Geboren in Atlantis
Sinclair Crew John Sinclair TB Nr. 113 von Jason Dark, erschienen am 14.08.1990, Titelbild: Ron Wa...
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Geboren in Atlantis
Sinclair Crew John Sinclair TB Nr. 113 von Jason Dark, erschienen am 14.08.1990, Titelbild: Ron Walotsky
Lulu, ein leichtes Mädchen, brachte uns auf die Spur. »Im Eastend geht das Grauen um!« Sie hatte recht. Die Verdammten der Großstadt knechteten die Menschen. Trotzdem, kein Fall für einen Geisterjäger. Nur widerwillig machten wir uns an die Arbeit. Bis wir herausfanden, dass der Bandenchef nicht von dieser Welt stammte. Er war geboren in Atlantis und einer der furchtbaren Schwarzen Priester, die ich noch gut in Erinnerung hatte. Von nun an war es ein Fall für Suko und mich!
Baby-Jim stand immer dort, wo andere nicht hingingen. Im Londoner Eastend, inmitten der Lagerhallen, der abbruchreifen Häuser, der dreckigen Kaschemmen, überquellenden Mülltonnen und aufgerissenem Pflaster. Es war kein guter Platz für eine Hure, auch nicht für eine männliche wie Baby-Jim. Er war Transvestit mit schlanker Figur, vorpreschendem Busen, dicker Schminke im Gesicht und lockenden roten Lippen. Wie gesagt, es war kein guter Platz für eine Hure. Nur lachte er über diese und ähnliche Bemerkungen, denn Baby-Jim wusste genau, weshalb er sich an diesem Ort aufhielt. Grundlos bewegte sich niemand durch das Eastend. Wer hier erschien, ob am Tag oder in der Dunkelheit, hatte seine Motive. Unter anderem gab es Menschen, die Baby-Jim besuchten, ihn in ihren Wagen einluden, mit ihm davonfuhren und irgendwo Sex machten. Das konnte eine elegante Villa ebenso sein wie ein schäbiges Hotelzimmer. Wichtig war nur, dass nichts an die Außenwelt drang. Zu Baby-Jim kamen großzügige Kunden. Männer, die Geld besaßen, mit Berufen im Rampenlicht. Künstler, Industriekapitäne, Wirtschaftsbosse, Menschen mit fremden Neigungen, aber dem entsprechenden Kapital im Rücken, um sich Typen wie Baby-Jim leisten zu können. Der Treffpunkt was deshalb ideal. Auch an diesem Abend wartete Baby-Jim auf einen Kunden. Es war ein bekannter Mann in London, man sah ihn oft, wenn ausländische Staatsgäste empfangen wurden, doch bei diesem Kunden wusste BabyJim nie genau, ob er pünktlich war. Verspätete er sich oder kam er überhaupt nicht, schlug sich das auf den Preis nieder. Dann bekam Baby-Jim stets eine kleine Entschädigung zugesteckt, was ihm natürlich nicht unlieb war. Er sah seinen >Job< völlig emotionslos und dachte auch nicht darüber nach, weshalb er so geworden war. Er hatte bereits in der Kindheit einen gewissen Drang verspürt, der sich im Laufe der Zeit, besonders stark in der Pubertät, noch verstärkt hatte. Baby-Jim hatte es hingenommen, ein bunter Vogel in der Londoner Szene, in der er kaum auffiel, weil es dort viele >Baby-Jims< gab. Er fror. Zwar war der Frühling laut Kalender längst eingetroffen, aber die Temperaturen hielten sich dennoch zurück. Besonders in der Nacht konnte es noch unangenehm kalt werden, da näherten sich die Temperaturen dem Nullpunkt, und der Wind war entsprechend kalt und hier, in der Nähe des Flusses, sogar nasskalt. Baby-Jim hatte seinen Stammplatz. Wann die alte Litfasssäule aufgestellt worden war, konnte er nicht sagen. Jedenfalls wurde sie nicht mehr benutzt. Als graue Säule gammelte sie vor sich hin und diente dem Transvestit oft genug als Stütze.
Um Baby-Jim als Mann erkennen zu können, musste man schon sehr genau hinschauen. Bei warmem Wetter trug er einen kniefreien Rock, darauf hatte er an diesem späten Abend verzichtet. Bei dem Wetter verließ er sich auf seinen alten Pelz, den er in einem Pfandhaus erworben hatte und der so bleich schimmerte wie die Haut einer Leiche. Das stark geschminkte Gesicht, die hautenge Hose, ein rotes Leibchen, ein Gürtel mit imitierten GoldApplikationen und Schuhe mit angedeuteten Absätzen. Er war fünfundzwanzig, wollte den Job noch einige Jahre machen, hatte aber eine schreckliche Angst vor dem Alter. Älter zu werden, war für ihn schlimm. Diese Tatsache schwebte wie ein Damoklesschwert über seinem Kopf, aber er konnte dem Älterwerden nicht entgehen, es sei denn, er verübte Selbstmord, was er auch nicht wollte. So schaukelte er durch die Tage, Wochen, Monate und Jahre. Manchmal angetörnt durch Alkohol, hin und wieder aufgeputscht durch die Einnahme bestimmter Tabletten. Baby-Jim wartete bereits über eine Stunde, und der Kunde hatte sich noch nicht sehen lassen. Leer und verlassen lag die Straße vor ihm. Es leuchtete auch keine Laterne in der Nähe. Früher war das mal der Fall gewesen, dann hatten Steine die Glaskuppeln zerstört. Die Straße war wie ein toter Arm, der das Gebiet durchschnitt. Gegenüber schaute Baby-Jim auf eine Brandmauer. Dahinter lagen alte Hallen, und wieder ein Stück weiter schob sich die graue Themse durch das Flußbett in Richtung Osten. Er wusste den Grund nicht, aber an diesem Abend fühlte sich Baby-Jim einfach nicht gut. In ihm steckte eine Nervosität, die sich einfach nicht wegleugnen ließ. Er hatte das Gefühl, sich andauernd kratzen zu müssen, obgleich kein Grund dazu bestand. Gewaschen war er jedenfalls. Etwas war anders. Im Laufe der Zeit hatte Baby-Jim auch ein Gefühl für Gefahren entwickelt. Er merkte immer, wenn sich etwas zusammenbraute, dann verdichtete sich dieses Gefühl, glich beinahe schon einem Druck, den er als sehr störend empfand. Um die Nervosität zu bekämpfen, zündete er sich eine Zigarette an, ein langes, dünnes Stäbchen, hergestellt für Frauen und mit einem weißen Filterstück versehen. Den Rauch ließ er durch die Nase strömen, die schon eine Korrektur hinter sich hatte. Früher war sie ihm zu männlich, zu hart gewesen, heute nicht mehr. Er konnte mit seinem Aussehen zufrieden sein. Allmählich wurde ihm trotz der warmen Kleidung kalt. Er hasste die Feuchtigkeit, den widerlich kühlen Wind, der vom Fluss her wehte und sich dabei um kein Hindernis kümmerte, denn er fand seinen Weg überall.
Dann sah er die Scheinwerfer. Rechts von ihm, ziemlich weit entfernt, wo die Straße endete und man nach rechts abbiegen musste, um weiterzukommen und nicht in einen Maschendrahtzaun zu fahren, sah er den Lichtteppich über das alte Kopfsteinpflaster gleiten und dann erst die beiden Glotzaugen der Scheinwerfer. Der Kunde kam - endlich. Ein Lächeln huschte über die Lippen des Mannes. Ihm blieb nicht einmal mehr die Zeit, einen Blick in den Taschenspiegel zu werfen, um sein Aussehen zu überprüfen. Er schaute zu dem Fahrzeug und wunderte sich. Nein, das war er nicht. Der Kunde fuhr einen anderen Wagen. Wer kam da? Unbehagen beschlich ihn und verstärkte sich noch, als das Licht ihn erfasste und er gleichzeitig merkte, wie das Fahrzeug sein Tempo verringerte. Da wollte jemand etwas von ihm! Baby-Jim hatte keine Lust, mit einer fremden Person zu reden. Er gratulierte sich dazu, den Platz an der Plakatsäule ausgesucht zu haben, denn sie bot ihm auch Deckung, und er drückte sich dahinter. Fuhr der Wagen vorbei? Nein, der Fahrer ging noch mehr vorn Gas, dann stoppte das Fahrzeug, ein alter, zweisitziger BMW, direkt am Straßenrand. Seine rot-weiße Lackierung war Baby-Jim gut bekannt, er wusste, wem das Fahrzeug gehörte und wer es lenkte. Sie nannte sich Lulu, war eine Kollegin von ihm, also eine echte Bordsteinschwalbe. Baby-Jims Verhältnis zu ihr konnte man nicht eben als freundschaftlich ansehen, die beiden akzeptierten sich, gaben sich Tipps, tranken auch manchmal einen Schluck zusammen, aber an diesem Abend war Baby-Jim über das Erscheinen dieser Person nicht eben erfreut. Sein Kunde war sehr scheu. Wenn er einen weiteren Menschen in der Nähe des >Liebhabers< entdeckte, würde er verschwinden. »Hau ab!« flüsterte Baby-Jim. »Mach 'ne Fliege.« Er drückte sich mit dem Rücken gegen die Litfasssäule und verdrehte voller Ärger und Wut die Augen. Lulu machte keine Fliege. Sie blieb im Wagen und hatte nur die Seitenscheibe nach unten gedreht. Qualm und der aufdringliche Duft ihres Parfüms drangen ins Freie. »He, Baby-Jim, ich weiß, dass du da bist. Warum hast du dich versteckt, zum Teufel?« Der Mann verdrehte die Augen. Gekonnter hätte es auch keine echte Frau bringen können. »Melde dich doch!« Das tat Baby-Jim. Er fragte allerdings aus sicherer Deckung hervor. »Was willst du?« »Mit dir sprechen.« »Hau ab, du verdirbst mir den Job!«
»Ich muss mit dir reden! Zeig dich nicht so blöde. Los, komm hinter der Säule hervor!« »Was ist denn so wichtig?« Baby-Jim verließ seinen Platz. Lulu hatte den Kopf aus dem Fenster gestreckt. Sie war noch jung. Die dunklen Haare glänzten. Ein Friseur hatte die Strähnen zu zahlreichen Locken gedreht. Ihr Puppengesicht wirkte wie das eines Schulmädchens, dazu kam der herzförmige Mund. Was sie oben trug, war hauteng, tief ausgeschnitten und strassglitzernd. Baby-Jim konnte in den Ausschnitt schauen, als er dicht vor dem Wagen stehen blieb. »Was also ist?« Der Herzchenmund verzog sich in die Breite. »Spürst du es nicht auch?« fragte sie. »Was soll ich denn spüren? Mir ist kalt. Da friert dir alles ab. Ich warte auf einen Kunden.« »Vergiss ihn! »Das würde mich einige Scheine kosten.« Lulu lachte lautlos. »Willst du lieber dein Leben verlieren, Baby-Jim? Willst du sterben, einfach verschwinden? Plötzlich weg sein, als hätte es dich nie gegeben?« »Rede keinen Unsinn.« Lulu streckte ihre Hand aus dem Fenster. Sie hatte pummlige Finger mit grün lackierten Nägeln. Zwei unechte Ringe blitzten golden. Die Finger griffen in das weiße Fell des Mantels. »Sei kein Idiot, BabyJim! Spürst du es denn nicht?« »Was, du Hure? Lass mich endlich los!« »Nein, Bock. Es ist das Böse, das schattenhafte Böse, das hier lauert. Man merkt es genau. Die Schatten machen ernst, hörst du?« »Quatsch.« »Doch, Baby-Jim. Jetzt sind sie soweit.« »Ich kenne sie nicht.« Lulu schüttelte den Kopf. »Keiner kennt sie aus dieser Gegend richtig. Aber sie sind vorhanden, das weißt du, das weiß ich. Die Schatten sind verdammt gefährlich. Kaum jemand wagt es, über sie zu reden, aber ich will dich warnen. Verlasse diesen Ort, such dir einen anderen aus. Scheiß was auf deinen Kunden, wenn dir dein Leben lieb ist, Baby-Jim!« »Du redest irre.« »Nein.« »Bockmist.« Sie ließ ihn los, schüttelte den Kopf und schlug mit der Faust auf das Lenkrad. »Dir ist wirklich nicht zu helfen. Du bist ... «, sie winkte ab. »Fahr weiter und mach irgendwo anders die Beine breit.« Sie grinste ihn an. »Ich werde auf deiner Beerdigung nicht erscheinen. Ich werde nicht einmal um dich weinen, denn um Idioten weint man nicht, Süßer. Überhaupt nicht. Man spuckt höchstens auf ihren Sarg und sorgt dafür, dass man selbst besser ist.«
»Ja, ja, ich weiß Bescheid.« Heftig drehte er sich um und wandte ihr den Rücken zu. Er schaute auch nicht hin, als sie startete und die Reifen über das feuchte Kopfsteinpflaster hinwegrutschten. Er schaute ihr nicht nach, wollte nur seine Ruhe haben und ärgerte sich, dass er es nicht schaffte, weil die Worte der kleinen Hure bei ihm Bedenken ausgelöst und seine Nervosität noch gesteigert hatten. Irgendwo stimmten ihre Warnungen. Auch er hatte schon von den Schatten gehört, die im Eastend hausten, das Viertel beherrschten, aber selten zu sehen waren. Man bekam nur ihre Opfer zu Gesicht. Meist tot oder, wenn sie Glück hatten, nur verletzt. Die Schatten hatten diese Taten auf dem Gewissen oder ihre geheimnisvolle Herkunft, denn einige von ihnen hatten behauptet, in Atlantis geboren zu sein. Atlantis - welch ein Name! Er hatte einmal eine Disco mit dem Namen gekannt, alles andere war reine Spekulation, wie er meinte. Noch eine Zigarette zündete er sich an und schaute hinter der anderen Seite der Plakatsäule vor, um zu sehen, ob Lulu tatsächlich weggefahren war. Ihren Wagen sah er nicht mehr, und sein Kunde war ebenfalls nicht erschienen, was ihn ärgerte. Sollte ihn der Kerl wieder einmal draufsetzen? Unruhig und auch um seine kalten Füße etwas zu wärmen, ging er auf und ab. Er blieb in der Nähe der Säule, dämpfte seine Schritte so gut wie möglich - und blieb plötzlich stehen, weil er einfach das Gefühl hatte, stehenbleiben zu müssen. Etwas war anders geworden, er spürte es genau. In seiner unmittelbaren Nähe musste sich einiges verändert haben. Über seinen Rücken rann eine Gänsehaut. Schnaufend holte er durch die Nase Luft, starrte nach vorn, wo er nichts sah, doch er spürte, dass sich in seinem Rücken etwas tat, was ihm überhaupt nicht passte. Schlich jemand an ihn heran? Baby-Jim drehte sich auf der Stelle. Der Mantel bildete in Höhe des Saums einen Kreis, und der Mann starrte schräg in die Höhe, gegen die Plakatsäule und über den oberen Rand hinweg. Auf der runden Fläche stand eine düstere, unheimliche Horror-Gestalt! Schwarz - alles an ihr war schwarz, düster und furchtbar. Wie die Gestalt auf die Säule gekommen war, konnte er auch nicht sagen, jedenfalls stand sie dort und wirkte, als müsste sie einfach dazugehören. Sie besaß kein Gesicht - oder doch? Es war wegen der über den Kopf gestreiften Kapuze - wenn überhaupt - nur undeutlich zu erkennen. Es gab keine Augen, keine Nase, keinen Mund, auch keine Ohren. Eine glatte, grauschwarze, leicht zitternde Fläche, die sich in den allgemeinen Eindruck gut hineinfügte. Ob sich dort jemand verkleidet hatte? Automatisch stellte er sich die Frage und gab sich selbst die Antwort. Nein, das war nicht der Fall. Der
Unheimliche war echt, er bedurfte keiner Verkleidung. So etwas spürte Baby-Jim. Er dachte auch an Lulus Warnung. Sie hatte von den Schatten gesprochen, die im Eastend herrschten, die nie zu sehen waren, die es trotzdem gab, wie man wusste. Jetzt sah er ihn! Regungslos stand er auf der Säule. Nachtschwarz vom Kopf bis zu den Füßen, ein Zerrbild, eine Silhouette, ein furchterregendes Etwas, eine Gestalt, die ein schlimmes Versprechen ausströmte, ohne auch nur ein Wort zu sagen. Baby-Jim ging zurück. Seine Schritte konnte man als unsicher bezeichnen. Er sah aus, als würde er jeden Moment in den Knien einknicken und hinfallen. Über die rot-violett geschminkten Lippen drang der Atem als pfeifendes Geräusch und vermischte sich mit dem Geräusch seiner hackenden Tritte. Plötzlich war er weg! So schnell verschwunden, wie er gekommen war. Nichts war mehr von ihm zu sehen. Es gab ihn einfach nicht mehr. Die Plakatsäule war leer. Baby-Jim blieb stehen. Er schüttelte den Kopf, zwinkerte mit den Augen, öffnete den Mund, fing an zu lachen. Erst leise, dann kichernd, anschließend lauter, so dass die Echos von der gegenüberliegenden Wand schallten. Das war Wahnsinn, das war eine optische Täuschung! Da konnte man nur schreien - oder ... Er drehte sich um. Dabei war er einem Gefühl gefolgt. Vielleicht wollte er die verfluchte Gestalt nicht mehr sehen. Der Schatten stand vor ihm! Grausam, groß, viel größer als er. Eine finstere Drohung, und er hatte sich verändert. Etwas war hinzugekommen. Ob er die Arme angewinkelt und die Hände zusammenhielt, konnte Baby-Jim nicht genau erkennen, es hatte sich trotzdem etwas verändert. Denn genau dort, wo die Hände eigentlich zusammenliegen mussten, stach etwas in die Höhe. Grün, dünn, lang, spitz an seinem Ende und dabei leicht fluoreszierend. Eine Lanze, ein Schwert aus Licht. Ein Gegenstand, den man, wenn überhaupt, eigentlich nur aus Filmen wie Star Wars kannte. Ein Lichtschwert? Er staunte und fürchtete sich zugleich. Sein Mund blieb offen. Er wollte reden und stellte gleichzeitig fest, dass es wohl keinen Sinn hatte, wenn er Fragen stellte. In seinem Innern fühlte er sich aufgewühlt, seine Augen bekamen Druck, sie fingen fast an zu tränen, und er spürte, dass er dem Tod noch nie so nahe gestanden hatte wie in diesem Augenblick.
Der Unheimliche bewegte sich. Er ging vor, nein, er schwebte beinahe. Wie auf einer Wolke, nur saßen da bekanntlich Engel. Für Baby-Jim war dieser Mann allerdings ein Teufel. Dann hob er das Lichtschwert. Es geschah mit einer ruckartigen Bewegung, als wollte ein Samurai zum Hieb ansetzen. Baby-Jim schrie nicht einmal. Die Angst hatte seinen Hals regelrecht zugeschnürt. Das Schwert raste nach unten. Jetzt würde es ihn in der Mitte teilen, er musste in zwei Hälften auseinanderfallen, und Blut würde das Pflaster bedecken wie ein großer See. Das alles kam ihm in den Sinn, wobei er sich darüber wunderte, was er alles in dieser kurzen Zeitspanne denken konnte. Plötzlich sah er das Feuer, das auf dem Wasser brannte. Er sah ein mächtiges Monstrum mit mehreren Armen, einem glühenden Auge, das in Sekundenschnelle an Größe zunahm und auf ihn wie ein gewaltiger Trichter wirkte, der alles verschlang, auch ihn. Er fiel zu Boden, er zerstrahlte, er verbrannte, er wurde zu Staub, der aus der Kleidung glitt. Er war nicht mehr. Leere Schuhe, die auf dem Pflaster standen und aus denen Rauch hervorquoll. Der tötende Schatten aber drehte ab und ging davon. Eine schwarze Gestalt, begleitet von einem zuckenden, sich hin- und herbewegenden Lichtschwert, das sehr bald nicht mehr zu sehen war, weil beide von der Finsternis aufgesaugt wurden. Er war gekommen, er hatte getötet, und er würde bleiben. Ein schwarzer Priester aus Atlantis... *** Lulu mochte Baby-Jim, auch wenn er sie so direkt angefahren und verlangt hatte, dass sie verschwinden sollte. Sie konnte ihn auch irgendwo verstehen, sie hätte bestimmt nicht anders gehandelt, wäre sie an Jims Stelle gewesen. Sehr langsam war sie angefahren, in Gedanken versunken. In dieser Underdog-Szene kämpfte jeder für sich selbst, weil er zusehen musste, wie er rumkam, aber es gab auch Gemeinsamkeiten, die immer dann erschienen, wenn von außen etwas an die Szene herangetragen wurde, das irgendwo nicht passte, das stank. Es stank schon seit einiger Zeit an der East Side. Da ging etwas umher, das nicht zu greifen war. Wie ein böser Fluch hatte es sich über ein bestimmtes Gebiet verteilt. Viele wussten davon, kaum einer sprach darüber, und wenn, dann sicher nicht mit Fremden. Die Veränderung drang also nicht nach außen. Die Gefahr war nicht zu greifen. Sie lag zwischen den alten Häusern, auf den Dächern, in den Stockwerken, sie hockte dort wie eine gewaltige Krake, die ihre Arme ausbreitete und in alle Lücken und Öffnungen
hineinschlich, wobei Lulu auch die Seelen der Menschen nicht ausschloss. Die Menschen hatten sich verändert. Äußerlich nicht, da wechselte nur die Mode. Was innen vorging, das war diese starke Veränderung. Mädchen wie Lulu merkten dies. Obgleich sie so jung aussah, ging sie dem Job schon einige Jahre nach. Sie kannte sich aus, alle Tricks und Schlechtigkeiten. Was in der Vergangenheit geschehen war, hatte nichts mit den Methoden der Zuhälter zu tun oder mit irgendwelchen Bandenkriegen. Das war eine sich anschleichende, hinterlistige Gewalt. Wieso hatte Baby-Jim nichts davon bemerkt? Oder wollte er nichts davon merken? Typen wie er waren Einzelgänger. Eine Laune der Natur hat mich geschaffen, so waren einmal seine Worte gewesen, als er mit Lulu in einer Kneipe gehockt hatte. Eine Laune der Natur - irgendwo hatte er recht, der Transvestit, der nun einsam neben einer Plakatsäule stand und hinter dem alten Zweisitzer der Nutte herschaute. Nicht, dass Lulu etwa Muttergefühle für Baby-Jim verspürt hätte, es war einfach nur die innere Stimme, die ihr zwar riet, weiterzufahren, aber Jim nicht ganz aus den Augen zu lassen. Lulu wusste, wie man so etwas machte. Bevor die Straße abknickte, verschwand der verhältnismäßig kleine Wagen im Haifischmaul. Es war ein Loch in einem Haus, gierig wie ein Rachen und wurde deshalb von Kennern der Gegend nur Haifischmaul genannt. Bevor sie die Lichter löschte, hatte sie noch die Gestalten gesehen, die sich in eine Nische drückten. Auch arme Säue, dachte sie. Penner, Wohnungslose, die das Schicksal auf die Straße getrieben hatte und die in der Nacht, wenn es kühl war, schützende Flecken suchten, dort lagerten, sich in Decken einwickelten und so lange tranken, bis sie vor Müdigkeit umkippten, dem nächsten beschissenen Tag entgegenschliefen. Sie schauten kaum auf, als Lulu den Wagen verließ. Das Mädchen war ihnen bekannt. Es hatte seine Jacke übergestreift, einen künstlichen Pelz. Er reichte weiter als der Rock, bis zu den Knien. Eigentlich bist du verrückt, dachte Lulu, richtiggehend blöde, dich um ungelegte Eier zu kümmern, aber sie empfand an diesem Abend einfach anders. Er kam ihr vor wie ein Startschuss, der noch hinausgezögert wurde, um etwas Furchtbares in die Welt zu transportieren, das eigentlich schon seit einer Weile darauf lauerte. Die Stadtstreicher schauten sie an. Lulu hütete sich, diese Männer zu übergehen. Sie wusste sehr wohl, dass die Verdammten der Großstadt ihre Augen überall hatten und so manches sahen, was anderen verborgen blieb. Nur redeten sie selten darüber. Lulu war ihnen bekannt. Möglicherweise würden sie sogar mit der jungen Frau reden. Dass sie über eine Flasche stolperte, bemerkte sie erst, als
der billige Fusel auslief und eine widerliche Geruchswolke verströmte. Der Protest erreichte sie in geballter Form, drohend wurden Fäuste gegen sie geschüttelt. In der Nische wirkten die Bewegungen wie ein Schattenspiel. Es gab nur eine Möglichkeit, um sie zu beruhigen. Lulu hielt den Geldschein bereits in der Hand. Einer der Männer fing das zerdrückte Etwas auf, das sie ihnen entgegenwarf. »Dafür könnt ihr euch drei Flaschen Fusel kaufen.« »Aber nicht jetzt.« »Dann eben morgen.« Der Sprecher lachte geifernd. »Morgen, sagst du. Verdammt noch mal, glaubst du denn, dass wir den morgigen Tag noch erleben werden?« Lulu hatte genau zugehört. Sie kannte den Sprecher. Von den anderen wurde er Prediger genannt, weil er vor einiger Zeit auf der Straße mal eine Sekte geführt hatte. Der Prediger war nicht nur sensibel, er besaß auch eine gute Bildung, von der durch den genossenen Alkohol nicht alles weggeschwemmt worden war. »Wie meinst du das denn?« »Egal.« Lulu wollte es wissen. Sie trat noch dichter an die Gruppe heran. »Los, Prediger, rede!« Der Mann fuhr mit seinen schlanken Händen über die Stoppeln des Barts. »Man kann es nicht so einfach erklären.« Er wollte ausweichen, Lulu ließ nicht locker. »Du fühlst es, wie?« »Ja, auch.« »Ich ebenfalls, Prediger, ich ebenfalls.« Sie redete sehr schnell und abgehackt. »Ich weiß genau, dass hier einiges nicht mit rechten Dingen zugeht. In dieser verdammten Gegend hat sich etwas verändert, ich merke es sehr deutlich. Hier haben Leute die Kontrolle übernommen, die wir nicht kennen, die wir nur selten sehen, die aber vorhanden sind. Sie leben hier wie Schatten und irgendwelche Götzen. Man spricht nicht darüber, zieht lieber den Kopf ein und schweigt. Aber ich will es nicht. Ich will hier in Ruhe meine Freier treffen ... « »Du redest zuviel, Lulu.« »Weiß ich. « »Mancher hat sich schon um seinen Kopf geredet.« Nur der Prediger sprach, die anderen hockten auf alten Decken und starrten dumpf vor sich hin. Es war bedrückend, die Runde zu sehen. »Dann hast du es auch bemerkt?« Der Prediger nickte. »Weißt du mehr?« Jetzt lächelte der Mann. »Wenn ich es wüsste, Lulu, würde ich es dir nicht sagen. Ich kann dir nur einen Rat geben. Verlasse das Eastend. Es ist etwas eingetreten, auf das andere gewartet haben. Wir können es nicht stoppen.« »Wer ist gekommen?« »Vielleicht die Götzen, von denen du gesprochen hast oder die du meinst, Lulu.«
Für einen Moment blieb sie stehen, ohne sich zu bewegen. Sehr langsam nickte sie. »Okay, Prediger, ich bedanke mich für deine Worte. Ja, ich bedanke mich.« »Keine Ursache.« Aus der Manteltasche holte er eine noch verschlossene Flasche Fusel hervor. »Geh, Lulu. Du musst diese Gegend verlassen. Tauche ein und unter!« »Was weißt du, Prediger?« Er drehte sich um, trank. Lulu schaute auf seinen Rücken. Selbst in der Dunkelheit waren die Schmutzflecken auf dem Rücken zu sehen. Ihr war klar, dass er nichts mehr sagen würde, auch die anderen hielten ihre Lippen geschlossen. »Okay, ich verschwinde. Trotzdem glaube ich, dass wir uns noch einmal sprechen, Prediger.« Auch jetzt rührte er sich nicht. Wütend, verunsichert und ängstlich zugleich verließ Lulu diesen Flecken im Londoner Eastend, wo die Trostlosigkeit zu einem Dauergast geworden war. Sie fror noch stärker als zuvor, stieg nicht in ihren Wagen, sondern bewegte sich mit leisen Schritten an ihm vorbei, weil sie sehen wollte, wie es Baby-Jim ergangen war. Was Lulu Sekunden später mit ansehen musste, ließ sie an ihren Verstand zweifeln. Sie stand sehr günstig, als einzige Zeugin bekam sie den grauenhaften und unerklärbaren Vorgang mit, und ihr Blut schien allmählich zu Eis zu werden. Von Baby-Jim blieb nicht viel zurück, ein paar Lumpen, die nachzitterten, als die Reste der Knochen zu Staub zerfielen, dann war alles vorbei. Die schwarze Gestalt entfernte sich wie ein schwebender Geist, der in das tiefe Tal der Dunkelheit eintauchte. Dann war es vorbei ... Wenn sie je vor Angst gezittert hatte, so in diesen langen Augenblicken. Dass sie an einer schmutzigen Mauer lehnte, war ihr nicht bewusst. Das Blut rauschte durch ihren Schädel und erzeugte ein Hämmern hinter den Schläfen. Die Vernunft riet ihr, wegzurennen, aber Lulu blieb, ohne den Grund genau zu kennen. Vielleicht wollte sie mehr sehen. Sie hatte einen Punkt erreicht, wo sie ihre innere Angst überwand, und so ging sie mit zitternden Schritten auf das zu, was einmal ein Mensch mit dem Namen Baby-Jim gewesen war. Die Plakatsäule war für sie das Zeichen des Todes geworden. Ein Mahnmal, in dessen unmittelbarer Umgebung Reste lagen. Alte Kleidung, vermischt mit grauer Asche, die die Feuchtigkeit des Pflasters aufgesaugt hatte. Wieder wunderte sie sich über sich selbst, dass sie den Mut fand, sich niederzuknien. Sie suchte nach Blut, nach einem Knochen, nach einem Schädel, da war nichts.
Dann brach es aus ihr hervor. Weinen, Flüstern, Lachen, es kam alles zusammen, auch die Flüche, die sie nach einer Weile ausstieß, als sie sich hochdrückte und sich die Tränen aus den Augen wischte. Es geschah genau in dieser Sekunde. Von oben her huschte etwas heran. Lulu hörte das singende Sirren, als wäre ein Band gespannt worden. Sie stolperte nach vorn, ihr Glück, sonst wäre der Körper auf sie geprallt. Lulu fuhr herum. Neben der Leiche stand die Gestalt. In Schwarz oder Grau gekleidet, ein Kabel oder Seil festhaltend und einen Gürtel mit Haken an den Hüften. Der Fremde stand wie auf dem Sprung, er starrte sie an, und Lulu wusste, dass er zu ihnen gehörte. Sie sprach den Namen nicht aus, wagte nicht einmal, an ihn zu denken, aber sie wusste irgendwo Bescheid. Zackig bewegte der andere seine rechte Hand. Etwas Helles, Glänzendes floss aus ihr hervor, eine Kette mit Scherben oder Widerhaken gespickt. Der Mann schlug zu. Es hätte ihr Tod sein können, aber Lulu war es gewohnt, unter Druck zu leben. Da glich sie einer Katze, die sich der fremden Umgebung angepasst hatte. Sie hatte die Arme nicht nur als Deckung erhoben, sie duckte sich auch und glitt schattenhaft schnell nach rechts zur Seite, bevor sie sich drehte und davonrannte, als wäre der Leibhaftige persönlich hinter ihr her. Der Mann erwischte sie trotzdem. Etwas schlug erbarmungslos hart gegen ihren Rücken, als wollte er die Haut vom Hals bis zum letzten Wirbel in langen Streifen aufreißen. Zwei Dinge retteten sie. Da waren ihre Schnelligkeit und auch der alte Pelz, der es nicht durchließ, dass dieses Mordinstrument sie verletzte. Lulu kam frei. In den folgenden Minuten rannte sie. Sie schleuderte sogar die Schuhe weg, um besser laufen zu können. Die reine Überlebensangst peitschte sie voran. Lulu lief so lange, bis sie nicht mehr konnte und vor Erschöpfung zusammenbrach. Dabei wusste sie nicht einmal, wo sie sich befand, ob im Eastend oder außerhalb des Gebietes. Jedenfalls sah sie aufblitzende Lichter. Sie war nahe daran, sich zu übergeben, die Erschöpfung forderte ihren Tribut. Wie ein Tier kroch sie in einen Hauseingang, zitternd, frierend und stellte erst jetzt fest, dass ihre Füße schmerzten. Ein Blick zeigte ihr, wie sehr sie aufgerissen waren, bedeckt von blutenden Wunden, denn sie wusste selbst nicht, wo sie überall hineingetreten war. Irgendwann hatte sich Lulu wieder erholt. Man hatte sie mit einer Katze verglichen, und so zäh war sie auch.
Zitternd stand sie auf. Eigentlich hätte sie jetzt die Stadt verlassen und sich irgendwo verkriechen müssen. Das aber wollte sie nicht. In ihr regte sich Widerstand. Zwar gehörte sie zur Randgruppe der Gesellschaft, aber sie nahm sich das Recht heraus, auch in dieser Abqualifizierung leben zu können. Lulu wollte kämpfen, nicht aufgeben. Es musste eine Lösung geben, und sie wollte es einfach nicht hinnehmen. Ja, es gab eine - vielleicht jedenfalls. Es gab da einen Mann, der sich für gewisse Dinge interessierte, die außerhalb des Normalen angesiedelt waren. Sie selbst hatte mit diesem Mann noch nicht gesprochen, aber er hatte einigen Kolleginnen geholfen und war ihnen auch vorurteilsfrei gegenübergetreten. Wie hieß er noch gleich? Lulu ärgerte sich, dass ihr der Name nicht einfiel. Lange dachte sie nach, dann funkte es. Sein Name lautete - John Sinclair! *** Der Drink enthielt Orangensaft, Grenadine, Sekt, war durchgerührt und aus dem Mixbecher in ein tul-penförmiges Glas gekippt worden, das einen Zuckerrand besaß, über den ein oben abgeknickter bunter Strohhalm schaute, dessen Ende in dem kleinen Mund einer Frau verschwand, die Lulu hieß und mir gegenübersaß. Das passierte in einer dieser Bistro-Bars, wo es edle Getränke und teure Häppchen wie Lachs, Hummer und Kaviar zu essen gab. Ein Treffpunkt für Yuppies und solche, die sich dafür hielten. Marmor, Chrom, kaltes Licht, Musik von ELO, gestylte Tische und ebenso gestylte Kellnerinnen, die ebenfalls sehr >vornehm< waren. Eine von ihnen hatte mir mein Wasser mit einem sehr auffälligen Blick serviert. Wenn man hier normal angeschaut werden wollte, musste man schon einen Spezialdrink bestellen, wie eben Lulu, die bisher kaum gesprochen hatte. Sie schlürfte ihren Drink. In diesem bunten Treiben fiel auch ein Mädchen wie Lulu mit ihren bordeauxroten Haaren, der engen Hose und dem schmuckbeklebten Jeanshemd, das vier Knöpfe weit offen stand, nicht auf. Um ihren Hals hatte sie allerlei kleine Ketten geschlungen, die hell klimperten, wenn sie zusammenstießen. Ihr Puppengesicht zeigte eine blasse Schminke, dafür hatte sie die Augen stärker nachgezeichnet, genau in der Farbe ihrer gefärbten Haare. Auf den Wangen blitzte an zwei Stellen buntes Konfetti. Als sie den Kopf bewegte, fiel mir auf, dass der Haaransatz schwarz war. Sie war erleichtert gewesen, als sie mich gesehen hatte. Jetzt blitzte in ihren Augen ein frecher und interessierter Ausdruck auf. Ich kannte ähnliche Blicke, das deutete auf eine leichte Anmache hin.
Endlich hatte sie das Glas leer. »Das tat gut. « »Wer es mag.« »Sie nicht?« Ich hob mein Glas an, in dem das Wasser auf der Oberfläche Bläschen warf. »Ehrlich gesagt, ich halte mich lieber daran.« »Im Dienst, wie?« »Außerdem.« Sie nickte und schaute auf ihre Hände, die gespreizt auf der Tischplatte lagen. Die Nägel zeigten verschiedene Farben. Sie waren lang, sollten die Finger wohl optisch verlängern. Da Lulu nichts sagte, stellte ich eine Frage. »Kommen wir mal zur Sache, Miss. Sie haben mich um ein Treffen gebeten, jetzt sitze ich Ihnen gegenüber, und Sie haben mir noch immer nicht gesagt, weshalb Sie mit mir sprechen wollen.« Lulu schaute auf. Dunkle Augen blickten mich an. Dann sagte sie nur ein Wort: »Chrysantheme.« »Wie?« Lulu wiederholte. »Das ist eine Blume, Mädchen. « »Weiß ich, aber nicht nur. Ich finde, dass Sie nachdenken sollten, Mr. Sinclair.« Das tat ich auch. Der Begriff Chrysantheme war ungewöhnlich, und zwar so ungewöhnlich, dass man ihn einfach nicht vergessen konnte, wenn man ihn mal gehört hatte. Ich kramte tief in meiner Gedächtnisschublade und merkte, dass dort etwas klickte. Irgendwo und irgendwann war ich schon einmal mit diesem Begriff konfrontiert worden. Lulu dauerte mein Nachdenken wohl zu lange, denn sie sagte: »Es kann auch ein Name sein.« Ich lächelte und nickte zugleich. »Ja, Sie haben recht. Das ist ein Name. Der Name eines Mädchens, mit dem ich vor einiger Zeit zu tun gehabt habe.« »Genau.« »Und weiter?« »Eine Kollegin, Sinclair. Sie ist eine Kollegin von mir, und wir haben mal zusammen über Sie gesprochen. Das liegt zwar einige Zeit zurück, aber ich erinnerte mich wieder an diese Gespräche.« Sie erzählte und malte mit den Händen Kreise auf die Tischplatte. »Ich erinnerte mich glücklicherweise.« »Das könnte auf Schwierigkeiten hindeuten, die Sie haben, Lulu.« »So ist es. « Ich trank einen Schluck und wartete auf ihre Erklärung, die aber nicht kam. Deshalb hakte ich nach. »Worum geht es bei diesen Schwierigkeiten?« »Um etwas Unheimliches und einen gespenstischen Mord, Mr. Sinclair.« Vielleicht hatte es an der Nennung des Namens gelegen oder am Ernst in ihrer Stimme, jedenfalls nickte ich ihr zu, um sie aufzufordern, weiterzureden.
»Es stimmt alles.« »Weiß die Polizei von diesem Mord?« Heftig schüttelte sie den Kopf. »Weshalb nicht?« »Weil es keine Spuren gab. Der Mann, der getötet wurde, zerfiel zu Staub und Asche, und man hat ihn mit einem Schwert aus Licht umgebracht, Mr. Sinclair.« Was sie vorhin zu wenig geredet hatte, das packte sie nun in einen Satz, über den ich nur staunen konnte. Da kamen wirklich einige Dinge zusammen, die mich hätten misstrauisch machen müssen, falls sie stimmten und man mir keinen Bären aufgebunden hatte. »Sie glauben mir nicht, wie?« »Wer sagt das denn?« »Ich sehe es Ihnen an.« Aus ihrer Stimme klang Enttäuschung. »Schade, ich habe große Hoffnungen auf Sie gesetzt, nach allem, was mir Chrysantheme über Sie erzählt hat.« »Nun ja«, erwiderte ich lächelnd. »Sie haben mich auf eine bestimmte Art und Weise schockiert, denn das, was Sie mir vorhin sagten, war ziemlich hart.« »Und die Wahrheit!« rief sie. »Das nehme ich auch stark an. Nur möchte ich gern Einzelheiten von Ihnen hören.« Lulu lehnte sich zurück, bestellte noch einen Drink, wartete, bis er gebracht worden war und berichtete, was sie vor zwei Nächten als Zeugin gesehen hatte. Ich hörte aufmerksam zu, hütete mich sie zu unterbrechen oder über ihre Worte zu lächeln, denn ich glaubte nicht, dass sie es sich aus den Fingern gesaugt hatte. »Man hat von ihm nur noch Lumpen gefunden. « »Warum passierte das?« Lulu lachte, trank, lachte wieder, hob die Schultern. »Verdammt, wenn ich das genau wüsste, säße ich nicht hier.« Ich zielte mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf sie. »Sie haben das Wort genau benutzt, das lässt darauf schließen, dass Sie so etwas wie einen Verdacht haben.« »Den habe ich.« »Dann sagen Sie ihn. « Lulu schaute ins Leere. »Das ist verdammt schwer. Dieser Verdacht ist kaum in Worte zu fassen, weil ich nicht weiß, was sich dort abspielt.« »Wo?« »Im Eastend.« Damit war das Londoner Eastend gemeint, das ich natürlich kannte. Ich wusste um die sozialen Spannungen, die sich dort zusammenballten, denn man wollte aus diesem alten Teil der Stadt ein Viertel für Gutverdienende machen, deshalb waren Grundstücke verkauft worden, Geldgiganten spekulierten bereits, es wurden immense Summen gezahlt. Es hatte schon Bestechungsskandale gegeben, und unter allem litten die Menschen, die oft seit Generationen das Eastend bewohnten.
Noch war dort nicht alles glattgebügelt worden, gab es genügend Ecken und Viertel, in dem sich vieles zusammenballte und die Menschen auch weiterhin wohnten, aber der soziale Zündstoff stieg weiter an, in der letzten Zeit besonders stark, weil die Eiserne Maggy eine Kopfsteuer einführen wollte, die so ungerecht war, dass man es kaum glauben konnte. »Ich weiß, was dort passiert, Lulu.« Sie legte den Kopf schief. »Tatsächlich, Sinclair? Sind Sie wirklich über alles informiert?« »Nein, nur im Groben.« Sie beugte sich vor. »Genau, Meister. Deshalb können Sie nicht wissen, was tatsächlich dort läuft.« »Sie werden es mir sicherlich erzählen.« Lulus Lippen zuckten, sie bewegte die Augen mit den aufgeklebten Wimpern. »Man redet nicht darüber, aber jeder weiß es, Sinclair. Da haben sich Menschen zusammengerottet, die im Eastend leben, die sich dort verstecken, die da ihre geheimen Treffs haben und sich den Namen >Verdammte der Großstadt< gegeben haben. Man weiß über sie Bescheid, man hatte gedacht, dass es moderne Robin Hoods wären, aber das stimmt nicht.« »Sind es Verbrecher?« »Auch nicht, Sinclair. Sie sind eher eine gefährliche Sekte, die einen Anführer hat.« »Wie heißt er?« »Zelian.« Ich runzelte die Stirn. »Ein außergewöhnlicher Name. Ich habe noch nie von ihm gehört.« »Das glaube ich Ihnen. Es wird auch nur im kleinen Kreis geflüstert. Sie müssen schon sehr genau hinhören. Dieser Zelian ist unheimlich mächtig, er beherrscht die Menschen, habe ich mir sagen lassen, und er soll selbst kein Mensch sein.« »Ist er die Gestalt gewesen, von der Sie gesprochen haben, Lulu? Der Unheimliche mit der Lichtlanze?« »Ja, davon gehe ich aus. Ich habe ihn sehr genau gesehen, Sinclair, wenn auch nur von hinten. Ich bekam mit, wie er den armen Baby-Jim killte. Er war gnadenlos. Für mich gibt es einfach keine andere Möglichkeit. Das muss der geheimnisvolle Zelian sein, der Gott, der Götze, der Dämon der Verdammten.« »Und vor ihm haben Sie Angst?« »Klar, was denken Sie denn? Aber nicht nur vor ihm, Mr. Sinclair. Ich habe vor allem Angst, was mit ihm zusammenhängt. Vor der Veränderung im Eastend, hervorgerufen durch die Verdammten der Großstadt. Zelian ist das Zeichen, er ist die Gestalt, der sie dienen.« »Sie wissen Bescheid.« Lulu gefiel meine Bemerkung nicht. Sie drückte sich zurück und versteifte ihre Haltung. »Wenn Sie jetzt meinen, dass ich etwas mit ihm
zu tun hätte, so irren Sie sich, Mr. Sinclair. Ich habe nie zuvor mit ihm geredet, ich hörte nur das Flüstern, ich will meinem Job nachgehen, denn das Eastend ist unter anderem mein Revier. Mir ergeht es ähnlich wie Baby-Jim, von dem ich Ihnen erzählt habe. Auch zu mir kommen Kunden, die nicht gesehen werden wollen, wenn sie in meinen Wagen steigen. Sie lassen sich mit dem Taxi zu einem bestimmten Ziel fahren. Bisher ging alles glatt, jetzt aber sehe ich schwarz. Nicht nur für meinen Job, sondern auch für die Zukunft des Eastend.« »Was soll ich tun?« »Zelian stoppen.« Ich überlegte. »Das heißt, ich müsste mich mit den Verdammten der Großstadt auseinandersetzen.« »Auch.« Ich schaute sie an und suchte nach Reaktionen in ihrem Gesicht. Es blieb starr. »Das wird nicht einfach sein, kann ich mir denken. Dieses Eastend ist für Leute wie mich nicht gerade ein ideales Pflaster. Dort hat sich eine geschlossene Gesellschaft oder Gemeinschaft gebildet, die das Eindringen eines Fremden bestimmt nicht gern sehen wird, wenn ich es mal vorsichtig ausdrücken darf.« »Da gebe ich Ihnen recht. « »Gut, Lulu. Wie komme ich an die Verdammten heran, ohne dass sie mir gleich den Kopf abreißen?« Sie hob die Augenbrauen, bewegte den Kopf. Licht fiel über ihre Haare und gab dem Rot einen anderen Schein. »Es könnte eventuell eine Chance für Sie geben. Sie müssten sich nur mir anschließen. Ich bin bekannt, ich gehöre zwar nicht direkt dazu, aber ich bin akzeptiert worden.« »Das heißt, wir beide sollen durch das Eastend fahren und unsere Augen offen halten.« »Nicht nur fahren, dort leben.« Ihre Stimme veränderte sich. »Ich weiß es genau, Mr. Sinclair, da läuft etwas. Da läuft sogar sehr viel, glauben Sie mir. Die große Chance wäre natürlich, Zelian zu erwischen. Verstehen Sie?« »Ist mir klar.« Sie reichte mir über den Tisch die Hand. »Dann schlagen Sie ein, Sinclair.« Ich zögerte noch, weil ich über Zelian nachdachte und über die Beschreibung, die ich von ihm bekommen hatte. Diese Gestalt war fremd, sie passte nicht in das menschliche Raster. Gleichzeitig aber hatte mich die Beschreibung an etwas erinnert. Ich kramte in meinem Hirn nach, überlegte, dachte hin und her und wusste, dass ich eine Gestalt wie diesen Zelian schon einmal gesehen hatte. Besonders die Lichtlanze oder das Lichtschwert waren mir in Erinnerung geblieben. »Was ist, Sinclair?« »Ich versuche, mich an etwas zu erinnern.«
Sie zog die Hand wieder zurück. »An was denn?« »An Zelian.« Plötzlich lachte sie auf. »Meinen Sie wirklich, dass Sie damit etwas anfangen können?« »Ja, Lulu, das meine ich, denn Ihrer Beschreibung nach kommt er mir bekannt vor. Ich glaube, dass ich schon einmal Kontakt mit ihm gehabt habe.« »Wie denn ... ?« Ich sprach gegen ihr erstauntes Gesicht. »Eine Frage zuvor? Ist Ihnen schon einmal der Name Atlantis begegnet?« »Klar, im Radio, in den Illustrierten ... « »Das meine ich nicht, sondern speziell im Eastend. Haben die Leute dort von Atlantis gesprochen?« »Nicht, dass ich wüsste.« »Bitte, überlegen Sie genau. Es ist wichtig. « »Hat das denn etwas mit diesem Zelian zu tun?« »Ja.« »Und was?« »Ich glaube nämlich, dass er, falls es ihn so gibt, wie Sie ihn beschrieben haben, aus Atlantis gekommen ist.« Da war sie baff. Lulu, sonst nicht auf den Mund gefallen, konnte einfach nichts sagen. Sie saß da, ohne sich zu rühren. Ihr Gesicht hatte noch mehr an Farbe verloren. »Das ist doch ein Märchen«, flüsterte sie, nachdem sie sich wieder gefangen hatte. »Atlantis ist eine Legende, ein Märchen. Es gibt das Land nicht. Der ... der komische Kontinent ist untergegangen, sagt man. Und niemand weiß genau, wo er bisher gelegen hat, Mr. Sinclair.« »Bis auf einige wenige. Davon einmal ganz abgesehen. Ich kann mir vorstellen, dass dieser Zelian aus Atlantis stammt und dort zur Kaste der Schwarzen Priester gehört hat.« »Jetzt übertreiben Sie aber, Sinclair.« »Bestimmt nicht, Lulu, denn ich habe eine derartige Gestalt schon gesehen, die sie mir beschrieben. Begreifen Sie das? Ich habe ihr schon gegenübergestanden. Wenn Ihre Beschreibung stimmt, kann es sich nur um einen Schwarzen Priester aus Atlantis handeln.« »Aha«, sagte sie, ohne recht begriffen zu haben, was ich ihrem Gesicht ansah. »Wenn dem so ist, Lulu, muss er Helfer im Eastend haben, das steht fest. Ich gehe davon aus, dass es die Verdammten der Großstadt sind. Sie haben es geschafft, mit ihm Kontakt aufzunehmen. Sie sind diejenigen, die ihn hergelockt haben. Sie schufen den Kontakt, sie werden sich seiner Hilfe bedienen, um ihr Viertel zu retten. Das ist die einfache Version, die ich habe.« »Gibt es noch eine andere?« »Ja, natürlich. Jemand muss den Kontakt zu Zelian hergestellt haben. Einer, der Bescheid weiß, der sich mit der Magie des alten Atlantis auskennt.«
Lulu hatte begriffen. »Meinen Sie damit einen Menschen?« »Stimmt.« Sie strich über ihre Stirn. »Verdammt, das ist schwer, das ist ein hartes Stück.« »Kennen Sie einen solchen Menschen?« »Kaum.« »Wem würden Sie es denn zutrauen, mit einem uralten Kontinent Kontakt zu halten?« »Das ist die Frage, Sinclair. Ich denke dabei natürlich an den Anführer der Gruppe.« »Kennen Sie ihn?« »Nur seinen Namen.« Sie nahm einen Schluck. Diesmal nicht durch den Strohhalm. Um uns herum spielten sich die Yuppies auf, gaben sich wie ein Sack Sülze, wir blieben davon unbeeindruckt. Auch Lulu hatte anderes zu tun, als sich die Männer anzusehen. Sie suchte nach der Antwort und hatte sie bald gefunden. »Kosmos, er nennt sich Kosmos.« Ich zuckte zusammen. »Noch mal.« »Der Anführer heißt Kosmos. Das ist sicherlich nicht sein richtiger Name, aber unter dem ist er bekannt.« »Warum Kosmos?« »Habe ich mich auch mal gefragt. Die Antwort musste ich mir selbst geben. Möglicherweise sieht er sich als allumspannend an. Aus dem Kosmos strömt die Erneuerung. Es gibt ja Leute, die daran glauben. Vielleicht hat er sich deshalb den Namen gegeben. Ich weiß nicht, wie er richtig heißt.« »Haben Sie ihn schon gesehen?« »Nein.« Sie hob die Schultern. »Kann sein. Jedenfalls habe ich mal etwas gehört. Er soll blond sein und stets einen langen Umhang tragen. Wie ein ... ein ... Götterbote.« »Läuft er nur so herum?« »Ja, Mr. Sinclair. Von einer anderen Beschreibung habe ich nichts gehört.« »Wo ich ihn finden kann, wissen Sie natürlich nicht - oder?« »Nein. Überlegen Sie doch mal. Das Eastend ist ein gewachsenes Viertel. Es verändert sich auch, es hat sich in der Vergangenheit verändert. Da gibt es Häuser in den Häusern, da leben Leute auf den Dächern oder in Anbauten und Kellern. Alles ist miteinander verbunden. Das sind regelrechte Löcher, durch die Wege führen, die wiederum nur den Einheimischen und Insidern bekannt sind. Für mich ist das Eastend eine Welt für sich. Ich kenne vieles nur von außen.« »Lässt man Sie denn hinein?« »Keine Ahnung, bekannt bin ich. Ob man mir aber Vertrauen entgegenbringen wird, weiß ich nicht. Ich Will auch nur, dass Sie den unheimlichen Zelian finden und auch diesen Kosmos. Beide müssen zusammenhängen. Bestimmt bekommt Kosmos durch Zelian die entsprechende Kraft und Stärke.«
Lulu hatte dieses so überzeugend vorgetragen, dass ich nicht widersprach. Dafür erkundigte ich mich nach dem Ablauf ihres Plans und wollte wissen, wie sie sich unsere Zusammenarbeit vorgestellt hatte. »Wir treffen uns bei Einbruch der Dunkelheit und durchstreifen das Viertel gemeinsam.« Ich lächelte schmal. »Und das, meinen Sie, würde nicht auffallen?« »Na und? Wenn jemand dumme Fragen stellt, sind Sie eben ein guter Freund von mir.« »Besser noch der Zuhälter.« »Ich habe keinen.« »Das ist auch besser so, wenn Sie diesem Job schon nachgehen.« Sie wurde sauer. »Hör zu, Sinclair, keine Moralpredigten. Ich bin nicht besser und schlechter als die sogenannten guten Bürger. Vielleicht habe ich sogar noch mehr Courage und Herz als die meisten der so Hochanständigen.« »Das ist möglich.« »Okay, dann sehen Sie mich bitte ganz neutral an. Unsere Zusammenarbeit ist rein beruflich.« »Einverstanden, Lulu. Eine Frage hätte ich trotzdem noch. Wie alt sind Sie eigentlich?« Da lachte sie rauh. »Über zwanzig. Was meinen Sie, wie oft ich das schon gefragt worden bin. Aber es gibt eben Kunden, die auf ein LolitaÄußeres stehen. Ist ihr Bier, nicht meines. Ich profitiere nur davon. Wann haben Sie denn Zeit? Ich meine, wann können wir anfangen?« »Heute schon.« Lulus Augen glänzten. »Das ist gut, Sinclair. Das ist sogar sehr gut. So ähnlich habe ich mir den Job auch vorgestellt. Chrysantheme hat nicht gelogen. Sie sind konsequent.« »Manchmal.« »Ihre Kleidung müssen Sie anpassen. Nicht so herumlaufen wie ein Dandy und auch nicht wie ein frustrierter Ehemann, der sich ein Mädchen zum Bumsen sucht.« »Wie läuft der denn herum?« »Shit, vergessen Sie es.« Ich warf einen Blick auf die Uhr, den Lulu verstanden hatte. »Ich habe auch noch etwas zu tun«, erklärte sie. »Wann sollen wir uns treffen, Mr. Sinclair?« »Fragen Sie lieber, wo?« »Mir egal.« Ich schlug das Eastend vor, auf der südlichen Themseseite den Ort Bermondsey. »Ja, der Grauen Gans.« »Ist das ein Lokal?« Sie nickte. »Ein ... ein ... Schuppen. Nichts für Bullen, aber der Wirt ist in Ordnung. Sie können draußen bleiben. Um achtzehn Uhr bin ich dort.« »Einverstanden, ich auch.« Die Rechnung übernahm ich. Das Mädchen ging vor mir her. Sie bemühte sich um einen normalen Gang. So ganz konnte sie das Schlendern nicht ablegen.
Darüber machte ich mir keine Gedanken. Mir ging es um die Schwarzen Priester. Wenn der eine oder andere tatsächlich erschienen war, konnten wir uns auf einiges gefasst machen... *** Suko schaute mich nur an. »Was ist denn?« fragte ich. Er faltete die Hände und sah dabei aus wie ein Beichtvater. »Glaubst du das alles?« »Im Prinzip schon, warum nicht?« Suko schüttelte den Kopf. »Damit komme ich nicht zurecht, wirklich nicht. Wenn Zelian tatsächlich ein Schwarzer Priester ist, dann müsste doch Kara etwas davon wissen.« »Ach ja?« Suko wurde sauer. »Stell dich nicht so an, John. Du hast sicherlich ähnlich gedacht.« »Schon«, gab ich zu. »Nur - was ist, wenn Kara nichts davon gewusst hat? Kann doch sein.« Er winkte ab. »Dann sollten wir sie warnen.« Ich deutete auf die Tür. »Zieh los und sag ihr Bescheid.« Suko war nicht meiner Ansicht. »Du reagierst viel zu emotionsgeladen, Alter, siehst es nicht nüchtern genug. Ich könnte mir vorstellen, dass diese Lulu dich in eine Falle locken will und von jemandem geschickt worden ist.« »Von wem?« »Wie hieß dieser Anführer noch? Kosmos?« »Ja.« »Der kann sein Netz ausgeworfen haben. Dass im Eastend einiges nicht mit rechten Dinge zugeht, ist uns bekannt, John. Das wissen wir. Dass aber Atlantis hinzugezogen wird, um die sozialen Probleme zu lösen, daran kann ich nicht glauben.« Ich hob die Schultern. »Wobei das eine mit dem anderen nichts zu tun haben muss. Ich will dir mal was sagen, Suko, ich reagiere sogar sehr gelassen, denn ich habe, im Gegensatz zu dir, schon eine Begegnung mit dem Schwarzen Priester gehabt. Ich brauche dir wohl nicht zu sagen, dass sie nicht gerade freundschaftlich abgelaufen ist. Es war in Frankreich, an der Steilküste im Süden, das Meer, der Schwarze Priester und auch Kara.* Sie hat mich über ihn aufgeklärt, denn der Schwarze Priester bringt es tatsächlich fertig, sich in einen gewaltigen Kraken zu verwandeln. Er und dieses Monster sind identisch. Im Meer kann ich einen Kraken noch zur Not akzeptieren, aber stell dir mal vor, solch ein Monstrum taucht bei uns im Eastend auf. Das wäre nicht schön.« »Stimmt.« »Deshalb will ich ihn stoppen, Suko. Ich muss ihn einfach zurückhalten.« »Allein?« * Siehe John Sinclair Nr. 577: »Die Krakenfalle«
»Nein, Lulu wird mich begleiten, aber ich möchte Rückendeckung haben.« Suko grinste bissig. »Mich, wie?« »Richtig.« Er lehnte sich zurück. »Und wie haben sich der große Meister das vorgestellt?« »Ganz einfach. Du wirst mir Rückendeckung geben. Du wirst versuchen, von einer anderen Richtung in das Zentrum heranzukommen. Wir müssen sie in die Zange nehmen.« »Und gemeinsam zuschlagen.« »Richtig.« Suko schüttelte den Kopf. »Ich finde es toll, wie du dir das vorstellst. Die Verdammten der Großstadt -weißt du eigentlich, wer dahintersteckt?« »Ungefähr.« »Und die Zahl ist dir auch bekannt?« »Natürlich nicht.« »Deshalb würde ich verdammt aufpassen. Das kann eine Horde sein. Den Leuten kann man nicht einmal einen Vorwurf machen, dass sie so sind, John. Man hat sie entrechtet, man hat sie geknechtet, man drückt sie immer tiefer.« »Ja, ich kenne die Probleme. Trotzdem können wir ihnen nicht entwischen. Wir müssen dranbleiben. Wenn tatsächlich ein Schwarzer Priester sein Unwesen treibt, haben die Eastend-Leute eine Hilfe bekommen, die ihnen nicht zusteht.« »Das gefällt mir nicht, John. Ich akzeptiere ja, dass es in Eastend Probleme gibt, aber dass sich eine atlantische Magie hereingedrängt haben soll, kann ich mir schlecht vorstellen. Da müsste mich schon jemand anderer überzeugen.« »Kara? Myxin?« »Zum Beispiel.« Wie auf ein Stichwort meldete sich das Telefon. Ich hatte den Hörer früher geschnappt, meldete mich nur mit halb ausgesprochenem Namen, denn eine weibliche Stimme sprach dazwischen. »Ich grüße dich, John!« Meine Augen weiteten sich. »Kara«, sagte ich staunend in den Hörer. »Das, das ist ... « »Hast du meinen Anruf erwartet?« »Nicht direkt. Kennst du das Sprichwort, wenn man vom Teufel spricht, ist er nicht weit?« »Nein, es geht um etwas anderes.« »Weiß ich. Der Schwarze Priester.« Jetzt konnte Kara staunen. »Du ... du weißt davon? Kannst du neuerdings Hellsehen?« »Bestimmt nicht. Ich habe nur eins und eins zusammengezählt, denn wir haben Hinweise bekommen, dass sich ein Schwarzer Priester in London gezeigt und sogar einen Mord begangen hat.« »Dann haben die Steine nicht gelogen.« Sie sprach mit schwerer Stimme und fragte danach. »Du weißt, was das bedeutet?«
»Sicher. Und ich weiß noch mehr. Der Schwarze Priester steht nicht allein. Er muss es geschafft haben, Diener zu bekommen. Sie stehen an seiner Seite und ... « »Vergiss das, John, und vergiss auch deinen Plan, falls du einen gehabt hast.« »Sicher hatte ich den.« »Wir beide werden reisen.« »Schön wohin?« »Nach Atlantis, zurück in die Vergangenheit. Um die Macht der Schwarzen Priester zu stoppen, müssen wir in das alte Atlantis hinein und die Quelle dort versiegen lassen. Geboren in Atlantis, John. Das bin nicht nur ich, auch die Schwarzen Priester.« Plötzlich lagen Schweißperlen auf meiner Stirn. Suko, der über einen Zweithörer mitlauschte, machte ebenfalls den Eindruck, als hätte er einen mittelschweren Schock bekommen. »Und eine andere Lösung gibt es für dich nicht?« fragte ich. »Nein.« »Okay, ich werde mich fügen. Noch eine Frage zuvor: Wo sollen wir uns treffen?« »In deiner Wohnung, John. Ich werde dort erscheinen. Wir können zu den Flammenden Steinen gelangen und von dort aus die Reise in die Vergangenheit antreten. Es tut mir leid, dass ich dir dies nicht ersparen kann, aber ... « »Klar, ich verstehe.« »Wann fährst du?« »So schnell wie möglich. Sei in einer Stunde bei mir in der Wohnung. Dann wird wohl alles klappen.« »Das hoffe ich auch. Grüße Suko und die anderen Freunde von mir.« Kara legte auf, auch ich drückte den Hörer zurück und sah ziemlich alt dabei aus. Suko grinste schief und zeigte auf mich. »Weißt du was, John? Jetzt glaube ich dir sogar.« »Wie nett.« »Bleibt ein Problem, Alter.« »Lulu?« »Erfasst.« Ich setzte Sukos Triumph einen Dämpfer auf. »Sorry, Freund, das ist kein Problem mehr.« »Du willst sie sitzen lassen?« »Nicht direkt.« Jetzt grinste ich. »Ich kann dir ja ein Empfehlungsschreiben mitgeben.« »Aha.« Suko nickte langsam. »Ich soll hier im Eastend die Kastanien für dich aus der Glut holen.« »Und zwar ohne dir dabei die Finger zu verbrennen. Haben wir uns verstanden?« »Prächtig. Ich bin nur auf das Gesicht gespannt, das die Kleine machen wird, wenn sie mich sieht. Wo hast du dich mit ihr verabredet?« »Vor der Grauen Gans. Das ist eine Kneipe im Eastend. Such dir die Adresse aus dem Telefonbuch heraus.« »Hoffentlich wird da nicht getrommelt.«
»Nein, nur an der Festland-Küste.« Für mich wurde es Zeit. »Sag du Sir James Bescheid, Suko, das schaffe ich nicht mehr.« »Mach' ich, John.« An der Tür holte er mich ein. »Es soll kein großer Abschied sein, Alter, aber gib Acht auf dich. Atlantis soll nicht so ohne gewesen sein.« »Klar, weiß ich.« »Damals gab es auch noch den Schwarzen Tod. Hast du mir nicht davon berichtet, dass die Schwarzen Priester ihm sehr zugetan waren?« »Das nahmen wir an.« Ich schluckte und ging. Mir war klar, dass eine meiner schwersten Reisen vor mir lag. In Atlantis war ich nicht zum erstenmal. Dort hatte ich schon so manchen Alptraum erlebt, der bisher glücklich ausgegangen war. Ein Garantieschein war dies trotzdem nicht... *** Ich betrat die Wohnung und hielt vergeblich nach Kara Ausschau. Noch lag über London eine Frühlingssonne, die mit fast sommerlichen Temperaturen in die zahlreichen Häuserschluchten hineinschien und die Menschen ins Freie lockte. Aber das Wetter täuschte. Für den frühen Abend war bereits Kälte angesagt worden, ein Temperatursturz sollte folgen, sogar Schnee bis in die Niederungen war zu erwarten. Das alles brauchte mich nicht zu kümmern, denn in Atlantis herrschte ein anderes Klima. Ein wenig Bammel hatte ich schon vor der Aufgabe, auch wenn Kara an meiner Seite war. Atlantis war eine Insel, in der Weiße und Schwarze Magie sich bekämpften. Auf der einen Seite die mächtigen Dämonen, auf der anderen deren Gegner, zu denen Delios, Karas Vater, ein Weiser und mächtiger Magier, gehört hatte. Kara, die Schöne aus dem Totenreich, hatte das Erbe des Vaters übernommen. Das Schwert mit der goldenen Klinge ebenso wie den Trank des Vergessens, der sich leider im Besitz des Spuks befand. Es würden Probleme auf mich zukommen, schwerwiegende sogar, und ich hoffte, dass sie zu lösen waren, obwohl die Schwarzen Priester zu den gefährlichsten Gestalten gehörten, die ich mir vorstellen konnte. Kara hatte gegen einen von ihnen gekämpft. Es war damals auf der Insel ihr erster Kampf gewesen, sie hatte ihn nur halb gewonnen, denn der Schwarze Priester war wieder zurückgekehrt. Dass die Schwarzen Priester nicht aufgeben würden, war uns klar gewesen. Dass sie allerdings so schnell wieder etwas von sich hören lassen würden, damit hätte ich nicht gerechnet.
Im Hals spürte ich ein trockenes Gefühl. Um es weg zu bekommen, trank ich einen Schluck Wasser. Als ich die Küche wieder verließ, war der Besuch da. Kara stand bereit. Sie schaute mich an, lächelte. Ich lächelte zurück, und beide merkten wir, dass unser Lächeln nicht echt war. Sie streckte mir die Hand entgegen. »Ich bin froh darüber, dass du so schnell gekommen bist.« Ich hob die Schultern. »Es blieb mir nichts anderes übrig. Ich will sie stoppen.« Kara nickte und schaute aus dem Fenster, gegen das das Sonnenlicht strahlte. »Weißt du, John, als wir damals den Schwarzen Priester gemeinsam erledigten, da wusste ich, dass der Fall erst anfing. Um ihn zu lösen und zu einem endgültigen Ende zu bringen, müssen wir nach Atlantis reisen. So leid es mir tut, aber eine andere Möglichkeit gibt es nicht.« »Weshalb?« »Es ist kompliziert, obwohl es sich einfach anhört. Man muss das Übel an der Wurzel packen, und die liegt nun mal in Atlantis begraben, wie du weißt.« »Nur wir beide oder auch Myxin?« »Nein, er nicht. Wir werden gemeinsam gegen die Schwarzen Priester kämpfen.« »Ich habe bisher nur einen dieser dämonischen Wesen gesehen.« »Es gibt viele, John.« »Das glaube ich dir. Sie werden also in Atlantis als Formation gegen uns antreten.« »Weiß ich nicht.« »Treffen wir auf den Schwarzen Tod?« Kara drehte sich mir zu. »Auf jeden Fall werden wir uns in seinem Reich aufhalten. Es ist durchaus möglich, dass wir ihm begegnen.« Ich strich über meinen Hals. »Freude bereitet mir das gerade nicht.« »Mir auch nicht. « »Wer sind die Schwarzen Priester genau ... ?« Sie schüttelte den Kopf. »John, ich kann und will es dir nicht jetzt erklären. Lass uns reisen, lass uns in den alten Kontinent fahren, dann sieht alles anders aus.« »Ich bin bereit. Brauche ich noch bestimmte Waffen?« Kara überlegte einen Moment. »Ich würde an deiner Stelle den Bumerang mitnehmen.« »Mach' ich doch glatt. « »Dann können wir uns nur noch die Daumen drücken, dass alles glatt verläuft.« »Ich bin dafür.« Sie senkte den Kopf, um gleichzeitig das Schwert aus der Scheide zu ziehen. Diese Waffe mit der goldenen Klinge war etwas Besonderes. Kara konnte nicht nur mit ihr kämpfen, es gelang ihr auch, die magischen Kräfte zu wecken, die in der Klinge wohnen. Wenn das Schwert voller
Energie steckte, dann transportierte es die Menschen zu einem bestimmten Ziel hin. In der SF-Sprache war der Begriff >beamen< erfunden worden. So ähnlich verhielt es sich auch hier. Nur würden wir erst die flaming stones erreichen und von dort aus die eigentliche Reise antreten, die uns in ein Reich brachte, das seit über zehntausend Jahren versunken war und eine Kultur besessen hatte, die teilweise von noch älteren Völkern und auch von Besuchen aus dem All abstammte. Diese Fremdlinge hatten die Atlanter auch den Umgang mit einer gewissen Magie gelehrt. Kara brauchte mir nichts mehr zu sagen, denn ich wusste, wie ich es anzugehen hatte. Ich trat auf sie zu und legte meine Hände auf die ihren, die den Schwertgriff umschlossen hielten. Sie musste etwas zu mir hochschauen, als sie in meine Augen blickte. Sie fragte leise: »Bist du bereit, John?« »Ja.« Ich hatte die Antwort kaum gegeben, als die Welt um mich herum zunächst verschwamm und dann verschwand. Alles wurde anders, ich verlor auch den Zeitbegriff und >hob< regelrecht ab. Ich schwebte durch eine andere Dimension, öffnete wieder die Augen und schaute in zwei Gesichter. Eines davon schimmerte leicht grünlich, es gehörte dem kleinen Magier Myxin. »Willkommen bei uns.« Noch etwas benommen strich ich über meine Stirn. Aus dem Hintergrund schob sich die mächtige Gestalt des Eisernen Engels näher, der uns eigentlich in Atlantis eine große Hilfe hätte sein können. Danach fragte ich Kara. »Nein, John, ich hätte ihn gern dabei, aber es ist allein meine Sache. Du weißt, dass mein erster Kampf gegen einen Schwarzen Priester geführt wurde. Es war gewissermaßen meine Feuertaufe, die ich leider nicht völlig bestanden habe. Ich werde etwas nachholen müssen. Das bin ich allein meinem Vater Delios schuldig.« »Werden wir ihn sehen?« »Ich weiß es nicht genau, ob wir noch vor seinem Tod in Atlantis sein werden. Es kann sein. Wie gesagt, John, vieles liegt in der Schwebe. Aufklärung können wir erst bekommen, wenn wir dort sind.« »Was ist mit dem Schwarzen Priester in London und mit dem Mann, der sich Kosmos nennt? Können die beiden es geschafft haben, eine Verbindung nach Atlantis herzustellen, um noch mehr Schwarze Priester in unsere Zeit zu holen?« »Davon müssten wir ausgehen.« »Dann können wir uns die Reise sparen und das Tor hier in London schließen.«
»Im Prinzip hast du recht. Nur sind wir beide nicht sicher, ob tatsächlich ein solches Tor existiert. Ich möchte, wie erwähnt, das Übel an der Wurzel packen.« »Gut.« Ein paar Schritte waren es nur bis zu den Flammenden Steinen, dieser magischen Zone, die es erst ermöglichte, eine so ungewöhnliche Reise zu machen. Wir gingen hin, begleitet von den guten Wünschen des kleinen Magiers und des Eisernen Engels. Kara und ich stellten uns auf, schauten uns an. Wieder legten wir unsere Hände aufeinander, wobei die ihre den Griff des Schwertes berührte. »Wünschen wir uns Glück«, sagte sie leise, um, ebenso wie ich, zuzuschauen, wie sich die unmittelbare Umgebung veränderte, denn die Steine fingen an zu leuchten. Sie strahlten von innen heraus. Sie sandten eine Farbe aus, die schon einem tiefen Glühen gleichkam, aber sie verbreiteten keine Wärme - nur Magie. Und die erfasste uns beide. Sie trug uns weg, hinein in die Vergangenheit, die zehntausend oder mehr Jahre zurücklag... *** Am späten Nachmittag war die Sonne vom Himmel verschwunden und hatte einem kalten Nordwestwind Platz geschaffen, der jetzt durch die Straßen der Millionenstadt wehte. Er vertrieb die Spaziergänger in ihre Häuser und Wohnungen, keiner traute sich mehr raus, und nicht wenige Menschen litten unter diesem mächtigen Temperatursturz. Kopfschmerzen, Übelkeit, Kreislauf. Das alles kümmerte den wartenden Suko nicht, denn er war, wie man so schön sagt, saugesund. Er hatte sich zudem richtig angezogen und hoffte nur, nicht allzu lange auf Lulu warten zu müssen. Die Gegend war grau, mies und stank. Obwohl die Tür geschlossen war, hörte Suko des öfteren die grölenden Stimmen aus dem Lokal. Schmutzige Scheiben, eine Tür, die aussah, als hätte jemand des öfteren dagegen getreten und ein Publikum, das man normalerweise vergessen konnte. Wer hier verkehrte, der hatte einige Jahre Zuchthaus auf dem Buckel, der war nicht pingelig und löste Probleme zumeist mit den Fäusten. Suko war mit einem Taxi hergefahren. Nach dem Aussteigen war der Fahrer so schnell wie möglich wieder verschwunden. Innerhalb von zehn Minuten hatte Suko jeweils zwei Streifenwagen am Lokal vorbeifahren sehen. Auch die uniformierten Kollegen wussten, was mit dieser Kneipe los war.
Im Hintergrund ragten drei Schornsteine in den Himmel. Aus ihren Öffnungen quoll grauer Qualm, der sich über den Häusern, den Hallen und anderen Schlupfwinkeln verteilte, aber auch in den oberen Luftschichten Hunderte von Kilometern weit transportiert wurde. Autos, die vorüberfuhren, gehörten nicht gerade zu den neuesten Jahrgängen. Frauen, die in dieser Ecke verkehrten, gingen samt und sonders auf den Strich. So war das nun mal, und Suko, der auf dem Gehsteig mit dem schmutzigen und an einigen Stellen aufgerissenen Pflaster hin- und hermarschierte, wurde des öfteren scharf angesehen, ob er sich vielleicht als Beute eignete. Man hatte ihn einmal angehauen. Es war eine Frau mit desillusionierenden Blicken gewesen, doch Suko hatte nur die Schultern gehoben und dafür gesorgt, dass sie weiterging. Aus der Kneipe drangen laute Geräusche, was daran lag, dass die Tür geöffnet worden war und zwei Männer ausspie, die aussahen wie Typen, die in den Tag hineinlebten und immer auf der Suche nach einer Chance waren, an leichtes Geld zu kommen. Einer klimperte mit Münzen, als er sich auf Suko zubewegte. »Kleines Spielchen, Chinese?« »Nein.« Der Kerl grinste. Sein dünner Oberlippenbart nahm an Breite zu. »Wir wollen aber.« »Spielt alleine.« »Nein.« »Haut ab!« Der zweite griff in die Tasche seiner Kunstlederjacke. Er war dürr und hohlwangig. Dass er keine Streichhölzer hervorholen würde, war klar. Suko sah etwas schimmern und schlug sofort zu. Der Dürre bekam einen Schreikrampf. Er ging zurück, das Messer lag am Boden. Suko hob es blitzschnell auf, steckte die Klinge in einen Spalt und kantete die Waffe nach rechts. Mit einem singenden Geräusch brach die Klinge ab. Den zweiten Kerl schleuderte Suko im Hochkommen bis gegen die Hauswand zurück. Alles war so schnell gegangen, dass kaum ein Zeuge davon etwas mitbekommen hatte. »Wollt ihr noch immer spielen?« Die beiden starrten den Inspektor an. Es musste an seiner Stimme und an seinem Blick gelegen haben, dass sie die Köpfe einzogen und sich zurückzogen. Suko war froh, die Sache so relativ leicht aus der Welt geschafft zu haben. Große Aufmerksamkeit wollte er nicht erringen. Er rechnete sowieso damit, dass man ihn unter Kontrolle hielt, weil seine Warterei nicht herpasste. Er wandte sich wieder der Straße zu und sah erst jetzt, dass dort ein Fahrzeug angehalten hatte, ein älteres BMW-Coupe, in dem eine
dunkelhaarige Frau saß, über deren Haare ein bordeauxroter Schimmer floss. So hatte John Sinclair Lulu beschrieben. Suko ging auf das Fahrzeug zu, dessen Fahrerscheibe nach unten gekurbelt war. Das Gesicht dahinter verzog sich zu einer bitterbösen Grimasse. »Hau ab, such dir 'ne andere.« Suko dachte nicht daran. Er stemmte seine Handflächen auf das Wagendach. »Ich will keine andere. Ich bin extra Ihretwegen gekommen.« »Ich bin verabredet, Mann.« »Weiß ich.« »Gut, dann zieh Leine.« »Mit John Sinclair, nicht?« Das Puppengesicht der Frau fror ein. Große Augen musterten Suko mit erstaunten Blicken. »Ach, was soll das denn wieder bedeuten, Macker?« »Ich bin an Johns Stelle gekommen.« »Und?« »Hier, Lulu.« Suko hatte seinen Ausweis hervorgeholt und hielt ihn in lesbare Nähe. Das Mädchen atmete durch die Nase. »Nun ja, das ist wohl etwas anderes, wie ich finde. Wann kommt Sinclair denn?« »Gar nicht.« Sie stöhnte wütend und schlug mit der Hand auf den Lenkradring. »Dieser Bulle hat mich hängen lassen.« »Nein, wir werden die Fahrt gemeinsam unternehmen.« Suko ging um den Wagen herum. Bevor sich Lulu noch von ihrer Überraschung hatte erholen können, saß er schon neben ihr auf dem Sitz des Beifahrers und lächelte ihr zu. »Was soll das?« »Wie ich schon sagte, Lulu. Wir beide ... « »Ich habe Sinclair erwartet.« »Er kann nicht, ich bin sein Freund und Kollege, zudem in alles eingeweiht. Seien Sie froh, dass überhaupt jemand gekommen ist. Jetzt fahren Sie endlich los, hier können wir nicht parken.« Lulu reagierte automatisch. Etwas röhrend setzte sich der Wagen in Bewegung. Einige Yards weiter fanden sie eine Stelle zum Parken. »Wenn Sie mich verarscht haben ... « »Das habe ich nicht. Oder wussten Sie etwa nicht, dass John und ich ein Team bilden?« Lulu wollte sich keine Blöße geben und sagte: »Nicht so genau, wissen Sie.« »Dann erkundigen Sie sich bei Chrysantheme, wenn möglich. Sie wird Ihnen schon einiges erklären.« »Ich glaube Ihnen auch so.« »Danke.« Lulu lachte. »Wie geht es weiter?«, »Was hatten Sie denn mit John Sinclair vor?« Ihr Blick verlor sich. »Ich wollte ihn durch das Eastend führen, das ist alles.«
»Das können Sie mit mir auch.« Suko zählte an den Fingern ab. »Zelian, Kosmos und die Verdammten der Großstadt interessieren mich sehr. Alles klar?« »Ja.« »Dann fahren Sie los. « Das leichte Mädchen schüttelte den Kopf. »Kein Interesse. Es ist mir zu wenig.« »Meine Aussage.« »Richtig, Bulle. Ich habe mich auf Sincldair eingestellt, mit ihm habe ich gesprochen, er wollte kommen ... « »Und ist verhindert.« Lulu bekam einen leichten Anfall. Sie drehte den Kopf hin und her. »Das ist doch Scheiße, ist das. Wie kann jemand anderweitig verhindert sein, wenn es um so wichtige Dinge geht? Kann mir das mal jemand verraten?« Suko blieb sehr ruhig. Er wartete ab, bis der Anfall vorüber war. »Könnte es nicht möglich sein, dass John an dem gleichen Fall arbeitet wie ich und wir das Pferd von zwei verschiedenen Seiten her aufzäumen?« Ungläubig starrte sie ihn an. »Das glauben Sie doch selbst nicht, Mister.« »Es ist aber so.« Lulu spielte weiterhin aufgesetztes Theater. Klatschend landete ihre Handfläche an der Stirn. »Und das soll ich glauben, verdammt noch mal? Das soll ich glauben?« »Ja.« Sie lachte schrill. »Okay, Suko, ich glaube es. Ja, ich glaube es. Und wenn ich verrecke.« »Daran habe ich eigentlich nicht gedacht, aber es ist eine Tatsache, dass wir den Weg gehen, den Sie mit meinem Freund John Sinclair gegangen wären. Es ist ferner eine Tatsache, dass John an dem gleichen Fall arbeitet, nur eben aus einer anderen Perspektive.« »Welche?« Suko schaute die junge Frau lächelnd an. »Ich glaube, es wäre zu schwer, Ihnen das begreiflich zu machen.« »Ach ja?« »Glauben Sie mir. Hier gibt es Dinge, die man hinnehmen muss. Wenn sich der Fall so entwickelt, wie ich ihn mir vorgestellt habe, werden wir von ganz allein mit John zusammenkommen.« »Wie toll«, sagte sie. »Können Sie mir auch sagen, wo wir jetzt anfangen sollen?« »Ja. Ich möchte dorthin, wo dieser Mann gestorben ist. Wo Sie den Schwarzen Priester gesehen haben.« Suko sah, wie Lulu zusammenschauderte. Sie musste kräftig schlucken. »Na ja.« »Haben Sie Angst?«
»Komisch ist mir schon, das können Sie mir glauben.« »Hatten Sie denn einen anderen Plan?« »Im Prinzip schon. Ist ja egal, wo wir anfangen. Sehen werden Sie da nichts mehr.« »Das denke ich auch.« Lulu fuhr. Suko sah sich von einer Gegend verschluckt, die seiner Meinung nach nur aus grauen Häusern und ineinander verschobenen Schlupfwinkeln bestand. Das direkte Industriegebiet lag auf der anderen Seite des Flusses. Hier herrschte der triste Wohnalltag, ab und zu unterbrochen von verkommenen Fabrikgebäuden mit ausgeschlagenen Fenstern und eingetretenen Türen. Alles Spekulationsobjekte. Hin und wieder, wenn die Sicht etwas freier war, schimmerten die glänzenden Fassaden der neuen Hochhäuser hindurch. Sie wirkten wie zum Greifen nahe und waren doch eine Welt für sich. »Eigentlich sollte ich aussteigen«, sagte Lulu nach einer Weile. »Jetzt? Aus dem Wagen?« »Nein, überhaupt.« »Weshalb sind Sie überhaupt eingestiegen?« erkundigte sich Suko. Sie hob die Schultern. »Weiß ich selbst nicht genau. Nennen Sie es Solidarität der Ausgestoßenen, der von der Gesellschaft nicht akzeptierten Personen. « »So etwas kann nicht jede von sich behaupten.« »Das weiß ich, Suko, das weiß ich genau. Ich will aber in Ruhe gelassen werden, und ich habe schon verdammt lange gespürt, dass hier etwas im Busch ist.« »John sprach von gewissen Kräften.« »Man kann sie nicht fühlen, man kann sie nicht sehen. Hier schleicht etwas umher, das ich eigentlich mit dem Begriff Grauen umschreiben möchte. Es ist nicht mehr so wie früher. Offen tritt es nicht in Erscheinung, man muss schon hier leben und arbeiten, wenn man es spüren will. Die Angst der Menschen, wie sie sich ducken wie vor einer bösen Prophezeiung, die vor langer Zeit ausgesprochen wurde und jetzt anfängt, sich zu erfüllen. Das ist nicht einfach.« »Da haben Sie recht. Aber konkrete Angaben können Sie auch nicht machen - oder?« Sie lachte wieder laut. »Was heißt denn konkrete Angaben. Ist der Mord an Baby-Jim nicht konkret genug?« »Irgendwo schon. Auch die Beschreibung des Schwarzen Priesters stimmt ausgezeichnet. Nur würde ich gern etwas anderes wissen. Der Schwarze Priester muss Helfer gehabt haben. Er stammt aus Atlantis, diese Helfer aber könnten es geschafft haben, ihm den Weg zu bereiten.« »Das habe ich schon mal gehört.«
»Womit mein Freund nicht unrecht gehabt hat. Kosmos und die Verdammten der Großstadt sind die heiße Spur. Die will ich finden und würde mich freuen, wenn Sie mir den Weg zu ihnen zeigten.« »Kann ich nicht.« »Was heißt das?« »Ich weiß nicht genau, wo sie sich aufhalten. Sie hängen irgendwo zwischen den Häusern, hausen in Anbauten oder auf Dächern. Sie sind so gut wie unangreifbar, weil es die normalen Menschen sind, die ihnen die Stange halten.« »Wir stehen also auf verlorenem Posten.« »Fast.« »Dann sollten Sie sich heraushalten. « »Nein, nein, Mann, ohne mich sind Sie verloren. Ich werde Ihnen die erste Spur zeigen.« »Darf ich fragen, wo sie hinführt?« »Zum Prediger.« »Oh, wer ist das schon wieder?« »Werden Sie noch früh genug sehen.« Lulu bog nach links ab. »Das ist die Straße, in der es geschah.« Suko schaute aus dem Fenster. Sie sah etwas anders aus als die, die hinter ihnen lagen, denn auf der rechten Seite zog sich eine Brandmauer hin. Dahinter lag ein leerstehendes Gelände, wo Fabrikhäuser vor sich hingammelten. Links von ihnen wuchsen die grauen Fassaden der Häuser dicht zusammen, oft nur getrennt durch verrostete Dachrinnen. Einfahrten und Hauseingänge wirkten wie Schlünde. Mülltonnen und kleinere Container quollen fast über. Auch Menschen waren unterwegs. Sie standen an den Hauswänden oder saßen auf alten Treppenstufen, um dem Abfall nachzuschauen, den der böige Wind vor sich hertrieb. »Sehen Sie die reklamelose Litfasssäule da?« »Ja.« »Dort ist es passiert«, erklärte Lulu bissig. »Halten Sie dort bitte an.« »Hätte ich sowieso gemacht.« Suko löste den fransigen Gurt und drückte die Tür auf. Lulu blieb im Wagen, rauchte und kurbelte das Fenster nach unten. Aus ihrer Deckung hervor dirigierte sie Suko an den Ort, wo Baby-Jim sein Leben ausgehaucht hatte. »Nichts zu sehen!« meldete Suko. Die Frau lachte. »Da haben die Penner noch seine Kleidung mitgenommen und die Asche ausgeschüttelt. Das ist eine verdammte Welt, kann ich Ihnen sagen.« Suko wurde beobachtet, aber nicht angesprochen oder angemacht. Ein jeder hatte gesehen, mit wem er gekommen war, und Lulu wurde respektiert. »Steigen Sie wieder ein, es hat keinen Sinn.« Das tat Suko gern. »Wohin jetzt?«
»Nur ein kurzes Stück weiter, zum Prediger. Davon hatte ich Ihnen ja erzählt.« »Richtig.« Suko rammte die Tür zu und lauschte dem blechernen Klang nach. Sein Gesicht verzog sich entsprechend, und er hörte das leise Lachen der Bordsteinschwalbe. »Einen anderen Wagen möchte ich nicht. Man kennt mich hier, wissen Sie? Außerdem tut er seine Pflicht. Ich fahre ihn schon mehr als sieben Jahre.« Sie rollten langsamer weiter. Zweimal grüßte das Mädchen aus dem Fenster. Zwei junge Farbige winkten zurück. »Freier von Ihnen?« »Nein«, erwiderte sie lachend. »Es sind nette Kerle, die Freier zusammenschlagen würden, die mir an die Wäsche wollen. Ob Sie's glauben oder nicht, in diesem Viertel gibt es mehr Solidarität zwischen den Menschen als in Millionärskreisen.« »Das glaube ich Ihnen gern. Denn in den anderen Kreisen ist der eine des anderen Konkurrent.« »Eben.« Bevor sie in eine schmale Einfahrt hineinfuhren, warf Suko einen letzten Blick zum Himmel. Er hatte sich grau eingefärbt. Mit dem Wind waren dicke Wolkenberge gekommen, die sich schichtweise übereinander türmten. Längst war es düster geworden. Die Schatten der hereinbrechenden Dämmerung schoben sich wie lange Arme über das Eastend und auch in die Straßen hinein. In der Einfahrt war es noch dunkler. Die teilweise vom Putz befreiten Wände waren mit Parolen beschmiert, die sich negativ auf die Politik der Regierung bezogen. Aber auch obszöne Zeichnungen waren auf die Wände gemalt oder gesprayt worden. »Gefällt Ihnen nicht, wie?« fragte Lulu. Suko nickte. »So etwas riecht immer nach einer Falle.« Sie hob die Schultern. »Wenn es eine Falle sein sollte, habe ich Sie nicht wissentlich hineingeführt. Ich will Ihnen auch sagen, dass es hier im Viertel keine Regeln gibt. Jeder lebt so, wie er es für richtig hält. Nur so kommt man durch.« Lulu hatte angehalten. Der Motor verstummte nur unwillig. Sie ließ für einen Moment die Scheinwerfer aufflammen. Erstens ein Zeichen, und zweitens wollte sie Suko zeigen, dass die Einfahrt in einen schmutzigen Hof mündete, der sehr verwinkelt aussah und in dem sich zudem zahlreiche An- und Umbauten zu einem verwirrenden Muster zusammenfügten, versehen mit flachen und spitzen Dächern, wobei an manchen Stellen sogar Türme hochragten. Suko schüttelte den Kopf, als er dies sah. »Damit haben Sie nicht gerechnet, wie? Kann ich mir denken. Wissen Sie eigentlich, dass das hier ihre Welt ist?« »Die der Verdammten?« »Richtig.«
»Demnach müsste ich auch den Schwarzen Priester hier in der Nähe finden können.« »Falls er sich zeigt. « Suko winkte beim Aussteigen ab. »Der soll mal nicht so schüchtern sein, finde ich.« Lulu sagte nichts dazu. Etwas leiser als sonst drückte sie die Wagentür ins Schloss. Dann ging sie dorthin, wo eine schmutzige Decke an der Wand lag, umrahmt von leeren Fuselflaschen. Suko schlenderte langsam auf sie zu. Er deutete auf die Flaschen. »Ist das sein Platz?« »Ja, hier findet man den Prediger.« »Der Name sagt mir etwas. Hat er möglicherweise auch mit den Verdammten zu tun?« »Das glaube ich nicht. Die wollen diese Leute nicht in ihren Reihen haben.« »Wen denn?« »Jüngere.« »Aha.« »Mensch, Bulle! Andere haben doch keine Zukunft. Die Abgewrackten reden nur von gestern, aber die Jungen versuchen noch was. Sie gründen diesen Club ... « Der Prediger erschien. Er kam um die Ecke am Ende der Einfahrt, blieb im diffusen Gegenlicht stehen und schob seine Hände in die Taschen des langen, abgewetzten Mantels, der vorn offen stand und die gleiche Farbe besaß wie ein grauer Bart. Lulu begrüßte ihn durch das kurze Heben ihrer rechten Hand. Der Prediger war beruhigt, er kam näher und mit ihm ein Geruch von Fusel und Schweiß. »Das ist er, Prediger.« Der Mann nickte. Er schaute Suko an. »Du bist Chinese und gleichzeitig Bulle?« »Kann man das sehen?« »Ich weiß es.« »Gut, Prediger. Dann weißt du auch, weshalb mich Lulu hergeführt hat. Du kennst das Problem.« »Möglich.« Suko spielte mit einer größeren Pfundnote, die er in seiner Hand zusammenknüllte. »Kennst du es jetzt besser?« »Gib sie her.« Erst als er das Geld eingesteckt hatte, deutete er ein Nicken an. »Ja.« »Ich will Kosmos.« Der Prediger verdrehte die Augen. »Den wollen viele, weißt du? Er ist nämlich etwas Besonderes hier im Viertel. Er hat das Sagen, und es ist nicht einfach, an ihn heranzukommen.« »Deshalb sollst du uns helfen.« »Ich kann es wohl nicht, denn niemand weiß genau, wo er sein home hat. Das kann überall sein. Du kannst dieses Viertel tage- und nächtelang durchsuchen, ohne eine Spur von ihm und auch von den
Mitgliedern des Clubs gefunden zu haben. Sie besitzen tausend Verstecke, sie haben aber auch tausend Ohren und Augen. Das ist es, was ich dir sagen wollte.« »So meinte ich es auch!« zischte Lulu. »Unsere Chancen stehen verdammt beschissen.« Suko ließ sich nicht beirren. »Das ist ein bisschen wenig für so viel Geld, Meister.« »Ich halte mich nur an die Regeln. Ich sage dir genau, was ich weiß, mehr nicht.« »Und wie sieht es mit einem Tipp aus?« Suko lächelte und ging einen Schritt vor. »Weißt du, Prediger, die Leute müssen gestoppt werden. Es darf hier keinen Killer aus einer anderen Zeit geben. Der Schwarze Priester hat den Weg aus Atlantis gefunden. Er muss vernichtet werden, sonst könnt ihr um euer Leben bangen. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?« »Das hast du.« »Wunderbar, dann ... « »Moment, Polizist. Vielleicht wollen wir gar nicht. Kannst du dir nicht vorstellen, dass uns gewisse Dinge einfach zuwider sind? Wir wollen unsere Ruhe haben.« »Sie ist trügerisch. Verlasst euch nicht auf den Club der Verdammten und auf Kosmos, denn sie verfolgen ganz andere Ziele. Sie werden euch unterdrücken und später zu ihren Werkzeugen gemacht haben, wenn es soweit ist. Denk an meine Worte.« »Nein, Polizist. Ich werde dir keine Antwort geben. Wenn du Kosmos sprechen willst, dann musst du ihn suchen.« Er deutete über die Schulter zurück. »Irgendwo da hinten. Möglicherweise hier im Hof oder auf den Dächern kannst du ihn finden. Er muss hoch leben, er braucht einen Überblick.« »Den hat man auch von einem der Türme aus.« »Kann sein.« »Das war also dein letztes Wort?« »Sicher. Lass uns in Ruhe, Polizist. Ich habe nur Lulu zum Gefallen mit dir geredet. Bisher hat mir keiner etwas getan. Ich möchte auch, dass es so bleibt.« Selten hat sich ein Mensch so geirrt wie dieser Prediger. Er hatte den Satz kaum ausgesprochen, als Suko das dumpfe Geräusch eines Schlags vernahm, sah, wie der Prediger den Mund öffnete, röchelte und nach vom fiel, ihm direkt entgegen. Suko fing ihn auf, umschlang mit seinen Händen den Rücken und spürte zuerst die Nässe. Danach erst den Gegenstand, der in seinem Körper steckte. Kein Messer, etwas Ähnliches, aber es hatte den gleichen Zweck erreicht, denn der Prediger starb noch in Sukos Armen ... Er ließ den Mann zu Boden gleiten, drehte den Kopf, sah die fassungslos auf der Stelle stehende Lulu, deren Mund sich zu einem Schrei geöffnet hatte.
Zum Glück blieb er im Hals stecken, und Suko zischte nur einen Satz. »Geh in Deckung! Neben dem Wagen!« Ob sie gehorchte oder nicht, sah er nicht, denn er warf sich gegen die rechte Wand der Einfahrt und fiel dort in die Hocke, was sein Glück war, denn vom Ende her schoss etwas Langes, peitschen- und schlangenartiges hervor, gezielt auf seinen Kopf, wobei es durch das rasche Wegtauchen Sukos Schädel verfehlte und über ihm gegen die Mauer klirrte. Es fiel herab, wurde zurückgezogen, und diesmal war der Inspektor schneller. Suko bekam das Kabel dicht über dem mörderischen, freiarmigen Widerhaken zu fassen und zog mit einer plötzlichen Kraftanstrengung daran, der der andere nichts entgegenzusetzen hatte. Suko vernahm einen gurgelnden Schrei, zog noch stärker, dann tauchte im offenen Rechteck des Einfahrtendes eine torkelnde Gestalt auf, die sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte, zu Boden fiel und von Suko darüber hinweggeschleift wurde. Der Mann war höchstens zwanzig. Dunkelgraue Kleidung, eng am Körper liegend, umschloss ihn. Sein Gesicht war ebenfalls grau geschminkt, die Zähne glänzten hell, als er den Mund aufriss und mit aller Kraft sowie verzerrtem Gesicht sich gegen den Zug stemmte. Er hatte keine Chance. Suko holte den heimtückischen Mörder zu sich heran wie eine Angel den Fisch. Er sah, dass der andere das Kabel um seine Hüften geschlungen hatte. Er trug einen Spezialgürtel mit Metallösen, durch die das Kabel lief. Damit hatte er sich selbst gefesselt. Bei den meisten Gegnern kam er damit durch, doch Suko war aus anderem Holz geschnitzt. Er zerrte ihn in die Höhe und bekam den Speiche mit, den ihm der Mann ins Gesicht spuckte. Suko schlug zu. Es war eine Ohrfeige, deren Echo durch die Einfahrt schallte. Dann schleuderte Suko den Mörder herum, der mit dem Rücken gegen die Wand prallte, wieder wie eine Katze reagierte und vorschnellte. Er rannte weg. Suko ließ ihn ein halbes Dutzend Schritte weit kommen, dann zog er. Der Mörder fiel zu Boden, überrollte sich dort, kam nicht mehr auf die Beine, weil Suko ihn eisern hielt. Das Kabel in seiner Rechten war wie ein Kälberstrick. Wenig später stand er neben dem Mann und stellte ihm einen Fuß auf die Brust. »Reicht das, Killer?« »Geh zum Teufel!« »Nach dir.« Auch Lulu hatte ihren ersten Schreck überwunden. In ihrer dunklen Kleidung schlich sie wie ein Schatten heran. Auch die Jacke war schwarz und zeigte außen ein billiges Kunstfell, das auch schon bessere Zeiten gesehen hatte.
»Wenn du ihn fertigmachen willst; vierteilen sie dich!« Sie war nervös. »Lass ihn lieber laufen.« Suko schüttelte den Kopf. »Keine Sorge, ich vergelte nicht gleiches mit gleichem. Vorausgesetzt, man kommt meinen Wünschen nach.« »Und was willst du?« »Der Prediger kann nicht mehr reden, aber er kommt aus dem Zentrum, er weiß, wo ich Kosmos finden kann, nicht wahr?« Der Mann spie aus. Suko nahm den Fuß von seiner Brust und zerrte den Kerl blitzschnell in die Höhe. Das alles geschah zwischen den Wänden der Einfahrt. Der Killer baumelte wie an einer Angel hängend. »Hör zu, mein Lieber, ich habe viel Geduld, aber wenn ich einen Killer sehe, der gerade einen Mord begangen hat, sehe ich einfach rot. Okay?« Er sagte nichts, schwitzte nur, und der Schweiß vermischte sich mit der grauen Asche oder dem Staub in seinem Gesicht. Wegen der dunklen Farbe leuchteten die Augen noch heller. Nur die Pupillen waren schwarze Kreise. »Wir gehen jetzt gemeinsam los, mein Freund. Und denke immer daran, dass ich dich an der Angel habe. Du zappelst bei mir wie ein Fisch und wirst nicht entkommen.« »Okay, okay, was willst du?« »Zu deinem Chef - Kosmos. Weißt du das nicht?« »Ja, verflucht.« »Dann bring mich hin!« »Sofort?« »Sicher. Ich will seiner Höhle einen kleinen Besuch abstatten. Weißt du, ich stehe außerdem auf Schwarze Priester und auf Atlantis. Habe schon viel darüber gehört.« »Es wird dich fressen.« »Mal sehen.« Die beiden starrten sich aus kurzer Entfernung in die Gesichter. Schimmerte Angst in den Augen des jungen Mannes? Suko wusste es nicht, es konnte auch Falschheit sein. »Darf ich wissen, wie du heißt?« »Wenn es dir Spaß macht. Kannst mich Zack nennen.« »Sonst noch was?« »Nein, das reicht.« Ohne den Mann loszulassen, drehte Suko den Kopf und wandte sich an Lulu. »Kennst du ihn?« Die Dirne schüttelte heftig den Kopf. Zudem zitterte sie vor Angst. »Nein, nie gesehen.« »Ist auch dein Glück, Nüttchen.« »Halt's Maul!« fuhr Suko Zack an. »Du kannst nur noch Pluspunkte sammeln, indem wir beide losmarschieren und du mich nicht in die Irre führst. Ich will zu Kosmos!« »Ja, okay ... «
»Dann schönen Tod noch!« sagte Lulu und meinte es bitterernst. »Glaube kaum, dass ich dich noch mal lebend wiedersehen werde, Bulle. Schade, du warst in Ordnung.« Suko wollte sie nicht zurückhalten. Er nickte. »Tu dir selbst den Gefallen und verschwinde aus der Gegend.« »Mach' ich auch, verdammt.« Sie ging zu ihrem Wagen. Suko wickelte das Kabel einige Male um sein Handgelenk, damit er es kurz halten konnte. »Zack, du wirst gleich die Arme vom Körper abhalten. Ich möchte nämlich nicht, dass sich das Kabel plötzlich löst. Klar?« »Sicher.« »Dann los « Er drückte den Mann herum, und sie verließen die Einfahrt, um den Hof zu betreten. Er lag in einer trügerischen Ruhe vor ihnen, und Suko hatte das Gefühl, auf ein nicht sichtbares Hinrichtungskommando zuzuschreiten... *** Sie war wieder in ihren Wagen gestiegen und tat etwas, was sie schon lange nicht mehr gemacht hatte. Lulu schlug ein Kreuzzeichen! Sie schaute dabei nach vom und sah die beiden Männer durch das Ende der Einfahrt gehen. Dabei sahen ihre Gestalten so aus, als wären sie vom Dämmer verschluckt worden. Nie hätte sie gedacht, dass sich die Lage dermaßen zuspitzen und sogar in einem Mord enden würde. Was hier geschehen war, das war das Grauen schlechthin, und sie konnte ihren Blick einfach nicht von der reglosen Gestalt des Predigers nehmen, der auf der Seite lag, die Beine leicht angezogen und einen Arm ausgestreckt hatte. Was sollte sie tun? Lulu hatte zahlreiche Krimis über die Mattscheibe flimmern sehen. Manchmal hatte es für irgendwelche Akteure Situationen gegeben wie die, in der sie steckte. Obwohl sie starr hinter dem Lenkrad hockte, dachte sie an diese Streifen. Sie versuchte sich zu erinnern, wie die Akteure dort reagiert hatten. Flucht, weglaufen - und dann? Die Polizei fiel ihr ein. Die stinknormalen Bullen mit ihren Uniformen. Die waren dann immer schnell gekommen, alarmiert von irgendwelchen Zeugen, die den Mordwerkzeugen der Killer soeben noch entwischt waren. Das wollte auch sie machen!
Das Mädchen griff zum Zündschlüssel, den es hatte stecken lassen. Ihre Finger zitterten, der Ring klapperte dabei gegen den Schlüssel, sie drehte ihn und hörte, wie der Motor allmählich durchorgelte. Nur sprang er nicht an! Das war wieder wie im Film. Da saß das Opfer, wollte weg und schaffte es nicht. Fehlte nur noch, dass die Verdammten erschienen, sie aus dem Wagen zerrten und ihr das gleiche Schicksal bevorstand wie dem Prediger. Noch ein Versuch - und der alte BMW sprang an. Lulu fiel ein Stein vom Herzen. Vor Erleichterung schrie sie auf, begann zu weinen und wischte Tränenwasser von den Wangen. Sofort legte sie den Rückwärtsgang ein, der Wagen rollte an, in ihrer Angst aber verriss sie das Lenkrad und hörte wenig später ein widerlich klingendes Geräusch, als der linke Kotflügel an der Innenmauer entlang kratzte. Sie verzog das Gesicht, dachte daran, dass ein verbeulter Wagen besser war als ein verlorenes Leben und fuhr weiter, wobei sie das Lenkrad etwas drehte, die Reifen einschlugen und Lulu es auch schaffte, die Einfahrt normal zu verlassen. Sie erreichte die Fahrbahn, der Motor heulte auf, weil sie zuviel Gas gegeben hatte, dann würgte sie ihn in ihrer Hast wieder ab, blieb als Sperrgut auf der alten Straße stehen und merkte, dass die Angst nicht weichen wollte, obwohl sie dem unmittelbaren Gefahrenherd entwischt war. Weshalb nahm das Gefühl zu? »Verdammt noch mal, komm endlich!« Wieder kam sich Lulu vor wie in einem Film, als sie den Zündschlüssel drehte und noch einmal aufatmen konnte, als der Motor wieder ansprang. Sie kurbelte das Lenkrad nach links. Hektische, wilde Handbewegungen trieben sie an. Konnte noch etwas passieren? Immer wieder dachte sie daran, als sie zuschaute, wie die Reifen über die Gehsteigkante holperten, weil sie die Kurve nicht richtig hatte nehmen können. Vor ihr lag die Straße. Ein gerades Stück, links die hohe Brandmauer, rechts die Fassaden der grauen Häuser mit den zahlreichen Schlupflöchern als Wohnungen. Gas und weg! Eine simple Gleichung, die in ihrem Fall nicht aufging, denn urplötzlich erschienen die Schatten. Es war für sie wie in einem unheimlichen Gruselkabinett. Die Schatten hatten sich aus der Höhe fallen lassen, hingen an dunklen Kabeln und schwebten pendelnd über der Fahrbahn wie aus dem Himmel gefallene Fledermäuse.
Und sie waren bewaffnet. Etwas blitzte in ihren Händen. Gegenstände, die an Lassos hingen, die geschleudert wurden und immer das Ziel trafen. Lange Haken, bestehend aus drei, vier Armen, griffen brutal zu und zerstörten die Scheiben. Von allen Seiten schwebten die Verdammten der Großstadt herbei. Da sie selbst dunkel gekleidet waren, fielen sie in dem Dämmerlicht kaum auf. Deshalb waren sie nur huschende Wesen, die jetzt sicher landeten, einige Schritte liefen, sich wieder fingen, aber die Kabel nicht aus ihren Händen lösten. Sie hatten sicheren Boden unter den Füßen. Die Haken klammerten sich an den Holmen des Fahrzeugs fest. Längst waren die Scheiben herausgehauen worden. Wie Schnee lagen die Krümel auf den Sitzen. Sie fuhr noch immer. Lulu wollte es wissen, sie schrie auch dabei. Der Wagen besaß Kraft, gegen die mussten die anderen erst mal ankommen. So schleifte sie einige der Typen mit, die aber nicht losließen, mitstolperten, sich nicht halten konnten, fielen. Lulu lachte schrill. Es war ihr in diesem Augenblick egal, ob jemand bei dieser Aktion draufging. Sie wollte kämpfen, sie wollte ihr Leben so teuer wie möglich verkaufen. An der Plakatsäule war sie bereits vorbei, als es sie erwischte. Die Verdammten bekamen Verstärkung, zwei Gestalten liefen dem Fahrzeug geduckt entgegen und drehten dabei ihre Lassobänder, an deren Enden dicke Messer oder Ähnliches blitzte. Rechts und links der Fahrbahn waren sie aufgetaucht, liefen noch einige Schritte und schleuderten die Waffen. Treffer! Beide Vorderreifen zerplatzten. Tiefe Wunden hatten die schweren Messer hinterlassen. Dies war während der Fahrt geschehen, und Lulu glaubte, zweimal einen Knall gehört zu haben. Jedenfalls waren die Reifen zerrissen, ein normales Fahren nicht mehr möglich, wie sie sehr bald merkte. Der BMW geriet aus ihrer Kontrolle. Er fing an zu schlingern, rutschte zuerst, drehte sich und schoss in die Richtung, wo sich auch die Mauer befand. Den Gehsteig überflog sie förmlich. Dann weiteten sich Lulus Augen, weil ihr die Mauer vorkam wie ein Todesblock. Sie hielt, der Wagen nicht! Es waren schreckliche Geräusche, die sie umgaben, als das Blech bewies, wie dünn es war. Zusammengedrückt, zusammengepresst. Innerhalb weniger Sekunden verkleinerte sich das Fahrzeug, und die dabei entstehenden Kräfte spielten mit dem Körper der Fahrerin.
Sie schleuderten ihn vor und zurück. Mit dem Kopf schlug sie hart gegen die Nackenstütze, zum Glück hielt der an den Seiten ausgefranste Gurt. Wenn er nicht gewesen wäre, wäre Lulu durch die Scheibe geschleudert worden. So aber blieb sie im Fahrzeug. Die Haken hingen noch immer fest. Sie hatten die Blechholme verbogen, klemmten auch an den beiden Seitentüren, die trotz der Verschiebung des Fahrzeugs mit der nötigen Gewaltanwendung geöffnet werden konnten. Beide flogen so heftig auf, als sollten sie aus den Trümmern gerissen werden. Lulu wunderte sich darüber, dass sie nicht schrie. Normalerweise hätte sie schreien müssen, als sie die Gestalten sah, für die sie eine sichere Beute war. Aber sie saß da und merkte, dass sie erst jetzt die Folgen des Unfalls registrierte. Da kamen die Schmerzen. Im Nacken, im Rücken, auch durch den Kopf zuckten die Blitze. Steif wie eine Puppe hockte sie hinter dem Lenkrad, und ebenso steif wurde sie aus dem zerstörten Fahrzeug gezerrt. Harte Hände griffen zu, schleiften sie über die Straße. Sie hörte das böse Lachen und die flüsternden Stimmen und musste plötzlich lachen, trotz ihrer Furcht. Den Grund kannte sie nicht, sie lachte weiter, so lange, bis es einer aus der Gruppe leid war und ihr die flache Hand ins Gesicht schlug. Das Lachen verstummte. Schockartig verfiel sie in den entgegengesetzten Zustand. Willenlos ließ sie alles mit sich geschehen... *** »Sie haben etwas bemerkt!« flüsterte Kara und deutete schräg in die Höhe, gegen den grauen Himmel, der einen sanften rot-violetten Schimmer zeigte, als würde der Widerschein eines fernen Vulkanausbruchs ihn streifen. Ich folgte der Richtung des ausgestreckten Fingers, blieb dabei mit der Schulter an dem rauhen Felsen, und ich wusste auch, was Kara gemeint hatte. Sie bewegten sich dicht unter dem Himmel. Gewaltige Vögel, Flugsaurier mit Reitern auf ihren knochigen Rücken, wo sich die Haut wie Leder spannte. Die Reiter waren Skelette. Dunkle Skelette, bewaffnet, mit langen Lanzen, die wie Stöcke durch die Luft tasteten, als suchten sie nach irgendeinem Widerstand. Ich fuhr mit der Zunge über meine rauhen Lippen. Die Luft war heiß und trocken, Wüstenklima zwischen den Felsen. Den Kopf drehte ich nach
rechts, wo Kara ebenfalls hinter einem Felsen Deckung gefunden hatte. »Woher weißt du, dass sie etwas bemerkt haben?« »Weil sie kreisen.« »Na und?« Sie lachte leise. »John, ich kenne mich besser aus. Wenn sie kreisen, haben sie auch einen Verdacht. Sie spüren, dass etwas in ihre Welt eingedrungen ist.« Ich konnte nicht widersprechen. Wir waren eingedrungen, wobei ich so gut wie nichts von der Reise bemerkt hatte, die mich um zehntausend und mehr Jahre zurück in die Vergangenheit geführt hatte, auf die gewaltige Insel Atlantis, hinein in dieses geheimnisvolle und sagenumwobene Reich, von dem ich wusste, dass es existierte, im Gegensatz zu den meisten meiner Zeitgenossen, die Atlantis als Märchen oder Sage abtaten. Kara hatte mir bestätigt, dass wir an einem für unser Vorhaben idealen Ort gelandet waren. Die Heimat der Schwarzen Priester lag nicht allzu weit entfernt. Wir würden das Zentrum schnell erreicht haben. Im Normalfall wenigstens, jetzt aber kreisten die verdammten Vögel mit den schwarzen Skeletten als Reiter, und dafür hatte ich auch eine Erklärung. Ich kannte sie, obgleich es lange her war, dass ich sie gesehen hatte. Es waren die Diener des Schwarzen Tods, meines ersten Supergegners, der auch schon in Atlantis Angst und Schrecken verbreitet hatte, bevor es mir gelungen war, ihn in der Gegenwart zu vernichten. In der Vergangenheit aber existierte er noch, wir mussten sogar damit rechnen, ihm zu begegnen, denn die Schwarzen Priester bewegten sich in seinem Dunstkreis, wie Kara wusste. In der Luft lag ein ständiges, aber sehr fern klingendes Rauschen. Ich hatte Kara danach gefragt, um Gewissheit zu bekommen. Ihre Aussage hatte meine Annahme bestätigt. Wir befanden uns nicht sehr weit von der Küste entfernt. Die Meeresbrandung schickte uns diese brausenden Grüße. Ich beobachtete die Flugsaurier mit ihren makabren Reitern. Ja, sie flogen noch immer, aber sie hatten ihre Kreise enger gezogen, als wollten sie sich auf das Ziel konzentrieren, auf uns! Ich überlegte, wie ich ihnen entgegentreten sollte. Vielleicht einen Angriff versuchen? Kara erriet meine Gedanken. »John, wenn ich einen Vorschlag machen darf, lass es sein. Wir werden uns ihnen erst stellen, wenn sie uns attackieren.« Ich nickte ihr zu. »Das wird wohl besser sein. Wie weit ist es noch bis zum Tempel der Schwarzen Priester?« »Kann ich dir nicht auf den Meter genau sagen. Jedenfalls ist uns noch die Sicht versperrt.« Die Schöne aus dem Totenreich verließ vor mir ihre Deckung.
Ich zählte die Flugsaurier noch schnell nach. Vier waren es. Doppelt so viele wie wir. Dennoch hatte ich keine Furcht. Kara besaß das Schwert mit der goldenen Klinge. Dass sie damit umgehen konnte, hatte sie mehr als einmal in meinem Beisein bewiesen. Ich kam hoch. Meine Knochen waren etwas >eingerostet<. Ich hatte einfach zu lange auf der Stelle gehockt. Vorerst tat sich nichts. Die Saurier flogen weiterhin ihre Kreise, und auch unser Standplatz war sehr günstig, denn nach wenigen Schritten schon hatten wir die kantigen, braungrauen Felsen verlassen und konnten nach vorn schauen, hinein in eine weite Ebene, zu der das Gelände hin flach abfiel. Es war eine riesige Schüssel, gegen deren gegenüberliegende Seite die Brandung des Meeres schäumte. Und aus der Schüssel heraus wuchs der mächtige Tempel wie ein Berg, auf dessen Spitze sich ein Plateau befand. Dort zeichneten sich die Mauern kantiger Gebäude ab. Mein Finger wies darauf. »Müssen wir dorthin?« »Ich weiß es nicht. Mir ist nur bekannt, dass es Eingänge gibt, die in die Felsen führen.« Ich hielt mein Gesicht gegen den Wind. Wüstenwind, sehr warm. Er hatte die Luft mit feinem Sand und Staub gefüllt und beides aus dieser einsamen, öden Gegend hervorgeholt. Es war tatsächlich der Teil der Insel, der sich als menschenfeindlich darstellte. Ähnliches kannte ich auch von Aibon, dem Land der Druiden, nur war das wieder anders. Atlantis erinnerte mich mehr an das Altertum, die von normalen Menschen bewohnten Teile konnten in Bauweise und Planung mit dem alten Griechenland verglichen werden. Wir machten uns auf den Weg. Ich will nicht lange darüber schreiben, er war beschwerlich genug, eine kleine Hölle aus Staub, der sehr dünn und leicht war, so dass er bei jedem Schritt von unseren Füßen hochgewirbelt wurde. Natürlich behielten wir die Flugsaurier im Auge. Sie blieben ständig auf gleicher Höhe und zogen ihre Kreise. Manchmal ruckten die dunklen Skelette auch vor, ein Beweis dafür, dass sie bessere Blickwinkel bekommen wollten. Wir sprachen kaum. Ich war ins Schwitzen geraten und wischte mir laufend durch das Gesicht. Kara schien der Gang nichts auszumachen. Heute trug sie mal kein langes Kleid, sondern eine schwarze Hose, dazu eine Bluse und eine knappe dunkle Jacke darüber. Das Schwert hing an ihrer linken Seite. Nicht jeder konnte es führen. Wer als Unwürdiger die Waffe mit der goldenen Klinge hielt, für den war sie viel zu schwer, der würde irgendwann unter ihrer Last erdrückt
werden. Kara ging damit sehr leicht um. Delios, ihr verstorbener Vater, hatte es ihr nicht grundlos überlassen. Die Schüssel hatte uns längst aufgenommen. Erst jetzt wurden wir uns richtig ihrer Größe bewusst. Der Boden war auch nicht so flach, wie er aus der Entfernung ausgesehen hatte. Er zeigte Kerben, Einschnitte, kleine Mulden, die aussahen, als wären sie früher einmal Teiche gewesen, die sich dann statt mit Wasser mit Sand gefüllt hatten. Eine urige Gegend, trostlos, heiß, trocken, aber auch gefährlich, denn an manchen Stellen bewegte sich der Untergrund, floss der feine Sand fast wie Wasser, und ich stellte Kara eine dementsprechen-de Frage. »Es sind Erdwürmer«, erklärte sie. Ich schnitt eine Grimasse. »Für Würmer sind sie ziemlich groß, meinst du nicht?« »Stimmt. Hier ist alles anders, John. Außerdem dienen sie als Beute für die Flugsaurier.« Als hätte sie ein Stichwort gegeben, zeigte sich einer der Würmer. Ungefähr zwanzig Schritte oder etwas mehr von uns entfernt drückte er sich aus der Tiefe. Dick und lang wie ein Männerarm. Nicht schleimig, sondern mit einer mir trocken vorkommenden Außenhaut. Er schwenkte seinen Körper wie eine Antenne und war doch nicht schnell genug. Wie ein Pfeil schoss einer der Flugsaurier dem Erdboden entgegen. Wir bekamen einiges von dem Luftwirbel mit, den seine Schwingen verursachten. Es sah für einen Moment so aus, als wollte er seinen langen, spitzen Schnabel in den Boden rammen, aber er war geschickt, drehte dicht vor Erreichen seines Ziels ab und schnappte zu. Der dicke Wurm hatte keine Chance. Plötzlich klebte er zwischen den beiden Schnabelhälften, zappelte und verschwand im Rachen des Flugsauriers wie ein Fisch im Schnabel eines Pelikans. Das geschah auf dem Flug nach oben, denn um uns hatte sich die Gestalt nicht gekümmert. Auch das Skelett schien uns nicht bemerkt zu haben, was mich wunderte, und dies sagte ich auch laut. Kara gab mir die Antwort. »Unsere Zeit für sie ist noch nicht gekommen, John.« »Galgenfrist?« »Ja.« »Dann wollen wir die ausnutzen.« Es passierte nichts mehr auf dem Rest der Strecke. Wir sahen nur die Überreste getöteter Monstren aus dem Sand ragen, das war alles. Aber wir näherten uns dem Tempel, über den Kara sprach, wobei ich sagen muss, dass mir ihre Worte nicht gefielen. »Wenn du so willst, John, kannst du ihn als einen Stützpunkt des Schwarzen Tods bezeichnen.« »In den wir hinein müssen?« »Sicher.« »Wie schön. Ich hatte den Schwarzen Tod schon längst abgehakt. Verdammt noch mal, das gefällt mir nicht. Ich wäre viel beruhigter, wenn man uns angegriffen hätte, aber diese Warterei geht mir doch auf den
Wecker. Dabei habe ich das Gefühl, an der Nase herumgeführt zu werden. Alle wissen, dass wir da sind, nur kennen wir die anderen nicht.« »Das ist nun mal so.« Vor uns ragte der Tempel hoch. Kara hatte sich nicht geirrt. Es gab tatsächlich zahlreiche Eingänge, die aus dem Gestein herausgeschnitten waren wie Dreiecke. Dabei konnten wir uns aussuchen, welchen wir nehmen sollten. »Ich habe noch eine Frage, Kara.« »Bitte.« »Es gibt eine Verbindung zwischen den Schwarzen Priestern und den Kraken. Wir haben das beide in Südfrankreich erlebt. Wäre es möglich, dass wir hier auf Kraken treffen oder nur auf die Schwarzen Priester mit ihren Lichtschwertern?« »Rechne mit beiden.« »Du machst mir Mut.« Sie lachte leise. »Bisher haben wir uns nichts vorgemacht, John, weshalb sollten wir das jetzt tun?« »Da hast du auch wieder recht.« Karas Haltung versteifte sich. Gleichzeitig hörte auch ich das Geräusch, das wie ein Sturmwind an uns herangetragen wurde. Blitzschnell fuhren wir herum. Die Zeit war reif. Wie tödliche Pfeile stürzten die vier Flugsaurier mit ihren Knochenreitern auf uns zu... *** Wenn wir überleben wollten, mussten wir kämpfen. Kara driftete nach links weg. Ihre Bewegungen waren geschmeidig. Ebenso glatt und sicher zog sie das Schwert aus der Scheide und stellte sich zum Kampf. Auch ich hatte meine Stellung gewechselt, war auf die Knie gefallen und hatte meine Beretta gezogen. Ich kam mir vor wie auf dem Schießstand. Fehlschüsse durfte ich mir nicht leisten, deshalb hielt ich auch die Waffe mit beiden Händen fest, um sie nur nicht aus der Richtung zu bringen. Die Flugsaurier hatten sich geteilt. Ich visierte den rechten der beiden an. Über den schmalen Kopf mit dem langen Schnabel hinweg schaute ich auf die schreckliche dunkle Knochengestalt, dem Diener des Schwarzen Tods. Ich feuerte. Schräg senste das geweihte Silbergeschoss von unten her in den Körper der Flugechse und durch ihn hindurch. Es drang durch, erwischte noch das Skelett, das aussah, als wollte es vom Rücken der urwelthaften Echse hinwegspringen, hatte sich auch schon erhoben und zerplatzte über dem Körper und mitten in der Luft in zahlreiche Stücke. Die Echse selbst rammte zu Boden. Und diesmal stieß sie mit ihrem langen Schnabel hinein, der mit einem knackenden Geräusch abbrach
und die Echse durch den Schwung nach vorn geschleudert wurde, wobei sie mich beinahe noch erwischt hätte. Das alles bekam ich innerhalb weniger Sekunden mit. Ich hatte schon längst auf den zweiten Flugsaurier gezielt und ihm ebenfalls eine Kugel verpasst. Leider war er ziemlich nahe herangekommen. Trotz des geweihten Silbers im Balg flog er noch weiter und brachte mich in tödliche Gefahr, denn als er dann kippte, hätte mich der lange Schnabel aufspießen können wie ein Stück Schaschlik. Da hatte ich mich längst zur Seite geworfen, rollte über den Boden, war sehr flach und klein. Der Saurier raste über mich hinweg. Er krachte gegen die Felswand. Ich hörte das Knacken und Splittern, kam mit einem Sprung auf die Füße und sah die Reste als Klumpen auf dem Boden liegen, wo sie beinahe ein modernes Kunstwerk bildeten. Kara brauchte ich nicht zu Hilfe zu kommen. Den ersten Flugsaurier hatte sie erwischt und ihn mit der goldenen Klinge zerschlagen. Den zweiten nahm sie sich soeben vor. Es sah sehr riskant aus, was sie machte, denn sie ließ ihn sehr nahe herankommen, ging dann in die Knie und rammte die lange Klinge in die Höhe, wobei sie den Bauch der Echse erwischte. Es sah so aus, als würde der Saurier auf der Schwertklinge reiten. Er steckte dort fest, Kara bewegte sich mit ihm zusammen und schleuderte ihn gegen die Felswand, wo er zusammen mit seinem unheimlichen Reiter ein Knäuel aus Knochen und Haut bildete. Das war geschafft. Kara lächelte, als sie über die Reste hinwegstieg und auf mich zukam. »Ein erster Erfolg tut gut, nicht?« »Das kannst du wohl sagen.« Ich suchte den Himmel nach weiteren Flugsauriern ab, ohne jedoch welche entdecken zu können. »Das waren wohl mehr die leichteren Gegner - oder?« »Bestimmt. Mit den Schwarzen Priestern kannst du sie nicht vergleichen. Die werden wir im Tempel finden.« »Warum nur dort?« Sie hob die Schultern. »Wenn ich mich recht erinnere, befindet sich da ihre Geburtsstätte. Ich glaube, das hat mir mein Vater einmal mitgeteilt.« »Dann komm.« Ich wollte nicht mehr länger warten und endlich das Ziel erreichen. Zudem beschäftigten sich meine Gedanken auch mit den Dingen, die in meiner Zeit passieren würden. Ich hatte Suko zum Treffen mit Lulu geschickt. Er hatte meinen Part übernommen und würde im Londoner Eastend einen Schwarzen Priester jagen. Wir taten es hier. Zwar hatte sich Kara nicht direkt geäußert, ich ging jedoch davon aus, dass es zwischen unserem Handeln und Sukos Suche eine Verbindung gab. Anders ausgedrückt: Es existierte eine Verbindung zwischen der Gegenwart und der Vergangenheit.
Kara wollte noch nicht mit mir gehen. Irgend etwas hatte sie irritiert. »Was, ist?« Sie nickte dorthin, wo nicht sichtbar für uns das Meer gegen die Klippen donnerte. Ich sah nichts, bekam nur mit, dssß sich eine Gänsehaut bildete, die Karas Gesicht überzog. »Bildest du dir etwas ein?« »Nein, John, bestimmt nicht. Da ist was im Kommen. Ich habe es nur noch nicht sehen können. Aber es kommt. Wie eine Ahnung, mehr wie ein Hauch, ein Schatten. Jemand muss bemerkt haben, dass wir die Sieger gewesen sind.« »Und wer?« Sie gab mir keine Antwort. Ob bewusst oder nicht, war mir nicht klar. Jedenfalls änderte sich ihre Haltung kaum. Sie starrte weiterhin in die Richtung, als würde dort eine Fata Morgana erscheinen. So etwas Ähnliches erschien auch. Vom Boden her schob sich ein riesiges, schattenhaftes Gebilde in die Höhe. Es war gewaltig, höher als ein Haus, ein monströses Untier, das Kara und mir nicht unbekannt war. Nur einer besaß diese Umrisse, die sich aus dunklen Knochen zusammensetzten und so ein riesiges Skelett bildeten. Der Schwarze Tod! Ich hielt unwillkürlich den Atem an, als ich ihn erkannte. Sogar die gewaltige Sense war zu sehen, sie zeichnete einen grauschwarzen Schatten über das Land. »Er ist es!« flüsterte ich. »Verdammt, Kara, das ist der Schwarze Tod!« »Nein, John!« Sie hatte die Antwort derart bestimmt gegeben, dass ich mich darüber wunderte, und sie bemerkte, dass ich noch auf eine Erklärung ihrerseits wartete. »Es ist der Schatten des Schwarzen Tods. Er selbst hält sich zurück. Er hat seinen Schatten geschickt.« »Warum, zum Henker?« »Möglicherweise will er uns beweisen, dass der Tempel der Schwarzen Priester unter seinem Schutz steht.« »Meinst du?« Sie schwieg. Wir schauten gebannt zu, wie der Schatten an Intensität zunahm. Er verdichtete sich, so dass er fast so aussah wie der normale Schwarze Tod. Natürlich erinnerte ich mich an seine furchtbaren Taten. Dieser monströse Dämon hatte keine Gnade gekannt, bis es mir gelungen war, ihn mit dem Bumerang zu vernichten. Diese Waffe trug ich wieder bei mir, auf Karas Rat hin. Wahrscheinlich hatte sie gewusst, was uns in diesem Teil der Insel erwartete.
Der Schatten rührte sich nicht. Er stand dort wie eine in die Luft gezeichnete, finstere Drohung und schien beweisen zu wollen, dass er noch ein Wörtchen mitzureden hatte. Deutlich war sein großer schwarzer Schädel zu erkennen, auch die knochigen Schultern, die langen Arme, die knöchernen Finger und natürlich die Sense, deren Klinge den längsten, zitternden Schatten über das tote Land warf. »Wir sollten uns trotzdem von ihm nicht beeindrucken lassen«, sagte Kara. »Er steht dort als Drohung. Meinetwegen kann er bis zum Ende aller Tage bleiben. Ich glaube nicht, dass er in die Auseinandersetzung eingreifen wird.« »Hoffentlich.« »Komm.« Einen letzten Blick warf ich noch auf den Schatten des Schwarzen Tods, dann drehte ich mich um und folgte Kara, die in einem der dreieckigen Höhleneingänge verschwunden war. Auch mich hatte der gewaltige Berg Sekunden später geschluckt. Er kam mir im Innern vor wie ein dunkler Schleim, der ständig neuen Zuwachs bekam, so dass sich das Innere des Berges immer mehr verengte und mir beinahe den Atem raubte. Furcht verspürte ich nicht, es war nur das Gefühl der Spannung, das mich immer befiel, wenn ich durch einen stockdunklen Tunnel lief. Kara, die vor mir ging, konnte ich nicht sehen. Ich orientierte mich nur am Klang ihrer vorsichtigen Schritte und sprach sie an, wobei meine eigene Stimme dumpf klang, als würde ein Teil der Laute von der Finsternis und den Wänden verschluckt. »Brauchen die Schwarzen Priester kein Licht?« »Ich weiß es nicht. Du musst davon ausgehen, John, dass auch ich ihren Tempel zum erstenmal betrete.« »Dann viel Glück.« Sie lachte leise und bewegte sich weiter. Ich breitete meine Arme aus, weil ich abtasten wollte, ob sich Felswände in der Nähe befanden, was nicht der Fall war, denn ich griff ins Leere. Um mich zu orientieren, holte ich meine kleine Leuchte hervor. »Kein Licht, bitte«, sagte Kara energisch. »Warum nicht?« »Es ist zu gefährlich, John.« »Wie du meinst.« So marschierten wir tiefer in das Dunkel des Tempels und hörten nach einer Weile - das konkrete Zeitgefühl war mir verlorengegangen - ein bestimmtes Geräusch. Kara war stehen geblieben. Im Dunkeln hatte ich das nicht gesehen und lief gegen sie. »Da ist ein See«, flüsterte sie. Ihre Haare kitzelten in meinem Gesicht, als ich mich vorbeugte und die nächste Frage stellte.
»Einverstanden, aber weshalb befindet sich hier das Wasser?« »Denk mal nach. « Mir fiel es ein. »Die Kraken.« »Genau, John, sie leben im Wasser. « Ich lachte leise. »Bevor ich dort in die Dunkelheit hineinstolpere, möchte ich doch lieber nachschauen. Oder hast du etwas dagegen, wenn ich die Lampe einschalte?« »Jetzt nicht mehr.« Ich ging so weit vor, bis ich rechts neben ihr stand, schaltete die Lampe ein und folgte dem Strahl mit meinen Blicken. Kara stand unbeweglich neben mir. Ich hörte allerdings ihr Flüstern. »Das Zentrum, John, wir haben uns dem Zentrum des Tempels genähert. Wir müssen gleich da sein.« »Meinst du?« »Sicher.« Sie hatte recht, denn als ich den Strahl etwas schwenkte und dabei dem Boden entgegensenkte, erkannte ich auch die sich bewegende Wellenfläche eines unterirdischen Sees. Für einen Moment wurde ich an den Schleimsee auf dem Planeten der Magier erinnert, nur war diese Flüssigkeit hier nicht so dick und schwerfällig, sie bestand aus normalem Wasser. Wir mussten einige Schritte gehen, um das Ufer zu erreichen. Nichts hielt uns auf. Keine Wände, keine Felsen. Die Oberfläche des runden Sees lag in einer trügerischen Ruhe vor uns. Das Wasser gab sogar Kühle ab, die uns entgegenströmte. Nach der Hitze auf dem langen Marsch überkam mich das Bedürfnis, einfach hineinzuspringen und den kleinen See zu durchschwimmen. Nur war ich kein Selbstmörder, denn ich hatte selbst in Südfrankreich erlebt, welch eine Kraft im Körper des Kraken steckte, der nur dann erledigt werden konnte, wenn ihm das rot glühende mit Magie vollgepumpte Auge ausgestochen wurde. Seine Arme steckten voll zerstörerischer Kraft. Ein Mensch konnte ihnen nicht entkommen, wenn er einmal von ihnen erwischt worden war. Nur die helle Lanze meiner Halogenleuchte schnitt einen Streifen in die Finsternis. »Weißt du einen Rat, Kara? Den See haben wir gesehen. Es müssen auch die Schwarzen Priester vorhanden sein.« »Das sind sie auch.« »Wie schön. Und wo?« »Erinnere dich daran, John, wie du den Felsentempel zum erstenmal gesehen hast.« »Das weiß ich. « »Was ist dir dabei besonders aufgefallen?« Ich überlegte. »Meinst du die ungewöhnlichen Kuppeln auf den Felsen?« »Ja, die.« »Befindet sich dort das Zentrum? Und nicht hier vor uns im See?« »Ich rechne damit.«
»Leider können wir nicht fliegen, aber Flügel brauchten wir schon, um dorthin zu gelangen.« »Das glaube ich nicht. Ich rechne eher damit, dass wir den See an seinem Ufer umgehen.« Platz genug war, das hatte ich zuvor schon ausgeleuchtet. Es existierte ein schmaler Streifen zwischen Wasser und Felswand, auf dem wir uns sogar ziemlich sicher bewegen konnten. Ich wollte die Führung übernehmen, was Kara nicht zuließ. Dafür tat ich etwas anderes, streckte meinen Arm aus und leuchtete in die Höhe. Die Halogenlampe strahlte ziemlich weit, und ich dachte dabei an die gläsernen Kuppeln, die auch Böden aus Glas besitzen mussten. Der Schein fand sein Ziel. Leider nur dort wo er bereits schwächer geworden war. Er blitzte über etwas Helles hinweg, sogar kleine Reflexe entstanden, und Kara nickte bedächtig. »Habe ich dir nicht gesagt, John, dass dort oben noch etwas ist.« »Richtig.« Sie hatte es jetzt eiliger und beschleunigte ihre Schritte. Mit einem Auge peilte ich auf das Wasser, mit dem anderen suchte ich die glatten Wände ab, weil es meiner Meinung nach einen Aufstieg oder eine Treppe geben musste, die uns hochbrachte. Nichts war vorhanden, nur der glatte Fels. Das wiederum ärgerte mich gewaltig. Alles veränderte sich, als wir aus der Höhe her ein sirrendes Geräusch hörten. Sofort blieben wir stehen. Ich leuchtete schräg hoch, bekam große Augen, denn von dort oben hatte sich etwas in Bewegung gesetzt, das ich im ersten Augenblick nicht erkannte und mir vorkam wie ein gläserner Zylinder. Er senkte sich herab. Je tiefer er kam, um so besser konnten wir ihn erkennen. Ein Schwarzer Priester befand sich nicht darin, der Behälter war leer, und er besaß ein rundes kuppelförmiges Dach, genau wie die, die wir von außen gesehen hatten. »Das gilt uns«, flüsterte ich. »Klar doch.« Ich schaute Kara fragend an. »Sollen wir die Einladung annehmen? Ich wäre dafür.« »Ebenfalls.« »Obgleich es ein Gefängnis ist?« Sie schlug mit der flachen Hand auf den Schwertgriff. »Weshalb sind wir denn gekommen, John? Wir wollten die Macht der Schwarzen Priester stoppen. Wir werden es tun, es geht kein Weg daran vorbei, und wir müssen das Risiko eingehen.« Da hatte sie völlig recht. Mittlerweile war der gläserne Zylinder so tief gesunken, dass er dicht über der Wasserfläche schwebte, allerdings zu weit von uns entfernt war, als dass wir hätten einsteigen können. Über Wasser gehen konnte keiner von uns. Die Probleme waren auch denjenigen bekannt, die den Zylinder mit dem Kuppeldach lenkten.
»Siehst du eine Tür?« fragte ich und hatte dabei praktisch gedacht. »Nicht nötig.« Kara ging vor - und hinein. Ich staunte kräftig, denn damit hatte ich nicht gerechnet. Sie war tatsächlich durch die Wand gegangen. Nur ein kurzes Flimmern war zu sehen gewesen, und wie sie innerhalb des Gefäßes stand, sah es für mich aus, als würde sie in der Luft schweben. Lächelnd winkte sie mir zu. Etwas komisch war mir schon zumute, als ich es ihr nachmachte. Nachdenken durfte ich nicht. In einem Land wie Atlantis war sowieso vieles anders. Wo Magie herrschte, waren die Gesetze der irdischen Physik oft auf den Kopf gestellt. Als ich die Wand durchschritt, spürte ich nur mehr ein leichtes Streicheln an Körper und Gesicht, mehr nicht. Dicht neben Kara blieb ich stehen, unsere Schultern berührten sich, beide schauten wir zu Boden. Es sah tatsächlich so aus, als würden wir frei in der Luft über dem See schweben. Das Glas bot unseren Füßen keinen für uns sichtbaren Widerstand. »Jetzt müsste uns jemand hochziehen!« murmelte ich. Kara hatte ihren Kopf bereits zurückgelegt, um nach oben schauen zu können. Zu sehen war nichts. Die anderen Zylinder mit den Kuppeldächern verschwammen in der Finsternis. Meine Lampe brannte noch immer. Ich hielt sie gesenkt und schickte den Strahl gegen die Wellen, die auf mich den Eindruck von zitterndem Wackelpudding machten. Aber darunter, nicht einmal sehr tief, bewegte sich meiner Ansicht nach ein Schatten. Ich machte Kara darauf aufmerksam. Sie schaute hin, nickte aber nur bedächtig. »Ein Krake?« »Das könnte er sein, John.« Wenn er tatsächlich im Wasser lauerte, so hatte er sich so gedreht, dass sein Glutauge nicht zu sehen war. In ihm verteilte sich das Böse, eine schreckliche Magie, wie sie nur in Atlantis hatte geboren werden können. Das wusste ich von Kara, denn sie hatte mit dem Kraken gekämpft und war dem Zentrum sehr nahe gekommen. Aus dem Auge hervor waren die schrecklichen Gedankenströme damals in ihr Hirn gedrungen und hatten mithelfen wollen, sie zu vernichten. Das Wasser unter uns schäumte auf. Die Wellen liefen stärker. Kara zog ihre Waffe, auch ich nahm die Beretta in die Hand. Beide rechneten wir mit einem Erscheinen des Monstrums. Nur die Wellen schwappten höher. Ein Fangarm tauchte nicht auf. Wir entdeckten jedoch dicht unter der Wasserfläche einen sich bewegenden und heftig zuckenden Schatten. Etwas Längliches, mal gestreckt, dann wieder gekrümmt. Das musste einer der Arme sein!
Gleichzeitig geschah etwas mit dem Zylinder. Mit einer ruckartigen Bewegung schwebte er an. Wir glitten in die Höhe. Der Vergleich mit den gläsernen Außenfahrstühlen in manchen Luxushotels kam mir in den Sinn, nur befanden wir uns hier in einer mit Magie prall gefüllten Höhle und wussten zudem nicht, wo und wie unsere Reise enden würde. Jedenfalls schwebten wir immer mehr dieser ungewöhnlichen Decke entgegen. Ich leuchtete sie an. Nebeneinander standen die Glaszylinder mit den Kuppeldächern. Sie bildeten dort eine Plattform, von denen wir nur die unteren Seiten sahen. Aber eine Lücke befand sich dort. In sie hinein würde genau unser Zylinder passen. Alle zusammen ergaben ein wabenartiges Muster und mussten die magische Zentrale dieses Tempels bilden. Die Wasserfläche blieb unter uns zurück. Glücklicherweise, denn der Krake erschien! Sein massiger Körper schob sich aus den Wellen, derart gedreht, dass wir auch die rote Insel innerhalb des nassen Graus erkennen konnten, das Auge und Zentrum des Kraken. Es war ein böses, unheimliches Glühen, das uns hinterhergeschickt wurde. Ein tödliches Versprechen, das dieser Krake sicherlich einhalten würde. Ich schauderte zusammen, denn so hatte ich ihn bisher noch nicht erlebt. Auch die Fangarme erschienen. Mit ihnen wühlte er das Wasser auf, schleuderte sie mit träge anmutenden Bewegungen in die Höhe, ohne uns jedoch zu erreichen. Wir fuhren lautlos immer höher, und wir erlebten dabei, wie wir allmählich vom Dunkel hinein in das Licht glitten, das von außen her gegen die Spitze des Bergtempels fiel. Plötzlich verschwanden die Wände. Das Licht einer alten Sonne umgab uns. Es füllte die Behälter aus. Unser Blick konnte weit über das Land hinwegstreifen, er reichte sogar die unmittelbare Küstenregion, wo wir das graugrüne Meer erkannten, das mit gewaltigen Schaumstreifen gegen die Felsen donnerte. Auch der Schatten war noch da. Mich fröstelte, als ich die Umrisse des riesigen Skeletts und der Sense erkannte. Beides bewies uns, dass wir noch längst nicht außer Gefahr waren. Mit einem letzten Ruck kam unser ungewöhnlicher Lift zur Ruhe. Seine untere Seite befand sich auf gleicher Höhe mit den anderen. Wenn wir wollten, konnten wir von einem Zylinder in den nächsten gehen, was Kara auch versuchte und abermals von keiner Wand gestoppt wurde. Sie kehrte wieder zu mir zurück, lächelte. »Könntest du mir eine Erklärung geben?« fragte ich.
Sie hob die Schultern. »Das ist schwer, John, verdammt schwer sogar. Ich weiß nur, dass wir im Zentrum des Tempels stehen, bewacht von einem Schatten.« »Wo sind die Schwarzen Priester?« Sie hob die Schultern. »Ich kann es dir nicht sagen. Jedenfalls darfst du dich nicht wundern, wenn sie plötzlich hier erscheinen. Alles ist anders ... « Sie hob die Schultern und machte dabei ein Gesicht, als versuchte sie, sich an bestimmte Dinge zu erinnern. So war es auch, denn sie sprach weiter und redete dabei von der Vergangenheit, als sie ihren ersten Kampf überhaupt gegen einen Schwarzen Priester geführt hatte. »Es ist auf den Klippen passiert, an einem Ort nicht weit von hier. Ich kann mich erinnern und glaube sogar, diesen Berg mit dem Tempel gesehen zu haben.« Sie breitete die Arme aus. »Beim Wort nehmen darfst du mich nicht, John.« »Werde ich auch nicht tun. Nur habe ich keine Lust, hier für Stunden oder noch länger herumzustehen.« »Ich glaube kaum, dass so etwas passieren wird.« Sie schaute in die Tiefe, wo der See nur mehr schwach zu erkennen war. »Wenn ich ehrlich sein soll, rechne ich sogar damit, dass wir plötzlich kippen werden und sich das öffnet, was sichtbar nicht vorhanden ist.« »Willst du uns Mut machen?« »Ich denke nur realistisch.« Mein Grinsen fiel schief aus. Sekunden später erstarrten wir beide. Wir fühlten, sahen und spürten es zugleich. Um uns herum füllten sich die Zylinder. Türkisfarbenes Licht strahlte auf, als schmale, hochkant stehende Streifen. Das waren die Schwerter! Und um sie herum bauten sich in einer kaum messbaren Zeitspanne die Gestalten der Schwarzen Priester auf, als wären sie aus dem Nichts erschienen... *** Die allmählich herannahende Dunkelheit gefiel dem Inspektor überhaupt nicht. Sie ließ den vor ihm liegenden Hof noch schlimmer und undurchdringlicher erscheinen. Die zahlreichen Dächer, Anbauten und kleinen Türme verschwanden in der Finsternis, auch sorgte sich Suko wegen der Leere. Normalerweise war es so, dass im Eastend noch zahlreiche Menschen wohnten, die sich nicht unbedingt in ihren Häusern versteckt hielten und gern ins Freie gingen. Von der Straße her hatte er noch ein Geräusch gehört, das durch die Einfahrt geschallt war und ihm überhaupt nicht gefiel. Eine Mischung aus
Krachen, Bersten und Splittern. Er hätte gern nachgeschaut, die Zeit blieb ihm nicht mehr. Vor sich sah er Zacks Schultern. Sein Gefangener hatte den Rücken durchgedrückt, eine sehr steife Haltung eingenommen und machte den Anschein, als wollte er überhaupt nicht gehorchen. Dafür lachte er leise. »Hier kommst du lebend nicht mehr weg, Chink.« »Wer sagt das? Du?« »Klar.« »Dann erwischt es dich als ersten.« »Und wer sollte uns erwischen? Deine Kollegen? Sorry, aber die sehe ich nicht.« »Sie sind trotzdem da. Sie sind wie Schatten. Sie leben überall, sogar auf den Dächern.« »Meine Tarzans, wie?« »Spotte nur, spotte nur.« Suko drückte ihm die Hand in den Rücken. »Geh weiter, Zack, sonst wird es ernst für dich.« »Wohin?« Er torkelte ein paar Schritte vor. »Ich will deinen Chef kennen lernen. Kosmos ist ein toller Name, wirklich.« »Ich weiß nicht, wo er sich aufhält.« Suko fühlte sich auf den Arm genommen, wurde sauer und schleuderte seinen Gefangenen gegen eine Mauer. Er drückte ihn daran fest. In der Nähe strich eine Katze vorbei, die vom Deckel einer Mülltonne gesprungen war. »Hör genau zu, Zack. Ich habe keine Lust, mich von dir verarschen zu lassen. Das ist kein Spaß hier. Wenn es Tote gibt, verstehe ich sowieso keinen Spaß.. Ihr nennt euch die Verdammten der Großstadt. Das ist mir auch egal. Aber ihr seid eine Clique, eine Gruppe oder Bande, was auch immer. Und ich sage dir eines: Ich kenne diese Banden, weiß, dass sie irgendwo ein Hauptquartier oder ein Home besitzen. Dahin sollst du mich führen. Wo trefft ihr euch?« »In der Nähe.« Suko presste ihn noch stärker gegen die Wand. »Wo?« »Wenn du sterben willst, führe ich dich vielleicht hin.« »Okay.« Zack atmete auf, seine Augen funkelten, dann lachte er. »Weißt du eigentlich, auf was du dich eingelassen hast?« »Das glaube ich schon.« »Nicht Kosmos ist unser großer Führer, nein, wir haben den Weg entdeckt, um in eine andere Welt zu gelangen.« »Atlantis.« »Du ... du weißt?« Wäre es Zack möglich gewesen, er wäre zurückgegangen. »Noch mehr, Zack. Ich kenne auch denjenigen, der den Weg von Atlantis in unsere Zeit gefunden hat. Und ihn suche ich, den Schwarzen Priester. Die Gestalt mit dem Lichtschwert, die schon einmal einen Toten hinterlassen hat.« »Er wird auch dich killen!« röchelte Zack. »Bist du sicher? Schön, dann ... «
Zack lachte plötzlich. »Nicht schön, Bulle! Gar nichts ist für dich schön. Überhaupt nichts. Dreh dich um!« Der Mann hatte derart schrill gesprochen, dass Suko ihm jedes Wort glaubte. Er zerrte Zack mit. Der stolperte nach vorn. Suko sah, was Zack schon vor ihm erkannt hatte. Auf dem Hof stand der Schwarze Priester. Sein Lichtschwert bildete eine Gerade, die direkt auf Suko zustieß, um ihn in Asche zu verwandeln... *** Es war Zufall, Glück, was auch immer. Jedenfalls wäre Suko selbst nicht schnell genug gewesen, um dem tödlichen Lichtschwert zu entgehen. Unfreiwillig half ihm Zack dabei. Der hatte die Gelegenheit nutzen und sich von Suko wegzerren wollen, war - noch an Suko gebunden - nach vorn gestolpert und ausgerechnet auf die Lichtklinge zu. Suko flog zur Seite, er hatte auch das Kabel losgelassen, und beim Aufprall sah er das Grauenhafte. Wie der dünne Strahl aus einer Lampe hatte das Lichtschwert Zack durchbohrt und war am Rücken wieder hervorgetreten. Zwischen den beiden Stäben aber befand sich der Körper wie festgenagelt. Zack schrie. Es waren keine lauten Schreie, eher verhalten. Urplötzlich brach der Mörder zusammen. Es war kein Körper mehr, der dem Boden entgegensackte, nur noch eine Masse, die sich aus zahlreichen Staubkörnern zusammensetzte. Weder ein Gesicht noch Haare, Arme oder Beine waren zu erkennen. Suko hatte sich blitzschnell zurückgezogen und war in einen Hauseingang getaucht. Er stand in der Nische, peilte um die Kante, erwartete den Angriff des Schwarzen Priesters und hatte seine Peitsche gezogen. Der Kreis war längst geschlagen worden, drei Riemen hingen aus der Öffnung und lagen mit ihren Spitzen auf dem Boden. Kam der Unheimliche? Suko hatte Zeit, ihn genau zu beobachten. Noch erfüllte nur graues Dämmer den großen Innenhof, so dass sich die Gestalt des Mörders sehr deutlich abzeichnete. Hinzu kamen sein Lichtschwert, das ebenfalls ausstrahlte und etwas von dem Schein über seine Gestalt fließen ließ, ohne sie allerdings zu erhellen. Er sah aus, als wäre eine völlig schwarze Masse in eine Kutte mit aufgestellter Kapuze gepresst worden. Es gab keine Geschlechtsmerkmale an ihm, Suko sah weder Augen, einen Mund, noch eine Nase. Diese Gestalt wirkte wie der Spuk, gestaltlos, trotz der Umrisse. Im Krieg der Sterne hätte er auftreten können, ohne aufzufallen, aber nicht in dieser Welt. Was würde er tun?
Suko war bereit, obwohl er vor dem Lichtschwert Furcht hatte. Er konnte es nicht einschätzen und fragte sich, ob es nicht in der Lage war, die Riemen der Peitsche zu durchtrennen. Der schwarze Priester drehte sich, wandte Suko den Rücken zu. Der Inspektor atmete auf, er entspannte sich für einen Moment, um anschließend aus der Nische zu Boden zu hechten, denn der Schwarze Priester schleuderte sein Lichtschwert wie eine Lanze. Diesmal war Suko schnell genug gewesen. Er hatte die berühmte Sekunde vorher reagiert und sich von seinem Instinkt leiten lassen. Das Lichtschwert raste auf ihn zu, aber auch über ihn hinweg und sägte in die Tür. Suko vernahm ein zischendes Geräusch, dann ein Knistern, und einen Moment später schlugen gelbrote Flammen aus dem Holz hervor. Die Tür brannte lichterloh, während der Schwarze Priester wie ein Spuk über den Innenhof glitt und verschwand. Suko rollte sich aus dem unmittelbaren Schein des Feuers. Neben einer Mülltonne kam er in die Höhe. Eigentlich hätten jetzt Menschen aus ihren Wohnungen in Freie strömen müssen, um die Flammen zu löschen. Kein Mensch ließ sich blicken. Die Angst hielt sie zurück. Die Verdammten der Großstadt hatten zur Jagd auf den Fremden geblasen, und ihr Einfluss reichte aus, um die übrigen Bewohner gefügig zu machen. Die Tür brannte aus. Sie hielt nicht mehr, kippte als Glutrest nach vorn in den Innenhof, wo die Holzteile noch einmal in die Höhe stoben, bevor sie endgültig verlöschten. Der Eingang war frei. Suko wusste nicht, wo er die anderen aus der Bande finden konnte. Irgendwo musste er den Anfang machen. Wichtig war ihm auch, dass er Kosmos fand. Sein Versteck, seine Höhle musste das Zentrum sein, von dem aus es einen Weg nach Atlantis gab. Natürlich dachte Suko an den Schwarzen Priester. Der aber hatte sich zurückgezogen. Wie der Inspektor ihn einschätzte, wartete er nur auf eine günstige Gelegenheit, um zuschlagen zu können. Über die Reste der abgebrannten Tür sprang Suko hinweg. Der nächste Sprung brachte ihn ins Haus, wo er sich in einem engen, stinkenden Flur wiederfand. Nach Licht brauchte er nicht zu suchen, da funktionierte bestimmt nichts mehr. Was einmal eine Deckenlampe gewesen war, bestand nur mehr aus Fragmenten. Suko huschte weiter. Wie in einer Röhre kam er sich vor. Die Peitsche hatte er ausgefahren in den Hosenbund geschoben, die Öffnung nach oben. So hingen die Riemen wie gekippte Schlangen hervor. Bei jedem Schritt klatschten sie gegen seine Beine.
Zu hören war nichts, keine Stimme, auch nicht aus einem Radio oder einem Fernseher. Ein Haus der Toten? Vor einer alten Steintreppe blieb Suko stehen. Die eigentliche Haustür befand sich hinter ihm. Sie war kaum zu erkennen. Die Tür würde zur Straße hin führen, aber da wollte Suko nicht hin. Er musste jemand finden, der ihm erklärte, wo sich Kosmos versteckte. Auf Zehenspitzen schlich er die Treppe hoch. Die Lampe schaltete er nicht ein. Es war doch nicht völlig ruhig in dem Haus. Durch die geschlossenen Wohnungstüren drangen mancherlei Geräusche, auch völlig normale, nur waren sie allesamt gedämpft. Ihm kam es vor, als würden sich die Menschen nur in einer bestimmten Lautstärke unterhalten, damit sie auf keinen Fall auffielen. Sämtliche Wohnungstüren in der ersten Etage waren geschlossen. Suko wollte auch niemand stören und kletterte die Treppe hoch bis zum nächsten Stockwerk. Auch hier erlebte er das gleiche Bild. Verschlossene Türen, leise Geräusche aus den Wohnungen -und dann zog jemand eine Tür auf. Dicht neben ihm, er brauchte nur die Hand auszustrecken, um die Klinke zu ergreifen. Licht drang in den Flur. Im Schein stand ein kleines Mädchen. Dunkle Locken, mandelförmig geschnittene Augen, ein Mischlingskind, das Suko groß anschaute. Der Inspektor lächelte, ging in die Knie, hörte hastige Schritte, den Ruf »Lynn, bitte!« Dann erschien die Mutter des Mädchens, eine Weiße mit strohblonden Haaren, dünner Kleidung, mehr Kittel als Bluse, der knapp unter den Oberschenkeln endete. Die Frau erstarrte, als sie Suko sah, denn der hatte die Kleine bereits auf den Arm genommen und betrat mit ihr die Wohnung. Automatisch ging die Mutter zurück. »Leben Sie mit dem Kind allein hier?« Sie nickte nur. Lynn lachte, als Suko sie abstellte. Die Mutter wich bis zu dem alten hölzernen Küchenschrank zurück und klammerte sich dort fest. Sie versteifte sich noch mehr, als Suko unter seine Jacke griff. Wahrscheinlich rechnete sie damit, in die Mündung einer Waffe zu schauen, aber Suko zeigte ihr nur den Ausweis. »Ich ... ich kann nicht lesen.« »Ich bin Polizist«, erklärte Suko, »Scotland Yard. Kennen Sie das?« »Klar.« »Und lesen können Sie nicht?« »Nein, nie gelernt.« Es war ein Problem mit dem Analphabetentum. Nicht nur in den Staaten, wo jetzt eine Kampagne dagegen anlief, auch in London gab es dieses Problem. »Ist das Ihr Kind?« »Ja, Mister. « »Und der Vater?«
»Weg, abgehauen.« Sie verzog den Mund. »War ein Koreaner, hat mich sitzen lassen.« »Wovon leben Sie?« »Mal hier - mal da.« »Strich?« Die Frau nickte. Sie war noch jung. Das Kind hatte sie sicherlich mit sechzehn oder siebzehn Jahren bekommen, aber ihr Gesicht sah trotzdem aus wie das einer alten Frau. Keine gesunde Haut mehr, das Laster hatte sie gezeichnet. Suko lächelte, um eine kleine Brücke des Vertrauens zu schaffen. »Sie wissen vielleicht, weshalb ich hier bin?« »Nein.« Sofort senkte die Frau den Kopf. Für Suko ein Beweis, dass sie log. »Wie heißen Sie?« »Gladys.« »Okay, Gladys, ich weiß, dass Sie mich angelogen haben. Es ist auch nicht weiter tragisch. Ich an Ihrer Stelle hätte es auch getan. Man hat Ihnen also gesagt, dass Sie den Mund halten sollen.« »Wer redet, der stirbt!« hauchte sie. »Waren es die Verdammten?« »Weiß nicht.« »Wo sind sie?« »Weiß nicht.« Gladys stand noch immer am Schrank, den Kopf gesenkt, die Arme jetzt ausgebreitet und damit über die Platte des vorstehenden Unterteils streichend. »Die bösen Männer haben es getan!« Lynn meldete sich. »Sie sind zu uns gekommen.« Gladys hob den Kopf. »Hör auf, geh weg! Leg dich ins Bett, Lynn.« »Nein, lassen Sie die Kleine.« Suko ging in die Knie und fragte Lynn. »Kennst du sie denn?« Lynn nickte. »Da sind viele Männer, Mister, sehr viele. Ich sehe sie immer.« Plötzlich strahlte sie und lächelte mit Mund und Augen. »Manchmal fliegen sie sogar.« »Oh ... «, staunte Suko. »Durch die Luft? So richtig fliegen?« »Klar, Mister.« »Hören Sie nicht auf Lynn. Sie ... sie hat eine große Phantasie, verstehen Sie?« Suko ließ sich durch den Einwand der Mutter nicht beirren. »Sag mal, Lynn, wann fliegen sie denn? Am Morgen oder am Abend oder den ganzen Tag über.« »Oft.« »Kennst du sie?« Lynn lachte. »Du bist dumm, die wohnen doch hier. Die haben sich hier immer versteckt.« Gladys drehte durch. Sie packte den Arm ihrer Tochter und zerrte die Kleine zu sich heran. Lynn fing an zu schreien. »Du tust mir weh, Mummy, du tust mir weh.« Sie drückte das Kind auf ein Bett. Es war groß genug, um beiden Platz zu bieten. Eine zweite Tür gab es nicht. Die beiden wohnten auf einem
Zimmer, die Toiletten befanden sich im Flur jeweils zwischen den einzelnen Etagen. Gladys holte aus. Bevor ihre Hand nach unten fahren, konnte, war Suko bei ihr. Er umschloss ihr Handgelenk. »Ein Kind schlagen, Miss? Ist das der richtige Weg?« Sie fuhr herum, wollte sich losreißen und erbleichte, als sie merkte, dass es nicht möglich war. »Was wissen Sie denn schon davon, verflucht? Von diesem Mistleben in der Enge, zwischen Mördern, Tagedieben und Huren. Das ist hier verdammt, die ganze Ecke ist verdammt, nur ein Loch.« Suko nickte. »Das weiß ich, und es tut mir leid ... « »Gar nichts tut dir leid, Bulle!« schrie sie Suko ins Gesicht. »Dir kann gar nichts leid tun. Du sitzt mit deinem fetten Hintern im Büro und wirst von den Steuern bezahlt. Du kannst dich in unsere Lage nicht hineindenken, du nicht!« Diesem plötzlichen Ausbruch stand der Inspektor recht hilflos gegenüber. Er wusste nicht, was er erwidern sollte, die Frau hätte ihm kein Wort geglaubt. Zu recht, wie er sich selbst eingestand. Er gehörte zwar nicht zu den Millionären, zwischen ihm und den Menschen hier war trotzdem eine große Distanz. Als Gladys weinte, ließ Suko sie los. Sie hockte sich auf die Bettkante nieder, neben ihrer Tochter. Su-ko gab ihr ein reines Taschentuch, damit sie sich die Nase putzen konnte, und die kleine Lynn versuchte, ihre Mutter mit Worten zu trösten. »Nicht weinen, Mummy, nicht schon wieder. Du weinst zu oft in der letzten Zeit.« Suko presste die Lippen hart zusammen. Das soziale Elend ließ seine Galle überkochen. Hier musste einfach etwas getan und keine Kopfsteuer erlassen werden. Gladys schaute auf. Ihre Augen waren verquollen, die Tränen hatten nasse Spuren auf dem Gesicht hinterlassen. »Sorry, Mister, es ist einfach über mich gekommen. Ich stecke seit meiner Kindheit im Dreck. Je älter ich werde, um so tiefer sinke ich ein.« »Es gibt Stellen, an die Sie sich wenden können. Einen anderen Rat weiß ich auch nicht.« Sie gab Laute von sich, die zwischen Lachen und Weinen lagen. »Was meinen Sie, wie oft ich das versucht habe. Aber wissen Sie auch, wie ich da behandelt worden bin? Wie der letzte Mist. Die waren so etwas von blasiert, außerdem kann ich nicht lesen und schreiben.« »Vielleicht sollten Sie da anfangen. Sie sind jung, Gladys. Irgendwie werden Sie die Kurve schon schaffen.« Sie hob die Schultern. »Weiß nicht.«
Plötzlich meldete sich Lynn. »Da, da!« Sie wies zum Fenster. »Da ist gerade einer vorbeigeflogen. Habe ich genau gesehen, Mister. Das stimmt, ehrlich.« Suko lief hin. Er glaubte nicht, dass die Kleine gelogen hatte. Beim Öffnen des Fensters ging er sehr vorsichtig zu Werke. Als Lynn auf ihn zulief, schickte er sie wieder zurück. Unter dem Fenster lag, das sah er erst jetzt, ein schmaler Balkon mit einem ebenso schmalen Gitter. Er war leer, für Suko eine gute Startrampe, sollte es hart auf hart kommen. Von der Gestalt entdeckte er nichts mehr. Die Düsternis innerhalb des Hofes hatte sie verschluckt. Er zerrte das klemmende Fenster auf und hielt sein Gesicht in die kalte Luft. Von draußen drangen keine Geräusche an seine Ohren. Suko schaute bis vor die gegenüberliegende Hauswand, wo jetzt hinter einigen Fensterrechtecken Licht brannte. Menschen zeigten sich nicht. Es kam ihm vor, als hätte jeder Bewohner die Gestalt gesehen, hielt sich aber nun zurück, um nur nichts falsch zu machen. Etwa zehn Sekunden vergingen. Suko durchsuchte den Hof, wo mehr Schatten vorhanden war als Licht. Er sah die dunklen Inseln, forschte nach Bewegungen, ohne jedoch etwas erkennen zu können. Es blieb still ... Er drehte sich um. Lynn stand vor dem Bett, ihre Mutter hockte noch auf der Matratze. »Hast du dich auch nicht getäuscht, Lynn?« »Nein, nein, den habe ich gesehen. Der war wie ein Schatten, und er hing an einem Seil oder so.« »Tatsächlich?« »Ja, Mister. « »Sag mal ... « Suko sprach nicht mehr weiter, denn Lynn versteifte. Damit wusste der Inspektor, dass sich hinter ihm etwas verändert hatte. Blitzschnell warf er sich zur Seite und gleichzeitig herum. Mit den Füßen voran flog ein Mensch in den Raum. Er hielt sich mit beiden Händen an einem Kabel fest. Zwischen seinen Zähnen steckte ein Messer, auf dem Kopf trug er eine Strickmütze. Da er die Beine gespreizt hatte, erwischte er Suko noch an der Schulter und schleuderte ihn zurück, als er hochkommen wollte. Suko ging ihn an. Als der Kerl das Kabel losließ, erwischte ihn der trockene Schlag des Inspektors. Der Mann flog zurück, fing sich aber, öffnete den Mund. Das Messer fiel heraus und genau in die auffangbereite Rechte. Suko trat schneller zu.
Auf dem Brustkasten explodierte der Tritt. Er hob den Messerhelden fast aus den Schuhen. Der Kerl kippte wieder zurück. In einem halben Salto durchstieß er das offene Fenster, landete auf dem Balkon, wo die Brüstung so wenig Halt gab, dass sie sich durch das aufprallende Gewicht nach außen bog. Der Mann fiel. Suko sah, als er nachfassen und den Mann retten wollte, für einen Moment seine hochkant stehenden Schuhe, dann hörte er schon den trockenen Aufschlag unten. Ohne Kabel war er verloren. Der Inspektor sprang auf den Balkon. Er kam kaum dazu, einen Blick in die Tiefe zu werfen, denn über sich hörte er einen dünnen Pfiff, drehte sich zur Seite, schaute hoch und sah etwas niederfallen. Eine Kugel mit vier Haken. Sie erwischte Suko an der Kleidung, riss in Höhe der Schulter einen Schlitz, dann griff er sofort zu, bekam die blanke Kette zwischen die Finger und zerrte daran. Der Schrei hallte über den Hof. Eine Sekunde später kippte der Körper an ihm vorbei, schlug gegen ein Balkongitter unter ihm und hatte Glück, dass er auf dem Vorsprung landete und nicht im Hof. Etwas pendelte an Sukos Augen vorbei. Sofort fasste er zu und hatte eines der Kabel zwischen die Hände bekommen. Was die anderen konnten, würde auch er schaffen. Suko zog sich hoch, hörte über sich, wahrscheinlich vom Dach her, ein rollendes Geräusch, stemmte sich ab und schwang sich auf den nächst höheren Balkon zu, den er auch erreichte, wobei er sich mit den Füßen auf dem Handlauf abstützte. Es war nicht mehr weit bis zum Dachrand. Suko bog den Rücken durch und sprang hoch. Unter ihm knirschte es, aber er bekam die Dachrinne zu fassen, deren Metall hart in seine Handflächen schnitt, ohne ihm Wunden zuzufügen. Die Hand sah er im nächsten Augenblick. Zwischen ihren Fingern glühte etwas hervor. Eine Zigarette. Es war klar, dass sie auf seinen Handrücken ausgedrückt werden sollte, damit er losließ. Suko tat es vorher. Er fiel - und schnappte zu. Das Kabel hing noch in seiner Nähe. Zwar rutschte er ab, scheuerte sich die Handflächen auf, prallte auch gegen die Hauswand, fand jedoch auf einer schmalen Fensterbank Halt und zertrat mit dem rechten Fuß die Scheibe. Wenig später stand Suko in der Wohnung. Das eine Zimmer sah so aus wie das von Mutter und Tochter. Zwei Männer hockten sich gegenüber. Zwischen ihnen stand ein Tisch, auf deren Platte ihre Köpfe gesunken waren. Die drei leeren Flaschen sagten Suko genug. Die Kameraden hatten sich fast bewusstlos getrunken. Jedenfalls schliefen sie, was Suko nur recht sein konnte.
Er war jetzt nicht mehr zu halten. Wenn Suko einmal auf Touren kam, gab es kaum ein Hindernis, das ihn stoppen konnte. Er hetzte in den dunklen Flur. Suko wollte hoch aufs Dach. Mit dem Raucher hatte er noch eine Rechnung offen. Diesmal eilte er die Stufen im Licht seiner Lampe hoch. Rücksicht brauchte er nicht mehr zu nehmen. Wen es anging, der wusste auch, dass ein Fremder wie ein Wolf in die Schafsherde eingefallen war und dort für Unruhe sorgte. Die Treppe endete unter dem Dach, wo ein großes Stück fehlte. Dafür stand unter dem Loch ein Gestell, das Suko an einen Flaschenzug erinnerte. Über mehrere Rollen lief das Seil. Da sie sich bewegten, wusste Suko, dass von der Bande noch Mitglieder unterwegs waren. So vorsichtig wie möglich schob er sich durch die Luke und kletterte auf das Dach. Es gehörte zu den flachen und wies nur eine leichte Schräge zum Hof hin auf. Einer rauchte. Er drehte Suko den Rücken zu, stand in der Nähe des Dachs, schaute mal nach unten oder winkte anderen zu, die Suko nicht sah. Auch mit der Zigarette gab er Zeichen, indem er sie drehte. »Hier bin ich!« sagte Suko. Er hatte gerade so laut gesprochen, dass der Raucher ihn verstehen konnte. Der fuhr herum. Suko wollte ihm eine Lektion erteilen, nicht verletzen, aber der Typ riss plötzlich einen Holzknüppel aus seinem Hosengurt hervor und bewegte seine Waffe so schnell und geschickt wie ein KendoKämpfer. Suko ging ihm entgegen. Er irritierte ihn damit, was der andere nicht unbedingt haben konnte. Er trat den Rückzug an. Schwungvoll und praktisch aus dem Handgelenk schleuderte er Suko den Knüppel entgegen. Der Inspektor wich nur mühsam aus. Er spürte sogar den Luftzug. Der Werfer aber sprang über den Dachrand hinweg. Seine Zigarette schleuderte er im hohen Bogen weg. Er selbst verschwand über der Dachkante, und Suko schaute auf ein schwarzes Kabel, das über den Boden schleifte und sich dann spannte, als der daran hängende Mann sein Ziel erreicht hatte. Er war bis zum Dachrand vorgelaufen. Der Abspringer hatte den Boden nicht ganz erreicht, er pendelte darüber hinweg, dann gab das Kabel noch einmal nach, und er konnte seine Schritte auf den Hof setzen, wo er nach einigen Yards stehen blieb, zurückschaute, Suko drohte, das Seil vom Gurt löste und wegrannte. Bisher hatte der Inspektor immer nur ins Leere gegriffen, was das Auffinden des Verstecks anging. Dieser Kosmos hielt sich irgendwo in diesem Wirrwarr verborgen, möglicherweise zusammen mit einem oder mehreren Schwarzen Priestern, die den Verdammten der Großstadt die Kraft gaben, zu überleben.
Suko sah sich allein auf dem Hausdach. So musste er auch allein das Hauptquartier suchen. Entweder blieb er auf den Dächern oder bewegte sich über den Hof. Eines hatten sie gemeinsam. Es waren Flachdächer, zwar unterschiedlich hoch, aber alle zu überwinden. Suko lief geduckt los. In der Dunkelheit war er von einem Mitglied der Bande kaum zu unterscheiden. Über ihm lag der Nachthimmel, ein dunkles Gebilde mit dicken, grauen Wolken, aus dem der Wind böig pfiff und auch über die Dächer der Häuser wehte. Suko lief dem Wind entgegen, stemmte sich dagegen an, hatte das Dach bald hinter sich gelassen und musste eine Einfahrt überspringen, was ihm mühelos gelang. Das nächste Dach lag etwas tiefer. Keine Spur von den Schatten der Nacht. Dafür grüßte von der linken Seite her eine helle, farbenfrohe Leuchtreklame. Sie war im gleichen Augenblick aufgezuckt, vielleicht ein Relikt aus besseren Zeiten, noch an das Stromnetz angeschlossen, und warb für Alkohol. Sie stand auf dem Dach, bildete einen rechten Winkel. Der Oberkörper und Kopf eines dicken Mannes war zu sehen und ein gut gefülltes Bierglas, das er hochhob. Das Gesicht schimmerte grün, das Bierglas war gefüllt mit gelben Röhren, die den Inhalt markierten. Aus dem Mund drangen in gleichförmigen Intervallen rote Sprechblasen. Der Text wies darauf hin, wie gut es dem Mann schmeckte. Die Reklame warf ihr Licht auch auf das Dach. Suko huschte schnell an ihr vorbei, um wieder in die schützende Dunkelheit zu gelangen. Die Reklame blieb zurück. Wer immer sie auch eingeschaltet haben mochte, seinen Zweck hatte er damit nicht erreicht, Suko war wieder einmal schneller gewesen. Aber wohin? Nach dem dritten Dach blieb er stehen. Die anderen hatten sich bisher nicht gezeigt. Sie schienen auf ihn zu lauem, warteten darauf, dass er in eine Falle lief. Suko ging vor bis zum Rand. Er schaute nach unten. Im Innenhof bewegte sich nichts. Nur stand er jetzt an einer anderen Stelle und sah gegenüber, wo ebenfalls die Häuser dicht an dicht standen, eine Galerie. Drei Stockwerke besaß das Haus, und es enthielt drei Galerien, für jede Etage eine. Suko war ziemlich weit entfernt. Auf seine Augen konnte er sich verlassen und auch darauf, dass ihm diese kein Trugbild vorgaukelten, denn auf der untersten Galerie bewegte sich etwas. Waren es die Umrisse der Bandenmitglieder?
Die Distanz war einfach zu groß, um eine genaue, Angabe machen zu können. Wenn Suko etwas in Erfahrung bringen wollte, musste er hinunter, und er machte es wie die Verdammten der Großstadt. Sie hatten überall ihre Hilfsmittel hinterlassen. Über manche Dachränder hinweg schwebten die Balken mit den Rollen, über die Kabel liefen. Da Suko keinen Spezialgürtel besaß, an dem ein Kabel hätte Halt finden können, musste er sich auf die Art verlassen, die auch Tarzan benutzte, als er sich durch den Urwald schwang. Er nahm das Kabel, wickelte es um seine Handgelenke, vertraute auf Gott und die Rolle, bevor er sich über den Dachrand schwang und dem Innenhof entgegenpendelte. Die Länge des Seils war genau berechnet und eine Stoppraste eingebaut. Bevor Suko auf den Boden schlagen konnte, rastete der Halter ein, und der Inspektor schwebte über dem Grund. Er erlebte das gleiche wie der Flüchtling, den er beobachtet hatte. Nach wenigen Sekunden gab der Stopper noch einmal nach, so dass Suko bequem und sicher landen konnte. Geschafft! Neben ihm klatschte das Kabel zu Boden. Er rechnete, damit, dass er beobachtet worden war und bekam gleich darauf die Bestätigung, denn von der unteren Galerie her hallte ihm eine laute Stimme entgegen. »Chinese, bleib, wo du bist, denn wir wollen dir etwas zeigen! In deinem Interesse, rühre dich nicht!« »Okay, was ist es?« »Warte noch ein paar Sekunden!« Suko blieb geduckt stehen wie jemand, der auf dem Sprung ist. Er bewegte sich außerdem und schaute um sich, denn er wollte keinesfalls eine böse Überraschung erleben. Suko war sensibel genug, um zu merken, dass sich die Atmosphäre verdichtet hatte. Er spürte genau, dass in seiner Nähe etwas Böses, Fürchterliches lauerte und er dem Ziel sehr nahe war. Die Stimme hatte ihm gar nicht gefallen. In ihr hatte ihm ein zu großer Triumph mitgeschwungen. Lange brauchte er nicht zu warten. Auf der unteren Galerie verschwand die Dunkelheit wie weggedampft. Feuer fauchte auf. Suko sah sich mit dem flackernden Schein der Flammen konfrontiert. Sie mussten aus irgendwelchen Gefäßen hochsteigen, schufen ein unheimliches, zuckendes Muster aus Schwarz, Rot und Gelb, wurden vom Wind bewegt und warfen ihren tanzenden Widerschein in den Innenhof, der ebenfalls dadurch eine gespenstische, Beleuchtung bekam. Zwischen den hellen Inseln standen die Gestalten. Suko zählte sie nicht, es waren mehr als ein halbes Dutzend. Jeder trug dunkle Kleidung und
hatte ebenfalls das Gesicht schwarz gefärbt. Das einzige Helle waren die Augen, über die ebenfalls der feurige Widerschein flatterhaft tanzte, die Gesichter veränderte, so dass sie fürchterlichen Masken glichen. »War es das?« rief Suko hinüber. »Noch nicht, Chinese!« Suko hatte nicht herausfinden können, wer die Antwort gab, er musste noch abwarten, ob sie ihn nur leimen oder Zeit gewinnen wollten oder ob tatsächlich etwas passierte. Und es passierte etwas! Etwa in der Mitte der Galerie öffnete sich eine Tür. Das Rechteck blieb, Suko stellte auch fest, dass es erleuchtet war, wobei in dieses Licht ein Schatten trat. Nein, nicht einer - zwei waren es! Der vordere war kleiner als der hintere. Beide standen dicht zusammen, ihre Haltungen gefielen dem Inspektor nicht, besonders bei der ersten Person wirkte sie sehr ungewöhnlich. Da war einiges nicht okay ... Die erste Person wurde vorangeschoben. Sie taumelte etwas, bewegte den Kopf auch unnatürlich, und Suko glaubte, einen leisen Schrei gehört zu haben. Wenn, dann stammte er von einer Frau, die jetzt in das Licht der zahlreichen Feuer hineingedrückt wurde. Suko erkannte sie deutlich und schluckte nur mühsam seinen Ärger hinunter. Ein besseres Pfand hätten sich die Verfluchten der Großstadt nicht aussuchen können. Es war Lulu, das Freudenmädchen! Der Mann hinter ihr schrie und lachte zugleich. »Bisher war es Spaß, Chinese! Jetzt wird es ernst!« »Tote sind bei mir kein Spaß!« rief Suko zurück. Der Sprecher ging darauf nicht ein. Er ging hinter Lulu. Es fiel Suko auch schwer, ihn zu erkennen. Er glaubte aber, einen Menschen vor sich zu sehen, der hellblondes, beinahe schon weißes Haar besaß, durch den Widerschein eben nur rötlich angestrahlt. »Siehst du sie, Bulle? Siehst du die Kleine? Siehst du das Nüttchen?« »Lass sie frei!« Der Sprecher lachte wieder. »Freilassen?« Er wandte sich an seine Kumpane auf der Galerie. »Soll ich sie tatsächlich freilassen? Was sagt ihr dazu?« »Nein, Kosmos!« Jeder antwortete, doch es hörte sich an, als hätte nur einer von ihnen gesprochen. Sie waren bereits dermaßen streng gleichgeschaltet worden, und Suko konnte nur den Kopf schütteln. Natürlich würde ihnen Lulu einiges erzählt haben. Es führte einfach kein Weg daran vorbei. Die Methoden der Kerle gehörten bestimmt nicht in den Kindergarten, und auch jetzt zerrte Kosmos am Kabel, so dass Lulus Kopf in ruckartige Bewegungen geriet. Sie hob gleichzeitig ihre Arme
und fasste sich an den Hals. Erst jetzt sah Suko, dass auch sie gefesselt waren. Man hatte eine Kette zwischen ihre Gelenke gespannt. Suko hatte sich ein Treffen mit Kosmos so nicht vorgestellt, und er überlegte, welche Chancen er noch besaß. Aus der Entfernung wenige, er musste näher an den Chef herankommen und alles versuchen. »Sie wird sterben, Bulle!« schrie Kosmos über den Hof. Es machte ihm nichts aus, dass die hier lebenden Menschen seine Sätze ebenfalls hörten. Er war sich seiner Sache einfach zu sicher. »Ich brauche nur das Kabel enger zu ziehen, dann ist es vorbei. Verstehst du?« »Warum soll sie sterben?« rief Suko zurück. »Sie hat dir nichts getan, verdammt!« »Das Nüttchen hat mich verraten!« »Hat Lulu nicht!« Kosmos regte sich auf. »Hör auf, Bullensau. Hör bloß auf! Du machst mir meine Welt nicht kaputt. Ich finde es toll, dass du mich kennen lernen wolltest. Okay, hier bin ich, jetzt hast du mich kennen gelernt. Aber du wirst mich auch richtig kennen lernen, wenn du herkommst, nur wirst du zuvor deine Kanone wegwerfen, klar?« »Ja.« »Dann mach schon! Los, mach schon, verdammt!« Suko wusste nicht, weshalb der Mann so nervös war. Er jedenfalls handelte gelassen und überlegt. Nicht übermäßig schnell verschwand seine Hand unter der Lederjacke. Damit Kosmos es auch sehen konnte, lupfte er die Beretta vorsichtig hervor, hielt sie sichtbar hoch und schleuderte sie dann in das Dunkel des Innenhofs. »Zufrieden?« »Hast du noch eine zweite Kanone?« »Nein!« Kosmos atmete hörbar laut. »Sollte ich noch eine bei dir finden, machen wir dich fertig.« »Du kannst mich untersuchen, Kosmos. Ein außergewöhnlicher Name. Steht der auch im Taufregister?« Der Inspektor hatte ihn mit dieser Frage überrascht. »Was soll der Mist, Mann?« »War nur eine Frage.« Kosmos lachte geifernd. »Kann mir vorstellen, dass du dich über den Namen wunderst. Das ist mir aber so verdammt egal, kann ich dir sagen. Der Name ist etwas Besonderes, und ich bin es auch, wenn du verstehst, Bulle.« »Natürlich.« »Kosmos ist allumfassend. Das Eastend hier, verstehst du, das ist für mich das All. Hier regiere ich, hier bin ich der Kosmos, dem alle gehorchen müssen.« »Und Atlantis?« Der Anführer schwieg. »Du weißt viel«, meinte er nach einer Weile des Nachdenkens.
»Ja, ich kenne auch die Schwarzen Priester. Kannst du dir vorstellen, Kosmos, dass ich nicht der einzige bin, der dieses Wissen besitzt? Denke mal darüber nach. Wenn du das schaffst und du realistisch genug bist, wirst du die Welt bald mit anderen Augen sehen. Ich meine damit deine Welt, in der du steckst.« Kosmos gab die adäquate Antwort. »Es haben schon viele Bullen versucht, mich einzuschüchtern. Du bist nicht der erste, Chinese, und es interessiert mich einen Dreck. Jetzt komm her. Schön langsam, denn du sollst mich noch besser kennen lernen.« Suko wollte die Lage nicht verschärfen. Ohne dass es ihm gesagt worden wäre, spreizte er die Arme ab und ging auf die Galerie zu. Die Verdammten der Großstadt herrschten tatsächlich hier im Viertel. Ihr Auftritt hatte alle anderen Bewohner in den Häusern und Wohnungen gelassen. Es traute sich niemand an ein Fenster. Kosmos und seine Leute hatten alles im Griff. Suko überkam der Eindruck, auf eine Bühne zuzugehen. So und nicht anders wirkte die von verschiedenen Feuern beleuchtete Galerie, auf der die Akteure wie Puppen standen und auf das Zeichen eines Regisseurs warteten, um eingreifen zu können. Suko konzentrierte sich auf Lulus Gesicht. Schon bald konnte er erkennen, dass sie geschlagen worden war. Die Schrammen auf der Haut waren einfach nicht' zu übersehen. In ihren Augen tanzte der Fackelschein. Auch er schaffte es nicht, den ängstlichen Ausdruck zu entfernen. Hinzu kam das verdammte Kabel. Es lag wie der hart zusammengerollte Körper einer schwarzen Schlange um ihren hellen Hals. »Sie wollte fliehen, Bulle, aber wir waren schneller, viel schneller. Da haben wir sie gestoppt.« Kosmos lachte. Suko verzog keine Miene. Inzwischen war er so nahe an den Anführer herangekommen, dass er ihn erkennen konnte und zugeben musste, von einem ersten Eindruck nicht enttäuscht zu sein. Kosmos besaß tatsächlich lange, fast weißblonde, Haare, die seinen Kopf umflatterten und bis über die Schultern reichten. Er hatte ein scharfgeschnittenes Gesicht mit einem verwegenen Ausdruck. Wie er aussah, hätte er auch in einem Film mitspielen können, als der kalte Bösewicht. Ein schwarzes Band hielt die Haare über der Stirn zusammen, und er trug helle Kleidung, eine enge Hose, eine enge Jacke, wobei für Suko nicht erkennbar war, ob es sich um Leder handelte. Irgendwelchen Schmuck hatte er nicht angelegt, dieser Mann wirkte auch so. Suko musste zugeben, dass er eine Aura besaß, die auf bestimmte Menschen sicherlich nicht ohne Wirkung blieb. Vor der Galerie blieb er stehen. Die Hitze der Feuer streifte ihn, als wollte sie sein Gesicht zum Glühen bringen. Suko wartete auf den
entsprechenden Befehl, sah das Nicken des Anführers und nahm dies als Aufforderung hin. Er kletterte hoch. Augenblicklich bewegten sich die anderen Typen. Sie rahmten ihn sofort ein. Als Suko auf der Galerie stand, sah er auch, dass es Pech war, das brannte. Es klebte an langen Holzstäben, die in mit Sand gefüllten Fässern standen. Lulu wollte etwas sagen, doch das Mädchen bekam den Mund nicht auf. Suko lächelte sie an, als er leise sagte: »Keine Sorge, es wird schon alles gut enden.« »Bullengerede«, sagte Kosmos, »reines Bullengerede.« Dann wandte er sich an einen seiner Freunde. »Schau mal nach, was der Chink in seinem Gürtel stecken hat.« Die Peitsche wurde Suko herausgerissen. Ein jeder bekam wohl große Augen, weil sich niemand einen Reim darauf machen konnte. »Was ist das?« »Eine Peitsche!« »Und?« Suko hob die Schultern. »Ich brauche sie manchmal. Das ist alles.« Kosmos kicherte. »Ein kleiner Perverser, wie?« »Sind wir das nicht alle?« Kosmos schüttelte den Kopf. »Geh«, befahl er, »geh an mir vorbei durch die Tür. Ich bin heute sehr guter Laune und werde dir alles zeigen. Du sollst unser kleines Geheimnis erfahren. Du sollst sehen, wie stark wir sind und welche Helfer wir besitzen, das kann ich dir versprechen!« Suko bekam keine Chance zur Flucht. Die dunkel gekleideten jungen Typen blieben dicht bei ihm, und sie waren bewaffnet, allerdings nicht mit Pistolen oder Revolvern. Der Inspektor entdeckte mehr archaische Waffen bei ihnen. Messer, Knüppel, die mit Widerhaken bestückt waren, auch gefährliche Ketten. Das alles gehörte dazu. Er roch sie auch. Sie sonderten einen Geruch ab, der ihm überhaupt nicht gefiel. Nach Schweiß, nach Asche, Schmutz, und alles zusammen stank nach Verfall. Die Türschwelle stand einige Zentimeter hoch, und Suko stolperte über sie hinweg in eine Wohnung hinein, die er in diesem Viertel nicht vermutet hätte. Allein von der Größe her wunderte er sich, denn sie bestand fast nur aus einem Raum. Man musste Wände eingeschlagen haben, um aus mehreren Zimmern eines zu machen. Und der Raum reichte aus, um als Hauptquartier der Verdammten zu gelten. Seine Wände waren mit dunklen Tüchern bespannt, wobei der Samt schillerte, wenn er bewegt wurde und Falten warf. Auf dem Samt war eine stilisierte Sonne zu sehen. Sie nahm die gesamte Frontseite des Raumes ein.
An der Decke, und zwar dort, wo sich Wand und Decke trafen, liefen Schienen entlang, an denen kleine Scheinwerfer befestigt waren. Spotlights, die ihre Lichtbalken von verschiedenen Seiten her schräg in die Tiefe schickten, aber den Boden nicht berührten, über ihn hinwegglitten und Kreise auf die anderen schwarzen Tücher an den Wänden malten. Hände drückten gegen Sukos Rücken und stießen ihn tiefer in den Raum hinein. Etwa in der Mitte packten ihn harte Finger an den Schultern, hielten ihn zurück, dann merkte er, wie kalter Stahl seinen Nacken berührte, und eine heiser klingende Stimme erklärte ihm, was der Mann in der Hand hielt. »Es ist eine Axt, Bulle, eine kleine, handliche Axt. Aber verdammt scharf geschliffen! Ich will dir nur sagen, dass Zack ein Freund von mir war.« »Ich habe ihn nicht getötet!« »Rede keinen Scheiß. Du hast dabei mitgeholfen, dass er umkam. Das weiß ich genau.« »Es war euer Götze, der Schwarze Priester!« »Was hat der Schwarze Priester getan?« fragte Kosmos, der Sukos letzten Satz gehört hatte. Der Mann mit dem Beil erklärte es ihm. »Er hat recht, Jorge, er hat völlig recht. Zack ist durch den Schwarzen Priester gestorben, das aber hat er allein seiner eigenen Dummheit zu verdanken.« »Er ist trotzdem schuld.« »Nimm das Beil weg, Jorge. Er kann uns nicht entkommen.« Kosmos hatte Sukos Peitsche an sich genommen. In der anderen Hand hielt er noch immer das Ende des Kabels, dessen andere Seite um Lulus Hals strangulierend eng lag. »Mir gefällt die Peitsche nicht, Chinese. Das ist keine gewöhnliche.« »Siehst du etwas Außergewöhnliches daran? Sie besitzt drei Riemen und einen Griff.« »Ja, das sehe ich.« Kosmos ließ die Riemen durch seine Handfläche gleiten und fühlte noch nach. »Das ist kein Leder, Bulle. Nein, das ist kein Leder!« Suko hob die Schultern. »Was sollte es sonst sein, Papier etwa?« »Fühlt sich an wie Haut!« flüsterte der Mann. »Ja, Menschenhaut!« Kosmos wurde sauer. »Rede nicht so einen Mist, Bulle. Verarschen kann ich mich allein.« Er zerrte am Kabel, und das Mädchen gab einen röchelnden Laut ab. »Weißt du, was es ist, Süße?« »Nein, nein. Ich kenne die Peitsche nicht. Ich ... ich weiß überhaupt nichts.« »Mal schauen.« Kosmos drehte sich um. »Nimm die Axt weg, Jorge, und dafür das Kabel. Aber lass es nicht locker, klar.« »Darauf kannst du dich verlassen.«
Kosmos hatte die Hand frei. Die Peitsche behielt er, wechselte sie in die Rechte. Dann baute er sich vor Suko auf, ließ die Riemen wippen. Die beiden starrten sich an. Suko erkannte den Glanz in Kosmos' Augen, der ihm überhaupt nicht gefiel. Seine Pupillen sahen aus, als hätte jemand Eis über sie gelegt. Sie besaßen den Glanz eines Fanatikers, was immer schlecht war. »Woher hast du die Peitsche?« »Sie wurde mir geschenkt.« »Von wem?« »Du wirst ihn nicht kennen.« Kosmos schlug zu. Allein seiner Handbewegung war anzumerken, dass er mit einer Peitsche umgehen konnte. Die Riemen fächerten vor Sukos Gesicht auseinander. Zwei trafen seine Schultern, der mittlere erwischte ihn mitten im Gesicht. Wäre Suko ein Dämon gewesen, wäre es jetzt mit ihm vorbei, so aber blieb er stehen, spürte den scharfen Schmerz auf der Haut, verzog aber keine Miene, was Kosmos wiederum ärgerte. »Ein harter Bulle, wie? Vor mir steht ein harter Bulle.« Er lachte und ließ seine Handfläche auf Sukos Wange klatschen. »Aber dich bekommen wir weich, keine Sorge.« »Ich wollte mich über andere Dinge mit dir unterhalten«, erklärte der Inspektor. »Ach ja? Was denn?« »Über den Schwarzen Priester und Atlantis. Ich finde, beide sind ein Thema wert.« »Warum?« »Vielleicht kenne ich etwas davon.« »Die Schwarzen Priester kenne nur ich.« Suko lächelte. »Du solltest nicht so überheblich sein. Ich weiß zum Beispiel, dass sie sich auch in Kraken verwandeln können. Ich habe einen Schwarzen Priester hier gesehen und kann mir gut vorstellen, dass er jetzt zu einem Kraken geworden ist.« »Und wo soll er dann sein?« »Im Innenhof!« Kosmos blickte Suko an, »Ganz schön schlau, Bulle, wirklich. Du weißt tatsächlich etwas. Deshalb stellst du auch eine große Gefahr für uns dar. Wir wollen zum Beispiel nicht, dass einiges zu früh ans Licht kommt. Danke für deinen Tipp. So brauchen wir immer weniger Gewissensbisse zu haben, wenn wir dich killen.« »Damit habe ich gerechnet, bekanntlich sind viele Hunde des Hasen Tod. Es ist zwar alt, aber ich möchte dich trotzdem bitten, mir zu erklären, wie ihr auf Atlantis und den Schwarzen Priester gekommen seid. Das ist schließlich mehr als ungewöhnlich.« »Da sagst du was, Bulle, aber manchmal hat man Glück im Leben. Schau mich an.« »Das mache ich die ganze Zeit über.« »Rede nicht. Bin ich ein schöner Mensch? Bin ich ein Frauentyp? Bin ich außergewöhnlich? Bin ich anders als die andern? Bin ich größer als sie?
Habe ich mehr Kraft als sie? Oder liegt es bereits an meinen Haaren, die diese Farbe besitzen und nicht gefärbt sind.« »Ich habe keine Ahnung.« Kosmos plusterte sich förmlich auf. »Du musst davon ausgehen, Bulle, dass ich tatsächlich etwas Besonderes bin. Ich bin ein Mensch und fühle mich zu Höherem berufen, denn mein Geburtsort liegt nicht auf dieser Welt oder vielleicht doch. Ich fühle mich eher einem anderen Volk zugehörig, wenn du verstehst.« »Den Atlantern!« Die Überraschung war nicht gespielt. »Gut, Bulle, wunderbar. Sogar hervorragend.« Seine Augen glänzten noch stärker. »Das ist einmalig, ich kann dich nur bewundern.« Er lachte laut. »Ich fühlte mich immer anders als die übrigen Menschen. Ich war schon von klein auf etwas Besonderes. Ich bin derjenige, in dessen Adern das alte Blut fließt, denn ich bin - und jetzt höre genau zu - geboren in Atlantis, Bulle! Ja, ich bin geboren in Atlantis!« »Tatsächlich?« Suko blieb gelassen, obgleich ihn dieses Geständnis innerlich aufgewühlt hatte. »Glaubst du mir nicht?« »Es ist schwer. Wer sind deine Eltern?« »Tot, sie sind tot, Bulle!« »Nun ja, du musst ... « »Rede keinen Unsinn.« Kosmos winkte scharf ab. »Natürlich bin ich hier zur Welt gekommen, aber meine wahre Geburtsstätte ist eben Atlantis. Hast du gehört? Es ist Atlantis. Dort habe ich schon einmal gelebt. Hier bin ich nur wiedergeboren worden, so einfach ist das.« »Kannst du dich erinnern?« Kosmos schüttelte den Kopf, er gab sich erstaunt, als hätte er die Frage nicht richtig begriffen. »Du ... du zeigst dich nicht überrascht. Wie kommt das?« »Vielleicht kenne ich mich aus.« »Ach ja.« »Sicher. Ich möchte dich fragen, als was du damals in Atlantis gelebt hast? Nein, noch besser, lass mich raten. Bist du ein Schwarzer Priester gewesen?« Kosmos trat einen kleinen Schritt zurück. Sein scharf geschnittenes Gesicht zeigte ein Lächeln. »Fast - ich hatte mit ihnen zu tun. In mir fließt das Blut einer uralten Rasse, und es ließ sich nicht mehr zurückdrängen, verstehst du?« »Ich weiß.« »Sag nur nicht, dass du auch ... « Suko hob die Schultern. »Geboren in Atlantis bin ich beileibe nicht, nein. Aber ich kann nicht ausschließen, dass ich schon einmal gelebt habe, weißt du?«
»Ja, das kann niemand ausschließen. Auch ich habe mir Gedanken über gewisse Dinge gemacht. Aber nicht nur Gedanken. Ich habe sie auch in die Tat umgesetzt, verstehst du?« »Möglich.« »Nicht nur möglich, Bulle.« Der Mann erregte sich immer mehr. »Ich habe den Weg gefunden, den Weg zurück. Ich kann mit Atlantis Kontakt aufnehmen, denn ich hörte die innere Stimme, die mir riet, nach einem bestimmten Gegenstand zu suchen. Soll ich dir etwas über transzendentale Tore erklären? Soll ich dir sagen, was das alles ist? Wie du diese Tore finden und öffnen kannst? Wie du dann hingehst, um die Zeiten und die Grenzen zu überwinden? Soll ich dir das alles erklären, Bulle, damit du es begreifst?« »Das brauchst du nicht. Ich weiß auch so Bescheid. Es ist mir nicht neu!« Wieder hatte Suko sehr gelassen gesprochen, als wäre dieses Thema für ihn etwas völlig Normales. Das packte Kosmos nicht so recht, er begriff es einfach nicht. »Wer bist du, verdammt?« »Ein Chinese, ein Polizist, das müsstest du wissen, Kosmos. Wirklich, ich habe dich ... « Kosmos unterbrach Suko. »Nein, du hast nicht. Du hast mir, verdammt noch mal, nicht die ganze Wahrheit gesagt. Ich habe eher den Eindruck, dass du mir etwas verschwiegen hast. Ich kenne die Bullen, ich kenne sogar viele Bullen, aber keiner ist wie du, hast du gehört? Kein Bulle ist wie du, Chink!« Suko lächelte schmal. »In jedem Beruf gibt es besondere Leute, das müsstest du wissen.« »Klar, weiß ich. Aber du bist mehr als ein besonderer Mann. Das ist kein Kompliment, das ist eine Feststellung. Ich kann dich nicht einordnen, du weißt verdammt viel.« »Ohne ein Atlanter zu sein.« »Kennst du noch welche?« »Sicher.« »Wen?« »Kara, die Schöne aus dem Totenreich, die Tochter des Delios, und Myxin, den Magier.« Kosmos schrak zusammen, als hätte ihm jemand einen Schlag in den Rücken versetzt. »Wiederhole die Namen«, keuchte er und machte den Eindruck, als wollte er Suko im nächsten Moment an die Kehle springen. »Los, verdammt, wiederhole sie.« Suko tat ihm den Gefallen und sah, wie Kosmos nickte, als wollte er sich selbst bestätigen. »Kannst du damit etwas anfangen?« Er strich über sein Gesicht. So wischte man einen unsichtbaren Vorhang weg. »Ja, ja, ich glaube. Verdammt noch mal, ich glaube, sie schon gehört zu haben. Es ist alles weit weg, zu weit.«
»Wenn du zum Beispiel als Schwarzer Priester existiert hast, ist es möglich.« »Delios!« formte er das Wort. »Delios, ein Feind, Kara, seine Tochter.« Er sprach jetzt mehr zu sich selbst. »So wie Myxin, zum Henker. Aber Myxin ist ... « »Nein, Myxin war!« »Wieso?« »Er hat die Seite gewechselt. Er wollte nicht mehr den Kräften des Bösen dienen. Er sah einfach ein, dass diese Seite nicht gut war, denn dort halten sich die Verlierer auf.« Kosmos holte tief Luft, bevor er schrie: »Sieht so ein Verlierer aus, Bulle? Schau mich an! Ich bin kein Verlierer! Ich gehöre zu den Gewinnern! Ich habe mich wieder an mein Leben in Atlantis erinnert, und ich habe den Schwarzen Priester in diese moderne und beschissene Welt hineingeholt. Begriffen?« »Natürlich.« »Also, Bulle. Ich bin kein Verlierer, sondern der Gewinner. Ich bin derjenige, der alles durchzieht. Ich habe die ganz große Chance bekommen, die ich nutzen werde. Da kannst du sagen, was du willst, denn ich bin Herrscher in einem großen Reich.« »Wie hast du ihn geholt?« wollte Suko wissen. »Wie schafft man es, einen Schwarzen Priester in die Welt zu holen?« Er breitete die Arme aus und lachte. »Für diejenigen, in dessen Adern das Blut der alten Rasse fließt, ist es ganz leicht. Ich will nicht sagen, dass es ein Kinderspiel ist, aber ich habe mich auch nicht allzu sehr anstrengen müssen. Ich brauchte nur meinen sicheren Instinkten nachzueilen, und alles war klar.« »Verstehe.« »Willst du den Beweis sehen, bevor ich dich vernichte?« »Natürlich!« Er lachte laut. Plötzlich benahm er sich wieder wie früher. Er war der große Star, der Held, er war derjenige, der alles in die Reihe brachte, dem die anderen gehorchten, der Gleichgesinnte um sich versammelt hatte, der die Verdammten der Großstadt führte und in diesem Viertel herrschte. Es musste für ihn leicht gewesen sein, all die Enttäuschten um sich zu versammeln, die Menschen, die dem Leben nichts mehr abgewinnen konnten, die verloren hatten und niemals eine richtige Chance bekommen würden. Eine einfache Beute für einen Rattenfänger wie Kosmos, der zudem noch mit Dingen spekulierte, die im Verborgenen lagen, so etwas wie Weisheit waren, eingepackt in Mystik und alte Mythologien. Viele, die keine Perspektive sahen, sprangen auf diese und ähnliche Dinge an. Suko drehte den Kopf. Er wusste, dass er sich bald entscheiden musste. Gehört hatte er jetzt einiges, sein Ziel war zum Greifen nahe, er brauchte
nur noch zuzugreifen, aber es passte ihm nicht, dass er nicht die Fäden ziehen konnte. Das taten andere für ihn. Die Mitglieder dieses ungewöhnlichen Clubs hatten sich hinter ihm versammelt. Sie standen dort als Wall, Schulter an Schulter, sich gegenseitig berührend. Eine gemeinsame, geschlossene Front gegen Suko, die auf ein Zeichen hin sich auflösen würde, um den Befehlen ihres Gurus zu folgen. Kosmos war zurückgewichen. Er bewegte sich mit tänzelnden Schritten. Sein Gesicht zeigte eine Mischung aus Lächeln und Anspannung, und die Pupillen glänzten wie kleine Eisfelder. Neben dem großen Vorhang, auf dessen Schwarz sich das stilisierte Bild der Sonne besonders deutlich abhob, blieb er stehen, streckte seinen Arm aus, fasste in den Samt und sorgte dafür, dass sich eine Falte zwischen seine Finger klemmte. »Jetzt gib acht, Bulle! Ich habe lange gesucht, ich habe es gefunden. Mein Blut wies mir den Weg!« Mit einem Ruck zerrte er den Vorhang zur Seite. Die Wand erschien, aber es sah nur so aus. Es war keine Wand, dafür ein matt glänzender, großer Spiegel, der sich aus mehreren Teilen zusammensetzte und das Bild der Davorstehenden nicht wider gab. Dafür ein anderes. Er zeigte eine Szene, die aus einem Fantasy-Film hätte stammen können. Sechs Personen spielten Hauptrollen. Vier Schwarze Priester auf der einen Seite, auf der anderen eine Frau und ein Mann. Kara und John Sinclair! *** Sie standen da, wir standen da, und alles um uns herum schien aus Frost zu bestehen, der eiskalt durch die Kleidung drang und sich auf meine Haut legte. Ich wusste nicht genau, wie Kara fühlte, aber ihr musste es ähnlich ergehen, denn ich hörte sie leise atmen, und ihre rechte Hand lag auf dem Griff des Schwertes, als wäre sie mit diesem Gegenstand verwachsen. Sie war bereit, die Waffe gegen die vier Schwarzen Priester zu ziehen. Aber sollten wir tatsächlich kämpfen? Ich wusste, welche Schwierigkeiten Kara schon mit einem der Schwarzen Priester gehabt hatte. Seit ihrem ersten Kampf war viel Zeit vergangen, Kara war besser geworden, in zahlreichen Kämpfen hatte sie sich die nötige Erfahrung geholt, doch die Schwarzen Priester waren zu viert. In der Überzahl. Außerdem beherrschten sie dieses Stück Atlantis. Es stand unter ihrer Kontrolle, zugleich aber unter der Oberaufsicht des Schwarzen Tods, der es bestimmt nicht zulassen würde, dass die Schwarzen Priester vernichtet wurden.
Es geschah nichts zwischen uns. Die Luft stand wie Blei, das Atmen fiel mir schwer, und ich hätte diese Gestalten gern angesprochen, nur musste ich davon ausgehen, keine Antwort von ihnen zu bekommen. Es waren keine Menschen, für mich waren es nicht einmal Dämonen, sondern Existenzen, die man als Schattenwesen bezeichnen musste und die in das Reich des Spuks gehörten. »Ich werde mit ihnen reden!« hörte ich Kara flüstern. »Wie?« Da lächelte sie und flüsterte: »Lass mich das mal machen, John, ich schaffe es.« »Noch mal! Wie?« »Telepathie, John. Ich schaffe es, mit meinen gedanklichen Fragen in ihre Aura einzudringen. Alles andere wird sich dann von selbst ergeben.« »Das hoffe ich auch.« Ich schaute mir die Schwarzen Priester noch einmal genau an. Einen stofflichen Körper konnte ich bei ihnen tatsächlich nicht entdecken, sie wirkten auf mich wie ein gezeichnetes Gebilde, wobei der Zeichner einfach nur eine Kutte mit einer hochgestellten Kapuze ausgefüllt hatte. In diesem Fall fühlte ich mich wie ein Statist, der den Schauspielern die Initiative überlassen musste. Kara bewegte sich. Sie verkürzte die Distanz zwischen sich und den Schwarzen Priestern, um ihren möglichst kompakten Gedankengang an diese Gestalten heranzubringen. Ich wartete ab. Die schwarzen Gestalten hielten ihre Lichtschwerter in die Höhe. Sie endeten dort, wo sich eigentlich das Kinn befinden musste. In der Gesichtsmasse regte und rührte sich nichts. Sie blieb tatsächlich so glatt wie Beton. Ich war gespannt, wie es weitergehen würde. Kara stand mit ihnen in Kommunikation, das war ihrer sehr gespannten Haltung durchaus anzusehen. Ich versuchte, an ihrem Gesicht abzulesen, was sie auf geistiger Ebene fragte, da jedoch tat sich nichts, die Züge blieben starr, wie eingefroren. Manchmal bewegte sie die Lippen, ohne dass ich dabei einen Laut gehört hätte. Wie viel Zeit verstrich, konnte ich nicht sagen. Dieser Begriff war in einer Welt wie Atlantis für mich verlorengegangen. Ich ließ Kara >reden< und kümmerte mich um meine Umgebung. Dabei interessierte ich mich vor allen Dingen für den See unter meinen Füßen. Noch immer hatte ich mich nicht daran gewöhnen können, in diesem Glaskäfig zu stehen. Ich schwebte praktisch in der Luft, spürte keinen richtigen Widerstand und sackte trotzdem nicht ab. Aber unter uns tat sich etwas. Da brodelte und kochte das Wasser, obwohl kein Laut an unsere Ohren drang. Eine nicht hörbare,
gespenstische Szene lief dort ab, denn der Krake mit seinem roten Auge spielte irgendwo verrückt. Die mächtigen, langen und starken Fangarme peitschten die Flut auf und schleuderten die schaumigen Wellen hoch, die wuchtig gegen die Ufer klatschten und so aussahen, als wollten sie an den Felswänden in die Höhe kriechen. In der Körpermitte des Kraken glühte ein dicker, tiefroter Kreis, das Auge und die einzig verwundbare Stelle, wie ich selbst erlebt hatte, als es Kara in Südfrankreich gelang, den in einen Kraken verwandelten Schwarzen Priester zu töten. Weshalb tobte der Krake im See, und weshalb standen wir den vier Schwarzen Priestern gegenüber, die auf mich plötzlich keinen so angriffslustigen Eindruck machten. Irgend etwas musste da anders gelaufen sein. Hoffentlich erfuhr Kara die Lösung. Als sie tief durchatmete, war ich mir sicher, dass sie etwas erfahren hatte. »Und?« Sie drehte mir den Kopf zu. Ihr Gesicht zeigte einen ernsten Ausdruck, gleichzeitig einen nachdenklichen, als wäre sie dabei, das Gehörte zu verarbeiten. »Es ist komplizierter, als ich dachte, John.« »Verstehe ich nicht. Wollen die Schwarzen Priester uns denn vernichten?« »Ich habe damit gerechnet.« »Aber sie tun es nicht.« »Es sieht so aus.« »Da muss es Gründe geben ... « »Nicht so eilig, John, nicht so eilig. Natürlich gibt es Gründe, die aber nicht direkt etwas mit uns zu tun haben, sondern mit Vorgängen, die sich in deiner Heimatstadt abspielen. In London und in einem bestimmten Viertel.« »Eastend!« »Ja, du hast mir davon erzählt. Ein Schwarzer Priester hat den Weg dorthin gefunden, er hat sich aus dieser Gruppe gelöst und seinen Geist nach London geschickt, während die andere Form seines Körpers hier geblieben ist.« »Welche Form? Meinst du etwa den Kraken?« »Genau, ihn meine ich.« Jetzt musste ich erst einmal Luft holen. »Meinst du, dass sich der Schwarze Priester geteilt hat?« »So sieht es aus.« »Freiwillig?« »Das ist die Frage, John!« »Die du beantworten kannst.« Da lachte sie. »Möglich, obwohl es mir nicht in den Kopf will. Jedenfalls ist einer der Schwarzen Priester aus dieser Gruppe hervorgeholt worden.« Ich staunte. »Das geht?«
»Wenn man in Atlantis geboren ist und trotzdem in einer anderen, in deiner oder unserer Welt lebt. Ich bin auch hier geboren und ... « »Ein Atlanter in London.« »Kosmos!« »Der Anführer!« »Richtig.« Allmählich blickte ich durch, auch wenn der Schleier für meinen Geschmack noch zu dicht über meinem Gesicht lag. »Kannst du mir das näher erklären?« »Ich versuche es. Dieser Kosmos hat schon einmal gelebt, und zwar in Atlantis. Hier, in dieser Gegend, trieb er sich herum, da war er ein mächtiger Schwarzer Priester, der auch überlebte. Es mag dir komisch vorkommen, John, aber die Schwarzen Priester besitzen so etwas wie eine Seele, einen Geist. Und dieser Geist hat ebenfalls überlebt. Alles andere ist wohl recht einfach für uns.« »Das denke ich auch«, flüsterte ich. »Er hat die Zeiten überdauert und sich einen neuen Körper gesucht.« »Kosmos, den Schwarzen Priester, der in unserer Welt nur ein anderes Aussehen hat, aber von dem Geist des uralten Schwarzen Priesters übernommen wurde.« »Dann ist der Krake unter uns als seine zweite Existenz zurückgeblieben.« »Korrekt John, und nicht nur das. Es ist auch eine Art von Fluchtpunkt für ihn. Meiner Ansicht nach kann er immer wieder in den Körper des Kraken zurückkehren. Das ist die Magie bei dieser Sache, die Stärke und gleichzeitig die Schwäche.« »Weshalb die Schwäche?« Sie lächelte. »Wenn wir beide den Kraken vernichten, haben wir ihm seinen Rückkehrpunkt genommen. Dann ist er gezwungen, in London zu bleiben, als Kosmos und als Schwarzer Priester. Er kann nicht mehr zurück, ist Gefangener der Gegenwart und Zukunft zugleich. Es sind komplizierte Dinge, aber was ist schon einfach, wenn ich von Atlantis ausgehe? Nichts, John, überhaupt nichts.« Ich runzelte die Stirn. »Ja, ich habe es begriffen, nur bin ich mir über die vier Schwarzen Priester hier noch nicht im klaren. Was haben sie vor? Werden sie versuchen, uns zu töten?« »Ich glaube es nicht.« »Das wundert mich.« Kara stimmte mir zu. »Mich auch, aber du musst die Modalitäten sehen, John. Sie haben sich sehr stark verändert. Ich betrachte die Schwarzen Priester nicht unbedingt als Feinde, und sie stehen uns auch nicht so feindlich gegenüber. Die vier Gestalten sind sauer, dass es einen Abtrünnigen aus ihrer Gruppe gegeben hat. Dieser Abtrünnige kann nicht verlangen, dass ihm noch Schutz gewährt wird. Also werden sich die Schwarzen Priester neutral verhalten.« »Und was machen wir?«
Kara deutete mit dem Daumen in die Tiefe. »Der Krake ist unser großes Hindernis. Erst wenn wir ihn überwunden haben, können wir uns um den zweiten Teil der Gestalt kümmern.« »Ist er der einzige?« »In diesem See ja.« Mein Misstrauen war noch nicht verschwunden. »Die vier anderen werden nicht eingreifen.« »Sie versprachen es. Sie haben ihren eigenen Kollegen ausgestoßen, so musst du das sehen. Sie werden sich zudem hüten, ihm einen Weg zur Rückkehr zu ebnen.« Ich lächelte süß-sauer. »Darauf soll ich mich also verlassen?« »Wir beide müssen uns darauf verlassen.« Kara hatte so bestimmend gesprochen, dass mir tatsächlich keine andere Wahl blieb. Froh darüber, gegen den Kraken ankämpfen zu müssen, war ich nicht. Aber es war wirklich der einzige Weg, an das Ziel zu gelangen. »Frag sie noch einmal!« »Okay, damit du beruhigt bist.« Kara drehte sich dem unheimlichen Quartett zu. Abermals zeigte ihr Gesicht einen gespannten Ausdruck, als sie mit den Schwarzen Priestern >redete<. Auch jetzt sah ich bei ihnen keinerlei Reaktion. Das >Gespräch< dauerte nicht lange. Sehr bald wandte sich Kara mir zu. «Es gibt keine andere Möglichkeit, wir müssen den Kraken besiegen. Ich habe das Schwert ... « »Ich den Bumerang ... « »Der wird dir nicht viel bringen, mehr ein Dolch.« »Keine Sorge, der ... « Es gab einen Ruck, der mir praktisch die nächste Worte von den Lippen riss. Vorhin waren wir in die Höhe gefahren, jetzt senkte sich der Zylinder wieder dem See entgegen. Dort kochte das Wasser noch immer. Es wurde durch die Kraft des Kraken aufgewühlt. Das unheimliche Tier schien gespürt zu haben, dass sich etwas tat und verändert hatte. Möglicherweise stand es mit den über uns wartenden Schwarzen Priestern in Verbindung und wartete darauf, die Opfer zu bekommen. Die gewaltigen Tentakel schimmerten nass. Ihre ursprüngliche Farbe, ein helles Grau, war mit grünlich schimmernden Flecken übersät. Auch war die Dunkelheit der Höhle gewichen, denn das Licht strömte aus der Tiefe des Wassers, als würden dort zahlreiche Lampen auf dem Grund stehen, die ihre Lichtbahnen in die Höhe schickten. Dicht unterhalb der Wasserfläche explodierten sie zu zitternden breiten Kreisen und sorgten eben für diese Helligkeit, die uns den Kraken gut erkennen ließ. Kara hatte ihr Schwert gezogen. »John, wir können uns auf keinen langen Kampf einlassen. Wenn uns ein Fangarm erwischt, zerdrückt er uns die Knochen.« »Weiß ich.«
»Denk daran, John, das Auge. Das Auge allein ist eine sehr empfindliche Stelle. Für ihn ist es die Ferse des Achilles. Ich werde versuchen, schon beim ersten Kontakt die Klinge tief in das Auge zu rammen. Damit müssten wir gewonnen haben.« Die Idee war gut, eine bessere gab es nicht. Während wir in die Tiefe glitten, konzentrierte ich mich auf die graugrüne Bestie unter uns. Besonders scharf hielt ich nach dem Augen Ausschau, das nicht immer zu sehen war, denn der Krake lag nie richtig still, er bewegte sich wild, rollte sich um seine eigene Achse, während seine Tentakel wie mächtige Arme schlugen und das Wasser als eine kochende Gischt in die Höhe spritzen ließen. Die Hälfte der Strecke lag bereits hinter uns, auch ich machte mich bereit, denn ich rechnete damit, dass der dünne Boden unter unseren Füßen plötzlich nachgeben würde und wir dem Killerkraken entgegenfielen. Hoffentlich nicht in seine auffangbereiten Tentakel. »Es wird gleich soweit sein«, flüsterte Kara. »Ich spüre es. Es liegt was in der Luft.« »Wird es von oben gesteuert?« »Bestimmt.« Die Reise nahm ihren Lauf. Sehr glatt, ohne zu rucken, schwebten wir in die Tiefe. Die Spannung lag wie eine zweite Haut auf meinem Rücken. Wenn der Krake jetzt seine Tentakel in die Höhe schleuderte, dann wischten die Enden mit ihren Saugnäpfen schon dicht unter unseren Füßen vorbei. Gefährlich nahe ... Obwohl wir innerlich darauf vorbereitet waren, erwischte es uns doch. Die Überraschung war perfekt, denn plötzlich war überhaupt kein Boden mehr vorhanden. Ich hatte nicht einmal ein Ziehen oder Rucken bemerkt, einfach gar nichts. Dafür fiel ich. Wie zwei Kugeln sackten wir in die Tiefe. Kara dicht neben mir, das Schwert bewegend. In diesem Moment tauchte der Krake weg, als wollte er nicht wahrhaben, dass er Besuch bekam. Mit den Füßen voran klatschten wir in das Wasser, das sofort über unseren Köpfen zusammenschlug. Eis umhüllte mich, die Kälte raubte mir die Luft. Im Gegensatz zur Luft draußen war dieses Wasser fürchterlich kalt. Ich dachte an die Tentakel, die mich auf keinen Fall erwischen durften, schoss wie ein Korken in die Höhe, riss die Augen auf und sah neben mir einen Teil des Krakenkörpers wie eine graue Halbkugel aus dem Wasser ragen. Wo befand sich das Auge? Meine Gedanken irrten ab, als ich Kara entdeckte. Sie schoss ebenfalls aus dem Wasser, doch anders als ich. Um ihren Körper hatte sich in Höhe der Taille der Fangarm eines Kraken gewickelt...
*** Alles hatte Suko erwartet, nicht aber das Bild, das ihm der transzendentale Spiegel zeigte. Es war ungeheuerlich, es war der Blick in eine ferne Welt der Vergangenheit. Da standen vier Schwarze Priester, und ihnen gegenüber hielten sich Kara und John auf. Hatte Kosmos ihm das zeigen wollen? Bestimmt nicht, denn der Anführer war ebenfalls wie vor den Kopf geschlagen. Diesmal hatte er sich nicht so gut in der Gewalt, er konnte nicht mehr schauspielern, torkelte zur Seite und fasste mit beiden Händen nach seiner Kehle, als wollte er sich erwürgen. Die Gelegenheit für Suko. Er wollte herumfahren, als er das Röcheln hörte. Jorge hatte am Kabel gezogen, und Lulu taumelte zur Seite, kalkbleich im Gesicht, dann sank sie in die Knie, wo sie sich schwer mit den Händen aufstützte. »Noch lebt sie, Bulle, noch!« »Schon gut.« »Ein weiterer Ruck und sie ... « »Lass sie atmen, verdammt!« »Dann rühr dich nicht!« schrie Jorge. Suko spreizte die Arme ab, hielt den Kopf etwas nach rechts gedreht, weil er sehen wollte, ob Jorge sein Versprechen einhielt. Das Mädchen würgte, Speichel tropfte über seine Lippen zu Boden und verteilte sich dort, aber es ging ihm besser, denn Jorge hatte das Kabel gelockert. Sie konnte sogar sprechen. »Verdammt, Suko, das wollte ich nicht!« Stoßweise und von kräftigen Atemzügen unterbrochen, drangen die Worte hervor. »Sie haben mich erwischt ... sie lauerten ... « »Okay, Lulu, das schaffen wir.« Suko wollte sich nicht länger von dem Mädchen ablenken lassen, denn das Geschehen auf der Spiegelfläche versprach, interessant zu werden und natürlich auch die Reaktion des Mannes namens Kosmos. Obwohl das Band seine Haare vorn hielt, fuhr er mit den Händen über die weißblonde strähnige Pracht. Er stand noch immer schräg zum Spiegel, mit dem Rücken die Wand berührend. Heftig atmete er ein und aus, seine Augen brannten, er wischte öfter als einmal darüber hinweg, und seine Lippen zuckten. Suko machte ihn an. »Wolltest du mir das zeigen, Kosmos? Ist es das gewesen?« Der Weißblonde fuhr herum. Seine Augen hatten sich verändert. In der unmittelbaren Umgebung wirkten sie blutunterlaufen. »Ja und nein. Nicht den Mann und die Frau.« »Du kennst Kara, nicht wahr?«
Er knurrte etwas Unverständliches, bevor er sich zu einer Antwort durchrang. »Ja, ich kann mich an sie erinnern.« »Und das vorn ist Atlantis, Kosmos. Es ist Vergangenheit und gleichzeitig Gegenwart für Kara und meinen Freund und Kollegen John Sinclair. Beide haben eine Zeitreise in diesen Kontinent hinter sich. Du siehst, dass auch so etwas möglich ist.« »Noch!« röhrte er und duckte sich zusammen. »Noch sind sie nicht zurück, Bulle.« »Sie werden zurückkehren, keine Sorge. Nicht zum erstenmal haben sie dem Kontinent einen Besuch abgestattet.« »Die Schwarzen Priester werden sie mit ihren Lichtschwertern töten, zerhacken!« »Glaubst du wirklich, dass sich die beiden nicht wehren können? Schau auf das Schwert mit der goldenen Klinge. Mit ihm hat Kara schon einmal einen Schwarzen Priester erledigt.« »Aber es sind vier!« Suko hob die Schultern, er gab sich entspannt. »Ich weiß nicht, Kosmos, ob sie unbedingt zu den Gegnern zählen werden, da bin ich mir nicht sicher. Ich habe vielmehr das Gefühl, als würden sich beide Parteien neutral gegenüberstehen, und das ist auch für mich mehr als ungewöhnlich, finde ich.« »Dann schau dir den Kraken an!« »Den sehe ich.« »Weißt du auch, was es bedeutet, von ihm eingefangen zu werden? Weißt du das?« »Kara hat auch ihn besiegt.« »Er wartet auf sie. Ja, er wartet auf sie und wird sich für die Schmach rächen.« »Woher weißt du das?« Kosmos lachte mit offenem Mund. »Ich weiß es deshalb, weil er ein Stück von mir ist, verstehst du? Er ist ein Teil, ich liebe ihn wie einen Bruder.« »Dann bist du doch ein Schwarzer Priester.« »Sehe ich so aus?« »Das wohl nicht. Aber sieht ein Wiedergeborener so aus wie die Person, die er einmal gewesen ist?« Da hatte Suko ihn hart getroffen. »Wie kommst du darauf?« keuchte Kosmos. »Wie kannst du so etwas behaupten?« »Du hast es mir selbst gesagt.« Kosmos war nervös. Die Szene auf dem Spiegel hatte ihn völlig aus der Fassung gebracht, er wusste nicht mehr, wie er sich verhalten sollte. Einiges war bei ihm aus dem Leim gegangen. Bevor er neue Worte finden konnte, änderte sich die Szene, denn plötzlich sackten John und Kara in die Tiefe. Suko hatte wohl mitbekommen, wie sich der Zylinder kurz zuvor geschüttelt hatte, doch als er fiel, wäre ihm fast das Herz stehen geblieben. Er sah seine Freunde schon im kochenden Wasser liegen, umschlungen von den kräftigen Fangarmen des Kraken, aber das passierte eben nicht.
Als würden sie in einer Gondel stehen, so schwebten sie dem See entgegen. Kosmos gebärdete sich wie ein wütend gewordener Kapellmeister. Er fuchtelte mit beiden Händen, schrie Suko und seinen Leuten zu, dass es sogleich soweit wäre. »Dann werdet ihr sehen, wie der Krake die beiden vernichtet. Er wird ihnen die Knochen in den Leibern zusammenquetschen, darauf könnt ihr euch verlassen. Sie sind hingekommen, aber sie werden nicht mehr aus Atlantis entkommen, nicht wahr?« Er starrte Suko auffordernd an, um von ihm eine Bestätigung zu bekommen. »Ich wäre mir da nicht so sicher.« »Aber davon wirst du nichts haben, Bulle. Nein, du nicht, das verspreche ich dir. Ich werde dich killen. Du wirst dein Grab hier im Viertel finden. In irgendeinem Keller werden wir deinen Kadaver verscharren, und Atlantis wird für dich, Bulle, immer ein Traum bleiben. Der erfüllt sich nie.« »Große Reden, Kosmos. Schau dir lieber an, was dort auf der Spiegelfläche geschieht.« Er fuhr herum. Ein Schrei des Triumphes gellte aus seinem Mund, weil er gesehen hatte, wie tief die Frau und der Mann bereits geglitten waren. Nur mehr wenige Meter, dann ... Es passierte vorher, und selbst Suko wurde von diesem Ereignis überrascht. Nur mühsam gelang es ihm, einen Laut der Überraschung zu unterdrücken, denn beide Körper rasten neben der mächtigen Krakenmasse in das kochende Wasser. Sie verschwanden, Kosmos freute sich diebisch und lachte schrill, auch dann noch, als Sinclair auftauchte, ohne von einem Krakenarm umklammert zu sein. Das aber war mit Kara geschehen, und Suko, der zuschaute, hatte nicht viel Hoffnung... *** Ich sah Kara in dieser verdammten Klammer, denn der Fangarm drehte sich zu mir herum, so dass ich sie direkt anschauen konnte und ein Gesicht präsentiert bekam, in dem der Mund offen stand, aber keinen Schrei entließ. Auf dem Gesicht der Frau zeichnete sich das ab, was man als stummes Entsetzen bezeichnete. Sie hielt zwar ihr Schwert fest, aber sie konnte die Arme nicht bewegen, weil der Druck des Tentakels sie fest gegen ihren Körper presste. So war das Schwert mit der goldenen Klinge im Moment zur Farce geworden. Ich blieb ihre Hoffnung und natürlich mein Dolch. Ich musste ihn in das Zentrum, das Auge des Kraken rammen, um einen Sieg zu erringen. Wieder wälzte sich der schwere Körper herum. Diesmal von mir weg, und auch der Fangarm mit Kara verschwand wieder in der grauen,
schäumenden Flut. Im Wasser war ich dieser Bestie unterlegen, denn es war ihr Element. Ich musste versuchen, an das Ufer zu gelangen und von dort meine Angriffe zu starten. Möglicherweise gelang es mir, auf den Körper zu springen und mit einem zielsicheren Messerstich das Auge zu treffen. Ich kraulte auf das Ufer zu, stets die Angst im Nacken, vom Fangarm erwischt zu werden. Als ich gegen die Kante der schmalen Felsleiste stieß, wuchtete ich meinen Körper hoch, kletterte hinauf und hörte hinter mir ein mächtiges Rauschen. Es erreichte mich wie ein Warnsignal, ich warf mich zur Seite und rutschte auf dem feucht gewordenen Fels noch ein Stück weg. Zum Glück, denn der mächtige, aus dem Wasser schießende Krakenarm klatschte dicht neben mir auf die Leiste. Ich zog die Beine an, schnellte wieder hoch und konnte erkennen, wie sehr der Krake das Wasser verlassen hatte. Irgendwo war dabei ein Wunschtraum meinerseits in Erfüllung gegangen, denn ich erkannte auch das dunkelrot schimmernde Auge der Bestie, das wie aufgezeichnet auf dem grauen Körper leuchtete. Kara hing leblos im Fangarm. Es kam einem kleinen Wunder gleich, dass sie noch das Schwert festhielt. Zwei weitere Tentakel erschienen wie riesige, lange Würste aus der grauen Tiefe. Halbhoch bewegten sie sich in der Luft und wollten einen Kreisbogen spannen. Ihre Enden mit den Saugnäpfen zielten auf mich. Dann schlug sie vor. Ich hatte eine Lücke entdeckt. Ein Stück Freiheit zwischen den beiden Tentakeln. Da hinein hechtete ich! Trotz der Feuchtigkeit des Felsens war ich gut abgekommen. Ich flog flach durch die Luft und haargenau auf den runden Mittelkörper des Kraken zu, der mir erschien wie aufgebockt. Mein Ziel war das Auge, und der Sprung brachte mich auch in die entsprechende Richtung. Da drehte er ab! Genau in der Sekunde, als ich auf die glitschige Masse prallte und der Dolch eine breite Furche in die Oberfläche des Kraken riss, aber nicht das Auge erwischte. Die Wunde war da, an zwei Seiten klaffte sie auf, eine dunkle Flüssigkeit strömte hervor, von der ich nicht wusste, ob es sich bei ihr um Blut handelte oder nicht. Ich tauchte in das Wasser, wo der Krake natürlich die Oberhand hatte. Meine Augen hatte ich weit aufgerissen, denn innerhalb des hellen Scheins musste sich auch das Rot des Krakenauges sehr deutlich abzeichnen.
Leider leuchtete es nicht auf meiner Seite. Ich war gezwungen, um den Kraken herumzuschwimmen. Noch war ich von einem Fangarm verschont geblieben, aber eine mächtige Woge schleuderte mich und auch den Tentakel mit Kara wieder aus dem Wasser hervor. Als dies geschah, bekam ich das Gefühl, einen Zeitstopp zu erleben. Zwei wichtige Dinge nahm ich zugleich wahr. Rechts von mir, in unmittelbarer Reichweite, glänzte die goldene Klinge des Schwerts. Dicht vor mir schimmerte das Auge. Ich hatte den Dolch, wechselte ihn in die Linke und zerrte mit der Rechten am Schwertgriff, um ihn Kara aus den Fingern zu winden. Beides gelang mir mit dieser Aktion. Das Glück schien sich an meine Seite gestellt zu haben. Ich besaß den Dolch und das Schwert, das ich als einer der wenigen Personen außer Kara führen konnte. Es war die Chance! Das Unheil aber lauerte hinter mir und in der Tiefe verborgen. Ich konnte es nicht sehen, nur hören, wie das Wasser rauschte und sich im gleichen Moment etwas Glattes und dennoch ungemein Hartes um meine Taille wickelte, ohne allerdings meine Arme an den Körper zu schnüren. Der Tentakel war hinter mir aus dem Wasser gestoßen, er hatte mich und zerrte mich mit einer gewaltigen Kraftanstrengung zurück. Ich hielt nicht dagegen, weil mir das nicht möglich war, aber ich rammte meinen Körper nach vorn und mit ihm die beiden Waffen unterschiedlicher Länge. Sie lagen dicht zusammen. Dolch- und Schwertklinge trennte eine Handlänge voneinander, für mich und meine Aktion eine ideale Distanz. Beide Arme stieß ich vor, während ich im gleichen Augenblick unter Wasser gezerrt wurde. Ob ich genau getroffen hatte, bekam ich nicht mit, jedenfalls spürte ich kaum einen Widerstand, aber das war bei dieser rötlichen Masse auch schlecht möglich. Ich konnte mir und Kara nur die Daumen drücken. Ich geriet in eine Hölle! Um mich herum brandete sie auf. Ich bekam Schläge ab, der mächtige Krakenkörper tobte und spielte verrückt. Unter Wasser krümmte ich mich zusammen wie eine Kugel, wollte nur den Kopf schützen und hielt beide Waffen wie im Krampf fest, wobei die Klingen in die Höhe wiesen und immer wieder in den fleischigen Körper hineinstießen, wo sie sehr tiefe Wunden hinterließen. Dann erwischte mich ein Treffer in den Rücken. Die Wucht trieb mich trotz des Widerstands im Wasser so tief, dass ich über Grund schrammte, mir die Handgelenke aufriss und erst jetzt merkte, wie sehr mich der Luftmangel quälte. Ich musste unbedingt hoch.
Schatten umzuckten mich. Die Krakenarme schlugen ein rasendes Stakkato, wobei ich versuchte, ihnen zu entwischen und mich dicht auf dem Grund voranbewegte. Am Bein wurde ich noch getroffen, dann aber war Schluss. Ich kam frei und konnte hochkommen. Endlich - endlich! Gierig riss ich den Mund auf, schnappte nach Luft, und vor meinen Augen drehte sich die Welt. Die gesamte Höhle schien auf mich herabzustürzen, ich merkte kaum, dass ich der Uferbefestigung entgegenschwamm und nur meine Beine bewegen konnte, weil ich die Waffen festhielt, deren Gewicht mich immer wieder unter Wasser zerren wollte. Die Klingen klirrten gegen das Gestein, ich schleuderte sie auf die schmale Leiste und kroch selbst hinterher. Geschafft! Ausgepumpt und schwer atmend blieb ich auf dem Bauch liegen, drehte aber den Kopf nach links, um über die Wasserfläche schauen zu können, schließlich wollte ich sehen, was mit dem verdammten Kraken geschehen war und ob ich ihn tatsächlich tödlich erwischt hatte. Ja, es war geschehen! Ich hatte mich, verdammt noch mal, gegen den Kraken durchsetzen können. Innerhalb des Sees schwamm ebenfalls ein roter See. Das Auge war zerlaufen, es hatte eine tanzende, rote Spur hinterlassen, als wäre Blut auf die Wellen gelegt worden. Den Kraken selbst sah ich auch. Sein gewaltiger Körper schwamm tiefer, er füllte den See aus, aber er war auch dabei, sich aufzulösen. Und Kara? Sie schwamm auf der Wasserfläche. Ein glückliches Geschick trieb ihren Körper in meine Nähe, so dass ich sie mit beiden Händen packen und auf den schmalen Sims ziehen konnte. Rücklings lag sie vor mir, die Augen geschlossen, völlig durchnässt und leichenbleich. War sie ertrunken? Ich drehte sie auf die Seite, dann auf den Bauch, sie erbrach sich. Plötzlich öffnete sie die Augen. Schnell drehte ich sie in eine Lage, die es ihr ermöglichte, mich anzuschauen. Über ihren Augen lag ein Schleier. Ich wollte mit ihr sprechen, da bewegte sie die Lippen und brachte die ersten Worte hervor: »Gerettet, John? Sind wir gerettet?« Ich nickte. Kara sackte zusammen, hustete und spie wieder Wasser aus, vermengt mit Magenflüssigkeit. Ich schaute derweil in die Höhe und entdeckte dort die Schwarzen Priester, die unseren Kampf gegen den Kraken wohl beobachtet hatten und zufrieden sein konnten. Ich war es nur zur Hälfte. Unser Job in Atlantis war getan, der Fall aber würde weitergehen, und ich musste zusehen, dass ich ihn in der Gegenwart abschloss. »Fühlst du dich stark genug, um laufen zu können?«
Kara schob sich zurück. Sie bewies mir, dass sie sich auch hinsetzen konnte. »Ja, John, ich ... ich werde es versuchen. Wenn du mich stützt, ist das okay.« »Versuchen wir es!« Ich gab mir Mühe, Kara auf die Beine zu ziehen. Sie war noch ziemlich wackelig, Schwindel überkam sie, doch bevor sie ausrutschen und fallen konnte, hielt ich sie fest. Die Waffen musste ich noch aufnehmen. Den Dolch steckte ich ein, das Schwert verschwand wieder in der Scheide, die an Karas linker Seite hing. Dann gingen wir den Weg zurück. Wenn ich unseren Gang beschreiben sollte, so müsste ich sagen, dass wir uns bewegten wie Greise. Ausgepumpt, völlig daneben, keine Chance, um noch einmal kämpfen zu können. Es war der glatte Horror. Ich schleifte mit den Füßen über den nassen Fels, und auch Kara konnte kaum ein Bein vor das andere setzen. Das Licht blieb hinter uns zurück, die Dunkelheit wurde dichter, aber wir sahen bereits das Dreieck des Ausgangs vor uns schimmern, wieder ein Stück Hoffnung. Kara hielt sich tapfer. Zwar hustete sie hin und wieder, atmete zudem rasselnd, aber sie konnte sich bald wieder von allein bewegen und auch sprechen. »John, ich hätte ihn nicht töten können. Er wäre stärker gewesen, er hatte meine Arme ebenfalls umschlungen.« »Weiß ich.« »Danke noch mal.« »Rede keinen Unsinn, das wird sich irgendwann wieder ausgleichen.« Nach diesen Worten gingen wir noch drei Schritte und gelangten ins Freie, in die trockene Luft, die Wärme und in die Sonne. Nach der kalten Luft war es eigentlich wunderbar, die Sonnenstrahlen genießen zu können. Selbst über Karas angespannte Gesichtszüge huschte ein Lächeln. Ich konnte nicht lächeln, denn mir fiel der Schatten des Schwarzen Tods ein, der ebenfalls über diesem Teil des Landes wie eine Drohung lag. Würde diese furchtbare Horror-Gestalt eingreifen oder so handeln, wie es auch die vier Schwarzen Priester getan hatten? Der Schatten des Schwarzen Tods blieb. Er wanderte nicht, er lauerte und beobachtete. Mir war es recht, denn ich wollte so schnell wie möglich den Kontinent verlassen. Ich stieß Kara an, die sich gegen die Felswand gelehnt hatte und sich allmählich erholte. »Ich weiß, was du willst, John.« »Wir sollten uns beeilen. Das Finale werden wir woanders erleben. Die zweite Existenz des Schwarzen Priesters haben wir vernichten können, die erste aber lebt in unserer Zeit, und sie wird, das befürchte ich, Angst und Terror verbreiten.«
Sie nickte. »Nach London, oder?« »Wenn möglich, Kara, und bitte nicht zu den Flammenden Steinen, sonst würden wir zuviel Zeit verlieren.« »Ist klar.« Ihre Bewegung wirkte müde, als sie den Schwertgriff umklammerte und die Waffe aus der Scheide zog. Auch Kara war kein Übermensch, trotz ihrer bisherigen langen Lebensdauer. Sie hatte die Zeiten nach dem Untergang dank des Tranks des Vergessens überstehen können, um das Erbe ihres Vaters anzutreten. Sehr bedächtig stemmte sie die Spitze gegen den Boden, legte Hand auf Hand, schaute sich um und wechselte die Blickrichtung, indem sie ihren Kopf in den Nacken drückte, als wollte sie sich vom Licht der AtlantisSonne bescheinen lassen. »Da«, flüsterte sie. Auch ich hob den Kopf. Der dunkle Knochenschädel des Schwarzen Tods war nicht mehr zu sehen. Dafür sahen wir die Umrisse eines anderen Gesichts, das direkte Gegenteil von dem des Schwarzen Tods. Bärtig, mit weißen Haaren und hellen Augenbrauen. Auf dem breiten Mund lag ein Lächeln. Und Ka-ras Augen strahlten, als wäre in ihren Pupillen eine erneute Sonne aufgegangen. »Vater ... « Sie hatte das eine Wort so leise ausgesprochen, dass ich es kaum verstand und es mehr von ihren Lippen abgelesen hatte. Die Haut an meinem Nacken spannte sich. Das Gesicht über uns am Himmel musste tatsächlich ihrem Vater Delios gehören, einem verstorbenen weißen Magier, der sich als mächtigster Feind atlantischer Dämonen hervorgetan hatte. Das Gesicht blieb nur für einen kurzen Augenblick sichtbar, dann verschwand es, als hätten die hellen Sonnenstrahlen es kurzerhand ausgelöscht. Vorbei war die Vision! Aber sie hatte Kara geholfen. Die Schöne aus dem Totenreich kam mir verändert vor. Viel kraftvoller, frischer, als hätte sie in der Zwischenzeit aufgetankt. »Wird es jetzt klappen?« fragte ich sie. Sie nickte heftig. »Natürlich, John, sogar besser. Es war wie ein Quell der Kraft, als ich das Gesicht meines Vaters entdeckte. Einfach wunderbar.« Wieder strahlten ihre Augen, und durch den Körper der schlanken Frau ging ein Ruck. »Bitte«, sagte sie nur. Ich wusste, was ich zu tun hatte und legte meine Hände auf die ihren. Der Augenblick der Konzentration zog sich in die Länge, so dass ich noch meine Frage loswerden konnte. »Wo werden wir herauskommen?«
»Nicht bei den Steinen, John. Das Schwert hat Kontakt aufgenommen zu dem abtrünnigen Schwarzen Priester. Wo wir in der Gegenwart erscheinen werden, kann er nicht weit sein.« »Das hoffe ich.« Es waren meine letzten Worte, denn Kara nahm den Kontakt auf, der über die goldene Schwertklinge weitergeführt wurde und für die unerklärbare magische Zone sorgte. Es war wie bei den Steinen. Als letzten Eindruck bekam ich die strahlende Sonne mit, dann verlöschte der Ball so plötzlich, als hätte man ihn vom Himmel gestoßen... *** »Der Krake wird sie verschlingen!« brüllte Kosmos, als er sah, wie Kara und John in der Wasserflut verschwanden. Er hielt eine Hand ausgestreckt, die Finger gekrümmt und gleichzeitig gespreizt, bevor er sie zu einer Faust zusammendrückte, um mit dieser Bewegung seine Worte noch zu unterstreichen. Suko hielt sich zurück, auch die Männer hinter ihm sagten kein Wort. Nur das leise Schluchzen der Gefangenen war zu hören. Hinter ihr stand Jorge und hielt das verdammte Kabel fest. Suko wartete nur auf eine Gelegenheit, um es ihm zu geben. Vorerst jedoch wurde seine Aufmerksamkeit von dem eingenommen, was sich auf dem Spiegel abspielte. Es sah schlecht aus für die beiden. In den nächsten Sekunden durchlebte Suko eine Hölle, während sich Kosmos kaum halten konnte und die Bestie ständig anfeuerte, obwohl sie ihn nicht hören konnte. Dann geschah es. Nicht der Krake gewann, sondern John Sinclair, der eine wahre Meisterleistung vollbrachte. Wäre es Suko möglich gewesen, er hätte in die Hände geklatscht, so aber konzentrierte er sich auf seine eigenen Aktionen, die mehr bringen mussten. Kosmos war konsterniert. Der in Atlantis Geborene hatte sich völlig verändert. Er wirkte nur mehr wie ein Schatten seiner selbst, denn sein zweites Ich war vernichtet worden, und er hatte dabei zusehen müssen. Zudem machte er auf Suko den Eindruck, als hätte er seine Umgebung völlig vergessen. Das nutzte der Chinese aus. Plötzlich war er bei ihm. Kosmos hatte die Bewegung zwar gesehen, wurde aber ebenso überrascht wie die Typen in Sukos Rücken, die nicht eingriffen und dem Inspektor die Chance ließen, sich die Dämonenpeitsche zurückzuholen.
Ausgefahren war sie noch - ein Griff, ein Ruck, und er hatte sie, bevor Kosmos dagegenhalten konnte. Suko griff nicht ihn an, sondern den Spiegel. Er wollte, wenn eben möglich, den Weg nach Atlantis schließen und setzte dabei seine gegen die andere Magie. Das hatte auch Kosmos gemerkt. Er wollte Suko in den Arm fallen, ein Ellbogenstoß schleuderte ihn zurück, und der Inspektor bekam endlich freie Bahn. Er drosch zu. Bei einem normalen Spiegel hätte er ein Klirren und Splittern hören müssen, nicht bei diesem transzendentalen. Nur platzende Geräusche waren zu hören, als hätte eine Faust in Teig geschlagen. Der Spiegel veränderte seine Fläche. Das Bild einer anderen Zeit verschwand nicht sofort, es wurde rissig, und Schwaden eines dicken Nebels wehten durch die Reste und auch aus dem Bild hervor. Für Suko stand fest, dass er sich um den Spiegel nicht mehr zu kümmern brauchte. Er hatte diesem verfluchten Kosmos den Weg in die Vergangenheit versperrt. Das wusste auch dieser selbst! An der Tür stand er und wirkte dabei wie ein zitterndes Gebilde. Fehlte nur noch, dass sich die Haare aufgerichtet hätten. So lächerlich, wie er den Anschein gab, war er nicht. Mit irren Bewegungen schüttelte er den Kopf, dann schrie er seinen Leuten zu, die bisher noch nicht eingegriffen hatten. »Mach sie tot! Mach sie tot, die Nutte! Mach sie tot!« Der Befehl galt Jorge! Der hätte die Schlinge nur mit einem Ruck zuzuziehen brauchen, und alles wäre vorbei gewesen. Er hatte es nicht getan, gezögert, das kam Suko zugute. Der Inspektor wurde zum fliegenden Panther. Mit einem Sprung jagte er quer durch den Raum, und Jorge sah ihn vor sich. Suko erwischte ihn mit den Füßen und in der Luft liegend. Er hatte bei dieser Attacke alles riskieren müssen, auch Lulus Leben, weil der andere in einer Reflexbewegung noch hätte zuziehen können. Jorge flog gegen die Wand. Erst schrie er, dann heulte er. Seine Nase war deformiert. Blut klebte am dunklen Stoff, seine Knie zitterten. Das Kabelende hielt er noch fest, locker allerdings, und es rutschte ihm aus der Hand, als Suko sich um das Mädchen kümmerte. Lulu war für ihn am wichtigsten. Zu oft hatte er den kürzeren gezogen, wenn es darum gegangen war, Menschenleben zu retten. Hier schwebte auch wieder eine Person zwischen Leben und Tod, und Su-ko zerrte die Würgeschlinge von ihrem Hals weg, was nicht so einfach war, denn das Kabel hatte sich bereits in die Haut hineingedrückt.
Er bekam sie frei, fühlte nach Herz- und Pulsschlag, wobei Erleichterung sein Gesicht zeichnete, weil Lulu noch lebte. Sie war nur bewusstlos geworden. Jorge gab sich nicht geschlagen. Plötzlich griff er an. Blutbefleckt das Gesicht, das Weiße leuchtete in seinen Augen. Er sah aus wie ein Gespenst, und er wollte Sukos Hals umklammern. Der Inspektor schnellte hoch. Dann kreiste sein rechter Arm wie ein Schwerthieb. Jorge bekam den Treffer in der Körpermitte. Er selbst musste das Gefühl haben, geteilt zu werden. Verkrümmt stolperte er zur Seite und fiel hin. Als er wieder hochkommen wollte, schaffte er nicht einmal die Hälfte, dann fiel er wieder zusammen, blieb liegen und rührte nicht einmal den kleinen Finger. Geschafft! Wo steckten die anderen? Suko konnte kaum fassen, dass sie ihn nicht angegriffen hatten. Er konnte es sich nur so erklären, dass ihr Anführer sie bei sich haben wollte, denn irgendwo war Kosmos auch feige, besonders jetzt, wo der Weg in die Vergangenheit versperrt worden war. Die Tür stand einladend weit offen, und Suko lief hinaus auf die Galerie. Noch immer hatte sich kein Bewohner getraut, seine Wohnung zu verlassen. Der Inspektor hielt sich allein auf der breiten Galerie auf, konnte in den Innenhof blicken und blieb nur kurz stehen, denn im Flammenschein zeichnete sich seine Gestalt zu deutlich ab. Er flankte geschickt über das Gitter, landete auf dem Hof und sah seine Gegner. Einige von ihnen hatten nach den Kabeln und Stricken gegriffen, um sich in die Höhe zu schwingen. Sie würden von oben her angreifen, auf Suko niederfallen wie Raubvögel, um ihn zu vernichten. Seine Beretta hatte er abgeben müssen. Vergeblich suchte er den dunklen Boden ab, um die Waffe zu finden. Sie war nicht da! Hatte Kosmos sie an sich genommen? Wenn ja, wo steckte der Mann überhaupt? Sehr langsam ging Suko vor. Rechts von ihm bewegten sich tänzelnde Schatten. Zwei Verdammte huschten von einer Seite zur anderen. Wenn die Revolver oder Pistolen besaßen, konnten sie Suko leicht abschießen, bot er doch ein gutes Ziel. Sie blieben verborgen. Ein Pfiff ertönte, dann die kreischende Stimme des Anführers. »Wir werden ihn uns holen, Freunde. Wir werden eine Hetzjagd auf ihn machen. Los, wir werden ... « Was Kosmos noch alles erzählte, kümmerte den Inspektor nicht. Er ging zum Angriff über. Bevor sich jemand auf seine Position hätte einrichten können, rannte er geduckt auf die Hofmitte zu, sah aus dem Dunkel etwas Blitzendes
heranfliegen, tauchte aus vollem Lauf zu Boden, so dass die Messerklinge ihn überflog. Suko demonstrierte die perfekte Art des Kampfsports und vor allen Dingen deren tänzerische Bewegungen, die so glatt und sicher bei ihm abliefen, dass ein Zuschauer nur hätte staunen können. Die Verdammten der Großstadt wollten nicht staunen, sondern Sukos Leben. Von der linken Seite wischte der Schatten heran. Der Mann hing an einem Kabel, seine Beine bildeten eine Schere, die Sukos Hals umklammern sollten. Der Chinese kannte diese Griffe. Richtig angesetzt, konnten sie sogar töten. Er hielt dagegen. Sein Rundschlag erwischte den Kerl noch im Flug. Die Beinschere klappte zusammen, ohne ein Ziel gefunden zu haben. Der Körper erschlaffte, das Kabel rutschte dem Mann aus den Händen, schwang weiter, aber Suko war schneller. Während der Mann zu Boden fiel, hatte er es umklammert und benutzte es als Hilfsmittel. Jetzt ging es ab. Suko schwang sich in die Höhe. Da das Kabel über eine Rolle lief, musste er den Kräften gehorchen und sah eine Hauswand auf sich zukommen. Die Geschwindigkeit war noch ziemlich hoch, er wollte nicht gegen die Wand klatschen. Ihm half der Anbau. Wie ein kleiner Kasten stand er vor der normalen Wand. Das flache Dach kam Suko sehr gelegen. Zwar war es nur schmal, doch es reichte aus, um darauf zu landen. Das Kabel ließ er los, beugte sich dann nach vorn, was sein Glück war, denn ein vom Hof hergeschleudertes Messer huschte über seinen Rücken hinweg. Das Dach des normalen Baus lag etwa zwei Yard über ihm. Suko sprang, klammerte sich fest und turnte mit geschickten Bewegungen hinauf, wo er sich sofort zu Boden fallen ließ und weiterrollte. Dabei hörte er das Singen einer Winde, kam wieder hoch und sah einen Gegner, der mit einem Seil an der Hüfte auf dem Dach landete. Seine Sohlen schleiften noch weiter. Suko sprang ihm entgegen. Bevor der Knabe seine Waffe freibekam, einen Schlagstock, rammte ihm Suko die Faust gegen die Brust. Der Treffer raubte dem Kerl nicht nur die Luft, er schleuderte ihn auch auf dem gleichen Weg zurück, so dass er Sekunden später über der Dachkante verschwunden war. Suko lächelte hart. Er hatte die Kerle geleimt. Die meisten von ihnen standen noch unten, ihm war es gelungen, die Flucht nach vorn anzutreten, und so sollte es auch bleiben. Aber wo steckte Kosmos?
Er war die wichtigste Person in diesem Fall. Wenn Suko den Mann ausschaltete, würden auch die anderen aufgeben, wobei er im Hinterkopf noch immer die Existenz des Schwarzen Priesters hatte, denn er war noch nicht vernichtet worden. Er musste sich irgendwo herumtreiben. Suko rechnete jeden Moment mit seinem Erscheinen. Nicht nur er befand sich auf dem Dach. Eine Gestalt mit im Nacken wehenden Haaren tauchte auf dem Nachbardach auf - Kosmos! Beide sahen sich gleichzeitig. Kosmos schrie wild auf, dann machte er auf dem Absatz kehrt und rannte davon. Er lief in die Richtung, wo die große Leuchtreklame über Eck stand und in die Gegend hineinpasste wie ein Schneeball an den Äquator. Suko lief ihm nach. Kosmos war schnell, sehr schnell sogar. Nur hatte er es mit einem perfekt durchtrainierten Mann zu tun, in zahlreichen Kämpfen gestählt, eine Bombenkondition und immer wieder einer der Besten beim Kampftraining. Es gibt Momente, wo man einfach das Gefühl hat, dass plötzlich alles glatt geht, was vorher krumm und schief gewesen war. So dachte Suko in diesen Augenblicken. Er wusste mit hundertprozentiger Sicherheit, dass der andere ihm nicht entwischen würde. Mit einem weiten Sprung setzte Suko auf dem anderen Dach auf und verlängerte sein Aufkommen sofort in rasche Gehbewegungen. Der Kerl würde ihm nicht entwischen. Kosmos drehte sich um, ein Fehler, denn er verlor so wertvolle Zeit. Suko holte weiter auf. Und Kosmos rannte. Seine Füße hämmerten einen wilden Trommelklang auf das flache Dach. Der Inspektor war ihm bereits so nahe gekommen, dass er das Keuchen seines Gegners hören konnte, auch dessen Schreie, vermischt mit einem Heulen. Und dann drehte er sich. Damit hatte Suko nicht gerechnet, denn Kosmos blieb gleichzeitig noch stehen, griff zu seinem Gürtel und holte die Beretta hervor, die Suko gehörte. Er legte an, zitterte zu stark, schoss, fehlte, und zu einem zweiten Schuss kam er nicht, denn Sukos Fuß erwischte ihn, hob ihn fast aus den Schuhen. Kosmos flog zurück, breitete die Arme aus, prallte auf, überschlug sich und war wie ein Stehaufmännchen wieder da. Suko griff ihn an. Für Sekundenbruchteile sah er das Bild vor sich. Hinter Kosmos leuchtete die Reklame. Der Biertrinker grinste. Das Glas war voll, und rote Sprechblasen quollen aus dem Mund.
Wieder arbeitete der Inspektor mit den Füßen, erwischte die Waffenhand des Blonden, der die Beretta nicht mehr halten konnte. Wie ein Stück Papier flog sie weg. Suko setzte nach. Kosmos rammte seinen Kopf vor. Diesmal erwischte er Suko, stoppte ihn, keuchte und wollte noch einmal zustoßen. Da hatte Suko ausgeholt. Mit der linken Hand drückte er seinen Gegner zurück, die rechte kam blitzschnell und mit der Wucht eines Dampfhammers. Kosmos wusste nicht, wie ihm geschah. Unfreiwillig lernte er das Fliegen und raste wie ein Geschoss hinein in die alte Leuchtreklame, deren Glas diesem Aufprall nicht standhielt. Im Nu veränderte sich die Szene. Suko hatte den Eindruck, als würde Kosmos in den Splittern und Scherben festkleben. Der Kopf des Biertrinkers war nur mehr zur Hälfte vorhanden. Um den Körper herum blitzte, dampfte und zischte es, während sich ein Glasregen über Kosmos ergossen und ihn regelrecht gespickt hatte. Er hing an der Reklame, bewegte sich zitternd, hatte den Kopf zurückgedrückt. Blutfäden liefen über seinen Hals. Er schrie, und dann geschah es, womit Suko eigentlich gerechnet hatte. Freie Drähte, die unter Strom standen, zerstörten den Körper des blonden Kosmos. Es war ein schlimmes Bild, als ihn die hellen Blitze umzuckten und er verbrannte. Ein furchtbares Ende, das Suko ihm trotz allem nicht gegönnt hatte. Er starb unter den Sprechblasen, die nicht in Mitleidenschaft gezogen worden waren. Oder starb er doch nicht? Es hörte sich furchtbar an, schlimm, es hätte auch keine Entschuldigung dafür geben können, aber Suko wunderte sich, weshalb der Mann nicht verkohlte. Sein Körper bewegte sich nicht mehr, und er wurde gleichzeitig umzittert. Da entstand etwas anderes, ein kaum glaubhaftes und erklärbares Gebilde. Menschenähnlich, aber mit einer Kapuze versehen, eine gespenstische Gestalt, ohne Körper und trotzdem da. Ein Schwarzer Priester! Ich habe es gewusst, dachte Suko. Verdammt noch mal, ich habe es gewusst. Es hatte einfach so kommen müssen. Der Schwarze Priester war nicht vernichtet worden, so etwas kann einfach nicht passieren. Er ist da, er ist nicht verändert, denn senkrecht zu seinem Körper stand als Waffe das grüne Lichtschwert. Krieg der Sterne plus Magie, dachte Suko, als er zurückwich, denn er überlegte, wie er dieser Horrorgestalt beikommen konnte. Mit der Peitsche? Bisher hatte sie ihn nicht im Stich gelassen. Er konnte nur hoffen, dass es auch diesmal so war.
Dennoch fürchtete Suko sich, die Dämonenpeitsche gegen den Schwarzen Priester einzusetzen. Ihn irritierte einfach das Lichtschwert, denn er rechnete damit, dass es so mächtig war, um die Riemen der Dämonenpeitsche teilen zu können. Die Gestalt kam vor. Suko erhaschte einen Blick auf das halb zerstörte Reklamegestell. Dort lag der verkrümmte Körper des Mannes namens Kosmos. Sein Leben in dieser Zeit war beendet, aber er war trotzdem nicht tot und als Schwarzer Priester zurückgekehrt, als genau derjenige, der er einmal in Atlantis gewesen war. Geboren in Atlantis! Dieser Satz wirkte lange nach und konnte zu einem Fluch werden. Suko suchte nach einem Ausweg, um diesem Fluch zu entwischen. Gegen das Lichtschwert hatte er keine Chance, da machte er sich nichts vor. Er musste zu Tricks greifen. Der Stab? Da hätte er, wenn dessen magische Kraft überhaupt funktionierte, nur für fünf Sekunden Ruhe gehabt. Danach wäre alles von vorn losgegangen. Und an seine Beretta kam er so leicht nicht heran, dazu hätte er die Gestalt umrunden müssen. Er schlug zu, blitzschnell und ohne Ansatz. Zuerst nach vorn, dann einen Kreis schlagend. Suko sprang zurück. Wie ein Wirbel aus grünem Licht huschte die Spitze an seinem Gesicht vorbei. Suko war zu Boden getaucht, kam nicht wieder hoch, denn der Schwarze Priester war um das Doppelte schneller als er. Plötzlich stand er dicht neben Suko, das Lichtschwert zum Schlag erhoben. Wenn es niederraste und den Inspektor erwischte, würde es ihn in der Mitte teilen. Suko tastete nach seinem Stab, er wollte fünf Minuten Aufschub aber es kam etwas dazwischen. »Nein, so nicht!« sagte eine harte Frauenstimme. Die Gestalt fuhr herum und stand Kara, der Schönen aus dem Totenreich, gegenüber... *** Ich hielt mich im Hintergrund auf und näherte mich mit langsamen, zögernden Schritten dem Schauplatz des Geschehens. Schon mit dem ersten Blick hatte ich erkannt, dass wir genau im letzten Augenblick gekommen waren, um noch etwas zu reißen. Suko lag auf dem Boden und war erschöpft. Er hatte sicherlich sein Bestes gegeben, aber den Schwarzen Priester zu stoppen, war weder meine noch seine Sache. Das musste Kara erledigen!
Beide standen sich gegenüber. Natürlich hatte Kara das Schwert mit der goldenen Klinge gezogen. Diesmal konnte sich ihr Gegner nicht in die Gestalt des Kraken zurückziehen wie damals in Südfrankreich. Ich hatte den Kraken vernichtet. »Es hat gereicht, dass du in Atlantis den Terror verbreitet hast!« erklärte sie. »In dieser Welt ist kein Platz für dich. Ich habe meinen ersten Sieg über einen Schwarzen Priester errungen und mir damals geschworen, dass es nicht der letzte sein wird. Ich bin gekommen, um diesen Schwur einzuhalten.« Das merkte der Schattenmann und schlug zu. So schnell, dass niemand hätte ausweichen können. Suko war in eine sichere Lage gekrochen. Ich hielt mich ebenfalls im Hintergrund auf, und wir beide hatten Angst um Kara. Das erwies sich als unnötig. Sie brauchte kaum etwas zu tun, denn sie besaß das Schwert mit der goldenen Klinge. Der Lichtspeer traf nicht sie, sondern die Waffe und huschte an der Klinge entlang, wobei er gleichzeitig abgelenkt wurde und sich verkleinerte, als hätte man ihm einen Teil seiner Energie genommen. Was der Schwarze Priester jetzt hielt, besaß von der Klinge her die Länge eines Dolches, mehr nicht. Er schwebte zurück, war sehr schnell, geriet in meine Nähe, und sein Lichtschwert verlängerte sich, so dass die Klinge Lanzengröße annahm. Kara griff an. Es war eine Freude für uns zu sehen, wie sie ihre Waffe führte. Natürlich wollte der Schwarze Priester abwehren, was ihm nur teilweise gelang, denn die goldene Klinge absorbierte die mächtige und böse Kraft des Lichts. So kam Kara durch! Schräg schnitt die Klinge in die Gestalt des Unheimlichen. Wir konnten sehen, wie sie geteilt wurde und plötzlich aus zwei unabhängigen Hälften bestand. Und das Lichtschwert wechselte gedankenschnell von einer Hälfte zur andern. Auf der linken saß noch der Schädel, der diese Kapuzenform besaß, aber es waren beide Arme vorhanden. Die Lichtlanze raste auf Kara zu, um sie in der Mitte des Körpers zu durchbohren. Sie konterte, drehte ihr Schwert, die Breitseite der Klinge wehrte die erneute Attacke ab, dann schrie sie gellend auf, als wollte sie sich selbst Mut machen. Mir wurde blümerant zumute, als ich diesen wahnsinnigen Schrei hörte. Ich bekam Angst um Kara, aber es ging alles glatt. Sie hatte sich tatsächlich nur selbst Mut gemacht und führte ihre Waffe über die grüne Lichtlanze hinweg. Gezielt war die goldene Klinge auf den Kopf. Dort traf sie auch.
Plötzlich bestand der Schwarze Priester aus drei Teilen. Aus drei Versatzstücken, aus drei Schatten, die sich nicht mehr zusammenfügen konnten, denn Kara schlug weiter zu. Wir erlebten sie als Kämpferin. Ihre Waffe schlug einen rasenden Wirbel, und sie zielte jetzt genauer, denn das Lichtschwert durfte nicht mehr existieren. Es war kaum zu fassen, aber Karas Treffer raubten dem Lichtschwert die Energie und die Magie. Was blieb zurück? Nichts! Der Schwarze Priester, kein Mensch, kaum Dämon, mehr eine Projektion des Bösen, war verschwunden. Und Kara steckte ihr Schwert weg! »So«, sagte sie mit Triumph in der Stimme. »So, das wäre geschafft, Freunde.« Wir nickten, sahen ihr Lächeln und lachten laut, so dass es befreiend über die Dächer hallte... *** Im Innenhof fanden wir sie. Die Verdammten der Großstadt mussten den Kampf als Zeugen mitbekommen haben. Sie standen da, sagten nichts und sahen aus wie Menschen, die aufgegeben hatten. Wir trieben sie zusammen, entwaffneten sie. Erst jetzt trauten sich die Menschen aus ihren Wohnungen. Ich wies einen Mann an, die Polizei zu alarmieren, auch die Mordkommission, denn die Kollegen würden sich mit den Mitgliedern noch näher beschäftigen, um Hintergründe zu erfahren. Kara blieb etwas im Hintergrund. Sie stand wie verlegen da und schien nachzudenken. Suko war verschwunden, deshalb ging ich zu ihr und fragte sie. Die dunklen Gestalten waren bei den Bewohnern der Gegend unter guter Kontrolle. Sie hatten lange unter ihnen gelitten und würden dafür sorgen, dass keiner entwischte. »Ich denke, John, dass ich hier wohl nicht mehr gebraucht werde -o der?« »Nein, du kannst gehen.« Ich legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Nochmals, danke.« »Geht schon klar.« Als sie ging, rief ich noch: »Grüße Myxin und den Eisernen.« »Mach ich.« Sie winkte und war weg. Beim Umdrehen sah ich Suko. Er war nicht allein. Neben ihm ging Lulu her. Sie sah schlecht aus, Su-ko musste sie stützen. Dann entdeckte sie mich, über ihr Gesicht rann ein Strahlen. »Sinclair, verdammt, ich wollte es nicht glauben, nein, das wollte ich nicht.« »Was denn?«
»Dass Chrysantheme, du weißt schon, meine Freundin, dich so gelobt hat.« »Da hat sie übertrieben.« »Nein, du Superbulle, und auch du, Suko, sie hat nicht, übertrieben. Ich weiß, dass ihr okay seid, so verflucht okay ... « Sie senkte den Kopf und begann zu weinen. Suko hielt Lulu fest. »Widerspruch, John?« Ich musste grinsen. »Nein du denn?« »Auch nicht.« »Dann ist ja alles okay...«
ENDE