Band 45 der Fernseh-Serie Raumpatrouille H. G. Francis
Erbe des Infernos
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Band 45 der Fernseh-Serie Raumpatrouille H. G. Francis
Erbe des Infernos
Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!
Die Hauptpersonen des Romans: Nemo van Huizen – Der Staatssekretär erteilt strikte Anweisungen. Dr. John Braker – Leiter der Forschungsarbeiten auf Ganymed. Kyll Lennard, Peter Sobolew und Pierre Denis – Minister Terras. Cliff McLane – Der Kommandant der ORION IX wird auf ein Geheimnis angesetzt. Hasso Sigbjörnson – Chefingenieur der ORION.
1. »Vorsicht ist das oberste Gebot«, sagte Nemo van Huizen in der für ihn typisch schleppenden Weise. »Jeder Schritt ist sorgfältig abzuwägen.« »Ist das nicht ein wenig übertrieben?« fragte Dr. John Braker. »Die Ganymed-Station stellt keine aktive Gefahr mehr dar. Ich glaube daher, daß wir zügig vorgehen können. Je schneller wir die Geheimnisse dieser Anlage enträtseln, desto besser.« Van Huizen schüttelte ablehnend den Kopf. Seine hellblauen Augen verdunkelten sich. »Ich denke, meine Anweisung war eindeutig und klar genug«, sagte er. »Sie gehen jedem Risiko aus dem Wege. Dabei spielt es keine Rolle, wieviel Zeit Sie benötigen, die Station zu erforschen. Wichtig ist nur, daß nichts passiert.« »Verzeihen Sie, wenn ich Ihnen widerspreche«, bat Braker und setzte zu einem erneuten Protest gegen die Befehle des Politikers an. Van Huizen ließ ihn jedoch nicht zu Wort kommen. »Dr. Braker«, erklärte er scharf. »Es geht einzig und allein darum, eine Katastrophe zu vermeiden, die das
gesamte Sonnensystem ins Verderben stürzen könnte. Das ist das Problem. Dahinter muß alles andere weit zurückstehen. Es mag sein, daß hier auf Ganymed außerordentliche wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen sind, aber das ist zur Zeit nicht so interessant.« »Das haut den stärksten Neger um, was?« meinte Simon Mayer, der Sekretär Nemo van Huizens, grinsend. Der Wissenschaftler Braker zuckte wie unter einem Hieb zusammen. Er blickte auf Mayer herab. Das hagere Gesicht des Sekretärs war über und über mit Fältchen bedeckt. Braker kam jedoch nicht dazu, sich über die respektlose Bemerkung Mayers aufzuregen, denn plötzlich stürzte ein dunkelhaariger Mann aus dem Kontrollzentrum der Ganymed-Station hervor. Er hielt einen schweren HM 4-Projektor in der rechten Hand. Als er Nemo van Huizen bemerkte, blieb er abrupt stehen. Seine Augen weiteten sich. Keuchend rang er nach Luft. »Was ist los mit Ihnen, Creamok?« fragte Dr. Braker beunruhigt. »Legen Sie die Waffe weg.« Der junge Mann schritt mit ungelenken Bewegungen auf van Huizen zu. Langsam hob er den HM 4Projektor und zielte damit auf den Politiker. »Haben Sie den Verstand verloren?« brüllte Braker. »Creamok, hören Sie mit dem Unsinn auf.« Die Worte prallten an dem Bewaffneten ab. Vier Meter von van Huizen entfernt blieb er stehen. Sein Zeigefinger krümmte sich. »Vorsicht«, rief Simon Mayer. »Der Bursche meint es ernst.« Nemo van Huizen schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, was das alles soll, junger Mann«,
sagte er langsam. »Würden Sie mich freundlicherweise aufklären?« Creamok antwortete nicht. Sein Gesicht verzerrte sich, und er löste die Waffe aus. Pfeifend schoß ein Feuerstrahl aus dem Projektor. Van Huizen aber reagierte blitzschnell. Er warf sich zur Seite, prallte dabei gegen seinen Sekretär und schleuderte diesen zu Boden. Während Dr. Braker wie gelähmt auf der Stelle stand, richtete sich die Waffe erneut auf den Politiker. Van Huizen aber griff nun mit vehementer Wucht an. Er duckte sich ab, entging dabei einem erneuten Feuerstoß, der den Bodenbelag aufriß und sprang den Attentäter an. Mit der rechten Faust schlug er die Waffe hoch. Die Linke krallte sich in den Gürtel seines Gegners. Auf diese Weise versuchte der Minister, den jungen Mann zu Boden zu reißen, doch der schien stärker. Er brachte seinen Arm wieder nach unten und richtete den HM 4-Projektor abermals auf van Huizen. Dieser packte die Waffe und drehte sie mit unwiderstehlicher Gewalt herum. Als der Projektor auf die Brust des jungen Mannes zeigte, löste dieser die Waffe aus. Der Flammenstrahl fuhr ihm quer durch die Brust. Tot stürzte der Mann zu Boden, während van Huizen zurücksprang, um der glühenden Hitze zu entgehen. Bestürzt blickte der Staatssekretär auf den Toten. Seine Hände zitterten. Nemo van Huizen schien nicht fassen zu können, was geschehen war. »Warum hat er das getan?« fragte er. Hilfesuchend wandte er sich an Dr. Braker und Simon Mayer. Der Sekretär, der sonst stets eine respektlose Bemerkung bereit hatte, blickte ihn entsetzt an.
»Sie haben ihn getötet«, sagte der Wissenschaftler und wich vor dem Staatssekretär zurück. Nemo van Huizen blickte auf seine Hände. »Ich wollte es nicht«, entgegnete er. »Ich wollte es wirklich nicht. Er hat mich angegriffen, und ich habe mich gewehrt.« Simon Mayer räusperte sich. Dann sagte er: »Hoffentlich haben Sie jetzt endlich begriffen, Dr. Braker, wie ernst die Situation ist. Dieser Vorfall sollte Ihnen deutlich gezeigt haben, daß es gefährlich ist, mit kindlicher Sorglosigkeit an den Vorrichtungen der Ganymed-Station herumzuspielen.« Nemo van Huizen atmete tief durch. Allmählich löste er sich aus dem Schock, den er erlitten hatte. Er nickte mehrmals. »Du hast recht, Simon«, sagte er anerkennend. »Nur so kann es gewesen sein.« »Sie meinen, irgend etwas in dieser Station hat auf den Attentäter eingewirkt und ihn gezwungen, etwas so Widersinniges zu tun?« fragte Dr. Braker. »Was denn sonst?« entgegnete Simon Mayer. »Ihr Wissenschaftler fummelt hier an den Techniken einer Macht herum, die vielleicht einmal so weit entwickelt war, daß sie Einfluß auf die gesamte Galaxis nehmen konnte. Und dann wundert ihr euch, daß plötzlich irgendwo etwas losgeht.« »Ich muß doch bitten«, protestierte Dr. Braker verärgert. »Wir leisten hier schwere Arbeit, die mit Spielerei nun wirklich nichts zu tun hat. Wir können ...« »Es ist schon gut, Dr. Braker«, unterbrach ihn van Huizen. »Wir kommen nicht weiter, wenn wir noch länger diskutieren. Befolgen Sie meine Anordnungen,
und gehen Sie von nun an mit noch größerer Vorsicht vor. Ich werde dafür sorgen, daß die Sicherungsmannschaft verstärkt wird. Melden Sie mir jeden weiteren ungewöhnlichen oder verdächtigen Vorfall.« »Mein Gott«, sagte Dr. Braker. »Bisher haben wir kaum mehr als Aufräumungsarbeiten durchgeführt. McLane und seine Leute haben schwere Verwüstungen bei ihrem Kampf gegen die Roboter und die Station angerichtet. Ich weiß wirklich nicht, womit wir etwas ausgelöst haben, was diesen jungen Mann zum Attentäter gemacht hat.« »Finden Sie es heraus«, befahl van Huizen knapp. Er spürte, daß er immer noch leicht zitterte. Der Schock war noch keineswegs überwunden. Allzu lange hatte der Politiker unter dem Einfluß von Fluidum Pax in einer absolut friedfertigen Gesellschaft gelebt. Aggressionen waren ihm und allen anderen Menschen der Erde unbekannt gewesen. Jetzt hatte er sich zum ersten Mal in seinem Leben einem Angriff ausgesetzt gesehen, und damit wurde er nicht so schnell fertig. * Oberst Cliff McLane legte eine Sternenkarte zur Seite, als sich die Tür seines Wohnklinikums öffnete und ein Arzt eintrat. »Es sind bereits zwei Stunden vergangen, seitdem wir Sie zuletzt gesehen haben«, sagte Arlene spöttisch und erhob sich aus einem Sessel. Der Mediziner schob einen halbrobotischen Untersuchungswagen vor sich her.
»Es tut mir leid«, erwiderte er. »Ich hatte einen dringenden Fall. In so einer Station müssen Sie schon warten können.« Arlene lächelte. »Sie haben mich gründlich mißverstanden, Dr. Bender.« Der Arzt hielt den Wagen an und richtete sich auf. Verwirrt blickte er von McLane zu Arlene und wieder zurück. Er war noch jung. Arlene schätzte ihn auf nicht mehr als dreißig Jahre. Dennoch war er bereits der Chef der Spezialklinik von Miami, die sich ausschließlich mit Krankheiten befaßte, die im Zusammenhang mit der Weltraumfahrt auftraten. »Habe ich das?« fragte er. Er trug eine lichtgrüne Blusenjacke und eine weite Hose. Das dunkle Haar reichte ihm bis zu den Schultern. »Sie haben«, bekräftigte McLane. »Wir wären nämlich verteufelt froh gewesen, wenn Sie uns noch ein wenig länger in Ruhe gelassen hätten.« »Ach so«, sagte Dr. Bender und lächelte breit. Er glaubte zu verstehen. Er wandte sich seinen Instrumenten zu. Der Wagen fuhr einige Sonden aus und richtete sie auf Cliff. »Machen Sie bitte den Oberkörper frei.« Der Commander schüttelte den Kopf. »Ich denke gar nicht daran«, entgegnete er. »Ich will hier heraus. Und das so schnell wie möglich.« »Falls Sie noch nicht dahintergekommen sein sollten, möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, daß wir uns nicht nur absolut gesund fühlen, sondern es auch wirklich sind«, fügte Arlene hinzu. Jetzt begriff Dr. Bender endlich, worum es ging. »Ach so«, sagte er erneut. »Das will natürlich gar
nichts besagen. Wir müssen befürchten, daß Sie einem Stasisfeld in der Geheimstation Ganymed ausgesetzt waren. Das ist sogar ziemlich wahrscheinlich. Sie könnten Schäden davongetragen haben, die unbedingt einer Behandlung bedürfen.« »Wir haben nicht«, erwiderte Cliff ungeduldig. »Sicherlich fühlen Sie sich so, als wären Sie gesund«, fuhr Dr. Bender unbeirrt fort. »Das heißt aber noch lange nicht, daß Sie es auch tatsächlich sind.« »Wir sind es«, sagte der Commander. »Wir müssen die Untersuchungsreihen zu Ende führen. Erst dann kann ich Ihnen sagen, ob Sie dem Stasisfeld tatsächlich ausgesetzt waren oder nicht.« Arlene seufzte und setzte sich wieder in den Sessel. Cliff McLane aber hielt es nicht auf seinem Platz aus. Ärgerlich schob er die Sonden zur Seite, doch sie folgten seinem Arm sogleich wieder und hefteten sich ihm an die Haut. »Bitte, seien Sie vernünftig«, sagte Dr. Bender. »Wir müssen diese Untersuchungen durchführen.« »Wir müssen überhaupt nicht«, brüllte Cliff. Wütend versuchte er, sich die Sonden von der Haut zu reißen, doch es gelang ihm nicht. Und so gab er auf, da er sich nicht verletzten wollte. »Setzen Sie sich, Commander. Oder besser noch, legen Sie sich hin. Je weniger Sie sich sträuben, desto schneller sind wir fertig«, sagte Dr. Bender freundlich. Er lächelte. »Nun hören Sie endlich damit auf, mich wie ein unmündiges Kind zu behandeln«, schrie der Oberst. »Begreifen Sie doch endlich, daß die Untersuchung überflüssig ist, weil alles in Ordnung ist.« »Ja, ja, das sagten Sie schon«, erwiderte der Medi-
ziner noch immer lächelnd. »Und nun legen Sie sich bitte hin.« Cliff ließ sich in einen Sessel sinken und blickte den Arzt kopfschüttelnd an. Dann wandte er sich an Arlene und zeigte mit dem Daumen auf Dr. Bender. »Sag mal, Arlene, spreche ich die gleiche Sprache wie Dr. Bender, oder bilde ich mir das nur ein?« »Das läßt sich schwer sagen«, erwiderte sie. »Vielleicht ist Dr. Bender schwerhörig.« »Du meinst, er hat Tomaten auf den Ohren?« »Oberst, jetzt gehen Sie zu weit«, sagte Dr. Bender empört. »Sie sollten nicht ...« »Machen Sie, daß Sie rauskommen«, schrie Cliff. »Wenn Sie nicht sofort verschwinden, dann helfe ich nach. Verstanden?« Dr. Benders Lächeln erlosch. Er drückte einige Tasten an dem Halbroboter. Die Sonden verschwanden in dem Gerät, und schweigend eilte der Arzt mit seinen Instrumenten aus dem Raum. »Du warst ein wenig zu heftig«, bemerkte Arlene. »Mag sein«, antwortete der Commander mürrisch, »aber ich konnte diesen Mann keine Minute länger ertragen.« »Man muß auch seinen Standpunkt sehen«, sagte Arlene. »Er trägt die Verantwortung für uns und will uns nicht entlassen, bevor er sich nicht wirklich sicher ist, daß wir okay sind.« Der Türmelder sprach an, und Dr. Bender trat erneut ein. Dieses Mal begleiteten ihn drei seiner Oberärzte und zwei Ärztinnen aus dem psychologischen Trakt des Klinikums. »Aha, Sie haben sich Verstärkung geholt«, stellte Cliff sarkastisch fest. »Geht es um körperlichen Ein-
satz oder um medizinische Argumente?« »Sie glauben doch wohl nicht, daß ich mich auf eine Prügelei oder so etwas Ähnliches einlassen würde?« fragte der Chefarzt. »Commander, Sie täuschen sich ganz gewaltig. Derartige Dinge überlasse ich gerne Ihnen.« »Dann ist es ja gut. Sie sind also gekommen, um uns mitzuteilen, daß wir die Klinik endlich verlassen können.« »Durchaus nicht«, entgegnete Dr. Bender. »Ich will, daß Sie endlich begreifen, um was es geht.« »Keine Sorge, Dr. Bender, alle sechs Mitglieder der ORION-Crew haben längst erkannt, daß Ihr Sicherheitsbestreben geradezu uferlos ist. Es mag sein, daß die Menschen in den mehr als sechzig Jahren, die wir nicht auf der Erde waren, den Blick und das Gefühl für die eigene Gesundheit verloren haben. Bei uns ist das jedoch nicht der Fall. Sie brauchen uns nicht in dieser Form zu bemuttern. Wir können ganz gut selbst beurteilen, wie es um uns steht.« »Glänzend steht es«, fügte Arlene hinzu. »Die Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen«, erklärte Dr. Bender. »Solange das nicht der Fall ist, können wir keinerlei Verantwortung übernehmen.« »Die psychologischen Tests haben gerade erst begonnen«, stellte eine der beiden Psychologinnen fest. »Wir haben uns mit Hasso Sigbjörnson und Mario de Monti befassen können. Dabei sind wir zu dem Ergebnis gekommen, daß Mario de Monti ...« »... ein gesteigertes Interesse für das weibliche Geschlecht hat«, unterbrach Cliff McLane ihren Redefluß. »Danke, das war uns auch schon vorher bekannt.«
Die Ärztin krauste verärgert die Stirn und setzte zu einer weiteren Bemerkung an, der Commander ließ sie jedoch nicht zu Wort kommen. »Die Crew ist sich einig«, erklärte er. »Wir wollen die Klinik noch heute verlassen und ins TECOM zurückkehren.« »Das ist unmöglich«, protestierte Dr. Bender. »Das ist ein Wort, das die Crew noch nie akzeptiert hat. Ich übernehme die Verantwortung, Dr. Bender. Und wenn Sie selbst die Entscheidung nicht treffen wollen, dann setzen Sie sich mit der Regierung in Verbindung.« »Also schön, Oberst. Wenn Sie es so wollen, dann werde ich mit der Regierung reden. Ich verspreche Ihnen, daß Sie noch heute erfahren, welche Entscheidung diese getroffen hat. Sie werden dann sofort entlassen. Ich bestehe aber darauf, daß bis dahin noch einige Untersuchungen durchgeführt werden, auf die ich einfach nicht verzichten kann.« Cliff McLane blickte Arlene kurz an, dann nickte er. »In Ordnung«, erwiderte er. »Tun Sie, was Sie nicht lassen können. Aber beeilen Sie sich. Und kommen Sie mir nicht in einigen Stunden mit der Behauptung, Sie hätten kein Regierungsmitglied erreicht. Ich sage Ihnen schon jetzt, daß ich mich damit nicht abfinden würde.« »Sie sind der ungeduldigste Patient, den ich je gehabt habe.« »Das war früher ganz normal, Doktor. Zu einer Zeit, in der Sie noch gar nicht auf der Welt waren, sah man eine Klinik als einen Ort an, den man nur im äußersten Notfall aufsuchte, nicht aber, um sich einige angenehme Tage zu machen.«
Der Commander drehte sich um und trat auf die Terrasse hinaus. Das Licht der Sonne spiegelte sich in dem Swimming-pool, der zu jeder Wohneinheit gehörte. Aus einer Multiphonie-Anlage ertönte beruhigende Musik. Auf einer Bildwand im Hintergrund lief ein Spielfilm ab, bei dem es sich um eine Komödie handeln sollte. Doch Cliff konnte nicht darüber lachen.
2. Simon Mayer zupfte seine geblümte Bluse zurecht und überprüfte mit der linken Hand den Sitz des Gürtelschlosses. Dann hob er den Kopf und blickte zu Cliff McLane auf, der ihn weit überragte. »Ich habe das Vergnügen, Ihnen mitteilen zu können, daß Sie an der bevorstehenden Sitzung der Regierung im Computerzentrum TECOM teilnehmen dürfen«, sagte er. »Sie und Ihre Crew.« »Im Computerzentrum sind wir schon«, erwiderte Cliff. »Wo findet die Sitzung statt?« »Im Konferenzraum IV.« »Aha, dann wissen wir schon Bescheid«, sagte Mario de Monti. »Es ist kein weiterer Zwergenaufstand nötig. Wir finden den Weg allein.« »Sieh da«, gab Simon Mayer nicht weniger ironisch zurück. »Und dabei gab es tatsächlich Leute, die glaubten, Ihre Intelligenz sei weit überfordert, wenn ich Sie allein durch die Gänge latschen lasse. Aber offensichtlich hat man sich geirrt.« »Hört euch den Kleinen an«, sagte Mario grinsend. »Ausgewachsen ist er noch nicht, aber er ist wenigstens nicht auf den Mund gefallen. Darf man fragen, wer Sie sind?« »Ich bin der persönliche Sekretär von Nemo van Huizen«, erwiderte Mayer. »Sie werden mich noch kennenlernen.« »Keine Zweideutigkeiten, bitte«, bemerkte Hasso Sigbjörnson. »Oder sollte das eine Drohung gewesen sein?« fragte Cliff amüsiert.
»Abwarten«, erwiderte der Sekretär freundlich lächelnd. Er wandte sich ab und ging davon, ohne darauf zu warten, daß die ORION-Crew ihm folgte. »Ich glaube, der Kleine hat Haare auf den Zähnen«, sagte Helga Legrelle. »Wir sollten ihn nicht unterschätzen.« In der Tür zum Konferenzraum wartete Simon Mayer doch noch auf die ORION-Crew. »Treten Sie ein«, sagte er. »Sie werden erwartet.« Auf der einen Seite eines großen, runden Tisches saßen Pierre Denis, der Innenminister, Peter Sobolew, der Außenminister, Han Tsu-Gol, Ministerpräsident, Kyll Lennard, Minister für Wissenschaft und Forschung, und Nemo van Huizen, Staatssekretär ohne Geschäftsbereich. Neben van Huizen nahm Simon Mayer wie selbstverständlich Platz. Er war so klein, daß er fast in dem Sessel verschwand und gerade noch über die Tischkante hinwegsehen konnte. »Bitte, setzen Sie sich«, sagte Pierre Denis, ein schlanker, feinnerviger Mann, dessen äußere Erscheinung eher auf einen Künstler als auf einen Politiker schließen ließ. »Wir haben damit gerechnet, daß Sie es in der Klinik nicht lange aushalten würden«, bemerkte Peter Sobolew, ein untersetzter Mann mit kahlem Schädel und auffallend breitem Kinn. »Wir haben Probleme, die gelöst werden müssen«, fügte Han Tsu-Gol hinzu. Der Asiat wirkte undurchsichtiger und abweisender als bei ihrer ersten Begegnung mit ihm. Cliff fiel auf, wie sehr der Mann sich verändert hatte, seitdem er nicht mehr unter dem ausgleichenden und aggressionsdämpfenden Fluidum Pax stand.
»Wir verspüren selbst eine gewisse Unrast und Ungeduld in uns, seitdem wir uns frei entfalten können«, erklärte Sobolew. »Daher haben wir bis zu einem gewissen Punkt Verständnis dafür, wenn Ihnen die Untersuchungen zu lange dauern. Dennoch ...« Er ließ unausgesprochen, was er gegen die Haltung Cliff McLanes und seiner Freunde zu sagen hatte. Er preßte die Lippen aufeinander und blickte flüchtig zu Pierre Denis hinüber. »Wir sind derartige Schwierigkeiten nicht gewohnt«, gestand Kyll Lennard ein. Er war ein nicht besonders großer Mann, der seine Augen nie auf einen Punkt fixierte, sondern einen kurzsichtigen und oft auch nicht besonders interessierten Eindruck machte. Cliff hatte das Gefühl, daß Lennard ihn gar nicht wirklich wahrnahm. Doch das änderte sich schon nach wenigen Sekunden, obwohl der Ausdruck der blauen Augen der gleiche blieb. »Bisher gab es keinen Widerstand gegen die Anordnungen der Regierung.« »Aber auch keine Eigeninitiative, keinen aggressiven Forscherdrang, keine ...«, sagte Mario de Monti, wurde jedoch von Pierre Denis unterbrochen. »Wir brauchen nicht mehr über die Vor- und Nachteile von Fluidum Pax zu diskutieren«, sagte der Innenminister. »Die Entscheidung ist gefallen. Fluidum Pax ist im Leitungswasser und in den Nahrungsmitteln nicht mehr vorhanden. Fluidum Pax findet nur noch im medizinischen Bereich Anwendung.« »Bedauerlicherweise sprechen Sie, McLane, auf das Präparat nicht an«, bemerkte Simon Mayer süffisant lächelnd, »sonst hätten wir es Ihnen verabreicht.«
»Das war überflüssig«, maßregelte Pierre Denis den Sekretär ärgerlich. »Wir sind nicht zusammengekommen, um uns Unfreundlichkeiten an den Kopf zu werfen und so zu demonstrieren, daß die Wirkung von Fluidum Pax nachläßt, sondern weil wir wichtige Dinge zu besprechen haben.« »Ich bitte um Vergebung«, sagte Simon Mayer gleichmütig und wandte sich Nemo van Huizen zu, um ihm etwas zuzuflüstern. Denis trommelte nervös mit den Fingerspitzen auf den Tisch, bis van Huizen seinem Mitarbeiter zu verstehen gab, daß er jetzt keine Zeit für ihn hatte. »Selbstverständlich gibt es Probleme mit der Bevölkerung«, stellte der Innenminister fest. »Wenn man die Menschen der Erde über Jahrzehnte hinweg mit einem solchen Pharmakon beeinflußt und sie dann plötzlich in die psychische Freiheit entläßt, treten die unterschiedlichsten Reaktionen auf. Einige Menschen fühlen sich wie befreit, andere werden mit dieser Freiheit nicht fertig. Wieder andere beginnen, ihre Umwelt zu terrorisieren, ein neues Machtbewußtsein zu suchen.« »Man kann die Menschen in A-, B-, C- und DTypen einteilen«, ergänzte Kyll Lennard, der Minister für Wissenschaft und Forschung. »Die A-Typen sind von einem starken Machtstreben geprägt. Sie stellen stets Führungsansprüche. Sie müssen die ersten sein, sonst sind sie nicht zufrieden.« »A-Typen haben die Weltgeschichte geformt«, sagte Cliff. »In positivem wie in negativem Sinne«, antwortete Kyll Lennard. »Menschen, die Herr über sich selbst sind und einen einwandfreien Charakter haben, kön-
nen der Menschheit nur nützen. Sie aber wurden durch Fluidum Pax ebenso gehemmt wie Menschen, die überwiegend negative Eigenschaften besitzen. Diese Gruppe ist für uns besonders problematisch.« »Aber damit haben Sie nichts zu tun«, sagte Pierre Denis. »Das ist unsere Sache. Interessanter für Sie dürfte jedoch sein, daß wir damit begonnen haben, die Raumschiffsbesatzungen auszutauschen. Nachdem bisher ausschließlich Kolonialterraner die Besatzungen gestellt haben, werden diese nun nach und nach durch Spezialisten ersetzt, die auf der Erde geboren sind.« »Es gibt Schwierigkeiten mit den alten Besatzungen«, bemerkte Peter Sobolew, der Außenminister. »Und nicht nur mit ihnen, sondern auch mit den Kolonialwelten, von denen die Besatzungen stammen. Man will unsere Motive für diese Maßnahmen nicht anerkennen.« »Zumal wir nie ernsthafte Schwierigkeiten mit den Besatzungen hatten«, fügte Pierre Denis hinzu. »Befehlsverweigerungen oder Ähnliches sind nicht vorgekommen.« »Ich habe eigentlich nie damit gerechnet, daß die Umstellung überall reibungslos vonstatten gehen würde«, sagte Cliff McLane. »Insgesamt gesehen habe ich den Eindruck, daß sich die Menschen nach dem Abklingen der Wirkung von Fluidum Pax zu ihrem Vorteil verändern.« »Das ist durchaus richtig«, stimmte Pierre Denis zu. »Doch das berührt Sie vorläufig noch nicht direkt. Sie müssen auf diese Zusammenhänge aufmerksam gemacht werden, weil sich Schwierigkeiten für Sie mit anderen Raumschiffsbesatzungen ergeben könn-
ten. Wir müssen uns aber zunächst auf das konzentrieren, was Sie uns über die Schlafende Göttin mitgeteilt haben.« Cliff McLane atmete unwillkürlich auf. Endlich kam Pierre Denis zur Sache. »Nehmen wir die Enthüllungen der Schlafenden Göttin ernst«, sagte der Innenminister, »dann müssen in grauer Vorzeit zwei Machtgruppen im Kosmos existiert haben, die sich erbittert bekämpften.« »Hat die Schlafende Göttin Hinweise darüber gegeben, wann diese Machtgruppen existierten?« fragte Kyll Lennard. Cliff schüttelte den Kopf. »Nein, es gibt keinerlei konkrete Zeitangaben, so daß wir vorerst noch nicht einmal schätzen können. Dieser kosmische Krieg kann vor hunderttausend Jahren aber auch vor hundertmillionen Jahren stattgefunden haben.« »Das Computerzentrum TECOM ist mittlerweile zu der Feststellung gekommen, daß unser Sonnensystem in diese Auseinandersetzung verwickelt war«, sagte Pierre Denis. »Die Geheimstation auf dem Jupitermond Ganymed und V'aco, die Vertreterin der Gegenpartei, des Varunja, beweisen dies.« »Daran gibt es wohl keinen Zweifel«, erklärte Cliff. »Wir müssen also von der Voraussetzung ausgehen, daß im Kosmos weiterhin Reste dieser beiden Mächte existieren. Diese können für das Sonnensystem und die Erde zu einer ernsten Bedrohung werden«, fuhr Denis fort. Niemand widersprach ihm. Diese Feststellungen waren eindeutig. »Wir müssen aktiv werden«, sagte Mario de Monti.
»Es bringt nichts, wenn wir hier herumsitzen und uns freundlich ansehen. Wir müssen vielmehr energisch allen Spuren nachgehen, die wir bisher gefunden haben.« »Genau das müssen wir verhindern«, sagte Pierre Denis. »Wie bitte?« fragte Cliff McLane verblüfft. »Sie wollen den Spuren nicht nachgehen? Das darf doch nicht wahr sein.« Denis lächelte nachsichtig. »Das habe ich nicht gesagt, Commander. Ich werde nur verhindern, daß wir allzu energisch und damit unvorsichtig vorgehen, denn das könnte für die Menschheit verhängnisvoll werden. Wir haben es fraglos mit kosmischen Mächten zu tun, die uns weit überlegen sind – nach wie vor, obwohl sie schon seit Jahrtausenden nicht mehr zur vollen Machtentfaltung gekommen sind. Wir können es uns nicht leisten, eine dieser Mächte zu provozieren, um dann in der Auseinandersetzung mit ihr unterzugehen.« »Gefährlich für uns ist nur das Rudraja«, sagte Cliff. »Aber Sie können nie von vornherein wissen, ob Sie sich mit dem Rudraja auseinanderzusetzen haben oder mit dem Varunja. Wir müssen uns also absichern. Jeder Schritt, den wir unternehmen, muß vorher genau geprüft werden.« »Man kann alles übertreiben«, sagte Cliff. »Nicht, wenn es um die Existenz der Menschheit geht«, antwortete Pierre Denis scharf. »Niemand hat vor, die Existenz der Menschheit zu gefährden«, erwiderte Cliff nicht weniger betont. »Dennoch müssen wir die Ganymed-Station möglichst schnell erforschen.«
»Das ist gefährlich«, sagte Nemo van Huizen leise. »Ich habe es am eigenen Leibe erfahren.« Er schilderte mit knappen Worten, was auf dem Jupitermond vorgefallen war. »Das bestätigt nur, daß ich recht habe«, sagte Cliff. »Ich bin der Meinung, daß wir es uns nicht leisten können, Zeit verstreichen zu lassen. Wir müssen handeln und dabei zwei Ziele ins Auge fassen. Die Ganymed-Station und das Bermuda-Dreieck.« »Begreifen Sie denn nicht?« fragte Pierre Denis. »Das Attentat auf van Huizen bedeutet, daß die Einrichtungen der Ganymed-Station nicht völlig ausgeschaltet sind.« »Das ist eine These, weiter nichts«, erwiderte Cliff. »Der Attentäter kann aus vielerlei Gründen durchgedreht haben. Vielleicht hat er verrückt gespielt, weil er Fluidum Pax nicht mehr bekommen hat.« »Er gehörte einer Forschergruppe an, deren Nahrungsmittel- und Wasserbestände noch mit Fluidum Pax angereichert waren«, erklärte Kyll Lennard ruhig. »Verstehen Sie? Er hätte unter keinen Umständen aggressiv werden können. Medizinisch ist nicht erklärbar, was mit ihm geschehen ist.« Betroffen blickte Cliff McLane den Minister für Forschung und Wissenschaft an. Mit einer solchen Feststellung hatte er überhaupt nicht gerechnet. »Das Computerzentrum TECOM ist mit allen zur Verfügung stehenden Informationen gefüttert worden«, sagte Pierre Denis. »Es kommt zu dem Ergebnis, daß der Attentäter nur unter dem Einfluß des Rudraja gehandelt haben kann. Dabei wird vorausgesetzt, daß dieses Rudraja wirklich existiert hat und die Ganymed-Station zu seinem Machtbereich gehörte.«
»Wie und auf welche Weise der Attentäter gesteuert wurde, bleibt unklar«, ergänzte Kyll Lennard. »Sie schweigen?« fragte Pierre Denis. »Warum, McLane? Geht Ihnen allmählich auf, in welcher Gefahr wir alle schweben?« Cliff schüttelte den Kopf. »Ich kann Ihre Sorge verstehen«, antwortete er. »Sie tragen die Verantwortung für die Erde und das Sonnensystem. Selbstverständlich wollen Sie nicht das Risiko eingehen, daß die Macht des Rudraja hier plötzlich losbricht und ein Chaos anrichtet. Dennoch müssen wir handeln, und zwar schnell. Es wäre ein verhängnisvoller Fehler, wenn wir warteten und zögerten. Wenn das Rudraja oder dessen Werkzeuge aktiv werden, so gilt das gleiche für uns, doch wir müssen schneller sein.« »Und was ist, wenn noch weitere Vermächtnisse des Rudraja geweckt werden?« fragte Pierre Denis. »Feigling«, bemerkte Peter Sobolew verächtlich. »Ich bin der gleichen Meinung wie Cliff McLane. Wir müssen handeln. Den Kopf in den Sand zu stecken hat keinen Sinn.« »Sie wissen nicht, was Sie sagen«, empörte sich Pierre Denis. »Glauben Sie denn wirklich, daß wir mit Menschen, die es nicht gewohnt sind, mit einer gesunden Portion Aggressivität zu leben, ein solches Risiko eingehen können? Sie stellen die Menschheit an den Abgrund, ohne ihr eine Fluchtmöglichkeit zu geben. Ich werde meine Zustimmung auf gar keinen Fall für einen derart verrückten Plan erteilen.« »Verrückt?« Peter Sobolew sprang auf. »Beruhigen Sie sich, meine Herren«, bat Han TsuGol mit sanfter Stimme. »Wir kommen keinen Schritt
weiter, wenn wir uns gegenseitig beleidigen oder unsachlich werden.« »Es gibt nur eine Möglichkeit«, sagte Cliff. »Wir müssen so schnell wie möglich handeln und dabei auch ein gewisses Risiko eingehen.« »Das werden wir nicht tun«, erwiderte Pierre Denis energisch. »Warum fragen Sie mich dann überhaupt?« erkundigte sich der Commander. »Weil Sie mehr Erfahrung in diesen Dingen haben als wir«, entgegnete Denis. »Sie sollen uns helfen. Das tun Sie jedoch nicht, wenn Sie Forderungen stellen, die wir nicht erfüllen können.« »Wollen«, korrigierte Cliff. »Oder das«, gab Pierre Denis zu. »Ich schlage einen Kompromiß vor«, sagte Han Tsu-Gol freundlich lächelnd. »Es muß doch möglich sein, daß wir uns irgendwo in der Mitte zwischen dem Extrem eines gar zu risikofreudigen Einsatzes und dem Extrem allzu großer Vorsicht treffen.« »Die Arbeit auf Ganymed muß weitergehen«, erklärte Cliff. »Gut, wenn Sie dabei das Risiko scheuen, dann sollte jeder Schritt sorgfältig abgewogen werden. Dennoch muß man versuchen, unter diesen Umständen so schnell wie möglich zu arbeiten.« »Gebremstes Risiko also«, sagte Mario de Monti, der Chefkybernetiker der ORION. »Genau das«, stimmte Cliff zu. »Zugleich aber müssen die Rätsel des Bermuda-Dreiecks geklärt werden.« »Ich bin für eine Forschungsexpedition in dieses Gebiet«, sagte Peter Sobolew. »Hier sollten wir wirklich keine Zeit mehr verlieren. Wer kann denn aus-
schließen, daß ein enger Zusammenhang zwischen dem Dreieck und der Ganymed-Station besteht?« »Daran zweifelt eigentlich kaum noch jemand«, stellte Pierre Denis zögernd fest. Er nickte. »Also gut, Commander McLane. Sie werden das BermudaDreieck übernehmen. Lassen Sie sich von Lennard darüber informieren, was inzwischen darüber bekannt ist. Danach brechen Sie so schnell wie möglich auf. Ich bestehe darauf, daß Sie uns ständig über den Fortgang der Arbeiten und über die Situation unterrichten. Vor allem erwarte ich von Ihnen, daß Sie auf Eigenmächtigkeiten verzichten.« »Das ist unsere große Stärke«, behauptete Mario de Monti im Brustton der Überzeugung, und nicht die Andeutung eines Lächelns zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. »Eigenmächtigkeiten kennt die ORIONCrew überhaupt nicht.« Cliff McLane hatte Mühe, ernst zu bleiben. * »Hätten wir das gewußt, hätten wir auch hierbleiben können«, sagte Cliff McLane. »Oder haben Sie die Absicht, mich wieder in die Klinik zu bringen?« Nemo van Huizen lachte. Er schüttelte den Kopf. »Keine Sorge, Oberst«, erwiderte er und deutete auf eine Robotmaschine. »Wir fliegen auf die See hinaus. Weiter nichts.« Cliff zuckte mit den Schultern und schob die Hände in die Hosentaschen. Er verzichtete auf weitere Fragen. Wenn van Huizen es vorzog, sich über das Ziel des Fluges auszuschweigen, sollte er es tun. Simon Mayer öffnete die Tür der Maschine und
stieg als erster ein. Als er eine Lichtschranke durchschritt, schaltete sich eine Musikanlage ein. Cliff folgte dem Sekretär. Er ließ sich in die Polster der luxuriös ausgestatteten Kabine sinken und wartete darauf, daß van Huizen irgendwelche Steuerelemente in Betrieb setzte. Der Staatssekretär nahm Platz und berührte lediglich eine Druckleiste. Daraufhin schloß sich die Tür, die Antriebsaggregate heulten kurz auf und verstummten wieder. Dann hob die Maschine ab. Durch die voll verglaste Seite konnte Cliff auf Miami hinabsehen. Das Fluggerät jagte jetzt nahezu lautlos auf das Meer hinaus und stieg dabei bis in eine Höhe von etwa fünftausend Metern. Der Flug war absolut erschütterungsfrei. Aus verborgenen Lautsprechern drangen die Klänge moderner Musik. »Haben Sie die Absicht, mir zu demonstrieren, wie weit die Flugtechnik in den letzten Jahrzehnten fortgeschritten ist?« fragte der Commander spöttisch. »Durchaus nicht«, antwortete van Huizen. Ein leichtes Lächeln glitt über sein Gesicht. »Sehen Sie mal nach unten.« Cliff folgte der Aufforderung und blickte auf die von zahlreichen Inseln bedeckte See südöstlich von Miami. »Was sehen Sie?« fragte van Huizen. »Ist das ein Quiz?« »Man kann die Umrisse von submarinen Anlagen erkennen«, antwortete der Politiker, ohne auf die Frage einzugehen. »Sehen Sie die Bögen und Kurven? Sie zeichnen sich recht klar ab.« »Tatsächlich, jetzt fällt mir auch etwas auf«, erwiderte Cliff. »Was ist das?« »Wir wissen es nicht, aber wir vermuten, daß da
unten Anlagen vorhanden sind, die mit den geheimnisvollen Vorgängen im Bermuda-Dreieck zu tun haben.« McLane schüttelte den Kopf. Er griff nach einem Becher mit einem Fruchtcocktail, den Simon Mayer ihm reichte. »Die Erde wird nicht erst seit heute mit Satellitenkameras und Spezialinstrumenten beobachtet. Von den ersten Anfängen der Raumfahrttechnik an wurde alles, was irgendwie auffällig und ungewöhnlich war, fotografiert, analysiert und untersucht. Von diesen Erscheinungen da unten habe ich noch nie etwas gehört.« Nemo van Huizen deutete mit der Hand nach unten. »Unter uns befindet sich ein Kuppelbau von noch nicht genau bekannter Größe«, erklärte er. »Wir wissen nicht, was es mit ihm auf sich hat. Wir wissen nur, daß er da ist. Wir haben ihn in der Nähe eines Objektes entdeckt, das Bimini-Wall oder auch BiminiStraße genannt wird. Von hier oben aus erkennt man die Linien. Unter Wasser aber ist in wenigen Metern Tiefe klar und deutlich eine Art Steinpflaster zu sehen, das zwei breite Straßen bildet.« »Hm, sie verlaufen größtenteils geradlinig und parallel und enden in dieser eigenartig geschwungenen Kurve«, bemerkte Cliff. Er stellte das Glas mit dem Getränk ab. »Wieso hat man dies alles erst jetzt gefunden? Warum nicht schon viel früher?« »Durch Großbauprojekte im Norden und im Süden des Bermuda-Dreiecks sind die Strömungsverhältnisse in diesem Gebiet verändert worden«, erläuterte van Huizen. »Diesen Effekt hatte man einkalkuliert,
und er wurde so gesteuert, daß sich dadurch keine negativen klimatischen Folgen ergaben. Es traten auch keine meeresbiologischen Änderungen ein, aber die neuen Strömungsverhältnisse trugen Schlammund Sandmassen vom Meeresboden ab und verlagerten ihn in andere Gebiete. Dadurch wurden diese submarinen Anlagen freigelegt.« Simon Mayer räusperte sich. »In den letzten zweihundert Jahren hat man sich nicht gerade intensiv mit dem Bermuda-Dreieck befaßt«, sagte er. »Immerhin ist man auf mehrere solcher Anlagen gestoßen. Man hat auch einige Pyramiden gefunden.« »Und? Was bedeutet das alles?« fragte Cliff. »Es gilt als sicher, daß im Gebiet des BermudaDreiecks vor Jahrzehntausenden ein Kontinent vorhanden war, auf dem sich eine hochentwickelte Kultur etabliert hatte. Diese Kultur muß vor etwa 12 000 Jahren untergegangen sein.« »Alles gut und schön«, sagte der Commander. »Wozu geben Sie mir diese Informationen? Was haben Sie vor?« »Wir haben bereits von einer Expedition in dieses Gebiet gesprochen«, antwortete van Huizen. »Wir wollen, daß Sie versuchen, in die Kuppel einzudringen. Wir gehen davon aus, daß es sich um eine Anlage des Rudraja handelt. Was das bedeutet, muß ich wohl nicht erst sagen.« Cliff nickte und blickte auf die See hinab. »Kehren Sie nach Miami zurück. Wir wollen keine Zeit verlieren.« Nemo van Huizen drückte die Leiste. Die Maschine beschleunigte, sackte gleichzeitig aber stark ab.
»Wir fliegen zu den Bimini-Inseln. Dort dürfte die ORION-Crew mittlerweile auch eingetroffen sein«, erklärte der Staatssekretär. »Von den Inseln aus werden Sie Ihre Expeditionen starten.« Cliff McLane hörte ihn kaum. Er beschäftigte sich bereits mit der Frage, wie er in die Kuppelanlage gelangen konnte und mit welchen Reaktionen er rechnen mußte. Für ihn stand außer Zweifel, daß es im Gebiet des Bermuda-Dreiecks immer noch voll aktive Maschinen gab, die für die rätselhaften Vorgänge verantwortlich waren, die die Wissenschaftler schon vor Jahrhunderten beschäftigt hatten. Die Maschine landete auf einem kleinen Flugfeld, das von Palmen umgeben war. Cliff McLane streckte van Huizen die Hand entgegen. »Dann kann ich mich wohl von Ihnen verabschieden, nicht wahr?« Der Politiker lächelte. »Warum denn?« fragte er. »Selbstverständlich bleibe ich bei Ihnen.« »Sie? Wozu das?« »Die Expedition interessiert mich.« Die beiden Männer blickten sich an. Van Huizen wich dem durchdringenden Blick des Commanders nicht aus. »Aha, ich verstehe«, sagte Cliff. »Pierre Denis hat mir einen Aufpasser auf den Hals geschickt, damit ich nur ja vorsichtig vorgehe und jedem Risiko ausweiche.« Das Lächeln auf dem Gesicht van Huizens vertiefte sich. »Sie übertreiben mal wieder«, sagte Simon Mayer. »Glauben Sie wirklich, daß Pierre Denis einen Mann
vom Range eines Staatssekretärs abordnet, wenn er Sie überwachen will? Genügt da nicht schon ein hochrangiger Offizier?« Ein Robotwagen glitt heran. Cliff verzichtete auf eine Antwort. »Steigen Sie ein«, bat van Huizen. »Der Wagen wird Sie zu Ihrer Crew bringen.« »Sie kommen nicht mit?« fragte Cliff. Der Staatsminister schüttelte den Kopf und deutete auf einen zweiten Robotwagen, der sich ihnen näherte. »Ich habe noch zu tun«, sagte er und verabschiedete sich von dem Commander. Er und sein Sekretär warteten, bis Cliff McLane abgefahren war. Dann stiegen sie in das zweite Fahrzeug. »Ich habe mir inzwischen die alten Akten von Oberst McLane angesehen«, sagte van Huizen, als er zusammen mit Simon Mayer in den Polstern des Gleiters saß. »Daraus geht recht deutlich hervor, daß ich mich nicht geirrt habe. Cliff McLane ist ein Mann, der mit Vorsicht zu genießen ist. Er kann recht eigenwillig sein und setzt sich dann rücksichtslos über alle Anordnungen und Befehle hinweg. Er hätte längst einen höheren Rang bekleidet, wenn er mehr Disziplin gezeigt hätte.« »Er wird sich an Ihnen die Zähne ausbeißen«, erwiderte Simon Mayer gelassen. »Er wird sich noch wundern.« »Ich werde verhindern, daß er gegen die Befehle handelt«, sagte van Huizen.
3. Der Luftkissengleiter raste über die spiegelglatte See dahin. Die Bimini-Inseln fielen schnell hinter der ORION-Crew zurück. Nemo van Huizen bediente die Maschine von einem bequemen Sessel aus. Er lächelte still vor sich hin, während Cliff McLane mit Mario de Monti über ein kybernetisches Problem diskutierte. Gelassen streckte van Huizen den Arm aus, als ein Ruflicht vor ihm aufleuchtete. Er drückte eine Taste, und ein holographisches Bild baute sich vor ihm auf. Nemo van Huizen setzte sich etwas aufrechter in den Sessel, als er Dr. John Braker, den Leiter der Forschungsarbeiten auf Ganymed, erkannte. Cliff McLane gab Mario ein Zeichen und brachte ihn damit zum Schweigen. »Dr. Braker«, sagte der Staatssekretär überrascht. »Was ist vorgefallen?« »Vorgefallen ist nichts«, erwiderte der Wissenschaftler. »Wir haben jedoch etwas entdeckt, was uns äußerst wichtig zu sein scheint.« »Heraus damit«, forderte van Huizen. »Was ist es?« »Sehen Sie selbst«, antwortete Dr. Braker. Das Bild wechselte. »Wir haben eine elektronische Bildaufzeichnung unseres Sonnensystems gefunden«, erklärte der Wissenschaftler, während die ersten Sterne im Projektionsfeld erschienen. Cliff und die anderen der ORION-Crew rückten dichter an van Huizen heran, um besser sehen zu können. »Das ist unser Sonnensystem«, sagte Hasso. »Ohne Zweifel.«
»Aber zwischen Mars und Jupiter ist noch ein Planet«, bemerkte Arlene. »Seht doch.« »Es muß sich um eine uralte Aufzeichnung handeln«, sagte Mario de Monti. »Was ist daran so aufregend?« fragte Helga Legrelle. »Wir haben schon immer gewußt, daß es zwischen Mars und Jupiter früher einmal einen Planeten gegeben hat.« »Er hat einen Mond.« »Na schön, Mario, aber das ist auch keine Überraschung, oder?« »Gewußt haben wir es eigentlich nie, daß da ein Planet gewesen ist«, stellte Cliff richtig. »Es wurden lediglich Hypothesen darüber entwickelt.« Der von der Laserkamera erfaßte Planet mit seinem Trabanten wurde größer. »Also gut«, sagte Helga seufzend. »Dann wissen wir also nun endgültig, daß da ein Planet und ein Mond gewesen sind. Ja – und?« Das Bild erlosch. Dafür erschien die Projektion Dr. Brakers wieder vor den Betrachtern. Der Wissenschaftler hatte die Worte gehört. »Warten Sie ab«, riet er. »Ziehen Sie keine voreiligen Schlüsse, und hören Sie erst, was wir herausgefunden haben.« »Spannen Sie uns nicht länger auf die Folter«, forderte van Huizen. »Messungen mit Spezialgeräten und eine Computerauswertung haben ergeben, daß auf diesem Planeten eine hochstehende Zivilisation existiert hat«, berichtete Dr. Braker. »Das ist allerdings eine bemerkenswerte Feststellung«, sagte van Huizen überrascht.
»Das ist noch nicht alles«, fuhr der Wissenschaftler fort. Er hatte sichtlich Mühe, seine Erregung zu verbergen. »Diese Zivilisation muß auf der Seite des Varunja gestanden haben und in den kosmischen Krieg verwickelt gewesen sein.« »Jetzt schießt er über das Ziel hinaus«, sagte Mario kopfschüttelnd. »Das ist doch reine Spekulation.« »Davon bin ich nicht überzeugt«, erwiderte Cliff. »Lassen Sie hören, Dr. Braker. Wie kommen Sie zu der Schlußfolgerung, daß die Bevölkerung des zerstörten Planeten auf der Seite des Varunja gestanden hat?« »Diese Schlußfolgerung habe nicht ich gezogen. Sie ist vom Computer ausgeworfen worden«, antwortete der Wissenschaftler in dem Bemühen, die Glaubwürdigkeit seiner Aussage noch weiter zu erhöhen. »Der ehemalige fünfte Planet wurde von der Besatzung der Geheimstation Ganymed laufend beobachtet und überwacht. Da die Ganymed-Station, wie wir eindeutig wissen, zum Rudraja gehörte, kann die Bevölkerung des fünften Planeten nur der Gegenseite angehört haben, also dem Varunja.« Diese Nachricht schlug ein wie eine Bombe. Eine außerordentliche Erregung bemächtigte sich der ORION-Crew und ihrer Begleiter. Keiner von ihnen hatte mit einer solchen Entdeckung gerechnet. Die Überlegungen Dr. Brakers waren zweifellos richtig. Sie klangen nicht nur logisch, sie waren es auch. »Das ist überzeugend«, sagte Cliff McLane, der sich als erster faßte. »Und die interessanteste Nachricht, die ich seit siebenundsechzig Jahren gehört habe«, erklärte Mario de Monti. »Es wäre also durchaus möglich, daß die
Bevölkerung der Erde Nachkommen der Bewohner des früheren fünften Planeten sind.« »Du meinst, einige konnten sich nach dem Angriff des Rudraja auf den fünften Planeten zur Erde retten?« fragte Arlene skeptisch. »Allerdings«, bestätigte Mario. »Ich finde, diese Überlegung hat außerordentlich viel für sich. Es wäre doch wohl mehr als unwahrscheinlich, wenn sich unabhängig voneinander auf zwei Planeten in einem Sonnensystem zwei Intelligenzen entwickelt hätten, die zudem äußerlich nahezu miteinander identisch sind.« »Stop«, protestierte Dr. Braker. »Davon hat niemand etwas gesagt. Wir wissen nicht, wie die Bewohner des früheren fünften Planeten ausgesehen haben. Es können durchaus Wesen gewesen sein, die ein nach unserem Geschmack abscheuliches Äußeres gehabt haben.« »Irrtum«, sagte Cliff. »Das stimmt nicht. Denken Sie an die Schlafende Göttin. Ihr Äußeres war ...« »... ausgesprochen appetitlich«, bemerkte Mario de Monti rasch. »Was überhaupt kein Beweis dafür ist, daß sie etwas mit den Bewohnern des zerstörten Planeten zu tun hatte«, ergänzte Cliff ironisch. »Es wäre durchaus möglich, daß es auf der Erde schon damals eine Zivilisation gegeben hat, die von einer der beiden Seiten des kosmischen Krieges genutzt wurde«, sagte Dr. Braker. »Ich danke Ihnen, Dr. Braker«, erklärte van Huizen ruhig. »Jetzt schon Hypothesen aufzustellen, ist verfrüht. Wir nehmen daher zunächst einmal nur die Fakten zur Kenntnis und überlassen es Ihnen und
den Computern, daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen. Arbeiten Sie weiter ...« »... und seien Sie weiter hübsch vorsichtig«, fügte Hasso Sigbjörnson spöttisch hinzu. »So ist es«, sagte van Huizen kühl. Er beugte sich vor und unterbrach die Verbindung zum Jupitermond. Er wandte sich Cliff McLane zu. »Ich verstehe Ihre Ungeduld, Oberst, aber ich lasse nicht zu, daß die Arbeiten beschleunigt werden. Je eher Sie sich damit abfinden, desto besser.« »Sie müssen wissen, was Sie tun«, antwortete der Commander gelassen. Nemo van Huizen nickte. »Das weiß ich auch. Ich gehe von dem Gedanken aus, daß die Vermächtnisse des Rudraja Jahrzehntausende in unserem Sonnensystem geruht haben. Wenn Sie sich mit dieser Perspektive abfinden können, dann würde Ihnen ebenfalls aufgehen, daß es nun auf ein paar Tage mehr oder weniger wirklich nicht ankommt.« »Wir haben bereits ausführlich darüber diskutiert«, erwiderte Cliff gelangweilt. »Sie sollten wissen, daß mich diese Perspektive nicht interessiert. Ich sehe das Problem von einer ganz anderen Warte aus – nämlich von einer Bedrohung gegen uns alle.« »Glücklicherweise treffen wir die Entscheidungen«, sagte van Huizen. Er lächelte und blickte Cliff an. Dieser begriff, was der Mann damit ausdrücken wollte. Die Regierung entschied, und dagegen konnte niemand sonst etwas machen. *
»Hier ist es«, sagte van Huizen. Der Luftkissengleiter sank aufs Wasser und verlor rasch an Geschwindigkeit. »Wassertiefe 250 Meter«, meldete Simon Mayer. »Wir befinden uns etwa fünfzig Meter vom nördlichen Basisrand der Kuppel entfernt.« Cliff erhob sich und ging auf die hintere Ladefläche hinaus. Er blickte über den Bordrand ins Wasser, konnte jedoch nichts erkennen. Das Wasser war glasklar und schimmerte in verschiedenen Blautönen. Die Kuppelanlage und die Steinstraßen aber verbargen sich in der unergründlich erscheinenden Tiefe. »Also dann«, sagte Mario de Monti, der neben Cliff getreten war. »Gehen wir baden.« Cliff McLane wandte sich um und ging zu der Tauchkabine, die auf der Ladeplattform stand. In ihr war Platz für zwei Personen. Sie bestand aus einer etwa einen Meter dicken Basis, i n der Motoren, Sauerstoffgeräte und anderes technisches Hilfsmaterial untergebracht waren. Darüber erhob sich eine transparente Druckkuppel aus einem neuartigen Kunststoff. »Das Ding sieht ziemlich zerbrechlich aus, wie?« Hasso Sigbjörnson verzog das Gesicht. Er schien nicht der Ansicht zu sein, daß die Tauchkabine eine ausreichende Sicherheit bot. »Wir haben damit schon Tiefen von mehr als 5000 Meter erreicht«, erklärte van Huizen. »Sie können unbesorgt sein.« »Warum dann noch die Tauchdruckanzüge?« fragte Mario. »Damit Sie aussteigen können, falls Sie möchten«, erwiderte Simon Mayer. »Die Kabine kann nach einem Druckausgleich geflutet werden. Dadurch ist es
möglich, sie auch in großer Tiefe zu öffnen, falls das notwendig sein sollte.« Cliff legte seinen Tauchdruckanzug bereits an. Mario ließ sich von Hasso Sigbjörnson helfen. Die anderen sahen schweigend zu. »Wir bleiben ständig in Kontakt«, sagte van Huizen. »Sollte sich irgend etwas ereignen oder sollten Sie etwas finden, was wichtig für uns ist, beispielsweise einen Zugang zur Kuppel, dann geben Sie uns sofort Nachricht.« »Ich werde eine spannende Reportage daraus machen«, versprach Mario de Monti. Nemo van Huizen öffnete die Druckkabine. Cliff schob Mario in die Kabine, setzte sich neben ihn und schloß die Kuppel. Die Tauchkabine wurde von einem Teleskoparm emporgehoben und dann auf das Wasser gesetzt. »Also los«, sagte Cliff. »Hoffentlich kann ich die Luft lange genug anhalten«, bemerkte Mario. »Du wirst es schon überstehen.« Die Kabine sank schnell ab. Als sie eine Tiefe von vierzig Metern erreicht hatte, schalteten sich die Scheinwerfer automatisch ein. Die beiden Männer blickten angestrengt nach unten, konnten jedoch noch nichts erkennen. Eine Riesenschildkröte strich träge an der Kabine vorbei, und wenig später schwebten zwei riesige Mantas mit gemächlichen Flossenschlägen über sie hinweg. Cliff McLane beobachtete die Instrumente. Alles war in Ordnung. Der Druck stieg rasch an. In regelmäßigen Abständen meldete der Commander die angezeigten Werte nach oben.
»Jetzt kann ich die Kuppel erkennen«, sagte er nach etwa fünf Minuten. »Sie sieht bläulich aus.« Er richtete die Scheinwerfer auf das Gebilde, dem sie sich näherten. Er schätzte, daß die Kuppel eine Höhe von etwa fünfzig Metern und einen Basisdurchmesser von fast achtzig Metern besaß. Er ließ die Tauchkapsel bis auf den Grund absinken. Deutlich konnte er sehen, daß die oberste Schlammschicht von der Strömung abgetragen wurde. Die daraus hervorsteigenden Pflanzen neigten sich alle in die gleiche Richtung. »Die Kuppel scheint aus einer Art Stahl zu bestehen«, stellte Mario fest. Er fuhr eine Sonde aus, die an ihrer Spitze mit Krallen versehen war, und lenkte sie über die Kuppelwand. »Nicht ein einziges Molekül löst sich davon. Wetten?« Die Wand war in der Tat glatt und fest. Die Krallen glitten daran ab. »Irgendwo muß es einen Eingang geben«, sagte Cliff. Er lenkte die Tauchkapsel dicht über dem Grund um die Kuppel herum. Mario ließ die Scheinwerfer auf und ab schwenken, doch als sie an einer Felsformation erkannten, daß sie die Kuppel einmal umrundet hatten, hatten sie nichts entdeckt, was auf einen Zugang hinwies. McLane korrigierte sich. »Nein, es muß nicht unbedingt einen Eingang geben. Es ist durchaus denkbar, daß man nur mit Hilfe eines Transmitters in die Kuppel gelangen kann.« »Was zeigen die Meßgeräte an?« fragte Nemo van Huizen über Funk. »Absolut normale Werte«, entgegnete Mario. »Der Druck beträgt zur Zeit ...«
»Das will ich nicht wissen«, unterbrach ihn der Politiker ärgerlich. »Ich möchte wissen, ob aus Ihrer unmittelbaren Nähe etwas über das Innere der Kuppel zu erfahren ist.« »Es ist ein Überraschungsei«, antwortete der Kybernetiker. »Wir werden erst erfahren, was drin ist, wenn wir es aufbrechen.« Nemo van Huizen gab einige undefinierbare Laute von sich. »Du solltest ihn nicht ständig auf den Arm nehmen«, sagte Cliff. »Habe ich das getan?« Mario grinste. Er stellte das Funkgerät ab und lehnte sich auf seinem Sitz zurück. »Moment«, sagte d e r Commander. »Da ist doch etwas.« Das Licht der Scheinwerfer reichte nur wenige Meter weit. Für einen kurzen Moment nahm Cliff eine schemenhafte Bewegung wahr. Er beschleunigte die Kapsel und versuchte, mit den Scheinwerfern zu erfassen, was da gewesen war. Es gelang ihm jedoch nicht. »Schalte das Funkgerät wieder ein«, befahl er. »Wie du willst.« Mario beugte sich vor und drückte eine Taste. Dann neigte er den Kopf zur Seite, als erwarte er, nun den lautstarken Protest Nemo van Huizens zu hören. Doch die Lautsprecher blieben stumm. Beunruhigt tippte der Kybernetiker erneut auf die Taste, abermals ohne Erfolg. »Was ist los?« fragte Cliff. »Das weiß ich auch nicht«, erwiderte Mario. »Irgend etwas stimmt nicht.« Er hämmerte mit den Fingerspitzen auf der Taste herum, ohne daß es ihm gelang, damit das Funkgerät in Betrieb zu setzen.
»Verflucht«, sagte er. »Hätte ich die Verbindung doch nicht erst abgebrochen.« Cliff McLane hörte seine Worte kaum. Er blickte auf die Instrumente. Die Zeiger, Pendel und Zahlenkolonnen gerieten in Bewegung. Der Kompaß zeigte ständig andere Werte an, obwohl die Kapsel absolut ruhig im Wasser lag und ihre Position nicht veränderte. Die Druckwerte stiegen rapide an, als ob das Tauchgerät mit hoher Geschwindigkeit in die Tiefsee vordringe. Mario de Monti fluchte halblaut. »Wir müssen nach oben, Cliff«, sagte er. »Schnell!« McLane drückte die Hebel der Manuellbedienung nach vorn, doch die Kabine bewegte sich nicht. Deutlich vernahmen die beiden Männer das Surren des Triebwerks, doch trotz wesentlich erhöhter Leistung blieb der Effekt gleich Null. »Sieh dir das an«, sagte Mario und deutete auf die Transparentkuppel. »Ein Riß?« McLane zuckte zusammen. Seine Blicke glitten über das transparente Material. Überall zeigten sich haarfeine Bruchspuren. »Verdammt, nicht auch das noch«, sagte der Kybernetiker, während Cliff McLane sich bemühte, die Kabine mit Hilfe der Manuellbedienung in Bewegung zu bringen. Als er damit keinen Erfolg hatte, versuchte er es mit der Automatik, aber auch diese bewirkte nichts. »Druckausgleich«, sagte Cliff. Er drückte eine Reihe von Knöpfen und stellte danach erleichtert fest, daß der Druck in der Kabine rapide anstieg. »Glaubst du, daß du die Kapsel damit retten kannst?« fragte Mario mit belegter Stimme.
»Die Kapsel nicht«, erwiderte der Commander, »aber uns vielleicht, und das wäre ja immerhin auch etwas.« »Ich kann dir nicht widersprechen«, sagte der Kybernetiker und hielt sich die Nase zu. Er preßte Luft in den Kopf, bis die Schmerzen in den Ohren nachließen. Er blickte auf die Instrumente, aber die Situation hatte sich nicht geändert. Die Tauchkapsel befand sich nach wie vor außer Kontrolle. »Setze die Taucherbrille auf«, sagte McLane. »Sauerstoffgeräte überprüfen.« Seine Hand glitt über die Transparentkuppel. Er glaubte, die Risse unter den Fingern spüren zu können. Dann setzte er die Taucherbrille auf. Sie beschlug sofort, obwohl er sie befeuchtet hatte. Dennoch nahm er die Brille nicht wieder ab, denn er rechnete damit, daß die Transparenthaube trotz des Druckausgleichs in sich zusammenstürzte. Und für diesen Fall wollte er die Augen schützen. »Sieh dir diesen verdammten. Oktopus an«, sagte er Kybernetiker. »Er scheint sich für uns zu interessieren.« Ein gewaltiger Krake zog an der Kapsel vorbei. Das riesige Auge leuchtete tückisch im Licht der Scheinwerfer. Einer der acht mit Saugnäpfen versehenen Arme hangelte nach der Kapsel. »Wenn der sich auf uns legt, ist es ganz vorbei«, sagte Mario stöhnend. »Hoffentlich interessiert er sich nicht für mich. Ich bin nämlich so verdammt kitzlig, weißt du.« »Das ist mir völlig neu«, erwiderte Cliff. Er wollte noch mehr sagen, aber in diesem Moment stürzte die Kuppel der Tauchkapsel ein. Für Sekunden fühlten
sich die beiden Männer wie von einer gewaltigen Faust in die Sessel gepreßt. Sie konnten sich kaum bewegen. Die Splitter des Kunststoffs durchbohrten die Tauchanzüge, ohne die Männer ernsthaft zu verletzen, da der Druckunterschied nur noch gering war. Der allzu schnelle Druckwechsel aber zeigte nun seine Wirkung. Beide Männer verloren das Bewußtsein. Sie fanden sich Minuten später in der Nähe der gesprengten Kapsel im Wasser treibend wieder. Die Scheinwerfer gaben ihnen eine gewisse Orientierung. Gleichmäßig zischend schoß der Sauerstoff durch die Atemventile. Cliff McLane arbeitete sich an den Kybernetiker heran, den er schemenhaft wahrnahm. Er packte ihn am Handgelenk und zog ihn mit sich nach oben. Die Druckanzüge ermöglichten ihnen einen relativ schnellen Aufstieg. Bald war die zerstörte Kapsel unter ihnen verschwunden, und nicht einmal mehr das Licht der Scheinwerfer war zu erkennen. * Nemo van Huizen trommelte nervös mit den Fingerspitzen auf den Kontrolltasten des Bordfunkgeräts herum. »Es ist mir absolut unverständlich«, sagte er zornig, »daß McLane ausgerechnet jetzt die Funkverbindung unterbricht.« »Wer sagt denn, daß er sie unterbrochen hat?« fragte Arlene. »Es kann ja auch etwas passiert sein.« »Solange das Funkgerät eingeschaltet war, bestimmt nicht«, erwiderte der Politiker. »Mario de Monti gefiel sich darin, sich über mich lustig zu machen.«
Er blickte sich in der Runde um. »Erst als er meinte, sich genügend über mich geäußert zu haben, schaltete er ab. Das dürfte doch wohl eindeutig sein.« Er schluckte und versuchte erneut, Verbindung mit der Tauchkapsel zu bekommen. »Jedenfalls ist mir jetzt klar, was McLane unter Eigenmächtigkeit versteht.« »Sie irren sich«, entgegnete Arlene. »Wir kennen die beiden besser. Mario erlaubt sich vielleicht einmal einen Scherz, aber er weiß, wo die Grenzen liegen.« »Und das trifft in noch viel stärkerem Maße auf Cliff zu«, fügte Helga Legrelle hinzu. »Also schön«, sagte van Huizen. »Was schlagen Sie vor?« »Wir müssen ein zweites Tauchboot nach unten schicken«, entgegnete Hasso Sigbjörnson. »Ich bin einverstanden, aber ich selbst werde mit an Bord sein.« »Dagegen habe ich nichts einzuwenden«, sagte der Ingenieur. Er eilte zur vorderen Ladeplattform, auf der das zweite Tauchboot stand. Obwohl kein direkter Anlaß dafür bestand, stieg er in die Kabine und schaltete die Hauptkontrollen an. Er stutzte. »Was ist los?« fragte Arlene, die zu ihm kam. »Der Teufel«, erwiderte Hasso. »Sieh dir das an. Nichts stimmt. Alles geht durcheinander. Energiekontrolle: Null. Kompaß: ständig in Bewegung, obwohl wir absolut still auf dem Fleck liegen. Oder glaubst du, daß der Nordpol plötzlich zu wandern anfängt?« »Stimmt etwas nicht?« fragte Nemo van Huizen, der bereits einen Taucheranzug angelegt hatte. »Nichts ist in Ordnung«, erklärte der Ingenieur er-
regt. »Absolut nichts. Die Maschine ist absolut untauglich. Wir können nicht mit ihr starten.« Van Huizen beugte sich zu Hasso herüber. Ungläubig blickte er auf die Instrumente. »Ich weiß genau, daß alles durchgecheckt worden ist. Es hat keinerlei Beanstandungen gegeben«, sagte er. »Okay, sehen wir uns einmal die Kontrollen des Luftkissengleiters an«, schlug Hasso vor. »Dann werden wir wissen, ob diese Verrücktheiten nur dieses Tauchboot oder auch andere Instrumente betreffen.« Der Luftkissengleiter schwankte plötzlich. Die Motoren sprangen an und heulten auf. Die Maschine hob vom Wasser ab und beschleunigte, verfolgte dabei jedoch keinen geraden Kurs, sondern schnellte mal nach dieser, mal nach jener Seite. »Welcher Narr ist da am Steuer?« brüllte van Huizen und rannte über das Vorderdeck. Durch die Frontscheibe war nicht zu erkennen, wer hinter den Steuerleitinstrumenten des Luftkissengleiters saß. Hasso Sigbjörnson stürmte hinter dem Politiker her. Arlene hielt sich am Tauchboot fest. Da der Gleiter eine enge Kurve flog, drohte sie über Bord zu fallen. Die Tür zur Hauptkabine war verschlossen. Van Huizen warf sich mit der Schulter dagegen. »Ich schaffe es nicht«, sagte er keuchend, als der Ingenieur ihn erreichte. »Helfen Sie mir.« »Das kann nur Ihr Sekretär sein«, rief Atan Shubashi. »Wie kommen Sie auf die Idee?« fragte van Huizen verstört. »Wer käme sonst noch in Frage?« entgegnete Hasso. »Niemand.«
Er warf sich mit voller Wucht gegen die Tür. Diese gab nach und brach auf. Fassungslos blickte van Huizen auf Simon Mayer, der auf dem Sitz des Kommandanten stand und eine Laserwaffe vom Typ HM 4 auf ihn richtete. Die Augen des Sekretärs waren so weit verdreht, daß die Pupillen kaum noch zu sehen waren. Hasso Sigbjörnson riß den Staatssekretär zur Seite. Der Laserstrahl zuckte in diesem Moment über die beiden Männer hinweg und raste aufs Meer hinaus, ohne Schaden anzurichten. »Was ist los mit Ihnen, Simon?« brüllte van Huizen. »Haben Sie den Verstand verloren?« »Blöde Frage«, sagte Hasso. »Natürlich hat er genau das!« Er sprang in die Kommandokabine, stürzte zu Boden und rollte sich über die Schulter ab. Bevor Mayer begriff, was geschah, war der Ingenieur über ihm und riß ihm die Waffe aus der Hand. Der Sekretär rutschte vom Kommandosessel herunter und schlug blind um sich. Doch Hasso hatte keine Mühe, ihn festzuhalten. In dem kleinen Körper Simon Mayers steckten viel zu wenig Kräfte. Plötzlich beruhigte sich der Sekretär. Er atmete tief durch, während van Huizen den Luftkissengleiter stoppte. Die Maschine sank fauchend und gischtend auf die Wasseroberfläche ab. »Was ist los?« fragte Simon Mayer. »Ist etwas vorgefallen?« »Er weiß von nichts«, sagte Hasso kopfschüttelnd. »Mann, was ist mit Ihnen los?« Der Sekretär strich sich mit den Fingerspitzen über die Haare und grinste schief.
»Wie ist diese Frage gemeint? Natürlich habe ich meine besonderen Qualitäten, aber geht Sie das etwas an?« »Das gibt's doch gar nicht«, rief Arlene empört. »Dieser Zwerg richtet ein heilloses Durcheinander an und wird dann auch noch frech.« Hasso Sigbjörnson packte Simon Mayer bei den Aufschlägen seiner Blusenjacke und hob ihn hoch. Er schüttelte ihn kräftig durch. »Durch Ihren Blödsinn wissen wir nicht mehr, wo wir auf Cliff McLane und Mario de Monti gewartet haben.« Er blickte an Mayer vorbei auf die Instrumente und erkannte augenblicklich, daß auch sie nicht einwandfrei arbeiteten. »Begreifen Sie denn nicht? Die beiden sind in Gefahr, und wir können ihnen nicht helfen, weil wir nicht wissen, wo sie sich befinden.« »Bisher habe ich immer darunter gelitten, daß ich so klein bin«, sagte Simon Mayer. Er verzog die Lippen. »Jetzt, da Sie die Freundlichkeit haben, mich hochzuhalten, muß ich feststellen, daß ich nichts versäumt habe.« Der Chefingenieur der ORION ließ Mayer einfach fallen. Der Sekretär stürzte auf den Boden der Kabine. Er lächelte noch immer freundlich. »Sie wurden mir als der Rüpel der ORION-Crew geschildert«, behauptete er. »Offenbar war das richtig.« »Jetzt ist aber Schluß, Simon«, sagte van Huizen heftig. »Was fällt Ihnen überhaupt ein?« Simon Mayer blickte überrascht auf. »Sie auch, Chef?« »Er weiß nicht, wovon er spricht«, sagte Arlene.
»Das soll uns im Moment nicht interessieren«, bemerkte Helga Legrelle heftig. »Viel wichtiger ist doch, daß wir uns um Cliff und Mario kümmern.« »Das wollte ich gerade sagen«, beteuerte Arlene. »Stecken Sie diesen Zwerg doch in irgendeine Kammer, in der er keinen Unsinn anrichten kann.« Simon Mayer streckte beide Arme aus und spreizte die Finger. »Was auch immer geschehen sein mag«, sagte er, »ich weiß von nichts.« Hasso Sigbjörnson schob ihn zur Seite, warf die Motoren des Luftkissengleiters an und blickte nach draußen. »Seht euch das an«, sagte er stöhnend. »Da wimmelt es von Haien.« »Meine Güte«, sagte Arlene stöhnend. »Hoffentlich mußten Cliff und Mario nicht aussteigen.« »So etwas habe ich noch nie beobachtet«, bemerkte Hasso. »Es ist, als ob irgend etwas die Tiere verrückt machte.« Er kehrte zu den Instrumenten zurück, startete und jagte die Maschine nach kurzem Zögern nach Norden. Schon wenig später erschien Nemo van Huizen neben ihm. »Was machen Sie denn da?« fragte er nervös. »Wieso fahren Sie diesen Kurs? Auf diese Weise kommen wir immer nur noch weiter von der Kuppel weg.« »Davon bin ich absolut nicht überzeugt«, entgegnete der Ingenieur. »Im Gegenteil.« »Wir haben noch ein Hilfsmittel, das wir für uns nutzen können«, sagte van Huizen. »Satellitenbeobachtung!« Er schaltete das Funkgerät ein, doch nur ein Rau-
schen kam aus den Lautsprechern. Sosehr er sich auch bemühte, es gelang van Huizen nicht, Verbindung mit einer der Stationen von Bimini oder Florida zu bekommen. Auf den Bildschirmen waren nur flimmernde Punkte zu erkennen.
4. »Commander McLane und Van Huizen melden sich nicht mehr«, erklärte Peter Sobolew, als er den Arbeitsraum von Pierre Denis betrat. »Damit ist genau das eingetreten, was wir befürchtet haben«, bemerkte Kyll Lennard erregt. »Warum konnte man meiner Empfehlung nicht von Anfang an folgen und Wissenschaftler auf die Anlagen im Bermuda-Dreieck einsetzen?« Lennard saß neben Denis am Tisch und arbeitete an einigen Akten, die er nun heftig zur Seite schob. Er stand auf und kam um den Tisch herum. »Was ist passiert?« fragte er. »Das sagte ich doch schon«, erwiderte Sobolew. »McLane schweigt sich aus. Wir haben keine Verbindung mehr zum Luftkissengleiter.« »Schalten Sie auf Satellitenbeobachtung um«, befahl Pierre Denis. Lennard legte seine Hand auf eine Kontaktleiste, und ein Bildschirm erhellte sich. Kurze Störungsreflexe huschten durch das Projektionsfeld, dann erschien ein klares Bild, und es war, als blickten die drei Männer aus einem hoch fliegenden Flugzeug auf die Bimini-Inseln hinab. Deutlich waren die dunklen Linien der submarinen Anlagen zu erkennen. Auch die Kuppel war klar auszumachen. Lennard regulierte das Bild neu ein, bis der Ausschnitt kleiner wurde. »Da ist der Luftkissengleiter«, sagte Sobolew und deutete mit dem Finger auf einen winzigen Punkt auf der blauen Fläche der See. »Er hat sich weit von der Kuppel entfernt.«
Wieder setzten Störungen ein. Sie hielten fast vier Minuten an. In dieser Zeit versuchte Kyll Lennard vergeblich, das Bild neu einzustellen. Danach wurde es wieder klar und scharf. »Störungen«, stellte er fest. Er blieb ruhig und gelassen, während Pierre Denis und Peter Sobolew ihre Erregung nicht ganz verbergen konnten. »Genauso wie es bei den vorhergehenden, allerdings sehr kurzen Prüfungen war. McLane hat die gleichen Schwierigkeiten.« »Was auch immer in der Kuppel sein mag«, ergänzte Sobolew, »es behindert ihn ebenso wie seine Vorgänger.« Er eilte zu Pierre Denis und stützte seine Hände vor ihm auf die Tischplatte. »Wollen Sie dieses Mal auch zusehen, wie die Expedition zugrunde geht?« fragte er scharf. »Regen Sie sich nicht auf«, entgegnete Denis. »Es ist alles vorbereitet.« »Hoffentlich klappt Ihr Plan auch, sonst steht es schlecht um die Mitglieder der Expedition«, sagte Lennard. »Seien Sie unbesorgt.« Pierre Denis schaltete um. Das Bild der Bimini-Inseln verschwand. Dafür erschien das kantige Gesicht eines grauhaarigen Mannes im Projektionsfeld. »Haben Sie das Ziel?« fragte Denis. »Einwandfrei.« »Dann los. Schießen Sie die Peilboje ab. Beeilen Sie sich«, befahl Denis und schaltete wieder um. Im gleichen Moment feuerte der Pilot einer im Orbit fliegenden Maschine ein Geschoß ab. Es jagte mit hoher Beschleunigung in die Atmosphäre hinein. Pierre Denis lehnte sich in seinem Sessel zurück.
»Ich bin gespannt, ob van Huizen begreift, daß wir uns eingeschaltet haben«, sagte er. »Wir hätten zumindest ihn über unseren Plan informieren sollen«, bemerkte Peter Sobolew kritisch. »Was hätte das schon geschadet?« »Es hätte dazu führen können, daß die Expedition weniger vorsichtig arbeitet«, antwortete Denis. »Wir waren uns darüber einig, daß Cliff McLane nur dann höchste Vorsicht walten läßt, wenn er davon überzeugt ist, daß ein Fehler sein Leben kosten kann. Wenn er jedoch weiß, daß ständig noch jemand hinter ihm steht, der ihn notfalls auffangen kann, dann riskiert er zuviel.« »McLane ist nicht van Huizen.« »Das ist mir klar. Van Huizen zu informieren heißt aber, früher oder später auch McLane einzuweihen. Nein, so ist es besser.« Sobolew schwieg einige Sekunden lang. Auf dem Bildschirm wurde eine weiße Linie sichtbar. Das Geschoß, das in die Tiefe raste, verzögerte. Das Zielgebiet war deutlich zu erkennen. Aus der Satellitenperspektive war mühelos auszumachen, wo sich die Kuppel und die anderen submarinen Anlagen befanden. »Und was tun wir, wenn van Huizen nicht begreift?« fragte Sobolew. »Nichts«, erwiderte Pierre Denis. »Dann können wir nichts mehr tun. Auf den Bimini-Inseln stehen Rettungsmannschaften bereit. Aber niemand weiß, ob diese wirklich helfen können. Ich befürchte, daß sie die Orientierung ebenso verlieren werden wie van Huizen.« *
Cliff McLane zog Mario zu sich heran. Der Kybernetiker war noch immer bewußtlos. McLane koppelte sich mit einer Sicherheitsleine an ihn, sah sich um und entschied sich nach kurzer Überlegung dafür, in eine Richtung zu schwimmen, in der er, wie er glaubte, nach oben kommen würde. Doch schon wenig später spürte er, wie groß die Anstrengungen waren, und Zweifel kamen in ihm auf. Warum ließ er sich nicht einfach dorthin treiben, wohin es ihn fast von allein zog? Er streckte die Arme aus und horchte ich sich hinein. Nichts in ihm zeigte ihm an, in welcher Lage er sich befand. Er konnte nicht unterscheiden, ob er mit dem Kopf nach unten oder nach oben im Wasser schwamm. Panik stieg in ihm auf. Er öffnete die Augen. Das Licht seines Helmscheinwerfers reichte nicht weit, aber weit genug, die torpedoförmigen Leiber von mehreren Haien zu erfassen, die um ihn und Mario kreisten. Cliff blieb von ihrem Anblick völlig unberührt, als sei überhaupt keine Gefahr vorhanden. Er schloß die Augen wieder, und dann zuckte er zusammen. Er öffnete die Augen erneut und blickte auf die riesigen Fische. Schwammen sie auf dem Rücken? Er drehte sich herum, und ihm war, als erblicke er eine unwirkliche Szene mit der Optik einer Kamera. Je weiter er sich drehte, desto mehr normalisierte sich das Bild, bis er sich ganz aufgerichtet hatte. Er wußte, wo oben und unten war. Mit weiten Beinschlägen trieb er nach oben. Die Haie folgten ihm, als wären sie durch unsichtbare
Leinen mit ihm verbunden. Er fühlte sich nach wie vor nicht bedroht. Er legte den Kopf in den Nacken und spähte nach oben. Es wurde heller, und schon bald schwanden auch die letzten Zweifel darüber, daß er in der richtigen Richtung schwamm. Je höher er stieg, desto größer wurde die Zahl der Fische, die er sah. Ganze Schwärme der verschiedensten Arten umkreisen ihn, und als er die Wasseroberfläche durchstieß, brodelte das Wasser förmlich um ihn herum. Die Anlage des Rudraja schien einen unheilvollen Einfluß auf die Tierwelt zu haben. Cliff sah, daß viele Fische wie rasend jagten. Die Haie durchfurchten das Wasser und griffen an, beachteten ihn und Mario jedoch kaum. Der Commander zog das Atemventil zur Seite und atmete tief durch. Vor seinen Augen flimmerte es. Er war zu schnell aufgestiegen. Er fühlte, daß er etwas tun mußte, aber ihm fehlte die Kraft. Und so ließ er sich treiben. Undeutlich sah er etwas, was auf das Wasser herabstürzte. Ihm war, als sprühe Feuer vor ihm auf. Mit letzter Kraft schob er sich das Ventil wieder in den Mund. * Hasso Sigbjörnson blinzelte, als Simon Mayer ein Messer aus einem Staufach nahm und auf ihn richtete. »Geht der Blödsinn schon wieder los?« fragte er. »Muß das unbedingt sein?« Er konnte dem Sekretär van Huizens ansehen, daß er die Gewalt erneut über sich verloren hatte. Die
Augen waren glanzlos, und das Gesicht war maskenhaft starr. »He, da kommt etwas herunter«, rief Helga Legrelle, die auf das Hinterdeck hinausgegangen war. »Seht doch.« Hasso Sigbjörnson ließ sich für einen kurzen Moment ablenken. Er drehte sich um und blickte durch ein Fenster hinaus. In diesem Moment griff Simon Mayer an. Der Ingenieur hörte die Schritte, fuhr herum, konnte aber dem Messer nicht mehr entgehen. Die Klinge drang ihm in die Hüfte. Hasso schrie auf, packte den Sekretär und schleuderte ihn mit wütender Bewegung zur Seite. Simon Mayer wirbelte durch die offene Tür auf das Deck hinaus, stürzte zu Boden, überschlug sich und rutschte unter der Reling hindurch über die Bordkante. Das Wasser spritzte hoch auf. Hasso Sigbjörnson riß sich das Messer aus der Hüfte. Er rannte aus der Kabine zur Reling und griff nach einem Rettungsgerät. Von Simon Mayer war jedoch nichts mehr zu sehen. Im Wasser schwebte lediglich eine Blutwolke, die sich rasch verteilte. Der Ingenieur glaubte, den dunklen Leib eines Haies zu erkennen, der in der Tiefe verschwand. Entsetzt eilte er zu van Huizen, der zusammen mit Helga Legrelle, Arlene und Atan Shubashi auf dem Hinterdeck stand. »Van Huizen«, rief er keuchend. »Kommen Sie!« Der Politiker reagierte nicht. Er spähte ebenso wie die anderen auf das Wasser hinaus. Etwa fünf Kilometer vom Luftkissengleiter entfernt ging etwas auf das Wasser nieder. Gleißendes Licht strahlte von dem Gegenstand aus. Hasso Sigbjörnson packte van Hui-
zen an der Schulter und zog ihn gewaltsam herum. »Van Huizen, so hören Sie doch«, sagte er erregt. »Das ist eine Peilboje«, rief Helga Legrelle. »Irgend jemand will uns ein Zeichen gaben. Da hinten müssen Cliff und Mario sein.« Van Huizen blickte zum Himmel hinauf. Er schüttelte den Ingenieur unwillig von sich ab. »Natürlich«, sagte er. »Daß ich nicht früher darauf gekommen bin. Pierre Denis läßt uns beobachten.« Er deutete in den Himmel hinauf. Dann drehte er sich um und eilte zum Leitstand, ohne sich um Hasso Sigbjörnson zu kümmern. »Helga«, sagte dieser. »So hört mich doch an. Simon Mayer hat mich angegriffen.« »Später«, rief sie, ohne recht hinzuhören. »Erst müssen wir sehen, ob Cliff und Mario da hinten bei der Peilboje sind.« Sie lief davon. Auch die anderen folgten van Huizen zum Steuerleit-Bank. Hasso Sigbjörnson sank auf eine Bank. Sein Gesicht verzerrte sich. Er preßte die Hand auf die blutende Wunde. Ihm fehlte die Kraft, sich noch einmal aufzurichten. Der Luftkissengleiter beschleunigte. Die Motoren heulten auf, und der Lärm schwoll so an, daß der Ingenieur sich außerstande sah, ihn zu übertönen. Dennoch gab er nicht auf. Nachdem er einige Sekunden gesessen hatte, raffte er sich auf und ging einige Schritte auf die Hauptkabine zu. Er kam nicht weit, dann stürzte er zu Boden. Er blieb bei vollem Bewußtsein. Mühsam rollte er sich auf die Seite, stemmte sich hoch und kam erneut auf die Beine. Der Luftkissengleiter hatte sein Ziel erreicht. Arlene kam auf das Hinterdeck heraus.
»Da sind Cliff und Mario«, schrie sie, um das Heulen der Turbinen zu übertönen. In ihrer Erregung merkte sie nicht, was mit Hasso los war. Auch Helga Legrelle und Atan Shubashi beachteten ihn nicht, als das Fahrzeug ausglitt und auf das Wasser sank. Sie eilten zur Bordwand und warfen Rettungsgeräte ins Wasser. Van Huizen kam ihnen zu Hilfe. Atan Shubashi zog zunächst Cliff McLane, der das Bewußtsein verloren hatte, an Bord, und dann Mario de Monti. Der Chefkybernetiker der ORION kam gerade wieder zu sich. Er war jedoch noch nicht in der Lage, Auskunft zu geben. Er blickte Hasso Sigbjörnson an, der einige Schritte hinter den anderen stand. »Was ist denn mit Hasso los?« fragte er mit stokkender Stimme. »Wieso? Was soll mit Hasso sein?« erwiderte Helga und drehte sich lächelnd zum Ingenieur um. Hasso Sigbjörnson kam einen Schritt näher, dann rutschten ihm die Beine weg, und er stürzte zu Boden. Nemo van Huizen kam sofort zu ihm und drehte ihn auf den Rücken. »Er ist ja verletzt. Er blutet«, sagte Arlene überrascht. »Was ist los mit Ihnen?« fragte van Huizen. »So reden Sie doch endlich.« Hasso wurde bewußtlos, bevor er antworten konnte. *
»Wo ist Simon Mayer?« fragte Nemo van Huizen, als Hasso Sigbjörnson die Augen aufschlug. »Hasso, nun rede schon«, forderte Cliff McLane, der neben dem Politiker stand. Der Chefingenieur der ORION richtete sich auf der Bank auf, auf die man ihn gelegt hatte. Er ließ sich jedoch sofort wieder zurücksinken und preßte die Hand gegen die schmerzende Wunde an der Hüfte. »Du siehst ja schon wieder ganz ordentlich aus«, sagte er zu McLane. »Du scheinst den Ausflug in die Tiefe gut überstanden zu haben.« »Es geht so«, antwortete der Commander. »Was ist mit Mario?« »Auch der ist in Ordnung, Hasso. Wo ist Simon Mayer?« Sigbjörnson schloß die Augen. »Ich weiß es nicht«, erklärte er. »Woher sollte ich es wissen?« »So geht das nicht«, sagte Nemo van Huizen erregt. Er packte den Ingenieur an der Schulter und schüttelte ihn, ließ jedoch sofort von ihm ab, als Hasso schmerzgepeinigt aufschrie. »Verdammt nochmal«, sagte der Ingenieur wütend. »Vorhin habe ich euch angebrüllt und bin wie ein Verrückter hinter euch hergelaufen, um euch zu sagen, was passiert ist. Keiner wollte etwas hören. Und jetzt ...« »Jetzt haben wir Zeit«, erwiderte van Huizen. »Er ist über Bord geflogen«, eröffnete Sigbjörnson dem Politiker die Wahrheit. »Er hat mich angegriffen und mit dem Messer verletzt. Ich habe zurückgeschlagen, dabei aber nicht bedacht, daß er nur ein Winzling ist und kein ausgewachsener Mann wie Sie,
van Huizen. Mayer wurde förmlich zur Tür hinauskatapultiert. Er rutschte unter der Reling hindurch über Bord. Als ich an der Reling war, um ihm zu helfen, war er verschwunden.« »Wir müssen sofort nach ihm suchen«, sagte van Huizen. »Sinnlos«, entgegnete Hasso. »Ich habe einen großen Blutfleck gesehen. Ein Hai hat ihn geholt.« Nemo van Huizen erbleichte. »Das glaube ich nicht«, brüllte er. »Sie lügen. Wahrscheinlich haben Sie ihn umgebracht oder schwer verletzt. Erwarten Sie nicht, daß ich tatenlos bleibe. Wir suchen nach Simon Mayer.« Der Politiker eilte an das Steuerleitpult und startete die Motoren. Die Turbinen heulten auf, und der Luftkissengleiter beschleunigte. »Das habe ich befürchtet«, sagte Hasso mit gepreßter Stimme. »Er glaubt mir nicht. Verdammt, warum hat vorhin niemand auf mich gehört?« »War es wirklich so?« fragte Cliff und blickte den Ingenieur forschend an. »Glaubst du mir nicht?« rief Hasso heftig. »Natürlich glaube ich dir.« »Was fragst du dann überhaupt?« Sigbjörnson richtete sich auf. Er stellte fest, daß er einen Verband an der Hüfte trug. Er blickte durch die Fenster nach draußen. Die anderen Mitglieder der Crew standen auf dem Hinterdeck. »Es ist Wahnsinn, was van Huizen macht«, sagte er. »Er kann seinen Sekretär nicht mehr finden, weil Mayer tot ist. Und auf diese Weise verlieren wir die Orientierung womöglich vollends.« Cliff McLane überlegte kurz. Dann ging er zu van
Huizen, griff an ihm vorbei zum Hauptschalter und legte diesen um. Das Heulen der Turbinen verstummte. Der Gleiter sank aufs Wasser herab und schob grollend eine gischtende Welle vor sich her, bis er stillstand. »Was fällt ihnen ein, McLane?« fragte der Politiker. »Wir kehren jetzt zum Bimini-Stützpunkt zurück«, sagte der Oberst ruhig. »Wann die Suche abgebrochen wird, bestimme ich«, schrie van Huizen. Cliff schüttelte den Kopf. »Irrtum«, sagte er. »Wenn Hasso mir sagt, daß wir nichts mehr für Simon Mayer tun können, dann glaube ich ihm. Daß Mayer auf diese Weise sterben mußte, tut mir leid, aber es hilft uns allen nichts, wenn wir den Kopf verlieren.« »Es geht um das Vermächtnis des Rudraja«, sagte Hasso stöhnend. »Das Rudraja ist an allem schuld und dafür verantwortlich, daß wir die Orientierung verloren haben. Es ist ebenfalls dafür verantwortlich, daß Simon Mayer durchdrehte und die Fische sich plötzlich völlig anomal verhielten.« »Hasso hat recht«, pflichtete ihm McLane bei. »Unsere Aufgabe ist es, die Kuppel des Rudraja zu öffnen und die Maschinerie, die sich im Innern verbirgt, unschädlich zu machen. Je schneller wir das tun, desto besser für die Menschheit.« »Je länger wir damit warten, desto größer wird die Gefahr für die Erde und das ganze Sonnensystem.« »Es mag sich übertrieben anhören«, ergänzte der Commander der ORION. »Aber in diesem Fall geht es nicht nur um die Erde, das Sonnensystem und die Menschheit, sondern vielleicht sogar um den gesam-
ten Kosmos. Die Mächte des Rudraja sind wieder frei geworden. Wir müssen verhindern, daß der Kampf gegen das Varunja erneut mit voller Wucht losbricht, weil wir alle die Leidtragenden dabei sein würden.« »Es war ein Unfall, van Huizen. Wirklich. Glauben Sie mir.« »Ich habe diesen Mann geliebt wie meinen eigenen Sohn«, sagte van Huizen leise. Die Muskeln seiner Wangen zuckten. »Ich fühle mich für ihn verantwortlich.« Er blickte Cliff McLane an. »Ich hätte gewarnt sein müssen«, fuhr er grimmig fort. »Mit einem Mann wie Ihnen läßt man sich nicht ein. Wer es dennoch tut, muß damit rechnen, daß es ihn oder seine Freunde das Leben kostet.« »Übertreiben Sie nicht«, antwortete der Oberst. »Niemand hat Sie gebeten, uns zu begleiten. Dies ist unser Job, und es liegt nicht an uns, daß er gefährlich ist. Sie gehören an den Schreibtisch, und ich würde es begrüßen, wenn Sie möglichst schnell dahin zurückkehren würden.« »Ich denke nicht daran«, erwiderte van Huizen. Er wandte sich ab und startete die Motoren des Luftkissengleiters. Die Maschine beschleunigte scharf. Die Instrumente funktionierten wieder normal. Mit hoher Geschwindigkeit jagte van Huizen auf die Bimini-Inseln zu.
5. Zwei Tage später verließ das Luftkissengleitboot den Bimini-Stützpunkt erneut. Die ORION IX war mittlerweile von der Raumbasis 104 zu den Bimini-Inseln verlegt worden. An Bord des Gleiters befand sich außer der ORION-Crew nur noch Nemo van Huizen, der sich von Cliff nicht hatte abwimmeln lassen. Das Klima zwischen ihm und der Crew war in den vergangenen beiden Tagen merklich abgekühlt. Van Huizen entwickelte ein geradezu fanatisches Sicherheitsbestreben. Was auch immer Cliff McLane oder ein anderer der Crew taten, der Politiker hatte etwas daran auszusetzen, weil irgend etwas seinen Sicherheitsvorstellungen nicht entsprach. McLanes Protest bei Pierre Denis war wirkungslos geblieben. Schweigend legten sie die Fahrt bis ins Zielgebiet zurück, und es fielen auch nicht viele Worte, als Mario de Monti und Cliff McLane in einer Tauchkapsel über Bord gelassen wurden. Die Kapsel war mit einer Druckkuppel versehen worden, die als absolut bruchsicher galt. Zudem blieb sie mit dem Luftkissengleiter durch Kabelstränge verbunden. »Van Huizen geht mir auf die Nerven«, sagte Mario, als die Kapsel ins Wasser tauchte. »Vergiß es«, riet Cliff ihm. »Wir haben andere Sorgen.« Während die Kapsel absank, beobachtete er die Instrumente. Alles war in Ordnung. Nichts deutete darauf hin, daß die geheimnisvollen Kräfte des Rudraja auf die Maschine einwirkte. Das blieb auch so, bis sie die Kuppel erreichten.
Cliff führte die Tauchkapsel bis unmittelbar an die Wand der Kuppel heran. Dann setzte er ein umfangreiches Hebelwerk in Gang. Werkzeuge verschiedenster Art glitten auf die Wand zu. »Nun bin ich aber gespannt«, sagte Mario. Sekunden später fluchte er, denn der schärfste und härteste Bohrer, der zur Zeit auf der Erde zur Verfügung stand, glitt an der Wand ab, ohne auch nur einen Kratzer zu hinterlassen. Ebenso verliefen die weiteren Versuche mit dem Bohrer und anderen Werkzeugen. Schon nach einigen Minuten zweifelten weder Cliff noch Mario daran, daß sie hier nichts ausrichten konnten. Der Oberst ließ die Hände sinken. »Diesen Unsinn können wir auch lassen«, sagte er. »Damit durchbrechen wir die Wand bestimmt nicht.« »Dann müssen wir die Laserschneider einsetzen«, erwiderte Mario de Monti. »Ich habe von vornherein nichts anderes erwartet.« Er fuhr die Werkzeugarme wieder ein. »Ich habe Sie gehört«, meldete sich van Huizen über Funk. »Was passiert, wenn Sie mit dem Laserschneider die Wand durchbrechen?« »Darüber haben wir schon fast eine Stunde diskutiert«, sagte Cliff auffahrend. »Wollen Sie die Diskussion unbedingt fortsetzen? Wir müssen etwas tun. Uns bleibt gar nichts anderes übrig. Sie können sich aber darauf verlassen, daß ich eine Druckblase setze, so daß im Falle eines Falles gar nichts passieren kann.« Er verzog das Gesicht und bediente einige Hebel. Zwei Werkzeugarme fuhren aus. Sie setzten ein kompliziert aussehendes Gerät an die Wand. Es be-
stand aus einer transparenten Halbkugel, die an die Kuppel gedrückt und dann leergepumpt wurde. Darin befand sich der eigentliche Laserschneider. Er konnte über Funk gesteuert werden. Sollte er das Material durchschneiden, dann konnte bis zu einem gewissen Grad ein Druckausgleich durchgeführt werden. Cliff war sich jedoch darüber klar, daß dies nur eine theoretische Möglichkeit darstellte, solange man nicht wußte, welche Druckverhältnisse innerhalb der geheimnisvollen Kuppel herrschten. »Also los«, sagte er und drückte eine Taste. In der Kuppel blitzte es auf, und der Laserstrahl brannte gegen das fremdartige Material. Deutlich konnten die beiden Männer in dem Tauchboot erkennen, daß es sich rötlich verfärbte. Mehr geschah jedoch nicht. Es löste sich nicht auf, verbrannte nicht und zeigte auch sonst keine Schwächen. »Das wär's«, sagte Cliff enttäuscht. »Und was jetzt?« fragte Mario. »Wie geht es weiter?« »Keine Ahnung.« McLane lehnte sich in seinem Sitz zurück und blickte ratlos auf die Instrumente vor sich. Er wußte nicht, was er nun noch gegen die Kuppel einsetzen konnte. »Irgend etwas müssen wir tun«, stellte der Chefkybernetiker der ORION fest. »Was denn?« Mario zuckte mit den Schultern. Cliff überlegte einige Sekunden, dann sagte er dem Freund, welche Möglichkeit noch blieb. Vorher unterbrach er die Funkverbindung nach oben. Bestürzt blickte Mario ihn an.
»Du bist verrückt. Das ist völlig unmöglich«, erwiderte er. »Davon bin ich noch lange nicht überzeugt«, entgegnete Cliff. Er hantierte an der Manuellbedienung der Kapsel. Diese stieg langsam wieder auf. Die Kuppel verschwand unter ihnen im Dunkel. Ungefährdet kehrten die beiden Männer zum Luftkissengleiter zurück. Die geheimnisvollen Einflüsse der unterseeischen Kuppel machten sich dieses Mal nicht bemerkbar. Es war, als schliefen die Mächte des Rudraja, als hätten sie nicht bemerkt, was sich in ihrer Nähe tat. Van Huizen stand zusammen mit den anderen Mitgliedern der ORION-Crew an der Reling des Gleiters. Sein Gesicht war verschlossen. Abweisend musterte er McLane. Dieser tat, als sei alles in Ordnung. »Nichts«, sagte er, als er aus der Kapsel stieg. »Wir hatten keinerlei Erfolg. Das Material der Kuppel ist nicht anzukratzen.« »Mich würde in erster Linie interessieren, warum Sie die Funkverbindung unterbrochen haben«, erklärte van Huizen. »Das war gegen die Vereinbarung.« »Ich habe überlegt, was wir noch tun können«, erwiderte Cliff. »Und dabei wollte ich nicht gestört werden.« Van Huizen verschränkte die Arme vor der Brust. »McLane, glauben Sie doch nicht, daß Sie mich täuschen können«, sagte er zornig. »Sie haben etwas ausgebrütet, und Sie wissen, daß Sie meine Zustimmung für Ihren Plan nicht bekommen werden. Das ist der Grund für Ihr Verhalten.«
»Meinen Sie?« »Glauben Sie wirklich, daß Sie der einzige klar denkende Mensch weit und breit sind? Sie werden mir sofort sagen, was Sie planen.« »Und was ist, wenn nicht ...?« »Dann sorge ich dafür, daß Sie Ihres Kommandos enthoben werden. Man wird Sie zu einem anderen Einsatz abkommandieren, einem Einsatz, bei dem Sie der Menschheit weniger schaden können.« »Das ist unglaublich«, sagte Mario de Monti. »Niemand will hier der Menschheit schaden. Ganz im Gegenteil!« »Man kann alles übertreiben, van Huizen«, bemerkte McLane. »Sie sind ein übervorsichtiger Mann. Okay, ich habe nichts dagegen, wenn Sie ab und zu ein wenig bremsen. Aber Sie sollten Ihre Grenzen kennen.« »Die kenne ich, Oberst«, antwortete der Politiker scharf. »Sehr genau sogar. Erklären Sie mir jetzt, welchen Plan Sie haben.« Cliff McLane blickte auf die See hinaus, die im Licht der Sonne schimmerte und glänzte. Er überlegte kurz, dann sagte er: »Wir sind uns darüber einig, daß die Kuppel ein Störfaktor erster Ordnung ist. Das, was sich in ihr verbirgt, ist für die zahllosen gefährlichen Zwischenfälle im Bermuda-Dreieck verantwortlich. Die Maschinerie des Rudraja, die sich in der Kuppel befindet, muß zerstört werden.« »Wer sagte eigentlich, daß es sich um eine Maschinerie des Rudraja handelt?« fragte Arlene nachdenklich. »Was sollte es sonst sein?«
»Warum kann es nicht auch ein Vermächtnis des Varunja sein, Cliff?« fuhr Arlene fort. »Diese Möglichkeit haben wir bisher überhaupt noch nicht in Erwägung gezogen.« »Lenken Sie doch nicht ab«, protestierte van Huizen. »Ein Vermächtnis des Varunja kann es nicht sein.« »Warum nicht?« fragte McLane. »Das Varunja ist die positive Macht. Warum sollte sie uns schaden?« »Das ist eine reichlich naive Frage. Entschuldigen Sie, van Huizen«, erwiderte der Commander. »Was wissen wir schon von den beiden Mächten, was wissen wir von ihren Motiven, ihren Überlegungen? Wer sagt denn, daß die Varunja oder die Rudraja diese Kuppel gebaut und dabei an mögliche lokale Auswirkungen gedacht haben? Was hier im BermudaDreieck passiert, sind vielleicht nur geringfügige Nebenwirkungen, ausgelöst durch eine gewisse Streustrahlung. Der eigentliche Effekt kommt vielleicht erst über Lichtjahre hinweg zur Geltung.« »Na schön, McLane. Vielleicht ist es so, vielleicht aber auch nicht«, sagte van Huizen einlenkend. »Darum aber geht es nicht. Ich will wissen, welchen Plan Sie gefaßt haben. Alles andere ist zweitrangig.« »Wir müssen die Kuppel sprengen«, antwortete Cliff McLane. Van Huizen zuckte zusammen. Seine Arme sanken nach unten. »Es ist die einzige Möglichkeit«, bekräftigte Mario de Monti. Van Huizen wandte sich schweigend ab und ging in die Steuerleitkabine des Luftkissenboots. Cliff und
Mario folgten ihm. Sie sahen, daß er zum Funkgerät eilte. »Überstürzen Sie nichts, van Huizen«, sagte der Commander. Der Staatssekretär drehte sich um. »Überstürzen? McLane, Sie gehören in Behandlung.« Cliff lachte. »Warum das? Nur weil ich Ihnen aufgezeigt habe, welche Möglichkeit uns noch bleibt? Begreifen Sie doch, van Huizen. Wir haben nur die Alternative, uns mit der Kuppel für alle Zeiten abzufinden oder sie durch eine Sprengung zu zerstören. Etwas anderes gibt es nicht.« Van Huizen setzte sich in einen Sessel. »Sagen Sie mir, was in der Kuppel ist.« »Was soll der Unsinn?« fragte McLane heftig. »Niemand kann Ihnen das sagen.« »Niemand würde auf den Gedanken kommen, etwa eine Wasserstoffbombe zu sprengen, nur weil es ihm nicht gelingt, den Metallmantel zu durchdringen«, entgegnete van Huizen. »Das hier wäre ungefähr das gleiche. Wer sagt Ihnen denn, daß sich im Innern der Kuppel nicht etwas verbirgt, das tatsächlich die ganze Erde vernichten kann, wenn es zerstört wird?« »Daran glaube ich nicht. Das wäre nicht logisch. Außerdem habe ich nicht vor, die gesamte Kuppel wegzusprengen, sondern nur ein Loch in die Kuppelwand zu reißen. Ich vermute, daß der Druck in der Kuppel geringer ist als der Außendruck. Das bedeutete, daß die Wassermassen in die Kuppel schießen würden. Ich glaube nicht, daß dabei eine Katastrophe ausgelöst würde.«
Van Huizen wurde nachdenklich. »Dennoch gehen Sie ein hohes und nicht kalkulierbares Risiko ein«, sagte er schließlich. »Ganz ohne Risiko geht es nun mal nicht«, erwiderte Cliff. »Angesichts der Gefahren, die uns durch das Wiedererwachen der kosmischen Kriegsparteien drohen, geht nichts mehr ohne Risiko. Absolute Sicherheit kann Ihnen niemand mehr bieten. Begreifen Sie das doch endlich. Wir müssen handeln, auch auf die Gefahr hin, mal etwas falsch zu machen. Zeit haben wir nicht mehr. Jede verlorene Stunde kann für uns die Katastrophe bedeuten.« Van Huizen schüttelte den Kopf. »Solange Sie keine offizielle Genehmigung der Regierung haben, werden Sie nicht sprengen«, sagte er. »Wir kehren zu den Bimini-Inseln zurück. Alles Weitere warten Sie dort ab.« Cliff McLane und Mario de Monti wechselten keinen kurzen Blick miteinander. »Wie Sie wollen«, sagte der Commander, drehte sich um und ging hinaus. Wenig später sprangen die Motoren des Luftkissengleiters an, und das Fahrzeug beschleunigte. * »Und was machen wir jetzt?« fragte Hasso Sigbjörnson. Er blickte durch das Fenster hinaus auf das Landefeld des Bimini-Stützpunkts, auf dem die ORION IX stand. Der diskusförmige Flugkörper glänzte silbern im Lichtschein des Mondes. »Die Regierung erteilt die Genehmigung niemals«, sagte Arlene.
»Man wird eine Kommission gründen«, prophezeite Mario de Monti. »Diese Kommission wird die Aufgabe haben, eine Untersuchungskommission ins Leben zu rufen, die von uns erstellte Untersuchungsergebnisse zu prüfen hat. Danach wird sie eine Kommission von Wissenschaftlern beauftragen, eine Kommission ...« »Hör auf«, sagte Cliff lachend. »Das ist ja erst der Anfang«, erwiderte der Chefkybernetiker. »Paß auf, ich werde dir genau beschreiben, was geschieht. Also, die Kommission ...« »Geschenkt«, rief McLane. »Wir wissen, wie umständlich das alles sein kann. Die Frage ist, was wir tun können.« »Das ist doch ganz einfach«, sagte Mario. »Wir besorgen uns Sprengstoff, kleben ihn an die Kuppel und jagen diese in die Luft.« »Einfach so«, erwiderte Hasso Sigbjörnson spöttisch. »Natürlich«, ereiferte sich Mario. »Warum denn nicht? Bis die Regierung einen wirksamen Beschluß gefaßt hat, vergeht viel zu viel Zeit. Keiner von den ehemaligen Orcasten will doch die Verantwortung übernehmen. Van Huizen schon gar nicht. Also wird man versuchen, das Problem vor sich herzuschieben, bis man einen gefunden hat, der tut, was notwendig ist. Aber dann kann es schon zu spät für uns alle sein.« »Und du meinst, wir sollten wieder einmal die Initiative ergreifen und handeln«, stellte Arlene fest. »Natürlich. Das ist die einzige Möglichkeit für uns.« »Mario hat recht«, sagte Cliff McLane.
»Es ist aber auch nicht unberechtigt, was van Huizen sagt«, erklärte Helga Legrelle. »Solange niemand weiß, was sich in der Kuppel befindet, ist auch das Risiko nicht kalkulierbar.« »Nichts ist in diesem Fall wirklich kalkulierbar«, widersprach McLane. »Deshalb müssen wir ganz einfach handeln. Hat jemand ernsthafte Einwände?« Er blickte von einem Mitglied der ORION-Crew zum anderen, aber niemand sprach sich gegen den Plan aus. Es bestanden bei dem einen oder anderen erhebliche Bedenken, dennoch überwogen die Argumente für schnelles Handeln. »Also gut«, sagte McLane schließlich. »Wir machen es. Den Sprengstoff holen wir uns aus der ORION. Wir bringen ihn auf das Luftkissenboot. Wir starten noch heute nacht. Van Huizen ist nicht hier. Die Gelegenheit ist also günstig.« »Die ORION wird bewacht«, sagte Helga Legrelle. »Keine Sorge, Helga-Mädchen«, erwiderte Cliff. »Wir können das Schiff jederzeit betreten und wieder verlassen. Den Sprengstoff schmuggeln wir am Körper heraus. Mario und ich gehen zuerst. Ihr wartet, bis wir wieder hier sind.« »Wir könnten den Luftkissengleiter vorbereiten«, schlug Hasso Sigbjörnson vor. »Damit warten wir bis zum Schluß«, entschied McLane. Er zog sich eine Jacke über und verließ den Raum. »Hoffentlich wundert sich niemand darüber, daß ich bald etwas füllig aussehen werde«, bemerkte Mario de Monti und folgte ihm. Als Cliff McLane ins Freie trat, wehte ihm eine frische Brise ins Gesicht. Fröstelnd zog er die Jacke fester zu. Es war kühl geworden.
»Wenn der Standortkommandant weibliche Wachen aufgestellt haben sollte, übernehme ich es, solange mit ihnen zu flirten, bis du die Bömbchen aus dem Schiff geschafft hast«, sagte Mario. McLane antwortete nicht. Er schritt schnell aus, so daß der Kybernetiker Mühe hatte, bei ihm zu bleiben. Zwei Wachen, die zwischen ihm und der ORION standen, kamen ihm entgegen. McLane blieb kurz vor ihnen stehen. »Ich bin es, Commander McLane«, meldete er. Sie leuchteten ihm ins Gesicht und ließen sich seine Legitimation zeigen. Danach kontrollierten sie Mario de Monti. »In Ordnung«, sagte einer von ihnen. »Sie können passieren.« »Aha, und ich dachte schon. Sie hätten die Sprache verloren«, sagte Mario. Die beiden Wachen antworteten nicht. Sie traten zur Seite und ließen die beiden Raumfahrer zur ORION weitergehen. Als Cliff McLane und der Kybernetiker dreißig Minuten später vom Raumschiff zurückkehrten, trugen sie beide je zehn Kilogramm hochexplosiven Sprengstoff bei sich. Sie verbargen das gefährliche Material, das sie in flache Scheiben aufgeteilt hatten, unter der Kleidung und hatten es so geschickt über den ganzen Körper verteilt, daß sie kaum verändert aussahen. Gelassen plaudernd gingen sie auf die beiden Wächter zu. Jetzt mußte bereits eine Vorentscheidung fallen. Wenn van Huizen Anweisung gegeben haben sollte, sie bei Verlassen des Schiffes genau zu kontrollieren, war der Plan gescheitert.
Doch der Staatssekretär hatte offenbar nicht damit gerechnet, daß Cliff McLane eigenmächtig und entschlossen handeln würde. Die Wachen blickten nur kurz auf und leuchteten die beiden Männer mit ihren Lampen ab. Dann gaben sie ihnen mit knapper Handbewegung zu verstehen, daß sie zu ihren Unterkünften zurückkehren konnten. »Van Huizen ist auf dem Wege hierher«, berichtete Helga Legrelle aufgeregt, als sie den Salon betraten, in dem der Rest der Crew versammelt war. »Er wollte dich sprechen. Ich habe ihm gesagt, daß du bereits schläfst.« »Brav gemacht, Helga-Mädchen.« »Aber ich fürchte, er hat mir nicht geglaubt. Er hat irgendwie komisch reagiert.« »Wir sollten uns auf jeden Fall beeilen«, riet Arlene. »Wenn van Huizen hier eintrifft, bevor wir gestartet sind, ist es vielleicht zu spät.« »Wir warten keine Minute länger.« McLane legte den Sprengstoff ab, den er unter seiner Kleidung verborgen hatte. »Das hier wird jedoch nicht ausreichen, die Kuppel aufzureißen. Ich muß noch einmal zur ORION.« »Hoffentlich geht das gut«, sagte Arlene. »Davon bin ich überzeugt«, erwiderte der Commander, verließ den Raum und ging eilig auf die ORION zu. Die beiden Männer beharrten darauf, daß er seine Legitimation erneut zeigte. »Was man nicht im Kopf hat, muß man in den Beinen haben«, scherzte Cliff, aber sie gingen nicht auf seine Worte ein. Er murmelte einen Fluch in sich hinein und wartete ab, bis sie ihm das Freizeichen gaben.
»Was war es denn, was Sie vergessen haben, Commander?« fragte einer der beiden Wächter, als er Minuten später zurückkehrte. »Mein zweites Gehirn«, antwortete der Oberst, ohne zu zögern und zog einen Minicomputer aus der Tasche. »In Ordnung«, sagte der Wächter und wandte sich ab. Cliff kam dieses Verhalten allzu gleichgültig vor. Er wartete darauf, von einem Wachoffizier angesprochen zu werden, als er sich der Unterkunft der Crew näherte. Er hatte das Gefühl, daß irgend etwas nicht stimmte. Doch er irrte sich. Niemand trat ihm in den Weg. Niemand hielt ihn auf. »Alles klar«, sagte er, als er wieder im Salon war. »Wir warten jetzt noch fünfzehn Minuten. Dann löschen wir das Licht. Mario und Hasso, ihr geht zum Hafen hinunter. Versucht, den Luftkissengleiter startbereit zu machen. Wir folgen, sobald die Wachen etwas weniger aufmerksam sind. Also in spätestens fünfzehn Minuten.« »Hoffentlich ist van Huizen bis dahin nicht eingetroffen«, erwiderte der Kybernetiker, doch McLane ging nicht darauf ein. Hasso Sigbjörnson hatte inzwischen eines der verschweißten Fenster aufgeschnitten. Das war eine relativ leichte Arbeit gewesen. Jetzt bog er das Fenster soweit auf, daß er und Mario hinausklettern konnten. Etwa fünfzig Meter von ihm entfernt standen zwei Wächter zwischen einigen Palmen. Ihre Gestalten hoben sich deutlich gegen das silbern schimmernde Wasser ab. Lautlos eilten der Ingenieur und Mario zu den Hafenanlagen hinunter, wo zweiundzwanzig Luftkis-
sengleiter der unterschiedlichsten Größenklassen auf dem Land lagen. Für die Crew kam jedoch nur eine einzige Maschine in Frage, diejenige, die eine Tauchkapsel mit sich führte. »Verdammt, da stehen zwei Wächter davor«, sagte Hasse. »Was machen wir nun?« Mario grinste. »Wir laden sie zu einer kleinen Seefahrt ein«, erwiderte er. »Hoffentlich sind sie damit einverstanden.« »Das glaube ich nicht, aber wir haben ja gute Argumente.« Mario de Monti hob seine Hände und hieb sich mit der rechten Handkante auf die linke Handfläche. »Mir wäre wohler dabei, wenn ich wüßte, wann die Wachen abgelöst werden«, flüsterte Hasso. »Es wäre unangenehm, wenn die Ablösung ein paar Minuten nach unserer Einladung käme.« Die beiden Männer schoben sich langsam durch den Schatten eines Kontrollgebäudes voran und näherten sich dabei Schritt für Schritt den Wachen. Diese unterhielten sich leise. »Die bewachen nur den Gleiter, den wir benötigen«, stellte Mario flüsternd fest. »Hoffentlich gibt es nicht noch eine zusätzliche Infrarotüberwachung. Dann sind wir erledigt.« Sie blieben hinter zwei Palmen stehen und sahen sich vorsichtig um. Keiner von ihnen konnte eine weitere Wache entdecken. Niemand schien ernsthaft damit zu rechnen, daß Cliff McLane und seine Crew aus eigener Initiative aktiv werden könnten. »Los«, flüsterte Mario de Monti. Sie schnellten sich auf die beiden Männer zu und
packten sie an den Schultern. Bevor die Wächter begriffen, was geschah, sausten die Hände der Angreifer auf sie herab. Stahlharte Handkanten trafen sie und warfen sie zu Boden. Mario de Monti und sein Begleiter knieten über den bewußtlosen Männern und lauschten. Es blieb still. Nirgendwo heulte eine Alarmpfeife auf. Der Zwischenfall schien unbemerkt geblieben zu sein. »Los, ab ins Boot mit ihnen«, sagte der Kybernetiker. Sie schleiften die beiden Männer nacheinander zum Luftkissengleiter und hoben sie durch eine Luke ins Innere. Dann beseitigte Mario flüchtig die Spuren, die sie hinterlassen hatten. Währenddessen war es Hasso Sigbjörnson gelungen, geeignetes Material aufzutreiben, mit dem die beiden Wächter gefesselt werden konnten. »Jetzt heißt es warten«, murmelte er, als Mario zu ihm in die Steuerleitkabine kam. »Hoffentlich läßt Cliff sich nicht zuviel Zeit.« Die Minuten strichen endlos langsam dahin. Am Hafen blieb es ruhig. Bald zweifelten Mario und Hasso nicht mehr daran, daß der Überfall tatsächlich unbemerkt geblieben war. Niemand hätte Grund gehabt, in einem anderen Fall noch ruhig zu bleiben. »Sie kommen«, flüsterte der Ingenieur schließlich erleichtert. Cliff McLane, Arlene, Helga Legrelle und Atan Shubashi eilten geduckt auf den Luftkissengleiter zu, wobei sie sich ständig im Schatten der Bäume und Bauten hielten. Sie waren nur zu sehen, wenn sie hin und wieder in das helle Mondlicht gerieten. Auf der südlichen Seite des Stützpunkts bellte ein
Hund. Doch er schlug nur kurz an, und auch jetzt blieb der Alarm aus. Unbemerkt erreichten McLane und der Rest der Crew den Luftkissengleiter. »Tauchkapsel fertigmachen«, befahl der Commander. »Dazu sind nur ein paar Handgriffe notwendig«, erwiderte Hasso Sigbjörnson. »Ich habe schon alles überprüft. Das Ding ist einsatzbereit.« »Dann los!« Cliff setzte sich in den Pilotensessel. Ein letztes Mal sah er sich um. Noch war alles ruhig, doch das würde sich schon in wenigen Sekunden ändern. Er legte seine Hände auf die Starttastatur. Dann heulten die Turbinen auf und hoben das Boot in die Höhe. Die Luftschürze blähte sich, und wie schwerelos glitt die Maschine vom Land auf das Wasser hinaus. An den Wach- und Kontrollgebäuden flammten die Scheinwerfer auf. Sirenen und Alarmpfeifen heulten. Einer der Posten im südlichen Teil des Hafens feuerte seinen HM 4-Strahler ab. Der leuchtend helle Laserstrahl zuckte in den Himmel hinauf und erhellte die Nacht. Cliff McLane beschleunigte mit voller Motorenleistung. Der Luftkissengleiter raste auf das Zielgebiet zu. Der Commander bedauerte, daß kein anderes Fahrzeug zur Verfügung gestanden hatte, eines, mit dem er sich lautlos hätte entfernen können. So war klar, daß er die Meute der Verfolger schon in wenigen Minuten hinter sich haben würde. Mario de Monti beobachtete mit dem Spezialbildgerät den zurückfallenden Hafen. »Heilloses Durcheinander nennt man so etwas«, sagte er nach einigen Minuten, als der Luftkissengleiter
bereits fast zwanzig Kilometer vom Stützpunkt entfernt war. »Erst jetzt startet der erste Verfolger.« »Der Vorsprung reicht«, stellte Cliff McLane gelassen fest. Er gab das Steuer an Hasso Sigbjörnson ab und winkte Mario de Monti zu sich. Dann deutete er auf eines der Bildgeräte. »Jemand will uns sprechen«, meinte Mario. Cliff McLane lächelte flüchtig. »Der kann lange warten.« Er legte de Monti die Hand flüchtig auf die Schulter und gab dem Freund zu verstehen, daß sie zur Tauchkapsel gehen wollten. Der Kybernetiker nahm den gebündelten und einsatzbereiten Sprengstoff auf und legte ihn vorsichtig in das Tauchgerät. Dann setzte er sich hinein. »Wie groß ist unser Vorsprung?« fragte McLane. »Gleichbleibend«, antwortete Hasso Sigbjörnson. »Schalte ein, Helga-Mädchen. Wir wollen doch mal hören, was van Huizen uns zu sagen hat.« Cliff McLane blieb außerhalb der Hauptkabine und befand sich daher nicht im Erfassungsbereich der Kamera. Das Gesicht Nemo van Huizens erschien im Projektionsfeld. Der Staatssekretär war bleich. Das blonde Haar fiel ihm in die Stirn. Und seine hellblauen Augen schienen unnatürlich geweitet. »Wo ist McLane?« schrie er. »Ich will den Commander sprechen. Sofort!« Der Luftkissengleiter verzögerte. Er baute das Luftkissen ab und sank auf das Wasser. »Der Commander befindet sich bereits im Einsatz«, antwortete Helga Legrelle mit unbeteiligt klingender Stimme. »Was soll das heißen? Im Einsatz?« brüllte van Huizen.
Helga blieb ruhig und sachlich. »Commander McLane taucht mit der Kapsel«, erklärte sie. »Warum wünschen Sie ihn zu sprechen?« Van Huizen explodierte fast. »Tun Sie nicht so, als wüßten Sie nicht, worum es geht«, sagte er. Seine Lippen zuckten. »Ich warne Sie. Und ich warne besonders McLane. Wenn er sich nicht sofort meldet, ist er seines Kommandos enthoben. Er wird aus dem Raumdienst entlassen werden. Sagen Sie ihm das.« »Ich kann es ihm erst mitteilen, wenn er wieder aufgetaucht ist«, erwiderte die Funkerin. »Leider besteht keine Funkverbindung zur Tauchkapsel. Auch die Telefonverbindung ist unterbrochen.« Nemo van Huizen stöhnte. Er sah nicht, daß Commander McLane erst in diesem Moment die Tauchkapsel bestieg und sich mit ihr über Bord setzen ließ. Die verfolgenden Luftkissengleiter rückten nun rasch auf. Cliff und Mario aber sanken schnell in die Tiefe. Niemand und nichts konnte sie nun noch aufhalten. »Das werden Sie bereuen«, erklärte van Huizen zornbebend. »Es bedeutet das Ende für Sie.« Nemo van Huizen schaltete ab. »Puh, Freunde«, sagte Helga Legrelle seufzend. »Der gute Mann steht unter Volldampf.« Hasso Sigbjörnson blickte hinaus. »Unsere Freunde kommen«, sagte er. Tatsächlich rückten zwölf Luftkissengleiter in schneller Fahrt heran. Sie umkreisten die Maschine, die sie verfolgt hatten, und ließen sich dann langsam herantreiben. »Und was nun?« fragte Arlene.
Hasso zuckte ratlos mit den Schultern. »Ich weiß auch nicht. Warten wir doch erst einmal ab, was sie uns zu sagen haben.« Scheinwerfer flammten auf und tauchten den Luftkissengleiter in helles Licht, eine Maschine glitt mit heulenden Turbinen bis an die Bordwand heran. Hier sank sie ab. Die Motoren liefen aus. Nemo van Huizen kam aus der Steuerleitkabine. Er hielt einen schweren Laserstrahler vom Typ HM 4 in der Hand und richtete ihn auf Hasso Sigbjörnson, der auf dem Hinterdeck stand. Der Staatssekretär kletterte auf die Reling und sprang zu dem Ingenieur hinüber. Die Waffe blieb auf Hasso gerichtet. »Glauben Sie nur nicht, daß Sie und McLane mit Ihrem Plan durchkommen«, sagte der Politiker. »Sie haben sich gründlich geirrt.« »So? Haben wir das?« fragte Hasso lässig. »Allerdings. Jetzt ist es zu spät. Sobald McLane auftaucht, werde ich ihn verhaften.« »Das wird Ihnen nicht viel helfen«, entgegnete der Ingenieur ruhig. »Cliff hat den Sprengstoff mit einem Zeitzünder gekoppelt. Sobald der Commander auftaucht, müssen wir uns schleunigst von hier entfernen, oder wir fliegen mit in die Luft. Die Sprengung können Sie jedenfalls nicht mehr aufhalten, van Huizen.« »Das werden Sie bereuen.« »So etwas sagten Sie schon«, erwiderte Hasso.
6. Das Wasser neben dem Luftkissengleiter der ORIONCrew wurde hell und begann gleichzeitig zu brodeln. »Cliff kommt zurück«, rief Arlene. Die dunkelhäutige Frau stand an der Reling und blickte auf das Wasser. Der Hebearm fuhr aus und senkte sich, als die Tauchkapsel die Wasseroberfläche durchbrach. Er nahm das Tauchgerät auf und hob es an Bord. Cliff McLane öffnete es, noch bevor es abgesetzt worden war. »Sofort starten«, rief er. »Wir haben verdammt wenig Zeit.« Nemo van Huizen hielt Hasso Sigbjörnson am Arm fest, als er in den Steuerleitstand gehen wollte. »Commander McLane«, sagte er energisch. »Ich enthebe Sie hiermit Ihres Kommandos.« Cliff stieg aus der Tauchkapsel. »Tun Sie das meinetwegen«, erwiderte er kühl, »aber sorgen Sie dafür, daß die Luftkissengleiter so schnell wie möglich aus dieser Gegend verschwinden. Der Sprengstoff wird gleich hochgehen, und dann könnte hier immerhin die Hölle los sein.« Van Huizen ließ sich beeindrucken. Er gab Hasso frei und rief den Kommandanten der anderen Luftkissengleiter den Befehl zu, sich sofort aus diesem Gebiet zurückzuziehen. Das Gesicht Commander McLanes blieb unbewegt, als die Maschinen starteten und mit Höchstgeschwindigkeit davonrasten. Er ging in die Steuerleitkabine. Van Huizen folgte ihm auf dem Fuße. Er hielt den Laserstrahler HM 4 in der
Hand und war offenbar fest entschlossen, seinen Willen mit Hilfe dieser Waffe durchzusetzen. »Ein Disziplinarverfahren ist Ihnen absolut sicher, McLane«, sagte er. »Warten Sie doch erst einmal ab, was geschieht«, entgegnete der Commander. Van Huizen blickte auf die See hinaus. Sein Gesicht verzerrte sich. »Gibt es wirklich keine Möglichkeit mehr, es zu verhindern?« fragte er mit gepreßter Stimme. McLane schüttelte den Kopf. »Nun nicht mehr«, behauptete er. »Der Zeitzünder läuft. Uns bleiben noch wenige Minuten, dann ...« »Sie sind wahnsinnig, McLane. Sie setzen das Schicksal der gesamten Erde aufs Spiel, nur um Ihre ehrgeizigen Pläne zu verwirklichen.« »Das sehen Sie falsch«, antwortete Cliff. »Mir geht es nicht um meine Pläne, sondern einzig und allein darum, eine Katastrophe von der Erde abzuwenden.« Er drehte sich um und ging zu Hasso Sigbjörnson, der den Luftkissengleiter in Richtung Bimini-Insel lenkte. Er streckte die Hand aus und legte sie auf eine Taste neben der Steuerungsarmatur. Nemo van Huizen begriff, daß er abermals hinters Licht geführt worden war. »Nein«, schrie er und warf sich nach vorn. Die Hand McLanes senkte sich herab. Die Taste rastete ein. Im gleichen Moment verdunkelten sich die Sterne. Der Commander blickte zurück. Ein weißer Blitz zuckte aus der Tiefe des Meeres hoch. Die Wasseroberfläche wölbte sich im Umkreis von etwa einhundert Metern fast dreißig Meter empor.
Das Mondlicht brach wieder durch die rasch dahinziehenden Wolken, doch der Mond sah nicht mehr weiß aus, sondern glich einem verwaschenen, hellgrünen Ballon. Ein urweltliches Krachen übertönte das Heulen und Dröhnen der Schiffsturbinen. Hasso Sigbjörnson klammerte sich an das Steuerpult. Die Instrumente vor ihm zeigten völlig falsche Werte an. Der Kreiselkompaß drehte sich sinnlos. Auf dem Radarschirm erschienen Dutzende Reflexe von Objekten, die überhaupt nicht vorhanden waren. Im Hologrammfeld eines Bildgeräts tanzte eine blaue Flamme, obwohl niemand das Gerät eingeschaltet hatte. »Das ist das Ende«, rief Nemo van Huizen keuchend. Cliff McLane nahm ihm die Waffe aus der Hand. Der Politiker leistete keinen Widerstand. Das Entsetzen lähmte ihn. »Schneller, Hasso«, befahl McLane, doch der Ingenieur trieb den Luftkissengleiter bereits unter Ausnutzung der letzten Reserven voran. Cliff McLane bemerkte, daß es im Explosionsgebiet dunkler wurde. Der Mond nahm wieder seine normale Färbung an. Der Wasserberg, der sich aufgetürmt hatte, brach gischtend auseinander, und eine zehn Meter hohe Flutwelle rollte auf die BiminiInseln zu. »Das Ende?« Der Commander lachte siegessicher. »Keineswegs, van Huizen. Wir haben es geschafft. Das Schlimmste ist überstanden. Sehen Sie doch selbst.« Nemo van Huizen war noch nicht ansprechbar. Der
Schock saß zu tief. Noch niemals zuvor hatte er ich in einer solchen Gefahrensituation befunden. »Alarm für die Inseln«, rief McLane. »Gebt die Nachricht durch, daß eine Flutwelle kommt.« Befriedigt stellte er fest, daß die Instrumente wieder normal funktionierten. »Das Ende der Welt hat nicht stattgefunden, van Huizen«, sagte er. »Davon bin ich noch nicht ganz überzeugt«, antwortete der Politiker und zeigte auf die See hinaus. »Sehen Sie selbst. Es ist noch nicht zu Ende.« Cliff McLane wandte sich um. Im Explosionsgebiet wurde es von Sekunde zu Sekunde heller. Ein weißes Leuchten stieg aus der Tiefe der See auf. * Die Flutwelle erreichte bei weitem nicht die befürchtete Höhe. Als sie die Bimini-Inseln anrollte, überspülte sie nur die tiefer gelegenen Hafenanlagen. Der Luftkissengleiter mit McLane an Bord landete zu diesem Zeitpunkt am Rande eines Hügels im Innern einer Insel, die den anderen vorgelagert war. Cliff McLane blickte mit zusammengekniffenen Augen auf die See hinaus. Ihm behagte das unheimliche Leuchten aus der Tiefe der Kuppel ebensowenig wie den anderen. Nemo van Huizen, der noch immer bei ihm stand, legte ihm die Hand auf den Arm und stöhnte leise. »Sehen Sie sich den Himmel an, McLane«, sagte er mit gepreßter Stimme. Eigenartige Leuchterscheinungen zeigten sich dort.
Grüne und blaue Blitze schienen den Mond zu umtanzen, doch dann verdunkelte sich ein nicht scharf umrissenes Gebiet. In ihm verschwanden die Sterne. Es schien, als sei ein schwarzes Loch irgendwo im Sonnensystem entstanden. Doch auch dieser Eindruck währte nur wenige Minuten lang. Dann bildeten sich in diesem Gebiet bläulich glühende Risse, die sich in kurzen Intervallen erweiterten und wieder zusammenzogen. »Was bedeutet das alles?« fragte van Huizen. »Ich habe keine Ahnung«, erwiderte McLane. Er blickte sich flüchtig zu den anderen Mitgliedern der ORION-Crew um, die nacheinander an Deck kamen. »Sie haben diese Effekte durch die Sprengung ausgelöst, McLane«, rief van Huizen anklagend. »Und Sie werden dafür bezahlen. Das verspreche ich Ihnen.« »Wenn wir die Ruhe behalten, werden wir mit allem fertig«, entgegnete der Oberst gelassen. »Wir werden jetzt überhaupt nichts mehr unternehmen, Commander. Sie fliegen mit mir nach Miami. Sie werden sich vor der Regierung für Ihre Eigenmächtigkeit zu verantworten haben.« »Das wäre ein Fehler«, sagte Cliff. »Wir dürfen uns jetzt nicht zurückziehen. Wir können dem Spuk nicht durch Flucht ein Ende bereiten, sondern nur durch entschlossenes Handeln.« »Ich werde nicht zulassen, daß Sie noch mehr Unheil anrichten.« »Bis jetzt ist kein Schaden entstanden«, erklärte der Commander eindringlich. »Wenn wir verhindern wollen, daß irgendwo etwas passiert, dann müssen wir handeln.«
Nemo van Huizen atmete tief durch. Dann schüttelte er resignierend den Kopf. Er fühlte, daß er sich dem Oberst gegenüber nicht durchsetzen konnte. »Und was haben Sie vor, McLane?« fragte er. »Die ORION-Crew wird tauchen. Wir werden uns die Kuppel und ihr Inneres aus der Nähe ansehen. Erst dann wissen wir, was los ist.« »Das wäre doch Wahnsinn, McLane. Sie haben keine Ahnung davon, was dieses Leuchten verursacht. Vielleicht setzen Sie sich einer Strahlung aus, die Sie umbringt.« »Dennoch ist die Überlegung richtig«, bemerkte Hasso Sigbjörnson. »Nur so geht es weiter, van Huizen. Glaube Sie uns. Wir haben genügend Erfahrung mit solchen Sachen.« »Sie wollen den Leichtsinn auf die Spitze treiben. Sie handeln nicht aus Verantwortungsbewußtsein heraus, wie Sie behaupten. Sie haben den Tick, sich in unnötige Gefahren stürzen zu müssen.« Cliff McLane grinste. »Nennen Sie es, wie Sie wollen.« Er drehte sich um. »Hasso, führe das Boot ins Operationsgebiet.« Van Huizen setzte zu einem Protest an, gab dann jedoch seufzend auf. Er setzte sich auf eine Bank und blickte McLane kopfschüttelnd an. »Okay«, sagte er. »Ich werde mich Ihnen dieses Mal nicht widersetzen. Glauben Sie aber nur nicht, daß Sie es geschafft haben. Um ein Disziplinarverfahren kommen Sie nicht herum. Dafür werde ich sorgen.« »Ich kann Sie nicht daran hindern«, erwiderte Cliff kühl. Er verstand Nemo van Huizen. Der Staatsse-
kretär war ihm durchaus nicht unsympathisch. Aus seiner Verantwortung heraus konnte der Mann kaum anders handeln. Der Luftkissengleiter beschleunigte. Er raste auf die See hinaus, die sich wieder beruhigt hatte. Die leichte Dünung beeinflußte die auf einem Luftkissen schwebende Maschine nicht. Je näher des Explosionsgebiet rückte, desto heller wurde es. Das Wasser war klar und durchsichtig. Zahllose tote Fische schwammen auf der Wasseroberfläche. »Okay, das reicht«, sagte Cliff. Er gab Hasso Sigbjörnson ein Zeichen, und der Ingenieur stoppte den Luftkissengleiter. Nemo van Huizen sah schweigend zu, wie das Tauchboot fertiggemacht wurde. »Mario, bist du dabei?« fragte der Commander. Der Kybernetiker nickte nur und stieg in die Tauchkapsel. Cliff McLane nahm neben ihm Platz. Nemo van Huizen setzte zu einem letzten Protest an, doch der Oberst schloß die Kuppel und entzog sich ihm auf diese Weise. Hasso Sigbjörnson betätigte einige Hebel. Die Tauchkuppel wurde emporgetragen, über die Bordwand gehoben und auf das Wasser gesetzt. Sie sank fast augenblicklich ab. * »Ein schönes Gefühl, so ins Unbekannte zu segeln«, sagte Mario de Monti gähnend. Er tat, als lasse ihn die gleißende Umgebung völlig kalt. Cliff McLane blickte angestrengt nach unten, während er die Tauchkapsel in die Tiefe führte. Er machte eine gezackte Öffnung in der geheimnisvollen Kuppel
aus. Sie hatte einen Durchmesser von etwa fünf Metern. Aus diesem Loch kam das weiße Leuchten, das kalt und gespenstisch wirkte. Es schien zu pulsieren. Zehn Meter von dem freigesprengten Loch entfernt hielt McLane die Kapsel an. Er wandte sich an Mario. »Nun?« fragte er. »Schwimmen wir hinein?« Der Kybernetiker fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund. »Warum eigentlich nicht?« entgegnete er. Cliff beschleunigte wieder. Die Tauchkapsel trieb langsam an die gezackte Öffnung heran. Eine Strömung war nicht feststellbar. McLane vermutete, daß die Wassermassen mit großer Wucht in das Innere der rätselhaften Kuppel geschossen waren und diese nun vollkommen ausfüllten. Die Kapsel erreichte den Durchbruch. Das Leuchten wurde heller. Unwillkürlich hielten Cliff und Mario den Atem an, als sie durch die Öffnung in die Kuppel gelangten. Nichts geschah. Auf den ersten Blick sahen sie, daß die Kuppel nicht wesentlich größer war, als sie diese geschätzt hatten. Das Leuchten ging von dreizehn riesigen Kristallen aus, die auf der kreisrunden Grundfläche der Kuppel einen Ring bildeten. Sie waren vollkommen durchsichtig. Das Licht, das von ihnen ausging, war so hell, daß die beiden Männer die Augen zusammenkneifen mußten. Die Kristalle umgaben ein gewaltiges Gebilde, bei dem es sich um eine zusammengeschmolzene Maschine zu handeln schien. »Was ist das?« fragte Mario de Monti und beugte sich vor.
»Keine Ahnung«, erwiderte McLane. Er führte die Tauchkapsel langsam bis zum Grund, wo jedoch nicht genügend Platz vorhanden war, sie abzusetzen. Aus nächster Nähe betrachteten die beiden Männer das eigenartige Gebilde zwischen den Kristallen. »Es könnte eine Maschine gewesen sein«, sagte Cliff. »Vielleicht wurden damit einmal große Energiemengen erzeugt.« »Hm, das hat viel für sich«, stimmte der Kybernetiker zu. Er machte einige ungeduldige Handbewegungen, und McLane führte die Tauchkapsel langsam um das Gebilde herum. »Auf jeden Fall ist das Ding jetzt zerstört.« »Daran besteht kein Zweifel«, sagte der Commander. »Vielleicht wurde unter normalen Umständen ein Teil der Energie von den Kristallen gespeichert und bei Bedarf abgerufen.« »Mir scheint, daß die Energien zur Zeit ziemlich unkontrolliert abgegeben werden«, sagte Mario. »Dadurch werden wahrscheinlich auch die Phänomene erzeugt, die wir beobachtet haben. Die Verfärbung des Mondes und die blauen Risse am Himmel.« »Das könnte sein.« »Hm, und ich hatte mir die ganze Zeit eingebildet, wir würden von einem Dutzend bildschöner Mädchen aus dem Hause der Varunja empfangen werden.« »Warum nicht aus dem der Rudraja?« »Das könnte böse Überraschungen geben, und ich bin, wie du weißt, mehr für die angenehmen Seiten des Lebens.« »Ich fürchte, Überraschungen werden wir auf jeden Fall erleben«, sagte McLane. »Wohin fließt diese Energie, die von den Kristallen abgegeben wird?«
»Woher soll ich das wissen?« »Ich fürchte, daß sie sich nicht irgendwo verliert, sondern an einem ganz bestimmten Ort weitere Hinterlassenschaften des Kosmischen Infernos aktiviert.« Mario de Monti fluchte. »Das wäre eine verdammt schlechte Überraschung«, sagte er und blickte sich voller Unbehagen um. »Laß uns lieber von hier verschwinden. Oder glaubst du, daß wir die Kristalle dazu überreden können, ihre Energie für sich zu behalten?« McLane schüttelte den Kopf. »Ich wüßte nicht, wie wir das anstellen sollten.« Er lenkte die Kapsel auf die gezackte Öffnung zu, durch die sie hereingekommen waren, führte sie dann jedoch nicht hindurch, sondern ließ sie davor auf der Stelle schweben. Nachdenklich blickte er auf die Kristalle hinab. »Sag mal, Mario, sind die Kristalle blasser geworden, oder kommt mir das nur so vor?« fragte er. Der Chefkybernetiker der ORION zuckte mit den Schultern. »Vielleicht haben wir uns etwas mehr an das grelle Licht gewöhnt?« Cliff McLane drückte die Kontrolltaste für den Belichtungsmesser der Bordkamera. Da er noch keine Vergleichswerte hatte, mußte er warten. Nach einigen Minuten nahm er zwei weitere Messungen vor. »Das Licht läßt nach«, meldete er dann. »Kein Zweifel.« Mario de Monti tippte gegen das Funkgerät. »Du solltest dich bei van Huizen melden«, riet er. »Da oben wird man schon ziemlich neugierig sein.« Als McLane die Verbindung zu dem Luftkis-
sengleiter aufgenommen hatte, übermittelte van Huizen ihm den Befehl, nach oben zu kommen. »Ich möchte mir die Kristalle ebenfalls ansehen«, sagte er. Verblüfft blickten sich der Kommandant und der Kybernetiker an. Damit hatte keiner von beiden gerechnet. »In Ordnung«, antwortete Cliff. »Wir kommen nach oben.«
7. Die Alarmpfeifen in der Zentrale der O-II-ERI heulten auf. Funkerin Selke Paix zuckte zusammen. Sie fuhr aus ihrem Sitz auf und wußte für einen kurzen Moment nicht, wo sie sich befand. Dann aber war die Müdigkeit wie weggewischt, und es schien, als hätte die Funkerin einen stundenlangen, erfrischenden Tiefschlaf hinter sich. Hastig beugte sie sich vor und schaltete das Funkgerät ein, während auf dem Bildschirm vor ihr das flammende SOS-Zeichen abwechselnd aufwuchs und in sich zusammensank. »Hier spricht die O-II-ERI«, rief sie. Das SOS-Zeichen verschwand vom Bildschirm. Selke Paix wiederholte ihre Meldung mehrere Male, bis sie endlich begriff, daß die Verbindung mit dem unbekannten Schiff, das um Hilfe gebeten hatte, nach etwa vier Sekunden wieder abgerissen war. Oder hatte sie so tief geschlafen, daß sie erst viel zu spät bemerkt hatte, was los war? Sie fuhr das Aufzeichnungsband um zehn Sekunden zurück und ließ es wieder anlaufen. Erleichtert stellte sie fest, daß der SOS-Ruf tatsächlich nur für vier Sekunden von dem unbekannten Schiff ausgestrahlt worden war. Doch kaum hatte sie ihr Schuldbewußtsein gedämpft, als ihr klar wurde, was die Tatsache bedeutete, daß das fremde Schiff schwieg. Commander Friend betrat die Zentrale des Kreuzers, der zur 4. Strategischen Raumflotte gehörte. Diese trug wegen ihres gewöhnlichen Bereitstellungsraums auch die Bezeichnung Wega-Flotte.
»Was ist los, Selke?« fragte Friend. Sie erstattete hastig Bescheid, wobei sie allerdings verschwieg, daß sie während der ersten beiden Sekunden des SOS-Rufes noch geschlafen hatte. Während sie sprach, kamen der Astrogator und der Chefkybernetiker in die Zentrale. Die Mannschaft erwachte zu geschäftiger Tätigkeit. Der Astrogator rief die automatisch aufgezeichneten Positionsdaten des unbekannten Raumschiffs ab. Der Kybernetiker ermittelte mit Hilfe des Computers, um welches Schiff es sich gehandelt hatte. »Nach den vorhandenen Unterlagen und Flugplänen kann es nicht nur ein Schiff gewesen sein«, teilte er besorgt mit, »sondern es müssen zwei Handelsraumer gewesen sein. Sie sind vom Kolonialplaneten Carnac gekommen und befanden sich auf einer Einflugroute, die am Planetoiden Vesta vorbeiführt.« »Ortungskontakt?« fragte der Commander. »Negativ«, antwortete der Astrogator. »In dem bezeichneten Raumsektor befindet sich kein Raumschiff. Da ist nur der Planetoid Vesta. Sonst nichts.« Verblüfft blickte Friend die Funkerin an. »Wenn die Aufzeichnung nicht wäre, würde ich dich fragen, ob du sicher bist, daß du das Ganze nicht geträumt hast«, sagte er. »Ich habe nicht geschlafen«, erwiderte sie trotzig. Der Commander grinste. »Das habe ich auch – noch – nicht behauptet, Selke!« »Glücklicherweise gibt es ja die Aufzeichnung«, sagte sie schnippisch. »Diese Tatsache dürfte mich wohl von allen böswilligen Vermutungen befreien.« »Wir fliegen ins Zielgebiet«, entschied der Commander. »Wir sehen uns an Ort und Stelle an, was da los ist.«
Knapp zwei Minuten später beschleunigte der Kreuzer und raste in den Vesta-Sektor. Gleichzeitig benachrichtigte er die Erde über den Einsatz. »Gib laufend durch, was geschieht«, befahl der Commander der Funkerin, während sich das Raumschiff dem Planetoiden Vesta näherte. »Da ist nichts«, sagte Selke Paix. »Von den beiden Handelsraumern, die eigentlich in diesem Gebiet sein müßten, ist weit und breit nichts zu sehen.« »Das ist doch völlig unmöglich«, bemerkte der Commander. »Sie müssen hier sein. Sie können nicht von hier aus SOS funken und dann einfach verschwinden.« * Die Tauchkapsel sank langsam in die Tiefe. Cliff, McLane blickte nach unten. Er war sich dessen ganz sicher, daß die Helligkeit der Kristalle nachließ. Die Anzeigen des Belichtungsmessers bestätigten ihm, daß er sich nicht getäuscht hatte. »Das Strahlen läßt mehr und mehr nach«, sagte er zu Nemo van Huizen, der neben ihm saß. »Wahrscheinlich brauchen wir uns gar keine Gedanken mehr darüber zu machen, wie wir die Kraft der Kristalle brechen können. Alles erledigt sich von selbst.« Van Huizen antwortete nicht. Die Tauchkapsel erreichte die gezackte Öffnung der submarinen Kuppel. »Die Kristalle haben sich verändert«, stellte McLane fest. »Sie sehen matter aus als vorher.« Van Huizen preßte die Lippen zusammen und schwieg sich weiterhin aus.
McLane ließ die Kapsel weiter absinken, bis sich einer der Kristalle unmittelbar neben ihm befand. »Von der Oberfläche des Kristalls rieselt ein weißer Staub herab. Sehen Sie es?« »Allerdings«, erwiderte der Politiker, der sich allmählich aus seiner Verkrampfung löste. »Ich kann allerdings nicht sagen, daß ich mich dadurch beruhigt fühle.« »Aber ich«, entgegnete der Commander. »Für mich bedeutet das Abrieseln, daß die Kristalle sich auflösen, daß sie ihre Kraft verlieren. Van Huizen, ich bin davon überzeugt, daß die Sprengung die Kristalle dazu angeregt hat, ihre gesamte Energie abzugeben. Das heißt, daß die Gefahr, die eventuell von hier drohte, ein für allemal beseitigt ist.« »Sie sind ein unverbesserlicher Optimist, McLane«, sagte van Huizen. »Sie suchen sich immer die für Sie beste Lösung aus und präsentieren sie uns als allgemeingültig. Aber ich glaube nicht daran, daß Sie recht haben. Sie sind leichtfertig vorgegangen. Sie haben einfach etwas in die Luft gejagt, das genauso gut so etwas wie ein Overkill hätte sein können. Die gesamte Erde hätte dabei vernichtet werden können. Und nun strahlen die Kristalle eine offensichtlich erhebliche Energiemenge ab, und Sie meinen, das verpufft irgendwo, und wir brauchen uns keine Sorgen mehr zu machen.« Er blickte McLane an. In seinem Gesicht zuckte es. »Ich muß Ihnen gestehen, McLane, daß ich Angst habe. Ich habe Angst davor, daß durch diese Energieflut irgendwo in der Galaxis irgend etwas auf uns aufmerksam gemacht wird, was verdammt gefährlich für uns werden kann.«
»Das Problem dieser Kuppel mußte irgendwie angegangen werden. Wir haben eine Lösung gefunden, aber ich habe nie behauptet, daß ich weiß, was sich in der Kuppel befindet.« »Ich wäre froh, wenn wir die nächsten Tage und Wochen ohne Zwischenfälle überwunden hätten.« Cliff zeigte auf die Kristalle. »Das Leuchten ist jetzt schon so schwach geworden, daß ich die Scheinwerfer einschalten muß. Ich glaube, wir können zum Luftkissengleiter zurückkehren. Hier passiert nichts mehr.« »Einverstanden.« Der Commander führte die Tauchkapsel durch die gezackte Öffnung ins freie Wasser. In diesem Moment meldete sich Helga Legrelle. »Was gibt es?« fragte McLane. »Han Tsu-Gol hat Alarm für die Erde gegeben«, teilte die Funkerin erregt mit. »Was ist passiert?« rief Nemo van Huizen. »Der Raumkreuzer O-II-ERI von der Wega-Flotte ist im Gebiet des Planetoiden Vesta spurlos verschwunden«, berichtete Helga Legrelle. »Ist das alles, was du weißt?« fragte Cliff. »Der Kommandant der O-II-ERI hat den SOS-Ruf wahrscheinlich von zwei Handelsraumern aufgefangen. Die O-II-ERI ist ins Gebiet des Planetoiden Vesta geflogen, hat die Handelsraumer aber nicht gefunden. Der Kommandant meldete über Funk, daß sich plötzlich ein Energiefeld unbekannter Herkunft um sein Schiff herum aufbaue. Der Funkkontakt wurde von diesem Moment an immer schlechter und brach dann vollends ab.« »Weiter, was passierte dann?« drängte van Huizen,
als Helga Legrelle eine Pause machte. »Drei andere Schiffe der 4. Strategischen Raumflotte näherten sich der letzten Position der O-II-ERI bis auf etwa einhunderttausend Kilometer. Die O-IIERI war ebenso verschwunden wie die Handelsraumer. Das Schiff war nicht mehr zu orten. Das ist alles. Nachdem die Regierung von dem Vorfall unterrichtet worden war, hat Han Tsu-Gol Alarm für die Erde gegeben.« »Danke«, sagte McLane. »Wir kommen nach oben.« Er schaltete das Funkgerät ab. »Da haben wir es«, sagte Nemo van Huizen vorwurfsvoll. »Sie glauben, daß diese Vorfälle mit der Kuppel und den Kristallen zusammenhängen?« »Selbstverständlich. Sie haben dieses Unheil mit der Sprengung ausgelöst. So etwas mußte ja passieren. Wenn man mit den unbekannten Kräften einer Supermacht herumspielt, kann das nun mal nicht ohne Folgen bleiben.« McLane ging nicht auf diesen Vorwurf ein. Er beschleunigte die Tauchkapsel, um sie so schnell wie möglich nach oben zu bringen. Dabei überlegte er fieberhaft. Für ihn war selbstverständlich, daß er etwas unternehmen mußte. Nemo van Huizen hatte recht. Davon war er überzeugt. Es mußte ein Zusammenhang zwischen der Sprengung, der Energieausschüttung der Kristalle und dem Verschwinden der Raumschiffe bestehen. Alles andere wäre ein gar zu eigenartiger Zufall gewesen. Cliff beschloß, mit der ORION in den Vesta-Sektor zu fliegen. Die Tauchkapsel durchstieß die Wasseroberfläche
und wurde sogleich aufgenommen und auf den Luftkissengleiter gesetzt. »Gibt es inzwischen weitere Nachrichten?« fragte van Huizen, als er ausstieg. Die ORION-Crew stand um die Kapsel herum. Nur Helga Legrelle fehlte. Sie wich nicht vom Funkgerät. »Nein, keine weiteren Meldungen«, teilte Hasso Sigbjörnson mit. Cliff McLane berichtete kurz, wie es unten bei den Kristallen aussah. »Die Kuppel können wir also vergessen«, schloß er. »Konzentrieren wir uns auf das Problem Vesta.« »Das ist nicht Ihr Problem«, sagte Nemo van Huizen. »Vergessen Sie nicht, daß die 4. Strategische Raumflotte sich in dem Gebiet befindet. Das genügt.« »Ich wäre sehr überrascht gewesen, wenn Sie nicht protestiert hätten«, erwiderte Cliff. »Glücklicherweise sind Sie in diesem Falle völlig machtlos. Wir werden mit der ORION zur Vesta starten.« »Dazu benötigen Sie die Genehmigung von Han Tsu-Gol.« »Das ist mir klar. Sie können sich darauf verlassen, daß ich sie mir holen werde, sobald ich gestartet bin.« »Ich werde dafür sorgen, daß Sie sie nicht bekommen, McLane.« Cliff lächelte und wandte sich an Sigbjörnson. »Wir sollten keine Zeit verlieren, Hasso«, sagte er. »Wir wollen so schnell wie möglich zum Stützpunkt zurückkehren, damit wir mit der ORION starten können. Dabei setze ich voraus, daß die Crew einverstanden ist.« »Ist sie«, erwiderte der Ingenieur und eilte zum Leitstand.
»Es steht Ihnen frei, inzwischen mit Han Tsu-Gol zu sprechen«, sagte der Commander. »Das hat noch etwas Zeit«, antwortete van Huizen. »Ich werde nichts überstürzen.« Er ging zum Heck der Maschine, während diese startete und mit hoher Beschleunigung auf die BiminiInseln zuraste. Die Crew begab sich in den Leitstand. »Was hast du vor?« erkundigte sich Mario de Monti, als sie allein waren. »Ehrlich gesagt, ich weiß es noch nicht«, antwortete der Commander. »Das wird sich ergeben, wenn wir im Operationsgebiet sind.« Meinungsverschiedenheiten darüber, ob die ORION starten würde, gab es nicht mehr. Man war sich einig darüber, daß es die Aufgabe der ORIONCrew war, sich auch um die Ereignisse zu kümmern, die fraglos eine Folge der Sprengung der submarinen Kuppel war. * Der neue Tag dämmerte herauf, als das Luftkissenboot den Stützpunkt erreichte. Nemo van Huizen verließ die ORION-Crew, sobald, das Boot aufgesetzt hatte. Er eilte in den Kommandostand, um von dort aus mit Han Tsu-Gol zu sprechen. »Habt ihr noch etwas aus den Bunkern zu holen, dann macht das gleich«, sagte McLane. »Wir wollen nicht unnötig Zeit verlieren.« Doch niemand hatte etwas in den Unterkünften zurückgelassen, was wichtig für ihn war. So konnte die Crew das diskusförmige Raumschiff gleich betreten. Es wurde noch immer bewacht, die Posten ließen die
vier Männer und die beiden Frauen jedoch unkontrolliert passieren. Cliff McLane erwartete, daß der Stützpunktkommandant sich noch einmal melden würde, um gegen die unsanfte Behandlung seiner Männer zu protestieren, doch er täuschte sich. Der Kommandant schwieg sich aus und ging damit über die Vorfälle in der Nacht hinweg, als sei überhaupt nichts gewesen. »Vermutlich hat van Huizen ihm mittlerweile klargemacht, daß seine Worte ohnehin an dir abprallen würden«, sagte Mario de Monti, als Cliff eine entsprechende Bemerkung machte. »Melde den Start an«, befahl der Oberst. Helga Legrelle schaltete das Funkgerät ein. Das Gesicht eines hohen weiblichen Offiziers erschien im Projektionsfeld. »Van Huizen bittet Oberst McLane, zu einem kurzen Gespräch in den Kommandostand zu kommen«, sagte der Offizier. »Ich habe jetzt keine Zeit«, erwiderte McLane unwirsch. »Van Huizen muß sich gedulden, bis wir zurückgekehrt sind.« »Oberst, es ist wichtig. Van Huizen läßt Ihnen mitteilen, daß er Sie nur wenige Minuten aufhalten wird. Bitte, kommen Sie von Bord.« Cliff überlegte kurz, dann nickte er unwillig. »Also gut, ich komme. Sagen Sie van Huizen aber, daß ich höchstens fünf Minuten bleiben werde.« »Ich werde es ihm ausrichten«, versprach der Offizier und schaltete ab. »Das ist doch ein ganz verdammter Trick«, sagte Mario de Monti. »Man will dich von Bord holen, um uns aufzuhalten.«
»Das hätte van Huizen einfacher haben können«, erwiderte McLane. »Ich beeile mich.« Er verließ die ORION und ging mit weiten Schritten zum Hauptgebäude hinüber, in dem der Kommandant seine Räume hatte. Die Tür war verschlossen. Als der Commander seine Hand an eine Kontaktscheibe legte, leuchtete ein Bildschirm neben der Tür auf. Dunkle Augen musterten ihn, dann glitt die Tür lautlos zur Seite. McLane betrat einen Vorraum, in dem vier Offiziere an Arbeitstischen saßen, die mit Kommunikationsgeräten förmlich übersät waren. »Oberst McLane?« fragte einer von ihnen überrascht. »Was führt Sie zu uns?« Cliff stockte der Atem. »Van Huizen will mich sprechen«, erklärte er knapp. »Van Huizen?« Einer der Offiziere erhob sich und kam ungläubig lächelnd zu ihm. »Sie müssen sich irren, Commander.« »Warum sollte ich mich irren. Van Huizen hat mich gerade durch einen weiblichen Offizier zu einem Gespräch gebeten.« Der Offizier schüttelte den Kopf. »Da muß sich jemand einen Scherz mit Ihnen erlaubt haben, Oberst«, sagte er überrascht. »Nemo van Huizen hat den Stützpunkt mit einem schnellen Robotgleiter verlassen. Vor genau sechs Minuten.« Er blickte auf sein Chronometer, um die Zeitangabe zu überprüfen. Cliff McLane fluchte ärgerlich. Er wandte sich ab und stürmte aus dem Gebäude. Er lief zur ORION hinüber. Niemand hielt ihn auf. »Diese Sache ist mir ein Rätsel«, sagte er, als er in
der Zentrale berichtet hatte, was vorgefallen war. »Sobald wir zurück sind, werde ich klären, wer dafür verantwortlich ist, und dann wird sich jemand wundern.« Er bediente die Hebel der Manuellsteuerung. Der diskusförmige Flugkörper erhob sich und stieg steil empor. »Gib mir eine Verbindung mit Han Tsu-Gol, HelgaMädchen«, befahl McLane. »Hoffentlich macht er uns keine Schwierigkeiten.« Die geforderte Funkverbindung mit dem Mann, der für die Verteidigung der Erde und für die Raumflotte verantwortlich war, kam nicht sofort. McLane mußte einige Minuten warten. In dieser Zeit hatte die ORION den Weltraum bereits erreicht. Dann aber erschien das Bild des Asiaten im Projektionsfeld. Ein schwer bestimmbares Lächeln lag auf seinem Gesicht. Han Tsu-Gol strich sich mit der flachen Hand über den kahlen Schädel. »Nun, McLane?« fragte er. »Sie wollten mich sprechen?« Kein Vorwurf über eigenmächtige Entscheidungen kam. Han Tsu-Gol tat, als habe es keinerlei ungewöhnliche Ereignisse um die unterseeische Kuppel gegeben, die von der ORION-Crew gesprengt worden war. »Die ORION IX befindet sich auf dem Wege zum Planetoiden Vesta«, eröffnete der Commander das Gespräch. »Wir fühlen uns zu einem Einsatz in diesem Gebiet verpflichtet, weil wir befürchten, daß die Phänomene im Raumsektor der Vesta durch die Sprengung der Kuppel ausgelöst worden sind.« Das Lächeln auf dem Gesicht des Politikers ver-
tiefte sich. Han Tsu-Gol senkte den Kopf ein wenig und hoch ihn gleich danach wieder. Aus dieser Geste glaubte McLane entnehmen zu können, daß er der gleichen Ansicht war. »Van Huizen ist nicht ganz damit einverstanden, daß wir diesen Einsatz fliegen«, fuhr Cliff fort. »Ich hoffe, bei Ihnen auf mehr Verständnis zustoßen.« »Nemo van Huizen hat mir ausführlich Bericht erstattet«, erklärte Han Tsu-Gol. »Sagen Sie Hasso Sigbjörnson, daß ich davon überzeugt bin, daß Simon Mayer ein Opfer der geheimnisvollen Anlage in der Kuppel geworden ist. Es war ein bedauerlicher Unfall.« »Danke«, sagte Cliff McLane. Er blickte flüchtig zu Hasso hinüber und bemerkte, wie erleichtert dieser wirkte. »Ich muß wissen, ob das V'acora sich an Bord der ORION IX befindet«, fuhr Han Tsu-Gol fort. »Selbstverständlich«, antwortete der Oberst. Er verstand den Sinn der Frage nicht ganz, stellte aber keine Gegenfragen. Das V'acora war ein geheimnisvolles Armbandgerät, das die ORION-Crew der getöteten Schlafenden Göttin abgenommen hatte. Da die Schlafende Göttin auf der Seite des Varunja gekämpft hatte, sah Cliff McLane es als selbstverständlich an, daß das V'acora ein Instrument des Varunja darstellte. Als er am Ende dieser Überlegungen angekommen war, runzelte er nachdenklich die Stirn, verzichtete aber auch jetzt auf Fragen. Han Tsu-Gol wußte sicherlich, warum er sich nach dem V'acora erkundigte. »Gut«, sagte der Asiate, und jetzt verschwand das Lächeln aus seinem Gesicht. »Fliegen Sie den Einsatz,
so wie Sie ihn sich vorgestellt haben. Machen Sie es gut, McLane. Ich verlasse mich auf Sie.« Cliff wurde erst zu diesem Zeitpunkt voll bewußt, daß er mit einer Ablehnung gerechnet hatte. Er war darauf gefaßt gewesen, mit diesem Mann diskutieren zu müssen, der für die Verteidigung der Erde und für die Raumfahrt verantwortlich war. Jetzt, da er die Genehmigung zu dem Einsatz absolut mühelos erhalten hatte, wußte er kaum etwas zu sagen. Er suchte nach Worten. »Es wird schon schiefgehen«, erwiderte er schließlich mit stockender Stimme. Han Tsu-Gol lächelte vielsagend und schaltete ab. »Cliff McLane mit Ladehemmung«, sagte Mario de Monti lachend. »Wie schade, daß Freund Nemo van Huizen das nicht verfolgten konnte.« Die Spannung an Bord löste sich in einem befreienden Lachen. Doch die Crew ließ sich nur für einen kurzen Moment ablenken. Dann konzentrierte sie sich voll auf die Aufgabe, die sie zu bewältigen hatte. Die ORION IX raste mit hoher Beschleunigung auf den Planetoiden Vesta zu. * Nemo van Huizen dachte gar nicht daran, Cliff McLane und der ORION-Crew die Initiative zu überlassen, als der Luftkissengleiter auf der BiminiInsel gelandet war. Er entfernte sich zwar von der Crew, aber das war nichts weiter als ein Täuschungsmanöver. Van Huizen war zu der Ansicht gekommen, daß er viele Fehler gemacht hatte, weil er allzu offen und
lautstark gegen die Entscheidungen McLanes protestiert und opponiert hatte. Von nun an sollte es anders werden. Er zog sich in das Hauptgebäude zurück und verfolgte, wie die ORION-Crew an Bord ging. In aller Eile setzte er sich mit Han Tsu-Gol in Verbindung und berichtete ihm, was geschehen war. »Was werden Sie jetzt tun?« fragte Han Tsu-Gol, nachdem er sich ruhig und gelassen van Huizens Rede angehört hatte. »Ich werde an Bord der ORION gehen«, erwiderte van Huizen. »Ich werde nicht zulassen, daß McLane Unheil anrichtet. Deshalb werde ich ihn überwachen und ihm notfalls rechtzeitig in die Arme fallen, um so eine Katastrophe zu verhindern.« »Eine gute Idee«, stimmte Han Tsu-Gol zu. »McLane darf jedoch nicht wissen, daß ich an Bord bin«, forderte van Huizen. »Ich werde die ORION heimlich betreten und mich darin verstecken.« »Ich verlasse mich auf Sie«, erwiderte der Asiate mit einem vieldeutigen Lächeln. Er nickte van Huizen zu und brach die Funkverbindung zu ihm ab. Der Politiker wandte sich an den Standortkommandanten und erläuterte ihm seinen Plan. »Holen Sie Oberst McLane von Bord«, sagte er. »Irgendeinen Vorwand werden Sie schon finden.« Danach verließ er das Kontrollgebäude und eilte im Schatten einiger Palmen bis an den Rand des kleinen Landefeldes, auf dem der diskusförmige Raumer startbereit stand. Er hörte das Heulen der Triebwerke. Er wartete ab. Zunächst regte sich nichts bei der ORION. Van Huizen befürchtete bereits, daß sein Plan gescheitert war, da verließ Cliff McLane das Raumschiff.
Geduckt eilte van Huizen auf die ORION zu. Cliff McLane blickte sich nicht um. Van Huizen lächelte. Er konnte sich gut vorstellen, wie ungehalten McLane über die Verzögerung war. Van Huizen blickte zum Rand des Diskusraumers hinauf. Wurde er von den Optiken erfaßt? Beobachtete ihn jetzt eine amüsierte ORION-Crew, wie er sich wie ein Dieb an das Raumschiff heranschlich? Cliff McLane verschwand im Kontrollgebäude. Van Huizen betrat die Schleuse der ORION. McLane hatte offene Schotte hinter sich zurückgelassen. Offenbar wollte er keine Zeit verlieren, sobald er zurückkehrte, und er rechnete nicht damit, daß irgendein Unbefugter an Bord gehen könnte. Van Huizen sah sich suchend um. Er zögerte, da er nicht wußte, wo er sich am besten verstecken konnte. Schließlich entschied er sich für die Triebwerkskammer. Er hoffte, daß Chefingenieur Hasso Sigbjörnson sich nicht hier, sondern in der Zentrale aufhielt. Erleichtert atmete er auf, als sich das Schott hinter ihm schloß. Er war allein. Das Heulen des Triebwerks übertönte alle anderen Geräusche. Van Huizen suchte sich einen Winkel aus, in dem er auch für den Fall, daß Sigbjörnson kam, nicht sofort entdeckt werden konnte. Dann wartete er ab. Er war mit sich und der Entwicklung der Dinge vollauf zufrieden. Einige Minuten verstrichen. Dann veränderte sich das Geräusch des arbeitenden Triebwerks. Die Töne wurden schrill, und an einem leichten Beschleunigungsdruck, der nach wenigen Sekunden wieder nachließ, merkte van Huizen, daß die ORION gestartet war.
Sein Pulsschlag beschleunigte sich. In aller Deutlichkeit wurde er sich bewußt, welch hohes Risiko er eingegangen war. Aber nicht nur das. Ihm wurde klar, was die ORION-Crew wagte, um das Rätsel der Raumfalle bei dem Planetoiden Vesta zu lösen. Bei diesem Raumflug gab es nur eine Alternative. Entweder der Plan McLanes gelang, oder die ORION mit ihren Insassen löste sich in Nichts auf. Van Huizen schluckte heftig. Dann löste er sich aus seinem Versteck. Zögernd machte er sich auf den Weg zur Zentrale.
8. In der Hauptleitzentrale der ORION wurde es still. Nur das gedämpfte Knistern, Surren und Zirpen der elektronischen Geräte war noch zu hören. Commander McLane richtete seine Blicke auf das Zielgebiet. Die Wega-Flotte hatte ihre Position nicht verändert. Sie stand nach wie vor abwartend etwa einhundert Kilometer von Vesta entfernt über dem Planetoidengürtel. »Mario«, sagte McLane. »Was gibt es im BiminiGebiet?« Der Chefkybernetiker stand an den Ortungs- und Strahlenmeßgeräten. »Wenn du wissen willst, ob zwischen der zerstörten Kuppel und der Vesta irgendein Zusammenhang besteht, dann muß ich dir sagen, daß da was ist«, entgegnete Mario. »Sieh dir die Energiekarte der Erde an.« Er drückte eine Taste, und im Projektionsfeld des Bildgeräts erschien ein Bild der Erde in vorwiegend roten und blauen Farben, durchsetzt von einigen weißen Flecken. Mario zeigte auf die Stelle, an der sich die submarine Kuppel befand. Sie war durch einen strahlenden weißen Fleck in sonst dunkelroter Umgebung gekennzeichnet. »Obwohl die Kristalle mittlerweile zerstört sind«, erklärte der Kybernetiker, »gibt die Anlage noch immer hohe Energiemengen ab. Wenn wir jetzt die Position des Bimini-Gebiets etwas genauer unter die Lupe nehmen, dann, Freunde, müssen wir feststellen, daß es zur Zeit genau auf die Vesta zeigt.«
Hasso Sigbjörnson trat näher an das Bildgerät heran und schüttelte den Kopf. »Das ist ja nicht zu fassen«, sagte er. »Wo kommt diese Energie denn noch her, wenn die Kristalle wirklich zerstört sind?« »Sie sind zerfallen«, beteuerte Cliff McLane. »Von ihnen ist nichts mehr übrig.« »Vielleicht ist unter dem Ring der Kristalle noch eine weitere Halle mit weiteren ähnlichen Anlagen?« vermutete Mario de Monti. »Wir hätten eine zweite Sprengung durchführen sollen«, sagte McLane. »Dann wäre alles klar gewesen.« Der Kybernetiker tippte einige Tasten. »Ganz klar«, stellte er danach fest. »Die Energien, die aus dem Bimini-Gebiet kommen, werden in den Vesta-Sektor abgestrahlt. Dort verschwinden sie ebenso, wie die Raumschiffe zuvor.« »Sie verschwinden, oder sie werden verbraucht«, erklärte der Commander. »Das ist ein kleiner aber feiner Unterschied«, sagte Mario de Monti. »Wir werden bald wissen, was los ist«, bemerkte McLane. »Helga-Mädchen, gib mir Admiral Mahavira von der 4. Strategischen Flotte.« Die Funkerin schien bereits auf eine entsprechende Anweisung gewartet zu haben. Die Verbindung kam fast augenblicklich, allerdings meldete sich nicht der Admiral, sondern einer seiner Offiziere. »Mein Name ist Oberst Henderson«, sagte er kühl. Er blickte Cliff hochmütig an. »Was wünschen Sie?« »Ich möchte über die Beobachtungen informiert werden, die Sie in den letzten Stunden gemacht ha-
ben«, erwiderte der Commander, ohne sich durch das Verhalten des Offiziers provozieren zu lassen. »Gibt es etwas Neues?« »Nichts Entscheidendes«, erwiderte Henderson näselnd. »Wir haben drei Raketen in das Raumgebiet der Vesta abgefeuert. Wir konnten beobachten, daß die Geschosse in ein bis jetzt noch nicht exakt definiertes Energiefeld gerieten und darin verschwanden. Wir können von der Voraussetzung ausgehen, daß es den vermißten Raumern ebenso ergangen ist wie den Geschossen.« »Danke für die Auskunft«, sagte Cliff. »Unter diesen Umständen ist wohl nicht damit zu rechnen, daß die ORION IX bis ins Gefahrenzentrum vordringt«, meinte Henderson. »Da sich von der Wega-Flotte noch niemand gefunden hat, das Rätsel aus nächster Nähe anzugehen, wird die ORION IX nicht auf Warteposition gehen«, antwortete Cliff ironisch. »Das überlassen wir der 4. Strategischen Raumflotte.« Er blickte kurz zu Helga Legrelle hinüber, die die Verbindung zu Oberst Henderson abbrach. »Die tragen die Nase verdammt hoch«, stellte Mario fest. »Ich höre jetzt schon das wütende Protestgeschrei dieser Helden, wenn es uns gelungen ist, das Verschwinde-Ding da draußen zu knacken. Dann brüllen sie wieder wie die Ochsenfrösche und behaupten, wir hätten sie übergangen.« Die ORION IX passierte die Raumschiffe der 4. Strategischen Flotte. Die Entfernung zur Vesta nahm schnell ab. Es schien, als stürzte das Raumschiff förmlich auf den Planetoiden zu, dessen unregelmäßig geformter Körper nur wenig Licht reflektierte.
Niemand antwortete auf die Worte Marios. Zweifel kamen auf, ob das Problem wirklich zu lösen war. Noch wußte keiner, was zu tun war. Der Ansturm auf die Raumfalle stellte zunächst nicht mehr als einen Versuch dar. Cliff McLane bediente die Hebel der Manuellsteuerung. Die ORION verzögerte stark. Der Commander dachte gar nicht daran, mit hoher Geschwindigkeit in das offenbar materieverzehrende Energiefeld hineinzurasen. »Achtung, es geht los«, sagte Mario leise, als einige der Meßinstrumente plötzlich höhere Energiewerte anzeigten. Er blickte auf einen Monitorschirm, auf dem immer noch das Energiebild der Erde zu sehen war. Mühelos konnte er verfolgen, wie sich der weiße Energiefleck im Bimini-Gebiet verdunkelte und verfärbte. »Jetzt ist es aus mit dem Energiereservoir bei Bimini«, berichtete er. »Offenbar sind die letzten Reserven dahin.« »Vielleicht gibt uns das eine bessere Chance«, sagte Atan Shubashi. Der kleine Astrogator saß bleich auf seinem Platz. Er preßte die Lippen fest zusammen. Seine Augen waren unruhig. »Achtung«, sagte Cliff. »Noch zweiundzwanzig Sekunden. Dann haben wir die Position erreicht, wo die beiden Handelsraumer verschwunden sind.« Die letzten Sekunden liefen in rasender Eile ab. Es schien, als mache das Raumschiff einen Sprung nach vorn, der sie direkt in die Raumfalle hineinriß. Die ORION IX begann kaum merklich zu vibrieren. »Da ist das Energiefeld«, sagte Hasso. Der Planetoid Vesta war bereits deutlich zu erken-
nen. Er lag direkt vor der ORION IX und auf ihrem Kurs, doch zeigte sich kein klares, sondern ein verschwommenes Bild in den Erfassungsgeräten. Ein Energiefeld baute sich um das Raumschiff auf. »Was ist das, Mario?« rief McLane. »Schnell, ich muß alles über das Feld wissen.« Mario de Monti arbeitete am Bordcomputer, in dem alle Erfassungsdaten zusammenliefen. Die Antwort auf die Frage des Commanders kam schon nach Sekunden. »Die Energie des Feldes ist ähnlich strukturiert wie beim Tor des Vergessens«, erklärte der Chefkybernetiker. Das Tor des Vergessens war ein transmitterähnliches Gebilde gewesen, durch das die ORION VIII zur Erde zurückgekehrt war. »Dann ist das hier ebenfalls ein Transmitterfeld«, schloß Hasso Sigbjörnson. »Auch wenn es nicht ringförmig ist.« Das Energiefeld, das die ORION IX einhüllte, hatte die Form einer durchsichtigen Kugelschale. Es bewegte sich mit dem Raumschiff auf den Planetoiden Vesta zu. »Wir müssen heraus aus dem Feld«, rief Mario. »Verdammt, Cliff, wenn wir im Feld bleiben, werden wir entmaterialisiert!« Eine fieberhafte Erregung erfaßte die Crew, während Cliff McLane Gegenschub gab. Die ORION verzögerte mit Höchstwerten und versuchte gleichzeitig, seitlich auszubrechen. Das Raumschiff schwankte und bebte unter der extremen Belastung. Niemand brauchte noch zu erklären, was Mario de Monti gemeint hatte, als er von der drohenden Ent-
materialisation gesprochen hatte. Jedem an Bord war klar, daß einer Entmaterialisation nicht zwangsläufig auch eine Rematerialisation folgen mußte. Das war nur der Fall, wenn es irgendwo im Kosmos eine aktivierte und auf Vesta gerichtete Gegenstation gab. Existierte diese nicht, dann würde die ORION IX mit ihrer Crew als Energiewolke verwehen. Die Fahrt des Raumers war nahezu aufgehoben. Cliff McLane bemühte sich erneut, seitlich aus dem das Schiff einhüllenden Energiefeld zu entkommen, indem er nun voll beschleunigte. Aber das Triebwerk gab keine volle Leistung ab. Es war, als sei die ORION in einem Netz gefangen, das ihm seine Bewegungsfähigkeit raubte. »Wo sind wir?« Cliff McLane zuckte zusammen, als er die Stimme hörte. Er fuhr herum. »Nemo van Huizen«, rief Mario de Monti. »Zum Teufel, was machen Sie hier?« brüllte McLane. Van Huizen erfaßte die Erregung, die die Crew befallen hatte. Er stand wie angewurzelt vor dem Chefkybernetiker und blickte auf die Bildgeräte. Cliff McLane drehte sich wieder um. Er fluchte lauthals, während er sich abermals bemühte, die ORION IX zu retten. »Wir schaffen es nicht«, rief Atan Shubashi. Das Raumschiff dröhnte und schwankte noch stärker als zuvor. Für Sekunden schien es, als würden die Wandungen durchsichtig. Mario fühlte sich von einem unwiderstehlichen Sog gepackt. Er schritt taumelnd auf McLane zu und streckte seine Arme haltsuchend aus.
Der Commander spürte, daß ihm die Kontrolle über die ORION entglitt. »Geh zum Hyperspace über«, schrie Hasso Sigbjörnson. »Das habe ich längst versucht«, brüllte McLane zurück. Seine Hände lagen auf den Hebeln der Manuellsteuerung, aber sie erzielten keine Triebwerkswirkung. Die ORION befand sich in der Hand einer fremden Macht, und nichts schien sie daraus mehr retten zu können. Nemo van Huizen stürzte sich auf Cliff McLane. Er rüttelte ihn an der Schulter und rief ihm etwas zu, doch der Commander verstand ihn nicht. Die Instrumente, Geräte und Motoren dröhnten und kreischten, als seien sie von fremdartigem Leben erfüllt. »Verschwinden Sie, van Huizen«, rief Cliff. Er schleuderte den Politiker wütend zurück, doch dieser ließ sich nicht abweisen. Seine Hände krallten sich in die Arme des Kommandanten und rissen sie herum. »Hören Sie denn nicht, McLane? Das V'acora! Wo ist das V'acora?« Cliff McLane blickte van Huizen an, als sehe er ihn zum ersten Mal in seinem Leben. Seine Augen weiteten sich. »Das V'acora«, wiederholte van Huizen. »Warum setzen Sie es nicht ein? Worauf warten Sie denn noch?« Cliff McLane schüttelte den Staatssekretär ab und rannte zu Arlene, die sich an ihren Sitz klammerte. »Das V'acora«, rief er. »Schnell!« Arlene hielt das geheimnisvolle Gerät, das sie der Schlafenden Göttin abgenommen hatten, in den Händen. Sie reichte es dem Kommandanten. Dieser hantierte erregt daran herum.
Nemo van Huizen und Mario de Monti traten zu ihm. »Was soll der Blödsinn?« fragte der Kybernetiker mit sich überschlagender Stimme. »Diese verdammte Transmitterfalle kann doch gar nicht auf Impulse des V'acora ansprechen! Die Transmitterfalle ist ein Werkzeug des Rudraja, hast du das vergessen?« Cliff McLane wußte nicht, wie er das V'acora richtig bedienen mußte. Ihm blieb nichts anderes übrig, als daran herumzuprobieren. Plötzlich wurde es still. Die ORION IX glitt erschütterungsfrei durch den Raum. »Die Vesta«, rief Arlene. »Wir haben die Falle überwunden!« Das Raumschiff näherte sich dem Planetoiden mit hoher Geschwindigkeit. Es schnellte förmlich nach vorn, nachdem es sich aus dem Energiefeld befreit hatte. »Wir haben es tatsächlich geschafft«, sagte Nemo van Huizen keuchend. Er schien es nicht fassen zu können, daß er noch lebte. »Noch nicht«, widersprach Mario de Monti erregt. »Verdammt, wir rasen direkt in den Planetoiden hinein!« Tatsächlich flog die ORION IX mit viel zu hoher Geschwindigkeit auf die Vesta zu. Der Durchmesser des Planetoiden betrug fast 400 Kilometer. Wie eine gigantische Wand wuchs er vor dem Raumschiff auf. »Ausweichen«, rief Nemo van Huizen entsetzt. »Warum weichen Sie dem Planetoiden denn nicht aus?« »Seien Sie still, Sie verdammter Narr. Glauben Sie,
wir könnten hier im Weltraum Kurven fliegen wie im Luftraum der Erde?« Cliff McLane gab Gegenschub und trieb die Leistung der Triebwerke bis an die Grenze der Belastbarkeit hoch. Mario de Monti blickte aschfahl auf die Computeranzeigen. Seine Finger hämmerten neue Daten ein. Das Ergebnis kam in gleicher Sekunde. Er stöhnte auf. »Gute Nacht, Kinder«, sagte er mit gepreßter Stimme. »Es ist vorbei.« »Was soll das heißen?« fragte van Huizen. Hasso Sigbjörnson legte ihm die Hand auf die Schulter. »Unser Chefkybernetiker hat gerade errechnet, daß die Leistung der Triebwerke nicht ausreicht, die ORION IX rechtzeitig abzufangen. Gleich gibt es Schrott. Wir werden nämlich auf Vesta aufprallen.« »Auf eure Plätze«, befahl McLane. »Anschnallen!« »Das ist sinnlos«, widersprach Mario niedergeschlagen. »Der Aufprall wird zu hart sein. Wir haben keine Chance mehr.« Er blieb vor dem Computer stehen. »Bist du verrückt, Mario?« schrie McLane. »Anschnallen, habe ich gesagt!« Der Chefkybernetiker schüttelte den Kopf. Er schob die Hände in die Taschen seiner Hose. »Wozu?« fragte er. Nemo van Huizen blickte gehetzt von einem zum anderen. »Sie scherzen«, sagte er keuchend. »Sie wollen sich an mir rächen. Sie wollen mich hereinlegen.« »Ich wäre verdammt froh, wenn es so wäre«, antwortete Mario de Monti. »Aber verlassen Sie sich
darauf, dies ist ein ziemlich trauriger Witz.« Er drehte sich um und setzte sich in seinen Sessel. Die Gurte glitten lautlos aus den Halterungen und spannten sich um seinen Körper. »Sie hätten nicht an Bord kommen dürfen, van Huizen«, sagte er. »Nun haben wir nicht einmal einen Platz für Sie!« Endlich begriff der Politiker, daß Mario de Monti keinen billigen Scherz gemacht hatte. Die ORION IX flog in ihr Verderben. Nichts konnte sie noch vor der Vernichtung retten. Die Geschwindigkeit war zu hoch. Alle Energien, die der Kommandant in der Transmitterfalle freigemacht hatte, um die ORION zu retten, hatten sich schlagartig in Beschleunigung umgesetzt und das Raumschiff förmlich nach vorn katapultiert. Cliff McLane ließ die Hände sinken. Er konnte nichts mehr tun. »Legen Sie sich auf den Boden, van Huizen«, sagte er. »Vielleicht haben Sie noch eine kleine Chance.« »Wie hoch wird die Geschwindigkeit sein, wenn wir aufprallen?« fragte der Politiker. »Etwa vierhundert Stundenkilometer«, antwortete der Commander. »Uns fehlen genau vierundfünfzig Meter Bremsweg.« »Es muß doch noch eine Möglichkeit geben!« McLane schüttelte den Kopf. Sein Körper verkrampfte sich. »Es gibt keine mehr, van Huizen!« Noch einhundert Meter bis zur Oberfläche des Planetoiden. Nemo van Huizen stemmte seine Hände gegen das Instrumentenpult. Sein Mund öffnete sich, doch kein Ton kam über seine Lippen. Hasso
Sigbjörnson schlug die Hände vor das Gesicht. Arlene blickte zur Seite. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Mario de Monti senkte den Kopf. Seine Hände verkrampften sich ineinander. Cliff McLane schrie auf. Der Planetoid öffnete sich vor der ORION IX! In der zerklüfteten Felswand bildete sich mit unglaublicher Geschwindigkeit ein breiter Riß. Das Raumschiff schoß in diese Öffnung und gleichzeitig in eine Halle hinein. Die schmalen Seiten des Diskuskörpers berührten für Sekundenbruchteile die Seitenwände. Die Schiffszelle schien unter dem ungeheuren Druck zu zerbrechen. Das gepeinigte Material kreischte auf. Es schien, als würde das Raumschiff sich buchstäblich im letzten Moment überschlagen. Dann aber überwand die Computersteuerung die kritische Situation. Der Flug stabilisierte sich, und etwa drei Meter vor einer glatten und fugenlosen Metallwand kam die ORION IX zum Stehen. Cliff McLane schaltete das Triebwerk aus. Das Raumschiff verharrte auf der Stelle. »Mein Gott«, sagte van Huizen. »Das kann doch gar nicht wahr sein.« »Mir zittern die Knie«, gestand Mario de Monti. »Ich bleibe lieber hier im Sessel sitzen, denn stehen kann ich noch nicht.« »Wie ist so etwas möglich?« fragte Hasso Sigbjörnson stammelnd. »Damit konnte niemand rechnen.« Nemo van Huizen streckte Cliff McLane die Hand hin. »Ich glaube, es wird Zeit, daß wir Frieden miteinander schließen«, sagte er. Cliff McLane ergriff die Hand und schüttelte sie.
»Ich begrüße Sie unter den Lebenden, van Huizen«, entgegnete er, erleichtert lachend. »Nun haben Sie es einmal am eigenen Leibe erlebt, daß die ORIONCrew das Glück für sich gepachtet hat.« »Wir haben selbstverständlich alle gewußt, daß ein Wunder passieren würde«, behauptete Mario. »Ich habe wirklich gedacht, daß es vorbei ist«, sagte Arlene. Sie erhob sich aus ihrem Sessel, ging zu Cliff und schob ihre Hand unter seinen Arm. »Ich fühle mich unglaublich. Das Leben ist mir neu geschenkt worden.« »Wo sind wir eigentlich gelandet?« fragte Helga Legrelle. »Kann mir das mal jemand erklären?« Cliff McLane blickte auf den Hauptbildschirm. Arlene verstellte die Brennweiten der Beobachtungsoptiken. Die ORION IX schwebte in einer Halle, deren Wände glatt waren. »Dies ist eine Schleuse«, sagte der Commander. »Ist jemand anderer Meinung?« Niemand widersprach ihm. Tatsächlich sprach alles dafür, daß Cliff recht hatte. »Ich bin auch dieser Meinung«, entgegnete Nemo van Huizen nach einer Weile, in der alle nachdenklich auf die Bildschirme gesehen hatten. »Was könnte dies anderes sein als eine Schleuse für Raumschiffe?« »Das würde bedeuten, daß hinter dieser Wand, vor der die ORION IX gestoppt werden konnte, irgend etwas sein muß«, erklärte Cliff. »Da muß sich eine Geheimstation aus vergangener Zeit befinden.« »Hoffentlich ein Vermächtnis des Varunja«, bemerkte Mario de Monti. »Von den bösen Überraschungen des Rudraja habe ich allmählich die Nase voll.«
»Rudraja«, erwiderte Cliff McLane. »Mit den Vermächtnissen des Rudraja haben wir lange nichts mehr zu tun gehabt. Die Kuppel bei den Bimini-Inseln und die Raumschiffsfalle müssen Vermächtnisse des Varunja sein.« »Richtig«, stimmte Mario zu. »Wäre es nicht so, hätten wir mit dem V'acora überhaupt nichts ausrichten können.« Cliff McLane ging zu Helga Legrelle. Sekunden später erhellte sich das Bildgerät vor ihr, und das Gesicht Han Tsu-Gols erschien. »Sie haben es also wieder einmal geschafft, Cliff McLane«, sagte der Asiate. »Allerdings. Äußerst knapp. Wir befinden uns in der Vesta. Hier ist offensichtlich eine Geheimstation. Wir vermuten, daß es sich um ein Vermächtnis des Varunja handelt.« »Das V'acora hat Sie auf diesen Gedanken gebracht.« Cliff stutzte. »Das V'acora? Mich würde interessieren, wie Sie auf die Idee gekommen sind, das V'acora könnte eine positive Reaktion auf die Raumschiffsfalle haben.« »Ich muß Ihnen ein Geständnis machen, McLane«, erwiderte Han Tsu-Gol. »Beinahe wäre mir ein gefährlicher Irrtum unterlaufen. Ich habe TECOM entsprechende Fragen über das V'acora eingegeben und darauf die Antwort erhalten, daß das V'acora einen positiven Einfluß auf die Raumschiffsfalle haben müsse. Über die Falle wurde TECOM selbstverständlich ebenfalls informiert. TECOM erklärte, die Raumschiffsfalle sei mit achtundneunzig Prozent Wahrscheinlichkeit ein Instrument des Varunja.«
»Achtundneunzig Prozent?« fragte McLane überrascht. »Wie ist das möglich? TECOM kann gar nicht genügend Informationen haben, um eine so klare Auskunft geben zu können.« »Genau dieser Gedanke ist mir später auch gekommen«, antwortete Han Tsu-Gol. »Ich habe TECOM überprüfen lassen. Dabei wurde festgestellt, daß TECOM entsprechend manipuliert worden ist.« McLane war sprachlos vor Überraschung. Wenn TECOM manipuliert worden war, dann konnte das nur durch jemand geschehen sein, der bestens über das Varunja- und das Rudrajaproblem informiert war. Wer konnte das gewesen sein? Wer verbarg sich da im Hintergrund und zog seine Fäden? »Ich habe weitere Untersuchungen eingeleitet«, erklärte Han Tsu-Gol. »Wir können nur hoffen, daß sie zur restlosen Aufklärung der Vorfälle führen.« »Vielleicht können wir ein wenig über die uralten Geheimnisse herausfinden, wenn wir die VestaStation untersuchen«, sagte Cliff. »Hoffentlich«, entgegnete der Asiate. Aus seiner sonst so beherrschten Stimme klang nicht sehr viel Zuversicht. Die Erkenntnis, daß ein neuer, gefährlicher Feind aus dem Nichts aufgetaucht war, hatte offensichtlich wie ein Schock gewirkt. ENDE