KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
K U L T U R K U N D L I C H E HEFTE
MARTIN KAKIES
Elche ...
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KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
K U L T U R K U N D L I C H E HEFTE
MARTIN KAKIES
Elche DAS
AUSGESTORBENE
HOCHWILD
OSTPREUSSENS
VERLAG
SEBASTIAN
LUX
MURNAU . M Ü N C H E N - I N N S B R U C K - ÖLTEN
Cäsar erzählt Jägerlatein Ich stehe auf der weitgeschwungenen eisernen Brücke des großen Memelstromes und schaue wie gebannt auf das Schauspiel, das sich mit reibendem und donnerndem Getöse vor mir abspielt: Das Eis geht! Ein solch wildes Eistreiben sehe ich zum erstenmal in meinem Leben; denn ich bin vor kurzem erst von Hamburg hierher versetzt worden, nach Tilsit, der äußersten Stadt im Nordosten. Nie habe ich erlebt, daß die heimatliche Elbemündung einmal zufror, aber hier ist der Strom bis zum Meer die ganzen Wintermonate hindurch vom Eis gefesselt, hier klingeln winters die Schlitten taiit den rassigen Trakehnerpferden selbst durch die Hauptstraßen der Stadt. Und nun dieser Eisgang 1 Von weither, aus dem Litauischen, treiben die Eismassen heran. Riesige Schollen bis zu fünfzig Meter Länge krachen gegen die Brückenpfeiler, bäumen sich auf, zerschellen. Die Bruchstücke drehen sich in jähen Wirbeln und schwimmen weiter stromab. Ober allem gleißt die leuchtende Sonne dieser letzten Märztage. Ich stehe unter vielhundert Zuschauern, die — wie jedes Jahr — aus der Stadt gekommen sind, um von der hochgeführten Brücke das gewaltige Naturereignis zu erleben; keiner kann sich losreißen von diesem Bild. Quer über die Brückenfahrbahn wechsle ich auf die andere Seite hinüber und blicke stromab, um die Schollen auf ihrer Taltrift zu verfolgen. Rechts, nach Norden, ist das flache Land weit überschwemmt, einzelne Gehöfte ragen als dunkle Inseln aus dem sonnenüberfluteten Wasser. Dort, nach der Nordseite hin, gibt es noch keine Deiche. Hoffentlich schaffe ich's morgen! denke ich. Hoffentlich hält drunten an der Mündung die Eisdecke wenigstens morgen noch, damit ich über den Strom und zum Forsthaus komme, wo ich mich für einige Tage bei den Förstersleuten angesagt habe! Der Förster ist ein guter Bekannter, mit dem mich das Nachkriegsschicksal oftmals zusammengeführt hat. Er lebt schon viele Jahre in der Niederung zwischen den zahlreichen Armen, in die der Memelstrom sich teilt, dort, wo die weiten Erlenwälder liegen und die Wiesen und die Schilfbreiten. Man nennt den Landstrich die Elchniederung, da in dieser Zeit — es ist das Jahr 1935 — noch 2
Hunderte von Elchen dort leben. Die Einladung der Förstersfamilie liegt schon lange zurück. Jetzt, da ich in der Nähe wohne, soll mein Wunschtraum in Erfüllung gehen. Ich freue mich wie ein Stint, wie einer jener silbrigen Fische, die es unten am Haff in rauhen Mengen gibt. Normalerweise hätte ich mit einem der Marktdampfer einfach stromab schwimmen können; aber wegen des Eisgangs schaukele ich mit der Kleinbahn nach Westen dem Haff entgegen. Nun, es geht alles glatt. Auf der Gilge, einem Mündungsarm, über den ich hinüber muß, steht das Eis noch fest in Winterlage. Die Schollen, die von oberwärts kommen, haben sich schon Kilometer vorher zu großen Eisbergen gestaut. Aber auch hier ist das Land weithin überschwemmt, da es nicht durch hohe Dämme geschützt wird. Kutscher Fritz, der mit seinem Weihnachtsbart wie aus einem richtigen Märchenbilderbuch übernommen sein könnte, holt mich mit einem Schlitten an der Station ab und vermummt mich in einem Wust von Decken. Nach einer schnellen Fahrt über den Fluß und den Damm und durch den Erlenwald biegen wir auch schon auf den Hof des Försters ein. Er steht mit der ganzen Familie lachend unter der Haustür. „Sie lassen einen schön lang warten!* sagt er gutgelaunt und hilft mir aus den Decken und dem Schlittenpolster: „Und ein bißchen verfroren sind Sie auch? Man immer rein in die warme Stube!" Während er mich mit seiner Familie bekannt macht, lacht er mit hundert Fältchen. Sein Gesicht ist so rotbraun, als käme er eben aus einer Sommerfrische am Meer. Die Förstersfrau holt aus der Ofenröhre einen Berg von Waffeln, richtige Schmandwaffeln, und bald dampft der Kaffee in den Tassen. Klar, daß schon bald von den Elchen gesprochen wird, denen nicht zuletzt mein Besuch gilt. Der Förster hat bei unseren Begegnungen allzuviel von ihnen erzählt. Man sieht schon hier in der Stube, daß die Försterei in dem größten deutschen Elchrevier liegt. An den Wänden hängen drei mächtige Elchschaufeln und eine ganze Anzahl von Elchstangen. Auch einzelne Abwurfschaufeln sind an der Wand befestigt oder stehen in den Ecken. „Die haben Sie alle geschossen?" frage ich voller Hochachtung, als wir uns nach dem köstlichen Imbiß in der gemütlichen Wohnecke niederlassen. „Nein, die großen sind Abwurfschaufeln", erklärt der Hausherr. „Sie sehen, ich habe sie auf künstliche Schädel aufgesetzt. Die Elche werfen in jedem Herbst ihr Geweih ab, und ich suche dann 3
die Abwurfschaufeln und die Stangen. Nun, das werden Sie ja jetzt alles selber erlebenI" Der "Waidmann ist in seinem Element. Ich spüre, daß er die Elche nicht nur aus seinem Wald kennt, sondern daß er sich beinahe wie ein Wissenschaftler mit ihrem Leben und ihrer Naturgeschichte befaßt hat. „Wissen Sie auch", sagt er im Verlaufe des Gespräches, „daß schon Julius Cäsar im ,Gallischen Krieg' von den Elchen berichtet hat? Allerdings hat ihm sicher ein oller Germane dabei einen gehörigen Bären aufgebunden." Obwohl der „Gallische Krieg" Cäsars zu meinem Wissensbestand gehören müßte, entsinne ich mich der Stelle nicht, an der die Elche vorkommen sollen. „Erinnern Sie sich nicht mehr aus Ihrer Tertianerzeit", bemerkt mein Gastgeber, „daß an einer Stelle vom Hercynischen Wald die Rede ist? Cäsar berichtet, daß es dort die sogenannten Alces gebe, die Elche. In ihrem Aussehen und der bunten Färbung ihrer Felle seien sie den Ziegen ähnlich, aber sie hätten keine Hörner und die Beine hätten keine Gelenke, und sie seien zudem viel größer als Ziegen. Deshalb könnten sie sich auch nicht hinlegen, um zu schlafen. Wenn sie schlafen wollten, lehnten sie sich an die Bäume. Fielen sie aber durch irgendeinen Zufall um, so könnten sie sich nicht wieder aufrichten. Wenn die Jäger nun auf Grund der Fährte feststellten, an welchen Bäumen die Elche auf diese Art zu ruhen pflegten, so unterwühlten sie entweder die Wurzeln oder sie sägten die Stämme an. Sobald sich die Tiere zum Schlafen anlehnten, stürzten die Bäume um, und mit ihnen die Elche. Eine tolle Ge^ schichte, nicht w a h r ? " Der Förster schmunzelt übers ganze Gesicht, während er behaglich den Qualm aus seiner Tabakspfeife aufsteigen läßt, er ist glänzender Laune. Waldi, der Dackel, guckt uns von unten her mit treuherzigen Augen an, und es sieht so aus, als ob auch er sich über den grot-i ßen Cäsar lustig mache.
„Hirsche" und „Tiere" Wir haben vereinbart, daß wir schon am nächsten Tag ina Revier fahren. Der Schnee ist stark fortgeschmolzen, aber wir können doch noch den Schlitten benutzen, ohne Schlittengeläut natürlich. Der Förster lenkt selbst. Da die Erlen und Birken noch winterkahl
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Ohne Geweih erscheint der Elch aus der Ferne manchmal wie ein Pferd
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sind, haben wir überall weiten Einblick in den Bestand. Ich bin gespannt auf die erste Begegnung mit Elchen. Und wir haben Glück! Es dauert nicht lange, da zeigt der Förster nach vorn: „Dort drüben! Ein Hirsch und ein ,Tier' mit Kalb!" Würde man hier nicht Elche erwarten, so könnte man glauben, daß da ein paar Pferde in den Weidensträuchern zwischen dem Damm und dem Fluß weideten. Aber wenn man genauer hinsieht, wird der Unterschied doch klar. Elche sind größer als Pferde und ganz anders gebaut. Die Partie über den Vorderläufen, über der Schulter also, ist eigentümlich hoch gelagert, beinahe wie ein Buckel, nach den Keulen hinten aber fällt der Körper ab, so daß er vorn weitaus höher steht als hinten. Auf dem kurzen Hals sitzt ein langer und starker Kopf, der noch am ehesten an ein Pferd erinnert, aber er ist eigentümlich plump geformt. Es ist für mich ein überraschendes Bild. Noch stärker als der Eindruck des Seltsamen ist der einer riesigen Körpermasse. Ich habe das Fernglas vor die Augen genommen und betrachte zutiefst erregt aus größter Nähe die drei ungewohnten Wesen. Dann wende ich mich an meinen Begleiter: „Sprachen Sic nicht von einem Hirsch? Ich denke, es sind Elche!" „Gewiß sind es Elche! Aber nicht nur bei Rotwild sprechen wir von Hirschen. Die männlichen Elche nennen wir Elchhirsche oder einfach Hirsche, wenn es klar ist, daß es sich eben um Elche handelt. Den weiblichen Elch nennen wir Elchtier oder kurz ,Tier'. Auch Elin könnte man sagen. Das ist nun mal die Jägersprache. Hat man sich erst einmal an die Waidmannssprache gewöhnt, kann man gar nicht anders reden. Würde irgendwer von einem Elchbullen sprechen, mir würden sich sämtliche Haare sträuben!" „Und wie erkennen Sie von hier aus, daß einer von den dreien ein männlicher Elch, ein Hirsch, ist? Ich sehe, sie tragen jetzt keine Geweihe mehr, an denen man sie unterscheiden könnte." „So ein bißchen merke ich das an der ganzen Figur. Die ,Tiere' sehen schlanker aus, die Hirsche gedrungener und kräftiger. Von hinten erkennt man ein ,Tier' daran, daß die weiße Farbe der Hinterläufe sich bei ihm nach oben höher fortsetzt als bei einem Hirsch. Wenn man das Glas nimmt, entdeckt man beim Hirsch natürlich bald die runde Stelle, an der das Geweih gesessen hat und wo es abgefallen ist. Aber ich habe noch ein paar ganz private Kennzeichen! Die Hirsche haben auf der Stirn gewellte und krause Haare, so eine Art Bubikopf, bei den ,Tieren' ist die Stirn ziem-
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lieh glatt. Ich habe nun schon beinahe zwanzig Jahre lang die Elche studiert, und ich glaube, meine Beobachtung stimmtl" Wir gleiten mit dem Schlitten vorsichtig noch etwas näher heran, aber die Elche werfen nun auf, äugen kurz herüber und flüchten dann auf den Damm. Hier bleiben sie eine Weile stehen und sehen neugierig herüber, als wollten sie sich vergewissern, ob ihnen Gefahr drohe, dann trollen sie in den Erlenwald. Sie fliegen nicht dahin in wilder Hast, sondern mit der Ruhe, die ihnen immer eigen ist, aber trotzdem in einem Troll, der sie schnell vorwärts bringt. Was mich als Landfremden, der noch nie ein Elchrevier betreten hat, besonders begeistert, ist die federnde und flüssige und beinahe wiegende Art des Laufens, die sehr leicht und elegant wirkt. „Wie schön ihre Bewegung i s t I " sage ich bewundernd. „Ja, auch ich habe immer noch meine Freude daran I" erwidert der Forstmann. Er verfolgt das vertraute Wild mit einer Aufmerksamkeit, als erlebe er es zum ersten Male.
Die Elin in Todesnot Die kurzen Urlaubstage gehen dahin wie der letzte Schnee unter der Sonne. Ich nutze einen der Tage aus, um am nahen Mündungsdelta der Memel noch einmal den Eisgang zu beobachten. Von Sonne und Regen und Nebel ist die Eisdecke morsch und mürbe geworden, das Eis von stromauf drängt, die Eisbrecher arbeiten wie wild in den Strommündungen und im Haff, und plötzlich löst sich die Decke auch hier unten, und die Schollen schwimmen herab, nur sind sie weit kleiner als vor Tagen oben bei Tilsit. Gegen Mittag kommt ein Forstgehilfe atemlos in die Försterei. „Kommen Sie m i t ? " ruft mir der Förster zu, während er sich in Eile den Mantel überwirft. „Ich höre eben, daß ein Elch am Fluß liegt und nicht mehr weiter k a n n ! " Er gibt dem Kutscher den Auftrag, die beiden Waldarbeiter zu alarmieren, die unweit wohnen. Stricke, ein paar Spaten, Eisäxte und einige Bund Stroh werden in den Schlitten geworfen, und in sausender Fahrt fliegen wir zum Fluß hinunter und ein Stück den Damm entlang bis zu der Stelle, wo der in Not befindliche Elch gesehen wurde. Der Förster kennt die Gefährlichkeit dieser Uferstelle. Es vergeht kaum ein Jahr, daß nicht bei Überschwemmung und Eisgang Elche hier liegen bleiben. Den Männern bietet sich ein schlimmes Bild. Ein Echtier ist offenbar durch die treibenden Eisschollen über
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den Strom geschwommen. Die Schollen selbst haben ihm anscheinend nichts angetan, da sie nur noch in großen Abständen herunterkommen. Aber der leichte Regen von gestern ist in der Nacht zu Glatteis geworden und hat die Uferböschung mit einer spiegelnden Eisschicht überzogen. Die Elin hat keinen Halt mehr für ihre Läufe gefunden, als sie sich aufs hohe Ufer zu retten suchte. Sie muß mehrmals gerutscht sein. Ermattet liegt sie da. Die hintere Partie ist von der Strömung stromabgedreht, es ist deutlich zu sehen, daß das Tier seine Bemühungen bald aufgeben wird. Ein Mann aus der Nachbarschaft, der als erster zu Hilfe gekommen ist, hat einen Strick um einen seiner Läufe schlagen können und hält das Tier daran fest, sonst wäre es von dem Hochwasser wohl schon längst mitgerissen worden. Es ist ein schweres Stück Arbeit! Wir rauhen das glatte Eis mit den Eisäxten auf. Stroh wird ausgebreitet und Hölzer werden als Rollen niedergelegt. Geschickt schlingen die Männer Stricke um Rumpf und Läufe und versuchen mit kräftigen Hau-ruck-Rufen den Elch auf das Ufer zu ziehen. Ich helfe nach Kräften. Es ist keine Kleinigkeit, etwa acht Zentner aus dem Wasser herauszuschaffen. Der Elch ist zu matt, um sich zu wehren, aber auch zu schwach, um ein wenig mitzuhelfen. Er macht den Eindruck, als werde er jeden Augenblick in die Jagdgefilde hinüberwechseln, aus denen es eine Wiederkehr nicht mehr gibt. Aber es gelingt; das Tier liegt mit zitternden Flanken auf festem Boden. Es ist geschafft. Den Männern ist's warm geworden. Der Förster greift in die Rocktasche und bietet Zigarren an; nur der Kutscher lehnt dankend ab und stopft sich die altgewohnte Pfeife. Ich streichle behutsam die helle, dichte Winterdecke der Elin und habe Gelegenheit, das Tier aus nächster Nähe genau zu betrachten. Und eine Ahnung geht mir auf, wie schwer es doch alle Kreatur hier auf Erden hat, wie matt und elend auch der Stärkste werden kann, und wie schön und menschlich es ist, helfen zu können. Plötzlich eine jähe Bewegung, ich springe erschreckt zurück.' Der Elch hat sich aufgerichtet. Erst hinten auf den Hinterläufen, dann vorne, und nun streckt er sich und dehnt sich und schüttelt das Wasser aus der Decke, daß die Tropfen stieben. Die ersten paar Schritte sind noch steif, so, als wenn er erproben wolle, ob die Läufe überhaupt noch mitmachten. Dann zieht er an einer eisfreien Stelle langsam den Damm hinauf. Oben bleibt er eine Weile stehen und äugt zurück. Er wird diese Stelle, wo er aus Todes« 8
not gerettet worden ist, so leicht nicht vergessen. Wer viel Phantasie hat, darf sich einbilden, daß er den Männern noch einen Dankesiblick zuwirft. Schließlich trottet er weiter und biegt ab in den Erlenwald. Das lange, unfreiwillige Bad und der Sturz scheinen ihm nicht geschadet zu haben. „Früher ging es hier viel schlimmer zu, so vor dreißig J a h r e n " , erzählt der Förster. „Damals gab es kaum Deiche und Dämme. Mein Vorgänger sagte mir, daß in jedem Jahr bei Hochwasser und Eisgang viele Elche ihr Leben verloren. 1906 war wohl das schlimmste Jahr. Bei einem Bestand von 300 bis 400 Elchen sind 110 umgekommen, also jeder dritte oder jeder vierte. In den letzten Jahren haben wir nicht ein Stück verloren. Es gibt heute viele und lange Dämme hier, die Elche können sich bei Hochwasser rechtzeitig hinaufretten und sich auf das höher gelegene Land nach dem Innern zurückziehen. So etwas wie heute passiert nur selten." „Wissen Sie noch, wie wir den letzten Elch hier herauszogen?" wendet sich einer der Waldarbeiter an den Förster. „ W i r kannten ihn genau, er trug einen besonders langen Bart. Irgendeiner hatte ihn wegen seines Bartgestrüpps Langobarde getauft. Als er sich plötzlich von uns fortmachte, hatten wir ihm den Strick noch nicht vom Halse genommen. So lief er davon wie einer, den der Galgen im letzten Augenblick freigegeben hat. Es sah spassig aus, wie Strick und Bart ihm ums Haupt schlenkerten. Zum Glück ist ihm die Sache nicht gefährlich geworden, der Strick muß sich später gelöst haben. Als wir dem Elch wieder begegneten, war nichts mehr davon zu sehen." Als ich mich am übernächsten Tag von meinem Gastgeber verabschiede, kann ich schon die Fähre benutzen, so schnell ist das Eis abgezogen. Die Luft ist mild und lind. Die überschwemmten Wiesen und landeinwärts die Weiden und Äcker steigen mit immer größeren Buckeln über den Wasserspiegel. Wildgänse fliegen in Schwärmen zu vielen Hunderten über das Land. Wenn sie zum Landen ansetzen und die Schwärme sich auflösen, ist es, als ob unzählige Federn aus einem aufgeschlitzten Federbett herausquöllen und von einem leichten Wind durcheinandergewirbelt würden. Von der rumpelnden Kleinbahn aus, mit der ich die Fahrt fortsetze, sehe ich Schwäne auf dem Wasser liegen, weiß und leuchtend wie glitzernde Eisschollen. Der Frühling ist gekommen.
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Die Elchkälbchen Ich habe den Förstersleuten meine Wiederkehr zu Ostern versprochen. Aber es wird Pfingsten, ehe ich mir wieder ein paar freie Tage vergönnen kann. Da der Abreisetag ein schöner Maitag ist, wähle ich den Tourendampfer und reise die Memel und die Gilge stromab. Ich hocke mitten zwischen leeren Fischkästen und den Kästen mit Kolonialwaren und Mehlbeuteln, mit denen der Dampfer zu den Dörfern der Niederung zurückkehrt. Da ich mich schon vor einer Woche angemeldet habe, wartet an der Dampferanlegestelle ein Kahn auf mich, um mich ans Ziel zu bringen. Ein Wagen würde es nicht schaffen, denn die Niederung ist kreuz und quer von Wasserläufen und Kanälen durchzogen, und Wege sind selten. Fast lautlos gleitet der Kahn zwischen den Wiesen dahin und hinein in den Erlenwald. Von unten quillt das Wasser, von oben brennt die Sonne, die Erde ist prall vor Fruchtbarkeit. In der Försterfamilie bin ich schon fast wie zu Hause. Ich freue mich besonders über den Frühlingsstrauß, den man mir zum Willkommen aufs Zimmer gestellt hat. Schon am Nachmittag meiner Ankunft begleite ich den Hausherrn auf dem weiten Pirschgang. Wir treffen einen Elchhirsch, seine neuen Schaufeln sind schon kräftig gewachsen. Die kolbenartigen Auswüchse sind nach den Enden zu spateiförmig verbreitert, und im Jagdglas erkenne ich deutlich, daß alles wie mit zartem und weichem Samt überzogen ist. Der Förster hat sich auf einer Weide einen Hochsitz gebaut, einen Sitz zwischen mehreren starken Ästen, auf dem zwei Menschen nebeneinander hocken können. Ein Geländer schützt vor dem Herunterfallen; eine hohe Leiter führt hinauf. Von hier oben kann man weit über die Wiesen und das Buschwerk blicken, ohne daß man selbst gesehen wird; der Sitz ist gut versteckt zwischen den Zweigen. Für einen Naturfreund sind solche Stunden auf einem Hochsitz niemals langweilig. Und hier und heute ist es besonders schön. Die Weide liegt mitten in den Wiesen, nicht weit vom Walde und an einem teichartigen Gewässer, das von einem verlandeten Mündungsarm der Memel übriggeblieben ist. Eine Wildente kommt arglos aus dem Schilf auf das Wasser geschwommen, aus dem ein paar Stangen ragen; Schleireusen sind an ihnen befestigt. W i r sitzen lange da, ohne ein Wort zu sprechen. Ab und zu deutet der Förster auf irgendein Tier, das ich gar nicht bemerkt
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hätte. Meist ist es verschwunden, ehe ich es ins Blickfeld des Fernglases bekomme. Zudem lauere ich auf größeres Wild. Der Forstmann hat ein Streichholz in der Hand, um sich die Pfeife anzustecken, denn die Mücken werden lästig. Aber schon läßt er die Hand wieder sinken. „Sehen Sie da vorn«!" sagt er flüsternd. Aus dem grünen Gebüsch schiebt sich ganz langsam etwas Ziegelrotes heraus. „Ein Reh!" entfährt es mir, lauter, als es in diesem Augenblick angebracht ist. Aber sofort erkenne ich, daß es kein Reh sein kann. Es ist unzweifelhaft ein Elchkalb. Jetzt im Mai bekommen die Elche ihre Jungen. Das da muß vor zwei oder drei Tagen geboren sein, so wenig sicher tragen es die Läufe. Sie sind lang, sehr lang, sie wirken wie zerbrechliche Stelzen oder wie langgezogene Fragezeichen. Auch die Lauscher stehen seltsam lang an dem großen Kopf. Nur eine Farbe beherrscht den Körper, ein dunkles Brandrot; die weißen Flecke, mit denen Rehkitzen betupft sind, fehlen ganz. Von irgendwem, der nicht zu sehen ist, wird in der Nähe des Kälbchens ein Weidenbusch in regelmäßigen Abständen nach unten gezogen. Gewiß ist es die Frau Mama, die sich an den grünfrischen Blattspitzen gütlich tut. Endlich schiebt sie langsam und immer weiteräsend den Kopf heraus, und schließlich steht sie in ihrer vollen Größe da. „Schauen Sie dort", sage ich, und zeige nach rechts hinüber, „ein zweites Kälbchen!" Tatsächlich erscheint noch ein zweites Elchkalb auf staksigen Läufen auf der überstrahlten Naturbühne. Wäre auch zu seltsam, wenn es sich nicht gezeigt hätte! Fast immer setzen die Elchmütter im Frühjahr zwei Kälber, selten nur eines. „Ich schätze, es sind fünfzig Meter Entfernung", sage ich, „können sie keinen Wind von uns bekommen?" „Nein, wir sitzen zu hoch für sie", erwidert der Förster. „Stünden wir auf der Erde, so würde der Wind, auch wenn er poch so leise ist, die Witterung von uns zu ihnen tragen; denn der Wind steht gerade auf die Elche zu, und Sie sollten einmal sehen, wie die Alte vor uns flüchten würde, wenn sie uns bemerkte. Der Elch wittert gut, man sagt, das Witterungsvermögen sei der stärkste seiner fünf Sinne überhaupt. Im Augenblick ist unsere Witterung hoch in der Luft und verflüchtigt sich und erreicht sie nicht." Der Förster nimmt die Gelegenheit wahr, mir, während ich die Elchfamilie scharf beobachte, ein Geschichtchen zum besten zu geben: „Vor ein paar Jahren war's, ich saß auf meinem Hochsitz und hatte den Sitzstock unten in die Erde gesteckt. Vertraut kam 11
ein Schaufler gezogen, dicht bis an die Kanzel. Wie er nun den Stock sieht, geht er mit dem Windfang, mit der Nase, von unten an ihm hoch. Plötzlich wirft er sich mit allen Zeichen des Schrekkens auf den Hinterläufen herum und haut ab, wie von Wespen gestochen. Er war mit seinem Windfang an das Sitzleder des Jagdstockes gekommen, und meine für ihn so scheußliche Menschenwitterung war ihm in die Nase geschlagen. Ein Blitz hätte ihn nicht jäher erschrecken können!" Ich lasse immer noch kein Auge von der Elchmutter da unten und ihren Sprößlingen. Das zarte Ziegelrot der Kälber vor dem Grün der Büsche und Gräser ist ein Bild zum Malen. Die Sonne steht schon ziemlich tief, aber sie wirft ihren Schein noch hell in die Lücken des Gebüsches und übergießt die beiden Tolpatsche mit leuchtender Helligkeit. Die Kälbchen stolpern zwischen den Läufen der Mutter herum und versuchen gierig, an das Gesäuge zu kommen. Schmeichelnd streicht eines mit seinem Lecker an den Flanken der Mutter entlang, das andere läßt einen halb mahnenden, halb bittenden Ton hören. Endlich läßt die Mutter sie gewähren. Von jeder Seite zieht ein Kalb mit eingestemmten Läufen gierig am Gesäuge, und in der Mitte steht die große, starke Mutter und blickt bald zu dem einen, bald zu dem anderen herab. Schließlich wird es ihr zu viel, mit einem schnellen Ruck macht sie sich frei, schiebt sich äsend weiter und verschwindet langsam in dem grünen Meer. Aber sie wird sich nicht weit entfernt haben, denn die beiden denken noch nicht daran, ihr zu folgen. Der köstliche Trunk hat ihnen das wohlige Gefühl des Sattseins gegeben. Sie machen ein paar übermütige Sprünge, so wie es Kuhkälber tun, und stupsen einander. Das eine purzelt, das andere springt in einem Satz darüber, stolpert und liegt ebenfalls am Boden. Dann rappeln sie sich hoch, und tatsächlich: Jedes findet sich auf seinen eigenen Beinen wieder! Der Förster qualmt aus Leibeskräften, die Mücken werden unerträglich, der Rauch hält die Quälgeister in gebührender Entfernung. W i r können uns jetzt ungeniert unterhalten. ,,Es gibt auch Tiere mit drei Kälbern", bemerkt mein Begleiter. „So etwas ist eine sehr große Seltenheit, aber ich hab' ein solches Trio selber erlebt, an einem der Kanäle hier. Die Alte und die beiden stärkeren Kälber schwammen ans andere Ufer — wir Jäger sagen: rinnen —, das dritte, das Schwächste, wollte anscheinend 12
nicht. Die Alte äugte zurück und stand erwartungsvoll und ungeduldig auf der anderen Kanalseite. Als auch eine deutlich vernehmbare Mahnung nichts nützte, schwamm sie wieder zurück und schubste das Kalb mit einem kräftigen Ruck ins Wasser. Und schon klappte es. Elche sind von Geburt an gute Schwimmer." „Von Menschen läßt sich solch ein Jungkälbchen wohl nicht aufziehen?" fragte ich. „Zahm werden sie schon", erwidert der Förster, „aber das mit dem Aufziehen ist nicht einfach. Man muß schon seine Erfahrungen haben, und vor allem, man muß äußerst sorgsam sein! Das Kalb m u ß sehr häufig gefüttert werden, etwa sechsmal am Tag, man gibt ihm Milch, Karotten, später auch Weidenstrauch. Aber trotz aller Sorgfalt und Mühe gibt es leicht Durchfall, und sie gehen ein. Der Elch braucht richtigen Auslauf, er braucht seine Freiheit. Ohne einen weiten Wald kann ein Elch gar nicht richtig leben." Auf dem Nachhauseweg erzählt der Forstmann von dem großen Versuch, den man in den zwanziger Jahren gemacht hat, um ausgewachsene Elche zu fangen. „Auf den finnischen Alandsinseln sollten etwa zwanzig Elche zum Aussetzen in Mecklenburg und für Zoologische Gärten eingefangen werden, mit Netzen, die sieben Meter hoch waren und drei Kilometer lang. Es gelang zwar, die Elche in das Netzwerk hineinzutreiben, aber sie verzappelten sich in den Maschen. Schon nach wenigen Stunden verendeten sie, soweit es nicht junge Kälber waren. Die älteren Tiere bekamen Schaum vor dem Geäse, der Atem ging keuchend, die Lichter röteten sich. Was man auch anstellte, um sie am Leben zu erhalten, es war alles umsonst. Nur die Kälber konnte man retten. Es gelingt vielfach, Elchkälber aufzuziehen und in Tiergärten zu halten, aber sie sind dort lange nicht das, was sie in freier Wildbahn wären. Sie magern leicht ab, sie werden meist zu einer Karikatur des in der Freiheit lebenden Wildes. Elche vertragen die Gefangenschaft sehr schlecht. Ja, es ist schon richtig: Ohne seinen Wald kann der Elch nicht richtig leben.",
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Abenteuer auf der Nehrung Ich bin noch oft im gastlichen Försterhaus eingekehrt, an manchem Wochenende und zu jeder Jahreszeit. In den Sommermonaten freilich war es nicht leicht, die Elche zu beobachten. Sie ziehen sich in der heißen Jahreszeit aus den Bruchwäldern, wo die Bremsen und Mücken und das andere quälende Zeug ihnen keine Ruhe lassen, in die Schilfwildnis zurück, die auf viele Kilometer hin das Haffufer säumt. Oft bringt ihnen hier ein Wind von Westen her angenehme Kühlung, hier können sie auch ziemlich verborgen ins Wasser steigen. Selbst mitten in dem hohen Schilfwald, wo sie auf einem Berg von zusammengetriebenem altem Rohr liegen, ist es für sie nicht so heiß, wie in dem Dschungelgewirr landein. Weidenbüsehe stehen auch hier herum und warten nur darauf, mit ihrer Rinde und den Blättern als Äsung zu dienen. Besonders die alten und erfahrenen Herren mit starkem Geweih lieben diese Sommerfrische. Auch auf den vorgelagerten, einsamen Inseln liegen sie gern, wohin die Menschen nur zweimal im Jahr zur Heuernte kommen und wo höchstens ab und zu einmal ein Jäger erscheint, um ein paar Enten zu schießen. An solchen Hochsommertagen lockt den Binnenländer und Elchfreund hier im Nordosten ein besonders schönes Ziel: Es sind die weißen Wanderdünen, die von jenseits des Haffs aus etwa fünfzehn Kilometer Entfernung herüberschimmern — die Dünen der Kurischen Nehrung. Die Nehrung ist ein Streifen Land zwischen dem Haff und der Ostsee, hundert Kilometer lang und drei bis vier Kilometer breit, mit einzelnen Wäldern, mit bewaldeter Heide und seltsamen Wanderdünen, die bis zu sechzig Meter hoch ansteigen und einst manches Dorf unter sich begraben haben. Wenn man über das Haff fährt und die Nehrung überquert hat, liegt die Ostsee vor dem Wanderer. Eines Tages, als ich gerade bratend in der Sonne liege, kommt der Förster aus dem nächsten Haffdorf zurück: „Der Meiruhn fährt mit Heu nach der Nehrung rüber, sobald der Wind richtig ist, 's war schön, wenn Sie mitkämen!" Und ob ich will. Endlich bietet sich eine Gelegenheit, auf billige und bequeme Weise zur Nehrung hinüberzukommen. Der Förster hat sich ein paar Urlaubstage gemacht, auf die Roggenernte braucht er keine Rücksicht zu nehmen, er betreibt nur Viehwirtschaft, die der Kutscher und das Mädchen gut versorgen. So können wir, wenn es sich ergeben 14
sollte, unbesorgt einige Tage fortbleiben und Haff und Nehrung, das Abenteuer aus Sand, Seewasser und flutendem Licht, ausgiebig erleben. Die Nehrung, das ist eine ganz andere Welt als die Elchniederung hierl Bei schwachem Südwind legen wir ab. Wir fahren einen jener breiten, mächtigen Kähne, die eigens dafür gebaut sind, um Heu nach den größeren Städten, Königsberg, Tilsit oder Memel, zu bringen, oder nach den Fischerorten der Nehrung für die wenigen Pferde und Kühe dort. Hohe Stangen, die an beiden Kahnseiten herausragen, halten die Ladung fest. Oben, auf diesem duftigen Thron von Heu, machen wir's uns bequem. Der Schiffer steuert mit dem verlängerten Ruder von oben das seltsame Fahrzeug. Während die Kulisse der Erlenwälder hinter uns mehr und mehr zusammenschrumpft, steigen vor uns die Dünen der Nehrung immer mächtiger aus dem blauen Wasser. Rote Tupfen auf dem dunklen Grün der Kiefern nehmen immer deutlichere Formen an und werden langsam zu den Ziegeldächern der Fischerhäuser, unter denen in dieser Zeit die Badegäste wohnen. Es sind erlebnisreiche Tage. Man badet, und wenn es gerade Freude macht, streift man in der Frühe oder am späten Nachmittag kilometerweit über die Nehrung. Und es ist nicht ausgeschlossen, daß einem auf einem solchen Streifzug ein paar Elche über den Weg kommen. Denn auch die Nehrung ist ein Elchland von altersher. Der Teil der Nehrung, an dem wir Unterkunft gefunden haben,' besteht aus nichts als Sand! „Wie können hier Elche existieren?", frage ich den Förster. „Sie leben seit langem hier", erwidert er, „schon so lange, als man das zurückverfolgen kann. Schon im Mittelalter hat es hier Elche gegeben, und sicher auch früher. Es ist Unsinn, zu glauben, die Tiere seien vor fünfzig oder sechzig Jahren vom Festland herübergeschwommen. Die Elche sind alteingesessen auf der Nehrung." Vormittags ziehen wir los, ein paar Brote in der Tasche. Die Sonne brennt prall auf den Sand. An manchen Stellen glüht die Sandfläche so, daß man die Hitze unangenehm durch die Schuhsohlen spürt. Am hellen Tage und gar bei dieser Hitze liegen die Elche tief im Schatten der Dickungen; es hat keinen Sinn, dort einzudringen. Wir suchen uns irgendwo an dem so herrlich klaren und kühlen Wasser ein Badeplätzchen und lagern uns zwischen die Strandgräser, sprechen von gestrandeten Schiffen und vom Bern15
stein, den man hier finden kann, und natürlich auch von den Elchen. „Stimmt es, wie manche sagen und schreiben, daß der Elch ausstirbt?" frage ich den Forstmann. „Eine Gefahr besteht nicht", antwortet er, „wenn keine Bedrohung von außen erfolgt. Der Elch kann sich anpassen wie selten ein Tier. Hier auf der Nehrung können Sie das besonders gut beobachten. Drüben auf dem Festland hat der Elch alle möglichen Weidensorten, kräftig und saftig, und Sie wissen ja, die Weidensträucher sind für den Elch das gleiche wie der Hafer für dajs Pferd. Aber hier im Sand wächst nur mageres Weidengestrüpp, es ist trocken und hat nicht viel Kraft. Auch die Espen und iwas sonst noch vorkommt — all das ist dürftig. Die Elche hier sind deshalb schwächer als drüben, im Wildpret und auch im Geweih, und trotzdem finden sich auch auf der Nehrung immer wieder starke Schaufler. Es gibt hier zur Zeit einen Sechzehnender, und vor einigen Jahren stand sogar ein Zwanzigender hier in der Nähel „Zwanzigender — das entspricht also einem Geweih von zwanzig Schaufeln oder Stangen oder den Ansätzen dazu?" „Nicht immer, da man an jeder Schaufel die Enden für sich besonders zählt. Von den beiden Schaufeln gilt die endenreichste, und man nimmt diese Zahl doppelt. Wenn ein Elch an einer Schaufel neun Enden hat und an der andern bloß sechs, dann ist das nicht etwa ein Fünfzehnender, sondern ein Achtzehnender, und zwar ein ungerader. Hätte er auf beiden Seiten neun Enden, dann wäre er auch nur ein Achtzehnender, aber eben ein gerader." „Und wie lang muß ein Ende sein, damit man es mitzählen k a n n ? " frage ich. „ W i r Jäger sagen: Es muß so lang sein, daß man einen Tabaks-i beutel daran aufhängen kann, ohne daß er herunterfällt." Am Nachmittag schwelgen wir in den Walderdbeeren; eine weite Fläche ist ganz rot gesprenkelt, so dicht wachsen sie. Der Förster weiß auch Stellen mit echten Reizkern. Am Seestrand, wo es ungefährlich ist, machen wir ein Feuer und rösten die köstlichen Pilze auf dem glühenden Holz. Dann, als die Sonne nur noch eine kleine Spanne über dem Horizont am Meer steht, brechen wir wieder auf; um diese Zeit kommen die Elche zur Äsung heraus. Auf der Heide stehen hier und dort kleine Wäldchen aus Birken, Erlen, Eschen und Pappeln. Sie sind oft so dicht verwachsen, daß sie einen grünen Igel bilden, manchmal sind sie auch licht, so daß man ein ganzes Stück in sie hineinsehen kann. 16
In der hohen Zeit des Jahres: Der Elchhirsch treibt die Elin, deren Kalb, chen wieder Anschluß an die Mutter zu gewinnen sucht
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In einer leichten Senke, wo das Grundwasser den Sand feuchtet, finden wir Elchfährten. Aus der Form der Eindrücke ergibt sich, daß es Tritte von Elchhirschen sind. Der Förster zupft mich am Ärmel. „Sehen Sie dort!" — Zwei Elche, ein Stangenelch und ein schwacher Schaufler, beide noch im Bast, sind so eifrig beim Äsen, daß sie uns nicht bemerkt haben, zumal wir gegen den Wind pirschen und den Elchen keine Möglichkeit geben, uns zu wittern. Wir liegen im Sand und spähen hinüber. Mit hoch erhobenem Haupt stehen die Elche vor einigen Espenbäumen, äsen die Blätter und schälen zwischendurch die Rinde. Mit dem Fernglas ist deutlich zu beobachten, wie das vor sich geht: Mit der beinahe) rüsselförmig verlängerten, starken und beweglichen Oberlippe packen sie die Rinde, schälen einen Streifen los und ziehen ihn nach oben ab. „Elche haben oben keine Schneidezähne, nur unten", erklärt mir mein Begleiter. „Die unteren Zahne wirken wie Meißel, und mit ihnen und der Oberlippe reißen sie die Rinde und die Blätter und die Knospen a b . " Einen der Elche gelüstet es, von einem Strauch zu äsen, der tief am Boden hinkriecht. Er muß die beiden Vorderläufe weit auseinandergrätschen, um bei seinem kurzen Hals den Boden überhaupt zu erreichen. Es gibt Elche, die sich mit den Vorderläufen regelrecht hinknien, um an die Bodenäsung zu kommen. Gras von der Erde, wie die Pferde und Kühe, nehmen sie jedoch nicht auf. Wir wollen versuchen, ob wir noch näher herankommen. Vorsichtig kriechen wir, aber ich habe Pech: Unter meinem Knie knickt ein dürrer Ast! Schon fahren die Köpfe der Elche hoch, die Lauscher richten sich spitz nach vorn. Als ich auch noch eine ungeschickte Bewegung mache, flüchten die beiden Elche eine Strecke weit, bleiben dann aber auf einem Sandhügel stehen und blicken neugierig zurück. Ein herrliches Bild! Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne vergolden die regungslosen, braunschwarzen Körper. Plötzlich setzen sie sich wieder in Troll, und ibald sind sie hinter dem nächsten Wäldchen verschwunden. Es wird dämmrig; da wir acht Kilometer bis zum Dorf zurückzulegen haben, machen wir schleunigst kehrt. „ I n Kanada oder in Alaska hätten wir uns wohl kaum so nahe heranpirschen können", bemerkt der Förster auf dem Heimweg. „Wieso ist es dort anders als h i e r ? " frage ich. 18
„Hier auf der Nehrung fahren oft Fuhrwerke mit Badegästen in das Revier, um Elche zu sehen, und so haben sie sich an Menschen gewöhnt und sind ziemlich vertraut. Aber in den wilden, großen Wäldern sind auch die Elche — es gibt dort Zehntausende — noch richtig wild. Da m u ß der Jäger schon sehr ausdauernd sein und Strapazen auf sich nehmen, wenn er sich ihnen nähern will, manchmal bekommt er tagelang überhaupt kein Exemplar zu sehen. Auch die Elchjagd ist drüben viel mühseliger als hier, die Elche sind dort auch stärker im Körper und stärker im Geweih." ' „Wie groß wird so ein E l c h ? " frage ich. „Die größten werden etwa 2,90 Meter lang und an den Schultern zwei Meter hoch, es kann also auch ein großer Mann nicht über sie hinwegsehen. Die Elche im nördlichen Nordamerika und in Sibirien sind noch dreißig Zentimeter höher und länger. Es sind schon gewaltige Kerle!" „Und die Schaufeln?" „Das breiteste Schaufelgeweih hat ein deutscher Jäger in Alaska erbeutet, es war von einer Seite bis zur andern, an den am weitest entfernten Stellen gemessen, fast zwei Meter breit. Der Jäger spricht von zwei Meter Auslage." „Und solch mächtige Geweihe werfen sie ab und bilden sie immer n e u ? " Mir kommt das fast unglaublich vor. „Doch, das ist schon so! Nur daß das Geweih sich von Jahr zu Jahr verändert, niemals wird ein Elch genau das gleiche Geweih wiederbekommen. Es wird größer und stärker, solange der Elch wächst und auf der Höhe seiner Kraft steht; wenn er dann älter und schwächer wird, setzt natürlich auch das Geweih zurück." Über dem Geplauder haben wir ein gutes Stück Weg zurückgelegt. Auf der einsamen Heide sind wir im weiten Umkreis die einzigen Menschen. Es ist völlig dunkel geworden. Manchmal glaube ich, einen Elch zu sehen, aber es ist dann immer nur ein seltsam geformter Busch. Von der bewaldeten Düne vor dem Dorf blinkt das Feuer eines Leuchtturmes und weist uns den Weg bis vor die Haustüre.
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Der absonderliche Badegast Zwei Tage später fahren wir mit dem Marktdampfer über das Haff hinaus nach Memel. Ein badender Elch ist das Gespräch in der ganzen Gegend. Der absonderliche Badegast ist ganz plötzlich und geheimnisvoll auf der Nordküste der Nehrung aufgetaucht, gerade gegenüber der Stadt Memel. Elche, wir wissen es, sind an sich Tiere des Waldes und des Bruches, aber dieser Badende scheint den Wald und den Schatten zu fliehen, da er das schäumende Wasser und das offene, strahlende Licht bevorzugt. Elche sind gewiß nicht wasserscheu, sie durchrinnen gern Flüsse und kleine Landseen; aber dieser Elch steigt fast Tag für Tag in die See, in die offene Ostsee, und nimmt in ihr regelrechte Bäder. An der Küste brauchen wir nicht erst lange nach dem Schaufler zu suchen. Badegäste, die auf der Vordüne dicht am Strand stehen und interessiert auf ein und dieselbe Stelle blicken, lassen annehmen, daß der Schaufler dort in der Nähe sein muß. Und richtig! Es macht dem Elch anscheinend nichts aus, sich von vielen Menschen ganz aus der Nähe betrachten zu lassen. Der tBast, der im Mai und im Juni zart und fein gewesen ist, zeigt sich ganz vertrocknet und rissig. Das Schaufelgeweih ist vollständig ausgewachsen. Es ist ein Sechzehnender, der hier ruhig daliegt und wiederkäut. Von rechts nach links, von links nach rechts, unermüdlich geht das Kauwerk. Als er dann genug zu haben scheint, döst er eine Weile vor sich hin, so, als wolle er einschlafen. Aber dann erinnert ihn das sanftplätschernde Geräusch der Wellen daran, daß ein ab-, kühlendes Bad gut tun würde. Schnell ist er hoch, steigt über die Vordüne und geht mitten durch die Badegäste, die eilig auseinanderstieben, an den Strand und ins Meer. Immer tiefer und tiefer, man sieht förmlich, wie auch die letzten Fliegen und Bremsen schließlich hochfliegen müssen. Nur das Haupt mit den Schaufeln ragt aus dem Wasserspiegel heraus. So steht er eine Weile da, zieht dann eine Strecke parallel zum Strand entlang und nähert sich wieder dem Land. Wie sein Körper allmählich aus dem Wasser taucht, schwarz und triefend, kommt es einem vor, als steige irgendein Fabelwesen aus den Bernsteinwäldern, die vor vielen Tausenden von Jahren hier untergegangen sind. Am Ufer 20
schüttelt er sich, dann zieht er über die Düne in den Wald, und die Zwergkiefern schlagen wie ein grüner Vorhang hinter ihm zu. Aber fast täglich tritt der absonderliche Badegast wieder aus seinem Revier. Tag um Tag werden die Sommerfrischler sich an seinem Erscheinen freuen können. Eines Tages im August aber werden sie Zeugen eines Vorgangs, den man sonst noch nirgendwo an Elchen beobachtet hat. Ober Nacht hat der „badende Elch" sein breites Schaufelgeweih von der trockenen Basthülle befreit, er hat „gefegt". Sonst hängen bei den Elchen dann für eine Weile, ja manchmal auch für Tage, die Fetzen des Bastes streifenweise herunter, aber bei dem Schaufler stört nichts das Ebenmaß der Schaufeln. Sie sind noch fast weiß wie Elfenbein, aber Sonne, Regen und Wind werden ihnen bald eine walnußbraune und schließlich eine braundunkle Färbung geben. Und gleichzeitig erwacht in ihm nun auch der Trieb zur Elin,' der ein ganzes Jahr lang geschlafen hat. Man sieht deutlich die Erregung: im lebhaften Feuer der Augen und in der ungemein lebendigen Haltung von Kopf und Körper. Ab und zu fällt er aus dem ruhigen Schritt in die tänzelnden Bewegungen eines edlen, feurigen Hengstes. Auch das Meer ist stürmisch aufgewühlt, so, als wenn es dem Elch den bewegten Hintergrund stellen wollte. In weiten Wogen rollt es von Westen an, und immer und immer wieder überschlägt es sich in der donnernden Brandung. Sonst ist der badende Schaufler gleichmütig in die See gegangen, jetzt aber läuft er erst am Strand entlang durch die auslaufenden Wellen, mit weit vorgestrecktem Haupt und in federndem Troll, leicht wie ein edles Pferd. Dann kehrt er sich gegen das Meer und schreitet langsam in die Brandung hinein, ein paar Schritte weit. Und nun bleibt er stehen und hebt das Haupt gen Himmel wie ein Hirsch, der schreien will. Aber nichts ist von ihm zu hören, nicht ein Laut, auch nicht das Stöhnen, mit dem sonst Elchhirsche sich in der Brunftzeit melden. Nur das Meer rauscht und rauscht und knallt donnernd sein Wasser auf den flachen Strand. Eine Weile steht der Elch da in dem schäumenden Gischt, mit breiter, schwarzer Brust. Dann aber beginnt ein seltsames Zusammenspiel zwischen dem branden-; den Meer und diesem Geschöpf, wie es niemand für möglich ge^ halten hätte. Eben noch stand er da wie ein erzenes Denkmal,' aber jetzt springt er hoch, erstaunlich hoch, mit allen Vieren zu21
gleich, und rast ein Stück die Brandung entlang und stellt sich auf die Hinterläufe, während er mit den Vorderläufen wild um sich schlägt. Dann fliegt er wieder durch die schäumenden Wellen und läßt sich plötzlich fallen, so daß er daliegt wie ein dunkler Fels mitten im weißen Gebrodel. Schließlich dreht er sich ein paar Mal um sich selbst und stürmt an den Strand, schlägt dort den Sand mit den Läufen, daß es nur so stiebt, springt wieder in die Brandung und tobt dort weiter. Dieses Laufen und Springen und Schlagen, dieses wilde Spiel mit dem stürmischen Meer, dieser Wirbel der Leidenschaft, alles schließt sich zusammen zum höchsten Ausdruck der überschäumenden Kraft und Lebensfreude. Wie er schließlich ruhig wird, erscheint er keineswegs müde. Erst zieht er ein Stück den Strand entlang, dann setzt er sich in Troll und läuft nach Süden, den Wäldern zu, die hinter den fernen Wanderdünen als bläuliche Schatten zu erkennen sind und in denen die Elinnen stehen. Der große Monat der Elche hat begonnen.
Am Lagerfeuer der Nehrungsfischer So frisch und blank sich auch der Frühling in den Dörfern am Kurischen Haff präsentiert, so prall von Lebensfreude und urwüchsiger Gesundheit sich der Sommer darbietet — im ostpreußischen Land gebührt doch dem Herbst, dem goldenen Herbst, die Krone der Jahreszeiten. Nicht nur, weil er in Feld und Wald und Garten die Ernte bringt und weil auch das Wasser dann mehr Ertrag liefert als im Vorsommer. Der Herbst ist hier besonders schön, weil er die Landschaft und die Luft und den Himmel auf eine ganz eigene Art zu verzaubern weiß. Der Ruf einer Mutter nach ihrem Kinde, das Klappern der Ruder aus einem Fischerkahn, das satte Gezwitscher der Krammetsvögel aus den roten, Ebereschen, all diese Töne werden von der Luft seltsam weit getragen. Aus den Bergen von Zwiebeln, von Möhren und Gurken und Kräutern aller Art hängen sich die Düfte an die Fäden des Altweibersommers und segeln mit ihnen aus den Gemüsedörfern ein ganzes Stück weit über das LandDieser unvergleichliche Monat September ist für die Elche die hohe Zeit der Brunft. Fast ein Jahr lang haben sich Hirsche und „ T i e r e " fast nicht umeinander gekümmert. Aber kaum haben sich 22
die Störche, die es hier noch zu Hunderten gibt, versammelt, kaum sind sie nach großen Probeflügen nach Afrika aufgebrochen, da werden die Elche immer unruhiger. Das Blut wallt schneller im Körper, die Kraft drängt ungestüm. Bislang haben auch die männlichen Elche einander kaum beachtet, aber jetzt gewinnt beinahe jeder Elch für den andern an Bedeutung. Die Hirsche sind Nebenbuhler, die „ T i e r e " die begehrte Beute. Der Förster pirscht in dieser Zeit Tag für Tag in seinem Kahn die Flüsse und Kanäle und Gräben entlang, ganz leise wie ein Dieb. Geduldig verharrt er an Einschnitten und Waldwiesen und vor allem vor den Flächen, auf denen die Weidensträucher besonders üppig gedeihen. Trotz unermüdlichen Pirschens aber zeigt sich nicht mehr als der Durchschnitt, den er schon kennt: ein paar
Ein kapitaler Elch von der Kurischen Nehrung hat sich angewöhnt, jeden Tag zum Bad in die Ostsee zu gehen. Elche sind im allgemeinen sehr menschenscheu, diesen hier stört aber gar nichts — nicht einmal die fröhlich lärmenden Badegäste ringsum
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Stangenclche, von denen einer, ein Zwölfender, als geradezu kapital anzusprechen ist, junge Schaufler von sechs und acht und zehn Enden und ein ebenfalls noch junger Vierzehnender. Im Schilf steht nur ein „ T i e r " mit seinen beiden Kälbern. Nichts Aufregendes also! Noch niemals habe ich den Beginn meiner freien Tage so ungeduldig erwartet, wie in diesem Herbst. Als ich mich endlich aufmachen kann, ist bereits der halbe September und damit auch die halbe Brunftzeit vorbei, und zwar die bessere erste Hälfte. Ich werde von der Brunft kaum noch etwas zu spüren bekommen, fürchte ich. I Nun, um so mehr müssen die Tage genutzt werden. Ich bin Tag um Tag mit meinem Freund, dem Förster, unterwegs. Nur einmal macht er nicht mit, gleich zu Anfang, als ich eine ganze /Nacht draußen bleiben will. Wir sind am Nachmittag bis ans Haff gekommen, bis zu den Wiesen, welche die Fischer von der Nehrung gepachtet haben. Dort liegen fünf der schwarzgeteerten schweren Kurenkähne am Ufer; Männer und Frauen sind bei dem zweiten Schnitt, beim Grummet. Mich reizt das ungebundene Lagerleben, und gerne erhalte ich, die Erlaubnis, bei dem Fischer Sakuth über Nacht zu bleiben. Manche Fischer nächtigen in den Vorschiffen ihrer Kähne, die anderen haben sich aus Laubbäumen, Zweigen und Schilf Hütten gebaut, und am Abend geht es hier recht romantisch zu. Die „Hausfrau" hat ein paar Fische gesäubert, wohlschmeckende Zärthe sind es, das Innere wird mit einer Mischung aus gesäuertem Brotteig und Zwiebeln vollgestopft. Dann werden die Fische im eigenen Fett auf dem Rost gebraten, die Kartoffeln werden in der Schale über dem Lagerfeuer geröstet, und dazu gibt es ein nach uralten Rezepten gebrautes leichtes Bier. Es ist ein Göttermahl! Fischer Sakuth hat viele Geschichten auf Lager, von den Schmugglern und von ihren Taten, denn die Grenze ist nicht weit. Auch von den Elchen, meinem Lieblingsthema, weiß er mancherlei zu erzählen. Ob ich schon gehört hätte, wie man früher hier Elche gewildert habe? Nein? Na ja, jetzt habe man geordnete Zeiten, da werde so gut wie gar nicht mehr gewildert. Das ganze Land habe sich durch Eindeichungen ausgezeichnet entwickelt, und auch die ärmeren Familien seien gut vorangekommen, aber früher habe bei den vielen Überschwemmungen und der Abgelegenheit des Landes doch stellenweise große Armut geherrscht. Natürlich nicht nach dem Landinnern zu, wo die Weiden sind undi wo sozusagen der fette Tilsiter Käse im Freien wächst; aber doch 24
in den kleinen Moordörfern. Und so sei der Elch in Notzeiten schon eine begehrte Beute gewesen. Vor allem im Winter, da man ihn dann am leichtesten wildern konnte, und auch am gefahrlosesten. So leicht der Elch auch über Moore trollen könne, ohne einzusinken, weil sich seine Schalen weit spreizten und ihn trügen, so wenig behage und bekomme ihm Glatteis. Das hätten die Wilderer natürlich ganz genau gewußt, und so hätten sie versucht,! meistens zu zweit, ein Stück Elchwild irgendwo auf eine glattgefrorene Fläche zu drücken, auf das Haff etwa. Wehe dem Elchj bei dem das gelungen seil Schon bei den ersten Fluchten fänden die Schalen keinen Halt, der Elch stürze, breche sich vielleicht den Lauf, jedenfalls könne er sich nicht mehr erheben. Die Wilddiebe, die ihm auf Schlittschuhen folgten, hätten den Zusammengebrochenen mit ihren langen Speeren leicht töten können. Kein verräterischer Schuß sei zu hören gewesen, die Beute habe man mühelos auf Schlitten fortgeschafft, und neuer Schnee habe bald die Spuren der Missetat gedeckt. Später sei die Wilderei noch einmal im Großen aufgelebt, in den Jahren nach 1918, als die staatliche Ordnung auch hier oben ziemlich zusammengebrochen war. Da hätten sich ganze Banden zusammengetan, und sogar mit Maschinengewehren sei man auf Elche losgegangen. Militär- und Polizeikommandos hätten eingesetzt werden müssen. Solcher Geschichten erzählt Fischer Sakuth eine ganze Menge. Wir sitzen lange am Lagerfeuer, der Stadtmensch und der Fischer von der Nehrung. Wenn wir schweigen, dann ist nur das leise Gegluckse des Haffwassers am Ufer zu hören und das Sirren des Rohres im leichten Wind, sonst kein Laut, nicht einmal das Bellen eines Hundes, denn das nächste Dorf ist sehr fern. Erst gegen Mitternacht kriechen wir in unsere Laubhütten und ins Heu.
Ausguck im Heuhaufen Für den anderen Tag habe ich mich mit dem Förster verabredet. Als wir uns an dem vereinbarten Treffpunkt begegnen, hat die Sonne auch die letzten Nebelschwaden vertrieben. Ein klarer Septembertag meldet sich an, aber es ist zu warm, als daß man, mit einer guten Brunft rechnen könnte. Wir beschließen, bis zur Dunkelheit draußen zu bleiben und nach Indianerart zu pirschen und zu faulenzen. Man kann beides 25
gut miteinander vereinen; der wahre Pirschjäger läuft sich ja ohnehin nicht halbtot. Langsam setzen wir Schritt für Schritt, sitzen hier eine Stunde, hocken eine Zeitlang beobachtend auf einer Kanzel, dann auf der nächsten oder legen uns hinter einem Damm ins Gras. Aber das Schönste sind doch die Heuhaufen. Man hat sie hier stehengelassen, um das Heu im Winter bequem auf Schlitten abzufahren, wenn die Flüsse gefroren sind und der Schnee weithin das Land bedeckt. Diese Heuhaufen werden für uns zu Aussichtstürmen. Wäre mein Freund, der Förster, kein so guter Jäger, hätte er also nicht die standesgemäße Geduld, die sich auf mich überträgt, wir würden wirklich die Flinte ins Korn geworfen haben, hier also in das Schilf oder in das hohe, wildwachsende Gras. Einen ganzen Nachmittag lang liegen wir ergebnislos auf einem Heuhaufen tief im Schatten einer mächtigen alten Weide. Wir sehen nichts weiter als einen guten Rehbock und einen Eisvogel, der wie ein buntschillernder Edelstein ein paar Mal über den kleinen Fluß dahinflitzt. Aber wie es dann so geht: Mit einem Mal kommt es „ganz dick". Wir sind beide gerade in die duftenden Äpfel „vertieft", die wir mit Behagen verzehren, als uns ein kurzes, dumpfes Stöhnen emporfahren läßt: der Brunftlaut eines Elches. Und langsam schiebt sich aus der grünen Wand der Weidensträucher und Erlen eine braundunkle, breite Brust, über der ein Haupt mit einem schweren Geweih steht, ein Schaufelgeweih mit starken und regelmäßigen Enden. „Welch ein Prachtkerl I" Der Förster ist ganz Auge und Ohr. „Was für Schaufeln! Und wie stark im Wildpret!" „Ein Zweiundzwanziger und dazu noch ein gerader", stelle ich fest. Hoch ragt die mächtige, gefährliche Waffe. Wie sehr sie das ist, dafür gibt der Elch uns gleich den überzeugenden Beweis. Als ob er plötzlich in Wut gekommen wäre, beginnt er mit der Schaufel ins Gesträuch und unter die kleinen Bäume zu schlagen. Zerfetzt fliegen die Zweige umher, hängen an seinem Geweih. Auch das ist eine Art, seinem brunftigen Verlangen Ausdruck zu geben 1 Nun steht der Kapitalkerl eine Weile da, anscheinend übermüdet, zieht schließlich ein paar Schritte weiter, gibt aber schon bald eine zweite Vorstellung. Es ist ein Vorgang, der zur Elchbrunffl gehört und den man in der brunftlosen Zeit, also während der übrigen elf Monate im Jahr, niemals beobachten könnte. Der Schaufler schlägt bald mit dem linken, bald mit dem rech26
ten Vorderhuf in die Erde, daß die Erdbrocken fliegen. In ein paar Minuten ist eine kleine Mulde entstanden, etwa 75 Zentimeter lang, 50 Zentimeter breit und eine Handbreit tief. Der Elch stellt sich darüber, näßt hinein und wirft sich in die feuchtgewordene Grube, dreht und wälzt sich, als ob er seinen Körper einreiben möchte. Als er aufsteht, bringt der Wind, der aus seiner Richtung zu uns herüberzieht, einen eigentümlich scharfen und durchdringenden Brunftgeruch mit, der bis dahin gar nicht zu spüren ge^ wesen ist. Jetzt weht er dem Schaufler voran wie eine Fahne. Als wäre diese Witterung ein Signal, so plötzlich steht nun auch eine Elin da. „Es ist wie verhext", geht es mir durch den Sinn. „Man hört; sie nicht, man sieht sie nicht, und doch sind sie auf einmal -da, so schwer diese Tiere auch sind." Langsam zieht die Elin an dem Kapitalen vorüber; sie läßt ein leises, verlangendes Mahnen hören. Sofort setzt sich der Schaufler hinter ihr in Bewegung, immer sein u-a, u-a stöhnend. Dicht aufgerückt nimmt er Witterung von dem Tier. Dann wirft er das Haupt hoch wie ein Rothirsch, der röhren will. Aber stumm und wie beglückt bewegt er das Haupt mit hochgestülpter Muffel nur ein wenig hin und her: er „ f l ä m t " wie ein Hengst. Dann erwacht er wie aus einem Traum, kommt zu sich und pirscht aus dem Stand heraus mit einigen mächtigen Sätzen hinter dem „Tier* her. Als die Elin die wilde Jagd herankommen hört, flüchtet sie in das Dickicht; noch eine ganze Weile hört man die beiden dort rumoren. „Das nennt man Waidmannsheil!" meint der Förster tiefbefriedigt. „Den Schaufler habe ich überhaupt noch nicht bei mir gesehen. Er ist aus einem anderen Revier zugewechselt. Jetzt in der Brunft ziehen die Elche weit durch den Wald, über die W i e sen, selbst über freie Ackerflächen auf der Suche nach einam brunftigen ,Tier'. Es ist nicht so wie beim Rothirsch, wo der Platzhirsch sich ein ganzes Rudel zusammentreibt und es beherrscht und bewacht. Der Elch legt darauf keinen Wert. Er steht bei einem ,Tier', solange es brunftig ist, das dauert meist zwei bis drei Tage, und dann sucht er sieh ein neues. Und dabei wandert er manchmal über viele, viele Kilometer. So kommt es, daß plötzlich ein Elchhirsch auftaucht, den man zuvor niemals gesehen h a t . "
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Der Kampf Seitdem wir den Zweiundzwanzigender im Revier wissen, sind wir noch häufiger und noch länger unterwegs. Es ist auch höchste Zeit, denn die Brunft geht zu Ende. Unverdrossen suchen wir den Schaufler, aber er bleibt verschwunden im weiten Erlenwald wie eine Stecknadel im Heuhaufen. Eines Tages aber . .. Ein neuer Morgen kommt herauf mit breitgelagertem, wattig dichtem Nebel. Es ist recht frisch, beinahe schon kalt, und mich fröstelt's auf der Kanzel. Plötzlich sehen wir, wie sich an einer Stelle über der Nebelwand ein Schaufelgeweih bewegt, so, als trage es einer auf einer unsichtbaren Stange. Von dem Körper des Elches selbst ist nichts zu sehen. „Da ist e r l " — Meine Stimme ist ganz heiser vor Erregung. So lautlos und geheimnisvoll wie es aufgetaucht ist, ist das Schaufelgeweih auch wieder verschwunden. Es ist, als habe ein Spuk uns genarrt. i Langsam drängt die Sonne den Nebel zurück und löst ihn auf. Die weite Lichtung zeigt sich als eine wilde Szenerie mit Bäumen, die der Sturm entwurzelt und gestürzt hat, und mit üppig wucherndem Gestrüpp und Gras. Wir sind sehr enttäuscht über den Schabernack, den der Elch mit uns getrieben hat. „Denn wollen wir mal weiter!" meint schließlich der Förster, als noch eine Stunde vergangen ist, ohne daß sich etwas gerührt hat. Aber die Überraschung steht uns noch bevor: Ohne daß vorher auch nur ein Laut zu hören gewesen wäre, stürmt aus dem grünen Dickicht eine Elin auf die freie Fläche und hinterdrein ein starker Stangenelch, ein guter Bekannter hier im Revier. Die Schaufeln sind kaum ausgebildet, aber die sechs Enden sind auf jeder Seite lang und von wunderbarem Ebenmaß. „Kerzenelch" hat der Förster ihn wegen dieser schönen kerzenartigen Enden getauft. Ganz dümmlich trottet das Kalb hinterdrein, nicht mehr rot wie im Mai und Juni, sondern braun und rund — beinahe wie ein Bär, der aus Versehen ein paar hohe Läufe bekommen hat. Die Elin läßt einen lockenden Ton hören, deutliches Zeichen dafür, daß sie brunftig ist. Auf einmal hören wir auf dem Hochsitz hinter uns ein Krachen, es kommt uns vor wie die schönste Musik: Ein Elch schlägt mit seinem Geweih in ein Gebüsch grüner Erlen. Als wir uns vorsich28
tig umdrehen, ist es der Zweiundzwanzigender. Das Haupt halb erhoben, auf den Schaufeln noch ein paar Zweige, die dort hängen geblieben sind, setzt er sich auf die Elin zu in Bewegung. Aufmerksam äugt sie zu ihm herüber. Verhalten stöhnt er sein brunftiges u-a, u-al Die Elin steht wie an den Boden gebannt, so, als könne sie sich nicht von dem Anblick losreißen. Sie läßt den Schaufler ganz dicht an sich heranrücken. Der Elch streicht mit der Muffel wie zur Begrüßung leicht über die braune Decke des „Tieres". Dann aber wendet er sich langsam herum, denn dort naht der Kerzenelch, so schleppend, als seien ihm die Läufe bleischwer und als könne er sie kaum vom Boden heben. In einer seltsam zere^ moniellen Art wiegt er das Haupt bedächtig hin und her. Wiegend, in eben der gleichen Art schreitet ihm der Schaufler entgegen. Nur noch ein paar Schritte sind sie voneinander entfernt. Jetzt müssen die Geweihe aufeinanderkrachen, jetzt muß der Kampf auf Leben und Tod beginnen! Mit einer Wendung aber dreht der Kerzenelch plötzlich ab, beide stehen jetzt nebeneinander, und schon ziehen sie daher wie ein Gespann vor einem unsichtbaren Wagen, immer in diesen merkwürdig wiegenden Bewegungen. Vielleicht würden sie jetzt auseinandergehen! Aber da ist wieder das lockende Mahnen der brunftigen Elin, und es ist wie Musik in den Ohren der beiden. Plötzlich springen sie zur Seite und stehen sich mit einem Mal mit gesenkten Geweihen feindselig gegenüber. Dann rennen sie gegeneinander an mit einer Kraft, daß man glauben könnte, die Geweihe müßten an den Rosenstöcken zerbrechen. Solch starke Elche hat auch der Förster noch niemals miteinander kämpfen sehen, solange er in diesem Revier lebt. Kämpfe zwischen Elchen sind nicht gerade alltäglich, und sie spielen sich meist in der Nacht ab und auf Blößen irgendwo im dienten Wald, und so muß man schon viel Glück haben, um ein Duell der Elche zu erleben. Hier ist es fast eine Galavorstellung. Es kämpfen zwei Riesen, von denen jeder den andern mit aller Kraft in die Knie zwingen, will. Eine ganze Weile stehen sie unbeweglich da, die tief zur1 Erde gesenkten Köpfe gegeneinander gestemmt, und keiner scheint ein klares Übergewicht zu haben. Von den Vorderläufen her steigen Nacken und Widerrist wie wahre Muskelberge empor, breit und steil haben sich die Mähnen aufgerichtet, die Hinterläufe mit den mächtigen Keulen sind weit gespreizt. 29
In stummem Ringen schieben sich die beiden Rivalen hin und her. Es kracht und splittert, wenn die Elche sich herumwerfen und mit ihren Läufen in das Baum- und Holzgewirr geraten. Von den Kämpfern ist kein Laut zu hören, nicht einmal ein Stöhnen. Sie ringen in stummer Wut. Die Lichter aber blitzen wütend und tückisch und blutunterlaufen. Jäh springt der Stangler zur Seite, nimmt plötzlich einen Anlauf, um dem Schaufler in die Flanke zu kommen. Aber der Schaufler ist ein alter, erfahrener Kämpe und fängt den Stoß prächtig mit den Schaufeln ab. Die Sehnen und Muskeln straffen sich wie ein gespannter Bogen. Als habe die W u t die Kraft verdoppelt, wirft er den Stangler ein Stück zurück, der Gegner stürzt über einen Erlenstubben; der Kampf müßte eigentlich beendet sein. Aber noch im Fallen kann sich der Getroffene aufrichten und wieder festen Stand gewinnen. Wie lange der Kampf schon dauert, man kann es nicht sagen, so sehr verliert man hier das Gefühl für die Zeit. Schon wird eg deutlich, daß der Schaufler die größeren Kraftreserven besitzt, immer mehr drängt er den Kerzenelch zurück. Nochmals versucht er, seinen Gegner in der Seite zu fassen, an der leicht verwund-, baren Flanke. Aber der Kerzenelch läßt es auf die letzte Probe nicht mehr ankommen, er weiß, daß er den Kampf verloren hat. Noch einmal rennt der Schaufler von der Seite heran, aber schon dreht der Kerzenelch ab und flüchtet, naß und von Erdbrocken verschmutzt. Nach einer Weile fällt er in Schritt und zieht müdei und schwerfällig durch das Rohr davon in das nahe, kühle Bruch. Mit gesenktem Haupt äugt der Schaufler ihm nach, ohne sich von der Stelle zu rühren. Und wieder läßt die Elin ihr leises Locken hören, und der Schaufler zieht ihr langsam entgegen. „Ein tapferer Bursche, der Schaufler!" sage ich, verwirrt von dem dramatischen Zweikampf. ,,Ja, und da sagen manche, die Stangler seien den Schauflern überlegen, weil sie meist längere Enden haben. Und man befürchtet schon, daß die Schaufler langsam von den Stanglern verdrängt würden. Aber es ist doch äußerst selten, daß ein Elch im Kampf getötet wird, und so spielt es keine Rolle, ob der Stan^ geneich der Sieger ist oder sein Gegner. Und was heißt schon Stangenelch? Es gibt alle nur denkbaren Zwischenstufen zwischen Stanglern und Schauflern. Bei keiner anderen Hirschart sonst haben die Geweihe eine so mannigfaltige Form." 30
Der Schaufler und das Tier mit dem Kalb sind mittlerweile in den Erlen verschwunden. Und würde nicht das wüst zertrampelte Gelände es zeigen, nichts wäre mehr davon zu merken, daß hier ein wilder Kampf getobt hat. „Ob solch ein Ringen auch einmal tödlich ausgehen k a n n ? " frage ich. „Nun, ich sagte schon, das kommt vor. Ich habe in all den Jahren zwei Elche gefunden, die bei einem Kampf geforkelt — tödlich getroffen — worden sind. Es kann auch geschehen, daß sich die beiden Kämpfer zusammen zu Tode bringen. In der Försterei Prolyssowo in Rußland hat man einmal zwei Schaufler gefunden, die sich verkämpft hatten. Einer hatte den Kopf des andern mit einem Ende seiner Schaufel in die Hirnschale getroffen, so daß der Verletzte sofort tot war. Aber im Fallen hatte er den Sieger mit sich heruntergezogen. So waren die beiden aneinandergefesselt, der Tote und der Lebende, der vollkommen unverletzt war. Sa verzweifelt er sich auch mühte, von seinem Opfer Ioszukommen,i so sehr er auch um sich schlug und den Boden aufwühlte, es gelang ihm nicht, sich freizumachen, und er ist bei lebendigem Leibe elend umgekommen." Ich bin noch immer in Gedanken bei dem erregenden Schau-i spiel. „Das hätte man filmen müssen", sage ich. „Man lieber nicht!" meint der Förster. „Wenn ich denke, daß man sich das alles so einfach vom Sessel aus ansehen könnte: Allzuleicht darf es uns nicht gemacht werden. Es muß auch noch ein bißchen übrig bleiben an Geheimnissen . . . "
Elche sterben nicht aus Ich sagte schon: Es war das Jahr 1935, in dem ich im Mündungsgebiet des Memelstromes und auf der Kurischen Nehrung die Elche im Wechsel der Jahreszeiten kennenlernte. In Deutschland war Ostpreußen damals die letzte Zuflucht für diese größte Hirschart, die es auf der Erde gibt. Der Bestand nahm immer mehr zu an Zahl und Stärke in Geweih und Wildpret, und zuletzt zogen etwa 1400 Elche in Ostpreußen ihre Fährte. Der Zusammenbruch, der dem zweiten Weltkrieg folgte, hat den Elchbestand dort vollständig vernichtet; nicht ein Stück ist übriggeblieben. Aber wo der Mensch es nicht darauf anlegt, den Elch auszurotten, stirbt er keineswegs aus, im Gegenteil. In Schwe31
d e n z u m Beispiel, w o e s k u r z v o r d e m z w e i t e n W e l t k r i e g e t w a 3 0 0 0 0 E l c h e g a b , s c h ä t z t e m a n i m H e r b s t 1952 i h r e Z a h l auf w e i t ü b e r 5 0 0 0 0 , s o s e h r h a t t e n sie sich d o r t t r o t z s t a r k e r B e j a g u n g v e r m e h r t . Und noch etwas anderes hat m a n dort in den letzten J a h r e n e i n w a n d f r e i f e s t g e s t e l l t , d a ß n ä m l i c h d e r E l c h b e s t a n d sich immer mehr nach Norden zu ausdehnt. E i n e s T a g e s , s o hoffen w i r , w i r d dieses u r t ü m l i c h e W i l d a u c h i n O s t p r e u ß e n w i e d e r seine F ä h r t e z i e h e n .
Umschlaggestaltung: Karlheinz Uübsky Der Verfasser, dessen schönes Elchbuch („Das Buch vom Elch") das Erinnerungsbuch für die letzten deutschen Elche in freier Wildbahn ist, hat die In der Ichform gehaltene Rahmenerzählung dieses Lesebogens frei gestaltet. — Bildnachweis: Ullstein-Bilderdienst; Bild auf der 2. Umschlagseite: nach einem Gemälde von Friese L u x - L e s e b o g e n 2 1 6 (Naturkunde) H e f t p r e i s 2 5 P f g . Natur- und kulturpolitische Hefte - Bestellungen (vierteljährl. 6 Hefte DM 1.50) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt — Verlag Sebastian Lux, Murnau, München, Innsbruck, Ölten — Druck: Buchdruckeret Auer, Donauwörth