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Eisvampire Henry Quinn Sogar durch die dicke Kunststoffbeschichtung des halbkugelförmigen Zeltes konnte man das Heulen des Schneesturmes hören. Er pfiff und zerrte und toste an den Verstrebungen, daß man kaum noch das eigene Wort verstehen konnte. Rubett wartete ungeduldig, daß das Wasser in dem Kessel über dem kleinen Propangaskocher endlich heiß wurde. Rubett war ein bärtiger, kräftiger Mann von unbestimmtem Alter und unbestimmter Herkunft, aber er hielt sich schon länger in diesem verdammten Land auf als jeder andere, den Szargosh kannte. »Wo nur Drunkley bleibt«, murmelte Szargosh mehr zu sich selbst. Er ächzte und streckte sich in dem wohligen Heißluftstrom aus dem batteriebetriebenen Heizgerät. Mit müden Augen starrte er den Kistenstapel vor ihm an, der ihre Lebensmittelvorräte enthielt. »Er überprüft den Eisrover«, antwortete Rubett leise. Dann nahm er den Kessel von dem Kocher und schüttete das dampfende Wasser in die große Tasse, wo sich rasch der Würfel aus konzentrierter Hühnerbrühe auflöste und zu einer kräftigen, wohlschmeckenden und angenehm duftenden Suppe wurde. Szargosh schnupperte und leckte sich über die spröden Lippen, griff nach seiner eigenen Tasse und bereitete sich ebenfalls eine Brühe zu. Für eine Weile erklang nur noch das Schlürfen der beiden Männer. Selbst der Schneesturm schien etwas abgeflaut zu sein. Szargosh gab sich schließlich einen Ruck. »Ich seh mal nach, was mit Drunkley ist«, erklärte er und zog die dicke Felljacke mit der isolierenden Innenbeschichtung an. Anschließend streifte er die Maske über das Gesicht, die nur schmale Schlitze für Augen und Mund besaß und ansonsten die Haut lückenlos bedeckte. Gefütterte Handschuhe, Beinschützer und eine Brille – jenen nicht unähnlich, die Schweißer bei ihrer Arbeit tragen – vervollständigten die Ausrüstung. Szargosh wirkte wie ein aufrechtstehender Bär in seiner Fellkleidung. Eine derartige Präparierung war nötig. Über Alaska lag der Win-
ter mit Temperaturen bis zu minus siebzig Grad. Bei einer derartigen Kälte konnte eine einzige Träne – sofort zu Eis gefroren – die Hornhaut des Auges zerstören. Ein tiefer Atemzug hatte nicht selten eine Lungenentzündung zur Folge, und wenn man mit der bloßen Haut ein Stück Metall berührte, war sie so gut wie verloren – oft sogar das Fleisch bis hinunter zu den Knochen. Rubett musterte kritisch seinen Partner und warf ihm dann den Atemschutz zu. Ein ironisches Lächeln überzog seine gegerbten Züge. »Greenhorn«, sagte er spöttisch. Szargosh grinste verlegen. »Gut, daß du bei uns bist, Mart.« Rubett nickte ernst. »In ein paar Monaten brauchst du mich nicht mehr«, sagte er leise. »Entweder bist du dann tot, oder du machst alles automatisch, um dein Leben zu schützen.« Er räusperte sich. »Und nun sieh nach. Drunkley ist schon zu lange draußen. Bei der Kälte frieren einem manchmal die Gedanken ein.« Szargosh drehte sich schwerfällig um und tapste unbeholfen auf die zweigeteilte Ausgangstür zu, öffnete die vordere Pforte, schloß sie sorgfältig und wartete einen kleinen Augenblick. Dann stieß er die zweite Tür auf. Sofort war er in einem Wirbel tanzender Schneeflocken versunken, und die eisige Kälte biß und brannte selbst durch seine dicke Kleidung noch wie mit Hunderten winziger Zähne auf seiner Haut. Konzentriert blickte er durch seine getönte Schneebrille. Obwohl es Mittag war und die Sonne schien, herrschte eine trübe Dämmerung. Der Schneesturm mußte den halben Polarkreis in die Atmosphäre geblasen haben. Ein ohrenbetäubender Lärm marterte seine Ohren. Szargosh hatte schon manchen Schneesturm erlebt, aber dieser übertraf alle bisherigen bei weitem. Unverkennbar strebte der Winter allmählich seinem Höhepunkt entgegen. Er sah sich kurz um. Das graue Material des Kunststoffzeltes war kaum noch zu erkennen; eine dicke Schneeschicht hatte sich über die Halbkugel gestülpt und paßte sie der weißen Umgebung immer mehr an. Wenn der Sturm vorbei ist, müssen wir den Schnee entfernen, sonst bricht uns noch das Zelt zusammen, dachte Szargosh. Dann erinnerte er sich an sein Vorhaben. Gebückt stapfte er nach rechts. Dort hatten sie bei Beginn des Sturmes den Eisrover ab-
gestellt und ihn mit einer kältehemmenden Plane bedeckt. Aber selbst mit diesem Schutz würden sie noch einen ganzen Tag den Motor mit Heißluft erwärmen müssen, ehe er ansprang. Verfluchte Kälte, schimpfte Szargosh in Gedanken. Erst als er knapp davor stand, bemerkte er den unregelmäßigen Koloß des Rovers. Der Sturm und die dadurch hervorgerufene Dunkelheit begrenzten das Sichtfeld auf knapp einen Meter. Ein Mann ohne gutes Orientierungsvermögen wäre rettungslos verloren in dieser scheinbar unendlichen Wüste aus Schnee. Szargosh umrundete das Fahrzeug und rief leise nach Drunkley. Keine Antwort. Besorgt runzelte er die Stirn. Wo war Drunkley? Hatte er die relativ sichere Umgebung ihres Lagers verlassen und war zu der Felsengruppe geeilt, die knapp fünfzig Meter entfernt lag? Aber wozu? Es war glatter Selbstmord, sich bei diesem Unwetter zu lange im Freien aufzuhalten. »Steve!« schrie Szargosh hinter seiner Gesichtsmaske. »Steve! Steve Drunkley! Gib Antwort! Wo bist du?« Aber das Tosen des Sturmes verschluckte seine Worte. Ein seltsames Gefühl beschlich Szargosh. Wenn Drunkley etwas passiert war… Vielleicht hatte er seine Schutzbrille verloren und irrte hilflos und erblindet durch den Orkan. Oder er war vielleicht in eines der Schneelöcher gerutscht – Vertiefungen im Boden, die während des Winters mit Schnee und Eis gefüllt waren und tückische Fallen darstellten, die schon manchen Mann für immer gefangen hatten. »Hallo, Steve!« brüllte er wieder. »Gib Antwort! Steve!« Nichts. Nur das Heulen des Windes, das Tanzen der Eiskristalle. Szargosh gab sich einen Ruck und ging noch einmal eine etwas größere Runde um den Rover. Plötzlich stieß sein Fuß gegen etwas Hartes. Alarmiert blieb er stehen und bückte sich, schaufelte schwer atmend den Schnee zur Seite. Ein Bein – in gefütterten Hosen! So schnell er konnte, grub er weiter und verwünschte die Kälte, den Sturm, dieses mörderische Land. Es war Drunkley, der hier lag. Regungslos und wie tot. Szargosh rüttelte Drunkley an der Schulter. »Steve, was ist passiert? Steve – antworte doch! Sag etwas,
verdammt noch mal! Steve!« Aber Drunkley rührte sich nicht. Sein Mund blieb stumm. Szargoshs Gedanken, von plötzlicher Angst getrübt, klärten sich allmählich. Er mußte ihn ins Zelt schaffen. Nur dort konnte Drunkley geholfen werden. Vielleicht war er verletzt, und die Kälte hatte ihn bewußtlos werden lassen. Er packte Drunkley an den Beinen, wollte ihn in Richtung Zelt schleifen. Da bemerkte er, was er unbewußt die ganze Zeit ignoriert hatte: Steve Drunkleys Körper war eiskalt. Sogar durch die plumpen Stiefel konnte Szargosh noch diese furchtbare Kälte fühlen. Ein Schauer lief dem kleinen Mann über den Rücken. Da stimmte doch etwas nicht. Drunkley befand sich kaum zwanzig Minuten im Freien. Selbst bei den herrschenden Minustemperaturen konnte ein warmer Körper nicht so schnell zu einem Eisblock werden. Und dann – wie starr, wie hart Steves Körper war. Wie… Wie ein Stück Holz. Oder… Szargosh wehrte sich zuerst gegen diesen Gedanken, aber er drängte sich immer wieder in sein Bewußtsein. Oder wie ein riesiger Eiswürfel! Szargosh begann zu zittern. Die Legenden der Eskimos fielen ihm ein… Unwirsch schüttelte er den Kopf. Unsinn war das, abergläubisches Geschwätz. Er beugte sich zu Drunkley hinab und fuhr ihm über das vermummte Gesicht. Trotz seiner Handschuhe fühlte er einen eisigen Hauch, der von Drunkley ausging. Drunkley war tot, erfroren. Daran war nicht mehr zu zweifeln. Mit einem Ruck riß er dem Toten die Gesichtsmaske herunter. Szargosh zuckte zurück, schrie auf. Nein, das konnte nicht sein, das war unmöglich! Das konnte einfach nicht sein! Aus geweiteten Augen starrte er in Steve Drunkleys Gesicht. Auf den ersten Blick sah es völlig normal aus. Doch blickte man näher hin, musterte es genauer… Die Haut bestand nicht mehr aus Fleisch, sondern aus Myriaden winziger Kristalle. Ebenso die Augen, die Haare… Steve Drunkley war zu Eis geworden! Es dauerte geraume Zeit, bis Szargosh sein Entsetzen überwunden hatte und wieder klar denken konnte.
Er mußte zurück ins Zelt und mit Rubett sprechen. Rubett kannte sich aus, er mußte wissen, was für Drunkleys Tod und seinen gespenstischen Zustand verantwortlich war. Szargosh drehte sich um und eilte zurück zum Zelt. Der kniehoch liegende Schnee behinderte ihn, und die Macht des Sturmes forderte seine letzten Kräfte heraus. Szargosh hatte Angst. Ihm war, als würde er von unzähligen gierigen Augen beobachtet, als würde jemand – etwas! – auf ihn warten. Meter um Meter legte er zurück, sein Atem flog, und trotz der beißenden Kälte wurde ihm warm unter seiner dicken Kleidung. Und die Schneeflocken tanzten und wirbelten, verformten sich zu grotesken Gebilden, die mit weißen, formlosen Klauenhänden nach ihm griffen. Nur ruhig, redete Szargosh sich ein. Gleich hast du es geschafft. Nur noch ein paar Schritte, dann ist alles überstanden. Szargosh stolperte. Verzweifelt ruderte er mit den Armen, um sein Gleichgewicht zu bewahren, aber vergeblich. Er fiel lang hin. Die Müdigkeit ließ rote Punkte vor seinen Augen tanzen, der klirrende Frost und eine merkwürdige Schwäche lähmte seine Glieder. So muß es auch Drunkley ergangen sein, durchzuckte es ihn. Der Gedanke half ihm, sich wieder aufzurappeln. Wo war er? Hatte er sich verirrt, die Orientierung verloren? Das Zelt… Er hätte es längst erreicht haben müssen. Wo war das Zelt? Furcht beschlich Szargosh. Sein Herz hämmerte laut und hastig in seiner Brust. Wo war das Zelt? Gewaltsam zwang er sich zur Ruhe, rekonstruierte Schritt für Schritt seinen bisherigen Weg. Natürlich, er hätte sich etwas weiter nach rechts wenden müssen. Die Erleichterung äußerte sich in einem befreienden Lachen. Frischen Mutes stapfte Szargosh weiter. Aber nachdem er Meter um Meter zurückgelegt und noch immer nichts von dem Zelt bemerkt hatte, kehrte die Furcht erneut zurück. »Hilfe!« schrie er schließlich. »Rubett – wo bist du!« Ihm wurde bewußt, daß Drunkley vielleicht ebenfalls um Hilfe gerufen hatte. Aber die daumendicke Wand des Zeltes und der
Lärm des Sturmes ließen ein derartiges Unterfangen als aussichtslos erscheinen. Szargosh wurde heiß und kalt zugleich. Wenn ihm nicht bald etwas einfiel, war er verloren. Er würde erfrieren, vielleicht nur wenige Schritte von der rettenden Wärme des Zeltes entfernt. Aber was konnte er unternehmen? Was konnte er tun in dieser Hölle aus Eis und Schnee? Der Sturm toste mit unverminderter Heftigkeit. Es konnte Stunden oder Tage dauern, bis er abflaute. Und dann wäre er schon längst erfroren. Wieder schrie er um Hilfe. Seine Stimme überschlug sich fast. Er schrie, bis er heiser war, torkelte ziellos durch den Sturm, durch das Schneetreiben, schrie und betete und fluchte und schrie. Vergeblich. Szargosh stutzte. War da nicht etwas? Ein Schatten? Vielleicht das Zelt? Neue Hoffnung keimte in ihm auf. Hastig arbeitete er sich durch mehrere Schneeverwehungen hindurch, auf den Schatten zu. Enttäuscht blieb er stehen. Seine Hoffnung hatte ihn getrogen. Was er gesehen hatte, war nicht das Zelt, sondern ein unregelmäßig geformter Felsblock gewesen, der mit der Spitze aus der Schneedecke hervorragte. Trotzdem bedeutete diese Entdeckung einen kleinen Triumph. Jener Felsen mußte zu der Ansammlung von Steinbrocken gehören, die knapp fünfzig Meter südöstlich des Lagerplatzes die ebene Landschaft durchbrachen. Er mußte sich jetzt konsequent in nordwestlicher Richtung bewegen, dann würde er das Zelt doch noch erreichen. Allmählich spürte er, wie die Kälte in seinen Körper kroch. Keine noch so dicke Kleidung konnte diese Temperaturen abhalten. Er spürte, daß ihm nur noch wenig Zeit blieb. Gerade als er sich umdrehen und aufbrechen wollte, sah er die im Schneetreiben verschwimmende Gestalt auf sich zukommen. Szargosh stieß pfeifend die Luft aus der Lunge. »Rubett!« rief er freudig. »Gut, daß du kommst! Ich hätte mich beinahe verirrt! Hast du Drunkley auch gefun…« Szargosh verstummte mitten im Wort. Irgendwie erregte das Schweigen der Gestalt sein Mißtrauen. »Rubett?« wiederholte er vorsichtig. »Warum sagst du nichts? Was ist los mit dir?
Rubett…« Die Gestalt kam näher. Szargosh schluckte. Allmählich konnte er Einzelheiten erkennen. Nein, das war auf keinen Fall sein Partner. Rubett war wesentlich kleiner; dieser Mann mußte ein wahrer Riese sein. Außerdem trug Rubett keinen weißgrauen Fellmantel. »Wer sind Sie?« fragte Szargosh heiser. Der Mann schwieg. Da schälte sich eine zweite Gestalt aus dem Wirbel aus Schnee und Eis. Szargosh stockte der Atem. »Steve!« ächzte er entsetzt. »Aber – du bist doch tot!« Das letzte Wort schrie er fast. Drunkley kam unaufhaltsam näher, ebenso der Unbekannte. Szargosh wich zurück. Der Fluchtweg war ihm versperrt, und in seinem Rücken befand sich die meterhohe Felswand. Szargosh begann zu zittern, aber nicht wegen der Kälte. Er zitterte und trat Meter für Meter zurück. Dann stieß er auf Widerstand. Der Felsen. Aus, dachte Szargosh. Aus und vorbei. Er fühlte, wie ihm unter seiner Gesichtsmaske der Angstschweiß ausbrach. Drunkley und der Unbekannte waren nur noch wenige Schritte von dem von Grauen geschüttelten Szargosh entfernt. In diesem Moment verlor der Sturm etwas an Intensität; die Schneeflocken sanken zu Boden. Deutlich konnte Szargosh den Unbekannten sehen. Szargosh kreischte auf. So sah kein Mensch aus. Es war kein Mensch… Drunkley hatte Szargosh nun erreicht. Mit unnatürlich eckigen Bewegungen hob er eine Hand. Szargosh duckte sich, wollte unter dem ausgestreckten Arm wegtauchen, aber der Riese wuchs plötzlich vor ihm auf und trieb ihn zurück. Szargosh starrte in Drunkleys kristallartiges Gesicht, betrachtete mit der Klarheit des kurz vor dem Tode Stehenden seinen dämonisch verwandelten Partner. Eine fast schmerzende Kältewelle raubte ihm den Atem. Zwei tote und doch auf eine unmenschliche Art mit Leben erfüllte Kristallaugen schlugen ihn in ihren Bann. Die Hand erreichte seine Schulter und berührte ihn. Szargosh wimmerte. Irgendetwas schien jegliche Wärme aus ihm herauszusaugen, schien seine Gedanken erstarren zu lassen und sein Herz in einen Eisklumpen zu verwandeln. Szargoshs Bewußtsein erlosch, wurde erstickt.
In Sekundenschnelle fand eine furchtbare Verwandlung mit seinem Körper statt. Szargosh wurde zu Eis. Ein letztes Zittern durchlief ihn, dann war aus dem Menschen ein kälteausströmendes Ungeheuer geworden. Der Riese gesellte sich zu den beiden Wesen, die mit toten Augen in der Eiswüste standen. Es schien, als überzöge ein zufriedenes Lächeln seine frostigen Gesichtszüge. Gemeinsam stapften sie in den Schneesturm hinein. Rubett wartete eine volle Stunde ungeduldig auf Drunkleys und Szargoshs Rückkehr. Als sie dann noch nicht zurück waren, setzte sich ein grauenvoller Verdacht in ihm fest. Mit bebenden Händen verriegelte er sorgfältig die Eingangstür und schob die Kisten mit den Lebensmitteln, den technischen Geräten und die ungefügen Propangasflaschen davor. Er stellte das Heizgerät auf die höchste Stufe. Rubett hatte Angst. Er hielt sich lange genug in Alaska auf, um zu wissen, was aus seinen beiden Begleitern geworden war. Unwillkürlich erinnerte er sich an die Worte des alten Eskimos, den er vor Jahren in der kleinen Siedlung am Yukon-River, ein paar hundert Kilometer westlich von Fairbanks, getroffen hatte: In den Stunden des Windes, in der Zeit des Eises und den Tagen des Frostes, wenn die weiße Decke ausgebreitet ist und die Flüsse und Bäche zugefroren sind, dann entfacht die Feuer, zündet an die Lichter und tanzt die Tänze wider den Tod. Denn mit dem Gewimmer des Sturmes öffnet sich die Erde und speit aus das kalte Gewürm. Jene, die nicht atmen, nicht essen, nicht singen, nicht leben und nicht lieben verwandeln mit ihrem Atem alles in Kälte und Tod. Sie nehmen die Wärme
und geben nur Frost. Rubett erschauerte. Sie mußten hier ganz in der Nähe sein. Sie, die Eisvampire… Patrick Logan stand mit vor der Brust verschränkten Armen neben seinem uralten, wurmstichigen Schreibtisch und starrte nachdenklich durch die wenigen klaren Flecke des kleinen Doppelglasfensters. Logan war ein großer, kräftig wirkender Mann mit bereits etwas schütteren grauen Haaren, einem energischen Gesicht und tiefliegenden, dunklen Augen. Seinen schwieligen Händen konnte man ansehen, daß sie Zeit ihres Lebens schwere Arbeit vollbracht hatten. Der betagte Schreibtisch füllte den kleinen Raum fast völlig aus. Ihm gegenüber nahm ein bis zur Decke reichender Bücherschrank die ganze Wand ein, und der in der Ecke stehende altmodische Ofen verbreitete angenehme Hitze. An der Tür klopfte es laut. Logan fuhr zusammen und drehte sich um. »Ja, bitte!« sagte er halblaut. Knarrend schwang die dicke Holztür auf. Ein Schwall eisiger Luft ließ Logan frösteln. Unwillig musterte er seinen Besucher. Arthur T. McClosen klopfte sich die Schneeflocken von seinem Pelzmantel und nahm die weiche, anschmiegsame Gesichtsmaske ab. Unbeholfen zog er den fast steifgefrorenen Mantel aus. »Hallo, Mister McClosen!« begrüßte ihn Logan mit einem unverkennbar spöttischen Unterton. Der dickleibige, glattrasierte Mann murmelte etwas Unverständliches und ließ sich schnaufend in den einzigen Besucherstuhl fallen. Dann blickte er Logan offen an. »Drei Männer werden vermißt«, eröffnete er ihm polternd. »Steve Drunkley, Ephraim Szargosh und Martin Rubett.« Logan runzelte die Stirn. »Rubett auch? Das wundert mich. Ich hatte ihn bislang für einen intelligenten Menschen gehalten.« Ärgerlich trommelte McClosen mit den Fingern auf die Armlehnen des wackeligen, ungepolsterten Stuhles. »Es ist jetzt nicht die richtige Zeit, Ihrer Abneigung gegen die Alyeska nachzugeben. Es geht um drei Menschenleben, Mister Logan.« Logan seufzte und setzte sich ebenfalls. Geistesabwesend glitt
sein Blick über die unerledigten Akten, die die Schreibtischfläche völlig bedeckten. »Seit wann sind die drei unterwegs?« erkundigte er sich. »Sie sind vor fünf Tagen aufgebrochen«, erläuterte McClosen hastig. »Mit einem Eisrover und ausreichend Verpflegung und Heizmaterial. Ihr Ziel war das Rumsfield-Plateau. Sie sollten dort einige Probesprengungen vornehmen und sofort mit den EcholotDiagrammen zurückkehren. Insgesamt eine Sache von höchstens drei Tagen. Aber wir haben noch nichts von ihnen gehört…« Logan hatte sich einige Notizen gemacht. »Kein Funkkontakt, oder?« McClosen schüttelte den Kopf. »Nein.« »Hm. In der Umgebung des Plateaus tobt derzeit ein ziemlich heftiger Schneesturm. Das dürfte der Grund dafür sein, daß sie keine Nachrichten senden.« McClosen rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. »Und natürlich könnte dies auch der Grund für ihr Ausbleiben sein«, meinte er. »Aber ich habe bei dieser Sache ein verdammt unangenehmes Gefühl.« Logan lehnte sich zurück und fixierte den ihm gegenüber sitzenden Repräsentanten der Alyeska, dem Konsortium von acht amerikanischen Ölfirmen, die in Alaska nach Öl suchten und bereits die weltberühmte Alaska-Pipeline gebaut hatten, einen 1285 Kilometer langen stählernen Schlauch, der von der Prudhoe Bay am nördlichen Eismeer bis zur Hafenstadt Valdez am Pazifik reichte. »Wie kommt es, daß Sie wegen drei Männern so nervös sind?« fragte Logan interessiert. »Bislang haben Sie nicht den Eindruck erweckt, besonders an dem Leben Ihrer Arbeiter zu hängen, Mister McClosen.« Der Dicke zündete sich eine schwarze Zigarre an. »Hören Sie, Logan, ich weiß, daß Sie mich nicht leiden können, aber Sie sind der Polizeichef in diesem gottverlassenen Nest, und darum ist es Ihre Pflicht, diesem Fall nachzugehen.« »Sie haben meine Frage nicht beantwortet, McClosen«, machte ihn Logan mit scharfer Stimme auf sein Versäumnis aufmerksam. Ein haßerfüllter Blick traf ihn. »Okay«, entgegnete der Dicke mühsam beherrscht. »Sie sollen nicht glauben, ich handle aus edlen Motiven. Die Alyeska hat in diesen Sektor bereits achtzig Millionen Dollar investiert – nicht viel im Vergleich zu den über sechs Milliarden, die das ganze Unternehmen bislang gekostet hat, aber genug, um sie nicht einfach
abzuschreiben. Als Gebietsdirektor habe ich die Verantwortung übernommen, daß alles planmäßig abläuft. Dabei bin ich aber auf die rund fünfhundert Männer und Frauen angewiesen, die mir unterstehen. In den letzten sechs Monaten sind ein Dutzend Prospektoren spurlos verschwunden. Dies ist ein wildes Land mit einem rauhen und gefährlichen Klima; immer wieder kommt es zu Unfällen – das ist nichts Neues. Wir haben derartige Zwischenfälle einkalkuliert, sie in unseren Planungen berücksichtigt. Aber es ist nicht normal, daß zwölf erfahrene und perfekt ausgerüstete Männer plötzlich nicht mehr von ihren Fahrten zurückkehren. Da stimmt etwas nicht. Meine Leute bekommen es allmählich mit der Angst zu tun. Teilweise weigern sie sich sogar, das Camp zu verlassen, um Untersuchungen anzustellen. Die Arbeit stockt. Ich bin mit meinem Zeitplan im Rückstand, und in Fairbanks wird man bereits ungeduldig. Also, was gedenken Sie zu unternehmen?« Logan hatte schweigend und aufmerksam zugehört. Jetzt faltete er mit provozierender Ruhe seine Hände. »Mister McClosen, wie lange sind Sie schon hier in Alaska?« Der Dicke blinzelte irritiert. »Etwas mehr als zwei Jahre, warum?« entgegnete er. »Als Sie begannen, das Rumsfield-Plateau zu erforschen, um später die dort vermuteten Bodenschätze auszubeuten, haben Sie sich da nicht vorher bei den Einheimischen über die Besonderheiten dieser Gegend informiert?« »Was meinen Sie damit, Logan?« fragte McClosen mißtrauisch. »Nun…« Logan kratzte sich am Kopf. »In der Eskimosprache gibt es da einen interessanten Begriff, der sich mit dem Plateau verbindet. Sie sprechen dabei von Konin-itya-akki, was sinngemäß soviel bedeutet wie: Kalte Leiber, die die Wärme hassen. Haben Sie davon schon gehört?« »Worauf wollen Sie eigentlich hinaus? Ich glaube kaum, daß mir die Eskimo-Mythologie bei meiner Arbeit behilflich sein kann.« Logan machte ein ernstes Gesicht. »Ich befürchte, Mister McClosen, daß wir Ihre Männer niemals mehr wiedersehen werden. Das Rumsfield-Plateau wird von den Einheimischen gemieden. Nur im Sommer wagen sie sich dahin, aber auch nur dann kurz und nur bis zu den Rändern. Sie haben Angst. Sie sagen, es gibt
dort Wesen, die den Menschen die Wärme aus den Körpern saugen und sie zu Eisklötzen erstarren läßt.« Ein lautloses Gelächter schüttelte die dicke Gestalt des Gebietsdirektors. Dann beruhigte er sich wieder. »Ich will Ihnen mal was sagen, Logan«, fuhr er den Polizeichef an. »Sie denken wohl, ich lasse mich von Ihren Ammenmärchen und dem Gefasel über diese – diese Eisvampire einseifen. Aber da haben Sie sich verdammt getäuscht. Sie werden meine Leute suchen, das ist Ihre Pflicht. Und der Teufel soll Sie holen, wenn Sie es nicht tun. Die Alyeska besitzt genügend Einfluß beim Gouverneur, um Sie von Ihrem angenehmen Posten abzurufen. Ich hoffe, ich habe mich deutlich genug ausgedrückt.« Logan spielte unbeeindruckt mit seinem Kugelschreiber. Als McClosen geendet hatte, sah er wieder auf. »Sie haben mich offenbar falsch verstanden«, sagte er sanft. »Selbstverständlich werde ich nach den Vermißten suchen, sobald der Schneesturm nachläßt. Nicht nur, weil ich dazu verpflichtet bin, auch nicht, weil Sie versuchen, mir zu drohen, sondern ganz allein aus dem Grund, weil es um das Leben von drei Menschen geht. Ich hoffe, daß ich mich ebenfalls deutlich genug ausgedrückt habe.« Arthur T. McClosen starrte ihn feindselig an und erhob sich dann. »Werden Sie mich benachrichtigen, sobald Sie etwas erfahren haben?« »Ja, natürlich.« »Gut. Wir sehen uns dann.« Der Gebietsdirektor schlüpfte wieder in seine dicke Kleidung und verließ mit dröhnenden Schritten Logans Büro. Logan sah ihm nicht nach. Der Sturm tobte mit unverminderter Heftigkeit. Martin Rubett hockte in der schützenden Wärme des Zeltes, trank Unmengen heißen, starken Kaffee und wartete. Erst wenn der Sturm nachließ, konnte er es wagen, das Zelt zu verlassen und den Eisrover startklar zu machen. Jetzt hinauszugehen, bedeutete Selbstmord. Nicht unbedingt wegen der Kälte oder dem Schneetreiben - nein, das war es nicht, was Rubett fürchtete und was ihn zittern und beben ließ. Irgendetwas schlich dort draußen hungrig und voller Gier her-
um, und diesem Etwas waren bereits Ephraim Szargosh und Steve Drunkley zum Opfer gefallen. Nun hatte es ihn gewittert. Nackte Angst hielt Martin Rubett umklammert, die Angst vor einem grauenvollen Tod. Er zuckte erschreckt zusammen. Etwas machte sich am Zelt zu schaffen. Ein leises Kratzen und Schaben wurde lauter; trotz des Sturmes war es deutlich zu vernehmen. Verzweifelt sann Rubett nach einem Mittel, der Gefahr zu begegnen. Das Gewehr? Die alten Sagen und Legenden verneinten diese Möglichkeit. Die Eisvampire waren gegen Waffen und Geschosse immun. Die Kugel würde zwar etwas Substanz aus ihren kristallenen, frostigen Körpern schlagen, aber diese Verletzungen konnten die Vampire augenblicklich wieder regenerieren. Eis und Schnee war ihr Element. Sie herrschten über die Kälte – vielleicht stellte sogar dieser selbst für einen harten Winter ungewöhnlich starke Sturm ihr Werk dar. Das einzige, wovor sich diese unheimlichen Wesen fürchteten, war die verzehrende Kraft des Feuers. Die Hitze zerschmolz sie in Sekundenschnelle. Aber wie konnte er hier im Zelt ein Feuer entfachen? Er würde sich selbst gefährden. Nur das Heizgerät gewährte ihm einen relativen Schutz. Solange es arbeitete und warme Luft ausströmte, würden die Eisvampire nicht eindringen. Die Wärme schränkte ihre Macht ein, das wußte Rubett aus den Mythen der Eskimos. Um sich abzulenken, überprüfte er es. Befriedigt nickte der Prospektor. Die starken Batterien waren noch zu drei Vierteln voll. Er konnte es noch einige Tage aushalten. Wenn nur diese Geräusche nicht wären! Hastig griff er nach der Whiskyflasche und nahm einen großen Schluck. Die Flüssigkeit verbrannte ihm fast die Speiseröhre, aber danach fühlte er sich etwas besser. Alkohol betäubte das Gehirn, und somit auch die Angst, die nagende Furcht. Inzwischen hatte das Kratzen und Schaben sich mehr und mehr der Eingangstür genähert. Ein schwerer Stoß brachte das Zelt zum Erzittern. Rubett unterdrückte einen Schrei und umklammerte instinktiv das Gewehr. Wieder traf ein Stoß das Zelt, aber es hielt. Danach herrschte
Stille. Nur noch die Geräusche des Schneesturmes drangen an Rubetts Ohr. Als auch nach einer halben Stunde kein weiterer Angriff erfolgte, beschloß der hochgewachsene Prospektor, sich hinzulegen und etwas zu schlafen. Vorher jedoch schaltete er noch einmal das Funkgerät ein. Vergeblich. Nur das Knacken und Pfeifen der atmosphärischen Strömungen tönten aus dem Lautsprecher. Wahrscheinlich war der ganze Himmel mit Nordlichtern übersät. Die elektrischen Entladungen machten einen befriedigenden Funkverkehr unmöglich. Rubett schloß die Augen. Er war völlig erschöpft und übermüdet. Aber selbst im Schlaf fand er keine Ruhe. Groteske Alpträume plagten ihn und ließen ihn mehrmals schreiend aufwachen. In Sitka, einem halb zugefrorenen Hafen nahe der kanadischen Grenze, hatte Enver Chroschka den stinkenden Lastkahn verlassen und sich in einem billigen, völlig überfüllten Hotel einquartiert. Der Ölboom in Alaska führte – ähnlich wie ein Menschenalter zuvor der Goldrausch – in den Hafenstädten zu einem beispiellosen Durcheinander. Hotels, Pensionen, sogar Privathäuser hatten über Nacht einen Andrang an unterkunftsuchenden Menschen zu verzeichnen, der sie völlig überforderte. Findige Hoteliers stellten in ihren Räumen bis zu zehn Betten auf und verlangten Wucherpreise für einen der begehrten Plätze. Gleichzeitig waren auch die Preise für Lebensmittel, Alkoholika und für verschiedene Dienstleistungen in astronomische Höhen gestiegen. Die Arbeiter der Alyeska verdienten gut, manche mehr als zweitausend Dollar die Woche. Selbst die Hilfsarbeiter erhielten wöchentlich knapp tausend Dollar, und nach der harten Arbeit bei Temperaturen von minus vierzig, fünfzig oder sechzig Grad lechzten sie geradezu nach Abwechslung und Zerstreuung. Die Leidtragenden waren die alten Bewohner Alaskas, deren karge Löhne dem neuen Preisniveau nicht gewachsen waren und die bald ganz ans Ende der sozialen Skala sanken. Kriminalität, Alkoholismus und Drogensucht waren die Folge. Und mit den Arbeitern, den Glücksrittern, den Nutten und Zuhältern kam auch die Mafia, die bald sämtliche Kneipen, Bordelle, Amüsierbetriebe, den Drogen- und Alkoholhandel in ihre schmut-
zigen Hände brachte, die Preise diktierte und selbst die Ordnungsbehörden durch Schmiergelder und massive Erpressung willfährig zu machen suchte. Enver Chroschka wußte dies. Vor seiner Ankunft hatte er sich gründlich informiert, obwohl ihn die sozialen Probleme Alaskas nur am Rande berührten. Es war nicht seine Aufgabe, die menschenunwürdigen Zustände zu verändern. Andere mußten dies tun, allen voran die Bürger dieses Staates, oder sie würden für immer in die Abhängigkeit gewissenloser Geschäftsleute und machtgieriger Spekulanten geraten. Enver Chroschkas Mission war von anderer Art. Nachdem er sich die winzige Dachkammer der schäbigen Pension einigermaßen wohnlich eingerichtet hatte, las er noch einmal den Brief, der ihn vor wenigen Wochen von einem alten Freund erreicht hatte. Fairbanks, Alaska, 21. Oktober Lieber Enver! Sicherlich bist Du überrascht, nach so vielen Jahren wieder etwas von mir zu hören, aber hier bei uns in Alaska ging in der letzten Zeit alles drunter und drüber, daß man kaum mehr dazu kam, sich um etwas anderes als um seine ureigensten privaten Angelegenheiten zu kümmern. Das Öl ruiniert dieses schöne, weite Land. Es ist erstaunlich, was Geldgier aus den Menschen zu machen imstande ist. Aber ich glaube, dies liegt weniger an den Menschen selbst, als an den Zuständen, in die sie hineingeboren werden. Vielleicht erinnerst Du Dich noch an einen jungen Mann namens Patrick Logan, der bei Deinem letzten Besuch bei mir unsere Gesprächsrunde erweiterte. (Sind seitdem wirklich schon vierzehn Jahre verflossen?) Wie auch immer, es ist nicht lange her, da erhielt ich von Patrick einen äußerst interessanten Brief. Patrick ist übrigens jetzt Polizeichefin einem kleinen Dorf, etwa zweihundert Kilometer südwestlich von Fairbanks. Er berichtete mir etwas von unerklärlichen Geschehnissen in der Nähe seiner Ortschaft, Bunker’s Hope, die ihren Ursprung auf einer großen Hochebene namens Rumsfield-Plateau haben sollen. Von vampiristischen Wesen, Eskimo-Mythologie und dem Verschwinden mehrerer Menschen war da die Rede. Im Grunde alles recht verwirrend und unglaublich. (Möglicherweise hat der Polarkoller den guten Patrick erwischt!) Aber da er
sehr ernsthaft bemüht war, die Angelegenheit korrekt und sachlich und ohne Hokuspokus zu dokumentieren, bin ich der Ansicht, daß durchaus doch etwas dahinterstecken könnte. Darum dachte ich auch sofort an Dich, nachdem ich Patricks Nachricht gelesen hatte. Soweit mir bekannt ist, beschäftigst Du Dich ja schon seit geraumer Zeit mit okkulten Dingen und ähnlich gelagerten Themen. Hättest Du Zeit, Interesse und etwas Geld übrig, um nach Alaska zu kommen und Dir die »Eisvampire« anzusehen? In meinem Haus bist Du – Du weißt es - jederzeit herzlich willkommen! Solltest Du also wirklich kommen, so sende mir ein kurzes Telegramm, damit ich Bescheid weiß! Ich würde mich auf ein Wiedersehen sehr freuen! Dein Freund William Heartley Enver Chroschka starrte nachdenklich die Decke an und machte sich zum Schlafen bereit. Morgen würde er sich über den AlaskaHighway auf den Weg nach Fairbanks machen. Obwohl die Häuser alle auf über einen Meter hohen Pfählen standen, reichte der Schnee fast bis zur obersten Treppenstufe. Patrick Logan musterte die schmale Hauptstraße und die vergilbten Wände der Häuser, die dem Polizeibüro gegenüber lagen. Die Kälte fraß sich in kurzer Zeit durch seine pelzige Winterkleidung und ließ ihn erschauern. Logan ging die Stufen hinunter und sank bis zu den Oberschenkeln in den Schnee ein. Der Neuschnee war noch nicht so gefroren, daß er eine feste Decke bildete, und so wurde jeder Schritt zu einer schweißtreibenden Angelegenheit. Bunker’s Hope war nur ein kleines Städtchen, zählte kaum tausend Einwohner, aber seitdem draußen vor den Toren der Stadt die Alyeska ein Arbeitercamp errichtet hatte, war es Nachts nicht mehr so ruhig wie noch vor wenigen Jahren. Logan seufzte. Manchmal fürchtete er, altmodisch und ein unverbesserlicher Sonderling zu sein, weil er das Wirken des Ölkonzerns in Alaska verurteilte und sich zurück nach der Abgeschiedenheit der Vergangenheit sehnte, aber er wußte, daß sein Widerstand von vielen geteilt wurde. Die Alyeska vernichtete trotz der verschärften Umweltgesetze die Natur, gefährdete mit ihrer gigantomanischen Pipeline den Le-
bensraum der Tiere und mit ihrer Skrupellosigkeit die intakte soziale Umwelt der Menschen. Seit dem Ölboom hatte sich die Zahl der Alkoholiker unter den Ureinwohnern Alaska, den Eskimos, verfünffacht. In Jahrhunderten gewachsene Lebensstrukturen wurden innerhalb einiger Jahre total verändert. Die Folge mußte die Vernichtung des Eskimo-Volkes sein. Noch war es nicht ganz soweit, noch bestand die Möglichkeit einer Rückbesinnung, einer Rettung, aber das Öl war nur der Anfang. Die unberührten Weiten Alaskas bargen noch mehr Schätze. Kohle, Gold, Diamanten, Erz, Uran… Die Liste ließ sich nahezu beliebig lange fortsetzen. McClosens Expeditionen zum Rumsfield-Plateau waren nur ein Indiz für die Unersättlichkeit der Energiemultis. Das Rumsfield-Plateau… Wieder erschauerte Logan. Er hatte es vermutet, aber immer gehofft, sein schrecklicher Verdacht würde sich niemals bewahrheiten. Die Legenden der Eskimos sprachen die Warnung mit aller Deutlichkeit aus: Wanderer, meide das Tafelland, wo das Blut in Deinen Adern zu Eis gerinnt und das kalte Gewürm der Erde entsteigt, um die Menschen zu verderben. Es gab sie tatsächlich. Geheimnisvolle Wesen, deren Triebe den Tod für jeden Uneinsichtigen bedeuteten. Geschöpfe aus Eiskristallen, deren Frostatem die Wärme aus den Gliedern saugte und die Menschen in gefrorene Zombies verwandelte – nicht tot, aber auch nicht lebend. Satanische Monstrositäten, voller Gier nach pochenden Herzen, voller Haß auf alles, was lebte und gut war. Logan schob sich durch den Schnee und dachte an Drunkley, Szargosh und Martin Rubett, die dort draußen jetzt vielleicht einen furchtbaren Tod starben oder, so grotesk die Vorstellung war, ein noch viel schlimmeres Schicksal vor Augen hatten: verdammt, für immer und ewig als erstarrte Eisleichname umherzuwandeln und den Eisvampiren Menschen als neues Opfer zuzuführen. Endlich erreichte er Northway’s Inn, die einzige Kneipe von Bunker’s Hope und somit soziales und kulturelles Zentrum der kleinen Stadt. Er stieg die breite Treppe hinauf und reinigte sich von dem fest-
gepappten Schnee, ehe er die Tür aufstieß und in den dunklen, verräucherten Raum eintrat. Northway’s Inn erinnerte an einen der alten Saloons, wie es sie zu Tausenden während der Zeit des Goldrush gegeben hatte: im Hintergrund eine winzige Bühne, davor eine Anzahl Tische und Stühle, rechts die Theke, eine chromblitzende Musikbox – der einzige Anachronismus außer den elektrischen Lampen – und ein poliertes Klavier, an dem zur Zeit ein hagerer, blasser Mann saß und eine wilde Melodie klimperte. Lautes Hallo begrüßte Logan, der nicht nur bei den Bewohnern von Bunker’s Hope, sondern auch bei den Arbeitern aus dem Camp der Alyeska beliebt war. Erleichtert befreite er sich von dem schweren Mantel und dem kratzenden Gesichtsschutz, steckte die Schutzbrille in die Tasche und stellte sich dann an die Theke. Eine junge, hübsche Frau in zerfransten Jeans und einem dicken Baumwollhemd eilte zu ihm und lächelte erfreut. »Hallo, Rick! Läßt du dich auch mal wieder sehen? Ich dachte schon, du wärst Abstinenzler geworden.« Logan lächelte und hauchte der Frau einen flüchtigen Kuß auf die Wange. »Der Schreibkram, Sandy. Was soll man da machen? Irgendwann mußte ich ihn erledigen, und da es im Augenblick ziemlich friedlich in unserem Städtchen ist, dachte ich, fängst du einfach einmal an.« Sandy – eigentlich Sandra – Vaughn schob ihm ein Glas Whisky mit Soda zu, das er dankend leerte. Es dauerte nicht lange, und ihm wurde angenehm warm. Aus halbgeschlossenen Augen musterte er die anwesenden Gäste. Es waren zumeist Arbeiter aus dem Camp, die hier ihre Mittagspause verbrachten und trotz des generellen Alkoholverbots der Alyeska ein Bier nach dem anderen in sich hineinkippten. Soweit Logan wußte, kam es auch nicht selten vor, daß sie den Schnaps mit Marihuana vertauschten und in ihren Unterkünften zu viert oder fünft an vollgestopften Joints zogen. Logan konnte sie bis zu einem gewissen Grad verstehen. Die Arbeit war so hart wie nirgendwo anders. Dann die monotone Umgebung, die Kälte, die wenigen Ablenkungsmöglichkeiten. Die meisten der Arbeiter kamen aus den großen Städten an der Ostküste der USA, wo die Arbeitslosigkeit grassierte und die Aus-
sicht auf Wohlfahrtsunterstützung nach dem Beinahzusammenbruch New Yorks auch nicht sehr gesichert war. Der Übergang von der Hektik der Metropolen zur relativen Ruhe der Wildnis machte ihnen erheblich zu schaffen, zumal die wenigsten ihre Frauen und Familien mitgenommen hatten beziehungsweise verheiratet waren. Und in einem Nest wie Bunker’s Hope fehlte eben – im Gegensatz zu Fairbanks oder Livengood, Coldfoot, Old Man und wie die anderen Städte an der Pipeline alle hießen – die Möglichkeit, den biologischen Bedürfnissen Rechnung zu tragen. Die Flucht in den Alkohol- oder Drogenrausch schien die einzige Alternative zu sein, wenn man kein Gefühl für die Faszination der Landschaft aufbringen konnte. Das Klavierspiel verstummte. Der Hagere erhob sich und gesellte sich zu Logan und Sandy Vaughn. »Hallo, Nogger!« begrüßte Logan ihn. »Tag, Rick.« Nogger gähnte ausgiebig. »Ich hörte, der Fettwanst war bei dir?« Logan grinste. McClosen war wohl der unbeliebteste Mann von ganz Bunker’s Hope. »Ja. Dein Nachrichtendienst scheint ja vorzüglich zu funktionieren, wie?« Nogger winkte ab. »Intuition, Rick, alles Intuition. Wenn man wie ich seit fünfzig Jahren in diesem verlausten Rattennest vor sich hin vegetiert, bekommt man ein Gespür für alle Nichtigkeiten und Wichtigkeiten. Was wollte der Kerl denn? Als er aus deinem Büro herauskam, machte er ein Gesicht, als hätte er einen Liter seines vermaledeiten Öls aus Versehen geschluckt und noch nicht wieder ausgekotzt. Öl… Wenn ich nur daran denke, bekomme ich Magengeschwüre. Ich hasse das Öl und die Pipeline und Kerle wie McClosen und seine Bande von Mitdirektoren. Gold, das ist das einzig Wahre. Es stinkt nicht, glänzt hübsch, und du kannst überall in der Welt damit bezahlen. Versuche das gleiche einmal mit einer Kanne Öl – pah!« Noggers Redestrom versiegte, als er Luft holen mußte. Hastig kam Logan einer weiteren Wortsalve zuvor. »Es ist etwas Ernstes passiert, Nogger«, klärte er seinen Freund auf. »Drei Männer werden vermißt, darunter Martin Rubett, du kennst ihn.« Nogger nickte. »Ja. Einen besseren Prospektor gibt es nicht.« Er lächelte bescheiden. »Mich ausgenommen, versteht sich.«
»Versteht sich«, stimmte Logan zu. »Die drei Männer – die beiden anderen heißen Drunkley und Szargosh - befanden sich auf dem Weg zum Rumsfield-Plateau, unter Umständen haben sie es auch erreicht. Vor zwei Tagen hätten sie sich bereits zurückmelden müssen. Aber nichts. Sie sind verschollen.« Bei der Nennung des Rumsfield-Plateaus war Nogger noch blasser geworden, als er es ohnehin schon war. Sandy Vaughn reichte ihm wissend ein großes Glas Whisky, das er unglaublich schnell leerte. Nogger pfiff leise durch die Zähne. »Zum Plateau also. Ein richtig schönes Selbstmord-Unternehmen. Das war sicherlich eine Idee unseres allseits geschätzten Arthur T. McClosen, nicht wahr?« »Du hast es erraten«, stimmte Logan zu. »Und nun?« Der Polizeichef trat unruhig von einem Bein auf das andere. »Zur Zeit tobt in der Umgebung des Plateaus ein Schneesturm. Es ist völlig unmöglich, jetzt da durchzukommen. Wir müssen abwarten, bis er abgeflaut ist und anschließend sofort aufbrechen.« Nogger kaute nachdenklich an seiner Unterlippe. »Ich verstehe das nicht. Mart Rubett ist ein erfahrener Mann, er kennt die Gegend wie seine Westentasche, und soweit ich informiert bin, gehört er nicht zu denen, die die Eskimo-Legenden für Aberglauben halten. Warum hat er dann das gemacht?« »Geld« vermutete Logan. »Die Alyeska bezahlt ihre Prospektoren sehr großzügig. Und Rubett hat schon lange von einer kleinen Farm in Kalifornien geschwärmt. Vielleicht sah er jetzt die Möglichkeit, seinen Traum endlich zu verwirklichen.« »Der Traum dürfte wohl zum Alptraum geworden sein«, warf Sandy Vaughn in das Gespräch ein. »Obwohl – ganz glaube ich an diese Eisvampire auch nicht. Das klingt alles so nach den Geschichten, die mir meine Mutter immer erzählt hat: sehr spannend und schön gruselig, aber eben doch Geschichten. Und nun soll plötzlich alles harte Wirklichkeit sein. Kein Wunder, daß viele Menschen sich weigern, die Eisvampire als Tatsache hinzunehmen.« »Sandy hat recht«, meinte Nogger. »Ich lebe hier schon ein halbes Jahrhundert, länger als jeder andere, den ich kenne, und in dieser Zeit habe ich derart viele grausige Erzählungen gehört, daß ich schon beinahe dagegen abgestumpft bin.«
»Die Eisvampire sind eine Tatsache«, erwiderte Logan ernst. »Ich weiß, wovon ich spreche, auch wenn mich manche für einen abergläubischen Dummkopf halten.« Nogger entzündete eine seiner selbstgedrehten, rabenschwarzen Zigaretten und verbreitete eine dichte, fette Rauchwolke. »Rick hat sie bereits gesehen«, sagte er zu Sandy. »Stimmt’s, Rick?« »Ja«, bestätigte Logan leise. Die junge Frau mit den glänzenden schwarzen Haaren und dem leicht asiatisch geschnittenen Gesicht riß die Augen weit auf. »Tatsächlich? Warum hast du mir noch nie etwas davon erzählt?« »Mit diesen Dingen geht man nicht hausieren.« Der Polizeichef verzog unwillig den Mund. »Nogger, ich habe dich doch gebeten…« »Sandy gehört praktisch zur Familie«, wehrte Nogger ab. »Und irgendwann hätte sie es ohnehin erfahren. Also steinige mich nicht gleich, sondern stille die Neugier dieses verwirrend schönen jungen Mädchens.« Widerwillig mußte Logan lachen. »In Ordnung, du hast gewonnen. Sandy, gieß mir noch einmal das Glas voll!« Aus der Musikbox drang leise, ruhige Musik. Logan befeuchtete seine Kehle mit einem Schluck Whisky und begann zu sprechen. »Es ist ziemlich genau ein Jahr her. Damals lag der Schnee noch etwas höher als heute, und man suchte die unmöglichsten Ausreden, um nicht ins Freie gehen zu müssen…« »Ich saß an diesem Abend in meinem Büro und arbeitete an meiner Steuererklärung. Nach einer vollen Stunde hatte ich gerade meinen Namen, mein Geburtsdatum und meinen Familienstand eingetragen und studierte fluchend einen Paragraph nach dem anderen. Irgendwie schienen sie sich alle zu widersprechen und sich gegenseitig aufzuheben, und ich war nahe daran, den ganzen Kram in den Ofen zu werfen und freudestrahlend zuzusehen, wie das Zeug verbrannte, da klingelte das Telefon. Erleichtert schob ich die Papiere zur Seite und griff nach dem Hörer. »Logan!« meldete ich mich. Am anderen Ende der Leitung war Spencer Troup - jener Troup, der seit damals spurlos verschwunden ist.
»Logan?« fragte er mit einer etwas zitternden Stimme. »Gut, daß ich Sie erreiche. Sie müssen sofort zu mir kommen, hören Sie? Sofort!« Ich verzog den Mund. Draußen war es lausig kalt, und mir lag sehr wenig daran, mir wegen irgendeiner Nichtigkeit Frostbeulen oder einen Schnupfen zu holen. »Was ist denn passiert, Troup?« fragte ich ein wenig unfreundlich. Troup schluckte. Ich konnte es deutlich hören. »Jemand schleicht um mein Haus, Logan«, stieß er nervös hervor. »Ich weiß nicht, was der Kerl will, aber ich habe ein verdammt komisches Gefühl. Sie müssen unbedingt kommen, Logan!« Spencer Troup hatte Angst, kein Zweifel. Aber wer sollte schon Interesse haben, in sein Haus einzubrechen? Wertgegenstände besaß er nicht, und sein bißchen Geld trug er regelmäßig ins Northway’s Inn. Vielleicht Männer aus dem Camp? Die Alyeska hatte sich voriges Jahr erst hier niedergelassen, und das Verhältnis zwischen den Einwohnern von Bunker’s Hope und den Arbeitern im Camp war noch etwas distanziert. Man kannte sich kaum. Unter Umständen konnte dann natürlich einer oder mehrere der Arbeiter auf den Gedanken kommen, einmal nachzuschauen, ob es in der Stadt nicht etwas gäbe, was einen Diebstahl lohnte. »Logan?« Troups Stimme riß mich aus meinen Überlegungen. »Was ist?« »In Ordnung, Troup«, beruhigte ich ihn. »Ich bin schon unterwegs. Verriegeln Sie inzwischen Türen und Fenster und öffnen Sie nur, wenn ich mich melde.« »Ja, ja! Und vielen Dank! Aber, Logan, ich flehe Sie an, beeilen Sie sich!« Ich legte auf und schlüpfte in meine Winterkleidung. Troups Verhalten beunruhigte mich mehr, als ich mir eingestehen wollte. Die Furcht, die aus seiner Stimme und aus seinen Worten klang, paßte einfach nicht zu seinem robusten Charakter. Das Ganze war eine verdammt mysteriöse Angelegenheit. Ich steckte die Pistole in das Schutzfutteral und nahm noch vorsichtshalber das Jagdmesser mit. Es ist eine ziemlich umständliche Angelegenheit, im Notfall mit den ungefügen Handschuhen
den Abzug der Pistole durchzuziehen, und möglicherweise würde es auf Sekunden ankommen, sollte wirklich jemand Troup überfallen wollen. Außerdem war ich mit dem Messer mehr vertraut. Eilig verließ ich mein Büro. Der Schnee auf der Straße war hart und glasig gefroren, so daß man kaum einsank. Leider wurde dieser Vorteil durch die lebensgefährliche Glätte wieder aufgewogen. Troups Haus lag etwas abseits von Bunker’s Hope, knapp hundert Meter vom Drugstore an der Claim Street entfernt. Die wenigen Straßenlampen erhellten die Gegend nur ungenügend, und als ich am Northway’s Inn vorbeikam, überlegte ich ernsthaft, ob ich Tomtom Kezikewa bitten sollte, mich zu begleiten. Aber ich verwarf diesen Gedanken wieder. Tomtom hatte die ganze letzte Woche über kaum eine freie Stunde gehabt, und ich wollte ihn jetzt nicht schon wieder an seinem sauer verdienten Vergnügen hindern. Also ging ich allein weiter. Allmählich kroch die Kälte durch meinen Pelzmantel, und ich machte größere und schnellere Schritte, um so möglichst viel Körperwärme zu erzeugen. Kalte Glieder reagieren sehr viel langsamer als warme, und sollte es zu einem Kampf kommen – was ich freilich zu diesem Zeitpunkt stark bezweifelte –, dann konnten Augenblicke über Sieg oder Niederlage entscheiden. Fünf Minuten später sah ich endlich Spencer Troups Haus vor mir. In der Dunkelheit wirkte es wie ein schlafender Käfer auf den dünnen Stützpfählen, die den Fußboden bis etwa einen Meter über die Schneedecke hoben. Ich blickte mich aufmerksam um, lauschte konzentriert. Nichts. Nur das hohle Pfeifen des Nachtwindes war zu hören. Obwohl ich bereits Zweifel an Spencer Troups Beobachtung hegte, begann ich, vorsichtig das Haus zu umrunden und hielt unablässig Ausschau nach einem verdächtig erscheinenden Schatten. Wieder vergeblich. Alles schien leer und verlassen. Ich fluchte lautlos. Wahrscheinlich war Troup der genossene Fusel zu Kopf gestiegen und ließ ihn grüne Männchen sehen, die gegen ihn konspirierten. Ärgerlich begab ich mich zur Haustür. Die Tür war weit geöffnet. In meinem Kopf schrillte im gleichen Augenblick eine Alarmglocke. Hatte ich Troup nicht geraten, alles zu verriegeln? Ein Rat, der bei seiner Angst mit Sicherheit überflüssig gewesen war. Unwillkürlich griff ich nach meinem Messer. In der Dunkelheit ist
eine Pistole eine äußerst unsichere Waffe, und mein Messer war lang und scharf genug, selbst die dickste Pelzjacke zu durchstoßen. Ich blieb vor der kleinen Treppe stehen und beobachtete sekundenlang das dunkle Viereck der offenen Haustür. Im Haus selbst brannte kein Licht. Jetzt erst fiel mir ein, daß ich vergessen hatte, eine Taschenlampe mitzunehmen. »Spencer Troup!« rief ich. »Hier ist Patrick Logan! Wo stecken Sie? Geben Sie Antwort!« Stille. Ich erhielt keine Antwort. Langsam stieg ich die Stufen hinauf, das Messer stoßbereit in der Hand. Da hörte ich ein lautes Scharren im Haus. Ich verharrte und blinzelte, versuchte in der Finsternis etwas zu erkennen. Ein vergebliches Unterfangen. »Spencer Troup!« wiederholte ich und war bemüht, meiner Stimme einen energischen Klang zu geben. »Sind Sie das? Antworten Sie doch! Hier ist Patrick Logan!« Schweigen. Gleich darauf ertönte noch einmal das Scharren. Und es kam näher. Im Hausflur mußte sich jemand aufhalten. Ich hatte mehrere Minuten unbeweglich gestanden. Nun spürte ich, wie die Kälte meine Haut verhärtete und meine Finger steif werden ließ. Plötzlich bewegte sich ein Schatten hinter dem Türrahmen. Ein Mann. Untersetzt, mit langen Armen und krummen Beinen. Ja, das war Troup. Ich senkte das Messer und sagte wütend: »Was soll das Theater Troup? Finden Sie nicht auch, daß es eine etwas ungewöhnliche Zeit ist, um mit mir Verstecken zu spielen? Ich habe andere Dinge zu tun, als mir nach Ihnen die Kehle heiser zu brüllen!« Ein schwacher Lichtstrahl drang hinter den Wolkenbänken hervor und überschüttete für eine Sekunde unsere Umgebung mit einem diffusen Licht. Mir quollen fast die Augen aus den Höhlen. Ich stöhnte auf und wich hastig zurück. In meinem Nacken hatten sich die feinen Härchen aufgerichtet, und ein Schauer rieselte meinen Rücken hinunter. Ich blinzelte mehrmals, um das grauenvolle Bild loszuwerden. Vergeblich. Noch immer stand es klar und mit schmerzender Deutlichkeit vor mir.
Ja, das war tatsächlich Spencer Troup, aber er wirkte irgendwie – eisig. Sein Gesicht war eine facettenartige Fläche aus unzählbar vielen blinkenden Kristallen, kalt und unnahbar; die Augen waren wie Murmeln, in denen ein unheimliches Feuer flackerte – stahlblau und nicht-menschlich. Es dauerte eine Weile, bis ich die Tatsache akzeptierte, daß Spencer Troup zu einem wandelnden Eisklotz geworden war. Mir wurde übel. Vor Angst, Entsetzen, Überraschung. Das Messer in meiner Hand erschien mir mit einemmal nutzlos und nicht mehr wert als das Spielzeug eines Kindes. Mit knirschenden, durch Mark und Bein gehenden Geräuschen kam Troup – das Ding, was aus Troup geworden war, verbesserte ich mich – unaufhaltsam näher. Täuschte ich mich, oder verzog wirklich ein triumphierendes Grinsen seine frostigen Gesichtszüge? Troup hob beide Arme. Er trug keine Handschuhe, und die Finger wirkten wie gesplittertes Glas. Er griff nach mir. Nur mit Mühe konnte ich mit einem Sprung dem Ungeheuer ausweichen. Kein Zweifel, das Ding wollte mich berühren. Aber wozu? Ich kramte in meiner Erinnerung. Die Erkenntnis überlief mich trotz der Kälte siedendheiß. Jetzt wußte ich, was das Eiswesen vorhatte. Sie nehmen die Wärme und geben nur Frost. Das alte Eskimo-Lied über das »kalte Gewürm«! Es entsprach der Realität. Es gab tatsächlich Eisvampire, die Menschen in Ihresgleichen verwandelten. … verwandeln mit ihrem Atem alles in Kälte und Tod. Mich schauderte. Die Angst schnürte meine Kehle zu. Was konnte ich tun? Das Ding bewegte sich mit einem unheilvollen Schnarren und Schaben. Blitzartig stieß ich mit dem Messer zu, erwischte es an der Schulter, schlitzte das dickwollene Hemd auf. Die Schneide traf auf den kristallenen Körper. Schmerzgepeinigt kreischte ich. Eine Welle unglaublicher Kälte hatte sich durch meinen Handschuh gefressen und verbrannte meine Haut. Das Messer fiel zu Boden. Ich starrte es an. Der blitzende Stahl hatte sich rostbraun verfärbt.
Über welche teuflische Macht verfügte dieses Wesen? Das Ding entblößte die Zähne und grinste wölfisch. Fauchend fuhr ein Arm auf mich nieder. Ich duckte mich, huschte unter dem ungelenkten Schlag hindurch, drehte mich um und begann zu rennen. Ich kam nicht weit. Von einem Moment zum anderen wuchs eine riesige Gestalt vor mir auf und versperrte mir den Weg. Ich zuckte zurück, öffnete in namenloser Furcht den Mund, aber kein Laut drang aus meiner Kehle. Das Grauen lähmte mich. Ich wußte, wen ich da vor mir hatte. Dies war ein richtiger Eisvampir, eines jener uralten Wesen, die den Sommer in den tiefliegenden, kalten Höhlen des Rumsfield-Plateaus verschliefen und nur in den harten, eisigen Wintern zum Vorschein kamen. Die mehr als drei Meter große Gestalt stand unbeweglich im Schnee und musterte mich aus dunklen Augen. Der Anblick brannte sich für immer in mein Gedächtnis ein. Zwei spinnendürre, schneeweiße Beine trugen einen schmalen, ebenfalls völlig weißen Rumpf, an dem die Rippen wie die Tasten eines Klaviers hervortraten. Die knorrigen Schultern verlängerten sich zu zwei haarlosen, bis zu den Kniekehlen reichenden Armen, an deren Ende sich feingliedrige Hände befanden, durchsichtig und schon beim Anblick das Gefühl tödlicher Kälte ausstrahlend. Dann der Kopf: ein schimmernder Totenschädel, dessen Augen düsteren Seen glichen und auf dessen Haupt spitzdornige Eispickel einen bizarren Helm bildeten. Aus dem dünnlippigen, nahezu von Ohr zu Ohr reichenden Mund funkelten mir gekrümmte Reißzähne entgegen. Der Eisvampir knurrte befriedigt, als er meine panische Angst bemerkte. Verzweifelt suchte ich nach einer Waffe. In meinem Rücken fühlte ich die gierigen Blicke des verwandelten Spencer Troups. Da traf mich wie ein Blitz eine Idee. Ich griff in die große Tasche meines Mantels und holte das elektrische Feuerzeug hervor, das mit einem Spezialgas gefüllt war und auch noch bei dieser Temperatur Feuer gab. Der Eisvampir stakste auf mich zu; seine Langsamkeit zeigte mir, daß er seiner Beute sicher war. Mühsam stellte ich das Gasventil auf größte Intensität; mit meinen groben Handschuhen war das keine Kleinigkeit.
Der Eisvampir streckte mir seine Kristallklaue entgegen. Als sie mich fast erreicht hatte, drückte ich den Zündknopf und betete, daß das Feuerzeug funktionieren würde. Eine zischende Stichflamme schoß dem Eisvampir entgegen. Das dämonische Wesen brüllte gepeinigt auf. Der Schrei ließ mir fast das Trommelfell platzen. Er schrie und kreischte und sabberte, hüpfte auf seinen dürren Beinen durch den Schnee und hielt sich die grau verfärbte Hand. In seinen Augen stand rasende Wut. Ich nahm alle Kräfte zusammen und flüchtete. So schnell bin ich noch niemals in meinem ganzen Leben gelaufen. Es war, als säße mir der Satan im Nacken, und dieser Vergleich konnte durchaus zutreffen. Ich blickte mich nicht um, rannte und rannte, achtete nicht auf das protestierende Hämmern meines Herzens und das Keuchen meiner Lunge. Ich rannte und erreichte endlich Northway’s Inn. Eine Zeitlang beruhigte ich mich. Dann ging ich hinein und berichtete Tomtom Kezikewa und ein paar anderen beherzten Leuten, was ich erlebt hatte. Wir rüsteten uns mit Äxten und Feuerzeugen aus - leider besaßen wir keinen Flammenwerfer – und kehrten zurück zu Troups Haus. Es war verlassen. Der Vampir und Troup waren verschwunden. Schon wollten mich die Männer für verrückt erklären, da entdeckte Nogger die Fußspuren, die hinaus in die Wildnis führten. Eine davon war menschlich. Die andere… Nun, ein Pelikan oder ein Straußvogel mit Schwimmflossen zwischen den Krallen hätte wohl ähnliche Abdrücke hinterlassen.« Logan nippte wieder an seinem Glas. »Seitdem weiß ich, daß die Eisvampire keine Legende, sondern furchtbare Wirklichkeit sind.« Sandy Vaughn schüttelte sich. Mit belegter Stimme sagte sie: »Und diese drei Männer sind dort draußen wohl ebenfalls auf diese Ungeheuer gestoßen. Oh, mein Gott!« Nogger zwirbelte seinen dünnen Oberlippenbart. »Nach den letzten Meldungen des Wetterdienstes wird der Schneesturm auf dem Plateau spätestens morgen zu Ende sein, Rick. Mit wieviel Männern willst du aufbrechen?« »Ich dachte an zwanzig Mann in fünf Eisrovern. Unter Umständen sind die Prospektoren von der vereinbarten Fahrtroute abgewichen. Dann müssen wir die unmittelbare Umgebung absuchen.«
»Ich komme mit. Tomtom wahrscheinlich auch, obwohl er ein verflucht abergläubischer Mensch ist und vorher stundenlang für seine Seele beten wird. Das wären schon drei.« »Vier«, sagte Sandy Vaughn laut. »Ich werde euch ebenfalls begleiten.« »Du bist ja verrückt!« brauste Logan auf. »Ich verbiete dir…« Sie schnitt ihm das Wort ab. »Du hast mir nichts zu verbieten, Rick. Noch sind wir nicht verheiratet.« Logan verschluckte sich und hustete entsetzlich. Nogger grinste und klopfte seinem Freund auf den Rücken, bis der Hustenanfall vorüber war. »Ich bin der Polizeichef und kann bestimmen, wer mitkommt und wer nicht. Und ich werde niemals zulassen…« »Nun gut, du starrköpfiger Polizeihäuptling«, unterbrach ihn die junge Frau ironisch. »Dann fahre ich eben allein.« Nun verschluckte sich auch Nogger. »Sandy, Liebes, ich will doch nur…« »… daß ich mitkomme«, vollendete sie strahlend den Satz. Sie umarmte den sprachlosen Logan und drückte ihm einen langen Kuß auf den Mund. »Du bist ein Schatz, Rick. So, und nun mußt du mich entschuldigen. Dahinten werden schon ein paar Leute unleidlich, weil ihre Leber keine Arbeit mehr bekommt.« Fröhlich tänzelte das Mädchen davon. Logan starrte ihr nach und schüttelte immer wieder den Kopf. Nogger beobachtete ihn prüfend. »Tja, mein Lieber«, murmelte er fast unhörbar, »die Eskimos sind ein energisches Völkchen. Und das merkt man ihr an, auch wenn sie nur ein halber Eskimo ist.« Logan hatte gar nicht zugehört. »Überrumpelt!« stöhnte er immer wieder. »Sie hat mich überrumpelt!« Nogger nickte weise und nahm die halbleere Whiskyflasche, entfernte den Stöpsel mit den Zähnen und goß Logans und sein Glas bis zum Rand voll. »Auf Sandra Vaughn«, prostete er spöttisch, »die Bezwingerin des eisernen Patrick Logan!« Der böse Blick, der ihn traf, hätte charakterschwächere Männer auf der Stelle ermordet. Nogger grinste über das ganze Gesicht. Er war sehr neugierig auf die weiteren Einfälle des Mädchens. Von Sitka aus reiste Enver Chroschka mit der Eisenbahn nach Ju-
neau, der Hauptstadt des amerikanischen Bundesstaates Alaska. Was ehedem mehr einem verschlafenen Provinznest geglichen hatte, machte sich nun auf den Weg, eine Großstadt zu werden. Die ersten Erfolge zeichneten sich auch bereits ab. Die klare Luft war von Abgasschwaden verdrängt, häßliche Industriekomplexe, monotone Wolkenkratzer und schmutzige Slums deuteten zweifelsfrei darauf hin, daß Juneau bald einen Vergleich mit den chaotischen Metropolen der amerikanischen Ostküste nicht mehr zu scheuen brauchte. Kriminalität, Korruption, Grundstücksspekulationen und Umweltverschmutzung, Rauschgift- und Alkoholmißbrauch wuchsen dank der laxen Gesetzgebung und der sozialen Schwierigkeiten noch schneller als die Stadt selber. Inflation und die Eskalation von Gewalt betrafen nur die ärmeren Bevölkerungsschichten, und so sah sich kaum jemand genötigt, etwas dagegen zu unternehmen. Nicht selten sah man zwölf-, dreizehn- oder vierzehnjährige Eskimo-Mädchen sich auf dem Strich den zahlungskräftigen Arbeitern der Alyeska anbieten, und man konnte sicher sein, daß die Mafia auch an ihnen verdiente. Alaska – vor fünf Jahren praktisch noch ein unberührtes Paradies – glich sich dem übrigen Amerika in rasender Eile und mit scheinbar überschäumender Begeisterung an. Enver Chroschka schmerzte die Zerstörung dieses Landes, aber mehr noch schmerzte ihn die Zerstörung der Menschen, die in diesem Land lebten. Der Zug hielt auf dem – für den angeschwollenen Verkehr viel zu kleinen – Hauptbahnhof von Juneau, und Chroschka stieg mit seinem umfangreichen Gepäck an der Hand aus. Die Kälte traf ihn wie ein Schlag. Hastig eilte er in das beheizte Bahnhofsgebäude und setzte sich in das Restaurant, bestellte eine Tasse Kaffee und ein Glas Rum. Der Kaffee wurde in einer winzigen Tasse serviert, war dünn und unappetitlich und kostete anderthalb Dollar. Die Beschreibung traf auch auf das Glas Rum zu, nur daß Chroschka dafür das Doppelte bezahlen mußte. Er entzündete eine Zigarette und dachte nach. Natürlich hatte er durch seinen Entschluß, in Sitka an Land zu gehen, einen beträchtlichen Umweg gemacht. Von dem über fünfhundert Kilometer weiter nördlich gelegenen Seward führte eine Eisenbahnlinie direkt nach Fairbanks, aber so
mußte er mit einem Bus über den Alaska-Highway quer durch die unwirtliche Landschaft tagelang unterwegs sein, um sein Ziel zu erreichen. Doch Enver Chroschka hatte seine Gründe für den Umweg und den daraus resultierenden Zeitverlust. In der Zentralbibliothek von Juneau hoffte er einige Bücher zu finden, die seine noch etwas lückenhaften Studien ergänzen sollten. Außerdem benötigte er noch gewisse Ausrüstungsgegenstände, die es sehr wahrscheinlich nur hier in der Hauptstadt geben würde. Er verließ den Bahnhof, wartete eine halbe Stunde in der mörderischen Kälte auf ein Taxi und begab sich dann zu Fuß zu dem Hotel, wo er sich ein Zimmer hatte reservieren lassen. Das Zimmer entpuppte sich als eine rasch möblierte Abstellkammer an der Straßenseite, wo der Verkehrslärm die Wände beinahe sichtbar erbeben ließ. Chroschka nahm es widerspruchslos hin und senkte nur den Preis auf die Hälfte. Die nächsten Wochen und vielleicht auch Monate würde er unter wenig komfortablen Umständen zubringen müssen, und auf diese Weise konnte er sich schon einmal an das unbequeme Leben gewöhnen. Die nächsten drei Tage war er ununterbrochen auf den Beinen, gab eine Menge Geld aus und durchstöberte die Bibliothek nach authentischer Eskimo-Lektüre. Schließlich fand er, was er suchte. Seine Einkäufe waren ebenfalls getätigt, so daß ihn nichts mehr in dieser schmutzigen, lärmenden Stadt hielt. Sein nächster Schritt hielt eine herbe Enttäuschung für ihn bereit. Die Busplätze nach Fairbanks waren für die nächsten zwei Wochen ausverkauft. Einen derartigen Zeitverlust konnte Chroschka sich nicht erlauben. Er wußte zwar nicht, wieweit die Situation sich inzwischen in Bunker’s Hope verändert hatte, aber seine Informationen zwangen ihn, spätestens in fünf Tagen in Fairbanks und zwei Tage später in Bunker’s Hope einzutreffen. Es dauerte eine Zeitlang, bis Chroschka einen jungen Mann mit einem robusten Landrover gefunden hatte der sich bereit erklärte, ihn für die Summe von eintausendzweihundert Dollar Nonstop nach Fairbanks zu fahren, Verpflegung und Unterhaltung inklusive. Am Morgen des folgenden Tages brachen sie auf. Die Luft war klar, nach dem Wetterbericht zu urteilen würde es nur sehr wenig Schnee und vor allem keinen Schneesturm geben, und die Temperatur lag bei rund fünfundvierzig Grad Minus.
Erst während der Fahrt bemerkte Chroschka, was sein junger Fahrer unter Unterhaltung verstand, aber nach einer höflichen, nichtsdestoweniger drastischen Richtigstellung verlief die weitere Reise durchaus harmonisch und ohne größere Zwischenfälle. Fairbanks war zu Chroschkas nicht allzusehr ausgeprägtem Erstaunen noch um eine Spur ungemütlicher als Juneau. Auf seinem Weg zur Wohnung von Professor William Heartley traf er mindestens fünfzig Damen und acht Herren, die ihm in einer einzigen Straße visuell und akustisch Angebote von zwingender Deutlichkeit übermittelten. Als sie endlich angekommen waren, schöpfte Enver Chroschka tief Atem. Die Zeit begann, in der Rubett seltsame Dinge sprach und dachte. Er sah auf die Uhr, auf den Kalender. Waren tatsächlich erst zwei Tage seit der Verwandlung von Drunkley und Szargosh vergangen? Ihm erschienen sie wie eine Ewigkeit. Rubett hockte auf der Schaumgummiliege und starrte die gewölbte Wand an. An einigen Stellen zeichneten sich bereits Dellen ab. Der vom Sturm angewehte Schnee mußte das Zelt hoch bedeckt haben und drückte nun gegen das Material. Aber er dämpfte auch die Außengeräusche. Nur noch selten und undeutlich hörte Rubett die schleichenden Schritte und das wütende Klopfen gegen das Zelt, das den Eisvampiren und ihren zombiehaften, eisigen Menschendienern den Griff nach Martin Rubetts Leben versperrte. »Verdammt!« fluchte Rubett, doch das Fluchen klang kraftlos und ohne jede Energie. Er stumpfte allmählich ab. Das Grauen, dem er unaufhörlich ausgesetzt war, betäubte seine Gefühle und ließ ihn müde und lethargisch werden. Eine gefährliche Situation, dachte Rubett. Wenn ich noch länger hier eingesperrt bin, dann drehe ich irgendwann durch und gehe freiwillig nach draußen. Aber vielleicht warten sie nur darauf. Er versuchte, sich abzulenken und beschäftigte sich stundenlang mit dem Funkgerät. Unaufhörlich sandte er sein Notsignal in den Äther. McClosens Alyeska-Camp mußte ihn doch hören. Aber wahrscheinlich hatte der Schneesturm, der Blizzard, in einem großen Gebiet den Funkverkehr gestört. Er überprüfte das Heizgerät und stellte besorgt fest, daß die La-
dung der Batterien nur noch etwas weniger als fünfzig Prozent betrug. Und er besaß nur eine einzige Ersatzbatterie. Das bedeutete, daß er noch für knapp drei Tage Energie besaß, um das Zelt zu beheizen. Danach – Rubett stellte den Thermostat niedriger. Die Temperatur fiel innerhalb weniger Stunden um zehn Grad auf zwölf Grad Celsius über Null. Der Prospektor wickelte sich in zwei warme Decken ein und atmete erleichtert auf. So würde er noch zwei Tage mehr gewinnen. Und dann mußte dieser verdammte Schneesturm doch vorüber sein. In diesem Moment polterte etwas heftig gegen das Zelt. Die Wand, der gegenüber Rubett lag, erhielt einige heftige Beulen und neigte sich nach innen. Zornig sprang Rubett auf, gleichzeitig aber auch angsterfüllt und bebend. Die Temperatur… Die erhöhte Temperatur allein hatte die Bestien bislang davon abgehalten, das Zelt zu zerreißen und ihn aller menschlichen Wärme zu berauben. Jetzt, wo er sie gesenkt hatte, wagten sie einen Angriff. Das Zelt wankte. In der attackierten Wand erschien ein kleiner Riß, der sich langsam verbreiterte. Rubett eilte zum Heizgerät und drehte den Regulierknopf bis zum Anschlag nach vorn. Mit schweißbedeckter Stirn blickte er sich um. Was sollte er machen? Der Propankocher… Er beugte sich hinunter und schaltete ihn ein. Eine kleine Flamme erschien; Rubett drehte sie höher. Zwar konnte er mit ihr nicht gegen die Eisvampire kämpfen, da er durch die Flammen sonst sein eigenes Zelt – und damit sein Leben – gefährdete, aber sie würde die Temperatur rascher steigen lassen. Nach und nach verlor der Angriff an Heftigkeit. Eine kristallene, in der Wärme des Zeltes dampfende Hand erschien in dem Riß im Wandmaterial, fuhr aber gleich wieder zurück, als Rubett sein Feuerzeug entflammte und sich damit ihr näherte. Mit einer selbstklebenden Isolierfolie dichtete er den Schaden ab. Bald erfüllte wieder wohlige, sicherheitgebende Hitze das Zeltinnere. Rubett setzte sich. Er wartete. Und draußen – in der sturmgepeitschten, bitterkalten Schneelandschaft – knirschten die lauernden Schritte der Eisvampire.
Bunker’s Hope war nur von kleinen Ausläufern des Blizzards gestreift worden, trotzdem waren die Einwohner eifrig damit beschäftigt, den Schnee von ihren Dächern und Straßen so gut es ging zu räumen oder ihn hart zu klopfen, damit er eine feste Unterlage bildete. Patrick Logan betrat das Haus des Bürgermeisters. Quincy Kerbrick aß gerade zu Mittag. Um den breiten Tisch herum hatte sich seine ganze Familie versammelt, und die Zimmerluft roch appetitlich nach Fleisch und scharf gewürzter Soße. »Freut mich, dich zu sehen«, rief Kerbrick überschwenglich und bot Logan einen Platz und einen Teller an. Der Polizeichef griff dankend zu. Kerbrick trank einen Schluck seines hochprozentigen Rums, fuhr sich mit der Serviette über den breiten Mund und rülpste vernehmlich. Seine vier Kinder, denen man die indianische Abstammung der Mutter deutlich ansah, kicherten. Ein strafender Blick brachte sie sofort zum Schweigen. »Was führt dich zu mir?« erkundigte sich der Bürgermeister. »Zwar kocht Mayjeka ausgezeichnet, aber du bist sicher nicht nur zum Essen gekommen, oder?« Logan schüttelte bedächtig den Kopf und entfernte einige Fleischfasern aus seinen Zähnen. »Nein. Ich muß mit dir reden. Allein, wenn es geht.« »In Ordnung. Gehen wir in mein Arbeitszimmer.« Der muskulöse, knapp fünfzig Jahre alte Mann mit dem nahezu kahlen Schädel erhob sich und winkte Logan, ihm zu folgen. Im Arbeitszimmer war es behaglich warm. Das leise Knistern der Holzscheite in dem offenen Kamin und der dunkelgemaserte, völlig überfüllte Bücherschrank ließen in Logan ein tiefes Gefühl der Ruhe entstehen. »Zigarre?« erkundigte sich Kerbrick. Logan griff zu, und bald durchzogen die aromatisch duftenden Rauchkringel den Raum. »Also?« Kerbrick streckte die Beine aus und lehnte sich in seinen Sessel zurück. Mit wenigen Worten berichtete Logan ihm, was er von McClosen gehört hatte und schloß: »Ich denke, daß morgen früh die Suchexpedition aufbrechen kann. Im Augenblick fehlen mir aber noch die Leute. Ich wollte dich bitten, mit einigen Männern zu reden, Quincy. Du kennst sie noch länger als ich.«
Der Bürgermeister schneuzte sich die Nase und sah Logan schief an. »Zum Rumsfield-Plateau, sagst du eh? Wir können von Glück reden, wenn wir ein halbes Dutzend Freiwillige zusammenbekommen. Du weißt, was für Geschichten über das Plateau erzählt werden. Keiner von meinen und deinen Bekannten ist scharf darauf, in einen Eisklotz verwandelt zu werden. Außerdem darfst du nicht vergessen, daß uns nach den letzten Berichten des Meteorologischen Instituts der härteste Teil des Winters noch bevorsteht. Möglicherweise werden wir wochenlang von der Außenwelt abgeschnitten sein. Die Leute sind dabei, sich zu bevorraten und die notwendigen Reparaturen vorzunehmen, ehe das Wetter völlig umschlägt. Daß dann nur sehr wenige Männer bereit sind, sich auf ein derart riskantes und zeitraubendes Unternehmen einzulassen, dürfte logisch sein.« »Genau das habe ich mir auch überlegt.« Logan lächelte. »Und aus diesem Grund bin ich zu dir gekommen.« Kerbrick fragte amüsiert: »Wer macht denn bereits mit?« »Nun, Nogger, sehr wahrscheinlich Tomtom Kezikewa, Sandy Vaughn und ich.« »Sandy?« fragte Kerbrick überrascht. »Wer ist denn auf diese einmalige Idee gekommen?« Logan machte ein unglückliches Gesicht. »Sandy selber. Sie hat mich…« Kerbrick brach in dröhnendes Gelächter aus. Vor Vergnügen schlug er sich auf die Schenkel. »Das sieht ihr ähnlich«, sagte er kichernd. »Sie hat dich einfach über’s Ohr gehauen, wie?« »So kann man’s sagen.« Kerbrick wurde allmählich wieder ernst. »Dann seid ihr bereits vier. Mit mir fünf.« »Du willst auch mit, Quincy?« fragte Logan verblüfft. »Aber wenn dir etwas zustößt – ich meine…« Offenbar war es Logans Schicksal in letzter Zeit, seine Sätze nur noch selten zu Ende führen zu können. »Unsinn«, fiel ihm Kerbrick ins Wort. »Ich kann sehr gut auf mich aufpassen. Außerdem war ich schon immer neugierig, was es nun mit diesen sagenhaften Eisvampiren wirklich auf sich hat. Schluß der Diskussion, ich begleite dich!« In Gedanken versunken strich er sich über den buschigen Kinn-
bart. »Laß mich überlegen. Da wären noch Thomas Thick, Lester Hayly, Gazle. Marproud und ein paar andere… Gut, heute abend gebe ich dir Bescheid.« »Hervorragend«, sagte Logan. »Bleibt noch das Problem der Fahrzeuge. Zwei Rover kann ich zur Verfügung stellen, einen wohl du. Fehlen noch zwei.« »Keine Sorge«, beruhigte ihn Kerbrick. »Thick und Gazle haben ihre Rover neu aufpoliert. Ich werde mit ihnen reden. Wann soll es losgehen?« »Ich dachte, spätestens sieben Uhr früh. Dann haben wir übermorgen den Rand des Plateaus erreicht und können den ganzen Tag über suchen.« »Einverstanden.« Kerbrick streckte Logan seine Pranke entgegen. »Kurz nach Einbruch der Dunkelheit komme ich noch einmal her und teile dir die Namen der Leute mit, die an der Suchexpedition teilnehmen.« Logan schüttelte ihm die Hand. »Ich werde mich auch noch etwas umsehen. Bis nachher!« Er ging. »Enver!« rief William Heartley voller Freude und eilte dem schmalen, feingliedrigen Mann am Fuß der Treppe entgegen. »Ich habe gestern erst dein Telegramm erhalten. Warum hast du dich nicht schon früher gemeldet?« Die beiden alten Freunde umarmten sich lang und herzlich. Dann nahm Heartley ihn an den Schultern und musterte Chroschka prüfend. »Du siehst ziemlich übermüdet aus. Die Reise war wohl sehr anstrengend. Fairbanks wimmelt zwar inzwischen von Menschen, aber irgendwie liegen wir doch noch am Ende der Welt. Komm mit hinein. Ein guter Schluck wird dir helfen, wieder zu Kräften zu kommen.« Plaudernd betraten Heartley und Chroschka das sparsam, aber mit viel Verstand und Geschmack eingerichtete Haus des Professors und begaben sich in den kleinen Salon. Dankbar nahm Chroschka das angebotene Glas entgegen. »Was macht deine Arbeit?« Heartley winkte resigniert ab. »Wenn das so weitergeht wie bisher, dann ist in spätestens fünfzehn Jahren auch hier in Alaska das ökologische Gleichge-
wicht zerstört, und wir atmen statt reinen Sauerstoff Schwefelwasserstoffverbindungen, Kohlenmonoxyd und alle möglichen Ableger aller möglichen chemischen Substanzen. Trotz dieser pompösen Umweltschutzbestimmungen und trotz aller Beteuerungen der Regierung, die Natur nicht dem industriellen Wachstum zu opfern. Aber was will man machen. Die Welt schreit nach Öl und Rohstoffen, und wenn man das Pech hat, in einem Land zu leben, das von diesen Dingen beinahe überfließt, darf man eben auf die kleinen Nachteile nicht allzu scharf achten.« Besorgt erkannte Chroschka, daß sich in dem alt gewordenen Gesicht seines Freundes tiefe bittere Linien eingeschnitten hatten. »Was unternimmst du dagegen, Bill?« Heartley breitete beide Arme aus, aber es war eine kraftlose, eine hoffnungslose Geste. »Artikel schreiben, Petitionen verfassen, Reden halten. Versuchen, die Leute aufzuklären. O Gott, ich hätte gute Lust, den ganzen Kram einfach hinzuwerfen und irgendwohin zu ziehen, wo es kein Öl, kein Erz, kein Uran und nicht den Zwang zum Konsum gibt.« Chroschka grinste ironisch. »Wie lange, glaubst du, wäre dieses Paradies ein Paradies?« Heartley erwiderte das Grinsen. »Nicht lange, fürchte ich. Bis Touristen wieder einen neuen ›Geheimtip‹ hätten. Also bleibe ich hier und kämpfe weiter. Und irgendwann, da bin ich mir völlig sicher, irgendwann wird die Vernunft und die Menschlichkeit gegen diese Ausbeutung unseres Planeten siegen!« Chroschka stellte das Glas zur Seite. Er war froh, seinen Freund aus der depressiven Stimmung gerissen zu haben. Er wechselte das Thema. »Gibt es etwas Neues von Patrick Logan und Bunker’s Hope?« Heartley verneinte. »Aber die Nachrichtenverbindungen sind seit Anbruch des Winters immer schlechter geworden. Genau kann ich es dir also nicht sagen.« Chroschka nickte. »Ich habe auch nichts anderes erwartet.« Der Professor musterte seinen Gast. »Wie meinst du das, Enver?« »Nachdem ich deinen Brief erhalten hatte, stellte ich ein paar Nachforschungen an. Leider reichte das Material, das ich in Europa und Nordamerika fand, nicht ganz aus, um meine Spekulatio-
nen und Theorien zu untermauern, aber die letzten Zweifel wurden dann hier in Alaska, in Juneau, beseitigt.« Er warf Heartley einen ernsten Blick zu. »Bill, ich befürchte, daß Bunker’s Hope nicht mehr lange existieren wird!« Heartley zuckte zusammen. Er wurde bleich. »Wie meinst du das, Enver? Ich verstehe nicht, woher du…« »Ich werde es dir erklären. Aber vorher würde ich noch gern ein Bad nehmen und etwas essen.« Der Professor griff sich an die Stirn. »Oh, entschuldige! Ich habe überhaupt nicht mehr daran gedacht, daß du müde und erschöpft bist. Ich werde mich gleich um dein Bad kümmern. Es dauert nur einen Moment.« Hastig eilte Heartley hinaus. Es klopfte an der Tür. Martin Rubett fuhr blitzartig aus seinem unruhigen Schlaf auf und rieb sich über die Augen. Er gähnte. Die Luft im Zelt war stickig und warm. Es roch scharf nach menschlichen Ausdünstungen und Exkrementen. Unsicher blickte Rubett zu dem Haufen Kisten, die er zum Schutz vor der doppeltürigen Eingangsöffnung aufgebaut hatte. War das Klopfen nur in seinem Traum zu hören gewesen, oder befand sich wirklich jemand vor dem Zelt, der um Einlaß bat? Der Schneesturm heulte bereits schwächer, und Rubett faßte neuen Mut. Vielleicht waren die Bestien aus der Hölle tatsächlich nicht mehr da. Vielleicht hatten sie sich zurückgezogen, weil sie die Ergebnislosigkeit ihres Wartens erkannt hatten. Und vielleicht stand dort draußen nun ein normaler Mensch, von einer Suchexpedition oder einer anderen Prospektorengruppe. Rubett wischte sich über den Mund. Sein Körper verlangte dringend nach dem Nikotin einer Zigarette, aber obwohl es ihm schwerfiel, verzichtete er darauf. Er wollte die Luft in seinem Zelt nicht noch mehr verpesten. Nein, es war keine Täuschung. Das Klopfen wiederholte sich einmal, zweimal! Rubett fingerte nervös an seinem Pullover. Sollte er öffnen oder nicht? Natürlich! schrie ein Teil seines Bewußtseins. Das ist die Rettung. Man hat dich und die beiden anderen vermißt und nach
euch gesucht. Mach die Tür auf, und du wirst es sehen. Du mußt unbedingt raus aus dem Zelt. Öffne! Der andere Teil war mißtrauisch. Es könnte eine Falle sein. Man will dich hinauslocken, um dich zu töten oder noch Schlimmeres. Reagiere nicht darauf. Laß die Tür geschlossen. Öffne sie nicht! Unentschlossen betrachtete Rubett das Durcheinander der Kisten und Pakete. Wieder klopfte es, diesmal energischer, lauter. Dann – Rubett erschrak – eine Stimme. Tatsächlich, jemand rief nach ihm! »Mart!« erklang es heiser und schwerfällig. »Mart! Laß mich ’rein! Ich bitte dich, öffne! Mart!« Rubett fühlte, wie die Angst in seinen Nacken kroch. Er leckte sich über die Lippen, räusperte sich. Verdammt, was sollte er tun? Wer rief da nach ihm? Die Stimme kam ihm irgendwie bekannt vor. Etwas verändert, aber durchaus vertraut. »Mart!« Der Name schien nur mühsam über ungefüge Lippen zu gehen. »Mart – bitte! Ich bin’s; Szargosh – Ephraim Szargosh. Mart, ich erfriere!« Was ist das für eine Teufelei, sann Rubett. Konnte es wirklich sein, daß Szargosh der Attacke der Vampire lebend und unversehrt entronnen war? Gleich darauf schüttelte er den Kopf. Nein, unmöglich. Und selbst wenn – in der Zwischenzeit wäre Szargosh längst erfroren. Nein, das war eine Falle, mußte eine Falle sein. Man spekulierte auf sein Mitgefühl und wollte ihn hinauslocken, um ihn in der Kälte umzubringen. »Verschwinde!« krächzte Rubett. »Fahr zur Hölle! Ich falle nicht auf deine Tricks herein! Verschwinde, du Ausgeburt des Satans!« »Aber Mart…« Rubetts Entschluß geriet ins Wanken. Szargoshs Stimme klang mitleiderregend erschöpft. »Mart, ich flehe dich an, öffne mir!« »Du bist nicht mehr Ephraim Szargosh«, erwiderte Rubett schwach. »Du bist ein Zombie – ein Untoter, ein Verdammter. Die Eisvampire haben dich in einen der ihren verwandelt. Hör auf mit deinem Gewinsel und verschwinde!« »Mart, hör mich an«, wisperte es zurück. »Du täuschst dich. Es
ist ein Irrtum. Als ich Drunkley suchte, wurde ich tatsächlich von diesen Ungeheuern angegriffen. Aber ich konnte ihnen entkommen. Ich flüchtete in den Eisrover und stellte die Heizung an. Trotzdem war es noch schrecklich kalt. Sie versuchten, einzudringen und mich herauszuholen, aber es gelang ihnen nicht. Jetzt sind sie verschwunden. Die Batterie des Rovers läßt allmählich nach, in wenigen Stunden bin ich erfroren. Du mußt mich einlassen, Mart! Glaub mir, ich schwöre bei allem, was mir heilig ist, daß ich die Wahrheit gesprochen habe. Ich bin so normal wie du und die anderen Menschen. Bitte, Mart, öffne die Tür!« Rubett legte die Stirn in Falten. Szargoshs Bericht klang plausibel. Ohne weiteres hätte er unter Mithilfe der Wagenheizung bis jetzt überleben können. Ob es stimmte, ob er wirklich noch normal und die Vampire abgezogen waren? Der Gedanke war verlockend. Endlich jemand, mit dem er wieder sprechen und mit dem er die Angst und die Einsamkeit teilen konnte. Und konnte ein Mensch, dessen Körper durch die Berührung eines Eisvampirs zu Frost erstarrt war, noch so artikuliert reden und sich derartige Geschichten ausdenken? Rubett wußte es nicht. Das Flehen trieb ihn fast zum Wahnsinn. »Szargosh!« schrie er schließlich. »Szargosh, hörst du mich?« »Ja, ich verstehe dich sehr gut. Wirst du öffnen? Ich erfriere, Rubett. Der Sturm…« »Szargosh, du wirst jetzt fünf Schritte zurückgehen und dich auf den Boden setzen, hast du kapiert? Fünf Schritte zurück und dann hinsetzen. Das ist wichtig. Wenn du das nicht tust, bleibt die Klappe zu. Und versuche ja keine Tricks. Ich schließe die Tür nur einen Spalt auf, und wenn ich dann deinen verdammten Hintern nicht fünf Schritte entfernt den Schnee schmelzen sehe, kannst du von mir aus da draußen zur Eissäule erstarren.« »Keine Sorge, Mart. Ich werde alles so machen, wie du es willst. Ich sitze schon. Genau fünf Schritte, Mart. Und ich sitze. Schau nach!« Die Stimme war leiser geworden und wurde nun fast ganz vom fauchenden Sturm übertönt. Mit gemischten Gefühlen räumte Rubett die Barrikade von der
Tür fort und öffnete die innere Pforte. Sofort nahmen die Geräusche von draußen an Intensität zu. Rubett schwitzte, sein Herz klopfte heftig, beinahe schmerzhaft, und als er die Verriegelung der äußeren Tür langsam und so leise wie möglich entfernte, zitterten seine verschmutzten Finger. Er drückte die Tür einen Spalt weit auf, lugte hastig hinaus und schlug sie sofort wieder zu. Tatsächlich saß Szargosh fünf Schritte von ihm entfernt auf dem Boden, dick vermummt in seinen Pelzmantel, vor dem Gesicht die schützende Maske. »Okay, Szargosh«, sagte Rubett. »Du bist meinen Anweisungen gefolgt. Aber ich weiß noch immer nicht, ob ich dir trauen kann.« »Dann sag mir, was ich tun kann, um dich zu überzeugen. Sag es mir! Die Kälte… Sie tötet mich! Mart, antworte!« Rubetts Atem ging keuchend. Seine Gedanken wirbelten wie ein zorniger Bienenschwarm in seinem Kopf, und er überlegte verzweifelt, was er tun könnte, um schlüssig Szargoshs menschliche Identität zu überprüfen. Aber die Anstrengungen und die Angst der letzten Tage hatten ihn ausgehöhlt; sein Denkvermögen war verkümmert, seine Gefühle waren erstarrt. Szargosh schluchzte. »Halt den Mund!« schrie Rubett mit Tränen in den Augen. »Ich muß nachdenken! Hörst du, ich muß nachdenken!« Er griff sich an den Schädel, fuhr mit den Fingern durch seine verfilzten Haare und versuchte mit aller Macht, zu einer Lösung zu kommen. Dann gab er sich einen Ruck. Natürlich, es war ein Risiko, aber noch bestand die Möglichkeit, daß Szargosh wirklich noch menschlich war. »Szargosh!« rief er durch die geschlossene Tür. »Ich werde mich ins Zelt zurückziehen und den Riegel entfernen. Wenn ich dir dann sage, du sollst kommen, wirst du langsam die Pforte öffnen und die Gesichtsmaske abnehmen. Ist das klar?« »Mart, ich kann mich nicht mehr richtig bewegen. Meine Beine – meine Hände sind kalt und ohne Gefühl, steif von der eisigen Luft. Ich kann mich allein nicht mehr ins Zelt schleppen. Ich kann es nicht! Hilf mir, Mart! Hilf mir!« Brodelnde Wut kam in Rubett auf. Er knirschte mit den Zähnen. Eine Falle, schoß es ihm durch den Kopf. Eine gemeine Falle! Die Wut trieb ihn zu einer unüberlegten Handlung. Er riß das Gewehr aus der gefütterten Schutzhülle, entsicherte es und stieß
mit dem Kolben die Tür auf. Unmittelbar vor ihm hockte Szargosh. Die Gesichtsmaske hing unter seinem Kinn, und Rubett starrte in zwei gläserne Augenhöhlen. Das Licht aus dem Inneren des Zeltes brach sich tausendfach in den Kristallfacetten von Szargoshs Haut. Szargosh knurrte höhnisch. Dann schoß seine rechte Hand vor und verfehlte nur knapp Rubetts zurückweichenden Körper. Rubett feuerte. Der Knall zerfetzte ihm fast das Trommelfell. Ein Geruch nach verbranntem Pulver reizte seine Nase. Ungläubig musterte er Szargosh. Sein ehemaliger Partner wies in der Stirn ein häßliches, zackiges Loch auf, das sich jedoch blitzschnell wieder verkleinerte. Bald war nichts mehr von der Wunde zu erkennen. Tödliche Kälte schlug Rubett entgegen. Szargosh stieß einen schrillen Pfiff aus. Ein Signal! Schwere Schritte näherten sich. Rubett zitterte, schoß wieder. Vergeblich. Die Kugel ging glatt durch das dämonische Wesen hindurch, ohne es zu töten. Wieder tastete Szargosh nach Rubett, aber der Prospektor hatte die Gefahr geahnt und war zum Heizgerät gekrochen. An der Stelle, wo ihn der frostige Atem der Kreatur berührt hatte, schmerzte seine Haut. Szargosh wurde fortgedrängt. Eine bestialische Fratze lugte durch die Öffnung, ein totenbleiches Gesicht mit gekrümmten Hauern in dem geifernden Maul und spitzen Eispickeln auf dem Schädel. Das mußte einer jener sagenhaften Eisvampire sein. Rubett prägte sich das Aussehen dieser Ausgeburt der Hölle deutlich ein. Er fühlte sich relativ sicher. Die Wärme aus dem Heizgerät hinderte die Ungeheuer daran, einzudringen. Nein, hier konnte ihm nichts geschehen. Der Vampir schien dies auch zu wissen. Er brüllte empört auf, schneeweißer Geifer floß von seinen Mundwinkeln in den Schnee. Unentschlossen wackelte das Wesen mit dem Kopf. Rubett fröstelte. Durch die Luke blies der Sturm Schwaden kalter Luft, die aussahen wie brodelnder Wasserdampf, als die Feuchtigkeit in der Wärme kondensierte. Der Prospektor begriff die Gefahr, die ihm durch die offene Tür drohte. Bald würde auch das Heizgerät die Temperatur nicht mehr halten können; sie wür-
de mehr und mehr sinken, bis sich die Vampire ungefährdet ihm nähern konnten. Er mußte etwas unternehmen, sonst war er verloren. Er legte das Gewehr an, zielte sorgfältig und gab schnell hintereinander mehrere Schüsse ab. Obwohl das Blei dem Vampir nichts anhaben konnte, verwirrte es ihn doch für einige Sekunden. Rubett sprang auf den Eingang zu und warf die innere Tür ins Schloß, legte den Riegel vor. Seufzend ließ er sich dann zu Boden sinken und barg seinen schmerzenden Schädel in seinen Händen. Gerettet, dachte er dankbar. Vor Erleichterung vergoß er Tränen. Das Pochen auf seiner Wange verstärkte sich. Offenbar hatte ihn der Vampiratem doch mehr verletzt, als er zuerst vermutet hatte. Rubett wühlte aus dem Durcheinander der Kisten einen Handspiegel hervor und sah hinein. Er schluckte schwer. Ihm wurde übel. Die Haut schien wie verbrannt. Rot stach das rohe, blutige Fleisch hervor. An einer Stelle konnte er sogar den bloßgelegten Wangenknochen erkennen. Rubett fluchte und öffnete das Erste-Hilfe-Kästchen, trug eine schmerzstillende und heilende Salbe gegen Erfrierungen auf die Wunde auf und bedeckte sie mit einem improvisierten Verband. Der Prospektor fühlte sich müde und kraftlos. Nach einigen Schlucken Whisky legte er sich wieder auf seine Liege und schloß die Augen. Er bemerkte, daß er am ganzen Körper zitterte, und so sehr er sich auch bemühte, das Beben zu kontrollieren, gelang es ihm nicht. Schüttelfrost, dachte Rubett. Das hat mir gerade noch gefehlt. Er zuckte zusammen, als vor der Tür die Eisvampire hell und haßerfüllt heulten. In der vergangenen Nacht hatte es nicht geschneit. Offenbar zog der Sturm weiter nach Norden. Dann würde auch das RumsfieldPlateau wieder befahrbar sein. Patrick Logan prüfte anhand einer langen Liste die Ausrüstungsgegenstände, die er in dem Gepäckraum seines Eisrovers verstaut hatte. Das Fahrzeug war ein ungefüges, himmelblau gestrichenes Ding von sechs Meter Länge und knapp drei Meter Breite. Ein spezialisolierter, zweihundert PS starker Dieselmotor trieb die beiden über je vier Räder laufenden Schneeketten an. Damit ließen sich
auch extreme Steigungen überwinden. Das Führerhaus war flach und abgerundet, so daß es einem Sturm möglichst wenig Angriffsfläche bot, und die Doppelglasfenster gestatteten beinahe eine Rundumsicht. Der Rover besaß Platz für vier Personen. Insgesamt sieben Heizungen – vier für den Motor und drei für die Kabine – würden die Passagiere vor der tödlichen arktischen Kälte schützen. Befriedigt hakte Logan einen Punkt nach dem anderen auf seiner Liste ab. Zum Schluß zurrte er die Reservekanister mit Treibstoff fest, überprüfte die superstarken Halogenscheinwerfer und das Funkgerät. Alles funktionierte tadellos. Anschließend schaltete er die Motorheizung ein. Selbst in der relativ warmen Garage dauerte es geraume Weile, bis der Motor ansprang und ruhig und gleichmäßig tuckerte. Befriedigt entzündete Logan eine Zigarette. Dem Aufbruch stand nichts mehr im Weg. Die Durchgangstür vom Wohnhaus öffnete sich, und eine vermummte Gestalt trat ein. Unter der dicken Fellkapuze blinzelten zwei langwimprige Augen Logan spöttisch entgegen. »Ich hatte eigentlich gehofft, daß du dich in der Zwischenzeit anders besonnen hättest, aber da habe ich mir wohl Illusionen gemacht«, brummte der Polizeichef. Sandra Vaughn lächelte ihn strahlend an und drückte ihm einen langen Kuß auf die Lippen. Hastig machte sich Logan wieder los. Er holte tief Atem. »Diese psychologische Kriegführung ist nicht fair, Sandy«, protestierte er schwach. »Aber wirksam«, sagte das Eskimomädchen lächelnd. »Wie, glaubst du, hat sich meine Mutter meinen Vater geangelt?« Logan murmelte etwas, das wie »Heimtücke« klang, äußerte sich aber nicht weiter zu der verfänglichen Frage. Er hatte schon seit längerem bemerkt, daß ihn das Mädchen liebte, und auch er konnte sich von diesem Gefühl nicht freisprechen. Aber ihre konsequenten Versuche, ihn fest an sich zu binden, verwirrten ihn. Logan befürchtete, schon zu lange Junggeselle zu sein, um die Probleme einer engen Verbindung zu lösen – die gegenseitige Rücksichtnahme, den Verzicht auf liebgewonnene Eigenheiten, das Bewußtsein, nicht mehr nur für sich selbst verantwortlich zu sein. Er schüttelte den Kopf. Nein, Sandy war ein liebes, süßes Mäd-
chen, intelligent, mit einem hübschen, begehrenswerten Körper und charakterlich einwandfrei, aber er war es nicht gewohnt, eine andere Meinung neben der seinen zu dulden, und Sandy sah ganz danach aus, als sei sie sehr starrköpfig. Es war wirklich besser für beide, wenn er die Verbindung behutsam löste. Auch der Altersunterschied würde eine Belastung darstellen. Sandy war noch jung, etwas über zwanzig, er aber bereits vierzig Jahre. Es konnte einfach nicht gutgehen. Logan bemerkte, daß ihn Sandy die ganze Zeit aufmerksam gemustert hatte. Jetzt sah sie ihn mit ungewohntem Ernst an. »Rick«, sagte Sandy leise, »du weißt, daß ich dich liebe, und ich weiß, daß du das gleiche für mich empfindest. Warum bist du dann bloß so verdammt verbohrt und baust Schwierigkeiten auf, wo keine sind?« Logan räusperte sich verlegen. »Sandy, ich habe es dir schon hundertmal erklärt. Wir beide…« »Ich weiß schon, was du sagen willst«, fauchte das Mädchen wütend. »Immer ist es das gleiche. Rick, ich bin kein Kind mehr. Ich bin eine Frau, und ich liebe und begehre dich. Mein Gott, benimm dich endlich wie ein erwachsener Mann und pfeif auf deine Skrupel und Befürchtungen. Warum sollen wir es nicht zumindest versuchen? Wenn es wirklich nicht klappt, dann können wir noch immer auseinandergehen.« Logan nahm sie in die Arme und küßte sie zärtlich. »Manchmal denke ich, ich bin ein Idiot, aber dann sind wieder die Zweifel da.« Sie preßte sich eng an ihn, und selbst durch den dicken Mantel konnte er ihre festen Brüste spüren. Ihre Hand glitt zu seiner Hüfte hinab und streichelte ihn. Logan atmete schneller und drückte Sandy noch enger an sich. Mit ungeschickten Fingern knöpfte er ihren Mantel auf. Sie sanken zu Boden. Logan griff unter ihren Pullover und liebkoste ihre steif aufgerichteten Brustwarzen, dann öffnete er den Reißverschluß ihrer Hose, fuhr mit den Fingerspitzen über die Innenseite ihrer Schenkel und über den weichen Flaum, hinter dem es drängend und warm pulsierte. Als er in sie eindrang, wußte er, daß Sandy recht hatte. Er sagte es ihr, und verwundert entdeckte er die Feuchtigkeit in ihren Augen. Mit einem kräftigen Röhren bog der Eisrover um die Straßenecke
und hielt vor Quincy Kerbricks Haus. Eine große Menschenmenge und vier weitere der robusten Fahrzeuge hatten sich dort bereits versammelt. Logan stieg aus dem Rover und schüttelte die Hand des Bürgermeisters. »Alles in Ordnung?« erkundigte er sich. Kerbrick nickte und sagte mit seiner tiefen Stimme: »Zwanzig Mann und fünf Fahrzeuge. Einige der Leute mußte ich zwar mit dem Schießprügel überzeugen, aber« – er lachte dröhnend – »die Furcht vor einem Stück Blei ist wohl doch größer als vor den Eismonstren.« Logan grinste. Kerbricks Überredungsmethoden waren berüchtigt. »Hallo, Mister Kerbrick!« rief Sandra aus dem Fenster. Der Bürgermeister winkte ihr zu. »Was hält denn dein Vater von deinen Einfällen?« fragte er. Das Mädchen grinste. »Ma hat ihn überzeugt.« Kerbrick lachte wieder und klopfte Logan scherzhaft auf die Schulter. »Sei bloß vorsichtig, mein Junge. Du hörst es ja selber, wozu die weiblichen Mitglieder dieser Familie in der Lage sind.« Logan machte ein zerknirschtes Gesicht. »Wem sagst du das! Wem sagst du das!« Quincy Kerbrick schnappte nach Luft. Dann ließ sein donnerndes Gelächter den ganzen Eisrover erbeben. Aus dem Hintergrund tauchte Nogger auf. Mit seinem unförmigen Bärenfellmantel, den Fellstiefeln und der speckigen Hose sah er wie ein zu Tode abgemagerter Grizzly aus. Die Schutzmaske und die steife Mütze mit den pelzigen Ohrmuscheln verstärkte diesen Eindruck noch. »Worauf warten wir noch?« erklang es dumpf unter der Maske hervor. »Wir sind vollzählig.« »Okay«, sagte Logan. »Brechen wir auf.« Er wandte sich an Sandra. »Gib das Signal!« Laut und mißtönend gellte die Hupe über die Straße. Die Männer verteilten sich auf die Fahrzeuge, und Logan Nogger und ein dritter Mann, Tomtom Kezikewa, stiegen ebenfalls in den Rover ein. Sandra Vaughn schenkte Kezikewa ein strahlendes Lächeln. Der untersetzte, stämmige Eskimo mit den pechschwarzen, kurzgeschnittenen Haaren und den mandelförmigen Augen in dem kupfernen Gesicht lächelte zurück.
Ächzend setzte sich Nogger auf die hintere Sitzbank und steckte sich eine kurzstielige Pfeife an. Kezikewa rümpfte tadelnd die Nase. »Dieses Laster bringt dich noch einmal ins Grab«, teilte er dem dürren Mann mit. Nogger befreite sich von seinem Mantel. Die Wagenheizung verbreitete eine angenehme Wärme. »Ob ich mich zu Tode saufe oder zu Tode rauche, wo ist da der Unterschied?« spielte er auf Kezikewas Alkoholkonsum an. Der Eskimo verzog die Lippen zu einem ironischen Grinsen. »Es ist ein Unterschied, ob man seinem Laster tagtäglich oder einmal im Monat frönt.« »Pah!« Nogger winkte ab. »Das gleiche sagte mein seliger Vater – die Hölle möge ihn zu Schmorfleisch braten – auch immer. Und das Resultat? Zum Schluß soff er den ganzen Monat durch und machte nur am letzten Tag eine Pause. Einmal im Monat, daß ich nicht lache!« Logan unterbrach das scherzhafte Geplänkel. »Tomtom, was weißt du über die Eisvampire? Besitzen sie eine verwundbare Stelle? Wie leben sie? Von was ernähren sie sich?« Der Eskimo zog die Stirn in Falten. »Bis zu deinem Erlebnis, Rick, habe ich die Sagen über das kalte Gewürm, über die Konin-itya-akki, mehr für Aberglauben oder für gruselige Parabeln gehalten. Doch dann haben sie sich Spencer Troup geholt. Anschließend bin ich dann, wie du ja weißt, für mehrere Monate zu meinem Stamm gefahren und habe mich da ein wenig umgehört. Besonders der Medizinmann und meine Großtante wußten viel über die Eisvampire. Den größten Teil ihrer Existenz verbringen sie schlafend in den Felskavernen des Rumsfield-Plateaus. Wo genau, weiß kein Mensch. Nur in besonders kalten Wintern kommen sie an die Oberfläche, denn sie brauchen die Kälte zum Leben, und dieser Winter ist beinahe ideal für sie. Sie streifen über das Plateau und tanzen, wenn Schneestürme die Sonne verdunkeln. Nahrung im eigentlichen Sinn des Wortes benötigen die Vampire nicht, aber sie sind darauf angewiesen, in bestimmten Abständen die Lebensenergie von Tieren – und auch Menschen – in sich aufzunehmen. Eine Berührung genügt, und das Opfer wird wie sie – kalt, nichttot, nichtlebend, von dem dämonischen Drang erfüllt, Leben zu vernichten.
Ihre Hauptnahrung bilden die Tiere, wie ich schon sagte – Bären, Wölfe, Caribous, Elche und so fort. Aber wenn es ihnen einmal gelungen ist, einen Menschen zu erbeuten, dann geben sie keine Ruhe, bis sie nicht Dutzende von uns dahingemetzelt haben. So ist es geschehen vor drei Generationen, als sie einen ganzen Eskimostamm überfielen und vernichteten. Sonst wagen sie sich kaum vom Plateau herunter, weil es nur dort möglich ist, bei beginnender Wärme schnell zurück in ihre Kavernen zu kriechen, denn die Sonne und die Wärme töten sie. Auch Feuer läßt sie schmelzen. Messer, Kugeln, auch Bomben können ihnen nichts anhaben, weil ihre Körper aus dem Kristall des Eises bestehen und nur ein dämonischer Geist das Eis zusammenhält und es in eine Form preßt. Schlägt man ihnen einen Arm ab, so können sie aus dem Material ihrer Umgebung sich in Windeseile einen neuen wachsen lassen. Sie sind klug und verschlagen, voller teuflischer Listen und satanischer Niedertracht. Nichts ist ihnen heilig.« Logan unterbrach: »Wie viele Vampire gibt es?« »Die Zahl ist nicht genau bekannt«, murmelte Tomtom Kezikewa. »Manche sprechen von fünf, sechs, andere von zwanzig, wieder andere von einem Dutzend. Dazu kommen noch Unzählige dämonisierter Opfer, Menschen wie Tiere, die willfährig den Befehlen ihrer Meister und Verderber gehorchen.« »Was ist mit den Eskimos, die vor drei Generationen verwandelt worden sind? Eine derartige Menschenmenge muß doch auffallen, selbst wenn sie sich nur auf dem Plateau aufhält.« Der Eskimo schüttelte den Kopf. »Die bedauernswerten Opfer der Eisvampire besitzen kein langes Leben mehr. Nach vier, fünf Wintern ist der gespenstische Funke, der ihr Denken bestimmt, erschöpft, und sie zerfallen zu Staub.« Die drei Männer und die junge Frau schwiegen. Ihre Gedanken beschäftigten sich mit dem, was gerade gesprochen worden war, und sie spürten schon jetzt das Grauen, das sie auf dem Plateau erwartete. Der Eisrover schoß mit gleichmäßiger Geschwindigkeit durch die verschneite Landschaft. Bunker’s Hope und das Arbeitercamp der
Alyeska lagen schon weit hinter ihnen. Nur die weißgemalten Nadelbäume und hin und wieder ein vereister Bach durchbrachen die Monotonie, die der Winter erzeugt hatte. Die fünf Rover folgten der Route, die die drei Prospektoren nach McClosens Unterlagen genommen hatten. Von Zeit zu Zeit tauchte der schlanke Körper eines einsamen Caribous auf, dessen geweihbesetzter Schädel an ein Rentier erinnerte. Kilometer um Kilometer legte der Konvoi zurück. Nach zwei Stunden ununterbrochenen Fahrens wechselten Logan und Sandra Vaughn die Plätze. Der im Licht der schwachen Sonne wie ein gigantischer Spiegel glänzende Schnee überanstrengte trotz der getönten Windschutzscheibe und der dunklen Brillen schnell die Augen. Die eintönige Szenerie tat ihr übriges, um das Fahren zu einer erschöpfenden Angelegenheit zu machen. Gegen Mittag legten die Männer eine Rast ein. Die mitgebrachten Vorräte wurden erwärmt und hungrig verschlungen, dann ging es weiter. Erst als der Abend anbrach, stoppte der Konvoi in der Nähe einer einsam im Schnee stehenden Baumgruppe. Die Rover wurden zu einem Kreis zusammengestellt und in der geschützten Mitte die Zelte aufgebaut. Klar und blinkend standen am Himmel die Sterne. Die Teilnehmer der Expedition legten sich schlafen. Das warme Bad weckte in Enver Chroschka die Lebensgeister. Pfeifend duschte er sich kalt ab und trat wieder in den Salon, wo der Professor inzwischen ein reichhaltiges Abendessen zubereitet hatte. Chroschka seufzte, als er gesättigt war, trank einen Schluck Wein und beobachtete, wie Heartley sich eine Zigarre ansteckte. »Ich hatte erst gesagt«, begann Chroschka, »daß ich das Ende von Bunker’s Hope befürchte, Bill. Diese Befürchtung ist nicht aus der Luft gegriffen. Meine Studien haben mich davon überzeugt. Diese geheimnisvollen Wesen, die Patrick Logan in Ermangelung eines besseren Begriffs Eisvampire getauft hat, haben ihre Spuren in den Sagen und Märchen der Völker hinterlassen – größtenteils zwar in verzerrter Form, aber sie sind da. Beispielsweise die Eisriesen der Edda, die uns Europäern und Nordamerikanern am vertrautesten sind. Am ursprünglichsten sind aber die Sagen der
Eskimos. In ihnen werden die Eisvampire Konin-itya-akki genannt, was so viel heißt wie: Kalte Leiber, die die Wärme hassen, oder, in anderer Form, Kaltes Gewürm, das Leben tötet. In der Eskimo-Sprache sind die Begriffe für Leben und Wärme nahezu identisch. Ich hatte schon früher von diesen Frostwesen gelesen und gehört, aber erst dein Brief ließ mich ernsthaft mit diesem Thema beschäftigen. Ich studierte uralte Bücher, Reiseberichte, Zeitungsartikel – kurz, alles, was sich irgendwie mit Alaska und diesen seltsamen Kreaturen beschäftigte. Dabei stieß ich auf zwei, drei interessante Dinge. Erstens: vor fünfundsiebzig Jahren – also drei Generationen – verschwand ein ganzer Eskimo-Stamm spurlos in der Nähe von Bunker’s Hope, nur achtzig Kilometer entfernt. Zu der Zeit war das Städtchen nur eine winzige, verlassene Goldgräbersiedlung, und es dauerte einige Jahre, bis die Nachricht von dem unerklärlichen Zwischenfall die Behörden erreichte. Nun, den in Alaska ansässigen Amerikanern galt ein Menschenleben nicht viel und schon gar nicht, wenn es sich um Eskimos handelte, also wurde eine Untersuchung nur halbherzig betrieben und verlief schließlich im Sande. Zumal die Untersuchung nur die phantastischen Berichte einiger verstörter Eskimos zutage brachte, die etwas von eisigen Ungeheuern und von Konin-itya-akki erzählten. Fünfundzwanzig Jahre später geschah wieder eine Katastrophe. Ein nordamerikanischer Erzkonzern hatte eine zwanzigköpfige Expedition ausgerüstet, die überprüfen sollte, ob die Goldminen von Bunker’s Hope vielleicht doch noch genug Reserven besaßen, daß sich eine Ausbeutung lohnte. Die zwanzig Männer und Frauen richteten sich in Bunker’s Hope – das noch immer verlassen war und zusehends zerfiel – häuslich ein und machten sich an die Arbeit. Kurz vor ihrer Abreise schickten sie dem Konzernrepräsentanten in Juneau ein Telegramm, in dem von unheimlichen Ereignissen die Rede war, aber nichts Genaues mitgeteilt wurde. Danach hat man nichts mehr von ihnen gehört. Wiederum fünfundzwanzig Jahre später – nach dem Zweiten Weltkrieg – strömten eine Menge Einwanderer und Glücksritter nach Alaska. Eine Anzahl von ihnen ließ sich in Bunker’s Hope nieder und baute die Stadt wieder auf. Die Goldsucherei wurde
von der Pelzjägerei verdrängt. Aber es war auch die Zeit des Kalten Krieges mit der Sowjetunion, und die amerikanische Armee stationierte Streitkräfte in Alaska, die die im Aufbau befindlichen Radar- und elektronischen Überwachungsstationen beschützen sollten. Ein Trupp GIs verbrachte seinen Urlaub in Bunker’s Hope. Es waren fünfzig Soldaten, die für drei Tage frei bekommen hatten – nicht genug, um nach Fairbanks oder Juneau zu fahren, aber zuviel, um im Militärlager zu bleiben. In Bunker’s Hope vernahmen sie auch die Geschichten, die die Eskimos sich vom Rumsfield-Plateau erzählten. Sie beschlossen, das Geheimnis zu erkunden. Niemand hat sie jemals wieder gesehen. Die offizielle Erklärung sprach von einem Schneesturm, aber niemand glaubte so recht daran. Und die Einheimischen wußten es ohnehin besser.« Enver Chroschka befeuchtete seine trocken gewordenen Lippen mit dem herben Weißwein. Seine Augen suchten die William Heartleys. »Und jetzt, Bill, sind wieder fünfundzwanzig Jahre verflossen und ein harter Winter steht bevor. Es besteht die Möglichkeit, daß Bunker’s Hope durch starke Schneefälle von der Außenwelt abgeschnitten wird. Was das bedeutet, brauche ich dir wohl nicht mehr zu erklären. Es ist wieder die Zeit der Eisvampire.« Professor Heartley starrte mit zusammengekniffenen Lippen die Standuhr an der Wand an. »Was sollen wir unternehmen?« fragte er. »Die Behörden, die Polizei oder die Armee alarmieren? Die Zeitungen anrufen?« Chroschka verneinte. »Das wäre vergeblich. Niemand würde die Geschichte glauben. Außerdem – die Alyeska könnte dies als Geschäftsschädigung auffassen und uns verklagen oder auf andere, gewaltsame Weise mundtot machen. Dringen diese Dinge an die Öffentlichkeit, werden nicht mehr viele bereit sein, für die Ölfirma in der Wildnis zu arbeiten. Der Konzern würde sehr viel Geld verlieren. Nein, Bill, Publizität würde uns und Bunker’s Hope eher schaden als nutzen. Ich hatte etwas anderes vor.« »Und was ist das?« »Wir beide – du und ich – werden morgen früh nach Bunker’s Hope aufbrechen, um die Leute zu warnen und um die Verteidigung der Stadt zu organisieren. Und vielleicht gelingt es uns auch, die Gefahr ein für allemal zu
beseitigen. Bist du einverstanden, Bill?« Heartley überlegte nur kurz, dann nickte er energisch. »In Ordnung, Enver. Ich will alles tun, was in meinen Kräften steht.« Chroschka entspannte sich. »Danke, Bill. Ich hatte auf eine positive Antwort gehofft.« Der Professor rieb sich die Augen. »Aber mit welchen Mitteln sollen wir gegen die Vampire vorgehen? Nur Feuer, Wärme kann sie vernichten, soweit ich das von Patrick weiß. Aber wir können nicht ganz Bunker’s Hope anzünden.« Enver Chroschka lächelte. »Keine Sorge, Bill. Ich habe mir über dieses Problem bereits Gedanken gemacht, und ich glaube auch eine Lösung gefunden zu haben. Ich dachte mir das so…« Ein Geräusch weckte Logan. Er fuhr auf. Was war das? Da wieder! Jemand schlich um das Lager herum. Logan runzelte die Stirn. Vielleicht ein Tier, ein Wolf, der die Menschen gerochen hatte und hoffte, auf Abfälle zu stoßen und seinen Hunger zu stillen. Aber es konnte auch etwas anderes sein… Mit hastigen Bewegungen zog Logan sich an, nahm die kräftige Taschenlampe und die Pistole. Bei einem Eisvampir würde sie ihm nicht viel nutzen, aber irgendwie fühlte er sich doch sicherer, wenn er sie bei sich hatte. Als letztes steckte er noch das große Feuerzeug ein. Leise, um Sandra nicht zu wecken, huschte er aus dem Zelt. Draußen war es bitterkalt, ein leichter Wind wehte und brachte den Geruch von Schnee mit sich. Die Sterne gaben nur spärliches Licht, aber Logan wollte die Lampe noch nicht anknipsen, um den Unbekannten nicht von dessen Entdeckung wissen zu lassen. Die Geräusche kamen von rechts, wo Quincy Kerbricks Rover parkte. Gebückt eilte Logan darauf zu und verwünschte den Schnee, der bei jedem Schritt wie ein zundertrockenes Holzbodenbrett knarrte. Der Unbekannte schien von kleinem Wuchs zu sein. Kurz konnte Logan den Blick auf einen halb mannsgroßen Schatten erhaschen. Er zog die Pistole und hielt die Taschenlampe bereit. Die dicke Plane, die zum Schutz gegen die Kälte über dem Ro-
ver ausgebreitet war, gab dem Fahrzeug das Aussehen eines gefrorenen Schneehaufens. Logan tastete sich lautlos bis zur Vorderfront und lugte um die Ecke. Der Unbekannte hockte kaum drei Meter von ihm entfernt auf dem Boden und machte sich an der Plane zu schaffen. Logan schaltete die Taschenlampe ein. Der grelle Lichtstrahl erhellte wie ein Blitz die Umgebung. Eine tierisch verzerrte Fratze blinzelte in den Scheinwerfer; dem narbigen Mund entfuhr ein heiseres Fauchen. Ein Zombie, durchzuckte es Logan. Ein Eskimo, den die Eisvampire in einen der ihren verwandelt hatten. Deutlich konnte er die Kristallhaut und die gläsernen Augen erkennen. Jetzt erst begriff er die Gefahr, in der er sich befand. Im gleichen Augenblick sprang ihn der Zombie an. Logan rollte sich zur Seite, und der gewaltige Schlag des dämonischen Wesens verfehlte ihn nur knapp, traf dafür aber die Lampe, die einen hohen Bogen beschrieb und ein Dutzend Meter weiter im Schnee landete. Der Zombie war voller Mordlust. Logans Gesichtsmaske war verrutscht, und für eine Sekunde konnte er nichts mehr sehen. Instinktiv riß er die Pistole hervor und gab einen Schuß ab. Der Knall würde das ganze Lager aufwecken. Wieder sprang der Zombie. Logan fühlte einen Stoß gegen die Schulter, und eine eisige Wolke schien seinen Oberarm zu lähmen. Vor Schmerz und Angst brüllte er auf, trat ziellos um sich, erwischte mit dem Stiefel den Zombie und schleuderte ihn zurück. Die Berührung des Ungeheuers machte seinen Fuß sofort gefühllos. Keuchend gelang es Logan, die Gesichtsmaske wieder gerade zu rücken. Durch die Augenschlitze sah er, wie die Kreatur angriffslustig um ihn herumschlich. In ihren Pupillen funkelte Haß. Logan erinnerte sich an sein damaliges Erlebnis vor Spencer Troups Haus. Mit zitternden Fingern ergriff er das in weiser Voraussicht mitgenommene Feuerzeug und drückte den Zündknopf. Die Stichflamme versengte das Fell seiner Pelzmütze. Der Zombie wich einige Schritte zurück. Er hatte Angst vor dem Feuer, das ihn zerschmelzen und töten würde. Inzwischen wurde das Lager lebendig. Aus den Zelten huschten die Männer, allen voran Kezikewa, Nogger und Kerbrick. Logan konnte deutlich ihre verwirrten Stimmen vernehmen.
Der Zombie tänzelte unruhig durch den Schnee und blickte sich mehrmals leise fauchend um. »Nogger! Quincy! Tomtom!« schrie Logan aus Leibeskräften. »Hierher! Ein Zombie! Schnell!« Mühsam rappelte er sich auf und drang auf den Zombie ein – das Feuerzeug wie eine Fackel in der Hand. Mit einem Satz wirbelte der Zombie herum und eilte mit grotesken Sprüngen in die Dunkelheit der arktischen Nacht. Die Erleichterung ließ Logan seine Erschöpfung und seine Schmerzen bewußt werden. Er sank kraftlos in sich zusammen. Im Hintergrund näherten sich Schritte. »Rick!« Das war Noggers Stimme. Er beugte sich zu ihm hinab und schüttelte ihn. »Was ist mit dir? Was ist passiert?« »Ein Zombie«, flüsterte der Polizeichef. »Er hat mich an der rechten Schulter und am rechten Fuß erwischt. Es – es schmerzt höllisch.« Nogger und Kerbrick griffen ihm unter die Achseln und schleiften ihn zu seinem Zelt. Sandy Vaughn starrte ihn aus müden und erschreckten Augen an, und Nogger klärte sie mit knappen Worten über das Geschehene auf. Im Zelt wurde Logan vorsichtig entkleidet. Nogger stülpte die Lippen nach vorn und machte ein besorgtes Gesicht. »Das sieht böse aus, Rick. Aber du hast Glück im Unglück gehabt. Deine dicke Kleidung muß den größten Teil der Kältewelle aufgefangen haben, die Haut hat nur einen Bruchteil der Kraft abbekommen. Wäre es anders, würdest du jetzt ebenfalls als wandelnde Frostbeule durch die Gegend hüpfen.« Logan verzog die Lippen zu einem gequälten Grinsen. »Dein Trost ist Gold wert, Nogger.« Er versuchte sich aufzurichten und stöhnte. »Bleib liegen, verdammt!« fuhr ihn das Mädchen zornig an. »Zuerst den Helden spielen wollen und jetzt keine Rücksicht auf die Verletzungen nehmen, wie? Du bleibst schön da, wo du bist.« »Ist ja schon gut«, murmelte Logan beschwichtigend. Vor seinen Augen erschienen rote Punkte. Nogger reinigte mit einer antiseptischen Flüssigkeit die blasig gefrorene Haut an der Schulter, die auf einer Fläche von der Größe eines Kinderkopfes in allen Farben schillerte. Danach trug er eine durchdringend riechende Salbe auf und legte einen festen Verband an. Die Prozedur wiederholte er bei dem Fuß und stopfte
dann Logan einige Tabletten in den Mund. Widerstrebend schluckte sie der Verletzte. »Ich möchte gern wissen«, meldete sich Quincy Kerbrick mit seinem tiefen Baß, »was der Zombie an dem Rover zu suchen hatte. Sabotage?« »Kezikewa, können diese Monstren noch normal denken?« Nogger musterte fragend den Eskimo. »Ich weiß es nicht genau. Ein Funke der ursprünglichen Intelligenz ist zweifelsohne noch vorhanden, aber er wird wohl durch die Gier nach warmem Leben überschattet. Nein, ich glaube nicht, daß diese Kreatur unsere Fahrzeuge beschädigen wollte. Wahrscheinlicher ist, daß sie den Auftrag hatte, uns zu beobachten.« Logan runzelte die Stirn. »Aber wir sind doch noch rund fünfzig Kilometer vom Rand des Plateaus entfernt. Seit dem Vorfall mit Troup hat sich keines dieser Wesen so weit vom Hochland entfernt.« Kerbrick kratzte sich am Ohr. »Hoffentlich ist das kein schlechtes Omen, Freunde. Ich kann mir nicht helfen, aber ich habe ein verdammt mulmiges Gefühl.« Die Blicke, die ihm zugeworfen wurden, zeigten dem Bürgermeister, daß er mit seinen Befürchtungen nicht allein stand. Am nächsten Tag war zum erstenmal der Blick auf das RumsfieldPlateau nicht von den Schwaden des dort tobenden Schneesturmes versperrt. Patrick Logan seufzte. »Ich hatte schon gedacht, dieser Sturm hört niemals auf.« Das Lager war bereits abgebaut, und die Männer verstauten soeben die letzten Gegenstände in den Gepäckräumen ihrer Fahrzeuge. »Wie geht es dir?« erkundigte sich Sandy besorgt. Logan machte eine abfällige Geste. »Nogger versteht sein Geschäft. Bis auf ein paar Stiche, wenn ich mich abrupt bewege oder mit dem Bein zu fest auftrete, habe ich keine Schmerzen.« Er humpelte mit der provisorischen Krücke aus der Haltestange eines Reservezeltes bis zu seinem Eisrover und stieg ein. Schließlich waren auch die übrigen Fahrzeuge aufbruchbereit, und der Konvoi fuhr los. Gegen Mittag erreichten sie den Rand des Hochlandes. Nun ging es langsamer voran. Die Motoren der Rover heulten auf, als sie
die Steigungen und Hügel überwanden und die Ketten den frischgefallenen lockeren Schnee und gefrorene Brocken zur Seite schleuderten. Trotzdem kamen sie relativ gut weiter, was nicht zum geringen Teil an Noggers beinahe hellseherischen Fahrqualitäten lag, der den günstigsten Weg zu ahnen schien und so den dem Führungsfahrzeug folgenden Rovern die Strecke ebnete. Endlich – das Plateau. Logan blickte konzentriert durch die Windschutzscheibe. Eine wie weißlackierte Ebene, nahezu völlig glatt und nur an einigen wenigen Stellen von niedrigen Erhebungen durchbrochen, bot sich ihm dar. Soweit das Auge reichte eine glitzernde, eisige Fläche. Der Schneesturm mußte sämtliche Schneeverwehungen fortgeblasen und nur dieses spiegelnde, faltenlose Leichentuch zurückgelassen haben. »Und nun?« fragte Nogger, die Pfeife halb vergessen im Mundwinkel, die Hände fest und mit blutleeren Knöcheln um das Steuer gekrallt. Logan studierte die Unterlagen. »Dreißig Grad nordwestlich«, sagte er. »Dann müßten wir nach etwa sechzig Kilometern diese Steinformation erreichen, die das Vermessungsflugzeug fotografiert hat. Und sie war auch das Ziel der drei Prospektoren.« Nogger nickte grimmig. »Okay, Rick. Jetzt wird es ernst.« Der Rover schoß vorwärts. Hier auf dem Hochland konnte das schwergewichtige Fahrzeug eine durchschnittliche Geschwindigkeit von über achtzig Stundenkilometern erlangen. Minute um Minute kroch dahin. Die Spannung wuchs. Würden sie die drei Männer noch lebend antreffen? Die Tabletten hatten das Fieber während der Nacht besiegt. Rubett fühlte sich zwar noch schwach und kränklich, aber nach einer warmen Mahlzeit breitete sich eine angenehme Müdigkeit in ihm aus. Plötzlich stutzte er. Zuerst wußte Rubett nicht, was ihn irritierte, doch dann bemerkte er bewußt die Stille um ihn herum. Nur das Heizgerät brummte monoton vor sich hin. Der Sturm – er war vorbei. Der Schneesturm war abgeflaut. Das Herz klopfte ihm vor Freude bis zum Hals. Die Erleichterung mischte sich jedoch mit nagendem Zweifel. Und die Vampire? Schlichen sie noch immer um das Zelt, gierten sie noch immer
nach der Hitze seines Körpers? Er horchte, vernahm aber keinen Laut. Entschlossen gab sich der Prospektor einen Ruck. Er mußte hinaus, mußte das Risiko wagen. Sorgsam kleidete er sich an und bewaffnete sich mit dem Feuerzeug. Prüfend schaltete er es ein. Nur noch die halbe Ladung. Er zuckte mit den Schultern. Entweder gelang ihm jetzt die Flucht, oder er war ohnehin verloren. Die Kraft des Heizgerätes ließ allmählich nach. Rubett öffnete langsam die Tür. Die letzten Ausläufer des Sturmes hatten die enge Schleuse zwischen Innen- und Außenpforte halb mit Schnee gefüllt, und er räumte ihn so gut es ging fort. Dann schob er sich vorsichtig nach draußen. Auf den ersten Blick schien seine Umgebung menschenleer. Im Hintergrund erkannte er die verschneite Felsformation, rechts war der schneebedeckte Koloß des Eisrovers. Auch das Zelt war von der weißen Masse lückenlos überzogen. Vorsichtshalber entzündete Rubett das Feuerzeug und richtete sich auf. Tatsächlich, die Vampire waren verschwunden. Rubett umrundete das Zelt, sah hinter den Rover, blickte sogar unter die Plane. Alles leer, verlassen. Und wie klebriger Puderzucker überall der hüfthohe Pulverschnee. Ein befreiendes Lachen entrang sich der Kehle des Prospektors. Er stand da, halb im Schnee eingesunken, breitete die Arme aus, lachte und lachte, bis sein geschwächter Körper von einem trockenen Schluchzen geschüttelt wurde. Als er an Szargosh und Drunkley dachte, deren vereiste Körper nun ein dämonischer Geist beseelte, befiel ihn tiefe Traurigkeit, aber die grenzenlose, unsagbare Freude über seine Rettung, das Gefühl, zu leben und bald in Sicherheit zu sein, verdrängte die Niedergeschlagenheit wieder. Rubett begutachtete den Stand der Sonne. Später Vormittag. Er würde hart und schnell arbeiten müssen, um vor Einbruch der Nacht diesen gefährlichen Platz verlassen zu können. Der Prospektor bezweifelte nicht, daß die Eisvampire während der Nacht wieder aktiv werden würden. Er stapfte zu dem Eisrover, zerrte die schwere Plane hinunter und wischte über die mit Eisblumen bedeckten Scheiben. Das
Schloß klemmte und ließ sich erst öffnen, als er es minutenlang mit der Flamme des Feuerzeugs erwärmt hatte. In der kalten Kabine angelangt, schaltete er zuerst die Motor- und Wagenheizungen ein. Dann begab er sich zurück zum Zelt, holte das Heizgerät heraus und stellte es unter die Motorhaube, die er mit einer neuen Plane bedeckte. Wenn er sehr viel Glück hatte, würde der Rover kurz vor dem Abend fahrbereit sein. Wenn nicht… Rubett zog es vor, nicht allzu intensiv über diese Möglichkeit nachzudenken. Er zuckte zusammen. Seine Ohren hatten ein tiefes Summen aufgefangen. Sofort packte ihn wieder die Angst, fuhr glühend in seine Eingeweide, brachte ihn zum Zittern. Das Summen wurde lauter, kam näher. Rubett runzelte die Stirn und beruhigte sich. Nein, das waren auf keinen Fall die Vampire, das mußten… Ja, Fahrzeuge, Menschen! Und dann erschien am Horizont ein dunkler Punkt, gefolgt von einem zweiten, einem dritten. Vier, fünf Rover. Eine Suchexpedition. Er war gerettet, endgültig dem Grauen entronnen! Rubett sprang und winkte, brüllte sich die Kehle heiser, tanzte einen irrsinnigen Tanz, wedelte mit den Armen, schrie, lachte, lief auf die größer und größer werdenden Fahrzeuge zu. Endlich hatten sie ihn erreicht. Aus dem vordersten Rover stiegen drei Männer und eine junge Frau aus. »Martin Rubett!« stieß einer von ihnen hervor. Rubett glaubte seinen Augen nicht zu trauen. »Nogger! Ich werd’ verrückt!« Er umarmte ihn, klopfte ihm vor Begeisterung auf die Schulter, schüttelte die Hände der anderen wie einen Pumpenschwengel auf und nieder. Bald war er von einer großen Gruppe lachender und schwatzender Männer umringt, die ihn mit unzähligen Fragen bestürmten. »Einen Moment, Leute!« wehrte Logan ab. »Laßt ihn sich erst einmal beruhigen.« Er räusperte sich. »Mister Rubett, Sie sind allein?« Der Prospektor senkte den Kopf. Mit erstickter Stimme erklärte er: »Ephraim Szargosh und Steve Drunkley haben die Eisvampire erwischt. Sie – sie sind zu Ungeheuern geworden. Kalt und tot
und ohne Gefühle.« Nogger hustete. »Du mußt uns alles erzählen, Mart. Vielleicht ist es wichtig für uns und die Menschen in Bunker’s Hope.« »Bauen wir das große Zelt auf«, schlug Kerbrick vor. »Ich denke, alle sind hier sehr interessiert zu erfahren, was geschehen ist.« »In Ordnung«, stimmte Rubett zu. »Aber wir haben nicht sehr viel Zeit. Bevor die Nacht beginnt, müssen wir das Plateau verlassen haben, oder…« Logan nickte ernst. »An die Arbeit!« Mit vereinten Kräften stand das große, mehr als sechs Meter durchmessende Zelt in knapp einer Viertelstunde. Die Männer und die Frau begaben sich hinein. Zigaretten wurden entzündet und mehrere Flaschen aufgemacht. Rubett berichtete… »Die Gefahr, die uns durch die Eisvampire droht, scheint größer zu sein, als wir bisher vermutet haben«, zog Logan zum Abschluß ein Resümee. »Wie wir bereits wissen, scheuen sie auch nicht davor zurück, das Hochland zu verlassen und in die Stadt einzudringen. Und uns steht ein harter Winter erst bevor. Der Zombie, der unsere Expedition beobachtet hat, könnte ohne weiteres ursprünglich Bunker’s Hope zum Ziel gehabt haben. Wir müssen so schnell wie möglich umkehren und Vorbereitungen treffen, sollten uns diese Kreaturen tatsächlich angreifen.« Er sah sich prüfend um. »Hat jemand einen anderen Vorschlag?« Einer der Männer, ein Fallensteller mit dem Namen Dennis Orkney und ein guter Freund des verschollenen Szargosh, hob die Hand. »Warum bleiben wir nicht hier, suchen das Versteck der Bestien und räuchern es aus? Feuer vernichtet sie, wie wir ja wissen. Und wir führen genug Sprit mit uns, um ihre unterirdischen Höhlen in ein Flammenmeer zu verwandeln.« Kerbrick wiegte zweifelnd den Kopf. »Irgendwann müssen wir das erledigen, aber wir sind noch zu wenige und kennen die Vampire nicht gut genug. Und in der Nacht sind wir hilflos, wenn sie uns überfallen. Wir können schließlich nicht mit Kanistern nach ihnen werfen. Nein, das Risiko ist zu groß. Ich schlage vor, wir halten uns an Patricks Plan und kehren später besser ausgerüstet und mit mehr Männern zurück. Einverstan-
den?« Die Männer, auch Orkney, nickten. Das Zelt wurde abgebaut, die Rover wurden zum Aufbruch vorbereitet. Rubetts Fahrzeug ließ man zurück. Sie hatten nicht genug Zeit, um es fahrtüchtig zu machen. Der Konvoi verließ die Stätte des Grauens. Logan sah zum Himmel hinauf. Die Sonne sank schnell, viel zu schnell für seinen Geschmack. Das Rumsfield-Plateau lag erst fünfzig Kilometer hinter ihnen, und hier, im Tiefland, konnten die Rover nur langsam fahren und mußten vorsichtig manövrieren, um den Hindernissen und dem holprigen Boden auszuweichen. Rubett bemerkte Logans Blick und vollzog ihn nach. Seine Miene verdüsterte sich. »Verdammt, wir sind viel zu langsam!« Nogger zog an seiner Pfeife. »Immer mit der Ruhe.« Er versuchte Gelassenheit zu demonstrieren. »Noch ist es nicht dunkel, und so ein Rover ist bestimmt schneller als diese Schneemänner.« »Wenn du das erlebt hättest, was ich durchgemacht habe, würdest du nicht so ungerührt reagieren«, entgegnete Rubett ärgerlich. Nogger schaute ihn belustigt an. »Habe ich mir es doch gedacht. Nun wird dieser Ölsucher bis zum Ende seines erbärmlichen Lebens mich mit seiner Geschichte terrorisieren.« Die ohrenbetäubenden Geräusche des Motors und des Fahrwerks beendeten den aufkeimenden Disput. Allmählich brach die Dämmerung herein. Logan, der neben Nogger und Rubett auf der hinteren Bank saß, aktivierte das Funksprechgerät und führte das Mikrophon zum Mund. »Wagen eins an alle. Wagen eins an alle. Ich schlage vor, daß wir die Nacht durch fahren. Es wäre zu gefährlich, Rast zu machen. Möglicherweise folgen die Vampire unserer Spur. Wagen eins übernimmt weiterhin die Führung. Die übrigen Wagen folgen im Abstand von jeweils zehn Metern. Einwände? Erbitte Bestätigung. Ende!« Viermal drang eine zustimmende Meldung aus dem Lautsprecher. »Ihr habt es gehört«, sagte Logan. »Von jetzt an wird alle Stunde der Fahrer ausgetauscht. Wenn jemand übermüdet ist, sagt er es, klar? Wir können uns einen Unfall nicht leisten.«
Es wurde immer dunkler, und Logan gab Befehl, die Scheinwerfer einzuschalten. Kräftige, breitgefächerte Lichtfinger krochen über die Schneelandschaft. Die Geschwindigkeit des Konvois verlangsamte sich auf vierzig Stundenkilometer, und trotzdem erschütterte ein ums andere Mal ein schwerer Stoß das Gefährt, wenn die Ketten gegen einen vorstehenden Stein oder gegen einen unsichtbaren Baumstamm prallten. Die Nacht war schwarz und wolkenverhangen. Gleichmäßig brummten die Motoren. Im Funkgerät knackte es. »Wagen fünf an Wagen eins bis vier. Ich glaube, wir werden verfolgt!« Der Sprecher schluckte. »Ab und zu taucht im Licht der Rückstrahler ein Schatten auf. Vielleicht täuschen uns unsere Nerven, aber…« Der unvollendete Satz drückte mehr von der Angst des Sprechers aus, als sämtliche Worte. »Beobachten Sie weiter«, antwortete Logan. »Wenn Sie schlüssig wissen, daß wir verfolgt werden, melden Sie sich wieder.« »Gut. Hoffentlich spielen uns die Nerven einen Streich.« Logan schwieg. Er sah zu Nogger, zu Rubett, der klein und furchtsam auf dem Sitz hockte, zu Sandra hinter dem Steuer und zu Tomtom Kezikewa, dessen indianische Ruhe offenbar durch nichts zu erschüttern war. »Wagen eins, bitte melden… Wagen eins! Meldet euch, verdammt noch mal!« »Ja, hier Logan!« »Hier Wagen fünf! Logan, hinter uns ist eine ganze Horde Vampire. Mindestens fünfzig, wahrscheinlich noch mehr. Man kann es nicht genau einschätzen. Das Licht ist zu ungewiß, und sie wirken wie eine graue, unregelmäßige Mauer.« »Wie weit sind sie noch von euch entfernt?« »Nicht viel, höchstens vierzig Meter. Was sollen wir machen?« »Rücken Sie näher an Wagen vier heran. Wir werden versuchen, unser Tempo zu steigern.« »Eine verflucht riskante Sache bei dieser Finsternis. Wäre es nicht besser, den Biestern eins auf’s Fell zu brennen?« Unwillkürlich schüttelte Logan den Kopf. »Nein, das wäre Verschwendung. Gegen Kugeln sind sie immun. Nur Feuer kann sie vernichten. Und sie fürchten sich auch vor
der Wärme.« »Dann kann uns ja nichts passieren, solange die Heizung läuft.« Der Sprecher atmete auf. »Oder?« »Ich glaube nicht«, entgegnete Logan. »In den Rovern sind wir relativ sicher. Also, Sie rücken jetzt näher ’ran, und wenn sich die Situation verändert, geben Sie Bescheid. Ende!« »Ende!« »Mist!« preßte Nogger zwischen den Zähnen hervor. »Diese vermaledeite Kälte scheint die ganze Brut aus ihren Löchern zu locken. Und wie führen sie direkt nach Bunker’s Hope!« Logan kniff die Lippen zusammen. »Wir haben keine andere Wahl.« Er sah nach hinten. Wagen 2 kam allmählich näher, und hinter dem Rover wurden auch die Lichter der restlichen drei Fahrzeuge größer. »Logan!« gellte es aus dem Lautsprecher. Der Polizeichef fuhr zusammen. »Was ist?« »Sie – sie haben unseren Rover erreicht, Logan! Sie sind überall um uns herum, hören Sie! Überall! Und… Sie schweben über dem Boden! Sie laufen nicht, Logan… Diese Ungeheuer laufen nicht, sie fliegen wie die Vögel, und sie sind schneller als wir! Diese Fratzen… Mein Gott! Oh, mein Gott! Das kann doch nicht sein! Ich… Sie schlagen gegen die Fenster! Hören Sie das Poltern? Hören Sie das? Sie hämmern mit ihren gläsernen Fäusten gegen die Windschutzscheiben, und wo ihre Finger das Glas berühren, wird es matt und undurchsichtig wie Milchglas. Ich habe Angst! Warum hilft uns denn niemand? Da… Ich… Ich werde wahnsinnig! Kann ich meinen Augen noch trauen? Habe ich das wirklich gesehen? Es war Drunkley, Steve Drunkley, ich kenne ihn, habe mit ihm gewürfelt und manche Nacht durchzecht. Aber jetzt schwebt er dort draußen, und sein Gesicht ist die Grimasse eines Teufels… Er schlägt nach mir, das Glas… Die halbe Vorderfront ist schon undurchsichtig und macht das Lenken fast unmöglich. Ein Schlag erschüttert unseren Rover… Ja, diese Bestien haben sich gegen die rechte Seite geworfen… Sie – sie wollen uns umkippen, damit der Rover wie ein hilfloser Käfer auf dem Rücken liegt. Ich habe solche Angst. Meine Hände zittern, Schweiß läuft mir
brennend in die Augen… Logan, warum kommen Sie uns nicht zu Hilfe? Warum nicht, Logan? Sind wir es nicht wert, daß Sie Ihr Leben für uns einsetzen… Ah, was ist das? Der Motor stockt! Er setzt aus… Springt wieder an und setzt wieder aus! Die Kälte, die die Vampire ausstrahlen… Ja, jetzt sehe ich es. Einige von ihnen haben sich auf der Kühlerhaube niedergelassen… Herr im Himmel, hilf uns! Hilf uns! Nun ist die Windschutzscheibe völlig undurchsichtig. Wir fahren blind. Wenn das gut…« Stille. Nur noch das Rauschen der atmosphärischen Störungen klang aus dem Lautsprecher. Logan schloß die Augen und zwang gewaltsam den Zorn und den Rachedurst nieder. Er durfte jetzt nicht impulsiv und ohne Überlegung reagieren. Den armen Teufeln war nicht mehr zu helfen. »Wagen vier an alle! Wagen fünf ist umgestürzt und liegt auf der Seite. Eine ganze Traube dunkler Körper bedeckt nahezu vollständig den Rover. Jetzt… Jetzt erlöschen die Scheinwerfer.« Der Mann schwieg einen Augenblick und fuhr dann leise fort: »Gott sei ihren Seelen gnädig!« Sandy Vaughn und Rubett schluchzten. Nogger blickte starr geradeaus. Tomtom Kezikewa hielt das Lenkrad umklammert, als sei es der einzige Halt für ihn auf der Welt. Mit unsicheren Bewegungen zündete Logan eine Zigarette an, rauchte hastig und ohne Konzentration. Sein Geist war wie betäubt. Besaß nicht er die Verantwortung für den Tod dieser vier Männer? Und – was sollte er ihren Frauen, ihren Kindern sagen, wenn er unversehrt nach Bunker’s Hope kam und sie nicht? Der Kloß in seiner Kehle hinderte ihn beim Sprechen, und erst, als er mehrmals geschluckt hatte, ließ der Druck ein wenig nach. »Logan an alle. Was passiert ist, tut uns allen leid. Aber wir konnten ihnen nicht helfen. Hätten wir gestoppt, wäre uns das gleiche Schicksal sicher gewesen. So bleibt uns nur eins: so schnell wie nur eben möglich nach Bunker’s Hope zu fahren, die Bevölkerung zu warnen und eine Verteidigung zu organisieren. Und ich verspreche euch eines: Der Tod dieser Männer wird
nicht ungerächt bleiben. Sobald die Möglichkeit besteht, mit genügend Waffen und Leuten zum Rumsfield-Plateau zurückzukehren, werde ich aufbrechen und diese Teufel ausräuchern. Und wer ebenso fühlt wie ich, begleitet mich dabei!« Und dann, als er das Funkgerät abgeschaltet hatte, und das Mikrophon wieder in der Halterung hing, da preßte Patrick Logan die Hände vor die Augen und fühlte die bitteren Tränen durch seine Finger laufen. Der Rest der Nacht verlief relativ ereignislos. Die Eisvampire schienen genug mit dem erbeuteten Rover zu tun zu haben und hatten die Verfolgung bis auf eine Handvoll Kundschafter eingestellt. Die Fahrzeuge polterten mit der größtmöglichen Geschwindigkeit durch das dunkle Land, von Beulen und Lackabschürfungen übersät, die Schneeketten ausgeleiert und im Innern insgesamt siebzehn entkräftete, nervöse und angstgepeitschte Menschen. Als die Sonne hinter dem Horizont hervorstieg, hielten die Rover für eine kurze Stunde an, und die Expeditionsteilnehmer vertraten sich die schmerzenden Beine, aßen heißhungrig eine karge Mahlzeit und legten sich etwas schlafen. Aber eine lange Verschnaufpause war ihnen nicht vergönnt. Logan trieb sie unbarmherzig an. An diesem Tag mußten sie die schützenden Häuser von Bunker’s Hope erreichen. Nicht noch einmal wollte er solche Schuld wie den Tod der vier hilflosen Männer in dem Überfallenen Eisrover auf sich laden. Wenn sie überhaupt tot waren… Dem Polizeichef schauderte. Die Vorstellung, in naher Zukunft unter Umständen gegen ehemals gute Freunde und Bekannte kämpfen zu müssen, deren Seelen durch das Böse pervertiert worden waren, trieb ihm den Angstschweiß auf die Stirn. Unwirsch schüttelte er die beklemmenden Visionen ab und gab das Signal zum Aufbruch. Die Fahrzeugkolonne brummte über den vereisten Boden. Von den Vampiren und ihren Zombies war nichts zu sehen. Offenbar scheuten sie das Sonnenlicht und wagten sich des Tags nur an die Erdoberfläche, wenn heftige Schneestürme für eine ungewisse Dämmerung sorgten. Endlich kamen sie in vertrautere Gegenden, und dann erhoben sich auch die ersten Häuser von Bunker’s Hope in der erstarrten
Schneelandschaft. »Wir haben es geschafft«, sagte Logan leise. Seine Begleiter nickten wortlos. In ihren bleichen Gesichtern war die Erschöpfung und das erlebte Grauen wie mit greller Leuchtfarbe aufgetragen. Nogger brach das Schweigen. »Ich befürchte, Freunde, der gefährlichste und anstrengendste Teil unserer Begegnung mit den Dämonen der Kälte steht uns noch bevor.« Niemand widersprach. Die Bewohner von Bunker’s Hope steckten neugierig die Köpfe aus den Fenstern oder liefen auf die Straße, als der Konvoi auf die Polizeistation zurollte und dort hielt. Quincy Kerbrick und einige andere Männer, aber auch Sandy Vaughn, hatten sich freiwillig erboten, den Angehörigen der Opfer die Botschaft von dem tragischen Unglücksfall zu überbringen. Logan war ihnen dankbar dafür. Eine seltsame Schwäche hatte Besitz von ihm ergriffen, und er befürchtete schon, daß dies an den Verletzungen lag, die er bei dem Kampf mit dem Zombie davongetragen hatte. Mit müden Schritten betrat er zusammen mit Martin Rubett sein Büro. »Guten Tag, Mister Logan!« begrüßte ihn Arthur T. McClosen mit unnatürlicher Freundlichkeit. Der Direktor der Alyeska hatte sich auf Logans Platz hinter dem Schreibtisch niedergelassen und die feisten Schenkel auf die leergeräumte Fläche gelegt. Er grinste. »Aha. Sie haben also Mister Rubett mitgebracht. Lange genug hat’s ja gedauert.« Er zog die Stirn in Falten und bemerkte drohend zu dem Prospektor: »Glauben Sie ja nicht, Rubett, daß ich Ihnen die überschrittene Zeit bezahle. Für das Unternehmen waren drei Tage angesetzt, und wenn Sie in Ihrem Dilettantismus nicht in der Lage sind, die Frist einzuhalten, so ist dies einzig und allein Ihre private Angelegenheit, damit wir uns da richtig verstehen und keine Mißverständnisse auftreten.« McClosen sog genüßlich an seiner Zigarre. Aus den Augenwinkeln bemerkte Logan, wie auf Rubetts Stirn eine Ader zu pulsieren anfing. Auch in ihm breitete sich eine kalte Wut über die Arroganz und die Unverschämtheit des Alyeska-Repräsenten aus. »Sie sollten sich genau überlegen, was Sie sagen!« forderte Logan den Dicken auf.
McClosen musterte ihn herablassend und meinte spöttisch: »Sie fühlen sich wohl als Held, wie, Sie – Sie großer Vampirjäger!« Er kicherte. »Na, wieviel Vampire und Erdgeister sind Ihnen denn über den Weg gelaufen? Oder lag’s doch nur an der Kälte? Sie wissen doch, der menschliche Geist neigt in trostloser Umgebung zu Halluzinationen.« Logan begriff, daß McClosen nach wie vor nicht an die Existenz der Eisvampire glaubte und sich sogar über die Wissenden lustig machte. Nur mühevoll unterdrückte er ein Zähneknirschen. Der Direktor würde noch zur Einsicht kommen – es fragte sich nur, ob er dann noch Zeit besaß, seinen Irrtum zu korrigieren. Unvermittelt schnellte Rubett auf den Dicken zu und riß ihn mit beinahe spielerischer Leichtigkeit von dem Stuhl hoch. Die Zigarre fiel zu Boden. »Lassen Sie mich sofort los, Sie Wahnsinniger!« keifte McClosen. »Oder ich lasse Sie ins Gefängnis werfen! Logan, tun Sie doch etwas! Es ist Ihre Pflicht, für Gesetz und Ordnung…« Logan verschränkte die Arme. Ein sarkastisches Lächeln umspielte seine Mundwinkel. »Wenn ich das tue, McClosen, dann muß ich Sie leider wegen Hausfriedensbruch einsperren. Oder hatten Sie etwa meine Erlaubnis, in mein Haus einzudringen? Und, wer weiß, vielleicht ist auch etwas gestohlen worden. Dann könnte die Anklage auf versuchten Diebstahl lauten…« Der Direktor quiekte, als Rubett ihm rechts und links ein paar schallende Ohrfeigen versetzte. Dann flog er krachend gegen den Schrank. Der Prospektor beugte sich zu ihm hinab. »Ich möchte dir ein paar Worte zum Abschied sagen, du kleiner mieser Leuteschinder! Steve Drunkley und Ephraim Szargosh sind dort draußen auf dem Plateau geblieben, aber nicht freiwillig und nicht, weil sie der Schneesturm behinderte. Die Eisvampire, über die du so voller Dummheit lachst, Fettwanst, existieren wirklich, und ihnen gilt ein Menschenleben genauso wenig wie dir. Und wenn du nicht bald deinen wabbelnden Arsch in Bewegung setzt und so schnell es dir deine krummen Beine erlauben nach Fairbanks fliehst, dann wirst du genauso enden wie meine beiden Freunde, nach deren Schicksal du dich noch niemals erkundigt hast.« Rubett holte tief Atem und deutete auf Logan, der ihm wortlos zugesehen hatte.
»Dieser Mann dort, Patrick Logan, hat mir mit seinem Mut und seiner Tapferkeit das Leben gerettet, ist dabei selbst fast draufgegangen, und ich betrachte ihn seitdem als meinen besten Freund. Niemals werde ich dulden, daß so ein aufgeblasenes mickriges Nichts wie du, McClosen, meine Freunde verhöhnt und beleidigt. Und nun scher dich zum Teufel!« Er gab dem sprachlos und mit offenem Mund dahockenden Direktor einen Tritt in den Hintern, daß er wie ein Sandsack auf die Nase fiel, und warf ihn dann aus dem Haus. Fluchend und wüste Drohungen ausstoßend trollte sich der Dicke. Logan und Rubett ignorierten das Gekeife. »Tut mir leid«, murmelte der Prospektor. »Vielleicht hätte ich ihn nicht so behandeln sollen. Er ist alt und fett und dumm, und seine Position und sein Geld haben aus ihm gemacht, was er jetzt ist, aber als ich ihn in einem derartigen Ton reden hörte, konnte ich mich nicht mehr beherrschen.« »Schon gut, Mart«, beruhigte ihn Logan. »Hättest du dich beherrscht, wäre ich derjenige gewesen, der ihm den Tritt gegeben hat. Wir wollen nicht mehr davon sprechen. Zuerst werde ich uns eine Kanne Kaffee machen. Diese Nacht werden die Vampire wohl kaum angreifen, und vielleicht finden wir etwas Zeit, uns auszuruhen.« Es klopfte an der Tür. Logan lächelte resignierend. »Mit der Ruhe wird es wohl nichts werden. Ja, bitte!« Die Tür öffnete sich, und herein traten zwei ältere Männer, deren saubere und faltenlose Winterkleidung davon zeugte, daß sie irgendwo in Fairbanks oder Juneau gekauft worden war. Logan kniff die Augen zusammen, dann glitt ein Blitz des Erkennens über sein Gesicht. »Bill Heartley!« rief er aus und eilte dem rechten, etwas gebeugt dastehenden Besucher entgegen. »Professor, was hat Sie denn hierher verschlagen?« Die beiden Männer tauschten einen kräftigen Händedruck. Heartley deutete auf seinen Begleiter. »Patrick, ich glaube, Enver Chroschka kennen Sie bereits, obwohl es schon lange her ist, seit Sie ihm zum letztenmal begegnet sind!« Logan begrüßte Chroschka ebenfalls und stellte Rubett vor. Anschließend holte er aus der an das Büro angrenzenden Küche
zwei Stühle, eine Flasche uralten Whisky und vier Gläser. Die Männer setzten sich. »Wie lange sind Sie bereits in Bunker’s Hope, Professor?« Heartley sah Logan ernst an. »Lange genug, um zu erfahren, was in den letzten Tagen vorgefallen ist. Nachdem ich Ihren Brief erhalten hatte, setzte ich mich sofort mit Enver in Verbindung. Seine Nachforschungen haben schlüssig ergeben, Patrick, daß Ihre Andeutungen über jene geheimnisvollen Eisvampire der Wahrheit entsprechen. Und – ich befürchte, daß die Menschen hier einer furchtbaren Gefahr ausgesetzt sind.« Logan berichtete Heartley und Chroschka ausführlich über die Vorfälle auf dem Rumsfield-Plateau. Chroschka wurde blaß. »Und Sie sagen, Sie sind verfolgt worden?« fragte er erregt. »Mindestens fünfzig Vampire und Zombies«, bekräftigte Rubett und trank einen großen Schluck. »Aber wahrscheinlich ist das noch untertrieben. Die Nacht täuschte.« Chroschka erhob sich und ging unruhig auf und ab. »Wir haben noch weniger Zeit, als ich gedacht hatte«, sagte er mehr zu sich selbst und informierte Logan und Rubett über die Ergebnisse seiner Forschungen. »Ich weiß nicht«, schloß er, »wieso diese Wesen nur jedes Vierteljahrhundert eine Attacke gegen die Menschen führen. Unter Umständen liegt diesem Verhalten eine Art Instinkt wie dem der Lemminge oder Zugvögel zugrunde – zumal wir nicht das Ausmaß ihres Denkvermögens kennen. Aber wie dem auch sei, die Attacke der Eisvampire steht unmittelbar bevor. Möglicherweise findet sie schon diese Nacht statt.« Logan und Rubett blickten verstört drein. »So früh?« fragte der Polizeichef. »Wir hatten sie erst in ein paar Tagen erwartet.« Chroschka verneinte entschieden. »Die Expedition muß ihre Gier nach der Wärme lebender Menschen angestachelt haben. Die Verfolgungsjagd und die Erbeutung des Eisrovers sind unbezweifelbare Indizien dafür. Wir müssen den Tatsachen ins Auge sehen. Heute nacht ist es soweit.« Rubett erhob sich und sagte schwerfällig: »Rick, ich gehe nach draußen und informiere die Leute. Das Beste ist, wir halten in einer Stunde eine Versammlung in der Kirche ab, um unsere Verteidigungsmaßnahmen zu organisieren. Einverstanden?« »Ja, natürlich. Und schicke ein paar Männer ins Camp der
Alyeska. Die Arbeiter in ihren provisorischen Unterkünften sind noch mehr gefährdet als wir.« Rubett grinste humorlos. »McClosen wird sich freuen. Meinst du, er glaubt ein Wort von dem, was wir ihm erzählen?« Logan zuckte wortlos mit den Schultern. Rubett verschwand. »Wie sollen wir uns wehren?« fragte Logan dumpf. »Wir brauchen Flammenwerfer. Aber – woher? Und bei dieser Temperatur wird das Brandmaterial steinhart frieren und nicht mehr zu gebrauchen sein. Was schlagen Sie vor, Professor – Mister Chroschka?« »Wir haben einige Vorbereitungen getroffen«, beruhigte ihn Chroschka, »so daß das Waffenproblem gelöst ist. Mich interessiert etwas anderes. Sie sprachen erst von einer Felsengruppe auf dem Rumsfield-Plateau, ganz in der Nähe der Stelle, wo Sie Mister Rubett retteten – und wo die beiden anderen Prospektoren den Vampiren zum Opfer fielen. Stimmt es Sie nicht auch nachdenklich, daß ausgerechnet an dem Ort, wo die Prospektoren campierten, sofort diese Ungeheuer auftauchten? Viele Quadratmeilen menschenleere Wildnis, aber die Vampire waren sofort zugegen. Und noch etwas: Diese Kreaturen hausen während des Sommers, dessen Temperaturen für sie tödlich sind, in Erdhöhlen. Kommt Ihnen da nicht auch der Gedanke, daß…« »Sie meinen, diese Felsenformation stellt den Eingang ins Reich der Vampire dar?« fiel ihm Logan ins Wort. »Genauso ist es, Mister Logan«, bestätigte Chroschka zufrieden. »Genauso ist es.« Er sah Heartley kurz an. »Sobald der Angriff auf Bunker’s Hope abgewehrt ist, werden Bill und ich diesen Platz aufsuchen. Wie ist es mit Ihnen? Machen Sie mit?« Logan blinzelte indigniert. »Sie fragen noch?« Das wilde Durcheinander der Zwischenrufe, Flüche und Fragen legte sich allmählich. Logan, Chroschka, Heartley, Kerbrick und Rubett hatten die in der Kirche versammelten Einwohner von Bunker’s Hope schonungslos über ihre gefährliche Lage aufgeklärt. Die Bedrohung war für jeden Bürger gegenwärtig, und darum war es nur rechtens, sie voll zu informieren. Kerbrick hämmerte mit seiner gewaltigen Faust auf den Altar und ignorierte den empörten Aufschrei des nervös die Hände rin-
genden Pfarrers, der seit Jahren in seinem Gotteshaus nicht solch einen Andrang erlebt hatte. Vor einer halben Stunde hatte es begonnen zu schneien. Der Schnee fiel in dichten, schweren Flocken und begrenzte die Sicht auf wenige Meter, legte über das kleine Städtchen einen bleichen Leichenmantel. Logan schüttelte sich unwillkürlich. Ein Omen, dachte er. Er musterte seine Uhr. In spätestens eineinhalb Stunden würde es dunkel werden. Er hatte Angst. Und mit ihm all die übrigen Männer, die Frauen, die wenigen Kinder. Chroschka wartete auf Kerbricks Wink und sagte zu den Anwesenden: »Sie kennen nun unsere Lage. Leider haben wir auch keine Möglichkeit, Bunker’s Hope zu verlassen oder aus anderen Städten Hilfe herbeizurufen. Das Wetter hat sich während der letzten Stunden derart verschlechtert, daß sämtliche Verkehrsverbindungen unterbrochen sind, und Hubschrauber können aufgrund der niedrigen Temperaturen ebenfalls nicht eingesetzt werden. Kurz gesagt, wir sind auf uns allein gestellt im Kampf gegen die Bestien!« In einer der hinteren Sitzreihen erhob sich ein vierschrötiger Mann mit schulterlangen Haaren. »Wie stellen Sie sich denn unseren Kampf vor?« fragte er laut. »Soweit Sie uns erzählt haben, erzielen Gewehrkugeln oder Messer keine Wirkung. Und ich weiß nicht, ob Fackeln oder Feuerzeuge bei einem massierten Überfall ausreichen.« »Ich danke Ihnen, daß Sie dieses Thema einleiten, Mister«, entgegnete Chroschka mit seiner unerschütterlichen Ruhe. »Wärme und Feuer stellen die einzigen Mittel dar, um die Eisvampire zu vernichten. Aber, wie Sie schon anführten, dürfte ein Nahkampf unser Ende bedeuten. Schon während meiner frühen Untersuchungen über das Wirken der Dämonen aus der Kälte habe ich mir Gedanken über eine wirksame Verteidigung gemacht – das Resultat befindet sich hier!« Heartley und Logan schleppten eine schwere Kiste heran und stellten sie vor Chroschka auf den Boden. Der hagere Mann öffnete sie und griff hinein. »Diese Projektile«, erläuterte er, »sind eine Spezialanfertigung. Sie bestehen nicht aus Metall, sondern aus einem widerstandsfähigen Kunststoff. Das Innere ist hohl und von einem dünnen Porzellanmantel überzogen und durch eine dünne Membrane in zwei
Hälften getrennt. Jede dieser Hälften beinhaltet eine chemische Substanz. Trifft das Projektil auf ein Ziel auf, zerbrechen die trennende Membrane und der Porzellanmantel. Die beiden chemischen Substanzen berühren einander und reagieren. Ergebnis dieser Reaktion ist Hitze, die das Kunststoffmaterial der Kugel schmilzt und ins Freie tritt.« Chroschka blickte sich langsam um und lächelte. »Die erzeugte Hitze genügt, um auf einer Fläche von fünfzig Quadratzentimetern eine Temperatur von fast hundert Grad zu bilden. Trifft eines der Geschosse nun einen Eisvampir, dann können Sie sich bestimmt vorstellen, was mit ihm passiert.« Unter den versammelten Menschen breitete sich Erleichterung aus. Chroschka gebot Ruhe und fuhr fort: »Ich habe zweihundert Projektile herstellen lassen, die an zehn Männer verteilt werden. Es sind: Patrick Logan, Quincy Kerbrick, Martin Rubett, Tomtom Kezikewa, William Heartley, Nogger, Dennis Orkney, Paul Vertin, Rene Moreau und ich, Enver Chroschka. Jeder von uns bekommt einen Bezirk von Bunker’s Hope zugeteilt und ist für die darin lebenden Menschen verantwortlich. Es empfiehlt sich, einen hochgelegenen Ort aufzusuchen – Dachboden und so weiter – und von dort die Straßen zu sichern. Jeder Schuß muß ein Treffer sein. Die Munition ist zu knapp, als daß wir uns Fehlschüsse erlauben können. Verdächtige Beobachtungen sind telefonisch zum Büro von Polizeichef Logan durchzugeben, wo das Hauptquartier eingerichtet wird. Allen anderen, die nicht am direkten Kampf beteiligt sind, rate ich, Fenster und Türen zu verriegeln und die Häuser so warm wie möglich zu beheizen. Das wird die Vampire zurückhalten. Mit dem Angriff der Eisvampire ist ab Einbruch der Dunkelheit zu rechnen. Das war alles. Gehen Sie nun bitte nach Hause und verhalten Sie sich, wie ich es Ihnen gesagt habe.« Die Kirche leerte sich schnell. Chroschka wandte sich an Logan. »Die Leute haben das erstaunlich ruhig aufgefaßt«, wunderte er sich. »Bunker’s Hope ist ein ziemlich abgelegenes Städtchen in einer ungezähmten Wildnis. Die Menschen hier sind Gefahren und Katastrophen gewöhnt.« Er hustete. »In meinem Büro befinden sich
ausreichend Gewehre. Verteilen wir sie an die Leute.« Das schwere Kirchenportal schwang knarrend auf, und die dick vermummten Gestalten von Nogger, Dennis Orkney und Paul Vertin wurden sichtbar. »Nun?« erkundigte sich Logan. Nogger spie auf den Boden und klopfte sich den Schnee von der Kleidung. »McClosen spielt verrückt«, berichtete er. »Er hat uns aus dem Camp jagen lassen und den Arbeitern bei fristloser Kündigung verboten, nach Bunker’s Hope zu kommen. Von unserer Warnung glaubte er kein Wort. Dieser Idiot… Um ihn ist es ja nicht schade, aber die fünfhundert Arbeiter – sie haben keine Chance, wenn die Eisvampire das Camp überfallen. Was schlägst du vor, Rick?« Logan starrte nachdenklich die um ihn versammelten Männer an. Schließlich rang er sich zu einem Entschluß durch. »Wir rüsten uns zuerst mit den Waffen aus. Danach werden wir beide, Nogger, das Camp noch einmal aufsuchen.« Arthur T. McClosen horchte mit mürrischem Gesicht auf die Geräusche des beginnenden Sturmes. Er fluchte. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Das Unwetter würde ihn in seinem Zeitplan um Wochen zurückwerfen! Überdeutlich konnte er sich die Kommentare der Geschäftsleitung der Alyeska in Juneau ausmalen. Offenbar ist dieser McClosen doch nicht der richtige Mann an diesem Ort. In der letzten Zeit arbeitet er nur noch mit Verlust. Und dann die vermißten Prospektoren… Schlechte Publicity. Schadet dem Ansehen der Firma. Vielleicht sollte man ihn ablösen. Der dicke Mann fluchte wieder. Logan, dachte er. Dieser Logan sabotierte ihn. Schon seit Monaten. Seine dauernden Verbote, da und dort nicht zu bohren, dieses und jenes Gebiet für die Prospektorentrupps zu sperren und dann das altjüngferliche, weltfremde Geschwätz über den Schutz der Natur, die angebliche Lebenswichtigkeit einer reibungslos funktionierenden Ökologie. Dieser Kerl hatte doch keine Vorstellung von der Wichtigkeit seiner Arbeit für den Konzern. Dieses Land mußte erschlossen werden, denn es besaß Bodenschätze in unvorstellbarer Menge; Bodenschätze, die die Gewinne der Alyeska auf Jahrzehnte hinaus sichern würden. Wie nichtig wirkte dagegen das Wohlergehen von ein paar tausend Elchen oder Caribous oder die Ver-
nichtung der Lebensgrundlagen einer Handvoll Fallensteller, Pelzhändler und ihrer Familien. Und dann dieses Ammenmärchen über die Eisvampire! McClosen stieß ein hämisches Gelächter aus. Er hatte das Motiv Logans sofort durchschaut. Er wollte die Arbeiter verunsichern, sie dazu bringen, das Camp zu verlassen und so die weitere Tätigkeit der Alyeska in diesem Gebiet unmöglich zu machen. Aber da war dieser selbstherrliche Polizeichef an den Falschen geraten. Er, McClosen, fiel auf einen derart primitiven Trick nicht herein. Durch das leichte Material der Wände klang das Heulen des Blizzards wie hysterisches Schreien. McClosen zog eine Strickjacke an. Die Heizung arbeitete zwar auf vollen Touren, aber gegen einen derartigen Temperaturabfall wie jetzt war auch sie machtlos. Krachend sprang die Tür auf, und eine klirrende Kältewolke drang zusammen mit Henry Young, dem Vorarbeiter, in McClosens Arbeitszimmer. Der Dicke schüttelte sich. »Was wollen Sie?« herrschte er den großgewachsenen Mann unfreundlich an. Young nahm die Maske vom Gesicht und legte die Handschuhe ab, blies in seine Finger. »Verfluchte Kälte«, murmelte er. McClosen betrachtete ihn scharf. »Ich habe Sie nicht um einen Kommentar über die Wetterverhältnisse gebeten, Young«, bemerkte er zynisch. »Also, was ist?« »Wir haben die Verankerungen der Zelte und Leichtmetallbauten überprüft«, teilte er hastig seinem Chef mit. »Einige hatten sich bereits durch den Sturm gelöst, aber der Schaden ist schon repariert.« »Und um mir das mitzuteilen, verwandeln Sie diesen Raum in einen Kühlschrank?« McClosen schnaufte empört. »Ich habe Ihnen doch ausdrücklich gesagt, daß ich bei einem derartigen Sturm nicht gestört zu werden wünsche.« Young bewegte sich unruhig. »Es handelt sich noch um etwas anderes. Also… Einige der Männer hat die Mitteilung der drei Boten aus Bunker’s Hope beunruhigt. Sie glauben an die Existenz der Eisvampire, und sie…« »Das ist doch unglaublich!« explodierte McClosen. »Diese Idio-
ten! Ich werde sie entlassen! Wer ist es, Young? Ich will die Namen wissen!« Der Vorarbeiter biß sich auf die Unterlippe. »Es sind fast hundert, Mister McClosen.« Der Dicke wurde bleich. Eine steile Zornesfalte erschien auf seiner Stirn. Nur mit Mühe vermochte er sich zu beherrschen. »Was wollen die Leute? Reden Sie Mann!« »Die Männer haben das Lager bereits verlassen. Ich… Ich konnte sie nicht zurückhalten, und…« »Seien Sie still!« kreischte McClosen. »Ich will davon nichts mehr hören. Und diese – Deserteure werden ab sofort von der Lohnliste gestrichen, ist das klar?« Young nickte. »Worauf warten Sie noch, Young? Machen Sie, daß Sie ’rauskommen! Ich habe noch zu arbeiten.« Young rührte sich nicht. Sein Gesicht hatte sich leicht gerötet. McClosen sah ihn an. »Sie wollen noch mehr sagen.« »Ja, Mister McClosen. Die Männer haben mich beauftragt, Ihnen mitzuteilen, daß sie ebenfalls für die nächsten Tage nach Bunker’s Hope möchten. Einige von ihnen halten die Vampire durchaus nicht für ein Lügenmärchen, und sie befürchten, daß…« »Raus, Young!« zischte McClosen voller Wut. »Verschwinden Sie! Sie und Ihre Freunde! Laufen Sie nach Bunker’s Hope und verkriechen Sie sich ruhig! Ich will Sie nicht mehr sehen! Ein Haufen Feiglinge! Raus, und zwar schnell!« »Wollen Sie nicht doch lieber mitkommen? In spätestens einer Stunde wird es dunkel und…« Hektische Flecken erschienen um McClosens Augen. Er riß die Schreibtischschublade auf und holte eine klobige Pistole hervor, mit der der auf Young zielte. »Ich will Ihnen mal was sagen, Young. Sollten Sie nicht in den nächsten zehn Sekunden mein Zimmer verlassen haben, schieße ich Sie über den Haufen. Sie wollen ein erwachsener Mensch sein?« Der Dicke kicherte. »Sie fürchten sich vor einem Phantom, Young. Dieser Logan hat die ganze Sache eingefädelt, um meine Arbeit zu sabotieren. Aber mich kann er nicht täuschen. Ich bleibe hier. Verschwinden Sie schon, Sie erbärmlicher Angsthase. Fort mit Ihnen!« Der Vorarbeiter schüttelte bedächtig den Kopf. »Ich hoffe für Sie, daß Sie recht behalten. Und – Gott schütze Sie!« McClosen grinste verächtlich. Als Young verschwunden war,
schloß er die Tür ab und nahm aus dem Aktenschrank eine halbvolle Flasche Rum. Seine Hände zitterten vor Zorn. Minuten später hörte er durch das Pfeifen des Blizzards die Schrittgeräusche einer großen Menge Menschen. Er widerstand der Versuchung, aus dem Fenster zu schauen, befürchtete er doch, daß ihm das als Schwäche ausgelegt werden könnte. Kurz danach kehrte wieder Ruhe ein. Bis auf den Sturm war es gespenstisch still. McClosen begriff, obwohl er es vorher nicht recht geglaubt hatte. Das Camp war von den Arbeitern verlassen worden. Nur er war übrig geblieben. Fast körperlich vermochte der Direktor die Einsamkeit zu spüren, die über dem Lager lastete. Mit Gewalt zwang er das irrationale Gefühl nieder. »Eisvampire – pah!« murmelte er und trank einen großen Schluck Rum. Der scharfe Alkohol ließ ihn vermeintlich seine Selbstsicherheit wiedergewinnen, und in Gedanken malte er sich seinen Triumph aus, wenn die Arbeiter morgen reumütig zurückkehren würden, ohne daß sich eines dieser märchenhaften Wesen gezeigt hatte. Der Schneesturm wurde heftiger. Bald konnte man durch das Fenster nur einen hin und her geschüttelten weißen Vorhang erkennen. Dann brach die Nacht herein. Logan füllte die Munitionskammer des Gewehres mit sechs von Chroschkas Geschossen und steckte die übrigen vierzehn in die Brusttasche seines Fellmantels. Draußen war es inzwischen völlig dunkel geworden. Der Polizeichef reichte Moreau als letztem ein Gewehr und die zwanzig Projektile. Der dunkelblonde Fallensteller mit dem deutschen Akzent überprüfte gewissenhaft die Waffe und sagte: »Ich werde mich im Northway’s Inn postieren, Rick. Soll ich Sandy etwas ausrichten?« »Sag ihr, sie soll dir nicht zuviel Schnaps ausschenken«, meinte Logan grinsend. »Das verträgt sich nicht mit der Zielsicherheit.« Moreau zog den Mund schief. »Ich wünschte, ich wäre in Köln geblieben«, sagte er melancholisch. »Da hat man mir nie solche Ratschläge gegeben.«
Logan klopfte ihm begütigend auf die Schulter und schob ihn behutsam nach draußen. Dann wandte er sich um. Nur noch Chroschka, Heartley und Nogger befanden sich in seinem Büro, die anderen Männer hatten bereits ihre Verteidigungsstellungen eingenommen und warteten auf das Auftauchen der Vampire. »Professor, Mister Chroschka, Sie bleiben hier und halten die Hauptstraße im Auge, außerdem müssen Sie die eingehenden Meldungen der Posten entgegennehmen. Nogger und ich begeben uns jetzt zum Alyeska-Camp und patrouillieren danach rund um Bunker’s Hope. In regelmäßigen Abständen werden wir uns melden.« Heartley lächelte ihm zu. »Viel Glück, Patrick!« Die beiden Männer verließen die Polizeistation. Durch die Straße jaulte der Sturm, blies die Schneeflocken in einem wilden Reigen hin und her, zerrte an den Häusern, ließ sie ächzen unter seiner Gewalt und verschleierte nahezu völlig den Blick auf die Umgebung. Die Kälte raubte Logan fast den Atem. Die Temperatur war seit Beginn des Unwetters mit Sicherheit noch um zehn, fünfzehn Grad gefallen, und innerhalb weniger Sekunden fraß sich die Kälte durch das Material der Kleidung und überzog die Haut mit blauen Punkten. Der Lärm war ohrenbetäubend und riß einem jedes Wort vom Mund; ein Heulen und Brüllen, als hätten sich alle Tore der Hölle aufgetan, um den Menschen zu verschlingen. Logan umklammerte das Gewehr in der eingefetteten Schutzhülle fester. Angestrengt versuchte er die Dunkelheit und das wilde Durcheinander des Schneetreibens zu durchdringen. Aus den Häusern an der Straße drang kein einziger Lichtstrahl. Offenbar hatten die Leute Chroschkas Warnungen beherzigt und sämtliche Verschläge geschlossen. Der Sturm tat sein übriges, um alle Vorsichtsmaßnahmen plausibel erscheinen zu lassen. Logan gab Nogger ein Zeichen, und gemeinsam stemmten sich die Männer gegen die Gewalt des Sturmes und kämpften sich gebückt die Straße hinunter, bis zur Hüfte im Schnee eingesunken und schnell mit den großen Flocken lückenlos bedeckt, so daß ihre Körper mit der farblosen Umgebung verschmolzen. Von dem Dachfenster eines der Häuser wurde mit einer starken
Taschenlampe ein Blinksignal gegeben. Logan schaltete seinen Scheinwerfer ebenfalls ein und blinkte zurück. Das dort oben mußte Tomtom Kezikewa sein. Alles in Ordnung, morste der Eskimo. Logan war beruhigt. Die Eisvampire waren also noch nicht in Bunker’s Hope eingedrungen. Nogger und Logan wandten sich nach rechts, in eine kurze Seitenstraße, die schon nach wenigen Metern zu einem verschneiten Feldweg wurde, der zum Camp der Alyeska führte. Das Camp lag nur knapp zehn Minuten entfernt, aber diese Zeitangabe galt bei ruhigem Wetter, und Logan fürchtete, daß sie mehr als eine halbe Stunde brauchen würden, um bei dem Blizzard das Lager zu erreichen; von Verzögerungen infolge Orientierungsschwierigkeiten oder Schneeverwehungen ganz abgesehen. Trotz der Gesichtsmaske wurde Logans Nase bald gefühllos. Den Kopf gesenkt, stapfte er langsam und methodisch weiter, neben ihm Nogger in der gleichen Haltung. Plötzlich zuckte Nogger zusammen und rüttelte Logan aufgeregt am Arm, deutete nach vorn und gestikulierte wild. Logan schluckte. Vor ihnen näherte sich eine gewaltige Schar gebückter Gestalten, in der Schwärze der Nacht schattengleich und grotesk verzerrt. Der Polizeichef holte das Gewehr aus der Hülle und entsicherte es. Seine Gedanken sagten ihm, daß sie gegen diese Übermacht keine Chance hätten, sollten dies tatsächlich die Dämonen aus dem Eis sein. Die Schatten kamen näher, und endlich beruhigte sich auch Logans wie rasend klopfendes Herz wieder. Nein, das waren die Arbeiter aus dem Camp, keine Ungeheuer. Die Männer hatten also doch Noggers Warnungen akzeptiert und wollten nun in die relative Sicherheit von Bunker’s Hope fliehen. Er richtete sich auf und winkte. Dann hatten sie die ersten Arbeiter erreicht. »Sind noch Leute im Camp?« schrie Logan fragend durch den Lärm der aufgewühlten Naturkräfte. »Nur noch Direktor McClosen«, entgegnete einer der Männer. »Er war starrköpfig und wollte nicht auf uns hören. Sind Sie Logan?« »Ja.« »Dann sagen Sie uns, wo wir hinsollen. Wir sind fünfhundert
Mann.« Logan überlegte kurz. »Dieser Mann, Nogger – Sie kennen ihn –, wird Sie zur Kirche führen. Es wird zwar etwas eng werden, aber für eine Nacht geht es. Nogger besitzt eine Waffe, mit der er die Vampire vernichten kann. Also, folgt ihm!« »Und Sie, Logan? Was ist mit Ihnen?« »Ich gehe ins Camp und versuchte McClosen zu überreden, doch noch nach Bunker’s Hope zu kommen.« »Hören Sie, Logan, das ist heller Wahnsinn!« schrie der Arbeiter. »McClosen besitzt eine Waffe, außerdem scheint er mir nicht mehr ganz richtig im Kopf zu sein, und er haßt Sie. Gehen Sie nicht ins Camp!« »Mir wird schon nichts passieren«, meinte Logan zuversichtlich. »Und nun beeilen Sie sich. Wer weiß, wie lange die Vampire noch auf sich warten lassen.« Nogger tippte sich bezeichnend an die Stirn, aber auch ihm gelang es nicht, Logan von seinem Plan abzubringen. Nur kurz sah er der langen Kolonne noch nach, dann wanderte er weiter. Logan wußte nicht genau, warum er sein Leben für McClosen aufs Spiel setzte. Teilweise war es wohl Pflichtbewußtsein. Ihm als Polizeichef oblag es, das Leben der Menschen in seinem Distrikt zu schützen, unabhängig von Sympathien oder Antipathien. Außerdem hatte er das furchtbare Wesen der Eisvampire selber miterlebt, und alles in ihm sträubte sich dagegen, diesen grauenhaften Kreaturen auch nur ein Menschenleben zu überlassen. Für Patrick Logan versank die Welt in einen Strudel aus Frost und Schnee. Seine Beine und Arme schienen wie erstarrt, und nur sein Eigensinn bewahrte ihn davor, Rast zu machen und in der Kälte zu erfrieren. Endlich, nach Minuten, die ihm wie Tage vorgekommen waren, erkannte er die Silhouetten der Zelte und Lagerhallen des Camps vor sich. Undeutlich teilte im Hintergrund ein trübes Licht die Dunkelheit. Dort mußte sich McClosen befinden. Eine breite Lagerhalle hielt den Sturm ein wenig ab, und in diesem Schutz ruhte sich Logan kurz aus, befreite sich vom Schnee und den festgefrorenen Eisbrocken an seinen Stiefeln. Ein merkwürdiger Laut ließ ihn auffahren. Nervös betrachtete er seine Umgebung.
Was war das gewesen? Der Wind, der durch Ritzen pfiff und so gespenstische Töne erzeugte? Plausibel, aber Logan glaubte nicht so recht daran. In den letzten Sekunden schien die Nacht noch dunkler und der Sturm noch wütender geworden zu sein, und zuerst führte Logan dies auf eine Überreizung seiner Sinne zurück, doch dann… Nur ein Dutzend Schritte von ihm entfernt schälte sich der Körper eines nackten Mannes aus dem Schneetreiben. Der Mann stand dort in der Kälte, Logan den Rücken zugewandt, und er breitete die Arme aus, als wolle er den Sturm auffangen, und in diesem Moment erschütterte eine gewaltige Bö das Lager, klatschte gegen die Zelte, riß einige von ihnen mit sich fort, als seien sie nur aus Papier und nicht mit zentimeterdicken Stahlpflöcken am Boden befestigt. Logan erstarrte. Ein Zombie! Dies war ein Zombie! Und das dämonische Wesen beeinflußte den Sturm. Welche teuflische Macht mochte nur in diesen Kreaturen stecken? Der Zombie pfiff schrill. Logan konnte es deutlich verstehen. Ahnungsvoll schob er sich tiefer in den Schatten der Hallenwand, suchte Schutz hinter einem Stapel Holzbohlen. Vorsichtig schielte er über den Rand hinweg. Plötzlich spie die Nacht und der Sturm fünf, zehn, dreißig, fünfzig kristallglänzender Wesen aus, die durch den Blizzard hüpften und sprangen und von der Temperatur von über minus sechzig Grad unberührt blieben. Das Gewehr in der Tragetasche an Logans Seite fühlte sich kalt und schwer an. Logan erschrak. Der Frost würde – wenn er die dicke, schützende Fettschicht durchbrach – die Waffe unbrauchbar machen und ihn hilflos diesen Ungeheuern ausliefern. Er mußte so schnell wie möglich McClosen finden und zurück zur Stadt fliehen. Als einzelner konnte er gegen die Übermacht hier ohnehin nichts ausrichten. Das Krächzen und Kreischen der Zombies ließ unvermittelt nach. Logan sah, warum. Neun dürre, mehr als drei Meter große Wesen gesellten sich zu ihnen – dämonische Gesichter und Augen, in denen Mordlust schimmerte. Eisvampire – die Meister der Zombies. Die wirklichen Ungeheuer aus den Tiefen des Rumsfield-Plateaus. Das Kalte Gewürm mit
dem unbändigen Haß auf alle lebenden und warmblütigen Kreaturen. Logan versuchte die Zahl der Zombies zu schätzen und kam auf etwa achtzig Stück. Eine Streitmacht, die trotz der Waffen das Ende von Bunker’s Hope bedeuten konnte. Einer der Zombies trat zu den Eisvampiren und deutete auf das undeutlich erkennbare helle Viereck, hinter dem für eine Sekunde der Schatten eines Mannes auftauchte. McClosen! Logan blieb nur noch wenig Zeit. Eng gegen den Boden gepreßt, schlich er nach links, an einem zusammengedrückten Zelt vorbei und die Gruppe der Dämonen zur rechten Seite zurücklassend. Als er genug Raum zwischen sich und die Vampire gebracht hatte, richtete er sich wieder auf und lief mit langen Sätzen auf die Baracke zu, erreichte sie und rüttelte an der Tür. Aus dem Innern erklang ein entsetztes Stöhnen. »McClosen!« raunte Logan. »Ich bin es, Logan. Ziehen Sie sich an und kommen Sie ’raus. Wir haben nur noch wenig Zeit. Die Vampire haben Sie entdeckt, und in ein paar Minuten sind sie hier. Kommen Sie, McClosen!« Hinter der verschlossenen Tür kicherte es. Der Dicke sagte mit schwerer Zunge: »Verschwinden Sie, Logan! Ich lasse mich nicht übertricksen! Hauen Sie ab!« Er ist betrunken, dachte Logan bestürzt. Und er glaubt mir noch immer nicht. »McClosen, dies ist kein Spaß. Schauen Sie aus dem Fenster, Sie Idiot! Aus dem Fenster, hören Sie? Und machen Sie um Himmels willen schnell!« Polternde Schritte erschütterten den Boden, dann kreischte McClosen angstgepeitscht. Er hatte die Vampire also gesehen. »Was ist das für ein verdammter Trick, Logan?« schrie McClosen gellend. »Was haben Sie vor?« Logan zuckte zusammen. »Seien Sie still! Sie hetzen uns die Vampire auf den Hals mit Ihrer verrückten Brüllerei!« »Ah, ich begreife, Logan«, krächzte McClosen. »Ich durchschaue Ihren Plan. Was sind das für Leute dort draußen, Logan? Wen haben Sie angestiftet?« »Begreifen Sie endlich, McClosen«, flüsterte Logan, »das ist kein Trick, die Vampire existieren wirklich, und wenn Sie nicht sofort mit mir nach Bunker’s Hope kommen, dann sind Sie verlo-
ren.« Er rüttelte an der Türklinke und fluchte, als sein Handschuh an dem eisigen Metall kleben blieb. Nur mit größter Mühe gelang es ihm, die Hand wieder zu lösen, ohne das Handschuhmaterial zu beschädigen. »Versuchen Sie nicht, hier einzudringen, Logan!« schrillte der Direktor undeutlich. »Ich warne Sie, ich knall Sie ab! Ich lasse mir von Ihnen nicht meine Arbeit sabotieren!« Logan hörte hinter sich ein Knarren. Er wirbelte herum und warf sich gleichzeitig instinktiv zur Seite. An der Stelle, wo er eben noch gestanden hatte, wälzte sich nun der von Kirstallfacetten übersäte Körper eines Zombies im Schnee. Der Zombie knurrte wölfisch. »Was ist da draußen los, Logan?« fragte McClosen mißtrauisch. »Was haben Sie vor?« Die Augen des Zombies wanderten von Logan zur Tür und wieder zurück. Er schien sich nicht entschließen zu können, wen er zuerst angreifen sollte. Das rettete Logan das Leben. Er fand genug Zeit, das Gewehr hervorzunehmen, es zu entsichern, und zu zielen. Der Zombie sprang. Logan drückte ab. Der Knall wurde fast völlig vom Tosen des Blizzards verschluckt, aber die Wirkung des Projektils zeigte sich augenblicklich. Mitten im Sprung wurde der Zombie getroffen und zurückgeschleudert. In seiner Brust erschien ein heller, dampfender Fleck, vergrößerte sich zusehends und wurde zu einer glühenden Fackel. Die Augen quollen aus den Höhlen des teuflischen Wesens hervor. Ein grauenhafter Schrei entfuhr dem verzerrten Mund, ein Schrei, der Logan das Herz stocken ließ und Entsetzen in seine Gedanken zauberte. Der Zombie zuckte im Schnee, schrie, brüllte vor Schmerz, vor Haß, vor Wut und Todesangst, die Hände auf die brennende Wunde gepreßt, den Körper unnatürlich verkrümmt. Die Wunde breitete sich mehr und mehr aus, es stank bestialisch nach Chemikalien, dann leckte eine grünblaue Flamme an der Brust des Zombies hoch, verschmorte dessen Hals und verätzte die glanzlos werdende Haut. Und plötzlich, von einer Sekunde zur anderen, löste sich der ehemals kompakte Körper auf, wurde zu Schleim, verdünnte sich immer mehr und versickerte schließlich im Boden.
Nur ein rauchender, kopfgroßer Fleck in der Schneedecke zeugte noch von der Existenz der getöteten Kreatur. Der Kampflärm hatte die übrigen Vampire und Zombies aufmerksam gemacht. Die ersten bogen bereits um die Mauer einer knapp fünfzig Schritt entfernten Baracke, und – Logan glaubte, seinen Augen nicht trauen zu dürfen – sie liefen nicht, sie schwebten einen halben Meter über dem Boden! Ihre grellen Wutschreie und der Ausdruck rasender Blutgier in ihren unmenschlichen Gesichtern erzeugten in Logan ein Gefühl panischer Angst. »McClosen!« rief er verzweifelt. »Fliehen Sie! Die Vampire…« Mit klammen, ungefügen Fingern zog er den Abzug durch. Einer der Zombies taumelte, fiel nieder, schlitterte kreischend durch den Schnee, den Oberkörper in eine fette Rauchwolke gehüllt, die Glieder verkrümmt und seufzend zu einer klebrigen Flüssigkeit zerlaufend. Eine seltsame Distanziertheit kehrte in Logan ein. Er zielte, feuerte, traf wieder einen der Dämonen, der gegen eine vereiste Wassertonne prallte, von Flammen umhüllt. Hinter Logan sprang die Tür auf, die fette, auf unsicheren Beinen stehende Gestalt McClosens erschien im Rahmen, das Gesicht bleich und verquollen, in der Hand die Pistole, trotz der Kälte nur mit einer Strickjacke und einer Cordhose bekleidet. Der Direktor stöhnte, als er das Chaos vor sich erblickte. »Was ist das für eine Teufelei, Logan?« fragte er durch das Fauchen des Sturmes und das Heulen der Dämonen. »Ziehen Sie sich um Himmels willen etwas Warmes an!« flehte Logan, die Augen starr auf die Angreifer gerichtet. Der vierte Schuß! Das Projektil tötete den Zombie augenblicklich. Die Kreaturen des Eises stoppten ihre Attacke und zogen sich etwas zurück. Sie hatten begriffen, daß Logan eine Waffe besaß, der sie schutzlos ausgeliefert waren. Doch dann huschte von der linken Seite eine dünne, große Gestalt mit grotesken Sprüngen auf den Polizeichef zu, die Eiszapfen auf dem Kopf wie der Kamm eines wütenden Hahnes gesträubt, die Reißzähne von den Lippen entblößt und eine Woge lähmenden Frostes ausstrahlend. Logan warf sich in den Schnee und entging so der vorschießenden Klaue, deren Berührung das Ende für ihn bedeutet hätte.
In einer Reflexbewegung riß McClosen seine Pistole hoch und drückte ab. Das Bleigeschoß traf den Eisvampir in der Hüfte und trat wirkungslos an der anderen Seite wieder heraus. Fast spielerisch schwang der Vampir seinen Arm, erwischte den Dicken am Hals und fegte ihn gegen den Türrahmen. Das Ganze hatte nur wenige Sekunden gedauert, aber für den entsetzt daliegenden Logan schien es eine Ewigkeit gewesen zu sein. McClosen ist verloren, durchzuckte es ihn, während er sich auf den Rücken drehte und das Gewehr auf den Vampir richtete. Logan feuerte. Der Dämon starb schweigend den Flammentod. In seiner eisigen Miene stand Erstaunen, als sich sein Körper unter dem Einfluß der Hitze erzeugenden chemischen Reaktion Stück für Stück auflöste. Die Zombies schrumpften zusammen bei dem Anblick ihres sterbenden Meisters. Für sie, die sie die Eisvampire als mächtige, götzengleiche Wesen anbeteten, war diese Situation unvorstellbar. Logan nutzte die Chance, sprang auf die Beine und wandte sich in Richtung des Weges, der nach Bunker’s Hope führte. Nur ein unterdrücktes Knurren warnte ihn. McClosen funkelte wie ein ungeschliffener Diamant in der Helligkeit, die aus seiner Baracke drang. Seine Gestalt war zu Eiskristall geworden, seine Menschlichkeit durch den körperlichen Kontakt mit dem Eisvampir pervertiert. McClosen, der Zombie, schlug nach Logan, und seine Fäuste atmeten Kälte aus, die Logans Lippen zum Zerplatzen brachte. Der Polizeichef duckte sich und wurde nur knapp von dem tödlichen Schwinger verfehlt. Er stolperte, bewahrte sich nur mit Mühe vor einem Sturz, wich zurück, brachte mit vor Erschöpfung, Furcht und Kälte zitternden Armen das Gewehr in Anschlag und zielte mit aller ihm noch verbliebenen Konzentration. Nur noch ein Schuß im Magazin, hämmerten seine Gedanken. Der Zombie ahnte sein Schicksal und wollte dem Verhängnis ausweichen, aber seine Reaktionen waren zu langsam. Fast gleichzeitig mit dem Knall erschien in seinem Hals ein glühendes Loch und zerfraß den verwandelten Körper. Logan lief. Seine Beine trommelten über den Schnee, seine Lunge arbeitete wie ein gigantischer Blasebalg, sog in tiefen, hasti-
gen, angestrengten Zügen die eisige Luft ein, und Logan lief um sein Leben. Er spürte nicht mehr den Widerstand des Sturmes und die handtellergroßen Schneeflocken, nicht mehr seine Erschöpfung, seine schmerzenden Glieder, seine gequälten Muskeln. Logan blickte sich nicht um, sah starr geradeaus, nur von dem Bewußtsein besessen, Bunker’s Hope zu erreichen, ehe ihn die teuflische Horde hinter ihm erreicht hatte. Er hörte ihr Gekicher, das Klappern und Schaben ihrer kristallenen Haut, vernahm ihre hungrigen Atemzüge, aber er blickte sich nicht um. Schneller, schneller! hetzte er sich. Lauf um dein Leben! Flieh, solange noch Kraft in dir ist, deine Beine zu bewegen! Es war eine gespenstische Jagd, ein Alptraum aus Kälte, Grauen und nervenpeitschender Angst, der Logan das Gehirn zerriß, seine Seele peinigte. Der Blizzard sang ein klagendes Lied. Ich muß es schaffen, schrie Logan lautlos. Er betete und flehte um Stärke, und seine Beine bewegten sich gleichmäßig wie die Kolben einer Maschine. Aber – es war nicht genug. Logan wußte, daß die Vampire aufholten, an Boden gewannen, er fühlte in seinem Rücken, wie sich ihre gierigen Augen näherten, vermeinte, den mordenden Atem in seinem Nacken zu spüren. Schnee, Kälte, Angst. Wallende Schatten trübten seinen Blick, deuteten die Sinnlosigkeit seiner Flucht an. Logan lief. Sein Bewußtsein war leer und tot, nur von einem Gedanken beherrscht: Flucht! Das Gewehr in seiner Hand – leergeschossen und schwer wie ein Barren Blei – nahm allmählich die Temperatur der Umgebung an, verschmolz mit seinem Handschuh und verätzte die darunterliegende Haut. Trotz der Dunkelheit konnte Logan den von den fünfhundert Alyeska-Arbeitern ausgetrampelten Pfad glasklar erkennen. Ein Fauchen hinter ihm unterbrach den Rhythmus seiner stampfenden Beine. Logan fiel in den Schnee. Aus, durchfuhr es ihn. Aus und vorbei. In dieser Sekunde erschütterte ein explosionsartiger Knall die Luft, gefolgt von dem bestialischen Brüllen eines verwundeten Vampirs.
Dann ein Ruf. »Logan!« schrie die vertraute Stimme. »Kommen Sie! Wir halten die Biester in Schach!« Bill Heartley, dachte Logan dankbar. Neue Kraft durchflutete ihn. Unsicher erhob er sich, erblickte nur zwei Meter entfernt den zerlaufenden Körper eines Eisvampirs, vor ihm, in einer Distanz von fünfzig Schritten, drei geduckte Männer, in deren Händen Scheinwerfer und Gewehre blinkten. Wieder feuerten die Männer. Die Projektile fuhren in die Masse der Zombies und Vampire, ließen sie wie eine Schrapnellbombe auseinanderspritzen. Zurück blieben drei sich auflösende Körper. Endlich hatte Logan seine Retter erreicht: Heartley, Nogger und Kezikewa. »Ihr kamt in letzter Sekunde«, stöhnte er. »Fast hätten sie mich erwischt.« Nogger und Heartley ergriffen seine Arme und zerrten ihn mit, während der Eskimo Schuß für Schuß abgab und so den Rückzug deckte. Das Wutgeheul der Dämonen ging den Männern durch Mark und Bein. »Das war verdammt knapp«, japste Heartley. »Was ist mit McClosen?« »Tot«, erwiderte Logan deprimiert. »Er wollte mir nicht glauben, und als er die Vampire sah, war es zu spät. Er wurde zu einem Zombie und griff mich an. Ich mußte ihn erschießen.« Die Männer hasteten weiter. Endlich erschienen die ersten Häuser von Bunker’s Hope. Der Blizzard tobte mit unveränderter Heftigkeit über das Land. Nogger deutete auf ein flaches Gebäude. »Ich schlage vor, wir verbarrikadieren uns dort. Die Vampire werden den gleichen Weg nehmen wie wir, und hier können wir sie leicht abfangen.« Logan stimmte dankbar zu. Die Anstrengung seiner Flucht machte sich bemerkbar. Sie hasteten zur Tür, klopften heftig gegen das Holz. Es blieb still. »Aufmachen!« schrie Logan. »Norman, laß uns hinein, verdammt noch mal!« Im Haus wurde flüsternd diskutiert, dann fragte eine mißtrauische und vor Furcht zitternde Männerstimme: »Wer – wer ist da?«
Nogger verdrehte die Augen. »Norman, ich schneide dir deine häßliche Nase ab, wenn du nicht sofort öffnest! Und jetzt sag nicht, du würdest mich nicht erkennen!« »Nogger!« stieß der Mann hervor. »Sofort. Ich muß nur schnell die Barrikade entfernen. Einen Moment.« Heartley musterte nervös die Dunkelheit, versuchte angestrengt, das Schneetreiben zu durchdringen. Endlich schwang die Türe auf. Die vier Männer rannten den kleinen, dürren Mann fast über den Haufen. Aus einer Zimmertür am Ende des dunklen Korridors starrten ihnen angstvolle Augen entgegen. »Kommen die – die Bestien schon?« stotterte der Kleine. »Es kann nicht mehr lange dauern«, teilte ihm Nogger ernst mit. »Aber nur ruhig Blut. Eine ganze Reihe von ihnen haben wir bereits erledigt.« In der Hitze, die das Innere des Hauses erfüllte, tauten Logans erstarrte Glieder rasch auf. »Wo ist der Dachboden?« fragte er. Norman führte ihn zu einer steilen Treppe. »Hier herauf!« »Haben Sie Telefon?« »Ja, Sir«, entgegnete der Kleine hastig und mit sichtlicher Erleichterung, vier bewaffnete Männer in seinem Haus zu beherbergen. Die Furcht vor den Vampiren hatte unter seinen Augen schwarze Ränder gebildet. Logan wählte hastig die vierstellige Nummer. Zum Glück hatte der Sturm die Telefonleitungen nicht beschädigt. »Chroschka«, meldete sich eine Stimme. »Hier Logan. Der Angriff steht unmittelbar bevor, Enver. Sie müssen die anderen Leute, die mit den Gewehren ausgerüstet sind, benachrichtigen.« »In Ordnung.« Selbst diese Hiobsbotschaft brachte den Hageren nicht aus seiner Ruhe. »Wo sind sie jetzt, Patrick?« »Im Haus von Norman Anton, direkt am Weg zum Camp. Ah, noch was. Schicken Sie jemand, am besten Paul Vertin, zur Kirche. Nogger ist zusammen mit Kezikewa und Heartley bei mir, und die Arbeiter in der Kirche sind ohne Schutz.« »Wird erledigt. Und – halten Sie die Ohren steif.« Logan grinste unwillkürlich. »Dafür wird die Kälte schon sorgen. Ende!« Er legte auf und hastete hinter Nogger, Kezikewa und Heartley die Treppe hinauf.
Der Dachboden war dunkel und kalt. Die drei schrägen Fenster bedeckte eine oberschenkeldicke Schneeschicht. Logan lud sein Gewehr nach und hockte sich neben Nogger auf den Boden, starrte auf die Straße. Eine fast greifbare Spannung lag über der Stadt, selbst der Sturm hielt inne, und eine tödliche Stille verbreitete sich. Nogger fuhr zusammen und atmete erregt. Ja, tatsächlich, da war eine Bewegung. Und noch eine. Kristallene Gestalten huschten durch die Dunkelheit. Nogger legte an, wählte sorgfältig ein Ziel aus und schoß. Der Zombie sprang in die Höhe, wild mit den Armen rudernd, wimmerte sirenengleich und glühte und zerfloßt. Logan, Heartley und Kezikewa eröffneten nun ebenfalls das Feuer. Der Kampf gegen die Eisvampire begann. Paul Vertin hörte die Schüsse. Seine ohnehin kränkelnde Gesichtsfarbe bekam noch einen Stich ins Grüne. Unwillkürlich umklammerte er das Gewehr fester und entsicherte es. Er hatte sich ebenfalls auf einen Dachboden begeben und beobachtete aus seiner sicheren Höhe die Hauptstraße. Etwa hundert Meter nach rechts erhob sich der Kirchturm und der schmale Bau des Kirchenschiffes. Auf der Treppe wurden Schritte laut, und Ed Simonsen steckte seinen Kopf durch die Luke. »Paul, dieser Chroschka hat angerufen. Du sollst sofort zur Kirche gehen, sagte er. Die Arbeiter sind ohne Schutz.« Vertin fluchte. Alles in ihm wehrte sich dagegen, sein Versteck zu verlassen und sich auf die ungeschützte Straße zu begeben. Widerwillig erhob er sich dann. »Das hat mir gerade noch gefehlt. Gut, Ed, wenn ich verschwunden bin, verbarrikadierst du die Tür.« Simonsen nickte furchtsam. »Tut mir leid, alter Junge«, murmelte Vertin. »Aber ich muß hinaus.« Vorsichtig öffnete er die Haustür einen Spalt. Die Straße lag leer und ruhig vor ihm. Vertin rückte die Gesichtsmaske zurecht und versuchte, den Sturm zu ignorieren, der inzwischen wieder an Stärke gewonnen hatte und einen weißen Nebel erzeugte. Im Laufschritt eilte er auf die Kirche zu. Sein Atem stockte. Vor
Zsolskys Haus standen mehrere Schatten, vier oder fünf, soweit Vertin erkennen konnte, und sie kratzten mit ihren Händen über die Verschläge vor den Fenstern. Das mußten diese Ungeheuer sein. Vertin schluckte, duckte sich und hastete weiter. Im Schutz einer hohen Schneeverwehung blieb er stehen. In Zsolskys Haus schrie jemand. Die Zombies – ja, es waren Zombies, keine Vampire – knurrten aufgeregt. Einer von ihnen trat gegen die Tür. Es gab ein häßliches Geräusch, und das Holz splitterte. Die Kälte, die diese Kreaturen ausstrahlten, machte das Material brüchig. Vertin mußte handeln. Er feuerte, traf. Das entsetzliche Schreien beschleunigte seinen Herzschlag. Drei Zombies rannten – nein, um Gottes willen, sie schwebten – von der Hauswand fort und rasten in abgehackten Zickzackbewegungen auf Vertin zu. Der Mann schoß erneut und fluchte. Verfehlt. Die Zombies lachten höhnisch, dann war der erste heran und wollte sich auf Vertin werfen. Die Kugel traf die Kreatur. Die beiden anderen wurden vorsichtiger, näherten sich ihm nun von zwei Seiten. Vertin schoß und erwischte das Ungeheuer vor ihm. In seinem Rücken hörte er ein Geräusch, fuhr herum, starrte genau in die verzerrte Fratze des übriggebliebenen Zombies. Wie in Zeitlupe sah er die Hand auf sich zukommen. Mit der Kraft des Verzweifelten riß er das Gewehr herum. Der Schlag traf den Lauf. Sofort schoß eine Welle unvorstellbarer Kälte durch die Waffe und ließ Vertin vor Schmerz aufbrüllen. Irgendwie gelang es ihm dann doch, den Abzug zu betätigen. Die Kugel explodierte in dem aufgerissenen Maul der Kreatur und sprengte den Kiefer fort. Der Zombie starb. Vertin kroch weiter. Die Wärme, die das Projektil beim Verlassen des Gewehrlaufes erzeugt hatte, reduzierte die von der Kreatur ausgestrahlte Kältewelle auf ein erträgliches Maß. Trotzdem war Vertin davon überzeugt, an den Händen starke Erfrierungen davongetragen zu haben. Kaum noch konnte er die Waffe halten. Er mußte zur Kirche. Hier auf der Straße war er den Attacken der Dämonen hilflos ausgeliefert. Vertin stolperte weiter. Im Northway’s Inn hatte der Rauch ungezählter Zigaretten unter der Decke des Schankraumes einen blauschwarzen Nebel er-
zeugt. Die Tische waren von den allein lebenden Männern besetzt, die der Einsamkeit und Gefahr ihrer Häuser entfliehen wollten, aber nirgendwo regte sich ein Scherzwort oder ein Lachen, das ansonsten unablässig die Kneipe erfüllte. Sandy Vaughn blickte durch einen Spalt nach draußen. Neben ihr stand Rene Moreau mit schußbereitem Gewehr. Die junge Frau stieß einen Laut des Schreckens aus. »Reneda!« Moreau drängte sie beiseite. Nur sehr schwer vermochte er sechs Gestalten zu erkennen, die sich auf Ingrims Supermarkt zubewegten. »Zurück!« zischte er Sandy zu und schob den Gewehrlauf durch den Fensterspalt. Die eisige Luft, die hereindrang, ließ Moreau nach seiner Gesichtsmaske greifen. Die Schweißtropfen auf seiner Stirn konnten bei der Kälte in Sekundenschnelle gefrieren. Geduldig wartete der blonde Mann auf den Moment, an dem der erste Vampir das Schußfeld erreichen würde. Nach einer Weile konnte er die dämonischen Wesen besser erkennen. Es waren fünf Zombies und ein Eisvampir. Moreau zielte auf den Vampir. Um seine Nervosität zu bekämpfen, biß er sich die Unterlippe blutig. Der Schmerz hinterließ eine kühle Klarheit in seinem Bewußtsein. Hinter Moreau hielten die Männer und Frauen den Atem an. Moreau schoß. Die Kugel traf den Vampir am Oberschenkel. Der Dämon heulte vor Schmerz und Haß. Orientierungslos torkelte er hin und her wie ein trunkener Leuchtkäfer. Moreau feuerte erneut, zerschmetterte die Brustpartie des schreienden Wesens, und der Vampir versank im Schnee, blieb regungslos liegen. Die Zombies hatten bemerkt, aus welcher Richtung die Schüsse gekommen waren. Sie teilten sich. Drei setzten sich in Richtung Northway’s Inn in Bewegung, die beiden anderen steuerten weiter auf den Laden zu. Moreau knirschte mit den Zähnen. So ging das nicht. Hier, wo er sich jetzt befand, besaß er einen zu kleinen Aktionsradius. »Ich muß ’raus!« sagte er hastig zu Sandy. Das Mädchen nickte ruhig. Mit flinken Händen beseitigte sie die Verriegelung. Moreau gab ihr einen Wink, und sie trat die Tür auf. Der Zombie starrte mordlüstern ins Innere der Kneipe. Einige der Männer schrien vor Entsetzen. Moreau legte an und schoß. Die Gewalt des Projektils warf das
Ungeheuer mehrere Meter zurück in den Schnee, wo es sich spurlos auflöste. Mit einem Satz sprang Moreau hinterher, erblickte aus den Augenwinkeln einen weiteren Zombie, feuerte in der Drehung, verfehlte den Dämonen, zog erneut den Abzugshebel durch, hatte diesmal Erfolg. »Rene!« schrie Sandy Vaughn plötzlich. »Hinter dir! Vorsicht!« Der blonde Mann reagierte rein instinktiv. Er hechtete nach vorn, entging so dem tödlichen Hieb, verlor das Gewehr und robbte verzweifelt weiter. Furcht kroch in ihm hoch. Der Zombie lachte triumphierend und machte sich bereit zum Sprung. Da erfüllte ein heller Schein die Dunkelheit. Sandy Vaughn stieß dem Zombie eine im Sturm flackernde Fackel in den Rücken. Die Kreatur kreischte. Ein bestialischer Gestank verbreitete sich. Noch einmal drückte das Mädchen dem Zombie die Fackel gegen den Leib, und er schmolz förmlich zu Wasser. Moreau rappelte sich auf und quetschte ein leises »Danke« hervor. Er nahm das Gewehr wieder an sich, lud nach. Aus Ingrims Laden erklang ein panischer Schrei. Moreau rannte los, durch den Sturm, den Schnee, die Dunkelheit der Nacht. Dann sah er es. Die beiden verbliebenen Zombies hatten die Tür des Ladens zersplittert und waren in das Haus eingedrungen. Der Schrei ebbte ab. Moreau stoppte. Im Türrahmen wurde der mächtige Körper des alten Ingrim sichtbar. Moreau wollte schon erleichtert dem Händler zuwinken, da bemerkte er die gespenstische Veränderung. Ingrim verlor seine rosige Gesichtsfarbe, wurde weiß und kristallen. Er grinste häßlich und kam mit ausgestreckten Armen auf Moreau zu. Der blonde Mann stöhnte. Er kannte den alten Ingrim seit seiner Kindheit, und nun mußte er ihn töten, denn dieses Geschöpf dort war kein Mensch mehr, nur noch eine entfernt menschenähnliche Hülle und von einem satanischen Geist besessen. Moreau drückte ab. Ingrim schrie nicht einmal. Er wurde eins mit dem Schnee. Hinter einem der Fenster starrte ein glänzender Kopf hervor. Moreaus Schuß ließ die Scheibe zerplatzen. Der Kopf ruckte zurück, verschwand. Nur noch einer, dachte Moreau. Um ihn zu erwischen, mußte er in das Haus gehen. »Rene!« rief Sandy Vaughn gedämpft. Er wandte sich ärgerlich um. »Verschwinde!« befahl er ihr un-
wirsch. »Die Fackel wird dir auch nicht viel nutzen.« »Ich habe dir doch gerade das Gegenteil bewiesen«, schnappte das Mädchen. Sie zitterte unter ihrem dünnen Mantel. »Du erfrierst!« zischte Moreau. »Dann laß uns da hineingehen«, entgegnete sie mit bebender Stimme und deutete auf Ingrims Laden. Dann hatte sie sich auch schon in Bewegung gesetzt. Moreau folgte ihr wohl oder übel. Die Fackel erhellte den düsteren Korridor. Er war leer. Sandy huschte hinein, gefolgt von Moreau. Aus dem ersten Stock wurde ein Krachen hörbar. Gemeinsam stiegen der Mann und die Frau die Treppe hinauf. Irgendetwas warnte Moreau. Da segelte auch schon der Zombie vom oberen Treppenabsatz auf ihn zu, als gäbe es keine Schwerkraft. Reaktionsschnell schleuderte Sandy Vaughn die Fackel, traf den Zombie mitten im Gesicht. Nur knapp flog die Kreatur an ihnen vorbei, krachte auf den Boden, wand und krümmte sich, bis nur noch leise glucksendes Wasser übrig war. Die Fackel erlosch. Moreau nahm das Mädchen in die Arme, um sie vor der Kälte zu schützen, die durch die offene Tür eindrang und schnell das ganze Haus erfüllte. »Wir müssen wieder ins Northway’s Inn«, sagte er. Sandy Vaughn bewegte schwach den Kopf. Dann wurde sie bewußtlos. Quincy Kerbrick schoß mit der Präzision eines erfahrenen Schützen auf dem Schießstand. Das helle Quieken der getroffenen Zombies stachelte ihn noch mehr an, und er sah sie vor seinem Haus nacheinander in den Schnee versinken. Nur im Unterbewußtsein vernahm er das Krachen von Chroschkas Gewehr, der aus Logans Polizeibüro die Straße ebenfalls von Vampiren und Zombies säuberte. Die Dämonen aus der Kälte gerieten immer mehr in Panik. Der Widerstand, der ihnen entgegenschlug, lichtete ihre Reihen, und die Klagerufe der Sterbenden ließ sie zum erstenmal seit ihrer Existenz Angst verspüren. Kerbrick zählte seine Munition. Nur noch fünf Geschosse. Ein Vampir eilte auf sein Haus zu, schneller, als ein Mensch es jemals vermocht hätte. Kerbrick feuerte - daneben. Der Vampir prallte mit der ganzen Gewalt seines Körpers gegen das Haus,
brachte die dicken Balken zum Erbeben. Die Kinder und Kerbricks Frau drängten sich angstvoll in einer Ecke zusammen. Ein zweiter, ein dritter Stoß. Die Wand platzte auf, und der bizarre Schädel des Eisvampirs äugte herein. Kerbricks Frau rannte zum Kamin, holte einen glühenden Holzscheit hervor und näherte sich dem Dämonen. Der Vampir sah die Gefahr auf sich zukommen, wollte fliehen, aber er hatte sich an den gesplitterten Balken verhakt. Die Eskimofrau trieb dem Vampir entschlossen den Holzscheit in den Körper. Sofort verlor seine Kristallhaut an Glanz, wurde dunkel und löste sich auf. Kerbrick eilte zu der entstandenen Öffnung und blickte hinaus, bemerkte einen Zombie, der vor Chroschkas Schüssen floh und erledigte ihn. Noch vier Kugeln. Kerbrick wartete geduldig. Martin Rubett durchstöberte langsam und methodisch die Seitenstraßen. Er war auf acht Zombies und einen Vampir gestoßen, und nun besaß er noch genau elf Projektile. Rubett suchte nach zwei bestimmten Zombies, und sein Herz war schwer dabei, aber immer wieder hämmerte er sich ein, daß es für Szargosh und Drunkley eine Gnade war, sie von ihrem schrecklichen Schicksal zu erlösen. Der Kampflärm von der Hauptstraße und in der Umgebung von Norman Antons Haus mäßigte sich allmählich. Offenbar ließ der Ansturm der Vampire nach. Es konnten auch nicht mehr allzu viele sein. Rubetts Schritt stockte. Er hatte den Zombie genau gesehen, der sich im Schatten des Stützpfeilers von Szargoshs Haus verborgen hielt. Rubett nickte unwillkürlich. Seine Vermutung hatte ihn also nicht getrogen. Szargosh war zu seinem Haus zurückgekehrt, das er vor einem halben Jahr – kurz nach seiner Ankunft in Bunker’s Hope – gemietet hatte. Der Prospektor bemühte sich, gleichgültig zu wirken und ruhig weiterzugehen. Szargosh, der Zombie, folgte ihm. Unvermittelt blieb Rubett stehen, machte eine schnelle Drehung, riß das Gewehr empor und richtete es auf den Zombie. Szargosh grinste ein entsetzliches Grinsen.
In Rubett begannen sämtliche Alarmglocken zu läuten. Der Zombie reagierte nicht normal, sondern mehr so, als hätte er noch einen geheimen Trumpf in Reserve. Mit einem Satz sprang der Zombie in den Schutz des Pfeilers zurück. Rubett feuerte, aber die Kugel fuhr nur in das Holz und verpuffte dort harmlos. Der Zombie lachte höhnisch. Ein ähnliches Gelächter wurde hinter Rubett laut. Der Prospektor fuhr herum, erhaschte nur einen kurzen Blick auf die Gestalt eines zweiten Zombies. Drunkley, erkannte Rubett. Er schoß. Wieder daneben. Allmählich wurde Rubett nervös. Er begriff, daß man ihm eine Falle gestellt hatte. In der Dunkelheit und hier auf der offenen Straße besaß er eine denkbar ungünstige Ausgangsposition. Rubett schlich vorsichtig nach rechts, wo sich Szargosh verborgen hielt, und warf immer wieder einen Blick zurück über die Schulter. Drunkley war nirgends zu sehen. Hier in der engen Seitenstraße pfiff der Sturm wie durch einen Windkanal, und er dröhnte und jaulte in den Ohren, peitschte den Schnee, daß er hoch hinauf stob und durch die Luft taumelte. Zernarbten Wachttürmen gleich reckten sich links und rechts die hölzernen Häuser gegen den lichtlosen Himmel und ächzten und stöhnten unter der Kälte, unter dem Sturm. »Mart«, flüsterte es, »hast du Angst? Hast du Angst, Mart? Hämmert dein Herz, kriecht Schwäche in deinen Körper, verkrampfen sich deine Eingeweide und näßt bitterer Schweiß deine Stirn?« Rubett drehte sich, hielt Ausschau nach dem Zombie, der ihn ansprach. »Sind deine Gedanken klein und furchtsam, Mart?« klang die Stimme wieder an sein Ohr. »Spürst du, daß du verloren bist in dieser Nacht, allein auf dich gestellt an diesem einsamen Ort? Mart, Mart, und niemand weint eine kleine Träne um dich!« Rubett atmete heftig. Die Zombies wollten ihn verwirren, ihn zu einer unüberlegten Handlung treiben. Er hockte sich in den Schnee und legte das Gewehr an, aber die Zombies hatten sich gut versteckt. Die Unsicherheit in Rubett wuchs. Dann erneut die Stimme, doch jetzt kam sie aus einer anderen Richtung und lag um eine Oktave tiefer. »Mart, warum hast du dich gegen deine Freunde gekehrt?«
fragte das Wispern. »Warum trübt Haß deinen Blick? Kennst du uns nicht mehr, Mart? Weißt du nicht mehr, wer Ephraim Szargosh und Steve Drunkley sind?« Rubett bewegte sich unruhig. Er fror; es war nicht gut, bei einem derartigen Unwetter längere Zeit regungslos an einer Stelle zu verharren. »Wo steckt ihr?« brüllte der Prospektor schließlich, nur um irgendetwas zu sagen. Die Stimme kam wieder von der anderen Seite. »Welch mordlüsterne Absichten hegst du gegen deine Kameraden, Mart? Wozu umklammerst du das Gewehr, warum ist dein rechter Zeigefinger um den Abzug gekrallt? Mart, wir sorgen uns um dich!« Die Worte besaßen einen fast hypnotischen Zwang, und Mart bot alle seine Konzentration auf, um gegen die aufkeimende Passivität anzukämpfen. Da – eine Bewegung! Rubett handelte sofort, und der Schuß bohrte eine lange Furche in den Schnee. Die Chemikalien reagierten, loderten bald in einem hellen Feuer und beleuchteten die Straße. Eine zusammengekauerte Gestalt zuckte zusammen. Rubett zielte und schoß erneut, traf den Zombie, traf – ja, es war Szargosh, sein alter, unglücklicher Freund Ephraim Szargosh! Eine Faust schien den Zombie zu schütteln, verkrampfte Arme, verkrampfte Beine, fratzenhaftes Gesicht und ein würgender Schrei. Das, was einstmals Ephraim Szargosh gewesen war, versickerte wie farbloser Sirup im Schnee. Ein wutentbranntes Grollen näherte sich Rubett. Der Prospektor ließ sich abrollen, landete mit dem Rücken auf dem Boden, den Gewehrkolben gegen die Brust gepreßt. Mit gewaltigen, federleichten Sprüngen hetzte Drunkley, der Zombie, auf ihn zu, nur durch das vorhin neben Szargosh explodierte Geschoß schemengleich von der düsteren Umwelt zu unterscheiden. Der Rückstoß drückte Rubett beinahe zwei Rippen ein, und die Kugel schlug fauchend in die Lende des Ungeheuers, schleuderte es aus seiner Bahn, und für einige Sekunden wurde Rubett von einer menschengroßen Fackel geblendet. Die Knie des Prospektors zitterten; nur knapp war er dem Verderben entronnen – zum zweitenmal. Mit klammen Fingern lud Rubett seine Waffe nach und setzte seinen Patrouillengang fort.
Ein frierender, zitternder Mann im Schneesturm. Nachdem Logan über eine halbe Stunde lang die Straße beobachtet und keinen weiteren Vampir oder Zombie entdeckt hatte, entschied er sich, zusammen mit Nogger die Stadt zu durchkämmen. Das Schußgetöse war auch an den anderen Verteidigungspunkten fast völlig verstummt, und Logan hoffte, daß die eisigen Kreaturen des Rumsfield-Plateaus ihre Niederlage eingesehen und sich zurückgezogen hatten. Heartley nickte. »In Ordnung, Patrick. Ich bleibe zusammen mit Tomtom noch hier.« Er lächelte schwach. »Man kann nie wissen.« Logan und Nogger zählten ihre Munition. Zwölf Kugeln, gerade genug für jeden, um das Magazin zu füllen. Schnell erreichten sie die verschneite Hauptstraße, die ihren Namen nur deshalb führte, weil an ihr mehrere Geschäfte, die Kneipe, die Polizeistation und das Haus des Bürgermeisters lagen. Überall empfing sie gespenstische Stille. Gleichzeitig mit dem Ausbleiben weiterer Attacken der Eisvampire war auch die Gewalt des Blizzards zurückgegangen. Das Tosen der aufgeregten Luftmassen hatte sich zu einem feinen Säuseln gemäßigt. »Sie scheinen tatsächlich fort zu sein«, bemerkte Nogger. Logan zuckte mit den Schultern. »Vielleicht haben sie sich nur irgendwo versteckt und warten auf eine günstige Gelegenheit. Gehen wir zunächst zu Chroschka. Von ihm dürften wir mehr erfahren.« »Hallo, Rick!« schrie in diesem Augenblick jemand. Logan sah zwei Gestalten eilig auf sich zukommen. Es waren Rene Moreau und Sandy Vaughn. »Habt ihr noch Vampire oder Zombies gesehen?« erkundigte sich Logan hastig. Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Nein, offenbar haben sie die Flucht ergriffen. Rick, ist mit dir alles in Ordnung? Greg Ingrim – er ist den Eisdämonen zum Opfer gefallen.« »Keine Sorge, Sandy«, beruhigte Logan sie. »Wir haben Glück gehabt.« Geistesabwesend strich er sich über seine Gesichtsmaske. »Verdammt, ich hatte gehofft, wir würden es ohne Verluste schaffen.« Nogger stieß ihn an. »Komm, wir müssen weiter!« Gemeinsam stapften sie auf die Polizeistation zu. Enver Chroschka stand bereits mit dem Gewehr in der Hand vor der Tür. »Alles vorbei«, empfing er die vier. »Soeben hat mich Tomtom
Kezikewa angerufen und mir mitgeteilt, daß ein Eisvampir und acht Zombies den Weg in Richtung Alyeska-Camp genommen haben. Wahrscheinlich die einzigen Überlebenden des Kampfes.« Logan verspürte eine grenzenlose Erleichterung. »Wissen Sie von Verletzten oder Toten, Enver?« »Drei Männer, zwei Frauen und vier Kinder«, teilte ihm Chroschka mit belegter Stimme mit. »Wir mußten sie erschießen… Die Berührung der Vampire hatte sie in Zombies verwandelt. Ansonsten haben wir großes Glück gehabt. Die Dämonen sind ahnungslos in die Falle getappt. Offensichtlich sind sie noch niemals zuvor auf ernsthaften Widerstand gestoßen.« »Ein Vampir und acht Zombies«, wiederholte Logan sinnend. »Ich nehme an, sie werden zu ihren Höhlen im Hochland fliehen.« Er registrierte das Blitzen in Chroschkas Augen und deutete es richtig. »Morgen?« fragte er. »Ja, in aller Frühe«, stimmte Chroschka zu. »Aber jetzt sollten wir die anderen Bewaffneten zusammenrufen und die Stadt durchkämmen. Es kann durchaus sein, daß sich noch einige der Kreaturen hier aufhalten.« Die Suche verlief ergebnislos. Tatsächlich schien das Gemetzel die Vampire in Panik versetzt zu haben. Alle hatten Bunker’s Hope verlassen. Logans Büro war überfüllt. Der Zigaretten- und Pfeifenrauch erzeugte einen dichten Nebel, der sich mit dem Geruch von Whisky und Rum vermischte. »Es sind genau achtundvierzig Kugeln übriggeblieben«, gab William Heartly bekannt. »Rechnet man die bei Nacht unvermeidlichen Fehlschlüsse ab, dann haben rund hundert Eisvampire beziehungsweise Zombies den Tod gefunden.« Quincy Kerbrick lachte rauh. »Davon werden sich diese Ungeheuer nie wieder erholen.« »Nein«, sagte Chroschka und blickte den Bürgermeister offen an. »Solange auch nur ein Vampir noch unbehelligt existiert, solange werden die Menschen keine Ruhe haben. Sie dürfen nicht vergessen, Quincy, daß diese Wesen allein durch bloße Berührung einen Menschen in einen Zombie verwandeln können. Und wer weiß, ob man in fünfundzwanzig oder hundert Jahren unseren Berichten über den Vorfall noch Glauben schenkt, und die Anonymität ist der beste Schutz für diese Kreaturen.
Wir haben keine andere Wahl. Wir müssen die Gefahr ein für allemal beseitigen. Morgen früh werden Patrick Logan, Professor Heartley und ich aufbrechen. Unser Ziel ist das Rumsfield-Plateau!« Nogger kicherte. »Der gute Enver vergißt, daß ein Rover vier Plätze besitzt. Nun ratet mal, wer unsere drei tapferen Helden noch begleiten wird.« »Nogger ist aber auch zu nett«, bemerkte Sandy Vaughn ironisch. »Immer denkt er an mich, wenn es um etwas Wichtiges geht.« »Aber…« stammelte Nogger verblüfft, »ich…« »Wir müssen noch die Ausrüstungsgegenstände in den Rover laden, Rick«, überlegte das Mädchen laut. »Direkt bei Sonnenaufgang müssen wir abfahren, um rechtzeitig das Plateau zu erreichen.« Nogger verstummte resignierend. Logan warf die Kiste mit den provisorisch hergestellten Fackeln in den Laderaum und schloß mit einem Knall die Haube. Der Motor des Eisrovers tuckerte gleichmäßig und kraftvoll vor sich hin. »Viel Glück, Rick«, wünschte ihm Quincy Kerbrick. »Ich erwarte, daß ihr alle vier heil und gesund zurückkehrt.« Logan drückte ihm wortlos die Hand. Der klare Morgenhimmel hatte den Spuk der vergangenen Nacht weit weggedrängt, und ab und zu ertappte sich Logan dabei, wie er überlegte, ob es gestern wirklich einen Überfall dämonischer Wesen auf Bunker’s Hope gegeben hatte. Logan hob grüßend zu den anderen Männern und Frauen den Arm und stieg dann in den Rover ein. Chroschka drückte auf die Hupe, und gleichzeitig mit dem schrillen Heulen setzte sich der Rover in Bewegung, jagte mit ständig wachsender Geschwindigkeit die Straße hinunter und erreichte dann den verschneiten Weg zum Camp. Als sie das Lager erreichten, stockte Logan der Atem. Die Vampire mußten in ihrem Haß und ihrer Wut eine wahre Zerstörungsorgie gefeiert haben. Die Zelte – zusammengebrochen, aufgeschlitzt, niedergetrampelt, in allen Richtungen verstreut. In den Baracken und Vorratsschuppen befanden sich riesige gezackte Löcher. Lebensmittel, Kleidungsstücke, Bücher, Flaschen, technische Geräte lagen im Schnee – hier ein gefrorenes Brot, dort ein
eingeschlagenes Meßgerät, da zerfetzte Landkarten. »Die Vampire müssen übermenschliche Kräfte besitzen«, flüsterte Sandy Vaughn, als sie einen auf dem Dach liegenden Rover sah. »Ihre größte Kraft ist die Kälte«, bemerkte Enver Chroschka. »Sie macht die Materialien zerbrechlich wie dünnes Glas.« »Aber trotzdem…« »Vergessen Sie nicht, daß die Dämonen nicht aus organischen Stoffen bestehen und nur ein nichtmenschlicher Geist ihre Kristallkörper beseelt und damit lebendig macht. Zweifelsohne besitzen sie eine geistige Macht, mit der sie auch tote Materie beeinflussen können.« Sie bogen nach Westen ab und fuhren mit Höchstgeschwindigkeit durch das Land, in dem es keine Straßen und keine Häuser gab. Dann trafen sie auf ihre alte Fahrtroute, die trotz des Sturmes noch umrißhaft zu erkennen war. Logan zerbrach sich den Kopf über dieses Rätsel, kam jedoch zu keinem Ergebnis. »Ich nehme an«, vermutete Chroschka, der am Steuer saß, und nach Logans Anweisungen an kleinen Waldstücken, Hügeln und Schneedünen vorbeilenkte, »daß der unvermittelte, heftige Blizzard von gestern abend ein Erzeugnis der Eisvampire war und sich dadurch nur auf ein enges Gebiet um Bunker’s Hope beschränkte. Ein weiterer Hinweis darauf, daß wir die Dämonen nicht unterschätzen dürfen. Unseren Sieg haben wir wohl nur ihrem Leichtsinn, hervorgerufen durch ein jahrhundertealtes Überlegenheitsgefühl, zu verdanken. Beim nächstenmal sind sie gewarnt und werden vorsichtiger vorgehen.« Die Sonne – ein kleiner, verwaschener Fleck ohne wahrnehmbare Wärmeausstrahlung – stieg höher und höher, und der Rover schoß mit seinen Passagieren über den Schnee. Das einzelne Fahrzeug kam schneller voran als die Kolonne, die zur Rettung der drei Prospektoren vor wenigen Tagen ausgeschickt worden war, und es war gegen Nachmittag, als der Rover am Rand des Rumsfield-Plateaus anlangte. Die ausgefahrene Spur, die der Konvoi hinterlassen hatte, erleichterte dem nun steuernden Logan die Arbeit, und schließlich breitete sich das Hochland platt und bleich vor ihnen aus. »Jetzt ist es nicht mehr weit«, murmelte Logan. Seine Stimme vibrierte vor unterdrückter Nervosität. Der Motor brummte mißtö-
nend und warf den Rover mit einem Satz vorwärts. Hier oben auf dem Plateau – ungehemmt durch Hindernisse – raste das Fahrzeug wie ein Schlitten über den spiegelglatten Boden. Nur die rauhen Gleitketten bewahrten es davor, den Halt zu verlieren und steuerlos abzutreiben. »Wie lange wird es noch hell sein?« wandte sich Heartley an Sandy Vaughn. »Wenn wir Glück haben, eine knappe Stunde. Nicht viel, oder?« »Nein«, bestätigte der Professor. »Nicht viel.« »Es wird reichen«, beruhigte sie Chroschka. »Nur außerhalb ihrer Höhlen sind uns die Eisvampire in der Dunkelheit überlegen. In ihren Höhlen finden wir uns aber mit den Lampen genauso gut zurecht wie sie.« »Übersehen Sie da nicht, Enver, daß die Vampire ihre Behausungen besser kennen als wir, unter Umständen sogar Fallen eingebaut haben?« »An Fallen glaube ich nicht«, erklärte Chroschka Logan. »Das widerspricht ihrem Charakter. Eher befürchte ich, daß es einen eine Art Wächter gibt.« Logans Kopf ruckte herum, blickte dann aber wieder durch die Windschutzscheibe. »Ein Wächter? Was für ein Wächter? Wie kommen Sie darauf?« »Nur eine Vermutung. Aber es wäre nur logisch. Und von welcher Art? Nun, kalt, nicht-lebend, nicht-tot, ein Zombie… Es gibt viele Möglichkeiten.« »Die Schlange«, flüsterte Sandy Vaughn. In ihren Augen stand Angst. »Rick, erinnerst du dich an das Lied des Kalten Gewürms?« »Natürlich«, entgegnete Logan. »Sie nehmen die Wärme und bringen nur Tod.« »Ja, aber auch an die letzte Strophe. Kennst du sie noch?« Logan überlegte. »Tut mir leid, Sandy, nur noch Bruchstücke.« Das Mädchen ballte die Hände. »Ich kenne sie aber noch, Rick. Hört zu: Und irgendwo im Tafelland zerfressen frostige Gewölbe den Fels. Wage nicht, Wanderer, das Reich des Kalten Gewürms mit deinem warmen Blut zu betreten,
denn dort windet sich A’ykla und wartet mit hungrigem Schlangenmaul… A’ykla, eine Schlange aus Frost und Kristall.« Das Mädchen schloß die Augen. »Es muß eine Eisschlange sein, oder zumindest eine Kreatur, die einer Schlange ähnelt, von gleicher Substanz wie die Vampire und Zombies.« Heartley klopfte demonstrativ auf sein Gewehr. »Ob Schlange, Vampir oder Zombie, es bleibt sich gleich. Hitze tötet sie.« Den Rest der Fahrt verbrachten sie schweigsam und ihren Gedanken nachhängend. Und zusammen mit der Sonne, deren Bahn bald beendet war, sank auch die Zuversicht und machte der Furcht Platz. Logan bremste ab. »Was ist?« schreckte Chroschka auf. »Wir sind angekommen.« Der Polizeichef deutete auf zwei Hügel aus Schnee, unter denen stellenweise graues Material hervortrat. »Rover und Zelt der Prospektoren. Und dort« – er zeigte nach rechts – »die Felsengruppe.« »Der Eingang«, murmelte Chroschka. Die Zeit schien stillzustehen. Eine unwirkliche Stimmung überfiel die drei Männer und die Frau. Die Stille, das fahle Licht, das die Landschaft in ein Filmnegativ zu verwandeln schien, das Gefühl, am Tor zur Unterwelt, zur Welt der Geister und Dämonen zu stehen, ließ die Wangen der Menschen blaß und ihre Hände kalt werden. Logan durchbrach mit einem ärgerlichen Räuspern den Bann. »Worauf warten wir?« Chroschka griff nach seiner Gesichtsmaske und knöpfte methodisch seinen Fellmantel zu. »Machen wir uns fertig.« Sie zogen sich entsprechend den arktischen Temperaturen an, nahmen die Gewehre und verließen das warme Fahrerhaus. Draußen heulte ein schneidender Wind. Hastig ging Logan zur Rückseite des Fahrzeugs und öffnete die Ladeluke. Heartley half ihm, und sie holten die Scheinwerfer, Ersatzbatterien und mehrere große Kanister Benzin heraus, das infolge einer chemischen Spezialbehandlung trotz der Kälte flüssig blieb. Mehrere Äxte und eine Tasche mit kleineren Gegenständen rundeten die Auswahl ab. Jeder ergriff die ihm zugedachten Gegenstände, und sie stapften auf die nur knapp fünfzig Meter entfernt aufragende Felsenformation zu.
Die Dämmerung warf ein graues Netz über das Land. Logan hielt das Gewehr schußbereit. Irgendwie fühlte er sich beobachtet, vermochte aber den Ursprung dieser Vermutung nicht zu analysieren. Zurück blieb ein unbehagliches Gefühl. Der Wind nahm an Intensität zu. Heartley knipste seine Lampe an. Ein kräftiger Lichtfinger stach durch das melancholische Grau. »Sicher sind die Dämonen tief in ihre Höhlen gekrochen«, versuchte Logan sich und den anderen Mut zu machen. Niemand antwortete. Heartley ließ seinen Scheinwerfer über den vereisten Fels gleiten. Nirgendwo zeigten sich die feinen Ritzen, die Hinweis auf eine verborgene Tür geben konnten. Die vier umrundeten die Felsbrocken, von denen einzelne nahezu eine Höhe von fünfzehn, zwanzig Metern erreichten. »Damit hat wohl niemand gerechnet«, sagte Sandy Vaughn etwas spöttisch. »Was nun?« »Der Eingang muß hier sein«, beharrte Enver Chroschka. »Es gibt keine andere Möglichkeit. Wahrscheinlich ist er sehr gut versteckt. Wir müssen intensiv suchen.« Logan deutete zum Himmel, der über und über mit blauschwarzer Farbe bekleckert zu sein schien. »Nur mit den Scheinwerfern?« »Patrick hat recht«, ergänzte Heartley. »Entweder wir finden das Tor in ein paar Minuten oder gar nicht mehr in dieser Nacht. Wir müssen überlegen, wo die wahrscheinlichste Stelle…« »Professor«, unterbrach ihn Sandy Vaughn freundlich, »sehen Sie einmal nach dort.« Der Strahl ihrer Lampe erhellte einen meterdicken Spalt in der Felswand, an dessen Ende ein undefinierbares Etwas schwach rötlich glühte. »Was ist das?« rief Logan unwillkürlich. »Der Eingang!« Chroschkas Schrei drückte die Freude aller aus. Mit entsicherten Gewehren traten die vier langsam näher. Das Leuchten entpuppte sich als eine eisenrote Platte, die durch den Scheinwerfer zum Fluoreszieren angeregt wurde. Konnte das das Tor sein? Vorsichtig drückte Chroschka mit dem Gewehrlauf einen kugeligen, dick hervorstehenden Knauf in der Mitte der Platte nach unten. Im gleichen Moment erklang ein krachendes Geräusch, und
die Platte war spurlos verschwunden. Statt dessen starrten sie in ein mannsgroßes Loch im Felsen. »Spuk!« sagte Heartley mit unsicherer Stimme. »Einfach unglaublich. Wenn ich es nicht mit meinen eigenen Augen gesehen hätte…« »Still!« zischte Logan und schlich sich an das Loch heran, beleuchtete es mit seiner Lampe. Hinter der Öffnung erkannte er einen hochgewölbten, schmalen Gang, dessen Wände funkelten und glänzten. Eiskristall, das das Scheinwerferlicht tausendfach brach. »Ich glaube, Sandy«, flüsterte Logan, »deine Entdeckung war Gold wert.« Er beobachtete konzentriert. »Nichts zu sehen, der Gang ist verlassen. Kommt!« Nacheinander stiegen sie durch das Loch in das Felsenlabyrinth der Eisvampire ein. Hier schien es noch kälter als unter freiem Himmel zu sein. »Wir müssen schnell machen«, sagte Chroschka eindringlich. »Die Kälte nimmt uns sonst die Kräfte, und wir werden zu hilflosen Opfern der Dämonen.« Im Innern des Felsens brauchten sie nur einen Scheinwerfer einzuschalten, um genügend sehen zu können. Die Reflektionen der Eiskristalle an den Wänden und der Decke erhellten den Gang taghell. Nach rund hundert Schritt beschrieb der Tunnel eine Kurve und neigte sich dann steil in die Tiefe. Immer weiter stiegen die Männer hinab in die Unterwelt, und überall eine bittere Kälte und das Glitzern des Eises. Die Schritte der Menschen hallten hohl und geisterhaft wider. Es war, als bewege sich eine ganze Kompanie durch das unterirdische Tunnelsystem. Logan blickte auf die Uhr. »Schon eine halbe Stunde unterwegs«, rief er überrascht aus. Ihm war es nur wie knapp zehn Minuten vorgekommen, und die Verblüffung in den Mienen der anderen zeigte ihm, daß es mit ihnen ebenso war. Vielleicht konserviert diese Kälte die Zeit, dachte Logan und war dann verärgert über die absurde Idee. Und dennoch… Die Kälte erzeugte in den Gedanken eine Atmosphäre der Irrealität, fast so, als durchlebe man einen Traum und warte auf das Erwachen, und deshalb besaßen sie kein Gespür für die Zeit mehr. »Achtung!« Chroschkas Stimme klang verwirrt.
Logan stellte sich zu ihm. »Was ist?« »Ich… Bewegt sich da nicht etwas?« Logan aktivierte seine Lampe wieder. Der Lichtkegel prallte auf eine phantastische Kreatur, deren blinde Augen blicklos in den Reflektor starrten. Gut zwei Meter dick, von einem saphirenen Grün und mit kristallenen Schuppen, schlängelte sich ihnen ein monströser Körper entgegen, über zwanzig Meter lang und mit einem gigantischen keilförmigen Schädel. Mit einem widerlichen Geräusch züngelte eine glutrote, gespaltene Zunge zwischen zwei spitzen Fangzähnen hervor. »Alarm!« ächzte Logan, riß gleichzeitig das Gewehr an die Wange. Heartley und Sandy beleuchteten das Ungeheuer. A’ykla, dachte Logan. Die Eisschlange! Und während er dies dachte, betätigte sein behandschuhter Finger den Abzug. Es krachte und dröhnte, und die Wände stöhnten ein heiseres Echo zurück, daß die Menschen meinten, ihnen würden die Schädel zerplatzen, die Herzen zerspringen. Die Kugel traf die Eisschlange genau zwischen den Augen. Sie zischelte und bäumte sich auf, peitschte mit ihrem Hinterleib den Boden, splitterte große Stücke aus den Wänden. Zwischen ihren Augen brannte das Feuer der reagierenden Chemikalien. Aber A’ykla war noch nicht tot, obwohl ihr grauenhafter Kopf sich allmählich auflöste und ihre Haut grau und stumpf wurde. Die Schlange schnellte sich nach vorn, übersprang mehrere Dutzend Meter, prallte direkt vor Chroschka und Logan auf, stieß mit dem deformierten Schädel zu, die Fangzähne entblößt und tödlichen Frost ausstrahlend. Logan schoß wieder und wieder. Zwei, drei weitere Geschosse schlugen dumpf in den zuckenden Leib ein, entfachten lodernde Flammen. Die Eisschlange erbebte, ringelte sich mehrmals um sich selbst, und nur durch eine blitzschnelle Reaktion entgingen die Männer dem ziellos umherschlagenden Schwanz. Die Erschütterungen, die der Schlangenleib erzeugte, entfachten in dem Gemäuer des Tunnels breite Risse. Kopfgroße Felsund Eisbrocken krachten auf die vier Vampirjäger nieder. Einer traf Logan an der Hüfte, und er schrie auf, als der furchtbare Schmerz seine Nerven durchraste. Endlich mäßigten sich die Bewegungen des Untiers, und es lag tot da in dem Gang, an mehreren Stellen immer mehr zu Flüssig-
keit zerlaufend. Und dann war A’ykla, die Eisschlange, verschwunden. Logan seufzte hinter seiner Gesichtsmaske. »Gott sei Dank, das Ungeheuer ist tot!« »Schnell weiter!« trieb Chroschka sie an. »Den Vampiren muß das Ende ihres Wächters auffallen. Möglicherweise haben sie uns die Schlange auch entgegengeschickt.« Er nahm einen der Kanister mit dem Benzin. Die drei Männer und die Frau hasteten weiter. Nach einer Weile endete der Gang, mündete in eine gewaltige Halle, deren Decke in der Dunkelheit verschwamm. Dunkelheit? Logan runzelte die Stirn. War es tatsächlich dunkel? Nein, ein diffuses Licht wurde von den Wänden ausgestrahlt und sorgte für eine kaum wahrnehmbare Helligkeit, an die sich die Augen nach dem Erlöschen der Scheinwerfer schnell gewöhnten. Staunend nahm Logan das Bild in sich auf. Die Halle mochte mit Sicherheit mehr als einen Kilometer Durchmesser haben, und ihre Wände waren reinstes Eis. Überall erhoben sich spitze Eisnadeln vom Boden; grazile Strukturen und auf irgendeine Weise voller Perversionen und dämonischer Gelüste. Die Halle atmete eine Aura fühlbarer Bosheit aus; schleimige Gier, nicht-menschliche Triebe, Verderben und Grauen, Ekel, Abscheu, Mordlust. Und wenn Logan sich besonders anstrengte, die Lider zusammenkniff und jedes Detail sorgfältig abtastete, dann konnte er unzählige flacher, etwas dunkler Mulden im Boden erkennen. Er informierte die drei anderen über seine Entdeckung. Chroschka blinzelte interessiert. »Sehen wir einmal nach«, sagte er. Die Vertiefungen entpuppten sich als sanft gerundete Wannen, verkleidet mit einem Logan unbekannten, kühl und silbrig schimmernden Material. »Was kann das sein, Enver?« fragte Sandy Vaughn. Der hagere Mann rieb sich nachdenklich die Unterlippe. »Wenn wir davon ausgehen, daß dieser Dom der Hauptaufenthaltsort der Vampire und ihrer Sklaven ist, dann könnte es sich bei diesen Mulden um Betten, Ruhestätten handeln. Hier schlafen die Dämonen während des für sie tödlichen Sommers.« Heartley fingerte nervös an seinem Gewehr herum. »Sollten wir
nicht besser schon alles vorbereiten? Jetzt, wo wir noch relativ unbehelligt sind?« Chroschka stimmte zu und deutete auf eine Wanne, die etwas größer als die übrigen wirkte und ziemlich zentral lag. Die drei Männer und die Frau trugen die Benzinkanister dorthin, und Chroschka stöberte in der Tragetasche und brachte eine Rolle isolierten Kabels und ein kleines Gerät zum Vorschein. Dann öffnete er einen Kanister nach dem anderen und ließ das Benzin in die Wanne laufen. »Hoffentlich reicht das Zeug aus«, murmelte Logan zweifelnd. »Bei der Größe dieser Halle. Und vielleicht gibt es noch mehr davon.« Chroschka legte ein Kabelende in das Benzinbad und wickelte die Rolle behutsam ab, während er Schritt für Schritt in Richtung Gang zurücktrat. »Machen Sie sich darum keine Sorgen, Rick«, erklärte er. »Ich glaube, daß diese riesige Höhle einzig und allein durch die von den Vampiren erzeugte Eisschicht stabilisiert wird, und Sie haben bei dem Angriff der Schlange ja gesehen, wie zerbrechlich das Material ist. Die Explosionswirkung und die Hitze des Benzins werden ausreichen, um das gesamte Höhlensystem zum Einsturz zu bringen.« Logan teilte nicht ganz den Optimismus Enver Chroschkas, aber er gab sich mit diesem Bescheid zufrieden. Mehrmals stampfte er mit den Füßen auf, um die Starre seiner frierenden Glieder zu beenden. Nur dem Umstand, daß es hier unter der Erde keinen Luftzug gab, bewahrte sie davor, in der schneidenden Kälte elend umzukommen. Das Geräusch eines fallenden Steines drang an Logans Ohr. Er blickte sich um, aber in dem Dämmerlicht konnte er ab einer bestimmten Distanz nur graue Schatten erkennen. Seine Augen richteten sich auf Chroschka, der – gesichert durch Heartley und Sandy - das Zündkabel mit jenem Gerät verband, dessen roter Knopf deutlich die Funktion verriet. »Haben Sie auch etwas gehört, Bill?« flüsterte Logan unwillkürlich mit gedämpfter Stimme. »Oder du, Sandy?« Die Angesprochenen schüttelten die Köpfe. Chroschka befestigte einen letzten Kontakt und öffnete eine Klappe im Boden des kleinen Schaltkästchens. Sorgfältig legte er zwei Minibatterien hinein. Zufrieden nickte er dann. »Die Babyzellen sind voll geladen. Einer
Sprengung steht nichts mehr im Weg.« Da – wieder das Geräusch. Logan entsicherte sein Gewehr. »Ich schaue mich einmal kurz um. Ihr wartet hier. Ich bin gleich wieder da.« Lautlos hastete er auf eine im oberen Drittel geteilte Eisnadel zu – eine schillernde Figur, mehr als fünf Meter im Umfang und kalt, entsetzlich kalt. Von dort war das Geräusch gekommen. Logan sah um die Ecke – und starrte genau in die Fratze eines Zombies. Die Kreatur fletschte die Zähne und schlug nach Logan, verfehlte ihn, und dann warf sie sich herum und flüchtete in langen Sätzen auf eine bis dahin unsichtbare Tunnelöffnung zu. Er wird mich zu dem Versteck seiner Artgenossen führen, dachte Logan. Schnell entschlossen nahm er die Verfolgung auf. Der Zombie verschwand im Dunkel des Tunnels, und Logan nahm seinen Scheinwerfer und knipste ihn an. Der Lichtstrahl traf auf den geflüchteten Zombie und auf zwei weitere dieser Wesen. Logan schoß im Laufen. Der Knall hörte sich in der hallenden Höhle wie ein riesiger Gong an. Einer der Zombies wimmerte klagend auf. Getroffen. Die beiden anderen trennten sich und stolperten aus dem Bereich des Scheinwerferstrahls. Ihre kristallenen Körper funkelten. Logan feuerte erneut. Ein heiserer Schrei bewies ihm, daß sein aufs Geradewohl abgegebener Schuß sein Ziel gefunden hatte. Nur noch einer. Wo mochte er stecken? War er tiefer in den Tunnel eingedrungen? Die Lampe zeigte Logan, daß der Stollen nach knapp zwanzig Metern abknickte. Hinter der Ecke? War der Zombie auf den Gedanken gekommen, ihm hinter der Biegung aufzulauern? Dem Polizeichef blieb keine andere Wahl. Er mußte den Zombie finden und töten – bevor er sie tötete… Sandy Vaughn schrie leise auf, als sie den Schuß hörte, der gleich darauf von einem zweiten gefolgt wurde. »Rick!« »Offenbar ist er auf Vampire gestoßen«, vermutete Heartley. »Ich gehe zu ihm«, sagte das Mädchen entschlossen. Chroschka hielt sie fest. »Nein, das dürfen Sie nicht, Sandy. Wenn wir uns in Gruppen teilen, haben die Dämonen leichtes Spiel mit uns. Nur vereint sind wir stark genug. Und – Logan ist ein kluger Mann. Die Vampire werden ihn nicht überlisten kön-
nen.« Das Mädchen überprüfte das Gewehr. »Vielleicht haben Sie recht, Enver. Aber sobald er um Hilfe ruft, bin ich bei ihm.« »Verdammte Verzögerung!« fluchte Heartley. Dem Professor war die akademische Würde völlig abhanden gekommen, er wirkte nervös, unsicher, auch furchtsam. So geht es uns allen, fuhr es Sandy Vaughn durch den Kopf. Die Ereignisse, das Grauen der letzten Tage… Zuviel Tote, zuviel Verzweiflung und zuviel Angst, um unberührt zu bleiben. Nur Chroschka hatte sich kaum verändert, aber selbst hinter seiner Maske aus Gelassenheit und Selbstvertrauen lauerte bereits die Panik. Ob es an dieser Höhle lag? An dem Licht, an der moderigen Atmopshäre? Obwohl nichts zu sehen war, schienen die Eisvampire überall gegenwärtig zu sein. »Warum kommt er nicht?« Sandy wurde immer unruhiger. »Irgendetwas ist passiert. Ich muß…« In diesem Augenblick zerbrach direkt vor ihnen eine Eisnadel, und mit einem höhnischen Gebrüll rasten vier, fünf Zombies auf sie zu. Das Mädchen stöhnte. Wie von einem eigenen Leben erfüllt, brachten ihre Hände das Gewehr in Anschlag; ein Finger legte sich um den Abzugshebel, drückte ab. Ein Zombie wurde aus seiner Bahn gerissen und in eine der Wannen geschleudert, floß auseinander, wurde zu einer schleimigen Pfütze. Chroschka ließ das Zündgerät fallen, bückte sich, hob sein Gewehr vom Boden – und mit einem Satz landete ein Zombie auf ihm, ließ ihn zusammenbrechen und fuhr mit seiner frostigen Kristallhand über Chroschkas Körper. Heartley brüllte vor Entsetzen. Seine Waffe spie Feuer, zerschmetterte einem Zombie den Brustkorb, riß einem zweiten die Hüfte weg, Heartley stolperte, eine Hand packte seinen Mantel, zerrte daran, und Heartley starrte in Chroschkas maskenloses Gesicht, starrte in die Facetten der Eiskristalle. »Nein!« kreischte Heartley. »Nein! Nein!« Zu spät… Die Hand riß dem Professor die Maske vom Gesicht und preßte sich tief in die Haut hinein. Heartley wurde steif, blaß, die Verwandlung ging in Windeseile vor sich. Das Fleisch des Kopfes begann zu schrumpfen, erhärtete sich, glänzte, atmete
Frost aus. Heartley knurrte. In seinen Augen stand Gier. Die Gier nach Menschenwärme… Sandy Vaughn erkannte die Gefahr, vertrieb mit einem Schuß einen Zombie, warf die Tasche mit den Notrationen einem zweiten Zombie gegen den Schädel, drehte sich um und rannte los. Knurrend stürmten die Zombies – mit Chroschka und Heartley an der Spitze – hinter ihr her. Das Mädchen rannte mit aller Kraft. Sie rannte und schrie: »Rick! Hilf mir, Rick! Hilf mir!« Die Zombies kicherten voller Hohn. Logan hielt sich dicht an der Wand, horchte, leuchtete mit der Lampe. Alles still, leer. Die Biegung kam näher. Logan schluckte. Er kannte die Schnelligkeit der kalten Toten zur Genüge, und wenn der Zombie tatsächlich sprungbereit auf ihn wartete… Zehn Meter. Neun. Acht. Sieben. Logan schnellte sich nach vorn, überbrückte die restliche Distanz in wenigen Sekunden, schlitterte über den glatten Boden, und ein Schatten schoß aus dem Dunkel hervor, flog auf ihn zu, verfehlte ihn nur knapp. Logan feuerte. Die Kugel prallte gegen die Wand, blieb stecken und glühte auf. Der Zombie erblickte das Feuer und hob beide Hände vor die Augen. Logan nutzte die Verwirrung des Ungeheuers aus, und diesmal traf das Geschoß. Mit zitternden Händen nahm Logan die Lampe wieder an sich, die ihm bei dem Kampf entfallen war, und verließ den Tunnel. »Rick! Hilf mir, Rick! Hilf mir!« Sandy! Eine Schrecksekunde lang war Logan wie gelähmt. Die furchtbarsten Bilder gingen ihm durch den Kopf. Was war passiert? Er erreichte das Tunnelende und stand wieder in der gigantischen Höhle. Was er sah, ließ das Blut in seinen Adern stocken. Sandy kam auf ihn zugerannt, hinter ihr vier Zombies, darunter Chroschka und Heartley. Man hat sie überfallen! Die Zombies haben Enver und Bill in einen der ihren verwandelt! Logan winkte und wedelte mit den Armen. »Sandy! Hierher! Schnell!«
Das Mädchen änderte geringfügig ihre Richtung und verdoppelte ihre Anstrengungen. Die Zombies waren bei Logans Stimme etwas abgefallen, holten nun aber schnell auf. Logan legte an. Eine unsichtbare Klammer schien seinen Hals zuzuschnüren. Der Lauf zitterte, als er auf Heartley deutete. O mein Gott! dachte Logan verzweifelt. Warum mußte es nur dazu kommen? Der Schuß krachte los. Logan beobachtete alles wie in einem Traum. Heartley wurde mitten im Lauf gestoppt. In seinem Halsansatz glühte ein roter Punkt, vergrößerte sich zu schwärender Glut, flammte dann hell auf, alles schmelzend, alles tötend, schmorte dem Zombie das Antlitz fort und zerkochte ihn zu dampfender Lauge. Sandy erreichte Rick, von Schluchzern geschüttelt, völlig entkräftet. »Bleib liegen!« befahl ihr Logan knapp. Sein zweiter Schuß galt Chroschka. Chroschka heulte und jammerte, überschlug sich mehrmals, stieß mit dem Schädel gegen eine der vielen Eisnadeln, dann war er still und lag regungslos da, bis ihn das chemische Feuer unkenntlich gemacht hatte. Wieder zielte Logan. Klick! Leer, durchzuckte es Logan. Das Magazin ist leer. Die beiden restlichen Zombies befanden sich schon erschreckend nahe. Und keine Zeit, nachzuladen. Neben Logan bellte ein Gewehr auf. Sandy – sie hatte geschossen. Und getroffen. Mit einem durchdringenden Fauchen war dann der letzte Zombie über ihnen. Logan sah das nichtmenschliche Gesicht auf sich zu kommen, stieß mit dem Gewehrkolben zu, direkt in das geöffnete Maul hinein. Eine Kältewelle lähmte augenblicklich Logans Arm. Der Zombie würgte und schlug das Gewehr beiseite, das beim Aufprall in tausend Stücke zerschellte. Aber dieser kurze Moment genügte Sandy Vaughn, um ihre Waffe in Position zu bringen und zu feuern. Der Zombie löste sich auf. Logan hielt sich den gefühllosen rechten Arm und unterdrückte mühsam ein Wimmern. Eine Handbreit über dem Ellenbogen ließ
die Lähmung nach, und die dort vorhandenen Nerven sandten betäubende Schmerzimpulse in Logans Gehirn. »Rick – du bist verletzt«, stellte das Mädchen verängstigt fest. Mißtrauen stand in ihren Augen. Sie kroch ein wenig von ihm fort. Logan starrte in die geschwärzte Mündung des Gewehres. »Sandy!« sagte er. »Was – was soll das, zum Teufel?« »Der Zombie – er hat dich berührt«, sagte Sandy mit tonloser Stimme. »O Rick! Mein Rick!« Logan erkannte die Gefahr. Das Mädchen befürchtete, daß er sich ebenfalls in ein Ungeheuer verwandeln würde. »Nicht, Sandy! Nicht schießen! Er hat mich nicht direkt angefaßt, nur das Gewehr! Nur das Gewehr, Sandy! Hörst du? Ich bin in Ordnung. Völlig in Ordnung. Nur mein Arm ist etwas betäubt, aber das kennst du doch. Denke zurück an die Nacht, als wir nach den drei Prospektoren suchten und kurz vor dem Plateau Rast machten. Als ich mit den Kundschafter der Eisvampire kämpfte.« Er wollte sich aufrichten. Sofort ruckte das Gewehr hoch. »Keine Bewegung!« warnte ihn das Mädchen. »Bleibe noch ein paar Minuten so liegen, und wenn dann nichts geschehen ist, bist du gerettet.« Logan atmete flach. Sie hat ja völlig recht, überlegte er. An ihrer Stelle hätte ich genauso gehandelt. Wir dürfen uns kein Risiko erlauben. In Gedanken verfluchte er seinen Leichtsinn, der ihn von der Gruppe hatte fortgehen lassen. Eine klug inszenierte Falle. Nach einer Weile seufzte Sandy Vaughn erleichtert auf und warf sich in seine Arme. Zärtlich strich er über ihre Pelzmütze. »Keine Angst, Sandy. Du brauchst jetzt keine Angst mehr zu haben.« »Es – es war grauenhaft, Rick«, schluchzte sie. »Zuerst die Angst um dich, als wir die Schüsse hörten, kurz nachdem du verschwunden warst. Und dann… Sie kamen aus einer dieser Eisnadeln, Rick. Sie brach auseinander, und plötzlich stürmten fünf Zombies auf uns zu. Einen erwischte ich, zwei weitere Professor Heartley, aber danach… Eine Bestie erreichte Enver Chroschka, bevor ich etwas unternehmen konnte, und er – er wurde auch zu einem Zombie, Rick! Und weißt du, was er dann tat? Er griff den Professor an, seinen Freund! Er überfiel seinen Freund, berührte ihn… Ich lief weg, sah dich, der Kampf… Der Zombie und du, ich konnte nicht mehr unterscheiden, was genau vor sich ging, dach-
te, daß du…« »Es ist ja gut, Sandy«, sagte Logan und drückte sie fest. »Es ist vorbei.« Schließlich löste sie sich aus seinen Armen. »Und jetzt?« »Der Zünder! Was ist mit dem Zünder?« fragte Logan. Das Mädchen zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht genau. Chroschka ließ ihn achtlos fallen.« Logan füllte das Magazin seiner Waffe. »Die letzten sechs. Wieviel hast du noch?« »Drei. Warum? Die Zombies sind doch…« »Der Eisvampir!« Logan stand auf. »Acht Zombies und ein Eisvampir flüchteten aus Bunker’s Hope. Wo ist er jetzt?« »Ich hatte gar nicht mehr daran gedacht.« Er half Sandy beim Aufstehen. »Irgendwo muß er sich hier herumtreiben, beobachtet uns vielleicht. Komm, wir gehen zurück. Dieses Labyrinth muß vernichtet werden. Auch ein einzelner Eisvampir ist gefährlich genug. Ihm könnte es gelingen, in ein paar Jahren genug neue Zombies erzeugt zu haben, um einen neuen Angriff gegen die Menschen zu starten. Das dürfen wir nicht zulassen.« Jetzt, nach der Hektik und dem Lärm des Kampfes wirkte die unheimliche Stille in dem Felsdom störend und beunruhigend. Die Wanne im Boden war halb mit dem Benzin gefüllt. Nur: das Kabel und der Zündapparat fehlten. Logan fluchte lang und ausgiebig. »Der Vampir… Er muß begriffen haben, was wir beabsichtigen.« Sandy zitterte. »Rick, ich fühle, daß er in der Nähe ist. Ich fühle es einfach, Rick. Und ich habe Angst!« »Ich auch, Sandy. Mein Magen schmerzt vor Furcht.« Seine Augen suchten die Umgebung ab, fanden aber nichts Verdächtiges. »Wie sollen wir jetzt das Benzin zur Explosion bringen? Ohne Zündgerät, ohne Kabel, das den elektrischen Funken leitet?« Logan wollte antworten, aber er verstummte, als die Musik ertönte. Das heißt, es war keine Musik im eigentlichen Sinn, mehr eine völlig sinnlose Aneinanderreihung heller, zwitschernder Klänge, arhythmisch, schrill, verzerrt und – Logan konnte sich gegen diese Einschätzung nicht wehren – bösartig, drohend. »Woher kommt das?« flüsterte Sandy. »Wind, der durch Felsritzen pfeift«, versuchte Logan zu erklä-
ren, aber die Unwahrscheinlichkeit eines derartigen Ereignisses Dutzende, vielleicht Hunderte von Metern unter der Erde, kam ihm sofort zu Bewußtsein. Die Musik schwoll an. Es war ein häßliches Durcheinander panischer, hektischer Töne, die in den Ohren klingelten und sämtliche anderen Laute zur Bedeutungslosigkeit degradierten. Unablässig musterte Logan die Umgebung. War dies ein Ablenkungsmanöver, das der letzte Eisvampir veranstaltet hatte, um sie überraschend angreifen zu können? Lauter und lauter wurde die peitschende Symphonie, plagte die Trommelfelle, entfachte Kopfschmerzen und Verwirrung, und immer lauter, schriller, bösartiger. Und dann geschah das Unglaubliche! Ein Klirren und Scheppern, Dröhnen und Bersten beendete die Musik. Nacheinander zerplatzten die Eisnadeln, so wie Gläser bei einer bestimmten Tonfrequenz zerplatzen. Von einer Sekunde zur anderen war der Wald aus glitzernden Kegeln verschwunden, zu einem Trümmerfeld geworden. Aber das war es nicht, was Logan und Sandy Vaughn so entsetzte. Denn da, wo bisher die scheinbar massiven Stalagmiten gestanden hatten, befanden sich nun bizarre Gestalten; drei Meter groß, dürr, bleich glitzernd, mit Eispickeln auf den Schädeln, grausamen Augen und breiten Mündern, hinter denen gebogene Fangzähne zu erkennen waren. Eisvampire! Es mußten Hunderte sein! »Rick!« stöhnte das Mädchen. »Das darf doch nicht sein!« Die Vampire blickten sie an, so, wie eine Schlange eine hypnotisierte Maus anstarrt, bevor sie sie verschlingt. Logan biß sich auf die Lippe. Pech gehabt, dachte er bestürzt. Damit hat niemand gerechnet. Wahrscheinlich befanden sich nur immer wenige Vampire außerhalb ihrer Höhle. Der größte Teil schlief im Eis und wartete. Worauf? Vielleicht auf den Tag, an dem sie die Herrschaft über die Erde übernehmen konnten… Nun, das Auftauchen Logans und Sandy Vaughns trotz aller Angriffe der Zombies mußte den Eisvampir bewogen haben, seine Artgenossen zu wecken. »Was sollen wir tun, Rick?« flüsterte Sandy. Allmählich lösten sich die Dämonen aus ihrer Bewegungslosig-
keit und schwebten auf den Mann und die Frau zu. Da fiel Logans Blick wieder auf das Benzin in der Bodenmulde. Die Idee nahm Formen an. »Sandy«, raunte er, »wir müssen gleich sehr schnell laufen, verstanden? Es geht um unser Leben. Du mußt rennen, als hättest du Zeit deines Lebens nichts anderes gemacht.« »Was hast du vor?« Die Vampire sammelten sich, stoben einem grotesken Schwarm mißgebildeter Vögel gleich ihnen entgegen. Logan deutete auf das Benzin, während er zusammen mit dem Mädchen mehr und mehr zurückwich, in Richtung auf den Tunnel, durch den sie in den Felsendom gelangt waren. »Da die Dämonen uns den Zündapparat gestohlen haben, müssen wir das Benzin auf andere Art entflammen.« Sandy nickte verstehend. »Hoffentlich hatte Enver Chroschka mit seiner Theorie recht, als er sagte, die Hitze würde genügen, um den gesamten Höhlenkomplex zu zerstören.« »Uns bleibt keine andere Wahl«, preßte Logan hervor. Die Vampire gewannen an Geschwindigkeit, und offenbar schienen sie sich ihrer Beute sehr sicher zu sein, denn ihrer Attacke entbehrte es an Hast. Endlich hatten Logan und Sandy Vaughn den Tunnel erreicht. Er hob das Gewehr. Einer der Vampire stieß einen harten Ruf aus. Ahnte er, was Logan vorhatte? Der Polizeichef zielte, zwang seine bebende Hand zur Ruhe. Fast hatten die ersten Dämonen die Wanne mit dem Benzin erreicht. Logan schoß. Das Projektil schlug mitten in der Mulde ein. Von nun an ging alles rasend schnell. Eine gewaltige Stichflamme stob bis zur Höhlenecke, verschlang die vordersten Vampire, griff nach den nächsten. Ein vielstimmiger Schreckensschrei erscholl. Tosend fuhr eine heiße Druckwelle durch den Felsendom. Überall Feuer. Das Benzin war in alle Richtungen verspritzt. An unzähligen Stellen brannte es. Das Eis schmolz, schrankgroße Brocken fielen von der Decke, zerschmetterten manchen der Dämonen, die anschließend von den allgegenwärtigen Flammen verschmort wurden.
»Komm!« schrie Logan. »Nichts wie weg!« Sie stürmten in den Tunnel, angetrieben von der erhitzten Luft, die pfiff und heulte. Hinter ihnen, im Felsendom, nahm das Chaos zu. Die Hitze tötete die Vampire, die wie aufgescheuchte Ameisen bei einem Waldbrand ziellos umherhasteten. Nacheinander fielen sie dem Feuer zum Opfer. Das Eis an Decken und Wänden schmolz, verdampfte. Das Gestein ächzte unter der Marter der Temperaturschwankungen. An einer Wand zeigte sich ein meterdicker Spalt, zuckte durch den Fels, setzte sich fort bis zur Decke. Ein tiefes, ehrfurchtgebietenes Grollen brachte die Höhlen zum Schwingen. Logan und Sandy vernahmen die Geräusche der Katastrophe. Sie eilten erschöpft und durchfroren den Tunnel entlang, vorbei an den Trümmern, die noch von ihrem Kampf mit A’ykla, der Eisschlange, herrührten, weiter und weiter. Und in ihrem Nacken glühendheiße Druckwellen. Das brennende Benzin mußte das Gefüge der Natur in diesem Gebiet erschüttert haben, oder lag es an dem dämonischen Einfluß der Eisvampire, daß ein verhältnismäßig kleines Feuer derartige Reaktionen hervorrief? Die Todesschreie der Vampire und das Donnern herabstürzender Fels- und Eisbrocken nahm allmählich ab. Logan wollte schon erleichtert langsamer laufen, da knirschte es in den Wänden des Tunnels. Entsetzt beleuchtete er mit seinem Scheinwerfer die Quelle der Geräusche. Unzählige schmaler Spalten zersetzten das feste Gestein, machten es porös und brüchig. »Alles stürzt zusammen!« schrie Sandy. Logan hielt sie an der Hand, in der anderen das Gewehr, und er zerrte sie mit sich, umgeben vom Brechen und Bersten des Felsens. Vor ihnen zeigte sich ein mattes Loch, durch das ein kalter Wind pfiff. Der Ausgang! Sie stürmten hinaus, in die Nacht, in die eisige Kälte. Da stand ihr Rover, unversehrt. Für eine Sekunde blieben sie stehen, verschnauften. Aus dem Inneren der Erde dröhnte es, und eine Wolke bestialischen Gestanks fuhr aus dem Tor. Logan eilte zum Rover, öffnete ihn und schaltete die Heizung
des Motors auf volle Kraft. Bevor sie in das Labyrinth der Eisvampire hinabgestiegen waren, hatte Logan die Heizung vorsichtshalber etwas angelassen. Zwar wurde die Batterie davon stark in Mitleidenschaft gezogen, aber jetzt trug diese Maßnahme zu ihrer Rettung bei. Schon nach wenigen Minuten würden sie abfahren können. Das Rumpeln und Rumoren verstärkte sich. Die Erde bebte, zitterte. Die ersten Anzeichen! Probehalber betätigte Logan den Anlasser. Stotternd und immer wieder aussetzend sprang der Motor an, und bald lief er ruhig und voll unterdrückter Kraft. Ein grünes Leuchten drang aus dem Tor. Sandy Vaughn schüttelte sich. So etwas hatte sie noch nie erlebt. Das Leuchten verdickte sich, aber dann loderte eine gelbe Flamme auf und erstickte den grünen Glanz. »Steig ein, Sandy!« forderte Logan sie auf. »Die Höhlen der Eisvampire stürzen zusammen, ein Krater wird hier entstehen. Wir müssen fort!« Das Mädchen kletterte die kurze Leiter hinauf, verriegelte die Tür und starrte aus dem Fenster. Logan trat das Gaspedal durch. Die Ketten rasselten los und trieben den Rover von der Stätte der Vernichtung fort. Die Erdstöße wurden heftiger. Das Fahrzeug schaukelte und schleuderte wie ein kleines Boot in einem Hurrikan. Dann senkte sich die Erde. Ein Gebiet von rund sechzigtausend Quadratmetern sackte einfach in sich zusammen, polterte in die Tiefe, bedeckte völlig die Überreste des dämonischen Baues und erstickte die Flammen. Eine Bö ließ den Rover unsicher schlingern. Dann war alles vorbei. »Es tut mir sehr leid um Enver Chroschka und William Heartley«, sagte Quincy Kerbrick rauh. »Ohne sie würde es kein Bunker’s Hope mehr geben, würden über tausend Menschen den Tod gefunden haben oder zu einem noch schlimmeren Schicksal verdammt sein. Es ist tragisch, daß ausgerechnet diese beiden Männer sterben mußten.« Seit der Ankunft von Patrick Logan und Sandy Vaughn waren mehrere Tage verflossen, und allmählich kehrte wieder das nor-
male Leben in dem kleinen Städtchen ein, als habe es nie Eisvampire und Zombies gegeben. »Manchmal denke ich, daß dies alles nur ein schlechter Traum war«, gestand Logan. »Hätte ich es nicht selbst erlebt…« »Ja, es klingt unglaublich. Aber es ist wahr.« Sandy Vaughn trank einen Schluck Tee mit einem Schuß Rum. »Die Eisvampire und ihre Helfer sind tot. Niemand braucht mehr das RumsfieldPlateau zu meiden. Das Land der Furcht ist befreit von seinen Peinigern.« Logan und Kerbrick grinsten. »Sieh an«, murmelte der Bürgermeister. »Eine Dichterin.« Das Mädchen sah ihn schräg an, entgegnete aber nichts. »Die Arbeiter sind ins Camp zurückgekehrt und haben es wieder zum größten Teil aufgebaut. In den nächsten Tagen soll aus Fairbanks ein neuer Gebietsdirektor eintreffen.« Kerbrick zog an seiner Zigarette. »Wir wollen beten, daß es kein zweiter McClosen ist.« Logan saß müde und entspannt in seinem Stuhl, die Füße auf dem Tisch, und er genoß die Ruhe, die über diesem Raum lag. Er dachte an Kerbricks Worte. Kein neuer McClosen? Nun, mochte er anders aussehen, anders sprechen, anders vorgehen, um seine Ziele durchzusetzen, er war dennoch ein McClosen, denn seine Motive waren die der Alyeska, aber nicht die der Menschen von Bunker’s Hope. Darum war jeder neue Direktor ein McClosen: weil er für einen Konzern, nicht für die Menschen arbeitete. Logan saß da in seinem Stuhl, und er dachte an die Weiten des Rumsfield-Plateaus, und vor seinem geistigen Auge erschienen Bohr- und Fördertürme, Eisenbahngleise, rauchende Schornsteine, rußige Luft und verendende, aus ihrem Lebensbereich vertriebene Tiere. Hatten sie darum die Eisvampire vernichtet, nur um dieses große, unberührte Land einem neuen Feind in die Hände zu spielen? Aber er erinnerte sich an Nogger, Kerbrick, Kezikewa, Heartley, Chroschka und viele andere, deren Namen ihm entfallen waren. Er erinnerte sich an Sandy, an ihren Mut und ihre Selbstlosigkeit, und in diesem Augenblick wurde ihm bewußt, daß er niemals Furcht haben mußte um die Freiheit dieses Landes, solange es noch solche Menschen gab.
ENDE