Uwe Brandenburg | Jörg-Peter Domschke Die Zukunft sieht alt aus
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Die Zukunft si...
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Uwe Brandenburg | Jörg-Peter Domschke Die Zukunft sieht alt aus
Uwe Brandenburg | Jörg-Peter Domschke
Die Zukunft sieht alt aus Herausforderungen des demografischen Wandels für das Personalmanagement
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage September 2007 Alle Rechte vorbehalten © Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2007 Lektorat: Ulrike M. Vetter Der Gabler Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Nina Faber de.sign, Wiesbaden Druck und buchbinderische Verarbeitung: Wilhelm & Adam, Heusenstamm Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier. Printed in Germany ISBN 978-3-8349-0123-1
Inhaltsverzeichnis
5
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis ....................................................................................................... 7 1. Zu diesem Buch .......................................................................................................... 13 2. Dimensionen des demographischen Wandels............................................................. 17 2.1 Die quantitative Dimension des demographischen Wandels ............................ 18 2.2 Die qualitative Dimension des demographischen Wandels .............................. 44 2.3 Die regionale Dimension des demographischen Wandels ................................ 55 2.4 Exkurs: Amerika, hast du es besser?................................................................. 57 2.5 Exkurs: Werden wir wie Japan?........................................................................ 59 3. Wann ist man „älterer Arbeitnehmer“?....................................................................... 63 4. Altern ist keine Krankheit .......................................................................................... 69 5. Ältere sind keine defizitären Jungen .......................................................................... 73 6. Sind Ältere weniger leistungsfähig?........................................................................... 81 7. Age Management im Unternehmen............................................................................ 89 8. Ein Unternehmen ist keine Insel............................................................................... 105 9. Prioritäre Handlungsfelder ....................................................................................... 109 9.1 Unternehmenskultur.........................................................................................110 9.2 Altersstrukturanalyse .......................................................................................115 9.3 Rekrutierung.................................................................................................... 124 9.4 Personalentwicklung und Qualifizierung........................................................ 135 9.5 Personalführung .............................................................................................. 144 9.6 Talent Management und Führungskultur ........................................................ 148 9.7 Gesamtvergütung und Demographie im Unternehmen .................................. 161 9.8 Die Rolle der Altersversorgung....................................................................... 170 9.9 Wissensmanagement – das verlorene Wissen................................................. 175 9.10 Gestaltung der Arbeit ...................................................................................... 178 9.11 Arbeitseinsatz und Arbeitsorganisation .......................................................... 184
6
Inhaltsverzeichnis
9.12 Gesundheitsschutz und Gesundheitsförderung ...............................................187 9.13 Integrationsmanagement..................................................................................193 9.14 Besondere Schutzregelungen für ältere Mitarbeiter........................................195 10. Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit erhalten und fördern.....................................199 10.1 Das Lernen hört nie auf ...................................................................................199 10.2 Es sind nicht nur die Gene: Eigenverantwortung für gesundes Altern ...........203 11. Zum guten Schluss ....................................................................................................207 Literatur...........................................................................................................................209 Die Autoren.....................................................................................................................221 Stichwortverzeichnis.......................................................................................................223
Abbildungsverzeichnis
7
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1:
Entwicklung der Weltbevölkerung ...................................................... 18
Abbildung 2:
Entwicklung der Weltbevölkerung nach unterschiedlichen Szenarien........................................................ 19
Abbildung 3:
Geburtenraten in europäischen Ländern.............................................. 19
Abbildung 4:
Bevölkerungsentwicklung in Europa................................................... 20
Abbildung 5:
Lebenserwartung bei der Geburt ......................................................... 21
Abbildung 6:
Entwicklung der Lebenserwartung und ferneren Lebenserwartung in Deutschland ..................................................................................... 22
Abbildung 7:
Grundeinstellung zu Kindern (Männer und Frauen mit Hochschulabschluss) ................................... 23
Abbildung 8:
Durchschnittliches Alter der Mütter bei der Geburt ihrer Kinder ....... 24
Abbildung 9:
Gründe gegen ein (weiteres) Kind aus der Sicht von Frauen in Deutschland ...................................................................................... 25
Abbildung 10: Die zehn Hauptgründe, die aus der Sicht von Kinderlosen gegen Kinder sprechen......................................................................... 26 Abbildung 11:
Determinanten des Erwerbspersonenpotenzials .................................. 27
Abbildung 12: Entwicklung der Bevölkerung im Erwerbsalter in Deutschland ......... 28 Abbildung 13: Entwicklung der Bevölkerung im Erwerbsalter in Deutschland ......... 28 Abbildung 14: Projektion des Erwerbspersonenpotenzials bis 2050 .......................... 29 Abbildung 15: Bestimmungsfaktoren des Angebots und der Nachfrage nach Arbeitskräften............................................................................... 30 Abbildung 16: Gesetzliches und tatsächliches Rentenalter ......................................... 33 Abbildung 17: Erwerbsquoten in Deutschland............................................................ 34 Abbildung 18: Erwerbsquoten nach Geschlecht und Alter in Deutschland ................ 35 Abbildung 19: Beschäftigungsquote älterer Erwerbstätiger im europäischen Vergleich (Altersgruppe 55 bis 64 Jahre) 2004........ 35
8
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 20: Beschäftigungsquoten in Europa nach Geschlecht und Altersgruppen.....................................................36 Abbildung 21:
Beschäftigungsquoten der 55- bis 64-Jährigen und der 45- bis 54-Jährigen nach Qualifikation und Geschlecht ................37
Abbildung 22: Erwerbstätigenquote von Frauen mit Kindern nach Alter des jüngsten Kindes und Vollzeit-/Teilzeittätigkeit ....................37 Abbildung 23: Erwerbstätigenquoten von Frauen mit Kindern nach Zahl der Kinder und Vollzeit-/Teilzeittätigkeit ....................................38 Abbildung 24: Haupthinderungsgründe für die Vereinbarkeit von Kind und Beruf....39 Abbildung 25: Altersentwicklung der Weltbevölkerung..............................................44 Abbildung 26: Entwicklung des Altersaufbaus der Bevölkerung in Deutschland .......45 Abbildung 27: Jugend-, Alten- und Gesamtquotient (2005 bis 2050) .........................46 Abbildung 28: Erwerbstätige nach Wirtschaftsbereichen (I) .......................................47 Abbildung 29: Erwerbstätige nach Wirtschaftsbereichen (II)......................................48 Abbildung 30: Erwerbstätige nach Tätigkeitsniveaus (Gesamtdeutschland, ohne Auszubildende) .........................................48 Abbildung 31: Erwerbstätige nach Qualifikationsniveaus...........................................49 Abbildung 32: Teilnahme an Weiterbildung ................................................................52 Abbildung 33: Formen der Weiterbildung (Geschäftsjahr 2004).................................52 Abbildung 34: Lebenslanges Lernen – Teilnahme an Aus- und Weiterbildung in Europa ................................53 Abbildung 35: Teilnahme an Weiterbildung nach Altersgruppen (1979 bis 2003 im Bundesgebiet) ........................................................54 Abbildung 36: Belastungen in der Arbeitswelt ............................................................55 Abbildung 37: Thesen zu demographischen Veränderungen in US-Unternehmen......59 Abbildung 38: Ab welchem Alter gilt man für Personalmanager als älterer Mitarbeiter? .........................................................................64 Abbildung 39: Faktoren für die Zuordnung zur Gruppe der „älteren Arbeitnehmer“ ..................................................................65 Abbildung 40:
Alter und Berufstätigkeit .....................................................................65
Abbildung 41: Altersverteilung in Hightech-Unternehmen.........................................66 Abbildung 42: Altersverteilung in Chemie- und Pharma-Unternehmen .....................67
Abbildungsverzeichnis
9
Abbildung 43: Betriebliche Einschätzung älterer Arbeitnehmer (I)............................ 74 Abbildung 44: Betriebliche Einschätzung älterer Arbeitnehmer (II) .......................... 74 Abbildung 45: Altersspezifische Leistungsfähigkeit im Urteil von Personalverantwortlichen ................................................ 75 Abbildung 46: Bewertung älterer Arbeitnehmer durch Personalverantwortliche ....... 76 Abbildung 47: Betriebe mit hohen und niedrigen Anteilen Älterer an der Belegschaft – nach Branchen.................................................... 77 Abbildung 48: Personalpolitische Bewertung des Altersdurchschnitts im Betrieb (Befragung von Personalverantwortlichen)......................................... 78 Abbildung 49: Strategien von Unternehmen im Umgang mit älteren Mitarbeitern.... 79 Abbildung 50: Determinanten des Alterungsprozesses ............................................... 82 Abbildung 51: Veränderungen der menschlichen Leistungsvoraussetzungen............. 83 Abbildung 52: Biosoziale Dynamik des menschlichen Alterns .................................. 83 Abbildung 53: Altersgang physiologischer Parameter ................................................ 84 Abbildung 54: Bedarf an Erholungspausen in Abhängigkeit von Alter und Schweregrad der Arbeit ................................................ 85 Abbildung 55: Idealisierte Lebenskurven der kristallisierten und fluiden Intelligenz........................................... 86 Abbildung 56: Günstige und ungünstige Tätigkeitsmerkmale für ältere Mitarbeiter............................................................................ 88 Abbildung 57: Alter und gesundheitliche Einschränkungen ....................................... 90 Abbildung 58: Gesundheitsstand in einem Automobilwerk nach Alter und Geschlecht ................................................................... 91 Abbildung 59: Arbeitsunfähigkeit nach Geschlecht und Alter í Fälle........................ 92 Abbildung 60: Arbeitsunfähigkeit nach Geschlecht und Alter (in Tagen je 100 Pflichtmitglieder)...................................................... 92 Abbildung 61: Einschätzung des eigenen Gesundheitszustandes ............................... 95 Abbildung 62: Einschätzung des eigenen Gesundheitszustandes nach Altersgruppen .............................................................................. 95 Abbildung 63: Gesundheitliche Beschwerden nach Altersgruppen ............................ 96 Abbildung 64: Wichtige Attribute bei älteren und jüngeren Mitarbeitern................... 97 Abbildung 65: Treiber der Motivation von Mitarbeitern in Deutschland ................... 98
10
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 66: Treiber der Motivation von Mitarbeitern in Großbritannien................99 Abbildung 67: Treiber der Motivation von Mitarbeitern in Italien............................101 Abbildung 68: Handlungsoptionen.............................................................................102 Abbildung 69: Betriebliche Maßnahmen für ältere Arbeitnehmer 2002....................103 Abbildung 70: Was Unternehmen in Sachen Demographie tun.................................104 Abbildung 71: Quick-Check zur zukunftsorientierten Personalpolitik......................109 Abbildung 72: Prioritäre Handlungsfelder .................................................................110 Abbildung 73: Kriterien guter Arbeit – die 15 wichtigsten Anforderungen .............. 111 Abbildung 74: Schaffung von Alter(n)sbewusstsein im Unternehmen......................113 Abbildung 75: Information des Oberen Managements ..............................................114 Abbildung 76: Typische Altersstrukturen...................................................................116 Abbildung 77: Durchschnittsalter in einem Industrieunternehmen ...........................117 Abbildung 78: Entwicklung des Durchschnittsalters in einem Werk.........................118 Abbildung 79: Ablauf einer betrieblichen demographischen Analyse.......................119 Abbildung 80: Beispiel einer Altersstrukturanalyse (I)..............................................120 Abbildung 81: Beispiel einer Altersstrukturanalyse (II) ............................................120 Abbildung 82: Prozess der Personalplanung unter Berücksichtigung der Demographie .........................................121 Abbildung 83: Möglichkeiten der Darstellung von demographischen Entwicklungen im Unternehmen ...................123 Abbildung 84: Möglichkeiten zur Deckung des Personalbedarfs an qualifizierten Fachkräften..............................................................125 Abbildung 85: Instrumente zur Personalbeschaffung/-gewinnung ............................126 Abbildung 86: Wichtigkeit verschiedener Kriterien bei der Auswahl einer Stelle ....128 Abbildung 87: Handlungsfelder einer familienbewussten Personalpolitik................130 Abbildung 88: Familienfreundliche Maßnahmen in den Unternehmen.....................131 Abbildung 89: Betriebliche Angebote familienfreundlicher Maßnahmen.................131 Abbildung 90: Betriebliche Motive für familienfreundliche Maßnahmen ................132 Abbildung 91: Betrieblicher Nutzen familienfreundlicher Arbeitsbedingungen .......132 Abbildung 92: Treiber beim Gewinnen von Mitarbeitern..........................................133
Abbildungsverzeichnis
11
Abbildung 93: Treiber der Motivation von Mitarbeitern........................................... 134 Abbildung 94: Barrieren für die Weiterbildung Älterer ............................................ 135 Abbildung 95: Barrieren zur Weiterbildung (Die 10 häufigsten Aussagen).............. 136 Abbildung 96: Anforderungen an alternsgerechtes Lernen....................................... 137 Abbildung 97: Alternsgerechte Laufbahngestaltung (Arbeitsplatz-Typen) .............. 139 Abbildung 98: Altersunterschiede bezüglich der Bedeutung verschiedener Arbeitsmerkmale ................................ 147 Abbildung 99: Workshop zur Schaffung von Alter(n)sbewusstsein.......................... 147 Abbildung 100: Talent Management als permanenter Führungsprozess..................... 148 Abbildung 101: Typische Kompetenzfelder ................................................................ 151 Abbildung 102: Rolle der Kompetenzeinschätzung bei der Personalentwicklung ..... 151 Abbildung 103: Fach- und Führungskarriere – schematische Darstellung ................. 153 Abbildung 104: Grundtypen des Nachfolgemanagements .......................................... 156 Abbildung 105: Situationsbedingte Arten von Nachfolgern ....................................... 157 Abbildung 106: Fragen zur Nachfolgeplanung unter demographischen Aspekten ..... 158 Abbildung 107: Elemente der Nachfolgeplanung ....................................................... 159 Abbildung 108: Total Rewards-Modell ....................................................................... 162 Abbildung 109: Gesamtvergütungspaket eines Start-up-Unternehmens..................... 162 Abbildung 110: Gesamtvergütung in einem traditionellen Unternehmen................... 163 Abbildung 111: Bezahlungsstruktur nach Altersgruppen (alte Bundesländer) ........... 164 Abbildung 112: Bezahlungsstruktur nach Altersgruppen (neue Bundesländer) ......... 164 Abbildung 113: Durchschnittliche Gehälter in der IT-Industrie.................................. 165 Abbildung 114: Typische Einkommensentwicklung bei Beschäftigung bis zur Pensionierung (Schematische Darstellung, nicht maßstabsgetreu)... 167 Abbildung 115: Geschätzte Altersversorgung bei unterschiedlichen Beitragsjahren................................................. 168 Abbildung 116: Vergütungsmanagement ohne Altersdiskriminierung........................ 170 Abbildung 117: Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung in der Privatwirtschaft nach Betriebsgröße (Stand: 30.6.2004) ............................................. 171 Abbildung 118: Vergleich von Modellen der betrieblichen Altersversorgung ............ 172
12
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 119: Entwicklung eines Arbeitszeitkontos (Aufbau und Auszahlung) ......173 Abbildung 120: Integration von Mitarbeiterführung und Wissensmanagement..........176 Abbildung 121: Alternskritische Arbeitsanforderungen ..............................................179 Abbildung 122: Beziehungen zwischen menschlichen Ressourcen und Arbeits- anforderung (I) ..............................................................180 Abbildung 123: Beziehungen zwischen menschlichen Ressourcen und Arbeits- anforderung (II) .............................................................180 Abbildung 124: Arbeitsfähigkeit im Alter und ihre Beeinflussbarkeit ........................187 Abbildung 125: Gesundheitsmanagement im Unternehmen .......................................189 Abbildung 126: Gesundheitsschutz- und Gesundheitsförderungsmaßnahmen............190 Abbildung 127: Gesundheitsscore................................................................................191 Abbildung 128: Allgemeiner Gesundheits-Check-up ..................................................191 Abbildung 129: Beispiel für einen Vitalitäts-Check (Vitalitätsdiagnostik)..................192 Abbildung 130: Prospektives Integrationsmanagement...............................................194 Abbildung 131: Prospektives Integrationsmanagement: Beispiel klinikassoziierte Arbeitsmedizin ..........................................194 Abbildung 132: Formen des Lernens ...........................................................................200 Abbildung 133: Mythen der Bildungsdiskussion (nach Bosch)...................................202 Abbildung 134: Komponenten der Langlebigkeit........................................................204 Abbildung 135: Fitness ab 50.......................................................................................206
Zu diesem Buch
1.
13
Zu diesem Buch
Alte haben gewöhnlich vergessen, dass sie jung gewesen sind, oder sie vergessen, dass sie alt sind, und Junge begreifen nie, dass sie alt werden können. (Kurt Tucholsky) Das Thema „demographischer Wandel“ hat Hochkonjunktur. Es vergeht kaum eine Woche, in der in den Medien nicht darüber berichtet wird í überwiegend in Form von Horrorszenarien (Generationenkonflikt, Prothesengesellschaft, Altersrassismus, demographische Zeitbombe, Vergreisung). Nahezu jeden Monat finden Kongresse zu diesem Thema statt, und zahlreiche nationale und internationale Institutionen haben das Thema auf der Agenda. Die Zahl der Publikationen zum Thema demographische Veränderungen/Ältere ist mittlerweile fast nicht mehr zu überschauen. Und sogar „Demographie-Berater“ als Lotsen für eine alternsgerechte Arbeitswelt gibt es inzwischen. Der demographische Wandel wird als Bedrohung des sozialen, politischen und ökonomischen Fundaments der Gesellschaft betrachtet. Seine möglichen Folgen bereiten vielen Menschen í älteren mehr als jüngeren í Sorgen und werden mit düsteren Zukunftsaussichten assoziiert. Ein „Methusalemkomplott“, das die Älteren schmieden, und eine Verschwörung gegen die Jüngeren werden an die Wand gemalt. Die Frage, ob zukünftig ein Minderheitenschutz für Jüngere notwendig ist, damit diese nicht ständig von der Mehrheit der Älteren dominiert oder sogar ausgebeutet werden, wird diskutiert. Der Ausschluss oder zumindest eine Begrenzung bestimmter gesellschaftlicher Leistungen für ältere Menschen wird vorgeschlagen. Der demographische Wandel gehört zweifellos zu den größten Herausforderungen der Zukunft. Er ist in Ausmaß und Konsequenzen ohne Beispiel. Er wird nicht nur in Deutschland, sondern weltweit in allen Bereichen zu tief greifenden und nachhaltigen Veränderungen führen. Er wird sich auswirken auf die politischen Systeme, die Wertesysteme, das Konsumverhalten, die technische Entwicklung, die Umwelt, das Wirtschaftswachstum, die öffentliche Infrastruktur und die sozialen Sicherungssysteme. Und er wird sektorale und regionale Verschiebungen zur Folge haben. Die Bewältigung der demographischen Herausforderung gehört zu den sozialen und wirtschaftlichen Schicksalsfragen für die Zukunft der Welt. All die Veränderungen vollziehen sich nicht unabhängig voneinander, sondern beeinflussen sich wechselseitig í direkt oder indirekt, kurz-, mittel- oder langfristig. Diese Interdependenzen werden im vorliegenden Buch weitgehend vernachlässigt. Es beschränkt sich auf einen Aspekt des demographischen Wandels: seine Bedeutung für die Arbeitswelt.
14
Zu diesem Buch
Auf allgemeine demographische Entwicklungen wird nur insoweit näher eingegangen, als sie für die Arbeitswelt von Relevanz sind. Dabei muss man sich darüber im Klaren sein, dass die für Deutschland verfügbaren amtlichen Statistiken nur beschränkt verlässliche Aussagen zulassen (zum Beispiel lässt sich das Ausmaß der Kinderlosigkeit gegenwärtig nicht präzise bestimmen), demographische Entwicklungen kein Naturgesetz, sondern beeinflussbar sind, und Blicke in die Zukunft stets mit Unsicherheit behaftet sind und mit wachsendem Zeitabstand immer unsicherer werden. Vorausberechnungen zu langfristigen demographischen Entwicklungen sind keine Prognosen, sondern Modellrechnungen, denen bestimmte Annahmen zugrunde liegen. Die Berechnungen treffen nur zu, wenn sich die ihnen zugrunde liegenden Annahmen als zutreffend erweisen. Dass die für das Jahr 2010/11 geplante Volkszählung die Datenqualität entscheidend verbessert und Antworten auf wichtige Zukunftsfragen liefert, wird von vielen Experten bezweifelt. Die Unternehmen agieren heute in einer Welt, die durch Globalisierung, ständige und beschleunigte technologische Innovationsprozesse, neue Formen der Arbeitsorganisation und eine Zunahme wissensbasierter Tätigkeiten (Stichwort Wissensgesellschaft) gekennzeichnet ist. In dieser von Dynamik und Veränderung geprägten Welt stellt der demographische Wandel in der Arbeitswelt die Unternehmen vor die Herausforderung, über eine ausreichende Anzahl gut qualifizierter, kreativer und innovativer, flexibler und mobiler, leistungsfähiger und leistungsbereiter
Mitarbeiter zu verfügen. Die Unternehmen können angesichts dessen drei Wege beschreiten: Sie setzen weiter auf die Jungen und bauen ältere Arbeitskräfte ab. Dies wird um den
Preis höherer Arbeitskosten geschehen, denn in einem enger werdenden Arbeitsmarkt für junge Arbeitskräfte werden die Löhne und Gehälter steigen. Hinzu kommen die Kosten für den Abbau der älteren Arbeitskräfte über Abfindungen, Frühpensionierungen und insgesamt steigende Sozialabgaben. Sie verlagern, soweit dies möglich ist, Arbeitsplätze ins Ausland. Dies wird den Ab-
bau von Arbeitsplätzen in Deutschland mit dem Kosteneffekt von Abfindungen, Frühpensionierungen und wachsenden Sozialabgaben zur Folge haben. Dieses Vorgehen wird sich so lange lohnen, wie die Reduzierung der Kosten durch Verlagerung der Arbeitsplätze die Kosten der Verlagerung selbst deutlich übersteigt. Mittelfristig werden allerdings die Lohnkosten in den neuen Produktionsländern steigen, so dass der Zug weiterfahren wird í erfahrungsgemäß mit erhöhter Geschwindigkeit.
Zu diesem Buch
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Sie begreifen die wachsende Gruppe der älteren Arbeitnehmer als Chance und bauen
Arbeitsplätze nicht ab, sondern nutzen gezielt die Erfahrungen und das Know-how dieser Mitarbeiter in einer sich wandelnden Arbeitswelt. Dies wird nicht ohne Aufwand und Anstrengung auf Seiten der Unternehmen und der Arbeitnehmer vonstatten gehen können. Zur Bewältigung des demographischen Wandels bedarf es eines entsprechenden Bewusstseins in den Unternehmen und einer Unternehmenskultur, die Vielfalt zulässt und fördert. Hinzukommen müssen gezielte Aktivitäten unter anderem in den Bereichen Personalbeschaffung, Qualifizierung, Arbeitsgestaltung und Gesundheit (Fitness) der Mitarbeiter. Damit sind zentrale Handlungsfelder benannt, mit denen sich das vorliegende Buch beschäftigt und versucht, Empfehlungen für die betriebliche Praxis zu geben. Dabei wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben. Ältere Mitarbeiter werden in Zukunft nicht die Ausnahme, sondern die Regel in den Unternehmen sein. Die Herausforderungen der Arbeitswelt von morgen müssen mit weniger und zugleich älteren Arbeitnehmern bewältigt werden. In den kommenden Jahren werden immer mehr ältere Arbeitnehmer in den Unternehmen tätig sein í und Ältere werden länger als bisher im Arbeitsleben stehen. Die Zukunft sieht alt aus – und das Alter ist unsere Zukunft! Der Arbeitsgesellschaft drohen langfristig die Arbeitskräfte auszugehen. Waren die 1990er Jahre, demographisch betrachtet, noch die goldenen Jahre für die Unternehmen, so gehört der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften bereits heute für viele Unternehmen zu den größten aktuellen Personalproblemen. Mit dem sinkenden Angebot an Fachkräften wird der Kostendruck zunehmen. Der verschärfte Wettbewerb um die „besten Talente“ führt zwangsläufig zu höheren Personalkosten (Personalbeschaffung und -bindung). Darauf müssen sich die Unternehmen einstellen í operativ (Bewältigung aktueller Anforderungen) und strategisch (Problemvermeidung durch nachhaltiges Personalmanagement). So sehr das in der Vergangenheit í und zum Teil auch heute noch í vorherrschende jugendzentrierte Personalmanagement abzulehnen ist, so falsch wäre es, in Zukunft ein seniorenzentriertes Personalmanagement zu betreiben. Notwendig ist ein Personalmanagement, das ältere Mitarbeiter integriert. Der demographische Wandel ist bereits heute betriebliche Realität. Die damit verbundenen personalwirtschaftlichen Herausforderungen werden von immer mehr Unternehmen erkannt. Qualitative Human-Resource-Themen wie Personalentwicklung, War for Talents und Kompetenzmanagement erleben eine Renaissance (CGE&Y/Wirtschaftswoche-Studie, 2002). Allerdings sehen zahlreiche Unternehmen eher mittelfristig (4 bis 7 Jahre) die Notwendigkeit, ihre Personalpolitik angesichts sich wandelnder Altersstrukturen zu ändern (CGC, 2004). Viele Personalentscheider warten noch ab. So ist einer Untersuchung in den USA zufolge (AARP, 2005) einerseits für die Personalmanager das Finden von qualifizierten Mitarbeitern die wichtigste Herausforderung, andererseits halten sie die Alterung der Belegschaft für nicht so bedeutsam.
16
Zu diesem Buch
Zur Bewältigung der mit den demographischen Veränderungen verbundenen Herausforderungen müssen in den Unternehmen alle Beteiligten beitragen: die Manager als zukunftsorientierte Gestalter, die den Bestand und Erfolg des Unter-
nehmens auch für die nächsten Jahrzehnte sicherstellen sollen; die Mitarbeiter, die die eigene Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit durch Gesund-
heitsbewusstsein und Gesundheitsverhalten, Engagement und permanentes Lernen sichern müssen; die Arbeitnehmervertretungen, die notwendige Veränderungs- und Anpassungsprozesse
unterstützen und begleiten, aber gegebenenfalls auch initiieren sollen. Qualifizierte, innovative und motivierte Mitarbeiter sind auch in Zukunft der mit Abstand wichtigste Faktor für den Unternehmenserfolg í und die immateriellen Werte werden immer wichtiger. Ohne die Älteren geht es nicht!
Dimensionen des demographischen Wandels
2.
17
Dimensionen des demographischen Wandels
Die Alterung der Bevölkerung ist in der Geschichte der Menschheit beispiellos. (Vereinte Nationen) Der demographische Wandel in der Arbeitswelt hat aus Unternehmenssicht eine quantitative Dimension:
Bevölkerungsentwicklung, Arbeitskräfteangebot/-verknappung, „War for best talents“; qualitative Dimension:
Altersstruktur der Belegschaft, Qualifikationen/Know-how, Leistungsfähigkeit; regionale Dimension:
regionale Disparitäten, Standortfaktoren. Hinzu kommt die zeitliche Dimension. So wird sich die zu erwartende Bevölkerungsschrumpfung erst mittel- bis langfristig vollziehen. Der Bevölkerungsrückgang wird erst ab 2015/2020 in Deutschland richtig spürbar. Eine über bestimmte Teilarbeitsmärkte hinausgehende Knappheit an Arbeitskräften wird von den Experten erst ab 2020 oder sogar erst ab 2030 erwartet. Der Veränderungsprozess in der Altersstruktur der Bevölkerung und in der Alterszusammensetzung der Erwerbstätigen hingegen vollzieht sich bereits seit mehreren Jahren. Er wird sich hauptsächlich auf die Zeit bis 2020 erstrecken. Der Alterungsprozess der Bevölkerung und der Erwerbsbevölkerung ist, verglichen mit deren Rückgang, die ungleich wichtigere Veränderung. Die Alterung ist die eigentliche demographische Herausforderung, nicht der Rückgang der Bevölkerung.
18
Die quantitative Dimension des demographischen Wandels
2.1
Die quantitative Dimension des demographischen Wandels
Die Bevölkerungsentwicklung wird von vier Faktoren bestimmt:
Fertilität (Zeugungs-/Gebärfreude, Geburtenziffer),
Mortalität (Sterblichkeit, Lebenserwartung),
Migration (Zu- und Abwanderung, Wanderungssaldo),
Einbürgerungen.
Die Weltbevölkerung wird im Jahr 2050 voraussichtlich die 9-Milliarden-Grenze überschreiten, wobei die Bevölkerung vor allem in den weniger entwickelten Regionen der Welt zunehmen wird (Abbildung 1).
10.000.000
9.075.903
9.000.000 7.577.889
8.000.000 7.000.000
7.839.702
6.085.572
6.000.000
6.333.475
4.442.295
5.000.000 4.000.000 2.519.470
4.892.218
3.000.000 2.000.000
3.359.755 1.706.698
1.000.000 812.772 0 Jahr 1950
1.082.539 1980 Welt
1.193.354 2000
mehr entwickelte Regionen
1.236.200
1.244.413 2020
Jahr 2050
weniger entwickelte Regionen
Abbildung 1: Entwicklung der Weltbevölkerung (in Tausend) (Quelle: UN World Population Prospects: The 2004 Revision) Von der UN sind unterschiedliche Szenarien zur Entwicklung der Weltbevölkerung erstellt worden (Abbildung 2). Je nach zugrunde liegenden Annnahmen beträgt die Weltbevölkerung im Jahr 2300 zwischen 2,3 und 133 592 Milliarden Menschen í eine schier unvorstellbare Zahl.
Dimensionen des demographischen Wandels
19
2000
2050
2100
2150
2200
2300
Low
6,1
7,4
5,5
3,9
3,2
2,3
Medium
6,1
8,9
9,1
8,5
8,5
9,0
Zero growth
6,1
8,9
9,1
8,5
8,3
8,3
High
6,1
10,6
14,0
16,7
21,2
36,4
Constant
6,1
12,8
43,6
244,4
1.775,3
133.592,0
Abbildung 2: Entwicklung der Weltbevölkerung nach unterschiedlichen Szenarien (in Milliarden) (Quelle: UN, World Population in 2003) Einem weltweiten Bevölkerungswachstum í zurzeit wächst die Weltbevölkerung etwa alle 14 Jahre um eine weitere Milliarde Menschen í steht ein sich abzeichnender massiver Rückgang der Bevölkerung in Europa gegenüber. Die Europäische Kommission spricht von einem „regelrechten Einbruch der Fruchtbarkeitsziffern“. Die zusammengefasste Geburtenziffer der Europäischen Union ist in den vergangenen Jahren zwar leicht gestiegen (Abbildung 3), in keinem EU-Land hat die Ziffer aber auch nur annähernd das Reproduktionsniveau von rund 2,1 Kindern pro Frau erreicht.
1,99 1,90
1,78 1,64 1,50
1,52
1,48
1,52
1,98
1,64 1,46 1,48
1,50 1,50
1,37
1,72
1,62
1,32 1,88
1,34
1,75
1,75
1,71
1,73
1,65
1,72
1,54
1,97
1,30
1,31
1,77
1,66
1,73
1,89
1,76
1,27
1,38
1,24
1,36
1,15
1,88
1,90 1,95
1,50
1,43
1,45
1,59
1,72
1,52
1,47
1,61
1,75
1,28
1,27
1,65
1,90
1,57
1,99
EU-25
EU-15
Belgien
Dänemark
Deutschland
Spanien
Frankreich
Irland
Niederlande
Schweden
1993
1998
2000
1,75
2002
2003
1,63
2004
Abbildung 3: Geburtenraten in europäischen Ländern (Anzahl der Kinder pro Frau) (Quelle: Eurostat)
20
Die quantitative Dimension des demographischen Wandels
Die Geburtenrate in Deutschland hat sich von 4 500 Lebendgeborenen je 1 000 Frauen im Jahr 1880 auf heute 1 370 Lebendgeborene je 1 000 Frauen verringert. Die 1935 geborene Generation war in der Bundesrepublik Deutschland die letzte Generation von Frauen, bei denen die endgültige Kinderzahl über der notwendigen Reproduktionsziffer lag und die damit für eine nicht schrumpfende Bevölkerung sorgte. Einem kurzfristigen Anstieg der Geburtenzahlen zu Beginn der 1960er Jahre folgt seit der zweiten Hälfte der 1960er Jahre eine kontinuierliche Abnahme der Geburtenzahlen. Gemäß den Szenarien von Eurostat, dem europäischen Amt für Statistik, wird die Gesamtbevölkerung in Europa (EU-25) im Zeitraum 2005 bis 2050 zurückgehen (Abbildung 4). Dies gilt in besonderem Maße für die Jahre 2030 bis 2050. Vor allem die Zahl junger Menschen wird sinken. Bei Kindern (bis 14 Jahre) wird für den Zeitraum 2005 bis 2050 ein Rückgang von gut 19 Prozent erwartet, bei Jugendlichen (14 bis 24 Jahre) ein Rückgang von 25 Prozent und bei jungen Erwachsenen (25 bis 39 Jahre) ein Rückgang von knapp 26 Prozent. Die Zahl Älterer wird demgegenüber deutlich steigen. Bei „älteren Arbeitnehmern“ (55 bis 64 Jahre) wird bis zum Jahr 2030 eine Zunahme erwartet; anschließend wird deren Zahl bis 2050 sinken. Die Zahl der Senioren (65 bis 79 Jahre) wird von 2005 bis 2050 um gut 44 Prozent ansteigen.
1,5
-14,1 -14,1
2030-2050
-8,0 -10,6 -8,6 -4,3
37,4 -10,0
15,5
-16,0 -12,3 -8,9
2010-2030
1,1 3,4 9,6
-4,1
4,2
2005-2010
-4,3 -3,2
1,2
"Senioren" (65-79) "Ältere Arbeitnehmer" (55-64) Erwachsene (40-54) Junge Erwachsene (25-39) Jugendliche (15-24) Kinder (0-14) Gesamtbevölkerung 44,1
-19,5
8,7
-25,8
2005-2050
-25,0 -19,4
-30
-20
-2,1
-10
0
10
20
30
40
50
Abbildung 4: Bevölkerungsentwicklung in Europa (Angaben in Prozent) (Quelle: Basisszenario der Bevölkerungsvorausschätzungen von Eurostat, 2004. EU-25) Die Zahlen machen deutlich, dass sich die Bevölkerung in Europa nicht nur insgesamt verringern, sondern dass sich auch ihre Altersstruktur gravierend verändern wird í eine Entwicklung, die sich schon seit mehreren Jahren beobachten lässt.
Dimensionen des demographischen Wandels
21
Die Lebenserwartung der Männer und Frauen ist in den letzten Jahrzehnten ständig gestiegen. Dies gilt sowohl für Deutschland wie auch für zahlreiche andere Länder (Abbildung 5) í wenngleich HIV/AIDS in einigen Ländern einen dramatischen Rückgang der Lebenserwartung zur Folge hat.
58,1 56,6 46,6
45,3
59,6
63,7 61,6
66,0
67,7
69,9
71,1
68,8 73,5
75,1
72,8
77,5
65,5
48,0
1950-1955
1970-1975
1990-1995
2010-2015
both sexes
2025-2030
male
2045-2050
female
Abbildung 5: Lebenserwartung bei der Geburt (Welt) (Quelle: UN, World Population Prospects: The 2004 Revision) Betrug die Lebenserwartung in Deutschland 1871/81 für Männer 35,6 und für Frauen 38,5 Jahre, so waren es 1949/51 64,6 (Männer) und 68,5 Jahre (Frauen). Seit den 1970er Jahren steigt die Lebenserwartung in Deutschland relativ stetig an. 2002/04 betrug die durchschnittliche Lebenserwartung bei der Geburt in Deutschland 75,9 Jahre für Männer und 81,5 Jahre für Frauen. Für die Zukunft rechnen die Wissenschaftlicher mit einer weiter zunehmenden Lebenserwartung der deutschen Bevölkerung. 2050 wird sie voraussichtlich bei 83,5 Jahren (Jungen) und 88,0 Jahren (Mädchen) liegen (Abbildung 6). Für das Jahr 2060 sagen einige Experten eine durchschnittliche Lebenserwartung von 100 Jahren voraus. Lange Zeit galt als Faustregel: Alle sieben Jahre leben die Menschen ein Jahr länger. Dieser Prozess hat sich beschleunigt. Zurzeit steigt die durchschnittliche Lebenserwartung pro Jahr um 2,5 Monate. Heute kann ein 60-jähriger Mann in Deutschland im Durchschnitt damit rechnen, dass er noch etwa 20 Jahre lebt. Eine 60-jährige Frau kann mit 24 weiteren Lebensjahren rechnen.
22
Die quantitative Dimension des demographischen Wandels
Lebenserwartung bei Geburt 83,5 85,4
Fernere Lebenserwartung im Alter 60
88,0 89,8 81,5
75,9
2002/2004 2050 Basis 2050 Anstieg
20,0
Männer
Frauen
25,3
Männer
27,2
24,1
29,1
30,9
Frauen
Basis = Basisannahme; Anstieg = Annahme mit hohem Anstieg.
Abbildung 6: Entwicklung der Lebenserwartung und ferneren Lebenserwartung in Deutschland (Quelle: Statistisches Bundesamt, 2006) 2050 wird sich die fernere Lebenserwartung im Alter 60 auf 25 bis 27 Jahre (Männer) bzw. auf 29 bis 31 Jahre (Frauen) erhöht haben í bei voraussichtlich besserer Gesundheit. Wir leben länger und leben länger bei Gesundheit. Die Morbidität wird immer weiter hinausgeschoben (Kompression der Morbidität). Bereits heute gilt, dass circa 85 Prozent der Bundesbürger „erfolgreich altern“. Bei der Lebenserwartung bestehen innerhalb Deutschlands beachtliche regionale Unterschiede. In Baden-Württemberg liegt die Lebenserwartung sowohl für Jungen als auch für Mädchen über dem Durchschnitt aller Bundesländer. Die niedrigste Lebenserwartung bei der Geburt haben Jungen in Mecklenburg-Vorpommern und Mädchen im Saarland. Der Abstand zwischen dem Bundesland mit der höchsten und dem mit der niedrigsten Lebenserwartung beträgt bei Jungen 3,6 Jahre und bei Mädchen 2,2 Jahre (Statistisches Bundesamt, 2006). Dem Demographen J. Vaupel (2005) zufolge gibt es keine Indizien dafür, dass sich der Anstieg der Lebenserwartung abflacht. Wenn es eine biologische Grenze für die Lebensdauer gibt, liegt sie in der Ferne. Die von verschiedenen Wissenschaftlern angenommene maximale Lebensspanne von 110 bis 115 Jahren ist durch die Wirklichkeit widerlegt worden. Die Französin Jeanne Calment ist mit 122 Jahren verstorben. Die Bevölkerung in Deutschland wird aufgrund der geringen Geburtenzahlen bis 2050 deutlich schrumpfen. Die derzeitige Zahl der Einwohner in Höhe von 82,4 Millionen wird sich bis 2050 auf circa 69 bis 74 Millionen reduzieren.
Dimensionen des demographischen Wandels
23
Das „demographisch-ökonomische Paradoxon“ (je größer der Wohlstand, desto geringer die Zahl der Kinder) lässt sich für Westeuropa seit vielen Jahren nicht mehr bestätigen. Es besteht eine positive Korrelation zwischen dem Wohlstandsniveau der verschiedenen Länder und den Kinderzahlen. In den reichen Ländern Westeuropas liegen die Kinderzahlen deutlich über denen der ärmeren Länder. Ungeachtet einer positiven Grundeinstellung gegenüber Kindern (Abbildung 7) hat die Zahl kinderloser Ehen in Deutschland zugenommen. Dabei handelt es sich primär um einen Anstieg gewollter Kinderlosigkeit: In Deutschland hat sich das Ideal der freiwilligen Kinderlosigkeit ausgebreitet (Dorbritz et al., 2005); gewünschte Kinderlosigkeit ist zu einem Teil des Kinderwunsches geworden. Kinder gehören nicht mehr wie selbstverständlich zum Leben. In einer IfD-Umfrage (2003) wollten nur 42 Prozent der Kinderlosen „bestimmt“ Kinder, 35 Prozent „eventuell“.
Stimme…
überhaupt nicht zu
kaum zu
Kinder machen das Leben intensiver u. erfüllter 1 4
überwiegend zu
20
74
Kinder geben einem das Gefühl, gebraucht zu werden 2 6 Kinder haben gehört zum Leben einfach dazu es ist heute gesellschaftlich akzeptiert, wenn man kinderlos bleibt Kinder sind eine finanzielle Belastung, die den Lebensstandard einschränkt Kinder bringen die Partner einander näher Kinder bringen Sorgen und Probleme mit sich
7
Kinder kommen eigentlich nie "passend" Kinder sind gut, um jemanden zu haben, der einem im Alter hilft Kinder schaffen Probleme mit Nachbarn, auf Reisen, in der Öffentlichkeit
37 9
5
54
27
57
13
48
10
33
22
6
41
28
8 22
26 43
30
wer heutzutage mehr als zwei Kinder hat, wird schräg angesehen Kinder lassen zu wenig Zeit für eigene Interessen
voll zu
33
15
24
15 34
34
7
18
44 35
20 30
43 30
20
41
17 25
48
6 14
3
Abbildung 7: Grundeinstellung zu Kindern (Männer und Frauen mit Hochschulabschluss) (Angaben in Prozent) (Quelle: BZgA, 2005) Es werden nur noch wenig mehr Kinder gewünscht als man tatsächlich hat, das heißt, die Kinderwünsche werden auf einem niedrigen Niveau fast vollständig erfüllt. Frauen wünschen sich im Durchschnitt 1,74 und Männer 1,57 Kinder (Dorbritz et al., 2005). Die geringe Zahl von Kindern ist also nicht allein auf die hohe Kinderlosigkeit zurückzuführen, sondern auch ganz wesentlich auf das Zurückgehen der Mehrkindfamilien. Für die sinkenden Geburtenzahlen gibt es verschiedene Erklärungen. Ökonomische Gründe (Kinder sind zur wirtschaftlichen Versorgung nicht mehr nötig) und die Opportunitätskosten der Kinder (entgangener Nutzen der Erwerbsarbeit) gehören ebenso dazu wie die Tatsache, dass heute mehr biographische Optionen zur Lebensgestaltung zur Verfügung stehen.
24
Die quantitative Dimension des demographischen Wandels
Die Entscheidung für oder gegen Kinder steht in einem engen Zusammenhang mit dem Ausbildungsniveau der Frau. Frauen mit höherem Bildungsgrad (Akademikerinnen) haben besonders häufig keine Kinder í unter anderem, weil mit wachsendem Bildungsstand von Frauen die Opportunitätskosten steigen. So sollen angeblich circa 40 Prozent der Akademikerinnen kinderlos sein. Die entsprechenden Zahlen, die sich in der Regel auf Frauen bis zum Alter von 39 Jahren beziehen, müssen allerdings relativiert werden. Bei Akademikerinnen besteht eine starke Tendenz zur späten Mutterschaft (40 Jahre und älter); Kinderwünsche werden spät realisiert. Erweitert man die Altersgruppen auf 37 bis 40 Jahre und 41 bis 44 Jahre, so fallen die Kinderlosenquoten geringer aus. Betrachtet man die Gruppe der 39- bis 43-Jährigen, so sind circa 30 Prozent der Akademikerinnen (Universität, Fachhochschule) kinderlos. Gleichwohl lässt sich ein Kohorteneffekt feststellen, das heißt ein Anstieg der Kinderlosigkeit über die Geburtsjahrgänge hinweg. Das durchschnittliche Alter der Mütter bei der Geburt ihrer Kinder ist in den letzten Jahren kontinuierlich angestiegen (Abbildung 8). Bei den verheirateten Müttern betrug es bei der Geburt des ersten Kindes im Jahr 2003 29,4 Jahre; bei der Geburt des zweiten Kindes waren die Mütter durchschnittlich 31,2 Jahre alt. Zunächst gewollte Kinderlosigkeit kann längerfristig in ungewollte übergehen; das „biologische Zeitfenster“ schließt sich.
29,7 29,8
29,9
30,5 30,6
30,7
29,2 29,3 29,4
30,9 31,1 31,2
32,4 32,5 32,6 27,5 27,6
27,7
2001 2002 2003
1,3 1,3 Alter der Mütter bei Kindergeburt insges.
verheiratete Mütter zusammen
verheiratete Mütter Geburt 1. Kind
verheiratete Mütter Geburt 2. Kind
verheiratete Mütter Geburt 3. Kind
unverheiratete Mütter
1,3
durchschnittliche Kinderzahl je Frau
Mütter verheiratet: Bezogen auf die Kinder der bestehenden Ehe.
Abbildung 8: Durchschnittliches Alter der Mütter bei der Geburt ihrer Kinder (Quelle: Statistisches Bundesamt Deutschland, 2005) Experten halten eine zusammengefasste Geburtenziffer von 1,7 Geburten je Frau in Deutschland für wünschenswert. Mit 1,37 Kindern ist man davon jedoch deutlich entfernt. Eine Steigerung der Geburtenrate wird von den Experten nicht erwartet. Es wird davon ausgegangen, dass sich die Rate in Westdeutschland langfristig bei circa 1,4 Kindern pro Frau stabilisiert und sich die neuen Bundesländer an das westdeutsche Niveau angleichen.
Dimensionen des demographischen Wandels
25
Niedrige Geburtenraten und Kinderlosigkeit sind, entgegen landläufiger Meinung, nicht vor allem ein Frauenproblem. Auch viele Männer wollen ganz auf Kinder verzichten. Untersuchungen zeigen, dass fast ein Viertel der 20- bis 49-Jährigen auf Nachwuchs verzichten will. Ursächlich dafür sind weniger Konflikte zwischen Beruf und Familie als vielmehr der Wunsch, den Lebensstandard beizubehalten. Aus der Sicht von Frauen sprechen unterschiedliche Gründe gegen ein (weiteres) Kind (Abbildung 9). Wirtschaftliche Überlegungen sind ebenso ein Grund wie die Erwartung persönlicher Einschränkungen und Probleme bei der Vereinbarkeit von Kind und Beruf. Lebensgenuss und Freizeitorientierung spielen í zumindest in jüngeren Jahren í eine nicht zu unterschätzende Rolle. Insbesondere kinderlose Frauen sehen einen Konflikt zwischen ihren beruflichen Zielen und Kinderplänen. Ob das „Elterngeld“ und eine bessere steuerliche Absetzbarkeit der externen Kinderbetreuungskosten hier eine spürbare und nachhaltige Veränderung bewirken, bleibt abzuwarten. Viel wichtiger wäre eine Gleichstellung von Frauen und Männern in der Gesellschaft, die Arbeitswelt eingeschlossen. Und angesichts der Ungewissheit von Arbeitsplatz, Einkommen und Arbeitsort und der von jungen Menschen geforderten nahezu unbegrenzten Flexibilität darf man sich nicht wundern, dass die Bereitschaft zur Familiengründung nachlässt und bei solchen Zukunftsperspektiven erst recht keine Kinder geboren werden.
Könnte mein Leben nicht mehr so genießen wie bisher Könnte ich nicht mit meiner Berufstätigkeit vereinbaren
Partnerschaft funktioniert nicht so, wie ich es mir vorstelle
Anteile der "sehr wichtig" und "wichtig" Antworten, in Prozent.
47,2
41,4
47,8
42,6
20,8
11,8
58,6 36,7
25,5
31,6
29,6
27,8
39,9
35,7
41,6
25,9 26,6
20 bis 29
36,1 22,0
44,5
Müsste Freizeitinteressen aufgeben Mein Gesundheitszustand erlaubt es nicht
53,9
52,4
61,8
Ein (weiteres) Kind würde zu hohe Kosten verursachen
Partner ist dagegen
55,2
59,4
Möchte meinen jetzigen Lebensstandard beibehalten
Ich / Partner ist zu alt
80,1
76,2
41,7
Mache mir zu viele Sorgen darüber, welche Zukunft meine Kinder erwartet
56,3
74,4
83,1
Lebe alleine und habe keinen festen Partner Habe schon so viele Kinder, wie ich möchte, bzw. möchte keine Kinder
20,5
23,2 29,0
17,1
30 bis 39
20,8
40 bis 49
Abbildung 9: Gründe gegen ein (weiteres) Kind aus der Sicht von Frauen in Deutschland (Quelle: Dorbritz et al., 2005) Kinderlose ohne Kinderwunsch begründen den Verzicht auf Kinder stark mit Argumenten, die im beruflichen Bereich sowie in einer egozentrischen Lebensausrichtung wurzeln (Abbildung 10). Das Motto lautet: „Dinks“ í Double income, no kids! Selbstverwirklichung und berufliche Karriere erfolgen häufig zu Lasten des Kinderwunsches. Allerdings schließen sich nach Auffassung weiblicher Führungskräfte Kinder und Karriere nicht aus (Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft, 2004). Kinder müssen kein Karrierehindernis sein, sie sind für erwerbstätige Mütter aber noch immer ein Karriererisiko.
26
Die quantitative Dimension des demographischen Wandels
Frage: "Egal, ob man sich Kinder wünscht oder nicht, kann es ja ganz verschiedene Gründe geben, die gegen ein Kind sprechen. Was von dieser Liste hier spricht in Ihrer derzeitigen Situation gegen ein Kind?" (Vorlage einer Liste)
Ich weiß nicht, ob wir zusammenbleiben, ob unsere Beziehung stabil ist Ich hätte dann weniger Zeit für Freunde Ich möchte möglichst unabhängig sein
17 19
%
26
Kinder sind anstrengend, ich weiß nicht, ob ich die Kraft und Nerven dazu hätte
27
Ich habe viele Interessen, die sich mit einem Kind nur schwer vereinbaren lassen
27
Ich möchte möglichst viele Freiräume haben, mich nicht einschränken müssen
27
Ich habe bisher noch nicht den/die passende(n) Partner(in) gefunden Meine beruflichen Pläne vertragen sich nur schwer mit einem Kind
28 37
Ein Kind wäre eine große finanzielle Belastung
47
Ich fühle mich noch zu jung dafür
47
Bundesrepublik Deutschland, 18- bis 44jährige Kinderlose.
Abbildung 10: Die zehn Hauptgründe, die aus der Sicht von Kinderlosen gegen Kinder sprechen (Quelle: Institut für Demoskopie Allensbach. IfD-Umfrage 5177) Für die Unternehmen ist die Entwicklung der Erwerbsbevölkerung und des Erwerbspersonenpotenzials ungleich wichtiger als die Bevölkerungsentwicklung insgesamt. Die Erwerbsbevölkerung umfasst die gesamte Bevölkerung im „erwerbsfähigen Alter“. In der Regel sind damit die 15- bis 64-Jährigen gemeint. Häufig wird für die Altersgruppe der 20- bis 65-Jährigen die Bezeichnung „Bevölkerung im Erwerbsalter“ verwendet. Das Erwerbspersonenpotenzial umfasst nach der IAB-Definition Erwerbstätige und Erwerbslose (Arbeitslose) sowie die so genannte „Stille Reserve“ (all diejenigen, die grundsätzlich erwerbsbereit sind, aber aus unterschiedlichsten Gründen nicht in offiziellen Statistiken erscheinen). Insgesamt stellt es die Zahl der Arbeitskräfte dar, die der Volkswirtschaft potenziell zur Verfügung steht (Abbildung 11). Der Anteil der Erwerbspersonen (Erwerbstätige, Erwerbslose) an der Gesamtheit der Personen im erwerbsfähigen Alter (15 bis 64 Jahre) í mitunter auch Anteil an der Wohnbevölkerung í kommt in der Erwerbsquote zum Ausdruck. In ihr zeigen sich die aktuelle Erwerbsneigung und das Erwerbsverhalten der Bevölkerung. Die Beschäftigungsquote, national auch Erwerbstätigenquote genannt, ist der prozentuale Anteil der Erwerbstätigen im Alter von 15 bis 64 Jahren an der erwerbsfähigen Bevölkerung derselben Alters- und Geschlechtsgruppe. Sie bezeichnet den tatsächlichen Grad der Integration in den Arbeitsmarkt; sie drückt aus, zu welchen Anteilen Frauen und Männer in einem Arbeitsverhältnis stehen.
Dimensionen des demographischen Wandels
Zahl der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter
Alters- und Geschlechtsstruktur dieser Bevölkerungsgruppe
27
Migration (Zuwanderung)
Bevölkerungsentwicklung (Geburten Sterblichkeit Altersaufbau)
Alters- und geschlechtsspezifische Erwerbsbeteiligung bzw. -bereitschaft
(Erwerbs)Verhalten
Abbildung 11: Determinanten des Erwerbspersonenpotenzials Welche Folgen hat der demographische Wandel für den Arbeitsmarkt? Infolge der niedrigen Geburtenraten wird die Zahl junger Arbeitskräfte abnehmen. Der Ausgleich von Angebot und Nachfrage auf einzelnen Teilarbeitsmärkten (Branchen,
Berufe, Regionen) wird schwieriger, weil junge, gesuchte Arbeitskräfte mobil und flexibel sind. Die Zahl Hochqualifizierter (Hochschulabsolventen), die, verglichen mit anderen
Ländern, ohnehin schon gering ist, wird mittelfristig sinken, so dass Engpässe auf Teilarbeitsmärkten nicht beseitigt, sondern weiter wachsen werden. Altersbedingt scheiden mehr Arbeitskräfte aus dem Erwerbsleben aus als Nachwuchs-
räfte nachrücken. Das Erwerbspersonenpotenzial schrumpft. Dieser Trend wird sich nach 2015 verstärken, da dann die Babyboom-Generation das Rentenalter erreicht. Das Durchschnittsalter der verfügbaren Arbeitskräfte wird in den kommenden Jahren
deutlich ansteigen. Ab 2020, vor allem aber um 2030 í dann sind die Baby-Boomer mindestens 65 Jahre alt í, kommt es in Deutschland zu einem spürbaren Rückgang der Personen im Erwerbsalter (Abbildung 12). Diese Entwicklung wird sich in den Folgejahren verstärken. Zuwanderung wird daran nichts Entscheidendes ändern. In Abhängigkeit von den zugrunde liegenden Prämissen und den betrachteten Zeiträumen kommen diesbezügliche Prognosen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Der Rürup-Kommission zufolge wird die arbeitsfähige Bevölkerung bis zum Jahr 2030 um gut 7 Millionen zurückgehen, bis zum Jahr 2040 sogar um rund 10 Millionen. Nach Fuchs und Dörfler (2005) wird das Erwerbspersonenpotenzial in Deutschland im Zeitraum von 2004 bis 2050 um rund 9 Millionen zurückgehen, wobei der Rückgang im Zeitraum von 2020 bis 2050 besonders stark ausgeprägt sein wird. Nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes (2006) wird sich die Bevölkerung im Erwerbsalter (20 bis 64 Jahre) von heute circa 50 Millionen Menschen bis 2050 um 22 oder 29 Prozent verringern. Der Anteil der Personen im Erwerbsalter an der Gesamtbevölkerung wird von 61 Prozent (2005) über 55 Prozent (2030) auf gut 50 Prozent (2050) zurückgehen (Abbildung 13 und 14).
28
Die quantitative Dimension des demographischen Wandels
50,1
50,1
48,0
49,0 42,4
44,2 39,1 35,5
Untergrenze Obergrenze
2005
2020
2030
2050
"Mittlere" Bevölkerung Untergrenze /Obergrenze (in Millionen).
Abbildung 12: Entwicklung der Bevölkerung im Erwerbsalter in Deutschland (Quelle: Statistisches Bundesamt, 2006)
Bevölkerung im Erwerbsalter von 20 bis unter 65 Jahren (in Prozent) Variante "mittlere" Bevölkerung, Untergrenze
2040 Variante "mittlere" Bevölkerung, Obergrenze
38,5 44,0
43,4 38,1 37,4
18,8 41,8
40,3 47,3
32,8
19,9 20 bis unter 30
30 bis unter 50
38,1 37,4
50 bis unter 65
36,6
18,9 18,6
17,7 18,0
2010
45,6
45,0
17,8 18,2
42,1 39,7 47,3
20,0 20 bis unter 30
30 bis unter 50
2030 2020
43,1
42,7
18,5
2050
32,7 50 bis unter 65
Anteil an der Bevölkerung imErwerbsalter.
Abbildung 13: Entwicklung der Bevölkerung im Erwerbsalter in Deutschland (Quelle: Statistisches Bundesamt, 2006)
Dimensionen des demographischen Wandels
29
Gesamtdeutschland (Inländerkonzept, in 1000 Personen) Szenarien mit steigenden Potenzialerwerbsquoten ohne Wanderungen
+ 100.000
+ 200.000 Wanderungssaldo p.a.
+ 300.000
2004
44.487
44.487
44.487
44.487
2010
44.267
44.500
44.719
44.938
2020
41.120
42.141
43.109
44.077
2030
35.509
37.504
39.415
41.326
2040
31.319
34.369
37.361
40.353
2050
27.642
31.527
35.451
39.375
Die Wanderungssalden beziehen sich auf die Nettozuwanderung von Ausländern jeden Alters. Daneben enthalten alle Wanderungsvarianten eine Nettozuwanderung Deutscher, eine Ost-West-Binnenwanderung sowie die Einbürgerung von Ausländern. Ohne Wanderung: Wanderung wurde überhaupt nicht berücksichtigt.
Abbildung 14: Projektion des Erwerbspersonenpotenzials bis 2050 (Quelle: Fuchs/Dörfler, 2005) Es wäre jedoch falsch, einen Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials mit einem generellen Arbeitskräftemangel gleichzusetzen. Denn nicht nur das Angebot an Arbeitskräften verändert sich, auch der Bedarf an Arbeitskräften unterliegt Veränderungen (Abbildung 15). Ob aus einem Rückgang des Arbeitskräfteangebots eine Mangelsituation resultiert, lässt sich nur im Hinblick auf die Arbeitskräftenachfrage beurteilen. Belastbare Projektionen zur zukünftigen Arbeitsnachfrage sind kaum vorhanden oder aber widersprüchlich. Demographische Prozesse verlaufen stumm und allmählich. Sie sind gleichsam eine Revolution auf leisen Sohlen. Um den sich abzeichnenden Bevölkerungsveränderungen und deren quantitativen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt entgegensteuern zu können, stehen verschiedene Instrumente zur Verfügung. Kein Einzelinstrument kann den langfristigen demographischen Arbeitskräfterückgang voll kompensieren. Notwendig ist eine sinnvolle Kombination der Instrumente. Die Erhöhung der (Arbeits-)Produktivität ist die zentrale Strategie zur Kompensation eines sinkenden Erwerbspersonenpotenzials. Voraussetzungen dafür sind Investitionen in das Sach- und Humankapital. Durch mehr und gezieltere Investitionen in die allgemeine und berufliche Bildung, durch Intensivierung der Weiterbildung í vor allem von Älteren í und durch eine lernförderliche Arbeitswelt lässt sich die Arbeitsproduktivität erhöhen.
30
Die quantitative Dimension des demographischen Wandels
Bedarf/Nachfrage
Angebot
Ŷ Wirtschaftswachstum
Ŷ Bevölkerung
Ŷ Produktivitätsentwicklung
Ŷ Erwerbsbevölkerung (Umfang und Zusammensetzung)
Ŷ Erhöhung der Kapitalintensität / Automatisierung, Rationalisierung Ŷ Technischer Fortschritt Ŷ Arbeitszeit / Überstunden
Ŷ Erwerbspersonenquote - Frauen, Ältere - mehr Frauen in Männerberufen - Umstieg von Teilzeit auf Vollzeit Ŷ Arbeitskräftezuwanderungen (Umfang, Alter, Qualifikationsstruktur) Ŷ Früherer Einstieg in das / späterer Ausstieg aus dem Arbeitsleben Ŷ Längere Wochen- / Jahresarbeitszeit Ŷ Abbau der Arbeitslosigkeit
Abbildung 15: Bestimmungsfaktoren des Angebots und der Nachfrage nach Arbeitskräften Durch Rationalisierung, die Substitution menschlicher Arbeit durch Kapital und durch technischen Fortschritt lässt sich eine Verknappung von Arbeitskräften teilweise kompensieren. So gelten beispielsweise in der Automobilindustrie jährliche Produktivitätssteigerungen von mindestens 3 Prozent als normal. Bei Modellwechseln können es 20 Prozent und mehr sein. Der amerikanische Nobelpreisträger Robert Fogel geht davon aus, dass sich die Wirtschaftsleistung je Arbeitskraft bis zum Jahr 2050 um 70 bis 80 Prozent erhöhen wird. Weniger Erwerbstätige werden sehr viel produktiver arbeiten. In vielen Unternehmen werden Produktivitätsverbesserungen in den nächsten Jahren zu einem sinkenden Personalbedarf führen. In den „reifen“ Industrien (zum Beispiel Automobilindustrie, Stahlindustrie) lässt sich ein Trend zur kontinuierlichen Beschäftigungsverringerung beobachten. Das Arbeitsvolumen sinkt selbst bei steigender Produktion, da das Produktionsvolumen mittels einer Steigerung der Produktivität erreicht werden kann. Die zusätzliche Produktion erfordert keine zusätzliche Beschäftigung. Eine Erhöhung der Geburtenrate gemäß dem Motto „Mehr Kinder braucht das Land“ ist bevölkerungspolitisch zweifellos erstrebenswert. Zur Lösung demographisch verursachter Probleme auf dem Arbeitsmarkt würde eine steigende Geburtenrate jedoch erst langfristig beitragen. Selbst wenn kurzfristig eine Erhöhung der Geburtenrate gelänge, hätte dies frühestens in 20 bis 25 Jahren positive Effekte auf das Arbeitskräfteangebot. Denn so lange dauert es durchschnittlich, bis Neugeborene in das Erwerbsleben eintreten. Eine „geburtenfördernde Familienpolitik“ würde erst auf längere Sicht Veränderungen bewirken.
Dimensionen des demographischen Wandels
31
„Deutschland braucht Zuwanderinnen und Zuwanderer“, so schreibt die Kommission „Zuwanderung“ in der Einleitung ihres Berichts (2001). Zuwanderung kann eine Abnahme der Bevölkerung zwar verlangsamen und abmildern, die Geburtenrückgänge aber nicht kompensieren. Für eine langfristige Stabilisierung der Gesamtbevölkerungszahl wäre eine unrealistisch hohe Nettozuwanderung erforderlich. Ungeachtet aller Unsicherheit über die Entwicklung zukünftiger Zuwanderungen gehen die meisten Prognosen, basierend auf der Entwicklung der Vergangenheit, von einer Nettozuwanderung von 200 000 Personen pro Jahr aus (jährlich kommen 800 000 Menschen, während 600 000 Deutschland verlassen). Im Hinblick auf das Arbeitskräfteangebot geht es nicht allein um den Umfang der Zuwanderung; wichtig sind auch die Altersstruktur und die Qualifikationen der Zuwanderer. Bevorzugt gesucht werden junge, qualifizierte Fachleute. Die Kommission „Zuwanderung“ (2001) spricht von hochqualifizierten Zuwanderern mit innovativen Fähigkeiten und technologischen Kenntnissen und fordert, dass zukünftig junge, gut ausgebildete Menschen als Einwanderer nach Deutschland gewonnen werden sollen. Da auf eine qualitative Steuerung in der Vergangenheit vollkommen verzichtet wurde, liegt das Qualifikationsniveau von Zuwanderern bislang insgesamt deutlich unter dem deutschen Niveau. Im Bericht der Europäischen Kommission zur sozialen Lage in der Europäischen Union 2004 heißt es: In Europa ist das Angebot an „frisch qualifizierten“ Berufsanfängern auf dem Arbeitsmarkt relativ knapp, doch gibt es einen relativ umfangreichen Bestand an Arbeitnehmern mit niedrigerer Qualifikation und Arbeitsfähigkeit. Woher sollen angesichts dessen die benötigten jungen, hochqualifizierten Mitarbeiter kommen? Aus Indien oder China? Und welche Arbeiten sollen Zuwanderer in Deutschland übernehmen? Solche, die deutsche Arbeitnehmer nicht übernehmen wollen? Jene, für die es keine geeigneten deutschen Arbeitnehmer gibt (Arbeitskräftelücke)? Oder sollen sie inländische Beschäftigte auch ersetzen, das heißt deren Arbeitsplätze einnehmen? Die Kommission „Zuwanderung“ fordert, dass durch Zuwanderung die Arbeitsmarktchancen der einheimischen Arbeitskräfte nicht beeinträchtigt werden dürfen. Die Praxis zeigt indes, dass es alles gibt: Verdrängung, Ersetzung und Ergänzung. Zur Identifikation von Berufen, bei denen es Anzeichen eines Arbeitskräftemangels gibt, ist eine Systematik aus den Indikatoren Arbeitslosenquote, Vakanzquote und Arbeitslosen-Vakanzen-Relation entwickelt worden. Legt man diese Systematik zugrunde, bestehen unter anderem bei Ärzten, Ingenieuren des Maschinen- und Fahrzeugbaus, Apothekern und Organisatoren Anzeichen eines Arbeitskräftemangels, die durch Zuwanderung beseitigt werden könnten. Durch Zuwanderung verändert sich der Altersaufbau der Bevölkerung insgesamt wie auch der des Arbeitskräftepotenzials. Da überwiegend jüngere Personen zuwandern und primär ältere Personen in ihre Heimatländer zurückkehren, erhöht sich das Durchschnittsalter langfristig geringer als es ohne Wanderungen der Fall wäre. Zudem ändert sich die Besetzung der jüngeren Altersgruppen.
32
Die quantitative Dimension des demographischen Wandels
Bei der Diskussion um Zuwanderung sollte man nicht außer Acht lassen, dass sich nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Industrieländern ähnliche
Bevölkerungsentwicklungen vollziehen. Angesichts dessen wird es zu einem Kampf um die besten Zuwanderer („Wettbewerb um die besten Köpfe“) kommen; Zuwanderung zu einem Know-how-Abfluss in den Entsendeländern führt. Gerade
Länder, die für ihre eigene Entwicklung auf Wissensträger angewiesen sind, verlieren auf diese Weise ihre Leistungselite; „klassische“ Auswanderungsländer in Süd- und Osteuropa inzwischen selbst zu Aus-
und Einwanderungsländern, teilweise sogar mehr zu Einwanderungsländern, geworden sind. Verbesserungen der wirtschaftlichen Lage und Arbeitsbedingungen, gemeinsam mit der Alterung der Bevölkerung, lassen Wanderungen nach Deutschland weniger wahrscheinlich werden. Je größer die Aussichten sind, im Heimatland Arbeit zu finden, desto geringer ist die Bereitschaft, Familie oder Freunde zu verlassen; Unternehmen mit weltweiten Standorten von Wanderungsbewegungen betroffen sein
können, die zu einer Arbeitskräfteverknappung an den ausländischen Unternehmensstandorten beitragen; durch Zuwanderung wünschenswerte Innovationen (zum Beispiel die Entwicklung
neuer Technologien) an Reiz verlieren können und überholte Wirtschaftsstrukturen konserviert werden, weil sich der demographisch bedingte Veränderungsdruck verringert; immer mehr Deutsche das Land verlassen, und zwar vor allem junge Fachkräfte, die
hochqualifiziert und leistungsorientiert sind. Dies gilt sowohl für Nachwuchskräfte als auch für erfahrene Kräfte aus Wirtschaft und Forschung. Diesen „Exodus der klugen Köpfe“ können Einwanderer (bisher) nicht kompensieren. Durch eine Verlängerung der Tages-, Wochen oder Jahresarbeitszeit sowie durch einen früheren Beginn und ein späteres Ende des Erwerbslebens kann das Erwerbspersonenpotenzial umfassender genutzt werden. Schritte in diese Richtung sind unter anderem die Verkürzung unnötig langer schulischer und beruflicher Ausbildungszeiten und die Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Die Verlängerung der Lebensarbeitszeit ist hierbei von größerer Bedeutung als eine Anhebung der Altersgrenze für den Ruhestand, weil sie auch den Zeitpunkt berücksichtigt, zu dem man in das Erwerbsleben eintritt. Zur Verlängerung der Lebensarbeitszeit wird von der Enquete-Kommission „Demographischer Wandel“ eine Straffung von Schul- und Studienzeiten vorgeschlagen. Demnach sollte die Schulzeit bis zum Abitur auf generell 12 Jahre reduziert und gleichzeitig sollten die faktischen Studienzeiten verkürzt werden. In einigen Bundesländern ist dies zwischenzeitlich geschehen (zum Beispiel Schulzeitverkürzung, Bachelor-Abschluss). Je nach Bundesland beenden zwischen 20 und 45 Prozent der deutschen Schüler die Schullaufbahn aufgrund von Späteinschulung und/oder Klassenwiederholung mit Verzögerungen. Das allgemeine Berufseingangsalter liegt heute zwischen 19 und 29 Jahren und ist deutlich höher als in anderen Ländern.
Dimensionen des demographischen Wandels
33
Im europäischen Vergleich sind deutsche Studenten Langzeitstudenten. Laut Statistischem Bundesamt (2006) waren Hochschulabsolventen, die 2004 ihr Erststudium erfolgreich abgeschlossen haben, durchschnittlich 28 Jahre alt. In anderen europäischen Ländern (zum Beispiel Großbritannien und Frankreich) ist das Alter niedrigerer. Aber nicht nur die durchschnittliche Studiendauer ist lang, in verschiedenen Fächern gibt es auch eine hohe Quote von Studienabbrechern und Fachwechslern í wobei bis zum Studienabbruch durchschnittlich mehr als sieben Hochschulsemester vergehen. Für das Konsortium Bildungsberichterstattung (2006) sind die relativ lange Studiendauer und die hohen Abbruchquoten eine Schwachstelle des deutschen Hochschulsystems. Angesichts der dominierenden Motive für den Studienabbruch í berufliche Neuorientierung, finanzielle Probleme, mangelnde Studienmotivation í (Heublein et al., 2002) ließen sich durch eine bessere Organisation der Studiengänge, mehr Beratung und Betreuung der Studenten und die Sicherstellung einer ausreichenden materiellen Lebensgrundlage der Studenten (viele Studenten müssen neben dem Studium arbeiten) Verbesserungen erzielen. Zu bezweifeln ist, ob Abitur und Studium so etwas wie die Normalausbildung sein können. Dieser Bildungsweg ist nicht nur zeitintensiv, es ist auch fraglich, ob Aufwand und Ertrag in einer angemessenen Relation zueinander stehen. Für viele Tätigkeiten in der Wirtschaft, für die heute Abitur oder Studium verlangt werden, sind diese Abschlüsse bei kritischer Betrachtung nicht nötig. Mit einer gesetzlichen Altersgrenze von 65 Jahren lag Deutschland in der Vergangenheit im europäischen Vergleich im Bereich dessen, was auch in verschiedenen anderen europäischen Ländern gesetzlich gilt. Das tatsächliche Erwerbsaustrittsalter liegt jedoch deutlich darunter (Abbildung 16).
65,3
60,9
60,8
67
65
65
62,1
60,2
59,8
67
65
65
Dänemark
Deutschland
Finnland
65,2
66,6
65
65
65
65
59,1
61,2
63,2
62,9
66
65
60
63
65
Irland
Niederlande
UK
Schweiz
USA
61
63,1
65
66,2
66
gesetzl. Rentenalter Frauen
tatsächl. Rentenalter Frauen
gesetzl. Rentenalter Männer
tatsächl. Rentenalter Männer
Abbildung 16: Gesetzliches und tatsächliches Rentenalter (in Jahren) (Quelle: OECD, 2005)
34
Die quantitative Dimension des demographischen Wandels
Allerdings gibt es, abgesehen von gesetzlichen Veränderungen (Heraufsetzung der Altersgrenzen, Rentenabschläge), Anzeichen dafür, dass sich die Arbeitnehmer in ihrer individuellen Lebensplanung auf eine längere Lebenserwerbsdauer einrichten. Planten 1996 noch gut 50 Prozent der Erwerbstätigen ab 40 Jahren spätestens mit 60 Jahren aus dem Erwerbsleben auszuscheiden, so waren es 2002 nur noch 35 Prozent. Männer planen im Schnitt mit 62 Jahren ihren Austritt aus dem Erwerbsleben, Frauen mit 61,1 Jahren (Alterssurvey 1996 und 2002). In einer Befragung (Bertelsmann Stiftung, 2006) äußern 6 von 10 Erwerbstätigen den Wunsch, ihren Renteneintritt im Alter zwischen 60 und 67 Jahren selbst bestimmen zu können, und wünschen sich eine flexible Gestaltung des Renteneintrittsalters. Angesichts der Belastungsstrukturen bei verschiedenen Tätigkeiten und den damit verbundenen gesundheitlichen Folgen geht ein generelles Renteneintrittsalter von 67 Jahren an der Realität vorbei. Im Fünften Bericht zur Lage der älteren Generation in der Bundesrepublik Deutschland (2005) heißt es: Aufgrund ihres Gesundheitszustandes werden nicht alle älteren Erwerbspersonen bis zum gesetzlichen Rentenalter erwerbstätig sein können. Hier ist mehr Flexibilität erforderlich. Die Erwerbsquote in Deutschland lag 2004 mit 48,5 Prozent unter der von 1991 (49,3 Prozent) í eine Folge längerer Ausbildungszeiten und des frühen Ausscheidens aus dem Erwerbsleben (Abbildung 17). Im Unterschied zur rückläufigen Erwerbsquote in der Gesamtbevölkerung ist die Beteiligung der Frauen am Erwerbsleben gestiegen. Ihre Quote ist von 40,1 Prozent (1991) auf 42,3 Prozent (2004) gestiegen í vor allem bedingt durch Teilzeitarbeit.
49,3
48,7
48,2
48,4
48,4
48,7
48,4
48,6
48,5
48,7
48,5
40,1
40,0
40,0
40,6
40,7
41,3
41,3
41,7
42,0
42,4
42,3
Insgesamt Frauen Männer
59,2
57,8
56,8
56,6
56,5
56,4
55,8
55,7
55,4
55,3
55,1
1991
1993
1995
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
Anteil der Erwerbspersonen (Erwerbstätige und Erwerbslose) an 100 Männern bzw. Frauen.
Abbildung 17: Erwerbsquoten in Deutschland (Quelle: Statistisches Bundesamt, 2006)
Dimensionen des demographischen Wandels
35
Mit zunehmendem Lebensalter sinkt der Anteil derjenigen, die erwerbstätig sind. Ab dem 60. Lebensjahr sinkt die Erwerbsbeteiligung deutlich ab (Abbildung 18). Hier besteht das größte Potenzial für eine Erhöhung der Erwerbsbeteiligung Älterer.
96,1
94,7
95,6
85,6 73,7
78,7
74,3
73,4
94,4
83,4
91,1
82,9 78,3
82,0
66,3
80,4 66,8
65,9
64,4
50,5 40,6 33,3 26,8
22,9
5,0
15 - 20
20 - 25
25 - 30
30 - 35
35 - 40
40 - 45
45 - 50
50 - 55
55 - 60
Anteil der Erwerbspersonen an der Bevölkerung je Geschlecht und Altersgruppe. Insgesamt = Anteile der Erwerbspersonen an der gesamten Bevölkerung.
60 - 65
männlich
2,1
65 und mehr
Insgesamt
15 - 65
weiblich
Abbildung 18: Erwerbsquoten nach Geschlecht und Alter in Deutschland Verglichen mit anderen europäischen Ländern ist die Erwerbsbeteiligung Älterer in Deutschland mittelmäßig. Ursächlich dafür ist in erster Linie die ausgesprochen niedrige Erwerbsbeteiligung im Alter ab 60 Jahren. Die Beschäftigungsquote älterer Erwerbstätiger (55- bis 64-Jährige) liegt in Deutschland deutlich unter der in anderen Ländern (Abbildung 19 und 20). 69,1 60,3 56,2
37,3 26,2 26,8
PL
SK
39,4
41,3 41,8 42,7
45,2
47,1 47,9
49,5 50,1 50,3 50,9
52,4
41,0
30,5 30,8 30,9 31,1 28,8 29,0 30,0
AT
SI
BE
IT
LU
MT
HU
FR
EL
ES
DE
CZ
NL
LT
LV
IE
CY
PT
FI
EE
UK
DK
SE
EU25
Abbildung 19: Beschäftigungsquote älterer Erwerbstätiger im europäischen Vergleich (Altersgruppe 55 bis 64 Jahre) 2004 (Quelle: European Commission, Employment in Europe 2005)
36
Die quantitative Dimension des demographischen Wandels
Employment rate (%) 15 – 64 years Total Men Women
Employment rate (%) 55 – 64 years Total Men Women
EU-25
63,3
70,9
55,7
41,0
50,7
Belgien
60,3
67,9
52,6
30,0
39,1
21,1
Dänemark
75,7
79,7
71,6
60,3
67,3
53,3
31,7
Deutschland
65,0
70,8
59,2
41,8
50,7
33,0
Griechenland
59,4
73,7
45,2
39,4
56,4
24,0
Spanien
61,1
73,8
48,3
41,3
58,9
24,6
Frankreich
63,1
69,0
57,4
37,3
41,0
33,8
Irland
66,3
75,9
56,5
49,5
65,0
33,7
Italien
57,6
70,1
45,2
30,5
42,2
19,6
Niederlande
73,1
80,2
65,8
45,2
56,9
33,4 50,4
Finnland
67,6
69,7
65,6
50,9
51,4
Schweden
72,1
73,6
70,5
69,1
71,2
67,0
Verein. Königreich
71,6
77,8
65,6
56,2
65,7
47,0
Abbildung 20: Beschäftigungsquoten in Europa nach Geschlecht und Altersgruppen (Quelle: Eurostat, Labour Force Survey í 2004) Deutschland ist mit einer Beschäftigungsquote der 55- bis 64-Jährigen von 41,8 Prozent im Jahr 2004 weit vom Stockholm-Ziel und den Vorgaben der Lissabon-Strategie entfernt. Die Gründe für die geringe Alterserwerbsquote liegen in gesetzlichen Regelungen, der Lage auf dem Arbeitsmarkt, betrieblichen Verjüngungsstrategien, verminderter Erwerbsfähigkeit und dem Interesse der Arbeitnehmer an einem vorzeitigen Berufsausstieg. Es hat sich eine „Entberuflichung“ des Alters vollzogen. Erreicht wird das Stockholm-Ziel in Deutschland lediglich bei der relativ kleinen Gruppe der hochqualifizierten Männer und Frauen zwischen 55 und 64 Jahren (Abbildung 21). Eine gute schulische und berufliche Ausbildung ist nicht nur eine Voraussetzung für den Zutritt zum Arbeitsmarkt, sie ist auch Voraussetzung für den längerfristigen Verbleib auf dem Arbeitsmarkt. Mit einer guten Qualifikation wachsen die Chancen, eine Stelle auf dem Arbeitsmarkt zu bekommen und auch über das 55. Lebensjahr hinaus beschäftigt zu bleiben. Hochqualifizierte Arbeitnehmer im Alter zwischen 55 und 64 Jahren haben vergleichsweise hohe Beschäftigungsquoten. Frauen stellten 2004 mit 48,7 Prozent fast die Hälfte der Beschäftigten in Deutschland. Allerdings spiegelt diese Zahl nicht die tatsächliche Beteiligung an der Erwerbsarbeit wider, da die unterschiedlichen Arbeitszeiten von Männern und Frauen unberücksichtigt bleiben. Frauen arbeiten, aus verschiedenen Gründen, überwiegend in Teilzeit í 2004 waren von den fast 11 Millionen Teilzeitbeschäftigten 75 Prozent weiblich í und haben vor allem deshalb nur unterproportional zum gesamten Arbeitsvolumen beigetragen.
Dimensionen des demographischen Wandels
37
Deutschland 2004 45- bis 54-Jährige
Ziel Stockholm: Beschäftigungsquote der 55- bis 64-Jährigen mind. 50 %
55- bis 64-Jährige 91,3 %
84,2 %
80,8 % 72,1 %
65,2 %
61,4 %
54,9 % 50,7 %
46,0 % 35,5 %
33,8 % 23,7 %
Hohe Qualif.
Mittlere Qualif.
Niedrige Qualif.
Hohe Qualif.
Frauen
Mittlere Qualif.
Niedrige Qualif.
Männer
Abbildung 21: Beschäftigungsquoten der 55- bis 64-Jährigen und der 45- bis 54Jährigen nach Qualifikation und Geschlecht (Quelle: Bosch / Schief 2005) Das Erwerbsverhalten von Frauen wird in hohem Maße durch die Familiengründung und die Familienkonstellation beeinflusst. Frauen mit ledigen Kindern im Haushalt schränken ihre Berufstätigkeit bis zum Alter von 40 Jahren deutlich ein. Dies gilt besonders für Frauen im Alter von 21 bis 30 Jahren. Ab 40 Jahren gleichen sich die Erwerbsquoten von Frauen ohne und mit Kindern weitgehend an. Deutschland im März 2004 (in Prozent) Teilzeittätige Vollzeittätige
37,7 45,5 47,1 40,0
18,7
36,6 25,6
15 bis 18
10 bis 15
18,3
15,8
12,5
6 bis 10
3 bis 6
unter 3
Alter des jüngsten Kindes von … bis unter … Jahren Ergebnisse des Mikrozensus - Bevölkerung (Konzept der Lebensformen). Erwerbstätige im Alter von 15 bis unter 65 Jahren ohne vorübergehend Beurlaubte. Kinder: in einer Eltern-Kind-Gemeinschaft lebende ledige Kinder.
Abbildung 22: Erwerbstätigenquote von Frauen mit Kindern nach Alter des jüngsten Kindes und Vollzeit-/Teilzeittätigkeit (Quelle: Statistisches Bundesamt: Leben und Arbeiten in Deutschland. 2005)
38
Die quantitative Dimension des demographischen Wandels
Die „aktive“ Erwerbsbeteiligung von Frauen mit Kindern hängt stark von der Anzahl und dem Alter der Kinder ab. Ist das jüngste Kind im Krippenalter, das heißt unter 3 Jahre alt, sind deutlich weniger Frauen aktiv erwerbsfähig, als wenn die Kinder im Kinderkartenalter sind oder zur Schule gehen. Die höchste Erwerbstätigenquote erreichen Mütter, wenn die Kinder zwischen 15 und 17 Jahren alt sind. Sind die Kinder im Kindergartenalter (3- bis 5-Jährige), entscheiden sich viele Mütter für eine Teilzeittätigkeit (Abbildung 22). Je mehr Kinder zu betreuen sind, desto seltener sind Mütter „aktiv“ erwerbstätig. Spätestens wenn drei Kinder vorhanden sind, geben viele Mütter die Berufstätigkeit zumindest vorübergehend auf (Abbildung 23). März 2004 Früheres Bundesgebiet
Neue Länder und Berlin-Ost 48,5
44,5 34,5
49,3
36,6 28,9
24,6
23,0 22,8
16,4 12,4
Vollzeittätige
20,1
3 Kinder 2 Kinder 1 Kind Teilzeittätige
Vollzeittätige
Teilzeittätige
Ergebnisse des Mikrozensus - Bevölkerung (Konzept der Lebensformen). Erwerbstätige im Alter von 15 bis unter 65 Jahren ohne vorübergehend Beurlaubte. Kinder: in einer Eltern-Kind-Gemeinschaft lebende ledige Kinder.
Abbildung 23: Erwerbstätigenquoten von Frauen mit Kindern nach Zahl der Kinder und Vollzeit-/Teilzeittätigkeit (in Prozent) (Quelle: Statistisches Bundesamt: Leben und Arbeiten in Deutschland, 2005) Eine Erhöhung der Frauenerwerbsquote ist ein Weg, einer möglichen Arbeitskräfteverknappung entgegenzuwirken. So waren beispielsweise im Jahr 2004 nur 50 Prozent der Frauen mit Kindern unter 10 Jahren berufstätig, fast drei Viertel davon in Teilzeit (Wanger, 2006). Familienorientierte Arbeitszeitmodelle könnten es bisher nicht erwerbstätigen Frauen ermöglichen, erwerbstätig zu werden. Eine Erhöhung der Arbeitszeit bereits erwerbstätiger Frauen ist ein anderer Weg. Teilzeitbeschäftigte Frauen könnten ihre Stundenzahlen entsprechend ihren Wünschen erhöhen. Eine Erhöhung der Frauenerwerbsquote scheitert vor allem daran, dass oft keine angemessene Balance zwischen den Möglichkeiten und Anforderungen der Erwerbsarbeit und den Möglichkeiten und Anforderungen anderer Lebensbereiche erzielt werden kann (der eingängige, aber sachlich falsche Begriff „Work-Life-Balance“ wird hier bewusst vermieden). Primär geht es um die mangelnde Vereinbarkeit von Familie und Beruf (Abbildung 24).
Dimensionen des demographischen Wandels
39
- Männer und Frauen mit Hochschulabschluss -
Männer Arbeitszeiten zu lang, regelmäßige Überstunden
Frauen
31
Arbeitszeiten häufig wechselnd, kurzfristige Flexibilität erforderlich
16
18
Längere Abwesenheitszeiten von zu Hause
16
22
17
7
18
Gesamt
12
Externe Kinderbetreuung unzureichend
7
19
14
Zu starre Vorgaben, keine Flexibilität von Arbeitgeberseite
4
11
8
Abbildung 24: Haupthinderungsgründe für die Vereinbarkeit von Kind und Beruf (in Prozent) (Quelle: BZgA: Kinderwunsch und Familiengründung bei Frauen und Männern mit Hochschulabschluss, 2005) Viele Mütter steigen nach der Geburt eines Kindes nicht wieder in den Beruf ein. Über 40 Prozent der Frauen in Westdeutschland und circa 22 Prozent der Frauen in Ostdeutschland kehren nach dreijähriger Elternzeit nicht an den Arbeitsplatz zurück. Dafür gibt es mehrere Gründe: unzureichende Kinderbetreuungsmöglichkeiten, ungünstige Arbeitszeiten für die Mütter, ungünstige Öffnungszeiten der öffentlichen Kinderbetreuungseinrichtungen sowie
deren fehlende zeitliche Flexibilität, unzuverlässige Unterrichtszeiten in der Schule, lange Ferien (länger als der Urlaubsanspruch der Eltern), fehlende Nachmittagsbetreuung der Schüler.
Für Frauen stellt die unzureichende Kinderbetreuung, vor allem das geringe Betreuungsangebot für Kleinkinder (unter 3 Jahre), ein gravierendes Problem dar. Der Ausbau der frühkindlichen Betreuung (Kinderhorte, Kindergärten) steht deshalb weit oben auf der Wunschliste. Die Einrichtungen sollen dabei nicht nur eine Betreuung gewährleisten, sondern auch verstärkt einen Bildungsauftrag wahrnehmen. Dieser Wunsch überrascht nicht, wenn man die Versorgung mit Kinderbetreuungseinrichtungen betrachtet. So ist zwar die Zahl der Kindergartenplätze in den letzten Jahren erheblich gestiegen und hat für Kinder zwischen 3 und 6,5 Jahren fast das Niveau einer Vollversorgung erreicht (die Platz-Kind-Relation liegt bei 90; Statistisches Bundesamt,
40
Die quantitative Dimension des demographischen Wandels
2006), bei der Versorgung mit Plätzen für unter 3-Jährige bestehen aber nach wie vor riesige Defizite. 2004 standen in den östlichen Flächenländern für 37 Prozent der Kinder in diesem Alter Plätze zur Verfügung, im Westen lag die Quote bei weniger als 3 Prozent (Konsortium Bildungsberichterstattung, 2006). Eine Untersuchung des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (2005) zeigt, dass im Hinblick auf familienpolitische Maßnahmen, die es erleichtern sollen, Kinder zu bekommen, zu erziehen und für sie zu sorgen, flexiblere Arbeitszeiten am meisten gefordert werden, gefolgt von der Forderung nach besseren Betreuungseinrichtungen und finanziellen Maßnahmen. Bei den von den Unternehmen praktizierten familienfreundlichen Maßnahmen steht denn auch Arbeitszeitflexibilisierung/Telearbeit eindeutig im Vordergrund. Es folgen Kinderund Angehörigenbetreuung, Familienservice und Fördermaßnahmen für Eltern/Frauen. Die Verantwortlichen in den Unternehmen müssen aber auch traditionelle Vorstellungen zur Beschäftigung von Männern und Frauen ablegen. Überwiegend wird noch von der Annahme ausgegangen, dass Männer Vollzeit arbeiten, dass sie von Familienverpflichtungen entbunden und deshalb frei und flexibel sind. Frauen dagegen wird zugeschrieben, dass sie aufgrund häuslicher Verpflichtungen weniger berufs- und karriereorientiert und primär an Teilzeitarbeit interessiert sind. Auch wenn dieses Bild teilweise durch die Wirklichkeit bestätigt wird í viele Frauen arbeiten in Teilzeit í, so hat sich das Erwerbsmodell in Paarhaushalten doch tief greifend verändert. Das „Ernährermodell“ (Mann Vollzeit í Frau nicht berufstätig) ist weithin vom „Mitverdienermodell“ (Mann Vollzeit í Frau Teilzeit) und vom „Doppelversorgungsmodell“ (beide Partner Vollzeit) abgelöst worden. Flexible Arbeitszeitangebote und Betreuungseinrichtungen für Kinder sind nötig, aber nicht hinreichend. Solange es in der Arbeitswelt keine Geschlechtergerechtigkeit bei Entlohnung, Qualifizierung und Aufstieg gibt, Frauen per se als Frauen diskriminiert werden und erwerbstätige Mütter das Stigma „Rabenmutter“ tragen, wird eine breite und dauerhafte Erhöhung der Frauenerwerbsquote eine Illusion bleiben. Ob eine besondere Frauenförderung größere und nachhaltige Veränderungen bewirkt, wird unterschiedlich bewertet. Institutionalisierte Frauenförderung erfolgt überwiegend in Großunternehmen, wobei Wiedereinstiegszusagen nach einer Familienpause die größte Rolle spielen. Wie eine Befragung zeigt (Accenture, 2004), halten hinsichtlich von Maßnahmen zur Frauenförderung sowohl Frauen als auch Männer ganztägige Kindertagesstätten und eine stärkere Einbeziehung der Männer in die Familienarbeit für besonders wichtig. Eine Erhöhung der Frauenerwerbsquote muss auch einschließen, dass mehr Frauen in zukunftsorientierten und bisher oft männerdominierten Berufen tätig werden. So ist zwar die Beteiligung von Frauen an der Hochschulbildung gestiegen, die Ingenieurwissenschaften, Physik und Informatik sind dabei aber unterrepräsentiert. Frauen wählen oft Ausbildungs- oder Studiengänge, die eine familienfreundliche Berufstätigkeit erwarten lassen.
Dimensionen des demographischen Wandels
41
Frauen, die ein geschlechtsuntypisches Fach studiert haben, tragen häufig ein höheres Arbeitslosigkeitsrisiko als solche Frauen, die sich für ein eher typisches „Frauenstudium“ entscheiden. Die Entscheidung für ein geschlechtsuntypisches Studienfach ist also kein Schutz vor Arbeitslosigkeit í im Gegenteil (Schreyer, 1999). Die Beschäftigungschancen und Beschäftigungsperspektiven für Frauen in „männertypischen“ Berufen müssen verbessert werden, will man mehr Frauen für diese Berufe gewinnen. Notwendig ist auch eine Überwindung der geschlechtsbezogenen Segmentierung betrieblicher Tätigkeitsfelder. Die weithin bestehende Trennung zwischen „Frauen- und Männerarbeit“ muss aufgelöst werden. So sind zum Beispiel in der Automobilindustrie die Vormontagen stark frauengeprägt, während Wartung- und Instandhaltung von Männern beherrscht werden. Bei den Arbeitszeitwünschen von Frauen bestehen zwei Tendenzen: Frauen, die in Vollzeit arbeiten, wollen ihre Arbeitszeit verkürzen, während Frauen, die in Teilzeit arbeiten, ihre Arbeitszeit erhöhen wollen. In einer Untersuchung von Schnabel (1997) wünschte sich í unter der Voraussetzung, dass sich der Verdienst entsprechend der Arbeitszeit verändert í mehr als die Hälfte der befragten Frauen eine Wochenarbeitszeit von maximal 35 Stunden; ein Viertel würde sogar maximal 24 Stunden vorziehen. Gut die Hälfte der befragten Männer äußerte den Wunsch, 40 Stunden und mehr pro Woche zu arbeiten; knapp ein Drittel wünschte sich eine wöchentliche Arbeitszeit von 35 bis 39 Stunden. Einer Beschäftigtenbefragung des ISO zufolge möchten Männer, die in Vollzeit arbeiten, Mehrarbeit abbauen und die tatsächliche wöchentliche Arbeitszeit (42,7 Stunden) der vertraglichen Arbeitszeit (39,1 Stunden) anpassen. Frauen in Vollzeittätigkeit möchten nicht nur Mehrarbeit reduzieren, sondern sogar die vertragliche Wochenarbeitszeit verringern. Sie wünschen sich eine wöchentliche Arbeitszeit von 35,8 Stunden. Sowohl Männer als auch Frauen, die in Teilzeit arbeiten, wünschen sich eine Verlängerung der Wochenarbeitszeit; Männer von 21,3 Stunden auf 26,8 Stunden und Frauen von 20,7 Stunden auf 24,1 Stunden. Eine Studie der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen bestätigt den verbreiteten Wunsch der Arbeitnehmer nach einer Verkürzung der Wochenarbeitszeit. Ein weiteres Ergebnis der Untersuchung: 40 Prozent der älteren beschäftigten Frauen denken an einen Rückzug aus dem Arbeitsleben, um die Pflege älterer Familienangehöriger zu übernehmen. Durch einen Abbau der Arbeitslosigkeit könnte das Erwerbspersonenpotenzial unfassender ausgeschöpft werden. Erwerbsfähige würden zu Erwerbstätigen. Der demographisch bedingte Rückgang des Arbeitskräfteangebots wird nicht zu einer Beseitigung der Arbeitslosigkeit führen, wohl aber längerfristig zu einer Entspannung auf dem Arbeitsmarkt. Denn neben konjunkturellen hat die Arbeitslosigkeit vor allem friktionelle und strukturelle Ursachen. Voraussetzungen für eine weitergehende Reduzierung der Arbeitslosigkeit sind í neben arbeitsmarktwirksamem Wirtschaftswachstum í
42
Die quantitative Dimension des demographischen Wandels
unter anderem eine höhere Qualifikation der Arbeitslosen, mehr Mobilität und Flexibilität, stärkere Anreize zur Wiederaufnahme einer Beschäftigung und bessere Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die Diskrepanzen (Mismatches) zwischen Qualifikationen und Anforderungen sind eine zentrale Ursache für Arbeitslosigkeit. Der Anteil derjenigen, die über keine oder über eine nur geringe Qualifikation verfügen, ist zu hoch í was sich in den qualifikationsbezogenen Arbeitslosenquoten widerspiegelt (3,5 bis 21,7 Prozent in Westdeutschlang, 6 bis 51 Prozent in Ostdeutschland). Bildung ist ein wichtiges Instrument zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Die demographische Herausforderung lässt sich nicht einfach í wie gelegentlich angenommen wird í durch den Abbau von Arbeitslosigkeit und eine Erhöhung des effektiven Renteneintrittsalters bewältigen. Für die zukünftige Entwicklung der Arbeitslosigkeit gibt es unterschiedliche Prognosen. Beispielsweise rechnet die Herzog-Kommission mit einer langfristigen Arbeitslosenquote von 9,6 Prozent. Die Rürup-Kommission ist optimistischer. Sie geht von einer langfristig deutlich abnehmenden Arbeitslosigkeit aus; von 8,8 Prozent (2010) über 7 Prozent (2020) auf 4,4 Prozent (2030) und 3,7 Prozent (2040). Anderen Prognosen zufolge wird die Arbeitslosenquote deutlich über 10 Prozent liegen. Von einer demographisch bedingten Räumung des Arbeitsmarktes oder einem generellen Arbeitskräftemangel kann demzufolge keine Rede sein. Unternehmen stehen in einem weltweiten Standortwettbewerb, bei dem Standortoptionen gegeneinander abgewogen werden. Dabei ist klar, dass Deutschland weder mit den Billiglohnländern konkurrieren noch einfach aus dem globalen Wettbewerb aussteigen kann. Deutschland kann ein Verlagern von Arbeit in Niedriglohnländer nicht verhindern. Die Lohnkosten Indiens oder Chinas sind für einen Wohlfahrtsstaat nicht zu unterbieten, heißt es in einem Bericht des BMWA (2003). Deutschland muss in den klassischen Technikfeldern (zum Beispiel Maschinenbau, Automobilbau) und in möglichst vielen zukunftsfähigen High-tech-Bereichen erfolgreich sein. Dies bedeutet eine Konzentration (Spezialisierung) auf Hightech-Produkte, die in Niedriglohnländern nicht oder nicht in ähnlicher Qualität hergestellt werden können. Voraussetzung dafür ist unter anderem, dass die Innovationsbereitschaft und -fähigkeit in Deutschland steigt. Beim „Innovationsindikator 2006“ liegt Deutschland unter 17 Industrieländern mit einem siebten Platz im Mittelfeld í mit deutlichem Abstand zu den Bestplatzierten. Unternehmen sind keine Nomaden. Sie können ihre Produktionsstätten nicht wie Zelte beliebig aufschlagen oder abbrechen. Aber das Kapital ist weitaus mobiler als der Faktor Arbeit, das Risiko einer weiteren Verlagerung von Unternehmensteilen besteht. Nicht nur einfache, personalintensive Fertigungsprozesse werden seit geraumer Zeit in Niedriglohnländer verlegt, längst werden auch hochqualifizierte Tätigkeiten í vor allem Dienstleistungen í in andere Länder verlagert (so genanntes „Offshoring“). Beispiele dafür sind Call Center und Software-Programmierung.
Dimensionen des demographischen Wandels
43
Eine besondere Rolle spielt hierbei Indien, da es über einen riesigen Pool gut ausgebildeter, englischsprechender Fachkräfte verfügt, die zu niedrigen Gehältern arbeiten. Bei Steingart (2006) heißt es dazu: Technisch gut ausgebildete Angestellte stehen in Indien in großer Zahl zur Verfügung. Der Staat tut viel dafür, dass der Nachschub nicht versiegt. Allein in der Region Bangalore gibt es 3 Universitäten, 14 Ingenieurschulen und 47 Fachschulen und Forschungsinstitute. Jedes Jahr betreten über 400 000 neue Ingenieure den Arbeitsmarkt, von denen die Hälfte in die Computerindustrie strebt. Für Sinn (2005) (liegt) der große Vorteil der asiatischen Länder (..) bei den Löhnen, die noch heute in der Gegend von 20 % der unsrigen liegen. Hinzu kommt, dass die asiatischen Tigerländer (..) über eine extrem fleißige und lernwillige Bevölkerung (verfügen), die sich sehr schnell in komplizierteste Produktionsprozesse hineindenken kann. Die Arbeitsplätze wandern vermehrt dorthin, wo die Experten vorhanden sind („virtuelle Migration“), während das so genannte „Bodyshopping“ (zeitlich begrenzter „Ankauf“ von ausländischen Spezialisten) an Bedeutung verloren hat. Ingenieure in Indien und China sind ebenso gut wie jene in den USA oder in Deutschland í aber die Kosten sind geringer. In Indien können, selbst bei Berücksichtigung aller Zusatzkosten eines Offshoring-Projekts, über Lohnarbitrage Einsparungen von 20 bis 40 Prozent realisiert werden (Schaaf, 2005). In Deutschland werden zum Teil nur noch die Komponenten zusammengebaut, die in anderen Ländern produziert wurden („Basar-Ökonomie“). Oder lediglich der Produktname oder das Design stammen noch aus Deutschland, die physische Herstellung des Produkts, dessen Einzelteile aus verschiedenen Ländern kommen, erfolgt irgendwo im Ausland („Lego-Wirtschaft“). Produktionsprozesse werden desintegriert, Wertschöpfungsketten werden räumlich zerlegt. Für die Automobilindustrie zeichnet sich eine neue Arbeitsteilung in der Form ab, dass die Zulieferer in den nächsten Jahren große Teile der Entwicklung und Produktion von den Automobilherstellern übernehmen werden. Die Hersteller werden sich auf die Aufgaben konzentrieren, die markenprägend sind (Design, Markenerlebnis, Kundenbetreuung). Die Lohnkosten sind allerdings nicht der einzige und alles entscheidende Standortfaktor. Auch Steuerquoten, Infrastruktur, Qualifikationsniveau der Arbeitnehmer, Subventionen und anderes mehr spielen eine Rolle. Und es gibt Unternehmen, die aus Tradition und sozialer Verantwortung an der Produktion in Deutschland festhalten. Zudem belegt eine Studie in den USA (O’Toole/Lawler, 2006), dass gut bezahlte, motivierte Mitarbeiter in den USA, wenn die Unternehmenskultur es zulässt und Führungskräfte entsprechend agieren, weitaus produktiver sind als ihre schlechter bezahlte Konkurrenz in den Niedriglohnländern. Es besteht ein komparativer Vorteil durch qualifizierte, motivierte und engagierte Mitarbeiter. Unabhängig davon sieht jeder Dritte in der Privatwirtschaft Beschäftigte seinen oder Arbeitsplätze in seinem Unternehmen durch eine Verlagerung ins Ausland bedroht í geringer Qualifizierte mehr als höher Qualifizierte, Männer mehr als Frauen (Ipsos, JuliUmfrage 2004).
44
Die qualitative Dimension des demographischen Wandels
Wenn der Produktionsfaktor „Arbeit“ infolge des demographischen Wandels in Deutschland knapp und teuer wird, könnte sich die Wirtschaft auf die Herstellung von Gütern konzentrieren, deren Produktion kapitalintensiv ist. Kapitalintensiv meint dabei sowohl Sachkapital wie auch gut qualifizierte Mitarbeiter (Humankapital). Die Nachfrage nach Arbeitskräften insgesamt würde sich dadurch verringern. Fraglich ist allerdings, ob dieser Weg angesichts einer zukünftigen Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft, in welcher der „People to People Service“ enorm an Bedeutung gewinnen wird, wirklich beschritten werden kann.
2.2
Die qualitative Dimension des demographischen Wandels
Ob in Zukunft eine ausreichende Zahl an Arbeitskräften zur Verfügung steht, ist eine Frage. Die Altersstruktur, Gesundheit und Fitness, die Qualifikationen der Arbeitskräfte sowie die Übereinstimmung der Qualifikationen mit den künftigen Anforderungen sind weitere wichtige Fragen. Die Weltbevölkerung altert. Das Durchschnittsalter der Weltbevölkerung betrug im Jahr 1950 23,5 Jahre, 1998 26,1 Jahre und für 2050 werden 37,8 Jahre prognostiziert. Das Median-Alter der Weltbevölkerung hat sich nach 1980 deutlich erhöht und wird bis 2050 weiter erheblich steigen (Abbildung 25). Dies gilt, wenn auch auf unterschiedlichem Niveau, sowohl für die entwickelten wie auch für die weniger entwickelten Regionen der Welt. 50
45,5 42,0
45 35 30 25 20 15
37,8
37,3
40 32,0 29,0
31,6 36,6
26,8
23,9
23,1
29,5 24,3
21,4
20,2
10 5 0 Jahr 1950
1980 Welt
2000
mehr entwickelte Regionen
2020
Jahr 2050
weniger entwickelte Regionen
Abbildung 25: Altersentwicklung der Weltbevölkerung (Median-Alter)(in Jahren) (Quelle: UN World Population Prospects: The 2004 Revision (Medium variant))
Dimensionen des demographischen Wandels
45
Es ist ein Mythus, dass das Altern der Bevölkerung vor allem ein Problem der Industriestaaten sei. Bereits heute leben mehr als 50 Prozent aller über 60-Jährigen in der Dritten Welt. Dieser Anteil wird in den nächsten Jahrzehnten weiter zunehmen. Im Jahr 1999 war die Bevölkerung in Deutschland im Schnitt 39,8 Jahre alt. Das Durchschnittsalter der Deutschen betrug dabei 40,8 Jahre und das der Ausländer 31,0 Jahre. 2003 betrug das Durchschnittsalter der Bevölkerung in Deutschland bereits 41,8 Jahre. Das Durchschnittsalter der Bevölkerung in Deutschland wird von derzeit rund 42 Jahren bis 2050 um mindestens 6 Jahre steigen und 2050 circa 50 Jahre betragen. Der Altersaufbau der Bevölkerung Deutschlands wird sich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten tief greifend ändern (Abbildung 26). Nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes wird die Gruppe der unter 20-Jährigen abnehmen, während die Gruppe der 65-Jährigen stark steigen wird. Die jüngere und mittlere Altersgruppe verlieren, die ältere Gruppe gewinnt an Bedeutung.
2005
2030
2050*
M Rj Ra
M Rj Ra
unter 20 Jahre
20
16 18 15
15 17
14
20 bis unter 65 Jahre
61
55 55 55
52 52
51
65 Jahre und älter
19
29 27 30
33 30
36
*Unterschiedliche Annahmen der 11. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung. M=Mittlere Bevölkerung, Untergrenze; Rj=Relativ junge Bevölkerung; Ra=Relativ alte Bevölkerung.
Abbildung 26: Entwicklung des Altersaufbaus der Bevölkerung in Deutschland (in Prozent) (Quelle: Statistisches Bundesamt, 2006) Der Jugendquotient wird sich bis 2050 deutlich verringern, der Altenquotient wird sich drastisch erhöhen (Abbildung 27).
46
Die qualitative Dimension des demographischen Wandels
Jugend-, Alten- und Gesamtquotient 2005
2010
2020
2030
2040
2050
Altersgrenze 60 Jahre Auf 100 20- bis unter 60jährige kommen - unter 20jährige - 60jährige und Ältere - zusammen
36,3 45,2 81,5
33,1 47,3 80,4
32,0 57,0 89,0
35,0 75,2 110,2
34,0 78,9 112,9
33,7 85,1 118,9
Altersgrenze 65 Jahre Auf 100 20- bis unter 65jährige kommen - unter 20jährige - 65jährige und Ältere - zusammen
32,9 31,7 64,6
30,0 33,5 63,6
28,1 38,0 66,1
30,0 50,3 80,3
30,0 58,0 88,0
29,2 60,1 89,3
Altersgrenze 67 Jahre Auf 100 20- bis unter 67jährige kommen - unter 20jährige - 67jährige und Ältere - zusammen
31,4 25,8 57,3
29,1 29,5 58,6
26,9 32,3 59,2
28,3 41,8 70,1
28,8 51,5 80,3
27,8 52,5 80,3
Variante 1-W2: Obergrenze der „mittleren” Bevölkerung.
Abbildung 27: Jugend-, Alten- und Gesamtquotient (2005 bis 2050) (Quelle: Statistisches Bundesamt, 2006) Das durchschnittliche Alter des Erwerbspersonenpotenzials wird bis 2030/2040 um circa 2,2 Jahre steigen. Die Altersstruktur der Bevölkerung im Erwerbsalter wird sich in den nächsten Jahren gravierend wandeln. Die mittlere Altersgruppe (30 bis 49 Jahre), die derzeit 50 Prozent der Menschen im erwerbsfähigen Alter umfasst, wird im Jahr 2020 nur noch 42 Prozent ausmachen, während die Gruppe der Älteren (50 bis 64 Jahre), die heute 30 Prozent ausmacht, mit etwa 40 Prozent nahezu gleich stark sein wird. In den folgenden Jahren werden sich die Relationen nicht wesentlich ändern (Statistisches Bundesamt, 2006). Die Zukunft wird weiblich sein. Es vollzieht sich eine Feminisierung des Alters. Die Mehrheit der Älteren, vor allem der über 50-Jährigen, ist weiblich. In der Arbeitswelt wird sich diese Entwicklung durch die in Zukunft steigenden Erwerbsquoten der (westdeutschen) Frauen verstärken. Besonders das zukünftige akademische Arbeitskräftepotenzial wird weiblich geprägt sein. Im Jahr 2004 war nahezu die Hälfte der Studienbeginner Frauen. In den Fächergruppen Sprach- und Kulturwissenschaften betrug der
Dimensionen des demographischen Wandels
47
Anteil 73 Prozent, in der Humanmedizin/Gesundheitswissenschaften 66 Prozent. In den Ingenieurwissenschaften waren Frauen mit 21 Prozent hingegen deutlich unterrepräsentiert (Statistisches Bundesamt, 2006). Die sektoralen Beschäftigungsanteile haben sich in der Vergangenheit deutlich verschoben. Weltweit ist der Anteil der Beschäftigten im Dienstleistungssektor von 34,5 Prozent im Jahr 1995 auf 38,9 Prozent im Jahr 2005 gestiegen. Der Anteil der Landwirtschaft war im gleichen Zeitraum stark rückläufig, während der Anteil der Beschäftigten im industriellen Sektor nahezu unverändert blieb. In Deutschland betrug der Anteil der Erwerbstätigen im Dienstleistungsbereich im Jahr 1957 rund 37 Prozent; 2003 waren es gut 66 Prozent (Abbildung 28 und 29). Im verarbeitenden Gewerbe und im Baugewerbe hat sich die Zahl der Erwerbstätigen deutlich verringert. Im Jahr 2004 beschäftigte der Dienstleistungssektor 71 Prozent der Erwerbstätigen. Annähernd die Hälfte davon ist in Wissens- und Informationsberufen tätig oder übt personenbezogene Dienstleistungstätigkeiten aus. 2,5 31,1
2003
66,4 2,7
2000
1997
33,1 2,9
64,2
34,3 62,8
4,4
40,8
1987
54,8 6,0 46,0 48,0
1977 10,3
1967
1957
41,8 16,1
47,9
47,3 36,6
Land- u. Forstwirtschaft, Fischerei Produzierendes Gewerbe
Erwerbstätige im Alter von 15 Jahren und älter. Bis 1990 Früheres Bundesgebiet.
Dienstleistungen
Abbildung 28: Erwerbstätige nach Wirtschaftsbereichen (in Prozent) (I) (Quelle: Statistisches Bundesamt) Der Trend zur Tertiarisierung der Arbeit wird sich fortsetzen und sogar noch verstärken. Wachsenden Beschäftigungsanteilen im Dienstleistungsbereich steht ein Rückgang produktionsorientierter Tätigkeiten gegenüber. Es ist davon auszugehen, dass die Zahl der Erwerbstätigen im Dienstleistungsbereich, vor allem im sekundären Dienstleistungsbereich, in Zukunft weiter zunehmen wird. Dostal und Reinberg (1999) zufolge wird sich der Anteil der Erwerbstätigen bei den primären Dienstleistungen von 43 Prozent (1995) auf 44,4 Prozent (2010) und bei den sekundären Dienstleistungen von 26,3 Prozent (1995) auf 31,6 Prozent (2010) erhöhen. Verlierer sind die produktionsorientierten Tätigkeiten. Die Zahl der Erwerbstätigen wird sich von 30,7 Prozent (1995) auf 24,0 Prozent (2010) verringern.
48
Die qualitative Dimension des demographischen Wandels
29,9
16,2
2004
25,2
5,8 19,6
2,2
öffentliche u. private Dienstleister 29,4
15,5
2002
Finanzierung, Vermietung, Unternehmensdienstleister Handel, Gastgewerbe, Verkehr
25,2
6,2 20,4 2,3
28,8
14,8
2000
Baugewerbe
25,1
7,1
Verarbeitendes Gewerbe
20,7 2,4
Land- u. Forstwirtschaft, Fischerei
25,7
9,7
1991
24,1
7,3
27,4
3,9
Arbeitnehmer, Selbständige und mithelfende Familienangehörige.
Abbildung 29: Erwerbstätige nach Wirtschaftsbereichen (in Prozent) (II) (Quelle: Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung) Für die Arbeitnehmer bedeutet das neue Arbeitsanforderungen, höhere Qualifikationsnotwendigkeiten und veränderte Tätigkeitsniveaus. Der Weg in die Dienstleistungsgesellschaft führt dazu, dass einfache Fachtätigkeiten und Hilfstätigkeiten weniger gebraucht werden. Dagegen wird das Angebot an Arbeitsplätzen für Hochqualifizierte steigen (Abbildung 30).
höher qualifizierte Tätigkeiten: Führungsaufgaben, Management, Forschung, Beratung, Lehren u.ä. mittel qualifizierte Tätigkeiten: Fachtätigkeiten in der Produktion, Sachbearbeiter, Assistent u.ä.
46 44 41 35
höher qualifizierte Tätigkeiten mittel qualifizierte Tätigkeiten
20
einfache Tätigkeiten: Hilfstätigkeiten in der Produktion, Reinigung, Bewirtung, Verkaufshilfen u.ä.
16
1995
einfache Tätigkeiten
2010
Abbildung 30: Erwerbstätige nach Tätigkeitsniveaus (Gesamtdeutschland, ohne Auszubildende, Anteile in Prozent) (Quelle: IAB/Prognos-Projektion 1999 (Gerundete Zahlen))
Dimensionen des demographischen Wandels
49
Die Tätigkeiten werden tendenziell anspruchsvoller. Der Anteil an Tätigkeiten, die eine höhere Qualifikation voraussetzen, wird in den nächsten Jahren erheblich wachsen. Tätigkeiten auf mittlerem Qualifikationsniveau werden geringfügig zunehmen und einfache Tätigkeiten werden drastisch zurückgehen. Der Bedarf an Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung wird stark sinken, während Lehr- und Fachschulabschlüsse an Bedeutung gewinnen í zu Gunsten von Fachschulabschlüssen (Abbildung 31). 82,0
Mit und ohne abgeschl. Berufsausbildung
82,4 82,9 6,3 5,9 5,4 5,0
Fachhochschulabschluss Universitätsabschluss
83,0
Neue Länder - Variante A
11,7 11,7 11,7 12,0
2015 12,5
2010
12,8 13,4 14,8
Ohne abgeschl. Berufsausbildung
2005 69,5
Mit abgeschl. Berufsausbildung 7,1 6,8 6,5 6,4
Fachhochschulabschluss Universitätsabschluss
0
1999
69,7 69,8 68,7
Alte Länder 11,0 10,7 10,3 10,1
10
20
30
40
50
60
70
80
90
Abbildung 31: Erwerbstätige nach Qualifikationsniveaus (in Prozent) (o. Auszubildende und o. erwerbstätige Schüler/Studierende. 1999: Ist; ab 2005 Projektion.) (Quelle: BLK für Bildungsplanung und Forschungsförderung, 2001) Allerdings hat sich der Rückgang der Beschäftigung von gering Qualifizierten seit 1995 deutlich verlangsamt. Und während der Anteil der Beschäftigten mit geringen Qualifikationen in produktionsorientierten Bereichen abgenommen hat, ist er im Dienstleistungsbereich gestiegen. Offensichtlich gibt es in Westdeutschland bei den gering Qualifizierten „einen Trend zur Tertiarisierung“ (Kalina/Weinkopf, 2005): Immer weniger gering Qualifizierte arbeiten im Produktionsbereich, während deren Anteil im Dienstleistungsbereich wächst. Dem Prognos Deutschland Report 2030 zufolge wird sich die Zahl der Stellen für ungelernte Arbeitskräfte in Deutschland bis zum Jahre 2030 mehr als halbieren. Die Nachfrage nach Arbeitnehmern mit abgeschlossener Berufsausbildung wird demgegenüber von etwa 20 Millionen heute auf über 25 Millionen bis 2030 steigen, die Stellen für Arbeitnehmer mit Hochschulabschluss werden von etwa 6 Millionen auf über 11 Millionen steigen. Aber es werden nicht nur Arbeitsplätze mit einfachen Tätigkeiten abgebaut. Es gibt zusätzlich einen Verdrängungswettbewerb, bei dem beruflich Qualifizierte gering Qualifizierte ersetzen. Dies führt dazu, dass auch Arbeitsplätze mit einfachen Tätigkeiten von Arbeitnehmern besetzt werden, die formal höher qualifiziert sind.
50
Die qualitative Dimension des demographischen Wandels
Der Charakter einfacher Tätigkeiten hat sich verändert. Infolge neuer Produktionskonzepte, neuer Arbeitsformen und des technischen Fortschritts haben sich auch die Qualifikationsanforderungen für Un- und Angelernte erhöht. Tätigkeiten unterhalb der Facharbeiterebene sind anspruchsvoller und komplexer geworden und stellen erhöhte fachliche und überfachliche Anforderungen an ungelernte Mitarbeiter. Bei Arbeitnehmern mit höheren Qualifikationen sind partielle Nachfrageüberhänge zu erwarten. Bereits nach 2010 wird bei Arbeitskräften mit Hochschulabschluss mit einer (partiellen) Knappheitssituation gerechnet. Bei Arbeitnehmern mit mittleren Qualifikationen sind Engpässe zu erwarten. Die Enquete-Kommission „Demographischer Wandel“ (2002) kommt in ihrem Schlussbericht zu dem Ergebnis: Benötigt werden mehr Personen mit beruflichem Abschluss. Einfacharbeitsplätze werden zunehmend abgebaut werden, die Arbeitsmarktchancen für Ungelernte werden rapide sinken. Deutschlands Industrie beklagt bereits heute das Fehlen von hochqualifizierten Mitarbeitern. Nach Angaben der Wirtschaftsverbände fehlen gut 22.000 Ingenieure. Dies ist umso gravierender, als mit jeder nicht besetzten Ingenieurstelle weitere 1,8 Arbeitsplätze verbunden sind. Einer Umfrage des Instituts der Deutschen Wirtschaft zufolge leiden 20 Prozent der Betriebe in Deutschland an Engpässen auf dem Fachkräftemarkt, vor allem die IT-Branche, der Maschinenbau und die Elektrotechnische Industrie. In einer Befragung klagten unlängst 30 Prozent der Unternehmen in der pharmazeutischen Industrie über einen Fachkräftemangel. Zum Teil besteht die paradoxe Situation, dass es zwar ausreichend Fachkräfte gibt, es den Arbeitnehmern aber an Fach- und Methodenkompetenz mangelt. Der Erhebung zur beruflichen Weiterbildung (Statistisches Bundesamt, 2002) zufolge bieten drei Viertel der befragen Unternehmen ihren Mitarbeitern betriebliche Weiterbildung an. Je größer ein Unternehmen, umso eher gibt es Weiterbildungsangebote. Spezielle Weiterbildungsangebote für Ältere existieren allerdings kaum. Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen haben im Jahr 1999 keine betriebliche Weiterbildung durchgeführt. Primäre Begründung: Die vorhandenen Fähigkeiten entsprechen dem Qualifikationsbedarf (Haak, 2003; Statistisches Bundesamt, 2002). Laut IW-Weiterbildungserhebung 2005 geht nur gut die Hälfte der Unternehmen von einem zunehmenden Weiterbildungsbedarf aus. Nach einer Erhebung des Statistischen Bundesamtes (2002) führt nur circa jedes vierte der befragten Unternehmen Analysen zum zukünftigen Personal- und/oder Qualifikationsbedarf durch í vor allem größere Unternehmen. Seit Anfang der 1990er-Jahre lässt sich bei der beruflichen Bildung eine Stagnation beobachten. Zwar sind die Akademikerquoten weiter angestiegen, seit dieser Zeit besitzt aber etwa ein Drittel der westdeutschen Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter keinen Berufsabschluss. Beispielsweise hatten 2004 bei den 30- bis unter 35-Jährigen 14,5 Prozent der Männer und 17,3 Prozent der Frauen keinen beruflichen Bildungsabschluss.
Dimensionen des demographischen Wandels
51
Besonders deutlich wird die Bildungsstagnation in den altersspezifischen Qualifikationsentwicklungen. Hier zeigt sich, dass die Altersgruppe der 35- bis 49-Jährigen die am besten qualifizierte ist und auch die Altersgruppe der 50- bis 64-Jährigen über einen hohen formalen Bildungsstand verfügt. Die 50- bis 64-jährigen Erwerbstätigen werden im Jahr 2015 die deutlich beste Qualifikationsstruktur aufweisen, verglichen mit den 15bis 34-Jährigen und den 35- bis 49-Jährigen (BLK, 2002). Bei der weit verbreiteten Vorstellung, Jüngere seien í was die formalen Abschlüsse anbelangt í besser qualifiziert als Ältere, handelt es sich um ein Vorurteil. Gerade die Geburtenjahrgänge der 1950erund 1960er Jahre haben die Qualifizierungsangebote genutzt. Von einer Akademikerschwemme kann in Deutschland nicht gesprochen werden. Selbst wenn man bedenkt, dass Studiengänge international nur eingeschränkt vergleichbar sind und manche Studiengänge in anderen Ländern in Deutschland eher einer Berufsausbildung entsprechen, ist der Anteil Hochqualifizierter im internationalen Vergleich sehr gering. Der Anteil der 25- bis 65-Jährigen mit einem Abschluss im Tertiärbereich (Fachhochschule, Universität) liegt in Deutschland unterhalb des OECD-Durchschnitts (OECD, 2005, 2006). Deutschland gehört dabei zu den wenigen OECD-Ländern, in denen die Altersgruppe der 25- bis 34-Jährigen einen niedrigeren Anteil an Absolventen des Tertiärbereichs hat als die Altersgruppe der 45- bis 54-Jährigen (OECD 2005, 2006). Aber nicht nur, dass von einer Akademikerschwemme keine Rede sein kann. Die gesamte Bildungsexpansion ist seit rund einem Jahrzehnt zu Ende. Gemessen am Jahr 2004 hat sich seit 1995 die Verteilung der Schüler auf die verschiedenen Schulformen kaum verändert. Mit dem demographischen Wandel verändern sich das Qualifikationsniveau und die Qualifikationsstruktur der Bevölkerung. Gerade die gut qualifizierten Bevölkerungsgruppen werden in Zukunft den größten Anteil der mittleren und höheren Altersgruppen stellen, aber sie werden auch immer näher an das Rentenalter heranrücken. Mit ihrem Ausscheiden entsteht nicht nur eine quantitative Lücke, sondern es wird auch schwierig, die Qualität zu ersetzen. In fast allen OECD-Ländern lassen sich zwei Trends beobachten: Die Häufigkeit der Teilnahme an beruflichen Weiterbildungen steigt mit der Höhe des formalen Bildungsabschlusses (höher Qualifizierte nehmen mehr teil als geringer Qualifizierte, Angestellte mehr als Arbeiter). Es gilt das Matthäus-Prinzip: Dem wer da hat, dem wird gegeben. Und die Teilnahmequoten gehen mit zunehmendem Alter deutlich zurück (Abbildung 32). Die IW-Weiterbildungserhebung 2005 zeigt, dass eine verstärkte Weiterbildung auch älterer Mitarbeiter (über 50 Jahre) kaum für notwendig gehalten wird. In einer Unternehmensbefragung (Meyer, 2004) sahen lediglich 20 Prozent der befragten Unternehmen, die Ältere beschäftigen, einen Weiterbildungsbedarf bei ihren älteren Mitarbeitern.
52
Die qualitative Dimension des demographischen Wandels
Teilnahmequote an allen Formen des Lernens nach Alter und Geschlecht in Deutschland (Zielpopulation: Alter 25 bis 64 Jahre) 48
weiblich männlich gesamt
52 50 44 46 45 40
41 43 42
42 41 30
25 - 34
35 - 44
45 - 54
33 32
55 - 64
total
Abbildung 32: Teilnahme an Weiterbildung (Quelle: Eurostat AKE, Ad-hoc-Modul 2003 über lebenslanges Lernen) In zahlreichen Unternehmen sind Mitarbeiter ab spätestens 52 Jahren von der Weiterbildung weitgehend ausgeschlossen. Investitionen in ihre Weiterbildung lohnen sich í im Rahmen impliziter humankapitaltheoretischer Vorstellungen í hinsichtlich des Return of Investment (geringe Verwertungszeit) angeblich nicht mehr. Dieses Argument wird angesichts einer in Zukunft längeren Lebensarbeitszeit an Bedeutung verlieren. Investitionen in das Humankapital werden lohnender, weil sich dessen Nutzungszeitraum verlängert.
Anteil der Betriebe, die folgende Weiterbildungsformen praktizieren (in Prozent) Umschulungsmaßnahmen
9,8
Interne Lehrveranstaltungen
63,9
Externe Lehrveranstaltungen
68,8
Informationsveranstaltungen
75,7
Selbst gesteuertes Lernen mit Medien
79,4
Lernen in der Arbeitssituation
81,7
Betriebliche Weiterbildung insgesamt
84,4
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
Abbildung 33: Formen der Weiterbildung (Geschäftsjahr 2004) (Quelle: IW-Weiterbildungserhebung 2005) Bei der Weiterbildung der Mitarbeiter dominieren arbeitsplatznahe und selbstgesteuerte Lernformen (Abbildung 33). Lernen in der Arbeitssituation spielt die größte Rolle. Beobachten und Ausprobieren am Arbeitsplatz, Lehrgänge im Betrieb und Unterweisungen
Dimensionen des demographischen Wandels
53
am Arbeitsplatz durch Kollegen oder Vorgesetzte im Sinne einer gezielten Wissensweitergabe stehen im Vordergrund. Weiterbildung erfolgt überwiegend anwendungsnah í was älteren Mitarbeitern grundsätzlich entgegenkommt. Die Weiterbildungsbeteiligung in Deutschland ist, verglichen mit anderen europäischen Ländern, eher gering (Abbildung 34). Prozentsatz der an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmenden erwachsenen Bevölkerung im Alter von 25 bis 64 Jahren. UK
22,3
Schweden Finnland
25,3
16,4
Frankreich 2,7 Spanien
4,9
Deutschland
5,8
17,4
7,4
Dänemark 6,5
EU 25
7,9 0
24,6 17,3
7,8
5,8
5,1
6,0
2002 2003
7,4
18,4
Belgien
33,3
34,8
18,9
Niederlande
29,1
21,2
18,4
8,5 9,2 10
25,7
2004
27,6
9,5 10,3 20
30
40
50
60
70
80
90
100
Abbildung 34: Lebenslanges Lernen – Teilnahme an Aus- und Weiterbildung in Europa (Quelle: Eurostat) Dies gilt erst recht für ältere Arbeitnehmer. Über 50-Jährige nehmen deutlich seltener an Weiterbildung teil als jüngere Personen. 2003 hat sich nur knapp jeder dritte 50- bis 65Jährige an Weiterbildung beteiligt. Bei den 35- bis 49-Jährigen und den 19- bis 34Jährigen waren es jeweils 46 Prozent (Berichtssystem Weiterbildung, 2005). An der beruflichen Weiterbildung nehmen am häufigsten die 35- bis 49-Jährigen teil, an der allgemeinen Weiterbildung am häufigsten die 19- bis 34-Jährigen (Abbildung 35). Der Weg in die Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft darf nicht mit einer generellen Verbesserung der Arbeitsbedingungen und mehr Gesundheit und Wohlbefinden für die Arbeitnehmer gleichgesetzt werden. Auch im Dienstleistungsbereich existieren erhebliche Belastungen und Gesundheitsgefährdungen. Bekanntlich kann Arbeit die Gesundheit stabilisieren und fördern, sie kann die Gesundheit aber auch beeinträchtigen und krank machen. Beispiele für Letzteres sind Berufskrankheiten und sonstige arbeitsbezogene Krankheiten.
54
Die qualitative Dimension des demographischen Wandels
Altersgruppe
Teilnahmequoten in Prozent 1979 1982 1985 1988 1991 1994 1997 2000
2003
Weiterbildung insgesamt 19 – 34 Jahre 35 – 49 Jahre 50 – 64 Jahre
34 21 11
38 31 14
32 25 14
43 37 20
44 40 23
49 47 28
53 54 36
47 49 31
46 46 31
Allgemeine Weiterbildung 19 – 34 Jahre 35 – 49 Jahre 50 – 64 Jahre
23 16 9
28 21 11
23 17 12
27 24 14
25 24 15
30 29 19
35 33 26
29 29 21
29 27 20
Berufliche Weiterbildung 19 – 34 Jahre 35 – 49 Jahre 50 – 64 Jahre
16 9 4
15 15 4
14 14 6
23 20 8
25 24 11
27 29 14
33 36 20
31 36 18
29 31 17
Abbildung 35: Teilnahme an Weiterbildung nach Altersgruppen (1979 bis 2003 im Bundesgebiet) (Quelle: BMBF, Berichtssystem Weiterbildung IX, 2005) Obwohl in der Arbeitswelt viele negative Belastungen reduziert oder beseitigt wurden, existieren nach wie vor Belastungen, die sich auf die Gesundheit oder auf das Wohlbefinden der Mitarbeiter nachteilig auswirken (können). Einer Belastungsverringerung in bestimmten Bereichen steht nicht selten eine Belastungszunahme in anderen Bereichen gegenüber. Die Belastungsstrukturen haben sich gewandelt, wobei psychische und soziale Belastungen deutlich an Bedeutung gewonnen haben. Aber auch körperliche Belastungen (insbesondere einseitige Belastungen, Zwangshaltungen) und Arbeitsumwelteinflüsse (vor allem Lärm, Klima) spielen an vielen Arbeitsplätzen nach wie vor eine bedeutende Rolle. Und alte, bekannte Belastungen treten in neuen beziehungsweise neuartigen Kombinationen auf. Abbildung 36 beschreibt Belastungen in der Arbeitswelt, die von Mitarbeitern im Rahmen von Mitarbeiterbefragungen genannt worden sind. Gesundheitliche Beschwerden werden von Arbeitnehmern oft ganz überwiegend auf die Arbeitstätigkeit zurückgeführt. Mit zunehmendem Alter steigt das Ausmaß, in dem gesundheitliche Beschwerden in Verbindung mit dem Arbeitsplatz gebracht werden. Bei den Belastungen „Lärm“, „ständiges Stehen“ und „Zugluft/Kälte“ besteht ein fast linearer Zusammenhang zwischen empfundener Belastungsstärke und dem Alter, das heißt, mit zunehmendem Alter werden diese Merkmale als besonders belastend erlebt. Bei den psychischen Belastungen besteht bei „Schnelligkeit am Arbeitsplatz“, „große Genauigkeit“ und „ständige Aufmerksamkeit“ ein linearer Zusammenhang zwischen zunehmendem Alter und der subjektiv empfundenen Belastungsstärke. Tendenziell gilt dies auch für die Belastung „große Arbeitsmengen“ (Redmann/Rehbein, 2000).
Dimensionen des demographischen Wandels
55
Ergebnisse von Mitarbeiterbefragungen (Angaben in Prozent) wenig/keine Rückmeldungen
59 62
selten/nie regelm. Mitarbeitergespräche wenig/kein Lob
67 43 44
Zeitdruck größere Arbeitsmenge
schwer Heben/Tragen
31 34
meist Stehen schlechte Luft Lärm Wärme/Hitze
Arbeitssituation
51
ständige Konzentration meist gedrehter Oberkörper
Führung
40 31 32
Bewegungsabläufe am Arbeitsplatz
Arbeitsumgebung
36
Dargestellt sind jeweils die drei Belastungen mit den höchsten Ausprägungen (starke oder sehr starke Belastung); Führung: summierter Prozentwert der Antwortkategorien selten und nie.
Abbildung 36: Belastungen in der Arbeitswelt (Quelle: Institut für Betriebliche Gesundheitsförderung, Dokumentation Mitarbeiterumfrage 2004) In einer Befragung der Bertelsmann Stiftung (2006) gehörten für rund drei Viertel der Befragten bessere Möglichkeiten zur Vereinbarung von beruflichen und privaten Verpflichtungen und die Übernahme von Tätigkeiten, die gesundheitlich weniger belastend sind, zu den Voraussetzungen, die bei der gegenwärtigen Arbeit erfüllt sein müssten, damit sich die Befragten eine Tätigkeit bis zum 65. Lebensjahr vorstellen könnten. Und die Reduzierung von Belastungen ist vor allem bei Arbeitnehmern ab 50 Jahren der Hauptgrund für den Wunsch nach Arbeitszeitverkürzungen.
2.3
Die regionale Dimension des demographischen Wandels
Wanderung bedeutet nicht nur Zu- und Abwanderung von Menschen über die Grenzen Deutschlands hinweg; auch innerhalb Deutschlands bestehen Wanderungsströme (Binnenwanderung). Schon immer gab es Regionen, die Einwohner verloren oder gewonnen haben und deren Altersstrukturen beachtliche Unterschiede aufweisen. Bereits heute existieren in Deutschland Regionen, in denen die Bevölkerung rückläufig ist und/oder überaltert. Ein Beispiel dafür sind die einstmals großen Industriezentren. Und die neuen Bundesländer sind deutlich stärker vom Bevölkerungsrückgang betroffen als die alten
56
Die regionale Dimension des demographischen Wandels
Länder. Ostdeutschland hat seit 1989 circa 11,7 Prozent seiner Bevölkerung verloren; und die Bevölkerung wird bis 2020 weiter deutlich schrumpfen (IWH, 2006). Ohne jegliche Wanderung sinkt die Zahl der Deutschen im Osten bis 2050 auf etwa 60 Prozent des Ausgangwertes von 2002; im Westen sind es 70 Prozent (Fuchs/Söhnlein, 2005). Insbesondere die für die ökonomische Leistungsfähigkeit wichtigen jüngeren und hochqualifizierten Altersgruppen (18- bis 25-Jährige) wandern von Ost nach West. Und vor allem junge Frauen sind aus dem Osten abgewandert, was zu einem gravierenden Missverhältnis zwischen Frauen und Männern geführt hat í mit dramatischen Folgen für die demographische Entwicklung. In Norddeutschland wird der Bevölkerungsrückgang bis 2020 mit 2,5 Prozent erheblich stärker ausfallen als in Deutschland insgesamt. Besonders betroffen davon werden Bremen und Sachsen-Anhalt sein. Auch die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter wird in Norddeutschland stärker rückläufig sein als im Bundesdurchschnitt. Die Erwerbsfähigenzahlen werden vor allem in Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt sinken. Das Arbeitskräfteangebot in einigen Regionen Norddeutschlands wird bereits 2020 ganz erheblich zurückgehen. Im Altersaufbau wird es in einigen Regionen enorme Umbrüche geben (Niebuhr/Stiller, 2005). Aber nicht nur Regionen werden sich unterschiedlich entwickeln, auch bei der Entwicklung der Bevölkerung der Städte gibt es beachtliche Unterschiede. Beispielsweise wird Berlin in den nächsten Jahrzehnten bevölkerungsmäßig schrumpfen (circa í8 Prozent) und kräftig altern, während Hamburg (+16 Prozent) und München (+11 Prozent) deutlich wachsen und weniger stark altern. Die Bevölkerung in einigen Regionen und Städten Deutschlands wird massiv zurückgehen und die Unterschiede im Altersaufbau werden sich erhöhen. Die Regionen und Städte werden verstärkt um junge, produktive Menschen konkurrieren. In Ostdeutschland klagen bereits heute viele Unternehmen über Facharbeitermangel í als Folge jahrelanger Arbeitskräfteabwanderung gen Westen. Trotz hoher Arbeitslosigkeit können viele Stellen nicht besetzt werden, weil Anforderungen einerseits und Qualifikationen andererseits nicht übereinstimmen. Es gibt nicht nur einen internationalen, sondern auch einen innerdeutschen „Braindrain“. Die Ausbildung erfolgt im Osten, gearbeitet wird im Westen. Für die regionalen Disparitäten gibt es mehrere Ursachen: Unternehmen schließen und infolge dessen ziehen Menschen fort. Die wirtschaftliche
Situation lässt vor allem Jüngere abwandern. Wo es keine Arbeit gibt, will auch keiner mehr wohnen. In unattraktiven Gegenden mit geringer Lebensqualität finden die Betriebe keine
jungen, qualifizierten Mitarbeiter und verzichten deshalb auf eine Ansiedlung. Unternehmen, die ihren Standort in (subjektiv) wenig reizvollen Regionen haben,
müssen mit der besseren Standortqualität anderer Unternehmen konkurrieren.
Dimensionen des demographischen Wandels
57
Die einzelnen Regionen Deutschlands gelten sowohl bei den Bundesbürgern wie auch bei den Arbeitnehmern als unterschiedlich attraktiv. In der Bewertung der Lebensqualität bestehen zwischen den Bundesländern und Regionen deutliche Unterschiede. Ganz allgemein sind die „Zufriedenheit mit dem Leben in der Region“ und die „Zufriedenheit mit dem Arbeitsmarkt in der Region“ in den westlichen Bundesländern höher als im Osten. In den östlichen Bundesländern hingegen ist die „Zufriedenheit mit den Kinderbetreuungsmöglichkeiten“ ausgeprägter. Baden-Württemberg gehört im Vergleich der Bundesländer zu den Regionen, die am ehesten den Standortvorteil „Lebensqualität“ für sich in Anspruch nehmen können. Die Attraktivität des Standortes (Lebensqualität, Familienfreundlichkeit) wird als Standortfaktor an Bedeutung gewinnen. Als „familienfreundlich“ gilt eine Region dann, wenn Mütter und Väter neben Einrichtungen und Infrastrukturen í z.B. Krippenplätzen í auch Unternehmen mit familienfreundlichem Engagement sowie Arbeitsmärkte vorfinden, die einen sicheren Unterhalt der Familie gewährleisten und den Wiedereinstieg von Frauen in den Beruf erleichtern (Familienatlas 2005). Die Vorteile der Familienfreundlichkeit für die Regionen liegen auf der Hand: Sie sichert in Form erhöhter Attraktivität als Wohnstandort nicht nur kommunale Steuereinnahmen, ein familienfreundliches Umfeld unterstützt überdies beispielsweise auch die Bestandsentwicklung regionaler Unternehmen durch ein breites Arbeitskräfteangebot und fördert die Innovationsdynamik und Wettbewerbsfähigkeit einer Region, wenn es gelingt, junge Erwerbstätige gut auszubilden oder anzuwerben. Familienfreundlichkeit entwickelt sich zu einem der wichtigsten Standortfaktoren der wirtschaftlichen Entwicklung einer Region (Familienatlas 2005).
Wirtschaftlich erfolgreiche Regionen haben im Wettbewerb um junge, qualifizierte Arbeitskräfte (Gewinnung, Verhinderung von Abwanderung) einen großen Vorteil. Eine hohe Zukunftsfähigkeit, gemessen an demographischen, ökonomischen und sozialen Indikatoren, attestieren Analysen vor allem den Bundesländern Bayern und BadenWürttemberg (Kröhnert et al., 2004; Kröhnert et al., 2006). Dem Prognos Zukunftsatlas 2006 zufolge ist die Achse von Frankfurt über Stuttgart bis zum Bodensee das wirtschaftliche Kraftzentrum Deutschlands. Den östlichen Bundesländern, insbesondere Sachsen-Anhalt und Thüringen, werden hingegen hohe Zukunftsrisiken zugeschrieben.
2.4
Exkurs: Amerika, hast du es besser?
Trends werden häufig in den USA gesetzt. Dabei kann man darüber streiten, ob alles, was aus den USA kommt, auch wirklich in die europäische oder speziell deutsche Landschaft passt. In jedem Fall ist es interessant und möglicherweise auch lehrreich, einen Blick über den großen Teich zu werfen, um Erkenntnisse darüber zu gewinnen, wie amerikanische Unternehmen mit dem Thema Demographie in Unternehmen umgehen.
58
Exkurs: Amerika, hast du es besser?
Auskunft hierüber gibt eine kürzlich veröffentlichte Studie, die Towers Perrin im Auftrag der AARP durchgeführt hat. Kern dieser Studie ist die Erkenntnis, dass auch ein Land wie die USA dem in Europa zu beobachtenden Trend ausgesetzt ist. Auch die USA altern, obwohl sie einen deutlich höheren Zufluss an Einwanderern haben als die europäischen Länder. Dazu einige Beobachtungen und Projektionen: Bis zum Jahr 2012 wird sich die Zahl der Arbeitnehmer im Alter zwischen 55 und 64
Jahren verdoppeln. Die Zahl der über 65-jährigen Arbeitswilligen und -fähigen wird um 40 Prozent zu-
nehmen. Die Gruppe der 35- bis 44-Jährigen wird abnehmen (um circa 10 Prozent), die Anzahl
der Arbeitsfähigen in den übrigen Altersgruppen wird nur moderat ansteigen. Umgekehrt bedeutet dies, dass in den nächsten 15 Jahren mehr als 80 Prozent der 55- bis 59-Jährigen einer bezahlten Beschäftigung nachgehen müssen, wenn ein jährliches Wachstum von 2 Prozent erreicht werden soll. Von den 60- bis 64-Jährigen werden mehr als die Hälfte arbeiten müssen, und selbst unter den über 65-Jährigen wird ein relativ großer Anteil (mehr als 30 Prozent) erwerbsfähig sein müssen, um dieses Wachstum zu erzielen. Eine Vorstellung, die in Deutschland vor dem Hintergrund der Diskussion um das Renteneintrittsalter und den massiven Protesten gegen dessen langfristiger Erhöhung auf 67 Jahre nicht einmal ansatzweise thematisiert wird. Die Deutschen möchten am liebsten mit 59 Jahren, spätestens aber mit 64 Jahren, in Rente gehen. Die Analysen erfolgen allerdings unter einem anderen Verständnis von Arbeit und Lebensplanung. Eine von der AARP durchgeführte repräsentative Befragung von Arbeitnehmern zwischen 50 und 70 Jahren zeigte für deutsche Verhältnisse überraschende Ergebnisse: Mehr als zwei Drittel der Befragten gaben an, dass sie gar nicht daran dächten, in Rente zu gehen, sondern weiter erwerbsfähig bleiben wollten. Die meisten davon in Teilzeit. Nicht wenige würden etwas völlig anderes anfangen wollen oder sogar ein eigenes Geschäft starten. Entsprechend sind die Reaktionen einer steigenden Zahl von Unternehmen, wobei nicht jedes Unternehmen im gleichen Umfang von den demographischen Veränderungen betroffen ist. Acht Thesen lassen sich aus den Untersuchungen ableiten (Abbildung 37).
Dimensionen des demographischen Wandels
59
1. Viele Unternehmen stehen vor der Situation, dass sie in den nächsten Jahren eine große Anzahl von Wissensträgern und älteren Talenten aus Altersgründen verlieren könnten. Dies betrifft Fachpersonal ebenso wie Führungskräfte. 2. Einige Unternehmen können diesem Verlust dadurch begegnen, dass die über 50-Jährigen länger im Unternehmen bleiben, als dies in früheren Generationen üblich war. 3. Viele Arbeitnehmer in den USA wollen aus finanziellen oder persönlichen Gründen länger arbeiten und dabei auch jenseits der normalen Altersgrenze in Beschäftigung bleiben. 4. Der Verlust an Talent/Know-how unter Älteren kann wegen mangelnder oder fehlender Ausbildung nicht oder nur teilweise durch jüngere Arbeitnehmer ausgeglichen werden. 5. Ältere Arbeitnehmer sind höher motiviert als ihre jüngeren Kollegen. 6. Die höheren Kosten für Vergütung und Versorgung für ältere Arbeitnehmer können durch eine Reduzierung der Fluktuation unter den Älteren mehr als ausgeglichen werden. 7. Um für ältere Talente attraktiv zu sein und ein Ausscheiden zu verhindern, müssen Unternehmen flexible Vergütungspakete anbieten. 8. Bisher haben sich nur wenige Unternehmen auf die veränderte demographische Situation eingestellt.
Abbildung 37: Thesen zu demographischen Veränderungen in US-Unternehmen Die Situation ist in den USA also nicht so fundamental anders als in Europa. Patentrezepte gibt es auch dort nicht, auch haben viele den Ernst der Lage noch nicht voll erkannt. Zumindest besteht offenbar auf Arbeitnehmerseite der Wunsch, nicht einfach nur in die zweifelhafte Rolle des Versorgungsempfängers zu geraten, sondern aktiv zum Wirtschaftsgeschehen beizutragen. Sicher kann die amerikanische Situation nicht ohne weiteres auf Deutschland und Europa übertragen werden. Eingedenk dessen soll an anderer Stelle untersucht werden, ob einige der oben angerissenen Ideen für Deutschland relevant sein können.
2.5
Exkurs: Werden wir wie Japan?
Japan hat sich auf die demographische Entwicklung in manchen Dingen besser und früher eingestellt als Deutschland. Es lohnt sich, einen Blick auf einige Entwicklungen in dem fernöstlichen Land zu werfen, auch wenn es uns kulturell oft so fremd vorkommt. Der Blick zeigt, mit welchen Problemen eine Gesellschaft í und damit auch die Unternehmen í zu kämpfen hat, die bereits seit längerer Zeit dem Trend einer alternden Bevölkerung ausgesetzt ist.
60
Exkurs: Werden wir wie Japan?
Einige Fakten, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede deutlich machen: Innerhalb der letzten 20 Jahre ist Japan deutlich schneller gealtert als Deutschland
oder andere westliche Staaten. Waren im Jahr 1982 nur knapp 10 Prozent der Bevölkerung über 65 Jahre alt, so betrug dieser Prozentsatz im Jahr 2002 schon annähernd 19 Prozent. In vergleichbarer Zeit entwickelten sich diese Zahlen in Deutschland von 15 Prozent auf 18 Prozent, in den USA von 11 Prozent auf 12 Prozent und in Frankreich von 13 Prozent auf 16 Prozent. Der Anteil der über 65-Jährigen wird im Jahr 2030 in Japan etwa 28 Prozent betragen.
Dies ist vergleichbar mit Deutschland und Frankreich, die USA werden bei etwa 20 Prozent liegen. Der Anteil der über 65-Jährigen, die einer bezahlten Beschäftigung nachgehen, lag im
Jahr 2002 in Japan bei circa 21 Prozent. Zum Vergleich: In Deutschland lag dieser Prozentsatz bei etwa 3 Prozent, in Frankreich bei 2 Prozent und in den USA immerhin bei circa 13 Prozent. Die Rahmenbedingungen für ältere japanische Arbeitnehmer sind allerdings nicht einfach. Die Anreize für ein längeres Arbeitsleben werden von politischer Seite gesetzt, das normale Rentenalter wird auf 65 heraufgesetzt. Allerdings fehlen Konzepte, wie die länger arbeitenden Älteren in angemessenen Jobs beschäftigt werden können. So kommt es zu Situationen, die häufig den traditionellen japanischen Werten zuwiderlaufen, wenn zum Beispiel Arbeitnehmer in Pension gehen müssen (weil die firmeninterne Altersgrenze von zum Beispiel 60 Jahren dies fordert) und anschließend zu einem deutlich niedrigeren Gehalt auf einer Stelle eingesetzt werden, die einer wesentlich niedrigeren Qualifikation entspricht. Dies fällt vielen Japanern der älteren Generation schwer, denn sie sind in einer senioritätsgetriebenen, auf Wertschätzung des Alters bauenden Gesellschaft groß geworden. Die hohe Erwerbsquote der Über-65-Jährigen von 21 Prozent ist aus europäischer Sicht sicherlich mit Skepsis zu beurteilen. Eines der Probleme in japanischen Unternehmen ist das tradierte System, dass Löhne und Gehälter sehr stark mit der Seniorität korrelieren. Und unter den japanischen Arbeitnehmern nimmt, wie bei ihren Kollegen in den westlichen Ländern, die Bereitschaft ab, sich weiterzubilden. Über kurz oder lang kommt mit zunehmendem Alter der Punkt, an dem die Qualifikation eigentlich nicht mehr ausreicht, das Gehalt aber weiter steigt. Die Unternehmen sehen sich daher auf der einen Seite zunehmend der Herausforderung gegenüber, die Vergütungssystematik stärker an Kompetenz und Leistung zu koppeln, auf der anderen Seite aber auch stärker in die Weiterbildung insbesondere der Älteren zu investieren. Umgekehrt müssen sich japanische Arbeitnehmer stärker darauf einstellen, dass sie selbst in ihre Beschäftigungsfähigkeit investieren müssen.
Dimensionen des demographischen Wandels
61
Wie in allen Industrieländern, tun sich große Unternehmen leichter mit der Umstellung. Wenn die entsprechenden Qualifikationen in dem einen Land fehlen, können sie auf andere Länder ausweichen. Japanische Unternehmen praktizieren dies seit Jahren. Die großen Automobilhersteller entwickeln und produzieren längst in Europa und Amerika, wo sie den Ingenieurnachwuchs leichter decken können als im alternden Japan. Die Politik versucht die Rahmenbedingungen so zu ändern, dass ein individueller Anreiz zur längeren Lebensarbeitszeit gegeben ist: sukzessive Erhöhung des gesetzlichen Rentenalters auf 70 Jahre in der gesetzlichen
Versorgung, aber auch in den Unternehmen; Schaffung eines Arbeitsmarktes, in dem jeder unabhängig vom Alter Beschäftigung
finden kann. Der zweite Punkt bildet offensichtlich die große Herausforderung. Hier wird sich zeigen, wie Arbeitnehmer und Unternehmen reagieren und welche Lösungen sich bieten. Aber Japaner sind, wie die Erfahrungen in vielen Bereichen zeigen, kreativ.
Wann ist man „älterer Arbeitnehmer“?
3.
63
Wann ist man „älterer Arbeitnehmer“?
Vierzig Jahre sind das Alter der Jugend, fünfzig die Jugend des Alters. (Victor Hugo) In Stellenanzeigen und in Statements von Personalverantwortlichen wird so etwas wie das Profil des idealen Arbeitnehmers sichtbar: Jung, leistungsfähig, belastbar, mobil, motiviert, flexibel, innovativ, anpassungsfähig, auslandserfahren und lernhungrig soll er sein. Und selbstverständlich muss er bereit sein, zu jeder Tages- und Nachtzeit zu arbeiten. Aber wer ist gemeint, wenn ein „jüngerer Kollege“ gesucht wird? Bis zu welchem Lebensalter passt man in ein „junges Team“? Wann gehört man zu den „Älteren“ oder gar zum „alten Eisen“? Für die Weltgesundheitsorganisation (WHO) beginnt der „aging worker“ mit 45 Jahren. Die OECD spricht bei Älteren von Personen, die in der zweiten Hälfte ihres Berufslebens stehen, aber das Pensionsalter noch nicht erreicht haben und noch gesund, das heißt arbeitsfähig sind. Die Grenze dürfte damit bei 40 bis 45 Jahren liegen. Die Wissenschaft bezeichnet die Altersgruppe der 40- bis 54-Jährigen als „alternde Mitarbeiter“ und die Gruppe ab 55 Jahren als „ältere Mitarbeiter“. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung sieht eine fließende Grenze von 45 bis 55 Jahren. Arbeitswissenschaftler und Arbeitsmediziner ziehen unter präventiven Aspekten oft die Altersgrenze bei 45 Jahren. Demzufolge werden für über 45-jährige Arbeitnehmer besondere Arbeitsgestaltungsmaßnahmen und gesundheitliche Betreuungsprogramme empfohlen. Vom betrieblichen Management werden die eigenen Mitarbeiter häufig ab dem 50. Lebensjahr zu den älteren Arbeitnehmern gerechnet. Arbeiter werden dabei früher als „alt“ eingestuft als Angestellte. Bei der Personalbeschaffung auf dem Arbeitsmarkt legen viele Unternehmen eine Altersgrenze von 40 Jahren („kritische Altersschwelle“) zugrunde. Nicht wenige Unternehmen reduzieren diese Grenze auf 35 Jahre. In Unternehmensberatungen liegt die Altersobergrenze bei Einstellungen häufig unter 35 Jahren. In Werbeagenturen beträgt der Altersdurchschnitt der Mitarbeiter nicht selten 30 Jahre. Mit 35 bis 40 Jahren ist man in einigen Branchen bereits „Senior“. Bei einer Befragung von Personalmanagern in den USA (AARP, 2005) wollte sich der Großteil der Befragten bei der Frage, ab welchem Alter Personalmanager beginnen, jemanden als älteren Arbeitnehmer zu betrachten, nicht festlegen. Von denjenigen, die die Frage beantwortet haben, wurde mehrheitlich ein Alter zwischen 50 und 60 Jahren genannt. Im Durchschnitt beginnt der ältere Arbeitnehmer mit 57 Jahren (Abbildung 38).
64
Wann ist man „älterer Arbeitnehmer“?
46%
17% 14% 11% 6%
5% 2%
<50
50-55
56-60
61-70
71+
Don't know
Refused
Question: At what age do you begin to consider someone to be an older employee? n = 679.
Abbildung 38: Ab welchem Alter gilt man für Personalmanager als älterer Mitarbeiter? (Quelle: AARP, 2005) Eine eindeutige, allgemeingültige und generell akzeptierte Definition für Alter, Altern und Altsein gibt es nicht í weder in der Wissenschaft noch in Wirtschaft und Gesellschaft. Gesellschaftliche Wertvorstellungen, sozioökonomische Bedingungen und der Zeitgeist bestimmen, ab wann man zu den Älteren zählt. Es wird gesellschaftlich definiert, wer zu den Alten gehört. Altern ist primär soziales und erst sekundär biologisches Schicksal (Thomae, 1968). Die Gesellschaft schreibt uns ein soziales Alter zu, so heißt es bei Jean Améry. Die „soziale Uhr“ hat, wie es Ursula Lehr einmal formuliert hat, die „biologische Uhr“ verdrängt. Zum „älteren Arbeitnehmer“ wird man gesellschaftlich gemacht. Boomt die Wirtschaft und sind Arbeitskräfte knapp, ist man auch mit 53 Jahren noch jung und als wertvolle Arbeitskraft begehrt. In Zeiten der Rezession und hoher Arbeitslosigkeit dagegen ist bereits der 40- bis 45-Jährige zu alt für eine Vermittlung auf dem Arbeitsmarkt und 55Jährige werden in den Ruhestand verabschiedet. Die Bewertung von Alter und die Zuordnung zur Gruppe der „älteren Arbeitnehmer“ werden von verschiedenen Faktoren bestimmt. Die Art der Tätigkeit, das Geschlecht und der Zeitgeist spielen ebenso eine Rolle wie die Region, der Kulturkreis und soziale Bedingungen (Abbildung 39).
Wann ist man „älterer Arbeitnehmer“?
kalendarisches Alter
schulisches und berufliches Qualifikationsniveau
beruflicher Status
gesundheitliche Konstitution
physische und psychische Leistungsfähigkeit
Branche
Art der Tätigkeit
Betriebsgröße
Geschlecht
Lebenssituation der Betroffenen
65
Abbildung 39: Faktoren für die Zuordnung zur Gruppe der „älteren Arbeitnehmer“ Alter ist kein absoluter, sondern ein relativer Begriff. Der Rennrodler Georg Hackl wurde schon mit 39 Jahren als „Methusalem“ tituliert; der Fußballspieler Zinédine Zidane war bereits mit 34 Jahren „der große alte Mann des französischen Fußballs“ (Abbildung 40). 30 Jahre
í als Profi-Sportler zu alt
40 Jahre
í älterer Arbeitnehmer í oder: Oberarzt, Produktionsleiter
50 Jahre
í auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr vermittelbar í oder: Geschäftsführer, Vorstand
> 60 Jahre
í Vorruhestand oder: Werkleiter in Fernost, Aufsichtsrat, Bundespräsident
> 70 Jahre Abbildung 40:
í Papst Alter und Berufstätigkeit
Übertragen auf die Arbeitswelt heißt dies, dass wir aufhören müssen, die älteren Arbeitnehmer in den gleichen Disziplinen antreten zu lassen wie die jüngeren. Besinnen wir uns auf ihre besonderen Stärken und setzen sie dort ein, wo sie diese Stärken nutzen und ihren Beitrag zum Teamerfolg leisten können. Bei einer Analyse der Arbeitsprozesse lassen sich oft schnell die Bereiche finden, in denen es vor allem auf Zuverlässigkeit, Effizienz, Kundenorientierung und die Übernahme von Verantwortung ankommt.
66
Wann ist man „älterer Arbeitnehmer“?
Alter ist damit keine Frage des Erreichens von gewissen, von außen festgesetzten Grenzen mehr. Das Entscheidungskriterium ist vielmehr, wer den konkreten Anforderungen am Arbeitsplatz gewachsen ist und sich ihnen stellen will. Die geeignete Zusammensetzung des Teams erfordert allerdings die präzise und differenzierte Analyse dessen, was am Arbeitsplatz gefordert wird, wer diese Anforderungen heute und in Zukunft erfüllen kann und will und welche Maßnahmen erforderlich sind, um gewisse Defizite in einem überschaubaren Zeitraum auszugleichen. Eine pauschale Ausgrenzung einer Arbeitnehmergruppe aufgrund des Erreichens von bestimmten kalendarischen Altersgrenzen darf es nicht geben – und kann keine Antwort auf wirtschaftliche Krisensituationen sein. Wie bereits erwähnt, spielt auch die Branche eine Rolle bei der Frage, wer zu den Älteren oder zu den Jüngeren gehört. In der chemischen oder pharmazeutischen Industrie findet man deutlich mehr Mitarbeiter und Führungskräfte in den 40er oder 50er Jahren als zum Beispiel in IT-Unternehmen oder bei den Banken. Offenbar spielt Erfahrung in gewissen Branchen eine größere Rolle als in anderen. Verwunderlich ist dies beispielsweise in der chemischen und pharmazeutischen Industrie nicht, denkt man an die langen Studienzeiten der Akademiker, die meist mit der Promotion enden müssen, damit diese Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu haben. In diesen Unternehmen liegt das Einstiegsalter für akademische Anfänger oft um die 30 Jahre, entsprechend spät kommen diese Mitarbeiter dann in verantwortungsvolle Positionen. Die Abbildungen 41 und 42 zeigen die Unterschiede zwischen beiden Branchen. Sowohl bei unteren und mittleren Führungskräften, aber auch bei Spezialisten und Experten wird deutlich, dass der Anteil Älterer in den Pharma- und Chemieunternehmen auf allen Qualifikationsstufen deutlich höher ausfällt als in der Hightech-Branche.
Anteil älterer Arbeitnehmer (High Tech) 80,0% 60,0% Anteil an der Gesamtbeleg- 40,0% schaft 20,0% 0,0% Spezialisten
Senior Spezialisten
Experten
Gruppenleiter
Abteilungsleiter
bis 45
74,8%
54,0%
48,3%
74,2%
62,7%
46 bis 55
20,9%
34,5%
38,0%
22,6%
31,9%
über 55
4,3%
11,5%
13,7%
3,2%
5,4%
Qualifikationsstufen
Abbildung 41: Altersverteilung in Hightech-Unternehmen (Quelle: Towers Perrin, CDB 2004)
Wann ist man „älterer Arbeitnehmer“?
67
Anteil älterer Arbeitnehmer (Pharma und Chemie) 80,0% 60,0% Anteil an der Gesamtbeleg- 40,0% schaft 20,0% 0,0% Spezialisten
Senior Spezialisten
Experten
Gruppenleiter
Abteilungsleiter
bis 45
76,4%
47,0%
18,1%
59,5%
49,7%
46 bis 55
18,5%
36,9%
44,4%
28,6%
36,6%
über 55
5,1%
16,1%
37,5%
11,9%
13,7%
Qualifikationsstufen
Abbildung 42: Altersverteilung in Chemie- und Pharma-Unternehmen (Quelle: Towers Perrin, CDB 2004)
Altern ist keine Krankheit
4.
69
Altern ist keine Krankheit
Es ist schon schlimm, wenn man alt wird, aber noch schlimmer ist es, man wird es nicht! (Heinz Erhardt) Altern bezeichnet alle zeitgebundenen Veränderungen eines individuellen Organismus im Laufe seines Lebens. Nach Max Bürger, dem Begründer der deutschen Gerontologie, bedeutet Altern jede gesetzmäßige, irreversible Veränderung der lebenden Substanz als Funktion der Zeit. Der Prozess beginnt mit dem Abschluss der entwicklungsgeschichtlich bedingten Differenzierungen der Zellen und endet mit dem Tod. Alternsbedingte Veränderungen können positiv (beispielsweise Reifungs- und Entwicklungsprozesse in der Kinder- und Jugendzeit) oder negativ sein (zum Beispiel Abbauprozesse im Erwachsenenalter). Warum der Mensch überhaupt altert, ist bislang nicht eindeutig geklärt. In der Wissenschaft gibt es verschiedene Erklärungen. So sind der Verschleißtheorie zufolge freie Radikale für den Alterungsprozess verantwortlich. Sie schädigen die Zellen. Nach der Programmtheorie ist das Alter einer Zelle in dessen Gen-Code schon vorprogrammiert. In den Zellen tickt eine Art „biologische Uhr“. Auch wenn der Prozess des Alterns psycho-physiologischen/biologischen Gesetzmäßigkeiten unterliegt, ist die große interindividuelle Variabilität beim Alterungsablauf nicht ausschließlich in genetischen Unterschieden begründet. Neben genetischen Einflüssen spielen Personenmerkmale (Risikofaktoren, Lebensstil, Gesundheitszustand), Umweltmerkmale (Wohnbedingungen, soziale Kontakte, Einkommensverhältnisse) und Arbeitsmerkmale (Anforderungen, Belastungen, Ressourcen) eine wichtige Rolle beim Altern. Altern ist keine Krankheit. Auf einer im British Medical Journal (2002) veröffentlichten Liste der Nicht-Krankheiten steht „Älterwerden“ an erster Stelle. Altern ist keineswegs automatisch mit Krankheit verbunden. Das Lebensalter ist nur ein „Risikofaktor“ für die Gesundheit, allerdings ein bedeutsamer. Altern und Krankheit sowie Altern und Degenerationsprozesse sind über die verringerte Widerstands- und Anpassungsfähigkeit und die erhöhte Störungsanfälligkeit des Organismus miteinander verknüpft. Dabei geht es weniger um eine altersabhängige Zunahme von Akutkrankheiten als vielmehr um einen Anstieg chronischer Krankheiten und das gleichzeitige Auftreten mehrerer Krankheiten (Multimorbidität). Untersuchungen zeigen, dass bereits im Alter von 37 Jahren im Durchschnitt drei Krankheiten und mit 47 Jahren vier Krankheiten vorliegen. Im Alter um das 50. Lebensjahr haben mehr als 50 Prozent der männlichen Bevölkerung zwei oder mehr Krankheiten, bei der weiblichen Bevölkerung beträgt der entsprechende Anteil fast 70 Prozent. Und mit zunehmendem Alter werden fließende Übergänge zwischen physiologischen Alternsprozessen und Krankheiten häufiger.
70
Altern ist keine Krankheit
Zwischen Alter und Krankheit können unterschiedliche Zusammenhänge bestehen: Altersphysiologische Veränderungen, die sämtliche Menschen betreffen und zum
normalen Alternsprozess gehören, treten mit einem Ausprägungsgrad auf, der über der Norm liegt (altersphysiologische Veränderungen mit möglichem „Krankheitswert“). Bestimmte Erkrankungen haben eine lange Latenzzeit und werden erst im Alter kli-
nisch manifest, zum Beispiel bestimmte Krebsarten (Erkrankungen mit langer präklinischer Latenzzeit). Krankheiten, die in jedem Lebensalter auftreten können, treten im Alter aufgrund
veränderter homöostatischer Regulations- und Reparaturmechanismen häufiger und mit stärkerem Schweregrad auf (Erkrankungen mit im Alter veränderten physiologischen Verläufen). Mit zunehmendem Lebensalter steigt die Expositionszeit gegenüber exogenen Noxen.
Dadurch wächst das Risiko von Gesundheitsbeeinträchtigungen (Krankheiten infolge langandauernder oder vielfacher Exposition). Unterschieden werden muss zwischen „alterskorrelierten“ und „altersassoziierten“ Erkrankungen. Bei Ersteren besteht eine statistische Korrelationsbeziehung zwischen kalendarischem Alter und Gesundheitsprofil, das Alter wird aber nicht kausal für das Auftreten der Gesundheitsbeeinträchtigung verantwortlich gemacht. Bei Letzteren handelt es sich um Erkrankungen, die durch das höhere Alter ursächlich bedingt sind. Für welche Gesundheitsbeeinträchtigungen das zutrifft, ist zum Teil noch ungeklärt. Fragt man nach dem Alter eines Menschen, wird üblicherweise das kalendarische (chronologische) Alter genannt. Gemeint ist damit die Zeitspanne, die seit der Geburt vergangenen ist. Es gibt jedoch noch andere Formen der Altersbestimmung: Das biologische Alter bezeichnet die biologische Kapazität und Funktionstüchtigkeit.
Sie verringern sich, und infolge dessen nimmt die Adaptationsfähigkeit ab und die Vulnerabilität des Organismus erhöht sich. Das psychologische Alter zielt auf den Zustand und auf die Veränderung der kogniti-
ven Funktionen, der Erfahrungen, des Wissens, die subjektiv erlebten Anforderungen und Aufgaben des Lebens und auf das individuelle Erleben des Alterns. Mit sozialem Alter sind die Veränderungen in den sozialen Positionen und in den
sozial definierten Rollen gemeint. Das kulturelle Alter beschreibt das Ausmaß des Festhaltens an alten Normen und
Wertvorstellungen sowie die nachlassende Rezeptionskraft für Neues. Human-made aging (arbeitsinduziertes Altern) hebt ab auf Arbeitsbedingungen, die
das Altern beschleunigen (Voralterung) oder aber auch verzögern können.
Altern ist keine Krankheit
71
Die Altersbestimmungen machen deutlich, dass Altern eine biologisch-physiologische, eine psychologische und eine soziale Dimension hat. Kalendarisches Alter und psycho-biologisches Alter sind nicht deckungsgleich. 60- bis 65-Jährige sind heute biologisch durchschnittlich um etwa ein Jahrzehnt jünger als vor zwei Generationen. Man ist so alt, wie man sich fühlt. Die heutigen „Älteren“ fühlen sich aktiver, vitaler, fitter und jünger als es ihrem kalendarischen Alter entspricht. Eine Emnid-Umfrage zeigt, dass bei den meisten Deutschen über 30 Jahre das gefühlte Alter unter dem tatsächlichen liegt. Das gefühlte Alter liegt bei 30- bis 39-Jährigen um etwa drei Jahre unter dem kalendarischen. In der Altersgruppe von 40 bis 49 Jahren sind es schon fünfeinhalb Jahre und die 50- bis 59-Jährigen fühlen sich im Durchschnitt um mehr als sechs Jahre jünger. Einer repräsentativen Befragung von über 45-Jährigen zufolge (KarstadtQuelle Versicherungen, 2006) halten sich 82 Prozent der Befragten für jünger als es dem kalendarischen Alter entspricht. Die 45- bis 55-Jährigen fühlen sich 42 Jahre alt, die 56- bis 65-Jährigen fühlen sich gut 51 Jahre alt und die 66- bis 70-Jährigen fühlen sich rund 57 Jahre alt. Die Deutschen sind Gefühlsjugendliche. Gäbe es so etwas wie einen Jungbrunnen, würden sich über 45-Jährige ein Lebensalter von 45,9 Jahren wünschen (KarstadtQuelle Versicherungen, 2006). Je älter man ist, desto größer sind die Wünsche an den Jungbrunnen: 45- bis 55-Jährige wären gerne 37,3 Jahre alt, 66- bis 70-Jährige wünschen sich ein Alter von 51,5 Jahren. In der Berliner Altersstudie nannten 90-Jährige als ihr Wunschalter so um die 65 Jahre. Eine repräsentative Studie in den USA (MIDMAC, 1992) zeigt, dass sich mit zunehmendem Alter die Schere zwischen dem aktuellen Alter und dem idealerweise gewünschten Alter immer mehr öffnet. 65-Jährige wünschten sich, im Durchschnitt 20 Jahre jünger zu sein.
Ältere sind keine defizitären Jungen
5.
73
Ältere sind keine defizitären Jungen
Das Bild älterer Menschen in der Bevölkerung ist insgesamt positiv. Die Ergebnisse der deutschen Population Policy Acceptance Study (PPAS) zeigen, dass die Rolle älterer Menschen in der Gesellschaft von der Mehrheit der Befragten positiv gesehen wird und ältere Menschen vor allem als Erfahrungsträger hoch geschätzt werden. Die Shell Jugendstudie 2006 macht deutlich, dass auch Jugendliche ein sehr positives Bild von der älteren Generation haben und von einem „Krieg der Generationen“ keine Rede sein kann. In einer Allensbach-Umfrage (IfD, 2002) betrachten 21 Prozent der Deutschen ältere Mitarbeiter, verglichen mit jüngeren, als wertvoller für Unternehmen. Lediglich 13 Prozent sind überzeugt, dass die Konzentration von Unternehmen auf jüngere Mitarbeiter richtig und sinnvoll ist. Ältere Mitarbeiter genießen also eine höhere Wertschätzung als jüngere Mitarbeiter. Bemerkenswert ist, dass es vor allem bei leitenden Angestellten keine Fixierung auf Jugendlichkeit und junge Mitarbeiter gibt. Das Fazit der Studie: Es gibt in unserer Gesellschaft nur eine Minderheit, die bereit ist, ältere Mitarbeiter generell zum „alten Eisen“ zu rechnen. Zugleich ist die Mehrheit der Befragten überzeugt davon, dass die Unternehmen genau dies tun und die Wertschätzung Älterer in den Unternehmen auch in Zukunft nicht steigen wird. In einer IfD-Umfrage im Jahr 2006 sind es sogar 27 Prozent der Befragten, die ältere Mitarbeiter für wertvoll halten. Nur 12 Prozent sind der Meinung, dass die Konzentration von Unternehmen auf jüngere Mitarbeiter richtig ist. Einer branchenübergreifenden Umfrage unter Personalverantwortlichen kleiner, mittlerer und großer Unternehmen zufolge gibt es in rund 60 Prozent der befragten Unternehmen keine Altersbegrenzung bei der Anstellung (Innofact/Randstad, 2006). Circa 16 Prozent der Unternehmen setzen die Altersgrenze bei 50 Jahren und etwa 17 Prozent sehen sie bei 55 Jahren. Als entscheidend für eine Einstellung wird die fachliche Eignung und nicht das Alter genannt. Nachteile älterer Bewerber werden ganz überwiegend nicht gesehen. Am meisten werden noch überzogene Gehaltsforderungen, mangelnde Flexibilität und eine eingeschränkte Fähigkeit, sich auf Neues einzustellen, genannt. Das IAB-Betriebspanel 2000 (Abbildung 43 und 44) zeigt, dass ältere Arbeitnehmer mehrheitlich für genauso leistungsfähig gehalten werden wie jüngere.
74
Ältere sind keine defizitären Jungen
Ostdeutschland (Angaben in Prozent) 76
9
Ältere Arbeitnehmer sind genauso leistungsfähig wie jüngere
15 14
Älteren mangelt es oft an der Bereitschaft, sich auf Neues einzustellen
68 18 50
Nur durch einen altersgerechten Einsatz kann man Stärken der Älteren nutzen
33 18 84
Ältere und jüngere Mitarbeiter sollten gemeinsam in altersgemischten Teams eingesetzt werden
5 11
Auch Ältere sollten in Qualifizierungsmaßnahmen einbezogen werden
75
11 14 8
Es ist günstiger, sich von älteren Mitarbeitern zu trennen und sie durch jüngere zu ersetzen
72
20
0
10
20
30
teils-teils
40
50
60
trifft nicht zu
70
80
90
trifft zu
Abbildung 43: Betriebliche Einschätzung älterer Arbeitnehmer (I) (Quelle: IAB-Betriebspanel 2000)
Westdeutschland (Angaben in Prozent) 78 8
Ältere Arbeitnehmer sind genauso leistungsfähig wie jüngere
14 21
Älteren mangelt es oft an der Bereitschaft, sich auf Neues einzustellen
57 22 53
Nur durch einen altersgerechten Einsatz kann man Stärken der Älteren nutzen
27 20 82
Ältere und jüngere Mitarbeiter sollten gemeinsam in altersgemischten Teams eingesetzt werden
6 12 81
Auch Ältere sollten in Qualifizierungsmaßnahmen einbezogen werden
7 12 6
Es ist günstiger, sich von älteren Mitarbeitern zu trennen und sie durch jüngere zu ersetzen
73 21
0
10
20
teils-teils
30
40
50
trifft nicht zu
Abbildung 44: Betriebliche Einschätzung älterer Arbeitnehmer (II) (Quelle: IAB-Betriebspanel 2000)
60
70
80 trifft zu
90
Ältere sind keine defizitären Jungen
75
Aus Sicht von Personalverantwortlichen ist die Leistungsfähigkeit älterer Mitarbeiter (Beschäftigte über 50 Jahre) nicht schlechter als die ihrer jüngeren Kollegen (IABBetriebspanel 2002, Abbildung 45). Bei den meisten Leistungsmerkmalen wird kein großer Unterschied ausgemacht. Allerdings unterscheidet sich das Leistungsprofil der Jüngeren von dem der Älteren. Den Jüngeren wird eine größere körperliche Belastbarkeit sowie eine höhere Lernbereitschaft und -fähigkeit zugeschrieben, während die Stärken der Älteren bei Arbeitsmoral, Qualitätsbewusstsein und Erfahrungswissen gesehen werden.
eher bei Älteren
Kreativität
32
65
13
71
16
7
12
75
13
6
11
82
7
Theoretisches Wissen Körperliche Belastbarkeit
22
73
5 3
Psychische Belastbarkeit
4
79
17
Loyalität
3
44
53
Erfahrungswissen
Lernbereitschaft
4 19
73
8
Flexibilität
4
66 70
26
Qualitätsbewusstsein
Teamfähigkeit
eher bei Jüngeren
30
Arbeitsmoral/-disziplin
Lernfähigkeit
kein Unterschied
30
64 75
18
Die Eigenschaften/Leistungsparameter sind von Oben nach Unten danach geordnet, für wie wichtig sie von den Personalverantwortlichen für die Mehrheit der Arbeitsplätze im Betrieb gehalten werden. Je höher der Durchschnittswert, desto wichtiger die Eigenschaft.
Abbildung 45: Altersspezifische Leistungsfähigkeit im Urteil von Personalverantwortlichen (Angaben in Prozent) (Quelle: Bellmann et al. 2003; IAB-Betriebspanel 2002) Älteren wird von Personalverantwortlichen keine grundsätzlich schlechtere Leistungsfähigkeit zugeschrieben, wohl aber Leistungsveränderungen (Koller/Gruber, 2001, Abbildung 46). Der Behauptung, Ältere verfügten über veraltete Qualifikationen, wird nur eingeschränkt zugestimmt. Eine geringe Motivation oder Motivierbarkeit wird Älteren von den Personalverantwortlichen nicht unterstellt.
76
Ältere sind keine defizitären Jungen
Stellungnahmen von Personalverantwortlichen zu gängigen Argumenten im Zusammenhang mit der Beschäftigung Älterer (in Prozent) Ältere sind nicht mehr so leistungsfähig Zustimmung
16,9
Ablehnung
54,7
Teils, teils
28,4
Ältere sind zu teuer Zustimmung
45,0
Ablehnung
45,0
Teils, teils
10,0
Ältere haben veraltete Qualifikationen Zustimmung
22,7
Ablehnung
30,0
Teils, teils
47,3
Ältere sind nicht motiviert Zustimmung
14,7
Ablehnung
54,0
Teils, teils
31,3
Abbildung 46: Bewertung älterer Arbeitnehmer durch Personalverantwortliche (Quelle: Koller/Gruber, 2001) Ältere Mitarbeiter werden von kleineren Betrieben wesentlich positiver beurteilt als von Großbetrieben. Und Betriebe, die einen höheren Anteil älterer Mitarbeiter beschäftigen, schätzen die Leistungsfähigkeit älterer Beschäftigter positiver ein als Betriebe, in denen ein geringer Anteil Älterer tätig ist. Ganz offensichtlich beeinflusst die Erfahrung mit älteren Mitarbeitern das Urteil über deren Leistungsfähigkeit. Von amerikanischen Personalmanagern werden ältere Arbeitnehmer (50 +) sehr positiv bewertet. Sie erfüllen alle qualitativen Merkmale, die für sämtliche Mitarbeiter gelten í bis auf Flexibilität zur Ausführung unterschiedlicher Aufgaben (AARP, 2005).
Ältere sind keine defizitären Jungen
77
Der positiven Bewertung Älterer steht eine immer noch weit verbreitete Jugendzentrierung in der Arbeitswelt gegenüber. Und das, obwohl Unternehmen Ältere mehrheitlich für unverzichtbar halten und Manager ältere Mitarbeiter wertschätzen. So werden in einer Umfrage unter 600 deutschen Personalentscheidern (CGC, 2004) älteren Jobanwärtern (über 48 Jahre) mehr Vorzüge zugestanden als ihren jüngeren Mitbewerbern, dennoch werden sie bei Neueinstellungen benachteiligt. Es besteht eine Kluft zwischen Deklaration und betrieblicher Praxis: Ältere Mitarbeiter sind wertvoll, aber beschäftigen wollen wir sie nicht! Dies spiegelt sich in der geringen Zahl von Unternehmen wider, die überhaupt ältere Mitarbeiter beschäftigen. Hochrechnungen auf der Grundlage des IAB-Betriebspanels 2002 zufolge beschäftigen 40,7 Prozent der Betriebe keine Älteren í wobei es sich überwiegend um Klein- und Kleinstbetriebe handelt (Brussig, 2005). Betriebe mit mehr als 50 Mitarbeitern haben mehrheitlich einen Anteil älterer Mitarbeiter, der zwischen 10 und 30 Prozent liegt. Die Fokussierung der öffentlichen Diskussion auf Betriebe ohne ältere Mitarbeiter und deren Brandmarkung als altersfeindlich ist insofern einseitig und irreführend. Das IAB-Betriebspanel 2004 macht deutlich, dass manches Unternehmen durchaus bereit wäre, freie Stellen mit älteren Arbeitnehmern zu besetzen. Bewerbungen älterer Arbeitnehmer liegen den Unternehmen aber oftmals gar nicht vor. Neben der Arbeitsnachfrage durch die Unternehmen muss also auch die Arbeitsangebotsseite gesehen werden. Zwischen den Branchen bestehen erhebliche Unterschiede bei der Beschäftigung Älterer (Abbildung 47). So sind in der Bauwirtschaft, im Gesundheits- und Sozialwesen sowie im Kredit- und Versicherungswesen wenig Ältere beschäftigt. Bei den Gebietskörperschaften und Sozialversicherungsträgern gibt es dagegen einen hohen Anteil älterer Mitarbeiter. 50% und mehr Ältere
Baugewerbe Investitionsg. Gesundheits-/Sozialw.
8
43 65
11
Verbrauchsg.
12 12
sonstige Dienste
13
Grundstoffverarb.
13
50 57
31
42
46
40
48 64
14
23
48
Bergb./Energ./Wasserv.
18 19
Gebietsk./Sozialvers.
20
Verkehr/Nachrichten
20
Land-/Forstwirtschaft
26
39
unternehmensb. Dienste
Org. ohne Erwerbszweck
keine Älteren
49
10
Kredit/Versicherung
Handel
weniger als 50%
38 59
22
38
43 69 43
20
40 38
11 37 40
33
28
Abbildung 47: Betriebe mit hohen und niedrigen Anteilen Älterer an der Belegschaft – nach Branchen (Angaben in Prozent) (Quelle: Brussig 2005; IAB-Betriebspanel 2002)
78
Ältere sind keine defizitären Jungen
Von Personalverantwortlichen wird ein hoher Altersdurchschnitt der Belegschaft für nicht wünschenswert gehalten. Dies bedeutet jedoch nicht, dass eine möglichst junge Belegschaft angestrebt wird. Eine Altersstruktur der Belegschaft bis zu einem Altersdurchschnitt von 44 Jahren wird von den befragten Personalverantwortlichen mehrheitlich als ideal betrachtet (Koller/Gruber, 2001, Abbildung 48).
Altersdurchschnitt im Betrieb (Jahre) 25 – 34 35 – 39 40 – 44 45 – 55 Beurteilung des Altersdurchschnitts wie gewünscht eher zu hoch eher zu niedrig
79,3 % 3,4 % 17,2 %
82,9 % 14,6 % 2,4 %
59,1 % 36,4 % 4,5 %
32,1 % 67,9 % 0,0 %
6,9 % 93,1 %
18,2 % 81,8 %
39,5 % 60,5 %
62,1 % 37,9 %
Im Betrieb wird eine Verjüngung der Belegschaft angestrebt ja nein
Abbildung 48: Personalpolitische Bewertung des Altersdurchschnitts im Betrieb (Befragung von Personalverantwortlichen) (Quelle: Koller/Gruber, 2001) Wenn auch die Unternehmen mehrheitlich bekunden, dass ältere Mitarbeiter wertvoll und unverzichtbar sind, so gibt es doch sehr unterschiedliche betriebliche Strategien im Umgang mit älteren Mitarbeitern. Im Wesentlichen lassen sich drei Strategien unterscheiden: jugendzentrierte Personalpolitik, Segmentationsstrategie und proaktive Nischenstrategie (Abbildung 49). Paradox ist, dass die Menschen heute biologisch jünger, vitaler und leistungsfähiger sind als je zuvor
(„Vitalisierung des Alters“); sich Ältere deutlich jünger fühlen, als es ihrem kalendarischen Alter entspricht; Ältere leistungsfähig und leistungsbereit sind; insbesondere Ältere davon überzeugt sind, dass ihre Arbeit sie fit hält; in der Bevölkerung allgemein, aber auch bei vielen Personalverantwortlichen, Ältere
als wertvolle Mitarbeiter gelten
Ältere sind keine defizitären Jungen
79
und trotzdem Menschen sozial immer früher zu den Alten gerechnet werden; ältere Arbeitnehmer in der Arbeitswelt benachteiligt werden; ältere Mitarbeiter in den Betrieben kaum noch vorhanden sind; Ältere geringe Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben.
Jugendzentrierte Personalpolitik Mehrheit der Mitarbeiter ist zw. 20 u. 40 Jahren alt. Hohe Anforderungen an Flexibilität. Innovationen, neueste Technik. Ältere gelten als nicht flexibel und weniger leistungsfähig. Ältere gelten als lernunfähig und veränderungsresistent.
Segmentationsstrategie Ältere werden beschäftigt, aber nur in bestimmten Produktionsprozessen/ Tätigkeitsbereichen. Ältere arbeiten an alten Produkten/Anlagen in alten Arbeitsorganisationsformen, Jüngere an neuen Anlagen. Man ist auf die Erfahrungen älterer Mitarbeiter angewiesen, weil konventionelle Maschinen im Einsatz sind.
Proaktive Nischenstrategie Man geht gezielt auf ältere Arbeitnehmer zu. Bei der Personalbeschaffung wird gezielt auf ältere Fachkräfte gesetzt. Arbeiten in altersgemischten Belegschaften. Wird Bereitschaft zur regelmäßigen Weiterbildung erwartet.
Frühpensionierung von Älteren Junge, hoch qualifizierte und engagierte Mitarbeiter.
Abbildung 49: Strategien von Unternehmen im Umgang mit älteren Mitarbeitern
Sind Ältere weniger leistungsfähig?
6.
81
Sind Ältere weniger leistungsfähig?
Der Blick des Verstandes fängt an scharf zu werden, wenn der Blick der Augen an Schärfe verliert. (Plato) Mit dem Alter lässt nicht alles nach. Die Vorstellungen über Altern und Leistungsfähigkeit sind lange Zeit vom Defekt- oder Defizitmodell geprägt worden. Obwohl längst wissenschaftlich widerlegt, hält sich dieses Modell auch heute noch hartnäckig in vielen Köpfen. Das „Defekt-/Defizitmodell“ beruht auf der Annahme, dass der Organismus im Laufe der Zeit in seiner Funktions- und Leistungsfähigkeit mehr und mehr nachlässt. Es wird eine altersbezogene Verschlechterung physischer und psychischer Leistungen unterstellt; zunehmend treten Defizite und Störungen auf. Das „Disuse-/Aktivitätsmodell“ des Alterns geht davon aus, dass die Aktivierung und Nutzung von Funktionen einem Leistungsabfall entgegenwirkt oder diesen sogar verhindert (Motto: Was nicht genutzt wird, verkümmert). Umweltanregungen sowie Lebensund Arbeitsbedingungen wirken stimuliert. Prävention kann die Leistungsfähigkeit positiv beeinflussen. Dem „Kompetenzmodell“ zufolge ist ein Mensch nicht schlechthin kompetent, sondern kompetent zur Erfüllung bestimmter Aufgaben. Es besteht eine Relation zwischen persönlichen Ressourcen und Anforderungen. Sowohl die Anforderungen als auch die Ressourcen verändern sich mit dem Lebensalter. Es bestehen alternsspezifische Austauschbeziehungen zwischen Umwelt und Person. Die Definition des Begriffs „Leistungsfähigkeit“ ist mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Es gibt nicht die Leistungsfähigkeit. Zumindest müssen körperliche und psychische Leistungsfähigkeit unterschieden werden. Voraussetzungen für Leistungsfähigkeit sind (körperliche, psychische, soziale) Gesundheit und Kompetenz (Qualifikation). Kombiniert mit Leistungsbereitschaft (Motivation) und objektiven (technischen, organisatorischen) Leistungsvoraussetzungen führt dies zu Leistung. Das gilt grundsätzlich sowohl für junge wie auch für ältere Mitarbeiter. Das Lebensalter ist nur ein Faktor, der psycho-physiologische Veränderungen bewirkt (Abbildung 50). Genetische Einflüsse, der Lebensstil, das Gesundheitsverhalten und soziale Faktoren kommen hinzu und können Veränderungsprozesse beschleunigen oder verlangsamen.
82
Sind Ältere weniger leistungsfähig?
Prozess des Alterns Leistungsfähigkeit im Alter – physiologische Gesetzmäßigkeiten – psychologische Gesetzmäßigkeiten genetische Einflüsse/ Unterschiede
Personenmerkmale
Umweltmerkmale
Arbeitsmerkmale
Risikofaktoren, Krankheiten
räumliche Umwelt
Anforderungen
soziale Umwelt
Belastungen
institutionelle Umwelt
Ressourcen
materielle Situation
Perspektiven
Lebensstil Qualität der medizinischen Behandlung Bildungsstand
Fähigkeiten, Fertigkeiten soziale Aktivitäten objektiver/subjektiver Gesundheitszustand Gesundheitsverhalten Selbstkonzept Zufriedenheit Motivation Zukunftserwartungen
Abbildung 50: Determinanten des Alterungsprozesses (Quelle: Kruse, 1996) Mit zunehmendem Lebensalter vollzieht sich keine pauschale Abnahme der Leistungsfähigkeit, sondern eine qualitative Veränderung. Es gibt menschliche Leistungsvoraussetzungen, die abnehmen, solche, die relativ konstant bleiben, und andere, die mit dem Alter zunehmen (Abbildung 51). Menschen sind lebenslang lern-, bildungs- und veränderungsfähig.
Sind Ältere weniger leistungsfähig?
83
Alter ist weder Krankheit noch Leistungsminderung Aber: Veränderungen der menschlichen Leistungsvoraussetzungen Abnahme
Konstanz
Belastbarkeit und Flexibilität des Stützund Bewegungsapparates
Leistungs- und Zielorientierung
Lebens- und Berufserfahrung
Zunahme
Systemdenken
Expertenwissen
Kreativität
Urteilsfähigkeit
Entscheidungsfähigkeit
Zuverlässigkeit
Körperkräfte Reaktionsflexibilität Leistungsvermögen der Sinnesorgane
Kommunikationsfähigkeit Geschwindigkeit der Informationsaufnahme und -verarbeitung
Qualitätsbewusstsein
Psychisches Durchhaltevermögen
Kooperationsfähigkeit
Kurzzeitgedächtnis
Konzentrationsfähigkeit
Pflichtbewusstsein
Risikobereitschaft Angst vor Veränderungen
Lern- u. Weiterbildungsbereitschaft
Abbildung 51: Veränderungen der menschlichen Leistungsvoraussetzungen Schematische Darstellung der biosozialen Dynamik des menschlichen Alterns Soziales Verantwortungsbewusstsein Approximative Bewertung
Körperliche Arbeitsfähigkeit Mobilität
Geistige Arbeitsfähigkeit
Alter 10
20
30
40
50
60
70
80
Abbildung 52: Biosoziale Dynamik des menschlichen Alterns
90
100
84
Sind Ältere weniger leistungsfähig?
Die Alterskurven der einzelnen Funktionssysteme (Abbildung 52) verlaufen nicht synchron, sondern differieren erheblich. Körperliche Funktionsmaxima werden früher erreicht als psychische Maxima oder Höchstwerte bei sozialen Fähigkeiten. Die individuellen Unterschiede sind dabei enorm groß.
Maximalkapazität in % 100
80
60
40
20
Alter
0 0
1
5
Vitalkapazität renaler Plasmafluss
10
20
30
40
50
60
Muskelkraft/Herzminutenvolumen max. Atemzeitvolumen
70
80
85
Nervenleitgeschwindigkeit max. Sauerstoff-Aufnahme
Abbildung 53: Altersgang physiologischer Parameter (Quelle: Kentner, von Kiparski) Es gehört zum Grundwissen der Arbeitsphysiologie, dass sich physiologische Parameter in Abhängigkeit vom Alter verändern (Abbildung 53). Beispielsweise ist seit langem bekannt, dass Muskelkraft, Ausdauerleistungsfähigkeit und Gelenkbeweglichkeit altersbedingt abnehmen, sich die Leistungsfähigkeit der Sinnesorgane (Seh- und Hörfähigkeit) verringert, sich die Blutdruckregulation verzögert, der maximale Sauerstoffverbrauch abnimmt und die Feinmotorik nachlässt. Und der Bedarf an Erholungspausen variiert in Abhängigkeit vom Lebensalter und dem Schweregrad der Arbeit (Abbildung 54). Aus der systematischen Alternsforschung ist bekannt, dass die fluide Intelligenz mit dem Alter abnimmt. Unter „flüssigen“ Leistungen versteht man die inhaltsübergreifenden kognitiven Grundfunktionen, die eine flexible Aufnahme und Verarbeitung von Informationen ermöglichen í Prozesse der Informationsverarbeitung und des Problemlösens, geistige Wendigkeit (Oswald, 1992). Flüssige oder Speed-Leistungen unterliegen bereits im dritten Lebensjahrzehnt einem progredienten Abbau; Kognitions- und Handlungsprozesse werden mit zunehmendem Lebensalter langsamer. Die „Intelligenz der Mechanik“ (Schnelligkeit und Präzision der Informationsverarbeitung) nimmt bereits ab dem frühen Erwachsenenalter stetig ab. Nach Baltes (2005) verliert man im Durchschnitt ab dem 40. Lebensjahr pro Jahr circa ein bis zwei Prozent in der Schnelligkeit und Präzision der Mechanik der Intelligenz.
Sind Ältere weniger leistungsfähig?
85
Erholungsbedarf 90 80 70 leichte Arbeit 60
mittelschwere Arbeit schwere Arbeit
50 40 30 20 10
Lebensalter
0 20 Jahre
30 Jahre
40 Jahre
50 Jahre
60 Jahre
70 Jahre
Abbildung 54: Bedarf an Erholungspausen in Abhängigkeit von Alter und Schweregrad der Arbeit (Quelle: nach Ilmarinen, 1999) Demgegenüber gibt es bei den kristallisierten Funktionen keinen alterskorrelierten Abbau. Sie bleiben bis ins hohe Lebensalter erhalten und können durch Training sogar noch verbessert werden. Kristallisierte Funktionen sind stark übungs- und bildungsabhängige Leistungen, in die unter anderem Sprachwissen, kulturelles und soziales Wissen mit einfließen und die nicht unter Zeitdruck erbracht werden müssen (Oswald, 1992). Die „Intelligenz der Pragmatik“ (unter anderem Sprache, Qualifikation) ist unabhängig vom Alter. Bei der emotionalen Intelligenz nimmt die Leistungsfähigkeit mit steigendem Alter zu í zumindest bis in das siebte und achte Lebensjahrzehnt (Abbildung 55). Verglichen mit jungen Mitarbeitern gilt als besondere Stärke älterer Mitarbeiter, dass sie komplexe Sachverhalte und Situationen besser überblicken und realistischer einschät-
zen und beurteilen, besser mögliche Fehler/Fallstricke voraussehen (umfangreiche Lebens- und Berufser-
fahrung), ausdauernder und engagierter sind und eine positive Arbeitseinstellung haben, offener sind für alternative Handlungs-/Vorgehensweisen, betriebliche Strukturen, Abläufe und Zusammenhänge kennen, sich dem Unternehmen verbunden fühlen und keinen Unternehmenswechsel mehr
beabsichtigen (Zuverlässigkeit, Loyalität), sich nicht mehr in Karrierekämpfe begeben, einen positiven Einfluss auf jüngere Kollegen ausüben, die eigene Meinung offensiver vertreten.
86
Sind Ältere weniger leistungsfähig?
Pragmatik (kr
istallisiert)
Leistung
Me cha nik
Intelligenz als Kulturwissen
(flu id)
Intelligenz als Basisprozesse der Informationsverarbeitung
ca. 25
ca. 70 Lebensverlauf
Abbildung 55: Idealisierte Lebenskurven der kristallisierten und fluiden Intelligenz (Quelle: Baltes, 1990) Zu den Negativmerkmalen, die älteren Mitarbeitern zugeschrieben werden, gehören vor allem veraltetes Wissen und nicht den aktuellen Arbeitsanforderungen entsprechende Quali-
fikationen, geringe Kreativität, hohe krankheitsbedingte Fehlzeiten, viele gesundheitliche Einschränkungen, verringerte Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit, Veränderungsresistenz, eingeschränkte Weiterbildungsbereitschaft, höhere Personalkosten.
Diese Zuschreibungsmuster í die positiven werden übrigens meistens mit Mitarbeitern auf höheren Hierarchieebenen verknüpft í können weder Allgemeingültigkeit beanspruchen, noch hängt die Leistungsfähigkeit eines Menschen allein von seinem Alter ab.
Sind Ältere weniger leistungsfähig?
87
Nicht sämtliche alternsabhängigen Veränderungen der Leistungsfähigkeit, zumal wenn sie in Laboruntersuchungen ermittelt wurden, sind in der betrieblichen Praxis wirklich von Bedeutung. Die maximale Körperkraft beispielsweise wird, wenn überhaupt, nur sehr selten über längere Zeit benötigt, deren altersbedingte Reduzierung hat kaum praktische Auswirkungen. Die Abnahme des Schlagvolumens des Herzens ist im normalen betrieblichen Alltag nicht relevant. In der Arbeitswelt steht die mögliche Dauerleistung im Vordergrund, nicht kurzzeitige maximale Höchstleistung. Hinzu kommt, dass die Mitarbeiter im Laufe der Zeit Strategien entwickeln, um alternsbedingte Verände-
rungen zu kompensieren; sich altersabhängige Veränderungen der fluiden Intelligenz, des Informationsverarbei-
tungstempos, der Gedächtnisleistung, der Körperkraft und der Feinmotorik durch Training und Übung beeinflussen lassen; Verringerungen der Wahrnehmungsfähigkeit durch Hilfsmittel wie Brille, Hörgerät
(teilweise) kompensiert werden können; Hilfe durch Kollegen erfolgen kann, sodass Leistungsveränderungen im Arbeitspro-
zess nicht spürbar werden; eine wahrgenommene nachlassende Leistungsfähigkeit durch „individuelle Problem-
verarbeitung“ (zum Beispiel Engagement, Mehrarbeit, Arbeit trotz Krankheit) kompensiert wird, was allerdings längerfristig Risiken für die Gesundheit mit sich bringt. Selbst wenn alternsbedingte Leistungsveränderungen tätigkeitsrelevant sind, können sie durch arbeitsgestalterische oder arbeitsorganisatorische Maßnahmen, häufig problemlos, kompensiert werden. Dass älteren Mitarbeitern oftmals pauschal eine abnehmende Leistungsfähigkeit zugeschrieben wird, liegt auch daran, dass nicht zwischen Leistungsminderung und Minderleistungsfähigkeit unterschieden wird. Leistungsminderung bezieht sich immer auf die frühere individuelle Leistungsfähigkeit und deren Veränderung. Tätigkeiten, die früher erfolgreich ausgeführt wurden, können nicht mehr verrichtet werden. Bezugspunkt der Minderleistung hingegen ist die Durchschnittsleistung einer vergleichbaren Gruppe. Vom Einzelnen wird die durchschnittliche Leistungsfähigkeit einer vergleichbaren Gruppe soweit unterschritten, dass er die Tätigkeiten, die von dieser Gruppe üblicherweise ausgeführt werden, nicht ausführen kann. Die Durchschnittsleistung wird nicht erreicht. Aus den qualitativen Veränderungen der menschlichen Leistungsvoraussetzungen folgt, dass es gewisse Tätigkeitsmerkmale gibt, die für ältere Mitarbeiter weniger geeignet sind, und solche, die sich für ältere Mitarbeiter eher anbieten (Abbildung 56).
88
Sind Ältere weniger leistungsfähig?
Ungünstige Tätigkeitsmerkmale
Günstige Tätigkeitsmerkmale
kurzzyklische, repetitive Tätigkeiten
Nutzung sozialer Kompetenz
neuartige, ungewohnte Arbeitsaufgaben
Autonomie hinsichtlich Arbeits-
extreme Anforderungen an die
zeit und Pausen
Verarbeitung von Sinneseindrücken
Sorgfalt/Erfahrung
starker Zeit-/Leistungsdruck
Lernanforderungen, die an
langes Arbeiten ohne Erholungs-
Bekanntes anknüpfen
möglichkeit
Nutzung vorhandenen Wissens
Nacht- und Schichtarbeit
selbstbestimmtes Lerntempo
hohe Aufmerksamkeit hohe Anforderungen an die Feinmotorik schnelles Aufnehmen, Weitergeben von Informationen ständige hohe körperliche Belastungen
Abbildung 56: Günstige und ungünstige Tätigkeitsmerkmale für ältere Mitarbeiter Überall dort, wo es auf Erfahrungen, soziale Kompetenz und sorgfältiges Arbeiten ankommt, können ältere Mitarbeiter ihre besonderen Stärken einbringen. Der Wandel der Arbeitswelt von der Industrie-/Produktions- hin zur Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft kommt ihnen dabei entgegen. Allerdings können umfangreiches Erfahrungswissen und höhere soziale Kompetenz nicht in allen Fällen verringerte körperliche Belastbarkeit ersetzen. Alterstypische Leistungsprobleme können dann auftreten, wenn auf den Arbeitsplätzen solche Leistungsmerkmale gefordert werden, die mit zunehmendem Lebensalter immer weniger oder immer weniger gut erfüllt werden können. Beispiele für solche alterskritischen Anforderungen sind schwere körperliche Arbeit, bestimmte Arbeitsumgebungseinflüsse, Zeitdruck und starre Leistungsvorgaben. Durch arbeitsgestalterische und -organisatorische Maßnahmen lassen sich solche Anforderungen verringern. Die Unterschiede in der Leistungsfähigkeit innerhalb der verschiedenen Altersgruppen sind größer als die Unterschiede zwischen den Altersgruppen. Die Beurteilung der Leistungsfähigkeit muss sich immer auf den Mitarbeiter und die Arbeit, die von ihm zu leisten ist, beziehen. Ein 38-jähriger Fußballbundesligaspieler ist alt, ein 38-jähriger Fußballbundesligatrainer ist jung.
Age Management im Unternehmen
7.
89
Age Management im Unternehmen
Alt werden will jeder, alt sein will keiner. (unbekannt) Die Menschen werden immer älter, während die Belegschaften in den Betrieben immer jünger werden. Der demographische Wandel, so scheint es, geht an der Arbeitswelt vorüber. In vielen Unternehmen herrscht eine jugendzentrierte Sichtweise. Nur wenige Unternehmen beschäftigen sich bisher mit dem demographischen Wandel und betreiben eine aktive alternsbezogene Personalpolitik. Dafür gibt es mehrere Gründe: Die Bedeutung demographischer Veränderungen für das eigene Unternehmen ist noch
gar nicht erkannt worden, weil das Altern einer Belegschaft ein schleichender Prozess ist. Aufgrund „gestauchter Alterspyramiden“ í der überwiegende Teil der Mitarbeiter gehört den mittleren Altersjahrgängen an, während die jüngeren und älteren Jahrgänge gering besetzt sind í stellt der Altersaufbau der Belegschaft kurzfristig kein Problem dar. Im Gegenteil, die Gruppe der „Leistungsträger“ ist ausgesprochen hoch. Die mittelbis langfristigen personellen Auswirkungen werden nicht gesehen. Das Thema „ältere Mitarbeiter“ wird auf die Mitarbeitergruppe der über 55-Jährigen
reduziert. Dies drückt sich aus in Aussagen wie „Wir haben kaum Ältere im Betrieb, da bei uns die Mitarbeiter spätestens mit Ende 50 in Vorruhestand gehen.“ Investitionen in ältere Mitarbeiter werden als nicht mehr lohnend betrachtet, weil
deren Restverweildauer im Unternehmen zu kurz ist. Im Unternehmen besteht ein Altersbild, nach dem ältere Mitarbeiter als eingeschränkt
leistungsfähig, unflexibel und teuer gelten. Ältere Mitarbeiter werden als Karriereblockade und als Einschränkung für die Zu-
kunftsperspektiven Jüngerer (zum Beispiel Übernahme von Auszubildenden) wahrgenommen. Ihnen wird deshalb der Vorruhestand nahegelegt. Älteren Mitarbeitern wird per se unterstellt, dass sie möglichst frühzeitig in Rente
gehen möchten („bis 55 reinhauen und dann den wohlverdienten Ruhestand genießen“). Der demographische Wandel kann jedoch zu einem (partiellen) Arbeitskräftemangel, einer Arbeitskräfteverteuerung, erhöhten krankheitsbedingten Fehlzeiten,
90
Age Management im Unternehmen
einer Zunahme an Mitarbeitern mit Leistungseinschränkungen, verringerter Personaleinsatzflexibilität, Know-how-Lücken und einem Verlust an Innovationsfähigkeit
führen, wenn nicht gegengesteuert wird. In Industriebetrieben weisen bei den gewerblichen Arbeitnehmern durchschnittlich 24 Prozent Leistungseinschränkungen auf. In manchen Betrieben haben sogar bis zu einem Drittel der Mitarbeiter Leistungseinschränkungen. Hinzu kommt eine Dunkelziffer, die umso größer ist, je stärker Gesundheitsprobleme vom Betrieb sanktioniert werden. Mit steigendem Durchschnittsalter der Belegschaft nimmt erfahrungsgemäß die Zahl der Mitarbeiter mit Leistungseinschränkungen zu (Abbildung 57). Insbesondere Mitarbeiter, die älter als 50 Jahre sind, weisen gesundheitliche Einschränkungen auf. Zudem steigt mit dem Lebensalter auch die Zahl der Mitarbeiter mit Mehrfacheinschränkungen.
bis 30 Jahre
< 10%
50 – 54 Jahre
ca. 30%
55 – 59 Jahre
ca. 40%
60 – 65 Jahre
ca. 45%
gesundheitliche Einschränkungen
In der Altersgruppe der über 55-Jährigen haben 50 Prozent Einschränkungen im Bereich des Stütz- und Bewegungsapparates. (Kollektiv von circa 15.000 industriell tätigen Arbeitnehmern)
Abbildung 57: Alter und gesundheitliche Einschränkungen So haben beispielsweise bei den unter 25-Jährigen weniger als 5 Prozent Einschränkungen im Bereich der Wirbelsäule, in der Gruppe der 41-bis 45-Jährigen sind es bereits 16 Prozent, bei den 51- bis 55-Jährigen 28 Prozent und bei den 56- bis 60-Jährigen sogar 33 Prozent. Ursächlich für gesundheitliche Einschränkungen sind vor allem Krankheiten. Mit weitem Abstand folgen Arbeitsunfälle, Wegeunfälle sowie Privat-, Sport- und Verkehrsunfälle. Dass bei den Einschränkungen nicht allein das Alter eine Rolle spielt, sondern auch die Art der Tätigkeit, zeigt sich darin, dass der Anteil der Mitarbeiter mit Einschränkungen bei den Arbeitern, und dort in den unteren Entgeltstufen, ungleich höher ist als bei den Angestellten. Betriebliche Auswertungen zeigen, dass circa 5 Prozent der 50jährigen Angestellten, aber circa 35 Prozent der Arbeiter Einschränkungen aufweisen.
Age Management im Unternehmen
91
Zu den häufigsten Tätigkeitseinschränkungen gehören: kein schweres Heben/Tragen, kein langes und häufiges Bücken, keine Überkopfarbeit, keine hohen Anforderungen an Konzentration/Sehvermögen, kein Stehen, Knien/Hocken, keine Arbeit unter Zeitdruck, keine Taktbindung keine Schichtarbeit (Dauer-Nachtschicht, Dreischicht), kein Lärm, keine Nässe.
Mitarbeiter mit Leistungseinschränkungen können die Personaleinsatzflexibilität verringern und unter anderem die Personalkosten (zum Beispiel durch Entgeltgarantie) erhöhen. Massive Probleme entstehen, wenn Arbeitsplätze, auf denen Mitarbeiter entsprechend ihren Leistungseinschränkungen sinnvoll und zugleich wertschöpfend eingesetzt werden können, nicht vorhanden sind.
Durchschnittlicher Gesundheitsstand über ein Jahr in einem Automobilwerk nach Altersgruppen und Geschlecht (Gesundheitsquote in Prozent) 97,0
97,7
97,5
97,3
96,8
96,7
96,7
95,8
95,9 95,0
96,6
96,4
95,9
95,4
95,0
94,4 93,3
bis 20
21-25
ohne Auszubildende
26-30
31-35
95,4
94,1
36-40 41-45 46-50 Frauen Männer
92,8
51-55
56-60
Gesamt
Abbildung 58: Gesundheitsstand in einem Automobilwerk nach Alter und Geschlecht Mit dem Lebensalter nehmen die krankheitsbedingten Fehlzeiten zu í beziehungsweise, in anderer Terminologie, der Gesundheitsstand/die Gesundheitsquote sinken. Abbildung 58 zeigt für ein Großunternehmen, dass der durchschnittliche Gesundheitsstand mit zunehmendem Lebensalter fällt. Besonders deutlich ist der Rückgang ab dem 50. Lebensjahr. Die Erhöhung des Gesundheitsstandes in der Altersgruppe 56 bis 60 Jahre lässt
92
Age Management im Unternehmen
sich damit erklären, dass die Zahl der Mitarbeiter in dieser Alterskategorie gering ist, es sich überwiegend um Angestellte handelt und auch ein „Healthy Worker Effect“ wirksam sein dürfte. Ältere Mitarbeiter fallen zwar seltener krankheitsbedingt aus als ihre jungen Kollegen (Krankheitsfälle), die Krankheitsdauer (Krankheitstage) liegt jedoch deutlich über der von jüngeren Mitarbeitern. Arbeitsunfähigkeitsauswertungen von Krankenkassen zeigen, dass junge Arbeitnehmer bis 24 Jahre bei den Arbeitsunfähigkeitsfällen mehr als 60 Prozent über den Fallzahlen der 45- bis 54-Jährigen und über 55-Jährigen liegen (Abbildung 59).
Alter 60-64
105 89 116 109 113 107 105
55-59 50-54 45-49 99
40-44 94
35-39
103
100 97
Frauen
90 91
30-34
Männer 99
25-29
89 122
20-24
115
143
<20
140
0
20
40
60
80
100
120
140
160
Abbildung 59: Arbeitsunfähigkeit nach Geschlecht und Alter í Fälle (Quelle: BKK Gesundheitsreport 2005) Alter 60-64
2.705 2.549 2.402 2.393
55-59 2.005 2.040
50-54 1.587 1.646
45-49 1.309 1.387
40-44 1.081 1.171
35-39 920 958 866 835 849 871
30-34 25-29 20-24
Frauen Männer
721 765
<20 0
500
1000
1500
2000
2500
3000
Abbildung 60: Arbeitsunfähigkeit nach Geschlecht und Alter (in Tagen je 100 Pflichtmitglieder) (Quelle: BKK Gesundheitsreport 2005 – Bundesgebiet)
Age Management im Unternehmen
93
Bei der Dauer der Erkrankungen schneiden jüngere Mitarbeiter dagegen deutlich besser ab als ihre älteren Kollegen. Die durchschnittliche Falldauer und die Fehltage pro Person steigen ab 50 Jahren deutlich an. Hier zeigen Gesundheitsreports der Krankenkassen, dass die Fehltage pro Person bei Beschäftigten, die älter als 50 Jahre sind, annähernd doppelt so hoch ausfallen wie bei Beschäftigten bis 29 Jahre (Abbildung 60). Betriebliche Erfahrungen bestätigen, dass der Krankenstand von Mitarbeitern ab 50 Jahren deutlich über dem Krankenstand jüngerer Mitarbeiter liegt; mitunter liegt er bis zum Zweifachen höher. Bei der Alterung der Belegschaft um ein Jahr ist eine „natürliche“ Krankenstandserhöhung um etwa 0,2 bis 0,3 Prozentpunkte zu erwarten. Der US-Amerikaner Arthur Winston, der im Jahr 2006 nach 72-jähriger beruflicher Tätigkeit mit 100 Jahren in den Ruhestand ging, war keinen einzigen Tag krank. Dieser „Angestellte des Jahrhunderts“ dürfte aber wohl eine Ausnahme sein. Der Anstieg des Krankenstandes mit steigendem Lebensalter ist ausschließlich auf die längere Dauer pro Krankheitsfall zurückzuführen. Die Langzeitfälle werden mit zunehmendem Lebensalter immer bedeutsamer. Bei den Beschäftigten ab 50 Jahren dominieren sie den Krankenstand. Der erhöhte Krankenstand in den höheren Altersgruppen ist demnach vor allem durch eine Zunahme schwerer Krankheiten bedingt. Es besteht allerdings kein mono-kausaler Zusammenhang zwischen Lebensalter, Krankheit und Ausmaß der Arbeitsunfähigkeit. Neben Alter und Geschlecht bestimmen insbesondere die Schichtzugehörigkeit, die berufliche Stellung, das Qualifikationsniveau und die ausgeübte Tätigkeit (Anforderungen, Belastungen) ganz wesentlich mit darüber, wie das Krankheitsgeschehen aussieht und wie hoch die Arbeitsunfähigkeiten ausfallen. Die Bedeutung der Tätigkeit und des Erwerbsverlaufs zeigt sich bei einer alters- und berufsgruppenbezogenen Betrachtung von Krankenständen. So weisen beispielsweise Maurer sowie Straßen- und Tiefbauer einen erheblich höheren Krankenstand auf als Apotheker, Chemiker und Ärzte – und das bereits in jungen Jahren. Bei den Krankheitsursachen bestehen deutliche Unterschiede zwischen jüngeren und älteren Arbeitnehmern. Bei Jüngeren dominieren Atemwegserkrankungen, Krankheiten des Verdauungssystems und Verletzungen. Mit steigendem Alter í die kritische Altersgrenze liegt bei etwa 45 Jahren í beherrschen vor allem Muskel-Skeletterkrankungen und Herz-Kreislauferkrankungen das Krankheitsgeschehen. Hinzu kommen bösartige Neubildungen und psychische Erkrankungen. Ältere Arbeitnehmer erleiden, entgegen verbreiteter Ansicht, nicht häufiger Unfälle als ihre jüngeren Kollegen. Die Unfallquote älterer Arbeitnehmer liegt sogar unter der Quote jüngerer Arbeitnehmer (15 bis 24 Jahre). Auswertungen zeigen, dass die Unfallhäufigkeit der 21- bis 30-Jährigen um fast das Dreifache über der der 51- bis 60-Jährigen liegt. Ähnliches gilt für die unfallbedingten Ausfalltage. Ältere Arbeitnehmer sind dagegen öfter durch tödliche Unfälle betroffen.
94
Age Management im Unternehmen
Unterschiede bestehen bei den Unfallursachen. Jüngere Mitarbeiter verursachen Unfälle eher aufgrund mangelnder Vorsicht, Unerfahrenheit und größerer Risikobereitschaft. Bei älteren Mitarbeitern sind häufiger das abnehmende Reaktionsvermögen und verzögerte Wahrnehmung die Ursache. Auch bei den Verletzungsarten lassen sich Alterseinflüsse erkennen. Während bei jungen Mitarbeitern (unter 30 Jahre) Zerrungen und Verrenkungen dominieren, sind Prellungen und Stauchungen am häufigsten in der Altersgruppe der 51- bis 60-Jährigen. Immer mehr Menschen leiden mit zunehmendem Alter an (chronischen) Krankheiten, häufig sogar an mehreren. Multimorbidität ist eine charakteristische Begleiterscheinung des Alterns. Wie Untersuchungen zeigen, liegen schon im Alter von 37 Jahren im Durchschnitt drei Krankheiten vor; mit 47 Jahren sind es bereits vier Krankheiten. Im Alter um das 50. Lebensjahr haben mehr als 50 Prozent der männlichen Bevölkerung zwei oder mehr Krankheiten. In der Altersgruppe von 55 bis 69 Jahren haben etwa 60 Prozent der Männer und circa 65 Prozent der Frauen mehr als zwei Krankheiten (Alterssurvey 2002). Auch die Ergebnisse arbeitsmedizinischer Vorsorgeuntersuchungen belegen einen deutlichen Anstieg von Gesundheitsstörungen mit zunehmendem Lebensalter. Mehrere Krankheiten gleichzeitig summieren sich dabei nicht einfach, sondern können sich gegenseitig verstärken. Chronische Krankheiten und Multimorbidität sind nur die sichtbare Spitze des Eisberges. Weitgehend verborgen bleiben Befindlichkeitsstörungen und altersbedingte Veränderungen des Leistungsvermögens. Sie werden oft durch verstärkten Leistungseinsatz oder Selbstmedikation zu kompensieren versucht. Dem Ziel, Einbußen bei den Leistungsvoraussetzungen zu verhindern, zu verzögern oder auszugleichen sowie die besonderen Stärken älterer Mitarbeiter zu nutzen und zu fördern, wird damit nicht gedient. Mit steigendem Lebensalter wird der eigene Gesundheitszustand schlechter beurteilt. Immer weniger wird er als sehr gut oder gut eingestuft. Ursächlich für diese altersabhängigen Bewertungsveränderungen sind normale Alterungsprozesse, langjährige Belastungen bei der Arbeit und die persönliche Lebensweise. Mitarbeiterbefragungen des Instituts für Betriebliche Gesundheitsförderung (2004) zufolge beurteilen circa 70 Prozent der bis 24-Jährigen ihren Gesundheitszustand als sehr gut bis gut. Bei den 45- bis 54-Jährigen sind es 35 Prozent und bei den über 55-Jährigen nur noch 28 Prozent. 39 Prozent der Arbeitnehmer, die 55 Jahre und älter sind, beurteilen ihre Gesundheit als nur ausreichend oder schlechter í bei den bis 24-Jährigen sind es lediglich 8 Prozent (Abbildung 61). In einer Untersuchung des WIdO (2005) schätzte in der Altersgruppe ab 60 Jahren fast jeder Vierte seinen Gesundheitsstatus als weniger gut oder schlecht ein (Abbildung 62). Entsprechend wird in höherem Alter die Lebensqualität schlechter beurteilt, vor allem die physische Gesundheit und die sozialen Beziehungen. Dabei nehmen mit dem Alter die Unterschiede zwischen Personen deutlich zu, das heißt, es gibt einen alterskorrelierten Anstieg der Heterogenität in der Lebensqualität.
Age Management im Unternehmen
95
1 3 6
27
32
8
27 32
4
41 8
36
10
13
55 Jahre
38
45-54 Jahre
14
41
5
1
6
1
6
2
35-44 Jahre 25-34 Jahre
30
18
15 51 24
24 Jahre gesamt
6
37
35
16
6
1 0 1
sehr gut
gut
befriedigend
ausreichend
mangelhaft
ungenügend
Abbildung 61: Einschätzung des eigenen Gesundheitszustandes (Angaben in Prozent) (Quelle: Institut für Betriebliche Gesundheitsförderung, Dokumentation Mitarbeiterumfrage 2004.)
60 Jahre u. älter 50 bis 59 Jahre 40 bis 49 Jahre 30 bis 39 Jahre 20 bis 29 Jahre jünger als 20 Jahre
sehr gut
gut
3,0 4,9 5,3 7,3 10,2 14,8
29,0 31,0 40,4 48,6 54,7 53,4
zufriedenstellend 45,0 43,6 41,1 35,4 28,7 26,3
weniger gut
schlecht
18,0 17,1 11,4 7,5 5,5 4,7
5,0 3,5 1,5 1,2 0,9 0,8
Anteil der Nennungen in Prozent
Abbildung 62: Einschätzung des eigenen Gesundheitszustandes nach Altersgruppen (Quelle: WIdO, 2005) Subjektiver und objektiver Gesundheitszustand können erheblich voneinander abweichen. Es wird von bis zu 75 Prozent Abweichung zwischen den subjektiven Angaben älterer Menschen und den objektiven ärztlichen Diagnosen berichtet í vor allem bei Männern. Mit steigendem Lebensalter ändert sich der subjektive Bewertungsmaßstab für Gesundheit, die trotz einer alternsbedingten Zunahme von Krankheiten besser beurteilt wird. Der eigene Gesundheitszustand wird, verglichen mit dem Arzturteil, überschätzt. Diese „positive Illusion“ hat indes einen sehr positiven Ausstrahlungseffekt auf die Lebensdauer: Positive subjektive Gesundheitsbeurteilungen zählen zu den besten Langlebigkeitsprädiktoren.
96
Age Management im Unternehmen
Die Beschwerdenhäufigkeit nimmt mit dem Lebensalter deutlich zu. Dies gilt insbesondere für muskuloskelettale Beschwerden und Herz-Kreislaufprobleme. In der WIdOStudie klagten aber auch bereits viele Mitarbeiter unter 20 Jahren häufig über Rückenbeschwerden (Abbildung 63). Die Gleichung „jung = gesund“ stimmt so nicht. Beispielsweise sind bereits 12 bis 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen im Schulalter chronisch krank (Robert Bosch Stiftung, 2006).
Rückenschmerzen Verspannungen Gelenkschmerzen Schlafstörungen Kreislaufstörungen Herzbeschwerden Schlafstörungen Nervosität, Unruhe
< 20
20-29
30-39
40-49
50-59
33,6 22,2 12,1 11,2 10,0 1,9 11,2 15,7
40,7 33,1 19,1 16,3 10,7 2,8 16,3 20,0
45,1 36,3 24,5 19,2 10,5 3,1 19,2 23,4
50,4 39,1 34,3 25,8 12,6 4,9 25,8 27,4
58,9 45,1 50,7 35,7 20,8 13,2 35,7 33,2
> 60 Jahre 59,8 43,7 59,5 37,4 21,7 17,0 37,4 37,3
Angaben in Prozent
Abbildung 63: Gesundheitliche Beschwerden nach Altersgruppen (Quelle: WIdO, 2005) Laut einer Umfrage (BKK-BV, 2005) leiden zwei Drittel der Bevölkerung in Deutschland unter Rückenschmerzen. Dabei besteht eine deutliche Altersabhängigkeit. Bei den 14- bis 19-Jährigen leiden 41 Prozent an Rückenschmerzen, bei den über 50-Jährigen 67 Prozent. Eine repräsentative Befragung in Nordrhein-Westfalen (MWA NRW, 2005) kommt zu dem Ergebnis, dass Ältere (50 Jahre und älter) mehr unter körperlichen Beschwerden und Jüngere í hier vor allem die Gruppe der unter 30-Jährigen í mehr unter psychosomatischen Beschwerden (zum Beispiel Kopfschmerzen, Erschöpfung) leiden. Dass ältere Mitarbeiter nicht mehr innovativ arbeiten und denken können und weniger Engagement bei der Arbeit zeigen, ist ein Vorurteil. Sowohl wissenschaftliche Untersuchungen als auch Erfahrungen in der Praxis belegen, dass gerade 40- bis 55-jährige Mitarbeiter besonders gut und erfolgreich arbeiten. Sie sind nicht nur erfahren, sondern besonders flexibel, mobil und belastbar („stressresistent“). Unter anderem, weil sie sich nicht mehr intensiv um Hausbau, Kindererziehung und Karriereentwicklung kümmern müssen. Eine Untersuchung von Warr (1995) zeigt, dass ältere Mitarbeiter (45 Jahre und älter) bessere Arbeitsleistungen erzielen als jüngere Mitarbeiter. Eine Studie von PriceWaterhouseCoopers (2002) macht deutlich, dass die Kurve der Leistungsfähigkeit im Alter zwischen 32 und 42 Jahren abnimmt und ab dem 42. Lebensjahr wieder deutlich ansteigt und sich über Jahre auf einem hohen Niveau einpendelt. Altersgruppenbezogene
Age Management im Unternehmen
97
Auswertungen der Leistungspunkte bei Leistungsbeurteilungen lassen erkennen, dass die Leistung von 30- bis 45-Jährigen nur geringfügig höher beurteilt wird als die von 46- bis 50-Jährigen. Und auch die Leistung der über 50-Jährigen wird nur minimal geringer eingeschätzt. Ältere Arbeitnehmer sind ebenso kreativ, entscheidungsfreudig, offen für Innovationen und einsatzbereit wie jüngere Arbeitnehmer (Farr et al., 1998; Maier 1997, 1998). Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Leistung älterer Mitarbeiter nicht generell und systematisch unter der ihrer jüngeren Kollegen liegt (WHO, 1993; Millanvoye, 1993). Besonders bei Tätigkeiten, die viel Übung und Erfahrung erfordern, liegt die Produktivität von Älteren (über 50 Jahre) sogar über der von unter 30-Jährigen. Leistungsfähigkeit, Lernfähigkeit und Innovationsbereitschaft älterer Mitarbeiter hängen weniger vom Lebensalter ab, als vielmehr von ihrer bisherigen Berufsbiographie und den Anforderungen der Tätigkeit. Wer sich bereits früher neuen Herausforderungen stellen und mit wechselnden Situationen fertig werden musste, ist flexibel, innovationsbereit und leistungsfähig. Eigenschaften und Verhaltensweisen, die erfolgreiche ältere Manager charakterisieren, zeigt eine Untersuchung von Klemp und McClelland (1986). Planendes, kausales Denken, Suche nach neuen Informationen sowie Informationsverknüpfung und -integration werden unter anderem ebenso genannt wie Machtausübung und Selbstsicherheit. Aspekte, die mit den Altersgruppen vornehmlich verbunden werden
Jüngere Mitarbeiter
Ältere Mitarbeiter
Leistungsbereitschaft
70 %
36 %
Zuverlässigkeit
13 %
78 %
Übernahme von Verantwortung
46 %
64 %
Anpassungsfähigkeit
74 %
4%
Belastbarkeit
59 %
14 %
Kundenorientierung
37 %
47 %
Ergebnisorientierung
41 %
45 %
Effizienz
36 %
40 %
Abbildung 64: Wichtige Attribute bei älteren und jüngeren Mitarbeitern (Quelle: Handelsblatt, Towers Perrin, Dezember 2004) Abbildung 64 zeigt, welche Eigenschaften nach Ansicht von Personalleitern eher auf jüngere und welche eher auf ältere Mitarbeiter zutreffen. Danach ist der jüngere Mitarbeiter eher leistungsbereit, anpassungsfähig und belastbar, ältere Mitarbeiter zuverlässiger und zur Übernahme von Verantwortung bereit.
98
Age Management im Unternehmen
Bemerkenswert ist, dass aus der Sicht der Personalleiter bei den Punkten Kundenorientierung, Ergebnisorientierung und Effizienz entweder kaum Unterschiede oder sogar leichte Vorteile für die älteren Arbeitnehmer bestehen. Abbildung 65 macht deutlich, dass im Hinblick auf motivierende Faktoren kein Unterschied zwischen älteren und jüngeren Arbeitnehmern besteht. Alle Gruppen werden von sehr ähnlichen Motivationstreibern zu Leistung angespornt. Allerdings bestehen interessante Unterschiede zwischen einigen europäischen Ländern. Warum engagieren sich Mitarbeiter an ihrem Arbeitsplatz? Unterschiedliche Motivationstreiber für ältere Mitarbeiter in Deutschland Insgesamt
Alter 50 und älter
1. Das Seniormanagement interessiert sich für die Mitarbeiter 2. Ausreichende Entscheidungsfreiheiten im Rahmen der eigenen Arbeit 3. Die fachlichen und persönlichen Kompetenzen können erweitert werden 4. Das eigene Unternehmen genießt einen guten Ruf als Arbeitgeber 5. Gute Zusammenarbeit mit den Kollegen im Team und darüber hinaus 6. Das Seniormanagement ist Vorbild im Sinne der Unternehmenswerte
6. Die Kriterien für die Bestimmung der Vergütung sind konsistent und fair
7. Manager messen die Leistung ihrer Mitarbeiter konsequent anhand vereinbarter Ziele
7. Das Seniormanagement ist Vorbild im Sinne der Unternehmenswerte
8. Arbeitsprozesse können durch eigene Initiative beeinflusst werden
8. Arbeit mit moderner, fortschrittlicher Technologie
9. Gute und erfolgreiche Mitarbeiter werden im Unternehmen gehalten
9. Möglichkeit zum reduzierten Arbeitseinsatz, ohne den Eindruck fehlender Motivation zu vermitteln
10. Die Zusatz- und Sozialleistungen sind angemessen
10. Das Seniormanagement kommuniziert eine klare Vision für den langfristigen Erfolg
Abbildung 65: Treiber der Motivation von Mitarbeitern in Deutschland (Quelle: Global Workforce Study, Towers Perrin 2005) Auf den ersten fünf Plätzen sind keine Unterschiede vorhanden. Auch die Älteren werden durch das Interesse des Managements an den Mitarbeitern motiviert und Freiheiten am Arbeitsplatz und die Möglichkeit zur Weiterbildung werden geschätzt. Bei den Älteren kommen auf den nachfolgenden Rängen jedoch zwei Punkte zum Tragen, die im Hinblick auf die Arbeits- und Zeitgestaltung für diese Gruppe eine wichtige Rolle spielen können: Die Möglichkeit, mit modernen Techniken arbeiten zu können, wird ausdrücklich als
Motivationsfaktor angegeben. Dies ist insofern bemerkenswert, als die Älteren vielfach als technikfeindlich betrachtet werden, die durch althergebrachte Methoden und
Age Management im Unternehmen
99
Werkzeuge den Fortschritt aufhalten. Offenbar trifft in vielen Fällen das Gegenteil zu. Die Chance, moderne Techniken nutzen zu können, wird begrüßt und fördert bei den Älteren die persönliche Motivation. Der zweite beachtenswerte Punkt ist der Wunsch, den Arbeitseinsatz reduzieren zu
können í ohne den Eindruck zu erwecken, man würde sich nicht mehr engagieren. Hier kann schnell der Eindruck entstehen, dass man sich auf den Lorbeeren der Vergangenheit ausruhen möchte und andere für sich arbeiten lassen will. Den Älteren ist dieser Eindruck durchaus bewusst. Die Chance, weniger arbeiten zu dürfen, wird aber ausdrücklich als motivierend empfunden. Ist das Phänomen gleicher oder unterschiedlicher Motivationstreiber nur ein deutsches oder aber ein internationales Phänomen? Hierzu ein kurzer Blick nach Großbritannien und Italien. Beispiel Großbritannien Warum engagieren sich Mitarbeiter an ihrem Arbeitsplatz? Unterschiedliche Motivationstreiber für ältere Mitarbeiter in Großbritannien Insgesamt
Alter 50 und älter
1. Das Seniormanagement interessiert sich für die Mitarbeiter 2. Die fachlichen und persönlichen Kompetenzen konnten im letzten Jahr erweitert werden 3. Das eigene Unternehmen genießt einen guten Ruf als Arbeitgeber
3. Arbeitsprozesse können durch eigene Initiative beeinflusst werden
4. Arbeitsprozesse können durch eigene Initiative beeinflusst werden
4. Das eigene Unternehmen genießt einen guten Ruf als Arbeitgeber
5. Die Zusatz- und Sozialleistungen sind angemessen im Zusammenspiel mit den gesetzlichen Sozialleistungen
5. Führungskräfte können Begeisterung wecken
6. Das Unternehmen kümmert sich um Kundenzufriedenheit
6. Die Mitarbeitern wissen, wie Kunden zufrieden gestellt werden können
7. Führungskräfte können Begeisterung wecken
7. Die Kriterien für die Bestimmung der Vergütung sind konsistent und fair
8. Die Kriterien für die Bestimmung der Vergütung sind konsistent und fair
8. Das Unternehmen kümmert sich um Kundenzufriedenheit
9. Gute Möglichkeiten, neue Fähigkeiten zu entwickeln
9. Es herrscht eine gute Unternehmenskultur
10. Die Mitarbeitern wissen, wie Kunden zufrieden gestellt werden können
10. Die Gehaltserhöhungen reflektieren die individuelle Leistung
Abbildung 66: Treiber der Motivation von Mitarbeitern in Großbritannien (Quelle: Global Workforce Study, Towers Perrin)
100
Age Management im Unternehmen
In Großbritannien bezeichnen sich nur etwa 12 Prozent der Mitarbeiter als hoch motiviert; etwa 65 Prozent sehen sich moderat motiviert, immerhin 23 Prozent sind nicht motiviert. Die Treiber der Motivation sind nicht grundsätzlich andere als die bei deutschen Arbeitnehmern. Allerdings werden doch einige landesspezifische Akzente gesetzt (Abbildung 66). Auffallend ist in Großbritannien wie in Deutschland, dass es bei den wichtigsten Treibern keine wesentlichen Unterschiede zwischen den Älteren und den Jüngeren gibt. Altersgruppenspezifische Unterschiede betreffen im Einzelnen: Die Älteren betonen ausdrücklich den Wunsch nach leistungsorientierter Vergütung,
speziell bezogen auf die Gehaltsentwicklung. Dem kann das Bedürfnis zugrunde liegen, auf keinen Fall als leistungsfeindlich gelten zu wollen. Die Älteren machen sich weniger Sorgen um ihre Altersversorgung als die Jüngeren,
obwohl sie näher am Zeitpunkt der Pensionierung stehen. Hier macht sich in Großbritannien genauso wie in Deutschland die Befürchtung der Jüngeren breit, dass die gesetzlichen Versorgungssysteme zurückgefahren werden. Beispiel Italien Die Zahl der motivierten Mitarbeiter ist in Italien deutlich niedriger als in anderen Ländern Europas. 7 Prozent bezeichnen sich als hoch motiviert, 64 Prozent als moderat motiviert und beachtliche 29 Prozent als nicht motiviert. Auch hier sind die eigentlichen Treiber der Motivation nicht wesentlich anders als in anderen Ländern (Abbildung 67). Allerdings ist die Zufriedenheit mit der tatsächlichen Situation in den Unternehmen wesentlich geringer als in Deutschland und Großbritannien. Auffallend oft wird von den Älteren der Leistungsgedanke betont. Initiative, leis-
tungsbezogene Zielsetzungen und ein faires Gehalt werden häufiger als Motivatoren genannt als von den Jüngeren. Ausdrücklich wird die Flexibilität bei der Gestaltung der Arbeitszeit hervorgehoben.
Dabei kommen sicherlich mehrere Faktoren zusammen, zum Beispiel das Bedürfnis nach einem gleitenden Übergang in den Ruhestand, Vereinbarkeit von beruflichen und privaten Interessen oder das Gefühl, neuen Arbeitsanforderungen nicht mehr gewachsen zu sein. Verbunden mit der Leistungsorientierung der Älteren lassen sich hieraus interessante Gestaltungsmöglichkeiten ableiten.
Age Management im Unternehmen
101
Warum engagieren sich Mitarbeiter an ihrem Arbeitsplatz? Unterschiedliche Motivationstreiber für ältere Mitarbeiter in Italien Insgesamt
Alter 50 und älter
1. Das Seniormanagement interessiert sich für die Mitarbeiter
1. Die fachlichen und persönlichen Kompetenzen konnten im letzten Jahr erweitert werden
2. Die fachlichen und persönlichen Kompetenzen konnten im letzten Jahr erweitert werden
2. Arbeitsprozesse können durch eigene Initiative beeinflusst werden
3. Die Führungskräfte wissen, wie Mitarbeiter zu motivieren sind
3. Die Kriterien für die Bestimmung der Vergütung sind konsistent und fair
4. Arbeitsprozesse können durch eigene Initiative beeinflusst werden
4. Die Führungskräfte wissen, wie Mitarbeiter zu motivieren sind
5. Das eigene Unternehmen genießt einen guten Ruf als Arbeitgeber
5. Gute Möglichkeiten, neue Fähigkeiten zu entwickeln
6. Die Kriterien für die Bestimmung der Vergütung sind konsistent und fair
6. Die Leistungsziele sind herausfordernd, aber fair
7. Gute Möglichkeiten, neue Fähigkeiten zu entwickeln
7. Ausreichende Entscheidungsfreiheiten im Rahmen der eigenen Arbeit
8. Das Unternehmen kümmert sich um Kundenzufriedenheit
8. Flexibilität in der Arbeitszeitgestaltung
9. Gute Zusammenarbeit mit den Kollegen im Team und darüber hinaus
9. Führungskräfte unterstützen und fördern die Arbeit im Team
10. Ausreichende Entscheidungsfreiheiten im Rahmen der eigenen Arbeit
10. Wettbewerbsfähiges Gehalt
Abbildung 67: Treiber der Motivation von Mitarbeitern in Italien (Quelle: Global Workforce Study, Towers Perrin 2005) Als Fazit ergeben sich vier wichtige Punkte: 1. Ältere Arbeitnehmer sind grundsätzlich nicht weniger motiviert als jüngere Arbeitnehmer. 2. Die Motivationsfaktoren sind im Wesentlichen die gleichen, gelegentlich wird der Leistungsgedanke sogar noch stärker betont als von den jüngeren Arbeitnehmern. 3. Altersspezifische Motivationsfaktoren im Hinblick auf die Flexibilität in der Arbeitszeitgestaltung geben Hinweise, wie ältere Mitarbeiter leistungsbezogen und motiviert eingesetzt werden können. An der Bereitschaft und an der Motivation der Älteren scheitern entsprechende Programme nicht.
102
Age Management im Unternehmen
4. Es gibt gewisse Stärken und Schwächen bei Mitarbeitern, die altersbedingt zu erklären sind. Sie ergänzen sich aber eher als dass sie sich gegenseitig ausschließen. Die möglicherweise geringere Leistungsfähigkeit der Älteren in bestimmten Bereichen kann bei geeigneter Arbeitsplatzgestaltung durch Engagement, Erfahrung und Leistungsorientierung mehr als ausgeglichen werden. Es gibt keinen Grund, warum jüngere Mitarbeiter prinzipiell den älteren vorgezogen werden sollten. Dies gilt übrigens umgekehrt genauso. Der hieraus abzuleitende Schluss lautet: Die richtige Mischung macht den Unterschied. Insgesamt wird das Reservoir qualifizierter Kräfte dadurch erheblich größer. Sollen im Unternehmen ausreichend Mitarbeiter zur Verfügung stehen, sollen vorzeitiger gesundheitlicher Verschleiß, Qualifikationsdefizite, Spezialisierungsfallen und kompakte Altersstrukturen mit all ihren Folgen vermieden werden und soll die Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit der Mitarbeiter dauerhaft erhalten und gefördert werden, müssen bestehende Optionen frühzeitig genutzt werden. Im Rahmen eines intergenerationellen Personalmanagements, das die Altersstruktur der Belegschaft berücksichtigt, sind diese Handlungsoptionen (Abbildung 68) präventiver oder kurativer Art, zielen auf die Person und deren Verhalten oder auf die Bedingungen (Situation) ab und haben verschiedene Planungshorizonte: kurzfristig (1 bis 2 Jahre), mittelfristig (bis 5 Jahre) und langfristig (länger als 5 Jahre).
Präventiv
Korrektiv
Ausreichende Anzahl von Mitarbeitern.
Person/ Verhalten
Vermeidung von vorzeitigem Verschleiß Qualifikationsdefiziten Spezialisierungsfallen kompakten Altersstrukturen
Bedingungen/ Situation
kurz-, mittel-, langfristig
Erhalt und Förderung der Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit.
Abbildung 68: Handlungsoptionen
Age Management im Unternehmen
103
Bei der Entwicklung und Durchführung von Maßnahmen sollte man sich dessen bewusst sein, dass Maßnahmen, die erkennbar alters- und „problemgruppenbezogen“ ausgerichtet sind, die Gefahr der Stigmatisierung verstärken und das Ansehen älterer Mitarbeiter im Unternehmen verringern können. Vor allem die traditionellen „Schonarbeitsplätze“ (zum Beispiel Pförtner), aber auch andere sozialfürsorgerische Maßnahmen, haben mehr zu einer Stigmatisierung älterer Mitarbeiter beigetragen als den veränderten Leistungsvoraussetzungen Rechnung getragen. Infolge von Lean Production und Outsourcing gehören solche Arbeitsplätze in vielen Unternehmen schon lange der Vergangenheit an. Betriebliche Programme und Maßnahmen, die sich speziell auf ältere Mitarbeiter beziehen, sind wenig verbreitet. Eine Befragung von Betrieben im Jahr 1999 (BIBB, 1999) zeigt, dass nur ein geringer Teil der Betriebe besondere innerbetriebliche Maßnahmen und Programme für Ältere durchführt. Je nach Maßnahme waren es 11 bis 18 Prozent. Dem IAB-Betriebspanel 2002 zufolge bieten nur 20 Prozent der Betriebe personalwirtschaftliche Maßnahmen für Ältere an. Dabei handelt es sich ganz überwiegend um größere Unternehmen. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine Unternehmensbefragung aus dem Jahr 2004 (Meyer, 2004): In rund 95 Prozent der befragten Unternehmen existieren keine speziellen personalwirtschaftlichen Maßnahmen für ältere Arbeitnehmer. Vor allem in Kleinbetrieben spielen sie keine Rolle. Wenn Maßnahmen angeboten werden, dann insbesondere Altersteilzeit, Einbeziehung in die Weiterbildung und altersgemischte Arbeitsgruppen (Abbildung 69). Maßnahmen zum Erhalt der Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit Älterer spielen in den allermeisten Unternehmen so gut wie keine Rolle.
1 bis 4 Beschäftigte 100 bis 499 Keine Maßn.
Einb. Weiterb. 2 Arbeitsgruppen 1 5
Arbeitsplatz
1 1
ATZ 3 8
7
5 3 26
8
27
61
1
35
6
33
6
13
3 2
86
Andere Maßnahmen für Ältere Altersgerechte Weiterbildungsangebote
1
4
13
7
Keine Maßnahmen für Ältere
80
6
24
14 3
59
24
12
6
1
2
1
1
1
20 bis 99 Deutschland ges.
4
2
1
1
Altersg. Weiterb.
Leistungsanf.
83
93
Sonst. Maßn.
5 bis 19 ab 500
11
Einbeziehung in Weiterbildung Altersgemischte Arbeitsgruppen Herabsetzung der Leistungsanforderungen Besondere Ausstattung der Arbeitsplätze Altersteilzeit
Abbildung 69: Betriebliche Maßnahmen für ältere Arbeitnehmer 2002 (in Prozent) (Quelle: Bellmann et al. 2003; IAB-Betriebspanel 2002)
104
Age Management im Unternehmen
Bei der Interpretation der Zahlen ist allerdings Vorsicht angebracht: Kleinstbetriebe können bestimmte Maßnahmen gar nicht realisieren (beispielsweise
altersgemischte Gruppenarbeit). Grundsätzlich gilt: Je größer der Betrieb, desto eher gibt es auf ältere Mitarbeiter bezogene personalwirtschaftliche Maßnahmen und desto umfangreicher ist das Maßnahmenbündel. Große Betriebe haben schlechthin mehr Möglichkeiten. Für Betriebe mit einem sehr hohen Anteil älterer Mitarbeiter macht es keinen Sinn,
spezielle Maßnahmen für Ältere durchzuführen. Maßnahmen richten sich in diesen Fällen an sämtliche Mitarbeiter í junge und alte. Viele Maßnahmen richten sich grundsätzlich an alle Mitarbeiter, unabhängig vom
Lebensalter (zum Beispiel Rückenschulen, Ausgleichsgymnastik), oder sie sollen bereits in jungen Jahren Fehlbeanspruchungen verhindern (zum Beispiel ergonomische Arbeitsplatzgestaltung, Job Rotation). Nach einer Umfrage im Jahr 2005 (Abbildung 70) gehören zu den bevorzugten Maßnahmen, die Unternehmen in Sachen Demographie durchführen, Altersstrukturanalysen, flexible Arbeitszeitmodelle und systematisches betriebliches Gesundheitsmanagement.
Was tun Sie in Sachen Demographie: Maßnahmen in Ihrem Unternehmen (Angaben in Prozent) Weiterbildung für Ältere
34
Systematisches betriebl. Gesundheitsmanagement
54
Flexible Arbeitszeitmodelle
61
Alternsgerechte Arbeitsplatzgestaltung Demographie-Beauftragte/r
23 13
Altersstrukturanalyse Gezielte Einstellung Älterer Verzicht auf Altersangaben in Anzeigen
71 29 50
Abbildung 70: Was Unternehmen in Sachen Demographie tun (Quelle: TED Umfrage, INQA- Know-How-Kongress 2005)
Ein Unternehmen ist keine Insel
8.
105
Ein Unternehmen ist keine Insel Das Alter ist zu einem Problem der modernen Gesellschaft geworden. Es ist aber auch eine Herausforderung. (P. B. Baltes)
Unternehmen sind auf vielfältige Weise mit dem gesellschaftlichen und ökonomischen Umfeld verwoben, wirken in dieses hinein und werden ihrerseits von diesem beeinflusst. Auch für die betriebliche Bewältigung des demographischen Wandels existieren rechtliche, soziale und ökonomische Daten. Sie bilden gleichsam den Rahmen, innerhalb dessen demographische Veränderungen im Betrieb zu bewerkstelligen sind. Zu diesen Rahmendaten gehören insbesondere Rechtsvorschriften (zum Beispiel das gesetzliche Rentenalter, Schutzregelungen für
ältere Mitarbeiter, Anreize für längere Lebensarbeitszeit), die Sozialpolitik/Familienpolitik (zum Beispiel Förderung von Familien/Kindern,
Vereinbarkeit von Beruf und Familie), die Steuerpolitik (zum Beispiel Ehegattensplitting, steuerliche Abzugsmöglichkeiten), das staatliche Bildungssystem (zum Beispiel Schulsystem, Studienzeiten, Ausbildungs-
qualität), der Wertewandel in der Gesellschaft (zum Beispiel Individualisierung, Bedeutung von
Ehe und Familie, Respekt vor dem Alter), der „Zeitgeist“ (zum Beispiel Lebensentwürfe, Lebensstil).
So haben sich beispielsweise bei der über viele Jahre hinweg gängigen Frühverrentungspraxis Staat, Arbeitgeber und Gewerkschaften verbündet mit dem Ziel, ältere Arbeitnehmer vorzeitig aus dem Arbeitsleben auszugliedern í was sicher auch den Wünschen vieler Arbeitnehmer entsprach. Für die Unternehmen bedeutet das vor allem gezielte Personalselektion, Belegschaftsumschichtung und Verlagerung der Personalanpassungskosten auf die Solidargemeinschaft. Das gerne angeführte Argument, mit dem frühzeitigen Ausscheiden älterer Mitarbeiter werde jüngeren Menschen eine Beschäftigungsperspektive gegeben, lässt sich empirisch nur sehr eingeschränkt belegen. Ältere Arbeitnehmer nehmen den jüngeren nicht die Arbeitsplätze weg. Fixe Pensionierungsgrenzen tragen zur Demotivation und Unzufriedenheit der Mitarbeiter bei. Warum sollen sich Mitarbeiter noch engagieren, wenn sie, gegen ihren Willen, kurz vor der Zwangspensionierung stehen? Zumal Unternehmen für diese Personengruppen auch nichts mehr tun. Ein Pensionierungskorridor (zum Beispiel 63 bis 70 Jahre) würde dem entgegenwirken.
106
Ein Unternehmen ist keine Insel
Nahezu jeder Mensch steht dem Alter ambivalent gegenüber. Einerseits wünscht man sich, recht alt zu werden, andererseits fürchtet man sich vor dem Alter, weil es mit negativen Vorstellungen verbunden wird. Älterwerden ist in der Gesellschaft negativ belegt. Altern wird gleichgesetzt mit Verschleiß, Krankheit, Benachteiligungen, Geringschätzung und Verschlechterung der Lebensqualität. In einer Befragung von über 50-Jährigen war mehr als die Hälfte der Meinung, dass die Lebenserfahrung Älterer in unserer Gesellschaft nicht ausreichend geschätzt wird (DIE ZEIT, 2004). Ein Blick über die Grenzen zeigt, dass dies nicht so sein muss. In den USA wurden bedeutende Unternehmen von über 60-Jährigen gegründet. Das Durchschnittsalter in einer erfolgreichen Firma in Needham, einer Kleinstadt bei Boston, beträgt 74 Jahre. In Großbritannien beschäftigt eine Einzelhandelskette in einer Filiale 40 Prozent Mitarbeiter, die über 50 Jahre alt sind – unter anderem, weil die Fehlzeiten geringer sind. Ein Finanzdienstleister mit Sitz in Australien hat gezielt über 55-jährige Berufsrückkehrer eingesetzt í weil sie besser mit den älteren Kunden umgehen können. Alan Greenspan konnte mit 79 Jahren als Vorsitzender der US-Notenbank der mächtigste Notenbanker der Welt sein. In Deutschland hätte er als 60-Jähriger Probleme, bei der Bank einen Kredit zu bekommen. Japanische Top-Manager sind oft älter als 70 Jahre. Ganz abgesehen von den Leistungen Älterer in Wissenschaft und Kultur; Voltaire, Kant, Goethe, Verdi, Shaw, Tizian und Hamsun sind nur einige Beispiele dafür. Während man in anderen Ländern auf Ältere setzt, ist in Deutschland, zumindest in der Arbeitswelt, der Grundsatz weit verbreitet: No future für Ältere! Dies erstaunt umso mehr, als sich die Altersstrukturen in der Gesellschaft verschoben und ihre klaren Konturen verloren haben. Die Phase der Jugend und des Erwachsenwerdens hat eine beachtliche soziale Ausdehnung erfahren. 50-Jährige kleiden und benehmen sich heute wie 20-Jährige. Besonders augenfällig wird die Verschiebung von Altersgrenzen beim Film. Dort haben sich die Grenzen der Jugend um mindestens 15 Jahre nach hinten verschoben. Über 40Jährige spielen Filmrollen, die vor einer Generation von Mitte 20-Jährigen gespielt worden wären í und die Zuschauer finden das ganz normal. In der Literatur hingegen finden sich zahlreiche negativ getönte Beschreibungen des Alters und Alterns. So ist für P. Roth (2006) das Alter kein Kampf, sondern ein Massaker. Ein Beispiel für die Wertschätzung älterer Menschen ist die chinesische Legende von „Chüen und die sechs Brote“: Chüen ging jeden Tag zum Bäcker und kaufte diesem sechs Brote ab. Eines Tages fragte ihn sein guter Freund Chen: „Sag mir, Chüen, was machst du eigentlich mit den sechs Broten, die du da täglich erwirbst?“ Chüen antwortete: „Ein Brot kaufe ich für mich, um es zu essen, ein Brot werfe ich weg, zwei Brote gebe ich zurück und die letzten Brote leihe ich aus.“ Chen dachte nach und erwiderte: „Mein Freund, dunkel ist mir der Sinn deiner Worte. Willst du mir nicht erklären, was du meinst?“ Chüen aber, der täglich sechs Brote kaufte, antwortete seinem Freund: „Nun í
Ein Unternehmen ist keine Insel
107
den Laib, den ich für mich behalte, esse ich allein. Das Brot, von dem ich sagte, dass ich es wegwerfe, gebe ich meiner Schwiegermutter. Die beiden Brote jedoch, von denen ich sagte, dass ich sie zurückgebe, bekommen meine ehrwürdigen Eltern, weil sie mich im Kindesalter ernährten. Die beiden aber, von denen ich sagte, dass ich sie ausleihe, gebe ich meinen Söhnen und sage ihnen dabei, dass sie sie mir zurückgeben mögen, wenn ich selbst ein Greis geworden bin.“ Im heutigen modernen China hat sich die Wertschätzung des Alters und der Alten allerdings drastisch verringert.
Prioritäre Handlungsfelder
9.
109
Prioritäre Handlungsfelder
Ob für ein Unternehmen demographisch bedingter Handlungsbedarf besteht, lässt sich grob anhand eines Schnelltests zur zukunftsorientierten Personalpolitik beurteilen (Abbildung 71). Sollten sich mehrere Kreuze in der Spalte „trifft eher nicht zu“ befinden, ist es sinnvoll, über eine zukunftsorientierte Neuausrichtung der Personalpolitik mit dem Ziel „länger gesünder arbeiten“ nachzudenken.
Trifft eher zu
Trifft eher nicht zu
Die Zusammensetzung der Altersgruppen im Unternehmen ist bekannt und fließt in personalpolitische Entscheidungen ein Die Belegschaft besteht annähernd zu gleichen Teilen aus jungen, mittelalten und älteren Mitarbeitern Die Arbeitstätigkeiten sind so gestaltet, dass Mitarbeiter diese bis zum 65./67. Lebensjahr ausführen können Die Mitarbeiter werden aktiv an der Gestaltung ihrer Arbeitsbedingungen beteiligt Es gelingt dem Unternehmen problemlos, den Bedarf an jungen qualifizierten Mitarbeitern intern (Ausbildung) oder extern (Rekrutierung) zu decken Alle Mitarbeiter – auch ältere – haben die Möglichkeit, sich zu qualifizieren und ihre Kompetenzen zu erweitern Der Wissensaustausch zwischen älteren und jüngeren Mitarbeitern wird systematisch gefördert Allen Mitarbeitern wird im Unternehmen eine berufliche Entwicklungsperspektive geboten
Abbildung 71: Quick-Check zur zukunftsorientierten Personalpolitik (Quelle: BKK-News 2/03, modifiziert) Für die erfolgreiche Bewältigung des demographischen Wandels in der Arbeitswelt sind Maßnahmen in 13 zentralen Handlungsfeldern erforderlich (Abbildung 72).
110
Unternehmenskultur
Prioritäre Handlungsfelder
Altersstrukturanalyse
Unternehmenskultur Personalführung und Talent Management
Gestaltung von Arbeitszeit und Arbeitsplatz Personaleinsatz und Arbeitsorganisation
Wissensmanagement
Demographischer
Rekrutierung
Wandel
Personalentwicklung/ Qualifizierung Integrationsmanagement
Vergütung
Gesundheitsschutz und Gesundheitsförderung Altersvorsorge
Berufsaustritt Besondere Schutzregelungen für Ältere
Abbildung 72: Prioritäre Handlungsfelder Die Handlungsfelder, die nicht unabhängig voneinander sind, werden im Folgenden ausführlich beschrieben.
9.1
Unternehmenskultur
„Unternehmenskultur“ ist ein schillernder, vieldeutiger Begriff. Definition und Kennzeichen sind in Wissenschaft und Praxis umstritten. Auf diese Diskussion soll hier nicht eingegangen werden. Wichtig ist, dass jedes Unternehmen eine Unternehmenskultur hat í unabhängig davon, wie sie bewertet wird. Unternehmenskultur wird hier verstanden als Gesamtheit unternehmensbezogener Werte, Normen und Überzeugungen, die das Verhalten aller Mitarbeiter im Unternehmen prägen und leiten. Die Grundlage dafür bildet ein Wertesystem, das möglichst von allen Unternehmensmitgliedern getragen wird und was alle verbindet. Sichtbar wird Unter-
Prioritäre Handlungsfelder
111
nehmenskultur in organisatorischen Strukturen, Regelungen und Abläufen (Hierarchiestufen, Kontrollmechanismen, Mitarbeiterförderung), in der Unternehmenspolitik (Beispiel Beschäftigungsgarantie), im Verhalten, im Führungsstil, im Betriebsklima, in betrieblichen Traditionen und Riten, im verbalen Verhalten (Sprache, Slogans etc.) sowie im äußeren Erscheinungsbild eines Unternehmens. Welches Alternsbild im Unternehmen besteht, ob man ältere Mitarbeiter einstellt und wie man mit diesen im Unternehmen umgeht, ist demnach auch eine Frage der Unternehmenskultur. Ein personalpolitisches Leitbild, das sich an 25-jährigen, männlichen, voll leistungsfähigen Mitarbeitern orientiert, ist Ausdruck einer altersfeindlichen, jugendzentrierten Unternehmenskultur und widerspricht der oft proklamierten Vielfalt. Gleiches gilt für die Betrachtung älterer Mitarbeiter als Last, der man sich schnell entledigen sollte, oder die Bewertung Älterer als „Low Performer“. Es ist schon erstaunlich: Amerikanische Manager halten ihre Mitarbeiter bis zum 60. Lebensjahr für voll leistungsfähig; deutsche Führungskräfte dagegen meinen, dass ihre Mitarbeiter nur bis Anfang 50 voll leistungsfähig sind.
Anforderungen an gute Arbeit aus Sicht von Arbeitnehmern 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15
Festes, verlässliches Einkommen Sicherheit des Arbeitsplatzes Arbeit soll Spaß machen Behandlung „als Mensch“ durch Vorgesetzte Unbefristetes Arbeitsverhältnis Förderung der Kollegialität Gesundheitsschutz bei Arbeitsplatzgestaltung Arbeit soll als sinnvoll empfunden werden Auf Arbeit stolz sein können Vielseitige/abwechslungsreiche Arbeit Einfluss auf Arbeitsweise Vorgesetzte sorgen für gute Arbeitsplanung Eigene Fähigkeiten weiterentwickeln Vorgesetzte vermitteln Anerkennung/Kritik Verantwortungsvolle Arbeitsaufgaben
Abbildung 73: Kriterien guter Arbeit – die 15 wichtigsten Anforderungen (Quelle: Fuchs, 2006) Altersselektive Personalbeschaffungspolitik, alterssegmentierte Aufgabenzuweisungen, beschränkte Einbeziehung älterer Mitarbeiter in Weiterbildungsmaßnahmen, altersbezogene Grenzen bei der Karriere, Geringschätzung und Ignorierung von Erfahrungswissen
112
Unternehmenskultur
sowie altersbedingte Verluste von Ansehen und Wertschätzung sind Kennzeichen von Altersdiskriminierung im Unternehmen. Sie sind mit den Kriterien guter Arbeit, das heißt mit den Anforderungen an gute Arbeit aus Sicht von Arbeitnehmern (Abbildung 73), unvereinbar. Die Mitarbeiter erwarten von ihren Vorgesetzten Unterstützung, Verständnis für individuelle Probleme sowie Anerkennung, Lob und konstruktive Kritik. Unternehmensleitung, Führungskräfte und Arbeitnehmervertretung müssen im Rahmen einer wertschätzenden Unternehmenskultur deutlich machen, dass auch ältere Mitarbeiter im Unternehmen unverzichtbar und für das Untenehmen wertvoll sind. Das Gefühl gebraucht zu werden korreliert mit psychophysischem Wohlbefinden im höheren Alter. Arbeitszufriedenheit gehört zu den stärksten Prädiktoren für Langlebigkeit. Personalabbaumaßnahmen, die einseitig auf das Hinausdrängen älterer Mitarbeiter aus dem Unternehmen hinauslaufen und bis zum „Altersmobbing“ reichen können, sind dabei kontraproduktiv. Gleiches gilt für öffentliche Erklärungen von über 55-jährigen Personalmanagern, sie würden niemals Mitarbeiter ihres Alters einstellen, und für Aussagen von jüngeren Mitgliedern der Unternehmensleitung, man wolle keine über 60jährigen Führungskräfte mehr im Unternehmen sehen. Eine Verankerung der Wertschätzung aller Mitarbeiter í unabhängig von Lebensalter, Geschlecht, Nationalität etc. í im Unternehmensleitbild ist ein erster Schritt zu einem anderen Umgang mit dem Thema ältere Mitarbeiter. Ein nächster wichtiger Schritt ist eine Bewusstseinsschaffung beziehungsweise Bewusstseinsveränderung, und zwar in mehrfacher Hinsicht: Bewusstseinsschaffung/Sensibilisierung bei Management (Führungskräften) und Ar-
beitnehmervertretung, Stärkung des Selbstbewusstseins älterer Mitarbeiter, Korrektur von Erwartungshaltungen bei älteren Mitarbeitern.
Dass Vorurteile schwerer zu zertrümmern sind als ein Atom, zeigt sich daran, dass viele Führungskräfte Altern nach wie vor mit Leistungsabbau und Verschleiß gleichsetzen í selbstverständlich nur bei den anderen. Ältere Mitarbeiter gelten als nicht mehr so belastbar, nicht ausreichend qualifiziert und wenig kreativ. Folglich kann man sie nur noch begrenzt einsetzen, sie sind weniger „produktiv“ und Weiterbildung lohnt kaum noch. Am besten legt man älteren Mitarbeitern den wohlverdienten vorzeitigen Ruhestand nahe. Dies ist nicht nur angeblich sozial, es dient zugleich der Personalreduzierung oder Personalverjüngung. Diese Denkweise muss durchbrochen werden. Sie ist ursächlich dafür, dass Unternehmen eine wertvolle Ressource unzureichend nutzen: das Wissen und die Erfahrungen älterer Mitarbeiter. Alle im Unternehmen müssen für das Thema „älter werdende Belegschaften“ sensibilisiert und es muss ein Bewusstsein für den Umgang mit älteren Mitarbeitern geschaffen werden. Dafür stehen unterschiedliche Instrumente zur Verfügung (Abbildung 74).
Prioritäre Handlungsfelder
113
Sensibilisierung von Management, Arbeitnehmervertretung und Belegschaft
Durchführung von Altersstrukturanalysen
Präsentationen im Unternehmensintranet
Beiträge in Mitarbeiterpublikationen (z.B. Werkszeitung)
Einrichtung von Projektgruppen zum demographischen Wandel
Beteiligung an Forschungsprojekten
Vorträge (z.B. Betriebsversammlung, Führungskräftetreffen)
Unternehmensbroschüren zum Thema Altern
Unternehmensleitlinien
Imagekampagne „Ältere Mitarbeiter“
Altersabhängige Check-up Angebote
Interviews in Medien
Workshops zum Thema ältere Mitarbeiter
Vitalitätsanalysen („biologisches Alter“)
Alterssimulationsanzug
Medizinische Beratung
Mitarbeiterbefragungen
Abbildung 74: Schaffung von Alter(n)sbewusstsein im Unternehmen In den Prozess der Bewusstseinsschaffung muss das Top Management frühzeitig und umfassend einbezogen werden. Dies gilt umso mehr, als das Thema „demographischer Wandel“ von vielen Unternehmen zwar grundsätzlich für wichtig gehalten wird, es von den Unternehmensleitungen aber deutlich seltener als wichtig eingestuft wird. Durch Gespräche, Diskussionsrunden und Workshops kann das Obere Management über demographische Entwicklungen und deren Folgen für das Unternehmen informiert und aktiv in die Entwicklung von Strategien einbezogen werden (Abbildung 75). Ein altersfeindliches Denken und Handeln im Unternehmen trägt wesentlich dazu bei, dass sich ältere Mitarbeiter über kurz oder lang wirklich als unnütz und entbehrlich erleben. Wenn man Mitarbeitern ab 50 Jahren ständig einredet, dass sie wertlos sind, glauben diese das irgendwann, trauen sich weniger zu und verhalten sich entsprechend. Das Fremdbild beeinflusst das Selbstbild, es kommt zur „Selffulfilling Prophecy“. Optimisten altern langsamer. Ältere, die hoffnungsvoll in die Zukunft blicken, bleiben länger fit. Werden ältere Mitarbeiter von ihrer Umwelt positiv eingeschätzt, wirkt sich dies nachweislich positiv auf ihr Leistungsvermögen aus. Wenn man älteren Mitarbeitern etwas zutraut und sie wertschätzt, wenn man sie als kompetent und leistungsfähig betrachtet, dann handeln Ältere auch entsprechend. Befragungsergebnisse belegen, dass bei den über 45-jährigen Berufstätigen die Arbeit in hohem Maße zur Zufriedenheit beiträgt und ihr Wert hoch geschätzt wird.
114
Unternehmenskultur
Gespräche
Diskussionsrunden
Workshops
- Analyse der ökonomischen, sozialen und beschäftigungsrelevanten Auswirkungen des demographischen Wandels für das Unternehmen - Entwicklung unternehmensspezifischer Strategien als Antwort auf den demographischen Wandel - Entwicklung von individuellen Umsetzungsstrategien für ausgewählte Aktionen - Vergleich mit anderen Unternehmen (Situation, Maßnahmen, Erfolge)
- Sensibilisierung des Managements für demographische Veränderungen innerhalb des Unternehmens - Bewusstmachung der Folgen für das Unternehmen - Identifikation mit und Unterstützung von unternehmensspezifischen Maßnahmen - Sensibilisierung für das Thema „alternde Belegschaften“ und das eigene Älterwerden - Förderung von Motivation durch mehr Transparenz der Unternehmensziele und -visionen sowie durch die Beteiligung an der Strategieentwicklung
Abbildung 75: Information des Oberen Managements Will man verhindern, dass sich ältere Mitarbeiter als „Rentner on the Job“ begreifen und gegenüber der Arbeit ein „Widerwillen-Syndrom“ entsteht, muss Bewusstseinsbildung im Unternehmen auch die Korrektur von Erwartungshaltungen einschließen. Viele ältere Mitarbeiter halten es für selbstverständlich, dass man zum Beispiel mit Anfang 50 Anspruch darauf hat, auf einen weniger belastenden Arbeitsplatz versetzt zu werden, nicht mehr an Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen muss und spätestens mit Ende 50 in den vorzeitigen Ruhestand gehen kann. Ein solches „Besitzstandsdenken“, das zumindest in Großunternehmen über Jahre hinweg gepflegt wurde, lässt sich nicht länger aufrechterhalten í aus rechtlichen, ökonomischen und sozialen Gründen. Nicht nur Management und Arbeitnehmervertretung sind hier gefordert. Jeder einzelne Arbeitnehmer muss zum Erhalt seiner Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit beitragen. Ein Alter von 55 Jahren ist kein Grund, sich nicht mehr weiterzubilden! Bewährt haben sich Mitarbeiter-Workshops oder Zirkel, in denen die Mitarbeiter ihre Meinungen, Erfahrungen und Vorschläge zum gesunden Altern einbringen können. Anschließend werden Experten hinzugezogen, um deren Meinungen und Bewertungen zu hören. Ergänzend oder zur inhaltlichen Vorbereitung solcher Workshops/Zirkel können Mitarbeiterbefragungen zum gesunden Altern im Betrieb durchgeführt werden. Erfolgreich praktiziert werden Seminare für ältere Mitarbeiter, an denen die Mitarbeiter mit ihren Lebenspartnern teilnehmen. Die Seminare erstrecken sich meistens über zwei bis drei Tage und finden in der Regel an einem unternehmensexternen Ort statt.
Prioritäre Handlungsfelder
115
Inhalte solcher Seminare sind eine Standortbestimmung (Älterwerden, Analyse der momentanen Lebenssituation), Förderung der Gesundheit (Gesundheitsrisiken und Potenziale erkennen), ein Gesundheits-Check-up mit medizinischer Beratung, Förderung einer aktiven Lebensweise (Bewegung, Ernährung), die Auseinandersetzung mit Veränderungen (Chancen und Risiken von Veränderungen) und die Diskussion von Perspektiven (private und berufliche Lebensplanung, Interessen, Fähigkeiten, notwendige Unterstützung). Hinzukommen können Informationen zur finanziellen Versorgung im Alter. Derartige Seminare tragen dazu bei, die Mitarbeiter für das Thema „Älterwerden“ zu sensibilisieren, und erlauben ihnen eine Standortbestimmung für die verbleibenden Jahre im Unternehmen. Sie können ihre gegenwärtige und künftige Rolle im Unternehmen reflektieren und neu bewerten und alternsbedingte Veränderungen der Leistungsfähigkeit besser einschätzen. Sie können ihr Sozialverhalten im beruflichen und privaten Bereich kritisch hinterfragen und sie lernen konkrete Möglichkeiten der Gesundheitserhaltung und Gesundheitsförderung kennen und umzusetzen. Eine besondere Form von Besitzstandsdenken besteht darin, dass Arbeitnehmer am selben Arbeitsplatz, in derselben Abteilung alt werden wollen. Selbst wenn sie mit ihrer Arbeit unzufrieden sind oder diese sie sogar frustriert, wird der erreichte Status verteidigt. Die Bereitschaft zum an sich notwendigen Tätigkeitswechsel fehlt häufig, weil altersbedingte Positionswechsel oft finanzielle Einbußen, Identitätsverlust und Prestigeverlust bedeuten. Hier müssen frühzeitig präventive Strategien einsetzen, zum Beispiel durch das Angebot von zweiten oder dritten Karrierepfaden.
9.2
Altersstrukturanalyse
Gemeinhin wird gefordert, dass die Altersstruktur im Unternehmen möglichst ausgewogen sein sollte. Keine Altersgruppe sollte dominieren, um Alterslücken in der Belegschaft, spezielle Personalbeschaffungsaktionen und besondere Verrentungswellen zu vermeiden. Dass dies jedoch keineswegs immer so sein muss und kann, zeigen die Beispiele aus der Hightech- Industrie und aus der chemischen und pharmazeutischen Industrie. Was in einem Unternehmen einer bestimmten Branche als ideal gilt, muss in einem anderen Unternehmen keineswegs richtig sein. Auch hängt die „richtige“ Altersstruktur in hohem Maße von der Größe des Unternehmens ab. Wie sieht die richtige, ausgewogene Altersstruktur aus? Eine Antwort darauf lautet: Die „richtige Altersmischung“ ist dann gegeben, wenn jeweils etwa ebenso viele Arbeitskräfte eingestellt werden wie ausscheiden und dabei keine Altersgruppe zahlenmäßig stark aus dem Rahmen fällt (DGFP, 2004). Dies kann natürlich nur dann gelten, wenn eine über die Zeit stabile Belegschaft angestrebt wird. Als ideal wird oft der Drittelmix 1/3 junge Mitarbeiter, 1/3 mittlere Jahrgänge und 1/3 ältere Mitarbeiter bezeichnet. Oder
116
Altersstrukturanalyse
eine Zusammensetzung der Altersstruktur von 30 Prozent Mitarbeiter jünger als 35 Jahre, 40 Prozent jünger als 50 Jahre und 30 Prozent älter als 50 Jahre. Als idealer Altersmix beziehungsweise als gesunde Altersmischung wird zudem eine gleichmäßige 20-ProzentVerteilung empfohlen: 20 Prozent 15- bis 24-Jährige, 20 Prozent 25- bis 34-Jährige, 20 Prozent 35- bis 44-Jährige, 20 Prozent 45- bis 54-Jährige und 20 Prozent 55- bis 65Jährige. Abbildung 76 verdeutlicht drei typische unterschiedliche Altersstrukturen.
% Anteil an der Gesamtbelegschaft
Altersstrukturen 50% 40%
Jugendzentriert
30%
Alterszentriert
20%
Ausgewogen
10% 0% Unter 25
25 bis 35
35 bis 45
45 bis Über 55 55
Altersgruppen
Abbildung 76: Typische Altersstrukturen Was kennzeichnet diese Strukturen und welche Folgen sind mit ihnen verbunden? Fall 1: Jugendzentrierte Altersstruktur In dieser Situation befinden sich viele Unternehmen, die Restrukturierung und Personalabbau hinter sich haben. Ältere Arbeitnehmer wurden in großem Umfang abgebaut und in den Vorruhestand entlassen. Übrig bleibt eine Belegschaft, die mehrheitlich unter 40 bis 45 Jahre alt ist, der Altersdurchschnitt beträgt oft 30 bis 35 Jahre. Das Beispiel der Deutschen Bank steht dafür: Nahezu 80 Prozent der Belegschaft sind unter 45 Jahre alt.
Die Gefahren einer solchen Altersstruktur liegen auf der Hand: Massiver Wissensverlust durch den Abgang der Älteren, wenn nicht rechtzeitig Vor-
sorge getroffen und der Wissenstransfer sichergestellt wurde. Karrierestau, verursacht durch Führungskräfte, die jung in die Position gekommen
sind und den Weg für jüngere, nachrückende Kräfte blockieren. In solchen Situationen verlassen qualifizierte, aufstiegsorientierte junge Leute das Unternehmen. Sie suchen sich Unternehmen, die ihnen bessere Karriereperspektiven bieten.
Prioritäre Handlungsfelder
117
Verbleibende Ältere (so es sie noch gibt) werden in einer jugendgetriebenen Unter-
nehmenskultur häufig nicht genügend geschätzt. Daraus folgende Frustration mündet in innerer Kündigung oder im Ausscheiden aus dem Unternehmen. Der positive Aspekt einer derartigen Altersstruktur besteht darin, dass sich solche Unternehmen durch eine dynamische und flexible, betont leistungsorientierte Unternehmenskultur auszeichnen, die sie auf dem Arbeitsmarkt für junge Nachwuchskräfte sehr attraktiv erscheinen lässt. Fall 2: Alterszentrierte Alterstruktur Unternehmen, die über längere Zeit hinweg wenige Neueinstellungen vorgenommen haben, dazu möglicherweise junge Kräfte wegen fehlender Attraktivität des Standorts verloren haben, sehen sich nach einigen Jahren einer Altersstruktur gegenüber, bei der ein hoher Prozentsatz der Mitarbeiter (im Beispiel Gewes fast 40 Prozent) die 50 Jahre überschritten hat.
Die zu erwartenden Herausforderungen sind schnell beschrieben: drohender Verlust der tragenden Säule der Belegschaft über einen bereits absehbaren
Zeitraum; hohe Anforderungen an die Rekrutierung, in einem relativ kurzen Zeitraum Ersatz für
die ausscheidenden Mitarbeiter zu finden und diese zu integrieren; der sich abzeichnende Rückgang der Belegschaft muss einigermaßen geplant vonstat-
ten gehen, der Wissenstransfer muss sichergestellt werden, die Leistungsträger unter den Älteren müssen möglichst lange im Unternehmen gehalten werden.
Lohnempfänger/Gehaltsempfänger 45,5
44,8 43,4 42,6
42,4 41,0
41,6
41,7
41,1 39,2
Gesamt
Werk A
42,8
42,4 40,9
38,9
Werk B
Werk C Gehalt
Werk D
Werk E
Lohn
Abbildung 77: Durchschnittsalter in einem Industrieunternehmen
Werk F
118
Altersstrukturanalyse
Nicht alles ist negativ an einer solchen Altersstruktur. In der Regel stecken darin auch Innovationschancen durch erforderliche Anpassungen von Arbeitsprozessen an die Leistungsvoraussetzungen älterer Arbeitnehmer. Für junge Mitarbeiter tun sich zunehmend Karrieremöglichkeiten auf, wenn die ältere Kollegen ausscheiden. In nur wenigen Unternehmen ist die Altersstruktur der Belegschaft bekannt. Wenn überhaupt Daten vorliegen, dann ist es meistens das Durchschnittsalter. Mit dem Durchschnitt ist das bekanntlich so eine Sache: Kopf im Backofen, Füße im Eiswasser í am Bauchnabel stimmt die Temperatur. Ähnliches gilt für das Durchschnittsalter der Gesamtbelegschaft (Abbildung 77 und 78). Es vermittelt nicht mehr als eine allgemeine Orientierung und erlaubt kaum Aussagen über die Zukunft. Zu den Bestandteilen einer umfassenden, aussagekräftigen Altersstrukturanalyse gehören, neben dem Durchschnittsalter der Gesamtbelegschaft: die Altersstruktur nach Geburtsjahrgängen und Geschlecht, die Altersstruktur nach Unternehmensbereichen, Organisationseinheiten, die Altersstruktur nach Arbeitskräfte-/Funktionsgruppen, die Altersstruktur nach Qualifikationsniveaus, eine Fortschreibung der gegenwärtigen Altersstruktur in die Zukunft, eine Prognose des zukünftigen Altersaufbaus (Zu-/Abgänge etc.), die Identifizierung alternskritischer Jahrgänge, die Entwicklung von Maßnahmen.
Jahre 44 43,2
43 42 41
41,8
41,9
40 39 38 37 36
37,2
Lohn
Gehalt
35 34 1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2004
Abbildung 78: Entwicklung des Durchschnittsalters in einem Werk
2005
2006
Prioritäre Handlungsfelder
119
Den möglichen Ablauf einer betrieblichen demographischen Analyse zeigt Abbildung 79. Sinnvoll ist es, die Altersstruktur eines Unternehmens nicht in unübersichtlichen Tabellen, sondern anschaulich in Grafiken darzustellen. Erfahrungsgemäß werden dadurch das Problemverständnis sowie Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse erheblich erleichtert.
Vorbereitung
- Benennung der Verantwortlichen - Planung von Arbeitsschritten - Festlegung der Zeitachse - Einbeziehung des Betriebsrates
Informationsworkshop
- Demographische Entwicklung und Auswirkungen auf das Unternehmen - Information über Ziele, Vorgehensweise, Termine
Analysephase
- Datenerhebung, -aufbereitung und -auswertung - Unmittelbare demographische Daten - Informationen zu betrieblichen Rahmenbedingungen
Auswertungsworkshop
- Vorstellung, Erläuterung der Analyseergebnisse - Szenarienbildung - Diskussion der Aussagekraft und Bedeutung, Definition von Handlungsbedarf
Maßnahmenplan
- Maßnahmen zur Umsetzung der ausgewählten betrieblichen Strategien (Ziele, Teilschritte, Aktionen, Erfolgskontrolle)
Abbildung 79: Ablauf einer betrieblichen demographischen Analyse (Quelle: nach Mühlbradt/Schultetus 2004) Verfügt ein Unternehmen über ein Personalinformationssystem, sind einfache Altersstrukturanalysen (Fortschreibungen) mit geringem Aufwand verbunden (Abbildung 80 und 81). Die Erstellung von detaillierten Altersstrukturanalysen ist ungleich aufwendiger. Entsprechende EDV-Programme können entweder im Unternehmen selbst erstellt werden, sie werden aber auch í in unterschiedlicher Qualität í auf dem Markt angeboten. Die Analyse selbst kann ein Unternehmen in Eigenregie durchführen.
120
Altersstrukturanalyse
Altersstruktur per 31.12.2001, APR Minden Anzahl Mitarbeiter 20,90 %
120 19,20 %
20,00 %
108
103
99
100
17,20 % 89
80 9,30 %
60
48 6,00 %
40
31
3,90 % 2,90 %
20
20
15
0,60 % 3
0 unter 25
25-29
30-34
35-39
40-44
45-49
50-54
55-59
60-65
Alter Anzahl Mitarbeiter: 516 (ohne Diplomanden, Praktikanten, Ferienhelfer, Azubis, Trainees)
Abbildung 80: Beispiel einer Altersstrukturanalyse (I) (Quelle: ABB Automation Products Minden, 2003)
Altersstruktur per 31.12.2011 Anzahl Mitarbeiter 120
20,50 %
22,40 % 108
99
100
21,40 % 103
18,50 % 89
80 10,00 %
60
48 40 20
4,10 % 3,10 % 15
20
0 unter 35
35-39
40-44
45-49
50-54
Anzahl Mitarbeiter: 482
Abbildung 81: Beispiel einer Altersstrukturanalyse (II)
55-59
60-64
Prioritäre Handlungsfelder
121
Personalplanung gehört zu den Grundfunktionen des betrieblichen Personalmanagements. Für verantwortungsvolle Personalleitungen ist sie eine immer wiederkehrende Aufgabe. In der Regel erstrecken sich die Planungen und Berechnungen auf einen Zeitraum von ein bis fünf Jahren. Allenfalls wenn es um die Ausgestaltung von langfristig wirkenden Personalprogrammen í zum Beispiel die betriebliche Altersversorgung í geht, lässt man sich auf langfristige Planungshorizonte und Prognosen ein. Die Betrachtung des Personalbestandes unter demographischen Gesichtspunkten ist indessen von längerfristiger und sehr komplexer Struktur. Neben der altersmäßigen Fortschreibung des Personalbestandes müssen weitere Aspekte einbezogen werden: Kompetenzen der einzelnen Arbeitnehmergruppen, Standorte und ihre Positionierung im jeweiligen Arbeitsmarkt, der externe Arbeitsmarkt und seine zur Verfügung stehenden Ressourcen, der zu erwartende Bedarf an Arbeitskräften unter Berücksichtigung der Unterneh-
mensstrategie, Auswirkungen auf Personalprogramme.
Schematisch lässt sich der Prozess wie folgt darstellen (Abbildung 82):
Defizite erkennen und Personalportfolio optimieren
Unternehmensstrategie
1 Projektion von Mitarbeiterstrukturen
Bedarf
Angebot
Erforderliche Ressourcen zur Umsetzung der Strategie
Verfügbare Ressourcen (Unternehmen/ Markt)
2
3 „Wie muss unsere zukünftige Personalstruktur aussehen und was wird sie kosten?”
„Wie müssen HRProgramme angepasst werden, um die optimale Bindung und Motivation zu erzielen?“
„Wie sehen verfügbare Ressourcen im Markt aus? Welche RekrutierungsAlternativen bieten sich an?“
Ableiten einer Personalstrategie und Erarbeiten von Maßnahmen
Rekrutieren Einsetzen Motivieren Belohnen Entwickeln
4
Implementieren von Programmen und Prozessen zur Gewinnung, Bindung und Motivation von Mitarbeitern
HR Programme HR Prozesse
Abbildung 82: Prozess der Personalplanung unter Berücksichtigung der Demographie (Quelle: Towers Perrin)
122
Altersstrukturanalyse
Hieran wird eine Reihe von wichtigen Handlungsfeldern sichtbar: (1)
Aus dem Abgleich von Geschäftsstrategie und der Projektion des aktuellen Personalbestandes wird deutlich, inwieweit dieser entwickelte Bestand den Anforderungen der Zukunft genügen kann. Dies darf keine rein quantitative Betrachtung sein; auch die Anforderung des Business an Qualifikation und Kompetenz muss deutlich werden.
(2)
Die Einbeziehung der Entwicklung des externen Arbeitsmarktes erlaubt die Betrachtung, inwieweit der zukünftige Bedarf durch externe Ressourcen gedeckt werden kann. Dies ist insbesondere dann von Bedeutung, wenn über die Entwicklung von Standorten und deren Alternativen zu befinden ist.
(3)
Erst aus der kombinierten Betrachtung von Anforderungen des Business und der umfassenden Analyse der vermutlich zur Verfügung stehenden Ressourcen können Entscheidungen mit langfristiger Wirkung getroffen werden. Dies wirkt sich auf die zukünftige Ausgestaltung der Rekrutierung und auf die Entwicklung und Vergütung von Mitarbeitern aus, aber auch auf den Ausbau von zum Beispiel Gesundheitsprogrammen. Dies alles sind wichtige Faktoren im Hinblick auf die Attraktivität des Unternehmens und damit auch für die Motivation von Mitarbeitern.
(4)
Letztendlich werden auf der Basis dieser Entscheidungen die entsprechenden Programme implementiert. Beim Implementierungsprozess sind Kommunikation und Einbindung der Mitarbeiter und Sozialpartner von außerordentlich großer Bedeutung. Der Erfolg der Maßnahmen hängt entscheidend von der Führungs- und Kommunikationsfähigkeit des Managements ab.
Damit erhält die Personalplanung eine strategische Komponente. Neben der kurzfristigen Jahresplanung bildet sie den Kern für die Entscheidungsfähigkeit der Geschäftsführung im Hinblick auf die langfristige Entwicklung des Unternehmens. Personalplanung wird damit zum unverzichtbaren Teil der strategischen Unternehmensplanung. Voraussetzung sind allerdings eine saubere Datenaufbereitung im Unternehmen sowie eine exzellente Kenntnis des externen Arbeitsmarktes. Wie oben bereits angedeutet, ist für viele Unternehmen bereits der erste Punkt, nämlich die unternehmensinterne Datenlage, eine Herausforderung. Sie lässt sich mit geeigneter Technik bewältigen. Die folgende Grafik (Abbildung 83) zeigt, wie Daten in übersichtlicher Form präsentiert werden können und auf diese Weise eine sinnvolle Entscheidungsgrundlage bilden können. Dabei ist nicht nur die Darstellung wichtig, sondern auch die Funktionalität des Analyseinstrumentes, um schnell auf unterschiedliche Szenarien Zugriff zu erhalten.
Prioritäre Handlungsfelder
123
Abbildung 83: Möglichkeiten der Darstellung von demographischen Entwicklungen im Unternehmen (Quelle: Towers Perrin) Wie so etwas in der Praxis zum Erfolg führen kann und wie aus der Strukturanalyse schließlich eine Strategie zur Bindung älterer Arbeitnehmer werden kann, zeigt das folgende Beispiel (im Detail nachzulesen bei „Erfolgreich mit älteren Arbeitnehmern“ der Bertelsmann Stiftung 2003). Beispiel: Gewes GmbH Gewes ist ein mittelständisches Unternehmen in Thüringen, das Gelenkwellen für den Fahrzeugbau und die Industrie herstellt. Über einen radikalen Personalabbau nach 1990 wurde die Belegschaft von ehemals 1 600 auf ca. 200 Mitarbeiter reduziert, davon praktisch alle im Alter zwischen 30 und 55. Zehn Jahre später stellen die über 50-Jährigen mit 38 Prozent die größte Gruppe der Beschäftigten. Die Problematik einer solchen Struktur ist augenfällig: Selbst bei einer sukzessiven Einstellung jüngerer Arbeitskräfte besteht die Gefahr, dass ein großer Teil der Belegschaft in den nächsten 10 Jahren das Unternehmen aus Altersgründen verlässt, mit allen Nachteilen des Wissensverlusts. Die Herausforderung bestand darin, diesen absehbaren Prozess erstens transparent zu machen (also nach Möglichkeit vorherzusehen, wie dieses Ausscheiden vonstattengehen wird) und zweitens zu steuern (also möglichst viel Initiative beim Unternehmen zu behalten, wie das Ausscheiden ohne Schaden für das Unternehmen gestaltet werden kann). In einer Vielzahl von Einzelgesprächen verschaffte sich der Personalleiter einen Überblick über die Pläne und Absichten der Beschäftigten im Hinblick auf ihr weiteres Verbleiben und
124
Rekrutierung
späteres Ausscheiden. Nach den Erfahrungen des massiven Personalabbaus in den 90er Jahren war das individuelle Gespräch unbedingt das geeignete Mittel, um in einer vertrauensvollen Atmosphäre dieses Thema zu behandeln. Das Ergebnis war extrem aufschlussreich und gestattete dem Unternehmen eine langfristige Personalplanung: Je älter die Mitarbeiter waren, desto eher denken sie über ihren Ausstieg nach. Mit anderen Worten: Waren die 50- bis 55-Jährigen eher geneigt, bis zur Altergrenze (Alter 65) weiterzuarbeiten, dachten die über 55-Jährigen eher daran, sich schrittweise aus dem Berufsleben zurückzuziehen (Altersteilzeit, Vorruhestand). Gleichzeitig gab es in den Gesprächen Hinweise darauf, wie Belastungen anders verteilt werden können, wo Qualifikationsbedarf besteht und wie sinnvolle Nachfolgeplanungen eingeleitet werden können.
Gewes zeigt ein besonderes Erfolgsmuster: Die „gestauchte“ Belegschaftsstruktur, die nicht untypisch für viele Unternehmen in
Deutschland ist, erfordert ein langfristiges Planen. Anderenfalls werden Probleme hinausgeschoben und können dann nur noch im Sinne einer „Reparatur“ schmerzhaft behoben werden. Ein Ignorieren der Alterstruktur hätte einen plötzlichen Aderlass kritischen Wissens und einen immensen Aufwand an Training und Rekrutierung zur Folge haben können. Erfolgreich kann eine solche langfristige Planung nur sein, wenn Unternehmenslei-
tung, Personalleitung, Belegschaft und Betriebsrat vertrauensvoll und konstruktiv zusammenarbeiten. Der sensible Umgang mit der Frage „Wann und wie möchtest Du ausscheiden“ ist gerade vor dem Hintergrund der vielfach geübten Praxis des personellen Kahlschlags unter Älteren unerlässlich, um die Planung auch erfolgreich umsetzen zu können.
9.3
Rekrutierung Es herrscht eine allgemeine Gestimmtheit, die sich populär als Jugend-Idolatrie bezeichnen lässt. (Jean Améry)
Einem Unternehmen stehen grundsätzlich unterschiedliche Wege zur Verfügung, um seinen Personalbedarf zu decken (Abbildung 84). Dabei ist zunächst zu entscheiden, ob die Beschaffung extern oder intern erfolgen soll. Da sowohl die innerbetriebliche wie auch die außerbetriebliche Personalbedarfsdeckung Vor- und Nachteile haben, ist es sinnvoll, leistungsorientiert beide Wege zu beschreiten.
Prioritäre Handlungsfelder
Betriebliche Ausbildung Ŷ ausreichend Bewerber Ŷ Ausbildungseignung
125
Anwerbung von (jungen und älteren) Fachkräften auf dem externen Arbeitsmarkt (In- und Ausland)
Erhöhung der Frauenerwerbsquote
(Längerer) Verbleib älterer Mitarbeiter im Betrieb
Ŷ Vereinbarkeit von Beruf und Familie Ŷ familienorientierte Personalpolitik
Ŷ Qualifikationen Ŷ Erhalt und Verbesserung der Arbeitsfähigkeit
Abbildung 84: Möglichkeiten zur Deckung des Personalbedarfs an qualifizierten Fachkräften Junge Arbeitskräfte lassen sich durch Erstausbildung, Einstellung von Berufsanfängern, Schul- und Hochschulmarketing und Traineeprogramme gewinnen. Das Alter beim Examen ist dabei eines von vielen Kriterien, nach denen Unternehmen qualifizierte Mitarbeiter, insbesondere High Potentials, auswählen. Allerdings ist es bei weitem nicht das wichtigste Kriterium. Die Beschaffung von Arbeitskräften mittleren und höheren Alters kann durch Einstellung von Veränderungswilligen oder Arbeitslosen und durch Abwerbung aus anderen Unternehmen erfolgen. Zudem kann auf Zeitarbeiter und Berufsrückkehrer zurückgegriffen werden. Als Königsweg, das Wissens- und Innovationspotenzial im Unternehmen zu erhöhen, gilt traditionell die Zufuhr „frischen Blutes“ in das Unternehmen. Dieser Weg ist, was junge Arbeitskräfte betrifft, in Zukunft zwar nicht verbaut, sein Beschreiten ist jedoch weitaus steiniger als in der Vergangenheit. Dies gilt erst recht, wenn es um die Beschaffung hochqualifizierter Mitarbeiter geht. Das Angebot an jungen Arbeitkräften wird auf längere Sicht schrumpfen. Wenn dies auch nicht generell und in dem oft geschilderten Ausmaß geschehen, sondern sich auf bestimmte Teilarbeitsmärkte und ausgewählte Regionen konzentrieren wird, müssen sich die Unternehmen darauf einstellen, dass der Wettstreit um gute Mitarbeiter erheblich an Intensität zunehmen wird. Der Wettbewerb der Zukunft wird auf den Personalmärkten entschieden. Der Kampf um die besten Mitarbeiter hat längst begonnen. Insbesondere Klein- und Mittelbetriebe leiden darunter, dass sie, verglichen mit Großbetrieben, als mögliche Arbeitgeber bei jungen Fachkräften weniger gefragt sind. Dies zeigt sich sowohl bei der Gewinnung von Auszubildenden und bei der Anwerbung von Mitarbeitern als auch bei der betrieblichen Bindung junger qualifizierter Fachkräfte.
126
Rekrutierung
Um im Wettstreit um die „besten Köpfe“ erfolgreich mithalten zu können, müssen Unternehmen bei der Personalbeschaffung unterschiedliche Wege gehen und innovative Instrumente einsetzen (Abbildung 85).
Workshops für Studierende und Young Professionals Beteiligung an Jobmessen, Hochschulkontaktmessen Praktika, Diplomarbeiten, Werkstudententätigkeiten Vergabe von „Probe-Aufträgen“ Preisausschreiben für Studenten Stipendien Studium im Praxisverbund Seminare für Doktoranden Stellenanzeigen Spezielle Programme (z. B. Frauen in Männerberufen) Informationsveranstaltungen, Tag der offenen Tür
Abbildung 85: Instrumente zur Personalbeschaffung/-gewinnung Aber es geht nicht nur darum, junge Fachkräfte zu gewinnen. Auch ältere Arbeitnehmer müssen angesprochen werden, zum Beispiel durch Inserate, systematische Pflege und Bobachtung des unternehmensinternen Arbeitsmarktes, Abwerbung älterer Fachkräfte, Kooperation mit der Arbeitsagentur, Zusammenarbeit mit Personalberatungsfirmen und Zeitarbeitsfirmen.
Dass diese Strategie sehr erfolgreich sein kann, zeigt das Beispiel Fahrion Engineering. Dort ist es gelungen, eine plötzlich aufgetretene Lücke im Personalbestand gezielt durch Ältere zu decken, die zudem dem idealen Anforderungsprofil besser entsprachen als jüngere Kandidaten (im Detail nachzulesen bei „Erfolgreich mit älteren Arbeitnehmern“ der Bertelsmann Stiftung 2003). Beispiel: Fahrion Engineering GmbH & Co. KG Die Fahrion Engineering ist ein erfolgreiches Unternehmen im Raum Stuttgart, das sich mit der Planung und Realisierung von Fabrikanlagen, Produktions- und Logistikprozessen in unterschiedlichen Branchen beschäftigt. Die wichtigste Ressource für ein solches Unternehmen sind qualifizierte, erfahrene Ingenieure, die mit den Kunden die Projekte planen,
Prioritäre Handlungsfelder
127
implementieren und realisieren. Im Jahre 2002 beschäftigte das Unternehmen circa 80 Mitarbeiter. Anfang 2000 verließen sechs erfahrene Projektingenieure und Projektleiter im Alter zwischen 35 und 40 Jahren das Fahrion Engineering. Für ein Unternehmen dieser Größe und Struktur ein Verlust, der eigentlich nicht zu verschmerzen ist, weil hier nicht nur Wissen und Erfahrung das Unternehmen verlassen, sondern auch Kundenbeziehungen auf dem Spiel stehen. Die üblichen Rekrutierungsbemühungen über Anzeigen in der Region blieben weitgehend ergebnislos, der Verlust konnte nicht gleichwertig ersetzt werden. In dieser Phase machte Fahrion eine Erfahrung, die viele Unternehmen bei ihrer Suche nach qualifizierten Fachkräften machen: Die Kandidaten sind entweder zu jung und weisen nicht die erforderliche Erfahrung auf oder, wenn sie im „richtigen“ Alter sind, sind sie so spezialisiert, dass sie den Anforderungen der Aufgabe erst nach langer Einarbeitungszeit gewachsen sein könnten. Sie weisen in beiden Fällen nicht das richtige Profil auf. Aus dieser Erfahrung klug geworden, konzentrierte sich das Unternehmen bewusst auf ältere Kandidaten. In der Stellenanzeige wurde um „Ingenieure und Projektleiter mit Berufsund Lebenserfahrung bis 65“ geworben. Der Erfolg war überwältigend. Es gingen über 500 Bewerbungen ein, nach über 350 Einstellungsgesprächen wurden fast 20 neue Mitarbeiter eingestellt, die großenteils über 45 Jahre alt waren. Natürlich sind diese Mitarbeiter nicht von einem Tag auf den anderen voll einsatzfähig, sie sind aber motiviert und qualifiziert genug, um in kurzer Zeit mit der entsprechenden Weiterbildung als vollwertige Kräften zu arbeiten. Gerade die älteren Kräfte brachten ein hohes Maß an Bereitschaft zum Lernen, an Flexibilität und Mobilität mit. Genau die Eigenschaften, die in einem anspruchsvollen, kundenorientierten Ingenieursumfeld erforderlich sind, um erfolgreich zu sein.
Das Beispiel Fahrion Engineering bestätigt eindrucksvoll zwei Erkenntnisse, die beispielhaft für andere Unternehmen sein können: Die Abkehr von gewohnten Rekrutierungsmustern kann den Schlüssel zum Erfolg in
sich tragen. Dazu ist es allerdings erforderlich, das übliche Muster bewusst und in aller Deutlichkeit zu brechen, um die angesprochene Gruppe auch wirklich zu erreichen. Ältere Kandidaten springen nicht auf die klassischen Stellenanzeigen an. Sie sind
häufig entmutigt, durch diskriminierendes Rekrutierungsverhalten von Unternehmen verprellt und haben sich oft bereits in die Resignation zurückgezogen. Erst durch die direkte Ansprache („wir brauchen Euch!“) werden sie zu Bewerbungen motiviert. Ganz ohne Zusatzaufwand geht diese Strategie nicht ab. Ältere Arbeitnehmer müssen anders integriert werden als jüngere, wie das Beispiel Fahrion Engineering zeigt. Es ist auch ein gewisser Schulungsaufwand unerlässlich, selbst wenn die neuen Kräfte mit
128
Rekrutierung
hoher persönlicher und fachlicher Kompetenz ausgestattet sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die „Neuen“ aus der Arbeitslosigkeit heraus in das Unternehmen kommen und sich erst wieder an Arbeitsprozesse gewöhnen müssen. Langfristig lohnt sich der Aufwand der Eingliederung. Ihm stehen Tugenden wie Loyalität, Verlässlichkeit und Beständigkeit gegenüber, gepaart mit Motivation und beruflicher Qualifikation. Arbeitnehmer ab 40 Jahren wechseln kaum noch den Arbeitgeber, während insbesondere Arbeitnehmer im Alter zwischen 15 und 25 Jahren den Betrieb oder den Beruf häufig wechseln. Die Betriebsbindung jüngerer Arbeitskräfte, die selbstbewusster sind und höhere Ansprüche an die Arbeit stellen als ihre älteren Kollegen, wird sich verringern und die Bereitschaft zum Arbeitgeberwechsel wird zunehmen. Unternehmen, die Nachwuchskräfte gewinnen und binden wollen, müssen deshalb eine attraktive Arbeitswelt bieten: Tätigkeitsinhalt, Entgelt, Arbeitszeitgestaltung, Gesundheitsschutz, Qualifizierung (Abbildung 86).
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100 95
Sichere Arbeitsstelle
31
65
Gutes Arbeitsklima
41
52
Nutzung eigener Fähigkeiten
52
37
95 93
Eigeninitiative
51
89
35
Hohes Einkommen
59
27
Selbstständiges Arbeiten
53
31
Günstige Arbeitszeiten
55
24
Abwechslung
53
20
Gute Aufstiegschancen
49
22
71
Gute Weiterbildungsmöglichkeiten
47
25
80
Viel Freizeit
53
84 80 82 79
8
73 70
Flexible Arbeitszeiten
40
Geringe Arbeitsbelastung
25
Möglichkeit, von zu Hause aus zu arbeiten
18
D – wichtig
D – sehr wichtig
22 42
7 7
28
EU15 – wichtig + sehr wichtig
Antwortkategorien: ganz und gar unwichtig, weder wichtig noch unwichtig, wichtig, sehr wichtig
Abbildung 86: Wichtigkeit verschiedener Kriterien bei der Auswahl einer Stelle (Quelle: Datenbasis: Eurobarometer 56.1 (2001), nur abhängig Beschäftigte)
Prioritäre Handlungsfelder
129
Einen Vorteil haben hier Unternehmen, die als attraktiv, innovativ und familienfreundlich gelten. Für kleinere und mittlere Unternehmen, Unternehmen in strukturschwachen Regionen oder Unternehmen mit geringeren wirtschaftlichen Potenzialen besteht die Gefahr, dass sie im Wettbewerb um qualifizierte Nachwuchskräfte unterliegen. Vor allem bei Arbeitskräften mit höheren Qualifikationen, aber auch im Bereich der mittleren Qualifikationen, sind Engpässe oder partielle Arbeitskräftenachfrageüberhänge zu erwarten. Diese Arbeitskräfteverknappung erfordert nicht nur neue Wege bei der Personalbeschaffung, sie wird sich auch spürbar auf die Personalbeschaffungskosten auswirken. Bereits heute liegen die mit einer Neueinstellung verbundenen direkten und indirekten Kosten nach Berechnungen von Prognos zwischen 9 500 und rund 43 000 Euro. Eine Neueinstellung kann aber auch Kosten bis zur Höhe eines Jahresgehalts verursachen. Hinzu kommen der Zeitaufwand und Produktivitätsverluste während der Einarbeitung. Erfolgreiche Personalanwerbung ist der erste Schritt. Sind Mitarbeiter rekrutiert, müssen sie an das Unternehmen gebunden werden. Schließlich sollen aufwendig beschaffte, in das Unternehmen integrierte und unternehmensspezifisch geschulte Arbeitskräfte zumindest für eine gewisse Zeit im Unternehmen bleiben. Immerhin kann es bis zu fünf Jahren dauern, bis ein Studienabgänger für das Unternehmen wirklich produktiv wird. Qualifizierte Nachwuchskräfte, die beispielsweise mit Doktorandenprogrammen gelockt werden, dürfen nach erfolgreicher Promotion nicht in betriebliche Warteschleifen gesteckt werden, weil keine Planstellen vorhanden sind. Die heute weit verbreitete Praxis, selbst hochqualifizierte Hochschulabsolventen lediglich zeitlich befristet als Praktikanten einzusetzen, ist ein Negativbeispiel für Personalbindung – und wird sich längerfristig rächen. Die Mitarbeiter erwarten herausfordernde Tätigkeiten, bei denen sie ihre Qualifikationen nutzen können, die mit einem hohen Maß an Autonomie verbunden sind und die eine Entwicklungsperspektive bieten. Erwartungen und Wirklichkeit sind dabei nicht immer deckungsgleich. Die Anspruchshaltung und die Selbstüberschätzung gehören zu den häufigsten Gründen dafür, dass „High Potentials“ im Unternehmen scheitern. Der Versuchung, angesichts dessen auf die Beschaffung junger Fachkräfte völlig zu verzichten und sich stattdessen auf die Einstellung älterer Arbeitskräfte zu beschränken, sollte man nicht erliegen. Dies wäre im Hinblick auf eine ausgewogene betriebliche Altersstruktur und die Verhinderung kompakter Altersstrukturen der falsche Weg. Es geht nicht um ein „entweder – oder“, sondern um ein „sowohl als auch“. Junge und ältere Bewerber sollten eingestellt werden. Ältere meint dabei durchaus auch Bewerber jenseits der 50-Jahrgrenze. Mehrere Unternehmen haben mit einer solchen Mix-Strategie außerordentlich gute Erfahrungen gemacht. Auf Seiten älterer Arbeitnehmer setzt das voraus, dass sie sich auf Stellenausschreibungen auch bewerben. Dies geschieht, wie viele Personalverantwortliche beklagen, viel zu selten. Ein anderer Weg, einer Arbeitskräfteverknappung entgegenzuwirken und zugleich bisher ungenutzte Ressourcen zu erschließen und Talente zu gewinnen, besteht in der Erhöhung der Frauenquote an der Belegschaft. Weder einzelne Unternehmen noch die gesamte
130
Rekrutierung
Volkswirtschaft können es sich leisten, auf einen großen und wertvollen Teil des Arbeitskräftepotenzials einfach zu verzichten í unabhängig von demographischen Entwicklungen. Wie eine Befragung zeigt, sind Frauen mit Kindern beruflich im Durchschnitt erfolgreicher als ihre Kolleginnen ohne Kinder. Dies gilt allerdings nur, wenn sie nach kurzer Babypause wieder voll in den Beruf einsteigen. Unternehmen, die mehr Frauen í zumal mit Kindern í erfolgreich anwerben und im Betrieb dauerhaft halten wollen, müssen die dazu notwendigen Voraussetzungen schaffen. Sie müssen Frauen die gleichen Arbeits- und Aufstiegschancen bieten wie deren männlichen Kollegen, es darf keine Form geschlechtsabhängiger Diskriminierung geben und das Unternehmen muss familienfreundlich sein. Fehlende Familienfreundlichkeit, und hier insbesondere familienfeindliche Arbeitszeiten sowie unzureichende Freistellungsmöglichkeiten, ist ein wichtiger Grund dafür, dass sich Frauen mit Kindern gegen ein Unternehmen entscheiden. Bereits heute hat Familienfreundlichkeit für Studierende hohe Priorität í für Frauen mehr als für Männer. Eine familienfreundliche Personalpolitik (Abbildung 87) wird in Zukunft an Bedeutung gewinnen, wenn es um die Anwerbung von Frauen mit Kindern geht.
Flexible Arbeitszeitregelungen (z.B. Teilzeit, Gleitzeit, Arbeitszeitkonten) Familienbewusste Arbeitsorganisation Familienfreundlicher Arbeitsort (z.B. Telearbeit, Heimarbeit) Informations- und Kommunikationspolitik Führungskompetenz (familienbewusstes Verhalten von Führungskräften) Angebote für den Wiedereinstieg nach der Elternzeit Entgeltbestandteile (finanzielle Unterstützung von Beschäftigten mit Familie) Geldwerte Leistungen für Familien (Serviceleistungen für Haushalt, Freizeit, Gesundheit) Service für Familien (z.B. Betreuungsangebote für Kinder)
Abbildung 87: Handlungsfelder einer familienbewussten Personalpolitik (Quelle: BMFSFJ, 2006) Zahlreiche Unternehmen haben dies bereits erkannt und bieten Maßnahmen und Programme an, die zu einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Arbeit beitragen sollen. Der Unternehmensmonitor Familienfreundlichkeit 2006 zeigt, dass die Verbreitung familienfreundlicher Maßnahmen in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat (Abbildung 88 und 89).
Prioritäre Handlungsfelder
131
Prozentangabe der Unternehmen, die mindestens eine Maßnahme des jeweiligen Bereichs praktizieren, gewichtet Praktizieren Sie mindestens eine Maßnahme in den folgenden Bereichen oder planen Sie solche Maßnahmen innerhalb der nächsten 12 Monate einzuführen?
Arbeitszeitflexibilisierung, Telearbeit
76,8 88,9 15,7
Elternförderung, Wiedereinstieg*
84,3 41,9
Kinder- und Angehörigenbetreuung
62,3 20,0
Familienservice, Information, Beratung
2003
38,8
2006
*Erstmalig wurde in diesem Bereich auch die besondere Rücksichtnahme auf Eltern bei Urlaub und der Personaleinsatzplanung abgefragt. Das hat zu dem hohen Anstieg dieses Wertes erheblich beigetragen.
Abbildung 88: Familienfreundliche Maßnahmen in den Unternehmen (Quelle: BMFSFJ, 2006)
Flexibilisierung von Arbeitszeit und Arbeitsort (Prozentangabe der Unternehmen, die die jeweilige familienfreundliche Maßnahme anbieten, gewichtet) 56,4
Individuelle Arbeitszeit
72,9
Flexible Tages- u. Wochenarbeitszeit
58,0 67,4 22,1
Vertrauensarbeitszeit
51,4
Flexible Jahres- u. Lebensarbeitszeit
18,3 32,0 7,8
Telearbeit
18,5 9,1
Job-Sharing Sabbaticals
14,3 4,1 12,3
2003
2006
Abbildung 89: Betriebliche Angebote familienfreundlicher Maßnahmen (Quelle: BMFSFJ, 2006) Neben einer Erhöhung der Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter gehören das Gewinnen und das Halten von qualifizierten Mitarbeitern zu den Hauptmotiven für familienfreundliche Maßnahmen (Abbildung 90 und 91).
132
Rekrutierung
Rangfolge der häufigsten Motive für die Einführung von familienfreundlichen Maßnahmen aus Sicht der Unternehmen (in Prozent der Unternehmen) Deutschland
West
Ost
Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter erhöhen
75,8
73,7
85,4
Qualifizierte Mitarbeiter halten oder gewinnen
74,7
74,8
74,0
Kosteneinsparung durch geringere Fluktuation und niedrigeren Krankenstand
64,3
66,2
53,3
Kosteneinsparung durch höhere Produktivität
58,1
58,6
55,7
Höhere Zeitsouveränität für die Beschäftigten
56,1
54,6
57,4
Abbildung 90: Betriebliche Motive für familienfreundliche Maßnahmen (Quelle: Institut der deutschen Wirtschaft)
Langfristige Bindung wertvoller MitarbeiterInnen an das Unternehmen Vermeidung von direkten und indirekten Personalbeschaffungskosten infolge des Ausscheidens von Mitarbeitern Erhöhung von Motivation und Arbeitszufriedenheit Reduzierung von Belastungen Verbesserung der Arbeits- und Produktqualität Erhöhung der Attraktivität auf dem Arbeitsmarkt Steigerung des Commitments bei den Mitarbeitern Verbesserung des allgemeinen Unternehmensimage Kostensenkung
Abbildung 91: Betrieblicher Nutzen familienfreundlicher Arbeitsbedingungen (Quelle: nach Prognos, 2004) Die Attraktivität eines Unternehmens ist ein entscheidender Faktor für die Rekrutierung und dauerhafte Motivation von Mitarbeitern. Im internationalen Wettbewerb ist es interessant festzustellen, dass es über die Grenzen hinweg Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten gibt. Aufschluss darüber gibt die „Global Workforce Study 2005“ von Towers Perrin. Daraus lässt sich ableiten, dass die Hauptmotivationstreiber für Mitarbeiter Ver-
Prioritäre Handlungsfelder
133
trauen in die Führung, die persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten, aber auch die Erwartung an eine faire und marktgerechte Bezahlung sind. Allerdings gibt es Unterschiede zwischen der Attraktivität eines Unternehmens für neue Mitarbeiter und der dauerhaften Bindung und Motivation von Mitarbeitern. Grundlage der Studien sind Befragungen von circa 15 000 Arbeitnehmern in westeuropäischen Ländern aus allen Branchen und Ebenen, Altersklassen und Qualifikationen. Bewusst wurde dabei die Sicht der Mitarbeiter gesucht und nicht die der Personalleiter oder der Führungskräfte. Das Resultat ist ein ungefilterter Blick, wie Personal- und Incentivierungsprogramme bei den Mitarbeitern tatsächlich ankommen (Abbildung 92). Die 10 wichtigsten Treiber für die Attraktivität von Unternehmen in Westeuropa Deutschland
Westeuropa insgesamt
1. Herausfordernde Arbeit
1. Herausfordernde Arbeit
2. Gestaltungsmöglichkeiten am Arbeitsplatz
2. Ausgewogene Work-/Life-Balance
3. Fort- und Weiterbildung
3. Branchenübliches Gehalt
4. Erfolg des Unternehmens
4. Karrierechancen
5. Karrierechancen
5. Fort- und Weiterbildung
6. Ausgewogene Work-/Life-Balance
6. Leistungsorientierte Bezahlung
7. Abwechslungsreiche Arbeit
7. Gestaltungsmöglichkeiten der Arbeit
8. Leistungsorientierte Bezahlung
8. Abwechslungsreiche Arbeit
9. Guter Ruf des Unternehmens
9. Erfolg des Unternehmens
10. Qualität der zukünftigen Kollegen
10. Qualität der zukünftigen Kollegen
Abbildung 92: Treiber beim Gewinnen von Mitarbeitern (Quelle: Global Workforce Study, Towers Perrin 2005) Auffallend ist, dass das Thema Bezahlung in vielen Ländern erst auf den hinteren Rängen auftaucht. Zwar wird häufig ein branchenübliches Gehalt gefordert, das zudem auch leistungsorientiert sein soll, aber keinesfalls steht die Erwartung im Raum, Spitzengehälter zu erzielen. Allerdings wird mit Aufstieg und Karriere, herausfordernder und abwechslungsreicher Arbeit die Erwartung an eine Bezahlung verbunden, die den wachsenden Anforderungen entspricht. Die Erwartungen von Kandidaten bei der Wahl des neuen Arbeitsplatzes sind eine Seite der Medaille. Die andere Seite der Medaille ist die Frage, was Mitarbeiter dauerhaft motiviert, an ihrem Arbeitsplatz permanent gute Leistungen zu erbringen, und was sie im Unternehmen hält. Auch hierzu gibt die Towers Perrin Studie Auskunft (Abbildung 93).
134
Rekrutierung
Warum engagieren sich Mitarbeiter an ihrem Arbeitsplatz? Die 10 wichtigsten Motivationstreiber in Westeuropa Deutschland
Westeuropa
1. Das Seniormanagement interessiert sich für die Mitarbeiter
1. Das Seniormanagement interessiert sich für die Mitarbeiter
2. Entscheidungsfreiheiten im Rahmen der eigenen Arbeit
2. Die fachlichen und persönlichen Kompetenzen können erweitert werden
3. Die fachlichen und persönlichen Kompetenzen können erweitert werden
3. Arbeitsprozesse können durch eigene Initiative beeinflusst werden
4. Das eigene Unternehmen genießt einen guten Ruf als Arbeitgeber
4. Das eigene Unternehmen genießt einen guten Ruf als Arbeitgeber
5. Gute Zusammenarbeit mit den Kollegen im Team und darüber hinaus
5. Entscheidungsfreiheiten im Rahmen der eigenen Arbeit
6. Das Seniormanagement ist Vorbild im Sinne der Unternehmenswerte
6. Die Vergütung ist im Vergleich fair
7. Die eigene Leistung wird anhand von Zielvorgaben gemessen
7. Das Seniormanagement handelt strategisch und sichert den Erfolg des Unternehmens
8. Arbeitsprozesse können durch eigene Initiative beeinflusst werden
8. Es besteht Zugang zu den vielfältigen Lernmöglichkeiten
9. Gute und erfolgreiche Mitarbeiter werden im Unternehmen gehalten
9. Gute Zusammenarbeit mit den Kollegen im Team und darüber hinaus
10. Die Zusatz- und Sozialleistungen sind angemessen
10. Die Vorgesetzten inspirieren und können begeistern
Abbildung 93: Treiber der Motivation von Mitarbeitern (Quelle: Global Workforce Study, Towers Perrin 2005) Alles in allem spielt das Geld für die Motivation nur eine untergeordnete Rolle. Führung, Fairness, Freiheit in der Arbeitsgestaltung und Einfluss auf die eigene Entwicklung und Weiterbildung sind wichtiger. Fehlen sie, besteht die Gefahr, dass es an Engagement und Motivation mangelt. Eine interessante Randbemerkung taucht in Deutschland auf. Hier erscheint als Motivationsfaktor Nummer 10 „Angemessene Nebenleistungen“. Dabei steht mit Sicherheit die Sorge um die eigene Altersversorgung im Vordergrund, bei der sich viele Unternehmen mit hohem finanziellem Aufwand engagieren. Darüber hinaus sind in Deutschland nach wie vor statusbezogene Zusatzleistungen, wie beispielsweise der Firmenwagen, von erheblicher Bedeutung und gelten als wichtiger Ausdruck der persönlichen Wertschätzung.
Prioritäre Handlungsfelder
9.4
135
Personalentwicklung und Qualifizierung
Die Kompetenzen der Mitarbeiter müssen entwickelt und gefördert werden. Individuelle Kompetenz umfasst dabei mehr als fachliche und überfachliche Qualifikationen. Neben Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten schließt sie auch Motivationen und Dispositionen der Mitarbeiter ein. Kompetenzentwicklung ist ein Prozess, der aus unterschiedlichen Motiven, in unterschiedlicher Weise und an unterschiedlichen Orten abläuft. Er erstreckt sich auf jede Lebensphase des Menschen. Betriebliche Kompetenzvermittlung erfolgt nicht ausschließlich in formalen Qualifizierungsmaßnahmen. Sie erfolgt auch durch weniger formalisiertes arbeitsnahes Lernen und vor allem durch Lernmöglichkeiten, die in die Arbeitstätigkeit integriert sind (Learning by Doing). Das Ziel kann nicht darin bestehen, jeden Mitarbeiter im Unternehmen irgendwie formal zu qualifizieren. Vielmehr müssen die (arbeits-)organisatorischen Bedingungen die Nutzung vorhandener Kompetenzen zulassen und deren Weiterentwicklung unterstützen und fördern í zum Beispiel durch eine qualifizierende Arbeitsgestaltung. Die Eigeninitiative zur Kompetenzerweiterung muss unternehmensseitig aktiv unterstützt werden í zum Beispiel durch eine qualifizierungsfreundliche flexible Arbeitszeitgestaltung. Alle Mitarbeiter sollten während des gesamten Arbeitslebens Zugangsmöglichkeiten zu Fort- und Weiterbildungsangeboten haben.
Äußere Zugangsbarrieren
Motivationsbarrieren
fehlende Einbeziehung Älterer in die Weiterbildung
personale Motivationsbarrieren (gehöre eh zum alten Eisen)
fehlende zielgruppenspezifische Qualifizierungskonzepte
kognitive Motivationsbarrieren (begreife ich nicht mehr, ist für mich zu schwierig)
Zeit-/Kostenaufwand für die Teilnahme an Weiterbildung
biographische Motivationsbarrieren (das Neue ist nicht meine Welt)
Arbeits- und Lebensbedingungen Qualifikationsniveau
Abbildung 94: Barrieren für die Weiterbildung Älterer
136
Personalentwicklung und Qualifizierung
Ständiges Lernen trägt ganz wesentlich zum Erhalt und zur Förderung der individuellen Beschäftigungsfähigkeit und damit zur eigenen Zukunftsvorsorge bei. Lebenslanges Lernen muss deshalb gefördert und Weiterbildungsbarrieren (Abbildung 94 und 95) müssen abgebaut werden. Unterschiede im individuellen Weiterbildungsverhalten müssen verringert und die Partizipation Älterer an Weiterbildungsmaßnahmen muss erhöht werden.
Weiterbildungsbarrieren 2003 Bundesgebiet Angaben in Prozent Stimme voll und ganz / eher zu Weiterbildung ist anstrengend
71
Ich habe auch ohne Weiterbildung ganz gute Chancen im Beruf
38
Es gibt zu wenig Weiterbildungsmöglichkeiten in der näheren Umgebung
36
Weiterbildung ist mir zu teuer
34
Meine beruflichen Verpflichtungen lassen mir keine Zeit für Weiterbildung
30
Meine familiären Verpflichtungen lassen mir keine Zeit für Weiterbildung
25
Lernen im Kurs liegt mir nicht. Ich lerne besser auf anderen Wegen
21
In meinem Alter lohnt sich Weiterbildung nicht mehr
19
In den Kursen geht alles so schnell, dass ich da nicht so mitkomme
16
Ich habe einfach keine Lust zur Weiterbildung
16
Abbildung 95: Barrieren zur Weiterbildung (Die 10 häufigsten Aussagen) (Quelle: BMBF, Berichtssystem Weiterbildung IX, 2005) Ältere sind nicht weniger lernfähig, sie lernen aber anders als Jüngere. Didaktik und Methoden müssen dem Rechnung tragen (Abbildung 96).
Prioritäre Handlungsfelder
137
Anknüpfen an vorhandene Motivationen und Einstellungen zur eigenen Arbeit, um die Sinnhaftigkeit des Lernangebotes zu vermitteln. Wahl konkreter Beispiele aus dem Arbeitsalltag als Ausgangspunkt. Aktivierung des Erfahrungswissens. Verknüpfung fachtheoretischer Inhalte mit konkreten Beispielen und Erfahrungswissen. Ganzheitlicher Überblick und einfache Gliederung des Lernangebotes. Flexible Gestaltung der Kurseinheiten, Lernen ohne Zeitdruck, Möglichkeit zu Wiederholungen und zu Übungen, persönliches Lerntempo ermöglichen. Neue Lerninhalte „anfassbar“ machen (z.B. Arbeitsplatzbesichtigungen). Teilnehmer zum Sprechen bringen. Gelerntes zusammenfassen und in Gesamtzusammenhang einordnen.
Abbildung 96: Anforderungen an alternsgerechtes Lernen (Quelle: nach Wenke, 1996) Ältere lernen bei sinnfreiem (abstraktem) Material schlechter. Beim Lernen in Sinnzusam-
menhängen, beim Anknüpfen an bekannte Dinge, sind die Lernleistungen mit denen Jüngerer vergleichbar; weisen häufig einen Mangel an geeigneten Lerntechniken auf; lernen weniger gut, wenn der Lernstoff zu schnell präsentiert beziehungsweise ver-
mittelt wird; benötigen mehr Wiederholungen; sind oft verunsichert, so dass bereits Gelerntes nicht reproduziert wird; weisen einen störanfälligeren Lernprozess auf; lernen leichter, wenn der Lernstoff einen geringen Komplexitätsgrad aufweist; lernen besser in altershomogenen Gruppen.
Der Verlust oder das Verkümmern von Qualifikationen sind keine Frage des Älterwerdens, sondern eine Frage des Nutzens- oder Nicht-Nutzenkönnens von Qualifikationen. Ältere Mitarbeiter sind nicht lernentwöhnt, weil sie älter werden. Ihnen wird oft weder die Möglichkeit zum Lernen gegeben, noch wird von ihnen Lernen verlangt. Für ältere Mitarbeiter existieren mehrere Dequalifizierungsfallen: Infolge der Einführung neuer Technologien und/oder organisatorischer Abläufe wer-
den die vorhandenen beruflichen Qualifikationen entwertet. Ältere Mitarbeiter verfügen nicht über die geforderten neuen Qualifikationen.
138
Personalentwicklung und Qualifizierung
Durch eine jahrelange Konzentration der Tätigkeit auf bestimmte Verfahren und Ab-
läufe erfolgt eine Einengung des Qualifikationsspektrums. Die Einsatz- und Entwicklungsmöglichkeiten der Mitarbeiter werden dadurch reduziert. Aufgrund fehlender beruflicher Weiterbildung haben ältere Mitarbeiter größere Prob-
leme bei der Erfüllung neuer beruflicher Anforderungen. Die schlechteren Arbeitsleistungen führen dazu, dass sie künftig von der Bearbeitung neuer, anspruchsvoller Aufgaben ausgeschlossen werden. Ihnen werden relative einfache und nicht selten unterfordernde Tätigkeiten zugewiesen. Für diese Tätigkeiten werden die vorhandenen Qualifikationen nicht oder nur teilweise benötigt; sie erodieren. Erst recht erfolgt keine Weiterbildung, so dass die Mitarbeiter in Zukunft wichtige Qualifikationen nicht erwerben können. Die größte Lernbarriere für sämtliche Mitarbeiter bilden über längere Zeit ausgeübte Tätigkeiten, bei denen vorhandene Kompetenzen nicht genutzt und weiterentwickelt werden können. Ziel muss deshalb eine Arbeitsgestaltung sein, die arbeitsintegriertes Lernen erlaubt. Zu den zentralen Elementen einer lernförderlichen Arbeitsgestaltung gehören Anforderungsvielfalt, Ganzheitlichkeit der Tätigkeit (Funktionsintegration), Handlungs-, Entscheidungs-, Kontrollspielräume, Kooperations- und Kommunikationserfordernisse, Partizipation (Information, Beteiligung an Entscheidungsprozessen), Qualifikationsnutzung, Entwicklungsmöglichkeiten und Entwicklungsförderung (be-
rufliche Perspektiven). Für die Qualifizierung älterer Mitarbeiter ist arbeitsintegriertes Lernen besonders geeignet. Es erfolgt kontinuierlich, knüpft an praktische Erfahrungen an und hat somit Bezug zur Arbeit, ist nicht abstrakt und theorielastig und ist altersübergreifend. Eine lebenszyklusorientierte Personalentwicklung, die sich am individuellen Lebenszyklus ausrichtet, trägt wesentlich zum Erhalt und zur Förderung von Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft bei. Sie umfasst sämtliche Maßnahmen, die der gezielten Erhaltung und Förderung der Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit der Mitarbeiter dienen í vom Eintritt in das Unternehmen über den Laufbahnverlauf (Karriere, Versetzungen) bis zum Ausscheiden. Eine altersbezogene Personaleinsatzmatrix der Mitarbeiter gibt Auskunft darüber, auf welchen Arbeitsplätzen die Mitarbeiter eingesetzt sind, welche Belastungen dort auftreten und welche (Mehrfach-)Qualifikationen bei den Mitarbeitern vorhanden sind. Auf diese Weise wird deutlich, wo Fehlbelastungen auftreten (können) und wo Schulungsbedarf besteht.
Prioritäre Handlungsfelder
139
Durch Arbeits-/Anforderungswechsel lassen sich sowohl einseitige Belastungen reduzieren als auch Qualifikationen erweitern. Systematische Rotation sowie horizontale Versetzungen über den eigenen Arbeitsbereich hinaus tragen dazu bei, dass die Mitarbeiter Neues lernen können und Fehlbeanspruchungen vermieden werden. In die gleiche Richtung zielt der flexible Einsatz von Mitarbeitern auf mehreren Arbeitsplätzen. Hierzu wird zunächst eine Berufsentwicklungsübersicht erstellt (Alter, Ausbildung, Arbeitsplatzbezeichnungen, Einschränkungen der Mitarbeiter). Anschließend wird bei den Mitarbeitern abgefragt, welche sonstigen Arbeitsgänge/Tätigkeiten beherrscht werden, welche arbeitsplatzübergreifenden Kenntnisse vorhanden sind und ob Interesse an einer Weiterqualifizierung besteht. In einem Entwicklungsgespräch werden die Selbsteinschätzung des Mitarbeiters und die Fremdeinschätzung durch den Vorgesetzten abgeglichen sowie Qualifikationsstandards definiert und Entwicklungsmöglichkeiten ausgelotet. Im Anschluss daran erfolgt die Qualifizierung, die dann einen späteren Einsatz auf unterschiedlichen Arbeitsplätzen erlaubt. Durch eine alternsgerechte Laufbahngestaltung, eine Berufsbiographie (Abbildung 97), können Kompetenzen genutzt und entwickelt und zugleich Fehlbeanspruchungen verhindert werden. Je nach Qualifikationsanforderungen, Arbeitsanforderungen/-belastungen, Arbeitsgestaltung und Entwicklungsmöglichkeiten werden die vorhandenen Arbeitsplätze einem Arbeitsplatz-Typ (Einstiegs-, Umstiegs-, Aufstiegs-, Verweil- und Ausstiegsarbeitsplätze) zugeordnet. Auf der Basis von Mitarbeiterbeurteilungen, Mitarbeitergesprächen, Entwicklungsplänen und betriebsärztlichen Empfehlungen erfolgt dann eine Festlegung, welche Arbeitsplätze für wen geeignet sind. Dabei gilt der Grundsatz: Die Berufslaufbahn ist ein Langstreckenlauf und kein Kurzsprint.
Einstiegsarbeitsplätze (Einarbeitung)
Ausstiegsarbeitsplätze (Altersanpassung) o Qualifikationsanforderungen o Anforderungen/Belastungen o Arbeitsgestaltung o Eignung für unterschiedliche Mitarbeitergruppen
Verweilarbeitsplätze (dauerhafter Verbleib möglich)
Umstiegsarbeitsplätze (Belastungswechsel, Weiterentwicklung)
Aufstiegsarbeitsplätze (Karriere, Weiterentwicklung)
Abbildung 97: Alternsgerechte Laufbahngestaltung (Arbeitsplatz-Typen)
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Personalentwicklung und Qualifizierung
Für jeden Mitarbeiter sollte ein individueller Entwicklungsplan erstellt werden. Notwendige Bestandteile eines solchen Plans sind vorhandene Fähigkeiten, Entwicklungspotenziale, Weiterbildungsbedarf und mögliche Karrierewege. Karriere ist dabei nicht gleichbedeutend mit Aufstieg, sondern meint vor allem Fachkarrieren. Die „Fachkarriere“ ist nicht am Durchlaufen stringenter Hierarchieebenen orientiert. Sie zielt ab auf die Festlegung eines Spektrums möglicher weiterer Wege für die Mitarbeiter (wechselnde Tätigkeitsbereiche im Laufe der Berufsbiographie). Den Mitarbeitern wird auf diese Weise eine langfristige Perspektive gegeben, ihnen wird ein übersichtliches Spektrum von Tätigkeiten angeboten und Spezialisierungsfallen werden vermieden. Zudem werden Motivation und Engagement der Mitarbeiter erhöht. Mit Mitarbeitern, die älter als 40 Jahre sind, sollten regelmäßig Mitarbeiterentwicklungsbeziehungsweise Zukunftsgespräche („Midlife-Assessment“) geführt werden. Sie dienen der Standortbestimmung, dem Feedback, der persönlichen Entwicklungsplanung sowie der Förderung von Motivation und Initiative. In Workshops und Gesprächsrunden, an denen ältere und jüngere Mitarbeiter teilnehmen, können Ideen und Erfahrungen ausgetauscht, Kontakte hergestellt und Netzwerke geknüpft werden. Damit wird nicht nur Wissen weitergegeben, es wird auch ein Überblick über Potenziale und Probleme vermittelt. Zugleich werden vorhandene Stereotypen abgebaut und Brücken zwischen älteren und jüngeren Mitarbeitern geschlagen. Bei der Qualifizierungszeit wird für alle Mitarbeiter eine bestimmte Stundenzahl pro Woche für Qualifizierungszwecke vereinbart. Die individuelle Qualifizierung kann vor Ort (on the job) oder in speziellen (arbeitsplatznahen) „Lernstätten“ erfolgen. Die Mitarbeiter sind verpflichtet, angebotene und vereinbarte Qualifizierung zu leisten. Die Qualifizierungszeit wird zur Hälfte vom Unternehmen vergütet, das auch die Sachkosten der Qualifizierung trägt. Die andere Hälfte der individuellen Qualifizierungszeit bringen die Mitarbeiter ein. Mit dem Blockmodell werden Arbeit und Qualifizierung systematisch verbunden. Es umfasst pro Jahr neun Monate Arbeit und drei Monate Qualifizierungszeit. Die Zeiten können auf mehrere Blöcke aufgeteilt werden. In einigen Unternehmen haben die Mitarbeiter Anspruch auf eine bestimmte Zahl von Stunden pro Jahr – oder einen bestimmten Prozentsatz der Arbeitszeit í für Weiterbildung (zum Beispiel 25 oder 90 Stunden). Die Stunden können über mehrere Jahre kumuliert werden. Für erfolgreiche Qualifizierung wird mitunter eine Prämie gewährt. Die Weiterbildungsmaßnahmen müssen definierten Standards entsprechen. Die Weiterbildungskosten werden, ganz oder teilweise, vom Unternehmen getragen. Einige Unternehmen ermöglichen Mitarbeitern jeden Alters einen Qualifikations- oder Facharbeiterabschluss.
Prioritäre Handlungsfelder
141
Bei den „Lernzeitkonten“ handelt es sich um Arbeitszeitkonten, auf denen Überstunden für Qualifizierungsmaßnahmen angesammelt werden. Die Zeit kann dann für Weiterbildung genutzt werden. So genannte „Wanderjahre“ bieten den Mitarbeitern die Möglichkeit, sich fachlich weiterzubilden und persönlich weiterzuentwickeln. Mitarbeiter erhalten die Chance, für eine bestimmte Zeit (zum Beispiel für ein Jahr) entweder in anderen Unternehmensbereichen, in anderen Konzerngesellschaften im In- oder Ausland oder bei einem anderen Unternehmen zu arbeiten. Erfahrungen, Flexibilität, kulturelles Verständnis und Motivation werden dadurch gefördert. Mit unternehmensinternen Zeitarbeitsunternehmen wird jungen und älteren Mitarbeitern die Möglichkeit geboten, zeitlich befristet im gesamten Unternehmen tätig zu werden (beispielsweise in Form von Vertretungen, Projektmitarbeit) und sich auf diese Weise weiter zu qualifizieren. Voraussetzung dafür ist, dass die Mitarbeiter über umfassende Qualifikationen verfügen, sich ständig weiterbilden und flexibel sind. Wie die Erfahrungen zeigen, werden Mitarbeiter aus solchen internen Zeitarbeitsunternehmen von den internen „Auftraggebern“ später oft abgeworben. In eine ähnliche Richtung geht das Modell der Alternativen Karriere. Hierbei scheiden Führungskräfte und Spezialisten mit einem bestimmten Alter (zum Beispiel 60 Jahre) aus ihrer bisherigen Funktion aus und sind bis zu ihrer Pensionierung (65/67 Jahre) als Senior Consultants tätig. Ihr Arbeitspensum können sie selbst bestimmen. Auf diese Weise können eine gezielte Verjüngung der Belegschaft, die weitere Nutzung von Erfahrung und Wissen und ein schrittweiser Ausstieg aus dem Arbeitsleben realisiert werden. An unternehmensübergreifend tätigen Beratungsunternehmen können sich ältere Fachund Führungskräfte als Partner beteiligen. Damit ist ein zeitlich flexibler und individuell gestaltbarer Übergang in den Ruhestand möglich. Die Tätigkeit als „Senior-Berater“ kann aber auch über das 65. Lebensjahr hinaus fortgesetzt werden. Die projektbezogenen Einsätze gewährleisten eine hohe Zeitsouveränität, bieten Lernchancen und das vorhandene Know-how wird genutzt und weitergegeben. Derartige Senior-Berater kommen nicht selten den Kundenbedürfnissen entgegen. Beispiele zeigen, dass ältere Kunden vorzugsweise von älteren Beratern betreut werden wollen. Die Erfahrungen mit Silver Human Resources Centern in Japan – hierbei handelt es sich um Beschäftigungszentren für Ältere, in denen diese zeitweise oder per Teilzeit tätig sind – machen deutlich, dass ein Problem solcher Einrichtungen darin besteht, dass Tätigkeitsanforderungen und Qualifikationen nicht immer deckungsgleich sind. Es ist deshalb darauf zu achten, dass die älteren Mitarbeiter qualifikationsadäquat eingesetzt werden. Mentoring- und Patenprogramme zielen auf gegenseitiges Lernen und Verstehen ab. Dadurch, dass ein älterer Mitarbeiter einen jüngeren Kollegen zeitlich befristet betreut und begleitet, erfolgt nicht nur ein fachlicher Wissenstransfer, auch das Verständnis für das Denken und die Verhaltensweisen des jeweils anderen wird gefördert.
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Personalentwicklung und Qualifizierung
Auf lange Sicht sind betriebliche Mentoring- und Patenprogramme aber kein geeignetes Instrument zum gegenseitigen Lernen. Irgendwann wird ein 63-jähriger Mentor einen 55-jährigen Mentee betreuen. Und nicht jeder Ältere ist zum Mentor geeignet. Einen Ausweg kann hier das Cross-Mentoring bieten: Mentoren und Mentees gehören jeweils verschiedenen Unternehmen an. In Kompetenz-Teams werden Projekte und Aufgaben gemeinsam durch jüngere und ältere Mitarbeiter bearbeitet. Der erfahrene ältere Mitarbeiter und der junge Kollege unterstützen und ergänzen sich gegenseitig. Sorgfältig geprüft werden sollte, inwieweit neue Lernmethoden im Rahmen der Qualifizierung älterer Mitarbeiter sinnvoll eingesetzt werden können. Beispiele für solche neuen Methoden sind Fernunterricht, computergestütztes Lernen und Selbstlernzentren. Personalentwicklung muss, allein schon um einen Wissens- und Erfahrungstransfer zu gewährleisten, rechtzeitige Nachfolgeplanung einschließen. Auf dieses Thema wird an anderer Stelle ausführlich eingegangen. Um einen rechtzeitigen Know-how-Transfer sicherzustellen, werden in einigen Unternehmen über 55-jährige Fach- und Führungskräfte aufgefordert, Patenschaften für jüngere Mitarbeiter zu übernehmen. Gemeinsam mit den Vorgesetzten werden dann Maßnahmenpläne zum Wissenstransfer erstellt. Verschiedene Formen des Mentorings sind das meistgenutzte Instrument, Wissen weiterzugeben. Dass bei der Wissenserhaltung und beim Wissenstransfer Handlungsbedarf besteht, zeigt eine Studie von Korn/Ferry (2005). 61 Prozent der befragten Führungskräfte sind der Meinung, dass ihr Unternehmen nicht aktiv Schritte unternimmt, um das betriebskritische Wissen zu erhalten, das durch die Pensionierung der geburtenstarken Jahrgänge verloren gehen könnte. Das Thema Wissensmanagement wird an anderer Stelle ausführlicher behandelt. Am Beispiel der Deutschen Bank wird deutlich, wie das Thema „Lernen“ zu einem natürlichen Bestandteil der Entwicklung von Mitarbeitern und damit zu einer Selbstverständlichkeit werden kann (im Detail nachzulesen bei „Erfolgreich mit älteren Arbeitnehmern“ der Bertelsmann Stiftung 2003). Beispiel: Deutsche Bank AG Die Deutsche Bank ist ein junges Unternehmen. Sie ist in den letzten Jahren durch einen erheblichen Strukturwandel gegangen, die Neuausrichtung des Geschäfts mit starkem Fokus auf das internationale Investmentbanking hat seine Spuren hinterlassen: 78 Prozent der Belegschaft sind jünger als 45 Jahre. Allerdings ist voraussehbar, dass sich der Altersdurchschnitt in den nächsten Jahren erhöhen wird, der „War for Young Talents“ ist absehbar. Obwohl die Deutsche Bank als anerkanntermaßen attraktives Unternehmen ihren Anteil an neuen jungen Mitarbeitern bekommen wird, wird dies nicht verhindern, dass auch hier ein kollektiver Alterungsprozess einsetzen wird.
Prioritäre Handlungsfelder
143
Ein Kernstück der Personalpolitik ist unter dem Stichwort „Employability“ zusammenzufassen. Das Unternehmen sieht es als seine Verantwortung an, den Mitarbeitern Angebote zur beruflichen Entwicklung zu machen. Die Mitarbeiter sind ihrerseits in der Verantwortung, diese Angebote zu nutzen, um berufliche Perspektiven zu halten oder weiterzuentwickeln. Diese Entwicklungspolitik richtet sich nicht an jüngere oder ältere Mitarbeiter per se, sondern sie ist universell. Sie gründet sich in der Erkenntnis, dass in der heutigen Berufswelt kein Anspruch mehr auf Dauerbeschäftigung besteht. Den „Bankbeamten“, von dem noch in den 70er und 80er Jahren die Rede war und dessen Arbeitsplatz als sicher galt (einer Beamtenstellung ähnlich), gibt es nicht mehr. Mehr als jede andere Branche unterliegt die Finanzbranche dem Wandel, und Beschäftigte, die sich einer Karriere in dieser Branche verschreiben, müssen damit rechnen, sich ständig neu orientieren zu müssen. Zwei Projekte zeigen, wie ein internationales Institut wie die Deutsche Bank sich dem Thema Altern stellt, ohne noch konkret davon betroffen zu sein. „Intergenerational Teams“ sorgen dafür, dass Wissen von Älteren genutzt und weitergegeben wird. „X Prozent-Jobs für Experienced professionals“ verpflichten Mitarbeiter dazu, einen gewissen Prozentsatz (5 Prozent plus) ihrer Arbeitszeit in anderen Geschäftsbereichen zu verbringen, um ihren Erfahrungshorizont zu erweitern.
Am Beispiel Deutsche Bank sind mehrere Aspekte für die Altersproblematik interessant:
Programme zur Lösung einer irgendwie gearteten Altersproblematik müssen nicht notwendigerweise solche sein, die sich explizit an die Gruppe der Älteren richten. Wichtiger ist es, Ältere nicht auszuschließen, sondern sie bewusst in die Gruppe der Adressaten aufzunehmen. Es darf, insbesondere in international operierenden Unternehmen, keine Altersdiskriminierung geben.
Auch einem Unternehmen, das zurzeit noch (oder wieder) sehr jung ist und damit eine eher „jugendzentrierte“ Alterstruktur hat, kann es nicht gleichgültig sein, wie mit den Älteren umgegangen wird. Der bewusste Einschluss von Älteren in die normalen Programme der Personalentwicklung und Weiterbildung bereitet ein Unternehmen auf die Zeit einer anderen, einer älteren Personalstruktur vor. Der Umgang mit Älteren wird zur Selbstverständlichkeit, er wird Teil der gelebten Unternehmenskultur und muss nicht mühsam erarbeitet werden.
Viele Unternehmen und zahlreiche Mitarbeiter tun sich immer noch schwer mit der Praxis des lebenslangen Lernens. Das Beispiel Deutsche Bank zeigt, dass sich aus den Anforderungen der Märkte an Flexibilität und Veränderungsbereitschaft eine Kultur entwickeln kann, in der ständiges Lernen zum täglichen Bestandteil der Unternehmenswelt wird. Ein Unternehmen, das sich dieser Herausforderung stellt und sie aktiv in Form von Programmen angeht, tut etwas für seine Mitarbeiter (jung und alt) und stellt sich gleichzeitig als attraktiver Arbeitgeber am Arbeitsmarkt dar.
144
9.5
Personalführung
Personalführung Führung: Beeinflussung der Einstellungen und des Verhaltens von Einzelpersonen sowie der Interaktionen in und zwischen Gruppen mit dem Zweck, gemeinsam bestimmte Ziele zu erreichen. (Staehle, 1980)
Die Altersstruktur der Führungskräfte der deutschen Wirtschaft hat sich seit Jahren kaum verändert. Führungskräfte der 1. Ebene sind im Durchschnitt 48 Jahre und Führungskräfte der 2. Ebene 47 Jahre alt (Kienbaum, 2005). Diese Altersstruktur wird sich in den nächsten 10 Jahren verändern. Einerseits wird der Anteil der über 50-jährigen Führungskräfte steigen, andererseits werden Führungskräfte immer jünger. Ältere Führungskräfte länger im Unternehmen zu halten, wird von vielen Unternehmen für wenig sinnvoll gehalten. Ältere Führungskräfte gelten als weniger leistungsfähig und teuer (Senioritätsprinzip). Sie blockieren die Karriere von Nachwuchskräften (Aufstiegschancen) und verringern deren Motivation und Unternehmensbindung. Im Gesamtvergleich nach Altersgruppen schneiden ältere Führungskräfte im Durchschnitt relativ schlecht ab. Die ihnen zugeschriebenen spezifischen Stärken (Erfahrung, psychische Belastbarkeit) reichen nicht aus, um die Schwächen (Innovationskraft, körperliche Belastbarkeit) zu kompensieren. Typisch junge Eigenschaften wie Flexibilität und Offenheit sind Personalentscheidern in Deutschland bei der Besetzung von Führungspositionen deutlich wichtiger als Erfahrung (CGC, 2004). Die Strategie, junge Führungskräfte extern anzuwerben oder intern zu entwickeln, wird deshalb von zahlreichen Unternehmen bevorzugt. Auch bei der Besetzung von Führungspositionen wird mehr auf Jugendlichkeit gesetzt. Dies gilt selbst für Chief Executive Officers. Man kommt heute viel jünger in den Vorstand (Anfang 40 ist durchaus nicht selten) í allerdings ist man auch schneller wieder draußen. Es ist davon auszugehen, dass in Zukunft zunehmend mehr jüngere Führungskräfte zu Vorgesetzten älterer Mitarbeiter werden í auch weil jüngere Mitarbeiter über eine aktuelle Bildung verfügen und damit bessere Chancen haben, Führungspositionen einzunehmen. Darüber hinaus wechseln jüngere Führungskräfte, verglichen mit älteren, häufiger den Job, das Unternehmen und die Branche. Für die Mitarbeiter bedeutet das, dass sie sich auf wechselnde Vorgesetzte einrichten müssen. Jüngere Führungskräfte und ältere Mitarbeiter gehören unterschiedlichen Generationen an und haben unterschiedliche Wertprägungen. Die „Veterans“ haben andere Wertvorstellungen als die „Baby-Boomer“, die „Generation X“ oder die „Nexters“. Ältere (Veterans) müssen sich Jungen (beispielsweise der Generation X) unterordnen, was zu sozialen Konflikten führen kann. Und die meisten Führungskräfte haben ihre Führungserfahrungen
Prioritäre Handlungsfelder
145
mit jungen Teams gesammelt. Alte und Junge müssen auf diese Veränderungen vorbereitet werden. In einer Befragung (DIE ZEIT, 2004) sahen allerdings 92 Prozent der Befragten kein Problem darin, unter einem wesentlich jüngeren Chef zu arbeiten. Ältere und jüngere Führungskräfte unterscheiden sich in ihrem Führungsstil: Ältere Führungskräfte versuchen mehr, ein Commitment aufzubauen, und sind stärker
mitarbeitorientiert. Jüngere Führungskräfte sind mehr sach- und zielorientiert, das heißt, sie richten sich an Zielvorgaben und am Output aus. Der Führungsstil älterer Führungskräfte ist erfahrungsgeleitet, der Führungsstil jünge-
rer Führungskräfte ist (abstrakt) wissensgeleitet. Ältere Führungskräfte zeigen mehr Verständnis für Probleme älterer Mitarbeiter. Ältere Führungskräfte, die direkt mit älteren Mitarbeitern zusammenarbeiten, beurtei-
len Ältere positiver als Führungskräfte, die keinen direkten Kontakt mit älteren Mitarbeitern haben. Frauen werden von älteren Führungskräften stärker gefördert als von jungen Füh-
rungskräften. Älteren Führungskräften ist die Vorbildfunktion wichtig. Sie wollen Werte vorleben. Jüngere Führungskräfte lassen sich bei der Bewertung der Leistungsfähigkeit älterer
Mitarbeiter oft von negativen Altersstereotypen leiten. Der demographische Wandel stellt an Führungskräfte veränderte Anforderungen. Sie müssen zunehmend Mitarbeiter unterschiedlichen Alters führen können (altersgemischte
Gruppen/Teams); beim Personaleinsatz die verschiedenen Stärken der unterschiedlich alten Mitarbeiter
erkennen und kombinieren können; die Entwicklung aller Mitarbeiter fördern und deren Arbeits- und Beschäftigungsfä-
higkeit erhalten und fördern; Arbeits- und Organisationsstrukturen schaffen, die Mitarbeitern mit unterschiedli-
chem Leistungsvermögen eine sinnvolle und wertschöpfende Tätigkeit ermöglichen. Voraussetzung dafür ist ein alternsgerechtes Führungsverhalten. Dies ist umso wichtiger, als gutes Führungsverhalten als hoch signifikanter Faktor für eine Verbesserung der Arbeitsfähigkeit zwischen dem 51. und 62. Lebensjahr identifiziert wurde (Ilmarinen/Tempel, 2002). Altersspezifische Zusammenhangsberechnungen belegen, dass fachliche Unterstützung, Entscheidungsspielraum und Anerkennung einen hohen Zusammenhang mit der Ausprägung an Arbeitsfreude bei älteren Mitarbeitern aufweisen. Das heißt: Umfassende fachliche Unterstützung und erweiterte Entscheidungsspielräume wirken sich positiv auf die Arbeitsfreude und die Befindlichkeit älterer Mitarbeiter aus.
146
Personalführung
Kennzeichen alternsgerechten Führungsverhaltens sind: ein positives Bild vom alternden Mitarbeiter, eine realistische und vorurteilsfreie Einschätzung des Leistungsvermögens älterer
Mitarbeiter, die Anerkennung und Wertschätzung der Leistungen älterer Mitarbeiter, eine offene und konstruktive Thematisierung von Leistungsdefiziten, Erwartungen,
beruflichen Perspektiven und Förderungsmöglichkeiten, ein kooperativer Führungsstil, der Freiräume und Selbstverantwortung fördert und auf
das Delegieren von Aufgaben setzt, das Zulassen individueller Arbeitsplanungen und Arbeitsweisen, das Abfragen und Nutzen von Erfahrungswissen, die Förderung des Dialogs und Erfahrungsaustausches zwischen jüngeren und älteren
Mitarbeitern, die Gestaltung alternsgerechter Erwerbsverläufe, die Förderung der Weiterbildungsbereitschaft, die Beteiligung der Mitarbeiter an Prozessen, die sie betreffen, die Berücksichtigung von Bedeutungsveränderungen verschiedener Arbeitsmerkmale
im Verlauf des Lebens. Untersuchungen zur Bedeutung von Arbeit (MOW, 1987) zeigen, dass für alle Altersgruppen eine interessante Tätigkeit und gute Bezahlung die wichtigsten Tätigkeitsmerkmale sind. Mit zunehmendem Alter werden die Sicherheit des Arbeitsplatzes, Unabhängigkeit sowie die Entsprechung von Anforderungen und Fähigkeiten wichtiger. Abwechslung und die Möglichkeit, Neues zu lernen, werden unwichtiger (Abbildung 98).
Prioritäre Handlungsfelder
Rangplatz
bis 30 Jahre
1
Interessante Tätigkeit
2
Gute Bezahlung
3
Gutes Betriebsklima
4
Möglichkeit, neue Dinge zu lernen
147
31 bis 50 Jahre
Sicherer Arbeitsplatz Sicherer Arbeitsplatz
Sicherer Arbeitsplatz
Entsprechen von Anforderungen und Fähigkeiten
6
Viel Abwechslung
Viel Unabhängigkeit
7
Entsprechen von Anforderungen und Fähigkeiten
Möglichkeit, neue Dinge zu lernen
8
Viel Unabhängigkeit
Viel Abwechslung
9
Günstige Arbeitszeit
10
Gute Aufstiegsmöglichkeiten
5
über 50 Jahre
Viel Unabhängigkeit
Gutes Betriebsklima Viel Abwechslung
Günstige Arbeitszeit Gute physische Bedingungen
Gute physische Bedingungen
Möglichkeit, neue Dinge zu lernen
Abbildung 98: Altersunterschiede bezüglich der Bedeutung verschiedener Arbeitsmerkmale (Quelle: MOW, 1987) Bewährt haben sich spezielle Workshops für Führungskräfte und betriebliche Vorgesetzte zur Schaffung von Alternsbewusstsein. Die Workshops dienen der Sensibilisierung, Information und Entwicklung von Strategien und Maßnahmen (Abbildung 99).
Zielgruppe:
Führungskräfte und betriebliche Vorgesetzte
Dauer:
1 Tag
Inhalt:
Sensibilisierung der Teilnehmer fürs Älterwerden und den eigenen Altersstatus (Reflektion des eigenen Alters, des Befindens und eigener Einstellungen gegenüber älteren Mitarbeitern) Information über die demographische Entwicklung und die Altersstruktur im Unternehmen - heute und in Zukunft Information über Leistungsfähigkeit, Stärken und Schwächen älterer Arbeitnehmer (körperliche, mentale, soziale Merkmale und deren Veränderungen) Wichtige Handlungsfelder und Empfehlungen (z.B. Arbeitsgestaltung, Arbeitsorganisation, Arbeitszeit, Führung, Qualifikation, Gesundheitsschutz/-förderung) Entwicklung von Strategien und Maßnahmen für den eigenen Zuständigkeitsbereich (gemeinsam mit Experten)
Abbildung 99: Workshop zur Schaffung von Alter(n)sbewusstsein
148
Talent Management und Führungskultur
Ein Pflichtseminar für Führungskräfte „Gesund führen“ leistet einen Beitrag zum gesundheitsgerechten und altersangepassten Führen. Führungskräfte tragen Verantwortung für die Gesundheit ihrer Mitarbeiter. Gesundheits-Check-ups und Gesundheitscoaching für Führungskräfte und betriebliche Vorgesetzte tragen dazu bei, das Bewusstsein für Gesundheit zu erhöhen í für die eigene Gesundheit wie auch für die der Mitarbeiter. Mit einer „Vitalitätsmessung“ und einem „Alterssimulationsanzug“ kann Führungskräften und betrieblichen Vorgesetzten der Alterungsprozess unmittel erfahrbar gemacht werden. Vitalitätsmessungen zielen auf die Bestimmung des biologischen Alters ab. Oft zeigen sie „Voralterungen“ insbesondere in den Bereichen, die durch Verhalten und Lebensweise gestaltbar sind, und machen damit deutlich, dass der Alterungsprozess zu beeinflussen ist. Der Alterssimulationsanzug macht seinen Träger innerhalb weniger Minuten um 20 bis 30 Jahre „älter“ und lässt am eigenen Leib spüren, was es bedeutet, älter zu werden.
9.6
Talent Management und Führungskultur
Ein unverzichtbarer Bestandteil moderner Führungskultur ist das inzwischen weit verbreitete Talent Management. Kern dessen ist das rechtzeitige Erkennen von Talenten auf allen Ebenen im Unternehmen und der kompetenzgerechte Einsatz im Laufe einer Karriere. Gerade im Hinblick auf ältere Arbeitnehmer ist dieser Aspekt von großer Wichtigkeit, da Talent Management immer noch häufig als Förderung von ausschließlich jungen Talenten missverstanden wird. Im Kern beinhaltet das Talent Management die in Abbildung 100 zusammengefassten Elemente.
Abbildung 100: Talent Management als permanenter Führungsprozess (Quelle: Towers Perrin Talent Report)
Prioritäre Handlungsfelder
149
In vielen Fällen wird dieser Prozess hauptsächlich dazu verwendet, Führungsnachwuchs für die Top-Ebenen frühzeitig zu identifizieren und langfristig zu binden. Gerade unter dem strategischen Aspekt der Anpassung an veränderte demographische Bedingungen erhält er jedoch eine neue Bedeutung. Gewinnen von Talenten Die für die Gewinnung talentierter Mitarbeiter wichtigen Faktoren wurden bereits an anderer Stelle beschrieben. Im Wesentlichen sind dies die Hoffnung auf eine interessante, herausfordernde Arbeit, Entwicklungsmöglichkeiten und Karrierechancen in einem angesehenen Unternehmen. Vielen Unternehmen gelingt die Darstellung ihrer Vorzüge recht gut, wie eine Untersuchung von Towers Perrin zeigt. Ihr zufolge sind circa 60 Prozent der Mitarbeiter in europäischen Unternehmen mit dem Ruf ihres Unternehmens zufrieden. Viele Unternehmen werden sich in Zukunft nicht mehr darauf verlassen können, ihr Nachwuchspotenzial ausschließlich aus jungen Arbeitnehmern zu erschließen. Sie müssen zwangsläufig auf die mittleren und höheren Altersgruppen ausweichen. Identifizieren von Talenten Die Identifikation von Talenten geschieht in der Regel auf der Basis eines Kompetenzmodells, das die für das Unternehmen relevanten Fähigkeiten und Verhaltensweisen definiert. Über Feedback-Prozesse (bis hin zu 360 Grad Feedback-Verfahren), Assessment Center und andere Auswahlverfahren werden die Potenzialträger herausgefiltert. Wichtig ist dabei, sich nicht nur auf Potenzialträger zu konzentrieren, sondern über die Kompetenzprüfung auch für alle anderen Mitarbeiter Hinweise zu erlangen, wo Entwicklungspotenzial oder aber Entwicklungsbedarf besteht. Konzentriert man sich bei diesen Verfahren ausschließlich auf die „High Potentials“, schafft man schnell Gewinner und Verlierer. Dies führt unweigerlich zu Frustrationen bei denjenigen, die nicht zu der exklusiven Gruppe der auserwählten Potenzialträger zählen. Es gibt Unternehmen, die deshalb von ihren Mitarbeitern grundsätzlich nur als Talenten sprechen. Andere würden gar nicht die Hürde der Rekrutierung überstehen. Man sieht, auch die richtige Wortwahl kann wichtig sein. „Talent“ (oder auch „Potenzialträger“) muss definiert werden. Ansonsten unterliegen alle Prozesse zur Identifikation, Entwicklung und Motivation der Willkür. Die vorhandenen Definitionen sind allerdings nicht eindeutig. In der Regel findet sich aber eine Reihe von Elementen, die in unterschiedlicher Ausprägung bei vielen Unternehmen verwendet werden. Wichtig ist dabei nicht so sehr, dass diese alle angesprochen werden, sondern dass eine anspruchsvolle Definition gefunden wird, die zu einer echten Auslese von talentierten Mitarbeitern führt, die in der Folgezeit besonders gefördert werden.
150
Talent Management und Führungskultur
Gängige Definitionselemente von „Talent“ sind: Leistung: Typischerweise gemessen durch den Performance Management Prozess.
Talente oder Potenzialträger haben über mindestens drei Jahre weit überdurchschnittliche Leistungsergebnisse gezeigt. Verhalten: Gemessen über Kompetenzeinschätzungen, zum Beispiel durch Full Circle
Feedback. Potenzialträger zeichnen sich durch weit überdurchschnittliche Kompetenz- und Verhaltensprofile aus. Haltung und Einstellung: Hier kommen die persönliche Einstellung zu den Unter-
nehmenswerten, Lernbereitschaft, Flexibilität und Mobilität zum Tragen. Potenzial: Die Einschätzung, dass sich der Mitarbeiter in relativ kurzer Zeit erfolg-
reich in neue und herausfordernde Aufgaben einarbeiten kann. Während sich die ersten drei Parameter aus Beobachtungen der Vergangenheit relativ objektiv ableiten und einschätzen lassen, ist der vierte Parameter (Potenzial) eine Spekulation auf die Zukunft und dadurch mit Unsicherheit behaftet. Typischerweise werden solche Prozesse des Talent Managements und der entsprechenden Förderung für den (jungen) Führungsnachwuchs genutzt. Gerade bei einer alternden Belegschaft ergeben sich aber durchaus neue Perspektiven, wenn Ältere nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Hierdurch kann ein Unternehmen zusätzlichen Spielraum gewinnen, wenn es darum geht, bestimmte Aspekte der Talentdefinition besonders zu berücksichtigen. In einer alternden Belegschaft kommt dem Prozess der Kompetenzmessung eine besondere Bedeutung zu. Kompetenzen müssen dabei in hohem Maße unternehmensrelevant formuliert sein. Nur so kann sichergestellt werden, dass die richtigen Verhaltensweisen, die zukünftigen Erfolg bedeuten, auch gemessen werden. Abbildung 101 gibt einen Überblick über wichtige Themenfelder (so genannte Kompetenzfelder), die typischerweise beim Kompetenzmanagement betrachtet werden. Dabei wird bewusst auf die häufig verwendeten Begriffe wie soziale Kompetenz, Führungskompetenz und fachliche Kompetenz verzichtet. Vielmehr wird hier ein Grundmodell beschrieben, das in den meisten Fällen bei entsprechender Anpassung an die Unternehmenswirklichkeit ausreicht, um sowohl Fach- als auch Führungskarrieren zu beschreiben. Letztlich kommt es aber immer wieder auf die spezifische Formulierung und Abstufung an, die für das Unternehmen passt, damit eine richtige Messung vorgenommen werden kann und die Prozedur nicht in Allgemeinplätzen mündet. Alle diese Felder sind natürlich vor allem auch für ältere Mitarbeiter von besonderer Relevanz. Spezielles Augenmerk gilt dabei den Aspekten „Umgang mit Veränderungen“ und „Kommunikationsfähigkeiten“, da diese oft als Schwachpunkte bei den Älteren gelten.
Prioritäre Handlungsfelder
151
Kompetenzfelder zur Mitarbeiterentwicklung Definition: Kompetenzen sind Fähigkeiten, Wissen und Verhaltensweisen, die eine Person die in einer Position erforderlichen Aufgaben erfolgreich bewältigen lässt. Kompetenzen müssen beobachtbar, messbar und entwickelbar sein. Kenntnisse
Beeinflussung von Ergebnissen
Lösung von Aufgaben
Arbeitsbeziehungen
Führung
Art und Komplexität des erforderlichen Wissens
Umgang mit Kunden
Planung von Arbeitsvorgängen
Kommunikationsfähigkeiten
Führung und Entwicklung von Mitarbeitern
Erwerb und Weitergabe von Wissen
Verständnis von geschäftlichen Zusammenhängen
Lösung von komplexen Aufgabenstellungen
Zusammenarbeit mit anderen
Umgang mit Veränderungen
Einsatz und Anwendung von Wissen
Umgang mit und Einsatz von Ressourcen
Umgang mit Entscheidungen
Fähigkeit der Einflussnahme
Delegation von Aufgaben
Abbildung 101: Typische Kompetenzfelder Bei der Messung der Kompetenz kommt es nicht so sehr darauf an, ob eine 3er, eine 5er oder sogar eine 7er Skala verwendet wird. Viel wichtiger ist, dass ehrlich und auf der Basis von beobachteten Verhaltensweisen beurteilt wird und Defizite ebenso wie Potenziale über das in der Position Erforderliche hinaus unterschieden werden. Hierzu sind verbindliche Maßstäbe ebenso notwendig wie eine klare Vorstellung der Führungskräfte, was in bestimmten Funktionen/bei bestimmten Aufgaben nötig ist und was nicht. Um die Kompetenzeinschätzungen wirklich valide zu gestalten, wird man in aller Regel nicht allein auf die Einschätzung der jeweiligen Führungskraft vertrauen, sondern auch andere relevante Quellen heranziehen (bis hin zum 360-Grad- oder Full-Circle-Feedback). Abbildung 102 illustriert den Prozess bis hin zum nächsten Entwicklungsschritt.
Mitarbeiter
Positionsanforderungen
Kunden
Kompetenzbeurteilungen
Führungskräfte
Potenzial und Entwicklungsbedarf
Neue Position/ Entwicklungsmaßnahmen
Kollegen
Abbildung 102: Rolle der Kompetenzeinschätzung bei der Personalentwicklung
152
Talent Management und Führungskultur
Mit Blick auf ältere Mitarbeiter ist es an dieser Stelle wichtig, dass sie in den Prozess einbezogen und mit betrachtet werden und damit die Chance erhalten, sich für weitere Aufgaben zu qualifizieren. Insbesondere bei obligatorischen Rotationsprogrammen ist es unerlässlich, dass die Beurteilungen konsequent für alle regelmäßig durchgeführt werden. Ansonsten werden Chancen und Entwicklungen dem Zufall überlassen. Entwickeln von Talenten Viele Unternehmen verfügen mit einem ausgeprägten Talent Management Prozess über gute Identifikationsinstrumente und nutzen diesen Prozess auch konsequent. Die Schwierigkeiten beginnen häufig, wenn es um die angemessenen Entwicklungsmaßnahmen geht. Allenthalben lässt sich indes feststellen, dass der Trend weggeht von formalen Entwicklungsprogrammen wie Seminaren oder externen Weiterbildungsveranstaltungen hin zu erfahrungsorientiertem Lernen im Job. Das informelle Lernen, also das Lernen außerhalb von Lehrgängen und Kursen, gewinnt zunehmend an Bedeutung. Für die Älteren ist es wichtig, sich aus den Lernprozessen nicht auszuklinken. Dies ist bisher in hohem Umfang geschehen, wie die Zahlen zur Weiterbildungsbeteiligung belegen. Die Teilnahme älterer Mitarbeiter an Entwicklungsmaßnahmen muss im Tandem erfolgen: Dem (altersadäquaten) Angebot des Unternehmens muss die Bereitschaft der (älteren) Mitarbeiter gegenüberstehen, dieses Angebot zu nutzen. Anderenfalls stellen sich die Älteren durch Passivität selbst ins Abseits. Einsetzen von Talenten Das Einsetzen von Mitarbeitern in neue Stellen/Funktionen im Sinne einer Karriere ist in vielen Unternehmen die Schwachstelle des Entwicklungsprozesses. Hier kommt es darauf an, sichtbar zu machen, wie sich Kompetenz, Erfahrung und gezeigte Leistung in Karriere umsetzen. Wenn dies nicht aus dem Prozess heraus über die Identifikationsinstrumente und Entwicklungsmaßnahmen nachvollziehbar kommuniziert werden kann, wird am Ende doch wieder Willkür bei der Entscheidung über Neubesetzungen einziehen. Konsequente Führung, Disziplin der Führungskräfte und Einhaltung der Prozesse sind Voraussetzung dafür. Dass dies nicht immer gelingt, zeigen Befragungen von Mitarbeitern in vielen Unternehmen. Ihnen zufolge ist nur ungefähr ein Viertel der Arbeitnehmer in Europa mit der Personalpolitik ihres Arbeitgebers zufrieden. Kern dieses Problems, das nicht nur die Älteren, aber insbesondere auch diese Gruppe betrifft, ist der Mangel an Karrieremöglichkeiten in zahlreichen Unternehmen. Führungspositionen sind besetzt, häufig mit relativ jungen Führungskräften. Auf Jahre hinaus ist der Weg nach oben blockiert. Viele Mitarbeiter sehen als einzige Alternative den Wechsel des Arbeitgebers, wodurch sie sich bessere Aufstiegs- und Entwicklungsmöglichkeiten versprechen. Auslöser dieser Entscheidung ist oft ein unrealistisches Verständnis von Karriere. Die Zeiten, in denen alle drei bis vier Jahre eine neue Karrierestufe erklommen werden konnte, sind vorbei. Viele Unternehmen kommen mit vier oder weniger Hierarchiestufen aus.
Prioritäre Handlungsfelder
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Auch in den größten Unternehmen gibt es oft nur noch vier bis fünf Führungsebenen unterhalb des Vorstands. Zwei Wege führen aus diesem Dilemma: Karriere geht in einer immer komplexeren Welt nicht nur nach oben, sondern auch in
die Breite. Um in einer komplexen Unternehmensstruktur die nächste Hierarchiestufe erklimmen zu können, müssen zunächst Aufgaben auf der gleichen Hierarchieebene in anderen Funktionen, Ländern oder Bereichen übernommen werden. Ansonsten sind neue Herausforderungen auf einer höheren Stufe mangels umfassender Erfahrungen schlichtweg nicht zu bewältigen. Karriere heißt nicht nur Management-, sondern auch Fachkarriere. Auf diese Weise
bewahren sich Unternehmen ihre besten Fachkräfte und lassen sie Karriere machen, ohne dass sie sie als schlechte Führungskräfte frustrieren (Abbildung 103). Damit wird vermieden, dass man einen guten Fachmann verliert und dafür eine schlechte Führungskraft gewinnt.
Managementkarriere Fachkarriere Fachleiter
M4
P6
M3 M2
Senior Experte P5 M1 Experte P4 Spezialist
Bereichsleiter Abteilungsleiter Gruppenleiter
Teamleiter
P3
Sachbearbeiter P2 Berufseinsteiger P1
Abbildung 103: Fach- und Führungskarriere – schematische Darstellung Voraussetzung für das Funktionieren von Fachkarrieren ist, dass sie auf den einzelnen Stufen die gleiche Anerkennung finden wie die entsprechenden Positionen in der Managementkarriere. Konkret heißt das, dass die Vergütungen und die Statussymbole vergleichbar sein müssen. Wenn es auf dem Niveau des Abteilungsleiters M3 einen Firmenwagen gibt, dann muss es einen solchen auch auf der Stufe Fachleiter P6 geben. Sonst verliert dieses Modell schnell an Glaubwürdigkeit. Titel alleine können die Wertigkeit der Funktionen nicht inhaltlich füllen.
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Talent Management und Führungskultur
Wichtig ist, dass die Karrierezweige durchlässig sind. Es muss für eine Führungskraft möglich sein, zurück in eine Fachposition zu gehen. Umgekehrt muss ein Experte (bei entsprechender Kompetenz) die Möglichkeit haben, Manager zu werden. In einem solchen Modell gibt es deutlich mehr Möglichkeiten, für andere sichtbar Karriere zu machen als in einer klassischen Führungsstruktur. Für ältere Mitarbeiter liegt hier eine große Chance. Beispielsweise kann eine 55-jährige Führungskraft eine vergleichbare Position in der Fachkarriere einnehmen, ohne dass mit dem Wechsel Statuseinbußen und Einkommensverluste verbunden sind. Dass der Einsatz von Mitarbeitern auf den richtigen Positionen aber nicht nur eine Frage der Einführung von systematischer Karriereplanung und Karrieremanagement ist, zeigt die betriebliche Praxis. Die Erfahrungen von Personalleitern bestätigen, dass gerade jüngere, hoffnungsvolle Nachwuchskräfte sehr schnell ihre grundsätzliche Bereitschaft bekunden, Positionen im In- und Ausland zu besetzen, die abseits des bisherigen lokalen Wirkungskreises liegen. Steht dann die Besetzung einer Stelle in Hamburg, Kaiserslautern, Atlanta oder Neu-Delhi konkret an, kommt allzu oft der Rückzieher. Persönliche Gründe werden dann angeführt: Haus gekauft, Familie gegründet, Kinder in der Schule und anderes mehr. Persönliche Einsatzbereitschaft hat unter Karrieregesichtspunkten also auch viel mit Mobilität zu tun. Die Unternehmen sind dabei meistens bereit, bei der Bewältigung auftretender Probleme Unterstützung zu gewähren í sei es durch Schulgeldzahlungen im Ausland, Umzugsunterstützung, Ausgleich von Unterschieden in den Lebenshaltungskosten und anderes mehr. Immer jedoch ist die Bereitschaft des Mitarbeiters erforderlich, mobil zu sein. Unternehmen haben deshalb in vielen Fällen Grundprinzipien aufgestellt, die zu einer Karriere erforderlich sind. Mobilität gehört in jedem Fall dazu. Ältere Mitarbeiter ab 55 Jahren tun sich oft leichter mit dem Thema Mobilität. Bei näherem Hinsehen erklärt sich dieses Phänomen: Die Kinder sind erwachsen, das Eigenheim ist (weitgehend) bezahlt, die mehr oder weniger steile Karriere liegt hinter einem und das berufliche Leben bewegt sich insgesamt in ruhigeren Bahnen. In einer solchen Situation kann ein Standortwechsel genau den Impuls bieten, der der persönlichen und beruflichen Entwicklung noch einmal eine interessante Wendung gibt. Die Herausforderung, sich im fortgeschrittenen Alter noch einmal einem kulturellen Wechsel auszusetzen, noch einmal in einer anderen Umgebung zu zeigen, was in einem steckt, wird von vielen Älteren als willkommene Wendung in einem ausklingenden Berufsleben begriffen. Dabei handelt es sich nicht nur um Führungskräfte, die sich in dieser Lebens- und Berufsphase neu orientieren wollen, sondern gerade auch um Fachkräfte, die als Spezialisten und Projektleiter in technischen Berufen diesen Schritt wagen. Binden und Motivieren von Talenten Dieser Aspekt des Talent Managements zieht sich wie ein roter Faden durch den gesamten Prozess hindurch. Er ist Voraussetzung und Ergebnis gleichermaßen. Wie die Untersuchungen zur Motivation gezeigt haben, ist ohne Entwicklung und ohne die Chance
Prioritäre Handlungsfelder
155
zum Lernen keine Motivation denkbar; umgekehrt brauchen Entwicklung und Weiterbildung auch Motivation. Wenn nur circa 11 Prozent der Arbeitnehmer in Europa von sich behaupten, dass sie wirklich gut motiviert sind und wenn nur circa 37 Prozent sagen, dass sie einen Arbeitgeberwechsel nicht in Erwägung ziehen, dann gibt es ein großes Potenzial zu heben, das in Richtung Produktivität und Verbesserung der Unternehmensergebnisse erhebliche Auswirkungen haben kann. Ganz zu schweigen davon, dass sich mit einer Verbesserung der Motivation auch die persönliche Lebensqualität der Mitarbeiter erhöht. Unterschiedliche Auffassungen existieren darüber, ob Führungskräfte überhaupt in der Lage sind, Mitarbeiter zu motivieren, oder ob Mitarbeiter sich nicht letztlich selbst motivieren müssen. Die zitierten Ergebnisse der Untersuchungen sprechen eine deutliche Sprache: Führungskräfte spielen eine erhebliche Rolle bei der Motivation oder Demotivation der Mitarbeiter. Unter den Top 10 Motivationstreibern taucht, unabhängig von der Altersgruppe, dreimal das Management als wichtiger Träger der Motivation auf. Mehrere andere Kriterien sind von den Führungskräften unmittelbar zu beeinflussen. Motivation ist Managementaufgabe. Führungskräfte haben erheblichen Einfluss darauf, ob sich ihre Mitarbeiter motivieren können, unter anderem auch einen Beitrag zur eigenen Entwicklung zu leisten. Das hat besonders für ältere Mitarbeiter Bedeutung. Für ältere Mitarbeiter hat die Bindung an ein Unternehmen einen anderen Charakter als für jüngere Mitarbeiter. Wie an anderer Stelle bereits erwähnt, nimmt die Wechselbereitschaft mit dem Lebensalter ab. Während sie bis etwa zum 40. Lebensjahr hoch ist, nimmt sie ab diesem Alter deutlich ab; ab 50 Jahren tendiert sie gegen null. Dies ist nicht verwunderlich, wenn man die Arbeitsmarktsituation betrachtet: Über 50-Jährige haben praktisch keine Chance, einen neuen Job zu finden. Ausnahmen gibt es allenfalls bei Top-Führungspositionen oder bei ausgesprochen seltenen Spezialistenaufgaben. Zudem spielt in diesem Alter das Thema Altersversorgung eine wichtige Rolle. Der Wechsel eines Arbeitsplatzes ist immer auch mit einem Verlust an Ansprüchen verbunden, der in einer neuen Stellung nur schwer ausgeglichen werden kann. Bindung ist in fortgeschrittenem Alter demzufolge nicht das Problem. Es ist die Motivation, die die Unternehmen vor Herausforderungen stellt. Dabei ist es weniger eine Frage der intrinsischen Motivation dieser Arbeitnehmergruppe, als vielmehr die Ausgrenzung und Resignation, die viele Ältere betrifft. Das Beispiel der Commerzbank zeigt allerdings auf eindrucksvolle Weise, dass dem rechtzeitig und nachhaltig vorgebeugt werden kann, indem Ältere ganz bewusst mit in die Überlegungen zu Weiterbildung, Karriere und Wissensbewahrung eingeschlossen werden. Wenn ungeachtet der Alterskohorten ein entscheidender Motivationsfaktor das Interesse des Managements an seinen Mitarbeitern ist und damit die persönliche Wertschätzung, dann sollte es letztlich nicht schwerfallen, dieses Führungsverhalten auch in Motivation gerade bei den Älteren umzumünzen und damit für Leistung auf allen Ebenen zu sorgen.
156
Talent Management und Führungskultur
Integraler Bestandteil des Talent Managements ist die Nachfolgeplanung oder das Nachfolgemanagement. Sie sind im besten Sinne Risikovorsorge auf Managementebene. Eigentlich sollte dies eine Selbstverständlichkeit sein, aber gerade in kleineren und mittleren Unternehmen wird hier immer noch viel dem Zufall überlassen. Nachfolgemanagement bedeutet, dass für das geplante oder ungeplante Ausscheiden von Führungskräften oder anderen Schlüsselkräften geeignete Nachfolger für die derzeitigen Stelleninhaber zur Verfügung stehen. Bewusst wird hier der Kreis deutlich weiter gefasst, als dies in den meisten Unternehmen geschieht. Es ist eben nicht nur ein Thema für Führungskräfte (obwohl dort in der Regel die größten Risiken liegen), sondern vor allem auch für qualifizierte Fachkräfte. Unter dem Aspekt der demographischen Entwicklung erhält diese Betrachtung ihre ganz eigene Bedeutung. Wenn bekannt ist, dass innerhalb der nächsten 5 bis 10 Jahre zahlreiche Fachkräfte in den Ruhestand treten und damit ein erhebliches Maß an erfolgskritischem Wissen das Unternehmen verlässt, gibt es prinzipiell zwei Möglichkeiten: Kopf in den Sand stecken und das Problem auf sich zukommen lassen, Vorausplanen und rechtzeitig dafür sorgen, dass potenzielle Nachfolger in die Fuß-
stapfen der Ausscheidenden treten können. Natürlich ist diese Alternative eigentlich keine. Kein Unternehmen kann es sich leisten, die absehbare Situation reaktionslos auf sich zukommen zu lassen. Die Frage ist jedoch, wie systematisch das Problem angepackt wird. Nachfolgemanagement basiert auf zwei Prinzipien, die in der folgenden Übersicht (Abbildung 104) beschrieben werden. Der Unterschied ist im Wesentlichen durch unterschiedliche Zielgruppen begründet. „Name-to-Box“
Talent Pools
Zielgruppe
Führungspositionen des oberen Managements
Andere Management- und Spezialistenpositionen
Beschreibung
Potenzielle Nachfolger werden namentlich identifiziert und auf die Position hin entwickelt
Eine Gruppe von potenziellen Kandidaten wird identifiziert, die sich prinzipiell und generell für Führungspositionen und/oder Spezialistenpositionen eignen
Abbildung 104: Grundtypen des Nachfolgemanagements Nachfolgemanagement kreist im Grunde immer um eine Frage: Wie lässt sich sicherstellen, dass das Unternehmen für die als kritisch identifizierten Positionen immer geeignete Kandidaten zur Verfügung hat, um beim Ausscheiden der derzeitigen Stelleninhaber den reibungslosen Fortgang der Geschäftsabläufe zu ermöglichen? Solche Ereignisse lassen sich planen, aber es gibt auch Situationen, in denen unmittelbar eine Nachfolge gesichert
Prioritäre Handlungsfelder
157
werden muss. Beide Situationen, die geplante und die ungeplante, müssen im Nachfolgemanagement abgebildet werden. Hierbei sind unter Umständen sehr unterschiedliche Typen von Nachfolgern gefragt. Auch sind der jeweilige Entwicklungsstand und der Grad des „Bereitseins“ für die Übernahme der Aufgaben sehr unterschiedlich. Für die Notfallsituation muss jemand bereitstehen, der oder die die Aufgabe kurzfristig und ohne große Vorbereitung übernehmen kann. Bei der geplanten Nachfolge ist eine längere Vorbereitungszeit möglich und sinnvoll (Abbildung 105). Beschreibung der Situation
Maßnahme
Nachfolge im Notfall
Kurzfristiger Ausfall eines Stelleninhabers durch Kündigung, Krankheit, Unfall oder Tod
Für diese Situation wird eine Liste von möglichen Kandidaten geführt, die kurzfristig die Aufgaben übernehmen können. Sie sind möglicherweise langfristig nicht die idealen Kandidaten, stellen aber eine gute Übergangslösung dar.
Geplante Nachfolge
Geplante Neubesetzung, weil der derzeitige Stelleninhaber in Rente geht oder der Vertrag ausläuft
Hierfür werden die Kandidaten über einen Identifizierungsprozess auf Eignung geprüft (Leistung und Potenzial) und durch entsprechende Entwicklungsmaßnahmen auf die Aufgabe vorbereitet. Eine geordnete Übergabe stellt den reibungslosen Übergang sicher.
Abbildung 105: Situationsbedingte Arten von Nachfolgern Die geplante Nachfolge ist die Idealsituation. Die geeigneten Kandidaten können sorgfältig identifiziert und vorbereitet werden, der Zeitpunkt der Übergabe ist bekannt, alle Beteiligten (die derzeitigen Stelleninhaber, die Kandidaten und die jeweiligen Führungskräfte) wissen Bescheid und kooperieren, um einen reibungslosen Übergang zu ermöglichen. Dies ist eine optimale Voraussetzung, um demographisch bedingte Veränderungen im Personalbestand zu managen. Nachfolgeplanung darf nicht unkritisch betrieben werden. Den gesamten Überlegungen ist ein Gedankengang vorzuschalten, der einen intensiven Analyse- und Planungsprozess erfordert. Darin einbezogen werden müssen die voraussichtliche Geschäfts- und Unternehmensentwicklung und die damit verbundenen Anforderungen an den Personalbestand. An anderer Stelle wurde bereits ansatzweise gezeigt, wie sich ein Unternehmen unter dem Aspekt „Veränderung der Alterstruktur insgesamt“ verhalten muss. Hier soll dies unter dem Aspekt Nachfolgemanagement konkretisiert werden. Nicht in jedem Fall und nicht um jeden Preis müssen immer Nachfolgebesetzungen vorgenommen werden. Dies würde dazu führen, dass Unternehmen unflexibel werden und sich nicht auf veränderte Anforderungen im Markt einstellen können. Neue Entwick-
158
Talent Management und Führungskultur
lungen in Märkten und neue Produkte führen zu veränderten Arbeitsprozessen mit neuen Anforderungen an Mitarbeiter und Führungskräfte und zu neuen Organisationsstrukturen. Dies ist ein Prozess, durch den in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts bis heute zahlreiche Unternehmen gegangen sind. Vielen Unternehmen, die diesen Weg gegangen sind, geht es heute deutlich besser í allerdings auf Kosten schmerzhafter Entlassungen und struktureller Anpassungen. Mit Blick auf die älteren Mitarbeiter und die geplante Nachfolge bei deren Ausscheiden ergeben sich folgende Überlegungen (Abbildung 106).
Fragen zur Nachfolgeplanung unter dem Aspekt der Demographie 1. 2. 3. 4.
5. 6. 7.
Wie wird sich das Geschäft in den nächsten fünf bis zehn Jahren voraussichtlich entwickeln (neue Märkte, Expansionspläne, neue Produkte, Marktentwicklungen etc.)? Welche Fähigkeiten und Fertigkeiten sind im Unternehmen erforderlich, um diesen Herausforderungen gerecht zu werden? Inwieweit und in welchen Altersgruppen sind diese erforderlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten bereits vorhanden oder entwickelbar? Wie ist die derzeitige Altersstruktur des Unternehmens, und wie wird sie sich in diesem Zeitraum unter Berücksichtigung der planbaren Fluktuation von Mitarbeitern vermutlich entwickeln? Inwieweit besitzen die älteren Mitarbeiter Wissen und Fertigkeiten, die für den Fortbestand und die Entwicklung des Unternehmens von Bedeutung sind? Wie kann sichergestellt werden, dass dieses Wissen und diese Fertigkeiten dem Unternehmen erhalten bleiben? In welche der folgenden drei Kategorien fallen die älteren Mitarbeiter, die voraussichtlich in den nächsten fünf bis zehn Jahren ausscheiden werden: a) Möglichst lange halten: besitzt für den Fortbestand des Geschäfts kritisches Wissen und wichtige Fertigkeiten. Hier ist eine langfristige Nachfolge sicherzustellen. b) Wissen übertragen: besitzt wichtiges Wissen und Fertigkeiten, die auf andere in einem überschaubaren Zeitraum übertragen werden müssen. Eine Nachfolge ist mittelfristig sicherzustellen. c) Wissen ist nicht kritisch: zu prüfen, inwieweit eine weitere Verwendung durch Weiterbildung möglich ist. Eine Nachfolge ist nicht erforderlich.
Abbildung 106: Fragen zur Nachfolgeplanung unter demographischen Aspekten Diesen Fragen liegt ein Gedanke zugrunde, der für viele desillusionierend wirken mag. Er ist aber für den Fortbestand des Unternehmens von sehr großer Bedeutung: Es kann nicht darum gehen, Ältere um jeden Preis weiterzubeschäftigen. Die Entscheidung für eine Weiterbeschäftigung und, im Anschluss daran, für eine mögliche Nachfolge kann immer nur dadurch begründet werden, inwieweit die Person (ungeachtet ihres Alters) weiterhin einen Beitrag zum Geschäftserfolg liefern kann oder nicht. Hier schließt sich der Kreis zu den Überlegungen hinsichtlich Weiterbildung: Die Bereitschaft zur Weiterbildung in jedem Alter eröffnet die Chance zu einer Beschäftigung auch im Alter, allerdings garantiert sie sie nicht.
Prioritäre Handlungsfelder
159
Ein weiterer Aspekt der Nachfolgeplanung kann gerade für Ältere interessant sein. Sicher werden ältere Mitarbeiter eher selten als geplante Nachfolger langfristig in Frage kommen. Allerdings kann sich in Notfallsituationen eine Perspektive ergeben. Ältere übernehmen in einer Übergangsphase noch einmal Verantwortung und schaffen so Raum für eine längerfristige Nachfolge. Der Prozess der Nachfolgeplanung ist mittlerweile in vielen Unternehmen einer der Kernprozesse des Personalmanagements geworden. Abbildung 107 beschreibt die wichtigsten Elemente dieses Prozesses.
Nachfrage: Organisationsstruktur Anforderungen des Business Nachfolgeplanung
Angebot: Mitarbeiter
Abgleich von Angebot und Nachfrage Entwicklung und Karriereplanung
Funktionale Anforderungen
Leistungsträger
Talente
Potenzialträger
Entscheidungsprozesse IT-Unterstützung
Abbildung 107: Elemente der Nachfolgeplanung (Quelle: Towers Perrin) Am Prozess der Nachfolgeplanung zeigen sich deutlich die Herausforderungen, die sich aus der demographischen Entwicklung ergeben. Nachfolgeplanung ist unter diesem Aspekt in zweierlei Hinsicht von Bedeutung: Zum einen muss die Organisation immer dafür sorgen, dass genügend Talente zur
Verfügung stehen, damit Positionen zu allen Zeiten adäquat besetzt werden können. Dies gilt sowohl mit als auch ohne Berücksichtigung demographischer Veränderungen. Zum anderen erschließen sich unter der demographischen Perspektive gleichsam
notgedrungen Ressourcen, an die in den letzten Jahren niemand dachte oder die vernachlässigt wurden. Talente und Potenzialträger waren immer nur jüngere Mitarbeiter. Die wenigsten dachten dabei an über 50-jährige Mitarbeiter. In Zukunft werden sich die Unternehmen stärker darauf einrichten müssen, diesen Mitarbeiterkreis mit in die Betrachtung einzuschließen.
160
Talent Management und Führungskultur
Analysen müssen aus den Anforderungen der Unternehmenssituation und -entwicklung heraus erfolgen. Die Verbindung zwischen Unternehmensstrategie und Personalplanung erhält hier ihre überragende Bedeutung. Dabei wird deutlich, dass Personalplanung langfristig ausgerichtet sein muss und keine administrative Übung sein darf, wenn sie als Basis für wichtige Zukunftsentscheidungen eines Unternehmens dienen soll. Nachfolgeplanung darf kein Zufallsprodukt sein. Das Talent Management ist dabei von zentraler Bedeutung. Das permanente Überprüfen vorhandener Kompetenzen und Potenziale bei Mitarbeitern í sei es für die nächsten sechs Monate oder aber die nächsten zwei bis fünf Jahre í wird damit zur Daueraufgabe. In größeren Unternehmen ist dies ohne entsprechende IT-Unterstützung nicht möglich. Die Dokumentation der Kompetenzen einzelner Mitarbeiter, der erfolgten und geplanten Entwicklungsmaßnahmen sowie der in Frage kommenden Aufgaben in absehbarer Zukunft muss nachvollziehbar und „auf Knopfdruck“ verfügbar sein. Nur so kann im Bedarfsfall der/die richtige Kandidat/in schnell identifiziert und eingesetzt werden.
Prioritäre Handlungsfelder
9.7
161
Gesamtvergütung und Demographie im Unternehmen
Einen Ansatz, sich diesem Thema programmatisch zu nähern, bietet das so genannte Total Rewards-Modell. An ihm wird deutlich, dass Bezahlung nicht alles ist, sondern sehr eng mit Unternehmenskultur, Umgang zwischen Führungskräften und Mitarbeitern, aber auch mit Motivation zu tun hat. Das Modell basiert auf dem Gedanken, dass sich die Gesamtvergütung von Mitarbeitern aus vier Komponenten zusammensetzt. Alle vier Komponenten haben ihre eigene Zielsetzung, Wirkung und materielle Ausrichtung. Sie können unmittelbar monetär (Gehalt), aufgeschoben monetär (Altersversorgung), aber auch immateriell sein, zum Beispiel Weiterbildung, Karriere, Arbeitsplatzgestaltung (Abbildung 108). Die Balance all dieser Elemente ist Ausdruck der Unternehmenskultur und damit auch der Attraktivität des Unternehmens am Arbeitsmarkt. Total Rewards hat in seiner speziellen Zusammensetzung Auswirkungen auf die Motivation der Mitarbeiter und damit auf den Erfolg des Unternehmens. Natürlich spielen in unterschiedlichen Lebensphasen unterschiedliche Aspekte des Total Rewards-Modells eine Rolle, insbesondere für die Motivation eines Mitarbeiters. Ein 30Jähriger wird mehr Wert auf Gehalt, variable und leistungsorientierte Vergütung sowie auf die Aussicht auf Weiterbildung und Karriere legen als ein 50-Jähriger, dessen Hauptinteresse eher auf Altersvorsorge, Gesundheitsvorsorge und Führungsverhalten gerichtet ist.
162
Gesamtvergütung und Demographie im Unternehmen
VERGÜTUNG
monetär
NEBENLEISTUNGEN
Grundvergütung
Altersvorsorge
Variable Vergütung
Gesundheitsvorsorge
Sonderzahlung
Risikovorsorge
Langfristvergütung
Firmenwagen
...
...
Performance
Feedback-Kultur
Management
Führungsverhalten
Personalentwicklung
Unternehmenswerte
Karriere
...
…
LERN- UND ENTWICKLUNGSMÖGLICHKEITEN
nicht monetär
ARBEITSUMFELD
Abbildung 108: Total Rewards-Modell (Quelle: Towers Perrin) Die Kunst liegt wie immer in der richtigen Balance aller Elemente. Interessanterweise bilden sich Unternehmenskulturen und Entwicklungsphasen in der Zusammensetzung des jeweiligen Total Rewards-Modells auf überzeugende Weise ab. Die jungen Unternehmen, die in der Zeit des Internet Booms Ende der 90er Jahre wie Pilze aus dem Boden schossen, hatten ein sehr homogenes Total Rewards-Modell. Es lebte vom Versprechen auf den Erfolg in der Zukunft: Wenn ihr bleibt und wir gemeinsam erfolgreich sind, werden wir alle reich, und zwar über Aktienoptionen (siehe Abbildung 109). Diese Rechnung ging in den wenigsten Fällen auf, die meisten Unternehmen verschwanden wieder, der Traum vom Reichtum war schnell ausgeträumt. Basis dieses Vergütungsmodells war eine homogene Alterstruktur mit einem Durchschnitt von circa 25 bis 28 Jahren, selten über 30 Jahre.
Niedrige Grundgehälter, die das „Überleben“ sichern Variable Vergütung, die bei Erfolg Einmalzahlungen sichern Hohe Langfristvergütung, die bei einem Börsengang Reichtum verspricht Keine Altersversorgung Minimale Risikoabsicherung (Unfallversicherung) Keine strukturierte Personalentwicklung, jeder sorgt selbst für seine Weiterbildung, um sein Know-how zu sichern Flexible (meist extrem lange) Arbeitszeiten Flache Hierarchien mit wenig Führung Direktes Feedback, offener und unkomplizierter Umgangston
Abbildung 109: Gesamtvergütungspaket eines Start-up-Unternehmens
Prioritäre Handlungsfelder
163
Ganz anders sieht das Vergütungspaket eines traditionellen Unternehmens aus, das im Markt gereift ist und eine Mitarbeiterstruktur hat, die deutlich diversifizierter ist, also in der Regel alle Altersgruppen umfasst. Das Durchschnittsalter liegt oft bei 35 bis 40 Jahren, in manchen Unternehmen sogar bei über 40. Das Total Rewards-Modell sieht hier völlig anders aus. Es hat mehr Struktur, schon allein wegen der Hierarchien, die eine Abstufung der Gehälter erforderlich machen. Die Vergütung ist insgesamt wesentlich weniger risikobetont als bei den jungen Unternehmen (Ausnahme bei den Führungskräften, dort allerdings auf hohem Niveau), die Altersversorgung spielt in den meisten Unternehmen eine wichtige Rolle, und eine strukturierte Personalentwicklung gewährleistet, dass die Belegschaft auf dem Stand des erforderlichen Wissens bleibt. Der Preis dafür sind eine zunehmend undurchlässige Hierarchie, oft schwierige und intransparente Führungsprozesse und eine abnehmende Identifikation der Arbeitnehmer mit ihrem Unternehmen, was zu einer sinkenden Motivation führt. Abbildung 110 beschreibt das Total Rewards-Modell eines traditionellen Unternehmens auf bewusst polemische Art. Tatsächlich finden sich Elemente dieser überspitzt formulierten Vergütungskomponenten in erstaunlich vielen Unternehmen.
Strukturierte Gehaltsgruppen (oft korreliert mit Alter) Variable Vergütung im AT-Bereich, die leistungsbezogen gestaltet ist, aber oft nicht die tatsächliche Leistung widerspiegelt Leistungsmanagement, das die Führungskräfte oft überfordert und zu intransparenten Feedbackprozessen führt Hohe Bedeutung der Altersversorgung, die aber unflexibel auf die modernen Herausforderungen reagiert und oft nicht verstanden wird Strukturierte Personalentwicklung, die ab 40 Jahren keine Weiterbildung mehr zulässt Karrieremodelle, die gute Spezialisten zu schlechten Führungskräften machen Führungskräfte, die ihren Mitarbeitern nicht sagen können, was sie richtig und was sie falsch machen Eine Führungskultur, in der sich Führungskräfte selbst administrieren müssen, weil die Systeme zu komplex werden Unternehmenswerte, die von Führungskräften nicht vorgelebt und deshalb von den Mitarbeitern nicht ernst genommen werden
Abbildung 110: Gesamtvergütung in einem traditionellen Unternehmen Die beiden unteren Quadranten des Total Rewards-Modells werden an anderer Stelle ausführlich behandelt (Personalentwicklung und Führungskultur). Dem Thema Altersvorsorge ist ebenfalls ein gesondertes Kapitel gewidmet. Daher soll im Folgenden das Hauptaugenmerk auf zwei Aspekte gelegt werden: Müssen Einkommen und Karriere immer nach oben gehen? Müssen ältere Arbeitnehmer wirklich teurer sein als jüngere?
164
Gesamtvergütung und Demographie im Unternehmen
Die normale Einkommensentwicklung eines Arbeitnehmers geht mit zunehmendem Alter und wachsender Erfahrung nach oben. Dies gilt als Selbstverständlichkeit und wird gemeinhin erwartet. Sollte der Fall eintreten, dass die Karriere einen Knick macht und das Gehalt sinkt, wird dies meistens als Versagen des Betroffenen ausgelegt oder mit gesundheitlichen Problemen entschuldigt. Die Steigerungserwartung wird damit begründet, dass der Mensch im Laufe seines Berufslebens immer wieder dazulernt, also auch immer anspruchsvollere Aufgaben erfüllen kann und damit das Anrecht auf eine höhere Bezahlung erwirbt. Dieses Bild entspricht durchaus der Realität in den Unternehmen. Zwar wird jedes Unternehmen zu Recht bestreiten, dass das Lebensalter ein bestimmender Faktor bei der Gehaltsfindung ist, es besteht allerdings ganz deutlich eine mittelbare Abhängigkeit. Sichtbar wird dies in der Auswertung von Gehaltsvergleichen, wie in den Abbildungen 111 und 112 dargestellt. Angestellte Alter unter 20 20 – 25 25 – 30 30 – 35 35 – 40 40 – 45 45 – 50 50 – 55 55 – 60 60 und mehr
Ø Bruttomonatsverdienst 1743 2121 2833 3519 3959 4132 4192 4254 4355 4665
Arbeiter Ø Abstand pro Jahr 4,3 % 6,7 % 4,8 % 2,5 % 0,9 % 0,3 % 0,3 % 0,5 % 1,4 %
Ø Bruttomonatsverdienst 1869 2164 2387 2527 2590 2582 2575 2602 2575 2542
Ø Abstand pro Jahr 3,2 % 2,1 % 1,2 % 0,5 % -0,1 % -0,1 % 0,2 % -0,2 % -0,3 %
Abbildung 111: Bezahlungsstruktur nach Altersgruppen (alte Bundesländer) (Quelle: Statistisches Bundesamt, 2004 (Basis ca. 10,8 Millionen Arbeitnehmer)) Angestellte Alter unter 20 20 – 25 25 – 30 30 – 35 35 – 40 40 – 45 45 – 50 50 – 55 55 – 60 60 und mehr
Ø Bruttomonatsverdienst 1452 1718 2292 2657 2766 2808 2817 2862 2856 3437
Arbeiter Ø Abstand pro Jahr 3,7 % 6,7 % 3,2 % 0,8 % 0,3 % 0,1 % 0,3 % 0,0 % 4,1 %
Ø Bruttomonatsverdienst 1401 1593 1777 1893 1928 1913 1895 1873 1814 1832
Ø Abstand pro Jahr 2,7 % 2,3 % 1,3 % 0,4 % -0,2 % -0,2 % -0,2 % -0,6 % 0,2 %
Abbildung 112: Bezahlungsstruktur nach Altersgruppen (neue Bundesländer) (Quelle: Statistisches Bundesamt, 2004 (Basis ca. 1,5 Millionen Arbeitnehmer))
Prioritäre Handlungsfelder
165
Auffallend ist an dieser Statistik, dass bis zum Alter 40 ein (allerdings sich abflachender) Anstieg zu verzeichnen ist, danach die Kurve deutlich flacher wird beziehungsweise bei den gewerblichen Arbeitnehmern sogar leicht abfällt. Auf den jeweiligen Karrierestufen ist, bezogen auf bestimmte Industrien, immer wieder auch in höheren Altersgruppen ein Anstieg der Gehälter zu verzeichnen. Deutlich wird dies in Branchenauswertungen von Towers Perrin, die jährlich in der IT-Industrie durchgeführt werden (Abbildung 113). Hier ist zu erkennen, dass auch jenseits des 50. Lebensjahres noch Einkommensanstiege zu verzeichnen sind, wenn die entsprechende Qualifikation vorhanden ist und eingesetzt werden kann. Dies deckt sich mit Beobachtungen, die man in ähnlicher Form auch in anderen Industrien machen kann. Ø-Gehälter in der IT-Industrie Spezialisten (A3/S3) Ø Alter Ø Gehalt Alter unter 35 36 – 45 46 – 55 55+
32,8 39,8 49,7 58,2
55.094 60.880 65.474 70.039
Abteilungsleiter (M3) Ø Alter Ø Gehalt Alter unter 35 36 – 45 46 – 55 55+
33,9 40,4 49,4 58,4
70.582 77.360 83.967 87.784
Ø Anstieg 1,5 % 0,8 % 0,8 % Ø Anstieg 1,5 % 0,9 % 0,5 %
Ø Gesamtvergütung 59.572 65.910 70.492 73.830 Ø Gesamtvergütung 77.381 87.452 95.266 97.143
Ø Anstieg p.a. 1,5 % 0,7 % 0,6 % Ø Anstieg p.a. 2,0 % 1,0 % 0,2 %
Abbildung 113: Durchschnittliche Gehälter in der IT-Industrie (Quelle: Towers Insite, 2004 (ca. 80 Unternehmen)) Insgesamt scheinen diese Beobachtungen die These zu stützen, dass ältere Arbeitnehmer grundsätzlich teurer sind als jüngere. Wenn ein Unternehmen in der Lage ist, ältere Mitarbeiter durch jüngere Mitarbeiter zu ersetzen, stellt sich die Frage, warum dies aus rein wirtschaftlichen Gründen nicht auch geschehen soll. Die Tatsache, dass in vielen Unternehmen Mitarbeiter in fortgeschrittenem Alter beschäftigt sind, bezeugt, dass diese Unternehmen auf die Qualifikation und Erfahrung der älteren Mitarbeiter nicht verzichten können und wollen. All diese Analysen beinhalten jedoch nur diejenigen, die tatsächlich in einem Arbeitsverhältnis stehen. Die letzten Jahre zeigen indessen, dass zahlreiche Unternehmen die staatlich aufgelegten Programme genutzt haben, um gerade ältere Mitarbeiter im Rahmen ihrer Restrukturierungen freizusetzen. Dies betraf und betrifft viele Arbeitnehmer, die gar nicht daran gedacht haben, aus dem Erwerbsleben auszuscheiden. Damit verbunden sind massive Einkommensverluste, die oft durch Abfindungen vordergründig ersetzt werden, aber bei näherer Betrachtung gar nicht ausreichen können, um die Verluste auszugleichen. Hinzu kommen durch fehlende Beitragsjahre in der gesetzlichen und betrieblichen Altersversorgung und die fehlende Basis der Privatvorsorge Verluste bei den Altersbezügen.
166
Gesamtvergütung und Demographie im Unternehmen
Abbildung 114 veranschaulicht, wie sich das Einkommen typischerweise im Laufe eines Arbeitslebens entwickelt í eine dauerhafte Beschäftigung während dieser Zeit vorausgesetzt. Dabei werden drei Typen von Arbeitnehmern betrachtet. Fall 1: Der „normale“ Arbeitnehmer Der gewerbliche oder kaufmännische Arbeitnehmer, der nach seiner Ausbildung mit circa 18 bis 20 Jahren in ein Beschäftigungsverhältnis eintritt, danach bis etwa zum Alter von 40 Jahren seine realen Einkommenszuwächse erzielt. Anschließend verläuft die Einkommenskurve flach, es werden keine realen Zuwächse mehr erzielt, bis im Alter von 63 (in Zukunft später) die Rentenversicherung und die betriebliche Altersversorgung etwa die Hälfte des vorherigen Aktiveneinkommens ausmachen. Dabei handelt es sich um eine Bruttobetrachtung; netto stellt sich die Altersversorgung nach einem vollen Arbeitsleben bei circa 55 bis 65 Prozent des Nettoaktiveneinkommens ein. Fall 2: Der Spezialist mit Karriere Der zweite Fall betrachtet den Arbeitnehmer, der nach einer Fachhochschul- oder Universitätsausbildung im Alter von 23 bis 26 Jahren in ein Unternehmen eintritt, eine Spezialistenkarriere macht und seine stärksten Einkommenssteigerungen ebenfalls bis zum Alter von 40 Jahren hat, danach aber wegen seines Expertenwissens und der entsprechenden Position im Unternehmen immer noch (allerdings niedrigere) reale Zuwächse genießt. In der Regel liegt das Einkommen dieser Experten oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung, deshalb fällt die gesetzliche Rente nach dem Erwerbsleben prozentual niedriger aus als im Fall 1. Häufig wird sie durch eine großzügigere betriebliche Altersversorgung ergänzt, so dass auch hier nach einem vollen Erwerbsleben circa 50 Prozent des letzten Bruttoeinkommens als Gesamtpension erreicht werden können. Auch hier lässt sich ein positiver Nettoeffekt errechnen; das verfügbare Einkommen wird letztlich ebenfalls bei circa 55 bis 65 Prozent liegen. Fall 3: Die Führungskraft Spätere Führungskräfte starten ihre Karriere nach einer Hochschulausbildung typischerweise als Spezialisten im Alter von 24 bis 28 Jahren und wechseln im Alter zwischen 30 und 40 Jahren ins Management. War die Einkommensentwicklung schon zu Beginn überdurchschnittlich, setzt sie sich zunächst in der Führungsfunktion beschleunigt fort und wird erst jenseits der 50 Jahre wieder flacher. Ganz überwiegend werden auch während der fortgeschrittenen Karriere immer noch reale Einkommenszuwächse erzielt, allerdings um den Preis des höheren Risikos einer variablen Vergütung. Diese muss Jahr für Jahr immer wieder neu verdient werden und wird zunehmend anhand von harten wirtschaftlichen Fakten ermittelt. Das Alterseinkommen der gesetzlichen Rentenversicherung spielt für die Manager eine nur untergeordnete Rolle. In der Regel ist die betriebliche Altersversorgung so ausgestattet, dass nach einem vollen Erwerbsleben circa 40 bis 50 Prozent des letzten Gehalts erzielt werden. Der Nettoeffekt lässt das Ganze noch etwas besser aussehen.
Prioritäre Handlungsfelder
167
Diese Fälle stellen natürlich Idealsituationen dar. Sie werden in Zukunft immer weniger anzutreffen sein. Glatte Berufs-/Karriereverläufe werden untypisch sein. Wird die bisher praktizierte Politik der Frühverrentung fortgesetzt (und vieles spricht leider dafür, obwohl die staatliche Subventionierung ausgesetzt werden wird), so ergeben sich ganz andere Szenarien als die in der Abbildung 114 aufgezeigten. Der durch diese Praxis hervorgerufene Effekt tritt an zwei Stellen auf und hat dramatische Folgen für die Betroffenen: Es tritt ein sofortiger Einkommensverlust auf. Er wird zwar meistens durch Abfin-
dungen gemildert und mag im Zusammenwirken mit der Arbeitslosenunterstützung akzeptabel erscheinen. In der Summe führt er jedoch in allen drei Fällen zu erheblichen Reduzierungen des Einkommens. Hinzu kommen die psychologischen Auswirkungen bei den Betroffenen, die nach wie vor motiviert und weiterhin leistungsfähig sind, denen die Unternehmen aber keine Chance geben, dies unter Beweis zu stellen. Es fehlen die Möglichkeiten, über die vergangene Berufstätigkeit hinaus die Alters-
versorgung weiter aufzubauen. Bei Erreichen der Altersgrenze folgt der nächste Schock, weil sowohl die gesetzliche als auch die betriebliche Versorgung deutlich hinter dem zurückbleiben, was sich der Einzelne erhofft und erwartet hat í etliche Beitragsjahre fehlen nämlich.
Einkommen Führungskräfte Experten Sachbearbeiter, Gewerbliche Rente mit 63
Alter 10
20
30
40
50
60
70
Abbildung 114: Typische Einkommensentwicklung bei Beschäftigung bis zur Pensionierung (Schematische Darstellung, nicht maßstabsgetreu)
168
Gesamtvergütung und Demographie im Unternehmen
Abbildung 115 zeigt, welches Ausmaß fehlende Beitragsjahre in beiden Versorgungswerken am Ende haben können. Die Zahlen sind illustrativ und geschätzt, entsprechen aber der durchschnittlichen Praxis. Insbesondere die Zahlen zur betrieblichen Versorgung sind wegen der sehr unterschiedlichen Praxis der Unternehmen nur als Näherungswerte zu verstehen. Insgesamt wird aber deutlich, dass durch diese beiden Komponenten viele Rentner vor dem Problem stehen, dass ihr Alterseinkommen deutlich unter ihrem aktiven Einkommen liegen wird. An späterer Stelle wird zu untersuchen sein, wie sich diese Situation auch durch Maßnahmen der Unternehmen verbessern lässt, ohne dass erhebliche Zusatzkosten entstehen. 3.000 € / M onat B etrieblic he G es am tR ente vers orgung
G ehalt B eitra g s jahre
G es etzlic he R ente
20
600
150
750
25%
25
750
188
938
31%
In % des G ehalts
30
900
225
1.125
38%
35
1.050
263
1.313
44%
40
1.200
300
1.500
50%
G ehalt B eitra g s jahre
G es etzlic he R ente
20
1.050
443
1.493
25%
25
1.313
553
1.866
31%
30
1.575
664
2.239
37%
35
1.838
774
2.612
44%
40
2.100
885
2.985
50%
G ehalt B eitra g s jahre
G es etzlic he R ente
20
1.050
1.883
2.933
24%
25
1.313
2.353
3.666
31%
30
1.575
2.824
4.399
37%
35
1.838
3.294
5.132
43%
40
2.100
3.765
5.865
49%
6.000 € / M onat B etrieblic he G es am tR ente vers orgung
12.000 € / M onat B etrieblic he G es am tR ente vers orgung
In % des G ehalts
In % des G ehalts
Abbildung 115: Geschätzte Altersversorgung bei unterschiedlichen Beitragsjahren (Quelle: eigene Berechnungen)
Prioritäre Handlungsfelder
169
Die entscheidende Frage stellt sich unter diesen Bedingungen an beide Seiten, Arbeitnehmer und Unternehmen: Arbeitnehmer erwarten, dass die Gehaltskurve immer nach oben weist. Sie laufen
damit Gefahr, dass sie irgendwann zu teuer werden für das, was sie tun. Die (theoretische) Alternative heißt dann: entweder immer anspruchsvollere Aufgaben übernehmen und möglicherweise der Zwang, in Führungspositionen zu wechseln í die nicht allen liegen í, oder aber das über Abfindungen „versüßte“ Ausscheiden aus dem Unternehmen. Unternehmen bieten ihren Mitarbeitern häufig nur dann eine Karriere, wenn sie in
Führungspositionen wechseln. Oft genug sind anschließend beide Seiten unzufrieden, weil nicht alle, die es versuchen, wirklich führen können. Damit verliert das Unternehmen einen guten Spezialisten und der Mitarbeiter Kompetenz. Am Ende scheiden diese Mitarbeiter entweder als frustrierte Spezialisten oder als gescheiterte Führungskräfte mit Abfindung aus. Wenn Ältere in Zukunft eine Chance im Unternehmen haben und nicht „aussortiert“ werden sollen, dürfen sie im Vergleich zu den Jüngeren nicht teurer sein. Im Ergebnis heißt dies, dass sich die Vergütung stärker als in der Vergangenheit an Leistung und Beitrag orientieren muss und nicht an Seniorität ausgerichtet sein darf. Jüngere wie Ältere können nicht mehr erwarten, dass ihr Gehalt Jahr für Jahr steigt, obwohl sie im Prinzip den gleichen Job machen. Das Erfahrungsprinzip wird dabei nicht außer Kraft gesetzt, muss sich aber im Einzelfall in einem höheren und qualitativ besseren Beitrag zum Erfolg niederschlagen. Zu diesem Ergebnis ist zum Beispiel auch die Commerzbank gekommen, die in einer breit angelegten Studie die Auswirkungen der Demographie auf die Personalarbeit der Bank untersucht hat. Hier wird festgestellt, dass sich das Unternehmen unter dem Personalkostenaspekt künftig immer stärker vom Senioritätsprinzip verabschieden und stattdessen Leistungsgerechtigkeit zum wesentlichen Maßstab der Vergütung machen muss í über alle Vergütungsgruppen hinweg. Das heißt, dass sich langfristig auch im Tarifbereich das Gehalt weniger an der Anzahl der Berufsjahre als vielmehr an der persönlichen Leistung orientieren muss. Wie kann die Lösung aussehen? Vier Prinzipien müssen Einzug in das Vergütungsmanagement der Unternehmen finden, und dies gilt gleichermaßen für große wie für kleine Firmen (Abbildung 116). Zwei Prinzipien gehen direkt in Richtung einer konsequent eingesetzten leistungs- und erfolgsorientierten Vergütung, die Alter als Kriterium nicht mehr kennt. Zwei andere Überlegungen zielen ab auf alternative Karrieremodelle und flexible Arbeitszeitmodelle.
170
Die Rolle der Altersversorgung
Vergütungsmanagement ohne Altersdiskriminierung 1. Budgets für Gehaltserhöhungen orientieren sich an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, individuelle Gehaltserhöhungen basieren auf gezeigter Kompetenz in der Aufgabenerfüllung. Überdurchschnittliche Erhöhungen können dann gewährt werden, wenn gestiegene Kompetenz auch zu besseren Leistungen führt. Das Alter darf dabei keine Rolle spielen. 2. Variable Vergütungen ergänzen das Gehalt und sind streng leistungsorientiert. Sie honorieren das Erreichen konkreter Ziele im Ablauf eines Jahres und erlauben eine leistungsorientierte Differenzierung, ohne dass Verdienste in den Vorjahren eine Rolle spielen dürfen. 3. Alternative Fach- und Führungskarrieren bieten insbesondere den älteren Mitarbeitern die Chance, ihre Erfahrung einzusetzen und in geachteten Positionen auf hohem Einkommensniveau ihren Beitrag zu leisten. Ein Wechsel von der Führungs- in die Fachkarriere bietet den Weg, das erreichte Einkommen zu halten und weiter verantwortungsvolle Funktionen zu bekleiden. 4. Freiwillige Einkommensreduzierungen aufgrund von Aufgaben, die geringer honoriert werden, oder aber aufgrund von Teilzeitvereinbarungen ermöglichen Älteren, im Unternehmen zu bleiben und Wissen und Erfahrungen weiter einzusetzen.
Abbildung 116: Vergütungsmanagement ohne Altersdiskriminierung
9.8
Die Rolle der Altersversorgung
Die betriebliche Altersversorgung ist zu einem wichtigen Baustein in der Altersvorsorge der Arbeitnehmer geworden. Im Folgenden wird untersucht, wie dieses inzwischen weit verbreitete Instrument nicht nur zur Vorsorge nach dem Ausscheiden eingesetzt werden kann. Es kann auch ganz bewusst eingesetzt werden, wenn es um die Beschäftigung Älterer geht. Allerdings muss dazu von einigen lieb gewordenen Gewohnheiten Abschied genommen werden, wobei dies gleichermaßen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer gilt. Die betriebliche Altersversorgung ist zumindest in den größeren Unternehmen zu einer Standardeinrichtung geworden. Jüngere Untersuchungen zeigen, dass 85 Prozent der Arbeitnehmer in Unternehmen mit mehr als 1 000 Beschäftigten Ansprüche erworben haben. Deutlich geringer ist die Verbreitung in kleineren Betrieben (Abbildung 117). Die Höhe der Versorgungszusagen ist sehr unterschiedlich, was angesichts der Größe der Unternehmen nicht verwunderlich ist. Die durchschnittliche Betriebsrente lag im Jahr 2003 bei 405 Euro im Monat, mit deutlichen Unterschieden zwischen Männern und Frauen (473 beziehungsweise 313 Euro) und Westdeutschland und Ostdeutschland (411 beziehungsweise 214 Euro).
Prioritäre Handlungsfelder
Betriebe mit Insgesamt 1–4 5–9 10 – 19 20 – 49 50 – 99 100 – 199 200 – 499 500 – 599 1.000 und mehr Mitarb.
171
Arbeitnehmer 2001 in % 37 14 19 20 21 25 34 44 60
Arbeitnehmer 2004 in % 46 21 25 31 35 39 43 56 68
Betriebsstätten 2001 in % 30 20 35 49 72 86 80 82 94
Betriebsstätten 2004 in % 41 28 50 68 83 90 91 94 98
80
85
98
100
Abbildung 117: Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung in der Privatwirtschaft nach Betriebsgröße (Stand: 30.6.2004) (Quelle: TNS Infratest Sozialforschung (2005)) Die betriebliche Altersversorgung hat inzwischen ihren Platz gefunden, auch wenn sie im Laufe der Jahrzehnte durch etliche Angriffe der Arbeitsgesetzgebung und Rechtsprechung zeitweise in Gefahr zu geraten schien. Spätestens mit Einführung der so genannten „Riester-Rente“ und des damit verbundenen Anspruchs der Arbeitnehmer auf eine betriebliche Altersversorgung hat sie wohl endgültig und flächendeckend Einzug gehalten. Gedacht war die betriebliche Altersversorgung immer als ergänzendes Element im Rahmen des Drei-Säulen-Konzepts. Arbeitnehmer sollen ihre Bezüge als Rentner aus drei Quellen beziehen: der gesetzlichen Rente, die paritätisch durch Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge
finanziert wird und die Grundversorgung bilden soll; der betrieblichen Versorgung, die ursprünglich in der Mehrheit ausschließlich durch
die Arbeitgeber finanziert wurde. Über die Riester-Rente wird sie jetzt auch teilweise arbeitnehmerfinanziert; der Eigenvorsorge, die eine individuelle Sparkomponente bildet und in der je nach
Leistungsfähigkeit und Risikoneigung Versicherungen, Aktien- und Rentenfonds und andere Modelle ihren Platz haben. In den letzten Jahren haben die zweite und dritte Säule dieses Konzepts an Bedeutung gewonnen. Aber für die Mehrzahl der Beschäftigten bildet die gesetzliche Versorgung heute und in absehbarer Zukunft die Basis des Alterseinkommens. Allerdings beginnt diese Basis zu bröckeln. Waren im Jahr 1980 noch 50,2 Prozent des letzten Bruttoeinkommens als gesetzliche Rente zu erwarten, sank dieser Prozentsatz bis zum Jahr 2000 auf 48,2 Prozent, und im Jahr 2010 sind nur noch 43,7 Prozent zu erwarten. Netto sieht die Betrachtung etwas günstiger aus, die Tendenz bleibt die gleiche.
172
Die Rolle der Altersversorgung
Im Ergebnis klafft die so genannte Versorgungslücke zwischen dem erreichten Lebensstandard und den Einkünften im Alter immer weiter auseinander. In Zukunft werden sich die Menschen in Deutschland bei der Sicherung ihrer Alterseinkünfte immer weniger auf die gesetzliche Rente verlassen können. Sie müssen immer mehr und immer früher dafür sorgen, dass sie diese über eigene Ersparnisse oder aber über die betriebliche Altersversorgung aufbessern. Für die Gruppe der Älteren (über 50-Jährige), aber nicht nur für sie, hat diese Entwicklung fatale Folgen. Der Traum vom Ruhestand bei nahezu gleichem Lebensstandard verflüchtigt sich. Dies gilt insbesondere, wenn wichtige Beitragsjahre in der gesetzlichen Rentenversicherung und der betrieblichen Altersversorgung fehlen. Im Ergebnis bedeutet dies, dass mit der steigenden Lebenserwartung die Menschen in unserem Lande gezwungen sein werden, länger zu arbeiten, um einen akzeptablen Lebensstandard zu halten. Ähnliche Beobachtungen lassen sich auch in anderen Ländern machen. In den USA gab es bis Mitte der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts einen Trend zu immer früheren Verrentungen, teils freiwillig, teils durch Unternehmen betrieben. Inzwischen wollen viele Arbeitnehmer länger arbeiten, weil die gesetzliche Altersversorgung zunehmend geringer ausfällt, die Krankenversicherung immer teurer wird und sich die Älteren heute jünger und motivierter fühlen als vor 20 Jahren. Moderne Pläne der betrieblichen Altersversorgung passen deutlich besser in diese veränderte demographische Landschaft als die traditionellen Pläne. Sie unterstützen nicht die Frühverrentung, weil sie nicht mehr einen bestimmten Prozentsatz des letzten Einkommens als Rente definieren, sondern in Form von Kapitalbausteinen Jahr für Jahr Mittel ansammeln, die im Rentenfall dann zur Auszahlung anstehen. Abbildung 118 hilft, die fundamentalen Unterschiede dieser Modelle zu verstehen. Klassisches Rentenmodell
Modernes Bausteinmodell
Zusage
Rente gleich X % vom letzten Gehalt multipliziert mit der Anzahl der Dienstjahre im Unternehmen (alternativ: feste Beträge pro Dienstjahr)
Alterskapital gleich Y % des Einkommens in einem Beschäftigungsjahr verzinst bis zum Zeitpunkt der Pensionierung
Leistung bei Erreichen der Altersgrenze
Lebenslange Rente laut Zusageformel aufgrund der erreichten Dienstzeit
Angesammeltes Kapital inklusive Zinsen gezahlt als Einmalbetrag, Rate über einen festgelegten Zeitraum oder als lebenslange Rente
Leistung bei vorzeitigem Bezug
Lebenslange Rente aufgrund der erreichten Dienstzeit, zusätzlich reduziert wegen der längeren Laufdauer
Angesammeltes Kapital ohne zusätzliche Abschläge
Abbildung 118: Vergleich von Modellen der betrieblichen Altersversorgung
Prioritäre Handlungsfelder
173
Die Schwächen des traditionellen Rentenmodells lagen in seiner fehlenden Flexibilität und problematischen Finanzierung. Bei Zusage war die Einkommensentwicklung nicht absehbar, bei steigenden Gehältern, insbesondere in inflationären Zeiten, stiegen die Finanzierungskosten ins Unkalkulierbare. Dies hat in den 80er und 90er Jahren des letzten Jahrhunderts zahlreiche Unternehmen dazu verleitet, ihre Versorgungswerke einzufrieren oder zu schließen. Viele Unternehmen gingen auch dazu über, Festbeträge zuzusagen, die aber im Laufe der Zeit an Wert verloren und immer unattraktiver wurden. Für die Arbeitnehmer waren Rentenzusagen dann gut, wenn sie tatsächlich das Rentenalter erreichten oder wenigstens im Alter von 60 oder 63 Jahren in den vorzeitigen Ruhestand gehen konnten. War die Kürzung wegen vorzeitigen Bezugs nicht zu hoch, konnte man sogar von einem Anreiz zum vorzeitigen Bezug sprechen í zumal auch die Sozialversicherungsrente nur minimal gekürzt wurde. Anders verhält es sich beim Bausteinmodell. Der Anspruch entspricht immer dem angesparten Kapital, weitere Beschäftigung bedeutet neue Bausteine und eine längere Verzinsung. Wer sich zum Ausscheiden entschließt und es sich leisten kann, wird die Leistung früher in Anspruch nehmen, andere können bleiben und erwerben zusätzliche Ansprüche. Wenn dieses Modell mit den immer häufiger auftretenden Arbeitszeitmodellen verbunden wird und vielleicht zusätzlich noch die Eigenvorsorge mit eingebracht wird, entsteht ein effektives Instrument, mit dem sich der gleitende Übergang in den Ruhestand auch bei insgesamt längeren Lebensarbeitszeiten gestalten lässt.
Alter
Gehalt
Einzahlbetrag
Angespartes Kapital
Auszahlungsbetrag
Gesamteinkommen
25
25.000
30
30.416
1.875
1.875
0
25.000
2.281
13.687
0
35
30.416
37.006
2.775
30.530
0
37.006
40
45.024
3.377
54.028
0
45.024
45
49.710
3.728
85.120
0
49.710
50
54.884
4.116
124.966
0
54.884
55
60.596
4.545
175.673
0
60.596
56
30.904
0
159.603
15.452
46.356
60
33.451
0
94.642
16.726
50.177
65
36.933
0
5.860
18.466
55.399
Abbildung 119: Entwicklung eines Arbeitszeitkontos (Aufbau und Auszahlung) Abbildung 119 verdeutlicht, welche Beträge über längere Zeiträume angespart werden können und wie sie bei einer reduzierten Arbeitszeit zur Aufstockung des Einkommens genutzt werden können. Die Annahmen zu diesem einfachen Modell: Einstieg mit Alter 25 bei einem Gehalt von 25 000 Euro p. a., Einzahlung eines Betrages von 7,5 Prozent des Bruttoeinkommens in ein Arbeitszeit-
konto, das jährlich mit 4 Prozent verzinst wird,
174
Die Rolle der Altersversorgung
jährliche Gehaltssteigerung von am Anfang 4 Prozent und ab 40 Jahren 2 Prozent p. a., ab Alter 55 Reduzierung der Arbeitszeit auf 50 Prozent und damit auch des Gehalts
auf die Hälfte, Aufstockung des Gehalts auf 75 Prozent des letzten Gehaltes aus dem Arbeitszeitkonto.
Wichtig ist bei der Gestaltung des Arbeitszeitkontos, dass nicht tatsächlich Zeit angespart wird – zum Beispiel aus nicht genommenen Überstunden, Urlaub usw. í, sondern diese Zeit in Geld umgewandelt wird. Andernfalls steht das Unternehmen vor dem Problem, dass Zeit, die vor 10 oder 15 Jahren angespart wurde, heute ganz anders zu bewerten ist. Über die Umrechnung von Zeit in Geld und durch die Verzinsung ist Zeit an allen Punkten der Karriere gleich viel wert. In diesem Sinne stimmt also das alte Sprichwort „Zeit ist Geld“. In einer Kombination von Arbeitszeitkonto, Bausteinmodell einer Altersversorgung und Eigenvorsorge lassen sich Szenarien erarbeiten, die es sowohl für das Unternehmen als auch für den älteren Mitarbeiter durchaus attraktiv erscheinen lassen, den Übergang in den Ruhestand flexibel zu gestalten. In einem solchen Modell geht die Flexibilität, anders als in der klassischen Altersversorgung, in zwei Richtungen. Zum einen kann es den vorzeitigen Ruhestand ermöglichen und finanzieren, zum anderen liefert es einen Anreiz zum Hinausschieben des Ruhestandes, wenn die übrigen Rahmenbedingungen stimmen. Wichtig ist für diese Modelle die adäquate Finanzierung. In der Vergangenheit sind die klassischen Rentenmodelle oft ausschließlich über Pensionsrückstellungen finanziert worden, die zwar einen Steuervorteil während der Anwartschaftszeit boten, aber ansonsten keinen Kapitalstock bildeten. Mit Einführung der Bausteinmodelle greift zunehmend auch eine echte Finanzierung dieser Zusagen Platz, um im Auszahlungsfall nicht in Liquiditätsprobleme zu geraten. Gerade vor dem Hintergrund der sich verschiebenden Altersstrukturen ist dieses Problem von den Finanzchefs der Unternehmen erkannt worden. Die betriebliche Altersversorgung kann also auf sehr individuelle Weise eine wichtige Rolle bei der flexiblen Gestaltung des Übergangs vom Berufsleben in den Ruhestand spielen. Moderne Konzepte als Bausteinmodelle in Verbindung mit Arbeitszeitmodellen, die während der aktiven Zeit eines Arbeitnehmers Kapital ansparen, das im Bedarfsfall entweder als Altersversorgung oder als Überbrückung in den Ruhestand verwendet werden kann, bilden eine ideale Ergänzung zu den knapper werdenden Mitteln der gesetzlichen Versorgung. Sie können damit auch einen Anreiz bilden, den Ruhestand hinauszuschieben. Hierdurch können Mitarbeiter im Unternehmen gehalten werden, die ansonsten mit ihrem Wissen und ihren Erfahrungen gehen würden. Allerdings können diese Modelle nur eine Langzeitwirkung haben. Sie sind nicht geeignet, sofortige Abhilfe eines Altersstrukturproblems zu leisten. Wenn sich auf der Basis der gegenwärtigen Struktur aber eine Altersproblematik in 15 oder 20 Jahren abzeichnet, kann bereits heute mit den beschriebenen Modellen Vorsorge getroffen werden.
Prioritäre Handlungsfelder
9.9
175
Wissensmanagement – das verlorene Wissen
Clint Eastwood hat vor einigen Jahren mit „Space Cowboys“ einen wunderbaren Film gedreht, in dem ein Team von Ex-Astronauten, das Anfang der 60er Jahre nicht zum Zuge kam, 35 Jahre später doch noch sein Erfolgserlebnis im Weltraum hatte, weil sich niemand von den jungen Ingenieuren mit der Technik eines alten russischen Satelliten auskannte. Das Wissen des Alters triumphiert über das Ungestüme der Jungen und alle sind am Ende zufrieden. Der Film hat dann noch ein paar komische, aber auch dramatische und tragische Wendungen (sonst wäre das Thema auch zu schnell abgehandelt und nicht ausreichend für einen Zwei-Stunden-Film). Aber die Botschaft ist eindeutig und für die Älteren durchaus befriedigend: Am Ende werden wir doch gebraucht! David DeLong hat in seinem Buch „Lost Knowledge“ eingehend und anhand einer Fülle von Beispielen beschrieben, wie sich das Phänomen Wissensverlust auf Unternehmen und Gesellschaften auswirken kann. Wissensverlust kann danach einem Unternehmen in fünf Bereichen erheblichen Schaden zufügen: Reduzierung der Innovationsfähigkeit, Verlust von Kernkompetenz, Einschränkung des Wachstumspotenzials, Verlust von Effizienz, Einbuße des Wettbewerbsvorsprungs.
Nun ist der Verlust von Wissen in einem Unternehmen nichts Neues. Er passiert täglich, wenn Mitarbeiter ein Unternehmen verlassen, Arbeitsergebnisse nicht dokumentiert werden, Kommunikation nicht ausreichend erfolgt. Neu ist, dass Wissen massiv aus den Werkstoren marschiert í und dies zum Teil noch mit Unterstützung von Unternehmensleitungen, Betriebsräten und Regierungen. Wissensmanagement (oder Knowledge Management, wie es inzwischen häufig heißt) ist nicht lediglich das Verwalten und Verfügbarmachen von dokumentierten Vorgängen. Kernprozesse des Wissensmanagement sind Wissenserwerb, Wissensidentifikation, Wissensentwicklung, Wissensbewahrung, Wissens(ver)teilung und Wissensnutzung (Probst et al., 1999). Wenn beispielsweise ein 60-jähriger Ingenieur mit 35 Jahren Erfahrung in der Ölförderung ausscheidet, ist die Bewahrung seines Wissens nicht dadurch geregelt, dass er alles, was er weiß, aufschreibt. Ein Großteil seines Wissens lässt sich eben nicht auf Papier festhalten, weil es sich nur in seinem Kopf abspielt. Erfahrung ist nicht durch das Lesen von Dokumenten zu ersetzen. Und Daten und Informationen sind nicht gleichbedeutend mit Wissen.
176
Wissensmanagement – das verlorene Wissen
Wissensmanagement wird damit zum Inhalt eines integrierten Führungsprozesses im Unternehmen, bei dem der Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens im Zentrum steht (Abbildung 120):
Motivation und Vergütung Entwicklung
Rekrutierung
Binden
Gesammeltes Wissen des Unternehmens
Ruhestand
Abbildung 120: Integration von Mitarbeiterführung und Wissensmanagement Wenn sich ein Unternehmen dazu entscheidet, dem drohenden Verlust von Arbeitskräften dadurch zu begegnen, dass ältere Mitarbeiter motiviert werden, länger im Unternehmen zu bleiben, stellt sich eine Reihe von Herausforderungen. Sie seien hier kurz erläutert: 1. Analyse des Pensionswerks: Werden Mitarbeiter ermutigt, das Unternehmen über einen vorgezogenen Ruhestand vorzeitig zu verlassen? Die meisten Pensionspläne sind inzwischen so gestaltet, dass sie beitragsorientiert sind und auf diese Weise auch älteren Mitarbeitern gestatten, zusätzliche Ansprüche anzusammeln. Im Führungskräftebereich ist es allerdings häufig immer noch so, dass leistungsorientierte Pläne mit nur mäßigen Abschlägen es Führungskräften attraktiv erscheinen lassen, vor dem 65. Lebensjahr auszuscheiden. Ziel einer Neugestaltung muss es in einem solchen Szenario sein, dass Mitarbeiter das normale Rentenalter erreichen, und zwar möglichst motiviert und produktiv. 2. Aktive Planung des Ruhestandes: Immer noch hegen viele Mitarbeiter Illusionen über die Höhe ihrer Altersversorgung. Die Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung kann aber nicht mehr sein als eine Grundversorgung. Sie muss ergänzt werden durch die betriebliche Altersversorgung und die individuelle Vorsorge. Viele Mitarbeiter, überraschenderweise auch zahlreiche Führungskräfte, sind mit dieser Analyse immer noch überfordert und überschätzen ihren Versorgungsgrad. Das Unternehmen kann hier durch Aufklärung, Kommunikation über die betrieblichen Leistungen und die vielfältigen Möglichkeiten der Eigenvorsorge unterstützen. Das Motto lautet: Je mehr Mitarbeiter über ihre eigene Versorgung (und die Versorgungslücke) wissen, desto weniger sind sie bereit, das Unternehmen vorzeitig zu verlassen.
Prioritäre Handlungsfelder
177
3. Flexible Gestaltung des Ruhestandes: Nichts spricht dagegen, den Mitarbeitern und Führungskräften, auf die ein Unternehmen auch im fortgeschrittenen Alter besonderen Wert legt, so genannte „Retention“-Programme anzubieten. Dabei handelt es sich um speziell ausgearbeitete Vergütungs- und/oder Altersversorgungsprogramme, die den Mitarbeitern einen gleitenden und nach ihren Vorstellungen gestalteten Übergang von der aktiven Arbeitszeit in den Ruhestand ermöglichen. Dies kann eine gesonderte zusätzliche Altersversorgung sein, der Wechsel in eine andere Aufgabe, die weniger stressreich, dafür jedoch schwerpunktmäßig mit der Weitergabe von Wissen verbunden ist, eine Teilzeitregelung, die mehr Zeit für die persönliche Lebensgestaltung lässt und anderes mehr. Wichtig ist hierbei nicht nur die Regelung selbst, sondern dass damit verbunden auch ein Wandel in der Arbeitskultur unterstützt wird: Alter hat Wert und das Unternehmen schätzt ihn. 4. Veränderte Einstellung der Mitarbeiter gegenüber dem Alter: Das Verhältnis zwischen jüngeren und älteren Mitarbeitern ist mitunter nicht unproblematisch. Jüngere sind häufig agiler und lassen eine gewisse Ungeduld gegenüber den Älteren durchscheinen. Die Älteren dagegen pochen auf ihren Erfahrungsvorsprung, der oft wiederum von den Jüngeren nicht akzeptiert und als altmodisch abgetan wird. Der Dialog in gemischten Teams oder in gemeinsamen Trainings hilft, diese Barriere zu überwinden und eine Unternehmenskultur zu etablieren, die Erfahrung und jugendliche Aktivität gleichermaßen würdigt und schätzt. Unter dem Wissensaspekt macht all dies nur Sinn, wenn es Wissen gibt, dessen Erhaltung Wert hat und das auf kommende Generationen übertragen werden muss, weil anders der Bestand des Unternehmens nicht gesichert werden kann. Drei Aspekte sind dabei wichtig: Etablierung eines Prozesses der permanenten Prüfung des erfolgskritischen Wissens
im Unternehmen. Dies kann sich je nach Marktsituation und Veränderung der Unternehmenslandschaft (zum Beispiel nach Zukäufen oder Verkäufen von Unternehmensteilen) ändern. Permanente Analyse, welches wichtige Wissen dem Risiko ausgesetzt ist verloren zu
gehen. Dies kann zur Identifizierung bestimmter kritischer Mitarbeitergruppen führen, aber auch zum Erkennen mangelhafter Prozesse der Dokumentation und unzureichender Trainings- und Personalentwicklungsmaßnahmen. Analyse des Zeitbedarfs für den Wissenstransfer. Gewisse Dinge können schneller
übergeben werden als andere, komplexe Zusammenhänge erfordern einen erheblichen Zeitaufwand. Wichtig ist hierbei nicht nur, wie viel Zeit benötigt wird, sondern auch, wie viel Zeit zur Verfügung steht. Daraus ergeben sich zwangsläufig Prioritäten, die beim Wissenstransfer beachtet werden müssen.
178
Gestaltung der Arbeit
9.10 Gestaltung der Arbeit Mit dem Lebensalter nimmt die Streuung der Leistungsfähigkeit zu. Ursächlich dafür sind zum einen Gesundheit und Fitness, zum anderen Ausbildung und Erfahrung. Beides wird entscheidend durch die Arbeitstätigkeit beeinflusst. Sie kann verschleißen und zur Voralterung führen, sie kann aber auch zur Erhaltung oder Steigerung von Fitness und geistiger Leistungsfähigkeit im Alter beitragen. Arbeitsbedingungen, die zu Fehlbeanspruchungen führen, beschleunigen den Alterungsprozess, gesundheitsfördernde und lernförderliche Arbeitsabläufe verzögern das Altern. Je gesundheitsgerechter die Arbeit gestaltet ist, desto leichter und länger kann ein Mitarbeiter seine Tätigkeit ausüben. Lern- und gesundheitsförderliche Arbeitsgestaltung ist alternsgerechte Arbeitsgestaltung! Den „Einheitsmenschen“ gibt es nicht. Dies gilt erst recht für den Alterungsprozess. Entsprechend wenig Normen gibt es, die altersbezogene Aussagen zu körperlichen Eigenschaften und zur Arbeitsgestaltung machen. Gleichwohl liegt der Arbeitsgestaltung implizit die Vorstellung eines fiktiven „Normalmenschen“ (Standardmitarbeiters) zugrunde, der männlich, 25 Jahre alt, gesund und voll leistungsfähig ist. Arbeitsgestaltung ist ganz überwiegend auf das Leistungsvermögen sowie auf das Denken und Handeln junger Mitarbeiter zugeschnitten. Die Spezifika und Probleme von Mitarbeitern, die älter als 40 Jahre sind, werden weitgehend ausgeblendet. Auch die Schutzvorschriften und Regelungen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes orientieren sich am Typus des jüngeren, leistungsfähigen, gesunden und dynamischen Arbeitnehmers. Wer diesem Typ nicht entspricht, gilt als leistungsgewandelt. Wenn aber weder der Standardmitarbeiter noch der alternde Mitarbeiter in den Betrieben existiert, kann es auch keine für sämtliche Mitarbeiter optimale Arbeitsgestaltung geben. Da sich Menschen darüber hinaus im Zeitverlauf verändern, ist auch eine zeitinvariante optimale Arbeitsgestaltung unmöglich. Die differenzielle Arbeitsgestaltung (gleichzeitiges Angebot verschiedener Arbeitsstrukturen) trägt interindividuellen Unterschieden Rechnung und die dynamischen Arbeitsgestaltung (Beachtung intraindividueller Differenzen über die Zeit) berücksichtigt persönliche Entwicklungs- und Veränderungsprozesse. Alternsgerechte Arbeitsgestaltung ist keine spezielle Arbeitsgestaltung. Sie ist Teil differenzieller und dynamischer Arbeitsgestaltung í unter besonderer Berücksichtigung der allgemeinen Grundsätze menschengerechter Arbeitsgestaltung. Eine so verstandene Arbeitsgestaltung verlangt zwingend die Beteiligung der Mitarbeiter an der Gestaltung ihrer Arbeitsinhalte und Arbeitsbedingungen. Die Gestaltung der Arbeitswelt muss so erfolgen, dass Gesundheitsbeeinträchtigungen verhindert werden und die Gesundheit soweit wie möglich gefördert wird. Gesundheit umfasst dabei mehr als Freisein von Krankheit; Fitness und Wohlbefinden gehören ebenso dazu wie Kompetenznutzung und -entwicklung.
Prioritäre Handlungsfelder
179
Alternsbedingte Veränderungen des Leistungsvermögens müssen angemessen berücksichtigt und Einschränkungen müssen nach Möglichkeit kompensiert werden. Alterskritische Arbeitsmerkmale (Abbildung 121) müssen identifiziert und durch technische oder organisatorische Maßnahmen verringert oder beseitigt werden. Mitunter wird dafür der unglückliche Begriff „gerontotechnische“ Arbeitsgestaltung verwendet.
Besondere Risikofaktoren für die Arbeitsfähigkeit älterer Arbeitnehmer
Physische Anforderungen
Arbeitsumgebung
Ŷ Ŷ Ŷ Ŷ Ŷ Ŷ
Ŷ Ŷ Ŷ Ŷ Ŷ Ŷ
statische Muskelarbeit/ Zwangshaltungen hoher Krafteinsatz kontinuierlich schwere Arbeit plötzliche Belastungsspitzen gebeugte und gedrehte Körperhaltung
Unfallrisiken übermäßige Hitze/Kälte unzureichende Beleuchtung, Blendung Gefahrstoffe übermäßiger Lärm Vibrationen
Arbeitsorganisation
Sensomotorik
Ŷ Ŷ Ŷ Ŷ Ŷ
Ŷ Ŷ Ŷ Ŷ
Zeitdruck/hohes Arbeitstempo geringe Möglichkeiten für Ruhepausen Schichtarbeit/Nachtarbeit fremdbestimmtes Arbeitstempo starre Taktbindung
Besondere Schwierigkeiten bereiten:
hohe feinmotorische Anforderungen doppelsinnige Anzeigevorrichtungen geringe Toleranzen feines Unterscheidungsvermögen
Ŷ ständige schwere Arbeit in heißer Umgebung Ŷ ständige schwere Arbeit nach festgesetztem Arbeitstempo Ŷ komplizierte Anzeigevorrichtungen, die in vorgegebenem Tempo abgelesen werden müssen
Abbildung 121: Alternskritische Arbeitsanforderungen (Quelle: nach Griew, 1966) Allgemein lässt sich sagen, dass die Arbeitsanforderungen mit zunehmendem Alter weniger schwer, dafür aber schwieriger werden sollten. Eine Nichtberücksichtigung altersabhängiger Veränderungen des Leistungsvermögens führt bei konstanten Arbeitsanforderungen in der ersten Hälfte des Erwerbslebens zu einer Unterforderung und danach zu einer Überforderung. Die Abbildungen 122 und 123 zeigen dies für physische Anforderungen. Die menschlichen Ressourcen verringern sich mit dem Alter und unterschreiten die Arbeitsanforderung bei starken körperlichen Belastungen erfahrungsgemäß ab Anfang 50 í bei steigenden Anforderungen entsprechend früher. Verhindert werden kann dies, indem die physischen Arbeitsanforderungen reduziert werden und das körperliche Leistungsvermögen der Mitarbeiter verbessert wird.
180
Gestaltung der Arbeit
100 % Physische Leistungsfähigkeit Reserve Kapazität 50 % Physische Arbeitsanforderung
0
20
30
40
50
60 Jahre
Abbildung 122: Beziehungen zwischen menschlichen Ressourcen und Arbeitsanforderung (I) (Quelle: nach Ilmarinen, 1999)
100 %
Physische Kapazität Reserve Kapazität
50 % Physische Arbeitsanforderung
0
20
30
40
50
60 Jahre
Abbildung 123: Beziehungen zwischen menschlichen Ressourcen und Arbeitsanforderung (II) (Quelle: nach Ilmarinen, 1999) Bei der gesundheitsgerechten (alternsgerechten) Arbeitsgestaltung müssen alle Komponenten einer Arbeitssituation berücksichtigt werden: arbeitende Person, Arbeitsmittel (zum Beispiel Signal- und Anzeigengestaltung, Stellteile), Arbeitsplatz (anthropometrische Maße), Arbeitsumgebung (zum Beispiel Lärm, Beleuchtung), Arbeitsaufgabe, Arbeitsorganisation, Arbeitszeit und die sich verändernden Wechselwirkungen zwischen Mitarbeitern und Arbeitsbedingungen. Gesundheitsgerechte Arbeitsgestaltung muss grundsätzlich sämtliche Mitarbeiter im Blick haben.
Prioritäre Handlungsfelder
181
Dem wird am ehesten mit einer projektiven Arbeitsgestaltung entsprochen, bei der gesundheitliche Aspekte bereits in der Planungsphase neuer Maschinen und Anlagen í noch besser schon bei der Produktentwicklung/-gestaltung í berücksichtigt werden. Soll ein solches Gestaltungsverfahren der Gesundheit und Fitness jüngerer und älterer Mitarbeiter dienen, darf es sich nicht an einem fiktiven „Normindividuum“ orientieren. Bei der Festlegung der Arbeitsanforderungen an künftigen Arbeitsplätzen muss die Struktur der Belegschaft und damit auch deren Altersaufbau berücksichtigt werden. Zur Analyse der Alterstauglichkeit von Arbeitsplätzen kann í neben den Gefährdungsbeurteilungen í ein spezielles Arbeitsplatzkataster eingesetzt werden. Dabei werden sämtliche Arbeitsplätze entsprechend ihren Anforderungen/Belastungen in drei Kategorien eingestuft: (1) alternsgerecht: Arbeiten bei Gesundheit bis zum 65. Lebensjahr möglich; (2) eingeschränkt alternsgerecht: ergonomische und/oder arbeitsorganisatorische Veränderungen notwendig; (3) nicht alternsgerecht: längerfristig drohen Fehlbeanspruchungen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen; Maßnahmen dringend erforderlich. Sind Maßnahmen zur Erreichung der Alternstauglichkeit notwendig, werden diese dokumentiert. Eine Arbeitsgestaltung, die altersabhängig unterschiedliche Arbeitsgeschwindigkeiten zulässt, trägt Leistungsveränderungen älterer Mitarbeiter Rechnung. Eine Fertigungslinie, die auf die Leistungsfähigkeit 25-Jähriger ausgerichtet ist, kann 48-Jährige überfordern. So hat zum Beispiel ein japanischer Automobilhersteller flexible Arbeitsbedingungen an den Fertigungslinien eingeführt, um unterschiedliche Arbeitsgeschwindigkeiten für verschiedene Altersgruppen zu ermöglichen. Dies ist nicht nur human, sondern auch wirtschaftlich: Die Produktivität erhöhte sich um 10 Prozent (Kumashiro, 1995). Bei einem anderen Automobilhersteller wurden Fertigungsbänder doppelt ausgelegt, um die Taktzeiten zu verringern. Durch Schwenkvorrichtungen, Hebevorrichtungen, Handhabungsautomaten, höhenverstellbare Skids und Mitfahrbänder können körperliche Belastungen deutlich reduziert werden í für junge und ältere Mitarbeiter. Mittels höhenverstellbarer Arbeitssitze können die Mitarbeiter bei der Fahrzeugmontage mit dem Sitz in die Karosse hineinfahren, beziehungsweise ein Kranarm hievt Mitarbeiter sitzend in die Karosse hinein. Waren Sitzarbeitsplätze früher in vielen Fertigungsbereichen verpönt, lautet heute die Forderung, sie, wo möglich, einzurichten (Steh-Sitzarbeitsplätze). Bei der anthropometrischen Arbeitsplatzgestaltung (Arbeitsplatzmaße) muss beachtet werden, dass sich die Körpermaße mit zunehmendem Alter verändern. Durch eine altersadäquate Gestaltung von Signalen und Anzeigen können die Wahrnehmung erleichtert, Überbelastungen der Verarbeitungskapazität vermieden und die Reaktion verbessert werden. Durch Outsourcing sind in vielen Unternehmen Arbeitsplätze verloren gegangen, die in besonderem Maße für ältere Mitarbeiter geeignet sind. Ein Beispiel dafür sind taktentkoppelte Vormontagearbeitsplätze in der Automobilindustrie. Hier ist sorgfältig zu prüfen, ob ein Insourcing solcher Arbeitsplätze unter wirtschaftlichen und qualitativen Aspekten sinnvoll ist.
182
Gestaltung der Arbeit
Bei den Arbeitsumgebungsfaktoren muss Beleuchtung, Lärm, Klima, Nässe und Vibrationen besondere Aufmerksamkeit gelten. So lässt beispielsweise zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr die Verträglichkeit von körperlicher Arbeit unter großer Hitzebelastung nach. Eine Verkürzung der persönlichen Wochenarbeitszeit aus dem Bestand des Langzeitkontos erlaubt älteren Mitarbeitern eine Anpassung an sich wandelnde Lebensbedingungen und Lebensentwürfe. Sie trägt der Tatsache Rechnung, dass ältere Mitarbeiter oftmals den Wunsch äußern, die Wochenarbeitszeit zu reduzieren. Die „Mobilarbeitszeit“ ermöglicht eine wöchentliche Arbeitszeitverkürzung mit der Garantie, jederzeit in Vollzeit zurückkehren zu können. Entweder erfolgt eine Entgeltreduzierung oder die Stunden werden im Rahmen einer Jahresarbeitszeitvereinbarung später nachgeholt. Dieses Modell bietet sich sowohl für ältere als auch für jüngere Mitarbeiter an. Die Mitarbeiter können die Arbeitszeitverkürzung zum Beispiel für die berufliche Weiterbildung nutzen, für die Familie oder einfach zur Regeneration í als eine sinnvolle Investition in gesundes Altern. Die Idee der demographischen Arbeitszeit fasziniert auf den ersten Blick: Jüngere Mitarbeiter (gesund und leistungsfähig) arbeiten länger und ältere Mitarbeiter (erschöpft, verausgabt) arbeiten weniger lange oder scheiden früher aus dem Arbeitsleben aus. Auf den zweiten Blick zeigt sich allerdings, dass dieses Konzept voraussetzt, dass die jüngeren Altersgruppen im Unternehmen ausreichend stark besetzt sind. Gerade daran mangelt es aber í erst recht in Zukunft. Darüber hinaus führt das Konzept zu weiter steigenden Belastungen bei den jüngeren Mitarbeitern. Überdies ist das Konzept nicht familienfreundlich. Es belastet diejenigen besonders, die sich in der Phase der Familiengründung und Kindererziehung befinden. Sinnvoller ist es, das Arbeitszeitvolumen individuell zu gestalten, indem man es nach dem Lebensalter staffelt. Nicht pauschal von 20 bis 65 Jahren 38 Stunden pro Woche arbeiten, sondern beispielsweise von 18 bis 30 Jahren 35 Stunden pro Woche, von 30 bis 42 Jahren 28 Stunden und von 55 bis 67 Jahren 42 Stunden pro Woche. Eine lebensphasenorientierte Arbeitszeit wird der Tatsache gerecht, dass es im Leben Phasen gibt, in denen mehrere wichtige Lebensgestaltungsanforderungen gleichzeitig auftreten und in denen die Belastbarkeit besonders gefordert ist. Zu diesen Altersabschnitten, in denen es gleichsam zu einer Verdichtung kommt („Rushhour des Lebens“), gehört insbesondere der Altersbereich von 20 bis 35 Jahren. Ausbildungsabschluss, Berufseinstieg, Familiengründung, Karriere, Kinder í vieles fällt hier zusammen. Eine zeitliche Dekomprimierung kann hier durch Arbeitszeitmodelle erreicht werden, die eine vorübergehende Reduzierung der (wöchentlichen) Arbeitszeit oder zeitlich begrenzte Freistellungen von der Arbeit erlauben. Die Zeit kann dann in späteren Jahren nachgearbeitet werden.
Prioritäre Handlungsfelder
183
Einige Unternehmen bieten älteren Mitarbeitern (ab 55 Jahren) eine flexible Arbeitszeitgestaltung in der Form, dass diese Mitarbeitergruppe die Möglichkeit hat, ohne Lohneinbußen pro Woche zwei Stunden weniger zu arbeiten. Die Arbeitszeitreduzierung kann auch in zusätzlichen Urlaub umgewandelt werden. Einer europäischen Studie (Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, 2001; Bosch/Wagner, 2002) zufolge wollen viele Arbeitnehmer ihre Arbeitszeit im Lauf des Erwerbslebens variieren (Arbeitszeitverkürzung, vorübergehende Teilzeitarbeit, Sabbatical). Rund die Hälfte der abhängig Beschäftigten will ihre Arbeitszeit verkürzen, wobei sich insbesondere Männer, die mehr als 40 Stunden arbeiten, eine Reduzierung der Arbeitszeit wünschen. Von den Befragten wird mehrheitlich eine Arbeitszeit zwischen 30 und 40 Wochenstunden bevorzugt. Für den Wunsch nach Arbeitszeitverkürzungen gibt es, wie Studien zeigen, altersabhängig unterschiedliche Gründe. Bei Älteren (50 bis 65 Jahre) steht die Reduzierung von Belastungen im Vordergrund, während die 18- bis 29-Jährigen Zeit für wichtiger halten als Geld. Bei der Gruppe der 30- bis 49-Jährigen spielen außerberufliche Verpflichtungen eine große Rolle. Mit dem Stafettenmodell wird eine Brücke zwischen älteren und jüngeren Mitarbeitern geschlagen. Nach diesem Modell verringert sich die wöchentliche Arbeitszeit der älteren Mitarbeiter stufenweise bis zum frühestmöglichen Renteneintritt (zum Beispiel von 28 über 24 auf 20 Stunden). Sie scheiden auf diese Weise gleitend aus dem Arbeitsleben aus í selbstverständlich bei reduziertem Bruttoeinkommen. Parallel dazu erhöht sich die Arbeitszeit jüngerer Mitarbeiter, die damit in den Arbeitsprozess hineinwachsen und die Stafette übernehmen. Das Zeit-Wertpapier-Modell bietet den Mitarbeitern die Möglichkeit, ihre Lebensarbeitszeit flexibel zu gestalten. Bei diesem Modell können die Mitarbeiter Zeitguthaben und finanzielle Mittel (zum Beispiel Bonuszahlungen) in einem speziellen Kapitalfonds anlegen. Die Anlage wird später in eine Zeitgutschrift für einen vorgezogenen Ruhestand umgewandelt. Auf diese Weise können die Mitarbeiter vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze aus dem Unternehmen ausscheiden. Neue Schichtmodelle (beispielsweise 5 Tage à 6 Stunden mit versetzten Schichten: 7:00 bis 13:00 Uhr / 14:00 bis 20:00 Uhr), die primär aus ökonomischen Gründen eingeführt werden, kommen zugleich altersbezogenen Vorstellungen entgegen. Die Nachtschicht entfällt und auch eine klassische Früh-Spätschicht gibt es nicht mehr, da es sich um zeitversetzte Normalschichten handelt. Auch eine Integration von Teilzeitarbeit in Schichtarbeit ist möglich í was von vielen älteren Mitarbeitern mit Gesundheitsproblemen gewünscht wird. Ein Wechsel in Normalschicht und die damit verbundene Suche nach Arbeitsplätzen werden dadurch vermieden. Ältere Mitarbeiter brauchen längere Erholungsphasen. Deshalb sind größere Erholungsblöcke zwischen den Schichten nötig.
184
Arbeitseinsatz und Arbeitsorganisation
Eine Belastungsanpassung durch die zeitliche Entzerrung („Entdichtung“) von Produktionsprozessen lässt sich durch verlängerte Takt- und veränderte Pausenzeiten erreichen. Die Anwesenheitszeit der Mitarbeiter wird dazu ausgeweitet. Geprüft werden sollte auch, ob Arbeitsumfänge von der Nachtschicht in die Tagschicht verlagert und Nachtdienste ausgedünnt werden können. Dies gilt insbesondere für Tätigkeiten, die alternskritische Merkmale aufweisen. Dies führt nicht nur zu arbeitswissenschaftlich besseren Schichtplänen, es hat auch Kostenvorteile (Wegfall von Zuschlägen). Zusätzliche, arbeitsplatznahe Kurzpausen für ältere Mitarbeiter (Dauer circa 5 Minuten) tragen zur Erhöhung der Arbeitsleistung, zur Aufrechterhaltung der Aufmerksamkeit, zur Verhinderung vorzeitiger Ermüdung und zur Vermeidung von Fehlern bei. Zudem bieten sie Zeit für kompensierende physische Übungen. Derartige Mikropausen sind besonders bei belastenden Tätigkeiten sinnvoll.
9.11 Arbeitseinsatz und Arbeitsorganisation Für den Personaleinsatz sollte die Leistungsfähigkeit und nicht das Lebensalter der Mitarbeiter das Kriterium sein. Dabei muss eine vorausschauende Problemvermeidung Vorrang haben vor nachträglicher Korrektur und Kompensation. Auf Arbeitsplätzen, die besondere Belastungen aufweisen, sollte die Verweildauer (Einsatzzeit) begrenzt werden. Die Begrenzung sollte auf der Basis arbeitswissenschaftlicher/arbeitsmedizinischer Empfehlungen erfolgen. Ältere Mitarbeiter sind häufig an belastenden Anlagen und Maschinen tätig, während anspruchsvollere und körperlich leichtere Tätigkeiten an modernen Anlagen eher von jüngeren Mitarbeitern ausgeführt werden. Um solche Segmentierungen zu verhindern oder aufzubrechen, sollte den Mitarbeitern die Möglichkeit zur regelmäßigen Job Rotation und zum horizontalen Tätigkeitswechsel geboten werden. Dies kann bis zu systematisch geplanten Mehrfachversetzungen bei frei werdenden Stellen reichen (so genannte Besetzungsketten). Damit werden Segmentierungen und Spezialisierungsfallen vermieden und zugleich Kompetenzen entwickelt. Voraussetzung dafür ist, dass entsprechende Arbeitsplätze im Betrieb vorhanden sind, sich Führungskräfte aus Abteilungsegoismus nicht gegen ältere oder leistungsgeminderte Mitarbeiter sperren und eine gegebenenfalls bestehende Entgeltsicherung, die das Leistungsvermögen eines Mitarbeiters übersteigt, nicht der aufnehmenden Kostenstelle belastet wird. Notwendig ist auch ein Umdenken bei den Mitarbeitern. Eine einmal erlangte Stelle, eine vor Jahren erstellte Stellenbeschreibung und eine bislang ausgeführte Tätigkeit sind nicht unbedingt zukunftstauglich. Die Orientierung muss frühzeitig an Berufs-/Tätigkeitsfeldern erfolgen, zum Beispiel an „Job Familien“. Auf diese Weise bestehen fachliche und persönliche Entwicklungsmöglichkeiten.
Prioritäre Handlungsfelder
185
Wo möglich und sinnvoll, sollte altersgemischte Gruppenarbeit eingeführt werden. Zwar lässt sich nicht eindeutig und allgemeingültig entscheiden, ob altershomogene oder altersheterogene Arbeitsgruppen vorzuziehen sind und wie das altersmäßige Mischverhältnis aussehen sollte í hier spielen die Art der Arbeit, erforderliche Qualifikationen und soziale Gruppenstrukturen eine wichtige Rolle í, die Erfahrungen sprechen jedoch dafür, dass altersgemischte Gruppen mehr Vorteile bieten. Allerdings gibt es auch empirische Belege dafür, dass í entgegen gängigen Erwartungen í altersgemischte Gruppen weniger produktiv sind als altershomogene Gruppen. Es werden im Schnitt mehr Fehler gemacht, die Qualität ist geringer, die Produktivität sinkt. Als mögliche Ursache dafür wird angeführt, dass Kommunikation/Interaktion und Kooperation in altersgemischten Gruppen nicht so funktionieren, wie man sich das vorstellt. Sollen im Rahmen altersgemischter Gruppenarbeit entlastende und qualifizierende Effekte durch systematisch geplanten Arbeitsplatzwechsel erreicht werden, müssen bestimmte Bedingungen erfüllt sein: Es muss vereinbarte Rotationsregeln geben; Qualifizierungszeiten müssen festgeschrieben sein; die schwersten Arbeiten müssen auf möglichst viele Schultern verteilt werden; in den Gruppenaufgaben muss ein Mindestanteil indirekter Tätigkeiten enthalten sein; die soziale Stabilität der Gruppe muss gefördert werden; bei der Standardisierung, die Prozesse einfacher und damit sicherer und stabiler machen soll, muss die Gruppenzusammensetzung (Alter, Leistungseinschränkungen) berücksichtigt und die betroffenen Mitarbeiter müssen einbezogen werden. Dass in einer Gruppe immer „alle alles machen“, ist allerdings eine Wunschvorstellung. Vor allem Mitarbeiter mit Leistungseinschränkungen, und das sind häufig Ältere, erschweren eine Job Rotation in der Gruppe. Nicht nur, dass sie bestimmte Arbeitsgänge nicht ausführen können, sie blockieren auch die belastungsärmeren Arbeitsgänge, die im Rahmen der Rotation als Belastungskompensation für alle Gruppenmitglieder eingeplant sind. Sinnvoll ist es, die Zahl von Mitarbeitern mit Leistungseinschränkungen pro Gruppe verbindlich zu beschränken (zum Beispiel in einer 12er-Gruppe maximal zwei Mitarbeiter mit Leistungseinschränkungen) oder der Gruppe einen Bonus (Gutschrift für Minderleistung) für überproportional viele ältere Gruppenmitglieder zu gewähren. (Altersgemischte) Gruppenarbeit verlangt von allen Beteiligten Veränderungs-, Umstellungs- und Lernbereitschaft. Sie stellt höhere Anforderungen an den einzelnen Mitarbeiter, in dem er mehrere Arbeitsgänge beherrschen und andersartige Aufgaben ausführen muss, größere Arbeitsumfänge zu erledigen sind sowie mehr Flexibilität beim Arbeitseinsatz und erhöhte Kooperations- und Lernbereitschaft gefordert werden. Das bereitet älteren Mitarbeitern insbesondere dann Schwierigkeiten, wenn solche Anforderungen im bisherigen Arbeitsleben keine Rolle spielten. Ältere Mitarbeiter neigen dann dazu, an bisherigen Abläufen festzuhalten, und stehen Neuerungen eher distanziert oder ablehnend gegenüber. Neben einer negativen Selbsteinschätzung älterer Mitarbeiter („ich schaffe das nicht“) kann eine Ausgrenzung auch durch die Einschätzung des Vorgesetzten (Jüngere sind geeigneter, Ältere sind nicht teamfähig) und durch soziale Prozesse in der Gruppe erfolgen (die Älteren werden isoliert, an den Rand der Gruppe oder völlig aus der Gruppe rausgedrängt).
186
Arbeitseinsatz und Arbeitsorganisation
Wenn auch Belastungen, Arbeitsinhalt, Freiheitsgrade bei der Arbeit und insbesondere die Arbeitsteilung in der Gruppe darüber entscheiden, ob Gruppenarbeit alternsgerecht ist, so gibt es doch Tätigkeiten, die für ältere Mitarbeiter nicht geeignet sind í auch nicht in Gruppenarbeit. Altersgemischte Gruppenarbeit ist nicht per se der Goldstandard. Tandem- und Patenmodelle bieten die Möglichkeit der gezielten Zusammenarbeit zwischen jüngeren und älteren, erfahrenen Mitarbeitern. Jüngere und Ältere sind zugleich Lehrende und Lernende. Ob ein solches Modell über längere Zeit funktioniert, hängt stark von der Art der Tätigkeit und von den sozialen Beziehungen ab (gleichberechtigte Partner oder Herr-Knecht-Verhältnis). Mit dem Konzept der „geteilten Berufsbiographie“ können einseitige Anforderungen verhindert, eine Weiterentwicklung von Qualifikationen ermöglicht und den Mitarbeitern eine berufliche Entwicklungsperspektive geboten werden. Dazu wird Mitarbeitern, die normalerweise ihr gesamtes Berufsleben mit einer vergleichsweise eng begrenzten Tätigkeit verbringen würden, nach mehrjähriger Tätigkeit die Möglichkeit zur Umschulung auf höherwertige Tätigkeiten angeboten. Nach erfolgreicher Umschulung können sich die Mitarbeiter im Rahmen einer Personal- und Stellenbörse dann auf höherwertige Stellen bewerben. Auf die Weiterentwicklung von Kompetenz zielen systematische, zeitlich befristete Versetzungen von Mitarbeitern in Bereiche außerhalb des eigenen Tätigkeitsfeldes. Dazu gehört auch, dass Mitarbeiter einen vorab definierten Anteil ihrer Arbeitszeit anderen Tätigkeiten widmen. Projekteinsätze sind Beispiele dafür. Pool- und Rotationsmodelle bieten die Möglichkeit, Mitarbeiter von besonderen tätigkeitsspezifischen Belastungen zu befreien, den Wissensaustausch zwischen Unternehmensbereichen zu fördern und gesundheitlichen Verschleiß bei (älteren) Mitarbeitern zu verhindern. Beispiele dafür sind der temporäre oder dauerhafte Wechsel vom Außen- in den Innendienst sowie die Rotation zwischen Fertigungs- und Servicebereichen. Weitere Instrumente, das Know-how älterer Mitarbeiter zu nutzen, sind der Einsatz als Ombudsmann und der Einsatz als interne Clearing-Stelle, die sich mit der Beantwortung besonders schwieriger Fragen beschäftigt. Bewährt hat sich, dass ältere Mitarbeiter Produkte fertigen, die besonders anspruchsvoll sind, viel Erfahrung und Sorgfalt erfordern und in geringer Stückzahl mit längeren Arbeitstakten (größeren Arbeitsinhalten) produziert werden. Dies kommt nicht nur den besonderen Stärken älterer Mitarbeiter entgegen, es wertet sie auch innerbetrieblich auf. Ältere Mitarbeiter í als Grenze gilt hier etwa das 40. Lebensjahr í sind eher für permanente Frühschichten als für Wechsel- oder Nachtschichten geeignet. Mitarbeiter ab 55 Jahren sollten nicht mehr in Nachtschicht eingesetzt werden. Kontinuierliche Nachtarbeit sollte Mitarbeitern ab 40/45 Jahren freigestellt werden. Mitarbeiter, die älter als 50 Jahre sind, sollten nicht mehr neu in (Nacht)Schichtarbeit hineingebracht werden. Zum Teil bestehen in der Wissenschaft Forderungen, dass ein Mitarbeiter höchstens 15 Jahre in einem Nachtarbeitsverhältnis tätig sein sollte. Ältere Mitarbeiter sollten möglichst nicht in 12-Stunden-Schichten arbeiten.
Prioritäre Handlungsfelder
187
Bei Mitarbeitern ab 55 Jahren sollte streng taktgebundene Arbeit und Arbeit mit häufigem hohen körperlichen Kraftaufwand vermieden werden. Da die Leistungsfähigkeit des Menschen nachts bei körperlichen Tätigkeiten stärker abnimmt als bei geistigen, sollten fehlerkritische und körperlich schwere Tätigkeiten möglichst tagsüber und nicht nachts ausgeführt werden. Ältere Mitarbeiter äußern oft den Wunsch nach Telearbeit. Die Chancen und Risiken individueller Telearbeit sind wiederholt beschrieben worden. Sinnvoller als individuelle Telearbeit können Telearbeitszentren in Wohnortnähe sein.
9.12 Gesundheitsschutz und Gesundheitsförderung Die Arbeits-/Leistungsfähigkeit kann mit zunehmendem Lebensalter sinken, sie kann jedoch auch ansteigen. Die Art und das Tempo des Alterungsprozesses verlaufen sehr unterschiedlich. Mit dem Alter nimmt die Individualität zu. Folglich steigt mit zunehmendem Alter auch die Variabilität von Vitalität und Leistungsfähigkeit.
Arbeitsfähigkeit, Arbeitsbewältigungsindex (ABI)
(ABI)
50 individuelle Gesundheitsförderung ergonomische Maßnahmen verbessertes Führungsverhalten
Sehr gut
45 gut
40
nur individuelle Gesundheitsförderung
mäßig
35 30 keine Maßnahmen
schlecht
25
20 45
50
55
60
Arbeitsfähigkeit in Abhängigkeit vom Alter bei unterschiedlichen betrieblichen Maßnahmen (nach Tuomi und Ilmarinen)
Abbildung 124: Arbeitsfähigkeit im Alter und ihre Beeinflussbarkeit
65
188
Gesundheitsschutz und Gesundheitsförderung
Untersuchungen zeigen, dass die Arbeitsfähigkeit mit dem Alter weniger stark abnimmt, wenn individuelle Gesundheitsförderung betrieben wird. Werden individuelle Gesundheitsförderung und betriebliche Maßnahmen kombiniert, steigt die Arbeitsfähigkeit im Alter sogar (Abbildung 124). Die Mehrzahl der Maßnahmen im Bereich des Gesundheitsschutzes und der Gesundheitsförderung richtet sich an sämtliche Mitarbeiter, unabhängig vom Lebensalter. Spezielle altersbezogene Programme haben ergänzenden Charakter. Prävention und Gesundheitsförderung müssen bereits in jungen Jahren beginnen, denn die Jungen von heute (zum Beispiel die Auszubildenden) sind die Alten von morgen. Der Gruppe der 30- bis 45-jährigen Mitarbeiter im Unternehmen muss besonderes Augenmerk gelten. Sie ist meistens die größte Mitarbeitergruppe, deren Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft es zu erhalten und zu fördern gilt í zumal diese Altersgruppe in Zukunft voraussichtlich nicht die Möglichkeit hat, Altersteilzeit und Frühverrentung in Anspruch zu nehmen, also länger arbeiten muss. In dieser Altersgruppe sind nicht nur die Arbeitsbelastungen besonders hoch, auch die Verausgabungsneigung der Mitarbeiter ist außerordentlich ausgeprägt und reicht bis zur Selbstüberforderung. Da ältere Kollegen oft als weniger leistungsfähig gelten und von jüngeren Kollegen zunehmend weniger Zuarbeit zu erwarten ist, konzentrieren sich die Leistungsanforderungen und Leistungserwartungen im Unternehmen auf die mittleren Jahrgänge. Dem steht eine geringe wahrgenommene Belohnung (Entgelt, Aufstiegschancen) für die geleistete Arbeit gegenüber, so dass es bei diesen Mitarbeitern nicht selten zu so genannten „Gratifikationskrisen“ kommt. Zudem zeigen alle Lebensphasenmodelle, dass es zwischen dem 35. und 45. Lebensjahr zu Krisen kommt (Selbstbild, berufliche Situation, Perspektiven). Je nach Lebensbilanz kann dies zu einer Lebenswende führen (zum Beispiel „Aussteigen“). Befragungen von Managern im Alter von 35 bis 42 Jahren lassen erkennen, dass viele von ihnen eine neue berufliche Herausforderung suchen, über Stagnation im Beruf klagen und unzufrieden mit Beruf und Gesundheitszustand sind. Dass Mitarbeiter im mittleren Alter die insgesamt höchsten Belastungen haben, zeigt sich unter anderem darin, dass sie bei Befragungen einen zu hohen Stellenwert der Arbeit beklagen, vermehrt Befindlichkeitsstörungen angeben und in diesem Alter gehäuft Herz-Kreislauferkrankungen auftreten. Zudem werden im Lebensabschnitt vom 30. bis zum 40. Lebensjahr gesundheitliche Beschwerden und Beeinträchtigungen vorproduziert, die ab circa Mitte Vierzig manifest werden. Beim Schutz der Gesundheit geht es nicht allein um die Verhinderung von so genannten „arbeitsbedingten Erkrankungen“. Die Verhinderung und Früherkennung allgemeiner Krankheiten í besonders von „Volks-/Zivilisationskrankheiten“ í gehören heute mehr denn je ebenso dazu. Beispiele für derartige Krankheiten sind Bluthochdruck, Diabetes, Depressionen, Rückenschmerzen, Gelenkerkrankungen, Herz-Kreislauferkrankungen und
Prioritäre Handlungsfelder
189
Verdauungskrankheiten. Sie werden infolge des demographischen Wandels weiter an Bedeutung gewinnen. Darüber hinaus muss die Pathogenese (Krankheitsverhinderung) verstärkt um die Salutogenese (Förderung von Gesundheitsressourcen) ergänzt werden. In der Praxis bewährt hat sich ein modulartig aufgebautes Gesundheitsmanagement (Abbildung 125). Mit ihm ist ein problem- und zielgruppenbezogenes Agieren möglich.
Grundmodule
Zusatzmodule
Mitarbeitereinsatz
Früherkennung
Gesundheitscoaching
Gestaltung der Arbeitswelt
Kurse/Seminare
Aufklärung/ Beratung
Integrationsmanagement
psychosoziale Betreuung
Gesundheitsberichterstattung
Mitarbeiterbeteiligung
Information/ Kommunikation
Medizinische Betreuung, Erste Hilfe
Abbildung 125: Gesundheitsmanagement im Unternehmen Beispiele für altersindifferente Gesundheitsschutz- und Gesundheitsförderungsmaßnahmen zeigt Abbildung 126. Betriebliche Erfahrungen zeigen, dass gesundheitsfördernde Maßnahmen und Programme in erster Linie von ohnehin Gesundheitsbewussten in Anspruch genommen werden. In einer Befragung (Gewis, 2006) sind 97 Prozent der Befragten der Meinung: „Je mehr der Arbeitgeber für die Gesundheit seiner Mitarbeiter tut, desto mehr sind diese bereit im Job leisten.“ Ihre Freizeit möchten die Arbeitnehmer aber nicht für solche Programme einbringen. Lediglich sieben Prozent sagen „Ja“ zu Gesundheitsangeboten außerhalb der Arbeitszeit. Bonussysteme sowie die Berücksichtigung der Teilnahme an gesundheitsfördernden Maßnahmen bei personellen Einzelmaßnahmen (zum Beispiel bei Beförderungen) können zur Erhöhung der Inanspruchnahme angebotener Maßnahmen und Programme beitragen.
190
Gesundheitsschutz und Gesundheitsförderung
Allgemeiner Gesundheits-Checkup Rückenschulen Sitz-, Hebe-, Tragetraining Entspannungstechniken Ausgleichsgymnastik Muskelaufbautraining Nikotinentwöhnung Früherkennungsprogramme (z.B. Krebs) Gesunde Ernährung (Ernährungsberatung, Essensangebote) Grippeschutzimpfung Stress-Management-Seminare Gesundheitscoaching Diabetes-Vorsorge Umfassende Beratung in gesundheitlichen Fragen Vermittlung von Gesundheitskompetenz
Abbildung 126: Gesundheitsschutz- und Gesundheitsförderungsmaßnahmen Eine spezielle Alterskomponente enthalten altersabhängige gesundheitliche Check-ups, Analysen von Leistungsfähigkeit und Vitalität, deren Durchführung an bestimmte
Lebensalter gebunden ist, Gesundheitscoaching für ältere Mitarbeiter, besondere Untersuchungsangebote, die ein bestimmtes Lebensalter voraussetzen, spezielle Sprechstunden für ältere Mitarbeiter, gesundheitsbezogene Informationsveranstaltungen für ältere Mitarbeiter, spezielle Präventions- und Gesundheitsförderungsprogramme für Auszubildende, Gesundheitstraining (zum Beispiel Gesundheitswochen) für ältere betriebliche Vorge-
setzte. Mit Health Risk Assessments, Gesundheitsscores (Abbildung 127) und allgemeinen Gesundheits-Check-ups (Abbildung 128) lassen sich individuelle Gesundheits- und Leistungsfähigkeitsprofile erstellen (Gesundheitszustand, Gesundheitsverhalten, Risikofaktoren). Auf dieser Grundlage lassen sich dann individuelle Gesundheitsmaßnahmen durchführen.
Prioritäre Handlungsfelder
191
Ziele:
Ŷ Verbesserung/Stabilisierung des Gesundheitsstandes Ŷ Förderung einer gesunden Lebensweise Ŷ Steigerung von Zufriedenheit, Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit Ŷ Vertrauensbildung zum Bereich Gesundheit Ŷ Erhöhung der Gesundheitsquote
Parameter, die in die Bewertung eingehen:
Ŷ Blutdruck Ŷ Stoffwechsel (Blutzucker, Cholesterin) Ŷ Gewicht Ŷ Rauchen Ŷ Alkohol Ŷ Stress Ŷ Ausdauersport Ŷ Impfschutz Ŷ Teilnahme an privaten Vorsorgeuntersuchungen
Ergebnisse/Maßnahmen:
Ŷ sofortige Information über die Gesamtpunktzahl Ŷ ärztliche Beratung zu den Parametern Ŷ schriftliche Information über das Ergebnis Ŷ Angebot von Gesundheitsförderungsmaßnahmen
Abbildung 127: Gesundheitsscore (Quelle: ThyssenKrupp Stahl AG)
Altersdifferenzierte Untersuchungsintervalle
Arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen
Reisemedizin
Prospektive Frühintegration
Check-up Grundmodul
GesundheitsCoachingangebote
Ŷ Ŷ Ŷ Ŷ Ŷ Ŷ Ŷ Ŷ
Befragung (Gesundheit, Befinden) Körperliche Untersuchung Hör- und Sehtest Muskuloskeletaler Funktionstest Lungenfunktionstest Ruhe-EKG Berechung des Herzinfarktrisikos Laborparameter
Integrierte Versorgung
Ŷ Persönliches Gesundheitsprofil, Gesundheitsplan Ŷ Beratung, Kurse, Seminare, Kuren
Abbildung 128: Allgemeiner Gesundheits-Check-up
192
Gesundheitsschutz und Gesundheitsförderung
Die Gesundheitsprofile müssen in Bezug gesetzt werden zu den Anforderungen am Arbeitsplatz, die im Vorfeld der Untersuchung zu erfassen und zu dokumentieren sind. Dabei müssen sowohl körperliche wie auch psychische und soziale Anforderungen berücksichtigt werden. Bei der „Gesundheitszeit“ bringen die Mitarbeiter und das Unternehmen jeweils einen Teil Arbeitszeit ein. Beispielsweise können pro Woche zwei Stunden für gesundheitliche Zwecke vorgesehen werden; eine Stunde geht zu Lasten der Mitarbeiter, eine Stunde zahlt das Unternehmen. Vom Unternehmen werden zudem Übungsräume und Trainer gestellt. In einem weiteren Schritt können die Mitarbeiter Entgeltbestandteile in Gesundheitspunkte umwandeln oder erhalten solche vom Unternehmen für besondere Leistungen. Diese Gesundheitspunkte können dann für gesundheitsbezogene Angebote (zum Beispiel Kuren) zu Sonderkonditionen verwendet werden.
Parameter
Die bereits erwähnte Vitalitätsmessung hat zum Ziel, den Funktionszustand eines Menschen anhand alternsabhängiger Messwerte ganzheitlich zu beschreiben. Dazu wird die körperliche, mentale, emotionale und soziale Leistungsfähigkeit erfasst. Mitunter werden mehr als 40 Parameter bestimmt (Abbildung 129). Das biologische Funktionsalter bezeichnet dabei das „vitale Alter“ eines Menschen. Zur Vitalitätsmessung existieren verschiedene Untersuchungsmethoden. Der „Age-Scan“ und der „Vitalitätsmessplatz“ gehören zu den bekanntesten.
1-2
Blutdruck
3
Pulse Performance Index
4-6
Herzfrequenzregulation
7-8
Hypoxiezeit und Vitalkapazität
10-11
Fehlernährung
19-21
psychomotorisches Tempo
22-23
Koordination
29-30
Konzentration
32-35
Intelligenzleistungen
36-37
Befindlichkeitsindizes
40
Stressanfälligkeit
41
sozialer Stress
42-43
intrapsychische Verhaltensweisen im mitmenschlichen Bereich
44-45
soziale Aktivitätsindizes
Aussagen der Parameter 1 - 9:
aktuelle körperliche Leistungsfähigkeit
10 - 11:
ernährungsphysiologische Situation
12 - 18:
Sinnesfunktionen, Gebisssystem
19 - 35:
aktuelle geistig-mentale Leistungsvoraussetzungen
36 - 45:
gefühlsmäßiger und sozialer Bereich
Funktionsalterindexbestimmung möglich.
Abbildung 129: Beispiel für einen Vitalitäts-Check (Vitalitätsdiagnostik)
Prioritäre Handlungsfelder
193
Zur Messung der Arbeitsfähigkeit ist von Ilmarinen der Work Ability Index (WAI, Arbeitsbewältigungsindex, Arbeitsfähigkeitsindex) entwickelt worden (Tuomi et al., 2001). Arbeitsfähigkeit ist dabei definiert als die Summe von Faktoren, die eine Person in einer bestimmten Situation in die Lage versetzen, eine gestellte Aufgabe erfolgreich zu bewältigen. Der WAI erfasst weder die Leistungsfähigkeit noch die Gesundheit der Mitarbeiter. Beim WAI handelt es sich um einen Fragebogen, der entweder vom Befragten selbst (Selbsteinschätzung) oder von einem Dritten (zum Beispiel Betriebsarzt) ausgefüllt wird. Er kann eingesetzt werden im Rahmen der gesundheitlichen Betreuung der Mitarbeiter, im Rahmen betrieblicher Querschnitts- und Längsschnittuntersuchungen, im wissenschaftlichen Bereich und zur Evaluierung von Präventions- und Gesundheitsförderungsmaßnahmen. Der Vorteil des WAI besteht in der schnellen und einfachen Einsetzbarkeit. Sein Nachteil liegt insbesondere darin, dass er ausschließlich subjektive Daten liefert. Seine alleinige Verwendung zur Beurteilung der Arbeitsfähigkeit ist nicht ausreichend. Er kann jedoch ein sinnvolles Hilfsmittel sein.
9.13 Integrationsmanagement Mit steigendem Alter nehmen Krankheiten, Funktionseinbußen und Leistungseinschränkungen zu. Überwiegend handelt es sich um Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparates, um Herz-Kreislaufkrankheiten und um psychische Erkrankungen. Mitarbeiter, die davon betroffen sind í ältere wie auch jüngere í sollen möglichst optimal in den Arbeitsprozess integriert werden. Und zwar so, dass sie eine sinnstiftende, befriedigende und zugleich wertschöpfende Tätigkeit ausführen. Instrumente, die dazu in der Praxis erfolgreich genutzt werden, sind eine umfassende arbeitsmedizinische Untersuchung und Beratung, das Erstellen eines individuellen Rehabilitationsplans (Abbildung 130), der frühzeitige Beginn des Eingliederungsprozesse, zum Beispiel bereits im Akut-
krankenhaus (Abbildung 131), eine enge Zusammenarbeit mit Rehabilitationseinrichtungen, Haus- und Fachärzten, die Einrichtung spezieller Units im Unternehmen für diese Mitarbeiter, in denen sie
besonders betreut werden, aber auch selbst aktiv etwas für ihre Gesundheit tun müssen, und wo sie sinnvoll in den Arbeitsprozess eingebunden sind.
194
Integrationsmanagement
Personaleinsatz Vorgesetzte
Krankenkasse Betriebsrat Schwerbehindertenvertretung
Rehabilitand
Sozialabteilung
Werkarzt
Externe medizinische Befunde
Individueller Rehabilitationsplan
Ŷ bisheriger Arbeitsplatz í vorhandener leidensgerechter Arbeitsplatz Ŷ stundenweise Wiedereingliederung í generelle Umsetzungsempfehlungen Ŷ Änderung der Arbeitsorganisation í umgestalteter Arbeitsplatz Ŷ Rehabilitations-Zentrum í Umschulung Ŷ noch nicht arbeitsfähig, individuelle Therapie í Rente
Abbildung 130: Prospektives Integrationsmanagement
Akutkrankenhaus Feststellung durch Klinikarzt: zu erwartende Beeinträchtigungen am Arbeitsplatz
Einverständnis des Mitarbeiters
Zentrum für klinikassoziierte Arbeitsmedizin Gespräch zwischen Mitarbeiter, Klinikarzt, Werkarzt
Arbeitsplatzbesichtigung
Personalservicecenter
administrative Abwicklung
Abbildung 131: Prospektives Integrationsmanagement: Beispiel klinikassoziierte Arbeitsmedizin
Arbeitsmedizinische Stellungnahme Leistungsadäquater Mitarbeitereinsatz
Prioritäre Handlungsfelder
195
Die betrieblichen Erfahrungen zeigen, dass mit einem prospektiven Integrationsmanagement der weit überwiegende Teil leistungsgewandelter und behinderter Mitarbeiter erfolgreich in den Arbeitsprozess reintegriert werden kann. Und nicht nur das: Es werden unter anderem durch sinkende Fehlzeiten auch erhebliche Kosteneinsparungen erzielt.
9.14 Besondere Schutzregelungen für ältere Mitarbeiter Ältere Mitarbeiter werden durch altersbezogene Regelungen besonders geschützt. Vor allem von Arbeitgeberseite, aber auch von verschiedenen Wissenschaftlern werden diese Schutzregelungen als Hindernis für die Beschäftigung älterer Mitarbeiter und als Ursache für deren Verdrängung aus dem Arbeitsleben betrachtet. Stichworte, die sich mit dieser Diskussion verbinden, sind alternsbedingter Produktivitätsrückgang, Senioritätsprinzip, Entkopplung von Entgelt und Leistungsfähigkeit und positive Diskriminierung. Dabei wird unter anderem auf Japan verwiesen, wo die Unternehmen aufgrund des Senioritätsprinzips ihre Belegschaften verjüngen und deshalb teure ältere Mitarbeiter möglichst schnell loswerden wollen í oder aber zu veränderten Bedingungen (Teilzeit, befristete Verträge) weiterbeschäftigen. Altersbezogene Schutzregelungen, die entweder direkter (unmittelbare Bindung an das Lebensalter) oder indirekter Art (Orientierung an der Betriebszugehörigkeitsdauer) sind, erstrecken sich im Wesentlichen auf sechs Regelungsbereiche: Arbeitsverhältnis/Kündigungsschutz, Entgelt (Höhe, Entgeltsicherung, Abfindungen), Arbeitszeit, Arbeitsorganisation/Arbeitsschutz, Qualifizierung/Weiterbildung, sonstige Regelungen.
Die tariflichen Regelungen zum Bestandsschutz des Arbeitsverhältnisses haben einen starken Altersbezug. Er drückt sich aus in verlängerten Kündigungsfristen und im Ausschluss der ordentlichen Kündigung beziehungsweise eine Kündigung ist nur noch aus wichtigem Grund möglich. Oft werden beim Kündigungsschutz Lebensalter und Betriebszugehörigkeit kombiniert, so dass vor allem Stammbelegschaften durch solche Schutzregelungen begünstigt werden. Altersbezogene Regelungen bei der tariflichen Entgeltgestaltung beziehen sich auf die Entgelthöhe, die Verdienstsicherung und auf Abfindungszahlungen.
196
Besondere Schutzregelungen für ältere Mitarbeiter
Direkte altersgebundene Entgeltstaffelungen (Lebensalter, Beschäftigungsjahre, Gruppenjahre) sind zwar in einigen Tarifverträgen festgeschrieben, insgesamt sind sie aber nicht sehr verbreitet. Und sie verlieren weiter an Bedeutung. Indirekt bestehen allerdings Beziehungen zwischen Lebensalter und Entlohnung í wie an anderer Stelle bereits ausgeführt wurde. Tarifliche Regelungen zur Verdienstsicherung sind weit verbreitet. Lebensalter und Betriebszugehörigkeit werden kombiniert, wenn es beispielsweise darum geht, das bisherige Verdienstniveau í dauerhaft oder nur für eine begrenzte Zeit í zu garantieren. Zu den Anlässen für Verdienstsicherungsregelungen gehören unter anderem Abgruppierungen infolge Rationalisierung, gesundheitsbedingte Leistungsminderungen, tätigkeitsbedingte Gesundheitsschäden und Wegfall von Schichtarbeit. Tarifliche Abfindungsregelungen sehen in der Regel eine nach Lebensalter und Betriebszugehörigkeitsdauer gestaffelte Zahlung von mehreren Monatsentgelten vor. Bei der Arbeitszeit existieren zwei Regelungstypen: Die Leistungen des Altersteilzeitgesetzes werden aufgestockt und/oder die Arbeitszeit ist altersgestaffelt. Bei Letzterem handelt es sich vor allem um altersabhängige Verkürzungen der Wochenarbeitszeit, altersgestaffelte Urlaubsansprüche, zusätzliche freie Tage für ältere Mitarbeiter und altersabhängige Langzeitkonten. Für den Bereich (alternsgerechte) Arbeitsorganisation und Arbeitsgestaltung gibt es insgesamt nur wenige tarifliche Regelungen. Die vorhandenen Regelungen erstrecken sich im Wesentlichen auf Arbeitsplatzwechselansprüche, Begrenzungen der Tätigkeitsdauer und arbeitsmedizinische Untersuchungen. Einen ausgeprägten Altersbezug enthalten tarifvertragliche Regelungen, die einen Anspruch begründen, ab einem bestimmten Lebensalter í und einer Mindestbetriebszugehörigkeit í aus gesundheitlichen Gründen auf einen anderen Arbeitsplatz versetzt zu werden. Hier zeigen die betrieblichen Erfahrungen, dass bei vielen Mitarbeitern weniger gesundheitliche Probleme als vielmehr der Wunsch nach einer angenehmeren Tätigkeit ausschlaggebend für den Versetzungswunsch sind. Qualifizierung und Weiterbildung für ältere Mitarbeiter sind tariflich selten geregelt. Wenn überhaupt, enthalten viele Tarifverträge nur allgemeine Hinweise auf ältere Mitarbeiter. Es finden sich nur wenige Regelungen, die eine Staffelung von Qualifizierungsmaßnahmen nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit und/oder dem Lebensalter beinhalten. Zu den sonstigen tariflichen Regelungen mit Bezug zum Lebensalter gehören insbesondere Jubiläumsregelungen (Prämie, Sonderurlaub) und der Zuschuss zum Krankengeld, der in Abhängigkeit von der Betriebszugehörigkeitsdauer gewährt wird. Insgesamt lässt sich feststellen, dass tarifliche Regelungen zum Kündigungsschutz den deutlich stärksten Altersbezug aufweisen. Aber auch Vereinbarungen zur Verdienstsicherung haben einen ausgeprägten Bezug zum Lebensalter.
Prioritäre Handlungsfelder
197
Pauschale Schutzregelungen für ältere Mitarbeiter, die Veränderungen der individuellen Leistungsfähigkeit und gesundheitliche Gegebenheiten unberücksichtigt lassen, bringen dem Einzelnen zwar Vorteile (Kündigungsschutz, Entgeltgarantie, Versetzungsanspruch), insgesamt reduzieren sie aber die Beschäftigungsaussichten Älterer. Die Forderung, die Löhne derjenigen älteren Arbeitnehmer zu senken, deren Leistungsfähigkeit nachlässt, unterstellt, dass Leistungsfähigkeit und Arbeitsproduktivität mit dem Alter zurückgehen und diese Reduzierung exakt zu quantifizieren ist. Ob und zu welchem Zeitpunkt bei älteren Arbeitnehmern ein Rückgang von Leistungsfähigkeit und Produktivität auftritt und in welchem Umfang dies geschieht, ist jedoch eine offene Frage. Pauschale Aussagen derart, dass das Leistungsmaximum von Arbeitern bei einem Alter von 37 Jahren liegt und Angestellte ihre Leistungsspitze im Alter von 45 Jahren erreichen (IWH, 2006), sind deshalb sehr fraglich. Zudem kommt es bei modernen arbeitsteiligen Arbeitsprozessen weniger auf die Arbeitsproduktivität des Einzelnen an, sondern auf die Produktivität einer gesamten Arbeitsgruppe. Isolierte Messungen individueller Leistungsfähigkeit sind hierbei wenig aussagefähig.
Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit erhalten und fördern
10.
199
Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit erhalten und fördern Fit in den Job Fit im Job Fit aus dem Job
Zur Sicherung der Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit, möglichst über das gesamte Arbeitsleben hinweg, muss nicht nur das Unternehmen einen Beitrag leisten, sondern auch jeder einzelne Mitarbeiter muss aktiv dazu beitragen. Nachhaltige Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit umfasst hierbei zwei Dimensionen: Aufbau, Erhaltung und Weiterentwicklung beschäftigungsrelevanter Kompetenzen
über das gesamte Berufsleben hinweg, Erhaltung und Förderung von Gesundheit und Fitness.
Einer Untersuchung der Bertelsmann Stiftung (2006) zufolge sind sich 94 Prozent der befragten Erwerbstätigen dessen bewusst, dass man selbst für die Sicherung und den Erhalt seiner Beschäftigungsfähigkeit verantwortlich ist. Jeweils rund drei Viertel der Befragten wären auf jeden Fall bereit, sich zur Sicherung beziehungsweise Stärkung der eigenen Beschäftigungsfähigkeit kontinuierlich weiterzubilden und mehr für die eigene körperliche und geistige Fitness zu tun. Aber auch der Vorgesetzte und die Unternehmensleitung werden in der Verantwortung gesehen. Vom Arbeitgeber wird zur Stärkung der Beschäftigungsfähigkeit und zur Förderung der beruflichen Weiterentwicklung vor allem Unterstützung in der Form erwartet, dass er über Weiterbildungsmöglichkeiten informiert, neue Herausforderungen und anspruchsvolle Aufgaben bietet und eine persönliche Beratung, insbesondere durch den Vorgesetzten, erfolgt.
10.1 Das Lernen hört nie auf Werde ich älter auch stets, Neues lerne ich doch! (Solon) Lebenslanges Lernen ist zu einer Zauberformel geworden, mit der fast alle Beschäftigungsprobleme gelöst und die Herausforderungen der Zukunft erfolgreich bewältigt werden können. Für andere dagegen ist die Idee des lebenslangen Lernens eine neue Utopie, mehr Wunsch als Realität (Baltes, 2001).
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Das Lernen hört nie auf
Die Expertenkommission „Finanzierung Lebenslangen Lernens“ definiert lebenslanges Lernen in ihrem Schlussbericht (2004) als die Gesamtheit allen formalen, nonformalen und informellen Lernens über den gesamten Lebenszyklus eines Menschen hinweg (Abbildung 132). Ob man besser von „lebensbegleitendem Lernen“ sprechen sollte (Frischkopf, 2004), sei dahingestellt. Formen des Lernens Formales Lernen
Nicht-formales Lernen
Allgemeine und berufliche Bildung im regulären Schulsystem, an Universitäten und Hochschulen
Alle Arten des Unterrichts, die nicht dem formalen Bildungssystem zuzurechnen sind.
anerkannte Abschlüsse
keine Zertifizierung
Informelles Lernen Formen des selbständigen Lernens aus Büchern, computergestützte Lernformen etc., die weder der formalen noch der nicht-formalen Bildung zuzurechnen sind. Begleiterscheinung des täglichen Lebens
Abbildung 132: Formen des Lernens Die deutschen Arbeitnehmer tun sich schwer mit dem lebenslangen Lernen. Einerseits ist lebenslanges Lernen als Zielvorstellung weitgehend akzeptiert und Weiterbildung hat ein sehr positives Image in der Bevölkerung (Chisholm et al., 2005). Die Bereitschaft zur ständigen Weiterbildung wird weithin bejaht und berufliche Weiterbildung gilt als Voraussetzung für beruflichen Erfolg (Berichtssystem Weiterbildung IX, 2005). Andererseits ist die Beteiligung an Weiterbildungsmaßnahmen relativ gering. Mit dem Begriff Weiterbildung wird indes recht Unterschiedliches bezeichnet. Vor allem unter den Begriff „informelle Weiterbildung“ wird eine Vielzahl unterschiedlicher Lernformen subsumiert, was eine korrekte statistische Erfassung erheblich erschwert. Auf jeden Fall hat informelles Lernen deutlich an Bedeutung gewonnen, während es bei der Teilnahme an formalisierter Weiterbildung eine rückläufige Tendenz gibt. Insbesondere für Ältere hat informelles Lernen eine größere Bedeutung als formales Lernen.
Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit erhalten und fördern
201
Das Konsortium Bildungsberichterstattung (2005) kommt zu einer recht pessimistischen Bewertung: Im Gegensatz zu der ungebrochenen öffentlichen Rhetorik über die Wichtigkeit lebenslangen Lernens steht die Tatsache, dass die Teilnahme an allgemeiner und beruflicher Weiterbildung seit 1997 rückläufig ist, und zwar bei allen Qualifikationsgruppen. Eine europaweite Studie kommt zu dem Ergebnis: Tendenziell ist der typische Nichtteilnehmer (an Bildungsmaßnahmen) älter, hat einen niedrigen Bildungsstand und ist weiblich (Chisholm et al., 2005). Die Auffassung, dass die Erstausbildung für das gesamte Leben reicht, ist bei vielen Arbeitnehmern nach wir vor vorhanden. Dementsprechend wird Wissen nicht regelmäßig aufgefrischt und erweitert. Die Vorstellung, Weiterbildung sei (zu) anstrengend, lässt viele Arbeitnehmer vor der Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen zurückschrecken. Aber auch die Überzeugung, man habe auch ohne Weiterbildung gute Chancen im Beruf, ist noch immer verbreitet. Und Arbeitnehmer ab 50/55 Jahren sind häufig der Meinung, dass sich Weiterbildung in ihrem Alter nicht mehr lohne. So besteht zum Beispiel ein klarer Zusammenhang zwischen dem Lebensalter und der wahrgenommenen Nützlichkeit von ITK-Kompetenzen. Je jünger die Befragten, desto positiver die Beurteilung (Chisholm et al., 2005). Auch die Beherrschung von Fremdsprachen wird von Älteren seltener als sehr nützliche Fähigkeit betrachtet. Und schließlich schätzen Ältere (über 55 Jahre) auch die Nützlichkeit naturwissenschaftlicher/technischer Kompetenzen gering ein. Allerdings spielt bei all diesen Bewertungen auch der Bildungsstand eine wichtige Rolle. Für diese Gruppen wären maßgeschneiderte Beratungs- und Unterstützungsangebote sowie die Förderung des Selbstvertrauens besonders wichtig. Als Hauptgrund für die Nichtteilnahme an Weiterbildung wird sowohl von jüngeren wie auch von älteren Arbeitnehmern Zeitmangel genannt, zum Beispiel aufgrund familiärer Verpflichtungen. Flexible Arbeitszeiten, individuell angepasste Bildungsgänge und persönliche Lernmethoden könnten zur Überwindung von Barrieren beitragen. Die mangelhafte Qualität vieler Weiterbildungsangebote, die mit dem Lebensalter zunehmende arbeitsrechtliche Sicherheit í die Sicherheit des Arbeitsplatzes steigt mit dem Lebensalter, so dass Investitionen in die eigenen Fertigkeiten nicht so notwendig erscheinen – und die Erwartung, dass selbstverständlich der Staat und/oder der Arbeitgeber die Kosten für Weiterbildung tragen, haben sicherlich nicht zu einer Förderung der individuellen Weiterbildungsbereitschaft beigetragen. In einer europaweiten Befragung (Chisholm et al., 2005) gab nur die Hälfte der Befragten an, sie sei bereit, einen Teil der Kosten für eine Bildungsmaßnahme zu tragen. Das Bildungssystem, das stark auf jüngere Menschen zugeschnitten ist, muss sich stärker für Ältere öffnen und entsprechende Bildungsangebote vorhalten. Beispiele hierfür sind Weiterbildungsangebote für berufstätige und arbeitslose Ältere an Universitäten, Fachschulen und Berufsschulen. Flankiert und unterstützt werden kann dies durch materielle Anreize, die von staatlichen Stellen oder vom Arbeitgeber bei Nachweis regelmäßiger Weiterbildung gewährt werden.
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Das Lernen hört nie auf
Von der Expertenkommission „Finanzierung Lebenslangen Lernens“ (2004) sind verschiedene Vorschläge formuliert worden, wie lebenslanges Lernen gefördert werden kann. Damit würde auch das Prinzip des altersdifferenzierten Lebensverlaufs überwunden. Der traditionelle Lebensablauf „Ausbildung í Erwerbstätigkeit í Familie í Ruhestand/Freizeit“ ist überholt. Er muss durch einen altersintegrierten ersetzt werden, bei dem Dinge parallel ablaufen. An die Stelle eines Nacheinanders muss ein stärkeres und variables Miteinander treten. Eine DIHK-Unternehmensbefragung (2005) zeigt, dass Unternehmen bereit sind, stärker in die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter zu investieren, wenn diese Urlaub und Freizeit einbringen und wenn sich die Weiterbildung für die Unternehmen in angemessener Zeit rechnet. Die Befragung macht auch deutlich, dass die Unternehmen von ihren Mitarbeitern mehr erwarten als nur Fachwissen. Dieses wird als selbstverständlich vorausgesetzt, hat aber nicht mehr die höchste Priorität. Den höchsten Stellenwert hat Lernbereitschaft (Leistungswille, Innovationsstärke), gefolgt von den Tugenden Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit und sozialer Kompetenz.
Die Halbwertzeit des Wissens nimmt ständig ab. Lernen auf Vorrat lohnt sich nicht; man muss sich kurzfristig die nötigen „Skill-Pakete“ aneignen. Der größte Teil des genutzten Allgemeinwissens hält ein ganzes Leben, ebenso die Sozialkompetenz. Berufliches Basiswissen hat oft lange Halbwertzeiten. Berufliches Spezialwissen hingegen erneuert sich zunehmend schneller. Man muss mehrfach im Leben den Beruf wechseln. Gilt nur, wenn Berufe eng geschnitten sind. Breite Basisberufe (Berufsbilder) ermöglichen, den Wandel mit Weiterbildung zu bewältigen. Die Beschäftigungsverhältnisse werden instabiler. Die durchschnittliche Betriebszugehörigkeit ist gestiegen. Die Unternehmen haben ihre interne Flexibilität ausgebaut. Zugenommen hat jedoch das subjektive Gefühl der Unsicherheit. Erfahrungswissen ist „zeitlos“. Gilt nur, wenn die Erfahrungen mehr genereller Art sind. Bedingungen ändern sich so schnell, dass spezielle Erfahrungen rasch an Bedeutung einbüßen.
Abbildung 133: Mythen der Bildungsdiskussion (nach Bosch)
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Lebenslanges Lernen ist eine Strategie der Zukunftsbewältigung. Bei der Diskussion um „Lebenslanges Lernern“ sollte man sich jedoch davor hüten, den Mythen der Bildungsdiskussion zu erliegen (Abbildung 133). Erfahrungswissen wird in Zukunft an Bedeutung einbüßen, während aktuelles Fachwissen in Kombination mit neuen Problemlösungsstrategien an Stellenwert gewinnt. Die geschätzte Halbwertzeit des spezifischen Fachwissens für die meisten Berufe liegt bei drei bis fünf Jahren. Erfahrungswissen ist nach wie vor wichtig in bestimmten Tätigkeitsfeldern (zum Beispiel der „diagnostische Blick“ des Arztes) und in Leitungsfunktionen, kaum mehr aber bei geringer qualifizierten Tätigkeiten. Heute ist das Wissen der Jüngeren wichtiger als das der Älteren, die Älteren lernen von den Jüngeren (zum Beispiel den Umgang mit neuen Medien). Ganz abgesehen davon, dass man auch 20 Jahre lang alles falsch beziehungsweise suboptimal machen kann. Die CGC-Umfrage (2004) zeigt, dass in puncto Fachwissen älteren Arbeitnehmern ihre langjährige Erfahrung kein großes Plus bringt. Mehr als die Hälfte der befragten Personalentscheider ist der Meinung, dass das Know-how und die Erfahrungen Älterer durch die Kenntnisse jüngerer Kollegen zu 80 bis 90 Prozent ausgeglichen werden können.
10.2 Es sind nicht nur die Gene: Eigenverantwortung für gesundes Altern Der Tod ist unausweichlich. Aber wie man altert und wie man stirbt, das unterliegt unserer Beeinflussung. (Baltes, 1984) Nicht nur wie alt man wird, sondern auch wie man alt wird, hängt in hohem Maße von der persönlichen Lebensweise und von Umwelteinflüssen ab (Abbildung 134). Die Bedeutung genetischer Einflüsse wird oft überschätzt. Etwa 25 Prozent sind Genetik (Erbgut), 75 Prozent sind Umwelt (räumlich und sozial). Menschliches Altern ist dynamisch und beeinflussbar. Successful aging is more than just good genes. Genetic studies of Okinawan centenarians have shown that while there is some genetic protection that helps the Okinawans live to extreme ages most of the“successful aging” phenomenon is due to lifestyle (The Okinawa Centenarian Study).
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Es sind nicht nur die Gene: Eigenverantwortung für gesundes Altern
Schulbildung Beruf Sozialer Status
Genetische Faktoren
Biologische Faktoren
Persönlichkeit Intelligenz Verhalten Aktivität Stimmung Anpassung
Langlebigkeit Psychophysisches Wohlbefinden
Soziale Umwelt Sozialisation (Erziehungseinflüsse)
Ökologische Faktoren
Ernährung
Körperliche Aktivitäten Sport Hygiene Gesundheitsvorsorge
Abbildung 134: Komponenten der Langlebigkeit (Quelle: nach Lehr, 1988) Ob Optimismus wirklich einen Verjüngungseffekt von 1,5 Jahren hat und körperliche Bewegung einen Verjüngungseffekt von bis zu zwei Jahren bewirkt, sei dahingestellt. Gleiches gilt für die Frage, ob Sex ein universeller Jungbrunnen ist. Studien zeigen, dass Rauchen die Alterung entscheidender DNA-Teile (Verkürzung der Telomere) um 4,5 bis 5 Jahre beschleunigt. Bei Fettleibigkeit erhöht sich der Wert auf neun Jahre. Der tägliche Verzehr von grün-gelbem Gemüse kann die Alterung dagegen um mehrere Jahre verzögern. Zum „erfolgreichen“ Altern kann jeder Einzelne beitragen durch gesunde Ernährung, Verzicht auf Nikotin, Mäßigung beim Alkoholkonsum, körperliche Bewegung/alternsangepassten Sport, Inanspruchnahme von Vorsorgeuntersuchungen, Vermeidung von negativem Stress, Förderung von positiven Situationen, geistige Aktivitäten, Erhalt/Entwicklung sozialer Kompetenz, aktive Teilnahme am Leben, positive Auseinandersetzung mit dem eigenen Älterwerden.
Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit erhalten und fördern
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Auf diese Weise wird der Alternsprozess positiv beeinflusst, Fitness und Wohlbefinden werden erhöht und der Entstehung von Gesundheitsbeeinträchtigungen wird vorgebeugt. Man altert „erfolgreich“. „Erfolgreiches Altern“ ist definiert als behinderungsfreie, krankheitsfreie, aktive Lebenserwartung oder diejenige, die der Mensch subjektiv in Gesundheit erlebt (Jeschke/Zeilberger, 2004). Die Weltgesundheitsorganisation (WHO, 2002) spricht von „aktivem Altern“ und meint damit, den Prozess der Optimierung der Möglichkeiten von Menschen, im zunehmenden Alter ihre Gesundheit zu wahren, am Leben ihrer sozialen Umgebung teilzunehmen, ihre persönliche Sicherheit zu gewährleisten, und derart ihre Lebensqualität zu verbessern. Nahezu alle chronischen Krankheiten werden durch den Lebensstil der Person mitbeeinflusst. Laut dem U. S. Center for Disease Control ist bei den zehn führenden Todesursachen der Lebensstil der weitaus wichtigste Einflussfaktor. Die WHO geht davon aus, dass bei Beseitigung der Risikofaktoren, die durch die Lebensweise bedingt sind, 80 Prozent der Fälle von Herzkrankheit, Schlaganfall und Diabetes Typ 2 sowie 40 Prozent der Krebsfälle verhindert werden könnten (WHO, 2006). Eine gesunde Lebensweise (Körpergewicht, Blutdruck, Blutzucker) kann, wie Studien belegen, die Wahrscheinlichkeit für gesundheitliches Wohlbefinden bis zum Tod um bis zu 55 Prozent erhöhen. Auch Arbeit ist, sofern sie den menschlichen Leistungsvoraussetzungen entspricht und entsprechend gestaltet ist, tägliches Training und wirkt alternsbedingten Rückbildungsprozessen entgegen. Eine Tätigkeit, die der Leistungsfähigkeit angemessen ist, trägt ganz wesentlich zur Zufriedenheit, zur Fitness und zum Wohlbefinden bei und ist die beste Prophylaxe. Mit dem Alter nimmt das Gesundheitsbewusstsein zu; es wird verstärkt auf die Gesundheit geachtet. Bei Älteren (ab etwa 40 Jahren) besteht ein geringeres Ausmaß an gesundheitsriskantem Verhalten. Sie rauchen weniger, die Zahl der Nichtalkoholtrinker steigt, Vorsorgeuntersuchungen werden mehr in Anspruch genommen und es wird mehr an Maßnahmen zur Gesundheitsförderung teilgenommen (Robert Koch-Institut, 2005). Leider steigt auch die Zahl der Übergewichtigen mit dem Alter. Bei den über 45-Jährigen ist „Vitalität das neue Credo“ í körperliche und psychische Fitness ist angesagt (Abbildung 135). Und man ist auch bereit, für die Fitness mehr zu tun, um seine Beschäftigungsfähigkeit zu sichern beziehungsweise zu stärken.
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Es sind nicht nur die Gene: Eigenverantwortung für gesundes Altern
Fitness ab 50: Generation 50 + hält sich fit 74%
Sport/körperliche Aktivität gesamt 49%
Spazierengehen 45%
Haus- u. Gartenarbeit 33%
Schwimmen 17%
Joggen/Walken 11%
Fahrradfahren
9%
Gymnastik
9%
körperliche Arbeit im Beruf 5%
Fitness
5%
Mannschaftssport Tennis Skifahren Wandern Golf
3% 3% 2% 1%
Abbildung 135: Fitness ab 50 (Quelle: Best-Ager-Studie, DBV-Winterthur, 2006) Zum gesunden Altwerden gehört auch Wachsamkeit gegenüber „Disease mongering“ í „als Krankheit verkaufen“ (Payer,
1992). Immer mehr werden normale Lebens-/Alterungsvorgänge zu behandlungsbedürftigen medizinischen Problemen erklärt und medikamentös behandelt, seltene Symptome werden zur grassierenden Krankheit deklariert, allgemeine Lebensrisiken werden zu Krankheiten gemacht und leichte Symptome werden als Vorboten gefährlicher Krankheiten betrachtet. Als Krankheit gilt alles, wogegen es Medikamente gibt; eine kritische Prüfung und Bewertung der Angebote und Versprechungen der „Anti-
Aging Medizin“. Begünstigt dadurch, dass viele Menschen um fast jeden Preis jung bleiben wollen, werden „Heilwasser“, Nahrungsergänzungsmittel, Vitamine, Hormone und anderes mehr als Jugendversprechen verkauft. „Schönheitspillen“ und LifestyleDrugs erfreuen sich einer zunehmenden Nachfrage. Immuntherapien werden als regelrechte „Verjüngungskuren“ gepriesen. Nicht alle Therapieansätze sind sinnvoll – manche können sogar gefährlich sein. Und von Einzelfällen darf nicht ohne weiteres auf regelhafte Abläufe und Erfolge geschlossen werden; dass „gesundes Leben“ selbst nicht zur Sucht werden darf. So wird aus den USA von
einer neuen „Krankheit“ berichtet: Orthorexia nervosa í der krankhafte Zwang, sich gesund zu ernähren. Gesundes Essen wird hierbei zur Besessenheit. Für gesundheitsförderliches Verhalten (Prävention und Gesundheitsförderung) spielt das Altersbild der Gesellschaft eine wichtige Rolle. Ein positives Altersbild trägt zu einem gesundheitsförderlichen Verhalten bei, während negativ gefärbte Altersbilder den Erfolg von Präventionsmaßnahmen verringern. Ähnlich wie bei der Unternehmenskultur gilt auch hier: Das Altersbild und die Verhaltenserwartungen der Umwelt beeinflussen das Selbstbild und das Verhalten der Älteren.
Zum guten Schluss
11.
207
Zum guten Schluss Die Tragödie des Alters ist nicht, dass man alt wird, sondern dass man jung ist. (Oscar Wilde)
Der Bevölkerungsaufbau entwickelt sich bekanntlich von einer Pyramide zu einem tonnenartigen Gebilde. Wer angesichts dieses demographischen Umbaus die Pyramide als Bevölkerungsideal preist, übersieht, dass diese auf erhöhter Säuglings- und Jugendlichensterblichkeit sowie auf submaximaler Lebenserwartung basiert. Die ideale Form eines gesunden Bevölkerungsaufbaus ist nicht eine Pyramide, sondern eine Tonne. Moderne Gesellschaften mit hohen medizinischen, hygienischen und sozialen Standards sind alternde Gesellschaften. Die heute mitunter beklagte „Bevölkerungsüberalterung“ ist das Ergebnis erwünschter sozialer und medizinischer Maßnahmen. Geringe Frühsterblichkeit und hohe Lebenserwartung sind Ausdruck einer humanen und zivilisierten Gesellschaft. Die Weltgesundheitsorganisation bezeichnet die Zunahme der menschlichen Lebenserwartung über die vergangenen 100 Jahre als eine der größten Leistungen aller Zeiten. Mit dem Gewinn an gesunden Jahren erfüllt sich ein Menschheitstraum í und diesen Gewinn an Leben werten wir sozial und kulturell ab. Der Modebegriff Anti-aging mag „sexy“ sein, unsinnig ist er allemal. Das Ziel besteht doch gerade darin, gesund alt zu werden. Wir werden älter und sterben gesünder. Wir leben in einer alternden Welt. Nicht nur die gesamte Bevölkerung wird älter, auch die alten Menschen selbst werden älter. Der Anteil der „ältesten“ (Menschen ab 80 Jahre) wächst am schnellsten und die Zahl der über 100-Jährigen wird sich bis 2050 vervielfachen. Es ist schon seltsam: Alt werden will jeder, alt sein oder sich alt fühlen will keiner. In der Population Policy Acceptance Study äußerte mehr als die Hälfte der Befragten den Wunsch, gern 85 Jahre oder auch älter zu werden. Altern ist etwas, das nur die anderen betrifft. Zu den Alten gehören immer die, die 15 Jahre älter sind als man selbst. Manch einer wünscht sich das Bildnis des Dorian Gray, das Porträt, das anstelle des Porträtierten altert. Der Biotheoretiker Aubrey de Grey ist davon überzeugt, dass Altern im Prinzip reparabel ist, die Uhr zurückgedreht werden kann. Wir brauchen ein positives Altersbild í in den Unternehmen und in der Gesellschaft. Altern ist keine „Krankheit“, „kein Leiden“. Gesunde ältere Mitarbeiter sind leistungsfähig, aber nicht alle älteren Mitarbeiter sind gesund. Die Frage lautet nicht „jung oder alt“, sondern „gesunde Ältere oder kranke Ältere“ im Betrieb. Entscheidend ist die Person, nicht das Alter. Benötigt werden nicht nur „High Potentials“, sondern auch die „Senior Potentials“.
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Zum guten Schluss
Arbeit und Beruf können körperliche, psychische und soziale Fähigkeiten verbessern, das Altern verzögern und damit zum Erhalt der Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit beitragen. Den älteren Mitarbeiter gibt es nicht. Es bestehen große interindividuelle Unterschiede in der körperlichen und seelisch-geistigen Leistungsfähigkeit alternder Menschen. Diese Unterschiede werden mit zunehmendem Alter noch größer, das heißt, junge Menschen unterscheiden sich interindividuell wesentlich geringer als ältere Menschen. Die besonderen Stärken älterer Mitarbeiter müssen erkannt und systematisch gefördert, ihr Potenzial muss genutzt werden. Aber auch jeder Einzelne ist selbst mitverantwortlich für sein gesundes Altern. Einschränkungen der Leistungsfähigkeit durch altersphysiologische Prozesse spielen bei der Mehrzahl der heutigen Arbeitsplätze keine relevante Rolle. Labortests sind für die Praxis wenig aussagefähig. Viele Einschränkungen können in der Regel problemlos kompensiert werden. Ältere Mitarbeiter sind ein wichtiges Know-how-Reservoir. Sie sind ein Aktivposten im Unternehmen und für eine erfolgreiche Gestaltung der Zukunft unverzichtbar. Unternehmen können sich nicht den Luxus leisten, auf das Potenzial älterer Mitarbeiter zu verzichten und damit wertvolles Humankapital zu verschwenden. Die Leistung aller Mitarbeiter wird benötigt. There is no inherent reason why an older world cannot be a better world. (AARP, 2001)
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Die Autoren
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Die Autoren
Uwe Brandenburg, Jahrgang 1952, Dipl.-Kaufmann und Dipl.-Sozialwirt, Dr. rer. pol., ist Leiter Arbeitswissenschaft/Strategien und Projekte im Zentralen Gesundheitswesen der Volkswagen AG. Er ist Lehrbeauftragter an der Technischen Universität Braunschweig und Dozent an mehreren Akademien sowie Mitglied in verschiedenen nationalen und internationalen Gremien im Gesundheitsbereich. Außerdem ist er Vorstand des Unternehmensnetzwerkes „Unternehmen für Gesundheit“. U. Brandenburg ist Autor und Mitherausgeber mehrerer Bücher auf dem Gebiet des Personal- und Gesundheitsmanagements.
Jörg-Peter Domschke, Jahrgang 1952, Dipl.-Mathematiker, arbeitet seit 1979 bei Towers Perrin und ist Partner im Frankfurter Büro. Er verfügt über eine mehr als 25-jährige Erfahrung im Bereich der Human-ResourcesManagement-Beratung. Schwerpunkt seiner Beratungstätigkeit sind Fragestellungen des Performance und Talent Managements, der Gestaltung und Implementierung von Systemen der Gesamtvergütung (Total Rewards) und die Unterstützung von Veränderungsprozessen insbesondere in Merger-Situationen in großen internationalen Unternehmen. J.-P. Domschke ist regelmäßiger Autor von Artikeln und Sprecher bei Veranstaltungen zu Human-Resource-Themen.
Stichwortverzeichnis
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Stichwortverzeichnis
A Age Management ..................89 Alter......................................65, 66, 70, 71 Ältere ....................................16, 81, 103, 137 Ältere Arbeitnehmer/ Arbeitskräfte ...................14, 15, 63, 64, 73, 76, 77, 97, 98, 101 Ältere Mitarbeiter .................85, 86, 89 Altern....................................64, 69, 106 Alternative Karriere.............141 Alternsbewusstsein..............147 Alternsgerechte Laufbahngestaltung .......139 Altersaufbau ....................45, 89 Altersdiskriminierung..........112 Altersdurchschnitt .................78 Altersentwicklung .................44 Altersgemischte Gruppenarbeit ................185 Altersgrenze..........................33, 34, 63 Alterssimulationsanzug .......148 Altersstruktur........................17, 44, 46, 78, 106, 115, 116, 117, 118, 119 Altersstrukturanalyse..........104, 115, 119 Altersversorgung ........100, 134, 167, 168, 170, 171, 172, 176 Anforderungswechsel..........139
Arbeitsfähigkeit ...........187, 188 Arbeitsgestaltung................178, 179, 180, 181 Arbeitskräfteangebot .......30, 31 Arbeitskräftemangel .............15, 31, 42, 89 Arbeitslosigkeit................41, 42 Arbeitsplatzkataster .............181 Arbeitsproduktivität...............29 Arbeitsumgebungsfaktoren ..........................182 Arbeitsunfähigkeit .................93 Arbeitszeit........................32, 41 Arbeitszeitkonto ..........173, 174 B Bausteinmodell ............173, 174 Belastungen .....................54, 55 Belastungsstruktur .................54 Berufsbiographie .................139 Beschäftigungsquote.............26, 35, 36, 37 Beschwerde............................96 Besitzstandsdenken......114, 115 Betriebsbindung...........128, 155 Bevölkerung .........................17, 20, 22, 27, 45, 56 Bevölkerungsaufbau ............207 Bevölkerungsentwicklung ....18, 20 Bevölkerungsrückgang ....17, 56 Bevölkerungswachstum.........19 Bewusstseinsschaffung.......112, 113 Blockmodell ........................140
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D Defekt-/Defizitmodell........... 81 Demographische Arbeitszeit ..................... 182 Demographische Entwicklung .................... 14 Demographische Herausforderung.............. 13 Demographischer Wandel............................ 13, 14, 15, 17, 105 Dequalifizierungsfalle......... 137 Dimensionen des demographischen Wandels...... 17, 18, 44, 55 Disease mongering.............. 206 Disusemodell......................... 81 Durchschnittsalter ......... 45, 118 E Eigenverantwortung............ 202 Einkommensverlust ............ 167 Erfolgreiches Altern ............ 204 Erwerbsalter .................... 27, 28 Erwerbsbevölkerung ............. 26 Erwerbspersonen................... 26 Erwerbspersonenpotenzial ... 26, 27, 29 Erwerbsquote ....................... 26, 34, 35, 37, 46 Erwerbstätige ........................ 47 F Fachkarriere ................ 140, 153 Familienfreundliche Maßnahme....................... 40 Familienfreundlichkeit......... 57, 130 Fehlzeit................................. 89, 91, 106 Frauen .................................. 36, 37, 38, 56 Frauenerwerbsquote........ 38, 40
Stichwortverzeichnis
Führung ....................... 133, 134 Führungskraft .............. 144, 155 Führungskultur .................... 148 Führungsstil......................... 145 Führungsverhalten....... 145, 146 G Geburtenrate......................... 19, 20, 24, 25, 30 Geburtenzahl ......................... 23 Geburtenziffer ................. 19, 24 Gehaltsfindung .................... 164 Gesundheitsbewusstsein...... 205 Gesundheits-Check-up ........ 148 Gesundheitscoaching .......... 148 Gesundheitsmanagement ... 104, 189 Gesundheitsscore ................ 190 Gesundheitsstand ............ 91, 94 Gesundheitszustand......... 94, 95 Gesundheitliche Beschwerden ................... 54 Gesundheitszeit ................... 192 Geteilte Berufsbiographie ........... 186 H Handlungsfelder .................. 109 Handlungsoption ................. 102 Health Risk Assessment ...... 190 I Innovationsbereitschaft ......... 97 Integrationsmanagement ..... 193 Intelligenz............................. 84, 85, 87 J Job Rotation ........................ 184 K Karriere .............................. 153, 154, 169
Stichwortverzeichnis
Kinder...................................23, 25, 38, 40 Kinderbetreuung....................39 Kinderlosigkeit .....................14, 23, 24, 25 Kinderwunsch.......................23, 24, 25 Kinderzahl .............................20 Kompetenz...................135, 151 Kompetenzentwicklung.......135 Kompetenzfeld ............150, 151 Kompetenzmodell .................81 Kompetenz-Team ................142 Krankenstand.........................93 Krankheit ..............................70, 90, 94 Kurzpausen..........................184 L Lebensarbeitszeit...................32 Lebenserwartung ...........21, 207 Lebenslanges Lernen...........198 Lebensphasenorientierte Arbeitszeit......................182 Lebensqualität ......................56, 57, 94, 106 Lebensstil.............................205 Leistungseinschränkung ........90 Leistungsfähigkeit ................75, 76, 81, 82, 88, 96, 97, 102, 188 Leistungsminderung ..............87 Leistungsproblem ..................88 Leistungsvoraussetzung .......82, 87, 103 Lernförderliche Arbeitsgestaltung ...........138 Lernzeitkonto ......................141 M Mentoringprogramm ..........141, 142 Minderleistungsfähigkeit.......87
225
Motivation ............................99, 100, 132 Motivationsfaktor ..........98, 101 Motivationstreiber .........98, 155 Multimorbidität......................94 Mütter ..............................38, 39 N Nachfolgeplanung...............142, 156, 157, 158, 159, 160 P Patenmodell/-programm .....141, 142, 186 Pensionierungsgrenze ..........105 Personalbedarf .....................124 Personalbeschaffung...........124, 125, 126, 129 Personalbindung ..................129 Personaleinsatzmatrix..........138 Personalentwicklung......15, 135 Personalführung...................144 Personalplanung .................121, 122, 124, 160 Personalwerbung .................129 Poolmodell...........................186 Produktivität ....................29, 30 Q Qualifikation.........................49, 50, 60, 75, 137 Qualifikationsentwicklung ....51 Qualifikationsstruktur............51 Qualifizierungszeit ..............140 R Rationalisierung.....................30 Rekrutierung .......................117, 122, 124, 132 Renteneintrittsalter ................34 Retention-Programm ...........177 Rotation ...............................139 Rotationsmodell...................186
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S Schichtarbeit ....................... 186 Schichtmodell ..................... 183 Schonarbeitsplatz ................ 103 Schutzregelung.................... 195 Stafettenmodell ................... 183 Standortwettbewerb .............. 42 Studienabbruch ..................... 33 Studiendauer ......................... 33 T Talent.................................. 148, 149, 150, 152, 154 Talent Management............. 148 Tandemmodell..................... 186 Tätigkeitseinschränkung ....... 91 Tätigkeitswechsel................ 184 Teilzeitarbeit ....................... 183 Telearbeit............................. 187 Total Rewards-Modell ....... 161, 162, 163 U Unfall .................................... 93
Stichwortverzeichnis
Unternehmenskultur........... 110, 111, 112, 161 Unternehmensleitbild .......... 112 V Vergütungsmanagement ...... 169 Verletzungsart........................ 94 Vitalitätsmessung ........ 148, 192 W Wanderjahre ........................ 141 Weiterbildung....................... 50, 51, 52, 53, 112, 134, 200, 201, 202 Weiterbildungsbarriere........ 136 Weltbevölkerung ............. 18, 44 Wissensmanagement ... 175, 176 Wissenstransfer ................... 117 Work Ability Index.............. 193 Z Zeitarbeitsunternehmen....... 141 Zukunftsgespräch ................ 140 Zuwanderung ....................... 27, 31, 32