Die Traumweide
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corrected by: Larentia
@ Juli 2003
Während des Bürgerkrieges hatten sich die ...
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Die Traumweide
scanned by: Crazy2001
corrected by: Larentia
@ Juli 2003
Während des Bürgerkrieges hatten sich die texanischen Longhorns gewaltig vermehrt, und weil es auch nach dem Kriege nicht sofort Absatzmärkte für diesen nahezu unermeßlichen Rindersegen gab, konnten die Rancher sich auch keine Cowboys halten. Texas war arm. Die Herden weideten unbewacht. Sie waren ja damals nicht einmal den Preis ihrer Häute wert. Niemand machte sich noch die Mühe, seine Jährlinge zu branden. Und so gab es in Texas bald Hunderttausende von ungebrandeten Rindern. Diese ungebrannten Rinder nannte man Mavericks. Denn ein gewisser Mister Maverick, einer der größten Rancher von Texas, hatte als erster Rinderzüchter darauf verzichtet, seine Tiere mit Brandzeichen zu versehen. Und da diese ungebrannten Tiere sich im Verlauf der Jahre über Landgebiete verteilten, die so groß waren wie so manches europäische Königreich, fand man sie später überall. Man nahm an, daß sie von Mister Mavericks Zucht stammten, und nannte sie deshalb Mavericks. Später dann bezeichnete man jedes ungebrannte Rind, welches dem Muttertier entwöhnt war und dessen Besitzer man nicht feststellen konnte, als Maverick. Es gab damals viele Maverick-Jäger in Texas. Und so mancher ganz große und mächtige Rinderzüchter hatte als Maverick-Jäger begonnen und sich mit einem Lasso seine Stammherde zusammengefangen. Diese Geschichte hier schildert den Weg dreier Cowboys, die sich ebenfalls eine Maverick-Herde fangen, um damit die Weide ihrer Träume zu suchen.
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Dick Hilliary tritt schnell und gleitend an den Stier heran, der sich verzweifelt gegen das stramme Lasso stemmt und sicherlich bald das Pferd von den Beinen ziehen würde. Vielleicht würde auch das Lasso mit einem Peitschenknall reißen. Aber Dick Hilliary ist schneller. Und er ist ein gewaltig starker Bursche, nicht sehr groß, doch breit und klotzig. Daß er sich dabei so leicht und gleitend bewegen kann, hat schon viele Leute in Erstaunen versetzt. Er greift nach den mächtigen Hörnern des Stieres. Diese Hörner werden nun zu Hebeln. Und wer das Hebelgesetz kennt, der weiß, daß die aufzuwendende Kraft zur Last im umgekehrten Verhältnis der Hebelarme steht. Dick Hilliarys Hebelarme sind also lang. Er dreht dem Stier den Kopf zur Seite, verdreht ihm den Hals, bis der starke Bursche nachgeben muß und auf die Seite fällt. Gegen Dicks gewaltige und noch durch die Hebelarme sehr viel verstärkte Kraft hatte Old Mooshorn keine Chance. Er stürzt also, bevor er das Pferd umreißen kann oder bevor das Lasso knallend reißt. Dick Hilliary kniet nun schnaufend auf dem Kopf des Tieres. Eines der langen Hörner hat sich tief in den Boden gebohrt. Das andere Horn steht schräg gen Himmel. Und Dick hält es fest wie eine Brechstange. »Hoiiii!« ruft er scharf und schnaufend. Johnny Christie kommt vom Brennfeuer mit dem Brenneisen gelaufen - aber genau gesagt sind es zwei Brenneisen. Der Schmied, bei dem sie die Brandeisen bestellten, konnte drei Buchstaben nicht zu einem einzigen Eisen vereinen. Johnny Christie drückt also zuerst das Eisen mit den Buchstaben C C auf den Schenkel des Tieres. Dann - 2 -
kommt das H hinzu. Und nun ist der Brand vollständig als C C H zu lesen. Das bedeutet: C steht für Morg Cleveland. C steht für Johnny Christie. H steht für Richard Hilliary, genannt >Dick<. Johnny Christie betrachtet das noch qualmende und nach verbrannten Fellhaaren und angeschmorter Rinderhaut stinkende Brandzeichen. Er preßt einen fettigen Lappen sekundenlang darauf. Dann starrt er Dick an und grinst breit. »Das hier«, krächzt er, »ist Old Mooshorn, der Stammvater unserer Herde. Was meinst du, was er tun wird, wenn du ihn gleich losläßt?« »Das kann nur der gute Vater im Himmel wissen«, schnauft Dick und bläst sich einen Schweißtropfen von der kleinen, dicken Nase. Dann blickt er auf das Auge des Stiers nieder, welches zu ihm emporblickt. Es ist ein zorniges, blutunterlaufenes Stierauge. »Er wird für viele prächtige Nachkommen unserer Herde sorgen«, ächzt Johnny Christie und springt auf. Er eilt zu seinem Pferd, welches mit hängenden Zügeln neben dem Brennfeuer wartet, wirft sich in den Sattel und nimmt das Lasso vom Sattelhorn. Auch Dick Hilliary schnellt auf, läuft zu seinem Pferd und schwingt seine zweihundertdreißig Pfund auf das starke Tier. Und Morg Cleveland, der inzwischen das Lasso gelöst hatte, schwingt es auch schon wieder. Denn der Stier ist wie eine Katze auf den Beinen und rast hinter Dick her. Gewiß hätte er Dick und dessen starken Braunen gerammt wie ein Nashorn, wenn Morg Clevefand nicht das Lasso werfen würde. Er schleudert es mit einer merkwürdigen Hand- und - 3 -
Armbewegung. Die nicht sehr große Schlinge segelt dicht über den Boden wie ein kreisender Rohrreifen eines Kindes. Es ist ein Kunststück, welches sogar hier in Texas eine ganz besondere Leistung ist. Denn der angreifende und böse schnaubende Stier tritt in die dicht über den Boden segelnde Schlinge. Morg Clevelands Pferd wirft sich herum und trägt dann den Ruck. Der Stier! überkugelt sich, liegt einen Moment still, springt dann auf und greift den Reiter an. Doch nun wirft Johnny Christie das Lasso, und er wirft es fast genau so gekonnt und sicher wie der große, sehnige und grauäugige Morg Cleveland. Die Schlinge legt sich um ein Hinterbein des Stiers. Und als das Lasso sich strafft und summt wie eine Saite, da fällt der Stier regelrecht und wortwörtlich auf die Nase. »Der lernt es schnell! Der lernt es bald!« So ruft Dick Hilliary, indes er sein Lasso bereithält und sich in die beste Position bringt. Doch der Stier hat genug. Oder er ist ein ungewöhnlich schlaues Tier. Er liegt ganz still da, so als ob er genau wüßte, daß ihm dann nichts geschieht. Auch ist der böse Schmerz der Brandwunde sicherlich nicht mehr so schlimm. Das hineingeriebene Fett lindert wohl schon etwas. Die beiden Reiter lösen ihre Lassos, und das tun sie mit einigen Handbewegungen. Einige Schlangenlinien rollen an den Lassos entlang, lockern die Schlingen und lösen diese wie durch Zauberei. Es ist erstklassige Lassoarbeit, wie sie nur von Spitzen-Cowboys beherrscht wird. Der Stier springt wieder wie eine Katze auf die Beine. Doch er greift nicht mehr an. Er hat gelernt, daß er - 4 -
dann immer wieder auf die Nase fliegt. Doch es ist sicher, daß er sich auf jeden Fußgänger stürzen wird. Morg Cleveland rollt sein Lasso ein. Er nimmt die Bullpeitsche vom Sattelhorn, reitet schräg von hinten an den Stier heran und beginnt ihn auf den kleinen Corral zu anzutreiben. Seine beiden Partner öffnen ein Gatter und halten dann auch die Rinder im Corral zurück. Der Stier trottet ganz vernünftig und fügsam hinein. Die Männer schließen das Gatter. Und dann sagt Johnny Christie heiser krächzend, doch mit deutlicher Zufriedenheit: »Das ist es, Männer! Das ist es genau! Da sind hundertfünfzig ausgesuchte Rinder, ein halbes Dutzend Stiere und dieser Old Mooshorn, ihr König. Und die meisten Kühe werden in wenigen Wochen Kälber werfen. Wir haben den ersten Teil unseres Vorhabens erfüllt. Die Herde ist da! Wir haben sie aus diesem verdammten Buschland herausgeholt wie die Wildkatze aus einem Dornengestrüpp. Wir haben mit jedem Biest gekämpft und ihm dann unser Zeichen aufgebrannt. Es ist unsere Herde, und wir werden sie schon zahmer bekommen!« Er klatscht laut mit der Hand auf seinen Oberschenkel, und er ist ein blonder, blauäugiger und auf eine verwegene Art hübscher Bursche. Ein alter Colt steckt in einer Tasche seiner ledernen Chaps. Er erhält von Dick Hilliary für seine Worte ein breites Grinsen und zustimmendes Nicken. Und von Morg Cleveland hört er die sanften und lässigen Worte: »Ja, es wird wohl Zeit, daß wir hier aus diesem verdammten Lande kommen. Es gibt hier schon zu viele Mannschaften von Maverick-Jägern. Und bestimmt wird - 5 -
es Verdruß geben, wenn das Gesetz durchgebracht wird, welches das Jagen von Mavericks verbietet. Wir sind vielleicht noch so gerade vor Toresschluß fertig geworden.« Nach diesen Worten wendet er sein Pferd und reitet zum Camp hinüber. Er ist ein großer, sehniger und schmalhüftiger Mann mit breiten Schultern und einem ruhigen, schmalen und dunklen Gesicht, grauen Augen und rabenschwarzen Haaren. Dick Hilliary ist braunhaarig, rundgesichtig, mit zwei Froschaugen und einer kleinen Korkennase. Er ist stets bei guter Laune und voller Hoffnung auf irgendwelche guten Dinge. Er ist gutmütig und wirkt vielleicht etwas dumm, eben wie einer dieser Muskelprotze, deren Verstand etwas verkümmert ist. Doch das ist bei ihm gewiß nicht der Fall. Er folgt seinen beiden Freunden ins Camp, sitzt ab und kniet bald vor einem flachen Stein. Er zerklopft die letzten Kaffeebohnen mit seinem Revolverkolben zu Mehl und wirft dies dann in einen Topf. »Du lieber Gott«, sagt er dann, ich wünschte, wir hätten meine selige Tante Rosalin-Beate bei uns. Die konnte aus dem Kaffeesatz die Zukunft lesen. Und da wir heute zum letzten Male richtigen Kaffeesatz haben werden, wäre das die letzte Gelegenheit, zu erfahren, was für ein Glück in der Zukunft auf uns wartet, nicht wahr?« Morg Cleveland und Johnny betrachten ihn seltsam. »Manchmal ist es besser«, sagt Johnny nachdenklich, »daß man nicht weiß, was die Zukunft bringt.« Morg Cleveland aber, der seinen Blick in die Ferne richtete, bekommt schmale Augen. Und er sagt mit trockener Härte: »Ich bin keine Tante Rosalin-Beate, Mister Dick. Ich - 6 -
kann auch nicht aus Kaffeesatz die Zukunft lesen. Doch ich kann dir jetzt schon sagen, daß wir in wenigen Minuten eine Menge Verdruß bekommen. Nehmt eure Gewehre und tretet unter die Bäume. Und wenn ich meinen Revolver ziehen sollte, dann kann ich keine andere Chance mehr erkennen, als möglichst schnell und genau zu schießen.« Dick und Johnny blicken in die gleiche Richtung wie er. Und da sehen sie es. Es sind sechs Reiter, doch hier in diesem Buschland am Brazos River leben zur Zeit nur Hartgesottene. Eine andere Sorte hat nicht den geringsten Grund, in diesem Lande herumzureiten. Nur die hartgesottenen Nachtfalken, die Maverick-Jäger, die Viehdiebe und all jene Verlorenen und Geächteten, die nach dem Kriege vollends entwurzelt wurden und jede Chance versäumten, sind hier. Und nicht alle machen sich die Mühe, wochenlang und unter großer Gefahr die wilden Rinder aus dem Busch zu jagen, einzufangen und mit einem Brandzeichen zu versehen. Viele dieser Falken können nicht gut genug mit dem Lasso umgehen, denn dies ist eine Kunst, die man als kleiner Junge schon üben muß. Dick und Johnny gehorchen sofort. Denn der ruhige Morg Cleveland ist ihr Anführer. Morg Cleveland steht gelassen neben dem Feuer, über dem der Kaffeekessel hängt. Er sieht den sechs Reitern ruhig entgegen. Seine rauchgrauen Augen blicken fest und furchtlos, und ganz im Hintergrund erkennt man in ihnen manchmal einen kalten Glanz. Die fremde Mannschaft kommt gemächlich herbei. Alle Reiter betrachten im Vorbeireiten die Tiere im Corral. Dann schwärmen sie vor dem Camp aus, bilden eine unregelmäßige und halbkreisförmige Kette und - 7 -
halten an. Ein rotköpfiger und verwegener Bursche, der die Feldkappe der ehemaligen Konföderierten-Kavallerie trägt, drängt sein Pferd etwas vor. Er gleitet plötzlich aus dem Sattel und steht dann lässig neben seinem Pferd. Seine Linke spielt mit den Zügelenden; seine Rechte aber hängt hinter einem Revolver, dessen Kolben nach außen gerichtet ist, weil die Waffe ziemlich vorn am Oberschenkel festgeschnallt getragen wird. »Ich bin einer von den Flynns«, sagt der Rotkopf lässig. »Ich bin Jesse Flynn, Bringham Flynns jüngerer Bruder.« »Ich habe schon von euch gehört«, nickt Morg Cleveland. »Und seit einigen Tagen fühlte ich, daß man uns beobachtet. Was soll's denn sein, Jesse Flynn?« Der grinst, und es ist ein verwegenes und wildes Grinsen. »Ihr habt also schon von uns Flynns gehört«, sagt er. »Das erleichtert die Sache. Ich bin nämlich hier, um zu kassieren. Ihr werdet uns die halbe Herde ablassen müssen.« Er schiebt die alte Militärmütze etwas zurück, und sein Grinsen ist nun scharf und gefährlich. »Wir haben nämlich auf hundert Meilen in der Runde dieses Land zu unserem Gebiet erklärt und erheben Rechte auf alle ungebrannten Rinder in diesem Gebiet. Maverick-Jäger, die sich hier Rinder einfangen, müssen fünfzig Prozent ihres Herdenbestandes an uns abliefern. Ich bin hier, um diese Rinder zu holen. Und ihr bekommt sogar eine richtige Quittung dafür.« Er hebt die Linke, die die Zügelenden hält. Er deutet mit dem Daumen über die Schulter. »Ich schätze diese Herde dort im Corral auf einhundertachtzig Tiere. Wir nehmen also neunzig. - Und diese beiden Figuren dort unter den Bäumen sollen die - 8 -
Gewehre weglegen und ans Feuer kommen. Ihr Narren werdet uns wohl keine Streitigkeiten machen, nicht wahr? Ihr wißt doch sicherlich, daß wir Flynns mehr als hundert Reiter zur Verfügung haben und euch mit Leichtigkeit die Haut abziehen könnten? Also, machen wir ein Geschäft auf der Basis von fifty-fifty. Und das ist sogar nobel von uns. Denn wir könnten euch aus unserem Lande jagen und die Herde ganz für uns behalten. Also!« Morg Cleveland betrachtet ihn ruhig. In seinem Gesicht bewegt sich nichts. Doch er sagt: »Rotkopf, mir ist es gleich, wie dein Name ist und was für einen großen Bruder du hast. Mir ist das gleich! Was ihr hier wollt, ist glatter Viehdiebstahl. Euch gehört hier nichts in diesem Land. Denn es ist freies Buschland. Und die Rinder hier haben kein Brandzeichen und können von sich aus auch nicht sagen, wem mal ihre Mammis und Großmammis gehörten. Es sind Rinder in einem Niemandslande, die niemandem gehörten, bis wir ihnen unseren Brand aufdrückten. Und jetzt gehören sie uns, nur uns! Und keine Banditenbande von Geächteten und vom Gesetz verfolgten Schuften, die zu bequem und zu faul sind, um selbst harte Sattel- und Lassoarbeit zu leisten, wird uns ohne Kampf auch nur einen einzigen Kuhschwanz abhängen. Verstanden?« Jesse Flynn ist ein wilder Bursche. Er ist zwar nicht ganz so berüchtigt wie sein großer Bruder Bringham, doch auch er war während des Krieges ein GuerillaAnführer, und seine Freischartruppe wurde dann immer mehr zu einer Banditenbande. Nach dem Kriege raubte und plünderte er mit seinen Leuten weiter. Da auf seinen Kopf ein hoher Preis ausgesetzt ist, wie auch auf die Köpfe seines Bruders und vieler ihrer Reiter, zogen sie sich in das wilde Buschland am Brazos zurück. - 9 -
Und nun wollen sie also auf diese Art ins Rindergeschäft einsteigen. Sie zwingen alle MaverickJäger, die sich hier ihre Herden zusammentreiben, dazu, mit ihnen zu teilen. Jesse Flynn ist ein wilder Bursche, und er ist furchtlos und hat großes Vertrauen zu seinem Glück und zu seiner Revolvergeschicklichkeit. Als Morg Cleveland verstummt, verschwendet der Bandit kein Wort mehr; seine Rechte bewegt sich schnell, gedankenschnell. Jesse Flynn zieht also blitzschnell und ohne jede Warnung. Doch Morg Cleveland gehört zu den drei oder vier Männern, die ihn schlagen können. Als Jesse Flynn den Revolverlauf hochbringt und die Mündung auf Morg Cleveland richtet, als er abdrücken will - nun, da erblickt er ein Mündungsfeuer, und die Kugel stößt ihn an der Schulter zurück. Er wirbelt halb herum; sein Schuß geht irgendwohin. Er schwankt und richtet den Revolver nochmals auf Morg Cleveland. Er drückt ab, und die Kugel fährt wie ein glühendes Eisen an Morg Clevelands Rippe entlang, unter seinem Arm hindurch und zerfetzt sein Hemd. Sie hinterläßt eine Strieme wie von einem Peitschenhieb, Morg zuckt leicht zusammen. Er kann nicht warten, bis Jesse Flynn ihn mit dem nächsten Schuß vielleicht tötet. Er drückt wieder ab und trifft ihn nun nochmals. Die beiden Gewehre krachen unter den Bäumen. Pferde steigen und wiehern erschreckt. Zwei oder drei Männer griffen nach den Revolvern, doch sie erstarrten, als die Gewehre krachten, und die Kugeln um ihre Köpfe pfiffen. Johnny Christies Stimme klingt scharf und wild unter den Bäumen hervor: »Macht nur weiter, Jungens, wenn - 10 -
ihr es bekommen wollt! Macht nur weiter, ihr Narren! So gut seid ihr gar nicht, wie ihr es vielleicht glaubt!« Und sie sind auch wirklich nicht so gut - was Mut und jene Entschlossenheit betrifft, die den Einsatz des eigenen Lebens fordern. Sie kämpfen nicht gern, wenn die Chancen nicht eindeutig auf ihrer Seite sind. Hier und jetzt sind die Chancen ziemlich ausgeglichen. Gewiß, sie sind immer noch mit zwei Mann in der Überzahl - aber die beiden Maverick-Jäger dort drüben haben Deckung hinter den Bäumen und überdies auch noch Gewehre. Und besonders überzeugend ist Morg Cleveland, der soeben einen der berüchtigsten und gefährlichsten Revolverhelden von Texas schlug. Er hält auch noch den Revolver schußbereit in der Hand und würde gewiß zwei der Burschen von Flynns Bande töten. Zu solch einem Kampf auf Leben und Tod sind sie nicht bereit. Sie verharren also, und die Männer, welche ihre Waffen schon halb gezogen hatten, schieben diese wieder langsam in die Halfter zurück. Sie atmen alle aus. Dann betrachten sie Morg Cleveland. *** »Schon gut«, murmelt einer der Buschräuber. »Schon gut! Es war Jesse Flynns Idee, so überraschend den Revolver zu ziehen. Und er war eigentlich kaum zu schlagen. Sein großer Bruder allerdings ist ihm haushoch überlegen, und er wird sich gewiß auf deine Fährte setzen und sich deinen Skalp holen, Schwarzkopf.« Der Mann starrt Morg Cleveland seltsam gierig an. - 11 -
»Bringham Flynn liebt seinen Bruder Jesse sehr. Bringham Flynn wird alles vergessen, was ihm sonst auf dieser Erde wichtig ist. Er wird sich auf deine Fährte setzen, Freund. Er wird sich genügend Reiter mitnehmen, und ich glaube, daß ihr nicht einmal dann eine Chance habt, ihm zu entkommen, wenn ihr die Herde dort stehen laßt und sofort auf der Stelle die Flucht ergreift. Seine Verbindungen sind weitreichend. Sein langer Arm reicht bis zur Nordgrenze. Denn wenn er jetzt auch als Bandit leben muß - er hat immer noch einflußreiche Freunde, Männer, die früher mit ihm Geschäfte machten, als er noch ein großer Guerilla-Führer war, und die heute in einflußreichen Positionen Macht und Einfluß besitzen. « Der Sprecher will sich umwenden. Doch Morg Cleveland sagt: »Ihr seid doch wohl keine Dummköpfe? Wenn ihr zu Bringham Flynn zurückreitet und ihm den Tod seines Bruders meldet, dann wird er euch fragen, warum ich noch lebe. Und dann wird er auch noch eine Frage stellen, nämlich die, warum Jesse allein kämpfen mußte und ihr ihm nicht beigestanden habt. Bringham Flynn wird euch erbärmliche Feiglinge nennen, die seinen Bruder im Stich ließen. Und vielleicht zieht er sogar euch die Haut ab. An eurer Stelle würde ich gar nicht zu ihm reiten und ihm diese Meldung überbringen. An eurer Stelle würde ich aus dem Lande reiten und mich bemühen, Bringham Flynn nie wieder zu begegnen. Überlegt euch das mal. Bringham Flynn wird mehr als zornig sein auf euch!« Sie starren ihn an, und sie denken über seine Worte nach. Sie sind schon jetzt halb davon überzeugt, daß es sicherlich besser und vor allen Dingen gesünder für sie wäre, wenn sie Bringham Flynn nie wieder begegneten. - 12 -
Sie kennen seinen kalten, grausamen und so zerstörerischen Zorn. Nun verspüren sie Furcht. »Ihr habt die Wahl«, sagt Morg Cleveland zu ihnen. Sie starren ihn an. Dann wenden sie sich ab, gehen zu ihren Pferden, sitzen auf und reiten davon. Den Mann, der sie anführte, lassen sie zurück: Sie sind üble Burschen. Morg Cleveland hebt seine Hand und wischt sich über das Gesicht. Seine Hand zittert etwas. Er fühlt sich plötzlich leer, taub, wie ausgehöhlt. Er wendet sich zur Seite und geht zu einem Baumstumpf. Er setzt sich dort und dreht sich eine Zigarette. Doch er tut das ganz mechanisch. Dabei denkt er bitter: Wenn man seinen Weg gehen will, wenn man sich nicht ausplündern lassen will und wenn man sich den Banditen nicht beugen will - nun, dann muß man sich seinen Weg freischießen. Man muß sich behaupten, und manchmal muß man sogar toten. Ist das nicht furchtbar? Aber ich kann doch nicht aufgeben? Er blickt auf, als Johnny und Dick herbeitreten. Sie wirken sehr ernst. »Dies ist ein ziemlich hartes Land hier«, sagt Johnny bitter. »Man muß hier manchmal kämpfen. Wie eine Wildkatze, die von einem Baum zwischen eine Hundemeute fällt, muß man hier manchmal kämpfen. Diesmal ging es noch gut ab. Morg, wenn du mit diesem Burschen hier nicht zurechtgekommen wärst, dann hätten wir wohl alle gegeneinander gekämpft. Und dann würde es mehr als nur einen Toten gegeben haben. Dann wäre...« Er bricht ab und macht eine vielsagende Handbewegung. - 13 -
Dick Hilliary nickt gewichtig dazu. »Wir konnten uns doch nicht die halbe Herde abnehmen lassen«, sagt er etwas unbeholfen. »Das konnten wir doch nicht zulassen. Wenn wir erst damit anfangen, uns kampflos etwas nehmen zu lassen, dann werden wir niemals unsere Traum-Weide finden und unsere Rinder darauf züchten niemals!« »Schon gut«, murmelt Morg. »Diese Burschen, diese Buschräuber - sie taugen nicht viel. Sie sind mit Jesse Flynn geritten. Doch als er tot war, hatten sie ihn auch schon vergessen. Ich glaube nicht, daß sie nun unterwegs zu Bringham Flynn sind. Das gibt uns vielleicht den notwendigen Vorsprung. Vielleicht sind wir weit genug, bevor Bringham Flynn herausfindet, was mit seinem Bruder geschah. Wir treiben die Herde morgen beim ersten Tageslicht nach Norden. Wir ziehen los, um unsere Traum-Weide zu suchen, die schönste und beste Weide, die es gibt, die wunderschöne Weide, von der wir schon während des Krieges träumten. Tut mir einen Gefallen - begrabt ihn! Ich mag diesen Narren, der mich zum Ziehen zwang, nicht mehr sehen. Warum glaubte er nur, er könnte mich schlagen?« Sie geben ihm sogleich keine Antwort darauf. Sie betrachten ihn erst auf eine sehr brüderliche Art. Sie sind seine Freunde. »Jeder glaubt von sich, er könnte es schaffen - also hat es auch dieser Jesse Flynn geglaubt«, murmelt Dick und geht davon. Er tritt zu Jesse Flynns Pferd und schnallt den Sattel ab. Er nimmt die Satteldecke, um den Toten damit einzuwickeln. Johnny hilft ihm dabei. Morg Cleveland aber erhebt sich und geht zum Corral hinüber. Er lehnt sich seitlich gegen einen Baum, der hier einen natürlichen Pfosten bildet und betrachtet die - 14 -
Rinder. »Sicher«, sagt er dann leise, »ich werde immer wieder für diese Herde und unser Ziel kämpfen. Anders geht es in diesem Lande wohl nicht.« *** Am anderen Morgen brechen sie auf, und ihre Ausrüstung ist dürftig. Sie besitzen zwar zwei Packpferde, doch deren Last ist nicht sehr schwer. Ihre Remuda besteht aus sechs hageren Rinderpferden. Sie haben also insgesamt nur neun Pferde zum Reiten und die beiden Packtiere. Das ist nicht viel. Dick, der heute Küchendienst haben wird, übernimmt die Reservepferde und die Packtiere. Er wartet mit ihnen, bis alle Rinder den Corral verlassen haben. Dann treibt er die Pferde und auch die Packtiere hinein und schließt das Gatter. Als er zur Herde reitet, kommt er keine Sekunde zu früh. Diese einhundertfünfzig Longhorns, die so wild wie die Büffel sind und die bisher all die Jahre frei und ganz auf sich selbst gestellt in der Wildnis des Brazos River lebten, sie sind natürlich nicht leicht zusammenzuhalten und zu treiben. Die Bullpeitschen klatschen. Die drei Reiter benutzen sie gnadenlos - sie können nicht anders. Denn wenn sie während der nächsten Minuten nicht die Herde unter Kontrolle bringen, dann haben sie schon jetzt gleich am Anfang verloren. Dann sind sie ihre so mühsam Stück für Stück im Buschland zusammengefangenen Rinder sofort wieder los. - 15 -
Sie machen es also hart. Und sie gebrauchen auch ihre Revolver. Sie müssen zwei ihrer wertvollen Stiere erschießen, weil sie die Kühe nicht anders unter Kontrolle bekommen können. Doch dann gewinnen die drei Reiter allmählich die Oberhand. Sie jagen die Rinder nun vorwärts. Es wird eine Stampede, die nach Norden führt. Die Rinder laufen in die einzige für sie offene Richtung: nach Norden. Doch damit hatten die drei Maverick-Jäger gerechnet. Der Weg nach Norden führt durch einen langen Arroyo und von dort aus einen Hügelhang hinauf. Dick Hilliary reitet drei Meilen weit mit. Dann kehrt er um, holt die Pferde aus den Corrals und folgt der Rinderfährte. Er holt die Herde etwa drei Stunden später ein. Seine Freunde wechseln schnell ihre Pferde. Die Herde ist zwar immer noch störrisch, erregt und nur schwer und mit Aufbietung des ganzen Cowboykönnens unter Kontrolle zu halten. Doch sie ist aus ihrer Stampede in einen schnellen Trott gefallen. Sie möchte den Reitern immer noch entkommen. Immer wieder brechen Rinderrudel nach allen Seiten aus. Johnny Christie taucht einmal bei Dick auf und brüllt heiser: »Die kriegen wir schon noch friedlich und nett! Die trinken eines Tages aus Tassen und essen mit Messer und Gabel« Dann ist er auch schon wieder im Staub verschwunden. So geht es dann den ganzen Tag, Meile um Meile und bis zum Abend. Durch die Stampede kamen sie ein gewaltiges Stück vorwärts. Als sie die Rinder in einer tiefen Mulde zwischen den Hügeln anhalten, haben sie mehr als - 16 -
fünfundzwanzig Meilen zurückgelegt. Die drei Reiter dampfen noch vor Schweiß, und ihre Gesichter sind mit einer schmierigen Schicht überzogen und wirken irgendwie maskenhaft. Sie sind mit Staub bedeckt und müde bis ins Mark der Knochen. Und dennoch sind sie zufrieden und froh. Denn nun ist es klar, daß sie die Herde unter Kontrolle halten können. Morg und Johnny starren plötzlich Dick an. »Du lieber Vater im Himmel«, sagt Johnny, scheinbar vor lauter Verwunderung und großem Staunen innerlich erschüttert. »Du lieber Vater im Himmel«, wiederholt er und setzt fort: »warum hast du unserem Freunde Dick so wenig Verstand gegeben? Jetzt sitzt dieser haarige Pulveraffe doch hier tatsächlich neben mir auf einem Pferd und betrachtet sich staubige Rinder, als daß er an einem Feuer kniet und Pfannkuchen bäckt. Es ist schon schlimm genug, daß wir keinen Kaffee mehr haben, aber daß wir jetzt auch noch von den Wölfen in den Bauch gebissen werden, ist doch etwas zu hart, nicht wahr, du Bulle?« »Meine selige Tante Rosalin-Beate sagte immer, daß die Gier danach, sich den Bauch zu füllen, ein Nachgeben gegenüber den primitivsten Instinkten ist, welches zwar bei den Steinzeitmenschen verständlich gewesen wäre, was jedoch nicht bedeute, daß sich Menschen unserer Zeit wie Steinzeitler benehmen sollten.« Dick Hilliary spricht diese Worte sehr gelassen. »Willst du jetzt ein Feuer anmachen und unser Essen kochen?« fragt Johnny fauchend. »Deine Tante RosalinBeate war eine alte Zimtziege, und sie hatte eine lange Leitung. Ich will nichts mehr von deiner Tante RosalinBeate zu hören bekommen. Ich will jetzt etwas zu essen! - 17 -
Hast du das endlich verstanden, Mister Richard Abraham Bonifaz Hilliary?« »Du hast wohl heute ein wenig mehr Staub geschluckt, als du vertragen kannst?« fragt Dick und macht sich daran, trockenes Holz zu sammeln. Eine Zeit später ruft er vom Feuer über die Senke zu den beiden anderen, die die Herde umreiten. »Also kommt! Holt es euch! Ich habe es fertig!« Da kommen Morg und Johnny zum Lagerfeuer. Das können sie für eine kurze Weile wagen. Denn die Herde ist sehr müde. Sie hat sich rings um die Wasserstelle niedergetan. Das Feuer beleuchtet die Gesichter der drei Cowboys. Morg und Johnny schnüffeln. »Du solltest immer kochen, Dick«, sagt Johnny hoffnungsvoll, denn er ist morgen mit Küchendienst und als Packtier- und Pferdetreiber an der Reihe. »Du solltest wirklich ständig den Koch machen, Heldensohn! Denn wenn ich morgen aus unseren wenigen Vorräten etwas kochen muß, dann wird das ziemlich trübe.« »Das mag sein«, grinst Dick und rollt einen mit Honig bestrichenen Pfannkuchen zu einer Wurst zusammen. »Meine liebe Tante Rosalin-Beate sagte immer, daß die Liebe durch den Magen geht. Und wenn du morgen deinen eigenen Fraß herunterwürgen mußt, wirst du den guten, alten und prächtigen Dick besonders lieben. Meine Tante Rosalin-Beate wurde von mehr als einem Dutzend Männer heiß geliebt. Und deshalb blieb sie wohl auch unverheiratet. All diese Männer hätten sich gegenseitig totgeschlagen, wenn Tante Rosalin-Beate sie nicht alle gleichmäßig behandelt haben würde.« »War sie so schön?« fragt Johnny kauend. »Schön?« Dick Hilliary verdreht seine Froschaugen. - 18 -
»Heiliger Rauch, das war bei Tante Rosalin-Beate doch vollkommen unwichtig. Sie konnte so gut kochen, daß die Männer beim Essen die Augen zumachten. Und wenn ein Mann beim Essen die Augen schließt, dann kann er die Frau ja doch nicht ansehen.« Johnny grinst, stopft sich noch einmal den Mund voll, erhebt sich, zieht seinen Hut und schwingt ihn wie ein spanischer Grande. »Es war mir ein Vergnügen, Lady Rosalin-Beate«, säuselt er. »Ihre Küche ist vortrefflich. Nur der Wein war nicht ganz richtig temperiert. Sie sollten Ihrem Kellermeister zehn Stockschläge verabreichen lassen. Ich empfehle mich, Lady Rosalin-Beate!« Er verbeugt sich tief. Dann schwingt er sich auf sein Pferd, reitet zur Herde hinüber. Dick Hilliary sitzt staunend und mit offenem Mund am Feuer. »Hat er zu mir Tante Rosalin-Beate gesagt?«fragt er dann. »Deine Tante macht mir Zahnschmerzen«, sagt Morg und erhebt sich. Dick betrachtet ihn von unter herauf. Und nun wirkt er sehr vernünftig. »Morg, du sollest nicht ständig daran denken, daß du einen Banditen und Revolverhelden in Selbstverteidigung töten mußtest. Du hattest keine andere Wahl. Und du hast es für uns und unsere Zukunft getan. Ich glaube, wir werden nicht zum letzten Male gekämpft haben. Und schließlich bist du unser Großer. Schließlich bist du Captain Black Morgan Cleveland, nicht wahr?« »Das ist vorbei«, erwider Morg. »Das war während dieses verdammten Krieges. « Und damit reitet er zur Herde hinüber. - 19 -
*** Sie haben Glück; doch Glück hat in ihrem Falle sicherlich auch nur der Tüchtige. Und sie sind drei erstklassige Cowboys und Rindermänner. Sie bringen die Herde ohne Verluste jeden Tag ein gutes Stück vorwärts. Sie bekommen die Rinder immer mehr unter Kontrolle, und all die ständigen Zweikämpfe zwischen Stier und Reiter werden mehr und mehr seltener. Die Rinder haben sich an das Treiben gewöhnt. Am 17. Juli 1868 waren sie mit der Herde aufgebrochen. Am 27. Juli kommen sie in die Nähe von Fort Worth. Und sie haben nun nicht mal mehr Salz. Sie sind vollkommen abgebrannt und lebten die letzten zwei Tage von Kaninchenfleisch. Als sie gegen Mittag einen guten Lagerplatz finden, losen sie aus, wer nach Fort Worth reiten darf. Morg und Dick gewinnen gegen Johnny, der jedoch gleichmütig grinst und lässig sagt: »Da brauche ich mich wenigstens nicht zu ärgern. Wir haben keinen Dollar in den Taschen. Und ich könnte mir nicht mal einen Whisky kaufen. Da verzichte ich schon lieber darauf, mal andere Gesichter zu sehen. Und auch ihr werdet herausfinden, daß es kein Glück für euch gibt. Ich sehe es schon kommen, daß wir viele Wochen von Kaninchenfleisch leben müssen, bis uns Löffelohren wachsen. Oh, reitet nur!« Morg und Dick reiten also los. Sie haben nicht viel Hoffnung, irgendwie Geld auftreiben zu können. Aber Morg besitzt noch eine goldene Uhr. Und vielleicht bekommen sie dafür in einem Store Lebensmittel. - 20 -
Forth Worth ist natürlich zur Hauptsache eine Stadt, eine richtige texanische Stadt mit verschiedenen Wohnblöcken, da sich die Bevölkerung sehr streng in weiße Amerikaner, in Mexikaner und Indianer und Mischlinge teilt. Es gibt Holzhäuser, Steinbauten - und natürlich Adobehütten und Zweig- oder gar Erdhütten. Morg und Dick reiten in die Hauptstraße ein und finden bald darauf einen ziemlich großen Store. Sie sitzen ab und treten ein. Als sie ein hübsches Mädchen hinter dem Ladentisch erkennen, werden sie sehr verlegen und möchten am liebsten wieder umkehren und den Store verlassen. Doch sie können es nicht, denn das Mädchen fragt mit einer sehr melodischen und für Männer, die seit Monaten in der Wildnis am Brazos lebten, wunderbaren Stimme: »Was kann ich für Sie tun, Gents?« Obwohl sie sehr verlegen sind, macht ihnen die Stimme Mut. Und auch das Lächeln macht ihnen Mut. Das Mädchen hat dunkelrotes Haar und grüne Augen. Sie ist mittelgroß, schlank und geschmeidig. »Wir würden gerne mit dem Besitzer sprechen, Lady«, murmelt Morg. Nun zeigt es sich, daß das Mädchen nicht allein im Laden ist. Aus dem Hintergrund, wo sich eine abgeteilte Kammer befindet, die wohl als Büro dient, erscheint nun ein Mann. Er ist groß, hager und scharf gesichtig. Er trägt einen Kneifer, doch sein Scheitel ist wunderbar scharf gezogen, und er duftet nach Fliederwasser. Doch er ist gewiß schon fünfzig Jahre alt. »Was soll's denn sein«, fragt er. Morg legt die goldene Uhr auf den Tisch. »Wir sind mit einer Treibherde unterwegs«, sagt er. »Und uns fehlt es an Proviant. Die Uhr ist ein wertvolles Stück. Könnten Sie uns dafür zwei Packtierlasten Proviant und Muni - 21 -
tion...« Der Mann hatte die Uhr genommen und betrachtet. »Für zwanzig Dollar Proviant würde ich dafür geben«, sagt er. »Und wer garantiert mir dafür, daß diese Uhr nicht gestohlen wurde? Wenn ich mir die Sache richtig überlege, so möchte ich die Uhr wohl doch nicht nehmen. Es tut mir leid!« Er sagt den letzten Satz scharf und abweisend. Und es klingt wie: »Schert euch zum Teufel, Satteltramps!« Ja, so klingt es. »Es ist eine Uhr, die mal mehr als dreihundert Dollar kostete«, sagt Morg ruhig, nimmt sie und steckt sie ein. »Und sie gehört meinem Freunde wirklich«, grollt Dick. »Er bekam sie von den Bürgern einer Stadt, die er von einer Guerilla-Bande befreit hatte. Es ist eine ehrenwerte Uhr von einem ehrenwerten Mann!« »Halt deinen Mund und komm«, murmelt Morg Cleveland und wendet sich zur Tür. Dick folgt ihm. Und das Mädchen hinter dem Tisch sagt plötzlich etwas spröde: »Sei doch nicht so hart, Onkel. Du hast doch gehört, sie sind mit einer Treibherde unterwegs. Also ...« »Maverick-Jäger, die sich Rinder aus dem Busch holten und für ihr Treiben nach Norden nicht mal genügend Proviant haben«, sagt er verächtlich. »Ich bekomme jeden Tag Uhren oder Schmuck angeboten.« Er geht wieder in sein Büro zurück. Das Mädchen steht still und ernst hinter dem Ladentsich. Die beiden Cowboys haben sich bei der Tür nach ihr umgewandt. »Danke, Schwester«, sagt Dick. »Es muß schlimm für Sie sein, ich kenne diese Sorte. Ich war als Junge bei - 22 -
solch einem Onkel. Ich lief ihm einfach fort und ...« »Raus!« Die scharfe Stimme tönt hart durch den Raum. Und der Mann taucht wieder im Eingang des Büroverschlages auf. »Raus, du Sattelzigeuner«, knurrt er böse. »Ich lasse euch vom Marshal aus der Stadt jagen, wenn ihr nicht verschwindet. Pat, geh du an deine Arbeit!« Sie bewegt sich noch nicht. Sie blickt Morg an, der vor ihr den Hut zieht. Er lächelt sie an und sagt: »Danke, Miß!« Dann gehen sie. Draußen sagt Dick: »Das war ein Mädel! Du lieber Gott, daß es so was gibt. Sie hatte rote Haare und grüne Augen. Ich wette, daß ich von ihr träumen werde.« »Warum hast du sie gegen ihren Onkel aufhetzen wollen«, fragt Morg. »Dieser Mann ist sicherlich knöchern, geizig und selbstsüchtig. Doch Texas ist arm. Ein alleinstehendes Mädel hat hier nicht viel Chancen. Sie muß froh sein, bei einem Onkel leben zu können.« »Komm, versuchen wir weiter unser Glück. Aber ich sage dir, daß ich die Uhr nur dann hergebe, wenn wir wenigstens fünfzig Dollar im Gegenwert erhalten. Weniger würde uns auch nicht bis nach Kansas helfen. Dann können wir ebensogut schon morgen wieder Kaninchen essen.« Es ist spät am Abend, als Johnny Christie die beiden Freunde kommen hört. Er muß um die halbe Herde herumreiten, um ihnen in den Weg zu geraten. Etwa hundert Schritte vor dem Camp und vom Feuer entfernt, da treffen sie sich. »Na, wie war's denn in Fort Worth?« fragt Johnny hoffnungsvoll. »Nur die Banditen haben heute noch Geld in den Taschen«, sagt Dick mürrisch. »Man ist in Fort Worth - 23 -
nicht an goldenen Uhren, die ehemalige Captains der Konföderierten-Armee von dankbaren Bürgern geschenkt bekamen, interessiert. Jemand wollte uns einen Sack Salz und eine Speckseite dafür geben. Und das war uns nicht genug. Johnny, wir werden wie die Indianer leben - nur von Wild und von Wasser.« Johnny stößt einen seltsamen Laut aus, der wie ein Schnauben klingt. Dann fragt er trocken: »Womit jagen wir? Ich habe noch sieben Patronen für den Revolver und drei für mein Gewehr. Ihr seid nicht besser versorgt, das weiß ich. Sollen wir mit Pfeil und Bogen jagen? Und womit werden wir uns unterwegs gegen Indianer und Banditen verteidigen? Sollen wir mit Steinen werfen? Du lieber Gott, ihr hättet diese Uhr wenigstens gegen Munition eintauschen sollen.« Nach diesen Worten wendet er sein Pferd Und reitet zur Herde zurück. Morg und Dick aber reiten zum Camp, sitzen ab und setzen sich ans Feuer. Ihre Sattelpferde stehen da und starren ebenfalls in die Flammen. Morg holt seinen Tabaksbeutel hervor und dreht sich aus den darin enthaltenen Resten die letzte Zigarette. Er teilt sie mit Dick. Und als sie am Ende sind, da hören sie, wie Johnny einen Reiter anruft. Eine Frauenstimme antwortet. Dick springt wie elektrisiert auf. »Das ist das Mädchen mit den grünen Augen«, sagt er. »Paß auf, sie kommt zu uns wie ein guter Engel und hilft uns aus der Not. Du lieber Gott, das ist sie wirklich!« Johnny und eine Reiterin tauchen inzwischen im Feuerschein auf. Das Mädchen trägt Hosen wie ein Mann und schwingt sich gewandt und geschmeidig aus dem Sattel, so, als wäre es ein Cowboy. - 24 -
Sie wendet sich Morg und Dick zu. »Die Lady sagte mir, daß sie euch kennt«, murmelt Johnny etwas verstört. Er starrt Dick an und sagt trocken: »Aber das ist bestimmt nicht deine Tante Rosalin-Beate.« »Nein«, sagt Dick und zieht seinen Hut. »Darf ich Ihnen diesen Packsattel anbieten?« fragt er. Sie nickt und setzt sich. Sie hat eine wunderbare Art, sich leicht und natürlich zu bewegen. »Ich bin gekommen«, sagt sie, »um mit Ihnen ein Geschäft zu machen. Ich kann etwa zweihundertfünfzig Dollar in dieses Geschäft stecken.« Nun sitzt auch Johnny ab und denkt mal nicht an die Herde. Die drei Männer gruppieren sich nun um das Mädchen. Sie hocken und kauern vor ihr auf den Absätzen, so wie es Cowboyart ist. Sie erwidert offen und gerade ihre Blicke. Dann fragt Morg sanft und ruhig: »Was für ein Geschäft soll das sein, Miß ...« »Patricia Moore heiße ich«, sagt sie fest. »Der Storehalter ist nicht mein richtiger Onkel. Ich will nicht länger bei ihm bleiben. Er nahm mich zu sich, als ich fünfzehn Jahre alt war. Gestern wurde ich mündig. Und heute will ich fort. Ich kann nicht länger bei diesem Mann bleiben.« Sie sagt es entschieden und mit einem solchen Ernst, daß die drei Männer nicht den geringsten Zweifel daran haben, wie fest ihr Entschluß ist. Sie greift in die Tasche ihrer alten Leinenjacke, holt ein Säckchen hervor und legt es auf einen Baumstumpf, der hier neben dem Feuer ist und als Tisch dient. »Das ist mein Anteil«, sagt sie. »Es sind gute Golddollars. Meine Mutter hinterließ sie mir. Sie wollte in zweiter Ehe diesen Storehalter heiraten. Doch es kam - 25 -
nicht mehr dazu - es geschah ein Unglück. Das Geld holte ich mir vor einer Stunde aus dem Geldschrank und legte eine Quittung dafür hinein. Und nun möchte ich mich damit beteiligen. Es ist mein Einsatz.« Sie verstummt, und ihre Augen betrachten die drei Männer ernst und genau. »Was denken Sie - und was stellen Sie sich vor?« fragt Morg staunend. »Wir sind drei vollkommen abgebrannte Cowboys, und wir besitzen außer einhundertfünfzig Rindern nur unsere Sättel, unsere Revolver und einige Pferde. Ist es nicht etwas leichtsinnig von Ihnen, mit uns unbekannten Burschen ein Geschäft machen zu wollen? Wie denken Sie sich das?« *** Sie erwidert nicht sogleich. Sie nagt an ihrer vollen Unterlippe und blickt in das Feuer. Der rote Flammenschein zaubert Licht und Schatten auf ihr Gesicht, verschönt es auf wunderbare Art. Und die drei Männer, die dieses Gesicht wie gebannt betrachten, glauben darauf den Wechsel von Gefühlen lesen zu können. Sie begreifen, daß in diesem Mädchen nun viele Gdanken und Erinnerungen einen Wirbel bilden. Sie überdenkt und erlebt sicherlich noch einmal viele Dinge. Dann aber hebt sie auf eine entschlossene Art ihr Kinn, und ihr Blick ist ganz frei und gerade. Sie ist hübsch, etwas herb und entschlossen. »Ich muß fort«, sagt sie. »Der Mann, den ich Onkel nenne und der meine Mutter heiraten wollte, war mein Vormund. Seit gestern ist er es nicht mehr. Und ich - 26 -
glaube begriffen zu haben, daß er sich Hoffnungen macht, nun mich eines Tages heiraten zu können. Ich habe all die Jahre nur für Essen, Kleidung und Unterkunft für ihn gearbeitet. Ich mußte es. Und vielleicht möchte er diese billige Arbeitskraft nicht mehr missen. Vielleicht aber auch ...« Sie verstummt und macht eine heftige Handbewegung. Dann richtet sie ihren Blick zum Himmel - und dann in die weite Ferne, dort nach Norden hin, wo über der Schwärze der Nacht ein Sternenhimmel sich wölbt. »Ich will nicht in einer kleinen Stadt in einem Store mein Leben verbringen und vielleicht einen Mann heiraten, der mein Vater sein könnte. Ich bin jung! Ich will die Welt sehen! Ich will mir die Welt erobern. Und man muß wohl eines Tages seine Chips einsetzen, nicht wahr?« Sie betrachtet nun die Männer, und es ist wie ein letztes Prüfen. »Ich habe Instinkt«, sagt sie. »Ich spürte im Store, daß zwei Gentlemen gekommen waren, zwei Ritter ohne Rüstung. Und ich hörte, daß Sie mit einer Treibherde unterwegs sind, jedoch keinen Proviant, keine Munition und nichts von all den Dingen mehr besitzen, die für solch einen Treck unbedingt notwendig sind. Ich denke mir, daß Sie die Rinder nach Kansas bringen wollen, dorthin, wo die Eisenbahnstädte sind. Man zahlt dort schon für einen Longhorn-Stier bis zu dreizehn Dollar. Und vielleicht steigen die Preise sogar noch. Ich möchte mir mit meinem Geld einen Anteil von dieser Herde dort kaufen. Und ich denke, daß sich in Kansas mein Einsatz vielleicht verdoppelt haben wird. Das ist kein schlechter Verdienst. Also, kaufen wir einen Wagen und ein Gespann; wir können es in Kansas sicherlich mit Gewinn - 27 -
verkaufen. Und laden wir den Wagen voll Ausrüstung und Proviant. Ich will den Wagen fahren und auch kochen. Und ich kann das. Bevor ich im Store lebte, wuchs ich auf einer kleinen Ranch auf. Wir konnten uns keine Cowboys halten. Und weil ich kein Junge war und mein Vater so gerne einen Sohn gehabt hätte, bemühte ich mich schon sehr früh, ihm diesen Sohn zu ersetzen. Comanchen-Indianer töteten ihn dann. So ist das also, Gentlemen! Und es gibt gar keine andere Wahl für euch! Ich biete mich also als Partner und Teilhaber an. Und ich habe die Mittel, die für euch notwendig sind.« Sie verstummt herbe. In ihren grünen Augen sprüht ein Feuer. Den Männern ist nun klar, daß sie ein entschlossenes und furchtloses Mädchen ist, voller Feuer, voller Wünsche, klug und zielbewußt. Doch die ganze Sache hat zumindest einen Haken wenn nicht sogar zwei. Morg Cleveland sagt es ihr knapp und trocken mit den Worten: »Sie haben sich getäuscht, Miß Patricia Moore. Wir sind mit unserer kleinen Herde nicht unterwegs, um diese zu verkaufen. Wir treiben nicht zu den Bahnstationen nach Kansas. Wir sind unterwegs, um uns ein Stück Weide zu suchen - eine besondere Weide. Wir suchen ein herrliches Tal mit bewaldeten Hängen, mit plätschernden Bächen und herrlichem Gras, welches immer saftig und frisch ist. Wir suchen unsere Traumweide - ein Stück Land, welches wunderschön ist, mit viel Wild und ... Ach, wir suchen auch einen wunderschönen Platz. Und dort wollen wir unsere Ranch bauen.« Dick und Johnny nicken zu diesen Worten. Johnny sagt: »Jeder Mann hat Wünsche. Ja, wir suchen den schönsten Platz der Erde. Wir haben davon - 28 -
geträumt. Wir suchen das schönste Tal der Welt, irgendwo im Norden, wo es noch viel freies Land gibt, wo man nur hinreiten muß, um es sich zu erobern. Wir suchen unsere Traumweide. Und wir nehmen die Rinder mit, um sie dort zu halten, damit sie sich vermehren. In zehn Jahren wollen wir mindestens fünfzehntausend Rinder haben. Und tausend Pferde!« »So ist es«, murmelt Dick sanft. »Sie sind hier nicht in der richtigen Schmiede, Miß.« Das Mädchen senkt den Kopf. Ihre so geraden Schultern senken sich nun müde. Doch sie überwindet diese Enttäuschung schnell. Sie richtet sich wieder gerade auf und fragt: »Wie wollt ihr es denn schaffen? Niemand in Texas würde euch Geld leihen. Ich will mit einer Treibherde nach Norden. Nur bei einer Treibherde läßt mich mein gewesener Vormund sicherlich nicht suchen. Wenn er morgen mein Verschwinden entdeckt, wird er einige Männer aussenden. Sie werden auf allen Verkehrswegen, die nach Süden, Osten, Norden und Westen führen, nach mir forschen. Und sie würden mich zurückbringen. Dieser Mann ist mehr als ein Storehalter. Er ist der Hehler von Banditen. Er kauft gestohlene Dinge. Und eure Uhr hat er nur deshalb nicht gekauft, weil er euch nicht kannte, weil er mißtrauisch war und vielleicht an eine Falle glaubte. Er wird mich nicht so leicht entkommen lassen. Er wird seine Freunde und Kumpane aussenden. Denn ich weiß zuviel. Gewiß, ich könnte kaum etwas beweisen, und dennoch weiß ich zuviel. Versteht ihr, warum ich lieber mit einer langsamen Treibherde aus dem Land ziehen möchte? Dort werden mich seine Handlanger bestimmt nicht suchen. Gentlemen, ich erbitte Schutz und Hilfe! Und ich gebe dafür eine andere Art Hilfe. Ich will Ihnen die - 29 -
Möglichkeit geben, sich ausrüsten zu können. Und vielleicht verkaufen Sie in Kansas dann doch einen Teil ihrer Herde. Dann können Sie mir das Geld wieder zurück ...» Sie verstummt, denn nun versagt ihr die Stimme. Sie kann nun ihre Not und Furcht nicht mehr so sehr unter Kontrolle halten und verbergen. Die drei Männer aber blicken sie an, und dabei verarbeiten sie das Gehörte. Bald ist ihnen klar, daß dieses Mädchen wirklich in Not ist. »Wir müssen ihr helfen«, sagt Johnny Christie. »Ich könnte in die Stadt reiten und diesem Mann, der ihr Vormund war, vielleicht alle Knochen brechen - oder ...«, beginnt Dick Hilliary. »Wie heißt der Bursche überhaupt?« »Tobias Hunter«, erwidert das Mädchen schlicht. Und dann blicken sie alle auf Morg Cleveland. Selbst das Mädchen hat gespürt daß er der Anführer ist, der Kopf dieses Kleeblattes, der beste Mann. Sie blickt in Morg Clevelands graue Augen, und sie erkennt darin nichts, was ihr Sorgen machen könnte. Was sie darin erkennen kann, ist gut und richtig. Doch das hatte sie schon im Store gespürt. Er sagt: »Es ist nicht einfach für ein Mädchen bei einer Treibherde. Wir möchten Ihnen natürlich helfen. Und ich gebe zu, daß Ihr Geld für uns die große Chance, wenn nicht sogar die Rettung ist. Aber ...« Er verstummt und senkt den Kopf. Als er ihn hebt und über das Feuer hinweg zu ihr blickt, ist sein hageres Gesicht gespannt und straff. »Auch wir haben keine Wahl«, sagt er langsam. »Hinter dem Wichita und hinter dem Red River, dem Canadian River und Cimarron und Arkansas, da ist - 30 -
wildes, weites und bis auf Büffel und Indianer und Banditen leeres Land. Wir müssen ganz gewiß eine einigermaßen gute Ausrüstung und genügend Proviant und Munition haben. Wir hatten auf meine goldene Uhr gesetzt. Wir dachten, daß wir für meine Uhr mindestens hundert Dollar bekommen würden. Doch wir haben es einige Stunden lang versucht. Mehr als zwanzig Dollar oder Proviant wurden uns nicht geboten.« Wieder macht er eine Pause. Und er blickt das Mädchen seltsam an. »Wenn wir Ihr Geld nehmen, dann gehört Ihnen ein Viertelanteil unserer Herde. Sie können Ihren Anteil in Kansas verkaufen, und Sie werden sicherlich Gewinn dabei haben. Doch der Treibweg ist ziemlich hart. Sie werden als unser Partner ...» »Ich werde nicht schlechter sein als jeder andere junge Cowboy«, unterbricht sie ihn fest. »Ich kann auch kämpfen. Als mein Vater damals von den Comanches getötet wurde, konnte ich mich mit Mutter in unser Blockhaus retten. Wir haben einige Stunden ausgehalten und einige der roten Teufel getötet, bis sie von unseren Nachbarn vertrieben wurden. Sie werden sich nicht zu beklagen haben, Gentlemen.« »In Ordnung«, sagt Morgan Cleveland fest. »Wir können uns denken, was ein Mädel im Hause eines scheinheiligen Schuftes zu ertragen hat. Wir nehmen Sie mit. Ich bin Morgan Cleveland. Das ist Johnny Christie und das ist Richard Hilliary. Da wir jetzt Partner sind, nennen wir uns bei Vornamen. Und dich, Mädchen, nennen wir einfach Pat. Die Befehle gebe ich. Wenn wir in Kansas sind und uns trennen, Pat, dann bist du wieder eine Lady, zu der wir Miß Patricia Moore sagen. Ist es so richtig?« - 31 -
»Ja!« Sie sagt es fest und ernst. Dann schütteln sie sich die Hände. Und dann nimmt Morg Cleveland den Beutel mit dem Geld und sagt: »Dick, du reitest Herdenwache. Diesmal kommt Johnny mit in die Stadt. Es ist noch nicht zu spät. Wir finden noch offene Geschäfte. Und bei der Schmiede gleich am Ortseingang gibt es gebrauchte Wagen und Gespanne. Wir verlieren keine Zeit.« *** Patricia Moore erwacht neben dem Feuer und richtet sich aus den Decken auf, als der Wagen gegen Mitternacht ins Camp gerollt kommt. Es ist ein nicht zu großer, doch sehr fest gebauter und solider Wagen, mit roten Rädern und einer festen Plane. Da er nicht so groß und schwer ist, reichen die beiden Maultiere aus, um ihn selbst durch rauhes Gelände oder lange Steigungen hinaufzuziehen. Und dennoch ist der Wagen groß genug, damit das Mädchen in ihm wird schlafen können. So braucht sie kein Zelt und hat dennoch genau das, was ein weibliches Wesen nötig hat: einen Raum für sich. »Wir haben alles was wir brauchen«, verkündet Morg Clevelands Stimme. Pat, hier ist der Beutel! Es sind noch fünfzig Dollar übriggeblieben.« »Und ich koch jetzt auf der Stelle ein anständiges Essen«, sagt Dick Hilliary. »Und wenn ich in dieser Nacht überhaupt keinen Schlaf mehr bekomme, ich koche ein gutes Essen!« Er macht sich auch sofort an die Arbeit. Morg kniet bei dem Mädchen nieder. »Ab morgen fährst du den Wagen und wohnst auch in - 32 -
ihm, Pat!« »In Ordnung, Morg«, erwidert sie ruhig. Im Feuerschein betrachten sie sich und lächeln plötzlich. Dann nimmt Morg sein Deckenbündel, entfernt sich damit vom Feuer fort zwischen einige Büsche. Seine Stimme klingt ruhig: »Dick, wenn du das Festmahl fertig hast, dann brauchst du nur einmal sanft zu pfeifen. Dann komme ich.« »Es gibt grüne Bohnen als Salat, Hammelbraten und richtigen Reis, dazu Apfelkuchen und richtigen Kaffee«, klingt Dicks Stimme zurück. Und jubelnd fügt er hinzu: »Da wir nun einen Wagen haben, haben wir auch endlich ein Sauerteigfaß. Ah, ihr werdet schon bald spüren, wie gut es ist, ein Sauerteigfaß zu haben. Ich werde diesem Mädel schon beibringen, wie man einen richtigen Teig hegt und pflegt und wie man die besten Bisquits der Welt...« »Ab morgen koche ich, und niemand redet mir hinein«, sagt Pat aus ihren Decken. »Und niemand braucht mir zu sagen, wie man Sauerteig behandelt und Bisquits bäckt.« Dick ist einige Sekunden still. Dann sagt er: »Ach du lieber Vater! Jetzt übernimmt sie schon das Kommando. Sie ist wie meine selige Tante Rosalin-Beate! Sie läßt sich von Männern nichts sagen.« »Vielleicht kocht sie so gut wie deine Tante - und wir lassen sie nie mehr wieder frei und bleiben bis ans Lebensende Junggesellen, so wie die Gäste der Tante Rosalin-Beate«, sagt Johnny grimmig zu ihm. Er hat inzwischen die beiden Maultiere ausgeschirrt und in den Seilkorral gebracht. Nun setzt er sich auf sein Pferd und reitet wieder zur Herde hinüber. - 33 -
Dann wird es still. Nur Dick hantiert am Feuer und klappert mit Geschirr. Das Mädchen liegt in ihren Decken und blickt zu den Sternen empor. Sie denkt an ihr bisheriges Leben. Aber diesmal steigt keine Bitterkeit in ihr auf. Sie verspürt auch keine Furcht mehr. Sie denkt immer wieder daran, daß sie jetzt frei ist. Mit diesen Gedanken schlummert sie ein. Doch bald darauf wird sie wieder wach. Die drei Männer sitzen am Feuer und halten eine Mahlzeit. Sie müssen in letzter Zeit sehr gehungert und gedarbt haben, denkt sie und schläft nochmals ein. Im Morgengrauen erklingt dann Morg Clevelands Stimme über das Camp: »Also los! Gleich kommt die Sonne hoch! Und sie soll uns nicht mehr im Camp erwischen!« Pat erhebt sich. Johnny bringt schon die beiden Maultiere aus dem Corral. »Ich spanne an«, sagt er. »Nein«, sagt sie. »Das muß ich jetzt lernen. Später habe ich keine Zeit dazu. Ich muß jetzt in diesen Tagen herausfinden, wo überall die Schnallen und Haken des Geschirrs sitzen und wie die beiden Tiere sind. Es könnte und wird sein, daß ihr mir mal nicht helfen könnt. Ich fahre den Wagen und muß damit zurechtkommen. Du darfst mir die ersten zwei oder drei Tage nur helfen, Johnny.« *** Eine Stunde später dann - die Sonne kommt im Osten über die Hügel, und der Himmel ist schon voller Licht da sind sie unterwegs. Patricia Moore möchte laut jubeln. Sie fährt den - 34 -
Wagen, und die zwei Maultiere sind gut und willig. Sie lassen sich gut lenken und gehorchen willig. Es ist Patricia so, als wäre dieser Aufbruch mit dem Wagen irgendwie symbolisch. Denn so wie dieses Gefährt, so steuert sie nun ihr Leben in die Welt. Sie fährt den Wagen neben der Herde her. Johnny Christie treibt vor ihr die Pferde-Remuda, die nun durch die beiden Packtiere, die keine Packlasten mehr zu tragen brauchen, verstärkt wird. Johnny dreht sich manchmal um, beobachtet, wie Pat den Wagen fährt, lächelt blinzelnd und winkt immer wieder anerkennend. Morg Cleveland und Dick treiben die Herde. Der mächtige Old Mooshorn kennt längst die Richtung. Er weiß, daß er nach Norden trotten muß. Und das tut er mehr und mehr mit größerer Zuversicht. Es ist heute der 28. Juli 1868, etwa drei Meilen nordwestlich von Fort Worth. Und mit jeder Stunde entfernen sie sich eine gute Meile nordwärts. Sie sehen und hören nichts von irgendwelchen Männern, die jener Tob Hunter auf die Suche nach dem Mündel geschickt haben wird. Nur manchmal erblicken sie Reiter auf der Wagenstraße, auch einige Fuhrwerke und dann die Postkutsche aus Kansas. Da sie sich eine halbe Meile neben der Straße halten, die natürlich keine richtige Straße ist, sondern nur eine zerfahrene Wagenfährte, ruft keiner der Reiter oder Fuhrleute sie an. Und sicherlich hält man das Mädchen auf dem Wagen für einen halbwüchsigen Jungen. So vergeht der Tag, und es ist für Patricia Moore ein herrlicher, wunderschöner und prächtiger Tag. Es ist der Tag ihrer Freiheit und der Beginn eines selbständigen Lebens. - 35 -
Sie legen etwa zwölf Meilen zurück und finden einen guten Rastplatz an einem Bach. Johnny, mit der Remuda, war der Herde vorausgeritten und hatte den Lagerplatz ausgesucht. Patricia war ihm mit dem Wagen gefolgt. Und sie haben schon das Kochfeuer im Gang, als die Herde in der Nähe anhält und Dick herübergeritten kommt. Er sitzt ab und sieht zu, wie das Mädchen den Teig zubereitet. Er läßt sich keine Handbewegung entgehen. Und dann fragt er: »Hat Johnny dir gesagt, wie ich es mache? Du hast bis jetzt noch keinen Fehler gemacht. Hat Johnny dir ...« »Sie hat den Geist deiner Tante Rosalin-Beate befragt«, sagt Johnny, der soeben mit dem Seil-Corral fertig wurde und wieder zum Feuer kommt. »Als das Feuer qualmte«, spricht er grinsend weiter, »da schwebte eine Lady aus dem Rauch. Sie sagte, daß sie Tante Rosalin-Beate wäre. Und sie wäre extra deshalb zu uns gekommen, damit der liebe, kleine Dicky nichts zu meckern hätte.« Johnny verstummt grinsend. Und Dick starrt ihn mit hervorquellenden Augen an und wird dunkelrot im Gesicht. »Hör mal«, keucht er dann, »hör mal gut zu, Johnny Christie. Es steht dir nicht zu, über meine gute Tante zu reden. Und ich werde ja sehen, ob Pat so gut kochen kann wie ich!« »Was hast du gegen mich, Dick?« fragt das Mädchen. Der erschrickt und legt seine Hand auf die Herzgegend. »Iiich? Ich soll etwas gegen dich haben? Du lieber Gott, ich...« Er verstummt, bekommt einen roten Kopf und wendet sich ab. »Die Sonne ist noch nicht untergegangen«, sagt - 36 -
er. »Ich werde im Bach einige Fische fangen.« Er kramt in seinem Gepäck, findet sein Angelzeug und entfernt sich brummend. Johnny wird ernst. Er und das Mädchen blicken sich an. »Der gute Dick«, sagt Johnny milde. »Er macht sich gern unentbehrlich. Und er würde dich gerne bei der Kocherei beraten. Er hätte es gern, wenn du ihn bestaunen würdest, was für ein Meisterkoch er ist. Nein, er hat bestimmt nichts gegen dich, Pat. Doch lasse ich ihn nicht erst damit anfangen, dir Geschichten von seiner Tante Rosalin-Beate zu erzählen. Das ist sein Tick, und er trampelt mit seiner Tante jedem geduldigen Menschen auf den Nerven herum. Nun gut, ich schaffe jetzt noch genügend Holz herbei.« Er geht davon, und er läßt das Mädchen bei ihrer Beschäftigung zurück. Und Patricia ist ein sehr praktisches und tüchtiges Mädchen. Ihre Mutter war eine echte Pionierfrau, die über einem Feuer gut kochen konnte. Und sie will es den Männern mal zeigen. Sie tischt dann alles auf der heruntergeklappten Rückwand des Wagens auf und ruft laut in den Abend: »Holt es euch, Cowboys! Kommt und holt es euch! Oder ich werfe alles in den Bach!« Zuerst kommt Johnny, und er schnüffelt hörbar. »Ah, riecht das gut! Mädel, ich glaube, du hast unseren besten Koch schon gleich beim ersten Male geschlagen!« Er kostet vom frischen Brot und verdreht die Augen. »Oh, diese Würze in diesem Brot«, keucht er. Dann probiert er den Salat. »Das ist Zauberei«, sagt er. »Denn das konnte selbst Dicks Tante Rosalin-Beate bestimmt nicht so!« Und dann fällt er über die Steaks her. Er garniert sie mit braunen Zwiebelscheiben, mit prächtigen - 37 -
Salzkartoffeln und mit einer Soße, die ihm einen freudigen Schluchzer entlockt. Als Dick mit zwei Fischlein vom Bach her auftaucht, kaut er schon mit vollen Backen. Dick stellt sich auf die andere Seite des Wagenbrettes und beginnt von allen Dingen kritisch zu kosten. »Na ja«, brummt er dann. »Ich habe ja auch nie daran gezweifelt, daß du gut kochen kannst, Pat. Ich wollte dir doch nur mit Rat und Tat etwas zur Seite stehen. Aber auf jeden Fall kann ich besser kochen als die beiden anderen Burschen dieser Mannschaft.« Und dann beginnt er gewaltig zu essen. Er ißt immer noch, als Johnny schon bei der Herde ist und Morg ins Camp kommt; Und er ißt immer noch, als Morg schon satt ist und dem Mädchen dankbar zunickt. »Mit solch einem Koch«, sagt er, »wird dies jetzt ein gutes Treiben. Nur unser Dick soll sich vorsehen.« »Was hast du schon wieder?« fragt Dick. Morg betrachtet ihn. »Wenn du dir im Essen keine Mäßigung auferlegst, alter Junge, dann wirst du bald mehr als drei Zentner wiegen und jedem Gaul das Rückgrat verbiegen. Pat, er wird schneller dick als ein Ochsenfrosch, der sich aufbläst. Und dann ist er für uns als Treiber unbrauchbar. Dann darfst du auch nicht mehr kochen, Pat. Dann lassen wir Johnny kochen.« »Ihr seid alle gegen mich«, sagt Dick. »Pat, ich habe im Bach zwei Fische gefangen. Darf ich sie mir in einer Pfanne braten? Ich ...« »Ich habe keine Pfanne für Fische«, unterbricht ihn das Mädchen. »Fischgeruch und Fischgeschmack bekomme ich nicht so schnell aus der Pfanne heraus. Nimm die Blätter von diesem Baum dort. Wickle die ausgenommenen Fische darin ein und vergiß nicht etwas - 38 -
Salz. Und dann nimm Lehm vom Bach. Darin hüllst du die Blätterpacken und legst sie in die Glut. Ich sage dir, wann du sie herausnehmen mußt. Du wirst prächtig mundendes Fischfleisch zum Nachtisch haben.« »Ich gebe mich geschlagen«, ächzt Dick. »Sie weiß alles und kennt alle Tricks. Ich gebe mich geschlagen.« »Du hast Mitternachtswache«, sagt Morg. »Ich löse dich drei Stunden nach Mitternacht ab. Dort von den Hügeln heulen Wölfe. Die Herde ist heute nervös.« Er nickt dem Mädchen zu, holt sich seine Deckenrolle und entfernt sich. Dick aber fragt, ob er beim Spülen helfen soll. »Ich fülle meinen Posten aus», sagt Patricia freundlich. »Wenn ich Hilfe nötig habe, werde ich mich melden.« Da entfernt er sich ziemlich traurig. Sie möchte ihm ein freundliches Wort nachrufen. Doch sie denkt: Es war abgemacht, daß ich ihr Partner bin. Sie nennen mich Pat, und ich verrichte hier meine Arbeit. Ich lasse mir nicht helfen. Ich bin hier kein Mädchen. Als sie dann mit ihrer Arbeit fertig ist und im Wagen auf ihrem Lager liegt, da hört sie Johnny Christie bei der Herde singen: »Alle Sterne, die wir sehen!
Alle Wege, die wir reiten!
Nichts ist ohne Sinn.
Wenn gute Freunde mit dir gehen!
Wenn gute Wünsche dich begleiten!
Nichts ist ohne Sinn.« Sie lächelt und schläft ein. Es gefällt ihr bei dieser kleinen Mannschaft.
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***
Am 15. August durchschwimmen ihre Rinder den Wichita. Und am 21. August erreichen sie den Red River. Drüben auf der anderen Seite beginnt das OklahomaTerritorium. Jetzt, im Jahre 1868, da ist das Oklahoma-Territorium noch Indianerland, durch welches nur die Wagenzüge der Weißen fahren, die Treibherden ziehen und die Patrouillen der Armee reiten. Der Red River hat einen sehr niedrigen Wasserstand. Als Patricia den Wagen durch die Furt lenkt, reicht das Wasser nur bis zu den Radnaben, Und auch die Rinder trotten ohne jede Schwierigkeiten hinüber. Als sie eine Viertelmeile landeinwärts sind, tauchen vor ihnen Indianer auf. Es sind mehr als zwei Dutzend, und sie bilden quer vor der kleinen Herde, die neben dem Wagenwege trottet, eine Kette. Morg Cleveland läßt anhalten. Die Rinder beginnen zu grasen. Die drei Männer sammeln sich bei dem Wagen und der Remuda. Das Mädchen ist etwas blaß unter der braunen Hautfarbe, die Sonne und Luft ihr schenken. Denn sie weiß Bescheid. Sie kennt wilde Comanchen gut genug. Und das dort, das sind wilde Comanchen und keine degenerierten Agentur-Indianer, die sich von der Regierung ernähren lassen. Die Indianer kommen nun näher heran. Morg Cleveland reitet einige Schritte vor. Er erwartet sie. Die Pferde stehen ruhig neben dem Wagen und wittern. Patricia sitzt still und aufgerichtet auf dem Fahrersitz. Und Dick und Johnny halten wachsam und entschlossen rechts und links neben dem Gespann. - 40 -
Die Comanchen werden von einem alten und verwitterten Häuptling angeführt, der gewiß nicht nur über diese beiden Dutzend Krieger, sondern über zumindest ein großes Dorf mit zweihundert Kriegern gebietet. Dieser Häuptling betrachtet die drei Männer lange, und er scheint regelrecht zu wittern, denn seine Nasenflügel blähen sich und vibrieren. Er sagt: »Ich sehe drei entschlossene Krieger. Und dies da ist ein Mädchen. Ich sehe eine kleine Herde gefleckter Büffel, wenige Pferde und einen Wägen. Das ist nicht viel.« »Das ist wirklich nicht viel«, sagt er. »Wir wollen nach Norden!« Der Häuptling nickt. Er reitet vorwärts, an Morg vorbei und auch an Dick. Er reitet an den Wagen heran, lüftet die Plane und blickt hinein. Dann betrachtet er die Pferde und kommt zurück. ,»Wie gut könnt ihr mit den >Kleinen Gewehren< schießen?« fragt er ganz plötzlich. Morg Cleveland zieht langsam seinen Revolver. Er zielt auf einen kleinen Baum. Dann schießt er fünfmal und jedesmal fällt ein kleiner, kaum fingerdicker Zweig ab. Die Entfernung beträgt etwa zwanzig Schritt, und die Schüsse fielen sehr schnell. Es ist eine Leistung, die Morg Cleveland in ganz Texas kein halbes Dutzend Männer nachmachen könnten. Der Häuptling nickt. »Das dachte ich mir«, sagt er. »Du hast noch eine Patrone in der Waffe, ja?« Morg Cleveland nickt. Er und der Häuptling blicken sich an und sie verstehen sich gut. Dieser Wilde und der Cowboy verstehen sich. »Was schenkst du mir?« fragt der Häuptling dann. - 41 -
»Ich bin Zwei Monde, der ältere Zwei Monde. Und ich bin kein kleiner Häuptling.« »Das weiß ich«, nickt Morg. Er deutet auf die Pferde hinter sich. »Ich schenke dir ein Pferd, Zwei Monde, und du kannst wählen.« »Du bist klug, Cowboy. Und auch du bist ein Häuptling. Ich habe das sofort erkannt. Deine Herde ist klein. Im Wagen ist nicht viel. Und auch die Pferde sind nicht viel. Wir aber müßten mit vielen Toten bezahlen. Es ist besser, wenn wir in Frieden scheiden. Aber du hältst es doch wohl nicht für Furcht?« »Nein«, sagt Morgan Cleveland ruhig. »Es ist Vernunft, denke ich. Ein Einsatz muß sich lohnen. Und wir würden wahrhaftig eine Menge Sättel leeren, bevor ihr uns getötet habt. Und der Gewinn für euch wäre nicht sehr groß, nicht wahr? Scheiden wir in Frieden, Häuptling!« Der betrachtet ihn stechend aus seinen Schlitzaugen. Es ist im Hintergrund seiner Augen ein Bedauern zu erkennen. Und Morg ist sich vollkommen sicher, daß diese Horde über die Weißen hergefallen wäre, wenn es sich um einfache Siedler oder durchschnittliche Cowboys handeln würde. Doch dieser alte Jagdfalke hat schnell gewittert, daß diese drei Texaner soviel wert sind wie eine ganze Mannschaft. Zwei Monde reitet vor. Er drängt ruhig eines der Pferde aus dem Rudel, ohne die anderen Tiere nervös zu machen. Er hat auch mit kundigem Blick das beste Pferd herausgefunden. Er treibt es zu seinen Kriegern hinüber, die es in Empfang nehmen. Dann hebt er die Hand, bis der Handrücken die Stirn berührt. - 42 -
Morg tut das Gleiche. Dann reiten die Indianer fort. Und als sie außer Hörweite sind, atmet Dick schnaufend ein und sagt: »Das war ziemlich aufregend und knapp, nicht war? Dieser alte Falke hat sicherlich schon mal von richtigen Texanern seine Lektion bekommen. Und nun war ihm der Preis für unsere Pferde zu hoch. Ich wünsche ihm das, was er uns wünscht. Aaah, da fällt mir etwas ein! Habe ich euch schon erzählt, wie meine Tante Rosalin-Beate einen wilden Apachen zähmte? Sie war mit der Postkutsche nach Alamo unterwegs. Doch unterwegs, bei einer kurzen Rast an einer Quelle, da mußte sie mal um die Ecke gehen und ...« »... und sich den Sand aus ihren Füßen schütten«, sagt Johnny etwas scharf und warnend. »Richtig«, sagt Dick ungerührt. »Sie zeigte nie einem Menschen ihre Füße. Sie setzte sich also hinter einen Busch, und da sah sie einen Apachen anschleichen. Der Bursche wollte wohl den Fahrer der Kutsche erledigen. Als er anlegte, erhob Tante Rosalin-Beate sich hinter ihm und sagte ihm, er solle sich schämen. Er stand auch ganz bewegungslos da und schämte sich, bis der Fahrer kam, ihm das Gewehr abnahm, ihn fesselte und mit nach Alamo nahm. Dort wurde er dem Indianerbeauftragten übergeben.« Dick wendet nach dieser Erzählung sein Pferd und will wieder zur Herde hinüber. Doch Johnny keucht heftig und zischt: »Du Schuft! Willst du wirklich behaupten, daß der Apache nur deshalb so still verharrte, sich schämte und deiner Tante nicht den Schädel einschlug, weil sie ihm gesagt hatte, er solle sich schämen?« »Er hatte gar nicht verstanden, was sie zu ihm sagte«, - 43 -
erklärt Dick. »Doch sie hatte ihm zuerst die Spitze ihres Regenschirmens in den Rücken gedrückt, bevor sie etwas sagte. Und da er sich nicht umblickte, hielt er die Spitze des Regenschirmes für was anderes. Er stand wirklich ganz still und schämte sich, daß er sich so hatte überrumpeln lassen.« Nun reitet Dick wirklich zur Herde. Morg folgt ihm. Und Johnny sagt zu Patricia: »Ich schwöre, daß ihm eines Tages seine Tante meilenweit zum Halse heraushängen wird. Das schwöre ich, ich, Johnny Christie!« Und nach diesen Worten übernimmt er wieder die Pferde-Rumuda. Das Mädchen aber lacht glücklich. Die Indianer sind verschwunden. Es ist alles wieder gut, und es gibt keine Gefahr mehr. *** Am 20. August erreichen sie den Nordarm des Red River. Sie durchfurten ihn und schlagen drüben, eine halbe Meile landeinwärts an einem Creek, das Camp auf, obwohl es erst Nachmittag ist. Doch der Platz ist herrlich, und es ist immer noch schön - eine langanhaltende Schönwetter-Periode, die schon viele Wochen dauert und die nur durch einige leichte Sommergewitter unterbrochen wurde. Auch die Indianer, von denen sie noch zwei oder drei Tage beobachtet wurden, sind verschwunden. Es ist also ein schöner Nachmittag. Patricia badet an einer versteckten und abgelegenen Stelle im Creek. Dick angelt irgendwo weiter creekaufwärts. Johnny achtet auf das Camp und auf die - 44 -
Herde. Und Morg erkundet den Weg, den sie morgen treiben müssen. Patricia, die im hüfthohen Wasser herumplätschert, trällert ein Liedchen vor sich hin. Doch plötzlich spürt sie irgendwie, daß sie nicht mehr allein ist. Sie blickt auf die Büsche des Ufers. Sie glaubt an einen Scherz von Dick. Sie weiß ja, daß er zum Fischen gehen wollte. Nun vermutet sie ihn hier. »Dick«, sagt sie. »Dick, schere dich dort fort! Ich werde dir einen Stein an den Kopf werfen, wenn du nicht sofort hinter den Büschen da verschwindest. Dick, ich hätte nicht gedacht, daß du so gemein sein könntest!« Sie ruft die letzten Worte zornig. Und dann erkennt sie, wie der Mann sich bewegt - und plötzlich verschwunden ist. Sie kam nun wieder hinter den Buschzweigen den hellen Himmel erkennen. Ihre Freude an diesem schönen Tage ist nun fort. Sie verläßt schnell den Creek, trocknet sich ab und kleidet sich an. Dabei denkt sie über Dick nach. Sie eilt dann am Creek entlang und dem Camp zu. Hinter einer Biegung, dort, wo die Strömung bei Hochwasser ein tiefes Loch spülte, da sitzt Dick mit seiner Angelrute. Neben ihm liegen einige große Forellen im Grase. Als das Mädchen sichtbar wird, wendet er den Kopf und grinst sie an. Sie betrachtet ihn zornig und sagt bitter: »Dick, wenn du nochmals um mich herumschleichst, wenn ich ein Bad nehme ... Oh, wenn du mich nochmals hinter den Büschen hervor beobachtest, dann ...« Sie bricht ab, denn nun muß sie schluchzen. Sie ist sehr enttäuscht. »He!« Dick ruft es, läßt die Angelrute fallen und - 45 -
springt auf. »Jemand hat dich beim Baden beobachtet?« Er fragt es mit rauher Schärfe, und seine Hand lockert den Revolver. Da erkennt und begreift das Mädchen, daß ein. Fremder in der Nähe sein muß. Dick bewegt sich nun schnell. Er eilt auf der Fährte des Mädchens, welche im sonst unberührten Ufergras deutlich zu erkennen ist, in die Richtung, aus der Patricia kam. »Lauf ins Camp und sage Johnny, daß ein Fremder herumschleicht!« Er ruft ihr diese Worte über die Schulter zu. Und einen Sekundenbruchteil später krachen zwei Revolverschüsse in nicht sehr weiter Entfernung. »Los, laufe ins Camp!« Dick ruft es nochmals scharf. Dann macht er sich auf den Weg. Das Mädchen gehorcht aufs Wort, und das beweist nur, wie verrnünftig sie ist. Sie berichtet schnell, und da sagt Johnny ruhig: »Wenn uns jemand beschlichen hat, dann wird ihn vielleicht Morg dabei erwischt haben. Ich denke, daß Morg den Burschen schon hat. Er und Dick werden ihn sicherlich bald angeschleift bringen. Wir warten hier. Hier, nimm das Gewehr. Ich setze mich auf mein Pferd und halte mich näher bei der ruhenden Herde. Es könnte sein, daß ...« Er spricht seine Vermutung nicht aus und es gibt deren gewiß eine ganze Menge. *** Indes hat Dick den Platz erreicht, an dem die Schüsse fielen. Er trifft auf Morg Cleveland, der bei einem am Boden liegenden Manne kniet und sich bei Dicks - 46 -
Annäherung schnell erhebt und wachsam wartet, bis er Dick endlich erkennen kann. Dick blickt ihn kurz an, dann betrachtet er den Mann am Boden. Der Mann liegt noch halb im Busch, wo er versteckt war. Es ist ein dunkelhäutiger Bursche, sicherlich ein Halbblut. »Du lieber Gott«, ächzt Dick und wischt sich den Schweiß aus dem Gesicht. »Das ist doch >Blue Pedro Catalina< nicht wahr?« »Das denke ich auch«, erwidert Morg bitter. Wer sonst noch trägt in Texas und New Mexico wohl einen Revolver mit goldenem Kolben und Brillanten darin? Es wird wahrhaftig Blue Pedro Catalina sein. - »Und er gehört zu Bringham Flynns Bande, nicht wahr? Jeder weiß das! Bringham Flynn läßt also nach mir suchen. Er hat seine besten Männer ausgesandt - seine gefährlichsten und verwegensten Burschen. Und er hat ihnen sicherlich den Befehl gegeben, mich sofort abzuschießen.« Er senkt nach diesen Worten den Kopf und murmelt tonlos: »Das also war der berüchtigte Blue Pedro Catalina, dessen Mutter eine Yaqui-Squaw gewesen sein soll ...« »... und auf dessen Kopf eine Belohnung ausgesetzt ist«, sagt Dick herbe. »Ich pfeife auf die Belohnung - wenn ich nur in Frieden meinen Weg reiten kann und ich von Bringham Flynn und dessen Bande nie wieder etwas zu hören bekomme«, murmelt Morg Cleveland. Seine Stimme bebt vor Bitterkeit. Dick versteht und begreift ihn sofort. »Pat badete im Creek und wurde von einem Burschen belauscht«, berichtet Dick dann. »Es war dieser Bursche«, erwidert Morg. »Ich stieß - 47 -
zufällig auf seine Fährte, als ich die Umgebung erkundete. Ich folgte ihr und fand sein Pferd. Da wußte ich, daß er uns beschlich. Ich fand seine Fußspur. Und als ich zum Creek kam, hörte ich Pat schimpfen. Sie dachte, du wärst das, und sie schimpfte laut genug. Aber er hatte mich wohl gespürt. Er schlich fort und lauerte dann hier in diesem Busch. Als ich vorbei wollte, rief er mich leise an. Er sagte mir, daß er heiße Grüße von Bringham Flynn zu überbringen hätte. Ich zog den Revolver und wirbelte herum. Seine Kugel hätte mich ziemlich schlimm getroffen - aber hier...« Er greift in die Brusttasche seines Hemdes und bringt die goldene Uhr zum Vorschein. Dick saugt scharf die Luft ein, denn die gute, wertvolle Uhr ist zerbeult. »Sie hat das Blei abgelenkt«, sagt Morg. »Ich spürte den Anprall nur wie einen heftigen Faustschlag, und ich werde einen blauen Flecken bekommen. Doch ich lebe. Ich traf ihn, indes ich rückwärts taumelte. Und dann kniete ich einige Sekunden am Boden und bekam keine Luft. Das war alles. Wenn er nicht zu Bringham Flynn zurückkommt, wird dieser neue Männer aussenden - er wird wohl nicht eher ruhen, als bis ...« Er bricht ab und wischt sich über Stirn und Augen. »Das ist das Schlimme dabei«, sagt er dann rauh und knirschend. »Ich werde jetzt immer damit rechnen müssen, daß wieder ein solcher Bursche auftaucht der >heiße Grüße von Bringham Flynn< zu überbringen hat. Ich werde nirgendwo jene Ruhe und Sorglosigkeit spüren können, die zum Glück und Frieden eines Mannes gehören. Ich glaube, es wäre fast besser, wenn ich nach Texas zurückreite und mit Bringham Flynn kämpfe. Man darf solche Dinge nicht unerledigt hinter sich lassen oder man findet keine Ruhe.« - 48 -
Dick starrt ihn an. »Du hast für uns alle gekämpft - für unsere Chance und unser Recht«, sagt er dann. »Geh nur ins Camp zurück. Ich erledige das hier schon. Das Mädel braucht den Toten nicht zu sehen. Ich mache das hier schon.« Morg betrachtet ihn ernst. Dann wendet er sich ab und geht davon. Er kommt dann später mit dem fremden Sattelpferd ins Camp. Patricia steht beim Wagen und blickt ihm aufmerksam entgegen. Als er bei ihr absitzt und die Pferde am Hinterrad des Wagens festbindet, da fragt sie ahnungsvoll: »Morg, hat jener Tob Hunter vielleicht einen Mann hinter mir hergeschickt? War das vielleicht...« »Nicht hinter dir, Pat«, murmelt er und läßt aus dem Wasserfaß, welches außen am Wagen festgemacht ist, einen Becher vollaufen. Er trinkt sehr durstig, wie es sonst nicht seine Art ist. »Hinter mir war ein Mann her«, spricht er. »Und ich mußte ihn töten. Hier!« Er zeigte ihr die verbeulte Uhr. »Es war eigentlich ganz gut, daß ich sie in Fort Worth nicht verkaufen oder eintauschen konnte. Sie hat mir das Leben gerettet. Es war ein Mann von Bringham Flynns Bande. Er sollte mich töten. Und irgendwann werden andere Männer von Bringham Flynn kommen. Sie werden mich finden, weil sie dieses Brandzeichen irgendwo finden werden.« Er klatscht mit seiner Hand gegen die Wagenwand, wo Johnny an einem Abend beim Feuerschein eines Campfeuers das Brandzeichen >CCH< eingeschnitzt hatte. »Irgendwann ...«, beginnt er und verstummt bitter. Da tritt das Mädchen zu ihm und legt ihre Hand auf seinen Arm. - 49 -
»Morg, dieses Land, dieses wilde, gesetzlose Land, ist grausam zu manchem Manne, der friedfertig sein möchte, der nichts anderes will, als für sich und die Seinen ein Auskommen und die Möglichkeit für eine bessere Zeit. Es muß gewiß sehr schlimm sein, Morg, vor dem Unvermeidlichen zu stehen und zu kämpfen. Aber vielleicht ist das deine Bestimmung! Vielleicht bist du dazu ausersehen. Oder wie kannst du dir das Wunder erklären, daß die Kugel dich nicht verletzte, sondern nur deine Uhr zerbeulte? Das war für mich ein Zeichen.« Er betrachtet sie ernst. In ihren Augen erkennt er Anteilnahme, Wärme und den heißen Wunsch, ihm aus der freudlosen Bittterkeit zu helfen, ihm das Gefühl und die Überzeugung zu geben, daß sich nichts vermeiden ließ, daß es die Verhältnisse in diesem wilden Land so forderten und es keinen anderen Weg gab. »Danke, Pat«, sagt er zu ihr nieder. Sie lächelt gut zu ihm auf. Er wendet den Kopf. Johnny kommt nun von der Herde herüber. »Nimm den Spaten, Johnny«, sagt er zu ihm. »Und reite hinter die Flußbiegung. Dick wird dir was zeigen und dir auch alles erzählen.« Johnny nickt und betrachtet das fremde Sattelpferd, welches einen kostbaren mit Silber beschlagenen Sattel trägt. Aber Johnny sagt nichts. Er betrachtet Morg und Patricia mit seinem ruhigen Blick und reitet fort. Als Morg in den Sattel klettert und zur Herde reitet, hebt sie leicht die Hand und winkt. Es ist eine gute, herzliche Geste. Während er um die ruhende oder grasende Herde - 50 -
reitet und darauf achtet, daß die Rinder nicht so weit auseinanderlaufen, denkt er über die Rechtmäßigkeit seines Handelns nach. Als er mit sich im reinen ist, bleibt ein tiefes Bedauern zurück, jedoch keine Art von Schuldgefühl. Doch er glaubt nun endgültig, daß er die schwerste Last aufgebürdet bekommen hat. Er spürt nun irgendwie, daß Patricia Moore mit der manchmal wunderbaren Hellsichtigkeit einer Frau eine besondere Wahrscheinlichkeit erkannt oder erfühlt hatte. Er wiederholt in Gedanken die Worte, die sie ihm noch sagte. >Ich kenn dich gut! Und ich denke, du bist dazu ausersehen, deine beiden Freunde in eine bessere Zeit zu führen und die unvermeidlichen Kämpfe auf dich zu nehmen. Du bist befähigt dazu. Und es ist eine besondere Art von Pionierarbeit. Der Westen ist voller Schurken. < Er denkt bitter: »Ich werde nie ohne Waffen sein dürfen - und ich werde nie so verantwortungslos sein dürfen, mich in ein Mädchen zu verlieben. Ich werde nie ein Mädchen darum bitten können, meine Frau zu werden. Denn sie könnte sehr schnell zur Witwe werden.« Als er dies denkt, erschrickt er sehr. Denn zugleich mit diesem Gedanken erschien das Bild eines Mädchens vor seinem geistigen Auge. Es ist ein Mädchen mit grünen Augen und roten Haaren, ein Mädchen, das Männerkleidung trägt und einen Wagen fährt, ein tapferes Mädchen, welches auszog, um sich in der Welt einige Dinge zu erobern. Als er sich darüber klar wird, an welches Mädchen er denkt, verspürt er ein starkes Bedauern. - 51 -
***
Sie ziehen unbehelligt durch das OklahomaTerritorium. Sie durchfurten den Washita, und der Weg, den Jesse Chisholms große Herde erst wenige Wochen vor ihnen prägte, dieser Treibweg, der sich hier neben den Wagenfurchen wie ein endlos langer Acker, von zwanzigtausend Rinderhufen gestampft, ausnimmt, führt nun durch die Arapahoe Hills auf den Canadian zu. Die endlos lange Schönwetter-Periode ist am 15. September mit einem Schlage beendet. Denn von Osten her zieht an diesem Tage eine dunkle Regenwand heran. Und als sie zwei Tage später den Canadian erreichen, setzte der Regen während dieser zwei Tage keine einzige Sekunde aus. Der Fluß ist schon stark angestiegen. Und er steigt mit jeder Stunde einen Fuß höher. Morg Cleveland zögert keine Sekunde. »Los, erst die Herde!« Mehr ruft er nicht. Doch seine beiden Freunde wissen Bescheid. Das Mädchen, welches mit dem Wagen dicht am Ufer unter einigen etwas schützenden Bäumen verhält und sich naß und müde unter der Wagenplane auf dem Fahrersitz zusammenkauert, sieht nun zu, wie die drei Männer die müde und unwillige Herde in den reißenden Fluß treiben. Sie sieht zu, wie die Männer kämpfen, wie sie mit ihren Pferden im Wasser schwimmen und wie sie die Herde unter Kontrolle behalten, obwohl sie mehr als eine Viertelstunde stromabwärts getrieben werden. Sie geraten außer Sicht des Mädchens, denn bei diesem Wetter kann man keine hundert Yards weit sehen, - 52 -
geschweige denn eine Viertelmeile. Die starken Regenböen versperren jede weitere Sicht, und das Mädchen kann nur hoffen, daß die Männer die Herde und auch die Pferde-Remuda glücklich über den Fluß bringen. So sitzt Patricia Moore nun durchnäßt und bange und wartet eine, wie ihr scheint, endlose Zeit. Sie macht sich Sorgen um die Männer. Und sie fragt sich in dieser einsamen Stunde, was wohl sein würde, wenn es ein Unglück gäbe. Sie fragt sich unwillkürlich, ob sie um einen der drei Freunde vielleicht besonders viel weinen müßte. Sie spürt es sofort. Und das erschreckt sie. In dieser Stunde wird ihr klar, daß sie um einen der drei Männer besonders bangt. Sie erschrickt etwas, als er später ganz plötzlich vor ihr auftaucht. Er kommt vom Fluß her aus einer Regenböe. Es ist Morg Cleveland. Er kommt zu ihr an den Wagen, sitzt ab, nimmt das Lasso vom Sattelhorn und bindet sein Pferd an dieser langen Leine hinter dem Wagen an. Dann klettert er zu ihr auf den Fahrersitz, nimmt die Zügel, die um die Bremse gewickelt sind und blickt dann Patricia an. »Hast du Angst?« fragt er ruhig, und sie erkennt in seinen Augen einen besonderen Ausdruck. Sie blickt in diese Augen hinein, und plötzlich ist etwas zwischen ihnen, was sie beide deutlich spüren. Doch dann bekämpfen sie es beide und der Zauber zwischen ihnen ist nun nicht mehr da, erloschen, weggewischt, verdrängt. Denn er, Morg Cleveland, dachte: Nein, das darf nicht - 53 -
sein! Bringham Flynn ist hinter mir her. Und ich werde noch einige schlimme Revolverkämpfe bekommen. Nein, ich will mich nicht in dieses Mädchen verlieben. Sie aber dachte: Nein, ich will mich nicht in den ersten Mann verlieben, den ich nach meinen ersten Schritten in die Freiheit traf. Ich will all meine Wünsche und Pläne nicht aufgeben. Ich will mich nicht an einen Mann binden, bevor ich nicht meinen Teil von dieser Welt bekommen habe. »Halte dich nur gut fest, Pat«, sagt Morg ruhig. »Dieser Wagen ist nicht besonders schwer beladen. Er wird schwimmen wie ein Kahn. Und diese beiden Maultiere werden es sicherlich schaffen.« Nach diesen Wort löst er die Bremse und fährt hinunter in den Fluß. Die Maultiere gehorchen willig. Sie dienten während des Krieges schon in der Armee und sie sind an gefährliche Flußdurchquerungen gewöhnt. Sie sind ohne Furcht, und sie sind stark und erfahren. Die Strömung ist gewaltig. Das Mädchen verspürt nun doch etwas Furcht und klammert sich fest, als der Wagen den Grund verliert und wahrhaft zu schwimmen beginnt wie ein kastenförmiger Kahn, nur sehr viel schwerfälliger. Dann erblickt das Mädchen den großen Baum. Sicherlich wurde irgendwo ein Steilufer unterspült und brach ein. Und dieser riesige Baum mit seinen gewaltigen Wurzeln und den Ästen und Zweigen kam in der Strömung frei und schwimmt nun auf Wagen und Maultiere zu. »Morg! Morg! Da kommt es!« Sie ruft es schrill und deutet auf den Baum. Morg zieht an den Zügeln, und er ruft die beiden Maultiere scharf und dennoch beruhigend zugleich an. - 54 -
Die beiden erfahrenen Tiere geraten nicht in Panik; sie spüren wohl deutlich, daß sie sich auf diesen Zweibeiner hinter sich verlassen können. Sie haben Erfahrung mit Menschen. Sie gehorchen. Sie schwenken nach rechts. Die Strömung erfaßt sie nun voll, hilft ihnen, und nun schwimmen sie vor dem Wagen stromab. Sie schaffen das alles zwei oder drei Yards vor dem riesigen Wurzelwerk des Baumes. Der Baum kann nun nicht mehr den Wagen rammen, denn dieser bewegt sich mit der Strömung vor ihm her den Fluß hinunter. Sie werden von der Strömung um die Flußbiegung getragen und bekommen Grund unter die Räder. Der gewaltige Baum aber bleibt hinter ihnen irgendwo hängen und bedroht sie nicht mehr. Die beiden Maultiere ziehen den Wagen mit letzter Kraft völlig an Land und bleiben dann zitternd und kraftlos stehen. Morg klettert vom Wagen und spricht zu ihnen. Seine ruhigen Worte tun ihnen sichtlich gut. Wie alle Tier, die den Menschen dienen, sind sie dankbar für diese Art, mit ihnen umzugehen. Indes hat das Mädchen im Wagen nachgesehen, und er hört sie klagen: »Alles ist ruiniert! Unser gutes Mehl wird nun klumpig sein und muffig schmecken. Und die Bohnen werden quellen und den Sack sprengen. Nur gut, daß wir Salz, Zucker, Reis und den Kaffee in Blechkästen haben. Aber meine zwei schönsten Kleider, mein ganzer Stolz und mein bisher schönster Besitz, sind ruiniert. Warum konnte mir dieser Mann nicht vorher genau sagen, daß der verdammte Fluß auch in unserem Wagen Platz nehmen würde? Es ist ein Wunder, daß ich nicht auch - 55 -
noch einige tote Fische im Wagen habe oder ... liiiiiiih!« Sie endet mit einem schrillen Schrei. Und dann erscheint sie schon über der Hinterwand des Wagens. Doch sie wäre gefallen, wenn Morg nicht zugesprungen wäre und sie aufgefangen hätte. Er hält sie nun in den Armen. »Eine - eine - eine Schlange«, keucht sie erregt. »Im Wagen ist eine Schlange, und sie hätte mich fast gebissen!« Er will sie auf den Boden stellen und loslassen. Doch er kann es einfach nicht. Sie ist ihm nun so nahe, daß er ihr Herz klopfen fühlt. Und so kann er gar nicht anders. Er muß sie einfach küssen. Einen Moment erwidert sie seinen Kuß, und sie läßt ihn spüren, wie vital und voll Feuer sie ist. Doch dann schrecken sie beide zurück. Sie erinnern sich beide wieder daran, daß sie sich doch nicht verlieben wollen. Er stellt sie auf den Boden und murmelt gepreßt: »Verzeih mir bitte, Patricia! Verzeih mir! Ich verlor wohl die Kontrolle über mich! Ich will ja gar nicht, daß du dich in mich verliebst - das will ich ja gar nicht!« Er tritt an ihr vorbei und blickt auf eine grüne Wasserschlange, die nun aus dem Wagen kriecht. »Sie ist wahrhaftig sehr giftig«, sagt er, zieht den Revolver und schießt. Der Kopf der giftigen Viper ist plötzlich weg, und der sich windende Schlangenleib verschwindet neben dem Wagenrad im Grase. Das Mädchen hat sich nun ebenfalls wieder gefaßt. »Ich fahre den Wagen zur Herde«, sagt sie herbe und klettert schnell auf den Fahrersitz. Als dann Morg neben ihr im Sattel seines Pferdes - 56 -
auftaucht, betrachten sie sich stumm. »Ich will mich auch gar nicht in einen Mann verlieben«, sagt sie plötzlich. »Ich bin nicht fortgelaufen, um mich in den ersten Mann zu verlieben. - Aber ich danke dir, Morg, daß du die Schlange getötet hast.« »Schon gut«, murmelt er. Dann reitet er voraus. Eine halbe Stunde später treffen sie auf die Herde. Sie wartet in einer Senke, die ihr etwas Schutz gibt. Sie können vom Feuer aus in die Senke blicken und die Herde beobachten, und sie gehen sehr sorgsam mit dem Holz um, welches sie hier ziemlich trocken im Schutze eines Felsens gefunden hatten. Als Morg und das Mädchen an dieses Feuer treten und sich niederhocken, da sagt Johnny sanft: »Genießt es nur! Nehmt diese Chance nochmals wahr, empfehle ich! Denn für mich sieht es so aus, als würde es das letzte Feuer sein, weil es immer weiterregnen wird.« Er erhebt sich. »Die Rinder wollen wieder wandern«, sagt er. »Doch ich denke, wir halten sie heute in der Senke - wenn diese nicht über Nacht voll Wasser läuft.« Er geht zu seinem Pferd und sitzt auf. Dick hält den Wasserkessel eine Weile in den Regen und dann gefüllt über das Feuer. Inzwischen hat das Mädchen alle notwendigen Dinge aus dem Wagen geholt und macht sich daran, das frühe Abendessen zu bereiten. Einmal blickt sie auf Morg, der auf einem Stein sitzt und nachdenklich in den Regen starrt, so, als könnte er dort irgendwelche Bilder erkennen. Sie hätte ihn gerne gefragt, warum er nicht will, daß sie sich in ihn verliebt. Sie verspürt eine ständig wachsende Neugier. Denn sie hat deutlich gespürt, daß sie ihm viel bedeuten könnte. Doch dann hatte er alles bedauert. - 57 -
Das reizt sie nun sehr. Denn sie ist nun mal eine echte Eva. Und wenn sie auch nicht daran denkt - oder besser gesagt: wenn sie auch nicht die Absicht hat, sich zu verlieben, so besitzt sie jedoch jene echt weibliche Eitelkeit. Und aus diesem Grund möchte sie brennend gerne wissen, warum Morg nicht will, daß sie sich in ihn verliebt. Sie weiß, daß es eine Erklärung dafür geben muß. Doch auf die einzig richtige Erklärung kommt sie nicht. Während sie Kartoffeln schält und den Kaffee ziehen läßt, denkt sie etwas wütend: Gewiß hat er schon einem anderen Mädchen ein Versprechen gegeben und möchte nicht ... *** Der Regen hält genau siebzehn Tage an, und der Nordarm des Canadian ist ein solch reißender Strom, daß sie nicht auf die andere Seite können. So ziehen sie mit der Herde einige Tage am Fluß entlang und finden dann ein kleines und geschütztes Tal zwischen bewaldeten Hügeln. Einige Kälber werden dort geboren. Als dann der Regen aufhört, die Sonne wieder scheint und das nasse und völlig getränkte Land allmählich trocknet, da ist der Herbst im Lande. Das Mädchen rechnet es einigermaßen richtig aus, als es den staunenden Männern sagt, daß heute der 3. oder 4. Oktober wäre. Am 6. Oktober können sie dann endlich den North Fork des Canadian und am 10. Oktober den Cimarron River durchfurten. Sie treffen auf Büffeljäger, Frachtzüge - 58 -
und Armee-Patrouillen, und sie hören, daß sie nun schon nicht mehr im Oklahoma-Territorium, sondern bereits in Kansas sind. Sie werden einmal von Banditen angegriffen, doch Morg Cleveland tötet zwei der Buschräuber und verwundet drei. Dick und Johnny müssen jedoch diesmal ebenfalls ihre Waffen sprechen lassen. Es wird ein schlimmer Kampf, bei dem sie alle verwundet werden und dennoch viel Glück haben, weil eine ArmeePatrouille ihnen zu Hilfe kommt. Am 25. Oktober erreichen sie den Arkansas River und sehen die Rinder-Stadt Dodge City am anderen Ufer liegen. Als sie den Arkansas durchfurten, werden sie von einem Reiter beobachtet, der bei dem Store neben der Seilfähre im Sattel verhält. Patricia Moore, die den Wagen auf die Fähre lenkt, erschrickt beim Anblick diese Reiters, der sie stumm betrachtet. Als die Fähre dann im Fluß ist, späht das Mädchen zum Ufer zurück. Sie sieht, wie der Mann sein Pferd vor die Veranda des Gemischtwaren-Stores lenkt, zu dem auch ein Saloon gehört. Patricia ist weiß im Gesicht, als sie den Wagen von der Fähre lenkt und am Ufer stromauf fährt, bis zu der Furt, bei der die Herde übersetzt. Obwohl es eine sehr kleine Treibherde ist, ist sie die einzige seit vielen Tagen. Alle Treibherden, die vor ihr hier eintrafen, sind längst verladen. Das Hochwasser der Flüsse hat unterwegs sicherlich all die großen Herden aufgehalten, die auf Jesse Chisholms Trail oder aber auch aus New Mexico und Colorado zu den Eisenbahnstädten stoßen, weil hier die Aufkäufer der Konservenfabriken warten. - 59 -
Und so ist es auch jetzt. Das Mädchen kommt gerade hinzu, als Morg Cleveland mit einem halben Dutzend Männern spricht, die sich alle gegenseitig überbieten mit ihren Angeboten für die Herde. Sie hört noch vom Fahrersitz aus Morg sagen: »Diese Herde ist nur zu einem Viertel verkäuflich. Gents, Sie können nur einundvierzig Rinder kaufen. Der Höchstbietende bekommt die Herde!« Patricia sitzt still und bewegungslos auf dem Wagen, indes sich die Viehaufkäufer wegen der einundvierzig Rinderfast in die Haare fahren. »Ich biete siebzehn Dollar für jedes Rind!« Einer der Männer ruft es schrill. Und das ist ein besonders hohes Angebot. Patricia sieht bewegungslos zu, wie Morg sich schnell entscheidet. Sie sieht, wie er einschlägt und wie die anderen Ankäufer, die nicht so hoch boten, sich mürrisch abwenden und in die Stadt zurückkehren. Sie kamen zu Pferd aber auch mit leichten Wagen heraus. »Ich verkaufe einundfünfzig Rinder«, sagt Morg, «einundvierzig für diese Lady dort auf dem Wagen, und den Rest verkaufe ich für mich und meine Partner.« Das Mädchen hört die Worte. Sie begreift auch, daß Morg die zehn Rinder mehr verkauft, um für sich und seine beiden Feunde etwas Betriebskapital zu haben. Sie begreift zugleich auch, daß nun die Trennung bevorsteht. Es ist nicht so, daß sie jenen Reiter, der dort bei der Fähre auf dem Pferd wartete und der sie scharf betrachtete, inzwischen vergessen hätte. Sie denkt nun wieder besonders bange an ihn. Denn sie kennt diesen Mann. Sie weiß, daß dieser - 60 -
Mann für Tob Hunter schon viele Aufträge erledigt hat. Sie ist auch fest davon überzeugt, daß AI Pastardo, so heißt der Mann, sie erkannt hat. Aber was kann er mir schon tun? So fragt sie sich. Hier bin ich doch gewiß vor jenem Tob Hunter in Sicherheit. Morg Cleveland kommt zu ihr herüber. »Pat«, sagt er langsam, »der Viehaufkäufer nimmt dich in seinem Wagen mit in die Stadt. Er wird dich im City-Hotel unterbringen. Und ich komme heute abend und bringe dir dein Geld. Der Aufkäufer schickt einige seiner Leute, die von uns die Rinder übernehmen. Sein Vormann bringt das Geld gleich mit, so daß wir hier Rinder gegen Bargeld eintauschen. Ich besuche dich heute abend noch. Fahre nur mit dem Viehaufkäufer. Du wirst dich nach einem Bad, nach Frauenkleidung und nach einem richtigen Bett sehnen. Diesen Wagen hier und das Gespann werden wir auch noch verkaufen können. Wir haben dir sehr viel zu verdanken, Pat.« Er blickt seltsam ernst zu ihr auf. Und nun erkennt sie in seinen Augen für einige Atemzüge lang den deutlichen Ausdruck von Bedauern. Sie sitzt still und kerzengerade auf dem Fahrersitz des Wagens, der für viele Wochen ihr fahrendes Heim gewesen war. Sie begreift nun erst so richtig, daß dies jetzt schon fast ein Abschied ist. Und sie erinnert sich an den langen Weg von Fort Worth her, an all die vielen Camps, an die Spaße und an die gemeinsam überstandene Not und Gefahr, an Hochwasser, Indianer, Banditen und Stampeden. Sie verspürt nun ebenfalls tief in sich ein starkes Bedauern. Doch dann hebt sie ihr Kinn. - 61 -
»Diesen Wagen«, sagt sie, »solltet ihr behalten. Ihr werdet ihn sicherlich gebrauchen können. Verkauft nur diesen Wagen nicht. Ich möchte ihn euch schenken. « Nun kommt der Viehaufkäufer mit einem leichten Zweiräder herbeigefahren. Patricia begreift, daß sie umsteigen muß. Sie klettert in ihren Wagen hinein und reicht Morg dann das Bündel mit ihren wenigen Habseligkeiten heraus. Der nimmt es, hilft ihr vom Wagen und in den leichten Wagen hinauf. Er legt das Bündel zwischen ihre Füße, tritt zurück und sagt ruhig: »Wir sehen uns ja noch, nicht wahr?« »Sicher«, erwidert sie; ihre Stimme klingt etwas gepreßt. Dann fährt der Wagen an. Patricia blickt nicht zurück. Sie fahren an der Herde vorbei. Johnny und Dick kommen herüber und reiten ein kleines Stück rechts und links neben dem Wagen her. »Auch wir kommen noch mal in die Stadt«, sagt Johnny. »Dann machen wir einen kleinen Spaziergang und essen in einem feinen Restaurant, nicht wahr. Pat?« »Das würde mich freuen, Johnny«, erwidert sie. »Und auch ich werde mir etwas ausdenken, was dir Freude machen wird«, verspricht Dick. »Mich wird alles freuen, Richard«, erwidert sie, und sie nennt ihn. nun nicht Dick, sondern richtig Richard. Dann bleiben die beiden Reiter zurück. Die Herde ist ziemlich unruhig, so als begriffe sie, daß sie hier um ein Viertel geringer wird. Die Reiter müssen nun sehr auf die Rinder achten. Patricia blickt starr geradeaus. Und zu dem Abschiedskummer, zu jenem starken Bedauern, nun nicht mehr zu jener guten Gemeinschaft zu gehören, sondern nun allein zu sein, da kommt nun die - 62 -
heiße und immer stärker werdende Furcht vor jenem Mann, den sie an der Fähre sah und erkannte. Sie will noch nicht glauben, daß Tob Hunter, der Storehalter von Fort Worth, ihr diesen Mann nachgesandt hat. Und dennoch spürt sie tief im Herzen, daß es so ist. Sie fragt sich, warum sie Morg Cleveland nichts gesagt hat. Und zugleich erkennt sie auch schon den Grund ihres Verschweigens. Dieser AI Pastardo ist ein gefährlicher Revolverheld. Wenn Morg auf ihn losgehen würde, gäbe es bestimmt einen schlimmen Kampf. *** Für die nächsten drei Stunden vergißt sie dann all ihren Kummer. Denn das City-Hotel ist prächtig. Sie tätigt erst einige Einkäufe, die ihre fünfzig Dollar, die sie ja noch im Beutel hat, fast gänzlich verbrauchen. Es macht ihr nichts aus, daß sich die Leute auf der Straße und im Hotel nach ihr umdrehen, da sie doch noch die abgetragene und arg mitgenommene Männerkleidung trägt - was im Jahre 1868 eine wirklich große Seltenheit ist. Als sie ihre Einkäufe beendet hat, zieht sie sich mit all den Schätzen auf ihr Zimmer zurück, und hier steht nun schon die Badewanne voll heißem Wasser bereit. Und dann beginnt ein Fest für sie: eine Umwandlung. Es ist, als schlüpfe sie in eine neue Haut, als wandelte sie sich wie eine häßliche Raupe in einen wundervollen Schmetterling. Sie betrachtet sich im Spiegel. Und sie lächelt sich zu und sagt: »Nun, Pat Moore, ich glaube, du wirst dir ein nettes - 63 -
Stück von dieser Welt erobern.« Sie tritt ans Fenster. Es ist nun schon Abend geworden. In Dodge City brennen überall die Lampen und Laternen. Aus all den vielen Saloons, Vergnügungslokalen und Hotels, aus den Restaurants, Spielhallen und Tanzpalästen, da fallen gelbe Lichtbahnen, weit über die Plankengehsteige und auf die staubige Fahrbahn. Überall sind Sattelpferde abgestellt. Und überall stehen Wagen, mit denen Siedler und Farmer in die Stadt kamen. Das Mädchen erkennt von ihrem Fenster aus viele Sorten von Menschen, Eisenbahner, die an ihren Mützen erkennbar sind, Soldaten, Cowboys, Einwanderer, Büffeljäger, die ihre Häute hier verkauften, Frachtfahrer, Satteltramps, Spieler, Handelsreisende, Viehaufkäufer - und dann all die schattenhaft Treibenden, die herumlungern und ihre Augen offen halten. Es ist eine lärmende, wilde und sicherlich auch lasterhafte Stadt. Sie sieht auch da und dort Frauen - aber diese gehören bestimmt nicht zu der achtbaren Sorte. »Nein, solch eine Frau will ich nie werden«, sagt sie. »Ich will nie meinen Lebensunterhalt damit verdienen, daß ich Männern Gesellschaft leiste, mit ihnen tanze und vielleicht sogar auf einer dieser kleinen Bühnen auftrete und singe.« Doch dann schweigt sie nachdenklich und überlegt, wie sie ihr Leben nun meistern und einrichten will. Sie wird schlau sein müssen und sich geschäftlich betätigen. Ihr Anfangskapital wird nicht sehr hoch sein. Morgen, denkt sie, werde ich mir diese Stadt ansehen. Und ich werde gewiß eine Chance erkennen. - 64 -
Sie schließt das Fenster und zieht den Vorhang zu. Denn vom gegenüberliegenden Hause späht nun ein Mann zu ihr herüber und winkt ihr zu. Sie schließt also das Fenster und zieht unmißverständlich den Vorhang zu. Sie tritt an den Tisch und will sich setzen, um auf Morg Cleveland zu warten. Denn nach ihrer Berechnung nach müßte Morg jetzt bald kommen und ihr das Geld bringen. Da klopft es auch schon an der Tür. Ach, da ist Morg schon, denkt sie, und sie verspürt eine bange Feude und eine Traurigkeit zugleich - es ist ein wechselndes Gefühl zwischen Freude und Bitterkeit oder Lachen und Weinen. »Ja! Herein!« Sie ruft es etwas schrill, und ihrer Stimme hört man die innere Anspannung an. Die Tür öffnet sich sofort. Doch es ist nicht Morg, der da eintritt. Es ist jener Mann, der bei der Fähre war. Es ist Tob Hunters Mann. Al Pastardo aus Fort Worth. Er tritt schnell und pantherhaft leicht ein, schließt die Tür und lehnt sich von innen dagegen. Er betrachtet das Mädchen, und er lächelt auf eine kalte Art. Er ist ein sandfarbener, farblos wirkender, hagerer, sehniger und durch keine besonderen Merkmale auffälliger Mann. Er hat zwei wasserhelle und harte Augen - vielleicht ist dies sein besonderes Merkmal. »Sie haben mich doch sicherlich an der Fähre erkannt, Mädel«, sagt er in schleppendem Tonfall. Und Sie haben sicherlich sofort begriffen, warum ich dort wartete, nicht wahr?« Patricia Moore stützt sich auf den Tisch; sie muß das, denn ihre Beine werden irgendwie gefühllos und weich. Es ist ihr, als könnte sie nun nicht mehr allein stehen. - 65 -
Doch das geht vorbei. Sie überwindet diese Schwäche, richtet sich wieder gerade auf und fragt: »Was wollen Sie, Pastardo? Wenn Tob Hunter Sie geschickt haben sollte, dann scheren Sie sich zum Teufel! Wir sind hier in Kansas. Und ich bin mündig. Ich will mit Tob Hunter, der mein Vormund war und den ich Onkel nennen mußte, nichts mehr zu tun haben. - Also ...« »Es kommt nicht so sehr darauf an, was Sie wollen, Pat«, sagt AI Pastardo sanft und tritt zwei Schritte vor. »Maßgebend ist, was Tob Hunter will. Und er will, daß Sie wieder heimkommen nach Fort' Worth! Es hat lange genug gedauert, bis wir Ihre Spur fanden, bis wir auf die Idee kamen, daß Sie mit dieser kleinen Treibherde ...« Er unterbricht sich und macht eine wegwerfende Handbewegung. »Es war ein Zufall«, sagt er. »Der Sergeant einer Armee-Patrouille die euch unterwegs traf, erzählte einem von Tob Hunters Männern in einem Saloon, daß eine kleine Treibherde mit drei Männern und einem rotköpfigen Mädel, welches er zuerst für einen Bengel gehalten hatte, unterwegs wäre. Nun, da wußten wir ziemlich Bescheid. Es gab nur wenige Städte, wohin eine Treibherde ziehen konnte, Hays City, Abilene und Dodge City, eventuell noch Westport Landing, welches ja nun Kansas City heißt. Tob Hunter schickte seine Männer zu diesen Städten. Und ich, der hier in Dodge City wartet, hatte Glück. Ich wußte schon gestern, daß eine Treibherde kommt. Nachrichten eilen hier schnell voraus. Nun, Mädel, ich muß Sie zu Tob Hunter zurückbringen. Er will Sie wieder bei sich haben. Es ist wohl so, Mädel, daß Sie über Tob Hunter und seine Geschäfte zuviel wissen. Sie kennen...« »Ja, ich weiß, daß er ein Hehler ist, der einigen Banditenbanden immer wieder abgekauft, was sie auf - 66 -
den Poststraßen oder in Mexiko rauben und plündern. Ich habe Tob Hunters reiche Sammlung an kostbaren Uhren und Schmuckstücken gesehen. Ja, ich weiß viel über ihn. Doch ich will damit nichts zu tun haben. Selbst wenn ich zu einem Gesetzesmann gehen würde, ich hätte für meine Behauptungen keine Zeugen und keine Beweise. Man würde doch gewiß alles, was ich erzählen würde, für krankhafte Hirngespinste eines etwas verdrehten Mädchens halten.« »Gewiß«, sagt AI Pastardo sanft, »das, mag sein. Doch Mister Tobias Hunter macht keine Fehler. Er läßt keine Mitwisser ohne Kontrolle und frei herumlaufen. Also, wir wollen nicht lange herumreden. Sie müssen mit mir kommen. Die Postkutsche nach Fort Worth geht in zwanzig Minuten. Ich habe schon die Fahrkarten, und ich habe sogar einen Korb mit Eßwaren. Packen Sie zusammen, was Sie mitnehmen möchten!« Sie betrachtet ihn empört und staunend zugleich. »Ja, sind Sie denn verrückt?« fragt sie. »Glauben Sie denn wahrhaft, Sie können mich dazu bringen, zu Tob Hunter nach Fort Worth zurückzukehren? Mister, wir sind hier in Kansas. Und wenn ich auf der Straße auch nur einmal um Hilfe rufen würde, kämen einige Dutzend Männer und würden ...« »Sie werden mit mir kommen und nicht um Hilfe rufen«, sagt er hart. Seine Stimme klingt nicht laut, doch sehr hart und stählern. »Wir wollen es kurz machen«, fügt er hinzu, greift in die Innentasche seiner Lederjacke und bringt ein zusammengefaltetes Papier zum Vorschein, welches schon äußerlich ein amtliches Aussehen hat. Er dreht es aufgefaltet herum, und tritt nochmals einen Schritt vor. Nun kann Patricia Moore lesen, was es ist. - 67 -
Es ist ein Haftbefehl. Als Verhaftungsgrund ist Diebstahl angegeben. Und alles ist gestempelt, gesiegelt und unterschrieben. »Wenn ich damit zum Sheriff gehe« sagt AI Pastardo gelassen, »mich als Hilfssheriff ausweise und Auslieferungsantrag stelle, dann kann ich Sie ganz offiziell mit Gewalt mitnehmen. Ist das .klar?« »Diese Haftbefehl ist doch nicht echt! Dieser Stempel und diese Unterschrift sind gefälscht!« Doch AI Pastardo schüttelt den Kopf. »Alles echt«, sagt er. »Ich weiß nicht, wie Tob Hunter das alles bewerkstelligt hat - auch daß ich und die anderen Männer, die zu den anderen Städten reisten, zu vorläufigen Hilfssheriffs ernannt wurden, ist ein Meisterstück. Aber er war ja schon immer sehr einflußreich. Ich denke nur, daß er Ihre Geburtsurkunde, die er ja noch in seinen Händen hat, etwas abänderte. So sind Sie laut Geburtsurkunde noch nicht mündig und unterstehen noch ihm, dem Vormund. Und damit war wohl der Mann gedeckt, der diesen Haftbefehl ausstellte, nicht wahr? Also, Mädel, wollen Sie nun endlich mitkommen?« »Ich denke nicht daran«, ruft sie schrill, »ich denke nicht daran, mich von Ihnen mit Hilfe von schmutzigen Tricks nach Fort Worth bringen zu lassen. Eher gehe ich hinunter auf die Straße und schreie laut um Hilfe!« Sie ruft die letzten Worte sehr verzweifelt, und sie ist es nun wahrhaftig auch. Doch sie bekommt nun auf der Stelle Hilfe. Die Tür wird geöffnet. Morg Cleveland tritt ein. »Brauchst du Hilfe, Pat?« fragt er. AI Pastardo aber wartet nicht ab, bis das Mädchen es - 68 -
erklärt. Er läßt den Haftbefehl fallen, wirbelt herum und zieht einen Revolver. Er schafft es nicht. Ein Hammer trifft ihn von unten ans Kinn - und dieser Hammer ist Morg Clevelands Faust. Er schlägt dem zurücktaumelnden Manne den Revolver aus der Hand, trifft ihn dicht über der Gürtelschnalle und schlägt dann noch einen Aufwärtshaken. Und da passiert es. AI Pastardo setzt sich auf die Fensterbank, kracht mit dem Rücken gegen das Fensterkreuz, und der Vorhang reißt, und der Mann wirft die Beine hoch, als er rückwärts mit dem Fensterkreuz, Scheibe und Vorhang aus dem Fenster stürzt und auf die Straße fällt. Morg und Patricia blicken sich an. »Ich weiß Bescheid«, sagt Morg. »Der Bursche stand unten auf der Straße und starrte zu dir hinauf. Du standest am Fenster. Und dann ging der Bursche ins Hotel. Ich folgte ihm und lauschte an der Tür. Ich weiß gut Bescheid.« Er bückt sich und hebt den Haftbefehl auf. Er knüllt ihn zusammen und steckt ihn in die Tasche. Dann tritt er ans Fenster und späht hinunter. Unten liegt AI Pastardo. Er ist ziemlich schlimm gefallen. Er liegt verrenkt dort unten. Ein Kreis von Menschen hat sich um ihn gebildet. Und einer der Stadtmarshals drängt sich nun in den Kreis. Bald darauf blicken alle Gesichter nach oben. »Was war das?« ruft der Stadtmarshal hinauf. »Er war in das Zimmer einer Lady eingedrungen und hatte sie ziemlich schlimm bedrängt«, ruft Morg hinunter. »Ich hörte die Lady um Hilfe rufen, ging ins - 69 -
Zimmer und mußte den Mann von den Beinen schlagen, weil er gegen mich den Revolver zog. Er schwankte zufällig gegen das Fenster und fiel hinaus.« »Ich komme hinauf«, sagt der Marshal und gibt einigen Leuten Befehle. AI Pastardo wird aufgehoben und weggetragen, sicherlich zu einem Arzt. Wenig später tritt der Marshal ein, und er ist ein harter Mann, wachsam und scharfäugig, wie alle Marshals von Dodge City es waren, bis Wyatt Earp als letzter Revolver-Marshal die Stadt dann bändigte. Der Marshal betrachtet das Mädchen. »Sie habe ich heute in Hosen gesehen«, sagt er. »Ich kam mit der kleinen Treibherde.« »Und der Bursche hat sie übel bedrängt?« »Sehr übel«, erwidert sie, und es ist bestimmt keine Lüge. »In dieser Stadt sammelt sich der ganze Abschaum der Grenze«, sagt der Marshal bitter. Er hebt den Revolver auf und betrachtet die Waffe. »Ein Revolvermann war das«, murmelt er. Er betrachtet Morg Cleveland. »Sie haben ihn ziemlich schlimm getroffen, Cowboy«, murmelt er. »Und beim Sturz aus dem Fenster brach er sich einige Knochen. Bleiben Sie hier in Dodge City, Cowboy? Wie ich hörte, haben Sie nur einen kleinen Teil der Herde verkauft.« »Das stimmt«, sagt Morg. »Wir wollen irgendwo eine Ranch gründen. Wir brauchen unsere Rinder als Stammherde für eine Ranch.« »Hier in Kansas?« fragt der Marshal. »Das wird uns nicht möglich sein«, erwidert Morg. »Ich hörte vor einer Stunde, daß ehemalige Soldaten der Konföderierten-Armee hier in Kansas nicht siedeln - 70 -
dürfen. Es dürfen sich nur Soldaten der Unions-Armee niederlassen. Nun gut, wir werden weiter nach Westen ziehen - morgen schon. Wir müssen vor dem Winter noch einen Platz finden.« »Mit Ihnen?« fragt der Marshal zu Patricia gewandt. »Ist einer der Cowboys Ihr Bruder oder Ihr Mann?« Sie blickt Morg Cleveland an, und sie entscheidet schnell. »Ja, ich gehöre dazu«, sagt sie. »Ich ziehe mit der Herde. Ich bin die Braut dieses Mannes. Wenn wir ein Haus gebaut haben, wollen wir heiraten.« Der Marshal nickt. »Ich werde den Burschen, der Sie hier bedrängt hat, eine Weile einsperren und dann aus der Stadt jagen. Doch das wird noch eine Weile dauern. Er wird ziemlich lange im Bett liegen und seine Knochen heilen müssen.« Nach diesen Worten geht er hinaus. Morg und Pat aber blicken sich an. »Ich muß fort von hier«, sagt sie. »Tob Hunters Arm reicht weit. Ich muß fort von hier. Bringe mich in Sicherheit, Morg. Ich habe Angst.« »Sicher«, sagt er. »Wir kaufen Vorräte. Morgen vor Sonnenaufgang sind wir schon unterwegs. Wir ziehen nach Colorado hinüber. Ich sprach mit einem alten Armee-Scout. Er sagte mir, daß es dort im Westen wunderschöne Täler geben soll. Nun, vielleicht finden wir dort unsere Traumweide!« *** Am anderen Morgen sitzt Patricia Moore wieder auf dem Fahrersitz des Planwagens, der nun wieder ihre fahrende Wohnung ist. Und die drei Männer treiben die - 71 -
kleiner gewordene Herde und die Pferde-Remuda. Sie ziehen am Nordufer des Arkansas River entlang nach Westen. Die drei Männer suchen immer noch den Platz, den sie sich erträumten, ein schönes und herrliches Stück Weideland. Die Zeit drängt nun sehr für die drei Freunde und die kleine Herde. Denn der Winter ist schon sehr nahe. In den Nächten ist es empfindlich kalt, und alle stehenden Gewässer haben eine dünne Eisschicht, die erst nach Sonnenaufgang wieder schwindet. Manchmal kommt ein kalter Wind von Norden her und kündet den Winter an. Johnny schnüffelt dann immer und sagt wichtig: »Das riecht nach echtem Schnee.« Und dann treiben sie ihre kleine Herde und ihre Pferde schneller an. Dem Mädchen ist das recht. Patricia fühlt sich zwar wieder beschützt und geborgen bei den Freunden. Und es tut ihr auf eine merkwürdige und besondere Art gut, wieder auf einem Wagen zu sitzen und zu fahren. Doch sie verspürt auch zugleich immer noch den heftigen Schrecken tief in sich. Sie begreift erst jetzt richtig, wie gefährlich jener Tob Hunter doch ist und wie wenig Chancen sie wahrscheinlich ohne die drei Cowboys haben würde, ihm zu entkommen. Und nun fühlt sie sich geborgen. Eigentlich ist sie ganz glücklich. In Colorado werde ich es noch mal versuchen, denkt sie. Und sie weiß, daß man in Colorado schon vor zehn Jahren in den Nebenflüssen des South Platte Gold fand, daß man immer noch überall Gold in den Bergen findet und es in Colorado einige große Camps gibt, die inzwischen zu hektischen und turbulenten Städten - 72 -
wurden, wie zum Beispiel Denver, Golden, Central City, Mount Vernon und Leadville. Und sie glaubt, daß sie mit ihrem kleinen Kapital in einer dieser Goldgräberstädte etwas anfangen kann. Sie hat sich beim Einkauf von frischem Proviant und Ausrüstungsgegenständen mit fünfzig Dollar beteiligt. Und dennoch hat sie jetzt noch über sechshundert Dollar in der Tasche. Diese sechshundert Dollar erscheinen ihr als ein großes Vermögen, und sie weiß, daß viele kluge Frauen mit viel weniger Kapital einen Start hatten, der dennoch zu Erfolgen führte. Oh, sie kann den Tag nicht erwarten, daß ihr Anfangskapital sich verzehnfacht haben wird. Sie kann ja gar nicht ahnen, daß dieser Tag nicht sehr fern ist. Doch vorerst fährt sie wieder den Wagen. Vorerst gehört sie wieder zu jener Gemeinschaft. Obwohl sie ein dankbares Gefühl hat, gerettet worden zu sein, verspürt sie nun auch einen wachsenden Zorn. »Zum Teufel«, sagt sie einmal laut genug, so daß die beiden Maultiere ihre Ohren spitzen, »was bildet sich dieser Mister eigentlich ein? Ich gebe mich als seine Braut aus - und er nimmt es gar nicht zur Kenntnis. Er tut so, als hätte ich gesagt, es würde morgen regnen. Himmel, er hätte mich zumindest fragen können, ob ich gescherzt habe oder ob ich es ernsthaft meine! Er hätte mich fragen können, dieser lange Kuhtreiber vom Brazos River!« Sie ist ziemlich zornig, und ihr Zorn wächst immer noch an. Als sie am Abend das Essen fertig hat, sind die Pfannkuchen scharf und salzig. Die Männer müssen mit viel Kaffee nachspülen. Und beim dritten Pfannkuchen - 73 -
sagt Dick etwas gepreßt und heiser: »Habe ich euch schon davon erzählt was meine Tante Rosalin-Beate immer anstellte, wenn sie sich verliebt hat?« »Halte nur deinen Mund«, murmelt Morg. »Es ist nicht war, daß die Köche stets verliebt sind, wenn sie mit dem Salz so freigiebig umgehen«, krächzt Johnny. »Was hat das mit meiner Tante zu tun?« fragt Dick unschuldig. »Bei ihr war alles anders. Wenn sie verliebt war, nahm sie überhaupt kein Salz, aus Angst sie würde sich sonst verraten. Wenn Tante Rosalin-Beates Essen ungesalzen war, dann wußten wir stets, sie hatte sich aus der Ferne und ganz platonisch in einen Mann verliebt.« »Dein Witze sind heute kümmerlich, Dick«, sagt Patricia bitter. »Ich gehe schlafen. Du erledigst den Abwasch, Dick! Und nimm in zehn Minuten den holländischen Ofen mit den Bisquits aus der Glut!« Nach diesen Worten geht sie zu ihrem Wagen hinüber, klettert hinein und ist verschwunden. Johnny und Dick betrachten Morg. »Heldenvater, weißt du vielleicht was sie hat?« fragt Dick. »Es ist doch nicht wegen dieses Burschen, den du auf die Straße warfst, Langer?« fragt Johnny. »Ich weiß es nicht«, murmelt Morg. Er erhebt sich, nimmt sein Deckenbündel und entfernt sich zwischen zwei Büsche. *** Die Tage vergehen, und auch Patricia Moore ist wieder wie früher und benimmt sich ganz natürlich und normal. Auch sonst ist alles gut und in Ordnung. - 74 -
Nur das Wetter wird immer schlechter. Ein eisiger Wind pfeift nun ständig, und der Boden ist gefroren. Die Camps sind nun kalt und unfreundlich. Die Männer sind in den Morgenstunden stets für eine Weile steif und unbeweglich. Dick singt einmal heiser, krächzend und mißtönig, wahrscheinlich um sich warm zu machen: »Oh, hätte ich doch eine Flasche Pikes-Whisky!
Denn Pikes-Whisky ist gut!
Als Doc Bonescale zwölf Tote fand in einer Stadt, er
ihnen Pikes-Whisky gegeben hat.
Sie erwachten schnell und zogen ihre Hüte!
Denn Pikes-Whisky ist von bester Güte!
Oh, hätte ich doch eine Flasche Pikes-Whisky!
Denn Pikes-Whisky ist gut!«
Er bewegt sich im Sattel, und seine Gelenke knacken hörbar. Und von der anderen Seite der kleinen Herde klingt nun Johnny Christies Stimme herüber: »Als Tante Rosalin-Beate im Grabe lag!
Mister Pikes kam und um Verzeihung bat!
Oh, Rosalin, warum bist du so tief gesunken?
Und hast ein Glas Pikes-Whisky ausgetrunken?«.
»Du Schurke, wenn ich zu dir hinüberkomme, dann reiße ich dir den Kopf ab!« Dick ruft es gellend und bitterböse. Und dann muß er einige Rinder zurücktreiben, die erschrocken ausbrechen wollten. Patricia Moore aber lacht zum ersten Male wieder laut und herzlich von ihrem Fahrersitz, und sogar Morg, der - 75 -
die Pferde treibt, wird nun aufmerksam und freut sich. *** Am 17. November geraten sie in einen Schneesturm, und sie verlieren die Herde nur deshalb nicht, weil sie eine geschützte Schlucht finden, in der sie rasten und warten können. Es folgt dann noch einmal Wettermilderung. Und der fußhohe Schnee taut binnen weniger Stunden. Sie treiben ihre nun mager und zäh gewordenen Rinder eilig weiter, immer, am Fluß entlang und dessen Quellgebieten zu. Das Land wird nun immer hügeliger, mit kleinen Tälern, Wald und Bächen. Sie folgen dem Fluß stromauf nach Westen und kommen nun tiefer in die Berge hinein. Endlich stoßen sie auf einen alten Weg der Spanier, der den Big Sandy durchfurtet und sich durch ein langes Tal windet. Sie sehen nun wieder Wagenzüge, Postkutschen und Reiter. Sie sprechen mit einigen Frachtfahrern und auch mit Scouts der Armee. Aber vielleicht hätten sie ihr Tal, ihre Traumweide, noch längst nicht gefunden. Vielleicht hätten sie nur irgendwo überwintert und davon geträumt, im Frühjahr wieder weiter nach einer Weide zu suchen - wenn ihnen nicht der Zufall zu Hilfe gekommen wäre. Es beginnt in einem Camp gegen Mitternacht. Sie befinden sich in einem langgestreckten Tal, durch welches sich die alte Straße der Spanier windet. Die Nacht ist so schwarz wie eine Steuereintreiber-Seele, wie Dick sagt. Das Campfeuer brennt groß und hell, denn es ist empfindlich kalt. Morg und Johnny schlafen dicht beim Feuer, und Dick - 76 -
kommt nun von der Herde herüber, um Johnny zu wecken, der ihn nun nach Mitternacht ablösen soll. Er lenkt sein Pferd bis dicht ans Feuer, blickt auf die Schläfer nieder und ruft halblaut: »He, wach auf, Mammis Liebling! Du sollst aufwachen. Es ist verdammt ungemütlich bei der Herde. Und ich will auch ganz gerne mal ...« Weiter kommt er nicht, denn nun greift ein Wolfsrudel die Herde an. Es sind Büffelwölfe, und sie sind ein erfahrenes Rudel, welches von einem besonders schlauen Oldtimer geführt wird. Sie hatten die Kälber der Rinderherde schon am Abend gewittert. Doch sie hatten sich lange genug zurückgehalten, mit unendlicher Geduld. Und dann waren sie angeschlichen. Sie wußten, es konnte gar nichts schiefgehen in dieser dunklen Nacht. Sie sind ein Rudel von siebzehn Wölfen. Und als sie nun zwei der Kälber anspringen und diese in Stücke zu reißen beginnen - was ihnen sehr viel leichter fällt als bei Büffelkälbern, da bricht die Hölle los. Denn sie kamen für die Rinder überraschend. Selbst der alte und erfahrene Old Mooshorn witterte sie nicht. Die Herde bricht los und rast kopflos und wie ein großer, vielbeiniger Körper in die schwarze Nacht hinein. Es gibt für die Rinder nur drei Möglichkeiten. Sie können in den nächsten Abgrund stürzen. Sie können gegen eine Felswand rennen. Oder ihr Beschützer leitet sie einen guten Weg, der irgendwohin führt, auf dem jedoch keinerlei Gefahren lauern, so daß sich die verrückte Stampede nach vielen Meilen totläuft. Dick flucht laut und wild. - 77 -
Johnny heult wie ein Indianer und wirft sich in den Sattel. Das Mädchen springt aus dem Wagen. Sie hat ein Gewehr in den Händen und wirkt sehr verstört. Sie weiß noch gar nicht richtig, was eigentlich geschah. Nur Morg sieht sofort klar. »Hiergeblieben!« Er ruft es Johnny und Dick zu, die losreiten wollen. »Hiergeblieben, Jungens! Es wird nicht geritten! Nicht in dieser Finsternis! Wenn die Herde in einen Abgrund stürzt oder sich irgendwo die verrückten Schädel einrennt, dann ist das schlimm genug. Dann braucht ihr nicht auch noch blindlings und ohne was zu sehen draufloszureiten!« »He, wir müssen doch der Herde nach! Wir können doch nicht hier am warmen Feuerchen sitzen und warten bis es Tag ist? Und diese verdammte Wolfsblase ...« Dick zieht nun seinen Colt und beginnt zu schießen dorthin, wo man hört, wie sich die Wölfe um die zerrissenen Kälber balgen. Morg und Johnny aber erkennen die schlimme Gefahr. Sie eilen nun zum Seilcorral, wo die Pferde und die Maultiere ausbrechen wollen, ebenfalls verrückt vor Furcht, obwohl zwischen ihnen und den Wölfen der Wagen steht und das Feuer brennt. Es gelingt Morg und Johnny nur sehr schwer, die Tiere zu beruhigen, und wahrscheinlich nur deshalb, weil Dick und das Mädchen nun die Wölfe vertreiben. Doch als sie mit Feuerbränden bei den zerrissenen Kälbern sind, da erkennen sie auch, daß jede dieser Bestien inzwischen schon einige Pfund bestes Kalbfleisch im Wanst hat. Denn von den armen Kälbern ist nicht mehr viel übrig. Binnen zwei oder drei Minuten wurden sie gefressen. - 78 -
Morgs Stimme klingt: »Los! Anspannen! Wir zünden die beiden Laternen an und folgen der Fährte unserer Herde! Los, Dick! Du mußt den Wagen fahren!« Es dauert nur wenige Minuten. Dann haben sie das Camp abgebrochen. Dick fährt den Wagen. Patricia kauert neben ihm. Und sie folgen Morg und Johnny, die mit Laternen vorausreiten und der breiten Rinderfährte folgen. Es ist eine schlimme Fahrt, voll Bitterkeit und dem Wechsel von Hoffnung und Niedergeschlagenheit. Das Mädchen kann gut ahnen und sich vorstellen, was jetzt in diesen drei Männern ist. Seit dem Frühling arbeiten sie an dieser Sache. Sie fingen sich all die Rinder als Mayericks aus dem Buschland am Brazos River heraus und riskierten dabei oft Gesundheit und Leben. Sie brandeten diese Rinder. Und als sie mit der Herde auf den Trail gehen wollen, da kamen Banditen. Morg Cleveland mußte einen Mann töten - und dann kam alles andere, wo sie selbst mit dabei war, das harte und mühsame Treiben. Da waren die Indianer, die Stampeden, die Banditen. Da waren die endlosen Regenwochen, die Durststrecken. Und nun das Treiben durch den kalten Wind und die kalten Camps, all das Leben im Freien. Soll das alles umsonst gewesen sein? »Du lieber Gott im Himmel«, betet das Mädchen fast lautlos. »Beschütze diesen guten Cowboys die Herde. Lasse diese Herde nicht verloren gehen. Denn was wird sein, wenn sie verlieren, was ihr Leitziel ist? Was wird aus ihnen werden, wenn sie kein Ziel mehr haben - wenn sie keine Weide mehr zu suchen brauchen, weil sie ja keine Rinder mehr haben?« - 79 -
Dick, der neben ihr das Gespann lenkt, hört es nicht. Denn der Wagen rumpelt zu stark, und der Wind pfeift kalt und hart. So reiten und fahren sie also durch die Nacht und folgen der ausgebrochenen Herde. Als das lange Tal nach Westen zu abbiegt, folgt die Rinderfährte nicht in diese Richtung. Es beginnt nun leicht zu regnen. Dann wird der Regen zu weißen Körnern. Es graupelt, denkt das Mädchen. Die Fährte aber führt nun in eine Schlucht hinein, die sich verengt und ansteigt. Sie führt auf ein Plateau hinaus und an einem Abgrund vorbei in ein Tal hinunter. Die Fährte ist nun kaum noch zu erkennen, denn der Schnee fällt nun richtig. Das gelbe Licht der beiden Laternen beleuchtet steile Hänge, die mit Fichten und Tannen bestanden sind. Nun finden sie das erste Kalb. Es sitzt erschöpft auf der Hinterhand und blökt kläglich. Es ist ein Wunder, daß es überhaupt bis hier an diesen Ort mit der Herde mithalten konnte. Morg sitzt ab und hebt es hinein auf den Wagen. Sie finden dann in kurzen Abständen noch drei der kleinsten Kälber und haben nun vier im Wagen. Die Fahrt geht langsamer weiter und endet dann in einem Tal, welches wie ein enger Flaschenhals beginnt, sich dann jedoch - nach West, Nord und Ost auszuweiten scheint. Hier, beim engen Taleingang, wachsen die Hänge steil gen Himmel, und soweit man es im Scheine der beiden Laternen erkennen kann, sind diese steilen Hänge mit Fichten und Tannen bewachsen. Doch die Fährte, die aus dem engen Flaschenhals - 80 -
Eingang ins offene Tal führt, ist nun vom Schnee zugedeckt. »Wir warten hier, bis wir Tageslicht haben«, sagt Morg, »Dick, setze dich auf ein Pferd, reite zurück und hole unsere Pferde nach!« Dick gehorcht wortlos. Er fährt den Wagen zwischen einige hohe Tannen, klettert vom Bock und bindet sein Sattelpferd hinter dem Wagen los. Aber bevor er abreitet, sagt er bitter: »Also, ich hole unsere Pferde-Remuda. Doch eines sage ich schon jetzt: Wenn wir unsere Rinder verloren haben - wenn all die Mühe der letzten acht Monate umsonst gewesen sein soll ... nun, dann werde ich sicherlich bald irgendwo eine fette Postkutsche anhalten. Das werde ich!« Mit diesen Worten reitet er davon. Im Osten erscheint ein hellerer Schein am Himmel. Es ist noch nicht Tag, der die Nacht nach Westen jagen will - nein, dort ist das Ende der Wolkendecke. Und dieses Ende kommt näher. Dick reitet bald in Mond- und Sternenschein. Und auch Johnny, Morg und Patricia, die beim Taleingang zwischen den Tannen an einem Feuer sitzen und immer wieder an die Rinder denken, an nichts anderes als an die Rinder, erleben bald darauf den Zauber einer großen Wandlung. All die dunklen Wolken ziehen weiter nach Westen. Und an ihrer Stelle wandelt sich die schwarze Nacht in ein strahlendes Himmelsgewölbe. Dieser Himmel wird klar und rein, und man meint, man müßte irgendwoher tönende Glocken hören weil alles so strahlend, so gewaltig und so tönend erscheint. Und weil es so hell ist, haben die drei Menschen am - 81 -
Feuer nun weite Sicht über ein großes Tal, welches in weiter Runde von Felswänden und Bergen eingezäunt ist. Die Nacht ist nun so hell, daß man mühelos eine Zeitung lesen könnte. Und die Sicht ist viele Meilen weit. »Dies scheint ein prächtiges Tal zu sein«, murmelt Johnny nach einer Weile. »Wenn wir nur wüßten, ob unseren Rindern nichts zustieß ...« »Ich habe nun schon einige Hoffnung«, sagt Morg Gleveland langsam. *** Drei Stunden später ist die Sonne da, und sie taut noch einmal den Schnee. Das Wetter ist klar, und man könnte gewiß mühelos hundert Meilen weit sehen. Doch hier ist der Blick begrenzt. Das Tal hat die Form einer Drei-Finger-Hand. Der >Handteller< hat etwa einen Durchmesser von sechs oder sieben Meilen. Und jeder der drei >Finger< ist etwa genau so lang und eine knappe Meile breit. Dort, wo der abgespreizte Daumen sein müßte, befindet sich der Taleingang. Es ist ein grünes Tal, mit Waldinseln, weiten Weideflächen und einem Wasserfall im Osten. Dieser Wasserfall speist einen Bach, der sich durch das Tal windet und sich mit einem zweiten Bach, der aus dem mittleren Finger kommt, vereinigt. Und überall in der Runde sind Felswände, Hänge, Terrassen. Inmitten des Tales ist der Schnee bereits weg. Dort sind die noch etwa einhundertzwanzig Rinder deutlich zu erkennen. Sie waren in ihrer Stampede zum Stehen gekommen, hatten sich niedergetan und grasen nun. - 82 -
Patricia Moore beobachtet die beiden Männer. Sie hat ja selbst mehr als vierzehn Jahre auf einer kleinen Ranch gelebt, und sie weiß, wie eine gute Weide aussehen muß: Sie muß geschützt sein, Wasser besitzen, etwas Wald und natürliche Grenzen. Und hier ist alles vorhanden. Auch Wild ist da. Sie erblicken von ihrem Standpunkt aus Antilopen, Hirsche und einige Elche. Das Mädchen beobachtet also die beiden Männer, obwohl sie sich nur schwer von dem Anblick dieses herrlichen Tales losreißen kann. Doch sie kommt auf ihre Kosten. Sie sieht Johnny Christies ungläubiges Staunen, erkennt sein mißtrauisches Forschen. Doch dann erkennt er wohl mehr und mehr, daß dieses mächtige Tal zu seinen Füßen vollkommen frei und unberührt ist. Sie sieht, wie er die Hand hebt und sich über Stirn und Augen wischt. Sie sieht, wie er mühsam schluckt, den Kopf wendet und Morg Cleveland fragend, voller Hoffnung ansieht. Morg Clevelands Gesicht ist still und ruhig. Er bewegt sich immer noch nicht, sondern schaut nur. Dann sieht er Johnny an und nickt ihm zu. »Well, setzen wir uns in den Sattel und sehen wir es uns an! Wir wollen nicht zu früh jubeln! Sehen wir es uns an!« Sie wollen sich beide abwenden und zu ihren Pferden eilen. Doch da erinnern sie sich an das bewegungslos und still wartende Mädchen. «Oh, mache es dir bequem, Pat«, sagt Morg. »Wir müssen dieses Tal durchforschen - Denn ...« »Denn es könnte die Weide sein, die wir uns erträumten!« Johnny ruft diese Worte laut und jubelnd. »Vielleicht ist dies unsere Traum-Weide! Und unsere - 83 -
Rinder haben uns hingeführt! Dies aber wieder verdanken wir den Wölfen. Du lieber Gott, was ist dies manchmal für eine verrückte Welt!« Und er schwingt sich in den Sattel. Morg folgt ihm. Sie treiben die vier Kälber vor sich her. Das Mädchen blickt den beiden Reitern und den Kälbern nach. Dann bereitet sie sich ihr Fühstück und beginnt Brot zu backen. Und sie singt dabei alle Lieder, die sie kennt. Am späten Vormittag kommt dann Dick mit der Pferde-Remuda. Er ist ziemlich müde und fällt hungrig über das Essen her, welches Patricia ihm vorsetzt. Beim Essen schweift sein Blick in die Runde. Und plötzlich vergißt er seinen Hunger und springt auf. »Das ist ja :..«, beginnt er. »War ich denn blind?« »Das ist wahrscheinlich eure Traum-Weide«, sagt das Mädchen zu ihm. »Wenn Morg und Johnny wieder zurück sind, wirst auch du es wissen.« *** Morg und Johnny kommen erst am späten Abend und sie haben seit gestern nichts gegessen. Und dennoch scheinen sie keinen Hunger zu spüren. Sie kommen ans Feuer geritten, blicken auf Dick und das Mädchen. Und dann sagt Morg schlicht: »Wir haben es gefunden. Das Tal ist frei. Wir fanden nur Wildfährten. Und es gibt für Rinder, Pferde und Wagen nur diesen Zugang hier, der zugleich auch Ausgang ist. Es ist die schönste, beste und geschützteste Weide, die ich je sah. Es ist hier alles geradezu ideal. Dick, wir haben es gefunden!« - 84 -
Er dreht sich etwas im Sattel und deutet nach Westen. »Weide genug für vierzigtausend Rinder. Wir bauen hier im Eingang unser Blockhaus. Später, wenn wir den Anfang hinter uns haben und jeder von uns sein eigenes Haus errichten will, verteilen wir uns auf die Talfinger. Jeder dieser Finger hat Weide genug für drei- bis viertau send Rinder. Und den >Handteller< benutzen wir dann als Gemeinschaftsweide. Dick, wir haben alles gefunden. Ich reite morgen schon in die nächste Stadt und lasse uns beim Landbüro der Regierung auf dieses Tal hier eintragen. Ich nehme den Wagen mit, denn wir werden den Winter über eine Menge Raubwild jagen müssen. Dazu brauchen wir noch mehr Munition, Fallen und Gift für die Wolfsköder. Unser letzter Dollar wird dabei draufgehen, doch wir werden im Frühling gutes Geld für Pelztier- und Wolfsfelle bekommen. Ah, die Biber haben dort im Westen den Bach zu einem großen See angestaut. Wir werden eine ganze Menge Biber, Bisamratten, aber auch Nerze, Marder, Füchse ...« Er verstummt plötzlich und blickt auf Patricia Moore. Es ist, als würde er sich erst jetzt wieder des Mädchens bewußt. Und auch die beiden anderen Männer blicken auf das Mädchen. Oh, sie versteht diese drei Freunde zu gut. Sie lächelt sanft. Sie weiß zu gut, daß ihre Gedanken nun völlig auf das nun klar erkennbare Ziel ausgerichtet sind. Diese Männer werden jetzt Tag und Nacht arbeiten. Sie werden zuerst eine primitive Hütte bauen. Sie werden auf ihre Rinder achten und zugleich auch Trapper sein. Sie werden in diesem mächtigen Tale mit allerlei Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Doch das Mädchen weiß: Diese drei Freunde werden es schaffen. Und eines Tages werden sie auch wieder - 85 -
Zeit für andere Gedanken haben. Und so lächelt sie also und sagt: »Ich fahre morgen mit Morg in die nächste Stadt. Und ich denke, wir werden uns im Frühjahr wiedersehen, nicht wahr?« Als sie es gesagt hat, macht sie für Morg und Johnny das Essen fertig. Dick aber ergreift die größte Axt und geht ein Stück entfernt auf eine Hangterrasse. Im Licht des Tages fällt er mit mächtigen Schlägen die ersten Bäume. Und als Morg und Johnny sich gesättigt haben, eilen auch sie hinauf und gehen ebenfalls schon an die Arbeit. Erst als die Nacht den Abend verjagt hat, geben sie es auf. Patricia aber liegt schon im Wagen auf ihrem Lager. Es ist wieder einmal nicht einfach für sie, Abschied zu nehmen. Und diesmal wird es ein Abschied für Monate sein, das ist sicher. *** Die nächste Stadt heißt Pikes Creek, und es ist eine wilde und hektische Goldgräberstadt. Dies erfahren Morg und Patricia, als sie auf eine alte Straße der Spanier stoßen, die auch jetzt noch die Hauptverkehrsader des Landes hier ist. Diese Straße kommt von La Junta her und führt über Colorado Springs nach Denver. Morg und das Mädchen treffen auf der Straße auf einige Frachtwagen, auf die Postkutsche nach La Junta, auf einen Siedlertreck und viel Reiseverkehr von Reitern und Fahrzeugen jeder Art. Sie sprechen mit einem mexikanischen Schäfer, und der erzählt ihnen alles, was sie wissen wollen. »Es ist ein mächtiges Camp, diese Stadt«, sagt der - 86 -
Mann. »Zehntausend Goldgräber wühlen den Boden überall auf. Und sie werden alle dort überwintern. Die Lebensmittel werden knapp sein, und man wird ein Pfund Frischfleisch mit Gold aufwiegen. Ich bin mit meiner Schafherde schnell fortgezogen. Denn es wird bald der Tag kommen, da schlagen die hungrigen Goldgräber jedes lebende Tier tot und essen es auf.« Morg und Patricia fahren nachdenklich weiter. Nach einigen Meilen fragt Morg: »Und in solch einer wilden Stadt wie Pikes Creek willst du leben, Pat?« »Und viel Geld verdienen«, sagt sie und nickt. Sie fahren nun noch zwei weitere Meilen schweigend. Dann biegt die Straße um einen großen Felsen und führt in einen Canyon hinunter. Und man muß sich diese Straße nicht wortwörtlich gemeint vorstellen. Dieser Wagenweg ist eine von Wagenrädern und Hufspuren festgefahrene oder festgetrampelte Fährte, mehr nicht. Morg lenkt den Wagen um den Felsen herum und hält dann an, weil ein Mann ihm mit ausgebreiteten Armen den Weg versperrt. Neben dem Mann steht ein Wagen, der fast umgekippt ist und nur Halt an der Felswand fand. Das linke Vorderrad des Wagens ist zerbrochen, und es ist ein nicht sehr großer, alter und gebrechlicher Wagen. Zwei jämmerliche Pferde stehen noch im Geschirr. Und diese Pferde wurden mit einer Peitsche übel geschlagen das kann man sehen, weil die Striemen noch frisch sind. Morg erfaßt das alles mit einem Blick. Und dann betrachtet er den Mann hart. Es ist ein kleiner, drahtiger und wieseläugiger Bursche, dem man es ansieht, wie sehr er mit allen schlechten Wassern gewaschen und wie gerissen er ist. »Ich brauche Hilfe«, sagt der Mann. »Können Sie meine Ladung übernehmen und mich damit nach Pikes - 87 -
Creek bringen? Es sind nur noch zwanzig Meilen. Und ich würde hundert Dollar zahlen!« Nun wird Morg sehr wachsam. Denn hundert Dollar Frachtgeld für zwanzig Meilen, dies ist eine unwahrscheinliche Bezahlung. »Was haben Sie geladen?« fragt er sanft. Der Bursche zögert. Dann zuckt er mit den schmalen Schultern und spricht widerwillig: «Pfirsiche! Sechshundert Kilobüchsen Pfirsiche, groß, gelb und zuckersüß.« Nun begreift Morg schon mehr. Ja, er hat schon gehört, daß man jetzt auch Obst in Konservenbüchsen verkauft. Und er kann sich vorstellen, wie sich die Goldgräber auf diese Pfirsichbüchsen stürzen werden. Wenn dieser Bursche die Büchsen billig genug eingekauft hat, kann er auf den Goldfeldern damit ein kleines Vermögen verdienen. Doch ihm gefällt dieser Bursche nicht. Ein Mann, der seine Tiere mit der Peitsche so übel schlägt, hat ihm noch nie gefallen. Und auch Patricia Moore ist Wohl dieser Meinung. Denn sie sagt nun entschieden: »Wir sind keine Frachtfahrer, Mister! Wir können Ihnen nicht helfen!« Damit ist auch für Morg alles entschieden, und er hebt die Zügel, um die beiden Maul tiere wieder in Bewegung zu bringen. Doch da gebärdet sich der Mann wie ein Verrückter. »Sie müssen mir helfen! Sie müssen mir helfen! Begreifen Sie das doch! Ich muß mit meinen Pfirsichen nach Pikes Creek, bevor wieder Schnee fällt! Ich kann Ihnen nicht mehr als hundert Dollar zahlen, doch ich gebe Ihnen noch zehn Büchsen, die jede bestimmt vier oder fünf Dollar einbringt! Und ich schenke Ihnen diese - 88 -
beiden Pferde. Ich kann doch hier nicht fort, um von irgendwo Hilfe zu holen. In diesem Lande hier stehlen alle Menschen - wenn es sich um Proviant handelt - wie die Raben. Schon der nächste Goldgräber-Treck, der hier vorbeikommt, räumt mir den Wagen aus. Ich kann auch nicht auf einen Frachtzug warten, denn alle Frachtwagen, die nach Pikes Creek wollen, sind bis zur letzten Grenze beladen, ja, sie sind sogar überladen, weil jede Unze Fracht bares Geld bringt. Also, wenn in Ihrem Wagen noch Platz ist für meine Ladung, dann müssen Sie mir ganz einfach helfen! Schließlich machen Sie doch ein gutes Geschäft, nicht wahr?« Morg betrachtet ihn. Der Kerl gefällt ihm nicht. Überdies kann er nun erkennen, daß der Mann in jeder Tasche einen Derringer und unter der Jacke einen Revolver im Schulterhalfter trägt. Die Wieselaugen des Burschen blinken nun auch sehr gefährlich. Morg betrachtet das Mädchen, und er kann erkennen, wie sie rechnet und wie sich ihr geschäftstüchtiger Geist nun regt. Bevor er etwas sagen kann, hört er sie sprechen: »Es ist mein Wagen, Mister. Und ich befördere keine fremden Frachten. Ich kann Ihnen jedoch einen Vorschlag machen.« »Ja?« fragt der Bursche. »Wollen Sie vielleicht eine Beteiligung? Wollen Sie meine Notlage vielleicht ausnutzen, ja?« »Ich würde die Konserven kaufen«, sagt sie. »Ich würde Ihnen für die Büchse einen Dollar zahlen. Das ist mein Angebot. Wollen Sie?« Er betrachtet sie nun hart. »Sie sind klug und geschäftstüchtig«, murmelt er. »Sie werden im Goldland noch Ihr Glück machen. So schön und begehrenswert - und dabei auch noch so eiskalt und - 89 -
geschäftstüchtig.« Sein mageres Wieselgesicht verzerrt sich, und man sieht ihm an, daß er nach einem Ausweg sucht, nach einer Möglichkeit. Sein unruhiger Blick richtet sich auf Morg. Er erkennt, welch harter und beachtlicher Mann dort neben dem Mädchen auf dem Fahrersitz sitzt - nicht einfach nur ein Cowboy: ein richtiger großer Bursche, wie man ihm nur selten begegnet. Patricia Moore sagt ruhig: »Fahr weiter, Morg! Ich reiße mich nicht um die Pfirsich-Büchsen.« Morg will nun endgültig anfahren. Doch da brüllt der Bursche mit sehr schriller und sich überschlagender Stimme: »Also gut! Also gut! Ich verkaufe hier auf der Stelle meine Ladung!« Der schon anruckende Wagen steht wieder still. Morg beobachtet dann das Mädchen mit jener Nachsicht, die Männer manchmal zeigen, wenn sie sich wundern. Denn Patricia gibt nicht etwa sofort das Geld heraus. Sie läßt sich erst die Kaufquittung zeigen, die in Santa Fe ausgestellt wurde. Dann setzt sie selbst einen Kaufvertrag auf. Und zum Schluß öffnet sie eine der sechshundert Büchsen und kostet den Inhalt. Sie läßt auch Morg kosten, und dieser sagt, wobei er übertrieben entzückt die Augen verdreht: »Oh, Madam, wie köstlich!« »Ja, sie sind gut«, nickt sie. »Und ich habe die verbeulteste und verrostetste Büchse genommen. Nun gut!« Sie überläßt Morg die Büchse und sagt zu dem Mann: »Wir laden um! Wenn die Ladung in meinem Wagen liegt, bekommen Sie Ihr Geld. Also los!« Der Mann zögert. Doch Morg betrachtet ihn hart. Und - 90 -
da willigt er ein. Bald darauf sind sie damit beschäftigt, die sechshundert Büchsen umzuladen. Als sie damit fertig sind, zahlt Patricia. Dann sehen sie und Morg zu, wie der Mann seine beiden Pferde ausschirrt, eines zum Reiten fertigmacht und auf dem anderen Tier sein Bündel festschnallt. Sie blicken ihm nach, wie er den Weg zurückreitet, den er gekommen war. Vielleicht wird er sich irgendwo wieder eine Ladung mit kostbaren Leckerbissen verschaffen, etwas, was man im Goldland teuer bezahlt. Und er wird dann sicherlich einen starken Wagen und starke Zugtiere nehmen. Er wird sich dies leisten können, denn er hat dreihundert Dollar verdient. Patricia Moore aber wird viel, viel verdienen. Morg sagt es ihr mit Worten: »Jetzt wirst du wahrhaftig bald reich sein, Pat. Ja, du wirst es sehr viel schneller schaffen als wir!« *** Gegen Mittag des vierten Tages ist Morg Cleveland aus Pikes Creek zurück. Und als er mit dem Wagen durch den engen Taleingang gefahren ist, hält er an und staunt. Denn was er sieht, ist beachtlich. Er begreift, daß Johny und Dick Tag und Nacht fast ohne jede Pause gearbeitet haben müssen. Denn dort steht eine solide Blockhütte, mit einem Steinkamin an der Außenwand. Sogar eine Tür hängt ordentlich in den Lederangeln. Nur mit den Fenstern hapert es - es sind leere Vierecke. Morg grinst. Er hat zwar keine Scheiben, dafür jedoch eine Menge leere Whiskyflaschen mitgebracht, und zwar durchsichtige Flaschen von ungefärbtem Glas. - 91 -
Sie werden eine sehr dicke Fensterscheibe ergeben, wenn sie erst mit Lehm eingekittet sind. Johnny und Dick nähern sich von einem angefangenen Corral her. Obwohl die Witterung kalt ist, schwitzen sie. Und sie betrachten Morg auf eine besondere Art, die eine Mischung von Grimm und Freude ist. »Den kennen wir doch, nicht wahr?« fragt Dick zweifelnd. »Ich glaube, es ist Mister Morgan Cleveland«, murmelt Johnny. »Wenn er das ist, dann haben wir ihn vor langer Zeit mal gekannt. Doch dann fuhr er mit einem schönen Mädchen vondannen und ward viele Jahre nicht mehr gesehen.« Er wendet sich an Morg und lüftet seinen Hut. »Verzeihung, Sir«, lispelt er, »sind Sie vielleicht Mister Cleveland, der vor vielen Jahren seine guten Freunde verließ?« »Ich bin Morg Cleveland«, erwidert dieser ernst. »Und ich suche zwei Burschen, die ich schon fast vergessen hatte.« »Das sind wir«, sagen sie zweistimmig. »Oder glaubst du vielleicht, wir wären ein Waschbär und ein Eichhörnchen?« fragt Johnny entrüstet. Doch dann können sie es nicht länger aushalten. »Was ist mit Pat?« Wieder rufen sie es zweistimmig, so, als hätten sie es einstudiert. Morg reicht jedem von ihnen eine Zigarre, bleibt jedoch noch auf dem Wagen sitzen. »Es ist ziemlich schlimm mit ihr«, sagt er langsam, und man sieht ihm die Sorgen an. Die beiden Freunde vergessen nun, ihre Zigarren in Brand zu setzen; sie drängen an den Wagen heran. Und dann grollt Dick grimmig und fast schon böse: - 92 -
»Mister, wir fragen nicht. Aber wir wollen einen genauen Bericht. Und wenn du jetzt nicht sofort deinen Mund bewegst, um uns armen Einsiedlern alles genau zu berichten, dann holen wir dich vom Wagen und rammen dich als Corralstange ein. Dann kannst du den ganzen Winter herumstehen und schweigen!« Aber Morg zündet erst seine Zigarre an. Sie ist gewissermaßen seine Belohnung für sich selbst nach der langen und beschwerlichen Fahrt. Doch dann berichtet er genau, wie Patricia Moore in den Besitz einer Wagenladung Pfirsich-Konserven aus Kalifornien kam. »Ich habe einige Büchsen im Wagen«, sagt er. »Pat gab sie mir für euch mit. Ich soll auch von ihr grüßen!« Obwohl Johnny und Dick gewiß gerne herausfinden würden, wie konservierte Pfirsiche im Winter schmecken, zeigen sie kein Interesse. Johnny sagt heftig: »Weiter! Was war weiter? Langer, unsere Geduld geht wahrhaftig zu Ende!« Morg nickt. »Wir kamen spät in der Nacht in Pikes Creek an«, berichtet er weiter. »Diese Stadt ist ein wildes Camp, rasch und" nicht für die Dauer errichtet. Aber es gibt eine Verwaltung dort, vor allen Dingen einen Regierungsbeauftragten für die Landbesiedlung. Ich habe unsere Ansprüche auf dieses Tal hier eintragen lassen und dementsprechende Bescheinigungen dafür erhalten. Das Tal war noch frei. Es kann uns hier niemand mehr in die Quere kommen.« Nun stöhnen Johnny und Dick schmerzvoll, und sie winden sich, so als hätten sie Bauchschmerzen bekommen. »Warum willst du nicht begreifen, daß wir alles über Pat hören wollen, alles, was geschah?« Morg Cleveland seufzt. »Dieses Mädel«, murmelt er, - 93 -
»sie war nicht zu halten. Es hat sie gepackt. Sie bekam das Fieber - versteht ihr, jenes Fieber, schnell reich werden zu wollen, Geschäfte zu machen, hochzukommen, sich was zu erobern, schnell, wagemutig und rücksichtslos. Wir kamen also mitten in der Nacht an. Ich fuhr eine Weile herum, doch niemand hatte ein Zimmer frei. Jedes Bett, jede Kiste, jedes Strohbündel, jeder Stall - ah, jedes Obdach ist belegt, vermietet. Wir bekamen also kein Zimmer für Patricia. Und so fuhren wir den Wagen auf den Abraham-Lincoln-Platz. Dort brannten große Feuer und Teerfässer. Es gab da einige große Zelte, in denen man Büffelsteaks, Büffelleber und Bier bekommen konnte. Auch Selbstgebrannter Whisky wurde ausgeschenkt. Und die Ute-Indianer hatten eine Ziegenherde angetrieben und brieten Ziegenfleisch über den Feuern. Es war ein ziemliches Fest. Denn es gibt nicht alle Tage Büffelfleisch und Ziegenbraten. Es war ein glückliches Zusammentreffen. Alle Leute, die Geld oder Gold genug hatten, waren versammelt und stopften sich für die nächsten Wochen voll Fleisch. - Nun gut, in dieses Fleischesserfest kamen wir nun mit der Wagenladung Pfirsiche. Die Leute sehnten sich nach all dem vielen Fleischgenuß sehr nach einem prächtigen Nachtisch. Das Mädel begriff sofort, daß gehandelt werden mußte.« Morg verstummt, saugt an der Zigarre und fährt sich dann mit der Hand über Augen und Stirn. »Du lieber Gott«, sagt er dann. »Pat nahm ihre Chancen wahr. Dieses Mädel kann hart kämpfen. Sie opferte zwei Dosen, indem sie diese öffnete und den Inhalt unter die Neugierigen verteilte, die sich auf ihre Anpreisungen hin rings um den Wagen angesammelt hatten. - Oh, Himmel, sie rief Worte wie: >Leute, ich - 94 -
bringe den kalifornischen Sommer zu euch!< Oder: >Goldene Früchte, süß und gesund wie die Freuden des Paradieses! Die Büchse sechs Dollar! Ein Kilo Pfirsiche aus dem Paradies für sechs Dollar! Der Süden, der Sommer und die ganze Süße Californias sind in diesen Büchsen eingesperrt !< Ach, sie rief noch bessere Sachen, wie sie nur ein verrückter Dichter sonst ausdenken könnte. Und bald darauf, als die ersten Zuschauer gekostet hatten, ging es los! Wir konnten gar nicht so schnell verkaufen. Und fast hätte man uns mitsamt dem Wagen umgerissen, so sehr drängten die Menschen. Die letzten zehn Büchsen versteigerte das Mädel dann meistbietend. Und für die allerletzte Büchse erhielt sie einen Betrag von über zweihundert Dollar in Gold. Ein großmäuliger Digger tauschte die Büchse gegen einen Beutel Goldstaub ein. Und dann war das Geschäft gemacht. Das Mädel hat an die viertausend Dollar in der Tasche. Sie schickt euch diese Zigarren, und im Wagen sind auch noch einige Büchsen für euch. Das ist es wohl.« »Und was war dann?« fragt Johnny wild. »Ja, was war dann, du schweigender Grabstein?« grollt Dick böse. Morg wiegt den Kopf und wischt sich wieder über Augen und Stirn. »Pat kannte keine Ruhe«, sagte er. »Sie war wie verändert, wie in einem wilden Rausche - aber in einem überwachen Rausche. Sie war klug, berechnend, geschäftstüchtig und gerissen, so, als wäre sie auf dem Markt der tausend Diebe in Mexico City aufgewachsen. Jungens, mir schwirrt noch jetzt alles in meinem Kopfe, wenn ich daran denke, was sie alles binnen weniger Stunden zusammen und unter einen Hut brachte.« Er verstummt, überlegt und zählt dann an den Fingern - 95 -
der Reihe nach auf: »Zuerst brachte sie die Büffeljäger, die das Fleisch gebracht hatten, dazu, mit ihr einen Vertrag zu schließen. Diese Büffeljäger-Mannschaft jagt jetzt nur noch gegen Beteiligung für Pat Moores Restaurants Und auch die Ute-Indianer, die mit den Ziegen aus den Bergen kamen, verkaufen die Ziegen nur noch an Pat Moores Restaurant, und auch die Hammel und was sie sonst noch liefern können.« Morg denkt wieder nach und tippt dann auf den dritten Finger. »Der Colorado-Saloon war einige Tage zuvor geschlossen worden. Der Besitzer und dessen Kartenausteiler hatten beim Spiel betrogen. Sie hatten dann einen der Stadt-Marshals erschossen. Doch Pat kam mit der Stadtverwaltung und dem im Gefängnis sitzenden Besitzer zu einer Einigung. Sie hat den Saloon mieten können, weil sie ein Speise-Restaurant daraus macht und weil sie die Verträge mit den Fleisch Jägern und den UteIndianern vorweisen konnte. Die Behörden sind sehr daran interessiert, daß es möglichst viele Speiselokale gibt, weil es immer noch zuwenig sind. Nun kaufte sie einige Öfen, Geschirr und allerlei andere Dinge zusammen. Das ist es also.« Er klettert nun vom Wagen. »Sie wird viel Geld machen«, sagt er gepreßt. »Doch sie wird sich wohl auch der Männer erwehren können, die schon jetzt wie hungrige Wildkater um sie herumschleichen. Sie wird sich behaupten, denke ich.« Johnny und Dick starren ihn seltsam an. »Du Narr«, sagt Dick dann schwer. »Ich dachte immer, du wärest der klügste Kopf von uns. Doch jetzt muß ich erkennen, daß du ein Dummkopf bist! Wie - 96 -
konntest du das Mädel dort allein lassen? Warst du von allen guten Geistern verlassen? Wie konntest du dieses arme und hilflose Mädel nur inmitten dieser wilden Meute lassen?« »Ja, das frage ich mich auch«, sagt Johnny dazu. Morg betrachtet die beiden Freunde fassungslos. Dann senkt er den Kopf und sagt: »Wir waren mit unserer Herde ziemlich lange unterwegs. Es hat sich indes sehr viel ereignet. Man hat Bringham Flynn und dessen Bande aus Texas vertrieben. Sie sind jetzt im Colorado-Territorium, dort in Pikes Creek. Ich bin Bringham Flynn begegnet. Er wußte natürlich nicht, wer ich bin. Ich hörte nur, wie zwei Männer sich über ihn unterhielten, als er an der Handelsniederlassung der Wells Fargo vorbeiritt. Er hatte ein halbes Dutzend Revolverhelden bei sich. Sie waren ein schlimmes Rudel. Aus Texas wurden sie von der Besatzungstruppe verjagt. Doch hier gibt es keine Armee. Hier müßte ein Sheriff oder ein Marshal ein Aufgebot zusammenstellen. Und ich glaube nicht, daß sich jemand zu diesem Aufgebot melden würde.« Er lehnte sich gegen die Wagenwand. »Ja, ich gebe es ehrlich zu«, sagt er. »Ich bin aus Pikes Creek geflohen. Patricia Moore stand neben mir, als sich die Leute auf den Banditenführer aufmerksam machten und der Marshal von Pikes Creek sich um die Ecke verdrückte, um außer Sicht zu gelangen. Das Mädchen wußte sofort Bescheid und drängte mich, zu verschwinden. Was sollte ich denn tun? Dableiben und warten, bis Bringham Flynn herausfindet wer ich bin? Er hat sicherlich eine gute Beschreibung von uns. Ich habe von der Handelsniederlassung Fallen, Wolfsgift und alle anderen Dinge gekauft, die wir hier den Winter über so - 97 -
nötig brauchen. Und dann habe ich mich davongemacht. Ich kann nur hoffen, daß Bringham Flynn nicht wegen uns nach Colorado gekommen ist, daß er nicht unsere Fährte bis nach Kansas verfolgte und man ihm in Dodge City sagte ...« »Aber du hast das Mädel verlassen! Du hast Pat in diesem wilden Camp gelassen. Sie wird darin umkommen. So hart, so schlau und so geschäftstüchtig kann sie gar nicht sein, daß sie ungeschoren bleiben wird. Du hättest sie ...« Morg unterbricht Johnny Christie, der ihn unterbrochen hatte, nun ebenfalls rauh und scharf: »Sollte ich sie vielleicht mit Gewalt herschleppen? Sollte ich sie mit Gewalt in diese Wildnis zurückschleppen? Was können wir ihr denn hier bieten? Heiliger Rauch, dieses Mädchen kann für sich sorgen! Und ich will nicht wieder einen Mann töten müssen. Habt ihr das begriffen?! Ich fürchte mich nicht vor Bringham Flynn, ich nicht! Aber ich will nicht mit ihm kämpfen müssen. Man wird ihn auch aus dem ColoradoTerritorium vertreiben, ganz bestimmt. Dann wird er gewiß weiter nach Norden gehen und das Indianerland zwischen sich und das Gesetz bringen. Dann ist er fort und hat mich vielleicht vergessen.« Er wendet sich nach diesen Worten ab, geht hinter den Wagen und öffnet dort die Klappe. Wortlos und ohne auf die Freunde zu achten, beginnt er den Wagen zu entladen. Er wirft Fallen von jeder Art und Größe auf den1 Boden und zerrt dann einige Säcke und Ballen heraus. Als er sich nach Johnny und Dick umwendet, stehen diese immer noch bewegungslos da und betrachten ihn. »He!« Er stößt diesen Ruf scharf hervor, so, als wolle - 98 -
er sie aus dem Schlafe wecken. »Was ist mit euch los?« fragt er dann. Sie betrachten ihn, dann blicken sie sich an - und plötzlich ist ein vollkommenes Einverständnis zwischen ihnen. Sie brauchten keine Worte zu reden, um zu spüren, wie einig sie sich sind. Als sie ihre Blicke nun fest auf Morg richten, sind sie gemeinsam zu einer Sache entschlossen. »Sag du es ihm, Dick«, spricht Johnny schwer, und Morg kann sehen, wie er mühsam schluckt. Dick aber zögert und sagt dann zweifelnd: »Ich weiß nicht, ob ich die richtigen Worte finden werde. Aber ich will es versuchen. Und wir wollen ganz ehrlich zueinander sein. Well, wir haben hier unsere TraumWeide gefunden. Ja, wir fanden hier, was wir seit Monaten suchten und wovon wir schon während des Krieges geträumt hatten.« Dick macht eine kleine Pause. »Nun sind wir hier«, sagt er dann. »Und wir haben auch Rinder hier, eine gute Herde der besten Longhorns, die wir am Brazos finden konnten. Es ist fast alles so, wie wir es haben wollten. Und wir brauchten jetzt eigentlich nur noch kräftig zu arbeiten und einige Jahre geduldig zu sein. Dann hätten wir es bald geschafft. Ja ...« »So ist es«, sagt Morg herb. »Und wir werden hier den Winter über eine Menge Pelztiere fangen können. Wenn wir im Frühjahr unsere Ausbeute als Trapper verkaufen, wird es uns nicht schlecht gehen. Wir werden eine ganze Menge Geld bekommen.« Sie blicken ihn an und nicken. »Schon, schon«, murmelt Johnny. »Es wäre schon alles richtig so, und wir könnten uns drei Glückspilze nennen, wenn ...« Hier verstummt er und senkt den Kopf. - 99 -
»... wenn?!« fragt Morg hart. »Es ist schlimm mit uns«, sagt Dick. »Wir haben uns beide schlimm in Patricia Moore verliebt, mußt du wissen, alter Junge. Das wurde uns aber erst richtig klar, als du sie fortgebracht hast. Wir spürten es dann erst so richtig. Und da arbeiteten wir Tag und Nacht. Wir wollten uns mit Arbeit betäuben. Wir wußten, daß wir nicht schlafen konnten - und daß wir immerzu ...« Er verstummt, macht eine hilflos wirkende Handbewegung und murmelt: »Morg, ich finde nicht die richtigen Worte, um es genau zu sagen. Aber es ist nun mal so, daß wir das Mädel sehr vermißten. Und - ich spreche jetzt nur für mich allein, Morg, nicht für Johnny. Doch ich sage dir jetzt, daß ich es hier nicht aushalte, solange ich das Mädel allein unter der großen Meute weiß. Ich kann hier nicht leben, solange sie dort in Pikes Creek allein ...« Er bricht ab, zuckt mit den breiten Schultern und wendet sich um. Johnny nickt langsam. »So geht es mir auch, Morg«, murmelt er. »Verzeihe uns! Aber es wird wohl nichts mit unserer gemeinschaftlichen Rinderzucht auf der endlich gefundenen Traumweide! Es wird wohl nichts daraus. Denn auch ich muß nach Pikes Creek. Wir hier, Dick und ich, wir haben während der letzten drei Tage und Nächte herausgefunden, daß unser Leben diesem Mädel gehört. Gut, sie will sich von dieser Welt - von diesem großen Rosinenkuchen! - eine dicke Scheibe abschneiden. Soll sie! Doch sie wird zwei Getreue nötig haben, auf die sie sich wirklich verlassen kann. Deshalb geben wir hier alles auf und reiten zu ihr. Morg, wenn du dich so sehr verliebt hättest wie wir, dann könntest du alles besser - 100 -
verstehen.« Er macht eine Handbewegung, die wie eine um Entschuldigung bittende Geste ist, zugleich aber auch als Abschiedsgruß gut. Morg sieht ihm nach. Und er begreift, daß Johnny und Dick nun drinnen im Blockhaus ihre Bündel packen. Bald darauf erscheinen sie wieder. Sie werfen ihm unruhige Blicke zu, verschwinden um die Ecke und satteln sicherlich im Corral ihre Pferde. Morg Cleveland gibt einem Sack Bohnen einen Tritt, geht um den Wagen herum, lehnt sich auf der anderen Seite mit dem Rücken dagegen und starrt ins Leere. Er denkt an eine Sache, die er Johnny und Dick nicht erzählte. Er denkt wieder daran, wie er Patricia Moore darum bat, seine Frau zu werden, wie er zu ihr sagte: »Heirate mich, Pat. Und dann komm mit mir in das Tal zurück! Gewiß, es wird ziemlich hart werden im ersten Winter. Doch schon im nächsten Jahre wird alles besser sein. Pat, hier in dieser wilden Stadt kannst du vielleicht viel gewinnen - aber du wirst gewiß auch viel verlieren, denn du wirst hier hart werden. Eine Frau, die sich unter harten und ziemlich rücksichtslosen Männern behaupten muß, verliert so sehr viel von all den Dingen, die in ihr sind und die sie für einen Mann zu einem kostbaren Besitz machen - all die Wärme und Güte, die Sanftheit und ...« Weiter kam er nicht. Denn sie unterbrach ihn herb. Sie sagte: »Morg, ich gab mich vor dem Marshal von Dodge City als deine Braut aus. Und du sagtest nichts dazu kein einziges Wort auf dem langen Wege. Aber du sagtest mir zuvor mal was anderes. Du sagtest einmal, daß du nicht möchtest, daß ich mich in dich verliebe. Nun gut, Morg! Bleiben wir dabei! Ich habe Blut geleckt, - 101 -
kann man wohl sagen! Ich habe mein kleines Anfangskapital fast verzehnfacht. Und ich gedenke jetzt nicht aufzuhören. Ich bin jetzt in Freiheit. Und das gefällt mir! Ich will jetzt meinen Weg gehen. Und ich glaube nicht, daß ich hart werde - ich meine tief in meinem innersten Kern, so daß ich später vielleicht nicht mehr dazu fähig bin, Gefühle zu spüren, die echt weiblich sind und denen ich nachgeben müßte. Ich glaube nicht, daß ich verhärten werde. Doch ich kann dir jetzt nicht in die Einsamkeit eines abgelegenen Tales folgen. Und da sind auch noch Johnny und Dick, nicht wahr? Sie lieben mich! Sie lieben mich beide sehr! Ich möchte eure gute Freundschaft nicht zerstören, indem ich ...« Doch sie sprach abermals nicht weiter. Sie küßte ihn zum Abschied auf die Wange. Und dann war er allein. Daran denkt er jetzt - und auch an seinen Heimweg, an das große Bedauern, welches er immer stärker spürte, je mehr Meilen er sich von Patricia entfernte. Und Dick und Johnny lassen ihn jetzt auch allein. Er blickt ihnen nach - und die Bitterkeit in ihm ist nun ein nagender und brennender Schmerz. Er fühlt sich müde und erschöpft, innerlich ausgehöhlt und wie der einsamste Mensch auf dieser Welt. Er denkt eine Minute darüber nach, was er wohl tun soll, und er spürt schon dabei, wie sich tief in seinem Herzen der erste Trotz zu regen beginnt, jenes trotzige »Dennoch!« welches in jedem Kämpfer im tiefsten Unglück und beim schlimmsten Kummer mächtig wird. Er hebt seinen Blick und späht in die Ferne. Sein Blick wandert an den Grenzen seiner Weide entlang - an den langen Hängen und Felswänden. »Dies ist mein Reich«, murmelt er. - 102 -
Er atmet tief und sagt dann trotzig: »Nun gut, ich halte durch! Auch allein! Dies ist der Platz, den ich finden wollte. Dies hier ist die Weide, die ich mir erträumte. Hier baue ich mein Rinderreich auf.« Und als er es gesagt hat, macht er sich an die Arbeit. *** Es ist mehr als nur Arbeit: es ist ein Kampf, ein EinMann-Kampf gegen unzählige Schwierigkeiten. Morg Cleveland in seiner Einsamkeit findet kaum Ruhe, und er zählt bald nicht mehr die Tage und Wochen. Das Christfest, welches er so gern mit seinen Freunden und Patricia gefeiert hätte, verbringt er draußen im Schnee bei den Rindern. Als dann der Schnee höher liegt, auch in den Waldlichtungen und auf den bewaldeten Terrassen der Hänge, ist die Futterbeschaffung nicht mehr leicht. Aber das alles, die Arbeit am Haus und in den Corrals, die Jagd auf Wölfe und Berglöwen, also den Schutz der Herde, dann die Futtersuche für die Tiere in den Corrals, das alles ist nicht mal Morg Clevelands Hauptbeschäftigung. Denn er wird im Frühjahr eine Menge Geld nötig haben. Seine kleine Herde soll sich ja vermehren, und das bedeutet, daß er in den nächsten Jahren keine Rinder verkaufen darf, nur die wenigen überzähligen Stiere. Er muß sich also andere Verdienstmöglichkeiten ver schaffen. Und so wird er mehr und mehr zum Fallensteller, zum Trapper. Diese Arbeit nimmt die meiste Zeit in Anspruch. Doch die Erfolge feuern ihn mehr und mehr - 103 -
an. Schon im Januar besitzt er eine stattliche Ausbeute an edlen Pelzen. Er wird noch hagerer, als er es zuvor schon nach dem langen Treiben war, und wenn man ihn durch den Wald gleiten sieht, dann könnte man ihn manchmal fast für einen Indianer halten, der die Kleidung eines weißen Mannes trägt. Hundert Male an jedem Tag und in jeder Nacht besonders während der Stunden der Jagd und bei der Bereitung der erbeuteten Felle und Pelze, wenn er sie innen sauber schabt und sie aufspannt, da muß er immer wieder an Patricia denken. Nur über eine Sache freut er sich und verspürt Befriedigung: daß Dick und Johnny bei Patricia sind. Er glaubt sicher, daß sie in guter Hut ist. Aber auch in dieser Beziehung verspürt er manchmal gewisse Zweifel. Sie sind immer dann da, wenn er an Bringham Flynn denken muß. Was würde Bringham Flynn wohl tun, wenn er noch in Pikes Creek weilt und irgendwie herausbekommt, daß Dick und Johnny die Partner und Freunde jenes Mannes sind, der seinen Bruder Jesse tötete? Zweimal will Morg sich auf den Weg nach Pikes Creek machen, weil er glaubt, es nun nicht länger aushalten zu können. Zum ersten Male versucht er es im Februar, und er kommt zu Pferd auch ganz gut vorwärts. Denn der Schnee war kurzfristig getaut und dann gefroren. Diese gefrorene Kruste ist überall so dick und stark, daß sie Pferd und Reiter tragen kann. Doch als Morg zwei oder drei Meilen weit aus dem Tal geritten war, da mußte er umkehren. Ein Blizzard nahte von Wyoming her, und er brachte - 104 -
das Eis und die Kälte von Alaska mit. Morg kehrte um und kämpfte dann gegen den Blizzard um seine Binder. Dies also passierte ihm im Februar und dann noch einmal Mitte März. Und dann gab er es auf. Neue Kälber und Fohlen brauchten ihn. Und die aufgestellten Fallen brachten immer wieder reichlich Beute. Auch taute der Schnee und machte jedes Vorwärtskommen zu Pferde unmöglich. Die Einsamkeit wird jedoch immer bedrückender für Morg. *** Als die Schneeschmelze einsetzt, werden die beiden Bäche im Tal zu reißenden Flüssen. Und dann ist mit einem Male der Frühling da. Morg Gleveland sieht es überall. Und er hört es von tausend jubilierenden Stimmen. An einem Abend packt er den Wagen voller Pelze und Felle. Es ist eine umfangreiche Ladung - allein einhundertsiebenundzwanzig Wölfe sind dabei. Und noch zahlreicher sind die Biberfelle. Und auch für die Silberfüchse, für die Nerze, Marder, Bisamratten wird er gutes Geld bekommen. Beim ersten Tageslicht ist er dann unterwegs. Um seine Rinder und Pferde braucht er sich jetzt nicht mehr zu sorgen. Denn das große Raubzeug hat jetzt überall im Wald leichtere Beute. Morg ist bärtig und gleicht wahrhaftig mehr einem Trapper als einem Cowboy. Er ist voller Ungeduld - und manchmal verspürt er tief in seinem Herzen eine bange Ahnung. Er läßt die beiden starken Maultiere stetig traben, gönnt ihnen nur die unbedingt notwendigen - 105 -
Pausen und fährt den ganzen Tag bis in die späte Nacht hinein. Er schläft einige Stunden an einem Feuer, spannt wieder an und fährt noch vor Tagesanbruch wieder weiter. Gegen Mittag ist er im Pikes-Tal. Bald darauf kommt die Stadt in Sicht. Er biegt vor ihr ab und erreicht die alte Handelsniederlassung der Wells & Fargo Company, die schon hier war, als es noch keine Stadt gab und wo die Agenten der Company mit den Indianern Handel trieben und die einzigen Weißen weit und breit waren. Einige Indianer und Trapper sitzen auf der Veranda herum, und ein Ute-Häuptling kommt aus dem Haus und lutscht ernsthaft an einer grünen Zuckerstange. Der Agent kommt aus dem Büro und begrüßt Morg. Er blickt dann in den Wagen und betrachtet die Felle. »Eine gute Ausbeute ist das«, sagt er. »Sie waren doch im Herbst bei mir und bekamen einen kleinen Kredit. Nun, jetzt können Sie ihn aus der Westentasche zurückzahlen.« »Ich habe hier eine Liste aller Felle«, sagt Morg. »Vergleichen Sie und prüfen Sie. Ich muß in die Stadt hinüber. Machen Sie mir einen guten Preis, wenn Sie im nächsten Jahr wieder von mir Felle und Pelze bekommen wollen. Ich habe viel Wild in meinem großen Tal. Kann ich einen Vorschuß bekommen, sofort?« Der Agent betrachtet ihn und dann schätzt er die Ladung. »Ich kann Ihnen einen Vorschuß von tausend Dollar geben«, sagt er. »Wenn alle Felle nur Durchschnitt sind, ist diese Ladung zweitausend Dollar wert. Sie waren doch ein Cowboy? Waren Sie schon mal...« »Mein Väter war Siedler, und wir lebten manche Jahre nur von der Jagd«, erklärt Morg. - 106 -
Er folgt dem Agenten in dessen Büro und läßt sich tausend Dollar geben. Wenig später befindet er sich auf dem Weg zur Stadt. Er ist hagerer als sonst, bärtig und ziemlich abgerissen und ungepflegt, er ist ein Mann, der einen langen Winter einsam war und der die Arbeit von drei Männern verrichten mußte. Doch nun könnte alles sehr viel besser für ihn aussehen, wenn er nur schon wüßte, was aus Patricia Moore, Dick Hilliary und Johnny Christie geworden ist. Es drängt ihn mächtig, auf diese Frage eine Antwort zu bekommen. *** Die Stadt ist ruhig und wirkt still und friedlich. Das ist kein Wunder, denn die meisten Menschen sind irgendwo auf ihren Claims oder in den Minenstollen und suchen für sich oder für ihre Arbeitgeber nach Gold. Morg Cleveland geht zuallererst in den nächsten Store und kauft sich Unterwäsche, eine derbe Hose, Stiefel, ein grünes Flanellhemd und eine Kalbsfellweste. Dann geht er zum Barbier, läßt sich die Haare schneiden und rasieren und mietet sich für eine Stunde im Baderaum ein großes Holzfaß mit heißem Wasser bis zum Kinn. Er verbringt die Zeit damit, sich mehrmals mit Seife und einer Bürste abzuschrubben. Und der Neger, der das Wasser bringt, muß ihm den Rücken scheuern. Er reibt sich dann ganz mit Lavendelwasser ab, und als er dann in die nagelneue Unterwäsche und Kleidung steigt, hofft er sehr, daß er nicht mehr so riecht wie ein Trapper - nämlich nach all den Fellen und Pelzen und auch nach Skunk. Er hat viele Skunksfelle erbeutet, über - 107 -
zweihundert Stück. Aber das hatte auch gewisse Nachteile. Als Morg schließlich die Badestube und den Barbierladen verläßt, fühlt er sich sehr sauber, sehr frisch, sehr zufrieden und sehr ungeduldig. Und er hat nun keine Bedenken mehr, Patricia Moore gegenüberzutreten. Mag sie hier vielleicht auch Erfolge gehabt haben - er kann sich ebenfalls sehen lassen. Mit zweitausend Dollar kann er bis zum, nächsten Frühjahr gut auskommen, eine Menge Anschaffungen machen und die Anfänge der Ranch weiter ausbauen. Er macht sich also auf den Weg zu Patricia Moores Restaurant. Oh, er weiß noch gut, wo es liegt. Doch auf dem Schild über dem Haupteingang steht nicht >Patricia Moores Restaurant<. Morg Cleveland liest die Worte: OASE
Tanz und Unterhaltung!
Guter Whisky und jedes Spiel!
Tate Slow-Betrieb
Morg hält einen alten Mann an, der mit einem Eimer grüner Farbe an ihm vorbei will. »Mister, war das im Herbst nicht ein Restaurant?« fragt er. Der alte Mann betrachtet ihn, und er erkennt, daß Morg Cleveland wie ein typischer Cowboy aussieht, wie einer jener hageren und scharfäugigen Männer, die aus Texas kommen, und zwar im Sattel. Er nickt. »Ja, das war Patricia Moores Restaurant«, sagt er langsam und betrachtet Morg immer noch. Er zögert und fügt hinzu: »Doch jetzt ist es einer von Tate - 108 -
Slows Amüsierläden, und zwar der größte und einträglichste. Doch das kommt wohl daher, weil Miß Moore dort für die durstigen Burschen singt und ihnen was zeigt.« Morg erschrickt sehr. Er packt den Mann an der Schulter. »He, Miß Moore, die das Restaurant leitete, singt jetzt in diesem Amüsierladen für...« »Ja«, sagt der alte Mann. Er macht seine Schulter frei und geht eilig weiter. Morg starrt auf den Saloon. Und er kann es nicht glauben. Und dennoch begreift er nun, daß mit Patricia eine ganze Menge nicht in Ordnung sein kann. Er fühlt sich plötzlich beobachtet und bekommt wieder einen Blick für seine Umgebung. Er erkennt an der Ecke einen Mann, der ihn scharf beobachtet. Der Mann wendet sich plötzlich um und ist verschwunden. Morg macht einen Schritt auf die Hausecke zu. Dann hält er wieder an. Und nun weiß er auch schon Bescheid. Er weiß genau, wo er den Burschen schon einmal gesehen hat. Es ist schon lange her, schon Monate zurück. Doch dieser Mann hat kein Durchschnittsgesicht. Morg Cleveland erinnert sich wieder genau an den Tag, da er den wilden und ein wenig verrückten Revolverhelden Jesse Flynn töten mußte. Und dieser Mann war bei Jesse Flynn, damals im Brazos-Land. Jetzt ist er hier in Pikes Creek, und das bedeutet wahrscheinlich, daß er bei Bringham Flynn ist. Morg Cleveland begreift das alles binnen dreier Sekunden. Es wird ihm klar, daß er in eine Falle gerannt ist. Es steigt siedendheiß in ihm auf. Er denkt an Patricia - 109 -
Moore und an seine beiden Freunde. Morg Cleveland macht sich keine Illusionen mehr. Er weiß nun ziemlich sicher, daß während jener Zeit, da er in seinem Tal arbeitete und jagte, hier eine ganze Menge geschehen sein muß. Und was auch geschah - es war nichts Gutes! Er setzt sich in Bewegung, tritt auf die Veranda der großen Vergnügungshalle, stößt die Schwingtür auf und tritt ein. Er ist jetzt ein hagerer, scharfäugiger, wachsamer und eiskalter Texaner. Sein etwas hohlwangiges Gesicht ist ganz ruhig und ausdruckslos. Nur seine Nasenflügel vibrieren ständig etwas. Und in seinen rauchgrauen Augen ist ein kaltes Leuchten. Der Raum ist sehr groß. Es gibt ein Podium für eine Kapelle, und ein Klavier steht dort. Doch die Musiker sind noch nicht da. Sie werden sicherlich erst am Abend kommen. Es gibt eine kleine Bühne, vor der nun ein Vorhang hängt. Es gibt viele Tische und Stühle, viele Spucknäpfe, große Kronleuchter, die aus Wagenrädern gefertigt wurden und die mit Karbid brennen. Es gibt eine mehr als hundert Fuß lange Bar, mit einem Messinggeländer und Messing-Fußstützen. Es gibt einige Türen und Portieren, hinter denen andere Räume liegen. Eine Treppe führt zu einer Galerie hinauf - und zu Räumlichkeiten, die vielleicht zum Wohnen, aber auch für besondere Gesellschaften dienen, die unter sich sein wollen. Morg wird von den beiden Barkeepern, die während der flauen Zeit kaum etwas zu tun haben, aufmerksam - 110 -
betrachtet. Diese beiden erfahrenen Burschen begreifen sofort, daß da eine besondere Art von Mann eintrat. Morg betrachtet ein großes Plakat, welches neben der Bühne die Wand bedeckt. Es zeigt in Überlebensgröße eine ziemlich leichtbekleidete Frau, bunt und schillernd. Und darunter steht knallig und anreißerisch: Pat Moore singt für Euch!!! Er liest es langsam, Wort für Wort. Links von ihm ist der Schanktisch. Von dort fragt einer der Barmänner: »Wollen Sie einen Whisky? Oder Gin? Wir haben auch Rum! Alles kam gestern mit dem ersten Frachtzug! Nach diesem Winter macht das Leben langsam wieder Spaß.« »Ja, es war ein langer Winter«, murmelt Morg. »Für manche Menschen war dieser Winter gut - und für andere wieder schlecht. Ich trinke einen Gin. Und ich möchte eine Zigarre dazu.« »Sind Sie neu hier?« fragt der Barmann. Morg nickt. »Ganz neu.« Er deutet mit der Zigarre auf das Plakat. »Singt sie noch hier?« »Sicher, jeden Abend«, sagt der Barmann. »Und dann ist hier manchmal nicht einmal mehr ein Stehplatz frei. Sie verzaubert alle Männer mit ihren Liedern.« »So...«, sagt Morg. Er deutet die Treppe hinauf. »Wohnt sie dort oben in diesen Räumen?« »Wo sonst, Mister Texas«, brummt der Barmann. »Sie gehört doch zum Haus. Sie wohnt dort oben. Aber es darf niemand zu ihr. Sie will keinen Besuch. Sie spricht mit keinem Mann. Und auch Tate Slow will nicht, daß man sie belästigt. « »So ...«, sagt Morg wieder. Dann leert er das Glas und macht noch einen Zug an der Zigarette, bevor er sie sorgfältig auf einem der Aschenbecher ablegt. - 111 -
»Ich werde mal zu ihr hinaufgehen«, sagt er dann. »Ich habe Ihnen doch gesagt«, beginnt der Baarkeeper. Doch Morg beachtet ihn nicht. Er geht nun auf die Treppe zu, und der Barkeeper begreift, daß er mit Worten diesen Texaner nicht wird anhalten und von seinem Vorhaben abbringen können. Er hebt deshalb die Hand, schnackt laut und scharf mit den Fingern und sagt trocken: »Mulford, mache ihm klar, daß er nicht hinauf darf!« Neben der Treppe erhebt sich ein Mann an seinem Tisch, wo er mit einem anderen eine Partie Halma spielte. Nun ist ein Halma-Spiel gewiß harmlos und fast kindlich. Der Mann aber ist dies nicht. Er tritt Morg in den Weg und sagt: »Alter Freund, hier kannst du nicht hinauf. Das mußt du einsehen. Geh, trinke noch ein Glas! Wir wollen uns nicht gegenseitig ärgern, nicht wahr? Sieh, ich werde dafür bezahlt, daß ich Ordnung und Frieden halte. Was hast du davon, wenn du von mir was auf die Nuß bekommst?« Er sagt es breit und auf eine nicht unfreundliche Art. Aber er ist ganz gewiß hart und rücksichtslos, wenn es nicht anders geht. Morg ist ebenfalls freundlich und nett. Er sagt ruhig: »Dicker, ich verstehe schon, daß du mich aufhalten mußt, weil man dich dafür bezahlt. Aber ich kann dir den Kummer wirklich nicht ersparen. Ich muß mit Pat Moore reden. Weißt du, sie und ich, wir kennen uns gut. Sie wird sehr froh sein, mich zu sehen. Ich muß auf der Stelle zu ihr. Wenn du willst, dann geh hinauf und frage sie. Ich verspreche dir, hier solange ruhig zu warten.« Der Rauswerfer blickt zum Schanktisch hin. Dort - 112 -
schüttelt der Barmann den Kopf. Und das ist für den Rauswerfer, der ja eine Rangstufe unter dem Barmann steht, ein Befehl. »Nein«, sagt er. »Wenn du an mir vorbei zur Treppe möchtest, dann mußt du mich erst schlagen können, Langer!« Morg betrachtet ihn sorgfältig, und er erkennt die Furchtlosigkeit, das Selbstvertrauen und die Wachsamkeit in diesem Manne. »Nun gut«, murmelt er und wendet sich halb. Aber er weiß, daß er diesen erfahrenen Kämpfer nicht damit täu schen kann. Er weiß, daß der Mann seine Fäuste in Bereitschaft hat und sich nicht täuschen läßt. Und richtig, als Morg herumwirbelt und sich duckt, kommen die Fäuste angeflogen, schnell und präzise. Aber weil Morg damit rechnete, daß sein Täuschungsmanöver nicht gelingen würde, taucht er noch tiefer, unterläuft die Fäuste und umfaßt den Mann in Höhe der Kniekehlen. Er hebt ihn mit einem wilden Ruck auf und schleudert ihn über sich hinweg. Dann geht er die Treppe hinauf. Der Rauswerfer folgt ihm grollend. Und alle Männer im Lokal sehen zu. Sie haben Big Mulford schon oft genug bei der Arbeit gesehen und glauben nicht daran, daß der lange und hagere Texaner eine Chance hat. Mulford wird ihn, dieser Meinung sind sie noch, bestimmt sofort die Treppe herunterwerfen. »Bleib stehen!« Mulford grollt es und greift, da er ja einige Stufen zurück ist, nach Morgs Füßen. Er will Morgs Fußgelenke umfassen und ihn von der Treppe reißen. Aber er bekommt einen Tritt gegen die Schulter, schwankt und muß sich am Geländer festhalten, um nicht - 113 -
hinunterzufallen. Und da springt Morg einige Stufen hinunter. Er landet auf der Stufe neben Mulford, und da dieser sich noch an das Geländer klammern muß und das Gleichgewicht noch nicht gefunden hat, ist es sehr einfach für Morg. Er hat seinen Revolver in der Hand, als er bei Mulford auf der Treppenstufe landet. Nun schlägt er zu. Mulford seufzt und fällt hinunter. »Vorsicht!« Morg ruft es scharf. Und die beiden Barmänner, die ihre Hände schon unter dem Schanktisch haben - wahrscheinlich um dort nach Revolvern oder Schrotflinten zu greifen, erstarren. Auch einige der jetzt noch pausierenden Spieler und Bankhalter des Hauses erstarren. Sie wissen jetzt, daß sie diesen hageren Texaner gewiß noch unterschätzt haben. «So ist es gut«, sagt er von der Treppe nieder. Und nach einer kleinen Pause kommt die Warnung: »Jungens, macht mir nur keinen Kummer. Haltet es nur nicht für einen Bluff, wenn ich sage, daß es mächtig schlimm für euch werden würde, wenn ihr mich zu sehr bedrängt!« Es sind nicht so sehr die Worte selbst -es ist sehr viel mehr der ruhige, sichere und so bittere Klang seiner Stimme, den sie als Warnung empfinden - und zwar als Warnung, die man beachten sollte. Plötzlich fragt einer der Spieler von einem der hinteren Tische: »Texas, sind Sie vielleicht Morg Cleveland?« »Der bin ich«, sagt Morg und geht seitlich die Treppe hinauf. Niemand dort unten im großen Saal bewegt sich nun noch. Aber eine Stimme sagt heiser: »Ich gehe zu - 114 -
Bringham Flynn und sage ihm...« Mehr hört Morg nicht, denn er geht nun einen Gang entlang und öffnet die erste Tür. Ein Mann liegt in einem Bett und schnarcht. Morg geht weiter. Als er die hinterste Tür öffnen will, erweist sich diese als verschlossen. Doch eine Frauenstimme dahinter fragt: »Wer ist dort draußen?« Es ist Patricias Stimme. »Ich bin es, Pat«, erwidert er ruhig. »Ich bin es, Morg Cleveland! Mache nur auf, Pat!« *** Zuerst ist es einige Atemzüge lang still. Dann hört er einen Ausruf, der aus einer Mischung von Freude, Bestürzung, Furcht und Ratlosigkeit zusammengesetzt ist. Dann hört er sie gepreßt und seltsam schrill sagen: »Morg, reite fort! Schnell! Setze dich auf dein Pferd und reite schnell fort! Oder sie töten dich hier! Sie töten dich, wenn du auch nur eine einzige Minute länger ...« »Wenn du nicht sofort die Tür öffnest, dann breche ich sie ein!« Mit diesen Worten unterbricht er sie und legt die Hand an die Klinke, um heftig an der Tür zu rütteln. Seine eben noch so ruhige und gedehnt klingende Stimme ist nun hart und scharf. Und er hätte gewiß keine drei Atemzüge mehr verstreichen lassen, sondern würde die Tür aufgesprengt haben, wenn das Mädchen nun nicht geöffnet hätte. Sie läßt ihn eintreten, schließt jedoch sofort wieder die Tür, dreht den Schlüssel herum und schiebt einen Riegel vor. - 115 -
»Morg!« Sie ruft es seltsam schrill. Doch er achtet noch nicht darauf. Er geht erst im Zimmer umher, späht in die kleine Umkleidekammer und tritt auch an eines der beiden Fenster. Er späht auf die Straße, doch er kann noch nichts erkennen, was er beachten müßte. Nun erst wendet er sich um und tritt zu Patricia. Sie steht mitten im Zimmer und betrachtet ihn auf eine seltsame Art, die er nicht zu deuten weiß. Er hält vor ihr an und mustert sie bitter. Sie kommt ihm sehr unglücklich vor, reifer, älter und verbittert. Er begreift, daß sie eine ganze Menge harter Lektionen einstecken mußte. »Zum Teufel, warum trittst du hier als Sängerin auf?« Er fragt es mit einem Zorn, der nun ganz plötzlich aus ihm bricht und der ihn nun ungerecht, starrköpfig und grob sein läßt. »Zum Teufel, ich wollte dich vor einigen Monaten heiraten. Ich wollte dich mit mir in mein Tal nehmen. Aber du ...« Doch er verstummt und hält seine Bitterkeit und seinen starrsinnig ausgebrochenen Zorn nun wieder zurück. Sein zorniger Blick wird ausdruckslos und stumpf. Sein Gesicht ist undurchdringlich, bewegungslos, eher ruhig. »Pat, erkläre mir genau, was das alles zu bedeuten hat! Du hattest hier ein Restaurant. Du hattest einen erstklassigen Start und ... Ah, verdienst du hier als Sängerin schneller und leichter Geld? Und wo sind meine Freunde Dick und Johnny, die dich nicht allein lassen wollten und mich verließen? Wo sind sie? Treten auch sie vielleicht auf der Bühne auf?« Er stellte die letzte Frage mit einem bitteren Spott. »Setz dich auf dein Pferd und reite fort!« Sie ruft es schrill, und es ist vorerst die einzige Antwort, die sie ihm - 116 -
geben will. Nun macht er einen langen Schritt, steht bei ihr, erfaßt sie und rüttelt sie tüchtig. »Willst du mir jetzt erklären ...« beginnt er. Doch sie blickt nun zu ihm auf, und er erkennt in ihren Augen all die Traurigkeit, die bittere Not - und dann Tränen. Sie senkt den Kopf schnell. Die Tränen laufen über ihre Wangen und tropfen auf seine Handrücken, denn er hält ihre Hände fest. »Nun gut«, flüstert sie, »ich will dir alles genau berichten. Denn es ist ja wohl schon zu spät für dich, die Flucht zu ergreifen. Du hast dich jetzt gewiß schon zu lange aufgehalten. Wenn du auf die Straße treten wirst, wirst du Bringham Flynn gegenüberstehen. Und Bringham Flynn und dessen Revolverhelden haben während dieses Winters schon eine ganze Reihe von Männern auf dem Gewissen. Morg, diese Stadt wird von Bringham Flynn beherrscht, von ihm und seiner Bande. Er hat die Stadtverwaltung und den Marshal in seiner Hand. Er ist der Boß hier. Pikes Creek war den langen Winter über von der Außenwelt fast so gut wie abgeschnitten. Bringham Flynn wurde hier mächtig und groß. Und niemand kümmert sich hier darum, daß er ein aus Texas geflüchteter Bandit ist. Sein Freund und Partner ist Tate Slow.« »Dein Boß?« fragt er. »Sein Name steht draußen auf ein großes Schild gemalt. Dies hier ist jetzt die >OASE>, ein Tate-Slow-Betrieb.« »Ja, so ist es«, erwidert sie. Sie macht ihre Handgelenke aus seinen Händen frei. Sie hat sich nun wieder unter Kontrolle und weint nicht mehr. Ihre Stimme klingt spröde und hart. »Ich will es dir der Reihe nach erzählen«, sagt sie und - 117 -
beginnt im Zimmer umherzuwandern. »Es begann sehr gut«, sagt sie schrill. »Du hast es ja selbst noch erlebt, nicht wahr? Ich brachte das Restaurant mächtig in Schwung. Ich bekam genügend Helfer, und meine Fleischjäger brachten auch genügend Fleisch. Ich gab zweimal am Tage je tausend Portionen Essen aus. Ich konnte mir schon ausrechnen, daß ich reich und unabhängig sein würde, wenn die Fleischjäger mich bis zum Frühling gut beliefern konnten und wenn meine Vorräte an Mehl, Zucker, Mais, Bohnen, Reis, Kartoffeln und alles, was ich zusammengekauft hatte, reichen würden. Denn ich hatte ja eine ganze Menge Schulden machen müssen. Meine viertausend Dollar reichten bei weitem nicht, da alle Dinge hier sehr teuer waren - die Öfen, das Brennholz, die Einrichtung. Aber als das Restaurant dann lief, kam das Geld schnell wieder herein. Ich hatte jeden Tag fast tausend Dollar Reingewinn.« Sie verstummt, hält am Fenster inne und späht auf die Straße. Morg aber hat sich in einen der Sessel gesetzt und die Beine von sich gestreckt. Seine Sporenräder zerkratzen den Boden. Er überlegt, daß ihm die Sporen hinderlich werden könnten, und er beugt sich vor und schnallt sie ab. Dann fragt er: »Nun gut, du hattest also jeden Tag tausend Dollar Reingewinn? Hast du jetzt noch mehr?« Sie betrachtet ihn bitter und traurig - und irgendwie verständnisvoll und verzeihend. »Ich wünschte«, sagt sie nun, »ich hätte damals deinen Antrag angenommen und wäre dir heim in dein schönes Tal gefolgt. Doch ein Mädel wie ich, das muß wohl erst hart zurechtgestutzt werden. Und jetzt ist alles zu spät.« »Weiter, weiter!« »Dick und Johnny kamen«, sagt sie schlicht. »Sie - 118 -
ließen sich nicht von mir umstimmen und zu dir zurückschicken. Sie sagten mir klipp und klar, daß sie hier in der Stadt bleiben würden, solange ich hier mein Glück versuche. Und sie sagten mir, daß man zwei treue Hunde selbst nicht mit Steinwürfen verjagen könne. Ich erkannte immer mehr, daß sie mich beide sehr liebten, selbstlos und ohne Hoffnung für sich. Ich begriff, daß sie als meine Getreuen, als meine Beschützer und als meine Brüder bei mir bleiben wollten. Und da ließ ich sie in meiner Nähe. Ich gab ihnen Aufgaben und Funktionen. Sie waren beteiligt an meinen Geschäften. Wir dachten oft an dich, Morg. Wir stellten uns oft vor, wie einsam, enttäuscht und verbittert du sicherlich warst. Aber Dick und Johnny konnten nicht mehr von hier fort. Und ich wollte nicht. Ich wollte nur noch Geld verdienen, reich werden - frei, unabhängig und selbständig.« »Was dann?« fragt Morg. »Wo sind Dick und Johnny jetzt?« Sie wendet sich ihm zu, und sie betrachtet ihn ernst und mit einem deutlichen Ausdruck von Mitleid. »Ich bedauere das alles«, sagt sie dann. »Euch, dir, Morg und Dick und Johnny, habe ich Unglück gebracht. Durch mich verlorst du deine beiden guten Freunde, die dir wie Brüder waren. Sie verließen dich. Und ich, ich ...« Nun versagt ihr die Stimme. »Was ist mit Dick und Johnny?« Er fragt es nun hart und klirrend Und weil sie ihm noch keine Antwort gibt, fragt er weiter: »Sind sie tot? Ist es das? Sind sie tot?« Und da schüttelt sie den Kopf. »Sie waren schon fast tot«, sagte sie. »Bringham Flynn schoß sie sehr schlimm zusammen.« Nun muß sie sich setzen. Sie schließt ihre Augen und - 119 -
muß mehrmals mühsam schlucken. »Wenn ich mit dir in dein Tal gegangen wäre«, murmelt sie, »dann wären Dick und Johnny nicht nach Pikes Creek gekommen. Und dann ...« »Weiter!« Er fordert es scharf. Sie zuckt leicht zusammen. »Dick und Johnny hatten beide Bringham Flynns Blei bekommen. Die Kugeln saßen an lebensgefährlichen Stellen. Sie mußten beide operiert werden. Es gibt einen jungen Arzt in Pikes Creek. Ich ließ ihn holen. Doch er getraute sich nicht, diese Operationen durchzuführen. Er hatte Furcht. Er weinte fast, doch er sagte mir, daß ihm die Patienten wahrscheinlich unter dem Messer sterben würden. Er gab mir den Rat, mich an Mister Miller zu wenden. Er sagte, daß Mister Miller mal ein berühmter Chirurg gewesen wäre. Allerdings hätte er dann einige dunkle Geschichten verbrochen, die ihm das Diplom gekostet hatten. Aber ...« »Weiter, weiter!« Morg drängte es. Patricia Moore beißt ihre Zähne aufeinander. Dann schluckt sie wieder. »Ich ließ diesen Mister Miller suchen und holen«, sagte sie. »Als ich ihn sah, glaubte ich an einen bösen Scherz, denn er sah wie einer der bärtigen, ungepflegten und ungebildeten Goldgräber aus. Und er suchte auch hier nach Gold. Nun, er kam also. Und ich bat ihn, den beiden Sterbenden zu helfen. Er sah sich die Sache erst einmal an. Dann sagte er, daß der junge Arzt von Pikes Creek diese Eingriffe wahrhaftig nicht machen könne, weil man dazu die chirurgische Erfahrung eines Jahrzehntes nötig hätte. Und dann wollte er gehen. Ich bat ihn, wie ich noch nie auf dieser Erde einen Menschen um etwas gebeten hatte. Doch er war hart und verbittert. - 120 -
Er war unversöhnlich und haßte die menschliche Gesellschaft. Er sagte, daß ich ihm keine Schuld geben könne, denn er wäre ja nicht mehr Arzt. Oh, er sagte schlimme und bittere Worte. Sie macht eine Pause, erhebt sich und wandert nun hastig durch den Raum. »Ich fiel vor ihm auf die Knie«, sagt sie dann. »Denn ich spürte plötzlich fest, daß er der einzige Mensch war, der Dick und Johnny retten konnte. Ich bot ihm Geld. Ich bot ihm viel Geld. - Und als die Summe hoch genug war, da nahm er an. Er sagte mir jedoch, daß dies, was er für mich und die beiden Sterbenden tun würde, strafbar wäre. Er sagte, daß es ihn viele Jahre Zwangsarbeit kosten könnte, daß es für ihn ein Wagnis wäre, welches die Gesetze ...« »Das interessiert mich nicht«, sagt Morg drängend. Patricia nickt. »Die Operationen glückten«, sagt sie herb. Er konnte die Kugeln entfernen. Dick hatte zwei und eine saß fast im Herzen. Und bei Johnny war es eine Kugel. Nach acht Tagen etwa wußten wir, daß sie am Leben bleiben würden. Doch sie brauchten Pflege und alles erdenklich Gute. Ich aber war arm geworden. Ich hatte Mister Miller zwanzigtausend Dollar geboten - und auch bezahlt. Ich habe meine Fleischkontrakte, mein Restaurant, meine Vorräte und alles was ich besaß an Tate Slow verkaufen müssen. Und ich mußte noch achttausend Dollar Schulden machen.« Als sie nun verstummt, weiß Morg schon alles. Dann hebt er den Kopf. Draußen kommt jemand die Treppe herauf. Dann ertönen schwere und gewichtige Schritte auf dem Flur. »Das ist Tate Slow«, sagt Patricia, und in ihren grünen Augen ist nun der Ausdruck von Angst. »Wie sehr gehörst du ihm?« fragt Morg heiser. - 121 -
Ihr Blick flammt nun auf. »Ich arbeite als Sängerin bei ihm meine Schulden ab«, sagt sie. »Ich habe einen Vertrag mit ihm, der mich verpflichtet, jeden Abend aufzutreten bis ich die Schuldsumme abgearbeitet habe. Mehr gehört ihm nicht von mir - noch nicht.« »Aber er möchte dich ganz haben, nicht wahr?« Er fragt es geradezu. Sie nickt stumm. Nun klopft eine schwere Hand. »Aufmachen!« Es ist eine dunkle und sehr präzise und klare Stimme. »Ja, ich möchte mit ihm reden«, sagt Morg Cleveland ruhig und erhebt sich. »Lasse ihn nur herein, Pat! Und mache dir keine Sorgen mehr. Ich bin jetzt hier. Ich bin wieder bei euch und bringe alle Dinge in Ordnung. Es wird bald alles wieder gut sein.« Sie blickt ihn ungläubig und verwirrt an. Als der Mann dort draußen vor der Tür nun hart zu klopfen beginnt, da bewegt sie sich, geht zur Tür und öffnet diese. Und dann kommt Tate Slow herein. *** Er ist groß, massig, rotblond und sommersprossig. Seine Lippen sind dick, breit und fleischig, sein Gesicht ist breitflächig, und sein Kinn weist eine Kerbe auf. Er trägt einen dunklen Anzug, eine seidene Kratwatte und einen steifrandigen Hut. Er macht drei Schritte in das Zimmer hinein und hält dann an. Nachdem er einen schnellen Blick auf Patricia Moore geworfen hat, wendet er sich an Morg. »Mister«, sagt er, »das ist Hausfriedensbruch! Ich werde Anzeige beim Stadtmarshal erstatten. Verlassen - 122 -
Sie mein Haus - sofort!« Morg betrachtet ihn von oben bis unten. »Sicher«, sagt er. »Ich gehe wieder. Doch ich nehme Miß Moore mit. Sie bleibt hier nicht länger.« Und ohne den Blick von Täte Slow zu nehmen, fragt er: »Was bist du ihm noch schuldig, Pat?« »Etwa zweitausend Dollar noch«, erwidert sie und beißt sich dann auf die Unterlippe. Morg nickt Tate Slow zu. »Sie bekommen das Geld. Ich habe einen Wagen voll Pelze und Felle bei der Handels-Companie. Schicken Sie jemanden in zwei Stunden mit der Rechnung dorthin. Ich werde da sein und das Geld zahlen.« Er wendet sich an Patricia. »Pack deine Sachen! Laß alles zur Handels-Companie bringen. Dort steht der Wagen. Wo sind Dick und Johnny?« »In einem meiner Hotels, und sie haben ein gutes Zimmer«, sagt Tate Slow. »Aber ich werde sie auf die Straße werfen, wenn Miß Pat kündigt.« Er grinst breit. Es ist ein grimmiges und hartes Grinsen, schadenfroh und spöttisch. »Mann, Sie werden bald ganz andere Sorgen haben«, sagt er trocken. »Bringham Flynn hat den ganzen Winter auf Sie gewartet. Er hat einen Mann mitgebracht, der dabei war, als Sie in Texas seinen Bruder töteten. Dieser Mann hatte schon Dick Hilliary und Johnny Christie erkannt. Jetzt sind Sie an der Reihe. Wenn Bringham Flynn mit Ihnen fertig ist, werden Sie sich nicht mehr um Pat Moore kümmern können. Sie wird in meiner Obhut bleiben. Und sie könnte es sehr viel besser haben. Mann, was wäre aus Ihren beiden Freunden geworden, wenn ich Pat nicht eine solche Menge Geld geliehen hätte? Sie wären tot! Denn dieser Miller hätte ohne hohe - 123 -
Belohnung keine Hand für sie gerührt! Und er hätte damit nicht einmal etwas Unehrenhaftes getan, weil er ja doch gar kein Arzt mehr sein darf.« »Ich danke Ihnen, Mister Slow«, sagt Morg ruhig. »Sie sind ein Menschenfreund. « Er wendet sich an Patricia. »Wirst du packen und mit mir kommen, Pat, wenn ich mit Bringham Flynn zurechtkomme?« Sie nickt. Aber sonst ist sie vor Furcht und Angst starr und kann kein Wort sprechen. Sie blickt ihn nur an. »Sie haben gegen Bringham Flynn keine Chance«, sagt Tate Slow. »Niemand hat gegen ihn eine Chance.« Morg betrachtet ihn. »Sind Sie Flynns Freund?« fragt er. Tate Slows Augen werden schmal. »Ich habe alles getan, um ihn mir nicht zum Feinde zu machen«, sagt er dann. »Er hat im Verlauf dieses Winters eine ganze Menge Männer zurechtgestutzt, die sich ihn zum Feinde machten oder sich ihm nicht unterwarfen. Da uns das Gesetz nicht schützen kann, da es hier in dieser Stadt und im Goldland von Pikes Creek keine Einigkeit gibt, keine menschliche Gemeinschaft - nun, da muß jeder Mensch eben auf seine eigene Art für seine Sicherheit sorgen. Ich habe nichts getan, was Bringham Flynn zu meinem Feinde gemacht haben würde. Und ich werde auch in Zukunft nichts tun, was mir seine Feindschaft einbringen könnte. So denkt die ganze Stadt. Alle denken so. Deshalb werden Sie ganz allein sein, Mister, wenn er auf Sie losgeht.« Morg Cleveland nickt. »In welchem Hotel liegen meine beiden Freunde?« fragt er dann. »Im Sunshine-House. Es liegt zwei Querstraßen weiter - 124 -
an der Ecke.« Tate Slow sagt es mit einem breiten Grinsen. Seine gelben Augen leuchten seltsam. »Sie kennen wohl gar keine Furcht?« fragt er. Morgs Blick wird ausdruckslos. »Ich muß meinen Weg jetzt wohl gehen«, sagt er. »Es begann in Texas, und es ist noch nicht beendet. Ich muß dieses Mädchen und meine beiden Freunde heimbringen - dort in jenes Tal, auf unsere Traum weide. Ich muß das tun.« Er richtet seinen Blick auf Patricia.. Mit dem Daumen tippt er gegen seine Brust, dorthin, wo sein Herz schlägt. »Ich spüre ganz deutlich«, sagt er ruhig, »daß ich für uns alle einen Weg finden werde. Niemand kann mich aufhalten. « Dann geht er hinaus. Als er durch die Tür ist, löst sich endlich Patricias Starre. Sie kann nun auch wieder sprechen. Und sie stürzt vorwärts und ruft laut und flehend: »Morg! Morgan Cleveland!« Doch Tate Slow hält sie auf. Er hält sie sogar fest. Und er sagt zu ihr nieder: »Pat, wenn er gewinnt, werde ich dich hergeben müssen. Dann werde ich dich und jede Chance, dich bekommen zu können, verlieren. Aber ich wünsche ihm Glück. Ich bin kein ehrenwerter Mann, das weiß ich. Ich bin ziemlich schlimm. Ich bin ziemlich hart, rücksichtslos und berechnend. Doch ich liebe dich richtig, Pat. - Und ich wünsche diesem Morg Cleveland dennoch Glück.« Er läßt sie los und will den Raum verlassen. Patricia sagt schnell: »Wenn Bringham Flynn nicht mehr ist, werden Sie allein der große Mann sein, Tate Slow! Warum eigentlich helfen Sie Morg Cleveland nicht?« - 125 -
Er betrachtet sie ernst. »Ich sagte schon, daß ich ziemlich hart und berechnend bin«, murmelt er. »Ich wünsche diesem Morg Cleveland Glück, weil ich einen furchtlosen und entschlossenen Mann achte, weil ich Respekt habe vor einem richtigen Mann. Doch ich werde keinen Finger dafür rühren, daß er Sie mir fortnehmen kann, Pat. Das müssen Sie schon verstehen. Ich kann Ihnen nur versprechen, daß ich Ihnen und seinen Freunden keinerlei Schwierigkeiten bereiten werde. Ich entlasse Sie sogar aus unserem Vertrag. Sie stehen nicht mehr in meiner Schuld, Pat. Daß Sie in meinem Hause für die Gäste sangen, brachte mir hohen Verdienst ein, und selbst wenn er verlieren sollte, dieser Morg Cleveland, so sind Sie frei, Pat.« Damit geht er hinaus. Sie aber steht einige Sekunden starr da. Dann bewegt sie sich. Sie wirft, nachdem sie die Tür geschlossen hat, in ihrer Umkleidekammer ihre Kleider ab und zieht sich jene alte und abgenutzte Männerkleidung an, die sie bei ihrer Ankunft hier getragen hatte. *** Die Straße ist leer, und das ist ein Zeichen dafür, daß die Nachricht längst die Runde machte. Und die ganze Stadt wußte ja schon während des langen Winters Bescheid. Man wußte, daß Bringham Flynn hier auf Morg Cleveland wartete, einen langen Winter lang. Morg geht ruhig auf dem Plankengehsteig entlang, überquert die Gassen und kommt an Hauslücken, Häusern, Geschäften, Saloons und allerlei anderen - 126 -
Gebäuden, Unternehmungen und Läden vorbei. Überall erkennt er hinter Fenstern und Türen neugierige Köpfe. Endlich erreicht er das Sunshine-Hotel, tritt ein und sagt zu dem Mann hinter dem Anmeldepult: »Wo finde ich...« »Nummer eins!« Der Mann sagt es schnell, und daran erkennt Morg, wie sehr man hier in dieser Stadt, in diesem wilden Camp, schon Bescheid weiß. Er geht hinauf. Bevor er die Tür öffnet, hält er inne und lauscht. Denn drinnen erklingen die Stimmen seiner beiden Freunde. Er hört Dick sagen: »Johnny, ich gebe dir mein Wort, daß ich nie wieder den Namen meiner Tante auch nur erwähne, geschweige denn dumme Lügengeschichten von ihr erzähle, wenn Morg es schaffen kann, wenn er am Leben bleiben kann, wenn alles wieder für ihn und Pat gut wird.« Als Dicks Stimme verstummt, sagt Johnnys Stimme genauso feierlich ernst: »Und ich schwöre dir, Dick, daß ich mich über jede Geschichte von Rosalin-Beate mächtig freuen werde, daß ich darüber lachen oder staunen werde, wenn Morg es schaffen kann.« Morg grinst seltsam, als er das hört. Er öffnet die Tür. Und da sieht er sie. Dick sitzt in einem Lehnstuhl am Fenster. Doch rechts und links von ihm stehen zwei Krücken. Johnny liegt im Bett. Er sitzt halb und hat einige Spielkarten in den Händen. Er ist so dünn und mager, daß er Morg fast durchsichtig erscheint. Auch der sonst so bullige und schwere Dick ist mager und hohlwangig. Sie betrachten ihn wie einen Geist. Aber auch er - 127 -
staunt sie an, denn er begreift erst jetzt so richtig, wo er sie sieht, wie krank sie gewesen waren. »Wie geht es euch?« fragt er schließlich sanft. »Warum liegst du noch im Bett? Und warum sehe ich dort zwei Krücken? Ist es schlimm mit euch Jungens? Sagt es mir! Sagt es mir schnell!« Doch sie betrachten ihn noch staunend. Dann sagt Dick: »Da ist er ja, der Häuptling! Du lieber Gott, er erinnert mich an einen Indianer, der Tante Rosalin-Beate mal so sehr erschreckte, daß sie ihre Stimme erst abstellen konnte, als sie keine Luft mehr bekam.« »Es ist Morg«, sagt Johnny. »Mir geht es ganz gut«, fügt er hinzu. »Ich nehme jetzt jede Woche zwei Pfund zu. Und auch Dick wird eines Tages die Krücken wegwerfen. Mache dir nur keine Sorgen, alter Junge.« »Ich habe den Wagen da«, sagt er. »Ich will euch mitnehmen. Könnt ihr das vertragen?« Sie erwidern nichts. Sie blicken ihn nur an. Und in ihren Augen kann er alles lesen. Er weiß, daß sie jetzt kein Wort herausbekommen. »Ich hole euch hier ab«, sagt er knapp. Dann wendet er sich um und geht hinaus. *** Als Morg auf die Straße tritt, erblickt er einen Mann. Der Mann ist groß, hager, blond und trägt einen gelben Schnurrbart, dessen Enden sichelförmig neben seinem Kinn hängen. Der Mann trägt schwarzes Leder und einen RevolverKreuzgurt mit zwei Halftern. »Bist du Morg Cleveland?« fragt der Mann. - 128 -
Morg nickt. »Der bin ich«, sagt er. »Ich bin Bringham Flynn «, sagt nun der Mann. »Und es traf sich gut, daß ich aus Texas flüchten mußte, denn dadurch kam ich zufällig in diese Stadt. Ich warte schon einen langen Winter darauf, daß du dich hier zeigst.« »Willst du einen Kampf mit mir?« fragt Morg. »Es war mein Bruder, nicht wahr? Welcher Mann läßt den Tod seines Bruders ungerächt?« »Er zwang mich zum Kampf«, spricht Morg ernst. »Ich mußte mein Leben erhalten. Und nun willst auch du mich zu einem Kampf zwingen, den ich nicht möchte. Ich würde viel lieber meine kranken Freunde und meine Braut nehmen und die Stadt verlassen.« Bringham Flynn scheint zu überlegen. Dann schüttelt er den Kopf. »Das geht nicht«, sagt er. Und dann zieht er ohne jede Warnung seinen linken Revolver. Er schlägt Morg im Ziehen. Morg spürt die Kugel wie einen Peitschenschlag auf einer seiner Rippen. Sein Revolver kracht in seiner Hand. Er spürt schon beim Abdrücken, daß er richtig treffen wird. Und es ist auch so. Der Bandit dreht sich zur Seite. Er schießt noch mehrmals, doch in eine völlig andere Richtung. Dann fällt er und bewegt sich nicht mehr. Einige Männer kommen aus dem gegenüberliegenden Saloon. Morg hält den Revolver in der Hand und blickt ihnen entgegen. Er hält sie für Bringham Flynns Leute. Sie treten zu Flynn, knien bei diesem nieder, bilden eine schweigsame Gruppe und wenden sich dann zu Morg. »Flynn sagte, daß wir dir nichts tun sollen, wenn du - 129 -
ihn schlagen könntest«, sagt einer der Männer. »Und wir müssen ohnehin fort. Alle Wege sind wieder offen!« Er verstummt gedehnt. Von links kommt jemand angelaufen. Alle Männer, auch Morg, wenden ihre Köpfe. Es ist Patricia Moore, die da kommt. Und sie hält eine Schrotflinte in den Händen. Männer - und auch die Zuschauer, die sich hinter Fenstern und Türen verbergen - begreifen, daß dieses Mädchen wahrhaftig kämpfen wollte. Auch Morg begreift es. Und noch etwas anderes wird ihm bewußt: Er lebt noch. Er wurde von Bringham Flynn, der einer der berüchtigsten Revolverhelden war, zum Kampf gezwungen. Bringham Flynn gehörte sogar zu den wenigen Männern, die ihn beim Ziehen schlagen konnten. Flynn zog jenen Sekundenbruchteil schneller, der den ersten Schuß ausmacht. Doch er konnte ihn, Morg, nicht richtig treffen. Morg Cleveland lebt noch. Und nur der Schmerz einer Streifwunde ist dort, wo die zweite Rippe sitzt. Er begreift, daß er gewonnen hat. Das Mädchen ist nun bei ihm. Sie stellt sich neben ihn und richtet die Schrotflinte auf Bringham Flynns Männer, die jetzt wieder auf ihren ehemaligen Anführer blicken, so als könnten sie immer noch nicht glauben, daß er tot ist. »Geh zurück ins Hotel, Pat«, sagt Morg zu ihr. »Du hättest nicht wie ein Indianer auf den Kriegspfad gehen sollen. Dies hier, dies ist nichts für Mädchen.« »Da hat er genau recht«, spricht einer von Bringham Flynns Männern. Sie alle betrachten Morg und das Mädchen. Sie - 130 -
begreifen, daß dieses Mädchen und dieser Mann zusammengehören. Sie können sich denken, daß dieser Cowboy für sich und das Mädel einen festen Platz schaffen wird. Und sie wird ihm eine gute Frau sein; sie wird ihm all die Wärme geben, die nur eine gute Frau verschenken kann. »Er hat recht«, wiederholt der Mann. Dann zieht er vor Patricia den Hut. »Bringham Flynn hat das als eine persönliche Fehde betrachtet«, sagt er gedehnt. »Und alle Wege sind wieder offen. Der Schnee ist fort. Die Pässe sind frei. Wir können nicht länger in dieser Stadt bleiben. Es war hier ein recht angenehmer Winter. Viel Glück!« Er wendet sich ab und geht davon. Die anderen folgen ihm. Und nur der letzte Mann hält nochmals inne und sagt zu Morg: »Bringham Flynn muß wohl geahnt haben, daß Sie schneller oder besser mit dem Revolver sind als er. Denn er beschäftigte sich den ganzen Winter lang mit diesem Problem. Nun, kaufen Sie ihm eine Beerdigung!« Damit geht auch er. Bürger kommen nun aus den Häusern, Bürger, Fremde, Goldgräber - was eben um diese Zeit so in der Stadt ist, in den Häusern, Geschäften und Lokalen. Ein junger Mann kommt mit einer schwarzen Tasche angelaufen. Morg begreift, daß es der junge Arzt ist, von dem Patricia sprach. »Phil, sorgen Sie doch für die Bestattung«, sagt Patricia etwas gepreßt. Sie entdeckt, daß Morg unter dem Hemd blutet. Sie legt ihre Fingerspitzen auf den dunklen Fleck. »Komm, Morg! Komm!« Und er gehorcht. Er steckt seinen Revolver weg und - 131 -
geht mit ihr. *** Es ist einige Tage später, als er den Wagen vor dem Blockhaus anhält, welches Dick und Johnny begonnen hatten und er vollendete. »Da sind wir«, sagt er zu Pat, die neben ihm sitzt. Sie spähen in die Ferne. Es ist ein warmer Frühlingstag. Die Weide ist grün, und der Wald grünt hinauf bis zu den Kämmen der Hänge. Sogar in der meilenlangen Felswand sind überall grüne Sträucher und Büsche. Irgendwo grasen die Rinder; sie sind lose verstreut und dennoch als Herde beisammen. »Ist es schön? fragt Morg sanft. »Warte nur, wenn wir die Ranch richtig ausgebaut haben.« »Es ist herrlich«, sagt sie. »Ich verstehe nicht, warum ich etwas anderes haben wollte. Denn hier ist doch alles, ein wunderschöner Platz - und dich gibt es hier, Morgan Cleveland.« »Was mich ärgert«, sagt Dicks Stimme aus dem Wagen hinter ihnen. »Was mich sehr ärgert, ist, daß ich nicht auf eurer Hochzeit tanzen konnte. Ihr hättet ja noch etwas warten können, nicht wahr?« »Nein, wir konnten nicht mehr warten«, sagt Patricia Moore. »Wenn man endlich erkannt hat, was man haben will und was gut ist, dann soll man keine Minute länger warten.« »Das sagte meine Tante Rosalin-Beate auch immer«, erklärte Dick sofort. »Sie erkannte einmal, daß es gut für sie wäre, sich endlich einen Mann zu nehmen. Aber dann ...« - 132 -
»Du hast versprochen, nichts mehr von deiner Tante zu erzählen«, sagt Johnny seufzend. »Und du hast geschworen, daß du dir von Tante Rosalin-Beate alles geduldig anhören und dich darüber freuen würdest«, sagt Dick. Morg und Pat lachen zweistimmig. Er springt vom Wagen und hebt sie herunter. »Also gut«, sagt er, »fangen wir hier an!« *** Und sie fingen an. Von Tob Hunter hörten sie nie wieder etwas. Es gibt heute noch drei Ranches im Sunshine Valley. Und die Clevelands, die Hilliarys und die Christies leben immer noch dort. Natürlich züchten sie keine Longhorns mehr, denn die Zeit der Longhorns ist längst vorbei. Im Sunshine Valley gedeiht eine prächtige Rinderrasse, Weißnasen, mächtige Fleischtiere. Und Pferde und Maultiere werden gezüchtet, und diese Zucht ist berühmt. Sie kommen gut aus, diese Menschen im Sunshine Valley. Nun, ihre Urgroßeltern waren ja gut befreundet. Und diese Freundschaft blieb unter den Sippen.
ENDE
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