Felidae Version: v1.0
Es begann Anno Domini 1727. Nicht in Llandrinwyth, son dern an einem völlig anderen Ort und Mon...
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Felidae Version: v1.0
Es begann Anno Domini 1727. Nicht in Llandrinwyth, son dern an einem völlig anderen Ort und Monate früher. Dort nahm das Schicksal seinen Anfang. Mit einem Raub, der an Dreistigkeit schwer zu überbie ten war: Der magische Lilienkelch der Vampire wurde aus der Obhut des Kelchhüters gestohlen! Seine Diebin schuf damit viele dunkle Leben – nicht nur Creanna, Liliths Mutter. Die Spur jener rothaarigen Unbe kannten verlor sich aber im Hochland von Beinn Dearg. Zwei Kontinente und eine Insel waren unsichtbar mit einander verwoben, als das, was erstarrt schien, doch wie der in Fluß geriet. Es begann in …
Was bisher geschah Dort, wo Lilith geboren wurde, lassen die Sydney-Vampire von ihrer Firma »Salem Enterprises« ein Hochhaus errichten, dessen Fundament Weihwasser enthält. Hora II, der neue Führer der Sydney-Sippe, hetzt einen Killer-Vampir auf Li lith. Dieser wird jedoch von einem zweiten Blutsauger abgefangen und getötet. Liliths Retter stellt sich als Feyn vor, ein »Experiment« der rothaarigen Unbe kannten, die auch Liliths Mutter Creanna schuf. Feyn behauptet, wie Lilith ge gen sein Volk zu kämpfen, und nach und nach erlangt er ihr Vertrauen. Ge meinsam erforschen sie das Geheimnis um Salem Enterprises: Offenbar ver sucht man dort ein menschliches Gen zu isolieren, das es den Vampiren gestat tet soll, sich noch freier unter den Menschen zu bewegen: mit Schatten und Spiegelbild, ohne Aversion gegen christliche Symbole! Inzwischen hat Duncan Luther ein seltsames »Hobby« entwickelt: Er interes siert sich für Mesopotamien, den heutigen Irak, weiß aber nicht, warum. Schließlich hat er in einem Spiegel eine Vision. Eine gleißende Lichtgestalt ruft ihn – aber wohin? Als Lilith eines Tages heimkehrt, ist er verschwunden. Und Feyn läßt seine Maske fallen. Er hat sich Liliths Vertrauen erschlichen, um sie zu töten! Sein Körper ist von tätowierten Fratzen überzogen, den Ge sichtern seiner vampirischen Opfer, deren Kraft er in sich aufnahm! Beim fol genden Kampf verletzt er Lilith und den Symbionten schwer, doch dann kann Lilith seine Kraft gegen ihn selbst wenden, und er wird von seinen Tätowierun gen aufgefressen. Lilith taumelt schwerverletzt in die Nacht hinaus. Ohnmäch tig wird sie gefunden und in eine Klinik eingeliefert. Der dortige Chefarzt, Dr. Romano, erkennt ihre Fähigkeiten, und er macht Li lith zu einem Forschungsobjekt für sich und vier Kollegen. Sie lösen den Sym bionten von Liliths Haut und trennen ein Stück ab. Zwar kann Lilith schließlich entkommen und auch den Symbionten befreien, doch von dem fehlenden Teil weiß sie nichts. Ihre Peiniger kommen ums Leben. Kurz vor seinem Tod trinkt Dr. Romano eine Blutprobe Liliths. Als er wieder »erwacht«, zieht es ihn mit Macht nach Uruk ins ehemalige Mesopotamien …
Die Hauptpersonen des Romans Lilith Eden – Tochter eines Menschen und der Vampirin Creanna, dazu ge zeugt, eine geheimnisvolle Bestimmung zu erfüllen. Für 98 Jahre lag sie schla fend in einem lebenden Haus in Sydney, doch sie ist zu früh erwacht – die Zeit ist noch nicht reif. Sie muß gegen die Vampire kämpfen, die in ihr einen Ba stard sehen, bis sich ihre Bestimmung erfüllt. Dabei hilft ihr ein Symbiont. Der Symbiont – ein geheimnisvolles Wesen, das Lilith als Kleid dient, ob wohl es fast jede Form annehmen kann. Einst gehörte es Creanna und wurde von ihr an Lilith weitergereicht. Der Symbiont ernährt sich von schwarzem Vampirblut und verläßt seine Wirtin bis zu deren Tod nie mehr. Landru – Mächtigster der alten Vampire und der Mörder von Liliths Vater. Seit 267 Jahren jagt er dem verlorenen Lilienkelch nach, dem Unheiligtum der Vampire, ohne den es keinen Nachwuchs geben kann. Landru scheint irgendei ne Schuld auf sich geladen zu haben – welche, ist noch unklar. Duncan Luther – ehemaliger Priesteranwärter mit bewegter Vergangenheit. Er lernt Lilith kennen, verliebt sich in sie, wird in Indien von Vampiren getötet und taucht plötzlich und ohne Erinnerung wieder auf. Beth MacKinsey – Journalistin bei einer Sydneyer Zeitung. Beth kennt Liliths wahre Identität – und hat sich, gleichgeschlechtlich veranlagt, in die Halbvam pirin verliebt. Dies wurde jedoch durch die Nachwirkungen einer magischen Pest mittlerweile ins Gegenteil verkehrt: Unter deren Einfluß hat sie sich mit Landru gegen Lilith verbündet. Die Dienerkreaturen – Tötet ein Vampir einen Menschen mit seinem Biß, wird dieser kein vollwertiger Blutsauger, sondern eine Kreatur, die dem Vampir be dingungslos gehorcht. Seinerseits kann eine Dienerkreatur den Vampirkeim nicht weitergeben, benötigt aber Blut zum (ewigen) Leben und wird – anders als die Ur-Vampire – mit zunehmendem Alter immer lichtempfindlicher.
Afrika Zum erstenmal in seinem Leben bedauerte Tahir die Heiligkeit des Gastrechts. Er hatte Angst, und diese Angst drängte ihn, dem hell häutigen Fremden die Kehle durchzuschneiden – bevor dieser es bei ihm tat! Die Sonne war längst am Rand der Wüste versunken, aber noch immer rieben Tahirs überanstrengte Augen in ihren Höhlen wie sta chelige Kastanien. Das Zischen der Emaillekanne neben dem Feuer und der Atem des Hirten waren die einzigen Geräusche in der Stille. Von dem athletischen Fremden war nichts zu hören. Er schien überhaupt nicht zu atmen. Tahir beobachtete ihn im Schein der Flammen und konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, ebenfalls belauert zu werden. Gegen Mittag des zurückliegenden Tages hatten sie einander ge troffen. Der Fremde hatte ihn in gebrochenem Arabisch gebeten, ihm den genauen Weg zur freigegrabenen Stätte des einstigen Uruk zu weisen. Obwohl der dortige Boden kaum Nahrung für seine Herde bot, hatte der Hirte einen kleinen Umweg in Kauf genommen, und ge gen Abend waren sie hier eingetroffen. Die freigelegten Reste der altbabylonischen Stadt, wo immer noch gegraben und gesucht wur de, lagen in Sichtweite. Aber sie kampierten abseits, im Schatten ei nes Felsklotzes, von dem Tahir sich nicht vorstellen konnte, daß sich je ein Mensch die Mühe gemacht hatte, ihn zu ersteigen. Es gab kei ne sichtbaren Pfade, nur steile, scharf zerklüftete Wände, die auch den geübtesten Kletterer vor Probleme gestellt hätten. »Was suchst du hier?« hatte Tahir höflich gefragt, weil der Fremde ihm zu dem Zeitpunkt noch mehr närrisch als unheimlich erschie
nen war. »Die Erfüllung«, hatte der Fremde geantwortet. Seitdem war keine vernünftige Unterhaltung mehr zustande ge kommen. Der Fremde, der auch Gast war, sich aber nicht wie ein solcher zu benehmen wußte, hatte den gekochten Ginstertee ausge schlagen. Er hatte weder gegessen noch getrunken, sondern immer nur auf den schroffen Berg gestarrt. Er tat es auch jetzt noch, wäh rend das Feuer kleiner und die Sterne am Himmelszelt hellfunkeln der wurden. Tahir überlegte, ob er einen Vorwand suchen sollte, um noch wäh rend der Nacht mit der Herde weiterzuziehen. Ein Araber hätte es ihm nicht verziehen, aber dieser Fremde schien an den Sitten des Landes weder interessiert noch in ihnen bewandert zu sein. Tahir räusperte sich leise. Aber dann brachte er den Satz doch nicht über die Lippen. Statt dessen legte er sich auf seiner Decke zu rück und schloß die Augen bis auf einen Spalt, durch den er den Fremden weiterhin im Auge behalten konnte. Obwohl müde, wagte er keinen Schlaf. Er hielt es tatsächlich für möglich, nicht mehr daraus zu erwachen. Der Fremde zeigte keinerlei Aggression. Dennoch haftete ihm et was an, was in Tahir Furcht, ja Hysterie entfachte. Sein Herz klopfte wie noch nie. Seine Eingeweide schienen sich verknotet zu haben, und dieser Knoten zog sich immer enger zu sammen. Wieder dachte Tahir ans Töten. Es war um so erstaunlicher, da er noch nie einem Menschen etwas zuleide getan hatte. Aber er wußte vom Schlachten her mit dem Messer umzugehen … Um ein Haar entfloh seinen Lippen ein Seufzer, als sich der Frem de – wohl in der Annahme, Tahir schliefe bereits – geschmeidig er hob und sich, statt wie befürchtet anzugreifen, lautlosen Schrittes
von ihm entfernte. Im Laufen schälte er sich aus seinen Kleidern. Und während er auf die steile Felswand zustrebte, enthüllte das kalte Licht der Sterne Entsetzliches: Der Hirte hatte noch nie solche Wunden gesehen. Stel lenweise sah es aus, als hätten die Pranken eines Tieres erbarmungs los ganze Stücke aus dem Fleisch gerissen. Das Gewebe dort sah nicht wirklich verheilt und vernarbt aus, nur geschlossen. Etwas ver hinderte lediglich, daß Blut austreten konnte … Aber im nächsten Moment war Tahir nicht einmal mehr sicher, daß dieses Wesen noch von diesem Saft besaß. Was dann geschah, bestärkte Tahir endgültig in der Überzeugung, keinem normalen Menschen, sondern einer undurchschaubaren Prüfung Allahs begegnet zu sein. Mit einer Behändigkeit, wie der Hirte es noch bei niemandem be obachtet hatte, erklomm der Fremde den zerklüfteten Fels. Mit nack ten Fingern krallte er sich im Stein fest, zog sich in atemberauben dem Tempo an der fast senkrechten Flanke empor und entschwand oben auf dem Plateau Tahirs Blicken! Tahir haderte nicht länger. Eilig raffte er seine Habseligkeiten zu sammen und floh mit Dromedar und Herde durch die kalte Wüsten nacht. Die Rückkehr des Unheimlichen wollte er nicht abwarten.
* Er schwitzte nicht einmal, als er das Hochplateau erreichte. Aus auf geschürften Hautstellen drang kein Tropfen Blut. Aber er war nicht in der Lage, den Unterschied zwischen Heilung und einfachem Schließen auch dieser neuen Wunden zu begreifen. Er war ein be
wegter Toter, mehr nicht, und das Programm in ihm sah nicht vor, sich Gedanken über sein Tun zu machen. Ohne Aufenthalt fand er den Einstieg zur Höhle. Er mußte einen schweren Steinbrocken zur Seite rollen. Dann lag der Spalt frei. Der Tote stieg hinab. Er sah im Dunkeln wie bei Tag. Als er die staubbedeckte Stätte erreichte, ging er auf die Knie und begann das, was sich unter der Schmutzschicht befand, freizulegen. Es war eine Gravur. Ein Symbol, aus dem er neue Kraft zog. Nackt kauerte er im Kreis, den der stilisierte Schuppenleib formte, und wartete geduldig darauf, daß die Schlange im Fels – die Schlan ge ohne Anfang oder Ende, aber mit zwei Köpfen – ihn mit ihrem Biß willkommen hieß.
* Zur gleichen Zeit im schottischen Hochland Mit einem Schrei fuhr Flint Drummond in stürmischer Nacht aus dem Schlaf. Äste schabten gegen Fensterglas und Außenwand. Aber das waren gewohnte Geräusche. Davon war er nicht wach gewor den. Seine Hand stieß zum Hals. Neben ihm erwachte auch Marge und knipste die Nachttischlam pe an. Bleich und verstört setzte sie sich auf. Drummond erstickte den Schrei, der ihn selbst erschreckte. Sein Herz raste, und Schweißtropfen glitzerten auf seiner Oberlippe. Im Gegensatz zu Marge war ihm die Röte ins Gesicht geschossen. Stöhnend quetschte er durch Zähne und Lippen: »Hölle, tut das weh
…!« Seine Frau konnte nach fünfzehn Ehejahren wohl erkennen, wann sich Flint Drummond in gelegentlichen hypochondrischen Anwand lungen erging. Doch danach klang es hier nicht. Es klang im Gegen teil … ernst. »Wo, Flint?« fragte sie deshalb mit schwerfälliger Zunge. Er kratzte sich am Hals, als läge dort die Antwort. In seinen Augen leuchtete immer noch das Echo anhaltenden Schmerzes. »Sag du’s mir!« keuchte er. »Sag, was du – siehst …!« In seiner Verwirrung preßte er jedoch die Hand gegen die Stelle, von wo die Schmerzen offenbar kamen. Marge mußte grob werden, um die Finger wegzuschieben. Dann aber sah sie es: Das »Wahrzeichen« aller gebürtigen Drummonds glomm wie eine entzündete Wunde. »Hör sofort auf zu kratzen!« Sie konnte nicht mitansehen, wie er die beiden Muttermale schon wieder malträtieren wollte. Gleichzeitig mit Marges Befehlston öffnete sich die Schlafzimmer tür. Ein vierjähriges Mädchen, kaum weniger verstört als sein Vater, streckte den hennafarbenen Lockenschopf herein. An seine Brust ge preßt hielt es einen nicht mehr ganz neuen, nicht mehr ganz saube ren und wohl auch nicht mehr vollständigen Teddy. »Mum …?« »Schon gut, Kleines.« Marge Drummond zauberte ein routiniertes Mutterlächeln auf ihre früh verhärmten Züge. »Es ist nichts. Dad hat schlecht geträumt …« Das war nicht einmal die halbe Wahrheit. Aber Lyve schien es für den Moment zu genügen. Brav machte sie die Tür wieder von drau ßen zu, und wenn man genau hinhörte, konnte man die sich entfer nenden Schrittchen ihrer nackten Füße verfolgen, bis sich draußen eine weitere Tür schloß.
»Ich habe nicht schlecht geträumt«, brummte Drummond. Dabei wußte er nicht, warum er es leugnete. Er hatte geträumt. Von einer steinernen Schlange, die aus einem Symbol im Fels hochgezuckt war und ihn gebissen hatte. In den Hals! »Wollen wir darüber streiten?« entgegnete Marge unleidlich. »Nein.« Sie stand auf. »Ich hole Jod und ein Pflaster. Morgen gehst du zu Flanagan – der Quacksalber soll die Whiskyflasche ins Eck stellen und sich die Sache ansehen. Vielleicht hat dich eine Zecke gebissen …« Zwischenzeitlich hatte Drummond einen Handspiegel aus dem Nachttisch gezogen und begutachtete die vermeintliche Entzün dung nun selbst. »So ein Quatsch!« erboste er sich. »Zecken! Das Biest müßtest du mir zeigen, das zufällig gleich in beide Punkte beißt!« Sie war es überdrüssig, zu streiten, und ging wortlos ins Bad. Als sie nach einer halben Minute zurückkehrte, wollte sie ihren Augen nicht trauen. Ihr Mann hatte die kurze Zeit genutzt, um in die Kleider zu schlüpfen, die er am Abend unordentlich über den Stuhl gelegt hatte. »He!« Marges Hände, die Jodtinktur in der einen, die Rolle Pflaster und eine Schere in der anderen, erstarrten in Verblüffung. »Schnappst du jetzt völlig –« »Ich muß raus!« unterbrach er sie. »An die frische Luft. Leg du dich wieder hin. Ich versuche leise zu sein und niemanden zu we cken, wenn ich zurückkomme …« Er streifte seine Schirmmütze über das schüttere Haar und setzte sich auf den abgeräumten Stuhl, um in die fehlenden Schuhe zu schlüpfen. Marge überlegte angestrengt, verwarf aber ein halbes Dutzend möglicher Erwiderungen. Keine wurde annähernd dem grotesken
Vorgang gerecht. So kam es, daß sie sprachlos mit ansah, wie ihr Mann zuerst das Zimmer und kurz darauf das Haus verließ. Erst das Motorenge räusch des klapprigen Wagens beseitigte die Lähmung, aber als sie endlich ans Fenster trat, sah sie das Auto nur noch vom Hof rollen. Vollends undurchsichtig wurde das Verhalten ihres Mannes, als er nicht den erwarteten Weg hinunter zur Stadt einschlug, sondern das Licht der Scheinwerfer in die entgegengesetzte Richtung, in die noch tiefere und stürmischere Nacht der Berge, zu kriechen begann …
* Die Ruine lag wie eingefroren in der winddurchtosten Nacht. Nichts konnte sie, wie etwa den umgebenden Grasteppich oder die ver krüppelten Büsche und Bäume, bewegen. Wo Stein auf Stein geblie ben war, schien sich die Ewigkeit ein Monument gesetzt zu haben. Doch das täuschte. Flint Drummond wußte es besser. In spätestens ein oder zwei Generationen würden auch die letzten Reste der alten Abtei dem Erdboden gleichgemacht oder zweckentfremdet sein. Dies war kein Denkmal, wo sich Touristen breitmachten – das war es nie gewesen. Hierher fanden keine Busse, keine Studienreisen den. Im Hochland von Beinn Dearg gab es besser erhaltene Stätten mit nachweisbarer Historie. Das hier – Drummond strich mit der Hand über die feuchtglän zende, windgeschliffene Außenmauer – war nicht mehr als ein Hau fen von schlechtem Mörtel zusammengehaltener Steine. In seiner Kindheit, vor etwa vierzig Jahren, hatte die Ruine noch besser erhal ten und eindrucksvoller gewirkt. Aber wer wollte die Farmer der Umgebung hindern, sich Steine für ihre Häuser und Wälle nicht al lein aus der Ackererde aufzulesen, sondern auch hier herauszubre
chen? Was tue ich hier? Der Wagen stand abseits am Rand eines Bewirtschaftungswegs. Das letzte Stück, eine knappe Viertelmeile, war Drummond gelau fen. Er schaltete die Taschenlampe ein. Gespenstig strich der Lichtbalken über das Gemäuer und fand bei nahe von selbst den Durchstieg ins Innere. Der Lichtkegel ging vor aus, Drummond folgte ihm. Er war sich nicht sicher, das Richtige zu tun. Und die Frage, warum er es tat, konnte er schon gar nicht beant worten. Das Mal an seinem Hals schmerzte immer noch. Zwei dunkle, leicht erhabene Punkte, daumenbreit auseinanderliegend. Muttermale, die, glaubte man der Familienhistorie, bei Flint Drummonds Urgroßvater begonnen hatten. Seither schien jeder Nachkomme damit gekennzeichnet zu sein. Normalerweise störte das Mal nicht. Normalerweise fahre oder marschiere ich um diese Zeit auch nicht durch die Nacht und besuche einsturzgefährdete Ruinen, dachte Drummond. Durch die Mauerlücken pfiff Wind von Sturmstärke. Drummond forschte in sich, welche Gefühle ihn bei seinem nachmitternächtli chen Ausflug bewegten. Was er fand, konnte er nicht erklären. Er staunlicherweise fragte er sich, was Marge wohl sagen würde, könn te sie ihn hier sehen. Oder Lyve, zu der er nach Jahren immer noch keinen rechten Draht gefunden hatte. Mit Kindern tat er sich schwer … Eine Weile bewegte er sich von einem Innenraum zum nächsten. Manchmal mußte er über Geröll hinwegsteigen, ein paarmal stolper te er und konnte gerade noch einen Sturz verhindern. Und immer wieder glaubte er Geräusche zu hören, die nicht vom Wind rühren
konnten. Kleingetier, dachte er. Dann bemerkte er genau dort, wo der Lampenstrahl gerade an ei ner runden, brunnentiefen, gähnenden Öffnung im Boden hing, einen mausähnlichen Schädel, der im nächsten Augenblick von dem zugehörigen Körper weitergeschoben und in die Luft katapultiert wurde. Eine Fledermaus stieß in die Höhe. So nah, daß Drummond fast von den Flügeln gestreift wurde. Es blieb bei diesem einen Exemplar. Drummonds Puls hatte sich um keinen einzigen Schlag beschleu nigt. Kühl, fast teilnahmslos hatte er den Vorfall hingenommen, der ihn normalerweise hätte zusammenschrecken lassen. WAS TUE ICH HIER? Er klemmte den Stab der Lampe zwischen die Zähne, verschwen dete einen kurzen Gedanken an den unangenehm metallischen Ge schmack, und stieg dann, die Beine voran, in das Loch im Boden. Ich muß verrückt sein! Zur Hölle, ich muß – Seine Schuhe fanden Halt. Er zog den Kopf ein, tauchte unter die Bodendecke und ließ die Lampe wieder in die eine Hand gleiten. Unter ihm befanden sich Stufen. Die Wände säumten den Einstieg in ein unterirdisches Gewölbe. Zum erstenmal meldeten sich Zweifel, die über einen oberflächli chen Gedanken hinausgingen. Flint Drummond war noch nie hier gewesen – hier unten. Und er konnte sich keinen Grund vorstellen, warum er gerade jetzt hier war. Er wollte nach Hause! Zurück ins Bett zu Marge. Zurück zu –
Er stieg hinab. Nicht einmal vorsichtig, obwohl auch die abge wetzten Stufen von der Feuchte der Nacht glatt geworden waren. Er brauchte höchstens eine Minute, um das Ende der Treppe zu er reichen, wo kein Staub im eigentlichen Sinn lag, nur Dreck, vom ein dringenden Regen hergespült. Etwas noch Merkwürdigeres, als das bloße Aufsuchen dieses Or tes es bereits bedeutete, geschah. Drummond ließ das Lampenlicht über den Steinboden geistern und hielt an bestimmter Stelle inne. Die Stelle unterschied sich nicht erkennbar von der umliegenden Fläche. Dennoch bückte sich Drummond dort und legte mit dem Fingernagel eine Ritze frei, die, als sie vollständig sichtbar war, eine rechteckige Form besaß. Schwieriger war es, die Platte herauszunehmen. Es kostete Flint Drummond einige Fingernägel und einen hohen Aufwand an Ge schicklichkeit. Er stellte fest, daß die Steinplatte nur hauchdünn war, nicht dicker als eine Münze, aber ziemlich schwer. Und stabil. Eine Steinplatte mit so geringer Stärke überhaupt herzustellen schien schon unmöglich. Noch vergeblicher hätte der Versuch sein müssen, ihr Stabilität zu verleihen. Beides war hier gelungen. Die Platte, etwa so lang wie Drummond groß, zerbrach auch nicht, als er sie ziemlich unsanft absetzte. Die offene Mulde im Boden war nicht tiefer als die Dicke der Plat te. Im Grunde hatte Drummond nur eine Zeichnung freigelegt: eine Schlange, die an beiden Enden des Leibes Köpfe mit aufgerissenen Rachen besaß und deren Leib einen fast geschlossenen Kreis formte, so daß sich die beiden Schlangenköpfe aggressiv anzufauchen schie nen … Die Schlange aus seinem Traum! Aber wie war das möglich?
Die Gravur im Boden war von ungewissen Schatten erfüllt. Drum monds forschende Finger fanden bestätigt, daß auch die Gravur her ausnehmbar war – Bestandteil einer zweiten, ebenso dünnen, ebenso stabilen Deckplatte! Er hob sie heraus. Darunter kam ein größerer Hohlraum zum Vorschein. Irgend et was befand sich darin. Drummond wollte gerade nach seiner Ta schenlampe greifen, als es heiß wie ein Stromschlag durch sein Hirn zuckte. Er vergaß die Lampe, beugte sich noch weiter hinab und berührte … es. Erneut züngelten Ströme durch sein zentrales Nervensystem und Rückenmark. Energien, die verborgene Kräfte in Drummond frei setzten und ihm erst ermöglichten, den bizarren Fund zu bergen. Daß das Mal an seinem Hals inzwischen wie eine frisch blutende Bißwunde aussah, wurde ihm nicht bewußt. Auch nicht, daß ein paar Tropfen seines Blutes auf die dunkle, harte Schale fielen, nach der er fest entschlossen griff.
* Lyve Drummond träumte, ihr Teddy würde ihr in den Hals beißen und alles Blut trinken, was ihre Adern hergaben. Das Mädchen war wie gelähmt. Die Angst legte einen eisernen Harnisch um ihren Körper. Sie wagte nicht einmal zu schreien. Denn auch nach dem Erwachen wich das Gefühl, bestohlen zu werden, nicht von ihr. Der Stoffteddy lag mit seiner Schnauze in der Kuhle zwischen Ly ves Schulter und Kopf. Es kostete das Kind alle Überwindung, die
Starre zu überwinden und Willy von dort wegzuschubsen. Danach fühlte sich die Stelle, wo sich seine Schnauze eingedrückt hatte, wie taub an. Lyve bekam immer größere Angst. Die Dunkelheit, vor der sie sich bisher nie gefürchtet hatte, schien plötzlich wie ein Eimer schwarze Tinte auf sie niederzustürzen. (Tinte oder … schwarzes Blut …) »Mum …«, krächzte das Mädchen. »Mum …?« Ganz leise kam der Ruf. Ihre Mutter würde ihn nicht hören. Aber irgendwie erinnerte er Lyve daran, wie ihr Vater einige Zeit zuvor geschrien hatte … Sie setzte sich auf, und ein kurzer Schwindel griff nach ihr. Das Buch, in dem sie vor dem Schlafengehen geblättert hatte, plumpste zu Boden. Die Nachttischlampe streute ungewisses Licht in den Raum. Es genügte, Lyve erkennen zu lassen, daß Willys dunkle Schnauze naß glänzte. In ihrer Brust krümmte sich etwas, von dem sie nicht wußte, was es war. Als sie aus dem Bett schwang und die Füße auf den Boden stellte, glaubte sie im ersten Moment nicht, daß es ihr gelänge, auf zustehen. Minutenlang saß sie da. Ihr Blick versuchte sich an der Uhr festzu halten. Sie kannte schon die Bedeutung des kleinen und des großen Zeigers auf dem Zifferblatt. Es war fast Morgen. Draußen wurde es schon hell, und dann glaubte sie, das vertraute Geräusch des elterli chen Autos zu hören. Sie hatte ihren Vater vorhin wegfahren hören, bevor sie wieder tief und fest eingeschlafen war. Sie stemmte sich vom Boden ab und versuchte auf die Beine zu kommen. Sie zitterte. Sie setzte sich wieder.
Von draußen klang Türenschlagen in ihr Zimmer. Dann hörte sie Schritte im Flur. »Mum …«, krächzte sie wieder. »Dad …« Immer wenn sie ihren Vater sah, spürte sie eine Grenze in sich, die sie nicht überschreiten konnte. Und ihm schien es genauso zu ge hen. Lyve hatte sich oft gewünscht, in einer richtigen Familie zu le ben. Sie glaubte nicht, daß ihre Eltern einander liebten. Sie glaubte nicht, daß ihr Vater sie liebte … »Dad …!« Sie hörte, daß er beschäftigt war. Seine Schritte klangen schwerer als sonst, aber dann – nach einer Weile – wurde es wieder vollkom men still. Von Lyves Mutter war in all der Zeit nichts zu hören gewesen. Gar nichts. Lyve versuchte noch einmal aufzustehen. Diesmal gelang es ihr.
* Marge Drummond schlug die Augen auf. Graues Licht strömte ins Zimmer. Dumpf glaubte sie sich an ein polterndes Geräusch zu erin nern. War sie davon wach geworden? War Flint heimgekommen? Das Bett neben ihr war noch verlassen. Sie stand auf und ging zum Fenster. Als sie den Vorhang zurück schob, sah sie den Wagen im Hof. Er parkte nicht an gewohnter Stel le, sondern direkt vor der Haustür. Der Kofferraumdeckel stand of fen.
Von Marges Mann war nichts zu sehen, aber nun war sie sicher, von ihm geweckt worden zu sein. Zugleich irritierte sie jedoch die Atmosphäre, die nicht nur über der Landschaft, sondern auch über dem Cottage lastete. Wie hatte sie bei solcher Stimmung tief und fest schlafen können? Wo war Flint gewesen? Wäre er in die Stadt gefahren, hätte sie vermutet, daß er beim Doc vorbeigeschaut hatte – egal, wie spät es war. Das Mal an seinem Hals hatte wirklich besorgniserregend aus gesehen. Trotzdem hast du ihn gehen lassen. Du liebst ihn nicht! Sie haßte diese Stimme, die nichts tat, als die Wahrheit beim Na men zu nennen. Es war Marges größter Fehler gewesen, damals zu glauben, ein Kind könnte kitten, was nicht zu reparieren war. Eine Trennung wäre schon damals ehrlicher und sauberer gewesen. Jetzt schied diese Möglichkeit aus. Sie konnten Lyve nicht auch noch dies antun … Marge ging in ihrem zwei Nummern zu großen Nachthemd aus dem Zimmer. Geräusche und Licht lockten sie in die Küche. Marge war ein Jahr jünger als Flint, einundvierzig. Quasi auf den letzten Drücker hatte sie die Pille abgesetzt und es als »Unfall« hin gestellt, als die Schwangerschaft eingetreten war. Manchmal kam es ihr vor, als hätte Flint den Betrug von Anfang an durchschaut und lehne Lyve deshalb ab. Sie durchquerte das kurze Flurstück auf nackten Sohlen. Das win zige Fenster am Gangende schuf kaum Helle. Alle Fenster des Cotta ge waren klein. Zum Arbeiten mußte in der Küche meist auch tags über wenigstens eine Glühbirne brennen. Sie hörte Geräusche, die sie sich nicht erklären konnte. Arbeitete Flint? Woran? Doch ehe sie die Ungewißheit beseitigen und ihre Neugier befriedigen konnte, kam sie an Lyves Zimmer vorbei.
Und zögerte. Ein entsetzliches Gefühl überkam sie. Das Gefühl, nur die Tür aufmachen zu müssen, um ihre kleine Tochter tot daliegen zu sehen. Fröstelnd ging sie weiter. »Flint?« Er antwortete nicht, aber als sie durch den Türrahmen trat, stand er am Küchentisch. Marge wußte sofort,? daß etwas Entsetzliches geschehen war und ihr Leben nach diesem Moment der Erkenntnis nie wieder so sein würde wie früher. (Na und? Du hast ihn nie geliebt!) »Flint …!« Sie hielt sich in der Tür fest und starrte auf das Ding, das vor ihrem Mann auf dem Küchen tisch lag. »Wo hast du dieses gräßliche – Ding her …?« Es sah aus wie ein von einer gigantischen Raupe aus lackschwar zem, glänzendem Faden gesponnener Kokon, und wer wollte be schwören, daß seine Ähnlichkeit mit einem Sarkophag Zufall war? Flint stand davor und war damit beschäftigt, der dunklen, unge heuer hart wirkenden Schale zu Leibe zu rücken. Zu diesem Zweck hatte er ein ganzes Sortiment von Werkzeugen neben sich auf der Tischplatte aufgereiht. Als Marge ihn ansprach, blickte er auf. »Verschwinde!« fauchte er. Seine Stimme war fremd und kalt, und Marge hätte geschworen, daß sie nicht einmal einem Mann gehörte. Die Augen, mit denen er sie ansah, waren raubtiergelb. Marge drehte sich um und rannte mit einem erstickten Schrei zu Lyves Zimmer. Dort öffnete sich in diesem Moment die Tür, und ihre Tochter trat auf den Gang. Sie schien erneut von Geschrei er
wacht zu sein und wollte den Weg zur Küche einschlagen – viel leicht auch nur Trost in den Armen der Mutter suchen, die von dort kam. »Halt!« stoppte Marge den kleinen Körper. Dann war sie bei ihr und wollte … Die Blässe der Kinderhaut erschreckte Marge. Selbst Lyves Lippen schienen blutleerer als sonst. Grau wie der Morgen draußen … »Laß sie!« Es war nicht Flints Stimme, die sie wie in einem Bernsteinblock er starren ließ. Aber Flint stakste an ihr vorbei und stellte sich in absur der Beschützergeste vor Lyve. Er hielt ein Beil in der Hand und starrte Marge entschlossen an. Es war nicht seine Stimme gewesen, und es waren noch immer nicht seine Augen. »Flint …«, setzte sie an. Sein Blick machte sie stumm. Er hob die freie Hand und Wickelte Marges langes Haar darum. Lyve stand hinter ihm. Ihre Augen waren leer. Sie beobachtete, aber sie unternahm nichts. Gar nichts. Stiche brannten in Marges Brust. Sie war außerstande, gegen die Gewalt, die ihr angetan wurde, aufzubegehren. Sie wehrte sich nicht, als ihr Mann sie an den Haaren zurück in die Küche zerrte. Zu ihrer Hinrichtung. Aus den Augenwinkeln sah sie noch, wie besonnen er sich plötzlich bewegte. Wie besonnen er das Beil hob …
*
Ein anderes Land, anderes Blut … Sie folgte dem breiten Band der Straße. Nur der harte Schlag ihrer Schwingen trieb sie voran. Irgendwo vor ihr lagen die Lichter der Großstadt. Irgendwo hinter ihr jener alptraumhafte Ort, wohin man sie verschleppt und wo man an ihr experimentiert hatte! Liliths Flügel peitschten die nachtkühle Luft. Der Fledermauskör per vermittelte ihr dabei ein völlig irrationales Gefühl der Sicherheit. Möglich, daß man die Verfolgung tatsächlich nicht aufgenommen hatte, weil sich (noch) niemand vorstellen konnte, wer den Major überfallen und sein Blut getrunken hatte. Aber sicher fühlen konnte sie sich deshalb bestimmt nicht. Vor Lilith wuchs die Silhouette der Stadt heran, aus deren Schluchten sie jene Adresse herauspickte, die sie vor drei Tagen zu letzt besucht hatte. Die schwarze Fledermaus war gegen die Dunkelheit der Neu mondnacht nicht zu erkennen, als sie flatternd aus dem Himmel nie dersank und auf einem buschgesäumten Rasenstück landete, das zwei Häuser voneinander trennte. Im nächsten Moment erhob sich an derselben Stelle die Gestalt einer jungen, schwarzmähnigen Frau. Der Symbiont machte die Verwandlung automatisch mit – doch etwas war anders als sonst. Liliths Hand strich über den Stoff auf ih rem Leib, der jede Geschmeidigkeit verloren zu haben schien. Es war, als würde sie einen Toten streicheln. Ruckartig zog sie die Hand zurück. Der Gedanke, einen weiteren Verbündeten verloren zu haben, machte ihr Angst. Was war ihr denn geblieben? Der letzte Freund, den sie schon vor den Geschehnissen in der St.
Margarete’s Clinic verloren hatte, war Duncan Luther gewesen. Ob wohl bei ihm bis zuletzt fraglich geblieben war, ob sie ihn noch als Freund einschätzen durfte. Oder wenigstens als lebendig … Alle Fäden, die mit Duncans Rückkehr verknüpft waren, führten zu Landru. Und dieser immer noch völlig undurchsichtige Charak ter vergab normalerweise keine Geschenke an seine Feinde. Höchstens trojanische Pferde, dachte Lilith, in Dingen bewandert, die ihr selbst häufig fremd erschienen – bis zu dem Moment, da ihr Hirn den Gedanken formte. Der Vergleich zwischen Duncan und einem trojanischen Pferd schien so abwegig nicht. Daß er sich dann aber mit dem Rest ihres Geldes und diversen Wertsachen aus dem Staub gemacht hatte, wi dersprach wiederum dem zuvor gehegten Verdacht. Und Beth? Einmal mehr hatte Lilith das scheußliche Gefühl, allen, die mit ihr zusammentrafen, nichts als Unglück und Verderben zu bringen. Beth war von einer Ratte gebissen worden, die Überträger einer magischen Pest gewesen war. Zwar konnte Lilith den Urheber der Pest – und damit auch die Seuche selbst – eliminieren, doch eine Nachwirkung war geblieben. Beth’ Gefühlswelt war auf den Kopf gestellt. Was sie zuvor geliebt hatte, haßte sie nun, und was bislang nur Aversion hervorgerufen hatte, lag plötzlich ganz auf ihrer Linie. Lilith hatte sie geliebt. Nun nicht mehr. Eine vage Hoffnung gab es noch. Alle weiteren Opfer der magi schen Pest waren mit der Zeit von selbst genesen. Alle bis auf Beth – obwohl (oder gerade weil?) Lilith ihr ein von Dr. Frans Stålheim entwickeltes Gegenserum injiziert hatte.
Der Erfolg war ausgeblieben, und auch die Hoffnung auf Selbst heilung schwand mit jedem Tag mehr. Lilith wußte nicht, was sie anderes unternehmen sollte, als zu warten. Sie bog den Zweig eines Eukalyptusstrauchs zur Seite und blickte hinüber zu dem Apartmenthaus, das friedlich im Schein einer Stra ßenlaterne dalag und in dessen drittem Stock ihre ehemalige Freun din schlief. Der Morgen graute am Horizont und tauchte den Himmel in zar tes Rotorange, als Lilith endlich den Schutz der Büsche verließ und langsam auf das Haus zuging. Und mit jedem Schritt wurde ihr mulmiger zumute …
* Schottland Der Tod war im Haus. Flint Drummond konnte ihn riechen. Er konnte ihn sehen. Und in manchen Momenten war er sicher, ihn auch zu hören. Der Tod steckte in einer harten Schale. Es war Drummond trotz größter Bemühungen nicht gelungen, ein Loch in den Kokon zu schlagen. Marges Leiche lag neben dem Tisch. Eine Lache hatte sich unter ihr gebildet. Die Stimmung, die das einsame Haus oben im Hochland be herrschte, war seltsam und schaurig zugleich. Obwohl Drummond wußte, was er getan hatte, empfand er kein echtes Grauen. Weit nä her an der Oberfläche seines Bewußtseins war die Neugierde ange
siedelt. Der Ehrgeiz, herauszufinden, was sich in dem Kokon ver barg, den er aus der Ruine hierher geschleift hatte. Es mußte etwas Niederträchtiges sein, das auch die Niedertracht in Drummond lockte und kitzelte. Er erinnerte sich genau, wie ge schmeichelt er sich gefühlt hatte, Marge töten zu dürfen. Und nach vollendeter Tat war es gewesen, als hätte ihm eine strenge Hand durchs Haar gefahren und ihn gelobt. Wie konnte er die störende Kruste beseitigen? Seine Blicke folgten dem Lauf der Fingerkuppen, die über die me tallisch harte, düster glänzende Schale tasteten. Drummond spürte pulsierendes Sein dahinter. Die Erkenntnis, wie der harte Mantel zu öffnen war, kam urplötz lich und scheinbar aus dem Nichts. Flint Drummond bückte sich. Sein Zeigefinger durchstieß die dün ne, geronnene Schicht über der Blutlache. Darunter fand sich noch Flüssiges. Er tauchte mit dem Finger hinein wie mit der Spitze eines Federkiels in ein Tintenfaß. Dann richtete er sich auf und malte mit dem Blut den Beginn einer Zeichnung, deren Idee einfach da war, auf die Schale. Dort, wo die Flüssigkeit den Kokon benetzte, glomm es in düsterer Röte. Drummond hörte nicht auf, bis das Symbol fertig war. Dann besah er sich die Darstellung einer Schlange mit jeweils einem Kopf an bei den Enden ihres gebogenen Leibs. Im Innern der Zeichnung veränderte sich die Beschaffenheit des festen Mantels fast augenblicklich. Drummond hatte das Gefühl, Zeuge zu werden, wie ein Stück schwarze Butter in brütender Hitze zerlief. Einfach wegschmolz. Zuerst bildete sich eine kleine Delle, dann warf die Oberfläche lautlos Blasen und brach schließlich kra terförmig nach unten weg. Eine Sekunde sah es aus, als wollte die Schwärze im Innern heraus
schwappen. Statt dessen breitete sich jedoch nur die Auflösung der Kruste nach allen Seiten wie ein Brand aus. Binnen einer einzigen Minute wurde die eisenharte Hülle von et was Unbegreiflichem zersetzt. Sie verschwand einfach. Und die Schwärze darunter blieb nur wenig länger stabil … Flint Drummond sah sich mit dem Phänomen konfrontiert, daß vor ihm auf dem Küchentisch plötzlich eine von Blicken nicht zu durchdringende »Nebelbank« schwebte. Er zog die Stirn in Falten und war versucht, die Hand hineinzutauchen. Etwas in ihm sehnte sich danach. Etwas anderes fürchtete sich. Diesmal vertraute er seiner Scheu. Wohl ahnend, daß das Verbor gene vielleicht keinerlei Blut verschmähte. Seine Spannung (Unge duld war der falsche Begriff) ähnelte jetzt der eines Delinquenten, der in mehrere Gewehrmündungen schaute und auf das unvermeid lich Kommende wartete. Er konnte dem, was zu seinem Schicksal geworden war, nicht aus weichen. Auch nicht, wenn er gewollt hätte. Was der dräuende Nebel dann aber freigab, verschlug Flint Drum mond den Atem. Kurzzeitig ließ es ihn sogar die eigene Barbarei vergessen, mit der er seine Frau getötet hatte. (Du hast sie nicht geliebt – nicht von heißem Herzen. Sonst hätte ES dich nie beherrschen können!) Vor ihm auf dem Tisch wurden die Kon turen einer Frau sichtbar. Eines Wahns von einem Weib, wie Drum mond auf dem vorläufigen Höhepunkt der grausamen Geschehnisse entschied. Irgendein schlummerndes Tier erwachte in ihm beim Anblick der hingegossenen Weiblichkeit. Irgendein Dämon, der schon an der Hinrichtung Marges beteiligt gewesen war und nun das Blut in Drummonds Adern zum Kochen brachte, obwohl es hätte gefrieren müssen!
»Aaaaah …!« seufzte das Weib. Ihre vollen Lippen vibrierten. Öffneten sich spaltweit. Entließen eine Zunge, die feucht über die Lippen glitt. Dann öffneten sich die Augenlider. Flint Drummond starrte in schwefelgelbe Pupillen – und wußte nicht, daß seine eigenen Augen ebenso aussahen. »Aaaaah …!« wiederholte sich das Seufzen. Ihr dichtes, gelocktes Haar schimmerte wie geheimnisvolle Mor genröte. Sie war nicht nackt. Ihre weichen, üppigen Formen wurden von einem Geflecht aus Lederriemen umspannt, die mit Metallrin gen verbunden waren. Ihre Brüste wirkten selbst im Liegen prall und herausfordernd. Über das unschuldsvolle Gesicht dieses Satans in Engelsgestalt schmiegten sich Riemen, die ein X bildeten. Rechts und links von der Schnittstelle beider Bahnen leuchteten die Augen, die Flint Drummond warm, lüstern und bedrohlich zugleich taxier ten. Der dritte Seufzer in Folge rollte von der Zunge dieser Erschei nung, die nun wie am Ende unbegreiflicher Verpuppung vor Drum mond lag. Die ihn ansah. Lächelte. Und lächelnd mehr von Marges Blut erbat. Auch danach, von dem roten Saft benetzt, sah sie noch rein und wunderschön aus. Nur Taten und Augen paßten nicht ins Un schuldsbild. Langsam richtete sie sich auf. Auf ihrem flachen Bauch zeichnete sich kein Muskel ab, in ihrem Gesicht keine Anstrengung. Aufrecht und stolz saß sie vor Drum mond. Ihr Busen nahm noch verlockendere Form hinter den Riemen an. Fast sprengte pralle Weiblichkeit die Fesseln.
Annähernd zufrieden ruhte dann ihr gelber Raubtierblick auf Drummonds Hals und gab ihm das Gefühl, das Mal dort würde mit flüssigem Wachs beträufelt. Es störte ihn, aber er konnte nichts daran ändern. »Du bist nicht der, den ich kannte«, sagte die Ungeheuerliche (das Ungeheuer!) in diesem Moment. »Wieviel Zeit ist verstrichen?« Eine Antwort fiel ihm schwer.
* Sydney Es war wie ein Traum, an dessen Erfüllung sie schon nicht mehr ge glaubt hatte … »Lilith? Um Himmels willen – was ist passiert? Du siehst aus, als –« Beth’ Stimme verstummte. Ein Gefühl warmer Zuneigung durchströmte Lilith. Die Dunkel heit, in die sie selbst sich vor Minuten noch gehüllt hatte, wich. Sie blickte in Beth’ Gesicht, und es blickte offen und voller Freude zurück. Das Zimmer hinter der Wohnungstür war fast leer, die Tapete im mer noch schrecklich. Aber das Gesicht über ihr gehörte Macbeth. Nicht Elisabeth MacKinsay, der Unnahbaren! Zuerst konnte Lilith es nicht glauben. Sie wollte es – aber die Erfah rungen der letzten Wochen hatten ihren Wunderglauben erheblich eingedämmt. Doch Gesten und Worte ließen keinen Zweifel: Stålheims Serum
oder einfach die Zeit hatten Beth – und damit auch Lilith – von dem entsetzlichen Trauma befreit, das ihre Freundschaft zunichte ge macht hatte. Die Macht des magischen Virus war erloschen! »Ich bin so froh, dich zu sehen! Ich dachte schon … ich hätte es endgültig geschafft …« »Geschafft?« echote Lilith. Sie versuchte nicht an das zu denken, was sie vor ihrer Ankunft hier getan hatte. »Dich zu vergraulen …« Die blonde Reporterin lächelte. Es wirkte wie von einem Druck befreit. »Wo ist deine Brille?« fragte Lilith. »Weg.« »Wo sind deine Möbel?« »Ein paar Freaks haben sie abgeholt. Zwei Stunden nach einem Aushang im College.« Lilith atmete durch. »Und dein … Haß?« Macbeth trat auf sie zu und nahm sie in die Arme. Sie duftete wie früher. Sie sah aus wie früher. Und auch von ihrer schrill entstellten Wohnung war kaum noch etwas geblieben. »Wann hast du es gemerkt?« Sie standen Wange an Wange. Lilith genoß die spannungsfreie Nähe. Sie hatte nicht gewußt, was es hieß, heimzukommen. Sie hatte nie damit gerechnet, daß wenige perfekte Momente genügten, ausufernde Depression und Schwarzseherei in den Hades zu verbannen. »Kurz nachdem du gegangen warst. Vorgestern? Vor drei Tagen …?« Lilith zuckte die Achseln. Sie wußte es selbst nicht mehr so genau. Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor. Alles kam ihr vor wie die Erinne rung an ein Leben, das gar nicht sie selbst gelebt hatte.
»Sag: Was ist mit dir passiert?« fragte Beth erneut. »Du siehst … naja, verboten aus!« »So kraß?« »Ich versuche schon, es rücksichtsvoll zu formulieren. Jedem an deren würde ich den Spiegel vor die Nase halten.« »Oh …« Minutenlang schwiegen sie und vertieften die Umarmung. »Also, wo warst du? Ich habe so auf dich gewartet, nachdem … Du weißt schon!« Ein tiefer Blick in Beth’ Augen ließ Lilith die grün getönten Haft schalen erkennen. »Ich war in Schwierigkeiten. In die ich geriet, weil ich mich zeitweise an jeden Strohhalm klammerte, was Freundschaf ten anging …« Sie erzählte stichwortartig von Feyn, dem sie vertraut hatte, bis er sie an den Rand des Todes getrieben hatte. Und von dem, was sich nahtlos an dieses Erlebnis angeschlossen hatte. Beth schwieg. Dann sagte sie: »Es hört nie auf, nicht wahr?« »Nein. Nie. Zumindest nicht, bis das Ziel erreicht ist.« Beth fragte nicht, was sie damit meinte. Ihr war bekannt, daß Lilith alles tat, um die Vampire, die die Menschen knechteten, zu vernich ten. Ihre vorrangige Suche galt dem Lilienkelch. Daran hatte sich nichts geändert, auch wenn die Fährten, denen sie nachjagte, erkal tet schienen. Als Beth sich nach ihren Fortschritten in bezug auf den Kelch er kundigte, antwortete Lilith ausweichend. Bis Beth selbst den Bogen zu Duncan schlug. »Was ist aus ihm geworden?« »Er ist verschwunden. Kurz bevor Feyn sich selbst demaskierte. Und das paßt überhaupt nicht!«
»Was meinst du mit ›paßt nicht‹?« »Es gibt überhaupt keinen Zweifel, daß Landru hinter seiner Wie derkehr steckte.« Lilith schürzte die Lippen. »Seit ich ihn in Nonas Dunstkreis fand, gab es für mich kaum einen Zweifel, daß Duncan benutzt wurde.« Sie hielt inne, weil sie einen Schleier hinter Beth’ Augen zu erkennen glaubte. Doch dann fügte sie hinzu: »Landru gab sich keine Mühe, seinen Anteil an Duncans Rückkehr zu verber gen. Er schien es fast zu genießen, ihn mir vor die Nase gesetzt zu haben, ohne daß mir eine Möglichkeit blieb, ihn in die Wüste zu schicken. Aber all das war mit immensem Aufwand verbunden. Auch für Landru. Ich denke die ganze Zeit darüber nach, warum er Duncan wieder abberufen hat, bevor er seinen Zweck erfüllte.« »Welcher Zweck sollte das sein? Dich zu töten?« »Nein! Am Ende vielleicht – aber nicht vordergründig. Ich kann mir nur denken, daß er spionieren sollte. Was ich über das Objekt un serer gemeinsamen Begierde weiß. Landru sucht den Kelch schon viel länger als ich. Es würde zu ihm passen, daß er mich vor seinen Karren spannen wollte. Auch er scheint keine aktuelle Spur zu ver folgen …« Beth nickte schweigend. Nach einer Weile fragte sie: »Du hast auch keine Ahnung, wohin Duncan sich gewandt haben könnte – ich meine, falls Landru nicht hinter seinem Verschwinden steckt?« »Es ist sinnlos, darüber nachzugrübeln …« Lilith stockte. Die Ungereimtheiten in Duncans Verhalten wäh rend der Tage ihrer Wiederbegegnung fielen ihr ein. Er hatte alles gesammelt und gehortet, was er an Material über das alte Persien zusammenbekommen konnte. Er hatte in einer Gefahrensituation plötzlich in einer sehr alten, nie erlernten Sprache gesprochen. Die Begriffe »Uruk« und »Mesopotamien« waren mehrfach gefallen – je desmal hatte Duncan sich hinterher nicht mehr erinnern wollen oder
können, sie in den Mund genommen zu haben … So betrachtet erhielt sein Verschwinden eine zusätzliche mysteri öse Note. Aber Lilith scheute davor zurück, sich auch noch mit der Frage auseinanderzusetzen, welche Konsequenzen es hatte, wenn nicht Landru dahintersteckte, wie sie es von Anfang an vermutet hatte, sondern … WAS? »Hast du wenigstens dein Bett behalten?« flüchtete sie sich in das eher banale Wohnproblem. »Nur die Matratze.« Es sah nicht aus, als würde Macbeth scherzen. Aber so trostlos die Behausung im Moment auch wirken mochte, Lilith hätte die blonde, knabenhaft schlanke, wieder vor Tempera ment sprühende Person, die dicht an sie gedrängt dastand, knut schen können.
* Zwei Tage vorher »Hector Landers«, seufzte die haar- und brauenlose Vampirin. Sie saß aufrecht auf dem Bett und blätterte in Papieren, die so echt aus sahen, daß sie nur Fälschungen sein konnten. Landru ließ Henna gewähren, obwohl er sich seine Rückkehr nach Sydney anders vorgestellt hatte. Er bekam nicht den erhofften Kontakt! In Indien hatte Tanor ihn im Umgang mit dem Wiederbelebten un terwiesen. Sie hatten Lilith den in Delhi verstorbenen Freund zu
rückgegeben und an ihre Seite gestellt. »Mußtest du mir all meine Spielsachen nehmen?« hatte Henna ihm nach dem Massaker am Strand, im Affekt geschehen, vorgewor fen.* Die Antwort war er ihr bis jetzt schuldig geblieben. Weil er keine Antwort hatte. Es war passiert. Mit Miriam hatte es begonnen – aber aufgehört hatte der Blut rausch erst, als keiner aus Hennas »Clique« mehr am Leben gewe sen war. Der Strand hatte sich unter dem vielen vergeudeten Blut rot gefärbt. Mehr Mühe als das Töten hatte Landru die anschließen de Beseitigung der Spuren gemacht. Nun ruhten tief im Sand ein Dutzend Leichen. Er und Henna hatten das abgelegene Strandhaus eines der Getöteten aufgesucht und sich fürs erste hier eingerichtet. Henna war zugleich Landrus Informantin, was den Zustand der örtlichen Sippe anging. Die Vampirin hatte schöne, volle, dabei straffe Brüste, die jedoch nicht imstande waren, Landrus momentanes Begehren zu schüren. »Ich hätte nicht gedacht«, sagte sie und hielt ihm erneut den aufge schlagenen Ausweis vor Augen, »daß auch dir die Mittel fehlen, ein Konterfei zu erschaffen, das ein amtliches Dokument erst glaubwür dig erscheinen läßt …« Sie spielte auf das leere Kästchen an, das anstelle eines Paßfotos zu sehen war. Landru löste sich aus seinen Gedanken. »Du solltest deinen Augen nicht mehr trauen als meinen Möglichkeiten«, tadelte er vergleichs weise sanft. »Du bist kein Mensch, auch wenn du wie einer dieser Punks aussiehst …« Sein Blick schweifte zu dem goldenen Ring, der Hennas Bauchnabel zierte. »Sei versichert, daß menschliche Augen in diesem Kästchen sehen, was sie sehen sollen!« *siehe Vampira 21: »Tattoo«
»Magie?« vergewisserte sich Henna, offenbar bereit, ihm auch ohne Beweisführung zu glauben. »Was sonst?« Er klatschte in die Hände. Eine Geste seiner Unzufriedenheit. Mit sich selbst. Besonders aber mit Tonor, dessen lautere Absichten er anzuzweifeln begann. Der versprochene Kontakt war abgerissen, noch bevor er überhaupt zu stande kam! Landru hatte sich unmittelbar nach seiner Ankunft psychisch auf seinen Spion einlassen wollen. Aber der »Äther«, den er nach Tanors Weisungen absuchte, war leer gewesen. Wie war das möglich? Hatte seine Feindin den Schwindel nicht nur durchschaut, sondern auch unerwartete Konsequenzen daraus gezogen? Hatte sie sich des Rückkehrers aus dem Totenreich entledigt? Er mußte es herausfinden. Henna legte den Paß zu Landrus sonstigen Habseligkeiten zurück. Zu dem leeren Lederbeutel beispielsweise, in dem er seine jetzt un ter diesem Bett ausgestreute Heimaterde aufbewahrte. »Wohin willst du?« fragte sie, als er sich zur Tür wandte. Auch Henna glitt von der Matratze. Sie galt auch unter Vampiren als absonderliche Erscheinung. Anderenfalls hätte sich Landru auch kaum für sie interessiert. »Soll ich dich begleiten? Oder dir eine meiner präparierten Ratten mitgeben, damit du mich jederzeit erreichen kannst?« »Ich habe noch immer gefunden, wen ich finden wollte!« (Außer den Kelch!) »Übe dich in Geduld. Vielleicht bringe ich dir als kleine Aufmerksamkeit ein neues Spielzeug mit.«
* Am Morgen derselben Nacht Das Telefon summte. Beth MacKinsay streifte den Schlaf ab wie eine alte Haut. Zähne knirschend quälte sie sich aus dem Bett und wechselte ins Neben zimmer. Nicht vieles war ihr noch heilig. Schlaf schon. »Ja?« Stille. Aber die Leitung war offen. Sie hörte den Atem des anderen. »Bist du alleine?« fragte seine Stimme. »Ja …!« »Gut. Dann komme ich jetzt.« Landru schloß die Augen. Gefühle wollten ihm vorgaukeln, die Wände der Telefonzelle kämen auf ihn zu, um ihn zu zerquetschen. Obwohl sein Atem flach ging, explodierte pure Sinnlichkeit in ihm. Ein normaler Akt, wenn die Sucht erwachte. Die Gier nach dem einzigen Begleiter, der ihn nie verlassen hatte: BLUT. Das Elixier, aus dem die Seinen ihre Macht zogen … Er öffnete die Augen. Die Sonne hatte es noch nicht geschafft, draußen über dem Meer (wo Narren einst das Ende der Welt wähnten) den Horizont zu überwinden. Er verließ die Telefonzelle im Schatten einer sehr alten, sehr knor rigen Eiche – Sinnbild seiner narbenreichen Seele. Die Laternen, die den vorbeilaufenden Pfad säumten, waren nicht mehr als Tand für
den Vampir, der solche Lichter nicht brauchte. Die Nacht war sein Medium – mehr Heimat als irgendein Ort. Etwas, das er überwunden zu haben glaubte, hatte sich seiner be mächtigt. Nervosität. Irgendwo mußte der Tote, dem sie Pseudoleben eingehaucht hat ten, doch stecken! Vermutlich dort, wo auch sie steckte! In Windeseile begab er sich zu Beth MacKinsays Wohnung. Seine Verbündete. Die kurzhaarige Blondine, die ihn angenehm an Nona erinnerte, öffnete, als hätte sie hinter der Tür gewartet. In ihren Augen schäumte die Erwartung über. Die Frau ahnte nicht einmal, daß er schon bei ihrer ersten Begeg nung begonnen hatte, sie »abzurichten«. Zu domestizieren. Das ma gische Virus hatte es ihm erleichtert. Auch jetzt – quasi beiläufig – spulte er sein erprobtes Programm ab. »Ich freue mich«, sagte er. Und dachte verächtlich: Menschen! »Warum hast du mich dann so lange warten lassen …?« Er ignorierte den gelinden Vorwurf ebenso wie ihre offenbaren Sehnsüchte. An ihr vorbei glitt er in die Wohnung. Sie schloß die Tür und folgte. Sein Verhalten sollte sie in Zweifel stürzen. Er weidete sich an der offensichtlichen Zerrissenheit und setzte die Maske der Heiterkeit auf. Landrus Augen taxierten die Freundin der Feindin noch genauer. Ihre knabenhaft schlanke Figur wurde nur von einem seidigen Ne gligé verhüllt. Sie war zweifellos schön, obwohl ihr Busen und die Rundungen ihres Pos eher dezent ausgeprägt waren. Diese Zartheit mochte in Menschen Beschützerinstinkte wecken.
Bei Landru bewirkte sie anderes. Wenn in ihm überhaupt etwas er wachte, dann das Verlangen, die Möglichkeiten eines solchen Körpers zu erkunden. Was dies anging, war er verwöhnt. Nicht nur von Nona … »Unterhalten wir uns.« Er nahm auf dem Sofa Platz, das wie die Summe aller Geschmack losigkeiten in diesen vier Wänden erschien. »Reden?« Sie setzte sich neben ihn, winkelte ein Bein an den Kör per und das andere ab, so daß das Negligé nach oben rutschte und den Blick auf ihr blondes, kurzgeschorenes Schamhaar freigab. »Ich habe so auf dich gewartet. Bitte …« Sein Blick ließ sie verstummen. »Seit unserer letzten Begegnung ist viel geschehen«, begann er. Ihr Gehirn schien mehr als das normale Maß an Elektrizität zu er zeugen. Unbefriedigte Lust. Gequält sah sie zu ihm auf. Ihre Hände schlossen sich zu Fäusten. »Sie hat immer noch nicht aufgegeben – ich nehme an, es interes siert dich. Sie kommt immer wieder …« »Das hoffe ich! Wann war sie zuletzt hier?« wollte er wissen. »Gestern.« »Allein?« »Nein.« Sie schüttelte – wie in Erinnerung an etwas noch Uner freulicheres – den Kopf. »Leiche war bei ihr.« Ihre Verächtlichkeit amüsierte ihn, wenn auch nicht sehr. Sie konnte nur den Spion meinen, den er an Liliths Seite gestellt hatte. »Berichte ausführlich«, bezähmte er die eigene Ungeduld. »Erhiel test du ein … Medikament?« Beth MacKinsay stieß hervor: »Es war Gift. Es sollte mir die Au
gen, mit denen ich nie klarer sah und unterscheiden konnte, schlie ßen! Doch der Betrug scheiterte. Ich bin immer noch die, die ich sein will. Dein! Zweifelst du daran?« Wie zufällig legte sie ihre Hand auf seinen Oberschenkel. »Ich zweifelte nie«, versicherte Landru mit Gespür, wann die Zeit reif für »Zuckerbrot« und wann für »Peitsche« war, und beließ ihre Hand dort, wo sie war. Sie entspannte sich, wenn auch nur leicht. »Gut. Ich hatte schon befürchtet …« »Weiter«, unterbrach er sie. Beth bescheinigte ihm, daß auch Lilith noch keine neuen Hinweise auf den Verbleib des Lilienkelchs erhalten hatte, schränkte jedoch ein: »Aber ich weiß nicht, ob sie mir überhaupt noch soweit vertraut, daß sie es mir offen sagen würde …« Er nickte. Auch deshalb war er gekommen. Nachdem er ihr gesagt hatte, was er von ihr erwartete, damit sie Liliths Vertrauen wiedererlangte, schwieg sie verkniffen. »Es wäre der erfolgversprechendste Weg, sie für unsere Zwecke einzuspannen. Sie wartet nur darauf. Ich helfe dir dabei, überzeu gend zu sein.« »Sie würde mich sofort durchschauen. Ich könnte mich nicht so verstellen. Sie macht mich krank, wenn ich sie nur sehe. Ich …« »Vertrau mir!« »Ich müßte nicht nur sie überzeugen, sondern meine ganze Umge bung«, warf Beth ein. »Was Lilith im Privaten ist, ist mein ehemali ger Teampartner Moskowitz im Beruflichen. Ich ertrage diesen Trot tel nicht mehr. Irgendwann, vielleicht nicht in der ersten Minute, aber irgendwann, würde ich mich dazu hinreißen lassen, ihm ins Ge sicht zu schreien, was ich von ihm halte …«
Er gab sich nachdenklich. Dann unterbreitete er ihr ein Angebot, das sie nicht ablehnen konnte. »Ich will dich nicht überreden, aber Lilith Eden ist mir wichtig. Dieser Trottel – wie du ihn nennst – hingegen nicht. Eine Hand wäscht die andere. Komm mir entgegen, und ich komme dir entge gen!« »Was heißt das?« Er lächelte bizarr. Sie sog das Böse, das er freisetzte, in sich ein. Landrus Saat ging auf. Wie alles Verbotene, war der Gedanke an einen bestellten Mord nicht bloß erschreckend. Er war auch faszinierend. Wenn man geistig krank war …
* Gegenwart, Schottland Die Erweckte Sie war wach, noch bevor die äußere Schale des magischen Kokons endgültig barst. Wie ein hohler Gongschlag hallte das Signal aus der Wiege der Vampire durch ihr steinkaltes Hirn. Es weckte sie aus dem Jahrhundertschlaf. Die Kälte wich. Der Tod auch – wie schon damals bei ihrer Geburt. Zuvor hatte sie Stimmen gehört, die ihr Zuversicht gaben, daß die Linie der Wächter nie unterbrochen worden war. Wer sonst hätte sie
auch finden, wer sie erwecken sollen? ER, antwortete sie sich selbst. ER hätte es vermocht – wenn er mich aufgespürt hätte! Aber warum hätte er sie wecken sollen, statt im Schlaf zu töten? Sie kämpfte sich durch schwarzen Nebel, der in ihrem Körper zu versickern schien. Sie atmete die Dunkelheit. Als sie sich aufrichtete, stützten die Riemen ihren Leib – seit da mals hatte sich daran nichts geändert. Sie lauschte, ob das Leben auch in ihren Begleiter zurückgekehrt war. Sein schmeichelndes Wispern bestätigte dies. Auch von ihm fiel die Stasis ab. Sie sah sich um. Es war nicht schwer, sich zurechtzufinden in einem Haus, das sie von dem Tag kannte, als sie sich in die Obhut von Schlafes Bruder begeben hatte. Nur Details hatten sich verändert. Und die Menschen, deren Ähnlichkeit sie jedoch zweifelsfrei aus wiesen. Der Mann, der bei ihr stand, sah wie die etwas ältere Kopie jenes Mannes aus, den sie vor einem knappen Jahrhundert zum Begrün der eines Geschlechts gemacht hatte, das nach Ablauf der magischen Frist zur Stelle sein sollte, um sie aus dem Schrein zu bergen. »Bist du Finbarr Drummonds Sohn?« wandte sie sich an den vom Blut Besudelten, ohne vorläufig das abseits stehende, stille Kind zu beachten. Er war gefangen in seiner Bestimmung. Gehorsam erwiderte er, während das Mal an seinem Hals im Rhythmus der Worte zu pul sieren schien: »Nein, ich bin sein Enkel. Mein Großvater starb früh …« Es war ohne Bedeutung. Wichtig war nur, daß Finbarr die Kette
fortgeführt hatte, ehe er verschied. Sie blickte an sich herab. Auch sie war besprengt mit dem Blut der Toten, die neben dem Tisch lag und nur als Mutter des nächsten Ket tenglieds und Spenderin rituellen Blutes Berechtigung besessen hat te. »Wo kann ich mich säubern?« Er setzte sich wortlos in Bewegung. Sie überlegte, ob sie ihn zur Langsamkeit gemahnen sollte, weil das gestockte Blut in ihr erst wieder recht ins Strömen kommen mußte. Aber er bewegte sich wie an unsichtbaren Fäden, so daß sie sich zutraute, Schritt zu halten. Als sie gemeinsam durch die Tür der Küche schritten, hielt sie kurz inne. Ihre Hand legte sich auf das Haupt des schweigsamen Kindes, das offenbar beobachtet hatte, was sein Vater seiner Mutter antat. Keineswegs aus Barmherzigkeit raubte sie ihm die Erinne rung. Dieses Kind würde die Linie der Wächter fortführen, wenn es sich noch einmal als nötig erweisen sollte, sich in die Stasis zurück zuziehen. Aber das mochte der Kelch verhüten. »Wie heißt du?« »Lyve.« Das Kind sprach wie eine Schlafende, deren offene Augen trogen. »Geh in dein Zimmer, Lyve, und warte, bis dein Vater das Haus wieder in Ordnung gebracht hat. Ich selbst werde mich um die Be seitigung der verdächtigsten Spuren kümmern. Am Ende werde ich euch deine Mutter zurückgeben. Ihr werdet den Unterschied kaum merken, auch wenn sie nicht mehr mit euch essen oder trinken mag und manchmal außer Haus sein wird, um die Besorgung für sich zu erledigen. So erspare ich euch Unannehmlichkeiten, die ihr Ver schwinden nach sich ziehen würde.« Sie hatte lange gesprochen, und es kam ihr vor, als geschähe es
nur zum Training ihrer träge gewordenen Zunge – nicht, weil sie Kind oder Vater eine Erklärung schuldete. Sie wartete, bis Lyve an ihrem Vater vorbei in ein anderes Zimmer gegangen war. Dann bedeutete sie ihm, weiterzugehen. Wenig später erreichten sie einen gewöhnungsbedürftigen Raum. Sie ließ ihn sich erklären, während in ihrem langsam mit Wärme durchdrungenen Gehirn die Erkenntnis rumorte, daß hundert Jahre eine lange Zeit darstellten. Dieser Raum würde nicht die letzte Überraschung sein, die ihr bevorstand. Zugleich fragte sie sich, ob es kein Fehler gewesen war, sich ins Vergessen zurückzuziehen. Ihre Feinde hatten den Wandel der Welt nicht verschlafen. Die, de ren Untergang sie sich aufs Banner geschrieben hatte, waren zwei fellos auf der Höhe der Zeit. Sie würde lernen müssen. Schnell. Der Kelch konnte ihr dabei nicht helfen, denn auch er hatte ge schlafen. Von Stasis ummantelt geruht. Eine andere Möglichkeit, die Spuren zu tilgen, hatte es nicht gege ben. Auch der ungestörte Schlaf der Brut war davon abhängig gewe sen, daß weder Kelch noch Diebin vor der Zeit aufgespürt werden konnten. Von IHM. Er hatte sie gejagt, solange der Schutz nicht vollkommen gewesen war. Anderthalb Jahrhunderte lang hatte er ihre Fährten kreuz und quer über den Globus verfolgt … Umsonst. Du bist gescheitert, Kreuznarbiger, endgültig gescheitert! dachte sie, ohne die Genugtuung darüber zu verbergen. Aber es war niemand da, der ihr böses Lächeln gedeutet hätte.
»Wie heißt du?« fragte sie nach dem Kind nun auch den Vater, der sich an dem Metall zu schaffen machte, das an einer Stelle aus der mit glatter Keramik verdeckten Wand herausragte. »Flint«, sagte er. Im nächsten Moment fiel Regen aus der Decke in das mehr als kniehohe Becken, vor dem sie beide standen. Sie war angetan von der Hitze dieses Wassers – und fühlte sich so gleich von anderer Hitze durchflossen. »Hilf mir, mich vom ranzigen Blut zu säubern, Flint«, sagte sie und stieg über den Wannenrand. Als sie sich umdrehte, sah sie ihn in einem gewaltigen Wandspiegel, der sie selbst verleugnete. Daran hatte sich nichts geändert. Daran würde sich niemals etwas ändern. Nicht einmal der Kelch lieh seinen Geschöpfen Spiegelbild oder Schatten. Über das Warum hatte sie oft gerätselt, aber keine Antwort gefunden. »Auch du solltest dich waschen«, riet sie ihm und wartete, bis er sich ausgezogen hatte. Indes zog sich ihr Riemenkleid auf das Notwendigste zurück. Sie sehnte sich danach, daß sie es einmal gänzlich hätte ablegen können. Aber das war ein Ding der Unmöglichkeit. Es hätte sie getötet. Vollendet, was ER einst begonnen hatte … Sie streckte und rekelte sich unter dem fallenden Wasserstrahl. Er nahm einen wie gewachsen aussehenden Schwamm und begann, ihr damit den Rücken abzuschrubben, den sie ihm zuwandte. Es dauerte nur eine kleine Weile, bis sie mehr als seine kräftigen Hände zu spüren bekam. Etwas drückte wie ein schlanker, stumpfer Pfahl gegen ihre Pobacken. Sie wußte, was es war. Sie hatte einen Blick darauf geworfen, als es
noch nicht zu dieser Größe und Härte angeschwollen war. Unvermittelt drehte sie sich um. Fast senkrecht liefen schmale, le derartige Bänder über ihre üppigen Brüste, hauteng anliegend und die Phantasien schürend, die in Flint Drummonds Kopf in Gang ge raten waren. Er war ein lebendiger Mensch. Mit allem, was ein lebendiger Mann vermochte … »Gefalle ich dir?« »Sehr.« Die Lethargie seiner Stimme strafte das Geständnis Lügen. »Worauf wartest du dann noch?« fragte sie. Ihr ganzer Körper war mit hauchdünnem, notwendigem Geflecht überzogen. Das, worauf es aber in diesem Fall ankam, war unverhüllt. Auch ihr dürstender Schoß war zugänglich, und lange würde sie die dort miterwachte Begierde nicht mehr zügeln können. »Wir sind ungestört«, ermunterte sie ihn und nahm auch ihm die Erinnerung an die begangene Bluttat. Danach trumpfte er – obwohl immer noch in ihrem Bann – wie befreit auf. Sie ließ ihm die Illusion, eigene Initiative zu entwickeln. Zärtlich koste sie seine fast waagrecht emporragende Männlichkeit. Sein wollüstiges Stöhnen steigerte auch ihre Lust. Über die Unbeholfen heit, mit der er ihr wie mit einem bizarren Korsett bespanntes Fleisch rieb und knetete, sah sie hinweg, weil er gleichzeitig immer wieder die richtigen Zonen berührte. Stehend trieben sie einander in einen Rausch. Sie empfing, an die glatten Kacheln gestützt, seine ausgehungerten Stöße. Wann er zu letzt mit seiner Frau geschlafen hatte, ließ sich nicht abschätzen. Aber es schien lange her zu sein. Er ergoß sich relativ schnell in sie. Aber sie ließ sich davon nicht aufhalten. Sie entzog sich ihm, drehte sich um und päppelte ihn mit
kundiger Hand und kundigen Lippen zu einem »Nachspiel« auf, das sie in höchsten Zügen genoß. Unentwegt prasselte der künstli che Regen auf sie herab, während Drummond sich rücklings in die längliche Wanne gelegt und sie ihn als Reiterin verwöhnte. Oh, er genoß es sichtlich. Auch wenn er vermutlich stärker schwitzte als je zuvor in seinem lasterarmen Leben. Schweiß und Wasser vermengten sich unsichtbar. Sie schrie und ließ sich in einer Weise gehen, die Drummond am Ende doch noch gefährlich wurde. Auf dem Höhepunkt ihrer Gefühle beugte sie sich zu ihm hinab und offenbarte ihm die Wahrheit hinter ihren Lippen. Die beiden elfenbeinernen, schimmernden Zähne senkten sich ex akt in das leicht erhabene »Muttermal« an seinem Hals, das auf platzte, als handele es sich um zwei nebeneinander angeordnete Blütenknospen. Die vererbte Markierung paßte wie angegossen.
* Sydney Sie mußte es herausfinden! Sich davon überzeugen! Etwas aus den intensiven Stunden mit Feyn, dem »Tätowierten«, schwebte immer noch wie ein Damoklesschwert über Lilith und den Menschen. Verlockender, als sich vom Wahrheitsgehalt seiner »Er mittlungen« zu überzeugen, wären ein paar ungestörte Stunden oder Tage mit Beth gewesen. Der wiedergenesenen Beth!
Aber Lilith wußte nicht einmal, wie sehr ihr, was Salem Enterprises anging, die Zeit unter den Nägeln brannte. Die von Hora II (eigentlich Herak) gegründete Firma, hinter deren Zäunen sich auch der neue Vampirtreffpunkt von Sydney befand, beschäftigte sich laut Feyn mit besorgniserregenden Studien. Salem Enterprises war eine Genfabrik. Offiziell entwickelte sie pflanzenschutzmittelresistente Nutzpflanzen. Inoffiziell versuchte sie, wenn man Feyns Worten nach seinem Verrat immer noch Ge wicht zubilligte, Mittel und Wege zu finden, die existierenden Mit glieder der Alten Rasse immun gegen die verhängnisvolle Ausstrah lung christlicher Symbolik zu machen. Gentechnisch. Für Liliths Empfinden klang es absurd, daß die Kombination aus menschlicher DNS-Forschung und vampirischer Magie es schaffen sollte, Vampiren die letzten Einschränkungen zu nehmen. Absurd und erschreckend. Als Nebeneffekt sollten die behandelten Vampire sogar ein Spie gelbild und einen Schatten erhalten! Von der bloßen Hoffnung, es könnte sich um ein Hirngespinst Feyns oder der Sippe handeln, konnte sich Lilith nichts kaufen. Und sie wollte sich auch nicht darauf verlassen. Sie war bereits einmal in einen der Labortrakte eingedrungen. Was sie gesehen hatte, schien Feyns Behauptungen zu untermauern. Menschliche Wissenschaftler hatten sich in einem Raum mit toten Menschen beschäftigt. Die Wahrscheinlichkeit, daß die hypnotisier ten Spezialisten tatsächlich im Auftrag der Vampire versuchten, ein Gen zu isolieren, das den von ihnen ersehnten Nutzen brachte, war nicht von der Hand zu weisen. Lilith wußte, was zu tun war. Hier ging es nicht mehr um kleine »Nadelstiche« gegen die Unterdrücker der Menschheit. Es durfte nie
geschehen, daß die begrenzte Zahl noch existierender Vampire durch die angestrebte »Immunisierung« einen solchen Machtzu wachs erhielt! Beth bot ihre volle Unterstützung an, um mehr über die Hinter gründe von Salem Enterprises herauszufinden. Aber Lilith hatte be reits die Hilfe der Zeitung, bei der Beth arbeitete, in Anspruch ge nommen. »Du kannst mir einen anderen Gefallen tun«, sagte sie. »Welchen?« »Du könntest dich vorsichtig für mich in der Paddington Street umsehen. Vorsichtig. Es würde mich interessieren, wie weit die Bau fortschritte bei der Nummer 333 gediehen sind.« Beth blickte fragend. Lilith hatte wie selbstverständlich angenommen, daß ihre Freun din über die dortigen Vorgänge informiert sein müßte. Dies schien nicht der Fall zu sein. Kurz schilderte Lilith deshalb, daß man auf dem Grundstück ihres verschwundenen Geburtshauses damit begonnen hatte, ein neues, zwölfstöckiges Gebäude hochzuziehen. Das Projekt war eindeutig von den Vampiren ins Leben gerufen worden. Vermutlich, um eine weitere Nutzung dieses Ortes durch Lilith von vornherein auszu schließen. 333, Paddington Street war stets eine Anlaufstelle für die Halb vampirin geblieben. Es wäre blauäugig gewesen zu glauben, dies hätte sich noch nicht herumgesprochen. Das Fundament des Hoch hauses jedenfalls war präpariert worden, um die Einflüsse, die sich noch immer im Boden des Anwesens verbargen, fernzuhalten. Mit Weihwasser angerührter Beton bildete ein Bollwerk gegen einen Gegner, von dessen »Wesensverwandtschaft« die Vampire inzwi schen offenbar ahnten.
Ironischerweise trat die Genschmiede Salem Enterprises bei der Vergabe der dort entstehenden Wohn- und Geschäftsmöglichkeiten als Makler auf … Offenbar hatte Beth davon wirklich noch nichts gewußt. »Hattest du noch einmal Kontakt mit dem HAUS?« fragte sie. »Mit Warner, ja. Kurz. Er schickte mich in Codds leerstehende Vil la und sicherte mir zu, sich bei mir zu melden.« »Was aber noch nicht geschah?« Lilith schüttelte den Kopf. »Ich glaube auch nicht mehr daran. Of fenbar hat die Sippe wirklich Wege gefunden, die Magie, die mir bei dieser Adresse helfen könnte, zu unterdrücken … Trotzdem – oder gerade deshalb – möchte ich wissen, wie es dort weitergeht. Viel leicht kannst du deinen Kumpel Moskowitz überreden, dich zu be gleiten und ein paar vernünftige Bilder zu schießen. Irgendein Vor wand wird dir schon einfallen … Aber, wie gesagt, kein Risiko!« Beth verzog das Gesicht, sagte aber nichts. Offenbar mißfiel ihr die Bevormundung, die nicht mehr als berechtigte Sorge war. »Und du? Willst du völlig unvorbereitet bei Salem einbrechen?« Lilith schüttelte den Kopf. »Das habe ich einmal getan – und fast bereut. Mittlerweile dürfte man von meinem damaligen Besuch wis sen und noch mehr Wert auf Sicherheit legen. Nein, zumindest für heute beschränke mich aufs Beobachten. Genau wie du …« »Genau wie ich«, erwiderte Beth.
* Im Hochland von Beinn Dearg …
Sie trank, als hätte seit Jahrzehnten nichts mehr so köstlich ihre Keh le genäßt. Und so empfand sie auch. Das Opferblut vorhin hatte nur den elementaren Durst gestillt, nur das Nötigste in Gang gesetzt. Nach der Pflicht kam nun die »Kür«, und das hieß Genuß. Sie seufzte unter den Schauern von zweierlei Befriedigung. Flint Drummonds Stöhnen rief ihr ins Bewußtsein, daß er sich nicht als »benutzt« empfand – obwohl es zweifellos der Rollenver teilung entsprach. Sie glitt von ihm herab und stieg aus der Wanne, in die es immer noch warm und erquickend regnete. Wasser, klar und rein, wie sie es aus keiner Erinnerung kannte, sprudelte aus einem siebartig ge lochten Blech, in das ein Wandrohr mündete. Sie wußte nicht, von welcher Quelle es gespeist wurde, wer be ständig pumpte, damit es nicht versiegte. Es gehörte zu den Dingen, denen sie zwar nicht vorrangig, aber doch auch auf den Grund ge hen mußte, wenn sie sich in dieser für sie neuen Zeit zurechtfinden wollte. Sie wollte – weil sie mußte. Ihr blieb keine Wahl, denn ein Zurück gab es nicht. Die Zeit konnte nur als Einbahnstraße betrogen werden … Finbarr Drummonds Nachfahre lag mit geschlossenen Augen in der Wanne. Sie hegte den Verdacht, daß er bis ans Ende seiner Tage liegen geblieben wäre, wenn sie seiner Trägheit nicht neuen Schwung verliehen hätte. »Genug«, sagte sie. »Steh auf! Sieh zu, daß du das Wasser wieder bändigst!« Sie fand Tücher, sich zu trocknen. Der Geruch, der ihnen anhafte te, mißfiel ihr. Aber sie sah darüber hinweg und erteilte dem Rie menkleid Weisung, wie sie es sich für die nächste Zeit wünschte. So fort wucherte das vermeintliche Leder und bedeckte ihre Haut mit
einem schützenden Mantel, der das rauhe Hochlandklima meistern würde. Sie schloß kurz die Augen und lauschte der sich fast zwangsläufig in ihr ausdehnenden Spannung. Flint Drummond vergaß sich abzutrocknen und stieg tropfnaß in seine abgelegten Kleider. Sie lächelte über das Schafsgesicht, das er dabei machte. Als er fertig war, ging sie zu ihm und tötete ihn. Sie legte ihn auf dem Boden zurecht, der aus demselben dankba ren Material wie die Wände bestand. Die harte und zugleich glatte Oberfläche war ideal, um Spuren von Blut oder austretendem Ge därm zu beseitigen. Als sie zurück in die Küche ging, lauschte sie kurz an der Tür, hin ter der Lyve verschwunden war. Es war still. Sie ging weiter und kümmerte sich um die Tote, die nicht sehr sachkundig geöffnet worden war. Nachträglich pflanzte sie ihr den Keim ein, und als sie sich erhob, hörte sie bereits Schritte auf dem Gang. Flint Drummond schlurfte herein. »Herrin …« Sie wartete, bis sich auch die Tote zu ihren Füßen regte. Emotions los befahl sie der Dienerkreatur, sich selbst zu säubern und noch vorhandene Spuren zu beseitigen. Um den Kokon brauchte sie sich nicht zu bemühen. Von ihm war nichts geblieben. Nichts, was mit den Sinnen einer Kreatur oder eines Menschen wahrnehmbar gewe sen wäre. Sie gab Flint Drummond einen Wink, und sekundenlang stand das Ehepaar wie ein die Natur verhöhnendes Denkmal nebeneinander. Sie wurde von einem warmem Gefühl durchflutet. Abgründe …
Sie liebte Abgründe – und Beweise, daß Menschen nur von einem Abglanz jenes Funkens durchdrungen waren, der Vampiren so lan ge Jahrtausende die Regentschaft ermöglicht hatte. Sie liebte auch die Abgründe, die sich auftaten, wenn sie sich ein Ende solcher Herrschaft ausmalte … »Welches Datum schreiben wir genau?« wandte sie sich an den Nachkommen jenes Finbarr Drummonds, den sie einst in diesem Haus überfallen und gegeißelt hatte. Fad und ohne die geringste Regung rollte die Antwort über Drum monds Zunge: »Der sechsundzwanzigste September …« Mitte Mai legte ich mich in den schützenden Schoß des Kokons, dachte sie. Ich brauchte sechs Monate zur Rückkehr aus Australien und um die Vorbereitungen auf dem Schwarzen Kontinent zu treffen … »… Neunzehnhundertfünfundneunzig«, fügte Flint Drummond nach kurzer Pause, die sein stockendes Denken benötigte, hinzu. Sie kappte die eigenen Gedanken wie ein straff gespanntes Tau und starrte denjenigen an, der gesagt hatte, was weder sein konnte noch sein durfte. Aber Kreaturen belogen ihre Schöpfer nicht. Niemals. Daß sie sich dennoch an Drummonds Frau wandte, verriet alles über ihre tiefreichende Erschütterung. »Fünfundneunzig«, bestätigte auch sie. Eine Differenz von anderthalb Jahren in anderem Zusammenhang wäre vernachlässigbar gewesen. Aber sie wußte sofort, daß es der nächste verhängnisvolle Irrtum gewesen wäre, dies auch in diesem Fall zu tun. Augenblicklich schottete sie sich gegen alle hereinbrechenden Zweifel ab. Das Wecksignal, das sie in der Gruft erreicht hatte, be
deutete, daß sie sich wahrscheinlich unnötig sorgte. Dennoch mußte sie sich Gewißheit verschaffen. Und zwar unverzüglich. »Ein Pferd!« wandte sie sich an Flint Drummond. »Ein Pferd oder eine schnelle Kutsche – sofort!«
* Von oben betrachtet bildeten die einzelnen, mittels gläserner Korri dore miteinander verbundenen Gebäude von Salem Enterprises die Form eines Kreuzes. Lilith hatte sich beim erstenmal darüber gewundert – und tat es auch jetzt, obwohl sie sich allen Blicken entzogen am Boden aufhielt. Aber unweigerlich kehrte die Erinnerung an ihren Abstecher hin ter die hohe Umzäunung zurück. Mit einem Vampir als Geisel war sie geflohen. Das Mimikrykleid hatte ihn später in sicherer Entfer nung der Firma getötet. Bevor er die Hintergründe der Forschungen verraten konnte. Feyn hatte ihr Auskunft gegeben – aber hatte er die Wahrheit ge sagt? Er hatte sich sicher und ihr überlegen gefühlt. Warum hätte er lü gen sollen, wo er von Anfang an vorhatte, sie unmittelbar nach dem endgültigen Erringen ihres Vertrauens umzubringen? Den »Trophäen« auf seiner Haut hinzuzufügen … Lilith hatte Zeit, Vergangenes zu reflektieren. Als Fledermaus hing sie in einem Gebüsch der Grünanlage, die die Straße und Firmenge lände hie und da voneinander abschirmte. Schmale Oasen zwischen Teer und Beton. Stundenlang beobachtete sie alles, was an Sichtbarem bei Salem
Enterprises geschah. Für ein Unternehmen dieser Größe war die Be triebsamkeit gespenstisch gering. Gerade eine Handvoll Fahrzeuge suchte im Laufe der Observation den Weg auf das Gelände. Diesel ben Fahrzeuge kehrten irgendwann wieder zurück. Eine Ankunft oder der Weggang von Salem-Beschäftigten konnte Lilith während all der Zeit nicht beobachten. Sie sah auch keinen belegten Firmenpark platz. Nur jenseits des Zaunes patrouillierten Angehörige des Werkssicherheitsdienstes, mit dem Lilith auch schon eigene, unschö ne Erfahrungen gesammelt hatte. Nicht hier, sondern in 333, Pad dington Street. Mit den Augen und Sinnen ihrer Wahlgestalt registrierte sie jede Veränderung im Zufahrtsbereich des Unternehmens. Langsam, wie von selbst, reifte dabei ein Plan, der sich an sichtba ren und unsichtbaren Verhältnissen orientierte. Alle bisherigen Hinweise deuteten darauf hin, daß das neue Ober haupt der Sydney-Sippe bereit war, auch absolutes Neuland zu be schreiten. Damit unterschied er sich gefährlich von seinem Vorgän ger, der ein Fossil gewesen war. Diese Einschätzung hielt Lilith jedoch nicht ab, ihrem Ziel treu zu bleiben. Sie wollte Salem Enterprises vernichten – bevor Salem En terprises die Vampire zu unbesiegbaren Götzen erhob …
* Beinn Dearg Sie hatte nie in einem Auto (Drummond hatte es als solches bezeich net) gesessen, aber die Umstände verboten es, sich sonderlich von dieser Abart eines Perpetuum mobile beeindrucken zu lassen.
Ursprünglich hatte sie vorgehabt, alleine ins Versteck der Ruine zurückzukehren. Drummonds Geständnis jedoch, weder Pferd noch herkömmliche Kutsche zu besitzen, hatte ihr keine andere Möglich keit eröffnet, als ihn mitzunehmen. Stumm saß er seither neben ihr und tat, was nötig war, um den pferdelosen Wagen in Gang zu hal ten. Kaum schneller als ein gutes Reittier es vermocht hätte, erreich ten sie das Ziel. Mittlerweile ging es auf Mittag. Der Himmel präsentierte sich trü be und wolkenverhangen, die Gegend menschenleer. In dieser Hin sicht hatte sich die Landschaft nicht verändert. Noch immer symbo lisierte sie vor allem anderen schroffe Einsamkeit. Ein guter Ort für Experimente, dachte sie. Leider kein sehr erfolgreicher … Kurz irrten ihre Erinnerungen zu den grotesken Gestalten, die sie während des Wartens auf Creanna geschaffen hatte.* Einige der Stu dien, die der Kelch unter ihrer Regie erprobt hatte, waren von ihr freigelassen, andere vernichtet worden, ehe sie in Umlauf gelangen konnten. Wie viele davon heute noch existierten, konnte sie nur ra ten. Im Grunde interessierte es sie jedoch nicht wirklich. Creanna hatte damals geglaubt, von ihr verlassen und aufgegeben zu sein. Bis zu ihrem Tod hatte sie sich von ihr im Stich gelassen ge fühlt. Es spielte keine Rolle. Nur der Zweck zählte, und der war erfüllt. Creanna mußte vor ih rer »Erleuchtung« glauben, gescheitert zu sein. Eine Notwendigkeit, falls sie vorzeitig von Landru aufgespürt worden wäre, der ihr nach jagte. Landru durfte nicht einmal von Beinn Dearg ahnen – und Creanna nicht wissen, daß die Zufallsbekanntschaft, die ihr schließ lich den Weg zur alten Abtei gewiesen hatte, in Wahrheit von ihr ge *siehe Vampira 12: »Freaks« und 21: »Tattoo«
sandt war. »Warte hier!« befahl sie Drummond, dessen Tochter die Linie der Wächter fortführen sollte. Die Vorkehrungen, die sie hinterlassen würde, garantierten dies. Lyves Eltern würden eines Tages das Hochland-Haus verlassen, sobald Lyve mit einem geeigneten Bräu tigam ankam. Die Obhut zweier Kreaturen hatte dann ihren Sinn verloren. Sie würden sich gehorsam irgendwo selbst ein spurloses Ende setzen. Und Lyve würde mindestens ein Kind gebären … Sie trat durch den offenen Torbogen in den Innenhof der ehemali gen Abtei. Was je an christlicher Weihe existiert hatte, war schon vor Jahrhunderten erloschen. Der Kelch hatte dem Ort seinen Stempel aufgedrückt. Der Kelch … Sie konzentrierte sich. Doch nicht einmal mit der Aktivierung aller Instinkte gelang es ihr, das Unheiligtum wahrzunehmen. Und sie wußte, daß es hier war. Ein Suchender, der nur mit der Möglichkeit spekulierte, war völ lig chancenlos. Genauso wie die Krypta, in der sie gelegen hatte, für Nichteingeweihte unaufspürbar war. Sie nahm nicht den Weg, den Drummond genommen hatte. Das, wonach ihr verlangte, lag am entgegengesetzten Ende der Ruine. Es lag tief begraben am Grund eines Brunnens, der unsichtbar unter ei nem Berg von Trümmern lag. Sie selbst hatte Mauern zum Einsturz gebracht, um die Zisterne zu versiegeln. Nun galt es, all den Schutt beiseite zu räumen. Mit bloßer Muskelkraft war hier wenig zu bewegen – zumindest hätte es viel Zeit erfordert, die zu investieren sie nicht bereit war. Sie setzte andere Kräfte ein. Kräfte, die in ihr zehrten und sie aus höhlten, die aber unumgänglich waren. Und die ersetzt werden würden, sobald …
Einen Moment keimte die irrwitzige Angst in ihr, jemand könnte allem Anschein und aller Wahrscheinlichkeit zum Trotz schon vor ihr gegraben haben und fündig geworden sein. Sie sah nicht, wie sie Tonnengewichte bewegte. Ihre Augen waren geschlossen. Ihre Hände ruhten. Nur ihr Geist brannte ein Feuer werk ab, das die nähere Umgebung mit bläulich züngelnden Entla dungen überzog. Minutenlang lärmte es, als käme eine Geröllawine irgendeinen erodierten Hang herab. Staub legte sich auf ihre Lun gen. Sie unterdrückte den Hustenreiz, unterdrückte minutenlang je den Atemzug. Mit dem Heben der Lider setzte auch das Atmen ein. Der Staub hatte sich gelegt. Der Gedanke, daß ein neuerlicher Gang in Drummonds Wanne nötig werden würde, schreckte sie nicht, obwohl sie die dort genossenen Wonnen von einer Kreatur nicht mehr erwarten durfte. Der Innenhof hatte sich umstrukturiert. Trümmer hatten sich ver schoben. Sie trat zu den nun wieder erkennbaren Resten einer Brunnenum randung. Ihr Blick sank in gähnende Tiefe. Einem Menschen hätte sich nur Dunkelheit offenbart. Am Grund lag eine Kapsel, die jener ähnelte, in der auch sie ge schlummert hatte. Doch sie war beträchtlich kleiner und handlicher. Vergeblich versuchte sie, noch einmal ein – wenn auch bescheide neres – Feuerwerk zu entfachen. Doch der Schwund war bereits zu weit fortgeschritten. Sie überließ es dem Riemenkleid, Fäden auszu bilden, die hinab in die Tiefe fielen und sich dort um den unterarm langen, eiförmigen Kokon wickelten. Die Fäden des Kleids und das dichte Gespinst des Kokons ähnelten einander nur optisch. Wirkli che Verwandtschaft bestand nicht. Dann hielt sie ihn endlich in Händen.
Endlich! Ungeöffnet klemmte sie ihn unter die rechte Armbeuge und kehrte zu Drummond zurück. Die Schwäche vereinnahmte nun ihren ge samten Körper. Obwohl sie fast hundert Jahre geruht hatte, sehnte sie sich nach Schlaf. Denn geschlafen hatte sie in diesem Jahrhundert noch keine Stunde. Tod und Schlaf waren ungleiche Brüder … Flint Drummond fuhr nicht direkt nach Hause. Er machte einen Umweg über ein noch einsameres Gehöft, wo nur ein alter Mann lebte, der nach ihrem Besuch nicht mehr lebte. Sie regenerierte fast augenblicklich. Wieder hellwach und von neuem Tatendrang erfüllt, kehrte sie ins Heim der Drummonds zurück. Es war Zwischenstation auf ihrem Weg fort von dieser Insel. Fort zu jenem fernen Kontinent, den zu erreichen es eine mehrwöchige Schiffsreise brauchte … Flint Drummond belehrte sie – nicht nur, was das anging.
* Uruk Fars Seistan war Präfekt des kleinen Dorfes nahe der Ausgrabungen. Seine Augen ruhten auf Fadme, die sich mit Putzeimer und Schrub ber durch das Schreibzimmer arbeitete. Der Schleier verhüllte ihr Gesicht, dessen Mund Seistan dennoch kannte. Fadmes Mann hätte ihn umgebracht, seine Familie ihn gevierteilt und in kochendem Öl gesotten, hätten sie auch nur geahnt, wozu er dieses unscheinbare Mädchen erpreßte.
Sie war in einem Alter, in dem ein Mann die straffe Haut und den engen Schoß eines Weibes genießen konnte (auch wenn er selbst das genaue Gegenteil verkörperte). Ein Alter, in dem Frauen aber – na türlich – auch längst verheiratet waren. Der Präfekt hatte sich davon nicht sonderlich beeindrucken lassen. Und schon gar nicht aufhalten. Fadmes Mann und ihr Vater arbeiteten für ihn. Sie bereisten das Umland und kümmerten sich um wichtige Unterschriften von alten oder bettlägerigen Irakis. Verwaltung wurde großgeschrieben im ge schundenen Land, dessen Vergangenheit strahlend wie die Zukunft war. Nur mit der Gegenwart haperte es ein wenig … Fars Seistan zog die Nase hoch. Er wollte nicht unzufrieden sein. Ihm selbst mangelte es auch in unruhigen Zeiten an nichts. Selbst die Temperatur innerhalb des dämmrig gehaltenen Amtszimmers war erträglich. In der Menschenschlange, die draußen auf einen kur zen Moment der Anhörung wartete, hätte er jedoch nicht stehen mö gen. Er seufzte, trank einen Schluck kühles Wasser und gab Fadme einen Wink. Bis zu diesem Moment hatte es ausgesehen, als nähme sie keinerlei Notiz von ihm. Ein Irrtum. Eilfertig ging sie zur Tür und streckte den Kopf hinaus. Sie rief et was, auf das Seistan nicht achtete. Aber kurz darauf betraten zwei Männer sein Büro. Er war verblüfft. Zu verblüfft, um es verbergen zu können, daß er keine ausländi schen Besucher erwartet hatte. »Ja?« fragte er vorsichtig. Im Umgang mit Andersgläubigen war dies höchstes Gebot. »Wie lautet Ihr Anliegen?«
»Stimmt es, daß Sie Genehmigungen erteilen?« Seistan räusperte sich. Er setzte sich etwas gerader. Seine Blicke lösten sich von der wächsernen Haut des blonden Mannes, als kleb ten sie daran fest. Er war fast froh, als sie sich statt dessen mit der Unterlage seines Schreibtisches beschäftigten. Wie seine schlanken, etwas krummen Finger. »Genehmigungen wofür?« fragte er. »Ausgrabungen«, mischte sich der etwas dunkelhäutigere Beglei ter des Blonden ein. Mehr sagte er nicht. Nur dieses eine Wort: Ausgrabungen. Fars Seistan lächelte freudlos. Mit eingeübter Schärfe sagte er: »Niemand gräbt hier. Außer dem Staat.« Er schüttelte den Kopf, weil ihm plötzlich klar wurde, wie unwahrscheinlich es war, daß diese beiden Fremden das nicht wußten. »Bitte«, drängte er auf eine Erklärung – oder das sogar noch bevorzugte Verschwinden des un gebetenen Besuchs. »Meine Zeit ist kostbar. Ich …« »Zeit ist Geld«, ergriff erneut der Blonde das Wort. Als Seistan auf blickte, sah er dessen Augen auf Fadme ruhen. Obwohl ihn eine innere Stimme warnte, der Verlockung zu erlie gen, befahl er dem Mädchen, sie alleinzulassen. Sie stellte keine Fra gen. Wenig später war sie durch eine Tür in einen Nebenraum ge schlüpft. Der Schweigsamere von Seistans Besuchern, dessen Augen eine beunruhigende Leere offenbarten, trat ohne Umschweife auf ihn zu und legte ein Notenbündel auf den Tisch. Dann machte er einen Schritt zurück, brachte sich auf gleiche Höhe wie sein Begleiter und nahm abwartende Haltung ein. Fars Seistan erstarrte, als er sah, welche Summe ihm offeriert wur de. Sein Gewissen röchelte förmlich, denn es gab zweierlei Maß für Bestechungen.
Dies hier war beinahe eine Beleidigung, ließ es Seistan doch nicht einmal die Möglichkeit einer Absage. Er wußte nicht, wie er reagieren sollte. Kurz zog er sogar in Erwä gung, daß er getestet werden sollte. Die Gerüchte, daß überall im Land Stichproben zur Aufdeckung der Korruption durchgeführt würden, kam alle Jahre wieder auf. Der Ernstfall war bisher nie ein getreten. Jedenfalls hatte es Seistan noch nicht getroffen. Und Aus länder … Nein, man hätte sich dafür niemals Ausländern bedient. Oder? Er wollte seinen Kopf gern weiterhin auf den Schultern tragen, die ihm seit Kindheit an vertraut waren. »Ich verstehe nicht«, sagte er – und hielt zugleich angstvoll inne, weil er fürchtete, das Bündel könnte ihm vor der Nase weggezogen werden. »O doch, Sie verstehen«, behauptete der Blonde. »Wir sind zwar erst angekommen, aber wir haben uns ausgiebig umgehört. Sie sind berechtigt, solche Lizenzen zu erteilen, wie wir eine wünschen. Nicht zum Schaden Ihres Landes – gewiß nicht. Wir sind Archäolo gen, aber wir sind nur der Lüftung von Geheimnissen verpflichtet, keinem Museum außerhalb Ihrer Grenzen! Alles, was wir finden, geht automatisch in den Besitz Ihrer Regierung über. Was könnte daran schädlich sein?« »Wenn dem so ist«, sagte er, obwohl er sich auch dafür am liebsten auf die Zunge gebissen hätte, »verstehe ich das –«, er zeigte auf das Notenbündel, »– noch weniger.« Sein Gegenüber lächelte. »Sie sollten es nicht mißverstehen. Es ist nur eine Auslagenentschädigung. Wir ersuchen nicht nur um eine Grabungsgenehmigung, sondern bitten Sie gleichzeitig, uns Forma litäten und Störungen vom Hals zu halten. Alle.«
Fars Seistan kniff die Augen zusammen. Der Schatz lag vor ihm. Er brauchte nur zuzugreifen. »In Uruk gibt es keine Sensationen mehr zu entdecken«, unter nahm der Wahnsinn in ihm einen letzten Versuch, plötzlichen Reichtum zu vereiteln. »Wir graben etwas abseits«, versicherte der blasse Blonde. Seistan riskierte nichts mehr. Er langte zu und strich das Bündel mit der einen Hand in die Schublade, die er mit der anderen geöff net hatte. Aus derselben Schublade zog er einen dünnen Stoß unbe schriebenes Papier. »Wenn Sie keinerlei Behelligung mehr wünschen, brauche ich eine ausreichende Menge von Blankounterschriften …« Fünf Minuten später war er allein. Er rief Fadme und trug ihr auf, alle noch offenen Termine dieses Tages auf den nächsten zu verle gen. Er mußte sich erst fangen. Die eine Hand lag immer noch in der Schublade auf dem Geld, als müßte er es wie einen zerrinnenden Traum festhalten. Mit der anderen zog er die signierten Papiere zu sich heran und versuchte die Namen der Unterzeichner zu entzif fern. Der eine besaß einen Doktortitel: Dr. Romano oder so ähnlich. Der andere hatte mit D. Luther unterschrieben. Beide Namen sagten Fars Seistan nicht das Geringste. Er lehnte sich kopfschüttelnd in seinem Stuhl zurück. Er konnte es noch immer nicht fassen …
* Sydney
Moskowitz las den obszönen Brief, der unter seiner Wohnungstür durchgeschoben worden war, ein ums andere Mal. Er hatte es sich zuerst nicht eingestehen wollen, daß er sich geschmeichelt fühlte – unter Vorbehalt natürlich. Der Vorbehalt war, daß er es immer noch für vorstellbar hielt, daß ihn jemand gezielt veralberte. Motive dafür lieferte er täglich genug. Er war kein pflegeleichter Typ. Was bei manchen als Altersstarrsinn toleriert wurde, hatte bei ihm schon in der Pubertät angefangen und seither nicht mehr aufgehört: Er mußte seine Mitmenschen perma nent ärgern und vor den Kopf stoßen. Ausnahmen waren selten. Moskowitz entschuldigte sein Verhalten nicht – aber er änderte auch nichts daran. Ich bin, wie ich bin, pflegte er sich hin und wieder seinem Spiegelbild gegenüber zu rechtfertigen. Dann war ihm etwas passiert, wofür er bis heute keine Erklärung gefunden hatte: Über Nacht war er verträglich geworden. Tagelang ging das so. Und die einzige, mit der er sich bis dahin gut verstan den hatte, war ihm plötzlich ein Dorn im Auge gewesen: Beth MacKinsay. Sie arbeiteten bei der gleichen Zeitung. Ihre Co-Produktionen wa ren ebenso erfolgreich wie verrufen gewesen – bis sie sich von heute auf morgen nicht mehr riechen konnten! Mittlerweile war für Moskowitz die Welt wieder in Ordnung, wenn man so wollte. Er war – ebenfalls über Nacht – wieder zum »Kotzbrocken« geworden und hatte seine Sympathien für Macbeth neu entdeckt. Sie aber nicht für ihn. Das fuchste ihn. Zuerst hatte er aufgeben wollen – aber er war kein Aufgebertyp.
Über seinem heimischen Sofa hing seit Jahren ein Spruch, den er sich hinter die Ohren geschrieben hatte: Aufgeber gewinnen nie – Ge winner geben nie auf! So war das. Er zog an seiner Zigarre und fuhr mit dem Finger die Worte nach, die auf den Zettel geschrieben waren, der zusammengefaltet in ei nem nach Flieder duftenden Kuvert gesteckt hatte. Ich beobachte Sie! Reife Männer sind mein Schicksal. Jedesmal, wenn ich Sie im Treppenhaus an einer Zigarre paffen sehe, denke ich an die Zigarre in Ihrer Hose. Wir sollten uns kennenlernen. Bei einer Zigarre. Ich bin heute abend von neun bis zehn Uhr im Trockenraum auf dem Dachboden. Früher oder später ist unmöglich. Mein Mann darf nichts merken. Zeigen Sie dennoch Mut, ich tue es auch … Niemand hatte unterschrieben. Nicht einmal mit seinen Initialen. Moskowitz hatte nicht vor, sich dem Spott der Stadt preiszugeben. Der Zettel hatte stundenlang in seiner Hosentasche zugebracht, ehe er ihn vor drei Minuten wieder hervorholte. Weil es so einfach gar nicht war, Phantasien, die selbst in seinem Schädel noch spukten, wegzuhexen. Hölle, er war alt. Kein bißchen attraktiv. Und er hatte sich seit Jahrzehnten nichts anderes mehr vorgemacht! Vielleicht war er so gut mit Macbeth ausgekommen, weil man ihr lesbische Neigungen nachsagte – hinter vorgehaltener Hand selbst redend. Nein, er war nicht so verrückt, sich Chancen auszurechnen. Schon gar nicht bei einem durchgeknallten Teenie, nach dem diese Zeilen klangen. Trotzdem. Er ertappte sich dabei, daß er fahriger und unkonzen trierter wurde, je näher der Zeiger der Uhr auf die Neun rückte.
Und dann war es Neun. Sogar zehn Minuten nach. Und Moskowitz stand im Bad unter der Dusche und schrubbte Ni kotin von seinem dicken Fell, während im selben Raum die Wasch maschinentrommel rotierte. Mit Wäsche, die er reingeschmissen hat te, obwohl sie noch gar nicht schmutzig gewesen war. Punkt halb zehn stakste er mit weichen Knien, im besten Anzug und den vollen Wäschekorb vor dem Bauch die Treppe hinauf. Zum Speicher, der von sechzehn Parteien gemeinsam genutzt wurde. Seit Stunden hatte er darüber nachgedacht, wer ihm die eindeuti gen Zweideutigkeiten untergejubelt haben könnte. Es gab nichts, was ihn auf eine Spur geführt hätte. Nun versuchte er, es so unverfänglich wie möglich herauszufinden. Mit der Wäsche konnte er sich immer noch in Ausflüchte retten … Die Tür zum Dachboden war angelehnt. Zu hören war nichts. Aber das Licht brannte. Moskowitz tippte die Tür, ohne den Korb abzusetzen, mit dem Ellbogen an. Sie schwang auf. Er erweckte gar nicht erst den Anschein, als erwartete er jeman den. Vereinzelt hing fremde Wäsche an den Leinen. Er ging zu einer leeren Schnur und setzte den Korb ab. Im Aufrichten sah er sich zum erstenmal richtig um. Der Speicher war riesig. Nicht alle Winkel wurden von der Lampe erfaßt. Und dort, wo sie hinreichte … war niemand. Bingo, dachte Moskowitz. Was hast du erwartet, Blödmann? Du bist ein halbes Jahrhundert von deiner besten Zeit entfernt! »Mister Moskowitz?« Die zarte Jungmädchenstimme zerrte ihn ins Hier und Jetzt zu rück.
Er fror. Die Kälte kam einfach über ihn, gefolgt von einer Serie von Gänse häuten. Am liebsten wäre er im Erdboden versunken. Durch alle Bö den, die ihn vom Erdboden trennten, hindurch! Obwohl er sich zu Tode schämte, antwortete er mit gepreßter Stimme: »Wer ist da?« Stille. Dann: »Pam … aus dem vierten … entschuldigen Sie, ich wollte nicht …« Pam Shrieber …? Moskowitz bekam einen Vorgeschmack, wie es war, die verschie denen Stadien eines Infarkts zu durchlaufen. Er wankte. Es konnte nicht die Shrieber sein. Die Shrieber war das mit Ab stand graziöseste Geschöpf, das mit Moskowitz unter einem Dach lebte. Sie war verheiratet und bestimmt kein Teenie mehr. Er war ihr nie mit seiner Ochsentour gekommen. Von Anzüglich keiten ganz abgesehen. Sie hatte also keinen Grund, ihn hochnehmen zu wollen! Trotzdem war sie da … »Wo stecken Sie? Kommen Sie vor!« Er versuchte seiner Stimme Souveränität zu verleihen. Vielleicht gelang es. Irgendwo raschelte es. Mehr geschah nicht. »Worauf warten Sie?« »Ich … traue mich nicht.« »Nach dem Brief würde ich mich auch nicht mehr trauen …« Ihr Verhalten baute ihn auf, entlarvte ihn aber zugleich als höchst unge schickt im Umgang mit dem anderen Geschlecht. Schnell fügte er
hinzu: »Tut mir leid. Kommen Sie schon. Ich werd’ Sie schon nicht fressen …« Irgendwie war die zeitweise vorhandene erotische At mosphäre verpufft. Und irgendwie war niemand darüber froher als Moskowitz. »Kommen Sie – wir können zusammen meine Wäsche aufhängen …!« Ihr Schluchzen schnitt ihm ins Herz. Endlich erkannte er die Rich tung, aus der es kam. Zunächst verkrampft, dann entschlossener ging er darauf zu. Das Licht machte vor der Nische halt. Moskowitz auch. »Kommen Sie –« Der Atem hinter seinem Mund erstarrte. Die Gestalt, die keinen Mut faßte, um ihm in diesem Moment doch entgegenzutreten, war nicht Pam Shrieber. Es war nicht einmal eine Frau. Ein altertümlich gekleideter Mann Anfang Fünfzig trat aus den Schatten. Er lächelte, wie vermutlich der Satan persönlich lächelte. Und vielleicht war es sogar der Satan. Ein Mensch war es nicht. Denn er schuf etwas, das auf völlig unmenschliche Kräfte hindeu tete. An einen Taschenspielertrick glaubte Moskowitz keine Sekun de. »Wer – sind Sie?« Er hatte das Gefühl, Zeit gewinnen zu müssen. Zugleich wußte er, daß es ihm nichts nützen würde. »Ich bin Landru.« Der Fremde blieb drei Schritte von ihm entfernt stehen. Er hatte die Arme in Nabelhöhe ausgestreckt und bildete mit den Handflä chen eine Schale, als wollte er Wasser schöpfen. Und über diesen
Händen schwebte etwas schwerelos in der Luft. Ein von Mystik umgebenes Gefäß. Moskowitz fühlte die Magie, die mit faulem Zauber nichts zu tun hatte. »Haben Sie mir – den Zettel geschrieben?« »Das habe ich«, bestätigte der Fremde. »Warum?« »Ich spiele gern, bevor …« In Landrus Augen schien sich das Dun kel der Schatten zu sammeln und zu stecknadelgroßen Punkten zu komprimieren. »Bevor?« »Ich schlemme!« Der schwebende Kelch glomm auf, und an Moskowitz’ linkem Arm öffnete sich die Pulsader wie ein berstender Reißverschluß.
* Beinn Dearg Wieder floß Blut. Diesmal war es ihr eigenes. Sie hatte sich mit scharfem Fingernagel und völlig undramatisch die Pulsader aufgeritzt. Ihr Herz pumpte den dunklen, fast schwarzen Saft in langsamen Schüben und gerin ger Menge aus der Wunde. Es genügte. Die Tropfen berührten die Schale, die sich sofort in einem ähnli chen Vorgang zu verflüchtigen begann, wie Drummond es beobach tet haben mußte, als er sie aus ihrem Kokon befreite.
Kein anderes Blut als das ihre hätte den Tresor zu öffnen ver mocht. Keine Magie der Welt. Was nie wirklich feste Materie gewesen war, verschwand aus der Welt des Stofflichen. Nur der Inhalt der Schale blieb zurück. Das wertvollste Ding auf Erden – und viel mehr als nur ein Ding …! Sie wußte nicht, was Andacht war, und dennoch ähnelten die Re gungen, die sich auf ihrem Gesicht spiegelten, jener von Menschen praktizierten und allen Vampiren verhaßten Feierlichkeit. Sie streckte die Hände aus und merkte erst in diesem Moment, daß Lyve in der Tür stand. Sofort hielt sie inne. Es lag ihr auf der Zunge, das einzige noch wirklich Lebendige in diesem Haus fortzuscheuchen. Doch dann er laubte sie ihr zuzuschauen. Was konnte es schaden? Wenn es dem Kelch gefiel, würde er die Linie der Wächter sofort unterbrechen – oder nach all der Zeit einen beliebigen Vampir zeugen. Sie hatte dieses unbegreifliche Werkzeug nie besessen, nur verwaltet. Wie eine kurzstielige Blume mit pracht voll ausgebildeter Blüte und dabei doch fast unscheinbar stand der Kelch vor ihr und Lyve auf dem rauhen Tisch. Nur das düsterschöne Glühen seiner Oberfläche ließ ahnen, was die Stasis so lange verhüllt hatte. Und was sich in diesem Moment in einer unsichtbaren Eruption noch weit über dieses Gebäude hinaus ergoß. Als wollte es jedem, der auf dieser Welt Ohren zum Hören besaß, verkünden: ICH! BIN! WIEDER! DA!
Aber nur einer »hörte« es …
* Sydney Noch während Landru sich fragte, ob er das nicht mehr ganz frische Blut dieses alten Mannes überhaupt wollte, geschah das, womit er nie – nie! – gerechnet hatte. Nicht in dieser Weise. Nicht hier. Nicht jetzt. Moskowitz’ Tod war Landrus Entgegenkommen an Macbeth, die ihr Schauspieltalent voll und ganz auf eine Person konzentrieren sollte. Auf Lilith Eden, Creannas unseliges Balg. Das Geschöpf einer Macht, über deren Identität Landru seit mehr als hundert Jahren rät selte. Es hatte mit Creannas feigem Attentat auf ihn begonnen, im Deutschland des Siebenjährigen Krieges. Damals hatte etwas zu ver eiteln versucht, daß er seine Jagd nach dem Kelchdieb fortsetzte. Es gab kaum, noch Zweifel, daß seine Ankündigung, eine frische Spur zum Lilienkelch gefunden zu haben, die damalige Attacke Creannas und ihres lebendigen Kleides ausgelöst hatte. Sie hatte fliehen können. Nicht nur aus Hannover. Auch aus der Alten Welt hinüber nach Terra Australis. Bis Landru diese Fährte ver folgen konnte, hatte sie sich schon mit dem Sterblichen in das unein nehmbare Haus zurückgezogen, in dem ihre Brut heranreifen konn te. Mit Haß hatte Landru die wenigen sichtbaren Geschehnisse im Umfeld des Hauses verfolgt. Und er hatte Sean Lancaster, Liliths Va
ter, bei der ersten sich bietenden Gelegenheit hingerichtet. Von des sen Schädel (und dem darin dörrenden Gehirn, das Landru selbst im Tod noch gefoltert hatte) hatte er Details über die Vorgänge in dem unzugänglichen Gebäude erfahren. Von da ab hatte er gewußt, wann die Brut ihr Nest verlassen wür de. Aber sie hatte sie alle getäuscht. Sie war zwei Jahre zu früh erwacht … All diese Gedanken blitzten wie ein Gewitter durch sein Bewußt sein, als mitten im routinierten Töten geschah, was nie hätte gesche hen dürfen. Seines Gelübdes wegen durfte er nur indirekt das Blut seiner Opfer trinken. Es hatte tiefere Gründe, daß er dafür das Replikat des ge stohlenen Kelchs erschuf. Doch jetzt zerstob die magische Kopie des Unheiligtums über sei nen Händen! Zersprang in Myriaden Feuerfunken und – Landru wankte. Moskowitz schrie. (Vergiß den alten Trottel!) Landru sank in die Knie. Auch er schrie jetzt. Die Luft erzitterte unter diesem Schrei. Durch seine Knochen raste ein Schmerz, als würde etwas mit einem Atemzug das Mark aus ihnen heraussau gen! Die Wände schienen auf ihn zuzustürzen. Dann erlosch der Schmerz ebenso jäh, wie er eingesetzt hatte. Nur daran, daß Moskowitz verschwunden war, erkannte Landru, daß sein Gefühl log: Der Blackout hatte länger als ein paar Sekunden gedauert! Es war ihm gleich. Er wälzte sich herum, blieb aber auf dem Boden sitzen. Er versuch
te die Fälschung über seinen Händen entstehen zu lassen. Wider Er warten gelang es augenblicklich. Der störende Einfluß war erlo schen. Aber es änderte nichts daran, daß er das Original gespürt hatte! ICH BIN WIEDER DA! Zum erstenmal seit dem Tag seines Verlusts hatte das Unheilig tum nach dem Hüter gerufen! Dem Maskenträger! Und Landru war unfähig zu antworten …
* Beinn Dearg Sie verschloß das Unersetzliche. ER wußte jetzt, daß sie unterwegs war – zumindest konnte er es ahnen. Sie zweifelte nicht, daß Landru noch existierte. Sie waren sich ähn lich. Auch in ihrer Stärke. Wer hätte ihn bezwingen sollen? Wie eine unsichtbare Haut lag das magische Feld um den Kelch und schirmte ihn perfekt ab. Es war nicht zu vergleichen mit dem Kokon, der ein knappes Jahrhundert jeden Impuls geschluckt und auch die Diebin geschützt hatte. Aber schon während der Dekade der Experimente hatte es sich – ausgeweitet über die gesamte Abtei – be währt … »Gehst du fort?« fragte Lyve. »Ja«, entgegnete sie. »Nimmst du mich mit?« »Nein.«
Das Mädchen wirkte weder enttäuscht noch froh. Es war ein Kind, dem Jugend und Träume geraubt worden waren. Und noch mehr. »Du wirst nie mehr allein sein«, sagte sie mit einem Gedanken an das ungewöhnliche Elternpaar, das sie Lyve hinterlassen würde. Sie nahm den Kelch und rief Flint Drummond. »Es kann losge hen.« Gemeinsam gingen sie zum Wagen. »Bist du jemals – geflogen?« fragte sie Drummond. Er schüttelte den Kopf. »Ich hatte nie das Geld – oder das Verlan gen.« Sie schwieg. Dann meinte sie: »Ich bin lange nicht geflogen. Aber auf diese Art, von der du erzählt hast, noch nie. Eine fliegende Ma schine … unglaublich! Zwar weiß ich von den Entwürfen Da Vincis, aber ich hätte nie gedacht, daß sie jemals wahr werden könnten. Ich denke, die Welt ist ein gutes Stück verrückter geworden, seit ich ihr den Rücken gekehrt habe!«
* Sydney Es tat nicht weh. Nicht richtig. Aber das Blut quoll durch die Zwi schenräume der Finger, die sich wie eine Klammer um das ausein anderklaffende Fleisch seines Unterarms geschlossen hatten. Er drückte zu, so fest er konnte. Aber es reichte nicht. Der Schnitt war so lang wie sein Mittelfinger. Moskowitz hatte einen großen Mittelfinger, den er normalerweise brauchte, um sein Mißfallen irgendeiner Sache gegenüber kundzu tun.
Im Moment stand ihm der Sinn nach anderen Dingen. Er wollte leben. Überleben. Er hatte die erste Unsicherheit des Unbekannten, der ihm aufge lauert hatte, genutzt, um sich aus dem Staub zu machen. Wie von Furien gehetzt war er geflohen. Nicht zurück in seine Wohnung, wo er nur eine Sicherheit gefunden hätte: zu verbluten. Jetzt war er unten auf der Straße. Und lief ausgerechnet Samuel Shrieber, Pam Shriebers Mann, in die Arme. Er kam von der Schicht, sah Moskowitz, sah das Blut … und handelte gedankenschnell. »Kommen Sie!« Er fragte nicht: »Wie ist denn das passiert?« Ganz kühl und ver nünftig lenkte er Moskowitz zu dem Wagen, den er gerade erst ein geparkt hatte. Daß ihm das Blut die Bezüge versaute, interessierte ihn nicht. Moskowitz staunte – und erstarrte in Scham. Mochte Shrieber es für Symptome eines naheliegenden Schocks halten, Moskowitz wußte es besser. Sein Mitbewohner blieb wort karg und fragte nur immer wieder, ob Moskowitz noch durchhalte. Jedesmal bestätigte der Veteran mit käsigem Gesicht. Alle Diskretion endete schließlich in der Unfallklinik. »Wie haben Sie denn das geschafft, Meister?« witzelte der dienst habende Arzt mit Holzfällercharme. Moskowitz hatte längst begriffen, daß die Wahrheit ihn schnur stracks in die nächste Nervenheilanstalt verbannt hätte. Dorthin wollte er nicht. »Ich studiere Medizin via Fernkursus«, retournierte er mit angebo rener Schlagfertigkeit, die ihn aber in dieser Situation selbst ver blüffte. »Ich hoffe, Sie sind im Umgang mit Nadel und Faden talen
tierter, als ich es mit dem Skalpell bin …« Da erwischte er den Falschen. Sein Gegenüber kannte nur den ei genen Humor – oder was er dafür hielt. Die örtliche Betäubung, die er Moskowitz verabreichte, hätte keinen Stallhasen beeindruckt. Das Gewebe wurde nicht einmal pelzig. Veterinär! schimpfte der Fotograf lautlos und konzentrierte sich auf seine Freude, davongekommen zu sein.
* Es war früher Morgen. Freundliches Licht fiel in das immer noch sehr spartanisch eingerichtete Apartment. Beth schien nicht zum Neueinrichten gekommen zu sein, wirkte aber ausgeschlafener als Lilith, die – mit kleinen Unterbrechungen – seit zwei Tagen im Ge sträuch neben Salem Enterprises hing. Und sich nun endlich einbildete, den Plan in der Tasche zu haben. »Und?« fragte die Halb vampirin. »Was hast du herausgefunden?« »Es geht voran«, erwiderte die Freundin, die dennoch ein Gesicht machte, als hätte sie erst kürzlich eine Hiobsbotschaft erhalten. »Ich habe es mir nicht so riesig vorgestellt. Der Rohbau nimmt das kom plette Grundstück ein. Was die Anwohner wohl zu einem solchen Monstrum sagen?« »Nichts. Man wird sie beizeiten stumm gemacht haben.« »Du meinst …?« Lilith schüttelte den Kopf. »Nein. Auch Mammon macht stumm.« »Nicht jeden.« Schulterzuckend setzte Lilith an: »Die anderen –« Dann stockte sie und verkrampfte gleichzeitig.
»Was ist?« fragte Beth. Lilith strich durch ihre Haarmähne. »Ich weiß nicht. Der Symbiont … Er fühlt sich, seit er von mir getrennt war, verändert an …« »Inwiefern?« »Ich weiß es nicht … Er gehorcht zwar, aber ich habe ein ungutes Gefühl.« »Vielleicht bildest du es dir nur ein«, gab Beth MacKinsey zu be denken. »Vielleicht. Wie spät ist es?« »Gleich acht.« »Dann muß ich los.« »Aber du bist gerade erst gekommen«, protestierte Beth. »Ich weiß. Aber ich will heute mein Ticket lösen – und der Bus kam bislang immer auf die Minute pünktlich …« »Ticket … Bus?« Lilith lächelte. »Später!«
* Uruk Sie hatten sich einen Jeep besorgt, Hacken, Schaufeln und anderes Gerät. Nun gruben sie. Wie jetzt, da nur die Sterne und ein zuneh mender Mond ihr karges Licht über ihnen ausschütteten. Sie waren zu dritt. Sie alle hatten den steilen, unzugänglichen Felsklotz in Sichtweite der Stadtreste von Uruk erklommen. Und nacheinander hatten sie der Schlange mit den zwei Köpfen ihre Aufwartung gemacht.
Danach war alles leicht gewesen. Die Genehmigung des Präfekten erlaubte ihnen Ausgrabungen ab seits der freigelegten Ruinenreste. Mitten im Wüstensand begannen sie zu graben. Vorzugsweise nachts. Denn zwei von dreien waren tot, weshalb sie den Sonnenglast eines wolkenfreien Tages mieden. Der Dritte war auch tot. Aber auf andere Weise, die ihm das Son nenlicht verträglicher machte. Sie alle waren gekommen, weil sie so handeln mußten. Es würden mehr werden mit der Zeit. Bestimmt. Die Aufgabe war zu schwer, um sie auf so wenigen Schultern zu tragen. Aber darüber dachten sie nicht nach. Die, die bereits da waren, schufteten, ohne zu schwitzen. Bis auf den, der sich innerlich noch nicht völlig damit abgefunden hatte, dem Leben entrissen zu sein. Duncan Luther war auch der einzige, der noch aß und trank. We nig zwar, aber immerhin. Sie redeten nur das Nötigste. Bei Tag grub nur er, in dessen Brust ein Herz schlug. Durch dessen Adern Blut floß. Und in dessen Hirn immer noch Sehnsüchte gebo ren wurden, die niemand erhörte. So verging die Zeit …
* … auch anderswo: Brescia Lords fröstelte. Sie war ihrem eigenen Blick in der spiegeln den Fläche eines Vitrinenschranks begegnet. Auf ihre wie blank po
lierten, strahlenden Augen war sie immer besonders stolz gewesen. Auch das fortschreitende Altern hatte ihnen nie etwas anhaben kön nen. Um so niederschmetternder war die Erkenntnis, daß selbst das Funkeln von Juwelen irgendwann erlosch. Die Veränderung fing weder bei den Augen an, noch hörte sie dort auf. Brescias Gesicht, ihr Hals, kurz: der ganze Körper zollte offen bar dem Raubbau Tribut, den sie mit ihm trieb. Verbraucht, verhärmt, abgewirtschaftet, konstatierte die Wissen schaftlerin bemüht kühl – aber hinter dieser Kühle brodelte ein Schmelztiegel von Gefühlen. Sie hatte sich für ihren Beruf entschie den, weil er sie – in begrenztem Rahmen, versteht sich – zu einem gottgleichen Wesen erheben konnte. Oder zu einem Satan erniedrigen, wenn man den ewig Gestrigen Gehör schenkte, denen alles wider den Schöpfungswillen erschien, was menschlicher Intellekt im Reagenzglas heranzuzüchten ver mochte. Das war engstirnig, zugleich aber allzu menschlich. Brescia hatte es stets toleriert, daß Blicke nicht an ihrem Hintern oder an den wohlgeformten Schenkeln endeten, sondern weitergin gen. Tiefer. Als müßten sich eingeweihte Gesprächspartner überzeu gen, daß sie keinen Pferdefuß besaß … Ein Workaholic war sie dennoch nie gewesen. Bis sie die Laborlei ter-Stelle bei Salem Enterprises angetreten hatte. Seither benahm sie sich wie eine von allen guten Geistern verlassene Arbeitssüchtige! Seitdem fühlte sie sich von ihrem Job aufgefressen … Sie blickte immer noch in die stumpfen Augen, die ihr aus der Glastür entgegenstarrten. Das bin ich nicht, dachte sie. Ätsch, dann schau mal in einen richtigen Spiegel! schien die Reflexion zu höhnen. Mit deinen Augenrändern siehst du aus wie Zorro für Arme!
Sie wandte sich ab. »Probleme?« fragte Radcliffe, der nie Probleme hatte. Zumindest nicht solche, die sich um Diskrepanzen zwischen Körper und Seele drehten. Er war dick geboren und Dickhäuter geblieben. Beneidenswert. »Soll ich gehen …?« Er nickte mit seinem kugel rundem Kopf in die Richtung, die Brescia längst ins Auge gefaßt hatte. »Nein!« fauchte sie. Er hob die Brauen. Normalerweise herrschte gedämpfter Umgang untereinander. Brescia war selbst irritiert über die Wallungen, in die Radcliffe sie versetzte. Vielleicht lag es daran, daß er immer wie ein schleimiger, kleiner Intrigant durch die Gänge schlich. Aber eigentlich taten das alle. Ich auch, dachte Brescia. Es war paradox, daß sie überhaupt anfing, darüber nachzudenken … »Ich komme mit.« Ihr unattraktiver Kollege ließ nicht locker. »Später«, vertröstete sie ihn. Und wunderte sich, daß er sich damit abspeisen ließ. Sie wechselte in die Versuchskammer, und sofort verblaßten alle Zweifel. Brescia wußte nicht, wie viele voneinander unabhängige Teams es innerhalb der Firma gab. Aber den Andeutungen ihres Chefs war zu entnehmen, daß sie hier am weitesten mit ihren Bemühungen fort geschritten waren. Obwohl damit keinerlei Sonderbehandlung verbunden war, emp fand sie es als persönliche Genugtuung. Hora schaute täglich einmal vorbei und ließ sich Bericht erstatten. Er drängte nie. Aber es war klar, daß er den Tag herbeiwünschte, da er etwas anfassen konnte. Es war verständlich. Brescia wünschte es auch.
Und wieder versetzte es sie in einen Zustand gebremster Eupho rie, daß sie das Resultat vermutlich noch vor Hora berühren würde … Sie schloß die Tür und öffnete ein Wandfach, in dem ein mit Was ser gefüllter Becher und eine kleine Schale mit einer Anzahl von Pil len stand. Die Tabletten schüttete sie in die Hand und von dort aus in die Mundhöhle. Dann spülte sie alle auf einmal mit ein paar Schlucken Flüssigkeit hinunter. Es war nichts, worüber sie hätte nachdenken müssen. Sie verlor ungern Zeit beim Frühstück. Tabletten waren ideal. Sie enthielten al les, was der Körper verlangte. (Warum sieht er dann einer ledrigen Mumie immer ähnlicher?) Brescia widerstand den Einflüsterungen, die sie nur vom Wesentlichen ab halten wollten. Das Wesentliche schwamm vor ihr im gläsernen Tank. Es war schön. Es wuchs täglich und gedieh prächtig unter Brescias Obhut. Es be saß keine Haare – soweit waren sie noch nicht –, aber die Konturen waren bereits eindeutig ausgebildet. Es war Horas Wunsch gewe sen, daß diese Studie keine eindeutig bestimmbaren Geschlechts merkmale besitzen sollte – weder primäre noch sekundäre. Deshalb schwamm ein Neutrum in der breiigen Nährflüssigkeit. Brescia nannte »es« Ruby, obwohl das natürlich eher zum Maskuli nen hin tendierte. Aber sie nannte Ruby nur in Gedanken beim Na men, oder wenn sie allein mit ihm war. Das schien ihr vertretbar. Hora brauchte es nicht zu wissen. Und gewiß nicht Radcliffe, der den Mund nicht halten konnte. »Hallo, Ruby!« Sie sah sofort, daß er sich in den letzten Stunden weiterentwickelt hatte. Es ging nun sehr schnell. Der Ansatz der Zellkultur hatte
mehrere Wochen in Anspruch genommen. Aber seit die genetische Mixtur vollendet war, ging es rapide voran. Jeder halbe Tag brachte einen sichtbaren Schub. Ruby schwieg. Er hatte noch nie etwas gesagt, und seine Lippen machten den Ein druck, als würden sie dazu nie in der Lage sein. Hinter der Einker bung sah das Gewebe wie zusammengeschweißt aus. Aber notfalls wollte Brescia den Mund aufschneiden. Sie fieberte dem Tag entge gen, an dem sie Rubys Kehle den ersten Laut entlocken würde. Es war einfach Wahnsinn, was hier geschah. Es war Wahnsinn, wie leicht hier alles ging! In den Labors, wo Brescia früher gearbeitet hatte, war schon eine genveränderte, schimmelresistente Tomate als Sensation gefeiert worden. Hier machte man Menschen! Menschen? Sie schob die aufkeimenden Zweifel beiseite. »Ruby, lächele mal …« Das puppenglatte Gesicht veränderte sich nicht die Spur. Die Haut besaß noch keine Farbe. Sie war fahl. Die Augenhöhlen präsentier ten sich als erkennbare Vertiefungen. Lider zeichneten sich noch nicht ab, von Pupillen ganz zu schweigen. Anfangs war Brescia von der feingeschwungenen Nase begeistert gewesen. Aber mittlerweile faszinierte sie das Kinn am meisten. Es hatte etwas (ja, ja, sie fand es selbst lächerlich) Aristokratisches … »Wann wird es erwachen?« Brescia fuhr herum. In der offenen Tür stand Hora, und hinter ihm schnitt Radcliffe Grimassen – wahrscheinlich nicht einmal absichtlich. Die Nerven …
Brescia hoffte, daß niemand Zeuge ihres Monologs mit »Ruby« ge worden war. »Es läßt sich nicht voraussagen.« Sie fing sich, weil ihre Gefühle ohnehin kontrollierter als je zuvor waren. Die einzige Frage, die sich ihr in dieser Hinsicht immer wieder stellte, war, unter wessen Kon trolle sie eigentlich standen. »Das System wird sofort Meldung ge ben, wenn es soweit ist.« Mit System meinte sie das Gewirr von Schläuchen und Drähten, das in Rubys Körper mündete. Die Schläuche fütterten, die Drähte stimulierten ihn. Gleichzeitig zeichneten sie alle Aktivitäten des in Gang kommenden Organismus auf. »Kann man es irgendwie – beschleunigen?« »Vielleicht. Aber es könnte alles verderben.« Hora überlegte kurz. Dann sagte er: »Machen Sie weiter wie bis her.« Er drehte sich um und ging. Radcliffe stand enttäuscht in der Tür. Er war immer enttäuscht, wenn andere glimpflich davonkamen.
* Lilith lag in der Kiste, zugedeckt von einer Schicht kleinerer Papp schachteln, in denen Unmengen von Vitaminpräparaten, Aufputsch mitteln und ähnlichem Zeug steckten. Bill hatte es über sie geschaufelt. Der nette Typ, der jetzt am Steuer des Lieferwagens saß und sie durch die Torkontrolle schleusen soll te! Lilith hatte den Wagen gestern bis zu seinem Depot zurückver folgt und sich den dunkelhaarigen Sportstyp zur Brust genommen,
der – wie eine Handvoll anderer Lieferanten – bei Salem Enterprises ein und aus fahren durfte. Spuren hypnotischer Behandlung hatte sie nicht bei ihm entdecken können. Es wunderte sie etwas, daß die »Firma« nicht auf Nummer Sicher ging – andererseits konnte man angesichts der sonstigen Si cherheitssperren darauf vermutlich verzichten. Bill hatte aus dem Nähkästchen geplaudert. Ja, er habe sich natürlich schon über den aufgeplusterten Sicher heitsapparat seiner Kundschaft gewundert. Aber alles, was mit Gen technik in Verbindung stand, war automatisch vom Ruch besonde rer Geheimhaltung umgeben. Nein, er habe noch nicht einmal beiläufig etwas von den Versu chen mitbekommen. Dort, wo er die Präparate und Frischlebensmit tel ablieferte, war nichts außer einer Rampe, die zur Rückseite der Werkskantine gehörte. Dort lud er ab. Den Weitertransport über nahmen andere. Er bekam eine Quittung und durfte wieder heim fahren. Ja, ein paar Weißkittel habe er im Laufe der Zeit doch hin und wie der gesehen. Meist von fern. Sie hatten sehr arrogant auf ihn ge wirkt. Die Nase hoch im Wind, das Gesicht wie ein Tresor verschlos sen. Unnahbar. Aber Genies waren nun mal ein merkwürdiges Völkchen. Bill ak zeptierte das. Sie taten ihren, er tat seinen Job. Jeder auf seine Art. Naja. »Naja«, seufzte Lilith leise, als Bills laute Stimme ankündigte: »Wir sind gleich da!« Danach herrschte »Funkstille«. Und das große Vergessen. Bill wußte von diesem Moment an selbst nichts mehr von seiner
»blinden Passagierin«. Er hatte von keinen speziellen Personenkontrollen gesprochen. Aber in den Laderaum sei von den roboterhaften Werkschutzleuten schon mal genauer geblickt worden. Das war die Hürde, vor der Lilith den meisten Respekt hatte. Denn die Kontrolleure arbeiteten mit Hunden. Scharfen Hunden, wie Bill mit Nachdruck versichert hatte. Und es war ungewiß, wie deren feine Nasen auf die »Schmuggelware« in der Kiste reagieren wür den … Dann spürte Lilith, wie der Wagen stoppte. Endlos lang, wie ihr schien, tuckerte der Diesel im Leerlauf. Sie fing gedämpfte Stimmen auf, hörte aber nicht, was beredet wurde. Jedenfalls ging es nicht voran. Sie verkrampfte. Plötzlich erschien ihr das eigene Vorhaben grundfalsch. Unüberschaubar in seinen Risiken. War es das aber nicht immer schon gewesen? Seit sie von Marsha geweckt worden und dem HAUS entflohen war …?* Vielleicht. Lilith suchte Kontakt zu ihrem Symbionten. Sie fühlte ihn. Er ge horchte. Aber er gab ihr nicht mehr das Gefühl bedingungslosen Schutzes. Warum nicht? Es konnte nur mit ihrer zeitweiligen Trennung zusammenhängen, als ihn die Ärzte in der Militärklinik von ihrem Körper abgeschält hatten. Was hatte man ihm während dieser Spanne zugefügt? Wo von wußte sie noch nichts? Der einzige, der ihr hätte antworten können, schwieg. Auch Lilith sachtes Streicheln des stoffähnlichen, federleichten Panzers half *siehe Vampira 1: »Das Erwachen«
nicht. Dabei hatte sie zeitweise das Gefühl, als wollte der Symbiont sich ihr mitteilen, konnte es aber nicht. Sie haben ihm die Zunge herausgeschnitten! Lilith hing dem absurden Erklärungsversuch nach, bis ein deutli cher Ruck den Wagen durchlief und er wieder anfuhr. Doch die Erleichterung darüber wollte sich nur zögernd einstellen. Mit dem Passieren des Tores fingen die wirklichen Probleme wahr scheinlich erst an …
* Emmerson Radcliffe sah in Brescia Lords eine Gefahr. Für das ge samte Projekt. Sie war in seinen Augen zu sehr engagiert und ver hielt sich oft … merkwürdig. Sie zeigte Emotion. Blößen, stellte er klar. Er hatte – ebenso wie Hora – gehört, daß sie das Geschöpf »Ruby« genannt hatte. Ruby! Es war nicht einmal ein schöner Name und unpassend obendrein! Hora mußte die Entgleisung überhört haben. Es war unvorstellbar, daß er nicht reagiert hätte, wenn dem nicht so gewesen wäre … »Wohin wollen Sie?« Ihre Stimme holte ihn an der Tür ein. Natürlich fiel ihr auf, daß Radcliffe, nachdem er zuerst nicht hatte erwarten können, das Herz ihres gemeinsamen Arbeitsbereichs zu betreten, nun schon wieder fort wollte. Gemeinsam hatten sie mit dem Tagescheck begonnen.
»Mir ist eingefallen, daß Bangors Abteilung uns immer noch nicht den neuen Zusatz zur Nährflüssigkeit geliefert hat …«, sagte er. Es war improvisiert, hörte sich aber plausibel an. Sie nickte, ganz offensichtlich nicht unfroh, seine Kehrseite aus der Tür verschwin den zu sehen. Radcliffe wäre der letzte gewesen, der anderen vorsätzlich eine Freude machte. Hier tat er es. Mit einem Hintergedanken. Er mußte mit Hora reden. Er mußte ihn überzeugen, daß die Person seines Vertrauens den Fortgang der bislang so positiven Entwick lung gefährdete. Und daß die bisherigen Fortschritte nicht Brescia gutzuschreiben waren, sondern ihm … Emmerson Radcliffe wußte nicht, daß er in diesem Moment genau das tat, was er seiner Rivalin vorwarf: Er zeigte Emotion. Sein Ge sicht verzerrte zur hohlen, selbstgefälligen Grimasse. Im nächsten Moment wurde er von einem unwiderstehlichen Arm, der sich um seinen Hals legte, nach hinten gerissen. Eine Hand preßte sich auf seinen Mund, und eine Stimme erklärte eindringlich: »Kein Laut! Ich töte sofort!« Die Drohung verfing nicht. Radcliffes Gedanken kreisten immer noch schwerfällig um Brescia Lords. Er begriff überhaupt nicht, was mit ihm passierte, sondern riß die fremde Hand weg und setzte – ohne Rücksicht auf Konsequenzen – zum Schrei an.
* Kurz vorher Jemand setzte Liliths »Versteck« hart auf dem Boden ab. Zuvor war sie, auch nicht gerade behutsam, hin und her geschaukelt worden.
Das konnte sie verschmerzen. Sie hörte keinerlei Stimmen. Das Entladen des Transporters verlief schweigend. Nur Schrittgeräusche drangen regelmäßig an Liliths Gehör – bis auch diese erstarben. Sie wartete. Minutenlang. Erst als es still blieb, stemmte sie sich von innen gegen den Deckel der Kiste. Zeitlupenhaft hebelte sie die Nägel aus der Holzumran dung. Ein leises Quietschen ließ sich nicht unterdrücken. Durch den größer werdenden Spalt fiel keinerlei Helligkeit. Der Raum, in den man die Waren gebracht hatte, war fensterlos und finster. Ein reines Zwischenlager. Lilith wurde mutiger. Obwohl sie mit nachtsichtigen Kreaturen rechnen mußte, verließ sie sich auf ihr Gefühl, allein zu sein. Bill war vermutlich längst wieder vom Gelände verschwunden. Sie wollte ihn auch nicht nachträglich gefährden, weshalb sie, kaum der Box entstiegen, alles wieder so herrichtete, daß später keine Rückschlüsse gezogen werden konnten, wie sie ihr Ticket zum Ein tritt in die geheime Wunderwelt von Salem Enterprises gelöst hatte. Diffuse Röte hatte sich wie eine Doppelbelichtung über die Schwärze des Raumes geschoben. Liliths vampirische Sinne ver stärkten das überall nistende Restlicht und verwandelten das Wa renlager in einen surreal wirkenden Ort. Gewohnheitssache. Lilith kam gut damit zurecht. Ohne ein einzi ges Mal anzuecken, erreichte sie die Tür gegenüber der Wand mit dem Rolltor. Bis hierher blieb ihr das Glück treu. Die Tür war unverschlossen. Lilith öffnete. Ihre Augen sahen in grelles Licht und stellten sich auf Normalsicht um. Wieder erinnerte sie sich an ihren ersten Besuch. Der Firmenkom plex von Salem Enterprises hatte scheinbar verlassen dagelegen, in
die Nacht eingebettet. Kein Lichtstrahl war aus den vielen Fenster fronten gefallen … … und dennoch war es drinnen überall taghell gewesen. Das Fens terglas schien das Licht nur in einer Richtung durchzulassen. Salem Enterprises schlief nie! Lilith kannte Hora II bislang nur vom Hörensagen. Vielleicht wür de sich dies aber schon heute ändern. Sie fürchtete keine Konfrontation. Sie hatte nur vor einem Angst: daß die Versuche in diesen Laboratorien zu einem Ergebnis führten, das nie mehr unter Kontrolle zu bringen wäre. Genmanipulierte Vampire! Blutjäger, gegen die religiöse Waffen wie Kreuz oder Weihwasser unwirksam waren und die sich frei und unenttarnbar unter den Menschen bewegen konnten! Ein Alptraum … Lilith glitt nicht sofort auf den Gang. Sie hörte Schritte, und kurz darauf lief eine ganze Gruppe in weiße Kittel gekleideter Menschen an ihr vorbei. Sie beobachtete sie durch den Türspalt. Sie diskutier ten verhalten, aber ihre Augen waren stumpf, und sie bewegten sich wie Figuren auf einer Leinwand, deren Projektor eine Spur zu lang sam lief. Jedem Kittel war vorn eine I.D.-Card ans Revers geheftet. Mit Lichtbild und allem Pipapo. Allein das verriet, daß Lilith es mit Menschen zu tun hatte, keinen Kreaturen oder Vampiren. Diese hät ten keinen Ausweis benötigt, einander zu erkennen. Noch etwas bemerkte sie, während die Gruppe bereits um die Korridorbiegung verschwand: In bestimmten Abständen waren Überwachungskameras an der Decke angebracht! »Verdammt!«
Sie fluchte, weil diese Kameras ein vampirspezifisches und in die sem Fall ihr Problem waren! Sie hatte es damals bei Leroy Harps er lebt: Nicht nur in Spiegeln – auch auf einem Videoband wurde ihr Körper nur verschwommen abgebildet! Sie konnte sich ausrechnen, was geschah, wenn plötzlich ein ver waschener Schemen den Gang entlanglief. Irgendwo würden alle Alarmglocken losschlagen …! Andererseits hatte sie nicht die Absicht, in der Warenkammer zu überwintern. Als sie an sich herabblickte, hatte der Symbiont bereits reagiert. Auch Lilith trug jetzt einen weißen Kittel. Und … Eine I.D.-Card? Wieder einmal erkannte Lilith, wie beschränkt ihr Wissen über die Fähigkeiten des Symbionten war. Er besaß keine Augen – aber of fenbar war er in der Lage, mit ihren Augen zu sehen. Sie hatten die Vorlage dessen geliefert, was sich jetzt um ihren Körper schmiegte. Inklusive gefälschtem Konterfei auf einer ge fälschten Identifikationskarte! Das Bild war kein wirkliches Bild. Es sah aus wie aus vielen porenartigen Pünktchen zusammengesetzt, und es vermochte einen Betrachter nur flüchtig zu täuschen. Der Kittel selbst reichte ihr fast bis zu den Knöcheln und hörte am Hals auf. Aber über das Haar hatte sich eine Art »Häubchen« ge stülpt, wie Ärzte es bei Operationen überstreiften. Lilith verstaute ihr mähniges Haar so gut es ging darunter. Der Symbiont ließ sich ablichten. Mit viel Glück, und wenn sie nicht ständig das Gesicht in eine Kamera richtete, mochte es eine Weile gutgehen … Sie glitt auf den Gang und wandte sich in die Richtung, aus der die Wissenschaftler gekommen waren. Ihre Blicke suchten den Deckenverlauf ab. Immer wenn eine Über
wachungskamera in Sicht kam, drehte Lilith das Gesicht weg. Mög lichst unauffällig. Und doch würde einem aufmerksamen Beobach ter kaum entgehen können, daß es absichtlich geschah. Sie mußte es riskieren. Sie brauchte einen der hier beschäftigten Wissenschaftler. Und dafür brauchte sie ein Stück Korridor, das nicht von Kameras eingesehen werden konnte – und zugleich eine Möglichkeit bot, sich zu verbergen. Das Glück war ihr weiterhin hold. Wider Erwarten entdeckte sie kurz darauf eine Kamera, die offensichtlich defekt war: Farbige Drähte hingen daraus hervor, und quer an die Wand gelehnt lag eine Leiter. Ein Wandpaneel war geöffnet worden und offenbarte in Brusthöhe einen Sicherungskasten. Darunter war genügend Raum für einen schlanken, nicht allzu großen Körper. Der Platz war ideal. Der Mechaniker, der ganz offensichtlich dabei war, die Kamera zu reparieren, war nirgends zu sehen. Lilith verbarg sich in der Wandnische. Nicht lange, und ein einzel ner, dicklicher kleiner Mann kam des Wegs …
* Sie wußte nicht, was es war. Es war nicht der Wille, der sie sonst lenkte. Es war etwas … anderes. Es schien aus dem Behälter zu kommen … Brescia Lords wandte sich von den Geräten ab, deren Werte sie routinemäßig in ein Buch eintrug, und sah hinüber zu dem gläser nen Sarg, der neues Leben gebären sollte. Das Neutrum schien sich selbst in den wenigen Minuten, die sie ihm den Rücken gekehrt hatte, verändert zu haben.
Haare, dachte sie, von Genugtuung erfüllt. Seine Haare beginnen zu sprießen … Es war ihr Kind, ihr Geschöpf! Sie war nie vorher Mutter gewesen und wußte nicht eindeutig, ob es Muttergefühle waren, die sie zu manchmal völlig unlogischen Handlungen hinrissen. Schon die Namensgebung dieses Wesens war ein Indiz dafür gewesen, wie sehr sich nicht nur das Wesen, sondern auch sie selbst entwickelte. Sie ging auf den Behälter zu. Ruby, dachte sie warm und legte ihre Hände auf den Deckel. Es reihte sich nahtlos in die Serie von Absurditäten ein, daß sie die Wärme des immer perfekter werdenden Körpers durch die Barriere hindurch zu fühlen glaubte.
* Es mußte schnell gehen. Lilith verstieß gegen eine eherne Regel, die sie sich einmal gesetzt hatte: Sie durchbrach den Hypnoseblock, den ein anderer Vampir um den Willen seines Opfers gelegt hatte! Die Folgen waren nicht vorhersehbar. Wahnsinn konnte für immer den Geist des Unglücklichen zerrütten, wenn ein zweiter Wille in ihn eindrang und Besitz von ihm nahm. Sie mußte es riskieren. Sie mußte herausfinden, ob Feyns Darstel lung der Vorgänge in Salem Enterprises der Wahrheit entsprochen hatte. Der Schrei des Mannes erstarb. Er taumelte. Sein Widerstand brach. Und tatsächlich glitzerte sekundenlang kalter Wahn hinter seinen Netzhäuten.
Dann war der Kampf entschieden. Er beruhigte sich. Seine ange spannten Muskeln erschlafften. Flach atmend lag er mit Lilith am Boden, wohin sie ihn gezogen hatte. »Ruhig«, flüsterte sie. »Ich will dir nicht wehtun. Bleib ganz ruhig. Du sollst mir nur ein wenig über deinen Job hier verraten …« Er blickte leer zu ihr empor. »Ich bin Gentechniker …« »Keine Nebensächlichkeiten. Woran arbeitet ihr – du und deine Kollegen?« Er schwieg. Er suchte nach Worten. Auf seiner Stirn stand der Schweiß. Seine Lippen öffneten sich ein paarmal, ohne daß ihnen mehr als ein Seufzer entglitt. Dann sagte er: »Menschen! Neue … Menschen!« Lilith schüttelte den Kopf, obwohl ihr klar war, daß der dicke Mann überzeugt war, die Wahrheit zu sagen. »Was soll diesen ›neuen‹ Menschen vom ›alten‹ unterscheiden?« fragte sie dann. »Stärke! Beschränkung auf das Wesentliche …« Abstrakt. Viel zu abstrakt. »Welche Nahrung nimmt dieser … neue Mensch zu sich?« »Blut.« Es kam mit einer Selbstverständlichkeit, die bewies, daß der Befragte irgendwann aufgehört hatte, sich Fragen über solche »Normalitäten« zu stellen. »Vampire«, murmelte Lilith. »Also doch. Feyn hatte recht.« »Feyn?« Sie ging nicht darauf ein. »Ihr … perfektioniert also ›Menschen‹ …?« Er verneinte. »Wir schaffen sie.« Sie stutzte. »Woraus?«
»Aus Zellen, die wir züchten.« Lilith hielt inne. Plötzlich war das Gefühl, Feyns Bericht bestätigt zu finden, weg. Sie war irritiert, weil hinter den Worten dieses Man nes viel mehr – und zugleich ganz anderes zu lauern schien. »Genauer!« verlangte sie. »Ihr beeinflußt nicht nur spezifische Ei genschaften vorhandener ›Menschen‹ …?« Sie behielt das Wort be wußt bei, weil er überzeugt zu sein schien, es mit Wesen seiner eige nen Rasse zu tun zu haben, nicht mit Vampiren. Er schüttelte den Kopf. Er schwitzte noch mehr. Rinnsale liefen wie kleine Bäche über seine feisten Wangen. Jeden Moment konnten Schritte erklingen. Jeden Moment konnte der Mechaniker auftau chen, um die Kamera instand zu setzen, oder Kollegen dieses Wis senschaftlers – oder die Herren der Unterdrückten. »Wir klonen«, sagte er. »Wir haben den Auftrag, Nachwuchs in der Retorte zu zeugen, und wir stehen kurz vor dem Durchbruch!« Lilith zuckte zusammen. Sie spürte einen Stich im Bauch. »Nach wuchs«, fragte sie belegt, »der sich von Blut ernährt?« »Natürlich.« Es war natürlich – für ihn. Obwohl sie das Programm der Vampire in seinem Denken durchbrochen hatte, wirkte es immer noch in ihm nach. Weil sein eigener Wille nun von Liliths Hypnose unterdrückt war. Anders würde es sein, wenn auch sie ihn freigab. Dann würde er vermutlich über sich und sein vergangenes Tun nachzudenken beginnen. Und dies würde schmerzhaft werden. Sofern er ein Mensch mit Skrupeln war. Seine Andeutungen wiesen alle in eine Richtung: Hora suchte eine Möglichkeit, den Verlust des Kelchs auszugleichen! Er suchte einen Weg, vampirischen Nachwuchs unter Umgehung des gestohlenen Lilienkelchs zu erschaffen … Lilith überlegte fieberhaft. Sie beschloß, den Wissenschaftler nicht
freizugeben. Er mußte ihr helfen. Er kannte sich hier aus – sie nicht. Sie fragte ihn über die Örtlichkeiten aus und gab dann eindeutige Befehle, die er ohne Murren akzeptierte. Dann trennten sie sich.
* »Wer sind Sie?« Lilith schloß die Tür, durch die sie getreten war. Sofort hatte sie ein Gefühl, als lege sich eine Schlinge um ihren Hals. Eine verhärmte, etwa fünfzigjährige Frau blickte ihr entgegen. Auf ihrer I.D.-Card stand Dr. Brescia Lords. Auf Liliths Karte stand – nichts. Nichts Entzifferbares jedenfalls. Die Wissenschaftlerin hatte dies mit einem Blick erfaßt. Liliths Augen schweiften automatisch zu dem auffälligen Behälter in der Raummitte – aber anschließend sofort wieder zu der Frau. »Ich komme wegen ihm …« Liliths Arm wies zu dem gläsernen Schrein, der, mit rötlich-transparentem Brei gefüllt, wie ein gläser ner Schneewittchensarg wirkte. »Wer sind Sie?« Hysterie schwang in der Stimme der Frau. Es gab keine Veranlassung, länger zu warten. Liliths Blick grub sich in die unsteten Augen der Wissenschaftlerin. Der Block war so fort spürbar. Wie ein dichtes Netz legte sich der Wille eines Vampirs um die beiden Hemisphären dieses Gehirns. Sie mußte es zerstören, um der Frau ihre eigene Hypnose aufzuzwingen. Zum zweitenmal mußte sie volles Risiko eingehen. Brescia Lords schrie schrill auf. Sie taumelte.
Lilith wollte sich ihr entgegenwerfen, um sie aufzufangen. Aber in diesem Moment verwandelte sich der Symbiont an ihrem Körper. Nicht, um die Frau zu attackieren – er schien einfach überzuschnap pen. Der Kittel auf Liliths Haut zerfloß amöbenhaft. Statt dessen wurde eine Art unbekannte Uniform sichtbar. Auch sie verging und mach te einem weitfallenden, tristen Umhang Platz … Binnen Sekunden spulte das Mimikrykleid ein komplettes Waren haussortiment herunter. Bis Lilith es nicht mehr ertrug. Stopp! Das Wechselspiel kam ins Stocken. Was, zur Hölle, ist los? Keine Antwort … Lilith eilte zu der gestürzten Frau, half ihr auf. Zugleich spürte sie etwas, das vielleicht auch den Symbionten beeinflußte. Etwas von unheimlicher Präsenz füllte urplötzlich den Raum, und die lockere Schlinge um Liliths Hals schien sich enger zuzuziehen. Sie blickte hinter sich. Der schwimmende Körper in dem »Hi-Tech-Schrein« regte sich nicht. Er wirkte nicht einmal fertig. Dennoch … »Was für einen Homunkulus haben Sie da geschaffen?« wandte sie sich an Brescia Lords. Ihr Wille zerschnitt das dunkle Netz und wob ein eigenes, neues. »Wir müssen ihn zerstören!« Ein gurgelnder Laut wich aus der Kehle der Frau. Sie stieß Lilith von sich. Lilith war überrascht von der Gegenwehr. Sie hatte ihren Sugges tivkräften vertraut. Aber diese Frau war von anderem Kaliber als ihr Assistent. Und noch etwas anderes, in der Kürze der Zeit Undefi nierbares schien sie zu diesem Widerstand zu befähigen …
Lilith sprang vor und versuchte sie an den Armen zu packen. Not falls mußte sie sie eben niederschlagen. In diesem Moment sackte die Wissenschaftlerin wie vom Blitz ge fällt in sich zusammen. Ungläubig starrte Lilith auf sie nieder. Ohnmächtig (oder gar tot?) lag Brescia Lords da … Lilith hörte auf, über den Grund für diesen Zusammenbruch nach zudenken. Sie hastete zum »Schrein«. Immer erstickender füllte die von dort ausgehende Kraft den Raum. Harmlos und unschuldig lag das Geschöpf im Bad unbekannter Flüssigkeit. Drähte und Schläuche liefen in verschiedene Bereiche seines unnatürlich glatten Körpers. Ein Gespinst nasser Haare um spannte den Kopf. Die Brust hob und senkte sich schwach. Dort, wo das Geschlecht hätte erkennbar sein müssen, war … nichts. Nur ma kellos glatte, fahle Haut. Lilith erschrak nur kurz. Sie unterdrückte alle drängenden Fragen und stieß den Deckel des Behälters zur Seite. Er kippte und schlug zu Boden, zerbrach aber nicht. Lilith fragte sich nicht, ob sie ein Recht hatte, dieses werdende Le ben zu zerstören. Sie handelte aus einer tiefen, inneren Überzeu gung heraus, daß Salem Enterprises nur Not und Verderben über die schon genug geplagte Menschheit bringen wollte. Dies war kein neuer »Mensch« – es war ein neuartiges Monster! Und es mußte be siegt werden, bevor es vollständig erwachte, seine erstickende Aura endgültig entfaltete! Vermutlich wußte nicht einmal Brescia Lords selbst, was sie hier fabrizierte … Liliths Hand tauchte in den durchsichtigen Brei. Sie griff mehrere Drähte und Schläuche auf einmal, um sie herauszureißen. In dem Moment aber, da sie daran ziehen wollte, geschahen zwei
Dinge: Hinter ihr erklang ein warnendes Fauchen – und unter ihr schien in diesem Augenblick eine Perforationsnaht innerhalb der Augenhöhlen des Neutrums aufzuplatzen. Seine Lider sprangen auf. Der Blick lähmte Lilith eine weitere Sekunde. Und dann schlug ihr von hinten etwas mit furchtbarer Wucht auf den Schädel. Vor ihren Augen explodierte Schwärze. Sie wußte nur noch, daß ihre Hand, die das Gewirr umschloß, nicht loslassen durfte. Dann fiel sie.
* Sie erwachte in einem ebenso chaotischen wie gespenstischen und gefährlichen Szenario. Sirenen heulten. Trotz geschlossener Tür drang Brandgeruch in den Raum, auf des sen Boden Lilith zu sich kam. Sie öffnete die Augen – und rollte zur Seite. Sie wußte nicht, wieviel Zeit vergangen war. Neben ihr erhob sich der Behälter, in dem es brodelte und schwappte. Brescia Lords beug te sich über den Rand und schien Lilith völlig aus ihrem Bewußtsein verdrängt zu haben. »Nein«, röchelte sie. »Nein, du darfst nicht …« Der Druck war gewichen. Dieser unerklärliche, gestaltlose Druck, der auf dem Raum gelastet hatte. Und auch die »Schlinge« um Li liths Hals war fort. Als die Halbvampirin sah, was vorging, stand sie auf.
Die Flüssigkeit in dem Schrein schäumte. Das Wesen darin zuckte und kämpfte. Aber nicht nur an Brescia Lords’ Reaktion war abzule sen, daß es einen vergeblichen Kampf focht. Hinter seinen aufgeris senen Lidern waren keine Augen (noch nicht), dennoch bewegte sich dort etwas … Nicht einmal Lilith ertrug diesen Anblick. Sie wandte sich ab. Den zahllosen Hebeln und Schaltern zu, mit denen die Wände bestückt waren. Sie wußte nicht, was sie tat. Sie betätigte einfach alles, was sie zu fassen bekam, während anderswo Brescia Lords Assistent of fenbar schon erfolgreicher gewesen war. Lilith hatte ihm den Befehl gegeben, soviel Zerstörung wie mög lich innerhalb des Trakts anzurichten. Es schien ihm gelungen. Und auch aus einer der Geräteverkleidungen sprühten plötzlich Funken hervor, begleitet von Qualm und Feuerzungen. Beim Schrein war es still geworden. Etwas schwamm träge und leblos darin, und bei genauem Hinsehen erkannte Lilith, daß auch die Wissenschaftlerin mit dem Oberkörper im Behälter steckte. Ihr Kopf befand sich im Würgegriff ihres Geschöpfes unter der Oberflä che. Beide – sie und das Neutrum – waren tot, und wie es aussah, hatte sich die Frau nicht einmal dagegen gewehrt … Lilith wollte hineilen, als sie mit der Panik des Symbionten kon frontiert wurde. Die Nähe des ausgebrochenen Feuers schien ihn noch unberechenbarer zu machen als der verschwundene Einfluß dieses Raumes. Seltsam. Er war doch gegen Feuer resistent! Nur zu gut erinnerte sich Lilith, wie der Symbiont sie geschützt hatte, als in England der Jahrmarktswagen einer Freak-Show um sie herum verbrannt war. Sie versuchte den Symbionten wieder unter ihre Kontrolle zu zwingen – und provozierte damit ein noch rabiateres Vorgehen sei nerseits. Das gestaltwandlerische Ding scherte sich einen feuchten
Kehricht um Liliths Absichten. Seine Fäden bohrten sich kalt und zwingend in ihr Mark und kontrollierten ihre Nervenstränge. Als seine Marionette floh sie aus dem Firmenbereich. Überall, wo Feuer und Rauch aufstiegen, wich der Symbiont in heller Hysterie aus. Lilith war seine Gefangene. Irgendwann hörte sie auf, sich zu wehren. Irgendwann fand sie sich damit ab, Salem Enterprises nicht in einem einzigen Rundum schlag dem Erdboden gleichmachen zu können. Sie begegnete ande ren, die vor dem Feuer flohen und den noch gangbaren Weg zeig ten. Niemand kümmerte sich um sie, stoppte ihre Flucht ins Freie und dort ihre Verwandlung. Auf ledrigen Schwingen erhob sie sich, immer noch geknechtet, zum Himmel. Daß gerade erst die Dämmerung hereinbrach, scherte sie – beziehungsweise den Symbionten – nicht. Aber bald merkte sie, welchen Weg er befahl. Wußte er noch, was er tat? Wir werden beide untergehen, dachte Lilith. Sie hätte nie gedacht, daß es ihr einmal egal sein würde … Es war dunkel, als unter ihr die Häuser der Paddington Street auf tauchten …
* … und als sie auf dem obersten, bestehenden Stockwerk des Roh baus 333, Paddington Street landete. Nicht auf dem Dach; das war erst nach der Aufstockung weiterer Etagen geplant. Aber es kam auf das gleiche heraus.
Lilith verwandelte sich zwischen Baumaterial und Mörtelbehäl tern in ihre menschliche Gestalt zurück. Ein dunkler, wolkenreicher Himmel spannte sich über ihr. Der Symbiont machte auch diese Transformation mit und schuf ein be quemes Catsuit. Seine »Führungsfäden« zogen sich aus Lilith zu rück. Aber sie brauchte Minuten, um sich von dieser Vergewalti gung zu erholen. Um zu erkennen, daß vor ihr in der Nacht etwas glomm. Ein Licht, das sie lockte. Ein Licht, das nach ihr rief. Es war hell. Und es erinnerte an … Sie stöhnte gequält, als ihr klar wurde, wo sie es schon einmal ge sehen hatte. In Creannas Erinnerungen …! Ohne die Möglichkeit, sich zu widersetzen, stolperte Lilith darauf zu. Sah, je näher sie kam, nicht mehr nur das Licht, sondern auch die am Boden kauernde Gestalt. Auch sie erkannte sie wieder. Lilith zitterte wie Espenlaub. Ihr Herz stockte mehrfach – und be schleunigte dann wieder wie rasend. Gefühle, für die es in diesem Moment keine Namen gab, überwältigten die Halbvampirin, die ur plötzlich und unerwartet zum Greifen nah jene Person vor sich hat te, die einst … Der Gedanke entglitt ihr, wurde überlagert von zehntausend an deren, spukhaften Gedanken. Näher und näher stolperte Lilith auf die Kniende zu, die jetzt den Kopf anhob, als spürte sie ihre An kunft. Als hätte sie auf Lilith gewartet. In Riemen gekleidet, blickte sie Lilith entgegen. Ihr Haar war flam mend rot wie Kupfer und ihre Augen gelb wie flüssiger Sulfur.
»Die schwefeläugige Hexe …«, rann es über Liliths Lippen. »Ich habe auch einen Namen«, sagte die Gestalt zu ihren Füßen. Ihr Gesicht schien einen Moment zu verschwimmen und sich in die lauernde Physiognomie einer großen Raubkatze zu verwandeln. Dann kehrte der vertraute Anblick zurück. Lilith suchte seit langem nach einem Namen für die Namenlose, die ihre Mutter Creanna mit Hilfe des Lilienkelches »geboren« hatte, vor über 260 Jahren. Aber sie fragte nicht. Sie wartete, während das Zittern ihren Körper verließ und sich un natürliche Ruhe in ihr ausbreitete. Der Symbiont wurde noch ruhiger. Er versteifte an ihrem Körper wie harter, unbeweglicher Panzer. Wieder offenbarte die kniende Vampirin ihr Raubkatzengesicht. »Wie würdest du mich nennen?« Lilith brauchte nicht zu raten. Die Antwort stand in Schwefel ge schrieben. Stand in den Augen zwischen den gekreuzten Riemen bahnen. »Felidae …«, sagte Lilith. Felidae zog die Lefzen wie zu einem grausamen Lächeln zurück. »Du weißt es. Du bist wahrhaft von meinem Blut.« In diesem Moment fiel der unbewegliche Panzer von Lilith ab. Amöbenhaft floß der Symbiont zu Boden und versuchte zu ent kommen … ENDE
Duell der Wächter von Adrian Doyle Endlich stehen sie sich gegenüber: die Kelchdiebin Felidae und ihr Geschöpf, die Halbvampirin Lilith. All das Wissen, das Lilith bis lang entbehren mußte, die Erkenntnis, zu welchem Zweck sie auf dieser Welt wandelt, das Rätsel um ihre Existenz – Felidae hat die Antworten darauf. Doch wie wird die Wahrheit Lilith verändern? Ist ihre wahre Be stimmung der Dienst am Bösen? War sie bisher nur fehlgeleitet in ihrem Tun? Und noch eine zweite Entscheidung steht an – ein Kampf um Le ben und Tod, der vor 267 Jahren begann. Denn auch Landru hat die Botschaft des Kelches empfangen …