John Grey
Die Todgeweihten Ronco Band Nr. 215/24
Version 1.0
Ronco erzählt seine eigene Geschichte Im Jahre 1967 st...
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John Grey
Die Todgeweihten Ronco Band Nr. 215/24
Version 1.0
Ronco erzählt seine eigene Geschichte Im Jahre 1967 stießen Bauarbeiter bei Abbrucharbeiten in einer kleinen Geisterstadt im Süden New Mexicos unter einem ausgebrannten Boardinghouse auf eine zugemauerte Kellernische. Sie fanden darin einen alten Revolver, der noch mit drei Patronen geladen war, ein silbernes US-Marshal-Abzeichen und einen indianischen Ledersack. Der mit Stachelschweinborsten und Perlen verzierte Sack enthielt fünf mit Lederriemen zusammengeschnürte Bündel alter Schulhefte. Es handelte sich um das Tagebuch eines Mannes, der in der Pionierzeit Amerikas gelebt hat. Dieser Mann ist nicht in die Geschichte eingegangen. Er hat sich auch nicht darum bemüht, Geschichte zu machen. Trotzdem hat er aufgeschrieben, was er erlebt hat. Vielleicht, weil er niemanden hatte, mit dem er über sein Leben sprechen konnte. Er nannte sich RONCO. Wir wissen nicht, ob das sein richtiger Name war. Vielleicht hat er aus Scham oder Stolz seinen Namen verschwiegen. Denn er war ein Outlaw, ein Gesetzloser, der Grund hatte, seinen Namen manchmal zu verschweigen. Obwohl aus seinen Aufzeichnungen hervorgeht, daß er unschuldig in die Mühlen der Behörden geriet und verzweifelt um seine Rehabilitation kämpfte. Aber seine Berichte zeigen mehr: Sie sprengen den Rahmen unserer Vorstellungen von der Pioniergeschichte der USA. Sie schildern diese Zeit wesentlich härter, rauher und wilder, als wir sie bisher gesehen haben. Basierend auf diesen Unterlagen wurde die Romanreihe RONCO gestaltet. Jedoch handelt es sich bei den für die Serie ausgewerteten Aufzeichnungen nur um einen Teil der Tagebücher. Um Ihnen, unseren Lesern, die ganze Geschichte dieses faszinierenden Mannes RONCO offenzulegen, haben wir uns entschlossen, in Abständen von fünf Wochen die Tagebuchaufzeichnungen dieses Geächteten zu veröffentlichen. Bearbeitet von den Autoren der RONCO-Serie. In diesen Romanen erzählt der Mann, der sich RONCO nannte, seine
eigene Geschichte.
Die Hauptpersonen des Romans Ronco – Schließt sich einem Treck an, der durch Indianergebiet zieht, und gerät in eine Hölle. Carter Gatsby – Will einen Conestogaschoner voll mit Whisky in eine Silberstadt bringen und denkt nur an das große Geld. Festus Jones – Behauptet, die Indianer zu kennen und muß sich von Ronco eines Besseren belehren lassen. Roy Chester – Treckt mit Frau und Sohn nach Silver Falls und träumt von einem fündigen Claim. Bill Farragut – Zieht ebenfalls mit seiner Tochter Maria in dem Treck mit und wird schwer verletzt.
Die Todgeweihten 4. März 1880 Selten war meine Lage so übel wie in diesem Augenblick. Dabei habe ich mich so verdammt sicher gefühlt. Binnen weniger Sekunden hat sich alles wieder geändert. Ich habe keine Ahnung, wie es weitergehen soll. Vielleicht ist bald alles vorbei. Ich bin in einem eingestürzten Stollen eines Bleibergwerks eingeschlossen. Mein Lebensraum – oder besser – mein Überlebensraum ist nur eine kleine Höhle, die wie durch ein Wunder verschont geblieben ist. Zwei Yards im Durchmesser und so niedrig, daß ich nicht einmal richtig stehen kann. Dazu ist es kalt wie in einem Grab. Und vielleicht ist das diese Höhle bald wirklich – mein Grab. Ich habe hier gearbeitet, um für Linda und meinen Sohn Geld zu verdienen und uns über Wasser zu halten. Was aus den beiden werden soll, weiß ich nicht. Neben mir liegt ein Toter. Keine zwei Schritte entfernt ragt unter den Gesteinstrümmern der Körper einer zweiten Leiche hervor. Wahrscheinlich liegen unter dem zusammengestürzten Fels weitere Tote. Unmittelbar vor mir liegt der Mann, der den Stolleneinbruch ausgelöst hat. Er ist einer der Jäger, die ich abgeschüttelt zu haben glaubte. Aber das war ein Irrtum. Sie sind noch immer hinter mir her, und sie haben meine Fährte nicht verloren. Bis in das Bergwerk ist mir dieser Mann gefolgt. Er hatte wohl gehofft, daß ich bei dem Gangeinbruch sterben würde. Jetzt ist er mit mir zusammen eingeschlossen. Er lebt, und er ist gefesselt. Ich habe ihn überwältigt. Jetzt warten wir zusammen. Auf den Tod … Neben mir brennt eine kleine Fackel. Solange die Flamme nicht erlischt, gibt es Luft in der Höhle. Solange gibt es auch noch Hoffnung. Aber ab und zu flackert sie schon. Wenn sie ausgeht, bleiben uns nur noch ein paar Minuten. Dann
ist alles vorbei. Ich hatte eins meiner Tagebuchhefte unter dem Hemd stecken. Während ich schreibe, beginne ich tatsächlich, für kurze Zeit zu vergessen, wie trostlos meine Situation ist. Ich habe gelesen, was ich zuletzt geschrieben habe. Mein Abschied vom Pony Expreß. Ich hatte richtig gehandelt. Nur ein paar Wochen, nachdem ich ihn verlassen hatte, gab es den Pony Expreß nicht mehr. Die »Russell, Majors und Waddell Company« war bankrott gegangen. Der neue Besitzer der Firma, ein Mr. Ben Holladay, stellte die Reiterlinie sofort ein. Trotz der hohen Gebühren war sie ein Verlustgeschäft gewesen. Aber das war nicht mehr mein Bier. Während ich westwärts ritt, brach hinter mir die Hölle aus. Ein kleines Fort in South Carolina, tief im Süden, dessen Besatzung treu zur Unionsfahne stand, wurde in Brand geschossen. Es hieß Fort Sumter, und selbst hier draußen im Westen wurde davon gesprochen, denn der Angriff auf Sumter war der Beginn des Bürgerkrieges. Einige junge Männer sattelten auch im weiten Westen, fernab vom Kriegsschauplatz, ihre Pferde und ritten nach Norden – oder in den Süden –, um die Uniform anzuziehen und für das zu kämpfen, was sie für richtig hielten. Die meisten Leute aber wollten von dem Krieg nichts wissen. Ich gehörte dazu. Ich ritt nach Westen, um von dem verdammten Krieg möglichst wenig zu hören und zusehen. Als ich Salt Lake City verlassen hatte, hatte noch Schnee gelegen. Wochenlang war ich unterwegs gewesen und kreuz und quer durch das Land geritten. Inzwischen war es warm geworden. Wir schrieben Anfang Juni 1861. Ich befand mich in Nevada, jenem bergigen, von Wüsten durchzogenen Land zwischen Arizona und Kalifornien. Dort war Silber gefunden worden, und ich dachte, daß es dort sicher Arbeit für mich gab.
1. Brandgeruch wehte mir entgegen, als ich mich der Overlandstraße näherte, die in diesem Teil des Landes nicht viel mehr war als eine tiefe, stellenweise vom Gras überwucherte Wagenspur. Es war ein
scharfer Geruch von kaltem Rauch, von Asche und Tod. Ich zügelte meinen braunen, stämmigen Hengst und schaute mich um. Das Land lag leer und scheinbar leblos vor mir. Hinter mir Berge, westlich von mir Berge, nördlich begann, wie ich wußte, in wenigen Meilen die Goshute-Wüste. Der Tag war heiß gewesen. Jetzt stand die Sonne bereits weit im Westen. Die Hitze ließ nach. Knapp hundert Yards vor mir befand sich eine Bodensenke. Von dort schien der Geruch zu kommen. Als ich mein Pferd antrieb, sprang Shita an mir vorbei und hetzte voraus. Wenig später verschwand er in der Senke. Ich hörte ihn bellen und ritt etwas schneller. Die Schatten waren lang, als ich in die Bodensenke ritt. Ich hatte meinen Sharps-Karabiner quer vor mir im Sattel liegen. Aber ich brauchte ihn nicht. Hier gab es niemanden mehr, der mich bedrohen konnte. Es war eine Handelsstation gewesen oder ein Rasthaus für Reisende. Jetzt war es nur noch ein Trümmerhaufen. Schwarz verkohlte Balken ragten in den Himmel. Hier und da stiegen noch dünne Rauchfahnen auf, die sofort vom Wind ergriffen und fortgetragen wurden. Ich ritt auf den Hof, hielt neben dem Brunnen an und stieg aus dem Sattel. Mein Gewehr behielt ich in der Hand. Shita bellte mich an, als wolle er sagen, daß hier niemand mehr am Leben sei. Dann strich er schnüffelnd auf dem Hof herum. Ich schritt zu den Trümmern hinüber. Das Feuer hatte ganze Arbeit geleistet. Es konnte noch nicht allzu lange erloschen sein. Hier und da sah ich schwelende Glut, einige der Balken waren noch heiß. Ich umrundete die Ruine des Haupthauses und fand im Schatten von zwei mächtigen Grannenkiefern einen Leichnam. Es war ein Mann. Er war nackt. In seiner Brust steckten drei Pfeile mit gefiederten Schäften. Sein Leib zeigte Messerspuren. Er lag in einer eingetrockneten Blutlache. Ich warf nur einen kurzen Blick auf ihn und schaute in starre,
weitaufgerissene Augen. Fliegen saßen in Schwärmen auf dem toten Körper. Ich wandte mich ab und ging weiter. Hinter einem Gebäude, das früher wahrscheinlich die Scheune gewesen war, entdeckte ich die Leiche einer Frau. Sie war nicht entkleidet. Sie lag wie ein toter Käfer am Boden, mit einer Lanze, die ihre Brust durchbohrt hatte, geradezu festgenagelt. In den Trümmern der Scheune entdeckte ich einen weiteren Toten, schwarz verkohlt, kaum noch erkennbar, daß es sich einmal um einen Menschen gehandelt hatte, unmöglich zu sagen, ob es ein Mann oder eine Frau gewesen war. Trotz der Hitze zog ich für einen Moment frierend die Schultern hoch. Unvermittelt drehte ich mich um, ging zu den Kiefern hinüber und schleppte den toten Mann zu den Ruinen. Hier legte ich ihn neben die Frau. Dann holte ich mein Pferd vom vorderen Teil des Hofes, hobbelte es an und schlug im Schatten der beiden Kiefern mein Lager auf. Der Anblick der Toten schreckte mich nicht. Ich hatte schon viele Tote gesehen, zu viele für einen Jungen meines Alters. Aber das war in diesem Land kaum zu vermeiden. Ich wollte sie noch vor Einbruch der Dunkelheit begraben. Nicht aus Mitgefühl, auch nicht aus Trauer. Ich hatte sie nicht gekannt. Aber in der Hitze, die in diesen Tagen herrschte, gingen Leichen rasch ins Stadium der Verwesung über. Ihr Gestank lockte Aasvögel an. Ich aber wollte hier rasten und die Nacht in Ruhe verbringen. Ich ging auf dem Hof herum und fand am Rande der Ruine einen halbwegs brauchbaren Spaten. Shita strolchte im hohen Gras am Rande des Stationshofes herum, tauchte ab und zu schwanzwedelnd auf, als wollte er nachschauen, ob ich noch da sei, und verschwand dann wieder. Ich hob hinter dem ehemaligen Stationsgebäude ein großes Grab aus. Der Boden war hart und steinig. Bald geriet ich ins Schwitzen. Die Sonne stand tief im Westen, als ich eine Pause einlegte, etwas kaltes Fleisch aß, daß ich in den Satteltaschen mit mir führte, und einen Schluck Wasser trank. Sie hatte sich bereits flammend rot gefärbt und berührte die Spitzen der westlichen Berge.
Shita hockte neben mir im Gras und schnupperte nach den Happen, die ich ihm zuwarf. Als ich dann wieder an die Arbeit ging, streckte er sich neben meinem Deckenbündel aus. Ein paar schwarze Punkte tauchten am Himmel auf. Sie näherten sich. Ich hörte ein flatterndes Geräusch, dann heisere, schrille Schreie. Krähen! Ich mußte mich beeilen. Die schwarzen Vögel schwebten durch die rostroten Schatten des Abends heran, kreisten über den niedergebrannten Hütten und flogen bisweilen tief über mich hinweg. Dabei krächzten sie wütend, und es hörte sich an, als schrien sie mir Verwünschungen zu. Einige drehten mit der Zeit ab und flogen davon. Andere waren hartnäckiger. Sie blieben, kreisten beständig über den Ruinen oder ließen sich auf einigen verkohlten, aber stehengebliebenen Eckpfosten der Hütten nieder. Es wurde dunkel. Ich ging zu der Leiche der Frau und stemmte ihr den rechten Fuß auf die Brust, als ich die Lanze herausriß. Dann zerrte ich die Tote zu der Grube und warf sie hinein. In diesem Moment hörte ich Hufschlag. Ich ließ den Spaten fallen. Shita richtete sich auf, spitzte die Ohren und knurrte verhalten. Ich eilte zu meinem Lager und nahm meinen Sharps-Karabiner auf. »Still«, sagte ich, und Shita verstummte sofort. Er erhob sich und blieb steifbeinig, mit gesträubten Nackenhaaren stehen, während ich zurück zu den Ruinen ging und hinter dem ehemaligen Schuppen verharrte. Der Schuppen war noch am besten erhalten. Rückwand und ein Teil einer Seitenwand standen noch und boten Deckung. Der Reiter näherte sich von Norden. Er lenkte sein Pferd zwischen den tiefen Wagenspuren auf die Station zu. Mit bösem Krächzen erhoben sich die Krähen und flatterten in die Dunkelheit davon. Dann hatte der Fremde den Hof erreicht und stieg neben dem Brunnen ab. * Der Mann war groß und schmächtig. Er hatte einen krummen
Rücken und hängende Schultern. Trotzdem erweckte er den Eindruck eines kräftigen Mannes, der zupacken konnte. Seine Hände waren groß und schwielig. Sein Gesicht war hager, beinahe knochig. Aschblondes Haar quoll unter einem formlosen Schlapphut hervor. Er trug einfache Leinenkleidung und hielt ein langläufiges, einschüssiges Springfieldgewehr in der Rechten. Mißtrauisch schaute er sich auf dem Hof um. Ich hatte den Eindruck, daß er erschrocken über das war, was er sah. Mit unsicheren Schritten bewegte er sich auf die ausgebrannten Trümmer des Wohnhauses zu. Das Krächzen und der Flügelschlag einer Krähe, die tief über das Anwesen schwebte, ließ ihn zusammenzucken. Dann ging er weiter. Als er Anstalten machte, die Ruine zu umrunden, verließ ich meine Deckung. Er sah mich nicht, aber er sah mein Pferd, und als er sich umdrehte, stand ich hinter ihm und zielte mit meinem SharpsKarabiner direkt auf seine Brust. »Keine Bewegung!« befahl ich. Er riß sein Gewehr hoch. Im selben Augenblick klang das grollende Knurren Shitas auf, und dann flog der Hund wie ein Schatten von hinten heran und warf sich gegen den Mann. Der Mann taumelte, er versuchte, sich auf den Beinen zu halten und krümmte den Zeigefinger der Rechten um den Abzug. Rasch sprang ich auf ihn zu und stieß mit dem Karabiner sein Gewehr zur Seite. Ein Schuß löste sich. Ein glühend heißer Feuerblitz stach an mir vorbei und versengte mein Hemd am linken Ärmel. Das Gewehr fiel zu Boden. Ich trat zurück und zielte wieder auf den Mann. »Zurück, Shita!« befahl ich. Der Hund gehorchte knurrend. Er blieb aber nicht weit entfernt von dem Fremden stehen und ließ ihn nicht aus den Augen. Der Mann hob die Hände und blickte mich etwas hilflos an. »Seien Sie vorsichtig«, sagte ich. »Der Hund ist scharf, und ich schieße nicht vorbei. Ich kann mit meinem Gewehr umgehen.« »Ich – ich bin ganz allein«, sagte er. »Vor mir brauchst du keine Angst zu haben.« »Ich habe keine Angst«, sagte ich.
»Kann ich die Arme 'runternehmen.« Ich nickte und ließ auch das Gewehr sinken. Der Mann war harmlos, ich war ganz sicher. »Was ist hier passiert?« Er vollführte eine ungelenkte Handbewegung und zeigte auf die Ruinen und verkohlten Trümmer, die im letzten Schimmer der Sonne, die fast völlig hinter den westlichen Bergen verschwunden war, wie Schattenrisse wirkten. »Ich weiß nicht«, sagte ich. »Hinter den Ruinen sind zwei Tote. Eine Leiche ist verbrannt. Es waren Indianer. Mehr weiß ich nicht.« »Snakes«, sagte er. »Es waren Schlangen-Indianer. Hier sind ihre Jagdgründe.« »Hatten Sie Schwierigkeiten mit ihnen?« »Bisher nicht. Wir haben sie bis jetzt nicht gesehen. In der Nacht sahen wir das Feuer hier. Als es hell wurde, brannte es immer noch. Wir sind gestern noch hiergewesen, haben gerastet, Proviant eingekauft, Wasser gefaßt. Die Familie hieß Campbell. Jack Campbell, das war der Stationer.« »Wir?« fragte ich. »Ein kleiner Treck«, sagte er. »Drei Wagen, darunter, einer voll mit Whisky. Wir sind auf dem Weg nach Silber Falls.« »Ich hab davon gehört«, sagte ich. »Ich will auch dorthin. Dort wird es Arbeit gehen, denke ich.« »Wir wollen selbst nach Silber schürfen«, sagte er. »Nach allem, was uns erzählt worden ist, sind dort alle Berge aus purem Silber. Mein Name ist Farragut, Bill Farragut.« »Ronco«, sagte ich. »Nur Ronco.« Er musterte mich merkwürdig berührt, sagte aber nichts. »Ich war dabei, die Leichen zu begraben«, sagte ich. Ich ging an ihm vorbei hinter die Ruine. Er folgte mir, nachdem er sein Gewehr aufgehoben hatte. Noch immer blieb Shita in seiner Nähe und beobachtete jede seiner Bewegungen. »Es waren nette Leute«, sagte er, als wir nebeneinander vor den Leichen standen. Er half mir, den toten Mann in das Grab zu legen. Gemeinsam schlossen wir die Grube. »Sie waren hilfsbereit und großzügig. Sie warnten uns vor den Indianern, die seit den Silberfunden in den Bergen auf dem
Kriegspfad seien. Als wir in der Nacht das Feuer sahen, wollten wir wissen, was passiert ist.« »Jetzt wissen Sie es«, sagte ich. »Wie weit ist es bis zu Ihrem Treck?« »Sechs oder sieben Meilen«, sagte er. »Das ist zu weit, um sofort zurückzukehren«, sagte ich. »Am besten bleiben Sie die Nacht über hier. Morgen früh reiten wir zusammen weiter.« Er nickte. Es war jetzt fast stockfinster. Eine schmale Mondsichel stand am Nachthimmel. Der Westwind hatte aufgehört zu wehen.»Wie kommst du hierher?« fragte er unvermittelt. »Du bist doch noch so jung.« »Das sieht nur so aus«, sagte ich. Ich ging voraus zu meinem Lager. »Wir können schlafen«, sagte ich. »Shita paßt auf. Er weckt uns, wenn etwas nicht stimmt.« Bill Farragut holte sein Pferd. Ich rollte mich währenddessen in meine Decken. Shita streckte sich neben mir aus, wachsam, gespannt, bereit, jederzeit aufzuspringen und Laut zu geben. Farragut ließ sich ein Stück abseits von mir nieder. »Wir sind sieben Personen«, sagte er, während er sich ausstreckte. »Mr. Gatsby ist Geschäftsmann aus Hamilton. Ihm gehört der Wagen mit dem Whisky. Bestimmt fünfhundert Flaschen. Er hat einen Gehilfen bei sich, einen Festus Jones. Ich habe nur meine Tochter bei mir. Maria. Sie ist achtzehn. Und dann sind da noch die Chesters. Roy Chester, seine Frau Ella und ihr Sohn Bud.« Ich brummte nur, denn ich dachte, daß ich die Reisegesellschaft noch früh genug kennenlernen würde. Bill Farragut redete trotzdem weiter. Ich schloß die Augen, und Farraguts Stimme wurde immer leiser. Bleischwer kroch der Schlaf durch meinen Körper, und irgendwann hörte ich Farraguts Stimme nicht mehr. Ich schlief.
2. Shitas heißer Atem strich über mein Gesicht. Unwillig wälzte ich mich herum und blinzelte verschlafen. Dann knurrte der Hund plötzlich, und mit einem Schlag war ich wach.
Ich richtete mich halb auf. Die Decke rutschte von meinem Oberkörper. Shita stand neben mir und blickte starr über mich hinweg nach Süden. Ich schaute kurz zu Farragut hinüber. Er schnarchte leise. Sein Mund stand offen. Seine schmale Brust hob und senkte sich regelmäßig. Geräuschlos erhob ich mich und griff nach meinem Karabiner. Im Schatten der Kiefern blieb ich stehen und versuchte, in der Dunkelheit etwas zu erkennen. Aber es war unmöglich. Shita knurrte nicht mehr. Aber seine Nackenhaare waren gesträubt. Ich ging zu Farragut hinüber und stieß ihn mit dem Fuß an. Er blinzelte mich an und brummte etwas. Ich bückte mich und zog ihm die Decke weg. Da erwachte er, und ich bedeutete ihm, daß er schweigen solle. Er reagierte langsam, aber durchaus richtig. Er griff nach seinem Gewehr, und im selben Moment hörte ich ein Geräusch hinter der niedergebrannten Scheune. Shita jagte wie ein Pfeil davon und verschwand in der Dunkelheit. Ich hörte ihn wütend kläffend. Ein grollendes Knurren ertönte, dann ein schrilles Jaulen. Ich sah einen Schatten an den Ruinen vorbeihetzen. Ohne zu zögern riß ich meinen Karabiner an die Schulter und feuerte. Ich traf nicht, sah den Schatten davonhetzen und bemerkte Shita, der ihm folgte. Dann tauchten schon von allen Seiten schemenhafte Gestalten auf. Sie schienen aus dem Nichts zu kommen, bewegten sich gleitend, schnell und beinahe geräuschlos wie Erscheinungen aus einer anderen Welt. »Hinlegen!« schrie ich, und im nächsten Moment lag ich flach am Boden und schob eine neue Papierpatrone in den Lauf des SharpsKarabiners. Ein schwirrendes Geräusch war zu hören, ein Pfeil flog dicht über mich hinweg und bohrte sich mit einem dumpfen Laut in den Stamm einer Kiefer. Als ich den Kopf hob, sah ich Bill Farragut unweit von mir knien und mit dem Ladestock im Lauf seines Springfield-Gewehrs herumhantieren. »Legen Sie sich hin, zum Teufel!« schrie ich. Fast gleichzeitig bohrte sich ein Pfeil in den Kolben von Farraguts Gewehr. Er ließ die Waffe fallen und starrte einen Moment wie hypnotisiert auf den gefiederten Schaft, der aus seiner Brust hätte ragen können, wenn er
nicht das Gewehr gerade in Brusthöhe gehalten hätte. Er warf sich nach vorn und preßte sich fest an den Boden. Reglos blieb er liegen, während ich auf die Schatten feuerte, die sich zwischen den Ruinen bewegten. Ich traf. Eine der schemenhaften Gestalten taumelte, stolperte, schien zu fallen, erhob sich aber wieder und bewegte sich schwankend davon. Ich lud nach, rollte mich blitzschnell durch den Staub, federte hoch und sprang mit wenigen Sätzen hinter die wuchtigen Kiefern. Hier ließ ich mich ins hohe Gras fallen, während ein Pfeilregen auf die Stelle niederging, an der ich noch vor wenigen Sekunden gelegen hatte. Am Schuppen krachte ein Schuß. Dem dumpfen Klang nach war es eine alte Reiterpistole. Ein mächtiger Mündungsblitz zuckte auf. Das Geschoß grub sich in den Stamm des Baumes, hinter dem ich Deckung genommen hatte. Ich drückte sofort ab, zielte in die Richtung, aus der das Mündungsfeuer aufgetaucht war, und hörte einen gedämpften Schrei, während sich der Pulverdampf stinkend in der klaren Nachtluft ausbreitete. Ein paar Pfeile schwirrten noch heran, ein weiterer Schuß fiel. Dann wurde es auf einmal still. Ich blieb in meiner Deckung, lauschte angespannt in die Nacht und ließ meine Blicke durch die Dunkelheit schweifen, bis meine Augen schmerzten und zu tränen begannen. Shita tauchte unvermittelt wieder auf. Er wedelte siegesgewiß mit dem Schwanz und hielt einen blutigen Lederfetzen in der Schnauze. Da war ich sicher, daß die Indianer fort waren. Ich verließ meine Deckung. Ich bewegte mich geduckt und vorsichtig, immer bereit, mich fallenzulassen oder zurückzuspringen. Aber es geschah nichts. Die Indianer waren genauso verschwunden, wie sie aufgetaucht waren. Schnell, geräuschlos, geisterhaft. Einen Moment dachte ich, es sei alles nur ein Spuk gewesen. Aber neben dem verbrannten Schuppen fand ich Blut am Boden. Ich fand auch Blut hinter dem ehemaligen Stall. Es war kein Spuk gewesen, und ich hatte gut geschossen. »Sie können aufstehen!« rief ich Bill Farragut zu, der noch immer
reglos am Boden lag. »Es ist alles vorbei.« Farragut hob den Kopf. »Hast du einen erwischt?« »Verwundet«, sagte ich. »Haben Sie schon mal mit Indianern gekämpft?« »Nein«, sagte er. »Beim nächsten Mal sollten Sie besser nicht den Kopf in den Sand stecken, sondern zurückschießen«, sagte ich. »Diesmal waren es wahrscheinlich nur wenige Krieger. Wären es mehr gewesen, hätten sie sich kaum von einem Gewehr und einem Hund verjagen lassen.« »Es ging alles so schnell«, sagte er. »Eben«, sagte ich. »Man ist sehr schnell tot.« Er erwiderte nichts, hob sein Springfieldgewehr auf und bemühte sich, den Pfeil aus dem Kolben zu ziehen. Es gelang nicht. Der Pfeilschaft brach ab, und Farragut mußte mit seinem Messer die Pfeilspitze aus dem Holz schneiden. »Das Gewehr war ganz neu«, sagte er. »Hauptsache, es schießt geradeaus«, antwortete ich. »Ob sie in der Nacht noch mal zurückkehren?« »Die Indianer?« Ich zuckte mit den Schultern. »Möglich ist alles. Ich glaub's aber nicht.« »Ich kann jedenfalls nicht mehr schlafen«, sagte er. »Ich schon«, sagte ich. Ich ging zu meinem Lager zurück, rollte mich wieder in meine Decke und schloß die Augen, während Shita sich wieder neben mir ausstreckte. Bill Farragut hockte in etwas hilflos wirkender Pose mit seinem langläufigen Gewehr in den Fäusten unschlüssig am Boden. * Der Treck rollte nordwärts. Es waren drei Wagen, wie Bill Farragut gesagt hatte, Conestoga-Schoner mit Vierer-Gespannen. Die hellen Planen wirkten wie geblähte Segel. Wir sahen den Treck vor uns. Die Sonne stand hoch. Seit dem frühen Morgen waren wir ohne Pause geritten. Indianer hatten wir während der ganzen Zeit nicht mehr gesichtet. Bill Farragut wirkte etwas verschnupft, seit wir vor etwa drei
Stunden den verlassenen Rastplatz entdeckt hatten, an dem der Treck die Nacht verbracht hatte. Er war offenbar darüber verärgert, daß man nicht auf ihn gewartet hatte. Wir beobachteten, daß die Wagen am Ufer eines schmalen Rinnsals einen Halbkreis bildeten und anhielten. Menschen stiegen ab und schlugen ein Mittagslager auf. Ich trieb meinen Braunen an und ritt auf das Lager zu. Shita sprang voraus und bellte ein- oder zweimal, wie um uns anzumelden. Farragut folgte mir etwas langsamer. Er ritt nicht besonders gut. Er war früher Farmer gewesen, hatte er mir erzählt. Er kam aus Kalifornien. Dort hatte er als junger Mann den Goldrausch mitgemacht, 1849. Dort hatte er auch geheiratet, und seine Tochter Maria war dort geboren worden. In einem der Goldgräbercamps hatte sich seine Frau die Schwindsucht geholt, kurz nach der Geburt des Kindes. Später hatte die schwere Farmarbeit weiter an ihren Kräften gezehrt, und vor zwei Jahren war sie gestorben. Farragut sagte, sie habe am Schluß nicht viel mehr gewogen als ein zehnjähriges Kind. Mit der Farm war es auch nicht sonderlich gut gegangen. Es war ihm und seiner Tochter leichtgefallen, alles stehen und liegenzulassen und nach Nevada zu ziehen, um hier zu versuchen, Silber zu finden. Ein stiernackiger, kahlköpfiger Mann stand neben dem letzten Wagen. Er war ziemlich dick und schwitzte. Seinen Hut hielt er in der linken Hand, mit der Rechten wischte er sich den Schweiß vom Kopf. »Hallo«, sagte ich und stieg ab. Er warf einen kurzen Blick auf mich und schaute dann an mir vorbei zu Farragut. »Wen hast du mitgebracht, Farragut?« »Das ist Ronco«, sagte der Farmer. »Ich hab ihn auf der Station getroffen. Er versteht etwas von Indianern und kann mit seinem Gewehr umgehen wie der Teufel. Er will auch nach Silver Falls. Die Campbells sind tot.« Während Farragut gesprochen hatte, waren auch die anderen Mitglieder des Trecks herangetreten. Sie musterten mich neugierig. Das war verständlich. Ihnen war anzusehen, daß sie sich zum erstenmal so tief in der Wildnis aufhielten. Ich aber war in der
Wildnis aufgewachsen, und das sah man mir an. Ich war knapp fünfzehn, sah aber mindestens zwei oder drei Jahre älter aus. Ich war groß und sehnig. Mein Gesicht war schmal und hatte bereits eckige, männliche Züge. Meine Haut war braungebrannt. Das Haar trug ich noch immer lang wie die Indianer, weicher Bartflaum bedeckte Kinn und Wangen. Ab und zu rasierte ich mich sogar schon mit einer Glasscherbe. Ich trug ein etwas verschossenes Wildlederhemd und abgewetzte Baumwollhosen, die Hosenbeine hatte ich über die Schäfte meiner Stiefel gezogen. Ich hielt meinen Sharps-Karabiner in den Fäusten und unter meinem Hemd, das lose über den Gürtel fiel, ragte eine Messerscheide hervor. Außerdem hatte ich einen Navy-Colt im Hosengurt stecken, aber der wurde vom Hemd verdeckt. »Alle tot?« fragte eine hagere, hochgewachsene Frau. »Alle«, sagte Farragut. »Wir haben sie begraben.« »Sind die Indianer noch in der Nähe?« fragte der stiernackige Mann. »In der Nacht haben sie uns angegriffen«, sagte Farragut. »Ronco hat sie verjagt.« »Stammst du aus dieser Gegend?« fragte mich der Stiernackige. »Ich bin in Texas aufgewachsen«, sagte ich. »Aber ich war auch schon in Mexiko, in Colorado, in Kansas und einigen anderen Gegenden. Ich war beim Pony-Expreß.« Das schien ihn sichtlich zu beeindrucken. Er war mir unsympathisch, obwohl ich nicht erklären konnte, wieso. Ich kannte ihn ja nicht einmal. »Du kannst mit dem Gewehr umgehen?« »Das kann er«, sagte Farragut. »Das kann ich bestätigen.« »Ich kann einen wie dich gebrauchen«, sagte der Mann. »Mein Name ist Gatsby, Carter Gatsby. Ich habe eine ziemlich wertvolle Fracht durchzubringen und kann jeden Mann gebrauchen, der mit einem Gewehr umzugehen versteht. Wenn wir in Silver Falls sind, zahle ich dir fünfzig Dollar.« »Das geht in Ordnung, Mr. Gatsby«, sagte ich. »Ich glaube schon, daß es verdammt unangenehm werden wird, denn die Indianer
wissen, was Sie geladen haben.« »Woher?« Gatsby beugte sich vor. Seine Augen wurden schmal. »An Ihrem letzten Lagerplatz habe ich eine zerbrochene Flasche gesehen«, sagte ich. »Sie hätten sie vergraben sollen. So weiß jeder Indianer im Umkreis von hundert Meilen, was hier zu holen ist.« »Die Flasche ist zerbrochen«, sagte Gatsby, »als wir etwas umgeladen haben.« Er fuhr unvermittelt herum und wandte sich an einen hünenhaften, schwarzbärtigen Mann, der zwei Revolver trug und noch unsympathischer wirkte als Gatsby. »Ich denke, du kennst dich aus, Jones«, sagte er. »Ich denke, du weißt mit Indianern Bescheid? Du hast die Flasche zerbrochen und mich damit um mindestens zwanzig bis dreißig Dollar gebracht. Und du hast sie einfach fortgeworfen.« »Regen Sie sich wegen der paar Scherben nicht so auf«, sagte Jones. »Was bedeutet das schon!« »Du hast gehört, was der Junge gesagt hat«, erwiderte Gatsby, diesmal klang seine Stimme erheblich schärfer. »Und es hört sich logisch an, was er sagt. Jedem Idioten ist das klar, wenn er ein bißchen nachdenkt. Nur dir nicht.« »Ich laß mich nicht beleidigen, Mr. Gatsby«, sagte der andere. »Sie haben mich engagiert, damit ich auf Ihren Whisky aufpasse. Genau das tue ich. Wenn Sie einem hergelaufenen Bengel mehr glauben als mir …« »Ich weiß nicht, wie lange Sie schon im Westen sind, Mister«, sagte ich. »Aber ich bin hier geboren und habe jede Stunde meines Lebens hier verbracht. Da lernt man es, auf alles zu achten, wenn man am Leben bleiben will. Diese Flaschenscherben sind vielleicht nur eine Kleinigkeit, aber sie sind eine Spur. Und jeder, der es gewöhnt ist, in der Wildnis zu leben, kann Spuren lesen und die richtigen Schlüsse daraus ziehen. Im Fall dieser Flasche könnte das sogar ein Kind.« »Der Junge hat recht«, sagte Gatsby. »Ich frage mich, warum wir nicht selbst daran gedacht haben. Aber wir sind alle neu in diesem Land. Du hättest es besser wissen müssen, Jones.« Der Bärtige antwortete nicht. Er drehte sich einfach um und ging weg. Gatsby schaute mich wieder an.
»Du scheinst einen hellen Kopf zu haben und dich wirklich auszukennen. Glaubst du, daß die Rothäute in der Nähe sind?« »Das denke ich schon«, sagte ich. »Der Angriff auf uns letzte Nacht hat das gezeigt. Das Silber ist ja erst vor kurzem entdeckt worden, und erst seit ein paar Wochen ziehen massenweise Erzsucher ins Land. Wir müssen uns darauf einstellen, daß es bald im ganzen Land Ärger mit den Indianern geben wird. Sie werden überall versuchen, die weißen Männer zu verjagen. Die Campbell-Station war nur der Anfang. Wahrscheinlich haben sie längst sämtliche Wege in die Silbergebiete unter Beobachtung, und sie werden versuchen, jedem den Zugang zu versperren.« »Wir müssen es schaffen, bis Silver Falls zu gelangen«, sagte Gatsby. »Ich habe mein ganzes Geld in diese Whiskyladung gesteckt.« »Glauben Sie, wir hätten nicht auch alles, was wir besitzen, auf unsere Wagen gepackt«, sagte ein knorriger, schwerer Mann, der bis jetzt schweigend neben der hageren Frau gestanden hatte. »Für uns hängt genausoviel ab, daß wir Silver Falls erreichen, wie für Sie, Mr. Gatsby.« Gatsby antwortete nicht. Farragut ging an mir vorbei und zeigte auf den knorrigen Mann. »Das ist Mr. Chester, und das ist Mrs. Chester.« Er deutete auf die hagere Frau, die ein strenges, faltiges, aber nicht unfreundliches Gesicht hatte. Neben den beiden stand ein hochaufgeschossener, schlaksiger Bursche von vielleicht zweiundzwanzig Jahren. Das war Bud Chester, der Sohn der beiden. Dann war da noch Maria Farragut, Bills Tochter. Sie war genauso groß wie ich und ziemlich mager. Aber sie machte einen kräftigen und energischen Eindruck, was vermutlich davon herrührte, daß sie ohne ihre Mutter aufgewachsen und immer mit ihrem Vater zusammengewesen war, der in manchen Dingen etwas hilflos wirkte. »Habt ihr schon gegessen?« fragte Ella Chester. »Nein«, sagte Farragut. Wir führten die Pferde zum Bach und gingen dann daran, ein Feuer anzufachen. Festus Jones, Gatsbys Gehilfe, stand ein Stück abseits und zog an einer Zigarette. Er beachtete uns nicht und aß auch nichts, während die anderen sehr viel redeten, wohl um ihre
Unruhe zu ersticken, die sie seit der Nachricht, daß sie alle sich in unmittelbarer Gefahr befanden, je tiefer sie in das Silberland eindrangen, verspürten. Dennoch schienen sie sich, außer Bill Farragut, der die Toten und die niedergebrannten Gebäude gesehen hatte, nicht richtig darüber im klaren zu sein, was ihnen bevorstand. Ich überlegte während des Essens, ob es nicht doch besser für mich sei, allein weiterzuziehen. Ich kannte mich in der Wildnis aus, konnte allein für mich sorgen und kam allein wahrscheinlich besser zurecht als zusammen mit diesen unerfahrenen Leuten. Aber Gatsby zahlte mir fünfzig Dollar, wenn ich bei ihm blieb und auf seine Schnapsladung aufpaßte. Außerdem brauchte ich mich nicht selbst zu versorgen. Ich warf einen Blick zu Shita hinüber, der sich im Schatten eines Wagens niedergelegt hatte und zufrieden an einem Knochen nagte. Er schien sich wohlzufühlen. Ich beschloß, zu bleiben. Ändern konnte ich meine Meinung immer noch.
3. Der Himmel lag wie ein weißglühender Hitzeschild über dem Land. Die Luft schien zu kochen. Hier und da standen einige Kakteen und ein paar Yuccapflanzen. Sonst gab es keine Vegetation. Wir hatten die Goshute-Wüste erreicht. Fünfzig Meilen ohne Wasser, ohne menschliche Ansiedlung, fünfzig Meilen nur Sand und Wüste. Es ging auf den Mittag zu. Ich befand mich seit einem Tag bei dem Treck. Wir waren ohne Störungen vorangekommen. Kein Indianer hatte sich bisher blicken lassen. Aber das bedeutete nicht viel, wie ich aus eigener Erfahrung seit meiner Zeit bei den Apachen wußte. Bei den anderen dagegen schien diese Tatsache Erleichterung auszulösen. Sie schätzten die Gefahr, in der wir uns alle befanden, geringer ein als noch am Vortag, und Festus Jones, der andere Gehilfe von Carter Gatsby, führte bereits wieder das große Wort. Er mochte sich viel im Westen herumgetrieben haben, aber von Indianern verstand er herzlich wenig. Ich beschränkte mich darauf, schweigend zuzuhören, denn ich spürte, daß Gatsby, die Chesters und auch Bill Farragut mit seiner Tochter die Geschichten von Festus
Jones lieber hörten als meine Warnungen. Ich hatte keine Lust, deswegen zu streiten, denn früher oder später würde sich zeigen, daß Festus Jones, der die Gefahr durch die Indianer herunterspielte, unrecht hatte. Ich war nicht sonderlich stolz darauf, diese Gewißheit zu besitzen, denn es ging auch um meine Haut. Mich ärgerte nur der Leichtsinn, der von Festus Jones verbreitet wurde und gefährliche Folgen haben konnte. Ich war dem Treck vorausgeritten. Shita trottete neben mir her durch den heißen Sand. Unter den Hufen meines Braunen wogten feine Staubwölkchen auf, die sich nur zögernd wieder senkten. Es herrschte fast völlige Windstille. Die Luft war trocken und schmeckte nach Sand. Ich verspürte ein intensives Kratzen im Hals und hätte gern etwas getrunken. Aber ich kannte mich mit der Wüste aus, deshalb beherrschte ich mich. Wir mußten Wasser sparen, außerdem wäre jeder Schluck vergeudet gewesen. Es nutzte nichts, während der größten Hitze zu trinken, das Wasser wurde sofort wieder herausgeschwitzt. In der Wüste war es sinnvoller, nach Sonnenuntergang oder vor Sonnenaufgang zu trinken. Die Wüste war flach wie eine Tischplatte. In einigen Meilen Entfernung entdeckte ich ein paar Dünen, die die Eintönigkeit der Landschaft allerdings kaum unterbrachen. Der Trail nach Norden war von zahlreichen Wagenspuren vorgezeichnet. Einige waren ziemlich alt, andere schienen erst vor wenigen Tagen entstanden zu sein. Ich trieb den Braunen an und wich von dem Wagenweg nach Westen ab. Mein Ziel waren die Ausläufer der Peoquo-Range, einer Gebirgskette, die die Wüste im Westen begrenzte. Die schroffen Gipfel der Berge waren von einem flirrenden Hitzeschleier umgeben und verschwammen vor dem gleißenden Horizont. Ich ritt nicht sonderlich schnell, aber in stetigem Tempo, und gelangte gut voran. Bereits nach einer Stunde wurde das Land steiniger und hügeliger. Hier und da wucherten magere Dornensträucher zwischen vulkanischem Fels. Ich ritt nun langsamer. Aufmerksam ließ ich meine Blicke über die nahen Höhenkämme gleiten und suchte sorgfältig den Boden ab.
Im Schatten einer Felssäule, die wie ein überdimensionaler Finger wirkte, hielt ich den Braunen kurz an und stieg ab, um ein wenig auszuruhen. Shitas Bellen schreckte mich auf. Ich schaute mich um und sah den Hund in knapp hundert Yards Entfernung auf einem Hang stehen. Schwerfällig erhob ich mich und ging zu Fuß zu ihm hinüber. Ich fühlte mich wie ausgedörrt. Jede Bewegung fiel mir schwer. Der steinige Boden staute die Sonnenhitze und strahlte sie wie eine Ofenplatte zurück. Es war ein menschenfeindliches Land – schroffe, abweisende Berge, ausgetrocknete, vom Hauch des Todes erfüllte Wüste, verkarsteter Boden. Ich erreichte Shita und blieb neben ihm stehen. Meinen SharpsKarabiner hielt ich locker in der Linken. Shita blickte mich mit seinen großen, glänzenden Augen an. Die Zunge hing ihm aus dem Maul. Er wedelte mit dem Schwanz. Dann sah ich, was er gefunden hatte. Unmittelbar vor seinen Vorderpfoten im Staub lagen ein paar eingefärbte Stachelschweinborsten und eine Glasperle. Dicht daneben waren schwach die Abdrücke unbeschlagener Pferdehufe erkennbar. Die Fährte führte den Hang hinauf zu einem kleinen Plateau. Auf einmal fror ich trotz der brütenden Hitze, die mich umgab. Ich hatte plötzlich das Gefühl, von tausend versteckten Augen beobachtet zu werden. Von überall her schienen Gewehrmündungen auf mich zu zielen. Ich bückte mich, hob die Stachelschweinborsten und die Perle auf und steckte alles in die Brusttasche meines Hemdes. »Komm«, sagte ich zu Shita. »Los, komm schon!« Ich hatte es eilig, mein Pferd zu erreichen. Jeden Moment erwartete ich das peitschende Knallen eines Schusses. Aber es geschah nichts. Als ich wieder in die Wüste hinausritt, sprang Shita voraus. Ich spürte die Hitze nicht mehr, auch das brennende Durstgefühl hatte nachgelassen. Meine Sinne waren angespannt. Ich spähte während des Ritts immer wieder über die Wüstenebene, bis meine Augen zu schmerzen begannen. Ich drehte mich immer wieder im Sattel um und schaute zu den Bergen hinüber. Aber ich sah nichts,
kein Leben, nicht mal einen Vogel am Horizont, kein Rauch, nichts, absolut nichts. Und doch waren Indianer da. Ich wußte es, und ich wußte auch, daß es mir niemals möglich sein würde, sie zu sehen, wenn sie nicht gesehen werden wollten. Trotzdem versuchte ich wieder und wieder, weitere Zeichen zu entdecken, die ihre Existenz, ihre Nähe bewiesen. Es gelang mir nicht. Die Sonne rückte westwärts. Die Schatten der wenigen Kakteen wurden länger. Schließlich sah ich die Wagenspuren vor mir, und wenig später sichtete ich den Treck. Die Wagen rollten langsam voran. Die Gespannpferde hatten es schwer, denn die Gefährte waren für dieses Land viel zu schwer beladen. Besonders der Wagen von Carter Gatsby sank tief in den weichen Sand ein. Gatsby saß selbst auf dem Bock und knallte ab und zu mit der Peitsche. Er wirkte träge, genau wie die anderen. Daran war die Hitze schuld, die monotone Atmosphäre der Wüste. Festus Jones ritt neben Gatsbys Wagen her. Ein Stück hinter ihm ritt der Sohn der Chesters. Er hatte eine mächtige Donnerbüchse vor sich im Sattel liegen, die sehr ehrfurchtgebietend aussah. Der Vater von Roy Chester hatte sie noch aus Europa mitgebracht. Sie war sehr alt, und ich bezweifelte, daß sie im Ernstfall viel nutzen würde. Ich ritt an Festus Jones vorbei, ohne ihn eines Blickes zu würdigen, und lenkte mein Pferd auf die andere Seite von Gatsbys Wagen. Gatsby beugte sich vor und fragte: »Hast du was gefunden?« »Ja«, sagte ich. »Ist es wichtig?« »Ich denke schon.« »Wie viele Indianer sind hinter uns her, Kleiner?« rief Jones von der anderen Seite des Wagens. Ich antwortete nicht darauf, und Jones lachte, als habe er einen prächtigen Witz erzählt. »Red schon«, sagte Gatsby. »Wenn wir rasten«, sagte ich. Ich hatte keine Lust, meine Geschichte ein paarmal zu erzählen. Was ich zu sagen hatte, ging alle an. »Die Rothäute haben die Wüste genausowenig gern wie wir«,
tönte derweil Jones auf der anderen Seite des Wagens. »Die mögen die Hitze und den Sand auch nicht. Hier in der Wüste sind wir vor Angriffen sicher. Solange niemand die Indianer zwingt, schlagen sie einen Bogen um die Wüste.« Ich hätte ihm erzählen können, daß ich mit den Apachen monatelang nur in der Wüste gelebt hatte. Aber ich ließ es. Ich wußte, daß manche Leute verdammt mißtrauisch wurden, wenn sie hörten, daß ich bei Indianern gelebt hatte, daß ich im Grunde ein vollwertiger Apache gewesen war, von der Hautfarbe abgesehen. »Es sieht doch ganz gut aus«, sagte Gatsby. »Seit dem Angriff auf die Campbell-Station hat sich keine Rothaut in unserer Nähe blicken lassen. Und hier in der Wüste könnten wir sie ja auch auf Meilen schon sehen. Es gibt keine Deckung, nichts, wo sie sich verstecken können. Ich glaube auch, daß wir sicher sind, solange wir in der Wüste sind.« Ich antwortete nicht. Wir fuhren noch ungefähr eine Stunde. Dann erreichten wir ein paar Dünenrücken, an deren Fuß wir anhielten. Die Wagen wurden zu einem Halbkreis zusammengestellt. »Leute!« rief Festus Jones, als die anderen von ihren Gefährten stiegen. »Kommt her und hört euch mal an, was Ronco zu erzählen hat. Ganze Indianervölker sind im Anmarsch, um uns zu schlachten.« Die anderen lachten. Ich verzog keine Miene. Ich wartete, bis sie sich alle versammelt hatten und Gatsby mich ungeduldig und unwillig anschaute. Dann griff ich in die Brusttasche meines Hemdes und warf die Stachelschweinborsten und die Glasperle in den Sand. Das dumme Grinsen im Gesicht von Festus Jones erfror. »Wo hast du das gefunden?« fragte Bill Farragut. »Keine vier Meilen entfernt«, sagte ich. »Neben einer Pferdespur, die höchstens einen halben Tag alt war.« Carter Gatsby wurde blaß. Er drehte sich langsam zu Festus Jones um. Seine Schläfenadern schwollen leicht an. »Hast du nicht gesagt, Indianer hätten etwas gegen Wüsten, sie ließen sich hier nicht blicken?« Jones zuckte mit den Schultern. »Zufall«, sagte er. »Vielleicht war es ein Kundschafter.« »Möglich«, sagte ich. »Aber der wollte bestimmt nicht
auskundschaften, ob noch genug Sand da ist.« »Du nimmst dein Maul ganz schön voll«, sagte Jones heftig. Er starrte mich aus schmalen Augen haßerfüllt an. »Dir kleben noch die Eierschalen hinter den Ohren, aber du weißt anscheinend alles besser. Du hast offenbar die Klugheit mit Löffeln gefressen. Bestimme du doch von jetzt an, was wir tun sollen. Ich frage mich wirklich, Mr. Gatsby, was in Sie gefahren ist, daß Sie sich auf das Wort eines Dreikäsehochs verlassen. Oder Sie, Mr. Farragut, oder Sie, Mr. Chester. Sie sind doch alles erwachsene Männer.« »Wir kennen uns hier nicht aus«, sagte Chester. »Wir kennen weder das Land noch die Indianer.« »Ich habe gesehen, wie der Junge auf Campbells Station die Indianer verjagt hat, die uns an den Kragen wollten«, sagte Farragut. »Und das hier«, er zeigte auf die gefärbten Stachelschweinborsten, »ist eine Spur. Auch wenn ich nicht viel davon verstehe, ist mir klar, was es bedeutet, daß nämlich Indianer in der Nähe sind und uns beobachten.« »Wenn Sie alle meinen, daß er recht hat«, sagte Jones heftig, »wird er Ihnen auch sagen können, was Sie nun tun sollen.« »Das fragen Sie mal die da«, sagte ich. Ich zeigte an Jones vorbei nach Westen. Alle drehten sich jetzt um und sahen die Reiter in der Abenddämmerung. Sie waren höchstens eine dreiviertel Meile entfernt. Es waren sechs. Sie schauten zu uns herüber. Obwohl das Land in dieser Richtung flach und übersichtlich war, waren sie unvermittelt aufgetaucht, als seien sie aus dem Wüstenboden gewachsen. Es waren Indianer. Im rostroten Schein der untergehenden Sonne glichen sie bedrückend realistischen Schattenrissen. Reglos saßen sie in den Sätteln. * Wir hatten die drei Wagen so gestellt, daß sie ein großes Hufeisen bildeten, dessen offene Seite auf eine hohe Düne gerichtet war, so daß wir rundum halbwegs geschützt waren. Im Innern unserer kleinen Festung waren die Pferde untergebracht. Die Sonne war schon fast hinter den Spitzen der Peoquo-Range
versunken. Trotzdem war die Sicht nicht schlecht. In der Wüste gab es keine absolute Dunkelheit. Wir sahen die Indianer in wenigen hundert Yards Entfernung. Es waren nun bereits über zwanzig. Bis jetzt hatten sie noch keine Anstalten gemacht, uns anzugreifen. Ich kannte das. Zunächst wollten sie uns nervös machen. Ihre bloße Anwesenheit genügte. Wenn sie meinten, daß wir mürbe waren, würden sie nicht länger warten. Ich befand mich im Wagen von Bill und Maria Farragut und spähte unter der teilweise hochgerollten Plane hindurch nach draußen. Maria hatte hinter einer Gerätekiste Platz genommen, wo sie vor Beschuß völlig sicher war. Hier konnte sie außerdem nötigenfalls unsere Waffen nachladen. Bill Farragut hockte neben mir am Boden. Er hatte sein Springfieldgewehr auf den Knien liegen. Seine Hände glitten nervös über das wuchtige Perkussionsschloß. Schweiß rann ihm in dünnen Bächen über das Gesicht. Carter Gatsby saß auf einer mit Mehl gefüllten Tonne. Sein bulliges Gesicht war ausdruckslos. Er schien die Ruhe selbst zu sein, aber er war blaß, und sein kurzes, abgehackt wirkendes Atmen zeigte mir, daß auch er unruhig war. Am Heck des Wagens, unmittelbar hinter dem Bock, hatte sich Festus Jones niedergelassen. Sein Sharps-Karabiner lehnte an einem großen, abgeschabten Schrankkoffer. Vor sich am Boden hatte er seine beiden Revolver griffbereit liegen. Zwischen ihm und Carter Gatsby hatte es einen heftigen Streit gegeben, während wir die Wagen zu einer behelfsmäßigen Burg zusammengestellt hatten. Jones hatte zunächst darauf beharrt, daß die Indianer schon wieder verschwinden würden, während Gatsy ihm Leichtsinn vorgeworfen hatte. Er hatte ihm gesagt, daß er offenbar keine Ahnung und ihn bei Antritt der Reise über das Maß seiner Erfahrungen belogen habe. Schließlich hatte Roy Chester den Streit beendet. Wir saßen alle in einem Boot. Die gegenseitigen Vorwürfe waren jetzt sinnlos. Chester, sein Sohn und seine Frau befanden sich in ihrem Wagen. Gatsby, Jones und ich mußten bei den Farraguts unterkriechen, denn in Gatsbys Wagen war kein Platz. Jeder Winkel war mit
Whiskyflaschen ausgefüllt. Jones bewegte sich unvermittelt. Er zog einen Lederbeutel aus der Tasche und begann, sich eine Zigarette zu drehen. Seine Hände zitterten leicht, er verlor eine Menge Tabak, aber ich war nicht sicher, ob es Wut war oder Nervosität wegen der Indianer. Als er die Zigarette zwischen die Lippen schob und ein Zündholz am rauhen Holz der Bodendielen anriß, sagte ich: »Wollen Sie uns alle umbringen, Mr. Jones?« Er würdigte mich keines Blickes und antwortete auch nicht. Er zündete seine Zigarette an und sog den Rauch tief in seine Lungen. Die Zigarettenspitze glühte auf, während er das Zündholz achtlos fallen ließ, so daß es erlosch. »Hörst du nicht, was der Junge sagt, zum Teufel!« sagte Gatsby. »Rutscht mir den Buckel 'runter«, sagte Jones. »Die Glut der Zigarette ist ein gutes Ziel«, sagte ich. »Da hörst du es«, fuhr Gatsby hoch. »Verdammt noch mal, hast du nicht schon genug angerichtet?« »Scheißen Sie sich nicht in die Hose«, sagte Jones. Gatsby schnappte nach Luft. »Wie sprichst du denn mit mir, du hergelaufener Tramp? Du wirst von mir bezahlt. Ich frage mich, wozu?« »Beruhigen Sie sich doch, Mr. Gatsby«, sagte Maria Farragut. Ihre Stimme klang sanft, aber energisch. Sie schien keine Spur nervös zu sein. Sie blickte den stiernackigen Mann im Zwielicht des Wagens ernst an. »Es hat doch keinen Sinn, daß wir uns untereinander streiten.« Gatsby wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er schwieg. Jones beugte sich knurrend vor und zerdrückte die Zigarettenglut an der Lehne des Bocks. »Demnächst schreibt der Bengel uns noch vor, wann wir einen Furz loslassen dürfen und wann nicht«, sagte Jones. Er starrte mich an, und ich sah in seinen Augen, daß er mich gern umgebracht hätte. Gelassen erwiderte ich seinen Blick. Ich bereute es jetzt doch, daß ich nicht allein weitergeritten war. Aber das war jetzt nicht mehr zu ändern. Shita bellte auf einmal. Er lag draußen unter dem Wagen. Ich
drehte mich rasch um und schaute hinaus. Da sah ich, daß die Indianer alle in den Sätteln saßen. Gerade tauchte hinter einer Wolkenwand der Mond wie eine silberne Scheibe auf. Er ertränkte die Goshute-Wüste geradezu in einer Flut milchigen Lichts. Die Silhouetten der Reiten waren deutlich erkennbar. Einer der Krieger hob die rechte Faust. Er hielt eine Lanze darin, an der ein langer Skalpzopf baumelte. In seinem Haar steckten mehrere Federn. Staubwolken wirbelten unter den Hufen der Pferde auf, als die Indianer sich in Bewegung setzten.
4. Mit ploppenden Lauten bohrten sich in rascher Folge vier, fünf Pfeile in die Seitenbracke des Farragut-Wagens. Einer durchschlug die Plane, fuhr dicht an Bill Farraguts Kopf vorbei und blieb in dem Mehlfaß stecken, auf dem Carter Gatsby saß. Der dicke Mann rutschte erschrocken von seinem Platz und versuchte, sich so klein wie möglich zu machen. Ich schob meinen Karabiner über die Oberkante der Seitenbracke und spannte den Hahn. Keiner sprach ein Wort. Bill Farragut hantierte ungeschickt mit seinem Gewehr, und Festus Jones hatte seine Sharps an die Schulter gehoben. In weit auseinandergezogener Front sprengten die Indianer durch die Nacht heran. Der Hufschlag ihrer Pferde hallte ihnen als dumpfer Trommelwirbel voraus. Sie stießen kein Kriegsgeschrei aus. Schweigend griffen sie an. Weitere Pfeile bohrten sich in das Holz des Wagens oder zerrissen die Plane. Als sie kaum noch sechzig Yards entfernt waren, ließen sie sich seitlich aus den Sätteln gleiten. An den Flanken ihrer Pferde hängend jagten sie heran. Ich zog den Abzug meines Karabiners durch. Ich spürte den Rückschlag hart an meiner rechten Wange. Die peitschende Detonation übertönte den dröhnenden Hufschlag und hallte weit über das Land. Neben mir schoß Bill Farragut, und dann feuerte auch Carter Gatsby. Er besaß einen Revolverkarabiner von Colt mit
seitlich angebrachtem Hammer. Festus Jones schoß als letzter. Er traf als einziger. Eins der Indianerpferde bäumte sich auf und stürzte. Es überschlug sich. Der Reiter wirbelte durch die Luft und schlug hart am Boden auf. Er blieb einen Moment betäubt liegen, erhob sich dann aber und lief zu Fuß weiter. Auch aus dem Wagen der Chesters krachten nun Schüsse. Drei oder vier der Indianer besaßen Gewehre. Sie feuerten jetzt, und einer der Schüsse traf Gatsbys Wagen. Es klirrte unter der Plane. Gatsby stieß einen quiekenden Laut aus, als habe die Kugel ihn selbst getroffen. Ich sah, wie sich sein rundes Gesicht vor Wut verzerrte. Er riß sein Gewehr an die Schulter und feuerte die Trommel leer. Der Indianer, der sein Pferd verloren hatte und zu Fuß heranstürmte, wurde getroffen, als er keine zehn Yards mehr von unserem Wagen entfernt war. Er riß die Arme hoch und stürzte auf den Rücken. Seine Augen verdrehten sich. Er bewegte sich zuckend und lag dann auf einmal still. Ich schoß selbst wieder, und Festus Jones feuerte. Auch Bill Farragut hatte sein Gewehr wieder geladen. Vom Wagen der Chesters her ertönte in regelmäßigen, kurzen Abständen, das dumpfe Krachen der mächtigen Donnerbüchse. Ich sah wieder ein Pferd stürzen. Es schien gegen eine unsichtbare Mauer zu laufen, blieb unvermittelt stehen und sackte zur Seite weg. Es begrub den Reiter halb unter sich. Er quälte sich damit ab, sich zu befreien. Als er es geschafft hatte, erwischte Festus Jones ihn, und das großkalibrige Sharps-Geschoß riß ihm fast den Kopf ab. Ich traf ebenfalls ein Pferd, und es stieß einen grellen Todesschrei aus, der das Krachen der Schüsse übertönte, für einen Moment schloß ich die Augen, und ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. Das Wiehern des sterbenden Tieres dröhnte noch in meinen Ohren, als es vorn am Heck des Wagens polterte. Ich warf mich herum. Festus Jones war gerade damit beschäftigt, sein Gewehr nachzuladen. Da tauchte ein Schatten auf dem Bock auf. Die Plane wurde zur Seite gerissen. Ein muskulöser Krieger tauchte auf. Sein Oberkörper war nackt und glänzte vor Schweiß. Er hatte ein ebenmäßig geformtes Gesicht. Das Haar hatte er zu Zöpfen
geflochten, die über seine Schultern herabfielen. Er hielt einen Tomahawk in der Rechten und riß ihn hoch. Festus Jones ließ sich nach hinten fallen und hob schützend sein Gewehr vor die Brust. Der Tomahawk prallte hart gegen den Lauf des SharpsKarabiners, Der Stiel brach splitternd, und die Schneide wirbelte durch den dunklen Wagen. Hinter mir schrie Bill Farragut auf. Im nächsten Moment hörte ich Shita wütendes Knurren. Der Indianer schwankte auf einmal, dann sah ich Shita auf dem Bock, er hatte den Krieger von hinten angesprungen und sich in seinen Lendenschurz verbissen. Der Indianer fiel plötzlich rücklings auf die Deichsel. Ich sprang auf und drängte mich an Jones vorbei zum Bock. Als ich den Kopf aus dem Wagen steckte, sah ich den Indianer neben der Deichsel im Gras liegen. Shita hatte sich in seinen linken Unterarm verbissen. Blut tropfte dem Krieger auf die Brust. Er versuchte, sich zu befreien. Es gelang ihm nicht. Aber er konnte sich halb aufrichten und sein Messer aus dem Gürtel reißen. Ich schoß. Meine Kugel erwischte den Krieger in der rechten Schulter. Sie stieß ihn nach hinten. Das Messer entfiel seiner Faust. Shita ließ ihn los, und er torkelte davon, bevor ich nachladen konnte. Hinter mir krachten noch immer Schüsse. Ein Pfeil bohrte sich dicht neben mir in die Bockbank. Dann drehten die Indianer unvermittelt ab und sprengten davon. Shita sprang mit einem Satz auf den Bock, ließ sich von mir den Kopf tätscheln und drängte dann an mir vorbei ins Wageninnere. Als ich mich umdrehte, sah ich Maria Farragut neben ihrem Vater hocken. Er lag flach ausgestreckt auf dem Boden des Wagens. »Wir brauchen Licht«, sagte Maria. »Wenigstens etwas.« »Wenn wir ein paar Decken vor sämtliche Öffnungen hängen, so daß das Licht draußen nicht zu sehen ist, geht es«, sagte ich. Maria kramte rasch mehrere Pferdedecken hervor, während Festus Jones den Wagen verließ. Carter Gatsby nahm wieder auf dem Mehlfaß Platz und wischte sich den Schweiß von seiner Glatze und seinem Gesicht. Ich kniete mich neben Bill Farragut, dessen mageres Gesicht in diesem Moment noch schmaler wirkte. Er war bleich wie eine
frischgekalkte Wand. Sein Atem ging rasselnd. Die Schneide des Tomahawks hatte ihn in die linke Schulter getroffen. Sie steckte noch im Fleisch. Ich zog mein Messer und zerschlitzte sein Hemd. Als er mit nacktem Oberkörper vor mir lag, hatte Maria vor sämtliche Öffnungen in der Plane Decken gehängt und zündete eine Petroleumlampe an, deren warmer Schein sofort den Wagen erfüllte. Für einen Moment blinzelte ich geblendet in das Licht. Unter Bill Farragut hatte sich eine dunkle Pfütze auf den dicken, rauhfaserigen Bohlen des Wagens gebildet. Beständig verlor er Blut. Die Wunde selbst sah schlimmer aus, als sie war. Eine üble Fleischwunde, aber nicht sehr schwer. Das Schlimmste war der Blutverlust. »Geben Sie mir Ihr Pulverhorn, Mr. Gatsby«, sagte ich. Gatsby hatte ein prächtig beschnitztes Pulverhorn, das aus dem Horn eines Büffels hergestellt worden war, an seinem Gürtel hängen. Er reichte es mir wortlos, griff dann nach seiner Feldflasche und trank gierig. Es herrschte eine schier unerträgliche Hitze in dem engen Wagen, in dem zudem die ätzenden Schwaden des Pulverdampfs hingen. Farragut hustete auf einmal. Sein magerer Körper zuckte wie in Krämpfen. »Ein Streichholz«, sagte ich zu Maria. »Und dann halten sie ihn fest.« Sie befolgte schweigsam alles, was ich sagte. Sie gab mir ein Zündholz und stemmte dann ihre Hände auf den knochigen, schmalen Brustkorb ihres Vaters. Farragut blickte mich aus tiefliegenden Augen starr an. »Was-was willst du tun?« »Sie kriegen eine Blutvergiftung«, sagte ich. »Die Wunde muß ausgebrannt werden, sonst gehen Sie binnen weniger Tage ein, aber das tun Sie auch so, wenn Sie noch mehr Blut verlieren.« Er zerquetschte einen Fluch zwischen seinen Lippen und murmelte etwas, das ich nicht verstand. Er drehte den Kopf zur Seite. Sein Gesicht war schmerzverzerrt. Ich zog entschlossen und mit einer kurzen, energischen Bewegung
die Schneide des Tomahawks aus der Wunde. Sofort quoll das Blut in dichtem Schwall heraus. Ich schüttete sofort Pulver auf die Wundränder und brannte es ab. Intensiver Gestank nach verbranntem Fleisch durchzog den Wagen. Bill Farragut stieß ein gurgelndes Gebrüll aus, bäumte sich auf und sackte dann bewußtlos zurück. Maria war jetzt noch blasser als er. Einen Moment lang wandte sie sich ab, und ich dachte, sie würde sich übergeben müssen. Aber sie fing sich wieder. Stumm reichte sie mir ein weißes Leinenlaken, als ich sie darum bat. Ich schnitt mit dem Messer schmale Streifen aus dem Stoff und legte Farragut einen festen Verband an. Dann lehnte ich mich zurück, griff nach meiner Feldflasche und wischte mir mit dem linken Hemdsärmel den Schweiß von der Stirn. Maria Farragut sagte: »Danke.« Ich nickte nur, und Carter Gatsby sagte: »Wo hast du das alles gelernt?« »Ich habe viel gesehen«, sagte ich ausweichend. Ich hatte keine Lust, meine ganze Geschichte zu erzählen. Die Decke, die Maria am Wagenheck aufgehängt hatte, wurde zur Seite geschoben. Festus Jones stieg ins Innere. »Bei den Chesters ist alles in Ordnung«, sagte er. Er setzte sich auf den Boden und blickte mich herausfordernd an. »Darf ich jetzt eine Zigarette rauchen?« Ich erwiderte nichts, und Carter Gatsby warf ihm nur einen vernichtenden Blick zu. Jones grinste dünn, während er sich eine Zigarette drehte. Maria löschte die Lampe. Sie reinigte ihren Vater vom Blut und deckte ihn zu. Er war noch immer ohne Besinnung. Ich verließ mit Shita den Wagen. Die kühle Nachtluft tat mir gut. Ich kontrollierte die Pferde, aber sie waren unversehrt. Dann verließ ich die Wagenburg und schaute zu den Indianern hinüber. Sie waren noch da. In gut einer Meile Entfernung brannte ein Feuer, höchstens hundert Yards entfernt sah ich zwei Krieger zu Pferde. Sie beobachteten uns. Wahrscheinlich waren sie von unserem Widerstand überrascht worden. Nach allem, was sie aus den Spuren
bisher hatten lesen können, hatten sie erwartet, völlig unerfahrene Reisende vor sich zu haben mit denen sie leichtes Spiel haben würden. Ich wunderte mich selbst, wie gut Gatsby, Farragut und die Chesters sich gehalten hatten. Festus Jones hatte bewiesen, daß er immerhin in der Lage war, kaltblütig zu kämpfen, auch wenn er sonst keine Ahnung hatte. Das war schon etwas wert. Die Indianer würden nicht locker lassen, soviel war gewiß. Sie hatten zunächst eine Niederlage erlitten, und sie wußten nun, daß sie uns nicht unterschätzen durften. Aber sie waren die Herren des Landes. Sie waren hier zu Hause, sie kannten jede Bodenfalte, jeden Stein und jeden Strauch. Vor uns lag ein langer Weg, auf dem es keine menschliche Ansiedlung gab. Die Indianer saßen am längeren Hebel. Mit dem einen kurzen Kampf, den wir glücklich hinter uns gebracht hatten, war nichts entschieden. Sie würden von jetzt an unsere ständigen Begleiter sein, sie würden versuchen, uns zu zermürben, sie würden darauf warten, daß wir Schwächen zeigten, daß wir unsere Wachsamkeit verloren, daß wir müde wurden. Dann war ihre Chance da, und sie würden sie ohne zu zögern nutzen. Ihre Erfolgsaussichten waren gut. Denn ich war überzeugt, daß von jetzt an kaum noch jemand in diesem Treck ruhig schlafen würde. Der Zeitpunkt würde kommen, da die Nervenkraft zerschlissen und die Energie aufgebraucht war. Die Plane des Chester-Wagens öffnete sich. Ella Chester stieg über das linke Vorderrad ab. Sie trug ein abgewetztes, kleines Ledertäschchen bei sich. »Mr. Farragut ist verletzt?«, fragte sie. »Er hat viel Blut verloren«, sagte ich. »Wir haben Laudanum bei uns«, sagte sie und klopfte auf das Täschchen. »Und einige andere Dinge. Salben, Heilkräuter und Pillen.« »Ich denke schon, daß er froh sein wird, etwas gegen die Schmerzen einnehmen zu können«, sagte ich. Sie nickte, ging an mir vorbei und verschwand im Wagen der Farraguts. Wenig später stieg Carter Gatsby heraus. Schnaufend und watschelnd bewegte sich der stiernackige Mann heran. Er blieb neben mir stehen und schaute nach Westen.
»Sie sind noch da«, sagte er. »Für heute nacht werden sie uns in Ruhe lassen«, sagte ich. »Wir sind gut mit ihnen fertiggeworden.« »Heute«, sagte ich. »Das bedeutet noch nicht viel.« »Du bist ein merkwürdiger Junge«, sagte er. »Als ich so alt war wie du, habe ich mit meinen Eltern in New York gelebt und im Hafen Kisten geschleppt. Später habe ich Zeitungen ausgetragen. Als mein Vater seinen ersten eigenen Store hatte, habe ich den Kunden die Taschen getragen. Von Indianern hatte ich keine Ahnung. Wenn mir jemand ein Gewehr in die Hand gedrückt hätte, hätte ich mich wahrscheinlich selbst erschossen, denn ich wußte nicht, wie man mit so etwas umgeht.« Ich antwortete nicht. »Hier im Westen ist alles anders«, sagte er, während er auf die Ebene hinausstarrte und die Indianer beobachtete. »Es ist ein verdammtes Land. Hier wird kein Mensch je glücklich werden. Wenn ich meinen Whisky in Silver Falls verkauft habe, stecke ich mein Geld ein, setze mich in die nächste Kutsche und fahre nach Kalifornien. Dort soll das Leben besser sein. Gutes Land, viel Sonne. Der Whisky bringt mir pro Flasche zwanzig bis dreißig Dollar, vielleicht sogar mehr, wenn die Leute in Silver Falls richtig ausgedörrt sind, und wer liefert hier schon Whisky her. So eine gute Flasche Hostetter wird hier draußen mit Silber aufgewogen.« Er ging zu seinem Wagen und umrundete ihn. »Ich frage mich, wieviel mir die verfluchten Rothäute kaputtgeschossen haben. Jeder Tropfen, der verloren geht, ist bares Geld für mich.« Er stieg auf den Bock und lüftete die Plane an. »Teufel«, sagte er. »Ich sehe drei Flaschen, die ausgelaufen sind.« Er tastete die Plane nach Kugeleinschlägen ab. »Mindestens fünf bis sechs Flaschen hat es erwischt«, sagte er. Seine Stimme klang jetzt weinerlich. Er widerte mich an. Er sprach von seinen Whiskyflaschen wie von Menschen. »Wenn die Rothäute uns nicht zufrieden lassen, kostet mich der Weg nach Silver Falls ein Vermögen«, jammerte er. »Vielleicht erreichen wir Silver Falls gar nicht«, sagte ich. »Dann wäre ich erledigt«, sagte Gatsby. »Mein ganzes Geld steckt
in diesem Wagen. Ich muß nach Silver Falls, ich muß den Whisky durchbringen, koste es, was es wolle.« »Vielleicht erwischt es Sie vorher, Sir«, sagte ich. »Mich hält niemand auf«, sagte Gatsby. »Und wenn alle auf der Strecke bleiben. Ich schaffe es. Ich muß es schaffen!« Ich sagte nichts mehr. Für mich stand fest, daß Gatsby verrückt war. Er verstand nicht, daß wir alle in Lebensgefahr schwebten. Er dachte nur an seinen Whisky, an sein Geld, an das große Geschäft. Alles andere war ihm egal. Nicht mal sein eigenes Leben schien ihn zu interessieren. Aber das ging mich nichts an, das war seine Sache. Ich kämpfte zwar auch für ihn, und er hatte mir immerhin fünfzig Dollar dafür versprochen, wenn wir in Silver Falls angelangt waren, aber in erster Linie kämpfte ich um meine eigene Haut, die mir ein bißchen mehr wert war als fünfzig Dollar und ein paar Flaschen Schnaps.
5. Es war ein Conestogaschoner. Er lag auf der Seite. Die Plane war zerfetzt und bewegte sich leicht im Wind, der seit dem Morgen vom Westen über das Land strich. Das zersplitterte Ende der Deichsel ragte in den heißen Himmel. Die andere Hälfte der Deichsel war unter dem toten Pferd begraben, das unmittelbar vor dem Wagen im Sand lag. Es war bereits in Verwesung übergegangen. Widerlich süßlicher Gestank hing in der kochenden Luft. Die zerschnittenen Geschirriemen zeigten, daß die Indianer die anderen Pferde des Gespanns, die noch am Leben gewesen waren, mitgenommen hatten. Der Leib des Pferdes war aufgerissen, gezeichnet von unzähligen Schnabelhieben gieriger Aasvögel. Ein Stück abseits lag eine männliche Leiche. Auch sie war von Aasvögeln gezeichnet. Da keine weiteren Toten zu sehen waren, es aber ganz so aussah, als habe der Wagen einer Familie gehört, nahm ich an, daß alle anderen Personen entführt worden waren. Ich war zusammen mit dem jungen Bud Chester vorausgeritten. Die Wagen folgten uns in etwa fünfzig Yards Entfernung.
Bud zog sofort sein Pferd herum, beugte sich im Sattel vor und übergab sich würgend. Dann ritt er davon, ohne sich noch einmal umzudrehen. Ich war nicht so zartbesaitet und stieg ab. Shita allerdings machte kehrt und folgte Bud Chester. Auch mein Brauner scheute schnaubend vor dem Verwesungsgestank und wich ein Stück zurück. Ich ging umher und prüfte die Spuren. Ich kletterte auch in den umgestürzten Wagen, aber ich fand nichts Nennenswertes mehr darin. Der Überfall hatte vor nicht mal einer Woche stattgefunden, soviel stand fest. Als ich den Wagen verließ, hatte der Treck den Platz erreicht. Bud Chester blieb im Hintergrund. Er war grün im Gesicht, und auch Carter Gatsby wechselte die Farbe, als er den Toten und das halbverweste Pferd sah. »In der Wüste sind wir sicher, nicht wahr, Mr. Jones«, sagte ich zu Festus Jones, der sein Pferd neben dem umgestürzten Wagen zügelte. Seine Augen glitzerten haßerfüllt. »Nimm dich in acht«, sagte er leise. »Du verdammter Klugscheißer.« Ich lächelte nur. Roy Chester verließ seinen Wagen und trat vor, um sich alles anzusehen. Angeekelt verzog er sein Gesicht. In hilflosem Zorn ballte er die Hände und starrte dann nach Westen. Dort waren zwölf Indianer zu sehen, die uns seit dem Morgen unentwegt im stets gleichen Abstand folgten. Roy Chester hob die rechte Faust und schüttelte sie. »Ihr Schweine!« brüllte er. »Uns kriegt ihr nicht!« »Vielleicht doch«, sagte ich. Er musterte mich schweigend und ging zu seinem Wagen zurück. Er war ein großer, starker Mann. Seine Schultern zuckten, als würde er frieren, und sein Gesicht sah aus, als könne er nur mit großer Beherrschung die Tränen zurückhalten. Bevor er seinen Wagen bestieg, drehte er sich um. »Wir müssen ihn begraben«, sagte er. »Ich hole einen Spaten.« »Dazu ist keine Zeit«, sagte ich. »Wie kann man nur so verroht sein!« schrie er. »Es ist doch völlig sinnlos«, sagte ich. »Der Tote hat nichts mehr davon, und wir verlieren Zeit.«
»Ich werde ihn begraben, wie sich das für einen guten Christenmenschen gehört«, sagte er. »Mir ist mein Fell auch wichtiger als der Seelenfrieden dieses Mannes«, sagte Festus Jones. »Ich werde mich nicht länger hier aufhalten als unbedingt nötig.« »Seien Sie nur still!« schrie Roy Chester. Er lief rot an. »Wenn ich gewußt hätte, was für ein Taugenichts Sie sind, hätte ich mich nie Ihnen anvertraut. Sie haben gesagt, daß Sie das Land kennen, Sie haben gesagt, daß Sie die Indianer kennen, Sie haben gesagt der Weg nach Silver Falls sei eine Kleinigkeit. Einen Dreck kennen Sie!« »Was hat das damit zu tun, daß Sie einen Mann begraben wollen, der ohnehin schon von den Krähen halb zerfressen worden ist?« »Wir können es uns nicht leisten, Zeit zu Vergeuden«, sagte Gatsby. »Ihnen geht es doch nur um Ihren gottverdammten Whisky!« erwiderte Chester. »Sie und Ihr Whisky, Sie sind doch an allem schuld. Sie haben uns überredet, sich Ihnen anzuschließen, weil wir gemeinsam besser dran wären. Dabei ging es Ihnen nur darum, uns dabei zu haben, damit wir für Sie und Ihren verdammten Whisky kämpfen, wenn es brenzlig wird.« »Sie reden Unsinn, Chester«, sagte Gatsby. »Und das wissen Sie.« »So, weiß ich das?« Roy Chester ging mit schweren Schritten zu Gatsbys Wagen und blieb neben dem rechten Vorderrad stehen. »Auf Ihren Whisky kommt es doch den Rothäuten in erster Linie an. Und woher wissen die Roten, was Sie transportieren? Weil Ihr Lohnknecht zerbrochene Flaschen in der Gegend liegen läßt. Sie bringen uns alle um Kopf und Kragen, Gatsby. Wir sollten sie davonjagen und Ihren verfluchten Whisky verbrennen.« »Wagen Sie es nicht, sich an meinem Whisky zu vergreifen!« Gatsbys Stimme hatte plötzlich einen schrillen Klang. Seine Schläfenadern schwollen an. Er griff nach seinem Revolvergewehr und richtete es auf Roy Chester. »Es war Ihr freier Wille, sich mir anzuschließen. Von mir aus können Sie allein weiterfahren. Ich bin nicht scharf auf Ihre Gesellschaft. Aber lassen Sie die Finger von meiner Ladung.« »Nehmen Sie das Gewehr weg, Mr. Gatsby!« rief Bud Chester. Er
zielte mit der alten europäischen Muskete auf Carter Gatsby. »Du brauchst bloß mit dem Finger zu zucken, Junge, dann bist du tot«, sagte Festus Jones. Er hatte seinen Revolver gezogen. »Seid ihr denn alle verrückt geworden?« Maria Farragut verließ den Wagen ihres Vaters und lief auf Roy Chester zu. »Gestern haben Sie noch selbst gesagt, daß wir alle in einem Boot sitzen, Mr. Chester. Sollen wir den Indianern die Arbeit abnehmen und uns selbst gegenseitig erschießen?« Ihre Stimme klang energisch und bestimmt. Ella Chester trat neben sie und blickte ihren Mann ernst an. »Maria hat recht«, sagte sie. »Selbst wenn es ein Fehler war, daß wir uns Mr. Gatsby angeschlossen haben. Jetzt ist es nicht mehr zu ändern. Jetzt müssen wir zusammenhalten; sonst sind wir verloren. Wir müssen jetzt tun, was richtig ist, und wir haben wirklich keine Zeit zu verschenken. Niemand kann dem Toten mehr helfen. Wir müssen an uns denken.« Roy Chester schaute seine Frau stumm an, wandte sich unvermittelt ab und ging zu seinem Wagen zurück. Ella Chester folgte ihm. Carter Gatsby legte das Gewehr zurück und nahm die Zügel wieder auf. Ich sah, daß seine Hände zitterten, und ich hörte, daß er leise etwas vor sich hin murmelte. Ich dachte, daß die Indianer nicht mehr allzu lange zu warten brauchten, um ihr Ziel zu erreichen. Wenn sich die Spannungen bei uns noch verschärften, brauchten sich die Krieger nicht besonders anzustrengen, um mit uns fertigzuwerden. »Es ist eine Sünde, ihn nicht zu begraben!« schrie Roy Chester, der bereits wieder auf dem Bock saß. »Das wird sich rächen. Wir werden alle dafür die Strafe erhalten, Sie mit Ihrem Teufelszeug als erster, Gatsby.« Gatsby antwortete nicht. Ich drehte mich um und ging zu meinem Pferd. Als ich in den Sattel stieg, knallte Gatsby mit der Peitsche, und sein schwerbeladener Wagen setzte sich knarrend in Bewegung. Er lenkte ihn direkt an dem toten Mann vorbei. Es fehlte nicht viel, dann hätten die Räder auf der rechten Seite die Beine des Leichnams überrollt.
Festus Jones ritt hinter dem Wagen her. Er trieb sein Pferd so dicht an mir vorbei, daß er mich fast rammte. Ich sagte nichts. Es war schon genug gestritten worden. Maria Farragut folgte mit ihrem Wagen. Ich trieb mein Pferd an und lenkte es neben sie. Sie war so mager wie ihr Vater, aber sie hielt die Zügel des Vierergespanns sicher und fest, obwohl die Anstrengung tiefe Falten in ihr junges Gesicht grub. »Wie geht es Ihrem Vater?« fragte ich. »Er hat Schmerzen«, sagte sie, ohne den Kopf zu wenden. Sie durfte das Gespann nicht aus den Augen lassen. »Aber er will schon morgen wieder reiten.« »Er soll nichts übereilen«, sagte ich. »Sonst kriegt er die schönste Entzündung in die Wunde.« »Mrs. Chester hat uns sehr geholfen«, sagte Maria. »Aber das Laudanum geht zu Ende. Er hat auch ein bißchen Fieber.« »Wenn wir nicht mehr in der Wüste sind, werde ich einige Kräuter suchen, mit denen man das Fieber senken kann«, sagte ich. »Danke«, sagte sie wieder wie in der Nacht. Ich nickte nur und trieb meinen Braunen zu rascherem Tempo an. Ich überholte die Wagen, auch Festus Jones, und ritt dem Treck wieder ein Stück voraus. Shita sprang neben mir her. Als ich einen Blick nach Westen warf, dachte ich für einen Moment, die Indianer seien nähergerückt. Aber das war wohl eine Täuschung. Sie folgten uns in stetig gleichbleibendem Tempo, und fast schien es so, als interessierten sie sich gar nicht für uns, als seien wir für sie überhaupt nicht vorhanden. Aber das täuschte, und ihre Anwesenheit lastete als ständige Bedrohung auf jedem von uns. Die Gelassenheit, mit der sie uns folgten und uns nicht aus den Augen ließen, zeigte uns immer wieder, in jeder Sekunde, daß sie sich sehr sicher fühlten, daß sie hier die Herren und wir im Grunde in ihrer Hand waren. Sie konnten die Falle jederzeit zuklappen lassen. Wahrscheinlich befanden sich weitere Krieger längst weit vor uns und riegelten den Weg ab. Aber sie ließen sich Zeit. Sie konnten es sich erlauben. Sie wollten uns vernichten, ohne selbst starke Verluste zu erleiden. Deshalb hatten wir noch eine Galgenfrist. Aber ihre ständige Anwesenheit sollte uns daran erinnern, daß wir ihnen nicht
entrinnen konnten. Am liebsten hätte ich in der Nacht einen Versuch unternommen, allein zu verschwinden und durch das Netz zu schlüpfen, in dem die Indianer uns fangen wollten. Ich überlegte ernsthaft, ob ich nicht nach Einbruch der Dunkelheit einfach davonreiten sollte. Dann schob ich den Gedanken beiseite. Es wäre jetzt unanständig von mir gewesen, die anderen im Stich zu lassen. Wenn es sich allein um Carter Gatsby und den Dreckskerl Festus Jones gehandelt hätte, hätte ich nicht eine Sekunde gezögert. Aber es ging auch um Bill Farragut, seine Tochter Maria und die Chesters. Es war nicht viel, was ich ausrichten konnte, aber ich besaß nun einmal mehr Erfahrung in diesem Land als sie, und damit wollte ich ihnen helfen, so gut ich konnte. Außerdem war es wahrscheinlich ohnehin schon zu spät, jetzt noch abzuspringen. Ich hatte vermutlich auch als einzelner schon keine Chance mehr, ungeschoren davonzukommen. Wir ließen den umgestürzten Wagen und den Toten hinter uns zurück und folgten weiter den Wagenspuren nach Norden. Neben der ständigen nervlichen Anspannung lastete die Gluthitze auf uns, und es zehrten Durst, Erschöpfung und Müdigkeit an unseren Kräften. Nach und nach erfaßte uns alle ein Gefühl der Verlorenheit. Wir zogen Stunde um Stunde dahin. Niemand sprach ein Wort. Das gleichförmige Stampfen der Pferdehufe, das Klirren der Geschirrketten und das monotone Knarren der Wagenräder waren die einzigen Geräusche in der Stille der Wüste. * Die Indianer waren plötzlich vor uns. Die Sonne stand bereits weit im Westen. Die Schatten waren lang. Wir waren nicht mehr weit von den Fresh Mountains entfernt, in denen irgendwo Silver Falls lag. Das Land war nicht mehr so eben und glatt. Überall buckelten sich Dünenkämme. Hohe Säulenkakteen säumten den Wagenweg. Als wir in ein Dünental fuhren, sahen wir die Krieger. Es mochten zwanzig sein, vielleicht auch mehr. Sie bildeten eine Kette, die den Wagenweg überspannte. Die Krieger, die westlich von uns unseren Weg verfolgt hatten, lenkten ihre Pferde auf sie zu.
Ich zügelte meinen Braunen und wartete, bis die Wagen mich eingeholt hatten. Carter Gatsby ließ seinen Conestogaschoner neben mir ausrollen. Er erhob sich auf dem Bock und griff nach seinem Revolvergewehr. Auf der anderen Seite des Wagens hielt Festus Jones an. Dahinter blieben die beiden anderen Wagen stehen. Bud Chester ritt zu mir nach vorn. »Sie wollen uns nicht durchlassen«, sagte Carter Gatsby. In seiner Stimme schwang Panik mit. »Jetzt haben sie uns.« Er sackte auf den Sitz zurück. Seine Schultern sanken herab. »Wir hätten den Toten begraben sollen«, sagte Roy Chester. »Wir kriegen alle unsere Strafe.« »Was hat das damit zu tun? Halten Sie doch den Mund!« sagte Festus Jones. Chester schwieg wirklich. »Wir dürfen keine Furcht zeigen«, sagte ich. »Wir dürfen uns auf keinen Fall einschüchtern lassen. Am besten suchen wir uns einen Platz, an dem wir die Nacht verbringen können. Wir müssen versuchen, uns ganz normal zu benehmen. Keine Aufregung. Wir dürfen sie gar nicht beachten.« »Du hast leicht reden«, sagte Bud Chester. Er schluckte aufgeregt. Ich antwortete nicht, sondern trieb meinen Braunen an und ritt, ohne zu zögern, schnurgerade auf die Kette der Krieger zu. Hinter mir hörte ich eine Peitsche knallen. Als ich mich umdrehte, sah ich, daß es Maria Farragut war, die ihren Wagen an den anderen vorbei lenkte und mir folgte. Zögernd schlossen sich Gatsby und die Chesters an. Maria war ein feines Mädchen. Sie war mehr wert als der dicke Gatsby und dieser Jones zusammen, und wahrscheinlich auch mehr als die Chesters. Sie hatte als einzige während des Kampfes in der letzten Nacht nicht eine Sekunde lang die Nerven verloren. Auch dann nicht, als ihr Vater verletzt worden war. Die Reihe der Krieger vor uns rührte sich nicht. Ich zog den Braunen herum und lenkte ihn zu einer Kakteengruppe hinüber, die sich kaum dreißig Yards abseits der Wagenspuren befand. Hier zügelte ich das Tier und rief den anderen zu, sie sollten ihre Wagen wie in der letzten Nacht in Hufeisenform zusammenstellen. Die offene Seite würde durch die Kakteen geschützt werden. Als Maria Farragut ihren Wagen als erste zum Stehen brachte,
sprang ich aus dem Sattel und schirrte die Pferde aus. Derweil schob sich Carter Gatsby mit seinem Wagen heran. Als letzte folgten die Chesters. Daß wir planvoll und mit Überlegung handelten, schien die Indianer zu überraschen. Sie hatten wohl gehofft, uns schutzlos auf dem Wagenweg festnageln zu können. Als sie jetzt sahen, daß wir wie in der letzten Nacht eine provisorische Festung errichteten, gingen sie sofort zum Angriff über. Noch bevor wie uns darauf eingestellt hatten, sprengten sie durch die Abendschatten heran und gingen gegen unsere Wagen vor. Diesmal erfolgte der Angriff nicht schweigend. Schrille Schreie ausstoßend, jagten sie durch die Dämmerung. Ein Pfeilregen ging auf die Wagen nieder. Vereinzelt krachten Schüsse. Wir flüchteten ins Innere der Wagenburg. Als ich auf den Bock des Farragut-Wagens sprang, um im Inneren in Deckung zu gehen, wurde eines der Pferde von Roy Chester getroffen. Ein Pfeil durchbohrte seinen Hals. Es sackte im Geschirr nach vorn und riß die anderen Gespannpferde beinahe mit zu Boden. Es war nicht gleich tot. Es schnaubte schrill. Sein großer Körper bewegte sich in krampfartigen Zuckungen. Es schlug wild mit den Hufen um sich, traf die anderen Gespanntiere und verletzte eines am linken Vorderlauf. Die anderen Gespannpferde bäumten sich auf und rissen an den Geschirriemen. Sie zerrten den Wagen herum. Bud Chester versuchte, die Zügel, die seinem Vater aus den Händen gerissen worden waren, zu greifen. Er wurde zu Boden geschleudert und beinahe von den wirbelnden Hufen der aufgeregten Tiere getroffen. Ella Chester begann hysterisch zu schreien. Sie stand neben ihrem Mann auf dem Bock. Unmittelbar neben ihr bohrte sich ein Pfeil ins Holz. Sie schrie noch lauter, und ich konnte ihr nicht verdenken, daß sie die Nerven verlor. Der donnernde Hufschlag der Indianerpferde ließ den Boden erbeben. Sie rückten immer näher. In einer weit auseinandergefächerten Linie schienen sie uns überrollen zu wollen. Ich riß mein Gewehr an die Schulter und feuerte. Das verletzte
Pferd zuckte unter dem Einschlag der Kugel. Dann lag es still. Aber die anderen Tiere zerrten den Wagen herum. Roy Chester und seine Frau wurden von der heftigen Bewegung vom Bock geworfen. Das war ihr Glück, denn mehrere Pfeile bohrten sich unmittelbar danach in die Lehne der Bockbank. Ich sprang vom Farragut-Wagen und hetzte zum Wagen der Chesters hinüber. Roy Chester und seine Frau lagen am Boden. Ella Chester schrie noch immer. Ihr Mann stützte sich auf und schlug mit seiner riesigen, hornigen Faust zu. Er traf sie an den rechten Kinnwinkel, und ihr Schreien brach jäh ab. Sie sackte zurück. Festus Jones eröffnete als erster das Feuer auf die Angreifer, während Carter Gatsby an seinem ganzen dicken Körper zitternd neben seinem Wagen stand und mit schriller, überschnappender Stimme fluchte, weil mehrere Geschosse der Indianer Flaschen seiner Ladung zerstört hatten. Bud Chester hatte sich ebenfalls wieder erhoben. Zusammen mit mir hastete er zu den Pferden seines Vaters, die sich wie rasend im Geschirr gebärdeten. Ich zog mein Messer und zerschnitt die Riemen, die die Gespannpferde mit dem toten Tier verbanden. Dann gelang es mir zusammen mit Bud, die anderen Pferde zu beruhigen. Wir konnten sie ins Innere der Burg ziehen, schirrten sie aus und stellte die Deichsel hoch. Um uns herum krachten jetzt Schüsse. Carter Gatsby hatte sich gefangen und feuerte auf die Indianer. Auch Maria Farragut schoß. Sie hantierte ungeschickt mit dem schweren Springfieldgewehr ihres Vaters. Bud Chester schleppte mit seinem Vater Mrs. Chester in ihren Wagen, während Gatsby, Jones und ich zusammen mit Maria in den Farragut-Wagen kletterten. Die Indianer hatten unsere kleine Festung fast schon erreicht. Ich lud rasch meinen Sharps-Karabiner nach und schoß. Das gellende Kriegsgeschrei der Krieger übertönte das Krachen der Detonationen. Pulverdampf wallte über unseren Wagen auf. Mündungsfeuer durchschnitten die Abenddämmerung. Ein, zwei Krieger stürzten aus den Sätteln. Ich riß Maria Farragut
das Springfieldgewehr aus den Händen, legte an und feuerte. Ich traf einen Krieger, der dicht an unserem Wagen vorbeijagte und seinen Schädelbrecher gegen mich schleuderte. Die mächtige Keule wirbelte an mir vorbei und krachte gegen den großen Schrankkoffer der Farraguts. Der Stiel flog hoch und traf Carter Gatsby ins Gesicht, bevor die Keule zu Boden fiel. Bei den Chesters sprang ein Indianer auf den Wagen. Er erklomm die Verspannung der Plane, schlitzte sie mit seinem Messer auf und wurde von einem Schuß getroffen. Die Kugel versengte die Plane und traf den Indianer in den Leib. Er klammerte sich im Gestänge der Planenhalterung fest und versuchte, sein Messer ins Wageninnere zu werfen. Ein zweiter Schuß durchschlug seinen Kopf. Unter ihm riß plötzlich die ganze Plane auf, und er stürzte mit dem Oberkörper ins Wageninnere. Seine Beine blieben am Gestänge hängen. Festus Jones hockte neben mir und schoß beidhändig mit seinen Revolvern. Ein Krieger, der sein Pferd verloren hatte, versuchte unseren Wagen zu ersteigen. Maria Farragut, der ich das Springfieldgewehr zum Laden zurückgegeben hatte, hob die schwere Waffe hoch und schlug mit aller Kraft zu. Der Kolben erwischte den Krieger seitlich am Schädel. Der Indianer taumelte, ging zu Boden, versuchte, wieder aufzustehen und wurde von Festus Jones erschossen. Dann war der Angriff zu Ende. Alles war so schnell gegangen, daß keiner von uns einen klaren Gedanken hatte fassen können. Soeben versank die Sonne hinter den Bergen. Ein rötlich schimmernder Abglanz des erloschenen Tageslichts lag über der Wüste. Die Krieger sprengten in die Dunkelheit davon und wurden eins mit den ineinanderverschwimmenden Dünenschatten. Der Hufschlag verhallte. Es wurde still.
6. Zwei tote Pferde lagen auf der Ebene vor den Wagen. Unweit davon waren die Körper von drei oder vier toten Indianern zu erkennen. Die Schatten der Dämmerung deckten sie gnädig zu. Penetrant stinkend erfüllten die Pulverdampfschwaden die Abendluft.
Carter Gatsby hockte in einer Ecke des Farragut-Wagens und jammerte leise. Er hatte die rechte Hand vor sein dickes Gesicht gepreßt. Als er sie jetzt fort nahm, klebte Blut an den Fingern. Seine linke Wange war aufgeplatzt und angeschwollen, unter dem linken Auge bildete sich eine blutunterlaufene Schwellung. Wir anderen waren unverletzt. Es war wie ein Wunder. Ich richtete mich auf und stieg auf den Bock hinaus. Das Dünental, in dem wir uns befanden, lag still und leblos in der sich verdichtenden Dunkelheit vor mir. Kein Indianer war mehr zu sehen. Roy und Bud Chester stiegen gerade aus ihrem Wagen und zerrten den toten Indianer heraus; Sie warfen ihn in den Sand hinunter. »Alles in Ordnung?« rief ich hinüber. »Wir sind okay«, sagte Bud Chester. Festus Jones und Carter Gatsby kletterten hinter mir aus dem Wagen. Sie gingen zu Gatsbys Conestogaschoner hinüber und lüfteten dort die Plane. Sie begannen damit, Holzkisten, die mit Whiskyflaschen gefüllt waren, herauszuheben. Einige waren von Kugeleinschlägen gezeichnet, und Carter Gatsby stimmte eine wahre Symphonie von Verwünschungen an, in die sich weinerliche Klagen mischten. Ich stieg in den Wagen zurück, wo ich zu meiner Überraschung auch Shita hocken sah. Er mußte uns gefolgt sein, als wir bei dem Indianerangriff alle Deckung gesucht hatten. Die Zunge hing ihm aus dem Maul. Er schien mir entgegenzulachen und sich bei Maria Farragut sauwohl zu fühlen. Sie hatte eine Petroleumlampe angezündet und drehte den Docht weit herunter. Der schwache Lichtschein fiel auf das schweißüberströmte, knochige Gesicht ihres Vaters, der flach, auf seinen Decken lag und ein wenig fieberte. »Wie geht's, Mr. Farragut?« fragte ich. »Bald kann ich mein Gewehr wieder halten«, sagte er. »Lieber nicht«, sagte ich. Ich zog die Decke weg, kniete mich neben ihn und löste vorsichtig den Verband über der linken Schulter. Die Wunde sah nicht schlecht aus. Die Wundränder waren angeschwollen, die Schulter schimmerte rötlich und fühlte sich heiß an. Es steckte eine leichte Entzündung darin, aber das war nur
normal, solange es sich nicht verschlimmerte. Ich kannte viele Heilkräuter, mit denen ich den Heilungsprozeß der Wunde hätte beschleunigen können. Aber hier in der Wüste nutzte mir mein Wissen nichts. Ich konnte nicht mehr tun, als den Verband zu erneuern. »Wir hätten in Kalifornien bleiben sollen«, sagte Bill Farragut leise. Er blickte Maria aus seinen in tiefen Höhlen liegenden Augen an. »Es tut mir alles so leid, Maria.« »Es gab nichts, was uns in Kalifornien gehalten hat«, sagte sie. »Bis wir in Silver Falls sind, bist du längst wieder gesund, Vater. Wir werden eine Menge Silber finden, und es wird uns besser gehen als je zuvor.« Er antwortete nicht, und ich richtete mich auf. »Ich glaube, wir können ruhig ein Feuer machen«, sagte ich. »Fürs erste haben wir wieder Ruhe. Wir können alle einen Kaffee gebrauchen und eine warme Mahlzeit. Ihr Vater besonders.« Maria nickte, und ich verließ den Wagen. Shita folgte mir. Draußen war bereits Bud Chester dabei, ein Feuer anzufachen. Er hatte ein wenig getrocknetes Gesträuch gefunden, der Teufel mochte wissen wo. Carter Gatsby stand wie ein Häufchen Elend zwischen seinen nach Alkohol stinkenden Kisten. Festus Jones war auf dem Wagen noch immer damit beschäftigt, zerbrochene Flaschen auszusortieren. Roy Chester lief mit verstörtem Gesicht herum und kümmerte sich um seine Pferde. Als er mich sah, sagte er: »Was soll bloß werden?« Ich zuckte mit den Schultern. »Wir müssen weiter, Mr. Chester. Wenn wir morgen aus der Wüste 'raus sind, werden wir es vielleicht leichter haben.« »Vielleicht lassen die Indianer uns nicht 'raus«, sagte er. »Was dann? Ob sie in dieser Nacht noch einmal angreifen?« »Das glaube ich nicht«, sagte ich. »Aber weit sind sie nicht.« »Nein«, sagte Bud Chester. Er trat vor das Feuer, das er in Gang gebracht hatte. »Sie sind nicht weit.« Er deutete mit der ausgestreckten Rechten zu den Dünen im Westen hinüber. Dort standen im Licht des Mondes, der inzwischen aufgegangen war, zwei Krieger. Ein dritter fachte ein kleines Feuer an. Wenig später
flackerte ein Stück weiter ein zweites Feuer auf. »Sie wollen uns nervös machen«, sagte ich. »Sie haben jetzt gesehen, daß wir noch immer kämpfen können, daß wir eine harte Nuß sind, die sie nicht so leicht knacken können. Das ist alles Taktik. Sie werden in dieser Nacht nichts mehr unternehmen, aber sie wollen, daß wir glauben, daß sie jeden Moment angreifen, damit wir kein Auge zutun und morgen völlig übermüdet und fertig sind. Auf diese Weise wollen sie uns weichkochen.« »Eine gute Taktik«, sagte Roy Chester. Seine Stimme zitterte etwas. »Ich bin bald soweit. Ich bin sicher, daß du recht hast, Ronco, aber ich werde trotzdem nicht schlafen können. Ich habe auch letzte Nacht kaum geschlafen. Es fehlt nicht mehr viel, dann bin ich fertig. Wir kommen aus Kalifornien wie die Farraguts. Wir hatten nie Ärger mit Indianern. Die Indianer in der Gegend, in der wir unsere Farm hatten, waren friedlich. Ab und zu gab es ein paar Viehdiebe, aber sonst haben wir ruhig gelebt.« »Du vergißt, daß uns die Bank die Farm unter dem Hintern weggepfändet hat, Vater«, sagte Bud Chester. »Wir konnten gar nicht dort bleiben.« »Aber wir hätten nicht hierher gehen sollen. Das verdammte Silber! Wir hätten es woanders noch einmal mit einer Farm versuchen sollen.« »Dazu ist es jetzt zu spät«, sagte Bud. Roy Chester schüttelte hilflos den Kopf. »Ich habe nur noch drei Pferde für den großen Wagen. Ich frage mich wirklich, wie es weitergehen soll.« »Irgendwie geht es immer weiter«, sagte ich. »Ja«, sagte er. »Vielleicht. Aber du bist jung, du hast noch Hoffnung, du kannst daran glauben, aber ich …« Er schüttelte wieder den Kopf und ging zu seinem Wagen, um seine Frau zu holen, die blaß war, sich aber wieder gefaßt hatte. Maria Farragut verließ in diesem Moment ihren Wagen mit einem großen Topf. Bud Chester holte einige Lebensmittel aus dem Wagen seiner Eltern. Nach und nach nahmen wir alle am Feuer Platz, während Maria schnell und geschickt ein einfaches Abendessen zubereitete und einen starken Kaffee aufbrühte.
* »Zwanzig Flaschen habe ich verloren«, sagte Carter Gatsby. Er hielt einen verbeulten Blechbecher in der Rechten und nippte ab und zu an seinem Kaffee. Mit einem seltsamen Flackern im Blick stierte er in das niederbrennende Feuer. »Zwanzig Flaschen Whisky. Mindestens vierhundert Dollar, wenn nicht mehr.« »Hören Sie mit Ihrem gottverdammten Whisky auf«, sagte Roy Chester. Er blickte Gatsby über das Feuer hinweg böse an. »Hier geht es um unser Leben, verstehen Sie das nicht? Ich habe ein Pferd verloren. Was soll ich sagen?« »Was kümmert mich Ihre Schindmähre?« Gatsbys Gesicht verzerrte sich. »Von mir aus können alle Ihre Pferde verrecken. Von mir aus können Sie und Ihre ganze Brut verrecken. Ihr alle könnt drauf gehen. Aber ich muß meinen Whisky durchkriegen. Ich muß ihn durchkriegen …« Seine Stimme wurde leiser. Er stierte wieder ins Feuer. »Sonst bin ich ruiniert. Ich will nicht mehr arm sein, nie mehr.« »Ich glaube nicht, daß die Indianer darauf Rücksicht nehmen werden«, sagte Festus Jones. Gatsby wandte ruckartig den Kopf und blickte Jones an. »Was hast du gesagt?« Er zitterte plötzlich vor Wut am ganzen Körper. »Wir rechnen ab, wenn wir in Silver Falls sind, Jones. Du hast mich belegen und betrogen, du verdammter Dreckskerl. Du hast hier überhaupt nichts zu sagen. Du kannst deine Bemerkungen für dich behalten. Was weißt du denn von den Indianern? Nichts. Was weißt du von der Wüste? Nichts. Du bist dümmer als wir alle zusammen.« »Ich habe Ihnen schon einmal gesagt, Mr. Gatsby, daß ich mich nicht beleidigen lasse«, sagte Jones. Sein bärtiges Gesicht wirkte düster und drohend. »Ich habe vielleicht Fehler begangen, aber ich habe Ihnen auch gute Dienste geleistet. Nehmen Sie sich in acht.« »Wenn du die Flasche nicht weggeworfen hättest, wüßten die Rothäute nicht, was bei uns zu holen ist!« schrie Gatsby. »Wenn du uns nicht erzählt hättest, es gäbe hier keine Indianer, und die, die es gäbe, seien ganz harmlos, hätten wir uns anders ausgerüstet, dann
hätte ich noch ein paar Männer mit Gewehren angeheuert, dann hätte ich auch ein paar Ersatzpferde mitgenommen. Du hast uns auch nicht gesagt, daß der Weg durch die Wüste so lange dauert. Ich möchte wetten, du weißt gar nicht genau, wo Silver Falls liegt, du hast mich belogen, von Anfang an.« »Sie wären doch in jedem Fall mit Ihrem Whisky losgefahren, ob mit mir oder ohne mich«, sagte Jones. »Sie sind doch so versessen aufs Geld, daß Sie sich selbst verkaufen würden, wenn Ihnen jemand auch nur einen Cent dafür bezahlen würde. Hier gibt es nur einen Idioten, und das sind Sie.« Gatsby holte unvermittelt aus und schlug Jones die rechte Faust mitten ins Gesicht. Der bärtige Mann mußte den Schlag voll nehmen, denn er hatte ihn nicht erwartet und erhielt keine Gelegenheit, auszuweichen. Er kippte nach hinten um und blieb einen Moment halb betäubt auf dem Rücken liegen, während Blut aus seiner Nase rann. Dann richtete er sich wieder auf. Er griff zum Gürtel und zerrte einen Revolver aus dem rechten Halfter. »Das wirst du bereuen, du fettes Schwein«, sagte er. »Dir blase ich dein dummes Gehirn aus dem Schädel, und deinen Kadaver können die Indianer haben!« »Stecken Sie den Revolver weg, Mr. Jones«, sagte ich. Ich hatte unter mein Hemd gegriffen und meinen Navy-Colt gezogen. Es war eine große, schwere Waffe mit achtkantigem Lauf. Ein stark abgenutztes, aber zuverlässiges Stück. Jones wandte den Kopf und blickte genau in die runde 36er Mündung meiner Waffe. Erst wirkte er überrascht, dann packte ihn der Zorn. In seinen Augen glühte es auf. Ich sah ihm an, daß er seine Waffe gern herumgerissen und auf mich geschossen hätte. Aber er hatte gesehen, wie ich kämpfte, und ihm war klar, daß er ein toter Mann war, wenn er eine falsche Bewegung machte. »Das wirst du noch bezahlen«, sagte er gepreßt. Mit eckiger Bewegung schob er den Revolver in die Halfter zurück. Dann richtete er sich auf. Mit dem linken Ärmel seiner Jacke wischte er sich das Blut von der Nase. Er drehte sich um und verließ das Feuer. »Er wollte mich umbringen«, murmelte Gatsby.
Niemand antwortete. Wir erhoben uns alle. Ich kippte den Kaffeekessel um und zertrat die Glut des Feuers. Maria nahm ihrem Vater einen Becher Kaffee mit in den Wagen. »Wir brauchen in dieser Nacht nicht mit einem Angriff zu rechnen«, sagte ich, während ich zu den Feuern der Indianer hinüberschaute. »Trotzdem sollten wir Wache halten. Ich übernehme die erste.« »Ich bin dabei«, sagte Bud Chester. »Ich bin der nächste.« »Mich kannst du als dritten wecken«, sagte sein Vater. »Und ich wecke dann Mr. Gatsby.« »Ich brauche meinen Schlaf«, sagte Gatsby. Er saß als einziger noch auf seinem Platz und starrte in die rauchende Asche. »Ich bin verletzt.« Er deutete auf seinen Riß in der linken Wange. »Sie werden Ihre Wache übernehmen«, sagte Roy Chester. »Hier drückt sich keiner.« »Das geht Sie einen Scheißdreck an«, sagte Gatsby. »O nein, das geht mich sehr viel an«, sagte Roy Chester. »Jeden hier geht das etwas an. Jeder hat eine Wache zu übernehmen, und Sie auch, Gatsby, sonst werde ich nicht eine Hand rühren, wenn sich jemand an Ihrem Whisky vergreift.« »Das will ich niemandem raten!« Gatsby fuhr hoch. Er hatte die Hände zu Fäusten geballt. »Finger weg von meinem Eigentum! Ich bringe jeden um, der meinen Wagen auch nur anfaßt! Ihr müßt auf meinen Whisky genauso aufpassen wie auf eure Wagen.« »Wir müssen gar nichts, Gatsby. Sie können uns gestohlen bleiben.« Wir ließen den Dicken einfach stehen. Hinter uns schrie Gatsby: »Ich übernehme die vierte Wache, ihr Hunde! Ich bin verletzt, ich bin krank, aber ich werde wachen!« Wir kümmerten uns nicht darum. Ich verkroch mich mit Shita unter dem Wagen der Farraguts. Hier legte ich mich auf den Bauch und spähte auf die Ebene hinaus. Ich konnte die Indianer von hier aus gut beobachten. Hinter mir hörte ich Gatsby, der sein Nachtlager aufschlug. Bald legte sich auch Jones nieder, der außerhalb der Wagenburg eine Zigarette geraucht und sich wohl wieder beruhigt hatte. Dann war es still, nur das leise Singen des Westwindes war
noch zu hören. Ab und zu trug er kehlige Laute vom Lager der Indianer herüber. Ich fragte mich, wie groß unsere Chance noch sei und gelangte zu dem Ergebnis, keinen Cent darauf zu verwetten, daß wir allesamt lebend unser Ziel erreichten. Es hatte keinen Sinn, sich etwas vorzugaukeln. Wir waren Todgeweihte. Es gab keinen Ausweg. Aber ich hatte schon oft in aussichtslosen Lagen gesteckt. Verloren war man erst, wenn man sich selbst verloren gab. Soweit aber waren wir noch nicht. Doch das konnte nicht mehr lange dauern. Es ging auf Mitternacht, und die Feuer der Indianer wurden kleiner. Ich ging, um Bud Chester zu wecken. Aber er hatte nicht geschlafen. Keiner hatte richtig geschlafen. Morgen würden sie müde und kaputt sein. Unsere Chancen sanken.
7. Wir fuhren auf den Wagenweg zu. Die Indianer warteten auf uns. Große, breitschultrige, muskulöse Gestalten mit markanten Gesichtern. Sie trugen sparsamen Federschmuck im Haar. Im Osten war gerade die Sonne aufgegangen. Der Himmel war von einer farblosen Helle. Einige letzte Nebelschwaden trieben im leichten Wind und lösten sich nach und nach auf. Die Indianer bildeten eine weit auseinandergezogene Kette. Mitten zwischen den tiefen Wagenspuren, die den Weg markierten, befand sich ein berittener Krieger. Er war noch jung. Das Haar fiel ihm lose auf die muskulösen Schultern. Er hatte eine etwa sieben Fuß lange Lanze in der rechten Faust. In der linken hielt er einen Schild aus Büffelhaut, der mit dem Symbol des Geistervogels bemalt war. »Sie nageln uns fest, zum Teufel!« rief Gatsby. Er fuhr wie immer an der Spitze. Seine Stimme klang schrill und angsterfüllt. »Sie lassen uns nicht durch. Sie wollen, daß wir hier steckenbleiben.« »Bud, komm nach vorn!« rief ich. Bud Chester trieb sein Pferd neben meinen Braunen. Er war blaß, aber er machte durchaus den Eindruck, als sei er zu allem bereit. »Sie auch, Mr. Jones«, sagte ich. »Wir wollen doch alle hier wieder 'raus. Sie doch auch, nicht wahr?«
Er sagte nichts. Er lenkte sein Tier ebenfalls neben mich. Ich zog meinen Sharps-Karabiner aus dem Scabbard. »Ich bin sicher, sie wollen nur ausprobieren, ob wir in der Nacht mürbe geworden sind«, sagte ich. »Wir werden ihnen das Gegenteil beweisen.« »Und wenn du Unrecht hast«, sagte Jones. »Was dann?« »Dann sind wir in fünf Minuten tot«, sagte ich. »Aber darauf kommt es dann auch nicht mehr an, denn das sind wir früher oder später sowieso, wenn wir jetzt den Schwanz einkneifen.« Bud Chester schluckte schwer. Er faßte die Donnerbüchse seines Urgroßvaters fester, und Festus Jones zog seine beiden Revolver. »Die Wagen müssen dicht aufschließen!« rief ich nach hinten. »Es ist doch alles sinnlos!« kreischte Gatsby mit puterrotem Gesicht. »Selbst wenn wir jetzt durchbrechen. Die Rothäute können uns jederzeit wieder überholen und den Weg erneut abriegeln. Sie können mit uns spielen.« Er hatte recht, und das wußte ich auch, aber das war kein Grund, die Hände in den Schoß zu legen und demütig in der Wüste sitzen zu bleiben. »Denken Sie an Ihren Whisky, Mr. Gatsby«, sagte ich. »Indianer sind nur durch Unerschrockenheit zu beeindrucken. Vielleicht haben wir eine Chance, wenn sie merken, daß wir uns um keinen Preis unterkriegen lassen.« »Fahren Sie schon los, Mr. Gatsby!« rief Maria Farragut. Sie hob die Zügel ihres Gespanns. Da knallte auch Gatsby mit der Peitsche und trieb seine Gespannpferde an. Wir ritten voraus, Bud Chester, Festus Jones und ich. Wir hielten unsere Waffen schußbereit in den Fäusten. Die Indianer rührten sich nicht. Wir näherten uns ihnen Yard um Yard, und wir hielten nicht an. Unsere Nerven waren zum Zerreißen gespannt, aber jetzt gab es kein Zurück mehr. Jetzt kam es darauf an, daß wir durchhielten. Das Stampfen der Hufe unserer Pferde und das Knarren der Wagenräder hinter uns erschienen uns übermäßig laut. Jeden Moment konnte ein Schuß fallen oder ein Pfeil heranschwirren. Aber keiner der Krieger bewegte sich im Sattel. Ich wußte, wenn nicht bald etwas geschah, würden die Indianer
uns durchlassen und noch nichts unternehmen. Dann war es wirklich nur ein weiterer Test, wie ich vermutet hatte. Dann wollten sie prüfen, ob wir noch genug Kraft hatten, um ihnen ernsthaft Schwierigkeiten zu bereiten. Es war eine Art Spiel, bei dem es auf äußerste Kaltblütigkeit und Nervenstärke ankam, bei dem der Einsatz das Leben war. Wer so etwas nicht selbst erlebt hat, vermag es kaum zu glauben. Aber es war typisch für die Indianer. Ich kannte mich damit aus, ich war ja selbst mal einer gewesen. Indianer hatten eine eigene, manchmal unverständliche Art, mit Gegnern umzugehen. Es war wie ein Spiel zwischen Katz und Maus. Das Töten von Gegnern war ein Ritual, und je stärker der Gegner war, je länger er standgehalten hatte, um so ehrenvoller für den Sieger. »Wenn der Bursche dort vorn auf dem Weg in drei Sekunden nicht weg ist, blase ich ihn aus dem Sattel«, sagte Festus Jones. Er zielte mit beiden Revolvern auf den jungen Krieger mit der Lanze und dem Schild. »Lassen Sie ihn«, sagte ich. »Dann würden sich sofort alle auf uns stürzen. Wenn wir ihnen dagegen zeigen, daß sie uns den Buckel 'runterrutschen können und wir nicht die Spur Angst haben, haben wir vielleicht eine kleine Chance.« »Wir haben keine Chance, nicht die geringste«, sagte Jones. »Und bevor es mich erwischt, nehme ich noch ein paar von den Hundesöhnen mit.« »Seien Sie still«, sagte ich. »Sie haben keine Ahnung. Was wissen Sie, wie ein Indianer denkt? Das ist eine andere Welt. Die Indianer wollen uns umbringen, aber sie wollen es ohne größeres Risiko für sich selbst tun. Wir haben gut gekämpft, und das hat ihnen imponiert. Sie wollen nicht noch mehr Verluste hinnehmen und prüfen, wie stark wir noch sind, gleichzeitig wollen sie uns die Chance geben, noch einmal zu zeigen, was in uns steckt, damit wir später ehrenvoller sterben können.« »Versteh ich nicht«, sagte Jones. »Glaub ich auch nicht,« »Weil Sie gar nichts wissen und gar nichts verstehen«, sagte ich. »Wenn wir alles heil hinter uns bringen«, sagte Jones leise, »wird es irgendwann eine Gelegenheit geben, daß ich dir das Maul stopfen
kann, du kleine Kröte.« »Da müssen Sie sich aber sehr anstrengen, Mr. Jones«, sagte ich. »Sonst werden Sie an Ihrer eigenen Dummheit ersticken.« Er erwiderte nichts mehr. Ich warf einen kurzen Blick auf Bud Chester. Seine Hände mit dem großen Gewehr zitterten. Ich schaute mich um. Carter Gatsby saß wie eine Wachsfigur auf dem Bock seines Wagens. Wie mechanisch lenkte er das Gespann. Ich blickte wieder nach vorn. Jetzt war es bald so weit, daß sich entscheiden würde, ob ich recht behielt oder nicht. Wir hatten uns den Indianern auf fünfzig Yards genähert und ritten weiter. Vierzig Yards, dreißig … Ich konnte bereits die bunten Stachelschweinborsten an den Mokassins des jungen Kriegers auf dem Wagenweg erkennen und deutlich sehen, daß die beiden Federn, die er im Haar trug, zu einem Drittel karmesinrot eingefärbt waren. Bud Chester neben mir stöhnte verhalten, und auf der Stirn von Festus Jones perlte dick der Schweiß. Unvermittelt riß der junge Krieger sein Pferd herum und sprengte nach Westen davon. Die Krieger, die rechts und links des Weges in einigem Abstand Posten bezogen hatten, folgten ihm. Die lange Reihe der Indianer teilte sich. Sie schwenkte nach Westen und Osten ab. Bud Chester stöhnte wieder, aber diesmal hörte es sich an, als sei er neu geboren worden. Als ich ihn ansah, bemerkte ich, daß seine Augen feucht glänzten, dann rollte eine Träne über seine linke Wange. Festus Jones ließ seine beiden Revolver sinken, aber er behielt sie in der Hand, denn noch befanden sich die Indianer in Schußweite. »Geschafft!« Carter Gatsby lachte hysterisch. Er riß sich den Hut vom Kopf und wischte sich den Schweiß von der Glatze. »Wir haben es geschafft.« Er lachte wieder. »Ich werde deinen Lohn erhöhen!« rief er mir zu. Ich antwortete nicht. Auch die anderen sprachen kein Wort. Bud Chester, Festus Jones und ich ritten weiter nebeneinander her an der Spitze des Trecks. Wir behielten die Indianer im Auge, die uns östlich und westlich unseres Trails folgten.
Die Sonne stieg rasch höher. Es wurde immer heißer. Die Anspannung, die sich in uns aufgestaut hatte, ließ langsam nach. Carter Gatsby konnte es noch immer nicht fassen, daß er noch am Leben war. Er redete ständig halblaut vor sich hin. Auch für Bud Chester war das alles, was geschehen war, offenbar noch immer unbegreiflich. Festus Jones schien dem Frieden nicht zu trauen, aber ich war ganz sicher, daß wir es vorerst noch einmal geschafft hatten. Von jetzt an jedoch würden wir ständig damit rechnen müssen, daß die Indianer nur auf eine Gelegenheit warteten, zum letzten Angriff ansetzen zu können. Wenn der augenblickliche Triumph auf unserer Seite wieder in Furcht umschlug, dann waren wir eine leichte Beute. Weder die Chesters noch Maria Farragut und schon gar nicht Carter Gatsby waren weiteren Wechselbädern gewachsen. Festus Jones hatte wahrscheinlich noch die besten Nerven außer mir. Aber wir zwei konnten dann auch nichts mehr ausrichten, wenn die anderen versagten. Unvermittelt schwenkten die Indianer ab und ritten davon. Sie verschwanden in einigen hundert Yards Entfernung hinter hohen Dünenkämmen und blieben verschwunden. Wir waren wieder allein in der Wüste, ganz allein mit der Hitze und dem Sand, allein mit unserer Erschöpfung, unserem Durst und unserer Übermüdung. Aber auch allein mit der Ungewißheit. Vor uns sahen wir das Ende der Wüste. Die Ausläufer der Fresh Mountains rückten immer näher. Schweigend zogen wir unseres Weges, erfüllt von dem Gefühl, mit dem Tod um die Wette zu laufen. * »Die Indianer sind weg«, sagte Festus Jones. Er saß mit uns am Feuer. Die langen Schatten der Dämmerung bedeckten das Hügelland. Die Wüste hatten wir hinter uns gelassen. Wir rasteten auf einer Anhöhe, von der aus wir das ganze umliegende Land gut beobachten konnten. »Ich glaube, wir sind sie los«, sagte Festus Jones. Er lehnte sich
zurück. Roy Chester saß neben ihm, Bud Chester rückte ein Stück von Jones ab und starrte ihn von der Seite an. Ella Chester und Maria Farragut saßen nebeneinander, und auch Bill Farragut hatte den Wagen verlassen und zusammen mit uns am Feuer das Abendessen eingenommen. Ich saß neben Carter Gatsby, und wir hatten das Feuer zwischen uns und Festus Jones. Jones schaute über die Flammen weg auf uns. Die anderen schien er völlig vergessen zu haben. »Wir sind sie nicht los«, sagte ich. »Sie kehren zurück.« »Warum hätten sie dann fortreiten sollen?« Jones grinste dünn. »Die Schwierigkeiten mit den Rothäuten sind vorbei. Die Wüste liegt auch hinter uns. Es wird Zeit, Mr. Gatsby, daß wir uns über einiges unterhalten. Und wir auch, Junge.« »Über was sollten wir uns unterhalten, Jones?« fragte Gatsby. »Zum Beispiel darüber, daß Sie mich ständig beleidigen und einmal sogar geschlagen haben.« »Ich habe nur die Wahrheit gesagt, Jones«, sagte Gatsby. In seiner Stimme steckte längst nicht mehr die Energie, die ich am Anfang bei ihm kennengelernt hatte, als ich zum Treck gestoßen war. Er war auch sichtlich abgemagert. Tiefe Falten durchschnitten sein Gesicht. Seine aufgeplusterten Wangen hingen schlaff herunter. »Du bist ein jämmerlicher Versager, Jones. Du hast uns alle belogen. Das ist die Wahrheit, und das bleibt die Wahrheit. Wenn wir auf dich gehört hätten, wären wir alle wahrscheinlich schon tot.« »Hören Sie doch endlich auf mit diesem Streit«, sagte Roy Chester. »Wir sollten dankbar sein, alles so gut überstanden zu haben.« »Wir haben noch nichts überstanden«, sagte ich. »Es soll sich niemand einbilden, die Indianer wären fort, nur weil wir sie nicht mehr sehen.« »Er weiß einfach alles besser!« schrie Jones auf einmal los. »Es gibt nichts, was dieser grüne Bengel nicht besser weiß. Und ihr tanzt alle nach seiner Pfeife. Mich kotzt das an. Wegen ihm hab ich mich beleidigen lassen müssen. Jetzt ist Schluß.« Mit einem Satz stand er auf den Beinen und sprang über das
Feuer, bevor jemand etwas unternehmen konnte. Er bückte sich, packte Carter Gatsby an den Aufschlägen seiner Jacke und riß ihn hoch. Gatsby quiekte wie ein getretenes Schwein. Er hob beide Arme vor das Gesicht. Jones wischte sie mit der Linken zur Seite und schlug dann mit der rechten Faust zu. Er traf Gatsby genau auf den Mund. Der Dicke schwankte und ruderte haltesuchend mit den Armen in der Luft herum. Bevor er stürzen konnte, hatte Jones ihn schon wieder gepackt, hielt ihn fest und schlug zu. Gatsby plumpste wie ein Sack auf den Rücken und blieb wimmernd liegen. Jones fuhr herum und wandte sich mir zu. Aber ich stand schon auf den Beinen und hielt meinen Revolver in der Faust. Ich war bereit, sofort zu schießen, wenn Jones versuchen sollte, mich anzugreifen. »Dich verfluchten Bengel kriege ich auch«, sagte Jones. Eine Strähne seines schwarzen Haares hing ihm in die Stirn. »Der Revolver nutzt dir gar nichts.« Er sprang unvermittelt auf mich zu und riß seinen rechten Stiefel hoch, um mir die Waffe aus der Hand zu treten. Ich mußte zur Seite ausweichen, aber im selben Moment war Shita da. Er war, während wir gegessen hatten, in der Umgebung herumgestreunt. Jetzt tauchte er schemenhaft und blitzschnell aus der Dunkelheit auf. Er flog wie ein Pfeil heran und warf sich gegen Jones, der sofort das Gleichgewicht verlor und taumelte. Ich nutzte seine Unsicherheit ohne zu zögern und versetzte ihm einen gewaltigen Tritt. Er war ein riesiger Mann, gegen den ich normalerweise keine Chance gehabt hätte. Aber jetzt kippte er um und stürzte neben Carter Gatsby zu Boden. Fluchend wälzte er sich herum und wollte sich hochstemmen. Aber Shita war schon über ihm. Er knurrte wie ein Puma und hatte die Zähne gefletscht. Das weitaufgerissene Maul befand sich höchstens einen Fingerbreit von der Kehle von Jones entfernt. Seine Haltung versteifte sich jäh. Er wagte nicht mehr, sich zu rühren. Der
Kampf war vorbei. Ich hatte die ganze Zeit nicht mehr auf Carter Gatsby geachtet, der es geschafft hatte, sich trotz der schweren Treffer wieder aufzurappeln. Er blutete noch immer, sein ganzes Gesicht war blutverschmiert. Sein ohnehin geschwollenes linkes Auge hatte sich völlig geschlossen. Gatsby bewegte sich unsicher, er torkelte wie ein Betrunkener, aber er wußte genau, was er wollte. Er wankte zum Feuer und hob sein Revolvergewehr auf, das hier noch im Gras lag. Breitbeinig baute er sich keine zwei Yards von Festus Jones entfernt auf und zielte mit dem Gewehr auf den bärtigen Mann. Er schwankte jetzt nicht mehr so stark, und seine Hände zitterten nicht. Als er zu sprechen begann, lispelte er, und ich vermutete, daß ihm ein Zahn ausgebrochen war. »Jetzt bist du dran, du jämmerliche Kröte, du Wanze, du dreckiges Miststück«, sagte Carter Gatsby. »Jetzt hilft dir nichts mehr.« »Lassen Sie ihn in Ruhe, Mr. Gatsby«, sagte ich. »Sie werden keinen Mord begehen.« »Nehmen Sie das Gewehr 'runter«, sagte auch Roy Chester. Er umrundete das Feuer und trat neben Gatsby. »Dieser Mann ist ein Halunke, aber wir haben kein Recht, ihn umzubringen.« »Ich schon!« schrie Gatsby. »Sehen Sie sich an, wie er mich zugerichtet hat. Dieser Hundesohn! Ich werde ihm das Gehirn zerschießen!« »Das werden wir nicht zulassen, Gatsby«, sagte Roy Chester. »Kein Mord! Wir haben genug hinter uns. Wir werden uns nicht auch noch damit belasten.« »Für mich ist das keine Belastung«, sagte Gatsby. »Für mich ist das eine Erleichterung, eine wahre Freude, verstehen Sie, Chester? Ich weiß, Sie sind einer von den Frommen, ein Betbruder. Ich weiß es, seit Sie unbedingt diesen toten Kadaver in der Wüste begraben wollten, obwohl wir wichtigere Dinge zu tun hatten. Aber jetzt bestimme ich. Das hier ist meine Sache, ausschließlich meine Sache. Beten Sie für ihn, wenn es Ihnen Spaß bereitet.« Bud Chester trat von der anderen Seite auf Carter Gatsby zu und schlug unvermittelt das Gewehr hoch. Ein Schuß löste sich krachend.
Die Kugel fuhr in den Nachthimmel. Roy Chester riß Gatsby das Gewehr aus den Händen. Gatsbys Schultern sanken herab. Der dicke, glatzköpfige Mann zitterte auf einmal am ganzen Körper, und einen Moment sah es so aus, als würde er sich mit bloßen Händen auf Festus Jones stürzen und versuchen, ihn zu erwürgen. Dann aber wandte er sich ab und ging zu seinem Wagen. Ich trat auf Jones zu, bückte mich und zog die Revolver aus seinen Halftern. Ich entfernte die Zündhütchen von den Pistons und befahl Shita dann, zurückzugehen. Widerwillig gehorchte er. Sprungbereit blieb er stehen, während Jones sich erhob. »Er wollte Sie umbringen«, sagte ich und deutete auf Gatsby, der neben seinem Wagen stand und ins Leere stierte. »Vielleicht werden wir es einmal bereuen müssen, daß wir das verhindert haben. Aber Sie haben eine Chance. Verschwinden Sie!« »Ja«, sagte Roy Chester. »Verschwinden Sie, Jones. Nehmen Sie Ihr Pferd und scheren Sie sich zum Teufel. Wir wollen Sie nicht mehr bei uns haben. Wegen Ihnen hat es genug Ärger gegeben, und was Sie sich jetzt geleistet haben, übersteigt alles, was wir hinzunehmen bereit sind, um diese Gemeinschaft zu erhalten. Hier ist nun mal jeder auf den anderen angewiesen, und der dauernde Streit bringt zusätzliche Unruhe, die wir uns nicht leisten können. Reiten Sie allein weiter. Vielleicht haben Sie Glück und überleben, und wenn nicht … Nun, das liegt in der Hand des Allmächtigen, der unser aller Schicksal bestimmt.« »Halten Sie bloß die Klappe, Sie verfluchter Bibelbruder.« Jones bückte sich nach seinem Hut. »Wir rechnen irgendwann ab. Alle. Wir sehen uns wieder. Der Tag wird kommen.« »Draußen irgendwo sind die Indianer«, sagte ich. »Ich hoffe nicht, daß wir uns wiedersehen. Ich glaube es auch nicht.« Jones musterte mich. Ich sah ihm an, daß er mich gern umgebracht hätte. Er sagte: »Mich kriegt keiner. Eines Tages drehe ich dir persönlich den Hals um.« Ich spannte den Hammer meines Colts. »Hauen Sie ab«, sagte ich. »Sonst hole ich nach, was wir Mr. Gatsby nicht erlaubt haben.«
Jones blickte mich weiter starr an. Schweigend wandte er sich schließlich ab und stakste zu seinem Pferd. Er sattelte es. Dann drehte er sich noch einmal um. »Ich brauche Proviant«, sagte er. »Sie haben Ihr Leben«, sagte ich. »Genügt das nicht?« Er ballte die Hände zu Fäusten und blickte uns alle der Reihe nach an. »Ihr Hunde!« sagte er. »Das werdet ihr noch bereuen, das schwöre ich euch.« Er wandte sich ohne ein weiteres Wort ab und stieg in den Sattel. Er trieb das Pferd an und ritt in die Dunkelheit davon. Der Hufschlag verhallte. Schweigend kehrten wir zum Feuer zurück. Ich hatte ein ungutes Gefühl bei dem Gedanken an Jones. Es war ein Fehler gewesen, ihn leben zu lassen. Hier draußen in der Wildnis galt nur die eine Regel: Feinde mußten erbarmungslos vernichtet werden, um ihnen die Möglichkeit zu nehmen, einen selbst zu vernichten. Gefühle hatten dabei keinen Platz. Wer überleben wollte, durfte keinen Feind neben sich dulden. Und Jones war ein Feind, ein sehr gefährlicher sogar. Die anderen dachten wahrscheinlich genauso, aber niemand sagte es. Das Feuer brannte nieder. Ich half Maria Farragut, ihren Vater in den Wagen zurückzubringen. Er war noch sehr wacklig auf den Beinen, aber er war zäh. Ich hatte sofort, nachdem wir die Wüste verlassen hatten, nach Kräutern Ausschau gehalten und Sarsaparillastengel gesammelt. Maria hatte sie ausgekocht, und Bill Farragut hatte den bitteren Tee getrunken. Die zerkochten Stengel hatte Maria zu einem Brei zerstoßen, den ich dünn auf die Wunde ihres Vaters aufgestrichen hatte. Die Wirkung des Tees trat sehr schnell ein. Das Fieber sank, und Bill Farragut hatte darauf bestanden, zum Essen den Wagen zu verlassen. Aber er hatte sich doch noch überschätzt. Als ich den Wagen wieder verließ, löschte Bud Chester das Feuer. Wir vereinbarten, uns beim Wachen abzulösen.
8.
Das Land wurde unwegsamer. Der Boden wurde härter – und nahm kaum noch Spuren auf. Bisher hatten wir den Wagenspuren folgen können, die den Weg deutlich markiert hatten. Jetzt wurden die Abdrücke der Räder jener Gefährte, die irgendwann vor uns das Land durchfahren hatten, schwächer und hörten stückweise völlig auf. Da niemand von uns genau wußte, wo Silver Falls lag, wir also auf die Fährten unserer Vorgänger angewiesen waren, gelangten wir nur langsam voran. Ein weiterer Grund dafür, daß wir höchstens noch zehn Meilen am Tag schafften, war auch, daß Roy Chesters Wagen nur noch von drei Pferden gezogen wurde. Ich hatte vorsichtig vorgeschlagen, sie sollten überflüssigen Ballast abwerfen und die Gespanntiere entlasten. Aber dagegen hatte Ella Chester energisch Einspruch erhoben. Je steiler die Steigungen wurden, die wir zu bewältigen hatten, um so langsamer wurden wir. An die Indianer dachte kaum noch jemand. Zwei Tagen waren vergangen, seit wir die Wüste verlassen hatten. In dieser Zeit hatten sie sich nicht blicken lassen. Dennoch war ich überzeugt, daß sie noch da waren und uns beobachteten. Ihr ganzes Verhalten in der Wüste ließ keinen anderen Schluß zu. Es hatte keinen Grund für sie gegeben, uns unbehelligt ziehen zu lassen. Sie hätten uns den Weg aus der Wüste versperren können, aber sie hatten uns nicht mehr angegriffen. Die Art, in der sie uns das letzte Mal begegnet waren, bedeutete für mich nur, daß sie genau wußten, daß wir ihnen letztlich doch ausgeliefert waren. Genaugenommen war das Land, in dem wir uns jetzt bewegten, viel günstiger für einen Überfall. Es war nicht besonders übersichtlich, durch die schmalen, ständig ansteigenden Wege war unser Bewegungsspielraum eingeengt. Außer mir aber glaubten alle, daß die Gefahr durch die Indianer endgültig gebannt sei. Mir war aufgefallen, daß die Wachsamkeit zunehmend abnahm. Ich befürchtete, daß dieser Leichtsinn noch böse Folgen haben würde. Auch von Festus Jones hatten wir nichts mehr gesehen oder gehört. Er schien ebenfalls schon vergessen zu sein. Alle redeten nur noch von Silver Falls, von den sagenhaften Silberfunden, die in den Fresh Mountains gemacht worden waren. Im ganzen Land wurde
davon gesprochen. Die Zeitungen schrieben darüber. Männer waren angeblich über Nacht steinreich geworden. Wenn nur die Hälfte der Geschichten, die überall erzählt wurden, stimmte, dann gab es Gebiete in den Fresh Mountains, die aus purem Silber bestanden. Ich glaubte nichts davon, denn ich war schon ab und zu in Boomstädten gewesen, die entstanden waren, nachdem irgendein Glücklicher Gold oder Silber entdeckt hatte. Tausend andere waren ihm nachgefolgt. Einige hatten ein bißchen Erz gefunden, die meisten waren erfolglos geblieben. Dennoch blühte für einige Monate das Geschäft cleverer Leute, die Lebensmittel, Schnaps und Mädchen in diese Städte schickten. Sie waren die eigentlichen Gewinner. Es war fast Mittag. Wir hatten beschlossen, vor dem Abend nicht zu rasten. Ich trieb meinen Braunen an, pfiff nach Shita und ritt an den Wagen vorbei. Gatsby schaute kurz auf, als ich ihn überholte. Aber er fragte nicht, was ich vorhatte. Ich ließ den Treck hinter mir und ritt tiefer ins Hügelland. Ich ritt vielleicht eine halbe Stunde, als ich einen steil ansteigenden Hangweg vor mir sah, der zu einem Plateau hinaufführte. Ich lenkte meinen Braunen hinauf, und mir war vom ersten Augenblick an klar, daß die Wagen hier auf Schwierigkeiten stoßen würden. Sie waren zu schwer für diesen Weg. Die Pferde konnten die Steigung nicht schaffen. Sie führte gut hundert Yards bergan. An ihrem Fuß war das Land karg und steinig. Zwischen dem Fels wucherten Teufelsdornensträucher und anderes dichtes Gestrüpp. Es war ein unwirtlicher, häßlicher Landstrich, der nahezu unüberschaubar war. Selbst als ich den Hang überwunden hatte, meinen Braunen auf dem Plateau zügelte und von oben hinabschaute, vermochte ich nicht, in die Spalten und Winkel und in die vom Buschwerk verborgenen Senken zu blicken. Das Land wirkte verschlossen und schien um keinen Preis der Welt seine Geheimnisse enthüllen zu wollen. Ich stieg ab. Shita eilte schnüffelnd umher. Ich entdeckte eine kalte Feuerstelle auf dem Plateau, und als ich am Südrand des Plateaus entlangritt und hinunterschaute, sah ich zwischen dichtem Gestrüpp das Wrack eines Planwagens hervorlugen. Ich schaute mich gründlich um. Das Plateau schien ein guter
Rastplatz zu sein, vorausgesetzt, daß wir die Wagen heraufmanövrieren konnten. Unter einem überhängenden Felsen entdeckte ich eine kleine Quelle, wo ich mein Pferd tränkte. Ich trank auch selbst, füllte meine Feldflasche auf und sah zu, wie Shita gierig soff. Dann stieg ich wieder in den Sattel, um den Rückweg anzutreten. Ich lenkte meinen Braunen den Hang hinunter. Shita eilte mir voraus. Wenig später tauchte der Treck vor mir auf. Carter Gatsby hielt schwitzend die Zügel, als müsse er den Wagen selbst ziehen. »Wie sieht es vorn aus?« rief er mir entgegen. »Ein steiler Hang«, sagte ich. »Das wird ein schweres Stück Arbeit.« »Verflucht«, sagte er und hob die Zügel. Ich antwortete nicht, sondern trieb meinen Braunen wieder an und setzte mich an die Spitze. Aufmerksam behielt ich das Land ringsum im Auge, während wir uns langsam voranarbeiteten. * Wir hielten am Fuß des Hangs. Es ging bereits auf den Abend zu. Die Hitze, die den ganzen Tag über geherrscht hatte, hatte jedoch nicht nachgelassen. Carter Gatsby, Roy Chester und Maria Farragut stiegen ab und begutachteten den Hang, während Bud Chester Bremsblöcke unter die Hinterräder der Wagen legte. »Die Gespanne kriegen die schweren Wagen nie nach oben«, sagte ich. »Wenn alle drei Gespanne jeweils vor einen Wagen gespannt werden, geht es vielleicht.« Roy Chester nickte. »Wir müssen Seile ins Geschirr schnüren und die Pferde von oben aus den Hang hinaufziehen, damit sie den Kurs halten und nicht zur Seite ausbrechen.« »Auf was warten wir dann noch?« Carter Gatsby ging zu seinem Wagen zurück. »Wenn wir oben sein wollen, bevor die Sonne untergegangen ist, müssen wir uns beeilen.« Chester blickte ihm skeptisch hinterher. »Sie wollen zuerst hinauf? Sie haben den schwersten Wagen.«
»Eben drum«, sagte Gatsby. »Dann haben die Pferde das Schwerste hinter sich. Außerdem stehe ich vorn. Wollen Sie mir verraten, wie wir jetzt unsere Stellungen ändern sollen?« Roy Chester brummte nur etwas. Er ging zu seinem Wagen zurück und schirrte seine drei Pferde aus. Derweil holte ich mit Maria Farragut einige lange, starke Seile aus ihrem Wagen. Bud Chester schirrte auch die Tiere der Farraguts aus. Die Pferde wurden nach vorn geführt. – Mit Hilfe der Seile wurden die Geschirre der Gespanne fest miteinander verbunden. Bud, Roy und Ella Chester und auch Maria Farragut bewegten sich mit dem längsten Tau, das in den Wagen aufzutreiben gewesen war, den Hang hinauf, während ich das Ende des Taus mit dem Gespann verband. Das Seil straffte sich. Auf dem Hang begannen sie zu ziehen. Carter Gatsby packte die Zügel fest und schwang die Peitsche. Er stieß anfeuernde Schreie aus. Die Pferde stemmten sich in die Geschirriemen. Von oben wurden sie gezogen, von hinten ertönten Gatsbys Schreie und klatschte die lange Bullpeitsche auf ihre Rücken. Ich begab mich rasch hinter den Wagen und nahm die Bremsblöcke auf, als sich das Gefährt langsam, ruckweise in Bewegung setzte. Als der Wagen den Hang hinaufrollte, folgte ich ihm langsam, Schritt um Schritt, meine Blicke auf die Hinterräder geheftet, jederzeit bereit, mich zu bücken, die Bremsklötze unterzulegen und mich zur Seite zu werfen, wenn die Kraft der Tiere erlahmte und der Wagen beginnen sollte, rückwärts wieder hinunterzurollen. Carter Gatsby schrie sich fast die Seele aus dem Leib. Er schlug mit der Peitsche auf die Tiere ein. Unter der Plane seines Wagens klirrten die Whiskyflaschen in den Kisten. Die Hälfte des Hangs lag hinter uns, als die Pferde plötzlich zur Seite drängten. Der Wagen bewegte sich zur Seite, neigte sich leicht. Ich überholte das Gefährt und griff einem der zur Seite ausbrechenden Pferde ins Kopfgeschirr. Es stemmte sich mit zitternden Flanken gegen den Hang. Ich drückte es ins Gespann zurück. Oben am Hang zerrten die Chesters und Maria Farragut an dem Tau, mit dem sie das Gespann auf Kurs halten wollten. Die Seitenbracken von Gatsbys Wagen knarrten gefährlich, die
Plane spannte sich, die Ladung schien zu verrutschen und gegen den Stoff zu drücken. Der Wagen schwankte bedenklich. Da gelang es Gatsby wieder, das Gespann unter Kontrolle zu bekommen. Der Wagen rollte stetig weiter den Hang hinauf. Als er über die Kante auf das Plateau fuhr, war die Sonne weit nach Westen gesunken, die Schatten waren lang geworden. Wir waren allesamt schweißgebadet, unsere Muskeln schmerzten, und wir waren erschöpft und ausgelaugt. Wir ließen uns neben Gatsbys Wagen auf dem blanken Fels nieder und tranken aus unseren Feldflaschen. »Ich möchte wissen, wie die Leute es geschafft haben, die vor uns hier hochgefahren sind und allein waren«, sagte Roy Chester. »Wahrscheinlich haben sie ihre Wagen entladen«, sagte ich, »und dann jedes Stück einzeln hochgetragen. Vielleicht haben sie sogar die Wagen auseinandergenommen und hier auf dem Plateau wieder zusammengesetzt.« »Das dauert doch Tage«, sagte Maria Farragut. »Wenn Sie allein wären mit Ihrem Vater, würden Sie dann hier umkehren?« fragte ich. »Wahrscheinlich nicht.« Sie blickte nachdenklich den Hang hinunter. »Wenn man ein Ziel hat und nicht weiß, wohin man sonst soll. Wenn man alles hinter sich zurückgelassen hat und nur nach vorn kann. Wahrscheinlich würde man dann notfalls auch zu Fuß marschieren.« »Wir holen jetzt Ihren Wagen, Miß Farragut«, sagte Roy Chester. »Vielleicht haben wir die Wagen alle oben, bevor es völlig dunkel ist. Fragen Sie vorher aber Ihren Vater, ob er im Wagen liegenbleiben will. Ich meine, Ihr Wagen ist zwar leichter, aber wenn etwas passiert und Ihr Vater drinliegt, wird er womöglich noch schwerer verletzt.« »Ich denke, er fühlt sich stark genug, um allein den Hang hinaufzulaufen«, sagte Maria. Sie blickte mich an. »Die Kräuter haben wirklich geholfen. Er hat kaum noch Fieber, aber ihm ist noch schwindlig, wenn er sich aufrichtet.« »Das ist der Blutverlust«, sagte ich. »Das gibt sich. Hauptsache, die Entzündung geht zurück.«
»Er hat fast keine Schmerzen mehr in der Schulter«, sagte sie. Roy und Bud Chester gingen daran, die Pferde von Gatsbys Wagen loszuschirren. Carter Gatsby stieg wieder auf den Bock und schaute schweigend zu. Sein linkes Auge, das unter Jones' schweren Schlägen zugeschwollen war, öffnete sich schon wieder, aber sein ganzes Gesicht war verfärbt von Blutergüssen. Er sah jämmerlich aus. Schweiß perlte auf seinem kahlen Schädel. Als die Chesters auch seine Pferde ausspannen wollten, hob er den Kopf und sagte: »Meine Pferde bleiben hier.« Ella Chester und Maria Farragut hatten bereits je zwei Pferde am Kopfgeschirr gefaßt, um sie den Hang hinunterzuführen, und auch ich hielt bereits die Zügel von zwei Gespannpferden in den Händen. Wir blieben stehen und drehten uns um. Wir trauten unseren Ohren nicht. Auch Roy Chester, der direkt neben der Deichsel von Gatsbys Wagen, unterhalb des Bocks stand, blickte den dicken Mann ungläubig an. »Was haben Sie gesagt, Gatsby?« »Ich sagte, meine Pferde bleiben hier«, sagte Gatsby. »Sind Sie schwerhörig, Chester? Nehmen Sie die Finger von meiner Deichsel.«
9. »Sind Sie verrückt geworden, Mr. Gatsby?« fragte Bud Chester. »Ihr Sohn ist ein rotznasiger Flegel, Chester«, sagte Gatsby zu Roy Chester. »Sagen Sie ihm gefälligst, daß er so nicht mit mir zu reden hat.« »Ich glaube auch, daß Sie verrückt geworden sind«, sagte Roy Chester. »Bud, spann seine Pferde aus.« »Laßt meine Pferde in Ruhe!« Gatsby sprang auf dem Bock auf. Er lief rot an. »Ronco!« schrie er. »Wo bist du? Ich hab dich angeheuert, damit du mein Eigentum beschützt.« Ich ließ die beiden Pferde los, die ich am Zügel hielt, und ging zu Gatsbys Wagen zurück. »Ich sehe niemanden, der Ihr Eigentum bedroht, Mr. Gatsby«, sagte ich.
»Meine Pferde bleiben hier«, sagte Gatsby. Er griff unvermittelt nach seinem Gewehr. »Los!« schrie er mich an. »Nimm deine Kanone! Du wirst von mir bezahlt. Du wirst mir helfen, meine Pferde zu beschützen.« »Ich denke gar nicht dran«, sagte ich. »Die Pferde der anderen haben Ihren Wagen mit hochgezogen. Nur mit Ihrem Gespann säßen Sie nämlich noch unten, Mr. Gatby. Jetzt haben die anderen Anspruch darauf, daß Ihre Tiere bei den anderen Wagen mithelfen.« »Nichts, auf nichts haben sie Anspruch.« Gatsby sah aus, als würde er jeden Moment platzen. Er hatte sein Revolvergewehr auf Roy Chester gerichtet, und die Mündung wackelte wie ein Lämmerschwanz, so sehr zitterten seine Hände. »Mein Wagen ist der schwerste von allen«, sagte er. »Eben drum, Gatsby«, sagte Roy Chester. »Gerade deshalb waren Sie ganz besonders auf unsere Hilfe angewiesen.« »Und ihr habt alle gesehen, wie die Pferde sich abquälen mußten, um den Wagen den Hang hochzuziehen«, sagte Gatsby. »Das haben wir gesehen«, sagte ich. »Viel hätte nicht gefehlt, dann wären wir abgestürzt«, sagte Gatsby. »Ich will gar nicht davon reden, was mit dem Wagen und mir passiert wäre. Aber was mit den Pferden geschehen wäre, kann sich jeder denken.« »Hören Sie auf, Gatsby. Auf was wollen Sie hinaus?« fragte Chester. »Wenn bei einem der nächsten Wagen etwas passiert und meine Pferde verletzt werden, kann ich nicht weiter. Ich brauche alle vier Pferde, um mit meinem Wagen weiterfahren zu können. Drei Tiere oder nur zwei schaffen es nicht, ihn zu ziehen. Ich kann das Risiko nicht eingehen, auch nur ein Tier zu verlieren.« »Aber wir durften das Risiko eingehen, wegen Ihrer verfluchten Whiskyladung unsere Pferde zu verlieren, wie?« Roy Chester lief nun ebenfalls rot an. »Was ihr tut, ist mir verdammt egal«, erwiderte Gatsby. »Ich habe nur an mich zu denken. Mir ist das Hemd näher als die Jacke.« »Sie sind doch das größte Schwein, das herumläuft, Gatsby. Von Anfang an haben Sie uns benutzt. Sie haben uns gebraucht, weil Sie
es allein nie durch die Wüste geschafft hätten. Sie brauchten Dumme, die bei Gefahr für Sie mitschießen und Ihre Ladung mitverteidigen, weil Ihnen gar nichts anderes übrigbleibt. Sie haben von unseren Lebensmitteln mitgelebt, als Ihr Vorrat zu Ende ging, weil Sie doppelt soviel wie wir in Ihren fetten Wanst hineingestopft haben. Als es darum, ging, daß wir regelmäßige Nachtwachen aufstellen mußten, wollten Sie sich auch drücken, und jetzt haben Sie uns ausgenutzt, um Ihren verdammten Wagen den Hang hinaufzubekommen, wollen uns aber unten sitzen lassen.« »Noch ein Wort, und ich schieße!« schrie Gatsby. »Ich habe es nicht nötig, mich beleidigen zu lassen. Ich brauche euch nicht mehr. Euch alle nicht. Die Gefahr ist vorbei. Ich kann auch allein weiterziehen. Was kümmern mich eure Wagen! Seht doch selbst zu, wie ihr sie den Hang hinaufbringt.« In diesem Moment riß Bud Chester am Kopfgeschirr von einem von Gatsbys Pferden. Das Tier scheute, zog das ganze Gespann mit sich herum, und der Wagen ruckte nach links. Gatsby verlor auf dem Bock das Gleichgewicht. Ein Schuß löste sich aus seinem Gewehr. Der feuerrote Mündungsblitz fuhr höchstens zwei Zoll an Roy Chesters Kopf vorbei. Im nächsten Moment war ich auf den Wagenbock gesprungen und warf mich mit meinem ganzen Gewicht gegen den dicken Mann. Gatsby verlor das Gleichgewicht und flog mitsamt seinem Gewehr vom Bock. Er stieß ein gurgelndes Gebrüll aus, als er kopfüber vom Wagen stürzte. Er verlor das Gewehr dabei und blieb für einen Moment betäubt liegen. Ich hatte mich am Peitschenhalter festklammern können, sonst wäre ich auf Gatsby draufgefallen. So richtete ich mich gerade wieder auf, als Bud Chester bereits neben dem Dicken stand und das Gewehr an sich riß. »Du gottverfluchtes Schwein!« schrie er und versetzte Gatsby einen Tritt in die Seite, daß der Mann aufschrie und sich vor Schmerzen zusammenkrümmte. Roy Chester stand noch immer wie gelähmt an seinem Platz. Er schien nicht zu begreifen, daß er noch am Leben war. Ella, seine Frau, weinte leise, und Maria Farragut lehnte sich kreidebleich an
das linke Vorderrad von Gatsbys Wagen. Bud Chester bückte sich und zerrte Gatsby auf die Beine. Gatsbys Gesicht war vor Schmerzen und Angst verzerrt. »Du Hund!« schrie Bud Chester. »Du hättest meinen Vater beinahe umgebracht! Du wolltest ihn töten, du Schwein! Was hat er dir getan? Was glaubst du, wer du bist, daß du so etwas tust?« Er schlug wie wild auf ihn ein. Ich sprang vom Wagenbock und stellte mich Bud Chester in den Weg. Ich war genauso groß wie er, obwohl ich einige Jahre jünger war. Ich riß Bud Gatsbys das Gewehr aus den Händen und schrie ihn an, er solle aufhören. »Laß mich!« erwiderte er. Seine Stimme zitterte vor Wut. »Er wollte meinen Vater umbringen.« »Er lebt noch«, sagte ich. »Teufel, er ist ja nicht tot.« »Das ist Zufall«, sagte Bud. »Aber er hat es gewollt, das allein zählt. Ob mein Vater noch lebt oder nicht, Gatsby ist ein Mörder.« »Gut«, sagte ich. »Du hast recht, aber dein Vater lebt nun einmal noch, er ist nicht mal verletzt.« Bud Chester ließ die Schultern sinken. Er blickte an mir vorbei auf den zusammengekrümmt am Boden liegenden Gatsby. Dann wandte er sich ab und ging zu seinem Vater. »Alles in Ordnung, Dad?« fragte er. »Ja«, sagte Roy Chester. »Du darfst dich nicht an ihm vergreifen, Junge. Wir haben kein Recht dazu.« »Er wollte dich töten, Dad.« »Ich lebe«, sagte er. »Ronco hat recht. Wenn wir uns an Gatsby rächen, sind wir nicht besser als er. Mir ist nichts passiert. Es gibt nichts, für das er Strafe verdient hätte, aber eine Menge, für das er unsere Verachtung verdient.« Ich half Bud Chester beim Ausschirren von Gatsbys Pferden. Wir ließen Carter Gatsby liegen. Er richtete sich wimmernd auf, als wir mit seinen Pferden das Plateau verließen. Als ich mich einmal umdrehte, sah ich, daß er sich zu seinem Wagen schleppte, ein dickes, häßliches Bündel Elend. *
Wir schafften den Farragut-Wagen glatt nach oben. Er war der leichteste Wagen. Bill Farragut war vorher ausgestiegen. Maria und ich stützten ihn, als er den Hang hinaufging. Er sah noch magerer aus als früher, aber sein Zustand hatte sich sichtlich gebessert. Ich hatte seine Wunde noch einmal untersucht. Sie heilte bereits, und die Entzündung im Fleisch schien völlig zurückgegangen zu sein. »Der Tee, den Maria mir nach deinem Rezept verpaßt, schmeckt wie Schlangenpisse«, sagte er, während wir den Hang hinaufschritten. »Aber er hilft. Ich glaube, ich könnte schon wieder Bäume ausreißen.« »Bis wir in Silver Falls sind, sind Sie wieder auf dem Posten«, sagte ich. »Was Sie brauchen, ist ein frisches Stück Fleisch und eine kräftige Brühe. Das Land hier sieht nicht nach sehr viel Wild aus, aber vielleicht läuft mir in den nächsten Tagen etwas vor die Flinte.« »Ohne dich wäre ich wahrscheinlich eingegangen«, sagte er. »Schon gut«, sagte ich. »Unkraut vergeht nicht.« Wir langten auf dem Plateau an und halfen Bill Farragut wieder auf den Wagen. Der Weg hatte ihn doch sehr mitgenommen, auch wenn er versuchte, seine Erschöpfung zu überspielen. Er wirkte jedoch sehr erleichtert, als er sich wieder hinlegen konnte. Nun stand nur noch der Wagen der Chesters unten am Fuß des Hangs. Wir mußten uns beeilen. Die Abenddämmerung lag bereits über dem Land. Als ich an Carter Gatsbys Wagen vorbeiging, beugte Gatsby sich vor. Er saß wieder auf dem Bock, zusammengekauert, die Knie an den Leib gezogen. Er hatte eine Platzwunde auf dem kahlen Schädel, die von verkrustetem Blut umgeben war. »Du bist entlassen!« rief er mir mit heiserer Stimme zu. »Hörst du? Bilde dir nicht ein, daß du auch nur einen Cent von mir in Silver Falls kriegst. Du bist mir in den Rücken gefallen. Du hast gegen mich gearbeitet.« »Das stimmt zwar alles nicht, was Sie sagen, Mr. Gatsby«, sagte ich »aber ich pfeife auf Ihr Geld.« Ich brachte Bud Chester die Pferde hinunter. Ella Chester begleitete uns. Ihr Mann befand sich bereits unten beim Wagen. Maria Farragut blieb auf dem Plateau, um Feuerholz zu sammeln und
die Abendmahlzeit vorzubereiten. Wir schirrten, unten angelangt, die Pferde an den Wagen der Chesters. Sodann bestieg Roy Chester den Bock, während Bud und seine Mutter die vorderen Gespannpferde am Kopfgeschirr faßten. Ich ging mit den Bremsblöcken hinter dem Wagen her, der sich langsam den Hang hinauf bewegte. Shita, der bis jetzt am Wegrand mit mir mitgetappt war, blieb plötzlich stehen, hob den Kopf und stieß einen langgezogenen Bellaut aus. Er kläffte sodann wütend in das von der Dämmerung beschützte Land seitlich des Hangweges, das mir vom ersten Moment an wegen seiner unübersichtlichen, geröll- und buschbedeckten Hügel und der tückischen Felsspalten und Bodensenken nicht gefallen hatte. Ich trat neben Shita und versuchte, die Dunkelheit mit Blicken zu durchdringen. Es war aussichtslos, zumal es mir ja schon bei Tageslicht nicht gelungen war, das Land zu überschauen. Es hatte zu viele Verstecke, es war ein gefährliches Land. Plötzlich war ein leises Schwirren in der Luft zu vernehmen. Eins der Pferde im Gespann vor Roy Chesters Wagen wieherte auf einmal schrill, bäumte sich auf und kippte zur Seite. Es war von einem Pfeil in die Brust getroffen worden. Augenblicklich begannen die anderen Tiere zu scheuen. Wild auskeilend drängten sie zur Seite. Bud und Ella Chester konnten sie nicht halten. Roy Chester hatte vom Bock aus keine Kontrolle mehr über das große Gespann, das jetzt in wilder Panik auseinanderstrebte. Er schlug wild mit der Peitsche auf die Pferderücken ein, aber die Tiere wurden dadurch nur noch wilder. Bud Chester hängte sich mit seinem ganzen Gewicht an das Kopfgeschirr von einem der vorderen Tiere. Er wurde mitgeschleift, ohne das Pferd stoppen zu können. Auf der anderen Seite des Gespanns drängten die Pferde seine Mutter auf den Abgrund zu. Ella Chester schrie, und dann begann der Wagen sich rückwärts zu bewegen. Ich sprang mit einem Satz auf den Hangweg und versuchte, die Bremsblöcke unterzulegen. Ich schaffte es nicht. Es ging alles viel zu schnell. Ich konnte mich gerade noch in Sicherheit bringen, bevor der Wagen, der immer rascher in Fahrt geriet, mich
überrollte. Die Heckbracke rammte mich noch, und ich stürzte hart auf den Hang, rollte mich zur Seite und verspürte einen scharfen Schmerz an beiden Knien. Als ich mich aufrichtete, sah ich, daß meine Hose aufgerissen war. Am linken Knie blutete ich, und als ich die ersten Schritte tat, erfüllte ein wildes Stechen mein linkes Bein. Shita bellte mich aufgeregt an. Ich lief an ihm vorbei und versuchte, die Gespannpferde zu erreichen. Bud Chester wurde von einem steilenden Pferd zu Boden gerissen und blieb halbbetäubt liegen. Roy Chester verlor die Zügel und hielt sich krampfhaft am Bock fest. In diesem Moment platzten die Geschirriemen aus der Halterung. Zwei Pferde stürzten, wieherten grell, richteten sich wieder auf und jagten den Hang hoch. Sie schleiften das tote Tier ein Stück mit, bis auch hier die Riemen zerrissen und der Kadaver mitten auf dem Hangweg liegenblieb. Ella Chester stieß einen letzten, gellenden Schrei aus und wurde von einem Pferd gerammt. Sie verlor den Halt und rollte seitlich vom Weg den Abhang hinunter. In rasender Fahrt jagte der Wagen an mir vorbei. Roy Chester saß wie gelähmt auf dem Bock, während der schwere Conestogaschoner in den Abgrund rollte. »Springen Sie ab!« schrie ich. »Springen Sie, zum Teufel! So springen Sie doch!« Ich wußte nicht, ob er mich hörte. Das Donnern der Pferdehufe und der Räder übertönte meine Stimme. Aber er richtete sich auf, schwankte, stieß sich vom Bock ab und warf sich auf den Hang. Der große, schwere Mann stürzte hart, überschlug sich und blieb einen Moment wie tot liegen. Als ich mich umwandte, und zu ihm laufen wollte, rappelte er sich schon wieder hoch. Gleichzeitig erhob sich auch Bud Chester. Mit zerfetzter Hose und zerrissenem Hemd stand er auf dem Hangweg im aufwogenden Staub und schrie nach seiner Mutter. Aber sie antwortete nicht. Der große Wagen raste gegen einen kopfgroßen Stein auf dem Weg. Die Räder wurden abgelenkt, und der Wagen raste schräg über den Hang auf den Abgrund zu. Mit ohrenbetäubendem Krachen stürzte er in eine Felsspalte, riß Felsgestein und Geröll mit und landete berstend unten auf dem Grund.
Im selben Moment ertönte kollerndes, schrilles Kriegsgeschrei in der Abenddämmerung. Aus den Schatten des verkarsteten, unwirtlichen Landes, aus den Bodensenken und Spalten tauchten jäh Indianer auf. Sie stürmten, zu Pferde und zu Fuß, auf den Hang zu und griffen von allen Seiten an. Meine schlimmsten Befürchtungen wurden bestätigt. Ich hatte gewußt, daß uns die Indianer gefolgt waren, seit wir die Wüste verlassen hatten. Ich war sicher gewesen, daß sie nur auf eine Gelegenheit warteten, uns endgültig zu erledigen, daß sie uns absichtlich in Sicherheit wiegen wollten, um die Schockwirkung ihres plötzlichen Auftretens noch zu verstärken und uns völlig den Schneid abzukaufen. Genauso war es jetzt, und sie hätten sich keinen besseren Platz für ihren Überfall und keinen günstigeren Moment aussuchen können. Mein Gewehr lag oben auf dem Plateau. Ich zog meinen NavyColt aus dem Hosengurt. Als ich sah, daß Roy Chester wieder auf den Beinen stand, die Gefahr erkannt hatte und den Hang hinaufhumpelte, nahm auch ich die Beine in die Hand und stürmte zum Plateau hoch.
10. Ich packte Bud Chester am Kragen. Er stand noch immer auf den Hang, schien gar nicht zu bemerken, was um ihn herum vorging, und schrie nach seiner Mutter. Sein Gesicht war verzerrt und trug blutige Schrammen. Strähnig hing ihm das Haar in die Stirn. »Los, komm!« schrie ich ihn an. »Siehst du die Indianer nicht? Willst du dich umbringen lassen?« Er blickte mich verstört und verwirrt an. Ich zerrte ihn mit. »Laß mich los!« schrie er. Er begann, um sich zu schlagen und traf mich mit der Faust seitlich am Schädel, daß ich fast gestürzt wäre. Shita, der neben mir hergelaufen war, fletschte die Zähne und knurrte ihn an. Ich schlug zweimal zurück und traf ihn voll ans Kinn. Er taumelte, verdrehte die Augen. Ich faßte seine Arme und schleppte ihn einfach mit. Von Ella Chester war nichts zu sehen. Ich befürchtete, daß sie sich beim Sturz das Genick gebrochen hatte.
Ein paar Pfeile zischten dicht an uns vorbei. Die Indianer rückten näher. Ihr wildes Geschrei gellte mir in den Ohren. Über uns begann ein Gewehr zu krachen. Ich sah Maria Farragut auf der Plateaukante knien und mit dem Springfieldgewehr ihres Vaters auf die Indianer schießen. Ich feuerte jetzt selbst, während ich mit der Linken weiter Bud Chester festhielt und ihn mitzerrte. Roy Chester holte uns ein. Er faßte seinen Sohn an der anderen Seite und half mir, ihn mitzuziehen. Bud Chester sträubte sich jetzt wieder. Er wollte sich losreißen. »Laßt mich!« schrie er. »Wo ist Mutter? Wir müssen Mutter helfen!« »Halt's Maul!« schrie sein Vater ihn an, aber ich sah, daß die Augen des großen Mannes feucht schimmerten. Wenig später erreichten wir das Plateau und warfen uns hinter den beiden Wagen in Deckung. Ich riß mein Gewehr an mich, hob es an die Schulter und schoß. Maria Farragut hockte neben mir. Sie versuchte, das Gewehr ihres Vaters nachzuladen. Ihre Hände zitterten vor Nervosität, so daß sie das Zündhütchen verlor und schließlich auch das Pulver verschüttete. Gatsby sah ich hinter seinem Wagen. Er hielt sein Revolvergewehr in den Fäusten und schoß in schneller Folge. Bud Chester lag neben mir. Er hatte sein Gesicht auf den Fels gepreßt. Er weinte, ab und zu hörte ich zwischen dem Krachen der Gewehre und dem Geschrei der angreifenden Indianer sein Schluchzen. Roy Chester feuerte auf die Krieger, die den Hang hinaufgaloppierten. Der Kampf dauerte höchstens zehn Minuten. Dann zogen sich die Indianer zurück und gingen am Fuß des Hangs in Deckung. Eine stinkende Pulverdampfwolke schwebte über dem Plateau. Nach dem ohrenbetäubenden Lärm war es jetzt so still wie in einem Grab. Nur das gedämpfte Schluchzen Bud Chesters war zu hören. Ich lud mein Gewehr nach und richtete mich auf. Maria Farragut hockte neben mir am Boden und stieß mit dem Ladestock ein neues Geschoß in den Lauf der Springfield. Ihr schmales Gesicht war geschwärzt vom Pulverdampf. Auch Roy Chester war von Pulverpartikeln gezeichnet, und ich sah wahrscheinlich nicht besser aus.
»Wir müssen die Pferde einfangen«, sagte ich. »Solange wir Ruhe haben, müssen wir uns auf den nächsten Angriff vorbereiten.« Maria Farragut stand sofort auf. Es war wirklich erstaunlich, welche Energie dieses magere, junge Mädchen aufbrachte. Roy Chester zögerte. Er blickte etwas hilflos auf seinen Sohn, dann erhob auch er sich. »Mr. Gatsby!« rief ich. »Wollen Sie uns helfen, Mr. Gatsby? Es sind auch Ihre Pferde dabei.« Gatsby stand allein neben seinem Wagen. Er blickte haßerfüllt zu uns herüber. Dann näherte auch er sich. Die Pferde, die sich von Roy Chesters Wagen losgerissen hatten, waren den Hang hinaufgestürmt und standen nun im Hintergrund des Plateaus. Zwei Tiere waren auf der Paßstraße weiter nach Norden gelaufen, aber auch sie waren in höchstens zweihundert Yards Entfernung stehengeblieben. Wir beeilten uns, in der rasch dichter werdenden Dämmerung die Tiere zusammenzuholen. Sie ließen sich willig einfangen und zu den Wagen zurückführen, wo wir hastig einen Seilkorral errichteten. Als wir die Wagen wieder erreichten, sahen wir Bill Farragut auf dem Bock seines Wagens sitzen. Seine hagere Gestalt wirkte gekrümmt wie eine Weidengerte. Der helle Verband stach von seinem mageren, narbigen Oberkörper ab. Bill Farragut hatte sein Springfieldgewehr auf dem Schoß liegen. »Legen Sie sich bloß wieder hin!« rief ich ihm zu. Er schüttelte den Kopf und versuchte, zu lächeln und einen kräftigen Eindruck zu erwecken. Es wirkte nicht sehr überzeugend. »Ihr braucht jetzt jeden, der ein Gewehr halten kann«, antwortete er. »Du kannst aber kein Gewehr halten, Vater«, sagte Maria. »Du kannst dich ja selbst kaum aufrecht halten.« »Aber ich kann laden«, sagte er. »Ihr braucht doch jemandem zum Nachladen.« »Den brauchen wir wirklich«, sagte ich. »Wenn Sie meinen, Sie klappen dabei nicht zusammen.« Bill Farragut lachte gepreßt. Er erhob sich und stieg vorsichtig vom Wagen. Dann hockte er sich zu Boden und lehnte sich mit dem
Rücken gegen das rechte Vorderrad. Vor Anstrengung perlte Schweiß auf seiner Stirn. Aber er biß die Zähne zusammen und klagte nicht. Bud Chester hatte sich erhoben, aber er schien uns alle vergessen zu haben. Er stand ein Stück abseits der Wagen und starrte den Abhang hinunter. Auf einmal schrie er auf, wir waren gerade mit dem Seilkorral fertig. Ich drehte mich um und lief zu ihm hinüber. Er hatte beide Arme ausgestreckt und deutete den Hang hinunter. Maria tauchte hinter mir auf, dann auch Gatsby und schließlich Roy Chester. Wie gebannt starrten wir auf die große, knochige Frau, die sich an einem Dornengestrüpp, das seitlich von Hangweg wucherte, festklammerte und hochzog. Ella Chester. Sie versuchte sich aufzurichten. Ich fragte mich, wo sie gelegen hatte, daß die Indianer sie bisher nicht entdeckt hatten. Schwankend kam sie auf die Beine. Der heiße Atem Bud Chesters traf mich im Genick. Er stand hinter mir und atmete stoßweise, hastig, aufgeregt. Unten auf dem Hang setzte Ella Chester sich unsicher in Bewegung und tappte bergan. Es schien ihr unendliche Mühe zu bereiten, aber sie gab nicht auf. Eine Ewigkeit schien zu verstreichen. Dann stolperte sie plötzlich und fiel. »Mutter!« Bud Chesters Schrei hallte überlaut in der Stille des Abends. Vermutlich hörte sie ihn nicht. Sie richtete sich wieder auf. Im selben Moment ertönte donnernder Hufschlag. Aus den Abendschatten jagten zwei, drei Krieger heraus. Sie preschten den Hang hinauf. »Dein Gewehr, Vater!« schrie Bud Chester. »Schieß doch! Himmel, tut doch was!« Ich riß mein Gewehr an die Schulter. In diesem Moment erreichten die Reiter Ella Chester. Sie drehte sich in letzter Sekunde um. Ich schoß. Einer der Krieger riß beide Arme hoch und stürzte nach vorn auf den Hals seines Pferdes. Die beiden anderen packten Ella Chester,
rissen ihre Pferde herum und rissen sie zwischen sich mit, als sie den Hang wieder hinunterritten. Dann stürzte sie plötzlich. Die Krieger konnten sie nicht mehr halten. Sie prallte auf den Fels, überschlug sich und rutschte einige Yards weit den Hang hinunter. Sie blieb reglos liegen. In diesem Moment begann Bud Chester wie irr zu schreien und zu toben. Er wollte den Hang hinunterlaufen. Sein Vater konnte ihn gerade noch zurückreißen. Aber Bud war wie von Sinnen. Er wehrte sich, brüllte und schlug um sich, bis Roy Chester, dem selbst Tränen über das zerfurchte Gesicht rannten, seinem Sohn die hornige Faust gegen das Kinn hieb. Bud stürzte zu Boden und blieb bewußtlos liegen. Roy Chester warf einen letzten Blick hinunter auf den Hang. Der Körper seiner Frau lag noch immer da. Es konnte keinen Zweifel geben, daß sie tot war. Dann bückte er sich, hob seinen Sohn auf und trug ihn zu Bill Farraguts Wagen. Gerade versank im Osten die Sonne endgültig hinter den Spitzen der Berge. * Es mochte Mitternacht sein, als ich unterhalb des Plateaus glühende Punkte bemerkte. Sie setzten sich plötzlich in Bewegung und rasten wie winzige Kometen mit feurigen Schweifen durch die Dunkelheit heran. Brandpfeile. Sie schwirrten hoch über meinen Kopf und senkten sich über dem Plateau auf die Wagen. Zwei bohrten sich mit ploppenden Lauten in die linke Seitenbracke des Farragut-Wagens. Die Flammen leckten gierig nach dem trockenen, harten Holz. Wir hatten mit so etwas gerechnet und an der Quelle, die auf dem Plateau entsprang, sämtliche Töpfe, über die wir verfügten, mit Wasser gefüllt. Maria sprang sofort auf und löschte das Feuer. Weitere Pfeile folgten. Sie flogen in rascher Folge heran und bohrten sich auch in Gatsbys Wagen. Der dicke Mann rannte keuchend hin und her und schlug mit einer alten Decke auf die züngelnden Flammen.
Roy Chester trat mit seinem Gewehr neben mich. Sein Gesicht wirkte so hart wie aus Stein gemeißelt. Er blickte starr an mir vorbei in die Dunkelheit. »Werden sie jetzt angreifen?« »Das werden sie, Mr. Chester!«, sagte ich. »Gut«, sagte er. »Danach ist es hoffentlich zu Ende.« »Das denke ich auch«, erwiderte ich. Im selben Moment tauchten Reiter auf dem Hang auf. Mehrere Brandpfeile zischten noch heran, und Maria Farragut eilte hin und her, das Feuer zu ersticken. Carter Gatsby stand mit einemmal neben uns, und dann begannen wir zu schießen. Wir feuerten gleichzeitig. Ich hatte meine Sharps schneller schußbereit als Chester und Gatsby ihre Gewehre. Ich schoß weiter, bis das Schloß meines Karabiners heiß wurde. Trotzdem gewannen die Indianer auf dem Hang an Boden. Als sie die Hälfte des Weges überwunden hatten, ließen wir unsere Gewehre fallen und eilten zu drei kleinen Holzfässern, in denen sich vorher Kaffee, Mehl und Zucker befunden hatte. Es waren solide Fässer, und sie enthielten jetzt Pulver, gehacktes Blei und kleine Steine. Wir hatten jeweils ein dünnes Loch in die Fässer gebohrt, aus dem ein mit Alkohol getränkter Stoffetzen ragte. Roy Chester bückte sich, riß ein Zündholz an und setzte die erste Lunte in Brand. Wir warteten, bis sie richtig in Flammen stand, dann versetzte ich dem ersten Faß einen kräftigen Tritt, und es rollte polternd den Hang hinunter, den Angreifern entgegen. Wenig später folgten die beiden anderen Fässer. Dann ließen wir uns hinter einem natürlichen Wall aus Felsgestein und Geröll zu Boden fallen und warteten ab. Sekunden später erfolgte die erste Detonation. Ich hob den Kopf. Im selben Augenblick explodierte das zweite Fäßchen, wenig später das dritte. Sekundenlang standen drei haushohe Stichflammen über dem Abhang und verbreiteten blendende Helligkeit. Ich hörte entsetzt schreiende Männer, hörte in Todesangst wiehernde Pferde, sah Menschen, die von einer gewaltigen Druckwelle durch die Luft geschleudert wurden, Tiere, die von den Beinen gerissen wurden,
Männer und Tiere, die sich kreischend am Boden wälzten. Ich sah das alles nur wenige Momente lang in gleißendes Licht getaucht. Dann sanken die Stichflammen in sich zusammen. Die Düsternis eines Grabes umgab den steilen Hang. Durch die Dunkelheit tönten das Schreien der Verletzten und das grelle Wiehern und Schnauben der verwundeten Pferde. Wir erhoben uns und holten unsere Gewehre. Wir brauchten sie nicht mehr. Unter uns hatte sich die Hölle aufgetan, und ich war froh, daß die Nacht sie zudeckte und vor unseren Blicken verbarg. Es war eine schwüle Nacht, aber ich fror. Am liebsten hätte ich mir die Ohren zugehalten und das, was wir getan hatten, rückgängig gemacht. Es war meine Idee gewesen, Fässer mit Pulver und Blei zu füllen und sie in mörderische Bomben zu verwandeln. Es war die einzige Möglichkeit gewesen, gegen die große Übermacht standzuhalten und unseren Hals zu retten. Aber jetzt verfluchte ich mich dafür. Wir zogen uns zu den Wagen zurück. Mir fiel auf, daß Bud Chester nirgends zu entdecken war. Aber niemand sonst kümmerte sich darum. Alle lauschten nur auf die schrecklichen Geräusche der Vernichtung, die von unten heraufhallten. Es dauerte Stunden, bis es still wurde. Aber keiner von uns schlief in dieser Nacht, obwohl wir alle wußten, daß es vorbei war.
11. Graue Nebelschwaden trieben über das Plateau. Im Osten schimmerte bereits die Sonne durch. Es dauerte noch gut eine Stunde, bis der Nebel sich aufgelöst hatte. Dann lag der Hangweg grau und trist vor uns. Unterhalb des Plateaus gab es kein Leben. Ich drehte mich um und schaute zu den Wagen hinüber. Dort saßen sie am Boden, in Decken gehüllt, übernächtigt und erschöpft. Roy Chester, Bill und Maria Farragut und Carter Gatsby. »Sie sind weg!« rief ich. Niemand reagierte. Ich setzte mich in Bewegung und ging den Hangweg hinunter. Shita folgte mir. Er überholte mich und sprang
voraus. Mitten auf dem Hang sah ich die dunklen Flecke im grauen Staub. Große Flecke, hier und da war der Boden noch feucht. Shita schlug einen Bogen um die eingetrockneten Blutpfützen. Wenig später fanden wir Ella Chester. Sie lag seitlich vom Hangweg, halb verdeckt von einem Speerdornengebüsch. Tot. Ich ging weiter und fand den Lagerplatz der Indianer. Auch hier überall dunkle Flecken am Boden. Einige tote Pferde lagen herum. Die Leichen der Krieger hatten die Indianer mitgenommen, als sie abgezogen waren. Ich fand auch den Wagen der Chesters. Die Hinterachse war völlig zertrümmert. Die rechte Seitenbracke war zerbrochen, das Gestänge der Plane war abgeknickt. Ein Trümmerhaufen. Was im Wagen noch verwendbar gewesen war, hatten die Indianer mitgenommen. Als ich zurück zum Hangweg ging, sah ich Roy Chester bei seiner Frau stehen. Ein Stück oberhalb von ihm standen Maria Farragut und Carter Gatsby. Bill Farragut stand über ihnen an der Plateaukante und stützte sich schwer auf sein Springfieldgewehr. »Mit Ihrem Wagen ist nichts mehr anzufangen«, sagte ich zu Roy Chester. Er schien mich gar nicht zu hören. Er bückte sich und hob den zerschundenen Leichnam seiner Frau auf. Langsam, Schritt um Schritt, trug er die Tote den Berg hinauf. Er ging an Maria und Gatsby vorbei, als seien sie nicht vorhanden. Er schritt über das Plateau, bettete Ella Chester dicht neben der Quelle auf den Boden, holte vom Wagen der Farraguts eine Decke und rollte den Körper hinein. Dann suchte er nach Gesteinsbrocken, mit denen er die Tote bedecken wollte. Wir wollten ihm helfen, aber er schaute uns nur schweigend an und schüttelte den Kopf. So standen wir um die Quelle herum, und es dauerte etwa zwei Stunden, bis Roy Chester seine Arbeit beendet hatte. Stumm, in Gedanken versunken, stand er dann vor dem Steinhügel. Ein leichter Wind strich von den Hängen herunter und zauste sein Haar, das in der Nacht eisgrau geworden war. Schließlich drehte er sich um. »Hat jemand ein Stück Papier und etwas zum Schreiben?« Maria Farragut nickte. Sie ging zu ihrem Wagen und brachte ein Schulheft und einen Bleistiftstummel. Roy Chester schrieb im Stehen. Einmal fragte er, ob jemand das Datum wisse, aber das
wußte keiner von uns. Am Ende riß er das beschriebene Blatt aus dem Heft, faltete es sorgfältig zusammen und leerte seinen ledernen Tabakbeutel. Er schob das Papier hinein, verschnürte ihn und schob ihn dann unter einige schwere Steine der Grabstelle. Als er sich abwandte, sagte Maria Farragut: »Sie haben keinen Wagen mehr, Mr. Chester. Sie und Ihr Sohn können in unserem Wagen mitfahren.« Er nickte. »Danke«, sagte er. Dann blickte er sich um. »Wo ist mein Sohn?« Ich hatte ihn während der ganzen Nacht nicht gesehen, eigentlich schon seit dem Tod von Mrs. Chester nicht mehr. Roy Chester hastete ohne ein weiteres Wort an uns vorbei. Er lief zu den Wagen, eilte den Hangweg hinunter, kehrte zurück und lief auf dem Plateau herum. »Bud!« Er rief den Namen immer wieder. »Bud, melde dich doch!« Wir folgten ihm. Ich stützte Bill Farragut, der neben mir her humpelte. Wir suchten alle, aber es dauerte eine Weile, bis wir auf Shita achteten, der immer wieder nach Norden zur Paßstraße sprang, zurückkehrte und wieder dorthin lief. Ich folgte ihm als erster, und dann fand ich Bud Chester. Er lag im Schatten einer überhängenden Felsklippe. Er schlief, aber im ersten Augenblick dachte ich, er sei tot. Neben ihm lag eine leere Flasche am Boden. In der verkrampften Rechten hielt er eine weitere Flasche, in der noch ein Rest einer bräunlichen Flüssigkeit war. Als ich mich über Bud beugte, mußte ich mich fast übergeben, der Alkoholgestank war kaum auszuhalten. Es war ein scharfer, bitterer Geruch. Ich richtete mich rasch wieder auf, da war Roy Chester schon hinter mir. Er stürzte an mir vorbei, kniete sich neben seinen Sohn, packte ihn an den Schultern, schüttelte ihn und schrie ihn an. Irgendwann wachte Bud auf. Er glotzte seinen Vater verständnislos an. Dann kotzte er wie ein Reiher und begann vor Schmerzen zu wimmern und sich in Krämpfen zu winden. Carter Gatsby trat hinter mich und beugte sich neugierig vor. Sein von Schlägen gezeichneten Gesicht verzerrte sich jäh. Er bückte sich
und hob die leere Flasche auf. In diesem Moment drehte Roy Chester sich um. Die Blicke der Männer begegneten sich, und ich sah Angst in Gatsbys Augen. »Ihr – Ihr Junge hat mich – bestohlen«, stammelte er. »Das ist mein Whisky, mein Eigentum. Ihr Junge hat …« Er schwieg, denn Roy Chester richtete sich auf. »Ich hab schon viele Betrunkene in meinem Leben gesehen, Gatsby«, sagte er. »Mein Junge hat nie getrunken, aber ich glaube nicht, daß er bei normalem Whisky so reagieren würde wie jetzt. Was ist in Ihren Flaschen drin, Gatsby?« Gatsby drehte sich um und wollte fortlaufen, aber Roy Chester erwischte ihn am Kragen und zerrte ihn zurück. »Methylalkohol!« schrie er ihn an. »Sie haben den Whisky mit Methylalkohol gemischt, Sie Schwein!« Er schlug zu. Carter Gatsby wurde voll getroffen und stürzte zu Boden. »Lassen Sie mich!« kreischte er. »Sie sind ja verrückt, Mann. Warum klaut Ihr Sohn die Flaschen von meinem Wagen? Ich hab sie ihm nicht gegeben. Er hat mich bestohlen. Er hätte die Finger davon lassen sollen.« Roy Chester schlug wieder zu, und Gatsby ging wimmernd zu Boden. Dann stürmte Chester an ihm vorbei. Er hastete über das Plateau, erreichte Gatsbys Wagen und riß die Plane herunter. Er hob den ersten Kasten hoch und schleuderte ihn in den Abgrund, wo er zerschellte. Er warf einen zweiten Kasten hinterher. Jedesmal gingen sechs Flaschen zu Bruch, Chester war nicht mehr zu bremsen. Carter Gatsby erhob sich und watschelte auf seinen kurzen Beinen hinter ihm her. Er schrie wie ein geprügeltes Kind. »Lassen Sie das! Hören Sie auf! Sie sind ja wahnsinnig! Mein Whisky, mein Eigentum! Das ist alles was ich habe! Sie dürfen mir nicht mein Geschäft zerstören!« Roy Chester schleuderte die fünfte Kiste in den Abgrund. Eine sechste folgte. Dann war Carter Gatsby heran und warf sich wie ein rasendes Tier gegen den großen Mann. Er schlang die Hände um Chesters Hals, würgte ihn, trat und schrie dabei, als habe er den Verstand verloren.
Roy Chester schüttelte Gatsby ab wie ein lästiges Insekt. Er versetzte dem dicken Mann einen mächtigen Fußtritt, und Gatsby flog wie eine Kanonenkugel gegen den Farragut-Wagen. Hier blieb er liegen, während Roy Chester fortfuhr, Gatsbys Whisky zu vernichten. Niemand hinderte ihn daran. Wir halfen auch Gatsby nicht. Ich glaubte, ich hätte nicht einen Finger gerührt, wenn Roy Chester ihn in diesem Moment umgebracht hätte. Zusammen mit Maria schleppte ich Bud Chester zum Wagen der Farraguts. Als wir ihn niederlegten, übergab er sich wieder. Dann versuchte er, sich aufzurichten. Er schlug sich mit beiden Fäusten gegen die Stirn, schwankte, taumelte, fiel wieder auf den Rücken und wimmerte, daß er nichts sehen könne und sein Kopf zerplatze. Er versuchte wieder, aufzustehen, und wir mußten seine Hände festhalten, weil er sich sonst die Augen ausgekratzt hätte. Er war blind, es konnte keinen Zweifel geben, und Gatsbys Gift war schuld daran. Roy Chester hatte aufgehört, weitere Whiskyflaschen in den Abgrund zu schleudern. Er hockte dumpf vor sich hinbrütend am Boden. Carter Gatsby stand schluchzend wie ein kleines Kind neben seinem Wagen. Gut die Hälfte seiner Ladung lag jetzt unten in der Schlucht. Ich schaute Bill Farragut an, der trotz seiner Verletzung die Pferde versorgt hatte. Er schüttelte nur stumm den Kopf. Es gab nichts zu sagen. * Wir zogen am Spätnachmittag wieder nordwärts. Ich ritt voraus, Maria Farragut folgte mit ihrem Wagen. In einigem Abstand fuhr Carter Gatsby hinter uns her. Die Paßstraße, der wir folgten, stieg stetig an. Wir gelangten gut voran. Anfangs hatte ich befürchtet, die Indianer würden uns womöglich, nachdem sie den Schock überwunden hatten, verfolgen. Aber nichts deutete darauf hin, und je tiefer wir ins Bergland eindrangen, um so sicherer war ich, daß die größten Gefahren hinter
uns lagen. Roy Chester verließ an diesem Tag nicht mehr den Wagen der Farraguts. Auch in der folgenden Nacht und den ganzen nächsten Tag blieb er neben dem Lager seines Sohnes sitzen. Er aß nichts und trank nur ein wenig. Am Abend des nächsten Tages starb Bud Chester. Er war zuvor stundenlang bewußtlos gewesen. Wir befürchteten zunächst, daß Roy Chester wieder einen Tobsuchtsanfall bekommen und Gatsby umbringen würde. Gatsby selbst schien das zu glauben. Aber Roy Chester tat nichts dergleichen. Er bestattete seinen Sohn und bestieg dann wieder den Wagen der Farraguts. Wir setzten unseren Weg fort. Immer häufiger stießen wir jetzt auf Rastplätze von Trecks, die vor uns dem Weg in die Berge gefolgt waren. Wir wußten, daß unser Ziel nicht mehr allzu weit entfernt war. Drei Tage, nachdem wir das Plateau verlassen hatten, verbreiterte sich vor uns die Straße. Wir näherten uns einer Hochebene. Das Land war nicht mehr so unwegsam. Am vierten Tag stießen wir auf einen Flußlauf. Hier schlugen wir unser Nachtlager auf. Es war ein schmaler Fluß. Wir kannten seinen Namen nicht. Seine steinigen Ufer waren von zahllosen Wagenrädern gezeichnet. Das Bett war nicht sehr tief und der Grund fest. Am nächsten Morgen wollten wir ihn durchfurten. Als die Sonne unterging, brannte unser Feuer im Schutz zweier mächtiger Felssäulen. Gegen Mittag war mir ein Hase vor die Flinte gelaufen. Ich hatte nicht lange gezögert und geschossen. Jetzt steckte er an einem Bratspieß und drehte sich über den Flammen. Carter Gatsby hockte neben seinem Wagen, trank Wasser und aß trockenes Brot. Seit wir das Plateau verlassen hatten, sprachen wir nicht mehr mit ihm, und er hielt sich von uns fern. Als ich den Bratspieß vom Feuer nahm, griff Bill Farragut nach seinem Messer und schnitt sich selbst eine Keule herunter. »Seht euch meinen Arm an«, sagte er, während er in das heiße Fleisch biß. Er schwenkte den linken Arm hin und her. »Alles wieder in Ordnung«, sagte er kauend. »Ab und zu juckt es noch ein bißchen, aber sonst … In Silver Falls kann ich schon wieder
die schwerste Spitzhacke heben. Hoffentlich sind wir noch rechtzeitig da und kriegen einen guten Claim.« »Wahrscheinlich treiben sich dort Hunderte von Männern herum«, sagte ich. »Man braucht viel Glück, um einen wirklich guten. Claim zu erwischen. Die besten Plätze sind immer sehr schnell weg.« »Warum sollen wir nicht auch mal Glück haben«, sagte Bill Farragut. »Nicht wahr, Maria, wir hätten es auch mal verdient, Glück zu haben?« Sie nickte nur und schaute Roy Chester an, der lustlos an einem Stück Fleisch nagte. Er war abgemagert, der große, schwere Mann, sein Gesicht war schmal geworden, seine Augen trüb und glanzlos. »Was werden Sie tun, Mr. Chester?« fragte sie. Er hörte erst nicht, daß sie mit ihm gesprochen hatte, und sie mußte die Frage wiederholen. Er blickte lange Zeit schweigend ins Feuer. Dann zuckte er mit den Schultern. »Ich weiß nicht«, sagte er. »Ich glaube nicht, daß ich nach Silber graben werde. Wozu?« Er schaute uns der Reihe nach an. »Für wen?« »Für Sie selbst«, sagte ich. »Du bist jung.« Er sah mich an. »Du kannst so etwas sagen. Aber wenn man älter wird, dann will man, daß alles, was man tut, einen Sinn hat, daß man seine Kraft nicht nutzlos vergeudet, daß jemand etwas davon hat. Ich selbst …« Er blickte wieder ins Feuer. »Ich selbst bin nicht mehr so wichtig. Jedes Leben braucht einen Inhalt. Ich weiß keinen mehr.« Er aß sein Fleisch, erhob sich und zog sich unter den Wagen der Farraguts zurück. Hier schlug er sein Lager auf. Ich versuchte zu begreifen, was er gemeint hatte. Es gelang mir nicht. Ich war wirklich zu jung. Heute weiß ich es. »Ich hoffe, daß Sie einen Haufen Silber finden«, sagte ich zu Bill Farragut. »Ich will 'raus aus der Wildnis«, sagte er. »Maria darf nicht länger in diesem Land bleiben. Hier ist die Hölle für Frauen. Sie soll in eine Stadt, sie soll bequemer leben und es besser haben als ihre Mutter.« »Ich hab mich nie beklagt«, sagte sie. »Mutter auch nicht.« »Nein«, sagte er. »Aber ich habe genug davon, zuzusehen, wie ihr
euch abquälen müßt. Mutter hat es hinter sich. Du sollst nicht genauso enden wie sie.« »Wir werden sehen, Vater«, sagte sie. »Ja«, sagte er. »Das werden wir.« Er richtete sich auf und ging zu seinem Wagen. Maria folgte ihm wenig später. Ich löschte das Feuer. Dann legte ich mich im Schatten der beiden Felssäulen zum Schlafen nieder.
12. Ich erwachte gegen Morgen, als Shita leise neben mir knurrte. Bleiern steckte der Schlaf in meinen Gliedern, der graue Frühnebel zog über mich hinweg, und ich fühlte mich matt und kraftlos. Shita knurrte wieder. Dann erhob er sich und schlich davon. Jetzt wurde ich langsam munter. Ich wandte den Kopf und sah Roy Chester unter dem Wagen der Farraguts liegen und schlafen. Auch Carter Gatsby rührte sich nicht. Aber auf Shita war Verlaß. Wenn er knurrte, dann hatte es auch einen Grund. Ich beschloß, mich nicht aufzurichten. Die Müdigkeit wich nach und nach aus meinem Körper. Ich tastete unter der Decke nach meinem Revolver, dann robbte ich tiefer in den Schatten des Felssäulen. Hier richtete ich mich auf und wartete. Ich fragte mich, von welcher Seite uns Gefahr drohte. Ich glaubte nicht, daß es hier oben noch Indianer gab. Und Banditen? Festus Jones. Ein anderer Name fiel mir nicht ein. Ihn hatten wir fast schon vergessen. Aber sollte er es wirklich geschafft haben, allein durch die Reihen der Indianer zu kommen, er, der von Indianern soviel verstand wie eine Kuh vom Sonntag? In diesem Moment tauchte Shita wieder auf. Er tappte am Ufer des kleinen Flusses entlang und begann auf einmal heftig zu bellen. Roy Chester fuhr erschrocken hoch. Carter Gatsby wälzte sich schnaufend herum, Chester streifte die Decke ab. Shita kläffte noch immer. Dann fiel ein erster Schuß. Unmittelbar neben Shita schlug die Kugel in den Boden. Eine Fontäne aus Staub und Steinsplittern stob auf. Shita sprang mit
großen Sätzen davon. Roy Chester kroch unter dem Wagen der Farraguts hervor und richtete sich auf. »Hinlegen, zum Teufel!« schrie ich. Im nächsten Moment krachte wieder ein Schuß und dann wieder einer. Roy Chester taumelte, griff sich mit der Rechten an die Brust und fiel auf den Rücken. Zwischen seinen Fingern quoll Blut hervor. Er röchelte so laut, daß ich ihn bis zu meinem Versteck hören konnte. Dann lag er plötzlich ganz still. Er war tot. Ich hatte das Gefühl, eine eisige Faust greife nach meinem Herzen. Seitlich von einer Geröllhalde bemerkte ich einen Schatten. Ich hob meinen Revolver und schoß. Die Kugel prallte auf den nackten Fels und jaulte als Querschläger davon. Dann prasselte ein Kugelhagel gegen die Felssäulen, hinter denen ich mich verbarg. Ich zog den Kopf ein und hielt die Hände schützend vor mein Gesicht, damit die aufwirbelnden Gesteinssplitter nicht meine Augen verletzten. Dann wurde es plötzlich still. Eine Stimme ertönte, die mir wohlbekannt war: »Ihr habt keine Chance. Gebt es auf. Euch passiert nichts, nur Gatsby und den Jungen will ich haben!« Festus Jones. Also doch. Mochte der Teufel wissen, wie er es geschafft hatte. Das war jetzt auch egal. Er war da, wahrscheinlich nicht allein, und er war wild entschlossen, Gatsby und mich umzubringen und sich wahrscheinlich die Whiskyladung unter den Nagel zu reißen. Unter der Plane des Wagens der Farraguts schob sich der Lauf des Springfieldgewehrs hervor. Dann krachte ein Schuß. Ein Mann schrie auf. »Wie ihr wollt!« hörte ich Jones rufen. »Jetzt seid ihr alle dran.« Dann begannen sie wieder zu schießen. Der Morgennebel war noch dicht, und ich sah an verschiedenen Stellen Mündungsblitze aufzucken. Es mußten sich um mindestens zwei Männern handeln, wahrscheinlich aber drei. Ich erwiderte das Feuer, und auch Carter Gatsby, der flach unter seinem Wagen lag, schoß mit seinem Revolvergewehr. Ich wartete, bis ich die Chance sah, meine unsichere Deckung zu
verlassen, und rannte geduckt zum Wagen der Farraguts hinüber. Als ich auf den Bock sprang, schlugen dicht neben meinen Füßen zwei Kugeln ins Holz. Ich warf mich nach vorn und verschwand unter der Plane. Und dann schlichen sie durch den Nebel heran- Schemenhaft glitten sie näher. Bill Farragut und ich hockten nebeneinander und schossen gleichzeitig. Wir trafen einen Mann. Er stürzte wie vom Blitz getroffen nieder. Die anderen tauchten blitzschnell wieder unter. »Wir brauchen Licht«, sagte ich. »Wenn bloß der Nebel nicht so dicht wäre.« Mein Blick fiel auf eine Petroleumlampe, die neben dem großen Schrankkoffer der Farraguts am Wagenboden stand. »Achtung, da sind sie wieder!« rief Bill Farragut. Er riß seiner Tochter das Gewehr aus der Hand, die es soeben aufgeladen hatte. Ich griff nach der Petroleumlampe, zündete sie an und riß am Heck des Wagens die Plane hoch. Im hohen Bogen schleuderte ich die brennende Lampe auf den Planwagen Gatsbys. Ich hatte keinen Grund auf seinen verdammten Schnaps Rücksicht zu nehmen. Er hatte uns genug Unglück gebracht. Die ganze Familie Chester war deswegen umgekommen, und wir selbst mußten vielleicht auch noch ins Gras beißen. Der Lampenzylinder zerplatzte beim Aufprall, das auslaufende Petroleum geriet sofort in Brand, Sekunden später brannte die Plane lichterloh. Der Feuerschein fraß ein Loch in den Nebel. Wir sahen die Angreifer diesmal deutlich. Das erkannte auch Festus Jones und sein Kumpan – es waren tatsächlich drei gewesen. Sie traten sofort den Rückzug an. Dafür spielte Carter Gatsby verrückt. Er sprang ohne Rücksicht auf die Gefahr unter seinem Wagen hervor, bestieg den Bock und versuchte, mit bloßen Händen das Feuer zu löschen. Er fluchte und schrie vor Wut und schlug mit dem Gewehrkolben auf die Flammen ein. Dabei zertrümmerte er mehrere Whiskyflaschen. Der Inhalt geriet sofort in Brand, und dann zerplatzten mehrere Flaschen mit lautem Knall.
Gatsby wurde vom Bock geschleudert. Seine Jacke brannte, er blutete an den Händen und im Gesicht, aber das schien er nicht zu bemerken. Er erhob sich wieder und bestieg den Wagen wieder, dessen Seitenbracken auch bereits brannten. Wieder zerplatzten in der Hitze einige Flaschen, der auslaufende Alkohol gab dem Feuer neue Nahrung. Gatsby versuchte, unbeschädigte Kisten der Ladung zu retten. Er griff in das Feuer, als spüre er die Schmerzen nicht. Er schleppte zwei, drei Kisten heraus, dann standen auch seine Hosen in Flammen. Er stürmte unter lauten Schmerzensschreien zu dem kleinen Fluß, ließ sich einfach ins Wasser fallen, wälzte sich brüllend darin herum, und als er sich erhob, war Festus Jones plötzlich da. Er tauchte hinter einem mannshohen Teufelsdornenstrauch auf und trat ans Flußufer. Gatsby stand bis zu den Knien im seichten Wasser. Seine Kleidung hing ihm in Fetzen vom Körper. Er blutete, seine Hände waren verbrannt. Entsetzt starrte er Jones an, der böse grinsend sein Gewehr hob und einfach abdrückte. Das großkalibrige Sharps-Geschoß riß Gatsby fast den Kopf von den Schultern. Er kippte rücklings ins Wasser, ging sofort unter und trieb in der schwachen Strömung langsam ab. Das Wasser färbte sich stellenweise blutig. Dann schoß ich. Ich traf Jones, als er sich gerade zufrieden grinsend umdrehte. Meine Kugel traf ihn in den Leib. Er ruderte verzweifelt mit beiden Armen, um nicht zu stürzen. Aber er fiel doch. Er schlug der Länge nach ins Wasser und versuchte, sich noch einmal aufzurichten und den Kopf über Wasser zu halten. Aber die Schmerzen zwangen ihn, sich zusammenzukrümmen. Er ging unter. Er kämpfte noch eine ganze Weile, dann rührte auch er sich nicht mehr. Als der Nebel sich lichtete und die Sonne wie eine taufrische Blutorange am Horizont aufging, klang Hufschlag auf. Wir sahen den letzten Kumpan von Jones davonreiten. Fast gleichzeitig brach der brennende Wagen in sich zusammen, und der viele Alkohol sorgte dafür, daß das Feuer bis zum Mittag weiterbrannte. Dann war es vorbei. Wir hatten inzwischen die Leichen aus dem Wasser gezogen. Festus Jones hatte noch eine halbe Stunde gelebt, aber das
Bewußtsein nicht mehr zurückerlangt. Wir bestatteten Gatsby und Jones zusammen mit dem unbekannten toten Banditen, der Jones begleitet hatte. Roy Chester gaben wir ein Grab im Schatten der beiden Felssäulen, dort, wo am Abend zuvor noch unser Feuer gebrannt hatte. Erst am späten Nachmittag zogen wir weiter. * Zwei Reihen windschiefer Bretterbuden, Unrat, stinkender Abfall, zerbrochene Flaschen, verrostete Werkzeuge, Fenster ohne Glasscheiben, die wie die leeren Augenhöhlen von verendeten Kadavern wirkten – das war Silver Falls. Wir erreichten die Stadt drei Tage später. Sie lag wie eine Pestbeule vor uns im Bergland. Ein Geschwür, das aufgehört hatte zu wuchern. Silver Falls war tot. Wir fuhren in das schmutzige Nest. Ich ritt dem Wagen der Farraguts voraus. Shita lief neben mir her und schnupperte hier und da an den Abfallhaufen. Der Wind strich durch die Straße und bewegte ein blankes Blechschild, das klirrend immer wieder gegen eine Wand schlug. Das Geräusch verlieh der Stadt den falschen Eindruck vom Leben. Als wir vor einer dreckigen Bretterbude, vor der ein Schild mit der großspurigen Aufschrift »Palace Hotel« hing, anhielten, trat ein grauhaariger, bärtiger, zerlumpter Mann mit einer alten Schrottflinte unter dem Arm heraus. Er blickte uns durch die dicken Gläser einer randlosen Brille an und begann dann hysterisch zu lachen. Er hieß Samuel Landers und war der letzte Mensch in Silver Falls. Vor einer Woche hatten die beiden größten Minen des Nestes plötzlich kein Gramm Erz mehr hergegeben. Auch die anderen Silberfunde hatten nachgelassen. Statt dessen hatten sich Gerüchte von gewaltigen, unermeßlich großen Goldfunden in Oregon verbreitet, und von heute auf morgen hatten die Erzschürfer alles stehen- und liegenlassen und waren weitergezogen. Samuel Landers war ein bißchen verrückt. Er glaubte daran, daß es
noch Silber in Silver Falls gäbe, und redete davon, wie dumm die anderen gewesen seien, und wie reich er eines Tages sein würde. Ich glaubte ihm nicht, und die Farraguts glaubten ihm auch nicht. Für sie brach eine Welt zusammen. Maria Farragut weinte, Bill sagte gar nichts. Der Hoffnungsschimmer in seinen Augen erlosch. Sie taten mir leid, aber so war das Leben. Ich blieb noch einen Tag in der toten Stadt, um mich auszuruhen. Dann brach ich mit Shita auf und zog weiter nordwärts. Ich hatte keine Lust, ebenfalls nach Oregon zu ziehen, um dort womöglich erfahren zu müssen, daß die Gerüchte von den Goldfunden wirklich nur Gerüchte waren. Ich hatte nichts verloren, nicht mal eine Hoffnung. Ich war an nichts gebunden, und ich hatte keine festen Pläne. Die Farraguts hatten sich noch nicht entschieden, aber ich war sicher, sie würden den Nachrichten von den Goldfunden nachziehen. Ihnen blieb nichts anderes übrig. Sie hatten sich selbst dazu verdammt. Und vielleicht würden sie daran zugrunde gehen, so wie die Chesters und Carter Gatsby zugrunde gegangen waren. Ich war wieder allein, allein mit Shita, allein in einem großen Land. Vor uns lag die geheimnisvolle Wildnis, und ich wußte, hier gehörten wir hin. Hier zählten andere Dinge als Gold und Silber, und das war gut so.
ENDE
Vorschau Ronco hechtete aus dem Fenster. In einem Regen von Glassplittern landete er auf dem Boden und rollte sofort zur Seite. Schüsse peitschten hinter ihm auf, als er auf den Zaun zustürmte und hinüberkletterte. Die ersten Verfolger waren keine fünfzig Yards hinter ihm. Eine Kugel zupfte an seiner Schulter. In den hellen Klang der Revolver mischte sich nun auch das kräftige Aufbrüllen von weitreichenden Sharps. Ronco hetzte auf eine Seitenstraße zu und lief im Zickzack. Das Eckhaus vor ihm wurde von Kugeln geradezu durchlöchert. Fensterglas zersplitterte, und Ronco hörte erschrockene Schreie im Innern. Sie nahmen auf nichts Rücksicht. Sie wollten sich fünftausend Dollar verdienen, da war es gleichgültig, ob andere Menschen dabei getötet wurden. Ronco erreichte die Straße und sah plötzlich einen Schatten vor sich auftauchen – Lobo! »Fang!« brüllte Lobo und warf ihm seinen Peacemaker zu … Die Jagd auf Ronco, den Geächteten, geht weiter. Lesen Sie nächste Woche Band 216 dieser großen deutschen WesternSerie:
Die Hölle von Zandia