Christine Nöstlinger Babygeschichten vom Franz
s&c 06/2008
Der Franz hat es gründlich satt. Schon seit Monaten spinnt ...
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Christine Nöstlinger Babygeschichten vom Franz
s&c 06/2008
Der Franz hat es gründlich satt. Schon seit Monaten spinnt die Gabi total. Sie wird nämlich große Schwester. Und damit sie alles kann, wenn das Baby da ist, muss der Franz ständig mit ihr „Baby” üben. Er muss eine Strumpfhose anziehen und eine Bommelmütze aufsetzen, er legt sich ins Bett und strampelt auf Kommando. Nur einmal ist er geflüchtet, da wollte die Gabi Windeln bei ihm wechseln. Heute soll das Baby kommen und der Franz hofft inständig, dass die Gabi dann endlich wieder normaler wird. ISBN: 3-7891-0552-X Verlag: Friedrich Oetinger Erscheinungsjahr: 1998 Umschlaggestaltung: Manfred Limmroth Titelbild und farbige Illustrationen: Erhard Dietl
Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!!
Christine Nöstlinger
Babygeschichten vom Franz Bilder von Erhard Dietl
Verlag Friedrich Oetinger • Hamburg
Alle Franz-Bände auf einen Blick Babygeschichten vom Franz Feriengeschichten vom Franz* Fernsehgeschichten vom Franz* Fußballgeschichten vom Franz Geschichten vom Franz* Hundegeschichten vom Franz Krankengeschichten vom Franz* Liebesgeschichten vom Franz* Neue Schulgeschichten vom Franz* Neues vom Franz* Opageschichten vom Franz Schulgeschichten vom Franz* Weihnachtsgeschichten vom Franz* Sammelband Franz – Allerhand und mehr * Diese Titel sind auch als MC/CD bei der Deutschen Grammophon erschienen.
© Verlag Friedrich Oetinger, Hamburg 1998 Alle Rechte vorbehalten Einbandgestaltung: Manfred Limmroth Titelbild und farbige Illustrationen: Erhard Dietl Lithos: Posdziech GmbH, Lübeck Druck und Bindung: Mohn Media, Gütersloh Printed in Germany 2005 ISBN 3-7891-0552-X www.oetinger.de
Wie der Josef mit dem Franz trainiert
Der Franz ist acht Jahre alt. Wer das nicht weiß, würde ihn auf sechs Jahre schätzen. Weil er sehr klein ist. Früher hat er sich geärgert, wenn ihn jemand für jünger gehalten hat, als er in Wirklichkeit war. Nun hat er sich schon daran gewöhnt. 5
Wundert sich mal wieder jemand, dass er so klein ist, sagt er: „Auf Länge kommt es im Leben nicht an.” Es stört ihn auch nicht mehr, wenn ihn jemand für ein Mädchen hält. Weil seine Freundin, die Gabi, sagt: „Wer so hübsch ist wie du, wird leicht mit einem Mädchen verwechselt, Frauen sind das schöne Geschlecht.” Aber dass seine Stimme total piepsig wird, wenn er sich aufregt, daran kann sich der Franz nicht gewöhnen. Wie ein Wellensittich piepst der aufgeregte Franz. Und wenn er sich sehr aufregt, kriegt er nicht mal einen Pieps raus. Sein großer Bruder, der Josef, versucht oft, ihm das Piepsen abzugewöhnen. „Brüll-Training” nennt er das. Da packt er einen Fuß vom Franz, reißt ihn hoch und zieht dran. Dann bleibt dem Franz nichts übrig, als auf einem Bein hinter dem Josef herzuhüpfen. Und der schleppt den hüpfenden. Und der schleppt den 6
hüpfenden Franz durchs Zimmer und schreit: „Ich bin gemein zu dir! Das regt dich auf, das macht dich zornig! Verfluch mich! Schrei deine Wut raus!” 7
Der Josef schleicht sich auch von hinten an den Franz ran, hebt ihn hoch und trägt ihn in die Abstellkammer.
Dann
steigt
er
mit
dem
zappelnden Franz auf die Leiter, setzt ihn auf das oberste Regalbrett, klettert die Leiter runter, zieht sie weg und schreit: „Ich bin gemein zu dir! Das regt dich auf, das macht dich wütend! Verfluch mich! Brüll deinen Zorn raus!” Aber auch das bringt nichts. Außer dass es dem Josef Spaß macht. Die Mama und der Papa finden es nicht schlimm, dass der aufgeregte Franz piepst oder ihm die Stimme wegbleibt. Der Papa sagt: „In deinem Alter ging es mir genauso. Und nun brülle ich wie ein Stier, wenn mir danach ist!” Die Mama sagt: „Was aufgeregte Leute sagen, bereuen sie später eh meistens.”
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So versucht der Franz, sich nicht aufzuregen und immer ruhig zu bleiben. Meistens gelingt ihm das. Nur wenn die Gabi eklig zu ihm ist, schafft er es nicht. Weil er die Gabi liebt. Und weil er, wenn sie eklig ist, denkt: Nun hat sie mich nicht mehr lieb! Etwas Schlimmeres, als dass ihn die Gabi nicht mehr lieb hätte, kann sich der Franz nicht denken. Das würde sein ganzes Leben verändern!
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Der Franz geht doch jeden Tag nach der Schule mit der Gabi heim. Zu Hause geht er nicht in seine Wohnung, sondern in die Nachbarwohnung zur Gabi. Er bekommt bei ihr Mittagessen. Am Nachmittag bleibt er auch bei ihr. Bis seine Eltern von der Arbeit kommen. Mit einer Gabi, die ihn nicht mehr lieb hätte, könnte der Franz nicht so lange und so oft zusammen sein. Das würde ihm das Herz brechen! Dann müsste er daheim beim Josef sein, und der ärgert 11
den Franz nicht nur beim „Brüll-Training”. Dem Josef ist der Franz oft lästig. Er spielt nicht mit ihm, erklärt ihm die Aufgabe nicht, hilft ihm nicht beim Essenwärmen, und sooft der Franz etwas von ihm will, sagt er: „Lass mich in Ruhe, Zwerg!” Nicht mal ins Zimmer vom Josef darf er. Klopft er an die Tür, schreit der Josef: „Kein Zutritt für kleine Knilche!” Bittet die Mama den Josef, den Franz ins Bad oder ins Kino mitzunehmen, fragt er: „Was mutest du mir da zu?” Die Mama sagt, dass der Josef den Franz lieb hat, dass er es nur nicht zugibt. Weil Brüder halt so sind. Kann schon sein, denkt sich der Franz dann. Aber von Liebe, die ich nicht merke, habe ich einen Schmarrn!
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Wie der Franz raten musste
Einmal, als der Franz mit der Gabi in die Schule ging, machte die Gabi ein komisches Gesicht. Der Franz fragte: „Hast du was?” Die Gabi sagte: „Ich kriege was!” „Und zwar?”, fragte der Franz. „Rate!”, sagte die Gabi. Der Franz hatte keine Lust zu raten, aber aus Angst, die Gabi könnte es übel nehmen, fragte er:
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„Einen Einser?” „Hat nichts mit Schule zu tun!”, rief die Gabi. „Was ganz Tolles bekomme ich!” „Von deiner Mama?”, fragte der Franz. Die Gabi kicherte: „Ja, und vom Papa auch!” „Die neunte Barbie-Puppe?”, fragte der Franz. „Erstens hab ich nur sechs Barbie-Puppen”, sagte die Gabi, „zweitens ist das, was ich kriege, viel toller!” „Einen Fernseher fürs Kinderzimmer?”, fragte der Franz. „Da kommst du nie dahinter”, rief die Gabi. „Dann lass es endlich raus!” Dem Franz war das Hin und Her schon sehr langweilig. „Es ist ein Geheimnis”, sagte die Gabi. „Ich soll es noch nicht verraten. Aber wenn du es errätst, hätte ich es nicht verraten, oder?” Dem Franz blieb die Antwort erspart. Sie waren beim Schultor, und weil der Franz und die 14
Gabi nicht in eine Klasse gehen, trennten sich hinter dem Tor ihre Wege. „Tschüs bis Mittag”, sagte der Franz. „Vielleicht kommst du bis dann ja dahinter”, rief die Gabi und lief zu ihrer Klasse.
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„Hinter was sollst du kommen?”, fragte der Eberhard Most. Er war hinter dem Franz in die Schule rein und hatte gehört, was die Gabi gerufen hatte. Der Franz sagte: „Sie kriegt etwas von ihren Eltern und ich soll es erraten.” 16
„Kuh!” Der Eberhard tippte sich an die Stirn. Er wäre gern der beste Freund vom Franz. Und er ist auf die Gabi eifersüchtig, weil er weiß, dass der Franz sie lieber hat als ihn. „Sie ist keine Kuh”, sagte der Franz. „Sie ist nur oft eigen.” „Eigen, was ist das?”, fragte der Eberhard. „Eigen eben!”, rief der Franz. Er wusste selbst nicht, was das heißt. Das sagt sein Papa immer, wenn er die schrullige Tante Mizzi vor der Mama in Schutz nimmt. „Eigen, klar, eigen”, murmelte der Eberhard und tat, als ob ihm gerade eingefallen wäre, was das heißt. Er wollte vor dem Franz nicht als Dummkopf dastehen.
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Wie der Franz das Geheimnis erfährt
Als der Franz zu Mittag aus der Schule rauskam, stand die Gabi schon vor dem Tor. Sie packte den Franz am Arm und fragte: „Na?” O Gott, dachte der Franz, sie lässt nicht locker, jetzt geht die Raterei auf dem Heimweg weiter! Um die Qual abzukürzen, ratschte er runter: „Einen Puppenwagen, eine Katze, ein Klavier, ein Aquarium, einen Strohhut, eine Gitarre …” Alles, was dem Franz gerade einfiel, zählte er auf. Und die Gabi rief ununterbrochen: „Falsch!” Dann fiel dem Franz nichts mehr ein und er sagte: „Auch egal. Wenn du es hast, werde ich es schon sehen.” „Da musst du aber noch vier Monate warten”, 18
rief die Gabi. „Halte ich glatt aus!”, sagte der Franz. Die Gabi zog ein Gesicht. Der Franz sagte: „Kann ich was dafür, dass ich es nicht rate.” „Auch wahr”, sagte die Gabi und lächelte. „Und damit du nicht vor Neugier platzt, sage ich es. Ich kriege ein Baby!”
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Der Franz rief: „Spinnst du?” Die Gabi bekam ihren zornigen Glitzerblick und ihr wütendes Nasenzucken. Glitzerblick hin, Nasenzucken her, dachte der Franz, die Wahrheit muss gesagt werden dürfen! „Ein Kind kriegt kein Kind!”, rief er. Die Gabi lachte. „Klaro kriegt die Mama das Baby, aber mir gehört es genauso!”
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Der Franz dachte: Sie wartet, dass ich was sage.
Was
sagt
man
da?
Herzlichen
Glückwunsch? Oder: Freut mich? „Warum gratulierst du mir nicht!”, rief die Gabi. „Gratuliere”, murmelte der Franz. „Ich freue mich.” Aber das war nicht ehrlich von ihm. Er freute sich nicht. Gegen Babys hatte er zwar nichts, die waren ihm ziemlich egal. Doch er hatte allerhand dagegen, dass sich die Gabi so sehr auf ein Baby freute! Er dachte: Wenn das 21
Baby da ist, wird sie mich nicht mehr brauchen. Sie wird lieber mit dem Baby spielen als mit mir, dann bin ich abgemeldet! „Schade, dass ihr kein Baby kriegt”, sagte die Gabi. „Da könnten wir einen Zwillingswagen kaufen und die Babys ausfahren!”
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„Ja, schade”, murmelte der Franz. „Wenn
deine
Eltern
schnell
ein
Baby
machen”, sagte die Gabi, „käme es nur fünf Monate nach unserem, da ginge das mit dem Zwillingswagen auch noch.” „Die Mama will kein Baby”, sagte der Franz. „Überrede sie”, sagte die Gabi. „Meine hat auch keines gewollt, aber jetzt freut sie sich.” Der Franz glaubte nicht, dass er die Mama zu einem Baby überreden könnte, er hatte auch keine Lust dazu. Ein Baby war ziemlich das Letzte, was ihm fehlte. „Ist doch schöner, mit Babys spazieren zu fahren als mit dem Pinschpudeldackel Gassi gehen”, sagte die Gabi. Der Franz und die Gabi führen oft den Hund einer alten Frau aus. Weil die schlecht zu Fuß ist. Der Franz fand das gemein. Er hatte den 23
Hund gern. Die Gabi hatte bisher auch getan, als ob sie ihn gern hätte. Wie konnte sie ihn nun „blöden Pinschpudeldackel” nennen? So sehr regte das den Franz auf, dass er kein Wort sagte. Hätte er was gesagt, hätte er wieder mal wie ein Sittich gepiepst. Die Gabi merkte nicht, dass der Franz piepsaufgeregt war. Sie schwärmte ihm vom Baby vor. Dass es blaue Augen haben werde wie ihr Papa. Sie sagte, wenn Eltern zwei Kinder haben, sehe eins der Mama ähnlich, eins dem Papa. Und da sie der Mama ähnlich sehe, werde das Baby dem Papa ähnlich sein! Als sie dann vor der Wohnungstür der Gabi waren, flüsterte sie: „Schwöre, dass du keinem vom Baby
erzählst,
das
muss
bleiben!”
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ein
Geheimnis
Der Franz hob die Schwurfinger. Die Gabi verlangte: „Du musst sagen, dass du bei deinem Augenlicht, beim Leben deiner Eltern und bei allem, was dir heilig ist, schwörst. Sonst gilt es nicht!” Doch da öffnete die Gabi-Mama die Tür und der Franz atmete erleichtert auf. Weil er nun den Schwur nicht sagen musste. Eine arge Piepserei wäre das geworden! 25
Wie der Franz mit der Gabi üben musste
Der Franz kann Geheimnisse für sich behalten. Er ist keiner, der alles ausplaudert. Doch das Baby-Geheimnis vertraute er der Mama an. Weil er jemanden brauchte, mit dem er drüber reden konnte. Er sagte sich: Ich habe nicht echt geschworen, ein Schwur gilt nur, wenn man ihn aufsagt. Die Sorge hätte sich der Franz gar nicht machen müssen. Seine Mama wusste längst vom Baby. Sie meinte, der Franz müsse sich auch keine Sorgen machen, dass er nun bei der Gabi abgemeldet sei. „Du kennst sie ja”, sagte die Mama. „Sie ist schnell begeistert, aber genauso schnell legt sich ihre Begeisterung wieder.” Der Franz wartete geduldig, dass sich die 26
Baby-Begeisterung der Gabi legen werde. Er wartete vergebens. Nach ein paar Wochen, als jeder sehen konnte, dass ihre Mama ein Baby bekam, redete die Gabi von nichts anderem mehr! Sie las dem Franz aus einem Buch Namen vor, um einen für das Baby zu finden. Jeden Tag hatte sie einen anderen Lieblingsnamen, einen für
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ein Mädchen, einen für einen Buben. Und sie regte sich drüber auf, dass ihre Mama den Arzt nicht fragte, ob das Baby ein Mädchen oder ein Bub ist. Sie kaufte Wolle für ein Jäckchen. Aber im Stricken war sie eine Niete. Sooft ihr eine Masche von der Nadel fiel, wurde sie zornig.
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Dann fauchte sie den Franz an: „Hol sie rauf, du bist schuld, du hast mich gestoßen!” Obwohl der Franz die Gabi nicht einmal berührt hatte. Versuchte der Franz, die Masche wieder auf die Nadel zu bringen, und gelang es ihm nicht, greinte sie: „Jetzt hast du alles kaputtgemacht, trenn es auf, strick es neu!” Hatte er die paar Zentimeter Strickerei aufgetrennt, die Maschen neu angeschlagen und mühsam ein paar Reihen gestrickt, quengelte sie: „Zu locker, so was Hässliches ziehe ich dem Baby nicht an!” Ein Baby-Tagebuch führte sie auch. Jeden Tag schrieb sie rein. Zum Beispiel: Noch 60 Tage! Heute hat das Baby so gestrampelt, dass der Bauch der Mama Beulen bekam. Ich will es Tilli oder Till taufen. Oder: In 50 Tagen kommt das Baby! Ich will, dass es Stefan oder Sofi heißt. Die Mama ist für 29
Peter und Petra. Kommt nicht in Frage! Und wenn die Mama den blauen Kinderwagen kauft, trete ich in Hungerstreik. Ich möchte den roten. Rot steht mir besser, das sagen alle. Und dann wollte sie auch noch mit dem Franz „üben”. Er musste das Baby spielen, das sie hütete. Zuerst ließ es sich der Franz gefallen.
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Brav zog er weiße Strumpfhosen an, setzte ein Bommel-Mützchen auf und legte sich ins Bett. Auf das Kommando „Du musst strampeln!” strampelte er. Er schloss die Augen, wenn die Gabi säuselte: „Babylein, schlaf schön!” Er bemühte sich zu rülpsen, wenn die Gabi sagte: „Mach Bäuerchen, Baby!” Er lag still da, wenn die Gabi ein Schlaflied nach dem anderen falsch
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sang. Er protestierte nicht mal, als sie ihm einen Schnuller in den Mund stopfte. Doch als sie dann mit Handtuch und Puder anrückte und sagte: „Jetzt wird das Babylein gewickelt!”, reichte es ihm! Er sprang aus dem Bett, packte seine Hose und sein Hemd und flitzte aus dem Zimmer. Ins Wohnzimmer rannte er, wo die Gabi-Mama bügelte. Er warf sich auf die Sitzbank, vergrub das Gesicht in den Kissen. Die Gabi-Mama setzte sich zu ihm und fragte: „War die Gabi wieder mal ein Ekel?” Der Franz piepste in die Kissen rein, dass er es satt habe, Baby zu spielen, und dass er sich auf keinen Fall den Po pudern lasse! Niemand dürfe das von ihm verlangen, nicht mal die Gabi! Die Gabi-Mama gab ihm Recht. Sie schlug vor, der Franz solle bei ihr bleiben. 32
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Sie habe sowieso vom Bügeln genug und würde gern schwarzer Peter spielen. Der Franz riss sich die Baby-Klamotten vom Leib, zog seine Hose und sein Hemd an und holte die Karten. Die Gabi-Mama rief zum Kinderzimmer: „Gabi, komm, spiel mit uns!” Die Gabi rief zurück: „Geht nicht, wenn ich den Franz sehe, wird mir übel!” 34
Die Gabi-Mama rief: „Kapier doch, dass nicht alles nach deinem Kopf gehen kann!” Ein paar Minuten später kam die Gabi ins Wohnzimmer. Im Mantel, Kappe auf dem Kopf, Rucksack über der Schulter. Sie sagte: „Ich gehe zur Sandra, die kann richtig Baby spielen!” Dann drehte sie sich um und marschierte ab. Die Gabi-Mama seufzte. „Tut mir Leid, Franz, sie ist meschugge.”
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Bis seine Mama heimkam, spielten der Franz und die Gabi-Mama Karten. Eis und Waffeln aßen sie auch. Hätte der Franz wegen der Gabi nicht Kummer gehabt, wäre es ein toller Nachmittag gewesen. Bevor er heimging, sagte er: „Soll ich am Nachmittag zum Eberhard gehen, weil der Gabi übel wird, wenn sie mich sieht?” Die Gabi-Mama war entsetzt. Es wäre furchtbar, wenn er nicht mehr bei ihr wäre, sagte sie. Das tröstete den Franz. Noch mehr tröstete ihn, dass die Gabi am Abend stocksauer von der Sandra heimkam. Da war der Franz längst zu Hause und half dem Papa beim Kochen. Aber zwischen der Küche vom Franz und der Küche der Gabi ist nur eine Gipswand. Durch die hört man laute Stimmen total gut. So hörte der Franz die Gabi sagen: „Die Sandra ist gestorben für mich. Die findet alle Babys doof!” 37
Die Gabi-Mama sagte drauf: „Da siehst du, was du am Franz hast.” Und wenn sich der Franz nicht sehr getäuscht hatte, hatte er nachher ein deutliches „Eh klar, Mama” gehört.
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Wie alles ganz anders kommt
Jeden Tag erklärte die Gabi dem Franz, wie es bei der Geburt vom Baby sein werde. Sie sagte: „Am Tag vorher kommt die Oma und bleibt bei mir, bis die Mama und der Papa mit dem Baby heimkommen.” Grantig sagte sie es. Sie wollte so gern bei der Geburt dabei sein. „Wieso darf ich nicht, wenn der Papa darf?”, fragte sie jeden Tag. „Wieso erlauben die Ärzte das nicht?” Der Franz antwortete immer: „Weil du nur die Schwester bist.” Da brüllte die Gabi den Franz an: „NUR? Mir gehört unser Baby genauso wie dem Papa!” Der Franz fand, dass man von einem Baby so nicht reden dürfe! Weil auch ein winziger 39
Mensch keine Sache ist, die irgendjemandem „gehört”. Aber das sagte er nicht, er wollte die Gabi nicht noch mehr aufregen. Und dann kam alles ganz anders. Die Oma fiel hin und brach sich ein Bein. Sie bekam einen Gips, vom Knöchel bis zur Hüfte. Sie musste zu Hause im Bett liegen und sich vom Opa pflegen lassen. „Allein kann ich nicht bleiben”, sagte die Gabi zum
Franz.
„Jetzt
müssen
sie
mich
ins
Krankenhaus mitnehmen!” Doch da täuschte sie sich. Die Mama vom Franz schlug der Gabi-Mama vor: „Die Gabi kommt zu uns, wenn es so weit ist.” Und dann richtete sie im Zimmer vom Franz sofort ein zweites Bett her. Der Franz fragte: „Wieso schon jetzt? Es dauert noch acht Tage, bis das Baby kommt.” Ihn störte die Matratze auf dem Boden. Nun 40
war kein Platz mehr für die Autorennbahn. Die Mama sagte: „Babys halten sich oft nicht an den Tag, den der Arzt ausrechnet. Sie können früher kommen oder später.”
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Wie der Franz eine unruhige Nacht hatte
Die Mama vom Franz hatte wieder einmal Recht gehabt. Zwei Tage danach, spät am Abend, klingelte es an der Tür. Der Franz dachte: Wer kommt jetzt noch? Vielleicht der Hausmeister mit einer Spendenliste? Dann hörte er die Stimme der Gabi. Er sprang aus dem Bett und lief in den Flur. Dort standen die Mama und der Papa. Und die Gabi, im Pyjama, mit Plüsch-Hasen im Arm. Ihre Eltern gingen gerade zur Tür raus und seine Mama sagte zur Gabi: „Keine Angst, die schaffen das!” Die Gabi lief ins Zimmer vom Franz. Der Franz hinter ihr her. Die Gabi sagte: „In einer Stunde kann das Baby da sein!” 42
Dann sagte sie: „Zum Schlafen bin ich zu aufgeregt. Memory spielen wär nicht übel.” Der Franz holte die Memory-Karten. Doch da kam der Papa. Zum Spielen, meinte er, sei es zu spät. „Ins Bett mit euch”, rief er. Die Gabi sagte: „Ich warte auf das Baby, mein Papa ruft an, wenn es da ist!” 43
„Wenn das Telefon klingelt”, sagte der Papa, „werden wir schon munter.” Die Gabi zog ein Gesicht, aber sie widersprach nicht. Sie legte sich ins Bett vom Franz und nahm den Hasen als Kissen. Der Franz legte sich auf die Matratze. Der Gabi zu sagen, dass die für sie gedacht war, fand er unhöflich. „Gute Nacht!”, sagte der Papa, löschte das 44
Licht und ging aus dem Zimmer. Eine gute Nacht wurde es für den Franz nicht. Zuerst redete die Gabi wie ein Wasserfall. Davon, wie toll das Leben mit dem Baby sein werde. Mitternacht war vorüber, als sie endlich schwieg und der Franz einschlafen durfte. Und dann weckte sie ihn noch dreimal. Weil sie glaubte, das Telefon habe geklingelt. 45
Aber das hatte sie nur geträumt. Um fünf Uhr in der Früh dann rüttelte sie den Franz munter. Mit ihrer Mama, sagte sie, müsse etwas Schlimmes passiert sein. So lange dauere keine Geburt! Der Franz solle seine Mama wecken. Damit sie im Krankenhaus anrufe! Der Franz rappelte sich auf und tappte aus dem Zimmer. So verschlafen war er, dass er im Flur in den Kleiderständer lief. Der kippte und fiel
gegen
das
Schlüsselbrett.
Das
Schlüsselbrett plumpste von der Wand. Der Franz musste die Mama nicht wecken. Das hatte das Schlüssel-Geschepper erledigt. Die Mama kam aus dem Schlafzimmer. Der Franz deutete zu seinem Zimmer. „Sie will, dass du im Krankenhaus anrufst!”, sagte er.
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„Von mir aus”, murmelte die Mama, stellte den Kleiderständer auf und ging zum Telefon. Der Franz tappte zur Gabi zurück. „Sie telefoniert”, meldete er. Die Gabi hockte auf der Matratze, hatte Tränen in den Augen und sagte: „Ich habe vier Stunden gebraucht!” „Wofür?”, fragte der Franz. „Zum Auf-die-Welt-Kommen, du Depp”, schluchzte die Gabi. „Und die Oma sagt, beim zweiten Kind geht es viel schneller.” Der Franz lauschte zum Flur hin. Er hörte die Mama „Aha, aha” sagen und dann „Danke schön”. Gleich darauf stand sie in der Tür und rief lachend: „Gabi, du hast eine Schwester! Um Mitternacht ist sie gekommen, alles in bester Ordnung!” „Um Mitternacht?”, fragte die Gabi. Die Mama nickte. „Gemeinheit!”, schrie die Gabi. Sie ließ sich 48
auf das Bett fallen und zog sich die Decke über den Kopf. Die Mama ging zu ihr und streichelte über die Decke. Dort, wo darunter der Kopf der Gabi sein musste. Aus der Decke kreischte es: „Hau ab!” Die Mama flüsterte dem Franz zu: „Ich gehe raus, dir sagt sie eher, was los ist.” 49
Der Franz setzte sich zur Gabi. Er wusste: Zureden hilft bei ihr nie. Ärgern muss man sie, wenn man sie zum Reden bringen will. Deshalb fragte er: „Bist du plemplem?” Wie der Kuckuck aus der Uhr kam die Gabi aus
der
Decke.
Mit
Glitzerblick
und
Nasenzucken! Sie schrie: „Meine Eltern haben ein Baby, und ich bin ihnen schnuppe! Nicht mal angerufen haben sie, als es da war!”
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Lange schrie sie ihren Kummer raus. Dass das Baby nicht Sofi heißen wird, wie sie sich das wünscht, und dass der rote Kinderwagen garantiert nicht gekauft wird! Dass sie abgemeldet ist! Sie hat sich doch so sehr bemüht, das Baby zu mögen. Obwohl ein Baby das Letzte ist, was ihr fehlt! Aber nichts hat geholfen! Und sicher dürfen Schwestern bei einer Geburt dabei sein, ihre Eltern haben sie aber nicht dabeihaben wollen! Und wenn es der Franz genau wissen will: Das blöde Baby kann ihr gestohlen bleiben, sie hasst es wie die Pest! Dann verkroch sie sich wieder. Sie tat dem Franz Leid. Er wusste nicht, wie er sie trösten sollte. Weil ein ratloser Franz immer die Mama um Rat fragt, lief er zu ihr. Erzählen, was mit der Gabi los war, musste er nicht. Ihr Geschrei war bis ins Schlafzimmer zu 51
hören gewesen. Die Mama sagte: „Sie wird schon merken, dass ihre Eltern sie so lieb haben wie früher.” Der Papa sagte: „Der Josef hat sich auch so aufgeführt, als du gekommen bist. Es ist nicht leicht, Geschwister zu kriegen.” Nun war der Franz total ratlos. Jetzt tat ihm auch das Baby Leid. Er dachte: Wenn sich der Josef bei meiner Geburt wie die Gabi aufgeführt hat, wird die Gabi später zu ihrer Schwester so sein wie der Josef zu mir! Da hat die Schwester ein schweres Leben! Und die Mama und der Papa sagen immer, man soll zu denen halten, die es schwer im Leben haben! Aber ich liebe die Gabi. Wie soll ich es schaffen, gegen sie zum Baby zu halten?
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„Ich habe ein Problem”, piepste der Franz. Die Mama sagte: „Später, Franz, lass mich noch ein bisschen schlafen.” Sie legte sich das Kissen über den Kopf. Der Franz sah zum Papa. Der hatte auch das Kissen auf dem Kopf. So schlich der Franz aus dem Schlafzimmer. Zum Klo. Wenn er nachdenken will, sitzt er gern auf der Klomuschel. 53
Mit der Klo-Sitzung wurde es nichts. Der Josef hockte dort. Bei offener Tür. Er fragte: „Was brüllt die Gabi, als ob SIE ein Baby kriegt?” Der Franz sagte: „Sie denkt, dass ihre Eltern jetzt nur noch das Baby lieb haben. So was von blöd!” 54
Der Josef sagte: „So blöd ist das nicht.” Dass sein Bruder die Gabi in Schutz nahm, hatte der Franz noch nie erlebt. „Sie hasst das Baby wie die Pest!”, sagte er. „Fällt einem bei Babys nicht schwer”, sagte der Josef. „Das Baby kann doch nichts dafür”, sagte der Franz. Seine Stimme war piepsig. „Na und?”, rief der Josef. „Für seine Gefühle kann der Mensch nichts, wenn er hassen muss, hasst er. So ist das Leben.” „So ist das Leben nicht”, piepste der Franz. „Du hast vom Leben keine Ahnung”, rief der Josef. „Halt also die Klappe!” Da klingelte es an der Wohnungstür. Der Franz schlug die Klotür zu und lief in den Flur. Der Gabi-Papa war gekommen! „Ist mein Engelchen schon munter?”, fragte er 55
und lief ins Zimmer vom Franz. Der Franz schlich hinterher, bis zur Tür. Dort stand er dann und hörte den Gabi-Papa mit der Gabi reden. Der Gabi-Papa sagte: „Du hast eine
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Schwester, Engelchen, eine Sofi!” Dann sagte er, dass er um Mitternacht nicht angerufen habe, weil er sein Engelchen nicht wecken wollte! Mitten in der Nacht hätte sein Engelchen sowieso nicht ins Krankenhaus kommen können. Aber nun warteten Mama und Baby schon sehr auf sein Engelchen! Und in die Schule könne sein Engelchen heute nicht gehen, es müsse mit ihm den roten Kinderwagen kaufen und sonst sei auch viel zu tun, wobei ihm sein Engelchen helfen müsse! Der Josef war aus dem Klo rausgekommen. Er hatte sich neben den Franz gestellt und auch zugehört. „Na?”, sagte der Franz und piepste nicht mehr. „Keine Spur von Nicht-mehr-lieb-Haben!” Der Josef tippte sich an die Stirn. „Heuchler!”, sagte er. „Zugeben tun Eltern das nie!” 57
Ein halbes Stündchen später ging eine quietschfidele Gabi mit ihrem Papa weg. Bevor sie ging, flüsterte sie dem Franz zu: „Was ich über die Sofi gesagt habe, vergiss, das war nicht ernst gemeint!”
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Warum der Franz einen großen Hut kriegt
Als die Gabi weg war, sagte die Mama zum Franz: „Jetzt bin ich putzmunter, jetzt können wir über dein Problem reden.” Der Franz überlegte, ob er noch ein Problem habe. Fast hätte er gesagt, dass er nun keines mehr habe. Weil doch die Gabi das Baby wieder lieb hatte. Doch da kam der Papa und sagte: „Wie schnell die Zeit vergeht! Mir ist, als ob es erst gestern gewesen wäre, dass ich dem Josef unseren winzigen Franz zeige!” Er lächelte: „Das war schön, wie er das Baby sah und seine Eifersucht zu Liebe wurde.” Der Franz dachte: Ist aber nicht so geblieben! Bei der Gabi wird es dann wohl auch nicht so bleiben! 59
„Stör uns nicht”, sagte die Mama zum Papa. „Wir müssen Probleme besprechen!” „Pardon”, sagte der Papa und ging ins Bad. Der Franz sagte zur Mama: „Ich glaube, es wäre besser, wenn Eltern alle ihre Kinder auf einmal kriegen.” 60
„Wie bitte?”, fragte die Mama. Der Franz sagte: „Wer zwei Kinder will, kriegt Zwillinge, wer drei will, kriegt Drillinge, und wer vier will, kriegt Vierlinge!” „Warum?”, fragte die Mama. Der Franz sagte: „Damit kein Kind, das schon da ist, Angst hat, dass die Eltern es nicht mehr lieb haben. Und damit kein Kind, das später kommt, von dem Kind, das schon da ist, deswegen gemein behandelt wird!” Die Mama rieb sich mit dem Zeigefinger den Nasenrücken. Das tut sie gern, wenn sie nachdenkt. Dann sagte sie: „Da hätte ich zwei Josefs und keinen Franz.” Der Franz sagte: „Wenn du mit dem Babykriegen fünf Jahre gewartet hättest, hättest du zwei Fränze.” „Ich bin aber mit einem Josef und einem Franz sehr zufrieden”, sagte die Mama. „Und wenn ich mir vorstelle, dass nebenan zwei Gabis wohnen, 61
gefällt mir deine Idee noch weniger.” „Zwei Gabis?” Der Franz rieb sich nun auch mit dem Zeigefinger den Nasenrücken. Echt wahr, dachte er, das wäre ein bisschen sehr viel Gabi! Die Mama zog den Franz auf den Schoß. „Dann wirst du die Gabi eben trösten”, sagte sie, „wenn sie mal wieder denkt, dass ihre Eltern das Baby lieber haben als sie.” „Und wenn sie gemein zum Baby ist?”, fragte der Franz. „Dann wirst du das Baby in Schutz nehmen”, sagte die Mama. „Das ist ja das Problem”, rief der Franz. „Wie soll denn das unter einen Hut gehen?” Die Mama gab dem Franz einen Kuss. „Ich kaufe dir morgen einen riesengroßen Hut”, sagte sie, „einen mit ganz breiter Krempe!” „Okay!”, sagte der Franz. „Aber wenn er mir 62
über beide Ohren rutscht, musst du mir helfen, ihn wieder richtig aufzusetzen.” Der Franz kuschelte sich an die Mama und war sich ziemlich sicher, dass er das schon irgendwie hinkriegen wird.
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