Die Abenteuer der Time-Squad XVII
Peter Terrid
Die Zeit-Invasoren
Peter Terrid · Die Zeit-Invasoren
Peter Terrid D...
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Die Abenteuer der Time-Squad XVII
Peter Terrid
Die Zeit-Invasoren
Peter Terrid · Die Zeit-Invasoren
Peter Terrid Die Abenteuer der Time-Squad 17. Heft
Terra Astra 509
Peter Terrid Die Zeit-Invasoren
Agenten der Zeitpolizei – im Brennpunkt des Konflikts zweier Universen
1981
Peter Terrid - Die Zeit-Invasoren
Es war ein gräßliches Gefühl: Man lag da, konnte sich kaum rühren und wartete ab, daß endlich etwas geschah. Um einen herum waren Männer und Frauen am Werk, diskutierten Meßergebnisse und sprachen höchst beunruhigende Sätze. »Wir müssen diesen Parameter stabiler halten! Der Energieschub kommt zu langsam.« Man konnte verrückt werden dabei. Nun, in ein paar Augenblicken würde die Sache sich erledigt haben, dann ging die Reise los. Ich lag rücklings auf der Plattform, sanft getragen von Druckluft. Sie wurde durch Tausende feiner Löcher hinaufgepreßt, damit der Körper frei im Raum schweben konnte. Die Druckluft war angenehm temperiert, es gab nichts auszusetzen. Die Projektorspitzen der Zeitmaschine allerdings, die auf meinen Körper zielten, schwarz und spitz, sahen recht bedrohlich aus. Ich wußte aber, daß sie mir nichts anhaben würden. Zur Zeitmaschine und zu der Crew von Spezialisten, die sie bedienten, hatte ich volles Vertrauen. Ich wandte den Kopf nach rechts. Dort stand das Oberhaupt der Time-Squad, Demeter Carol Washington, gemeinhin D. C. genannt. Sie sah mich kurz an, lächelte und wandte sich dann wieder ihren Tabellen zu. Wir bereiteten einen Vorstoß vor – den vielleicht gefährlichsten, der je von der Time-Squad unternommen worden war. Unser Ziel war die Erde, genauer gesagt, die Zentrale der Time-Squad. Wer Wert auf noch größere Genauigkeit des Ausdrucks legte, mußte anders formulieren – es ging zur vermutlich ehemaligen Zentrale der ehemaligen Time-Squad.
Die Abenteuer der Time-Squad XVII
Viel war geschehen in der kurzen Zeit, in der ich dieser hochgeheimen Polizeitruppe angehörte. Ursprünglich geplant und ins Leben gerufen, um dem organisierten Verbrechen, dieser Geißel der Menschheit endlich und unwiderruflich ein Ende zu bereiten, hatten sich ihre Aufgaben längst entscheidend gewandelt. Ursprünglich einmal hatten die Agenten der TimeSquad körperlos in die Vergangenheit reisen sollen, als Beobachter und exakte Zeugen eines zu klärenden Kriminalfalles. Kein noch so findig ausgetüfteltes Verbrechen war denkbar, das diese Agenten nicht im nachhinein hätten aufklären können. Geheime Kartellabsprachen? Der Mann von der Zeitschwadron schwebte entkörperlicht im Raum und merkte sich jedes Wort. Erpressung? Der Agent der Time-Squad war dabei, folgte dem Erpresser bis ins Haus und machte das Versteck des belastenden Materials ausfindig. Mord? Eine Beobachterin der Time-Squad sah zu und merkte sich Tathergang und den Verbleib der Tatwerkzeuge. Gerade dieser letzte Aufgabenbereich erforderte stählerne Nerven – der Auftrag der Zeitschwadron in diesen Fällen lautete: beobachten, nicht verhindern, so grauenvoll das auch klang. Es wurde ohnehin immer schwierig, wenn man sich mit Problemen der Zeitreise beschäftigte – die Grammatik geriet dabei völlig aus den Fugen. Auch das irdische Rechtssystem hatte sich als zu ungelenk erwiesen, mit dieser Sache fertig zu werden. Wenn A den B erschlug und deswegen verurteilt wurde – konnte die Witwe des B von der Time-Squad nicht billigerweise verlangen, daß die Zeitschwadron das Verbrechen ungeschehen machte? Und wenn dies geschah, konnte man
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den A dann für den Mord überhaupt noch verurteilen? Wäre es nicht gerechter und angemessener gewesen, die Entwicklung nachträglich zu korrigieren, die A zum Verbrecher gemacht hatte? Man kam geschwind ins Rotieren bei diesen Fragen, und in gewisser Weise war ich dem Geschick dankbar, daß es mir Kopfzerbrechen dieser Art erspart hatte. Denn längst war die Time-Squad mit wichtigeren Dingen beschäftigt. Es ging längst nicht mehr um ein paar Verbrecher, ein paar Opfer, um Mord und Totschlag. Die Größenordnungen waren gigantisch, eigentlich unvorstellbar. Wir, die Erde und die von der Erde geflüchtete Mannschaft der Time-Squad, lagen exakt im Brennpunkt eines Konflikts, den zwei Universen austrugen, nicht mehr, nicht weniger. Keiner von uns, nicht einmal D. C., deren Intelligenz so sprichwörtlich war wie ihre Schönheit, blickte völlig durch – es gab zu viele Beteiligte in diesem Konflikt, zu viele Rätsel, Fragen und Geheimnisse. D. C. trat näher. Sie lächelte zu mir herab. Ich witterte ihr herbes Parfüm. »Fertig?« fragte sie. »Es kann losgehen«, antwortete ich. Demeter gab das Zeichen. Um mich herum verschwamm die Welt in einem intensiven Rot. Das Zeitfeld wurde aufgebaut, hüllte mich ein – und ich reagierte wie immer, ich schlief ein.. Ich kam nach ein paar Sekunden wieder zu mir. Es war still. Ich lag auf der ovalen Platte der Zeitmaschine. Die Druckluft arbeitete nicht, dennoch schwebte ich. Es war das typische Phänomen einer entkörperlichten Zeitreise –
Die Abenteuer der Time-Squad XVII
man war an Ort und Stelle, schwebte über den Dingen, konnte Wände durchdringen und vielerlei tun, wenn man sich daran erinnerte, daß man keinen Körper mehr besaß. Wir hatten einmal einen Kollegen durch Angstschock verloren, als er in entkörperlichtem Zustand vergaß, daß er schweben konnte, und vom Dach eines Hochhauses fiel. Der nur in seiner Einbildung wahrhaftige Aufprall hatte den Mann auf der Stelle getötet. Es war niemand zu sehen. Ich wußte, wo ich war. In der Zentrale der TimeSquad, tief unter der Erde, in einem Talkessel der Rocky Mountains. Von hier aus waren wir zu unserer Flucht durch Raum und Zeit aufgebrochen, bis wir auf Shyftan gelandet waren und für uns die Zeit-Festung erobert hatten. Von dort hatte ich diese Rückreise angetreten. Hatte man die Time-Squad-Zentrale unbehelligt gelassen? Ich konnte es mir nicht vorstellen. Ich verließ den Raum. Mühelos schwebte ich zur Tür, durchdrang sie und fand mich auf der anderen Seite wieder. Auch hier war keine Menschenseele zu sehen. Daß ich keine Mitarbeiter der Time-Squad finden würde, hatte ich gewußt – sie waren fast ohne Ausnahme geflüchtet. Wo aber waren die Menschen, die wir hatten zurücklassen müssen? Ich durchsuchte kurz die benachbarten Räume. Es gab einige Veränderungen – Möbel waren umgeworfen worden, Schubladen herausgerissen. In einem Winkel entdeckte ich eine total verfaulte Pflanze, die erbärmlich stank. Sonst war nichts zu sehen. Ich verließ die Zentrale und schwebte durch den massiven Fels zur Oberfläche hinauf. Und dort fand ich sie. 10
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Nokther. Es waren Echsenwesen, fast so groß wie Menschen, mit zwei geschickten Händen und Armen und einem Paar außerordentlich kräftiger, ausdauernder Beine. Sie hatten die Erde angegriffen, kurz bevor die TimeSquad-Mitarbeiter die Flucht angetreten hatten. Seither tobten auf der Erde furchtbare Kämpfe. Ich sah die Laserhandwaffen in den Händen der Nokther – erstklassige Waffen, ein wenig moderner und leistungsfähiger als die Modelle der Menschen. Im Tal, das die Zentrale der Time-Squad barg, stand eine Gruppe Flugpanzer, ich zählte siebzehn Stück. Die Laserkanonen dieser Panzer waren sogar erheblich besser als das, was die Menschen der Erde aufzubieten hatten. Es war ruhig im Tal. Im Hintergrund konnte man die Ruine des verlassenen Tempels sehen, den die TimeSquad hier vorgefunden hatte. Das Gebäude mit dem großen Fusionsreaktor stand noch, war aber vermutlich nicht mehr in Betrieb. Der Reaktor lieferte zum einen die Energie für die große Zeitmaschine in der Zentrale, zum anderen baute er ein Kraftfeld auf, das ihn selbst und seine Umwelt vor Fehlbedienungen schützte – dieses Energiefeld beanspruchte in der Regel den weitaus größten Teil der erzeugten Energie, war aber gesetzlich vorgeschrieben. Die Reaktorpannen früherer Jahrhunderte waren eine bittere Lehre gewesen. Von den Verteidigungsstellungen der Time-Squad waren nur noch Trümmer übrig. Der schmale Eingang ins Tal war früher von zwei Batterien gesichert worden, die mit Laserkanonen und Säurewerfern ausgerüstet gewesen waren. Dort, wo diese Waffen früher gesteckt hatten, tief eingebettet in den Fels, befanden sich heute nur 11
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große Krater und Löcher. Die Nokther hatten gründliche Arbeit geleistet. Es hätte verwundern können, daß sie nicht längst die Zeitmaschine in Betrieb genommen hatten, aber ich wußte, daß die Time-Squad in die komplizierten Schaltpulte der Bedienungsanlagen etliche kleine Köstlichkeiten eingearbeitet hatte, die Unvorsichtigen um die Ohren flogen, wenn sie unerlaubterweise an unserer Zeitmaschine herumfingerten. Die Nokther hatten es einstweilen gar nicht erst versucht – vielleicht wußten sie auch gar nicht, wie eine Zeitmaschine überhaupt funktionierte. Sie waren nämlich nicht unsere eigentlichen Gegner, sondern nur die militärische Vorausabteilung, ein Vasallenvolk, wie es im Reich der Oberen etliche gab. Ich wußte, daß die Erde dazu bestimmt war, ein weiteres treues Vasallenvolk abzugeben. Der Krieg, der in diesem Augenblick in vielen Gebieten der Erde tobte, war dazu gedacht, die Menschheit durch einen möglicherweise jahrtausendelangen Abnutzungs- und Verschleißkrieg zu einem Volk stahlharter Kämpfer zu machen – zu jenen legendären Terranern, die in weiter Zukunft der Schrecken aller sein würden, mit denen sie zu tun haben würden. Unser Ziel war es, diese gräßliche Entwicklung zu verhindern – keine leichte Aufgabe, wenn man bedachte, wie kümmerlich und kärglich unsere Mittel waren. Ein paar Hundert Frauen und Männer, jämmerlich ausgerüstet, aber tapfer bis zur Verwegenheit, weil ihnen die Verzweiflung im Nacken saß. Wo steckten unsere Leute? Ich stieg langsam in die Höhe. 12
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Es war ein seltsames Gefühl, so frei und leicht hinaufzuschweben wie ein Vogel. Es war dies einer der Vorzüge des Beobachterstatus bei der Time-Squad. Man konnte sehen, ohne gesehen zu werden, sogar riechen und tasten. In einiger Entfernung erkannte ich Rauchwolken. Feuerschein loderte über der Prärie, vermutlich war das Gras in Brand geraten. Ein Glück, daß Charriba nicht hier war – dieses Land war seine Heimat, das Land der Indianer, nach jahrzehntelangem blutigen Bürgerkrieg von den ehemaligen USA losgekämpft. Es jetzt so verwüstet zu sehen, mußte Charriba schmerzen. Ich flog auf die Rauchsäulen zu. Unter mir bewegten sich Nokther. Der größte Teil ging zu Fuß, einige Abteilungen benutzten Panzerfahrzeuge. Offenbar tobte vor mir eine Schlacht, ein blutiges Gefecht zwischen Menschen und Nokthern, so unsinnig wie nur irgend etwas im Kosmos. Geschützlärm wurde hörbar, als ich näher kam. Die Ebene stand in Flammen. Von Nordwesten kam der Wind und trug den Gluthauch weiter nach Osten, den Reihen der Verteidiger entgegen. Eine Staffel Flugzeuge tauchte über mir auf, Nokthereinheiten auf dem Weg zur Front. Ich begann zu zittern, obwohl ich keinen Körper hatte, der solcherart hätte erschüttert werden können, aber ich wußte, was für Bilder mir bevorstanden. Ich war im Zusammenhang mit einem lebensgefährlichen Auftrag in der umkämpften Normandie gewesen, im Jahre 1944. Heute erinnerte sich niemand mehr daran, damals war es der Inbegriff des Grauens gewesen, 13
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und ich hatte zum ersten Mal das Bild des Jammers gesehen, das von Kriegen hinterlassen wurde. Meine Gedanken kehrten in unsere Gegenwart zurück. Vor mir, nur ein paar Kilometer entfernt, wälzte sich der ungeheure Brand auf die Reihen der Nokther zu, die verzweifelt versuchten, der Flammenhölle zu entkommen. Auf der anderen Seite der Front lagen in einem komplizierten System von Sappen und Gräben, Stollen und Quergängen die Terraner. Sie brauchten nur zu warten, bis die flüchtenden Nokther ihnen vor die Läufe kamen. Ich stieg höher. Hinter der Front der Terraner sank ich langsam wieder herab. Über mir tauchten jetzt von Menschen gelenkte Flugzeuge auf. Und in dem Chaos aus Rauch und Flammen begann eine Luftschlacht. Eingreifen konnte ich ohnehin nicht, ich suchte statt dessen nach dem Hauptquartier der Terraner. Ich fand es knapp fünfzig Kilometer hinter der Front in einem weiträumigen Park, der als Tarnung gedient hatte, bis eine Staffel Nokther-Jagdbomber ihn erreicht und umgepflügt hatte. Die Bäume standen als schwärzliche Stummel auf dem verbrannten Boden. Geblieben war ein Wald von Antennen, den elektrischen Ohren, mit denen die Besatzung des Hauptquartiers die Fühlung mit den Truppen aufrechterhielt. Es kostete mich wenig Mühe, durch den Boden des Parks zu sinken und das Kartenzimmer zu erreichen. »Sie laufen uns genau in die Falle«, sagte der General mit den vier Sternen, vermutlich der Oberkommandierende dieses Abschnitts. »Das Feuer treibt sie auf uns zu.« 14
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Ich achtete weniger auf ihn als auf die Karten. Es gab zwei, die mich besonders interessierten. Die eine zeigte die ganze Welt und jene Gebiete des Globus, auf dem die Nokther gelandet waren. Das Ganze sah aus wie ein pockennarbiges Gesicht – offenbar hatten die Nokther keinen Kontinent ausgenommen. Nur Australien lag unberührt wie immer. Seit sich die Australier unter einer Energiekuppel versteckt hatten, wußte man praktisch nichts mehr von ihnen. Da sie uns nichts taten, kümmerte man sich in der restlichen Welt auch nicht um sie – und das taten offenbar auch die Nokther nicht, aus welchen Gründen auch immer. »Und so«, fuhr der General fort, »werden wir den weiteren Vorstoß führen.« Er nahm einen Schreiber und begann, damit auf dem Lageplan gründlich herumzuarbeiten. »Wir fassen sie hier von links und rollen den Flügel auf«, erklärte der General. »Und während wir weitere Kontingente an dieser Stelle binden und zur Schlacht zwingen, kann die Spezialeinheit ihren Auftrag ausführen und das gewisse Tal einnehmen.« »Die Time-Squad-Zentrale dürfte von Feinden wimmeln«, warf einer ein. Ich bedauerte es lebhaft, daß ich nichts dazu sagen konnte – so weit ging die Fähigkeit eines Beobachters nicht. »Wir haben Luftaufnahmen, daß dem nicht so ist«, sagte der Oberkommandierende. »Und selbst wenn – wir müssen Kontakt zur Time-Squad aufnehmen. Es versteht sich von selbst, meine Herren, daß diese Sache strengster Geheimhaltung unterliegt – von den Soldaten darf niemand erfahren, daß es die Time-Squad überhaupt gibt.« 15
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Ein stämmiger Oberst grinste breit. »Ich habe auch erst gestern davon erfahren«, sagte er. »Und begriffen habe ich kein Wort.« »Die Leiterin der Time-Squad, Mrs. Washington« – ah, das tat weh, zu hören –, »hat sich seit Beginn des Angriffs nicht mehr gemeldet«, berichtete der Kommandant. »Wir haben bruchstückhafte Informationen, daß die Nokther die Zentrale völlig verlassen vorgefunden haben – wir nehmen daher an, daß es Mrs. Washington gelungen ist, sich und ihre Mitarbeiter einstweilen in Sicherheit zu bringen. Da außer ihr niemand genau über die Zeitmaschine Bescheid weiß, können wir ohne die Spezialisten der Time-Squad nichts unternehmen.« »Wem gilt vordringlich das Interesse?« fragte ein baumlanger, hagerer Mann mit ruhigen, dunklen Augen. »Zuerst den Wissenschaftlern«, bestimmte der Kommandeur. »Die sogenannten Agenten der TimeSquad brauchen wir nicht, sie sind für uns ohne Wert. Die Leute haben ja gar keine brauchbare Ausbildung. Und wir sind natürlich sehr an Mrs. Washington interessiert.« »Wir werden diese Prioritäten beachten, wenn wir den Talkessel nehmen«, sagte der Hagere. Offenbar sollte er die Spezialeinheit anführen. »Wieviel Zeit bekommen wir?« Der Kommandeur warf einen Blick auf das Klemmbrett. Er runzelte die Stirn. »Das hängt vom Gegner ab«, sagte er. »Wir haben nicht die leiseste Ahnung, was und wieviel die Nokther von der Zeitmaschine wissen – wenn sie gar nicht ah16
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nen, worum es geht, werden sie uns den Talkessel vielleicht überlassen. Wissen sie aber, was ihnen bevorsteht, wenn wir die Zeitmaschine wieder unter Kontrolle bekommen …« Er vollendete den Satz nicht. Jeder in dem kleinen Raum wußte, was dieses offene Ende bedeuten sollte. Die Schlacht um die Time-Squad-Zentrale sollte den furchtbaren Krieg zwischen Menschen und Nokthern beenden. Dabei wußten wir, daß das eigentliche Gefecht noch gar nicht richtig begonnen hatte.
Demeter Carol Washington nickte zufrieden. »Gute Arbeit, Tovar«, lobte sie mich. Ich grinste zurück. In gewisser Weise hatte sich durch die Ereignisse der letzten Zeit eine Art Führungsmannschaft innerhalb der Time-Squad herausgebildet, ein recht buntgewürfelter Haufen. Da war – selbstverständlich – Demeter Carol Washington als Chefin des Ganzen. Da war ich, der ich aus unerfindlichen Gründen immer damit beauftragt wurde, halsbrecherische Unternehmungen durchzuführen und zu leiten. Da war Inky, unser Mitbringsel aus dem zwanzigsten Menschheitsjahrhundert, da war Charriba, der stolze Indianer, der D. C. zu Ehren sein schönstes Stirnband angelegt hatte. Und da war Imhotep, Fürst zu Egol – ein hochtrabender Titel im Imperium von Glyssaan, mit dem er herzlich wenig anfangen konnte. Imhotep hatten wir im alten Ägypten aufgelesen und nach Shyftan gebracht. Auf Shyftan saßen wir im Herzen je17
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ner gigantischen Festung, die Imhotep für sich und seinen Langzeitplan hatte erbauen lassen. Eigentlich war er hier der Hausherr, aber er hatte sich inzwischen untergeordnet. Er redete wie jedes Teammitglied Demeter mit »Chefin« an und tat, was sie befahl. »Ich frage euch, was sollen wir tun?« meinte Inky. »Auf der Erde selbst haben wir kaum Möglichkeiten zum Eingreifen.« Imhotep deutete mit einer knappen Geste an, daß er sprechen wollte. Mit einem kurzen Nicken erteilte D. C. ihm das Wort. »Gleichgültig, was immer wir unternehmen wollen«, sagte er mit ruhiger Stimme. »In jedem Fall werden wir ein flugtüchtiges Raumschiff brauchen.« D. C. lächelte verhalten. »Was sollten wir damit anfangen?« fragte sie. »Keiner von uns kann ein Raumschiff steuern.« Imhotep zuckte nur mit den Schultern. »Ich kann es«, sagte er gelassen. »Das sollte genügen.« D. C. wiegte den Kopf. »Und wo sollten wir das Schiff hernehmen?« Auch auf diese naheliegende Frage wußte Imhotep eine Antwort. Ruhig sagte er: »Von den Nokthern.« Rufe wurden laut, Äußerungen des Unmuts. »Wie sollten wir an ein Nokther-Schiff kommen?« fragte Inky. »Auf der Erde sind Millionen Mann im Einsatz und können sich der Nokther kaum erwehren, und wir sollen es fertigbringen, ihnen ein Raumschiff zu stehlen?« Imhotep winkte ab. 18
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»Was könnte ein normaler Erdsoldat mit einem solchen Schiff anfangen?« sagte er. »Nichts! Er versteht die Technik überhaupt nicht. Für ihn ist das Schiff nichts weiter als ein hochkomplizierter Klumpen Metall – er bekäme das Ding keinen Millimeter von der Stelle. Ich aber kenne solche Konstruktionen, und ich kann euch zeigen, wie man sie bedient.« »Und wie sollen wir ein Nokther-Schiff in die Hände bekommen?« fragte ich gereizt. »Einfach drauflos marschieren, anklopfen? Hier sind wir, verehrte Herren Invasoren! Wir möchten bitte schön, das Schiff mausen.« »Etwas mehr Ernst, Tovar«, ermahnte mich D. C. »Wir schleusen einen Stoßtrupp auf die Erde …« begann Imhotep. Inky hatte sofort einen treffenden Einwand. »… der keine Chancen hat, zurückzukehren«, sagte er sofort. »Die Zeitmaschine in der Zentrale ist anpeilbar – wir können sie unmöglich benutzen. Andernfalls kämen uns die Oberen auf die Spur, und dann wäre auch dieser letzte Schlupfwinkel in Gefahr.« »Wir werden versuchen, auf irgendeinem Weg in ein Nokther-Schiff hineinzukommen«, setzte Imhotep seinen Vorschlag fort. »Sobald wir angekommen sind – es genügen ein paar Mann –, setzen wir den Zeitpeiler in Betrieb. Von hier aus kann dann, peilungsgeschützt, ein Kommandotrupp unmittelbar im Schiff selbst herauskommen, ohne den Umweg über die Zentrale auf der Erde.« Ich schluckte. Dieser Vorschlag klang ganz vernünftig. Imhotep hatte allerdings wohlweislich darauf verzichtet, unse19
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re Chancen in irgendeiner Form in Ziffern zu fassen – er hätte einen entsetzlich langen Bruchstrich dazu gebraucht, oder er hätte gleich Null hinschreiben müssen. »Auf der Erde sind mittlerweile ein paar Nokther gelandet«, erinnerte ich Imhotep. »Ich weiß, nicht, ob du dir vorstellen kannst, was das bedeutet – sie sind überall, es gibt keinen Flecken der Erde, wo nicht Granaten einschlagen, Soldaten kämpfen und Menschen sterben …« »… und Nokther«, warf D. C. leise ein. Es war ein sehr gutes Gefühl, jemanden an der Spitze der TimeSquad zu wissen, der sein Gefühl für Gerechtigkeit und Fairneß selbst in so kritischen Zeiten zu bewahren wußte. »Haben wir eine andere Möglichkeit?« fragte Imhotep zurück. »Ich erinnere euch daran – nur mit einem flugtüchtigen Raumschiff können wir Glyssaan erreichen, können wir die anderen Planeten ansteuern, die mit Shyftan verbunden sind.« »Dazu kann man auch die Zeitmaschine verwenden«, warf ich ein. Imhotep wiegte den Kopf. »Wir sollten nichts riskieren«, sagte er. »Nicht in dieser kritischen Lage. Ich weiß nicht, welche Fortschritte der Gegner gemacht hat, seit ich auf Shyftan gelandet bin. Und seither sind Jahrtausende verstrichen.« Das stimmte – und ich mußte erkennen, daß mich plötzliche Lust erfaßt hatte, Imhoteps Plan in die Tat umzusetzen. Ein echtes, richtiges Raumschiff, wie man es auf der Erde nur aus utopischen Romanen kannte … Der Gedanke war zu verlockend. D. C. sah mich an, dann wanderte ihr Blick zu Inky. 20
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Anastasius Immekeppel – das war Inkys bürgerlicher Name – hatte in den Augen einen verträumten Glanz. D. C. wölbte die Brauen. »Also gut«, sagte sie. »Ich sehe den Männern an, daß sie sich auf das technische Spielzeug freuen und nicht eher ruhen werden, bis sie ihre elektrische Eisenbahn in Gestalt eines Raumschiffs endlich haben. Ich stimme dem Unternehmen zu.« »Nur um uns einen Gefallen zu tun?« fragte Inky entgeistert. »Selbstverständlich nicht«, sagte Demeter und stand auf. »Ihnen ist doch wohl klar, meine Damen und Herren von der Time-Squad, daß wir vorläufig gar keine andere Wahl haben. Imhotep – gibt es in der Festung eine Bibliothek?« Der Fürst von Egol lachte breit. »Eine Bücherei im herkömmlichen Sinne nicht«, sagte er. »Aber ich – Entschuldigung, wir haben einen großen Datenspeicher mit angeschlossenen Lesegeräten. Worauf wollen Sie hinaus, Chefin?« Die Anrede kam dem Fürsten eines riesigen Sternenreichs so glatt über die Lippen, als habe er es nie anders gehandhabt. Es war wirklich erstaunlich, wie Demeter ihre Mitarbeiter in ihren Bann schlug. »Zum einen brauchen wir ein Raumschiff«, erklärte Demeter ruhig. »Wir müssen wissen, worauf wir in Zukunft hinarbeiten. Und zweitens brauchen wir das Datenmaterial, das zwischen uns und diesem Raumschiff steht.« Imhotep kniff die Augen zusammen. »Sie wollen den Terranern auf der Erde eine komplette Anleitung zuspielen?« wollte er wissen. »Vom 21
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Feuerstein zum überlichtschnellen Raumschiff in leicht faßlich programmierten Lerneinheiten?« »So ungefähr«, antwortete Demeter. Sie zog die Stirn in Falten. Ich ahnte, welche Gedanken sie beschäftigten. Es war eine verlockende Idee, unseren Freunden auf der Erde eine vollständige Bauanleitung zuzuschieben, einen exakten Wegweiser von unserer Technik zur Technologie der Nokther und der Glyssaan. Denn leicht würde es nicht werden, ein NoktherSchiff zu kopieren, wenn wir eines erbeuten konnten. Die Legierungen mußten vermutlich nach speziellen Verfahren hergestellt werden. Es gab vielleicht Kristalle, mannsgroß und in einem absolut schwerefreien Vakuum aus einem Kristall geschnitten. Möglich waren Hunderttausende kleiner, teilweise unscheinbarer und nebensächlicher Erfindungen, die aber allesamt nötig waren, um zu diesem Ergebnis zu kommen. Wir auf Shyftan hatten inzwischen gelernt, wieviel zusammenkommen mußte, um ein lächerlich geringwertiges Produkt herstellen zu können – man brauchte nur an die gigantische Erdölindustrie zu denken, die nötig war, um den wasserfesten Lack einer Zahnpastatube liefern zu können, vom nicht minder aufwendig hergestellten Inhalt besagter Tube einmal abgesehen. Demeters Plan lief darauf hinaus, unseren Freunden die ganze Forschungsarbeit weitgehend abzunehmen, sie einzig mit den Problemen der Fertigung zu befassen. Das war die eine Seite dieser Angelegenheit. Die andere war weit gewichtiger. Verschafften wir den Menschen der Erde die Pläne zur Raumschiffsindustrie, die hochmoderne Bewaff22
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nung eingeschlossen, so trieben wir den wahnwitzigen Konflikt zweier Völker eine Stufe höher. Dann nämlich waren auch die Erdmenschen fähig, auf dem Planeten der Nokther zu landen und den Krieg in deren Heimat zu tragen. Ich sah Demeter an. »Dürfen wir das?« fragte ich sie. Demeter preßte die Lippen aufeinander. »Dürfen wir unsere Freunde diesen Krieg verlieren lassen?« fragte sie zurück. Die Frage war ein Bumerang, es gab keine Antwort, die nicht schmerzhaft auf den Fragenden zurückgeworfen worden wäre. So oder so – die Entscheidung, einmal gefällt, brachte Tod und Verderben über Menschen und Nokther. Demeter hatte sich entschieden. Ich wußte, daß sie an dieser Verantwortung nicht leicht trug, aber sie zeigte sich ruhig und bestimmt wie stets. »Tovar, wollen Sie das Unternehmen leiten?« Ich hätte gern gewußt, warum immer ich zu solchen Himmelfahrtsunternehmungen eingeteilt wurde – wenn sie mich fragte, ob ich Lust hatte, gab es keine andere Antwort als ja. »Wen wollen Sie mitnehmen?« Auch darauf fiel die Antwort leicht – das Team war altbewährt. Inky, Charriba, Imhotep, dazu Maipo Rueda. Mein Blick fiel auf Shandrak, den Mann, der sich von Kopf bis Fuß in schwarzes Leder kleidete. Mit seiner mörderischen Harpune war er auf der Erde nicht gerade modern gerüstet, aber er hatte inzwischen auch gelernt, sich mit Nadler und Laserpistole seiner Haut zu wehren. 23
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»Wann wollen Sie aufbrechen?« Ich blickte Imhotep an. Er mußte diese Frage entscheiden. Wenn er das erbeutete Raumschiff nicht allein steuern konnte, mußte er einige von uns einweisen und förmlich abrichten. Das würde Zeit kosten. »In zwei Wochen«, sagte Imhotep. Es war ein Alptraum. Vor meinen Augen flimmerten Zahlenkolonnen, unverständliche Zeichen, Schaltsymbole. Irgendwo gellte eine Sirene. Ich wurde wach. Ich hatte erbärmlich geschlafen in dieser Nacht, und noch übler waren meine Träume gewesen. Zwei Wochen lagen hinter mir, vierzehn Tage eines erbarmungslosen geistigen Trainings, das alles in den Schatten stellte, was die Time-Squad mir bisher zugemutet hatte. Imhotep hatte keine Gnade gekannt. Jeder Handgriff mußte sitzen – nicht beim dritten, sondern in jedem Falle gleich beim ersten Mal. Wenn wir nur einen einzigen Fehler machten, konnten wir das Unternehmen abbuchen – und uns gleich dazu. Am gestrigen Abend hatte Imhotep noch eine kleine Übung angesetzt – eine vierstündige Schinderei, der sich kein intelligentes Lebewesen freiwillig aussetzte. Es war – ein Blick auf die Uhr am Arm zeigte es – sechs Uhr morgens, entsprechend der Zeitrechnung des Ortes, an dem wir uns befanden. Draußen ging gerade die Sonne auf, nach meinem Geschmack war dies keine Zeit zum Aufstehen, erst recht nicht, wenn ich daran dachte, daß das Unternehmen in ein paar Stunden schon beendet sein konnte. 24
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Ich sprang dennoch aus dem Bett, duschte heiß und rasierte mich. Unsere Einsatzkleidung lag bereit – Uniform der Armee der Terraner. Natürlich war dafür gesorgt worden, daß wir erstklassige Papiere hatten – absolut fälschungssicher, denn die Dokumente stammten aus der zuständigen Staatsdruckerei der Erde. Auch unsere äußere Erscheinung war den Erfordernissen des Einsatzes angepaßt. Nach der Rasur schlüpfte ich in die Uniform, die reichlich mitgenommen aus sah. Offiziell gehörten wir zu jener Elitedivision, die das Tal der Time-Squad freizukämpfen hatte. Es war eine Luftlandeeinheit, und bei turbulenten Aktionen dieser Art konnte leicht der eine oder andere Trupp versprengt werden. Genau das war unser Ziel. Wir trafen uns im Besprechungszimmer. Inky betrachtete angelegentlich seine Uniform. »Wenn ich daran denke, daß ich so etwas vor ein paar Monaten noch getragen habe«, murmelte er. Demeter sah ein wenig bleich aus. Sie hatte sich genausowenig geschont wie wir, sie hatte den gleichen Kurs absolviert wie die Einsatzgruppe. Demeter gehörte zu jener Sorte von Kommandeuren, die bei fast allen Dingen in der Lage war, ihren Untergebenen noch etwas vorzumachen. »Ich hoffe, ihr habt Glück«, sagte sie halblaut. »Wir werden es brauchen«, antwortete ich. Fünf Mann, das war wahrlich nicht viel, aber wesentlich mehr Leute abzustellen, hatte keinen Sinn. Obendrein litt die Time-Squad ohnedies unter Personalmangel. Noch einmal studierten wir die Karten. 25
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Wir sollten in unmittelbarer Nähe der Time-SquadZentrale herauskommen, nur ein paar Kilometer östlich davon. Der Winkel war günstig, ein felsiges kleines Tal, völlig unbewohnt. Danach sollten wir uns nach Westen durchzuschlagen versuchen. Von dort näherte sich eine weitere Terranerarmee den Stellungen der Nokther. Natürlich hatten wir nicht vor, uns dieser Armee anzuschließen. Statt dessen sollten wir kurz zuvor nach Norden ausweichen, auf die ehemalige kanadische Grenze zu. Dort gab es nämlich einige Städte, die von den Nokthern bereits erobert und besetzt worden waren. Eine dieser Städte war Victoria, gelegen auf der Vancouver-Insel im Grenzbezirk zwischen Kanada und dem USBundesstaat Washington. Die Nokther hatten die Insel erobert und, als Hauptlandeplatz ihrer Streitkräfte auf dem amerikanischen Kontinent, ausgebaut. Dort konnten wir mit Sicherheit Raumschiffe finden. Es hätte nahegelegen, dort aufzutauchen und so den Weg zu den Schiffen auf ein paar Fußminuten Marsch zu verkürzen. Indessen hatte sich die Time-Squad – sprich D. C. – anders entschlossen. Die Gründe dafür lagen zum einen darin, daß wir nicht wußten, wo wir genau herauskamen. Immerhin ging der Transport durch Raum und Zeit über eine Strecke von fast zweitausend Lichtjahren. Eine kleine Fehlerquote gab in dieser Größenordnung Abweichungen von mehreren Kilometern und einigen Wochen in der Zeitdimension. Wir durften keinesfalls riskieren, womöglich mitten in einem Nokther-Offizierskasino herauszukommen, also mußten wir dort auf der Erde erscheinen, wo Zeit-Impulse am ehesten zu erwarten waren, in der Nähe der ehemaligen Zentrale. 26
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Der zweite Grund war einfacher – D. C. wollte möglichst viel über die Nokther erfahren. Daher sollten wir uns unterwegs umsehen, Leute befragen und Spuren auswerten. All das hörte sich einfach an und nahm auf einem Marschbefehl nur ein paar Zeilen ein. In der Wirklichkeit war es ein selbstmörderisches Unterfangen. »Alles klar?« Wir nickten. Es gab nichts mehr zu diskutieren. Die Zeit zu handeln war gekommen. Wir verließen das Besprechungszimmer und wanderten durch die endlosen Räumlichkeiten der Zeit-Festung – so hatten wir Imhoteps Bau getauft – zur Zeitmaschine. Sie war einsatzbereit. Roboter glyssaanischer Fertigung und Menschen arbeiteten zusammen, um das Unternehmen wenigstens auf eine zuverlässige technische Grundlage zu stellen. Was auf Shyftan für uns getan werden konnte, war getan worden. Demeter lächelte uns noch einmal an. Sie beherrschte die seltene Kunst, einer ganzen Gruppe von Männern zuzulächeln und dabei jedem einzelnen Mann das Gefühl zu geben, das Lächeln gelte nur ihm. Ich war gespannt, ob ich noch einmal die Chance haben würde, auf dieses Lächeln hereinzufallen. Es dauerte nur ein paar Sekunden, dann war Demeter beinahe vergessen. Schroffe Felsen umgaben uns, nur schwer im Mondlicht zu erkennen. Es war tief in der Nacht Ortszeit, der Himmel wolkenverhangen. Waren wir an der richtigen Stelle herausgekommen? »Ich werde mir die Gegend ansehen«, erklärte ich. Eine leistungsfähige Taschenlampe stak in der Tasche 27
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des rechten Hosenbeins, die Karte in einem Fach an der linken Schulter. Wenn Karte und Ziel übereinstimmten, mußte es in einiger Nähe einen schneebedeckten Berg geben. Ich sah zum Horizont. An einer Stelle wurde er von einer Anhöhe verdeckt. Ich beschloß, dort hinaufzuklettern und Umschau zu halten. Der Aufstieg war recht steil und beschwerlich, und ich war ein wenig außer Atem, als ich oben ankam. Rings herum war es still. Nur ab und zu ertönte von unten eine leise Stimme, sehr gedämpft. Das waren die Freunde, die sich leise berieten, was zu tun sei. Von dem Berg, den wir suchten, fehlte jede Spur. Wir mußten uns ein wenig verschätzt haben. Dennoch kam mir das Land ziemlich bekannt vor, es sah sehr nach den Rocky Mountains aus – sehr groß konnte der Fehler folglich nicht sein. Nun, vielleicht würden wir mehr erkennen, wenn wir den Tagesanbruch abwarteten. Ich kletterte zu den Freunden hinab. Inky hatte die erste Wache.
Das durchdringende Heulen riß mich aus dem Schlaf. Ein Flugzeug raste über das Gebirge hinweg, der Lärm hatte uns geweckt. Es war ein Jäger der Nokther, deutlich erkennbar an den Hoheitszeichen – sechs schwarze Sterne. Schlagartig wurden auch die Freunde wach. Ein Blick auf die Uhr zeigte mir, daß es kurz nach sieben Uhr morgens war. 28
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Imhotep hatte Wache gehabt. Er stand oben auf dem Fels, den ich am gestrigen Abend erklettert hatte, und winkte uns zu. Mich schmerzte jeder Muskel. Es war kalt geworden in der Nacht, und der felsige Boden gab nicht gerade ein sanftes Nachtlager ab. Ich stand auf, reckte und dehnte mich. Über dem Gebirge stand die Sonne, blaß und rötlich. Sie wirkte wie ein böses Vorzeichen. Imhotep kam heruntergestiegen. »Es sieht düster aus, Freunde«, sagte er ruhig. »Wir haben uns ziemlich geirrt – wir stecken nämlich mitten im Aufmarschgebiet der Nokther.« Das war eine sehr unangenehme Überraschung. Wir mußten jetzt höllisch aufpassen, um unseren Plan durchführen zu können. Das letzte, was uns passieren durfte, war eine Gefangennahme durch die Nokther. »Wohin jetzt?« fragte Maipo, der hünenhafte Schwarze. Ich deutete nach Norden, Richtung Kanada. Wir hatten nicht viel Zeit, in jedem Augenblick konnten wir entdeckt werden. »Dann los«, stieß Inky hervor. Er richtete sich auf und grinste mich an. »Ich bin lange nicht mehr feldmarschmäßig marschiert.« Ich kannte ihn genau. Sehr großen Wert legte er auf solche Fortbewegung nicht, dazu kannte er das blutige Handwerk des Krieges viel zu genau. Er war in seiner Zeit Soldat gewesen, weil ihm nichts anderes übriggeblieben war, beileibe nicht aus Neigung. Wir setzten uns in Marsch. 29
Die Abenteuer der Time-Squad XVII
Der Boden war felsig, wir mußten klettern. Dieser Bereich der Rockies war dem amüsierfreudigen Publikum nicht zugänglich gemacht worden – er lag noch auf dem Territorium des Indianerstaats, der es mit dem Umweltschutz sehr genau nahm. Dementsprechend wüst war die Landschaft. Es gab keine asphaltierten Wege, keine sorgsam beschilderten Tippelpfade, niemand hatte die Bäume in Reih und Glied angepflanzt, so daß man bequem zwischen ihnen hätte hindurch marschieren können. Vielmehr mußten wir unseren Weg über Stock und Stein allein finden, und das kostete eine Menge Kraft und Schweiß. Im Frühjahr hatte es hier eine Überschwemmung gegeben, wir sahen zersplitterte Stämme kleinerer Bäume in dem Geäst massiver Baumriesen. Wenig später hatten wir auch einen kleinen Fluß erreicht, der nach Süden floß. Ich sah auf der Karte nach. Der Fluß war eingezeichnet, hatte aber keinen besonderen Namen. Die Karte bewies, daß er ziemlich weit nach Süden floß. Ich deutete auf das Gewässer. »Wollen wir uns dem anvertrauen?« »Flöße?« fragte Inky. Ich nickte. Der Fluß war nicht sehr breit, etwas mehr als zwanzig Meter, seine Tiefe mochte knapp zwei Meter betragen. Er floß recht gemächlich. »Flöße?« erkundigte sich Charriba. »Pah, ich baue uns ein paar Rindenkanus – wenn es nicht in der Nähe irgendwo welche gibt, versteckt und gut getarnt. Ich müßte mich sehr wundern, wenn wir nicht ohne viel Mühe zu ein paar Booten kämen. Kommt mit.« 30
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Charriba übernahm die Führung. Es war ein Genuß zu sehen, wie geschickt er sich in seiner Heimat zu bewegen wußte. Nach zwei Stunden eines recht mühseligen Marsches erreichten wir eine Blockhütte. Ich wäre vermutlich daran vorbeimarschiert, aber Charribas luchsscharfe Augen hatten das Haus frühzeitig erspäht. Er öffnete die Tür. Die Hütte war nicht verschlossen, offenbar gab es im Land der Indianer wenig Diebe. »Aha!« sagte Charriba nach einem kurzen Rundblick. An den aus rohem Holz gezimmerten Wänden hing Fischgerät – Angeln, Netze, Kescher. Und irgendwo gab es dann vermutlich auch ein Kanu. Wir kehrten zu dem Fluß zurück. Charriba brauchte eine knappe Viertelstunde, dann hatte er die Boote gefunden. Es waren zwei moderne Kanus – den alten Indianermodellen nachempfunden, aber aus modernen Materialien. »Könnt ihr damit zurechtkommen?« fragte Charriba. Ich grinste säuerlich. Wasser war von jeher meine Schwäche gewesen, besonders, wenn es sich um sehr viel Wasser handelte, beispielsweise ein Weltmeer oder etwas Ähnliches. Dieser Fluß führte nicht sehr viel Wasser, daher hielt sich meine Befangenheit in Grenzen. Ich sah aber zu, daß ich in Charribas Boot Platz fand, zusammen mit Maipo Rueda. Imhotep und Inky übernahmen das zweite Kanu. Paddel hatte Charriba ebenfalls gefunden – die Fahrt konnte also losgehen. Unsere Waffen hatten wir auf dem Boden abgelegt. Unser Gepäck lag zwischen uns, zu handlichen Bündeln zusammengepackt. 31
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»Ich fahre voran!« bestimmte Charriba. Er stieß vom Ufer ab. Das Kanu schwankte ein wenig. Ich blieb stocksteif sitzen und machte es so für Charriba einfacher, das Boot wieder auszubalancieren. Rasch suchte Charriba die Mitte des Flusses, dort floß das Wasser am ruhigsten. Nach kurzer Zeit begann mir die Angelegenheit regelrecht Spaß zu machen. Mit gleichmäßigen Paddelschlägen trieben wir die Boote vorwärts, Charriba zeigte uns, wie es gemacht wurde. In der Ferne war das Gegrummel von Geschützen zu hören. Über uns zogen ab und zu Jagdflugzeuge ihre Bahn. Es war ein absurdes Bild. Wir fünf paddelten beinahe gemütlich einen romantischen Fluß hinunter, während um uns herum ein grauenvoller Krieg tobte. Uns schien das alles nicht berühren zu wollen – unsere einzige Sorge bestand einstweilen darin, daß sich der Himmel über uns verfinsterte. Offenbar zog sich ein Unwetter zusammen. Ich blickte zu den Ufern. Der Fluß war selbstverständlich nicht reguliert worden, es gab also keine Pfade und keine Anlegeplätze. Wir hatten vorgehabt, dem Lauf getreulich zu folgen, bis sich unser Fluß mit einem breiteren Strom vereinigte. Dort wollten wir anlegen und die Boote verlassen. »Es wird Regen geben«, stellte Charriba fest. »Kein Grund zur Sorge.« In diesem Augenblick zuckte der erste Blitz über den Himmel. Ich zählte mit – der Blitz war etwas mehr als vier Kilometer von uns entfernt. Am Himmel wurde es immer düsterer. 32
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Ich schielte wieder zum Ufer. In einer Baumkrone entdeckte ich ein paar Trümmer, die leise im Wind baumelten – es waren Teile eines Blockhauses, die von einer Überschwemmung weggespült worden waren. Die Trümmer hingen ekelhaft hoch in den Baumkronen – sie gaben uns einen sehr unerfreulichen Vorgeschmack auf das, was möglicherweise kommen konnte. Die ersten Tropfen fielen. Zunächst nieselte es nur, dann wurde der Regen allmählich stärker. Ich hatte natürlich das dringende Bedürfnis, mich irgendwo trocken und warm unterzustellen, aber das ließ sich nicht durchführen. Die Fahrt ging weiter, der Regen wurde stärker, und nach einer halben Stunde wurden wir aus einem pechschwarzen Himmel mit einem sintflutartigen Wolkenbruch überschüttet. Auf der Oberfläche des Flusses bildete sich ein Einschlagskrater neben dem anderen, hageldicht fielen die schweren Tropfen. Im Nu waren wir bis auf die Haut durchnäßt. Obendrein waren die Temperaturen empfindlich abgesackt. »Langsamer!« bestimmte Charriba. Vor uns tauchten tückische Wirbel auf. Ab und zu lagen Felsen in der Fahrrinne, gerade unter der Wasseroberfläche. Normalerweise, bei gutem Wetter, konnte man solche Stellen an den Wirbeln recht genau erkennen und umpaddeln – jetzt aber waren solche Hinweise nicht mehr zu sehen, der Regen spülte sie gleichsam hinweg. Charriba handhabte das Paddel, als habe er nie etwas anderes getan. Mir war hingegen alles andere als wohl zumute. Das Wasser schien zu schäumen, so heftig prasselte der Regen darauf hinab. 33
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Ein Schlag ging durch das Kanu, ich konnte fühlen, wie wir über den felsigen Boden schlitterten. Offenbar hatten wir nur ein paar Zentimeter Wasser unter dem Kiel. »Keine Aufregung«, meinte Charriba, wie immer mit fast versteinertem Gesicht. »Das ist alles ganz normal.« Für ihn mochte das stimmen. Ich wandte mich um. Hinter uns kamen Imhotep und Inky. Ihr Boot machte ein wenig mehr Fahrt als das unsere, sie holten allmählich auf. Dann hatten wir wieder ruhiges Wasser erreicht, das Kanu schwankte ein wenig und machte viel Fahrt. Dieser Zustand hielt indessen nicht lange an. »Stromschnellen«, sagte Charriba so gleichmütig, als verkünde er eine Uhrzeit. »Jetzt gilt es, aufzupassen.« Wir hatten die Leichtmetallpaddel in der Hand. Unser Kanu wurde immer schneller. An dieser Stelle verengte sich der Fluß, gleichzeitig stieg sein Gefälle. »Mehr nach rechts«, bestimmte Charriba. »Wir müssen darauf achten, daß wir senkrecht auf die Schnellen stoßen – sobald wir quer zur Strömung treiben, wird es kritisch.« Ich hätte gern gewußt, was er als kritisch bezeichnete, kam aber nicht mehr dazu, eine entsprechende Frage zu stellen. Die Stromschnellen waren erreicht. Ich sah die weiße Gischt, hörte das Tosen des Wassers, so laut, daß es sogar das Grollen des Donners übertönte. Grellweiß sah das Wasser aus, ein harter Kontrast zum undurchdringlichen Grauschwarz des Gewitterhimmels. 34
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Ich stellte fest, daß das Heck unseres Kanus ein wenig zur Seite glitt. Sofort versuchte ich, mit dem Paddel gegenzusteuern. Das Kanu kam ein wenig herum, aber noch nicht genug. Mit aller Kraft stemmte ich mich dem Druck entgegen. Dann waren wir mitten in den Stromschnellen. Ich spürte, wie das Kanu angehoben wurde und dann in einem rasend schnellen Gleiten die Schräge hinabrutschte. Vor uns war eine weißschäumende Stelle zu erkennen – und genau in der Mitte sah ich das Grünschwarz eines großen Steines. Im Bruchteil einer Sekunde brachte ich das Paddel ins Wasser. Charriba reagierte ebenfalls blitzschnell, und er änderte den Kurs in gleicher Weise wie ich. Wir kamen um Haaresbreite an dem Fels vorbei. Das Kanu stieg vorn in die Höhe, als es auf einem Schwall herauskam, dann wurden wir von der Strömung rasch davongespült, der Fluß beruhigte sich wieder. Ich holte tief Luft und drehte mich um. Von unten sahen die Schnellen noch weit bedrohlicher aus als von oben. Und in diesem Augenblick schob sich der Bug des zweiten Kanus in die Luft oberhalb des Wasserfalls. Ich sah sofort, daß Inky und Imhotep sich nicht so gut verstanden, wie wir drei in unserem Boot. Ihr Mißverständnis führte dazu, daß sie geradlinig auf den wasserumschäumten Felsen zuglitten. Der Rest verstand sich von selbst und vollzog sich binnen weniger Sekundenbruchteile. Über das Tosen des Wassers hinweg war der harte Schlag zu hören, mit dem das Kanu auf dem Fels aufprallte. Ich hörte Inky einen hellen Schrei ausstoßen, dann kippten die beiden zur Seite. Kieloben trieb das Kanu weiter. 35
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»Wir müssen es einfangen«, sagte Charriba kalt. »Wenn sie überlebt haben, werden sie das Boot brauchen.« Er hatte eine sehr trockene Art und Weise, die Dinge zu sehen, dachte ich. Das Kanu trieb auf uns zu, die beiden Paddel waren in den Sitzen zufällig eingeklemmt und hatten sich daher nicht davonmachen können. Ich bekam ein Tau an der Spitze des Bootes zu fassen. Dieser Teil der Aktion war geglückt. Dann sahen wir den ersten Kopf, ein dunkles Etwas inmitten des weißen Wasserwirbels. Imhotep hatte es geschafft, und dann sah ich auch Inkys nassen Kopf auftauchen. Die beiden schwammen mit kräftigen Stößen auf uns zu. Es regnete noch immer, und das war unser Glück. Es führte dazu, daß das Wasser nicht ganz so entsetzlich kalt war, daß man es darin nur ein paar Augenblicke lang aushalten konnte. Imhotep und Inky hielten sich an ihrem umgekippten Kanu fest. Sie atmeten schwer, aber Inkys breites Grinsen verriet, daß er dem Vorfall nicht allzuviel Bedeutung beimaß. »Wir steuern ans Land«, schlug Charriba vor. »Dort könnt ihr euer Boot leerschöpfen.« Das sagte sich leicht, war aber schwierig auszuführen. Das Ufer war felsig, und es gab nur eine Stelle, an der man anlegen konnte. Ich stieg aus unserem Kanu aus und half den beiden Pechvögeln dabei, das gekenterte Kanu aufzurichten. Dabei lernte ich die Temperatur des Flußwassers kennen – sehr lange konnte man es darin nicht aushalten, ohne sich eine handfeste Lungenentzündung einzuhandeln. Das Resultat des Unfalls war schnell ermittelt. 36
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Das Boot hatte eine kleine Delle, ansonsten war der hochwertige Kunststoff unbeschädigt. Wir hatten beide Paddel retten können – aber mehr auch nicht. Waffen und Gepäck der beiden Freunde lagen im Fluß. Inky schüttelte sich das Wasser aus den Haaren. »Ich werde tauchen«, verkündete er. »Du bist verrückt«, hielt ich ihm vor. »Du kannst dabei höchstens ertrinken, mehr nicht.« »Wir brauchen unser Zeug«, sagte Inky. »Sei nicht so stur«, brummte Maipo Rueda. Inky grinste. »Es wird mir wohl nichts anderes übrigbleiben«, sagte er leise. »Ich habe nämlich vorhin kurz meine Jacke ausgezogen.« Nur wer unseren Auftrag genau kannte, wußte, was Inky uns da mitgeteilt hatte. Die Einzelteile des Zeitpeilers nämlich waren sorgfältig in diverse Kleidungsstücke eingenäht worden. Sobald wir ein Nokther-Schiff erreicht hatten, sollten wir diese Einzelteile zusammenbauen und den Zeitpeiler in Betrieb setzen. Ich sah Inky betroffen an, dann warf ich einen Blick auf den Fluß. Es regnete noch immer in Strömen, und der Fluß führte an dieser Stelle ziemlich viel Wasser. In der Nähe des Felsens tauchen zu wollen, war ein Unterfangen, das nicht nur großen Mut erforderte, sondern auch ein Höchstmaß an körperlicher Leistungsfähigkeit. »Ihr seid sicher, daß die Jacke noch dort zu finden ist?« fragte ich. Inky nickte. »Sie kann nicht weit abgetrieben sein«, behauptete er. »Und selbst wenn, wir müssen das Ding einfach fin37
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den. Tut mir leid, Freunde, aber wir haben keine andere Wahl.« »Ich werde dir helfen«, verkündete Charriba. Die beiden machten sich auf den Weg. Das Ufer war steil, sie mußten daher durch das Wasser auf die fragliche Stelle zumarschieren. Die ersten Schritte fielen noch leicht, aber je näher sie den Schnellen kamen, um so reißender wurde das Wasser. Bald hatten sie alle Mühe, überhaupt auf den Beinen zu bleiben. Sie brauchten fast eine halbe Stunde, bis sie gegen die Strömung den Felsen erreicht hatten. Inky unternahm den ersten Tauchversuch. Sein Kopf verschwand in der weißschäumenden Gischt. »Hoffentlich geht das gut«, murmelte Imhotep. »Irgendwie haben wir es nicht geschafft, an dem Felsen vorbeizukommen.« »Das hätte uns ebensogut zustoßen können«, behauptete ich, obwohl ich sicher war, daß Imhotep und Inky glatt durchgekommen wären, hätten sie einen so erfahrenen Mann wie Charriba im Boot gehabt. Inky tauchte wieder auf. Er hatte sich ein beträchtliches Stück von der Unglücksstelle entfernt, sein Gesicht war schmerzverzerrt. »Ich habe kein Glück gehabt«, rief er uns zu. Er schwamm zur Seite und unternahm einen neuen Anlauf. Währenddessen versuchte sich Charriba als Taucher. Auch er wurde von dem Wasser weggerissen und flußabwärts gespült. Sich dabei noch auf dem Boden des Flusses nach einer abgesackten Jacke umzusehen, erforderte ungeheure Nervenstärke. Während Charriba in unserer Nähe wieder den Kopf aus dem Wasser steckte, ging Inky an dem Felsen ein zweites Mal unter. 38
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Charriba schnappte nach Luft. »Etwas gefunden?« fragte Imhotep besorgt. Charriba schüttelte den Kopf. »Wir finden das Ding«, stieß er keuchend hervor. »Und wenn wir zwei Wochen danach tauchen müßten.« In diesem Augenblick hörten wir einen lauten Schrei. Inky schoß in die Höhe. »Ich habe sie!« schrie er und versank sofort wieder. Ein paar Herzschläge später war er wieder zu sehen. Mit nur einer Hand schwamm er dem Ufer entgegen, die andere hielt ein klatschnasses Etwas, das hoffentlich seine Jacke war. Inky kam auf uns zu. Ich sah, daß sein Gesicht keine besondere Freude ausdrückte, sondern eher Schmerz. »Was ist passiert?« fragte ich. Inky erreichte das Boot und hielt sich am Rand des Kanus fest. Was er über die Bordwand ins Innere fallen ließ, war tatsächlich seine Jacke mit dem darin eingenähten Bauteil des Zeitpeilers. »Ich habe mir unter Wasser das Knie angeschlagen«, stieß Inky hervor. »Ziemlich übel, fürchte ich.« Wir zerrten ihn an Bord. Als er die Beine über die Bordwand brachte, stieß Inky ein leises Zischen aus. Offenbar bereitete ihm die Verletzung erhebliche Schmerzen. Dann sahen wir, daß er sich wirklich krampfhaft beherrscht hatte. Am linken Knie war die Hose aufgerissen, darunter war eine klaffende Wunde zu sehen. Inky sah sich die Verletzung an, dann warf er einen Blick auf den Fluß. Es regnete noch immer, und es sah so aus, als würde das Wasser steigen. 39
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»Am besten bleibe ich gleich hier«, sagte Inky leise. »Mit dem Bein bin ich einstweilen nicht einsatzfähig.«
»Du spinnst«, stellte Maipo trocken fest. »Wir lassen niemanden zurück, am wenigsten in dieser Wildnis. Charriba, ich steige zu Imhotep über, und ihr beide nehmt Inky in euer Boot.« Maipos Vorschlag war der vernünftigste. Wir versorgten Inkys Wunde notdürftig, dann paddelten wir weiter. Jetzt mußten wir besonders vorsichtig sein. Ein erneutes Kentern durften wir uns nicht leisten. Inky hatte die Knieverletzung im Eifer des Gefechts gar nicht richtig gespürt, aber jetzt fiel er tatsächlich aus. Schwimmen würde er kaum mehr können. Obendrein wurde es Zeit, daß wir wieder ein paar trockene Kleidungsstücke auf den Leib bekamen. Hunger stellte sich ebenfalls ein. Wir brauchten knapp zwei Stunden, bis wir einen Platz gefunden hatten, an dem man rasten konnte. Dort legten wir an. Der Regen hatte aufgehört, aber die Wolken ließen erkennen, daß es bald wieder losgehen würde. Immerhin reichte die kurze Zeitspanne, um eine improvisierte Mahlzeit einnehmen zu können. Während ich einen kräftigen Eintopf herzustellen versuchte, war Charriba unterwegs, um in den Wäldern nach Heilkräutern zu suchen. Er kehrte auch bald zurück, in der Hand Grünzeug unbestimmbarer Art. Corve Munther, der Biologe im Team der Time-Squad, hätte uns wahrscheinlich genau sagen können, worum es sich handelte, aber Corve war derzeit unabkömmlich. 40
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»Das sieht gar nicht appetitlich aus«, stellte Inky fest, der Charriba zusah. Der Indianer zerrieb die Kräuter zwischen geeigneten Steinen zu einem hellgrünen Mus. »Keine Sorge«, sagte Charriba. »Du brauchst es nicht zu essen.« Inky nickte zufrieden. Er löffelte den Eintopf, den ich zubereitet hatte. »Schmeckt wirklich gut, Tovar«, lobte er mich. Einen Augenblick später stieß er einen schmerzgepeinigten Schrei aus. Charriba hatte den Sekundenbruchteil Unaufmerksamkeit genutzt und eine Handvoll des Muses auf Inkys Knie gestrichen. Offenbar brannte das Zeug wie helles Feuer. Tränen liefen über Inkys hageres Gesicht. »Kerl«, ächzte er, sobald er wieder zu Atem gekommen war, »willst du mich umbringen!« »Tut es weh?« »Tränen der Wehmut sind es, die ich vergieße«, sagte Inky zischend. »Glaubst du, deine Kur macht Spaß?« »Sie hilft«, stellte Charrriba fest. »Und das ist die Hauptsache.« Er verband das Knie. Offenbar ließ der Schmerz allmählich nach. Inkys Gesichtszüge glätteten sich jedenfalls ein wenig. Charriba blickte zum Himmel hinauf. Von der Sonne war nichts zu sehen. Erst dann warf der stolze Indianer einen Blick auf die Uhr an seinem Handgelenk. »Wir haben noch vier Stunden«, sagte er. »Bis dahin müssen wir unser Tagesziel erreicht haben.« Das hieß, daß wir sehr bald würden aufbrechen müssen. Unsere wenigen Habseligkeiten waren bald verstaut. Inky wurde behutsam an Bord gebracht, dann konnte 41
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die Fahrt wieder losgehen. Wir hatten auf dem letzten Teil der Strecke weniger Schwierigkeiten als zuvor. Zwar fiel nach kurzer Zeit wieder strömender Regen, aber es gab kaum noch Stromschnellen oder steinige Strecken. Außerdem wuchs unsere Sicherheit im Handhaben der Kanus. Es dämmerte, als Charriba auf das Ufer deutete. »Dort legen wir an«, bestimmte er. Ich konnte schwach die Umrisse einer Blockhütte sehen, die zwischen den Bäumen stand. Davor erstreckte sich ein saftiggrüner Uferstreifen. Ich freute mich auf eine sanfte Landung und ein regenfestes Dach über dem Kopf und schwang das Paddel mit aller Kraft. Wenig später waren wir gelandet. Die Kiele der beiden Kanus schrammten über den Uferkies, dann sprangen zwei von uns über Bord und zogen die Boote weiter hinauf auf das feste Land. »Näher zur Hütte«, bestimmte Charriba. »Wenn der Fluß weiter anschwillt, kann er das Ufer überschwemmen und die Boote fortspülen.« Wir zerrten die leichten Kanus weit genug hinauf, dann packten wir unser Gepäck und schleppten es hinauf zu der Blockhütte. Sie war verlassen. Offenbar hatten es die Bewohner vorgezogen, sich vor den Kriegshandlungen in die zweifelhafte Sicherheit der großen Städte zu flüchten. Unsere erste Maßnahme verstand sich von selbst – wir entfachten im großen Kamin ein wärmendes Feuer und befreiten uns von den tropfnassen Kleidern. Während ich in der Vorratskammer des Blockhauses nach Nahrungsmitteln stöberte, kümmerte sich Char42
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riba um Inkys Verletzung. Als ich mit den ersten Beutestücken in den Wohnraum zurückkehrte, beugte sich Charriba gerade über die Wunde. »Sieht seht gut aus«, sagte der Indianer. »In ein paar Tagen kannst du wieder laufen, vorausgesetzt, du hast dir sonst nichts zugezogen.« »Sollen wir hier so lange warten?« fragte ich die Freunde. »Auf ein paar Tage mehr oder weniger kommt es nun auch nicht an.« »Das wird sich morgen entscheiden«, meinte Maipo. »Wir übernachten hier, und wenn Inky sich einigermaßen bewegen kann, setzen wir den Marsch morgen fort. Wenn nicht, bleiben wir – einverstanden?« Es gab keinen Widerspruch. In einem der beiden Räume der Blockhütte entdeckte ich einen Videobildschirm. Ich prüfte kurz und stellte fest, daß das Gerät noch betriebsbereit war. Die Blockhütte war nicht ganz so rustikal-primitiv, wie man es hätte annehmen können, sie war mit der allgemeinen Stromversorgung verbunden. Ich schaltete den Empfänger ein. »Das Wichtigste ist, Ruhe zu bewahren«, sagte der Sprecher. Er verlas offizielle Verlautbarungen. »Die Bevölkerung wird aufgefordert, die Nerven zu behalten. Die Versorgungslage ist vorzüglich und wird sich in den nächsten Wochen noch verbessern.« Ich wußte spätestens nach diesen Worten, die einwandfrei erlogen waren, daß es sich um einen Sender handelte, der unter dem Einfluß der Nokther stand. Der Mann verlas keine Nachrichten, er betrieb Informationspropaganda. Ich schaltete auf einen anderen Sender um – und das Ergebnis war kein bißchen besser. 43
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Schon jetzt zeichnete sich ab, daß die Nokther mit ihrer Strategie Erfolg haben würden. Die Terraner der Zukunft waren bereits abzusehen. Das Programm war eindeutig – entweder gab es Nokther-Propaganda zu sehen, oder es wurde von der anderen Seite gelogen. Offenbar hatten die Regierungsverantwortlichen der Erde nicht die Nerven, ihrer Bevölkerung einfach die Wahrheit zu sagen. Da wurden Frontabschnitte begradigt, die höchstwahrscheinlich wegen furchtbarer Verluste nicht länger zu halten waren. Da wurde der Vorteil der inneren Linie gewahrt – eine verlogene Umschreibung für einen schmählichen Rückzug. Da waren taktische Gewinne erzielt worden – was vermutlich bedeutete, daß man unter gräßlichen Opfern irgendeinen lächerlichen Hügel hatte halten können. Dazu die Bilder: Kampfgetümmel und Greuelpropaganda. Ich kannte solches Bildmaterial nur aus Archiven, aber die Machart war eindeutig. Unsere Freunde zeigten gestürmte Nokther-Stellungen und die Übeltaten der Echsenwesen. Die Nokther wiederum zeigten gestürmte Stellungen der Terraner und dazu Bilder von friedlich einkaufenden Zivilpersonen, deren verkniffene Gesichter deutlich zeigten, daß sie eigentlich keine Lust hatten, als Propagandastaffage zu dienen. Immerhin zeichnete sich bei diesen Sendungen ein ungefähres Bild der Lage ab. Danach saßen die Nokther auf jedem Kontinent der Erde, Australien ausgenommen, das in den meisten Nachrichtensendungen überhaupt nicht erwähnt wurde. In Europa hatten die Nokther Italien erobert, die Türkei überrollt und kämpften auf einer Linie parallel zu den Alpen gegen die verbündeten Europäer. 44
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In Skandinavien gab es in der Nähe von Kiruna – wichtig wegen seiner schier unerschöpflichen Vorräte an höchstwertigem Eisenerz – einen großen Stützpunkt der Nokther. Die Landkarte der Erde sah aus wie ein Flickenteppich, Shanghai war gefallen, Hongkong nicht. In New York wurde erbittert gekämpft, während auf den Inseln der Südsee das Touristik-Geschäft unverdrossen weiterging. Es waren Bilderfolgen, die man sich absurder kaum vorstellen konnte – und auch nicht zynischer. Wo nicht unmittelbar gekämpft wurde, ging das Leben weiter wie bisher. Da beide Parteien darauf verzichtet hatten, sich atomarer Waffen zu bedienen, konnte der Kampf noch lange Zeit in diesem Stil fortgesetzt werden. Es gab Anzeichen dafür, daß es immer kritischer wurde. In den meisten Staaten der Erde war nach Jahrhunderten erstmals wieder die Todesstrafe eingeführt worden – sie galt für Plünderungen, Desertion und andere Delikte dieser Art. Die Erde war auf dem besten Wege, in die Barbarei früherer Jahrhunderte zurückzufallen. »Schalte das Ding ab«, sagte Inky nach einer Stunde, »mir reicht, was wir bisher gesehen haben.« Ich kam seiner Bitte nach. »Entsetzlich«, sagte Imhotep, als der Lautsprecher verstummt war. »Das wird weitergehen bis in alle Ewigkeit«, sagte ich bitter. »Von dem Tag, an dem die Nokther die Erde angegriffen haben, bis in alle Ewigkeit … bis die Terraner fertig sind, die Elitetruppe der Oberen.« »Dazu dürfen wir es nicht kommen lassen«, sagte Inky energisch, Imhotep sah ihn zweifelnd an. »Wie willst du das verhindern?« fragte er. 45
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»Sind wir nicht gerade dabei?« fragte Inky zurück. Imhotep zuckte mit den Schultern. »Das kann man so genau nicht sagen«, behauptete er. »Bei einem Konflikt, der mit Zeitmaschinen ausgetragen wird, weiß man nie, was Tatsache ist und was sich noch ändern wird.« Ich wollte gerade den Mund öffnen, um etwas zu sagen, als das Licht anging. Ich brauchte ein paar Zehntelsekunden, bis ich begriff, was wirklich geschehen war – die Blockhütte wurde angestrahlt. Ich griff nach meinem Lasergewehr. »Weg von hier!« schrie Inky schnell und riß ebenfalls seine Waffe an sich. Es war zu spät für eine Flucht. Das Licht kam von allen Seiten zugleich. Wir saßen in der Falle. »Herauskommen, aber ohne Waffen!« ertönte eine Lautsprecherstimme. Das krächzende Organ verriet einen Nokther als Sprecher. Inky fluchte unterdrückt. Mit seinem lädierten Bein hätte er ohnehin kaum eine Fluchtchance gehabt. Ich trat als erster aus der Hütte. Es waren drei Flugpanzer, die ihre Geschütze auf die Blockhütte gerichtet hatten. Zwischen den Panzern stand eine Schar Nokther mit angelegter Waffe, es waren mindestens zwanzig. »Wir ergeben uns«, rief ich laut. Nacheinander traten wir aus der Hütte. Die Nokther forderten uns auf, näher zu kommen. Ein Offizier trat zu mir, in der schuppigen Hand eine fast zierlich wirkende Waffe. »Woher kommt ihr, und was wollt ihr hier?« fragte er. »Sind noch mehr in der Hütte?« 46
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»Wir sind versprengt worden«, gab ich Auskunft. »Außer uns ist niemand mehr in der Hütte.« Der Offizier gab ein Zeichen, und einen Herzschlag später stand die Hütte nicht mehr – ein Volltreffer aus einem Lasergeschütz hatte sie vernichtet. Ich schluckte. Wenn ich gewußt hätte, daß die Nokther uns so nahe waren … »Mitkommen!« herrschte uns der Offizier an. Nokther kreisten uns ein. Mit erhobenen Händen marschierten wir auf die Flugpanzer zu. Es waren klobige Fahrzeuge, die nicht nur ein mittelschweres Lasergeschütz tragen, sondern gleichzeitig auch ein halbes Dutzend Bewaffneter transportieren konnten. »Setzt euch zu den anderen«, bestimmte der Offizier. Es waren vier, die auf der Ladefläche hockten, zerlumpte Gestalten, die Gesichter schmutzig und von Bartstoppeln bedeckt, zwischen den müden Lippen die unvermeidlichen Zigaretten. Die Gefangenen wurden von einem Leutnant kommandiert, der einen prüfenden Blick auf uns warf. Er kniff die Augen zusammen. Der Leutnant und seine drei Männer trugen an den Schultern das gleiche Abzeichen wie wir. Der Zufall hatte es gewollt, daß wir auf Männer der Einheit gestoßen waren, der wir angeblich angehörten. Die Nokther konnten wir damit täuschen, nicht diese Männer. Sie wußten sofort, daß wir nicht zu ihrem Haufen zählten. Einer wollte sich erheben, aber der Leutnant hielt ihn zurück. Wir hockten uns nieder. Die Soldaten musterten uns feindselig. Offenbar hielten sie uns für Spione 47
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oder Verräter – für Freunde hielt man uns mit Sicherheit nicht. »Auch Pech gehabt?« fragte ich die Soldaten freundlich. »So kann man es nennen«, sagte der Leutnant kalt. »Und ihr?« Wir waren von sechs Nokthern umgeben, die vermutlich in der Lage waren zu verstehen, was wir sagten. Allerdings bezweifelte ich, daß sie auch in der Lage sein würden, Zwischentöne und Doppeldeutigkeiten mitzubekommen. Ich blickte auf mein Schulterabzeichen, dann auf das Divisionszeichen meines Gegenübers. »Scheint, daß wir doppeltes Pech gehabt haben«, sagte ich. Wieder kniff der Leutnant die Augen zusammen. Hielt er den Mund? Wenn er anfing zu reden, wenn er uns als Verräter, Abtrünnige, Spione oder Doppelagenten bezeichnete, und darauf liefen ersichtlich seine Gedanken hinaus, waren wir verloren. Ich war mir sicher, daß die Nokther gar nicht erst untersuchen würden, wer hier wen verriet oder ausspionierte, wahrscheinlich waren wir erschossen, bevor wir auch nur dazu gekommen wären, etwas zu erklären. Begriff der Leutnant, was ich mit meinen Worten gemeint hatte? Daß ich ihm hatte zu verstehen geben wollen, daß wir erkannt hatten, daß er unsere Maskerade durchschaut hatte? »Zigarette?« Der gute alte Glimmstengel. In der westlich-nördlichen Zivilisation der Erde hatte er das Symbol von Brot und Salz beinahe verdrängt. Charriba grinste. 48
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»Gib die Friedenspfeife her«, sagte er. Zwei Nokther-Wachen nahmen auf der Ladefläche Platz, ihre Handfeuerwaffen waren auf uns gerichtet. Die anderen verschwanden in ihren Fahrzeugen. Der Flugpanzer ruckte an, stieg auf und nahm Fahrt auf. Zum ersten Mal fand ich Zeit, mir einen Nokther aus der Nähe anzusehen. Die Augen wirkten völlig ausdruckslos, die langen, ein wenig spitz zulaufenden Kiefer zeigten keine erkennbare Gemütsregung. Ich wußte, daß die Nokther wie wir zu nonverbaler Kommunikation in der Lage waren – so hieß das in der Sprache der Soziologen und Kommunikationsforscher. Sie lächelten nicht und schnitten keine Grimassen – sie konnten dafür ein vielfältiges Ausdrucksmittel benutzen, das uns nicht zur Verfügung stand. Die Nokther waren in der Lage, durch die Schuppenstellung und durch die Farbe ihrer Körperoberfläche mannigfaltige Signale auszusenden und zu deuten. In dieser Beziehung ähnelten sie den irdischen Echsen in hohem Maße. Der Begriff Echse paßte im Grunde recht gut auf die Nokther – wenn auch nur sehr schematisch. Die Nokther beispielsweise waren wie Menschen in der Lage, ihre Körpertemperatur konstant auf einem Wert zu halten – normale Echsen waren wechselwarm, paßten ihre Körpertemperatur notgedrungen der der Außenwelt an. Das führte dazu, daß Eidechsen beispielsweise in der Sonne recht munter waren, im Schatten jedoch rasch auskühlten und träge wurden, bei Kälte sogar erstarrten. Vor diesem Schicksal waren die Nokther bewahrt, und wahrscheinlich wichen sie auch in anderen wichtigen Punkten von dem ab, was man auf der Erde unter 49
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Echsen verstand. Immerhin bewiesen sie, daß man nicht notwendigerweise auf humanoide Formen zurückgreifen mußte, um hochintelligentes Leben zu gestalten – auch der Echsenbauplan ließ Intelligenz in hohem Maße zu, und vielleicht würden wir bald auch auf ein intelligentes Insektenvolk treffen. Gleichmäßig brummte der Motor des Flugpanzers. Es roch im Innern nach Schweiß und ein wenig nach verdorbenen Nahrungsmitteln. »Wo kommst du her?« fragte mich der Leutnant. »Frisco«, antwortete ich. »Nicht reden«, ermahnte uns der Nokther. Unversehens sackte der Panzer ein Stück in die Tiefe. Draußen wurde es laut. »Man macht Jagd auf uns«, stellte der Leutnant trocken fest. Ich sah, daß sich sein Herzschlag beschleunigte – seine Halsschlagader pulste deutlich sichtbar. Der Flugpanzer kippte zur Seite. Die Nokther purzelten über uns. War das die Chance? Ich schlug zu und traf mit der Handkante den Arm des Nokther. Die Echse verlor die Waffe. Gleichzeitig hatte auch der Leutnant zugegriffen. Er hielt die zweite der Waffen in der Hand. Ein paar Augenblicke später waren die Nokther bewußtlos. Der Flugpanzer stabilisierte sich wieder. Ich spähte aus der Sichtluke. Der Anblick war wenig erfreulich. Von Menschen gesteuerte Jagdflugzeuge hetzten die Flugpanzer der Nokther – wahrscheinlich hatten die Piloten keine Ahnung, daß sich im Innern der Fahrzeuge menschliche Gefangene befinden konnten. 50
Peter Terrid - Die Zeit-Invasoren
»Wir kapern das Ding«, bestimmte der Leutnant. Zufällig war seine Waffe auf meinen Magen gerichtet. Er brauchte nur den Finger zu krümmen – und er hatte allen Grund, mir im höchsten Maße zu mißtrauen. Ich drehte meine Beutewaffe herum, so daß ihr Kolben auf den Leutnant wies. Er sah mir in die Augen, dann grinste er. »Los«, sagte er. »Wir übernehmen das Ding.«
Wir mußten uns beeilen. In jedem Augenblick konnte uns eine Luft-Luft-Rakete der eigenen Leute treffen, oder es schlug ein Laserschuß bei uns ein, den der Flugpanzer schwerlich überstehen konnte. Der Leutnant zwängte sich durch den engen Schacht nach vorn in Richtung der Kabine. Ich folgte ihm. Es waren drei Nokther, die den Panzer steuerten. Sie saßen festgeschnallt auf ihren Sitzen. An ihnen vorbei konnte ich den Himmel sehen – wir waren mitten in einer regelrechten Luftschlacht herausgekommen. »Fertig?« flüsterte der Leutnant. »Welchen soll ich übernehmen?« »Den zweiten Piloten«, bestimmte der Leutnant. Mit dieser Auskunft war mir wenig gedient, ich wußte nicht, welche Aufgabe die drei Nokther in der Kabine jeweils hatten. Ich merkte aber, auf welchen der drei es der Leutnant abgesehen hatte – es blieb also nur eine Fehlerquote von fünfzig zu fünfzig. Ich nahm mir einen der beiden restlichen Nokther aufs Korn. »Los!« 51
Die Abenteuer der Time-Squad XVII
Ich zog den Abzug durch. Der Nokther, auf den ich gezielt hatte, wurde an der Schulter getroffen, bäumte sich auf und sackte zusammen. Der Schmerzschock des Treffers reichte aus, den Getroffenen für längere Zeit außer Gefecht zu setzen. Ich war erleichtert, als ich sah, daß der Leutnant ebenso human gehandelt hatte wie ich – noch waren Begriffe wie Menschlichkeit auf der Erde bekannt, das war tröstlich. Der verbliebene Nokther ruckte mit dem Kopf herum und starrte uns an. Er hob die Hände. Ich achtete nicht auf ihn – tun konnte er ohnehin nichts mehr. Führerlos raste der Flugpanzer weiter, und er jagte genau auf eine Felsnadel zu, an der wir unweigerlich zerschellen mußten. Der Leutnant warf sich nach vorn. Mit atemberaubender Akrobatik turnte er durch den Raum und setzte sich dem Nokther-Piloten auf den Schoß. Die Maschinen des Panzers brüllten auf, als er das Fahrzeug gewaltsam auf einen anderen Kurs zwang. Wir hatten doppeltes Glück. Nicht nur, daß wir an der Felsnadel vorbeikamen – so knapp, daß ich fast glaubte, den Fels auf der Außenwand des Panzers kratzen zu hören – wir entwischten auch einem Strahlschuß, der uns gegolten hatte. »Runter mit dem Ding!« schrie einer der Soldaten von hinten. »Die anderen haben etwas gemerkt.« Der Leutnant bediente mit unglaublicher Sicherheit die Instrumente des Flugpanzers. Ich hockte mich auf den Sitz des Kopiloten und versuchte, wenigstens einen Teil von dem zu begreifen, was mein Nachbar tat. Char52
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riba kümmerte sich derweil um den letzten Nokther, den er kurzerhand bewußtlos schlug. »Übernimm!« rief der Leutnant. »Ich klinke die Bomben aus.« Ehe ich noch protestieren konnte, war er von seinem Platz geglitten. Ich griff nach dem Steuerknüppel. In den paar Augenblicken, in denen ich ihm zugesehen hatte, war nicht viel hängengeblieben, aber daß es sich um eine Drei-Achsen-Steuerung handelte, war sofort klar. Ich drückte den Knüppel ein wenig nach vorn, und sofort ging der Panzer tiefer, dann zog ich nach rechts. Meine Bewegungen waren viel zu hektisch, um das Fahrzeug auf einem vernünftigen Kurs zu halten, aber gerade das war unsere Rettung. Nicht nur, daß ein halbes Dutzend Jagdflugzeuge der Terraner uns jagten und zu treffen versuchten, inzwischen hatten auch die restlichen Nokther-Einheiten begriffen, daß mit unserem Panzer etwas nicht stimmte, und so sahen wir uns auch noch von den sechzehn Flugpanzern gehetzt, die in unserer Nähe zu finden waren. Unter normalen Umständen wären so viel Hunde eines jeden Hasen sicherer Tod gewesen, aber zu unserem Glück waren die Nokther auch noch damit beschäftigt, sich ihrer Haut zu wehren, das gleiche galt für die Terraner. Nur ab und zu kam einer der Kämpfer dazu, auch auf uns einen Schuß loszulassen, und die meisten dieser Schüsse gingen weit vorbei. Einige aber fegten uns um die Ohren, daß einem angst und bange werden konnte. Dann stieg hinter uns eine rote Feuerwand in die Höhe. Der Leutnant hatte die Bombenlast ausgeklinkt – genau über einem See, wie ich gerade noch hatte erken53
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nen können. Da wurde wenigstens niemand von dem Feuerhagel getroffen. Dafür ließen die Brandbomben – ein satanisches Zeug, das auf dem Wasser schwamm und brannte und nicht zu löschen war – den halben See verdampfen und eine riesige Dampfwolke über das Land wachsen. Ich kam sofort auf den rettenden Gedanken: Hinein in den Dampf und damit außer Sichtweite geraten! Ich riß den Steuerknüppel herum. Irgendwo im hinteren Teil des Panzers kreischte ein Aggregat auf, dann ging ein harter Schlag durch das ganze Gefährt. »Wir stürzen ab!« In der Tat ging es dem Erdboden entgegen, und zwar mit rasender Geschwindigkeit. Einen Herzschlag nach dem entsetzten Schrei sprangen die Maschinen des Panzers wieder an. Es war ein scheußliches Gefühl in der Magengrube, als der Flugpanzer sich überschlug. Ich versuchte noch, das Ende dieser Reise so glimpflich wie möglich zu gestalten, aber vergebens. Der Panzer rasierte ein halbes Dutzend Baumwipfel ab, dann setzte er auf einer Lichtung auf, überschlug sich dreimal, zermalmte einen Baumstumpf, walzte einen Weidenzaun nieder, und dann muß ich wohl die Gewalt über das Fahrzeug verloren haben – schlagartig wurde es finster und still um mich herum. »Einen derartigen Bruchpiloten habe ich noch nie erlebt«, sagte der Leutnant grimmig. Daß er dabei grinste, nahm dem Vorwurf nichts von seiner Richtigkeit. Wir hatten wieder einmal unglaubliches Glück gehabt. 54
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Während ich beim Aufprall besinnungslos geworden war, hatten Charriba und der Leutnant es geschafft, nicht nur sich selbst zu retten, sondern auch alle anderen aus der brennenden Maschine zu zerren, bevor der Flugpanzer in die Luft geflogen war. Es war dem Leutnant außerdem gelungen, sich beide Laserhandwaffen anzueignen, die es zu erobern gab, und eine dieser Waffen hielt er nun in der Hand, die andere hatte er einem seiner Untergebenen anvertraut. »Du hast noch nie in einem Nokther-Panzer gesessen«, sagte der Leutnant. »Habe ich recht?« Ich betastete meinen Schädel, der nicht besonders gut anzufühlen war. Immerhin lebte ich noch, wenn auch unter Schmerzen. »Wie geht es deinem Knie, Inky?« fragte ich. Der Hagere nickte zufrieden. »Immer besser«, sagte er fröhlich. »Noch zwei Abstürze dieses Kalibers, und ich wäre in der Lage, Jesse Owens zu schlagen.« Mit dem Namen konnte ich naturgemäß nichts anfangen, es handelte sich vermutlich um jemanden, der in Inkys Zeit recht bekannt gewesen, aber in meinem Jahrhundert völlig vergessen war. »Also? Ich warte auf Antwort«, sagte der Leutnant. Er grinste noch immer, aber sein Gesichtsausdruck bewies mir deutlich, daß er keinen Augenblick zögern würde, uns niederzumachen, wenn er den Eindruck hatte, es mit Verrätern zu tun zu haben. »Das ist schwer zu erklären«, sagte ich. »Erstens würdest du mir nicht glauben, und das ist sehr verständlich, denn zweitens kann ich für das, was ich sage, keinerlei Beweise erbringen. Mithin ist es ziemlich gleich55
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gültig, was ich sage – da ich es ohnehin nicht beweisen kann, ist jede Geschichte gleich gut.« »Ihr lauft mit unseren Uniformen herum, gehört aber nicht zu unserem Haufen. Wollt ihr die Komödie noch weiterspielen, oder gebt ihr zu, daß ihr nicht zu unserer Division gehört?« »Die Uniform ist gefälscht«, gab ich zu. »Der Rest auch, aber das tut nichts zur Sache.« Der Leutnant sah mich an, dann die anderen. »Eigentlich sollte ich euch sofort an die Wand stellen«, sagte er hart. »Ich weiß nicht, warum ich es nicht tue.« »Es bringt nichts«, erklärte Inky gelassen. Eine schöne Suppe, die wir uns da eingebrockt hatten – wir hatten es mit einer Welt voll Feinden zu tun, nicht als bombastische Geschichte, sondern tatsächlich, buchstäblich. Wer nicht über die Existenz und die Arbeit der Time-Squad unterrichtet war – und wer war das schon auf der Erde? – der konnte uns kein Wort glauben. Im günstigsten Falle galten wir als Drückeberger, die sich vor dem Einsatz an der Front zu verstecken suchten – das gab ein paar Jahre Haft oder Einsatz in einer Bewährungseinheit. »Es ist eine einfache Vertrauensfrage«, sagte ich und sah den Leutnant an. »Wir haben einen Spezialauftrag zu erfüllen, daher die Maskerade. Wollt ihr uns helfen?« Ich wußte, daß ich damit meine Befugnisse überschritt, aber ich sah keine andere Möglichkeit. Eines nämlich war sicher – uns einfach ziehen lassen, konnte der Leutnant nicht. Dann hätte er seine Befugnisse weit überschritten. »Wohin soll es gehen?« 56
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»Vancouver-Insel«, sagte ich. »Wir wollen ein Nokther-Raumschiff mausen.« Es dauerte einige Augenblicke, bis unsere vier Begleiter diesen Satz verdaut hatten. Ich sah, wie sich die Gesichter verzogen, wie sie ansetzten zu homerischem Gelächter, wie sie dann begriffen, daß ich nicht blöde herumgeflachst hatte … »Allmächtiger«, sagte der Leutnant. »Jungs, seid ihr völlig übergeschnappt?« »Die sind aus einer Irrenanstalt ausgebrochen …« Ich sprang auf, das Gesicht verzerrt von unglaublicher Wut … Maipo Rueda, der meine persönliche Geschichte kannte, packte mich mit festem Griff am Arm. »Beruhige dich, Tovar«, sagte er drängend. Ich preßte die Zähne aufeinander. Es kam nur sehr selten vor, daß ich mich an meine Herkunft erinnerte, meist nur, wenn jemand einen solchen Spruch vom Stapel ließ. Nur in solchen Augenblicken wurde mir bewußt, daß ich – mein Geist, mein Verstand, meine Seele, wie immer man es nennen wollte – nicht zu dem Körper gehörte. Ein Agent der Time-Squad – Tovar Bistarc – hatte bei einem Einsatz den Körper eines Debilen übernommen und den umnachteten Geist dieses jugendlichen Geistesschwachen in seinen eigenen Körper umgeleitet. Dort war ich dann zu mir gekommen, und die Ereignisse hatten es gefügt, daß ich den Körper und auch die Identität des Tovar Bistarc zur Gänze übernommen hatte. »Ich soll euch also glauben, daß ihr ein Raumschiff stehlen wollt?« fragte der Leutnant. »Eine bessere Geschichte habt ihr nicht?« 57
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»Einstweilen nicht«, antwortete ich, wieder ruhig und gefaßt. »Ihr könnt uns helfen, wenn ihr wollt.« »Ich kenne einfachere Methoden, ums Leben zu kommen«, sagte einer der Untergebenen des Leutnants. Der Leutnant zog eine krause Nase. »Hm«, machte er. »Überlegen wir vernünftig – wir stecken tief im besetzten Gebiet. Erwischen uns die Nokther, werden wir eingefangen und eingesperrt, vielleicht umgebracht. Bis zu unseren eigenen Linien schaffen wir es nie und nimmer.« »Ob ihr hier von den Nokthern erschossen werdet oder auf der Vancouver-Insel, ist kein großer Unterschied«, warf Inky ein. »Eine Frage des Humors«, sagte der Leutnant. »Erstens weiß man nie, wie es kommt, und zweitens möchte ich mir den Spaß nicht entgehen lassen, wie ihr ein Raumschiff stehlt …« »Wir bleiben also beieinander?« Der Leutnant sah seine Leute an. Nacheinander nickten die Soldaten. Dann gab mir der Leutnant die Hand. »Damit wären wir zu neunt«, sagte ich und stellte die Freunde vor. Der Leutnant hieß Ken Wood, ein baumlanger Texaner, ebenso phlegmatisch aussehend wie in Wirklichkeit reaktionsschnell und zielsicher. Ayva Canton, Sohn chinesischer Eltern, zierlich, mandeläugig und Einzelkampfspezialist; Sonny Sharp, ein muskulöser Kahlkopf, der ebenso leidenschaftlich wie kenntnisreich mit Sprengstoff umging; Ukay Fisher, der jüngste in dem Team, der sehr blaß und müde wirkte. Er galt als Funkspezialist. Für keinen der vier gab es im Augenblick eine echte Möglichkeit, sich zu betätigen. 58
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Dennoch waren wir froh, die vier an unserer Seite zu haben. Unter den Bedingungen und Gegebenheiten, unter denen wir antraten, unseren Auftrag zu erfüllen, konnten uns diese vier hartgesottenen Burschen mit ihrer Erfahrung sehr nützlich sein. Die Time-Squad war eine Polizeitruppe gewesen; ihre Ausbildung war zweifelsohne hart und gründlich, aber sie war selbstverständlich meilenweit von einer militärischen Ausbildung entfernt. »Was haben wir aufzubieten?« sagte Wood. »Zeigt her!« Es war nicht viel, zumal wir natürlich nichts von den Einzelteilen unserer Spezialausrüstung verrieten. Es gab da noch einige andere Kleinigkeiten, die in unserer Kleidung versteckt waren, die uns unter den augenblicklichen Umständen wenig zu nützen vermochten. Auch davon erzählten wir nichts. Wir besaßen zwei Waffen, deren Magazine halb leer waren. Dazu kamen vier Messer, die uns sehr nützlich werden konnten. Ein bißchen Kleingeld, ein kleiner, unzerbrechlicher Spiegel – das war alles. »Nicht gerade viel«, stellte Ken Wood fest. »Aber es wird reichen. Machen wir uns auf den Weg.« Die Himmelsrichtung stand fest, wir mußten nach Norden. Gleichzeitig orientierten wir uns nach Westen – sobald wir an der Küste herauskamen, konnten wir dort entlangmarschieren und brauchten nur noch nach der Insel Ausschau halten. Das Gebiet war stark bewaldet, dazu unbesiedelt. Es ging also über Stock und Stein, durch Urwälder, die es an Gefährlichkeit und Tücke durchaus mit ihren südamerikanischen Gegenstücken aufnehmen konnten. 59
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Wir alle waren daher sehr erleichtert, als wir nach ein paar entsetzlich anstrengenden Tagen unter uns einen hellen Streifen am Horizont erkennen konnten. Wir waren unserem Ziel nahe. Es kostete uns aber noch einen weiteren Tag, bis wir die Küste tatsächlich erreicht hatten, doch für die Mühen des Kletterns und das lausig schlechte Essen unterwegs wurden wir durch ein erfrischendes Bad im Pazifik vollauf entschädigt. Charriba, der sich mit allem auskannte, was zur Natur gehörte, schaffte es binnen kurzer Zeit, einen beachtlichen Haufen frischer Fische zu fangen, die ich dann zubereiten durfte. Es dämmerte schon, als wir endlich unsere Mahlzeit einstellten. Eine wohlige Stimmung hatte sich unser bemächtigt – fast hätte man über dem Idyll vergessen können, daß wir einen Auftrag zu erfüllen hatten. In der näheren Umgebung hatte es in den letzten Tagen keine Kämpfe gegeben. »Hat einer von euch eine Ahnung, wo wir überhaupt stecken?« fragte Inky. Mißmutig betrachtete er die Karte, die er in einer flachen Schenkeltasche seiner Uniform vor den Nokthern hatte verbergen können. Seine Verletzung war weitgehend ausgeheilt. Charribas altindianische Heilkunst erwies sich wieder einmal der modernen Medizin ebenbürtig, wenn nicht gar überlegen. Ich sah Ken an, der Leutnant zuckte mit den Schultern. »Ich kann nur raten«, sagte er und deutete auf die Karte. »Vielleicht hier!« Dann mußte die Insel bereits zu sehen sein – Ken Wood hatte einen Ort bezeichnet, der der Vancouver60
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Insel gegenüberlag. Die Sicht war indessen nicht sehr gut gewesen – es war also durchaus möglich, daß er mit seiner Vermutung richtig lag. »Wenn es stimmt«, überlegte Charriba laut, »dann müßten wir unseren Marsch in östlicher Richtung fortsetzen – in ein paar Stunden müßten wir dann Port Angeles erreicht haben.« Wir sahen uns an. »Warum nicht?« sagte Wood gelassen. »Auf zwei oder drei Stunden kommt es nun auch nicht mehr an. Ich würde es begrüßen, wüßten wir bald ganz genau, wo wir sind.« Er fand allgemeine Zustimmung für den Vorschlag. Wir tilgten unsere Spuren, soweit das möglich war, und machten uns erneut auf den Weg. Inky hielt sich an meiner Seite; er schritt wieder rüstig aus. »Glaubst du, daß wir eine Chance haben?« fragte er mich. Ich nickte. »Warum nicht«, sagte ich. »Wir haben bisher so viel Glück gehabt, warum sollen wir nicht auch jetzt Erfolg haben können? Was D. C. anfaßt, geht gut, du weißt es selbst.« Danach marschierten wir schweigend durch das nachtdunkle Land. Die seltsam friedliche Stimmung blieb lange Zeit erhalten. Erst als Charriba einen gedämpften Schrei ausstieß, kehrte ich wieder in die Wirklichkeit zurück. Wie Automaten waren wir gewandert, eine Stunde nach der anderen, halb im Traum. Charriba hatte einen Hügel erklettert und winkte uns zu, heraufzukommen. »Am Ziel«, sagte er halblaut. »Dort unten, das müßte Port Angeles sein.« 61
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Wir konnten einige wenige Lichter sehen – der größte Teil der Stadt war dunkel. Die hellen Flecken aber zeigten uns, daß wir es mit einer größeren Stadt zu tun hatten – und es gab nur eine größere Stadt in dieser Region. Ich grinste zufrieden. Den ersten Teil des Auftrags hatten wir nun erledigt. Jetzt kam die zweite Abteilung an die Reihe.
Wir bewegten uns leise, möglichst ohne Geräusch. Vor uns lag die Stadtgrenze, die ersten Häuser von Port Angeles. Was würden wir dort finden? Nokther? Oder feindselige Menschen? Zu rechnen war mit allem. Wood ging voran, hinter ihm schlichen wir hinein in die Stadt. Für die Tageszeit – es war kurz nach Mitternacht – war es erstaunlich ruhig. Wir hatten mit ein paar Nachtbummlern gerechnet, aber wir fanden nur leere Straßen. Immerhin bewiesen einige erleuchtete Fenster, daß es noch Leben in der Stadt gab. »Wißt ihr, was uns jetzt fehlt?« fragte Inky plötzlich. Ich lächelte, weil ich genau wußte, wovon Inky sprach – er wie alle anderen sehnte sich nach einem kühlen, frischen Bier, und wenn die Nokther die Vorräte nicht vernichtet hatten, mußte es davon in einer Hafenstadt wie Port Angeles noch eine Menge geben. »Suchen wir nach einer Kneipe«, schlug Sonny vor. »Wer ist dagegen?« Ich sah, daß Imhotep die Augenbrauen wölbte, aber er widersetzte sich nicht. Offenbar war er inzwischen 62
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zu der Einsicht gekommen, daß man den Menschen der Erde ihre Marotten lassen mußte. »Am besten in der Nähe des Hafens«, schlug der Leutnant vor. »Dort könnten wir gleich nach einer Möglichkeit fragen, wie man zur Insel kommt.« Der Vorschlag gefiel mir. Wir folgten der Straße, die den Hügel hinab in Richtung Hafen führte. Wenn es dort keine Gaststätte gab, dann war im ganzen Ort keine zu finden. In Port Angeles war gekämpft worden. Einige Häuserwände zeigten Spuren des Kampfes, ein Häuserblock war niedergebrannt worden, aber offenkundig hatten sich die Bewohner rasch ergeben – was war ihnen auch anderes übriggeblieben angesichts der Macht der Nokther. Inky sah mit hartem Gesicht auf die Ruinen. Ich wußte, was er dachte – vor wenigen Monaten erst hatte er in einer Zeit gelebt, in der solche Bilder zur Alltäglichkeit geworden waren. »Dort vorn«, sagte Ukay Fisher. »Ein Gasthaus!« Er deutete mit dem Finger auf das Reklameschild neben dem Eingang. Es verhieß alle Genüsse, die eine Hafengaststätte anbieten konnte, ohne mit dem Gesetz in Konflikt zu kommen. Unwillkürlich schritten wir weiter aus. Nach wenigen Minuten hatten wir das Haus erreicht. Es war eine richtige amerikanische Bar, ein langgestreckter Raum mit einer ebenso langen Theke, dahinter ein Mann mit weißem Hemd, der verdrossen Gläser blankpolierte. Wir marschierten hinein, und das Gesicht des Barkeepers hellte sich ein wenig auf. Dann sah er die Uniformen, und er wurde wieder sehr verdrossen. 63
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»Bier!« bestellte Ken Wood freundlich. »Für uns alle.« Der Barmann dachte nicht daran, uns zu bedienen. Er sah uns mißtrauisch an. »Wo kommt ihr her?« fragte er. »Es ist lange Zeit her, daß ich einen mit solch einer Uniform gesehen habe.« Wir deuteten wortlos über die Schultern. »Von dort«, sagte ich. »Und merke dir, wir haben viel Durst und sind stärker als du – also …?« Der Barkeeper zuckte mit den Schultern. »Mein Laden ist es nicht«, sagte er und füllte das erste Glas. »Wenn nachher eine Nokther-Patrouille kommt, ist es eure Sache. Es kommt ohnehin kaum noch ein Gast, da schert es mich wenig, wenn die Bude zu Kleinholz geschlagen wird.« Ich nippte an dem Bier. Es war kühl und frisch, schmeckte hervorragend, besonders nach so langer Zeit. »Üble Zeiten, wie?« Der Keeper stemmte beide Ellenbogen auf den Tisch und sah mich intensiv an. »Mister«, sagte er. »Wir sind erobertes Land, ein Großteil der Leute hat sich davongemacht, weiß der Teufel wohin, und diese ver… Nokther trinken keinen Alkohol. Und da fragen Sie, ob es üble Zeiten sind?« Ken Wood grinste über das ganze Gesicht. »Keine Angst«, behauptete er. »Wir werden den Verlust schon ausgleichen – noch ein Bier.« Ich trank langsam und sah mir die Einrichtung an. Es gab kaum etwas, was darauf hindeutete, daß der Ort seit Monaten schon von den Nokthern kontrolliert wurde. Das Leben war nach dem Überfall der Echsen einfach weitergegangen wie bisher – die Nokther hatten offenbar bislang darauf verzichtet, Marionettenre64
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gierungen zu bilden. Lange konnte diese Maßnahme nicht mehr auf sich warten lassen – ohne Regierung verfiel die Struktur des Landes recht bald, also war irgendeine Autorität vonnöten. Die Nokther, in diesem Gewerbe offenbar bestens beschlagen, warteten ab, bis sich die Eroberten von selbst um eine Aufsicht bemühten und eine Schattenregierung anboten. Sie warteten einfach, bis die Bevölkerung mangels anderer Möglichkeiten freiwillig zur Kollaboration bereit war. Es verstand sich von selbst, daß das nur zu Zerwürfnissen in den Reihen der Terraner führen konnte – und auch dies war im Sinne jener unbekannten Oberen, die wir bekämpften. Der Barkeeper beäugte uns mißtrauisch. Auf der einen Seite wäre er uns gern losgeworden, auf der anderen Seite konnte er Gäste sehr gut gebrauchen in diesen Zeiten. Aus den Augenwinkeln heraus sah ich eine Gestalt draußen vorbeigehen – wenig später hatte der Mann den Eingang erreicht und betrat die Bar. Es war ein stämmiger Bursche mit gewaltigen Muskelpaketen. Der Ring im linken Ohrläppchen wies ihn als traditionsverhafteten Fischer aus – er wäre der rechte Gesprächspartner für unseren Freund Josh Slocum gewesen. Der neue Gast kannte sich in der Kneipe aus. Er brauchte nur zu winken, um sein Getränk serviert zu bekommen. Der Ankömmling setzte sich ein paar Hocker von unserer Gruppe entfernt und trank langsam seinen Tee. »Mister«, sagte ich halblaut und sah den Fischer an. »Ich habe eine Frage … Haben Sie ein Boot?« Der Mann drehte sich langsam um, blickte mich an. Die linke Braue wölbte sich langsam in die Höhe. 65
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»Ich bin Fischer«, sagte er mit rauher Stimme. »Natürlich habe ich ein Boot, aber es gibt hier nichts mehr zu fischen. Die Fische haben sich verzogen, und wir dürfen nicht mehr ausfahren.« »Würden Sie’s trotzdem noch mal riskieren?« Jetzt war auch die andere Braue gewölbt. Der Fischer hatte hellblaue Augen, und er trug einen krausen Bart – ein richtiger Bilderbuchfischer. »Wohin?« »Rüber zur Insel«, sagte ich gelassen. »Was wollt ihr da?« »Uns umsehen«, sagte ich ebenso knapp. »Und was habe ich davon?« fragte der Fischer und wandte sich wieder seinem Tee zu. »Ganz nebenbei: Was wollt ihr da drüben sehen, Nokther vielleicht?« »Wir können bezahlen«, sagte ich. »Wir können nichts kaufen«, erklärte mein Gesprächspartner. Ein weiterer Fischer erschien und setzte sich neben meinen Gesprächspartner. Die beiden bildeten ein seltsames Gespann – der Neuankömmling war ein Winzling, aber dennoch recht muskulös. »Was also soll ich mit deinem Geld?« »Sparen für die Zeit, wenn die Nokther wieder verschwunden sind«, antwortete Inky. »Pah«, machte der Fischer. »Die verschwinden nie wieder. Vielleicht erobern sie die ganze Erde, vielleicht auch nicht – vertreiben können wir die Schuppenträger nicht.« »Das käme auf einen Versuch an«, warf ich ein. »Wie steht es – fährst du uns zur Insel?« »Nein«, antwortete der Fischer. 66
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»Und warum nicht?« »Ich fahre keine Verräter.« Im nächsten Augenblick war eine Keilerei im Gange. Ukay Fisher hatte den Vorwurf nicht auf sich sitzenlassen wollen und ausgeholt. Damit hatte es angefangen. Gelandet hatte er seinen Schlag nicht. Der Fischer hatte Ukay am Arm zu fassen bekommen und ihn einfach fortgeschleudert. Krachend landete der Soldat in der Galerie von Flaschen hinter dem Tresen. »Nicht schon wieder!« stöhnte der Barmann auf, bevor er untertauchte. Es war ein hoffnungslos ungleicher Kampf, jedenfalls rechnerisch. Wir waren in der Überzahl, die beiden Fischer hatten also keine Chance. Es war aber so, daß ein Empfinden von Fairneß uns und den Soldaten das Zuschlagen arg erschwerte. Es erschien uns grob unsportlich, den Seeleuten mit ostasiatischen Kampfsportarten auf den Leib zu rücken oder den mörderischen Tritten und Schlägen, die bei der Armee zur Einzelkämpferausbildung gehörten. Wir prügelten uns folglich wie die Fischer, und auf diesem Gebiet erwiesen sie sich als absolute Spitzenklasse. Maipo Rueda, der noch einmal zu vermitteln versucht hatte, bekam einen wunderschönen Aufwärtshaken in die Magengrube und war von da an nicht mehr ansprechbar. Verzweifelt nach Luft schnappend, blieb er auf dem Boden. Der kleinere der beiden Fischer erwies sich als der bei weitem gefährlichere Gegner. Er boxte, biß und trat, und er war von einer unglaublichen Wendigkeit. Binnen weniger Augenblicke hatte er zwei seiner Bedrän67
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ger ausgeschaltet und wälzte sich mit Imhotep auf dem Boden. Der Hüne hingegen begnügte sich damit, auf seine Schlagkraft zu vertrauen. Wer ihn treffen wollte, mußte sich dabei zwangsläufig in die Reichweite seiner Arme begeben – und dort war dann auch Endstation. Gegen die Dampfhammerhiebe dieses Riesen schien kein Kraut gewachsen. Ken Wood schaffte es zwar, einen Magenhaken anzubringen, ging dann aber nach einem Hieb vor die Brust zu Boden. Der ganze Kampf hatte nur drei, höchstens fünf Minuten gedauert, da war er auch schon zu Ende. Der einzige, der noch keinen Treffer abbekommen hatte, war ich. Irgendwie war es mir nicht gelungen, mich in die vordere Reihe zu drängeln – dafür hatte ich jetzt die beiden Schlagtots ganz allein für mich. »Jetzt zu dir«, sagte der Hüne und grinste mich an. Hätte er gewartet, bis ich ihn angegriffen hätte, wäre ich schon beim ersten Schlag erledigt gewesen. So aber streckte er seine Hände nach mir aus, um mich buchstäblich zur Brust zu nehmen. Ich spannte die Muskeln an und versuchte in der Praxis, was auf dem Übungsgelände immer wunderbar geklappt hatte. Wunderbarerweise klappte der Trick auch hier. Ich schaffte es tatsächlich, den Hünen über die Schulter zu hebeln. Wahrscheinlich kam er mir mit seinem Ungestüm sehr entgegen – jedenfalls flog er ein paar Schritte weit und landete dann auf dem Boden. Zuschlagen konnte er, aber nicht hinfallen. Er krachte platt auf den Rücken, und was für Empfindungen sich bei solchen Landungen einstellten, wußte ich nur 68
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zu gut – der Aufprall trieb einem für geraume Zeit die Luft aus den Lungen. Dem Großen traten auch prompt fast die Augen aus den Höhlen. Sein Gefährte war unterdessen nicht untätig geblieben. Er versetzte mir einen wuchtigen Faustschlag in den Magen, der mich fast zusammenbrechen ließ. Ich taumelte zurück. Wahrscheinlich hatte er meinem Gesicht entnommen, daß ich damit bedient war; es fehlte auch nicht viel, und ich wäre zusammengesackt. Aber mit dem letzten Rest von Kraft und auch ein wenig Mut rappelte ich mich auf und machte einen Schritt auf ihn zu. Es war nicht sehr fair, ihn so zu bearbeiten, aber anders war dem Kraftpaket nicht beizukommen. Ich versetzte ihm einen Tritt vor das Schienbein, und als er zusammenzuckte, setzte ich zu einer Beinschere an, die ihn umsäbelte. Ein paar Augenblicke später hatte ich den Mann fest im Griff. »Gebt ihr euch geschlagen?« fragte ich ächzend, denn er rammte mir die Ellenbogen gegen den Brustkorb. »Niemals!« Ich verstärkte den Griff, der ihm die Luft abschnürte. Lange konnte er das nicht aushalten, aber der Bursche war unglaublich zäh. »Ergebt ihr euch?« »Niemals!« Ich sah keinen Sinn darin, den Fall in die Länge zu ziehen und drückte meinem Gegner einfach die Gurgel zu. Er zappelte noch einmal und wurde dann schlaff in meinen Armen. »Nehmen Sie die Hände in die Höhe, und wehe, wenn sie sich bewegen!« 69
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Ich brauchte nicht lange zu überlegen, wer da gesprochen hatte – es konnte nur der Barmann gewesen sein. Sehr langsam richtete ich mich auf. Er stand hinter der Bar und hielt einen altmodischen Schießprügel in der Hand, den er auf mich gerichtet hatte. Der Bursche war unglaublich nervös, und das gefiel mir überhaupt nicht. Der Lauf der Waffe bebte heftig, und Leute mit so schwachen Nerven kamen in ihrer Angst schneller an den Abzug, als dem Mann vor der Mündung lieb sein konnte. »Legen Sie das Ding weg«, herrschte ich den Barkeeper an. »Wenn die Jungs zu sich kommen, brauchen sie als erstes ein Bier.« Ich kehrte auf meinen Platz zurück und griff nach dem Glas. Es schmeckte abgestanden. Der Hüne kam langsam zu sich. Während er sich aufrappelte und auf die Bar zuwankte, legte der Keeper die Waffe weg und füllte die Gläser auf. »Zufrieden?« fragte ich den Fischer. Der schüttelte als erstes wortlos den Inhalt eines Glases in sich hinein, dann wischte er sich den Schaum vom Mund. Er wandte den Kopf und grinste mich an. »Scheint, daß ihr in Ordnung seid«, sagte er. »Wenn ihr wollt, bringe ich euch rüber zur Insel – aber es ist eure Sache, wie ihr dort zurechtkommt. Es wimmelt da von Nokthern. Sie haben da nämlich einen Raumhafen.« »Ich weiß«, sagte ich sanft. Nach und nach komplettierte sich unsere Runde. Die Ohnmächtigen wurden wach und verlangten als erstes nach Bier. Draußen zeigte sich niemand, offenbar waren wir die einzigen, die sich um diese Zeit noch herumtrieben. 70
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Ich zahlte die Rechnung, den Bruchschaden eingeschlossen, dann verließen wir die Bar. Zwar fand ich diese Schlägerei einigermaßen absurd, aber wenn die Fischer Hiebe brauchten, um sich ein Bild von uns zu machen, sollte es an uns nicht liegen. Wir stapften durch die Nacht. In Port Angeles war unterdessen auch der letzte Einwohner zu Bett gegangen. Hinter uns erlosch die Beleuchtung der Bar, und damit standen wir im Finstern. Zum Glück gab uns der Mond etwas Licht. »Braucht ihr noch etwas?« fragte der kleinere der beiden Fischer. »Waffen?« »Könnt ihr bekommen«, sagte der Hüne. »Aber nur Nadler, bessere Waffen haben wir nicht.« »Nadler werden genügen«, sagte ich. Mit einem frisch gefüllten Nadler konnte man allerhand anfangen; er verschoß in rascher Folge Gelatinenadeln, die sich im Körper des Getroffenen auflösten und ihn chemisch blitzartig außer Gefecht setzten. Im allgemeinen wurden diese Waffen mit betäubenden Geschossen geladen, es gab aber auch angeblich Nadeln mit tödlicher Wirkung. »Wirken die Dinger bei Nokthern eigentlich?« fragte ich Wood. Der Leutnant zuckte zusammen, und mir wurde klar, daß ich mich einmal mehr verraten hatte. Daß ich das nicht wußte … Ich sah, daß sich Wood innerlich fragte, woher wir wohl kommen mochten. »Natürlich«, sagte er. »Und falls ihr es nicht wissen solltet – die Nokther haben ähnliche Waffen, nur ist ihre Chemie entschieden unangenehmer.« 71
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»Tödlich?« »Das nicht, aber ein Treffer reicht aus, um einem für ein paar Tage nach dem Ende der Betäubung einen Juckreiz zu verschaffen, der kaum auszuhalten ist.« »Da ist unser Boot«, verkündete plötzlich der größere der beiden Fischer. Mir fiel auf, daß wir nicht einmal die Namen dieser Männer wußten. Vielleicht war das gut so – dann konnten wir sie auch nicht verraten. Es handelte sich um kleine Segelboote, etwa zehn Meter lang. »Was denn«, sagte ich. »Damit wollen wir …« »Natürlich«, antwortete der Hüne. »Was hattet ihr geglaubt? Daß wir mit laut heulenden Turbinen über das Wasser preschen? Wir werden Glück brauchen.« Sein Begleiter setzte die Erklärung fort. »Wir müssen noch in der Nacht drüben ankommen und euch absetzen, und danach müssen wir beide wieder zurück.« »Ist das zu schaffen?« Der Hüne zuckte mit den Schultern. »Es wird schon gehen«, meinte er. »Los, steigt ein.« Mir war gar nicht wohl bei dem Gedanken, mit diesen Nußschalen über das Meer zu fahren. Aber es gab offenbar tatsächlich keine andere Wahl. Wir gingen an Bord. Die meisten sahen zu, daß sie in der Kabine ein Plätzchen fanden. Ich blieb im Cockpit. »Vorleine los!« Im Innern des Bootes tuckerte sehr leise ein Hilfsmotor. Mit seiner Hilfe glitten wir vom Kai weg und durch das nachtschwarze Wasser des Hafenbeckens hinaus. 72
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»Wie weit haben wir zu fahren?« »Ungefähr zwanzig Seemeilen«, bekam ich zur Antwort. »Das Boot ist recht flott, und der Wind steht einigermaßen günstig – in drei bis vier Stunden sind wir am Ziel.« Der Hüne saß an der Pinne, sein Begleiter bediente die Leinen. Die beiden machten den Eindruck eines gut eingespielten Teams. Wir ließen Port Angeles hinter uns liegen. Während die Stadt gleichsam vorn Dunkel verschluckt wurde, zogen die beiden Fischer die Segel hoch, die sich in einem frischen Wind sofort blähten. Dann hörte auch das Tuckern des Hilfsmotors auf. Die Fahrt ins Ungewisse konnte beginnen.
Es war pechschwarz, und nur das leise Klatschen der Wellen gegen die Bordwand verriet, daß sich das Schiff auf Wasser bewegte – sonst war fast nichts zu hören. Es war ein scheußliches Gefühl, in dieser Dunkelheit zu segeln. Man konnte keine Untiefen erkennen, keine Wracktonnen, keine Fischereizeichen. Und natürlich auch keine Riffe – aber angeblich gab es keine in dieser Gegend. Der Meeresarm, den wir zu durchsegeln hatten, war die Juan de Fuca Straße. Ziemlich genau im Norden, von Port Angeles aus gesehen, lag an der Küste der Insel die Stadt Victoria – ein boshaftes Spiel des Zufalls, wenn man daran dachte, daß dort jetzt die Nokther hausten. Die Einwohner der Stadt waren vertrieben worden. 73
Die Abenteuer der Time-Squad XVII
Das Boot machte rasche Fahrt. Der Wind wehte recht kräftig, zudem aus einer günstigen Richtung. In gleichmäßigen Bewegungen hob sich der Bug und tauchte wieder in die Wellen zurück. Bei Sonnenschein und unter anderen äußeren Umständen wäre es eine vergnügliche Segelei gewesen. So aber, in völliger Finsternis, ohne Positionslaternen oder Radar, war es eine Reise, die jederzeit zu einer Katastrophe werden konnte. Ich sah auf die Uhr. Es konnte nicht mehr sehr lange dauern, bis wir die Insel erreicht hatten. Der kleinere der beiden Fischer, die seit dem Ablegen die Zähne nicht mehr auseinanderbekommen hatten, stand im Bugkorb und hielt Ausschau nach dem Land. Hoffentlich sah er auch etwas. In der Kabine des Bootes war es einigermaßen ruhig. Nur ab und zu war ein wehleidiges Stöhnen zu hören – die Seekrankheit setzte einigen der Helden zu. Seltsamerweise blieb ich davon unbehelligt, obwohl ich wie stets ein sehr ungutes Gefühl in der Magengrube hatte. Größere Wasseransammlungen waren nicht mein Fall. »Wie lange noch?« Schulterzucken. »Halbe Stunde, vielleicht mehr.« Der Große spukte einen Kaugummi aus – die Zeiten, da Seeleute Kautabak genossen, schienen lange vorbei zu sein. »Die Waffen liegen im Schapp«, sagte der Hüne und deutete auf einen Verschlag. »Geht vorsichtig damit um, das Zeug ist geladen.« Ich sah ihn an. 74
Peter Terrid - Die Zeit-Invasoren
»Warum tut ihr das?« Wieder zuckte er nur mit den Schultern. Offenbar wußte er es selbst nicht genau. Wieder hob und senkte sich das Boot. Von einer Küste war nichts zu sehen. Mir wurde immer mulmiger zumute. Mich tröstete allerdings der Gedanke, daß, gleichgültig, was auch geschehen mochte, die nächsten Stunden unbedingt eine Entscheidung bringen mußten. In achtundvierzig Stunden spätestens waren wir entweder tot oder am Ziel, eine andere Möglichkeit gab es nicht. »Etwas steuerbord!« gab der Mann im Bugkorb durch. Das Boot steuerte auf die Küste der Vancouver-Insel zu. Wir sollten an einer unbewohnten Stelle an Land gesetzt werden, danach wollten sich unsere neuen schweigsamen Freunde davonmachen. Die Minuten verstrichen quälend langsam. Ich hatte viel Zeit, mir auszudenken, was die Nokther mit uns veranstalten würden, wenn sie uns zu fassen bekamen. Und tief in meinem Innern ging noch etwas viel Wichtigeres vor. Ich erinnerte mich an frühere Einsätze der TimeSquad und an die Gegner, die wir zu bekämpfen gehabt hatten – allen voran ein Wesen, dessen bloßer Name ausgereicht hatte und vermutlich auch jetzt noch genügte, um den Agenten der Time-Squad Angstschauer zu bescheren. Valcarcel, der Zeit-Zauberer. Valcarcel war längst tot, aber dennoch saß die Furcht vor diesem Feind tief verwurzelt. Je näher wir dem 75
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Machtzentrum des Gegners kamen, um so größer wurde die Wahrscheinlichkeit, einem dieser Wesen zu begegnen. »Die Küste«, sagte mein Nachbar. »Macht euch fertig.« Ich klopfte an die Tür zur Kabine. Inky streckte den Kopf hervor. »Wir sind da«, sagte ich. »Gleich werden wir landen.« Ich selbst konnte nur wenig erkennen. Da war irgend etwas voraus, aber was genau, das wagte ich nicht zu entscheiden. Die Fischer hatten wahrscheinlich wesentlich bessere Augen. Und dann sah ich es … Ein Feuerball, der einen grell leuchtenden Schweif hinter sich her zog und ein urweltliches Dröhnen hören ließ. Taghell wurde es mit einem Schlag, und ich wußte sofort, was ich da sah, was die Kameraden aus der Kabine hervorstürzen ließ. Vom Raumhafen der Nokther startete gerade ein Raumschiff. »Donnerwetter!« staunte Inky. Ich blickte unwillkürlich in Imhoteps Gesicht. Der Glyssaaner sah mit zusammengekniffenen Augen hinter dem Nokther-Schiff her. Für ihn, es fiel mir siedendheiß ein, mußte dieser Anblick eine Qual sein. Nichts wünschte er sich mehr als ein funktionstüchtiges Raumschiff, und jetzt sah er eines davonziehen. Ich stieß ihn an. »Den nächsten Start erleben wir im Innern«, sagte ich halblaut. Imhotep sah mich kurz an, nickte dann und lächelte. Ein Gutes hatte das Spektakel. Es war hell genug, um die Küste gut sehen zu können. Die Fischer hielten ge76
Peter Terrid - Die Zeit-Invasoren
nau auf den Strand zu, der an dieser Stelle flach und kiesig war. »Ihr müßt bald über Bord gehen«, rief unser hünenhafter Freund. »Und dann, viel Glück!« Kein Wort von Geld. Die beiden Burschen waren wirklich brauchbar. Vielleicht gab es eine Möglichkeit … Es gab keine. Ich verdrängte den Gedanken. Wir, die paar Männer und Frauen von der Time-Squad, konnten unmöglich in kurzer Frist einen Krieg beenden, in den ein ganzer Planet verstrickt war. Was zählten da die früheren Scharmützel und Völkerkriege, jetzt ging es buchstäblich um die ganze Erde. »Los jetzt!« Ich schlug dem Großen noch einmal freundlich auf die Schulter, dann sprang ich über Bord. Ich mußte mich beherrschen, um nicht laut aufzuschreien. Das Wasser war eisig kalt. Inky platschte neben mir ins Wasser, dann folgten die anderen. »Es sieht aus, als bekäme ich bei diesem Einsatz nie trockene Kleider zum Anziehen«, beschwerte sich Inky. Das Boot drehte ab. Es wurde dunkler. Das startende Raumschiff war als leuchtende Kugel noch klar zu erkennen, aber das Feuer seiner Triebwerke reichte nicht mehr aus, um das umgebende Land zu erhellen. Ich spürte großkiesigen Boden unter meinen Füßen. Beim nächsten Schritt rutschte ich auf einem tangbewachsenen Stein aus und verschwand unter der Wasseroberfläche. Rasch tauchte ich wieder auf. Dann hatten wir endlich den Strand erreicht, tropfnaß und zähneklappernd, aber wir waren auf der Vancouver-Insel. 77
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Auftragsgemäß hatten uns die beiden Fischer in der Nähe des Raumhafens abgesetzt. Wir wollten möglichst bald in eines der Schiffe eindringen und es stehlen. Bei dem bloßen Gedanken an dieses verwegene Unterfangen kribbelte es mir schon in den Fingern. »Fertig, Leute?« Sie waren alle einsatzklar. Jeder von uns hatte einen Nadler, und diese Waffen konnten ein Tauchbad vertragen. Die Time-Squad-Mitarbeiter trugen zudem immer noch die Bauteile für den Zeitpeiler. Noch hatten wir reelle Aussichten, den tollkühnen Plan auch tatsächlich auszuführen. Unser nächster Gegner war unsichtbar und hörte auf den Namen Lungenentzündung. Wir mußten uns in den nassen Kleidern schnell bewegen, damit das Zeug von der Körperwärme getrocknet werden konnte. »Lauft, Leute«, bestimmte ich. Ich trabte voran. Das Ziel des Dauerlaufs war klar. Wir wollten den Raumhafen erreichen. Er lag ein Stück landeinwärts. Vergnüglich war dieses Rennen nicht. Es war finster, wir hetzten über Stock und Stein. Schon nach kurzer Zeit wurde mir ordentlich heiß, und das war genau das, worauf es mir ankam. Wir mußten aufpassen. Unser Unternehmen war mit Zufällen – glücklichen und weniger glücklichen – schon gespickt genug. Noch mehr durften wir uns nicht erlauben – der nächste umgeknickte Fuß würde die Sache entscheiden. Einstweilen lief alles so, wie wir uns das erträumten. Niemand begegnete uns, hielt uns auf oder schoß gar auf uns. Es war, als fühlten sich die Nokther auf der Insel vollkommen sicher. 78
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Ab und zu lieferten sie uns sogar einige Hinweise auf die Lage des Raumhafens. Ich wußte von Wood, daß im Weltraum etliche Nokther-Großtransporter hingen, die nicht auf der Erde landen sollten. Die Materialien dieser Transporter wurden mit kleinen Fähren im Pendelverkehr zur Erde hinabgeschafft – ungefähr einmal pro Stunde stieg eine solche Fähre vom Raumhafen auf und übergoß das Land mit dem kalkigweißen Licht seiner Triebwerke – angeblich typisch für primitive Antriebssysteme, behauptete Imhotep. Wenn wir eines dieser Primitivtriebwerke in die Hände bekommen würden … wir wären überglücklich gewesen. In der Nähe des Raumhafens wurden wir langsamer. Jetzt mußten wir mit Wachen rechnen. Es war zwar bekannt, daß die Nokther die gesamte Insel geräumt hatten, aber das schloß nicht aus, daß sie dennoch nachsahen, ob sich die Terraner auch tatsächlich daran hielten. Immerhin waren unsere Kleider leidlich trocken. Wir mußten also wenigstens nicht frieren, als wir uns auf den Boden legten und langsam auf den Raumhafen zurobbten. »Ein Zaun«, flüsterte Inky. Damit war zu rechnen gewesen. Es fragte sich nur, ob der Zaun elektrisch geladen war. Stand er unter Spannung, dann würde der Versuch, diesen Tatbestand festzustellen, bereits dazu führen, daß die Wachen alarmiert wurden. »Versuchen wir es?« fragte Wood. Seit wir auf der Insel gelandet waren, war das Kommando über unseren seltsamen Haufen auf mich übergegangen. Ich zog den Laser. »Seid ihr fertig?« 79
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Die Männer waren sprungbereit. Es kam jetzt darauf an, möglichst schnell zu agieren. Ich zog den Hebel durch. Der Lichtstrahl des Lasers traf auf den Zaun und ließ das Metall sofort verdampfen. Tat sich etwas in den Wachstuben der Nokther? Funken und elektrische Entladungen blieben aus, aber der grelle Strahl des Lasers war natürlich weithin zu sehen. An meiner Seite folgte Wood meinem Beispiel. Mit vereinten Kräften schnitten wir ein Loch in den Zaun, groß genug, um uns durchzulassen. Daß wir den Wachen der Nokther damit einen unwiderleglichen Beweis lieferten, daß jemand in das Gelände gewaltsam eingedrungen war, konnte uns egal sein. Wir hatten ohnehin keine Zeit zu verlieren – früher oder später mußten sie uns auf einer Insel erwischen. Dann war die Öffnung groß genug. Der kniffligste Teil der Operation stand uns bevor. Wir konnten nämlich nicht warten, bis das verflüssigte Metall auf dem Boden so weit ausgekühlt war, daß man es anfassen konnte. Wir mußten über die qualmenden Pfützen hinweg steigen, und dabei mußten wir auch noch aufpassen, daß wir nicht mit dem gleichfalls glühheißen Metall des Zaunes in Berührung kamen. Ich kletterte voran, mit heftig klopfendem Herzen. Mir war gar nicht wohl in meiner Haut, aber ich schaffte es, ohne mich zu verbrennen. Die kleine Stelle an der Hand, an der sich sofort eine Blase bildete, zählte nicht als Verletzung. Nacheinander durchkrabbelten wir die Lücke im Zaun. Dann standen wir auf dem Gelände des NoktherRaumhafens von Victoria. Wir grinsten uns im Mondlicht an. 80
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»Gute Arbeit, bis jetzt«, sagte ich. »Und nun weiter!« Wir rannten los, mitten auf den Landeplatz, so schnell wie möglich weg von dem Loch, das unsere Anwesenheit verriet. Unsere weiteren Pläne waren entsetzlich einfach – Schiff suchen, einsteigen, Zeitpeiler aufbauen, Nachschub in Empfang nehmen, starten … das war alles. Wenn alles gutging, besaßen wir anschließend ein Raumschiff und waren in Sicherheit. Wenn nicht. Aber daran wollte ich lieber gar nicht denken. »Liegenbleiben!« stieß ich hervor. Noch war es nicht Zeit zum Angreifen. Wir lagen auf einem flachen Hügel, einigermaßen vom Gras gedeckt. In der Dunkelheit konnte man uns hier oben nicht ausmachen. Unter uns lag der Raumhafen, ein großes Areal, bretteben und aus meterdicken Betonplatten zusammengesetzt. Auf dieser künstlichen Ebene waren früher irdische Raumschiffe zum Mond gestartet oder zu anderen Planeten des Sonnensystems- jetzt landeten hier die Schiffe der Invasoren. Zum ersten Mal sah ich ein Nokther-Schiff aus der Nähe. Im großen und ganzen glichen die Konstruktionen irdischen Granaten – ein metallener Zylinder, der oben spitz zulief. Die Triebwerke saßen unten, die Zentrale lag unter der Spitzkuppel. Gesteuert wurde das Schiff durch einen Kranz von kleineren Triebwerken, die dafür sorgten, daß der Kurs beibehalten wurde. Eine einfache, robuste und wir81
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kungsvolle Angelegenheit – und uns so weit voraus, daß wir die Einzelheiten dieses Raumschiffs gar nicht begreifen konnten. Das vorderste der Nokther-Schiffe war nur knapp vierhundert Meter entfernt – eine Strecke, die man in zwei Minuten leicht bewältigen konnte. Zwei Minuten, dann hatten wir die offene Schleuse erreicht … Das Schiff wurde beladen. Nokther und plumpe Roboter waren an der Arbeit. Sie verstauten große Container im Innern des Schiffes. Was diese Container enthielten, ließ sich aus unserer Blickentfernung nicht feststellen. »Sollen wir es versuchen?« fragte Wood neben mir. Ich wartete noch. Die Nokther schienen unser Eindringen noch nicht bemerkt zu haben. Wir hatten also noch ein wenig Zeit, uns eine andere Möglichkeit auszudenken. »Sie werden bald fertig sein«, sagte Imhotep. »Noch drei Container, und das Schiff ist voll. Es ist übrigens startklar, wie geschaffen für unsere Zwecke.« Wood sah den Glyssaaner zweifelnd an, sagte aber nichts. Ganz und gar traute der Leutnant uns wohl immer noch nicht. Imhotep sah mich an. Ich nickte. Dies war die Chance, auf die wir gewartet hatten, eine bessere würden wir höchstwahrscheinlich nicht bekommen. »Wieviel Mann Besatzung wird das Schiff haben?« fragte ich Imhotep leise. »Ich weiß es nicht genau«, sagte der Glyssaaner. »Zwischen dreißig und vierzig, vielleicht auch weniger. Das hängt davon ab, wie hochwertig die Rechner sind.« 82
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Wenn man das Überraschungsmoment dazurechnete, hatten wir eine faire Chance – und mehr wollte ich nicht. Mit angespannten Nerven verfolgten wir, was auf dem Feld geschah. Wir sahen zu, wie die letzten drei Container an Bord verstaut wurden, wie sich die Nokther ins Schiff zurückzogen und die Roboter schweren Schrittes zu ihren Hangars zurück stapften. »Jetzt!« stieß ich hervor. Wir sprangen auf und begannen zu laufen. Noch war es dunkel, noch konnte man uns nicht sehen. Wir liefen mit weiten Sätzen, möglichst gleichmäßig, nicht zu schnell. Wir hatten nicht vor, neue Rekorde aufzustellen, und wenn wir am Ziel ankamen, durften wir nicht völlig ausgepumpt sein. Immer näher kamen wir dem Schiff. Saß dort oben einer hinter den Laserkanonen? Einer, der uns längst gesehen hatte und sich das boshafte Vergnügen machte, uns herankommen zu lassen, bevor er auf uns feuerte? Irgend etwas in mir sagte, daß wir in eine Falle liefen, aber es gab jetzt kein Zurück mehr. Das Schiff wurde größer und größer in unseren Augen. Das Metall glänzte im Licht der Scheinwerfer, und je näher wir kamen, um so heller wurde es. Bald war der kritische Punkt erreicht, an dem man uns geradezu sehen mußte. Danach blieben uns nur noch ein paar Augenblicke Zeit zur Aktion. Inky erreichte das Schiff als erster. Ich sah, wie er an der Schleuse ankam, hineinspähte und mit gezückter Waffe eindrang. Nichts rührte sich. Dann hatte ich das Schiff erreicht. 83
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»Kommt herein!« hörte ich Inky rufen. »Es ist alles in Ordnung.«
Dicht an dicht standen die Container, dazwischen war gerade Platz genug, um uns durchzulassen. Im Hintergrund erkannte ich einen Robot, der sich nicht rührte. Seltsam still war es im Lagerraum des Nokther-Schiffes. »Sie sind alle verschwunden«, teilte Inky mit. Inzwischen hatte auch der letzte Mann das Schiff erreicht. Und noch immer war kein Alarm zu hören. Schliefen die Nokther alle? »Was mag da drinnen sein?« fragte Inky und tippte mit dem Lauf seines Nadlers gegen die Metallwandung des Containers. Es klang hohl. »Keine Ahnung«, sagte ich. »Wir haben jetzt wenig Zeit für solche Fragen. Wir müssen einen brauchbaren Platz finden, wo wir den Zeitpeiler aufbauen können.« »Was für einen Peiler?« Unsere neugewonnenen Freunde waren sichtlich geschockt. Offenbar hielten sie uns für vollständig übergeschnappt. Mochten sie, wir würden sie irgendwann überzeugen können. »Irgendwo muß es eine Tür geben, die aus dem Lagerraum ins Schiffsinnere führt«, ließ sich Maipo Rueda vernehmen. »Habe ich schon gefunden«, hörte ich Inky sagen. »Hierher, Freunde!« 84
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Ich spähte noch einmal aus der offenen Schleuse ins Freie. Nichts rührte sich. Wir hatten wieder einmal mehr Glück als Verstand – nun, dazu gehörte nicht viel … würde D. C. spöttisch sagen. Ich entdeckte einen Knopf, der an dieser Stelle nur bedeuten konnte, daß er die Schleuse öffnete und schloß. Einen Augenblick zögerte ich, dann ließ ich die Finger von dem Ding. Vermutlich wurde der Zustand der Schleuse in der Zentrale kontrolliert – schon um einem Vakuumeinbruch vorzubeugen –, jedes Herumhantieren mußte also auffallen. Ich war gewillt, die Chance, die sich uns bot, so gut wie möglich zu nutzen. Noch hatten uns die Nokther nicht entdeckt – wahrscheinlich waren sie überheblich, ein Fehler, der sich bitter rächte. Ich folgte den Freunden, drängte mich an ihnen vorbei und übernahm wieder die Spitze unseres kleinen Stoßtrupps. Im Innern des Nokther-Schiffes war es sehr ruhig. Irgendwo liefen Maschinen, man konnte es am leisen Vibrieren des Bodens hören. Die Gänge waren verlassen. Es gab einen schwerkraftfreien Schacht, der mitten durch das Schiff lief. Es gab aber auch ganz normale Treppen, und wir zogen es vor, diesen Weg zu wählen. So kamen wir langsam vorwärts, der Zentrale des Schiffes entgegen. Dann wurde plötzlich das Vibrieren stärker. »Wir starten«, bemerkte Imhotep trocken. Ein Gefühl ungeheurer Spannung ergriff mich. Fast fühlte ich mich versucht, den Dingen einfach ihren Lauf zu lassen, mit diesem Schiff zum Heimatplaneten der Nokther zu fliegen … nur aus Neugierde, um der Sensa85
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tion willen. Dann aber wurde mir klar, daß die Zeit zum Handeln gekommen war. Ein merkliches Schwingen ging durch das Schiff. Dazu gesellte sich eine sehr unangenehme Empfindung in der Magengrube. »Start«, sagte Imhotep trocken. Ich sah, daß unsere Freunde glänzende Augen bekommen hatten. »Von so etwas habe ich immer geträumt«, sagte Ken Wood. »Ich wollte immer Raumfahrer werden, aber bei uns sind die Anforderungen zu hoch. Es ist immer noch ein Ausnahmejob, nicht Routine wie bei den Nokthern.« »Das wird sich irgendwann ändern«, sagte ich. »Und wenn es nach uns geht, wird es sich bald ändern.« Wir drangen weiter zur Zentrale des Nokther-Schiffes vor. Bislang waren wir niemandem begegnet; offenbar hatten die Nokther mehr als genug damit zu tun, das Schiff zu starten. Es war in der Nähe der Zentrale, als wir zum ersten Mal auf Widerstand stießen. Zwei Nokther tauchten in unserem Blickfeld auf. Sie kamen nicht mehr dazu, ihre Waffen zu ziehen. Noch bevor sie überhaupt begriffen hatten, was in ihrer Gegenwart geschah, waren sie von unseren Nadeln getroffen und betäubt. »Weiter«, sagte ich. Währenddessen beschleunigte das Schiff immer mehr. Längst mußten wir die Lufthülle der Erde hinter uns gelassen haben. Ich wußte, daß die nächsten Augenblicke kritisch werden würden. Alles hing davon ab, welche Befehle der Kommandant unseres Schiffes bekommen hatte. Ich 86
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wußte, daß in einem stabilen Orbit eine ganze Gruppe von Nokther-Schiffen kreiste. Sollten wir uns diesem Pulk anschließen, würden wir ziemlich auffallen, wenn wir den Kurs änderten. Anders sah der Fall aus, wenn das Schiff Auftrag hatte, die Heimatwelt der Nokther anzusteuern. In diesem Fall blieb uns genügend Zeit, die Zentrale zu stürmen und die dort arbeitenden Nokther gefangenzunehmen. Wenig später hatten wir die Zentrale des Schiffes erreicht. Ein Schott aus massivem Stahl trennte sie vom restlichen Schiff. Im äußersten Notfall konnte diese Zentrale raumdicht abgeschottet werden und diente den Zentralbesatzungen als Rettungseinheit. »Fertig?« fragte ich hastig. Sie nickten, einer nach dem anderen. Die Waffen hielten wir schußbereit in den Händen. Wenn wir angriffen, mußte der Überfall blitzartig kommen. Ein langwieriges Gefecht durften wir unter keinen Umständen zulassen – dabei konnten wir nur erreichen, daß Einrichtungsgegenstände zerstört wurden, die wir bitter nötig brauchten. Ich suchte nach dem Schalter. Der Knopf verschwand in der Fassung, etwas knackte leise. Dann sank das schwere Schott – ich schätzte den Stahl auf mindestens fünfzehn Zentimeter Dicke – ziemlich rasch hinab. Das Schußfeld war frei. Ich zog den Abzug meiner Waffe durch – eine wahre Sturzflut von Geschossen jagte den Nokthern entgegen, die so rasch gar nicht begreifen konnten, wie ihnen geschah. Ich zielte auf den Sitz des Kommandanten, Imhotep hatte uns verraten, wie der zu finden war. Der Nokther 87
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in dem breiten Sessel sackte in sich zusammen. Inky erwischte den Kopiloten, der ebenfalls umkippte. Höchste Eile war geboten. Im Hintergrund konnte ich verschiedene Kontrollbildschirme erkennen. Der größte zeigte das Abbild des uns umgebenden Raumes. Darauf war zu erkennen, daß das Nokther-Schiff im Augenblick auf die Parkbahn zuflog, die die anderen Schiffe eingenommen hatten – allerdings war der weitaus größte Teil dieses Pulks von der Erde verdeckt. Es kam jetzt darauf an, so schnell wie möglich den Nokthern die Gewalt über das Schiff zu entreißen. Die Zentrale mußte in Windeseile freigekämpft werden, sonst drohte uns die Gefahr, daß irgendwo eine Totmannssicherung ansprach und das Schiff einfach stillegte – in diesem Fall hätten wir in einer perfekten Mausefalle festgesessen. Ich entdeckte im Hintergrund einen Nokther, der mit einem gewaltigen Satz seinen Platz verlassen hatte und jetzt gerade seine Waffe zog. Es war eine Angelegenheit von Sekundenbruchteilen – ich erwischte ihn, bevor er die Waffe hoch genug gebracht hatte. Im Fallen löste er noch einen Laserschuß aus, der aber knapp einen Meter an mir vorbeiging und in einer Metallverkleidung einschlug. Wir brauchten nur einige wenige Augenblicke, dann war der größte Teil der Zentrale freigekämpft. Der Rest aber machte uns erhebliche Schwierigkeiten. »Imhotep!« rief ich. »Übernimm das Schiff !« Der Mann von Glyssaan machte ein Zeichen der Zustimmung und steckte die Waffe weg. Er spurtete hinüber zum Sitz des Piloten. »Inky! Halt uns den Rücken 88
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frei!« Ich hetzte hinter Imhotep her. Der Kopilot lag schwer im Sessel. Es erforderte viel Kraft, ihn hervorzuziehen und beiseite zu legen. Imhotep war mit seinem Mann als erster fertig, er setzte sich vor die Instrumente und griff nach kurzem Zögern zu. In diesem Augenblick gellte der allgemeine Alarm durchs Schiff. Jetzt wußte jeder, der an Bord war, daß etwas nicht stimmte. Sehr bald würden die ersten Nokther in der Nähe der Zentrale auftauchen, um das Schiff, wenn möglich, zurück zu erobern. Über mir schlug ein Schuß in einer Reihe von Kontrollinstrumenten ein, ein Splitterregen ging auf mich nieder. Ein paar der herabregnenden Teile waren glühendheiß und verbrannten mich ein wenig, aber ich fand keine Zeit, mich darum kümmern zu können. Imhotep prügelte das Schiff gleichsam vorwärts. Er wollte so schnell wie möglich Fahrt aufnehmen, sich aus dem Parkorbit entfernen und verschwinden, bevor andere Nokther-Schiffe die Verfolgung aufnehmen konnten. Ich tat, was Imhotep mir auftrug, mehr mechanisch als mit bewußter Konzentration. Hinter uns ging der Kampf um die Zentrale weiter, aber wir beide konnten uns darum nicht kümmern. Wir mußten das Schiff steuern, darin bestand unsere Aufgabe – gleichgültig, was auch geschah. Über die Schulter hinweg, ohne hinzusehen, rief ich Inky zu: »Wie sieht es aus?« »Noch ein paar Augenblicke«, gab er zurück. »Dann ist die Zentrale in unserer Hand.« Das war beruhigend. Auf dem Schirm nämlich tauchte in diesem Augenblick das erste Nokther-Schiff aus 89
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dem Erdschatten auf – jetzt konnten sie uns geradlinig ansteuern, wenn sie das beabsichtigten. Wir brauchten nicht lange zu warten, dann war klar, daß die Nokther die Verfolgung aufnahmen. Drei der Schiffe lösten sich aus dem Orbit und setzten sich auf unsere Fährte. Die Darstellung der Energieorter zeigte, daß sie ihre Triebwerke mit höchster Last betrieben – sie setzten alles daran, uns wieder einzufangen – oder aber uns abschießen zu können. »Zentrale frei!« rief Inky. Er tauchte in meinem Blickfeld auf, die Haare schweißverklebt im Gesicht hängend, aus einer Schürfwunde am Hals blutend, aber breit die Zähne zeigend und offenkundig guter Laune. »Dann riegelt die Zentrale ab«, bestimmte ich. »Und machte euch an die Arbeit.« Immer schneller entfernte sich das Schiff von der Erde. Längst war sie nicht mehr der weißblaue Ball auf schwarzem Grund, als der sie vom Mond aus zu sehen war – jetzt war sie nur ein besonders heller Stern unter vielen. Auf den Schirmen allerdings war sie noch deutlich zu erkennen, desgleichen die Nokther-Schiffe, die uns jagten. Es war schade, daß wir nicht dazu kamen, diesen Flug zu genießen, die Umstände ließen uns dazu keine Zeit. Nach wenigen Augenblicken war die Zentrale abgeschottet. Jetzt konnte die eigentliche Arbeit beginnen. »Was, um Himmels willen bedeutet das?« fragte der Leutnant entgeistert. Er starrte auf uns und verstand offenbar gar nichts mehr. Wir waren damit beschäftigt, unsere Kleidung teilweise zu zerstören. Wir wollten an 90
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die Bauteile für den kleinen Zeitpeiler heran, der in unsere Kleidung eingenäht war. Stück für Stück förderten wir das Gerät zutage. Inky übernahm es, die einzelnen Teile zu einem Ganzen zusammenzufügen. Es war eine Aufgabe, die eine ruhige Hand und ein gutes Gedächtnis erforderte. Nach vergleichsweise kurzer Zeit stand der Zeitpeiler betriebsbereit in der Zentrale des Nokther-Schiffes. »Jetzt brauchen wir nur noch Saft«, sagte Inky. Sein Blick wanderte suchend durch den Raum und fiel schließlich auf einen Schrank, in dem ein ganzes Bündel von Kabeln zusammenlief. »Imhotep, kannst du mir helfen?« Der Glyssaaner verließ den Pilotensitz, nachdem er den automatischen Piloten eingestellt hatte. Und während Imhotep Inky zur Hand ging und aus dem Kabelbündel eines herausdröselte, das Strom für unseren Zeitpeiler liefern konnte, versuchte ich mir ein Bild von der Lage zu machen. Ken Wood deutete auf das Panzerschott. »Sie sind auf der anderen Seite zugange«, sagte er. »Du kannst es fühlen, der Stahl wird heiß.« Dann wurde die Zeit also langsam knapp. Ich sah zu Inky und Imhotep hinüber. Sie verbanden gerade den Zeitpeiler mit der Stromleitung. Ich wußte, was für Probleme sich ergaben. Zunächst einmal war da die Sorge, ob der Peiler überhaupt noch funktionierte – es war durchaus denkbar, daß er bei den Turbulenzen der letzten Tage beschädigt worden war. Noch schwieriger war die Aufgabe, vor der die TimeSquad auf Shyftan stand. D. C. und ihre Leute mußten nicht nur unsere Zeit aufs genaueste anpeilen – und wir 91
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bewegten uns langsam in jenen Geschwindigkeitsbereich hinein, in dem sich die Zeitdilatation bemerkbar zu machen begann – sie mußten auch unseren Standort auf ein paar Meter genau treffen, und das bei einem so schnell dahinrasenden Schiff. Ein Irrtum um ein paar Zehntelsekunden konnte dazu führen, daß die Kollegen im freien Weltraum auftauchten, wo sie rettungslos verloren waren. »So, jetzt kann es losgehen«, sagte Inky und schaltete den Zeitpeiler ein. Sekunden verstrichen in quälender Langsamkeit. Dann sah ich, wie sich über den Spitzen des kleinen Projektors Schlieren in der Luft zu bilden begannen, wie sich die Luft allmählich verfärbte. Das unverkennbare Rot eines Zeitfeldes tauchte auf. Selbstverständlich war dieses Feld viel zu schwach, es hätte nur ein paar Moleküle durch den Raum und die Zeit zu senden vermocht. Aber auf Shyftan standen die Freunde bereit, die nur auf dieses kleine Zeitfeld gewartet hatten. Sie konnten es mit der großen Zeitmaschine in der Festung auf Shyftan auffüllen und uns zu Hilfe kommen. »Allmächtiger«, sagte Wood. »Und das funktioniert?« »Hoffentlich«, sagte ich. Viel Zeit hatten die Freunde nicht. Der Stahl des Schottes wurde immer heißer, bald würde er rot anlaufen, und wenn die Nokther erst einmal eine Schießscharte freigeschmolzen hatten, dann wehe uns – dann saßen wir in der Falle fest. Auf der anderen Seite der Zentrale gab es ein ähnliches Schott. Auch dort waren Nokther damit beschäftigt, uns auf den Pelz zu rücken. 92
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Ich schielte zum Zeitfeld hinüber. Nichts tat sich. Natürlich brauchten die Kollegen ein paar Minuten, um sich einzustellen. Material und Leute mußten erst auf den Weg gebracht werden. All das kostete Zeit. »Bald sind sie durch«, stellte Wood trocken fest. Nichts tat sich bei der Zeitmaschine. Ein Blick auf die Schirme. Auch dort gab es keine Veränderung – es sah allerdings so aus, als hätten die Nokther-Schiffe ein wenig aufgeholt. Vermutlich holten sie aus ihren Maschinen das letzte heraus, was wir nicht wagen durften, wenn wir eine Chance behalten wollten. Ich nahm wieder den Laser zur Hand. An dem Schott hatte sich eine hellrote Stelle gebildet. Dort würde in ein paar Augenblicken der erste Laserschuß der Nokther durchfegen und bei uns einschlagen. Ich zielte sorgfältig und traf genau. Mein Schuß schlug an eben dieser Stelle ein. Was ich erhofft hatte, trat ein. Diesem zweiseitigen Angriff war der Stahl nicht gewachsen – zu unserem Glück stoben aber die glutflüssigen Metalltropfen auf der anderen Seite heraus und überschütteten die Nokther. Viel Schaden stiften konnte ich nicht damit, aber es verhalf uns zu ein paar wichtigen, hochwertvollen Sekunden. Ein Blick zur Seite – noch immer nichts. Die Sekunden wurden immer länger und qualvoller. Es war wirklich nur ein Problem weniger Augenblicke. Schafften es die Freunde, uns mit Material zu versorgen, kamen uns ausgeruhte Kämpfer der Time-Squad zu Hilfe, dann war das Schiff bald gänzlich in unserer Hand. Waren hingegen die Nokther schneller, dann 93
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wurden die Freunde im günstigsten Falle sofort gefangengenommen, vielleicht sogar niedergemetzelt, sobald sie die Zeitmaschine verließen. »Durchbruch!« rief Wood. »In ein paar Sekunden.« Ich war nahe daran, den Befehl zum Abschalten zu geben. Dieser Raum war für uns zur Todesfalle geworden, er sollte nicht auch noch den Freunden zum Verhängnis werden. Ich öffnete den Mund. Inkys Gesicht war eine erstarrte Maske. »Kontakt!«
Ich starrte auf den Zeitpeiler. Tatsächlich. Das Zeitfeld wurde dichter, größer, stabilisierte sich zusehends. »Hurra!« schrie Inky. »Wir haben es geschafft.« Ich atmete erleichtert auf. Was machten die Nokther? Ich sah zum Schott. Es konnte die paar Augenblicke noch halten. Nur noch Sekunden, ein paar jämmerliche Sekunden, dann war die Schlacht zum größten Teil gewonnen. Ich eröffnete das Feuer auf die weißglühende Öffnung im Schott. Feuerfunken stoben den Nokthern entgegen und trieben sie zurück. Auch das half nur für Sekunden, aber sie waren so wertvoll, diese Sekunden. Dann geschah das, worauf wir alle gewartet hatten. In dem rötlich schimmernden Feld der Zeitmaschine entstand langsam ein Körper, der Leib eines Menschen. 94
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Jetzt hatten wir endgültig gewonnen. Der Körper wurde immer deutlicher erkennbar. Der Mann trug eine Waffe. Und in diesem Augenblick begriff ich, was sich vor meinen Augen abspielte. Es war zu spät. Aus dem Zeitfeld heraus ging die Waffe los. Ich spürte, wie mich etwas am Fuß traf, und dann griffen schwarze Schleier nach meinem Hirn. Die Umwelt verschwamm vor meinen Augen. Ich bekam die Waffe nicht mehr hoch, aber ich behielt sie wundersamerweise in der Hand. Klar konnte ich ihn nicht sehen, den Fremden, der unversehens in unseren Reihen aufgetaucht war – eine hagere Erscheinung, eingehüllt in einen silberblauen Anzug. Ein zweiter tauchte gerade im Zeitfeld auf. Ich begriff nur, daß wir verspielt hatten. Verloren, aus, Ende. Der Gegner hatte gewonnen – mehr als das. Er hatte den Kampf ein für allemal für sich entschieden. Denn in wenigen Minuten würde die Zentrale des Nokther-Schiffes fest in der Hand der Fremden sein. Und dann, wenn sich die Time-Squad meldete, würden sie hinübergehen nach Shyftan und dort über die Ahnungslosen herfallen. Über Joshua Slocum, über den sterbenden Divorsion, über den schweigsamen Rächer Shandrak, über Demeter … Vor meinen Augen bewegten sich schemenhafte Gestalten. Ich knickte ein, brach in die Knie. Ich sah, wie sie aus dem Zeitfeld hervorgestürmt kamen, einer nach dem anderen, die Waffen schußfertig in den Händen. Sie mußten seltsame Nadeln verwenden, denn ich wurde immer noch nicht bewußtlos – ich war außer95
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stande, etwas zu unternehmen oder richtig zu erkennen, was um mich herum geschah, aber ich wurde nicht besinnungslos. Ich sah, wie einer der Fremden umfiel und dann noch einer. Ich begriff nicht, warum, aber irgend jemand schoß auf die Gestalten in den silberblauen Anzügen. Von weit her dämmerte mir die Einsicht … Es waren die Nokther, die da unversehens zu unseren Verbündeten geworden waren. Sie hatten bislang nicht feststellen können, wer ihr Schiff übernommen hatte – logischerweise hielten sie daher die Fremden für die Angreifer. Ich hörte wütende Rufe. Es waren Stimmen, die menschenähnlich klangen, nur wesentlich rauher. Wenn ich nur etwas hätte unternehmen können … Ich wünschte und hoffte, daß die Time-Squad versagen würde, daß es zum ersten Mal den Wissenschaftlern nicht gelang, uns aufzufinden. Lieber hier gefangen für alle Zeit, abgeschnitten von den Freunden, dem sicheren Tode bestimmt, als unfreiwillig zum Verräter an den Freunden zu werden – und zum Verräter an der einzigen echten Hoffnung, die der Menschheit in diesem furchtbaren Kampf noch blieb, der Time-Squad. Ich versuchte es, stemmte mich hoch, und irgendwie klappte es. Ich kam auf die Beine, halb besinnungslos, aber dennoch. Vor mir lag einer der Fremden, er regte sich nicht mehr. Ich hörte Schreien, Waffenlärm. Der Kampf ging an mir vorbei, ich nahm nur zur Hälfte wahr, was geschah. Ich hatte Glück, lag am Rande des Getümmels, und ver96
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mutlich war mir anzusehen, daß ich in den Kampf nicht würde eingreifen können. Ich machte einen Schritt auf die reglose Gestalt zu. Wenigstens wollte ich wissen, wie sie aussahen, die Fremden, die uns eine so furchtbare Falle gestellt hatten. Die Freunde regten sich nicht mehr, sie waren offenbar gleich beim ersten Angriff der Gegner ihren Geschossen erlegen. Vielleicht war ich nur gestreift worden und deshalb noch auf den Beinen. Ich wußte es nicht, und es interessierte mich in diesem Augenblick auch nicht. Wieder gaben meine Beine nach. Neben dem Reglosen kniete ich nieder. Ich griff nach ihm, drehte ihn herum. Der Anzug lag sehr eng an. Es war eine humanoide Gestalt, hochgewachsen, übermäßig schlank, fast dürr. Die Hand, die ich sah und die eine Waffe hielt, war fünfgliedrig und ebenfalls sehr schlank. Seltsam waren die Fingernägel – sie waren pechschwarz. Dann sah ich in das Gesicht. Ebenfalls hager, fast greisenhaft, die Augen waren geschlossen. Ein ungeheurer Haß strahlte aus diesen Zügen, eine unbezwingbare Rachegier. Unwillkürlich fühlte ich mich erinnert … … alte Gemälde, Zeichnungen, Holzschnitte. Und dann eine Szene, die sich auf Atlantis abgespielt hatte: als Valcarcel, der Zeit-Zauberer, uns gefangengenommen hatte und uns zur Zusammenarbeit locken wollte, als ich ihm geantwortet hatte, wütend und herausfordernd: »Eher paktiere ich mit Satan höchstpersönlich!« Vor meinen Augen tauchte das hagere Gesicht des Zeit-Zauberers auf, darin ein Ausdruck der Verwunde97
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rung. Und ich hörte ihn wie damals erstaunt antworten: »Nana? Woher kennen Sie …?« An diesen gräßlichen Augenblick wurde ich erinnert in jener Sekunde, in der ich in das Gesicht des Fremden blickte. Es war das Gesicht, das die Zeichner und Maler der Menschen dem Bösen selbst gegeben hatten. Wohlproportioniert und doch abstoßend, satanisch schön. Ich spürte, wie der Schock mich ergriff, wie heiß die Angst in mir aufschoß. Niemals durften diese Wesen die Herrschaft über die Erde antreten, unter gar keinen Umständen. Ich sah den faustgroßen Körper am Gürtel des Reglosen. Vermutlich eine Art Handgranate. Schwindel überfiel mich. Ich mußte mich gegen die Wand lehnen, um nicht umzusinken. Das Atmen fiel mir schwer, die Bilder vor meinen Augen wurden immer verworrener und unverständlicher. Ich begriff, daß bei mir die psychische Wirkung der Droge wesentlich langsamer einsetzte, nicht als schlagartige Bewußtlosigkeit kam, sondern als langsame Bewußtseinstrübung, die erst in einiger Zeit in einer Ohnmacht enden würde. Mir blieben also noch ein paar Augenblicke, kostbare Sekunden. Ich griff nach dem metallenen Körper. Er fühlte sich an wie ein Wurfgeschoß. Ich schaffte es mit bebenden Händen, den Körper loszunesteln. Am liebsten hätte ich einen Schrei des Triumphs ausgestoßen, als ich die Granate endlich in der Hand hielt. Ich stemmte mich hoch. 98
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Die Fremden, es waren sieben oder acht, kämpften gegen die Nokther. Es war eine groteske Situation. Die Fremden schrien die Nokther an, aber die Echsenwesen reagierten nicht darauf. Sie handelten nach der Devise: Wer auf mich schießt, wird ebenfalls beschossen. Und dagegen setzten sich die Fremden energisch zur Wehr. Ich suchte den Sicherungsstift der Handgranate. Irgendwo mußte so ein Ding sein, man mußte es nur finden … Es war entsetzlich, daß ich zu einer Handlung, die normalerweise nur ein paar Augenblicke in Anspruch nahm, jetzt Minuten brauchte oder noch länger – ich konnte es nicht beurteilen, mir fehlte jedes Zeitgefühl. Wieder erschien einer der Fremden im Transportfeld der Zeitmaschine. Er kam nicht dazu, in den Kampf einzugreifen – ehe er zur Gänze materialisiert war, hatten die Nokther ihn bereits tödlich getroffen. Hoffentlich dauerte es noch ein paar Sekunden, bis sich die Freunde meldeten – dann hatten wir vielleicht doch noch eine Chance. Ich fand den Sicherungsstift. Jetzt lag alles in meiner Hand. Ich traute mir zu, die Handgranate zu werfen. Wenn ich das Transportfeld traf, und auch das traute ich mir zu, dann kam diese scharfe Granate dort heraus, wo die silberblauen Fremden herkamen. Ich vermutete, daß die Wirkung der Granate durchaus ausreichte, die Zeitmaschine des Gegners einsatzunfähig zu machen. Sie war aber ebensogut in der Lage, den anderen Weg zu gehen und in der Time-Squad-Zentrale herauszukommen. Ich mußte die Entscheidung tragen, eine Entscheidung, von der Wohl und Wehe der Menschheit abhängen konnte. Die Zähne zusammengebissen, den Siche99
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rungsstift heruntergedrückt, dann gezählt: einundzwanzig, zweiundzwanzig, wie man es gelernt hat, damals bei der Ausbildung bei diesem dicklichen Schleifer, wie hieß der noch gleich …? In letzter Sekunde kam die Einsicht, daß sich meine Gedanken in tödlichen Erinnerungen verloren. Der letzte Funke wachen Geistes ließ den Arm nach vorn schnellen, die Hand sich öffnen. Der kleine, schwarze Körper flog durch die Luft, tauchte in das Transportfeld ein, verschwand darin … Meine Glieder gaben nach, ich sackte wieder zusammen. Ein Gluthauch wehte durch die Zentrale des NoktherSchiffes. Es krachte, und Splitter sausten durch die Luft, und jemand schrie. Ich versuchte, den Kopf zu heben, ich wollte sehen, was ich angerichtet hatte. Aus dem Transportfeld der Zeitmaschine loderte es grell, ich hatte einen Volltreffer gelandet. Auf der richtigen Seite? »Demeter«, murmelte ich. Ich lag auf der Seite, sah in das Gesicht des Fremden neben mir und über dieses Satansgesicht hinweg auf das Wabern im Zeitfeld, und dann sah ich darin schemenhaft einen Körper auftauchen … Im gleichen Augenblick sackte der Arm weg, ich krachte mit dem Kopf gegen etwas Hartes, dann war die Welt für mich verschwunden. Tobender Schmerz an der Hüfte, entsetzliche Kopfschmerzen. Der Blick verschwommen. Es war heiß, sehr heiß sogar, und ich spürte mein Herz hart und laut schlagen. 100
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»Er kommt zu sich«, sagte eine Stimme. D. C.! Diese Stimme hätte ich unter Tausenden herausgehört. Ich öffnete die Augen. Ja, da war die unvermeidliche buntkarierte Baumwollbluse, die engsitzenden Hosen, der schöngeschwungene Mund, der so selten lächelte. »Wie geht es dir?« fragte Demeter Carol Washington. »Lausig«, antwortete ich schmerzgeschüttelt. »Was ist los?« D. C. wurde sachlich. »Wir haben allen ein Aufputschmittel eingespritzt, Tovar. Wir brauchen jetzt jeden Mann.« »Ich merke es«, sagte ich. Die Wirkung setzte brutal ein. Es war ein Gefühl, als würde man bei lebendigem Leibe in Öl gesotten – aber es machte wach. Ich stöhnte vor Schmerz, aber ich erlangte die Kontrolle über meine Muskeln zurück. »Das Schiff fliegt unter der Steuerung des Autopiloten«, sagte Demeter Carol Washington. »Was ist mit Imhotep?« »Kommt langsam zu sich«, hörte ich eine andere vertraute Stimme sagen. Das mußte Corve Munther sein, und als ich den Kopf wandte, konnte ich ihn auch sehen. Er hatte sich entschlossen, sich einen martialischen Bart zuzulegen, aber einstweilen sah er aus wie etwas, das der Hund im Straßengraben gefunden und zum Zerkauen mit nach Hause genommen hat. Die Zentrale sah entsetzlich aus. Kabel hingen aus zerschossenen Instrumenten, ein paar kleinere Schwelbrände waren noch nicht gelöscht 101
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worden und erfüllten die Luft mit entsetzlichem Gestank. »Was ist eigentlich passiert?« fragte ich, während ich mich aufrichtete. Ich wußte, daß ich jetzt für ein paar Stunden wieder voll belastbar sein würde, sogar zu Höchstleistungen fähig – die Quittung für diesen Raubbau würde ich in den nächsten Tagen zahlen müssen. »Wir sind gerade noch rechtzeitig gekommen«, sagte D. C. Die Chefin der Time-Squad hielt eine Waffe in der Hand. Ich sah, daß beide Zugänge zur Zentrale offen waren – in den Gängen erscholl Kampflärm. »Wir haben die Zentrale nehmen können«, sagte D. C., »danach haben wir die Nokther ein Stück zurücktreiben können – aber jetzt drohen sie damit, die Maschinenräume und damit das ganze Schiff zu sprengen, wenn wir nicht klein beigeben und uns gefangennehmen lassen.« »Das werden wir nicht tun«, erklärte ich. »Keine voreilige Tapferkeit«, sagte D. C. trocken. »Unsere Lage ist äußerst kritisch.« Ich sah mich bei ihren Worten kurz in der Zentrale um. Die Freunde hatten in mehr als einer Sicht aufgeräumt – sie hatten die Zentrale des Nokther-Schiffes freigekämpft, sie hatten die Gegner säuberlich sortiert und aufgestapelt, die Nokther in der einen, die geheimnisvollen Fremden in der anderen Ecke. Ich sah, wie Imhotep sich aufrichtete und den Kopf schüttelte, als versuche er, den Bann abzuschütteln, der ihn überfallen hatte. Ich kannte die Wirkung dieser Aufputschdrogen, sie war hochklassig, aber weder der Anfang noch das Ende dieser Therapie waren vergnüglich. 102
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»Was ist eigentlich passiert?« wollte der Glyssaaner wissen. »Wer sind diese Leute?« Er deutete auf die Fremden in den silberblauen Uniformen. Offenkundig hatte er nicht mitbekommen, was sich zugetragen hatte – wahrscheinlich hatte ihn einer der ersten Schüsse außer Gefecht gesetzt. Imhotep ging zu einem der Fremden und drehte ihn um. Ich sah, wie er erstarrte. Lange Zeit, fast eine Minute, betrachtete er das Gesicht des Fremden, vor allem das Symbol über dem Herzen – ich hatte es übersehen, es fiel mir erst jetzt auf. »So weit ist es also gekommen«, sagte er leise und wandte sich ab. »Ich bin lange weg gewesen vom Imperium von Glyssaan.« Demeter wölbte die Brauen. Imhotep sah sie an, die Augen starr geradeaus gerichtet, im Gesicht den Ausdruck einsamer Trauer. »Das Hoheitszeichen dieser Männer kenne ich«, sagte Imhotep leise. »Es ist das Zeichen des Fürstentums der Blauen Sonnen.« Ich wußte, was das für Imhotep bedeutete. Er hatte – aber das war lange Jahrhunderte her – den anscheinend ewigen Konflikt beendet, der im Imperium von Glyssaan zwischen den Egol-Fürsten und den Fürsten der Blauen Sonnen geherrscht hatte. Ghanee, die schöne Tochter des Blausonnen-Fürsten Darcyr, war Imhoteps Liebe gewesen. In der Zeit, die nun vergangen war, hatte sich einiges getan im Glyssaaner-Imperium – offenkundig war ein Teil seiner Bewohner zum Feind übergelaufen. Wir hatten keine Zeit, uns um das Problem zu kümmern. Es galt, das Nokther-Schiff freizukämpfen, bevor 103
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die restlichen Schiffe der Nokther uns einholen konnten. Denn auf den Bildschirmen – soweit sie noch funktionierten – war zu erkennen, daß die Schiffe, die wir bei Beginn des Kampfes im Orbit gesehen hatten, sich nun auf unsere Fährte gesetzt hatten und hinter uns her jagten. Einen überlichtschnellen Flug konnten wir nicht ansetzen, den hätten uns die Nokther im Maschinenraum unmöglich gemacht. Es blieb uns nur die Möglichkeit, das Schiff freizukämpfen und dann endgültig zu fliehen. Ich suchte mir eine Waffe und verließ die Zentrale. Bis zur Kampflinie brauchte ich nicht weit zu gehen. Ein paar Dutzend Meter, und ich hatte die Weggabelung erreicht, an der sich unsere Leute verschanzt hatten. Es war ruhig, als ich dort ankam. Offenbar hatten beide Parteien eingesehen, daß sie nicht weiterkamen in diesem Kampf. Ich blieb in sicherer Deckung und sah mich um. »Kann man nichts unternehmen?« fragte ich. Den Mann, der die vier Time-Squad-Kämpfer anführte, kannte ich nicht. Er sah mich ergrimmt an und schüttelte den Kopf. »Leider nicht«, sagte er. »Sobald sich einer von uns zeigt, wird er beschossen, und drüben gilt das gleiche.« Damit war uns nicht gedient. Inky kam an meine Seite. »Gibt es hier Abwasserkanäle?« fragte er. »Bitte?« »Gräben, Schächte, Stollen – ein zweites Wegsystem, das nicht benutzt wird. Jede Großstadt hat so etwas, und eigentlich müßte es das hier auch geben.« 104
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Ich kniff die Augen zusammen. »Suchen wir!« schlug ich vor. Wir brauchten eine Viertelstunde, dann hatten wir gefunden, was Inky gesucht hatte. Es gab Abwasserschächte, nicht sehr groß, alles andere als geräumig, aber man kam darin vorwärts. Inky stieg als erster ein, ich folgte – mehr Leute wollten wir nicht einsetzen. Es verstand sich von selbst, daß es in diesen Röhren entsetzlich stank. Mir war alles andere als wohl zumute, als wir uns Meter für Meter durch die Röhren zwängten. Vielleicht kamen die Nokther auf ähnlich gute Ideen, dann konnte es munter zugehen. Einstweilen aber stießen wir nur auf allerlei Unrat, den wir beiseite schieben mußten, um vorwärts kommen zu können. Die Maschinenräume lagen unter der Zentrale, und die künstliche Schwerkraft sorgte dafür, daß man sich auch in diesem Stollensystem unter normalen Bedingungen bewegen konnte. Hätten wir in einer dieser glatten, schmierigen Röhren nach oben klettern müssen, wäre der Auftrag gescheitert. Es gehörte schon der Mut der Verzweiflung dazu, die senkrechten Schächte zu benutzen. Die Wände bestanden aus Metall, es war viel flüssiger Abfall darin geflossen; dementsprechend glatt und schmierig waren die Schächte, man konnte leicht den Halt verlieren und einige Dutzend Meter in die Tiefe sausen. Niemand von uns wußte, wo diese Schächte mündeten und zusammenliefen, möglicherweise in einem vollrobotischen Abfallvernichter, und der würde sicherlich keinen Unterschied machen zwischen uns und dem, was er normalerweise verarbeitete. Wir mußten uns mit 105
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aller Kraft abstemmen, uns förmlich in den senkrechten Schächten verkeilen, um diesem Schicksal zu entgehen. Zusätzlich war es alles andere als einfach, sich bei der wüsten Kletterei überhaupt zu merken, wo man sich befand – es gab in den stählernen Eingeweiden des Schiffes keine Hinweistafeln. Wir mußten uns gänzlich auf unser Orientierungsvermögen verlassen. Von irgendwoher kam ein förmlicher Sturzbach einer scheußlichen Brühe, die uns sofort einnäßte, noch dazu mit irgendeinem klebrigen Schleim, der grauenvoll stank. »Ich glaube, wir sind bald am Ziel«, flüsterte Inky. »Ich kann Lärm hören.« Hoffentlich hatte er recht, diese Sache gefiel mir mit jeder Minute weniger. Dazu kam, daß sich das Aufputschmittel immer stärker bemerkbar machte. Alles in mir drängte nach körperlicher Aktion, dieses Eingesperrtsein machte mich fast wahnsinnig. Inky hatte recht. Wenig später hörte ich ebenfalls Maschinenlärm, dazwischen aufgeregte Nokther-Stimmen. Wir mußten uns in unmittelbarer Nähe der Maschinenzentrale befinden. Wir krochen einen Querstollen entlang, dem Geräusch entgegen. Als es nicht mehr lauter wurde, ahnten wir, daß wir die richtige Stelle erreicht hatten. Jetzt kam es darauf an, aus diesem Röhrensystem wieder herauszukommen, und zwar ohne daß die Nokther uns sofort entdeckten und entweder erschossen oder als Geiseln nahmen. Wir erreichten eine Abdeckung. In ihrer Nähe war es ruhig. Vorsichtig öffneten wir den Deckel. Es war dunkel um uns herum. Offenbar wurde der Raum gerade nicht benutzt. Hastig schlüpften wir aus der ekligen 106
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Röhre und orientierten uns. Der Raum war klein und leer, eine verlassene Rumpelkammer. »Ich habe die Tür gefunden«, verriet Inky nach einer kurzen Weile. »Bist du bereit?« Ich nickte, dann fiel mir ein, daß wir ja nichts sehen konnten. »Vorwärts«, sagte ich halblaut. Die Tür flog auf, gleißend helles Licht schlug uns entgegen. Wir waren einen Augenblick lang völlig geblendet, dann rannten wir auf die Helligkeit zu. Sie wurden völlig überrascht. Noch bevor sie die Waffen in die Höhe bekamen, flogen ihnen unsere Narkosenadeln entgegen. Wir hatten frische Magazine mit Hunderten von Nadeln, und diesem Platzregen von Geschossen konnte man fast nicht entgehen. Der Reihe nach sanken die Nokther nieder. Ein paar versuchten noch, Widerstand zu leisten, aber unser Angriffsgestüm fegte auch sie von den Beinen. Wir brauchten nicht mehr als ein paar Minuten, dann war der Maschinenraum in unserer Hand. Ich stellte eine Sprechverbindung zur Zentrale her. Auf dem Schirm erschien Demeters schöner Kopf. »Alles klar, Chefin«, sagte ich grinsend. D. C. rollte mit den Augen, als sei ihr unverhofft der Weihnachtsmann begegnet – vermutlich lag das an meinem Aufzug. Ich mußte entsetzlich aussehen. »Wir können von hier verschwinden.«
Ich war gespannt wie der sprichwörtliche Flitzbogen, als Imhotep das Manöver zum überlichtschnellen Flug 107
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einleitete. Wenn ich ihn richtig verstanden hatte, dann gab es einige Spezialprojektoren an Bord, die in Flugrichtung eine Art energetischer Röhren schufen, in denen die normalen Gesetze des Einsteinraums nicht galten. Infolgedessen war auch die Gesetzmäßigkeit außer Kraft gesetzt, daß kein Körper sich mit Lichtgeschwindigkeit oder gar schneller bewegen konnte. Das NoktherSchiff flog mit mehrtausendfacher Lichtgeschwindigkeit – wenn es richtig bedient wurde. Und das wiederum war der eigentliche Haken an der Geschichte. Unsere Mannschaft war alles andere als erfahren im Umgang mit den Einrichtungen des NoktherSchiffes. »Fertig!« Imhotep tat nicht sehr viel, er legte nur einen recht massiven Hebel um. Irgendwo tief im Schiffsinnern brummte etwas recht laut, und dann sahen wir, wie das Schiff einen förmlichen Satz machte – die Sterne in der Außenprojektion bewegten sich plötzlich sehr schnell. Imhotep drehte sich zu uns herum, er strahlte über das ganze Gesicht. »Es funktioniert«, sagte er stolz. »Wir haben jetzt ein Schiff, ein richtiges Raumschiff, wenn auch mit kleineren Schäden. Aber das bekommen wir rasch wieder hin.« Er wies auf die Kampfspuren in der Zentrale des Nokther-Schiffes. Inky hatte einen Einwand. »Was machen wir mit den Gefangenen?« fragte er. Sie waren in Kabinen eingesperrt worden – siebzehn Nokther und sechs Blausonnenleute. Die Blausonnenleute waren uns unerhört ähnlich – biologisch 108
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so verwandt, daß es in den Entwicklungsgeschichten irgendwo einen Zusammenhang geben mußte. Von den Nokthern konnte man das nicht sagen – sie mochten sagen und tun, was sie nur wollten, sie blieben anders als wir. Und es gehörte zu einer der bedauerlichsten Grunderscheinungen menschlichen Lebens, daß die Menschen anders immer mit schlechter verwechselten – und in diesem Punkt waren sie den Nokthern sogar sehr verwandt. Es wäre daher völlig sinnlos gewesen, auch nur den Versuch machen zu wollen, sie auf Shyftan zu integrieren. Sie wollten nicht, und die Menschen würden auch nicht sehr begeistert sein – die Urbevölkerung des Planeten stand auf einer Kulturstufe, die auf der Erde dem ausgehenden Mittelalter in Europa gleichkam. Damals hätte man auch keine Echsen integrieren können. »Wir werden versuchen, auf Shyftan einen Kontinent für sie freizumachen, nach und nach«, sagte Demeter. »Eine andere Lösung weiß ich nicht.« »Die Shyftaner werden sich freuen«, meinte Inky trocken. »Und die Blausonnenleute?« fragte Imhotep. »Wir werden sie mitnehmen in die Zeitfestung«, bestimmte D. C. »Dort werden wir versuchen, ob es zu einer Verständigung kommen kann.« »Ich werde mit den Leuten reden«, versprach Imhotep ruhig. Ich lehnte an einer Wand und sah dem Treiben in der Zentrale zu. Noch war ich ausgeruht und frisch, aber in spätestens vier Stunden würde der Zusammenbruch kommen. Was mich auf den Beinen hielt, war Chemie, nicht Willenskraft. 109
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»Und die Toten?« Demeter preßte die Lippen aufeinander. »Ich schlage vor, sie im Weltraum zu bestatten«, sagte sie. »Ich kenne die Bestattungsgebräuche der Nokther nicht – es scheint mir die beste Lösung zu sein.« »Wohin hat man die Toten gebracht?« wollte ich wissen. »In einen Hangar«, erklärte D. C. »Ich schlage vor, wir bringen die Angelegenheit hinter uns. Sie ist unerfreulich genug.« Da hatte sie recht, und wir konnten froh sein, daß es bei uns nur einige Verletzungen gegeben hatte. Die Time-Squad hatte wieder einmal Glück gehabt. Wir verließen die Zentrale. Imhotep schaltete den Autopiloten ein, der das Schiff sicher auf dem einprogrammierten Kurs halten würde. Nur eine Sicherheitswache blieb in der Zentrale zurück, als wir uns auf den Weg zum Hangar machten. Die Toten waren in Tücher gehüllt worden und lagen auf dem metallenen Boden des Hangars. »Daß immer wieder gestorben werden muß«, sagte Demeter leise. »Ich bin des Tötens überdrüssig, und da kann mich nicht einmal trösten, daß wir soviel Glück haben.« Ich nickte. Viel mehr gab es dazu nicht zu sagen. Ich winkte Inky zu. Wir wollten uns an die Arbeit machen, die Toten in eine Schleusenkammer zu schaffen. Wir näherten uns einer der Gestalten, dem Umriß nach handelte es sich um einen Blausonnenmann. Er war durch einen Kopfschuß getötet worden; auf dem Laken zeichnete sich noch eine blutige Stelle ab. 110
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»Sag einmal«, meinte Inky plötzlich. »Wie heiß ist eigentlich so ein Laserschuß?« Ich runzelte die Stirn. »Ein paar tausend Grad«, antwortete ich. »Warum?« »Wie kann eine solche Wunde noch bluten?« fragte er. Ich wollte gerade antworten, als sich die Gestalt zu regen begann, auf die Inky gezeigt hatte. Eisiger Schrecken durchfuhr mich. Was war hier geschehen, was spielte sich hier ab? »Vorsicht!« schrie Inky. »Er lebt noch!« Das Laken flog zur Seite, der Blausonnenmann, stürzte sich auf Inky, das Gesicht wutverzerrt. Das Gesicht war fast weiß, deutlich zeichnete sich über der Nasenwurzel ein dunkelrotes Loch ab. Inky sprang zur Seite, ließ den Mann in die Leere laufen. »He«, sagte Inky. »Der Bursche will mich beißen, hat man so etwas je erlebt?« Hoffentlich hielt die Wirkung des Betäubungsmittels an, dachte ich. Hoffentlich bekommen wir ihn noch zu fassen, bevor es zu spät ist. »Vorsicht!« rief ich mit höchster Stimmkraft. »Ein Vampir!« Unter normalen Umständen hätten wir laut gelacht, Vampire gab es nicht, das stand wissenschaftlich einwandfrei fest. Aber uns war in dieser Situation nicht nach Lachen zumute – wir hatten auf diesem Gebiet schon zuviel erlebt, um noch Zweifel zu haben. Ich sah, wie D. C. ihre Waffe zog – es war ein Laser. 111
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Der Auferstandene schritt langsam auf sie zu. Sein Anblick war grauenerregend. Ich sah tatsächlich die gewaltig verlängerten Eckzähne, die unglaubliche Gier im Blick des Mannes. »Zurück!« sagte Demeter. Der Blausonnenmann ging weiter. Inky hob seine Waffe und schoß auf ihn. Die Nadeln schlugen in den Körper des Blausonnenmannes ein, aber er fiel nicht. Wie Valcarcel, dachte ich, und nackte Furcht griff nach meinem Herzen. D. C. richtete den Laser auf den Angreifer. »Ich werde schießen«, sagte sie. Ich wußte im gleichen Augenblick, daß das nichts nützen würde. Ich rannte los. Es waren nur ein paar Meter, aber sie schienen mir entsetzlich lang zu werden. Alles spielte sich wie in Zeitlupe ab. Der Fremde hob die Arme, um nach D. C. zu greifen. Aus der Waffe der Frau löste sich ein Schuß, der traf. Der Fremde zeigte keine Reaktion, und jetzt sah ich, wie sich das Grauen in Demeters Blick einnistete. Ich schnellte mich nach vorn, bekam die Beine des Fremden zu fassen und warf ihn um. Im gleichen Schwung sorgte ich dafür, daß ich abrollte und wieder auf die Beine kam. Der Fremde kollerte schwerfällig über den Boden, dann richtete er sich wieder auf. »Mit Schüssen ist er nicht zu stoppen!« schrie ich. »Imhotep, kennst du ein Mittel?« Der Fürst der Glyssaaner stand kreideweiß neben D. C., er war offenbar nicht mehr in der Lage, auch nur ein Glied zu rühren. 112
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»Inky, wir müssen ihn fesseln.« Wieder taumelte der Fremde auf Demeter zu. Er schien kein anderes Ziel zu kennen. Wieder schoß die Chefin der Time-Squad, wieder traf sie, aber es zeigte sich keine Wirkung. War dieses Wesen unsterblich, tatsächlich unverwundbar? Nein, der Körper zeigte Verletzungen – nicht aber der dämonische Wille, der diesem Körper gebot. Ich erinnerte mich daran, daß Divorsion von den Oberen erzählt hatte, sie könnten fremde Körper übernehmen – waren wir jetzt Zeugen eines solchen Schauspiels? Ich nahm neuen Anlauf, eilte auf dem Fremden zu, versuchte, ihn umzuwerfen. Er fegte mich mit einer ruckhaften Bewegung des Armes zur Seite – ich glaubte fast hören zu können, wie meine Rippen barsten. »Stricke her!« schrie Inky. Er war von hinten an den Fremden herangegangen. Der ließ sich Zeit, offenbar in dem Bewußtsein, daß nichts und niemand ihn aufhalten konnte. Er tappte auf Demeter zu. Die Chefin der Time-Squad hatte ihre Waffen fallen lassen, sie war nutzlos geworden. Ich kam wieder hoch, griff nach meinem Laser. Vielleicht gab es doch eine Methode … Inky legte von hinten eine Schlinge um den Oberkörper des Fremden und zog zu. Nur für ganz kurze Zeit ließ sich der Fremde davon beeindrucken, dann spannte er die Muskeln an. Der Strick riß, Inky kippte hintenüber. Nichts, so schien es, war imstande, dieses Wesen zu stoppen. Ich hob den Laser, zielte sorgfältig und drückte ab. Der Schuß saß im Ziel. Mochte der Fremde, der den 113
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Blausonnenmann geistig übernommen hatte, auch unverwundbar sein – sein Wirtskörper war durchaus verletzbar. Mein Schuß hatte den Beinen gegolten, und er war erfolgreich. Der Fremde kippte um, landete polternd auf dem Boden. Ein Heulen war zu hören, ein Klanggemisch aus Haß und Wut, ein so infames Geräusch, daß man es kaum ertragen konnte. Er robbte auf dem Boden weiter, aber er konnte jetzt nicht mehr gefährlich werden. Es war ein erschütternder Anblick. Wir traten sehr vorsichtig näher. Er lag auf dem Rücken, und sein Gesicht war eine einzige Fratze des Hasses. »Was ist das für ein Wesen?« fragte D. C. schreckensbleich. Ich sah keinen Grund, mit meiner Vermutung hinter dem Berge zu halten. »Wahrscheinlich ein Oberer«, sagte ich leise. »Er scheint, zumindest innerhalb gewisser Grenzen, Herr über Leben und Tod zu sein.« Er oder es hatte sich in der Gestalt des Blausonnenmannes an Bord begeben. Als er erkannt hatte, daß dieser Kampf nicht mehr zu gewinnen war, hatte er die Stirnwunde vorgetäuscht – vermutlich durch Hypnose – und sich tot gestellt. Erst als er erkannte, daß er im Weltraum ausgesetzt werden sollte, war er zu neuem, schrecklichen Leben erwacht. »Imhotep, befiehl einigen Robots, sich um ihn zu kümmern«, sagte D. C. »Und versorgt seine Wunden, schnellstens!« Wir umstanden das Bett. Er war daran gefesselt worden, mit stählernen Bändern. 114
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Das Gesicht war noch immer wachsbleich, die Augen lagen tief in den Höhlen. Sie funkelten uns haßerfüllt an – in jenem irrlichternden, raubtierhaften Gelb, das wir von Valcarcel kannten. Seit zwei Stunden versuchte D. C., den Mann zum Sprechen zu bringen, ohne den geringsten Erfolg. Die Verletzung des Blausonnenmannes war mit einer Geschwindigkeit geheilt, die nichts mehr mit natürlichen biologischen Abläufen zu tun hatte – es grenzte an Hexerei. Ich sah auf ihn herab, auf die Eckzähne des Mannes. Die anderen Blausonnenmänner hatten völlig normale Zähne. Dieser war der einzige, der jene Gebißform aufwies, die wir nur von unglaubwürdigen Erzählungen her kannten. »Kann mir einer erklären, was das Ganze zu bedeuten hat?« fragte Inky. D. C. schüttelte den Kopf. »Wir stehen vor einem absoluten Rätsel«, sagte sie leise. »Wir haben den Mann untersucht, er ist eigentlich tot – niemand kann mit einer derartigen Hirnverletzung leben. Und doch lebt er.« »Hm«, machte Inky. »Ich habe schon einmal etwas über Vampire gehört, die angeblich nicht zu töten sind.« »Ja? Und?« Inky zog die Nase kraus. »Also«, sagte er und machte ein Gesicht, als schäme er sich, darüber zu reden. »Es soll allerlei gegen einen solchen Vampir helfen – unter anderem Kreuze und Weihwasser.« 115
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»Können wir ausprobieren«, sagte D. C. »Noch mehr?« Inky sah sich ratsuchend um. »Es erscheint mir irgendwie dumm, darüber zu reden«, sagte er zögernd. »So etwas kenne ich nur aus Romanen, in der Wirklichkeit gibt es so etwas gar nicht.« D. C. nickte. »Trotzdem können solche Informationen von großer Bedeutung sein«, überlegte sie laut. »Seit dem Aufkommen der Massenkommunikationsmittel hat sich das Bildungsgefüge auf der Welt beachtlich verschoben. Die Medien haben sich ihren eigenen Mythos geschaffen – was wir über Vampire wissen, geht zum größten Teil auf Klischees zurück, die von den Medien geschaffen wurden. Wichtig wäre es jetzt, auf den Ursprung dieser Mythen und Legenden zurückzukommen.« Sie sah Inky freundlich an. »Die ersten Vampirgeschichten stammen aus dem zwanzigsten Jahrhundert«, sagte sie auffordernd. »Bin ich das Jahrhundert?« fragte Inky zurück. »Aber trotzdem, ich will berichten, was ich weiß – oder was überliefert ist, wie immer man es nennen will. Gegen Vampire hilft auch Knoblauch.« »Richtig«, bestätigte ich. Ich dachte an eines unserer ersten Kommandounternehmen. Es hatte sich um einen Vorstoß um mehrere Jahrzehntausende gehandelt. Herausgekommen waren wir auf einer Welt, auf der wir als erstes auf eine gigantische Knoblauchplantage gestoßen waren. Uns war das damals als komplette Absurdität erschienen, jetzt bekam die Sache ein anderes Gewicht. »Knoblauch können wir beschaffen«, sagte D. C. 116
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Der Vampir konnte jedes Wort verstehen, aber er rührte sich nicht. Er fletschte nur die Zähne. »Und es gibt angeblich nur ein einziges Mittel, einen Vampir ein für allemal zu töten«, fuhr Vicky fort. Sein Gesicht nahm eine wächserne Farbe an. Ekel übermannte ihn. Ich sah, wie er nach dem Vampir schielte. »Man muß ihm einen hölzernen Pflock durchs Herz treiben«, sagte Inky. »Chefin, das haben Sie doch nicht wirklich mit ihm vor?« »Natürlich nicht«, sagte D. C. lächelnd. »Aber ich schlage vor, daß wir eine Probe anderer Art unternehmen.« Sie winkte eine Gruppe von Medizinern heran. »Ist alles vorbereitet?« fragte sie. Die Mediziner nickten. »Dann machen Sie sich an die Arbeit.« Wir traten zurück. »Was haben Sie vor, Chefin?« fragte ich entgeistert. D. C. zeigte ein abweisendes Gesicht. »Wir müssen klarsehen«, sagte sie. »Ich habe die Mediziner angewiesen, diesen Mann am Herzen zu operieren.« »Sie wollen sich sein Herz ansehen?« fragte ich. »Und dann?« »Das wird sich weisen«, sagte Demeter Carol Washington. Ich kannte den Ausdruck ihres Gesichts. So sah sie immer aus, wenn sie gewaltige Verantwortung auf sich lud. Was hatte sie wirklich vor? Die Mediziner bereiteten den Eingriff vor. Mit modernen Mitteln war es einigermaßen leicht, keimfreie Verhältnisse herzustellen. Wasserdampf und Vakuum erledigten an Keimen, was die Chemie noch übriggelas117
Die Abenteuer der Time-Squad XVII
sen hatte. Wir bekamen Mundtücher verpaßt und wurden in keimfreie Garderobe gesteckt. »Irgendeiner dabei, der kein Blut sehen kann?« fragte D. C., bevor sie sich den Mundschutz überstreifte. Ich sagte nichts, vorsichtshalber. Sich beim Holzhacken einen Finger halb abzutrennen, wobei Blut in Strömen floß – das konnte ich aushalten, auch wenn es andere betraf. Aber eine Operation am offenen Herzen? »Fangen Sie an«, sagte Demeter. Sie brauchten nicht viel Zeit. Sie mußten nur ein wenig aufpassen, daß sie nicht in die Reichweite des Vampirs kamen – der Bursche schnappte allen Ernstes nach jedem Stück Fleisch, das in die Nähe seiner Zähne kam. Eine Viertelstunde später lag das Herz frei. »Sehen Sie es sich an«, sagte der Chefarzt. »Völlig normal.« Wir beugten uns über den Körper. Eigentlich hätte der Patient ohnmächtig sein müssen, aber er konnte sich noch immer bewegen. Schmerz empfand er allerdings nicht – und das bestätigte den schrecklichen Verdacht, daß hier zwei Wesen in einem zu finden waren. Wie man sich für gewöhnlich ein Herz vorstellte, sah das Gebilde nicht aus. Es war eine rote, unförmige, zuckende Masse. »Schneiden Sie es auf !« sagte D. C. »Das können wir nicht«, sagte der Mediziner. »Was hätte das für einen Sinn?« »Öffnen Sie das Herz, nur für ein paar Augenblicke. Der Patient wird den Eingriff überstehen, das haben wir ja bereits gesehen. Er hat eine ungeheure Heilfähigkeit.« 118
Peter Terrid - Die Zeit-Invasoren
»Wie Sie wollen, Chefin.« Immerhin sorgte der Arzt mit einem Stromstoß erst einmal für eine Herzblockade, bevor er zum Skalpell griff und den Schnitt führte. Demeter reagierte als erste. Ihre rechte Hand zuckte hoch – sie enthielt einen weißlich schimmernden Behälter. Sie bewegte die Hand, richtete sie auf den schwärzlichen Dampf, der aus dem offenen Herzen aufstieg und sich rasch verbreitete. Ein Spray setzte sie gegen diesen Dampf ein. Ein grauenvoller Schrei gellte durch den Raum. Die Ereignisse nahmen nur ein paar Augenblicke in Anspruch, aber nie in meinem Leben würde ich diesen Augenblick vergessen. Mitten im offenen Herzen des Blausonnenmannes saß eine schwärzlich pulsierende Masse, die aufzustäu ben versuchte, aber von Demeters Spray sofort daran gehindert wurde. In gelbgrünen Kristallen schlug sich der schwarze Nebel nieder. Und gleichzeitig begann der Körper des Blausonnenmannes zu verfaulen. Der entsetzliche Knoblauchgestank aus Demeters Spraydose machte einem ebenso gräßlichen Verwesungsgeruch Platz. Die Mediziner wichen zurück. Demeter war totenblaß geworden. »Was ist das, Chefin?« fragte Inky, dem die Augen aus dem Kopf zu quellen schienen. D. C. wandte sich ab. Auf dem OP-Bett lag jetzt nur noch eine schwärzliche, stinkende Masse – und mitten darin ein Kristall, gelbgrünlich glühend. D. C. wies auf den Kristall. »Das ist unser Feind«, sagte sie. »Ein Lebewesen, das zu Kristall erstarrt, wenn es mit Knoblauchdämp119
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fen oder einigen aromatischen Bestandteilen von Baumharz in Berührung kommt. Dieses Lebewesen sitzt mitten im Blutstrom seines Opfers, in einer der Herzkammern, und es ernährt sich vom Blut seiner Opfer.« Ich schüttelte mich. Inky mußte sich festhalten, um nicht umzusinken. »Dieses Lebewesen hat die Fähigkeit, seinem Opfer diese Hohlzähne wachsen zu lassen, durch die es zum einen seinem Wirtskörper neues Blut zuführt, zum anderen so in der Lage ist, sich zu vermehren, indem es durch den Zahnkanal in die Blutbahn eines neuen Wirts eindringt und sich in seinem Herzen einnistet.« »Grauenvoll«, sagte Imhotep. »Was soll das für ein Lebewesen sein?« D. C. lächelte müde. »Das wissen Sie nicht?« fragte sie. »Wir reden doch ununterbrochen über sie – dieser Kristall war einmal ein Oberer!« Unwillkürlich hefteten sich unser aller Augen auf das OP-Bett. Vom Leib des Blausonnenmannes war nichts mehr zu sehen, er hatte sich verflüchtigt. Zu erkennen war nur ein unregelmäßiger, gelbgrüner Kristall. Mir wollte es scheinen, als schimmere er im Tode noch so tückisch, wie er zu Lebzeiten gewesen war. Endlich hatte die Time-Squad ihren Gegner zu Gesicht bekommen, kannte sie sein Geheimnis. Jetzt konnte zum Gegenschlag gerüstet werden. ENDE
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