Nr. 392
Drei von der Geisterflotte Der Flug im Dimensionskorridor von Clark Darlton
Als Atlantis-Pthor auf seinem Weg...
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Nr. 392
Drei von der Geisterflotte Der Flug im Dimensionskorridor von Clark Darlton
Als Atlantis-Pthor auf seinem Weg durch die Dimensionskorridore den Korsallo phur-Stau erreichte, wurde der fliegende Kontinent jäh gestoppt. Von kosmischem Staub und planetarischen Trümmermassen umgeben, konnte der »Dimensionsfahrstuhl« seinen unkontrollierbaren Flug zur Schwarzen Galaxis und den dort lauernden Gefahren nicht mehr fortsetzen. Doch auch der Korsallophur-Stau enthielt tödliche Gefahren, wie sich alsbald er wies. Der fliegende Kontinent und seine Bewohner bekamen es mit den kriegeri schen Krolocs zu tun, den Beherrschern des Staus. Diese spinnenähnlichen Intelli genzen sahen in dem so plötzlich aufgetauchten Weltenbrocken ein Objekt, das es zu erobern und ihrem Herrschaftsbereich einzuverleiben galt. Daß die Invasion der sieggewohnten Krolocs dennoch mißlang, war letztlich nur der rechtzeitigen Rückkehr Atlans und dem Einsatz der GOL'DHOR, des goldenen Raumschiffs, zu verdanken. Ein weiterer Einsatz des goldenen Raumschiffs schaffte den neuen eripäischen Projektor heran, durch den es Pthor-Atlantis gelang, aus dem Korsallophur-Stau aus zubrechen und seinen Flug fortzusetzen. Nun geht die GOL'DHOR erneut in den Einsatz – und Atlan und Razamon ent decken die DREI VON DER GEISTERFLOTTE …
Drei von der Geisterflotte
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Die Hautpersonen des Romans:
Atlan - Der Arkonide bringt einen unheilvollen Fund nach Pthor.
Razamon - Der Atlanter macht eine unfreiwillige Zeitreise.
Thalia - Die Odinstochter untersucht einen Computer.
Taran Kor - Ein Händler aus Orxeya.
1. Seit Tagen war wieder das vertraute Rau schen zu hören, das an einen weit entfernten Wasserfall erinnerte und verriet, daß PthorAtlantis sich erneut in einem Dimensions korridor bewegte und einem unbekannten Ziel entgegenstürzte. Die Aufräumungsarbeiten machten gute Fortschritte. Große Teile Pthors waren bei der gescheiterten Invasion der Krolocs ver wüstet worden, und dennoch war es indirekt dieser Invasion zu verdanken, daß der Kor sallophur-Stau verlassen werden konnte. Der eripäische Projektor, der ein Durchdrin gungsfeld um den Kontinent gelegt hatte, bewirkte das Durchbrechen des kosmischen Trümmerfelds, das ihn zuvor aufgehalten hatte. Ein wenig abseits der FESTUNG stand Atlan auf einem Hügel und sah hinab in die östliche Ebene, wo Dellos damit beschäftigt waren, die Trümmer von abgestürzten Spac cahs und Zugors wegzuräumen. Sein ständiger Begleiter, der Wolf Fenrir, lief unruhig hin und her, als habe er Witte rung aufgenommen. Aber es mußte eine freundschaftliche Witterung sein, denn sein Nackenfell war nicht gesträubt. Er blickte nach Westen, wo einige Büsche die Sicht behinderten. Atlan hörte die Schritte, und er wußte auch schon, wer da kam. Es war Razamon, der unsterbliche Atlan ter. Mehr als sonst zog er das linke Bein nach, so als fühle er erneut Schmerzen in seinem »Zeitklumpen«. Er winkte Atlan zu, noch bevor er ihn erreichte. »Ich bin froh, daß wir das hinter uns ha ben, Atlan. Ohne die GOL'DHOR hätten wir es kaum geschafft. Nur fürchte ich, daß die
Schwierigkeiten bald wieder beginnen. Wir wissen nicht, wohin Pthor eilt. Zur Schwar zen Galaxis?« Atlan deutete auf einen flachen Stein. »Setzen wir uns. Ich wollte ohnehin mit dir sprechen. Es macht mir Sorge, daß wir keinen Einfluß auf den Antrieb und den Steuermann nehmen können. Die entspre chenden Räume sind durch Energieschirme abgeriegelt. Das falsche Schaltelement, das ich aus der Dimensionsschleppe holte, ist auf die Schwarze Galaxis programmiert. Das kann niemand mehr ändern.« »Früher oder später ist sie ohnehin unser Ziel, aber ich teile deine Bedenken, mein Freund. Wir wissen nichts über sie und ihre Beherrscher. Wir rennen in das Dunkel hin ein.« »Die Flüge mit der GOL'DHOR geben mir ein wenig Hoffnung. Nie zuvor haben wir Pthor während des Sturzes durch einen Dimensionskorridor verlassen können, jetzt ist es möglich.« Razamon lauschte einige Augenblicke dem fernen Rauschen nach. »Es ist seltsam, aber trotz unserer Flüge mit der GOL'DHOR in den Korridor ist von der eigentlichen Geschwindigkeit, mit der Pthor sich durch ihn bewegt, nichts zu be merken. Wir scheinen relativ unbeweglich im Weltraum zu stehen.« »Das ist eine Täuschung, da hast du recht. In Wirklichkeit legen wir in einer anderen Dimension unvorstellbare Strecken zurück.« Sie hatten schon oft über dieses Thema gesprochen, aber niemals befriedigende Ant worten gefunden. Sicher war nur, daß sie ih ren Standort wechselten und sich immer mehr von der Erde entfernten – und der Schwarzen Galaxis wahrscheinlich näher rückten. »Ehe ich es vergesse«, sagte Razamon
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Clark Darlton
plötzlich, als sei ihm etwas Wichtiges einge fallen, »ich wollte dir noch mitteilen, daß bei der FESTUNG ein Zugor landete. Der Pilot ist ein Magier. Er wollte dich sprechen, aber da du nicht aufzufinden warst, führte man ihn zu Thalia.« »Ein Magier?« wunderte sich Atlan. »Komm, gehen wir. Ich bin gespannt, was er zu berichten hat.« Fenrir folgte den beiden Männern in eini ger Entfernung. Vorbei an den schweigsam arbeitenden Androiden, den Dellos, gingen sie das kurze Stück zur FESTUNG. Noch ehe sie den Ein gang erreichten, sagte Razamon: »Der Zugor ist nicht mehr da. Der Magier muß seinen Auftrag erledigt haben.« Die Tochter Odins erwartete Atlan be reits. Sie sagte, nachdem die beiden Männer sich gesetzt hatten: »Ich habe den Namen des Magier nicht erfahren können, er wollte ihn nicht nennen. Aber er überbrachte uns eine Botschaft … oder sollte ich besser Warnung sagen?« »Warnung? Wovor?« »Es ist eine Warnung vor etwas, das im Korridor auf uns wartet. Es soll dort zu einer bedeutsamen Begegnung mit uns kommen, zu einer Begegnung, die schicksalhaft ist.« Sie schwieg und blickte Atlan erwar tungsvoll an. Der zuckte mit den Schultern. »Eine bedeutsame und schicksalhafte Be gegnung? Womit? Wir begegnen da draußen allen möglichen Dingen – Sternen, Planeten, Asteroiden. Woher sollen wir wissen, was gemeint ist? Machte der Magier denn keine Andeutungen?« »Nein, leider nicht, Atlan. Ich nehme aber an, daß es etwas ganz Außergewöhnliches ist, das euch sofort auffällt. Ansonsten mußt du dich auf deinen Instinkt verlassen.« »Intuition«, berichtigte Atlan ruhig. »Zwar weiß ich nicht, was das alles bedeu ten soll, aber Razamon und ich werden noch innerhalb der nächsten Stunde starten.«
*
Die Magier hatten Atlan das Schiff GOL'DHOR zum Geschenk gemacht, als die Invasion der Krolocs drohte. Das Schiff war ihr größter und geheimster Schatz gewesen. Das »goldene« Raumschiff! Es war das schönste und ungewöhnlichste Schiff, das Atlan je in seinem langen Leben gesehen hatte. Seine Form erinnerte an die eines riesigen Insekts, vielleicht einer Got tesanbeterin. Das schlanke Flugobjekt war weitgehend transparent, so daß man den größten Teil seines Innern durch die Hülle hindurch sehen konnte. Nur dort, wo das un bekannte Material absoluten Festgehalt be saß, schimmerte es wie reines Gold. Das scheinbar sprungbereite Gebilde ruhte auf seinen »Insektenbeinen«, den Landestützen. Es war etwa fünfzig Meter lang und besaß einen Durchmesser von zehn Meter. Die Zentrale war deutlich sichtbar im Bug unter gebracht. Auf der linken Seite befand sich der Einstieg, ziemlich in der Mitte des Rumpfes. Als Atlan das Schiff zum erstenmal be trat, war ihm, als empfange es ihn mit freundschaftlichen Empfindungen, so als le be es. Die Kontrollen schmiegten sich in sei ne tastenden Hände – und dann gehorchte es ihm. Die GOL'DHOR verfügte nur über De fensivwaffen, aber ihr energetischer Schutz schirm hatte sich als unzerstörbar erwiesen. Inzwischen war Atlan das Schiff vertrau ter als jedes andere, das er zuvor geflogen hatte. Zum Glück vertrauten die fast leben digen Kontrollen nun auch Razamon. Atlan legte das Goldene Vlies an und wartete auf seinen Freund. In ihm waren gewisse Zweifel, wenn er die Warnung der Magier auch sehr ernst nahm. Es waren mehr Zweifel daran, ob es ihm und Razamon gelingen würde, den Ge genstand der prophezeiten Begegnung über haupt zu erkennen. Er atmete erleichtert auf, als er Razamon kommen sah. Der Berserker schleppte wie der den linken Fuß ein wenig nach. Der Zeitklumpen machte sich immer dann be merkbar, wenn etwas Ungewöhnliches be
Drei von der Geisterflotte vorstand. »Fertig?« erkundigte sich Razamon, als er das Schiff erreichte. »Hast du Schmerzen am Bein?« Unwillkürlich tastete Razamon das linke Bein ab, ehe er nickte. »Ja, wahrhaftig. Es ist mir gar nicht auf gefallen.« Atlan stieg zuerst ein und schloß die Lu ke, als Razamon ihm gefolgt war. Wie im mer fühlten sich die Kontrollen warm und lebendig an, als er sie wenig später berührte. Gehorsam befolgte das Schiff jeden Befehl. Die FESTUNG versank in der ewigen Däm merung von Pthor, als die GOL'DHOR den Wölbmantel durchstieß und sich wenig spä ter im Dimensionskorridor befand, der sich in nichts vom normalen Universum unter schied. Wenigstens diesmal nicht.
* Immerhin fiel es Atlan auf, daß es nur we nige Sterne gab, die weit auseinander stan den. Einige von ihnen besaßen auch Plane ten, aber weder er noch Razamon verspürten Lust, sie sich näher anzusehen. Pthor selbst erinnerte an einen riesigen Asteroiden, der in einen Schleier gehüllt war und ohne eigene Sonne das Universum durcheilte. Sie ließen ihn schnell zurück. »Eine bedeutsame Begegnung …!« mur melte Razamon voller Skepsis. »Wer weiß, ob das Ereignis überhaupt jetzt und heute stattfinden soll.« »Die Warnung erreichte uns heute, also wird es zumindest bald stattfinden. Also: Augen auf, Razamon! Vielleicht bezieht sich diese Begegnung nur auf einen kleinen Ge genstand, der leicht unserer Aufmerksamkeit entgeht, wenn das Schiff uns nicht warnt.« Razamon löste Atlan nach zwei Stunden an den Kontrollen ab. Atlan behielt seinen Schutzanzug an, als er sich auf eine Liege legte und ein wenig zu schlafen versuchte. Niemand konnte wissen, wie lange die Suche dauerte. Ein wenig Ru
5 he tat gut. Razamon saß hinter den Kontrollen und wechselte in regelmäßigen Zeitabständen den Kurs, wobei er die neue Richtung will kürlich wählte. Ebenso wie Atlan wußte er, daß sie auf den Zufall angewiesen waren. Optisch war Pthor jetzt nicht mehr zu or ten, aber die Speicherautomatik der GOL'DHOR kannte den Standort genau. Das Schiff würde jederzeit den Weg zurück fin den. Eine der seltenen Sonnen zog in einiger Entfernung vorbei. Sie besaß keine Planeten oder sonstige Satelliten. Einsam wanderte sie ihrem unbekannten Ziel innerhalb des Korridors entgegen. Und dann bemerkte Razamon etwas sehr Seltsames in Flugrichtung. Ganz langsam nur schälten sich aus der sternenlosen Finsternis vor ihm unzählige winzige Lichtpünktchen, die entweder selb ständig leuchteten oder ihr Licht von der einsamen Sonne erhielten und reflektierten. Sein erster Impuls war, Atlan zu wecken, aber dann unterließ er es doch. Schließlich war er auch allein in der Lage, das Rätsel der Lichtpunkte zu lösen. Vielleicht handelte es sich nur um einen Schwarm von Asteroi den. Er verringerte die Geschwindigkeit der GOL'DHOR. Das Schiff näherte sich nun langsamer dem geheimnisvollen Schwarm, der keine Eigenbewegung zu besitzen schien. Ganz allmählich wurden die Lichtpünkt chen deutlicher, als sie mit kürzerer Entfer nung auseinanderrückten. Es fiel Razamon auf, daß sie alle ziemlich die gleiche Größe besitzen mußten, für einen Schwarm von Asteroiden eine ungewöhnliche Erschei nung. Er drückte auf einen der goldenen Knöp fe, und wenig später erschien Atlan in der Zentrale. Als er den Schwarm der Lichter sah, sagte er: »Das sind keine Asteroiden! Was sagt der Massetaster?«
6 Razamon warf einen Blick auf die Instru mente. »Metall!« »Dann würde ich sagen, es handelt sich um eine gewaltige Raumflotte. Ihre Eigen bewegung?« Auch das hatte Razamon inzwischen her ausgefunden. »Freier Fall ohne Antrieb um die Sonne dort. Sehr geringe Geschwindigkeit, bedingt durch die große Entfernung von dem Stern, der den Gravitationsmittelpunkt bildet. Eine ganze Flotte also in freiem Fall? Was soll das bedeuten?« »Du fragst mich zuviel, mein Freund? Ge hen wir näher, um es herauszufinden. Schal te den Schutzschirm ein, besser ist besser.« Atlan war voller Mißtrauen, obwohl er wußte, daß dazu noch kein stichhaltiger Grund vorhanden war. Immerhin erschien es ihm seltsam, daß sich eine ganze Flotte hier versammelt hatte – praktisch in der Flug bahn von Pthor. Um ganz sicherzugehen, be fragte er den Computer, nachdem er ihm die Daten des Ferntasters eingespeist hatte. Nein, Pthor würde die Flotte in einiger Entfernung passieren, da diese ebenfalls ih ren Standpunkt in der Umlaufbahn änderte. Also doch keine direkte Kollision. Diese Tatsache beruhigte Atlan ein wenig, wenn sein Mißtrauen auch nicht völlig schwand. Inzwischen hatten sich die Lichtpunkte so vergrößert, daß ihre Form auszumachen war. Sie war länglich, aber trotzdem plump mit einer Bugspitze. Ohne Zweifel handelte es sich um künstlich hergestellte Objekte, also um Raumschiffe. Es gab gewisse Größenun terschiede, die erst jetzt sichtbar wurden. Wenn Atlan und Razamon eine Kontakt aufnahme der Fremden erwartet hatten, so sahen sie sich enttäuscht. Kein einziges der Schiffe scherte aus dem Verband aus, um ih nen entgegenzueilen. Auch der Funkemp fänger blieb stumm. »Seltsam«, murmelte Razamon. »Man könnte fast meinen, eine riesige Flotte von Wracks vor sich zu haben, aber das wäre un verständlich. Wer sollte eine ganze Flotte
Clark Darlton auf einen Schlag vernichten können?« Atlans Lippen waren eng aufeinanderge preßt, als fürchte er sich davor, eine Vermu tung zu äußern. Wenn Razamons Verdacht stimmte, dann gab es in diesem Dimensions korridor einen übermächtigen Gegner, dem Pthor nichts entgegenzusetzen hatte. Am Ende des Korridors? In der Schwar zen Galaxis? Atlan schüttelte den Gedanken wie etwas Lästiges ab. Vermutungen und Befürchtun gen hatten Zeit bis später. Außerdem war noch nicht sicher, daß es sich bei den Schif fen um Wracks handelte. Doch dann, als die Schiffe noch deutli cher sichtbar wurden … »Mehr als die Hälfte der Tonnenschiffe sind zerstört worden«, sagte Razamon mit belegter Stimme. »Sie sind deformiert und haben Lecks. Ich glaube nicht, daß sich in dem Pulk nur noch ein einziges lebendes Wesen aufhält.« »Kaum anzunehmen«, gab Atlan ihm recht. »Was kann geschehen sein?« »Ich nehme an, es handelte sich um eine gewaltige Flotte, die von einem uns unbe kannten Volk aufgestellt wurde, um die Schwarze Galaxis anzugreifen. Unser Bord computer bestätigt, daß die Wracks aus un serer Flugrichtung kamen, also von jenem Ende des Korridors, an dem wir diese ge heimnisvolle Galaxis vermuten. Die Sonne hat sie eingefangen, und zwar erst vor kurzer Zeit.« Atlan nickte fast widerwillig. »So wird es gewesen sein. Ein Angriff auf die Beherrscher der Schwarzen Galaxis, und das da ist das Ergebnis. Eine Flotte von mehreren tausend Schiffen, die rücksichtslos vernichtet wurden. Übrig blieben nur die Wracks. Gab es denn keine Überlebenden?« »Um das herauszufinden, müßten wir die Wracks untersuchen.« Inzwischen hatte die GOL'DHOR den metallenen Friedhof er reicht und paßte ihre Geschwindigkeit jener der treibenden Trümmer an. Atlan sagte: »Natürlich können wir nicht alle Wracks
Drei von der Geisterflotte durchsuchen, aber doch einige gut erhaltene. Ich frage mich nur, ob die Magier diese trau rigen Überreste einer Flotte mit ihrer bevor stehenden Begegnung gleichsetzen?« »Ach, du meinst, sie könnten die Wracks gemeint haben?« »Ist das so unwahrscheinlich?« Razamon zögerte mit der Antwort, dann nickte er. »Nein, ist es nicht!« Da sich nun auch die GOL'DHOR in einer Kreisbahn um den fernen Stern befand, war es kein großes Risiko, das Schiff gemeinsam zu verlassen. Sie bereiteten sich sorgfältig auf den Aus stieg vor, um der Geisterflotte einen Besuch abzustatten.
* Sie blieben zusammen, damit einer dem anderen im Fall eines unvorhergesehenen Zwischenfalls Beistand leisten konnte. Auch ohne Instrumente würden sie die GOL'DHOR wiederfinden können, denn das Schiff stach auffällig von den Wracks ab. Dicht nebeneinander schwebten die bei den Männer an einigen völlig zerstörten Wracks vorbei und landeten sanft auf einem äußerlich kaum beschädigten Schiff. Es glich in der Tat einer riesigen Tonne von mehr als zweihundert Metern Länge. Nach einigem Suchen fanden sie den verschlosse nen Einstieg. Nach einer gründlichen Inspektion stellte Atlan fest: »Diese Luke wurde offensichtlich von in nen verschlossen und gesichert. Die Besat zung kann das Schiff also nicht verlassen haben, es sei denn durch eine Hangarluke mit Beibooten. Aber wir haben eine solche Luke nicht entdecken können. Demnach müßte sich die tote Besatzung noch an Bord befinden.« »Es wird kein erfreulicher Anblick sein, aber wir müssen ins Schiff. Sprengen wir den Einstieg?« Atlan heftete einige der starken Spreng kapseln an die sichtbaren Lukenränder und
7 gab Razamon einen Wink, ihm zu folgen. Sie schwebten zur anderen Wrackseite in Deckung, dann zündete Atlan die Kapseln. Nichts war zu hören, aber sie sahen die ausgezackten Trümmerstücke der zerrisse nen Luke davonfliegen und schnell ver schwinden. Eiligst kehrten sie zum Einstieg zurück. Der Schleusenraum wies einige Zerstö rungen auf, aber die stammten mit Sicher heit von der soeben erfolgten Explosion. Die Innenluke ließ sich manuell öffnen. Dahinter lag ein dunkler Korridor. Razamon schaltete die an seinem Helm befindliche Lampe ein. Im Innern des Schiffes gab es keine An zeichen dafür, daß es einem feindlichen An griff zum Opfer gefallen war. Die Böden der Korridore und Räume allerdings waren mit einer deutlich sichtbaren Staubschicht be deckt, in einem so sterilen Gebilde wie ei nem Raumschiff ein sicheres Anzeichen da für, daß seit seinem Verlassen eine sehr lan ge Zeit verstrichen sein mußte. Denn es mußte verlassen worden sein, weil Atlan und Razamon weder ein totes noch ein le bendiges Besatzungsmitglied fanden. Da es außer der gesprengten Luke keine andere gab, und da diese von innen versie gelt worden war, wurde das ganze Ereignis noch geheimnisvoller und unerklärlicher. Eine Stunde lang durchsuchten sie das Schiff, ohne eine einzige brauchbare Spur zu finden. Schließlich gaben sie es auf. Sie ließen sich zum nächsten Wrack treiben, und dies mal handelte es sich um ein Schiff, dessen Außenhülle fast völlig zertrümmert worden war. Der Einstieg war daher kein Problem. In diesem Fall war es unmöglich festzu stellen, ob die unbekannte Besatzung ihr Schiff verlassen hatte oder nicht. Atlan und Razamon fanden nur Trümmer und zerfetzte Instrumente, deren Zweck nur noch erraten werden konnte. »Das also«, faßte Razamon resignierend zusammen, »bleibt von einem oder auch mehreren Völkern übrig, die es wagten, die
8 Beherrscher der Schwarzen Galaxis heraus zufordern. Denn anders kann es nicht gewe sen sein. Sie griffen die Schwarze Galaxis an – und das hier ist das Resultat.« »Ich fürchte, daß ich dir zustimmen muß. Das eröffnet nicht gerade rosige Aussichten für unsere Zukunft.« »Wir greifen nicht an!« sagte Razamon bestimmt. »Die unbekannten Beherrscher holen uns! Das ist ein Unterschied!« »Unterschied oder nicht, angenehm wird die Begegnung nicht werden. Übrigens: Be gegnung! Die Magier meinten diese Geister flotte, daran kann kein Zweifel bestehen. Aber was soll's? Wracks, nichts als Wracks! Was soll daran so bedeutsam und schicksal haft sein?« »Wir müssen weitersuchen«, schlug Raz amon vor. Es war natürlich ausgeschlossen, daß sie alle Schiffe durchsuchten. Eigentlich waren es nur Stichproben, die sie machten. Aber sie fanden überall das gleiche Bild. Die Wracks waren verlassen, und es gab keiner lei Hinweise auf die Besatzungen. Nach zwanzig Stunden, in denen sie nur eine kurze Ruhepause eingelegt hatten, ga ben sie vorerst auf. Sie saßen in der Zentrale der GOL'DHOR, die ohne Antrieb ihre Posi tion im Wrackschwarm nicht veränderte. »Was sollen wir denn noch tun?« fragte Razamon verzweifelt. »Wenn wir jedes ein zelne Schiff überprüfen wollen, benötigen wir mehrere Monate.« »Das habe ich mir auch schon ausgerech net«, gab Atlan widerwillig zu. »Aber es muß hier noch etwas geben, das wir nicht gefunden haben. Ich schlage vor, daß wir nach Pthor zurückkehren und den Magiern eine Information zukommen lassen, was wir entdeckten. Wenn sie schon Prophezeiungen machen, dann werden sie auch wissen, wo nach wir suchen sollen.« »Kein schlechter Gedanke, Atlan. Ich bin es nämlich wirklich leid.« »Gut, dann ist der Beschluß einstimmig gefaßt«, sagte Atlan erleichtert und legte die Hände auf die Kontrollen. »Die Position der
Clark Darlton Wracks ist gespeichert, wir finden die ver nichtete Flotte jederzeit wieder. Kehren wir um.«
* Thalia lauschte dem Bericht Atlans mit großem Interesse, dann sagte sie: »Natürlich wird es möglich sein, eine Frage an die Ma gier zu richten. Bist du damit einverstanden, daß ich einen Boten entsende?« »Sicher! Aber mit einem Zugor. Ich weiß nicht, wieviel Zeit wir noch haben.« »Die Flotte ist uralt, hast du behauptet.« »Das stimmt, aber das hat nichts mit der Frist zu tun, die uns noch bleibt. Also ein Zugor, bitte.« »Selbstverständlich, Atlan, ein Zugor. Und zwar sofort.«
* Zwei Tage später kehrte der Bote aus der Barriere von Oth zurück. Er überbrachte die Antwort der Magier auf die Anfrage von Thalia. Sie lautete: »Die Wracks der Flotte waren es, die wir meinten, aber ihr habt sie nur auf gleicher Ebene gesehen. Betrachtet sie aus der Senk rechten, und ihr werdet wissen, was gemeint ist.« Das war alles. Razamon sah Atlan fragend an. »Was soll das bedeuten? Ob vertikal oder aus der Waagrechten – wo ist da der Unter schied? Wrack bleibt Wrack!« »Vielleicht die Formation der ehemaligen Flotte?« vermutete Atlan. »Mag sein, daß sie uns die Information gibt, nach der wir su chen.« Sie zögerten nicht, sofort zu starten. Das goldene Schiff ließ Pthor abermals weit hin ter sich zurück, nachdem es den Wölbmantel durchstoßen hatte. Als weit vor der GOL'DHOR die Licht pünktchen auftauchten, veränderte Atlan den Kurs derart, daß sie in einem Winkel von
Drei von der Geisterflotte dreißig Grad, wenn man die bisherige Flug bahn als Berechnungsgrundlage nahm, nach »oben« stiegen. Sie würden also am Ende des Fluges hoch über der vernichtenden Flotte stehen und sie aus einer neuen Per spektive ganz überblicken können. Ganz allmählich veränderte sich das Bild, das sich ihnen bot. Die Ansammlung der Lichtpunkte schien sich zu vergrößern, und die gesamte Formation wurde zu einem rie sigen Oval, das sich allmählich zu einem vollkommenen Kreis ausbildete, als die GOL'DHOR direkt über ihm war und stopp te. Die Entfernung war groß genug, um die Flotte in einem Stück betrachten zu können. Und jetzt erst wurde klar, was die Magier gemeint hatten. Der äußere Rand des »Kreises« war unre gelmäßig. Die einzelnen Wracks trieben da hin, das eine vom anderen durch unter schiedliche Entfernungen getrennt. Je mehr man sich dem Zentrum des Kreises näherte, desto kleiner wurden die Abstände von Schiff zu Schiff. Und genau im Zentrum hat te sich eine besonders merkwürdige Forma tion gebildet. Sie fiel den beiden Männern gleichzeitig auf. »Siehst du es auch?« fragte Atlan und fuhr fort, als Razamon nur stumm nickte: »Drei große Schiffe bilden den Mittelpunkt, das ist deutlich zu erkennen. Sie liegen Hül le an Hülle. Um sie herum haben die Wracks einen undurchdringlichen Ring gebildet, es müssen mehrere Dutzend Schiffe sein. So als wollten sie die drei eingeschlossenen vor etwas beschützen.« »Genau diesen Eindruck habe ich«, bestä tigte Razamon mit seltsam gepreßter Stim me. »Das ist es zweifellos, was die Magier meinten.« »Kombinieren wir weiter: Wenn sich um die drei Wracks ein schützender Ring gebil det hat, muß sich in ihnen etwas befinden, das wertvoll ist – oder war. Man wollte es vor der Vernichtung bewahren.« Razamon schien gewillt zu sein, sich
9 nicht mehr mit langen Vorreden aufzuhalten. »Sehen wir nach«, schlug er vor. »Das ist auch meine Absicht«, sagte Atlan und legte die Hände wieder auf die Kontrol len. Die GOL'DHOR nahm wieder langsam Fahrt auf und sank von oben herab auf die Geisterflotte zu. Die Anordnung wurde nun noch deutlicher als zuvor. Alle Schiffe, die den Schutzring bildeten, wandten ihre Hecks der Dreiergruppe zu. Jeder Bug zeigte somit in Feindrichtung. Diese Vorsichtsmaßnahme schien einigen Erfolg gehabt zu haben, denn die drei Wracks im Zentrum wiesen kaum sichtbare Beschädigungen auf. Dicht über ihnen kam die GOL'DHOR zum Stillstand. »Gehen wir wieder beide?« fragte Raza mon und fingerte am Schutzhelm herum. »Es wird besser sein«, sagte Atlan und schloß den Helm. Das Funksprechgerät funktionierte einwandfrei. »Ich sehe keine Lecks, wir werden also wieder gewaltsam eindringen müssen.« Zum Glück erwies sich das als überflüs sig. Die Luke des ersten Schiffes ließ sich leicht von außen öffnen. Die ehemalige At mosphäre in seinem Innern hatte sich längst verflüchtigt. Auch sonst deutete nichts dar auf hin, daß sich einst lebende Wesen an Bord befunden hatten. Sorgfältig durchsuchten die beiden Män ner Raum für Raum, ohne etwas von sichtli cher Bedeutung aufzuspüren. Je näher sie dem unteren Lagerraum kamen, desto unru higer wurde Razamon. Auch Atlan spürte ein ungewohntes Kribbeln in den Gliedern. Razamon war stehengeblieben. »Das verdammte Bein, es schmerzt wie der. Hoffentlich schickt mich der Zeitklum pen nicht gerade jetzt wieder auf eine unfrei willige Zeitreise wie kürzlich im Korsallo phur-Stau.« »Das fehlte noch! Was spürst du sonst noch?« »Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Irgend etwas signalisiert Gefahr. Ob es das ist, was wir suchen?«
10 »Möglich.« Atlan rückte seinen Strahler im Gürtel zurecht. »Es ist nichts Lebendiges, das wäre unmöglich. Gehen wir weiter.« Die deutlich spürbare Aura wurde stärker und intensiver. Atlan übernahm nun die Führung und richtete sich nur nach dieser Aura, die ihnen den Weg zu zeigen schien. Vor einer verschlossenen Metalltür blieb Atlan stehen. »Dahinter muß es sein«, sagte er und deu tete auf die Tür. »Ist sie zu öffnen? Der Knopf dort …?« Razamon war herbeigekommen. Er nickte und drückte den Knopf mit dem Daumen ein. Es mußte noch Energie vorhanden sein, denn ein leises Summen ertönte, dann schob sich die Tür seitlich in die Wand hinein. Ein mattes Licht flammte auf und ließ die beiden Männer einen Blick in das Innere des Raums tun, ehe sie ihn betraten. Er war leer. Nur in seiner Mitte lag in einem offenen Be hälter ein großer Brocken dunkler Materie, unregelmäßig geformt und etwa anderthalb Meter mal siebzig Zentimeter messend. Sieht aus wie ein Schlackehaufen, dachte Atlan unwillkürlich. Oder ein Stück erkalte te Lava. Und die geheimnisvolle Aura geht davon aus … Auch Razamon starrte auf den absolut schwarzen Brocken, der kein Licht reflek tierte, sondern es total zu verschlucken schi en. Er griff sich ans linke Bein. »Was ist das?« fragte er fast scheu. »Ich weiß es nicht. Hast du eine Vermutung?« »Ja, die habe ich«, behauptete Razamon zu Atlans Überraschung. »Es kann sich nur um ein Stück Materie aus der Schwarzen Galaxis handeln.« Atlan warf ihm einen überraschten Blick zu. Erneut betrachtete er den geheimnisvol len Brocken, der in dem offenen Behälter ruhte. Zwei Dinge waren es, die ihn unge wöhnlich erscheinen ließen: die drohende Aura, die er um sich verbreitete, und seine lichtschluckende Eigenschaft. Gab es noch mehr? »Ein Stück Materie aus der Schwarzen Galaxis«, wiederholte Razamon überzeugt.
Clark Darlton »Sie haben den Brocken von dort mitge bracht, und vielleicht ist sogar er der Grund zur Vernichtung der Flotte. Es mag sein, daß er vorher anders ausgesehen hat und durch den Angriff – oder schon vorher – so defor miert wurde. Eine Waffe vielleicht?« »Wir werden ihn nicht hier zurücklassen«, entschied Atlan nach kurzer Überlegung. »Wir nehmen ihn mit und lassen ihn auf Pthor untersuchen. Vielleicht erhalten wir wertvolle Hinweise auf das, was vor uns liegt. Doch zuerst gehen wir noch in die bei den anderen Schiffe. Schließlich sind es drei, die vor der restlosen Zerstörung ge schützt wurden. Wer weiß, was wir dort noch entdecken.« Razamon nickte und ging voran.
* Auch die Außenluke des zweiten Schiffes ließ sich ohne Problem öffnen. Sie durch suchten sämtliche Räume, ohne etwas Be sonderes zu finden, wenigstens nicht auf den ersten Blick. Schließlich kehrten sie in die Kommandozentrale zurück. »Was könnte hier sein, das beschützt wer den sollte?« fragte Razamon und betrachtete nachdenklich die scheinbar noch intakten Kontrolltafeln und Instrumentenkonsolen. Sein Blick fiel auf den achteckigen Würfel von einem Meter Durchmesser, der auf ei nem Sockel ruhte. »Das Ding da vielleicht, offensichtlich eine Art Computer?« »Er fiel mir schon bei der ersten Durchsu chung hier auf«, gab Atlan zu. »Ein Compu ter? Vielleicht. Sehen wir ihn uns näher an.« Auffällig war, daß er in jeder Hinsicht autark zu sein schien. Er war mit keinem Teil des Schiffes fest verbunden und von er staunlicher Leichtigkeit, obwohl die Anti gravfelder noch intakt zu sein schienen. Je denfalls herrschte an Bord des Schiffes eine geringe Gravitation. »Vielleicht ein Speicher? Hätte man ihn sonst so geschützt?« »Du kannst recht haben mit deiner Ver mutung, Razamon. Wir sollten auch ihn mit
Drei von der Geisterflotte nehmen. Die Technos sind sehr begabt, sie könnten seine Funktion herausfinden. Damit haben wir schon zwei Dinge von Interesse. Nun bin ich auf das dritte gespannt.« Sie warfen einen letzten Blick auf den achteckigen Block und verließen das Wrack. Das dritte Schiff lag direkt daneben, sie brauchten praktisch nur umzusteigen. Durch die Erfahrung gewitzt begaben sie sich ohne Zeitverlust sofort in die Kommandozentrale, und genau hier war es, wo sie die entschei dende Entdeckung machten.
* Atlan hatte Razamon vorgehen lassen. Er beschleunigte jedoch seine Schritte, als er im Kopfhörer des Helms einen erstickten Aufschrei vernahm und dann Razamons Stimme: »Atlan! Schnell, komm her! Ich habe et was gefunden!« Als er die Zentrale betrat, blieb er mit ei nem Ruck stehen. Mitten in dem halbrunden Raum standen drei sargähnliche Behälter mit transparentem Deckel. In ihnen ruhten drei humanoide Ge stalten, offensichtlich in einen Tiefschlaf versenkt. Oder waren sie tot? Die durchsichtigen Deckel waren alle von innen kaum merklich beschlagen, ein siche res Anzeichen dafür, daß sich im Innern der Behälter ein Gas befand. Der Boden selbst war dick und enthielt mit Sicherheit alle not wendigen Einrichtungen und Apparaturen, um das Leben der Schlafenden zu erhalten. Es gab keine Leitungen oder sonstige Ver bindungen. Die Behälter schienen ebenso autark zu sein wie der Computer im zweiten Schiff. »Sind das die einzigen Überlebenden der Flotte?« fragte Razamon mit einem seltsa men Unterton in seiner Stimme. »Haben sie sich hierher gerettet?« »Überlebende der Flotte …?« dehnte At lan. »Wir wissen es nicht, aber wir werden es herausfinden. Wir nehmen die Behälter
11 mit. Sie sind unabhängig von den Anlagen des Schiffes.« Im ersten und dritten Schiff gab es keine Schwerkraft, so daß sich der Transport des Materieklumpens und der drei Behälter ver hältnismäßig einfach gestaltete. Lediglich der Computer bereitete einige Schwierigkei ten. Er war seiner Form und der glatten Flä chen wegen unbequem zu transportieren. Das wurde erst besser, als man ihn aus dem Schiff geschafft und die Zone absoluter Schwerelosigkeit erreicht hatte. Alles wurde im Laderaum der GOL'DHOR verstaut. Atlan nahm hinter den Kontrollen Platz, während Razamon immer wieder die drei schlafenden Fremden betrachtete. Er schien sich seine eigenen Gedanken über sie zu ma chen, schwieg sich aber aus. »Mir bereitet der schwarze Brocken unbe kannter Materie die größte Sorge«, bekannte Atlan, als die GOL'DHOR mit wachsender Beschleunigung schräg nach oben stieß und wendete, um in Richtung Pthor zurückzu fliegen. »Die drohende Aura ist noch immer vorhanden. Hoffentlich haben wir uns da nichts Schlimmes eingehandelt.« Razamon warf einen letzten Blick auf die drei Schlafenden, dann kam er nach vorn und setzte sich neben Atlan. »Ob schlimm oder nicht, wir müssen ihn untersuchen. Wenn er wirklich aus der Schwarzen Galaxis stammt, und ich zweifle keinen Augenblick daran, kann er uns wert volle Hinweise geben. Wir könnten viel leicht lebenswichtige Dinge erfahren, die uns später von größtem Nutzen sind. Wir müssen das Risiko schon eingehen.« »Ich bin durchaus deiner Meinung. Ob wir die drei Schlafenden auf Pthor auf wecken können?« »Hm, die Schlafenden. Tot sind sie be stimmt nicht, aber ob wir sie ohne Schaden für sie ins Leben zurückholen können, ist ei ne andere Frage. Wir kennen die Funktion der Anlage nicht. Wir wissen nicht einmal, welcher Art die Zusammensetzung der At mosphäre sein muß, die sie zu atmen ge
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wohnt sind. Wir werden sehr behutsam vor gehen müssen.« »Ich selbst werde diesen Teil der Untersu chung überwachen.« »Dann kümmere ich mich um den Mate riebrocken. Seine Ausstrahlung hat meinen Zeitklumpen aktiviert. Ich bin neugierig ge worden, das wirst du verstehen.« »Wir werden die Magier unterrichten müssen, denn schließlich gaben sie uns den Tip.« Endlich sahen sie weit vor sich Pthor auf tauchen und durchdrangen den schützenden Wölbmantel, um sicher bei der FESTUNG zu landen. Atlan schaltete den Antrieb ab. »Warte bitte hier, bis ich Thalia informiert habe. Ich werde mit Dellos und einigen Technos zu rückkehren. Sie sollen unsere Schätze in die FESTUNG bringen. Also – bis gleich.«
2. Eine halbe Stunde später kehrte Atlan mit dem Arbeitstrupp zurück. Er brachte Trans portwagen mit und nahm Razamon beiseite. »Einer der Magier war bei Thalia. Er schi en uns schon erwartet zu haben. Ich habe ihm von unserem Fund unterrichtet, und er ist sofort mit seinem Zugor gestartet, um die Magier zu informieren, daß wir Erfolg hat ten.« Atlan lächelte leicht. »Als ob sie das nicht schon bereits wüßten …!« »Sind die Technos instruiert?« »Sie werden vorsichtig mit dem Transport sein. Komm, wir gehen schon vor. Wir müs sen uns um die Räume kümmern, in denen wir die Dinge unterbringen wollen. Drei Gruppen müssen unabhängig voneinander arbeiten, um sich nicht gegenseitig zu stö ren.« Die riesige Hauptpyramide wuchtete vor ihnen und schien höher zu werden, je mehr sie sich ihr näherten. Thalia erwartete sie. »Gut, daß ihr zurück seid«, sagte sie. »Ich habe mir Sorgen gemacht. Die Magier hät ten sich auch irren können.« »Wir kamen nicht mit leeren Händen«,
sagte Razamon etwas förmlich. »Was hältst du davon, Thalia?« »Warten wir die Untersuchungen ab. Ich muß aber zugeben, daß ich ein ungutes Ge fühl habe.« »Der schwarze Brocken Materie?« Sie nickte. »Der auch, aber Sorgen bereiten mir die drei Schläfer. Wenn wir sie aufwecken, wis sen wir nicht, wie sie reagieren werden. Ich bin froh, daß Atlan die Leitung dieser Grup pe übernimmt. Habt ihr etwas dagegen, wenn ich mich des Computers annehme – wenn es überhaupt so etwas wie ein Compu ter ist?« »Somit hat jeder von uns seine Aufgabe«, stellte Atlan fest. »Wir werden uns gegen seitig unterrichten, wenn etwas Ungewöhnli ches geschieht. Hast du die Räume schon ausgesucht, Thalia?« »Sie liegen dicht zusammen und besitzen die entsprechende technische Ausrüstung.« »Gut. Die Transporte werden in einer hal ben Stunde eintreffen. Was mich angeht, so würde ich gern ein paar Stunden schlafen, bevor die Arbeit beginnt. Ich bin müde, das werdet ihr hoffentlich verstehen.« »Ich auch«, warf Razamon ein. »Es wäre gut, wenn Thalia sich um die Vorbereitun gen kümmern würde und dafür sorgte, daß niemand mit den Untersuchungen beginnt, bevor wir auftauchen.« »Verlaßt euch auf mich«, versicherte Odins Tochter.
* Die Technos hatten den achteckigen Computer in den von Thalia bestimmten Raum gebracht und auf einem Podest abge setzt, nachdem sie ihn aus seinem Behälter gehoben hatten. Nun ruhte er dort, voller Rätsel und Ge heimnisse. Thalia besaß nicht Atlans technisches Verständnis, aber sie hatte in den vergange nen Monaten viel von ihm gelernt. Hinzu kam, daß auch die Technos über einiges
Drei von der Geisterflotte Wissen verfügten und von Atlan einige An weisungen erhalten hatten, wie sie vorgehen wollten. Ohne das Ding anzurühren, außer dann, wenn es unbedingt notwendig war, began nen sie mit der Überprüfung. Die Strah lungsmesser zeigten kaum nennenswerte Re aktionen; sie verrieten lediglich, daß der Computer über eine eigene Energieversor gung verfügte. Sie mußte sich im Sockel des Würfels befinden. Die Frage war nur, wie man sie aktivierte. Thalia verfolgte die Untersuchungsarbei ten mit ungeteilter Aufmerksamkeit. Sie mischte sich so selten wie möglich ein, um die Spezialisten nicht zu stören. Der Block aus unbekanntem Material schien aus einem Stück zu sein, wenigstens sah es auf den er sten Blick so aus. Wie also sollte man in sein Inneres gelangen? Thalia war entschlossen, den Block unter allen Umständen öffnen zu lassen, wenn sich keine andere Möglichkeit bot. Sie muß te in Erfahrung bringen, was sich in seinem Innern verbarg. Wenn behutsam vorgegan gen wurde, konnte nicht viel beschädigt werden. Nach zwei Stunden ordnete sie eine Pause an und ging, um Atlan aufzusuchen, der ebenfalls eine Unterbrechung der Arbeiten veranlaßt hatte. »Wir kommen nicht weiter«, gestand Tha lia. »Wenn überhaupt, dann nur mit vorsich tiger Gewalt. Wie steht es bei dir?« »Noch nichts. Wahrscheinlich müssen wir noch vorsichtiger sein als du, um das Leben der Schlafenden nicht zu gefährden. Es bie ten sich mir und den Technos keinerlei An haltspunkte, wo wir mit dem Erweckungs prozeß beginnen könnten. Den Deckel eines Behälters einfach zu öffnen, dürfte fatal für den betreffenden Schläfer sein. Trotzdem müssen wir herausfinden, welcher Art die Zusammensetzung der Atmosphäre ist, die er atmet. Sie aber befindet sich im Innern des Behälters, praktisch unerreichbar. Aber wir werden eine Lösung finden. Übrigens: Razamon scheint auch nicht weiterzukom
13 men.« »Das wundert mich nicht. Der Brocken aus der Schwarzen Galaxis ist mir mehr als nur unheimlich.« »Das allein ist es nicht, Thalia. Er ist ak tiv.« »Wie meinst du das?« »Frage Razamon, wenn er eine Pause macht.« »Warum sagst du es mir nicht?« »Weil er es besser kann, Thalia. Ich muß zurück jetzt. Wir treffen uns später, wir alle drei. Dann tauschen wir unsere Erfahrungen und Vermutungen aus und beraten, was wir morgen tun werden.« »Gut. Viel Glück!« Thalia kehrte in ihr »Labor« zurück und ordnete die Weiterarbeit an.
* Razamon war so unsicher wie selten zu vor in seinem Leben. Er konnte es nicht bewußt registrieren, aber er fühlte das Drohende, das von dem festen Schlackeklumpen ausging. Die Tech nos schien es weniger zu berühren, um so mehr aber ihn. Dabei sah der dunkle Brocken relativ harmlos aus, wenn seine un regelmäßige Form Razamon auch zu denken gab. Vor allen Dingen deshalb, weil in dieser Unregelmäßigkeit eine gewisse Systematik zu liegen schien. Er dachte lange über diese Tatsache nach, bis er plötzlich begriff, was ihn so gestört hatte. Die Systematik der Unregelmäßigkeit! Allem Anschein nach ein Paradoxon, und doch wieder nicht. So etwa konnte ein regel mäßig geformter Würfel aussehen, wenn er unter unvorstellbarer Hitzeeinwirkung schmolz und wieder erstarrte. Die ursprüng lichen Formen waren dann nur noch zu erah nen. Hatte der schwarze Brocken ursprünglich anders ausgesehen? War er nicht nur einfach wahllos einge sammelte Materie aus der Schwarzen Gala
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xis, sondern etwas ganz anderes? Eine Ap paratur vielleicht? Eine Waffe? Warum ausgerechnet eine Waffe? dachte Razamon ärgerlich, während er gleichzeitig erkannte, daß gerade eine Waffe aus der Schwarzen Galaxis für die Angreifer von allergrößter Wichtigkeit gewesen sein konn te. Nur wer die Waffe des Gegners kannte, konnte die Gegenwaffe konstruieren. Das Ding sah nach allem anderen, aber nicht nach einer Waffe aus. Razamon überwand seine Bedenken. »Sind wir in der Lage«, fragte er den lei tenden Techno, »die ursprüngliche Form des Gegenstands dort zu rekonstruieren?« »Selbst mit einem Computer nicht«, ver neinte der Gefragte. »Dazu fehlen insbeson dere die Informationen, was zur Deformie rung führte.« Razamon humpelte zu seinem Sessel zu rück und ließ sich hineinfallen. Er spürte die Schmerzen wieder sehr stark. Nein, eine Waffe war das Ding bestimmt nicht gewesen. Die Angreifer, die später ver nichtet wurden, hatten einfach nur ein Stück Materie mitgenommen, als sie die Schwarze Galaxis erreichten. So und nicht anders war es gewesen. Oder doch nicht?
se der Unregelmäßigkeit ergeben ein ganz bestimmtes Muster, auch ein Achteck. Es ist nicht sehr groß.« »Wenn es sich nun wirklich um eine Art Tür oder Klappe handelt, wie ist sie zu öff nen?« »An dem Problem arbeiten wir gerade«, sagte der Techno. »Seid vorsichtig!« rief Thalia. »Es darf nichts beschädigt oder gar zerstört werden. Noch wissen wir nicht, welche Funktionen das Ding erfüllt. Es könnte gefährlich sein.« »Es ist mit Sicherheit eine Art Speicher«, behauptete der Techno. »Wie kommst du darauf? Hast du einen Anhaltspunkt für dei ne Behauptung?« »Gewisse Anzeichen scheinen meine Ver mutung zu bestätigen«, sagte der Techno. »Wir nehmen außerdem an, daß sich die ge tarnt angebrachte Klappe nur durch Schock wellen oder Funkimpulse bestimmter Fre quenz öffnen läßt. Da wir diese Frequenz nicht kennen, müssen wir systematisch vor gehen.« »Das kann Tage dauern!« »Wir sehen keine andere Möglichkeit, wenn wir nicht mit Gewalt vorgehen sol len.« Thalia ergab sich in ihr Schicksal. »Also gut, dann fangt an.«
*
*
»Es ist möglich, daß wir etwas gefunden haben«, sagte der leitende Techno zu Thalia, als sich diese nach dem Fortschritt der Un tersuchung erkundigte. Inzwischen waren zwei erfolglose Tage vergangen. »Es ist zwar kein Spalt, aber die empfindlichen Ta ster haben eine Unregelmäßigkeit in der Oberfläche registriert, die mit dem Auge nicht zu erkennen ist. Es könnte sich sehr gut um eine getarnte Öffnung handeln.« »Um eine Öffnung?« vergewisserte sich Thalia. »Warum ist sie dann nicht früher entdeckt worden?« »Wir hatten diesen Oberflächentaster bis her noch nicht einsetzen können. Die Umris-
Wie schon oft genug zuvor stand Atlan vor den drei sargähnlichen Behältern und betrachtete die Schläfer. Seine Technos machten gerade Pause und berieten die nächsten Schritte zur Wiederbelebung der Fremden. Die drei Fremden waren humanoide We sen mit ungewöhnlich spitzen und langen Köpfen. Auch der Körperbau war ungemein hager. Die Gesichter waren flach und wiesen genau in ihrer Mitte ein Augenbündel mit vier Stielaugen auf. Alle vier Augen saßen an der Wurzel zu sammen und ragten fünf Zentimeter hervor, ein sicheres Zeichen dafür, daß sie nach al
Drei von der Geisterflotte len Richtungen bewegt werden konnten. Die vier Zentimeter durchmessende Mun döffnung war rund. Zwischen Kinn und Hals befand sich ein dunkelroter Kehlsack, offen bar das Sprechorgan. Die Hautfarbe der absolut haarlosen Schläfer war schmutziggrau, ihre Gesamt länge betrug etwa einen Meter siebzig. Die Arme wirkten unregelmäßig, so als würde ihr Fleisch nicht von Knochen, sondern von ineinander übergreifenden Knorpelsegmen ten zusammengehalten. Das galt auch für die relativ kurzen Beine. Arme und Beine mün deten in drei lederartige Greiflappen bezie hungsweise Tellerauswüchse. Humanoid ja, aber nicht sonderlich men schenähnlich. Der leitende Techno kam herbei und un terbrach Atlans Überlegungen. »Wir treten auf der Stelle, Atlan. Wenn es uns nicht gelingt, wenigstens eine winzige Probe des Gases zu entnehmen, ist ein Öff nen der Deckel unmöglich.« »Wie willst du eine Gasprobe erhalten, ohne den Deckel zu öffnen?« »Mit einer Sonde, die wir durch das Mate rial einführen. Das winzige Loch kann da nach wieder abgedichtet werden.« »Und wenn das Material zu hart ist?« »Die Sonde wird härter sein.« Atlan über legte. Der Vorschlag hatte einiges für sich, aber … »Die Probe ihrer Atmosphäre nützt uns vorerst nichts, solange wir nicht wissen, wie der Wiederbelebungsprozeß aktiviert wird. Ich fürchte, daß wir bei einem der Behälter den Sockel öffnen müssen, um an die Anla ge heranzukommen.« »Vielleicht hilft uns trotzdem mein Vor schlag weiter. Sollte die Atmosphäre der Fremden mit der unseren identisch sein, würde ein Öffnen des Deckels schon einen gewissen Wiederbelebungsprozeß einleiten. Das Gas unter dem transparenten Deckel ist sehr dünn, die Temperatur sehr niedrig. Das konnten wir messen. Wenn der Schläfer die ursprüngliche Dichte einatmet und außer dem Wärme zugeführt bekommt, dürfte sich
15 sein Metabolismus normalisieren.« Atlan schüttelte den Kopf. »Das erscheint mir zu riskant. Versucht, einen anderen Weg zu finden, einen weniger gefährlichen. Ich wiederhole: Wir müssen den Mechanismus untersuchen können. Er ist im Sockel.«
* Razamon mußte lange mit sich kämpfen, ehe er dem Vorschlag der Technos zustimm te. Die bisherigen Untersuchungen hatten zu keinem greifbaren Ergebnis geführt. Der un förmige Klumpen schwarzer Materie ruhte auf dem niedrigen Podest, verschluckte jeden Lichtstrahl und verstrahlte dafür seine eigene Aura. Da war der leitende Techno zu ihm ge kommen und hatte gesagt: »Es ist unmöglich, eine exakte Analyse vorzunehmen. Sie wäre nur dann vorzuneh men, wenn wir ein Stück des unbekannten Materials erhielten. Wir sollten versuchen, es von dem Brocken abzulösen.« »Also gut«, sagte er schließlich zu dem Techno. »Aber es muß sehr vorsichtig ge schehen. Und wir hören sofort auf, wenn die Aura sich verstärken sollte. In dem Brocken ist eine gewisse Art von Leben.« »Wir nehmen einen Diamantstahlit-Schnei der«, klärte ihn der leitende Techno auf. »Wir kennen nichts, was härter wäre.« »Aber nur ein winziges Stück!« warnte Razamon und beobachtete aus einiger Ent fernung die Vorbereitungen der Technos. Sie rollten den Schneider mit dem eingebau ten Energieversorger herbei. »Und sofort aufhören, wenn ich es sage!« Das eigentliche Schneideinstrument erin nerte an ein normales Messer, aber die dun kelblaue Klinge ließ ungeahnte Härte ver muten. Mit Energie versorgt, würde sie un gemein schnell vibrieren und jedes bekannte Material zerschneiden. Die Technos wählten ein daumengroßes Stück für die Abtrennung aus, das ein wenig
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hervorstand. Der Spezialist setzte das Mes ser an und schaltete die Energie ein. Razamon konnte die eigentliche Vibration des Messers nicht sehen, wohl aber glaubte er, ein schwaches Aufblitzen erkennen zu können. Der Spezialist setzte die Schneide vorsichtig an. Als sie den Auswuchs berührte, war es Razamon, als führe sie in das Fleisch seines linken Beines. Der plötzliche Schmerz war so furchtbar, daß er einen gellenden Schrei ausstieß. Der Spezialist nahm das Messer zurück und schaltete die Energie ab. Er sah hinüber zu Razamon, der zusammengesunken am Boden lag und sich krümmte. Der Leiter der Technos rannte zu ihm. »Was ist passiert, Razamon? Schmer zen?« Razamon stöhnte, richtete sich aber schon wieder auf. »Schmerzen ist kein Ausdruck für das, was ich spürte. Es war, als hätte man mir das Bein abgeschnitten. Es wird schon wieder besser, aber laßt die Finger von dem schwar zen Brocken. Es ist so, als verbünde mich et was mit ihm.« Er erhob sich schwankend. »Wir müssen einen anderen Weg finden. Die fremde Materie wehrt sich. Es ist so, als wäre sie intelligent.« »Es ist anorganische Materie«, wehrte der Techno ab. »Das haben unsere bisherigen Untersuchungen einwandfrei ergeben.« Razamon zuckte mit den Schultern. »Woraus er besteht, weiß ich nicht. Ich weiß nur, daß wir in Zukunft noch vorsichtiger als bisher sein müssen.«
* Eigentlich war es ausgerechnet Thalias Arbeitsgruppe, die den ersten und in gewis sem Sinn auch den letzten Erfolg zu verbu chen hatte. Der achteckige Computer – oder was es auch war – reagierte in keinster Weise auf die Schockwellentherapie. An dem Ding rührte sich nichts, und schon gar nicht öffne-
te sich die vermeintliche Klappe. Nach etlichen Stunden ging man dazu über, starke Funkimpulse in jeder nur denk baren Frequenz auf den Block abzustrahlen. Natürlich ging man systematisch vor, um keine Frequenz zu vergessen und dafür an dere doppelt anzuwenden. Zuerst geschah nichts. Dann aber, wiederum nach mehreren Stunden mit eingelegten Verschnaufpausen, geschah doch etwas. Die bisher mit dem bloßen Auge nicht er kennbare Klappe wurde plötzlich transparent und hob sich scharf abgetrennt von dem üb rigen Material ab. Man konnte nun das Inne re des Blocks sehen. Viel war es vorerst allerdings noch nicht, was man zu sehen bekam. Thalia erkannte hinter dem durchsichtigen Deckel so etwas Ähnliches wie eine hand große Mattscheibe und darunter symme trisch angeordnete Rillen, etwa wie bei einer Klimaanlage oder einem Lautsprecher. Und alles bewegte sich unendlich lang sam nach vorn, auf den Beschauer zu. Dann durchdrang die ganze geheimnisvol le Apparatur die transparente Scheibe, als sei sie gar nicht vorhanden. Sie schien sich in Nichts aufgelöst zu haben. Thalia wich einige Schritte zurück, als be fürchte sie jeden Moment eine Explosion. Aber es erfolgte keine. Die Technos fürchteten sich weniger. Sie blieben dicht gedrängt um den achteckigen Block stehen und beobachteten, was weiter geschah. Den Sender der Impulsstrahlung hatten sie inzwischen ausgeschaltet. Die matte Scheibe hielt an, als sie etwa zehn Zentimeter Abstand von ihrem Gehäu se erreicht hatte. Dann geschah eine ganze Weile nichts. Jeder der Anwesenden hatte das Gefühl, auf irgendeine unerklärliche Art und Weise abgetastet zu werden. Wie kaum spürbare elektrische Stromstöße bohrte sich etwas in ihre Gehirne. Es ist, dachte Thalia, als versuche ein Te lepath, in meine Gedanken einzudringen.
Drei von der Geisterflotte Aber das Ding da kann kein Telepath sein. Es ist ein lebloser Computer, vollgestopft mit elektronischem oder positronischen Ge rät. Nicht mehr und nicht weniger. Die Technos fuhren erschrocken zurück, als es auf dem handgroßen und rechteckigen Mattscheibchen zu flimmern begann. Gleichzeitig kam aus dem schmalen Gitter grill darunter ein heiseres Krächzen, das lei ser wurde und schließlich wieder verstumm te. Wie gebannt starrten alle auf die Matt scheibe, die nichts anderes als ein kleiner Bildschirm sein konnte. Selbst Thalia wagte sich wieder näher an die Gruppe heran. Erste Figuren erschienen, aber sie besaßen noch keinen Sinn. Es schien, als müßten sie sich erst mühsam zusammensetzen und als kämen die benötigten Informationen dazu nur zögernd herein. Von wo herein? Das könnte das Dreieck sein, dachte Tha lia, als sie das wie von Kinderhand gezeich nete Gebilde zu erkennen glaubte. Wenn die Linien absolut gerade wären … Die Zeichnung stabilisierte sich unmittel bar nach ihrem Gedankengang und wurde zu einem perfekten Dreieck. Die Technos stöhnten befriedigt auf, ob wohl sie nicht ahnen konnten, was Thalia gedacht hatte. Sie selbst war viel zu ver blüfft, um sich zu äußern, aber sie begann zu ahnen, daß der Block zumindest einen per fekt funktionierenden Automatik-Telepathen beherbergte. Sie kannte die technische Bedeutung des Begriffs, aber sie machte sich keine Vorstel lung, wie er arbeitete. Bewiesen war bis jetzt nur, daß das Ding ihre Gedanken aufnahm, verstand und auswertete. Und damit antwortete es auch. Thalia kombinierte weiter. Daß sie mit ihren Ver mutungen auf dem richtigen Weg war, sollte sich bald erweisen. Der Bildschirm, die Ril len, und alles, was noch dahinter den Blicken verborgen blieb, konnte eine Appa ratur sein, die der Verständigung mit Frem
17 den diente. Eine ganz besondere Art von Translator vielleicht. Oder ein Translator, der mit einem im Innern des Blocks befind lichen Speicher verbunden war …? Thalia wußte selbst nicht, warum sich die Vermutung mit dem Speicher immer wieder aufdrängte. Es gab keinerlei Beweise dafür. Vielleicht war auch hier der Wunsch der Va ter der Vermutung. Das Krächzen war verstummt, dafür wur den die Zeichnungen auf dem Bildschirm immer deutlicher und perfekter. Einmal glaubte Thalia sogar die Grundrisse der FE STUNG zu erblicken, dann ganz Pthor, aus sehr großer Höhe gesehen. Es waren alles Bilder, die sie selbst dachte. Der Block reagierte und antwortete. Und dann geschah etwas schier Unglaub liches. Aus dem Lautsprecher kamen erste ver ständliche Worte. In der Sprache von Pthor! Die unmodulierte Stimme sagte: »Wir haben Kontakt. Sie sind intelligent genug, den Speicher zu aktivieren. Er ist un ser Erbe, aber es blieb zu wenig Zeit, ihm al les mitzuteilen. Der Bericht wird beginnen, sobald Sie bereit sind. Denken Sie nur, daß Sie bereit sind. Mehr ist nicht nötig.« Die Stimme schwieg. Thalia zitterte am ganzen Körper, als sie den leitenden Techno zu sich winkte und sagte: »Ich werde Atlan holen, Razamon auch. Tut nichts in der Zwischenzeit! Rührt nichts mehr an! Zieht euch dort in die Ecke des Raumes zurück!« »Wie du befiehlst«, versicherte der Tech no und gab seinen Artgenossen einen Wink. »Wir werden warten.« Thalia ging, um Atlan und Razamon zu informieren.
* Atlan konnte seine freudige Überraschung nicht verbergen, als er die Neuigkeit erfuhr. Seine Erleichterung war in erster Linie auf
18 der Tatsache begründet, daß er selbst mit seiner Untersuchung nicht weiterkam. Die drei Schläfer lagen noch immer unverändert in ihren Behältern. Die Gasprobe war zwar ohne Komplikationen verlaufen und hatten ein Gemisch ergeben, das einer atembaren Atmosphäre entsprach, aber das war auch al les. Auch Razamon war mehr als erleichtert. Der Materieklumpen wurde ihm von Minute zu Minute unheimlicher und rätselhafter. Thalias Nachricht, daß sie einen Kontakt mit dem Erbe der vernichteten Flotte hergestellt hatte, war für ihn ein freudiger Schock. »Es muß eine technisch sehr hochstehen de Zivilisation gewesen sein«, sagte Atlan, als sie auf dem Weg zu Thalias Gruppe wa ren. »Ein mechanischer Telepath, zugleich Speicher und Translator …! Das ist unge heuerlich! Er hat in kurzer Zeit durch deine Gedanken, Thalia, die Sprache Pthors ge lernt, oder doch einen Bruchteil davon. Der Bildschirm nehme ich an, wird den akusti schen Bericht durch Zeichensprache unter stützen.« Thalias Gang war unbeschwerter und be schwingter als sonst. »So ist es wohl, Atlan. Ich bin gespannt, was wir erfahren werden.« »Mit ziemlicher Sicherheit den Hergang dessen, was geschehen ist. Vielleicht sogar mehr über das Volk, das den Angriff auf die Schwarze Galaxis wagte. Und über die Hin tergründe der gescheiterten Aktion.« »Information über den Brocken schwarzer Materie wäre mir auch recht«, meinte Raza mon. »Ich komme da nicht einen einzigen Schritt weiter. Das Zeug mag mich einfach nicht!« Er berichtete Atlan von dem schmerzhaften Zwischenfall. »Die Materie hat wahrscheinlich etwas mit der Zeit zu tun, aber frag' mich nicht, wieso.« »Möglich«, hoffte Atlan, »daß wir bald mehr darüber erfahren.« Gemeinsam betraten sie den Raum, in dem der achteckige Block auf sie wartete. Die Technos hatten sich ein wenig von ihm zurückgezogen, um Thalia und ihren Beglei-
Clark Darlton tern Platz zu machen. Niemand dachte dar an, sie jetzt fortzuschicken. Sie waren an dem bisherigen Erfolg nicht unbeteiligt ge wesen. Atlan und Razamon betrachteten den klei nen Bildschirm und alles was sonst noch sichtbar geworden war. Viel war es nicht. Auf dem Bildschirm stand immer noch das perfekte Dreieck. Thalia gab Atlan und Razamon einen Wink. Sie stellten sich links und rechts vor ihr hin. Die Tochter Odins ergriff die Initia tive. Sie trat einen halben Schritt vor und sagte laut, obwohl sie es nur hätte zu denken brau chen: »Wir sind bereit!« Einige Sekunden lang geschah nichts, dann entstand auf dem Bildschirm ein zwar kleines, aber ungemein scharfes, farbiges Bild. Es zeigte eine fremdartige Landschaft und am Horizont die Skyline einer modern wirkenden Stadt. Im Vordergrund erblickte man eine startbereite Raumflotte, die Schiffe scheinbar kaum größer als Reiskörner. »Das ist doch …!« begann Razamon ver blüfft. Atlan vollendete: »Richtig! Die Schiffe der Geisterflotte, kein Zweifel!« »Seid ruhig!« befahl Thalia. »Der Spei cher beginnt mit seinem Bericht.« Sie schwiegen sofort, denn aus dem Gril lautsprecher ertönte die unmodulierte Stim me, die Thalia bereits erwähnt hatte. Ohne jedes Anzeichen einer Emotion be gann sie zu berichten …
3. Die Wiedergabe des gespeicherten Be richtes kann in der Folge nur sinngemäß ge schildert werden, da es bei dem Lernprozeß des Computers fehlerhafte Interpretationen gegeben hatte. Auch die Übersetzung wies Mängel auf, die in dem Bericht Lücken ver ursachten, die später erst durch gemeinsame Kombinationsbemühungen gefüllt werden
Drei von der Geisterflotte konnten. Es ist fraglich, ob so der Wahr heitsgehalt erhalten blieb oder unwissentlich und unabsichtlich verfälscht wurde. Im Großen und Ganzen jedoch enthüllte der Bericht das tragische Schicksal eines technisch hochstehenden Volkes, dessen Existenz von einer grausamen Superzivilisa tion bedroht wurde und das sich zur Wehr setzte. Allein diese Tatsache warf alle Spekula tionen Atlans über den Haufen, nur ethisch geläuterte Intelligenzen könnten jemals zu einer Superzivilisation werden. Das Erbe der Geisterflotte bewies ihm das Gegenteil …
* Die »Mütter von Kelscherdahn« hatten viele Sonnenumläufe gewartet, ehe sie ihren entscheidenden Entschluß faßten und den Kindern des Sternenreiches »Sotron-Belloskap« mitteilten. Bei diesem Sternenreich handelte es sich um eine Gruppe von Planeten, die dicht bei einander standen und deren Bevölkerungen sich zusammengeschlossen hatten, um der gemeinsamen Gefahr widerstehen zu kön nen. Worin diese Gefahr bestand, ging aus dem Bericht nicht klar hervor, aber es mußte sich um den diktatorischen Zusam menschluß vieler tausend Sonnensysteme handeln, deren Eroberungslust jede Vorstel lung übertraf. Im weiteren Verlauf der Computeraussage wurden auch Zweifel wach, ob »Mütter« ei ne Bezeichnung für Regierungsorgane von Sotron-Belloskap, Kelscherdahn oder für die Sonnen des Sternenreiches war. Aber wie auch immer: Es gab sichere An zeichen dafür, daß der Gegner einen Angriff plante, und dem wollte man zuvorkommen. Und zwar durch einen überraschenden Über fall mit dem hauptsächlichen Ziel, Waffen des Feindes zum Zweck der Untersuchung zu erhalten und heimzubringen. Auch sollten Gefangene gemacht werden, damit man
19 mehr über den unbekannten Gegner erfuhr. Bereits beim Start war es dem Komman danten der Flotte von Sotron-Belloskap klar, daß er mit hohen Verlusten rechnen mußte. Der Gegner, das hatten einige wenige Be gegnungen mit ihm erwiesen, war über mächtig und im offenen Kampf nicht zu be siegen. Sein Plan war es daher, vorgescho bene Posten zu überfallen und zu vernichten. Es gelang der Flotte in der Tat, durch vor sichtiges Manövrieren bis an die äußeren Grenzen des feindlichen Reiches heranzu kommen und einzelne Stützpunkte auf sonst unbewohnten Planeten anzugreifen. Von jetzt an wurden die Informationen des Speichers noch ungenauer. Er mußte während des hastigen Rückzugs gefüttert worden sein. Nur soviel ging aus dem restli chen Bericht hervor: Es war gelungen, eine der gefährlichsten und unheimlichsten Waffen des Gegners zu erbeuten und in das dritte Flaggschiff des Kommandanten zu bringen. Im zweiten wur den drei unverletzt gebliebene Gefangene untergebracht. Im Kommandoschiff selbst wurde der Speichercomputer programmiert. Man wußte, daß die Flotte verfolgt und wahrscheinlich vernichtet werden würde. Die Nachwelt sollte erfahren, was sich abge spielt hatte. Als die Schiffe der Kinder von Kelscher dahn endgültig eingekreist waren und der Gegner mit der systematischen Vernichtung begann, befahl der Kommandant, die Gefan genen in den Tiefschlaf zu versenken, damit sie später unversehrt gefunden werden konn ten. Er rechnete nicht damit, daß der Gegner jedes einzelne Wrack durchsuchen würde, womit er recht behielt. Die drei Flaggschiffe wurden im Zentrum der von der Vernichtung bedrohten Flotte so postiert, daß sie kaum Schaden nehmen konnten. Bis zum letzten Augenblick seines Lebens speicherte der Kommandant dann Informa tionen in den Computer, aber seine Worte mußten in der Hitze des Gefechts selbst für den Speicher unklar gewesen sein. Es gab
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nur noch rätselhafte Andeutungen und zum Teil sinnlose Beobachtungen. Von »Verschwinden« war die Rede, aber auch von ganz normalen Detonationsge schossen, mit denen die Schiffe der einen Abwehrkreis bildenden Flotte systematisch zusammengeschossen wurden. Das Wort »tot« oder »verwundet« kam in dem Bericht des Kommandanten kein einziges Mal vor. Er endete mit dem nicht vollendeten Satz: »Der Gegner hat den Beschuß eingestellt, das Verschwinden aber bleibt. Jetzt sind un sere Flaggschiffe an der Reihe und …« Genau an dieser Stelle schwieg der Com puterspeicher.
* Atlan starrte den achteckigen Block lange an, ehe er tief Luft holte und Thalia und Razamon einen Wink gab. Die Technos wurden angewiesen, den Raum zu verlassen, der verschlossen wurde. »Hier können wir nicht reden, Thalia«, sagte er. »Der Computer ist noch immer auf nahmefähig. Ich weiß nicht, ob er unsere Gedanken noch empfangen kann, wenn sie die dicken Wände der FESTUNG durchdrin gen müssen. Vielleicht spielt das auch alles keine Rolle mehr.« »Ich glaube nicht, daß er uns schaden kann. Da fürchte ich meinen schwarzen Brocken viel mehr«, meinte Razamon. Sie suchten Thalias Quartier auf. Ein Del lo brachte erfrischende Getränke, dann ver schloß Thalia auch diese Tür. »Nun wissen wir, was geschehen ist«, sagte sie, nachdem sie sich gesetzt hatte und ihr Besuch ebenfalls Platz nahm. »Die Frage ist nur, was können wir daraus lernen?« Atlan wartete, bis Razamon ihm zunickte. »Der Bericht ist zweifellos unvollständig und ungenau«, begann er. »Aber Thalia hat recht: Wir sind durchaus in der Lage, einiges zu lernen. Vor allen Dingen wissen wir nun, daß die drei Schläfer Fremde aus der Schwarzen Galaxis sind. Das gibt uns die einmalige Möglichkeit, mehr über diese In-
telligenzen in Erfahrung zu bringen. Wir werden das vollenden, was die Kinder von Kelscherdahn begonnen haben.« »Ich teile durchaus deinen Optimismus«, teilte Thalia ihm mit. »Aber gleichzeitig warne ich dich mit äußerster Dringlichkeit. Was wissen wir schon von den Fähigkeiten dieser Fremden, die sich voll entfalten kön nen, wenn sie erst einmal erwacht sind? Die Andeutungen im Computerbericht genügen, mich schaudern zu lassen. Ich würde dir ra ten, nur einen einzigen der Schläfer aufzu wecken. Mit einem werden wir leichter fer tig als mit drei von ihnen.« »Das ist selbstverständlich, nur haben meine Technos und ich bisher noch nicht herausgefunden, wie sich auch nur einer von ihnen gefahrlos wecken lassen kann. Aber ich bin sicher, daß wir früher oder später einen Weg finden werden, das zu bewerk stelligen.« »Gut«, gab Thalia sich fürs erste zufrie den. Sie wandte sich an Razamon: »Und was ist mit dir? Es dürfte ja nun wohl klar sein, daß es sich bei deinem Materieklumpen um eine ehemalige Waffe handelt.« »Ja, das ist anzunehmen«, stimmte Raza mon nicht gerade freudig zu. »Eine Waffe aus der Schwarzen Galaxis. Aber was für ei ne Waffe? Sie wurde stark deformiert, ihr ehemaliger Zweck ist nicht mehr zu erken nen. Die Frage ist nur: Wurde sie bei dem Angriff zerstört, oder zerstörte sie sich selbst, als sie in die Hand des Feindes ge riet?« »Eigentlich spielt das keine besondere Rolle«, mischte Atlan sich ein. »Eine genaue Untersuchung ist unvermeidlich. Vielleicht solltest du dir die bisherigen Erfahrungen zunutze machen, Razamon, und dem Brocken fernbleiben.« »Auf keinen Fall!« protestierte dieser. »Es ist eben diese unerklärliche innige Verbin dung, die ich zu diesem Brocken habe, die mich durchhalten läßt. Es ist doch seltsam, daß nur ich diese Schmerzen spüre, sonst niemand. Das muß seine Bedeutung haben.« »Ganz sicher, aber welche?«
Drei von der Geisterflotte Razamon zuckte mit den Schultern und schwieg. Er hatte zwar eine ungewisse Ah nung, aber sie schien ihm viel zu phanta stisch zu sein, um sie auch nur andeuten zu können. »Na schön«, sagte Atlan schließlich. »Dann können wir uns wieder an die Arbeit machen. Thalia sollte versuchen, dem Spei cher noch mehr Informationen als bisher zu entlocken. Obwohl ich annehme, daß er nur einprogrammierte enthält, könnte es doch gut sein, wenn wir noch mehr erfahren. Je nes Volk, das die Schwarze Galaxis angriff, muß sich im Dimensionskorridor befinden.« »Es wurden keinerlei Koordinaten ange geben«, gab Thalia zu bedenken. »Ich glau be auch nicht, daß sie uns helfen würden.« »Die Flotte dieses Volkes kehrte nie zu rück. Die Speicherung und die Informatio nen, die der Computer enthält, würden für es von größter Wichtigkeit sein. Auf der ande ren Seite beweist der eingebaute Translator und Telepath, daß sie auch für Fremde be stimmt waren, je nachdem, wer die vernich tete Flotte fand.« Man diskutierte noch lange über das wei tere Vorgehen und war sich darin einig, daß lediglich Thalia gefahrlos weiterexperimen tieren konnte. Atlan schlug daher vor: »Ich bin dafür, daß Razamon und ich eine Pause machen und vielleicht Thalia helfen. Wenn der Computer wirklich noch bisher zurückgehaltene Informationen enthält, die wir dann bekommen, sind wir einen Schritt weiter, ohne ein Risiko einzugehen.« »Einverstanden«, sagte Thalia, offensicht lich erleichtert. »Ich auch«, knurrte Razamon, von der Pause offensichtlich nicht sonderlich begei stert. Morgen, dachte er, sehen wir weiter. Er ahnte nicht, daß es früher geschehen sollte.
4. Wie üblich in letzter Zeit zog Atlan es
21 vor, nicht in der FESTUNG selbst zu über nachten, sondern in der GOL'DHOR. An diesem Abend lag er noch lange wach auf dem breiten Bett und dachte über das nach, was er und die anderen heute erfahren hatten. Die Mütter von Kelscherdahn hatten es gewagt, die Herren der Schwarzen Galaxis anzugreifen, obwohl sie fest mit einer Nie derlage rechnen mußten. In welch verzwei felter Lage mußten sie sich befunden haben! Atlan begann immer mehr zu ahnen, wie groß die Gefahr war, der Pthor unaufhaltsam entgegeneilte. Fast wünschte er sich einen neuen Korsallophur-Stau herbei, der den da hinrasenden Kontinent aufhielt. Noch wußte man zu wenig über die Schwarze Galaxis, um die Hoffnung heben zu dürfen, Pthor aus den Klauen seiner Her ren befreien zu können, die durch Dimensio nen hindurch immer wieder zugriffen. Auf der anderen Seite hatte man heute neue Er kenntnisse gewonnen. Sie waren jedoch alles andere als erfreu lich. Atlan aber wußte und war auch davon überzeugt, daß die Herren der Schwarzen Galaxis schachmatt gesetzt werden müßten, wenn Pthor-Atlantis nicht eine ewige Bedro hung bleiben sollte. Eine Bedrohung, von der auch Terra nicht verschont bleiben wür de. Und damit auch Perry Rhodan nicht. Der Gedanke an den Freund schreckte At lan aus seinen Gedanken hoch … … oder war es etwas anderes gewesen? Er lauschte. Richtig, da war ein undefinierbares Ge räusch außerhalb des Schiffes. Die Innenlu ke war verschlossen, nicht die Außenluke. Bis in die Luftschleuse konnte also jemand gelangen, der ihm einen Besuch abstatten wollte. Atlan sah auf die Uhr. Mitternacht vorbei. Wer sollte ihn jetzt noch aufsuchen wol len? Abermals lauschte er und hörte das Ge räusch wieder. Es war wie ein Kratzen an
22 der Innenluke. Kratzen? Atlan rutschte vom Bett und warf sich einen Umhang um die Schultern. Es war Fenrir, der Wolf, der Einlaß be gehrte und mit gesträubtem Nackenhaar ins Schiff trottete. Dabei knurrte er in verschie denen Tonarten. Natürlich konnte Atlan ihn nicht verste hen, aber er kannte Fenrirs Knurr-Töne. Die se hier bedeuteten nichts Gutes. Was war geschehen? Der Wolf kam nicht ohne Grund zu ihm. Er wollte ihn vor einer Gefahr warnen, das war sicher. Einer Gefahr in der FESTUNG? »Schon gut, Fenrir, ich habe dich verstanden«, beru higte er das Tier. »Ich ziehe mich nur an und komme mit dir.« Wenig später verließ er mit Fenrir das Schiff und eilte durch den halb verwilderten Park, der ihn vom Eingang zur FESTUNG trennte. Die Wachtposten – Dellos –, die um die Pyramiden patrouillierten, ließen ihn an standslos durch, denn sie kannten ihn natür lich. Im ersten Augenblick wußte Atlan nicht, wohin er sich wenden sollte. Fenrir verharrte abwartend neben ihm, das Nackenfell noch immer gesträubt. Atlan selbst hatte den Ein druck einer drohenden Gefahr, die nicht zu identifizieren war. Ein eiskalter Hauch schi en ihn einzuhüllen, fast wie eine gewaltige Wasserwoge, die ihn unter sich begrub. »Los, Fenrir! Wir müssen Thalia wecken! Geh voran!« Der Wolf gehorchte, wenn auch zögernd und unwillig. Sie begegneten einigen Dellos, die kaum Notiz von ihnen nahmen. Wenn es in der FESTUNG überhaupt eine Gefahr gab, so schienen sie nichts davon zu bemer ken. Thalia war überrascht, daß Atlan sie mit ten in der Nacht aufsuchte, aber ehe sie nach einer plausiblen Erklärung suchte, sagte At lan: »Fenrir weckte mich, und ich kenne ihn. Er will uns vor etwas warnen.« »Wovor?«
Clark Darlton »Wenn ich das wüßte! Vielleicht sollte ich Razamon aufsuchen.« Thalia fror. Sie warf sich einen Pelzman tel um die Schultern. »Razamon …! Ich hoffe, daß er nicht vor eilig gehandelt und seine Experimente fort gesetzt hat. Du hast recht! Gehen wir zu ihm.« Aber Razamon schlief tief und fest auf seinem Fellager. Erstaunt richtete er sich auf und schüttelte energisch den Kopf, als Atlan ihm einige Fragen stellte. »Wo denkst du hin? Ich habe mich nach unserer Besprechung sofort hierher begeben und schlafen gelegt. Natürlich konnte ich nicht gleich einschlafen, aber von einer dro henden Gefahr spürte ich nichts. Jetzt aller dings …«, er blickte Atlan und Thalia ver wundert an, »… jetzt meine ich allerdings auch, eine Drohung zu spüren. Etwa so wie in dem Wrack, in dem wir den schwarzen Brocken fanden.« Er schwieg plötzlich und starrte die bei den an. »Der schwarze Brocken!« sagte Atlan schwer. »Ich fürchte, du hast den Nagel auf den Kopf getroffen! Kommt, gehen wir!« Sie rannten durch die Gänge, um mög lichst schnell ans Ziel zu gelangen. Fenrir folgte ihnen in übermäßig großem Abstand.
* Was wirklich in jenem Raum geschehen war, in dem der Materiebrocken aus der Schwarzen Galaxis ruhte, konnte niemand mehr berichten. Auch jene Vorgänge, die sich gleich nebenan abgespielt hatten, wo die drei sargähnlichen Behälter mit den schlafenden Fremden standen, konnten hin terher nur mühsam rekonstruiert werden …
* Zwei Stunden vor Mitternacht fand der Austausch der Wachen in den drei als Labor eingerichteten Räumen statt. Bis dahin war
Drei von der Geisterflotte nichts Außergewöhnliches passiert. Nie mand hatte eine Veränderung der bestehen den Verhältnisse beobachten können. Ein Techno, der Anführer der Wachmann schaft in Razamons Untersuchungsraum, ging ziemlich nah an den schwarzen Mate rieklumpen heran, um ihn aufmerksam zu betrachten. Er spürte schwach die Aura der permanenten Drohung, von der man ihm be richtet hatte. Sie beunruhigte ihn nicht besonders, denn für ihn war es ganz normal, daß ein Gegen stand, der aus der sagenhaften Schwarzen Galaxis stammte, bedrohlich auf ihn wirkte. Der Techno wagte es nicht, noch näher an den Brocken heranzugehen, um sich davon zu überzeugen, daß er sich getäuscht hatte. Ihm war nämlich so, als käme aus dem In nern des schwarzen Klumpens ein sanftes Glühen, das langsam nur die Oberfläche er reichte und sie durchdrang. Das ganze Ding erinnerte an ein Stück schwach glimmender Kohle, das man zu löschen vergessen hatte und das nun, angefacht durch einen Wind, wieder zu brennen begann. Der Techno reckte die Hände vor, ohne Wärme zu spüren. Der Brocken glühte, aber er gab keine Wärme ab. Zwei oder drei Schritte mochte der Tech no zurückgewichen sein, das ließ sich später leicht rekonstruieren. Dann blieb er stehen und überlegte, ob er Alarm schlagen sollte. Schließlich war ihm aufgetragen worden, je de Veränderung sofort zu melden. Aber er zögerte, bis es zu spät war. Das Glühen wurde schnell stärker, und gleichzeitig mit dem Glühen begann der nun nicht mehr völlig schwarze Materiebrocken zu strahlen. Es war eine unsichtbare Strah lung, aber sie blieb nicht ohne Wirkung. Der Techno spürte die plötzliche Läh mung, die ihn befiel. Sie ergriff nicht sofort den ganzen Körper, so daß er sich noch set zen konnte. Dann jedoch war er keiner Be wegung mehr fähig. Aus den Augenwinkeln heraus stellte er fest, daß es der Wachmannschaft nicht bes
23 ser erging. Dellos und Technos hockten an den Wänden des Raumes, starr und steif, als lebten sie nicht mehr. Mit aufgerissenen Au gen starrten sie entsetzt auf den glühenden Materiebrocken, dessen Strahlung die Quel le der allgemeinen Lähmung sein mußte. Sie konnten nicht wissen, daß diese Strah lung einen ganz anderen Zweck verfolgte, als sie zu lähmen. Die Lähmung war eine unbedeutende Nebenerscheinung. Das Strahlungsfeld durchdrang die tren nende Mauer zum Nebenraum und erreichte die drei Behälter der Schläfer. Und während nebenan die Dellos und Technos – beide Gruppen auf eine andere Art und Weise – an einem totalen Versagen ihres unterschiedlichen Metabolismus star ben, geschahen in dem Nachbarraum, in dem die drei Behälter standen, unheimliche Dinge.
* Auch hier wurden die Wächter zuerst von der Lähmung befallen und starben, ehe sie recht begreifen konnten, was eigentlich ge schah. Starr und steif blieben sie in ihrer ur sprünglichen Haltung sitzen, die toten Au gen auf die drei Truhen gerichtet. Etwa eine Stunde dauerte es, bis sich die Schläfer zum erstenmal rührten. Die Atmo sphäre in ihren Särgen verdichtete sich, sie begannen zu atmen, und dann öffneten sich ihre beweglichen Stielaugen. Wieder dauerte es einige Minuten, als sie denken und handeln konnten. Ihre Erinne rung kehrte zurück, und damit auch die Erin nerung an ihren Auftrag und alles, was sie tun mußten, um zu überleben. Für sie war es klar, daß sie sich noch im mer in der Hand des Feindes befanden, der sie auf dem einsamen Stützpunkt gefangen genommen hatte. Ihre einzige Aufgabe muß te es sein, diesem Feind Schaden zuzufügen und ihn zu vernichten. Sie hatten diesen Feind nie gesehen, denn als er sie in seine Gewalt brachte, waren sie schon bewußtlos gewesen.
24 Sie empfingen die vertraute Impulsstrah lung der Maschine, die ihnen sagte, was sie tun mußten, um dem engen Gefängnis zu entfliehen. Irgendwo mußte etwas sein, das sie berühren sollten. Das verrieten die Im pulse, und sie irrten sich niemals. Die tastenden Lederlappen ihrer Hände fanden einen Knopf unter dem durchsichtigen Deckel. Sie drückten ihn fest ein. Alle drei handelten sie synchron, und das so exakt, als würden sie ferngelenkt, was im übertragenen Sinn auch stimmte. Noch stan den sie unter der Kontrolle des Strahlungs felds, das sie geweckt hatte. Die drei transparenten Deckel öffneten sich gleichzeitig und rutschten seitlich auf den Boden. Langsam nur richteten sich die Fremden auf und verharrten in sitzender Stellung. Die weit geöffneten Stielaugen musterten forschend ihre Umgebung und blieben auf den reglosen Dellos und Tech nos haften. Drei Gehirne begannen intensi ver zu arbeiten und registrierten das Ausse hen des vermeintlichen Todfeindes. Die Strahlung der unheimlichen Waffe mahnte. Die Zeit zum Handeln war endgül tig gekommen. Mit immer noch steifen und ungelenken Bewegungen stiegen die Fremden aus ihren engen Gefängnissen und streckten die Glie der. Ihre dunkelroten Kehlsäcke pulsierten, als sie sich verständigten. »Die Waffe ruft uns«, sagte einer von ih nen und deutete mit der Lappenhand zur Tür. »Laßt uns gehen.« Die Waffe war alles. Ohne sie würden sie dem Feind hilflos ausgeliefert sein, wenn er ihr Erwachen zu früh entdeckte. Sie verließen, immer selbstsicherer wer dend, den Raum. Die Strahlung führte sie. Ohne Schwierigkeiten fanden sie die richti ge Tür, öffneten sie und standen dann vor dem immer noch leicht glühenden und pul sierenden Materiebrocken aus der Heimatga laxis, dessen energetisches Feld sie schüt zend einhüllte. Ihre körperlichen und geistigen Kräfte nahmen mit jeder Sekunde zu, bis die Nach-
Clark Darlton wirkungen des langen Schlafs, dessen Dauer ihnen unbekannt war, überwunden hatten. Vielleicht hatten sie nur ein paar Jahre, viel leicht aber auch Jahrhunderte oder gar Jahr tausende geschlafen. Ohne die Hilfe der Waffe, die der Feind in Unkenntnis ihrer Gefährlichkeit geraubt und mitgenommen hatte, wäre es ihnen unmöglich gewesen, die ihnen fremden Tiefschlaftruhen zu verlas sen. Immer deutlicher wurde die Erinnerung an das, was geschehen war. Der Überfall des Gegners war überraschend erfolgt. Die Nie derlage des nur schwach besetzten Vorpo stens war unvermeidbar gewesen. Nur weni gen war die Flucht gelungen, und sie waren es wohl auch, die dann die Verfolgungsflotte alarmierten. Es war zu spät gewesen, die Waffe zu ak tivieren. Zusammen mit ihr fielen sie dem Feind in die Hände. Er schien die Bedeutung der als harmlos wirkender Materiebrocken getarnten Waffe zu ahnen, ohne etwas damit anfangen zu können. Die drei Gefangenen wurden paralysiert, ehe diese den Gegner zu Gesicht bekamen, eine Tatsache, deren Auswirkung Pthor noch spüren sollte. Blind und hilflos erlebten sie den Einschläferungsprozeß, als die Rächer flotte der Schwarzen Galaxis Tod und Ver derben über den fliehenden Gegner brachte. »Es wird Zeit«, mahnte einer der drei Fremden. »Ja es wird Zeit«, stimmten die beiden an deren zu. Sie legten ihre Hände auf den nun wieder lichtlosen und tiefschwarzen Brocken und erhielten so direkten Kontakt mit ihm. Was nun folgte, war ein seltsamer Vorgang, der nur den Wissenden vertraut war. Die drei er wachten Schläfer gehörten zu den Wissenden. Die Art der Strahlung begann sich zu ver ändern. Gleichzeitig baute sich ein neues Energiefeld auf. Es besaß temporalen Cha rakter und umschloß die Fremden wie eine schützende Blase oder Kuppel. Die Waffe selbst blieb im Zentrum dieses Feldes, da sie
Drei von der Geisterflotte es erzeugte. Die körperliche Berührung mit ihren Mei stern hatte sie aktiviert, ganz abgesehen von dem mentalen Kontakt, der die Bereitschaft herstellte. Und dann geschah abermals etwas Uner klärliches. Es geschah nicht etwa langsam und all mählich, wie man es vielleicht hätte vermu ten können, sondern blitzschnell und von ei ner Sekunde zur anderen. Der dunkle Klumpen Materie aus der Schwarzen Galaxis und die drei Fremden, die auch nichts anderes als Materie aus der Schwarzen Galaxis darstellten, waren plötz lich verschwunden. Der Platz, an dem der Schlackebrocken gelegen hatte, war leer. Zurück blieben nur die toten Wächter.
* Als Atlan, Razamon und Thalia den Raum betraten, blieben sie wie erstarrt ste hen. Mit einem Blick war ihnen klar, daß die Dellos und Technos nicht mehr lebten, ob wohl sie allem Anschein nach keine Ver wundungen erlitten hatten. Etwas mußte sie alle zur gleichen Zeit getötet haben. Der Brocken schwarzer Materie war ver schwunden. »Die Schläfer!« stieß Atlan voll böser Ah nungen hervor. »Ich muß zu ihnen!« Sie folgten ihm hastig, um die zweite Überraschung zu erleben. Die Behälter wa ren geöffnet und leer, die drei Fremden ebenfalls spurlos verschwunden. »Sie müssen den Brocken mitgenommen haben«, vermutete Razamon und tastete sein linkes Bein ab. »Aber mir scheint, ich kann seine Nähe noch spüren.« »Sie können noch nicht weit gekommen sein, vielleicht deshalb«, meinte Thalia. »Es wundert mich nur, daß die Wächter in der FESTUNG noch keinen Alarm geschlagen haben. Sie müßten doch die Flucht bemerkt haben.« »Oder auch nicht«, befürchtete Atlan.
25 »Die ganze Geschichte wird immer unheim licher und unerklärlicher. Der Materieb rocken hatte ein ansehnliches Gewicht, die drei Flüchtlinge haben schwer an ihm zu tra gen. Aber sie nahmen ihn mit. Unsere Ver mutung, daß es sich dabei um eine Art Waf fe handelt, scheint sich damit zu bestätigen.« »Trotzdem hat Thalia recht, sie können noch nicht weit sein«, behauptete Razamon düster. »Vielleicht sind sie sogar noch hier in der FESTUNG und halten sich verborgen. Groß und unübersichtlich genug ist sie ja da für. Vielleicht kann ich sie mit Hilfe meines Beines aufspüren. Die Schmerzen sind im mer stärker geworden, wenn ich mich dem Brocken näherte. Warum sollte sich das ge ändert haben?« Atlan versuchte festzustellen, ob die be drohliche Aura der lichtlosen Materie noch vorhanden war, aber zu seiner großen Ent täuschung spürte er nichts, was darauf hin gedeutet hätte. Als Pfadfinder zu der ver schwundenen Waffe taugte er also nicht. »Wir lassen die FESTUNG durchsu chen«, schlug Thalia vor. Sie warf einen scheuen Blick auf die toten Wächter. »Ehe noch mehr passiert«, fügte sie dann leise hinzu.
* Erst als Thalia die Dellos und Technos alarmiert und auf die Jagd nach Entflohenen geschickt hatte, fiel ihr der Speicher-Com puter der Mütter von Kelscherdahn wieder ein: In der Aufregung hatte man ihn völlig vergessen. »Vielleicht haben sie den auch mitgenom men«, befürchtete sie. »Aber das wäre wohl zuviel an Gewicht gewesen.« Atlan, dem die Lust zum Weiterschlafen restlos vergangen war, folgte ihr und Raza mon. Er hatte ein ungutes Gefühl, vermischt mit der Ahnung, daß ihnen eine weitere Überraschung bevorstand. Er wurde nicht enttäuscht. Kaum hatte Thalia die Tür zu dem Raum geöffnet, in dem der Computer stand, und
26 einen Blick hineingeworfen, da fuhr sie auch schon mit einem Schreckenslaut zurück und stieß mit dem nachdrängenden Razamon zu sammen. »Was ist los?« fragte Atlan, der nichts se hen konnte, weil die beiden ihm die Sicht versperrten. Thalia gab den Weg frei. »Sieh selbst nach!« Atlan betrat zusammen mit Razamon den Raum. Dieser sah ganz so als, als habe in ihm eine Schlacht stattgefunden. Das spärli che Mobiliar und die von Thalia und den Technos benutzten Geräte und Instrumente ragen zertrümmert überall verstreut umher. Die Wächter waren tot. Am schlimmsten aber sah der Computer aus. Er bestand nur noch aus einer wirren Masse verbeulter Metallteile und herausge rissener technischer Innereien. Der kleine Bildschirm war zerbrochen und der Transla tor verschmort. »Sie haben gründliche Arbeit geleistet«, stellte Razamon verbittert fest. »Vielleicht fürchten sie, wir könnten zuviel über die Schwarze Galaxis erfahren.« »Möglich. Es kann aber auch andere Gründe geben.« »Welche?« »Vielleicht halten sie uns für jene, die sie überfielen und gefangennahmen, also für die Kinder der Mütter von Kelscherdahn!« »Warum sollten sie dann den Kornputer zerstören?« »Es kann sein«, sagte Atlan ruhig und be dacht, »daß sie jetzt nach ihrem Erwachen die Absicht haben, alles zu zerstören, das Wert für ihre Feinde haben könnte. Und sie müssen, wenn meine Vermutung stimmt, uns für ihre Feinde halten.« »Eines Tages werden wir es auch sein«, bestätigte Razamon düster. Es wurde Atlan immer klarer, daß es mit dem geheimnisvollen Brocken schwarzer Materie seine ganz besondere Bewandtnis haben mußte. Nicht umsonst hatte die Flotte von Sotron-Belloskap ihn nach dem ge-
Clark Darlton glückten Überfall auf den Vorposten mitge nommen. Wenn es sich wirklich um eine Waffe handelte, dann um eine mit absolut unbe kannter Wirkungsart. Es schien auch ziem lich sicher zu sein, daß die Deformierung und das Aussehen eines Schlackebrockens nichts als eine geschickte Tarnung war. Was das Gewicht anbetraf, so war es durchaus möglich, daß ein verborgener Antigravme chanismus es nach Belieben verändern konnte. So ließ sich zugleich der Abtrans port durch die erwachten Schläfer erklären. Doch mit bloßen Vermutungen kam man jetzt nicht weiter. »Die Prophezeiung der Magier hat uns nicht viel eingebracht«, sagte Razamon, als sie im Gang wieder zu Thalia stießen, die auf sie gewartet hatte. »Es wäre besser ge wesen, wir hätten die Geisterflotte nie ge funden.« Atlan widersprach: »Wir haben viel erfahren können, vergiß das nicht. Wir wissen jetzt, daß wir in den Herren der Schwarzen Galaxis einen mächti gen Gegner vor uns haben. Auf der anderen Seite erhalten wir nun eine Lektion nach der anderen – aber man kann aus Lektionen ler nen. Auf keinen Fall dürfen die drei Frem den von Pthor entkommen. Die einzige Waf fe, die wir – so sieht es wenigstens jetzt aus – gegen die Schwarze Galaxis einsetzen können, ist die Überraschung. Die Flüchtlin ge könnten ihre Herren warnen. Wir müssen sie also unter allen Umständen finden, stel len und unschädlich machen.« »Die Wachmannschaften haben nichts in der FESTUNG gefunden«, teilte Thalia mit. »Aber mein Bein tut noch immer weh«, sagte Razamon. »Machen wir uns selbst auf die Suche«, schlug Atlan vor.
* Der Techno Goldmeister stammte aus Zbahn und befand sich erst seit dem Mach tumsturz in der FESTUNG. Er leitete einer
Drei von der Geisterflotte der zahlreichen Sicherheitsgruppen, denen auch Dellos angehörten. Als Alarm gegeben wurde, begab er sich mit seinen Leuten in den Sektor der Pyrami de, der ihm zugeteilt worden war. Der Sek tor lag im unteren Teil der FESTUNG, wo technische Gerätschaften und Zugors aufbe wahrt wurden. Ein entsprechend breiter Gang führte von hier aus direkt ins Freie. Das schwere Metalltor wurde ständig be wacht. Goldmeister wußte nicht viel von dem, was in dieser Nacht passiert war. Man hatte ihm nur mitgeteilt daß die drei fremden Schläfer erwacht und geflohen waren. Seine Aufgabe war es, die ihm zugeteilten Anla gen zu bewachen und die Entflohenen, falls er sie aufspürte, einzufangen oder unschäd lich zu machen. Unter normalen Umständen würde jetzt über Pthor der Morgen des neuen Tages dämmern, aber jetzt war die Dämmerung permanent. Das ständige ferne Rauschen war in der FESTUNG nicht zu hören. Er verteilte seine Leute und vertrieb sich die Zeit mit regelmäßigen Rundgängen durch seinen Sektor. Im Gürtel trug er die Waggu, seine Lähmwaffe. Er fühlte sich ziemlich sicher, denn er hielt nichts von Zufällen, und es wäre wirk lich ein solcher gewesen, würden die Entflo henen ausgerechnet in seinem Sektor auftau chen. Trotzdem blieb er immer wieder stehen und lauschte. Nichts Verdächtiges war zu sehen oder zu hören. Irgendwo in der Nähe unterhielten sich zwei Dellos, wahrschein lich zwei Patrouillen, die sich auf der Suche nach den Fremden begegneten und ihre Er fahrungen austauschten. Ein Gefühl der Unsicherheit beschlich Goldmeister, als er seinen Rundgang been dete und sich auf einen rohgezimmerten Tisch setzte, um sich auszuruhen. Der Geg ner mußte in der Nähe sein, das spürte er. Sollte der unwahrscheinliche Zufall doch eingetreten sein? Sein erster Impuls war, einen Melder zum
27 neuen König von Atlantis zu schicken, aber dann zögerte er. Was würde Atlan wohl da zu sagen, wenn jemand auf seine Gefühle hin Alarm auslöste? Immerhin … Als er endlich einen Entschluß faßte, war es schon zu spät. Von nebenan kam plötzlich ein furchtba rer Lärm. Dellos und Technos schrien durcheinander, dazwischen war das Zischen der Lähmwaffen und Worte in einer unbe kannten Sprache. Goldmeister sprang vom Tisch und zog seine Waggu. Aber seine Beine waren wie gelähmt, kaum vermochte er, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Die Lähmung schien sich über den ganzen Körper auszudehnen und hemmte jede seiner Bewegungen. Mühsam nur erreichte er den Gang. Er sah die weit geöffnete Tür, die in den benach barten Raum führte. Von dort kam auch der Lärm. Niemand konnte den Raum verlassen, ohne von ihm gesehen zu werden. Aber es kam niemand. Goldmeister verfluchte seine Hilflosig keit. Später erst begriff er, daß er gerade ihr sein Leben zu verdanken hatte. Er stützte sich an der Wand ab und mach te ein paar Schritte. Der Lärm war ebenso plötzlich verstummt, wie er begonnen hatte. Nur noch vereinzelte Schläge von Metall auf Metall waren zu hören, aber nicht mehr das Schreien der Dellos und Technos. Dann hörte auch das seltsame Schlagen auf. Die Stille war unheimlich. Aber noch unheimlicher erschien es Gold meister, daß auch seine nur kurz dauernde Lähmung verschwand. Sie war weg, als hät te es sie nie gegeben. Mit einigen Sätzen war er an der Tür und sah den Raum vor sich. Was er erblickte, war grauenhaft und un beschreiblich. Seine Dellos und Technos la gen blutend und tot in dem total verwüsteten Raum verteilt. Nichts war heil geblieben. Kisten waren zerschlagen und wertvolle Ge räte bis zur Unkenntlichkeit zertrümmert
28 worden. Das unersetzbare Dimensionsmeß gerät, ein Geschenk der Magier an die neuen Herren der FESTUNG, war nur noch ein un förmiger Klumpen verbogenen Metalls. Und das alles in weniger als zwei Minu ten …? Goldmeister konnte später beschwören, daß niemand den Raum verlassen hatte, während der Kampf darin tobte. Und doch waren die Fremden – wer hätte die Verwü stungen sonst anrichten können – wie vom Erdboden verschwunden. »Vielleicht können sie sich unsichtbar machen«, befürchtete Razamon, der mit At lan herbeigeeilt war, als er die Hiobsbot schaft vernommen hatte. »Aber dann müß ten sie noch hier sein.« Atlan starrte in den verwüsteten Raum. »Spürst du ihre Gegenwart, oder die des Brockens?« »Nicht sehr stark. Die Schmerzen wären größer, wenn sie noch hier wären. Aber Un sichtbarkeit wäre die einzige logische Erklä rung für alles, was bisher passierte, Meinst du nicht auch?« Atlan preßte die Lippen aufeinander. Sein Mund war zu einem schmalen Strich gewor den. Um seine Augenlider zuckte es. »Ein unsichtbarer Gegner …? Es klingt logisch, das gebe ich zu. Aber andere Dinge sprechen dagegen. Unsichtbar könnten sie ohne Risiko aus der FESTUNG, um sich einen Zugor oder …« Er verstummte jäh. »Was, oder?« »Die GOL'DHOR, Razamon! Wenn sie das Schiff kapern, ist alles verloren. Sorge dafür, daß alle Ausgänge doppelt besetzt werden. Auch Unsichtbare haben einen Kör per aus Materie, sie können unmöglich eine dicht geschlossene Mauer aus Dellos und Technos unbemerkt durchdringen. Ich küm mere mich um das goldene Schiff.« »Du hast recht! Beeile dich, ehe es zu spät ist.« Atlan verlor keine Zeit. Er rannte den Gang entlang und informierte den Techno am Ausgang. Das Metalltor wurde nur einen Spalt weit geöffnet, damit er schnell hin-
Clark Darlton durchschlüpfen konnte. Hinter ihm schloß sich das Tor sofort wieder. Selbst ein Un sichtbarer hätte ihm nicht folgen können. Hastig lief Atlan zu dem Platz, an dem die GOL'DHOR stand. Er atmete erleichtert auf, als er das Schiff unbeschädigt zwischen den Büschen auf den Landebeinen stehen sah. Die Luke war verschlossen. Aber er wollte ganz sicher sein. Mit dem Kodewort öffnete er den Einstieg und verschloß ihn wieder, als er in der Schleuse war. Dann durchsuchte er das gan ze Schiff mit einer Pedanterie, die ihm selbst auf die Nerven ging. Er fand nichts. Es wäre auch höchst unwahrscheinlich gewesen, denn niemand hätte den einzigen Einstieg des Schiffes öffnen können, ohne im Besitz des Kodewortes zu sein. Aber bei den Fremden schien alles ganz anders zu sein. Sie hatten eine Waffe – oder ein Instru ment? – bei sich, dessen Fähigkeiten unbe kannt waren. Es schien, als könnten sie mit seiner Hilfe selbst durch feste Materie durchdringen. Feste Materie durchdringen …? Der Ge danke eröffnete völlig neue Perspektiven. Die Fremden mußten dann nicht unbedingt unsichtbar sein, um ihren Verfolgern zu ent kommen. Wenn der schwarze Brocken eine Art Transmitter war, konnten die Fremden jederzeit ihren Standort wechseln, ohne da bei gesehen zu werden. Aber – war das ohne einen entsprechenden Empfänger überhaupt möglich? Atlan verwarf seine Theorie wieder, ohne sie jedoch zu vergessen. Er kehrte zur FESTUNG zurück und gab das verabredete Klopfzeichen. Wieder öff nete sich das Tor nur so weit, daß er gerade hindurchschlüpfen konnte. Razamon kam ihm entgegen. »Nichts, absolut nichts! Was ist mit dem Schiff?« »Alles in Ordnung. Wo ist Thalia?« »Bei ihren Brüdern, nehme ich an.« Atlan überlegte einen Augenblick, dann sagte er: »Wir haben keine andere Möglichkeit, als
Drei von der Geisterflotte abzuwarten, was als nächstes passiert. Wich tig scheint mir nur zu sein, daß wir dann so schnell wie möglich am Tatort sind. Aus diesem Grund muß das Meldesystem be stens funktionieren. Und nicht nur innerhalb der FESTUNG fürchte ich.« »Willst du damit andeuten, daß sie ihre Aktivität ausdehnen könnten?« »Ich bin sogar davon überzeugt. Sie sehen in uns den Todfeind, sie wollen uns schaden. In der FESTUNG können sie sich trotz al lem nicht für immer sicher fühlen. Sie wer den sie verlassen, sobald sich ihnen dazu ei ne Möglichkeit bietet.« »Wie sollten sie hier heraus kommen? Al les ist bewacht und …« »Du vergißt ihre Waffe, der ich allmäh lich alles zutraue.« Razamon nickte. »Du hast recht. Was kann das nur für eine Waffe sein? Wie funktioniert sie? Sie macht unsichtbar, sie tötet und vernichtet.« »Eine Waffe aus der Schwarzen Galaxis«, erinnerte Atlan. Ein Aufräumungskommando traf ein, bis auf den Anführer alles Dellos. Dem leitenden Techno gab Atlan einige Anweisungen, ehe er sich mit Razamon entfernte, um einen anderen Sektor aufzusuchen. »Spürst du keine Veränderungen am Bein?« Razamons Zeitklumpen gehörte zu den ungelösten Rätseln seiner eigenen Vergan genheit. Lange Zeit hatte er die Schmerzen im linken Bein nicht gespürt. Aber in letzter Zeit machte sich der Zeitklumpen wieder be merkbar. Im Korsallophur-Stau hatte er einen Zeitsprung viele tausend Jahre in die Vergangenheit bewirkt. »Der Schmerz ist ständig vorhanden, wenn auch meist nicht so stark, daß er mich behindern würde. Es wurde nur schlimm, wenn ich mich diesem Brocken näherte.« Er war stehengeblieben und tastete das Bein ab. »Im Augenblick könnte ich mir einbilden, er sei wieder stärker geworden …« Atlan packte seinen Arm. »Komm, gehen wir in der selben Rich
29 tung weiter. Und teile mir mit, ob du den Schmerz stärker werden spürst.« Nach einigen Dutzend Schritten bestätigte Razamon den Verdacht des Freundes. Die Schmerzen wurden stärker, flauten aber dann wieder ab. Diesmal blieb Razamon stehen. Er sah hinauf zur Decke. »Er war stark, wurde dann wieder schwä cher. Es gibt nur eine Erklärung: Der Brocken befindet sich über uns.« Sie eilten zur nächsten Treppe. Mit diesen drei Fremden und dem Mate riebrocken hatten sie sich ein Trojanisches Pferd eingehandelt, das wurde Atlan immer klarer. Es war nur gut, daß sie das jetzt wuß ten. Aber sie wußten nicht, wie sie dem Gegner beikommen konnten. Er war un sichtbar, schien überall zugleich zu sein und war nicht zu fassen. Das Schlimmste war je doch, daß er erbarmungslos und brutal zu schlug. Zwei Stockwerke stiegen sie nach oben, dann hörten sie auch schon den Lärm. Raza mon blieb ein wenig zurück. Er begann zu humpeln und stöhnte vor Schmerzen. »Lauf schon vor!« rief er hinter Atlan her. »Sie müssen jetzt ganz in der Nähe sein …« Atlan erhöhte sein Tempo. Der Lärm kam aus einem Gang, in den er einbog. Es war ei ne Sackgasse, denn der Gang endete vor der Außenmauer der Pyramide. Schon von wei tem sah Atlan die offene Tür. Aus dem Raum dahinter kam der Lärm. Ähnlich wie Goldmeister verspürte er die Lähmung in den Beinen, aber mit seiner ganzen Willenskraft bekämpfte er sie. Er streckte beide Arme nach rechts und links aus. Die Fingerspitzen berührten fast die Gangwände. Niemand konnte an ihm vorbei, auch dann nicht, wenn er unsichtbar sein sollte. Der Lärm hatte fast aufgehört, als er die Tür erreichte. Obwohl er schon geahnt hatte, was er zu sehen bekommen würde, blieb er wie erstarrt stehen, als er die toten Dellos er blickte, die auf dem Boden herumlagen. Der Aufenthaltsraum der Androiden war mit
30 furchtbarer Gewalt völlig zerstört worden. Kein Möbelstück war heil geblieben. Die Lähmung war plötzlich verschwun den. In der Tür erschien Razamon. Er keuchte von der Anstrengung. »Der Schmerz ist weg – fast völlig. Him mel, wie sieht es hier aus!« Atlan wandte sich ihm langsam zu. »Die drei Fremden sind mit ihrem Brocken vor genau zehn Sekunden ver schwunden. Fast muß es vor meinen Augen geschehen sein. Wir sind zu spät gekom men.« »Wie sollen sie hier heraus gekommen sein?« »Ich weiß es nicht. Wäre ich ein paar Se kunden schneller gewesen, hätte ich sie viel leicht noch sehen können.« Er schüttelte verzweifelt den Kopf. »Nein, so werden wir sie niemals erwischen! Wir müssen uns eine andere Methode ausdenken. Es wäre reiner Zufall, wenn sie gerade in dem Augenblick losschlügen, wenn wir uns am Tatort auf hielten.« »Ich habe mich in meinem ganzen Leben noch nicht so hilflos gefühlt«, bekannte Raz amon niedergeschlagen. »Wer sind diese Fremden? Die Herren der Schwarzen Gala xis selbst?« »Vielleicht, aber ich glaube es nicht. Skla ven oder Beauftragte, Hilfsvölker vielleicht. Jedenfalls sind sie gefährlich als alles, was wir je zu bekämpfen hatten.« Er lauschte. »Da kommt jemand!« Es waren zwei Technos, die der Lärm her beigelockt hatte. Entsetzt sahen sie, was ge schehen war. Noch während sie ihre Mei nungen austauschten, kam ein dritter herbei gelaufen. Schon von weitem rief er: »Oben, im nächsten Stockwerk – ein Kampf! Die Geister zerstören eine Entlüftungsanlage und töten die Wächter.« Atlan sah Razamon an. Der schüttelte den Kopf. »Wir würden zu spät kommen. Wie ist das nur möglich? Eben waren sie noch hier, jetzt sind sie oben. Für den Weg braucht
Clark Darlton man mindestens drei Minuten, wenn man sich beeilt. Ich verstehe nichts mehr.« »Dein Bein?« »Schmerzen, aber erträglich. Sie sind nicht genau über uns.« Thalia erwartete sie in der höher gelege nen Etage. »Es ist furchtbar und unerklärlich. Die Anlage ist hin. Rein äußerlich ist jedoch den Wächtern nichts geschehen. Sie liegen oder sitzen nur völlig erstarrt und tot herum. Das muß die Waffe gewesen sein.« »Die Anlage aber wurde von den Frem den demoliert«, stellte Atlan fest, nachdem er den Schaden inspiziert hatte. »Sie haben mit allen möglichen Gegenständen zuge schlagen. Sie fanden diese Gegenstände sehr schnell, was mich vermuten läßt, daß sie sich ungestört hier umsehen konnten, ehe sie materialisierten.« »Materialisierten?« dehnte Razamon das Wort bedeutungsvoll. »Das würde heißen, daß sie auch körperlos sind, wenn sie sich unsichtbar machen. Ist das nicht ein neuer Aspekt?« Atlan stutzte. Dann nickte er. »In der Tat! Daran habe ich noch gar nicht gedacht, als ich von Materialisation sprach. Immerhin würde es erklären, warum sie in dem Gang unten an uns vorbeika men.« Er seufzte. »Das macht die Suche nach ihnen wieder ein gutes Stück schwieri ger. Wir würden moderne Spürgeräte brau chen, um sie zu entdecken. Meine einzige Hoffnung ist nur noch dein Bein – und der Zufall.« Razamon lächelte gequält und gab keine Antwort.
5. Das Wache Auge, mehr als hundert Kilo meter von der FESTUNG entfernt im We sten gelegen, war zwar noch immer nicht restlos wiederhergestellt und funktionstüch tig, aber die Arbeiten an der Überwachungs anlage waren in vollem Gang. Technos und Dellos bemühten sich ge
Drei von der Geisterflotte meinsam, die entstandenen Schäden auszu bessern. Aus dem fernen Wolterhaven waren sogar einige Robotbürger herbeigeeilt, um ihre Dienste anzubieten. Selbst einige Händ ler aus Orxeya, deren Geschäfte im Augen blick nicht sonderlich gut gingen, hatten ihre Hilfe angeboten. Die meisten von ihnen wohnten außerhalb der Anlage in primitiven Unterkünften, die schnell errichtet worden waren. Der Macht wechsel in der FESTUNG hatte Pthor einen Hauch der ersehnten Freiheit gebracht, so daß die Hilfsbereitschaft beim Neuaufbau niemanden verwundern mußte. Taran Kor bildete vielleicht eine der we nigen Ausnahmen. Er war in der Hauptsache zum Wachen Auge gekommen, weil es ihm in seiner Heimatstadt Orxeya am Rand des Blutdschungels zu langweilig geworden war. Seit die Geschäfte nicht mehr so gingen wie früher, war da kaum noch etwas los. Selbst in den Kneipen gähnte die Langewei le. Die fröhlichen Zecher und die trunkenen Gesänge aus rauhen Kehlen fehlten. Taran Kor war von untersetzter Statur und trug einen roten Vollbart, der fast bis zum Gürtel reichte. Zwei Zöpfe hielten die Mäh ne ein wenig zusammen. Er hatte vor, auch den dritten Tag zu fau lenzen, als er drüben im Gelände der Anlage einen Zugor landen sah. Er mußte von der FESTUNG gekommen sein. Das bedeutete auf jeden Fall Neuigkeiten. Taran Kor war neugierig wie alle Händler von Orxeya, also zog er sich an und machte sich auf den Weg. Er traf noch ein paar an dere Händler und tauschte mit ihnen Vermu tungen aus. Als sie das Wache Auge erreichten, sahen sie schon die Gruppen zusammenstehen und eifrig diskutieren. Es mußten also aufregen de Nachrichten sein, die eingetroffen waren. Endlich vorbei mit der Langeweile! dach te Taran Kor. Aber das Lachen verging ihm und seinen Gefährten, als sie die Neuigkeiten erfuhren. Fremde waren auf Pthor! Fremde, die eine unheimliche Waffe besaßen und sich un
31 sichtbar machen konnten. Fremde, die Tod und Vernichtung verbreiteten und nicht zu fassen waren. Fremde, die jeden Augenblick auch beim Wachen Auge aus dem Nichts auftauchen und alles zerstören konnten. Taran Kors erster Impuls war es, auf der Stelle kehrtzumachen und ins sichere Quar tier zurückzukehren. Die ärmlichen Hütten würden die Fremden kaum reizen können. Aber dann überlegte er es sich anders. In der Hütte würde er allein sein, hier je doch war er nur einer von vielen. Warum al so sollte es bei einem Überfall ausgerechnet ihn treffen? Also blieb er. Einer der Technos, der den technischen Wiederaufbau leitete, kam herbei und teilte Wachen ein. In einiger Entfernung startete der Zugor, um zur FESTUNG zurückzuflie gen. Taran Kor hatte insofern Glück, als der Techno ihn den Wachmannschaften zuteilte, und nicht dem Arbeitskommando. Er bekam eine der Lähmwaffen, aber wenn die Geschichten aus der FESTUNG stimmten, konnte sie nur der moralischen Beruhigung dienen, kaum einer nennenswer ten Gegenwehr gegen den unsichtbaren Feind. Taran Kor hütete sich, allein zu bleiben. Zusammen mit einem anderen Händler trat er seinen Rundgang an, der ihn quer durch das Werksgelände führte, vorbei an Monta gehallen und dem Wachen Auge selbst. »Wie kommen denn Fremde nach Pthor?« fragte er seinen Begleiter. Der zuckte mit den breiten Schultern. »Keine Ahnung, das hat der Techno im Zugor nicht verraten. Muß wohl noch mit der gescheiterten Invasion zusammenhän gen, deren Auswirkungen wir ja zu spüren bekamen. Uns wurde nur äußerste Wach samkeit empfohlen.« »Und die Fremden sollen sich wirklich unsichtbar machen können? Das ist doch un möglich!« »Anscheinend doch nicht. Jedenfalls müs sen wir aufpassen.«
32 Die Spannung hielt den ganzen Arbeitstag an, aber nichts Außergewöhnliches geschah. Als die Spannung dann gegen Ende der Schicht wieder nachließ, machte sich bei Taran Kor erneut die Langeweile breit. Da war er den ganzen Tag nutzlos herumgelaufen, statt daß er bequem auf seinem Lager geruht hätte … »Ich gehe nach Hause«, teilte er seinem Begleiter mit. »War ein blinder Alarm. Mor gen schlafe ich mich aus.« »Hast recht.« Der Begleiter beschleunigte seine Schritte. »Ich habe noch einen guten Schluck in meiner Hütte. Kommst du vor bei?« Sie passierten gerade eine der Hallen, des sen Tore noch weit geöffnet waren. Eine Gruppe von Dellos verließ gerade ihre Ar beitsstätte, froh über den Feierabend. Die Warnung, die von der FESTUNG eingetrof fen war, schienen sie bereits vergessen zu haben, oder sie verließen sich auf die Wachtposten. Plötzlich geschah etwas Seltsames. Dicht hinter den Dellos sah Taran Kor in einigen Metern Höhe etwas Schwarzes auf tauchen. Es entstand aus dem Nichts heraus, schwebte einige Sekunden dicht über dem Boden in der Luft – und landete dann sanft. Gleichzeitig waren drei Gestalten da, unter schiedlich bekleidet, aber auf keinen Fall Technos oder Dellos. Taran Kor rannte ein paar Schritte zurück und zog seinen Begleiter mit sich. Der woll te sich zuerst wehren, dann aber überlegte er es sich anders und vergaß seine Wächter pflichten. Was er sah, war ungeheuerlich. Und furchtbar. Die drei Fremden berührten mit einer Hand den schwarzen Brocken, der nun auf dem Boden ruhte und zu glühen begann. Gleichzeitig stießen die Dellos schreckliche Schreie aus und sanken mit verrenkten Glie dern um. Ob sie tot waren, konnte Taran Kor nicht erkennen, aber seiner Meinung nach waren sie nur bewußtlos geworden. Er selbst spürte ein merkwürdiges Krib beln in allen Gliedern, dann eine Lähmung,
Clark Darlton die ihn einknicken ließ. Seine Beine trugen ihn nicht mehr. Der Einfachheit halber ließ er sich zu Boden fallen und blieb liegen, den Blick zur Halle gerichtet. Neben ihm lag der andere Händler, ebenfalls so gut wie bewe gungsunfähig. Die drei Fremden gingen mit dem schwar zen Brocken in die Halle hinein und began nen mit ihrem Zerstörungswerk. Sie mußten über unbeschreibliche Kräfte verfügen, denn mit einfachen Metallstangen zerschlugen sie massiv gebaute Maschinen und zerstörten fast die gesamte Anlage, ehe von allen Sei ten Technos und Dellos herbeirannten, weil sie sich den Lärm nicht erklären konnten. Sie sahen ihre verkrampft herumliegenden Gefährten und stutzten. Taran Kor richtete sich mühsam auf. »Die Fremden! Dort, in der Halle! Auf passen, man wird gelähmt.« Die Saboteure hatten inzwischen das Ein treffen der Verstärkung bemerkt, aber sie verzichteten auf einen weiteren Angriff. Sie kehrten zu ihrem schwarzen Brocken zu rück, der nun nicht mehr glühte. Als sie ihn berührten, verschwanden sie mit ihm, als hätte es sie nie gegeben. Aber die wie tot herumliegenden Dellos und die halb verwüstete Halle redeten eine zu deutliche Sprache und bewiesen, daß es sich nicht um einen Alptraum gehandelt hat te. Taran Kor und sein Begleiter erhoben sich. Die Lähmung war nicht mehr vorhan den und zeigte keine Nachwirkungen. In al ler Hast berichteten sie den Technos, was geschehen war. Einer von ihnen bestieg einen Zugor, um der FESTUNG Mitteilung zu machen. Taran Kor machte sich auf den Heimweg. Ihm zitterten noch die Knie, als er seine Hütte erreichte. Auf keinen Fall würde er morgen zur Ar beit erscheinen.
* Als Atlan erfuhr, was beim Wachen Auge
Drei von der Geisterflotte geschehen war, nahm er Razamon beiseite. »Sie haben ihre Tätigkeit also nach drau ßen verlegt. Kein Wunder, daß wir hier in der FESTUNG einen vollen Tag Ruhe hat ten. Sie können also nicht überall zugleich sein, das ist so etwas wie ein Trost.« »Aber nur ein schwacher«, schränkte Raz amon ein. »Ich hatte auch keine Schmerzen mehr im Bein.« »Wenn du sie wieder spürst, gib mir so fort Bescheid. Dann sind die Fremden zu rückgekehrt.« »Wie konnten sie nur raus aus der FE STUNG?« Das war eine Frage, die auch Atlan nicht beantworten konnte. Das war erst möglich, als ihnen das Feh len eines intakten Zugors gemeldet wurde, der aus einem völlig abgeschlossenen Kel lerraum verschwunden war. Die Fremden waren damit geflohen, aber wie sie das an gestellt hatten, blieb auch weiterhin ein Rät sel. »Wenn sie ihre Tätigkeit auf ganz Pthor ausdehnen, werden sie mehr Schaden an richten als die ganze Invasion, die wir zu rückschlagen konnten. Was die Krolocs nicht erreicht haben, schaffen drei Fremde aus der Schwarzen Galaxis: uns schachmatt zu setzen.« »Noch ist es nicht soweit, Atlan! Wir ha ben noch eine Chance, wenn sie auch leider zum größten Teil auf Zufall und Glück ge baut ist. Immerhin hat der Händler Taran Kor den Vorfall beobachten können, ohne getötet zu werden. Ich möchte mir seine Schilderung noch einmal genau anhören. Kommst du mit?« »Du willst zum Wachen Auge?« »Ja, allerdings. Ein Augenzeuge ist mehr wert als tausend Vermutungen.« »Wir nehmen die GOL'DHOR.«
* Atlan hatte Thalia gebeten, an dem Flug nicht teilzunehmen. Sie sollte in der FE STUNG bleiben und einen Kurier bereithal
33 ten, der ihm und Razamon sofort zum Wa chen Auge folgen konnte, falls die Fremden wieder auftauchten. Der Alarmzustand blieb erhalten. Die GOL'DHOR legte die kurze Entfer nung in zehn Minuten zurück und landete auf einem freien Platz mitten im Gelände des Wachen Auges. Die Dellos unterbrachen nur für Minuten ihre Arbeit, aber sie kannten Atlans Schiff und beeilten sich, ihre Tätig keit wieder aufzunehmen. Ihr Respekt vor dem neuen König von Atlantis war groß. Technos kamen herbei und begrüßten ihn und Razamon. Dann berichteten sie und schlossen: »Es gibt zwei Augenzeugen, aber sie er schienen heute nicht zur Arbeit.« »Warum nicht?« »Es sind Händler aus Orxeya«, sagten die Technos, als sei damit alles geklärt. Atlan lächelte verständnisvoll. »Der Schock sitzt ihnen wohl noch in den Glie dern. Wo kann ich sie finden?« Die Technos erklärten ihm den Weg. Da es nicht sehr weit war, beschlossen Atlan und Razamon, nach Besichtigung des von den Fremden verursachten Schadens zu Fuß bis zur nahen Siedlung zu gehen. Die Zerstörungen erinnerten an jene in der FESTUNG. Wahrscheinlich wäre noch mehr Schaden entstanden, wenn die Fremden au ßer ihrer geheimnisvollen Waffe noch ande re Vernichtungswerkzeuge besessen hätten, aber auch so war es schlimm genug. Auf dem Weg zur Siedlung sagte Raza mon: »Sie werden hier sicher noch einmal zu schlagen. Die Anlage des Wachen Auges sieht wichtig genug aus. Hier könnten wir eine Chance erhalten.« »Ich habe darüber nachgedacht«, entgeg nete Atlan zögernd. »Was eigentlich sollen wir unternehmen, wenn der Zufall uns hilft und wir Augenzeuge eines solchen Überfalls werden? Die Lähmung ergreift auch uns, tö tet uns jedoch nicht. Aber wir sind hilflos.« »Ich weiß es auch nicht. Noch nicht! Das wird sich ergeben, wenn es soweit ist.«
34 »Deinen Optimismus möchte ich haben«, knurrte Atlan. Vor ihnen tauchten die Hütten auf. Die erste von ihnen glich eine jener Knei pen in Orxeya, die so gern von den Händlern aufgesucht wurden. Zumindest würde man hier erfahren können, wo die beiden Augen zeugen sich aufhielten. Der Wirt machte einen verschlafenen Ein druck und beantwortete mürrisch die Fragen Atlans, der sich nicht zu erkennen gab. Viel leicht hielt ihn der Wirt für einen der Söhne Odins, die er sicherlich noch nie zu Gesicht bekommen hatte. »Das war Taran Kor und noch einer, den ich nicht kenne. Taran wohnt in der vierten Hütte, wenn man die Straße weitergeht. Nicht zu verfehlen. Wünscht ihr was zu trin ken?« »Vielen Dank«, lehnte Atlan ab und ver ließ eiligst die stickige Bude. Razamon folgte ihm, obwohl er durstig war. Taran Kor lag auf seinem Bett und blickte den Eintretenden neugierig entgegen. Diesmal stellte Atlan sich vor. Der Schreck und die Überraschung mach ten Taran Kor schnell munter. Kam der neue Herr der FESTUNG höchst persönlich, um ihn wegen seiner Faulheit zu rügen? Da kam er aber an den Richtigen! Schließlich hatte er sich freiwillig zur Arbeit gemeldet und konnte krankfeiern, wann immer er wollte. Außerdem mußte er sich von dem gestrigen Schock noch erholen. Ehe er den Mund aufmachen konnte, sag te Atlan: »Du warst gestern Zeuge des Überfalls, Taran Kor, und damit bist du für uns ein sehr wertvoller Zeuge. Wir möchten dich bitten, uns den Hergang der Ereignisse in al len Phasen genau zu schildern.« Taran Kor bequemte sich aus dem Bett. So war das also! Er – ein wertvoller Zeuge! Das änderte natürlich alles. Toilette zu machen war überflüssig, denn er hatte sich vor dem Hinlegen erst gar nicht ausgezogen. Mit den Händen strich er das
Clark Darlton Haar zurück. »Der Überfall gestern – ja, das war eine verrückte Sache. Ich patrouillierte also mit einem alten Freund durch das Gelände, als plötzlich …« Ausführlich berichtete er, was geschehen war, und beantwortete dann die Detailfra gen, die ihm gestellt wurden. Die Auskünfte des Händlers bestätigten nur das, was Atlan und Razamon bereits ahnten. Viel Neues er gab sich nicht. Vor allen Dingen ergaben sich keine Hinweise darauf, wo der nächste Überfall stattfinden könnte. »Wie weit warst du von diesem schwar zen Materiebrocken entfernt, Taran Kor? Das ist wichtig, denn wir würden dann unge fähr den Radius der tödlichen Strahlung er fahren. Du wurdest ja nur gelähmt, befan dest dich also außerhalb dieser todbringen den Zone.« Taran Kor überlegte nur wenige Sekun den. »Etwa fünfzig Meter, würde ich sagen. Aber ich war trotzdem wie gelähmt, verlor jedoch nicht das Bewußtsein.« »Vielen Dank, Taran Kor, du hast uns sehr geholfen.« Mit diesen Worten verabschiedeten sich Atlan und Razamon von dem Händler. Sie gingen zurück zum Wachen Auge, sprachen noch mit den Technos und gaben ihnen den Rat, beim nächsten Überfall sofort die Nar kosewaffen einzusetzen, falls sie nicht von der Lähmung ergriffen wurden. Dann flogen sie zur FESTUNG zurück.
* In den folgenden Tagen häuften sich die Meldungen über plötzliche Überfälle und Sabotageakte in bedrohlichem Maß. Unter der Bevölkerung Pthors breiteten sich Unru he und Schrecken aus. Der nach der Invasi on der Krolocs wiederhergestellte Friede war empfindlich gestört, und das Schlimm ste war, daß es allem Anschein nach kein Mittel gab, die Tätigkeit der drei Fremden einzudämmen.
Drei von der Geisterflotte Atlan und Razamon waren ständig mit der GOL'DHOR unterwegs, aber immer kamen sie zu spät. Und kaum trafen sie an der Un glücksstätte ein, erfolgte der nächste überfall an anderer Stelle. Die Fremden waren einfach nicht zu fas sen. Atlan und Razamon standen neben ihrem Schiff und betrachteten in verbissener Hilf losigkeit die Trümmer einer neu aufgebau ten Station zwischen der Senke der Verlore nen Seelen und dem Taamberg. Die Dellos und Technos, die sie besetzt hatten, waren getötet worden. »Sie nähern sich wieder der FESTUNG«, stellte Atlan nach einem Blick auf die Karte fest, in die er alle Orte der bisherigen Über fälle eingezeichnet hatte. »Es ist fast anzu nehmen, daß sie noch einmal dem Wachen Auge einen Besuch abstatten, denn es liegt auf dem Weg, wenn man so will.« »Eine gewisse Systematik in den Überfäl len ist nicht zu leugnen«, gab Razamon zu, der einen Blick auf die Karte geworfen hat te. »Es muß uns doch gelingen, einmal vor ihnen da zu sein!« »Vergiß nicht«, erinnerte ihn Atlan, »daß es ihnen aller Wahrscheinlichkeit nach mög lich ist, alle unsere Bewegungen zu verfol gen. Sollten wir also einmal vor ihnen an ei nem Ort sein, den sie für einen überfall vor gesehen haben, und sollten sie uns für be sonders gefährlich halten, werden sie ihre Absicht aufgeben, und wir haben das Nach sehen. Auf der anderen Seite: Warum sollten sie gerade uns für gefährlicher als die ande ren Bewohner von Pthor halten?« Razamon war der Meinung, daß es dafür eine ganze Menge Gründe geben könne. Mehrmals schon hatten sie sich in der Nähe der Überfälle aufgehalten, ohne gelähmt oder getötet zu werden. Hinzu kam, daß die Fremden wissen mußten, daß sie auf Pthor eine besondere Rolle spielten. »Trotzdem sollten wir zurück zum Wa chen Auge fliegen«, schlug Atlan vor. »Es ist immerhin eine Chance.«
35
* Die leitenden Technos beim Wachen Au ge zeigten sich sehr beunruhigt, als die GOL'DHOR wieder bei der Anlage landete. »Ein neuer Überfall? Hier bei uns? Wa rum?« Atlan versuchte es ihnen zu erklären und hielt sie zur erhöhten Wachsamkeit an. Während die Dellos mit unvermindertem Fleiß weiter am Wiederaufbau arbeiteten, wurden die Wachtposten verdoppelt. Es wa ren in erster Linie Händler, die sich dazu meldeten. Nach dem Erlebnis von Taran Kor fühlten sie sich als Wachtposten sicherer, als wenn sie in einer der Hallen einer mehr oder weniger fruchtbaren Tätigkeit nachgingen. Ein wenig später traf ein Techno mit ei nem Zugor ein. Er kam von der FESTUNG und war von Thalia geschickt worden, nach dem sie erfahren hatte, daß Atlan und Raza mon beim Wachen Auge waren. Er über brachte eine vertrauliche Meldung. Aus ihr ging hervor, daß sich die anfängli che Unruhe der Bewohner von Pthor allmäh lich in eine Panikstimmung zu verwandeln drohte. Die Ursache dafür war die offen sichtliche Hilflosigkeit der neuen Herren der FESTUNG. Der unheimliche Gegner schien unbesiegbar zu sein. Niemand fühlte sich noch sicher vor den Angriffen aus dem Un sichtbaren. »Es wird ernst«, stellte Razamon fest. »Ein Aufstand wäre das Letzte, was wir jetzt brauchen. Ich beginne zu ahnen, was uns be vorsteht, wenn wir wirklich mit Pthor in der Schwarzen Galaxis landen. Es könnte das Ende bedeuten.« »Nicht für uns – hoffe ich.« Sie saßen auf einer der vielen Kisten, die noch ungeöffnet herumstanden. Sie enthielten Material und Werkzeuge für das Wache Auge. »So un glücklich das Erscheinen der drei Fremden auf Pthor auch scheinen mag, es gibt uns die einmalige Chance, ein wenig über die Her ren der Schwarzen Galaxis zu erfahren. Oh ne sie wären wir überrascht worden, ohne
36 vorher gewarnt zu sein.« »Hört sich gut an«, gab Razamon fast wi derwillig zu. »Mehr aber auch nicht.« Atlan hatte volles Verständnis für den Pessimismus seines Freundes, aber er war nicht gewillt, ihn zu teilen. »Das hört sich nicht nur gut an, es ist gut! Was heute noch wie eine Niederlage aus sieht, kann sich schon morgen in einen Sieg verwandeln.« Er betrachtete Razamon, dann wanderte sein Blick hinab bis zu den Füßen. »Ich setze alle meine Hoffnungen auf deinen Zeitklumpen. Die Waffe der Fremden muß etwas mit der Zeit zu tun haben.« »Ein schöner Trost«, protestierte Raza mon, alles andere als zufrieden. »Hast du ei ne Ahnung, wie sehr das Bein schmerzt, wenn die Fremden oder ihre Waffe in der Nähe sind?« »Der Schmerz, den du empfindest, kann vielleicht unsere Rettung sein. Es ist die ein zige Spur zu den Fremden, die wir haben.« »Du hast recht, natürlich. Und ich weiß jetzt auch, daß er auftritt, wenn die Fremden noch gar nicht materialisiert sind.« »Eben! Er warnt uns rechtzeitig – wenn wir gerade in der Nähe sind. Leider ist auch das nur ein Zufall.« »Auf den sind wir in erster Linie ange wiesen.« Atlan haßte es, sich auf den Zufall verlas sen zu müssen, aber in diesem Fall sah er keine andere Möglichkeit. Doch es war nicht allein der Zufall, dem er vertraute. Immerhin gab ihm die gezeichnete Karte mit den Orten der Überfälle der Fremden gewisse Hinwei se. Wenn man die entsprechenden Orte durch Linien verband, ergab sich ebenfalls so etwas wie eine Spur der Unsichtbaren. Mit einigem Glück ließ sich so der näch ste Überfall vorausahnen. »Ob du den Schmerz auch spürst, wenn du gerade schläfst?« fragte er. »Das weiß ich nicht«, gab Razamon zu. Atlan nickte. »Na gut, dann übernimm die erste Wache. Ich lege mich im Schiff ein paar Stunden hin.« Er stand auf. »Und wecke mich, sobald
Clark Darlton du etwas spürst …«
* Razamon blieb sitzen und sah Atlan nach, der durch die Luke in die GOL'DHOR stieg. Unwillkürlich tastete er nach seinem linken Bein, aber sein Zeitklumpen machte sich nicht sonderlich bemerkbar. Er spürte, daß er vorhanden war, das war aber auch alles. Von Schmerz konnte keine Rede sein. »So wird man zum Spürhund degradiert«, murmelte er. »Und das im wahrsten Sinne des Wortes.« Er sah, daß sich ein Doppelpo sten näherte, und winkte den beiden Män nern zu, deren Haartracht sie als Händler von Orxeya auswies. Beim Näherkommen erkannte er den einen von ihnen als Taran Kor. »Keine Neuigkeiten?« Taran Kor, sich seiner plötzlichen Wich tigkeit durchaus bewußt, kam lässig herbei geschlendert. Sein Begleiter folgte ihm in ei nigen Metern Abstand. »Es ist alles ruhig, und nichts deutet auf einen bevorstehenden Überfall hin.« »Es deutet niemals etwas auf einen Über fall hin«, belehrte ihn Razamon. »Er erfolgt stets ohne jede Vorwarnung. Aber das mein te ich auch nicht. Wie ist die Stimmung un ter den Dellos? Haben sie Angst? Und was ist mit den Technos? Du bist Händler und ein kluger Mann, du besitzt psychologischen Spürsinn. Ich will wissen, ob die Leute be unruhigt sind.« Taran Kor glättete seinen wirren Rotbart. »Keine Sorge, es wird gearbeitet wie stets. Seit ihr hier bei uns seid, Atlan und du, fürchtet sich niemand mehr. Man glaubt, ihr könntet den Gegner besiegen.« »Wir sind …«, begann Razamon, schwieg aber dann abrupt. Er schämte sich, die eige ne Hilflosigkeit zuzugeben, aber er schämte sich genauso, sie verschweigen zu müssen. Er entschied sich für einen Kompromiß. »Wir sind hier, um euch zu helfen. Aber um euch helfen zu können, müssen wir rechtzei tig von einem Überfall erfahren. Halt die Augen auf, Taran Kor! Es ist wichtig!«
Drei von der Geisterflotte Taran Kor nickte bestätigend und schlen derte mit seinem Gefährten weiter, die Wag gu entsichert im Gürtel. Razamon sah den beiden skeptisch nach. Und noch während er ihnen nachsah, durchzuckte ihn ein furchtbarer Schmerz. Im linken Bein! Er sprang auf und humpelte zum Einstieg der GOL'DHOR. An die Leiter gestützt, rief er nach Atlan, der Sekunden später in der Luke erschien. »Sie sind hier!« stöhnte Razamon, ehe er zusammensackte.
* Atlan sprang über Razamon hinweg und sah in einiger Entfernung die beiden Händler davonrennen. Sie zogen die Beine nach, aber sie liefen weiter. Links von ihnen war eine Montagehalle. Durch die offenen Tore war es Atlan mög lich, in ihr Inneres zu sehen. Dellos und Technos waren auf den Boden gesunken und blieben reglos liegen, andere krochen müh sam ins Freie. Im dunklen Hintergrund war ein sanftes Glühen, und Atlan wußte sofort, was das war: der Materiebrocken aus der Schwarzen Galaxis! Die Waffe! Ohne sich um Razamon zu kümmern, der ihm jetzt nicht mehr helfen konnte, rannte er los, genau auf die Halle zu. Die beiden Händler hatte er aus den Augen verloren. Er nahm ihnen die Flucht nicht übel. Je näher er der Halle kam, desto stärker wurde die Lähmungserscheinung in den Bei nen. Doch selbst während des Laufens nahm er alles wahr, was dort geschah. Es war wie immer. Die Fremden hatten ihre Taktik nicht geändert. Sie nahmen ihren Gegner nicht mehr ernst. Verschwommen nur sah Atlan drei Ge stalten, die mit undefinierbaren Gegenstän den auf alles einschlugen, was ihnen in die Quere kam. Überall auf dem Boden der Hal le lagen verkrümmte Dellos herum, die von
37 dem Überfall überrascht worden waren und sich nicht mehr in Sicherheit hatten bringen können. Ohne jeden Zweifel waren sie tot. Atlan spürte, daß er nicht mehr weit lau fen konnte, denn die Lähmungserscheinun gen steigerten sich von Schritt zu Schritt. Sie wurden so stark, daß er stehenblieb und sich auf die Erde setzte. Der Eingang zur Halle war noch dreißig Meter entfernt. Das waren die drei Fremden und verrich teten ihr Zerstörungswerk, und er war nicht in der Lage, etwas dagegen zu unternehmen. Mühsam zog er seine Waggu aus dem Hol ster des Gürtels, entsicherte die Waffe und versuchte, ein Ziel zu finden. Aber seine Hände zitterten. Das schwache Energiebün del drang zwar in die Halle, schwankte je doch mit Atlans Bewegungen hin und her, ohne jemanden zu erfassen. Und dann war mit einemmal alles vorbei. Der Materieblock und die drei Fremden verschwanden im Nichts. Gleichzeitig fiel die Lähmung von Atlan ab, der sich sofort erhob und in die Halle eil te. Es bot sich ihm das schon gewohnte Bild absoluter Zerstörung. Den Getöteten war nicht mehr zu helfen. Razamon kam herbeigehumpelt. »Es tut mir leid, Atlan, aber ich konnte mich kaum noch rühren. Der Schmerz griff sogar auf das rechte Bein über …« »Du hättest ebensowenig helfen können wie ich. Beide wären wir zu spät gekom men. Bis auf fünfzig Meter etwa können wir uns dem Materiebrocken nähern, dann ist es aus.« Die Technos und die Wachen kamen her bei. Entsetzt starrten sie auf die zerborstenen Maschinenteile und die toten Arbeiter. Dann warfen sie Atlan und Razamon fragende Blicke zu. Wortlos drehten die beiden sich um und verließen die Halle.
6. »Ich fürchte«, sagte Razamon, als sie in
38 der FESTUNG eintrafen, »daß unsere Tech nos mit deinen Erklärungen nicht vollauf zu frieden waren. Und – um ehrlich zu sein – mehr als ein schwacher Trost waren sie ja auch nicht.« »Um ganz ehrlich zu sein«, erwiderte At lan mit nicht gerade heiterer Miene, »einen schwachen Trost könnte ich selbst gut ge brauchen. Ich weiß keinen Ausweg mehr, es sei denn, diese unsichtbaren Geister tauchen direkt vor mir auf und böten sich als Ziel scheibe für den Lähmstrahler an. Aber damit dürfen wir wohl kaum rechnen.« Thalia ging im Zimmer auf und ab. Sie wirkte nervös und ratlos. »Das Rauschen und die ewige Dämme rung verraten uns, daß wir mit jeder Sekun de der Schwarzen Galaxis näherkommen und Pthor nicht aufhalten können. Ich weiß, Atlan, daß es deine Absicht war und ist, die Herren dieser mysteriösen Galaxis zu treffen und auszuschalten, aber ich weiß auch, daß es noch zu früh dazu ist. Wir wissen nichts über sie, aber wir bekamen nun einen klei nen Vorgeschmack von dem, was uns erwar tet. Was also können wir tun?« »Der kleine Vorgeschmack ist mehr als genug«, murmelte Razamon und stützte das Kinn in die Hände. »Die Sache wächst uns über den Kopf.« »Was meinst du, Atlan?« wandte sich Thalia an ihn. Atlan warf ihr einen nicht gerade ermuti genden Blick zu. »Nichts oder nur sehr wenig. Meine Karte gab mir recht, als ich den nächsten Angriff der drei Fremden auf das Wache Auge ver mutete. Demnach kehren sie nun zur FE STUNG zurück. Wir müssen also jeden Au genblick damit rechnen, daß sie ihren näch sten Schlag hier gegen uns führen.« »Gut, nehmen wir das an. Was können wir also tun?« »Das hast du schon einmal gefragt, ohne eine Antwort zu erhalten. Meine einzige Hoffnung ist Razamon.« Razamon sah auf und schüttelte fast wü tend den Kopf.
Clark Darlton »Immer ich! Wegen des Zeitklumpens vielleicht?« »Genau deswegen!« versicherte Atlan. »Wir nehmen als sicher an, daß die Waffe der Fremden etwas mit der Zeit zu tun hat, also eine Temporalwaffe ist, wie immer sie auch funktionieren mag. Du bist der einzige von uns, der eine gewisse Beziehung zur Zeit unterhält. Also bist du auch der einzige, der vielleicht dem Gegner eine Schlappe zu fügen kann. Bist du anderer Meinung?« »Woher soll ich das wissen?« Razamon sah ein wenig ratlos aus. »Natürlich, du hast recht, wenn du an den Zeitklumpen denkst. Aber ich habe nicht die geringste Ahnung, wie ich ihn einsetzen soll – außer als War nung und Spurensucher.« »Als Gegenwaffe vielleicht«, schlug At lan vor. »Wir werden es noch herausfinden. Jedenfalls geben wir nicht auf. Der nächste Angriff wird hier in der FESTUNG erfol gen. Einige Erfahrungen haben wir inzwi schen sammeln können, und die werden wir ausnützen.«
* Obwohl Razamon wußte, wie wichtig der Schlaf für ihn jetzt war, fand er keine Ruhe. Etwas in seinem Innern sagte ihm, daß der Gegner ganz in der Nähe war, sich aber noch passiv verhielt. Vielleicht brauchten auch die Fremden Schlaf und hatten sich ausgerechnet die FESTUNG dafür ausge sucht. Jede der Grundflächenkanten war 674 Meter lang. Die Höhe der Pyramide betrug 438 Meter. Das ergab einen Rauminhalt von etwa 98 000 Kubikmeter. Hinzu kamen die unzähligen Gewölbe und Energieanlagen, die unter der Oberfläche lagen. Wo also verbargen sich die drei Fremden? Razamon begann mit seiner Suche im un tersten Teil der Pyramide, soweit er zugäng lich war. Er durchstreifte Räume, die er nie zuvor betreten hatte und die mit technischem Gerät und Maschinen vollgestopft waren. Den drei Saboteuren bot sich gerade hier ein
Drei von der Geisterflotte reiches Betätigungsfeld an. So weit wie möglich drang Razamon in das unterirdische Labyrinth vor, bis Stein blöcke, Metalltüren und andere Hindernisse ihm den Weg versperrten. Tief unten im Ur gestein eingebettet lag der Antrieb Pthors, unerreichbar im Augenblick. Immer wieder tastete Razamon sein linkes Bein ab. Der Zeitklumpen machte sich schwach bemerkbar, der Schmerz war dumpf und nicht sehr stark. Aber er war da. Razamon ging zurück und durchsuchte die restlichen Räume und Gänge, dabei im mer auf sein Bein achtend und jede Verän derung genau registrierend. Er kam sich vor wie ein lebendes Peilgerät, das Impulse auf nahm und je nach ihrer Intensität die Rich tung zu bestimmen hatte. Als der dumpfe Schmerz wieder nachließ, machte er kehrt, bis der Schmerz sich erneut verstärkte. Die Fremden und ihre Waffe be fanden sich also über ihm, vielleicht schon in der nächsten Etage. Das war immer noch tief unter der Grundfläche der Pyramide. Ein Stockwerk höher näherte er sich vor sichtig der Stelle, die vorher direkt über ihm gewesen war. Es handelte sich um einen rie sigen Lagerraum, der mit Kisten und Metall behältern vollgestopft war und tausend Ver stecke bot. Razamon wußte nicht, ob die Fremden ihn sehen konnten. Umgekehrt war es ge nauso: Er konnte sie auch nicht sehen. Aber er spürte sie. Das Bein schmerzte nun fast unerträglich, gleichzeitig begann der Zeitklumpen deut lich zu pulsieren. Razamon kannte dieses Gefühl nur zu gut. So war es, wenn sich die organische Zeitmaschine aktivierte. So schnell er konnte, humpelte er zwi schen zwei Stapel riesiger Kisten, die wohl Maschinenteile enthielten. Vor seinen Au gen begann es zu flimmern, aber es war nicht so wie damals im Korsallophur-Stau. Die Gegenstände, die er nur noch undeutlich sah, verflüchtigten sich nicht vollständig. Sie blieben materiell erhalten und wurden nicht unsichtbar.
39 Razamon war, als würde er ein winziges Stück nach vorn geschoben. Nach vorn? In der Zeit nach vorn …? Ihm blieb keine Zeit, über das Phänomen nachzudenken oder es gar zu lösen. Er hörte Geräusche, die er vorher nicht vernommen hatte. Jemand redete in einer ihm unbekann ten Sprache, ein anderer antwortete. Razamon spürte, daß sein augenblickli cher rätselhafter Zustand nicht von langer Dauer sein würde, er mußte die Gelegenheit nutzen, die sich ihm bot. Vorsichtig humpel te er bis zum Rand der schützenden Stapel und blickte um die Ecke. Sein Gehör hatte ihn nicht getäuscht. Arglos und ohne auf ihre Deckung zu achten, hockten die drei Fremden auf Kisten und unterhielten sich. Ein Stück neben ihnen ruhte der Brocken schwarzer Materie auf dem Felsboden. Er war dunkel und lichtlos. Und er schien nur schwach zu strahlen, denn sonst hätte Razamon mehr Schmerzen ver spüren müssen. Ihm blieben nur wenige Sekunden, das Bild in sich aufzunehmen. Die drei Fremden und der Materiebrocken schienen plötzlich wie von einem Schleier eingehüllt zu sein und wurden undeutlicher. Und dann waren sie verschwunden. Gleichzeitig erlebte Razamon das Gegen teil von dem, was er vorher zu spüren ge glaubt hatte: Er wurde ein Stück »zurückgeschoben«. Er verhielt sich reglos und still und stu dierte die Stelle, an der er eben noch die Fremden gesehen hatte. Da standen die Ki sten, auf denen sie gesessen hatten, aber nie mand saß auf ihnen. Auch die Stelle, an der der Brocken lag, war nun leer. Der dumpfe Schmerz war geblieben, er schien sich sogar zu verstärken. Sollte die unheimliche Waffe wieder aktiv werden? Razamon ahnte, daß er schnellstens von hier verschwinden mußte. Zwar hatte er die Fremden aufgespürt, aber er wußte nicht, was er gegen sie unternehmen sollte. Ehe er handelte, mußte er Atlan informieren.
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Clark Darlton
Vorsichtig zog er sich zurück und atmete erleichtert auf, als er auf dem Gang stand. Immer noch humpelnd erreichte er die Trep pen, die nach oben führten, und zehn Minu ten später betrat er Atlans Wohngemächer.
* Nachdem er berichtet hatte – Thalia war auch zugegen –, schloß er: »Ich glaube zu wissen, was geschehen ist. Mein Zeitklumpen hat sich bei Annäherung an die Fremden und ihre Waffe selbständig aktiviert. Das konnte ich deutlich spüren. Ich hatte keinen Einfluß darauf. Und nun paßt gut auf! Wißt ihr, was ich vermute? Ich will es euch sagen: Der Zeitklumpen hat mich um ein paar Sekunden in die Zukunft ver setzt. Eben in jene Zeitebene, in der sich die Fremden aufhalten und so für uns unsichtbar bleiben.« »Du meinst«, dehnte Atlan, »daß sich die Fremden – von uns aus gesehen – in der Zu kunft aufhalten und nur dann in unsere Ge genwart kommen, wenn sie zerstören und morden? Das wäre ungeheuerlich!« »Es ist aber allem Anschein nach so! Wir können sie nicht sehen, weil sie sich einige Sekunden in der Zukunft befinden. Ehe wir diesen Zeitpunkt erreichen, sind sie schon wieder ein Stückchen weiter in der Zukunft. Wir könnten sie niemals einholen.« »Aber du hast sie eingeholt!« »Nur für wenige Augenblicke und ohne mein Dazutun. Aber ich hoffe, daß ich den Vorgang bewußt wiederholen kann, wenn ich mich sehr stark auf den Zeitklumpen konzentriere.« Thalia fragte: »Ich verstehe das Prinzip nicht, Razamon. Angenommen, deine Behauptung ist richtig, so kannst du doch nicht abstreiten, daß die Zeit vergeht. Auch wenn sich die Fremden – sagen wir mal – fünf Sekunden in der Zu kunft aufhalten, müßten wir sie nach fünf Sekunden sehen können. Oder nicht?« »Nein, sicher nicht! Sie könnten nicht zweimal existieren. Ihre Zeit läuft außerdem
genauso weiter wie unsere. Wir könnten sie in tausend Ewigkeiten nicht einholen.« »Ich glaube, Razamons Theorie stimmt, seine Überlegungen sind richtig und logisch. Die Fremden sind nur mit einer Zeitmaschi ne einzuholen, in unserem Fall von Raza mons Zeitklumpen.« »Und dann?« erkundigte sich Razamon. »Was soll ich tun, wenn ich tatsächlich noch einmal zu ihnen vordringen kann und sie vor mir sehe? Soll ich auf sie schießen? Mit Narkosestrahlen?« »Nein, mit einer Skerzaal. Ein Metallbol zen könnte wirksamer als energetische Strahlenbündel sein. Es wäre nicht das erste mal, daß moderne technische Dinge durch primitive Mittel ausgeschaltet werden.« »Eine Skerzaal? Mit einer Armbrust soll ich den Fremden auf den Pelz rücken?« Raz amon schüttelte zweifelnd den Kopf. »Ich weiß nicht so recht, ob ich über deinen Ein fall froh sein soll.« »Siehst du eine bessere Möglichkeit?« »Leider nicht«, mußte Razamon zugeben. »Aber ich befürchte, daß wir wertvolle Zeit verlieren. Leider hatte ich ja nur wenige Au genblicke Gelegenheit, die Fremden zu be obachten, aber mir scheint, sie beraten neue Schandtaten. Es ist demnach möglich, daß sie bald wieder zuschlagen.« Thalia rief einen Dello herbei und beauf tragte ihn damit, eine Skerzaal und mehrere Stahlbolzen zu bringen. Atlan sagte indessen zu Razamon: »Ich werde dich bis in den Lagerraum be gleiten und in deiner Nähe bleiben. Wahr scheinlich kann ich dir nicht helfen, denn du bist ebenso unsichtbar wie die Fremden, wenn dein Experiment gelingt.« »Also als moralische Unterstützung?« meinte Razamon und lächelte flüchtig. »Kann nicht schaden.« Der Dello brachte die primitive Waffe und die dazugehörenden Stahlbolzen. Raza mon nahm ihn behutsam in die Hand und spannte den Bogen zur Probe. Er sicherte die Sehne und legte einen der Bolzen ein. »Wenigstens einen von ihnen solltest du
Drei von der Geisterflotte erwischen, falls du vorzeitig wieder zurück in die Gegenwart gedrückt wirst.« »Das würde uns nicht helfen. Zwei dieser Burschen sind genauso gefährlich wie drei. Wir müßten ihre Waffe vernichten können, die das für uns so verhängnisvolle Zeitfeld erzeugt. Aber das wird mit einem Stahlbol zen kaum möglich sein.« »Ich glaube es auch nicht. Es ist bedauer lich, daß du mich nicht mit in die Zukunft nehmen kannst. Zusammen wäre das Pro blem besser zu lösen.« »Ich werde euch begleiten«, erbot sich Thalia, als Atlan und Razamon gehen woll ten. Atlan legte ihr die Hand auf die Schulter. »Ich möchte dich bitten, hier zu bleiben. Wir wissen nicht, was geschehen wird, und ich möchte nicht, daß du dich in Gefahr be gibst.« »Und was ist mit euch?« »Das ist etwas anderes«, sagte Atlan un willig. Er fühlte, daß er ungerecht war, aber er konnte es nicht ändern. Auf keinen Fall würde er zulassen, daß Thalia sie jetzt be gleitete, und wenn er sie in ihren Wohnräu men einschließen müßte. »Tu bitte, worum ich dich bitte.« Sie resignierte. »Also gut, ich bleibe hier. Aber ich werde an den wichtigsten Punkten Dellos aufstel len, damit sie eine Meldekette bilden. Man kann nie wissen, was passieren wird.« »Damit hast du unbedingt recht«, bestä tigte Atlan und nickte Razamon aufmun ternd zu. »Komm! Wir verlieren nur unnötig Zeit.« Während sie die Treppen hinabstiegen und Razamon wieder den dumpfen Schmerz im linken Bein zu spüren begann, versuchte Atlan, seine Gedanken zu ordnen. Er, der Unsterbliche, hatte in seinem Leben schon oft genug mit dem Zeitproblem zu tun ge habt, ohne jemals eine zufriedenstellende Erklärung für die damit zusammenhängende Phänomene gefunden zu haben. Er wußte, daß es unterschiedliche Zeite benen gab, und er wußte auch, daß gewisse
41 Arten von Zeitreisen möglich waren, wenn die notwendigen Voraussetzungen dafür ge schaffen wurden. Aber er hatte es noch nie erlebt, daß sich jemand permanent für Se kunden in der Zukunft aufhalten und sich so dem Zugriff der Gegenwart entziehen konn te. Ein solcher Gegner war nur dann zu schlagen, wenn man ihm in diese Zukunft folgen konnte. Nur Razamon war dazu fähig. Er ganz al lein. Der Berserker ging vor ihm und zog das linke Bein immer mehr nach. Die Schmer zen in ihm schienen stärker geworden zu sein. Die gespannte Skerzaal trug er in der rechten Hand, die übrigen Bolzen hielt er in der linken, um möglichst schnell nachladen zu können. Als sie die Etage erreichten, in der sich der Lagerraum befand, blieben sie stehen. »Dein Bein?« erkundigte sich Atlan be sorgt. »Die gleichen Symptome wie vorher, die Fremden sind also noch da. Vielleicht haben sie sich wirklich zu einer Ruhepause ent schlossen, das wäre günstig.« »Du meinst, du könntest sie überra schen?« »Ich hoffe es wenigstens. Aber wichtig ist vor allen Dingen, daß ich diesmal den Zeit klumpen bewußt aktivieren kann. Unter nor malen Umständen ist das nicht möglich, aber die fremde Waffe hilft mir dabei. Du siehst, sie hat auch ihre Vorteile.« »Ich würde gern auf diese Waffe verzich ten, Razamon. Komm!« Er stützte den Freund, dessen Gesicht schmerzverzerrt war. Mit Mühe nur schlepp te er sich voran. »Kein Wort mehr!« flüsterte er, als sie die Tür zum Lagerraum erreichten. »Vielleicht können sie uns nicht hören, aber ich bin nicht sicher.« Atlan nickte und begleitete ihn bis zu den Kistenstapeln. Wortlos deutete Razamon aus der Deckung heraus auf die drei umgestürzten Kisten, auf denen die Un sichtbaren sitzen mußten.
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Clark Darlton
Atlan hockte sich auf den Boden und war tete. Razamon blieb stehen, Skerzaal in der einen, die Bolzen in der anderen Hand. Sein Gesicht verriet höchste Konzentration. Sein Blick war fest auf den Platz gerichtet, an dem sich die Fremden und die Waffe befin den mußten. Lange Zeit, so schien es Atlan, geschah nichts. Dann begann sich Razamon allmählich zu verändern. Die Konturen seines Körpers wurden schemenhaft, seine Umrisse verschwammen. Er knickte mit dem linken Bein ein, richtete sich aber unter größten Anstrengungen wie der auf. Immer transparenter wurde sein Körper, und Atlan hatte Mühe, ihn in dem Dämmerlicht noch zu erkennen. Und dann war er plötzlich verschwunden.
* Razamon spürte, daß sich der Erfolg an bahnte. Er versuchte, den dumpfen und stärker werdenden Schmerz im Bein zu ignorieren, aber es gelang ihm nicht. Ein kurzer Blick unterrichtete ihn davon, daß Atlan und der Kistenstapel sich schein bar in Nichts aufzulösen begannen. Er fühlte den leichten Druck, der ihn in die Zukunft zu drängen versuchte. Er sah wieder hinüber zu der Stelle mit den drei Kisten. Jeden Augenblick mußten dort die drei Fremden und der schwarze Ma teriebrocken sichtbar werden. Der Schmerz im Bein verriet ihm nur zu deutlich, daß sie noch da waren. Und dann sah er sie. Aber sie saßen nicht mehr auf ihren Ki sten, sondern lagen zwischen ihnen auf dem Boden – und schliefen. Razamon zögerte und ließ die Hand mit der Waffe sinken. Es widerstrebte ihm, Schlafende zu töten, auch wenn diese heim tückische Mörder und Saboteure waren. Aber wenn er sie weckte, würden sie ihn mit
Sicherheit überrumpeln. Was also sollte er tun? Sein Blick fiel auf den schwarzen Lavab rocken, der alles Licht verschluckte und nichts als leblose Materie zu sein schien. Es würde genügen, ihn zu zerstören, aber wie sollte er das anstellen? Mit seiner Skerzaal vielleicht? Der Gedanke belustigte Razamon für eine Sekunde, obwohl die Situation alles andere als belustigend war. Er stand vor einer für ihn furchtbaren Entscheidung, und er war nicht in der Lage, sie so schnell zu treffen. Begann der schwarze Brocken nicht zu pulsieren? Nein, es mußte Einbildung sein. Seine Augen waren überanstrengt. Die Strapazen der vergangenen Tage machten sich ausge rechnet jetzt bemerkbar. Einer der Schläfer wälzte sich auf die an dere Seite, ohne zu erwachen. Razamon richtete die Waffe auf ihn, aber er schoß nicht. Er konnte es einfach nicht. Was würde Atlan sagen, wenn er davon erfuhr? Der Materiebrocken …! Er pulsierte tatsächlich, und er begann von innen heraus zu glühen. Gleichzeitig spürte Razamon den Schmerz im Bein noch stärker werden. Es war, als bohrten sich glü hende Messer in sein Fleisch. Aber der Zeitklumpen blieb aktiviert. Er hielt ihn in der Zukunft. Die Rückkehr! durchzuckte Razamon ein schrecklicher Ge danke. Wie wird die Rückkehr möglich sein? Ist sie überhaupt möglich? Er mußte handeln! Sofort! Dann erst war es an der Zeit, sich Gedanken um die Rück kehr zu machen. Genau in diesem Augenblick wurde er zum Handeln gezwungen. Einer der Schläfer erwachte. Er richtete sich träge auf und sah auf seine noch schlafenden Gefährten hinab, als wür de er überlegen, ob er sie wecken sollte. Dann blickte er hinüber zu dem schwarzen Brocken und schien erschrocken zu sein, als er ihn pulsieren und glühen sah.
Drei von der Geisterflotte Schnell erhob er sich und streckte die Hand aus, um den Brocken zu berühren. Razamon blieb keine Zeit mehr. Er drück te den Haltestift seiner Skerzaal ein und lös te die Sehne. Der Stahlbolzen schnellte vor, glitt durch die Schaftrinne und traf den Fremden. Der Fremde drehte sich halb um. Seine Stielaugen richteten sich auf Razamon, der hastig die Sehne spannte und den zweiten Bolzen einlegte. Ohne zu überlegen, schoß er ein zweites Mal. Diesmal drang das Ge schoß in die Brust des Fremden, der sich langsam um seine eigene Achse drehte und dann zu Boden stürzte. Razamon konnte das Poltern hören. Es war laut genug, um die beiden restlichen Schläfer aufzuwecken, aber sie blieben lie gen und rührten sich nicht. Der Schmerz im Bein wurde unerträglich. Er steigerte sich synchron zum Glühen der Waffe, die nun fast rot leuchtete. Ich muß zurück, dachte Razamon und rang sich zu dem Entschluß durch, die Schlafenden zu töten. Er hob die Waffe und zielte. Genau in diesem Augenblick explodierte der glühende Brocken. Razamon war rechtzeitig in seine Deckung zurückgewichen, aber er sah noch, wie die Körper der Fremden quer durch den Raum geschleudert wurden und mit voller Wucht gegen die massiven Kisten prallten, die überall herumstanden. Als sie zu Boden stürzten, waren auch die beiden Schläfer schon tot. Sie konnten keinen heilen Kno chen mehr im Körper haben. Ich habe sie nicht getötet, dachte Raza mon, als die Druckwelle auch über ihn hin wegfegte, aber nicht voll erwischte. Und dann wurde es plötzlich dunkel um ihn …
* Atlan wartete lange vergeblich. Er hatte Razamon langsam verschwinden sehen und wußte nun, daß ihm der kurze
43 Sprung in die Zukunft gelungen war. Aber danach geschah nichts mehr. So lange kann es doch nicht dauern, dach te Atlan, der sich darüber wunderte, keine Lähmungserscheinungen zu spüren. Er hockte zwischen den Kistenstapeln und kam sich plötzlich sehr hilflos und überflüs sig vor. Gleichzeitig machten sich bei ihm die ersten Gewissensbisse bemerkbar. War es nicht unverantwortlich von ihm gewesen. Razamon ins Ungewisse gehen zu lassen? Hatte er ihn nicht praktisch dazu überre det? In seinen Zehenspitzen begann es zu krib beln, wurde stärker und wanderte an den Waden empor, bis es die ganzen Beine er griffen hatte. Die Lähmung? Sie war bisher immer nur dann aufgetre ten, wenn die fremde Waffe in der Gegen wart zu glühen begann. Aber wo war sie jetzt? Vorsichtig lugte Atlan um die Ecke der untersten Kiste, aber er sah nichts. »Razamon?« flüsterte er, obwohl er wuß te, wie sinnlos das sein mußte. »Gib mir ein Zeichen, wenn du mich hörst!« Nichts geschah. Noch nicht. Atlan schob sich wieder in seine Deckung zurück. Er tat es instinktiv und ohne ersicht lichen Grund. Vielleicht war es auch sein Extrasinn, der seinem Unterbewußtsein den Befehl dazu gab. Jedenfalls rettete ihm der Rückzug mit ziemlicher Sicherheit das Leben.
* Thalia hielt es vor Ungewißheit nicht mehr aus! Mehrmals fragte sie den im Gang stehen den Dello, ob schon eine Meldung durchge kommen sei, aber stets erhielt sie eine nega tive Antwort. »Atlan kann nicht von mir verlangen, daß ich tatenlos herumsitze.« Sie versuchte, sich selbst gegenüber das beabsichtigte Handeln
44 zu rechtfertigen. »Ich werde jetzt nach unten gehen, und wenn er sich auf den Kopf stellt!« Vor ihrer Tür blieb sie stehen. »Eigentlich sollte er froh sein, wenn ich mir Sorgen um ihn und Razamon mache. Nur Gleichgültigkeit könnte mich in Untä tigkeit verharren lassen.« Sie öffnete die Tür. Sie ging an dem bewegungslos im Gang stehenden Dello vorbei bis zur Treppe, die nach unten führte. Zuerst ging sie sehr lang sam, aber dann wurden ihre Schritte schnel ler. Unruhe packte sie, gepaart mit Sorge. Schon längst hatte sie Atlans Warnungen und Bitten vergessen. Wenn er in Gefahr war, würde sie die Ge fahr auch nicht scheuen. Der Beschreibung nach, die Razamon ge geben hatte, mußte sie sich jetzt auf der rich tigen Etage unter der Pyramidengrundfläche aufhalten. Nun war es nicht mehr weit bis zum Lagerraum. Sie war nicht oft hier unten in den Gewöl ben gewesen, die ihren unheimlichen Cha rakter noch immer nicht verloren hatten. Sie schauderte, als ihr die kühle Luft entgegen wehte. Aber sie fror nicht. Als sie noch gute zwanzig Meter vom Eingang zu dem großen Lagerraum entfernt war, geschah genau das, was sie insgeheim befürchtet hatte, ohne daß sie hätte sagen können, wie sie auf den Gedanken gekom men war. Aus dem Lagerraum heraus fegte eine ge waltige Druckwelle, verteilte sich an der Wand, die dem Eingang gegenüberlag, und raste in beiden Richtungen weiter. Die so zur Hälfte reduzierte Druckwelle war immer noch stark genug, Thalia zu Bo den zu schleudern. Sie ergriff selbst den am Ende des Ganges an der Treppe stehenden Dello und warf ihn gegen die Wand, ohne ihn ernstlich zu verletzen. Minuten später war er wieder auf den Beinen und rannte pflichtbewußt in den Gang hinein, wo er Thalia fand. Die Tochter Odins war bewußtlos. Blut
Clark Darlton sickerte aus einer Stirnwunde. Noch wäh rend sich der Dello um sie kümmerte, kam sie wieder zu sich. Sie starrte in das Gesicht des Androiden. »Atlan!« stöhnte sie. »Laß mich! Kümme re dich um ihn! Im Lagerraum!« Der Dello gehorchte sofort. Er lehnte sie sanft mit dem Rücken gegen die Wand und ging zum Lagerraum. Thalia sah ihm mit halbgeschlossenen Augen nach, dann wurde es abermals dunkel um sie.
7. Atlan erschien alles so, als erhielte er eine Antwort von Razamon, den er etwas gefragt hatte. Aber das war natürlich nichts als Ein bildung. Und doch hatte Atlan mit seiner Vermu tung nicht ganz unrecht. An der Gewölbedecke wurde der Explosi onsblitz grell reflektiert. Geblendet schloß Atlan für Sekundenbruchteile die Augen, ehe die Druckwelle, mehrfach zurückgewor fen und daher geschwächt, über ihn hinweg raste. Einige Kisten stürzten um und fielen mit Gepolter zu Boden. Zum Glück wurde Atlan nicht getroffen. Er blieb ganz ruhig liegen, denn es gab keine andere Möglichkeit, dem Chaos zu entgehen. Immerhin erfolgten keine weite ren Detonationen, so daß Atlan vorsichtig vorrobbte, um sehen zu können, was passiert war. Ganz langsam schob er sich vor und blickte um die Ecke des Stapels, dessen Ki sten schweres Material enthalten mußten, weil sie sonst umgestürzt wären. Die drei Kisten, die den Fremden als Sitz plätze gedient hatten, waren nur noch zer splitterte Holz- und Metallfetzen. Kein Wunder nach einer derartigen Explosion … Was für eine Explosion? Atlan wußte mit Sicherheit, daß hier un ten keine Explosivstoffe gelagert wurden. Es gab demnach nichts, was sich vielleicht hät te entzünden und detonieren können. Razamon …?
Drei von der Geisterflotte Nein, der hatte nur seine Skerzaal bei sich gehabt. Unmöglich konnte er die Explosion verursacht haben. Oder doch? Ein irrsinniger Gedanke durchzuckte At lan, aber er verwarf ihn sofort wieder. Nein, Zeit konnte nicht detonieren … Aber irgend etwas war detoniert und hatte sich unter Freisetzung seiner kinetischen Energie aufgelöst. Atlan erhielt die Antwort zehn Sekunden später. Während er noch den leeren Platz beob achtete, an dem die drei Kisten gestanden hatten, glaubte er darüber, dicht unter der Gewölbedecke, ein leichtes Flimmern zu be merken. Er sah genauer hin, und dann, als er die Ursache des Flimmerns erkannte, blieb er regungslos am Boden liegen und hielt den Atem an. Aus dem Nichts heraus schälte sich ein menschenähnliches Etwas, das – als sei es plötzlich losgelassen worden – zu Boden stürzte. Es war ein humanoider Körper, aber total zerfetzt und blutend. Er schlug hart auf und blieb liegen. Sekunden später folgte ein zweiter, dann ein dritter. Atlan holte tief Luft, als er sah, daß keiner der Körper Razamon gehörte. Ihm war klar, daß es die drei Fremden sein mußten, und sie lebten nicht mehr. Die Gewalt der rätsel haften Explosion hatte sie getötet. Und sie hatte sie aus der Zukunft zurück in die Vergangenheit geschleudert. Unwillkürlich wartete Atlan nun auf die Leiche Razamons, der die Katastrophe viel leicht doch nicht überlebt hatte. Aber der Berserker materialisierte nicht. Dafür erschienen Dutzende von Trüm merstücken dicht unter der gewölbten Decke, verharrten dort für einige Augen blicke und fielen dann, von der Gravitation Pthors angezogen, nach unten, wo sie auf schlugen und erneut zersplitterten. An den einzelnen Bruchteilen erkannte Atlan die zerstörte Waffe der Fremden. Ma schinenteile und Brocken der Tarnschale lie
45 ßen keinen Zweifel zu. Die unheimliche Zeitwaffe gab es nicht mehr, und die drei Fremden aus der Schwar zen Galaxis waren tot. Aber die erhoffte Erleichterung wollte nicht kommen. Razamon fehlte noch …
* Als Thalia wieder zu sich kam, wußte sie im ersten Moment nicht, wo sie war. Lang sam nur kehrte die Erinnerung an das zu rück, was geschehen war. Der Dello, der sich um sie gekümmert hatte, kehrte zurück. »Atlan ist nichts geschehen«, teilte er ihr emotionslos mit. Sie richtete sich auf. »Wo ist er?« »Im Lagerraum. Dort fand eine Explosion statt.« »Bring mich zu ihm!« Der Dello half ihr auf die Füße und führte sie am Arm bis zur Tür des Lagerraums. In mitten der Trümmer stand Atlan, unverletzt, wie es den Anschein hatte. Er drehte sich um, als er die Schritte hörte. Für einen Au genblick verriet sein Gesicht Unmut, aber dann glätteten sich seine Züge. Er kam Tha lia entgegen. »Ich hatte dich doch gebeten …« »Und ich hielt es nicht mehr aus«, unter brach sie ihn und nahm die Hand des Dellos von ihrem Arm. Der Androide zog sich in den Gang zurück. »Was war das für eine Ex plosion?« Atlan deutete auf die Trümmer der un heimlichen Waffe und die drei bis zur Un kenntlichkeit verstümmelten Leichen der Fremden. »Ich weiß es nicht, aber irgendwie muß es Razamon gelungen sein, eine Detonation in der Zukunft auszulösen. Aber das erklärt noch lange nicht, warum er verschwunden bleibt. Hoffentlich ist ihm nichts passiert. Aber schließlich fielen auch die drei toten Fremden in unsere Gegenwart zurück.«
46 »Du willst damit sagen, daß er ebenfalls aufgetaucht wäre, wenn es ihn erwischt hät te?« »Ja. Ich weiß, diese Vermutung ist durch nichts zu beweisen, aber immerhin …« Ein Poltern ließ ihn verstummen. Thalia war unwillkürlich zurückgewichen, als sie aus den Augenwinkeln heraus dicht unter der Decke einen Gegenstand materialisieren sah, den sie nur zu gut kannte. Einige kleine re folgten und fielen auf den Boden herab. Es waren die Skerzaal und die Stahlbol zen. Atlan war blitzschnell zur Seite gesprun gen, sonst wäre ihm die schwere Armbrust auf den Kopf gefallen. Er blickte nach oben, aber unter der gewölbten Decke blieb es leer. Razamon erschien nicht. Atlan wußte nicht, ob er erleichtert oder noch besorgter als zuvor sein sollte. Wenn seine Theorie richtig war, dann hielt der Zeitklumpen Razamon in der Zukunft fest, ebenso alle Dinge, die er am Körper trug. Die Skerzaal und die Bolzen hatte er wahr scheinlich infolge der Explosion aus den Händen verloren, so daß sie mit den drei Fremden und ihrer Waffe in die Gegenwart zurückstürzten. Thalia war totenblaß geworden. Atlan ging zu ihr. »Die Gefahr ist beseitigt, Thalia, die Fremden sind tot. Ich bin sicher, daß Raza mon lebt. Er wird zurückkehren, früher oder später. Wahrscheinlich ist er nicht in der La ge, seinen Zeitklumpen immer nach Belie ben zu aktivieren. Nun ist er fünf Minuten in der Zukunft, und wir können ihn nicht ein holen. Es mag sein, daß er uns sehen und hören kann, so wie auch die Fremden uns sahen und hörten, wenn sie in ihrem Zeitver steck waren. Wenn dem so ist, dann weiß er, daß wir auf ihn warten.« »Und wenn nicht?« Atlan zog sie mit sich auf den Gang hin aus. »Du siehst zu schwarz, Thalia. Sorge bitte dafür, daß einige Dellos hier als Wachen
Clark Darlton aufgestellt werden. Es wird gut sein, wenn im Lagerraum nichts verändert wird, vorerst wenigstens nicht. Ich möchte mir später die Überreste der drei Fremden noch ansehen, auch will ich versuchen, die zerstörte Waffe zu untersuchen. Vielleicht kommt dabei et was heraus.« Sie nickte. »Also gut, wie du meinst.« Auf ihrem Weg nach oben begegneten ih nen Technos und Dellos, die von der Explo sion alarmiert worden waren. Sie erhielten ihre Anweisungen. Wachen wurden einge teilt und am Eingang zum Lagerraum aufge stellt. »Kommst du noch mit zu mir?« fragte Thalia, als sie die oberen Etagen erreichten. »Ich kann jetzt nicht schlafen.« Atlan folgte ihr wortlos.
* Der Schmerz in Razamons Bein ließ mit einem Schlag nach, als die Waffe der Frem den explodierte. Bevor es dunkel um ihn wurde, sah er noch, wie die herumfliegenden Trümmerstücke transparent wurden und sich scheinbar in Luft auflösten. Mit den drei Leichen war es nicht anders. Ihre Konturen wurden verschwommen, dann verschwanden die drei Körper. Es war Razamon klar, daß sie in die Ver gangenheit zurückfielen und in der echten Gegenwart landen würden. Sie konnten dort keinen Schaden mehr anrichten. Noch während er darauf wartete, ebenfalls zurückzukehren, wurde es dunkel. Unwillkürlich ließ er die Skerzaal los, und als er sie Sekunden später suchte, fand er sie nicht mehr. Auch die Stahlbolzen waren nicht mehr vorhanden. Er tastete mit den Händen umher, um sich zurechtzufinden. Vor ihm mußten die Kisten des Stapels sein, hinter dem er sich verbor gen hatte. Seine Finger fanden keinen Wi derstand. Nun erst ergriff ihn die Panik. Verzweifelt versuchte er die Finsternis
Drei von der Geisterflotte mit den Augen zu durchdringen, aber es gab nicht einen einzigen Lichtpunkt, an den er sich hätte klammern können. Aber das war nicht das Schlimmste. Auch die Kisten waren nicht mehr da. Der Lagerraum schien plötzlich leer zu sein. Langsam richtete Razamon sich auf, und noch während er das tat, erlebte er eine wei tere Überraschung und zugleich einen Schock. Als er die Hände zur Unterstützung seines Körpers gegen den Boden stemmen wollte, mußte er feststellen, daß es auch keinen Bo den mehr gab. Sein scheinbares Aufrichten war nur ein Illusion, denn er schwebte nun frei im Raum. Nun erst wurde ihm das seltsame Gefühl bewußt, das unmittelbar nach der Explosion von ihm Besitz ergriffen hatte. Es war eine absolute Schwerelosigkeit, verbunden mit dem Eindruck eines endlosen Sturzes in das Nichts. Aber es konnte nicht das absolute Nichts sein, denn er vermochte zu atmen. Die Tem peratur um ihn herum schien sich nicht ver ändert zu haben. Aber es gab kein Licht. Sein Zeitklumpen hatte die Waffe der Fremden zerstört, wahrscheinlich ausgelöst durch die Kollision zweier verschiedener Zeitfelder. Gleichzeitig aber schien nun der Zeitklumpen als Folge der »Zeitexplosion« außer Kontrolle geraten zu sein. Razamons Herzschlag drohte zu stocken, als er an die Konsequenzen dachte, die aus dieser Tatsache entstehen konnten. Wer soll te seinen Sturz durch Raum und Zeit aufhal ten, wenn nicht der Zeitklumpen? Er hätte später nicht mehr zu sagen ver mocht, wie lange das Gefühl der Schwerelo sigkeit dauerte. Jedes Zeitgefühl war verlo rengegangen. Aber plötzlich spürte er die langsame Rückkehr seines natürlichen Ge wichtes mit den gewohnten Gravowerten. An der Lichtlosigkeit hatte sich nichts ge ändert, aber Razamon ahnte instinktiv, daß er sich nun in einem begrenzten Raum auf hielt, so wie man auch bei totaler Finsternis, in der man blind herumtappt, ein Hindernis
47 – eine Wand zum Beispiel – erahnt. Er lag auf festem Boden, und sein Körper fand Widerstand. Reglos blieb er liegen und lauschte, aber er hörte nichts. Wohin hatte ihn der Zeitklumpen trans portiert? Es war Razamon klar, daß er nicht sofort die Antwort finden konnte, aber er würde sie suchen. Befand er sich in der Vergangenheit oder in der Zukunft? Und wo befand er sich? Die Vermutung, daß ihn die fremde Waffe im Augenblick ihrer Vernichtung in die Schwarze Galaxis befördert hatte, lähmte ihn für Sekunden. Dann begriff er, daß der Gedanke nicht so abwegig sein konnte. Wenn dem aber so war, dann hielt er sich jetzt zweifellos in einer analogen Maschine rie dieser unheimlichen Waffe auf – und da mit wahrscheinlich auch in der Schwarzen Galaxis. Er, Razamon, der unfreiwillige Vorposten Pthors? Langsam richtete er sich auf. Trotz der Finsternis tat der feste Boden unter seinen Füßen gut. Er tastete sein Bein ab. Der Zeit klumpen pulsierte fast unmerklich. Jeder Schmerz war verschwunden. Er atmete tief durch, ehe er – völlig blind – den ersten Schritt tat. Ohne jeden Anhaltspunkt, wohin er sich wenden sollte, begann er seinen hoffnungs los erscheinenden Marsch in das lichtlose Ungewisse, das vor ihm lag …
* Nach zwei Tagen endlosen Wartens muß te Atlan sich eingestehen, daß nicht mehr viel Hoffnung blieb, Razamon so schnell wiederzusehen. Trotzdem wehrte er sich da gegen, den Freund aufzugeben. In diesen schweren Stunden war ihm Thalia ein großer Trost. Ausgerechnet sie, die am Anfang so pessimistisch gewesen war, fand zum Opti mismus zurück. »Er wird wiederkommen, oder wir holen
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ihn ein«, sagte sie, bevor Atlan sie verließ, um einige Stunden zu schlafen. »Sein Zeit klumpen bringt ihn zurück. Die Explosion kann ihn nicht zerstört haben. Übrigens: Die Bevölkerung von Pthor beruhigt sich wieder. Überall werden die entstandenen Schäden behoben. Das Leben normalisiert sich wie der.« »Das haben wir Razamon zu verdanken«, stellte Atlan mit belegter Stimme fest. »Ihm allein. Wo mag er nur sein?« »Die Zukunft wird uns die Antwort ge ben«, hoffte Thalia und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Und nun geh, versuche zu schlafen. Vor uns liegt noch viel Arbeit.« Er trat hinaus auf den Gang, drehte sich noch einmal um. »Ja, vor uns liegt noch viel Arbeit. Und noch etwas liegt vor uns, Thalia: die Schwarze Galaxis! Das dürfen wir niemals vergessen.«
Sie lauschte dem kaum hörbaren ewigen Rauschen nach, das durch die Mauern der FESTUNG drang. »Solange wir es hören, sind wir sicher«, sagte sie und schloß die Tür. Atlan dachte, während er durch den Kor ridor schritt: Wir sind niemals sicher auf Pthor, das hat die jüngste Vergangenheit be wiesen. Erst als er auf seinem Bett lag, kehrten seine Gedanken zu Razamon zurück. Es war sinnlos, Fragen zu stellen, die nicht beant wortet werden konnten. Was blieb, war nur die Hoffnung, den Freund früher oder später wiederzusehen.
E N D E
ENDE