar etwas mehr
31 Bewegungsfreiheit gegeben, auf der anderen Seite aber vielleicht seine Entschlußkraft erheblich beeinträchtigt. So oder so – seine Chance lag in der Schnelligkeit, in der er sich vom Schauplatz der letzten Ereignisse entfernte. Der Gang, auf den Atlan nun trat, war leer. Offenbar kam es nicht häufig vor, daß Spercoiden auf diese grausame Art und Weise behandelt wurden. »Dann los«, munterte der Arkonide sich selbst auf. Er begann zu laufen. Ob er dabei auffiel oder nicht, konnte ihm gleichgültig sein. Er mußte zusehen, daß er aus dem eigentlichen Festungsbereich kam. Im Freien hatte er dann vielleicht eine Chance, sich in der Weite des Landes zu verstecken und abzuwarten, bis sich eine Möglichkeit eröffnete, diese Welt aus Stahl zu verlassen. Der stählerne Boden unter seinen Füßen klang dumpf und drohend, während der Arkonide durch das Labyrinth der Gänge, Flure und Säle rannte. Das Glück war auf seiner Seite. Es begegneten ihm zwar Spercoiden, aber sie nahmen keine Notiz von dem einsamen Läufer. Hielten sie ihn für ein Tier? Atlan fand keine Zeit, sich um dieses Problem zu kümmern. Sobald er erkannt hatte, daß man sich – vorerst jedenfalls – nicht um ihn kümmerte, wurde der Arkonide zuversichtlicher. Vielleicht … er begann wieder zu hoffen, und seine Hoffnung wuchs mit jeder Minute. Als dann aber die Sirenen aufzuheulen begannen, wußte er plötzlich, daß er sich zu früh gefreut hatte. Aus der Lautstärke des Heultons ließ sich mühelos folgern, daß Warscon oder wer immer der Chef dieser Anlage war, den gesamten Stützpunkt in Alarm versetzt hatte. Atlan schätzte, daß es auf dem Areal des Raumhafens und seiner Nachbarbereiche Platz genug für zwanzig- bis sechzigtausend Spercoiden gab. Bei aller Hochachtung vor sich selbst war dem Arkoniden dennoch klar, daß er gegen diesen Gegner keine Chancen hatte.
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* »Wissen wir, wo der Flüchtling steckt?« Ein Bildschirm leuchtete auf. Er zeigte eine Übersicht über den gesamten Nahbereich des Stützpunkts. Der Kommandant betrachtete angelegentlich den roten Leuchtpunkt, der sich in dem Liniennetz bewegte. »Sehr gut«, lobte der Kommandant. Gleichmütig sah er zu, wie sein Doppelgänger den Raum betrat, sich an den Großen Rechner anstöpselte und so seine Programmierung vervollständigte. Die Maschine hatte ihren Zweck erfüllt. »Nimmt der Flüchtling den Weg, den wir wünschen?« »Die Abweichung ist signifikant«, lautete die Antwort. »Teilalarm«, befahl der Kommandant. »In den Nachbarregionen sollen Roboter aufziehen. Von den Waffen ist Gebrauch zu machen. Der Flüchtling darf allerdings nicht getötet werden. Eine Verletzung ist vorläufig ebenfalls zu vermeiden.« »Wir geben zu bedenken …« Der Sprecher wartete, bis der Kommandant mit einer Geste erklärt hatte, daß er bereit war, sich einen Vorschlag anzuhören. Früher hätte es der Untergebene niemals gewagt, Bedenken zu äußern. »Eine geringfügige Verletzung des Flüchtlings würde ausreichen, daß der Fremde glaubt, daß er selbst die Richtung seiner Flucht steuert. Der emotionale Umschwung beim erwünschten Kontakt wäre zudem entschieden größer. Das sagt jedenfalls der Rechner.« Der Kommandant wartete einen Augenblick lang. Selbst wenn er den Vorschlag rundweg ablehnte, brauchte er ein wenig Zeit, die Ablehnung logisch zu formulieren – nicht der Untergebenen wegen, sondern vielmehr für den Rechner, der den Dialog aufzeichnete. Auf diese Weise konnte der Kommandant vermeiden, daß man seine Entschlüsse als übereilt und zuwenig durchdacht bezeichnen konnte.
»Das Ausmaß der Verletzung des Flüchtlings kann nicht ausreichend präzise bestimmt werden«, sagte der Kommandant schließlich. »Unter Umständen wird er nicht mehr in der Lage sein, sich ungehemmt fortzubewegen. Unter diesen Gegebenheiten würde ein gezielter Waffeneinsatz mit dem Ziel der Verwundung des Flüchtlings das geplante Unternehmen eher gefährden als fördern.« »Wir ziehen unsere Bedenken zurück«, erhielt der Kommandant zur Antwort. Er reagierte nicht darauf. Auf dem Bildschirm zeichnete sich ab, daß der Fliehende die Richtung gewechselt hatte. Er wurde gejagt wie ein lästiges Ungeziefer – mit dem Unterschied, daß es dem Kommandanten einstweilen nicht darum ging, das Ungeziefer schnellstens auszurotten. Das hatte Zeit. Der Tod des Fremden war nur aufgeschoben. Er war nur eine Frage der Zeit. Sterben mußte er – das hatte die Auswertung des Rechners ergeben – in fast jedem denkbaren Fall. Die denkbaren Ausnahmen aber …
7. Der Arkonide sah sich gehetzt um. Seine Hoffnung, sich still und heimlich absetzen zu können, war zerronnen. Er wußte jetzt, daß er gejagt wurde. Offenbar machte es den Spercoiden sogar Spaß, ihn wie einen Hasen zu hetzen. Zugetraut hätte Atlan den Spercoiden ein derart perverses Vergnügen. Der Atem des Arkoniden ging schwer. Seine Brust bewegte sich krampfhaft. Seit langem war Atlan nicht mehr so viel und so lange gerannt. Wäre der Lordadmiral der USO nicht stets bemüht gewesen, in körperlicher Höchstform zu sein, wäre er wahrscheinlich längst in irgendeinem Winkel der Stahlfestung zusammengebrochen. »Wohin jetzt?« stieß Atlan hervor. Er erschrak über den Klang seiner eigenen Stimme. Sie verriet, daß er nicht mehr sehr lange
Die Stahlfestung durchhalten würde. Vielleicht … Der Gedanke kam blitzartig, und er wurde ebenso rasch in die Tat umgesetzt. Wenn es dem Arkoniden gelang, die Reihen seiner Verfolger unbemerkt zu durchbrechen, dann war er fürs erste gerettet. Die Schwierigkeit lag aber darin, diesen Durchbruch so zu gestalten, daß die Spercoiden ihn nicht bemerkten – ein alles andere als leichtes Unterfangen. Der Arkonide überlegte hin und her, dann faßte er einen Entschluß. Er wußte, daß er ein selbstmörderisches Risiko einging, wenn er den Spercoiden, die Jagd auf ihn machten, entgegenlief. Auf der anderen Seite aber … das Ergebnis wäre das gleiche gewesen, wäre er bis zur restlosen Erschöpfung gerannt und dann aufgefunden worden. So oder so – sein Manöver mußte eine Entscheidung herbeiführen. Der Arkonide betätigte den Drücker eines Schottes. Ihm war es egal, was sich hinter dem Stahl verbarg. Hauptsache, daß man ihn nicht sofort fand. Das Schott glitt in die Höhe. Atlan erkannte einen Maschinenraum, auch wenn er nicht zu sagen wußte, was für Maschinen hier arbeiteten. Die Technik der Spercoiden blieb vorerst ein Rätsel. Der Blick des Arkoniden irrte durch den Raum. Er blieb nach kurzer Zeit an einer rechteckigen Klappe hängen, die sich mit einem einfachen Handgriff würde öffnen lassen. Der Arkonide wußte nicht, was sich hinter dieser Klappe abspielte. Er wußte nur, daß er sich unsichtbar machen mußte. Einige weite Sätze brachten ihn in die Nähe der Maschine. Die Klappe öffnete sich sofort. Was für eine Maschine das war, konnte der Arkonide nicht einmal ahnen. Er sah nur ein Gittergestell, das von einem rötlich schimmernden Feld umwabert wurde. Im Hintergrund wurden Stimmen laut. Spercoidenstimmen. Atlan zögerte nicht länger. Hastig kroch er durch die Öffnung, die Beine voran. Mit einem Handgriff zog er dann die Klappe in ihre ursprüngliche Lage zurück.
33 Er konnte hören, wie die Spercoiden den Raum durchsuchten. Die Schritte von metallbeschlagenen Stiefeln auf dem Metall des Bodens waren nicht zu überhören. Offenbar gingen die Spercoiden nicht sehr gründlich vor. Der Arkonide gab keinen Laut von sich. Immer wieder schielte er an seinem Körper hinab. Das Energiefeld umspielte seinen Körper vom Nabel abwärts, und Atlan sah mit steigendem Unbehagen, daß seine Füße durchsichtig zu werden begannen. Merkwürdigerweise lief dieser Prozeß in Schichten ab – als erstes war Atlans Schuhwerk verschwunden, jetzt konnte er das Geflecht der Adern unter der Haut bewundern. Indes spürte er keinen Schmerz, und aus der Tatsache, daß kein Blut floß, folgerte der Arkonide, daß es sich um einen mehr optischen als physiologischen Prozeß handelte. »Weiter!« Atlan konnte den Befehl des Spercoidenoffiziers deutlich hören. Geräuschvoll polterten die Spercotisierten aus dem Maschinensaal. Atlan schielte wieder nach unten. Von seinen Füßen waren nur noch die Knochen zu sehen. Der Anblick schlug auf den Magen. Atlan sah zu, daß er aus diesem Versteck herauskam, bevor er sich vollständig auflöste. Die Verschlußklappe fiel herab, als Atlan sie losließ. Mit beiden Händen griff der Arkonide nach den Rändern der Öffnung und spannte die Muskeln an. Leicht und mühelos glitt er aus dem Versteck. »Alle Wetter!« staunte der Arkonide. Der Effekt, den sein merkwürdiges Versteck hervorgerufen hatte, hielt an. Mit gemischten Gefühlen sah der Arkonide, wie sich seine Knochenfüße über den Boden bewegten. Vom Nabel bis zu den Knien war das nackte Fleisch zu sehen, Muskeln und Sehnen. Von den Knien abwärts war nur noch das Skelett zu erkennen. Der Arkonide hatte keine Zeit, sich über seinen Zustand Gedanken zu machen. Auch wenn er den hinlänglich bekannten Schloß-
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gespenstern ähnlich zu sehen begann, würde das die Spercoiden nicht aufhalten. Immerhin machten die Knochen auf dem Stahlboden kein Geräusch. Es kam auch nicht zu einem unmittelbaren Kontakt zwischen Knochen und Stahlboden. Für einen Außenstehenden mußte es so aussehen, als schwebte der Arkonide einige Zentimeter über dem Boden. Der Gang war leer, stellte Atlan fest, nachdem er das Schott geöffnet hatte, durch das die Spercoiden den Saal betreten hatten. Der Arkonide grinste zufrieden. Die Lage sah nicht schlecht aus.
* »Der Flüchtling handelt nach Plan.« Der Kommandant nickte zufrieden. Der Fremde hatte sich als logisch denkendes Wesen entpuppt. Seine Flucht entsprang zwar zweifelsohne irrationalen Beweggründen, aber er war auch zu logischen Denkstrukturen fähig. Das bewies das Manöver, sich durch die Reihen der Verfolger zu schleichen und in deren Rücken zu gelangen. Zu der Einsicht, daß ein so naheliegender Trick von den Häschern vorauskalkuliert und durch Gegenmaßnahmen aufgefangen werden konnte, reichte es bei dem Fliehenden indes nicht. Er war – so lautete die stillschweigende Schlußfolgerung des Kommandanten – zwar intelligent, aber nicht genug, um einem Spercoiden geistig gewachsen zu sein. Der Kommandant hatte mit diesem Ergebnis gerechnet – im Grunde konnte überhaupt kein Wesen einem Spercoiden geistig gewachsen sein. »Bewegungsrichtung?« »Nach Plan, Kommandant.« Wenn der Kommandant einer Irrationalität fähig gewesen wäre, hätte er sarkastisch gelächelt. So stellte er nur fest, daß sein Denk- und Entscheidungsmodell sich einmal mehr als richtig erwiesen hatte. Die Ereignisse der nächsten Stunden ließen sich ebenfalls vorherkalkulieren.
* Atlan verlangsamte das Tempo seiner Flucht. Er hatte mittlerweile zwei Spercoiden-Streifen ausweichen, müssen und war nach seiner Schätzung mindestens zwei- bis dreihundert Meter von den Postenketten entfernt, die die Stahlfestung nach dem Arkoniden durchkämmten. Vorläufig also war der Arkonide in Sicherheit. Das diese Sicherheit ein arg relativer Begriff war, war dem Arkoniden bewußt. Im Grunde war er seines Lebens so sicher wie ein gerade zum Tode Verurteilter – innerhalb der nächsten Stunden würde es ihm mit Sicherheit nicht ans Leben gehen. Danach aber … Der Arkonide schnellte zurück wie eine Stahlfeder. Er hatte von dem verlassenen Gang abbiegen wollen und gerade noch rechtzeitig erkennen können, daß vor einer Tür zwei Spercoidenroboter als Wachen aufgezogen waren. Regungslos standen die beiden Kampfmaschinen auf dem Gang, zwischen ihnen war eine stählerne Tür zu erkennen. Anders als organische Wachen verspürten die beiden Roboter keine Langeweile. Sie sahen sich nicht ab und zu einmal um. Nur dieser Tatsache hatte es der Arkonide zu verdanken, daß er nicht gesehen worden war. Der Arkonide lehnte sich an die Wand und dachte nach. Er kannte nur einen sehr kleinen Teil der Stahlfestung, aber bisher war er noch nirgendwo auf Wachen gestoßen, jedenfalls nicht auf Posten, die vor irgendeiner Tür standen. Was also gab es da zu bewachen? Sofort drängte sich dem Arkoniden der Verdacht auf. Bewacht wurden entweder Gefangene oder besonders wichtige Persönlichkeiten. Hinter der Tür, überlegte sich Atlan, saß entweder ein potentieller Verbündeter, ein Mitgefangener, oder der Kommandant der Stahlfestung. Wenn es ihm gelang,
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den Kommandanten … Atlan schielte kurz um die Ecke. Die beiden Roboter standen günstig. Er konnte mit einem gezielten Schuß den ersten Roboter zerstören und den zweiten zumindest in seiner Kampfkraft stark beeinträchtigen. Es fragte sich nur, ob der Gebrauch von Waffen ratsam war. »Du sitzt ohnehin in der Tinte«, kommentierte der Extrasinn trocken. »Auf einen kleinen Fehler mehr oder weniger kommt es jetzt nicht mehr an!« Der Arkonide hob die Waffe. Ein Satz brachte ihn mitten auf den Gang. Er krümmte den Finger.
* »Robotfalle I vollständig zerstört«, wurde dem Kommandanten gemeldet. »Die zweite Maschine ist reparaturfähig aber einstweilen nicht einsatzbereit.« Der Kommandant sagte nichts. Er hatte mit diesem Ergebnis gerechnet. Er wußte auch schon, was sich in den nächsten Augenblicken abspielen würde.
* Von dem ersten Robot war nicht mehr geblieben als ein dampfender Metallkuchen, der zweite lehnte an der Wand und, ruderte mit einem verstümmelten Waffenarm in der Luft herum. Krachend schlug er auf dem Boden auf, nachdem ihm Atlan mit einem gezielten Schuß das stählerne Kniegelenk zerschossen hatte. Der Weg war frei. Ein Knopfdruck ließ das Schott aufgleiten. Atlan betrat den Raum.
* Ein kurzer Befehl ließ den Bildschirm aufflammen. Interessiert betrachtete der Kommandant das Bild. Verwundert stellte er fest, daß es nicht zu den Szenen kam, die er sich ausgerechnet hatte.
Irgend etwas an den Kalkulationen des Kommandanten war offenkundig falsch.
* Nein, dieses Wesen war mit Sicherheit nicht der Befehlshaber der Stahlfeste. Dieses Wesen war vielleicht ein Haustier, vielleicht aber auch – die Bewachung bekräftigte diesen Verdacht – ein Gefangener der Spercoiden; oder eine Gefangene, denn wohin dieses Wesen einzuordnen war, blieb vorläufig rätselhaft. Rasch nahm Atlan die wichtigsten Einzelheiten auf. Der Vergleich war vielleicht etwas anzüglich, aber er stimmte einigermaßen – das Wesen hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Flasche. Am unteren, dem dickeren Ende sah Atlan zwei sehr kurze Beine mit Tellerfüßen. Ein Sprinter war der Gefangene folglich nicht. Mit den Händen mußte er dagegen erheblich besser umgehen können. Atlan erkannte lange und kräftige Arme mit Greifhänden. Er zählte acht Finger, die einen sehr beweglichen Eindruck machten. Wahrscheinlich war der oder das oder die Fremde – der Arkonide wollte sich da, übler Erfahrung eingedenk, nicht festlegen – ein äußerst geschickter Rangier und Kletterer. Weitere Einzelheiten wurden dem Blick allerdings entzogen. Das Wesen trug eine gelbe Kleidung, die den größten Teil des Körpers verhüllte. Diese Kleidung wirkte ziemlich steif und fest, wie eine Art Schale. Nicht bedeckt wurden die Beine, die Arme – dort konnte Atlan feststellen, daß die wirkliche Haut des Fremden dunkelbraun war – und der Kopf. Jedenfalls nannte Atlan so einen breiten Ring, der um den Hals der Flasche lief und offenbar mit einigen undefinierbaren Sinnesorganen besetzt war. Unterhalb dieses Organrings besaß der Fremde eine Membran, mit der er Töne erzeugen konnte – ein leises Fiepen, mit dem der Arkonide nicht das geringste anfangen konnte. »Wer oder was bist du?« fragte der Arko-
36 nide. Das Fiepen hielt an, wechselte aber die Klangfarbe, als der Arkonide den Fremden nicht länger mit der Waffe bedrohte. Das Wesen besaß also Intelligenz. Darauf deutete auch die Tatsache hin, daß der Fremde angekettet war. Die Spercoiden trauten dem Wesen also nicht. Die Schlußfolgerungen aus diesen Tatsachen lagen auf der Hand. Die dunkelbraune Flasche war ein potentieller Verbündeter des Arkoniden, ein Verbündeter allerdings, mit dem Atlan verzweifelt wenig anzufangen wußte. Der Arkonide wiederholte seine Frage. Er benutzte dazu das Idiom der Spercoiden, auch wenn ihm das nicht leichtfiel – jetzt machte es sich störend bemerkbar, daß Atlan keinen Spercoiden-Anzug mehr trug. Der Fremde beantwortete Atlans Frage mit einem wilden Gestikulieren. Kettengeklirr mischte sich in die Stimme des Fremden, die wie eine übergeschnappte Piccoloflöte klang. Atlan unternahm einen weiteren Anlauf. Der Extrasinn verzichtete auf eine sarkastische Bemerkung; der Arkonide wußte auch ohnedies, daß es sich entsetzlich anhörte, als er in höchstem Falsett eine Frage formulierte. Auch auf diese Gewaltkur für die Stimmbänder reagierte der Fremde nicht. Atlan hielt inne. Er sah ein, daß seine Verständigungsversuche zum Scheitern verurteilt waren. Er hatte zwar dank seines Extrasinns eine bessere Ausgangsposition als jeder andere, aber das half in diesem Zusammenhang nicht viel. Theoretisch war der Extrasinn in der Lage, die halbe Arbeit eines positronischen Translators zu übernehmen, dank der Kombination von fotografischem Gedächtnis und Logiksektor. Voraussetzung dafür aber war, daß der Dateninput – also das, was das jeweilige Gegenüber von sich gab – ebenfalls nach logischen Gesichtspunkten aufgebaut war. Zu Beginn eines Gesprächs zwischen
Peter Terrid zwei Fremden wurden für gewöhnlich bestimmte Grußformeln ausgetauscht, dann die Namen der Sprecher und dergleichen mehr. Dieses »Ich Tarzan, du Jane«-Verfahren funktionierte naturgemäß nicht mehr, wenn einer der beiden Gesprächspartner nichts Wichtigeres kannte als die letzten Sportergebnisse. Mit dem, was der Gelbbraune von sich gab, konnte Atlan jedenfalls nichts anfangen. Mentalität, biochemischer Haushalt, Charakter – der Fremde war grundverschieden von allem, was Atlan kannte. Ein brauchbarer Kontakt hätte den Einsatz von Rechnern notwendig gemacht – vor allem aber Zeit gekostet. Und Zeit war das, woran es dem Arkoniden am meisten ermangelte. Der Arkonide überlegte, was aus der Lage zu machen war. Natürlich hätte er den seltsamen Gefangenen befreien können. Aber was stellte dieser Fremde dann an? Vielleicht – auszuschließen war die Möglichkeit nicht – begann er einen Amoklauf, und bei aller Abneigung gegen die Gefühlskälte der Spercotisierten war dem Arkoniden dennoch nicht daran gelegen, ein Blutbad zu veranstalten. »Was fange ich nur mit dir an, alter Freund«, murmelte Atlan ratlos. Er dachte fieberhaft nach, aber er kam zu keinem Schluß. Daß der Fremde angekettet war, deutete darauf hin; daß er gefährlich war – durfte man ihn dann auf die Spercoiden loslassen? Auf der anderen Seite konnten dem Arkoniden Gefährten, vor denen die Spercoiden Angst verspürten, nur recht sein. Er entschloß sich, der Entwicklung ihren Lauf zu lassen. Er wollte den Fremden befreien – was sich dann zutrug, lag nicht mehr in seiner Hand. Der Fremde konnte sich dem Arkoniden anschließen, er konnte aber auch auf eigene Faust die Stahlfestung unsicher machen. Atlan hob die Waffe, um die Ketten zerschießen zu können. Er kam nicht mehr dazu abzudrücken. Er sah noch wie der Fremde angsterfüllt zurückwich, offenbar, weil er Atlans Bewe-
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gung mit der Waffe fehldeutete. Dann aber explodierte irgend etwas an oder in seinem Schädel und stieß ihn in die undurchdringliche Schwärze einer Bewußtlosigkeit.
* Der Arkonide stand aufrecht, von zwei Kampfrobotern gehalten. Sein Gegenüber nannte sich Warscon. Der Spercoide war der Kommandant der Stahlfestung. Dieser Warscon kannte keine einladenden Gesten. So paradox es sich anhörte, er wirkte, verglich man ihn mit seinem robotischen Double, härter, kälter als die Maschine. Der Warscon-Roboter war fast ein ausgesprochener Gemütsspercoide, stellte man ihn neben sein lebendes Original. Irgendwie erwartete man fast, um die Füße des Spercoiden eisigen Nebel wehen zu sehen. »Wer bist du, was bist du, wie kommst du hierher, was hast du hier zu suchen.« Die Fragen kamen wie Pfeile aus Eis herübergeschossen. Sie wirkten wie ein Hagelschlag. Dieser Warscon übertraf seine Artgenossen noch an Härte und Unerbittlichkeit. Der Arkonide antwortete langsam. Er hatte behauptet, ein Gefangener der Spercoiden vom Stützpunkt Karoque zu sein. Von dort aus sei ihm die Flucht gelungen. Zu seinem Leidwesen sei er aber nicht auf seiner Heimatwelt gelandet, das Schicksal habe ihn vielmehr nach Marsocc verschlagen. Bei allen bisherigen Verhören war Atlan bei dieser Geschichte geblieben, und diese Verhöre waren alles andere als angenehm gewesen. Die Spercoiden waren zwar nicht gerade die besten Folterer, die der Arkonide je erlebt hatte – diesen zweifelhaften Ehrenpreis verdienten andere – aber für die Gefühle des Lordadmirals reichte der Sadismus der Spercotisierten vollauf. Vor allem waren sie rücksichtsvoll genug, ihn nie so zu schinden, daß er bleibende Verletzungen davontragen konnte. Die Aus-
sicht, eines Tages werde die Folter dadurch ein Ende finden, daß er keinen Knochen mehr zum Brechen habe, war dem Arkoniden schon beim ersten Verhör genommen worden. Im Gegenteil, Warscon hatte dem Gefangenen unmißverständlich klargemacht, daß die Spercoiden in dieser Beziehung über eine schier unerschöpfliche Geduld verfügten – sie würden ihn foltern, bis er gestand, notfalls jahrelang. »Gestehe, du bist ein Spion der Borgs!« Warscon stellte immer wieder die gleichen Fragen. Bereits nach zwei Verhören war dem Arkoniden klargeworden, daß seine Zukunft feststand – Warscon stellte an jedem Tag die gleichen Fragen, bekam die gleichen Antworten und verordnete die gleichen Foltermaßnahmen. Es lag einzig an dem Arkoniden, aus dieser Routine, an die nur er sich nie gewöhnen würde, auszubrechen, indem er ein Geständnis ablegte. Was für eine Behandlung man ihm angedeihen lassen würde, wenn er zugab, ein Spion der Borgs zu sein, stand auf einem anderen Blatt. »Ich bin kein Spion der Borgs!« wehrte sich der Arkonide. Zu seiner Überraschung wich Warscon vom üblichen Schema ab. Er gab nicht, wie er es bei früheren Verhören getan hatte, den Befehl, daß sich einige seiner Untergebenen des Arkoniden annahmen. »Ich glaube dir«, sagte Warscon. Der Arkonide glaubte, seine Ohren versagten den Dienst. »Du hättest dich anders verhalten müssen, wärest du ein Spion der Borgs. Deine Begegnung mit dem Borg hätte ganz anders ausfallen müssen.« Begegnung mit dem Borg? Atlan entsann sich nur einer Begegnung in der letzten Zeit – seiner Begegnung mit dem flaschenähnlichen Wesen in der Zelle. War die Flasche ein Borg gewesen? Wenn das zutraf, dann war durchaus verständlich, warum sich Borgs und Spercoiden so wenig verstanden – auch ihre Metabolismen wichen erheblich voneinander ab, vorausgesetzt allerdings, die Spercoiden sahen
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so aus, wie Atlan sie vermutete. Zugleich aber zerschlug sich für den Arkoniden eine Hoffnung. Mit Hilfe von Seiten der Borgs konnte er nun nicht mehr rechnen – auch für die Gegner der Spercoiden war der Arkonide ein Fremder. »Schafft ihn fort!«
8. Der Arkonide stellte den Behälter auf das Regal und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Es war drückend heiß in dem Raum. Das war nicht weiter verwunderlich, denn in diesem Magazin gab es keine Lüftung. Eine Klimaanlage hätte radioaktives Material in die Außenwelt geblasen. Der Arkonide besaß kein Strahlenmeßgerät. Er wußte nur, daß der Raum, in dem er arbeitete, hochgradig verseucht war. In dem Magazin bewahrten die Spercoiden veraltete oder verbrauchte Brennelemente für Spaltungsreaktoren auf, außerdem lagen noch die Trümmer einiger atomarer Bomben herum, zu deren Zündung ebenfalls hochradioaktives Material gebraucht wurde. Der Arkonide griff wieder zu. Der Behälter war aus Blei. Als ob das noch etwas genutzt hätte! Wäre radioaktive Strahlung sichtbar gewesen, der Raum hätte vor Helligkeit gestrahlt. Zur Kennzeichnung dieser Strahlung gab es praktisch nur ein Wort – mörderisch. Und dabei stimmte auch die in mörderisch enthaltene Bedeutung, daß hier mit Vorsatz gearbeitet wurde. Die Spercoiden waren alles andere als dumm – sie wußten ganz genau, daß kein lebendes Wesen über längere Zeit eine solche Strahlungsdosis ertragen konnte, ohne dabei Schaden zu nehmen. Atlan ahnte, daß die Strahlung so hoch war, daß sie früher oder später zu seinem Tod führen mußte. »Die Pest an euren Hals«, wünschte der Arkonide, als er mit dem schweren Bleigefäß an der Kamera vorbei kam. Die Spercoiden ließen ihn beobachten, sei es um einen unwahrscheinlichen Fluchtversuch vereiteln
zu können, sei es, um rechtzeitig ihre Liste von strahlenverseuchtem Abfall um die Position eines an Radioaktivität verstorbenen Sklaven zu bereichern. Atlan hatte in Interkosmo die Verwünschung ausgestoßen, obwohl er sich sagte, daß die Spercoiden ohnehin nicht auf seine Temperamentsausbrüche reagieren würden. Was aus dem Gefangenen – Atlan war sich nicht ganz sicher, wie er verbucht wurde – in den nächsten Tagen wurde, interessierte die Spercoiden ohnehin nicht. Was den Arkoniden fast noch mehr ärgerte als die Tatsache, daß man seinen Tod einfach einkalkulierte, war die völlige Gleichgültigkeit, mit der die Spercoiden verfuhren. Daß man einen Gegner tötete, war allgemein verbreitet. Daß man ihn quälte, galt als üblich, daß man ihn wirtschaftlich ausnützte, war die Regel. Aber all dies setzte voraus, daß es zwei Parteien gab, die einander bekämpften, die sich haßten. Atlan haßte die Spercoiden nicht, noch nicht. Er hatte den Spercotisierten nichts getan – warum also mußte er in dieser Strahlenhölle arbeiten? Warum verwendeten die Spercoiden keine Roboter für diese Aufräumungsarbeiten? Galt der Arkonide den Spercoiden vielleicht weniger als eine Maschine? Für die Arbeiten, die Atlan aufgebürdet worden waren, brauchte man an Robotern nur das Primitivste. Die Aufgabenstellung war simpel – es kam praktisch nur darauf an, sicher zuzugreifen und genügend Kraft aufzubringen. Zur Lösung dieser Probleme brauchte man nicht einmal Positroniken – dazu reichten Maschinen, die mit echten Robotern nur noch den Namen gemein hatten. Eine solche Maschine hätte obendrein, da sie keinerlei Ermüdung kannte, die anstehenden Aufgaben schneller und auch billiger gelöst. Der Arkonide kam sich vor, als sei er ohne ersichtlichen Grund in ein Gespann Schlittenhunde gesteckt worden, wo er im Grunde nichts zu suchen hatte und überflüssig war. »Lumpen!« knurrte Atlan, als er zurück-
Die Stahlfestung kehrte. Der Inhalt des Bleigefäßes – eine hochaktive Flüssigkeit – ruhte jetzt auf dem Boden eines Schachtes, der ungefähr drei bis vier Kilometer in die Erde reichte. Daß etwas von dieser Flüssigkeit überschwappte und auf Atlans Kleidung geflossen war, daß die Luft so ionisiert war, daß sich der Arkonide allenthalben kleine elektrische Schläge einfing, daß ein Geiger-Müller-Rohr in diesem Raum nicht mehr getickt, sondern gerattert hätte … daß mithin die Maßnahme der Spercoiden viel zu spät kam und obendrein wirkungslos war, das heizte die Wut des Arkoniden immer wieder an. Die Flüssigkeit stand in einem Bottich, kniehoch. Das Gebräu schillerte in allen Farben des Spektrums, und was aus dem brodelnden Gemisch in die Höhe stieg, war ein Faustschlag von Gestank. Dem Arkoniden war bei dieser Ausdünstung mehrfach übel geworden. Wußten die Spercoiden vielleicht, wie diese Zusammenstellung von optischen, akustischen und Geruchseindrücken auf den Arkoniden wirken mußte? Kannten sie die Psyche ihres Opfers? Atlan konnte sich das nicht vorstellen. Woher hätten die Spercoiden etwas von dem unbändigen Stolz des Arkoniden wissen sollen. Ein ehemaliger Kristallprinz und Imperator von Arkon – degradiert zum Reiniger einer radioaktiven Latrine von Molchen. Die Kombination war das Perfideste, das sich der Arkonide vorstellen konnte. Er konnte zwar nicht glauben, daß die Spercoiden vorgehabt hatten, ihn auf diese Weise zu demütigen, aber das nahm dem ganzen Vorgang nichts von seiner Schändlichkeit. Als der Bleibottich gefüllt war, wuchtete der Arkonide das Gefäß mit lautem Ächzen auf die Schulter, dann setzte er sich in Bewegung. Umständlich stieg er aus dem Bottich, eine glitschige Treppe hinab, auf der er schon dreimal ausgerutscht war. Ihm war allerdings erspart geblieben, daß die Spercoiden bei diesem Anblick lachten – zum einen,
39 weil sie ohnehin nie lachten, zum anderen, weil Atlan seine Peiniger nicht sehen konnte. Nach der Treppe waren sechsundachtzig Schritte zu machen. Der Arkonide hatte sie gezählt. Beim fünfzigsten Schritt war ein stählerner Pfeiler in der Nähe einer Kamera erreicht. Dort pflegte sich Atlan sekundenlang gegen den Pfeiler zu lehnen, ein freundliches Gesicht zu machen und ein heiteres Lied zu pfeifen. Nach Munterkeit war ihm bei diesen Gelegenheiten zwar nicht zumute, aber er wollte den Spercoiden zeigen, daß ein ArkonImperator nicht so leicht in die Knie zu zwingen war. Daß ein Gutteil dieser Anwandlungen auf die typische Sturheit seiner terranischen Freunde zurückging, die er sich in zehn Jahrtausenden angewöhnt hatte, zählte in diesem Zusammenhang nicht. Nach der kurzen Pause am Pfeiler, die Atlan dazu nutzte, die Last von einer auf die andere Schulter zu verlagern, ging es dann sechsunddreißig mühsame Schritte auf das Loch im Boden zu, das groß genug war, um nicht nur die faulige Brühe und den Bleibehälter zu schlucken. Die Öffnung war so bemessen, daß darin auch der Transporteur Platz fand. Bereits einige Male war der Arkonide auf dem glitschigen Boden ausgerutscht und hatte sich in dem Schacht wiedergefunden – perfiderweise lag das Schutzgitter eine halbe Mannslänge unterhalb der Schachtöffnung. Auch diesmal mußte der Arkonide sich erheblich anstrengen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren und einmal mehr in den Schacht zu rutschen. Die Brühe, die er befehlsgemäß in diesen Schacht zu entleeren hatte, stank nicht nur grauenerregend, sie war auch ausgesprochen fettig. Bei jedem Schritt schwappte etwas über und landete auf dem Boden, der auf diese Weise nach kurzer Zeit zu einer Rutschbahn wurde, auf der im Gleichgewicht zu bleiben erhebliche Kräfte und Mühen kostete. Sechsundachtzig Schritte hin, sechsundachtzig Schritte zurück. Mehr als einhun-
40 dert Mal am Tag mußte der Arkonide diese Strecke zurücklegen, bei jedem Mal zumindest von der Last des Bleigefäßes beschwert. Ein Plastikeimer hätte den gleichen Dienst getan, war aber nicht im Sinne der Spercoiden. »Aufhören!« Der Arkonide blieb abrupt stehen. Dreimal am Tag meldeten sich die Spercoiden. Sie weckten ihren Arbeitssklaven, sie gestatteten ihm eine Mittagspause, und sie erlaubten ihm abends nach dem Befehl zum Aufhören erschöpft zusammenzubrechen. Längst hatte Atlan sein Zeitgefühl verloren. Sein Leben wurde durch die Befehle der Spercoiden geregelt. Es war unglaublich, wie rasch man sich an diese Tretmühle gewöhnte, wie wenig Zeit verging, bis man zum stumpfen Arbeitstier verfiel, das kaum mehr in der Lage war, über sich selbst und seine Umwelt nachzudenken. Ächzend sank der Arkonide auf den Boden, langsam, um die schmerzenden Muskeln zu schonen. Im Futterkorb – eine andere Bezeichnung wäre ein blanker Euphemismus gewesen – erschien ein Stück jener zähen, modrig schmeckenden Masse, mit der Atlan abgefüttert wurde. Am ersten Tag hatte der Magen des Arkoniden noch rebelliert – derartige Zumutungen hatte er bisher noch nicht zu ertragen gehabt – dann aber hatte der Hunger gesiegt. »Du mußt etwas unternehmen«, drängte der Extrasinn. Gierig schlang der Arkonide das erste Stück Nahrung hinab. Auf den Impuls des Extrasinns reagierte er nicht. Was hätte er auch unternehmen sollen? Waffenlos, bis an den Rand des körperlichen Zusammenbruchs geschunden? Eingesperrt irgendwo in der kilometergroßen Stahlfestung, umgeben von Zehntausenden von Spercoiden, die keine Zehntelsekunde zögern würden, ihn wie Ungeziefer zu vernichten. Unter diesen Umständen an Flucht zu denken, verbot sich von selbst. Und doch tat Atlan in den wenigen Au-
Peter Terrid genblicken, in denen er seine Gedanken zusammenfassen konnte, nichts anderes. Er dachte nur an Flucht. Der Arkonide war viel zu oft eingesperrt gewesen, um nicht zu wissen, daß es überall eine Chance gab. Man mußte nur aufpassen, Geduld haben, auf den richtigen Augenblick lauern. Wer wußte schon, daß es nicht jener Casanova gewesen war, dem als erster etwas angeblich Unmögliches gelungen war – die Flucht aus dem Stadtgefängnis von Venedig, den berüchtigten Bleikammern. Allerdings hatte der Arkonide dafür gesorgt, daß sein Ausbruch nicht ganz so spektakulär verlaufen war. Es hatte in der Geschichte der Menschen viele Gefängnisse gegeben, die als absolut ausbruchsicher galten, und das zu Zeiten, da die Gefängniswärter Leuteschinder waren und nicht Sozialarbeiter, da das Leben eines Gefangenen nichts galt. Atlan kaute langsam. Wenn er in dieser Gestankhölle zu schnell aß, revoltierte sein Magen. Irgendwo mußte es eine Methode geben, dieser Hölle zu entrinnen. Davon war der Arkonide fest überzeugt. Er mußte nur den Trick herausfinden. Als er den letzten Bissen gegessen hatte, war er der Lösung seines Problems schon erheblich nähergekommen. Daß er noch lebte, verdankte er neben seiner Zähigkeit vor allem dem Zellaktivator. Ohne dieses Geschenk des Fiktivwesens von Wanderer wäre der Arkonide längst gestorben. Die Spercoiden wußten, daß kein Wesen diese Schinderei lange ertragen konnte. Was sie Atlan zumuteten, war eine Hinrichtung auf Raten. In ihrer Kalkulation aber konnte es keinen Zellaktivator geben. Von der Wirkung dieses Geräts wußten die Spercoiden nichts. Wenn also am nächsten Morgen … Der Arkonide überlegte sehr sorgfältig jeden Schritt, und als er schließlich einschlief, stand sein Plan fest.
*
Die Stahlfestung Das Einschlafen war unter den Umständen, unter denen der Arkonide lebte, kein Hinüberdämmern in den Schlaf, es glich vielmehr dem jähen Abgleiten in einen bodenlosen Abgrund. Auch das Erwachen glich eher dem Wiederauftauchen aus einer Ohnmacht. Der Arkonide hörte das Gellen des Wecksignals in seinen Ohren und richtete sich langsam auf. »Anfangen!« sagte der Spercoide aus dem Lautsprecher. Es knackte leise, als er die Verbindung trennte. Atlan wußte, daß man ihm nun ein paar Augenblicke Zeit lassen würde. Wenn er danach nicht an der Arbeit war, setzte es Elektroschocks, die von Minute zu Minute an Intensität zunahmen. Irgendwann wurde dann auch der Bockigste brav und fügsam. Atlan griff nach dem Bleibottich und wankte zu dem Bassin hinüber. Auf geheimnisvolle Weise war das Becken in der Schlafperiode aufgefüllt worden. Es hätte den Arkoniden nicht gewundert, hätte am Ende des Schachtes eine Pumpe gestanden, die die radioaktive Brühe in den Behälter zurückpumpte. Lautstark ächzend und schnaufend füllte der Arkonide das Gefäß, wuchtete er den Bleibehälter auf die Schultern. Um ein Haar wäre er gefallen, als er unsicher aus dem Becken stieg. Anders als sonst marschierte er nicht zielstrebig zu dem bekannten Pfeiler hinüber. Er torkelte, schwankte, geriet aus der Richtung. Als er endlich den Pfeiler erreicht hatte, sank er langsam an dem Metall zu Boden. Er hatte die Augen verdreht, aber noch hielt er den Bottich. Kleine Funken knisterten auf der bewegten Oberfläche. Die Spercoiden machten sich nicht die Mühe, den Arkoniden zu ermuntern. Atlan konnte sehen, wie der Projektor sein Ziel erfaßte. Die Spercoiden warteten einen kurzen Augenblick lang, dann ließen sie eine knatternde Entladung zu dem Arkoniden hinüberzucken. Es tat höllisch weh, und dies um so mehr, als der Arkonide den Schock provoziert hat-
41 te und bewußt darauf hatte warten müssen. Er schrie gellend auf. Unter der Wirkung des Elektroschocks streckte sich sein Körper. Er flog förmlich dem Projektor entgegen. Mit aller Kraft stieß Atlan den schweren Bleibehälter von sich. Er konnte nicht sehen, was sich abspielte. Er spürte nur, wie er auf dem Boden aufprallte, danach gebot ihm sein Plan, reglos auf dem Boden liegenzubleiben. Er hörte aber, wie der Bleieimer gegen das Objektiv der Kamera prallte. Das Bersten des Glases klang geradezu lieblich in seinen Ohren. Sekundenbruchteile danach hörte er, wie ein Stromstoß aus dem Projektor sein Ziel verfehlte. Durch das radioaktive Material, das von Projektor und Kamera tropfte, war der Schockstrahl abgelenkt worden. Atlan konnte am Geschrei der Spercoiden hören, wie sich der Strahl einen neuen Weg bahnte. Wahrscheinlich schmolz er in der Beobachtungsstation einige Leitungen zusammen. Das Geschrei der Spercoiden jedenfalls verstummte abrupt. Jetzt erst wagte sich der Arkonide wieder zu bewegen. Mit einem Blick stellte er fest, daß er nicht mehr gesehen werden konnte. Die Kamera an der Decke hatte nur noch Schrottwert, und die Spitze des Projektors zielte auf die Decke. Atlan grinste zufrieden. Er holte sich den schweren Eimer aus Blei zurück, dann stellte er sich neben der Tür auf, der einzigen, die in diesen Saal führte. Er war sicher, daß die Spercoiden jemanden schicken würden, der die Anlage in Ordnung zu bringen hatte. Besonders fatal wäre das gewesen, hätten die Spercoiden ausgerechnet ihren Borg-Gefangenen dazu abgeteilt – auf eine lange Diskussion mit dem Flaschenwesen hätte sich Atlan nie einlassen dürfen. »Prachtvoll«, freute sich der Arkonide. Draußen schepperte etwas. Gleisketten waren zu hören, dazu ein unüberhörbares Kreischen und Quietschen. Das Schott glitt auf. Atlan hielt den Atem an. Der Bleieimer ging in die Höhe.
42 Der Robot blieb einfach stehen, als das Blei auf seinen metallenen Schädel herabsauste. Das Werkzeug fiel der Maschine aus den Greifern und bildete vor seinen Ketten einen Haufen. Der Schlag ließ den Arkoniden vor Schmerz stöhnen. Er hatte das Gefühl, als habe er sich die Schultergelenke ruiniert. Der Robot drehte sich langsam herum. Daß er dabei seine Spezialwerkzeuge und eine nagelneue Kamera zerquetschte, schien er nicht wahrzunehmen. Ein Greifarm schoß vor und bekam den Bleieimer zu fassen. Leicht verwirrt starrte der Arkonide auf den Robot, der den Eimer in den metallenen Händen zu drehen begann und sorgfältig beäugte. Er kümmerte sich nicht länger um die Maschine. Ihre Bewegungen verrieten, daß das Gehirn des Robots hochgradig gestört sein mußte. Atlan konzentrierte sich einen Augenblick lang. Bei den Verhören, seiner Flucht und als man ihn zu seiner »Arbeitsstelle« gebracht hatte, hatte der Arkonide einiges von der Stahlfestung zu sehen bekommen. »Nach links«, informierte ihn der Extrasinn. Vor seinem geistigen Auge entstand für kurze Zeit eine grobe Karte der Stahlfestung. Wenn die Angaben stimmten, dann hatte er eine relativ gute Chance, das Freie zu erreichen. Wegen der starken radioaktiven Strahlung lag der Arbeitsplatz des Arkoniden in den Randgebieten der Festung. »Achtung!« Einen Augenblick lang konnte der Arkonide mit dem Impuls des Extrasinns nichts anfangen. Dann aber erkannte er den Roboter. Er hielt den verbeulten Eimer in der Hand und setzte sich in Bewegung. Es sah ganz danach aus, als trachte er danach, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Atlan zuckte zusammen, dann drehte er sich um und begann zu traben. Er wußte, daß sein Schädel erheblich weniger stabil war als der Metallkopf des Robots. Ein Schlag, wie ihn der Robot klaglos verdaut
Peter Terrid hatte, mußte den Arkoniden auf der Stelle töten. »Verschwinde!« rief der Arkonide dem Robot zu. Der Extrasinn kommentierte diesen Ausruf mit einem gequälten Seufzer. Atlan begann zu laufen. Es war erstaunlich, wozu sein ausgepumpter Körper noch in der Lage war. Wahrscheinlich lag es an der Wirkung des Zellaktivators, daß er es noch zu einem erstaunlich flotten Tempo brachte. Der Robot blieb zurück. Diesem Tempo war er nicht gewachsen. Er dachte allerdings nicht daran, die Verfolgung aufzugeben. Mit quietschenden Gleitketten setzte er dem Arkoniden nach. Den Eimer aus Blei schleppte die Maschine getreulich mit. Atlan hatte keinerlei Interesse daran festzustellen, ob der Robot ihm den Eimer schenken oder über den Schädel ziehen wollte. Seine Aufmerksamkeit galt anderen Dinge. Er brauchte eine Waffe, unbedingt. Das Leben auf Marsocc würde auch in der freien Landschaft keineswegs angenehm sein. Ohne Waffe sah sich der Arkonide vor eine Situation gestellt, die er aus seiner Vergangenheit nur zu gut kannte – ohne auch nur das geringste technische Hilfsmittel gegen eine feindliche Natur gestellt. »Der Bruder der stählernen Wölfe wird reaktiviert«, spottete er leise. Es tat ihm gut, in die Welt aus Stahl und Fels, in der er sich bewegen mußte, eine persönliche Note zu bringen – und seien es Scherze auf eigene Kosten. Dann tauchte das erste Hindernis auf. Der Spercoide oder die Spercoidin, Atlan fand nicht die Zeit, sich um den kleinen Unterschied zu scheren, lief dem Arkoniden genau in die Arme. Der Anzug des Grauens, wie Atlan die Spercoiden-Montur insgeheim getauft hatte, war hervorragend gearbeitet, vor allem in den Gelenken. Aber er war dennoch nicht so leicht, daß er seinen Träger überhaupt nicht behindert hätte. Der Spercoide brauchte eine knappe Zehntelsekunde mehr, um seine Gliedmaßen in Bewegung zu setzen – und
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diese kleine Spanne reichte, um die Handkante des Arkoniden in der Halsbeuge seines Gegners landen zu lassen. Der Molch in der Rüstung sackte in sich zusammen. Atlan bückte sich hastig. Was das Geräusch besagte, das hinter ihm immer lauter wurde, wußte er, auch ohne daß er sich hätte umdrehen müssen. Der verrückte Robot. Die Maschine gab nicht auf. »Sturkopf«, maulte der Arkonide. Der Spercoide trug eine Waffe im Gürtel. Atlan nahm den Strahler an sich, und im gleichen Augenblick begann er sich erheblich wohler zu fühlen. Wenn es jetzt zum Äußersten kam, hatte er wenigstens noch eine echte Entscheidungsmöglichkeit, auch wenn diese Entscheidung lediglich den Zeitpunkt seines Todes betraf. Es war dennoch ein angenehmes Gefühl zu wissen, daß er im Notfall die Möglichkeit hatte, allen Quälereien ein Ende zu machen. Der Arkonide setzte sich wieder in Bewegung. Bereits nach wenigen hundert Metern stieß er auf ein Hindernis, ein Schott, daß ihm den weiteren Weg versperrte. Atlan mußte nur einen Blick auf den Verschluß werfen, um zu wissen, daß er sein erstes Teilziel erreicht hatte. Dieses Schott war von ähnlich kolossalen Abmessungen wie die Pforte, durch die Atlan die Stahlfestung betreten hatte. Draußen, auf der anderen Seite des Stahls, lag die Freiheit.
9. Nervös trommelte der Arkonide mit den Fingerspitzen auf dem Meßgerät herum. Der Druck in den Pressen, die das Schott bewegten, stieg mit nervenzerfetzender Langsamkeit. Und der vermaledeite Robot mit dem Bleibottich kam immer näher. Er hatte eine kleine Pause eingelegt, um den Eimer einem Spercoiden auf den Schädel zu schmettern, den sich der Maschine unverhofft in der Weg stellen wollte. Aber dieser Zwischenfall hatte nur wenige Sekunden gedauert,
und das Schott ließ sich Zeit. Mit steigender Ungeduld wartete der Arkonide, daß der Zeiger in dem Meßinstrument die farbig markierte Zone erreichte. Dann erst konnte er den Öffnungsmechanismus in Tätigkeit setzen. Dieses Schott wurde offenbar nur äußerst selten benutzt. Anders ließ sich nicht erklären, warum der Arkonide es erst vorbereiten mußte, bevor es zu öffnen war. Atlan atmete erleichtert auf, als der Zeiger endlich den farbigen Bereich erreichte. Alles weitere regelte der Automat. Er brachte Druck auf die Hydraulik, er entriegelte die Verschlüsse, er ließ den Motor anlaufen, mit dessen Kraft die schweren Flügel des Schottes bewegt wurden. Von Hand waren die tonnenschweren Metallungetüme nicht von der Stelle zu bringen. Draußen, das konnte Atlan sehr bald sehen, dämmerte es. Das war eine Überraschung für den Arkoniden. Aus der Tatsache, daß er gerade erst geweckt worden war, hatte er gefolgert, daß es früher Morgen sein mußte – was er indes zu sehen bekam, war die Abenddämmerung. Offenbar war sein Zeitgefühl während der Verhöre und der unmenschlichen Arbeit gestört worden. Der Spercoiden-Robot sagte nichts, aber er blieb dem Arkoniden auf den Fersen. Atlan mußte sich förmlich durch den Spalt quetschen, der ins Freie führte, sonst hätte ihn die Maschine erwischt. »Geschafft«, murmelte Atlan. Er wußte, daß sich das schwere Tor weiter öffnen würde, daß also in wenigen Minuten auch der verflixte Robot das Freie erreichen konnte. Dennoch nahm sich der Arkonide die Zeit, erst einmal tief Luft zu schöpfen und sich dabei umzusehen. Zur linken Hand erkannte er den Raumhafen. Die Silhouetten der Schiffe hoben sich deutlich gegen den Abendhimmel ab. Voraus und zur rechten Hand erstreckte sich ein Gebirge mittlerer Höhe. Keine der Bergspitzen war von Schnee bedeckt. Es mußte möglich sein …
44 Der Arkonide setzte sich wieder in Bewegung, als er neben sich einen Greifarm auftauchen sah, der wild in der Luft herumruderte. Diese Verfolgungsjagd nahm langsam kuriose Züge an. Was den Arkoniden besonders nervte, war die Lautlosigkeit, mit der der Robot die Jagd betrieb. Es war ein widerliches Gefühl, von einer so primitiven, ja geradezu idiotischen Maschine gehetzt zu werden – und das nicht, weil diese Maschine für Jagdzwecke gebaut worden war. Ursache der Hatz war vielmehr ein Schaltungsfehler, eine positronische Gehirnerschütterung. Irgendwo im Schädel der Maschine war etwas entzweigegangen. Dieser kleine Schaden reichte aus, den Arkoniden zu einem gehetzten Wild zu machen, das einen erbarmungslosen Jäger auf seinen Fersen wußte. Die Hoffnung des Arkoniden bestand darin, daß der Robot früher oder später die Spur verlieren mußte. Er war nicht dafür gebaut worden, flüchtigen Arbeitssklaven ins Gebirge zu folgen. Aber bis zum Gebirge war es noch sehr weit, und der Robot besaß gegenüber dem Arkoniden den unschätzbaren Vorteil, niemals zu ermüden. Seine Energiereserven reichten sicherlich für einige Wochen, während der Arkonide früher oder später schlafen mußte. Selbst der Zellaktivator war nicht in der Lage, die Strapazen der Arbeit und die Auszehrung durch eine tagelang unausgesetzte Verfolgung zu kompensieren. Zu allem Übel hatte das Gerät auch noch genug damit zu tun, die Schäden zu beheben, die das strahlende Material hervorgerufen hatten. Das unebene Gelände zwischen der Stahlfestung und dem Ausläufer des Gebirges kam dem Arkoniden zustatten. Die Unebenheiten waren für die Gleisketten des Robots zwar nicht unüberwindlich, hielten ihn aber auf. Atlan schlug einen flotten Trab ein. Auf einer Anhöhe blieb er einmal kurz stehen und sah sich nach seinem Verfolger um. Noch immer war ihm die Maschine auf den Fersen, und der klobige Gegenstand in den
Peter Terrid Greifhänden war vermutlich der Bleieimer, von dem der Robot sich nicht trennen wollte. Die kurze Beobachtung genügte dem Arkoniden, ihm zu zeigen, daß sein Trab ein wenig schneller war als das Tempo, das der Robot anschlagen konnte. Wenn Atlan seine Flucht in dieser Geschwindigkeit fortsetzte, mußte er bald einen genügend großen Vorsprung haben, um einen Haken schlagen zu können. Irgendein Verfahren mußte es geben, sich die verwünschte Maschine vom Hals zu schaffen. Der Einsatz der Waffe verbot sich allerdings von selbst – diese verzweifelte Maßnahme hätte nur dazu geführt, daß sich eine Tausendschaft von Spercoiden an die Arbeit machte, die der Robot dann nicht mehr erledigen konnte. »Sieh zu, daß du zum Raumhafen kommst«, gab der Extrasinn durch. Der Arkonide stutzte. Auf dem Gelände des Raumhafens wimmelte es wahrscheinlich von Spercoiden. Wenn es auf Marsocc ein Gelände gab, auf dem sich Atlan nicht sehen lassen durfte – jedenfalls vorerst nicht –, dann war das der Raumhafen und die angrenzenden Gebiete. Irgendwann mußten die Spercoiden schließlich merken, daß ihnen ein Arbeitstier entlaufen war, und dann … »Richtig!« kommentierte der Logiksektor. »Arbeitstier – man wird also nicht sehr intensiv nach dir suchen.« Der Arkonide war sich nicht ganz sicher, ob diese Vermutung des Logiksektor stimmte, aber in bisher zehn Jahrtausenden hatte sich der Extrasinn bewährt, und mehr als einmal hatte der Arkonide sein Überleben nur einer rechtzeitigen Warnung des Extrasinns zu verdanken gehabt. »Wie die hohen Herrschaften wünschen«, murmelte der Arkonide. Es tat gut, wieder einmal eine menschliche Stimme hören zu können, auch wenn es nur die eigene war. Wieviel Zeit würde wohl vergehen müssen, fragte sich der Arkonide, bis er wieder mit Menschen zu tun haben würde – mit den Bewohnern der Erde, ihren seltsamen Gebräuchen und Gewohnheiten, ihrem oft bissigen
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Humor und dem schier grenzenlosen Optimismus. Der Arkonide verschärfte das Tempo. Er pfiff vergnügt, als er plötzlich einen Felsspalt entdeckte. Der Riß war lang, mehrere hundert Meter, und die Ränder waren alles andere als leicht begehbar, vor allem mit Gleisketten. Tröstlich war, daß der Spalt höchstens fünf Meter breit war. »Wenn ich das nicht schaffe«, kommentierte der Arkonide sarkastisch, »werde ich von der USO gefeuert. Diesen Sprung hätte sogar Lemy Danger geschafft – jedenfalls mit dem Mund.« Der Arkonide ging ein paar Schritte zurück. Hinter sich erkannte er eine Staubwolke. Der Robot kämpfte sich, allen Unbilden der Natur zum Trotz, Meter um Meter durch das unwegsame Gelände. »Viel Glück!« spottete der Arkonide. Der Anlauf reichte aus. Mit einem weiten Satz überwand der Arkonide den Spalt. Er hoffte, daß ein Wort wie Sprung in den Denkschablonen des Robots überhaupt nicht enthalten war. Traf das zu, dann war Atlan seinen Verfolger los – wenn nicht, nun, dann hatte der emsige Metalldiener mehr als genug damit zu tun, den Riß zu umfahren. Zu einem Fünf-Meter-Sprung war der Robot mit Sicherheit nicht fähig.
* Der Logiksektor verzichtete auf jeden Kommentar. Bemerkungen erübrigten sich auch in dieser Lage. Spercoiden-Roboter waren in der Lage, Felsspalten zu überwinden. Jedenfalls war der Roboter, den Atlan in Gedanken mit den boshaftesten Spitznamen bedachte, ihm wieder auf den Fersen. Und da Atlan sich in den letzten zwei Stunden nicht mehr um seinen mechanischen Jäger gekümmert hatte, war die Maschine sogar erheblich näher gekommen. Wie es der elende Blechkerl geschafft hatte, den Riß im Fels zu überspringen, war dem Arkoniden ein Rätsel. Atlan stieß einen Fluch aus.
Es zeichnete sich eine Hetzjagd ab, die um einiges härter und erbarmungsloser ausfallen würde, als der Arkonide sich bisher hatte träumen lassen. Gewiß, er lief vor dem Robot davon, aber wirklich ernst hatte Atlan diese Hatz bisher nicht genommen. Was war schon ein primitiver Spercoidenrobot gegen einen arkonidischen Ex-Imperator? Jetzt mußte Atlan einsehen, daß er sich verrechnet hatte. Er mußte etwas unternehmen, und das möglichst schnell. Immerhin, inzwischen war es sehr dunkel geworden. Über der Landschaft hing ein Mond, viel zu klein, um die Region auszuleuchten. Aber immerhin noch lichtstark genug, um Atlan seine Füße erkennen zu lassen. Seinen Widersacher konnte er mühelos sehen – bei Erreichen einer bestimmten Grenze hatte sich ein hellrotes Positionslicht eingeschaltet, das fröhlich zu dem Arkoniden hinüberblinkte. Hell erleuchtet hingegen war der Bereich des Raumhafens. Die Spercoiden hatten Tiefstrahler aufflammen lassen. Es war taghell auf dem Landefeld, und Atlan konnte Hunderte von Spercoiden sehen, die sich im Lichtkreis der Lampen bewegten und arbeiteten. Aus der Ferne wirkte das Bild friedlich. Atlan hatte des öfteren ähnliche Bilder gesehen, wenn er abends … Er verdrängte den Gedanken an Terrania, an den Raumhafen, den Goshun-See, die Freunde. Seine Sorgen waren anderer Art. Da war der Robot, den der Arkonide in jeder Minute dreimal in die positronische Hölle wünschte. Und da waren die Schiffe, die von den Spercoiden gewartet, repariert, beladen und betankt wurden. Dem Robot mußte Atlan entgehen, zu den Schiffen mußte er irgendwie einen Zugang finden. Indes hatte der Arkonide nicht einmal den Ansatz einer Idee, die ihm aus seiner Klemme hinausgeholfen hätte. Er schob sich vorsichtig an das Landefeld heran. Dabei behielt er seinen hartnäckigen Widersacher stets im Auge. Der Himmel mochte wissen, wie die Maschine es fertig
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brachte, dem Arkoniden auf der Spur zu bleiben, und dies trotz aller Tricks und Finessen, die sich Atlan hatte einfallen lassen. »Hmm!« machte der Arkonide. Er brauchte einen Anzug, das war das Hauptproblem. Wenn er Marsocc verlassen wollte, dann nur in einem Raumschiff der Spercoiden – andere Raumer schienen hier nie zu landen. Und das ergab den Zwang, sich erneut einen Anzug zu beschaffen; wenn er sich an Bord eines Spercoidenschiffs schleichen wollte, mußte er wie ein Spercoide aussehen. An diesem Hindernis gab es kein Vorbeikommen. »Wo nehme ich einen Spercoiden-Anzug her?« rätselte Atlan. Der Robot war nähergekommen. Die Lage drängte auf Entscheidung. Es gab Spercoiden-Anzüge in Hülle und Fülle. Es gab sie in den Magazinen der Raumschiffe, jeder Spercoide trug einen – aber in die Raumschiffe kam Atlan nicht hinein, und einem Spercoiden konnte er einen solchen Anzug schlechterdings nicht abnehmen. Das hätte den sofortigen Tod des betreffenden Spercoiden zur Folge gehabt – Mord wäre die einzige angemessene Bezeichnung gewesen, hätte Atlan zu diesem Mittel gegriffen. Dieses Verfahren verbot sich demnach von selbst. Was blieb übrig?
* »Berichte!« Der knappe Befehl des Kommandanten wurde sofort befolgt. Ein Untergebener brachte eilends die Lageberichte der einzelnen Stationen herbei. Der Kommandant las die Dokumente, aufmerksam und konzentriert. Der Stapel war beachtlich groß, und der Kommandant ließ sich Zeit. »Gibt es Neues vom Landefeld?« Ein Unteroffizier trat vor. »Der Herrscher …« Der Kommandant sah auf. »Ist ihm etwas zugestoßen?« Der Spercoide machte eine Geste der Ver-
neinung. »Er wird gerade an Bord der BESCHEIDENHEIT geführt«, meldete er. »Es gibt dort keine besonderen Vorkommnisse.« »Das will ich hoffen«, sagte der Kommandant scharf. »Der Würdenträger eines fremden Volkes, das dem Tyrannen Sperco seinen gesamten Herrschaftsbereich friedlich übertragen will, ist von außerordentlicher Bedeutung. Der Würdenträger ist daher vorsichtig zu behandeln.« Die Spercoiden, die sich vor dem Kommandanten der Stahlfestung aufgebaut hatten, machten zustimmende Gesten. »Dieser Fremde«, überlegte der Kommandant. »Was ist mit ihm?« »Keine Meldungen«, mußte ein Untergebener berichten. »Es wird bereits nachgeforscht. Soll ich …« »Kein überflüssiger Aufwand«, wehrte der Kommandant ab. »Das lohnt nicht. Der Fremde kann uns nicht gefährlich werden. Er hat mit den Borg nichts zu tun. Wir werden ihn arbeiten lassen, bis er stirbt. Auf diese Weise ist er wenigstens nützlich.«
* Es gab kein Zurück mehr. Der Robot war jetzt schon zu hören. In wenigen Augenblicken mußte er Atlan erreicht haben. »Ablenkungsmanöver!« riet der Extrasinn. Atlan hob die Waffe. Der Schuß selbst dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde. In diesem Augenblick verging der Spercoiden-Roboter, und er tat Atlan den Gefallen, mit lautem Getöse zu explodieren. Atlan rannte los. Er hörte das Krachen der Explosion, kurze Zeit später das Aufheulen der Sirenen. Sein Schuß hatte die Spercoiden alarmiert. Aufgeregt liefen sie durcheinander. Unruhe, Aufregung, das war das, was der Arkonide jetzt brauchte. Einzelne Spercoiden, die die glühenden Reste des Roboters sahen, eröffneten mit ihren Waffen das Feuer auf einen Gegner, den
Die Stahlfestung sie nur vermuteten. Andere Spercoiden, die versucht hatten, sich dem Explosionsherd von einer anderen Seite her zu nähern, wähnten sich bedroht und schossen zurück. Am Rand des Landefeldes entbrannte ein erbittert geführtes Gefecht. Das Schrillen der Sirenen wurde immer lauter. Atlan huschte zwischen den Spercoiden umher. Er hielt sich dabei stets im Schatten der Schiffe, die auf dem Landefeld standen. Er hörte, wie Befehle ausgegeben wurden, sah, wie sich Luken öffneten. Gleiter tauchten auf, luden Hundertschaften ab und jagten mit heulenden Motoren durch die Reihen der abgestellten Raumschiffe. Mit einem einzigen Schuß hatte es der Arkonide fertiggebracht, ein Chaos auszulösen, das sich in jedem Augenblick verstärkte. Eine Hundertschaft von Spercoiden trabte an Atlan vorbei. Der Arkonide wartete, dann stellte er dem letzten Mann ein Bein. Der Spercoide stolperte, aber er fiel nicht, wie Atlan gehofft hatte, auf seinen Vordermann und schuf so neue Unordnung. Der Spercoide drehte sich im Fallen, und er schlug gegen die Landestütze des Schiffes, in dessen Schatten sich Atlan geflüchtet hatte. »Du hast es verursacht«, sagte der Extrasinn, »nicht verschuldet.« Es ließ sich nicht ausmachen, wie groß oder winzig die Beschädigung des Anzugs war. Aber es gab eine Beschädigung. Der Spercoide verging. Sekundenlang stand Atlan wie betäubt. Dann sagte er sich, daß er an dem Geschehen nichts mehr ändern konnte. Er zerrte den Anzug in den Schatten und öffnete die Verschlüsse. Es traf ihn wie ein Schlag, als er den letzten Verschluß einrasten ließ. Überfallartig kamen die Impulse des Anzugs. Atlan stöhnte auf, begann zu taumeln. Er ließ die Waffe fallen und griff mit beiden Händen an den Kopf. Es war, als habe er den Anzug nie ausgezogen. Die Wirkung schloß unmittelbar an die letzten Augenblicke an, in denen er einen Anzug getragen hatte. In diesem laut-
47 losen Kampf um das Bewußtsein konnte der Arkonide nur ein Rückzugsgefecht führen – ein Angriff war ausgeschlossen. Der Arkonide war müde, körperlich und geistig. Das verstärkte noch die Mühe, die er hatte, als er sich mit allen Kräften gegen die Beeinflussung durch den Anzug wehrte. Der Arkonide taumelte aus dem Schatten des Raumschiffs. Unwillkürlich ging er dorthin, wo er die meisten Spercoiden sehen konnte. Zu seinem Glück herrschte auf dem Raumhafen ein Durcheinander, das schlechterdings nicht mehr zu überbieten war. Gleiter rasten umher. Vom Rand des Landefelds erklang das Röhren von schweren Maschinenwaffen. Offenbar griffen in die Schlacht um die Stahlfestung jetzt auch Kampfroboter ein. Ein Mißverständnis, das sich durch Teilung vervielfacht hatte. Atlan glaubte sich in einem Wirklichkeit gewordenen Alptraum. Es war sein Glück, daß in dem allgemeinen Durcheinander niemand auf den offenbar erkrankten Spercoiden achtete, der von einer Landestütze zur nächsten taumelte, an einem Lastenroboter vorbei, in eine Materialschleuse. Atlan blieb stehen. Langsam klärte sich sein Blick. Die Schlacht mit dem Anzug des Grauens war gewonnen, wieder einmal. Sie war härter ausgefallen, hatte mehr Kraft gekostet. Und es war klar, daß jede weitere Auseinandersetzung noch mehr Kraft kosten würde – bis … An diese Möglichkeit wagte der Arkonide im Augenblick gar nicht erst zu denken. Er sah sich um. Irgendwie hatte er es geschafft, sich an Bord eines Raumschiffs zu schmuggeln. Er stand in der Schleuse für Materialien, die offenbar normalerweise nur von Robots benutzt wurde. Spercoiden, die mit dem Schiff zu tun gehabt hätten, konnte Atlan in der Nähe der größten Schleuse entdecken. Ein ganzes Kommando hatte dort Aufstellung genommen. Atlan schätzte, daß fast die gesamte Besatzung angetreten war, dazu ein
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Peter Terrid
Kommando von beeindruckend häßlichen Kampfrobotern. »Alle Wetter«, staunte der Arkonide. Aus dem Zwielicht näherte sich ein Schemen. Ein Fahrzeug wurde sichtbar, ein Gleiter, dessen Fahrgastzelle verhängt war. Die Spercoiden schienen im Augenblick nur an dieses Fahrzeug zu denken, das mit hoher Fahrt an der Rampe in die Höhe glitt und im Innern des Schiffes verschwand. Sofort spritzten die Spercoiden auseinander. Der hohe Herr – der Kommandant der Stahlfestung? – schien es eilig zu haben. Atlan zog sich zurück, als sich ein Robotkommando der Materialschleuse näherte. Wie man sich an Bord eines Spercoidenraumers versteckte, hatte er hinreichend geübt. Nach kurzer Zeit hatte der Arkonide einen Winkel gefunden, in dem er einstweilen sicher war vor Entdeckung. Was er gesehen hatte, reizte seine Neugierde. Er beschloß, herauszufinden, was sich da abspielte. Einem Mann vom Schlag des Lordadmirals sollte es doch ein leichtes sein, Informationen zu sammeln. Der Arkonide lauschte in sich hinein. »Richtig«, murmelte er zufrieden. »Ich habe mich nicht geirrt.« Das Schiff hob ab und beschleunigte. Die
Geräusche waren unverkennbar, vor allem für einen Mann, der soviel Zeit an Bord von Raumschiffen verbracht hatte wie der Arkonide. »Also«, sagte er leise. »Als erstes werde ich herausfinden, wie dieses Schiff heißt. Ich tippe auf GEMÜTLICHKEIT! Und dann werde ich herausbekommen, was es mit dem geheimnisvollen Fahrgast auf sich hat.« Solange das Schiff noch in den Raum vorstieß, waren die meisten Spercoiden beschäftigt. Einen besseren Zeitpunkt für Erkundigungen konnte sich der Arkonide kaum vorstellen. Vorsichtig verließ er sein Versteck. Auf dem Gang rührte sich nichts. Bereits nach wenigen hundert Metern fand er eine Lösung für seine erste Frage. Das Schiff hieß BESCHEIDENHEIT. Atlan kicherte unterdrückt. »Wenn das kein gutes Zeichen ist, Lordadmiral«, murmelte er sarkastisch. »An die Arbeit.«
ENDE
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