Frühling des Herzens
Flora Kidd
Bianca 108 11-1/79
Gescannt von almutK
Korrigiert von Claudia_L
1. KAPITEL
Der...
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Frühling des Herzens
Flora Kidd
Bianca 108 11-1/79
Gescannt von almutK
Korrigiert von Claudia_L
1. KAPITEL
Der Wind pfiff durch den Schornstein. Das Kaminfeuer im Wohnzimmer des ArdgourHauses wirbelte auf und befleckte den glänzenden viktorianischen Schrank mit Ruß. Alexa Morton saß auf dem mit Chintz bezogenen Sessel am Fenster. Sie presste ihre Stirn gegen das kalte Glas und fragte sich, weshalb sie eigentlich an die Nordwest-Küste des Schottischen Hochlands gekommen war. Sie konnte kaum etwas erkennen, denn hinter der niedrigen Steinmauer, die den Vorgarten von dem schmalen Weg trennte, lag nur dicker grauer Nebel. Die Ursache dafür waren das vom Wind aufge peitschte Wasser und die tief hängenden grauen Wolken, die von einem heftigen Sturm landeinwärts getrieben wurden. Gestern abend war sie mit dem Bus aus Fort Williams eingetroffen, und seitdem hatte es unaufhörlich gestürmt. „Zu schade, dass das Wetter so schlecht ist", meinte Mrs. Maitland, die mit einer Schaufel Kohle für den Kamin hereinkam. Sie war die Besitzerin des Hauses. Nach dem Tod ihres Mannes hatte sie es in ein Gästehaus umbauen lassen. Leute, die Spaß an Spaziergängen und am Fischen hatten, verbrachten hier auf der malerischen Ardgour-Halbinsel ihre Ferien. „Normalerweise ist es im März mild und sonnig", fuhr Mrs. Maitland fort. Sie kniete sich vor den Kamin und legte die Holzkohle aufs Feuer. „Zumindest schneit es nicht", erwiderte Alexa. „Ich bin mir nicht mehr so sicher, dass wir vom Schnee verschont bleiben", sagte Mrs. Maitland in der ihr eigenen nüchternen Art. „In der Wettervorhersage meinen sie, in höheren Gegenden sei durchaus mit Schnee zu rechnen." Sie stand auf. „Wann kommt eigentlich dieser Freund von Ihnen?" „Er hat gesagt, er sei gegen halb sechs hier." „Ich hoffe, er kommt über den Glencorrie-Paß, bevor es zu schneien anfängt. Schon beim leichtesten Schneefall besteht die Möglichkeit, nicht mehr durchzukommen. Was sagten Sie, wie er heißt?" Obgleich sie genau wusste, dass Mrs. Maitland den Namen kannte, beantwortete sie die Frage. „George Lawson." „Und er ist Ihr Chef, haben sie gesagt? Und er möchte ein Zimmer für zwei Nächte?" „Genau." Alexa wandte sich ab und blickte wieder zum Fenster hinaus. Sie hatte genug davon, der neugierigen Mrs. Maitland ihre Fragen über George zu beantworten. Sie konnte noch immer nicht so recht begreifen, dass sie hier saß und auf seine Ankunft wartete. Es war seine Idee gewesen, dass sie ein Wochenende im Hochland verbrachten. „Ich muss in Fort Williams einen alten Mann aufsuchen", hatte er gesagt. „Als er noch in Edingburgh lebte, hat er sein Testament mit uns gemacht. Jetzt möchte er es ändern. Ich dachte, Sie könnten mitkommen. Wir könnten Donnerstag losfahren und Freitag freinehmen, wenn alles erledigt ist. Wir könnten irgendwo bleiben, wo es ruhig ist, könnten Spazierengehen und reden. Hier scheint es nie eine freie Minute zu geben. Wissen Sie, wo wir übernachten könnten?" Sie hatte ihm von der Ardgour-Halbinsel erzählt, wo sie viele glückliche Sommerferien verbracht hatte. „Es gibt dort ein Gästehaus. Obgleich die Saison eigentlich nicht vor Mai anfängt, glaube ich doch, dass Mrs. Maitland uns beherbergt. Ich bin mit meiner Mutter, mit Lawrie und Catriona jedes Jahr in den Ferien dort gewesen." „Dann fahren Sie voraus und arrangieren alles. Ich bin sicher, Cathy Forbes, meine Haushälterin, kommt ein paar Tage allein mit den beiden Mädchen zurecht", hatte George erwidert.
Alexa hatte Mrs. Maitland angerufen und zwei Einzelzimmer bestellt. Dann hatte sie ihrer Mutter von dem Plan berichtet. „Erzählst du mir das, weil du meine Meinung dazu hören möchtest?" hatte Margery geradeheraus gefragt. „Ich glaube schon." „Ich denke, er wird um deine Hand anhalten. Vorsichtige Männer wie George Lawson verbringen kein Wochenende mit ihrer Sekretärin, wenn sie nicht etwas Besonderes im Sinn haben. Er gehört nicht zu den Typen, die mit ihren Sekretärinnen herumspielen." „Ich hoffe nicht", hatte Alexa erwidert. „Ich würde nicht mit ihm fahren, wenn er so wäre. Aber wie kommst du darauf, dass er um meine Hand anhalten wird?" „Ach, ein oder zwei Bemerkungen, die er in letzter Zeit gemacht hat. Er ist ein anständiger Mann, Alexa. Es könnte dir Schlimmeres passieren, als ihn zu heiraten. Er ist ruhig und zuverlässig, weiß, wie eine Ehefrau behandelt. Genau gesagt, kann ich nicht verstehen, wieso seine Frau ihn und die Mädchen damals verlassen hat." „Ich weiß nicht, ob ich heiraten möchte", hatte Alexa gesagt. „Ich mochte noch immer Jura studieren und Anwältin werden." „Es besteht kein Grund, das nicht zu tun, wenn du verheiratet bist, besonders wenn dein Mann Anwalt ist. Denk an mich, ich habe mich nie von meinen Plänen abhalten lassen. Und ich war zweimal verheiratet." „Ja, ich weiß, aber ...", hatte Alexa begonnen, doch wie gewöhnlich hatte ihre Mutter sie unterbroche n. „Du zögerst wahrscheinlich, weil er wesentlich älter ist als du", hatte Nie gemeint. „Mutter, all dies sind doch nur Vermutungen. Bis jetzt hat George mich noch nicht gefragt", hatte Alexa mit einem kleinen Lachen protestiert. „Und vielleicht hält dich die Verantwortung für die beiden Mädchen ab", hatte Margery gesagt. „Ja, ich verstehe das. Stiefmutter zu sein ist nicht leicht. Niemand weiß das besser als ich." „Du warst immer wunderbar zu Cat", hatte Alexa eingewandt. „Manchmal zweifle ich daran. Wäre sie damals in dem Sommer davongelaufen, wenn ich alles richtig gemacht hätte?" Alexa holte tief Luft und blickte durch den grauen Wolkenvorhang auf die andere Seite der Bucht. Im kommenden Sommer sind es fünf Jahre, seit ihre Stiefschwester Catriona mit Ro n Letham davongelaufen war. Ron war der Neffe von Sir Hugh Letham, dem Besitzer von Caisteal nan Creagh, dem Schloss auf dem Felsen. Die ehemalige Festung stand auf einer winzigen felsigen Insel in der Bucht. Nur sechs von vierundzwanzig Stunden täglich war sie durch einen Dumm aus Kies und Felsen mit dem Festland verbunden. Das alte Schloss war seit Jahrhunderten im Besitz der Letham-Familie. Nach «einer Pensionierung hatte Sir Hugh, ehemals Direktor einer großen Baugesellschaft, das Innere in ein gemütliches Heim umgebaut, ohne das Äußere des Schlosses zu verändern. „ Lebt irgend jemand im Schloss?" fragte Alexa Mrs. Maitland, die die Rußflecken vom Schrank abwischte. „Nicht seit dem Tod von Sir Hugh. Er war der einzige, der das Haus geliebt hat. Seine Tochter Hester Carstairs hat sich nichts daraus gemacht", war ihre Antwort. Alexa blickte wieder zum Fenster hinaus. Die niedrigen Wolken ein wenig höher, und sie erkannte die Umrisse des Schlosses vor den Hügeln auf der anderen Seite der Bucht. Auf einmal tauchte die Sonne kurz zwischen den Wolken auf, und die Steinwände des Schlosses schimmerten silbergrau. „Es scheint wie eine Ewigkeit, dabei ist es noch gar nicht so lange her", überlegte Alexa. „Was?" fragte Mrs. Maitland und sah sie sofort wieder neugierig an. „Diese Sommer, die wir hier verbracht haben, und der Spaß, den Catriona und ich mit
Charlie und Helen Carstairs, Sir Hughs Enkelkindern, hatten", erwiderte Alexa. Sie erhob sich aus ihrem Sessel. „Das Wetter scheint sich aufzuklären. Ich mache einen kleinen Spaziergang. Wir haben Ebbe, vielleicht kann ich sogar hinüber zum Schloss gehen." „Dann müssen Sie aber auf die Zeit achten", warnte Mrs. Maitland sie. „Bei diesem Wetter kommt die Flut schnell. Ich würde Mr. Lawson bei seiner Ankunft nicht gern erzählen, dass Sie auf der Insel gestrandet sind." „Keine Sorge", erwiderte Alexa. „In all den sechs Jahren, die ich hier verbracht habe, bin ich nicht ein einziges Mal dort gestrandet." Fünfzehn Minuten später war Alexa draußen am Wasser. Sie trug kniehohe Lederstiefel, eine braune Cordhose und eine mollige, flauschige, beigefarbene Jacke mit einem kleinen Pelzkragen. Es war noch immer sehr windig, und ihr langer Schal flatterte wie eine Fahne. Es war viel kälter, als sie geglaubt hatte, und da sie keine Handschuhe dabei hatte, steckte sie ihre Hände tief in die Taschen ihrer warmen Jacke. Aber es tat gut, draußen zu sein, die salzige Seeluft einzuatmen. Alexa musste schnell gehen, um sich warm zu halten. Bald kam sie zu dem weißen kleinen Häuschen, das Angus MacQuarrie gehörte, einem hiesigen Fischer. Das kleine Haus stand zwischen ein paar windgebeugten Tannen. Direkt davor führte der Weg entlang, der von der Küstenstraße zum Damm führte. Mit vom Wind geröteten Wangen trat Alexa auf den Damm. Er war gerade breit genug, dass ein Auto ihn befahren konnte. Die hohen Wellen hatten Algen und Seetang hinauf geschleudert. Es war glitschig und machte das Gehen schwierig. Sie blickte auf ihre Armbanduhr. Es war beinahe halb vier. Eine Stunde blieb ihr, um hinüberzugehen, die Insel zu umrunden und aufs Festland zurückzukehren. Der Damm war nur einen guten Kilometer lang, also müsste die Zeit ausreichen. Und wenn sie zurück war, müsste inzwischen auch George im Ardgour-Haus eingetroffen sein. Im letzten Augenblick hatte er seine Pläne geändert, so dass sie nicht gemeinsam nach Fort William fahren konnten. Mittwoch abend hatte er sie angerufen und gesagt, dass er etwas anderes, Wichtiges zu erledigen hatte. „Aber Sie fahren los, direkt nach Ardgour", hatte er sie bedrängt. „Immerhin habe ich Ihnen zwei Tage frei gegeben. Vergeuden Sie sie nicht. Ich komme Freitag nach. Wir verbringen den Sonnabend gemeinsam und fahren Sonntag nach Fort William, damit wir Montag mit dem alten Mann sprechen können." Sie hatte keinen Augenblick gezögert, ohne ihn zu fahren. Ardgour war eine Verlockung gewesen. Obgleich das Wetter besser hätte sein können, war sie froh, draußen zu sein und zum Schloss laufen zu können, das immer einen Zauber auf sie ausgeübt hatte. Sie musste stark gegen den Wind ankämpfen, um vorwärts zu kommen. Die flüchtigen Sonnenstrahlen waren wieder verschwunden, und die hohen, flachen Mauern des Schlosses wirkten dunkel und unheimlich. Nur hin und wieder wurden die Mauern durch kleine, geheimnisvoll wirkende Fenster unterbrochen. An einer Seite des flachen Daches stieg ein kleiner Turm empor. Wie oft war sie schon mit Charlie und Helen die schmale Wendeltreppe zu dem Türmchen hinaufgestiegen! Von der Rückseite des Schlosses zur Vorderseite zu gehen, war noch schwieriger als das Überqueren des Dammes. Während sie mit gesenktem Kopf gegen den Wind ankämpfte, sah sie Anzeichen der Vernachlässigung. Das Gras, damals kurz und gepflegt, war jetzt hoch und voller Unkraut. Die Stufen zur großen Eichentür waren mit Moos bewachsen. Schließlich kam sie um die Ecke. Nicht nur der Wind war schuld daran, dass sie abrupt stehen blieb. Es war der Anblick eines Jaguar-Sportwagens, der vor dem bogenförmigen Eingang zum Keller des Schlosses geparkt war. Es musste jemand im Schloss sein. Vielleicht war Charlie hier. Vielleicht war er für ein Wochenende aus Glasgow hergekommen. Vielleicht war sogar Helen bei ihm. Beim
Gedanken, ihre Freunde wiederzusehen, verspürte Alexa ein tiefes Gefühl der Freude. „Dies ist ein Privatgrundstück, und das Betreten ist verboten." Die Stimme hinter ihr schreckte sie auf. Es war eine bekannte, etwas heisere Stimme mit einem leichten ausländischen Akzent, der unge heuer faszinierend wirkte. Zum letzten Mal hatte sie diese Stimme vor beinahe fünf Jahren gehört. Eigentlich hätte sie sie inzwischen vergessen müssen. Alexa wandte sich nicht um. Immerhin war es möglich, dass ihre Phantasie mit ihr durchging. Beim Gedanken an Charlie und Helen hatte sie vielleicht einen Geist heraufbeschworen. Jeder sprach davon, dass es Geister auf der Schloss -Insel gab, und wenn man sie bei stürmischem Wetter besuchte, konnte man die Stimmen derer hören, die hier einmal gelobt hatten. „Suchen Sie jemand?" beharrte die Stimme. Sie blickte sich um. Sie erkannte den Mann mit seinen lebhaften blauen Augen sofort. Es war Ron Letham. „Ich dachte, Charlie und Helen sind hier", sagte sie atemlos. Sie hoffte, dass ihr Ausdruck nicht die Aufregung verriet, die sie bei seinem unerwarteten Anblick verspürte. Auf den ersten Blick schien er sich nicht verändert zu haben. Er war groß, breitschultrig und hatte sehr schmale Hüften. In seinen Augenwinkeln lagen vielleicht ein paar Fältchen mehr, und seine Wangen waren schmaler. Aber sein vom Wind zerzaustes Haar war noch immer tief schwarz, und der Kontrast zwischen den dunklen Brauen und den blauen Augen war nach wie vor faszinierend und verwirrend. „Charles hat letzten Sonnabend geheiratet. Ich war bei Hochzeit. Er ist jetzt auf den Bahamas - Flitterwochen. Ich glaube, Helen macht mit ihrer Mutter Urlaub auf Mallorca", erwiderte er kühl. Dann beugte er sich vor und musterte sie mit leicht zusammengekniffenen Augen. „Kenne ich Sie nicht?" fragte er. Ein Anflug von Enttäuschung wallte in ihr auf, weil er sie nicht sofort erkannt hatte. Schon drehte sie sich auf dem Absatz um und wollte gehen, als er sie am Arm festhielt. „Warten Sie", sagte er. „Ich habe also ein schlechtes Gedächtnis. Oder Sie haben sich so sehr verändert." Er hob eine Hand und nahm eine Strähne ihres blonden Haars. „Blond." Sein Mund öffnete sich zu einem breiten Lächeln. „Du bist Alexa", sagte er. „Ali Morton. Ich hätte nicht geglaubt, dich zu dieser Jahreszeit hier zu sehen. Machst du Ferien?" "Ja, ein paar Tage." „Im gleichen Hotel?" „Ja." Sie befreite ihren Arm aus seinem Griff. „Mit deinen Eltern?" „Nein ... äh ... mit einem Freund." „An einem Tag wie diesem war es ein bisschen riskant, hierher zu kommen." Ein plötzlicher Hagelschauer traf die Insel. Ein paar der Körner prasselten laut aufs Dach des Wagens. Beide wandten sich um und liefen mit gebeugten Köpfen zum Haus. „Du kommst besser herein, bis es vorbei ist", sagte Ron Letham. „Nein", begann sie zu protestieren. „Sei nicht albern. Du kannst jetzt nicht zurück. Du kannst nicht sehen, wohin du trittst und könntest ins Wasser laufen. Komm herauf." Schweigend gestand sie ein, dass er wahrscheinlich recht hatte. Es wäre sehr unklug, jetzt den Damm zu überqueren. Alexa ging die Treppen zur Eingangstür hinauf. Sie hörte ihn husten, als er ihr folgte. Die Tür öffnete sich zu der riesigen Halle des Schlosses. Sir Hugh hatte sie mit Sorgfalt renoviert. Er hatte die Steinwände erhalten, vor denen sich seine Sammlung alter Rüstungen und Schwerter sehr gut machte. Aber er hatte gleichzeitig ein behagliches Esszimmer mit einem langen Tisch und gemütlichen Stühlen daraus gemacht. „Hier entlang", sagte Ron. Nach einem weiteren Hustenanfall war seine Stimme noch
heiser. Er führte sie einen Flur entlang in die große Küche, wo das elektrische Licht einen tiefen Glanz auf die schweren Kupfertöpfe warf, die überall an den Wänden hingen. Alexa blieb zögernd in der Tür stehen. Sie erinnerte sich, wie oft sie hier gesessen hatte, bevor sie mit ihren Freunden zum Reiten, zum Segeln oder zum Spazierengehen ging. Er sah noch genauso aus wie früher, nur stand jetzt ein ganzer Berg schmutzigen Geschirrs im Spülbecken und auf dem Tisch. „Ich habe keinen Besuch erwartet, sonst hätte ich abgewaschen", erklärte Ron mit einer Spur von Spott in seiner Stimme, während er aus seiner weichen Schaffelljacke schlüpfte. Er warf sie auf den nächsten Stuhl, deutete auf einen anderen und sagte: „Setz dich und mach's dir gemütlich. Möchtest du etwas trinken? Ich habe allerdings keine große Auswahl. Kaffee oder Scotch." „Nein, danke, ich kann nicht bleiben. Ich muss bald gehen, oder ich komme nicht mehr zurück", sagte sie. Er wandte sich um und sah sie an. In einer Hand hielt er die Whiskyflasche, die er aus dem Schrank genommen hatte. „Die Flut kommt", erklärte sie. „Wenn ich nicht gehe, bevor der Damm überschwemmt ist, muss ich auf die Ebbe warten, und das ist nicht vor morgen früh." „Ich verstehe", sagte er, und seine Augen leuchteten auf. „Und das findest du beunruhigend, nicht wahr? Bist du sicher, dass du keinen Scotch trinken möchtest?" fragte er und öffnete die halbleere Flasche. „Es ist eine gute Marke. Onkel Hugh hat ein paar Fluschen davon im Keller hinterlassen. Ich trinke ihn gegen meine Erkältung. Entweder das Klima hier hat sich verschlechtert oder die Zeit in den Tropen hat mein Blut verdünnt. Ich schaffe es einfach nicht, mich warm zu halten." „Nein, danke. Ich trinke keinen Alkohol", sagte sie und sah zu, wie er ein Glas mit der goldgelben Flüssigkeit füllte. Er nahm das Glas und ließ den Inhalt langsam seine Kehle hinunterfließen. „Du bist erwachsen geworden, seit ich dich letztes Mal gesehen habe", sagte er. „Du bist größer und schlanker. Vielleicht habe ich dich deshalb nicht sofort erkannt. Ich wüsste gern, ob du noch immer so unschuldig bist wie vor fünf Jahren." Über den Rand seines Glases hinweg schaute er sie herausfordernd an. Wie sehr er sie auch provozierte, Alexa beschloss kalt zu bleiben. Sie ballte in ihren Taschen die Hände zu Fäusten und sah, wie er den ganzen Inhalt des Glases trank und es sofort wieder füllte. „Wann bist du nach Schottland gekommen?" fragte sie höflich. „Vor zwei Wochen. Nach Charlies Hochzeit bin ich hierher gekommen. Onkel Hugh hat mir dieses Haus hinterlassen — sehr zum Ärger meiner Cousine Hester." „Willst du immer hier leben?" „Ich weiß nicht. Es hängt davon ab, wie es mir gefällt. Bei diesem Wetter mag ich es nicht. Aber für den Augenblick habe ich ein Dach über dem Kopf, während ich..." Er hielt inne, als ein weiterer Hustenanfall seinen Körper schüttelte. „Tut mir leid", entschuldigte er sich. „Bei meiner Ankunft in Glasgow habe ich eine Grippe bekommen, und dieser schreckliche Husten ist ein Nachbleibsel davon." „Du solltest im Bett liegen und dich warm halten", schlug sie impulsiv vor. Unerwartet spürte sie Mitleid mit ihm. Von dem Gefühl erschrocken, versuchte sie es abzuschütteln. Was ging es sie an, wenn er krank war? Er hatte sich nie für andere interessiert und immer den Eindruck gemacht, völlig selbstsüchtig zu sein. Vor fünf Jahren hatte er sowohl sie als auch ihre Stiefschwester ohne Rücksicht auf ihre Gefühle ziemlich grob behandelt. Weshalb sollte sie sich jetzt sorgen, wenn er hustete? „Mit der Art von Behandlung bin ich völlig einverstanden, solange ich sicher sein kann, dass du mir Gesellschaft leistet", sagte er und wieder funkelte Spott in seinen Augen auf. „Ich meine es ernst, Ron. Du kannst dir eine Lungenentzündung holen." „Und ich meine es auch ernst, Alexa", erwiderte er. „Komm mit mir ins Bett. Du kannst bestimmt Wunder für meine Gesundheit vollbringen."
Sie knirschte mit den Zähnen, um das Gefühl von Erregung zu unterdrücken, das sie bei seinem Vorschlag überkam. Aber sie antwortete nicht. „Nicht interessiert?" fragte er. „Nein. Ich erinnere mich noch sehr gut, was du Catriona angetan hast", sagte sie. „Warst die ganze Zeit auf sie eifersüchtig, nicht wahr?" meinte er. „Nein. Das war ich nicht." Ihre Stimme klang schärfer, als sie beabsichtigte. „Weshalb sollte ich?" „Weil sie getan hat, was du gern wolltest, und mit mir nach London gefahren ist." „Ich halte mich für einen Glückspilz, dass ich nicht mit dir gefahren bin", erwiderte sie kühl. „Nach ihren Berichten hast du Cat ziemlich schlecht behandelt." „Ach, habe ich das?" Überrascht zog er die Brauen hoch. „Das ist mir neu. Bitte erzähl mir mehr davon. Ich war immer der Meinung, dass ich sie unter den Umständen besonders gut behandelt habe." „Sie verlassen nennst du gut behandeln?" rief Alexa. „Ach komm, das geht ein bisschen zu weit, ja?" entgegnete er. Er hob die Whiskyflasche, um sein Glas zum dritten Male zu füllen. Alexa sah besorgt zu. Sie fragte sich, wie lange es noch dauerte, bis der Alkohol ihn betrunken machte. „Wie konnte ich sie verlassen, wenn sie kein Anrecht auf mich hat?" meinte er. „Ich habe ihr keinerlei Versprechungen gemacht. Ich habe mich lediglich einverstanden erklärt, sie mit nach London zu nehmen. Was sie dort gemacht hat ist ihre eigene Angelegenheit." „Aber sie hat in deiner Wohnung in Chelsea gewohnt. Sie hat mir erzählt, sie hat beinahe sechs Wochen mit dir zusammen gelebt." Er starrte sie mit zusammengekniffenen Augen nachdenklich an. Dann blickte er hinunter in das Glas in seiner Hand und zog die Stirn in Falten. „Mit mir gelebt", wiederholte er langsam. „Ich vermute, sie hat damit gemeint, wir hätten zusammen geschlafen. Stimmt's?" Er warf ihr einen kühlen Blick zu, und sie nickte. „Sie hatte schon immer eine lebhafte Phantasie und den Hang zum Übertreiben", fuhr er ärgerlich fort. „Genau gesagt, war sie eine verdammte Lügnerin." „Das stimmt nicht", fuhr Alexa ihn wütend an. „Sie hat geglaubt, du liebst sie und hast sie deshalb gebeten, mit nach London zu kommen." „Aber ich habe sie nicht gebeten mitzukommen", antwortete er. „Sie ist gekommen und hat mich gefragt, ob ich sie mitnehme. Sie stand dort beim Wagen, als ich an dem Morgen an Land ging." Er blickte sie wieder scharf an. „Du hast ihr wahrscheinlich erzählt, wann ich abfahre?" sagte er, und Alexa musste zustimmend nicken. „Aber es stimmt nicht, dass sie dich gebeten hat, sie mitzunehmen", stritt sie ab. „Sie hat mir gesagt, du hast sie überredet mitzufahren. Du hast sie hintergangen. Du hättest ihr Leben ruinieren können." „Mein Gott, wie melodramatisch!" "lachte er auf. „Sie hat mir erzählt, sie wollte nach London, um ein paar Freunde zu treffen, die in einer Popgruppe spielen. Sie hat gesagt, ihre Eltern wüssten Bescheid. Wenn ich ihr. nicht geglaubt hätte, hätte ich sie nicht mitgenommen. Als wir in London ankamen, hat sie sich mit ihren so genannten Freunden in Verbindung gesetzt, oder sie hat es jedenfalls gesagt. Sie wollte nichts von ihr wissen. Und was sollte ich dann tun? Sie hatte kein Geld und wusste nicht, wo sie bleiben sollte. Also habe ich ihr eine Unterkunft beschafft, bis sie entschieden hatte, ob sie zurück nach Hause wollte oder in London bleiben würde." Er trank noch mehr Whisky und blickte Alexa an. „Ich hätte sie in den nächsten Zug nach Edinburgh setzen sollen", fügte er verbittert hinzu. „Und dann bist du weggegangen", beschuldigte sie ihn. „Nicht sofort. Aber als es für mich Zeit zum Aufbruch wurde, hing sie immer noch unentschlossen herum. Ich habe gesagt, sie kann in meiner Wohnung bleiben, bis die Miete abgelaufen ist." Er holte tief Luft. „Ich sehe deinem Gesichtsausdruck an, dass ihre Version der Geschichte völlig anders ist als meine." Er zuckte mit den Schultern. „Gut, also hast du mich als einen herzlosen Kerl abgestempelt, der sich
nimmt, was er will, und dann verschwindet. Und alles, was seitdem mit ihr geschehen ist, ist meine Schuld. Ist es so?" Er trank den Rest seines Whiskys aus und setzte das Glas auf dem Tisch ab. Verwirrt durch seine Erklärung musterte Alexa ihn. Sie erinnerte sich, wie unglücklich Catriona gewesen war, als sie nach Edinburgh zurückgekehrt war. Stundenlang hatte sie bei ihr im Zimmer gesessen und von ihren Erlebnissen erzählt. Sie hatte von dem luxuriösen und gemütlich eingerichteten Appartement erzählt und wie glücklich sie eine Weile gewesen war, während sie an seine Liebe geglaubt hatte. Alexa hatte versucht, ihre Eifersucht zu unterdrücken, und hatte Catriona mitleidig getröstet, als sie erzählte, dass Ron sie verlassen und in der großen Stadt ohne Freunde allein gelassen hatte. Ohne Geld, so dass sie nach Edinburgh per Anhalter hatte fahren müssen. „Wo ist Cat jetzt?" Rons Stimme klang besorgt. „Das erzähle ich dir nicht", antwortete sie. „Warum nicht?" Er war überrascht. „Weil ich nicht möchte, dass du es weißt." „Und trotzdem behauptest du, du bist nicht eifersüchtig auf sie", lachte er. Diesmal erzielte sein Spott die gewünschte Wirkung. Ärger wallte in ihr auf, den sie nicht unter Kontrolle halten konnte. „Du hast dich nicht verändert", fuhr sie ihn an. „Du bist noch immer genauso eingebildet und arrogant wie eh und je. Cat ist glücklich, ohne dass du sie besuchst, und auch ich werde hier keine Minute länger bleiben." „Das würde ich auch nicht, wenn ich du wäre, oder du musst die ganze Nacht bleiben", rief er ihr nach, als sie wütend aus dem Zimmer stürmte. Sie hörte ihn husten, als sie den Flur entlanglief. Die Eichentür war schwer zu öffnen. Doch als sie draußen im Hagel rar, verspürte sie tiefe Erleichterung, dabei die Tür heftig hinter sich zuzuschlagen. Sie wusste, sie war ziemlich lange im Schloss geblieben und lief deshalb die glitschigen Steintreppen schnell hinunter. Doch auf der zierten Stufe rutschte sie aus und glitt den Rest auf ihrem Hinterteil hinunter. Unsicher stand sie auf und wurde sofort von einer heftigen Windboe ergriffen, die sie um die Ecke des Hauses in Richtung des Dammes drängte. Der Anblick des aufgepeitschten Wassers ließ sie einen leisen Fluch ausstoßen. Es war zu spät. Der Damm war bereits überschwemmt. Sofort dachte sie an das Ruderboot, das immer am Damm gelegen hatte, um Leute während der Flut zum Festland zu bringen. Ja, es war da. Es lag umgedreht im Gras in der Nähe der Mauer. Der Lack war fast abgesplittert, und die Holzplanken sahen ein wenig angeknackst aus, aber es schien noch seetüchtig zu sein. Doch es war zu schwer, um es allein herumzudrehen und zum Wasser zu tragen. Sie war also doch auf der Insel gestrandet. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als ins Schloss zurückzukehren und Ron zu sagen, dass sie nicht mehr weg konnte. Bei dem Gedanken an seine Schadenfreude kniff sie die Lippen zusammen. Wenn es nur eine andere Möglichkeit gäbe, als ihm noch einmal gegenüberzutreten. Sie kehrte zurück zur Treppe und stieg vorsichtig hinauf. Sie zog an der altmodischen Glocke und wartete. Er kam nicht, um ihr zu öffnen. Also drehte sie den schweren Griff herum und trat ein. Es wurde langsam dunkel, und die große Halle wirkte gespenstisch, als sie schnell den Flur zur Küche entlangeilte. Das elektrische Licht kam ihr freundlich und begrüßend vor, doch die Küche war leer. Das schmutzige Geschirr stand noch im Becken, aber das Glas und die Whiskyflasche waren verschwunden. Sie eilte den Flur zurück zur Halle und stellte sich an den Fuß der breiten Holztreppe, die zum ersten Stock hinaufführte. „Ron, wo bist du?" rief sie.
Die schweren Steinwände warfen ihre Stimme mehrmals im Echo zurück. Sie wartete eine Antwort ab, dann rief sie wieder. Doch Ron antwortete ihr nicht. Vielleicht hatte er ihren Vorschlag akzeptiert und hatte sich ins Bett gelegt. Mit der Whiskyflasche? Sie beschloss, lieber nicht hinaufzuge hen und nach ihm zu suchen. Statt dessen kehrte sie in die Küche zurück und blickte sich um. In einem plötzlichen Impuls löste sie ihren Schal, zog die Jacke aus und legte sie über Rons Jacke auf dem Stuhl. Dann wandte sie sich zum Tisch und begann ihn leerzuräumen.
2. KAPITEL
Während sie abwusch, bemerkte sie plötzlich das Telefon. Sie konnte Mrs. Maitland Bescheid sagen und erklären, was passiert war. Sie konnte sogar mit George sprechen, wenn er inzwischen eingetroffen war. Sie trocknete ihre Hände ab und nahm den Hörer ab. Kaum hatte sie ihn ans Ohr gelegt, da sah sie, dass das Telefon nicht angeschlossen war. Sie legte den Hörer wieder auf und kehrte zurück zum Spülbecken. Es dauerte einige Stunden, bis sie zurückgehen konnte, dachte sie. Sie rechnete nach. Ab zwei Uhr morgens konnte sie den Damm wieder überqueren. Jetzt war es halb sieben. Sie musste also siebeneinhalb Stunden warten. Mrs. Maitland würde sich sicher Sorgen machen, wenn sie nicht zurückkehrte. Da sie nichts von Rons Anwesenheit im Schloss wusste, würde sie vielleicht irgend welche Schritte unternehmen. Vielleicht bat sie Angus MacQuarrie, mit dem Boot zur Insel zu kommen. Der Gedanke beruhigte Alexa, während sie mit dem Abtrocknen begann und das Geschirr wegstellte. Sie brauchte nur Geduld zu haben, hier in der Küche zu warten und zu hoffen, dass Ron im Bett bleiben würde. Außerdem hatte sie alles, was sie brauchte. Es war warm, sie konnte sich etwas Warmes zu trinken machen und auch etwas essen. Sie hatte gerade den Kessel aufgesetzt, als der Wind heftiger als je zuvor gegen die Fenster schlug. Das elektrische Licht flackerte ein paar Mal, dann ging es aus. Alexa blieb still stehen und wunderte sich, dass kaum ein Lichtstrahl durchs Fenster drang. Die schweren Wolken machten es dunkler als üblich. Jetzt musste sie suchen und hoffen, dass er nicht zu betrunken war, damit er ihr sagen konnte, wo sie irgendeine Form von Notlicht finden konnte. Vorsichtig tastete sie sich hinaus auf den Flur. Es war völlig finster. Einen Moment blieb sie stehen. Sie wusste nicht genau, ob sie die richtige Richtung einschlug, und sie fürchtete sich, im Dunkeln gegen die Möbel oder die alten Rüs tungen zu stoßen. Auf einmal standen ihr die Haare im Nacken zu Berge, und ein Schauer lief ihr über den Rücken. Außer dem Rasseln des Windes hörte sie ein anderes Geräusch. Irgendwo wurde eine Tür geöffnet, und die Fugen quietschten. „Ron, bist du es?" rief sie. Eine weitere Bö peitschte gegen das Schloss, und sie konnte nicht hören, ob auf ihre Frage geantwortet wurde. Doch als es ruhiger wurde, hörte sie vorsichtige Schritte an der anderen Seite der Halle. „Ron!" rief sie wieder. „Ich bin es, Alexa. Ich musste zurückkommen. Die Flut hatte den Damm schon überschwemmt, und jetzt ist die Elektrizität zusammengebrochen." „Das habe ich gemerkt!" war seine Antwort. „Weshalb hast du mir nicht früher gesagt, dass du zurück bist? Du hast mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt, aus der Dunkelheit heraus mit mir zu sprechen." „Tut mir leid. Ich habe dich gerufen, als ich zurückgekommen bin." „Ich war im Arbeitszimmer. Ich habe dich nicht gehört. Wo bist du jetzt?" „In der Nähe des Ganges zur Küche." Sie hatte ge rade zu Ende gesprochen, als es ein polterndes Geräusch gab, dem ein lautes Fluchen in Portugiesisch folgte. „Was hast du gemacht?" fragte sie und versuchte, ihre Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen. „Ich bin in die Rüstung eines alten Ritters gelaufen", schimpfte er vor sich hin. Es gab ein paar blecherne Geräusche, als er die Rüstung aus dem Weg schob. „Hast du dir weh getan?" fragte sie. „Nicht sehr. Ich glaube, die Rüstung hat mehr gelitten als ich", antwortete er. Er war jetzt näher, und sie glaubte, ihn zu erkennen. "Also musst du doch die Nacht hier verbringen", spottete er, während er neben sie trat. „Wo möchtest du schlafen? Mit mir im Herrenzimmer? Oder allein in einem der Gästezimmer? Ich kann dir sagen, wo dir wärmer ist."
Sie roch den Whisky in seinem Atem, spürte die Nähe seines Körpers und erinnerte sich, was bei ihrem letzten Zusammensein geschehen war. Sie wusste sofort, dass Gefahr in ihrer Situation lag. Wenn er, konnte, würde er das Beste daraus machen, dass sie allein in dem Schloss waren. Sie musste aufpassen, dass der Funke der körperlichen Anziehungskraft zwischen ihnen nicht in ein Feuer aufloderte. „Ich muss dir etwas sagen", begann sie atemlos. „Ich bin verlobt und werde heiraten, und mein Verlobter ist drüben im Gästehaus. Oh!" Sie keuchte, als Ron ihren Arm ergriff. „Was hast du vor?" Seine Hand glitt an ihrem Arm hinunter zu ihrer Hand. Als ihr bewusst wurde, was er vorhatte, versuchte sie, sich aus seinem Griff zu lösen. Doch sie hatte kein Glück. Seine Finger schlossen sich um ihre Finger. „Kein Ring", sagte er. „Kann also keine richtige Verlobung sein." „Das ist es aber", beharrte sie. „Du klingst nicht sehr überzeugend", meinte er. Er hielt noch immer ihre Hand, und als sie sich zu lösen versuchte, festigte er seinen Griff. „Bitte lass meine Hand los", bat sie. „Nein. Es gefällt mir, sie festzuhalten. Gibt mir ein Gefühl der Sicherheit im Dunkeln", lachte er. „Erzähl mir mehr von deiner Verlobung. Wie heißt er?" „George Lawson." „Wo hast du ihn kennen gelernt?" „Im Büro. Er ist einer der Anwälte, für die ich arbeite." „Bist du in ihn verliebt?" „Du hast kein Recht, mir solche Fragen zu stellen." Sie versuchte wieder, sich zu befreien. „Weichst du mir aus, Ali?" fragte er. „Weshalb willst du ihn heiraten?" „Er ... er will mich heiraten. Seine beiden kleinen Mädchen brauchen eine Mutter. Lass mich jetzt los!" Er tat es nicht. Statt dessen zog er sie ruckartig an seinen Körper, und bevor sie etwas tun konnte, lagen seine Arme um sie. „Also tut er dir leid", murmelte er. Sein Atem berührte ihre weichen Haare. „O Ali, das ist kein guter Grund, ihn zu heiraten. Da muss mehr sein. Von dir hätte ich nicht geglaubt, dass du eine solche Beziehung eingehst." „Er tut mir nicht leid", versicherte sie, verwirrt durch seine offensichtliche Sorge. „Ich bewundere und respektiere ihn." „Hmm, ich dachte es mir. Du siehst eine Vaterfigur in ihm. Du fühlst dich sicher bei ihm, weil er dich nicht küsst, wenn du keinen Kuss erwartest." „Hör endlich auf und lass mich los!" schrie sie ihn an, doch seine Arme lagen jetzt noch enger um sie. „Ich glaube, der viele Whisky ist dir zu Kopfe gestiegen." „Nein, nicht der Whisky", sagte er sanft. Seine Lippen berührten beinahe ihre Wange. „Du bist es. Ich bin berauscht vom Duft deines Haares, von deinem weichen Körper an meinem. Es gab für mich nicht viele Frauen in den letzten drei Jahren, und keine von ihnen war so anziehend wie du." Trotz ihrer Abwehr fand sein Mund den ihren. Seine leicht geöffneten Lippen pressten sich hart und verlangend auf ihre. Be inahe erwiderte sie den Kuss, bis sie sich der Gefahr bewusst wurde. Sie versteifte sich schnell und hielt ihren Mund fest geschlossen. „Erinnert mich an unseren ersten Kuss", sagte er und hob ihren Kopf an. „Dein Mund war kühl und süß, bis zu dem Augenblick völlig unberührt von einem Mann. Wir haben mitten im Heidekraut gelegen. Die Sonne war warm, und die Bienen haben gesummt, und du wusstest nicht, wie man küsst, also habe ich es dir gezeigt. Weißt du noch?" „Nein!" schrie sie erschrocken, als die Erinnerung daran in ihr aufwallte. „Lügnerin." Die spöttische Anschuldigung war ein leises Flüstern in der Dunkelheit. Sie spürte, wie seine Hand an ihrem Rücken hinunterglitt, als er sie wieder an sich zog.
„Ich habe dich verabscheut", sagte sie. Sie stieß ihn gegen die Brust, um ein wenig Abstand zu gewinnen. „Weil ich dir Unterricht im Küssen gegeben habe?" fragte er mit Überraschung in seiner Stimme. „Nein ... ich ... ich meine ja", murmelte sie unsicher. Sie wollte nicht zugeben, dass der Abscheu später gekommen war, als sie am nächsten Tag erfahren hatte, dass er abgefahren war und Catriona mitgenommen hatte. „Ich hatte nicht den Eindruck, dass du mich verabscheut hast", sagte er. „Im Gegenteil, nach dem zweiten Kuss schien es dir so gut gefallen zu haben, dass es nur zu meinem Vorteil sein kann, wenn ich dich jetzt wieder küsse." Er legte eine Hand unter ihr volles Haar an ihrem Nacken. Obgleich seine Hand kühl war, verspürte sie einen warmen Schauer in ihrem Körper. Aus Angst vor der Sinnlichkeit hob sie eine Faust und schlug damit in Richtung seines Gesichtes. Doch sie traf ihn nicht, denn er griff nach ihrem Handgelenk und hielt es fest. „Ich wusste gar nicht, dass du so grob sein kannst", sagte er kalt., Aber schlag mich nicht. Vielleicht bekommst du mehr zurück, als du gibst." „Ich muss etwas tun, damit du einsiehst, dass du nicht da weitermachen kannst, wo du vor fünf Jahren aufgehört hast", erwiderte sie wütend. „Du verschwendest deine Zeit." „Zeit mit dir kann nicht verschwendet sein", antwortete er. „Du scheinst nicht zu verstehen", sagte sie verzweifelt. „Ich bin nicht verfügbar. Ich will nicht geküsst werden. Ich muss in einen Mann verliebt sein, bevor ich ihn küssen kann. Und ich bin nicht mehr in dich verliebt. Darüber bin ich schon vor Jahren hinweggekommen. Jetzt finde ich dich verachtenswert. Nicht nur für das, was du Cat angetan hast, sondern auch für das, was du mit mir versuchst. Bitte lass mich in Ruhe. Ich will nichts von dir!" Sie hatte es getan. Sie hatte ihm genau gesagt, was sie von ihm hielt. Wenn er nur ein bisschen Stolz hatte, würde er sie jetzt in Ruhe lassen, solange sie im Schloss bleiben musste. Beinahe sofort ließ er sie los, und sie freute sich, dass sie soviel Mut gezeigt hatte. „Armer George", sagte er und seufzte auf. „Mein Herz blutet für ihn." „Warum?" fragte Alexa misstrauisch. Auf einmal erschauerte sie vor Kälte, denn die elektrische Heizung im Schloss arbeitete nicht mehr. „Was meinst du damit?" „Er ist ein solcher Narr, dass er dich heiraten will." „Das ist nicht sehr nett, so etwas zu sagen", wandte sie ein. „Nein? Ich wusste nicht, dass wir beide nett zueinander sind. Weißt du, ich finde, ich sollte George unbedingt kennen lernen. Ich habe das Gefühl, er braucht ein paar Ratschläge." „Welche Art Ratschläge?" Auf einmal war sie sehr unsicher. Die beiden durften sich nicht kennen lernen, denn beide würden heraus finden, dass sie mit der Verlobung gelogen hatte. „Ich könnte ihn warnen, welch kaltes Leben auf ihn wartet, wenn er dich heiratet." . „Ich weiß nicht, was du damit meinst." Frühling des Herzens „Du hast mir gerade erzählt, dass du einen Mann nicht küssen kannst - geschweige denn mit ihm zu schlafen, vermute ich - wenn du nicht in ihn verliebt bist. Und ich glaube, du bist nicht in George verliebt." „Ach, du glaubst, du weißt alles, nicht wahr?" erwiderte sie wütend. Dann hörte sie seine Schritte in der Dunkelheit und fragte ängstlich: „Wohin gehst du?" „Weg von dir, du kleiner Eisblock. Du hast klar genug gesagt, dass du meine Gesellschaft nicht möchtest", war die eisige Antwort in einiger Entfernung. „Wenn du nur vernünftig wärst. Kannst du mir nicht sagen, wo ich eine Taschenlampe oder Kerze finde?" bat sie verzweifelt. „Du musst doch wissen, ob es so etwas hier gibt." „Fürchtest du dich vor der Dunkelheit?" fragte er überrascht. „Ja", gestand sie zögernd ein. „Besonders in einem Haus, in dem ich mich nicht auskenne."
„Dann bleib, wo du bist. Ich komme zurück. Wir machen im Arbeitszimmer ein Feuer im Kamin, da du nicht mit mir ins Herrenzimmer kommen willst. Du kannst es dir dort auf der Couch gemütlich machen, bis die Ebbe kommt und du wieder über den Damm kannst." Mit übereinander geschlagenen Armen wartete Alexa in der Dunkelheit. Es schien lange zu dauern, bis Ron eine Taschenlampe fand. Sie glaubte gerade, dass er nicht die Absicht hatte, zurückzukehren, als sie seine Schritte den Flur entlangkommen hörte. „Ich habe ein paar Öllampen gefunden", sagte er. „Komm mit in die Küche. Du kannst die Taschenlampe festhalten, während ich sie anstecke." Nach ein paar Minuten brannten die beiden Öllampen. „Da wir jetzt Licht haben, könntest du uns vielleicht etwas zu Essen machen", schlug Ron mit kühler und unpersönlicher Stimme vor. „Im Schrank findest du alle möglichen Dosen und im Kühlschrank Milch und Obst. Ich kümmere mich inzwischen um das Feuer im Arbeitszimmer." Es gab genug Brot und Butter. Alexa öffnete eine Dose Schinken und machte ein paar belegte Brote fertig. Aus Orangen, Äpfeln und Bananen bereitete sie einen frischen Obstsalat. Nach dem Essen räumte sie auf und wusch ab. Ron ging in den Keller und holte Holz fürs Kaminfeuer heraus. Als sie mit der Kerze in der Hand den Flur entlangging, wunderte sie sich, wie praktisch Ron war. Sie hatte ihn immer für einen gutaussehenden, wohlhabenden Playboy gehalten, der sich nur mit Anthropologie beschäftigte, um in entlegene exotische Länder reisen zu können. Sie hätte es nie für möglich gehalten, dass er fähig war, sich um die praktischen Dinge des täglichen Lebens zu kümmern. Der warme Glanz des offenen Feuers und das Licht der zweiten Öllampe drangen durch die halbgeöffnete Tür des Arbeitszimmers. Im rechten Winkel zum Kamin stand eine mit Brokat bezogene breite Couch, gegenüber zwei bequeme Sessel. Dazwischen auf dem niedri gen Tisch stand die Öllampe. Unter dem einzigen sehr kleinen Fenster stand der mit Papieren überhäufte Schreibtisch. Mit der Kerze in der Hand trat Alexa zu dem großen Bücherbord an einer der Wände. Erfreut fand sie zwischen den vielen Büchern ein paar ihres Lieblingsautors. Sie nahm eines heraus, setzte sich aufs Sofa in die Nähe des Kamins und begann zu lesen. Schon bald war sie so in den Roman vertieft, dass die Zeit davonraste. Ein Geräusch am Kamin ließ sie schließlich aufblicken. Ron war , hereingekommen und hatte Holz nachgelegt. Er erhob sich und blickte zu ihr hinunter. „Ist es warm genug?" fragte er. „Ja, danke", erwiderte sie. „Neben dem Kamin liegt mehr Holz, falls das Feuer ausgehen sollte", fuhr er ziemlich heiser fort. Während er hustete, hielt er eine Hand vor den Mund. „Dieser Husten macht mir zu schaffen. Ich lege mich ins Bett." „Oh, ich dachte ..." Mitten im Satz änderte sie ihre Meinung und hielt inne. „Was hast du gedacht?" fragte er. „Nichts. Ist schon gut." Sie war zu stolz. Nach dem, was sie zu ihm gesagt hatte, wollte sie jetzt nicht eingestehen, dass sie die nächsten Stunden nur ungern allein verbrachte. „Tut mir leid, dass es dir nicht gut geht. Kann ich irgend etwas für dich tun?" Seine Augen schimmerten dunkel, als er sie anblickte. „Ich habe dir schon gesagt, was du tun könntest. Aber du warst nicht daran interessiert", erwiderte er und kam näher zu ihr. „Möchtest du, dass ich hier unten bei dir bleibe?" fragte er, als hätte er erraten, wie ihr zumute war. „Nicht, wenn du lieber gehen möchtest", erwiderte sie steif. „Weshalb kannst du keine vernünftige Antwort «eben?" fragte er. „Ja oder nein." „Wenn ... wenn du meinst, im Bett fühlst du dich wohler, dann geh", sagte sie. „Ich... habe es sehr bequem hier. Nur... nur..." „Nur was?" fragte er ungeduldig.
„Ich fürchte, wenn ich einschlafe, wache ich nicht rechtzeitig auf, wenn die Ebbe kommt." „Ich hole dir einen Wecker", bot er sofort an und verließ das Zimmer. Alexa begann wieder zu lesen. Nach etwa zehn Minuten war er zurück. Er brachte einen laut tickenden Wecker und ein paar Decken mit. Sie wusste, er hatte wieder gehustet, denn als er sprach, war seine Stimme sehr heiser. „Kannst du denn nichts gegen den Husten einnehmen?" fragte sie besorgt. „Ich habe nichts", erwiderte er gleichgültig, während er den Wecker aufzog. „Auf welche Zeit soll ich ihn einstellen?" „Halb drei. Du solltest wegen des Hustens zum Arzt gehen." „Ja?" Die Kälte in seiner Stimme ließ sie ihre Sorge vergessen. Er stellte den Wecker auf den Tisch und legte eine der Wolldecken neben sie aufs Sofa. „Die sollte dich warm halten. Oben ist es verdammt kalt. Ich glaube, ich bleibe doch lieber hier unten beim Feuer." „Möchtest du auf der Couch liegen?" bot sie impulsiv an. Dabei verspürte sie tiefe Erleichterung, dass sie nun doch nicht allein bleiben musste. „Nein, danke. Ich mache es mir in den Sesseln gemütlich. Es schneit jetzt." „Ich glaube, der Schnee bleibt nicht lange liegen. Wir sind zu nahe am Meer", erwiderte sie. . Er setzte sich in einen der Sessel, sein Gesicht ihr zugewandt, wickelte sich in eine der Decken und Schloss die Augen. Einen Augenblick starrte sie ihn an, besorgt um seinen Husten. Aber er selbst sorgte sich nicht, weshalb also sollte sie es tun? Sie versuchte, sich wieder auf das Buch zu konzentrieren. Doch aus irgendeinem Grund hatte es die Spannung verloren. Sie gähnte und blickte auf ihre Armbanduhr. Beinahe halb elf. Das Wasser war jetzt am höchsten Punkt. In etwa einer Stunde würde die Ebbe beginnen. Sie konnte unmöglich bis zwei Uhr wachbleiben. Sie sah auf den Wecker. Das laute Ticken gab ihr Zuversicht. Sie konnte beruhigt einschlafen mit dem Wissen, dass sie zur rechten Zeit aufwachen würde. Sie pustete die Öllampe aus, legte ihre Beine aufs Sofa und deckte sich mit der weichen Mohair-Decke zu. Was würde Cat tun, wenn sie wüsste, dass er hier im Schloss war, dachte sie, als sie einen letzten Blick auf Ron warf. Würde sie nach einer Möglichkeit suchen, herzukommen um ihn zu besuchen? Cat hatte immer einen Weg gefunden, ihn in den drei Wochen seines Aufenthalts hier vor fünf Jahren zu sehen. Ron war damals ganz plötzlich aufgetaucht, sehr zur Freude von Sir Hugh, der immer sehr am einzigen Sohn seiner Schwester gehangen hatte. Mit seinem südländischen Aussehen, seiner von tropischer Sonne goldbraunen Haut und dem tief schwarzen Haar war er wie von einem anderen Planeten plötzlich in der Ferienwelt von Ardgour aufgetaucht, und alles hatte sich plötzlich für Alexa verändert. Sie und Catriona, ihre Stiefschwester, waren beide achtzehn gewesen. Der neunundzwanzigjährige Ron mit seinem kühlen, gleichgültigen Verhalten ihnen gegenüber hatte sie beide angezogen. Catriona mit ihren dunkelbraunen Locken und lachenden braunen Augen hatten kein Hehl aus ihrer Verliebtheit gemacht. Offen und freundlich, wie sie war, hatte sie die sechsjährige Ferienfreundschaft mit Charlie und Helen dazu benutzt, jeden Tag zum Schloss zu gehen. Alexa war wesentlich schüchterner gewesen. In Rons Gegenwart hatte sie fast nie ein Wort herausgebracht. Ein seltsames Brennen in ihrem Körper, sobald sie in seiner Nähe war, hatte sie schrecklich verwirrt. Je näher das Ende dieser letzten Ferien gekommen war, desto weniger hatte Catriona sich ihrer Schwester anvertraut. Sie war abends lange ausgeblieben, sehr zur Sorge ihres Vaters. Sie war mit anderen jungen Feriengästen zum Mondschein-Picknick gegangen oder zum Tanz in Glencorrie. Eines Abends hatte Alexa nicht schlafen können. Unruhig hatte sie in dem Zimmer
gelegen, das sie in den Ferien mit Catriona im Gästehaus teilte, als sie in der Ferne das laute Geräusch eines Sportwagens gehört hatte. Sie war aus dem Bett gekrabbelt und zum Fenster geeilt, gerade rechtzeitig genug, um Catriona das Gartentor öffnen zu sehen und ein Stück des weißen Sportwagens von Ron, der in der Dunkelheit verschwand. Später, als Catriona eingeschlafen war, hatte Alexa zum ersten Mal erfahren, was Eifersucht bedeutete. Am nächsten Tag hatte sie kaum mit Catriona sprechen können. Nachmittags beim Spaziergang mit Helen im Moor hatte sie ihrer Freundin erzählt, dass Cat am vergange nen Abend mit Ron ausgegangen war. „Ich habe gemerkt, dass Cat ihn mag. Aber ich glaube nicht, dass er ihr viel Beachtung schenkt", hatte Helen mit einem überraschten Blick erwidert. „Vielleicht solltest du sie warnen, vorsichtiger zu sein." „Warum?" „Mum sagt, keine Mutter könnte ihm die Tochter anvertrauen", hatte Helen kichernd gesagt. „Sie mag ihn nicht. Wir haben ohnehin nicht viel mit ihm zu tun. Sein Vater war einer dieser Entdeckertypen. Er hat die meiste Zeit seines Lebens in entlegenen Teilen der Welt verbracht und einheimische Stämme studiert. Er war lange Zeit in Südamerika und hat eine Brasilianerin geheiratet, die Anthropologin war. Ron wurde in Rio geboren und hat dort gelebt, bis er vierzehn wurde. Dann sind seine Eltern verschwunden." „Wie ist das passiert?" hatte Alexa ausgerufen. „Das ist in Brasilien ganz leicht. Sie sind in irgendeinen Dschungel gegangen und nie wieder herausgekommen", hatte Helen erklärt. „Wie auch immer, Großvater ist nach Rio gefahren, hat Ron gefunden und ihn hier hergebracht. Er hat ihn ins Internat gesteckt und ihn später Anthropologie studieren lassen, wie seine Eltern es im Testament gewünscht hatten. Und Ron hat sich in der Beziehung als ebenso verrückt wie seine Eltern herausgestellt. Er ist immerzu auf irgendeiner Expedition." „Aber ich verstehe nicht, weshalb deine Mutter ihn nicht mag", hatte Alexa protestiert. „Wahrscheinlich weil Großvater so sehr an ihm hängt, weil sein Name Letham und er männlich ist. Sie wird wütend sein, wenn sie erfährt, dass er beinahe drei Wochen hier war. Sie denkt, er überredet Großvater, sein Testament zu ändern." „Auf welche Weise?" hatte Alexa entsetzt gefragt. „So, dass Ron einen Teil von Großvaters Vermögen bekommt. Wie es aussieht, wird er das Schloss bekommen. Es wurde immer an den ältesten männlichen Letham vererbt. Nicht dass Mutter daran hängt, aber sie möchte einfach nicht, dass er es bekommt. Ich habe einmal gehört, wie sie sich über die Art seines Lebens beschwert hat, wenn er hier im Land ist. Er mietet superluxuriöse Wohnungen und hat Freundinnen, die bei ihm leben, wenn du weißt, was ich damit meine." Helen hatte wieder gekichert und Alexa mit ihrem Ellbogen in die Seite gestoßen. „Vielleicht möchte Cat seine nächste Freundin werden." Alexa hatte nichts davon an Catriona weitergegeben. Sie war zu sehr mit ihren eigenen Gefühlen für ihn beschäftigt. Was Helen ihr erzählt hatte, hatte ihn nur faszinierender für sie gemacht. Stundenlang hatte sie träumend dagesessen und überlegt, wie sie ihn näher kennen lernen konnte, wie sie seine Aufmerksamkeit auf sich lenken konnte, damit nicht Catriona, sondern sie seine nächste Freundin wurde. Und sie war sicher gewesen, wenn er sich einmal in sie verliebt hatte, würden sie ihr Leben lang glücklich zusammenbleiben. Alle möglichen Pläne waren ihr durch den Kopf geschossen, aber sie hatte keinen davon durchgeführt. Sie war viel zu schüchtern gewesen. Eines sonnigen Nachmittags war sie zum Schloss hinübergeschlendert. Sie wollte Catriona, die sie dort vermutete, und Helen fragen, ob sie mit ihr auf den Ben Leckie kletterten. Beim Überqueren des Dammes hatte ihr Herz plötzlich heftig zu hämmern begonnen, denn Ron kam ihr von der anderen Seite entgegen, und er war allein. Mit glühenden Wangen war sie stehen geblieben, als auch er mit in den Hüften aufgestemmten Händen vor ihr stehen geblieben war. Er hatte zu ihr hinuntergeschaut, und
seine Augen waren ihr so leuchtend blau wie das Meer erschienen. „Hallo", hatte er gesagt. „Suchst du Helen? Sie ist mit Onkel Hugh in Glemcorrie. Wärst du früher gekommen, hättest du mit ihnen fahren können." Erst dann hatte sie bemerkt, dass nur Rons weißer Sportwagen am Ende des Dammes geparkt war. Sir Hughs großer Rover war fort. „Ist Cat auch mit?" hatte sie gefragt. „Ich weiß nicht. Ich habe sie nicht gesehen." Er hatte mit den Schultern gezuckt, als interessierte es ihn nicht, wo ihre Stiefschwester war. An dem warmen Tag hatte er einen knappen verwaschenen Jeans-Shorts getragen, der seine muskulösen Beine zeigte. Sein dünnes dunkelrotes Hemd war bis zur Taille geöffnet gewesen und hatte die schwarzen Haare auf seiner Brust freigegeben. Verwirrt durch seine körperliche Anziehungskraft, hatte Alexa sprachlos und unbeweglich dagestanden und ihn nur angestarrt. „Du bist wahrscheinlich enttäuscht", hatte er sanft gesagt. „Äh... ich... ich hatte gehofft, sie ... Helen und Cat würden mit mir den Ben Leckie hinaufsteigen. Wir klettern normalerweise jedes Jahr einmal hinauf, bevor die Ferien zu Ende gehen." „Ben Leckie? Ist das ein Berg?" hatte er gefragt. „Ja, dort drüben." Sie hatte mit dem Finger in die Richtung gedeutet. „Wie hoch ist er?" „Ungefähr fünfhundert Meter. Hoch ist er nicht." Sie hatte sich entschuldigt. Sie hatte geglaubt, er hätte sicher höhere Borge in anderen Ländern gesehen und bestiegen. „Aber von dort oben hat man einen herrlichen Blick." Sie hatte ihm einen verlogenen Blick zugeworfen und schnell hinzugefügt: „Jedenfalls finde ich das." „Ich würde es gern sehen", hatte er einfach geantwortet. Dabei hatte er nicht zum Berg geschaut, sondern zu ihr. „Du meinst... du möchtest jetzt, hinauf steigen... mit mir?" hatte sie gefragt. „Genau das meine ich. Bist du einverstanden, jetzt mit mir hinaufzusteigen?" hatte er gefragt, und sein Mund hatte sich etwas bewegt, als wollte er über sie lachen, doch er hatte dieses Verlangen unter Kontrolle gehalten. „O ja, gern", hatte sie leise gesagt. Sie hatte sich so gefreut, dass die ganze Welt auf einmal strahlender war. Das Wasser in der Bucht erschien ihr lebhafter, blauer, das Schloss war ihr noch märchenhafter erschienen, wie ein zauberhafter Platz, an dem Träume wahr wurden. Sie waren gemeinsam durch den Tannenwald gelaufen, der den unteren Teil des Berges bedeckte. Hin und wieder waren ein paar Sonnenstrahlen durch die Tannen geschlüpft, und die Stille war nur durch das Zirpen von ein paar Vögeln unterbrochen worden. Je höher sie hinaufgekommen waren, um so dünner wurde der Wald, und schließlich gab es fast nichts als Heidekraut, das in voller Blüte gestanden hatte. „Machen die Hochländer wirklich Betten daraus und verstecken sich darin?" hatte Ron plötzlich gefragt. Seit sie losgegangen waren, hatte er zum ersten Mal etwas gesagt. „Ich glaube ja", hatte sie geantwortet. „Die Stengel sind ziemlich federnd." Zu ihrer Überraschung hatte er sich inmitten der lilafarbenen Blüten gelegt, die Hände unter dem Kopf verschränkt. „Hmm, du hast recht", hatte er gesagt. „Sehr angenehm zum Schlafen." Sie hatte sich neben ihn gesetzt und über das Heidekraut hinweg hinunter in die Bucht geschaut. Bienen summten um sie herum, und irgendwo blökte ein Schaf. Sonst war es ganz still gewesen, die typische Stille des Hochlandes, die Alexa so gut kannte und die ihr immer soviel Frieden gegeben hatte. Doch in ihren Gedanken war es keineswegs friedlich zugegangen. Ein neues erschreckendes Gefühl war in ihr aufgewallt. Immer wieder war ihr Blick zu dem Mann neben ihr in der Heide hinübergeschweift, hatte auf seiner gutgeformten Hüfte geruht, war höher
gewandert zu seiner behaarten Brust. Er hatte das Hemd aus dem Shorts gezogen, und die Sonne schien auf seine bereits gebräunte Haut. In der Mitte seiner Kehle hatte sein Puls heftig geschlagen. Seine Lippen waren leicht geöffnet gewesen, und sie hatte das starke Verlangen verspürt, sich hinunterzubeugen und ihn zu küssen, sich dicht neben ihn zu legen, ihre Finger auf seine nackte Haut zu pressen...
3. KAPITEL
Schließlich hatte er seine Augen geöffnet. Er hatte sie angeschaut, und sie hatte ihren Blick schnell von ihm abgewandt. Sie spürte damals, wie ihre Wangen vor Verlegenheit glühten, weil er bemerkt hatte, wie sie ihn angestarrt hatte. „Wie viel jünger bist du als Cat?" hatte er beiläufig gefragt. „Drei Monate", hatte sie geantwortet, und ruckartig hatte er sich aufgerichtet. „Du machst Witze!" hatte er ausgerufen. Er hatte nach ihrem Arm gegriffen und sie zu sich herumgezogen. „Mach ein Jahr und drei Monate daraus, ja?" „Nein, es stimmt. Cat ist letzten Monat achtzehn geworden und ich werde es im Oktober." Auf einmal war ihr bewusst geworden, weshalb er in lautes Lachen ausgebrochen war. „Wir sind Stiefschwestern. Wusstest du das nicht?" „Nein. Das hat mir niemand erzählt." Sein Blick war über ihr Haar geglitten und zu ihrem Gesicht zurückgekehrt. „Ich muss zugeben, ich habe mich gewundert, weshalb ihr euch so wenig ähnlich seid. Sie ist brünett und du bist so blond wie eine Schneeprinzessin." Sie hatte wieder von ihm fortgeblickt. Seine tiefe Stimme und die letzten Worte hatten sie wieder verlegen gemacht. „Cats Vater und meine Mutter haben sich vor sieben Jahren kennen gelernt. Sie hatten eine Menge gemeinsam. Beide waren verwitwet und hatten eine Tochter im selben Alter. Sie haben beschlossen, dass es für alle Beteiligten gut wäre, wenn sie heiraten." „Und war es für alle Beteiligten gut?" hatte er neugierig gefragt und sich dabei wieder zurück ins Heidekraut gelegt. . „O ja. Ich habe einen Vater bekommen und Cat eine Mutter." „Also bist du noch nicht ganz achtzehn", hatte er vor sich hingemurmelt. „Gehst du noch zur Schule?" „Nein. Seit Ende Juli bin ich fertig." „Und was machs t du jetzt? Heiraten?" In seiner Stimme hatte ein wenig Hohn gelegen. „Ich habe noch niemand kennen gelernt, den ich gern heiraten würde", hatte sie ehrlich erwidert. „Außerdem finde ich, eine Frau sollte erst einen richtigen Beruf haben, bevor sie ans Heiraten denkt." „Und an welche Art von Beruf denkst du?" „Ich möchte gern Rechtsanwältin werden, aber die Ausbildung ist sehr lang. Vielleicht gehe ich zur Sekretärinnenschule und suche mir Arbeit in einem Anwaltsbüro. Wenn ich ein bisschen über Gesetze Bescheid weiß und genug Geld gespart habe, kann ich vielleicht studieren und ..." Sie hatte ihm viel über ihre Ambitionen erzählt, bis sie gemerkt hatte, wie lange sie gesprochen hatte, ohne eine Bemerkung von ihm zu hören. Sie hatte ihn angesehen. Seine Augen waren geschlossen gewesen. Es sah ganz und gar so aus, als hätte sie ihn mit ihren Worten zürn Schlafen gebracht. Enttäuscht über ihre Unfähigkeit, seine Aufmerksamkeit zu erringen, und ärgerlich über seine Gleichgültigkeit, war sie aufgesprungen. „Ich wusste, dass es dich nicht wirklich interessiert", hatte sie ihn angeschrien und sich umgewandt, um den Hügel hinunterzulaufen. Beim Laufen verfing sich einer ihrer Füße im Heidekraut, und sie war hingefallen. Beim Aufstehen hatte sie gesehen, dass Ron ihr nachgelaufen und jetzt neben ihr war. Er hatte nach ihr gegriffen und sie zu sich herumgezogen. Atemlos hatten sie beide dagestanden und sich neugierig ange blickt. Sie waren so dicht beieinander gewesen, dass sie seine nackte Brust an ihrer Brust gespürt hatte. Ein berauschendes Gefühl war durch ihren Körper gerieselt. Seine Hüften hatten sich fest gegen ihren Unterkörper gepresst. Genau das hatte sie gewollt, und doch hatte sie sich in diesem Augenblick schrecklich gefürchtet. Sie hatte ihren Kopf zum Protest zurückgeworfen. Doch die Worte waren ihr im Mund gestorben, als sie sein Gesicht gesehen hatte.
„Ich werde dir zeigen, wie sehr ich an dir interessiert bin und auf welche Weise", hatte er bedrohlich geflüstert. Gnadenlos hatte er seinen Mund auf ihren gepresst. Seine Lippen waren hart und heiß gewesen und hatten sich auf ihre gedrückt, bis sie vor Schmerz stöhnte. Erschrocken durch die Leidenschaft, die er in ihr geweckt hatte, war sie stocksteif geworden. Sofort hatte er seinen Mund von ihren Lippen gelöst und hatte sie verblüfft angestarrt. „Mein Gott!" hatte er gesagt. „Du bist noch nie zuvor geküsst worden, nicht wahr?" Sprachlos und verwirrt hatte Alexa ihren Kopf geschüttelt. Sie hatte ihn nicht anschauen können, weil sie sich plötzlich kindisch vorge kommen war. Seine Finger lagen sanft unter ihrem Kinn. Dann strich er ihr zart über die Wangen. „Ich hatte keine Ahnung", sagte er sanft. „Wollen wir es noch mal versuchen, Ali?" Er war der einzige, der sie je Ali genannt hatte. Und wie er es gesagt hatte - es hatte" wie eine Liebkosung geklungen. Auf einmal hatte sie jede Schüchternheit ihm gegenüber verloren. Bereitwillig hob sie ihr Gesicht und ließ sich wieder von ihm küssen. Es war anders gewesen. Seine Lippen waren jetzt zärtlich. Ein süßes Gefühl war durch ihren Körper gelaufen. Sie öffnete die Lippen und schmiegte sich an ihn. Sie hatte die intime Berührung seines Körpers an ihrem spüren wollen. Als er seine Lippen von ihren löste und sich fortbewegte, hielt sie ihn fest und schlang ihre Arme um seinen Nacken. Mit einem leisen Aufruf in einer Sprache, die sie nicht hatte verstehen können, zog er sie neben sich ins Heidekraut. Wie lange sie dort in dem wohlduftenden Heidekraut unter dem blauen Himmel gelegen hatten, würde sie nie erfahren. Immer wieder küsste Ron sie. Seine Lippen berührten zärtlich ihren Hals, und seine Hände streichelten die Rundungen ihrer Brüste. Langsam stieg das Verlangen in ihr auf, ihm noch näher zu sein, eins mit ihm zu sein. Sie presste sich an ihn, wagte, ihn zu streiche ln. Sie wollte ihm zeigen, dass er noch weitergehen konnte, dass sie keine Einwände hatte. Aber er war nicht darauf eingegangen. So schlang sie ihre Arme wieder um ihn und gestand ihm ihre Liebe. Denn so war ihr zumute gewesen. Sie hatte geglaubt, wenn er wusste, wie ihr zumute war, würde er ein paar Schritte weitergehen. „Ich liebe dich, Ron, ich liebe dich." „Nein, du liebst mich nicht." Die Worte waren wie ein eiskalter Schauer gewesen. Er nahm ihre Arme von seinem Hals, schob sie eine wenig weg und setzte sich auf. „Du bist zu jung, um zu wissen, was Liebe ist", sagte er kühl und ohne Leidenschaft. Er stand auf, knöpfte sein Hemd zu und steckte es zurück in die Shorts. „Es ist beinahe fünf Uhr. Ich muss zur Tankstelle im Dorf zum Tanken und die Reifen prüfen lassen", hatte er gesagt. „Morgen früh fahre ich nach London ab." Er ging fort. Entsetzt war sie aufgesprungen und hatte ihr verrutschtes T-Shirt glattgezogen. „Aber ... du kannst nicht weggehen", protestierte sie. „Ich bin nicht hierher gekommen, um für immer zu bleiben, weißt du", entgegnete er. „Ich war schon viel zu lange hier. Ardgour ist kein Ort, den ich normalerweise für meine Ferien auswähle. Ich bin nur gekommen, weil Onkel Hugh etwas mit mir besprechen wollte." „Kann ich mit dir fahren? Ich kann kochen, und ich könnte dir deine Mahlzeiten zubereiten. Ich könnte deine Wäsche waschen", flehte sie ihn an und legte dabei ihre Hand auf seinen Arm. „Um Himmels willen, Mädchen!" Ungeduldig starrte er sie an und schüttelte seinen Arm frei. „Weißt du eigentlich, was für einen Unsinn du redest?" Mit sanfterer Stimme fuhr er fort: „Hör zu, Ali, du bist ein niedliches Mädchen, und eines Tages wirst du eine begehrenswerte Frau sein ..." „Ich bin eine Frau", wandte sie hitzig ein. „Das magst du glauben, ich jedoch nicht", erwiderte er brutal. „Wenn du eine Frau wärst, würdest du den Unterschied zwischen herumschmusen und Verliebtsein wissen. Ich jedenfalls bin nicht in dich, verliebt."
„Weshalb hast du dann..." begann sie. Doch sie konnte nicht weitersprechen, denn plötzlich schüttelten die Tränen ihren ganzen Körper. Mit ihren Handknöcheln im Mund vergraben blickte sie zu ihm hinauf. „Und du bist nicht in mich verliebt", fuhr er gnadenlos fort. „Du glaubst es nur, weil ich dich geküsst habe. In ein paar Stunden wirst du anders empfinden und froh sein, dass ich nicht mehr getan habe." Er fuhr sich mit einer Hand durch die zottigen Haare und machte eine Geste, als wüsste er nicht, wie er sich erklären sollte. „Ich hätte dich nicht küssen sollen", murmelte er, „aber ich konnte nicht anders. Ich hätte wissen müssen, dass jemand so Unschuldiges wie du es ernst nimmt..." Sie blieb nicht länger, sie wollte nichts mehr hören. Sie schluchzte laut auf und lief den Berg hinunter. Sie hielt nicht an, ehe sie das Gehölz erreichte. Dort, unter den blaugrünen Tannen, wischte sie sich mit dem Handrücken die Tränen ab. Ihre Lippen waren geschwollen. Vorsichtig berührte sie sie mit ihren Fingerspitzen. Sie fragte sich, ob irgend jemand es bemerken würde und vermuten, was gesche hen war. Ron war ihr nicht gefolgt, und seit diesem Nachmittag hatte sie ihn nicht wieder gesehen. Aber die Erinnerung an seine Küsse, an seine Zärtlichkeit, an die Leidenschaft, die in ihr aufgestiegen war, war lange Zeit bestehen geblieben, zusammen mit der Enttäuschung, dass er sie abgelehnt hatte. Am nächsten Morgen, als Alexa aufgewacht war, war Catriona nicht in ihrem Bett. Auch zum Frühstück erschien sie nicht, und es dauerte eine Weile, bis sie erfuhr, dass sie mit Ron nach London gefahren war. Alexa stöhnte auf, als sie das Gefühl der Eifersucht und des Hasses jener Tage nach Catrionas Verschwinden wiedererlebte. Sie war eifersüchtig gewesen, weil Cat getan hatte, was sie hatte tun wollen, und sie hatte Ron gehasst, der, so glaubte sie, sie selbst ablehnte und Catriona ihr vorgezogen hatte. „Was zum Teufel ist mit dir los?" fragte Ron plötzlich in die Dunkelheit hinein. Seine Stimme ließ sie zusammenzucken. Sofort war sie wieder in der Gegenwart. „Hast du Magenschmerzen oder was sonst?" Sie öffnete ihre Augen und blickte zu ihm hinüber. Er hatte sich vorgebeugt und schaute sie an. „Es ist alles in Ordnung mit mir", erwiderte sie steif. „Weißt du, Ali, du bist die schlimmste Lügnerin, die ich je kennen gelernt habe", beschwerte er sich. „Du hast dich in der letzten halben Stunde stöhnend von einer Seite auf die andere gewälzt, und jetzt willst du mir erzählen, dass alles in Ordnung ist? Wenn du keine Schmerzen hast, leidest du meiner Meinung nach unter schlechtem Gewissen oder Frustration." „Ich leide an gar nichts", erwiderte sie. Sie richtete sich auf und starrte ihn durch die Dämmerung an. „Es hätte uns beiden besser getan, wenn wir uns ins Bett gelegt hätten", fuhr er sanft fort. „Wir hätten es gemütlicher gehabt, wärmer und entspannter." „Du hast nur eine Sache im Sinn, nicht wahr?" fuhr sie ihn an. „Wenn ich mit dir zusammen bin, ja", gestand er ehrlich ein. „Muss etwas damit zu tun haben, dass du blond bist. Deine kühle nordische Schönheit, verbunden mit deiner Sittlichkeit, bewegt mein heißes südliches Blut mehr, als es je die Schönheit einer leidenschaftlichen Brasilianerin geschafft hat." „Und wer lügt jetzt?" erwiderte sie atemlos. „Ich lüge nicht. Deine zarte weiße Haut, dein helles Haar und deine großen goldbraunen Augen haben mich so fasziniert, dass ich dagesessen habe, dich anstarrte und mir gewünscht habe, du wärst nicht so jung und verletzlich, und dass ich nicht verpflichtet wäre ..." er zögerte und fuhr mit leiser Stimme fort, „fortzugehen." „Ich glaube dir nicht", flüsterte sie abwehrend. „Es war Catriona, die dich angezogen hat.
Du hast sie mit nach London genommen, nicht mich. Du ... wolltest sie und nicht mich." Ihre Stimme bebte beim Gedanken an den erlebten Schmerz. „Aber ich vermute, es passt dir besser, den Teil zu vergessen." „Ich habe erklärt, was mit Catriona war", sagte er. „Ich hatte nichts mit ihr im Sinn." „Nun, es hat aber danach ausgesehen." „Und wieso?" „Du bist abends lange mit ihr ausgegangen." „Das stimmt nicht." „Ja, es stimmt. Eines Abends habe ich gesehen, wie du sie vorm Gästehaus abgesetzt hast. Es war ein Uhr morgens." „Du hast mich einmal gesehen", sagte er, „und daraus hast du geschlossen, dass sie jedes Mal mit mir zusammen war, wenn sie spät nach Hause kam. Wahrscheinlich hast du sie nie gefragt, wo sie war?" „Meine Mutter hat sie mehrmals gefragt. Cat hat immer gesagt, sie war mit dir zusammen." „Diese Lügnerin!" Es klang so böse, dass Alexa zusammenzuckte. In der Stille hörte sie ihn schwer atmen, doch als er wieder sprach, lag Sarkasmus in seiner Stimme. „Du wirst mir nicht glauben, weil du beschlossen hast, ihr zu glauben, aber in der Nacht, als du gesehen hast, wie ich sie nach Hause brachte, habe ich sie nur ein paar Kilometer im Wagen mitgenommen. Ich war an dem Tag in Oban. Ich hatte Charlie zu einer Segeljacht gebracht, mit der er eine Kreuzfahrt machte. Ich habe Cat auf der Landstraße aufgepickt. Sie kam von einem Tanz im Dorf. Nicht ein einziges Mal bin ich abends mit ihr ausgegangen." Er hielt inne, als erwartete er eine Antwort von ihr. Doch sie saß da und sagte nichts. Sie war viel zu verwirrt. „Und dass ich dich nicht mitgenommen habe", fuhr er langsam fort, „solltest du mir zugute halten. Immerhin habe ich damals mit einer gewissen Verantwortlichkeit gehandelt. Was hättest du von mir gedacht, wenn ich dich schwanger gemacht hätte und dann weggegangen wäre?" Wieder hielt er erwartungsvoll inne. Als sie noch immer nichts sagte, fuhr er fort: „Ich wusste, ich würde nach Brasilien gehen, und damals hatte ich nicht die Absicht, wiederzukommen. Es gab keinen Platz in meinem Leben für jemand wie dich, weil..." Er hielt inne und Alexa hörte, wie er tief Luft holte. „Um Himmels willen, Ali, versuch, es zu verstehen. Es war besser, dir ein wenig weh zu tun als später sehr viel." „Und dir ist nie eingefallen, dass du mir erklären könntest, dass du nach Brasilien gehst und weshalb du mich nicht mitnehmen konntest", murmelte sie. Seine Erklärung für sein Verhalten verwirrte sie mehr als ihr recht war. „Nein. Schließlich kannte ich dich kaum. Du warst irgendein Mädchen, das ich zufällig in den Ferien kennen gelernt hatte. Ich schuldete dir nichts, und ganz bestimmt keine Erklärung, wohin ich ging und weshalb ich dich nicht mitnehmen konnte", sagte er leise. „Und hat es dir nichts ausgemacht, dass ich dich hasste für das, was du getan hast?" fragte sie. „Du warst jung. Ich dachte, du kommst darüber hinweg. Und du bist es, nicht wahr, Ali? Du hast gesagt, du hast es vergessen. Jetzt bist du erwachsen und mit dem armen George verlobt." In seiner Stimme lag wieder eine Spur von Spott. „Hör auf, dich über George lustig zu machen", schrie sie ihn an. Sie griff nach ihrem Kissen und schleuderte es auf ihn. Bevor es ihn traf, fing er es auf und legte es unter seinen Kopf. „Danke", sagte er trocken, „genau das habe ich gebraucht, um hier unten bequemer schlafen zu können." Alexa starrte ins flackernde Feuer. Ihre Gedanken rasten durcheinander. Hatte Catriona vor fünf Jahren über ihre Beziehung zu Ron gelogen? Wenn es stimmte, hatte es keinen Grund für sie zur Eifersucht gegeben, keinen Grund zu glauben, dass Ron ihre Stiefschwester vorgezogen hatte, keinen Grund, in all den vergangenen Jahren diese bitteren Gefühle für ihn
zu hegen. Sie beugte sich vor und legte ihre Ellbogen auf die Knie. Wem sollte sie glauben, Catriona oder Ron? Und dazu kam ein anderer quälender Gedanke. Wäre sie an diesem Wochenende nicht nach Ardgour gekommen, hätte sie Ron nie wiedergetroffen und hätte keine Zweifel an Catrionas Ehrlichkeit gehabt. , Ach, ich wünschte, ich wäre nie mehr hierhergekommen", murmelte sie. „Ich wünschte, ich hätte dich nie wieder gesehen." „Weshalb bist du nach Ardgour gekommen? Für einen Urlaub im März gibt es bestimmt schönere Gegenden", sagte er. „Wir wollten Ruhe haben, allein sein, damit wir uns ungestört unterhalten können", erklärte sie. „Wir?" „George und ich!" „Weshalb ist er heute Nachmittag nicht mit dir gekommen?" fragte er. „Er war noch nicht da", gestand sie zögernd ein. „Wir konnten gestern nicht zusammen kommen. Er konnte nicht weg. Deshalb bin ich vorgefahren. Aber inzwischen müsste er da sein." „Und wundert sich, wo zum Teufel Alexa steckt", sagte er und lachte plötzlich. „Kein Wunder, dass du so unruhig bist. Hast du irgend jemand erzählt, dass du zum Schloss gehst?" „Ja, Mrs. Maitland. Ich habe gesagt, ic h bin zurück, bevor die Flut den Damm überschwemmt." „Aber statt dessen hast du den Hausdrachen getroffen. Er hat dich aufgehalten, und du konntest das verzauberte Schloss nicht vor. der Flut verlassen und bist gezwungen, mit ihm die Nacht zu verbringen." Er lachte wieder. Es schien ihm zu gefallen, sich selbst als Drachen zu bezeichnen. „Was denkst du, wann der heilige George hier zu deiner Befreiung auftaucht?" „Der heilige George?" wiederholte Alexa verwirrt. „Dein Verlobter hat den richtigen Namen. Es war der heilige George, der die Jungfrau aus den Klauen des Drachens gerettet hat, nicht wahr?" Er stand auf und legte ein paar Holzscheite aufs Feuer. Sie beobachtete ihn. Misstrauen stieg in ihr auf, als sie an seine letzten Worte dachte. „Aber du hast mich heute Nachmittag nicht mit Absicht aufgehalten?" fragte sie, als er sich wieder setzte. „Natürlich war es Absicht", sagte er seelenruhig und machte es sich im Sessel gemütlich. „Ich bekomme hier nur wenig Besuch. Genau gesagt bist du der erste seit meiner Ankunft, und ich habe angefangen, mich ein bisschen einsam zu fühlen. Ich habe mehr Whiskyflaschen geleert, als ich zählen kann, und habe sogar angefangen, Selbstgespräche zu führen." Er hielt inne, dann fügte er mit leiser Stimme hinzu: „Ich bin lieber allein im brasilianischen Dschungel als hier. Ich kann mit mir allein wenig anfangen. Deshalb war ich froh, als der Hagel dich aufgehalten hat. Ich habe so lange mit dir geredet, bis ich sicher sein konnte, dass der Damm überschwemmt ist. Wie du vermutet hast, sind meine Absichten ganz und gar nicht ehrenwert. Ich hoffe noch immer, dass du hier bleibst und mit mir schläfst." „Du verschwendest deine Zeit", sagte sie hitzig. „Das hast du schon einmal gesagt", meinte er und seufzte auf. „Aber ich stimme dir nicht zu." „Ich kehre zum Festland zurück, sobald die Ebbe kommt, und du kannst nichts tun, mich aufzuhalten", sagte sie bestimmt. „Ron, du musst deinen Verstand verloren haben, wenn du denkst, du kannst mich gegen meinen Willen hier festhalten." „Nicht gegen deinen Willen", sagte er. „Gott, bin ich müde. Nachwirkungen der Grippe, glaube ich." „Aber, Ron..."
„Lass uns morgen darüber reden, ja? Ich möchte jetzt schlafen." „Morgen bin ich nicht mehr hier", fuhr sie ihn an. „Nacht, Ali, schöne Träume", murmelte er. Er zog sich die Decke über die Schultern und legte seinen Kopf aufs Kissen. Ärgerlich starrte Alexa ihn an. Wieder einmal war das Knacken des Feuers das einzige Geräusch. Sie suchte ein neues Kissen, machte es sich darauf gemütlich und blickte ins Feuer. Sie konnte nicht mit Ron hierbleiben. Sie musste weg, wenn die Ebbe kam. Sie musste in die Sicherheit des Ardgour-Hauses und zu George fliehen. Armer George. Rons höhnische Bemerkung schien durch den vom Feuer leicht erhellten Raum zu flüstern. Schnell blickte sie zu ihm hinüber, ob er wieder wach war. Aber er bewegte sich nicht, und das gleichmäßige Atmen zeigte ihr, dass er tief schlief. Weshalb lebte er hier allein, wenn ihm die Einsamkeit nicht gefiel? Seine Worte über das viele Whiskytrinken besorgten sie, und offenbar war er krank gewesen. Sein Husten und seine Blässe waren Beweis genug. Irgend etwas stimmte nicht mit ihm, dass er sich hierher verkrochen hatte. Schläfrigkeit überkam sie. Weshalb sollte sie sich Sorgen um Ron machen? Er bedeutete ihr nichts mehr, und sie wollte nicht, dass er ihr wieder etwas bedeutete. Sie sollte lieber an George danken. Machte er sich Sorgen um sie? Und würde er hier herkommen? Ein kleines Lächeln spielte um ihre Mundwinkel, als der Schlaf sie überkam. Und es hatte nichts mit ihren Gedanken an George zu tun. Alexa spürte einen Krampf in ihrem Nacken und einen heftigen Schmerz in ihrer Schulter. Ein lautes Klingeln ließ sie aufspringen. Der Lärm hörte nicht auf. Auf einmal wusste sie, was es war - der Wecker. Es musste Zeit für sie sein, aufzustehen und über den Damm zum Festland zu gehen. Sie musste die Decke aufschlagen, ihre Schuhe und Jacke finden, das Schloss verlassen, die schlüpfrigen Stufen hinunterlaufen, in der windigen Dunkelheit der frühen Morgenstunden über den Damm laufen. Der Gedanke an all dies gefiel ihr ganz und gar nicht. Sie schloss die Augen wieder, kuschelte sich in ihre Decke und hoffte, der Wecker würde endlich zu klingeln aufhören. Er hörte auf, und es war still bis auf ein Geräusch - das Knistern des Feuers. Dass noch immer Holz im Feuer brannte, überraschte sie. Sie hätte geglaubt, inzwischen wären die Scheite zu Asche verbrannt und das Feuer wäre beinahe aus. Ron musste aufgewacht sein und mehr Holz nachgelegt haben. Aber wenn er wach war, weshalb hatte er nicht den Wecker ausgeschaltet und sie erinnert, dass es Zeit zum Gehen war? Weil er nicht wollte, dass sie ging, natürlich. Sie öffnete die Augen, um ihn anzusehen. Mit einem Schock richtete sie sich ruckartig auf. Helles Tageslicht flutete ins Zimmer, und der Sessel ihr gegenüber war leer. Nicht einmal die Decke war mehr da. Ein seltsames Gefühl von Panik rann ihr durch den Körper. Hastig schaute sie auf ihre Armbanduhr. Halb neun. Wenn es halb neun war, hatte sie die Ebbe verpasst, und der Damm war wieder überschwemmt. Doch der Wecker, der auf halb drei gestellt war, hatte gerade erst geklingelt. Sie schob die Decke beiseite, stellte die Beine auf die Erde und rieb sich ihren steifen Hals. Dann nahm sie den laut tickenden Wecker und sah auf die Zeiger. Der Wecker war auf halb neun gestellt. Ihr Atem ging heftig, als sie wütend nach Luft schnappte. Dieser Teufel Ron. Er hatte den Wecker absichtlich verstellt, damit sie die Ebbe verpasste. Heftig stellte sie den Wecker zurück auf den Tisch und zog ihre Stiefel an. Sie nahm ihre Jacke, warf sie über die Schulter und verließ das Arbeitszimmer. Blasses Sonnenlicht schimmerte durch die schmalen Fenster der Halle und zeigte den dicken Staub auf den Möbeln. Sie stieg über die Rüstung, die Ron in der Dunkelheit
umgestoßen hatte, und ging in die Küche. Sie war leer und genauso, wie sie sie gestern abend verlassen hatte. Nur das elektrische Licht brannte, ein Zeichen, dass die Leitungen repariert waren. Sie blickte kurz aus dem Fenster, durch das sie das Festland sehen konnte. Das Wasser war flach und ruhig und schimmerte wie blaue Seide. Die Berge, die in der Ferne hinter Glencorrie lagen, waren mit Schnee bedeckt. Eine Bewegung ließ sie aufmerksam werden. Nicht weit von der felsigen Insel schaukelte ein kleines Fischerboot auf die Bucht zu. Alexa konnte den Mann am Ruder genau erkennen. Suchte Angus MacQuarrie nach ihr? Innerhalb einer halben Sekunde war sie durch den Gang zur Halle gelaufen. Auf dem Weg schlüpfte sie in ihre Jacke und zog den Reißverschluss hoch. Sie griff in ihre Tasche, um den Schal herauszuholen. Sie wollte damit winken, um Angus' Aufmerksamkeit auf sie zu lenken. Mit aller Gewalt drehte sie am Knopf der Eingangstür, doch nichts rührte sich. Sie zog und zog. Noch immer ließ die Tür sich nicht öffnen. Alexa blickte hinunter auf das große Schloss. Es steckte kein Schlüssel darin, doch als sie näher hinsah, konnte sie erkennen, dass die Tür abgeschlossen war. So sehr sie auch zog und rüttelte, die Tür ließ sich nicht öffnen. Ron hatte sie abgeschlossen und den Schlüssel mitge nommen. Um ihrer Wut Luft zu machen, trat sie heftig mit dem Fuß gegen die Tür. Dann raste sie zurück in die Küche und schaute wieder aus dem Fenster. Das Fischerboot war nicht mehr in Sicht. Vielleicht konnte sie es vom Fenster des Arbeitszimmers sehen. Wieder lief sie durch den Gang. Das Fenster lag sehr hoch. Sie musste einen Stuhl nehmen, um hinausschauen zu können. Ihr Herz sank herab. Das Fischerboot beschleunigte seine Geschwindigkeit und fuhr auf die Bucht zu. Da er sie nicht gesehen hatte, hatte Angus wohl seine Suche aufgegeben und war nun auf dem Weg, Mrs. Maitland Bericht zu erstatten. Was sollte sie jetzt tun? Sie kletterte vom Stuhl und ging langsam hinaus in die Halle. Sie war eingeschlossen, und Ron hatte den Schlüssel. Sie bezweifelte keinen Augenblick, dass er auch die Kellertür abgeschlossen hatte. Sie schob ihr Haar aus dem Gesicht. Es fühlte sich fettig an, und ihr Gesicht war wie ausgetrocknet. Sie brauchte ein Bad. Wenn sie sich richtig erinnerte, gab es zwei Badezimmer, und beide waren im oberen Stockwerk. Langsam stieg sie die Holztreppe hinauf. Das erste Zimmer, in das sie blickte, war offensichtlich ein Gästezimmer. Die Möbel waren mit groben Tüchern bedeckt. Sie Schloss die Tür und blieb einen Moment stehen. Von dem anderen Ende des Flures hörte sie das Geräusch laufenden Wassers. Sie ging zur anderen Seite und fand eine Tür, die nur angelehnt war. Sie stieß sie auf und schaute in ein Zimmer, das mit grünem Teppich ausgelegt war. Die antiken Möbel waren aus Eiche, und in der Mitte stand ein breites Bett. Die Kleidung, die Ron getragen hatte, lag auf der Bettdecke verstreut. Auf der gegenüberliegenden Seite befand sich eine weitere Tür, die ebenfalls nur angelehnt war. Von dorther drang das Geräusch ablaufenden Wassers. Alexa ging durchs Zimmer und klopfte an diese Tür. „Ron, bist du da?" fragte sie. „Wer sonst sollte hier sein?" erwiderte er spöttisch. „Du kommst ein bisschen zu spät, sonst hätten wir gemeinsam duschen können. Zu schade. Du hättest meinen Rücken waschen können und ich deinen und wir hätten uns mit Seifenblasen..." Die Tür wurde aufgestoßen, und er stand plötzlich vor ihr. Sein Haar war nass und zerzaust, winzige Wassertropfen glitzerten darin. Seine Schultern und seine Brust glänzten vor Feuchtigkeit. Er hatte ein grünes Handtuch um den unteren Teil seines Körpers gewickelt. Mit einer Hand hielt er es an der Hüfte zusammen. Die andere Hand streckte er aus, und bevor sie sich bewegen konnte, ergriff er eine ihrer blonden Haarsträhnen und hielt sie gegen seine Wange.
4. KAPITEL „Guten Morgen, Ali", murmelte er. Er beugte sich vor und sie auf den Mund. Eine heiße Flamme schoss durch Alexas Körper. Sie wehrte sich — doch dann öffneten sich ihre Lippen unter seinen. Er kam noch näher. Als er seinen Arm um sie legte, roch sie den frischen Duft der Seife. Er stieg ihr in den Kopf und machte sie benommen. Die kühle Feuchtigkeit unter ihren Händen strahlte eine Sinnlichkeit aus, der sie nicht widerstehen konnte. Rau und doch sanft war seine Haut, wie raue Seide, als sie mit ihren Fingerspitzen über seine festen Muskeln strich. Und während der ganzen Zeit waren ihre Lippen auf seine gepresst, als könnte keiner der beiden genug bekommen von der Süße, die sie ineinander fanden. Sie waren wie zwei Menschen, die sich in der Wüste verlaufen hatten, die beinahe vor Durst umkamen und dann, wenn sie eine Oase fanden, in Versuchung gerieten, zuviel zu trinken. „Ich hoffe, du weißt, was du tust", sagte Ron atemlos gegen ihren Mund. „Du nutzt meine Situation aus. Um es gerechter zu machen, solltest du dich auch ausziehen." „Oh!" Sie schob ihn von sich und trat einen Schritt zurück. „Du meinst, du nutzt meine Situation aus!" fuhr sie ihn an. „Du hast den Wecker auf die falsche Zeit gestellt. Das hast du absichtlich gemacht, damit ich die Ebbe verpasse. Und du hast auch die Tür abgeschlossen, damit ich Angus MacQuarrie nicht rufen kann, wenn er vorbeikommt. Er hat mich gesucht. Mrs. Maitland muss ihm erzählt haben, dass ich hier festsitze .. .oh! Und was machst du jetzt?" Während sie bei ihren Worten immer weiter zurückgetreten war, war er ihr langsam gefolgt. Jetzt stieß sie mit dem Rücken gegen einen schweren Eichenschrank und konnte nicht weiter. Er trat direkt vor sie. In seinen Augen lag wieder dieser bedrohliche Blick, den sie schon einmal gesehen hatte. „Ich werde dich wieder küssen", antwortete er und streckte seine Arme nach ihr aus. „Was bei dem letzten Kuss passiert ist, hat mir gefallen. Ich möchte, dass es noch einmal passiert." Seine Stimme war sanft und eindringlich, und der Ausdruck in seinen Augen hypnotisierte sie beinahe, als er sich wieder hinunterbeugte. „Nein", rief sie verzweifelt. Seine Nähe, nackt bis aufs Handtuch, hatte eine verheerende Wirkung auf ihre Sinne. Sie klammerte sich an die hölzernen Planken des Schrankes und drehte ihren Kopf zur Seite. „Es geht nicht." „Warum geht es nicht? Es ist nur natürlich für zwei Menschen verschiedenen Geschlechts, die sich gegenseitig anziehend finden, wie du und ich. Komm, Ali, du bist jetzt erwachsen, denk daran. Und dir hat es gerade eben genauso gefallen wie mir." Seine Finger berührten sanft ihr Kinn, dann legten sie sich zwischen ihre Wange und das Holz des Schrankes. Doch trotz der Sanftheit spürte sie seinen stählernen Willen, und sie wusste, er würde sie zwingen, ihm ihr Gesicht zuzuwenden. Also tat sie es von selbst. „Trotzdem, es hat keinen Sinn", beharrte sie. Er war ihr jetzt so nahe, dass seine Konturen vor ihren Augen verschwammen. „Ich werde George heiraten", fügte sie hinzu. „Vergiss George", murmelte Ron leise. Seine Lippen berührten zart ihren Mund. „Er kann nicht sehr um dich besorgt sein, sonst wäre er schon mit Angus MacQuarrie zu deiner Rettung herübergekommen." Er lachte, und sein warmer Atem kitzelte in ihrem Ohr. „Ich glaube auch gar nicht, dass George existiert. Ich glaube, du hast ihn nur erfunden, um mich loszuwerden." „Das habe ich nicht. Er existiert, und er ist jetzt im Ardgour-Haus. Bitte, Ron, lass mich in Ruhe, bitte! Ich ... ich schäme mich so, wenn wir uns weiterhin küssen. Und dann werde ich mich dafür hassen." „Du schämst dich?" fragte er und ließ sie los, genau wie sie es gehofft hatte. „Weshalb schämst du dich?" „Ich ... ich komme mir George gegenüb er untreu vor", flüsterte sie. Sie nutzte es aus, dass er sie losgelassen hatte, und trat schnell in die Mitte des Zimmers. „Ich bin hier heraufgekommen, weil ich ein Bad nehmen möchte. Ist es dir recht, wenn ich
dein Badezimmer benutze?" „Natürlich", meinte er gastfreundlich und folgte ihr. „Fühl dich wie zu Hause. Saubere Handtücher sind dort drüben im Schrank. Sag mir Bescheid, wenn ich dir helfen soll..." „Ich brauche keine Hilfe", sagte sie. Dann schlug sie die Tür zu und verriegelte sie von innen, damit er ihr nicht folgen konnte. Das Badezimmer war ebenso aufwendig eingerichtet wie das Schlafzimmer. Ein flauschiger grüner Teppich bedeckte den Boden. Die grüne Wanne war tief und übergroß und an drei Seiten mit großen Spiegeln umgeben. Alexa seifte sich ein und legte sich zurück ins warme Wasser. Immer wieder musste sie daran denken, was in ihr vorgegangen war, als Ron sie geküsst hatte. Wie leicht hätte mehr geschehen können. Es hatte nicht viel daran gefehlt, dass sie den Morgen mit ihm auf dem großen Bett verbracht hätte. Als sie sich abrupt aufsetzte, platschte das Wasser über den Rand der Wanne auf den Fußboden. Sie biss sich auf die Unterlippe, um das in ihr aufsteigende Verlangen zu unterdrücken. Hatte sich denn in den vergangenen fünf Jahren nichts verändert? Hatte ihr Erwachsenwerden nichts an ihren Gefühlen für Ron verändert? Sie musste doch aus dieser Verliebtheit ihrer Teenagerzeit herausgewachsen sein! Alexa stieg aus der Wanne und trocknete sich ab. Sie musste der Wirklichkeit ins Auge blicken. Dies war keine unschuldige Verliebtheit eines Teenagers. So schnell sie konnte, musste sie weg aus Rons Nähe. Sie wusste nicht, wie lange sie seiner Anziehungskraft noch widerstehen konnte. Sie konnte ihr Verlangen, ihm ganz nahe zu sein, nicht mehr lange unterdrücken. Schnell zog sie sich an, warf einen Blick in den Spiegel und öffnete die Badezimmertür. Ron war noch in seinem Zimmer. Zu ihrer Erleichterung hatte er sich jedoch inzwischen angezogen. Er trug die gleiche Cordhose, jedoch ein anderes Hemd und einen anderen Pullover. Seltsamerweise fragte Alexa sich, wer seine Kleidung wusch. „Fühlst du dich wohler?" fragte er und legte die Bürste aus der Hand, die er gerade benutzt hatte. „Ja, danke." „Siehst du, wie gut du es hättest, wenn du hier mit mir wohnen würdest?" fuhr er fort. Dabei deutete er in Richtung der Stereoanlage und des Fernsehers. „Hier ist alles, was du dir wünschen kannst, vorausgesetzt, die Elektrizität fällt nicht aus. Und ich kann dir versichern, das Bett ist das beste, das man mit Geld nur kaufen kann." Er ging zu ihr und legte seine Hände um ihre Taille. „Komm und wohne bei mir. Ali, bitte, leiste mir Gesellschaft. Ich mache es dir so schön, wie es nur geht", flüsterte er überzeugend. „Ich kann es nicht", erwiderte sie und trat einen Schritt von ihm weg. „Ich bin an der Art von Leben nicht interessiert." „Du warst es einmal", spottete er. „Ich wünsche, du würdest damit aufhören, mich an diesen Nachmittag zu erinnern", protestierte sie. „Wann immer ich daran dachte, was ich damals gesagt und getan habe, empfand ich nichts als Scham." „Bist du sicher, dass es Schäm war und nicht Enttäuschung, weil nicht geschehen ist, was du wolltest?" sagte er unangenehm offen. Sie zuckte bei seinen Worten zusammen. Er bemerkte es. Sein Ausdruck wurde wieder sanfter, als er zu ihr ging. „Nicht jedermann bekommt eine zweite Chance in seinem Leben", fügte er hinzu. .Aber wir haben sie. Weshalb sollten wir nicht Gebrauch davonmachen? Bleib hier und lebe mit mir. Ali, ich verspreche dir, du wirst froh sein, dass du gewartet hast, bis du erwachsen bist." „Wie unerträglich arrogant du bist", fuhr sie ihn an. „Wie kommst du darauf, dass ich bei dir bleiben möchte? Ich werde nicht mit dir leben, und nichts, was du sagst oder tust, wird meine Meinung ändern. Ich werde George heiraten." Ron warf ihr einen neugierigen Blick zu, und sein Mund verzog sich spöttisch. „Du sagst es andauernd, wiederholst es immer wieder, als wäre es ein Zauberspruch, um den bösen Drachen fernzuhalten", meinte er. „Aber protestiere nicht zuviel, sonst fressen deine eigenen Worte dich plötzlich auf. Apropos, ich habe Hunger." Er wandte sich ab, ging zur Tür und öffnete sie. „Ich hoffe, du leistest mir beim Frühstück Gesellschaft. Ich mache ein
gutes Omelett - und mein Kaffee ist natürlich auch ausgezeichnet", fügte er hinzu. Nachdem er ihr einen weiteren spöttischen Blick zugeworfen hatte, verließ er das Zimmer. Wütend ging Alexa hinüber zu dem großen Spiegel und musterte ihr Ebenbild. Ihre Wangen waren gerötet, und ihre goldbraunen Auge n schimmerten. Sie zeigten ihre Wut, und diese Tatsache erboste sie noch mehr. Weshalb konnte sie nicht kühl bleiben, wenn sie in Rons Nähe war? Weshalb reagierte sie so verletzlich auf alles, was er sagte? Sie ignorierte die Antwort, die sofort in ihre Gedanken schoss. Griff schnell nach der Bürste und bürstete ihr Haar so lange, bis es wieder weich auf ihre Schultern fiel. So war es besser. Jetzt sah sie wieder aus wie George Lawsons tüchtige Sekretärin und weniger wie das junge Mädchen, das Ron Letham vor fünf Jahren im Heidekraut geküsst hatte. Sie zog ihre Stiefel an und schlüpfte in ihre weiche Jacke. Sie war bereit, dies Schloss der Versuchung zu verlassen. Hätte sie nur aus dem Schloss herausgekonnt. Sie hätte Angus MacQuarrie auf sich aufmerksam gemacht und wäre längst fort. Sie wäre im Gästehaus bei George und hätte Ron nie wieder gesehen, niemals, dafür hätte sie schon gesorgt. Sie trat zum Fenster, stellte sich auf Zehenspitzen und spähte hinaus. Auf dem Festland konnte sie einen kleinen Zipfel des Gästehauses erkennen. An diesem ruhigen Morgen wirkte es nicht sehr weit weg. Ohne Schwierigkeiten konnte sie hinüberrudern. Der neue Gedanke ließ sie schnell durchs Zimmer eilen, die Treppe hinunter. Unten in der Halle holte sie kurz Luft und ordnete schnell wieder ihr Haar mit den Händen. Sie musste kühl und gefasst wirken, wenn sie Ron gegenübertrat. Diesmal musste sie ihm zeigen, wie entschlossen sie war, das Schloss zu verlassen. Er saß am Küchentisch und aß. Köstlicher Kaffeegeruch füllte den Raum. Bei ihrem Eintreten blickte er auf und warf ihr wieder einen dieser Blicke zu, die ihr Blut zum Wallen brachten. „Gehst du aus?" fragte er. „Ja", erwiderte sie mit fester Stimme. „Wenn du mir bitte den Schlüssel gibst, damit ich die Haustür aufschließen kann." „Selbst wenn ich ihn dir gebe, könntest du nur um die Insel laufen", entgegnete er. „Weshalb trinkst du nicht erst eine Tasse Kaffee? Und ich kann auch noch schnell ein Omelett zubereiten." „Wenn du nett und anständig wärst, würdest du das Ruderboot zum Wasser tragen und mich zum Festland hinüberrudern", sagte sie. Trotz ihrer Bemühungen zitterte ihre Stimme. „Aber du weißt und sagst mir immer wieder, dass ich nicht nett und anständig bin", entgegnete er. Er lehnte sich gegen den Stuhlrücken, steckte die Hände in seine Hosentaschen und lächelte sie an. „Alles, was ich tue, ist nur in meinem eigenen Interesse. Das Ruderboot zu nehmen und dich zum Festland zu bringen, wäre nicht zu meinem Besten, und in diesem Fall auch nicht zu deinem. Weißt du, das Boot hat ein Leck, und in ein paar Minuten würden wir untergehen." Er lehnte sich noch mehr in seinem Stuhl zurück und blickte sie aus zusammengekniffenen Augen herausfordernd an. „Das Boot sah völlig in Ordnung aus, als ich es gestern angeguckt habe", stritt Alexa. „Du hast es nicht gut genug angesehen. Zwei der Holzplanken sind aus der Fassung gesprungen, und Wasser läuft herein. Ich muss es wissen. An meinem ersten Tag hier wollte ich hinausrudern. Ich hatte ganz schön zu tun, es wieder an Land zu ziehen, als es voll mit Wasser war." Enttäuscht sackten ihre Schultern herab. Sie setzte sich auf einen der Stühle am Tisch. Sie hätte wissen müssen, dass er das Boot bei seiner Ankunft ausprobiert hatte. „Hier, trink einen Kaffee." Er stand neben ihr und reichte ihr eine Tasse. „Es geht dir besser, wenn du etwas im Magen hast. Versuche, dich mit deinem Schicksal abzufinden, und akzeptiere die Lage, wie sie ist", fügte er sanft hinzu. .Aber ohne dich wäre ich nicht in dieser Lage", fuhr sie ihn an. Sie vergaß ihren Beschluss,
kühl und gefasst zu bleiben. „Hätte ich heute morgen hinausgekonnt, hätte ich Angus' Aufmerksamkeit auf mich lenken können. Er hat bestimmt nach mir gesucht." „Ja." Rons Stimme war fest. Er ging hinüber zum Herd und sah in die Pfanne, in der etwas dampfte. „Woher weißt du das?" fragte sie. „Er hat am Steg angelegt und ist an Land gekommen. Sein Klopfen an der Tür heute morgen hat mich aufgeweckt. Er hat gesagt, Mrs. Maitland hat ihn gebeten, nach dir zu suchen. Er wollte wissen, ob ich dich nicht gesehen habe. Ich habe ihm gesagt, du hast die Nacht hier verbracht und wirst noch etwas länger bleiben." „Du hättest mich aufwecken sollen", schrie sie ihn an. „Ich hätte mit ihm fahren können. Weshalb hast du mich nicht geweckt?" „Ich glaube, das weißt du", antwortete er gleichgültig, als er das Omelett aus der Pfanne auf einen Teller legte. Er nahm den Teller, brachte ihn und stellte ihn vor ihr ab. „Hier, iss das", befahl er. Das Omelett sah appetitlich aus und roch gut. Sie konnte nicht widerstehen, doch nach einer Gabel voll wandte sie sich wieder zu ihm. „Ich mache mir Sorgen, was Mrs. Maitland und George denken, dass ich nicht zurückkomme", murmelte sie. „Sie denken, du bist in Sicherheit", antwortete er, nahm seine Kaffeetasse und leerte sie. .Aber ich bin nicht..." Sie hatte sagen wollen, dass sie mit ihm nicht in Sicherheit war. Doch als sie wieder den amüsierten Blick in seinen Augen sah, beschloss sie, keinen solchen Fehler zu machen. Deshalb holte sie tief Luft und sagte gezwungen: „Ich gehe heute Nachmittag, sobald die Ebbe kommt." Er griff nach der Kaffeekanne, nahm sie und schenkte sich eine weitere Tasse voll ein. Es schien, als hätte er nicht gehört, was sie gesagt hatte. „Ron!" Sie versuchte, scharf zu klingen. „Hast du mich verstanden?" Er nahm ein Stück Zucker, ließ es in die Tasse fallen und rührte langsam um. „Ja, ich habe dich verstanden", sagte er. „Du sprichst ziemlich laut. Aber wie kommst du aus dem Schloss heraus?" fragte er und schaute sie überrascht an. „Ich hoffe, du beabsichtigst nicht, die Bettlaken von meinem Bett zu nehmen, zusammenzuknoten und aus dem Fenster zu hängen. In Romanen und Filmen ist das ein bekannter Fluchttrick, glaube ich, aber trotzdem halte ich das für ein bisschen riskant. Die Fenster, die zu öffnen sind, liegen ziemlich hoch. Und es besteht immerhin die Möglichkeit, dass einer der Knoten sich löst. Wenn du aus der Höhe herunterfällst, könntest du dir ein Bein brechen oder sonst was antun. Und das möchte ich wirklich nicht." Bei dem Gedanken, wie schwer es für sie war, dass Schloss zu verlassen, schien er sich zu prächtig zu amüsieren. Alexa fiel es schwer, weiterhin kühl und gleichgültig zu bleiben. „Du meinst, du wirst mir die Tür nicht öffnen?" fragte sie. Sie überlegte, wo er den Schlüssel versteckt haben mochte. Sie wusste, es war ein sehr großer verschnörkelter Schlüssel. „Genau. Ich bin faul heute und habe kein Verlangen auszugehen. Und mehr Besucher erwarte ich nicht. Es sei denn, George kommt. Glaubst du, er wird kommen?" Herausfordernd blickte er sie an. Es hatte keinen Sinn, ihn wissen zu lassen, dass sie nicht daran glaubte. Wenn George wusste, dass sie in Sicherheit war, würde er es sich gemütlich machen und abwarten, bis sie zum Gästehaus zurückkehrte. Sie konnte sich vorstellen, wie sehr er die Behaglichkeit genoss. Er war nicht besonders romantisch, dachte sie unglücklich. Allerdings wusste er auch nicht, dass sie sich in den Klauen eines Drachens befand. „Ja, ich glaube, er wird kommen", log sie. „Mrs. Maitland hat ihm sicher gesagt, dass ich auf die Ebbe heute Nachmittag warten muss. Er wird mir entgegenkommen, bis zur anderen Seite des Dammes natürlich."
„Und wenn du nicht an der anderen Seite des Dammes erscheinst, wird er herüberkommen und dich holen?" fragte Ron geradeheraus. „Ich hoffe, er tut es. Ich möchte ihn gern kennen lernen." Diesmal geriet ihr Blick ins Schwanken, als sie die Herausforderung in seinen Augen sah. Unsicher kaute sie auf ihrer Unterlippe. Es durfte nicht geschehen, dass George und er sich kennen lernten. Beide würden herausfinden, dass sie gelogen hatte. „Ich wünschte, ich wüsste, was es dir gibt, mich hier festzuhalten", murmelte sie. Trotzig hob sie ihr Kinn an. „Es ist gegen das Gesetz, wie eine Entführung." „Ich hoffe, ein paar Stunden länger, vielleicht sogar Tage, deine Gesellschaft zu genießen", sagte er. „Und wenn du es nicht anders nennen kannst, dann betrachte es als Entführung, bis du nachgibst und in meine Wünsche einwilligst." „Du willst mir doch nicht weismachen, dass dir meine Gesellschaft gefällt?" protestierte sie matt. „Wir haben nichts anderes getan, als uns zu zanken." „Das ist nicht alles, was wir getan haben. Und es wird nicht alles bleiben. Außerdem — was hast du an unserem Gezanke auszusetzen? Immerhin haben wir dabei eine ganze Menge übereinander herausge funden." „Ich habe vor fünf Jahren alles über dich herausgefunden", erwiderte Alexa. Sie warf ihm einen ärgerlichen Blick zu. „Und was ich herausgefunden habe, hat mir nicht besonders gefallen. Ich habe erfahren, dass du selbstsüchtig, grausam und eingebildet bist." „Wir haben uns kaum gekannt", wandte er ein. „Weil ich dich geküsst und dann verlassen habe, meinst du, du kennst mich." Er lehnte sich im Stuhl zurück und musterte sie von oben bis unten. „Vor fünf Jahren warst du ein rundlicher Teena ger mit Babyspeck auf den Wangen und Sommersprossen auf der Nase. Du warst ein unschuldiges kleines Mädchen, das gerade aus der Schule gekommen war. Jetzt bist du eine elegante, erfahrene junge Frau, die ein verbotenes Wochenende mit ihrem Chef auf dem Lande verbringt." „Ich tue nichts Verbotenes", fuhr sie ihn an. „An meiner Beziehung zu George gibt es nichts Verbotenes." Sie sah, wie er skeptisch seinen Mund verzog, und fuhr fort: „Dass du es wagst, so etwas zu sagen!" Aber wieder verwirrte sie sein durchdringender Blick, und sie wandte ihren Kopf zur Seite. Er beugte sich vor, nahm die Kaffeekanne und schenkte sich eine weitere Tasse ein. Langsam kehrte ihr Blick zu ihm zurück, und sie musterte ihn aus den Augenwinkeln heraus. Jetzt entdeckte sie eine Veränderung in seinem Gesicht, die sie vorher nicht bemerkt hatte. Es lag eine Härte darin, die vor fünf Jahren nicht dagewesen war, eine Art von Vorsicht, als wären einige seiner Erfahrungen nicht besonders angenehm gewesen. „Ron, weshalb bist du nach Brasilien gegangen?" fragte sie plötzlich. Er warf ihr einen überraschten Blick zu. Dann rührte er ausgiebig seinen Kaffee um. Einen Moment lang fragte sie sich, ob er ihre Frage übergehen würde. Er trank einen Schluck Kaffee, stellte die Tasse ab und sah sie an. „Ich bin zurückgekehrt, weil ich dort geboren wurde und gelebt habe, bis ich vierzehn war", antwortet er langsam. „Selbst nachdem ich hier zur Schule gegangen war und studiert hatte, hatte ich noch immer das Gefühl, mehr nach Brasilien zu gehören als hierher. Auch mein Aussehen war mehr brasilianisch als britisch. Ich musste zurück, um herauszufinden, ob mein Gefühl richtig war, oder ob ich mich selbst betrog und nur unter den Erinnerungen litt. Außerdem hatte Onkel Hugh mich gebeten, etwas in Brasilien für ihn zu tun." Er nahm seine Tasse und trank einen Schluck. Alexa hatte das Gefühl, dass er seine Worte sehr vorsichtig gewählt und ihr nicht alle Gründe genannt hatte, weshalb er in sein Heimatland zurückgekehrt war. „Und hast du herausgefunden, dass du dorthin gehörst?" fragte sie. „Anfangs ja. Ich habe eine Stellung als Lektor für Anthropologie an der Universität gefunden, an der meine Mutter einmal gearbeitet hatte. Ich habe auch viele Freunde gefunden." Er hielt kurz inne und lächelte nachdenklich. „Es gibt keine andere Stadt als Rio, in der man soviel Spaß haben
kann." „Weshalb bist du dann zurückgekommen?" Wieder schaute er sie an und musterte sie eingehend, als wusste er nicht, ob er ihr die Gründe für seine Rückkehr anvertrauen sollte. „Man könnte sagen, Onkel Hughs Testament hat mich hierher gelockt", sagte er schließlich. „Er hat mir ein ganz beträchtliches Jahreseinkommen hinterlassen, jedoch unter der Bedingung, dass ich jedes Jahr sechs Monate hier lebe. Es war seine Art, mich an mein schottisches Erbe zu binden. Und da ich nach einer gemütlichen Unterkunft gesucht habe, in der ich mich für eine Weile verkriechen konnte, habe ich seine Bedingungen akzeptiert und bin hierhergekommen." Er lächelte verhalten. „Ich muss sagen, seit ich dich wiedergetroffen habe, ist der Gedanke wesentlich angenehmer, hier für sechs Monate zu leben." Alexa spielte mit ihrem Besteck. Sie hielt ihren Blick gesenkt und versuchte seine Worte zu ignorieren. „Aber weshalb musst du dich verstecken?" „Ich muss mich nicht verstecken", erwiderte er. „Ich dachte nur, ich ziehe mich für eine Weile von der Außenwelt zurück, weil es dadurch wahrscheinlicher ist, dass ich erreiche, was ich vorhabe." „Und was ist das?" „Ein Buch zu schreiben über die Arbeit meiner Eltern, über ihr Leben inmitten der Eingeborenen-Stämme Südamerikas. Weißt du, das war es, worum Onkel Hugh mich gebeten hatte, als ich damals hier war. Er wollte, dass ich herausfinde, was mit meinen Eltern geschehen war, und ich habe es herausgefunden. Ich bin in den Dschungel gegangen und habe ihre Spur aufgenommen." „Aber woher wusstest du, wo du anfangen solltest?" rief sie. „Es müssen Jahre her sein, seit sie verschwunden sind." „In der Universität in Rio habe ich ein paar Leute kennen gelernt, die meine Mutter und meinen Vater kannten. Sie waren am Beginn jener Expedition bei ihnen. Sie konnten mir sagen, dass meine Eltern allein losgezogen waren, um Kontakt mit einem gewissen Eingeborenen-Stamm aufzunehmen, den noch kein Weißer gesehen hatte. Ich brauchte nur zu dem medizinischen Lager zu fahren, dass sie als Ausgangspunkt benutzt hatten. Von dort aus habe ich mehrere Expeditionen unternommen, bis ich den Stamm gefunden habe." „Und du bist ganz allein gewesen?" „Die meiste Zeit ja. Es war ein sehr persönliches Unternehmen." „Du musst sehr lange gebraucht haben." „Mehr als drei Jahre." „Was hast du mit deiner Stellung als Lektor gemacht?" „Ich habe sie aufgegeben, bevor ich losgegangen bin." Er schaute an ihr vorbei ins Leere. Sie hatte den Eindruck, dass er so gleichgültig antwortete, damit sie ihm nicht zu viele Fragen stellte. „Hast du ihre Spur gefunden? Hast du herausgefunden, was mit ihnen passiert ist?" beharrte sie, und sein Blick schweifte wieder zu ihr herüber. „Entschuldigung, ich habe dich nicht verstanden. Was hast du gesagt?" fragte er. „Ich habe gefragt, ob du deine Eltern gefunden hast", sagte sie. „Ich habe ihr Grab gefunden", antwortete er. „Auf dem Friedhof des Stammes, dem ihre Expedition gegolten hatte." „Wie sind sie gestorben?" fragte sie. „Ich hoffe, die Einheimischen haben sie licht umgebracht." „Nein. Es war ein friedfertiger Stamm. Zumindest haben sie sich nicht von meinen Eltern bedroht gefühlt. Sie haben offenbar eine seltene Dschungelkrankheit bekommen. Sie hatten nicht genug Medikamente bei sich und waren zu krank, um zu dem medizinischen Posten zurückzukehren. Und da der Stamm noch zu scheu war, der Außenwelt eine Nachricht zu übermitteln, haben sie meine Eltern bei sich begraben, und niemand hat etwas über ihren Tod
erfahren." „Es muss ein großartiges Gefühl gewesen sein, dass du sie schließlich gefunden hast", sagte sie. Sein Bemühen, seine Eltern zu finden, veränderte irgendwie ihre Meinung über ihn. Das Bild des Playboys stimmte jetzt nicht mehr. Statt dessen formte es sich zu dem Bild eines wirklichen Mannes, der sich ernsthaft einer Sache annahm, die er studiert und gelernt hatte, der fähig war, auf jeden Komfort zu verzichten, um etwas zu tun, um das ein alter Mann ihn gebeten hatte. „Ja, das war es wohl." Er zuckte mit den Schultern. „Als ich endlich zum nächstmöglichen zivilisierten Ort zurückkehrte, war Onkel Hugh gestorben. Ich konnte ihm nichts von meinem Erfolg erzählen." Er starrte sie verwirrt an. „Weiß du, du bist der erste Mensch, dem ich davon erzähle." „Hast du es nicht Charlie oder Helen erzählt? Oder deiner Cousine Mrs. Carstairs, als du bei der Hochzeit warst?" „Nein. Sie waren viel zu sehr mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt." Sein Mund zuckte zynisch. „Sie haben meinen Vater immer für verrückt gehalten, weil er lieber durch den Dschungel gelaufen ist, als im Baugeschäft Geld zu machen. Sie haben die Ehe meines Vaters missbilligt, weil seine Frau Brasilianerin war. Und jetzt hassen sie mich, weil Onkel Hugh mir dieses Schloss vermacht hat. Weshalb also sollte ich ihnen erzählen, was ich tue oder vorhabe?" Jetzt lächelte er sie an. „Das ist genug von mir", meinte er achselzuckend. „Was hast du in den letzten fünf Jahren gemacht? Wenn ich mich recht erinnere, wolltest du eine Sekretärinnenausbildung machen." „Ja." „Hmm." Er lehnte sich im Stuhl zurück. Sein Ausdruck wurde wieder herausfordernd, als er sie anblickte. „Ich brauche eine Sekretärin." „Wofür?" „Für mein Buch, natürlich. Und wen immer ich einstelle, es wäre sehr angenehm, wenn die Person, die das Buch tippt, hier mit mir leben könnte. Du wärst mir genau recht." .Aber ich habe bereits eine Stellung", entgegnete Alexa kühl. „Ich bin Georges Sekretärin." „Ach, wirklich?" fragte er. „Das ist interessant. Sag, wessen Idee war es, dieses gemeinsame Wochenende zu verbringen? Deine oder seine?" „Seine. Ich habe dir schon mal gesagt, dass er irgendwohin wollte, wo es ruhig ist, wo wir Spazierengehen können und reden und ..." „Zusammen schlafen", fügte er boshaft hinzu. „Nein!" Sie schrie ihn beinahe an, so wütend war sie. „Wie auch immer, bei Mrs. Maitland könnten wir ohnehin nicht miteinander schlafen. Wir haben Einzelzimmer gebucht. Sie würde es herausfinden und uns hinauswerfen. Sie ist sehr akkurat, was das Verhalten ihrer Gäste anbetrifft." „Aber weiß sie wirklich, was ihre Gäste machen, wenn sie sich schlafen legen?" fragte er mit einer Spur Zynismus in seiner Stimme. „Ich bezweifle es. Außerdem kann ich nur schwer glauben, dass ein Witwer in seinen besten Jahren ein langes Wochenende mit seiner Sekretärin verbringt, ohne solche Gedanken im Kopf zu haben." „Ich habe das Gefühl, du willst mein Vertrauen in George zerstören", beschuldigte sie ihn und sprang auf. „Und er ist kein Witwer. Seine Frau hat ihn verlassen, und er hat sich scheiden lassen. Er hat gesagt, er möchte mich heiraten, aber ich weiß nicht..." Sie hielt inne, als ihr bewusst wurde, dass sie zuviel gesagt hatte. „Also bist du nicht mit ihm verlobt", sagte er sanft. Er musterte sie mit kalten, zusammengekniffenen Augen. Auf einmal wusste sie, dass sie ihn nicht länger anlügen konnte. „Nein. Wir sind nicht verlobt", gab sie zu. Sie wandte sich von seinem prüfenden Blick ab. „Ich habe das erfunden." Vor Scham, dass er ihre Lüge herausgefunden hatte, wusste sie nicht, was sie tun sollte.
Unruhig stand sie auf und trat zum Fenster. Sie blickte hinunter auf das ruhige blaue Wasser, das die Insel vom Festland trennte.
5. KAPITEL
Rons Füße scharrten auf dem Boden, als er den Stuhl zurückschob. Alexas Nerven bebten. Hinter sich hörte sie, wie er zu ihr kam. „Du bist nicht besser als Cat", spottete er. „Du hast genauso übertrieben, wie sie es immer getan hat. Du hast die schäbige kleine Affäre mit deinem Chef abgedeckt, indem du behauptest hast, du bist mit ihm verlobt." „Aus dem Grund habe ich es nicht gesagt", wandte sie wütend ein. Sie wirbelte herum und sah ihn an. „Nein?" Skeptisch zog er die Brauen hoch. „Und dann dieser ganze Quatsch heute morgen, dass du dich hasst, weil du ihm untreu bist. Und ich habe dir geglaubt, habe dich in Ruhe gelassen, weil ich nicht wollte, dass du dich hasst. Jetzt jedoch bin ich der Meinung, dass du George nichts anderes schuldest als die Treue einer Sekretärin für ihren Chef. Und du bist nicht an jemand anderen vergeben, wie du mir weismachen wolltest. Es besteht kein Grund mehr für mich, mich weiterhin zurückzuhalten." Sie trat schnell zurück, aber es gab nichts, wohin sie gehen konnte. Sie spürte, wie sich die hohe Fensterbank in ihren Rücken presste. Er streckte seine Arme aus und ergriff ein paar Strähnen ihres Haares. Mit aufgerissenen Augen, trockener Kehle und pochendem Herzen warf sie ihren Kopf zurück. Dann schrie sie vor Schmerz auf, als er sie am Haar festhielt. „Bitte, lass mich los. Du tust mir weh", keuchte sie atemlos. „Nein, das stimmt nicht", entgegnete er sanft. „Du tust dir selbst weh. Du hättest dich nicht bewegen sollen." Seine Hand fuhr unter ihr Haar, legte sich um die Rundung ihres Nackens und zog sie an sich, während er seinen Kopf zu ihr hinunterbeugte. „Bitte ... nicht..." Der Rest ihres Einwands wurde erstickt, als sein Mund den ihren bedeckte. Der Kuss war so schwindelerregend, dass sie ihn sofort erwiderte, ehe sie Kontrolle über sich erlangen konnte. Er reagierte sofort. Der Druck seiner Lippen wurde fester. Mit seiner freien Hand zog er den Reißverschluss ihrer Jacke auf. Sie spürte seine Finger durch die Seide ihres Unterrocks, als sie unter ihren Pullover glitten. Ihre Hand fuhr hinunter, um nach seinem Handgelenk zu greifen. Doch sein Mund presste sich nur fester auf ihren, während seine Hand höher glitt. Ein wunderbares Gefühl raste durch ihren Körper, und jedes Kampfgefühl in ihr verging. Mit einem leisen Stöhnen entspannte sie sich. Ihre Lippen öffneten sich. Ihre Hände wanderten hinauf zu seinem Hals, zu seinen Wangen, streichelten sein Haar, als sie sich dem Verlangen in ihrem Körper hingab. Der Nebel, durch den sie flutete, wurde durch ein Klopfen an der Tür unterbrochen. Auch Ron hörte das Geräusch. Er löste seinen Mund von ihren Lippen und fluchte leise. Ärgerlich über die Störung, legte Alexa ihren Kopf an seine Brust und horchte auf seinen schnellen Herzschlag. „Wer kann das sein?" murmelte sie, als das Klopfen nicht aufhörte. „Könnte George sein, der in Angus' Boot zu deiner Errettung kommt", erwiderte er spöttisch. Er küsste sie aufs Haar und schob sie sanft von sich. Auf einmal wurde Alexa bewusst, was hätte passieren können, wenn niemand gekommen wäre. Ein heißer Schauer der Scham lief durch ihren Körper. Mit einem leisen Ausruf wandte sie sich von ihm ab und bedeckte ihr Gesicht mit ihren Händen. „Was ist los?" fragte er sanft. Seine Hand lag auf ihrer Schulter, als wollte er sie zu sich herumdrehen. „Du bist abscheulich", flüsterte sie und schüttelte seine Hand ab. „Warum?" Er klang ungläubig und gleichzeitig erheitert. „Weil du ausgenutzt hast, dass..." begann sie.
„Du meinst, weil ich genommen habe, was mir angeboten wurde", unterbrach er sie spöttisch. Sie hörte die quietschenden Sohlen seiner Schuhe auf den Steinfliesen, als er das Zimmer verließ, um die Tür zu öffnen. Alexa holte tief Luft. Sie versuchte, die Kontrolle wiederzuerlangen. Sie rückte ihren Pullover zurecht und zog den Reißverschluss der Jacke wieder zu. Sie hoffte nur, dass man ihr ihre Erregung nicht ansah, als sie den Gang zur Halle entlangeilte. Als sie dort ankam, drehte Ron gerade den großen eisernen Schlüs sel im Schloss herum. Er riss die Tür ruckartig auf. Als sie sah, wer dort stand, atmete Alexa erleichtert auf. Es war nicht George. Es war Angus in einer gelben Öljacke und kniehohen Gummistiefeln. Unter einer Fischermütze blinzelten seine blassen Augen neugierig hervor. „Tut mir leid, dass ich noch mal stören muss, Mr. Letham", sagte er mit seinem HochlandAkzent. „Aber Mrs. Maitland hat mich gebeten, noch einmal herzukommen und Miss Morton eine Nachricht zu bringen." In diesem Augenblick trat Alexa vor, und er sah sie. „Sind Sie's selbst, Alexa?" fragte er und nahm zur Begrüßung seine Mütze ab. „Ist lange her, seit ich Sie zum letzten Mal gesehen habe. Geht's Ihnen gut?" „Sehr gut, danke, Angus", erwiderte sie höflich. „Und wie geht es Ihnen und Mrs. MacQuarrie?" „Auch gut. Allerdings leidet meine Frau in diesem Winter sehr an Rheuma", sagte er. „Mrs. Maitland sagt, sie ist froh, dass Ihnen gestern abend nichts passiert ist. Sie sagt, Ihre Mutter hat heute morge n sehr früh angerufen und wollte Sie sprechen. Es scheint, es hat einen Unfall gegeben." „Was für einen Unfall?" fragte Alexa und spürte, wie ein Angstgefühl in ihr aufstieg. „Das kann ich Ihnen nicht sagen, weil Mrs. Maitland es mir nicht gesagt hat. Aber sie meint, Sie sollten Ihre Mutter sofort anrufen." „Aber das geht nicht. Das Telefon hier ist nicht angeschlossen", antwortete sie. „Angus, könnten Sie mich zum Gästehaus hinüberbringen?" „Hm, ich bin schon ein bisschen spät dran und muss nach meinen Netzen gucken", sagte er. Er schob seine Mütze ein Stück über die Augen und kratzte sich am Hinterkopf. „Ich weiß, Sie haben bestimmt viel zu tun", sagte sie dringlich. „Aber vorm Nachmittag gibt es keine andere Möglichkeit für mich, aufs Festland zu kommen. Und ich würde mich gern mit meiner Mutter in Verbindung setzen." Sie schaute ihn schmeichelnd an. Sie freute sich über sich selbst, dass sie die Möglichkeit gefunden hatte, nicht nur Ron zu entkommen, sondern auch der Verlockung, ihrem eigenen Verlangen nachzugeben. „Hm, gut. Ich denke, ich kann das machen. Immerhin handelt es sich um einen Notfall", stimmte Angus zögernd zu. „Aber beeilen Sie sich." Er begann, die Stufen hinunterzusteigen. „Schönen Tag, Mr. Letham. Da Sie wieder hier wohnen, werden wir uns bestimmt wiedersehen." „Auf Wiedersehen, Angus", rief Ron ihm nach. Doch als Alexa ohne ein Wort an ihm vorbeischlüpfte, hielt er sie am Arm fest und schwang sie zu sich herum. „Du sagst mir Bescheid, was das mit dem Unfall bedeutet", meinte er herrisch. Sein Blick bohrte sich in ihren, als wollte er versuchen, ihre Gedanken zu lesen. „Nein, das tue ich nicht. Jetzt habe ich endlich die Möglichkeit, von dir wegzukommen, und ich werde auch wegbleiben. Ich möchte dich nicht wiedersehen", zischte sie ihn an. Sie riss ihren Arm los und rannte hinter Angus her. Umgeben von Fischernetzen, orangefarbenen Bojen und alten Ölkannen saß Alexa auf den Fischkästen im Cockpit des kleinen Fischerbootes. Sie warf einen Blick zurück über das schimmernde Wasser zum Schloss. Wie anders es heute morgen aussah. Im warmen Frühlingssonnenschein glitzerten die grauen Granitwände. Auf der grünen Insel vor dem Hintergrund schneebedeckter Berge wirkte es wie ein Schloss aus einem Märchen, ein verzauberter Platz, an dem Träume wahr werden konnten. Ruckartig wandte sie sich ab. In ihren Taschen ballte sie die Hände zu Fäusten. Heftig biss
sie sich auf ihre Unterlippe, um die Gefühle unter Kontrolle zu halten, die in ihr aufwallten. Sie wollte nicht wieder zum Schloss zurückblicken. Denn zurückblicken bedeutete Erinne rung an das, was dort geschehen war. Es bedeutete, wieder die Berührung von Rons Lippen auf ihren zu spüren, seine warmen Hände auf ihrem Körper. Und es bedeutete Erinnerung daran, dass sie dieser Verlockung beinahe nachgegeben hatte. Sie musste vorwärtsblicken zum Gästehaus, das immer näher kam. Sie musste an George denken. Weshalb war er nicht gekommen? Hatte der Unfall etwas mit ihm zu tun? Seltsam, aber sie konnte sich nicht erinnern, wie George aussah. Sie wusste nicht, welche Farbe sein Haar hatte oder ob seine Augen braun oder blau waren. Das Bild eines anderen Mannes hatte ihn völlig aus ihren Gedanken verbannt. O Gott! Schon wieder dachte sie an Ro n. In weniger als vierund zwanzig Stunden hatte er es geschafft, ihre fünfjährigen Bemühungen, ihn zu vergessen, wegzuwischen. Es war, als wäre er niemals fortgegangen. Jetzt war ihr wieder zumute wie an jenem Tag, als er sie im Heidekraut in seinen Armen gehalten hatte. Weshalb aber hatte sie dann seine Einladung abgelehnt, bei ihm zu bleiben und mit ihm im Schloss zu arbeiten? Weshalb hatte sie vergangene Nacht gelogen, weshalb hatte sie George benutzt, sich zur Abwehr hinter ihm zu verstecken? Wovor zu verstecken? Die Antwort kam schnell und ließ sie vor Verzweiflung erschauern. Sie hatte sich hinter- George versteckt, weil sie Angst hatte, sich wieder in Ron zu verlieben und wieder von ihm verletzt zu werden. Das Boot verlangsamte seine Geschwindigkeit. Sie blickte auf und sah, dass sie sich dem Anlegesteg vom Gästehaus näherten. Als das Boot an der Steinmauer anlegte, bedankte sie sich bei Angus, kletterte auf den Steg und ging die Steinstufen hinauf, die zur Straße führten. Sie hörte hinter sich, wie das Boot aus der Bucht aufs offene Meer hinaustuckerte. Im Garten des Gästehauses zwitscherten die Vögel. Sie entdeckte ein paar Krokusse, die sich unter dem Schutz der Rhododendronhecke geöffnet hatten. Als sie auf die Veranda trat, öffnete sich die Tür, und Mrs. Maitland erschien. In ihrem rosigen Gesicht lag ein ernsthafter Ausdruck, und ihre grauen Augen wirkten kalt. „Sie sind mir vielleicht eine. Sitzen die ganze Nacht auf der Insel fest", schimpfte sie. „Habe ich Sie nicht vorher vor der Flut gewarnt? Ach, ich habe vor Sorge um Sie beinahe meinen Verstand verloren. Und dann ihr Freund, der bis jetzt noch nicht aufgetaucht ist." „Ich ... es tut mir leid", sagte Alexa. Sie trat in die helle saubere Halle, die nach Möbelpolitur roch. „Ich konnte Ihnen nicht Bescheid sagen. Das Telefon im Schloss ist nicht angeschlossen. Und ich verstehe nicht, dass George... Mr. Lawson, nicht gekommen ist." „Am besten rufen Sie gleich Ihre Mutter an", antwortete Mrs. Maitland. Sie stieß die Tür zu einem kleinen Raum auf, das sie als Arbeitszimmer benutzte. „Das Telefon steht auf dem Schreibtisch. Sie hat gesagt, Sie sollen ein R-Gespräch führen. Sie müssen also erst die Vermittlung anwählen." Alexa ging zum Schreibtisch, setzte sich auf die Kante, nahm den Hörer und wählte. Beim Aufblicken sah sie, dass Mrs. Maitland noch immer da war. Sie hatte ihre Hände in die Hüften gestützt und schaute sie neugierig und misstrauisch an. „Angus hat mir gesagt, Sie haben die Nacht mit einem Mr. Letham verbracht", sagte sie. „Ist das Sir Hughs Neffe, der, mit dem Catriona damals durchgebrannt ist?" „Ja. Das Schloss gehört ihm jetzt. Er wird dort für eine Weile leben." „Ist er allein da?" „Äh . . . ja." Alexa hielt ihren Blick gesenkt. Sie hoffte, die Vermittlung würde endlich antworten. „Dann glaube ich, wird Ihre Mutter nicht sehr erfreut sein, wenn sie hört, dass Sie die Nacht mit ihm allein verbracht haben. Ich weiß, was sie und Mr. Morton von ihm halten", murmelte Mrs. Maitland. „Ach, es tut weh zu hören, dass das Schloss einem Ausländer gehört. Seit Jahrhunderten ist es in den Händen eines Letham." „Nun, es ist wieder in den Händen eines Letham, und er ist nur ein halber Ausländer",
sagte Alexa verteidigend. „Halb ist zuvie l. Und es würde mich nicht überraschen, wenn sein ausländisches Blut an seinem seltsamen Verhalten schuld war, damals mit Catriona wegzulaufen, sie auf schlechte Bahnen zu bringen, hierher zurückzukommen und niemanden im Dorf von seinem Hier sein zu berichten", schimpfte Mrs. Maitland vor sich hin und verließ das Zimmer. Schließlich antwortete die Vermittlung, und kurz darauf sprach Alexa mit ihrer Mutter. „Hallo, Mum", sagte sie. „Wo warst du bloß?" Margery klang sowohl besorgt als auch neugierig. „Das ist eine lange Geschichte. Ich erzähl' sie dir, wenn ich nach Hause komme. Aber es ist alles in Ordnung mit mir. Mrs. Maitland hat gesagt, ich soll dich anrufen." „Ja, Alexa. Es hat einen Unfall gegeben." „Ich weiß. Was für einen Unfall? Wer hatte einen Unfall?" „George und Cat", sagte ihre Mutter. „Cat? Wieso? Das verstehe ich nicht." Alexas Stimme überschlug sich beinahe vor Überraschung. „Wieso war Cat mit George zusammen?" „Sie ist Donnerstag Nachmittag nach Hause gekommen. Sie hatte ein paar Tage frei. Als sie hörte, dass du nach Ardgour gefahren bist, wollte sie auch hin. Sie hat sich mit George in Verbindung gesetzt und ihn gebeten, sie mitzunehmen. Auf der Straße zwischen hier und Stirling sind sie ins Rutschen gekommen ... es war ein schrecklicher Tag, Schnee und Sturm. Der Wagen ist in einem Graben gelandet, mit dem Dach nach unten. Jetzt sind beide im Krankenhaus." „Wo?" fragte Alexa besorgt. „Hier in Edinburgh. Lawrence und ich besuchen sie heute abend. George ist ziemlich schwer verletzt, hat man mir gesagt. Aber Cat hat nur Schrammen und einen Schock abbekommen. Alexa, ich denke, du solltest so schnell du kannst zurückkommen. George wird dich sicher wegen seiner Arbeit sehen wollen, und da du seine Sekretärin bist..." „Ja, ja, natürlich komme ich, so bald ich einen Bus nach Fort Williams bekomme. Mutter, weißt du, weshalb Cat hier herkommen wollte?" „Ein plötzlicher Einfall, denke ich. Sie hat letzte Woche Helen Carstairs in Glasgow getroffen. Sie haben über Ardgo ur gesprochen und den Spaß, den sie immer dort hatten. Als sie hörte, dass du da bist, wollte sie auch kommen. Aber sie wird dir das alles erzählen, wenn ihr euch seht. Sag Bescheid, wann du hier ankommst. Dann holen Lawrie und ich dich am Bahnhof ab." Langsam legte Alexa den Hörer auf. In ihren Gedanken schössen Fragen umher. Weshalb hatte George sich einverstanden erklärt, sie mitzunehmen, nachdem er hatte allein sein wollen mit ihr, weg von der Familie und den Freunden? Die Tür zum Zimmer quietschte, als Mrs. Maitland sie öffnete. „Nun? Was gibt's Neues?" fragte sie. „Mr. Lawson hat einen Unfall gehabt. Sein Wagen ist ins Schleudern geraten, und er liegt im Krankenhaus. Ich muss sofort abreisen." „Sie haben Glück, wenn Sie vor Montag hier wegkommen." „Montag! Ich muss früher weg. Um neun Uhr Montag morgen muss ich im Büro sein. Weshalb kann ich nicht heute Nachmittag den Bus nach Fort William nehmen und dort in den Zug steigen?" „Weil heute Nachmittag kein Bus fährt. Er könnte nicht durch den Pass in Glencorrie. Der Schnee ist noch nicht von den Straßen geräumt worden." „Und was ist mit morgen?" „Morgen ist Sonntag, und sonntags fährt nie ein Bus. Das sollten Sie eigentlich wissen. Vor Montag Nachmittag gibt es keinen." „Aber es gibt bestimmt jemand im Dorf, der mich nach Fort William bringt", wandte Alexa ein. „Was ist mit Ihrem Sohn Alex? Ich beza hle ihn natürlich, wenn er mich mit seinem
Lieferwagen nach Fort Williams fährt." „Er ist in Ullapool und kommt nicht vor Sonntag Nachmittag zurück. Er besucht mit Frau und Kindern die andere Großmutter. Sie können natürlich Willie Farish fragen, den Tankwart. Vielleicht bringt er Sie hin. Aber selbst wenn Sie nach Fort William kommen, werden Sie dort für die Nacht und den ganzen morgigen Tag festsitzen. Alle Busse und Züge in Richtung Süden sind inzwischen abgefahren, und vor Montag gibt es keine anderen Verbindungen." „Ich glaube es nicht, ich glaube es einfach nicht, dass ich nicht heute abend nach Edingburgh fahren kann", murmelte Alexa. „Es sind nur dreihundertfünfzig Kilometer von hier." „Ja, aber es sind gewundene Straßen über Bergpässe und übers Moor. Früher, wenn Sie hier waren, waren Sie nicht auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen. Sie haben keine Vorstellung, wie schlecht die Verbindungen sind. Hierher zu kommen ist leicht. Wegzukommen ist eine andere Sache. Wäre Ihr Freund gekommen, wären Sie mit dem Wagen zurückgefahren. Deshalb haben Sie sich nicht um eine Verbindung für die Rückfahrt gekümmert, nicht wahr?" sagte Mrs. Maitland. „Ja, das stimmt", seufzte Alexa. „Ich gehe ins Dorf und frage Willie, ob er mir helfen kann. Vielleicht weiß er vo n jemand, der in die Richtung fährt." „Sie nehmen alle den Bus", sagte Mrs. Maitland. „Können sich keine Autos leisten. Sie können es nur mit Willie versuchen. Wenn Sie zurück sind, ist Ihr Mittagessen fertig." In Ardgour gab es ein paar kleine Wohnhäuser, ein Lebensmittelgeschäft, eine Kirche und die Tankstelle. Dort war jedoch niemand. Alexa klopfte an die Tür des Hauses, das zur Tankstelle gehörte. Eine junge Frau mit einem Baby im Arm öffnete ihr. „Willie ist nicht hier. Er hilft, den Pass vom Schnee freizuräumen", sagte sie als Antwort auf Alexas Frage. „Kommen Sie gegen fünf Uhr wieder. Bis dahin wird er zurück sein, und ich glaube bestimmt, dass er Ihnen helfen wird." Enttäuscht kehrte Alexa die zwei Kilometer zum Gästehaus zurück. Auf der anderen Seite der Bucht schimmerten die Wände des Schlosses im Sonnenschein. Dort drüben gab es einen Wagen und einen Autofahrer, der die Straße nach Fort William gut kannte. Aber ihn konnte sie nicht bitten, nicht nach dem, was sie ihm beim Verlassen des Schlosses gesagt hatte, nicht nach dem, was geschehen war. Wie versprochen hatte Mrs. Maitland das Mittagessen fertig. Es gab Lammkotellets, geröstete Kartoffeln und grüne Erbsen, als Nachtisch eine Grütze aus schwarzen Johannisbeeren mit frischer Schlagsahne. Um die Zeit totzuschlagen, beschloss Alexa, einen Spaziergang am Kliff entlang zu machen bis zu der Stelle, wo die Spitze der Halbinsel ins Meer ragte. Sie ging den ganzen Weg bis zum Leuchtturm einen abgetretenen Pfad entlang. Unter dem hohen weißen Turm blieb sie eine Weile stehen und schaute aufs Meer hinaus. Unter ihr ragten steile Felsen ins Wasser hinein. In der Ferne konnte sie die Umrisse der kleinen Insel erkennen, dahinter die Berge von Skye, die sich blaugrau gegen das Sonnenlicht abhoben. Als sie genug von dem herrlichen Blick genossen hatte, kletterte sie die Felsen hinunter zum Wasser und machte sich auf den Rückweg zum Gästehaus. Es war wieder Ebbe, und der Strand war wieder so breit, dass sie dort entlanglaufen konnte. In dem weichen Sand brauchte sie für den Weg allerdings länger als oberhalb der Felsen auf dem Pfad. Nach einer ganzen Weile kam sie zum Steg. Als sie die Treppe zur Straße hinaufstieg, blieb sie abrupt stehen. Vor dem Eingang des Gästehauses parkte der Jaguar. Die Hände tief in die Jackentaschen vergraben, lehnte Ron unbekümmert an der Motorhaube. Als er Alexa sah, richtete er sich auf und kam ihr entgegen. „Hat dein Spaziergang Spaß gemacht?" fragte er, als er bei ihr war. „Was machst du hier?" „Ich warte auf dich. Ich bin herübergekommen, um zu erfahren, warum George dich hat
sitzenlassen." „Er hat mich nicht sitzenlassen. Und ich habe dir gesagt, dass ich dich nie wiedersehen möchte", sagte sie wütend. „Ich weiß, ich weiß", erwiderte er gleichgültig. „Aber du hast es nicht so geme int." „Natürlich habe ich es gemeint", fuhr sie ihn an. Sie ging um ihn herum aufs Gartentor zu. Als sie den Riegel aufschieben wollte, merkte sie auf einmal, dass er schneller gewesen war und genau vor ihr stand. „Bitte, geh endlich!" schrie sie. „Nein. Wo immer du hingehst, ich komme mit", antwortete er. Ein gewisser Unterton in seiner Stimme ließ sie schnell zu ihm aufblicken. Ihre Blicke trafen sich, und der glühende Ausdruck in seinen Augen raubte ihr den Atem. „Du solltest nicht mit hereinkommen", sagte sie und schaute schnell weg. „Mrs. Maitland wird dich nicht willkommen heißen. Sie ... mag keine Ausländer", fügte sie verzweifelt hinzu, um ihn loszuwerden. „Den Eindruck hatte ich vor ein paar Minuten nicht. Ich muss sagen, sie war äußerst hilfreich und freundlich", sagte er. „Du hast sie gesehen?" rief sie aus. „Ja. Sie hat die Tür geöffnet, als ich geklopft habe. Sie hat mir gesagt, dass du deinen Spaziergang machst. Sie hat mir auch erzählt, dass George bei einem Unfall verletzt wurde und dass du nach Edingburgh zurückkehren möchtest und nach jemandem suchst, der dich nach Fort Williams bringt." Er hielt kurz inne und fügte langsam hinzu: „Ali, wenn du wirklich zurück möchtest, fahre ich dich die ganze Strecke. Um Mitternacht können wir in Edingburgh sein." „Nein danke. Ich brauche deine Hilfe weder jetzt noch zu irgendeiner anderen Zeit", antwortete sie. Stolz hob sie dabei ihr Kinn. „Willie Farish ist in einer halben Stunde zurück. Er bringt mich nach Fort Williams. Gehst du mir jetzt bitte aus dem Weg. Ich möchte ins Haus." Ron rührte sich nicht vom Fleck. Statt dessen lehnte er sich gegen das Tor und verschränkte seine Arme vor der Brust. „Ich bin als Freund hergekommen ..." begann er." „Du und ich, wir waren niemals Freunde, Ron Letham", fuhr sie ihn wütend an. „Nein, du hast recht. Das waren wir nicht", stimmte er zu. Auf einmal wurde auch er böse. „Gut, ich biete meine Hilfe an als Beinahe-Geliebter, als Zukunfts-Geliebter. Passt dir das besser?" „Auch das ist nicht richtig. Ach geh! Hör auf, mich zu quälen." „Es ist wahr, aber du hast Angst, es einzugestehen", provozierte er. „Weißt du, ehrlich gesagt, bin ich ein bisschen enttäuscht von dir. Du bist zu einer reizenden Frau herangewachsen, genau, wie ich es immer gewusst habe. Aber du hast dir auch eine Unfähigkeit angeeignet, der Wirklichkeit ins Auge zu schauen. Entweder lügst du, um ihr zu entfliehen, oder du schließt einfach deine Augen. Wäre Angus heute morgen nicht plötzlich aufgetaucht, hätten wir inzwischen miteinander geschlafen." „Nein, nein!" wehrte sie mit heiserer Stimme ab. Sie schüttelte ihren Kopf heftig von einer Seite zur anderen. „Ich kann dich nicht ausstehen, geschweige denn dich lieben, und ich will dich nicht lieben." „Und wieder einmal lügst du", beschuldigte er sie. Er beugte sich vor. Sie warf schnell einen Blick auf die Fenster des Hauses und hoffte, dass Mrs. Maitland sie nicht beobachtete. „Heute morgen, als ich dich geküsst habe, hat dein ganzes Verhalten genug über dich verraten. Du willst mich genauso sehr wie ich dich ..." „Das war deine Schuld", beharrte sie atemlos. „Wenn du nicht... Ach geh, lass mich in Ruhe!" „Das geht nicht", sagte er. „Verstehst du denn nicht, Ali? Ich muss da sein, wo du bist, bis
du bereit bist, mit mir zu leben. Deshalb muss ich dich nach Edingburgh bringen, ob du willst oder nicht." Verblüfft starrte sie in sein angespanntes Gesicht, in dem seine Augen wie blaue Flammen leuchteten. „Du siehst, ich bin auch trotzig", sagte er. „Wenn ich etwas will, tue ich alles, um es zu bekommen. Dein Gepäck ist bereits im Kofferraum. Mrs. Maitland war so freundlich, es aus deinem Zimmer zu holen. Ich habe ihr dein Zimmer für die Nacht gezahlt, die du hier warst, und für die drei Nächte, die du nicht hier sein wirst. Sie schien sehr zufrieden damit gewesen zu sein. Du brauchst nichts mehr zu tun, als in den Wagen einzusteigen." „Dazu hattest du kein Recht", fuhr sie ihn an. „Überhaupt kein Recht." „Ich weiß, ich habe gesetzlich keinerlei Rechte, irgend etwas für dich zu tun", antwortete er. „Aber ich habe es trotzdem getan, um Zeit zu sparen und Streit zu vermeiden. Komm, steig ein, und wir fahren los." „Nein. Ich fahre nicht mit dir. Du kannst mich nicht zwingen." Sie starrte ihn trotzig an. „Bitte öffne den Kofferraum, und gib mein Gepäck. Ich zahle, was ich dir schulde, und dann kannst du gehen." „Nein!" Einen Moment standen sie da und starrten sich an. Dann bewegte sich Rons Mund zu einem Lächeln. „Du verschwendest Zeit, Ali", sagte er ruhig. „Dein Koffer und deine Handtasche sind in meinem Wagen eingeschlossen. Außerdem bin ich der einzige Mensch in diesem Ort, der dich nach Edinburgh bringen kann. Mrs. Maitland wird dich für sehr dumm halten, wenn du mein Angebot nicht annimmst, und ich natürlich auch." Eine Bewegung hinter einem der Fenster im Haus erregte Alexas Aufmerksamkeit. Mrs. Maitland stand dort und beobachtete den Streit. Welch eine Geschichte konnte sie dem Dorf erzählen, wie der Herr des Schlosses einen ihrer Gäste in vollem Tageslicht davongetragen hatte. „Steig jetzt ein", drängte Ron. In seiner Stimme lag eine sanfte Drohung. „Es sei denn, du möchtest, dass ich Mrs. Maitland meine Kraft demonstriere." Sie gab nach und ging zur Beifahrertür. Er hatte recht, sagte sie sich, als sie einstieg und durch die Windschutzscheibe starrte. Es wäre dumm von ihr, sein Angebot abzulehnen. Aber sie fürchtete sich, bei ihm zu sein, fürchtete sich vor der Leidenschaft, die so schnell zwischen ihnen entfachen konnte. Er öffnete die Tür auf der anderen Seite, zog seine Jacke aus und warf sie auf den Rücksitz. Dann setzte er sich neben sie. „Bitte anschnallen", befahl er, als er den Gurt umlegte. Als sie sich nicht rührte, fuhr er fort: „Bei meinem Fahrstil wirst du dich ange schnallt sicherer fühlen." Sie warf ihm einen auflehnenden Blick zu, bevor sie wieder nachgab und den Gurt umlegte. Sofort startete Ron den Motor und lenkte den Wagen rückwärts den schmalen Weg hinunter. Unten an der Straße drehte er den Wagen mit quietschenden Reifen herum. Kurz darauf fuhren sie mit laut heulendem Motor durchs Dorf auf die schneebedeckten Berge zu. Die Straße bis zum Glencorrie Pass war nur breit genug für einspurigen Verkehr. Alexa wusste, dass die Behörden seit Jahren planten, die Straße zu erweitern. Die Autofahrer fuhren in dieser Gegend immer sehr vorsichtig, bereit, in eine der Parkbuchten auszuweichen, wenn ein Wagen aus entgegengesetzter Richtung kam. Doch an Rons Fahrstil war nichts Vorsichtiges. Er jagte den Wagen um die engen Kurven, ohne den Fuß vom Gaspedal zu nehmen. Aber kein einziger Wagen kam ihnen entgegen. Die Straße lag leer und einsam vor ihnen, genau wie die schneebedeckten Berge, durch die sie sich wand. Manchmal führte sie an einem schnell fließenden Strom entlang, der sich über Felsen schlängelte und an dessen Ufer riesige Trauerweiden standen. Als sie den hohen schmalen Pass erreichten, auf den auch im Sommer die Sonne nicht schien, war es schon Zwielicht. Durch die riesigen Schneewehen hatten die Schneepflüge einen schmalen Weg freigeschaufelt. Jetzt fuhr Ron langsamer und schaltete die Scheinwerfer
ein. Schließlich kam er zum Ende des Engpasses, und die Straße wurde wieder breiter. Der Platz, an dem die Schneepflüge gewöhnlich standen, war leer. Eine Gruppe von Männern, die auf der Straße arbeiteten, winkten ihnen zu, und Ron hielt an. „Sie sind der erste, der heute hier durchgekommen ist", sagte einer der Männer. „Seien Sie vorsichtig, wenn sie nach Glencorrie hinunterfahren. An manchen Stellen ist der Schnee zu Eis gefroren." In Serpentinenschleifen führte die Straße hinab zum Loch Corrie. Hier in der Bucht glitzerte das Meer silbern durch die dunklen Tannen am Ufer. Der Weg führte weiter durchs Dorf hinaus ins offene Moorland, wo Schafe grasten oder mit trauernden Gesichtern zum Wagen schauten. Der Himmel veränderte sich von blassem Grün zu Vio lett, und Sterne funkelten über den Gipfeln der Berge. Auf der geraden übersichtlichen Straße drückte Ron seinen Fuß wieder aufs Gaspedal, und der Wagen raste dahin. Das Dröhnen des Motors war das einzige Geräusch in der aufsteigenden Dunkelheit. Sie sprachen nicht miteinander. Sein Verhalten hatte Alexa so verwirrt, dass sie nichts zu sagen wusste. Sie saß zusammengekauert in ihrem Sitz und starrte hinaus in die Dunkelheit. Sie überlegte, was ihre Mutter und ihr Stiefvater sagen würden, wenn sie mit Ron zu Hause ankam, von dem sie eine so schlechte Meinung hatten, weil sie glaubten, er hatte Catriona Schlechtes angetan.
6. KAPITEL
Nach einer weiteren halben Stunde Fahrt durch wildes Moorland kamen sie an eine Kreuzung, von der die Hauptstraße nach Fort William abging. Sie schlugen die südliche Richtung ein, und bald sahen sie die gelben Lichter einer Stadt vor sich. „Weißt du, wo wir hier etwas essen können?" fragte Ron. „Ich habe nichts zu Mittag gehabt. Außerdem muss ich einen Blick auf die Landkarte werfen. Ich weiß nicht genau, wie wir nach Edinburgh kommen. Ich bin immer erst nach Glasgow gefahren." Sie aßen in einem alten Hotel an der Hauptstraße. Anschließend sahen sie sich die Karte an, die Ron aus dem Wagen geholt hatte. „Wir fahren immer hinunter nach Crianlarich", erklärte Alexa. „Aber statt nach Loch Lomond zu fahren, biegen wir vorher nach Killin ab. Und kurz vor Killin nach rechts in Richtung Callander." „Ist George den Weg gekommen?" fragte er. „Ja. Mutter sagt, sie sind zwischen Falkirk und Stirling ins Schleudern geraten." „Sie?" fragte er und warf ihr einen neugierigen Blick zu. „Hatte er jemanden dabei? Einen Anhalter?" Verärgert, dass ihr die Worte herausgerutscht waren, nickte Alexa und sagte leise: „Cat war bei ihm." „Cat? Wieso Cat? Ich dachte, er wollte mit dir allein sein", meinte er überrascht. „Mutter sagt, Cat ist Donnerstag nach Hause gekommen. Als sie hörte, dass ich in Ardgour bin, wollte sie unbedingt auch kommen. Sie hat George gebeten, sie mitzunehmen." „Hmmm, klingt, als hätte sie wieder einen ihrer alten Tricks angewendet", murmelte er. „Was meinst du damit? Was für Tricks?" fragte sie. „Eine Mitfahrt im Wagen des Mannes zu ergattern, der offenbar mehr an dir als an ihr interessiert ist. Hat sie George je kennen gelernt?" „Ja, zweimal hat sie ihn gesehen, glaube ich. Letztes Mal Silvester. Er war zum Abendessen bei uns", antwortete sie. Sie zog unsicher die Stirn in Falten, als ihr einfiel, wie ausgiebig George sich in den darauffolgenden Monaten immer nach Catriona erkundigt hatte. „Vielleicht hat sie geglaubt, sie könnte ihn überreden, woanders ein Wochenende mit ihr zu verbringen als mit dir", meinte Ron gleichgültig. „Ach, du bist wieder zynisch", sagte sie. „So etwas würde Cat nie tun." „Mein Gott, bist du naiv, wenn du ihr immer noch traust", meinte er ungeduldig. Dann warf er ihr einen scharfen Blick zu. „Wie wäre dir zumute, wenn du herausfändest, dass sie genau das vorhatte, nämlich George von dir fortzulocken? Würde es dir wehtun?" Alexa musterte den Stoff des Tischtuchs. Ihr war, als sei sie in die Falle geraten. „Nein", murmelte sie. Sie überlegte mehr, wie sie auf Catrionas Verhalten reagieren würde anstatt wie ihr zumute wäre, wenn George mehr Interesse für ihre Stiefschwester als für sie zeigen würde. „Wenn Cat ihn haben will, kann sie ihn haben." „Ja?" sagte er langsam. „Ich hatte recht. Du bist nicht in ihn verliebt." „Ach, du denkst, du bist sehr klug, nicht wahr?" fuhr sie ihn an und blickte auf. Seine Augen waren dunkel und schienen sie auszulachen. „Was weiß t du schon darüber, verliebt zu sein?" forderte sie ihn heraus. Dunkle Wimpern bedeckten plötzlich seine Augen. Sein Mund spannte sich an. Überrascht bemerkte sie, dass ihre ziemlich kindische Bemerkung einen wunden Punkt getroffen hatte. Als er sie wieder ansah, war sein Ausdruck zärtlich und ernst. „Ich weiß darüber eine verdammte Menge mehr als du, Ali", sagte er ruhig. „Wenn ich dich besser kenne, erzähle ich dir vielleicht davon." Seit ihrem Wiedersehen verspürte sie zum ersten Mal den Altersunterschied zwischen ihnen. Und sie erkannte auf einmal, wie wenig sie von seinem Leben wusste. Er war mehr als zehn Jahre älter als sie, war weit gereist und hatte sicher viele Menschen kennen gelernt.
Unter diesen Menschen hatte es auch Frauen gegeben. Ihr fiel ein, was Helen ihr über seine Freundinnen erzählt hatte. Es war dumm von ihr gewesen, wenn sie geglaubt hatte, dass er nie in eine dieser Frauen verliebt gewesen war, dumm und anmaßend. Ron verliebt, nicht in Catriona und nicht in sie, sondern in eine unbekannte Frau, von der weder sie noch ihre Stiefschwester je gehört hatten. Eifersucht wallte plötzlich in ihr auf. Ihr wurde elend zumute. Sie schob ihren Stuhl zurück und stand auf. Frühling des Herzens „Ich ... ich rufe meine Mutter an", sagte sie leise. „Ich habe versprochen, ihr Bescheid zu sagen, wann ich ankomme." „Weshalb so eilig?" Ron war neben ihr, als sie das Restaurant verließ und die Hotelhalle betrat. „Dafür, dass du nicht in George verliebt bist, hast du es sehr eilig, ihn wiederzusehen. Wir könnten die Nacht über hier bleiben und morgen früh weiterfahren", schlug er vor. Sie wandte sich um, um dagegen zu protestieren. Und dann wünschte sie, sie hätte es nicht getan. Er sah sie wieder mit diesem intensiven Ausdruck an, der ihre Nerven vor Erregung zittern ließ. „Ich ... ich kann nicht über Nacht mit dir hier bleiben", antwortete sie atemlos. „Bitte zwinge mich nicht, Ron." „Ich gerate in Versuchung. Du hast keine Vorstellung, wie sehr ich in Versuchung gerate", sagte er leise. Er strich ihr sanft über die Wange. Bei der leichten Berührung wurden ihre Knie weich. Sie musste ihre Augen schließen und heftig schlucken, um die Kontrolle nicht zu verlieren. Es könnte passieren, dass sie sich hier in der schattigen Hotelhalle von ihm küssen ließ. Hier, wo nur eine junge Frau hinter der Rezeption saß und in einem Buch las. „Ali, glaubst du nicht, du hast dich jetzt genug an mir gerächt?" Ron fuhr mit dem sanften eindringlichen Flüstern fort. Seine Finger glitten ihre Wange hinunter und ruhten auf dem Hals direkt unter ihrem Kinn. „Gerächt?" Sie war verwirrt und starrte ihn mit hochgezogenen Brauen an. „Wieso gerächt?" „Gerächt für das, was vor beinahe fünf Jahren geschehen ist. Indem du dich weigerst zu tun, was ich möchte, willst du mir heimzahlen, was ic h an jenem Nachmittag zu dir gesagt hatte, nicht wahr?" „Nein, nein. Wirklich nicht. An so etwas habe ich keinen Augenblick gedacht." „Weshalb, verdammt noch mal, bist du dann so kalt? Weshalb?" fragte er. Seine Stimme wurde lauter und lenkte die Aufmerksamkeit der jungen Frau hinter dem Schreibtisch auf ihn. „O Ali, weshalb bist du so?" fügte er hinzu. Völlig verwirrt durch seinen Angriff auf ihre Gefühle, blickte sie hinüber zu der jungen Frau. Zweimal versuchte sie zu sprechen und musste wieder innehalten. „Ich ... ich glaube, es liegt daran, dass ich einfach nicht an kurzweiligen Beziehungen interessiert bin", brachte sie schließlich heraus. Dann drehte sie sich abrupt auf dem Absatz herum und ging in die Telefonzelle neben der Schwingtür. Mit zitternden Händen nahm sie den Hörer ab und wählte die Nummer. „Mum? Ich bin auf dem Weg nach Hause. Wir sind in Fort William. Mit etwas Glück bin ich gegen Mitternacht bei euch." „Wir? Wieso, wer ist bei dir?" erkundigte sich Margery. „Ich ... das kann ich dir jetzt nicht erklären. Warte nicht auf mich, wenn du müde bist. Warst du im Krankenhaus?" „Ja. Wir haben Cat mit nach Hause genommen. Sie liegt im Bett. Glücklicherweise war sie nur leicht verletzt. George muss allerdings eine Weile im Krankenhaus bleiben. Er kann es gar nicht abwarten, dich zu sehen und dir alles zu erklären. Ist mit dir alles in Ordnung? Du klingst so atemlos und aufgeregt." „Ja, ja, es ist alles in Ordnung. Bis nachher."
Bevor ihre Mutter mehr Fragen stellen konnte, legte Alexa schnell den Hörer auf. Einen Augenblick blieb sie in der Zelle stehen und versuchte, sich zu beruhigen. Als sie nicht mehr zitterte, trat sie hinaus ins Foyer, wo Ron auf sie wartete. Seine Schaffelljacke hing wie üblich lose über seinen Schultern. Sobald er sie sah, kam er zu ihr und stellte sich verlockend nahe vor sie. „Möchtest du deine Meinung ändern und über Nacht hier bleiben?" flüsterte er. „Nein." Obgleich es viel Mühe kostete, schaute sie ihn fest an. „Mutter erwartet mich um Mitternacht." „Feigling!" spottete er sanft und streckte seine Hand nach ihrem Gesicht aus. Sie wandte sich schnell um und trat durch die Schwingtüren hinaus in die kalte ruhige Nacht. Langsam ging sie die Straße entlang zum Wagen. Die Jacke noch immer über den Schultern, folgte Ron ihr. Nachdem sie eingestiegen waren, startete er den Motor. Trotz des Essens hatte Alexa all ihre Energie verloren. Soweit es mit den Gurten ging, machte sie es sich gemütlich und Schloss die Augen. Als sie einschlief, fiel ihr Kopf zur Seite. Ein Frösteln und das Gefühl, dass irgend etwas sich verändert hatte, ließ sie plötzlich wieder zu sich kommen. Der Motor gab kein Geräusch von sich, und die Reifen surrten nicht über die Oberfläche der Straße. Der Wagen hatte angehalten. Sie öffnete ihre Augen. Sie war allein im Wagen, und er parkte am Straßenrand. Sie spähte durch die Windschutzscheibe und sah vor sich eine Reihe dunkler Büsche und Bäume. Sie hatte gerade ihren Gurt gelöst und wollte aussteigen, als sie Ron husten hörte. Die Tür der Fahrerseite öffnete sich, und er schlüpfte auf seinen Sitz. „Wo warst du?" fragte sie. „Hinter den Büschen", erwiderte er. „Außerdem scheint sich mein Husten nicht mit der Heizung zu vertragen. Ich musste anhalten. Willst du auch schnell verschwinden, solange wir hier sind?" Draußen war die Luft jetzt eisig kalt. Über ihr glitzerten die Sterne an einem dunklen Himmel. Als Alexa hinter einem Busch verschwand, fuhr ein Wagen vorbei, doch danach war völlige Stille. „Fährst du?" fragte Ron. Nach einem weiteren Hustenanfall war seine Stimme heiser. „Ich habe keinen Führerschein." „Hm, Pech", sagte er und startete den Wagen. Dann schaltete er die Scheinwerfer ein. Er beugte sich vor, musterte das Armaturenbrett und gab einen überraschten Laut von sich. „Was ist los?" fragte sie. „Wir haben fast kein Benzin mehr", sagte er. Er hatte Mühe, ein Lachen zurückzuhalten. „Wie viel ist noch im Tank?" „Fast nichts, wir schaffen etwa 10 Kilometer damit. Weißt du, wo die nächste Tankstelle ist?" „Ich weiß nicht, wo wir sind", sagte sie. „Kurz nach Fort William bin ich eingeschlafen." Sie drückte auf den kleinen Knopf an ihrer Digitaluhr. Rote Ziffern leuchteten auf. „Beinahe halb elf!" sagte sie. „Um Viertel vor neun sind wir in Fort William losgefahren. Wir sind etwa hundert Kilometer gefahren." „Dann müssen wir an Crianlarich vorbei sein. Bist du dort links abgebogen?" „Ja, wir sind auf der Straße nach Killin." „Dann müssten wir bald dort sein. Wir können dort sicher tanken, selbst wenn wir den Besitzer einer Tankstelle aus dem Bett klingeln müssen. Und dann müssen wir ein kleines Stück zurückfahren, um auf die Straße nach Callander zu kommen", erklärte Alexa. Ron lenkte den Wagen auf die Straße, und sie rasten wieder durch die Dunkelheit. Nach einer Weile hatte Alexa das Gefühl, die Straße war nicht so eben, wie sie sie in Erinnerung hatte. Es war, als glitten die Räder über raue Steine. Sie lehnte sich vor, um die Oberfläche der Straße erkennen zu können. Dabei bemerkte sie ein Stück abseits der Straße ein kleines Licht, und sie vermutete, dass dort ein Haus stand.
„Ron, ich glaube nicht, dass dies die Straße nach Killian ist", sagte sie. „Bist du sicher, dass du in Crianlarich nach links abgebogen bist?" „Ja, ich bin dem Wegweiser gefolgt", sagte er. „Aber ich stimme dir zu. Das hier kommt mir nicht wie eine Hauptstraße vor. Ich wende und fahre zurück. Vielleicht habe ich mich irgendwo verfahren." Langsam holperte der Wagen die raue Straße entlang. Es dauerte nicht lange, bis der Wagen zu stottern begann. Ron lenkte ihn sofort zur Seite ins Gras. Er schaltete den Motor und die Lichter aus. „Tut mir leid, Ali, aber weiter kommen wir heute abend nicht", sagte er langsam. „Weshalb hast du nicht in Fort William getankt?" fragte sie ärgerlich. „Ich hab's vergessen", erwiderte er. „Ich wollte an der nächsten Tankstelle halten, aber ich habe keine gesehen, die geöffnet war ... Wohin gehst du?" „Die Straße zurück. Ich habe ein erleuchtetes Fenster gesehen, wo wir gewendet haben. Vielleicht hat der Besitzer des Hauses einen Kanister Benzin", sagte sie und stieß die Wagentür auf. „Es wäre genug, uns nach Killin oder zurück nach Crianlarich zu bringen, wo wir tanken können." Sie machte sich auf den Weg. Hinter sich hörte sie das Zuschlagen der Tür, als er ihr folgte. Bald war er neben ihr, und schweigend gingen sie weiter. „Bist du sicher, dass du ein Haus gesehen hast?" fragte Ron, nachdem sie beinahe zwei Kilometer gelaufen waren. „Wir sind beinahe an der Stelle, an der wir gewendet haben." „Dann muss es bald kommen", antwortete Alexa und marschierte weiter. Sie tat, als merkte sie nicht, dass er mehrmals stehenbleiben musste, um zu husten. „Ich dachte, du hast gesagt, du hast ein erleuchtetes Fenster gesehen", sagt er, als er wieder neben ihr war. „Ja, das habe ich. Aber vielleicht sind die Leute inzwischen ins Bett gegangen und haben das Licht ausgeschaltet." „Die Glücklichen", murmelte er heiser. „Wenn du dich nicht geweigert hättest, in Fort William im Hotel zu bleiben, könnten wir jetzt auch im Bett liegen." „Und wenn du daran gedacht hättest, in Fort William zu tanken, wären wir jetzt beinahe in Edinburgh", antwortete sie. „Ich bin froh, dass ich es vergessen habe", sagte er und legte einen Arm um ihre Schultern. Sie musste stehenbleiben und sich zu ihm umwenden. „Es bedeutet, dass wir ein paar Stunden länger zusammen verbringen können." In diesem Augenblick sah sie ein vom Mondschein erleuchtetes flaches Dach. „Da ist es! Das Haus!" rief sie. Sie riss sich von ihm los und lief auf das Haus zu. Die Fenster des kleinen Häuschens waren dunkel, und es schien kein Zeichen von Leben zu geben. Alexa blickte zum Schornstein hinauf. Sie konnte gerade eben blassen grauen Qualm erkennen. Es war also bewohnt. Sie ging zur Tür und klopfte an. Drinnen begann ein Hund zu bellen. Aber sie musste noch zweimal klopfen, bevor sie Schritte im Haus hörte. Vorsichtig öffnete sich die Tür. Eine Frau von etwa dreißig in einem warmen Morgenmantel schaute heraus, und ein schwarz-weiß gescheckter Hund schob seine Nase durch die einen Spaltbreit geöffnete Tür. „Was gibt's?" fragte die Frau. „Entschuldigen Sie bitte die Störung", sagte Alexa, „aber uns ist das Benzin ausgegangen, und wir dachten, dass Sie vielleicht einen Kanister haben." „Nein, wir haben kein Benzin. Aber in An Tigh Mor können Sie welches bekommen. Sie haben dort Benzin für die Traktoren", erwiderte die Frau. „Wie weit ist es von hier?" fragte Alexa, als Ron sich in einem Hustenanfall abwandte. „Hm, gute sieben Kilometer", sagte die Frau. „Wo steht Ihr Wagen?" „Etwa zwei Kilometer von hier die Straße entlang. Könnten Sie mir sagen, welche Richtung es ist? Wir wollten nach Killin fahren."
„An Killin sind Sie vorbei. Dies ist die Straße nach Tullich südlich von Loch Tüll", sagte die junge Frau. Ihr Blick schweifte zu Ron. „Ich muss an einer Abzweigung die falsche Richtung eingeschlagen haben", sagte er mit sehr heiserer Stimme. „Könnten wir bei Ihnen telefonieren?" „Wir haben kein Telefon." „Ali, es sieht aus, als sitzen wir fest", sagte er achselzuckend. „Es sei denn, du willst acht Kilometer weit laufen." Er hustete wieder. „Wir müssen die Nacht im Wagen verbringen und morgen früh versuchen, per Anhalter nach Killin zu kommen." .Aber mit einem solchen Husten können Sie die Nacht nicht im Wagen verbringen", sagte die junge Frau impulsiv. „Kommen Sie herein. Mein Mann ist Schäfer. Er ist gerade draußen in den Bergen. Eins der Schafe hat Schwierigkeiten mit der Geburt ihres Jungen. Sie und Ihre Frau können herzlich gern bis morgen früh hier bleiben." „Sind Sie sicher?" fragte Alexa zögernd. „Das ist sehr nett von Ihnen", sagte Ron ohne zu zögern. „Ich bin Ron Letham aus Ardgour." Er lächelte. „Meine Frau und ich haben uns nicht gerade darauf gefreut, eine Nacht im Wagen zu verbringen." „Ich bin Janet Gillies", sagte die Frau. „Kommen Sie." Sie folgten ihr in die große Küche, wo ein Feuer im Kamin schwelte. Ein großer viereckiger Tisch und die Stühle drumherum füllten beinahe den ganzen Raum. In einer Ecke stand ein Doppelbett mit einer buntgemusterten Decke. Das Bett konnte durch einen Vorhang vom Rest des Raumes abgeteilt werden. „Sie können das Bett benutzen", sagte Janet Gillies. „Im Sommer beherbergen wir Feriengäste. Aber zu dieser Jahreszeit kommt ja niemand, und Donald und ich schlafen im richtigen Schlafzimmer und die beiden Kinder im anderen Zimmer. Ich lege rasch noch ein bisschen Holz aufs Feuer. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun? Wie war's mit einer Tasse Tee?" Beide lehnten ab. Alexa stand etwas unsicher in der Tür. Sie kannte die Gastfreundschaft der Hochländer. Doch jetzt nahm sie sie nur zögernd an, denn es brachte sie in eine schwierige Situation. Ron jedoch schien keine Vorbehalte zu haben. Er schlüpfte aus seiner Schaffelljacke und blickte sich neugierig im Raum um. „Seien Sie nicht beunruhigt, wenn Sie später jemanden hereinkommen hören", sagte Janet Gillies. „Es ist nur Donald. Wenn Sie im Bett liegen, können Sie den Vorhang vorziehen, dann werden Sie nicht gestört. Ich gehe jetzt schlafen. Gute Nacht." Ihr Lächeln galt hauptsächlich Ron. Er erwiderte es strahlend und bedankte sich. Schließlich ging sie hinaus und Schloss die Tür hinter sich. Alexa schaute Ron an. Er setzte sich auf einen der Stühle und begann, seine Schuhe auszuziehen. Sie wartete ab, bis eine andere Tür sich Schloss und Janet Gillies somit aus Hörweite war. „Du brauchtest nicht zu sagen, dass ich deine Frau bin", protestierte sie leise. „Sie dachte, wir sind verheiratet. Und es hat es ihr einfacher gemacht, uns für die Nacht zu beherbergen", entgegnete er kühl. Er stand auf und zog seinen Pullover über den Kopf. „Ich bin müde", sagte er und gähnte laut. „Und ich mache das Beste aus dem, was uns angeboten wurde. Kommst du?" „Nein", sagte sie steif. „Ich bleibe hier am Feuer sitzen." Sie setzte sich. Obgleich ein Kissen auf dem Stuhl lag, war er hart, und das Holz der Lehne stieß ihr unbehaglich in den Rücken. „Ali", sagte er sanft. Während er sein Hemd aufknöpfte, kam er zu ihr. „Du wirst so nicht schlafen können." „Doch ... ich denke nicht daran, mich mit dir in ein Bett zu legen", beharrte sie. „Würdest du es, wenn wir verheiratet wären?" fragte er und zog sein Hemd aus. Sie antwortete nicht. Statt dessen starrte sie ins Feuer, um nicht zusehen zu müssen, wie er
sich die Hose auszog. „Ich glaube, du hast es mit Absicht gemacht", flüsterte sie. „Was?" fragte er. Sie hörte die Bettfedern quietschen. „Nicht zu tanken." „Also! Weshalb sollte ich so etwas wohl mit Absicht machen?" fragte er und gähnte wieder. „Weiß du, es ist sehr ermüdend, mit dir Schritt zu halten. Gestern nacht habe ich schon zuwenig Schlaf bekommen. Wenn du deine Meinung ändern solltest, kannst du gern neben mir ins Bett schlüpfen. Ich denke, ich schlafe so schnell ein, dass ich gar nichts von dir merke." Es war eine Wiederholung des vergangenen Abends, dachte Alexa unglücklich. Nur diesmal hatte Ron den gemütlicheren Platz zum Schlafen. Sie stand auf und knipste das Licht aus. Dabei warf sie einen kurzen Blick aufs Bett. Ron hatte ihr den Rücken zugewandt, und sie sah nichts als seinen dunklen Haarschopf. Zurück auf dem Stuhl, rutschte sie von einer Seite zur anderen, um sich ein wenig Behaglichkeit zu verschaffen. Sie wünschte, sie hätte Ron um eine der Bettdecken gebeten. Wieder blickte sie hinüber zum Bett, das jetzt im Dunkeln lag. Vielleicht konnte sie die Überdecke nehmen. Kaum hatte sie es überlegt, war sie aufgesprungen und tastete sich im Dunkeln zum Lichtschalter. Vorsichtig hob sie die Überdecke hoch. Dann sah sie, dass Ron sich nur auf die Bettdecke gelegt hatte, statt darunter zu schlüpfen. Wenn sie die Überdecke wegnahm, würde er frierend aufwachen. Und das wollte sie nicht, denn als sie in die erleuchtete Küche gekommen waren, hatte sie gesehen, wie schlecht er aussah. Unter seinen Augen hatte er tiefe Ränder gehabt, und die Wangen hatten hohl und blass gewirkt. Er brauchte Ruhe. Er hätte nicht darauf bestehen sollen, sie nach Edinburgh zu bringen. Er hätte im Schloss bleiben und seinen Husten auskurieren sollen. Aber er war entschlossen gewesen, ihr zu helfen, weil er da sein wollte, wo auch sie war. Warum? Nicht weil er sie liebte, sondern weil er zu trotzig war, ein Nein als Antwort zu akzeptieren. Sie holte tief Luft. Sie war müde und fror. Sie sehnte sich danach, nachzugeben und sich neben ihn ins Bett zu legen. Beinnahe ohne sich dessen bewusst zu werden, zog sie den Reißverschluss ihrer Jacke herunter und zog sie aus. Das Bett war breit. Sie konnte sich dicht an die Kante legen. Und da Ron schlief, würde er nichts davon merken. Im Nu war sie aus ihrem Pullover und ihrer Hose geschlüpft und warf beides über einen Stuhl. Sie zitterte, als die kalte Luft ihre nackte Haut beruhte. Sie knipste das Licht aus. Nur im Slip legte sie sich unter die Decke. Sie lag auf der Seite und starrte in die Glut des Feuers. Ihre Augenlider fielen herunter, und sie war kurz vorm Einschlafen, als sie eine Bewegung spürte. Im nächsten Moment lag Rons Arm um ihrer Taille, und sein Atem schlug ihr an den Hals. „Ich dachte mir, dass du es dir nach einer Weile überlegst", flüsterte er spottend. „Gute Nacht, Ali." „Gu ... gute Nacht", keuchte sie. Ihre Augen waren wieder weit aufgerissen. Unter dem Gewicht seines Armes war ihr Körper ange spannt, und sie spürte, wie die Haare seiner Brust an ihrem nackten Rücken kitzelten. Seine warme Nähe wühlte ein heftiges Verlangen in ihr auf. Sie wollte sich herumdrehen, sich gegen ihn pressen, ihn liebkosen und von ihm liebkost werden. Aber sie konnte es nicht. Sie wagte nicht, es zu riskieren, denn es würde nur eine zeitweilige Affäre sein, so kurz wie die Nacht. Obwohl sie glaubte, mit Ron so dicht neben ihr nie einschlafen zu können, war sie es plötzlich doch. Sein Arm an ihrer Taille vermittelte ihr tiefes Wohlbehagen. Sie schlief tief und traumlos und bewegte sich nicht. Als sie das Bellen eines Hundes und die Schreie zweier Kinder hörte, lag sie noch genauso da wie am Abend. Der einzige Unterschied bestand darin, dass Rons Arm nicht mehr an ihrer Taille lag.
Ohne die Augen zu öffnen, streckte sie ihre Beine aus. Sie hörte das Geräusch von Leuten, die sich im Haus zu schaffen machten, sie hörte irgendwo Wasser rauschen, dann das Murmeln eines Mannes an der Haustür. Ein Riegel klickte und die Scharniere quietschten, als die Küchentür geöffnet wurde. „Sind Sie wach, Mr. Letham?" fragte Janet Gillies sanft. „Ich wollte Ihnen nur Bescheid sagen, dass Donald mit dem Fahrrad zur Farm gefahren ist. Er will frage n, ob sie dort Benzin für sie haben. Ich gehe jetzt die Kühe melken. Wenn ich zurückkomme, mache ich Ihnen Frühstück." „Danke, Mrs. Gillies", antwortete Ron. „Wir sind auf und angezogen, wenn Sie zurückkommen." Die Küchentür Schloss sich wieder. Der Raum war durchflutet vom Sonnenlicht. Vorsichtig drehte Alexa sich auf den Rücken und sah in Rons dunkles Gesicht. Seine Augen wirkten zwischen den dunklen Wimpern sehr blau. Sein Kinn war voll mit dunklen Bartstoppeln. Seine braungebrannten nackten Schultern glänzten im Sonnenschein. Sie spürte plötzlich, wie nah sie sich waren, und lag völlig unbeweglich da. Ihr Herz klopfte so laut, dass sie fürchtete, Ron würde es hören. „Gut geschlafen?" fragte er und strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Dann fuhr seine Hand wie unabsichtlich ihre Wange entlang, zum Hals hinunter und zu ihrer Schulter. Ja, danke", antwortete sie höflich. Sie wandte ihren Blick nicht von seinem Gesicht. „Und du?" „Seit Ewigkeiten habe ich nicht so gut geschlafen", meinte er sanft. „Das muss an deiner Gesellschaft liegen. Ich dachte mir, dass es helfen würde. Ich schlafe furchtbar ungern allein, Ali. Was wirst du dagegen tun?" Er sah ihr direkt in die Augen, als hoffte er, die Antwort auf seine Frage darin lesen zu können. Alexa war zu atemlos, um auch nur ein Wort hervorzubringen. Sie sah, wie sein Gesicht näher kam, und überrascht dachte sie, dass sie nicht wirklich vor ihm entfliehen wollte. Und sie gab sich gar nicht erst die Mühe, es zu tun. Rons Lippen waren warm und süß. Verlange n pochte durch ihren entspannten Körper, und ihre Arme schlangen sich von selbst um seinen Nacken. Dann lag sein ganzes Gewicht auf ihr, und sie schien unter seiner Wärme dahinzuschmelzen. Ein paar Augenblicke gab es keinerlei Zeitgefühl. Sie war wieder auf dem Ben Leckie, lag im angenehm duftenden Heidekraut und liebte ihn von ganzem Herzen. Der Riegel an der Küchentür klickte wieder, als jemand ihn aufschob. Ron hob seinen Kopf. Zögernd öffnete Alexa ihre Augen und kam in die Gegenwart zurück. Ron lächelte auf sie herab, dann bewegte er sich zur Seite. Sie richtete sich auf und schlüpfte genau in dem Augenblick aus dem Bett, als die Küchentür sich langsam und quietschend öffnete. Zwei Kindergesichter tauchten in Ger Türöffnung auf, eines über dem anderen. Zwei Paare runder brauner Augen starrten sie an. Dann waren sie fort, und die Tür hatte sich krachend geschlossen. Hastig griff Alexa nach ihrem Pullover und nach ihrer Hose und zog sich schnell an. „Ich schau mal, ob ich das Badezimmer finde", murmelte sie und trat in den winzigen Flur. Die beiden Kinder, ein etwa achtjähriger Junge und ein sechsjähriges Mädchen, trugen ihre beste Sonntagskleidung. Alexa grüßte freundlich und fragte, wo das Badezimmer ist. Zwar kriegten sie vor Verlegenheit kein Wort heraus, aber sie deuteten wenigstens auf eine Tür. Dann rasten sie schnell den Flur hinab und verschwanden im Garten. Im Badezimmer lehnte Alexa sich einen Augenblick gegen die geschlossene Tür. Sie versuchte, die Kontrolle über die Flut von" Gefühlen in ihr wiederzuerlangen. Sie spürte eine gewisse Enttäuschung, weil die Kinder Ron und sie gestört hatten, gleichzeitig jedoch war sie darüber sehr erleichtert. Schließlich löste sie sich von der Tür. Über dem Waschbecken hing ein Spiegel. Sie sah darin eine Frau mit leicht geröteten Wangen und großen, samtenen Augen. Die vollen Lippen,
vom Kuss leuchtender als gewöhnlich, zitterten leicht. Dann umspielte sie plötzlich ein zufriedenes Lächeln. Sie sah aus wie eine Frau, die liebkost worden war und der es gefallen hatte. Mit einem ungeduldigen Ausruf trat sie vom Spiegel fort und drehte den Wasserhahn auf. Gott sei Dank würde niemand erfahren, dass sie die Nacht hier als Mann und Frau mit Ron verbracht hatte. Es würde ein Geheimnis bleiben, eines, das sie mit ihm teilte, es sei denn ... es sei denn, er sprach mit jemand darüber. Der Gedanke, dass er es irgend jemand erzählen könnte, beschäftigte sie. Die ganze Zeit beim Frühstück wurde sie diesen Gedanken nicht los. Und während sie die dicke heiße Milchsuppe löffelte, bemerkte sie, wie beeindruckt Janet Gillies von Ron war, wie die beiden miteinander sprachen und lachten, als wäre sie nicht dabei. Dennoch schmeckte das Frühstück ausgezeichent. Nach der Milchsuppe gab es gekochte Eier, warmen Toast und dampfenden Tee. Als sie mit dem Frühstück fertig waren, kam Donald, ein großer schlanker Mann mit verlegenem Lächeln zurück. Er berichtete, dass in Kürze jemand mit Benzin von der Farm herüberkommen würde. Ron bestand darauf, bei Janet für die Übernachtung und das Frühstück zu zahlen. Sie erwiderte es mit einer Einladung an ihn und Alexa, jederzeit vorbeizuschauen, wenn sie in der Gegend waren.
7. KAPITEL
Eine halbe Stunde später saßen sie im Jaguar und fuhren die Straße hinunter. Die Sonne schien vom blassen Himmel. Durch die plötzliche Wärme dampfte der feuchte Boden. Sie kamen an die Kreuzung, an der Ron sich am Abend vorher verfahren hatte. Diesmal bogen sie nach links ab zur Straße, die nach Callander führte. Ron fuhr schnell und sprach nur wenig. Alexa warf ihm mehrmals einen versteckten Seitenblick zu. Sie fragte sich, was in seinen Gedanken vor sich ging. Auf alle Fälle, dachte sie, sah er heute morgen besser aus, nicht mehr so blass und abgespannt. Die Straße schlängelte sich durch die Berge, durch kleine Dorf er und vorbei an schneebedeckten Bäumen. In Callander tankten sie. Alexa ging zur nächsten Telefonzelle. Sie wollte ihrer Mutter erklären, weshalb sie letzte Nacht nicht gekommen waren, und ihr mitteilen, wann sie zu Hause eintreffen würden. Sie sagte so wenig wie möglich, denn ihre Mutter sollte nicht erfahren, was geschehen war. Die Berge und Hügel blieben hinter ihnen. Weite Felder lagen jetzt vor ihnen, auf denen hin und wieder ein kahler Baum stand. Als sie sich Stirling näherten, erkannten sie das alte Schloss im dunstigen Sonnenschein vor ihnen. Jetzt war es nicht mehr weit, dachte Alexa. In einer Stunde würde sie zu Hause sein. Doch vorher musste sie Ron noch überreden, sie nicht bis vor die Haustür zu bringen. „Wenn wir nach Edinburgh kommen, kannst du mich beim Schloss absetzen. Für das restliche Stück nehme ich den Bus", sagte sie. „Ich bringe dich ganz hin", antwortete er kühl, und sie wusste, dass sie wieder einmal einen Streit mit ihm ausfechten musste. „Es wäre für alle wesentlich besser, wenn du es nicht tust", sagte sie. Sie versuchte, seine Kühle nachzuahmen, wandte sich von ihm ab und blickte aus dem Seitenfenster auf die vorbeigleitende Landschaft. „Das glaube ich nicht", antwortete er. „Ich habe beschlossen, dich nach Hause zu bringen. Und ich führe nun mal gern durch, was ich beschlossen habe." „Aber es wird unangenehm sein für meine Mutter und meinen Stiefvater, wenn sie dir begegnen müssen", sagte sie. „Ich wüsste nicht, weshalb. Sie zu treffen ist nicht unangenehm für mich." „Sie fühlen sich verpflichtet, dir Gastfreundschaft anzubieten", murmelte sie. „Ja? Das nehme ich nur zu gern an." „Ja, aber ... ach, du willst mich nicht verstehen!" fuhr sie ihn an. „Nach dem, was zwischen Cat und dir passiert ist, haben sie keine besonders gute Meinung von dir. Ich habe meinen Stiefvater sagen hören, dass er dich nicht über die Schwelle lassen und nicht mit dir sprechen würde, sollte Cat dich jemals in sein Haus bringen." Jetzt schaute Ron sie an. In seinem Blick lag Überraschung. „Dann ist es Zeit für mich, seinen schlechten Eindruck von mir zu korrigieren", sagte er kurz und kühl. „Es scheint, Cat hat sich einer Verleumdung schuldig gemacht." „Aber .. .aber .. .aber wenn du das tust, sieht es aus, als hätte Cat sie angelogen", protestierte Alexa heftig. Sie wusste, dass sie in diesem Streit wieder einmal der Verlierer war. „Sie hat sie angelogen, und dich auch", erwiderte er. „Mir ist klar, mein Wort steht gegen ihres. Natürlich glaubst du ihr eher, erstens weil sie weiblich ist, und zweitens, weil sie damals, als sie mit mir nach London gefahren ist, jung war, hübsch und möglicherweise leicht zu haben. Aber ich habe das nicht ausgenutzt, und ich hatte auch kein Verlangen danach." In seiner Stimme lag ein bitterer Zug. „Sie hat mich nicht gereizt — wie du damals und auch heute noch." „Ich wünschte, du würdest nicht so sprechen", flüsterte sie. Seine Offenheit verwirrte sie. „Schockiert, Ali?" brummte er vor sich hin. „Weil ich nichts vortäusche? Weil ich zugebe,
dass ich dich haben möchte und dass es mir hier drinnen schmerzt?" Er nahm eine Hand vom Lenkrad und klopfte mit der Hand leicht auf seinen Magen. „Ich wollte dich schon vor fünf Jahren, aber du warst zu jung", fuhr er fort. „Ich wollte dich gestern im Schloss. Ich wollte dich heute morgen im Haus des Schäfers, aber wegen dieser Kinder ..." Er brach ab und atmete schwer. Als er wieder sprach, war seine Stimme ruhiger, aber Leidenschaft pulsierte darin, „jetzt weißt du, was ich für dich empfinde. Ist es zuviel, wenn ich hoffe, dass das nordische Eis bald schmilzt? Dass du nachgibst und mit mir nach Ardgour zurückkehrst und mit mir lebst?" Eine heiße Flamme loderte in Alexas Körper auf. Sie kauerte sich gegen die Wagentür. Sie war schockiert, wie er es gesagt hatte, denn die Männer, mit denen sie zu tun gehabt hatte, sprachen nicht über ihre Gefühle und Wünsche. Sie hielten sie unter einer ernsten oder fröhlichen Oberfläche verborgen, je nach ihrem Charakter. Und ganz gewiss sprachen sie nicht über ihre Gefühle, wenn sie an einem Sonntagmorgen mit dieser Geschwindigkeit über eine Landstraße rasten. Wenn sie ihre Gefühle eingestanden, dann taten sie es in den dunklen Stunden, zumindest hatte sie sich das immer vorgestellt. Sie merkte, dass der Wagen die Fahrt verlangsamte, und blickte auf. „Welche Richtung nehmen wir jetzt?" fragte Ron. „Die rechte Abzweigung. Die Straße führt direkt ins Zentrum von Edinburgh", antwortete sie. Sie überlegte noch immer, wie sie ihn davon abhalten konnte, sie bis vors Haus zu fahren. „Wenn... wenn ... ich verspreche, dich später irgendwo zu treffen, würdest du mich dann in der Princes Street beim Schloss absetzen, damit ich den Rest mit dem Bus fahren kann?" fragte sie. „Ach ja, du versprichst, mich irgendwo zu treffen und kommst dann nicht?" meinte er und warf ihr einen spöttischen Blick zu. „Oh, nein, so einfach kommst du mir nicht davon. Ich bringe dich bis nach Hause." „Und wenn ich dir den Weg nicht zeige?" „Dann fahren wir immer weiter, die Straße entlang, bis sie zu Ende ist, dann die nächste entlang und so weiter. Bis wir beide müde sind." Er lachte. „Wer weiß. Vielleicht verbringen wir sogar die Nacht im Auto, weil wir irgendwo ohne Benzin stehenbleiben. Oder in einem Landgasthaus, wo wir zusammen in einem Bett schlafen können. Hmmm, ich glaube, der letzte Gedank e gefällt mir am besten." Geschlagen lehnte Alexa sich im Sitz zurück und starrte zum Fenster hinaus. Als sie sich der Kreuzung bei der Princes Street näherten, war sie versucht, die Tür zu öffnen und beim Verlangsamen der Fahrt aus dem Wagen zu springen. „Das hätte gefährlich für dich werden können", sagte Ron ernsthaft. „Versuch das nicht noch einmal. Wirst du mir sagen, wie wir zum Haus deiner Eltern kommen? Oder willst du lieber den ganzen Tag mit mir durch die Stadt fahren?" „Ich zeige es dir", murmelte sie. „Bieg an der zweiten Kreuzung rechts ab." Ein paar Minuten später fuhren sie eine ruhige Straße entlang, an deren Seite stilvolle Einfamilienhäuser mit großen Erkerfenstern lagen. „Wohnst du in dieser Straße?" fragte Ron. „Ja. Du kannst hier rechts ranfahren und mich aussteigen lassen. Den Rest gehe ich zu Fuß", sagte sie hoffnungsvoll. „Sei nicht albern, Alexa", antwortete er. „Ich habe gesagt, ich bringe dich nach Hause. Und ich tue, was ich sage." „Ich bin nicht albern", fuhr sie ihn an. Aber ihr kurzer Ärger starb ebenso schnell ab, wie er in ihr aufgestiegen war, als er sich ihr zuwandte und sie anlächelte. „Welches Haus?" „Das dort, vor dem der graue Wagen parkt", sagte sie leise. Er parkte hinter dem Austin ihres Vaters, wandte sich zu ihr um und sah sie an. Dabei legte er einen Arm hinter sie auf die Lehne des Sitzes.
„Hab keine Angst, Ali", sagte er sanft. „Es wird alles gut verlaufen. Das verspreche ich dir. Ich werde nicht die Gefühle deiner Eltern verletzen." „Aber ... aber Cat ist zu Hause", flüsterte sie. „Deshalb also bist du so besorgt", spottete er sanft. „Du möchtest nicht, dass ich sie wiedersehe. Du hast Angst, dass ich meine Meinung ändere und sie bitte, mit mir nach Ardgour zu kommen und dort mit mir zu leben?" „Nein, nicht deshalb", wandte sie ein. Sie wandte sich um, um ihn anzusehen. Doch weit kam sie nicht, denn er beugte sich vor und küsste sie auf die Lippen. „Du bist es, die ich haben möchte, Ali, nicht Cat", murmelte er. Mit zarten Fingern strich er ihr über die Wange und sah sie mit diesem intensiven glühenden Blick an, der all ihren Widerstand zum Schmelzen brachte. Als er aufblickte sagte er: „Ah, wie ich sehe, werden wir erwartet." Schnell sah Alexa auf. Ihre Mutter stand neben dem Wagen. „Hoffentlich hat sie dich nicht gesehen ..." begann sie. „Nicht gesehen, dass ich dich geküsst habe?" fragte er. Sein Mund verzog sich amüsiert. „Und ich hoffe, sie hat es gesehen." Ron öffnete die Wagentür. „Ich ha' e gerade zum Fenster hinausgeschaut, als ich dich ankommen sah", sagte Margery, als Alexa aus dem Wagen ausstieg. „Es ist ja schon fast halb zwölf. Wie geht es dir, meine Liebe? Wie war die Fahrt?" Sie trug einen eleganten Tweedrock und einen blassgrünen Kaschmirpullover. Ihr silbergraues Haar fiel in gepflegten Locken weich um ihren kleinen Kopf. Sie sah aus, wie sie für Alexa immer ausgesehen hatte, kühl und tüchtig. Das einzig Warme an ihr war der Glanz in ihren dunkelbraunen Augen. „Ja, danke." Alexa küsste ihre Mutter auf die Wange. Ron war inzwischen ausgestiegen und stand jetzt neben ihnen. „Mutter ... dies ist..." begann sie, als er vortrat, seine Hand ausstreckte und sie mit kleinen Fältchen in den Augenwinkeln anlächelte. „Ich bin Ron Letham, Mrs. Morton", sagte er. „Wir hätten uns schon vor fünf Jahren in Ardgour kennen lernen sollen. Aber es ist nie dazu gekommen, muss ich leider sagen. Alexa wollte unbedingt schnell hier herkommen, als sie von dem Unfall hörte. Ich habe ihr deshalb angeboten, sie mit dem Wagen herzubringen." Wäre sie nicht so besorgt gewesen, hätte Alexa über den erstaunten Ausdruck ihrer Mutter gelacht. Dann erinnerte Margery sich an ihre guten Manieren und schüttelte Ron die Hand. „Das war sehr freundlich von Ihnen, Mr. Letham." „Es war mir ein Vergnügen", antwortete Ron. „Ich mag Alexa, und ihre Gesellschaft hat mir Spaß gemacht." „Kann ich jetzt meinen Koffer haben?" unterbrach Alexa schnell, bevor er das Misstrauen ihrer Mutter noch mehr erregen würde. „Natürlich. Ich bringe ihn dir zur Tür", sagte er. Er nahm die Wagenschlüssel aus seiner Jackentasche und öffnete den Kofferraum. Alexa versuchte, den neugierigen Blick ihrer Mutter zu ignorieren. Sie ging zu dem schweren schmiedeeisernen Gartentor, hinter dem ein kurzer gepflegter Weg lag, der zur Haustür führte. Hinter sich hörte sie ihre Mutter freundlich mit Ron sprechen. „Vielleicht würden Sie gern eine Tasse Tee mit uns trinken, Mr. Letham." „Ja, gern", nahm Ron begeistert an. „Ich habe Ihnen und Ihrem Mann sehr viel zu erzählen." „Oh!" Margery warf Alexa einen überraschten Blick zu, als sie ins Haus trat. „Hat es etwas mit Catriona zu tun?" „Nein, obgleich ich vermute, dass wir über sie auch sprechen müssen", sagte Ron kühl, als er ihr in den großen hellen Flur folgte.
„Wo ist Cat?" fragte Alexa ihre Mutter. Sie wollte ihre Stiefschwester warnen, dass Ron hier war. „Sie liegt noch im Bett. Ich halte es für das Beste, wenn sie nach dem Unfall so viel wie möglich ruht. Obgleich das Krankenhaus sie entlassen hat, hat sie den Schock noch nicht ganz überwunden." „Kann ich trotzdem kurz zu ihr gehen? " Alexa versuchte, einen besorgten Eindruck zu machen. „Ja, ja, natürlich. Aber sei leise", warnte Margery sie. „Kommen Sie hier entlang, Mr. Letham." Wie anmaßend Ron war, dachte Alexa, als sie die Treppen hinauflief. Wie er sich seinen Weg ins Haus erzwang. Und doch hatte er es so selbstverständlich getan, mit seinem ausgeprägten Charme. Wahr scheinlich hatte er ihn von seiner brasilianischen Mutter geerbt. Es war heute derselbe Charme, mit dem er gestern abend bei Janet Gillies seinen Willen bekommen hatte. Alexa klopfte an Catrionas Tür und öffnete sie langsam. Zu ihrer Überraschung stand Cat mitten im Zimmer. Sie trug nur ein dünnes Nachthemd, und ihr Gesicht war in ihren Händen vergraben. Ihr dunkles Haar hing in wirren Locken auf ihren Schultern, während sie vor sich hinmurmelte. „Oh, Gott, was mache ich nur? Was mache ich nur?" „Cat? Was ist los?" rief Alexa. Sie Schloss die Tür hinter sich und betrat das Zimmer. Ruckartig hob Catriona ihren Kopf hoch. Ihre dunkelbraunen Augen blinzelten. Dann rannte sie durchs Zimmer und warf sich in Alexas Arme. „Weshalb hast du ihn hier herkommen lassen?" fragte sie schluchzend. „Weshalb?" „Ich konnte ihn nicht aufhalten", gestand Alexa ein. „Tut mir leid, Cat, ich habe mein Bestes versucht." Cats Arme sanken herab. Dann schob sie sich das Haar aus dem Gesicht, kehrte zurück zum Bett und warf sich auf die Bettdecke. Auf dem gelben Kissen wirkte ihr Gesicht sehr blass, dunkle Ränder lagen unter ihren Augen. Von der Lebhaftigkeit, die ihr Gesicht sonst so hübsch macht e, war nichts mehr da. „Helen hat mir gesagt, dass er im Schloss ist", sagte sie mit monotoner Stimme. „Was macht er jetzt?" „Er spricht mit Mutter." Alexa ging zum Bett und setzte sich neben Cat. Sie zog ihre Jacke aus. „Ich bin heraufgekommen, um dich zu warnen." „Ich weiß." Catriona lächelte matt. „Ich weiß auch warum. Er hat es dir erzählt, nicht wahr? Er hat dir erzählt, was tatsächlich passiert ist, als ich mit ihm nach London gefahren bin." „Er hat mir seine Version erzählt", sagte Alexa vorsichtig. „Er hat gesagt, du hast uns angelogen, Cat." Cat warf ihren Kopf unruhig von einer Seite zur anderen. Sie konnte Alexa nicht in die Augen schauen. „Ich hab' gelogen", gestand sie. „Aber warum?" „Ach, ich weiß es nicht, ich weiß es nicht." Cat warf sich auf die Seite und versteckte ihr Gesicht im Kissen. „Ich war eifersüchtig auf dich, glaube ich", murmelte sie. „Ich war es immer. Ich habe gemerkt, dass er dich lieber mochte als mich ..." „Wie hast du das gemerkt?" fragte Ali erstaunt. „Außer dem Nachmittag auf dem Ben Leckie hatte ich fast nichts mit ihm zu tun." Cat rollte sich auf den Rücken. Ihre großen runden Augen betrachteten Alexa ziemlich mitleidig. „Soll das heißen, du hast nie gemerkt, wie er dich angestarrt hat?" fragte sie. „Nein, nie", flüsterte Alexa. Sie blickte hinunter auf ihre Hände und dachte an ihre
Schüchternheit, die sie davon abgehalten hatte, Ron bei ihren Besuchen im Schloss anzusehen. „Er hat dich angesehen, als hätte er so etwas wie dich noch nie gesehen. Es hat mich fast verrückt gemacht." Auf einmal setzte Cat sich im Bett auf. „Und als ich dann hörte, dass ihr beiden einen ganzen Nachmittag zusammen auf dem Berg wart... Da ist alles so über mich gekommen. Du hattest alles, jedenfalls erschien es mir so. Du warst groß, du warst blond, du hattest gute Zensuren in der Schule, du warst sportlich, alle Jungen, die wir kannten, respektierten dich, während sie sich über mich lustig gemacht haben. Und jetzt hattest du seine Aufmerksamkeit auf dich gelenkt. Er war mit den Berg hinaufgegangen, und wie ich später von dir erfahren habe, hat er dich geküsst. Aber lieh hat er behandelt, als ... als wäre ich ein kleines Kind. Oh, ich habe dich gehasst, Alexa. Ich habe dich wirklich gehasst." Cat vergrub ihr Gesicht in den Händen, und ihre Schultern sanken unter der Last ihrer Gefühle. Alexa konnte sie nur fassungslos anstarren. „Mich hat er genauso behandelt", sagte sie schließlich leise und unglücklich. „Er hat sich geweigert, mich mit nach London zu nehmen. Er hat gesagt, ich wäre zu jung." Cat legte sich zurück aufs Kissen und Schloss ihre Augen. „Das habe ich gemerkt, als ich herausgefunden hatte, dass er dich mitgenommen hatte. Er hat dich mir vorgezogen", sagte Alexa. „Nein, nein. Das stimmt nicht." Cat schüttelte ihren Kopf und öffnete ihre Augen. „Ich glaube, ich muss dir erzählen, was wirklich geschehen ist, als wir nach London kamen", sagte sie und holte tief Luft. „Ich habe dir erzählt, dass er mich mit in seine Wohnung genommen hat. Aber das stimmte nicht. Er hat mich in die Wohnung seiner Freundin gebracht und mich dagelassen. Das war ganz und gar nicht, was ich gewollt hatte. Und bei ihr, bei Maria, bin ich zwei Wochen geblieben, nicht bei ihm. Und ich habe erfahren, dass die beiden verliebt waren und heiraten wollten." „Heiraten?" keuchte Alexa. „Genau." Cat nickte. „Ich habe genauso darauf reagiert wie du. Ich war überrascht, nein, es war mehr als das. Ich war völlig verblüfft. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich hatte Ron erzählt, dass ich mich einer Pop-Gruppe anschließen und mit ihnen singen wollte. Du erinnerst dich doch an Johnnie Grigg und Len Cranford? Sie haben immer wieder gesagt, ich könnte jederzeit bei ihnen mitmachen. Aber sie wohnten nicht unter der Adresse, die sie mir gegeben hatten. Ich konnte sie nicht finden und wusste nicht, wohin ich gehen sollte." „Weshalb bist du dann nicht nach Hause gekommen?" „Ich konnte nicht." Cat erschauerte. „Ich habe mich vor Dad gefürchtet. Außerdem hatte ich weiterhin gehofft, Johnnie und Len zu finden. Deshalb bin ich bei Maria geblieben." „Wie war sie?" fragte Alexa neugierig. „Groß, braune Haut, schwarze Haare, phantastische Figur. Sehr weiterfahren und klug. Sie hat in England studiert. Sie hat mir erzählt, dass Ron und sie sich schon als Kinder in Rio kannten." Cat hielt inne und warf Alexa einen besorgten Blick zu. „Ihretwegen wollte er sich nicht mit uns abgeben. Sie wollten heiraten, sobald sie in Brasilien zurück waren. Es sollte eine riesige Hochzeit werden. Maria war ganz aufgeregt." Alexa war zu verblüfft, um sprechen zu können. Ron verheiratet? Wo war dann seine Frau? „Ist sie in Ardgour? Ich habe sie nicht aus dem Wagen aussteigen sehen, als ihr angekommen seid", sagte Cat. „Nein ... Er war allein im Schloss. Er hat mir gegenüber nie ein Wort von ihr erwähnt." Alexa stand auf und trat zum Fenster. Sie schaute nicht hinaus, aber sie musste ihre Verwirrung und ihren Schmerz vor Catriona verbergen. „Vielleicht ist sie in Brasilien geblieben. Helen sagt, er wollte im Schloss nur nach dem rechten sehen, weil Sir Hugh es ihm vermacht hatte." „Hat Helen nichts von seiner Frau gesagt?" fragte Alexa und versuchte gleichgültig zu
klingen. Weshalb hatte Ron ihr nicht erzählt, dass er verheiratet war? Weil sie es nicht wissen sollte, weil sie guten Grund hätte, sein Angebot abzulehne n, mit ihm in Ardgour zu leben. Deshalb! „Du kennst doch Helen", sagte Cat mit einer Spur von Zorn in der Stimme. „Sie erzählt dir immerzu Märchen. Vor fünf Jahren hat sie uns kein Wort davon gesagt, dass er Freundinnen hat. Als ich sie letzte Woche in Glasgow traf, war sie nur mit sich selbst beschäftigt. Ich glaube, sie hätte überhaupt kein Wort von Ron erwähnt, wenn nicht Charlies Hochzeit..." Plötzlich hielt Cat inne, und Alexa wandte sich ihr überrascht zu. „Was ist jetzt los?" „Ach, es ist nur ... Ich denke gerade daran, dass ich wünschte, ich hätte Helen nicht getroffen. Dann hätte ich nichts von Rons Aufenthalt in Ardgour gewusst und wäre nicht in diese Panik geraten, als ich hörte, dass du auch da bist. Ich war sicher, du würdest ihn treffen und herausfinden, dass ... dass ich all diese Lügen über ihn erzählt habe." Cats Stimme zitterte, und in ihren großen Augen lag Furcht. „Deshalb also hast du George überredet, dich mitzunehmen. O Cat, was wolltest du bloß damit erreichen?" „Ich wollte verhindern, dass du Ron begegnest", murmelte Cat. „Frag mich nicht, wie. Darüber hatte ich mir noch keine Gedanken gemacht. Das wichtigste war, irgendwie nach Ardgour zu kommen." Sie zog die Unterlippe zwischen ihre Zähne. „Aber selbst das hat nicht geklappt. Jetzt liegt George im Krankenhaus, und du weißt alles, und Dad wird es wahrscheinlich von Ron erfahren. Was soll ich bloß machen?" „Wie viel hast du Vater vorgelogen? Was hast du ihm erzählt?" „Ich habe ihm gesagt, ich bin nach London gefahren, weil Ron mich hatte mitnehmen wollen. Ich hatte Angst, ihm zu erzählen, dass es meine eigene Idee war. Ich wollte seine Gefühle nicht verletzen und ihm sagen, dass ich von zu Hause weggelaufen war, weil ich nicht mehr tun wollte, was er von mir verlangte. Damals wollte ich keine Krankenschwester werden, sondern Popsängerin." Cat seufzte. „Jetzt kommt mir das alles so albern vor." „Hast du ihm erzählt, was du zu mir gesagt hast? Dass du bei Ron gewohnt hast, und dass er dich hat sitzenlassen?" „Ja. Ich habe das erfunden. Nic hts davon war wahr." „Aber warum, Cat? Warum?" „Ach, ich war völlig durcheinander. Ich wollte nicht, dass Dad schlecht von mir denkt, deshalb habe ich Ron die ganze Schuld in die Schuhe geschoben. Ich dachte, wir sehen ihn nie wieder, und niemand würde etwas herausfinden." „Du hast nicht daran gedacht, dass es Ron weh tun könnte", meinte Alexa. „Ihm weh tun? Wieso?" „Indem du deinen Eltern und mir einen schlechten Eindruck von ihm gegeben hast." „Ich dachte, er würde es nie erfahren", murmelte Cat. „Und ich wollte dich eifersüchtig auf mich machen, wie ich immer eifersüchtig war auf dich. Ich dächte, wenn ... wenn ich dir sage, dass ich eine Weile mit ihm zusammen gelebt habe, würde ich dir weh tun. Es tut mir so leid, Alexa. Es tut mir ehrlich leid, dass ich dich angelogen habe. Ich hoffe nur, ich habe dir nicht zu sehr weh getan." „Nein, ich bin inzwischen darüber hinweg", sagte Alexa langsam. Es war jetzt die Wahrheit über Ron, die schmerzte, viel mehr als alles, was Cat ihr erzählte. „Was soll ich tun, Alexa?" flüsterte Cat wieder. „Komm herunter und sag Ron guten Tag", sagte Alexa. „Und wozu soll das gut sein?" „Es zeigt ihm, dass es dir nichts ausmacht, dass alles herausgekommen ist." „Aber es macht mir etwas aus. Es ist ein schreckliches Gefühl für mich zu wissen, dass andere von meinen Lügen wissen. Wie soll ich bloß Dad und Margery gegenübertreten? Ich kann nicht, nein, ich kann es nicht."
„Hör zu, Cat", sagte Alexa. „Es muss sein, und wenn du es erst hinter dir hast, fühlst du dich auch viel besser. Vater hat dich gern, und wenn du ihm alles erklärst wie eben mir, wird er bestimmt Verständnis haben. Komm, steh auf. Ich bürste dein Haar, und dann gehen wir zusammen hinunter." „Gut. Wahrscheinlich hast du recht." Cat schwang die Beine vom Bett und stand auf. „Mir ist noch ein bisschen schwindelig." Sie legte eine Hand auf ihre Stirn. „Glaubst du, es ist in Ordnung, wenn ich mich nicht anziehe? Mein Morgenmantel liegt dort drüben auf dem Stuhl." Alexa half Cat in ihren roten Morgenmantel, zog einen Stuhl für sie heran und bürstete ihr das Haar. „Hattest du große Angst, als der Wagen zu rutschen anfing?" fragte sie. „Nicht soviel wie George", sagte Cat und lachte auf, wurde jedoch sofort wieder ernst. „Allerdings hatte er große Schmerzen. Ich habe ihm immerzu Witze erzählt, um ihn abzulenken. Es hat Ewigkeiten gedauert, bis die Polizei uns endlich befreit hat." Ihre Augen wirkten neugierig, als sie Alexas Blick im Spiegel traf. „Mutter sagt, sie glaubt, er will um deine Hand anhalten. Deshalb wollte er das Wochenende mit dir in Ardgour verbringen. Stimmt das, Alexa?" „Es könnte sein. Da er nie in Ardgour angekommen ist, weiß ich es natürlich nicht", antwortete Alexa betont unbefangen. „So, mit dem gebürsteten Haar siehst du viel besser aus. Komm mit hinunter." Im Flur blieben sie einen Augenblick vor der offenen Tür des Wohnzimmers stehen. Von drinnen hörten sie den Klang von Lawrence Mortons Stimme. Er schien eine Geschichte zu erzählen, auf die Ron mit einem fröhlichen Lachen reagierte. Sie schienen einen guten Moment getroffen zu haben, um hineinzugehen. Sie wirken alle ziemlich ungezwungen, dachte Alexa. Es gab keinerlei Anzeichen von Verlegenheit. Allerdings schien ihr Stiefvater ein bisschen verblüfft zu sein, als er seine Tochter hereinkommen sah. Wie Alexa sich gedacht hatte, ergriff Ron sofort die Initiative. Er stand höflich auf und lächelte Cat an, als freute er sich ehrlich, sie wiederzusehen. „Hallo, Cat", sagte er. „Wie geht's. Ich hoffe, du hast den Unfall gut überstanden?" „Hallo", flüsterte sie. „Ich ... ich freue mich, dich wiederzusehen, Ron." Sie wandte sich um und sah ihren Vater an. „Daddy ..." begann sie zögernd. „Ich weiß, Cat, ich weiß", sagte er ziemlich hastig und zog die Stirn in Falten. „Darüber sprechen wir später." „Komm, Cat, setz dich hier neben das Feuer", sagte Margery. Sie stand auf und nahm das Teetablett vom Tisch. „Ich muss nach dem Braten sehen. Alexa, könntest du mir ein paar Minuten in der Küche helfen?" fügte sie ruhig hinzu. Bevor sie zur Tür ging, warf sie Cat einen ermunternden Blick zu. Alexa folgte ihrer Mutter hinaus. In der blitzblanken Küche stellte Margery das Tablett ab und band sich eine Schürze um. „Ich glaube, ich lade Mr. Letham lieber zum Essen ein", sagte sie. „Nein, nein", sagte Alexa schnell und dachte, dass die Einladung genau das war, was Ron sich wünschte. „Also, Alexa, es passt nicht zu dir, so ungastlich zu sein", meinte Margery und warf ihr einen überraschten Blick zu. „Außerdem ist es das mindeste, was wir für ihn tun können. Immerhin war er so nett und hat dich den ganzen Weg hier hergebracht." Kritisch glitt ihr Blick über Alexas Pullover und die Hose. Sie war Einkäuferin in einem exklusiven Damenbekleidungsgeschäft in Edinburgh und immer sehr besorgt um das, was ihre Tochter und ihre Stieftochter trugen. „Dein Zeug sieht aus, als hättest du darin geschlafen", bemerkte sie. „Hattest du das nicht auch schon an, als du Donnerstag abgefahren bist?" „Ja, das stimmt, Mutter. Bitte, hör auf ..." „Ich hoffe, du ziehst dich vor dem Essen um. Dein Haar hat auch mal wieder eine Wäsche nötig. Könntest du jetzt bitte die Sahne schlagen." Margery wandte sich zum Backofen um. „Ich hoffe, Mr. Letham mag schlichte
Hausmannskost." Alexa öffnete den Kühlschrank und nahm den Becher Schlagsahne heraus. „Ich verstehe nicht, dass du ihn unbedingt zum Essen einladen musst." „Und ich verstehe nicht, weshalb ich ihn nicht einladen sollte." Sie nahm den Rostbraten aus dem Ofen und musterte ihn ausgiebig. „Und ich verstehe nicht, weshalb Cat es zugelassen hat, dass wir all diese Zeit so schlecht von ihm gedacht haben." Sie warf Alexa einen Seitenblick zu. „Es war eine gute Idee von dir, dass du sie heruntergebracht hast, damit sie ihn wiedertrifft. Es wird Zeit, dass sie ehrlich wird. Ich vermute, du weißt darüber Bescheid, wie sie Vater und mich angelogen hat." Alexa goss die flüssige Sahne in eine Schüssel und steckte den elektrischen Mixer in die Steckdose. „Ist Vater sehr böse?" fragte sie. „Ich weiß nicht", antwortete Margery. „Weißt du, Mr. Letham hat sehr beiläufig davon gesprochen. Wie du dir denken kannst, war Vater natürlich ziemlich zurückhaltend. Aber Mr. Letham ist gleich zur Sache gekommen. Er hat gesagt, wie gern er dich hier hergebracht hat, genauso gern, wie er damals Cat nach London mitgenommen hatte, als sie ihn darum gebeten hatte. Oh, dieser kleine Teufel. Wusstest du, dass er dachte, wir wüssten von ihrer Fahrt nach London mit ihm? Er hat gedacht, wir hätten ihr vorgeschlagen, ihn um die Mitfahrt zu bitten." „Was hat Vater gesagt?" „Nichts. Er war völlig verblüfft. Was konnte er schon sagen, ohne einzugestehen, dass Cat uns eine völlig andere Geschichte erzählt hatte?" „Also glaubst du Ron", meinte Alexa. „Oh, ja. Ich habe immer gewusst, wie gut Cat lügen kann, besonders wenn sie nicht möchte, dass Vater erfährt, was sie tut. Und Alexa, darüber kann ich nicht hinwegkommen. Mr. Letham hat sich entschuldigt. Er hat sich tatsächlich entschuldigt, dass er Cat in London nicht mehr hat helfen können. Aber er war mit Reisevorbereitungen nach Brasilien beschäftigt. Er wollte dort heiraten. Und offenbar war es seine Frau — allerdings war er damals noch nicht verheiratet —, bei der Cat gewohnt hatte und nicht bei ihm, wie sie uns weisgemacht hat." Alexa schaltete den Mixer ein. Sie sah zu, wie die Sahne dicker und dicker wurde. Woher konnte man wissen, ob ein Mann verheiratet war oder nicht? Es sei denn, er sprach offen darüber. Und weshalb machte das Wissen um Rons Frau einen solchen Unterschied auf ihre Gefühle? Sie sollte froh sein, es herausgefunden zu haben, bevor ... Bevor was? Bevor sie seinem Wunsch nachgegeben hatte, mit ihm nach Ardgour zu gehen und dort mit ihm zu leben. Hätte sie seinem Wunsch nachgegeben? O Gott! Sie war schrecklich unglücklich, weil er sie mit Absicht hintergangen hatte. Weshalb hatte er sie gebeten, mit ihm zu leben, wenn er eine Frau in Brasilien hatte? Lebte er von Maria getrennt? Oder führte er eine dieser modernen Ehen, von denen sie manchmal gehört hatte? Suchten beide Partner außerhalb der Ehe nach anderen Beziehungen und blieben trotzdem zusammen? Ein Schauer rann durch ihren Körper. Nie, niemals könnte sie in so etwas verwickelt sein. Sie war viel zu selbstsüchtig, zu besitzergreifend, um einen Mann mit einer anderen Frau zu teilen.
8. KAPITEL
„Alexa", Margerys Stimme war scharf. „Ich habe dich etwas gefragt. Wo hast du letzte Nacht geschlafen?" „Oh ... äh ... irgendwo in der Nähe von Killin." Jetzt musste sie vorsichtig sein. Sie wusste nicht, was Ron ihrer Mutter von ihrer Fahrt erzählt hatte. „Wo? In einer Pension?" „Ja, so etwas Ähnliches." Sie fing an zu verstehen, weshalb Cat Lügen erzählte. Es passierte, wenn man von zu beschützenden, neugierigen Eltern in die Enge getrieben wurde. „Was heißt so etwas Ähnliches?" fragte Margery entrüstet. „Was meinst du damit?" „Naja, es war eine Pension, die nur im Sommer geöffnet hat." „Mr. Letham hat mir erzählt, er ist eine falsche Strecke gefahren, während du geschlafen hast, dass euch das Benzin ausgegangen ist und dass ihr im Haus eines Schäfers geschlafen habt. Er schien sehr beeindruckt von der Freundlichkeit des Schäfers und seiner Frau gewesen zu sein, und er sagt, ihr habt in der Küche übernachtet. Das kann nicht besonders gemütlich gewesen sein." „Es war in Ordnung." Alexa schaltete den Mixer aus und stellte die Schüssel Schlagsahne zur Seite. „Hatten sie ein Bett in der Küche? Weißt du, wie damals auf der Farm in Galloway, wo wir manchmal unsere Ferien verbracht haben?" fragte Margery. „Ja." Offenbar konnte sie nicht gut lügen, wie Ron schon gesagt hatte. Nicht so gut wie er jedenfalls. Nein, das war nicht richtig. Er hatte sie nicht angelogen. Er hatte sie nur hintergangen, indem er ihr nicht alles über sich erzählt hatte. „Und wer hat im Bett geschlafen? Du oder er? Oder habt ihr beide darin geschlafen?" fragte Margery scharf und hantierte am Bratofen. „Mutter, worauf willst du hinaus?" rief Alexa ärgerlich. „Ich versuche nur, herauszufinden, was sich zwischen Ron Letham und dir abspielt", meinte Margery. „Wusstest du, dass er in Ardgour ist, als du die Pläne für ein Wochenende dort geschmiedet hast?" „Nein. Ich wusste es nicht. Ich war völlig überrascht. Herrje, weshalb bist du nur so misstrauisch?" „Das ist nicht schwierig, das kann ich dir sagen", fuhr Margery sie an. „Du kommst mit einem verheirateten Mann aus Ardgour zurück, schläfst mit ihm in einem Zimmer, möglicherweise sogar in einem Bett..." „Das braucht nicht zu bedeuten, dass irgend etwas zwischen uns gewesen ist", protestierte Alexa. „Wenn die Schäfersfrau uns nicht eingeladen hätte, hätten wir gemeinsam im Wagen übernachtet." „Und", fuhr Margery ruhelos fort, „ich habe gesehen, wie er dich bei deiner Ankunft hier geküsst hat. Ich habe gehört, wie er seine Meinung über dich ausgedrückt hat und wie sehr deine Gesellschaft ihm gefallen hat. Außerdem habe ich gesehen, wie er dich angeguckt hat, als du ins Wohnzimmer gekommen bist. Du kannst nicht so tun, als wäre all das nichts." Sie holte tief Luft und fuhr mit sanfterer Stimme fort: „Alexa, sei ehrlich, du hast ein Verhältnis mit ihm, nicht wahr?" Alexa zitterte, als sie den Löffel aus der Hand legte, den sie gerade benutzt hatte. „In welchem Krankenhaus liegt George?" fragte sie, um das Thema endgültig zu ändern. „Im Infirmary. Heute Nachmittag ist Besuchszeit", antwortete Margery. „Gehst du meiner Frage absichtlich aus dem Weg?" „Ja." Alexa wandte sich herum und blickte ihre Mutter an. „Weil ich nicht weiß, wie ich sie beantworten soll. Wenn ich dir erklären würde, was zwischen Ron und mir ist, würdest du es ohnehin nicht verstehen. Ich habe kein Verhältnis mit ihm, jedenfalls nicht in dem Sinn, in dem du es meinst. Zumindest tue ich mein Bestes, es nicht dazu kommen zu lassen. Aber er ...
er ..." Sie holte tief Luft. „Ich wusste nicht, dass er verheiratet ist. Ich habe es erst von Cat erfahren, als ich oben in ihrem Zimmer war", endete sie mit einem Flüstern. Schweigend starrte Margery sie einen Moment lang an. Dann trat sie zum Schrank und nahm ein paar Teller heraus. „Ich verstehe", sagte sie. „Ich verstehe nur zu gut. Und ich werde ihn ganz gewiss nicht zum Essen einladen." „Ich gehe und ziehe mich um", murmelte Alexa. „Ja, meine Liebe, tu das und lass dir Zeit. Nimm ein Bad, wenn du Lust hast", sagte Margery kühl. „Ich rufe dich, wenn das Essen fertig ist." Alexa nickte und verließ die Küche. Im Flur hörte sie keine Stimmen mehr aus dem Wohnzimmer. Zögernd blieb sie stehen und spähte durchs Schlüsselloch. Sie konnte gerade noch Ron sehen, der in einer Ecke des Sofas saß. Er schien allein zu sein, denn er blätterte in der Sonntagszeitung. Cat und ihr Vater hatten offenbar das Wohnzimmer verlassen. Es war eine große Verlockung, zu ihm hineinzugehen. Sie war gerade einen Schritt vorgetreten, als sich die Küchentür hinter ihr öffnete. Sie wandte sich um. Ihre Mutter kam auf sie zu. Margery schüttelte ihren Kopf und deutete auf den Koffer, den Ron bei der Haustür abgestellt hatte. „Bring den Koffer hoch und packe ihn aus, meine Liebe", schlug sie mit einer Stimme vor, die keinen Widerspruch duldete. Alexa nahm den Koffer. Während sie die Treppen hinaufstieg, hörte sie, wie Margery höflicher mit Ron sprach. Oben kam sie an Cats Zimmer vorbei. Sie hörte die flehende Stimme ihrer Stiefschwester. Wahrscheinlich erklärte Cat ihrem Vater, warum sie damals gelogen hatte. Sie öffnete die Tür zu ihrem eigenen Zimmer, ging hinein und Schloss sie hinter sich. Wie froh war sie plötzlich, da zu sein, in diesem wohlbekannten Zufluchtsort, zu dem sie all ihre kleinen Sorgen in den vergangenen elf Jahren gebracht hatte. Aber so große Sorgen wie diese hatte es noch nie gegeben. Nie hatte sie sich so hin und her gerissen gefühlt wie jetzt. Einerseits wollte sie mit Ron zusammen sein, genau wie er es gesagt hatte. Sie sehnte sich nach ihm, gleichgültig, welche Konsequenzen es nach sich ziehen würde. Gleichgültig, ob er eine Frau in Brasilien hatte oder nicht. Andererseits jedoch schreckte sie davor zurück, einen Schritt zu tun, der ihrer Erziehung und ihrer Einstellung völlig widersprechen würde, der nur Schmerz bereiten würde, nicht nur ihr selbst, sondern auch anderen. Lange saß sie auf ihrem Bett und versuchte, ihre Gedanken ein wenig zu ordnen. Ein Geräusch ließ sie aufschrecken. Die Haustür wurde geschlossen. Hastig sprang sie auf, ging zum Fenster und sah durch die feinen weißen Gardinen hinaus. Ron Schloss das schmiedeeiserne Tor hinter sich. Plötzlich blickte er zum Fenster im oberen Stockwerk herauf. Sie trat schnell einen Schritt zurück, falls er sie sehen konnte. Dann wandte er sieh ab und ging zu seinem Wagen. Nachdem er eingestiegen war, heulte der Motor auf, und der Wagen schoss die Straße entlang. Wie hatte ihre Mutter Ron zum Gehen überredet? Mit welcher Waffe hatte ihre Mutter seinen Trotz besiegt? Der Gedanke ging ihr nicht aus dem Sinn, während sie sich auszog und ein wadenlanges buntgemustertes Kleid aus dem Schrank nahm. Würde sie Ron je wiedersehen? Würde er zurückkommen und noch einmal versuchen, sie zu überreden, mit ihm im Schloss von Ardgour zu leben? Sie hoffte es nicht — o nein, sie hoffte es nicht. Und doch! Der Gedanke, ihn nie wiederzusehen, nie wieder die Leidenschaft zu verspüren, wenn er sie berührte und küsste — ließ jetzt schon einen Schauer der Verzweiflung über ihren Rücken laufen. Es war so schwer gewesen, ihn letztes Mal zu vergessen, als er fortgegangen war. Aber damals hatte sie geglaubt, er wollte nichts von ihr wissen. Jetzt wusste sie, was er für sie empfand, und es würde noch viel schwerer sein, ihn zu vergessen. Woher sollte sie die Kraft erhalten, so zu tun, als machte es ihr nichts aus? Wie sollte sie
vortäuschen, dass sie ihr Ziel, Anwältin zu werden, nic ht aufgeben wollte. Wie wollte sie es nur schaffen, all ihren Verwandten und Freunden gegenüber? Vielleicht sollte sie sich immer wieder daran erinnern, dass er ihr nichts von Maria erzählt hatte, dass sie über dritte von seiner Ehe erfahren hatte. Vielleicht würde sie es so schaffen, ihn aus ihren Gedanken zu verbannen. Ja, sie musste an seinen absichtlichen Betrug denken. Das war ein Grund, ihrem eigenen Verlangen nicht nachzuge ben. Sie musste sich immer wieder einreden, dass sie unmöglich mit einem Mann zusammen leben konnte, der sie so schändlich hintergangen hatte wie Ron. „Alexa?" Die Stimme ihrer Mutter klang durch die Tür. „Das Essen ist fertig. Cat isst in ihrem Zimmer. Sie fühlt sich noch nicht wohl genug, um herumzulaufen. Kommst du herunter?" „Ja, ich komme in einer Minute." Sie bürstete ihr Haar, trug schnell ein bisschen Make-up auf und warf einen letzten Blick in den Spiegel. Ja, das war wieder George Lawsons tüchtige Sekretärin, dachte sie zufrieden. Sie ging hinunter ins sonnige Esszimmer im hinteren Teil des Hauses. Ihr Vater schnitt das Roastbeef in Scheiben, und ihre Mutter trug das Gemüse auf. „Wie schade, dass Mr. Letham nicht bleiben und mit uns essen konnte", sagte ihr Vater zu ihrer Überraschung. „Ich hätte gern mehr über seine Reise nach Brasilien gehört, und wie er seine Eltern gefunden hat. Weißt du, ich wusste gar nicht, dass er Anthropologe ist. Ich dachte immer, er ist einer von diesen Playboys, die nichts tun, als das Geld ihrer Eltern zu verschwenden. Da sieht man mal wieder, dass man Leute nicht nach dem beurteilen sollte, was man von anderen hört." „Hat Cat dir erklärt, weshalb sie euch seinetwegen angelogen hat?" fragte Alexa vorsichtig und warf ihm einen schnellen Seitenblick zu. Er sah aus wie immer, sehr ernst und sehr streng. Doch sie wusste, dass hinter dieser Fassade ein freundlicher sanfter Mann steckte — zumindest war er ihr gegenüber immer so gewesen. „Ja, ja, sie hat es erklärt", sagte er und seufzte auf. Dann schüttelte er seinen Kopf von einer Seite zur anderen. „Allerdings verstehe ich nicht, weshalb sie es getan hat. All dieser Unsinn, den sie erzählt. Sie sagt, sie hätte nie genügend Aufmerksamkeit zu Hause bekommen. Sie war immer eifersüchtig auf dich und wollte ihre eigenen Wege gehen. Vielleicht war ich damals ein bisschen streng, als sie sich der Pop-Gruppe anschließen wollte. Aber ich habe doch nur versucht, sie zu beschützen. Ich wusste, dass daraus nie etwas werden würde. Man muss wesentlich mehr Begabung haben als sie, wenn man in der Richtung etwas aus sich machen will. Meinst du nicht auch, Margery ?" „Natürlich, mein Lieber. Und ich finde, wir vergessen jetzt, was vor fünf Jahren war", sagte Margery. „Ich glaube kaum, dass wir Mr. Letham je wiedersehen. Schließlich wird keiner von uns nach Brasilien reisen, nicht wahr?" Mit strahlendem fragendem Lächeln blickte sie auf. „Hat er gesagt, er kehrt dorthin zurück?" fragte Alexa eindringlich. „Nein, aber ich denke es mir", antwortete Margery. Sie stand resolut auf und sammelte die leeren Teller zusammen. „Als ich fragte, ob er nach Ardgour zurückkehrt, hat er nein gesagt... Er meinte, er findet es dort zu dieser Jahreszeit ein bisschen zu einsam für seinen Geschmack. Nicht jeder kann Einsamkeit vertragen, weißt du, vor allem nicht jemand wie er, der an intens ives Gesellschaftsleben in einer Stadt wie Rio gewohnt ist", fügte sie hinzu. „Und dann möchte er natürlich da sein, wo seine Frau ist, denke ich mir." Sie ging hinaus. Alexa starrte auf die Blumenvase mit Frühlingsblumen in der Mitte des Tisches. Was hatte ihre Mutter zu Ron gesagt, dass er so schnell fortgegangen war? Sie musste es wissen. Als ihr Stiefvater mit dem Essen fertig war, nahm sie seinen Teller und ging hinaus in die Küche. „Mutter, was hast du zu ihm gesagt? Wie hast du es fertig gebracht, dass er gegangen ist?" erkundigte sie sich.
„Er hat mich gefragt, wo du bist. Ich habe gesagt, du hast dich ein bisschen hingelegt, weil du dich nicht gut fühlst. Er meinte, es täte ihm leid, und er hoffte, die Fahrt hätte dich nicht überanstrengt. Er sagte, er würde dich gern später sehen, und ob ich dir etwas ausrichten könnte." Margery kniff ihre Lippen fest zu einer dünnen Linie zusammen. „Da bin ich direkt zur Sache gekommen, Alexa. Es schien keinen Sinn zu haben, drumherum zu reden. Ich habe ihm gesagt, dass du ihn nicht wiedersehen möchtest und dass ich dir unter den gegebenen Umständen zustimme, und dass es klüger ist, wenn ihr euch nicht wieder seht." „Was hat er darauf geantwortet?" „Nicht viel. Er hat mich ein bisschen seltsam angeguckt und gesagt, dass er in dem Fall natürlich gehen würde. Das war, als ich ihn fragte, ob er nach Ardgour zurückkehrt. Du siehst, es ist alles geklärt. Er hat es verstanden. Er ist weg, und damit hat es sich. Es ist das beste so, würde ich sagen. Er kehrt zu seiner Frau in Brasilien zurück, und die Sache zwischen euch ist bald für immer vergessen." Ja, bald ist es für immer vergessen, dachte Alexa. Es war nichts als ein kurzes Aufflammen gewesen. Ein Aufflammen der Leidenschaft, ausgelöst durch ihre unerwartete, erregende Begegnung. Wahrscheinlich hätte es ohnehin nicht lange angehalten. Die Flamme wäre erloschen, wahrscheinlich sogar, bevor die sechs Monate vergangen waren, die sechs Monate, in denen Ron im Schloss leben wollte. Sie musste das in Erinnerung behalten. Jedes Mal, wenn die Trauer an ihrem Herzen nagte und sie krank machte, musste sie daran denken, dass die kurze glühende Leidenschaft zu schnell gekommen war und zu heftig, um andauern zu können. Auf einmal erschauerte sie, und der Löffel fiel ihr herunter. Eine Welle der Enttäuschung erfasste sie, denn jetzt war Ron fort, und sie wusste nicht, wo er war. Sie wusste nicht, wo sie ihn finden konnte, wenn sie ihn finden wollte. „Man hat mich aus dem Krankenhaus angerufen. Ich muss mich heute Nachmittag um einen Notfall-Patienten kümmern." Die Stimme ihres Stiefvaters brach durch den Nebel, der Alexas Gedanken umhüllte. Offenbar hatte er an diesem Wochenende Bereitschaftsdienst. „Wenn du willst, kannst du mit mir fahren und inzwischen bei George vorbeischauen." „Das ist eine gute Idee", sagte Margery entschieden. „Er wird sich sehr freuen, dich zu sehen. Willst du deinen Nachtisch nicht essen, Alexa?" Ihre Mutter beugte sich vor. In ihrem Gesicht lag dieser Ausdruck, den Alexa immer mit Schrecken sah. Er bedeutete Fragen, Fragen, die sie nicht beantworten konnte. „Der Pudding schmeckt gut, Mutter", sagte sie und versuchte mit Gewalt, normal zu klingen. „Du hast mir nur zuviel gegeben. Ich gehe und mache mich fertig, damit wir losfahren können." Wieder ging sie in ihr Zimmer, und wieder ließ sie sich aufs Bett fallen. Den Kopf in die Hände gestützt, versuchte sie, gegen all die aufwallenden Gefühle in ihr anzukämpfen. Sie glaubte, ohne Ron war ihr Leben nichts mehr wert, und sie könnte ebenso gut tot sein. Er war fort und hatte den Zauber mitgenommen. Von jetzt an würde alles schrecklich langweilig sein. Sie durfte sich nicht zu sehr hineinsteigern. Sie musste sich beschäftigen, vorwärtsblicken, daran denken, dass sie Anwältin werden wollte. Kein Mann war es wert, ein solches Ziel aufzugeben. Er würde auch für sie nichts aufgeben. Und es war lächerlich, dass ein Mann so wichtig sein sollte, dass sie ohne ihn nicht leben könnte. Ja, so war es besser. Sie würde sich auf ihre Arbeit konzentrieren. George zu besuchen war ein Teil dieser Arbeit. Und er würde sicher licht von einer Sekretärin besucht werden wollen, die von ihren eigenen Problemen so abgelenkt wurde, dass sie sich nicht auf seine Geschäfte konzentrieren konnte. Durch ihre Mutter hatte sie Ron abgewiesen, wie er sie damals abgewiesen hatte. Es war vorbei, aus für immer, und das war das Beste so. Sie zog ihren mit Lammfell gefütterten Trenchcoat an und setzte eine Wollmütze auf. Auf dem Weg zum Krankenhaus unterhielt sie sich mit ihrem Stiefvater. Sie erzählte ihm von
Ardgour und wie wenig es sich verändert hatte. Er begleitete sie zur Station, in der George lag. Vor den Schwingtüren blieb er stehen und sagte, dass er in einer Stunde kommen und sie abholen würde. Mehrere Besucher waren auf der Station, aber niema nd an Georges Bett. Er ruhte auf einem ganzen Stapel Kissen und hielt die Augen geschlossen. Einen Augenblick stand Alexa ruhig da und sah hinunter auf sein schmales, eingefallenes Gesicht und das braune, an manchen Stellen schon graue Haar. Sie dachte daran, wie sie ihn als Schutzschild gegen Ron benutzt hatte, indem sie eine Verlobung mit ihm vorgetäuscht hatte. Wollte er sie wirklich heiraten, wie ihre Mutter vermutete? Hätte er ihr an diesem Wochenende in Ardgour einen Antrag gemacht, wenn er gekommen wäre? Oder hatte er, wie Ron behauptete, etwas anderes im Sinn gehabt? Sie rückte im Zimmer einen Stuhl zur Seite. Das quietschende Geräusch störte George. Er öffnete die Augen. Als er sie sah, blinzelte er sie an. „Alexa?" Kurzsichtig blickte er zu ihr hoch. „Könnten Sie mir bitte meine Brille geben? Sie liegt auf dem Nachtschrank." Sie gab ihm die dunkelgerahmte Brille, und er setzte sie auf. Abgesehen davon, dass er blasser wirkte als gewöhnlich, schien er nicht so krank zu sein wie sie erwartet hatte. „Wie fühlen Sie sich?" fragte sie. Sie zog sich einen Stuhl heran und setzte sich. „Ein bisschen wackelig", sagte er. „Ich glaube, es sind die Nachwirkungen der Operation. Sie sagen, es ist kein schlimmer Bruch. Wenn alles gut verläuft, sollte ich in Kürze auf sein und auf Krücken herumhoppeln können. Gott sei Dank ist weiter nichts passiert. Wir hatten großes Glück. Wie geht es Catriona?" „Sie liegt im Bett, aber vorm Essen war sie schon eine Weile auf." „Gut, das höre ich gern." Er sprach mit seiner üblichen kühlen und geschäftsmäßigen Stimme. „Alexa, es tut mir leid, dass ich nicht nach Ardgour kommen konnte. Alles schien gegen uns gearbeitet zu haben", fuhr er fort ohne sie anzusehen. „Aber vielleicht war es das Beste so." „Ja, das war es vielleicht", stimmte sie unverbindlich zu. „Wie sind Sie so schnell hierhergekommen?" fragte er. Er lehnte sich jetzt zurück. Offensichtlich erleichterte es ihn, dass sie ihm zugestimmt hatte. „Ich hatte Sie frühestens morgen erwartet, bei den öffentlichen Verkehrsmitteln in der Gegend." „Ein Bekannter, der zufällig dort war, hat mich in seinem Wagen hergebracht." „Aha?" Zum ersten Male bemerkte sie, dass seine Augen graubraun waren. Sein Blick war scharf, und er lehnte sich wieder vor. „War es dieser Bursche, von dem Catriona mir erzählt hat? Von dem sie nicht wollte, dass Sie ihn treffen?" „Sie hat Ihnen von Ron erzählt?" fragte Alexa überrascht und riss ihre Augen auf. „Warum?" „Weil ich sie dazu gebracht habe", antwortete er kalt. „Dazu gebracht? Wie meinen Sie das?" „Donnerstag abend kam sie zu mir und hat mich gebeten, sie mit nach Ardgour zu nehmen. Ich habe nicht verstanden, um was es genau ging. Also habe ich sie hereingebeten und sie aufgefordert, mir alles von Anfang an zu erzählen." „Von welchem Anfang?" fragte sie. Sie wusste, wie gut George Leute ausfragen konnte. Wie er sich freute, wenn er alles aus ihnen herausgelockt hatte, was er wissen wollte. „Der Anfang scheint vor fünf Jahren gewesen zu sein. Damals wart ihr in Ardgour und habt diesen Ron kennen gelernt", sagte George. „Wenn ich richtig verstanden habe, ist er der Neffe von dem letzten Sir Hugh Letham?" „Ja", antwortete sie hölzern. „Sir Hugh hat ein sehr strittiges Testament hinterlassen. Seine Tochter hat es zugunsten ihres Sohnes Charles angefochten. Sie glaubte, er sollte Ardgour Castle erben. Natürlich hat sie den Fall verloren. Und der Neffe ist jetzt dort eingezogen?"
„Ich .. .ich weiß nicht genau." Alexa zuckte mit den Schultern. „Ihre Stiefschwester glaubte offenbar, Sie wüssten von seinem dortigen Aufenthalt. Sie meinte, deshalb hätten Sie Ardgour für das Wochenende ausgewählt. Sie hofften, ihn wiederzutreffen." „Das stimmt nicht", sagte Alexa hitzig. „Ich hatte keine Ahnung, dass er da war. Woher sollte ich es wissen? In den letzten fünf Jahren hatte ich nichts mit ihm zu tun." Sie holte tief Luft, um ihre Wut unter Kontrolle zu halten. Schon wieder hatte Cat gelogen. Alexa fand, es war an der Zeit, dass Thema zu wechseln. „Was soll ich wegen Mr. Farquharson in Fort William unternehmen? Er erwartet Sie morgen." „Darüber sprechen wir später", meinte George. „Im Augenblick möchte ich Ihnen erklären, weshalb ich Catriona mit nach Ardgour. nehmen wollte." „Sie brauchen es nicht zu erklären. Sie hat es bereits getan", antwortete sie steif. „Sie sagte, Sie seien in Letham verliebt", fuhr er gnadenlos fort. „Ich fand ihn anziehend, genau wie sie damals." Sie spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. Lachend fing sie an zu erzählen, in der Hoffnung, er würde es nicht bemerken. „Wir waren damals erst achtzehn und in ihn vernarrt, weil er so anders war. Es war nichts Ernstes. Sie wissen doch, wie dumm Teenager manchmal sind." „Nichts Ernstes", wiederholte er nachdenklich. „Weshalb wollte sie dann verhindern, dass Sie und er sich wiedersehen? Sie war außerordentlich besorgt um Sie. Sie hat mir erzählt, Letham hat vor fünf Jahren eine Brasilianerin geheiratet, aber Sie wüssten nichts davon. Sie machte sich Sorgen, dass er sich an Sie heranmacht, ohne Ihnen von seiner Ehe zu erzählen. Sie wollte Sie sehen, um Sie zu warnen." Er blickte sie mit schmalen Augen an. „War ihre Sorge berechtigt?" Alexa konnte nicht sofort antworten. Sie war zu verblüfft über das, was Cat ihm erzählt hatte. Während sie nach einer Antwort suchte, die ihn zufriedenstellte, blickte sie hinüber zu den anderen Patienten in ihren Betten. „Sie hatte einen guten Grund, eine Begegnung zwischen Ron und mir zu verhindern", sagte sie schließlich. „Aber es war nicht der, den sie Ihnen angegeben hat. Und selbst wenn sie nach Ardgour gekommen wäre, es wäre ohnehin zu spät gewesen. Ich habe Ron bereits Freitag Nachmittag getroffen, als ich einen Spaziergang machte. Am nächsten Tag, als er hörte, dass ich hierher zurück wollte, hat er mir angeboten, mich nach Edinburgh zu fahren. Gestern Nachmittag haben wir uns auf den Weg gemacht." „Wann Sind Sie angekommen?" George zog jetzt die Stirn in Falten und schien verwirrt zu sein. „Heute morgen." Eine Lüge war sinnlos, denn möglicherweise würde er die Wahrheit von ihrer Mutter erfahren. „Oh!" Es klang wieder scharf. „Dann müssen Sie unterwegs irgend wo übernachtet haben." Er musterte sie misstrauisch. „War das klug?" erkundigte er sich. „Wir hatten keine andere Wahl, es sei denn, wir hätten im Wagen geschlafen", antwortete sie und erwiderte seinen kühlen Blick. „Zwischen Fort William und Killin ist uns das Benzin ausgegangen." „Lieber Gott!" rief er. „Und das soll ich glauben?" „Ja. Ich erwarte, dass Sie es glauben", erwiderte sie. Sie spürte, wie die Wut weiter in ihr anstieg. „Klingt wie ein romantisches Märchen", fauchte er. „Sie wollen mir weismachen, dass keiner von Ihnen beiden ans Benzin gedacht hat?" „Ich weiß, es klingt komisch. Aber wir waren ..." Sie hielt inne und zog ihre Unterlippe zwischen die Zähne. Sie erinnerte sich an das Streitgespräch im Hotel in Fort William. Keiner der beiden hatte völlig die Kontrolle über sich gehabt und hatte praktisch gedacht. „Wir haben es vergessen", fügte sie kühl hinzu. „Wo haben Sie übernachtet?"
„Im Haus eines Schäfers." „Als Alleinstehende oder als Mr. und Mrs. Letham?" fragte er garstig. Als sich beide anstarrten, entstand ein unangenehmes Schweigen. Viele wütende Antworten fielen Alexa ein. Am liebsten wäre sie aufgesprungen und hinausgegangen. Aber sie schaffte es, ihre Wut zu unterdrücken und sitzenzuble iben. „Spielt das eine Rolle?" entgegnete sie kalt. „Ron ist wieder fort, wahrscheinlich auf dem Weg nach Brasilien. Ardgour im März hat ihm nicht gefallen. Ich denke nicht, dass ich ihn je wiedersehe." Sie öffnete ihre Handtasche und nahm Notizbuch und Bleistift heraus. „Jetzt zu Mr. Farquharson. Soll ich seine Tochter anrufen und ihr erklären, weshalb Sie morgen nicht kommen können, und sagen, dass Sie kommen, sobald Sie wieder gesund sind?" Mit dem Stift in der Hand, die Augen auf den Notizblock gerichtet, wartete sie. Dabei hörte sie, wie ihr Herz pochte. Sie war ärgerlich, dass George sie ausfragte, als wäre sie Zeugin vor Gericht. Sie hoffte, er hatte gemerkt, wie scheußlich sie sein Verhalten fand. Sollte er sie weiterhin ausfragen, würde sie sofort gehen und kündigen. Zu ihrer Erleichterung diktierte er ihr jedoch ein paar Briefe. Sie waren gerade fertig, als seine Töchter Fiona und Sarah ankamen. Sie wurden von einer hübschen rothaarigen Frau von etwa sechsunddreißig begleitet, die er als seine Haushälterin Cathy Forbes vorstellte. „Danke fürs Kommen, Alexa", sagte er brüsk. Sie stand auf und bot Cathy den Stuhl an. Sie kannte diesen Tonfall. Sie war entlassen. „Bringen Sie mir diese Briefe bitte morgen abend zum Unterschreiben." „Ja, natürlich." Sie steckte ihren Notizblock in die Tasche. Auf einmal sah sie die vier, George, seine beiden Töchter und Cathy als eine Einheit, als eine Familie, mit der sie nichts zu tun hatte. Sie verabschiedete sich, und die anderen bemerkten kaum, dass sie ging.
9. KAPITEL
Alexas Vater wartete draußen auf sie, und bald waren sie auf dem Weg nach Hause. Alexa ging sofort in ihr Zimmer hinauf. Sie zog den Mantel aus und warf ihn aufs Bett. Dann marschierte sie den Flur entlang in Cats Zimmer. Sie Schloss die Tür hinter sich, lehnte sich dagegen und starrte ihre Stiefschwester einen Moment lang an. Cats Augen waren geschlossen. Im Rhythmus zur Popmusik aus ihrem Transistorradio bewegte sie ihren Kopf von einer Seite zur anderen. „Cat." Alexa sprach laut, um die Musik zu übertönen. Cat riss ihre Augen auf, streckte den Arm aus und stellte die Musik leiser. „Ach, du bist schon zurück", meinte sie. „Wie geht's deinem Chef?" „Besser", sagte Alexa und ging zum Fuße des Bettes. „Wie kannst du es wagen, ihm von Ron und mir zu erzählen", fuhr sie sie an. „Ach, er hat mir so viele Fragen gestellt", antwortete Cat beleidigt. „Ist er immer so? Ich kann mir nicht vorstellen, dass es ein Vergnügen ist, mit jemand wie ihm verheiratet zu sein, wenn er immer soviel fragt. Er wollte wissen, ob du Ron gern hattest, als du ihn vor fünf Jahren kennen gelernt hast." Missbilligung funkelte plötzlich in ihren Augen auf. „Da habe ich ihm erzählt, dass du wahnsinnig in ihn verliebt warst." „Dazu hattest du kein Recht!" „Vielleicht nicht. Aber er war so ... so ... ach, ich weiß nicht... so anmaßend." Mit bittenden Augen lehnte Cat sich vor. „Sei nicht böse, Alexa. Ich habe es für dich getan." „Für mich, für mich!" schrie Alexa. Sie wandte sich ab und trat zum Fenster. „Ich habe es satt, dass andere Leute sich laufend in mein Leben einmischen. Erst Mutter, dann George und jetzt du. Könnt ihr euch nicht alle um eure eigenen Angelegenheiten kümmern?" Die Stille wurde nur durch heftige Gitarrenklänge aus dem Radio unterbrochen. Um ihre Erregung zu unterdrücken, presste Alexa ihre Hände gegen ihre glühenden Wangen. „Alexa", Cats Stimme klang matt. „Ich ... Es tut mir leid. Ich dachte, es könnte George nichts schaden, wenn er erfährt, dass es einen anderen Mann in deinem Leben gegeben hat, und dass du nicht so unterwürfig bist, wie er zu glauben scheint." Alexa wandte sich langsam um. Vor Überraschung waren ihre Augen weit aufgerissen, als sie ihre Schwester anstarrte. „Wie kommst du darauf, dass er mich so einschätzt?" fragte sie. „Die Art, wie er sich deiner sicher ist", sagte Cat und spielte mit einem Stück Schokoladenpapier. „Er wollte dich gerade anrufen, als ich neulich zu ihm kam." „Das klingt nicht, als wäre er sich meiner so sicher", meinte Alexa. Sie setzte sich auf die Bettkante. „Wahrscheinlich wollte er mir die genaue Zeit seiner Ankunft in Ardgour mitteilen. Er ist immer sehr genau mit solchen Dingen." Cat warf ihr einen mitleidigen und leicht zynischen Blick zu. „Wie kannst du so lange leben und so naiv bleiben?" seufzte sie. „Er wollte dir absagen." „Wenn er seine Pläne geändert hat, wird er gute Gründe dafür gehabt haben", murmelte Alexa. „Vielleicht hatte er Geschäftliches zu tun, das ihn länger als erwartet in Anspruch nahm." „Es hatte nichts mit Geschäften zu tun", sagte Cat. „Ach, er hatte alle möglichen Entschuldigungen parat. Zum einen wollte eine seiner Töchter nicht, dass er wegfährt, zum anderen hatte er die Wettervorhersage gehört. In höheren Regionen sollte es schneien und die Straße gefährlich glatt sein. Also hat er beschlossen, lieber nicht zu fahren. Nie zuvor ist mir ein so feiger Mann begegnet." Cats Mund verzog sich vor Zorn. „Wieso, die Gründe sind doch völlig in Ordnung", bemerkte Alexa. „Und wegen der Straßen hatte er offensichtlich recht." „Ja, schon. Aber sein Verhalten dir gegenüber hat mich wütend gemacht. Er war so sicher, dass du Verständnis hast, und ich habe mir vorgestellt, wie du dasitzt und auf ihn wartest. Du
hattest dich zur Verfügung gestellt, und er wollte nicht kommen. Deshalb habe ich die große Schau aufgezogen, wie besorgt ich bin, falls du Ron wiedersiehst." Cat legte sich auf ihr Kissen. „Es war keine Lüge. Ich habe mir Sorgen gemacht. Aber weshalb, konnte ich George nicht sagen. Deshalb habe ich ihm Grund gegeben, endlich zu handeln, irgend etwas zu tun." Sie lachte triumphierend auf. „Und es hat geklappt." Alexa ballte ihre Hände zu Fäusten zusammen. Sie starrte auf sie hinunter. Was Cat ihr von George erzählte, passte genau zu dem neuen Bild, das sie sich von ihm gemacht hatte — dass er selbstsüchtig und eifersüchtig war. „Du bist mir doch nicht mehr böse? Ich habe dir doch nichts verdorben?" Cat war wieder besorgt. „Mit George, meine ich? Weißt du, ich dachte, wenn er von einem möglichen Nebenbuhler weiß, würde er vielleicht etwas unternehmen und schneller um deine Hand anhalten." „Ich möchte nicht, dass er um meine Hand anhält", stieß Alexa hervor. „Ich könnte ihn nicht heiraten, niemals!" „Weil ich das über ihn gesagt habe?" fragte Cat besorgt. „Nein, nicht deshalb." Alexa vergrub ihr Gesicht in ihren Händen. „Ach Cat", flüsterte sie. „Ich wünschte, ich wäre nie nach Ardgour gefahren. Ich wünschte, ich wäre nicht gefahren." Es klickte laut, als Cat das Radio ausschaltete. Sie setzte sich neben Alexa und legte tröstend einen Arm um ihre Schulter. „Du meinst wahrscheinlich, du wünschtest, du hättest Ron nicht wieder gesehen", sagte sie. „Und ich hatte recht, du warst damals wahnsinnig in ihn verliebt. Du liebst ihn noch immer, nicht wahr?" „Ich weiß nicht", murmelte Alexa. „Ich weiß es einfach nicht. Ich ... ich bin gern mit ihm zusammen, möchte ganz mit ihm zusammen sein. Aber irgend etwas hält mich zurück." „Weiß er von deinen Gefühlen?" „Ich hoffe nicht. Ich habe versucht, es mir nicht anmerken zu lassen." „Warum nicht?" „Was für einen Sinn hat es? Er ist mit Maria verheiratet, und ich könnte nicht... ich könnte nicht..." Erschauernd brach Alexa ab. • „Ganz schön besitzergreifend", meinte Cat. „Weißt du, er könnte inzwischen von Maria geschieden sein." „Warum sollte er?" sagte Alexa und wandte sich wieder ihrer Stiefschwester zu. „Du hast gesagt, sie waren sehr verliebt." „Das war vor fünf Jahren", meinte Cat. „Die Menschen verändern sich und Gefühle auch, auch wenn es bei dir nicht so ist. Immerhin ist er ohne sie nach Schottland gekommen, nicht wahr? Er hat nichts von ihr erwähnt, oder? Sagt dir das nichts über ihre Beziehung?" Alexa starrte auf das geblümte Muster des Teppichs. Im Geiste hörte sie den leicht verbitterten Ton in Rons Stimme, als er gesagt hatte, wie viel mehr er über das Verliebtsein wüsste als sie und dass er ihr eines Tages davon erzählen würde, wenn er sie besser kannte. Hatte er damit andeuten wollen, dass er auch über das Ende einer Liebe Bescheid wusste? Langsam schüttelte sie ihren Kopf, wie um die quälenden Gedanken zu versche uchen. Jetzt würde sie nie mehr erfahren, weshalb er das gesagt hatte, denn er war nicht mehr hier und konnte sie deshalb nicht besserkennen lernenn. Frühling des Herzens „Es ist zu spät", murmelte sie unglücklich. „Mutter hat ihm gesagt, ich möchte ihn nicht wiedersehen, und er ist gegangen." „Alexa!" Cats Stimme klang ungläubig. „Du hast zugelassen, dass Mutter ...? Wie konntest du nur so dumm sein und zulassen, dass sie sich einmischt, bevor du mit ihm über Maria sprechen konntest? Du lässt dich viel zu sehr von ihr beherrschen." „Aber ich bin froh, dass er weg ist", beharrte Alexa. Sie versuchte, sich selbst zu überzeugen, dass es so das beste war. „Es war ohnehin nicht von Dauer. Dafür ging alles viel
zu schnell." „Und woher willst du das so genau wissen?" fragte Cat wütend. „Ich muss daran glauben", sagte Alexa mit leicht zitternder Stimme. „Ich muss einfach. Ich muss darüber hinwegkommen wie letztes Mal." „Aber es ist nicht dasselbe wie letztes Mal", entgegnete Cat. „Letztes Mal warst du ein kleiner Teenager. Dieses Mal..." „Bitte, Cat. Ich möchte nicht mehr davon sprechen", unterbrach Alexa heftig. „Es ist vorbei und vergessen." Sie holte tief Luft und wandte sich ihrer Stiefschwester zu. „Du legst dich lieber wieder hin. Wann kommt der Arzt?" „Morgen, glaube ich", sagte Cat und legte sich zurück. „Ich hoffe nur, ich muss nicht zu lange hierbleiben." Sie blickte sich in dem hübschen rosa-weißen Zimmer um. „Ich komme mir hier immer wie in einer Falle vor. Dads Freundlichkeit und Mutters Besorgtheit ist einfach zu viel. Ich begreife nicht, wie du hier leben kannst. Weshalb suchst du dir nicht eine eigene Wohnung?" Sie lachte plötzlich. „Dann könnte deine Mutter den Männern, die du nach Hause bringst, nicht hinter deinem Rücken sagen, dass du sie nicht wiedersehen möchtest. Und der Mann könnte die ganze Nacht bleiben, ohne dass du deine Mutter um Erlaubnis fragen musst. Alexa, ich meine es ernst. Wenn du dein eigenes Leben leben möchtest, musst du hier weg." „Vielleicht mache ich das", murmelte Alexa. Cat plapperte weiter, bis Alexa in ihr Zimmer zurückkehrte. Am nächsten Morgen verließ Alexa früh das Haus. Sie sagte, sie würde den Bus verpassen, wenn sie zum Frühstück bliebe. Wie Cat gesagt hatte, gab es Zeiten, in denen man sich wie in einer Falle fühlte, Zeiten, in denen man frei sein musste, tun konnte, was man wollte, eigene Entscheidungen treffen, selbst wenn man Fehler machte. Es überraschte Alexa, wie normal man sich verhalten konnte, als wäre am Wochenende nichts Herzzerreißendes geschehen. Wie man im dunstigen Morgenlicht an der Bushaltestelle stehen und mit den anderen Fahrgästen über das Frühlingswetter plaudern konnte. Wie man ins Büro gehen und die anderen Sekretärinnen fröhlich begrüßen konnte, über Georges Unfall sprechen und die Tagesarbeit planen konnte, ohne sich die innere Qual anmerken zu lassen. Aber diese Qual war da, weil sie Ron mit jeder Faser ihres Herzens vermisste. Es war ein Schmerz, gegen den es kein Mittel gab. Vielleicht half es, wenn sie sich in ihre Arbeit vertiefte. Sie versuc hte es, und als der Tag zu Ende war, fühlte sie sich wie betäubt und zu erschöpft zum Denken. "Sie verließ das Gebäude und blickte sich nach allen Seiten um. Halbwegs hoffte sie, einen großen Mann mit dunklem Haar in einer Schaffelljacke auf sie zukommen zu sehen. Und als er nicht erschien, überfuhr sie eine große Welle der Enttäuschung. Sie fühlte sich erschöpfter als je zuvor. Im Krankenhaus begrüßte George sie sehr kühl. Er unterschrieb die Briefe und stellte ein paar Fragen über die Arbeit. Eine Stunde später ging Alexa wieder, erleichtert, dass er sie nicht wieder mit Fragen über Ron gequält hatte. Zu Hause angekommen, fragte ihre Mutter, weshalb sie so spät kam. „Ich musste noch zu George ins Krankenhaus", antwortete sie. „Er wollte ein paar Briefe unterschreiben." „Ach ja, natürlich." Margery war damit zufrieden und nickte. „Wie geht es ihm heute?" „Wesentlich besser." „Alexa, hat er etwas gesagt?" „Wovon?" „Vom Heiraten. Weißt du nicht mehr? Ich dachte, er wollte das Wochenende mit dir verbringen, und um deine Hand anhalten." „Nein, er hat nichts davon gesagt. Er versucht immer noch, sich an sein gebrochenes Bein zu gewöhnen."
„Dann musst du ihn weiterhin regelmäßig besuchen. Du musst ihm zeigen, wie besorgt du um ihn bist. Männer lieben es, wenn man viel Aufhebens um sie macht, wenn sie kränk sind. Hast du ihm etwas mitgebracht? Eine Schachtel Pralinen oder ein bisschen Obst? Oder vielleicht ein Buch. Bring ihm nicht nur Briefe zum Unterschreiben ..." „Mutter, ich wünschte, du würdest damit aufhören! " sagte Alexa ärgerlich. „Womit, meine Liebe?" „Mir zu sagen, wie ich mein Leben leben soll." Alexa stand auf und ließ die Hälfte ihres Essens auf dem Tisch stehen. „Ich ... ich gehe zu Cat hinauf", sagte sie. Sie verließ das Esszimmer und lief die Treppen hinauf. Einen Augenblick blieb sie in der Dunkelheit beim Fenster stehen und blickte hinunter auf die erleuchtete Straße. Es war das erste Mal, dass sie ihre Mutter zurechtgewiesen hatte. Einerseits war sie traurig, denn sie liebte ihre Mutter und wollte ihr nicht weh tun. Andererseits jedoch war sie erleichtert, und ihre Stimmung besserte sich. Der nächste Schritt bestand darin, eine eigene Wohnung zu finden. Vielleicht sollte sie das tun, solange Cat zu Hause war. Cat würde ihr zur Seite stehen, wenn sie erklärte, dass sie ausziehen wollte. Und wenn sie eine Wohnung gefunden hatte, wollte sie sich eine neue Stellung bei anderen Anwälten suchen. Sie wollte weg von George, denn wie sie allmählich feststellte, war er keineswegs der freundliche ausgegliche ne Mann, für den sie ihn immer gehalten hatte. Ruhelose Nächte folgten hektischen Arbeitstagen, und so verging die Woche. Jeden Morgen brach die Sonne durch den Dunst. Im Garten blühten Hyazinthen und gelbe und lila Krokusse. Der Frühling war gekommen, die Zeit für Verliebte. Aber der Mann, in den Alexa verliebt war, war fort und würde nie wiederkommen. Der Mangel an Schlaf und vernünftigem Essen machte sich inzwischen bemerkbar. Alexa war müde und wie betäubt. Und genauso wollte sie es belassen. Nie wieder sollte jemand in ihre Gefühlswelt eindringen, wie Ron es getan hatte. Nach der Arbeit hatte sie sich mit Cat in der Eingangshalle verabredet. Sie wollten gemeinsam eine Wohnung anschauen. Kurz nach vier verließ sie das Büro. Sie nahm einen Ordner mit Briefen mit, die sie George bringen wollte, nachdem sie die Wohnung angesehen hatte. Hastig lief sie die Treppen zur Halle hinunter. Durch die Glastüren drang Abendsonnenlicht. Einen Moment lang war sie geblendet und konnte nicht sehen, wer in der Halle war. Dann bemerkte sie die große schlanke Gestalt zwischen sich und der Tür. „Ali." Eine tiefe Stimme rief ihren Namen, und eine Hand griff nach ihrem Arm. „W... was machst du hier?" stammelte sie. Das Pochen ihres Herzens schien die ganze Halle zu erfüllen. Ihre Beine waren weich wie Gummi, und sie war froh über die Hand, die ihren Arm stützte. „Ich wollte dich sehen", sagte er. „Aber wo ist Cat?" Verwirrt blickte sie sich nach Ihrer Stiefschwester um. „Sie ist nicht hier. Ich bin statt dessen gekommen. Ich habe sie heute Nachmittag bei euch zu Hause gesehen. Sie hat mir gesagt, wo du arbeitest und dass sie sich hier mit dir verabredet hat. Sie sagte, du willst dir eine Wohnung ansehen. Ich dachte, ich sehe sie mir mit dir zusammen an." „Nein, ich habe keine Zeit." Alexa ging zur Tür. Sie schüttelte seine Hand ab. „Ich muss den Bus erwischen." Er öffnete ihr die Tür und ging neben ihr in Richtung der Princes Street. „Ich muss zum Krankenhaus und ein paar Briefe von George unterschreiben lassen", fuhr sie atemlos fort. „Ich fahre dich zum Krankenhaus", sagte er. „Der Wagen steht drüben auf der anderen Seite. Wenn die Briefe unterschrieben sind, schauen wir uns die Wohnung an. Dann essen wir irgendwo und reden miteinander." „Nein, Ron." Mitten auf dem Bürgersteig blieb sie ruckartig stehen und sah ihn an. Hastig
vorbeieilende Leute mussten einen Bogen um sie machen, damit sie nicht in sie hineinliefen. „Doch, Alexa", erwiderte er. Erheitert zuckten seine Mundwinkel. Er trug einen eleganten dunkelblauen Anzug und wirkte wie ein Fremder in einem fremden Land. , Aber es hat keinen Sinn", wandte sie ein. Sie blickte zu ihm auf und spürte, wie ein Gefühl der Liebe durch ihren Körper rieselte. Wie schön war es, ihn wiederzusehen, nachdem sie daran nicht mehr geglaubt hatte. „Was hat keinen Sinn?" fragte er. „Es ist vorbei mit uns", fuhr sie fort. Keiner der beiden schien wegschauen zu können., In ihren Augen leuchtete die Freude, wieder zusammen zu sein. „Was ist vorbei?" „Ach, hier können wir nicht miteinander reden." „Da hast du recht", stimmte er zu. „Lass uns irgendwo hingehen, wo wir uns in Ruhe unterhalten können. Lass uns nach Ardgour fahren", meinte er impulsiv. „Lass uns gleich fahren. Wir könnten kurz nach Mitternacht dort sein ... das heißt, wenn uns das Benzin nicht ausgeht." „Aber dir gefällt es in Ardgour nicht. Jedenfalls hast du das meiner Mutter erzählt." „Es würde mir gefallen, wenn du mit mir dort lebst." „Aber ich kann nicht. Ich kann nicht. Nicht, solange ..." Sie bemerkte, dass ihnen neugierige Blicke zugeworfen wurden. Sie wandte sich um und ging weiter. „Der Wagen steht dort drüben." Ron war wieder neben ihr. Er nahm ihr den Ordner ab und fasste sie am Ellbogen, um sie in die andere Richtung zu führen. „Komm, wir laufen nach diesem Laster über die Straße." „Gib mir den Ordner", beharrte sie und versuchte, sich von seinem Griff zu lösen. „Zwecklos", erwiderte er. „Solange ich ihn habe, musst du bei mir bleiben." Sein Griff an ihrem Ellbogen wurde fester. „Komm, lass uns laufen." Ohne auf das Hupen der Autos zu hören, rannten sie über die Straße. Ron Schloss die Wagentür auf, und ohne ein weiteres Wort stieg Alexa ein. Einen Augenblick später saß er neben ihr. Sie drehte sich zu ihm, um ihm den Weg zum Krankenhaus zu beschreiben. Aber diese Worte wurden nie ausgesprochen. Denn mit einem leisen portugiesischen Ausruf packte er ihre Schultern, zog sie an sich und küsste sie fest auf den Mund. Verblüfft durch den überraschenden Kuss verharrte sie bewegungs los. Erst als er einen Arm um sie legte, um sie näher an sich heranzuziehen, und seine Lippen ihre zum öffnen zwangen, rührte sie sich. Mit dem Rücken gegen die Wagentür gepresst und eine Hand auf ihrem Mund starrte sie ihn anklagend an. „Was fällt dir ein, mich hier zu küssen, wo jeder uns sehen kann", sagte sie zitternd. Unter den dunklen zusammengekniffenen Augenbrauen glitzerten seine Augen ärgerlich, als er tief einatmete. Er beugte sich vor und strich ihr über die Wangen. „Lieber Gott", stöhnte er und legte sich die Hand über die Augen, als hätte er Kopfschmerzen. „Tut mir leid, wenn es dir nicht gefällt", meinte er mit leicht bebender Stimme. „Aber manchmal überwältigen meine Gefühle mich, und ich muss sie zum Ausdruck bringen. Ich bin nicht wie du oder deine Landsmänner. Ich bin nicht eiskalt, und wenn ich das Verlangen habe, dich zu küssen, dann muss ich es tun." Er wandte sich ab und drehte den Zündschlüssel im Schloss. Der Motor heulte auf. „Ich habe fünf schreckliche Tage und Nächte verbracht. Habe meine Gefühle gezügelt, bin dir ferngeblieben und habe versucht, mir einzureden, dass ich ohne dich leben kann", fuhr er mit fester Stimme fort. „Ist es dann ein Wunder, wenn meine Gefühle außer Kontrolle geraten, wenn ich dich jetzt wiedersehe?" Er drehte das Lenkrad herum, und der Wagen schoss in den Verkehr. Die Reifen quietschten auf der Straße. Aus Angst, dass der Wagen mit einem anderen zusammenstoßen würde, zog Alexa den Kopf ein und bedeckte ihre Augen mit ihren Händen.
Es dauerte lange, bis sie endlich wieder aufblickte. Denn sie musste mit den heftige n Gefühlen fertig werden, die durch sie rasten. Die Leere in ihr war verschwunden. Ron war zurück, und wieder einmal würde er ihr weh tun. Der Wagen beschleunigte, wurde schneller. Alexa suchte nach den Sicherheitsgurten. Ihre Hände zitterten, und es dauerte eine Weile, bis sie sich angeschnallt hatte. Als sie endlich aufblickte, bemerkte sie, dass sie in Richtung Westen aus Edinburgh hinausfuhren. „Dies ist nicht der Weg zum Krankenhaus", rief sie und wandte sich ruckartig zu Ron. „Du musst an der nächsten Kreuzung wenden und zurückfahren." Er antwortete nicht, sondern überholte einen langsam fahrenden Lastwagen. Dann klappte er die Sonnenblende herunter, denn die glänzenden Strahlen der niedrigen Sonne fielen durch die Wind schutzscheibe in seine Augen. „Im Handschuhkasten liegt eine Sonnenbrille", sagte er. „Kannst du sie mir bitte geben?" „Wenn du wendest und zum Krankenhaus zurückfährst, blendet dich die Sonne nicht", erwiderte sie. „Aber ich fahre nicht zum Krankenhaus", antwortete er kühl. „George hat seine Chance gehabt, jetzt habe ich meine. Und versuche nicht auszusteigen. Du bist auf der Stelle tot, wenn du das machst." Sie waren am Ende der Stadt und somit am Ende der Geschwindigkeitsbegrenzung angelangt, und sofort presste er seinen Fuß noch fester aufs Gaspedal. „Die Sonnenbrille, Ali", sagte er herrisch und streckte seine Hand danach aus. „Es sei denn, du willst, dass ich von der Straße abkomme, weil ich nichts sehen kann." Sie öffnete das Handschuhfach, nahm die Sonnenbrille heraus und gab sie ihm. Er setzte sie auf und erhöhte noch mal die Geschwindigkeit. „Wohin fährst du?" fragte sie nach einer Weile, als sie merkte, dass er nicht beabsichtigte, umzukehren. „Nach Ardgour", antwortete er kühl. „Mir fällt nichts anderes ein, wo wir uns unterha lten können, ohne gestört zu werden." „Aber du kannst nicht... ich komme nicht mit", begann sie heftig. „Ron! Bitte halt an und fahre zurück. Du kannst mich nicht einfach entführen." „Ich habe es schon", antwortete er. „Und erzähl mir nicht, dass so was in diesem Land noch nicht vorgekommen ist. Was war mit dem jungen ,Ochinyar? Ist er nicht aus dem Westen gekommen, hat seine Geliebte entführt und sie in sein Haus gebracht?" „Das kann man kaum eine Entführung nennen", wandte sie ein. „Sie wollte mit ihm gehen." „Und du willst nicht mit mir kommen?" fragte er, „Ach, Ali, wann willst du endlich der Wirklichkeit ins Auge sehen?" „Das tue ich doch!" schrie sie ihn wütend an. Sie dachte an die Stunden der Qual, wenn sie sich nachts nach ihm gesehnt hatte, aber zu dem Entschluss gekommen war, weil er verheiratet war, nicht mit ihm zusammen sein zu wollen. „Ich habe jede Nacht an dich gedacht", flüsterte sie. „Und ich an dich", sagte er sanft. Er nahm eine Hand vom Lenkrad und berührte damit ihre, die auf ihrem Schoß lag. „Ich dachte, du bist weggefahren", fuhr sie fort. „Ich dachte, ich würde dich nie wiedersehen. Mutter hat dir erzählt, ich wollte dich nicht wiedersehen und dass es so das Beste wäre. Ich dachte, du hast ihr zugestimmt und bist weggegangen." Er antwortete nicht, und sie warf ihm einen flüchtigen Seitenblick zu. Die Sonne schien in sein Gesicht. „Wo warst du?" fragte sie. „In Glasgow. Ich hatte geschäftlich dort zu tun", antwortete er angespannt. „Ich dachte, du bist nach Brasilien zurückgekehrt", sagte sie, und er wandte seinen Kopf zu ihr herum. Doch er schaute sie nur kurz an, dann konzentrierte er sich wieder auf den
Verkehr, denn sie näherten sich einer Stadt. „Weshalb sollte ich dorthin zurückkehren", fragte er. „Ich... ich dachte, du wolltest zu deiner Frau", murmelte sie unglücklich und blickte schnell zum Fenster hinaus. „Ist das deine Art, Witze zu machen?" Seine Stimme war hart, und sie sah ihn schnell an. Bittere Züge lagen in seinem Ausdruck, und sein Mund war unangenehm verzogen. „Wenn es so ist, finde ich das nicht sehr lustig", fügte er hinzu. „Nein, ich mache keine Witze. Cat hat mir alles von dir und Maria erzählt." „Und was hat sie dir erzählt?" „Dass ihr sehr ineinander verliebt wart und heiraten wolltet, als ihr damals nach Rio zurückgekehrt seid." Sie blieb stumm, während sie durch die Stadt fuhren, vorbei an Geschäften, die bereits geschlossen hatten. „Das waren also die Umstände, von denen deine Mutter letzte Woche sprach", sagte er schließlich. „Ich hab' mich gefragt, wovon zum Teufel sie redete. Unter diesen Umständen, hat sie gesagt, wäre es das Beste, wenn wir beiden uns nicht wiedersehen. Sie meinte also, weil ich verheiratet bin, richtig?" „Ja", murmelte Alexa, zum Fenster gewandt. „Bitte fahr nicht weiter in diese Richtung. Bitte wende und kehre nach Edinburgh zurück. Ich muss diese Briefe von George unterschreiben lassen." Er nahm keine Notiz von ihrer Bitte, sondern fuhr wieder schneller, nachdem die Stadt hinter ihnen lag. „Hast du George in dieser Woche oft gesehen?" unterbrach Ron das Schweigen. „Jeden Tag." „Hat er dich gefragt, ob du ihn heiratest?" „Nein. Meistens haben wir über Geschäftliches gesprochen. Ron, bitte ..." „Deine Mutter war so sicher, dass er dir einen Antrag macht und ebenso sicher, das du ihn annimmst", fuhr er fort, ohne sich um ihre Bitten zu kümmern. „Deshalb sollte ich wahrscheinlich aus dem Weg sein. Nun, er hat seine Chance gehabt. Eine weitere gebe ich ihm nicht, indem ich dich heute abend zu ihm lasse. Du kannst ihm diese Briefe per Post schicken. Ab sofort wirst du nicht mehr für ihn arbeiten. Du arbeitest für mich." „Arbeiten?" fragte sie. „Ja, ich habe dir davon erzählt. Ich brauche eine Sekretärin. Oh, keine Sorge. Ich zahle dir natürlich ein Gehalt." „Aber jetzt, nachdem du weißt..." „Was weißt?" „Wie ich darüber denke, dass du verheiratest bist. Jetzt kannst du doch sicher verstehen, warum ich nicht mit dir in Ardgour leben und arbeiten kann." Die Sonne war hinter den Bergen weit vor ihnen verschwunden. Ron setzte seine Brille ab und legte sie auf seinen Schoß. „Ich fürchte, ich verstehe dich nicht", sagte er. „Willst du damit sagen, dass du nur nicht mit mir in Ardgour leben willst, weil ich verheiratet bin?" „Ja", seufzte sie. „Ich will kein Verhältnis mit einem verheirateten Mann haben. Ich kann es nicht. Ich bin nicht so veranlagt. Ach Ron, wenn du wirklich irgendwelche Gefühle für mich hast, dann tu, um was ich dich bitte, und bringe mich nach Edinburgh zurück." „Nein. Ich muss auch mal an mich denken", antwortete er mit seltsam angespannter Stimme. „Und mein Gefühl drängt mich dazu, dich von dort wegzubringen, wo du lebst, weg von deiner Mutter und weg von George, gleichgültig, wie viel du protestierst. Ich hätte dich erst gar nicht nach Edinburgh bringen sollen. Inzwischen weiß ich das. Ich hätte mich nach meinem Instinkt richten und dich im Schloss einschließen sollen." „Aber ... aber ... was ist mit Maria?" schrie sie. „Sieh die Lage doch mal von meinem
Standpunkt aus. Du hast mich hintergangen, weil du mir nichts von ihr erzählt hast. Und mit jemand, der mich betrogen hat, kann ich unmöglich leben. Wie sollte ich dir je trauen?" Er fluchte leise und trat auf die Bremse. Dann lenkte er den Wagen an den Straßenrand und schaltete den Motor aus. Er ergriff ihre Schultern und starrte sie mit ärgerlich funkelnden Augen an. „Hör zu", sagte er durch zusammengekniffene Lippen. „Ich habe dich nicht absichtlich hintergangen." „Du hast mir nichts von Maria erzählt." „Gut. Ich habe dir eine Sache, die einmal in meinem Leben existierte, nicht erzählt. Das ist alles." „Weil du dir denken konntest, dass ich nicht nachgebe, wenn ich von ihr weiß", beschuldigte sie ihn. „Unsinn. Das ist nicht der Grund. Eines Tages, wenn ich dich besser kenne, erzähle ich dir von Maria." „Ah, ich verstehe", Alexa schüttelt ihren Kopf. „Wenn ich getan habe, was du willst, wenn ich deine Geliebte geworden bin, dann erzählst du es mir. Wahrscheinlich benutzt du Maria als Ausrede, dass du dich nicht weiter mit mir einlassen kannst. Du wirst sagen ... Tut mir leid, Ali, ich kann dich nicht heiraten, weil ich bereits eine Frau in Brasilien habe ..." „Ich habe weder in Brasilien noch irgendwo anders eine Frau", schrie Ron sie an und schüttelte sie heftig. „Du hast keine Frau?" Ungläubig wiederholte sie die Worte. „Aber das stimmt nicht. Cat hat gesagt... und du hast meiner Mutter und Lawrie erzählt, dass du nach Brasilien gefahren bist, um Maria zu heiraten. Wie kannst du jetzt behaupten, du hast keine Frau?" Wieder fluchte er vor sich hin. Er ließ sie los und lehnte sich in seinem Sitz zurück. „Ich bin vor fünf Jahren nach Rio gefahren, um zu heiraten. Aber ich habe keine Frau", sagte er langsam. Er öffnete seine geschlossenen Augen und sah sie wieder an. „Du musst mir das schon glauben, denn ich denke nicht daran, hier und jetzt über Maria zu sprechen. Du musst dich schon gedulden." Mit heulendem Motor glitt der Wagen wieder auf die Straße. Alexa starrte zum Fenster hinaus, ohne etwas wahrzunehmen. Sie war viel zu erregt, um klar denken zu können. Was immer sie auch sagte, es schien Ron nicht zu erreichen. Es war also nur Zeitverschwendung, weiterhin mit ihm zu streiten. Konnte sie ihm trauen? Konnte sie ihm glauben, dass er keine Frau hatte? Sie wollte ihm glauben. Wenn es stimmte, was er sagte, würde es so viel verändern. Sie würde sich endlich frei fühlen, würde sich nicht für schuldig halten, weil sie ihn liebte. Sie würde tun, was er von ihr wollte. Sie würde mit ihm in Ardgour wohnen und mit ihm arbeiten und mit ihm leben, so lange, wie er es wollte.
10. KAPITEL
Durch die aufsteigende Dunkelheit fuhren sie auf Stirling zu. Alexa hoffte, Ron würde dort anhalten, aber er fuhr weiter. „Könnten wir hier anhalten?" schlug sie vor. „Ich würde meine Mutter gern anrufen und ihr sagen, wo ich bin. Wenn ich heute abend nicht nach Hause komme, macht sie sich Sorgen." „Cat wird ihr sagen, dass du mit mir zusammen bist. Wenn du nicht kommst, wird sie sich ihren Teil denken. Sie wird glauben, du bist mit mir durchgebrannt", antwortete er. „Durchgebrannt?" „Genau. Das bedeutet, du bist mit deinem Liebhaber davongelaufen", sagte er und lachte amüsiert auf. „Und das bist du." „Nein, du hast mich entführt", protestierte sie. „Wirf mir das nicht vor", wandte er sanft ein. „Ich muss schließlich irgend etwas tun, um deinen albernen Widerstand zu brechen. Wir halten nicht an, bevor wir in Fort William sind. Die Nacht ist klar, und die Straßen sind leer und trocken. Gegen neun werden wir da sein. Über Nacht bleiben wir dort im Hotel und fahren morgen weiter nach Ardgour." „Ich schlafe nicht mir dir", murmelte sie abwehrend. „Und du kannst mich nicht zwingen." „Eine Frau zu zwingen, mit mir zu schlafen, passt nicht zu mir. Soweit solltest du mich inzwischen kennen", antwortete Ron. „Wir nehmen ein Zimmer, und vielleicht schlafen wir in einem Bett wie bei den Gillies, denn ich lasse dich nicht aus den Augen, bevor wir im Schloss sind." In gleichmäßiger Geschwindigkeit schoss der Wagen die Straßen entlang. Nach einer Weile fiel Alexas Kopf zur Seite, und sie Schloss ihre Augen. Die schlaflosen Nächte und die Aufwallung ihrer Gefühle nach seinem Wiederauftauchen hatten sie erschöpft. Sie döste vor sich hin. Der Kopf lag auf etwas Warmem, seiner Schulter. Mit einem leisen Seufzer schmiegte sie sich näher an ihn. Sie konnte nicht länger gegen ihn ankämpfen, ebensowenig, wie sie weiterhin gegen ihre eigenen Wünsche und Instinkte ankämpfen konnte. Kurz nach neun kamen sie nach Fort William. Müde und frierend wartete Alexa in der Hotelhalle, während er ein Zimmer buchte. Obgleich es für ein Hotel auf dem Lande spät zum Essen war, schaffte er es mit seinem Charme, dass ihnen noch etwas serviert wurde. Sie saßen in dem verlassenen Restaurant, am gleichen Tisch, an dem sie am vergangenen Sonnabend gesessen hatten. „Ich muss jetzt meine Mutter anrufen", sagte Alexa, als sie mit dem Essen fertig waren. „Noch nicht." .Aber sie sorgt sich schrecklich. Ein bisschen Rücksicht kannst du wirklich auf andere nehmen", wandte sie ein. „Im Augenblick denke ich überhaupt nicht daran, Rücksicht auf sie zu nehmen", antwortete Ron kühl. „Sie hat sich in deine und meine Ange legenheit eingemischt, und ich werde nicht zulassen, dass sie das noch einmal tut. Du wirst sie nicht anrufen, bis wir beiden nicht eine Vereinbarung getroffen haben." „Was für eine Vereinbarung? Ich verstehe nicht", antwortete Alexa verwirrt. Statt einer Antwort zog er einen Briefumschlag aus seiner Jackentasche und warf ihn vor sie auf den Tisch. „Öffne ihn und schau nach, was drin ist - lies es", befahl er. Im Umschlag lag ein Stück Papier, das sehr offiziell wirkte. Sie öffnete es, las und holte tief Luft. Es war eine besondere Hochzeits-Bewilligung. „Das ... das ist für uns?" fragte sie zögernd. Als sie ihn ansah, spürte sie wieder die Erregung in sich aufsteigen. „Ja, wenn du einverstanden bist. Das Papier zu bekommen, gehörte zu den geschäftlichen Dingen, die ich letzte Woche erledigt habe. Willst du mich heiraten, Ali? Wir können es
morgen früh hier an Ort und Stelle tun." „Ist das möglich?" flüsterte sie. „Alles ist möglich, wenn du es nur willst. Und ich möchte dich heiraten. Alle Vorkehrungen sind getroffen. Die Frage ist nur, ob du mich heiraten möchtest?" Sie musterte sein Gesicht. Sie wünschte, es wäre heller, doch selbst dann hätte sie seine Gedanken nicht lesen können. „Weshalb willst du mich heiraten?" fragte sie matt und strich über das Papier der HeiratsBewilligung. Sie spürte wieder eine Spannung zwischen ihnen. Die Luft um sie herum schien elektrisch geladen zu sein. „Weil ich glaube, es fällt dir dann leichter, zu tun, was ich möchte", antwortete er sanft und beugte sich zu ihr vor. „Es wird dir leichter fallen, mit mir zu schlaf en." „Ist das der einzige Grund?" „Reicht das nicht?" Seine Stimme klang überzeugend. „Nein! Oh, nein!" flüsterte sie zitternd. Sie presste ihre Hände auf ihre Wangen und starrte hinunter auf das Stück Papier. „Ich kann nicht heiraten, wenn ich weiß, es ist nur für kurze Zeit." „Was zum Teufel meinst du damit?" „Du hast gesagt, ich soll mit dir leben, solange du in Ardgour bist, und du willst dort nur sechs Monate lang leben." Sie hielt inne. Sie schaute ihn nicht an, während sie ihm von ihren festen Vorstellungen erzählte. „Wenn ich heirate, heirate ich für immer, und nicht nur für sechs Monate." Sie sah, wie er eine Hand ausstreckte, das Heiratspapier nahm und es in den Umschlag steckte. Dann sah sie, wie er den Schlüssel zum Hotelzimmer auf den Tisch legte. Er war aufgestanden. Sein Gesicht konnte sie nicht erkennen, denn das dämmrige Licht im Restaurant reichte nicht aus. „Das ist der Zimmerschlüssel", sagte er kühl. „Weshalb legst du dich nicht schlafen? Du bist übermüdet. Ich sehe nach, ob der Wagen richtig verschlossen ist." Er verließ das Restaurant. Alexa blieb einen Moment regungslos sitzen. Sie starrte auf den Schlüssel und fragte sich benommen, ob er wirklich gefragt hatte, ob sie ihn heiratete und ob sie wirklich abgelehnt hatte. Weshalb hatte sie abgelehnt? Sie liebte ihn. Sie hatte bereits beschlossen, nachzugeben und mit ihm zusammenzuleben. Weshalb hatte sie nicht genommen, was er so überraschend angeboten hatte, die Legalisierung ihrer Beziehung, selbst wenn es nur für kurze Zeit war? Sie sprang auf und griff nach dem Zimmerschlüssel. Während sie in die Hotelhalle lief, zog sie ihren Mantel an. Ron war nicht dort, aber die Drehtür bewegte sich noch leicht, ein Zeichen, dass gerade eben erst jemand hindurchgegangen war. Sie lief hindurch und trat hinaus auf den Bürgersteig. Weiche Luft berührte ihre Wangen. Über den Dächern der Häuser glitzerten Sterne am Himmel. Doch als sie hinunterblickte auf die verlassene Straße, konnte sie keinen Sportwagen sehen. Er war von dort verschwunden, wo Ron ihn geparkt hatte. Wieder war er fort, bevor sie die Möglichkeit hatte, mit ihm zu sprechen, ihm zu sagen, dass sie ihn heiraten wollte. Wieder hatte er sie verlassen, war ohne sie nach Ardgour gefahren. Ein paar Tränen standen in ihren Augen. Heftig biss sie sich auf die Lippen, wandte sich um und kehrte ins Hotel zurück. Langsam stieg sie die Stufen hinauf, lief einen düsteren Flur entlang zu dem Zimmer, das sie hatten teilen sollen. Es war einfach eingerichtet, und die beiden Einzelbetten schienen sie zu verhöhnen. Sie schlüpfte aus ihrem Mantel, dann aus ihrem Rock, der Bluse und den Schuhen. Es sollte wieder eine Nacht voller Qual werden, dachte sie, als sie sich von einer Seite zur anderen wälzte. Aber sie war müde. Sie konnte nichts anderes tun, als zu schlafen und auf den Morgen zu warten. Es gab keine Heizung im Zimmer, und das Bett war kalt. Zusammengerollt lag sie da und
Schloss fest die Augen. Sie wollte nicht weinen. Es war ihre eigene Schuld, dass Ron fort war. Sie hatte seinen Antrag abgelehnt, und ohne zu streiten war er gegangen. Das war es, was sie nicht verstehen konnte. Er hatte nicht gestritten, war einfach aufgestanden und weggegangen. Offenbar hatte er es plötzlich satt gehabt, mit ihr zu zanken. Die Heirats-Bewilligung war wahrscheinlich sein letzter Versuch gewesen. Jetzt hatte er aufgege ben. Hätte er ihr nur einen anderen Grund gesagt, weshalb er sie heiraten wollte! Hätte er nur gesagt, dass er sie liebt und für immer bei ihr sein wollte. Aber das hatte er nicht. Und kaum hatte sie die Worte „für immer" erwähnt, hatte er sich zurückgezogen. Warum? War er noch immer in Maria verliebt, die nicht seine Frau war? Was war mit Maria? Ach, wenn sie es nur wüsste. Sie fiel in einen ruhelosen Schlaf, wachte immer wieder auf. Für einen festen Schlaf war es viel zu kalt. Sie träumte, sie war in einem dichten Wald und suchte Ron. Sie lief immerzu im Kreis herum und konnte ihn nicht finden. Jedes Mal, wenn sie glaubte, ihn gefunden zu haben, wurde sie von Menschen aufgehalten, die ihrer Mutter oder Cat ähnelten. Plötzlich glaubte sie, ihn vor sich zu sehen, und niemand war zwischen ihnen. Sie streckte ihre Hände nach ihm aus und rief seinen Namen. Doch kaum hatte sie den Namen ausgesprochen, da war er wieder verschwunden. Immer wieder rief sie: Ron! „Ist ja gut, Ali! Ich bin ja hier." Die Stimme flüsterte in ihr Ohr. Hinter sich fühlte sie etwas Warmes. Mit einem kleinen Seufzer wandte sie sich zu dieser Wärme um. Jemand streichelte sie sanft, und die Stimme flüsterte wieder: „Ich bin doch bei dir." „Oh, wo warst du?" murmelte sie noch halbwegs im Traum. „Ich habe dich überall gesucht, die ganze Nacht. Wo warst du?" „Ich habe den Wagen in die Hotelgarage gebracht", sagte die Stimme, und sie spürte, wie warme Lippen mit einem federleichten Kuss ihre Wange berührten. Mit einem Mal war sie hellwach und öffnete ihre Augen. Morgenlicht erfüllte das Zimmer. Ron lag auf dem Bett neben ihr. Er hatte sich halb aufgerichtet und sich über sie gebeugt. Hinter ihm entdeckte sie die zerwühlten Laken und Decken des anderen Bettes. Er musste dort geschlafen haben. Fragend blickte sie zu ihm auf. Um seine Augen lagen kleine Fältchen, als er sie anlächelte. „Du hast schon geschlafen, als ich ins Bett ging", murmelte er und strich ihr Haar aus dem Gesicht zurück. Bei dieser Berührung raste eine Welle des Verlangens durch ihren Körper. „Muss ein schrecklicher Traum gewesen sein, den du gehabt hast", bemerkte er. Seine Sanftheit und seine errege nde Nähe räumten die Schranken zwischen ihnen beiseite. Sie glaubte, jetzt endlich den wirklichen Ron gefunden zu haben und konnte deshalb die wirkliche Alexa sein. „Es war nicht nur ein Traum", sagte sie und presste ihren Kopf gegen seine Brust. „Ich dachte, du bist weggefahren. Ich bin dir nachgelaufen, um dir zu sagen, dass ich nicht meinte, was ich gesagt habe. Aber du warst nicht da. Der Wagen war weg." Frühling des Herzens Sie rieb ihr Kinn gegen ihn. Das sinnliche Gefühl seiner Haut an ihrer gefiel ihr. „Ich dachte, du bist nach Ardgour gefahren und wolltest mich hier zurücklassen", fuhr sie fort. „Ach Ron, ich möchte dich heiraten. Ich tue alles, was du von mir verlangst, weil ich dich liebe und nicht ertragen kann, dass du von mir fortgehst. Bei jedem Mal stirbt ein bisschen von mir ab." Die Sanftheit war aus seinen streichelnden Fingern verschwunden. Mit einem heftigen Ruck hob er ihr Kinn an. Einen kurzen Moment lang sah Alexa die Leidenschaft in seinen Augen glühen. Dann pressten sich seine Lippen auf ihren Mund. Erleichtert und glücklich grub Alexa ihre Fingernägel in die glatte Haut seiner Schultern. Sie gab sich ihrem Verlangen hin, vergaß Zeit und Raum. Nur eines war wichtig, dass sie mit ihm zusammen war und es
keine Schranken mehr zwischen ihnen gab. Er hob seinen Kopf und schaute sie an. „Bin ich froh, dass das Eis endlich geschmolzen ist", sagte er mit einem spöttischen Zug um die Mundwinkel. „Ich dachte schon, der Frühling würde nie kommen." Seine Lippen suchten ihren weichen Hals und entdeckten die leichte Wölbung ihrer kleinen Brüste. Glücklich klammerte sie sich an ihn, und ihr Herz pochte, als sein Mund wieder den ihren fand. Es klopfte an die Tür, und beide waren sofort still. „Mr. Letham?" rief eine Stimme durch die geschlossene Tür. „Es ist acht Uhr. Sie wollten um diese Zeit geweckt werden. Das Frühstückstablett steht draußen vor der Tür." „Danke", rief er zurück. Alexa öffnete ihre Augen und schmiegte sich wieder an ihn. „Je eher wir zum Schloss kommen, um so besser", sagte er und spielte mit einer Strähne ihres Haars. „Oben im Schlafzimmer hören wir es nicht, wenn jemand an die Tür klopft. Wir sind dort allein, ganz allein." Er schob sie sanft von sich, damit er ihr in die Augen schauen konnte. „Und du meinst ernst, was du gerade gesagt hast, dass du mich heiraten willst?" „Ja", flüsterte sie. Auf einmal war sie ihm gegenüber wieder unsicher. „Selbst, wenn es nur sechs Monate anhält?" forderte er sie heraus. Sie starrte ihn an. Eine Welle der Enttäuschung schoss durch ihren Körper. Nichts schien sich geändert zu haben, obgleich sie ihm ihre Liebe gestanden hatte. Würde er sie immer so verletzen? Konnte sie sich seiner nie sicher sein? „Ja", sagte sie endlich. „So lange, wie ich bei dir sein kann, diesen Frühling und den ganzen Sommer." Seine Augen verdunkelten sich, aber seine Finger waren wieder sanft, als sie ihre Wangen berührten. „Dann gehen wir heute vormittag zum Standesamt und sehen, was wir machen können", sagte er. Ein paar himmlische Sekunden lang zog er sie wieder an sich und küsste sie. „Wenn Gott will, Ali", flüsterte er in ihr Ohr, „wird es für immer sein, nicht nur für sechs Monate." Der Standesbeamte, mit dem Ron sich in der vergangenen Woche in Verbindung gesetzt hatte, erwartete sie schon. Nach ein paar einfa chen Zeremonien kehrten sie durch die hellen Straßen zum Hotel zurück. Alexa ging sofort zum Telefon, um ihre Mutter anzurufen. Magerys Stimme war laut und klar. „Alexa, wo bist du?" „In Fort William. Mutter, Ron und ich haben gerade geheiratet." In dem folgenden Schweigen hörte sie ihre Mutter laut atmen. „Aber er ist schon verheiratet", meinte Magery matt. „Nein, das stimmt nicht." „Aber er hat Vater und mir erzählt, dass er nach Brasilien geflogen ist, um dort zu heiraten." „Ich weiß, aber es ist... es ist etwas mit Maria passiert." Wie sehr wünschte sie, Bescheid zu wissen. Sie hätte wesentlich zuversichtlicher geklungen. „Was ist passiert? Hat sie sich scheiden lassen? Oder er sich von ihr?" „Nein. Mutter, versuch es zu verstehen. Alles ist in Ordnung. Wir .. . wir haben nichts Verkehrtes getan, und wir werden gemeinsam im Schloss in Ardgour leben. Ich schreibe dir von dort." „Aber Alexa, warte! Was ist mit deiner Stellung? Was ist mit George? Du kannst nicht plötzlich alle deine Vorhaben aufgeben, um in einem einsamen Schloss zu leben. In einer Zeit wie heute ist das lächerlich!" „Ich kann und ich werde. Und es ist nicht lächerlich. Es ist sehr ernst und etwas, das ich tun muss. Bitte versuche, mich zu verstehen. Ich schreibe George und kündige ihm, keine Sorge. Viele Grüße an Vater. Tschüß für heute." Schnell legte sie den Hörer auf und kehrte zu Ron zurück, der in der Hotelhalle auf sie
wartete. Sein Blick war fragend, doch er sagte nichts, und gemeinsam gingen sie zum Wagen. Kurz darauf lag die Stadt hinter ihnen. Sie fuhren in Richtung Norden auf die Berge zu, auf denen im Sonnenschein glitzernder Schnee lag. Hohe Silberbirken standen am Straßenrand. „Was hat sie gesagt?" fragte Ron plötzlich. „Sie hat sich gesorgt, dass du Bigamie begangen hast", antwortete Alexa. Wie froh war sie über das klare und sonnige Wetter. Es schien ein gutes Omen für die Zukunft zu sein, an einem solchen Tag zu heiraten. „Ich hoffe, du konntest sie beruhigen", sagte er. „Ich hoffe das auch. Aber es war nicht einfach. Weißt du, ich konnte ihr nicht viel erzählen, weil ich selbst so wenig weiß." Sie hielt kurz inne und sammelte allen Mut zusammen, ihn zu bitten, von Maria zu erzählen. „Weshalb hast du meinen Eltern erzählt, dass du nach Brasilien gefahren bist, um dort zu heiraten? Weshalb ihnen und nicht mir?" . „Ich habe es ihnen erzählt, um ihnen klarzumachen, dass ich damals vor fünf Jahren kein Interesse an Cat hatte. Ich dachte, sie würden es besser verstehen, wenn ich ihnen von meinem Versprechen Maria gegenüber erzähle. Ich wollte den schlechten Eindruck von mir korrigieren, bevor ich den nächsten Schritt tat." Er lachte kurz auf. „Hat mir viel genützt. Deine Mutter hat es ausgenutzt, mir zu sagen, du wolltest mich nicht wiedersehen." Sie kamen zu einer Kreuzung, und er lenkte den Wagen nach links auf eine schmale Landstraße. Nach einer ganzen Reihe von Kurven sahen sie schließlich das Meer unter sich. „Sie hat es getan, weil sie mich liebt und nicht möchte, dass mir weh getan wird", wandte Alexa verteidigend ein. „Sie hat es getan, weil sie glaubt, sie könnte dein Leben für dich leben", antwortete er. „Es ist an der Zeit, dass du ihren beschützenden Flügeln entfliehst." „Damit ich mich unter deine Flügel begebe", entgegnete sie, „und du mein Leben für mich organisierst?" „So etwas Ähnliches." Dann grinste er sie an. „Ich gebe zu, ich bin ein wenig herrschsüchtig. Aber du wirst feststellen, dass ich zu Kompromissen durchaus bereit bin." „Dann erzähl mir bitte von Maria. Ich muss es wissen, Ron. Es geht nicht, dass ich nichts von ihr weiß. Sie ... sie wird zwischen uns stehen wie damals Cat und wie meine Mutter." Unter zusammengezogenen Augenbrauen warf er ihr einen kurzen Seitenblick zu. Ein paar Muskeln seiner Wangen bewegten sich, als er die Lippen zusammenpresste. „Du bist eifersüchtig auf sie", beschuldigte er sie. „Vielleicht bin ich das. Aber vielleicht nicht mehr, wenn du mir von ihr erzählst." Er antwortete nicht. Schweigend fuhren sie ein paar Meilen weiter. Sein Widerstand war beinahe fühlbar. Es war wie eine Mauer, die sie von seinen innersten Gedanken und Gefühlen trennte, und sie spürte, wie ihre Stimmung langsam sank. Wenn er ihr nicht von Maria erzählte, musste sie annehmen, er war noch immer in sie verliebt und diese Heirat zwischen ihnen passte nur gerade in seine Plä ne. Der Wagen verlangsamte die Geschwindigkeit, und Alexa blickte auf. Sie näherten sich einem Parkplatz am Straßenrand. Er war von einer Felsmauer umgeben, unter der der Berg steil ins Meer hinabfiel. „Warte, bis es mir besser geht. Geh, und vergnüg dich, Ron, bis es mir wieder besser geht. Also habe ich gewartet, und sie ist gestorben." Er zog seine Schultern hoch. „Das ist alles." Alexa wusste, es war nicht alles. Sie wusste, seine kurze Erklärung sollte verdecken, welche Ängste er ausgestanden hatte, als die Frau, die er geliebt hatte, gestorben war. Ron brachte den Wagen an der Mauer zum Stehen, schaltete den Motor aus und kurbelte das Fenster hinunter. Das einzige Geräusch kam von den Wellen, die gegen die Felsen schlugen. „Wollen wir zur Bucht hinunterlaufen?" fragte er. „Dort zwischen den Bäumen scheint ein Weg zu sein." „Gut."
Der Wind war kühl und drang durch Alexas leichten Mantel. Aber die Luft war weich und frisch. In den Bäumen zwitscherten ein paar Vögel. Der Weg war aufgeweicht und matschig. Sie war froh, dass sie Stiefel trug. „Maria ist gestorben." Rons Stimme klang hart. Schockiert wandte Alexa sich zu ihm. Mit den Händen in der Hosentasche starrte er hinunter aufs Wasser. „Wann?" fragte sie heiser. „Vor drei Jahren." Er sah sie nicht an. Vor drei Jahren. Damals war er in den Dschungel gegangen, um nach seinen Eltern zu forschen. „Wie .. .wie ist sie gestorben?" Er wandte seinen Kopf halb herum und warf ihr einen sarkastischen Blick zu. „Sie hatte Leukämie. Ich nehme an, du kennst die Krankheit. Man hat sie und weiß nichts davon, und wenn man es erfährt, ist es zu spät, sie zu heilen. Das ist mit Maria passiert." „Ja, ich weiß. Ein Mädchen in meiner Klasse hatte es", murmelte sie. „Maria hat die ersten Anzeichen einer Krankheit gezeigt, als sie in London war", fuhr er fort. „Sie war immer fröhlich und lebhaft, aber dann gab es plötzlich Tage, an denen sie in eine Lethargie verfiel und nichts tun konnte. Sofort nach unserer Ankunft in Rio hat sie ihren Familienarzt aufgesucht." Er hielt inne, dann fügte er leise hinzu: „Die Hochzeit wurde verschoben und dann abgesagt." „Dann hast du sie nicht geheiratet?" „Ich wollte es, obgleich ich wusste, sie würde nie wieder gesund werden. Aber sie hat sich geweigert. Sie hat immer wieder gesagt: „Es tut mir leid", sagte sie leise. Sie spürte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen. Sie wollte ihn in den Arm nehmen, ihn trösten. „Das brauchst du nicht." Seine Stimme war hart, und er packte sie an den Schultern. „Ali, ich möchte kein Mitleid von dir." „Dann lass es mir leid für Maria tun", schrie sie ihn an, „weil sie dich nicht geheiratet hat. Du musst sie sehr geliebt haben, wenn du so lange auf sie gewartet hast." „Ja, ich habe sie geliebt", gab er zu, und sie spürte, wie Eifersucht in ihr aufstieg. „Weißt du, ich kannte sie sehr lange. Wir waren eher Freunde als Verliebte." Er strich ihr eine Strähne Haar aus dem Gesicht. „Aber ich habe sie nicht auf die Weise geliebt wie dich", fuhr er sanft fort. Sein Ausdruck ließ ihre Knie weich werden, und die Luft blieb ihr im Halse stecken. „Ich habe sie nicht so sehr geliebt, wie ich dich liebe." „Du ... du liebst mich?" „Wenn mein Verlangen nach dir, mein Schmerz in jedem einzelnen Knochen Liebe bedeutet, wenn das Verlangen, dich zu beschützen und dir Trost zu geben, wie unfreundlich du auch immer sein magst, Liebe bedeutet, dann liebe ich dich. Und seit wir uns Freitag wieder gesehen haben, habe ich es dir auf die verschiedensten Arten gesagt. Ich hatte das Problem, dich zu überzeugen, wie ernst es mir war. Ich habe dich geheiratet, weil ich dich liebe. Ali, um Gottes willen, sag mir, dass ich dich überzeugt habe." Leidenschaft pochte in seiner Stimme, und seine Finger zupften unruhig an ihrem Haar. „Ich möchte so gern davon überzeugt sein", flüsterte sie. Sie strich mit ihren Fingern über seine Wange. „Aber es ist so plötzlich gekommen, dass ich nach dem, was vor fünf Jahren geschehen ist, es einfach nicht glauben kann." Er umrahmte ihr Gesicht mit beiden Händen und sah ihr tief in die Augen. Die Leidenschaft war verschwunden. Nur noch Qual lag in seinen Augen. „Vor fünf Jahren geriet ich in Versuchung, dich zu lieben", sagte er sanft. „Und ich würde jetzt gern sagen, dass ich dich in den folgenden Jahren nie vergessen habe. Aber das wäre eine Lüge, und ich werde unsere Ehe nicht mit einer Lüge beginnen. Ich habe dich vergessen, oder besser gesagt, ich habe dich weit nach hinten in mein Gedächtnis verbannt, wo du mich nicht wieder in Versuchung bringen konntest. Du warst jemand Besonderes, ein besonderes Mädchen, das ich kennen gelernt hatte. Unter anderen Umständen hätte ich dich lieben
können, wäre ich nicht Maria versprochen gewesen." Sein Mund verzog sich spöttisch. „Du hast gesagt, ich habe dich abgelehnt. Ja, das stimmt. Ich hatte Angst, dich zu verführen, und das wollte ich nicht. Ich musste grausam sein, um dich vor mir zu schützen. Verstehst du das?" „Ich glaube ja." Irgendwo tief in ihr wachte das Glück wieder auf, regte sich wie die Blüten einer Rose im Sonnenschein. „Ich dachte, ich würde dich nie wiedersehen", fuhr er fort. „Aber als ich dich sah, kam alles zurück, das Gefühl, das ich vor fünf Jahren für dich hatte. Diesmal brauchte ich der Versuchung nicht zu widerstehen. Ich war frei. Ich durfte dich lieben, und nichts konnte mich aufhalten, nicht einmal du, mein Liebling, obgleich du dich ziemlich angestrengt hast." „Nur weil ich Angst hatte", murmelte sie und schlang ihre Arme um seinen Hals. Sie stellte sich auf Zehenspitzen, damit ihr Mund den seinen berühren konnte. „Oh, Ron, ich liebe dich so sehr, dass mir alles weh tut." „Dann weißt du zumindest, wie mir zumute ist", antwortete er und presste seine Lippen fest auf ihre. Ein paar Sekunden später schob er sie von sich. „Hier können wir es nicht machen", murmelte er schwer. „Wir müssen nach Ardgour fahren." „Aber das Wasser wird über dem Damm stehen, wenn wir ankommen", sagte Alexa. Ron griff nach ihrer Hand und zog sie hinter sich her den Weg zurück. „Heute morgen um zehn war Ebbe, und vor halb elf heute abend können wir nicht hinüberfahren." „Daran hatte ich nicht gedacht", sagte er lachend. Er blieb stehen und blickte sich um. Sein Blick schweifte über das weite Moorland auf der anderen Straßenseite. Kahle braune Stengel des Heidekrauts ragten überall empor. Sein Blick kehrte zu ihr zurück, und er lächelte sie an, ein intimes Lächeln, das ein Geheimnis mit ihr teilte. „Wie schade, dass die Heide nicht blüht", sagte er sanft. „Wir könnten uns hineinlegen." „Das machen wir später, im August auf dem Ben Leckie", versprach sie verlegen. „Aber jetzt möchte ich lieber nach Hause ins Schloss fahren." „Nach Hause?" fragte er. Er zog sie wieder an sich und sah sie fragend an. „Ist es das, was das Schloss dir bedeutet?" „Wo immer du lebst, wird mein Zuhause sein", antwortete sie fest. „Für immer und ewig ..." Sein Kuss raubte ihr den Atem. Ein paar Minuten standen sie eng umschlungen da, küssten sich und flüsterten Worte der Liebe, dort auf dem schmalen Weg im Sonnenschein. Schließlich löste Ron sich aus ihren Armen, nahm ihre Hand und zog sie weiter den Weg hinauf. „Komm", drängte er sie. „Ich kann nicht länger warten. Wenn wir uns beeilen, erwischen wir vielleicht Angus, bevor er nach seinen Netzen sieht. Er könnte uns zur Insel bringen." Der Wagen schoss die Straße entlang und bog um die nächste Kurve. Vor ihnen lagen die weißen Häuser des Dorfes Ardgour. Sie schienen im Sonnenschein zu träumen, und unter ihnen schimmerte das Wasser der Bucht in einer Mischung aus Silber und Blau. „Das Boot ist noch da, am Steg - sieh!" Rons Stimme klang triumphierend. Er warf ihr ein strahlendes Lachen zu. Dann raste der Wagen durch die Hauptstraße. „Wir sind bald zu Hause", fügte er hinzu, als er das Lenkrad herumriss und in die kleine Küstenstraße lenkte, die zu Angus' Häuschen führte. „Ja, wird sind bald zu Hause", lächelte Alexa. Sie schaute zum Schloss hinüber, wo alles begonnen hatte. Auf der grünen Insel, in der Sonne schimmernd, wirkte es wie ein Turm der Verzauberung, ein Ort des Zaubers, in dem Träume wahr wurden. Und als der Wagen anhielt, Ron sich zu ihr wandte, ihre Hand in seine nahm und sie wieder küsste, spürte sie, wie das Glück in ihr aufwallte. Denn sie wusste jetzt, dass Träume wahr werden konnten.
ENDE