Nr. 329
Fluß der Gefahren Atlan und seine Freunde unter Piraten von Harvey Patton
Sicherheitsvorkehrungen haben verhi...
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Nr. 329
Fluß der Gefahren Atlan und seine Freunde unter Piraten von Harvey Patton
Sicherheitsvorkehrungen haben verhindert, daß die Erde des Jahres 2648 einem Überfall aus fremder Dimension zum Opfer gefallen ist. Doch die Gefahr ist nur ein gedämmt worden, denn der Invasor hat sich auf der Erde etabliert – als ein plötzlich wiederaufgetauchtes Stück des vor Jahrtausenden versunkenen Kontinents Atlantis. Atlan und Razamon, der ehemalige Berserker, haben als einzige den »Wölbmantel« unbeschadet durchdringen können, mit dem sich die geheimnisvollen Herren der FESTUNG ihrerseits vor ungebetenen Gästen schützen. Die Männer sind auf einer Welt der Wunder und der Schrecken gelandet. Das Ziel der beiden ist, die Beherrscher von Pthor schachmatt zu setzen, auf daß der Menschheit durch die In vasion kein Schaden erwachse. Nach vielen gefahrvollen Abenteuern, die am Berg der Magier ihren Anfang nah men, haben Atlan und Razamon, denen sich inzwischen drei Gefährten angeschlos sen haben, das Zentrum der Dunklen Region erreicht und den harten Kampf um das Goldene Vlies siegreich bestanden. Anschließend machen sich unsere Helden auf den Weg in Richtung FESTUNG, um die entscheidende Konfrontation mit dem mysteriösen Herren von Pthor zu su chen. Doch bevor es dazu kommt, türmt sich ein neues Hindernis vor Atlan und seinen Gefährten auf. Es ist der FLUSS DER GEFAHREN …
Fluß der Gefahren
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Die Hautpersonen des Romans:
Atlan - Der Arkonide ist auf dem Weg zur FESTUNG.
Razamon, Koy, Kolphyr und Fenrir - Atlans Gefährten.
Pärtel - Ein Fußpirat.
Schoßta - Ein Techno aus Donkmoon.
1. Die Nacht war vorüber. Obwohl wir alle nach den Ereignissen im Emmorko-Tal todmüde gewesen waren, hat ten wir nur wenig Schlaf gefunden. Das dun kelrote Glühen hatte uns beunruhigt, das wie ein unheildrohendes Fanal über dem südli chen Horizont hing. Daß es die absolute Fin sternis, die über dem Bereich der Dunklen Region lag, zu durchdringen vermochte, zeugte von ungewöhnlichen Geschehnissen, die sich in der Nähe der FESTUNG abspie len mußten. War wirklich Ragnarök gekom men, die Stunde der Götterdämmerung, wie in der altgermanischen Sage? Wir hatten dar über spekuliert, waren aber naturgemäß nicht zu einem brauchbaren Er gebnis gekommen. Zu dürftig waren die we nigen Fakten, die wir kannten, und Raza mons Erinnerungsvermögen war nach wie vor zu einem großen Teil blockiert. Auch Koy der Trommler war uns in die ser Hinsicht keine Hilfe, denn er hatte bisher von Pthor nur seinen unmittelbaren Lebens bereich gekannt. Die Gegend, in der wir uns jetzt befanden, war ihm ebenso fremd wie uns anderen auch. Er hatte zwar früher den Herren der FESTUNG gedient, aber nie In formationen erhalten, die Dinge betrafen, die ihn nicht direkt angingen. Von Kolphyr hatten wir erst recht nicht viel zu erwarten. Das Antimateriewesen aus einer Zwischendimension hatte erst in den letzten Tagen so viel Pthora gelernt, daß ei ne brauchbare Verständigung mit ihm mög lich geworden war. Seine vollkommen fremdartige Mentalität brachte es mit sich, daß er viele Dinge in gänzlich anderem Licht sah als wir. Ich vermutete zuweilen, daß er gar nicht voll begriff, was hier um ihn
herum vorging. Wir mußten uns also weitgehend auf uns selbst verlassen, Razamon und ich. Fenrir nicht zu vergessen, den riesigen Wolf, der uns nach wie vor ein treuer und brauchbarer Begleiter war. Er war es auch, der leise zu heulen be gann, als endlich die Sonne wieder aufging und das Dunkel hinwegfegte. Dadurch wur den wir geweckt, erhoben uns und streckten die steif gewordenen Glieder. Razamon sah nach Süden, aber von dem roten Glühen war nun nichts mehr zu sehen. »Wir müssen weiter!« drängte er sofort. Ich nickte. »Natürlich, Freund. Nur ein paar Minuten für eine notdürftige Morgentoilette, dann brechen wir auf. Essen können wir während der Fahrt, so daß uns dadurch keine Zeit ver lorengeht.« Wenig später bestiegen wir den Pelchwa gen, der dem bösartigen Zwerg Blodgahn gehört hätte. Seine Bemühungen, uns in dem uralten Gebäude in der Senke umzubringen, waren gescheitert, jetzt war er selbst tot. Wir hatten sein Gefährt am Talausgang entdeckt, und Razamon hatte sich mit seiner Steue rung vertraut gemacht. Somit besaßen wir nun ein gutes und geländegängiges Trans portmittel, das uns viele Stunden mühsamen Fußmarsches ersparen würde. Der Pthorer brachte den Antrieb des Wa gens in Gang, und wir rollten den Abhang des Hügels hinunter, auf dem wir die Nacht verbracht hatten. Die Landschaft war leicht gewellt, aber nur mit niedrigem Pflanzen wuchs bestanden, so daß wir zügig voranka men. Ein leichter Wind wehte uns entgegen und brachte einen Hauch von Feuchtigkeit mit sich. »Wir müssen jetzt bald das Mündungsge biet des Flusses Xamyhr erreichen, Atlan«,
4 sagte Koy mit seiner sonoren Stimme. »Er teilt sich vor der Küste und bildet ein großes Delta, seine Umgebung ist zum Teil ver sumpft. Es dürfte gut sein, nicht zu nahe an ihn heranzufahren, damit der Wagen nicht steckenbleibt.« »Ich werde schon aufpassen«, gab Raza mon an meiner Stelle zurück. Er fuhr, so schnell es ging, sein düsteres Gesicht wirkte noch strenger als sonst. Daß ihn der Haß ge gen die Herren der FESTUNG vorantrieb, denen er seine zehntausendjährige Verban nung auf die Erde zu verdanken hatte, war kein Geheimnis. Er brannte darauf, mit ih nen abzurechnen, mit jenen geheimnisvollen Wesen, die kaum jemand auf Pthor kannte. »Was hast du, Grauer?« fragte ich später, als Fenrir plötzlich scheinbar grundlos zu winseln begann. Er machte Anstalten, durch die zerrissene Deckenplane des Pelchwagens ins Freie zu springen, was ihm bei unserer Geschwindig keit schlecht bekommen wäre. Das hatte auch Kolphyr erkannt, der sich neben ihm befand. Er streckte seine mächtigen Arme aus und hielt den Fenriswolf zurück. Das große und kluge Tier bäumte sich auf und winselte weiter, aber wir achteten nicht dar auf. Wir wollten so schnell wie möglich vor ankommen – und erreichten damit genau das Gegenteil! Der Fluß war nun schon ganz nahe, wir fuhren am Rand des ihn umgebenden Dschungels entlang. Das Gelände war hier eben, nur mit Buschwerk und hohem Ried gras bewachsen. Plötzlich begann es unter uns zu platschen, die Räder des Pelchwa gens wirbelten hohe Wasserfontänen auf. Alarmiert riß Razamon das Steuer herum und versuchte, zur Seite hin auszuweichen, aber es war bereits zu spät. Blodgahns Gefährt war ein Landfahrzeug und nicht schwimmfähig. Zwar waren die sechzehn breiten Reifen sehr geländegängig, so daß man auch in sumpfiger Gegend mit dem Wagen gut vorankommen konnte. Hier begann jedoch ein Sumpf, der nur mit einer
Harvey Patton dünnen, trügerischen Gründecke überzogen war. Unter ihr befand sich eine schwabbeli ge schwarze Masse aus abgestorbenen Pflanzenteilen, in der die Räder einfach nicht mehr greifen konnten. Sie drehten wie rasend durch, brachten uns aber keinen Me ter mehr von der Stelle. Während Gras, Wasser und Morast von ihnen hochgeschleudert wurden, sackte das Vorderteil des Wagens weg wie ein Stein! »Wir müssen hier raus, sonst versinken wir mitsamt dem Gefährt!« brüllte ich den anderen zu. »Stell den Antrieb ab, Razamon, er nützt uns nichts mehr, die Räder wühlen sich nur noch tiefer in den Sumpf.« Der Pthorer gehorchte. Die platschenden und schmatzenden Ge räusche verstummten, der Regen stinkender dunkler Brühe versiegte. Razamon verließ die Fahrerkabine und kam eilig nach hinten. Dort bemühten wir uns bereits, die Risse in der Plane zu erweitern, um durch sie auf die Oberfläche des Wagens zu gelangen. Er ver sank nun mit beängstigender Geschwindig keit, und die gurgelnden Laute unter uns trieben uns zu größter Eile an. Fenrir winselte und jaulte laut, stieß sich ab und sprang mit einem mächtigen Satz ins Freie. Jetzt bedauerte ich, das Verhalten des klugen Tieres nicht richtig gedeutet zu ha ben, obwohl gerade seine Reaktionen uns oft genug vor unbekannten Gefahren gewarnt hatten. Hinterher ist man bekanntlich immer klü ger, spöttelte mein Extrasinn. Ich ignorierte diesen Einwurf, denn ich hatte genug mit mir selbst zu tun. Koy war als erster auf die Oberseite der Plane gelangt und kroch darauf auf das hintere Ende des Wagens zu. Razamon folgte als nächster, aber Kolphyr hatte beträchtliche Schwierig keiten. Sein riesiger und massiger Körper in dem grünlichen Velst-Schleier war einfach zu schwer, um von der Plane getragen wer den zu können. Ich versuchte, ihm zu helfen, aber vergebens. Das Gewebe riß unter sei nem Gewicht, und er glitt ab, um kopfüber im Sumpf zu landen, in dem er sofort wie
Fluß der Gefahren ein Stein versank. Fast wäre ich ihm gefolgt. Gerade im letz ten Moment konnte ich mich noch an eine Stütze klammern, zog mich daran hoch und schwang mich auf die Plane. Sie beulte sich unter dem Gewicht unserer drei Körper tief ein, aber sie hielt. Rasch bewegte ich mich auf ihr Ende zu, während die Fahrerkabine des Pelchwagens bereits zur Hälfte im Sumpf verschwunden war. Das hintere Teil des Fahrzeugs sank langsamer, aber für un seren Geschmack trotzdem viel zu schnell. »Schlechte Aussichten, Freunde!« knurrte der Pthorer. »Der Schwung der Fahrt hat den Wagen noch soweit in den Morast getragen, daß sich zwischen uns und dem festen Bo den mindestens zehn Meter befinden. Wie wir die überwinden sollen, ohne zu versin ken, ist mir schleierhaft. An ein Schwimmen in dieser Masse ist wohl auch beim besten Willen nicht zu denken.« Fenrir schien jedoch das Gegenteil zu be weisen. Sein Sprung hatte ihn etwa fünf Meter von dem Wagen weggebracht. Er war zwar im ersten Moment versunken, hatte sich je doch durch schnelle Bewegungen seiner mächtigen Beine wieder nach oben ge kämpft. Von ihm war aber keine Hilfe zu er warten, ihn regierte jetzt allein sein tieri scher Instinkt. Laut platschend bewegte sich sein Körper von uns weg, auf den festen Bo den zu. Er kam nur langsam vorwärts, dafür aber stetig, seine Rettung war bereits so gut wie sicher. Doch wo war Kolphyr geblieben? Ich sah heftige Bewegungen an der Stelle, wo er verschwunden war, gab ihm jedoch kaum eine Chance. Seine etwa zweihundert fünfzig Kilo waren im vollen Sinn dieses Wortes ein gewichtiges Handikap für ihn. Lange konnte ich mich jedoch nicht damit aufhalten, mir Gedanken über ihn zu ma chen. Der Wagen sank nun immer schneller, die dunkle Brühe kroch mit beängstigendem Tempo zu unseren Füßen empor. »Ich versuche es!« sagte Koy, stieß sich ab und sprang.
5 Razamon und ich zögerten dagegen noch. Wir waren beide relativ unsterblich, ich durch den Zellaktivator in meiner Brust, er durch den »Zeitklumpen« an seinem Bein. Das konnte uns jedoch nicht davor bewah ren, denselben Tod durch äußere Einflüsse zu sterben, wie alle anderen Lebewesen auch! Beide hatten wir nun mehr als zehn tausend Jahre gelebt – sollten wir jetzt hier im Morast elend zugrunde gehen …? Alles in mir sträubte sich gegen diesen Gedanken. Es war aber keine Todesfurcht, die mich bewegte. Dafür hatte ich dem Tod in seinen vielfältigen Erscheinungsformen zu oft ins Auge gesehen. Mir widerstrebte es nur, zu sterben, ehe wir unser Ziel erreicht hatten, die Macht der Herren der FESTUNG zu bre chen. Razamon und ich, wir wären vermut lich die einzigen, denen es gelingen konnte, die Erde vor der Vernichtung durch den »Dimensionsfahrstuhl« Pthor zu bewahren. Ragnarök schien zwar kurz bevorzustehen, aber es war nicht sicher, ob dieses Ereignis wirklich das Ende der FESTUNG herbeifüh ren würde. Ihre technischen und sonstigen Hilfsmittel mußten beträchtlich sein. Blieb sie weiter erhalten, befanden sich Terra und die sieben Milliarden Einwohner weiter in höchster Gefahr! Das Ende meiner Überlegungen war ge kommen, als die morastige Brühe begann, meine Füße zu umspülen. Nur kleine Teile der Plane und die aus ihr herausragenden Stützen befanden sich jetzt noch über der Oberfläche des Sumpfes, sonst war von dem Pelchwagen nichts mehr zu sehen. Ich erblickte Fenrir, dem es inzwi schen gelungen war, sich aufs feste Land zu retten. Er schüttelte sich, um sein Fell zu säubern, sah zu uns herüber und winselte klagend. Einige Meter vor uns befand sich Koy im Kampf mit dem tückischen Sumpf. Er machte verzweifelte Schwimmbewegun gen, kam aber kaum voran, und sein Kopf verschwand immer wieder unter Riedgras und Sumpfwasser. Das zeigte uns deutlich, was uns ebenfalls erwartete, wenn wir ihm
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Harvey Patton
folgten. Spring endlich, du Narr! sagte mein Ex trasinn gefühllos, wie immer. Ich nickte Razamon zu, und dann stürzten wir uns zu gleich in den Sumpf.
* Keuchend und prustend kam ich wieder hoch, spie die stinkende Brühe aus, die mir in Mund und Nase gedrungen war, und schnappte nach Luft. Meine Arme und Beine machten automatisch Schwimmbewegun gen, doch sie hatten gegen einen erheblichen Widerstand anzukämpfen. Morast und Gras bildeten eine zähe Masse, die jede Bewe gung um ein Vielfaches erschwerte, aber nicht dicht genug war, um meinen Körper zu tragen. Neben mir war Razamon dabei, den gleichen Kampf gegen den Sog nach unten zu führen. Dann aber, von einer Sekunde zur ande ren, änderte sich alles für mich. Das Goldene Vlies mit dem Beinamen Anzug der Vernichtung bewies seine beson deren Gaben. Es schien um mich herum eine Zone zu schaffen, die alle widerwärtigen Gegebenheiten einfach neutralisierte! Sein Einfluß ähnelte dem eines Individualschutz schirms, machte mich aber zugleich fast schwerelos. Nun hatte ich keine Mühe mehr, mich an der Oberfläche des Sumpfes zu hal ten. Auch die Schwimmbewegungen fielen mir erheblich leichter; ich kraulte auf Raza mon zu, umfaßte ihn mit der Rechten und zog ihn mit mir. Ich hob meinen Kopf und sah mich nach Koy um. Er behauptete sich noch, ich sah die Broins an seinem Kopf für Augenblicke zwischen Riedgrasbüscheln auftauchen. Nur für das Leben Kolphyrs gab ich nichts mehr. Im nächsten Moment merkte ich jedoch, daß ich mich getäuscht hatte. Einige Meter weiter seitlich gab es eine heftige Bewe gung, dann geriet der Kopf des Antimaterie wesens in mein Blickfeld. »Ich habe festen Grund unter meinen Fü ßen, Atlan«, verkündete der Bera, und sein
nicht eben kleiner Mund zog sich grinsend noch mehr in die Breite. »Bringe du Raza mon in Sicherheit, ich kümmere mich schon um Koy.« Ich atmete auf, als ich dann sah, wie er sich zielstrebig auf den Trommler zubeweg te, dessen Schwimmbewegungen bereits zu ersterben drohten. Seine mächtigen Arme reckten sich empor, umfaßten Koy und stemmten ihn aus dem Sumpf heraus. Er trug ihn wie eine Trophäe vor sich her, und wenig später hatten wir alle das rettende Land wieder erreicht. Wir brauchten geraume Zeit, um uns zu säubern. Dann streckten wir uns mit einem grenzenlosen Gefühl der Erleichterung aus, um uns auszuruhen und von der Sonne trocknen zu lassen. Der Pelchwagen war in zwischen ganz versunken, nur die Spitzen der Planenstützen ragten noch aus dem Sumpf hervor. »Wir sind noch einmal davongekom men«, sagte Razamon schließlich und sah mich aus seinen unergründlichen Augen an. »Allerdings bedeutet der Verlust des Wa gens einen erheblichen Rückschlag für unse re Pläne. Bis zur FESTUNG haben wir noch eine erhebliche Strecke zurückzulegen, für die wir nun wieder nur auf unsere Füße an gewiesen sind. Hoffentlich kommen wir nicht zu spät dorthin!« Ich zuckte resigniert mit den Schultern. »Genaugenommen hat unser ganzer Irr weg auf Pthor eigentlich nur aus Schwierig keiten bestanden, Freund. So gesehen, wäre es einem Stilbruch gleichgekommen, wenn es diesmal glatt gegangen wäre. Natürlich geben wir trotz dieses erneuten Pechs nicht auf. Es bahnen sich außergewöhnliche Er eignisse an, das hat uns das nächtliche Leuchten gezeigt, das selbst die Finsternis der Dunklen Region überstrahlte. Marschie ren wir also weiter, sobald es geht.« »Von mir aus sofort«, sagte Koy, und sei ne Broins gerieten unwillkürlich in Bewe gung. »Ich brenne darauf, meinen Teil dazu bei zutragen, die bösen Mächte auszuschalten,
Fluß der Gefahren die Pthor seit undenklichen Zeiten beherr schen, Atlan.« »Ich nicht weniger«, stimmte Kolphyr ihm zu, und seine Augen schienen noch wei ter hervorzutreten als sonst. »Sie tragen die Schuld daran, daß ich aus meinem Dasein auf Grulpfer gerissen wurde und in dieser fremden Umgebung verkümmern muß, statt mich der Erforschung neuer und interessan ter Dimensionen widmen zu können. Sie ha ben eine große und nicht weniger schlimme Strafe verdient, die Herren der FESTUNG. Glaubt mir, ich bin ein ruhiges und friedli ches Wesen …« »Wir wissen es längst, du Breitmaul frosch«, unterbrach ihn Razamon in gutmü tigem Spott. »Wir sind uns also alle einig, und halbwegs trocken sind wir auch bereits. Brechen wir auf, Lordadmiral?« Ich nickte kurz. »Mit der nötigen Vorsicht allerdings, da mit wir nicht noch einmal in einen Sumpf geraten. Einige Umwege werden uns wohl kaum erspart bleiben, außerdem müssen wir vermutlich diesen oder jenen Mündungsarm des Xamyhr überqueren. Schlimmer als eben dürfte es jedoch kaum noch werden, wenn wir gebührend aufpassen.« Zehn Minuten später waren wir bereits wieder unterwegs. Es wurde ein mühsamer und beschwerli cher Weg, denn je weiter wir nach Süden kamen, um so unpassierbarer wurde das Ge lände. Es gab nur schmale Streifen festen Bodens, alles andere war mehr oder weniger tiefer Sumpf. Wir mußten uns vorsichtig be wegen und jeden Quadratmeter zuerst mit Stöcken abtasten, ehe wir ihn betraten. Trotzdem gerieten Razamon und Koy ein mal in ein Sumpfloch, in dem sie augen blicklich bis zu den Knien einsanken. Nur die rasche Reaktion Kolphyrs, der sie mit seinen starken Armen wieder herauszog, verhinderte Schlimmeres. Die Sonne stieg höher, brachte das Wasser zum Verdunsten und erzeugte so eine dumpfe, lastende Schwüle. Scharen von stechwütigen, blut saugenden Insekten schwärmten aus Gras
7 und Büschen und fielen über uns her. Bald waren alle zerstochen, bis auf den Bera und mich. Kolphyr schützte der Velst-Schleier, mich das Goldene Vlies, das zugleich einen ge wissen Kühlungseffekt bewirkte, so daß ich auch weit weniger schwitzte als die anderen. Schließlich gelangten wir auf eine Landzun ge, die geradewegs auf den Dschungel zu führte. Wir mußten diesen Weg nehmen, wenn wir nicht umkehren und einen kilome terweiten Umweg machen wollten. Ich be trachtete die grüne Wand vor uns mit Unbe hagen, denn ich dachte an den Blutdschun gel, in den ich zusammen mit dem Pthorer auf dem Weg von Orxeya nach Wolterhaven geraten war. Fenrir lief jedoch voran, ohne zu zögern, und so konnten wir hoffen, kei nen neuen Gefahren zu begegnen. Tatsächlich gestaltete sich der Weg nun weit weniger schwierig, als zu befürchten gewesen war. Wir mußten uns zwar durch dichtes Gestrüpp und Lianenvorhänge kämpfen, aber hier war wenigstens der Bo den fest. Zwischen den mächtigen Wurzeln der Urwaldriesen gab es dicke Polster von abgestorbenen Ästen und Blättern, die unser Gewicht mühelos trugen. Dafür gab es in dieser Umgebung zahlreiche Schlangen, und Razamons Schwert erhielt ausreichend Ar beit. Auch Fenrirs Zähne erledigten Dutzen de der Reptilien. Dann lichtete sich fast übergangslos die grünliche Dämmerung um uns herum. Wir gelangten ins Freie und sahen einen der Mündungsarme des Xamyhr vor uns. Er mochte etwa fünfhundert Meter breit sein, beide Ufer waren von dicken Wällen angeschwemmter Hölzer bedeckt. Das Was ser war schwarz und schien ziemlich tief zu sein, hatte aber nur eine kaum merkliche Strömung. Von ihm ging ein Hauch erfri schender Kühle aus, der uns allen guttat. »Trotzdem gefällt es mir hier nicht«, sag te Razamon unbehaglich. »Im Dschungel gab es wenigstens Leben, wenn es auch nur Vögel und die verdammten Schlangen wa ren. Hier ist es dagegen geradezu geisterhaft
8 still, die Tiere scheinen diese Umgebung zu meiden. Außerdem erhebt sich nun die Fra ge, wie wir den Flußarm überqueren sollen.« Ich hörte nur halb zu und gab keine Ant wort, denn mich fesselte etwas anderes. In einiger Entfernung standen Hunderte von Baumriesen mit meterdicken Stämmen bis weit ins Wasser hinein. Die Sonne blen dete mich, und ich legte die Hand über die Augen, um besser sehen zu können. Nun er kannte ich, daß keiner dieser uralten Bäume mehr eine Krone besaß. Auch Äste gab es nicht mehr, nur die Stämme, die zum Teil bis zu hundert Meter hoch aufragen moch ten. Das allein wäre kaum bemerkenswert ge wesen, ich hatte auf Pthor schon viele weit ungewöhnlichere Dinge gesehen. Was mich erregte, war die Tatsache, daß alle diese Stämme mehr oder weniger bearbeitet wa ren. Man hatte die Rinde von ihnen entfernt und das Holz mit viel Geschick mit Schnit zereien versehen. Zum Teil handelte es sich dabei um Orna mente, die aus der Ferne einen bemerkens wert künstlerischen Eindruck machten. Sie bildeten aber den weitaus kleineren Teil der Schnitzereien. In der Hauptsache handelte es sich um Figuren, die furchterregende Fabel wesen oder grimassenartige Gesichter men schenähnlicher oder fremdartiger Wesen darstellten. Ich machte die anderen darauf aufmerksam, und Razamon nickte nach denklich. »Da hat sich jemand eine Menge Arbeit gemacht, denn diese Figuren sind viele Me ter groß, – und es gibt Hunderte von ihnen. Ich frage mich nur, wer es gewesen sein mag, und wozu das gut sein soll. Hier scheint es doch weit und breit keine intelli genten Lebewesen zu geben.« »Irrtum, Freund!« gab ich zurück und wies weiter nach oben. Dort hatte ich in mehreren Stämmen höhlenartige Öffnungen entdeckt, in denen sich etwas bewegte. Ich erkannte mehrere große, vogelartige Körper, die mit einem rotbraunen Federkleid bedeckt zu sein schienen. Genaueres ließ sich jedoch
Harvey Patton nicht feststellen, dafür war die Entfernung zu groß und die Blendwirkung der Sonne zu stark. Koy zeigte sich von all dem kaum beein druckt. »Wir sollten uns hier nicht länger als nötig aufhalten, Atlan«, sagte er nüchtern. »Der Tag ist schon fast zur Hälfte um, und wir müssen über den Flußarm, sonst er reichen wir die FESTUNG nie. Ich bin da für, daß wir uns aus dem angeschwemmten Holz ein Floß bauen, mit dem wir überset zen können.« Ich nickte. »Etwas anderes wird uns kaum übrigbleiben«, stimmte ich dem Andro idenabkömmling zu. Sofort meldete sich auch Kolphyr zum Wort. »Ich werde sofort beginnen«, verkündete er und breitete die mächtigen Arme mit den sechsfingrigen Händen aus. »Ihr Schwäch linge seid ja nicht dazu imstande, diese Höl zer zu heben, die ich mühelos …« Er unterbrach sich, denn plötzlich schwang sich ein großer Körper aus einer der Baumhöhlen ins Freie. Große Schwin gen breiteten sich aus, und dann segelte das fremde Wesen mit langsamen Flügelschlä gen in weitem Bogen in unsere Richtung. Man hatte uns also inzwischen bemerkt, und nun kam ein Kundschafter, um uns genauer in Augenschein zu nehmen. Mir stockte sekundenlang der Atem. Trotz des verhüllenden Federkleids glaub te ich einen menschenähnlichen Körper zu erkennen, der in seinen Proportionen dem meinen glich! Ja, zumindest die nach hinten gestreckten Beine waren ausgesprochen hu manoid. Der Kopf dagegen wies keinerlei Übereinstimmung mit dem eines Menschen auf. Ich sah einen typischen Vogelkopf mit einem gekrümmten Schnabel und einem großen, rötlichen Kamm. Mehr konnte ich aber nicht erkennen, denn nun drehte das fremde Wesen wieder ab und kehrte mit kräftigen Flügelschlägen zu seinem Baum zurück. Woran hatte es mich nur erinnert? Augen blicklich schaltete sich mein photographi sches Gedächtnis ein, und ich sah ein Bild
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aus dem alten Ägypten der Erde vor mir. Dabei handelte es sich um eine Darstellung des Sonnengotts Harachti, auch Re oder Ra genannt, der dem Vogelwesen in geradezu verblüffender Weise glich. Konnte es sein, daß auch die alten ägyptischen Mythen hier auf Pthor ihren Ursprung hatten? Angesichts der Parallelen zu den Asen der Germanen, die es auf diesem Kontinent gab, erschien mir das gar nicht so ausgeschlossen. Ich konnte diese Gedanken jedoch nicht weiterverfolgen, denn aus der Ferne erklan gen Geräusche, die meine Aufmerksamkeit anderweitig beanspruchten. Eine Stimme schallte über das Wasser, die laute Befehle rief, dazwischen wurde ein regelmäßiges Klatschen laut. Ich wandte mich um und sah nach Norden. Dort kam gleich darauf ein Schiff in Sicht und hielt auf unseren Standort zu.
2. »Schneller, ihr müden Flußschleichen!« feuerte Pärtel seine Männer an den Rudern an. »Tiefer eintauchen und kräftig durchzie hen, eins-zwei, eins-zwei! Wenn ihr euch nicht einsetzt, werden wir noch Tage brau chen, ehe wir wieder in eine Gegend kom men, in der ein vernünftiger Wind weht, der uns vorantreibt.« Seine Worte hatten ihre Berechtigung. Das kleine Schiff, von seinen Insassen GÄRZE genannt, kam schon seit vielen Stunden nur noch im Schrittempo voran. Schuld daran war die anhaltende Flaute in diesem Bereich des Mündungsdeltas des Xa myhrFlusses. Die Luft war schwül und stand wie eine Mauer, kein Lüftchen regte sich, das große rote Segel hing schlaff am Mast herab. Die Besatzung der GÄRZE bestand aus vierzehn Männern und fünf Frauen. Acht der Männer saßen jetzt an den acht Langrudern, die zu beiden Seiten des Schiffsrumpfs angeordnet waren. Ihre Mie nen waren mürrisch, denn diese Tätigkeit war gar nicht nach ihrem Geschmack. Ihr
Handwerk waren Überfälle, Rauben und Tö ten, denn die GÄRZE war nichts anderes als ein Piratenschiff. Zur Zeit schien sie jedoch unter einem un günstigen Stern zu fahren. Der letzte Hand streich auf eine Siedlung am Ostufer des Flusses war ein krasser Fehlschlag gewesen. Die Bewohner hatten sich tatkräftig gewehrt, den Angriff abgeschlagen und das Schiff auf dem Wasser verfolgt. Pärtel hatte sich, vom Südwind begünstigt, weit in das Mündungs delta absetzen müssen, in dem er einen Not stützpunkt besaß. Nun war er wieder nach Süden hin aufge brochen, um es ein zweites Mal zu versu chen. Er brauchte einen Erfolg, denn seine Vorräte gingen zur Neige. Daß der Wind da bei nicht mitspielen wollte, verdroß ihn ebenso wie seine Männer, sein düsteres Ge sicht war noch mürrischer als sonst. Ob seine Verbündeten wenigstens gute Nachrichten für ihn hatten? Sie kamen weit herum – vorausgesetzt, daß sie wollten. Die meiste Zeit über hielten sie sich jedoch in ih ren Schlupfwinkeln in den alten Bäumen auf, mit denen sie aus Tradition verbunden waren. Sie strengten sich nur an, ihm zu hel fen, wenn sie etwas von ihm brauchten. Pärtel kniff ärgerlich die schmalen Lippen zusammen. Im Augenblick besaß er nichts, das er den Xards hätte bieten können, und das war ausgesprochen ungünstig für ihn. »Dann muß es eben auch ohne sie gehen«, knurrte er im Selbstgespräch vor sich hin. »Sie nützen uns ohnehin nur aus, ihre In formationen sind meist nicht viel zuverlässi ger als der Wind.« »Was hast du gesagt, Gebieter?« fragte seine Gefährtin Paryla, die neben ihm stand. Der Pirat sah sie grimmig an. »Nichts, was dich angeht, Weib«, herrsch te er sie an. »Warum bist du eigentlich nicht unter Deck, um das Essen für mich zuzube reiten? Es scheint, daß du wieder einmal ei ne Tracht Prügel brauchst, damit du dich auf deine Pflichten besinnst.« Paryla wollte aufmucken, verzichtete aber darauf, als sie seinen Gesichtsausdruck sah.
10 Der Piratenführer verstand nur selten Spaß, und ganz bestimmt nicht zu dieser Zeit. Sie wandte sich wortlos ab und ging, um ihn nicht noch mehr zu erzürnen. Andernfalls riskierte sie, von ihm verstoßen zu werden und wieder Freiwild für die anderen Männer an Bord zu sein. Dann würde Mellsa an ihre Stelle treten, die sie ohnehin nicht leiden konnte, und diesen Triumph gönnte sie der Jüngeren nicht. Pärtel grinste flüchtig, als er sie verschwinden sah. Diese kleine Bege benheit am Rand hob sein Selbstgefühl wie der etwas, und erneut feuerte er die Ruderer an. »Schneller und kräftiger, eins-zwei, eins zwei!« Er stand auf einem erhöhten Platz am Vorderdeck, von dem aus er die beste Sicht hatte. Bald schon würde die GÄRZE den Seitenarm verlassen und in die breite Fahr rinne kommen, in der die Horstbäume des geflügelten Volkes lagen. Er überlegte ange strengt, wie er es anstellen konnte, von den Xards Informationen zu erhalten, ohne ihnen eine Gegenleistung bieten zu können. Ihm fiel nichts ein, und so beschloß er, es mit Versprechungen zu versuchen. Wenn er den Geflügelten einen Teil der zu erwarten den Beute in Aussicht stellte, würden sie wohl mit sich reden lassen. Falls aber nicht, mußte es eben auch ohne ihre Hilfe gehen. Pärtel schlug eine große Mücke tot, die sich auf seiner Stirn niedergelassen hatte, und fuhr sich mit einem Tuch über Gesicht und Nacken. Obwohl er nichts tat, machte ihm die Schwüle doch zu schaffen. Seine Männer an den Rudern schwitzten noch viel mehr, und ihre unfreundlichen Blicke zeig ten, wie wenig sie von der derzeitigen Lage hielten. »Nur noch bis zu den Vogelbäumen«, rief er ihnen zu, »dort legen wir eine Pause ein. Strengt euch noch einmal an, gleich haben wir es geschafft.« »Es wird auch höchste Zeit«, murrte einer der Ruderer. Zehn Minuten später war der breite Fluß arm erreicht, und die GÄRZE bog in ihn ein.
Harvey Patton Die Horstbäume der Xards kamen in Sicht, aber keiner der Geflügelten ließ sich blicken. Pärtel stieß einen lauten Ruf aus, mußte ihn jedoch mehrmals wiederholen, ehe er Antwort bekam. Dann schwang sich ein Xard aus einem Baumloch, kam herab gesegelt und ließ sich auf dem Bugspriet des Schiffes nieder. »Was willst du von uns?« fragte er in kaum verständlichem Pthora. Man erzählte sich, daß die Geflügelten gar nicht von Pthor stammten. Vermutlich hatten die Herren der FESTUNG sie auf ir gendeinem fremden Planeten aufgelesen und ihrem Sammelsurium der verschiedensten Rassen des Kontinents einverleibt. Es fiel ihnen auch jetzt noch schwer, Laute zu bil den, für die ihre Schnäbel nicht geschaffen waren. Alles, was sie sagten, klang kräch zend und mißtönend. »Wir fahren zu einem neuen Beutezug aus«, erklärte Pärtel, ohne den Xard anzuse hen. Der starre Blick der gelben Vogelau gen, denen man keine Regung ansehen konnte, verursachte ihm stets Unbehagen. »Könnt ihr uns einen Ort nennen, an dem es für uns besonders viel zu holen gibt?« Der Vogelmensch schüttelte den Kopf, so daß der breite rote Kamm darauf in heftige Bewegung kam. »Wir wissen nichts dergleichen«, krächzte er. »Für uns ist jetzt die Zeit der Eiablage, in der wir keine weiten Flüge unternehmen. Diesmal wirst du ohne unsere Hilfe auskom men müssen.« »Das ist bedauerlich«, sagte der Piraten führer. »Nicht nur für uns, sondern auch für euch, Vogelmensch. Ihr könnt nicht von mir erwarten, daß ich euch etwas von einer Beu te überlasse, zu deren Erlangung ihr nichts beigetragen habt. Das siehst du doch wohl ein?« Der Xard gab keine Antwort mehr, son dern breitete seine Flügel aus und schwang sich in die Luft, um zu seinem Horstbaum zurückzukehren. Pärtel sah ihm mißmutig nach und fluchte leise vor sich hin. »Pause!« rief er dann seinen Leuten zu.
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»Hört auf zu rudern und werft den Anker aus. Wir essen jetzt, dann übernimmt die zweite Mannschaft die Ruder. Ihr habt ge hört, was der Xard gesagt hat, diesmal wird es nichts mit einer leichten Beute. Dafür brauchen wir später aber nicht mit den Ge flügelten zu teilen, also gleicht sich das wie der aus.« »Hoffentlich erbeuten wir überhaupt et was«, meinte der Unterführer Tärzel skep tisch. »Wenn es uns so ergeht wie beim letz ten Mal …« Pärtel verzichtete auf eine Antwort und verschwand unter Deck.
* Das unvermutete Auftauchen des Schiffes war für uns eine kleine Sensation. Da wir jedoch nicht wußten, mit wem wir es dabei zu tun hatten, verhielten wir uns vorerst abwartend. Wir beobachteten, wie einer der Vogelmenschen das Fahrzeug be suchte und mit seinen Insassen eine kurze Unterhaltung führte. Als er wieder abgeflo gen war, rief der Mann am Bug den Rude rern einen Befehl zu. Sie verließen ihre Po sten, ein Anker wurde ausgeworfen, dann kamen einige Frauen an Deck und teilten Essen aus. »Was hältst du davon?« fragte Razamon. Ich wiegte den Kopf. »Vorerst gar nichts, Freund«, gab ich zu rück. »Eigentlich erscheint es mir verwun derlich, daß hier überhaupt ein Schiff auf taucht.« »Es kann sich um Händler handeln«, sag te Koy, aber ich winkte ab. »Das erscheint mir nicht sonderlich wahr scheinlich«, erklärte ich. »Ich neige zu der Ansicht, daß in dieser Gegend außer den ge flügelten Baumbewohnern kaum jemand lebt. Mit wem sollten diese Leute dann wohl Handel treiben?« Der Pthorer zuckte mit den Schultern. »Auf diesem verfluchten Kontinent weiß man nie genau, woran man gerade ist. Das Schiff fährt aber jedenfalls nach Süden, also
dorthin, wohin wir auch wollen. Wir sollten uns seinen Insassen bemerkbar machen, so bald wie wieder weiterrudern. Sie könnten uns eine Strecke weit mitnehmen und dann auf dem Ostufer des Xamyhr absetzen. Das würde uns den langwierigen Floßbau erspa ren.« »Vorausgesetzt, daß sie uns überhaupt mitnehmen wollen«, schränkte ich ein. »Wir haben ihnen schließlich nichts zu bieten, noch nicht einmal einen einzigen lumpigen Quork. Auch auf Pthor gibt es nichts um sonst, Gefahren und Tod ausgenommen.« »Versuchen können wir es immerhin«, meinte Koy. Unsere Geduld wurde auf eine harte Pro be gestellt. Die Schiffsinsassen ließen sich viel Zeit. Sie aßen und tranken langsam und bedäch tig, dann sprangen sie über Bord, um sich im Wasser zu erfrischen. Erst nach etwa einer Stunde wurden die Ruderbänke wieder be setzt und das Fahrzeug bewegte sich weiter. Die Vogelwesen ließen sich während der ganzen Zeit nicht sehen. Es dauerte etwa zehn Minuten, bis das Schiff die fünfhundert Meter bis zu unserem Standort bewältigt hatte. Es hielt sich auf der linken Seite, so daß wir seine Insassen gut sehen konnten. Alle waren groß und schlank, auch die Frauen, mit strengen Ge sichtern und langem, schwarzem Haar. Ich sah Razamon an und bemerkte: »Diese Leute haben alle eine gewisse Ähnlichkeit mit deinem Typ, das ist offen kundig. Hältst du es für möglich, daß es Nachkommen deiner Sippe vom Taamberg sind?« »Es könnte so sein«, räumte der Pthorer ein. »Echte Berserker sind es wohl auf kei nen Fall, aber zehntausend Jahre sind eine lange Zeit, in der es viele Veränderungen geben kann. Wahrscheinlich können sie jetzt selbst nicht mehr sagen, von wo sie eigent lich stammen.« »Rufe du sie an«, sagte ich. »Deine Ähn lichkeit mit ihnen dürfte sie am ehesten dazu bewegen können, uns auch ohne eine Ge
12 genleistung mitzunehmen. Wir anderen un terscheiden uns doch erheblich von ihnen, ganz besonders Kolphyr.« Der riesige Bera warf mir einen vorwurfs vollen Blick zu. »Du hast ständig etwas an mir auszuset zen«, beschwerte er sich mißmutig. »Dabei bin ich doch ein wahres Prachtexemplar meiner Rasse und einer der besten Dimensi onsforscher, die es gibt. Wenn du so weiter machst, werde ich dich bald mit meiner Ver achtung strafen.« Ich mußte bei diesen Worten grinsen, wenn ich an die erste Zeit dachte, die wir mit Kolphyr verbracht hatten, den wir irr tümlich mit dem Namen »Gloophy« bedacht hatten. Es war uns oft schwergefallen, uns den »Zärtlichkeiten« zu entziehen, mit de nen uns das Antimateriewesen beehrt hatte. Oft genug waren wir dabei nur knapp an Rippenbrüchen oder ähnlichen Blessuren vorbeigekommen, weil Kolphyr seine ge waltigen Kräfte uns gegenüber nicht ent sprechend dosieren konnte. Das hatte sich erst geändert, als er genügend Pthora ver stand, um richtig mit uns reden zu können. Inzwischen war Razamon aus der Deckung durch die Ufergewächse hervorge treten. Er hielt beide Hände trichterförmig vor den Mund und rief die Schiffsinsassen an. Man bemerkte ihn, und die Ruderer hiel ten für eine Weile inne. Der Anführer vorn am Bug lehnte sich vor und gab dann einige kurze Befehle. Gleich darauf kam das Schiff auf unseren Standort zu. »Was willst du, Fremder?« erkundigte sich der Kapitän. Man konnte ihm ansehen, daß auch ihm die Ähnlichkeit des Pthorers mit ihm und seinen Leuten aufgefallen war. »Nicht sehr viel«, antwortete Razamon untertreibend. »Ich bitte dich nur, mich und meine Gefährten eine Strecke mitzunehmen, bis dahin, wo der Xamyhr nach Westen hin abbiegt. Dort kannst du uns dann auf dem Ostufer absetzen, und wir marschieren wei ter. Das ist nur eine kleine Mühe für euch, aber wir werden sie zu schätzen wissen.«
Harvey Patton Der Schiffsführer zog eine Grimasse. »Und was können wir uns dafür kaufen?« erkundigte er sich sarkastisch. Dann fiel sein Blick auf mich, und plötzlich veränderte sich sein Gesichtsausdruck. Das Goldene Vlies, das ich trug, zeigte seine Wirkung auf ihn, aber eine Wirkung, die mir durchaus nicht gefiel. Was nun in den Zügen des Berserkerab kömmlings stand, war nichts anderes als Habgier. Mein Anzug mußte dem Mann förmlich in die Augen stechen, und vermut lich überlegte er bereits, wie er am besten in seinen Besitz gelangen konnte. Diese Leute sind einwandfrei Piraten! er klärte mein Extrasinn warnend. Vermutlich haben sie hier im Flußdelta ihren Stützpunkt und sind eben dabei, auf einen Raubzug zu gehen. Es wäre besser, nicht mit ihnen zu fahren, denn das wird nicht ohne Ungele genheiten abgehen. Das mochte stimmen, aber ich neigte trotzdem dazu, den abschließenden Rat zu ignorieren. Wenn wir uns in acht nahmen, sollte es den Piraten kaum gelingen, uns zu überrumpeln, und im Fall eines Kampfes konnten wir es trotz unserer Minderzahl be stimmt mit ihnen aufnehmen. Fenrir, Koy und Kolphyr waren Aktivposten, die doppelt und dreifach wogen, wenn es zu einem Kampf kam. Während ich überlegte, verhan delte der Pthorer weiter mit dem Schiffsfüh rer. Er brauchte nicht viel an Überredungs kunst aufzuwenden, denn die Habgier hatte längst das Ihre dazu getan. Pärtels Gesicht wurde zwar für einen Augenblick nachdenk lich, als der Bera zum Vorschein kam, doch das gutmütige Froschgesicht Kolphyrs be wegte ihn offenbar dazu, diesen für unge fährlich anzusehen. »Es ist gut, wir werden euch mitnehmen«, erklärte er. »Zumindest eine Strecke weit, bis zur Einmündung in den Hauptarm des Xamyhr, dort setzen wir euch dann auf dem jenseitigen Ufer ab.« Er gab seinen Männern einen Wink, und sie ruderten das Schiff näher ans Ufer heran. Eine Minute später befanden wir uns an
Fluß der Gefahren
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Bord, und die Fahrt ging weiter.
* Die GÄRZE war ein für hiesige Verhält nisse beachtliches Fahrzeug. Mit ihrem ge schwungenen Rumpf glich sie einer überdi mensionalen Nußschale, sie war etwa zwan zig Meter lang und acht Meter breit. Bugund Heckteil waren hochgezogen wie bei den Schiffen der alten Wikinger, oberhalb des Segels gab es einen runden Mastkorb, der je doch nicht besetzt war. Die Ruderer saßen beiderseits eines kastenförmigen Aufbaus, in dem eine kleine Küche und die Kojen für die Besatzung untergebracht waren. Pärtel wies uns einen freien Platz im hin teren Teil des Schiffes an. Dort hatten einige Männer der Freiwache gesessen, die von ihm nach vorn beordert worden waren. Alle gaben sich so betont gleichgültig, daß es schon wieder auffällig war, und Razamon sah mich besorgt an. »Ich weiß nicht, ob es wirklich eine gute Idee war, hier mitzufahren«, sagte er leise auf terranisch. »Diese Leute sind keinesfalls harmlose Flußschiffer, ich traue ihnen nicht. Wir werden uns sehr vorsehen müssen, wenn sie uns nicht unversehens die Hälse abschneiden sollen.« Ich nickte. »Halsabschneider dürften sie zweifellos sein, Piraten des Xamyhr. In unserer Lage können wir aber nicht wählerisch sein, diese Fahrt erspart uns den Floßbau und viele Stunden Marsch durch Sumpf und Urwald. Im übrigen haben wir so wenig bei uns, daß es sich kaum lohnen würde, uns umzubrin gen.« »Das Goldene Vlies!« knurrte Razamon. »Er hat bestimmt schon Menschen wegen weit geringerer Besitztümer umgebracht.« »Das dürfte stimmen«, räumte ich ein. »Nun, wir müssen uns eben entsprechend wachsam verhalten, ich werde Koy und Kol phyr in diesem Sinn unterrichten. Länger als einige Stunden werden wir wohl kaum hier an Bord sein, und die sollten wir ungescho
ren überstehen können.« Ich unterrichtete die beiden anderen, wäh rend wir uns den Anschein gaben, ruhig und arglos zu sein. Koy teilte unsere Befürchtun gen, der Bera dagegen nicht. In seiner an dersartigen Mentalität konnte er sich einfach nicht vorstellen, daß es so etwas wie Piraten gab, die andere ausraubten und umbrachten. Er versprach aber, gut aufzupassen, und so war ich beruhigt. Fenrir dagegen schien instinktiv zu spü ren, daß an Bord der GÄRZE nicht alles so war, wie es schien. Er lag zwar ruhig da, aber seine Ohren spielten ständig, und seine Augen huschten wachsam hin und her. Ich tätschelte seinen Kopf und er knurrte leise und stupste seine kühle Nase gegen meine Hand. Bald lagen die Bäume der Vogelmen schen hinter uns. Die Ruderer legten sich eifrig ins Zeug und zogen die Langruder gleichmäßig durchs Wasser. Sie waren nur mit Tuchhosen bekleidet, ihre gebräunten Oberkörper waren nackt, und man konnte das Spiel ihrer Muskeln beobachten. Auf den Köpfen trugen sie bunte Tücher zum Schutz gegen die Sonne, die von Bändern gehalten wurden. Die Frauen, ebenfalls sehr luftig bekleidet, ließen sich kaum sehen. Zu weilen kam eine von ihnen aus dem Aufbau hervor und kippte Spülwasser oder Abfälle über Bord. Dann wurden wir mit kurzen scheuen Blicken bedacht. Der Piratenführer schien ihnen die strikte Anweisung gegeben zu haben, sich von uns fernzuhalten. Hier, mitten auf dem Wasser, war es nicht so schwül wie drüben auf dem Land. Auch die Stechinsekten hielten sich fern, und so konnten wir uns ausruhen und erholen. Das schlaff herabhängende, nicht gereffte rote Segel spendete Schatten und klatschte nur zuweilen unter schwachen Luftzügen träge gegen den Mast. Nur das Wissen um die Un sicherheit unserer Lage hielt uns davon ab, uns ganz zu entspannen oder gar zu schla fen. Ich bemerkte, daß einige Vogelmen schen ständig in der Luft waren. Sie segelten wie absichtslos kreuz und quer über den
14 Fluß dahin, hielten sich jedoch stets in der Nähe des Schiffes. Mir war klar, daß sie uns beobachteten, aber ich dachte mir nichts weiter dabei. Nach ungefähr zwei Stunden wurde es plötzlich an Bord lebendig. Alle Männer versammelten sich um Pärtel, der ihnen einige kurze Anweisungen gab. Ein Teil der Ruderer wurde abgelöst, alle ande ren postierten sich an der linken Bordwand und starrten nach vorn. Gleich darauf kam der Schiffsführer auch zu uns und sprach uns an. »Wir kommen jetzt in ein gefährliches Gebiet«, erklärte er. »Dicht voraus liegt eine große Insel mitten im Fluß, und in ihrer Nachbarschaft lebt ein gewaltiges Ungeheu er. Es liegt dort auf dem Grund, breitet seine Fangarme weit aus und lauert auf Beute. Schon so manches Schiff wurde von ihm an gegriffen, leckgeschlagen oder zum Kentern gebracht. Die Insassen wurden von dem Monstrum in die Tiefe gezogen und ver speist.« Ich hob die Hände. »Hoffen wir, daß es jetzt gerade schläft und wir ungeschoren davonkommen. Wir sind fast unbewaffnet, können euch also kaum eine Hilfe sein. Was sollen wir tun, falls es wirklich angreift?« Pärtel grinste kurz. »Auf der anderen Seite über Bord sprin gen und um euer Leben schwimmen, mehr nicht. Wir bringen die GÄRZE so weit ans rechte Ufer, wie es geht, ohne auf Grund zu laufen, aber das bedeutet noch keine Sicher heit.« Er kehrte zu seinen Leuten zurück, und Razamon sah mich argwöhnisch an. »Ob das auch wirklich stimmen mag? Vielleicht startet der Pirat hier nur ein Ab lenkungsmanöver, und es gibt das Untier gar nicht. Zuzutrauen ist ihm alles.« »Warten wir es ab«, gab ich lakonisch zu rück. Die folgenden Ereignisse schienen dem Pthorer unrecht zu geben. Das Schiff schwenkte nach rechts und kam bis auf etwa dreißig Meter ans Ufer
Harvey Patton heran. Die Ruderer verdoppelten ihre An strengungen, alle anderen Männer zogen ih re langen Messer aus den Stiefeln und ver teilten sich an der niedrigen Reling. Eine der Frauen klomm behende eine Strickleiter em por und besetzte den Ausguck im Mastkorb. Auch wir starrten über die linke Bord wand nach vorn. Dort tauchte bald ein dunk ler Schatten aus dem leichten Dunst, der über dem Wasser lag. Die Insel kam in Sicht, ein langgestrecktes Eiland, das mit hohen Urwaldbäumen bestanden war, noch etwa einen Kilometer entfernt. »Pärtel scheint also doch nicht gelogen zu haben«, meinte Razamon leise. »Da ist die Insel, und das Verhalten der Leute weist wirklich auf eine Gefahr hin. Auch Fenrir scheint sie zu spüren.« Tatsächlich war der große Wolf unruhig geworden. Er winselte und knurrte abwech selnd, sprang auf und lief auf die entgegen gesetzte Bordwand zu. Wir sahen ihm nach – und in diesem Augenblick erfolgte der An griff!
3. Pärtel schrie etwas, das keiner von uns verstand. Im gleichen Moment stemmten die Ruderer ihre Hölzer ins Wasser und brem sten unsere Fahrt ab. Gleichzeitig sprangen die übrigen, mit ihrem Anführer an der Spit ze, mit großen Sätzen und stichbereiten Messern auf uns zu. Da hast du es, du Narr! kommentierte mein Extrasinn. Ich achtete nicht darauf, sondern ging au tomatisch in Verteidigungsstellung. Auch die anderen reagierten sofort, verteilten sich über die Breite des freien Raumes und berei teten sich auf den Ansturm der Piraten vor. Wir bekamen es jedoch nicht nur mit den sechs Männern um Pärtel zu tun. Auch vier der Ruderer verließen ihre Posten und ge sellten sich zu ihnen, mit Messern und kurz en Speeren bewaffnet. Zehn gegen vier, plus einem Wolf – das Verhältnis war nicht eben günstig für uns!
Fluß der Gefahren Sekunden später befanden wir uns bereits im Nahkampf. Pärtel hatte es persönlich auf mich abge sehen. Sein langes Messer zuckte mir entge gen, aber ich konnte diesen Stich mühelos parieren. Ein kurzer Schlag gegen seinen rechten Arm, er flog zur Seite, und die Klin ge glitt kraftlos über meine Hüfte, ohne das Goldene Vlies auch nur anritzen zu können. Ich setzte sofort zur Gegenattacke an und schlug eine Boxdoublette gegen Brust und Kinn des Piraten, die ihn von den Beinen warf. Auch rechts und links von mir ging es lebhaft zu. Razamon folgte meinem Bei spiel, ein anderer Mann flog durch die Luft und riß zwei weitere von den Beinen. Kol phyrs mächtige Arme wirbelten mit einer Schnelligkeit durch die Luft, die man dem riesigen Wesen gar nicht zugetraut hätte. Schmerzensschreie ertönten, dazwischen das wütende Geknurr des Wolfes. Er hatte einen Piraten mit einem Sprung zu Fall gebracht und stand nun über ihm, die gefletschten Zähne dicht an seiner Kehle. Koy, der am weitesten rechts stand, be kam es mit zwei Gegnern zugleich zu tun. Er duckte sich und unterlief den einen, warf ihn hoch und ließ ihn gegen den anderen prallen. Beide gingen benommen zu Boden, und so hatte sich die Zahl der kampffähigen Angreifer innerhalb kürzester Zeit bereits um sieben verringert. Die restlichen drei zo gen sich hastig einige Schritte zurück, und dann flogen zwei Messer und ein Speer auf uns zu. Razamon bückte sich gedanken schnell, eine Messerklinge sauste über sei nen Kopf und trennte eine Haarsträhne ab. Ich dagegen konnte dem mir zugedachten Speer nicht ausweichen, denn Fenrirs massi ger Körper befand sich direkt neben mir, der Pthorer auf der anderen Seite. Die scharfe Spitze prallte gegen meine Brust, aber ich spürte ihren Aufschlag kaum. Der Anzug der Vernichtung fing ihn mit einem hell klingenden Geräusch ab, und die Waffe fiel nutzlos zu Boden. Dort hatte sich Pärtel gerade wieder halb
15 erhoben. Er ergriff den Speer und stach zu, aber ich warf ihn mit einem Fußtritt zurück. Er überschlug sich und riß zwei Piraten um, die eben auf die Beine springen wollten. Keinem von uns war etwas geschehen, und ich lachte triumphierend auf. Einen Moment zu früh, das stellte sich gleich darauf heraus. Pärtel stieß einen schrillen Pfiff aus, und plötzlich rauschte etwas über uns. Ich sah alarmiert nach oben und bemerkte eine gan ze Schar der Vogelmenschen, die auf uns herabstürzten und in den Kampf eingriffen. Jetzt wurde es erst wirklich ernst für uns! Die geflügelten Wesen waren zwar unbe waffnet, aber ungeheuer beweglich. Sie schossen herab, hackten mit ihren Schnäbeln nach uns oder griffen mit den scharfen Kral len an ihren Beinen zu. Zugleich rafften sich auch die Piraten wieder auf und gingen ebenfalls auf uns los. Wir mußten uns nun nach allen Seiten hin wehren, und das ge lang nur schwer. Ich schlug Pärtel erneut zu Boden und mußte gleichzeitig dem Schnabel eines An greifers aus der Luft ausweichen. Ich schaff te das, er strich haarscharf an mir vorbei, prallte gegen die Reling und suchte torkelnd das Weite. Doch schon waren zwei andere heran, packten mich von hinten und ver suchten, mich von den Beinen zu reißen. Sie waren so groß wie Menschen und ebenso kräftig. Sie zerrten an mir, aber ich ließ mich fallen, und ihre Krallen glitten am glatten Material des Goldenen Vlieses ab. Während sie flatternd wieder hochstiegen, um Schwung für einen neuen Angriff zu ho len, griff ich zu und brach mit einem Ruck einen Balken aus der Reling. In dieser kurz en Verschnaufpause fand ich erstmals Gele genheit, mich nach meinen Gefährten umzu sehen. Kolphyrs massige Gestalt, von dem grünen Velst-Schleier umgeben, überragte alle anderen. Er drehte sich hin und her, schlug mit seinen gewaltigen Armen die Vo gelwesen mühelos zurück und fand dabei noch Zeit, die Piraten mit gut gezielten Fuß tritten abzuwehren. Um ihn brauchte ich mir
16 die wenigsten Sorgen zu machen. Auch Fenrir kam einigermaßen zurecht. Er stand mit gesträubtem Fell geduckt da und schnappte mit den scharfen Fängen zu, sobald sich ihm ein Angreifer näherte. Fe dern stoben durch die Luft und bewiesen, daß er den Geflügelten hart zusetzte. Die Piraten trauten sich an dieses riesige Tier gar nicht erst heran. Schlecht stand es dagegen um Razamon und Koy. Die beiden standen am weitesten rechts, und gegen sie wandte sich die Hauptmasse der Angreifer. Der Pthorer hatte sein Schwert gezogen, kam jedoch in dem Ge tümmel kaum dazu, es wirksam einzusetzen. Er schlug zwei Piraten mit der flachen Klin ge nieder, aber gleichzeitig stürzten sich mehrere Vogelmenschen von hinten auf ihn. Sie krallten sich an seinen Armen fest, und er verschwand hinter einem Vorhang von wirbelnden Flügeln. Koy wiederum wurde infolge des ständi gen Durcheinanders daran gehindert, seine wirkungsvolle, natürliche Waffe einzuset zen. Er wehrte sich mit Händen und Füßen, so gut er konnte, mußte jedoch auf die Be nutzung der Broins verzichten, um nicht ver sehentlich einen von uns zu verletzen. An dernfalls hätte er allein den Kampf zu unse ren Gunsten entscheiden können. Ich wirbelte den Balken um meinen Kopf und schlug drei angreifende Vogelwesen in die Flucht. Dann wandte ich mich zur Seite und prügelte zwei Piraten nieder, die mit ih ren Messern auf Koy einstachen. Dadurch bekam er für eine Weile Luft, zog sich an die Reling zurück, und die Fühler an seiner Stirn kamen in Bewegung. Die Broins waren eine furchtbare Waffe. Sobald die kugelförmigen Verdickungen an ihren Enden gegeneinander geschlagen wur den, sandten sie eine Art von psionischen Impulsen aus, die jede Materie zerstören konnten. Sie wirkten auch gegen lebende Wesen. Bei schwachem »Trommeln« geriet ihr Nervensystem durcheinander, so daß der Betroffene heftige Schmerzen spürte. Bei vollem Einsatz führten sie den Tod herbei.
Harvey Patton Der »Trommler« beließ es jedoch bei ei ner vorsichtigen Dosierung. Er wandte sich gegen die in der Luft befindlichen Vogel menschen, und sofort stellte sich auch die Wirkung ein. Die Geflügelten taumelten durcheinander, das Krächzen, mit dem sie ihre Angriffe begleiteten, ging in schrille Schmerzenslaute über. Sie strebten hastig in die Höhe und entfernten sich in taumelndem Flug von dem Schiff. Als nächste kamen die noch kampffähi gen Piraten dann an die Reihe. Nach weni gen Sekunden krümmten sie sich schreiend auf dem Deck und waren außer Gefecht ge setzt. Nun richtete Koy die Broins gegen die Vogelmenschen, die Razamon noch immer bedrängten, aber ich ergriff ihn rasch am Arm. »Nicht!« rief ich besorgt aus. »Dabei könnte Razamon zu Schaden kommen, und das dürfen wir nicht riskieren. Wir müssen sie so zurückschlagen.« Ich stürzte mich auf das Knäuel aus Vo gelleibern und schlug mit dem Balkenstück auf sie ein. Auch Kolphyr und Fenrir wand ten sich nun gegen sie, aber es war bereits zu spät: Die Phalanx von sechs Geflügelten er hob sich in die Luft und schleppte den Ptho rer mit sich! Sein Schwert fiel mir vor die Füße. Ich bückte mich automatisch und hob es auf, und dann begann ich erbittert zu fluchen.
* Wir hatten den Kampf für uns entschie den, aber es war nichts weiter als ein Pyr rhussieg. Razamon befand sich in der Ge walt der Vogelmenschen, die sich mit ihm in Richtung ihrer Horstbäume entfernten. Fluchen nützt dir wenig, sagte mein Ex trasinn lakonisch. Daß die Geflügelten den Pthorer töten werden, ist kaum anzunehmen. Sie haben ihn eher als Geisel genommen, ihr könnt ihn unter gewissen Bedingungen zu rückholen. Nutze also die Lage, das Schiff ist in eurer Hand. Das stimmte auch wirklich.
Fluß der Gefahren Die Piraten dachten nicht mehr daran, et was gegen uns zu unternehmen. Pärtels ge schlagene Streitmacht begann sich wieder zu erholen, aber die Männer zogen sich flucht artig aufs Vorderschiff zurück. Die restli chen Ruderer und die Frauen starrten uns angstvoll an, alle schienen jetzt unsere Ra che zu fürchten. Was Koy durch den Einsatz der Broins bewirkt hatte, mußte von ihnen als Magie angesehen werden. »Das war ein schöner Kampf«, sagte Kol phyr schrill, »fast so schön wie die Lösung einer schwierigen Dimensionsgleichung. Es ist nur schade, daß die Gleichung nicht voll kommen aufgeht, weil man Razamon ver schleppt hat. Wir werden ihn befreien müs sen.« »Worauf du dich verlassen kannst!« knurrte ich erbittert. Koy nahm die zurückgelassenen Messer der Piraten an sich, ich hatte das Schwert. So ausgerüstet, schritten wir auf die Schiffsbe satzung zu, die soweit wie möglich zurück wich und sich furchtsam duckte. »Gnade, Herr!« winselte Pärtel heiser. »Verschone unser Leben, wir hatten nie die Absicht, euch zu töten. Wir wollten nur den goldenen Anzug von dir, mehr nicht. Dann wollten wir euch …« »Über Bord werfen und dem Ungeheuer in der Tiefe überlassen, ich weiß«, unter brach ich ihn schroff. »Ich hätte große Lust, euch dem Wolf zum Fraß zu überantworten. Vielleicht tue ich es auch noch später. Vor erst werdet ihr noch gebraucht, um mitzu helfen, unseren Gefährten aus den Klauen der Vogelmenschen zu befreien.« »Wir werden euch dabei helfen, Herr«, versprach der Piratenanführer eilfertig. »Ich kenne die Xards und habe einigen Einfluß auf sie. Wenn ich die Sache in die Hand nehme …« »Du wirst ein Ruder in die Hand nehmen, sonst nichts«, fertigte ich ihn brüsk ab. »Du und sieben andere Männer, die GÄRZE wird gewendet und fährt zurück. Alle anderen be geben sich schleunigst unter Deck.« Sie gehorchten widerstrebend, aber sie ge
17 horchten. Zwei Minuten später fuhren wir bereits wieder zurück. Pärtel und die sieben kräftig sten Piraten saßen an den Rudern, alle übri gen befanden sich in dem Aufbau. Ein Wink von mir genügte, und Fenrir legte sich vor den einzigen Eingang. Er war die beste Ge währ dafür, daß niemand mehr versuchen würde, uns ein zweites Mal zu überrumpeln. Schweigend legten wir den Rückweg zu den Horstbäumen der Vogelmenschen zurück. Unterdessen zerbrach ich mir den Kopf dar über, wie wir es am besten anfangen konn ten, den Pthorer zu befreien, der sich jetzt zweifellos in einer der Baumhöhlen befand. Mein Logiksektor machte schließlich einen Vorschlag, der mir optimal erschien. Keiner von uns konnte fliegen, und ein Erklettern der Horstbäume war ebenfalls so gut wie unmöglich. Der Versuch einer ge waltsamen Befreiung, der ohnehin stets das Risiko in sich barg, daß die Geisel getötet wurde, schied also aus. Die Xards be herrschten Pthora, folglich konnten wir auch mit ihnen verhandeln. Für den Fall, daß sie nicht auf die Forderung einer Freilassung Razamons eingingen, konnten wir ihnen drohen – und wir besaßen ein gewichtiges Druckmittel! Schließlich kamen die riesigen Baumstämme wieder in Sicht. Die ganze Zeit über war das Schiff von den Xards beobachtet worden, aber sie hat ten sich in respektvoller Entfernung gehal ten. In ihrem Wohnbereich schwärmten sie in großen Scharen durch die Luft, und ihr aufgeregtes Krächzen drang zu uns herunter. Wir hielten angestrengt Ausschau, um einen Anhaltspunkt dafür zu entdecken, in wel chem Baum Razamon gefangengehalten wurde. Vergeblich, aber etwas anderes hatte ich auch nicht erwartet. Kein vernunftbegabtes Wesen würde seinem Gegner ohne Not ver raten, wo sich der Joker in seinem Spiel be fand. Es gab Hunderte von Horstbäumen, und in jedem davon mehrere Wohnhöhlen, wie ich nun erkannte. Wir fuhren so weit, daß wir etwa ein
18 Viertel der alten Baumstämme hinter uns ließen. Dann gab ich ein Kommando, und die Piraten hielten das Schiff durch Gegen rudern an. Die geschnitzten Fratzen grinsten zu uns herab, konnten uns aber nicht beein drucken. Wer immer sie auch hier ange bracht haben mochte, er mußte seit langer Zeit schon tot sein. Keiner der Vogelmen schen machte Anstalten, sich dem Schiff weiter als fünfzig Meter zu nähern. Sie krei sten umher, stießen krächzende Rufe aus, verhielten sich aber vollkommen passiv. Wir hatten jedoch keine Zeit zu verlieren, denn der Nachmittag war längst angebrochen. Ich klomm die Leiter hoch, die auf das Dach des Aufbaus führte, legte beide Hände vor den Mund und rief die Xards an. Ich wartete eine Weile, aber es erfolgte keine Reaktion. Ich wiederholte meinen Ruf noch zweimal, erst dann scherte einer der Geflügelten aus der Phalanx und segelte langsam zum Schiff herab. Man hatte uns »schmoren« lassen in der falschen Annahme, in der stärkeren Po sition zu sein. Ich grinste kurz, denn mich konnte man dadurch nicht beeindrucken. Ähnliche Situa tionen hatte ich im Lauf meines langen Le bens oft genug erlebt und kannte die Spielre geln in allen Variationen! Der Xard blieb vorsichtig. Er ließ sich auf dem Mastkorb nieder und legte seine Flügel nur halb an, so daß er im Notfall schnell wieder abfliegen konnte. Er neigte den Kopf, und die starren gelben Vogelaugen sa hen zu mir herab. »Was willst du von uns, Mann ohne Flü gel?« fragte er in seinem nur schwer ver ständlichen Idiom und mit offenkundiger Geringschätzung. »Rate einmal«, schlug ich trocken vor. Das irritierte ihn sichtlich. Er trat von ei nem Fuß auf den anderen, und der rote Fe derkamm auf seinem Kopf begann sich zu sträuben. Ich wartete scheinbar gelassen ab, obwohl ich innerlich alles andere als ruhig war. Koy schien sich zu amüsieren, denn auf seinem runzligen Gesicht entstanden ein paar Dutzend zusätzliche Falten, und sein
Harvey Patton struppiger Bart wippte auf und ab. Der Xard hatte den nächsten Zug, und das machte ihn nervös. Aus der Nähe war zu er kennen, daß sein Federkleid stellenweise er hebliche Lücken aufwies. Es schien sich al so um einen älteren Mann zu handeln, viel leicht sogar das Oberhaupt der ganzen Vo gelmenschensippe. Er war also genau der Richtige für mich. »Ihr wollt den Gefangenen zurück, nicht wahr?« fragte er schließlich. Ich nickte kurz. »Du hast es überraschend schnell begrif fen«, spöttelte ich. »Wie du siehst, haben wir eure Verbündeten besiegt, das Schiff ist in unserer Hand. Rückt also unseren Mann heraus, dann ziehen wir unserer Wege, und ihr werdet uns nie wiedersehen.« »Ihr habt das Schiff – wir haben euren Mann!« krächzte der Vogelmensch. »Wenn ihr ihn zurückhaben wollt, müßt ihr zunächst einmal einige Bedingungen erfüllen. Legt eure Waffen weg und übergebt das Fahrzeug wieder an Pärtel. Dann erst können wir wei ter verhandeln.« Ich legte die Hand muschelförmig ans Ohr und zog ein erstauntes Gesicht. »Wer spricht denn hier von Verhandeln?« fragte ich kopfschüttelnd. »Wir denken nicht daran, und wir werden auch die GÄRZE erst dann wieder an die Piraten zurückgeben, wenn es uns gefällt. Ich fordere die Heraus gabe unseres Gefährten, ohne jede Vorbe dingung.« Die Festigkeit meiner Worte schien ihn noch weiter zu verunsichern, das spürte ich an kaum merklichen Anzeichen. Er über spielte das jedoch und stieß hervor: »Wir sind es, die hier Forderungen zu stellen ha ben, und du hast sie bereits gehört. Wenn ihr nicht darauf eingeht, werdet ihr euren Mann nie mehr bekommen. Tut es rasch, denn meine Geduld ist bald erschöpft.« Das war eine offene Drohung, die einen Angriff der Xards auf uns in Aussicht stellte. Normalerweise wären wir in diesem Fall hoffnungslos unterlegen gewesen, aber wir hatten ja einen gewichtigen Trumpf in der Hand. Ich schüttelte also nachdrücklich den
Fluß der Gefahren
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Kopf. »Hast du es wirklich noch nicht begriffen, Mann der gelichteten Federn? Das war ein Ultimatum, und ich meine es bitter ernst da mit! Denke einmal daran, was während eu res Kampfes gegen uns geschehen ist, viel leicht kommt dir dann die Erleuchtung.« Entweder begriff er wirklich nicht, oder er wollte nicht begreifen. Er wiederholte seine vorigen Worte in noch schärferer Form, während gleichzeitig ein ganzes Rudel der Vogelmenschen das Schiff einkreiste. Ich hatte es satt, noch weiter unnütz Zeit zu ver geuden, und nickte Koy leicht zu. »Dieser lustige Vogel legt es darauf an, in Schwierigkeiten zu geraten. Gut, er soll sie haben, wenn auch vorerst nur in Gestalt ei ner freundschaftlichen Warnung. Du kannst beginnen.« Der Androidenabkömmling nickte zurück und konzentrierte sich.
* In unserer Nähe gab es einen morschen, zum Teil schon verrotteten Stamm, der of fenkundig nicht mehr bewohnt war. Koy richtete seinen Blick darauf, und dann be gannen die Fühler an seinem Kopf zu vibrie ren. Einige Sekunden vergingen, dann war ihre Bewegung so stark geworden, daß die Broinkugeln gegeneinander schlugen. Ein dumpfes Geräusch wurde hörbar, das tatsächlich einem raschen Trommelwirbel gleichkam. Schon nach kurzer Zeit platzte der etwa vier Meter dicke Stamm in zehn Meter Höhe einfach auseinander. Sein Ober teil sackte nach unten durch, neigte sich dann langsam und schlug wuchtig im Was ser auf. Riesige Wellen entstanden, und die GÄRZE begann wie verrückt hin und her zu tanzen. Die erschrockenen Piraten hatten al le Mühe, sich durch entsprechende Ruderbe wegungen vor dem Kentern zu bewahren. Die Wirkung auf die Xards war jedoch ungleich stärker. Ihr Sprecher flatterte panikerfüllt vom Mastkorb hoch, alle anderen ergriffen eben
falls die Flucht. Diese Demonstration hatte ihnen nachdrücklich bewiesen, auf welcher Seite sich die Überlegenheit befand. Ich lä chelte kalt, während sich Kolphyr königlich zu amüsieren schien. Natürlich dachten wir nicht im Ernst dar an, bewohnte Horstbäume der Vogelmen schen zu zerstören. Wir hatten ihnen jedoch gezeigt, daß wir ohne weiteres dazu imstan de waren, und sie rechneten offenbar auch damit. Das war für sie ein gewichtiger Grund, ihre Loyalität gegenüber Pärtel zu vergessen, ihre Existenz war an der Wurzel bedroht. Etwa eine Minute später kam ein einzel ner Xard zu uns herabgeflattert. Es handelte sich um ein kleines, zierliches Exemplar – eine Frau. Sie verharrte flügelschlagend über dem Schiff und rief mich an. »Wir geben auf, denn wir wollen nicht, daß unsere Bäume zerstört werden. Wir selbst könnten uns vielleicht retten, aber die Eier in den Gelegen würden zerbrechen, die unser kostbarstes Gut sind. Ich soll euch sa gen, daß der Gefangene zurückgebracht wird.« »Einverstanden«, rief ich zurück, und die Vogelfrau entfernte sich hastig wieder. Sie flog zu einem weiter entfernten Stamm, von dem sich wenig später eine Traube von Xards löste. Sie schleppten Raz amon mit sich, setzten ihn auf dem Achter deck ab und flatterten eiligst wieder davon. »Willkommen in unserem trauten Kreis, du tollkühner Krieger«, grinste ich. Der Pthorer ging jedoch nicht darauf ein, son dern schüttelte sich demonstrativ. »Große Galaxis, das wurde auch Zeit! Ich wußte ja, daß ihr mich wieder heraushatten würdet, aber ihr hättet euch wirklich etwas mehr damit beeilen können. Der Gestank in der Baumhöhle war einfach unbeschreib lich.« Nun rochen wir es auch: Razamon verbreitete einen penetranten Gestank, dem gegenüber der strenge Zimtduft, der von dem Bera ausging, eine wahre Wohltat war. Wir zogen uns fluchtartig von ihm zurück, und er sprang in voller Bekleidung ins Was
20 ser. Zwei Minuten später kletterte er wieder an Bord. Er war nun zwar tropfnaß, aber er stank wenigstens nicht mehr. »Berichte«, forderte ich ihn auf. »Wie ist es dir ergangen? Hat man dich schlecht be handelt?« »Das nicht gerade«, sagte Razamon, ent ledigte sich seiner Oberbekleidung und brei tete sie zum Trocknen aus. An seinen Armen kamen rote Striemen zum Vorschein, die von den Krallen der Vogelmänner stamm ten. »Sie haben mich weggeschleppt wie einen Sack, in dem Baum abgeladen, und dann wurde ich von zwei Xards bewacht. Wenn ich gewollt hätte, hätte ich sie ohne weiteres überwältigen können, doch das hät te mir nicht viel genutzt. Ich befand mich schließlich in achtzig Meter Höhe, und im Klettern war ich noch nie besonders gut.« »Vergiß das Ganze«, riet ich ihm mitfüh lend. »Die Burschen haben ihre Lektion be kommen, sie stellen jetzt für uns keine Ge fahr mehr dar. Wir müssen sehen, daß wir nun so schnell wie möglich weiterkommen, denn …« »Sieh doch, Atlan! Was ist denn das?« unterbrach mich Koy erregt. Er zeigte zum Osthimmel hoch, ich folgte seinem Wink, und dann wurden meine Au gen groß. Was da von Süden her auf uns zu kam, war eindeutig ein Luftschiff, eine Art von Zeppelin! Es war jedoch nicht schlank und zigarren förmig, sondern wirkte kompakt und ge drungen. Sein Vorderteil war abgerundet, das Heck dagegen lief in einer Spitze aus, die mehr als ein Drittel des Körpers ein nahm. Unter dem Druckkörper waren Ver strebungen angebracht, die eine längliche und runde Gondel hielten. Unterhalb des Hecks, ebenfalls durch Streben befestigt, saß das Antriebsaggregat. Etwa in der Mitte des Schiffes war ein Emblem zu erkennen, das einer Wolke glich, aus der ein gigantischer Blitz hervorzuckte. »Öfters mal etwas Neues!« sagte Raza mon kopfschüttelnd, doch dann ergriff er meinen Arm. »Eben kommt mir eine vage
Harvey Patton Erinnerung: Es muß sich um ein Fahrzeug der Magier aus der Großen Barriere von Oth handeln. Wie kommt das aber ausgerechnet hierher?« »Es muß irgendwo außer Kontrolle gera ten sein«, erklärte ich. Das war auch ganz offensichtlich der Fall. Das Luftschiff torkelte mehr dahin, als es flog. Sein Antrieb schien nur sehr unregel mäßig zu arbeiten, er riß es einmal steil in die Höhe, um es gleich darauf wieder durch sacken zu lassen. Zugleich wechselte es ständig die Richtung, als säße ein betrunke ner Pilot an seinen Kontrollen. Dann stabilisierte sich sein Kurs für eine Weile. Es bog hart nach Südwesten ein und behielt diese Richtung bei, verlor dafür aber ständig an Höhe. So trieb es eine Weile da hin, dann stellte es sich plötzlich steil auf den Kopf und schoß wie ein Stein nach un ten. »Es stürzt endgültig ab!« sagte Koy atem los. Unter den Vogelmenschen war eine wüste Panik ausgebrochen, als sie diese für sie un begreifliche Erscheinung bemerkt hatten. Sie flatterten wild durcheinander, ihr schril les Gekrächze zerriß die Luft. Dann zogen sie sich eilig zu ihren Horstbäumen zurück und verschwanden in den Öffnungen der Wohnhöhlen. Sie waren jedoch für mich bereits uninter essant geworden. Ich starrte dem abstürzen den Flugkörper nach, und dann meldete sich plötzlich der Logiksektor meines Extrasinns. Es stürzt in den Fluß! informierte er mich. Nicht in den Pot-Xamyhr, in dem wir uns jetzt befinden, sondern in den Mündungsarm Gruuf-Xamyhr, in dem die Insel mit dem Un geheuer liegt, von dem Pärtel gesprochen hat. Bisher hatte ich den verschiedenen Be zeichnungen, die die Mündungsarme des Xamyhr besaßen, kaum Aufmerksamkeit ge schenkt. Es gab ohnehin derart viele Neben arme, daß es für Unkundige so gut wie un möglich war, sich in diesem Wirrwarr zu rechtzufinden. So besaß auch die Mitteilung meines logischen Beraters eigentlich nur sta
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tistischen Wert. Dafür erkannte ich aber, daß die Absturz stelle in dem Gebiet lag, das wir ohnehin wieder aufsuchen mußten, wenn wir unseren Weg zur FESTUNG konsequent weiter ver folgen wollten. Wer auch immer sich in dem Luftschiff befunden haben mochte, er be fand sich in höchster Lebensgefahr, voraus gesetzt, daß er den Absturz überhaupt über lebte. Vielleicht war es wirklich einer der Ma gier von Oth! Wenn ja, dann konnte er uns lebend von ungeheurem Nutzen sein. Ver mutlich besaßen diese Männer, die schließ lich für die Herren von Pthor arbeiteten, wichtige Informationen über die FESTUNG. Und gerade diese brauchten wir nötig, wenn wir unser Vorhaben, sie zu erreichen und unschädlich zu machen, verwirklichen woll ten. Ich erklärte dies den anderen, und Raza mon nickte sofort. »Ein Magier, der – ob freiwillig oder ge zwungenermaßen – auf unserer Seite stünde, wäre wirklich ein beachtlicher Aktivposten für uns. Wir sollten uns also beeilen, den Absturzort zu erreichen, ehe etwaige Überle bende umgekommen sind.« Kolphyr und Koy waren der gleichen Meinung, und so begab ich mich zu Pärtel und seinen Männern an den Rudern. Sie waren sichtlich deprimiert, nachdem sie miterlebt hatten, wie wir mit den Xards fertig geworden waren. Trotzdem erhob der Piratenführer einige Einwände, denn ihm waren Magier natürlich nicht geheuer. Ich gab jedoch nicht nach, und so fügte er sich schließlich. Gleich darauf wurde das Schiff gewendet, und wir fuhren wieder in Rich tung Süden.
4. Kurz nach Beginn der Fahrt kam ein schwacher Nordwind auf, so daß auch das Segel wieder benutzt werden konnte. Wir ließen die übrigen Piraten ins Freie, damit sie es handhaben konnten. Sie gaben ihre
Messer, Speere und zwei Skerzaals freiwil lig ab, so daß wir von ihnen nichts mehr zu befürchten hatten. Wir kamen nun erheblich schneller voran, und ich atmete auf. Jede so gewonnene Mi nute konnte über Leben oder Tod der Insas sen des havarierten Luftschiffs entscheiden. Wie gut oder schlecht es ihnen ergangen sein mochte, hing zum Teil davon ab, ob sein Druckkörper beim Aufschlag zerstört worden war oder nicht. War er heil geblie ben, mußte er auf dem Wasser schwimmen, denn seine Füllung war notwendigerweise leichter als Luft. Dann hatten die Insassen der Gondel eine relativ gute Überleben schance gehabt. Sofern sie nicht beim Auf prall schon verletzt oder getötet wurden, vervollständigte der Extrasinn meine Gedan kengänge. Bei einem schnellen Absturz aus größerer Höhe wirkt Wasser wie ein fester Körper, vergiß das nicht! Nach einiger Zeit bemerkte ich, daß die GÄRZE einen anderen Weg nahm als wäh rend der vorigen Fahrten. Den anderen fiel das nicht auf, denn alle Flußarme und der sie umgebende Dschungel glichen sich, wie das sprichwörtliche Ei dem anderen. Mein foto grafisches Gedächtnis dagegen registrierte alle Abweichungen, und ich wandte mich sofort an Partei. »Was soll das?« herrschte ich ihn an. »Meinst du, ich hätte nicht gemerkt, daß ihr uns in die Irre führen wollt? Steuert so fort wieder den alten Kurs, sonst soll es euch schlecht ergehen.« Der Pirat duckte sich und ließ sein Ruder ruhen. »Wir beabsichtigen keineswegs, das zu tun, dessen du uns bezichtigst, Herr. Wir nehmen lediglich einen anderen Weg, der zwar gefährlicher, aber auch kürzer ist. Ich hoffe, damit in deinem Sinn zu handeln, Herr.« Das klang ehrlich, soweit dieser Begriff auf einen Mann von seinem Schlag über haupt anzuwenden war. Auch die Furcht in seinem Blick sprach eher dafür, daß er die Wahrheit sagte. Ich lachte kurz auf.
22 »Vor allem aber wohl in eurem Sinn, neh me ich an. Ihr möchtet uns wohl möglichst rasch wieder loswerden, wie?« Pärtel wischte sich den Schweiß von der Stirn und nickte. »Warum soll ich es leugnen, Herr? Wir haben es eilig, um … hm, wieder unseren Geschäften nachgehen zu können. Das ist je doch nicht möglich, solange ihr uns für eure Zwecke gebraucht.« Wir durchfuhren jetzt einen Nebenarm, der nach kurzer Zeit so schmal wurde, daß die GÄRZE darin gerade noch Platz fand. Es gehörte schon ein großes Geschick dazu, das Schiff so zu manövrieren, daß weder die lan gen Ruder mit den Ufern noch das Segel mit den Bäumen kollidierten, die über uns prak tisch ein geschlossenes Dach bildeten. Die Piraten meisterten diese Aufgabe jedoch vorzüglich, wenn auch mit vielen Schreien und Flüchen. Es dauerte nicht lange, dann hatten wir wieder den Gruuf-Xamyhr er reicht. Die Frauen hatten inzwischen eine Mahl zeit zubereitet, von der auch wir einen An teil mitbekamen. Es gab eine Suppe mit Dörrfleisch darin, dazu die üblichen Brotfla den, und wir ließen es uns nach vorsichti gem Kosten schmecken. Nur Kolphyr aß nicht mit, wie gewöhnlich. Da sein Körper aus Antimaterie bestand, konnte er keine »normale« Nahrung zu sich nehmen, ohne daß es augenblicklich zu einer MaterieAntimaterie-Reaktion gekommen wäre, also zu einer gewaltigen Explosion. Wovon er ei gentlich lebte, hatten wir noch immer nicht herausbekommen. »Von Luft und Liebe«, hatte Razamon einmal gewitzelt, aber auch das konnte kaum stimmen. Der Bera war nämlich zwei geschlechtlich, ein Phänomen, das mir be reits von den Halutern her bekannt war, also gab es für ihn eine Liebe in unserem Sinn gar nicht. Wahrscheinlich hatte Koy recht, der vermutete, daß Kolphyr hyperdimensio nale Strahlung aufnahm, die ihn am Leben erhielt. Als die bisher eingesperrt gewesenen
Harvey Patton Männer gegessen hatten, lösten sie die bis herigen Ruderer ab. Pärtel übernahm wieder das Kommando über das Schiff, und ich ließ ihn gewähren. Wenig später kam das Wrack des abge stürzten Luftschiffs in Sicht, die Ortsbestim mung meines Extrasinns war also verblüf fend exakt gewesen. Sein Druckkörper war offensichtlich be schädigt worden, denn von ihm ragte nur noch ein Teil aus dem Wasser. Dabei han delte es sich um den runden Bug, das Heck teil war offenbar durch das schwere Antrieb saggregat unter die Oberfläche gezogen worden. Von der Personengondel war nichts mehr zu sehen. Sie war versunken, und so mit reduzierte sich die Aussicht dafür, daß in ihr jemand überlebt haben könnte, fast bis zum Minimum. »Wer darin noch überlebt hat, muß inzwi schen längst ertrunken sein«, kommentierte Razamon pessimistisch. Das braucht nicht unbedingt zu stimmen, korrigierte mein Logiksektor sofort. Inner halb der Gondel kann es noch eine Luftblase geben, die ihren darin gefangenen Insassen für einige Zeit das Atmen ermöglicht. »Dann aber bestimmt nicht mehr für lan ge!« murmelte ich vor mich hin. Der Pthorer sah mich fragend an, und ich unterrichtete ihn über meine Annahme. Er nickte nachdenklich. »Wie ich dich kenne, beabsichtigst du jetzt, eventuelle Überlebende herauszuholen, nicht wahr? Das bedeutet aber, daß wir tau chen müßten, und ich weiß nicht, ob das hier ratsam ist. Vergiß nicht das Monstrum auf dem Grund des Flusses! Falls es ihm ein fällt, gerade dann hier aufzutauchen, dürften wir verloren sein.« Ich zuckte mit den Schultern. »Darauf will ich es ankommen lassen, Freund. Ich halte diese Gefahr aber nicht für sonderlich groß. Wenn es hier in der Nähe wäre, hätte es bestimmt schon auf den Ab sturz des Luftschiffs reagiert. Ich werde auf jeden Fall einen Rettungsversuch unterneh men. Du brauchst ja nicht mitzumachen,
Fluß der Gefahren wenn es dir nicht gefällt.« Razamon lächelte kurz, und seine Augen wirkten einmal mehr wie abgrundtiefe schwarze Löcher. »Du weißt sehr genau, daß ich dich be gleiten werde, trotz aller Vorbehalte. Okay, worauf warten wir noch?« Auf meine Anweisung hin hatten die Pira ten die GÄRZE gestoppt und hielten sie durch langsames Rudern gegen die schwa che Strömung auf der Stelle. Als Pärtel sah, daß wir Anstalten machten, über Bord zu ge hen, rang er verzweifelt die Hände. »Das solltet ihr auf keinen Fall tun, Herr! Hier im Schiff sind wir verhältnismäßig si cher, das Holz schirmt unsere Körperaus strahlungen ab. Sobald sich aber ein Mensch im Wasser befindet, spürt es seine Anwesen heit. Dann wird es kommen und uns alle vernichten.« Ich winkte ungehalten ab. »Was wir tun wollen, und was nicht, mußt du schon uns überlassen. Es hat sich bis jetzt nicht hier sehen lassen, obwohl das fremde Fahrzeug beim Aufschlag viel Wirbel verur sacht haben muß, also dürfte es wohl auch in der nächsten halben Stunde nicht kommen.« In den Augen des Piraten glitzerte es tückisch, und ich glaubte ihm seine Gedan ken förmlich von der Stirn ablesen zu kön nen. Wahrscheinlich dachte er jetzt daran, unsere Gefährten zu überrumpeln, während wir uns beim Wrack befanden. Dann hätte er mit seinem Schiff einfach das Weite gesucht und uns einem ungewissen Schicksal über lassen. Dem beugte ich natürlich vor. Ich beließ nur vier Männer an den Rudern, alle übrigen Piraten einschließlich Pärtel mußten sich wieder in den Aufbau begeben. Für einen Moment sah es so aus, als woll ten sie den Aufstand proben. Ich sah ihre un verkennbare Widerspenstigkeit, doch ehe ich noch etwas dagegen unternehmen konn te, hatte Fenrir bereits gehandelt. Der kluge Wolf, der uns schon oft eine große Hilfe gewesen war, spürte die auf kommende Feindseligkeit mit sicherem In
23 stinkt. Ein mächtiger Satz ließ ihn genau vor dem Piratenführer landen, er knurrte laut und zeigte sein furchterregendes Gebiß. Die Piraten wichen angstvoll zurück und bega ben sich hastig unter Deck. Ich kraulte Fenrir dankbar das Nacken haar und wandte mich an Kolphyr und Koy. »Ich glaube ja nicht, daß sie während un serer Abwesenheit Schwierigkeiten machen werden, aber Vorsicht kann nie schaden. Paßt also gut auf und zögert nicht, ihnen einen Denkzettel zu verpassen, falls sie sich doch zu rühren beginnen.« »Ich werde sie mit Vergnügen in den Raum zwischen den Dimensionen schleu dern«, versprach der Bera und reckte seine gewaltigen Arme. Das war natürlich nur bildlich gemeint, und für den äußersten Notfall war Koy mit seiner Parafähigkeit ja auch noch da. Wir beeilten uns nun, denn inzwischen war wert volle Zeit vergangen, und jede weitere Mi nute, die ungenutzt verstrich, konnte das Le ben etwaiger Überlebender kosten. Razamon legte auch Hose und Stiefel noch ab und nahm ein Messer und einen der Speere mit. Ich selbst behielt das Goldene Vlies an, des sen besondere Eigenschaften mich zweifel los schützen würden. Wir sprangen über die Reling und legten die zwanzig Meter zum Wrack schwimmend zurück.
* Ich bemühte mich, bereits während der Annäherung etwas von dem zu erkennen, was sich von dem Luftschiff unter der Ober fläche befand. Das Flußwasser war jedoch zu trübe, trotz des hellen Sonnenlichts sah ich nur vage, umrißhafte Schatten. Unter armlange Fische schossen kreuz und quer dahin, ergriffen vor uns aber eilig die Flucht. Von dem angeblichen Monstrum war weit und breit nichts zu sehen. Wir erreichten den Teil des Druckkörpers, der sich noch oberhalb des Wasserspiegels befand. Anhand seiner Lage berechnete ich ungefähr, wo sich nun die Gondel befinden
24 mußte. Ich gab Razamon ein Zeichen, und wir pumpten unsere Lungen noch einmal voll Luft, dann tauchten wir in die Tiefe. Der Gruuf-Xamyhr war an dieser Stelle schätzungsweise zehn Meter tief. Das ließ sich ziemlich genau abschätzen, denn die silbrige Luftschiffhülle reflektierte das ein fallende Sonnenlicht sehr stark, so daß im Wasser eine Zone von Helligkeit entstand. Wir erkannten aber auch den breiten Riß im Heckteil des Fahrzeugs. Dort hatten sich die Streben, die den Antrieb trugen, tief in die Hülle gebohrt. Da das Tragmedium zweifel los unter Druck gestanden hatte, war es durch diesen Spalt zum großen Teil entwi chen. Dann sahen wir auch die Gondel. Sie war etwa zehn Meter lang und vier Meter breit. Jetzt bemerkten wir, daß sie nur nach oben hin rund, unten jedoch abgeflacht war. An ihrem vorderen Ende gab es eine Art von Plattform, die von einer hüfthohen Begrenzung umgeben war. Die übrigen drei Viertel bildeten einen länglichen Raum, der Aussichtsfenster besaß und von einem ge rundeten Dach überwölbt war. Razamon mußte für eine Weile auftau chen, um wieder Luft zu schnappen. Mir blieb dies erspart, denn das Goldene Vlies umgab mich mit einer schutzschirmartigen Blase, in der sich Atemluft befand. Ich tauchte tief hinab und spähte durch eines der Fenster. Der größte Teil des Gondelraums war mit Wasser gefüllt. Dieses war durch eine Tür gedrungen, die von der Plattform aus hinein führte und offenstand. Nur derjenige Teil, der oberhalb dieser Tür lag, enthielt noch Luft, es mochten schätzungsweise zwölf Ku bikmeter sein. Ich mußte unwillkürlich schlucken, als ich die drei Gestalten sah, die auf der Oberflä che des eingedrungenen Wassers schwam men. Razamon erschien wieder neben mir und starrte gleichfalls durch das Fenster. Wir sahen, daß zwei der Fremden leicht schaukelnd haltlos umhertrieben, mit den Gesichtern nach unten; das bewies, daß sie
Harvey Patton bereits tot waren! Der Pthorer deutete auf den dritten, und ich nickte. Dieser Mann lag auf dem Rücken, sein Gesicht befand sich oben, innerhalb der Luftblase. Seine Rechte umklammerte eine Säule, die sich etwa in der Mitte des Raumes befand, aber er regte sich nicht mehr. Falls er noch lebte, mußte er bereits bewußtlos sein. Razamon mußte erneut nach oben, um Luft zu holen. Ich wartete nicht ab, bis er zurückkehrte, sondern schwamm zum ande ren Ende der Gondel. Dort schwang ich mich behutsam durch die Tür, wich den bei den Leichen aus und glitt auf den dritten Mann zu. Mein Kopf erhob sich in die Luftblase, und die schützende Aura um mich herum öffnete sich. Ich atmete vorsichtig ein und merkte sofort, daß der Sauerstoff bereits so gut wie verbraucht war. Rasch näherte ich mich der Gestalt des dritten Fremden. Seine Augen waren geschlossen, dafür stand sein Mund weit offen, und hastige, keuchende Atemzüge erfüllten den wasserfreien Raum. Innerhalb der Gondel war das Licht nur noch sehr schwach. Trotzdem sah ich das bläulich verfärbte Gesicht, das auf akute Atemnot hinwies. Der Mann stand kurz vor dem Erstickungstod, also war rasches Han deln geboten. Ich griff zu und zog seinen Kopf zu mir heran, bis er sich innerhalb der Aura befand, die sich inzwischen wieder um meinen Kopf geschlossen hatte. In dieser Stellung verharrte ich einige Zeit. Razamon erschien wieder, aber ich be deutete ihm, daß ich ihn nicht mehr brauch te. Er verschwand nach oben, und ich warte te ab, bis der Atem des Bewußtlosen wieder ruhiger ging. Dann löste ich seine Hand von der Säule, umfaßte mit der Linken seine Körpermitte und zog ihn mit mir, aus dem Raum in der Gondel hinaus. Sekunden später hatte ich die Oberfläche des Flusses erreicht, wo der Pthorer auf mich wartete. Er faßte mit zu, und wir nah men den Fremden zwischen uns. Dann schwammen wir zur GÄRZE zurück. Kolphyr streckte seine Arme aus und zog
Fluß der Gefahren uns mühelos an Deck. Wir befreiten den Fremden von seiner durchweichten Klei dung und hüllten ihn in eine warme Decke, denn sein Körper war unterkühlt. Er atmete nun ganz ruhig, war aber immer noch ohne Besinnung. Mit seiner hellen Haut, dem blonden Haar und dem intelligent wirkenden Gesicht glich er einem Nordländer der Erde. Er war groß und schlank, an seiner rechten Stirnseite verlief eine schmale, etwa finger lange Narbe. Ich sah Razamon an. »Hast du eine Ahnung, wer das sein könnte, Alter? Obwohl wir schon viel von Pthor gesehen haben, kann ich ihn nirgends einordnen. Sei ne Kleidung läßt darauf schließen, daß er aus besseren Kreisen stammen muß.« Der Atlanter krauste die Stirn, schüttelte dann aber den Kopf. »Meine Erinnerungen lassen mich hier leider im Stich. Es könnte sich um einen Techno handeln, dafür spricht auch der Um stand, daß die drei mit einem Luftschiff ge kommen sind. Was sie ausgerechnet hier wollten, erscheint mir schleierhaft. Für Ma gier halte ich sie jedenfalls nicht.« »Sie hatten offenbar die Kontrolle über ihr Fahrzeug verloren«, erinnerte ich ihn. »Gut, lassen wir jetzt die Mutmaßungen, sie bringen uns nicht weiter. Wir können ihn ja fragen, wenn er wieder zu Kräften gekom men ist.« Koy machte sich bemerkbar. »Warum fahren wir nicht weiter?« erkundig te er sich, aber ich winkte ab. »Wir bleiben vorerst noch hier«, be stimmte ich. »Die Sonne wird bald unterge hen, weiter als bis zu der Insel kämen wir kaum noch. Dort lauert aber bekanntlich das Ungeheuer, und es dürfte kaum ratsam sein, ihm im Dunkeln zu begegnen. Wir ankern hier und brechen erst morgen wieder auf.« Ich wartete noch eine Weile ab, doch der Fremde schien aus seiner Bewußtlosigkeit in den Schlaf der Erschöpfung hinübergeglitten zu sein. Es hätte wenig Sinn gehabt, ihn dar aus zu wecken, also ließ ich ihm seine Ruhe. Statt dessen wurden die Piraten wieder ins Freie gelassen, und ich gab ihnen meine Be fehle. Die GÄRZE wurde ans Ufer bugsiert
25 und dort an der dicken Luftwurzel eines Dschungelriesen festgemacht. Außerdem ließ ich das jetzt nutzlose Segel reffen und die Frauen gingen daran, Essen für uns alle zu bereiten. Es dämmerte bereits, als der Fremde end lich erwachte. Er versuchte, sich aufzurich ten, sank aber kraftlos wieder zurück. »Wo bin ich hier?« fragte er matt und sah sich verständnislos um. »In Sicherheit«, beruhigte ich ihn. »Wir haben dich aus der Gondel des Luftschiffs geborgen, du warst dem Tod sehr nahe. Dei ne beiden Gefährten konnten wir leider nicht mehr retten, sie waren bereits tot.« »Wir hätten das nicht tun sollen«, mur melte er furchtsam. »Oh, es war wirklich schrecklich, wir wußten uns einfach nicht zu helfen. Zuerst das schlimme Unwetter, und dann dieses Dahintreiben …« Seine Stimme wurde immer leiser und versagte dann. »Ihr hattet einen technischen Defekt an eurem Fahrzeug?« fragte ich, als er sich wie der etwas erholt hatte. Er schüttelte müde den Kopf. »Es war gar nicht unser Fahrzeug«, korri gierte er. »Es gehörte einem der Magier in der Großen Barriere von Oth, dem wir es entwendet haben. Ich heiße Schoßta, die bei den anderen hießen Doptor und Falkanz. Wir kamen aus Donkmoon, der Stadt der Fa milie Gordy. Unsere Technosippe hatte an geblich Fehler gemacht und fürchtete, dafür von den Herren der FESTUNG bestraft zu werden. Deshalb brachen wir auf, um uns von den Magiern Waffen zu beschaffen, die den Gordys helfen sollten, ihre Stellung wie der zu festigen.« Razamon war hinzugekom men und lachte leise auf. »Das finde ich köstlich«, meinte er. »Beide, die Technos wie auch die Magier, dienen den Herren von Pthor, und doch denkt jede Gruppe zuerst an sich selbst. Au ßerdem hält sich jede für besser, denn die einen verachten die anderen, und umgekehrt. Ihr seid also ausgezogen, um Waffen zu stehlen, und das ging ins Auge?« Schoßta sah ihn kühl an, in seinem Blick
26 lag unverhüllte Arroganz. Dann besann er sich aber auf seine Lage und lenkte ein. »Wir hatten uns unsere Aufgabe leichter vorgestellt, als sie wirklich war. Mit Hilfe von unsichtbar machenden Schirmen ge langten wir in die Große Barriere, aber wir mußten lange suchen, denn diese Magier sind ausgesprochene Einzelgänger. Dann stießen wir auf einige von ihnen und hatten mehrere nicht gerade angenehme Erlebnisse. Es gelang uns jedoch, weiterhin unbemerkt zu bleiben, und wir erreichten das Luft schiff. Daß es einem Wettermagier gehörte, bemerkten wir erst, als es zu spät war.« Er schilderte, wie sie an Bord des Fahr zeugs gelangt waren und dort nichts fanden, das ihnen brauchbar erschien. Es gelang ih nen aber auch nicht mehr, das Luftschiff zu verlassen, und schließlich hatte Schoßta rein zufällig ein schweres Unwetter ausgelöst. Das hatte dann zur Folge gehabt, daß sich die SARKA losriß und mit den drei veräng stigten Dieben davongeflogen war, vor den Augen ihres herbeigeeilten Herrn. Keinem der Gordys war es gelungen, sie unter Kontrolle zu bekommen. Sie war steu erlos über ganz Pthor dahingetorkelt und hatte das Land mit Blitz und Donner, Hagel schlag und Wolkenbrüchen überzogen. Spä ter hatten sich die magischen Gewalten er schöpft, zugleich aber auch die Kraft des Luftschiffantriebs. Den letzten Akt dieses Dramas hatten wir selbst mit angesehen. »Was nach dem Absturz geschehen ist, weiß ich nicht«, schloß Schoßta seine Schil derung ab. »Ich klammerte mich nur instink tiv an der Säule fest, die im Anfang rot leuchtete, später aber erloschen war. Ich spürte noch den Aufprall, dann verließen mich die Sinne. Jedenfalls danke ich euch sehr dafür, daß ihr mich gerettet habt.« Er schloß die Augen und schlief fast über gangslos wieder ein. Razamon sah mich an und zog eine Grimasse. »Schoßta gehört offenbar zu jenen, die mehr Glück als Verstand haben«, bemerkte er sarkastisch. »Er scheint übrigens kein reinrassiger Gordy zu sein, deshalb habe ich
Harvey Patton ihn auch nicht gleich einordnen können. Die Leute aus Donkmoon haben sonst im allge meinen schwarzes Haar. Außerdem sind sie, neben den Herren der FESTUNG und den Magiern von Oth, wohl die arrogantesten Geschöpfe, die es auf ganz Pthor gibt. Daß auch sie einmal Fehler gemacht haben, muß sie schwer getroffen haben.« Er wechselte unvermittelt das Thema. »Wie soll es nun mit uns weitergehen, Lordadmiral? Ich hege den wohl nicht unbe gründeten Verdacht, daß du die angebliche Existenz des Flußungeheuers nur zum Vor wand genommen hast, um noch einige Zeit an dieser Stelle bleiben zu können! Du hast die Absicht, morgen noch einmal zu tauchen und die Gondel zu durchsuchen, nicht wahr?« »Stimmt«, räumte ich ein. »Daß die Gordys mit ihrem einseitig beschränkten Wissen darin nichts für sie Brauchbares ge funden haben, sagt nicht, daß es dort nicht wirklich derartige Dinge gibt. Das, was sich hier auf Pthor Magie nennt, ist nur eine an dere, abgewandelte und verfremdete Form der Technik. Ich habe im Lauf meines lan gen Lebens, zuerst im Großen Imperium von Arkon und später auch anderswo, viele Din ge gesehen, die normalen Menschen stets unbegreiflich blieben. Vielleicht hilft mir meine lange Erfahrung, dies oder jenes als das zu erkennen, was es wirklich ist, wenn es auch eine Art von Tarnkappe trägt.« Razamon nickte gedankenvoll. »Das könnte durchaus sein, und wir brau chen jedes nur erdenkliche Hilfsmittel, wenn wir endlich zum Schlag gegen die FE STUNG antreten werden. Wir sind ihr end lich ziemlich nahe, und Ragnarök hat sich unübersehbar angekündigt.« Koy erschien und brachte uns Essen. Er weckte auch Schoßta und versorgte ihn. Es wurde nun sehr rasch dunkel, und wir veran laßten die Piraten, sich wieder in den Auf bau zu begeben, vor dem Fenrir Wachtpo sten bezog. Wir blieben auf dem Achterdeck und streckten dort unsere müden Glieder aus.
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Der Tag war ereignisreich gewesen, und die anderen schliefen schnell ein. Nur ich fand noch keine Ruhe, düstere Gedanken plagten mich, und im Süden war wieder je nes dunkelrote Glühen zu sehen, das inzwi schen noch intensiver geworden zu sein schien. Was immer sich dort im Bereich der FE STUNG auch anbahnen mochte – wir durf ten es keinesfalls versäumen, dabeizusein!
5. »Aufstehen, Atlan!« schrillte Kolphyrs Stimme in mein Ohr. »Ja doch, du Quälgeist«, murmelte ich, als er mich zu rütteln begann, weil ich nicht sogleich reagierte. Ich brauchte einige Zeit, um mich wieder in der Gegenwart zurecht zufinden, denn ich hatte eben noch von ver gangenen Zeiten geträumt. Von der Erde, von Perry Rhodan, Bully, Julian Tifflor und den vielen anderen Ge fährten langer Jahrhunderte. Im ersten Mo ment hatte ich Kolphyrs Stimme sogar für die von Gucky gehalten, der in einem sol chen Traum natürlich nicht fehlen durfte. Der pfiffige Kleine – welch eine große Hilfe wäre es gewesen, ihn hier auf Pthor zu ha ben! Vermutlich gehörte dann die Bedro hung der Erde durch den »Dimensionsfahrstuhl« schon längst der Vergangenheit an. So aber bestand sie noch immer, und un sere Odyssee auf diesem Kontinent dauerte nun schon Monate. Seufzend erhob ich mich und begann mich zu waschen, Koy hatte be reits einen Holzeimer mit Wasser bereitge stellt. Es war noch relativ kühl, über dem Flußarm lag eine feine Dunstschicht, und in den Bäumen ringsum lärmten Vögel. Die Piraten befanden sich auf dem Vorderschiff, unter der Aufsicht von Fenrir und Razamon, und aus der Esse des Aufbaus kräuselte sich eine Rauchwolke. Dort waren die Frauen da bei, das Frühstück zuzubereiten. Ich seufzte erneut, denn vor meinem gei stigen Auge erschien das Bild einer großen
Tasse voll von dampfendem Kaffee. Einst war es eine Selbstverständlichkeit gewesen, den Tag mit diesem Gebräu zu beginnen – heute hätte ich einiges für diese Köstlichkeit gegeben! »So relativ ist alles im Leben«, sagte ich leise und schüttelte den Gedanken wieder ab. So, wie die Dinge jetzt standen, würde ich wohl noch sehr lange auf Kaffee und ähnliche Dinge verzichten müssen. Ich winkte Koy, und er half mir, in das Goldene Vlies zu steigen, das ich über Nacht abgelegt hatte. Wieder einmal ärgerte ich mich über die dabei notwendige umständliche Prozedur. Dieser Schutzanzug mit all seinen geheim nisvollen Eigenschaften war eine durchdach te und durchaus modern wirkende Konstruk tion, und doch mußte er mühsam mit Haken und Ösen verschlossen werden. Hatten seine Hersteller das Prinzip der magnetischen Säume noch nicht gekannt? Oder ließ es sich bei dem hier verwendeten Material nicht an wenden? Vermutlich war letzteres der Fall. Endlich war ich vollständig angezogen, bis auf die Handschuhe und den Helm. Raz amon winkte mir, und ich begab mich zu ihm. Neben ihm stand Pärtel und zeigte ein mehr als mürrisches Gesicht. »Warum fahren wir nicht endlich weiter, Herr?« beschwerte er sich. »Unsere Lebens mittel gehen zur Neige, sie reichen gerade noch für den heutigen Tag, und der Weg bis in bewohnte Gegenden ist noch weit. Ihr haltet uns so lange auf, und unsere Geschäf te …« »Bestehen darin, anderen Leuten ihr Hab und Gut abzunehmen, ich weiß!« unterbrach ich ihn energisch. »So gesehen, ist es gut, daß ihr noch für eine Weile davon abgehal ten werdet. Doch auch wir haben es eilig, al so werden wir nicht länger als nötig hierblei ben. Wenn alles gutgeht, können wir schon in einigen Stunden weiterfahren. Vertreibt euch die Zeit damit, Fische zu fangen, dann werden auch die Vorräte ausreichen.« Er wollte weitere Einwände machen, aber ich beachtete ihn nicht mehr. Statt dessen
28 begab ich mich zu Schoßta, der auf dem Achterdeck an der Reling lehnte und mit verschlossenem Gesicht zu dem hinüber starrte, was von dem Luftschiff noch zu se hen war. »Wie geht es dir?« erkundigte ich mich. »Bist du jetzt wieder ganz in Ordnung?« Der Techno aus Donkmoon nickte und sah mich aus seinen dunklen Augen an. »Danke, ich fühle mich heute schon wieder ganz gut. Was mich bedrückt, ist der Gedan ke an meine toten Gefährten in dem Wrack. Sie sollten eine angemessene Bestattung er halten und nicht von den Fischen gefressen werden.« »Das dürfte sich verhindern lassen«, er klärte ich. »Razamon und ich, wir haben die Absicht, noch einmal hinunterzutauchen und die Gondel zu durchsuchen. Vielleicht fin den wir doch noch etwas, das uns den Kampf gegen die Herren der FESTUNG er leichtert. Willst du mitkommen?« »Auf gar keinen Fall«, wehrte Schoßta er schrocken ab. »Nach allem, was wir in die sem Gefährt mitgemacht haben, bringen mich keine zehn Yassels wieder dort hinein. Aber – ist es wirklich eure Absicht, gegen die Herren von Pthor zu kämpfen, Atlan? Niemand hat es bisher gewagt, sich offen gegen sie aufzulehnen.« »Dann wird es höchste Zeit, daß endlich jemand damit beginnt!« knurrte ich. »Auf Pthor leben Millionen verschiedener Wesen, zum größten Teil unter unmenschlichen Be dingungen und im Zustand der totalen Skla verei. Und doch denkt keiner daran, dagegen aufzumucken, vor allem jene nicht, die am ehesten dazu imstande wären. Ohne die Mit hilfe der Robotbürger, Technos und Magier hätten auch die Herren der FESTUNG längst ihre verderbliche Macht verloren! Dann könnte Pthor nicht mehr Unheil und Tod über fremde Welten und blühende Kulturen bringen.« Schoßta antwortete nicht, aber auf seinem Gesicht erschien eine Spur jener Arroganz, die Razamon als Charakteristikum der Leute aus Donkmoon beschrieben hatte. Auch sie
Harvey Patton waren nichts weiter als Opportunisten, das war mir klar; willige Helfer, ohne die kein absolutistisches Regime bestehen konnte, und dafür durch begrenzte Privilegien be lohnt. Daß sie daran gedacht hatten, sich Waffen gegen ihre Herren zu beschaffen, war nicht aus ideellen Motiven heraus ge schehen, sondern nur, um den Fortbestand ihrer gehobenen Stellung absichern zu kön nen. Das Schicksal der übrigen Pthorer und der heimgesuchten Planeten kümmerte sie nicht. Ich zuckte resigniert mit den Schultern und wandte mich ab. Nach dem frugalen Frühstück aus halbga rem Dörrfleisch, Brotfladen und bitterem Kräutertee trafen Razamon und ich unsere Vorbereitungen für den Abstecher zur SAR KA. Der Atlanter hatte sich etwas ausgedacht, um länger unter Wasser bleiben zu können. Aus den Beständen der Piraten hatte er sich einen leeren ledernen Wasserschlauch be schafft, der ihm nun als Luftbehälter dienen sollte. Der Schlauch besaß einen kupfernen Ausguß, der mit dem Leder vernietet und durch eine harzige Masse abgedichtet war. In diese Öffnung hatte Razamon ein hohles Schilfrohr eingeführt, das er in den Mund nehmen und als Atemstutzen benutzen konnte. Es war nur ein Provisorium, aber immerhin besser als gar nichts. Natürlich mußten wir uns absichern, da mit es den Piraten nicht einfiel, während un serer Abwesenheit gegen die anderen vorzu gehen. Ihre unverhohlen aufsässigen Blicke zeugten davon, daß sie Koys besondere Fä higkeiten inzwischen bereits wieder verges sen hatten. Sie hätten im Ernstfall zwar nichts erreichen können, aber Tote oder ge sundheitlich geschädigte Männer konnten uns nichts mehr nützen. Sie wurden also erneut unter Deck ver bannt. Nur drei Männer blieben draußen und waren damit beschäftigt, Fische zu fangen. Zwar waren ihre Angeln mehr als primitiv, aber das Dörrfleisch an den Haken tat seine Wirkung. Als wir uns über Bord schwangen,
Fluß der Gefahren zappelte bereits mehr als ein Dutzend großer Fische auf dem Vorderdeck. Ich hatte wieder den zum Goldenen Vlies gehörenden Helm aufgesetzt. Das dünne silbrige Geflecht, aus dem er bestand, wirkte kaum stabiler als ein Spinnennetz, aber der Schein trog. Wir stießen uns ab und schwammen mit langsamen Bewegungen auf das Luftschiff des Magiers zu. Plötzlich schoß mir ein fast drei Meter langer, haiähnlicher Fisch entgegen. Die blitzenden Reflexe des Goldenen Vlieses mußten ihn angelockt haben, und er griff mich an. Sein Rachen war weit geöffnet und zeigte zwei Doppelreihen fingerlanger und messerscharfer Zähne. Mit einer schnellen Bewegung warf ich mich herum, verharrte auf der Stelle und holte mit dem mitgenommenen Speer zum Stoß aus. Ich hatte gut gezielt, traf jedoch nicht, denn im letzten Moment wich der Rie senfisch mit einem schnellen Schlag seiner Schwanzflosse aus. Er beschrieb einen kurz en Bogen, tauchte weg und befand sich be reits unter mir, ehe ich noch auf die verän derte Situation reagieren konnte. Im näch sten Augenblick schnappten seine Kiefer be reits nach meinen Beinen. Meine verzweifelte Ausweichbewegung kam viel zu spät. Ich spürte deutlich, wie sich die Zähne um mein rechtes Bein schlos sen, und Panik kam in mir auf. Gegen diese große und schnelle Bestie hatte ich praktisch keine Chance. Ich keuchte, schluckte unwill kürlich Wasser und setzte mit dem Speer zu einem verzweifelten Gegenstoß an. Doch schon nach Sekundenbruchteilen war alles vorbei. Das gewaltige Gebiß des Mörderfisches löste sich von meinem Bein. Verblüfft sah ich, wie sich das Tier plötzlich in unkontrol lierten Zuckungen wand. Dann erstarben sei ne Bewegungen, es drehte den weißen Bauch nach oben und trieb leblos von mir weg. Das Goldene Vlies führt seinen Beinamen »Anzug der Vernichtung« wirklich nicht zu Unrecht! sagte mein Extrasinn lakonisch.
29 »Gratuliere, Arkonprinz!« rief mir Raza mon zu. Ich grinste ihm zwiespältig zu und spürte die Impulse des Zellaktivators in mei ner Brust, unter denen sich mein durch einen unwillkürlichen Adrenalinschock hochge speicherter Kreislauf wieder normalisierte. Wir setzten unseren Weg zum Luftschiff wrack fort und erreichten es ohne weitere Zwischenfälle.
* »Warte zunächst hier oben«, wies ich den Pthorer an. »Ich will zuerst die beiden Lei chen aus der Gondel entfernen und irgendwie am Gestänge festbinden. Schoßta möch te, daß sie ordentlich bestattet werden, und diesen Wunsch möchte ich ihm erfüllen.« »Unnütze Sentimentalitäten«, knurrte Razamon. »Ich wette, der Techno würde sich einen Dreck darum scheren, was mit uns geschähe, wenn wir die Opfer wären. Ich habe ihn übrigens danach gefragt, was aus den Geräten geworden ist, mit denen sich die drei unsichtbar gemacht haben, weil ich dachte, daß sie auch uns von Nutzen sein könnten. Er sagte aber, die ›magischen Schirme‹ hätten irgendwie Kontakt zu der leuchtenden Säule gehabt und wären im Verlauf des Fluges unwirksam geworden. Daraufhin haben sie die Geräte über Bord geworfen, weil keiner von ihnen wußte, wie sie zu reparieren waren. Und so etwas nennt sich Technos!« »Vergessen wir es«, gab ich zurück und tauchte in die Tiefe. Diesmal stand die Sonne günstiger, so daß die Lichtverhältnisse besser waren als beim ersten Mal. Als ich unten ankam, erkannte ich sofort, daß die Toten inzwischen ver schwunden waren, vermutlich waren sie wirklich bereits in den Mägen irgendwelcher Wasserbewohner gelandet. Vielleicht sogar in denen der Fische, die die Piraten jetzt gerade fangen, sagte mein Extrasinn sarkastisch. Ich schüttelte mich bei diesem Gedanken und drang in den Steuerraum des Luftschiffs
30 ein. Ein solcher mußte es sein, wenn es auch darin keine Bedienungselemente gab, wie wir sie kannten. Die Magier hatten ihre eige nen Methoden, Dinge zu bewegen und be stimmte Vorgänge auszulösen, das wußten wir längst. Dieses Fahrzeug mußte irgendwie zur Steuerung des Wetters auf Pthor ge dient haben. Darauf wies die Tatsache hin, daß die Technos in ihrer Unkenntnis der Ge gebenheiten das Unwetter ausgelöst hatten, dessen Opfer sie schließlich selbst geworden waren. Diese Gedanken hatten mich für einen Moment abgelenkt. Deshalb bemerkte ich den ungebetenen Gast, der sich in dem Raum aufhielt, erst, als es schon fast zu spät war. Es handelte sich um ein fast anderthalb Meter langes, rochenähnliches Geschöpf, das sich hier eingenistet hatte und nun auf Beute lauerte. Es besaß offenbar die Fähig keit, sich wie ein Chamäleon vollkommen der Farbe seiner Umgebung anzupassen, denn es hob sich nicht von dem krümeligen weißen Bodenbelag ab. Ich sah nur eine un gewisse, schattenhafte Bewegung vor mir und spürte zugleich einen scharfen, warnen den Impuls meines Extrasinns. Rasch schwang ich mich zur Seite, hielt mich am Türrahmen fest und hob meinen Speer. Ein großer Schemen schoß auf mich zu und brachte das Wasser in heftige Bewe gung. Nun wurde das Tier für mich sichtbar, denn es behielt seine Tarnfarbe noch für ei ne Weile und hob sich deutlich gegen den dunkleren Hintergrund ab. Seine Augen glommen rötlich auf, und ich sah das breite Maul an der Unterseite des Kopfendes, das weit geöffnet war. Zugleich spürte ich ein Prickeln wie von einer elektrischen Entla dung, das mir bewies, daß dieses Untier die gleichen Fähigkeiten wie der irdische Zitter rochen besaß. Das Prickeln verging jedoch sofort wie der, der ausgesandte Stromstoß wurde offen bar vom Goldenen Vlies neutralisiert. Das bemerkte ich aber nur unbewußt, denn ich
Harvey Patton hatte mit meiner Verteidigung zu tun. Es wäre sträflicher Leichtsinn gewesen, hätte ich mich nur darauf verlassen, daß auch der Rochen durch die Berührung mit dem »Anzug der Vernichtung« umkam. Er mochte hundert bis hundertfünfzig Kilo schwer sein, und schon der Anprall seines Körpers hätte mich zu töten vermocht! Ich schwang meine Beine nach oben, so daß mein Körper in eine waagerechte Lage kam und ihm die geringste Angriffsfläche bot. Dann stieß ich mit dem Speer zu, mitten zwischen die glühenden Augen. Ein heftiger Ruck ging durch meinen rechten Arm, und rasch ließ ich die Waffe los. Trotzdem wurde ich herumgeschleudert, verlor meinen Halt und wirbelte wie ein Spielball durch das wild bewegte Wasser. Ich schlug mit dem Rücken gegen das Dach des Raumes und krümmte mich unter dem heftigen Schmerz des Aufpralls. Mein Stoß schien aber gut gesessen zu ha ben. Der Rochen schoß weiter, durch die offe ne Tür hinaus, doch die Bewegungen seiner platten seitlichen Körperfortsätze wirkten nun ziellos und unkoordiniert. Gleichzeitig verbreitete sich im Wasser eine dunkelrote Wolke nach allen Seiten hin und nahm mir die Sicht. So konnte ich nur ahnen, was nun weiter vor sich ging. Ich spürte die heftige Erschütterung, die die Gondel durchlief, als der schwere Kör per draußen gegen die Brüstung der Platt form prallte. Sekundenlang wurde das Was ser wie von den Flügeln eines großen Rotors aufgepeitscht und drückte mich schwer ge gen die Decke. Mein ohnehin mitgenomme ner Rücken reagierte mit einer neuen hefti gen Schmerzwelle, die mich aufstöhnen ließ. Dann verebbten die Wirbel, doch ich konnte immer noch nichts sehen, denn die rote Wol ke im Wasser war noch dichter geworden. Du hast es geschafft! sagte mein Extra sinn tröstend. Das Tier ist tot und kann dir nicht mehr schaden. Trotzdem wartete ich vorsichtshalber noch eine Weile ab und erholte mich wieder.
Fluß der Gefahren
31
Erst, als sich die Sicht wieder gebessert hat te, verließ ich meinen Platz in der Luftblase und schwamm nach draußen. Der Rochen lebte wirklich nicht mehr. Er hing mit dem Kopfteil halb über der Brü stung und hatte im Tod eine schmutzigbrau ne Färbung angenommen. Ich schwang mich über ihn hinweg und zog den Speer aus dem Kopf, der etwa dreißig Zentimeter tief ein gedrungen war. Dann stieß ich mich ab und tauchte neben Razamon auf, der mir beunru higt entgegensah. »Was hat es gegeben?« forschte er und wies auf die Blutwolke, die sich bis zur Oberfläche verbreitet hatte. Ich grinste ihn an, allerdings etwas verzerrt, denn meine Rückenpartie schmerzte immer noch. »Ein liebes kleines Tierchen hatte es auf mich abgesehen, hat dabei aber den kürzeren gezogen. Komm mit hinunter und hilf mir, das Biest von der Gondel zu entfernen. Dann können wir uns hoffentlich ungestört darin umsehen.« »Dich darf man aber auch keinen Augen blick allein lassen«, kommentierte der At lanter, doch seine Erleichterung war unver kennbar. Er klemmte sich den improvisier ten Atemstutzen zwischen die Lippen, und wir tauchten gemeinsam zur Gondel hinab.
6. Es kostete uns erhebliche Anstrengung, den schweren Körper des Rochens ganz über die Brüstung zu schieben. Er war glitschig wie der eines Aales, und unsere Hände glit ten immer wieder ab. Razamon war noch zu sätzlich gehandikapt, denn er mußte darauf achten, daß sich der Luftsack nicht selbstän dig machte und nach oben davonschoß. Es dauerte etwa zehn Minuten, bis der Kadaver endlich ins freie Wasser kippte und von der langsamen Strömung davongetragen wurde. Dann stieß mich Razamon an und machte mir ein Zeichen. Sein Luftvorrat war aufge braucht, er mußte nach oben. Ich nickte ihm zu und bedeutete ihm, daß ich mich inzwi schen allein in der Gondel umsehen würde.
Er wedelte verstehend mit der Hand und verschwand in Richtung Oberfläche. Die Blutwolke hatte sich inzwischen längst verzogen, die Sicht war den Umstän den nach gut. Ich sicherte noch einmal nach allen Seiten, vor allem dorthin, wo der Luft schiffskörper seinen Schatten warf. Er lag so günstig, daß sich die Gondel nicht direkt un ter ihm, sondern seitlich nach links versetzt befand. Die Tragestreben waren beim Auf prall bis auf eine abgeknickt worden. Außer den üblichen harmlosen Fischen war jedoch nichts zu sehen, das auf eine Ge fahr schließen ließ. Ich ließ mich in den Raum gleiten und hielt mich so am Türrah men fest, daß ich eine aufrechte Stellung einnahm. Durch die großen Fenster fiel ge nügend Licht, um die meisten Dinge erken nen zu können, die sich in der Kabine befan den. Allerdings bemerkte ich bald, daß sich kaum noch etwas am richtigen Fleck befand. Was nicht schon beim Absturz davonge schleudert worden war, hatte sich infolge der durch den Rochen hervorgerufenen Wasserbewegung selbständig gemacht, die Möbel waren zum größten Teil umgekippt. Einige nicht identifizierbare Gegenstände schwammen oben in der Luftblase. Was mir besonders ins Auge fiel, waren die Malereien an den Wänden zwischen den Fenstern. Der Besitzer der SARKA mußte einen Geschmack haben, der sich kaum anders als pervertiert bezeichnen ließ. Die bunten Figu ren stellten, zum Teil in Lebensgröße, alle nur möglichen Scheußlichkeiten dar. Das reichte von Darstellungen entstellter menschlicher Körper bis zu solchen von Un geheuern, die einem Alptraum entsprungen zu sein schienen. Auch das kleinste Detail war derart realistisch ausgearbeitet, daß man fast den Eindruck hatte, daß diese Figuren lebendig waren. Keine Sorge, sie werden dir schon nicht ins Genick springen, spöttelte mein Extra sinn. Beachte die emblemartigen Abbildun gen, die sich an der Oberkante jeder Dar
32 stellung befinden. Bisher hatte ich ihnen keine Aufmerksam keit geschenkt. Nun sah ich schärfer hin und bemerkte, daß jedes dieser Teilbilder sich ir gendwie auf Naturereignisse bezog. Es gab Landschaftsausschnitte, vermutlich sämtlich von Pthor, und jeder stellte eine spezielle Variation dar. Nur auf den wenigsten schien die Sonne. Auf manchen regnete es in Strömen, Flüsse traten über die Ufer und überschwemmten das umgebende Land. Menschen und Tiere kämpften und schwammen um ihr Leben, Leichen und entwurzelte Bäume trieben in den Fluten dahin. Auf anderen fielen eigroße Hagelschloßen, zerschlugen Felder und Wälder und sogar die armseligen Häuser der Menschen. Eine Darstellung erinnerte mich sogleich an die Wüste Fylln, die Razamon und ich zur Genüge »genossen« hatten. Ein Sandsturm fegte dahin und begrub eine Ka rawane von Männern mit Yassels, die sich am Ende ihrer Kräfte befanden. So ging es reihum weiter, kein Aspekt vernichtender Witterungskräfte war ausge lassen worden. Zusätzlich war jede dieser Abbildungen von dem gleichen Emblem ge krönt, das sich auch draußen an der SARKA befand, der quellenden Wolke, aus der ein stilisierter Blitz hervorzuckte. »Ein seltsamer Wettermagier!« murmelte ich vor mich hin. »Wenn sein Handeln dem Inhalt dieser Darstellungen entsprochen hat, muß er Pthor weit mehr Schaden als Nutzen zugefügt haben. Anscheinend haben jene Leute recht, die behaupten, alle Magier wä ren nicht ganz normal.« Ein Magier kann nie normal im Sinn eines gewöhnlichen Menschen sein, belehrte mich mein Extrasinn lakonisch. Ein Schatten fiel zu mir herein, und Raza mon erschien wieder. Er hatte neue Luft für seinen Atembehälter »getankt« und konnte es nun wieder eine Weile unter Wasser aus halten. Er hielt sich jedoch nicht erst mit der Betrachtung der Bilder auf, sondern ging so fort daran, sich jene Möbelstücke vorzuneh men, die als Behälter für irgendwelche Din-
Harvey Patton ge gedacht waren. Ich half ihm dabei, denn schließlich war es ja unser Ziel, hier Dinge ausfindig zu ma chen, die sich als Waffen verwenden ließen. Gemeinsam richteten wir eine große Truhe auf und öffneten ihren Deckel. Sie enthielt aber nur Kleidungsstücke, und so wandten wir uns einer großen Kiste zu, die in einer Ecke stand. Ihr Deckel ließ sich jedoch nicht öffnen, obwohl kein sichtbarer Verschluß vorhanden war. Wir nahmen unsere Speere und versuchten, ihn damit aufzustemmen, aber auch das gelang uns nicht. Ärgerlich schlug ich mit der Faust auf den Deckel, und daraufhin sprang er so rasch auf, daß ich nur mit Mühe verhindern konnte, daß er gegen meinen Kopf schlug. Razamon grinste nur, aber ich dachte weiter. War diese Kiste durch magische Kräfte verschlossen worden, die durch eine Berüh rung mit dem Goldenen Vlies unwirksam gemacht wurden? Allem Anschein nach war es so. Konse quent gedacht, eröffnete uns das ausgespro chen positive Perspektiven! Auch die Herren der FESTUNG verließen sich nicht allein auf die Hilfe der Technos, sondern nahmen auch die Dienste der Magier von Oth für sich in Anspruch. Falls das Goldene Vlies wirklich imstande war, deren Einflüsse zu neutralisieren, konnte uns das beim Kampf gegen die FESTUNG eine unschätzbare Hil fe sein. Keine voreiligen Spekulationen! warnte sofort der Extrasinn. Falls sie sich als nicht stichhaltig erweisen, könnt ihr böse herein fallen, wenn es hart auf hart geht. Inzwischen hatte sich der Atlanter bereits kurzerhand mit dem Inhalt der Kiste be schäftigt. Er brachte mehrere faustgroße Kristalle zum Vorschein, die sämtlich mit dem Wol ken-Blitz-Emblem versehen waren. Jeder von ihnen hatte eine andere Farbe, aber sie wirkten merkwürdig stumpf und tot. Es er schien mir als sicher, daß es mit ihnen eine besondere Bewandtnis haben mußte. Nur rein zum Privatvergnügen hatte sie der Wet
Fluß der Gefahren termagier bestimmt nicht ausgerechnet hier in der Gondel aufbewahrt. Razamon sah mich fragend an, aber ich konnte nur mit den Schultern zucken. Falls diese Kristalle etwas Bestimmtes be wirken konnten, dann wohl kaum von allein. Vielleicht mußte der Magier persönlich an wesend sein, um sie in seinem Sinn gebrau chen zu können. Vielleicht gab es aber auch eine Verbindung dieser Brocken mit den Anlagen des Luftschiffs, die seit dem Ab sturz nicht mehr funktionierten? Möglich war alles. Wir öffneten noch einen Schrank, doch dieser enthielt nur Geschirr und andere un wichtige Dinge. Dann war Razamons Luft vorrat bereits wieder verbraucht, er machte mich darauf aufmerksam und verschwand erneut. Mich dagegen plagte diese Sorge nicht. Genau genommen, hätte der Sauer stoff in der schutzschirmähnlichen Aura um mich herum längst verbraucht sein müssen. Er war es jedoch nicht, ich konnte weiterhin ungehindert atmen, als ob ich mich über dem Wasser befände. Offenbar bewirkten die geheimnisvollen Fähigkeiten des Golde nen Vlieses eine ständige Regeneration, weit vollkommener als in dem besten irdischen Raumanzug. Ich versuchte, eine plausible Erklärung dafür zu finden, aber das gelang mir einfach nicht. Doch auf Pthor war es grundsätzlich schwierig, für die vielfältigen fremden Dinge Erklärungen zu finden, also gab ich es bald wieder auf. Statt dessen stieg ich nach oben, um die in der Luftblase schwimmenden Dinge in Au genschein zu nehmen. Sie waren jedoch durchwegs vollkommen uninteressant, zer brochene Gegenstände aus Holz oder ir gendwelchen fremden Stoffen. Aus diesen Fragmenten konnte ich nicht mehr erraten, wozu sie einst gedient haben mochten. Ich schwamm also zum Boden der Kabine zu rück, und dort zog ein gelblicher Schimmer meine Aufmerksamkeit auf sich. Aus der Nähe entpuppte er sich als großer Speer aus einem gelben, blanken Metall. Er war außerordentlich schwer, es kostete mich
33 viel Kraft, ihn aufzuheben. Seine Spitze war lang und ähnlich geformt, wie die stilisierten Blitze, die das Wahrzeichen des Wetterma giers bildeten. Ich hielt ihn einige Sekunden in der Hand, stufte ihn dann jedoch infolge seines Ge wichtes als unbrauchbar für uns ein. Zum Endkampf gegen die FESTUNG brauchten wir andere, wirklich wirkungsvolle Waffen. Eine Siarta wäre angebracht erschienen, aber auch einige Waggus wären mir willkommen gewesen. Daß es hier in der Gondel solche oder ähnliche Dinge gab, erschien mir be reits zunehmend unwahrscheinlich. Plötzlich erfolgte jedoch eine seltsame, für mich vollkommen überraschend einset zende Reaktion. Der Speer haftete, als ich ihn wegstellen wollte, wie angeschweißt an meinem rechten Handschuh. Das gelbe Material schien eine unlösbare Verbindung mit ihm eingegangen zu sein. Ich schüttelte verwundert den Kopf und wartete auf eine Erklärung meines Lo giksektors, aber er reagierte nicht. Statt dessen begann ich nun, mich voll kommen schwerelos zu fühlen. Dieser Zu stand unterschied sich erheblich von dem Gefühl, das man während des Schwimmens empfindet, wenn das Wasser die Schwer kraft zum Teil absorbiert. Es war anomal, und ich stufte es instinktiv als bedrohlich ein, ohne mir aber vorerst größere Sorgen zu machen. Erneut versuchte ich, den Speer loszuwerden, aber es gelang einfach nicht. Ich griff auch mit der Linken zu, stemmte das untere Ende der Waffe in den schmalen Spalt zwischen zwei Schränken – und dann schwanden mir übergangslos die Sinne.
* Wie lange dieser Zustand angedauert ha ben mochte, konnte ich später nicht sagen. Irgendwann kam ich wieder zu mir und fand mich in einer vollkommen anderen Umge bung wieder! Verwundert schüttelte ich den Kopf, ohne etwas zu begreifen. Wo war ich denn nur
34 hingeraten, und wie? Diesmal meldete sich mein Extrasinn so fort. Der Speer muß eine der magischen Waf fen sein, nach denen du bis jetzt vergeblich gesucht hast! Er und das Goldene Vlies scheinen vom Material her ähnlich beschaf fen zu sein, deshalb konnte wohl auch der Anzug seine Wirkung nicht neutralisieren. Das erschien halbwegs plausibel – doch wo war der Speer nun geblieben? Meine Hände waren leer, ich besaß nur noch den kurzen Piratenspeer, den ich mir zwischen die Beine geklemmt hatte, um freie Hand zu haben. Hastig griff ich nach ihm, denn der Ort, an dem ich mich jetzt aufhielt, erschien mir alles andere als vertrauenerweckend. Ich stand inmitten einer Landschaft, die sich ebensogut auf Pthor, wie auch auf ei nem gänzlich fremden Planeten befinden konnte. Um mich herum gab es weder die Gondel der SARKA noch den Fluß Xamyhr mehr, ich hatte festen Boden unter den Fü ßen. Eine gelbrote, große Sonne stand an ei nem fahlblauen Himmel, über den vereinzelt große Wolken zogen. Die Luft war atembar und trug fremde Gerüche zu mir heran. Sie entstammten zumindest zum Teil der Vegetation um mich herum. Sie bestand aus Grasland mit kniehohen Halmen von bläuli cher Färbung, links von mir befand sich eine Ansammlung hoher Büsche, die lanzettför mige Blätter besaßen. Zur Rechten gab es einen kleinen Wald aus koniferenähnlichen Bäumen mit gleichfalls bläulichen Nadeln. Große, geierartige Vögel kreisten über der Landschaft und schienen auf Beute zu lau ern. Der Horizont wurde nach allen Seiten hin durch langgestreckte Hügel begrenzt, die ebenfalls bewaldet waren. Eigentlich sah das alles recht friedlich aus, aber mein Mißtrau en wollte nicht weichen. Es ist durchaus berechtigt! sagte der Lo giksektor warnend. Ich habe es in dir ausge löst, denn du hast bis jetzt die Zeit darauf verwandt, dich mittels deiner Augen zu ori entieren, und darüber die Ohren vergessen. Achte auf die Geräusche in der Umgebung!
Harvey Patton Übrigens kannst du nicht mehr auf Pthor sein, die Größe und Farbe der Sonne spre chen dagegen. Und doch kam mir diese Umgebung ir gendwie bekannt vor. Im nächsten Augenblick wußte ich auch, woher. Mein fotografisches Gedächtnis lieferte die Aufklärung: Diese fremde Gegend hatte ich bereits einmal gesehen – auf einer der Darstellungen in der Gondel der SARKA! Der gravierende Unterschied bestand aber darin, daß hier alles ruhig und friedlich war, oder zumindest so schien. Auf dem Bild des Magiers dagegen war der Himmel fast schwarz gewesen, und ein furchtbares Un wetter hatte getobt. Doch auch hier war der Friede nicht voll kommen. Ich zuckte unwillkürlich zusammen, als nun plötzlich das laute Gebrüll fremder Tie re an meine Ohren drang. Es war auch zuvor schon zu hören gewe sen, allerdings erheblich leiser, und ich hatte es nur im Unterbewußtsein wahrgenommen. Jetzt schienen die Tiere sich meinem Stand ort zu nähern, denn das Geräusch wurde ständig lauter. Es war ein langgezogenes, auf und abschwellendes Brüllen, das in etwa einen Schluß auf die Größe seiner Urheber zuließ. Klein waren sie auf gar keinen Fall. Aufgrund meiner langen Erfahrung stufte ich sie in eine Kategorie ein, die irgendwo zwischen Elefanten und Wesen von der Grö ße eines Tyrannosaurus Rex lag. Obendrein schienen sie auch noch Fleischfresser zu sein. Ich folgerte das aus dem Verhalten der geierähnlichen Vögel, die sich nun sammel ten, genau in der Richtung, aus der das Ge brüll kam. Mit meinem kurzen Speer mußte ich ge gen die anmarschierenden Kolosse geradezu lächerlich hilflos sein. Ich riß mich aus mei ner Erstarrung und sah mich nach einem Ort um, an dem ich mich vor ihnen in Sicherheit bringen konnte. Die Auswahl war allerdings nicht eben groß. Weder die Büsche noch die in ziem
Fluß der Gefahren lich loser Formation stehenden Bäume konnten mir ausreichenden Schutz bieten, wenn die riesigen Tiere angestampft kamen. Lediglich auf den Hügeln konnte ich mich halbwegs sicher fühlen – vorausgesetzt, daß sie nicht auch dorthin kamen. Rasch setzte ich mich in Bewegung und lief entgegengesetzt zu der Richtung davon, aus der das Brüllen erklang. Als ich die Buschzone hinter mir gelassen hatte, kam ich an einen etwa vier Meter brei ten Bach, der schnell dahinfloß, in vielen Windungen den umgebenden Erhebungen ausweichend. Ich nahm Anlauf und über sprang ihn mühelos, zwängte mich durch weitere Büsche und rannte auf den nur weni ge hundert Meter entfernten Hügel zu, der sich dahinter in den mattblauen Himmel er hob. Das Gebrüll der anrückenden Riesentiere wurde immer lauter. Sie kamen durch einen Einschnitt zwischen zwei Erhebungen auf die Mulde zu, in der ich mich befand. Jetzt erkannte ich, daß es sich dabei um Angehö rige verschiedener Spezies handeln mußte, denn die Schreie klangen verschieden. Nur das Echo, das die Hügel zurückwarfen, hatte sie bisher als ein einheitliches Geräusch er scheinen lassen. Es muß sich um mindestens zwanzig die ser Monstren handeln! informierte mich der Extrasinn kurz. Ich preßte die Lippen zu sammen und lief weiter. Die Schwerkraft dieser fremden Welt konnte nicht höher als 0,8 Gravos sein, denn ich spürte die An strengung kaum. Plötzlich entdeckte ich einen breiten Weg, der sich an der Basis des Hügels entlangzog. Er war sorgfältig pla niert, also zweifellos von intelligenten We sen angelegt, und wies die Reifeneindrücke von irgendwelchen Fahrzeugen auf. Der Pla net war also zivilisiert – wie kamen dann aber die riesigen Tiere hierher, die gar nicht in dieses Bild paßten? Ein furchtbarer Verdacht stieg in mir auf, aber noch gab es keine Bestätigung dafür. Ein schmaler Pfad zweigte von dem Weg ab und schlängelte sich auf die Kuppe des
35 Hügels zu. Ich beeilte mich, ihn zu benut zen, denn nun hörte ich bereits das laute Krachen, mit dem die Kolosse durch Wald und Büsche brachen. Als ich mich etwa auf halber Höhe befand, stockte unwillkürlich mein Fuß, denn nun vernahm ich das rasche Hämmern einer Maschinenwaffe, unter das sich das Feuer aus anderen Handwaffen mischte. Sie verschossen aber offenbar nur einfache Munition, denn das typische Ber sten von Explosivladungen blieb aus. Die Wirkung dieser Geschosse geringen Kali bers auf die Riesentiere mußte fast gleich Null sein. Und dann sah ich sie! Es waren wirklich Monstren, und keines glich dem anderen. Allen gemeinsam war le diglich ihre Kolossalform, sonst gab es be trächtliche Unterschiede. Meine Aufmerk samkeit konzentrierte sich jedoch nicht auf sie, sondern auf die Wesen, die vor ihnen flohen. Es handelte sich um zwei Gruppen ent fernt humanoider Intelligenzen, die mit hell blauen Uniformen bekleidet waren. Sie rannten, von panischer Furcht vorange peitscht, ihre Hände hielten altmodische Ge wehre und Maschinenpistolen. Zuweilen blieben einige von ihnen stehen und schick ten den heranstampfenden Kolossen Kugel salven entgegen. Sie trafen auch, aber sie er zielten keine sichtbare Wirkung, wurden dann von den Bestien eingeholt und nieder getrampelt, was ihren flüchtenden Gefährten jedesmal einen kurzen Aufschub gab. Sie opfern sich freiwillig, um den anderen die Chance einer Rettung zu geben, sagte mein Extrasinn. Umsonst, denn gegen die Horden der Nacht haben die Bewohner die ses Planeten keine Aussicht, sich zu behaup ten. Die Horden der Nacht! Hier hatte ich die Bestätigung für meine Annahme. Diese Ereignisse spielten sich al so auf einer Welt ab, auf der Pthor materiali siert hatte, um sie zu verwüsten. Dies hier schien eine ziemlich abgelegene Gegend zu sein, die bisher noch von den schrecklichen Ereignissen verschont geblieben war. Doch
36 auch hier waren nun die Ungeheuer aus der Ebene Kalmlech aufgetaucht, um die letzten Planetarier umzubringen, die ihnen bisher entgangen waren … In ohnmächtiger Wut knirschte ich mit den Zähnen. Zugleich wußte ich aber auch, daß dieser Überfall bereits der Vergangenheit angehö ren mußte. Der höllische Kontinent befand sich jetzt auf Terra, das seinem verderbli chen Wirken noch immer widerstand. Ich war also durch magische Einflüsse irgendwie durch Raum und Zeit, vielleicht sogar in eine andere Dimension befördert worden. Was ich hier erlebte, mußte vor langer Zeit geschehen sein, sonst wären die Bilder von dieser Welt nicht Bestandteil der Abbildun gen in der SARKA gewesen. Gib dich keinen Illusionen hin! warnte mein Logiksektor sofort. Ob Vergangenheit oder nicht, du stehst mitten im Geschehen, diese Welt ist im Augenblick real für dich. Achte auf dein Leben, sonst wirst du es ebenso verlieren wie die bedauernswerten Planetarier! Inzwischen hatte sich der Himmel über mir fast übergangslos verdunkelt. Eine kom pakte schwarze Wolkenwand war aufgezo gen, und in der Ferne wetterleuchtete es un aufhörlich, die ersten dumpfen Donner roll ten. Hier bahnte sich also, zweifellos durch das Eingreifen des Wettermagiers, das Ge schehen an, das auf dem Bild im Luftschiff festgehalten war. Ich befand mich mitten darin, ohne jede Aussicht, aus eigener Kraft nach Pthor zurückzufinden. Eilig setzte ich meinen Weg in Richtung zur Hügelkuppe fort. Doch auch eine Gruppe der fremden Humanoiden folgte mir nun. Deutlich sah ich die flachen Gesichter mit den spitzen Ohren und senkrecht stehenden Augen, die vor Entsetzen weit aufgerissen waren. Wieder blieben einige zurück und feuerten auf die Ungeheuer, während die anderen weiter rannten. Im Anfang mochten es noch etwa zweihundert Uniformierte gewesen sein, jetzt hatte sich ihre Anzahl bereits auf die
Harvey Patton Hälfte verringert. Ein Teil der Geiervögel stürzte sich ins Tal hinab auf die schrecklich zugerichteten Leichen, die zurückgeblieben waren. Plötz lich stoben sie jedoch wieder in eiliger Flucht davon, denn nun erschienen andere Wesen am Himmel, vom zuckenden Licht der Blitze angestrahlt. Es handelte sich um fliegende Ungeheuer aus den Reihen der Horden der Nacht, und auch sie griffen so fort erbarmungslos an. Gewaltsam löste ich meine Blicke von den Humanoiden und rannte weiter, den Pfad zur Hügelkuppe empor. Ich befand mich gerade auf einer freien Fläche, mußte also von oben her gut zu sehen sein. Wenn ich nicht schleunigst in Deckung kam, be fand ich mich in höchster Gefahr. Es war jedoch bereits zu spät! Eines der fliegenden Ungeheuer hatte mich erspäht, scherte aus der Phalanx aus und stürzte sich auf mich herab. Es glich ei nem Ptherodaktylus, einem der fliegenden Drachen aus Urzeiten. Sein langer Hals mit dem spatenförmigen Kopf war angriffslustig vorgestreckt, sein Rachen weit geöffnet, so daß die langen Sägezähne gut zu sehen wa ren. Es legte die ledrigen Flügel, deren Spannweite gut zehn Meter betrug, an und fiel wie ein Stein in die Tiefe. Ich lief um mein Leben, aber ich schaffte es nicht mehr. Kurz, ehe ich die Deckung der weiter oben liegenden Bäume erreichte, holte mich das Untier ein. Ich wich zur Seite hin aus, aber die Bestie korrigierte sofort ihre Flug richtung durch kurzes Auffalten der rechten Schwinge. Dann stieß ihr metergroßes Maul auf mich herab, die mächtigen Kiefer schnappten zu. Ich spürte einen gewaltigen Schlag – und dann nichts mehr.
7. Komm zu dir! drängte mein Extrasinn ver zweifelt. Gleichzeitig sandte es belebende Impulse aus, und auch der Zellaktivator in meiner Brust pochte wie rasend. Ich erwach te wie aus einem Traum und sah verständ
Fluß der Gefahren nislos um mich. Warum war ich nicht tot …? Schließlich hatte ich den Zugriff des Flugsauriers doch deutlich genug gespürt. Statt dessen fand ich mich unverletzt in der Gondel der SARKA wieder. Meinem subjektiven Empfinden nach mußte inzwi schen mindestens eine halbe Stunde vergan gen sein, aber um mich herum hatte sich nichts verändert. Noch immer hielt ich den Speer des Wettermagiers umklammert, der sich nun jedoch von meinen Händen löste und zu Boden fiel. Hatte mir auch hier das Goldene Vlies geholfen und mich durch Raum und Zeit zurückgeschleudert, als der Flugdrache mich ergriff? Vergiß es! forderte der Extrasinn scharf. Auch hier geht jetzt etwas vor, das dein Le ben unmittelbar bedroht. Jetzt erst spürte ich, daß sich die Gondel des Luftschiffs in heftiger Bewegung be fand. Ich wurde im Wasser herumgewirbelt, eine Wand kam auf mich zu. Ich streckte in stinktiv die Arme aus, fing mich ab, und mein Gesicht kam direkt vor eines der großen Fenster. Auch draußen befand sich das Wasser in Aufruhr, Schlammwolken wurden vom Grund des Flusses hochge peitscht und trübten die Sicht. Trotzdem sah ich den dunklen Gegenstand, der sich dort bewegte – ein Gegenstand, der zweifellos le bendig war. Das Flußungeheuer des Gruuf-Xamyhr! Irgendwie mußte es auf das Wrack der SAR KA aufmerksam geworden sein. Vielleicht durch die Leichen der beiden Technos, falls diese nicht von Raubfischen gefressen wor den waren, sondern mit der Strömung abge trieben. Vielleicht auch durch die Ausstrah lungen meines oder Razamons Körpers? Pärtel hatte uns schließlich vor dieser Mög lichkeit gewarnt. Doch darauf, was schuld daran war, kam es jetzt nicht mehr an. Das Ungeheuer war da und griff an. Höchste Eile war geboten! Ich grinste freudlos, als ich daran dachte, daß ich einer vielleicht nur fiktiven Gefahr entronnen war, um mich dafür in einer sehr
37 realen wiederzufinden. Was konnte ich tun, um ihr zu entrinnen? Der dunkle Gegenstand, den ich eben durch das Fenster gesehen hatte, war sekun denlang verschwunden gewesen. Nun er schien er wieder, und ein neuer heftiger Schlag brachte die Gondel zum Schwanken. Es schien ein Tentakel zu sein, einer der Fangarme eines Polypen oder ähnlichen Tie res. Sein Durchmesser schien mindestens einen halben Meter zu betragen, und daraus ließ sich ein ungefährer Schluß auf die Grö ße dieses Ungeheuers ziehen. Auch hinter der offenen Tür zur Plattform sah ich eine Bewegung, also war mir der Weg dort hinaus versperrt. Ich stieß mich ab und schwamm zur anderen Seite des Raumes hinüber. Hinter den Fenstern dort war es fast dunkel, über diesen Bereich warf das Wrack des Luftschiffs seinen Schlagschat ten. Ich hatte meinen Speer wieder an mich genommen und führte nun mit ihm einen heftigen Schlag gegen die Scheibe, aber sie zerbrach nicht. Ich versuchte es erneut, aber wieder ohne Erfolg. Draußen tobte das Monstrum wieder umher, die Gondel wurde erneut getroffen und drohte umzukippen. Rasch tauchte ich zum Boden hinab und stemmte den Speer des Wettermagiers hoch. Das gelbe Metall, aus dem er bestand, hatte seinen Glanz ver loren, es wirkte nun schmutzig und fleckig. Nur die als Blitz gestaltete Spitze war noch wie zuvor, und ich stieß sie wuchtig gegen die Scheibe vor mir. Entweder bestand diese nicht aus Glas, oder die Speerspitze besaß auch jetzt noch gewisse magische Eigenschaften. Jedenfalls löste sich die transparente Fläche unter einer irisierenden Leuchterscheinung spurlos auf, der Weg aus der Gondel war frei. Vorsichtig schwamm ich hinaus und behielt den Speer bei mir. Er behinderte mich zwar, war aber eine gute Waffe, falls ich gegen das Unge heuer kämpfen mußte. Meine Gedanken gingen zu Razamon. Ob es ihm gelungen war, sich noch rechtzeitig in Sicherheit zu bringen? Vielleicht war er
38 auch noch gar nicht wieder zur SARKA zu rückgekehrt, denn während meines Abenteu ers auf der heimgesuchten Welt schien hier keine meßbare Zeit vergangen zu sein. Draußen geriet ich sofort in einen wir belnden Strudel. Er wurde von einem weite ren Fangarm des Monstrums erzeugt, den ich nur schattenhaft erkennen konnte. Er schlug wieder und wieder gegen die unter halb des Wasserspiegels befindliche Luft schiffhülle, die die Bestie offenbar als ihren Feind ansah. Meine Schwimmbewegungen nutzten nichts, ich überschlug mich mehr mals und wurde haltlos davongewirbelt. Eine der stählernen Verstrebungen kam auf mich zu, und ich lief Gefahr, dagegen geschmettert zu werden. Rasch streckte ich die Arme mit dem Speer weit von mir, als ich das Hindernis gerade noch rechtzeitig er kannte. Es gab einen heftigen Schlag, ein stechender Schmerz fuhr durch meine Arme und trieb mir die Tränen in die Augen. Er neut trieb mich der wirbelnde Strudel davon, doch er brach sich an dem Druckkörper der SARKA und spülte mich weiter nach oben. Ich sah die matte Helligkeit der Oberfläche auf mich zukommen und atmete auf. Dann durchstieß ich den Wasserspiegel, aber auch hier oben war alles in hellem Auf ruhr. Meterhohe Wellen bewegten die Fluten des Flusses, von dem tobenden Ungeheuer erzeugt. In ihnen schwankte der noch über Wasser befindliche Teil des Luftschiffs hin und her, immer wieder von schweren Schlä gen erschüttert. Neue Risse bildeten sich darin, durch die zischend Gas oder ein ähnli ches Medium entwich. Der völlige Unter gang des Wracks stand dicht bevor. Wassertretend hielt ich mich für kurze Zeit auf der Stelle und spähte nach der GÄRZE aus. Das Piratenschiff lag jedoch nicht mehr am bisherigen Ort, ich konnte es auch infol ge des hohen Wellengangs nicht gleich ent decken. Erst nach einigen Sekunden sah ich das rote Segel, etwa zweihundert Meter wei ter südlich.
Harvey Patton Offenbar hatte die Besatzung es eilig aus dem Gefahrenbereich gebracht, als das Un geheuer in der Nähe aufgetaucht war. Dann sah ich auch Razamon. Er hatte sich recht zeitig ans Ufer retten können, saß auf der Luftwurzel eines Urwaldriesen und winkte mir unter lautem Rufen zu. Ich winkte zu rück und versuchte dann, mich durch den Wellengang zu ihm hin abzusetzen, solange das Monstrum noch mit dem Wrack be schäftigt war. Falls überhaupt, konnte es nur Spuren von Intelligenz besitzen, sonst hätte es seinen Angriff nicht gegen einen toten Gegenstand gerichtet. Ich vermutete, daß es einst zu den Horden der Nacht gehört hatte und irgendwie hierher verschlagen worden war. Durch den schweren Speer behindert, kam ich nur mühsam voran, und die Wellen trie ben mich immer wieder aus der Richtung. Nur die Luftblase, die das Goldene Vlies nach wie vor um mich herum aufrechter hielt, ermöglichte es mir, mich überhaupt an der Oberfläche zu halten. Doch sein golde ner Schimmer hatte auch eine unerwünschte Nebenwirkung – er lockte das Ungeheuer an! Etwa dreißig Meter von mir entfernt hob sich plötzlich ein schwarzer Berg aus den Fluten. Es war der Kopf des Ungeheuers, deutlich erkannte ich das riesige Maul und das nicht viel kleinere rötliche Auge dar über. Doch auch das Untier hatte mich er späht, und es reagierte mit verblüffender Schnelligkeit. Einer der mächtigen Fangar me schnellte aus dem Wasser und kam auf mich zu. Ich sah den metergroßen Saugnapf an sei nem Ende und reagierte rein instinktiv. Ob die geheimnisvollen Kräfte des »Anzugs der Vernichtung« auch gegen dieses Riesentier ihre Wirkung entfalten konnten, war mir oh nehin von Anfang an als zweifelhaft erschie nen. Nun drehte ich mich auf den Rücken, stemmte den Speer hoch und schleuderte ihn dem Tentakel entgegen. Was dann geschah, konnte ich nicht mehr beobachten, denn die natürliche Reaktion auf diese heftige Bewe gung war, daß mein Körper tief unter Was
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ser geriet. Geistesgegenwärtig half ich dabei nach und tauchte so bis auf den Grund des Flusses hinab. Dort sah ich nichts mehr, denn aufge wühlte Schlammassen absorbierten das spär liche Licht vollkommen. Mein rechtes Bein streifte einen länglichen Gegenstand, ich griff danach und erkannte ihn als den Stamm eines Baumes, der irgendwann hier ins Was ser gestürzt war. An ihm hielt ich mich fest, während über mir die Gewalten der Hölle auszubrechen schienen. Sekundenlang war das Wasser der GruufXamyhr in chaotischer Bewegung, von den Fangarmen des Ungetüms gepeitscht. Seltsa me Geräusche drangen zu mir herab, die sich trotz der Verzerrung wie spitze Schreie einer gepeinigten Kreatur anhörten. Dann ebbten die Bewegungen allmählich ab, die schrillen Laute erstarben. Das Wasser kam zur Ruhe, nur noch die natürliche schwache Strömung war zu spüren. Mißtrauisch wartete ich noch eine Weile ab, aber die Verhältnisse blieben so. Ich lauschte auf die Impulse meines Extrasinns, doch er meldete sich nicht, also riskierte ich es schließlich, aufzutauchen. Mein Kopf durchstieß die Wasseroberflä che, und ich schloß für einen Moment ge blendet die Augen. Als ich sie wieder öffne te, sah ich, daß der Fluß wieder ruhig dahin zog, als ob nichts geschehen wäre. Dann hörte ich die begeisterten Ausrufe Raza mons. »Du hast es geschafft, Arkonide! Das Monstrum ist tot!«
* Der Atlanter streckte die Rechte aus und half mir, die Luftwurzel zu erklimmen. Dann saß ich neben ihm und sah ihn fragend an. »Ist das Biest wirklich tot?« fragte ich un gläubig. »Ich kann es einfach nicht glauben, Freund.« Razamon grinste und nickte nachdrück lich.
»Es kam angeschwommen, gerade, als ich wieder aufgetaucht war. Zuerst war nicht viel von ihm zu sehen, aber die heftige Be wegung des Wassers warnte mich. Die Pira ten bemerkten es gleichzeitig, sprangen an die Ruder und fuhren los, ohne sich um mich zu kümmern. Koy und Kolphyr woll ten sie zurückhalten, aber ich gab ihnen zu verstehen, daß es wichtiger wäre, die GÄRZE in Sicherheit zu bringen. Natürlich machte ich mir Sorgen um dich, konnte aber die Gondel infolge des Wellengangs nicht mehr erreichen. So zog ich mich hierher zu rück und wartete ab, im Vertrauen auf das Goldene Vlies, das dich schützen würde.« Ich zog eine Grimasse und starrte, noch immer mißtrauisch, zu der Stelle hinüber, an der noch ein kleiner Teil der Luftschiffhülle zu sehen war. »Das hat es auch getan, aber darüber re den wir später noch. Wie soll ich deinen Ausspruch deuten, ich hätte es ›geschafft‹? Ich habe zwar den Speer nach einem Fang arm geworfen, aber daran kann das Unge tüm doch wohl kaum eingegangen sein.« »Es ist aber so!« beharrte mein Gefährte. »Das Untier hatte sich schon eine ganze Weile mit dem Wrack beschäftigt, dann tauchtest du plötzlich auf. Es muß deine An wesenheit gespürt haben, hob den Kopf aus dem Wasser, und der Tentakel schnellte auf dich zu. Dann hast du den gelben Speer ge worfen, er traf mitten in den Saugnapf, und ein bläulicher Blitz zuckte auf. Der Riesen krake schrie jämmerlich auf und warf sich wild umher, aber schon nach wenigen Se kunden erstarben seine Bewegungen. Er sank auf den Grund und ist zweifellos tot.« Ich nickte langsam. »Okay, du hast alles gesehen, weißt also mehr als ich. Anscheinend war die Kraft des magischen Speeres immer noch stark genug, obwohl ein Teil davon schon zuvor verlo renging. Doch das ist eine andere Geschich te, die ich dir später erzählen werde. Sieh doch – die GÄRZE kommt zurück!« Tatsächlich hatte sich das Schiff in Bewe gung gesetzt und trieb nun auf unseren
40 Standort zu. Wir machten uns durch Winken und Rufe bemerkbar, es wurde ans Ufer diri giert, und wir sprangen an Bord. Kolphyr kam uns entgegen, sein Froschmund war zu einem freudigen Grinsen verzogen. »Willkommen, Atlan! Ich glaubte dich bereits verloren, denn ich spürte dein Ab gleiten in eine andere Dimension. Dann warst du aber plötzlich wieder da und hast das Ungeheuer besiegt. Leider ist die magi sche Aura des Speeres jetzt ganz erloschen, er hat sich inzwischen in seine molekularen Bestandteile aufgelöst. Sehr bedauerlich, er wäre genau die richtige Waffe für mich ge wesen.« Ich verzichtete darauf, ihn zu fragen, wo her er seine Kenntnis bezog, denn die Ant wort wäre mit Sicherheit für mich unver ständlich gewesen. Es war uns einfach nicht möglich, Dinge zu begreifen, die für ein Wesen wie den Dimensionsforscher Be standteil seines täglichen Lebens waren, weil er die entsprechenden psychischen Fä higkeiten besaß. Auch Koy erschien, klopfte mir anerken nend auf die Schulter, und sein faltiges Ge sicht strahlte. Nur Schoßta verhielt sich wie der betont reserviert, er konnte einfach nicht über den Schatten seiner Gordy-Arroganz springen. Dafür zeigte sich Pärtel geradezu begeistert. »Du bist wirklich ein großer Kämpfer, At lan«, rief er mir vom Vorderschiff aus zu. »Ein Mann wie du in unseren Reihen, und wir würden immer – ähemm, gute Geschäfte machen. Jetzt brauchen wir das Ungeheuer nicht mehr zu fürchten, das bisher als unbe siegbar galt. Was befiehlst du als nächstes?« Ich überhörte seine emphatischen Worte, denn auf eine Anerkennung aus seinem Mund legte ich wirklich keinen Wert. Jetzt versuchte der Pirat wieder, sich bei mir an zubiedern; doch bei der nächstbesten Gele genheit würde er uns bedenkenlos im Stich lassen, das war klar. Razamon feixte. »Sieh dich vor, sonst schwatzt er dir noch eine der Frauen auf. Wie ist es, fahren wir gleich weiter? Viel-
Harvey Patton leicht erreichen wir dann heute noch den Hauptlauf des Xamyhr.« Ich nahm den Helm ab und schnupperte. »Es riecht nach gebratenem Fisch, und ich habe inzwischen Hunger bekommen. Essen wir also erst einmal etwas, auf die halbe Stunde kommt es wohl kaum an. Wirf den Anker aus, Koy, das erspart den Männern das ständige Gegenrudern. Sie werden ihre Kräfte später noch brauchen.« Die Fische schmeckten vorzüglich, und bald waren wir alle gesättigt. Ich schloß für einen Moment die Augen, und der Atlanter fragte: »Was hat es mit der ›anderen Ge schichte‹ auf sich, die du vorhin erwähnt hast? Hat der Speer auch schon zuvor etwas bewirkt?« Ich gab ihm einen kurzen Bericht, und er nickte. »Zweifellos gab es eine Wechselbezie hung zwischen den Magiersymbolen und dem gelben Speer. Das Goldene Vlies wirk te als Katalysator, ersetzte Zaubersprüche oder Ähnliches, und du wurdest in die Ver gangenheit versetzt. Demnach haben auch die Katastrophenbilder in der SARKA ihre Bedeutung gehabt, muß man jetzt wohl sa gen, denn auf dem Grund des Flusses nützen sie niemand mehr.« »Wir haben aber auch nichts erreicht«, stellte ich resigniert fest. »Die einzige Waffe in der Gondel war der Speer, und der hat sich nach Kolphyrs Aussage inzwischen in Wohlgefallen aufgelöst. Wir werden also mit leeren Händen dastehen, wenn wir end lich die FESTUNG erreichen.« Mein Blick fiel auf Fenrir, der sich ausge sprochen merkwürdig benahm. Er hatte die Innereien der Fische bekom men und mit gutem Appetit verzehrt, um an schließend wieder seinen Wächterposten einzunehmen. Jetzt stand er mit gesträubtem Fell da, hob den mächtigen Kopf und win selte leise. Das tat er für gewöhnlich nur, wenn uns Gefahr drohte, und ich sah mich argwöhnisch nach allen Seiten hin um. Allem Anschein nach gab es jedoch nichts, das uns Ungelegenheiten bereiten
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konnte. Der Gruuf-Xamyhr zog ruhig dahin, Vögel lärmten in den Uferbäumen, es war feuchtschwül wie immer. Von den Vogel menschen hatten wir inzwischen nichts mehr gesehen, die ihnen erteilte Lektion schien nachhaltige Wirkung zu haben. Was hatte der Fenriswolf nur? Ich gab viel auf den In stinkt des klugen Tieres. Wenn Fenrir sich so benahm wie jetzt, gab es todsicher irgend etwas Ungewöhnliches, das wir mit unseren normalen Sinnen nur nicht bemerken konn ten. Razamon schien derselben Meinung zu sein, denn er erhob sich. »Es dürfte am besten sein, wenn du jetzt den Befehl zur Weiterfahrt gibst. Wir haben ohnehin schon zuviel Zeit verloren, die uns vielleicht im Endeffekt fehlen wird. Wenn Ragnarök dicht bevorsteht …« Er unterbrach sich, denn das Schiff be gann plötzlich zu schaukeln. Scheinbar ohne ersichtlichen Grund war das Wasser des Flußlaufs in Bewegung geraten, hohe Wel len breiteten sich von verschiedenen Punk ten in der Umgebung aus. Dann tauchte zwi schen uns und dem Wrack ein großes, schwarzes Ding aus den Fluten, und nun be griff ich augenblicklich. Das Ungeheuer war nicht tot! Es begann sich wieder zu regen – wir und das Schiff waren in höchster Gefahr.
8. Die Auswirkungen des nicht mehr erwar teten Ereignisses waren auf alle Insassen der GÄRZE schockierend. Die Frauen schrien entsetzt auf, die Pira ten fluchten oder riefen irgendwelche Götter an. Auch meine Gefährten waren überrascht und liefen ziellos durcheinander. Die Furcht vor dem totgeglaubten Monstrum ließ alle die klare Überlegung verlieren. Rasch sprang ich auf, stülpte den Helm wieder auf den Kopf und ergriff die Initiative. »Alle herhören!« brüllte ich. »Pärtel – so fort alle Ruder besetzen, wir müssen schnellstens von hier weg. Koy und Schoßta, holt den Anker ein, rasch! Kannst du
schwimmen, Kolphyr?« »Ich kann es, Atlan«, sagte der Bera, der sich als erster wieder gefaßt hatte. »Soll ich ins Wasser gehen und mit dem Ungetüm kämpfen?« »Im Notfall, ja«, gab ich zurück und sah, wie sich einige weitere Tentakel hoben und das Wasser peitschten. Noch wirkten diese Bewegungen ziellos und unkoordiniert. Offenbar war der Riesen krake durch die geheimnisvollen Kräfte des magischen Speeres in einen Zustand der Pa ralyse versetzt worden, der lange angehalten hatte. Nun erwachte er wieder, und mit ihm die Mordlust, die schon so vielen Schiffern das Leben gekostet hatte. Vielleicht konnten wir ihm aber noch entkommen, ehe er seine Kräfte gezielt einsetzen konnte. Unwahr scheinlich! kommentierte mein Extrasinn. In diesem Wellengang ist ein gezieltes Lenken der GÄRZE kaum möglich, und ihr besitzt keine wirkungsvollen Waffen. Nur Koy kann hier noch helfen! Ich wandte mich um, um den Trommler zu instruieren, der zusammen mit dem Tech no die Ankerkette einholte. Der Pthorer war ihnen zu Hilfe gekommen, der Anker polter te bereits an Bord, und sofort legten sich die Ruderer in die Riemen. In diesem Augen blick schoß ein Fangarm des Ungeheuers aus dem Wasser, erreichte das Schiff und fegte einen Teil der Reling einfach hinweg. Das Holz splitterte krachend, Razamon und Koy warfen sich rasch auf das Deck nie der. Nur Schoßta reagierte nicht schnell ge nug. Er wurde von dem Tentakel getroffen und über Bord gefegt. Ein gellender Schmerzensschrei kam über seine Lippen, erstarb jedoch fast augenblicklich wieder. Als sein Körper ins Wasser schlug, war er bereits tot. Ein sinnloses Opfer! Nun machte ich mir die schwersten Vor würfe. Hätte ich auf Razamon gehört und sofort weiterrudern lassen, wäre uns das al les erspart geblieben. Im nächsten Moment verlor ich das Gleichgewicht und krachte haltlos auf die Holzplanken. Der Fangarm
42 hatte diese Seite der GÄRZE tief ins Wasser gedrückt, und nun schnellte sie wieder hoch. Das Schiff schlingerte wild, sekundenlang schwebten die Ruder hoch in der Luft. Dann fiel es schwer zurück, Wasser schwappte über Bord und ergoß sich über uns. Die Lage war mehr als kritisch! Das Ungeheuer gewann seine Kräfte nun rasch zurück. Für einen Moment erschien sein Kopf über dem Wasserspiegel, das rote Auge blinzelte tückisch zu uns herüber. Dann schnellte ein weiterer Tentakel hoch, traf das Schiff jedoch nicht, denn die Rude rer arbeiteten verzweifelt und hatten uns in zwischen von der Stelle gebracht. Entkommen konnten wir trotzdem nicht. Das wäre höchstens bei ruhigem Wasser und unter Einsatz des Segels gelungen. Diese beiden Voraussetzungen waren jedoch nicht gegeben, und Rudern allein genügte nicht. Der Riesenpolyp konnte sich, indem er das Wasser ansaugte und wieder unter Druck ausstieß, nach dem Rückstoßprinzip erheb lich schneller fortbewegen als das Schiff. Ich griff nach einem übriggebliebenen Stützpfosten der Reling, richtete mich auf und zog Koy mit hoch. »Du mußt eingreifen!« keuchte ich. »Konzentriere dich und warte, bis der Kopf des Ungetüms wieder über Wasser erscheint. Dann mußt du deine Kraft einsetzen, sonst ist es um uns geschehen.« Der Trommler spuckte einen Mundvoll trübes Wasser aus. Erneut hob sich ein Tentakel aus dem Wasser und schnellte auf uns zu. Krachend zerbrachen einige Ruder, und dann fegte ein weiteres Stück der Reling hinweg. Es half nichts, Koy und ich mußten uns wieder hin werfen, um nicht getroffen und zerschmet tert zu werden. Kolphyr dagegen blieb ruhig stehen. Mit seiner großen, massigen Gestalt und dem runden Kopf erinnerte er mich etwas an Icho Tolot, unseren halutischen Freund auf Terra. Wasser tropfte von dem grünlich schimmernden Velst-Schleier, die Sinnes fühler auf seinem Kopf waren steil aufge-
Harvey Patton richtet, der Froschmund zusammengepreßt. Für einen Moment glaubte ich, neben ihm schattenhaft die Gestalt Wommsers auftau chen zu sehen, seines seltsamen Symbion ten, war meiner Sache aber nicht sicher. Der Bera stand wie eine Statue und sah dem heranfegenden Fangarm des Kraken entgegen. Erst im letzten Augenblick kam Leben in ihn. Die Arme wirbelten durch die Luft, so schnell, daß man ihre Bewegungen kaum verfolgen konnte. Im nächsten Mo ment klatschte der Saugnapf abgerissen auf das Deck, eine grünliche Flüssigkeit spritzte aus dem Tentakelstumpf. Der Fangarm wand sich heftig, wurde dann eilig zurück gezogen und verschwand unter Wasser. »Der kommt nicht mehr wieder!« schrillte Kolphyr triumphierend. Diese Verwundung schien dem Ungeheu er heftige Schmerzen zu bereiten. Als wir uns wieder erhoben und schaudernd den noch zuckenden Saugnapf betrachteten, peitschten mehrere andere Tentakel hoch aus dem Wasser und vollführten ziellose Be wegungen. Sie fielen wieder zurück, dann erschien abermals der Kopf des Polypen, und das rote Auge starrte bösartig zu uns herüber. Es sah aus, als nähme die Bestie noch einmal Maß, um uns dann endgültig den Garaus machen zu können. »Jetzt, Koy!« stieß ich hastig hervor. Ich stützte den Trommler, damit er bei den heftigen Schlingerbewegungen der GÄRZE nicht das Gleichgewicht verlor. Koys Broins waren schon vorher ständig in Bewegung gewesen. Jetzt schlugen die Ku geln an den Enden der Kopfauswüchse in ra scher Folge gegeneinander, und der dumpfe Laut wurde hörbar, der ihren Einsatz jedes mal begleitete. Das Monstrum schien mitten in der Bewegung zu erstarren, die Fangarme kamen zur Ruhe. Es tauchte nicht wieder weg, sondern blieb über Wasser und wurde nur noch von dem Schwung weitergetragen, mit dem es dem Schiff bisher gefolgt war. Dann kamen schrille, klagende Laute aus dem Maul unterhalb des riesigen Auges und übertönten Koys Trommeln. Ein kalter
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Schauer lief mir über den Rücken, obwohl ich mir sagte, daß der Krake gar nicht wirk lich schrie. Er preßte lediglich Luft aus sei nem Atemsack, wodurch dieses unheimliche Geräusch entstand. Und dann barst der Kopf des Ungeheuers mit einem Schlag. Er platzte auseinander wie eine reife Frucht beim Aufschlag auf den Boden, und große Fetzen der schwarzen Körpermasse flogen hoch in die Luft. Einige erreichten fast das Schiff, obwohl es etwa dreißig Meter entfernt war. Grüne Flüssig keit quoll aus dem übriggebliebenen Torso, der langsam in den Fluten versank, und färb te das Wasser weithin. Für einige Sekunden war nun noch einmal die Hölle los. Sämtliche Fangarme des Poly pen – ich zählte mindestens zwölf – schos sen hoch in die Luft und schlugen dann kon vulsivisch zuckend ins Wasser zurück. Er neut entstanden riesige Wellen, rissen die GÄRZE hin und her und brachten uns zu Fall. Doch das waren nur noch letzte Zuckungen ohne Sinn und Ziel – das Unge heuer war nun wirklich tot. Es versank in den Fluten, und der Fluß beruhigte sich bald wieder. Ich half Koy auf die Beine und drückte ihn unwillkürlich an mich, denn ohne ihn wären wir mit Sicher heit verloren gewesen. »Und wo bleibe ich?« fragte Kolphyr vor wurfsvoll.
* Wir zogen Bilanz, und sie sah nicht son derlich erfreulich aus. Außer Schoßta hatte es noch einen weite ren Toten gegeben. Als der zuletzt auftref fende Tentakel die Ruder zerschlug, war ei ner der Piraten von einem Bruchstück am Kopf getroffen und getötet worden. Vier an dere hatten leichtere Verletzungen davonge tragen, außerdem war Pärtel gestürzt und hatte eine mächtige Beule am Kopf. Auch Razamon und Koy wiesen zahlreiche Prel lungen auf, mich dagegen hatte das Goldene Vlies wieder einmal vor Schaden bewahrt.
»Mein schönes Schiff!« wehklagte der Piratenführer gestenreich. »Die GÄRZE ist nur noch ein besseres Wrack, ich habe einen Mann verloren, und alle anderen sind halb tot. Wer soll uns diesen Schaden ersetzen?« Razamon grinste düster. »Du wirst es schon verstehen, andere für das Monstrum büßen zu lassen, davon bin ich überzeugt. Sei froh, daß es noch so gut abgegangen ist, ohne uns hätte wohl keiner von euch hier überlebt.« »Ohne euch wären wir nie in diese Lage gekommen!« knurrte Pärtel gereizt zurück. Damit hatte er zweifellos recht, wenn man die Lage objektiv ansah. Doch es war nun einmal geschehen und nicht mehr zu ändern, und der Tod des Riesenkraken brachte den Piraten, auf Dauer gesehen, auch gewisse Vorteile. Mir lag aber nun daran, möglichst schnell weiterzukommen. »Anker werfen und anfangen aufzuräu men«, bestimmte ich entschieden. »Schoßtas Leiche ist inzwischen bereits abgetrieben, wir können keine Zeit erübrigen, um sie zu suchen und zu bestatten. Habt ihr wenig stens Reserveruder an Bord, Pärtel?« Es gab sie, und so war auch dieses Pro blem gelöst. Eine Stunde später sah es an Bord schon wieder erheblich besser aus. Die Lücken in der Reling blieben zwar, aber sonst hatte das Schiff keinen bemerkenswerten Schaden ge nommen. Die Frauen versorgten die Verletz ten, der tote Pirat wurde ohne große Forma litäten dem Fluß übergeben. Mit gemischten Gefühlen sah ich, wie Fenrir mit gutem Appetit große Stücke aus dem Saugnapf riß und sich einverleibte. Als er gesättigt war, warf Kolphyr den Rest mit einem Schwung über Bord, und sofort stürz ten sich zahlreiche Fische darauf. Auch dort, wo der Körper des Monstrums lag, schäumte das Wasser bereits unter einer Vielzahl an derer Räuber. Fressen und gefressen werden – das uralte Gesetz galt auch hier. Kurz nach Mittag zogen Wolken auf, eine steife Brise wehte von Norden heran und vertrieb die Schwüle. Ich nickte zufrieden,
44 denn nun konnte das Segel wieder gesetzt werden, so daß wir erheblich schneller vor wärtskommen konnten. Der Anker wurde gelichtet, die GÄRZE setzte sich in Bewegung. Bald hatten wir die Insel hinter uns gelassen, das Schiff schoß in rascher Fahrt dahin. Nun brauchten wir auch nicht mehr besonders auf die Piraten zu ach ten, sie dachten nicht mehr daran, uns Schwierigkeiten zu machen. Sie wußten, daß wir sie verlassen würden, sobald der Haupt lauf des Xamyhr erreicht war, und dieser Gedanke erleichterte sie sehr. Ihre Probleme endeten, sobald wir von Bord gingen – die unseren begannen damit erst. Nach einem monatelangen Irrweg über fast den ganzen Kontinent und zahllosen Abenteuern näherten wir uns endlich unse rem Ziel. Dicht unterhalb des Mündungsdel tas lag das Gebiet der FESTUNG, von der aus alle verderblichen Aktivitäten Pthors ge steuert wurden. Was würde uns wohl dort erwarten? Razamon sah mein grüblerisches Gesicht, kam zu mir herüber und setzte sich neben mich. »Woran denkst du, Freund?« erkundigte er sich leise. Ich hob die Schultern und lächelte schwach. »Eine Preisfrage, nicht wahr? Wenn wei ter alles gutgeht, haben wir bald das Gebiet der FESTUNG erreicht – und was dann? Fenrir nicht eingerechnet, sind wir ganze vier Figuren, und was für welche! Ein ural ter Arkonide, der alle Höhen und Tiefen des Daseins kennengelernt hat: einst Kristall prinz von Arkon, dann Flottenbefehlshaber, Schläfer an dem Meeresgrund und Admiral der USO. Jetzt ein Mann, der nackt auf Pthor ankam und als einziges Hilfsmittel den Anzug der Vernichtung besitzt, von dem er nicht viel mehr als den Namen weiß.« Der Atlanter nickte tiefsinnig. »Als zweite tragische Figur komme dann ich. Ein ebenso uralter Mann, einstmals Ber serker und Handlanger der Herren von Pthor. Von diesen ausgestoßen und auf die
Harvey Patton Erde verbannt, weil er eigenständig zu den ken begann und humane Anwandlungen zeigte. Man hängte mir einen Zeitklumpen ans Bein und verdammte mich damit zur Unsterblichkeit. Nur der Gedanke an Rache hielt mich über die Jahrtausende am Leben. Ich wußte, daß der Mörderkontinent Terra wieder heimsuchen würde, sobald die Ent wicklung weit genug fortgeschritten war. Jetzt dürste ich nach Rache, um dann end lich Ruhe finden zu können.« »Kolphyr ist vielleicht noch schlimmer dran«, spann ich den Faden weiter. »Er wur de aus seinem für uns unbegreiflichen Da sein gerissen und landete hier auf Pthor. Jahrhundertelang lag er sozusagen auf Eis, jetzt begleitet er uns und hat sich halbwegs angepaßt. Glücklich wird er aber erst dann wieder sein, wenn er in seine Heimat zu rückkehren kann, wo immer sie auch liegen mag.« »Bleibt noch Koy«, sagte Razamon und massierte gedankenlos sein Kinn. »Eine wei tere tragische Figur, Abkömmling von An droiden, aber humaner als so mancher Men sch. Einst ein willfähriges Werkzeug der Herren der FESTUNG, heute gleichfalls ihr erbitterter Gegner. Wieviel er für uns wert ist, hat sich erst an den letzten Tagen richtig gezeigt. Ohne ihn wären wir jetzt wohl kaum noch am Leben, viel weniger erst hier.« Ich lächelte skeptisch. »Seine besonderen Fähigkeiten sind unbe zahlbar, das stimmt. Ob sie uns aber auch in diesem Ausmaß nützen werden, wenn unser Kampf gegen die Herren der FESTUNG be ginnt? Dort im Befehlszentrum von Pthor werden wir auf eine hochentwickelte Tech nik stoßen, die die der Erde teilweise weit übertrifft! Wie chaotisch es auch sonst auf Pthor aussehen mag, in diesem Bereich müs sen wir gänzlich andere Maßstäbe setzen.« »Abwarten und sehen«, murmelte mein Gefährte. »Wenn man es geschickt genug anstellt, findet man meist auch einen Weg.« Der Himmel bezog sich immer mehr, aber es regnete nicht. Dafür blies der Wind stetig,
Fluß der Gefahren so daß wir zügig vorankamen. Mit den Ru dern allein hätten wir in derselben Zeit kaum ein Viertel der Strecke zurückgelegt. Ich begab mich zu Pärtel, der am Mast baum stand. Mit einem mächtigen Verband sah er wie in Beduinenhäuptling aus. »Wie lange werden wir noch brauchen?« erkun digte ich mich. »Nicht viel mehr als eine Stunde, Herr«, sagte der Pirat. »Wir haben die Abzweigung zum Pot-Xamyhr bereits hinter uns gelassen, bald wird sich der Dschungel zu lichten be ginnen. Wo er aufhört, endet auch das sump fige Gebiet, so daß ihr unbesorgt an Land gehen könnt. Da ist nur noch eine Kleinig keit …« »Sprich weiter«, forderte ich ihn auf. »Hat das tote Ungeheuer vielleicht noch einen Zwillingsbruder, der sein Werk vollenden möchte?« »Das nicht, Herr, der Fluß selbst ist frei für uns. Allerdings müssen wir eine Region durchfahren, die man den Wald der Traum falter nennt. Dort hausen in den Bäumen rie sige Schmetterlinge, die an neunzehn von zwanzig Tagen ungefährlich sind. Am zwan zigsten Tage jedoch schwärmen sie aus und gehen auf die Suche nach lebenden Wesen, in deren Körper sie Eier ablegen können. Aus ihnen schlüpfen dann Maden, die jene Tiere oder Menschen, die befallen wurden, von innen her …« »Danke, das reicht«, unterbrach ich ihn. »Du befürchtest also, daß ausgerechnet heute einer dieser Schwärmtage ist?« Er nickte bekümmert. »Wenn ich mich nicht verzählt habe, ja. Hätten wir unterwegs keinen Aufenthalt gehabt, wären wir unge fährdet durchgekommen. So jedoch kann es uns schlecht ergehen, Herr.« Ich sah ihn verwundert an. »Warum das? Es dürfte doch genügen, wenn sich alle unter Deck begeben, sobald wir dieses Gebiet erreicht haben. Oder hat es mit den Traumfaltern noch eine weitere be sondere Bewandtnis?« Der Pirat zuckte mit den Schultern. »Das erzählt man sich wenigstens, Herr.
45 Tatsache ist, daß ihnen bisher noch alle Menschen zum Opfer fielen, die an den be treffenden Tagen ihr Gebiet durchfuhren. Später fand man ihre Schiffe herrenlos trei bend, von ihnen selbst jedoch keine Spur mehr.« »Das klingt nicht eben gut«, räumte ich nachdenklich ein. »Ich denke aber nicht dar an, noch einen Tag zu verlieren, nur, weil es diese Schmetterlinge gibt. Sag mir rechtzei tig Bescheid, wenn wir den Wald der Traumfalter erreichen, dann sehen wir wei ter.« »Jawohl, Herr«, entgegnete Pärtel, aber es klang nicht sehr zuversichtlich. Ich kehrte zu den anderen zurück und unterrichtete sie kurz. Keiner von uns machte sich wirkliche Sorgen wegen der Falter. Sollte es wirklich brenzlig werden, war ja immer noch Koy da, der die Tiere mit seiner Gabe ausschalten konnte. Doch wieder einmal kam alles ganz anders.
9. Der Dschungel an den Flußrändern wurde zusehends spärlicher und niedriger. Glei cherweise nahm auch die Luftfeuchtigkeit ab, endlich konnten wir wieder freier atmen. Nach einer halben Stunde machte sich Pärtel durch einen lauten Zuruf bemerkbar. »Da vorn beginnt der Wald der Traumfal ter, Herr!« Die Sonne war inzwischen wieder durch gekommen, die Sicht besser geworden. Wir strengten unsere Augen an und bemerkten tatsächlich bald hoch in der Luft die ersten Schmetterlinge. Sie besaßen eine Flügel spannweite von etwa zwei Metern und boten einen farbenprächtigen Anblick. Sie schie nen uns nicht zu beachten, also nahm ich an, daß sich der Pirat vielleicht doch verzählt hätte. Trotzdem beorderte ich alle entbehrli chen Leute unter Deck, auch die Ruderer. Nur Pärtel blieb am Mast, um gegebenen falls die GÄRZE durch Drehen des Segels steuern zu können. Er hatte sich eine dicke Decke umgelegt, aus der nur noch seine Na
46 senspitze hervorsah. »Wie ist es mit euch, Razamon und Koy?« fragte ich. »Kolphyr und ich, wir dürften kaum gefährdet sein, ihr aber habt keinerlei Schutz. Für eine Viertelstunde wer det ihr es wohl in dem Aufbau aushalten können.« Beide wehrten ab, und ich ließ ihnen ihren Willen. Im Grunde glaubte ich immer noch nicht an eine Gefahr, obwohl mir der Name »Traumfalter« doch zu denken gab. Er war zu ausgefallen, um ohne Bedeutung zu sein. Die Ruderer fehlten, und nur mit Hilfe des Segels kam das Schiff gegen die Strömung nicht mehr so schnell voran wie zuvor. Zu sammen mit meinen Gefährten lehnte ich an der heil gebliebenen linken Reling und späh te nach den Faltern aus. Hier waren die übli chen Dschungelbäume von hohen schlanken Gewächsen abgelöst worden, die entfernt ir dischen Pappeln glichen, aber riesige Blätter von silbergrauer Farbe besaßen. Zwischen ihnen flatterten Hunderte von Schmetterlin gen umher, aber keiner kam niedriger als bis auf zwanzig Meter an die Wasseroberfläche heran. »Knapp fünf Minuten, dann haben wir diesen Wald hinter uns«, stellte Razamon fest. »Bisher hat sich nichts getan, obwohl wir uns längst im angeblich gefährlichen Gebiet befinden. Ich glaube, daß wir …« Er verstummte und fuhr sich stöhnend an den Kopf. »Was – was ist das?« stammelte er dann. »Dieses schrille Singen – mir zer springt fast der Schädel! Ich kann einfach nicht …« Seine Stimme erstarb, seine Arme fielen herab und blieben regungslos neben dem Körper hängen. Dann entspannte sich sein verzerrtes Gesicht und nahm einen Aus druck träumerischer Verzückung an, seine schwarzen Augen wurden stumpf und aus druckslos. Ich sah Kolphyr und Koy an und merkte, daß es ihnen auch nicht anders er ging. Dann wurde auch mir das seltsam singende Geräusch bewußt, das plötzlich in der Luft lag. Es wurde zweifellos von den Fal-
Harvey Patton tern hervorgerufen, die nun immer tiefer ka men. Ich sah, daß sie ihre vordersten Bein paare aneinander rieben, wodurch der hohe, singende Ton zustande kam. Ich hörte ihn wohl und empfand ihn als unangenehm, wurde aber davon nicht beein flußt. Auf die Piraten verfehlte er seine Wir kung jedoch ebenfalls nicht. Pärtel stand stocksteif da, die Decke glitt von seinen Schultern. Gleich darauf kamen alle anderen aus dem Aufbau, mit marionettenhaften Schritten. Sie stellten sich auf dem Vorder deck auf, und auch ihre Gesichter wirkten verzückt und weltentrückt. Da hast du es! kommentierte mein Extra sinn lakonisch. Diese Falter versetzen mit tels der Schwingungen alle Lebewesen in einen Traumzustand, in dem sie vollkommen wehrlos sind. Dann fällt es ihnen leicht, ihre Eier in die Körper zu verbringen, wo sie ih re verderbliche Wirkung tun. Das stimmte zweifellos, mein logisches Anhängsel irrte sich praktisch nie. Es gab mir jedoch kein Rezept, diesem heimtücki schen Angriff zu begegnen, vor dem mich wieder einmal das Goldene Vlies zu schüt zen schien. Ich fluchte erbittert und zermar terte mir den Kopf, aber ohne Erfolg. Allein konnte ich nichts gegen die Traumfalter tun, die sich nun über dem Schiff sammelten und immer tiefer schwebten. Bald konnte ich männliche und weibliche Exemplare unterscheiden. Die ersteren blie ben weiter oben und setzten ihr »Konzert« fort, während die Weibchen damit aufgehört hatten. Dafür erschienen nun am Hinterteil ihrer schlanken Körper handlange röhrenför mige Gebilde, die spitz zuliefen und zwei fellos Legestachel darstellten. Es überlief mich kalt, als ich mir vorstellte, daß bis auf Kolphyr und mich bald alle an Bord Träger von Schmarotzern sein mußten, die sie bei lebendigem Leib von innen her auffressen würden … Ich schrie, nahm einen Speer und stach damit nach den ersten Faltern, die sich Raza mon näherten. Einen traf ich, er flatterte lahm davon und stürzte dann in den Fluß.
Fluß der Gefahren Die anderen wichen behende aus, ihre großen schwarzen Facettenaugen schienen höhnisch zu glitzern. Sie ließen von unserer Gruppe ab und stürzten sich dafür auf die Piraten auf dem Vorderdeck – die Lage war buchstäblich aussichtslos! Die Hilfe kam von einer Seite, mit der ich zuletzt gerechnet hätte. Fenrir, der seitlich vom Decksaufbau stand, war ebenso unter den Einfluß der Traumgesänge geraten wie alle anderen. Er stand gleichfalls erstarrt da, doch die Träu me eines Wolfes unterschieden sich naturge mäß von denen humanoider Wesen. Plötz lich öffnete sich sein Maul, und er stieß ein hohes, klagendes Geheul aus. Im gleichen Moment geriet die Phalanx der Schmetterlinge in Unordnung. Sie flat terten ziellos durcheinander, das singende Geräusch verstummte abrupt. Sekunden spä ter befanden sich alle Traumfalter auf wilder Flucht, stiegen über die Wipfel der Bäume empor und entschwanden meinen Blicken. Der Himmel über dem Schiff war wie leer gefegt, und übergangslos kehrten alle an Bord zum Normalzustand zurück. »Was war das, Atlan?« schnaufte Koy kopfschüttelnd. »Ich war plötzlich weg und hatte einen herrlichen Traum, in dem ich Herr über die FESTUNG war! Ganz Pthor gehorchte mir, ich brauchte nur zu befehlen. Waren die Traumfalter seine Urheber?« »Wer sonst?« sagte ich, grenzenlos er leichtert. »Bedankt euch bei Fenrir, er hat sie mit seinem Geheul in die Flucht getrie ben. Jetzt aber schnell weg von hier, ehe sie vielleicht zurückkommen!« Das brauchte ich nicht zweimal zu sagen. Die Piraten stürzten an die Ruder und legten sich wie wild in die Riemen, das Schiff glitt in rascher Fahrt davon. Wenige Minuten später verschwand der Wald der Traumfalter am Horizont, ohne daß wir noch einmal be lästigt worden wären. Den verschiedenen Erzählungen entnahm ich, daß alle Beeinflußten ihr ganz speziel les, subjektiv gefärbtes Traumerlebnis ge habt hatten. Kolphyr hatte es die Rückkehr
47 nach Grulpfer vorgegaukelt, Razamon eine schreckliche Rache an den Herren der FE STUNG. Die singenden Geräusche hatten gewissermaßen das Unterbewußtsein ange zapft und dazu veranlaßt, ihm die Erfüllung seiner sehnlichsten Wünsche vorzuspiegeln. Um so schrecklicher wäre später das Er wachen gewesen! Den Rest unseres Weges legten wir ohne weitere Zwischenfälle zurück. Eine halbe Stunde später hatten wir die letzten Ausläufer des Urwalds und damit das Mündungsdelta des Xamyhr hinter uns. Wir fuhren in den Hauptflußlauf ein, dessen rechtes Ufer nur zu erahnen war. Das linke war mit niedrigem Buschwerk bestanden, das bald in eine flache Grassteppe überging. Hier machte der Fluß einen Bogen, der nach Westen führte, am Rand der Dunklen Regi on entlang. Ich winkte Pärtel, der noch immer reich lich verstört wirkte. Er hatte vermutlich von gelungenen Überfällen und reicher Beute geträumt, die es nun zu seinem Leidwesen nicht mehr gab. »Hier trennen sich unsere Wege«, eröff nete ich ihm. »Bringe das Schiff ans Ufer, damit wir aussteigen können. Von da an bist du wieder dein eigener Herr, der tun und las sen kann, was er will.« Der Pirat enthielt sich einer Antwort. Er gab seinen Männern einige knappe Anwei sungen, und die GÄRZE steuerte eine Lücke zwischen den Uferbüschen an. Wir gingen von Bord, das Schiff nahm wieder Fahrt auf und war bald mit geblähtem roten Segel un seren Blicken entschwunden. »Da fahren sie hin, neuen Untaten entge gen«, sagte Razamon finster. »Vielleicht aber nicht mehr für lange, sofern es uns ge lingen sollte, unser Ziel zu erreichen. Dann wird sich auf Pthor einiges ändern – mein Wort darauf!«
* Die Herren der FESTUNG kamen nicht mehr zur Ruhe. Zuviel war in den letzten
48 Tagen geschehen, und die Entwicklung nahm einen Verlauf, der ihrem Trachten dia metral entgegengesetzt war. Pthor drohte ihrer Macht zu entgleiten! Bisher hatten sie in den Magiern aus der Großen Barriere von Oth die wertvollsten Helfer neben den Technos besessen. Gewiß, sie alle waren von je her Einzelgänger gewe sen, die oft nur schwer zu einer sinnvollen Zusammenarbeit zu bringen waren. Immer hin hatten sie aber loyal zu den Herren ge standen und ihnen geholfen, viele Probleme zu lösen. Dieses Verhältnis bestand nun nicht mehr. Seit einigen Tagen war die Ver bindung zu den Magiern abgebrochen, sie reagierten auf keinen Versuch zur Kontakt aufnahme mehr. Ein ausgesandter Bote hatte berichtet, daß die gesamte Große Barriere von einer undurchdringlichen dunklen Wol ke umgeben war. Dabei handelte es sich je doch nicht um einen Schutzschirm ähnlich dem über der FESTUNG oder den Wölb mantel, wie ihn die Technos mit ihren Pro jektoren errichten konnten. Ein solcher wäre mit den zur Verfügung stehenden Waffen aufzubrechen gewesen. Nein, dies war eine magische Wand, gegen die jede Technik wirkungslos war. Es konnte keinen Zweifel daran geben, daß dieser Zustand von den Magiern ab sichtlich herbeigeführt worden war. Das be deutete nicht mehr und nicht weniger, als daß sie sich von den Herren der FESTUNG abgewandt hatten. Und das gerade jetzt, da der Tag Ragnarök allem Anschein nach dicht bevorstand! Bisher hatten die fünf Mächtigen dieses Ereignis als lächerlich abgetan. Nun, da ih nen die Magier nicht mehr gehorchten, dachten sie erheblich anders darüber. Das Wache Auge, die zentrale Beobach tungs- und Ortungsstation, zwischen dem Gebiet der FESTUNG und der Senke der Verlorenen Seelen gelegen, verfolgte einen Großteil aller Vorgänge auf Pthor. Von ihr wußten die Herren, daß die beiden fremden Eindringlinge immer noch lebten und ihren Weg in Richtung der FESTUNG fortsetzten.
Harvey Patton Bei ihnen befand sich neben einem riesigen Wolf und einem weiteren Begleiter auch das Antimateriewesen. Diese fünf waren jedoch im Bereich der Dunklen Region zeitweise »verlorengegangen«, die Beobachtungsin strumente hatten sie nicht mehr erfaßt. Dafür war soeben eine Meldung einge troffen, die vielleicht nicht sehr bedrohlich, dafür aber reichlich ungewöhnlich klang. »Die Odinssöhne haben sich vereint und sind auf dem Weg hierher!« teilte Phagen von Korst seinen vier Mitherrschern mit. Er sprach über das Lautsprechersystem seiner Lebenserhaltungsanlage, das ihn akustisch mit der Außenwelt verband. »Sie nähern sich von Süden her dem Gebiet der FE STUNG.« Er benutzte dabei eine abgehackt klingen de fremde Sprache, die niemand sonst auf Pthor verstand. Sie bot die Gewähr dafür, daß die Kommunikation der Herren unter einander von keinem Unbefugten belauscht werden konnte. Nur im Verkehr mit ihren Vasallen benutzten sie Pthora. Jenthas von Orl stieß einen Laut der Ge ringschätzung aus. »Was haben wir von diesen Narren schon zu befürchten?« erwiderte er. »Solange es sie gibt, haben sie nichts weiter getan, als je nes Gebilde zu bewachen, das sich hochtra bend ›Straße der Mächtigen‹ nennt. Selbst dieser Aufgabe sind sie zu keiner Zeit ge recht geworden, das beweist der schlechte Zustand, in dem sich die Straße befindet.« »Trotzdem sollten wir sie nicht unter schätzen«, gab Dorlk von Zamyhr zu beden ken. »Jeder von ihnen besitzt zumindest eine Fähigkeit, die auch in unseren Augen unge wöhnlich ist. Wenn sie sich einig sind und verstehen, ihre Gaben zu koordinieren, könnten sie sich zu einem Machtfaktor aus bilden, der durchaus nicht ungefährlich ist.« »Ich muß dir darin zustimmen«, erklärte Kichor von Daspen lakonisch. »Vergeßt nicht, daß wir jetzt nicht mehr auf die Hilfe der Magier zählen können. Außerdem gehen auch sonst ungewöhnliche Dinge vor, wie
Fluß der Gefahren ihr wißt. Wenn es zu einer Kulmination der verschiedenen Gegebenheiten kommt …« Er unterbrach sich, denn soeben lief eine neue Meldung der Technos vom Wachen Auge ein. Die Gruppe der Fremden und ihrer Be gleiter war wieder entdeckt worden! Sie be fanden sich in der Nähe des Flusses Xamyhr und näherten sich der FESTUNG nun von Norden her. Für eine Weile herrschte Schweigen. Dann meldete sich Elmthor von Morghom zum Wort. »Sollen sie doch kommen«, kicherte er bösartig. »Vier Männer und ein Wolf – was können sie der FESTUNG schon anhaben! Sie sind zu Fuß und besitzen keinerlei tech nische Hilfsmittel. Sie werden schon an der Energiebarriere scheitern, die unser Gebiet umgibt.« »Schon möglich«, meinte Phagen von Korst. »Es besteht aber die Möglichkeit, daß sie sich mit den Odinssöhnen vereinen, um gemeinsam gegen uns vorzugehen. Die bei den Eindringlinge stammen von der Welt, auf der wir uns jetzt befinden und die uns bis jetzt hartnäckig widerstanden hat. Sie be sitzen zweifellos erhebliche Kenntnisse auf technischem Gebiet, sonst wären sie nie nach Pthor gelangt. Es wäre also ein Fehler, sie kurzerhand als ungefährlich einzustu fen.« »Darin muß ich dir zustimmen«, sagte Dorlk von Zamyhr. »Wenn sich zwei Grup pen von relativ Schwachen vereinigen, deren Fähigkeiten sich ergänzen, können sie wirk lich zu einer echten Gefahr werden. Vergeßt nicht, daß alles zusammenkommt …« Er vollendete den Satz nicht, aber die an deren verstanden ihn auch so. Ihre Mentali tät und Denkweise glich sich weitgehend, ihre Diskussion diente nur dazu, alle wichti gen Gesichtspunkte herauszukristallisieren, die es zu bedenken galt. Das war nun ge schehen. »Wir werden beiden Gruppen zuvorkom men«, entschied Kichor von Daspen. »Unsere Machtmittel sind groß, unsere Hel
49 fer stehen bereit. Zögern wir also nicht mehr, sie umgehend einzusetzen.« Die anderen stimmten ihm ohne Zögern zu.
* Schweigend bewegten wir uns vom Ufer des Xamyhr aus nach Süden. Das Buschgelände lag bereits hinter uns. In seinem Bereich hatte es einige Arten von größeren Tieren gegeben, für die der Fluß die natürliche Tränke war. Alle hatten je doch hastig die Flucht vor uns ergriffen, und das verdankten wir Fenrir. Er lief uns voran, und sobald er auftauchte, ging ihm jedes Le bewesen respektvoll aus dem Wege. Nun marschierten wir durch eine ausge dehnte Grassteppe, die allmählich immer trockener wurde. Sie war eben und nur zu weilen von schmalen Vertiefungen durchzo gen, die wohl früher einmal Flußläufe gewe sen waren. Wir kamen also gut voran, aller dings ging es nun bereits auf den Abend zu. Als die Sonne den Horizont berührte, blieb ich stehen. »Wir legen jetzt eine kurze Pause ein«, bestimmte ich. »Was uns im Gebiet der FE STUNG erwartet, wissen wir nicht, aber et was Gutes dürfte es wohl kaum sein. Irgendwann wird man uns bemerken, und dann werden sich die Herren der FESTUNG beei len, uns zu vernichten oder wenigstens auf zuhalten.« Koy nickte und klopfte sich auf den Bauch, dessen Wölbung allerdings zum größten Teil aus kompakten Muskelpaketen bestand. In dieser Hinsicht erinnerte er mich an meinen Pflegevater Fartuloon aus der fer nen Zeit meines Kampfes um Arkon. »Mit leerem Magen läßt es sich schlecht kämpfen«, sagte er mit seiner sonoren Stim me. »Außerdem behindern einen Vorräte, die man tragen muß, weit mehr als solche, die man sich bereits einverleibt hat. Ich stimme dir also zu, Atlan.« Kolphyr enthielt sich der Stimme, er nahm ohnehin nie Nahrung nach unseren Begriffen zu sich. Razamon dagegen zögerte
50 einen Augenblick, in seinen Augen glühte ein unheimliches Feuer. Keiner von uns konnte die Herren der FE STUNG so hassen wie er, der vor zehntau send Jahren von ihnen ausgestoßen worden war. Dieser Haß trieb ihn voran, der Drang danach, mit jenen abzurechnen, denen er das grausame Schicksal verdankte, ein Einsamer auf einer fremden Welt gewesen zu sein. Ich klopfte ihm auf die Schulter. »Ich weiß, was dich bewegt, Freund, aber auf eine halbe Stunde mehr oder weniger kommt es jetzt wohl kaum noch an. Nur ein Narr stürmt ungeduldig voran, ohne die Fol gen seines Handelns zu bedenken. Der Wei se dagegen läßt sich Zeit und vermeidet da bei, an jene Dinge zu stoßen, die den Unbe dachten zu Fall bringen.« Das Gesicht des Atlanters verzerrte sich sekundenlang, seine Hände ballten sich zu Fäusten. Ich fürchtete bereits, daß er wieder einen der zügellosen Wutanfälle des Berser kers bekommen könnte, die ihn früher zu ei nem unberechenbaren Gefährten gemacht hatten. Dann entspannte sich jedoch sein Gesicht wieder, und er nickte mir grinsend zu. »Schon gut, Lordadmiral, ich füge mich der Mehrheit. Ein Narr war ich noch nie, sonst hätte ich nicht zehntausend Jahre lang alle Höhen und Tiefen in der Entwicklung Terras überlebt. Du als einsamer Schläfer auf dem Meeresgrund hattest es da beträcht lich leichter als ich.« »Das gebe ich gern zu«, sagte ich lä chelnd. Wir packten die Bündel aus, die wir von der GÄRZE mitgebracht hatten. Sie ent hielten hauptsächlich gebratene Fische, da neben nur noch einige trockene Fladenbrote. Pärtel hatte nicht gelogen, als er von den arg geschrumpften Vorräten der Piraten sprach. Wir ließen uns auf einer niedrigen Erhe bung nieder und begannen mit dem frugalen Mahl. Ein lederner Wassersack, den Kol phyr getragen hatte, lieferte uns die nötige Flüssigkeit. Ansonsten war unsere Ausrüstung mehr als dürftig.
Harvey Patton Koy trug nichts weiter als Stiefel, seine orangefarbige Hose und den hellblauen Pull over mit dem eingestickten Januskopf. Raza mon besaß neben Stiefeln, Hose und einem Lederwams noch das kurze Breitschwert, das unsere einzige Waffe war. Ich selbst trug dasselbe und darüber das Goldene Vlies. Wir hatten darauf verzichtet, die Speere oder Skerzaals der Piraten mitzunehmen. Gegen die Feinde, auf die wir nun voraussichtlich treffen würden, hätten sie uns doch kaum et was genutzt. Wir aßen schweigend, während Fenrir uns umkreiste und Wache hielt. Die Stille, die in diesem Gebiet herrschte, wirkte bedrückend und unruheerregend zugleich. Am Südhorizont wogten in weiter Entfer nung nebelhafte Schleier. Als nun die Sonne unterging, blieben sie immer noch sichtbar. Sie glommen in einem geisterhaft bleichen Licht, dessen Quelle nicht festzustellen war. Für mich gab es keinen Zweifel daran, daß sich in nicht allzu weiter Entfernung dahin ter die FESTUNG verbarg. Bald wurden sie jedoch von einer anderen Erscheinung überstrahlt. Das düsterrote Glühen, das wir schon an den Abenden zuvor beobachtet hatten, stieg erneut auf. Es waberte und zuckte auf und ab, viel deutlicher als je zuvor. Daneben ver nahmen wir ein fernes, dumpfes Rollen, und zuweilen erzitterte der Boden, als stünde der Untergang von Pthor kurz bevor. »Das ist Ragnarök!« sagte Razamon dumpf. »Die Götterdämmerung naht, der Tag der endgültigen Entscheidung – so oder so. Niemand wird ihr ausweichen können, weder wir noch die Herren der FESTUNG.« »Wir werden ihr jedenfalls nicht auswei chen!« entgegnete ich hart. »Im Gegenteil, wir werden bald wieder aufbrechen und die Nacht hindurch marschieren. Sie bietet uns schließlich die beste Chance, das Gebiet der FESTUNG zu erreichen, ohne vorzeitig be merkt zu werden. Was auch immer sich dort ereignen mag, ich gedenke, alles zu tun, da mit Terra von der Bedrohung durch Pthor erlöst wird.«
Fluß der Gefahren
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»Um jeden Preis?« fragte der Atlanter. »Um jeden Preis!« bestätigte ich. »Selbst um den, daß ich diesen verfluchten Dimensi onsfahrstuhl eigenhändig fortsteuern muß und dabei riskiere, zusammen mit ihm ir gendwohin durch Raum und Zeit geschleu dert zu werden. Es soll den sieben Milliar den Bewohnern der Erde keinesfalls so erge hen, wie den bedauernswerten Intelligenzen von Zuibrist, deren letztem Nachkommen wir in der Wüste Fylln begegnet sind. Ist
dieses Ziel nicht jedes Opfer wert?« »Das ist es, Freund Atlan!« bestätigte Kolphyr schrill. »Und wir werden dich be gleiten, ganz gleich, wohin dein Weg noch führen mag.«
E N D E
ENDE