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Roy Palmer 1.
Ben Brighton verzog gequält das Gesicht. Die Armverletzung, die er sich auf dem Höllenriff...
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Seewölfe 94 1
Roy Palmer 1.
Ben Brighton verzog gequält das Gesicht. Die Armverletzung, die er sich auf dem Höllenriff zugezogen hatte, bereitete ihm immer noch große Schmerzen. Er hockte fluchend auf dem Rand der Kuhlgräting des Quarterdecks, hatte den Arm bis zur Schulter entblößt und streckte ihn dem Kutscher entgegen. Gewiß, er war nicht der einzige, der bei jenem Abenteuer Blessuren davongetragen hatte. Aber ihm machten die Folgen am meisten von allen zu schaffen. Während alle anderen Verletzten weitgehend genesen waren, plagte er sich immer noch mit dem verletzten Arm ab, dem „blöden Flunken“, wie er ihn nannte. „Verdammt und zugenäht, ich könnte aus der Haut fahren“, wetterte er. „Daß ausgerechnet mir das passieren mußte!“ Der Kutscher, Koch und Feldscher an Bord der „Isabella VIII.“, musterte ihn in einer Mischung aus Mitleid und Verständnislosigkeit. „Hör mal, Seewölfe sind auch nicht unverwundbar, das ist dir doch klar, oder?“ „Kutscher, fang jetzt bloß nicht mit deiner Klugschnackerei an.“ Bens Stimme hatte einen drohenden Klang. „Ich meine ganz was anderes.“ „Ich wollte doch nur … „ ...meinen Verband wechseln, und damit hat sich die Sache“, erwiderte Ben. Die Schmerzen hatten ihn in den letzten Tagen ziemlich ungenießbar werden lassen. Er nörgelte dauernd herum, hatte an den Decksarbeiten mehr auszusetzen als gewöhnlich, kurz, es war nicht gut Kirschen essen mit ihm. Aber die Crew sah es ihm nach. Zum einen, weil er der erste Offizier und Bootsmann war, zum anderen, weil sie von Profos Carberry ohnehin einiges gewohnt waren, und zuletzt auch, weil Ben sonst ein prima Kerl war. Sein Gemecker würde sich schon wieder legen. Kopfschüttelnd befaßte sich der Kutscher mit dem Verband. Er löste ihn, betrachtete die Wunde und sagte: „Tja, das sieht allerdings nicht sehr schön aus.“ „Schön? Du bist ein Witzbold, Kutscher.“,
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„Ich meine ...“ „Seit wann ist eine Blessur schön, du Barsch? Sie sieht immer häßlich aus, wenn ich mich nicht irre.“ „Jetzt verstehst du mich falsch, Ben“, sagte der Kutscher. „Deine Gesundung hätte schon weiter voran sein müssen. Ich kann begreifen, daß die Schmerzen dir sehr zusetzen.“ Grimmig blickte Ben ihn an. „So? Na, ist ja fein. Aber jetzt mal im Ernst, du Pferdedoktor: Kriege ich etwa das Wundfieber?“ „Glaube ich nicht.“ „Das sagst du bloß, um mich zu beruhigen.“ „Ach, Unsinn. Warum sollte ich dichanschwindeln? Ein Ben Brighton kann doch die Wahrheit vertragen, oder?“ „Jawohl, das kann er“, erwiderte Ben Brighton. Der Kutscher bepinselte die Blessur mit einer keimtötenden, heilenden Flüssigsubstanz. Ben preßte die Lippen zusammen. Er sah Sterne, so biß und brannte das Zeug in seiner Verletzung, aber er gab keinen Wehlaut von sich. Im übrigen hätte der Kutscher sich ohnehin den Teufel darum geschert, wenn er sich beklagt hätte. Kunstvoll umwickelte der Kutscher Bens Arm mit sauberem Leinentuch. Hasard verfolgte die Szene vom Achterdeck aus. Er stand an der Five-Rail und hielt die Handleiste mit den Fingern umspannt. Zu dem Geläster Ben Brightons gab er keinen Kommentar ab. Er nahm es nur oberflächlich auf, ebenso wie die beschwichtigenden Reden des Kutschers. Hasard sah ihnen zu, aber er war mit den Gedanken woanders, in weite Ferne entrückt. Die Mumie des toten Kapitäns an Bord des schwarzen Seglers hatte ihnen allen ein neues Rätsel aufgegeben. Ihr Fund und das Vermächtnis des Kapitäns, dem sie auf die Spur gekommen waren, hatte ihrem ganzen Streben mehr denn je neue Aspekte verliehen. Ein neues Ziel war gesetzt, und sie segelten darauf zu, obwohl der Crew
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der Aberglaube immer noch tief in den Knochen steckte. Nicht alles, was mit dem schwarzen Segler zu tun hatte, schien mit rechten Dingen zugegangen zu sein. Niemand konnte es beweisen, doch die Männer lebten mit dieser Ansicht. Sie hatten inzwischen aber auch gelernt, daß es selbst mit dem Geheimnisvollen, Unerklärlichen eine Art Koexistenz gab, mehr noch, eine Symbiose. Siri-Tong hatte den Beweis dafür geliefert. Sie hatte zusammen mit Thorfin Njal, dem Wikinger, den Segler übernommen. Der Viermaster war überholt und neu ausgerüstet worden, und bisher war er weder auf Grund gelaufen noch mit Mann und Maus bei den Haifischen gelandet. So hatte sich das Verderben, das er angeblich brachte, bisher noch nicht ereignet. Die Einstellung beider Crews, der Seewölfe und der Piraten der Roten Korsarin, zu dem Schiff hatte sich also geändert. Hasards Männer waren jetzt von der Idee, nach China zu gelangen, geradezu besessen. Gewiß, Siri-Tong hatte den Seewolf gewarnt, in das Land ihrer Ahnen zu fahren. Aber er ließ sich nicht abschrecken. Im Gegenteil. Siri-Tongs mahnende Worte stellten für ihn eher noch einen zusätzlichen Ansporn dar. So war er nun mal. Dreimal kräftig gegen den Wind spucken, dem Teufel ein Ohr absegeln und allen Gefahren trotzen, das war seine Devise. Er hatte Seekarten, die ihm bei der Festlegung des richtigen Kurses halfen. Er wußte, daß er zunächst den südlichsten Zipfel der Neuen Welt umrunden mußte, um in den Stillen Ozean zu gelangen und ihn durchqueren zu können. Das machte er nicht zum erstenmal. Mit Kapitän Drake hatten sie die Magellanstraße durchfahren, vor über fünf Jahren. Damals war ihr Verband auf weniger als die Hälfte reduziert worden, damals hatte es eine Menge Widrigkeiten gegeben – auch auf den Schiffen -, die das Unternehmen zur Hölle hatten werden lassen. Aber sie hatten es geschafft und die gefürchtete Passage hinter sich gebracht.
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Dieses Mal wollte der Seewolf anders vorgehen. Er wollte rund um Kap Hoorn segeln. Er stand auf den dicken Eichenplanken eines neu konzipierten Schiffes, seiner „Isabella VIII.“, die mit ihrer flachen Konstruktionsweise, den langen Masten und der größeren Seetüchtigkeit und Manövrierfähigkeit allen anderen Galeonen haushoch überlegen war. Kap Hoorn würde ein Prüfstein für die „Isabella“ sein. Hasard ging mit Ehrgeiz und todesmutiger Entschlossenheit an diese Aufgabe heran. Nichts konnte ihn mehr aufhalten. Ein Korsar Ihrer Majestät von England, Elisabeth I., war nicht nur ein simpler Kaperfahrer, nicht bloß ein Schnapphahn zur See, der dem Todfeind Spanien entriß, was er irgend erbeuten konnte. Korsaren führten einen Kaperbrief der Königin bei sich, der sie zu einer anderen Kategorie stempelte als die blutrünstigen KaribikPiraten und der sie gleichsam verpflichtete, sich höhere Ziele zu setzen. Sie empfanden sich nicht als „was Besseres“, nicht als eine hochmütige Klasse, die arrogant auf das primitive Volk herabblickte, nein - nur in ihrer Menschlichkeit wollten sie sich anders verstanden wissen. Sie töteten nicht aus Vorsatz. Nur, wenn sie keine andere Wahl mehr hatten. Sie zerstörten nicht die Kultur der Urbewohner der neuen Welt, mordeten nicht, wüteten nicht wie die Barbaren. Vielmehr hatten sie sich - Drakes Vorbild folgend - mit den Indianern immer wieder verbündet. Und ganz nebenbei hatten sie dadurch mehr über die Geheimnisse dieser Stämme erfahren als die Spanier mit ihren Maßlosigkeiten. Auf ihre Art waren die Seewölfe Entdecker, vielleicht, auf ganz bescheidene Weise, auch Forscher. Und so sollte es auch sein, wenn sie jemals nach China, in jenen rätselhaften Kontinent Asien gelangten. Hasard strebte die gegenseitige Verständigung an. Nicht den Krieg. Fast unausgesetzt fragte er sich, ob ihm das wohl gelingen würde.
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Nun, zwischen seine jetzige Position und das ersehnte Ziel hatte der Herrgott einen harten Törn gelegt. Hasard hätte die „Isabella“ gern nach allen Regeln seemännischer Kunst vorangeknüppelt, doch er konnte es nicht. Siri-Tong wollte ihn unbedingt mit ihrem schwarzen Schiff begleiten. Nach langem Zögern hatte er eingewilligt, und jetzt wartete er auf sie, indem er langsam an der Küste des Südamerikanischen Kontinents entlangsegelte. Sehr langsam für seine Begriffe. Siri-Tong war mit ihrem schwarzen Segler nach Trinidad und Tobago unterwegs. Immer noch fehlten ihr Besatzungsmitglieder. Trotz des „Zuwachses“ durch die fünf Wikinger Thorfin Njal, Eike, Oleg, Arne und den Stör war das Schiff total unterbemannt. Auf den Inseln wollte Siri-Tong die Lücke auffüllen. Irgendwie. Für eine so lange Reise wie die von Hasard geplante brauchte sie eine vollzählige, qualifizierte Besatzung. Und wenn sie die Männer nicht auf freiwilliger Basis erhielt, so würde sie sie eben pressen lassen. Hasard mußte lächeln. Siri-Tong, dieses schöne, schwarzhaarige Wesen mit dem Schneid eines echten Korsaren hatte ihn genervt, in Wut versetzt und immer wieder herausgefordert. Und doch war es ihr gelungen, ihn für sich zu gewinnen. Sie liebte ihn, und auch er empfand jetzt die innere Beteiligung, die sie sich so sehr ersehnt hatte. Nach allem zusammen Erlebten wußte er, daß sie eine fabelhafte Verbündete war, die er nicht mehr missen wollte. Daher hatte er ihrem Drängen nachgegeben. Die „Isabella“ segelte mit Kurs Südosten an der Küste entlang. Der Wind blies vom Atlantik, wie er das in diesen Gebieten meistens tat, aus Nord bis Nordost also, so daß die Galeone meist mit halbem Wind über Steuerbordbug segelte. Paramaribo lag irgendwo im Morgendunst des neuen Tages. Steuerbord achteraus – eine spanische Siedlung auf der Tierra Ferma, wie die Spanier den Kontinent
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bezeichneten. um ihn sprachlich von Neuspanien zu unterscheiden. Eine der Städte, von denen aus die „bärtigen Männer“ ihr teuflisches Geschäft mit den Reichtümern des Landes betrieben, wo Korruption, Laster und Verfall blühten. Hasard schaute etwas betrübt zu den Masten der „Isabella“ hoch. Vollzeug konnte er nicht setzen lassen. Er mußte auf die Rote Korsarin warten und langsam segeln, es blieb ihm nichts anderes übrig. „Schluß, aus und basta“, sagte Ben Brighton unten auf dem Quarterdeck. „Hau jetzt endlich ab und laß mich in Ruhe, du Quacksalber.“ Der Kutscher befühlte ihm die Stirn und zog seine unteren Augenlider noch ein Stück tiefer, um darunterschauen zu können. Das lief nicht ohne Bens mordsmäßiges Gewetter ab. Der Kutscher beschloß, ihn auf einmalige Weise zu kurieren. Sir Anthony Abraham Freemont, Arzt in Plymouth, hatte ihm einiges von seinen Künsten übermittelt, auch die Art und Weise, wie man störrische Patienten seelisch beeinflussen konnte. „Ben“, sagte der Kutscher mit ernster Miene. „Ich glaube, du hast zu viel Blut. Wenn das so weitergeht mit deinem Allgemeinzustand, muß ich zu anderen Maßnahmen greifen.“ „Komm mir nicht mit deinen stinkenden Salben und Kräutermixturen“, erwiderte Ben finster. Der Kutscher schüttelte den Kopf. „Nein, diesmal müßte ich Schröpfköpfe oder Blutegel ansetzen. Oder dich zur Ader lassen. Falls dein schlimmer Arm nicht gesund wird, und wenn du vor allen Dingen ewig so weiternörgelst, muß ich wirklich damit anfangen, dir das Blut abzuzapfen. Weißt du, so was wirkt manchmal Wunder. Ich hatte da mal einen Fall ...“ „Nein!“ Ben fuhr hoch wie von der Tarantel gestochen. „Kommt überhaupt nicht in Frage. Ich fühle mich schon viel besser, verstanden?“ „Aye, aye”, antwortete der Kutscher.
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Ben Brighton wandte sich ab und marschierte den Backbordniedergang zum Achterdeck hoch. Grollend stapfte er an seinem Kapitän vorbei. Hasard vernahm amüsiert, wie er murmelte: „Ich bin doch kein Gaul, verdammt noch mal, dem dieser Pferdedoktor in den Leib jagen kann, was ihm gerade einfällt. Himmel, er soll seine blöden Versuche mit jemand anders anstellen, der Saftsack.“ Big Old Shane, der alte O'Flynn und Ferris Tucker, die ganz in Hasards Nähe auf dem Achterdeck standen, lachten sich eins. Der größte Teil der Crew auf dem Hauptdeck hatte die ergötzliche Szene ebenfalls verfolgt und grinste breit. Carberry fühlte sich befleißigt, Ben beizustehen. Breitbeinig stelzte er über die Kuhl und fuhr die Mannschaft an. „Was glotzt ihr wie Kühe kurz vorm Kalben, was, wie? Ist das vielleicht eine Art, Dienst zu schieben? He, Matt, klarier das verdammte Fall, das da lose rumhängt, du Rübenschwein, sonst zieh ich dir die Hammelbeine lang. Bill, hastiger mit dem Schwabberdweil, sonst hau ich ihn dir um die Ohren, kapiert? Bewegung, Bewegung, ihr Stinkstiefel, oder ich mach euch Dampf, Himmel, Arsch und Zwirn! Kutscher, hau ab in die Kombüse und heiz deine Holzkohlef euer an, damit wir was zum Frühstück kriegen, sonst setze ich dich mit dem Achtersteven in die Glut!“ So ging das ohne Unterbrechung mindestens eine Viertelstunde lang. Eine Änderung der Lage trat erst ein, als Dan O'Flynns Stimme in die allgemeine Heiterkeit und Carberrys ohrenbetäubendes Gebrüll fiel. „Deck! Land in Sicht! Backbord voraus!“ Die Männer wandten die Köpfe und blickten voraus. Bill ließ sogar seinen Schwabberdweil los und traf Anstalten, auf die Back zu Al Conroy und Smoky zu stürzen. Aber Edwin Carberry hielt ihn fest. „Holla, nicht so stürmisch, Söhnchen. Mehr Disziplin beim Aufklaren, oder es gibt was an die Ohren.“
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Carberrys Stimme dröhnte in Bills Gehörgängen. Der neue Schiffsjunge, den sie erst vor kurzem von Jamaika mitgenommen hatten, lief vor Wut rot an, Er war erst fünfzehn Jahre alt, aber er wollte schon ein richtiger Seewolf sein. Es brachte ihn zur Raserei, wenn man ihm zu verstehen gab, daß er noch grün hinter den Ohren sei. In der Beziehung verhielt er sich genauso wie seinerzeit Dan O'Flynn. Der hatte früher das Gebrüll und Gestänker des Profos' nämlich auch nicht leiden können: Inzwischen zog Carberry ihn nicht mehr auf. Dan war erwachsen, kein „Bürschchen“ mehr - und Carberrys Spott konzentrierte sich auf Bill. Bill schrie: „Ich habe auch ein Recht darauf, das Land zu sehen, zum Teufel noch mal!“ Carberry beugte sich tief über ihn und reckte dabei bedrohlich sein Rammkinn vor. Ein höhnisches Grinsen nistete in seinen Mundwinkeln; gleich in der Nachbarschaft der vielen Narben, die sein Gesicht bedeckten. „Keine Haare auf der Brust, aber große Töne spucken, das haben wir gern. Hör zu, Freundchen, schrubb die Planken, daß die Schwarte kracht, sonst hänge ich dich an der Rahnock zum Zappeln auf.“ Bill wollte wieder aufbegehren, aber dann resignierte er doch mit einem Seufzer. „Aye, aye, Sir“, sagte er. „Gut so.“ Carberry richtete sich wieder zu seiner vollen Größe auf. Er schritt zum Backbordschanzkleid, deckte die Augen mit der Hand gegen die Sonne ab und versuchte, in den Schleiern des grauen Morgenlichtes etwas von dem erwähnten Land zu erspähen. „Gehörnter Decksaffe!“ Bill zerdrückte dieses Schimpfwort nur zag- haft auf den Lippen; im übrigen beschäftigte er sich folgsam mit Schwabberdweil und Planken. Er wußte, daß er dem Profos Respekt zu zollen hatte. Carberry konnte fuchsteufelswild werden, wenn jemand frech wurde. Außerdem wußte Bill noch nicht richtig, wie dieser Bulle von einem Mann zu nehmen war. Er ließ lieber die
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Finger davon. Der einzige, der dem Profos jemals Paroli geboten hatte — so wurde an Bord der „Isabella“ erzählt —, war der Seewolf höchstpersönlich gewesen. Der hatte seinerzeit auf Drakes „Marygold“ Carberry das Fürchten gelehrt. Bill seufzte wieder. Um soweit gehen zu können, mußten ihm tatsächlich erstmal die Haare auf der Brust und ein paar Muskeln mehr wachsen. 2. Hasard setzte das Spektiv ab. „Drei Inseln“, sagte er. Er stand am Backbordschanzkleid des Achterdecks, neben Ben, Ferris, Shane und Old O'Flynn. „Ich glaube, die größte davon erwähnte Jean Ribault einmal, als wir über diesen Küstenstrich sprachen. Er nannte sie Ile du Diable oder so ähnlich.“ Ben horchte auf. „Teufelsinsel? Warum?“ „Keine Ahnung. Ich erinnere mich nicht.“ „Wir könnten sie anlaufen“, schlug Big Old Shane vor“„Vielleicht finden wir eine Bucht, in die wir unsere ‚Isabella' verholen können. Ich meine, wir könnten dort vielleicht in aller Ruhe auf den schwarzen Segler warten.“ Hasard schüttelte den Kopf. „Nein. Nichts für ungut, Shane, aber ich will kein Risiko eingehen. Die Spanier haben immer noch eine Stinkwut auf uns. Denk mal an den Konvoi, den wir an der Nordküste von Kuba ausgenommen haben, denk an die anderen zuletzt erlebten Abenteuer mit den Dons — das alles haben sie lange noch nicht verdaut. Und sie suchen uns. Vielleicht haben wir sie schon wieder am Hals. Ich will jetzt so wenig Zusammenstöße wie möglich mit ihnen haben. Ich will nach Kap Hoorn.“ Ben sagte: „Und du meinst, auf der Insel würden sie uns aufstöbern?“ „Ich bin überzeugt davon.“ „Das heißt, es gibt spanische Siedlungen auf den Inseln?“ fragte der alte Donegal Daniel O'Flynn. Hasard lachte. „Da bin ich überfragt. Ich habe nur so ein dumpfes Gefühl, daß hier früher oder später Philipps auftauchen
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könnten. Das ist alles. Ich halte es für besser, wenn wir weitersegeln.“ Carberry, von alledem wenig berührt, marschierte schon wieder über die Kuhl, und zwar auf das Vordeck zu. Das Kombüsenschott stand offen. „Kutscher!“ brüllte er. „Wird's bald mit dem Frühstück? Zum Henker, ich habe einen Kohldampf, der schön auf keine Kuhhaut mehr geht!“ Der Kutscher mühte sich mit dem Entfachen der Holzkohlefeuer ab. Aber aus dem Frühstück wurde nichts mehr. Und in den nächsten Minuten nahm die Situation eine so dramatische Wende, daß der Kutscher sich überhaupt hütete, jedwede Art von Feuer zum Glimmen zu bringen. „Deck!“ schrie Dan O'Flynn wieder aus dem Hauptmars. „Steuerbord voraus Mastspitzen!“ Hasard fuhr herum, lief zum gegenüberliegenden Schanzkleid der Steuerbordseite und hob wieder das Spektiv ans Auge. Wie gebannt hielt `er in der von Dan angegebenen Richtung Ausschau, vermochte aber nichts zu entdecken. Er verließ das Achterdeck, hastete auf die Kuhl, begab sich mit einem federnden Satz auf das Steuerbordschanzkleid und enterte behende in den Leehauptwanten auf. Er kletterte über die Segeltuchverkleidung des Großmarses hinweg und kauerte sich neben O'Flynn. Arwenack, der Schimpanse, hockte ebenfalls hier oben in dem luftigen, schwankenden Posten. Er quittierte Hasards Erscheinen mit einem freudigen Laut. Hasard tätschelte ihm den Kopf, dann richtete er seinen Kieker erneut nach Süden und forschte nach den Mastspitzen. Diesmal sichtete er sie, hauchfein nur über der schwachen Linie, an der der Himmel mit der See zusammenzustoßen schien. Schemenhaft, kaum wahrnehmbar zeichneten sich die Toppen und die Stengen mit ihren Flögeln ab. „Hut ab vor deinen scharfen Augen“, sagte Hasard.
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„Glaubst du etwa, ich lasse nach?“ erwiderte Dan. „Nein. Aber ich glaube was anderes.“ Hasards Miene wurde grimmig. „Wer immer die fremden Schiffe auch sind, freundlich gesonnen sind sie uns bestimmt nicht. Sie scheinen ihren Kurs zu wechseln.“ Dan blickte nun auch wieder durch sein Fernrohr. „Stimmt. Erst hatten sie Kurs nach Norden, jetzt drehen sie auf Nordosten ab. Was hältst du davon?“ „So wenig wie du. Sie haben uns ebenfalls entdeckt.“ „Und jetzt reagieren sie.“ „Aber sie kneifen nicht vor uns aus“, sagte Hasard. „Sondern?“ „Sie verlegen uns den Weg.“ „Der Teufel soll sie holen“, stieß Dan aus. Hasard wartete noch ein paar Minuten, bis sich die fremden Segler deutlicher vor ihm im Morgenlicht abhoben, dann konnte er jeden Zweifel über ihre Identität ausräumen. „Spanier“, murmelte er nach einem erneuten Blick durch das Spektiv. „Die Hoheitszeichen flattern in den Toppen. Ich will keine Schwarzmalerei betreiben, Dan, aber ich glaube nicht, daß das harmlose Kauffahrer oder Silbergaleonen Seiner durchlauchten Majestät, Philipps II., sind.“ „Also Kriegsschiffe?“ „Ich denke schon.“ „Verdammt und zugenäht“, sagte Dan. Hasard kehrte wieder auf die Kuhl zurück, klomm zum Quarterdeck hoch und rief seinen Männern zu: „Alle Mann auf Gefechtsstation. Klar Schiff zum Gefecht, und zwar im Eiltempo!“ „Aye, aye“, dröhnte Carberrys Stentorstimme. „Klar zum Gefecht. Lauft, ihr Himmelhunde, wetzt, hopp-hopp, an die Geschütze, im Galopp, sonst ziehe ich euch die Haut in Streif en von euren Affenärschen!“ Sofort setzte hektische Betriebsamkeit ein. Das Trappeln nackter Fußsohlen auf Oberdeck, das Knarren der Stückpforten und das Rumpeln der Kanonen auf ihren Hartholzrädern waren die Geräuschkulisse,
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die das konzentrierte Schuften der Crew begleitete. Längst hatte der Kutscher die Kombüse wieder verlassen. Die Kessel blieben kalt, die Morgenmahlzeit fand nicht statt. Der Kutscher streute Sand auf Deck aus, damit die Männer an den Geschützen bei einem eventuellen Gefecht einen festeren Stand hatten. Er ließ hölzerne Kübel und Segeltuchpützen außenbord ab und holte Seewasser herauf, das er zum Befeuchten der Wischer bereitstellte. Hasard beobachtete die Vorbereitungen auf der Kuhl. Während nur ein winziger Teil der Mannschaft zum Ausführen der Segelmanöver an den Brassen und Schoten verblieben war, hockte das Gros bei den Culverinen. Sechzehn 17-Pfünder waren das, acht auf jeder Seite. Sie verfügten über außerordentlich lange Rohre, ein Umstand, der der „Isabella“ in fast allen Gefechten einen Vorteil sicherte. Die Culverinen waren in Ladestellung gebracht worden, Zugtaljen hielten sie bis zum Abschluß dieses Vorganges noch in der vorgeschriebenen Position. Weitere Taljen würden sie später in Feuerstellung bringen, und jede Kanone wurde durch ein Brooktau in ihrem Rückstoß aufgefangen, wenn es hart auf hart ging. Matt, Gary, Smoky, Blacky und all die anderen füllten mit den Kellen Pulver in die Bodenstücke der Geschütze. Danach preßten sie mit den Ansetzern Kabelgarn auf die Pulverladungen. Schließlich führten sie die Rundkugeln ein, die durch weitere Wergknäuel in ihrer Lage gehalten wurden. Zuletzt wurden die Zündlöcher mit Pulver gefüllt. Ein ganzes Arsenal verschiedenartiger Geschosse lag bereit: Kettenkugeln, Kastenkugeln, Stabkugeln und Kartätschenkugeln in Leinwandbeuteln. Letztere waren eine von Al Conroys neuesten Spezialfertigungen. Al, Hasards Waffenexperte, hatte auf der Back die beiden Drehbassen geladen. Bei ihnen ging diese Prozedur anders vonstatten, sie waren Hinterlader.
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Old O'Flynn hatte die beiden Bassen des Achterkastells entsprechend vorbereitet. Knapp mehr als eine Minute war verstrichen, und die „Isabella“ rauschte als Festung zur See gegen den Feind an. „Schiff klar zum Gefecht!“ meldete Carberry. Hasard winkte ihm zu, dann schaute er wieder durch sein Spektiv. Die Distanz zwischen beiden Gegnern war geschrumpft. Er konnte nun die Stärke des spanischen Verbandes abwägen. Es waren fünf Schiffe, drei Galeonen und zwei Karavellen. „Ausnahmslos gut armiert“, sagte er besorgt. „Schwere Brocken. Die sind nicht leicht zu knacken, das schwöre ich euch.“ „Kneifen können wir aber auch nicht“, entgegnete Big Old Shane. Hasard warf ihm einen Seitenblick zu. „Wer sagt denn, daß wir kneifen wollen, Shane?“ „Du willst doch Auseinandersetzungen meiden, oder?“ „Das darf aber nicht in Feigheit vor dem Feind ausarten, mein Bester.“ „Also, was ist nun?“ fragte der graubärtige Riese verwirrt. „Segeln wir ihnen vor der Nase weg oder hauen wir ihnen die Jacke voll, diesen geschniegelten Lackaffen?“ Längst hatte Hasard Vollzeug setzen lassen. Mit steiler Bugwelle schob sich die „Isabella“ dahin, hart am aus Nordosten einfallenden Wind. Der Seewolf hatte noch die Luvposition, aber damit war ihm nicht geholfen. Zwar waren die Spanier gezwungen zu kreuzen, doch sie brachten es trotzdem fertig, ihnen den Weg abzuschneiden. „Verfluchter Mist“, sagte Ben Brighton. „An Backbord haben wir die Inseln liegen.“ Hasard sah ihn plötzlich an. „Und, Ben?“ „Ich schätze, wir können nicht einfach zwischen den Inseln hindurchsteuern, weil wir Untiefen fürchten müssen.“ „Wir versuchen es“, erwiderte der Seewolf. „Freunde, diese Übermacht an Spaniern erscheint mir zu groß, außerdem gibt es bei denen nichts zu holen außer Waffen und Munition. Damit sind wir bereits
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ausreichend versorgt. Wenn es irgend geht, will ich verhindern, daß unsere ,Isabella` in Stücke geht.“ Shane lag eine scharfe Erwiderung auf der Zunge, aber er sprach sie nicht aus. Natürlich hatte Hasard recht. Fürs Kneifen war er ganz und gar nicht, das wußten sie zur Genüge. Nur hielt er es für taktisch richtiger, sich mit dem Kriegsschiffverband nicht anzulegen. „Anluven“, befahl Hasard. „Pete, fünf Strich Backbord!“ „Fünf Strich Backbord, Sir“, erwiderte Pete Ballie, der Rudergänger. „Wir gehen auf Ostkurs und segeln zwischen den Inseln hindurch!“ rief Hasard. „Ostkurs!“ brüllte Carberry. „Braßt an, ihr Halunken, oder muß ich euch das erst wieder vorexerzieren? Oh, ihr abgeschlafften Mastaffen. habt ihr heute Feiertag?“ Schneller hätte er der Crew die Manöver auch nicht vorführen können, aber er betrachtete es eben als eine Art Existenzberechtigung, in seiner Funktion als Profos den Männern überflüssige Anweisungen auf ureigene Art zuzuschreien. Die „Isabella VIII:“ schwenkte mit ihrem Bug nach Osten und ging hart an den Wind. Die Segel waren so weit angebraßt wie irgend möglich, und jede Sekunde drohte das Schiff in den Wind zu laufen. Hasard preßte die Lippen zusammen. Er korrigierte nicht, hielt den neuen Kurs strikt ein und knüppelte seinen Dreimaster mit eiserner Hand. Die größte der Inseln war diejenige, die am dichtesten zum Festland hin versetzt aus der See aufragte. Hasard steuerte auf sie zu. Er blickte wieder durch das Spektiv und registrierte erst jetzt, daß auf dem Eiland Bauten existierten. Bisher hatten sich die Gebäude für ihn und seine Crew im toten Blickfeld befunden. Jetzt schob sich ihr Schiff auf das südliche Inselufer zu, und allmählich rückten die Zeugen menschlichen Wirkens in den Sichtbereich.
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„Befestigungsanlagen!“ rief Dan O'Flynn. „Da öffnet sich eine Bucht an der Ostseite der Insel — mit einem richtigen Hafen! Die bauen da ein Fort oder was Ähnliches!“ „Die?“ wiederholte Ben Brighton. „Wen meint er damit?“ „Dreimal darfst du raten“, sagte Hasard bissig. „Ile du Diable“, sagte Ferris Tucker. „Auf Spanisch Isla del Diablo. Mann, mich soll wirklich der Teufel holen, wenn da nicht was oberfaul ist.“ Er hatte noch nicht ganz ausgesprochen, da stieß Dan einen gellenden Schrei aus. Hasard fuhr zusammen wie unter einem Peitschenhieb. Er blickte nach oben und sah, wie Dan die rechte Hand nach vorn stieß und mit dem Zeigefinger auf etwas wies. Hasard senkte wieder den Blick und spähte in die Richtung zur Insel. Sie war ungefähr so groß wie Little Cayman, jedoch nicht langgestreckt wie jene, sondern rund wie ein gigantischer, leicht deformierter Kuchen. Hasard brauchte nicht herumrätseln, auf was Dan hinweisen wollte. Er sah jetzt auch, was sich da aus der Bucht mit den Befestigungsanlagen hervorschob. Schiffe. Wieder ein ganzer Verband! „Vier Galeonen“, sagte Hasard. „Kriegsschiffe. Spanier. O Hölle und Teufel, was haben wir uns da bloß eingebrockt!“ „Laß uns erst mal heran sein!“ rief der alte O'Flynn. „Dann braten wir ihnen eins über, daß ihnen Hören und Sehen vergeht.“ Hasard spielte mit diesem Gedanken. Aber dann sah er drüben die Stückpforten der spanischen Schiffe hochgehen und zählte fünfzehn bis zwanzig auf jeder Galeone. Das hieß: Jeder dieser Segler brachte mindestens dreißig Geschütze gegen sie auf, im günstigsten Fall waren es insgesamt hundertzwanzig Kanonen auf dieser Gegnerseite. Und die fünf Schiffe an Steuerbord? Die verfügten über mindestens ebenso viele Kanonen.
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„Durch den Wind mit dem Kahn!“ schrie er. „Wir gehen über Stag und auf Gegenkurs!“ Carberrys Gebrüll purrte die Crew erneut an die Schoten und Brassen. Pete Ballie legte das Steuerruder scharf herum, und prompt reagierte die „Isabella“. Sie luvte dicht vor der Südküste der Insel an, riskierte, mit irgendwelchen Riffs oder anderen Untiefen zu kollidieren, ging durch den Wind, fiel ab, segelte nun. über Backbordbug und hatte den Wind schließlich raumschots. Sie nahm neue Fahrt auf, schoß wie ein erbostes Füllen nach Westen - und doch brachte es nicht den gewünschten Erfolg. Die fünf Gegner, die aus Richtung Festland .aufgekreuzt waren, hatten sich auseinandergefächert und rückten Hasard nun als breite Phalanx auf den Leib. Zwei Galeonen bewegten sich nach Nordwesten und schnitten ihm auch von dieser Seite den Weg ab. „Es hat keinen Zweck“, stieß Hasard wütend aus. „Wir müssen uns stellen. Sie haben uns umzingelt. Das Kesseltreiben beginnt.“ „Aber noch haben sie uns nicht am Achtersteven zu packen!“ rief Old O'Flynn zurück. „Hey, wo bleibt denn dein alter Kampfgeist, Seewolf? Bist du nicht in Ordnung? Mann, was ist denn in dich gefahren'?“ Hasard sah zu ihm, ihre Blicke verfingen sich ineinander. Plötzlich grinste Hasard. In diesem Augenblick haftete ihm tatsächlich etwas Wildes, Wölfisches an. ..Ich brauche weder Schröpf köpfe noch Blutegel, um mich zu kurieren. falls du das meinst, du alter Oberhalunke. Mir fehlt nichts.“ „Mir auch nicht“, platzte Ben Brighton heraus. Er schwenkte sogar seinen verwundeten Arm. „Heda, auf was warten wir eigentlich noch?“ „Auf gar nichts“, erwiderte Hasard. „Es geht lös.“ 3.
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Mit dem Kapitän der ganz nach Westen versetzten spanischen Galeone schienen unversehens die Pferde durchzugehen. Oder er hatte sich in den Kopf gesetzt, sich in diesem Kampf die ganz großen Lorbeeren zu holen. Ohnehin schienen ja alle Dons dieser beiden Verbände längst zu wissen, daß ihnen „El Lobo del Mar“, der gefürchtete Seewolf, in die Falle gegangen war. Die Galeone im Westen gehörte zu dem Festlands-Verband. Sie manövrierte hart, fiel ab und reckte der „Isabella“ ihre gewiß sehr imposante Steuerbordbreitseite entgegen. Hasard antwortete geradezu gedankenschnell auf diese Herausforderung. „Anluven“, befahl er. Die „Isabella“ drehte ihr Vorschiff nach Steuerbord: Die Segel wurden dichter genommen. Auf den Gefechtsstationen der Backbordseite kauerten die Männer mit verbissenen Mienen hinter ihren Geschützen. „Klar bei Lunten!“ brüllte Carberry. Die Lunten glommen. Knisternd fraß sich die Glut durch das trockene Material. Hasard beobachtete den Spanier, der alle Anstalten traf, ihnen eine volle Breitseite in die Flanke zu jagen. Solange er aber noch mit dem Zielen beschäftigt war, kalkulierte der Seewolf eiskalt die Distanz, den richtigen Winkel und alle anderen Punkte, die er beim Abfeuern der Culverinen zu berücksichtigen hatte. Dann war es soweit. „Feuer!“ Hasards Ruf gellte über Deck, wurde von Carberry gleichsam verstärkt, und die glühenden Lunten senkten sich auf die Zündlöcher der Kanonen. Unsichtbar für die Geschützführer lief die rote Feuerspur durch die Zündkanäle bis auf das Zündkraut in den Bodenstücken der 17-Pfünder, dann brachen die Schüsse unter urweltlichem Donnergrollen los. Feuer und Eisen rasten aus acht Rohren und stachen flach über der Wasseroberfläche auf die feindliche Galeone zu-
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Pulverrauch waberte in Schwaden über das Oberdeck der „Isabella“. Die Männer erhoben sich halb, ihre Gesichter waren rußgeschwärzt. Geduckt standen sie und sahen, wie die massive Ladung drüben in die Bordwand des Spaniers schlug. Holz splitterte, Trümmer wirbelten, Männer schrien in tödlicher Panik. Mitten in das Inferno hinein krachten nun auch die Kanonen der spanischen Galeone. Es blitzte vor ihren Stückpforten auf, Rauchwolken stoben hoch, und der Geschützdonner rollte über die See. „'runter!“ schrie Carberry. Die Seewölfe warfen sich platt auf die Decksplanken. Besonders Smoky war um seine Schädelpartie besorgt, denn er hatte ja erst vor kurzem kräftig eins draufgekriegt. So streckte er sich aus, senkte den Kopf und legte zusätzlich noch zum Schutz die Hände darauf. Hasard und seine Gefährten auf dem Achterdeck waren ebenfalls in Deckung gegangen. Die gegnerische Ladung heulte und orgelte heran. Etwas raste wie der Leibhaftige persönlich über .das Quarterdeck weg, etwas auch über die Kuhl — Kugeln, die glücklicherweise auf keinen Widerstand trafen. Vor der Backbordseite der „Isabella“ wuchsen monströse Wassertürme hoch. Sie wurden durch schäumende Gipfel gekrönt und fielen dann wieder in sich zusammen. Hasard atmete auf. Er war heilfroh, daß die Kugeln, die über Deck gefegt waren, keinen der Masten beschädigt hatten. Er erhob sich, turnte aufs Quarterdeck hinunter, schaute ins Ruderhaus und sah Pete Ballie grinsen. „Alles in Ordnung!“ rief Pete. „Hart Backbord jetzt, Pete, wir fahren eine Halse und hauen dem Don die andere Breitseite um die Ohren.“ „Aye, aye, Sir!“ Hasard eilte zum Steuerbordniedergang, der auf die Kuhl hinunterführte. Er traf mit seinem Profos zusammen und rief gegen das Hurra-Gerufe und Johlen der Crew an:
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„Profos, die nächste Backbordbreitseite wird mit Kasten- und Kartätschenkugeln geladen.“ „In Ordnung.“ „Und die volle Steuerbordbreitseite wird auf die bereits angeschlagene Galeone abgefeuert, verstanden?“ „Aye, aye, Sir!“ Hasard hetzte auf das Achterdeck zurück. Mit dem Kieker blickte er zu der ersten Galeone der Spanier hinüber und sah, daß dort bereits die dickste Wuhling herrschte. Jawohl, er hatte den Überraschungseffekt voll ausgenutzt, und jetzt waren sie so in Panik, daß sie weder zum Manövrieren noch zum Aufklaren kamen. Er wollte dieses Schiff gnadenlos zusammenschießen. Schon mehrfach hatte er mit dieser Taktik Erfolg gehabt: einen Gegner aus dem Verband herauspicken und systematisch erledigen, ein Exempel statuieren. Das schreckte die anderen ab. Aber diesmal wurde er eines anderen belehrt. „Hasard!“ rief Ben Brighton. „Achtung, da rauscht schon das nächste Schiff an!“ Er fuhr wieder nach achtern herum, stieß sich dabei den wunden Arm, den er in der Schlinge trug, am Schanzkleid und schrie: „Verdammt, dieser blöde Flunken!“ Hasard blickte nach Süden. Die andere Galeone, die von dem Festlandsverband abgefächert war, staffelte tatsächlich heran und war ihnen so dicht auf dem Leib, daß sie augenblicklich etwas gegen sie unternehmen mußten. Hasard unterbrach das Manöver nicht. Er winkte vielmehr Ferris Tucker zu und eilte mit ihm an die beiden achteren Drehbassen. Shane befand sich nicht mehr auf dem Achterdeck. Er war mit Pfeil und Bogen in den Vormars aufgeentert und wartete auf seinen Einsatz. Batuti hockte längst bei Dan und Arwenack im Großmars ebenfalls mit Pfeil und Bogen. „Ruhig Blut jetzt, Ferris“, sagte Hasard zu seinem Schiffszimmermann. „Bin die Ruhe in Person“, erwiderte Ferris grimmig.
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Die Galeone rauschte hart am Wind auf sie zu, ein stolzer, eitler Ganter mit geblähten Segeln. Hasard justierte seine Basse, stellte sie in der Gabellafette fest und wartete auf die nächste Abwärtsbewegung des Feindschiffes in der Dünung. Als es sich gerade unten zwischen zwei seichten Wellentälern befand, glitt auch die „Isabella“ eine Welle hinunter. Zufällig erhoben sich dann beide Schiffe gleichzeitig auf die Kämme von Wogen und Hasard zündete das Geschütz, bevor sie den Scheitelpunkt erreicht hatten. Brüllend bäumte sich die Drehbasse in ihrer Lafette auf. Die Kugel stieß auf die spanische Galeone zu und riß ihr eine Bresche in die Galion, daß das Holzkreuz darunter wild zu schwingen begann. Es war das unverkennbare Emblem, das alle Spanier unter der Galion ihrer Schiffe führten, ein Zeichen des Glaubens, mit dem sie all ihre Grausamkeiten rechtfertigten. Es knackte empfindlich in der Galion, und jetzt geriet auch die Blinde ins Taumeln. Ben Brighton lachte links neben Hasard. Der alte O'Flynn kicherte in seinen struppigen Bart. Ferris Tucker äußerte überhaupt nichts. Er war voll und ganz mit dem Zielen beschäftigt. Dann zündete auch er das Geschütz. Ein Knall, eine ruckende Bewegung der Basse, Feuer, Rauch -und drüben knirschte es erneut im schönen harten Edelkastanienholz der Galeone. Diesmal brach die Galion mitsamt dem Bugspriet und der Blinde weg, ja, beinahe büßte das Schiff Seinen kompletten Vorsteven ein. Die Spanier brüllten und fluchten, es tönte bis zur „Isabella“ herüber. Ben Brighton lachte und riß begeistert die Arme hoch. Er drehte sich um, lief geduckt zur Five-Rail, blickte zur Kuhl hinunter, antwortete mit einem Grinsen auf eine Gebärde des Profos' und wandte sich wieder zu seinem Kapitän um. „Beide Breitseiten klar! Jetzt heizen wir den Dons ein, daß sie nicht mehr wissen, wo links und rechts ist!“
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Hasard nickte, sah aber nicht zu Ben Brighton. Unausgesetzt blickte er zu der zweiten Galeone hinüber. Die „Isabella“ schwenkte immer weiter herum und vollendete ihre Halse. Hasard mußte fortwährend den Kopf weiter nach rechts drehen, um den Gegner im Auge zu behalten. Der hatte die zerstörte Galion samt Blinde und Bugspriet abgeschüttelt wie ein angeschossener Hirsch sein zerbrochenes Geweih. Aber er hielt seinen Kurs und ließ sich nicht einschüchtern. Und die übrigen Dons rückten nach. Die Zange schnappte zu. Hasards Kalkül konnte also nicht aufgehen, er wußte es jetzt mit Sicherheit. Die Übermacht war zu groß, von allen Seiten pirschten sich die Gegner an, und es blieb ihm einfach nicht die Zeit, das erste spanische Schiff vernichtend auf den Grund des Atlantiks zu schicken. Er gab Batuti und Shane ein Zeichen. Sie steckten die mit Werg umwickelten Spitzen ihrer Pfeile in Brand und sandten sie zu dem zweiten Spanier hinüber. „Donegal und Ferris, ihr ladet die Bassen nach!“ rief Hasard seinen Männern zu. Damit glitt er von den Drehbassen weg, begab sich wieder auf das Quarterdeck hinab und dirigierte die weiteren Manöver aus nächster Nähe. Die „Isabella“ war platt vor den Nordostwind gegangen, halste weiter und vermochte nun die erste Galeone mit dem Feuer ihrer Steuerbordbreitseite einzudecken. Bedrohlich nah schob sie sich auf den Spanier zu. Aber Hasard entschied sich anders. Er hatte beobachtet, daß die Mannschaft des ersten Feindschiffes immer noch völlig aufgelöst auf Deck hin und her lief, vorläufig war von dort kein Unheil zu erwarten. Es war daher ratsam, sich lieber der zweiten Galeone zuzuwenden. Ein Blick zu diesem Don verriet ihm: richtig, er ging zur Offensive über. Er zog seinen Dreimaster in den Wind, so daß die Segel zu killen begannen, und ging über Stag, um den Seewölfen seinen Eisengruß
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aus den Kanonen der Backbordseite zu entbieten. Und eine dritte Galeone segelte bedrohlich nahe von Nordosten heran. Sie gehörte zu dem Verband aus dem Hafen der Insel. „Weiter hart Backbord, Pete!“ schrie Hasard. „Wir luven wieder an, Ed! Beeilt euch, zum Teufel noch mal!“ Im Stakkato tönten die verschiedenen Kommandos über Deck. Die „Isabella“ fuhr wirklich und wahrhaftig im Kreis, und endlich konnte sie der zweiten feindlichen Galeone ihre 17-Pfünder-Kugeln sozusagen „en passant“ zu kosten geben. Shanes und Batutis Brandpfeile hatten hier und da schon Feuerherde auf dem Schiff des Gegners entfacht. Von rund zwei Dutzend Pfeilen, die sie unter ungünstigsten Bedingungen abgeschossen hatten, hatte gut die Hälfte ihr Ziel erreicht. Auf der Back und der Kuhl der Galeone loderte es rötlich-gelb auf, aus Großmarssegel, Fock und Vormarssegel stiegen gleichfalls gierige Flammenzungen auf. Aber das alles konnte die Spanier nicht zurückhalten. Hasard schätzte sie genau richtig ein. Sein Ruf war ihm vorausgeeilt, die Dons hatten Wut und Haß gegen ihn gleichsam in sich gespeichert. Vielleicht befand sich auch der eine oder andere unter ihnen, der ihn persönlich kannte und schon unliebsame Begegnungen mit ihm gehabt hatte. Alles, was er jetzt tat, konnte den Haß der Spanier nur noch mehr anheizen. Nein, sie ließen sich nicht mehr durch knallharten Widerstand verscheuchen. „Feuer!“ rief Hasard. Eine Sekunde später entließen die Culverinen der Steuerbordseite ihre verheerenden Ladungen auf den Feind. Aber jener lag jetzt im Wind, präsentierte dem Seewolf seine Backbordgeschütze und schoß. Fast gleichzeitig war auch die dritte Galeone heran. Da wurde nun nicht mehr viel Zeit mit präzisem Manövrieren und Zielen verloren, das Schiff drehte bei und eröffnete das Feuer.
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Hasard sah noch, wie seine 17-Pfünder dem zweiten Spanier Löcher in den Rumpf hackten, dann lag er platt auf dem Bauch. Neben sich hatte er Ben Brighton, der ihm vom Achterdeck aus nachgeeilt war. Ben wetterte wieder über seinen „blöden Flunken“ und über die Dons, die alle der Teufel holen sollte. Gegnerische Kugeln heulten und pfiffen heran. Wieder strichen einige davon in rasendem Flug über das Oberdeck weg. Aber diesmal krachte und splitterte es — Hasard drehte sich auf den Bauch und erkannte, daß der Großmast lädiert war. Dann lief ein Ruck durch das ganze Schiff, und etwas schien die „Isabella VIII.“ am Heck hochzustemmen. Der alte O'Flynn und Ferris Tucker — die einzigen auf dem Achterdeck verbliebenen Männer — fluchten Mord und Verrat. Sie wurden von den Drehbassen weg bis zur Five-Rail gefegt, und wenn es die hölzerne Schmuckbalustrade nicht gegeben hätte, wären sie auf das Quarterdeck gestürzt. Hasard war als erster wieder auf den Beinen. Er klomm zum Achterdeck hoch, ganz bis nach hinten, und riskierte einen Blick über das Schanzkleid in die Tiefe. „So ein Mist“, sagte er. „Das habe ich mir doch gedacht.“ Ben war hinter ihm. „Was ist los?“ rief er. Hasard drehte sich zu ihm um. „Diese verdammte Ruderkette ist mal wieder gebrochen. Ben.“ * Noch nie hatte man Pete Ballie so wettern hören. Er war außer sich. Schließlich war es ihnen schon einmal passiert, daß die Ruderkette der „Isabella“ zu Bruch gegangen war. Das konnte natürlich mit Bordmitteln behoben werden, für Ferris Tucker, den Schiffszimmermann, war das kein Problem. Aber jetzt waren sie im Gefecht und mußten kämpfen. Für Reparaturen blieb keine Zeit. Der Gegner hatte sie eingekreist, jede Hand wurde an den Kanonen gebraucht.
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„Los, geit die Segel auf!“ schrie Hasard. „Wir laufen sonst mit voller Wucht in den Gegner hinein.“ Es war keine Illusion, Hasard malte den Teufel nicht an die Wand, sie standen der bitteren Erkenntnis gegenüber: mit dem manövrierunfähigen Schiff waren sie dem Feind ausgeliefert. Und jetzt schoben sie sich steuerlos auf die dritte Galeone zu, die sich ebenfalls auf Rammkurs befand. Ein Rammstoß mit dem Bug in die Flanke des Gegners schien unvermeidlich zu sein. Hasard hatte große Lust, dieses Schiff unterzumangeln und zu den Fischen zu schicken. Aber ihm war völlig klar, daß er seine „Isabella“ dabei auch einbüßen würde. Nur die Segel aufgeien konnte er, um den Aufprall zu mildern. So würden weder die spanische Galeone noch sein Schiff allzu großen Schaden nehmen. Und dann - am Ende? Der Seewolf mochte nicht daran denken. Er verdrängte die Gedanken an den Tod und verwandte all sein Können auf die Weiterführung des Kampfes. Der Kapitän der dritten Galeone hatte es sich aber doch anders überlegt. Während seine Kanoniere mit fliegenden Händen die Geschütze nachluden, zog er das Schiff vor dem Bug der „Isabella“ vorbei, fiel ab und schob sich längsseits der Seewölfe. Knapp eine Kabellänge trennte die beiden Schiffe. „Backbordbatterie“, rief Hasard gellend, „Feuer!“ Wieder sprachen alle acht Culverinen gleichzeitig. Blacky, Smoky, Matt, Gary und die anderen Geschützführer hatten absichtlich hoch gezielt, auf das Deck des Spaniers. Denn die Kastenkugeln, die sie auf Hasards Anweisung dieses Mal geladen hatten, waren besonders auf die geringe Entfernung denkbar gut geeignet, das Oberdeck des Gegners regelrecht reinzufegen. Kastenkugeln waren, wenn man es in einfache Worte kleidete, nichts anderes als Zinnbüchsen, die bis zum Kragen mit Musketenkugeln angefüllt waren. Nach dem Abfeuern zerplatzten sie in der Luft
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und streuten einen mörderischen Hagel von Geschossen auf den Gegner. Die Wirkung war entsprechend. In Hasards Gesicht regte sich kein Muskel, als er das verfolgte. Drüben auf der dritten Galeone fielen die Männer reihenweise um, und sie schlugen ein Mordsgeschrei dabei an. Einige taumelten getroffen bis zu den Schanzkleidern, nach Backbord und nach Steuerbord, und stürzten außenbords. Der Hauptteil der Toten und Verletzten blieb jedoch auf Oberdeck liegen. Es war ein Blutbad, ein richtiges Massaker. Und der Spanier konnte nicht mit Kanonenfeuer darauf antworten, weil er der „Isabella“ die Backbordseite zugewandt hielt -jene Seite, die er vorher schon zum Einsatz gebracht hatte. Ehe die Geschütze nachgeladen waren, waren die Seewölfe bereits wieder vorbei. Der Kapitän der dritten Galeone hatte einen fatalen Fehler begangen. Er hatte „El Lobo del Mar“ unterschätzt und die Partie schon als gewonnen angesehen. Das war ihm zum Verhängnis geworden. „Sir!“ rief Edwin Carberry durch den blakenden Pulverrauch. „Ich habe die Steuerbordgeschütze mit Kartätschenkugeln nachladen lassen.“ „Großartig, Ed, weiter so!“ rief Hasard zurück. Er sah das von schwarzem Pulverschleim und Ruß verschmierte Gesicht seines Profos vor sich auftauchen. „Backbordkanonen mit Kettenkugeln laden, verstanden?“ „Aye, aye, Sir!“ Die „Isabella“ stemmte sich immer noch mit aufgegeiten Segeln gegen den Wind. Sie geriet ins Dümpeln, verlor mehr und mehr an Fahrt und drohte ganz zu stoppen. „Vollzeug!“ brüllte Hasard. „Holt die verdammten Segel so dicht wie möglich, Backbordhalsen, und dann wollen wir doch mal sehen, ob uns der Wind nicht über Steuerbordbug von der verfluchten Insel wegdrückt!“ Pete Ballie hatte aufgehört, aus dem Ruderhaus heraus zu fluchen; er stürmte auf Deck und rief: „Das könnte klappen, jawohl, Sir!“
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„Mach dich nützlich!“ rief Hasard. „Los, stell dich mit an die Brassen und Schoten und hilf den anderen, zum Teufel noch mal!“ Pete rannte geduckt und stieß dabei sein „Aye, aye, Sir“ aus. Die „Isabella“ brauchte vorläufig keinen Rudergänger mehr. ‚Vielleicht benötigt sie nie wieder einen' dachte der Seewolf grimmig. Er blickte auf zu Batuti, dann zu Shane. Sie ließen unaufhörlich die langen Pfeile von den Bogensehnen schwirren. Seinem alten Freund Big Old Shane, dem ehemaligen Schmied und Waffenmeister von Arwenack Castle, gab Hasard einen Wink. Und Shane verstand. Er bückte sich in seinem luftigen Nest und las etwas vom Boden des Vormarses auf. Es war einer seiner Spezialpfeile. Batuti und Shane zielten abwechselnd auf die drei in ihrer Nähe manövrierenden Galeonen. Jetzt pickte sich der graubärtige Koloß den Segler heraus, auf dem am meisten Aufruhr herrschte. Es war die dritte, von der Insel aus eingesetzte Galeone. Der Pfeil mit der brennenden Spitze löste sich von Shanes Bogen und stieg in den Morgenhimmel auf. Er schien immer weiter emporhuschen und schließlich ganz im Firmament verschwinden zu wollen, aber dann knickte er in seiner Route nach unten ab und senkte sich auf die dritte feindliche Galeone. Der Pfeil traf auf die Kuhl. Sein außergewöhnlich dicker Schaft enthielt Pulver, trockenes Schwarzpulver, und das wurde jetzt durch die brennende Spitze entzündet. Shane hatte gut gezielt und getroffen. Die Explosion pflanzte sich bis zu ein paar allzu achtlos auf dem Deck des Spaniers platzierten Pulverfäßchen fort. Die Behälter standen in unmittelbarer Nähe der Geschütze der Backbordbatterie. Es wummerte, dann stieg ein Feuerpilz aus der Galeone auf, der nach oben in einem kräuselnden schwarzen Rauchgebilde auslief. Trümmer und Menschenleiber wirbelten durch die Luft. Das gesamte
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Schiff zitterte unter der enormen Erschütterung. Die zweite Galeone stand auch in Flammen, aber ihr Kapitän schien besonders gute Nerven zu haben. Erstens scheuchte er seine Männer wie die Verrückten über Deck. sie mußten die Feuerherde mit Seewasser löschen. Andere Männer waren wie die Affen in den Wanten aufgeentert und kippten Wasser über den brennenden Segeln aus. Gleichzeitig lief das Schiff in einer Art Kreuzschlag nach Nordosten ab. „Er will es wieder mit uns aufnehmen!“ schrie Ben Brighton erbost, so laut, daß es Hasard in den Ohren gellte. „Er ist vom Satan besessen.“ „Er weiß, wen er im Rücken hat!“ rief Hasard zurück. „Sieh doch!“ Ja, die übrigen Galeonen und Karavellen hatten jetzt auch aufgeholt und warfen sich als massiver Verband der „Isabella“ entgegen. Damit nicht genug — Hasard blickte zur Insel und traf eine weitere, noch erschreckendere Feststellung. „Noch mehr Schiffe haben den Hafen verlassen“, sagte er. „Drei, nein, vier ...“ „Was ist los?“ schrie Ben. „Paß auf deinen blöden Flunken auf, Mister Brighton!“ „Aye, aye, Sir!“ Die „Isabella“ hatte sich unter dem Druck des nach wie vor aus Nordosten wehenden Windes tatsächlich nach Steuerbord gewandt. Sie drehte dicht vor der Insel nach Westen weg. Bei Legerwall wäre sie unweigerlich auf das Südufer gelaufen. So aber hatte sie noch eine reelle Chance, wenigstens diesem erbärmlichen Schicksal zu entgehen. „Shane, Batuti!“ rief Hasard. Er hatte den Kopf zurückgelehnt und die Hände als Schalltrichter an den Mund gelegt, seine Stimme tönte bis in die Masttoppen hinauf. Shane und der Gambia-Neger konzentrierten ihr Feuer nunmehr auf die zweite Galeone. „Steuerbordbatterie“, kommandierte der Seewolf. „Feuer aus allen Rohren!“ Dieses Mal brachte er wieder voll die Überlegenheit der überlangen Culverinen-
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Rohre ins Spiel. Drohend ragten sie aus den Stückpforten auf. Dann, wie unter einem Peitschenhieb, zuckten sie zurück und warfen sich gegen die Brooktaue, als wollten sie sie zerfetzen. Acht Kartätschenkugein flogen auf die heranrauschende Galeone zu. Acht Leinwandbeutel zerplatzten, und ein Teppich von vernichtenden Kugeln strich über das Deck, klatschte gegen die Bordwand. Nun ertönte auch von diesem Schiff fürchterliches Geschrei. Es mischte sich unter das Brüllen der Spanier auf der dritten Galeone, und das Ganze geriet zu einem entsetzlichen Konzert. Hasards Miene war nach wie vor unbewegt. Mitleid? Nach allem, was ihm die Spanier angetan hatten, konnte er es nicht empfinden. Und in einem Seegefecht war der Feind nun mal der Feind, daran gab es nichts zu rütteln. Wer hier übertrieben rührselig war, der mußte untergehen. „Weiter so!“ röhrte Carberry. „Weiter so, ihr Himmelhunde, ihr Satansbraten, ihr verdammten Affenärsche, hört nicht auf, ihnen das Fell zu versengen!“ Hasard schaute sich besorgt um. Er hatte immer noch ein paar „nette Überraschungen“ in der Hinterhand, aber er wußte nicht, ob sie ihm noch etwas nutzten. Denn die „Isabella“ hatte sich zwar gedreht und war schwerfällig an den Wind gegangen, aber ihr Kurs ließ sich jetzt kaum noch beeinflussen. Sie lief an der Südküste der Insel entlang und war dazu verdammt, dem Gegner geradewegs ins offene Maul zu segeln. „Segel wieder aufgeien“, ordnete Hasard an. Die Crew leistete seinem Befehl augenblicklich Folge. Galeonen und Karavellen schoben sich als drohende Barriere auf die „Isabella“ zu. Fast ein Dutzend Schiffe - eine zu gewaltige Übermacht! Sicher, Hasard war schon mit größeren Verbänden fertig geworden, jedoch unter anderen Gegebenheiten. Dieses hier war eine
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höllische Zwickmühle, aus der ihn nur noch ein Wunder zu retten vermochte. Die Schiffe der Spanier würden binnen Kürze entweder an den Wind gehen oder abfallen. Egal wie, sie würden ihm ein Arsenal von hundert Mündungen oder noch mehr entgegenrecken. Da brauchte er sich keinen falschen Hoffnungen mehr hinzugeben. Aber das Verhängnis war noch steigerungsfähig. Hasard verlor das Gleichgewicht, als plötzlich eine unsichtbare Gigantenfaust nach der „Isabella“ zu greifen schien. Sie packte den Rahsegler und schüttelte ihn. Hasard kippte vornüber. Er wäre sehr unglücklich gestürzt und hätte sich die Nase auf den Planken des Quarterdecks zerschlagen, wenn er nicht geistesgegenwärtig die Hände vorgestreckt hätte. So fing er den Aufprall ab. Verwirrt erhob er sich wieder. Die Crew fluchte, nicht einmal Carberry konnte jetzt noch irgendjemanden übertönen. Und dann krängte die „Isabella“ nach Backbord. Sie kriegte leichte Schlagseite, rührte sich nicht mehr vom Fleck und saß fest. Hasard drehte sich zu Ben ton, Ferris Tucker und Old O'Flynn um. Das Entsetzen nahm auf ihren Gesichtern offen Gestalt an. „Jetzt haben wir den Mist“, sagte Hasard. „Wir sind auf eine Sandbank gelaufen, Leute. Ihr glaubt doch wohl nicht im Ernst, daß wir aus eigener Kraft wieder 'runtergelangen, was?“ Er versuchte, seiner Stimme einen festen Klang zu verleihen. Trotz allem. Er wußte eigentlich überhaupt nicht, warum er das tat. Denn selbst Smoky, der wegen seiner Kopfverletzung immer noch ein bißchen schwer von Begriff war, mußte in diesem Augenblick seinen Optimismus aufgeben, so eindeutig. ausweglos war die Lage. „Aus“, sagte Matt Davies unten auf der Kuhl. „Ab zu den Haien“, murmelte Blacky. „Hölle, die Biester werden sich freuen.“
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Prekär war eine milde Untertreibung, wenn man die Situation der Seewölfe mit einem Wort zu umschreiben versuchte. Aus den Culverinen ließ sich aus diesem Winkel kaum noch feuern. Im übrigen waren die Spanier so schlau, sich auf die neue Lage einzustellen. Sie änderten ihren Kurs geringfügig und steuerten nun auf den Bug der „Isabella“ zu, um nicht in die Schußlinie ihrer Steuerbordgeschütze zu geraten. Carberry kniete sich selbst hinter einen der 17-Pfünder, um über das Rohr hinweg an einem der Gegner Maß zu nehmen. „Es hat keinen Zweck“, stöhnte er. „Himmel, Arsch und Zwirn, es ist völlig aussichtslos, Männer.“ Al Conroy war einer der wenigen, der überhaupt nichts mehr sagte. Er hatte guten Grund dazu, er stand ' hinter den beiden Drehbassen vorn auf der Back und ließ eine der Karavellen auf Reichweite heranstaffeln. Blacky war plötzlich hinter ihm. Er verharrte auf den oberen Stufen des Backbordniederganges und sagte: „Warte noch, Al, bezwing dich, laß den Hund so dicht wie möglich ran!“ Die Antwort bestand aus einem Zischeln. „Worauf du Gift nehmen kannst!“ Wenig später feuerte er die beiden Drehbassen in rascher Folge ab. Es lag kaum ein Intervall zwischen den beiden Schüssen. Fauchend rasten die Kugeln auf die Karavelle zu. Sie zerhackten ihr einen Teil des Vorschiffes, und sofort spickten auch Shane und Batuti die Karavelle wieder mit ihren Pfeilen. Die Karavelle schlug leck, krängte nach Backbord und drohte abzusaufen, aber bevor sie es tat, lief sie auf Grund. Ihre Takelage ging in hellen Flammen auf. Munter tanzten die Feuerzungen im Morgenlicht. Die Dunstschleier waren verflogen, der Kampf fand unter azurblauem Himmel auf glitzernder See statt. Wer nach Südwesten blickte, konnte sogar die Küste des Kontinents erkennen.
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Hasard spähte angestrengt zu Big Old Shane hoch. Der Riese hielt einmal kurz inne und beugte sich über die Verkleidung des Vormarses. Fragend sah er seinen Kapitän an, aber der schüttelte nur langsam den Kopf. Nein, Hasard wollte seine letzte Geheimwaffe doch nicht einsetzen. Shane hatte zwar zwei oder drei chinesische Raketen mit nach oben genommen, und es lagerten noch mehr davon in einem Versteck in der Kammer des Seewolfes, aber Hasard zögerte, diese Karte auszuspielen. Damit offenbarte er dem Feind doch nur die Möglichkeit, später auf der „Isabella“ herumzustöbern und so doch. etwas aufzudecken, was ihnen Rätsel aufgeben sollte. Daß sie sein Schiff vereinnahmen würden, war für ihn bereits eine Tatsache. „Hasard!“ rief Ben. Hasard wirbelte herum und sah die zweite Galeone der Spanier. Sie schob sich von Steuerbord achtern heran und war ein loderndes Fanal. Wie die Fliegen waren die Besatzungsmitglieder unter dem Hagel der Kartätschenkugeln gestorben, aber der Kapitän, dieser wahnsinnige Hund, mußte noch am Leben sein. Nur er konnte so tolldreist sein, ein brennendes Schiff, das jeden Moment explodieren konnte, auf den Gegner zuzusteuern. Seine Absicht war klar. Er wollte, daß die Flammen auf die „Isabella“ übersprangen, sie ebenfalls entfachen und dann vernichteten. Hasard hatte sich von seinem Platz gelöst. Er hetzte wie ein Panther über das Quarterdeck, nahm den Steuerbordniedergang mit einem einzigen Satz, sprang zu den frisch nachgeladenen Drehbassen des Achterdecks und richtete sie auf die Galeone. Der Abstand zwischen den Schiffen betrug noch etwa eine halbe Kabellänge. Big Old Shane und Batuti bepflasterten die Galeone der Spanier unausgesetzt mit ihren Pfeilen. Jeder zweite Pfeil des graubärtigen Riesen war ein Explosionsgeschoß mit pulvergefülltem Schaft.
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Eine ganze Serie von Detonationen pflanzte sich quer über das Oberdeck der brennenden Galeone fort, aber sie ging nicht endgültig hoch und brach nicht auseinander, sondern schob sich nur weiter auf die „Isabella“ zu. „Ihre Pulvervorräte scheinen tief und sicher zu liegen!“ rief Hasard. „Bevor das Feuer sie erreicht hat, sind wir dahin.“ Er wußte, daß es wenig Zweck hatte, den Spaniern noch zu trotzen. Alles, was er tat, würde ihren Haß nur noch weiter schüren bis zur Weißglut. Sie waren da und formierten sich vor dem Bug der „Isabella“ zu einer Einheit, die binnen Sekunden Feuer, Eisen und Tod speien würde. Trotzdem. Er wollte auch nicht mit der spanischen Galeone in die Luft fliegen. Nein, so hatte er sich sein Ende nun doch nicht vorgestellt. Ein bißchen Achtung, Dons, dachte er, auch ein Seewolf hat seinen Stolz und seine Ehre und will nicht ganz so schimpflich enden, wie ihr euch das vorstellt. So nahm er Ferris das glimmende Luntenende ab und zündete damit die erste Drehbasse. Mit geradezu unheimlicher Präzision fand die Kugel ihren Weg in die Back der lodernden Galeone. Es krachte und splitterte. Hasard und seine Männer konnten die Schiffsbauten bersten sehen. Sofort setzte Hasard auch die zweite Basse in Betrieb. Auch diese Kugel ging ins Ziel. Ein riesengroßes Loch klaffte plötzlich im Vorschiff. Das morschgeröstete Holz der Galeone zerbröckelte wie trockener Ton, das gesamte Vorschiff schien nach unten abzusinken. Und dann feuerten Batuti und Shane gleichzeitig in die Lücke — der GambiaNeger einen herkömmlichen, Shane einen Brandpfeil mit Pulverschaft. Die Explosion bellte im Hohlraum des Schiffskörpers. Kurz darauf fand sie ihre Fortsetzung. Ja, Hasard hatte die Lage der Pulvervorräte des Spaniers richtig zu lokalisieren gewußt. Sie flogen in einem einzigen, ohrenbetäubenden Krachen in die Luft. Die Seewölfe lagen wieder einmal platt auf den Decksplanken und hielten sich fest, wo sie konnten, denn ihr Schiff
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bebte auf der Sandbank. Feuer stob aus der spanischen Galeone himmelan, gleich darauf ballte sich ein Pilz aus fettem schwarzem Rauch hoch über den zusammensinkenden Masten. Trümmer wirbelten und regneten auf die „Isabella“ nieder. Von den verbliebenen intakten Schiffen des Feindes hallte ein Wutschrei herüber. Hasard richtete sich auf, als das Geprassel der Holz- und Eisenteile auf das Deck der „Isabella“ aufhörte. Er lugte über das Steuerbordschanzkleid und sah die Reste der Galeone und ihrer Besatzung in den Wellen schwimmen. Die größeren Relikte des Schiffes — zur Unkenntlichkeit verstümmelt — sanken, keine fünfzig Yards von den Seewölfen entfernt. Fünfzig Yards nur, die sie vom Tod getrennt hatten. Und auf welche Distanz war das grinsende Skelett mit der drohenden Sense gerückt? Hasard brauchte nur zu dem Restverband zu schauen, um die Antwort zu haben. Eine Kabellänge, höchstens jedoch zweihundert Yards spannten sich zwischen ihm und den Schiffen des Feindes. Inzwischen hatten sie manövriert und zeigten ihm den Verbund ihrer Breitseiten. „Diese Hurensöhne“, sagte Old O'Flynn erbittert. „Bilden sich ein, jetzt den ganz großen Sieg davonzutragen. Aber wir geben nicht auf, Hasard, nicht wahr, wir kriechen vor denen nicht zu Kreuze, oder?“ Hasard schwieg:. Drei Schiffe hatten sie vernichtet, eines so gut wie halb erledigt. Was hatten sie damit erreicht? Nichts. Sie saßen fest wie noch nie zuvor und waren den Spaniern ausgeliefert. Er stand vor einer schweren Entscheidung. Sicher, er konnte sich noch zur Wehr setzen. Da waren die Drehbassen der Back, die ein versierter Mann wie Al Conroy in rasendem Tempo immer wieder abfeuern und nachladen konnte. Weiter waren da die Brandpfeile von Batuti und Shane. Und die Raketen. Nein. Die Spanier würden das Schiff erbarmungslos zusammenschießen und seine Leute der Reihe nach abschlachten.
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Sie hatten alle Trümpfe in der Hand. Ihr Sieg war jetzt so sicher wie das Amen in der Kirche. Nur ein Narr konnte daran zweifeln. „Hey, die Dons signalisieren“, meldete Dan O'Flynn. „Natürlich fordern sie, daß wir die Flagge streichen.“ Hasard trat an die Five-Rail. Auf der Kuhl hatten sich die Männer zu einer dichten Gruppe versammelt. Sie schauten zu ihm auf. „Hasard“, sagte Carberry. „Wir stecken bis zum Hals drin. In der Scheiße, meine ich.“ „Wollt ihr hier eure Haut zu Markte tragen?“ fragte Hasard. „Ja!“ rief Gary Andrews zurück. „Wir feuern, was das Zeug hält, und wenn sie uns noch näher rücken, schießen wir auch mit Musketen und Arkebusen auf sie, und dann mit den Pistolen und Tromblons. Sollten sie dann noch Lust zum Entern verspüren, hauen wir sie mit unseren Degen und Säbeln zu Brei und …” „Du vergißt, daß sie uns schon vorher mit ihren Kanonenkugeln zerfetzen werden“, unterbrach ihn der Seewolf. „Sie brauchen gar nicht bis auf Tuchfühlung heranzukommen, verstehst du, Gary?“ „Ich ...“ Weiter gelangte Gary Andrews nicht, denn etwas torkelte mit orkanartigem Heulen durch die Luft heran. Zur selben Zeit vernahmen sie auch den Kanonenböller, der wegen der Überbrückung der Entfernung erst jetzt von einem der spanischen Kriegsschiffe zu ihnen herüberwehte. Fluchtartig gingen sie in Deckung. Die Kugel prallte mit voller Wucht gegen das Steuerbordschanzkleid, und zwar vorn an der Kuhl dicht vor dem Niedergang zur Back. Die Fockrüsten wurden glatt von der Außenhaut weggefetzt, dann ging auch das Schanzkleid knirschend und krachend in die Brüche. „Himmelarsch!“ schrie Dan O'Flynn aus dem Großmars. „Die Dreckskerle signalisieren, wir sollten uns endlich ergeben, sonst eröffnen sie das Feuer.“ „Sie haben uns nur einen Vorgeschmack auf das geboten, was uns noch blüht“,
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sagte Hasard. Er erhob sich wieder und blickte zu dem zerstörten Schanzkleid. Es war ein Bild des Jammers. Er war nun froh, daß alle Männer geistesgegenwärtig Schutz gesucht hatten. Al Conroy, Smoky und die anderen, die sich in der Nähe der Einschlagstelle befanden - keiner von ihnen war verletzt. Luke Morgan trat vor. „Hasard!“ rief er. „Wir werden bis zum letzten Atemzug kämpfen. Ich schwöre es dir!“ „Die Dons sind Bastarde!“ brüllte Gary. „Von denen lassen wir uns nichts bieten und wenn wir alle in den Tod marschieren!“ „Ganz meine Meinung! Zur Hölle mit den Dons!“ schrie Matt Davies. Hasard hatte die Five-Rail verlassen, stand jetzt auf dem Quarterdeck und war dann mit wenigen langen Schritten unten auf der Kuhl. Mitten zwischen seinen Männern. „Danke“, sagte er. „Ihr seid prächtige Kerle. Aber ich will euch mal einen feinen Unterschied klarmachen, nämlich den zwischen gewitzter Taktik und sinnlosem Heldentod. Wem nutzt es, wenn wir alle ins Gras beißen?“ „Dann weiß England wenigstens, daß es Männer, keine Memmen in die Neue Welt ausgeschickt hat“, erklärte Luke Morgan leidenschaftlich. „Himmel, es ist die letzte Genugtuung, die wir haben werden.“ „Irrtum“, entgegnete Hasard. „England pfeift zur Zeit auf das, was wir tun. Vergeßt nicht, wie wir das Land zuletzt verlassen haben. Na schön, wir haben immer noch den Kaperbrief der Königin, aber der ist nicht die Garantie, daß wir auch ihr Wohlwollen haben.“ „Ich verstehe“, sagte Gary aufgebracht. „Du willst dich diesen Schweinen von Spaniern wirklich ergeben.“ „Das hätte ich nicht von dir gedacht“, stieß Luke Morgan aus. „Von dir ganz bestimmt nicht, Seewolf.“ Hasard brachte es fertig zu grinsen. „Ihr Hitzköpfe, habt ihr völlig den Verstand verloren? Wer an mir zweifelt, der kriegt von mir eins aufs Maul, verstanden?“
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Das saß. Keiner wagte jetzt noch, zu protestieren. Bei aller Demokratie hatte an Bord der „Isabella“ stets ein Hauptgrundsatz gegolten: der Kapitän hatte das Sagen. Er gab den Ton an. Punktum und basta. Wer beharrlich dagegen anstänkerte, der war ein Meuterer. „Ihr habt euch meinem Befehl zu beugen“, sagte Hasard denn auch. „Aber ich will, daß ihr meine Entscheidung versteht. Ich habe das Für und Wider längst abgewogen, das könnt ihr mir glauben. Wenn wir krepieren, können wir den Spaniern nicht mehr schaden. Wenn wir die Flagge streichen, haben wir noch eine Chance, ihnen ein Schnippchen zu schlagen — vielleicht sogar zwei oder drei Möglichkeiten. Wir fügen uns nur zum Schein, das solltet ihr euch immer vor Augen halten.“ „Aye, aye, Sir“, erwiderte Luke Morgan. Es klang mürrisch. „Hasard!“ schrie Dan. „Die Dons sagen, sie feuern gleich eine volle Breitseite ab, wenn wir keine Antwort geben. Hölle und Teufel, ich kenne die Signale der Spanier ganz genau, ich täusche mich nicht!“ „Schon gut.“ Hasard schaute nach vorn. Sein Blick fing Al Conroy ein. „Al!“ „Sir?“ „Du kennst die Signale der Spanier auch. Ich habe sie euch Burschen mühselig beigebogen, so wie die spanische Sprache. Los, stell dich jetzt ganz vorn auf die Back und gib ihnen zu verstehen, daß wir kapitulieren.“ Al blickte völlig verständnislos drein. „Ich — das ...“ „Mister Conroy, das ist ein Befehl!“ Dieser Ruf Hasards mobilisierte Conroy, er drehte sich um und suchte mit seltsam steifen Schritten die Back auf. Hasard trat weiter vor und beobachtete ihn, wie er mit Winkflaggen die verlangten Zeichen gab. Jemand murrte in Hasards Rücken. Er drehte sich um und sagte: „Wer jetzt noch was zu meckern hat, den lasse ich vor versammelter Mannschaft auspeitschen.“ Die Männer schwiegen, aber sie wichen seinem eisigen Blick nicht aus. Offen sahen sie ihn an. Ihr Mut und
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Widerstandsgeist waren nicht gebrochen. Der Zorn gegen Spanien loderte wie nie zuvor in ihnen. Hasard musterte sie vernichtend, aber in seinem Inneren empfand er ganz anders. Er war stolz auf sie. Einmal, weil sie sich so tapfer geschlagen hatten. Ihre Schuld war es gewiß nicht, daß sie sich ergeben mußten. Zum anderen wußte Hasard, daß er weiterhin voll und ganz auf sie bauen konnte, auf diese einundzwanzig wüsten, von Stürmen und wilden Kämpfen zu einer einzigartigen Gemeinschaft zusammen geschmiedeten Männer! Gerade dies war für seine weiteren Pläne von elementarer Bedeutung. Wenn die Männer seinen Entschluß auch nicht billigten, sie würden ihn schon noch verstehen. Er wollte das Leben seiner Crew schonen. Er, Philip Hasard Killigrew, war der erste, der an das Steuerbordschanzkleid der „Isabella VIII.“ trat, seine Pistole und seinen Degen auf die Planken warf und demonstrativ die Hände hob. Gelassen sah er zu dem Verband der Spanier. Sie staffelten noch näher heran, dann fierten sie Beiboote ab, bemannten sie und pullten zu der Sandbank. Die Mündungen der Kanonen glotzten immer noch drohend zu der „Isabella“ herüber. Die Bootsbesatzungen hatten Musketen und Pistolen gezückt und legten auf die Seewölfe an. Selbst jetzt hatten sie noch Furcht vor ihnen. 5. Der Einzug in den Hafen der Insel war mehr als eine triste Angelegenheit für die Männer der „Isabella“. Sie wußten nicht, was auf sie wartete. Aber zwischen den gerade erst errichteten Anlagen der Bucht und dem Gebäude, zu dem sie gestoßen wurden, lag möglicherweise der direkte Weg zum Galgen. Oder zum Richtklotz. Hasard wußte, daß er sich beeilen mußte, wenn er noch einen Ausweg finden wollte. Wer sagte ihm denn, daß die Spanier ihn und seine
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Männer nicht sofort hinrichteten? Schließlich hatten sie lange genug auf diesen Tag gewartet. Dies war der Punkt, der Hasards eiskalt aufgestellte Rechnung nicht aufgehen ließ. Er brauchte nur zu Luke Morgan, Gary Andrews oder Matt Davies zu blicken und war überzeugt, daß sich ihre Gedanken in diesem Augenblick in genau dieser Richtung bewegten. Anders Ben Brighton, Ferris, Shane und die übrigen Besonnenen der Crew. Sie verdrängten das drohende Bild des Galgens oder Richtschwertes in ihrem Geist. Sie sagten sich, daß sie zu diesem Zeitpunkt schon längst tot gewesen wären, wenn sie sich nicht ergeben hätten. Jede Minute Aufschub war eine Kostbarkeit. Erstaunt registrierte Hasard, daß sich auf der „Ile du Diable“, wie Jean Ribault sie genannt hatte, allerhand verändert hatte. Die drei Inseln waren dem Seewolf noch von der ersten Reise bekannt, die er mit Francis Drake unternommen hatte. Damals hatte es hier noch keine Hafenanlagen der Spanier gegeben, damals war die größte der drei Inseln von undurchdringlichem, verfilzt aussehendem Busch überzogen gewesen. Die Spanier hatten Pionierarbeit geleistet. Sie hatten den Urwald zu einem beträchtlichen Stück gerodet. Sie hatten eine Kaimauer und Piers gefertigt, an denen ihre gottverdammten Galeonen, Karavellen, Schaluppen und Pinassen vertäut werden konnten. Sie hatten ein Fort gebaut und eine Mauer, die offensichtlich einen Komplex von Bauten abschirmte. Als sie vom Hafen in den kleinen Ort marschieren mußten, gewahrte Hasard, daß die Mauer noch nicht ganz fertig war. Von einem bestimmten Punkt aus konnte man durch die Lücke blicken und die übrigen Gebäude sehen: eine Kirche, Lagerhäuser, Wohnbauten mit glatten, schmucklosen Fassaden, ein breites Haus mit Balkon, Arkaden, Treppe und geschnörkelten Arabesken und Moresken über Eingang und Fenstern. „Das muß der Verwaltungs- und Regierungspalast sein“, sagte Hasard.
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„Ben, man gibt uns einen großartigen Empfang, verlaß dich drauf.“ Etwas traf ihn zwischen die Schulterblätter. Es war ein schmetternder Hieb, der ihn nach vorn katapultierte. Hasard stolperte und prallte mit dem Kopf gegen den mächtigen Rücken seines Vordermannes - Big Old Shane. Hätte dieser ihn nicht ungewollt gestoppt, wäre er unweigerlich gestürzt, zumal sie ihm wie allen anderen die Hände auf dem Rücken gefesselt hatten und er durch Rudern mit den Armen nicht die Balance wiedererlangen konnte. „Mierda“, sagte eine Stimme hinter Hasard. Hasard fing sich, richtete sich wieder auf und gliederte sich erneut in die Gruppe ein. Mit höllisch schmerzendem Rücken schritt er neben Ben Brighton her. Der war kalkweiß geworden. Vor Wut. Seine Lippen waren ein blutleerer Strich in seinem verzerrten Gesicht. Hasard wandte den Kopf nach links und sah den Sprecher, einen Spanier mit Helm und Brustpanzer, der drohend seine Muskete schwang. Deren Kolben also hatte er Hasard zwischen die Schulterblätter gerammt. „Du Bastard, halt bloß das Maul“, sagte er heiser. „Noch ein Laut, und ich schlag dich zusammen.“ Hasard hatte große Lust, sich zu ducken und ihm den Schädel in die Magengrube zu rammen. Aber was nutzte, das schon? Er bezwang sich. Er selbst hatte doch die neue Losung ausgesprochen: nicht die Helden spielen, den Gegner täuschen und überlisten... So ließen sie sich von dem Heer der Bewacher durch ein Tor in der Stadtmauer dirigieren. Ja, der Haß der Spanier war so groß, daß sie sie am liebsten gleich umgebracht hätten, aber ihre Anweisungen schienen anders zu lauten. Andernfalls hätten sie sie schon draußen auf der Sandbank niedergemetzelt. Hasard hielt verbissen an dieser These fest. O gewiß, er war ein Bastard, da hatte dieser spanische Soldat schon recht. Aber ein Bastard, der nicht recht wußte, ob er ein
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gebürtiger Engländer, Spanier oder Deutscher war, konnte doch mehr Instinkt im Leib haben als jeder Hochwohlgeborene. Und genau dieser Instinkt sagte Hasard, daß es noch nicht aus war. Folglich nahm er alles hin. Auch einen gemeinen Kolbenhieb zwischen die Schulterblätter. Aber die Dons würden ihm das noch büßen, das schwor er ihnen. Zwischen den Wohnhäusern und den Vorratsmagazinen trotteten sie auf den Regierungspalast der Insel zu. Die Wohnbauten waren noch nicht besiedelt. Es konnte noch nicht 'lange her sein, daß sie errichtet worden waren. In ein paar Wochen würden hier Auswanderer aus Spanien landen, Männer, Frauen und Kinder auf irgendeinem verwanzten Schiff, die all ihre Hoffnungen in das Leben in der Neuen Welt setzten. Nicht viel Zeit würde verstreichen, und sie lebten hier nach dem gleichen Schema wie in den anderen Niederlassungen auf der Tierra Ferma und in Neuspanien, in dem Gier, Neid, gegenseitige Ausnutzung, Betrug und Korruption die Hauptrolle spielten. Die Spanier schrien barsche Befehle. Die Seewölfe mußten nach links abbiegen und am Regierungspalast vorbeimarschieren. Nein, betreten durften sie ihn nicht. Wir beschmutzen nur ihren schönen Steinplattenfußboden und besudeln Spaniens Ehre, dachte Hasard erbittert. Hinter dem Palast öffnete sich inmitten von mehreren Nebengebäuden ein geräumiger Innenhof. Hasard und seine Crew traten unter den Anweisungen der Bewacher ungefähr in das Zentrum. Hier mußten sie sich umdrehen, so daß sie der Rückseite des Palastes zugewandt standen. Hasard sah einen Balkon mit einer protzigen Balustrade. Unzweifelhaft würden gleich ein paar Goldbetreßte darauf erscheinen, die Honoratioren der Insel. Luke Morgan traf Anstalten, sich einfach hinzusetzen, aber es gelang ihm nur im Ansatz. Einer der Wächter war plötzlich neben ihm und trat ihm mit voller Wucht in die Seite. Die Stiefelspitze war hart. Luke krümmte sich, stöhnte aber nicht.
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„Aufrecht stehenbleiben, du dreckiger Hund!“ brüllte der Spanier. Hasard sah Lukes Blick. Unbändiger Haß funkelte darin. „Luke“, sagte er. Luke Morgan sprach kein Wort. Er nahm gerade Haltung an, sah starr geradeaus und verzog keine Miene. Es fiel ihm nicht leicht, denn er litt noch unter den Folgen des Tritts und spürte die Wut in sich gären. Oben auf dem Balkon des Palastes tauchten jetzt drei Männer auf. Gleichzeitig trat aus der Gruppe der Bewacher im Hof ein Mann vor, dessen Uniform ihn als den Kommandanten des Kriegsschiffverbandes auswies. Er rief: „Der Alkalde Escudero, der Inselkommandant Andres Catalina und der Oberaufseher Rodrigo Montejo, gleichzeitig Vollzugsbeamter dieser Insel! In den Staub mit euch, ihr Hunde!“ Hasard glaubte, nicht richtig gehört zu haben. Das war doch wohl der Gipfel der Demütigung und Erniedrigung! Der Alkalde Escudero blieb dicht vor der Balustrade stehen und verschränkte die Arme. Sein Gesicht war glatt, oval und ohne besondere Merkmale. Ein Dutzendtyp. Markanter nahm sich hingegen schon das Gesicht von Catalina aus, einem offensichtlich ganz schneidigen Vertreter der jungen, karrierebewußten Garde. Aber dann Rodrigo Montejo! Dieser Mann lenkte alle Blicke auf sich, denn er wirkte wie ein schwarzer, drohender Totenvogel mit seiner mageren Statur, die überdies noch in dunkle Kleidung gehüllt war, mit den schwarzen Haaren und dem Gesicht, das wie ein Totenschädel anmutete. Tief lagen die Augen in schattigen Höhlen. Auf seiner Oberlippe sproß ein Bart, der sein grausames Aussehen noch hervorhob. Hasard wußte sofort, daß alle Schikanen und anderen Niederträchtigkeiten, mit denen man sie fortan traktierte, in erster Linie von diesem Kerl ausgehen würde. Montejo hob die Hand. Er gab dem Kommandanten des Verbandes unten auf dem Hof einen Wink und grinste dabei. Es sah gemein aus.
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Der Schiffskommandant brüllte wieder einen Befehl, und die versammelte Wachmannschaft — schätzungsweise hundert Mann mit Helm und Panzer - legte ihre Musketen auf die Seewölfe an. „Kniet euch in den Staub!“ schrie der Kommandant. „Gehorcht“, sagte Hasard gepreßt. Er ließ sich als erster auf die Knie sinken. Er tat es mit zusammengebissenen Zähnen und schloß die Augen dabei, so groß war die Schande. * Wenn die Spanier glaubten, daß die „Isabella“ völlig verlassen auf der Sandbank lag, so hatten sie sich getäuscht. Jemand kauerte noch im Großmars und wußte nicht, was er tun sollte — eine ganz besondere Art von Besatzungsmitglied. Arwenack, der Schimpanse, hockte da wie ein Häufchen Elend .und gab hin und wieder trockene, schluchzende Laute von sich. Dan O'Flynn hatte ihm bedeutet, sich zu verstecken, als er den Großmars verlassen hatte. „Du bleibst hier, verstanden?“ hatte er gesagt. „Rühr dich ja nicht vom Fleck.“ Arwenack wußte die Sprache der Menschen vor allen Dingen an dem jeweiligen Tonfall zu deuten. Immerhin war er schon einige Zeit mit den Seewölfen zusammen und kannte ihre Ausdrucksformen. Seine Menschen — sie konnten freundlich zu ihm sein, ihn streicheln und verhätscheln, konnten aber auch aus der Haut fahren, besonders der Kutscher, wenn Arwenack ihm Rosinen oder andere Kleinigkeiten klaute, oder Carberry, der es auf den Tod nicht leiden konnte, wenn man ihm zwischen den Beinen herumkrebste. In solchen Fällen suchte Arwenack immer schleunigst Zuflucht im Großmars, meistens bei Dan O'Flynn. Arwenack mochte Hasard, mochte Batuti, mochte Smoky und sogar Matt Davis, aber mit dem jungen O'Flynn verband ihn eine ganz besondere Art der Zuneigung.
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Deswegen hatte es den Schimpansen zutiefst verletzt, als Dan ihn so angeschnauzt hatte. Eigentlich war es das erstemal gewesen, daß der Junge mit den schärfsten Augen ihn so zusammengestaucht hatte — sein Mensch! Dabei hatte er doch gar nichts ausgefressen. Arwenack war zutiefst enttäuscht, gekränkt, er verstand die Welt nicht mehr. Was war geschehen? Warum war es so still? Er wagte es endlich, aufzustehen und einen Blick nach unten auf das Deck der „Isabella“ zu werfen. Was er da sah, ließ ihn in verzweifeltes Jammern ausbrechen. Ein paar dicke Tränen lösten sich aus seinen Augenwinkeln und kullerten über seine Wangen. Das Schanzkleid der Steuerbordseite war vorn an der Kuhl kaputt. Der Großmast war angeknackst. Aber das war bei weitem nicht das Schlimmste. Die Seewölfe waren weg. Alle! Kein Mensch befand sich mehr an Bord, und auch die Zweibeiner, die sich mit ihnen herumgeschlagen hatten, waren verschwunden. Arwenack wimmerte, kletterte über die Segeltuchverkleidung des Großmarses und enterte über die Großwanten der Backbordseite auf die Kuhl hinunter. Die „Isabella“ lag schräg, er mußte sich hier und da festhalten, um nicht auf Deck auszugleiten und ins Wasser zu schliddern. So sehr Arwenack auch suchte, er fand seine Menschen nicht. Zum Schluß klomm er auf die Back, setzte sich hin und heulte haltlos sein Elend in die Welt hinaus. Wo waren sie denn nur? Drüben auf dem bewachsenen Buckel etwa, der aus dem Wasser aufragte? Wie hinkommen? Nein, Arwenack konnte nicht schwimmen. Er hatte auch grenzenlose Angst vor dem balkenlosen Element. Einmal war er dummerweise hineingefallen, und der große Schwarzhaarige, der Anführer seiner Menschenherde, der Beste aller Zweibeiner — er hatte ihn gerade noch rechtzeitig herausgezogen und vor den großen Fischen mit den scharfen Zähnen gerettet.
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Seitdem hatte Arwenack noch größere Angst vor dem Wasser. Was tun? Er konnte nichts unternehmen, konnte nur traurig dasitzen und jammern. Alles, was er mit seinen Menschen erlebt hatte, geisterte durch sein Affenhirn, sämtliche Episoden. Beispielsweise, wie er mit Dan die Rumvorräte des Kutschers geschmälert hatte, wie sie sich nach unten ins Vorschiff verkrümelt und in aller Seelenruhe die Flasche geleert hatten. Bis sie betrunken gewesen, waren. Und wie der große schwarzhaarige Herdenführer ihnen dann irgendwelche drakonische Strafen angedroht hatte. Oh, wie schön war das gewesen! Arwenack faßte sich an den Kopf wie es ein Mensch in größter seelischer Not tat. Die Tränen kullerten jetzt noch heftiger, noch rascher, und er heulte fast wie ein Hund, der den Verlust seines Herrn beklagt. * „Gut so“, sagte der Alkalde Escudero zu Rodrigo Montejo. „Ich bin überzeugt, Sie werden diesen niederen Vertretern der menschlichen Rasse schon den nötigen Respekt und Anstand vor unsereinem beibringen, mein lieber Montejo.“ Der Angesprochene entblößte seine Zähne. Mein lieber Montejo — so nannte ihn sonst kaum einer hier auf der Isla del Diablo, der Teufelsinsel. Allgemein bezeichnete man ihn nur als El Verdugo. Der Henker. Er selbst hatte nichts an diesem Beinamen auszusetzen, denn er entsprach voll und ganz seiner selbstgesetzten Aufgabe, seiner Reputation und seinem Charakter. Er schaute auf die zweiundzwanzig im Staub knienden Seewölfe hinunter, als wären sie häßliche Tiere. „Anstand?“ wiederholte er gedehnt. „Den lernen die nie. Bei denen hilft nur eins. Man muß sie ausradieren. Vernichten. Sie dürfen keine Möglichkeit haben, noch weiter ihre verderbliche Saat zu streuen.“
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„Gut gesagt“, erwiderte Catalina, der Inselkommandant. „Was machen wir also mit ihnen?“ „Ganz einfach.“ EI Verdugo zeigte wieder sein gemeines Lächeln. „Wir hängen sie auf, einen nach dem anderen, bis kein Leben mehr in ihren fluchwürdigen Leibern ist. Danach baumeln wir sie an einem Gerüst direkt ans Südufer unserer Insel. Alle vorbeiziehenden Seefahrer werden dann sehen, wie wir mit unseren Feinden umspringen, und es wird allen eine Mahnung sein. Den Fremden, damit sie uns niemals angreifen, den Spaniern, damit auch sie wissen, was einem Meuterer blühen kann.“ Escudero rieb sich das Kinn. „Nicht schlecht. Hört sich gut an.“ Er hielt sich für einen außerordentlich klugen Mann, vor allem, was die Diplomatie betraf. Tatsächlich wußte er Rodrigo Montejo am besten zu nehmen, indem er ihm zunächst recht gab und dann erst seine eigene Ansicht zum besten gab. „Man sollte sie wirklich abschlachten“, fuhr der Alkalde fort. „Aber Sie vergessen eine Kleinigkeit, mein lieber Montejo. In gewisser Weise kommen mir die englischen Gefangenen gerade recht.“ Montejo und Catalina fuhren gleichzeitig zu ihm herum. „Wie bitte?“ Sie sagten es sogar im Chor Der Alkalde Escudero lächelte milde. „Ich glaube, wir begehen einen schwerwiegenden Fehler, wenn wir diese Verbrecher sofort hinrichten.“ El Verdugo schnappte hörbar nach Luft. „Also, jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr. Ich habe mit dem Kommandanten des Kriegsschiffsverbandes gesprochen. Er hat diese Blockade errichtet, hat seine Galeonen zu uns in den Hafen geschickt, nur, um dem ihm genau beschriebenen Schiff aufzulauern. Boten hatten ihm die Nachricht überbracht, daß die Engländer eventuell hier auftauchen und zu passieren versuchen. Und wir wissen alle, daß der schwarzhaarige Teufel dort unten niemand anders als der berüchtigte El Lobo del Mar ist, der Seewolf. Ganz Spanien wartet nur darauf, daß seinem Treiben ein Ende
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bereitet wird! Der König wird uns belobigen, wenn wir ihm und seinen Bastarden den Prozeß machen und sie aburteilen und ...“ Escudero hob die Hand. „Moment. Ich kenne Ihren unauslöschlichen Haß gegen die Engländer, Montejo. Aber ich habe ja auch nicht gesagt, daß ich diese Hunde verschonen will. Im Gegenteil. Ich will ihr Leiden -noch verlängern. Es wird sie mehr treffen, wenn wir sie langsam fertigmachen, nicht wahr? Mein lieber Catalina, was sagen Sie dazu?“ „Was planen Sie, Alkalde?“ fragte Andres Catalina. Escudero maß die Seewölfe mit einem taxierenden Blick. „Sehen Sie sich die Muskeln dieser Kerle an. Diese Kraft! Das sind ja fast Giganten. Ich werde sie ausnutzen, verstehen Sie? Sie geben hervorragende Arbeitskräfte ab - Sklaven für die Errichtung unserer kleinen Stadt. An dem Fort muß noch einiges getan werden, an der Stadtmauer - und die Kirche, haben Sie die ganz vergessen, Senores?“ „Nein“, erwiderte El Verdugo finster. „Aber ich gedenke nicht, sie mit Hilfe der verdammten Engländer zu Ende zu bauen.“ Escudero hob tadelnd den Zeigefinger. „Das ist nicht schlau, mein Bester. Wir tun ihnen doch nur einen Gefallen, wenn wir sie gleich ins Jenseits befördern.“ „Also, wenn ich darüber nachdenke, muß ich dem Alkalden recht geben“, erklärte Andrés Catalina. El Verdugo musterte ihn aus schmalen Augenschlitzen. Catalina war ein Karrieremacher, das wußte er. Natürlich hatte er eine eigene Meinung, aber er wußte sie geschickt zu verbergen und sich zum Opportunisten zu verstellen, wenn es angebracht war. Überdies wurde im Regierungspalast von den ausgefallenen Neigungen des Alkalden gemunkelt, denen Catalina sehr wohl zu begegnen wußte. „Ich kann das nicht ertragen“, stieß El Verdugo hitzig hervor. „Die Engländer beleidigen mein Auge, außerdem ist es nicht mit unserem Glauben zu vereinbaren,
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daß Mörderfinger wie diese Stein um Stein unser neues Gotteshaus errichten.“ Der Alkalde wischte den Einwand mit einer Gebärde weg. „Na gut, dann lassen Sie die Kerle an die Kirche eben nicht heran. Es genügt, wenn sie bei den Arbeiten am Kastell und an der Stadtmauer eingesetzt werden. Außerdem erteile ich Ihnen, mein lieber Montejo, das Kommando über die neuen Sklaven. Sie können mit ihnen anstellen, was Sie wollen, nur müssen sie am Leben bleiben und für uns schuften.“ „Eine ausgezeichnete Idee“, sagte Catalina. El Verdugos Gesichtsausdruck änderte sich. „Ach, so ist das. Nun, unter diesem Aspekt muß auch ich meine Meinung ändern. Alkalde, ich versichere Ihnen, diese Ingléses werden noch darum winseln, hingerichtet zu werden. Der Tod wird eine angenehme Erlösung für sie sein.“ „Es gibt keinen besseren Oberaufseher für die Kerle“, antwortete Escudero. „Ich wünschte, alle Vollstrecker hätten Ihr Format, mein Freund.“ El Verdugo hätte am liebsten eine angewiderte Grimasse gezogen, aber er lächelte wieder, was im Grunde auch nicht viel besser aussah. „Danke, Alkalde. Es ist mir eine Ehre, dieses Lob aus Ihrem Munde zu vernehmen.“ Escudero winkte gnädig ab. „Schon gut, nicht der Rede wert. Gehen Sie jetzt, Montejo, sehen Sie sich die Bastarde genau an und quartieren Sie sie ein. Ich überlasse alles Ihnen, Sie kennen ja Ihr Metier.“ „Si, Senor.“ „Montejo, ich kann mich ja wohl auch darauf verlassen, daß jeder Ausbruchsversuch dieser zweiundzwanzig Kerle im Ansatz scheitert“, sagte der Alkalde noch, bevor er sich abwandte und den Balkon verließ. El Verdugo duckte sich und sah aus wie ein flugbereiter Geier. „Ich bürge mit meinem Leben dafür. Lieber will ich selber sterben, als die Schande einzugestehen, daß auch nur einer dieser Hurensöhne entwischt ist.“
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Escudero nickte beruhigt. „Das habe ich nur noch mal hören wollen, mein lieber Freund.“ 6. Hasard hatte die Augen wieder etwas geöffnet und beobachtete die Männer auf dem Balkon des Palastes. Als Escudero und Catalina im Palast verschwanden und Rodrigo Montejo an der Balustrade stehenblieb, wußte er, was die Stunde geschlagen hatte. Eine Treppe aus weißem Gestein führte an der rechten Balkonseite parallel zur Palastmauer auf den Hof hinunter. Montejo schritt darauf zu, nahm die Stufen und begab sich langsam, beinahe zögernd, zu ihnen. Der Kommandant des Schiffsverbandes wandte sich höhnisch an den Seewolf. „Der da, das ist der richtige Patron für euch. Sie nennen ihn hier meist nur El Verdugo.“ „Den Henker, nicht wahr?“ „Ja. Wie gut du unsere Sprache beherrschst, Engländer.“ „Ich habe ein paar Jahre darauf verwandt.“ „Sie klingt wie das häßliche Kläffen eines räudigen Köters in deinem Mund“, sagte der Kommandant hämisch. Nach diesem Bekenntnis trat er zur Seite und räumte den Platz für El Verdugo. Dieser kam näher. Er steuerte direkt auf die vordere Reihe der knienden Männer zu. Das hinterhältige Grinsen war auf seinem Gesicht eingefroren. Er schritt durch den Staub des Hofes, aber das war weder ein Stapfen noch ein Schlendern, er setzte die Stiefel auf, ohne Schmutz hochzuwirbeln und verursachte kaum ein knirschendes Geräusch. Sein Gang hatte etwas von dem Schleichen eines Katers, der sich an eine sichere Beute heranpirscht. Dicht vor Hasard blieb er stehen. Er winkelte die Beine leicht ab und ließ die Arme an den Körperseiten hängen. Hasard sah, daß er in der rechten Hand einen Stock aus Bambus hielt. Es gehörte nicht viel Scharfsinn dazu, zu erraten, welchem Zweck das Ding diente.
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„Du bist das also“, sagte El Verdugo. „El Lobo del Mar.“ Der Seewolf zog die Augenbrauen hoch. „Der Seewolf? Wer ist das?“ Der Bambusstock pendelte wie zufällig auf ihn zu und wippte dicht vor seinem Gesicht. „Ich an deiner Stelle würde nicht leugnen, Bastard“, sagte El Verdugo leise. „Was gibt das für ein Bild ab, wenn ich dich vor deiner Mannschaft züchtige?“ „Du wartest doch nur darauf, mir deine Gerte quer durchs Gesicht zu ziehen“, erwiderte Hasard. Er brachte es fertig, gelassen zu sprechen. „Also los, auf was wartest du? Bringen wir es hinter uns.“ Der Henker trat einen Schritt zurück, als könne er dadurch einen besseren Gesamteindruck von Hasard gewinnen. Seine Miene war leichenhaft starr. „Das könnte dir so passen. Sag Sie und Senor zu mir, Bastard.“ „Si, Senor.“ „Du bist schmutzig und stinkst.“ „Si, Senor. Es freut mich, daß ich stinke.“ „Du heißt Philip Hasard Killigrew und wirst der Seewolf genannt. Ich kenne Beschreibungen deiner Person und habe keinen Zweifel, daß du es bist. Im übrigen konnte kein anderer als du so wahnsinnig sein, draußen vor der Insel unsere Flotte anzugreifen.“ „Ich bin angegriffen worden, Senor.“ „Wer hat denn die erste Breitseite abgefeuert? Ich habe alles genau verfolgt.“ „Ich habe geschossen, als die Kanonen Ihrer Schiffe, Senor, bereits drohend auf mich gerichtet waren.“ „Das ist eine niederträchtige Kampfesweise!“ „Wer zuerst schießt, lebt länger, Senor“, erwiderte Hasard. „Drei Schiffe vernichtet und ein viertes schwer beschädigt!“ schrie Rodrigo Montejo. „Das ist der Gipfel an Hinterhältigkeit!“ „Wir haben uns nur unserer Haut gewehrt“, sagte Hasard kühl. „Kein Mann, wenn er einer ist, läßt sich widerstandslos in die Enge treiben und gefangen nehmen, merken Sie sich das, Senor! „Im übrigen
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mußten Sie eine ganze Flotte aufbieten, um ein einziges Schiff zu bezwingen. Was für eine Heldentat!“ El Verdugo holte aus und schlug zu. Mit einem surrenden Geräusch fuhr der Bambusstock durch die Luft und traf Hasard gegen den Kopf. Er steckte den Hieb ein, ohne mit der Wimper zu zucken. Er schaute den Henker nur aus seinen eisblauen Augen an, von unten her, weil er ja immer noch kniete. Und es lag so viel lodernder Haß in diesem Blick, daß Montejo unwillkürlich einen halben Schritt zurücktrat. „Gut“, sagte El Verdugo keuchend. „Das genügt. Ihr werdet büßen. Für alles. Für das, was ihr verbrochen habt, für den Mord an meinen Landsleuten. Für die Dreistigkeit eurer verfluchten Königin, sich mit unserer Nation anzulegen. Ihr werdet noch eine Weile leben, aber ihr werdet nur dahinvegetieren.“ Hasard erwiderte nichts darauf. Er nagelte El Verdugo nur mit seinem kalten, bohrenden Blick fest. Noch keiner hatte es ungestraft gewagt, dem Seewolf ins Gesicht zu schlagen. Nicht einmal Sir John Killigrew — und der hatte in gewisser Weise sogar die Berechtigung dazu gehabt, als Erzieher des Bastards nämlich. Warte, El Verdugo, dachte Hasard, wir sprechen uns noch. „Aufstehen“, sagte der Henker. „Hoch mit euch, ihr elenden Hundesöhne, ich bringe euch jetzt von hier weg. Wir werden noch eine Menge Spaß miteinander haben, das versichere ich euch.“ Die Seewölfe erhoben sich aus dem Staub. Wieder wurden die Musketen auf sie angelegt. Die Wächter standen bereit, sie abzuführen. Der Schiffskommandant wandte sich an El Verdugo. „Bueno, ich habe meine Pflicht und Schuldigkeit getan, was die Festnahme und Ablieferung dieser Teufel betrifft. Jetzt geht die Verantwortung auf Sie über, Montejo.“ „Gut. Ich danke Ihnen, Comandante. Was unternehmen Sie jetzt?“
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„Wir bleiben zunächst noch im Hafen, laufen mit ein paar Schaluppen und Pinassen die Sandbank an und durchsuchen das Schiff der Engländer.“ „Wenn Sie dem Alkalden Bericht darüber erstattet haben, denken Sie auch an mich, ja?“ „Aber sicher doch, Montejo. Es wird mir eine Ehre sein.“ Rodrigo Montejo zeigte sein satanisches Lächeln. „Nachmals herzlichen Dank und bis später, Comandante. Ach, übrigens ...“ „Ja?“ „Es tut mir leid um die Männer, die Sie in dem Gefecht verloren haben.“ Der Kommandant zuckte mit den Schultern. „Mir war kein Preis zu hoch, um diesem Piraten und seinen Spießgesellen das Handwerk zu legen. Ich hätte auch den kompletten Verband, nein, was sage ich, die vollständige Armada geopfert, um diese Hunde zu fassen.“ Sein Oberkörper straffte sich. „Wissen Sie, wie vielen Verfolgern diese Piraten schon entwischt sind?“ „Ich habe es vernommen.“ „Man kann es kaum fassen, was sie alles verbrochen haben.“ „Sie werden jede Tat einzeln büßen, das versichere ich Ihnen, Comandante“, sagte El Verdugo. Er nickte dem Befehlshaber der kleinen Flotte noch einmal zu, dann wandte er sich ab und schrie die Seewölfe an: „Zu Zweierreihen formieren. Na, wird's bald? Ihr Mörder, ihr dreckigen Hunde, ich bringe euch noch bei, wie ihr hier zu parieren habt!“ Während die spanischen Soldaten unausgesetzt mit den Waffen auf die Gefangenen zielten, schritt er die Gruppe von hinten nach vorn ab. Carberry gab einen verhaltenen, grollenden Laut von sich. „Der flucht fast wie ich“, knurrte er. „Nur mit dem kleinen Unterschied, daß er's ernst meint.“ „Du etwa nicht?“ zischte Bill, der Schiffsjunge. Er stand genau vor ihm und sprach, ohne den Kopf zu wenden. „Ich bin doch kein Leuteschinder“, gab der Profos zurück. „Aber du fluchst wie dieser Henker.“ „Hör mal, Kleiner ...“
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„Ich bin nicht klein“, fauchte Bill. Carberry holte tief Luft, bevor er entgegnete: „Paß gut auf, Söhnchen, halt jetzt die Klappe, oder ich trete dir in deinen Achtersteven, daß du die Engel im Himmel singen hörst.“ Bill schwieg, denn er dachte daran, wie ihm der Profos zuletzt auf der SchlangenInsel den Hintern versohlt hatte. Carberry sah zu seinem Nebenmann Ferris Tucker. Der rothaarige Riese gab ihm durch einen Blick zu verstehen, daß er das gleiche dachte wie er: Der einzige, der hier die Lage, noch nicht richtig erfaßt hatte und' nicht einmal ahnte, was ihnen bevorstand, war der junge Bill. Welche Erfahrungen hatte er mit seinen fünfzehn Jahren denn schon? Gewiß, er war bereits Gefangener der Spanier gewesen. Aber auf ihn hatten die Dons damals nicht die Wut gehabt, die sie den Seewölfen gegenüber verspürten. In dieser Beziehung bereuten sie es jetzt alle, dem Drängen von Bills sterbendem Vater nachgegeben zu haben. Niemals hätten sie den Jungen als „Moses“ zu sich nehmen dürfen. Sie hatten zu viel am Hals, und jetzt mußte er, der keine Schuld an alledem trug, mit für sie büßen. El Verdugo hatte sich an die Spitze seiner neuen Sklaven gesetzt. „Ab!“ kommandierte er. „Marschiert, bevor ich euch auspeitschen lasse!“ Der Trupp setzte sich in Bewegung. Es war eine traurige, zerlumpte Prozession, die den Hof des Regierungspalastes verließ und zum Rand der neuen Siedlung trottete. Die Gesichter der Seewölfe waren noch vom Pulverrauch geschwärzt. Aber unter dem Ruß waren sie grau, aschgrau, ihren Zügen haftete der Ausdruck der Resignation an. Vor den Musketenmündungen einer Hundertschaft von Spaniern gab es keine Hoffnungen mehr. Ihr Weg führte auf drei Holzgebäude vor dem Saum des noch stehenden Restes Urwald auf der Insel zu. Zwei Wächter eilten voraus und stießen die Tür der mittleren Baracke auf.
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El Verdugo trat zur Seite, als er kurz vor dem Eingang war. Er fuchtelte mit seinem Bambusstock und rief: „Los, da hinein, beeilt euch!“ Luke Morgan gehörte mit Hasard, Bill, Carberry, Ferris Tucker und Old O'Flynn zu den Männern an der Spitze des Trupps. Er sah den Henker dicht zu seiner Linken stehen, spuckte aus und rief: „Zum Teufel, warum erschießt ihr uns nicht gleich? Das käme doch aufs selbe heraus und wäre einfacher für beide Seiten. Ihr verdammten Sadisten, ihr wollte uns doch nur quälen ...“ El Verdugo sprang wie eine große schwarze Spinne auf ihn zu und hieb mit dem Bambusstock zu. Luke Morgan kriegte ihn ins Gesicht wie vorher auf dem Palasthof Hasard. Nur reagierte er anders. Luke war unbeherrschter, impulsiver. Er konnte sehr schnell aufbrausen und gehörte zu den jähzornigen Typen. Sofort ging er zum Angriff über. Am Palast hatte er sich noch von Hasard bremsen lassen, als der Posten ihm in die Seite getreten hatte. Jetzt aber war das Maß voll, nichts könnte ihn mehr zurückhalten. Mit einem Wutschrei stürzte sich Luke auf den Henker. * Natürlich setzte sich El Verdugo zur Wehr, aber er ging dabei von falschen Voraussetzungen aus. Er nahm an, daß ein Mann, dem die Hände auf den Rücken gefesselt waren, ziemlich wenig gegen einen frei stehenden Gegner ausrichten konnte. Außerdem hatte er ja den Bambusstock, dieses Werkzeug des Terrors und der Schande. Somit beging El Verdugo einen Fehler. Er unterschätzte Luke. Er gedachte ihn mit ein paar Hieben auf den Kopf niederzustrecken, aber Luke konnte viel einstecken und hatte außerdem einen harten Schädel. Er unterlief den Hagel von Hieben, mit dem der geiergesichtige Spanier ihn traktierte. El Verdugo riß den Mund zu
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einem Schrei auf, schaffte es aber nicht mehr, ihn zu formen. Denn Lukes Schädel bohrte sich mit vernichtender Kraft in seine Bauchpartie. El Verdugo prallte zurück, bevor ihm irgendjemand zu Hilfe eilen konnte. Er krachte mit dem Rücken gegen die Außenwand der Blockhütte und schnappte nach Luft wie ein Barsch auf dem Trockenen. Hasard, Carberry und Ferris Tucker wollten Morgan nachstürmen und sich gleichfalls auf den Schinder werfen. Dies schien die Chance zu sein, auf die sie gewartet hatten. Sie konnten El Verdugo greifen und ihn als Geisel benutzen. Doch der Schrei eines Wachtpostens stoppte sie. „Halt! Keinen Schritt weiter, oder wir schießen euch nieder!“ Es hatte keinen Zweck, die Musketen vermittelten eine zu deutliche Sprache. Ohnmächtig vor Wut standen Hasard und die anderen der Crew da und verfolgten, was sich weiter zwischen Luke und El Verdugo abspielte. Luke hatte den Kopf wieder hochgezogen und bearbeitete den mageren Kerl jetzt mit den Füßen. Abwechselnd den linken und den rechten Stiefel gab er ihm zu schmecken. Montejo, in die Enge getrieben, japste vor Entsetzen und Schmerzen. Luke dachte vielleicht, er könne sich noch irgendwie von den Handfesseln befreien, aber das war reine Illusion. Zwei Soldaten waren jetzt von hinten heran und packten ihn. Sie schlugen mit den Fäusten auf ihn ein und zerrten ihn zurück. El Verdugo stand mit hängenden Armen und atmete heftig. Als die Bewacher Luke Morgan rücklings zu Boden warfen und mit den Füßen traten, bückte er sich und las seinen Bambusstock vom Boden auf. Den hatte er unter Lukes Ansturm verloren. El Verdugo war leichenblaß, wie Pergament spannte sich die Haut über seinen Gesichtsknochen. Langsam und etwas schwankend schritt er auf Luke zu.
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Hasard ließ Montejo nicht aus den Augen. Soeben hatte dieser Kerl eine Niederlage erlitten. Sicher, er hatte die Situation noch voll im Griff, und doch hatten die Seewölfe Gelegenheit gehabt, eine seiner Schwächen aufzudecken. Der geborene Nahkämpfer war er ganz gewiß nicht. Seine Überlegenheit und Selbstsicherheit leitete er aus der Position ab, die er seinen Sklaven gegenüber innehatte, wer immer sie auch waren. Stets führte er das Zepter und den Knüppel. Eine Gelegenheit zum fairen Kampf gab es nicht. Aber wehe El Verdugo, wenn es einmal doch zur offenen Konfrontation zwischen ihm und den Geschundenen kam! „Aufhören“, sagte El Verdugo. Die Soldaten hielten inne und bearbeiteten Luke nicht mehr. Der Henker bedeutete ihnen aber, die Schußwaffen auf ihn anzulegen. Keuchend, mit verzerrtem Gesicht, die Beine etwas angezogen, so lag Luke auf dem harten Steinboden. In seinen Augen glitzerte es immer noch angriffslustig. Sein Kampfgeist war nicht gebrochen. „Spanier!“ rief er. „Ich fordere dich zum. Duell. Du kannst die Waffen wählen. Stell dich, wenn du ein Mann und kein Waschweib bist.“ Diese Worte prallten an El Verdugo ab. Er sagte nur ein Wort. „Aufstehen.“ Luke brachte das Kunststück fertig. Er krümmte sich, zog die Beine ganz an den Leib, drehte sich und erhob sich. Taumelnd bewegte er sich vor dem Henker. El Verdugo unternahm einen kurzen, huschenden Ausfall gegen ihn. Luke reagierte darauf und stürmte wieder vor. Aber diesmal war der Gegner auf der Hut. Er wich katzenhaft gewandt zur Seite aus, riß den Stock hoch und ließ ihn in Lukes Nacken niedersausen. Die Seewölfe zuckten unter dem Schlag zusammen. Luke strauchelte und brach zusammen. Im Geist stürzten sie mit ihm, alle einundzwanzig. Sie empfanden mit ihm, wie El Verdugo sich von hinten anschlich und wieder und wieder mit seinem elenden Bambusstock auf Luke eindrosch.
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Hasard duckte sich immer tiefer. Seine Stirn war drohend gefurcht, sein Mund verzerrt. Er konnte sich kaum noch kontrollieren. Zwei Schritte vor ihm stand ein schlaksiger Spanier, dem der Brustpanzer zu weit war und der Helm zu groß. Ein grotesk wirkender Bursche, aber trotz seines Aussehens bestimmt kein zu unterschätzender Gegner. Er stand vorgebeugt, streckte die Muskete vor und sagte: „Wage das nicht, Engländer. Ich weiß, was du willst, aber du tust nur einen Schritt, und dann hast du ein häßliches Loch in der Brust, das schwöre ich dir.“ El Verdugo richtete sich auf. Er drehte sich zu drei, vier Soldaten um, winkte ihnen zu, wandte sich dann der Baracke zu und wies auf zwei Holzpflöcke, die in rund sieben Yards Höhe unter den Stützholmen des Daches aus der Wand ragten. Die Männer hoben den vor Schmerzen völlig benommenen Luke auf und schleppten ihn zur Hütte. Zwei hielten ihn fest, die anderen banden seine Hände los, umwickelten sie aber gleich wieder einzeln mit Riemen und knüpften die Arme oben an den Pflöcken fest. Sie knoteten ihm die Beine zusammen, so daß er völlig hilflos mit dem Gesicht zur Barackenwand baumelte. El Verdugo riß ihm das Hemd in Fetzen vom Oberkörper. „Du dachtest, ich würde dich jetzt in Ruhe lassen, wie?“ rief er gellend. „Du hast dich getäuscht, du Lumpenhund. Ich zeige dir, wie ich mit Aufsässigen umspringe.“ Er fuhr herum. Ein Posten brachte ihm auf seinen Befehl hin eine Peitsche mit dickem, kurzem Griff und mehreren geflochtenen Rohlederstriemen. Es war eine Geißel, die so ähnlich aussah wie die gefürchtete neunschwänzige Katze auf den Segelschiffen aller Länder. „Ihr anderen!“ schrie El Verdugo die wie gelähmt stehenden Seewölfe an. „Laßt euch das hier eine Lehre sein.“ Er drehte sich zu Luke um und hieb sofort zu.
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Zwanzig Schläge prasselten auf den nackten Rücken Lukes, nach dem fünften zerplatzte die Haut an den ersten Stellen. Zwanzig Schläge waren viel, auch für einen harten Burschen von Lukes Format. Er wurde besinnungslos, ohne einen Wehlaut von sich gegeben zu haben. Als ihn El Verdugos Schergen von der Holzwand losbanden, fiel er schlaff und reglos zu Boden. Der Henker schritt die Front seiner Gefangenen ab. „Reicht das als Darbietung?“ fragte er hämisch. Das häßliche Grinsen spielte wieder um seine Mundwinkel. „Oder wollt ihr noch mehr sehen? Wer meldet sich freiwillig?“ Ausgerechnet mit Bill gingen die Pferde durch, als Rodrigo Montejo in seine Nähe geriet. „Du Sohn einer triefäugigen Hafenhure!“ rief er ihm zu. „Wie kann ein Mann nur so gemein sein? Du fühlst dich ja bloß stark, weil wir gefesselt sind und weil du hundert bewaffnete Idioten auf deiner Seite hast, du Drecksack!“ El Verdugo verharrte, als habe er nicht richtig gehört. Dann schob er sich weiter, grinste, verweilte vor Bill, und das Grinsen verschwand wie weggewischt. Der Bambusstock zuckte hoch und dann vor. Bill torkelte unter dem Schlag direkt in sein Gesicht entsetzt zurück. Er stammelte etwas Unverständliches. Hasard handelte, bevor El Verdugo zum zweitenmal zuschlagen konnte. Im Fall Luke Morgans hatte er sich noch zurückhalten können. Aber für Bill trug er die volle Verantwortung und konnte es nicht zulassen, daß auch der systematisch zusammengeschlagen wurde. Er mußte etwas tun, und wenn es auch nur dem einen Zweck diente — nämlich, die Aufmerksamkeit von Bill auf sich zu lenken. „Zurück!“ schrie der schlaksige Soldat. Hasard hörte nicht darauf. Er nahm nichts mehr wahr außer El Verdugos fratzenhaft verzerrtem Gesicht. Er federte auf ihn zu, drehte sich dabei und knallte ihm einen Rammstoß mit der linken Schulter vor die Brust. Er traf den Henker mit
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unverminderter Wucht, und die einzigartige Attacke riß den Kerl sofort von den Beinen. El Verdugo brüllte, als stecke er bereits auf dem Spieß, den der Höllenfürst garantiert für ihn bereithielt. Hasard wollte sich auf ihn werfen, doch in diesem Augenblick krachte die erste Muskete. Gleich darauf belferten auch die anderen los, ein halbes oder vielleicht sogar ein ganzes Dutzend beinahe gleichzeitig. Es war ein wüstes Höllenkonzert. Hasard hatte das Gefühl, als würden ihm rotglühende Nägel in den Rücken getrieben, jedenfalls ließ es sich nur so beschreiben. Er stürzte zu Boden und schickte ein Stoßgebet zum Himmel. Es wurde ihm schwarz vor den Augen, dann rot, aber er betete immer weiter, daß der Musketenschuß ihn nicht voll getroffen, sondern nur gestreift haben möge. 7. „Auf sie!“ Das war El Verdugos Stimme. Hasard lag auf dem Bauch und konnte nicht viel von dem sehen, was um ihn herum geschah. Die schwarzen und roten Schleier vor seinen Augen verwischten alles. Er vernahm nur, wie seine Männer empört aufschrien. „Ihr Schweinehunde“, stieß er immer wieder hervor. „Ihr elenden, hinterlistigen, feigen Bastarde, ihr Verbrecher, ihr ...“ Weiter gelangte er nicht, denn die Soldaten, die rücksichtslos auf seine Crew eindroschen, hatten jetzt auch ihn erreicht. Etwas traf ihn ins Kreuz, dort, wo die Musketenladung noch siedend heiß auf seiner Haut brannte. Die mehrfarbigen Schleier verwandelten sich in einen tosenden Strudel, danach versank alles in erlösender Finsternis. Irgendwann kehrte er aus fernen, bizarren Gefilden in die Wirklichkeit zurück. Jemand gab hell klingende Signale, vielleicht ein buckliger Gnom, der sich damit vergnügte, auf einem Amboß herumzuhämmern.
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Hasard wandte ein wenig den Kopf und öffnete unter erheblichen Schwierigkeiten die Augen. Der Gnom war ein reines Hirngespinst, das Klingen und Scheppern rührte von einer anderen Aktivität her. Zwei Soldaten knieten dicht neben ihm und schienen mit Hämmern auf Ferris Tucker loszuschlagen. Sie trafen aber nicht ihn, sondern die Ketten, in die sie ihn gelegt hatten. Sie verschlossen sie fachmännisch. El Verdugo lachte hämisch dazu. Ringsum lagen oder hockten die Seewölfe. Einige waren noch bewußtlos, andere waren zu sich gekommen und fluchten und stöhnten unter den Schmerzen, die ihnen die Beulen bereiteten. Sie waren übersät damit, denn Montejos Kerle hatten sie übel zugerichtet. „Der Kragen!“ rief El Verdugo. „Paß ihm jetzt seine Halskrause an!“ Ferris schwieg und kauerte da wie ein Schwachsinniger, der vor lauter Verrücktheit nur noch finster vor sich hinbrüten kann. Was El Verdugo als „Kragen“ und „Krause“ bezeichnet hatte, war ein schweres Eisengebilde, das sich ringförmig um seinen Hals schloß. Sorgfältig verschlossen die Soldaten auch dieses Stück. Hasard erkannte, daß sich in Ferris' Halseisen eine Öse befand. Ihr Verwendungszweck schien folgender zu sein: Man konnte eine weitere Kette hindurchführen und den rothaarigen Schiffszimmermann bei Bedarf mit einem Leidensgenossen zusammenbinden. Carberry, Shane, Old O'Flynn und Dan O'Flynn, Bill, Ben Brighton und Matt Davies trugen bereits Ketten und Halseisen. Die anderen Männer wurden in ähnlicher Weise „versorgt“, dann war Hasard an der Reihe. „Sein Rücken“, sagte einer der Spanier über ihm. Es schien der Schlaksige zu sein. „Wir müssen seinen verletzten Rücken verarzten, sonst geht er uns vor der Zeit ein, Senor.“ Der mit Senor Angesprochene war natürlich Rodrigo Montejo. „Ein Messer“, sagte er.
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Hasard spannte sämtliche Muskeln in seinem Körper. Wollte El Verdugo ihm die Klinge von hinten in den Körper rammen? Nun, innerlich hatte der Seewolf bereits mit dem Leben abgeschlossen. Dennoch wollte er es so teuer wie möglich verkaufen und diesem Menschenschinder auch ganz zuletzt noch erhebliche Schwierigkeiten bereiten. El Verdugo beugte sich über ihn. „Rühr dich nicht vom Fleck, Bastard.“ Er sagte das fast sanft. „Ich schneide nur deine Handfesseln auf, verstanden?“ „Verstanden“, erwiderte Hasard. Dieses Krächzen, das brüchige Gestotter eines alten Mannes, war das wirklich seine Stimme? Die Strickenden an seinen Handgelenken lösten sich, er konnte die Arme auf die Körperseiten sacken lassen. Mit ein paar schnellen Bewegungen hatte El Verdugo auch sein Hemd vom Rücken gefetzt. Hasard sah nicht, was der Kerl weiter tat. „Wasser“, sagte El Verdugo. Hasard schloß die Augen und preßte die Zähne fest aufeinander, daß es knirschte. Jemand näherte sich, Bewegung war über ihm, und dann ergoß sich der kalte Strahl auf seinen zerschundenen, zerschossenen Rücken. Das Brennen war schlimmer als je zuvor. Es pulsierte wie wahnsinnig in Hasards Leib, im Kopf, überall, und er vernahm Montejos Stimme wie durch dicke Korkpfropfen. „Ein paar Ratscher, die das gehackte Blei gerissen hat. Ach was, das ist nicht so schlimm, er soll sehen, wie er damit fertig wird. Los, legt ihn jetzt in Ketten, oder braucht ihr einen Tritt, um in Trab zu kommen?“ Die Soldaten ließen sich das nicht zweimal sagen. Sie sprangen keineswegs sanft mit Hasard um. Er wurde einmal fast ohnmächtig, bevor sie auch ihm die Ketten und das Halseisen angepaßt hatten. Brutal ließen sie ihn auf den harten Boden zurückfallen. Die schwarzen und roten Schleier tanzten wieder vor seinen Augen. „Was fangen wir jetzt mit diesen Mißgeburten an, Senor?“ erkundigte sich einer der Soldaten.
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„Gar nichts. Laß sie liegen.“ „Si, Senor.“ „Man bringe mir eine Sitzgelegenheit“, befahl El Verdugo. Vielleicht war er daheim in Spanien mal bei Hof oder in einem hochherrschaftlichen Hause gewesen, wo man solche Redewendungen gebrauchte. Hier, auf der Isla del Diablo, war eine derart hochgestochene Redeweise mehr als lachhaft. Aber Hasard war nicht zum Lachen zumute. Seinen Männern auch nicht. Sie lagen da und verfolgten stumm, wie ein Soldat einen Baumstumpf heranschleppte, ihn absetzte und El Verdugo unterwürfigst anstierte. „Hast du nichts Besseres gefunden?“ fuhr El Verdugo ihn an. „Senor, in den Baracken gibt es keine Stühle. Ich müßte erst zu den Häusern laufen und ...“ „Schon gut“, schnitt der Henker ihm barsch das Wort ab. Er nahm Platz, ließ den Blick in die Runde schweifen und setzte eine selbstherrliche Miene auf, „Pirat!“ rief er höhnisch. „Wie fühlst du dich?“ „Großartig, Senor.“ „Es ist Mittagszeit, da brennt die Sonne am heißesten vom Himmel.“ „Das gefällt mir.“ „Ich werde dich und deine Halunken rösten, bis auch der letzte Widerstand in euch ausgetrocknet ist“, sagte El Verdugo. Hasard sagte nichts mehr. Er fühlte, daß die Schmerzen ihn wieder zu übermannen drohten, aber er brachte es fertig, nicht mehr daran zu denken. Das half etwas. März 1583 vor der Ostküste der Neuen Welt. War hier die Reise zu Ende? Siri-Tong. Er mußte an sie denken. Hätte er nicht doch lieber auf sie hören sollen? Sie meinte es ehrlich mit ihm, sie liebte ihn, das wurde ihm jetzt mehr denn je bewußt. Hatte sie etwa geahnt, daß sich das Verhängnis schon so bald einstellen würde? Vielleicht war die Niederlage, die die Seewölfe heute erlitten hatten, der Vorbote des Grauens. Eines Grauens, das von dem fernen Kontinent ausging, von
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dem das schwarze Schiff herübergesegelt war. Die Mumie schien diese Drohung zu personifizieren. Als sie das schwarze Schiff auf der Schlangen-Insel aufgeslippt hatten, hatte Ferris bei einer letzten Inspektion und Vermessung in den Innenräumen ein weiteres Versteck entdeckt. Durch leichte Berührung hatte es sich geöffnet. Freigegeben hatte es eine Mumie, in reiche Kleidung gehüllt, goldbestickt. Ein Fremder mit schwarzen Haaren, einem Oberlippenbart und geschlitzten Augen. Eine ihm beigefügte Dokumentenrolle gab in goldener Schrift Aufschluß über seine Vergangenheit. Das Vermächtnis des toten Kapitäns war gleichzeitig eine Art Schutzbrief. Er war ein chinesischer Mandarin gewesen, der mit diesem Viermaster, dem schwarzen Segler, auf eine Weltreise geschickt worden war. Als er gestorben war, hatte seine Mannschaft es nicht gewagt, seinen Leichnam der See zu übergeben. Sein Geist hatte fortan auch weiterhin über den schwarzen Segler wachen sollen, und so hatte man den Körper mumifiziert, um ihn zu erhalten. Der ebenso legendäre wie gefürchtete Pirat El Diabolo, der später das Schiff übernommen und nach Little Cayman geführt hatte, war mitsamt seinen Spießgesellen und seinen Gespielinnen bei einem ausschweifenden Gelage auf rätselhafte Weise ums Leben gekommen. Eine Zeitlang hatten die verunsicherten Seewölfe angenommen, das hänge mit dem auf dem schwarzen Segler lastenden Fluch zusammen. Doch inzwischen hatten sie sich überzeugen können, daß die Piraten seinerzeit auf höchst erklärliche Art aus dem Dasein geschieden waren. Hasard atmete tief durch. Er sah ja ein, daß er auf dem falschen Weg war, eine Erklärung zu finden. Er wollte jetzt Gespenster sehen. Das hing ganz einfach mit seinem inneren Zustand zusammen. Er wußte, was Schwermut war, seit er seine Frau Gwen verloren hatte, aber er hatte noch nicht gewußt, daß man
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sogar zur Selbstzerstörung neigen konnte, etwa nach dem Schema: ein Fluch haftet den Seewölfen an -alles aus -. Vorherbestimmung des Schicksals - nur noch auf den Tod warten... Er schaffte es, sich geistig wieder aufzuraffen. Mit den höllischen Schmerzen und den glühenden Sonnenstrahlen, die sein Gehirn auszudörren drohten, war das gewiß keine einfache Sache. Natürlich gab es für alles eine logische Erklärung. Die Spanier hatten sich hier, in der Passage zwischen Festland und Teufelsinsel, zusammengerottet, weil sie gehofft hatten, daß er nach seinen letzten Raids in der Karibik nach Süden ablaufen würde. Das war alles. Bei dem Ganzen war er nur froh, daß SiriTong nicht an dem Kampf teilgenommen hatte. Er glaubte nicht, daß durch ihre Unterstützung ein Sieg über die Dons herbeigeführt worden wäre, nein, sie und ihre Männer wären auch gefangen gesetzt worden. Himmel, er beglückwünschte sich selbst, daß er sie nach Tobago hatte segeln lassen. Aber noch jemand schien dem Zugriff der Spanier entwischt zu sein. Hasard dachte erst jetzt daran, und er mußte unwillkürlich grinsen, so schwer es ihm auch fiel. Ein gewisser Arwenack! „Die Hälfte der Wachmannschaft kann abziehen“, klang El Verdugos frostige Stimme in das Schweigen. „Jetzt, da diese Halunken in Ketten liegen, genügt mir die halbe Gruppe.“ Er stand auf und teilte die Leute ein, die zum Palast abmarschieren durften. Dem Schlaksigen, der sich mit bei diesen Glücklichen befand, gab er noch genaue Anweisungen, die die Mittagsverpflegung betrafen. Hasard lag da und erkannte, daß er höllischen Durst und ungeheuren Hunger hatte. Gleichzeitig verdammte er die Sonne, die in diesen Breiten schon im März die Macht hatte, einen Mann wie einen Stockfisch auszutrocknen. Die halbe Truppe Soldaten zog von dannen. Kaum war sie ein paar Yards von den Baracken fort, begegnete sie dem
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Kommandanten des Kriegsschiffsverbandes, der mit zwei Begleitern von den neuen Häusern aus auf das Gefangenenlager zusteuerte. Pferde oder Maultiere hatten die Dons noch nicht auf die Insel gebracht, folglich mußte man sich zu Land auf Schusters Rappen bewegen, ganz gleich, welchen Dienstgrad man hatte. Hasard lag so, daß er das Nahen dieser drei Männer beobachten konnte. Der Kommandant trat dicht vor Rodrigo Montejo hin, begrüßte ihn herzlich und berichtete ihm. „Wir haben das Schiff der Engländer von oben bis unten durchsucht, um nach Männern zu forschen, die sich dort eventuell noch versteckt haben.” „Und?” „Nichts. Keine Menschenseele“, antwortete der Kommandant. Hasard grinste, obwohl ihm das Schmerzen bereitete. Nun, der kleine Arwenack war zwar keine Menschen-, sondern eine Affenseele, aber er freute sich trotzdem, daß sie das Tier nicht gefunden hatten. Wahrscheinlich hockte Arwenack im Groß- oder Vormars, und bis dorthin waren die Dons nicht aufgeentert. 8. Auch über die Ladung in den Frachträumen der „Isabella“ wußte der spanische Kommandant nichts Nennenswertes zu berichten. „Viel mehr als Munition haben wir nicht gefunden“, sagte er. El Verdugo schien enttäuscht zu sein. Er stocherte mit seinem Bambusstab im Staub herum und murmelte: „Ich würde Ihnen empfehlen, auf jeden Fall noch eine genauere Inspektion durchzuführen — bevor wir das Schiff verbrennen.“ Hasard hätte ihm gern gegen die Beine getreten, wenn er in Reichweite gelegen hätte. Die „Isabella“ anzünden! Das konnte ihm so passen, diesem gemeinen Hund! Die Seewölfe hatten sie aus ihrer eigenen Tasche bezahlt, und sie war das beste Schiff von England.
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Trotz dieser Ankündigung El Verdugos empfand Hasard so etwas wie Heiterkeit. Natürlich hatte der Henker erwartet, auf irgendwelche Kostbarkeiten zu stoßen. Er hätte sich dann schon mit dem Schiffskommandanten „arrangiert“. O ja, ganz bestimmt hätten sie einen Weg gefunden, die Beute „gerecht“ zu teilen. Aber daraus wurde nichts. Auf der Schlangen-Insel war es zwar brenzlig geworden, nachdem die Spanier Kenntnis von dem Eiland erlangt hatten. Aber Hasard und Siri-Tong hatten ein neues Versteck für die Schätze gefunden, und zwar eine riesige Grotte unter dem Schlangengott im Tempel. Dort hatten sie ihre gesammelten Reichtümer also verstaut, bevor sie wieder aufgebrochen waren, und auf ihren Schiffen gab es nichts zu holen. Hasard fiel jetzt noch etwas ein. Sollte El Verdugo doch mal versuchen, die „Isabella“ anzustecken! Gewiß, er würde vorher die Pulverfässer löschen, aber er würde nicht auf die in der Kapitänskammer versteckten chinesischen Raketen stoßen, dieser Hundesohn. Die würden dann also durch den Brand gezündet werden. Hasard hoffte, daß sie bis auf die Teufelsinsel flögen und die Spanier in Angst und Schrecken versetzten. „Eines hat mich überrascht“, sagte soeben der Kommandant. „Die Galeone dieser Engländer hat auffallend flache Kastelle und ein Ruderhaus mit einem richtigen Ruderrad darin. Außerdem sind die Masten enorm hoch ...“ „Das habe ich von Land aus gesehen“, unterbrach ihn El Verdugo unwirsch. „Das ist mir nichts Neues. Außerdem läßt sich ja wohl darüber streiten, ob ein Schiff dieser Bauweise überhaupt brauchbar ist.“ „Ich sage Ihnen, es muß überragende Manövrierfähigkeiten haben und große Geschwindigkeiten erreichen können.“ „Trotzdem bewährtes sich nicht“, widersprach der Henker zornig. „Sie meinen ...“ „… daß er in einem Sturm zum Beispiel wegen der langen Masten mit der großen
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Segelfläche viel leichter querschlagen und kentern kann“, sagte El Verdugo giftig. „So ein Schiff taugt nichts.“ Der Kommandant erwiderte nichts mehr darauf. Er verstand zweifellos bedeutend mehr von den seemännischen Belangen als der Mann mit dem Totenschädelgesicht, aber er wollte El Verdugo, der alles Englische fanatisch haßte, nicht reizen. „Da ist noch was“, sagte er nur. „Die Culverinen der Engländer haben überdurchschnittlich lange Rohre. So erklärt sich die große Reichweite ihrer Breitseiten. Wenn wir das Schiff ausschlachten, sollten wir auch die Kanonen mit übernehmen. Ich habe auch mit dem Alkalden Escudero und dem Hafenkommandanten Catalina bereits darüber gesprochen.“ „Meinetwegen“, erwiderte Montejo. „Was fragen Sie mich überhaupt noch?“ „Wir arbeiten doch zusammen, oder?“ „Sicher, sicher. Aber lassen Sie mich jetzt allein, ich habe noch zu tun.“ Der Kommandant des Schiffsverbandes wandte sich konsterniert der Siedlung zu. Er ging mit seinen Begleitern davon, schneller, als er gekommen war. Er begriff diesen El Verdugo nicht. Er wußte nicht, daß der Henker jetzt, da es auf der „Isabella“ keine Schätze einzusäckeln gab, jegliches Interesse an ihm verloren hatte. El Verdugo trat neben Hasard. Der Seewolf wußte sofort, was der Kerl wollte. Er konnte beinahe in dessen Gedanken lesen. Es war nicht schwer. „Ich weiß, daß du unschätzbar reich bist“, sagte El Verdugo. „Reich durch das, was du Spanien entrissen hast.“ „Spanien hat niemandem etwas entrissen, oder?“ erwiderte Hasard. Er rechnete damit, daß der Mann ihn treten oder schlagen würde, und er kalkulierte einfach und brutal, dass dann eben die ersehnte Ohmacht früher einsetzte. Was dieser Satan von einem Spanier danach mit ihm aufstellte, spürte er nicht mehr. Aber er täuschte sich. Diesmal hatte er El Verdugos Erwägungen falsch beurteilt. Der Kerl bückte sich und brachte sein
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ausgemergeltes Gesicht dicht neben seinen Kopf. „Verrate mir, wo sich deine Schätze befinden, du Hund.“ „Ich bin arm wie eine Kirchenmaus.“ „Ich kann dich zwingen, es mir zu sagen.“ „Tun Sie, was Sie nicht lassen können.“ Eine Nuance schärfer sagte El Verdugo: „Du Bastard, ich habe schon ganz andere Kerle als dich zum Sprechen gebracht.“ „Daran zweifle ich nicht.“ „Warum spuckst du dein Geheimnis dann nicht aus?“ Hasard verzog den Mund. „Weil ich so und so sterbe.“ Montejo senkte die Stimme zu einem Flüstern. „Du irrst dich. Wenn du mir sagst, was ich wissen will -nur mir -, dann lasse ich dich entkommen. Ich schwöre es dir.“ „Auf den Schwur eines Hurensohnes ist kein Verlaß.“ El Verdugo hieb zu. Sein Stock traf die Rückenverletzung, wie Hasard erwartet hatte. Und auch die Bewußtlosigkeit trat so rasch ein, wie er es sich ausgerechnet hatte. Die Schmerzen verfolgten ihn jedoch tief in einen grausigen Alptraum hinein. in dem brüllende Dämonen mit glühenden Zangen nach ihm hieben und ihn damit zwackten. Hasard kam wieder zu sich. Er hatte das Gefühl für die Zeitrechnung verloren, doch er sah, daß es immer noch Mittag war. Und El Verdugo kniete auch noch neben ihm. „Nun?“ sagte er. „Ich bin arm. Ich habe alles an die Königin von England abgeliefert.“ „Nicht deine letzten Raubbeuten“, zischte der Henker. „Auch die. Sie sind mit anderen Schiffen längst in England eingetroffen. Die Königin ist reich, nicht ich.“ „Du lügst!“ „Schlag mich tot, wenn du willst“, erwiderte der Seewolf. El Verdugo packte seinen Kopf und stieß sein Gesicht zweimal in den heißen Staub. Dann aber hielt er inne. Er tat das nicht aus plötzlicher Menschenfreundlichkeit, sondern weil er durch etwas abgelenkt worden war.
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Fünf Soldaten kehrten aus Richtung des Palastes zurück und brachten eiserne Kübel und Segeltuchpützen, in denen Flüssigkeit schwappte. El Verdugo ging auf sie zu und rieb sich dabei tatsächlich die Hände, so erfreut schien er zu sein. „Gut so“, sagte er. „Teilt das Zeug aus.“ Er wandte sich kurz um. „He, ihr Lumpenhunde, aufwachen und Essen fassen! Wer den Hals nicht weit genug reckt, kriegt nichts.“ Danach wandte er sein Gesicht wieder dem Schlaksigen zu, der die Essensträgergruppe leitete. „Hast du auch an unsere Rationen gedacht?“ „Selbstverständlich, Senor.“ „Und trotzdem bringst du zuerst die Verpflegung für die Sklaven?“ „Gewiß, Senor - ich meine, die Zubereitung für unser Essen nimmt mehr Zeit in Anspruch.“ Der Anflug eines Lächelns glitt über El Verdugos Züge. „Richtig, das hätte ich beinahe vergessen. Du kehrst also mit diesen Soldaten zum Palast zurück, sobald wir diese Bastarde versorgt haben, ja?“ „Senor, niemals würde ich mir erlauben, dieselben Kübel mit unserer Nahrung zu füllen. Ich habe mir erlaubt, eine zweite Abteilung damit zu beauftragen, unabhängig von uns mit der Mahlzeit für Offiziere und Soldaten anzurücken, sobald sie fertig ist.“ El Verdugo klopfte ihm mit verschlagenem Ausdruck auf die Schulter. „Ausgezeichnet, Soldat. Ich habe dich nur auf die Probe stellen wollen. Du hast dich richtig verhalten. Diese Kübel und Pützen hier werden nur für die Sklaven verwendet, denn sie verseuchen sie, selbst wenn sie sie gar nicht anfassen.“ Die Seewölfe erhielten ihre „Verpflegung“. Sie durften die in Ketten gelegten Arme soweit heben, daß sie die einzige Muck halten konnten, aus der sie der Reihe nach das Naß aus der einen Segeltuchpütz trinken durften. Carberry spie das Zeug in hohem Bogen wieder aus, als er dran war. „Pfui Teufel!“ schrie er. „Das Wasser ist faulig, damit kann man Ratten vergiften!“
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El Verdugo war sofort neben ihm und ließ den Bambusstock ein paarmal auf seinen Schädel niedersausen. Carberry duckte sich nicht, zum Trotz nicht, und der Henker drosch immer heftiger. „Du Hund!“ schrie er. „Was hast du an dieser fürstlichen Mahlzeit auszusetzen? Du undankbarer Hund, ich werde dir die richtigen Sitten schon beibringen.“ Er hörte auf und winkte seinen Soldaten zu. „Los, das Essen jetzt. Ich will, daß dieser Mistfresser es als erster probiert. Verdünnt es, wie ich es euch gesagt habe.“ Die Seewölfe verfolgten, wie die Soldaten eine klumpige Masse aus einem der Eisenkübel in einen Napf abfüllten. Sie gossen Wasser hinzu -aus der zweiten Segeltuchpütz. Sie rührten darin herum und brachten das Ergebnis dem Profos. Carberry preßte die Lippen zusammen, El Verdugo ließ ihm den Napf vorhalten, aber Carberry nahm ihn nicht an. Er regte sich einfach nicht. Der Henker prügelte wieder auf ihn ein, aber auch das brachte nicht den gewünschten Erfolg. Als Ed Carberry zur Seite umzusacken drohte, ließ der grausame Oberaufseher ihn von zwei Soldaten festhalten. „Friß, du Aas!“ brüllte er Carberry an. „Friß den Dreck doch selbst“, quetschte Ed zwischen den Lippen hervor. „Einen Säbel!“ schrie El Verdugo mit überkippender Stimme. Der Schlaksige eilte pflichteifrigst herbei und reichte dem Henker die gewünschte Waffe. El Verdugo ließ die Waffe zweimal probeweise durch die Luft zischen, dann setzte er die die Spitze genau zwischen Carberrys Beine. Der Profos saß da wie Ferris Tucker, als sie diesem die Ketten angelegt hatten. Er hatte die Beine abgespreizt und wirkte alles in allem wie ein überdimensionales, störrisches Kind, das seine Suppe nicht löffeln will. „Wenn du jetzt nicht zulangst“, sagte El Verdugo, „schneide ich dir ab, worauf du ganz besonders stolz bist.“ Carberry lief dunkelrot an. Er wäre bereit gewesen, sich den Kopf abschlagen zu lassen, jawohl, so weit ging sein
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Aufopferungswille – aber diese Drohung hier war zuviel. Er hob die Hände, griff den Napf und setzte ihn unter unglaublicher Selbstüberwindung an die Lippen. Der Inhalt verbreitete einen geradezu bestialischen Gestank, aber er schloß die Augen, öffnete den Mund ‚weit und schlang die Masse in einem Schub in sich hinein, schluckte, würgte, holte zweimal tief Luft und starrte El Verdugo aus geweiteten Augen an. „Und?“ fragte El Verdugo lauernd. „Gut?“ Carberry entgegnete: „Sehr gut.“ „Sehr gut, Senor, heißt das.“ „Sehr gut, Senor, jawohl.“ „Nahrhaft?“ „Es sind sogar Fleischstücke drin.“ El Verdugo lachte, richtete sich auf, händigte dem Schlaksigen wieder den Säbel aus und rief: „Los, bedient jetzt die anderen mit diesem wohlschmeckenden Gulasch, damit sie nicht verhungern! Sie haben alle schon den gierigen Blick!“ „Das „wohlschmeckende Gulasch“ entpuppte sich als ein mit Seewasser „verdünnter“ Fraß, in dem die Würmer herumkrochen und sich anscheinend sehr wohl fühlten. Das also hatte der Profos mit den Fleischstücken gemeint. Unter den ständigen Drohungen der Wächter stopften die Seewölfe das widerliche Zeug in sich hinein. Bill erbrach es sofort wieder, und sofort traktierte El Verdugo ihn mit seinem Bambusstock. Old O'Flynn protestierte und kriegte einen Tritt, damit er verstummte. Sein Sohn wollte sich auf El Verdugo stürzen und wurde dafür zusammengeknüppelt. Was sie ertrugen, war zuviel zum Leben und doch noch zuwenig zum Sterben. Sie wurden gedemütigt, geschlagen, ausgepeitscht, verhöhnt und bespuckt, und insgeheim wünschten sich die meisten, sie hätten sich doch nicht ergeben. Immer wieder war es El Verdugo, der sie ohne den geringsten Anlaß quälte und marterte. Sein Erfindungsreichtum in dieser Beziehung war unerschöpflich. Erst der Abend brachte eine gewisse Erleichterung, denn die einsetzende Kühle
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verdrängte wenigstens die eine Qual. El Verdugo stand mit verschränkten Armen vor seiner Sitzgelegenheit. Er hatte wirklich vorzüglich gespeist, ein Gericht, das aus vier Gängen bestand, dazu Wein und frisches Wasser, alles von den Soldaten wie von Lakaien kredenzt. Auch die Männer der Truppe hatten sich an dem aus dem Palast herangeschafften Proviant gütlich getan. Weniger üppig als Montejo zwar, aber immer noch so' gut, daß kein Anlaß zu Beschwerden bestand. „In die Baracke jetzt mit den Schurken“, sagte El Verdugo. ‚Schafft sie weg. Für heute sind sie gar geröstet. Sie brauchen Schlaf. Morgen bricht ein langer Tag an, und ich will nicht, daß sie dann zusammenklappen.“ Hasard wußte, wie das zu verstehen war. Durch das lange Liegen in der Sonne sollte zunächst einmal ihr Widerstand gebrochen werden, und El Verdugo hatte ausreichend Gelegenheit gehabt, jeden von ihnen zu studieren. Das richtige Martyrium würde erst am nächsten Tag beginnen. Hasard wußte nicht, wie recht er mit dieser Voraussage behalten würde. Unter den Hieben und Stößen ihrer Bewacher erhoben sie sich und taumelten in die mittlere Baracke. Ihr Inneres bestand aus einem einzigen rechteckigen Raum, dessen Fußboden der gleiche staubige Felsenuntergrund war, auf dem sie draußen schon gelegen hatten. In dem stickigen Raum war es so finster, daß die Soldaten Talglichter anzünden mußten. In dem zuckenden Schein führten sie Ketten durch die Ösen an den Halseisen der Gefangenen, und danach banden sie die Männer an der Wand fest. El Verdugo erschien noch einmal, um sich an dem Zustand seiner Sklaven zu ergötzen. „Euch mangelt es an nichts, wie ich sehe“, höhnte er. „Veranstaltet keinen Radau, nutzt die Zeit bis morgen früh zum Schlafen. Ich warne euch. Wir halten uns in unmittelbarer Nähe der Baracken auf. Den ersten, der einen Fluchtversuch wagt,
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töte ich eigenhändig auf langsame, qualvolle Art.“ „Wie sollten wir?“ fragte Hasard. Er erhielt dafür von Rodrigo Montejo einen Fußtritt in die Körperseite —als Gute-Nacht-Gruß sozusagen. * Der ungelüftete Raum hatte keine Fenster. Aber die Seewölfe konnten hören, wie El Verdugo mit seinen Soldaten bis in die Nacht hinein zechte und grölte. Sie schienen draußen ein Lagerfeuer angezündet zu haben, denn hin und wieder drang flackernder rötlicher Lichtschein durch die Türritzen. „El Verdugo schwingt große Reden“, sagte Ben Brighton. „Aber er säuft nicht aus Kameradschaft mit seinen Untergebenen. Er will nur in unserer Nähe bleiben, um uns auch bei Nacht noch beobachten und triezen zu können.“ „Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen, schätze ich“, erwiderte Shane mit heiserer Stimme. „Nicht so laut“, mahnte Hasard. „Die Wachtposten vor der Tür belauschen uns garantiert.“ „Verstehen die Englisch?“ wollte Old O'Flynn wissen. „Wir müssen damit rechnen“, sagte Hasard. Er senkte die Stimme noch weiter. „Flüstern wir also. Sie müssen hereinkommen, wenn sie etwas aufschnappen wollen.“ Luke Morgan stieß ein langgezogenes Schnauben aus. „Hasard, im Prinzip macht es mir nichts aus, wie ein Hund angekettet zu sein. Du kennst mich. Aber was ich nicht ertrage, ist die Art, wie dieser El Verdugo uns bearbeitet. Der martert uns zu Tode, säge ich dir.“ „Ich bringe das Schwein um“, raunte Edwin Carberry. „Bei der ersten Gelegenheit, die sich bietet, dreh ich ihm die Gurgel um. So ist mit mir noch keiner umgesprungen.“ Hasard blickte in die Richtung, in der er seinen Profos wußte. Sehen konnte er ihn nicht. „Ed, keine Extratouren. Wenn wir
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etwas unternehmen, dann gemeinsam. Ich gebe das Zeichen dazu, verstanden?“ „Aye, aye, Sir.“ „Wir müssen versuchen, Waffen oder Werkzeuge beiseite zu schaffen, damit wir unsere Ketten aufbrechen können. Ich nehme an, daß in einer unserer Nachbarbaracken genügend Material lagert, mit dem wir ab morgen bei der Zwangsarbeit schuften werden.“ Der Seewolf leckte sich die spröden Lippen. Seine Stimme klang, als bewegten sich die kleinen Bänder, die laut Auskunft des Kutschers jeder Mensch in der Kehle sitzen hatte, über ein Reibeisen. „Dann ist da noch etwas. Bei Dunkel werden ist noch jemand in die Nachbarbaracke gesperrt worden.“ „Gefangene?“ fragte Matt Davies. „Ich denke schon. Spanier, schätze ich.“ Smoky zerdrückte einen Fluch auf den Lippen, dann sagte er: „So erklärt sich, wie sie die Bauten hochgebracht haben, die hier schon stehen. Die Schwerarbeit haben bestimmt die Sträflinge erledigen müssen. Dazu sind sich nämlich sogar El Verdugos Soldaten zu schade.“ „Ja“, antwortete Hasard so leise wie möglich. „Die anderen Gefangenen werden größtenteils Meuterer von irgendwelchen Schiffen sein. Seid vorsichtig, wenn wir morgen mit ihnen zusammentreffen. Unter ihnen könnte sich leicht ein Verbündeter El Verdugos befinden. Der Hund hat bestimmt überall seine Spione.“ „Ist gut“, entgegnete Ben. Wenig später hoben sie die Köpfe, denn draußen vor den Baracken ertönte ein Schuß, dann folgte ein langgezogener Schrei. Der Schuß war zweifellos aus einer Muskete oder Arkebuse abgegeben worden. Wer gefeuert und wer gebrüllt hatte, ließ sich für die Seewölfe natürlich nicht feststellen. Sie hörten nur noch, daß unter den Soldaten Aufruhr herrschte. Sie hatten mit dem Saufen und Reden schwingen ausgesetzt, und El Verdugo fluchte am lautesten von ihnen allen.
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„Was ist da los?“ sagte Bill, der Schiffsjunge. „Ob Siri-Tong aufgekreuzt ist, um uns 'rauszuhauen?“ Hasard lächelte in die Finsternis hinein. „Bill, gewöhne dir ab, falsche Hoffnungen zu haben. Ich schätze, einer der spanischen Gefangenen hat einen Ausbruchsversuch unternommen. Er hat ihn teuer bezahlt. Schlaf jetzt. Legt euch alle aufs Ohr. Morgen sehen wir, ob ich recht habe.“ 9. Hasard hatte sich nicht getäuscht, und zwar in keiner Beziehung. Die echte Qual begann tatsächlich erst am Morgen. Der neue Tag war noch jung, es konnte erst fünf, höchstens sechs Uhr sein, da wurde die Tür zur Baracke aufgestoßen, und die Soldaten stürmten herein. „Aufstehen!“ brüllte einer von ihnen. Es war der Schlaksige. Hasard, Ben, Ferris und ein paar andere waren sofort auf den Beinen, trotz der Ketten, trotz ihrer Schmerzen. Schon vor einiger Zeit waren sie aus ihrem unruhigen, von tausend bohrenden Fragen und Alpträumen heimgesuchten Schlaf aufgeschreckt. Die anderen, die jetzt erst aufwachten und sich nur verdattert aufrappelten, kriegten sofort die Stiefel und Waffenkolben der Wächter zu spüren. Sie würden von den Wänden losgekettet, aber die Halseisen und den Rest ihrer schweren Fesselung mußten sie mit sich hinausschleppen. Im Freien war es noch kühl. El Verdugo stand erhobenen Hauptes neben den Resten eines großen Lagerfeuers, hielt seinen Bambusstock und sah ihnen aus schmalen Augen entgegen. Neben ihm waren gut zwei Dutzend seiner gehorsamen Soldaten. Vielleicht, so dachte Hasard, hat er die ganze Nacht über kein Auge zugetan, nur um dabeizusein, wenn wir zusammengetrieben werden. Aus der nördlich gelegenen Nachbarbaracke torkelten nun auch die anderen Gefangenen. Sie wurden ebenfalls angebrüllt, aber sie hatten sich nicht mit
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Ketten und Halsbändern abzuschleppen und sahen alles in allem weitaus frischer und ausgeruhter aus als die Seewölfe. „Stehenbleiben!“ gellte El Verdugos Stimme. Sie verharrten. Hasard und seine Freunde tasteten die spanischen Sträflinge mit forschenden Blicken ab, und sie wurden von ihren Leidensgenossen ebenso fragend, neugierig und mißtrauisch beäugt. „Ja“, sagte El Verdugo höhnisch. „Seht euch diese Kanaillen gut an, Engländer. Heute nacht hat einer von ihnen abzuhauen versucht, ein notorischer Meuterer und Rebell. Wir haben ihn niedergeschossen wie einen tollen Hund. Und später zeige ich euch, was wir mit solchen Mißgeburten anstellen, damit wir ganz sicher sind, daß sie niemals wieder zu schimpflichem, nutzlosem Leben erwachen.“ Der gesamte Trupp mußte sich zu Zweierreihen formieren, dann setzte er sich unter El Verdugos gebrüllten Kommandos in Marsch. Sie wankten von den Baracken weg nach Süden. Hart am Saum des bis zur Inselmitte zurückgedrängten Urwaldes steuerten sie auf das Ufer zu, von dem aus sie die „Isabella“ mit Schlagseite auf der Sandbank liegen sahen. Hasard hatte sich diesmal weit nach hinten eingeordnet, so daß er kurz Kontakt mit den hinter den Seewölfen schlurfenden spanischen Zwangsarbeitern erhielt. Es waren zwanzig Männer, wie er zählte. Obwohl einer der ihren in der Nacht ein furchtbares Ende gefunden hatte, sahen sie keineswegs bedrückt, sondern eher gleichgültig aus. Ihre Apathie schien durch nichts zu erschüttern zu sein, und das hatte einen ganz besonderen Grund. „Warum sollen wir uns aufregen oder auflehnen?“ wisperte der Mann hinter Hasard. „Der Kamerad, der türmen wollte, war ein Narr. Wir bauen hier an der Bastion mit, die als erstes fertig gestellt werden soll, damit die Insel wirkungsvoll verteidigt werden kann. Haben wir das erledigt, werden wir freigelassen. Wir sind alle wegen Meuterei, Aufsässigkeit oder Diebstahl verurteilt worden, aber als
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Belohnung für unsere Mühe will man uns begnadigen.“ „Das freut mich für euch“, erwiderte Hasard. „Aus welcher Gegend Spaniens stammst du?“ „Ich bin Engländer.“ „Verdammter Hund, hättest du das nicht gleich sagen können?“ Hasard blickte sich kurz um. Der Sprecher war ein gedrungener Mann mit dicken, ledrig wirkenden Lippen. Seinem Akzent nach stammte er aus einem der südlichen spanischen Gebiete, wahrscheinlich Andalusien. Seine Jovialität war in offenen Haß umgeschlagen. Hasard grinste, und der Kerl ging sofort auf ihn los. Hasard riß den rechten Fuß hoch und trat nach hinten aus wie ein Gaul. Er erwischte den anderen am Schienbein. Er hörte ihn hinfallen und fluchen, dann war auch schon El Verdugo heran. „Ich bin angegriffen worden“, sagte Hasard. Er deutete zu dem schlaksigen Soldaten. „Der dort kann es bestätigen!“ Der Henker blickte zu dem Schlaksigen, aber der schüttelte höhnisch den Kopf. El Verdugo stieß einen ellenlangen Fluch aus. Er fiel regelrecht über Hasard her und mißhandelte ihn mit seinem Bambusstock. Hasard wartete auf eine Chance, den Kerl mit den Ketten festhalten und würgen zu können. Aber die bot sich nicht. El Verdugo war zu gerissen. Er dachte noch an die unliebsame Begegnung mit Luke Morgan. Ein gebranntes Kind scheut bekanntlich das Feuer. Hasard steckte die Hiebe also ein. Er fragte sich, wie viel ein Mann wohl zu ertragen vermochte, bis er jegliche Kontrolle über seine Sinne verlor. Es mußte eine ganze Menge sein. Am Strand vor der südlichen Felsenküste begann die Schufterei. Die Seewölfe mußten mit Hacken und anderen Geräten Steine brechen, auf hölzerne Tragen verladen und zum Fort am Hafen schleppen. Die Tragen hatten Seile, die man sich um den Hals schlingen mußte. Auf diese höchst unbequeme Art kriegte man nach und nach fürchterlich brennende
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Wunden im Nacken. Es war die wohl abscheulichste Schinderei, die Hasard und seine Crew jemals zu erdulden hatten. Sie mußten ohne Unterbrechung sowohl die Steine als auch Erde, Mörtel und Kalk tragen. An dem Neubau des Kastells durften sie jeweils nur abladen und mußten dann gleich wieder umkehren. Das Aufeinandersetzen und Ausrichten der Steine zu Mauerwerk blieb den spanischen Gefangenen überlassen. Sie hatten also den leichteren Part in diesem Teufelsspiel. Überhaupt begünstigte EL Verdugo sie, wo er konnte — nicht, weil er eine Schwäche für sie hegte, sondern weil er sich ausrechnete, die Seewölfe dadurch zusätzlich zu schikanieren. Hasard und seine Männer schufteten mit nackten Oberkörpern und barfuß. Je höher die Sonne kletterte, desto beschwerlicher wurde es, die Steine zu brechen, aufzuladen und mit den Tragen zum Kastell zu marschieren. Hinzu kam die Last der Ketten. Die Schmerzen, die ihnen die Wunden bereiteten, rechneten sie schon gar nicht mehr mit. Dabei hätten sie allen Grund dazu gehabt. Hasards Körper war mit Stock- und Peitschenstriemen und den Ratschern übersät, die die Musketenladung gerissen hatte. Luke Morgan sah entsetzlich aus mit den nur langsam verharschenden Geißelspuren auf seiner Haut. Ben Brighton klagte hin und wieder über seinen „blöden Flunken“, der ihm immer noch Schwierigkeiten bereitete. Der Kutscher hatte aber festgestellt, daß die Blutungen aufgehört hatten. Die wundstillenden und heilenden Tinkturen, die er Ben an Bord der „Isabella“ aufgetragen hatte, zeigten jetzt endlich einen bescheidenen Erfolg. Ben konnte noch froh sein, daß der Arm nicht amputiert werden mußte. Bob Greys Fleischwunde im Rücken hingegen war gut verheilt. Auch der junge Dan O'Flynn spürte kaum noch den Messerstich, den er am Höllenriff zwischen die Rippen gekriegt hatte, dafür aber die Schläge, mit denen El Verdugo ihn am Vortag bearbeitet hatte. Smoky war
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hin und wieder geistig ein bißchen „weggetreten“, vor allem, als die Hitze zunahm. Das lag an der Schädelverletzung, die er in dem Abenteuer am Höllenriff erlitten hatte. Einmal, als der Kutscher gerade in seiner Nähe war, sagte Hasard: Smoky wird doch wohl nicht den Verstand verlieren, oder?“ „Ganz bestimmt nicht. Nur dauert es seine Zeit, bis die Folgen der Gehirnerschütterung überstanden sind. Denk mal daran, als du damals so schwer am Kopf getroffen warst.“ Hasard hustete. Es klang wie das Krächzen eines Greises. „Ungern. Aber ich würde lieber noch mal so ein Ding verpaßt kriegen, als hier wie ein Irrsinniger für den Feind zu „Sag das nicht ...“ Hasard wuchtete einen dicken Quader auf eine der Holztragen und erwiderte: „Wenn es nur eine Möglichkeit gäbe, abzuhauen und zur 'Isabella' hinüberzuschwimmen. Da liegt sie nun, und wir können sie nicht zurückgewinnen. Weißt du, wie das ist, Kutscher?“ „Das ist zum Heulen.“ „Vorsicht“, zischte Ben Brighton“, der gerade mit einem Gesteinsbrocken zu ihnen trat und diesen ebenfalls auf die Ladefläche niederknallen ließ. Aus der Reihe der schwer bewaffneten, peitschenbewehrten Bewacher hatte sich eine Gestalt gelöst. Es war El Verdugo. Er steuerte geradewegs auf sie zu, verhielt dicht vor ihnen und musterte sie mit seinem widerlichen Grinsen auf den Lippen. „Ihr habt gesprochen, ihr Bastarde“, sagte er. „Ihr kriegt heute mittag nichts zu trinken.“ * Hasard, der Kutscher und Ben Brighton durften also nur zusehen, als der Rest der Crew in der größten Mittagshitze das faulige Wasser trank. Carberry wollte Hasard seine Muck reichen, aber der Schlaksige war sofort heran und trat ihm den Becher mit voller Wucht aus der Hand.
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Dann erschien auch noch El Verdugo. Er schrie: „Du häßliches Narbengesicht, jetzt wirst du wieder als erster das Essen vertilgen!“ Voll ohnmächtiger Wut mußte der Profos den Fraß herunterwürgen, der heute auch nicht besser war als am Vortag. Im Anschluß an diese Mahlzeit des Teufels ließ der totengesichtige Schinder sie alle zusammentreiben und in westlicher Richtung auf dem Sandstrand entlangdirigieren. Rechter Hand ragte wie eine drohende Mauer der Felsen auf. Links, knapp zwei Kabellängen entfernt im Wasser, lag die „Isabella“ wie ein krankes Riesentier auf der Sandbank fest. Hasard krampfte es das Herz zusammen. Er war drauf und dran, sich einen Weg durch die Reihe der Wächter zu bahnen, in die glitzernde See zu rennen und zu versuchen, schwimmend das Schiff zu erreichen. Aber es wäre der helle Wahnsinn gewesen. Selbst wenn er bis in die Fluten gelangte und nicht vorher erschossen wurde — die Ketten würden ihn beim Schwimmen zu sehr behindern. El Verdugo war plötzlich wieder neben ihm. Grinsend stiefelte er links neben ihm her. „Du hast dich schon gefragt, was aus dem Flüchtling von heute nacht geworden ist, nicht wahr?“ „Si, Senor.“ „Du wirst staunen. Nur noch ein Stück weiter, und hinter der Felsennase, die du dort vorn siehst, wartet die Überraschung. Du wirst staunen, ich versichere es dir.“ „Si, Senor.“ El Verdugo kniff die Augen zu Schlitzen zusammen und raunte: „Antwortest du auf meine Frage von gestern? Hast du dich entschieden?“ „Nein, Senor“, antwortete Hasard. „Ich gebe dir noch Bedenkzeit. Sag mir, wo die Schätze liegen, und du wirst es nicht bereuen.“ „Nein, Senor“, brüllte Hasard. El Verdugo riß etwas hoch, diesmal war es eine Peitsche. „Du Hund, du hast wieder gesprochen!“ kreischte er, dann hieb er drei-, viermal
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kräftig zu. Hasard krümmte sich unter gräßlichen Schmerzen, drohte hinzufallen, zwang sich aber, auf den Beinen zu bleiben. Es war die Hölle auf Erden und das Fegefeuer, beides zugleich. Wieviel konnte ein Mann aushalten, bevor er explodierte, durchdrehte? Hinter der Felsennase offenbarte sich wahrhaftig eine Überraschung. Etwas erhöht auf einer Art Kanzel baumelte mitten im Gestein der Mann, den sie in der Nacht niedergestreckt hatten. El Verdugo hatte ihn zusätzlich noch an einem Galgengerüst aufknüpfen lassen. Der Tote bewegte sich im sanften Wind. Er war eine weithin signalisierende Mahnung für alle, die fliehen wollten. Hasard stand mit zusammengepreßten Lippen und geballten Händen. Die spanischen Gefangenen dachten bestimmt nicht an einen Ausbruch. El Verdugo war wirklich imstande und setzte ihre Begnadigung durch. Einfluß genug hatte er. Aber Hasard beschäftigte sich umso mehr mit dem Plan, die Isla del Diablo zu verlassen. Irgendwie mußte es gelingen. Es gab einen Weg. Immer. Es durfte noch nicht zu Ende sein. Beim Rückmarsch zum Steinbruch trat El Verdugo dem alten O'Flynn unvermittelt gegen das Holzbein. Donegal stolperte, der Henker bückte sich und zerrte ihm die Prothese regelrecht unter dem Beinstumpf weg. Der alte Mann fiel der Länge nach hin. El Verdugo lachte, erhob sich, winkte triumphierend mit dem Holzbein und lachte noch gellender. Da hielt es Donegals Sohn nicht mehr. Dan schoß los, löste sich aus seiner Reihe und raste auf den Henker zu. Er brachte es fertig, ihm einmal seine Kettenlast um die Ohren zu hauen, aber dann tauchte El Verdugo weg, brachte sich in Sicherheit und beorderte seine Schergen heran. Dan wurde gepackt, zu Boden geworfen und festgehalten. „Auspeitschen!“ schrie Montejo. „Sofort!“ Er bestimmte den Mann, der Dan O'Flynn mit der Gerte bearbeiten sollte.
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Dem alten O'Flynn nutzte es nichts, daß er mörderisch fluchte. Sie schlugen ihn bewußtlos. Die Peitsche schwang durch die Luft und knallte dann trocken auf Dans nackten Rücken. „Aufhören!“ brüllte Hasard. Er wollte handeln, aber etwas traf ihn sofort mit der Wucht eines Hammerschlages — wieder zwischen die Schulterblätter. Er stürzte auf den Bauch. Sein Gesicht drückte sich auf den Sand. Jemand trat ihm auf den Hinterkopf und hielt ihn fest. Er drohte zu ersticken. Er röchelte. Die Atemluft wurde ihm knapp. Aber El Verdugo rief etwas, und der Kerl ließ von ihm ab. Hasard drehte sich keuchend um und sah den heimtückischen Angreifer über sich. Es war der Schlaksige. „Ich hätte dich erledigt, wenn Senor Montejo mich nicht zurückgehalten hätte“, sagte er. „Das nächste Mal bring ich dich um.“ Hasard wandte wieder den Kopf und verfolgte fassungslos, wie sie Dan O'Flynn oben auf der Felsenkanzel neben dem aufgehängten Leichnam an den Stein ketteten. Sie ließen ihn dort hängen und schmachten. Als sie ihn am nächsten Morgen wieder losbanden, sank er in sich zusammen. 10. Der dritte Tag verlief in der gleichen grausamen Monotonie wie der erste und zweite. Der vierte Tag auf der Isla del Diablo begann an den Kraftreserven der Seewölfe zu zehren. Feierabend war erst dann, wenn die Dunkelheit hereinbrach und die Männer umfielen — gepeinigt durch den Henker, geschwächt von Hunger und Durst, ausgelaugt von der harten Knochenarbeit. Nach einer weiteren Nacht in ihrer Baracke schleppten sie sich am fünften Tag wieder an den Strand zum Steinbruch. Mehr Schatten ihrer selbst als vollwertige Männer, begannen sie wieder mit der Schufterei.
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„Sie rudern zu unserer ‚Isabella' und holen sich, was es zu klauen gibt“, stammelte Smoky, als er einmal dicht neben Hasard war. Hasard sah ihn erschüttert an. „Smoky, Junge, reiß dich doch zusammen!“ Smoky fuhr sich mit der Hand über den Kopf. „Noch bin ich nicht übergeschnappt, Sir: Sieh doch selbst hin.“ Es stimmte. Vom Hafen aus waren zwei Gruppen Spanier mit zwei Schaluppen zu der Sandbank aufgebrochen. Während die Seewölfe sich schwitzend abrackerten, landeten die Kerle an der Bordwand der „Isabella“, enterten auf und liefen kreuz und quer über die Kuhl. Jemand hatte ihnen die Erlaubnis gegeben, alle Räume und Kammern zu durchsuchen. Nachdem weder Escudero noch Catalina noch Montejo noch der Schiffskommandant weiteres Interesse für den Dreimaster zeigten, wurde nun das „gemeine Volk“ auf ihn losgelassen. Etwas später zeigten sich die Spanier wieder am Schanzkleid der „Isabella“. Lachend hielten sie Gegenstände hoch und zeigten sie den Gefangenen und ihren Wächtern. Hasard erkannte sein Spektiv, einige seiner Navigationsgeräte und andere Dinge aus seiner Kammer. „Der Teufel soll euch alle holen“, stieß er hervor. „Weiter so!“ schrie El Verdugo den Plünderern zu. „Bald stecken wir den verdammten Kahn in Brand. Die Herren Engländer fühlen sich hier nämlich sehr wohl und denken nicht im Traum daran, die Insel zu verlassen — bei der guten Behandlung!“ Brüllendes Gelächter wehte von der „Isabella“ herüber. Auch die Sklavenwächter lachten untertänigst, sie hätten El Verdugo beleidigt, wenn sie's nicht getan hätten. El Verdugo stolzierte auf Hasard zu. Er baute sich in unvergleichlich arroganter Pose vor ihm auf. „Und noch was“, sagte er. „Morgen hänge ich diesen Bill auf. Ich kann sein rotznäsiges Gesicht nicht mehr ertragen, verstanden, Bastard?“
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„Si, Senor.“ „Hat jemand was dagegen?“ schrie Montejo die Seewölfe an. „Keineswegs“, antwortete Hasard. Er wußte, daß sich in diesem Augenblick die Blicke seiner Männer in grenzenloser Verblüffung auf ihn richteten. Aber er lächelte und brachte es fertig, diesem Hundesohn El Verdugo in die Visage zu grinsen. Es war eine Taktik, mit der er schon ganz andere Kerle aus der Fassung gebracht und zur Raserei getrieben hatte. Eine Provokation, der kaum jemand gewaohsen war. El Verdugo reagierte wie erwartet darauf. Er schob sich noch näher heran, eine Fratze des Todes und des Terrors. Sein Gesicht war häßlicher denn je. Faltige, ledrige Haut lag über den Knochen und erfüllte die Höhlungen mit schlaffen Runzeln. In den dunklen, tiefliegenden Augen glomm ein teuflisches Feuer. „Das Grinsen treibe ich dir aus“, sagte El Verdugo, Es klang erstickt, so sehr bebte er vor Wut. Im nächsten Augenblick hing er in Hasards mörderischem Griff. Der Seewolf hatte ihn gepackt und herumgewirbelt, so schnell, daß es keiner der Soldaten und am allerwenigsten El Verdugo selbst verhindern konnte. Hasard hatte ihm die Ketten, die er an den Händen trug, über den Kopf geworfen und hielt ihn jetzt fest, zog immer strammer zu, hob diesen Henker aller Henker hoch und trug ihn ein Stück vor sich her. „Keiner rührt sich, oder ich töte ihn!“ schrie er. Ja, er benutzte El Verdugo als Geisel und wollte ihn noch weiter voranbefördern - bis zum Palast vielleicht, wo er den Alkalde übertölpeln wollte, oder bis zum Hafen, um ein Schiff zu besetzen. Aber es kam ganz anders. Ein Schrei ertönte in Hasards Rücken. Hasard blickte kurz über die Schulter zurück - und erstarrte. Der Schlaksige hatte sich Bill gegriffen und hielt ihm ein Messer gegen die Kehle. „Laß Senor Montejo los, oder ich steche den Balg ab!“ brüllte er, so laut er konnte.
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Hasard blieb stehen. „Hasard, nimm keine Rücksicht auf mich!“ schrie Bill. Der Seewolf lockerte den Griff um El Verdugos faltigen Hals, gestattete, daß der Schurke nach unten wegrutschte, auf die Hände fiel und auf allen vieren vor ihm wegkroch. „Nein!“ Bill hatte es gerufen. Mehr konnte er nicht von sich geben, denn der Schlaksige schlug ihm die Faust unters Kinn. Bill taumelte ein Stück zurück und brach dann auf dem hellen, fast weißen Sandstrand zusammen. El Verdugo kriegte endlich wieder richtig Luft. Mit zitternder Hand wies er auf Hasard. „Packt ihn! Schlagt ihn, tretet ihn, peitscht ihn, und dann denke ich mir noch etwas Besonderes für diese Ratte aus!“ * Für Hasard stand die Welt buchstäblich Kopf. Als der Abend nahte, dröhnte es in seinem Schädel, als bewegten sich bronzene Kirchenglocken darin, und der fragte sich mit dem letzten Rest Verstand, der ihm geblieben war, ob er wirklich noch lebte. Dan O'Flynn hing jetzt nicht mehr angekettet am Felsen, und auch den Toten hatten sie vom Galgen losgeknüpft. El Verdugo hatte angeordnet, daß statt seiner der Seewolf mit' den Füßen nach oben und dem Kopf nach unten an das Galgengerüst gehängt wurde. Und da hing Hasard nun und wartete darauf, daß es zu Ende ging. Lange konnte er es in dieser Position nicht mehr aushalten, das wußte er. Siri-Tong, dachte er, komm nicht, du wirst diesen Mördern auch in die Hände fallen, ich kann dich nicht einmal warnen. Er stellte nicht die Überlegung an, daß die Rote Korsarin schon von weitem die „Isabella“ auf der Sandbank liegen sehen und Lunte riechen mußte. Es kam ihm einfach nicht in den Sinn. Dies war eines der ersten Anzeichen, daß es nicht nur mit seiner körperlichen, sondern auch mit seiner geistigen Verfassung abwärts ging.
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Sämtliches Blut war in seinen Kopf gestiegen und pulsierte lärmend darin. Er schwang leicht hin und her, und auch das bereitete ihm Schmerzen. Dann kehrte El Verdugo zu ihm zurück. Seine gehässige Stimme dröhnte in Hasards Ohren. „Morgen gibt es nichts zu trinken, Bastard, für keinen von euch. Dafür darf länger gearbeitet werden. So stelle ich den Ausgleich her. Keiner leidet, keiner kommt zu kurz.“ Er lachte meckernd. „Si, Senor“, sagte eine röchelnde Stimme. Hasard bemerkte erst etwas später, daß sie ihm gehörte. „Wo lagern deine Schätze, Pirat?“ „Ich habe keine Schätze.“ „Morgen früh bist du tot. Das hier steht kein Bär von Kerl durch.“ „Si, Senor.“ „Ich will deine Schätze!“ „Ich bin arm. Die Königin ist reich.“ Ein Hieb traf Hasard. Er pendelte wild zur Seite. Im Augenblick, in dem sein Bewußtsein schwand, hatte er den Eindruck, nicht Glocken zu hören und zu spüren, sondern selbst Glocke zu sein. Krachend barst das Metall, ein yardlanger Riß zog sich von oben bis unten hindurch. Die Glocke löste sich von ihrem Strang und raste in einen schwarzen Abgrund. Den Eintritt in die Hölle hatte er sich doch anders vorgestellt. Es war stockfinster und trocken. Das Feuer fehlte. Um ihn herum war Getuschel, doch in einem Anflug von Wachsein identifizierte er die Stimmen als die seiner Männer. „Er ist zu sich gekommen, glaube ich“, sagte Ben Brighton. „Hasard.“ Das war Ferris Tucker. „Mein Gott, sag doch was. Ein Wort wenigstens ...“ „Himmel, Arsch und Zwirn.“ Carberry grunzte, weil er nicht laut lachen durfte. „Na also. Das waren gleich drei Wörter auf einmal. Er lebt noch, unser Seewolf.“ „Was du nicht sagst“, erwiderte Blacky. „Hasard, hey, Hasard?“ Der Seewolf richtete sich ein Stück auf. Seine Ketten rasselten, und das Dröhnen
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der Glocken in seinem Gehirn setzte wieder ein. „Was - ist -los?“ Ben rückte so dicht wie möglich neben ihn und erklärte es ihm. „El Verdugo hat es sich doch anders überlegt. Mit einem toten Seewolf kann er nichts anfangen, darum hat er dich von dem Galgen schneiden und zurück in unsere Baracke bringen lassen. Verstehst du? Er glaubt immer noch, daß nur du ihm verraten kannst, wo unsere Schätze liegen.“ Hasard hatte immer noch den Eindruck, sein Schädel sei aufgebläht und schwammig wie ein Wasserschlauch aus Ziegenfell, aber plötzlich fühlte er sich richtig glücklich. Ja, das war es. El Verdugo hatte einen Fehler begangen, indem er ihn nicht umgebracht hatte, und das würde er schwer bereuen. „Freunde“, flüsterte Hasard. „Ich werde versuchen, diese Bestie so lange hinzuhalten, bis wir eine Möglichkeit finden, hier rauszukommen.“ Ferris meldete sich wieder zu Wort. „Wir haben bis in die Dunkelheit hinein gearbeitet. Ich habe eine Axt mitgehen lassen, ohne daß es jemand bemerkt hat.“ „Und ich ein kleines Brecheisen“, zischte Ed Carberry. „Was sagte ihr jetzt, ihr Rübenschweine?“ „Großartig“, raunte Hasard. Seine Lebensgeister kehrten mehr und mehr zurück. „Wir brauchen noch ein paar Messer, dann können wir es riskieren. Habt ihr schon angefangen, an euren Ketten zu arbeiten?“ „Ist doch klar“, wisperte der rothaarige Schiffszimmermann. „Bill“, sagte Hasard. „Hier, Sir.“ „Wie fühlst du dich?“ Bills Stimme kam verhalten, aber voller Haß. „Dan und ich haben einen Pakt geschlossen. Wir töten El Verdugo, bevor er uns endgültig hinrichtet.“ „Das laßt ihr bleiben, verstanden?“ Schweigen breitete sich aus. „Dan“, flüsterte Hasard. „Das ist ein Befehl.“ „Aye, aye, Sir.“
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„Hört zu“, sagte der Seewolf gedämpft. „Ich will noch vierundzwanzig Stunden warten. Heute habe ich Wolken über der See gesehen. Das Wetter schlägt um.“ „Der Wind hat zugenommen“, fügte Ben hinzu. „Die Dünung auch“, sagte Al Conroy. „Gut.“ Hasard blickte in das Stockdunkel der Hütte. Er konnte seine Crew nicht sehen, aber er hatte das Bild der einundzwanzig Männer, die da hockten und zu ihm schauten, trotzdem klar vor Augen. „Ein Wetterumschwung wird für uns günstig sein. Außerdem habe ich den Eindruck, daß die Kerle dort draußen immer sorgloser werden. Sie zechen auf Teufel komm raus. Hört doch.“ Es stimmte, die Spanier grölten draußen vor den drei Baracken und sangen unanständige Lieder. Je weiter die Zeit fortschritt, desto obszöner wurden die Texte, und zuletzt wäre auch die hartgesottenste Hafenhure beim Anhören noch rot geworden. Es war nach Hasards Schätzung bereits nach Mitternacht, als dumpfe Schritte heranpolterten und dicht vor der Baracke der Seewölfe verhielten. Hasard hatte es bislang nicht fertiggebracht, einzuschlafen. Die Müdigkeit und die Schmerzen setzten ihm zu, aber sie betäubten ihn nicht. Die Tür flog auf und knallte gegen die Innenwand. Kein anderer als El Verdugo erschien in dem hohen Rechteck. In seinem Rücken war flackernder Lichtschein, der von dem Lagerfeuer verbreitet wurde. „Pirat“, sagte er mit schwerer Zunge. „Hier bin ich, Senor.“ „Verrate mir, wo du deine Sch-Schätze hortest.“ Sein Lallen war bemerkenswert, und auch seine Kontrolle über seine Bewegungen schien nicht mehr die beste zu sein. Er schwankte im Türrahmen hin und her. „Sie täuschen sich in mir, Senor.“ „Ich schlag dich t-tot ...“ El Verdugo torkelte auf ihn zu. Er hob die Peitsche und drosch damit wieder mehrmals auf Hasard ein, aber den Schlägen fehlte es an Wucht und
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Zielgenauigkeit. Hasard duckte sich so, daß sein Kopf nichts abkriegte. El Verdugo grölte und lamentierte, stürzte hin und rappelte sich wieder auf. Er schlug noch eine Weile auf Hasards Männer ein, dann trat er fluchend den Rückweg an. Wahrscheinlich hatte er inzwischen vergessen, weswegen er erschienen war. Oder er hatte — wie alle Betrunkenen — nicht die Ausdauer, weiterhin auf seiner Fragerei zu beharren. Hasard grinste in sich hinein. El Verdugo würde ihn nicht mehr töten, das wußte er jetzt. Wenn er es bis jetzt nicht getan hatte, würde er es auch am nächsten und übernächsten Tag nicht tun. Aber so lange wollte Hasard nicht mehr warten. * Am nächsten Tag erschien El Verdugo zunächst nicht an der Arbeitsstelle. Hasard und seine Männer verbrachten einen relativ erträglichen Vormittag im Steinbruch und an der Bastion, wenn die Plackerei auch die gleiche war und der Henker sein Versprechen erfüllte, ihnen kein Wasser geben zu lassen. Es war scheußlich, die brackige Brühe zu trinken, aber es war noch schlimmer, überhaupt keine Flüssigkeit zu sich nehmen zu können. Gegen Mittag ballten sich drohende schwarze Wolkentürme über der Isla del Diablo zusammen. Sie hingen so tief, daß sie die Zinnen des Kastells am Hafen zu berühren schienen. Es war der sechste Tag auf der Teufelsinsel, und die Seewölfe arbeiteten bis zur völligen körperlichen Erschöpfung. Hasard hatte in der Nacht seine Anweisungen erteilt, daher gab sich seine Mannschaft nun noch etwas ausgelaugter, als sie es eigentlich war. Beispielsweise brach Smoky zweimal mit wahrhaft theatralischem Können zusammen. Erst unter Peitschenhieben richtete er sich wieder auf. Alle sollten glauben, daß diese Männer nicht mehr die geringste Kraft hatten, um
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auch nur an Ausbruch und Flucht zu denken. Es war beinahe wirklich so, nur war in den Seewölfen noch jener Funke, der nicht erlosch, der nur neu entfacht zu werden brauchte, um ihnen den nötigen Auftrieb für eine einmalige Aktion zu verleihen. Es war ihr Haß. Ihr Wunsch, sich für die erlittene Schmach zu rächen und dem Henker zu entgehen. Hasard achtete besonders auf den Schlaksigen. Der Kerl war ein Fanatiker, der sich um jeden Preis Lorbeeren verdienen wollte. Selbstverständlich wandelte er in El Verdugos Fußstapfen. Er wollte genauso werden wie jener, vielleicht schon bald sein Stellvertreter. Und auch den Andalusier behielt Hasard im Auge. Von allen spanischen Gefangenen schien er, der ihn wegen seiner schwarzen Haare und seines guten Spanisch zunächst für einen reinblütigen Don gehalten hatte, der gefährlichste Vertreter zu sein. Wenn er auch kein Spitzel El Verdugos war, so tat er doch alles, um sich bei Montejo anzubiedern und Punkte zu sammeln. Kurz nach der Austeilung des erbärmlichen Fraßes, den sie auch heute wieder herunterzwingen mußten, tauchte El Verdugo auf. Er sah widerlicher aus denn je. Den Vormittag über schien er geruht zu haben, doch die Spuren des Rausches und des anschließenden Katers zeichneten noch sein häßliches Gesicht. Er brüllte herum und ließ wahllos ein paar Männer peitschen: Blacky, Al Conroy, Bob Grey und Batuti. Die vier nahmen die Züchtigung hin, ohne mit der Wimper zu zucken. Hasard hatte es ihnen ausdrücklich eingeschärft. Heute durften sie keinen Widerstand leisten und El Verdugo nicht noch zusätzlich Anlaß zu Schikanen bieten. „Du stinkendes schwarzes Tier“, fuhr der Henker Batuti an. „So was wie du hat kein Recht zu leben!“ „Si, Senor.“ „Du bist ein Affe und hast auf allen vieren zu laufen!“
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„Ja, Senor“, erwiderte der riesige GambiaNeger, der den Kerl am liebsten mit einem Hieb gefällt hätte. „Dann krieche!“ schrie El Verdugo. „Du schleppst deine Steine von jetzt an kriechend. Es steht dir nicht zu, aufrecht zu gehen!“ Und Batuti tat, wie ihm geheißen. Ihn auf diese schimpfliche Art seine Sklavenarbeit verrichten zu sehen, wühlte das Innere der Seewölfe gleichsam auf, brachte es zum Kochen — und doch gehorchten sie ihrem Kapitän. El Verdugo trat zu Hasard. „Mir ist etwas eingefallen, Pirat. Heute soll der freche Lümmel hängen. Euer Jüngster.“ „Senor ...“ „Willst du dagegen rebellieren?“ Hasard schüttelte müde den Kopf. „Nein, Senor. Ich — nun, ich habe es mir überlegt.“ El Verdugo senkte augenblicklich die Stimme zu einem Flüstern. „Was? Das mit dem Schatz?“ „Ja.“ „Du hast also doch irgendwo Gold, Silber und Diamanten gehäuft, wie?“ „Si, Senor.“ „Wo?“ „In der Karibik.“ El Verdugo wurde ungeduldig, Er wechselte das Standbein. „Wo genau? Laß dir die Würmer nicht einzeln aus der Nase ziehen.“ „Ich werde Ihnen eine Skizze anfertigen, Senor. Aber jetzt sofort geht das nicht. Wir müssen warten, bis es dunkel ist, dann holen Sie mich ab, bringen mich an einen geheimgehaltenen Platz, und ich verrate Ihnen alles.“ El Verdugos Augen verengten sich zu Schlitzen. „Du willst mich zum Narren halten, wie? Glaubst du wirklich, ich gehe dir auf den Leim?“ „Ich bin ehrlich. Nur ...“ Hasard schickte einen hastigen Blick in die Runde, dann sprach er weiter: „Meine Männer. Sie wissen nicht, wo ich den Schatz versteckt habe, aber sie lynchen mich, wenn sie mitkriegen, daß ich
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irgendjemandem etwas darüber anvertraue.“ „Sie sind doch in Ketten gelegt“, entgegnete El Verdugo höhnisch. „Wir beide können ruhig weggehen und den Lageplan anfertigen, deine Kerle vermögen doch nichts dagegen zu unternehmen.“ „O doch“, sagte Hasard. „Sie können schreien und den Alkalden alarmieren. Und dann werden sie ihm verraten, daß ich etwas über einen verborgenen Schatz an Sie weitergebe.“ Das wirkte. Montejo sagte sich sofort, daß der Alkalde genauso versessen auf Gold, Silber und Juwelen war wie er. Und wenn Escudero erst seine Hand auf den Seewolf legte, war die Partie für ihn, den Henker, verloren. „Also gut“, sagte er deshalb. „Heute nacht lasse ich dich holen. Unter einem Vorwand. Mir wird schon etwas einfallen.“ „Senor, der Schiffsjunge ...“ El Verdugos herablassender Blick maß Hasard. „Schön, ich lasse ihn leben. Aber hör mir gut zu. Falls du mich übers Ohr hauen willst, krepiert ihr beide, und zwar noch vor Mitternacht.“ „Ein Mann in meiner Lage denkt nicht mehr an Tricks“, sagte Hasard. El Verdugo schluckte es. Er war von seiner Gier auf den Schatz der Seewölfe besessen und verlor einen Teil seines kritischen Urteilsvermögens. Darauf hatte Hasard Unter anderem gebaut. Wieder mußten die Gefangenen bis in die Dunkelheit hinein arbeiten. Dies war die Gelegenheit, bei der Hasard, Ben, Ferris und Blacky je ein Messer in ihren Hosen verschwinden ließen. Ferris wurde dabei beinahe ertappt, aber buchstäblich in letzter Sekunde versteckte er das Beutegut doch noch. Er schnitt sich dabei, aber das war ihm verdammt egal. Die Nacht fiel über die Inseln. El Verdugo wollte im Freien vor den Baracken ein Lagerfeuer anzünden lassen, verlegte die Sauferei aber, als es zu regnen begann, in ein großes Steinhaus, das nicht weit entfernt errichtet worden war. Nur wenige Wachtposten blieben bei den Holzhütten zurück.
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El Verdugo ließ Wein ausschenken, viel Wein, und er betrank sich in geradezu ekstatischer Vorfreude auf das Geheimnis, dessen Schleier Hasard heute nacht lüften wollte. Die Wachsamkeit der Spanier hatte stark nachgelassen. Sie glaubten nicht mehr an einen Fluchtversuch der Seewölfe, weil sich die total erschöpften Männer nie und nimmer von ihren Ketten und Halseisen befreien konnten und jeder Weg in die Freiheit zwangsläufig von der Insel herunterführen mußte. Die Schiffe aber waren bewacht. Und wer wagte es schon, durch die auf gewühlte See zu schwimmen? Wozu überhaupt? Um darin zu ersaufen? Der Atlantik kochte, Sturm toste über die Insel hinweg und rüttelte an den Bäumen des Urwaldes, blies zornig gegen die Häuser, den Regierungspalast, die Vorratsmagazine und das fast fertige Kastell am Hafen. Die Galeonen, Karavellen, Schaluppen und Pinassen tanzten auf den Wogen. Sie waren alle an die Piers verholt worden. Die „Isabella“ wurde höher und höher auf die Sandbank geschoben, und dabei neigte sie sich noch mehr zur Seite. Auf der Kuhl, ganz in der Ecke am Steuerbordniedergang zum Quarterdeck, kauerte ein zitterndes und jammerndes Häufchen Elend. Arwenack, der Schimpanse. Die Seewölfe in ihrer Baracke fühlten sich von alledem gleichsam beseelt. Schon seit einiger Zeit arbeiteten Carberry und Tucker an ihren Ketten. Hasard und die anderen, die ein Messer hatten, taten ebenfalls ihr Bestes, um die Glieder ihrer eisernen Fesseln irgendwie aufzubiegen. „Frei“, sagte Ferris Tucker plötzlich. Die Männer hielten den Atem an. Hasard zerrte wie verrückt an seinen Ketten, aber er kam immer noch nicht von der Wand los. Gewiß, Ferris hatte nur die Kette aufgebrochen, die durch die Ösen seines Halseisens lief. Er trug noch die Ketten an den Händen, aber er konnte herumkriechen und den anderen helfen.
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Nach und nach bogen sie alle die metallenen Bänder auf, die sie an der Hüttenwand hielten. Es war eine mühselige Schinderei, weil sie geschwächt waren. Und auch der Ausgang ihres Unternehmens war noch völlig ungewiß. Trotzdem klammerten sie sich an diese Aktion wie Ertrinkende an den Strohhalm. „Jetzt die Handfesseln“, zischte Shane, als auch Batuti als letzter von der Wand fortrückte. „Nein“, entgegnete Hasard. „Es ist schon gleich Mitternacht. El Verdugo kann jeden Augenblick auftauchen. Wir müssen weg. Die Ketten schleppen wir mit, wohl oder übel.“ „Wohin flüchten wir?“ fragte Ben Brighton. „Nicht zum Hafen. Alle Schiffe und Boote werden bewacht.“ „Dann also zum Südufer“, murmelte Big Old Shane. „Ja“, sagte Hasard. „Es bleibt uns nichts anderes übrig, als die Strecke von der Teufelsinsel zum Festland schwimmend zurückzulegen.“ Die Tür aufzubrechen, bereitete ihnen keine großen Schwierigkeiten. Wenig später verschwanden sie bei prasselndem Regen in der Nacht, einer. nach dem anderen. Die wenigen Wachtposten hatten sich in der Werkzeug- und Gerätebaracke untergestellt. Sie tranken Rum, als die Gefangenen davonhuschten. Sie waren zu sehr mit der Flasche beschäftigt, um etwas zu bemerken. Im Brüllen der Urgewalten trafen sich die Seewölfe am Strand wieder. Draußen im Sturm lag die „Isabella VIII.“ auf der Sandbank fest, aber dieses Mal konnten sie sie nicht sehen. „Wer fehlt?“ rief Hasard Ben Brighton zu. „Keiner.“ „Also dann – in die Freiheit. Wir müssen um jeden Preis zusammen bleiben. Schwimmt, so schnell ihr könnt, paßt auf, daß ihr nicht absauft. Schnell, denn bald müssen die Spanier unsere Flucht entdecken.“ Er stürzte als erster in das gischtende und brodelnde Wasser.
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Und einundzwanzig Seewölfe folgten ihm auf dem Fuß. Auch der Kutscher, der schon immer der schlechteste Schwimmer von allen gewesen war, war nur noch von dem Gedanken beseelt, so rasch wie möglich zum rettenden Festland zu gelangen. * Der Schlaksige verließ das Steinhaus, lief durch den trommelnden Regen und suchte bei den drei Baracken nach den Wachtposten. Er fluchte, als er sie in dem Geräteschuppen aufstöberte. „Ihr Dreckskerle!“ brüllte er sie an. „Was fällt euch ein? Kommt, wir sollen El Lobo del Mar abholen und zu Senor Montejo bringen!“ Keine halbe Minute später starrten sie völlig entgeistert in die leere mittlere Baracke. Die Seewölfe hatten die Klugheit gehabt, die Tür wieder zuzudrücken, nachdem sie getürmt waren. Nur noch die Halsketten baumelten in dem stickigen, fensterlosen Raum. Der Schlaksige trat den Wächtern nacheinander in den Allerwertesten, dann veranstaltete er ein Mordsgeschrei. Im strömenden Regen liefen die Soldaten zusammen, allen voran der angetrunkene Rodrigo Montejo. Er wurde mit einem Schlag stocknüchtern, als er begriff, daß ihn der Seewolf zum Narren gehalten hatte. „Tod“, stieß er keuchend aus. „Tod diesen Hunden, wenn ihr sie findet!“ Sie stürmten zum Hafen hinunter, fanden keine Spur von den Seewölfen, setzten sich jedoch unter härtesten Bedingungen in ihre Schaluppen und Pinassen und rundeten die Insel, El Verdugo führte seine Männer an. Er ließ Fackeln anzünden, aber der Wind und der Regen löschten immer wieder die Lichter. Die Boote schwankten wie wild in der wogenden See, und es war ein nahezu unmögliches Unterfangen, die verhaßten Engländer wieder aufzutreiben. El Verdugo ließ jedoch zur Sandbank pullen. Und hier, nicht weit von der „Isabella“ entfernt, sichtete er die im
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Wasser dahinziehenden Männer, als der Regen für kurze Zeit aussetzte. Die Wolkenbank riß auf, ein fallier Mond verbreitete sein kaltes Licht — und El Verdugo schrie: „Feuer! Knallt sie ab, diese verfluchten Bastarde!“ Die Spanier legten mit Musketen. Arkebusen und Pistolen an und schossen, was das Zeug hielt, während sie weiter auf
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das Festland zupullten. Es war nicht leicht, unter diesen Verhältnissen zu feuern, denn erstens war vielen Soldaten das Pulver naß geworden, und zweitens sahen sie die Seewölfe nicht mehr, als sich die Wolken wieder zu einer dichten Barriere verschlossen und das Mondlicht schluckten ...
ENDE