Die Stadt hieß Yuma. Irgendwer hatte sie vor fünfzig oder sechzig Jahren in den südwestlichsten Zipfel des Arizona-Terr...
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Die Stadt hieß Yuma. Irgendwer hatte sie vor fünfzig oder sechzig Jahren in den südwestlichsten Zipfel des Arizona-Territoriums gepflanzt. Gila River und Colorado River, die unmittelbare Grenze von Kalifor nien und Mexiko, hatten die Stadt geprägt. Sie unterschied sich in nichts von anderen Städten: Adobe bauten, Holzhäuser mit bunten Scheinfassaden, an denen die Farbe abzublättern begann. Yuma war vielleicht ein bißchen schmutziger, ein bißchen rauher, ein bißchen ver kommener. Sie war die typische Grenzstadt. Am Westausgang lag das breite, aus schweren Steinen erbaute Yuma-Zuchthaus. Ein Begriff für all die, die einmal drin waren. Ab schreckend für die, die den massigen Steinbau von außen sahen. Die Fen
ster waren klein und mit schweren Eisenstäben abgesichert. Sie sahen aus wie Schießscharten. Ein kleiner Armeeposten sicherte die Grenzen nach allen Seiten. Ihr Kommandant, Captain Irvin McGinnest, war ein kleiner, drahtiger Bursche mit leb haften dunklen Augen und einer ständig wehenden Schnapsfahne. Das Gesetz in Yuma vertrat She riff Ben Brooks, ein harter Knochen, der immer neue Paragraphen er fand, wenn die alten nicht mehr aus reichten. Brooks war um die vierzig. Er hatte eine rote Haarbürste und ei nen fast viereckigen Kopf. Seine Nase, einmal von den Hufen eines Pferdes zerstampft, war ein Klum pen. Der Hals fehlte ganz. Der plum pe Körper hatte die Form eines Ka stens. Seine Arme waren stark und sehr lang. Wenn er die Hände schloß, 3
wirkten die Fäuste wie tödliche Keu linke Hand.
„Hallo, Sheriff."
len. Brooks Beine waren kurz und so Howard, der immer noch seitlich
krumm, als wären sie über einem Faß geformt worden. Als Sheriff neben Brooks stand, knurrte böse:
hatte sich Ben Brooks einen recht „Dieser Bastard macht sich noch lu
zweifelhaften Ruf verschafft. Das stig. Soll ich ihn vom Pferd holen?"
Hanfseil hing allzu lose zwischen sei Sheriff Brooks verzog etwas die
nen Händen. Vor allem dann, wenn Lippen. „Das würde ich an deiner
es sich um jemanden handelte, des Stelle nicht tun. He, Lobo, ein paar
sen Haut einen Farbtupfer hatte. Minuten Zeit für mich?"
Die freundliche Aufforderung des Die Sonne verkroch sich allmäh lich hinter die fernen kalifornischen Sheriffs konnte Lobo nicht täuschen. Brooks war ein Berge. Die breite, harter und ein sehr tiefzernarbte CoDie Hauptpersonen des Romans: gefährlicher loradostreet war Lobo — Er hatte schon ein ungutes Ge Mann. Daß er noch von einer lebendi fühl, als er Yuma erreichte, doch es am Leben war und gen Geschäftig wurde noch schlimmer, als er es sich vorgestellt hatte. immer noch den keit. Brooks nahm Stern trug, zeugte die Beine vom Ge Ben Brooks — Der Sheriff von Yuma von seinen Quali länder der Veran war ein harter, eiskalter Mann, der den Stern mißbrauchte, um anderen täten. Lobo hielt da. Er erhob sich seine Macht zu demonstrieren. den Falben an. „Si aus dem Schaukel Black Jack Rody — Er hatte seinen gro cher, Sheriff, Sir." stuhl. Ab und zu ßen Coup schlau eingefädelt, aber er spuckte er einen hätte die Finger von Lobo lassen sol „Dann komm rü len. Priem aus. ber und steig ab." Captain McGinnest — Er war einer der Lobo band sein Im treibenden wenigen, die Lobo nicht nur nach sei Strom der Men Pferd am Haltege ner Hautfarbe beurteilten. schen fiel der Rei länder fest. Er ter nicht sonder spuckte den Sand lich auf. Er hatte den Hut weit in die aus wie Brooks den Priem. Ehe er zur Stirn gezogen. Blauschwarzes Haar Veranda hinaufging, tauchte er den hing ihm fast bis zur Schulter. Kopf in den Wassertrog, schüttelte Brooks, der im Begriff war, ins Of sich und lachte. „Tut gut nach der fice zurückzugehen, trat noch einmal Wüste, Sir." schnell an das Geländer. Der Blick Ein dritter Mann trat aus dem Of aus seinen wäßrigen blauen Augen fice. Tom Shelton. verengte sich. Hinter ihm sagte Jake Lobos Blick saugte sich an Shelton Howard, der Deputy: „Da ist doch fest. Tief in seinem Innern platzte ei wieder dieses gottverdammte Halb ne alte Wunde auf. Eine jener Wun blut." den, die nie verheilten. Nur sehr „Und was für eines. Dieser Lobo ist langsam löste sich sein Blick von das Unheil in Person. Den können Shelton. Brooks zeigte ein freundli wir uns nicht auch noch in der Stadt ches Lächeln. „Ich nehme an, du bist leisten. Es gibt schon genug Verdruß auf der Durchreise, Lobo. Wohin mit Rody." geht's denn diesmal? Kalifornien? Lobo ritt inmitten der treibenden Oder mit dem Flußdampfer hinauf Menschen. Über seinem bronzefar- nach Nevada?" benen Gesicht lag der Staub der Das war eine deutliche Aufforde Wüste. Für einen kurzen Augenblick rung. Lobo schüttelte sie ab wie ein hafteten sich seine Augen an Sheriff Hund das Wasser. „Das sollten Sie ei Brooks. Auf seinen Lippen lag ein gentlich besser wissen, Sheriff." flaches Lächeln. Er hob ein wenig die „Was?" 4
„Daß um diese Jahreszeit das Was ser für die alte Kingsway nicht aus reicht." Brooks Stimme verlor etwas von der erzwungenen Freundlichkeit. „Yuma ist nicht der Ort, an dem du dich sonderlich wohlfühlen würdest, Halbblut." Hinter Brooks sagte Shelton: „Yuma ist überhaupt kein Ort für ein Halbblut." Brooks drehte sich schnell herum. „Halt den Mund, Tom." In Lobos Blick trat ein kalter, star rer Glanz. „Für Sie und Ihre Deputys gibt es wohl nur zwei Sorten von Menschen. Solche, die seßhaft und angesehen und weiß sind, und solche, die dahin treiben oder dahingetrieben werden. Solche, die niemand haben will, die man beiseiteschiebt oder die man einfach auslöscht. Das wird wohl nie anders werden." Brooks breite Brust spannte sich unter einem tiefen Atemzug. Er stieß die Luft scharf aus. „Philosophiere nicht, Halbblut. Das paßt nicht zu dir." Er angelte eine halbgerauchte Zigarre aus seiner Hemdtasche, schob sie zwischen die Lippen und kaute darauf herum, ohne sie anzu zünden. „Ich habe nichts gegen dich. Das weißt du. Aber im Augenblick habe ich genug Probleme. Du wärst ein neues, und das kann ich mir nicht leisten." Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: „Rody ist in der Stadt. Das ist schlimm genug." „Rody?" Lobo zog den Namen in die Länge. „Black Jack Rody?" „So ist es. Und nun steig auf dein Pferd und hau ab. Das Land ist weit. Es muß nicht unbedingt Yuma sein." Shelton und Howard standen ne ben der Tür. Sie hatten die Daumen hinter den Revolvergurt gehakt. Lobo betrachtete den schwachen Glanz der Feuchtigkeit, die jetzt auf Brooks Haut war. Der Sheriff und seine Deputys tauschten einen schnellen Blick. Mit äußerster Lang
samkeit nahm Brooks die Trümmer seiner Zigarre aus dem Mund. „Mir scheint, du bist schwerhörig, Mann." „Nein, das bin ich nicht. Aber si cher haben Sie recht. Yuma ist keine gute Stadt, und bestimmt nicht für mich." Sheriff Brooks zeigte seine zer bröckelten Zähne. „Du bist ein ge scheiter Bursche, Lobo. Weißt du, die Liste der Toten, die du hinter dir her schleppst, ist verdammt lang. Der ei ne oder andere von ihnen könnte Freunde haben, die gerade in der Stadt sind. Und diese Toten könnten auch leicht eine Herausforderung für mich sein. Die meisten von ihnen hatten eine weiße Haut." „Ich habe keinen Mann getötet, den Sie als guter Sheriff nicht auch getö tet hätten", sagte Lobo kalt. „Keinen von ihnen wird die Welt je vermis sen." „Ich sagte schon, es waren weiße Männer, und du bist ein Halbblut. Das macht die Sache ziemlich schlimm." „Ja", sagte Lobo, „es waren weiße Männer. Ich habe Sie gut verstanden, Brooks. Für sie war meine Hautfar be eine Herausforderung. Solche Männer wird es immer wieder geben. Und solche Männer werden immer wieder sterben. So ist das eben." Der Zorn schien Sheriff Brooks zu ersticken. Von der Tür her sagte Shelton: „Ein frecher Hund, dieses Halbblut. Wie lange willst du dir das noch an hören?" Brooks starrte Lobo an. Schwer und dumm und voller Elend. „Hier bin ich das Gesetz. Ich kann dich vor den Richter schleifen. Und wenn es mir paßt, kann ich dich aufhängen." In Lobos Blick lag die kühle Ver achtung der indianischen Rasse. „Versuchen Sie es, Brooks. Ich würde Ihnen keine Chance geben, und Ihren Deputys auch nicht." „Versuchen wir es", sagte Tom Shelton. Er griff zum Revolver. 5
Brooks drehte sich schnell herum. „Den Tag bestimme ich, und nicht, wenn es dem Bastard paßt!" Lobo unterdrückte den aufkom menden Zorn. Er zog die Revolver hand von der Waffe zurück. Einen Augenblick stand er steif da, dann drehte er sich um und verließ die Veranda. Wenn er bleibt, wird das eine hei ße Zeit für ihn", stieß Brooks durch die Zähne. „Aber er wird nicht blei ben. Bestimmt nicht. Dazu ist er viel zu schlau." In dieser Stadt an der doppelten Grenze fiel ein Halbblut nicht son derlich auf. Es gab keine Schwierig keiten, als Lobo seinen Falben im Mietstall neben dem Yuma Hotel un terstellte. In der Badestube hinter dem Barber Shop spülte er sich den Wüstenstaub vom Körper. Im Spei seraum des Hotels verschlang er ein riesiges Steak. Er trank gutes, kaltes Bier dazu. Der Kaffee, den er hinter her schlürfte, war schwarz und heiß und sehr stark. Lobo spürte eine be scheidene Zufriedenheit. Aber da waren Sheriff Brooks und die beiden Deputys. Den heraufziehenden Ver druß spürte er fast körperlich. Lobo wischte mit dem Handrücken über den Mund. Er war im Begriff, sich zu erheben, als ein Schatten über ihn fiel. Eine angenehme, sanfte Stimme sagte: „Ich hörte, daß du in der Stadt bist. Wie geht's denn so, Lobo?" Eine Hand streckte sich ihm entgegen. Lobo schob sie zur Seite. „Ich reiche nie einem Linkshänder die Hand, und ich habe immer ge hofft, dir nie wieder zu begegnen, Black Jack." Ein dunkles Lachen traf das Halb blut. „Du bist schon ein alter, ausge kochter Schurke. Ärger mit Brooks?" „Nicht sonderlich. Ich befürch te ..." Lobo verschloß schnell die Lippen. Rody sah ihn starr an, dann 6
wischte er schnell mit seiner schlan ken Schießerhand durch die Luft. Er winkte einen Kellner heran. „Bring zwei Whisky. Du trinkst doch einen mit?" „Einen Whisky, Sir. Der Indianer kann eine Limonade, höchstens ein Bier bekommen." „Er ist kein Indianer." „Aber ein halber. Das ist auch schon schlimm genug." „Freund", sagte Rody, „zwei Whis ky. Laß mich meine Bestellung nicht noch einmal wiederholen." Er drehte sich halb zu Lobo herum. „Es ist überall das gleiche. Selbst in diesem Hurennest an der Grenze bist du nicht mehr als Dreck. Du solltest das ändern, Lobo." Sein Blick lag ab schätzend und in gewisser Weise for dernd auf dem Halbblut. Mit seinen schlanken Fingern zupfte er an den Enden seines gepflegten Schnurr bartes. „Was wollte Brooks von dir?" Lobo lehnte sich im Stuhl zurück. „Nichts besonderes. Ich will keinen Whisky mit dir trinken, Jack." „Du meinst doch wohl nicht, was du sagst. Mir hat noch nie jemand ei nen Drink ausgeschlagen. Und wer es versucht h a t . . . " Jetzt war es Rody, der die Worte verschluckte. Lobo nickte gelassen. „Ich weiß, Jack. Ich trinke trotzdem nicht mit dir." Rody legte beide Hände auf den Tisch. „Es liegt wohl in der Natur der Sache, daß du dir immer neue Schwierigkeiten schaffst. Schade, Lobo. Einen Mann wie dich hätte ich gut gebrauchen können." „Wozu?" Rody horchte auf. Sein Blick bohr te sich in Lobos Augen. „Bleib mir vom Halse, Halbblut, und laß dich zu nichts mißbrauchen, das zu bereuen du keine Zeit mehr hast. In Geschäf ten verstehe ich keinen Spaß. Komm mir nicht in die Quere. Nimm es so, wie ich es gesagt habe." Rody stand auf. Er blickte auf Lobo herab. Seine Züge zeigten eine
belebende Freundlichkeit, seine Stimme jedoch war das Spiegelbild seiner Gefühle. „Ich habe immer ge glaubt, wir könnten einmal Partner werden. Aber das war ein Irrtum. Vermeide eine Begegnung. Es würde deine letzte mit mir sein." Lobo sah Rody stumm nach, wie er etwas nach vorn gebeugt den Speise raum verließ.
Die Dunkelheit hatte alles in ein samtenes schwarzes Tuch gehüllt. Ein leichter Wind trug den Geruch von faulem Wasser und Fisch vom Fluß herauf. Die Stadt hatte ihre Lichter angesteckt. Sie durchbra chen das Dunkel und gaben ihr den Anstrich lebendiger Betriebsamkeit. Lobo stand im hintersten Winkel der Hotelveranda. Während er die treibenden Menschen unter sich be obachtete, dachte er an Black Jack Rody. Er dachte an Sheriff Brooks und an dessen Deputys. Von seinem Platz aus konnte Lobo die erleuchte ten Vierecke der Fenster des She riff's Office sehen. Manchmal husch ten Männer wie Schatten hin und her. Er erkannte Brooks und Ho ward. Tom Shelton blieb unsichtbar. Einen Mann wie Shelton im Rücken zu haben, das konnte sehr gefährlich werden. Lobo glitt seitlich über das Gelän der. Aus der schmalen Seitengasse trat er auf die Colorado Street hin aus. Er mischte sich unter die wie ei ne dichte Traube zusammenhängen den Menschen und ließ sich mit ih nen treiben. An der Einmündung ei ner zweiten Querstraße drängte er sich aus der Masse. Auf der anderen Seite der Colorado Street lag der Blue Angel Saloon. Lobo verschwen dete einen langen Gedanken an die Frau, die diesen Saloon leitete. Der Name Saloon war eigentlich nicht zutreffend. Außer teurem Whisky konnte man hier die Liebe kaufen.
Ein Artikel, der in Yuma mehr als in anderen Städten gefragt war. Vor Lobos halbgeschlossenen Au gen erschien das Bild von Sheila. Er sah die langen, bis weit über die Schultern reichenden kupferroten Haare, die sanften dunklen Augen, die vollen roten Lippen mit den blit zenden Zähnen dahinter. Der ger tenschlanke Körper mit den vollen, runden Brüsten, die sich straff unter einem engsitzenden Kleid abzeich neten, war das menschgewordene Unheil. Die Erinnerung drängte ein Lä cheln auf Lobos Lippen. Aber Erin nerungen waren trügerisch. Er mochte diese schöne, verdorbene Frau, und sie mochte ihn. Lobo konnte der Versuchung nicht widerstehen. Das Blut klopfte in sei nen Schläfen, es rebellierte in seinen Adern. Mit ein paar schnellen Schritten hatte er die Straße über quert. Für einen Mann, dessen Stär ke Beherrschung und kühle Überle gung war, ging sein Atem zu schnell. Weder Sheriff Brooks noch seine De putys noch Black Jack Rody hatten jetzt noch Platz in seiner Gedanken welt. Sie wurde einzig und allein von Sheila beherrscht. Sie würde ihn wieder lieben. Wild und leiden schaftlich und eine ganze Nacht hin-. durch. Lobo drückte die Pendeltür mit den Schultern auf. Rauchschwaden und der Geruch schlechten Parfüms drangen in seine Lungen. Das Ge wirr zahlloser Stimmen schwebte unter den roten, grünen und blauen Lampen. Manchmal kreischte eines der käuflichen Mädchen auf. Die At mosphäre war schwül und verlok kend. Ein Mädchen drängte sich an Lobo. Sie brachte ihr bemaltes Puppenge sicht dicht an seines heran. Spontan wich sie zurück. Über ihre grellroten Lippen brach ein spitzer Schrei. „Ein Halbblut, hier hat sich doch tatsäch lich ein stinkendes Halbblut herein 7
gewagt!" Die eintretende Stille war läh mend. Ein paar Sekunden tropften endlos dahin, dann rief eine starke Männerstimme: „Wo ist dieser Ba stard? Reicht ihn mir herüber, damit ich ihm das Gesicht nach hinten dre hen kann!" Jemand lachte. Deutlich war ein klatschender Schlag zu hören. Ein Mädchen schrie auf. Eine rauchige Frauenstimme übertönte den auf kommenden Lärm. „Ein Irrtum, Leute! Trinkt nur weiter und laßt euch den Spaß nicht verderben!" Lobo spürte, wie jemand seinen Arm erfaßte. Er fühlte sich weggezo gen. Dicht neben seinem Ohr zischel te eine Stimme: „Du mußt verrückt sein, jetzt hierher zu kommen. Shel ton sucht nach dir. Ich möchte ver dammt keinen Ärger haben!" Es war Sheila. Sie drängte Lobo in einen Seitengang. „Hast du denn gewußt, daß ich in der Stadt bin?" fragte er. Sie gab keine Antwort. Sie öffnete eine Tür und schob Lobo in einen schummrigen Raum. „Warte hier. Mach aber kein Licht. Wenn du was trinken willst, es steht im Regal an der Wand." Sheila drückte die Tür hinter sich zu. Ein Schlüssel wurde im Schloß gedreht und dann herausgezogen. Das Grau eines Fensters zeichnete sich schwach gegen das Schwarz der Wand ab. Lobo versank in einen Ses sel. Die Zeit schlich dahin. Der Lärm im Saloon wurde schwächer, dann war es ganz still. Leichte Schritte nä herten sich der Tür. Der Schlüssel drehte sich leise im Schloß. Die Tür wurde geöffnet. Unter ihrem Rah men stand Sheila. Ein gurrendes La chen trieb Lobo aus dem Sessel. Ihre Stimme war dunkel und verlockend. „Du bist ein ganz verrückter Halb indianer!" Sie warf sich Lobo entgegen. Sie schlang ihre Arme um seinen Hals, 8
zog seinen Kopf zu sich herunter und küßte ihn. „Du hast ja keine Ahnung, wieviel Angst ich um dich ausgestanden habe." Sie drängte Lobo in den Sessel zurück. „Ich mach uns einen Drink, und dann reden wir miteinander, okay?" Sie sprachen schon längst nicht mehr. Lobo hatte den Sessel mit Sheilas breitem Bett getauscht. Die zarten, weichen Finger der Frau strichen über Lobos nackte Brust. „Du warst großartig", hauchte sie dicht an seinem Ohr. „Und du unersättlich." Sie lachte dunkel. Sie flüsterte: „Ohne deine Liebe wäre das Leben nichts mehr wert." Sie richtete sich halb im Bett auf. Ihr nackter Körper zeichnete sich hell gegen das Dunkel des Zimmers ab. „Wie geht es jetzt weiter, Lobo?" Auch das Halbblut richtete sich auf. „Ich weiß keine Antwort, Shei la." Die Frau drängte sich an ihn. „Geh fort, Lobo! Nach dem Norden. Mon tana, Wyoming oder sonstwohin. Nur fort aus diesem schrecklichen Land, in dem ein Halbblut weniger Rechte hat als ein Neger." Lobo löste sich sanft von ihr. „Was hätte das für einen Sinn? Der Ruf ei nes Mannes eilt ihm um hundert Meilen voraus." Er schüttelte den Kopf. „Das ist keine Lösung." „Willst du dich denn ein ganzes Le ben lang treiben lassen? So lange vielleicht, bis dich eine Kugel ein holt?" „So wird es wohl eines Tages kom men." Lobo stellte die Beine auf den Boden. Er schlüpfte in die Hosen und zog sich das Hemd über. Sie war ebenfalls aufgestanden. „Es gibt wohl nichts, was dich halten kann?" „Doch. Aber in vielen Städten gibt es jemanden, der das Gesetz nach ei genem Ermessen auslegt. Das macht das Leben für einen Halbindianer so
schwer. Welche Chance hätte ich da?" „Ja", sagte Sheila matt, „so ist das wohl." Sie hielt ihn nicht auf, als er das Fenster öffnete und in der Nacht un tertauchte.
Yuma hatte seine Lichter gelöscht. Eine filzdichte Finsternis hüllte Lobo ein. Er glitt an den Häuserfron ten entlang. Beim Mietstall über querte er die Colorado Street. Das breite Tor war von innen verriegelt. Es war nicht Lobos Absicht, bis zum hellen Morgen zu warten. Er fand eine Schmale Seitentür, die sich leicht öffnen ließ. Das Halbblut trat in die Schwärze des Stalles. Er lehnte sich gegen die Wand und wartete, vielleicht eine Minute, vielleicht eine Stunde. Was zählte das schon in einem Land, in dem die Zeit nichts war? Er hatte plötzlich das Gefühl, nicht allein zu sein. In den Boxen scharr ten Pferdehufe. Stroh raschelte. Von irgendwo aus dem Dunkel kam der scharfe Atem eines Mannes. Stiefel sohlen verursachten ein schleifendes Geräusch auf den hartgestampften Lehmboden. „Bist du es, Halbblut?" Es war eine alte Stimme, ohne Festigkeit und ein wenig zittrig. Lobo blieb unbeweglich und schweigend an der Stallwand stehen. Der Mann zwischen den Boxen sag te: „Ich hab mir gedacht, daß du kommen würdest. Kein Hotel in der Stadt würde einem Halbblut ein Zimmer vermieten. Nicht mal für hundert Dollar." „Reiß ein Zündholz an!" Ein Licht flammte auf und erlosch sofort wieder. Der Mann fluchte. Er riß ein zweites an und hielt es vor sein Gesicht. Es war Hunter, der alte Bursche, der die Pferde im Mietstall versorgte.
Diese Tatsache sollte Lobo beruhi gen, tat es aber nicht. „Bist du allein, Alter?" „Siehst du noch jemand?" Die Stimme des alten Mannes war noch um eine Nuance zittriger, noch unsi cherer. Die kleine Flamme des ab brennenden Zündholzes hatte seine Finger erreicht. Er fluchte erneut. „Ich hab kein Zündholz mehr!" rief er herüber. „Kannst du nicht deine eigenen Zündhölzer verbrennen?" Lobo wartete eine Weile. Er lauschte in die ihn einhüllende Fin sternis. „Ist das ein Trick, Alter?" „In meinem Alter versucht man keine Tricks mehr. Wenn du dein Pferd willst, dann hol es dir. Ich kann in der Dunkelheit nichts sehen." Lobo riß eines seiner eigenen Zündhölzer an der Stallwand an. Eine kleine Flamme zuckte auf. Für den Bruchteil einer Sekunde sah er einen schnellen Schatten. Etwas zuckte hoch, fegte herab und traf ihn seitlich an der Schläfe. Es war ein furchtbarer Hieb, stark genug, um einen Ochsen umzuwer fen. Lobos Hut konnte den Hieb nur wenig mildern. Ein zweiter Schlag schien seinen Hinterkopf zu spalten. Er wurde nach vorn geschleudert. Dumpf und schwer schlug er auf den harten Lehmboden auf. Der alte Hunter entzündete mit zittrigen Fingern eine Lampe. In sei nem zerfurchten Gesicht standen Furcht und Entsetzen. Ein Mann sagte: „Bring sein Pferd und faß mit an. Los, Alter, beweg dich!" „Ich habe ihn reingelegt, dafür wird er mich töten." Der Mann, den das Licht der Lam pe nicht erreichte, lachte. „Der ist hin, der bringt niemanden mehr um. Nun hol endlich sein Pferd, ver dammt!" Hunter zog Lobos Falben aus der Box. „Sie haben mir zehn Dollar ver sprochen, Mister." „Du bekommst das Geld, aber erst, wenn die Arbeit erledigt ist. Sind die 9
Gurte festgezurrt?" „Ja, sicher." „Dann pack ihn an den Beinen. Gut so, und jetzt hinauf mit ihm." Der alte Mann schwitzte. Sein Atem ging pfeifend. Die Lampe in seinen zittrigen Händen schwankte hin und her. „Wo sind Sie?" Eine harte Hand packte von hinten in seinen dichten, grauen Haar schopf. Sein Kopf wurde zurückge rissen. Hunter wollte schreien, seine Angst hinausbrüllen. Er hatte den Mund schon geöffnet, als ihm ein harter Schlag das Bewußtsein nahm. Der Mann ließ Hunters Kopf los. Der Körper des Alten fiel in sich zu sammen. Er schlug auf den Boden und blieb still und reglos liegen. Die Straße war leer wie ein ausge plünderter Geldschrank. Der Mann bestieg einen struppigen Bronco. Er nahm Lobos Falben am Zügel und zog ihn hinter sich her. Er ritt bis zum Colorado River hinunter. Hier bog er scharf nach Osten ab. Hinter der Gilamündung stieg das Gelände steil an. Ein winziger Pfad schlängelte sich durch wirre Fels massen. Nach etwa fünf oder sechs Meilen hielt er an. Weit hinter ihm plätscherte das Wasser des Flusses gegen loses Gestein, das im Laufe der Jahre von den Felsen abgebröckelt war. Allmählich kroch eine schwache Dämmerung durch das Flußbett, welche die Schatten der Nacht aus löschte. Es wurde rasch heller.Nichts bewegte sich außer dem tief unten dahinströmenden Wasser. Der Mann stieg von seinem Bronco, trat an den steil abfallenden Uferrand und blickte hinunter. Das Rauschen des Flusses rang ihm ein Lächeln ab. „Vierzig, vielleicht auch fünfzig Yards. Das wird ihm den Rest ge ben", murmelte er vor sich hin. Er zerrte Lobo vom Rücken des Falben, packte ihn an den Füßen und schleif te ihn bis zum Rande des Abgrundes. Mit den Stiefeln stieß er ihn hinab. 10
„Fahr zur Hölle, Halbblut!" Der Mann nahm sich nicht mehr die Zeit, Lobos Sturz zu beobachten. Ihm schien erst jetzt bewußt zu wer den, daß es heller Tag war. „Gottverdammich", murmelte er. Die Sporen ritzten die Weichen des Broncos. Als er die Stadt erreichte, war sie bereits erwacht.
Lobo hing nur wenige Yards unter der oberen Felskante. Ein halbver trockneter Mesquitestrauch hatte den Sturz gebremst. Die Äste des Strauches knackten unter der Last seines Körpers. Loses Gestein rollte den Hang hinab und schlug unten im Wasser auf. Der Strauch hielt. Der Tag schlich dahin. Durch die Flußschlucht krochen lange Schat ten. Sie wurden immer dunkler. Der Himmel über der Schlucht war ein langer schwarzer Streifen, auf dem sich nach und nach goldene Punkte bildeten. Ein Corporal und zwei Soldaten ritten auf ihrer Patrouille hinterein ander auf dem schmalen Felspfad. Sie unterhielten sich ziemlich unge niert über Frauen. Ein junger Bur sche mit blondem Flaum im Gesicht, der sich später einmal zum Barte ent wickeln sollte, führte das Wort. „Und ich sage euch, sie ist eine Nutte. Ge stern nacht habe ich sie aus dem Quartier von Lieutenant Haskens kommen sehen. Was glaubt ihr wohl, was sie da gemacht hat?" „Sie haben sicher gemeinsam in der Bibel gelesen", erwiderte der an dere und lachte. Der Corporal hielt plötzlich sein Pferd an. „He, seht ihr auch, was ich sehe? Wie, zum Teufel, kommt ein Pferd in der Nacht allein hierher?" Er war aus dem Sattel gestiegen. Lei se und besänftigend redend ging er auf das Pferd zu. Das Tier wich leise schnaufend zurück, prallte gegen ei ne Felswand und blieb dann stehen.
Der Corporal war ein erfahrener Mann. Schließlich tat er ja auch schon acht Jahre Dienst in der Ar mee. Er war jetzt nahe genug am Pferd heran. Mit einem schnellen Griff hatte er die Zügel erfaßt. „Ich habe es. Kommt mal her." Er klopfte den Hals des Pferdes. „Ein gutes Tier. Falbe", stellte er fest. „Wo ein Pferd ist, da muß auch ein Reiter sein", sagte der junge Soldat. Er legte sich auf den Bauch und blickte über die tief abfallende Ufer böschung. Das Licht eines träge da hintreibenden halben Mondes reich te aus, um ihn das Bündel Mensch er kennen zu lassen, das an einem Mes quitestrauch hing. Es wurde ein hartes und gefährli ches Stück Arbeit, den Mann hoch zuholen. Sie legten Lobo auf den schmalen Felspfad. Ein Soldat beug te sich über ihn. „Himmel, ist der zugerichtet. Sieh ihn dir mal an, Cor poral." „Ein Halbblut", murmelte der Cor poral, „mir ist, als hätte ich ihn schon mal gesehen." „Der ist hin. Ein Mensch, dem sie so auf den Schädel gehauen haben, der muß einfach hin sein. Was machen wir mit ihm?" Der Corporal richtete sich halb auf. „Für einen Toten atmet er aber ziemlich kräftig durch. Hallo, roter Bruder, was ist los mit dir?" Das erste, was Lobo sah, waren die goldenen Punkte über ihm, dann fiel sein noch halbverschwommener Blick auf das Gesicht des Corporals. Ein Soldat reichte eine Wasserfla sche. Der Corporal wies sie zurück. „In meiner Satteltasche ist noch 'ne Flasche mit 'nem kleinen Schluck Whisky. Reich die mal her." Lobo hatte das Gefühl, als würden seine Eingeweide verbrennen. Der Corporal setzte ihm noch mal die Flasche an die Lippen. „Trink nur, das ist die beste Medizin." Der scharfe Schnaps lief durch Lo bos Kehle. Er hustete. Rasender
Schmerz durchzuckte seinen Schä del. „Geht's besser? Trink einen Schluck Wasser hinterher." Lobo trank gierig das lauwarme Wasser. Das trübe Licht in seinen Augen verwischte. Sein Blick wurde wieder scharf und klar. Die Zunge, die ihm wie ein ausgetrockneter, dik ker Kloß im Munde gelegen hatte, schien wieder Normalform zu haben. Der Corporal sagte: „Jetzt weiß ich es, du bist Lobo, das Halbblut, nicht wahr? Mann Gottes, wer hat dich denn so zugerichtet?" Er half Lobo, als der sich aufrichtete, um sich mit dem Rücken an die Felswand zu leh nen. „Ich glaube", sagte Lobo heiser, „ich muß Ihnen und Ihren Leuten sehr dankbar sein, Corporal." „Ach was. War doch selbstver ständlich, daß wir dir geholfen ha ben. Was meinst du, kannst du rei ten? Wir nehmen dich mit zur Stadt. Oder besser zum Armeelager. Dort haben wir auch einen Doktor." Lobo verzerrte das Gesicht. Es soll te ein Lächeln werden. „Danke, aber ich kann mir schon wieder ganz gut selbst helfen." Einer der Soldaten machte den Corporal auf seine Pflichten auf merksam. „Der Captain wird uns die Ohren abschneiden, wenn wir bis Tagesanbruch nicht zurück sind." Er blickte zum Himmel. „In einer Stun de wird es hell, Corporal." Sie gingen zu ihren Pferden, stie gen auf und ritten an. Vor Lobo hielt der Corporal noch mal an. „Du hast nicht zufällig ein paar Burschen durch die Berge schleichen sehen, was?" „Kann mich nicht erinnern. Ist was Besonderes?" Der Corporal nickte. „Kann man wohl sagen. Was glaubst du wohl, weshalb uns der Alte nachts durch das Gelände scheucht? Ein Trans port von Tucson soll uns neue Waf fen bringen, verstehst du? Solche, 11
wie du eine im Scabbard hast. Und jetzt haben sie Angst, der Transport könnte abgefangen werden. Es soll da ein paar Leute geben, die was von dem Geschäft verstehen. Na, dann mach's gut, Halbblut, und paß in Zu kunft besser auf dich auf." Sie ritten davon. Lobo blieb in un veränderter Haltung sitzen. Sein Ge hirn begann wieder zu arbeiten. Ganz allmählich kehrte die Erinne rung zurück. Da war Sheila, der alte Hunter im Mietstall, der Schatten, von dem er nicht mehr wußte, als daß es ein Schatten war. Die Zusam menhänge schmolzen ineinander. Sie prägten das Bild der vergangenen Nacht. Und doch war da etwas, das nicht in dieses Bild paßte. Der Alte zum Beispiel. Oder doch? Lobo wußte es nicht. Er wälzte die ihn fast erdrückenden Gedanken von sich. Der Wille zum Leben mobi lisierte seine Kräfte. Die Fragen des Corporals kehrten in seine Gedan kenwelt zurück. Und plötzlich wußte Lobo, welcher Art Black Jack Rodys Geschäfte waren. Aber weshalb hät te ihn Rody beseitigen sollen? Das ergab keinen Sinn. Lobo hatte ziemlich Mühe, auf die Beine zu kommen. Im schwachen Dämmerlicht des erwachenden Ta ges tastete er sich zu dem Falben. Es war nichts, was fehlte. Der Kolben der Winchester ragte aus dem Scab bard. Die Wasserflaschen waren noch da, und der Proviantsack hing hinter dem Sattel. Instinktiv griff Lobo zum Revol ver. Er fühlte den aufgerauhten Griff. Ein beruhigendes Gefühl durchströmte ihn. Der Patronengür tel lag noch fest um seiner Hüfte. Sie waren sich sehr sicher gewesen, überlegte er. Seine Hand war schon wieder ru hig, als er die Wasserflasche löste. Das Wasser war warm und schmeckte faulig. Lobo blickte über die Felskante nach unten, wo die klaren Fluten des 12
Gila River das steinige Ufer umspül ten. Das war schon eine Versuchung wert. Er fand ohne Mühe einen Ab stieg. Im Flußbett lag noch eine fahle Dämmerung. Ein leichter Wind trieb die letzten Frühnebel hinweg. Das Halbblut steckte den ganzen Kopf in das klare, kalte Wasser. Es war belebend, und er fühlte, wie die aus dem Körper gedroschene Ener gie zurückkehrte. Er hockte sich auf den Boden, kaute getrocknetes Fleisch und dachte über seine Schwierigkeiten nach. Er hatte sie nicht gesucht, aber er konnte ihnen auch nicht ausweichen. Nun, er konnte einfach davonreiten. Aber war das eine Lösung? Irgendwann würden sie ihn einholen. So war das immer. Es war fast Mittag, als Lobo zur Stadt zurückritt. Er kam am Anlege platz der Kingsway vorbei. Der alte Schaufeldampfer verkehrte, wenn der Colorado genügend Wasser führ te, zwischen Yuma und Fort Blythe, das auf der kalifornischen Seite des Flusses lag. Am Anlegeplatz bog Lobo in die Colorado Street ein, die sich wie ein graues Band quer durch die Stadt zog und dann in der Wüste verlief. Die Stadt zeigte wenig Leben. Es war heiß, und wer es konnte, ver kroch sich im Schatten der Häuser. Lobo ritt direkt zum Sheriff's Office. Etwas steifbeinig stieg er aus dem Sattel. Ehe er gegen die Tür klopfte, lockerte er ein wenig seinen Army Colt. Eine Weile blieb es drinnen still. Lobo klopfte noch mal, diesmal et was fester. „Was, zum Teufel, ist denn los?" Die Stimme des Sheriffs verriet Ärger. „Ich bin es, Lobo." Die Tür wurde augenblicklich auf gerissen. Brooks, nur bekleidet mit Hose und rotem Unterhemd, über das er die breiten Hosenträger gezo gen hatte, starrte Lobo fast entsetzt an. Die Mündung seines Revolvers war auf das Halbblut gerichtet. „Du
mußt verrückt sein! Los, rein mit dir!" Er stieß Lobo die Revolvermün dung in die Seite. Scharf sagte er: „Du bist festgenommen, Halbblut! Mord an dem alten Hunter. Dreh dich um!" Jetzt erst fand Brooks Zeit, Lobo näher zu betrachten. „Himmel, wie siehst du denn aus?" Lobo blieb gelassen. „Stecken Sie die Waffe weg, Sheriff." „Einen Dreck werde ich. Du sollst dich umdrehen!" Brooks streckte die Hand nach Lobos Revolver aus. Das Halbblut deutete ein schwaches Grinsen an. „Wenn Sie den haben wollen, dann müssen Sie mich schon erschießen, Brooks. An Ihrer Stelle würde ich das aber nicht versuchen." Sheriff Brooks, der sich in der Wo che nur einmal rasierte, und diese Woche war gerade um, schabte mit der flachen Hand über seine Bart stoppeln. „Du würdest mich umlegen, was?" Lobo nickte. „Das würde ich." „Das glaube ich dir aufs Wort." Er wies mit der Revolvermündung auf einen Stuhl. „Setz dich und rede. Aber keine faulen Tricks, Mann!" „Ich wußte nicht, daß der alte Hun ter erschossen wurde", sagte Lobo trocken. „Erschossen? Wer hat denn gesagt, daß er erschossen wurde? Den Schä del hast du ihm eingeschlagen, Hu rensohn, verdammter!" In den wäß rigen Augen des Sheriffs flammte Haß. Sein Zorn flog Lobo entgegen. „Was hat dir der Alte getan?" „Nichts. Ich hab ihn auch nicht umgebracht." „Nein? Wenn nicht du, wer sonst?" Lobo zeigte auf seinen außer Form geratenen Kopf. „Vielleicht der Mann, der auch mich abmurksen wollte. Hören Sie, Brooks, der alte Hunter hat mich reingelegt. Ich war ein bißchen zu vertrauensselig. Für den Mann, der mich beseitigen woll te, war Hunter eine Belastung. Des sen Geschwätzigkeit konnte für die
sen Mann tödlich sein. Also mußte er Hunter beseitigen. Und noch was, Brooks. Welchen Grund gäbe es für mich, ausgerechnet zu Ihnen zu kommen, wenn ich Hunter wirklich erledigt hätte?" „Hm", Sheriff Brooks ließ den Re volver sinken, „da ist was dran. Wes halb bist du nun wirklich gekom men?" Lobo sah den Sheriff unverwandt an. Brooks rutschte unruhig auf dem Stuhl hin und her. „Shelton", sagte er schließlich. „Ich glaube, er allein war der Grund, wes halb du in die Stadt zurückgekom men bist. Hör zu, Halbblut, laß dir nichts Dummes einfallen. Wenn ich dich durchdrehe, bleibt gerade noch soviel übrig, daß wir dich in Missis Bradforts Hutschachtel beerdigen können." „Ich dachte, Sie sind mehr fürs Hängen, Brooks." „Ja! Und der Teufel mag wissen, weshalb ich dich nicht schon längst aufgeknüpft habe!" Auf Lobos Lippen lag ein wenig Spott. „Ihnen hat es noch nie viel ausgemacht, wenn Sie mal den Fal schen gehenkt haben. Ihr zur Schau gestelltes Bedauern macht Sie so menschlich." „Hör endlich auf, an meinen Ge fühlen herumzuzerren, Mann. Ver schwinde lieber. Ich glaube, das ist besser für mich und auch für dich." „So wird das wohl sein." Lobo stand auf. Brooks zog seine kurzen Beine ein, die er weit von sich ge streckt hatte. „Shelton hat mit der Sache in jener Nacht nichts zu tun. Nimm das mit auf den Weg. Während du dich bei dem rothaarigen Mist stück ausgetobt hast, hat sich Shel ton im California Saloon bis zum Überlaufen vollgesoffen. Beruhigt dich das?" „Brooks", erwiderte Lobo scharf, „dafür sollte ich Ihnen eine kleben. Was sind Sie doch für ein mieser Knochen." 13
Jake Howard hatte Sheriff Brooks im Office abgelöst. Die Veranda lag noch im Schatten. Er hatte es sich darauf bequem gemacht. Es war an genehm. Jake Howards Gedanken kreisten um ein paar Dinge, die er nicht so recht begreifen konnte. Seine Ge fühle für Tom Shelton waren noch nie sehr freundschaftlich gewesen. Seit letzter Nacht stand er gegen Shelton in offener Rebellion. Er hat te sich vorgenommen, Shelton zur Rede zu stellen. Nun, Ben Brooks, den er verehrte, würde Augen ma chen. Noch während sich Howard die Worte zurechtlegte, die Shelton ent blößen sollten, betrat der Mann, den er erwartete, die Veranda. Zwischen Sheltons dicken Lippen hing eine halbgerauchte Zigarre. Er blickte auf Howard herab. „Was ist los, Brooks nicht da?" Jake Howard kippte den Stuhl nach vorn. Er nahm die Beine vom Verandageländer und stand auf. „Es ist ganz gut, daß wir allein sind, Tom. Komm mit rein, ich möchte mit dir reden." Shelton schenkte Jake Howard ein ruhiges, wirkungsvolles Lächeln. „Du machst mich neugierig, Jake." Auf Sheriff Brooks' Schreibtisch lag eine Schrotflinte mit abgesägtem Lauf. Shelton nahm sie in die Hand. „Wer hat die denn dahingelegt? Die ist ja sogar geladen. Was soll das, Jake?" Howard griff nach der Waffe. „Es ist meine, gib sie her." Shelton behielt sie in der Hand. „Spuck aus, was dich bedrückt, Jake. Und setz dich endlich, du machst mich ganz nervös." „Shelton", sagte Howard, „du bist ein Schwein. Ich habe dir nie so recht getraut, aber seit gestern nacht weiß ich, daß du ein Schwein bist." „Nur weiter, Jake!" Tom Shelton 14
reagierte kaum auf Howards Worte. „Nur weiter", wiederholte er. „Na gut, wenn du es hören willst. Ich war gestern nacht Zeuge eines Gespräches zwischen dir und Black Jack Rody. Reicht's jetzt, Tom Shel ton?" Howard beugte sich weit über den Tisch. Er starrte Shelton aus brennenden Augen an. Tom Shelton lächelte. Aber es war das Lächeln eines Mannes, dessen Gefühle nicht mitlächelten. „So, warst du." „Ja, war ich. Weshalb, Tom?" „Das wirst du wohl nie begreifen. Du blickst nur zu Brooks auf. Du hängst an seiner Leine. Und wenn er dir jeden Monat vierzig Dollar zahlt, würdest du ihm am liebsten die Füße küssen. Du bist eine Niete, Jake Ho ward, und du wirst immer eine Niete bleiben." Shelton sah sehr gut, daß Howards rechte Hand den Kolben des Revol vers umspannt hielt. „Was wirst du jetzt tun, Jake?" Sheltons Blick war jetzt der einer Klapperschlange, die mit kalten Augen das Kaninchen fi xiert, bevor sie es frißt. „Eine überflüssige Frage, Tom Shelton. Ich tue, was ich tun muß. Sheriff Brooks wird entscheiden." „Du würdest auch auf mich schie ßen, Jake?" „Ein Deputy, der mit Banditen paktiert, hat alle Rechte verspielt." Shelton hielt noch immer die Schrotflinte in den Händen. Er dreh te sich herum und betrachtete voller Interesse den kurzen Lauf. Und dann schlug er zu. Schnell und überra schend. Jake Howard stürzte rück lings mit dem Stuhl um, und er spür te nichts mehr ...
Lobo ritt ohne Eile aus der Stadt. Er folgte der Fahrstraße bis zu der Stelle, an der sie den Gila River be rührte. Von hier aus folgte er dem Flußlauf bis hinauf zur Mohave
Furt. Am jenseitigen Flußufer war fen ein paar Cottonwoods breite Schatten. Ein guter Platz. Er gab den Blick bis hinüber zur Fahrstraße frei. Hinter den Cottonwoods türm ten sich die kahlen Felsen des un wirtlichen Berglandes. Das Halbblut hatte den Hut weit in die Stirn geschoben, um seinen schmerzenden Kopf vor der heißen Arizonasonne zu schützen. Zwischen den Lippen hing eine dünne schwar ze Zigarre. Gelegentlich stieß er klei ne Rauchwolken aus. Seine Gedanken beschäftigten sich mit Sheriff Brooks, dem Mann, der mit der Verschlagenheit einer Schlange und der Sturheit eines Büf fels sein Ziel verfolgte. Brooks hatte nicht mehr Moral als eine wildernde Katze. Die Wahl seiner Mittel lag oft weit außerhalb jeder Legalität. Lobo mochte diesen Mann nicht, ihn nicht und Tom Shelton nicht. Bei dem Gedanken an Shelton spuckte Lobo aus. Eines Tages würde er Shelton eine Rechnung vorlegen, die nur er, er ganz allein begleichen würde. Shelton hatte ihn gepeinigt, nur so zum Spaß, und er hatte ihn stinkendes Halbblut genannt. Kein Mann würde das jemals vergessen. Eine ferne Staubfahne verdrängte die unguten Gedanken. Es war ein einzelner Reiter, der sein Pferd nicht schonte. Lobo zog sich etwas weiter unter die Cottonswoods zurück. Grelles Sonnenlicht ließ etwas auf der Brust des Mannes aufblitzen. Lobo durchzuckte es. Aber noch war die Entfernung zu groß, um den Mann genau erkennen zu können. Nach einer Weile bog der Reiter scharf nach Norden ab. Er ritt genau auf den Fluß zu. Lobo brauchte nicht zu fürchten, gesehen zu werden. Etwa zweihundert Yards oberhalb seines Platzes erreichte der Reiter den Gila River. Er hatte offensicht lich die Mohave-Furt verfehlt. Am Ufer hielt er an, spähte umher und trieb dann sein Pferd in das träge da
hinplätschernde Wasser. Lobo spürte, wie sein Blut schnel ler pulsierte. „Shelton", murmelte er. Er erstickte fast an dem Wort. Aber er wußte auch, daß die Zeit, Shelton die Rechnung vorzulegen, noch nicht gekommen war. Tom Shelton ritt diesseits des Flus ses bis zu der großen Schleife, die ihn vor Lobos Blicken verbarg. Das Halbblut ließ den Falben zurück. Völlig lautlos bewegte er sich den Hang hinauf. Zwischen zwei Felspy ramiden richtete er sich halb auf. Die Flußschleife war gut einzusehen. Shelton zog sein Pferd am Zügel den Felshang hinauf. Am oberen Rand des flachen Plateaus blieb er stehen, spähte noch einmal umher, stieg in den Sattel und verschwand dann zwischen den Felsen der wilden Bergwelt. Lobo war nicht entgangen, daß Shelton keinen Verpflegungssack mitführte, daß er nur eine Wasser flasche am Sattelhorn hatte. Das ließ zwei Schlüsse zu: Entweder ritt Shelton hinter jemandem her und kehrte später in die Stadt zurück, oder er ritt vor jemandem davon. Ein Mann ohne Verpflegung und ohne Wasser war in diesem Teil des Lan des so gut wie tot. Die Sonne stand schon tief, als Lobo in die Stadt zurückkehrte. Die Atmosphäre war hektisch und hoch explosiv. Sheriff Brooks stand mit einem langen, dünnen Mann auf der Veranda des Office. Ein gutes Dut zend Männer hatten sich vor dem Office versammelt. Sie redeten laut durcheinander. Jemand rief: „Da kommt das Halbblut!" Revolver wurden aus den Halftern gerissen. Die Mündungen richteten sich auf Lobo. Sheriff Brooks fuchtelte wild mit den Armen in der Luft herum. Seine gewaltige Stimme prallte Lobo ent gegen. „Komm her, du lausiger Skalpjäger, aber komm schnell, sonst schleif ich dich an den Ohren heran. 15
Und ihr anderen, weg mit den Schießeisen!" „Aber das Halbblut, Sheriff ..." „Laßt ihn in Ruhe, verdammt!" Sie starrten Brooks an, als sei er ei ne Art Mißgeburt. Nein, jetzt ver standen sie gar nichts mehr. Lobo ließ den Falben ruhig weiter traben. Ohne Hast stieg er vor dem Office ab. Er schlang die Zügel nur lose um den Haltebalken, sehr lose. Mit der Winchester unterm Arm durchschritt er die Reihe der ver sammelten Männer. „Das ist er", sagte Brooks zu dem langen, dünnen Mann. Der nickte mit seinem Habichtskopf. Aus grauen, kalten Augen blickte er Lobo an. Es war ein Blick, der jeden Menschen frieren ließ. Ohne daß ein Name ge nannt wurde, wußte Lobo, wer dieser Mann war: Richter Oliver T. Malvis. Ein Richter, der schnell Todesurteile aussprach und der einen Sheriff hat te, der sie genauso schnell vollstreck te. Beim Anblick dieser beiden Män ner konnte einem schlecht werden. Lobo blieb abwartend auf der Ve randa stehen. Brooks, mit einem Sei tenblick auf die Winchester, knurrte: „Fehlt nur noch die Adlerfeder, das Stirnband und eine bemalte Fresse. Wen willst du denn umbringen?" „Ich achte nur darauf, daß mich niemand umbringt." Richter Malvis ging wortlos ins Office. Brooks gab Lobo ein Zeichen. „Komm rein, wir haben mit dir zu re den." Er schloß die Tür hinter dem Halbblut. Im Office war es stickig heiß. Der süßliche Geruch von Blut erregte Übelkeit. Der Richter durch bohrte Lobo mit seinen kalten grau en Augen. „Du also bist Lobo, das Halbblut. Sonst noch was?" „Das genügt. Alle nennen mich nur Lobo." Sein Blick ging zu Brooks und dann zurück zum Richter. „Was ist los? Was wollen Sie von mir?" „Wo warst du, nachdem du die Stadt verlassen hast?" Brooks Blick hing an Lobos Lip 16
pen. „In den Bergen. Warum?" Sheriff Brooks verdrehte etwas seinen viereckigen Kopf. Lobo fragte unvermittelt: „Wie hoch steht Shelton bei Ihnen im Kurs, Sheriff?" Das Kinn des Richters klappte her unter. Brooks rang sichtlich nach Luft. Seine Stimme war ein heiseres Zischeln. „Was weißt du von Shel ton? Los, spuck's aus!" Lobo tippte an seinen immer noch arg geschwollenen Kopf. „Er war es, nicht wahr?" „Zum Teufel, nein. Also, was weißt du von ihm?" „Nicht viel. Er reitet in den Bergen herum." Richter Malvis sagte: „Vielleicht sollte er wissen, was passiert ist, Ben." Brooks wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht. Er plumpste förm lich auf einen Stuhl. „Ja", murmelte er. „Ja, vielleicht sollte er es wissen. Du hast recht, Oliver." Brooks leckte sich über die Lippen. „Howard ist tot. Shelton hat ihn umgebracht, einfach kaltblütig erschlagen." „Warum?" Lobo wartete auf eine Antwort. Sheriff Brooks ließ sich lange Zeit damit. „Shelton hat falsch gepokert. Jake Howard war dahin tergekommen." „Und deshalb hat er ihn umge bracht?" „Der Kerl versteht immer noch nicht. Begreifst du denn nicht, was hier gespielt wird?" „Es ist nicht mein Spiel, Sheriff", sagte Lobo. „So, meinst du." Brooks war wieder aufgestanden. Der kaltblütige Mord an Howard hatte nur für Augenblik ke seine Nerven zerrüttet. Breit und wuchtig stand er vor Lobo. Er war wieder der starke Ben Brooks, der Mann, dem das Wort Brutalität ge läufig war, dem es nichts bedeutete. „Nun paß mal fein auf, Halbblut, was ich dir jetzt erzähle. Wenn du
dann immer noch meinst, es sei nicht dein Spiel, dann ist es besser, wenn du ganz schnell verschwindest. Aber diesmal für immer. Hast du das ka piert?" Lobo nickte fast gelangweilt. „Ka piert, Sheriff." „Fein. Also, zuerst kommt Rody mit den Galgenvögeln Achat, Crowly und Opalla. Schon mal gehört, diese Namen?" „Vielleicht kenne ich sie unter an deren Namen. Sie sagen mir nichts." „Macht nichts. Du weißt, wo Rody ist, ist immer irgendwas los. Sein Auftreten bringt jeden Sheriff und Marshal zum Schwitzen. Aber selt samerweise benahm sich Rody hier recht manierlich. Jetzt kennen wir auch den Grund. Shelton und Rody kannten sich von früher. Sie waren mal Partner oder so was. Shelton, der im Armeelager ein- und ausging, hatte ausspioniert, was Rody inter essierte: der Waffentransport von Prescott nach Yuma. Howard war dahintergekommen,daß sich Shelton und Rody heimlich trafen. Vielleicht hatte er auch mehr gewußt. Jetzt kann er es uns nicht mehr sagen. Hast du jetzt begriffen?" „Sicher. Weshalb haben Sie Rody nicht aus der Stadt gewiesen? Sie sind doch sonst immer sehr schnell dabei." Sheriff Brooks stieß schnaufend die Luft aus. Richter Malvis hustete kränklich. „Du bist wirklich ein hirnverbrannter Ochse. Es gab nichts, was ich Rody vorwerfen konnte. Er hat sich weder in der Stadt noch im Arizona-Territorium etwas zuschulden kommen lassen." Lobo hatte begriffen. Black Jack Rodys Hautfarbe war weiß. Sein Ruf als Revolvermann war schon fast le gendär. Und diesen Rody fürchtete Brooks. Vor ihm hatte er einfach Angst. Wenn Rody ein paar Männer um sich versammelt hatte, dann wa ren das gute Männer, jedenfalls in Rodys Sinn. Das mit Shelton mochte
stimmen oder auch nicht. Für Lobo war das zweitrangig. Was zählte, war der Mann, der ihm fast den Schädel eingeschlagen hatte. Den wollte er. Er würde ihn stellen, und wenn er dafür mit Brooks paktieren müßte. „Was erwarten Sie von mir, Sheriff?" Richter Oliver T. Malvis, der bis dahin geschwiegen hatte, sagte: „Du wirst dich dem Sheriff zur Verfü gung stellen." Lobo stand steif und unbeweglich. Kein Zucken in seinem Gesicht ver riet, was er dachte. Bedächtig nickte er. „Ja. Vorausgesetzt, der Sheriff läßt mir freie Hand bei dem Mann, der den alten Hunter umgebracht hat und mich fast dazu. Das ist ein ehrlicher Handel." „Für ein Halbblut führst du ganz schön aufsässige Reden. Was meinst du dazu, Ben?" „Ich werde schon auf ihn aufpas sen." Brooks nahm eine Bibel aus dem Schubfach seines Schreibtisches und warf sie auf den Tisch. „Ich muß dich als Deputy vereidigen. Leg die linke Hand drauf und heb die Rech te." Fast hätte Lobo laut gelacht. Er schluckte das Gefühl hinunter. „Ein Halbblut als Deputy, kein Hund würde das ernstnehmen, Sheriff. Ich habe Ihnen einen Handel vorge schlagen. Entweder Sie gehen darauf ein, oder Sie tun es nicht." Auf Sheriff Brooks Gesicht er schien der Abglanz eines Grinsens. „Wenn du dich weigerst, könnte ich dir allerhand Schwierigkeiten ma chen, Freund Lobo." „Ich weiß, aber dann würden Sie Shelton nicht finden. Ich denke, das sind Sie Jake Howard schuldig." Richter Malvis stieß seinen Ha bichtskopf nach vorn. Sein großer Adamsapfel hüpfte aufgeregt rauf und runter. „Du wirst tun, was der Sheriff von dir verlangt hat!" sagte er scharf. „Laß nur, Oliver", sagte Brooks. Die Gedanken des Sheriffs waren ein 17
einziger Hinterhalt. „Ich denke, ich werde auch so mit dem Halbblut auskommen." Brooks drehte den Stern zwischen den Fingern, dann legte er ihn mit der Bibel in das Schubfach zurück.
Der Sheriff und das Halbblut wa ren allein. Brooks konnte das Gefühl eines leichten Triumphes nicht ver bergen. Das Halbblut hatte sich ihm unterworfen. Das war mehr, als er je erwarten konnte. Wenn dieser Ba stard glaubte, er, Sheriff Ben Brooks würde ihm einen Weißen ans Messer liefern, so war das eben nur ein Glaube, der nicht realisierbar war. Außerdem, was wußte dieser Lobo schon von dem Mann, der ihm auf den Schädel geklopft hatte? Nichts wußte er. Nur er, Ben Brooks, hatte ihn aus den Bergen kommen sehen. Eine kurze Sekunde verschwendete Sheriff Brooks einen Gedanken an den alten Hunter. Doch dann forder te ein Reiter, der vor dem Office hielt, seine Aufmerksamkeit. Mit schnellen, elastischen Schritten stürmte er herein. Brooks trat ihm an der Tür entgegen. Lobo saß mit angezogenen Beinen auf dem Boden. Er hatte die Lider gesenkt und er weckte so den Eindruck eines Schla fenden. Der Mann war kaum älter als fünfundzwanzig. Seine hohe, schlan ke Gestalt war in eine Uniform ge preßt. Unter einer schiefsitzenden Mütze drängten blonde Haare her vor. Das bartlose Gesicht des Mannes war gerötet. „Es ist passiert, es ist tatsächlich passiert! Unglaublich! Los, Sheriff, stellen Sie ein Aufgebot zusammen. Mindestens zwanzig Männer. In einer Stunde wird aufge sessen!" „Was ist denn passiert?" fragte Brooks scheinheilig. Er fragte nur, um diesen arroganten Lieutenant zu ärgern, den er ums Verrecken nicht 18
leiden konnte. Lieutenant Haskens stand kurz vor der Explosion. „Fragen Sie doch nicht so saudumm,Brooks! Der Waf fentransport wurde aus dem Hinter halt überfallen! Drei Männer tot. Fünf oder sechs verwundet. Achtzig Winchester zum Teufel. Und Sie fra gen wie ein unwissender Narr. Also in einer Stunde im Armeelager!" Wohl erst jetzt bemerkte der Lieu tenant den am Boden hockenden Lobo. „Was macht das Halbblut hier?" „Er ist mein Aufgebot." Brooks grinste schief. „Machen Sie keine einfältigen Wit ze. In einer Stunde, nicht länger." Die selbstherrliche Art des Lieu tenants forderte Brooks' Zorn. „Hö ren Sie mal, Haskens, Sie haben mir nichts zu befehlen! Meine Nerven sind heute schon genug strapaziert worden, sie sind verdammt dünn." „Jetzt sind es nur noch fünfzig Mi nuten", schnarrte Haskens und ver ließ das Office. Der Sheriff angelte sich eine Zi garre aus der Hemdtasche. „Willst du auch eine, Halbblut?" „Wenn man sich nicht daran ver giftet. Sie mögen den Lieutenant nicht, was?" Brooks blickte auf Lobo hinab. „Nein. Ein widerlicher Kerl. Captain McGinnest ist da anders. Ganz okay. Nur schade, daß er die halbe Zeit stockbesoffen ist. Wen wundert das schon, nach acht Jahren an der Grenze. Was hältst du davon?" „Von was?" „Vom Überfall natürlich. Frag nicht so dumm." Lobo blies ein paar dicke Rauch wolken unter die Decke. „Sie hätten den Lieutenant fragen sollen, wo der Überfall stattgefunden hat." Brooks kratzte sich über seine rote Haarbürste. „Gottverdammich, da hast du recht. Ich werde jemanden zur Armeestation schicken." Sheriff Brooks brauchte nieman
den zu schicken. Zwei Männer stürmten regelrecht ins Office. Zu erst blickten sie überrascht auf Lobo. Einer sagte: „Was ist mit dem Halb blut, wirst du ihn hängen, Ben?" „Quatsch. Was wollt ihr?" „Wir wollen mit im Aufgebot rei ten!" „Es gibt kein Aufgebot. Geht nach Hause, Leute." „Himmel, weißt du denn nicht, was passiert ist?" „Was ist denn passiert?" Der Blick, den Brooks dem Mann gönnte, war ohne sonderliches Interesse. „Der Transport wurde überfallen. Achtzig nagelneue Winchester sind zum Teufel. Ein ziemlicher Verlust für die Armee. Wie man hörte, zahlen sie in Mexiko bis zu fünfhundert Dollar für das Stück. Und das in Gold, Mann, ist das ein Geschäft." Der Mann leckte sich die Lippen. Brooks fragte: „Du weißt nicht zu fällig, wo der Überfall stattgefunden hat?" Die Fünfhundert in Gold spukten dem Mann noch im Kopfe herum. Brooks, der nicht gern eine Frage wiederholte, herrschte ihn an: „Ich will wissen, wo sie den Transport ge plündert haben!" Der Mann schluckte. „Das weiß niemand so genau. Der Sergeant, der die Nachricht brachte, meinte, es müßte etwa sechzig bis siebzig Mei len nordwestlich von Yuma gewesen sein. In einem Canyon. Er kannte sich in der Gegend nicht aus. Was ist, Ben, stellst du ein Aufgebot zusam men?" „Das ist mir zu kriegerisch und Sa che der Armee. Mir hat niemand was geklaut. Geht nach Hause, Leute", wiederholte er. Lobo hockte noch immer unbe weglich am Boden. Er hatte sich in dicke Rauchwolken gehüllt, Brooks versuchte, mit den Händen die Wol ken zu zerteilen. „Hast du das gehört, Halbblut?" „Ja. Es kann der Big Mesa Canyon
gewesen sein, vorausgesetzt, es stimmt, was der Mann gesagt hat. Es gibt nur eine Straße nach Yuma her unter. Rody wird sie bestimmt nicht benutzen. Also muß er die Waffen auf Maultiere umladen. Wenn er das tut, gibt es viele Wege nach Mexiko." Sheriff Brooks kämpfte immer noch gegen die Rauchschwaden an. „So, der Big Mesa Canyon. Kennst du dich da aus?" „Ziemlich." „Paß nur auf, daß du nicht an dei ner Geschwätzigkeit erstickst. Was meinst du, was wir tun sollten?" Brooks dachte an Tom Shelton. Die Winchestergewehre scherten ihn ei nen Dreck. Und wenn sie tausend Dollar dafür bekamen. Ihm war das egal. Er wollte Shelton, ihn wollte er an den Galgen bringen. „Wir werden warten", sagte Lobo. „Warten?" Brooks starrte um un gläubig an. „Auf was wollen wir denn warten? Vielleicht darauf, daß Rody mit Shelton und den anderen Halunken in die Stadt kommt?" „Nein. Sie wollen die Waffen in Mexiko verkaufen. Also werden sie nach Süden reiten. Und je länger sie reiten, um so weniger brauchen wir das zu tun. Das Gelände ist wild. Es fordert Mensch und Tier alles ab." Brooks nickte anerkennend. „Dar auf wäre ich nicht gekommen. Man muß schon ein ausgekochtes Halb blut sein und mit zwei Seelen den ken. Wann also werden wir reiten?" „Morgen nachmittag." „Was, in der größten Hitze? Willst du mich etwa unterwegs braten?" Lobo schob sich an der Wand hoch. „Sie müssen nicht mitreiten, Brooks." Der Sheriff schnaufte. Sein schar fer Atem traf das Halbblut. „Das könnte dir so passen, was? Ein paar Weiße ausplündern und sich davon machen. Da wird nichts draus." „Sie werden mich nicht hindern, den Mann zur Rechenschaft zu zie hen, der mich töten wollte." „Nein, bestimmt nicht. Aber kennst 19
du ihn denn?" „Sie werden mir sagen, wer es war." Sheriff Brooks lachte. „Du bist dir aber verdammt sicher, Halbblut." „Nein. Aber ich schätze Ihr Wort, Sheriff Brooks." Lobo ging zur Tür. „Wo willst du hin?" „Mein Pferd braucht einen Platz für die Nacht, und ich auch." Brooks wies hinter sich auf die lee ren Zellen. „Du kannst hier schla fen." Lobos Stimme war kühl, schlep pend und ein wenig unverschämt. „So sehr traue ich Ihnen nun wieder nicht, Brooks. Gute Nacht." Sheriff Brooks hatte eine unruhige Nacht. Er war unausgeschlafen, mürrisch und von einer hektischen Nervosität. Es war um die Mittags zeit, als Lobo ins Office kam. Brooks starrte ihn aus geröteten Augen an. Er empfing ihn mit Flüchen, die aber nicht dem Halbblut galten. „Diesen Haskens", sagte er schließ lich, „werde ich mir eigenhändig vor knöpfen. Hat mich doch dieser Mist kerl angeschissen. Und weißt du, wie die schlappen Säcke im Stadtrat reagiert haben? Sie haben mich ein fach der Armee unterstellt. Ganz einfach so, als wenn ich ein Nichts wäre. Sechs Jahre habe ich die Stadt sauber gehalten. Aber ich sage dir, Halbblut, jetzt sollen sie mich erst mal richtig kennenlernen." Brooks schnappte nach Luft. Sein vierecki ger Kopf hatte die Farbe überreifer Tomaten. Wenn er sich weiter aufregt, wird ihm der Kopf platzen, dachte Lobo. Gelassen fragte er: „Lieutenant Has kens hat gestern abend die Stadt mit etwa zwanzig Soldaten verlassen. Sie hatten zwei Kiowas dabei." „Du weißt wohl alles, was?" „Nein. Was werden Sie jetzt tun, Sheriff?" 20
„Was wohl? Wir werden zusam men reiten. Und wenn mir dieser Haskens über den Weg läuft", Brooks verdrehte die Augen, „dann wirst du mich festbinden müssen. Hast du schon ein Essen gehabt?" „Sie sind also doch menschlich." Lobo grinste. „Man muß Ihnen nur mächtig auf die Füße treten, um Ihre Menschlichkeit zu wecken." „Halt dein freches Maul!" Brooks ging in eine kleine Küche. Er brachte zwei mit Bohnen und Fleisch gefüllte Blechteller. Einen schob er Lobo hin. „Selbst gekocht", sagte er stolz. Er schaufelte das Essen zwischen seine Zahnstummel. Lobo, von Brooks Kochkunst nicht sehr überzeugt, probierte vorsichtig. Er hustete und spuckte aus. „Mann, was haben Sie denn da gekocht?Da mit können Sie ja sogar Kröten ver giften." Er schob den Teller von sich. „Da gehe ich doch lieber ins YumaHotel." „Der Kerl ist ganz schön ver wöhnt", brummte Brooks, und er schaufelte unvermindert weiter. Sheriff Brooks war nicht zu bewe gen, in der glühenden Hitze des frü hen Nachmittags in die Berge zu rei ten. „Jetzt ist mir schon alles egal. Ich schenk diesen Affen den Stern und die ganze verdammte Stadt dazu." Die Sonne stand schon tief über den kalifornischen Bergen. Der Wind hatte sich gedreht. Er brachte eine angenehme Kühle. Brooks und das Halbblut ritten Seite an Seite über die Colorado Street. Vor dem Blue Angel stand Sheila in ihrer gan zen sündhaften Schönheit. Ihre vol len roten Lippen waren ein wenig geöffnet. Die Konturen ihres Kör pers zeichneten sich unter dem eng sitzenden Kleid scharf ab. Der tiefe Ausschnitt konnte ihre runden, fe sten Brüste nur halb verbergen. Sie hob die Hand und winkte Lobo zu. In der Manier eines Gentleman nahm das Halbblut den Hut ab. Sie sah die Wunde an seinem Kopf. Ein
Schatten glitt über ihr hübsches Ge sicht. „Ich hab's gehört, Lobo. Wes halb haben sie das getan?" „In dieser Stadt genügt es, ein Halbblut zu sein." Sie schüttelte den Kopf. „Diesmal nicht. Du weißt, wer es war?" Lobo schüttelte den Kopf. „Nein, aber ich werde es herausfinden." Sheilas Blick flog zu Sheriff Brooks, der in kurzer Entfernung ge halten hatte und jetzt auf die Frau hinabsah. „Achat", sagte sie hastig. „Der Mann heißt Nick Achat. Er ist einer von Black Jack Rodys Leuten. Und Brooks hat das alles gewußt. Nimm dich vor ihm in acht, Lobo. Bitte." Sie ging schnell in den Blue Angel zurück. „Können wir jetzt endlich reiten, oder willst du erst noch ein bißchen Vergnügen haben?" fragte Brooks. Als sie das Felsengebiet am Unter lauf des Gila River erreichten, hatte Lobo alle guten Gefühle in sich er stickt. Was blieb, war eine schmerz haft brennende Wunde und tiefer, bohrender Zorn. Die Nacht legte ihre schwarzen Schleier über das Land und deckte es damit zu. Ein müder Mond hatte sich hinter treibenden Wolken verkro chen. In der Finsternis bewegte sich Lobo mit der Sicherheit eines Nacht vogels. Manchmal hörte er hinter sich das unregelmäßige Schnaufen des Sheriffs. Ab und zu holte ihn ein Fluch ein. Als sich die ersten grauen Schatten weit im Osten zeigten, hielt Lobo sei nen Falben an. Sheriff Brooks klet terte ächzend aus dem Sattel. Die ro ten Bartstoppeln in seinem Gesicht standen ab wie die Borsten eines Wildschweins. „Ich bin das nicht mehr gewöhnt. Ich glaube, ich hab mir den Arsch wundgeritten. Ver dammt noch mal, das brennt, als hät te jemand ein Feuer drunter entzün det." In Lobos Blick war ein gut Maß
Geringschätzigkeit. Er schwieg. Brooks sah ihn mit zwiespältigen Gefühlen an. Seit sie die Stadt ver lassen hatten, hatte sich das Verhal ten des Halbblutes ihm gegenüber geändert. Im stillen verfluchte sich Brooks, daß er sich diesem Mann an vertraut hatte. Hier in den Bergen war er Lobo ausgeliefert. Das Halb blut kletterte durch die Felsen. Brooks sah ihm nach, aber seine Gedanken weilten in der Stadt. Sie drängten zurück zu Sheila. Was wohl hatte dieses verdorbene Weibstück dem Halbblut geflüstert? Er hätte es zu gern gewußt. Aber sicher lag sie jetzt mit irgendeinem Kerl im Bett, während er sich von dem Halbblut durch die höllischsten aller Berge schleppen ließ. Lobo kam zurück. Brooks starrte ihn feindselig an. „Wo sind wir hier?" fragte er böse. „In den Bergen." In Ben Brooks brodelte es. „Willst du einen Narren aus mir machen? Hör mal zu, Halbblut, ich weiß nicht, was in deinem Schädel vorgeht, aber eines sage ich dir: Ich kann ziemlich ungemütlich werden, wenn ich mer ke, daß mich jemand reinlegen will." Lobos Blick streifte Brooks mit kühler Verachtung. „Wir haben ei nen Handel geschlossen, Sheriff. Ich werde mich streng an die Regeln hal ten." „Es gibt keine Regeln. Ich will Shelton. Und du wirst mich zu ihm führen. Das ist alles!" „Ja", sagte Lobo. „Steigen Sie auf. Wir müssen weiter." Brooks folgte unwillig. Ein be klemmendes Gefühl schnürte seine Brust zusammen. Sein Vertrauen zu dem Halbindianer war dahin. Er traute ihm nicht mehr. Die Verände rung Lobos mußte ihren Ursprung im Gespräch mit Sheila haben. Aber was sollte sie schon wissen? Nichts, absolut nichts. Doch Brooks Sicher heit schmolz dahin. Er wußte, über was in einem Bordell alles gespro 21
chen wurde. Dort wurden die windig sten Dinge ausgebrütet. Wenn ich wieder in der Stadt bin, nahm sich Brooks vor, werde ich diese abscheu liche Lasterhöhle einfach nieder brennen. Brooks hatte sich so tief in seine Gedanken verstrickt, daß er fast auf Lobo aufgeprallt wäre. „Was ist denn los?" Sie befanden sich in einem winzi gen Arroyo. Der Boden war mit fei nem Kies bedeckt. Lobo zeigte nach unten. „Die Spur ist nicht älter als ei nen Tag." „Welche Spur? Ich seh keine." Brooks starrte aus entzündeten Au gen auf den Boden. Lobo sagte: „Sie könnte von Shelton stammen." Brooks Kopf flog zurück. „Na, dann mal weiter, Halbblut!" „Die Pferde brauchen eine Rast. Ich habe keine Lust, zu Fuß durch die Berge zu laufen." Mit einem Seiten blick auf Brooks krumme Beine sag te er: „Und Sie sicher auch nicht. Sie würden nicht sehr weit kommen." Brooks funkelte ihn böse an. „Spotte nur. Dir wird's bald verge hen. Darauf würde ich wetten. Was hast du mit Sheila getuschelt?" Jetzt war's heraus. Lobos Grinsen war so breit wie der Colorado River in der Regenperiode. „Bedrückt Sie das, Brooks?" Er holte ein Stück Maisbrot aus dem Pro viantsack und kaute darauf herum. Aus den Augenwinkeln beobachtete er den Sheriff. „Bedrücken? Ich glaube, du spinnst. Weshalb sollte mich das be drücken? Aber schließlich habe ich ein Recht zu erfahren, was du mit ihr geredet hast." „Das Recht haben Sie zwar nicht, aber ich werde es Ihnen trotzdem sa gen." Der Sheriff starrte Lobo erwar tungsvoll an. „Ja? Dann heraus da mit." „Sie hat gesagt, Sie wären ein wi derlicher, alter Hengst, vor dem kei 22
nes ihrer Mädchen sicher sei. Ich sol le mich diesbezüglich vor Ihnen in acht nehmen." Brooks kochte. Er würgte daran, als hätte er eben eine Ratte ver schluckt. Er schwieg verbissen. Yuma, dach te er, ist Endstation für diesen Ba stard. Ich werde ihn neben Shelton aufhängen.
Ein heißer Wind fegte den beiden Männern entgegen. In der wilden Bergwelt kamen sie nur langsam vorwärts. Lobo hielt immer wieder seinen Falben an. Sheriff Brooks wäßrige Augen standen in scharfem Kontrast zu seinem geröteten Ge sicht. Er war todmüde. Alle Knochen schmerzten ihn. Seine Kräfte ließen nach. Es bereitete ihm alle Mühe, das Halbblut nicht aus den Augen zu verlieren. Die Zunge hing Brooks wie ein dicker, vertrockneter Lappen im Mund. Der Durst quälte ihn. Die wenigen Tropfen Wasser in der Fla sche schmeckten fade und brachten keine Erfrischung. „Ich bin so trok ken wie diese gottverdammten Ber ge. Ich denke, du kennst dich hier aus? Wo ist denn nun endlich dieses Wasserloch?" „Hier gibt es kein Wasserloch. Bei etwas Glück sprudelt die kleine Quelle im Bever Smok Canyon." „Und wenn sie nicht sprudelt?" Lobo gab keine Antwort. Er blickte zum Himmel. Das wolkenlose Blau schmerzte den Augen. „Wir werden den Canyon noch vor Einbruch der Dunkelheit erreichen." Sheriff Brooks hatte nicht mehr genügend Speichel im Munde, um zu fluchen. Er schleppte sich nur noch mühsam vorwärts. In den engen Reitstiefeln waren seine Füße ge schwollen. Nach kurzer Zeit quälten ihn die Blasen. Durch die steilaufragenden Wände des Canyons schlich das graue Licht
einer frühen Dämmerung. Sie fan den einen winzigen Wassertümpel, der von einem dünnen Rinnsal, das direkt aus den Felsen kam, gespeist wurde. Brooks ließ sich mit dem Ge sicht in das Wasser fallen. Er soff wie ein Pferd. Lobo trank nur mäßig. Er sah sich um. Unweit des Tümpels fand er eine Feuerstelle, in welcher die Glut unter dem Aschehaufen noch nicht ganz erloschen war. Brooks, der sein Pferd jetzt tränkte, sah Lobo fragend an. „Hast du was gefunden?" „Die Abdrücke eines Pferdes und eines Mannes und eine Feuerstelle, in welcher die Glut noch schwach glimmt." „Shelton?" Lobo nickte. „Es sind die gleichen Abdrücke wie in dem Aroyo. Shel tons Vorsprung beträgt nicht mehr als eine, höchstens zwei Stunden." Der Himmel über dem Canyon war noch hell. Lobo sattelte ab. „Wir wer den die Nacht hierbleiben." Brooks hatte seine nackten, bren nenden und schmerzenden Füße ins Wasser gesteckt. Die Kühlung tat gut. Er nickte. „Mir ist alles scheiß egal. Die Hauptsache,wir erwischen Shelton. Glaubst du, daß wir noch auf die Soldaten treffen?" „Irgendwann ganz sicher." Die Dunkelheit kam schnell. Ein frischer Wind tanzte durch den Ca nyon. Brooks sagte: „Wir sollten ein Feuer machen. Ein richtiger Kaffee und gebratener Speck würden uns guttun." Er war aufgestanden und brach ein paar Zweige von einem vertrockneten Mesquitestrauch. „Lassen Sie das. Shelton ist nicht weit genug entfernt." Lange später glitt Lobo lautlos durch die Finsternis des Canyons. Dessen Ende wurde von zwei riesi gen Felsblöcken verriegelt. Lobo fand einen Durchschlupf, gerade groß genug, um einen Reiter hin durchzulassen. Hinter den Felsen stieg das Land steil an. Er bewegte
sich sehr sicher. Nach etwa dreihun dert Yards flachte das Gelände ab. Lobo richtete sich auf. Weit im We sten war der Colorado River. Zwi schen seinem Platz und dem Fluß stieg ein rötlicher Schein gegen das Tiefschwarz des Himmels. Das muß te Lieutenant Haskens mit den Sol daten sein. Irgendwo dazwischen war Tom Shelton, und Shelton war der einzige Mann, der ihn zu Black Jack Rody führen konnte. Bei Rody war Nick Achat. Lobo kehrte in das kleine Camp zurück. Brooks hatte geschlafen. Jetzt ruckte er hoch, warf den Kopf zurück, räkelte sich und gähnte. „Du brauchst wohl überhaupt keinen Schlaf, was?"
„Doch. In zwei Stunden brechen wir auf." Lobo streckte sich aus. Se kunden später schlief er.
Ein schwacher grauer Streifen am dunklen Tuch des Himmels ließ den neuen Tag ahnen. Lobo war schon auf den Beinen. Er verzichtete auf heißen Kaffee. Mit den Spitzen sei ner Mokassins stieß er Brooks an. „Es ist Zeit, Sheriff." Ben Brooks richtete sich müde auf. „Es ist noch viel zu dunkel. Wir wer den uns die Knochen brechen." „Hinter dem Canyon hat uns der Tag eingeholt. Kommen Sie." „Hör mal, Lobo, wieso bist du dir so 23
sicher, daß es wirklich Shelton ist, hinter dem wir herreiten?" In Brooks Stimme klang das Mißtrauen durch. Vielleicht zerrte ihn dieses Halbblut nur durch diese Höllenglut, um ihn dann irgendwo zu vergessen. Zu trauen würde er ihm das. „Er ist es", erwiderte Lobo, ohne je doch Brooks zu überzeugen. Er ritt vor dem Sheriff durch das Tal der Finsternis. Sie zwängten die Pferde durch die den Weg versperrenden Felsen. Nach dem steilen Aufstieg blieb Brooks stehen. Die Sonne stand schon hoch am fernen Horizont. Brooks schwitzte. Lobo zeigte mit dem ausgestreck ten Arm nach Westen, wo sich eine dunkle Linie gegen das lichte Blau des Himmels abzeichnete. „Dort hin ten, etwa zwanzig Meilen von hier, fließt der Colorado River. Ich be zweifle, daß Rody über den Fluß geht." „Nein? Wohin denn sonst?" Lobo ließ seinen Gedanken freien Lauf. „Rody ist viel zu gerissen. Er weiß, daß die Soldaten ihn verfolgen werden. Um sie abzuschütteln, gibt es keinen besseren Platz als die Ber ge." Brooks horchte auf. „Und du meinst, das schafft er?" Die Qualen der letzten Tage nahmen eine Menge Raum im Kopf des Sheriffs ein. Wü tend schnaufte er: „Wenn du das al les weißt, weshalb hast du mich dann durch die verfluchten Berge ge schleift?" „Wir folgen Tom Sheltons Fährte. Den wollten Sie doch, oder?" „Ja, verflucht!" Lobo spann den Faden seiner Ge danken weiter. „Unweit von hier gibt es einen Pfad, der nach Südosten führt. Es ist ein Mohavepfad. Irgend wo zwischen Yuma und Phönix stößt er auf die Poststraße. Sie zu über queren ist kein Risiko. Jedenfalls nicht für Black Jack Rody." „Du kennst diesen Pfad?" 24
„Ja. Ich möchte wetten, Rody kennt ihn auch." „Das ist ja eine schöne Scheiße. Glaubst du, die Soldaten haben Ro dys Fährte aufgenommen?" „Sie haben zwei Kiowas dabei." „Kiowas." In diesem einen Wort lag Brooks ganze Verachtung, die er für die rote Rasse empfand. Lobo ritt schweigend weiter. Die Berge hatten in diesem Bereich etwas von ihrer Wildheit verloren. Die Sonne hatte den höchsten Punkt noch nicht er reicht, als Lobo seinen Falben an hielt. Eine Felsbarriere versperrte ihm den Weg, und irgendwo hinter dieser Barriere hatte er ein Geräusch aufgefangen, das nicht in die schwei gende Bergwelt paßte, das nicht dorthin gehörte. Brooks, dem die sich ständig stei gernde Hitze den letzten Tropfen Feuchtigkeit aus der Haut gesogen hatte, rutschte aus dem Sattel. Er lö ste die Wasserflasche und trank gie rig. Lobo warf ihm die Zügel seines Falben zu. „Warten Sie hier!" Brooks sah dem Halbblut nach, wie er, ohne einen Laut zu verursachen, die Felsbarriere überwand. Dahinter fiel eine Wand fast achtzig Yards senkrecht ab. Am Grund hatte ein winziger Bach einen schmalen Gras streifen zwischen die Felsen gezau bert. Ein Mann hielt ein Pferd am Zügel und ließ es saufen. Er schien keine Eile zu haben. Etwas später zog er sich in den Schatten eines über hängenden Felsens zurück. Er hob den Kopf und suchte die Höhen her um ab. Sein Gesicht, jetzt außerhalb der Schattenbereiche seiner Hut krempe, war deutlich zu erkennen. Tom Shelton. Das Halbblut klebte unbeweglich an seinem Platz. Die Luft war heiß, die Zeit endlos. Lobo hörte Brooks' Schritte hinter der Felsbarriere. Noch ehe er es verhindern konnte, rollte die scharfe Stimme des She riffs durch die stille Welt der Berge. „Wo, zum Teufel, steckst du denn?"
Sheltons Kopf ruckte zurück. Mit einer schnellen Bewegung hatte er die Winchester aus dem Scabbard gerissen. Sein Blick glitt die steile Wand hinauf. Er sah Ben Brooks, der hochaufgerichtet dastand. Lobo erfaßte Brooks Beine. Mit ei nem Ruck riß er sie zurück. Der She riff stürzte. Sein Fluch wurde von der Detonation eines Schusses ver schluckt. Eine Kugel klatschte hinter ihm in die Felsen. Ben Brooks schnaufte. Er hatte Mühe, die aufgespeicherte Luft ab zulassen. Die Überraschung, und auch ein wenig der Schreck, machten seine Stimme unsicher. Sie klang dünn. „Shelton? Das war Shelton, nicht wahr?" „Sie verdammter Narr!" sagte Lobo scharf. In seinen Augen war ein grausamer Glanz. Sein Gesicht war eine starre, kalte Maske. Sheriff Brooks fror plötzlich. Er brauchte viel Kraft, um sich von die sem Blick zu lösen. Shelton hatte keinen zweiten Schuß riskiert. Der schattige Platz dort unten war leer. Ein schwacher, sich entfernender Hufschlag war al les, was Tom Shelton zurückließ. Lobo und Brooks standen sich ge genüber. Sie betrachteten sich schweigend und sehr ausgiebig. Brooks, der den Schock noch nicht ganz überwunden hatte, öffnete schließlich den Mund. „Da hab ich wohl einiges vermasselt, was? Wir kriegen ihn trotzdem. Er kann uns nicht entwischen. Jetzt nicht mehr." „Ja", sagte Lobo, „Sie kriegen ihn ganz sicher, wenn er Sie nicht vorher erwischt." Er blickte auf den schma len Grasstreifen hinab. Shelton mußte diesen Platz gekannt haben. Er war zu sicher gewesen. Seine Ge lassenheit ließ darauf schließen, daß er jemanden erwartete. Rody viel leicht und seine Leute? Lobo wußte darauf keine Antwort. Möglich war es. Brooks, vom Jagdfieber gepackt,
drängte: „Worauf warten wir denn noch? Willst du diesen Hundesohn entkommen lassen?" „Sie waren doch so sicher, daß Sie ihn kriegen. Reiten Sie nur los, Brooks." „Allein? Bist du verrückt?" Das Echo von Schüssen klang wie ferner Donner. Es verwehte über den Bergen und wurde von der Hitze er stickt. „Soldaten?" fragte Brooks. Lobo nickte. „Ihr Campfeuer hat letzte Nacht den Himmel rötlich an gehaucht." „Du hast es gesehen und mir nichts gesagt?" Der Sheriff schleuderte Lobo einen Fluch hin. „Wozu? Sie haben geschlafen." Die fernen Schüsse waren ver klungen. Brooks fragte bissig: „Wie lange willst du denn hier noch war ten? Los jetzt, auf die Pferde!" Er war sich aber selbst nicht ganz schlüssig. „Meinst du, die Soldaten sind mit Rody und seinen Banditen aneinandergeraten? " Lobo zuckte mit den Schultern. „Lieutenant Haskens wird darauf ei ne Antwort wissen." Sie hatten ihr Lager in einem klei nen, fast kreisrunden Kessel aufge schlagen. In der windigen Dunkel heit langte gelegentlich ein Windstoß nach der Glut eines mäßig brennen den Feuers und ließ es aufflackern. Die Soldaten hatten sich in ihre Dek ken gerollt. Der endlose Ritt durch die Berge hatte sie ausgelaugt. Die Pferde standen mit hängenden Köpfen. Ein Posten ging um den be helfsmäßig aus ein paar Lassos er richteten Korral herum. Ein anderer bewegte sich außerhalb des Licht scheines. Manchmal erfaßte ihn das Licht des aufflackernden Feuers, dann warf er einen breiten, verzerr ten Schatten. Lieutenant Haskens lag wie seine 25
Soldaten unter der Decke, ebenso todmüde und ebenso erschöpft. Doch der erlösende Schlaf kam nicht. Er hatte eine bitterböse Schlappe erlit ten, er war in eine Falle gelaufen wie ein Greenhorn. Ein Kiowa und zwei Soldaten waren tot, begraben unter einer Steinlawine. Er war in diesem Kessel eingeschlossen. Seine Leute würden Stunden brauchen, um die Steinlawine zu beseitigen. Aus, dachte Lieutenant Haskens, aus der Traum von der steilen Karriere. Der Lieutenant starrte in das Feu er. Er hatte plötzlich das Gefühl, aus der Dunkelheit heraus beobachtet zu werden. Der Posten rief: „Halt! Wer sind Sie? Treten Sie an das Feuer!" Der Lieutenant war aufgesprung en. Eine Gestalt löste sich aus dem Nichts. „Ein Halbblut", sagte der Po sten. Haskens trat mit gezogenem Revolver auf Lobo zu. „Wo kommst du her, bist du allein?" Lobo zeigte hinter sich. „Sheriff Brooks ist bei mir. Wir sahen das Feuer. Es ist immer besser, sich zu überzeugen, wer es angezündet hat." Ein greller Pfiff rollte durch die Nacht. Ein Soldat fuhr wütend auf. Brooks trat mit den beiden Pferden in den Lichtschein. Der Name des Sheriffs hatte ge nügt, um Lieutenant Haskens Zorn auflodern zu lassen. Brooks stellte sich breit vor Haskens, spürte dessen Blick und drehte sich ab. Er langte nach einer am Feuer stehenden Kan ne, füllte seinen Blechbecher und schlürfte heißen Kaffee. Lobo griff ebenfalls zur Kanne. Lieutenant Haskens stieß sie mit den Stiefeln um. Ein Soldat hatte trocke ne Äste in das Feuer gelegt. In den aufzuckenden Flammen hatten die dunklen Augen des Halbbluts einen feuchten Glanz. „Scheißkerl", sagte Brooks. Er reichte Lobo seine Tasse. Der schob sie zurück. Mit ein paar lautlosen Be wegungen brachte er sich außerhalb des Feuerscheins. 26
Lieutenant Haskens baute sich in seiner ganzen Größe vor dem Sheriff auf. Er war von einer arroganten Überheblichkeit, die Brooks reizte. „Sie unterstehen der Armee, Brooks. Ich hoffe, Sie haben das begriffen. Befehle bekommen Sie von mir. Das gilt auch für das Halbblut." Der Sheriff hatte sich eine Zigarre zwischen die Zähne geschoben. Er wälzte sie zwischen den Lippen hin und her. „So, meinen Sie." Er lachte plötzlich breit. „Sie sitzen ganz schön drin, was? Und jetzt wollen Sie mich als Schaufel benutzen, damit Sie sich aus dem Dreck freischaufeln kön nen. Daraus wird nichts, mein Lie ber." „Sie unterstehen der Armee", wie derholte Haskens. „Ich habe hier das Kommando!" Brooks nickte. „Ja, ja, reden Sie nur. Aber vielleicht erfahre ich jetzt, was wirklich passiert ist und was Sie weiter unternehmen wollen." „Meine Befehle erhalten Sie mor gen bei Sonnenaufgang!" „Wie schön. Dann gute Nacht, Sir." Brooks zog sich in die Schattenberei che zurück. Ein paar Schritte ent fernt brannte die Glut einer Zigaret te ein rotes Loch in die Dunkelheit. Eine Stimme sagte: „Hallo, Brooks." „Hallo, Sergeant Torring", sagte Brooks. „Kannst du mir vielleicht sa gen, was hier los ist?" „Das siehst du doch. Die Banditen haben uns hier regelrecht festgena gelt. Dieses Loch hatte nur einen Durchschlupf. Die Kiowas hatten Haskens gewarnt. Aber ein Mann wie er weiß alles besser. Das Ergeb nis siehst du, wenn es Tag wird. Eine Steinlawine, höher als ein Kirch turm. Jetzt haben wir keine Chance mehr, sie vor dem Colorado River einzuholen." „Glaubst du, daß sie über den Fluß wollen?" „Aber ja. Das ist doch die einzige Möglichkeit, die Waffen über die Grenze zu bringen."
„Nach Kalifornien, ja. Mein Halb blut ist da ganz anderer Meinung, und ich glaube, er ist da ein wenig schlauer als wir." Brooks streckte sich aus. „Schlafen wir drüber, Tor ring, und hören wir uns an, was dein Lieutenant morgen zu erzählen hat."
Die Nacht war kurz, die Soldaten mürrisch, müde und ohne große Mo ral. Sergeant Torring brachte sie auf die Beine. Lieutenant Haskens winkte Sheriff Brooks und das Halb blut heran. „Ich erwarte einen Bericht von Ih nen, Brooks." Der Sheriff blickte auf Lobo. „Was meinst du dazu, Halbblut?" Lobo sagte: „Seit wann fragen Sie ein Halbblut nach seiner Meinung, Brooks?" Lieutenant Haskens starrte Lobo finster an. Er schnappte nach Luft. „Er nennt Sie einfach nur Brooks? Nicht Sir oder Mister Brooks?" „Kümmern Sie sich um Ihren eige nen Dreck, Haskens." Brooks nickte Lobo zu. „Komm, Halbblut." „Halt!" Lieutenant Haskens' Stim me hatte plötzlich einen scharfen Befehlston. „Sie, Brooks, unterstehen mir persönlich. Das Halbblut habe ich als Scout dem Sergeanten zuge teilt." Sheriff Brooks spuckte dem Lieu tenant dicht vor die Füße. „Ich habe Ihnen schon einmal gesagt, was Sie mich können, Haskens. Soll ich's wiederholen?" Das Gesicht des Offiziers war rot vor Wut. Unbeherrscht stieß er her bor: „Ein Deputy hat sich als Bandit entpuppt. Was liegt da näher, als daß der Sheriff ..." Weiter kam Lieutenant Haskens nicht. Brooks gewaltige Faust stieß nach oben. Haskens konnte ihr nicht mehr ausweichen. Sie traf ihn mit der Wucht einer Keule genau unter dem Kinn. Er wurde zwei, drei Yards
zurückgeschleudert, dann plumpste er auf den Boden und blieb reglos lie gen. Brooks wischte sich über die Faust. Von der Wucht des Schlages waren seine Knöchel aufgeplatzt. Sergeant Torring legte seine Hand auf Brooks Schulter und zog ihn zu sich herum. „Ich möchte nicht sagen, daß es mir leid tut, was du gemacht hast, Brooks. Aber es war eine ver dammte Dummheit. Haskens wird es dir heiß werden lassen, mächtig heiß,
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mein Junge." „Soll er's", knurrte Brooks. Er schüttelte Torrings Hand ab. Lobo stand mit den Pferden ein paar Schritte abseits. Sein Gesicht war ausdruckslos. Ohne sich an jeman den direkt zu wenden, sagte er: „Die Soldaten sollten über den Mohave pfad nach Südosten reiten. Der Kiowa kennt diesen Pfad." „Was ist los?" fragte Torring. „Tu nur, was das Halbblut gesagt hat, Torring. Und deinen Scheißlieu tenant wirf am besten in die nächste Schlucht. Er wird weder Rody fan gen, noch die Winchestergewehre wiederkriegen. Komm, Lobo." Sie ritten nun schon drei lange Tage, und sie rasteten nur kurz in den Nächten. Seit sie das Lager der Soldaten verlassen hatten, hatte sich eine knisternde Spannung zwischen ihnen ausgebreitet. Es wurde kaum gesprochen. Brooks hatte sein Miß trauen gegen das Halbblut nicht mehr unter Kontrolle. Die mörderi sche Hitze, die roten Felsen und das immer gleichmäßige Klopfen der Pferdehufe zersägten Ben Brooks Nerven. Seine Gedanken gaukelten ihm grausige Bilder vor. Einmal sah er sich mit zerschmettertem Schädel im Grunde einer Schlucht liegen, über sich das grinsende, verzerrte Gesicht des Halbbluts. Ein andermal spürte er Lobos breites Bowiemesser, wie es ihm den Kopf abtrennte.Bei all diesen Gedanken verlor Sheriff Brooks Ströme von Schweiß. Es war nicht nur die Hitze, die ihm das At men erschwerte, die ihm den Hals zusammenschnürte. Am Abend des dritten Tages war Ben Brooks entschlossen, Schluß zu machen. Schluß mit dem Halbblut, Schluß mit diesem irrsinnigen Ritt durch die Hölle. Brook's sich ständig steigernde Gereiztheit hatte sich in erheblichem 28
Maße auf Lobo übertragen. Seine immer wache Bereitschaft hatte bald jenen Punkt erreicht, der ganz all mählich seine Nerven zerbröckelte. Die Nacht legte ihre Hand über die beiden einsamen Männer. Sheriff Brooks hatte sich in sich selbst und in die Dunkelheit zurückgezogen. Seine Stimme kam aus einer unbestimm ten Richtung. „Wir werden morgen nach Yuma zurückreiten, Halbblut, und du wirst mich hinbringen." Lobo wechselte vorsichtig seinen Platz. „Wir werden weiter über den Mohavepfad reiten, Brooks. Black Jack Rodys Vorsprung ist nicht so groß, daß wir ihn morgen bis zum Abend nicht eingeholt haben. Ihn und Tom Shelton und..." Lobo zö gerte ein wenig, dann sagte er: „Und Nick Achat!" Er hörte Sheriff Brooks' gepreßten Atem, wie er ihn scharf durch die Nase stieß. Er hörte, wie sich Brooks bewegte, und er wußte, welcher Art diese Bewegung war. „Wer hat dir diesen Namen ge nannt?" „Ich kenne ihn. Das sollte Ihnen ge nügen." „Die Hure aus dem Blue Angel. Na türlich hast du ihn von ihr." „Ich kenne ihn", wiederholte Lobo. „Und Sie, Brooks, wußten von An fang an, wer den alten Hunter umge bracht hat und wer mich umbringen wollte. Sie sind eine miese, kleine Ratte, Brooks. Irgendwer wird Sie irgendwann einmal zertreten." „Vielleicht du, Halbblut?" „Ja, vielleicht ich!" Lobo entfernte sich zwei schnelle Schritte aus der Richtung, aus welcher Brooks Stim me kam. Der Sheriff hatte gleichzei tig mit ihm seinen Platz gewechselt. Lobo spürte zu spät, daß er in die fal sche Richtung ausgewichen war. Et was Kaltes, Rundes bohrte sich ge gen seine Schläfe. „Du bist doch nur Mittelmaß, Halbblut. Du siehst, ich bin dir über legen, ich bin besser, und ich werde
das nutzen. Halt nur fein ruhig. Ich glaube nicht, daß du so dumm bist und einen Trick versuchst." Brooks' Hand zog ihm den Revol ver aus dem Halfter. Lobo hörte, wie er auf den Boden polterte. Dann traf ihn ein schwerer Schlag gegen den Kopf. Die kaum verheilte Wunde platzte wieder auf. Brooks' Worte schienen aus dem Jenseits zu kom men. „Wenn wir morgen keinen Platz finden, der mir den Weg nach Yuma weist, werde ich dich töten, Halbblut." Lobo hatte weder die Kraft, noch waren seine Gedanken klar genug, etwas zu erwidern. Mit einem Fuß tritt warf Brooks den Körper des Halbblutes herum. Er riß ihm die Arme auf den Rücken und ver schnürte sie mit dünnen Lederrie men.
Als sich das erste Licht der Mor gendämmerung abzeichnete, war Sheriff Brooks bereits auf. Aus zu sammengekniffenen Augen starrte er auf Lobo hinab. Er bückte sich und zerrte ihn auf die Beine. „Auf nach Yuma", sagte er bissig. Lobos Augen glühten ihn an. „Sie werden den Weg allein finden müs sen, Brooks." Der Sheriff trat auf ihn zu. Er zog ein Messer und ritzte mit dessen Spitze ein wenig Lobos Hals. „Du wirst vor mir herreiten, Halbblut, und du wirst geradewegs nach Yuma reiten!" Lobo spürte, wie ein dünner Blut faden über seinen Hals lief. In sei nem dunklen Gesicht bewegte sich kein Muskel. Die Lider hatte er halb über die Augen gezogen. Er blickte durch Brooks hindruch. „Im Um kreis von dreißig Meilen gibt es kein Wasser. Sie werden Ihren Vorrat bis zum Mittag aufgebraucht haben. Und dann werden Sie verrecken, Brooks. Irgendwo in den Bergen
werden die Kojoten Sie fressen, wer den die Geier Sie zerhacken. Und jetzt stoßen Sie zu!" Ben Brooks riß blitzschnell Lobos Wasserflasche von der Halteschlau fe. Er hielt sie ihm triumphierend hin. „Du warst immer sehr sparsam. Jetzt gehört es mir." Er öffnete den Verschluß. Als er die Flasche an die Lippen setzen wollte, stieß Lobo ei nen Fuß nach oben. Die Flasche flog im Bogen aus Brooks Händen, sie rollte über einen Steilhang. Sie hör ten den dünnen Laut, als sie irgend wo in der Tiefe aufschlug. „Du niederträchtiger Hund!" Ben Brooks heulte auf. Seine Hände krallten sich um Lobos Hals. Sie drückten zu. Lobo versuchte, seinen Körper herumzureißen. Er bekam ein Bein frei und stieß es Brooks mit aller Kraft in den Leib. Der Griff des She riffs lockerte sich. Ein verzweifelter Schrei brach über dessen Lippen. Er taumelte zurück, fing sich, stürmte auf Lobo ein und hämmerte ihm sei ne Fäuste ins Gesicht. Brooks' Augen waren blutunter laufen. Sein Gesicht war eine bis zur Abscheulichkeit verzerrte Fratze. Er starrte auf Lobo hinab. Seine breite Brust spannte sich unter einem tie fen Atemzug. Unvermittelt drehte er sich um, bestieg sein Pferd, nahm Lobos Pferd am Zügel und ritt über den schmalen Bergpfad davon. Er gönnte dem Halbblut keinen Blick mehr, und er dachte: Jetzt werden ihn die Kojoten fressen und die Geier zerhacken. Ein fast irres Lachen brach über seine Lippen. Es rollte durch die Berge und kam als ein ihn selbst verhöhnendes Echo zurück. Sheriff Ben Brooks folgte dem Pfad, den das Halbblut Mohavepfad genannt hatte. Irgendwo, so wußte er, würde dieser Pfad zu Ende sein, würde er auf die Poststraße nach Yuma stoßen. Wenn er die erst ein mal erreicht hatte, würde er auch die Stadt erreichen. Ohne Erfolg. Aber 29
was machte das schon? Haskens hat te auch keinen Erfolg und dazu noch ein paar Leute verloren. Er, Ben Brooks, lebte, und er würde weiterle ben. Vielleicht in einer anderen Stadt. Das Land war groß, es war endlos. Es war der scharfe Knall eines Schusses, der Sheriff Brooks Gedan ken vertrieb. Instinktiv warf er sich aus dem Sattel. Er kroch auf dem Bauch hinter einen ihn schützenden Felsen.Ein zweiter Schuß heulte her an. Er riß Steinsplitter aus Brooks' Deckung, die ihn gefährlich umsurr ten. Dem Schuß folgte eine Stimme, die Brooks nur zu gut kannte. „Gib auf, Ben! Allein hast du keine Chance. Gib auf!" „Ich hab die gleiche Chance wie du, Shelton!" „Irrtum, Ben. Schieb mal den Kopf um deine Deckung." Brooks versuchte es. Was er sah, nahm ihm die Luft, ließ ihn fast an ohnmächtiger Wut ersticken. Da rit ten sie dahin. An der Spitze Black Jack Rody. Der große, schlanke Mann drehte nur einmal kurz den Kopf. Brooks glaubte Verachtung und Spott und viel Triumph in Rodys Blick zu sehen. Hinter Rody folgten Achat, Crowly und Bliss Opalla. Sie trieben acht Maultiere vor sich her. Jedes von ihnen schwer beladen. Shelton bildete die Nachhut. Er si cherte nach hinten ab. „Na Ben, willst du aufgeben, oder soll ich dir eine Kugel in deinen dum men Kopf schießen?" „Ich krieg dich schon noch, Shel ton!" Der ehemalige Deputy Sheriff lachte. „Dann versuch's mal, Ben." Shelton feuerte fünf Kugeln hin tereinander ab. Brooks kroch flu chend in Deckung. Als er es wagen konnte, sie zu verlassen, sah er nichts als kahle Felsen, eine Schlucht und eine leichte, im Winde verwehende Staubfahne. 30
Es waren die fernen Schüsse, die Lobo ins Leben zurückbrachten. Al les an ihm schmerzte. Die Lippen brannten. Er war ausgetrocknet bis zu den Zehenspitzen hinunter. Seine auf dem Rücken zusammengebun denen Hände waren bis zur Unför migkeit geschwollen. Sie waren taub und völlig gefühllos. Lobo verbrauch te viel Kraft, um sich aufzurichten. Die dünnen, festen Lederriemen an der scharfen Kante eines Felsens durchzuscheuern, war eine Arbeit, die seine letzten Kräfte kostete. Halb tot vor Erschöpfung lag er auf dem schmalen Pfad. Ohne Wasser, ohne Pferd, aber mit dem Willen zu über leben. Ein paar Schritte entfernt fand Lobo seinen Revolver. Tief un ten blinkte der blanke Verschluß sei ner Wasserflasche. Er spiegelte sich in den fast senkrecht stehenden Strahlen der Sonne. Einer Sonne, die er zu hassen begann, wie er Ben Brooks haßte. Lobo ließ die Zeit an sich vorbei gleiten. Er dachte nur an die Wasser flasche. Er mußte sie haben, wenn es für ihn eine Chance geben sollte. Als die Schatten länger wurden, hatte Lobo den Grund der Schlucht erreicht. Der Verschluß der Flasche blinkte ihm entgegen. Es waren nur ein paar Tropfen einer warmen, übelschmeckenden Brühe, welche während des Sturzes nicht ausgelau fen waren. Lobo trank sie, aber sie belebten ihn nicht. Nur sehr langsam wurde seine verlorengegangene Wil lenskraft wieder an die Oberfläche gespült. Als der Tag zu Ende ging, befand sich Lobo wieder auf dem Mohave pfad. Mit der Sicherheit eines Mannes, den dieses Land geprägt hatte, be wegte er sich im Wolfstrab durch die Nacht. Irgendwo dort vorn war Ben Brooks, war sein Pferd und war Nick Achat. Lobo wußte, daß sich Brooks in der Dunkelheit um keinen Zoll be
wegen würde. Er mußte Brooks ein holen, noch in dieser Nacht. Nur manchmal hielt Lobo an und ver schnaufte kurz. Als sich die Dunkelheit auflöste, befand sich das Halbblut auf einer abgeflachten Kuppel. Sein Blick reichte bis zu den fernen, glutrot an gestrahlten Ausläufern dieser men schenfeindlichen Bergwelt. Er reich te bis zu einem Mann, der langsam und sehr vorsichtig über einen schmalen Pfad ritt, der immer wie der anhielt und umher spähte. Er reichte bis zu Ben Brooks. Der She riff war ausgehöhlt, leer und an je
nem Punkt angelangt, an welchem Hoffnung alles war. Er war ein elen des Stück Mensch. Lobo glitt von der Kuppel herun ter. Brooks verschwand aus seinem Blickfeld, tauchte wieder auf und verschwand wieder. Ein paar schnell abgefeuerte Schüsse rissen Ben Brooks vom Pferd. Eine hohle Stim me rollte bis zu Lobo herüber. „Du wirst umkommen, Ben. Wirf deine Waffen weg!" Brooks Antwort bestand in einem Fluch. Erneut fielen Schüsse. Lobo war kaum mehr als hundert Schritte von Brooks entfernt. Der Falbe
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drehte den Kopf und wieherte. Er mußte seinen Reiter gewittert ha ben. Brooks ruckte herum, müde, er schöpft, ausgetrocknet. Er blinzelte aus entzündeten Augen gegen eine erbarmungslose Sonne. Als er das Halbblut erkannte, stieß er einen wilden Schrei aus. Er brauchte nur Sekunden, um die Trommel seines Revolvers leerzuschießen. Weit vor Brooks feuerte ein Mann eine Win chester ab. Die Kugel zwang den Sheriff, sich auf den Bauch zu legen. In einer Feuerpause hinein rief je mand scharf: „Mach Schluß mit ihm, mach endlich Schluß, Shelton!" Lobo hastete nach vorn. Brooks sprang auf. Er drückte ab, aber der Hammer schlug nur auf eine leere Hülse. Der Sheriff wirbelte schnell herum. In das dunkle Bellen einer Winche ster mischte sich ein erstickender Schrei. Brooks griff sich mit beiden Händen an den Leib. Er machte ei nen Schritt nach Vorn und kippte dann langsam zur Seite. Lobo verhielt sich still und bewe gungslos. Er wußte nicht, ob der Schütze ihn gesehen, ob er etwas von seiner Gegenwart wußte. Brooks stöhnte. Er murmelte etwas, unver ständlich, bitter, ersterbend. Ge duckt, den Revolver in der Faust, be wegte sich Lobo auf Brooks zu. Der starre Blick des Sheriffs fing ihn ein. Auf dessen dicken Lippen lag ein fast hilfloses Lächeln. „Lobo?" Das Halbblut beugte sich über ihn. Brooks hatte beide Hände auf den Bauch gepreßt. „Es brennt", murmel te er, „es brennt, als hätte einer ein Feuer drin entzündet. Gib mir Was ser, Halbblut." Lobo blickte schweigend auf Ben Brooks hinab. „Werde ich sterben, Halbblut?" „Ich denke ja." Brooks versuchte sich aufzubäu men, rutschte wieder zurück und stöhnte schmerzlich. „Lobo?" Er at mete hastig und kurz. „Laß mich 32
nicht hier, Lobo. Bring mich nach Yuma. Du bringst mich doch nach Yuma?" Das Halbblut schwieg. Er blickte Brooks nur an, ein bißchen traurig. „Yuma ist weit, Sheriff Brooks." „Bring mich nach Yuma", murmel te der sterbende Mann. „Ein Hügel mit Blumen drauf und ein Kreuz da hinter. Nicht hier bei den vergesse nen Toten, nicht hier, Lobo. Ver sprich mir das." Seine Finger taste ten nach der Hand des Halbblutes. Er fand sie und hielt sie fest. „Yuma", hauchte er noch einmal schwach. Sein Kopf rutschte zur Seite. Die graue Maske des Todes drückte star re Züge in sein Gesicht. Lobo empfand weder Freude noch Genugtuung. In ihm war eine tiefe Leere, kein Gefühl. Nichts.
Zuerst sah Lobo eine dünne Staub fahne, dann grau aufsteigenden Rauch. Als die Nacht kam, brannte ein Feuer ein rotes Loch in die Dun kelheit. Das Halbblut hielt am Rande eines sanft abfallenden Hügels. Unter ihm, in einem schmalen, sich nach Westen zu verengenden Tal, hatten Soldaten ein Lager aufgeschlagen. Im flak kenden Licht vermißte Lobo ver traute Gesichter. Er ritt den Hügel hinab. Soldaten bildeten eine Gasse, an dessen Ende ein kleiner, drahtiger Mann stand. Er hatte dunkle, lebhaf te Augen, die das Halbblut scharf musterten. Nach ein paar Sekunden des Schweigens wies er mit einer knappen Bewegung auf den toten Sheriff. „Sieht aus wie Brooks. Hast du ihn umgebracht?" Er lachte dünn. „Es ist Brooks", erwiderte Lobo. „Tom Shelton hat ihn erschossen." „Und weshalb schleppst du ihn durch die Berge, Halbblut?" „Weil er sich ein Grab wünschte, einen kleinen Hügel mit Blumen darauf und einem Kreuz dahinter."
„So, das wünschte er sich." Captain McGinnest trat näher an den Toten heran. „Der ist ja schon halb steif und ganz krumm. Du willst ihn wohl in einem Schaukelstuhl beerdigen." Jemand lachte. McGinnest winkte zwei Soldaten heran. „Hebt ihn run ter." Er wandte sich wieder an Lobo. „Ich hab ein paar müde Säcke, die nicht für die Berge taugen. Sie reiten morgen nach Yuma zurück. Was da gegen, wenn sie Brooks mitneh men?" „Nein, Sir." „Gut." Er betrachtete Lobo näher. „Siehst aus, als hätte dir jemand mit der Axt den Schädel zerhackt. He, Corporal, komm mal her!" Es war derselbe Corporal, der Lobo in jener Nacht am Rande der Fels klippen gefunden hatte. Er grinste schief. „Auf dich haben sie's wohl ab gesehen, was?" Er betrachtete die Wunde. „Sieht nicht gut aus. Wir sollten sie mit Whisky auswaschen. Er könnte sonst den Brand kriegen." Captain McGinnest wies Lobo an, sich hinzulegen. Er brachte eine ge füllte Flasche, betrachtete sie und nahm einen guten Schluck. Mit ei nem wehleidigen Seufzer träufelte er den scharfen Schnaps auf Lobos Wunde. Lobo hatte ein Gefühl, als stecke sein Kopf in glühendem Eisen. Aber er bewegte sich nicht. Nichts in sei nem dunklen Gesicht ließ die Schmerzen erkennen. McGinnest nickte anerkennend. „Das hält nicht jeder aus." Er reichte Lobo die Fla sche. „Trink einen Schluck, aber laß mir auch noch was drin." Später hockten sie am Feuer. Der Captain, sein Corporal und das Halb blut. McGinnest sagte: „Ich habe diesem Haskens noch nie viel zuge traut. Großes Maul, hart und uner bittlich gegen seine Leute. Aber wenn es darauf ankommt, dann ver sagt er. Wie war das, zwei tote Solda ten und einer der Kiowas?" McGin nest schüttelte ärgerlich den Kopf.
„Die Kiowas waren die besten Scouts, die ich je hatte." Der Blick seiner unruhigen Augen fiel auf Lobo. „Du kennst die Berge besser als deine schmutzigen Handflächen. Du wirst Scout bei mir. Gilt das?" „Ich glaube, das werde ich nicht, Captain. Ich wäre überflüssig." Auf Lobos schmalen Lippen lag ein aner kennendes Lächeln. „Wer handelt wie Sie, braucht keinen Scout." McGinnest kicherte. Er nahm ei nen Schluck, reichte die Flasche an den Corporal, der gab sie an Lobo weiter. „Ich bin so lange an der Gren ze, daß ich die Jahre schon gar nicht mehr zähle. Ich kenne den Big Mesa Canyon, in dem die Banditen den Transport überfallen haben. Ich kenne auch den Mohavepfad, und es war mir klar, daß sie versuchen wür den, die geraubten Waffen über die sen Pfad nach Mexiko zu bringen. Nur Haskens war das nicht klar. Der Mohavepfad ist ihnen versperrt. Auf der kalifornischen Seite des Colora do River patrouillieren mindestens fünf Aufgebote. Das nimmt ihnen jede Chance. Sie können also nur noch nach Norden, nach Nevada aus weichen, oder sich in das Gebiet zwi schen Colorado River und diesen Pfad hier zurückziehen. Nevada ist zu weit. Das würden sie nicht überle ben. Also werden sie sich hier ir gendwo in den Bergen verkriechen." McGinnest spuckte in das Feuer. Es zischte leise. „Und hier werden wir sie aufspüren." Er machte eine unbe stimmte Bewegung, nahm noch ei nen Schluck und vergrub dann die Flasche zwischen seinen Beinen. Dieser McGinnest, dachte Lobo, ist ein heller Fuchs. Diesen Mann wollte er nicht zum Feinde haben. Er zog sich zurück. Er starrte gegen die Sterne, die wie Diamantstaub glit zerten. Seine Gedanken beschäftig ten sich mit dem Captain. Der wollte die modernen Winchestergewehre, und er, Lobo, wollte Nick Achat. Sie würden sich beide ergänzen. Aber 33
wollte er wirklich nur Achat? Er wollte mehr. Er wollte den Mann, der hinter allem steckte: Black Jack Rody. Die Soldaten waren aufgesessen. Captain McGinnest hatte sie in drei Gruppen eingeteilt. Sie sollten die Berge bis zum Colorado River hin über durchkämmen. Eine vierte Gruppe blieb in dem kleinen Camp zurück. Drei Männer mit dem toten Ben Brooks traten den Weg nach Yuma an. „Was ist mit dir, Halbblut?" Captain McGinnest sah Lobo fragend an. „Willst du dich mir nicht doch an schließen?" „Ich werde sicher nicht weit von Ihnen weg sein, Sir." McGinnest drehte sich im Sattel um. „Vorwärts, Leute!" Lobo trat zu der kleinen Gruppe, die im Camp blieb. Er blickte sich um. „Ihr werdet Wasser brauchen, Leute." Einer der Männer schüttelte den Kopf. „Wasser, wozu? Der Captain trinkt nur Whisky. Die Männer ha ben für drei Tage Vorrat. Wenn sie sparsam sind, reicht's auch für vier. Aber bis dahin wollen wir längst wieder in Yuma sein." Lobo reichte dem Soldaten seine Wasserflasche. „Kannst du sie auf füllen?" Der Mann nickte. „Sicher. Kommst du in das Camp zurück, Halbblut?" „Vielleicht." Lobo stieg in den Sat tel. Eine Schlucht nahm ihn auf und entzog ihn den Blicken der Männer. Einer von ihnen sagte: „Ein harter Bursche, aber seine Hautfarbe ist ei ne Schande."
Lobo fand die Spur von Black Jack Rody und seinen Männern am Aus gang eines Canyons. Sie führte gera dewegs nach Westen und verlor sich in einem Arroyo. Am Mittag fand er sie in einem sanft ansteigenden Tal 34
wieder. Sie war nicht älter als drei, höchstens vier Stunden. Später sah Lobo eine Gruppe von Soldaten über ein Plateau reiten. Sie waren zu weit entfernt, um sie zu er kennen. Sie tauchten in eine Schlucht und blieben für lange Zeit unsichtbar. Als sich die Sonne den kaliforni schen Bergen zuneigte, stieß Lobo auf eine Art Tunnel, der sich nach hinten stark verengte. Im Tunnel war es feucht. Lobo sog den Geruch von Pferden und Maultieren ein. Er wartete geduldig. Erst als das Licht am Tunnelende so schwach war, daß er es nur noch ahnen konnte, ritt er weiter. Der Durchbruch zu der freien Bergwelt war schmal und sehr nied rig. Am Ausgang riß Lobo seinen Falben zurück. Fünf Schritte vor ihm, in der schnell einsetzenden Dunkelheit nur schwach erkennbar, lag der Kadaver eines Maultieres. Er war noch warm. Aus einer breiten Halswunde rann ein dünner Blutfa den. Neben dem Maultier lagen zwei längliche Kisten, die wie Särge aus sahen. Leere Waffenkisten. Der Falbe wurde unruhig. Lobo legte dem erschrockenen Pferd die Hand beruhigend auf die Nüstern, um es am Wiehern zu hindern. Als die Finsternis vollkommen war, ritt Lobo weiter. Die Sichel des Mondes, so dünn wie ein gezogener Strich, verbreitete keinerlei Hellig keit. Das Land vor Lobo stieg leicht an. Ein paar Sträucher und niedrige Krüppelkiefern waren die einzige Vegetation. Von Westen her wehte der vertraute Geruch des Flusses. Ein schabendes Geräusch und die Stimme eines Mannes warnten Lobo. Er glitt hinter dem Stamm einer Krüppelkiefer aus dem Sattel und band die Zügel lose um den Baum. Lautlos glitt er der Stimme entgegen. Er erreichte das steilabfallende Ufer. Er konnte den Colorado River nicht sehen. Das leise Plätschern der
RONCO-Leser A scheid schrieb uns:
K
aus Lüden
„Ich bin jetzt seit ungefähr 3 Jahren ein begeisterter Leser Ihrer Romanreihe und werde es wohl auch weiterhin bleiben. Allerdings habe ich einige Kritik zu äußern. Teilweise sind die einzelnen Ro manzyklen zu langatmig und einschlä fernd, so z. B. die Revolutionsgeschehen in San Estaban. Ein oder zwei Romane von KEN CONAGHER in diesem Zyklus hätten bestimmt Abhilfe geschaffen. Ich mußte mich zeitweilig überwinden, wei terzulesen. Die Ernennung RONCOS zum U.S. De puty Marshal war meiner Meinung nach ein Fehlgriff. Der Eintritt von ihm in die Texas Rangers aber bringt frischen Wind in die Serie. Allerdings vermisse ich jetzt nicht selten LOBO in den Romanen. Ich möchte mich den Äußerungen von Herrn W -U J anschließen und hoffe, Ihnen auch noch zum RONCO Band 500 gratulieren zu können. Weiterhin viel Erfolg wünsche ich Ihnen!" Unser Freund A K bach in der Schweiz schrieb:
aus Rohr
„Bevor ich RONCO entdeckt habe, habe ich etliche andere Westernserien gelesen. RONCO aber übertrifft alle haushoch. Die Sonderbände und RONCOS neues Leben als Texas Ranger bringen ebenfalls Abwechslung. Daher freue ich mich jede Woche auf den neuen RONCO. Besonderes Lob also an alle Autoren und natürlich auch an GÜNTER KÖNIG. In den Ro manreihen Ihres Verlags gestaltet er so fabelhafte Titelbilder, die von konkurrie renden Serien niemals übertroffen wer den können. Ich bin 26 Jahre alt und be
sitze über 110 RONCO-Romane. Ich bin deshalb sicher, mir ein solches Urteil er laubenen zu können. Ich wünsche der RON CO-Serie noch ein langjähriges Bestehen." Herr D
G
aus Köln schrieb uns:
„Ich lese die RONCO-und die LOBO-Serie jetzt mehr als drei Monate regelmäßig. Ich muß Ihnen zu beiden Serien ein gro ßes Lob aussprechen. Bis jetzt haben mir alle Romane ohne Ausnahme sehr gut gefallen. Ich würde es sehr begrüßen, wenn von der RONCOSerie bald eine 3. Auflage erscheinen würde." Frl. M K Schweiz fragt an:
aus Lenzerheide in der
„Könnten Sie mir nicht die Möglichkeiten mitteilen, die man mit einem Abonnement hat, und wieviel das kostet? RONCO ge fällt mir sehr gut, daher möchte ich die Reihe gern abonnieren. Da ich aber selbst noch kein Geld verdiene, muß ich die Preise wissen." Ein Abonnement ist immer praktisch, wenn der Zeitungshändler am Ort nur unregelmäßig oder zuwenige RONCO- oder LOBO-Romane erhält. Beim Abonnementsbezug werden die neuesten Romane regelmäßig jede Woche vom Postboten ins Haus gebracht. Normaler weise kosten die Romane das gleiche wie beim Händler, es wird lediglich ein geringer Portoanteil erhoben. Genaue Auskünfte wer den gern erteilt von unserem Leserdienst in 7550 Rastatt. Dort werden auch die Bestel lungen entgegengenommen. Bitte gleich hin schreiben.
ALTE FORTS — IV. Als der Bau des Forts am Big Horn River in Montana im Mai 1877 begann, zum Schutz ei ner vorüberführenden Wagenstraße ins India nerland, wurde es zunächst „ B i g Horn Posten" genannt. Als die Arbeiten daran abgeschlos sen waren, erhielt es den Namen Fort Custer. Das war am 8. November 1877, und die Schlacht am Little Big Horn, in der George Armstrong Custer mit 5 Kompanien der 7. U.S.-Kavallerie von Sioux und Cheyennes ver nichtend geschlagen worden war, war über ein Jahr vorbei. Die Namensnennung wurde zum späten Tribut für einen umstrittenen Offizier, der nach seinem Tode am Little Big Horn in der amerikanischen Öffentlichkeit zum Helden stilisiert w o r d e n war. Fort C u s t e r sah keine spektakulären Aktionen mehr, keine großen Indianerschlachten oder aufregenden Feldzüge. Das Gebiet, in dem der Posten etabliert wurde, war weitgehend von Indianern freige kämpft, als er seiner Bestimmung übergeben wurde. Gleich nach der Schlacht am Little Big Horn hatte die Armee gewaltige Anstrengungen unternommen, um in einer brutalen Strafak tion die Stämme der Sioux, Cheyennes und Arapahoes zu unterwerfen. Die Stämme wur den geschlagen, wo sie angetroffen wurden, aus ihren Heimatgebieten verjagt, in karge Reservationen, weit entfernt von ihren Ur sprungsregionen, angesiedelt, wo zumeist das ungewohnte Klima viele Indianer dahinraffte. Führer wie Sitting Bull waren nach Kanada geflüchtet, Crazy Horse wurde ermordet. Wer sich nicht unterwarf, mußte sterben. Die gna denlose Jagd auf die Nez Perce unter Häupt ling Joseph war in jenen Jahren nur ein Sym ptom für eine zunehmend auf eine „Endlösung" hinarbeitende, immer radikaler werdende In dianerpolitik. Fort Custer erlebte beschauliche Tage. Die hier stationierten Kavallerieein heiten hatten viel Zeit zum Exerzieren, die Offiziere unternahmen Jagdausflüge. Der
Schutz des umliegenden Landes war keine schwere Aufgabe. Im Gegensatz zu dem kärglichen und erbärmlichen Leben der mei sten amerikanischen Soldaten in der Pionier zeit, konnten die in Fort Custer stationierten Einheiten nicht klagen. Zahlreiche Paraden wurden auf dem groß zügig angelegten Exerzierplatz abgehalten, und als besonders bemerkenswert weisen alte Unterlagen den Besuch einer Theatertruppe im Jahre 1880 aus, die ein Stück aus den Indianerkriegen aufführten. Diese Aufführung geriet zum phantasievoll-realistischen ShowSpektakel. In der Nähe angesiedelte CrowIndianer erklärten sich bereit, als Statisten mitzuwirken. Während das Schauspiel auf dem Exerzierplatz im vollen Gange war, schli chen sich andere Indianer an und stahlen den C r o w s die Pferde. — Als der Diebstahl ent deckt wurde, ließen C r o w s und die Soldaten des Forts die ratlosen Schauspieler einfach stehen und nahmen die Verfolgung auf, um gemeinsam die Diebe, der Indianerpferde zu stellen und die Tiere zurückzuholen. Zum Schluß feierten Soldaten und Indianer ihren Erfolg, und das unterbrochene Schauspiel konnte weitergehen. — 1895 erreichte die Eisenbahn Fort Custer. In der Nähe war die Stadt Hardin entstanden. Fort Custer wurde vollends überflüssig. Im Jahre 1897 begann die Reduzierung des Postens, und 1898 w u r d e er endgültig geräumt. Das Land war zivilisiert und besiedelt, der Posten wurde nicht mehr gebraucht. Die Gebäude wurden von der Ar mee verkauft, und ein exklusiver Golfklub zog in Fort Custer ein, in dem im Verlauf sei nes Bestehens zwischen 1877 und 1898 über 1 000 Soldaten gedient hatten. — Heute gibt es von Fort Custer nur noch einige wenige Ruinen mitten in der Prärie südlich von Har din. Sonst hat sich dort seit der Zeit der Indianerkriege wenig verändert. Bis zur nächsten W o c h e ! Ihre RONCO-/LOBO-Redaktion
Parade der U.S.-Kavallerie in Fort Custer, Montana. Im Hintergrund die Häuser der Offiziere. Im Vergleich zu anderen Forts im Westen war Fort Custer relativ luxuriös ausgestattet. Archiv O. Kügler.
Wellen ließ seinen Lauf nur ahnen. Schatten bewegten sich keine zehn Schritte von ihm entfernt. Es waren sechs. Einer von ihnen sagte: „Sie ha ben uns lange warten lassen, Amigo. Meine Leute waren schon ungeduldig. Es war Black Jack Rody, der ant wortete. „Es gab allerhand Schwie rigkeiten, Senor." „Das müssen Sie bei dem Geschäft einkalkulieren. Stimmt die Anzahl?" „Acht Kisten zu je zehn Stück." „Ich zähle nur sieben." Der Mann, offensichtlich ein Mexikaner, hatte eine feste, kühle Stimme. Rodys Stimme klang zornig. „Ich habe Ihnen bereits gesagt, daß wir unweit von hier ein Maultier töten mußten. Wir haben die zehn Geweh re in andere Kisten umgeladen. Zu frieden, Senor?" Rody, dachte Lobo, hat alle Möglichkeiten einkalkuliert, auch die, daß ihm die Soldaten den Moha vepfad versperren würden. Vier Männer standen am Rande des Steil ufers. Sie hantierten mit Seilen, an denen jeweils eine Kiste hing. Von unten herauf rief jemand etwas, was Lobo nicht verstehen konnte. Der Mexikaner neben Rody sagte: „Ihre Leute sind sehr ungeschickt, Señor, und sehr langsam. Der Platz, an dem wir den Tag verbringen müssen, liegt acht Meilen flußabwärts. Bei dem niedrigen Wasser brauchen wir gute zwei Stunden." „Es ist auch mein Platz", erwiderte Rody unfreundlich. „Haben Sie für alles gesorgt, Señor?" „Es steht alles bereit." Der Mann ging zu den vier anderen hinüber. Ei ner aus der Gruppe trat dicht an den Steilhang. Er hatte ein Seil um die Hüften geschlungen. „Erst die Ki sten", sagte der Mexikaner. Der Mann fluchte leise, löste das Seil und warf es auf den Boden. „Wer sagt mir denn, daß Sie nicht einfach abhauen, wenn die Boote beladen sind?" „Warte", sagte Rody. „Wie viele Ki sten sind es noch?"
„Zwei, Jack." Der Mexikaner kehrte zu Rody zu rück. „Sie haben kein Vertrauen, Se ñor?" „Haben Sie mal Vertrauen, wenn Ihnen das Feuer unterm Arsch brennt. Ich wette, ehe es hell wird, sind die Soldaten da. Ein paar meiner Leute müssen rechtzeitig ver schwinden. Keiner von ihnen hat Lust, sich hängen zu lassen. Und ich auch nicht." Lobo blickte zum Himmel hinauf, der sich schwarz über das Land spannte. Drei Stunden, dachte er, dann wird es hell. Bis dahin müssen die Mexikaner eine bestimmte Stelle am Fluß erreicht haben, die ihnen Si cherheit gibt. Lobo glaubte, diese Stelle zu kennen. Die Stimme des Mexikaners ließ ihn aufhorchen. „Sind Sie sicher, Señor Rody, daß das Halbblut nicht mehr mit Sheriff Brooks geritten ist?" „Ganz sicher. Wahrscheinlich hat ihn Brooks erledigt. Er haßte alles, was keine weiße Haut hat. Aber wahrscheinlich wäre der Sheriff auch so vor die Hunde gegangen. Kein Wasser, keine Kenntnis der Berge, verstehen Sie?" „Ja. Mir wäre es aber lieber zu wis sen, daß jemand das Halbblut gese hen hätte. Tot!" „Er ist hinüber. Fertig, Shelton?" „Fertig." Ein Mann ließ sich am Seil hinab. Der Mexikaner folgte. Rody trat zu den übrigen drei Männern. „Das Nest heißt Santo Tornas. Vergeßt es nicht, und bleibt zusammen. Okay?" Dann war auch Black Jack Rody in die Tiefe verschwinden. Einen Augenblick lang standen die drei Männer ratlos herum. Der Stim me nach war es Shelton, der seinem Unmut Luft machte. „Vielleicht war es ein Fehler, Rody allein abhauen zu lassen." „Er ist nicht allein. Hör mal, Shel ton. Jack ist nicht der Mann, der sei ne Partner bescheißt. Wir sollten 37
nicht anfangen, uns gegenseitig zu zerfleischen. Verschwinden wir bes ser, solange es noch Zeit ist." „Was machen wir mit den Mulis und den beiden Pferden?" „Darüber sollen sich die Blauröcke den Kopf zerbrechen. Uns wären sie nur hinderlich. Also, ab jetzt." Das Klappern der Pferdehufe klang noch lange anhaltend durch die Nacht. Lobo lächelte hinter ihnen her. Captain McGinnest hatte mit seinen drei Eskorten diesen Teil der Berge hermetisch abgeriegelt. Sie hatten kaum eine Chance, diesen Riegel zu durchbrechen.
Lobo erreichte das kleine Camp der Soldaten im Morgengrauen. Captain McGinnest war mit seiner kleinen Truppe schon vor ihm ange kommen. Er empfing Lobo mit einer Whiskyfahne, die stärker wehte als ein Armeebanner. „Na, roter Häupt ling, was herausgefunden?" „Eine Menge, Sir. Ich denke, Sie sollten wieder in den Sattel steigen." „Nun mal fein langsam." Captain McGinnest fluchte nach Lobos Bericht. Als er sich an seinen Flüchen verschluckte, sagte Lobo: „Die Mexikaner, Rody und noch ein Mann, dessen Namen ich nicht ken ne, können nur nachts den Fluß hin unterrudern. Bis Yuma würden sie drei Nächte brauchen. Zeit genug, die Soldaten im Stützpunkt zu alarmie ren." „Glaubst du wirklich, daß sie es wagen werden, mit ihren morschen Kähnen über die Grenze zu kom men?" Lobo nickte. „Sie haben keine an dere Wahl. Sie wissen, daß der Moha vepfad von den Soldaten kontrolliert wird. Bleibt ihnen nur noch der Weg über den Colorado River." „Hm", Captain McGinnest schabte mit der Hand über seine verwilder ten Bartstoppeln, „das leuchtet mir 38
ein. Wenn doch bloß Haskens mit sei nen Leuten käme. Der Teufel soll ihn holen!" Er rief einen Befehl über das kleine Camp. Wenig später saßen McGinnest und seine Männer wieder im Sattel. Er beugte sich zu Lobo hin ab. „Was ist mit dir? Kommst du nicht mit?" „Ich komme mit den anderen bei den Eskorten nach. Vergessen Sie nicht, einen Meldereiter nach Yuma zu schicken, Sir." „Schon unterwegs. Vorwärts, Männer!" Lobo hockte sich auf den Boden. Er überdachte seine Situation. Rody war mit dem Mexikaner in den Boo ten. Ein zweiter Mann war bei ihm. Vielleicht sogar Nick Achat, viel leicht auch ein anderer. Das war jetzt nicht mehr wichtig. Er kannte den Platz,den Rody gewählt hatte, er würde vor ihm dort sein. Das Klappern vieler Pferdehufe brachte ihn auf die Beine. Am oberen Rand des Hanges erschien Lieute nant Haskens mit seinen Männern. Sie waren erschöpft und halb verdur stet. Haskens rutschte als erster aus dem Sattel. Der Anblick des Halb blutes ließ etwas von seiner alten Energie wieder aufflammen. Wo das Halbblut war, da mußte auch Brooks sein. Brooks, der Mann, den er tief und anhaltend haßte. „Wo ist er, wo ist der Sheriff?" Lobo hob langsam den Kopf. Er starrte Haskens mit unbeweglicher Verachtung an. „Tot", sagte er mono ton. „Tot? Du hast ihm umgebracht?" „Nein." Lobo stand auf. Die beiden Eskor ten kamen fast gleichzeitig zurück. Der dem Halbblut bekannte Corpo ral kam auf ihn zu. „Wir haben Cap tain McGinnest getroffen und sind informiert. Die Leute brauchen eine kleine Erfrischung, dann geht's wei ter." „Was ist los?" Lieutenant Haskens'
Stimme war so trocken wie dieses ausgedörrte Land. Der Corporal be richtete kurz. Haskens blickte aus roten, entzündeten Augen über den müden Haufen seiner Soldaten. Der Ehrgeiz spornte ihn an. Rücksicht nahme war ein Wort, das in seinem Sprachschatz nicht vorkam. „Wir reiten mit!" „Die Männer werden Ihnen unter wegs aus den Sätteln fallen, Sir." Haskens' Gesicht war vor Zorn dunkelrot. Er starrte den Corporal an, als erwarte er jeden Augenblick eine Katastrophe. „Befehlen Sie hier, Corporal?" Er wandte sich an seine Leute. „Macht euch fertig! Es geht weiter!" Haskens winkte Lobo her an. „Wir beide sind noch nicht mit einander fergig, Halbblut." Lobo lächelte schwach. „Mir haben Sie nichts zu befehlen, Lieutenant Haskens." „So, meinst du? Ich könnte be
haupten, daß du Sheriff Brooks getö tet hast. Wahrscheinlich hast du ihn sogar getötet. Wer wollte mich hin dern, dich dafür aufzuhängen?" Has kens' rechte Hand berührte den Kol ben seines Armeerevolvers. Der Corporal drängte heran. „Rei test du mit mir, Lobo?" Haskens fauchte ihn böse an. „Ver schwinden Sie, Corporal!" Lobo blickte ungerührt auf Has kens' Revolver. „So dumm", sagte er ein wenig schleppend, „werden Sie wohl nicht sein, Haskens." Er nickte dem Corporal zu. „Ich reite mit dir." Haskens fluchte. Der Corporal sagte: „Er ist ein gottverdammter Schinder, ein Mensch ohne Seele, ohne jedes Ge fühl. Ein Menschenleben zählt nicht bei ihm. Ich glaube, noch nicht mal sein eigenes. Es gibt niemanden, der sich nicht wünscht, daß Haskens ein mal nicht zurückkehrt. Eines Tages
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wird er nicht zurückkehren." Die Berge forderten ihre ganze Aufmerksamkeit. Die Hitze wurde unerträglich, sie war zermürbend. Die Pferde trotteten mit hängenden Köpfen. Die Abstände zwischen den Pausen wurden immer kürzer. „Ich glaube, wir haben uns selbst überschätzt", murmelte der Corporal matt. Lobo zeigte nach vorn. „Der Tun nel ist feucht und kühl. Das wird den Soldaten und den Pferden guttun." Der Corporal blieb mit seinen Leu ten zurück. Das Halbblut glitt davon. Der Platz, an welchem Rody und sei ne Männer die Winchestergewehre verladen hatten, war leer. Ein paar Maultiere trieben sich zwischen den roten Felsen herum. Ein struppiger Bronco stand erschöpft und mit her aushängender Zunge neben einer Krüppelkiefer. Daß die Männer um Tom Shelton an diesen Platz zurück kehren würden, hielt Lobo für un wahrscheinlich. Es schmerzte ihn, daß die Soldaten wieder in den Sattel mußten. Sie hatten die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit erreicht, sogar überschritten. Der Corporal empfing Lobo mit der Gelassenheit seiner Dienstjahre. „Es geht weiter, was?" „Ja. Doch ehe der Tag zu Ende ist, wird auch das Treiben zu Ende sein." „Du bist sehr sicher, Halbblut." „Ich wäre es nicht, wenn Lieute nant Haskens die andere Patrouille führen würde." Zuerst fanden sie ein verendetes Pferd. Einen Fuchswallach. Lobo warf einen Blick auf das tote Tier. „Black Jack Rodys Pferd. Kennst du zufällig einen Mann, der einen Bron co reitet, Corporal?" „Kenn ich nicht." Die Fährte der drei Männer war deutlich. Sie führte entlang der stei len Uferfelsen. Ganz allmählich flachten die Felsen ab. Sie erreichten das sandige Ufer des Colorado River. Der Fluß war hier gute dreihundert 40
Yards breit. Auf der kalifornischen Seite schwenkte ein Mann ein großes Tuch, um auf sich aufmerksam zu machen. Er rief etwas herüber. Aber die Entfernung war zu groß und das Rauschen, des Colorado zu laut, um seine Worte verstehen zu können. „Ein Aufgebot der Kalifornier", sagte der Corporal. Lobo nickte. Er zeigte auf den wei chen Ufersand. „Sie haben die Pferde hier getränkt und sich selbst auch. Die Leute drüben müssen sie be obachtet haben." Der Mann auf der anderen Seite war jetzt nicht mehr allein. Ein paar andere standen herum. Sie machten unmißverständliche Zeichen. Das Halbblut hatte sie verstanden. „Shelton und die anderen sind wei ter flußaufwärts geritten. Sie müs sen erkannt haben, daß ihnen die ka lifornische Seite keine Sicherheit bietet. Reiten wir weiter." Das sandige Ufer wechselte in fel sigen Grund. Eine Geröllhalde führ te zum oberen Rand. Sie ritten schweigend und verkniffen, und sie hatten sich in düstere Gedanken ge hüllt. Die kurze Rast am Ufer des Co lorado und das kalte, klare Wasser hatten ihre Wirkung verloren. Jetzt waren sie wieder die erschöpften, ausgelaugten Kreaturen, die auf Be fehl, und nur auf Befehl handelten. Sie haßten Befehle, und sie haßten die Männer, die sie erteilten. Und in diesem Augenblick haßten sie sich wohl auch selbst. Lobo ritt allein an der Spitze dieses ausgemergelten, bis zur Bewußtlo sigkeit erschöpften Häufleins. Selbst der Corporal war zurückgeblieben. Mit einer ruckhaften Bewegung brachte Lobo seinen Falben zum Ste hen. In einer Senke, die sich wie ein Paradies ausnahm, saßen drei Män ner auf ihren Pferden. Die Tiere rupften gierig die grünen Grashal me. Ein riesiger Hickory breitete sei ne Äste fächerförmig aus. Links und rechts versperrten glatte Felsen den
Weg. Der hintere Rand der kleinen Mulde wurde von einer senkrecht abfallenden Schlucht begrenzt. Eine regelrechte Mausefalle. Die drei Männer hatten das auch erkannt. In den Strahlen der schrägstehenden Sonne reflektier ten die blanken Läufe von Geweh ren. Gelegentlich flogen Wortfetzen herüber. Für einen langen, trägen Augenblick tauchte die kleine Ge stalt des Captains am oberen Rande einer Steilwand auf. Die drei Männer unter dem Hickory redeten mitein ander. Sie blickten den leicht anstei genden Hang hinauf, den sie vor kur-. zer Zeit heruntergeritten waren. Er war, wenn überhaupt, ihre einzige Chance. Der Anblick der drei Banditen hat te die matte Trägheit der Soldaten hinweggewischt. Der Corporal ließ sie absitzen. Sie verteilten sich hinter schützenden Felsen. Das Halbblut trat ein paar Schritte nach vorn. Er hielt die Arme über der Brust ver schränkt. Seine Augen waren schwarz, tief und ohne Lächeln, seine Stimme wie Eis. „Komm her, Nick Achat!" Die Antwort bestand im dahinrol lenden Echo eines Schusses. Der schwache Hauch eines Windes ver wehte die kleine Rauchfahne. Links und rechts an den oberen Felswän den blitzten Mündungsfeuer auf. Ein Pferd brach unter dem Hickory zu sammen. Sein Reiter benutzte es als Schutz vor heranheulenden Kugeln. Der starke Stamm des Hickory bot den beiden anderen nicht genügend Deckung. Eine Kugel riß einem von ihnen den Oberschenkel auf. Sein Schmerzenschrei prallte gegen die kahlen Felsen. Der Mann neben ihm warf seine Winchester fort. Er trat mit erhobenen Händen aus dem Schutz des Baumes. Nur der Mann hinter dem toten Pferd schoß weiter. Aber nicht mehr lange. Sein Partner schlug ihm den Kolben des Revolvers über den Kopf. Er rollte zur Seite,
streckte sich und blieb liegen. Es war ein Gewirr von blauen Uni formen. Sie rissen die Arme in die Luft, sie schwenkten ihre Gewehre und stießen Schreie aus, als hätten sie soeben eine ganze Armee besiegt. Eine halbe Schwadron Kavallerie gegen drei Männer. Gefährliche Banditen und Killer, aber eben nur drei.
Die Schatten der Dämmerung leg ten sich über die kleine Mulde. Cap tain McGinnest hatte sich mit dem Rücken an den Stamm des Hickory gelehnt. Er blickte fast gelangweilt auf die drei zusammengeschnürten Männer, die von zwei Soldaten be wacht wurden. Von Zeit zu Zeit nahm McGinnest einen Schluck aus der Flasche. Er reichte sie dem neben ihm sitzenden Halbblut. „Trinke, Freund. Das ist die einzige Medizin, die hilft. Aber eines Tages wird auch das seine Wirkung verlieren." Er sah Lobo an. Das ganze Elend seines lan gen Lebens lag in seinen Augen. Sei ne Hände zitterten, als er wieder nach der Flasche griff. Er gurgelte den Rest hinunter, dann schleuderte er die Flasche weit von sich. Lieutenant Haskens trat zu dem Captain. „Einer der Männer ist ver wundet. Was machen wir mit ihm?" „Lassen Sie ihn verbinden. Dann bringen Sie alle drei zu mir. Ich wer de das Urteil sprechen." „Und ich werde es vollstrecken", sagte Haskens voller Inbrunst. „Das ist mir egal. Hol mir eine Fla sche aus der Satteltasche, Halbblut." Etwas wehleidig blickte Lobo den Captain an. Dieser McGinnest steck te voller Menschlichkeit, die er, ein mal an die Oberfläche gespült, in Whisky zu ersäufen versuchte. Er gab sich hart, war es aber nicht. Zwei Soldaten schleppten die Ge fangenen heran. Lieutenant Has kens, First Sergeant Torring und der 41
Corporal nahmen vor McGinnest ei ne lasche Haltung an. Der Captain legte die Flasche noch nicht einmal aus der Hand, als er, ohne jede Ver handlung, sein Urteil sprach. „Hängt sie auf!" Tom Shelton grinste den Captain breit an. Steve Crowly, dem eine Kugel das Bein aufgerissen hatte, starrte voller Entsetzen auf McGinnest. „Das ist gegen die Regel, Captain", preßte er hervor. „Welche Regel?" McGinnests Blick war lauernd, ein wenig spöttisch, aber auch von un übersehbarer Müdigkeit. „Sie können niemanden aufhän gen, ohne daß er rechtskräftig durch ein Gericht verurteilt wurde." „Ich bin das Gericht. Und nun hin weg mit ihnen!" Bliss Opalla versuchte, sich von den Bewachern loszureißen. Er stürzte vor Captain McGinnest auf die Knie. Sein Gesicht war plötzlich eingefallen und spitz wie das einer Wühlmaus. „Nein", keuchte er, „nein, Sir, nicht hängen! Ich will nicht hän gen, ich will nicht sterben! Bitte, Sir, Captain, nein, nein!" Sie packten ihn und zerrten ihn weg. McGinnest wandte sich ange ekelt ab.„So sind sie", sprach er halb zu sich selbst, halb zu Lobo. „Sie kön nen einen Menschen zu Tode quälen. Sie ergötzen sich daran, wenn sie ei nen über einen Ameisenhaufen ge pflockt haben, und sie brechen in Entzückensschreie aus, wenn der Mann seine Todesqualen hinaus schreit. Aber wenn es an ihre eigene Haut geht, dann jammern sie wie ein Wurf junger Hunde, denen die Alte weggelaufen ist," McGinnest spuckte verächtlich aus. Er sah nicht hin, als die drei Männer unter den Hickory geführt wurden. Als das letzte Urteil vollstreckt war, trat Lieutenant Haskens zu McGinnest. In seiner Stimme war keinerlei Humor, als er sagte: „Das 42
Halbblut hat Sheriff Ben Brooks er mordet. Wir sollten ihn gleich mit aufhängen, Sir." „So." McGinnests Lider senkten sich. „Hat er das?" „Natürlich, wer denn sonst?" „Haskens", sagte McGinnest. „Sie sind ein Rindvieh. Gehen sie mir aus den Augen. Nein, warten Sie. Reiten Sie nach Yuma. Sichern Sie mit allen verfügbaren Männern den Colorado River. Sie haben nur eine Chance, Offizier zu bleiben, wenn Sie die Winchestergewehre zurückholen. Hauen Sie ab. Das ist ein Befehl!" Das war es, die Gewehre. Die drei Männer, die McGinnest hatte hängen lassen, waren ihm so gleichgültig wie eine leere Whiskyflasche. Der Ver lust der Gewehre konnte auch seine Laufbahn beenden. Das Feuer im Camp brannte ab. Nur selten noch legte ein Soldat trok kene Zweige nach. Die Unruhe der letzten Tage und Nächte hatte auch an Lobos Kräften gezehrt. Er hatte sich ausgestreckt, als er ein Geräusch wahrnahm, das nicht in den Frieden dieser Nacht paßte. Er drehte sich et was zur Seite. Captain McGinnest schnarchte unter dem Hickory, an dem die drei Toten hingen. Drei Männer machten sich an ihnen zu schaffen. Sie lösten sie und schlepp ten sie aus dem Bereich des mäßig brennenden Feuers. Lobo schlich ihnen nach. Sie keuchten unter der Last. Am Rande der senkrecht abfallenden Schlucht legten sie die Toten ab. Nach Sekun den vernahm Lobo, wie etwas tief unten im Grunde der Schlucht auf schlug. Einer der Männer sagte: „Ei ne scheußliche Art, Tote zu beerdi gen. Aber denen ist's schließlich egal. Die merken nichts mehr davon." Sie gingen ins Camp zurück. Lobo hockte sich auf den Boden. Erst jetzt begriff er, was Sheriff Ben Brooks gemeint hatte, als er von ver gessenen Toten sprach. Brooks woll te nicht vergessen sein. Die drei
Männer waren es. Es würde nichts auf der Welt geben, was noch an sie erinnerte.
Die beiden Reiter trabten gemäch lich über die zernarbte Poststraße. Erst als weit hinter ihnen eine Staubfahne den Himmel verdunkel te, verließen sie die Straße. Sie ritten scharf nach Süden. Zwischen Kak teen und Mesquitesträuchern hielten sie an. In ihren von einer dicken Staubschicht bedeckten Gesichtern hatte der Schweiß tiefe Runen ge graben. Der eine von ihnen, Nick Achat, klopfte an seine fast leere Wasserflasche. „Wie weit ist es noch bis zur Was serstelle? Nach deiner Berechnung sollten wir längst dort sein, Jack." Black Jack Rody zupfte mit den Fingerspitzen an seinem schwarzen Sichelbart. In seinen Augen lag ein tiefgründiges Lächeln. „Nach meiner Berechnung schleppst du fünfzehn tausend Dollar in den Satteltaschen herum, Nick. Ein hübsches Stück Geld." „Hart verdientes Geld, Jack. Was meinst du, ob sie Opalla, Crowly und Shelton erschossen oder gehängt ha ben?" Rody bewegte den Kopf etwas hin und her. „Ich wette den Inhalt deiner Satteltaschen, sie haben sie gehängt." Achat grinste. „Gewonnen, Jack, Du bist schon großartig. Aber wenn sie den Blauröcken doch durch die Finger geschlüpft sind ?" Black Jack Rody hob etwas seine abfallenden Schultern. „Sie wissen, wo sie uns treffen können." Nick Achat versank in kurzes Schweigen, dann sagte er: „Ich weiß nicht, aber bei dem Gedanken an Mexiko ist mir nicht sehr wohl. Wir sollten besser nach dem Norden rei ten, Jack." „Mexiko bietet mehr Sicherheit. Ich bin überzeugt, daß wir bis nach
Montana hinauf gesucht werden. Ir gendein Sheriff oder Marshal wird über uns stolpern. Hast du nicht ge sagt, es sei hartverdientes Geld? Es wird uns verdammt wenig nützen, wenn wir irgendwo am Ast eines Baumes hängen."
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„Hör auf, so zu reden, Mann." Nick Achat schüttelte sich. „Mir läuft es kalt über den Rücken." Black Jack Rody lachte. „Dafür gibt es keinen Grund, Nick. Morgen sind wir in Sicherheit, in ein paar Tagen in Santo Tornas. Es ist zwar ein ziemlich mieses Nest, aber amü sieren kannst du dich dort auch. Net te Mädchen und voller Feuer." Der Wüstenboden war uneben, voller Klapperschlangen und Kak teen mit Stacheln, die so lang und spitz waren wie ein Wurfmesser. Nick Achat vergrub sich in seine Ge danken, die immer wieder zu den drei Männern, ihren Partnern, in den Bergen zurückkehrten. Tom Shelton gehörte nicht zu der Sorte, die so leicht aufgaben. Wenn es ihm gelun gen war, den Blauröcken zu entwi schen, und wenn er dahintergekom men war, daß Rodys und sein Spiel krumm, schmutzig und von oben bis unten beschissen war? Achat faßte sich unwillkürlich an den Hals. Rody drehte sich im Sattel um. „Die Was serstelle, Nick. Ich denke, hier blei ben wir." Nick Achat blickte auf den winzi gen Tümpel. Das war kein Wasser, das war eine braune, warme Brühe, die nicht einmal die Pferde soffen. Rody sagte: „Wir werden es durch ein Halstuch laufen lassen und ko chen müssen." Sie hockten herum und sahen zu, wie das Tageslicht dahinschwand. Achat, den Rodys Schweigen be drückte, stand auf. Er hatte Geld, so viel Geld, wie er wohl nie wieder in seinem Leben haben würde. Nick Achat sollte froh sein. Aber er war es nicht. Etwas bedrückte ihn. Irgend wo tief in seinem Innern. Er wußte nicht, was es war, aber es war da und bedrückte ihn. „Setz dich, Nick", sagte Rody. „Ich habe auch gerade an ihn gedacht." „An wen?" „An das Halbblut." Nick Achat riß es fast von den Bei 44
nen. Jetzt wußte er, was es war, was ihn quälte und bedrückte. Seine Stimme sackte ab, sie war nur noch ein schwaches Brummen. „Er ist tot, Jack, er muß tot sein. Niemand hat ihn mehr gesehen. Auch nicht, als Brooks erschossen wurde. Niemand. Er ist bestimmt tot, ganz sicher." „Ja", erwiderte Rody, „er ist tot. Und morgen sind wir in Mexiko."
Lobo brach mit den Soldaten in al ler Frühe auf. Sie wählten den weite ren Weg über den Mohavepfad. Am Abend stießen sie auf die Poststraße, und tief in der Nacht trabten sie durch das schlafende Yuma. Captain McGinnest hielt sich eine Weile neben dem Halbblut. „Du rei test besser mit zum Armeelager. Ein paar Leute in der Stadt könnten dich mit Sheriff Brooks' Tod in Verbin dung bringen." „Sie meinen Lieutenant Haskens." „An den hatte ich eigentlich nicht gedacht, vielmehr an Richter Malvis." „Ja", sagte Lobo, „vielleicht ist es besser." Er hob sich etwas im Sattel. „Haben Sie das auch gehört, Cap tain?" Der leichte Nachtwind trug das schwache Echo von Schüssen heran. Captain McGinnest galoppierte schon davon. Er rief etwas zu den Soldaten, die schläfrig und erschöpft in den Sätteln hingen. Lobo folgte ihnen ohne große Eile. Er kam am Blue Angel vorbei. Sein Blick, den er hinüber schickte, und sein Lächeln verrieten etwas von ei ner stillen Sehnsucht. Am Anlege platz der Kingsway schwenkte das Halbblut nach Norden, den deutli cher werdenden Schüssen entgegen. Wortfetzen flogen umher. Jemand schrie auf. Der Schrei kam von der Mitte des Colorado River. Das Auf blitzen der Mündungsfeuer zeichne te helle Bahnen in das Blauschwarz
der Nacht. Am steinigen Flußufer hatte ein Soldat eine Menge Schwie rigkeiten mit einem Rudel Pferde. Die Tiere, durch das Donnern der Schüsse aufgeschreckt, wurden wild und schlugen aus. Der Soldat fluchte abscheulich. „Ich werde mit den Bie stern nicht mehr fertig. Kannst du mir nicht helfen, he?" „Du schaffst das schon!" rief Lobo zurück. Nach ein paar hundert Yards stieß Lobo auf McGinnests Truppe. Sie krochen in der Dunkelheit herum wie Ameisen auf einer überreifen Frucht. Sie schossen, als gelte es, das ganze Territorium zu verteidigen. Von der Flußmitte wurde das Feuer genauso heftig erwidert. Lobo traf den Captain hinter einem mannsho hen Felsen. Er hockte am Boden, gurgelte Whisky und fluchte. „Was passiert, Sir?" fragte Lobo. „Irgend so ein Hurensohn hat mir eine Kugel ins Bein geschossen." „Die Soldaten sollten auf die Käh ne schießen, Captain." Lobo zog seine Winchester aus dem Scabbard. Er dachte, was geht's mich an, aber er schoß. „In den Kähnen liegen die Geweh re, und die müssen wir haben." „Sie werden sie schon kriegen. Der Colorado hat zu wenig Wasser, die Strömung ist sehr schwach." Lobo wartete, bis drüben wieder Schüsse aufblitzten. Er hielt erheblich tiefer. In schneller Reihenfolge feuerte er sein Magazin leer. In einer Feuer pause hörte er das Blubbern von Wasser. Hinter ihm stöhnte McGin nest. Etwas kroch heran. Auf Hän den und Knien. Sehr langsam, sehr behäbig, wie eine Schildkröte. „Halbblut?" Lobo setzte die Winchester ab. Er erkannte Lieutenant Haskens. Der Lieutenant war ohne Mütze. Seine strohblonden Haare klebten ihm im Gesicht. Haskens Arme gaben nach. Seine Knie knickten ein. Er rollte zur Seite.
Lobo beugte sich über ihn. Im grauen Schein der frühen Morgendämme rung sah er, daß die Augen des Lieu tenants ins Leere starrten. „Haskens ist tot, Sir", sagte Lobo. Er nahm die Winchester wieder auf und suchte sein Ziel. Das Feuer der Soldaten wurde von der Mitte des Flusses nur noch schwach erwidert. „Noch eine Salve!" schrie McGin nest. „Putzt sie hinweg, diese hunds gemeinen Banditen!" Es war, als hätten die Soldaten nur auf diesen Befehl gewartet. Sie schossen die Läufe ihrer Gewehre heiß. Captain McGinnest hatte die Schußwunde an seinem Oberschen kel mit einem Tuch abgebunden. Er humpelte herum, fluchte und schrie Befehle. Er schien völlig durchge dreht. Das stärker werdende Licht ver trieb die letzten Nebelfetzen über dem Fluß. Die sanften Wellen des Colorado spülten ein paar Tote her an. Mexikaner. Auf der Flußmitte schwammen hohe, spitze Hüte. Män ner ruderten hilflos mit den Armen im Wasser. Die lecken Boote hatte der Sog auf den Grund gezerrt. Captain McGinnests Gesicht war spitz und eingefallen. Seine dunklen Augen lagen tief in den Höhlen. Sie hatten jeden Glanz verloren. Seine Hände waren zu kraftlos, um die Whiskyflasche zu halten. Als Lobo zu ihm trat, versuchte er, sich ein Lä cheln abzuquälen. Es blieb bei dem Versuch. „Und das alles wegen ein paar Winchestergewehren. Hat sich der Einsatz gelohnt, Halbblut?" McGin nest sank zurück. Ein Soldat stützte ihn. „Wir müssen ihn zum Doktor bringen", sagte er. Lobo nickte fast abwesend. Er dachte an Lieutenant Haskens, der tot war. Die Lider fielen Lobo über die Augen. Er sah sie alle an sich vor beimarschieren, die Toten. Ben Brooks, Jake Howard, die drei Män 45
ner am Galgen, nun auch noch Lieu tenant Haksens und die Soldaten, de ren Zahl er nicht kannte. Er wußte, es würde noch mehr Tote geben. Aus tiefen Gedanken heraus schüttelte er den Kopf. „Nein", murmelte er, „es hat sich nicht gelohnt. Töten wird sich nie lohnen." „Was hast du gesagt?" Der Soldat blickte Lobo ein wenig zweifelnd an. „Deine Nerven schaffen's wohl nicht mehr, was?" Von Yuma herauf kämpften zwei Boote gegen die schwache Strömung des Colorado River. Sie sammelten die im Wasser treibenden Mexikaner ein. Neben Lobo sagte jemand: „So viel Stricke haben wir gar nicht, um die alle zu hängen." Die Boote kamen an das Ufer, lu den ihre Fracht ab. Voll Wasser ge pumpte Männer mit brauner Haut farbe und dunklen Augen, in denen die Angst flackerte. Die Boote drehten wieder zur Flußmitte ab. Nackte Männer sprangen in das Wasser. Lobo hockte sich neben den ver wundeten Captain. „Ein hoher Preis, den Sie bezahlen mußten, Sir. Sie, Ihre Soldaten und alle, die dran be teiligt waren. Auch die Mexikaner." „Und du, Halbblut?" „Ich habe bezahlt, aber ich habe die Endsumme meiner Rechnung noch nicht zusammengezählt." „Wirst du sie zusammenzählen?" „Ja, ich denke ja." „Dann alles Glück für dich, Halb blut. Ich glaube, du bist einer von de nen, die sich in meinem Gedächtnis festgefressen haben. Solltest du je mals wieder nach Yuma kom men ..." McGinnest sprach nicht zu Ende. Lobo lächelte dünn. Sheilas Bild tauchte vor ihm auf. Mit einer schnellen Handbewegung wischte er es hinweg. Er würde sie vergessen. Nicht sehr schnell, aber er würde sie vergessen, so wie sie ihn vergessen würde. Yuma hatte eine neue Wunde 46
gerissen. Es würde lange dauern, bis sie geheilt war. Lobo beugte sich zu Captain McGinnest hinab. „Es gibt wenige Menschen Ihrer Hautfarbe, die ein Halbblut respektieren. Ich möchte Ihnen danken. Auch Ihnen alles Glück." Eine Hand berührte Lobo an der Schulter. Der Corporal grinste ein wenig verlegen. „Das hast du fein ge sagt. Deine Fährte ist noch nicht zu Ende. Ich weiß das. Komm mit ins Camp. Eine vernünftige Ausrüstung auf dem Trail ins Ungewisse ist dir die Armee wohl schuldig."
Santo Tornas. Eine Stadt, ein klei nes Nest, vielleicht auch nur ein paar Lehmhütten mit Strohdächern. Lobo wußte es nicht. Er hatte nur den Na men gehört. Santo Tornas lag ir gendwo zwischen der Sierra Juarez und dem Meer. Er strich herum, ein einsamer Wolf auf der Fährte zweier Männer. Lobo hatte die Tage schon nicht mehr gezählt. Die Sierra war heiß wie die Berge zwischen Colorado und Gila River, unbewohnt und tot wie seine Gefühle. Das Halbblut verließ sich ganz auf seinen Instikt. Fand er eine Wasser stelle, verbrachte er dort den ganzen Tag. Die Nächte in der Sierra waren angenehm kühl. Der Himmel war endlos und weit und sehr schwarz mit glitzernden goldenen Punkten, einem vollen, runden Mond, in des sen Licht die Spitzen der Berge aus sahen wie Kirchtürme. Dort, wo die Berge flach abfielen, wo irgendwo in der Ferne das Meer rauschte, stieß Lobo auf eine winzige Ansiedlung. Ein halbes Dutzend Lehmhütten klebten am Rande eines Hügels. Lobo erblickte einen Schatten. Un ter dem ausgefransten Rand eines spitzen Strohhutes sah er zuerst nur
Falten, Sie gehörten zu einem Ge sicht. Es war uralt, ein totes Gesicht, das Gesicht einer Mumie, in dem nur die Augen lebten. Zwischen den Lip pen des alten Gesichtes hing eine Maiskolbenpfeife, der kein Rauch entstieg. Das, was da vor Lobo hockte, konnte eine Frau, aber auch ein Mann sein. Ein ausgemergelter Leib wurde von einem weiten Umgang zusammengehalten. Ihre Blicke begegneten sich. Lobo sah das Aufflackern in den Augen des anderen. „Tabak, Senor?" Das Halbblut stieg ab. Aus den Hütten kamen ein paar nackte Kin der, frühgealterte Frauen und Män ner, denen das Elend im Gesicht ge schrieben stand. Menschen ohne Hoffnung, die schon tot geboren wa ren. Lobo gab der auf dem Boden hok kenden Gestalt eine Handvoll Tabak. Sie alle umringten ihn, sie hielten die Hände auf. Sie erhofften etwas. Ein Stück Brot vielleicht, ein getrocknetes Stück Fleisch. Irgend etwas, mit dem sie ihre Mäuler stopfen konnten. Den Hunger vergessen. Wenigstens für ein paar Stunden. Lobo zeigte nach Süden. „Santo Tornas. Wie weit ist das noch?" Sie hatten ihn verstanden. Mit ei nem schrägen Blick auf Lobos Pferd sagte ein Mann: „Wenn Sie gut rei ten, einen Tag. Wenn Sie schlecht reiten, zwei Tage. Und wenn Sie lau fen, eine ganze Woche." Lobo zog den Falben herum. Er vergaß die Hütten, vergaß die ganze Armseligkeit. Einen Tag, dachte er, wenn ich gut reite. Ich werde gut rei ten. Santo Tornas. Eine Ansammlung von Lehmhütten und Adobebauten, die sich eng an einen flach abfallen den Hang drückten. Es war ein aus getrocknetes, sonniges Nest. Es wirkte gutmütig und friedlich. Es gab eine einzige Straße, auf der sich ein paar Leute bewegten. Lobo zog sich wieder hinter den
Hang zurück. Im Ort hatte er nichts gesehen, was auf die Anwesenheit von Fremden schließen ließ. Ein furchtbarer Gedanke drängte sich ihm auf, er versetzte ihm einen mo ralischen Tiefschlag. Im Laufe des langen Rittes war es Lobo bewußt geworden, daß Black Jack Rody und Nick Achat ihre Partner gezielt an die Armee ausgeliefert hatten. Die drei Männer hatten keine Chance, den eng um sie gezogenen Ring zu durchbrechen. Santo Tornas war ei ne Fata Morgana, die sie nie errei chen würden, vielleicht auch für Rody und Achat. Vielleicht waren sie längst auf dem Wege zu einer der großen Städte im Osten. Lobo wartete die nahe Dunkelheit ab. Ein paar Lichter flackerten auf. Sie ließen die weißgetünchten
Lehmhütten wie Paläste aussehen. Der Platz, den das Halbblut gewählt hatte, war gut. Es gab ein paar Sträucher, ein bißchen Gras und am oberen Rand eine Art niedrigen Steinwall. Von hier aus konnte er jede Bewegung unten auf der Straße beobachten. Aber es gab nicht viel Bewegung. Das Leben in Santo Tor nas erstarb. Die wenigen Lichter er loschen - bis auf zwei. Eines davon befand sich genau in der Mitte des Ortes, ein anderes am westlichen Ausgang. Lobo wartete noch etwas, dann rutschte er den kleinen Hang hinun ter. Niemand begegnete ihm. Ge räuschlos bewegte er sich hinter den Häusern. Er stieß gegen Abfall. Ir gendwo schlug ein Hund an. Aus dem nach der Straßenseite hin beleuch 47
teten Haus drangen Stimmen, fremde Laute, Lachen, das helle Kreischen ei ner Frau. Das Halbblut wollte schon weiter, zum nächsten beleuchteten Haus, als ihn ein Geräusch an der Rückwand des Hauses festnagelte. Es war das Räuspern eines Mannes, ein paar Worte, die er nicht verstehen konnte, deren Klang aber nicht hierher paß te. Lobo spürte, wie sein Blut schnel ler pulsierte, wie es heiß durch die Adern rann. Er schlich um das Haus herum, geduckt, leise, mit der Dun kelheit verschmelzend. Das Licht stieß als gelber Strahl auf die Straße. Die Stimmen im Haus waren jetzt deutlich. Sie sprachen Spanisch. Ge legentlich fiel ein Wort in englischer Sprache. Lobo mußte Gewißheit ha ben, er mußte es wagen, sich seitlich an das Fenster zu stellen, um einen Blick in den Raum werfen zu kön nen. Männer reichten einen bauchigen Tonkrug herum. Sie tranken daraus. Wahrscheinlich Pulque, einen schar fen, aus Mais gebrannten Schnaps, der selbst einen Captain McGinnest von den Beinen reißen würde. Ein paar Mädchen tänzelten zwischen ihnen herum. Sie trugen dünne, durchsichtige Fähnchen, welche die Reize ihrer noch jungen Körper nicht verbargen. Das älteste Gewer be der Welt trieb auch hier seine Blüten. In einem gottverlassenen Nest am Rande der Sierra Juarez, von dessen Existenz die Menschen in hundert Meilen Entfernung nichts wußten, noch nicht einmal etwas ahnten. Im linken Winkel des Raumes saß ein Mann auf einer niedrigen Bank. Er hatte auf jedem Knie ein Mäd chen, die er an sich preßte. Es war ein athletischer Mann mit einem mus kulösen Hals. Ein Weißer, ein Amerikaner. Lobo hatte diesen Mann nie zuvor gese hen. Doch sein Instinkt sagte ihm, 48
daß es Nick Achat war. Die Minuten tropften dahin. Drin nen wurde gelacht und getrunken. Der Mann auf der niedrigen Bank hielt die beiden Mädchen noch im mer umschlungen. Seine großen Hände, die irgendwie an Schaufeln erinnerten, waren höher gerutscht. Sie umspannten die Brüste der Mäd chen. Seitlich der Bank wurde ein Vor hang zurückgeschlagen. Eine glut äugige Mexikanerin trat herein. Das Haar hing ihr wirr um den hüb schen Kopf. Ihr Kleid war bis zu den Hüften offen. Sie versuchte gar nicht erst, ihre wohlgeformten, runden Brüste zu verbergen. Sie lächelte. Ein Mann betrat hinter ihr den Raum. Sehr groß, sehr dünn, mit schwarzen, glänzenden Haaren und einem Sichelbart auf der Oberlippe. Black Jack Rody. Lobo zog seinen Blick von dem Manne, dem er über viele hundert Meilen gefolgt war. Ein leiser Zi scher brach über seine Lippen. Er lö ste sich von der Wand. So lautlos, wie er gekommen war, so lautlos tauchte er in das alles verschluckende Dun kel.
Lobo verbrachte eine ruhige Nacht. Im ersten Grau der frühen Dämmerung lag er jedoch bereits hinter dem schützenden, kleinen Wall. Santo Tornas war kein Ort von mitreißender Geschäftigkeit, er schien unter der sengenden Hitze zu ersticken. Kaum ein Mensch zeigte sich auf der Straße, deren knöchel tiefer Staub sich unter einem leich ten Lufthauch wie ein schmutziges Tuch über die Häuser breitete. Die Sonne stand schon tief über dem fernen Meer, als Nick Achat, be gleitet von einem halbwüchsigen Burschen, aus einem Haus trat. Der Junge lief um das Haus herum. Achat lehnte an der heißen Wand.
Der Hut saß ihm tief im Gesicht. Eine Frau trat durch das rechtek kige Loch eines Hauses, das eine Tür anzeigen sollte. Achat sagte etwas zu ihr. Mit seinen großen Händen betät schelte er ihr Hinterteil. Die Frau lief davon. Achats grobes Lachen war bis zu Lobo herauf zu hören. Der Junge kam mit einem gesattel ten Pferd um das Haus herum. Achat prüfte Sattel und Zaumzeug. Das Pferd tänzelte unruhig, es drängte auf Bewegung. Für einen Augen blick erschien Black Jack Rodys ha gere Gestalt im Schatten der Haus wand. Rody und Achat sprachen miteinander. Rody machte eine ab wehrende Geste. Achat stieg in den Sattel. Der Staub wirbelte unter den Hufen des Pferdes. Achat galoppier te die Straße hinunter. Am Westaus gang des Ortes riß er das Pferd her rum und galoppierte zurück. Er ver ließ Santo Tomas nach Osten hin. Lobo verfolgte ihn mit Blicken, bis Achat in einem ansteigenden Seiten tal verschwand. Jetzt erst bestieg er seinen Falben. Er war von einer gespannten Wachsamkeit, von einer schmerzen den Konzentration. Er ritt ein paar hundert Yards in die Sierra hinein. Die Hügel waren flach und glatt, von kargem Gestrüpp überwuchert. Ge legentlich fielen sie ab und bildeten schmale Täler, auf deren Boden har tes Gras wuchs. Gut genug, um ein paar Schafe zu ernähren. In einem dieser Täler hielt Lobo an. Ein Fels kegel, wie von Riesenhand dahinge schleudert, bot Schutz und Deckung. Er erreichte ihn gerade noch recht zeitig genug, um sich den Blicken ei nes vom Westhang des Hügels her abtrabenden Reiters zu entziehen. Nick Achat pfiff vor sich hin. Er war offensichtlich guter Laune. In Gedanken bei den Mädchen, mit wel chen er die Nacht verbracht hatte. Ein paar Schritte trennten ihn noch von dem Felskegel. Das Pfeifen ver stummte. Nick Achat richtete sich
etwas im Sattel auf, fiel zurück und sah sich nach allen Seiten um. Seine Lippen bewegten sich, ohne jedoch Worte zu formen. Er war im Begriff, wieder anzureiten, als Lobo hinter dem Felsen hervortrat. „Hallo Achat." Seine Stimme war weich, beinahe sanft. Nick Achat klebte im Sattel. Steif, unbeweglich, fast gelähmt. Er glaub te nicht, was er sah. Er brauchte lan ge, um zu begreifen, daß der Mann vor ihm stand, der ihm Alpträume verursacht hatte. „Das Halbblut", preßte er schließ lich hervor. Lobo sah zum ersten Male Achats Augen. Sie waren wol kig grau und kalt wie gefrierendes
Wasser.„Steig ab, Achat!" Nick Achat rutschte seitlich vom Pferd. Seine rechte Hand war auf fällig weit vom Halfter entfernt. „Ich glaube", sagte er schließlich, „du hast sieben Leben wie eine Kat ze. Was gibt es eigentlich, das dich umbringen kann, Halbblut?" Lobo schwieg. Er spuckte an Achats Schulter vorbei. Der, ange heizt durch die angezeigte Verach tung des Halbblutes, schrie seinen Zorn hinaus. „Ich hätte dich damals in Gila River ersäufen sollen!" Lobo schenkte Achat ein weiches Lächeln. „Ja", sagte er, „das hättest du. Dein Fehler, daß du es nicht ge 49
tan hast." Nick Achat rutschte ein wenig in sich zusammen. Er suchte eine Chan ce, aber er fand keine. Lobo sprach weiter, kalt, ungerührt, in verächtli chem Ton. „Du glaubst,du bist abge brüht, Achat. Du bist es nicht. Du bist ein weicher, verfaulter Pfirsich. Du bist jetzt schon so gut wie tot." „Was hast du vor, Halbblut?" Achats Stimme hatte keine Festigkeit mehr, sie war zittrig. „Hör mal, ich habe eine Menge Geld, und Rody auch. Es war damals schließlich Ro dys Idee, dich zu beseitigen. Was soll te ich machen? Rody hätte mich um gelegt. Ich mußte tun, was er verlang te. Begreif das doch, Mann!" „Rede nur weiter. Vielleicht fällt dir noch was Besseres ein." „Es war so, ganz bestimmt. Ich kannte dich doch überhaupt nicht. Weshalb also sollte ich dich umbrin gen? Weißt du, ich wollte mich schon lange von Rody trennen. Allein schaff ich das nicht. Wir beide, du und ich, Rodys vieles Geld. Mensch, Halbblut, das ist deine Chance!" Er blickte Lobo erwartungsvoll an. „Was ist, gilt das?" „Du hast weniger Charakter als ein Paar abgetretene Stiefel. Wie weit muß eigentlich ein Mann sinken, um so an seinem Partner zu handeln? Jetzt werde ich dir noch was sagen, Achat. Ich habe nur einen Kopf, und du bist verdammt übel damit umge gangen. Aber ich habe es überlebt. Nun mußt du versuchen, ob du es auch überlebst." Nick Achat wich zwei Schritte zu rück. „Du bist verrückt, Halbblut! Wenn ich bis Sonnenuntergang nicht wieder in Santo Tornas bin, wird mich Rody suchen. Nicht er allein, nein, der ganze Ort wird mich su chen!" „Du wirst zurück sein, Achat. Tot," „Nein, nein, das kannst du nicht machen! Ich habe dir doch gesagt, wie es war. Ich bin doch auch nur ein Opfer. Wirklich, Halbblut!" 50
„So wie Crowly, Shelton und Opalla. Opalla hat ganz schön gewinselt, als sie ihn gehängt haben." „Damit habe ich nichts zu tun. Ich wollte, daß wir alle zusammenblie ben. Es war Rodys Einfall." Lobo lächelte. „Ich habe das etwas anders in Erinnerung. Jedenfalls bist du ganz schön vergeßlich für dein Alter." Langsam bewegte er sich auf Nick Achat zu. Er hätte den Mann er schießen können, einfach mit einer Kugel hinwegwischen. Aber selbst bei einem Schwein wie Achat brach te Lobo so etwas nicht fertig. Achat wich zurück. Zum ersten Male versuchte er, seine Finger an den Kolben seines schweren Coltre volvers zu bringen. Lobos Blicke folgten dieser Bewe gung. „Lieber nicht, Achat. Du hät test schon eine Kugel zwischen den Augen, ehe du die Waffe gezogen hättest. Ich bin nicht ein paar hun dert Meilen geritten, um dich einfach abzuschießen." „Was sonst?" Achats Stimme flat terte. Er wußte, mit welcher Schnel ligkeit das Halbblut ziehen, schießen und auch treffen konnte. „Ich habe noch nie einen Mann ein fach abgeschossen. Schnall ab, Nick Achat. Du willst eine Chance, ich gebe sie dir." „Und wer sagt mir, daß du dann nicht einfach abdrückst?" Lobo zuckte mit den Schultern. „Niemand. Es ist dein Risiko. Schnall ab!" Achats Hände waren unruhig, als sie sich der Schnalle näherten. Dann zuckten sie plötzlich zurück. Es war, als ob Lobo es erwartet hätte. Obwohl er seinen Revolver viel später zog, war er schneller als Achat...
Der glühende Ball der Sonne tauchte im fernen Meer unter. Die Dunkelheit kam schnell, fast über
gangslos. Sie brachte nicht die er hoffte Abkühlung. Lobo schmeckte den feinen Staub auf der Zunge. Sein durchschwitztes Baumwollhemd klebte am Körper fest. Er dachte an klares, kaltes Wasser, an kühles Bier und an das Mädchen mit den runden, festen Brüsten, das mit Black Jack Rody aus dem Raum getreten war. Rody, immer wieder Rody. Dieser Name nagte wie ein böser Wurm in seinem Kopf. Er würde ihn nie dar aus verbannen können. Er mußte Rody stellen. Von ihm selbst hören, was er von Nick Achat gehört hatte. Und d a n n . . . Lobo wußte, wie es enden würde. Einen von ihnen beiden würden sie hier verscharren. Er würde zur Ar mee der vergessenen Toten gehören wie Nick Achat. Die ersten Hütten von Santo Tor nas wirkten wie verwischende Kleckse in der Dunkelheit, die sie einrahmte. Der Ort bot das gleiche Bild wie am Abend vorher. Ausge storben, verlassen, tot. Lobo hielt an. Er zog das Pferd, über dessem Sattel der tote Achat lag, heran. Mit einem leichten Schlag auf die Hinterhand trieb er es an. Das Tier trabte gemächlich die Straße hinunter. Manchmal blieb es stehen, blickte sich um und trabte weiter. In der Mitte des Ortes hielt es an. Hier irgendwo mußte ein Stall sein, an den es sich bereits gewöhnt hatte. Die klappernden Pferdehufe hat ten ein paar Leute auf die Straße ge lockt. Ein Toter, das war nichts Be sonderes, aber ein toter Gringo, das erregte Aufsehen. Lobo tauchte in der Finsternis un ter. Er ritt einen weiten Bogen und erreichte so den Platz in der flachen Mulde. Die wenigen Lichter von Santo Tornas reichten nicht aus, um ihn mehr als huschende Gestalten erkennen zu lassen. Wortfetzen flo gen zu ihm herauf. Zwei Männer hielten Lampen hoch, die Black Jack
Rody anstrahlten. Groß und hager stand er inmitten einer Gruppe von Mexikanern. Seine sonst so sanfte Stimme war schrill und scharf, seine Bewegungen hastig, nervös. Seine kühle Gelassenheit war dahin. Nick Achat tot. Rody brauchte nicht zu ra ten, wer Achat getötet hatte, er wuß te es. Sie hoben Achat vom Pferd. Ir gendwo außerhalb des Lichtscheines würden sie ihn ausplündern. Nichts würden sie ihm lassen, noch nicht einmal das Hemd. Jemand brachte Rodys Pferd. Ein Mexikaner saß bereits im Sattel von Achats Wallach. Vier weitere Mexi kaner trabten auf Mauleseln heran. Sie alle umringten Black Jack Rody. Sie erwarteten seine Befehle - und den hohen Lohn für ihre Bereit schaft. Das große Treiben beginnt, dachte Lobo. Er rutschte vom Rande des kleinen Walles zurück. Rody ritt mit den Mexikanern aus der Stadt. Sie würden in den Bergen suchen. Eine logische Schlußfolgerung. Bei Ta gesanbruch würden sie auf die Spur des Halbblutes stoßen. Sie würden ihr folgen und bald wissen, wo er sich verborgen hielt. Einen Zusammen stoß mit den Mexikanern konnte sich Lobo nicht leisten. Wenn er auch ihre Kampfmoral nicht sonderlich hoch einschätzte, aber sie waren zu viele, und Rody war bei ihnen. Santo Tornas versank wieder in ein träges Nichtstun. Die Aufregung um den toten Nick Achat war nur kurz. Die Straße leerte sich. Lobo betrachtete mit Besorgnis seinen leeren Proviantsack. Er brauchte Verpflegung und frisches Wasser. Die Möglichkeit, daß er in die Berge ausweichen mußte, lag nahe. Er erinnerte sich an einen klei nen Laden, den er bei seinem nächt lichen Besuch gesehen hatte. Das Ri siko war groß, aber er mußte es wa gen. Irgendwo im Hause flackerte ein 51
verstecktes Licht. Es roch nach Pe troleum und ranzigem Fett. Lobo drückte die nur angelehnte Tür et was weiter auf. Er hörte Stimmen. Zwei Männer redeten miteinander. Nicht sehr laut, aber so, daß er sie verstehen konnte. Es ging um Geld, um Kopfgeld, um seinen Kopf. Lobo spürte, wie ihm die Haut eng wurde. Black Jack Rody hatte ihn verkauft, für eintausend Dollar. Aber noch hatten sie ihn nicht, noch war er sehr lebendig, und Lobo hoff te, es auch zu bleiben. Aber dazu brauchte er erst einmal Verpflegung. Er tastete sich dem Licht entgegen. Die Stimmen hinter der schief in den Angeln hängenden Tür verstumm ten. Lobo stieß sie auf, die durchgela dene Winchester im Arm. „Hallo, Amigos." Sie starrten ihn an. Zuerst über rascht, aber als sie das Halbblut er kannten, kalt und böse. Einer von ih nen saß faul zurückgelehnt auf ei nem Stuhl. Der andere hatte beide Hände auf einen wackligen Tisch ge stützt. Jetzt nahm er sie herunter. Lobo richtete den Lauf der Winche ster auf ihn. „Laß die Hände, wo sie sind. Und du, steh auf." „Was willst du, Halbblut?" „Verpflegung. Speck und Bohnen, Salz und Kaffee und Mehl." „Wir haben nichts." „Nein?" Lobo stieß dem Mann am Tisch den Lauf in den Magen. Mit der linken Hand zog er ein paar Dollar scheine aus der Hemdtasche. „Damit kann ich den ganzen armseligen La den leerkaufen." Sie sahen sich an. Der jüngere von ihnen, nicht älter als zwanzig, griff nach der Lampe. Der andere strich schnell das Geld ein. „Laß die Lampe, wo sie ist." Er warf dem Jungen seinen Proviant sack zu. „Du nimmst die Lampe." Er stieß den Mann mit dem Gewehrlauf an. Der Mexikaner drehte sich halb zu Lobo herum. „Du bist ein teurer Mann, Halbblut. Señor Rody bist du 52
eintausend Dollar wert." „Und du möchtest sie dir verdie nen." „Wir sind arm, Halbblut." „Ja", sagte Lobo, „aber ich zahle dir einen guten Preis für wenige und schlechte Ware. Los jetzt, pack ein!" Der Junge machte eine blitz schnelle Drehung. Er schleuderte Lobo den leeren Proviantsack entge gen. Der duckte sich ab. Die spitze Klinge eines Messers riß den Ärmel seines Hemdes auf. Sie ritzte seinen Arm. Lobo krümmte den Finger. Der Donner des Schusses erschütterte die ganze Hütte. Der Aufschlag der Ku gel warf den Jungen an die Wand. Er starrte Lobo aus dunklen Augen an. Der ältere Mexikaner rannte gegen den Lauf von Lobos Winchester. „Du hast ihn getötet, Halbblut!" „Ich habe ihn gewarnt", sagte Lobo, „außerdem ist er nicht tot." Er raffte in aller Eile ein paar Sachen zusam men. Für einen kurzen Augenblick mußte er den Mexikaner sich selbst überlassen. Als er den Kopf schnell wieder hob, schleuderte ihm der Mann die Lampe entgegen. Lobo konnte sich abducken. Die Lampe zerbarst an einem Regal. In Sekun denschnelle züngelten Flammen hoch. Lobo rannte zur Tür. Der Schuß hatte das schlafende Santo Tomas geweckt. Er prallte mit einem her einstürmenden Mann zusammen. Der Kolben der Winchester warf den Mann auf die Straße zurück. Lobo riß den Revolver heraus. Ir gendwo wurde ein Sharpsgewehr abgefeuert. Das übergroße, schwere Geschoß riß eine Hauswand auf. Lobo versank im Schatten der Nacht. Er hetzte den Hang hinauf. Die ver zweifelten Schreie der Männer blie ben zurück, ihre Flüche, mit denen sie ihren Haß entluden. Lobo band den nur wenig gefüllten Proviantsack hinter dem Sattel fest. Er zurrte die Gurte an, saß auf und ritt ziellos durch eine wesenlose
Mondlandschaft.
Die Sierra Juarez war ein steiniges Hügelland mit schroffen Schluchten. Eng, felsig und sehr heiß, ohne Was ser. Lobo hatte sich nicht sehr weit von Santo Tornas entfernt. Vier, viel leicht fünf Meilen. Der Ort zog ihn an wie das Aas die Fliegen. Dort würde er Black Jack Rody treffen, dort gab es Wasser. Es gab viele Dinge, die Lobo lockten. Doch über allem stand sein Wille, eine Entscheidung zu er zwingen. Gegen Mittag näherte er sich Santo Tornas von Süden. Er war einen wei ten Bogen geritten. Es gab nirgends eine Spur von Rody und seinem Auf gebot. Das machte das Halbblut ein wenig sorglos. Er hakte die Wasser flasche aus. Es war nur noch ein klei ner Schluck einer kaum genießbaren Brühe, die er durch die Kehle laufen
ließ. Von einem Hang hinter ihm pol terte loses Geröll nach unten. Lobo verharrte wie zu Stein er starrt. Er wartete auf eine Stimme, auf eine Aufforderung. Aber nichts geschah. Langsam drehte er sich um, stieg ab und begann, sich den Hang hinaufzuarbeiten. Lobo bewegte sich lautlos wie eine Raubkatze. Das Sonnenlicht spiegel te sich im Lauf eines Gewehres. Zu erst sah Lobo einen spitzen Hut, dann ein Gesicht, aus dem ihm ein Paar Augen entgegenfunkelten. Der Gewehrlauf verschwand. Eine Stimme durchbrach die Stille. „Laß deinen Revolver stecken, Halbblut." Der Mann richtete sich auf. Er war nicht mehr jung. Sein Gesicht war aus vielen Gründen fal tig. Lobo blieb stehen, still und abwar tend. Der Mann sagte: „Wenn ich das wollte, hätte ich dich töten können. Du hast zu wenig auf dich selbst ge achtet, Halbblut."
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„Wer bist du?" • „Ein Niemand." „Auch ein Niemand hat einen Na men." „Gewiß. Alle Menschen haben ei nen Namen. Sie nennen mich Mi guel." Der Mann rutschte den Hang herunter. Lobo betrachtete ihn miß trauisch. Irgend etwas gefiel ihm nicht an dem Mexikaner. Er suchte den oberen Rand des Hanges ab, blickte zurück und sah dann wieder Miguel an. „Du hast eben eintau send Dollar verschenkt, Amigo." Lobo grinste ein bißchen. Der Mexikaner nickte sehr ernst haft. „Ich weiß. Aber eintausend Dollar sind nicht genug." „Nein? Was willst du eigentlich?" „Alles!" Das hatte Lobo erwartet. Sein Blick fiel auf die Waffe in den Hän den des Mexikaners. Eine Henry Rifle Modell 60. Miguel war seinem Blick gefolgt. „Sie gehörte dem Mann, den du getötet hast." Er zeigte
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den Hang hinauf. „Dort hinten steht auch das Pferd. Alles gehört jetzt mir." „Fein, und was willst du von mir?" Lobo trat einen Schritt zurück. Die ser Mexikaner war kein Mann, der Vertrauen ausstrahlte. „Ich sagte es, alles. Du wirst mir dabei helfen." „Das ist ziemlich leicht, was? Wes halb gehst du nicht einfach hin und erschießt Black Jack Rody, nimmst dir, was du haben willst, und haust dann ab. Weshalb nicht?" Der Mexikaner zeigte sich wenig beeindruckt. Sein faltiges Gesicht mühte sich um ein Lächeln. Er be trachtete Lobo sehr intensiv. „Ich habe alle Chancen abgewogen. Für mich gibt es keine Chance, es sei denn, ich komme nahe genug an Rody heran, um ihn von hinten zu er schießen. Aber auch dann wäre er noch gut genug, seine Waffe gegen mich abzudrücken." Er seufzte. „Rody", sagte er, „ist schnell mit der
Waffe, verschlagen, und er steckt voller Tricks. Er ist gefährlicher als ein ganzes Nest voller Klapper schlangen. Ich habe ihn lange be obachtet. Ich kenne ihn. Vielleicht nicht so gut wie du, aber gut genug, um zu wissen, zu was er fähig ist." „Das alles sind deine Probleme, Amigo", erwiderte Lobo trocken. „Wie die Dinge liegen, gibt es kaum eine Möglichkeit, bis auf zwanzig Schritte an Rody heranzukommen. Dafür sorgen schon deine Leute." „Du hättest nicht auf José schießen sollen, Halbblut. Wir mögen keine Gringos. Halbindianer lieben wir nicht, wir hassen sie auch nicht. Aber du hast auf einen unserer Männer geschossen. Dafür hassen sie dich." „Und du liebst mich, Miguel, nicht wahr?" Lobo grinste den Mexikaner breit an. Aber in diesem Grinsen war keine Freude. Es war kalt. „Dieser José wollte mich töten. Und das alles für einen Gringo, den niemand mag. Nein, nein, Amigo. Deine Leute sind geldgierige Hyänen, und du bist am gierigsten. Sie begnügen sich mit eintausend Dollar. Du willst alles. Du verrätst deine Leute, und du wirst auch mich verraten. Schlimmer noch, du wirst mich umlegen. Ich be deute dir nichts. Niemand bedeutet dir etwas. Du bist ein Mann, der nur an sich denkt, an Geld, für das ande re morden sollen. Kein Geschäft für mich." „Hör mal zu, Halbblut." Die Stim me des Mexikaners wurde lauernd. In seinem Blick war etwas, das Lobo warnte. Es war der kalte, tödliche Blick einer Viper. Ein dünner Pfiff brach über seine Lippen. Er rollte den Hang hinauf. Lobo wirbelte herum. Er starrte in die Mündungen zweier Gewehre, die sich auf ihn richteten. „Hör mal zu", wiederholte. Miguel, „du bist Hunderte von Meilen gerit ten. Du bist hinter den Männern her, die in Santo Tornas eingebrochen sind wie Wölfe. Du wirst deine Grün
de haben. Du hast einen von ihnen getötet. Das ist nicht genug. Du willst auch den anderen töten. Deshalb kriechst du durch die Berge, du suchst deine Chance, aber du wirst sie nie bekommen, nie, es sei denn, du schlägst in mein Geschäft ein." „Und wenn ich das nicht tue?" Miguel lachte. „Dann werden mei ne Freunde und ich erst einmal ein tausend Dollar kassieren." „Ja", sagte Lobo, „das werdet ihr wohl. Was ist das für ein Geschäft?" Er blickte den Hang hinauf, über dessen oberen Rand immer noch die beiden Mündungen auf ihn gerichtet waren. „Du kannst schon einen Mann überzeugen, Miguel. Was ist das für ein Geschäft?" Lobo erinnerte sich plötzlich, daß ein Mexikaner auf Achats Pferd mit Rody geritten war. Miguel. Aber wie hatte es dieser Kerl geschafft, sich von Rody zu lösen? Eines wußte Lobo, dieser Miguel war schlüpfrig wie ein Aal, zu schlüpfrig, um ihn festzuhalten. Er war der Ausbund aller Gemeinheiten. „Du wirst mit mir nach Santo Tor nas reiten, Halbblut." Lobo schüttelte den Kopf. „Dir fällt aber auch gar nichts Gutes ein, Ami go. Ich reite also mit dir nach Santo Tornas, um mich in aller Ruhe ab schlachten zu lassen." „Santo Tornas ist friedlich wie ein schlafender Engel." „So friedlich wie du und die beiden Schurken, die den Finger am Abzug haben, um mich auf einen Wink von dir zu durchlöchern." „Du bist sehr mißtrauisch, Halb blut." In der Stimme des Mexikaners lag Ärger und Unmut. „Niemand hat die Absicht, dich zu töten, nicht, wenn ich es nicht will." „Das ist ungemein beruhigend. Was geschieht, wenn wir in Santo Tomas sind?" Miguel zuckte mit den Schultern. „Nichts. Wir werden warten. Der Gringo wird zurückkommen. Viel 55
leicht heute, vielleicht morgen. Er wird zurückkommen, weil er glaubt, daß du seinen Partner ausgeraubt hast. Er will das Geld." „Und du hast es bereits. Und jetzt willst du auch noch Black Jack Ro dys Geld. Um das zu bekommen, bin ich dir gerade noch gut genug." „So ist es, Halbblut. Du hast leider keine Wahl. Komm jetzt." Einer der beiden Heckenschützen zog den Wallach den Hang herunter. Miguel sagte: „Du wirst vor mir rei ten, Halbblut. Laß dir nichts Dum mes einfallen." Santo Tornas schlummerte träge in den Tag. Es gab nichts Aufregen des, kaum jemand, der Interesse zeigte. Hinter Lobo sagte der Mexi kaner: „Halte hier an." Er zeigte auf eine baufällige Hütte, deren Obersei te von Wellblechtafeln gekrönt wur de, der Teufel mochte wissen, wie sie dahingekommen waren. „Da hinein, Halbblut." Eine muffige Dämmerung empfing Lobo. Die Luft war abgestanden. Es roch faul. Links von der Tür waren ein paar Bretter zu einer Art Regal zusammengeschlagen. An der Rück wand, unter einem Loch, das als Fen ster gedacht war, lag eine Matratze. In der Mitte stand etwas auf vier Holzbeinen, das einen Tisch darstel len sollte. „Hübsch gemütlich hier, Amigo." Lobo grinste den Mexikaner an. Miguel blieb nahe der Tür stehen. „Versuch gar nicht erst, wegzulau fen. Es hätte keinen Sinn. Du wür dest nur unnütz Kräfte vergeuden." Er verschwand. Das Halbblut rollte eine Zigarette und rauchte, weil ihm nichts besseres einfiel. Miguel kam nach ein paar Minuten zurück. Er brachte Mais brot, kaltes Schafsfleisch und einen großen Krug mit Wasser - dachte Lobo. Er trank, verschluckte sich, hustete und spuckte aus. Seine Au gen tränten. „Willst du mich umbrin gen, Mann?" Die Luft stockte ihm in 56
der Kehle. Miguel nahm ihm den Krug ab. Er setzte ihn an die Lippen. Lobo hörte, wie der scharfe Schnaps durch seine Gurgel gluckerte. Der Mexikaner wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. Ein wohltuendes Rülpsen schloß diesen Akt ab. Er schielte schräg zu Lobo hinüber. „Wenn dir Wasser lieber ist, ich wer de dir welches bringen." Er ver schwand und kam zurück, als hätte er es nur eben um die Ecke geholt. Er zeigte auf zwei umgestürzte Kisten. „Mach dir's bequem, Halbblut." Lobo hockte sich auf den Boden. Die Zeit tropfte dahin, sie konnte ihm nichts mehr anhaben. Hier war, alles zeitlos. Die Tage und die Nächte und die Menschen. Die Dunkelheit kam. Vor der Hütte scharrten nackte Füße. Miguel ging hinaus. Lobo hör te leises Reden. Schatten verfinster ten das graue Loch des Einganges. Ein langer, scharfer Atemzug, fast ein Pfeifen, traf das Halbblut. Miguel sagte: „Der Gringo, den du Black Jack Rody nennst, wird noch vor dem Morgen in Santo Tornas sein. Du hast eine ganze Nacht Zeit zu überlegen. Überleg aber gut." „Es gibt nichts zu überlegen. Du hast die besseren Trümpfe, also wirst du dieses Spiel gewinnen, Amigo." „Ich hoffe es für dich, Halbblut." Der Mexikaner setzte sich auf eine der beiden Kisten. Die Henry Rifle lag in seiner Armbeuge, der Finger am Abzug. „Endlich mal eine ruhige Nacht", sagte Lobo. Er streckte sich auf dem harten Boden aus.
Lobo brauchte nicht geweckt zu werden. Er hatte die huschenden Schritte vor der Hütte gehört, gese hen, wie Miguel hinausschlüpfte. Ei ne graue Helligkeit kroch durch die geöffnete Tür und durch das Loch in der Rückwand. Der Mexikaner kam
mit zwei anderen zurück. Seine Au gen waren halb geschlossen. Er nick te zu dem Halbblut hin. „Paßt auf ihn auf und erschießt ihn, wenn er Schwierigkeiten macht." Er reichte einem der Männer einen Coltrevol ver, der vorher einmal Nick Achat gehört hatte. Lobo richtete sich ganz auf. „Das ist aber eine ziemlich miese Art von Gastfreundschaft, Amigo." „Sei nur still und verhalte dich ru hig. Wenn das Geschäft abgeschlos sen ist, bist du für mich und meine Leute ohne Interesse." „Ich glaube", sagte Lobo, „hier stinkt's, und zwar ganz gewaltig." Ein müdes Lächeln verzog Miguels Lippen. „Nimm nicht alles so schwer, Halbblut." Er trat auf Lobo zu. „Am besten, du gibst mir deinen Revolver. Nur zur Vorsicht, verstehst du?" „Komm her und hol ihn dir", sagte Lobo. Miguels Gesicht glänzte ein biß chen, so, als ob er schwitzte. Ihre Blicke trafen aufeinander. Der Me xikaner drehte sich um. Lobo überholte ihn an der Tür. Er ging schnell hinaus, zog die Winche ster aus dem Scabbard und kehrte in die Hütte zurück. „Auch nur zur Vor sicht, Miguel." Die beiden Männer waren rechht traurige Gestalten. Lobo hätte ge wettet, daß sie noch nie einen richti gen Revolver in der Hand gehalten hatten. Aber gerade das machte sie so gefährlich. Einer von ihnen hielt den Finger direkt am Drücker. Miguels Absicht lag wie ein aufge schlagenes Buch vor Lobo. Dieser ausgekochte Hurensohn wollte nicht nur Rody aus der Welt schaffen, son dern auch ihn. Es wurde Lobo immer mehr bewußt, daß er auf keinen Fall Black Jack Rody ausschalten durfte. In dem Moment, wo er gegen Rody ziehen würde, würde ihn Miguel ab knallen. Lobo spuckte aus, der bittere Ge schmack auf der Zunge blieb. Sollte
es ihm wirklich gelingen, mit Rody aus dem friedlich dahinschlummern den Santo Tornas zu entkommen, ging der ganze Spaß wieder von vor ne los. Der Spaß mit Black Jack Rody. Miguel kam zurück. Lobo war ei gentlich froh darüber. Das faltige Gesicht des Mexikaners war aufge wühlt. Die Muskeln darin zuckten nervös. Seine Kinnbacken klappten herunter, sie bewegten sich fast ruck artig. Er sprach so langsam, als müsse er jedes einzelne Wort erst er finden. „Rody reitet soeben in Santo Tor nas ein. Ich hoffe, du bist gut genug, um ihn mit dem ersten Schuß zu er ledigen. Stell dich mitten auf die Straße, Halbblut." Miguel wollte schlucken. Seine Kehle war völlig ausgetrocknet. Das, was er hier in szeniert hatte, überstieg offenbar sein eigenes Vorstellungsvermögen. Er war den Dingen nicht mehr gewach sen. Seine Hände zitterten, als er ei nem der Männer den Revolver weg nahm. „Geh jetzt", sagte er rauh. Der Lauf der Waffe bohrte sich in Lobos Rücken. Lobo trat auf die Straße. Der Him mel hatte einen bläulichen Glanz. Es würde ein heißer Tag werden. Heiß in allen Beziehungen. Etwa fünfzig Yards die Straße weiter hinunter standen links und rechts je ein Mann. Als Lobo die Straßenmitte erreicht hatte, zogen sie sich in den Schatten der Häuser zurück. Weiter unten tauchte ein einzelner Reiter auf. In seiner hohen, schmalen Gestalt war er unverkennbar. Black Jack Rody. Miguel hatte sich an die Hüttenwand gedrückt. Seine Fäuste hielten die Henry Rifle umkrampft. Nick Achats Revolver steckte sehr lose im Halfter. Miguel schwitzte. Der Schweiß lief in kleinen Bächen durch die Falten seines Gesichtes. Black Jack Rody hielt ruckartig an. Seine hohe Gestalt streckte sich. 57
der Kopf stieß nach vorn. Selbst auf diese Entfernung glaubte Lobo so et was wie Überraschung in Rodys Zü gen zu sehen. Nur Überraschung, mehr nicht. Über ganz Santo Tornas lag eine Atmosphäre der Feindseligkeit. Lobo sah schnell zu Miguel hinüber. In dessen zusammengekniffenen Augen lag noch etwas und wartete. Eine Boshaftigkeit, vielleicht eine letzte Überwindung. Rody hatte sein Pferd wieder lang sam in Bewegung gesetzt. Es kroch daher wie eine Schnecke über Sand. Die beiden Mexikaner im Häuser schatten regten sich. Sie traten einen Schritt zu weit nach vorn. Die Sonne traf den matten Lauf ihrer Gewehre. An der Hüttenwand hob Miguel die Henry Rifle. Jetzt, dachte Lobo, jetzt, oder ich bin in einer Sekunde ein toter Mann. „Vorsicht, Jack!" Seine Stimme klang schrill und sehr hoch. Rody reagierte blitzschnell. Es war kaum mehr als ein Reflex. Sein Revolver spuckte eine Kugel gegen den einen Mann an der Hauswand. Lobo warf sich nach vorn. Das Ge schoß aus Miguels Henry Rifle zer fetzte sein Hemd und zog eine bren nende Schramme über seine Rippen. Lobo hatte fast gleichzeitig mit dem Mexikaner geschossen. Seine Kugel warf Miguel an die Wand zu rück. Der zweite Mexikaner an der ge genüberliegenden Hauswand feuer te sein Sharpsgewehr ab. Der Rück stoß der schweren Waffe warf ihn fast auf den Boden. Rodys Pferd brach mit allen vier Beinen zugleich ein. Noch im Sturz feuerte Rody zu rück. Lobo hatte seinen Falben und den Wallach am Zügel. „Lauf, Mann!" schrie er die Straße hinunter. Er feu erte in Miguels Hütte. Dann flog er herum und bestrich die Straße mit den Kugeln seiner Winchester. Black Jack Rody hatte sich aus 58
dem Staub gezogen. Er humpelte und hatte Mühe, die wenigen Yards bis zu Lobo zu überwinden. Das Halbblut warf ihm die Zügel des Wallachs zu. Schon im Sattel, feuerte er blindlings die Straße hin unter. Santo Tornas war jetzt von einer nicht zu unterschätzenden Leben digkeit. Überall aus den Hütten kro chen Männer. Sie hatten Waffen, alte Vorderlader, Macheten und lange, krumme Säbel. Rody hatte seinen Revolver leergeschossen. Er blickte zu Lobo hinüber und grinste ein we nig müde. „Reite schon los, verdammt!" Auch Lobo hatte die letzten Kugeln aus Revolver und Winchester abgefeu ert. Dicht neben Rody galoppierte er die Straße hinunter. Am Westaus gang von Santo Tornas verstellte ih nen ein halbes Dutzend Mexikaner den Weg. Lobo ließ den Kolben der Winchester kreisen. Er hörte Schmerzensschreie und Flüche, die ihn erröten ließen. Sie hatten es geschafft. Vor ihnen lag die Sierra Juarez, und weit oben im Norden Yuma.
Sie ritten nebeneinander wie alte Freunde. Gelegentlich trafen sich ihre Blicke. Einmal hielt Rody an. Er faßte an sein rechtes Knie. „Beim Sturz bin ich draufgefallen. Es tut verteufelt weh." „Du wirst es überwinden, Jack." Jetzt, aus dem Gefahrenbereich der Mexikaner, arbeitete Lobos Gehirn wieder normal. Von Rody unbe merkt, hatte er den Army Colt nach geladen. Auch der schwarze Jack be sann sich seines Revolvers. Er griff danach. Das Halbblut richtete seine Waffe auf ihn. „Laß nur stecken, Jack. Den brauchst du nicht mehr." „Was soll das bedeuten?" In Rodys Augen flackerte Vorsicht und Miß
trauen. „Du holst mich aus der Hölle, mal so ruhige, sanfte Stimme war verhinderst, daß man mich abknallt, nur noch ein mühsames Kratzen. „Was hast du vor, Lobo?" und jetzt das?" „Eigentlich", sagte Lobo, „bin ich „Na was schon? Ich sagte doch, zu nach Santo Tornas gekommen, um erst wollte ich dich töten. Aber das dich zu töten, Jack." wäre zu einfach. Ich werde dich nach „Und weshalb hast du mich nicht Yuma bringen, zu Captain Irvin McGinnest. Er versteht sein Ge getötet?" „Weil ich selbst gern noch etwas le schäft. Ich habe ihm dabei zugese ben möchte. Ich hatte diesen Miguel hen, Jack." durchschaut. Er hat mich gegen dich „Und du glaubst, du schaffst das?" gehetzt. In dem Augenblick, in dem Rody quälte sich ein Grinsen ab. Er ich dich erschossen hätte, wäre ich versuchte, kühl zu bleiben, Gleich selbst tot gewesen. Dieser Miguel gültigkeit zu zeigen. Es blieb bei dem war ein ausgekochter Schurke. Nur Versuch. seine Nerven waren schwach." „Aber natürlich, Jack. Und wenn Rody starrte Lobo aus seinen ich dir einen Strick um den Bauch schwarzen Augen an, in denen klei binden müßte, um dich dahin zu ne, helle Fünkchen tanzten. Seine schleifen." linke Hand lag, wie um sich zu beru „Aber weshalb nur, Lobo?" higen, auf dem Kolben des leerge Im Blick des Halbblutes lag ein schossenen Revolvers. wenig Verwunderung. „Weshalb „Ich muß nach Santo Tornas zu hast du Achat auf mich gehetzt, rück", sagte er unvermittelt. Jack?" „Du möchtest", erwiderte Lobo ein „Hat er das gesagt?" wenig spöttisch, „und ich kenne dei „Ja, noch viel mehr." ne Gründe." Rody schüttelte den Kopf. „Es war „Hör zu, Lobo, in diesem verlore nen Nest liegt soviel Geld, daß du ei nicht meine Idee. Glaub mir das. ne ganze Woche brauchtest, um es zu Achat ist einer von der Sorte, die al les hassen, was nicht weiß ist." zählen." „Lügen sind geduldig, Jack. Es ist „Laß gut sein, Jack, auch das Geld sinnlos. Spar dir deinen Atem." brauchst du nicht mehr, so wenig, Die Dunkelheit hing schwer über wie Achat es braucht. Du brauchst dem Land. An einem Wasserloch einen Strick, und den wirst du be schlugen sie ihr Nachtcamp auf. kommen." Rody hockte am Boden. Er hatte die „Bist du verrückt?" Beine an seinen langen Leib gezogen „Keineswegs. Ich wußte schon im und die Arme darum verschränkt. mer, daß du trübe Geschäfte be Seine schwarzen Augen beobachte treibst. Aber seit Yuma weiß ich ten jede Bewegung des Halbblutes. auch, daß du ein Killer bist. Ich habe Black Jack Rody witterte seine dich einmal hoch eingeschätzt. Viel Chance. Die Nacht bot sie ihm. Auch zu hoch. Dabei bist du doch nur ein ein Mann wie das Halbblut mußte mieser, kleiner Gauner, dem es einmal schlafen. nichts ausmacht, wenn seine Partner Es war, als hätte Lobo die Gedan gehängt werden, der sie sogar selbst ken Rodys von den Sternen abgele dem Henker ausliefert." Lobo schüt sen. Er trat von hinten zu ihm. „Steh telte den Kopf. „Was mag wohl in ei auf, Jack." nem Manne wie dir vorgehen, Jack?" „Weshalb?" Black Jack Rody hatte kaum noch „Weil ich es will!" Speichel im Munde. Das machte ihm Rody bemühte sich, auf die Beine das Sprechen so schwer. Seine ein zu gelangen. Sein Knie schmerzte. Er 59
knickte wieder ein. Aus der Hock stellung heraus sagte er: „Das ergibt doch alles keinen Sinn, Lobo. Wir ha ben uns vor nicht all zu langer Zeit einmal gegenseitig aus der Scheiße geholfen. Wir waren so was wie Partner Das verpflichtet doch, Mann." „Deine Partnerschaft merke ich heute noch im Schädel. Steh endlich auf, verflucht!" Er griff Rody unter die Arme, versuchte, ihn hochzuzer ren. In diesem Augenblick stieß sich Rody ab und wirbelte herum. Mit beiden Fäusten zugleich drosch er in Lobos Gesicht. Seine schlanken, kräftigen Finger rutschten an Lobos Hals. Sie drückten zu. Das Halbblut spürte, wie ihm die Luft ausging. Es waren nicht die Sterne, die am Himmel tanzten, son dern die vor seinen Augen. Er mühte sich, Rodys Finger um seinen Hals aufzudrücken. Er schaffte es nur halb, aber weit genug, um wieder Luft zu bekommen. Er ließ sich ur plötzlich fallen und stieß ebenso plötzlich wieder hoch. Seine linke Hand krallte sich in Rodys Haare. Sie riß dessen Kopf zurück. Seine Rechte traf die Nase des Revolvermannes. Das Wasser schoß in Rodys Augen. Es machte ihn für Sekunden blind. Er preßte beide Hände gegen das Ge sicht. Da schlug Lobo zu. Einmal, zweimal und noch einmal. Der große Mann fiel in sich zusammen. Er rollte über den Boden, dann streckte er sich und blieb liegen. Lobo atmete heftig. Er sah auf Black Jack Rody hinab, starr, sein Blick schien gefroren. Mit unendli cher Langsamkeit löste er den Blick von dem Mann, der ein wenig ver krümmt vor ihm lag. Seine Gedan ken, angetrieben von seinen Gefüh len, machten einen gewaltigen Sprung. „Yuma ist weit", murmelte er in ei nem unbewußten Selbstgespräch, „so unendlich weit." 60
Das Halbblut erschrak vor seinen eigenen Gedanken. Er wischte sie mit einen Fluch hinweg. Seine Hän de waren ganz ruhig, als er Black Jack Rody Hände und Füße mit Le derriemen zusammenschnürte.
Die Helligkeit strömte über die Sierra Juarez wie Wasser durch ei nen geborstenen Damm. Sie ritten schweigend, verbissen in Gedanken, die vom Haß bestimmt wurden. Und Yuma kam näher. Mit jedem Huf schlag der Pferde rückte es heran. Die Nacht war noch nicht weit genug fortgeschritten. Die fernen Lichter lockten. Black Jack Rody hielt unvermit telt den Wallach an. Lobo zügelte dicht neben ihm. Er beobachtete Rody. Etwas blitzte in Rodys Augen und erlosch sofort wieder. Er saß sehr still. Seine Stimme war müde, als er sagte: „Es hat wohl keinen Sinn, dich zu bitten, dieses Spiel zu beenden, was?" „Nein", sagte Lobo, „keinen, Jack." „Aber weshalb, verdammt? Was nützt es dir?" „Es nützt soviel, daß die Welt einen Schurken weniger hat. Und das ist eine ganze Menge." Black Jack Rody bäumte sich noch einmal auf, aber der Blick aus seinen schwarzen Augen war leer und krank. Er rutschte in den Sattel zu rück. Ermattet, am Ende seiner Kräfte. „Ich bin nicht dein Richter, Jack." „Nein. Aber du weißt, daß sie mir keine Chance geben." Lobo nickte zu Rody hin. „So wird es sein. Ein schlechtes Geschäft, Jack. Wenn du zusammenrechnest, bleibt unter dem Strich nur der Strick. Ein höllisch schlechtes Ge schäft." Das Armeecamp bestand aus ein paar aus Stämmen zusammengefüg ten Blockhütten. Es wurde von ei
nem hohen Zaun umspannt. Ein Tor, so breit, daß man bequem eine Herde texanischer. Longhorns hin durchtreiben konnte, wurde von zwei Soldaten bewacht. „Wer seid ihr?" „Lobo, das Halbblut, und noch ein Mann. Ruf den Captain, ich muß ihn sprechen." Die beiden Soldaten tuschelten zu sammen. Einer lachte. „Das geht schlecht, Halbblut. Vielleicht morgen früh." „Jetzt sofort!" „Es ist wohl sehr wichtig, was?" Ei ner der Soldaten schlurfte vom Tor fort. Nicht sehr schnell, sehr unmili tärisch. Der andere fragte: „Wer ist der andere, Halbblut?" „Rody, Black Jack Rody." Der Soldat pfiff durch die Zähne. Rody versuchte, mit den Sporen den Wallach herumzudrücken. Lobo zerrte das Tier zurück. Ein Fluch auf Rodys Lippen verhauchte. Lobo sag te scharf: „Mach endlich auf, Mann! Ich bin nicht von Santo Tornas her aufgeritten, um Rody im letzten Au genblick entkommen zu lassen." „Du hättest ja früher sagen kön nen, daß das Rody ist." Ein weiter Flügel des Tores beweg te sich. Lobo trieb den Wallach mit einem leichten Schlag an. Im hinte ren Teil des Camps flammten Lichter auf. Um die größte der Blockhütte lief eine Veranda. Auf ihr stand ein Mann, nicht sehr groß, hager. Er trug
eine blaue, engsitzende Hose, ein ro tes verwaschenes Unterhemd, dar über breite Hosenträger. Mit der ei nen Hand stützte er sich auf das Ve randageländer, die andere hielt einen Stock. „Komm her, Halbblut!" Seine Stimme war knarrend, ein wenig ro stig. Lobo ritt hinüber. Den Wallach mit Rody im Sattel am Zügel. Captain McGinnest bewegte sich nicht. Er stand, als wäre er an diesem Platz festgepflockt. Nur seine lebhaften, dunklen Augen zeigten Leben. „Black Jack Rody", sagte Lobo. „Ich weiß. Weshalb hast du ihn hergebracht?" „Das ist eine lange Geschichte." „Behalte sie für dich." Er rief nach Sergeant Torring, der auf dem Hof stand und mit ein paar Soldaten re dete. „Sperren Sie ihn ein, Torring." Lobo wandte sich Rody zu. „So muß das wohl sein, Jack. Das Schlimme ist, ich empfinde noch nicht einmal Bedauern." Zwei Soldaten hoben Rody vom Pferd. Captain McGinnest klopfte auf sein rechtes Bein. Seine Stimme traf Rody direkt. „Es ist hin, dieses Bein. Und das verdanke ich dir, Rody." McGinnest schmaler Kopf war bis obenhin mit dumpfen Gedanken vollgestopft. Rody schenkte dem Cap tain einen schnellen Blick. Was er in dessen Zügen sah, ließ den letzten
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Tropfen Hoffnung schwinden. Er lä chelte müde. „Ich habe es Ihnen nicht zerschossen, McGinnest." Der Captain ließ seine heißen, wü tenden Augen über Rody gleiten. „Nein, du nicht, aber ohne deine gott verfluchte Gier hätte ich heute noch gesunde Knochen, und eine Menge Leute wären noch am Leben. Brin gen Sie ihn weg, Torring!" McGin nest winkte Lobo heran. „Komm mit rein. Deine Kehle sieht ziemlich trok ken aus." Lobo machte eine unbestimmte Handbewegung. „Ich werde besser weiterreiten, Sir." McGinnest sah das Halbblut an. „Mach, was du willst. Hast du ein Ziel?" „Nein, Captain. Es ist wie immer. Ich lasse mich treiben." Lobo saß schon wieder im Sattel. McGinnest sagte: „Mit kaputten
Knochen taugt man nicht mehr für die Armee. Über einen Anwalt habe ich mir in San Angelo, das liegt in Te xas drüben, ein Stück Land gekauft. Dieses San Angelo soll ein ruhiger Ort sein. Wenn es dich in die Gegend treibt, schau mal herein. Ich würde mich freuen." „Ganz bestimmt, Sir." „Da wäre noch was, Halbblut. Was machen wir mit Rody? Sollen wir ihm einen Grabstein pflanzen, so wie Sheriff Brooks?" „Vergessen Sie ihn, Captain", sagte Lobo heiser. Vom Fluß herauf trieben dünne Nebel. Das breite Tor hatte sich hin ter Lobo geschlossen. Captain McGinnest stand noch auf der Ve randa. Er starrte in die Nacht. In sei nen Ohren klang der sich entfernen de Hufschlag von Lobos Falben. Sonst nichts.
Lobo nutzte seine Chance. Er trieb den Hengst an. Aus dem Stand rammte das Tier den völlig überraschten Mann. Der Mann stürzte mit einem Auf
schrei.
Lobo schnellte sich bereits aus dem Sattel, flog auf den verdutzten und be
nommenen Stallmann zu und schlug ihm die Schrotflinte aus den Händen. Er stieß die Waffe mit der Stiefelspitze fort und zog seinen Colt.
„So, mein Lieber, jetzt werden w i r . . . "
Er wirbelte herum, denn er hörte ein Geräusch und erahnte eine Bewegung hinter sich.
Da traf ihn auch schon der Hieb.
Der Schlag hatte eigentlich seinem Hinterkopf gegolten, doch Lobos Reaktion war gerade noch rechtzeitig erfolgt. Der Revolverkolben traf nur seine Schul
ter...
Lobo, der Einzelgänger, muß sich sein Recht zu leben gegen eine unerbitt
liche Umwelt immer wieder erkämpfen. Lesen Sie nächste Woche Band 113
dieser großartigen Western-Serie:
Kingmans Stadt
von John Reno