Ren Dhark Sonderband
Gestrandet auf Bittan
SF-Roman von
Werner Kurt Giesa In der regulären REN DHARK-Buchreihe sind ...
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Ren Dhark Sonderband
Gestrandet auf Bittan
SF-Roman von
Werner Kurt Giesa In der regulären REN DHARK-Buchreihe sind bereits erschienen: (l) Sternendschungel Galaxis – (2) Das Rätsel des Ringraumers (3) Zielpunkt Terra – (4) Todeszone T-XXX (5) Die Hüter des Alls – (6) Botschaß aus dem Gestern (7) Im Zentrum der Galaxis – (8) Die Meister des Chaos (9) Das Nor-ex greift an! – (10) Gehetzte Cyborgs ( 1 1 ) Wunder des blauen Planeten Außerdem der Sonderband: Die Legende der Nogk Sollte Ihre Bezugsquelle nicht alle REN DHARK-Titel verfügbar haben, können Sie fehlende Bände direkt beim Verlag nachbestellen.
l. Auflage Hansjoachim Bernt Verlag Postfach 22 01 22 56.544 Neuwied Telefon: 02.631-356.100 Fax:02.631-356.102 Internet: http://www.bernt.de © REN DHARK: Brand Erben Redaktion & Checkmaster: Gerd Rottenecker Beratung: Heinz Mohlberg Cover: S wen Papenbrock ©l 998 HJB Verlag Alle Rechte vorbehalten ISBN 3-930.515-92-X
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Vorwort Als wir vor einem knappen Dreivierteljahr den ersten Sonderband ergänzend zu unserer regulären Ren Dhark-Buchausgabe veröffentlichten, waren wir mehr als gespannt auf die Reaktionen unserer Leser und Leserinnen. Die Resonanz war überwältigend und hat unsere Erwartungen weit übertroffen. Das hat uns ermutigt, auf dem einmal eingeschlagenen Weg weiterzugehen. Mit diesem Buch halten Sie den zweiten Ren DharkSonderband in Händen – und ein dritter ist bereits fest eingeplant und wird zum Jahreswechsel erscheinen. Im vorliegenden Roman erzählt Werner Kurt Giesa, der schon an den neugeschriebenen Bänden 6-8 der regulären Buchausgabe mitgearbeitet hat, die Geschichte der FO-12 und ihrer Crew, die auf dem Planeten Bittan eine Entdeckung mit weitreichenden Konsequenzen macht. Und es gibt ein Wiedersehen mit dem Prospektoren-Ehepaar Art und Jane Hooker, die einst gemeinsam mit Ren Dhark an Bord der GALAXIS auf Hope strandeten. Bleibt noch der Hinweis, daß die RD-Familie voraussichtlich im Oktober erneut Zuwachs erhält: Dann erscheint nämlich die erste Ausgabe des Ren Dhark Magazins, das sich in einer Reihe von Beiträgen mit Ren Dhark & Co. befassen wird. So wird es unter anderem aktuelle News zur Buchausgabe geben, ein Interview mit einem der »neuen« RD-Autoren, eine Rißzeichnung und eine Ren Dhark-Kurzgeschichte; außerdem Beiträge aus Astronomie und Raumfahrt, und, und, und… Falls Sie jetzt neugierig geworden sind, dann schauen Sie doch einfach mal rein in die erste Ausgabe des RDM! Hohberg, im Frühjahr 1998 Gerd Rottenecker Prolog Die Giants sind verschwunden, und die Gefahr, die der Menschheit von den G’Loorn drohte, konnte von Ren Dhark durch eine wagemutige Expedition ins Zentrum der Milchstraße beseitigt werden. Endlich kann man auf Terra daran gehen, sich dem Wiederaufbau dessen zu widmen, was von den giantischen Invasoren vernichtet wurde. Doch obwohl diese Aufgabe fast alle Kräfte der Menschheit beansprucht, haben Ren Dhark und seine Getreuen nicht vergessen, daß jenseits der Plutobahn eine Galaxis voller Wunder auf die terranischen Entdecker wartet. Forschungsschiffe werden ausgeschickt, um Sonnen und Planeten, Sternhaufen und Dunkelwolken zu vermessen, zu kartographieren und zu erforschen. Eines dieser Forschungsschiffe ist die FO-12, ein Kugelraumer der Wolf-Klasse, unter dem Kommando von Captain John Freemount. An Bord der FO-12 befindet sich nicht nur ein großes Team von Wissenschaftlern der unterschiedlichsten Disziplinen, sondern auch das Prospektoren-Ehepaar Art und Jane Hooker, das mit seinem Flugdozer auf neuentdeckten Welten nach Bodenschätzen suchen will. Eines der Zielobjekte der FO-12 ist der Stern 404 mit seinem abnormen Strahlungsspektrum im 5D-Bereich – eine Sonne, die eigentlich gar keine Planeten besitzen dürfte. Stern 404 besitzt deren drei, und einer dieser Planeten trägt sogar Leben! Doch auf Bittan, wie der Planet getauft wird, wartet auch ein Geheimnis auf die Hookers und das Landungskommando der FO-12 -ein tödliches Geheimnis…
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1. Nach einer Kurztransition über 18 Lichtjahre kehrte die FO-12 aus dem Hyperspace ins Normalkontinuum zurück. Die großen Bildschirme zeigten die Farbenpracht des Weltraums – glitzernde Sterne vor dem Hintergrund einer gigantischen Staubwolke, die ihre Ausläufer wie die Tentakel eines Oktopoden nach allen Seiten ausbreitete. Violett und dunkles Rot beherrschten die Partikelballungen und zeichneten ein bizarres Muster. John Freemount, der Kommandant des 100-Meter-Raumers, rieb sich den Nacken. Die Transition zeigte ihre Nachwirkungen. Nur langsam verging der Schmerz, der im Moment der Entmaterialisierung entstand, wenn jedes einzelne Molekül in Bits und Bytes zerlegt und aufgelöst wurde, um am Sprungziel nach dem erfaßten Strukturmuster wieder zusammengesetzt zu werden. Bei vielen Menschen erzeugte der Transitionsschock nicht nur einen mehr oder weniger starken Schmerz, sondern panische Todesangst. Auf dem Instrumentenpult vor ihm zeigten die Kontrollen Violett. Das bedeutete, daß alle Funktionen des Kugelraumers >im grünen Bereich< waren. Die FO-12 war ein umgebautes Beuteschiff. Sie war einer der unzähligen Raumer der Giants, die nach dem spurlosen Verschwinden der selbsternannten >All-Hüter< von den Menschen in Betrieb genommen worden waren. Die terranische Eigenproduktion neuer Raumschiffe lief erst sehr langsam an; es gab in der Zeit nach der Invasion weit wichtigere Dinge, als die ohnehin stets knappen Finanzmittel Terras in den Raumschiffbau zu investieren. Zudem waren die bisher konstruierten Schiffe im Vergleich zu den Beuteraumern vorsintflutliche Kästen, in denen niemand mehr Dienst tun wollte, der einmal einen Giant-Raumer oder gar die POINT OF kennengelernt hatte, das Flaggschiff der Terranischen Flotte. Deshalb war die Industrie bemüht, auf Giant-Technik umzustellen. Nur mußte die erst mal begriffen werden. Die Grundlagenforscher hatten Hochkonjunktur. Die ersten neuen Kugelraumer waren tatsächlich schon vom Band gelaufen – und sie waren in vielen Dingen besser als ihre Vorbilder. Das lag vor allem daran, daß sie auf menschliche Bedürfnisse zugeschnitten waren. Bei den Giants hatte es sich um Zweieinhalb-Meter-Riesen gehandelt, und deshalb war alles auf ihre Körpermaße ausgerichtet. Auch sich an die Farbanzeige der Instrumentierung zu gewöhnen, war ein Problem für sich. Sicher konnte man sich damit abfinden, statt grün violett zu sehen oder die Zahlenwerte in den Symbolen der Giants zu lesen. Aber genauso sicher war, daß das nur eine Übergangslösung darstellen konnte. Natürlich arbeitete man daran, die Beuteschiffe umzurüsten. Doch das war eine Frage von Kosten, Zeit und Personal. Die Personalfrage war bei der TF ohnehin das größte aller Probleme. Man verfügte mittlerweile über wesentlich mehr Raumschiffe als Besatzungen! Immer wieder wurden von Jagdkommandos Raumer der Giants aufgespürt, die ohne Besatzung im All trieben. Sie wurden regelmäßig requiriert und nach Terra überführt. Bevor andere raumfahrende Völker auf dieses gewaltige Potential stießen, wollten die Terraner diese Schiffe in ihren Besitz bringen. Nicht nur, um damit einer möglichen Gefahr vorzubeugen, sondern auch praktisch als Schadenersatz für das, was durch die Invasion vernichtet worden war. Eine Art Reparationskosten… Theoretisch hätte die TF mittlerweile einige hundert Raumer einsetzen können. Aber die Besatzungen fehlten. 4
Die inzwischen große Zahl verfügbarer Beuteschiffe vereinfachte dafür ein anderes Problem: Noch wußte niemand genau, wie die Energieversorgung der Schiffe dauerhaft gesichert werden konnte. In dieser Hinsicht war die Giant-Technik ein Buch mit sieben Siegeln. Selbst die Unterlagen der Amphis halfen hier nicht viel weiter, und die Mysterious-Mathematik als Basis für physikalische Forschungen begriff noch immer kaum ein Mensch. So galt bis auf weiteres die Order, Beuteraumer, deren Konverter keine Energie mehr lieferten, wieder auszurangieren. Bei zwei Schiffen war dies bisher der Fall gewesen. Aus diesem Grunde wurden die Giant-Raumer im Flotten-Jargon spöttisch als >Einweg-Raumer< bezeichnet. Freemounts FO-12 war eines der optimal umgerüsteten Schiffe. Trotzdem war vieles unangetastet geblieben und nach wie vor fremdartig und ungewohnt. Rea Banks, 1. Offizier des Forschungsraumers, nickte ihrem Captain zu. »Keine Abweichungen. Distanz zum Zielsystem 0.09 Lichtjahre. Eintauchgeschwindigkeit 78 Prozent LG.« Freemount nickte. Die Ortungen des Kugelraumers scannten den Weltraum um die FO12. »Negativ…« In einer Sphäre von etwa vier Lichtjahren befand sich die FO-12 allein in diesem Raumsektor. Freemount hatte nichts anderes erwartet. Aber es war kein Grund, sich wirklich sicher zu fühlen. Das Schreckgespenst namens G’Loorn warf immer noch seine Schatten, auch wenn Ren Dhark die von diesen seltsamen Geschöpfen ausgehende Gefahr gebannt hatte und im Zentrumsbereich der Galaxis nichts mehr so war wie noch vor einem Dreivierteljahr. Trotzdem war bei vielen Menschen die Furcht geblieben, daß vielleicht andere Entitäten Terra oder andere besiedelte Welten bedrohen könnten. Innerhalb weniger Jahre hatten die Menschen mehrere Überfälle aus Weltraumtiefen erlebt – die Invasion der Giants, die Amphis, die versucht hatten, die Kolonisten auf Hope im Col-System auszulöschen, und schließlich die G’Loorn – denen das dann tatsächlich gelungen war. »Na, dann wollen wir mal«, brummte Freemount. »Fragen Sie die Sterngucker, wohin wir uns freundlicherweise bewegen dürfen.« Banks grinste. »Soll ich das so durchgeben?« Der Captain winkte ab. Immer noch grinsend, aktivierte die dunkelhaarige Frau die Bordverständigung und rief zur Astro-Abteilung durch. »Ladies und Gentlemen, besteht die Notwendigkeit, unseren gegenwärtigen Standort zu verändern?« »Wir melden uns«, kam es kurzangebunden zurück. Der Sprecher hatte es nicht mal für nötig gehalten, vor die Aufnahmeoptik zu treten oder wenigstens seinen Namen zu nennen, sondern nur aus dem Hintergrund gemurmelt. Freemount und Banks waren es bereits gewohnt. Die FO-12 war ein Forschungsraumer und kein militärisches Schiff. Und Wissenschaftler hatten in punkto Disziplin schon immer einen anderen Standpunkt vertreten als die uniformierten Vertreter der Spezies homo sapiens. Freemount war auch gar nicht böse darüber, daß es an Bord seines Schiffes einen etwas lockeren Umgangston gab. Vor der Invasion hatte er als l. Offizier auf einem Frachtraumer gedient. Dort hatte man schon immer über die >Lamettaträger< und ihren >Affenzirkus< gegrinst. Dem Teamwork an Bord der Handelsschiffe hatte es nie geschadet. Ivan Granissa von der Ortung spielte Daten auf den Hauptmonitor über Freemounts Kommandopult. Gleichzeitig wurden sie vom Suprasensor gespeichert. System 404 nach dem Katalog der TF, 3 Planeten. Entfernung von 5
Terra 1238 Lichtjahre. Die exakte galaktische Position folgte. Richtung: Galaktisches Zentrum. Klassifizierung der Sonne: nicht einzuordnen! Deshalb waren sie hier! Dieser Stern, von Leuchtkraft, Größe und Alter her ein G-Typ, war den Astronomen nicht geheuer gewesen, und den Astrophysikern ebensowenig. Schon zu Beginn des Fluges hatten sie den Cap-tain darauf aufmerksam gemacht, daß sie diese Sonne unbedingt untersuchen müßten. Sie paßte in kein Schema! Stern 404 sah zwar aus wie ein G-Typ, konnte aber keiner sein. Denn diese Sonne, auf den ersten Blick völlig harmlos und normal, war im 5-D-Bereich ein kleines Ungeheuer! Sie besaß im Hyperbereich ein Spektrum, das eigentlich gar nicht existieren konnte. Freemount verstand zu wenig von diesen Dingen, um zu erfassen, was die Physiker und Astrophysiker meinten, wenn sie sich im Streitgespräch gegenseitig Fachbegriffe um die Ohren schlugen, die teilweise aus der Terminologie der Amphis oder Mysterious stammten. Jedenfalls war Stern 404 abnorm! Es durfte ihn eigentlich überhaupt nicht geben, und erst recht durfte er nach Meinung der Physiker keine Planeten besitzen. Davon hatte er jedoch gleich drei! Als die Astronomen diese Planeten aus Lichtjahr-Distanzen beobachtet hatten, hatten sie sich damit die Physiker zu Todfeinden gemacht; Freemount fragte sich, was diese Todfeinde nun dazu sagten, daß die Ortungsgeräte der FO-12 alle drei Planeten bestätigt und ihre Umlaufbahnen und -zeiten exakt bestimmt hatten. Hinter Freemount flog das Hauptschott auf; es knallte ohrenbetäubend, als die beiden Hälften in den Wandbettungen verschwanden. Nicht nur der Captain fragte sich, ob die Giants, diese synthetischen Konstrukte, in der Lage gewesen waren, ihre Gehörgänge auf Durchzug zu schalten. Auf anderen Beuteraumern hatte er diese Geräuschkulisse auch schon erlebt, ebenso wie den Gestank, der an einen Raubtierkäfig erinnerte. Der ließ sich ausfiltern; der Lärm nicht, der bei hoher Beanspruchung der Maschinen jede Schallisolierung durchbrach. So laut war es noch nicht einmal auf den letzten Seelenverkäufern der Handelsflotte vor der Invasion gewesen. Freemount schwenkte seinen Sessel herum, der terranischer Fertigung entstammte und das Giant-Original ersetzt hatte, in dem ein Mensch völlig verschwunden wäre. Andre Bittan und Aliza Behzanpur hatten die Zentrale der FO-12 betreten. Jeder von ihnen schleppte gleich zwei Doktortitel mit sich herum, aber das war auch alles, was sie miteinander verband. Der temperamentvolle Bittan leitete die astronomische Abteilung. Die ausgeglichene Behzanpur, deren Wiege in einem kleinen Dorf nahe Teheran gestanden hatte, war als Chefphysikerin seine »natürliche Feindin«, zumindest was das 404-System betraf. »Die meyselsche Wahrscheinlichkeitsrechnung beweist, daß…« begann Bittan. Behzanpur winkte ab. »Sie fallen schon wieder mit der Tür in dieHundehütte, Doktor«, seufzte sie. »Chef, hören Sie nicht auf ihn. Die Rechnung muß einfach falsch sein. Die starke 5-D-Strahlung, deren Spektrum im zensganischen Oktran um mindestens siebenhundert Fak zu hoch liegt und…« »Das beweist doch überhaupt nichts!« fauchte Bittan sie an, »auch mit Ihrer amphischen Physik kommen Sie nicht an der Realität vorbei! Meysel…« »Verschonen Sie mich mit Ihrem Meysel! Der war Kosmobiologe, kein Physiker! Und die Physik…« Bittan hielt ihr den Mund zu. »Captain…« »Jetzt ist aber Ruhe!« verlangte Freemount und erhob sich. »Schluß! 6
Aus! Wenn Sie sich unbedingt prügeln wollen, machen wir eine Freizeitveranstaltung daraus! Calgor…« Dessen Platz war leer. Der 3. Offizier, zuständig für die Gestaltung der Dienstpläne, hatte Freiwache und war seit einer halben Stunde nicht mehr in der Zentrale. »Banks, rufen Sie Calgors DienstplanDatei ab und schauen Sie nach, wann unsere beiden streitbaren Eierköpfe gemeinsam Zeit haben, sich zu verhauen. Wir verteilen Boxhandschuhe, kassieren einen halben Galax Eintritt von jedem Zuschauer und finanzieren davon das nächste Bordfest…« »Wie haben Sie uns genannt?« fuhr Bittan ihn an. »Eierköpfe? Ich muß doch sehr bitten, Captain…« »Wir sind nicht streitbar!« protestierte Behzanpur, die Bittans Hand vor ihrem Mund wieder entfernt hatte. »Und wir prügeln uns nicht!« ergänzten beide gleichzeitig. Freemount grinste. »Wie praktisch. Dann haben Sie ja schon eine Gemeinsamkeit. Wäre es dann eventuell möglich, daß Sie, sobald Sie sich über die Reihenfolge geeinigt haben, in allgemeinverständlichen Worten erklären, aus welchem Grund Sie die Zentrale erstürmt haben?« Andre Bittan trat vor und breitete die Arme aus, um Behzanpur zu blockieren. »Es geht um dieses Sonnensystem«, sagte er. »Worum sonst?« murmelte Banks. »Die meyselsche Wahrscheinlichkeitsrechnung besagt, daß der erste Planet Leben tragen muß«, sagte Bittan. »Und?« »Die Rechnung sagt nichts über die Art der Lebensformen aus. Intelligenz wäre allerdings möglich. Deshalb sollten wir uns diesen Planeten unbedingt aus der Nähe ansehen.« »Vergessen Sie’s lieber, Chef«, warf Behzanpur ein. »Diese Rechnung enthält garantiert einen Fehler. Das Spektrum der Sonne – der fünfdimensionale Bereich des Spektrums – verhindert durch seine Zusammensetzung das Entstehen von Leben. Die Strahlung, die von 404 ausgeht…« »Aber das ist doch blanker Unsinn!« protestierte Bittan. »Hören Sie, Captain. Ich weiß selbst, daß die Theorien sich widersprechen. Aber haben die Physiker nicht behauptet, 404 könne gar keine Planeten haben? Hat 404 Planeten oder nicht? Wenn wir in diesem Punkt recht haben, warum dann nicht auch in Hinsicht auf die Entwicklung von Leben?« »Hat eigentlich schon mal jemand die Biologen und Chemiker um ihre Meinung zu diesem Thema gefragt?« erkundigte sich Freemount katzenfreundlich. »Sicher erhalten wir dann weitere Theorien oder wenigstens Abwandlungen der bisher aufgestellten…« »Sehen Sie, Aliza?« wandte sich Bittan an die Physikerin. »Mit dem Captain läßt sich nicht vernünftig reden, das habe ich Ihnen doch schon vor Stunden gepredigt. Der ist ein…« »Für Sie immer noch Doktor Behzanpur!« fauchte sie zurück. »Ach, bitte, Doktor Bittan, was wollten Sie hinsichtlich der Person des Captains artikulieren?« fragte Freemount spöttisch. Bittan zuckte zusammen. »Daß Sie eben kein Wissenschaftler sind.« »Vermutlich«, sagte Freemount bedächtig, »würde ich Sie beide empfindlich kränken, wenn ich andeuten würde, daß ich darüber recht froh bin. Aber weil ich Sie nicht kränken will, deute ich das natürlich nicht an.« »Und jetzt räumen Sie bitte die Zentrale«, warf Banks ein. »Beide. Der Zutritt ist unautorisierten Personen grundsätzlich untersagt und bedarf einer ausdrücklichen Genehmigung durch die Schiffsführung. Was Sie uns vorzutragen haben, können Sie auch über die Bordverständigung erzählen – und zwar hübsch nacheinander. Raus hier, Leute!« Bittan schnappte nach Luft. »Sie haben gehört, was mein IO gesagt hat.« Freemount lächelte dünn. »Machen Sie Ihre Arbeit und verschonen Sie die Schiffsfüh7
rung mit Ihrem Streit. Wenn Sie Wünsche haben, äußern Sie sie, wenn Sie Ergebnisse haben, stellen Sie sie vor. Das war’s.« Er ließ sich wieder in seinen Sessel fallen und schwang mit ihm zurück vors Kommandopult. »Können Sie mich nicht auch zur unautorisierten Person erklären, Banks?« flüsterte er. »Das kann nur der Captain«, flüsterte sie zurück. »Das müssen wir ändern«, raunte Freemount und rief den beiden Wissenschaftlern zu: »Und schließen Sie die Tür bitte leise.« Worauf die Schotthälften giantisch laut gegeneinanderknallten. »Verstehen Sie jetzt, weshalb ich unautorisiert sein möchte?« seufzte Freemount. »Irgendwann bringt mich dieses Türenknallen noch um. Ich hasse diese Wegwerf-Raumer.« »Wir könnten eine Drehtür einbauen lassen«, schlug Rea Banks vor. Drei Stunden später stritten sich die Experten immer noch über den Stern, den es ihrer Meinung nach gar nicht geben durfte. Dem Captain war das weitgehend egal; er fühlte sich eher für das Funktionieren des Raumschiffs und ein reibungsloses Zusammenleben von Crew und Forschungsteams zuständig. Zum Forscher und Entdecker fühlte er sich nicht berufen. Wenn er den Raumer sicher dorthin brachte, wo seine Wissenschaftler irgendwelche Phänomene studieren wollten, und sie alle anschließend heil wieder nach Terra zurückbrachte, war sein Ehrgeiz befriedigt. Er rief die jüngsten Daten aus dem Suprasensor-Verbund ab. Immerhin wollte er zumindest halbwegs auf dem laufenden sein, wenn es zur nächsten Diskussion mit den Experten kam. Aber die Dateien beinhalteten überwiegend noch die Messungen, die von der AstroAbteilung vorgenommen worden waren. Auswertungsergebnisse waren immer noch als >vorläufig< und >fragwürdig< gekennzeichnet und mit ellenlangen, spekulierenden Kommentaren versehen. »Nichts Neues«, brummte Freemount, begriff aber langsam, warum den Wissenschaftlern so viel an Stern 404 gelegen war. Die Kommentare und Spekulationen sprühten regelrecht vor fantastischen Ideen und Überlegungen, nur widersprachen sie sich extrem. Das war jedoch bei den erzielten Meßdaten kaum anders zu erwarten; soviel verstand sogar Freemount von der Materie. Schließlich hatte er, bevor er sein Kapitänspatent erhielt, eine Menge Astronomie und Astrophysik pauken müssen. Das meiste davon hatte er allerdings längst verdrängt, weil er es nicht ständig brauchte und jederzeit auf die Datenbänke oder das Wissen anderer zurückgreifen konnte. Granissa von der Ortung meldete sich. »Sir, wetten, daß die Physiker und Astros gleich wieder aus der Haut fahren? Da…« »Meldung, Granissa!« fuhr Freemount ihn an, der zwar viel von einem lockeren Umgangston hielt, aber auf ein Minimum an Disziplin trotzdem nicht verzichten wollte. Und was Granissa da gerade von sich gegeben hatte, war alles, nur keine vernünftige Meldung. Der Ortungsspezialist zuckte regelrecht zusammen. »Starke hyperenergetische Emission auf Rot 3:018, Sir! Der Brent-Grak-Wert erreichte kurzzeitig siebzehn Einheiten.« »Zu mir überspielen, Ivan!« verlangte Freemount. »Spektrum analysieren!« »Wurde schon an die Astro weitergeleitet.« »Na, wenigstens etwas«, brummte Freemount und sah dann auf seinem Monitor den Brent-Grak-Strang auftauchen. Grak war ein Begriff aus der Giant-Terminologie, Brent der Astrophysiker, dem es vor knapp zwei Monaten erstmals gelungen war, diese Terminologie ins Angloter zu übersetzen und innerhalb der terranischen Astrophysik verständlich darzustellen. Blitzschnell aktivierte Freemount ein zweites Terminal und griff auf entsprechende Info-Dateien zu. Hatte Brent damals nicht behauptet, die einzelnen Grak-Linien könnten einen Wert von 10 nicht überschreiten, weil die Strahlungskomponenten zwar starke Ähnlichkeiten im Frequenzgang 8
aufwiesen, aber nicht miteinander harmonierten, weil sie sich gegenseitig störten und teilweise aufhoben? Und jetzt zeigte der Strang 17 an? »Zerlegen, Granissa!« verlangte Freemount. »Kann ich nicht, Sir. Das ist eine Sache für die Astrophysiker! Meine Instrumente stellen nur den gesamten Strang dar, aber ich kann die einzelnen Linien nicht trennen! Die Alpha- und Eta-Linien liegen zu dicht beieinander…« Über die Bordsprechanlage rief Freemount die Astrophysiker. »Eine kurze Frage: Kann uns dieser Strahlungsausbruch gefährlich werden?« »Kann er nicht, Captain, selbst wenn er uns gezielt trifft!« »Hat er uns gezielt getroffen?« wollte Freemount von Granissa wissen. Der antwortete mit einem klaren Ja. »Aber ich bin mir nicht mehr sicher, ob es sich nicht um eine Fehlfunktion meiner Instrumente handelt! Lieber Himmel, Captain, ein Brent-Grak-Wert von 17 ist doch völlig ausgeschlossen!« Das behaupteten die Astrophysiker jetzt auch. »Es muß eine Fehlmessung sein! Vielleicht hervorgerufen durch eine Störung von 404! Auf der Sonnenoberfläche gab es zum fraglichen Zeitpunkt eine starke Fleckeneruption. Die daraus resultierende 5-D-Strahlung kann die Instrumente unseres Raumers empfindlich stören.« »Kann oder hat?« hakte der Captain mißtrauisch nach, dem nicht gefiel, wie der Astrophysiker sich vor einer klaren Aussage drücken wollte. »Kann oder hat!« konterte Dr. Josip Czoran. »Granissa, unterziehen Sie Ihre Instrumente einer Überprüfung!« verlangte Freemount daraufhin. Der Ortungsspezialist gehorchte mürrisch. Er war sicher, daß mit seinen Geräten alles in Ordnung war, was die Prüfroutine dann auch ergab. Trotzdem blieb der Captain mißtrauisch. Er ordnete an, den Forschungsraumer insgesamt einer eingehenden Untersuchung zu unterziehen. Das dauerte eine Weile. Zwischendurch meldete sich Dr. Czoran wieder. »Captain, diese Brent-Grak-Strahlung haben wir in einem Modellversuch leicht abgeändert, und raten Sie mal, was dabei herauskam: Ein überlichtschneller Ortungsimpuls!« Rea Banks hob die Brauen. »Soll das heißen, wir sind von der Sonne aus geortet worden, Doc?« »Selbstverständlich nicht. Das wäre Unsinn.« »Nicht, wenn eine Station oder ein Raumschiff sich im Ortungsschutz dieser Sonne aufhält«, behauptete Banks. »Bei dieser abnormen 5-D-Strahlung könnte niemand in einem solchen Schiff überleben. Zumindest nicht, wenn er sich so nahe an 404 befindet, daß wir das Objekt nicht mehr anmessen können«, brummte Dr. Czoran. »Vergessen Sie nicht, daß die Strahlung im Hyperbereich wirksam wird. Das heißt, sie geht ungebremst durch jede Art von Materie hindurch, und höchstwahrscheinlich durchdringt sie auch Schutzschirme, sofern die nicht ihrerseits fünfdimensional strukturiert sind. Was an Unglaublichem von dieser Sonne abgestrahlt wird, benutzt den Hyperspace, um dann…« »Stop!« warf Banks ein. »Dann dürften wir dieses Unglaubliche doch überhaupt nicht anmessen können! Unsere Meßgeräte befinden sich im Normalraum, und was sich im Hyperraum abspielt, bleibt für uns deshalb unsichtbar…« »Wenn Sie mich ausreden lassen, erkläre ich’s Ihnen«, sagte Dr. Czoran gönnerhaft. »Wo war ich stehengeblieben? Ach ja. Um dann im Normalraum wirksam zu werden. In welcher Form, wissen wir noch nicht, auch nichts über die Reichweite. Aber wenn wir davon ausgehen, daß jede Strahlung mit dem Quadrat ihrer Entfernung abnimmt, 9
wird sie trotz Hyperspace nur theoretisch unendlich weit gelangen können, weil sie vorher schon unendlich schwach wird. Ob das Rechenexempel mit dem Quadrat der Entfernung, wie es in der normalen Physik gilt, auch im 5-D-Bereich gültig ist, können wir mangels entsprechender Theorien nicht sagen, da hilft uns die AmphiMathematik nicht weiter. Es kann ein kürzerer, aber auch ein längerer Ausdehnungsbereich sein. Wie auch immer, diese Strahlung ist hier, im unmittelbaren Einflußbereich von 404, sehr stark und überall vertreten.« Auf einem weiteren Monitor schaltete sich die Funk-Z ein. »Captain, die Brent-Grak-Strahlung in ihrer von den Astrophysikern modifizierten Form haben wir bei uns ebenfalls untersucht, und wahrscheinlich wird es auch Doktor Czoran interessieren, daß es, modifiziert, tatsächlich so etwas wie eine überlichtschnelle Ortung sein könnte. Sie ähnelt der Echo-Kontrolle der POINT of!« Und die diente dazu, vom Ringraumer aus festzustellen, ob eine fremde Funkstation sendeklar war oder nicht. »Wie kommen Sie darauf, Nomote?« fragte Freemount schnell. »Haben Sie Erfahrungen mit dieser Echo-Kontrolle?« »Ich habe eine Abhandlung von Leutnant Glenn Morris gelesen, der Funker an Bord der POINT OF ist und sich mit dieser Technik näher befaßt hat, Sir.« »Könnte es also sein, daß doch jemand uns zu scannen versuchte, um festzustellen, ob bestimmte technische Geräte aktiv sind?« »Nicht in dieser direkten Form«, versuchte Nomote sich zu retten. »Wir gehen ja nur von der modifizierten Strahlung aus. Was die ursprüngliche bewirkt, darüber können wir nicht mal spekulieren. Wenn Sie mich fragen, Sir, ist die Wahrscheinlichkeit für eine künstlich erzeugte Ortungsstrahlung ziemlich gering.“ »Wie gering?« Darauf wollte Nomote sich nicht festlegen. »Ich liebe diese unglaublich klaren Antworten«, brummte Freemount ironisch. »Diese Sonne beginnt, mir Spaß zu machen. Ich bin gespannt, wie es auf den Planeten aussieht. Mittlerweile überrascht mich hier kaum noch etwas.« »Soll das heißen, daß Sie ein Landungskommando hinunterschikken?« fragte Banks. »Noch nicht. Ich will erst sicher gehen, daß dieses Landungskommando nicht von irgendwelcher Hyperstrahlung gefährdet wird. Mal sehen, was unsere… Experten noch herausfinden.« Er grinste Dr. Czoran an, dessen Gesicht immer noch auf dem Monitor der Bordverständigung zu sehen war. »Danke, Doc. Wenn Sie mehr wissen, teilen Sie es mir bitte mit, okay?« »Es wäre schön, wenn wir noch Vergleichswerte bekämen«, sagte Dr. Czoran. »Dieser eine Strahlungsausbruch hilft uns nicht. Wir werden wahrscheinlich nicht viel mehr herausfinden können als wir bereits wissen.« »Vielleicht wiederholt sich der Ausbruch ja«, überlegte der Captain. »Das wäre sehr schön«, stellte der Astrophysiker fest. »Dann hätten wir endlich mehr Daten, mit denen wir arbeiten könnten. Je mehr, je besser.« Aber das Phänomen wiederholte sich nicht. Einen halben Tag später kam man überein, die seltsame Strahlung nicht als vielleicht künstlichen Effekt anzusehen, sondern als einen natürlichen Ausbruch von 5-D-Strahlung. In unregelmäßigen Abständen erfolgten Sonnenflecken-Eruptionen, die immer von 5-DStrahlungsschauern begleitet wurden, die aber jedesmal eine andere Struktur hatten als bei der ersten Messung und auch weitaus weniger intensiv waren. Ob es bei jenem ersten Phänomen ebenfalls eine Recken-Eruption gegeben hatte, ließ sich nachträglich leider nicht mehr feststellen. Auch in diesem Punkt blieb die Sonne ein Unikum, das eigentlich gar nicht existieren durfte, denn die 5-D-Strahlung löschte jedesmal die entsprechende Aufzeichnung, so daß die Astronomen 10
nur anhand ihrer Erinnerung sagten konnten, an welchem Punkt eine wie starke Eruption stattgefunden hatte. Zuerst hatten die Wissenschaftler an einen Defekt in der Suprasensorik geglaubt – warum sonst sollten Sonnenflecken-Eruptionen zwar beobachtet und vermessen, aber nicht gespeichert werden können? Aber nach und nach kamen sie zu der Erkenntnis, daß die 5-DStrahlung, die bei jedem Vorgang eine andere Charakteristik aufwies, für den Speicherverlust verantwortlich war. Denn zu jedem anderen Zeitpunkt gab es mit der Speicherfunktion der Suprasensoren keine Probleme. Noch einmal fragte Captain Freemount nach, ob diese Strahlungswellen für den Forschungsraumer gefährlich werden könnten, und diesmal kam das Nein schon deutlich entschiedener. Die FO-12 hatte, durch ihren Energieschirm geschützt, bereits mehrmals im Wirkungsbereich der 5-D-Strahlung gelegen, ohne daß es zu Schäden an Mensch und Material gekommen war. Die Biologen schlössen auch eine Langzeit-Wirkung aus. »Hyperstrahlung ist generell so hart und konzentriert, daß wir nach den sechs oder acht Stunden, die wir uns bereits in der Nähe von 404 befinden, längst Reaktionen haben müßten«, behauptete ein Mediziner. »Es spricht also nichts dagegen, auch weiter in Sonnennähe zu bleiben und diese Phänomene zu erforschen.« »Wenn sie sich erforschen lassen«, brummte Rea Banks. »Und noch etwas, Captain. Ich glaube diesen Medizinmännern kein Wort. Wenn diese Hyperstrahlung die Suprasensoren so beeinflußt, daß sie bestimmte Speicherungen verweigern, geht sie doch glatt durch den Schutzschirm hindurch! Da stimmt was nicht.« »Aber hier drinnen konnten wir die Strahlung nicht feststellen, nicht in einem einzigen der bisherigen Fälle«, widersprach Freemount. »Es gibt sie, Hyperspace hin oder her, nur außerhalb des Schiffes, außerhalb des Schutzschirms. Ich denke, wir können es riskieren, noch näher heranzugehen, damit unsere Wissenschaftler feststellen können, ob Planet l wirklich Leben trägt oder nicht.« Banks wollte daran nicht glauben. »Die meyselsche Wahrscheinlichkeitsrechnung in allen Ehren, aber Planet l besitzt keinen Schutzschirm, der die Hyperstrahlung fernhält. Da wird es kein Leben geben können.« »Oder es wird sich uns in einer Form zeigen, die wir vielleicht nicht einmal erkennen«, murmelte Freemount prophetisch. »Na schön, schauen wir erst einmal, ob wir es mit einer toten Welt zu tun haben, oder mit einem Planeten, der von Leben nur so wimmelt. Wenn es auf l tatsächlich Leben gibt, schicken wir ein Team hinunter.« 24 Stunden nach der Ankunft der FO-12 im System 404 erteilte Captain Freemount dann die Genehmigung für ein Landungsteam, sich Planet l einmal näher anzusehen.
2. »Ich schätze, wir haben ein Problem«, seufzte Rea Banks. Kopfschüttelnd sah sie zu dem Monstrum hinüber, das im Beiboot-Hangar des Kugelraumers stand. »Sind Sie sicher, daß Sie das Ding da mit nach unten nehmen wollen?« »Das ist kein Ding, sondern ein Flugdozer«, erklärte Jane Hooker. »Flugfähig in jeder Art von Atmosphäre, tauchfähig, vakuumdicht, außerdem…« »So genau wollte ich das eigentlich gar nicht wissen«, unterbrach Banks die Prospektorin. »Was mich interessiert, ist: Wie wollen Sie dieses Ding nach unten bekommen? In die Beiboote paßt es nicht, und die FO-12 wird auf keinen Fall landen – zumindest jetzt noch nicht. Sie sollten die Maschine zunächst noch an Bord lassen, bis wir sicher sein können, daß es sich lohnt…« »Wir werden sie auf Planet l benötigen«, sagte Jane. »Ich habe da 11
auch schon eine Idee. Wir könnten den Dozer mit seinen Greifern an einer der Linsen verankern.« Rea Banks starrte sie entgeistert an. »Sind Sie verrückt?« stieß sie hervor. »Das klappt vielleicht im Vakuum, aber beim Eintritt in die Atmosphäre verglüht das Ding doch! Mal ganz abgesehen von den Strömungsturbulenzen! Die Linsen sind atmosphärenflugtauglich, aber der Flugdozer stört nicht nur die Aerodynamik, er vernichtet sie regelrecht…« »Die Linse wird eben langsam eintauchen müssen«, erklärte Jane energisch. »Es wird funktionieren, wenn der Pilot ein Spitzenkönner ist. Wir…« »Der Pilot bin ich«, sagte Rea. Jane lächelte. »Dann wissen Sie ja jetzt, was Sie erwartet. Im Ernst, Banks, wir brauchen den Dozer. Und ich würde diesen Vorschlag bestimmt nicht machen, wenn ich eine Gefahr darin sähe. Es gibt nur noch dieses eine Modell von allen, die jemals gebaut worden sind, und es wird vermutlich nie wieder so ein Spezialgerät entwickelt werden. Unser Flugdozer ist somit einmalig in der Galaxis. Unbezahlbar. Ich würde ihn nur dann opfern, wenn es wirklich um Leben und Tod ginge. Aber für einen simplen Abstieg zur Planetenoberfläche ist er durchaus geeignet. Wenn die Atmosphäre dichter wird, werden wir uns vermutlich ohnehin abkoppeln. Mit den Staustrahltriebwerken können wir auch in größerer Höhe noch einigermaßen manövrieren. Es wird vielleicht etwas haarig werden, aber wir schaffen es.« »Und wie wollen Sie den Aufstieg wieder schaffen, wenn wir zurück zur FO-12 fliegen?« erkundigte sich Rea Banks skeptisch. »Ich bin ziemlich sicher, daß das nicht nötig sein wird. Die FO-12 wird landen können, dann erledigt sich das Problem von selbst. Oder wir entdecken verwertbare und abbaufähige Bodenschätze, dann werden wir vermutlich ohnehin eine Weile hier bleiben.« »Wie bitte?« stieß Rea hervor. »Hierbleiben? Eine Weile?« »Natürlich. Art und ich sind Prospektoren. Wir leben davon. Wir werden natürlich selbst keinen Abbau vornehmen. Aber wir werden planen und vorbereiten müssen, und das dauert seine Zeit. Zeit, die Sie eigentlich nicht haben. Da draußen warten Hunderttausende von Sonnensystemen auf ihre Katalogisierung und Untersuchung. Gerade Systeme wie dieses, mit extremen physikalischen oder hyperphysikalischen Verhältnissen, bringen oft die erstaunlichsten Dinge hervor. Und nach diesen Dingen suchen wir. Wir werden sehr schnell herausfinden, ob die Suche sich lohnt. Falls ja, bleiben wir eine Weile hier. Falls nein – geht’s eben weiter. Nebenbei dürften auch die beiden anderen Planeten interessant sein. Verwertbare Bodenschätze findet man schließlich nicht nur auf lebentragenden Sauerstoffwelten, sondern überall.« Rea seufzte und zuckte mit den Schultern. Es war das Risiko der Hookers, ihr Universalgerät zum Planeten hinunterzubringen, wenn sie es dort haben wollten. Abschätzend betrachtete sie die große Maschine mit den breiten Plastikraupen. Der Flugdozer war eigens dafür entwickelt worden, auf lebensfeindlichen Welten verwendet zu werden. Zwei bis drei Personen konnten sich tagelang darin aufhalten. Allerdings würde sie eine Menge damit zu tun haben, die Maschine auf den Boden zu bringen. Zwangsläufig würde die Linse aus dem Gleichgewicht geraten. Die beachtliche Masse des Flugdozers ließ sich auch mit dem A-Grav nicht völlig neutralisieren. Das Schlimmste würde der Luftwiderstand werden. Sie legte Jane Hooker die Hand auf die Schulter. »Kommen Sie«, sagte sie. »Wir werden mal sehen, wo wir Ihr verflixtes Ding am besten ankoppeln, damit es uns nicht alle zerreißt.« Während Art Hooker noch damit beschäftigt war, die Vorräte des Flugdozers zu ergänzen, lenkte seine Frau Jane die schwere Maschine an die Linse heran. Im Innern des Beiboothangars konnte sie den Do12
zer nur auf seinen Plastikraupen bewegen. Das war ein erhebliches Handicap beim Bemühen, die Maschine an eines der kleinen Beiboote anzukoppeln. Dazu kam, daß der Hangar mit den drei Linsen und dem Dozer restlos überfüllt war und es kaum Platz zum Manövrieren gab. Der Kugelraumer der Wolf-Klasse mit seinen 100 Metern Durchmesser war in dieser Hinsicht mit Platz nicht gerade gesegnet. Auf den ersten Blick war ein Raumschiff dieser Größenordnung ein Gigant. Wenn die FO-12 auf ihren Teleskopstützen stand, ragte sie wie ein Gebirge empor. Das Schiff war kilometerweit zu sehen, und sein Rauminhalt war in der Theorie mehr als ausreichend. In der Praxis sah das alles anders aus. Einen großen Teil dieses Rauminhaltes nahmen Antrieb und Energieversorgung ein. Die As-OnenTriebwerke sowie das gewaltige Transitions-Aggregat füllten einen beachtlichen Bereich aus, die Konverter und Speicherbänke belegten zusammen mit den Triebwerken mehr als ein Drittel des Volumens. Sehr viel Platz beanspruchten auch die Waffensysteme. Man hatte sie dem 100-Meter-Schiff gelassen, obgleich es vornehmlich zu Erkundungszwecken eingesetzt wurde und keine Verwendung als Kampfschiff mehr fand. Dennoch sollten sich auch die Forschungsraumer der Terranischen Flotte im Ernstfall verteidigen können. Bei den großen 400-Meter-Kreuzern der Planetenklasse sah das Raumverhältnis schon anders aus. Die Triebwerkssektoren dieser Titanen, die in gelandetem Zustand bis in die Wolken hinaufragten, waren nicht sehr viel größer als die kleinerer Schiffe. Das lag daran, daß die zu bewegende Masse durch Antigrav-Technologie nur noch eine untergeordnete Rolle spielte; die Masseträgheit ließ sich bis auf annähernd Null reduzieren, und die Beschleunigung durch die AsOnen-Triebwerke war dann nur noch spielerischer Natur. In den Kreuzern konnte man sich verlaufen; in den 100-MeternRaumern oder den 50-Meter-Sternschnuppen kaum noch. Deshalb war der Beibootbereich in diesen kleineren Schiffen auch nicht sonderlich groß. Sechs Linsen, verteilt auf zwei Hangars, das war alles, was der FO-12 zur Verfügung stand. Im Extremfall würden diese sechs Beiboote nicht ausreichen, die komplette Besatzung des Raumers zu evakuieren. Aber darauf hatten die Giants wohl nie Wert gelegt. Ihnen bedeutete die eigene Existenz nichts. Also brauchten sie auch keine Überlebenshilfen zu installieren. Die linsenförmigen Beiboote hatten daher wohl eher normalen Transportzwecken gedient. Hier, überlegte Jane Hooker, gab es noch einigen Nachholbedarf in Sachen Umrüstung. Selbst die GALAXIS, jener Kolonistenraumer, mit dem sie einst nach Hope geflogen waren, war da besser ausgestattet gewesen. Was die Beuteraumschiffe der Giants brauchten, wurde in den neuen Raumern terranischer Fertigung bereits berücksichtigt – größere, bessere Beiboote und entsprechende Hangarräume; außerdem Schweber für den Atmosphärenflug. Denn es war beinahe Unsinn, innerhalb einer planetaren Atmosphäre mit den As-OnenTriebwerken der Linsen zu manövrieren. Hundertprozentig sauber waren diese Antriebe nicht; auch darüber schienen sich die Giants niemals Gedanken gemacht zu haben. Jane mußte sich jetzt Gedanken darüber machen, wie sie den Flugdozer am besten an der Linse verankerte. Rea stand draußen und winkte sie näher heran. Sie ahnte vermutlich nicht, daß Jane über ihren Monitor und die eingeblendeten Distanzwerte viel exakter erfuhr, wie nahe sie an die Linse heranmanövrieren konnte. Jane spielte mit den Lenkhebeln, die den Dozer steuerten. Die Motoren, die die Raupenketten bewegten, arbeiteten im kleinsten Kriechgang. Schließlich berührte der Dozer die Linse. Jetzt widmete Jane sich den Greifarmen. Die Arme schwenkten aus, die mächtigen Zangen tasteten sich an die Stellen heran, die Banks angegeben hatte. Mit diesen Greifern ließ sich ein Hühnerei aus dem 13
Kochtopf nehmen, in den Eierbecher setzen und sorgfältig von seiner Schale befreien – wenn man richtig mit ihnen umzugehen verstand. Jane verstand ihr Geschäft. Sorgsam verankerte sie die Greifer. Dabei erhöhte sie den Druck noch ein wenig über den Wert hinaus, den Rea Banks ihr genannt hatte. Das Material, aus dem die Linse bestand, würde es aushallen, und wenn nicht, dann gab es eben ein paar Dellen und Kratzer. Wichtig war nur, daß der Flugdozer nicht weggerissen wurde, wenn der Luftwiderstand beim Eintauchen in die Atmosphäre den Druck der Greifer überstieg. Schließlich schaltete sie die Maschinen ab. Was sie tun konnte, war getan. Jetzt hing es vom Geschick der Pilotin ab, Linse und Flugdozer in eine Höhe zu bringen, in der gefahrlos abgekoppelt werden konnte. Das Innenschott der Druckschleuse glitt auf. Art Hooker trat ein. Er setzte ein paar Plastikbehälter ab, die er übereinander gestapelt hereinbalanciert hatte. Er trat zu seiner Frau, die sich jetzt im Pilotensitz entspannte, und küßte sie auf die Wange. »Alles klar?« Sie lächelte. »Klarer als vor Jahren, als wir nach Hope flogen.« Der Prospektor grinste flüchtig. Es war eine verrückte Geschichte gewesen. Sie hatten den Flugdozer eigentlich illegal mitgebracht. Die Schiffsführung des Kolonistenraumers hatte nichts davon gewußt. Art und Jane hatten die große Maschine in all ihre Einzelteile zerlegt und an Bord gebracht, um sie ebenso heimlich auf Hope auszuladen und an einem verschwiegenen Ort außerhalb der Siedlerstadt Cattan wieder zusammenzubauen. Das hatte jeweils einen halben Monat gedauert. Aber es hatte sich gelohnt. Wenn sie die Frachtkosten hätten bezahlen müssen – es wäre unmöglich gewesen. Auf den Asteroiden und auf Luna hatten sie gerade mal genug verdient, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können; sie hätten den Dozer zurücklassen müssen, als sie sich einschifften. Und fort hatten sie gemußt. Die Vergangenheit hätte den ehemaligen Captain Art Hooker beinahe wieder eingeholt. Wenn er Schwierigkeiten vermeiden wollte, war ihm nur die Flucht nach vorn geblieben – weg aus dem Sol-System, irgendwohin, auf einen fremden Planeten. Dorthin, wo niemand auf die Idee kommen würde, ihm mit Intrigen zuzusetzen, weil sie in der Wildnis einer fremden Umgebung, die erst erobert und bezwungen werden mußte, alle aufeinander angewiesen waren. Jetzt, nach der Invasion, spielte das alles keine Rolle mehr. Die Menschheit hatte praktisch am Punkt Null wieder neu begonnen. Es war eine einmalige Chance, mit allem aufzuräumen, was einmal gewesen war. Auch mit dem Rebellentum des aufrührerischen Captains, der Art Hooker einst gewesen war. Es lag lange zurück. Und heute würde niemand mehr danach fragen, was damals gewesen war. Seine und Janes Verdienste auf Hope überwogen alles andere. Aber auf Hope gab es für sie nicht mehr viel zu tun. Es zog sie hinaus zu neuen Welten. Deshalb flogen sie jetzt mit dem Forschungsraumer. Auf Hope hatten sie den Flugdozer in die FO-12 verladen. Es hätte auch jedes andere Schiff der Forschungsflotte sein können. Der Zufall wollte es, daß sie dieses System ansteuerten, dessen Sonne eine extreme Charakteristik aufwies, die nahezu unmöglich schien. Hier waren sie richtig. Wie Jane vorhin im Gespräch mit Rea Banks formuliert hatte: Extreme Sterne sorgten oft dafür, daß es auf ihren Planeten zu interessanten Entdeckungen kam. Weder Art noch Jane Hooker hofften auf eine solche Entdeckung, wie 14
sie Achmed Tofir auf Hope und ein Besatzungsmitglied der point of auf Jump gemacht hatten – eine Entdeckung wie das transurane Schwermetall Tofirit mit seinen fantastischen Eigenschaften. Aber schon Kleinigkeiten konnten ausreichen. Irgendwie mußten sie ihren Lebensunterhalt schließlich auch jetzt bestreiten. »Wann geht es los?« fragte Jane. Art warf einen Blick auf sein Chrono. »Schätzungsweise in einer Stunde. Man läßt sich Zeit. Kann auch gar nicht schaden. Die Damen und Herren Wissenschaftler streiten sich noch, wer von ihnen als erster Bittans Boden betreten darf.« »Bittans Boden?« »Tja«, schmunzelte Art. »Unser Ober-Sterngucker hat für sich das Privileg in Anspruch genommen, dem Planeten seinen Namen zu geben. Womit jeder, der von Bittan spricht, jetzt erst mal erklären muß, ob er Planet Nummer l oder Bordastronom Nummer l meint.« »Und niemand hat Einwände erhoben? Ich meine, >Hookers Welt< klänge doch auch recht brauchbar«, lächelte Jane.: »Mit solchen Kleinigkeiten geben wir zwei uns doch nicht ab«, meinte er schmunzelnd. »Wir werden Galaxien nach uns benennen lassen. Ich denke, wir sollten die Zeit nutzen und den Dozer noch einmal durchchecken. Vor allem, was unsere Vorratsliste angeht. Wer weiß, wie lange wir da unten bleiben werden.« Er ahnte nicht, wie gut er als Prophet war…! Anderthalb Stunden später starteten zwei Einsen. Das wissenschaftliche Team, das sich auf die beiden Beiboote verteilt hatte, meuterte. Die kleinen Boote, die kaum genug Platz für die Menschen boten daß sie auf die Körpergröße der Giants ausgelegt waren, spielte dabei nicht einmal eine Rolle –, waren zusätzlich bis zum Bersten mit Ausrüstungsmaterial vollgestopft. Entsprechend eng ging es an Bord der Kleinraumer zu. Es gab praktisch keine Bewegungsfreiheit. Lediglich die Piloten hatten Platz. Den mußten sie haben. Rea Banks flog die Linse, an der der Flugdozer wie ein riesiges, böses Insekt festhing. Sicher hätte es genug andere Piloten gegeben, aber Rea wollte einfach mal ‘raus aus dem Schiff und etwas anderes hören als Freemounts ständiges Genörgel über das knallende Hauptschott der Zentrale… Freemount hatte ihr die Freistellung gern gewährt. Er kannte ihren Drang, zwischendurch immer wieder mal nach draußen zu kommen. Dafür verzichtete sie meistens auf den Landgang, wenn die FO-12 Terra anflog, und hielt an Bord die Stellung, während der Captain und die anderen Offiziere die Raumhafenbars unsicher machten. Verwandte besuchten oder einfach nur irgendwo ein paar Tage Urlaub machten. Der Landeplatz auf Bittan war vom Orbit aus bestimmt worden; der Kurs lag fest. Rea sah sich um, vorbei an den Wissenschaftlern durch die Sichtkuppeln der Linse. Wie ein drohendes Ungeheuer, das an dem Raumboot fraß, ragte der Flugdozer auf. Rea konnte in der erleuchteten Kabine hinter den Panoramafenstern aus Sicherheitskunstglas die beiden Hookers sehen. Sie zumindest hatten ausreichend Platz und Bewegungsfreiheit in ihrer Maschine. Jemand hatte vorgeschlagen, einen Teil der Ausrüstung in den Dozer zu packen. Aber damit war Rea nicht einverstanden gewesen. Wenn der Dozer abriß und in der Atmosphäre zerstört wurde, war die Ausrüstung verloren. Sie hoffte zwar, daß das nicht passierte, und Jane Hooker hatte sich absolut davon überzeugt gezeigt, daß die Greifer halten würden. Dennoch blieb ein Gefühl der Unsicherheit. Rea hatte noch mehrmals versucht, die Hookers von ihrem Vorhaben abzubringen, den Dozer bereits jetzt nach unten zu bringen. Vergeb15
lich. Sie wollten das Risiko, das in ihren Augen keines war, auf jeden Fall eingehen. Rea und Jane hatten die möglichen Flugmanöver dann durchgesprochen. Wenn es keine unvorhergesehenen Turbulenzen im Luftraum gab, mußte es funktionieren. Der Captain hatte signalisiert, daß er keine Verantwortung für dieses Flugmanöver übernahm. Schließlich wurden die transparenten Einstiegsluken, die gleichzeitig als Sichtfenster dienten, geschlossen. Die Maschinen wurden hochgefahren. Im Hangar glommen Warnsignale auf. Die Innenschotts wurden verriegelt, die Luft abgepumpt. Dann glitt das Außenschott auf. Übergangslos sahen die Menschen in den beiden Linsen und im Flugdozer durch die transparenten Scheiben in den Weltraum hinaus, der merkwürdig zweigeteilt war – hier die samtene Schwärze mit den gestochen scharfen Lichtpunkten der fernen Sterne, dort die Farbenpracht der interstellaren Staubwolke. Sorgsam dosierte Pressorstrahlen setzten ein und schoben die beiden Linsen aus dem Hangar ins Freie. Die zweite Linse wurde normal von der Automatik hinausgeblasen, wie es im Raumfahrerjargon hieß, bei Rea Banks’ Boot indessen mußte der Pressorstrahl manuell gesteuert werden, um den angehängten Flugdozer nicht schon in der Startphase zu zertrümmern. Denn der Dozer befand sich eigentlich im Bereich der Strahlbahn… Rea versuchte, die Stimmen der Wissenschaftler zu ignorieren, die durch das Innere der Linse summten. Sie konzentrierte sich auf die Steuerung. Die BzB-Funkverbindung zum Flugdozer stand. Jane Hooker war bereit, auf jede Schwankung und Abweichung sofort zu reagieren und gegenzusteuern. Eine Rückkehr in den Hangar wird in dieser Form auf keinen Fall möglich sein, überlegte Rea Banks. Dafür war die Linse mit dem angehängten Dozer zu schwer zu manövrieren, sobald sie sich im Schwerefeld des Kugelraumers befand. Sie würde beim Einflug sofort durchsacken; Schäden waren unvermeidbar. Aber das waren Dinge, an die sie jetzt keinen Gedanken verschwenden mußte. Es gab einen leichten Ruck nach >oben<, als die Linse mit ihrem Anhängsel das künstliche Schwerefeld der FO-12 verließ. Das andere Boot war bereits vorher hinausgeblasen worden. Die Funk-Z des Kugelraumers schaltete sich auf den Bordfunk der beiden Linsen und des Dozers. »Warnung. Eine Flecken-Eruption steht in etwa siebenundzwanzig Minuten bevor. Da die Strahlung den Hyperspace benutzt, wird sie im Moment des Entstehens überall im System wirksam.« »Verstanden.« Damit war zu rechnen gewesen. Innerhalb dieser 27 Minuten mußten sie auf dem Planeten gelandet sein und einen Schutzschirm aufgebaut haben, der die 5-D-Strahlung der Sonne von ihnen fernhielt. Für eine Besiedlung, überlegte Rea Banks, dürfte Bittan absolut ungeeignet sein, und falls die Hookers verwertbare Bodenschätze finden, müssen die schon einen ganz besonderen Wert haben, um das Risiko einzugehen, sie unter den in relativ kurzen Abständen stattfindenden Strahlenstürmen abzubauen. Man kann sich schließlich nicht wochen- und monatelang unter einem Energieschirm verstecken; man muß auch mal ‘raus aus dem Gefängnis… Auf Hope hatten die Siedler von Cattan oft genug tagelang unter dem Schutz des amphischen Schutzschirms leben müssen, wenn die Magnetstürme durch diesen Spiralarm der Galaxis getobt waren. Es hatte erhebliche Probleme gegeben, die weder die Psychologen noch der Siedlerschutz richtig unter Kontrolle bekommen hatten. Rea war selbst nicht auf Hope gewesen, aber sie hatte genug davon gehört, um sich ein Bild machen zu können. Viele Menschen drehten unter solchen Bedingungen einfach durch, fühlten sich eingesperrt. Sie steuerte die Atmosphäre in spitzem Winkel an. Noch waren sie im 16
luftarmen Raum, noch machte sich der Flugdozer nicht störend bemerkbar. Doch das würde sich schnell ändern. Die zweite Linse jagte wesentlich steiler hinab. Der Pilot brauchte auf nichts und niemanden Rücksicht zu nehmen. Das schwache Energiefeld, das die Linsen aufbauen konnten und das gerade mal zur Meteoritenabwehr und als Hitzeschild diente, glomm auf, als das Beiboot in die oberen Luftschichten eintauchte und rasch tiefer sank. Selbst längst nicht mehr sichtbar, zeigte es sich plötzlich wieder als schwacher Lichtpunkt, der bald verschwand. Über den permanent laufenden BzB-Funk konnte Rea mithören, was an Bord der anderen Linse gesprochen wurde. Sie wartete darauf, daß der Funkkontakt vorübergehend abriß. In einer bestimmten Höhe ging beim optimalen Eintauchwinkel funktechnisch nichts mehr – das war auf allen Planeten, die über eine Lufthülle beliebiger Art verfügten, ein gleichbleibendes Phänomen. Es lag an der durch die Reibungshitze erzeugten elektrostatischen Aufladung. Ein paar Minuten später war es soweit. Kein Funkkontakt mehr mit Boot 2. Sie beugte sich zu den Sprechrillen der BzB-Verständigung vor; die Mikrofontechnik schienen die Giants nie über das mechanische Stadium hinaus weiterentwickelt zu haben. »Hooker, alles klar? Gleich wird es ziemlich unrund. Kritische Eintauchphase in etwa achtzig Sekunden.« »Verstanden, Eins-O«, kam es trocken von Art Hooker. »Bei uns alles klar.« Rea beobachtete ihre Instrumente. Den Sichtkuppeln schenkte sie kaum einen Blick. Was die Ortungen ihr mitzuteilen hatten, war frei von optischen Täuschungen. Dann tauchte der Kleinraumer in die obersten Luftschichten ein. Hauchdünne Schwaden berührten den schwachen Energieschirm der Linse, wurden ionisiert. »Festhalten und Zähne zusammenbeißen, Hooker!« funkte die Pilotin. Jetzt wurden auch die Wissenschaftler an Bord endlich still. Sie sahen hinter und über sich durch die Sichtkuppeln den Flugdozer. Ein erster Ruck ging durch die Linse. Metall knirschte und kreischte, wo die Greifer des Dozers sich an der Linse festkrallten. Der Energieschirm, der vor der Reibungshitze schützen sollte, hüllte den Flugdozer nur teilweise mit ein. Mehr als die Hälfte der Maschine ragte über das Kraftfeld hinaus, wurde von ihm nicht mehr eingeschlossen. Das war der Schwachpunkt sowohl für die Aerodynamik als auch für die thermische Entwicklung. Der Verbund begann zu zittern. Die Erschütterungen wurden stärker. Am liebsten hätte Rea die Fluggeschwindigkeit drastisch gedrosselt. Aber das konnte sie nicht tun; Linse und Dozer wären wie ein Stein in die Tiefe gestürzt, und der dadurch noch schneller ansteigende Luftwiderstand hätte sie erst recht beschädigt oder gar zerstört. Schneller zu werden, brachte auch nichts. Rea mußte eine ganz bestimmte Geschwindigkeit fliegen, um mit ihrem >Gepäck< heil durchzukommen. Immer wieder sah sie sich nach dem Dozer um. Die Greifer hielten ihn tatsächlich fest, als seien sie verschraubt oder verklebt. Aber die Farben veränderten sich; der Feuerschein der aufglühenden und lodernden Luftmassen hüllte den Dozer in ein unwirkliches Licht. Die Vibrationen wurden immer stärker. »Es zerreißt uns«, preßte einer der Wissenschaftler zwischen klappernden Zähnen hervor. »Verdammt, Banks, gehen Sie wieder hoch, es hat keinen Sinn! Diese verdammte Maschine bricht auseinander…« »Ruhe an Bord«, verlangte Rea. »Wir sind nicht in Gefahr!« Ganz sicher war sie allerdings nicht. Sie spielte mit den Steuerschaltern und Tasten. Jede Korrektur gab sie vorher an die Hookers durch, damit Jane sich darauf einstellen konn17
te. Inzwischen war außerhalb der Linse nur noch gleißender Feuerschein zu sehen. »Unsere Geräte!« schrie einer der Experten. »Die Vibrationen zerstören die…« Rea winkte ab. »Gleich ist es vorbei!« »Gleich? Wir sind noch…« der Exobiologe trat hinter sie und sah auf die Instrumente, »zehntausend Meter hoch, sehe ich das richtig? Das schaffen wir niemals…« »Setzen Sie sich wieder, oder ich paralysiere Sie!« warnte Rea ihn und grinste innerlich, als der Mann erschrocken zurückwich. »Das wird ein Nachspiel haben«, fauchte er. »So können Sie mit mir nicht umspringen!« »Wieso? Klappt doch ganz gut«, murmelte sie fast unhörbar. »Was sagten Sie?« »Daß ich bei der nächsten Wahl für das Amt des Commanders der Planeten kandidiere«, erwiderte sie vergnügt. »Ich hoffe auf Ihre Stimme. Festhalten jetzt – Hooker, Höhe neun-fünf! Abkoppeln bei neun, schafft Ihr Ding das?« »Bei acht-fünf!« gab Jane zurück. »Das hatten wir doch schon geklärt!« Etwas knallte ohrenbetäubend. »Was war das?« »Wir explodieren! Wir stürzen ab!« Großer Saturnring, dachte Rea. Wenn die jetzt in Panik ausbrechen, muß ich sie vielleicht wirklich schocken, und wer lädt dann nach der Landung den ganzen Krempel aus? »Banks?« meldete sich Art Hooker. »Was ist passiert?« »Einer der Greifer hat sich gelöst. Bei dem Orkan draußen bekomme ich ihn nicht wieder fest. Wie hoch sind wir noch? Hier oben und in diesem atmosphärischen Chaos funktioniert unser Höhenmesser noch nicht.« »Neun-zwo, Hooker!« »Ich wußte, daß es schiefgeht!« keuchte der Exobiologe. »Warum sind Sie dann überhaupt mitgeflogen?« erkundigte sich eine Kollegin gelassen. Banks sah, daß der Dozer sich in seiner Position verschoben hatte. »Ich versuche gegenzusteuern«, vernahm sie Jane Hookers Stimme aus dem Funkgerät. »Aber die Luft ist hier noch zu dünn für die Triebwerke…« Wieder knallte etwas metallisch. War jetzt auch der zweite Greifer abgerissen? Aber der Dozer hing noch an der Linse. »Ich hab’ ihn wieder festgeklammert«, meldete Art Hooker trocken. »Verdammt, nun halten Sie die Linse doch endlich mal stabil!« »Sie können ja ‘rüberkommen und meine Arbeit machen«, erwiderte Rea lakonisch. Sie war längst nicht so gelassen, wie sie sich gab. Die Linse mit ihrer Zusatzlast stabil zu halten, war Schwerstarbeit. Sie beschloß, sich nicht noch einmal auf einen solchen Flug einzulassen. Falls die Hookers ihren Flugdozer jemals wieder auf irgendeinen fremden Planeten bringen wollten, auf dem die FO-12 noch nicht direkt landete, dann sollten sie ihn eben zerlegen und unten wieder zusammensetzen, so wie sie es auf dem Flug nach Hope getan hatten! »Acht-neun, Hooker!« gab sie nach einem Blick auf ihre Instrumente durch. Mit einem jähen Ruck wurde die Linse herumgewirbelt. Rea verlor die Kontrolle. Die künstliche Schwerkraft setzte aus. Etwas krachte und dröhnte ohrenbetäubend. Plötzlich tauchte ein Greifer des Flugdozers übergroß vor einer der Sichtkuppeln auf. Nein! durchfuhr es Rea entsetzt. Nein, nicht das… Der Greifer knallte gegen das Material. 18
Ein haarfeiner Riß entstand. Dann war der Dozer plötzlich verschwunden. »Hooker!« schrie die Pilotin ins Funkgerät. »Meldet euch! Was ist passiert?« Keine Antwort. Aber die Instrumente zeigten den Flugdozer! Er war doch abgerissen und trudelte jetzt haltlos in die Tiefe. Und das mit einer wahnwitzigen Geschwindigkeit, die ihm die Linse mitgegeben hatte! Entsetzt starrte Rea auf den kleinen Bildschirm, der ihr die Katastrophe anzeigte! Nicht als plastisches Bild, sondern als blinkenden Lichtpunkt mit Kurs- und Distanzeinblendungen in giantischen Schriftsymbolen! Und die beschädigte Sichtkuppel begann zu knistern und zu knakken! Wie still es plötzlich in der Linse geworden war! Niemand schrie! Niemand stöhnte! Und niemand trug einen Raumanzug! Rea fing die Drehbewegung der Linse wieder ab und kippte sie dann in einen steileren Winkel. Jetzt, ohne den Flugdozer, konnte sie es riskieren. Sie mußten so schnell wie möglich nach unten! Rea war heilfroh, daß die Katastrophe nicht früher eingetreten war. Die gesprungene Sichtkuppel wäre unter dem Innendruck geborsten. Auf das Anlegen der Raumanzüge hatte man verzichtet. Sie waren zu klobig und zu unbequem in der ohnehin drangvollen Enge an Bord der Linse. Terranische Fertigung aus der Zeit vor der Invasion: die praktischen, filmdünnen und nahezu unzerstörbaren Raumanzüge der Mysterious, die ihren Trägern optimale Bewegungsfreiheit gewährten, gab es nur in recht beschränkter Zahl. Sie waren den Besatzungen der Kampfschiffe vorbehalten. Das machen wir nicht noch einmal, dachte Rea. Beim nächsten Mal fliegen wir nicht in solcher Enge, sondern nehmen alle Linsen! Dann verteilt sich alles besser… oder wir fliegen mehrmals hin und her! Verdammt, warum ist Freemount so mißtrauisch, nicht mit der FO-12 zu landen? Die Ortung zeigte ihr den Flugdozer nicht mehr an. Der Funk war auch tot. Und Rea Banks jagte die Linse dem Boden entgegen! Rea Banks landete die Linse in der Nähe eines großen Flusses. Das Räumboot federte auf seinen Landebeinen kurz durch und kam dann zur Ruhe. Unter dem flachen Flugobjekt war der Boden schwarz verbrannt. Das andere Beiboot stand ein paar Dutzend Meter entfernt. Vom Flugdozer war nichts zu sehen, nicht einmal Trümmer. Natürlich nicht; bei der Höhe, aus der er abgestürzt war, ließ sich nicht einmal annähernd abschätzen, wo die Überreste eingeschlagen waren. Vielleicht Hunderte von Kilometern entfernt, vielleicht über Dutzende von Kilometern verstreut. Rea sah auf ihr Chrono. Noch etwa vier oder fünf Minuten bis zum nächsten Strahlungsausbruch der Sonne, die weißgelb vom Himmel strahlte. Wohlweislich waren sie auf der Tagseite des Planeten gelandet. Das breite Flußtal war von allerlei seltsam wirkenden Pflanzen bewachsen. Gräser, Sträucher, niedrige Bäume, die nach Osten hin größer wurden und sich zu einem wahren Dschungel entwickelten, der einen leichten Berghang empor wucherte. Weiter entfernt ragte ein Gebirge in den Himmel. Aus den Messungen, die die FO-12 vom Orbit aus vorgenommen hatte, wußte Rea, daß die höchsten Erhebungen dieses Planeten nicht über 3800 Meter aufragten. Bittan war eine relativ flache, möglicher19
weise schon sehr alte Welt. Gegen das hohe Alter sprach allerdings, daß es hier keine sonderlich hoch entwickelten Lebensformen zu geben schien. Zumindest hatten sie vom Orbit aus keinerlei Merkmale entdeckt, die auf intelligentes Leben hinwiesen. Keine Bauwerke, keine Straßen… Die Atmosphäre war für Menschen atembar. Ein recht hoher Sauerstoffgehalt von 25% konnte beinahe schon wieder gefährlich werden; die Edelgase waren harmloser Natur und nur in geringem Maße vorhanden. Die Schwerkraft lag bei 0,8 g. Das wirkte zwar dem hohen Sauerstoffgehalt entgegen, weil es weniger körperliche Anstrengung bedeutete und damit weniger tiefes Einatmen, konnte aber nach Reas Ansicht leicht zu übersteigerter Euphorie führen. Selbst ohne die extreme Hyperstrahlung der Sonne wäre Bittan für die Besiedelung durch Menschen nicht geeignet. Die Rotationsdauer betrug knapp über 27 Stunden. Durch die relativ geringe Achsneigung des Planeten konnten die Jahreszeiten nicht besonders ausgeprägt sein. Ein Bittan-Jahr ließ sich mit 359 Tagen berechnen und war damit beinahe erdgleich. Monate zu unterscheiden, war schwierig, weil Bittan über keinen Mond verfügte. Entsprechend fehlten die Gezeiten; die Meere waren sehr ruhig. Die Durchschnittstemperatur lag mit 19“ C recht hoch. Das förderte chemische Reaktionen und Wachstum. Eigentlich hätte Bittan eine dampfende Dschungelwelt sein müssen, aber die Meere waren kleiner als auf der Erde; entsprechend weniger Wasser verdunstete, entsprechend weniger Niederschlag gab es. Tiere konnte Rea nicht entdecken. Es gab sie sicher, aber die Landemanöver der beiden Linsen hatten sie garantiert nachhaltig aufgeschreckt und verscheucht. Es war alles andere als ruhig und leise zugegangen. »Wir warten den Strahlenschauer ab«, entschied sie. »Wer meint, die Linse unbedingt vorher verlassen zu müssen, tut das im Raumanzug! Aber, meine Damen und Herren, denken Sie daran, daß Ihre Anzüge keine Energieschirme besitzen. Die Hyperstrahlung könnte sie durchdringen. Welche Wirkung das auf den menschlichen Organismus hat, weiß niemand.« »Halten Sie uns für kleine Kinder?« knurrte der Exobiologe, der vorhin keine besonders gute Figur abgegeben hatte. Rea antwortete nicht. Sie dachte an die Hookers und ihren Flugdozer. Sie hätte diesen Verbundflug nicht zulassen dürfen. Aber Jane hatte mit Engelszungen geredet. Und Rea hatte schließlich auch geglaubt, es würde funktionieren. Jetzt aber… »Banks an FO-12. Die Linsen sind gelandet. Frage an Ortung: Gibt es Hinweise, daß der Flugdozer den Absturz überstanden haben könnte?« »So präzise arbeiten unsere Scanner nicht«, kam es zurück. »Wir können nichts feststellen. Weder positiv noch negativ.« »Danke«, bestätigte Rea unfroh. Freemount schaltete sich in die Funkverbindung. »Wie haben Sie den Flugdozer verloren, Banks?« »Ich werde einen Bericht schreiben, Captain«, erwiderte sie bitter. »Er ist einfach abgerissen. Die Greifer konnten nicht fest genug zupacken. Hören Sie, ich muß selbst erst mal damit fertig werden. Zwei Menschenleben… Lassen Sie mich eine Weile in Ruhe, ja?« »Natürlich, Banks. Aber Sie dürfen jetzt nicht…« Knistern und Rauschen überlagerte die Verbindung. Der Strahlungsausbruch! Rea sah durch die gesprungene Sichtkuppel nach oben. Der Himmel war klar. Das Sonnenlicht unverändert grell. Der Sonne war nicht anzusehen, was sich gerade auf ihrer Oberfläche abspielte. Nicht einmal der Energieschirm um das Raumboot knisterte oder zeigte Lichtreaktionen. Es war, als sei draußen alles völlig normal. 20
Prachtvolles Sommerwetter strahlte rings um die beiden Linsen! Langsam erhob Rea Banks sich aus ihrem Sitz. Ihre Fingerspitzen strichen über den Riß in der Sichtkuppel. Das ließ sich verkleben. Der Rückflug war nicht gefährdet. Vorsichtshalber, beschloß sie, hatte dann aber jeder seinen Raumanzug zu tragen und sich an seinem Sitz oder sonstwo festzuschnallen, um nicht hinausgewirbelt zu werden, wenn die Kuppel doch platzen und es zu einer Dekompression kommen sollte. Die Minuten vergingen. Dann funktionierte der Funk wieder. Die FO-12 gab Entwarnung. Der Strahlensturm klang ab. Wenn die Astronomen recht behielten, würde der nächste 5-D-Ausbruch noch geraume Zeit auf sich warten lassen. Zeit genug, ein Basislager zu errichten. Rea straffte sich. Sie versuchte die Bilder zu verdrängen; Bilder eines davonwirbelnden Flugdozers, der im Glutstrom verdrängter und erhitzter Luftmassen zerschmolz oder an dichteren Atmosphäreschichten zerschellte. »Ich denke, wir können jetzt aussteigen«, sagte sie. »Es gibt eine Menge zu tun.« Immer wieder sah sie die Gesichter der Hookers vor sich. Auch die Arbeit, in die sie sich stürzte, konnte daran nichts ändern. John Freemount hatte die Ellenbogen auf die Sessellehnen gestützt und legte die Fingerspitzen beider Hände gegeneinander. »Ich glaube es einfach nicht«, murmelte er. »Es ist nicht Banks’ Schuld«, sagte Calgor, der 3. Offizier, leise. »Sie ist eine sehr gute Pilotin. Sie lenkt Ihnen die FO-12 durch einen Spalt, der gerade mal 2 Meter breiter ist als das Schiff, und mit den Linsen wird sie spielend fertig. Ich denke, es hätte funktionieren können.« »Das haben die Hookers scheinbar auch gedacht«, murmelte der Captain. »Aber offenbar haben sie sich verkalkuliert. Vielleicht hätte der Dozer anders befestigt werden müssen. Vielleicht hätte man ihn verschrauben oder verschweißen müssen.« »Vielleicht, vielleicht… aber es ist nun mal passiert. Wir müssen uns damit abfinden.« »Ich lehne es ab, mich damit abfinden zu müssen«, sagte Freemount. »Wir haben zwei Menschen verloren. Ich kann nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Ich verstehe Banks, daß sie noch nicht darüber reden kann. Verdammt, so ein Unfall darf einfach nicht passieren. Wie viele Planeten haben wir bisher untersucht, Calgor? Vierzig, fünfzig? Es müssen mehr sein. Und wir hatten bisher keinen einzigen Ausfall. Nur einmal hat sich ein Botaniker das Bein gebrochen. Und jetzt das hier… Ich hätte mit dem Schiff landen sollen. Oder einfach das Ausschleusen des Flugdozers verbieten.« »Hinterher ist man immer schlauer, Sir. Sie mußten doch ebenso wie Banks davon ausgehen, daß die Hookers ihre Maschine kannten und das Risiko einzuschätzen wußten. Daß der Anpreßdruck der Greifer nicht ausreichte…« »Ich hatte bisher immer den Ehrgeiz, möglichst niemanden zu verlieren«, knurrte Freemount. »Und jetzt gleich zwei Menschenleben auf einmal! Das ist zuviel! Dazu wertvolles Gerät!« »Es hätte ihnen ebenso auf dem Planeten etwas zustoßen können. Jede Landungstruppe ist verwundbar, wenn sie eine fremde Welt betritt. Gerade deshalb warten wir doch stets mit der Landung des Raumers, bis ein Außenteam erste konkrete Daten gewonnen hat, die wir vom Orbit aus nicht erhalten können.« Freemount schüttelte den Kopf. »Es hätte nicht sein müssen«, sagte er. »Es ist meine Schuld. Ich hätte es einfach nicht genehmigen dürfen. Und mit meiner Genehmigung habe ich nun auch noch Banks in diese fatale Lage gebracht. Ich möchte nicht in ihrer Haut stecken.« »Captain«, sagte der 3. Offizier leise. »Es ist schlimm, zwei Menschen zu verlieren. Aber wenn Sie eines der Kampfschiffe der TF 21
kommandieren würden, müßten Sie bei jedem Einsatz mit noch größeren Verlusten rechnen. Denken Sie an die Schiffe, die bei der Schlacht um Hope zerstört wurden. In einem letztendlich völlig erfolglosen Kampf. Denken Sie an Cattan und die Menschen, die mit der Stadt untergegangen sind. Denken Sie an die Raumer, die versucht haben, die Giants abzuwehren, und zerstrahlt wurden, oder die abstürzten, weil ihre Besatzungen bereits zu willenlosen Idioten geworden waren…« »Das alles läßt sich nicht vergleichen«, sagte Freemount. »Lassen Sie noch eine Linse starten. Sie soll nach Überresten des Flugdozers suchen.« »Wenn es welche gibt«, murmelte Calgor. »Wenn sie nicht restlos in der Atmosphäre verglüht sind…« Freemount winkte ab. Der Tod der Hookers ging ihm nahe. Er ahnte nicht, daß das erst der Anfang war. Die breiten Raupenketten mahlten durch den weichen Boden, rissen die Grasnarbe auf und hinterließen tiefe Spuren im Erdreich der fremden Welt. Art Hooker betätigte einen Schalter. Die Rotorblätter schwenkten herum, falteten sich zusammen und verschwanden in einer Aussparung der Oberfläche der großen Maschine, als der Rotorkopf eingezogen wurde. Die Abdeckplatten schlössen sich über dem Mechanismus. Unterdessen lenkte Jane die Maschine noch ein Stück weiter bis nahe an den Fluß. Dessen Ufer sah nicht danach aus, als gäbe es hier zeitweilig Überschwemmungen. Schließlich stoppte sie und schaltete die Motoren ab, die die Kettenlaufwerke antrieben. Das Brummen der Maschinen verstummte. Nur ein leises Summen blieb; die Grundversorgung des Flugdozers. Jane hob die Brauen, lehnte sich zurück und blies die Luft durch gespitzte Lippen. »Haarig«, murmelte sie. »So etwas möchte ich nicht noch einmal erleben. Was haben wir falsch gemacht? Der Dozer hätte nicht abrutschen dürfen.« Ihr Mann zuckte mit den Schultern. »Vielleicht ein Berechnungsfehler des Suprasensors. Vielleicht war der Luftwiderstand oder die Geschwindigkeit um eine Kleinigkeit zu hoch. Wie auch immer -wir sollten den anderen erst mal mitteilen, daß es uns noch gibt.« Er schaltete das Bordvipho ein. »Flugdozer an Boot eins und zwei.« Es kam keine Antwort. »Die wird es doch nicht etwa erwischt haben? Vielleicht hat es Schäden an der Linse gegeben, als wir abrutschten?« »Dann müßte sich Boot zwei melden. Die sind doch heil ‘runtergekommen.« Art Hooker schaltete die Sendefrequenzen durch. »Flugdozer an FO-12! Bitte kommen.« Nur das Rauschen der Statik antwortete ihm. Der kleine Bildschirm des Viphos zeigte nach wie vor nur grauweiße, verzerrte Muster. Seufzend nahm Hooker das große Funkgerät in Betrieb und rief den Forschungsraumer. Auch hier kam keine Antwort. »Das liegt an uns!« behauptete Art. »Ich schaue mich mal draußen um.« Jane sah auf das Bordchrono. »Die 5-D-Strahlung der Sonne…« »Klingt wahrscheinlich ab«, meinte der Prospektor. »Diese Ausbrüche dauern nie lange. Wenn die Zeit stimmt, müßten die Eruption und die Strahlenemission inzwischen vorüber sein. Immerhin haben wir ja eine Weile gebraucht, bis wir landen konnten.« Es war ein Höllenflug gewesen. Jane hatte es geschafft, geistesgegenwärtig die Rotoren auszufahren und den Dozer damit aus dem Glutstrom der erhitzten Luftmassen zu lenken. Zugleich hatte sie die Staustrahltriebwerke aktiviert. Beides half in dieser Höhe zwar kaum, aber es hatte gereicht, den Dozer abdriften zu lassen, der anfangs mit der höllischen Eintauch22
geschwindigkeit, die die Linse ihm mitgegeben hatte, wie ein Stein dem Boden entgegengerast war. Es war fast ein Wunder, daß die Rotoren sich in dem Glutstrom nicht verformt hatten. Aber das Material hatte sich wohl nicht so schnell erwärmen können. Und die Luft war dort oben noch nicht so dicht gewesen, daß ihr Widerstand die Rotorblätter hätte abreißen können. Jane begriff noch nicht so ganz, wie sie es geschafft hatte, die Blätter so schräg zu stellen, daß sie die Luft teilten, ohne zuviel Widerstand zu erzeugen. Immerhin hatte dieser geringe Widerstand dafür gesorgt, daß die Greifer sich nicht mehr an der Linse hatten halten können! Art Hooker öffnete ein Fach und nahm einen Plastikgürtel mit zwei Strahlwaffen heraus. Auf unbekannten Welten war es sicherer, sich verteidigen zu können. Fauna und Flora konnten mitunter tük-kisch sein. Blaster links, Paraschocker rechts. Art trat in die kleine Druckschleuse und wartete, bis die Außenluke sich öffnete, dann beugte er sich vor, sah sich nach allen Seiten um und kletterte dann über die Raupenketten nach unten. Das also war der Planet Bittan. Die Luft roch seltsam. Es gab einen eigenartig süßlichen Duft, der den Prospektor unwillkürlich an Karamel erinnerte. Er schmunzelte. Noch ein Grund mehr, diesen Planeten als nicht besiedelbar zu erklären; wer mochte schon bei jedem Atemzug an Süßigkeiten erinnert werden? Aber natürlich könnte man sich daran gewöhnen. Er kauerte sich nieder, rupfte ein paar Halme aus, die eine entfernte Ähnlichkeit mit Gras hatten. Immerhin waren sie grün; das HopeGras zeigte unter dem Licht der beiden Col-Sonnen einen starken Blauton. Hooker schnupperte an dem Gras. Von den Halmen ging der Karamel-Geruch aus. »Das wär’ was für die terranische Süßigkeitenindustrie. Ein natürlicher Stoff, der nur abgeerntet werden muß, und die Kids können nicht nur auf den Grashalmen blasen, sondern auch drauf kauen… na ja, uns bringt das nichts. Seltene Mineralien und Erze müssen für die dringend benötigten Geldlawinen sorgen…« Ringsum war alles ruhig. Ein paar Insekten surrten in der Nähe durch die Luft. Vögel oder durchs Gras raschelnde Reptilien oder Nager schien es hier nicht zu geben. Vielleicht waren die auch nur in Schreckstarre verfallen oder vor dem Flugdozer, diesem gewaltigen Ungetüm aus Stahl und Plastik, geflüchtet. Einige hundert Meter entfernt standen seltsam geformte Pflanzen. Auf den ersten Blick erinnerten sie Art Hooker an aufrechtgehende Reptilien. Aber dann sah er die Wurzeln, die sich in den Boden gruben. Die Echsenschädel waren skurril geformte Blütenkelche, die Arme Äste. Dennoch war es schon mehr als seltsam, daß diese Pflanzen, ein halbes Dutzend dicht beieinander, auf jeweils zwei Stämmen standen, deren Wurzeln im Boden verschwanden. Und die Blätter wirkten aus der Ferne wie Hautschuppen… Er schüttelte den Kopf. »Verrückt«, murmelte er. »Das wird ein gefundenes Fressen für die Botaniker. Na, mal sehen…« Er drehte sich um, betrachtete den Flugdozer. Die Außenhülle war geschwärzt. Hier und da zogen sich geflammte, graue Streifen über die Metallplastikhülle. Die Hitze hatte dem Material doch gewaltig zugesetzt. Die äußere Schicht mußte tatsächlich hier und da angeschmolzen sein. Die hochwertige, erstklassige Isolierung des Dozers hatte verhindert, daß die ungeheure Hitze ins Innere der Maschine vordrang. Als Hooker um das Universalfahrzeug herumging, sah er auch, warum keine Funkverbindung möglich war. Die Antennen waren weggebrannt. Und ohne Antennen ging eben nichts. 23
Hooker seufzte. Er kehrte zur Druckschleuse zurück und wollte eben einsteigen, als er stutzte und wieder zur Gruppe der seltsamen Pflanzen hinüber sah. Er hatte das vage Gefühl, sie seien nähergekommen. Aber das konnte logischerweise nicht sein. Verwurzelte Pflanzen bewegten sich normalerweise nicht von der Stelle. Er kletterte in den Flugdozer zurück. Jane schwang mit dem Kontursitz herum. »Hast du es auch gesehen, Art?« fragte sie. »Was gesehen?« Sie deutete auf die Sichtscheibe. »Die Pflanzen dort«. Sie wies auf genau die Pflanzen, die auch ihm aufgefallen waren. »Sie haben sich bewegt«, sagte Jane. »Sie sind näher herangekommen.« Der Pilot der zweiten Linse, der Biologe Shen Sakuro und Andre Bittan waren die einzigen, die mit anpackten, um die Gegenstände des täglichen Gebrauchs auszuladen. Die anderen Wissenschaftler interessierten sich nur für ihre eigenen, mitgebrachten Geräte und checkten sie erst einmal komplett durch, um herauszufinden, ob sie durch den abenteuerlichen Landeanflug eventuell Schaden genommen hatten. Die Zelte aufzubauen, überließen sie gern den anderen. Andre Bittan, der Chefastronom der FO-12, hatte es sich nicht nehmen lassen, den Planeten, dem er seinen Namen gegeben hatte, selbst zu betreten. Und da er hier eigentlich nichts zu tun hatte, packte er einfach mit zu, wo es notwendig schien. »Wofür brauchen wir die Zelte eigentlich?« fragte er, während er mit dem Piloten Yussuf Abuzir Stangen aufstellte und Planen ausbreitete. »Wird das hier ein festes Lager?« »Vielleicht«, erwiderte Sakuro. »Kommt darauf an, wie lange wir brauchen, um erschöpfende Erkenntnisse über Ihr Planetchen zu gewinnen.« »Planetchen?« Bittan ruckte herum. »Das ist ein ausgewachsener Planet, Sakuro-san!« »Auf jeden Fall ein verrückter Planet«, fuhr der Japaner fort. »Dieses fünfdimensionale Strahlengemisch müßte eigentlich alles Leben auf dieser Welt abtöten beziehungsweise schon seine Entstehung verhindert haben. Die Alternative besteht in einer kaum überschaubaren Vielfalt von Mutationen. Das sind die beiden konträren Ansätze, mit denen meine Kollegen und ich zu kämpfen haben. Augenscheinlich«, er wies mit ausgestrecktem Arm auf die Landschaft ringsum, »präferiert die hiesige Natur die zweite Variante. Denn es gibt hier nachweislich biologisches Leben. Wir haben jetzt herauszufinden, warum das so ist.« »Weshalb eigentlich?« fragte Abuzir. »Kann man es nicht einfach so hinnehmen, wie es ist? Schließlich existiert dieses Leben auch, ohne daß wir im Detail wissen, warum das so ist.« »Es ist doch interessant, zu erfahren, aus welchem Grund in einem System, das ständig von letalen Strahlenschauern durchflutet wird, wider alle Logik Leben existieren kann! Wir wollen herausfinden, auf welche Weise die 5-D-Strahlung dieses Leben beeinflußt. Gerade diese absolut verrückte, in ihrer Zusammensetzung widersprüchliche und eigentlich unmögliche Strahlenmischung gibt den Physikern Rätsel auf, und uns Biologen erst recht. Eigentlich kann hier gar nichts wachsen.« »Na ja, dann werden wir wohl ein paar Jahrhunderte hierbleiben«, seufzte Abuzir. »Wir sollten anfangen, feste Häuser zu bauen statt der Zelte.« »Vorerst reichen die Zelte«, sagte Shakuro. »Wenn wir die Schutzschirmprojektoren installieren, werden wir aber etwas massiver bauen müssen«, meinte Bittan. »Warum tun wir es dann nicht sofort? Ich meine, es wäre doch kein Problem, mit weiteren Transportflügen das entsprechende Material herunterzuschaffen 24
und…« »Welche Schutzschirmprojektoren?« grinste Abuzir ihn an. »Wie bitte?« entfuhr es dem Astronomen. »Wir sind hier ohne…?« Rea Banks sah von ihrer Arbeit auf. »Da stehen die Linsen. Wenn die FO-12 Strahlenalarm gibt, ziehen wir uns eben in die Boote zurück und warten dort ab. Für Schirmfeldprojektoren war nicht genug Platz. Die drei Mini-Aggregate, die wir mitgebracht haben, reichen nicht, das Basislager zu schützen.« »Wofür haben wir sie dann überhaupt mitgeschleppt?« »Für kleine Schutzzonen«, sagte Sakuro. »Nicht für das ganze Camp. Vielleicht finden wir etwas, das wir absichern müssen.« »Oder wir brauchen die Kleinstkonverter der autarken Projektoren«, ergänzte Abuzir. »Kommt mal einer mit und faßt an? Wir haben in meiner Linse noch das tragbare Hyperfunkgerät.« Bittan schloß sich ihm an. »Das klingt ja gerade so, als würde das hier doch eine feste Einrichtung. Hyperfunk? Soll das heißen, daß die FO-12 weiterfliegt, während wir hier…?« »Reine Vorsichtsmaßnahme«, sagte Abuzir. »Warum sollte die FO-12 weiterfliegen? Mann, Monsieur, wir haben alle Zeit des Universums. Ob wir in einem Kalenderjahr zwei Sonnensysteme katalogisieren oder zweihunderttausend – wen interessiert es?« »Den terranischen Steuerzahler vielleicht, der hofft, irgendwann einen brauchbaren Gegenwert für die Investitionen zu sehen, die in die TF gebuttert werden. Womit ich sowohl die Forschungsflotte wie auch die Kampfraumer meine.« »Der terranische Steuerzahler wird vielleicht in den Kampfraumern eher einen Sinn erkennen als in Ihrer Berufsgruppe, Bittan«, schmunzelte der Pilot. »Riker, Bulton und Trawler hatten es jedenfalls ziemlich schwer, gerade in der jetzigen Zeit die Forschungsflotte aufzustellen, wo alles nach schwerbewaffneten Kampfschiffen schreit, um Katastrophen wie die von Hope künftig zu vermeiden. Was dort passierte, kann sich jederzeit auf Terra wiederholen. Es gibt zwar keine Giant- oder G’Loorn-Bedrohung mehr, aber wer weiß, wer oder was da draußen noch auf uns wartet. Und es gibt zahlreiche Stimmen, die behaupten, daß wir mit unseren Forschungsflügen vielleicht nur schlafende Löwen wecken und Wesen auf uns aufmerksam machen, die glauben, leichte Beute vor sich zu sehen…« Bittan tippte sich an die Stirn. »Es ist Nonsens, zu glauben, daß andere Völker nur darauf warten, über uns herfallen zu können! Ich halte Giants und G’Loorn für die Ausnahmen. Allein vom Aufwand an materiellen und finanziellen Ressourcen, der betrieben werden muß, sind Weltraumkriege in jedem Fall höchst unwirtschaftlich.« »Sie denken immer noch in den Kategorien, die vor der Invasion galten«, sagte Abuzir. »Mit unserer damaligen Technik hätten wir einen Krieg tatsächlich nur innerhalb des Sol-Systems führen können. Kampfschiffe mit dem Time-Effekt in andere Sonnensysteme springen zu lassen, wäre mehr als unwirtschaftlich gewesen. Aber die Giant-Raumer eröffnen uns völlig neue Perspektiven. Und wenn man sich die POINT OF anschaut, dieses Wunderkonstrukt der Mysterious… stellen Sie sich mal eine Flotte von zwanzig oder hundert dieser Superraumschiffe vor! Die POINT OF hat Gefechte gegen eine dutzendfache Übermacht gewonnen, und ihre Ressourcen sind immer noch nicht verbraucht. In jedem Schiff der einstigen solaren Flotte wäre der Energiehaushalt dabei längst zusammengebrochen. Nein, Monsieur Bittan. Sternenkriege sind machbar geworden. Etwas zu leicht machbar, wenn Sie mich fragen.« Sie hatten die Linse erreicht und luden das tragbare Hyperfunkgerät aus. Als sie zu Banks und Sakuro zurückkehrten, arbeiteten die nicht mehr an den Zelten, die vorwiegend die mitgebrachte Technik vor Wind und Wetter schützen sollten, damit nicht bei jedem kleinen Regen25
schauer – so es ihn hier gab – alles wieder in die Linsen zurückgebracht werden mußte. Banks und der Biologe sahen zu einer seltsamen Pflanzengruppe hinüber. Die Pflanzen waren etwa menschengroß, teilten sich in der Mitte in zwei Stämme, die mit dem Boden verwurzelt waren, und in zwei Äste. Ihr Blattwerk wirkte wie die Schuppenhaut eines Reptils, und auf dem vereinten Hauptstamm ragte eine große Blüte auf, die irgendwie an einen Echsenkopf erinnerte. »Was ist los?« fragte Abuzir. »Das sind keine Pflanzen«, behauptete Sakuro. »Zumindest nicht nur Pflanzen. Sie haben in der letzten halben Stunde fünfmal ihre Position verändert.« »Wie soll das gehen?« fragte Bittan. »Sie sind im Boden verwurzelt.« »Sie haben sich bewegt«, beharrte der Biologe. »Und jetzt schaue ich sie mir einmal näher an.« Langsam ging er auf die Gruppe der eigenartigen Pflanzen zu. Art Hooker sah seine Frau an, dann blickte er wieder nach draußen. »Es stimmt also«, murmelte er. »Ich dachte, ich hätte mich getäuscht. Aber wie bewegen sie sich? Sie haben keine Luftwurzeln. Die Wurzeln stecken tief im Boden!« Jane erhob sich aus dem Sitz. »Das sollten wir uns mal aus der Nähe ansehen«, schlug sie vor. Vom gestörten Funk sprach keiner mehr. Jane fragte nicht, und Art hatte völlig vergessen, sie über die Zerstörung der Antennen zu informieren. Beide hatten sich von dem Phänomen fesseln lassen, daß diese verwurzelten Pflanzen offensichtlich ihren Standort gewechselt hatten. Auch Jane schlang sich einen Waffengurt um die Hüften. Dann verließen sie den Flugdozer. Mit einem schnellen Griff verriegelte Art Hooker die Einstiegluke. Er rechnete zwar nicht wirklich damit, daß jemand versuchen könnte, sich des Dozers zu bemächtigen, während sie beide draußen waren, aber Vorsicht war besser als das Nachsehen zu haben. Jene Nacht auf Hope, als Jane und er unversehens in die Auseinandersetzung zwischen Nogk und Synties geraten waren, hatten sie beide nie vergessen. Jenen Moment, in dem ein Nogk versucht hatte, in den Flugdozer einzudringen. Die Flucht mit der Maschine, der düstere Raumer, der ihnen folgte, dem sie nur zu entgehen vermochten, indem sie mit dem Dozer im Meer untertauchten; in einem Medium, mit dem die Nogk nichts anzufangen wußten, weil Wasser für sie ein feindliches Element war… Damals hatte noch niemand geahnt, wie jene auf den ersten Blick unheimlich erscheinenden Wesen einzuschätzen waren, die mittlerweile zu Bündnispartnern der Menschen geworden waren. Ein Terraner gehörte inzwischen sogar dem Rat des Nogk-Imperiums an. Colonel Frederic Huxley, der Kommandant der legendären FO-1, die noch vor der Invasion erbaut und in Dienst gestellt worden war… Hooker kannte Huxley; sie waren beide einst an der CallistoAkademie gewesen. So unendlich lange lag das zurück. Irgendwie schien alles, was vor der Invasion gewesen war, in eine ganz andere Welt zu gehören. Jane berührte den Arm ihres Mannes. »Sie haben ihren Standort schon wieder verändert«, flüsterte sie. »Ich bin sicher, daß sie wieder um ein paar Meter näher herangekommen sind, während wir ausstiegen.« Hookers rechte Hand schwebte über dem Griff des Schockers an seinem Gürtel. Sein Mißtrauen diesen Pflanzen gegenüber wuchs. Langsam schritt er den Gewächsen entgegen. Und plötzlich reagierten sie. Sie zogen ihre Wurzeln aus dem Boden! Eben noch scheinbar fest verwachsen, hoben sie sich plötzlich um bis zu einem halben Meter empor, um jetzt auf ihren Wurzeln zu stehen wie auf Tausenden von winzigen, dünnen Beinchen! Sie wandten sich um! 26
In einem aberwitzigen Tempo hasteten sie davon! Sprachlos starrten Art und Jane sich an. So etwas hatten sie bisher noch nie erlebt. Die seltsamen Pflanzen flohen vor den beiden Menschen! Und verschwanden zwischen den Bäumen des nahen Waldes… Langsam folgten ihnen die beiden Terraner bis dorthin, wo die Pflanzen eben noch im Boden verwurzelt gewesen waren. Dort gab es winzige Löcher, auf den ersten Blick im Gras gar nicht zu erkennen. Hier hatten die Wurzeln sich festgesetzt gehabt. Von hier aus gab es dann in Fluchtrichtung dieser Laufpflanzen nicht einmal Spuren im Gras. Sie hatten bei ihrer rasenden Flucht keine Halme geknickt oder umgebogen. Sie schienen einfach zwischen den dicht stehenden Gräsern hindurchgerannt zu sein! »Jetzt fehlt nur noch«, murmelte Jane, »daß sie ihre Artgenossen alarmieren und mit Verstärkung zurückkehren, um uns einzufangen und in ihre Kochtöpfe zu stecken…« »Du hältst sie doch nicht etwa für intelligent?« Art runzelte die Stirn. Sie zuckte mit den Schultern. »Wichtiger scheint mir die Frage, ob sie uns für intelligent halten…« Sakuro blieb stehen und ging in die Hocke. »Sehen Sie?« raunte er. »Was?« fragte Bittan unruhig. »Was sollen wir sehen?« Die Vorstellung, es mit Pflanzen zu tun zu haben, die ihren Standort willkürlich wechseln konnten, gefiel ihm überhaupt nicht. Er hoffte immer noch, daß der Biologe sich getäuscht hatte. »Schauen Sie dicht über den Boden«, sagte Sakuro. »In Höhe des Grases. Sehen Sie, wie die Wurzeln sich bewegen? Die stecken gar nicht so fest im Boden, wie man meinen sollte. Pflanzen auf Laufwurzeln, das findet man selten in der Galaxis.« »Tun Sie bloß nicht so, als wären Sie schon wer weiß wie weit herumgekommen«, raunte Abuzir ihm zu und grinste dabei. »Lassen Sie mir doch die kleine Angeberei«, gab Sakuro zurück. »Ich würde zu gern mal eine dieser Pflanzen untersuchen. Ich fürchte nur, die werden sich das nicht so einfach gefallen lassen.« »Was meinen Sie damit?« »Passen Sie auf.« Der Japaner grinste und sprang auf. Er wedelte wild mit den Armen, stieß einen lauten Ruf aus und rannte ein paar Meter auf die Pflanzen zu. Im nächsten Moment ergriffen sie die Flucht! Blitzschnell lösten sie ihre Wurzeln aus dem Boden und rannten davon! »Sehen Sie?« lächelte der Biologe. »Sie sind sehr schreckhaft. Ich glaube kaum, daß sie es uns einfach machen werden, ein oder zwei Exemplare zu ernten, damit wir sie unters Mikroskop legen können. Wissen Sie was, Monsieur Bittan? Mit diesem Planeten und Ihrer beharrlichen Behauptung, er befände sich nicht nur in der Biosphäre des Systems, sondern trage auch tatsächlich Leben, haben Sie sich einen Orden verdient. Was hier auf uns wartet, ist einmalig! Statt daß der Planet eine tote Wüste ist, gibt es hier Lebensformen, wie sie fantastischer nicht mehr sein könnten! Ich bin schon gespannt, worauf wir noch stoßen.« »Na«, brummte Andre Bittan, »also, mir reicht’s schon…«
3. 1238 Lichtjahre entfernt saß ein alter Mann in einem der Hochtäler des Himalaya auf Terra und meditierte im Schein der untergehenden Sonne. Ein schlanker, hochgewachsener Mann, dessen Nase und Ohren unharmonisch groß erschienen. Das lange, weiße Haar leuchtete wie ein Heiligenschein in der Abendsonne. Der Brahmane Echri Ezbal war schon um die Jahrtausendwende ein allgemein anerkannter Wissenschaftler gewesen. Er galt als einer der 27
bedeutendsten Genetiker, Virologen und Biochemiker. Aber seine Art zu forschen, war seinen Kollegen zu eigenwillig, und sie hatten ihn geächtet. In den zwanziger Jahren gab er den Kampf um seine Rechtfertigung auf und kehrte der Welt den Rücken. Er zog sich in die Einsamkeit zurück, um aus der Meditation neue Kräfte zu gewinnen. Wochenlang durchwanderte er das tibetische Hochland, bis er schließlich im Brana-Tal ein uraltes, verlassenes Kloster fand, das die Chinesen einst zu zerstören vergessen hatten. Und er wußte, daß dies seine neue Heimat werden würde. Dreißig Jahre später befand sich hier – größtenteils verborgen im Fels – das modernste medizinische Forschungszentrum Terras. Hier hatte Echri Ezbal geforscht, hatte das ganze, nicht unbeträchtliche Vermögen, das seine Vorfahren im Laufe der Jahrhunderte erwirtschaftet hatten, in seine Arbeit investiert, und irgendwie war selbst die Invasion der Giants beinahe spurlos an ihm vorbeigegangen. Aus der Einsamkeit gerissen worden war das Tal aber erst nach der Invasion, als jemand plötzlich begonnen hatte, sich für die CyborgForschung zu interessieren – Dr. Manu Tschobe, der sich plötzlich daran erinnert hatte, daß es einen Echri Ezbal gab, der sich ebenfalls mit diesem Forschungszweig befaßte. Das Cyborg-Projekt, in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts schon einmal in aller Munde, war schon vor Jahrzehnten eingestellt worden, und nur wenige Wissenschaftler arbeiteten noch daran. Tschobe hatte nach der Invasion alte Unterlagen wiederentdeckt, und mit denen war er zu Ezbal gekommen. Das Problem der rasend schnell alternden Robonen hatte dabei eine große Rolle gespielt, obwohl Tschobe von Anfang an geahnt hatte, daß auch das CyborgProjekt sie nicht vor dem zu frühen Tod würde bewahren können. Aber Tschobe und Ezbal traten zusammen eine Lawine los! Und Commander Ren Dhark war Träumer genug, das Projekt zu genehmigen! Unter größter Geheimhaltung flogen Lastenschweber wochenlang Spezialinstrumente und wertvolle Maschinenanlagen in das abgelegene Bergtal. Gebäude wurden errichtet, Freiflächen angelegt, für absolute, optimale Sicherheit gesorgt. Von einem Tag zum anderen überspannte ein gigantischer amphischer Energieschirm das gesamte Tal, das von da an nur noch über Transmitter zu erreichen war. Und diese Transmitterstraßen konnte nur benutzen, wer zuvor eingehend überprüft und als autorisiert eingestuft worden war! Ein medizinisches, biochemisches und gentechnisches Superzentrum entstand in diesem einst so stillen Tal, in dem von Ruhe und Beschaulichkeit nichts mehr übrigblieb. Fast nichts mehr – Ezbal schaffte es, sein privates Refugium zu einem Mittelpunkt der Ruhe zu machen und sich stille Winkel zu schaffen, in denen er abseits der Alltagshektik in der Meditation neue Kraft schöpfen konnte. Er, der 94jährige, der als kleiner Junge noch die erste Landung eines Menschen auf dem Erdmond miterlebt hatte, ohne sich viel darunter vorstellen zu können, und sich heute immer noch jung fühlte, während die Menschen Planeten betraten, die Hunderte und Tausende von Lichtjahren fern waren! Echri Ezbal, einst bewundert, dann angefeindet, war jetzt der Leiter dieser Station, weil Manu Tschobe sich schon bald wieder zurückgezogen hatte und nur noch sporadisch im Brana-Tal auftauchte, wenn er gerade einmal auf Terra war. Er war der >Sternzigeuner<, als den Ezbal ihn einmal lächelnd bezeichnet hatte. Tschobe, der damals an Bord des Kolonistenraumers GALAXIS ausgewandert war, weil ihm Terra zu eng wurde, gehörte in den Weltraum, zum Team der POINT OF unter Commander Ren Dhark. In gewisser Hinsicht genoß Ezbal seine Zurückgezogenheit auch heu28
te noch. Die Cyborg-Station im Brana-Tal war Geheimsache. Es gab nur wenige Menschen, die von dem Projekt wußten. Nichts drang nach draußen. Die wenigen Eingeweihten schwiegen sich aus. Wahrscheinlich wußte man nicht einmal im Forschungsministerium ganz genau, was mit den Geldern geschah, die hierher flossen. Ezbal wußte, daß Dhark sich bei dieser Geheimniskrämerei durchaus unwohl fühlte, aber wenn auch nur ein Teil des Wissens, das hier erarbeitet wurde, in falsche Hände geriet, konnte das zu einer politischen und wirtschaftlichen Katastrophe führen. Wissen konnte dann zur Waffe werden! Zu einer Waffe, die sich gegen ihre Schöpfer wandte! Zu viele Erfindungen und Entwicklungen waren im Laufe der Menschheitsgeschichte von der Politik instrumentalisiert und mißbraucht worden, bis hin zur Atombombe. Das sollte sich, wenn es nach Dhark, Ezbal und anderen Verantwortlichen ging, hier nicht wiederholen. Das Cyborg-Projekt sollte dienen, nicht herrschen! Und daran hielten sich alle, die daran mitarbeiteten. Die Wissenschaftler, Techniker und Helfer, die hier tätig waren, die einen großen Teil ihrer persönlichen Freiheit opferten, um einen phantastischen Traum zu verwirklichen. Einen Traum, der in den nächsten Stunden und Tagen vielleicht näher rücken würde als jemals zuvor! »Om mani padme hum«, murmelte der große alte Mann, als die Sonnenscheibe den Berggrat erreichte, und verneigte sich leicht. Dann sah er nach unten zu seinen beiden besten Freunden: Urran, einem großen Hund unbestimmbarer Herkunft, mit einem gehörigen Schuß Doggen- und Schäferhundblut, und Choldi, einer getigerten Hauskatze, die sich in nichts von anderen getigerten Hauskatzen unterschied. »Es wird Zeit für uns«, sagte Ezbal leise. »Urran, du hast heute deinen ganz schweren Tag. Es wird nicht einfach für dich, aber ich weiß, daß du mir vertraust und es gern tust. Ich hoffe, daß ich mich deines Vertrauens würdig erweise.« Der Hund schob seine Schnauze in die Hand des alten Freundes und schniefte. Ezbal streichelte das glatte Fell. Dann reckte er sich. »Gehen wir. Wir kennen zwar die Geduld, aber die Zeit kennt sie nicht, eilt oft schneller davon, als uns lieb ist…« »Ist alles vorbereitet?« fragte Ezbal. Seine vier Assistenten, die ihm bei diesem und vielen anderen Experimenten halfen, nickten ihm schweigend zu. Ezbal schnippte nur kurz mit den Fingern. Urran sprang auf den Operationstisch, drehte sich zwei-, dreimal im Kreis – das alte hündische Ritual des Gras-Flachtretens – und legte sich hin. »So bequem darfst du es dir diesmal nicht machen«, lächelte Ezbal. Er griff zu und streckte den Körper des Hundes, der sich das geduldig gefallen ließ, gerade so, als verstehe er wirklich, was sein zweibeiniger alter Freund von ihm wollte. Die Gehilfen schnallten den Hund jetzt fest. Ezbal ging zu einem Wandschrank und entnahm ihm eine Injektionspistole. Er brauchte sie nicht extra zu sterilisieren – in diesem Laborraum war alles steril. Jeder, der diesen Raum betreten wollte, mußte eine keimtötende Energiedusche über sich ergehen lassen. Ezbal öffnete eine andere Tür des Wandschranks, die so massiv wie die Stahltür eines Banktresors war. Dahinter befanden sich, teils erwärmt, teils gekühlt, in kleinen Sicherheitsbehältern genug Viren, Krankheitserreger und andere Gifte, um die gesamte Menschheit auszurotten. Auch das war ein Grund, weshalb das Brana-Tal hermetisch von der Außenwelt abgeschottet worden war! Ezbal brauchte nicht lange zu suchen. Er wußte, wonach er griff, als 29
er eine Ampulle entnahm, die Injektionspistole damit lud und den Wandschrank wieder schloß. Währenddessen bereiteten seine Assistenten den Hund auf das Experiment vor. Sie schlossen Kabel und Sensoren an seinem Körper an, verbanden sie mit einer Reihe von Meßinstrumenten, die teilweise eigens für diese Art von Experimenten entwickelt worden und extrem kältefest waren. Echri Ezbal setzte die Injektionspistole an, zwinkerte seinem vierbeinigen Freund aufmunternd zu und nickte dann. Im gleichen Moment, in dem der Inhalt der Ampulle in den Körper des Tieres geschossen wurde, betätigte jemand eine Sensortaste, schaltete die Geräte ein und setzte die Zeitzählung in Gang. Aufmerksam beobachteten sie alle die Anzeigen der Instrumente, die von einem Suprasensor zeitnah ausgewertet wurden. Erste Sekunde: Keine Reaktion. Dritte Sekunde: Körper wird steif. Dann: Atmung wird träger. Herztätigkeit läßt nach. Gehirnströme merklich schwächer. Atmung setzt aus. Herztätigkeit setzt aus. Gehirnströme nicht mehr meßbar. Genau 16 Sekunden nach der Injektion: Exitus. Klinischer Tod. Niemand hatte auch nur einen Finger gerührt, um das zu verhindern! Echri Ezbal schnallte den Hund los, entfernte die Kontakte und trug das Tier in den angrenzenden Laborraum. Dabei streichelte er ihn, obgleich er wußte, daß kein Leben mehr in diesem Körper war. Doch was er hier trug, war sein bester Freund. Ezbal legte den Leichnam vor einer massiven Stahltür, an der ein Thermometer eine Temperatur von konstant -192,4“ C anzeigte, auf eine Antigravplatte. Er schaltete die Maschinerie ein. Die Antigravplatte wurde aktiv. Sie schwebte mit dem Hundekörper einen halben Meter empor. Ganz kurz öffnete sich die stählerne Tür. Ein eisiger Hauch wehte Ezbal entgegen. Kaum vermochte er das große, mit flüssiger Luft gefüllte Becken zu sehen, das nun unter dem Einfluß der Außentemperatur zu kochen und zu dampfen begann. Mit der Fernsteuerung lenkte er die Antigravplatte in das brodelnde Inferno und senkte sie ab. Dann schloß sich die Stahltür wieder. Urran lag in einem Bad aus flüssiger Luft von -192,4“C. Am Tag darauf verriet Echri Ezbal mit keiner Regung, wie sehr er sich ein Gelingen des Experimentes erhoffte, das ihn der Krönung seines Schaffens entgegenführen sollte. Wieder standen er und seine Gehilfen in dem Labor. Wieder stand Echri Ezbal vor der Stahltür, ließ sie aufschwingen und aktivierte die Fernsteuerung der Antigravplatte, die die ungeheure Kälte überstanden hatte, ohne funktionsunfähig zu werden. Die Platte mit dem toten Hund glitt aus der flüssigen Luft hervor. Hinter ihr schloß sich der Stahltank wieder. Der Körper, der eigentlich steinhart gefroren hätte sein müssen, kam weich und schlaff aus seinem Tiefkühlbad. Die Pfoten baumelten über die Kante der Antigravplatte, als Ezbal sie in den Hauptraum des Labors steuerte und dort absetzte. Weich und doch eiskalt war der Hundekörper, als die Gehilfen ihn wieder mit den Meßinstrumenten verkabelten. Sie mußten Handschuhe tragen, weil ihnen sonst die Finger abgefroren wären. Heizstrahler wurden aktiv! Die Körpertemperatur des tiefgekühlten Körpers stieg. Dann kam der Moment, in dem Ezbal ihm eine erneute Injektion gab. Abermals begann eine Zeitkontrolle. Die Meldungen liefen über den Monitor. Gehirnströme erkennbar. 30
Gehirnströme meßbar! Herzschlag setzt ein! Atmung setzt ein. Gehirnströme stärker und normal. Herztätigkeit normal. Atmung normal. In der 17. Sekunde nach der Injektion öffnete der Hund die Augen, schüttelte etwas verwirrt den Kopf und wollte dann aufspringen, nur hinderten ihn die Plastikschnallen daran. Ezbal erlöste seinen vierbeinigen Freund von den Sensorkontakten und den Fesseln. Der Hund stand auf, sprang seinen Herrn schwanzwedelnd an und wollte ihm mit der Zunge übers Gesicht fahren. Ezbal wehrte ihn lachend ab, streichelte ihn, klopfte ihm den Rükken. An seine Assistenten gewandt, sagte er mit unendlicher Erleichterung und Freude: »Das war der Beweis. Wir werden Urran eine Weile beobachten, aber ich bin nun sicher, daß ich in wenigen Tagen einen Selbstversuch durchführen werde.« Das Erschrecken seiner Gehilfen ignorierte er, hob Urran auf seine Arme und trug ihn aus dem Labor. Urran legte die Schnauze an die Schulter seines Herrn und genoß es, getragen zu werden, in die herrliche, warme Vormittagssonne hinaus. Warum sein Herr so aufgeregt war und zitterte, begriff er nicht. Aber draußen vor der Tür zappelte er und machte sich los. Es war höchste Zeit, ein Bein am nächsten Baum zu heben. Der alte Mann mit den langen weißen Haaren stand reglos da, sah zur Sonne hinauf und bewegte die Lippen, doch niemand hörte, was er sagte: »Tod, jetzt hat dich zum ersten Mal ein Mensch überlistet! Jetzt weiß ich, wo du angreifbar bist! Und ich werde dich attackieren, solange noch ein Hauch von Leben in mir ist!«
4. Das Außenteam der FO-12 begann sich auf Bittan einigermaßen häuslich einzurichten. Erste Pflanzenproben wurden genommen, und ein Team machte sich auf die Suche nach größeren Tieren, von denen aber immer noch nichts zu sehen war. Lediglich Insekten umschwirrten das Camp. Sie einzufangen, bereitete kein Problem -ein weitgefächerter Strahl aus einem Paraschocker erwischte sie gleich schwarmweise, und sie brauchten bloß noch eingesammelt zu werden. Erstaunlicherweise überstanden sie die Energie des Schockstrahls und begannen in ihren Behältnissen alsbald wieder zu brummen und zu fliegen. »Gar nicht so erstaunlich!« behauptete Andre Bittan. »Die Strahlenschauer, die immer wieder auf diesen Planeten niedergehen, haben die Biester immun gemacht! Wo selbst die dreisteste terranische Stubenfliege tot aus der Luft fallen würde, setzen diese Viecher sich höchstens hin und tauschen spöttisch lachend Erfahrungen aus…« Esteban Canta, der Exobiologe, winkte ab. »Kollege, Ihre Art, sich mit Phänomenen auseinanderzusetzen, ist, gelinde ausgedrückt, ein wenig bizarr…« »Sagen Sie ruhig >unter aller Sau<«, grinste Bittan ihn an. Worauf Canta ihn böse anstarrte. »Hören Sie, unsere Schocker arbeiten doch nicht auf 5-D-Basis wie das skurrile Strahlengemisch, das von 404 ausgeht«, fuhr der Exobiologe fort. »Mal von Ihrer unwissenschaftlichen Ausdrucksweise abgesehen, können Sie doch nicht das eine mit dem anderen vergleichen, weil es einfach keine Vergleichsbasis gibt! Vier- und fünfdimensionale Effekte lassen sich nicht miteinander…« »Vielleicht hat Doc Bittan recht«, warf Shen Sakuro ein. »Wenn die hiesigen Lebensformen die 5-D-Strahlung aushaken, ohne daran zu sterben, müßten sie mit untergeordneten Energien – wie denen unserer Schocker – wesentlich leichter fertigwerden.« 31
Rea Banks hörte dem Disput nur halbherzig zu. Überall summten die Gespräche an ihren Ohren vorbei, und sie war mit ihren Gedanken ganz woanders – bei dem Verlust des Flugdozers mit dem Prospektorenehepaar. Plötzlich rief jemand nach ihr. Sie schreckte auf. Es dauerte einen Moment, bis sie begriff, daß sie über ihr Vipho angerufen wurde. Als sie das Gerät aktivierte, sah sie Freemounts Gesicht auf der Bildscheibe. Der Captain lächelte. »Eine gute Nachricht, Banks. Ich hoffe, der Pilot von Boot 3 ist mir noch nicht zuvorgekommen. Er hat den Flugdozer entdeckt.« »Und?« fragte Rea. »Was ist von ihm übriggeblieben?« »Praktisch alles – mit Ausnahme der Funkantennen. Deshalb konnten die Hookers sich auch nicht mit uns in Verbindung setzen.« »Was?« stieß Rea hervor. »Das – das gibt’s doch nicht! Sie wollen mich auf den Arm nehmen, Captain.« Der lachte leise. »Sie freuen sich ja gar nicht… Es stimmt aber, Banks. Ich hatte die Linse losgeschickt, um nach den Trümmern zu suchen, und der Pilot hat den beinahe heilen Dozer gefunden. Irgendwie müssen die Hookers es geschafft haben, die Maschine runterzubringen. Sie müßten jetzt auf dem Weg zu Ihrem Camp sein und eigentlich jeden Moment eintreffen. Ich wollte es Ihnen vorher mitteilen, sonst glauben Sie womöglich gleich, Sie sehen Gespenster…« Rea Banks schluckte. »Ich glaube es einfach nicht«, sagte sie heiser. »Sie werden es glauben, wenn Sie den Dozer sehen. Was machen eigentlich Ihre Wanderblumen?« »Die Laufsträucher? Keine Ahnung. Wir haben sie noch nicht wieder gesehen, seit sie vor uns davongelaufen sind. Dafür sammeln wir Ruginsekten und Käfer.« »Die Hookers hatten auch Kontakt mit davonlaufenden Wanderpflanzen«, sagte Freemount. »Banks, ich bin heilfroh, daß die Sache gutgegangen ist. Aber künftig wird keiner von uns solche Aktionen mehr genehmigen.« »Worauf Sie sich verlassen können«, murmelte sie. Freemount schaltete ab. Und jetzt nahm Rea das Summen wahr, das sich allmählich näherte und schließlich zu einem ohrenbetäubenden Donnern anschwoll -der Flugdozer kam tatsächlich und landete zwischen den beiden Linsen. Da endlich konnte sie es glauben. »Wir wußten ja nicht einmal, wo wir Sie suchen sollten«, sagte Art Hooker. »Funken konnten wir auch nicht. Da haben wir einfach ein wenig das getan, weshalb wir hierher gekommen sind – nämlich, diesen Planeten zu untersuchen. Und vor ein paar Stunden hat uns dann die Linse aufgespürt. Der Pilot teilte uns mit, wo sich Ihr Camp befindet, und wir sind sofort hergeflogen.« »Ich bin froh, daß Sie noch leben und das Abenteuer offenbar heil überstanden haben«, sagte Rea Banks. »Aber über eines sollten wir uns einig sein: es war bodenloser Leichtsinn. Und den werden wir auf keinen Fall wiederholen!« »Wieso? Es hat doch geklappt«, sagte Jane Hooker. Dir Mann schüttelte den Kopf. »Wenn du meinst, Jane… aber es hätte ebensogut schiefgehen können.« »Es hätte schon so vieles in unserem Leben schiefgehen können… sie hätten dich damals verhaften und exekutieren können. Die Synties oder auch die Nogk hätten uns auf Hope töten können, wenn die Mißverständnisse nur ein wenig größer gewesen wären. Wir hätten beim Angriff der Amphis ums Leben kommen können, oder bei der Schlacht gegen die G’Loorn. Wir könnten bei einem ganz normalen Verkehrsunfall sterben. Die FO-12 hätte bei ihrer letzten Transition mitten in einer Sonne rematerialisieren können…« »Schon gut«, wehrte Art ab. »Lassen wir das. Was hat Ihr Team mitt32
lerweile herausgefunden?« Er machte eine kreisende Kopfbewegung, die das gesamte Camp einschloß. »Nicht viel. Wir jagen immer noch die heimische Fauna. Was die Flora angeht – der Captain sagte, Sie wären auch auf Laufpflanzen gestoßen?« »Sind wir. Sehr schreckhafte und ängstliche Gewächse. Wir sollten sehen, daß wir sie wiederfinden. Scheint eine interessante Lebensform zu sein. Ansonsten gibt dieser Planet zumindest in dieser Gegend nicht viel her. Wir haben den Boden mit dem Geographon bis in etwa 13 Kilometer Tiefe ausgelotet. Aber wo wir auch ansetzten, haben wir zwar eine Menge unterschiedlicher Erdschichten gefunden, aber keine verwertbaren Minerale oder Erze. Sieht so aus, als hätte dieser Planet trotz der auffälligen Strahlung seiner Sonne wider Erwarten nichts Besonderes hervorgebracht. Oder wir haben noch nicht an der richtigen Stelle gesucht.« »Aber es wäre der erste Himmelskörper, der uns nur Verluste einbrächte«, fügte Jane hinzu. »Irgendwelche Kleinigkeiten, die man vermarkten kann, gibt es immer.« Sie lächelte ihrem Mann zu. »Sonst wären wir sicher nicht unter die Prospektoren gegangen.« »Hoffentlich überschätzen Sie diesen Planeten nicht«, warnte Banks. Ihr war anzusehen, wie erleichtert sie über das unversehrte Wiederauftauchen der Prospektoren war; sie blühte regelrecht auf. »Besiedelbar ist er auf keinen Fall, und wenn unsere Experten nicht entscheiden, es lohne sich, ihn der Lebensformen wegen über längere Zeit zu beobachten, wird Bittan im interstellaren Geschehen niemals eine Rolle spielen. Ich glaube kaum, daß nur wegen einiger Kleinigkeiten ein Stützpunkt eingerichtet wird. Und wenn das nicht geschieht, werden Sie kaum Geld verdienen können. Sie müßten also wirklich schon den großen Wurf machen.« »Ich sagte schon – vielleicht haben wir bisher nur noch nicht an der richtigen Stelle gesucht«, lächelte Art Hooker dünn. »Wir werden logischerweise weitermachen. Vielleicht läßt sich ja auch aufgrund der biologischen und chemischen Erscheinungen etwas aus dem Planeten machen. Nicht, daß ich den anderen das gönnen würde«, er grinste verwegen, »aber es käme uns ein wenig entgegen. Nun, warten wir’s ab und kümmern uns erst einmal um die Laufpflanzen.« »Als Prospektor sind Sie sehr an diesen Gewächsen interessiert«, wunderte sich Shen Sakuro, der eben zu ihnen trat. »Glauben Sie, sie könnten Profit daraus schlagen? Bodenschätze sind doch sicher lukrativer und auch eher Ihr Metier.« »Man muß nicht immer aufs Geld schielen«, sagte Art. »Manchmal ist es auch rein privates Interesse, das den Menschen antreibt. Mich reizt diese Lebensform, und ich habe das Gefühl, daß wir mit ihr noch unsere Überraschungen erleben werden.« Banks betrachtete den Flugdozer; sie wußte, wo vor dem Landemanöver die Funkantennen gewesen waren. »Was mich wundert, ist«, sagte sie, »daß Sie nicht über Vipho versucht haben, Kontakt mit uns aufzunehmen.« »Die Antennen…« »Ich meine nicht das Bordgerät. Haben Sie etwa keine tragbaren Viphos an Bord?« wunderte sie sich. Jane Hooker lachte auf. »Klingt erstaunlich, aber – nein… Sagen Sie, wohin haben sich diese Laufpflanzen bei Ihnen eigentlich entfernt?« Shen Sakuro lächelte und streckte einen Arm aus. »Gehen wir?« Sakuro und die Hookers verließen das Camp. Rea Banks blieb dort; als ranghöchster Offizier des Außenteams trug sie die Verantwortung. Sie hatte sich mit den Wissenschaftlern herumzustreiten, die sich die Köpfe heißredeten und bei jeder neu entdeckten Lebensform verlangten, diese sofort zur FO-12 hinaufzubringen, um sie dort in den Labors untersuchen zu können. Aber Rea verweigerte die Flüge. Die 33
beiden Linsen wären ständig im Pendelverkehr unterwegs gewesen. Die Damen und Herren Forscher mußten warten, bis genügend Material vorlag, um es auf einen Schlag zum Schiff zu bringen. »Warum, zum Teufel, landet die FO-12 eigentlich nicht? Das würde doch alles vereinfachen!« kritisierte Esteban Canta. »Wir hätten dann alles Material, das wir brauchen, vor Ort!« »Das Schiff landet aus Sicherheitsgründen nicht«, erklärte Rea gelassen. »Wir brauchen die Orbitalposition für den Überblick. Vergessen Sie nicht, daß wir Menschen nicht allein im Weltall sind. Das Beispiel Hope hat gezeigt, daß in einem Sonnensystem mehrere intelligente Völker leben können. Wenn plötzlich jemand von einem der beiden anderen Planeten hierher kommt, um nachzusehen, was wir hier wollen, möchte ich rechtzeitig gewarnt werden.« »Die beiden anderen Planeten sind unbewohnt.« »Als die GALAXIS ins Col-System einflog und auf Hope landete, hielt man das System auch für unbewohnt«, konterte Rea. »Außerdem bin ich nicht hier, um mit Ihnen darüber zu diskutieren. Die FO-12 bleibt im Orbit, und wir bleiben hier, bis es sich wirklich lohnt, einen Transport durchzuführen. Solange Sie und Ihre Kollegen jede Stunde mit neuen Objekten ankommen und kein Ende abzusehen ist, warten wir noch ab. Jeder Flug einer Linse kostet Energie, und ich sehe nicht ein, die sinnlos zu verpulvern.« »Ich werde mich bei Captain Freemount über Sie beschweren«, verkündete Canta. Diese Drohung störte Rea Banks nicht weiter. An Bord eines Forschungsraumers dominierten zwar die Wissenschaftler, aber Belange der Schiffsführung und der Sicherheit waren und blieben Sache der Crew. Freemount hatte durchaus gute Gründe dafür, auf einem neu entdeckten Planeten nicht sofort mit dem Schiff zu landen. Vor noch nicht allzu langer Zeit war ein Raumer auf diese Weise verlorengegangen; man hatte später das gelandete Schiff gefunden, voller Leichen, und niemand konnte sich erklären, wer oder was die Insassen getötet hatte. Der Planet selbst erschien völlig harmlos. Und eine Bedrohung von dritter Seite ließ sich mit absoluter Sicherheit ausschließen. Dieser Fall war der Beweis dafür, daß man nie vorsichtig genug sein konnte. Wenn zunächst nur Beiboote mit einem kleinen Team landeten, war auch nur dieses kleine Team vordringlich gefährdet. Vom Raumer aus konnte jederzeit eine Rettungsaktion eingeleitet werden. Wenn aber das ganze Schiff in Gefahr geriet – wer sollte dann den Retter spielen? Unterdessen suchten die Hookers und Sakuro nach den Laufpflanzen. Sie bewegten sich zu Fuß, um die schreckhaften Pflanzen mit dem Flugdozer nicht noch weiter in Angst zu versetzen. »Es ist gar nicht mal so erstaunlich«, sagte Sakuro. »Jede Pflanze reagiert auf äußere Reize. Schon im vorigen Jahrhundert wurde nachgewiesen, daß Zimmerpflanzen auf die Stimmen, auf die Anwesenheit der menschlichen Zimmerbewohner reagieren. Daß sie durchaus registrieren, wenn man mit ihnen redet, daß sie Fürsorge dankbar hinnehmen, aber verkümmern, wenn sie vernachlässigt werden – und damit meine ich nicht das Gießen, das vielleicht mal vergessen wird. Sie mögen auch Musik, und sie lieben bestimmte Orte im Zimmer. Klingt lächerlich, wie?« »Gar nicht«, erwiderte Jane. »Diese beweglichen Pflanzen sind vielleicht nur noch wesentlich empfindsamer als die auf der Erde«, spann der Biologe seinen Faden weiter. Nach fast einer Stunde, längst weit außer Sicht- und Rufweite des Camps, erreichten sie ein Waldstück. Plötzlich breitete Sakuro die Arme aus. »Halt«, raunte er. »Da drüben – sehen Sie?« Er zeigte auf die Stelle. Zwischen Laubgewächsen und großen Farnen schimmerte eine dieser Laufpflanzen durch das Blattwerk! 34
»Sieht aus, als würde sie uns beobachten«, sagte der Biologe leise. »Verrückt«, murmelte Art Hooker. »Das meinen Sie doch nicht ernst, oder?« »Ich bin mir nicht so sicher«, sagte Sakuro. Er machte ein paar bedächtige Schritte in Richtung der Laufpflanze. Im gleichen Moment kam Bewegung in sie; sie zog sich weiter zurück. Aber diesmal nicht fluchtartig, sondern eher zögernd, als wolle sie nicht einfach davonlaufen, sondern abwarten, was die Menschen als nächstes tun würden… »Wartet«, bat Jane Hooker. Sie löste den Gürtel mit den Waffen und drückte ihn ihrem Mann in die Hand. Dann trat sie ein paar Schritte vor, drehte sich mit ausgebreiteten Armen einmal um sich selbst – und schritt auf den Waldrand und die Laufpflanze zu. »Was tust du da?« stieß Art überrascht hervor. »Warum…« »Ich habe eine Idee«, unterbrach sie ihn. »Laß mich nur machen.« Sie ging ganz langsam weiter, fast tänzelnd. Irgend etwas an ihrer Art zu gehen brachte Art ins Grübeln. Er kannte Janes Gang, hätte sie allein am Rhythmus ihrer Schritte jederzeit unter Tausenden von anderen Menschen herausgehört. Aber jetzt war etwas an ihr anders. Auch Sakuro stutzte. »Halten Sie mich jetzt nicht für einen Spinner, Art – aber sie bewegt sich wie ein Reptil… aber da ist auch noch etwas anderes…« Hooker nickte. Plötzlich begriff er. Er fühlte sich an die Nogk erinnert. Jane ahmte deren gleitende, reptilienhafte Bewegungen nach! Und zugleich hatte sie dabei auch noch etwas von einer Twingula, einer jener fleischfressenden, hochgiftigen Blumen, die auf Hope in den Bergen des Inselkontinents Main Island lebten. Auch sie bewegten sich auf Laufwurzeln, wobei sie ständig aussahen, als würden sie tanzen. Außer, wenn sie gerade ein Opfer mit diesen Wurzeln würgten und zugleich mit dem Nesselgift, das sie absonderten, umbrachten… Sakuro wollte noch etwas sagen, aber Art stoppte ihn mit einer schnellen Handbewegung. Er beobachtete angespannt. Jane hatte die Farne erreicht und schob sich vorsichtig zwischen ihnen hindurch. Die große Laufpflanze hatte ihre Position nicht mehr verändert, trotz Janes Annäherung. Plötzlich wich Jane wieder zurück auf das freie Gelände. Dort ließ sie sich im Schneidersitz im Gras nieder. Zugleich gab sie, ohne sich nach ihm umzuschauen, Art ein Handzeichen. Er verstand. »Wir sollen es ihr gleichtun«, sagte er. »Hinsetzen, abwarten.« »Was verspricht sie sich davon?« raunte der Biologe. Art zuckte mit den Schultern. Gespannt beobachtete er Jane, die sich ein paar Dutzend Meter von ihm und Sakuro entfernt befand. Immerhin noch nahe genug, um jederzeit eingreifen zu können, falls ihr Gefahr drohte. Plötzlich tauchte die Laufpflanze auf. Vor den Farnen blieb sie stehen. Die große Kopfblüte war Jane Hooker zugewandt. »Ich verstehe dich«, hörten Art und der Biologe Jane sagen. »Wollen wir miteinander reden?« Captain Freemount wollte Dienstschluß machen und die Zentrale an seinen 3. Offizier Calgor übergeben, als sich Granissa meldete. »Captain, ich habe da eine sehr merkwürdige Ortung. Die sollten Sie sich mal ansehen.« »Überspielen«, verlangte Freemount und saß schon wieder hinter dem Kommandopult. Einer der Monitoren hellte sich auf und zeigte das Ortungsbild, das Ivan Granissa ihm hereinspielte. Freemount betrachtete die eigenartigen Amplitudenstränge. Calgor warf ihm einen fragenden Blick zu. Dann schaltete er den Monitor an seinem Arbeitsplatz ebenfalls auf die Ortung. »Was zum Teufel ist denn das? Schwingungen, die sich eigentlich 35
gegenseitig aufheben müßten, liegen statt dessen nebeneinander! Das kann’s doch gar nicht geben!« Freemount setzte sich mit Granissa in Verbindung. »Sie erlauben sich doch nicht etwa einen Scherz mit uns?« »Meine Scherze sehen anders aus, Captain.« »Dann haben Sie sicher eine Erklärung für diese Anzeige? Ich finde nämlich keine. Wieso liegen diese gleichartigen Wellen, die um 90 Grad gegeneinander versetzt sind, nebeneinander, statt sich auszulöschen?« »Wir versuchen das gerade herauszufinden, aber ich glaube nicht, daß wir mit unseren Mitteln eine Lösung finden. Der Suprasensor verlangt ständig mehr Daten und streikt.« »Das sind Störwellen«, murmelte Calgor. »Zumindest habe ich’s auf der Flottenakademie so gelernt. Granissa, können Sie das bestätigen?« »Jein, Sir. Ja und nein. Sie sehen zwar wie Störwellen aus, aber ich weiß nicht, was sie stören sollen. Ich weiß nur, daß sie in den Funkbereich hineinspielen.« »Da versucht also jemand, unseren Funk zu überlagern? Warten Sie mal…« »Schon überprüft«, meldete sich die Funk-Z. »Die Störwellen könnten auf den von uns verwendeten Frequenzen jeglichen Funkverkehr unmöglich machen.« »Könnten…?« Freemount fiel die Wortwahl des Funkers auf. »Sie tun es nicht. Im Gegenteil. Die Polarisierung ist konträr. Statt zu stören, verstärken sie.« »Dann sind es doch keine Störwellen!« warf Calgor ein. »Verdammt, was reden Sie da für einen Stuß zusammen?« »Die Charakteristik ist eindeutig die von Störwellen, nur schwingen sie so versetzt, daß sie uns statt dessen unterstützen. Danach müßte unser Funk jetzt erstklassig sein.« »Auch mit größerer Reichweite?« wollte Freemount wissen. »Das nicht, Sir, weil die Reichweite von der Sendeleistung abhängt. Unser Funk reicht nicht weiter, sondern ist intensiver.« »Das verstehe ich nicht«, brummte Freemount. »Wer könnte ein Interesse daran haben, daß wir verständlicher senden und empfangen können?« »Es wird die Sonne sein«, vermutete Calgor. »Wetten, Chef, daß uns in ein paar Minuten die Physiker und Astrophysiker wieder mal vorschwärmen werden, wie fantastisch diese neue Entdeckung ist, die sie sich dann auch wieder nicht erklären können?« »Verzeihen Sie, wenn ich Ihre Spekulationen unterbreche, Sir«, warf Granissa ein. »Aber diese Wellen kommen eindeutig nicht von der Sonne.« »Sondern?« »Vom Planeten Bittan.« Freemount und Calgor sahen sich an. »Lokalisieren Sie den Ursprungsort«, verlangte der Captain. »Wir sind dabei«, sagte der Ortungsspezialist. »Aber die Charakteristik dieser Schwingungen erschwert die Suche nach ihrem Ursprung. Wir kommen irgendwie nicht richtig ‘ran.« »Können Sie das ein wenig präziser formulieren?« drängte Freemount. »Die Charakteristik der Schwingungen verschleiert ihren Ursprung. Er bleibt für unsere Scanner diffus und nicht eindeutig erfaßbar.« »Dann sehen Sie zu, daß sich das ändert«, sagte Freemount. »Funk-Z, teilen Sie dem Außenteam mit, daß wir mit Problemen im Funkbereich zu rechnen haben, die von irgendeinem Ort auf dem Planeten ausgehen.« Er wechselte einen kurzen Blick mit Calgor. »Wenn es Sie nicht stört, lege ich noch ‘ne Überstunde ein und verfolge die Angelegenheit aus dem Hintergrund.« 36
Jane Hooker konnte später selbst nicht mehr sagen, wie sie auf die Idee gekommen war. Aber plötzlich war der Gedanke dagewesen, dem eigenartigen Pflanzenwesen Friedfertigkeit und Freundschaft zu signalisieren. Lag es daran, daß Sakuro von der Sensibilität irdischer Pflanzen gesprochen hatte? Oder auch daran, daß Jane selbst eine starke Sensibilität für Fremdwesen aufwies? Seit ihrer Begegnung mit Nogk und Synties auf Hope… Aus irgendeinem später nicht mehr nachvollziehbaren Gefühl heraus hatte sie plötzlich den Eindruck, diese Laufpflanze sei mehr als nur eine Pflanze. Vielleicht war es etwas an ihrem Fluchtverhalten, an der Art, wie sie sich zurückzog. Hatte es Jane an die Neugier und Vorsicht von Affen und Katzen erinnert? Beobachtend, vorsichtig sondierend, schreckhaft und trotzdem spielerisch neugierig… Es war einen Versuch wert. Mehr als irren konnte sie sich nicht. Daher ahmte sie die Bewegungen der Pflanzen nach und versuchte gleichzeitig, Friedfertigkeit auszustrahlen. Etwa so, wie man sich einem Tier nähert und versucht, ihm die Scheu zu nehmen. War diese Laufpflanze teilweise Tier? Oder mehr? Sie war viel mehr! Jane merkte es im gleichen Moment, als sie Gedanken in sich spürte, die nicht in ihr selbst entstanden waren. Zugleich war ein seltsames Rascheln hörbar, das seinen Ausgang in der Kopfblüte der Pflanze hatte. Rascheln und Gedanken liefen irgendwie synchron. Ihr seid anders als die dunklen Götter der Verdammnis. »Ich verstehe dich«, sagte Jane. »Wollen wir miteinander reden?« Wir wollen reden, kam die Bestätigung. Wer seid ihr, und woher kommt ihr, die ihr so anders seid als die dunklen Götter der Verdammnis? »Wir sind Terraner… Menschen, keine Götter«, sagte Jane. Zugleich formulierte sie ihre Gedanken konzentriert aus. »Wir kommen von einem anderen Planeten. Weißt du, was das bedeutet?« Ihr kamt mit einem Raumschiff von den Sternen. »Das ist richtig«, bestätigte Jane. »Es ist für dich nichts ungewöhnliches?« Wir haben von vielen gehört, die auf anderen Planeten leben. Warum seid ihr zu uns gekommen? »Wir wollen von euch lernen«, sagte Jane. »Wir wollen erfahren, wer ihr seid, wie ihr lebt. Vielleicht können wir uns gegenseitig helfen.« Wie könnte das möglich werden? »Vielleicht verfügen wir über Dinge, die ihr gebrauchen könnt, vielleicht verfügt ihr über Dinge, die wir gebrauchen können. Dann wäre ein Austausch sinnvoll. Vielleicht wißt ihr vieles, was wir lernen wollen. Vielleicht wissen wir etwas, das ihr erfahren wollt. Auch dann wäre ein Austausch sinnvoll.« Du redest anders als die dunklen Götter der Verdammnis. In dem Wort redest schwang etwas anderes mit. Es ließ sich nicht eindeutig definieren, es klang in Janes Bewußtsein sinngleich mit denkst auf. Vielleicht hing es mit der Art und Weise zusammen, in der sich dieses Geschöpf artikulierte. Das akustische Rascheln, das aus der Kopfblüte kam, und die >Übersetzung<, die direkt in Janes Bewußtsein wahrnehmbar wurde. Irgendwie hatte es Ähnlichkeit mit der Art, in der die Nogk sich den Terranern mitteilten! Gab es hier vielleicht eine Verbindung? Aber die Nogk waren keine dunklen Götter. Ihre blauen und roten Uniformen, die braune, gepunktete Lederhaut… da war nichts Dunkles, auch nicht an ihren Raumschiffen. Nein, Nogk und dunkle Götter hatten nichts miteinander zu tun. »Wir kennen diese dunklen Götter nicht. Bei uns gibt es sie nicht«, erklärte Jane. 37
Wir können versuchen, einander zu verstehen, teilte das Pflanzenwesen daraufhin mit. Ihr braucht keine Angst vor uns zu haben. »Das ist erfreulich«, sagte Jane. Sie lächelte. War es nicht eher so, daß die Pflanzenwesen Angst vor den Terranern gezeigt hatten? Du redest unklar. Ich verstehe dich nicht, kam es von dem seltsamen Wesen. Da begriff Jane, daß es einen Teil ihrer Gedanken aufgefangen hatte – nur konnte es damit nichts anfangen, weil diese Gedanken nicht vom gesprochenen Wort begleitet gewesen waren. Sie hatte sich nicht darauf konzentriert, dem Gesprächspartner ihre Gedanken mitzuteilen. »Ich dachte für mich selbst«, versuchte sie zu erklären. Ich verstehe. Du solltest dich bemühen, deine nicht für andere gedachten Worte nicht aus dir hinauszulassen. »Wie macht man das?« fragte Jane verblüfft. Du weißt es nicht? »Nein. Wesen meiner Art verständigen sich nicht so, wie wir beide es jetzt tun.« Ich verstehe. Wir können dich und die anderen lehren, nicht für andere gedachten Worte nicht aus euch hinauszulassen. »Das wäre ja schon mal eine gemeinsame Basis«, stellte Jane fest. »Wir lernen von euch. Was wünscht ihr euch als Gegenleistung?« Ihr gehört zu jenen, die Gabe und Gegengabe berechnen. Das halten wir für falsch. Niemals läßt sich ein Wert völlig durch einen anderen Wert ersetzen, weil jeder Wert von jedem Individuum anders aufgefaßt wird. Wenn wir geben, wollen wir nicht dafür nehmen. Wenn wir nehmen, wollen wir nicht dafür geben. Einer könnte glauben, der andere hätte größeren Vorteil. Das vermeiden wir. Wir nehmen, was man uns geben will, und wir geben, was andere nehmen wollen. Wir berechnen den Wert nicht.« Jane lächelte. »Um so denken zu können, werden wir noch reifen müssen. Unsere Art ist von starkem Egoismus geprägt. Aber vielleicht finden wir dennoch zueinander.« Das Pflanzenwesen antwortete nicht. Aber plötzlich traten weitere seiner Art aus dem Dickicht des Waldrandes hervor. Sie alle machten einen friedfertigen Eindruck. Wir wollen euch kennenlernen, teilten sie gemeinsam mit. Rea Banks zuckte zusammen, als ihr Vipho anschlug und Art Hookers Gesicht zeigte. »Ich glaube, wir haben eine sensationelle Entdeckung gemacht«, hörte sie ihn leise sagen. »Oder besser, meine Frau hat diese Entdeckung gemacht. Die Laufpflanzen sind eine intelligente Spezies.« Das riß sie hoch. »Was?« stieß sie ungläubig hervor. »Jane hat einen Erstkontakt eingefädelt«, fuhr Hooker leise fort. »Sie unterhält sich mit einem dieser Pflanzenwesen. Das müssen Sie sehen.« »Das werde ich sehen«, sagte Rea. »Ich komme zu Ihnen. Sind Sie absolut sicher?« Das Bild auf der Sichtscheibe des kleinen Gerätes änderte sich; Art Hooker schwenkte sein Vipho so herum, daß die Aufnahmeoptik nicht mehr ihn als Gesprächspartner zeigte, sondern die ein paar Meter entfernt im Gras sitzende Jane Hooker, die von einem halben Dutzend Pflanzenwesen umlagert war. »Sie reden miteinander«, sagte Hooker. »Ich kann zwar die Antworten nicht hören, aber wie Jane reagiert, wie sie spricht – das ist tatsächlich eine Unterhaltung.« »Ich komme«, wiederholte Rea. »Und ich werde die FO-12 unterrichten. Der Captain muß wissen, was hier los ist.« »Natürlich«, sagte Hooker. »Das wollte ich gerade empfehlen.« Er schaltete wieder ab. Rea Banks rief die FO-12 an. »Oha«, kommentierte Freemount. »Eine intelligente Lebensform bedeutet, daß die Hookers diesen Planeten abschreiben können. Was an 38
Bodenschätzen gefunden wird, gehört den Eingeborenen.« »Ich glaube nicht, daß die Hookers dadurch in Depressionen verfallen«, erwiderte Rea. »Was ist mit der hilfreichen Störstrahlung? Ist ihr Ausgangspunkt inzwischen lokalisiert worden?« »Noch nicht. Prüfen Sie, ob diese Pflanzenwesen wirklich intelligent sind. Soll ich Ihnen Verstärkung schicken?« »Glauben Sie, daß wir mit Feindseligkeiten zu rechnen haben?« »Für Glaubensfragen ist die Geistlichkeit zuständig, nicht die Schiffsführung«, sagte Freemount in mildem Spott. »Ich will Sie und Ihre Leute da unten keinem Risiko aussetzen. Wir müssen mit allem rechnen – sowohl damit, daß die Eingeborenen Sie zum Essen einladen, als auch damit, daß Sie die Mahlzeit sein sollen.« »So, wie diese Geschöpfe aussehen, haben wir nichts zu befürchten«, entschied Rea. »Ich melde mich wieder, wenn wir die Einladung zum Essen hinter uns haben.« Die Verbindung erlosch. »Ich begleite Sie«, sagte Andre Bittan. Rea zuckte leicht zusammen. Sie hatte gar nicht bemerkt, daß er sich ihr wieder genähert hatte. »Verhaltensforschung ist eines meiner Hobbies«, sagte der Astronom. »Außerdem möchte ich nur zu gern wissen, was für Wesen auf diesem Planeten leben, der meinen Namen trägt. Vielleicht haben die Eingeborenen ihm ja einen völlig anderen Namen gegeben. Wenn, dann will ich das als erster erfahren.« In der FO-12 glaubten Granissa und auch die Leute in der Funk-Z ihren Augen nicht mehr zu trauen. Was sie eben noch anmessen konnten, war von einem Moment zum anderen verschwunden. Es gab keinen Amplitudenstrang mehr, der in sich unwahrscheinlich war! »Ich traue dem Braten nicht«, erklärte Freemount. »Da unten stimmt etwas nicht.« »Glauben Sie, die intelligente Spezies, die die Hookers entdeckt haben, könnte für die Strahlung verantwortlich sein?« fragte Calgor. Der Captain hob die Schultern. »Ich weiß es nicht. Ich will mich da nicht festlegen. Wir wissen zu wenig über diesen Planeten. Wir stehen ja erst am Anfang unserer Untersuchungen. Ich kann nur sagen, daß mir die ganze Sache nicht gefällt. Ich habe ein sehr ungutes Gefühl, seit wir in diesem System sind.« »Meinen Sie, wir sollten das Außenteam zurückholen?« »Fragen Sie lieber, ob wir das System verlassen sollen«, knurrte Freemount. »Die verrückte 5-D-Strahlung, der zum Trotz es Leben gibt, und jetzt anscheinend auch noch intelligentes Leben – dann diese Störstrahlung, die vom Planeten kommen soll und plötzlich nicht mehr existiert… das alles wären gute Gründe zu verschwinden. Aber ich will jetzt wissen, was hier los ist. Schließlich befinden wir uns nicht im Krieg oder auf einer Erkundungsfahrt in feindlichem Territorium… Nein, wir bleiben hier, aber wir sind vorsichtig.« »Sollten wir nicht das Team informieren, daß die Strahlung nicht mehr feststellbar ist?« überlegte der 3. Offizier. »Tun Sie das«, sagte Captain Freemount. Während sie sich auf semitelepathischer Basis unterhielten, beschnupperten Terraner und Shecan sich gegenseitig. Shecan, das war der Name, den die Planetenbewohner sich selbst gegeben hatten. Bei näherem Betrachten stellte sich heraus, daß sie weniger von einer Pflanze an sich hatten, als es im ersten Moment schien. Was wie hautschuppenähnliche Blätter aussah, waren tatsächlich Hautschuppen! Sie ließen sich zwar ähnlich wie Blätter bewegen, lagen aber zumeist dicht am Körper an und boten Schutz, aber auch die Möglichkeit, Luft und Wasser direkt an die darunterliegende Lederhaut zu lassen. Arme und Beine glichen Ästen, wobei Finger und Zehen sich in die äußerst beweglichen, unzähligen Wurzeln auffächerten, auf denen die Shecan sich fortbewegten. Die Fingerwurzeln 39
boten fantastische Möglichkeiten, etwas zu ergreifen, festzuhalten oder abzutasten. Die Wurzeln konnten sich in jede beliebige Richtung bewegen und waren nicht an die starre Greifrichtung gebunden, wie sie bei humanoiden Wesen durch Gelenke und Daumenanordnung vorgegeben war. Die Kopfblüten waren wunderschön geformte, farbenprächtige Echsenköpfe, die nur äußerlich wie Blüten aussahen. Die Blütenkelche waren Mundöffnungen, die Blütenstempel darin schienen die Funktion von Zunge oder Zähnen oder auch beidem zugleich zu haben. Bereitwillig erläuterten die Shecan ihre Lebensform. Während die Terraner staunten, wie sehr die Mischung aus Pflanze und Reptil in sich harmonierte, fanden die Shecan die humanoide Lebensform gar nicht so erstaunlich – ganz so, als wären ihnen schon früher einmal humanoide Fremdwesen begegnet. Einmal fiel zwischendurch wieder der Begriff dunkle Götter der Verdammnis, die Ähnlichkeit mit den Terranern haben sollten, aber wie diese Ähnlichkeit beschaffen war, verrieten die Shecan nicht, die als Individuen keine Namen besaßen, mit denen sie angeredet werden konnten. Durch die halbtelepathische Verständigung schien jeder immer genau zu wissen, wer gerade gemeint war oder von wem die Rede war. Shen Sakuro geriet fast außer sich. Bittan, der Hobby-Verhaltensforscher, blieb wesentlich ruhiger. Das fiel Rea Banks auf, die ihn entschieden temperamentvoller kannte. Bittan grinste sie an: »Hier kann ich mein Hobby genießen. Da oben«, er deutete zum Himmel hinauf, wo irgendwo die FO-12 den Planeten umkreiste, »muß ich mich ständig mit Zweiflern, Nichtskönnern, Ignoranten, Vollidioten und der Schiffsführung herumschlagen. Wie soll man da ruhig bleiben können?« Sie tippte sich an die Stirn. Bittan grinste weiter. Sakuro sprach pausenlos in ein kleines Aufzeichnungsgerät. Er hielt jede Beobachtung fest, kommentierte jede Äußerung der Reptilienpflanzen. Plötzlich veränderte sich das Verhalten der Shecan. Sie gingen auf Distanz. Zwar nicht körperlich, aber es war ihnen deutlich anzusehen, daß sie sich von irgend etwas gestört fühlten. Hatte einer der Terraner eine falsche Bemerkung gemacht oder gedacht und damit die Shecan beunruhigt? »Mit denen stimmt etwas nicht«, murmelte Bittan. »Sie werden aggressiv! Wir sollten aufpassen!« Sofort schwenkten die Blütenköpfe herum. So undifferenziert die begleitenden Gedanken gewesen waren, die Shecan hatten sie irgendwie registriert und schienen jetzt wissen zu wollen, was Bittan damit gemeint hatte. »Ihr seid anders als noch vor wenigen Minuten!« rief der Astronom den Reptilienpflanzen zu. »Wenn wir etwas getan haben, was euch nicht gefällt, dann sagt es uns. Wir werden uns ändern.« Er erhielt keine Antwort. Aber die Blüten öffneten und schlössen sich immer hektischer. Es sah so aus, als würden sie nach den Menschen schnappen. Art Hooker richtete sich auf. »Banks, können Sie nachfragen, ob sich irgend etwas in der Umgebung verändert hat?« Sie runzelte die Stirn. Dann schaltete sie ihr Vipho ein. Die Verbindung zum Camp war schlecht. Hintergrundrauschen überlagerte den Ton, und auch das Bild flackerte und war unscharf. Noch während Rea mit Yussuf Abuzir redete, wurde die Frequenz überlagert. Die FO-12 hatte sich aufgeschaltet. »Die Störstrahlung ist wieder da, aber diesmal scheint sie tatsächlich zu stören und wird dabei immer stärker…« »Die Amplituden schwingen jetzt anders als zuvor«, hieß es aus der Funk-Z. »Und sie verändern sich ständig. Es scheint beinahe, als würde jemand versuchen, sie auf unsere Frequenzen abzustimmen.« 40
»Um uns zu blockieren?« fragte Captain Freemount alarmiert. »Ja«, kam es lapidar zurück. Granissa meldete sich. »Messe Energieerzeuger an«, erklärte er. »Sie befinden sich etwa fünfzig Kilometer vom Camp unseres Außenteams entfernt. Captain, da wird ein gewaltiges Kraftwerk hochgefahren!« Noch während er sprach, überspielte er die Meßdaten zum Leitstand. Freemount und Calgor sahen sich beunruhigt an. »Das ist nicht nur ein gewaltiges Kraftwerk«, stieß Calgor hervor. »Das könnte eine Station sein – eine Kampfstation! Oder ein Raumschiff…« »Dann aber eines von der größeren Sorte!« knurrte Freemount. »Funk-Z, sofort eine Verbindung mit dem Camp!« »Steht…« Sie stand, aber sie wurde gestört. Das Bild war unscharf, der Ton kaum wahrnehmbar. Tatsächlich wirkte sich die seltsame Strahlung, die bei ihrem ersten Auftreten noch die Funkqualität verbessert hatte, jetzt immer negativer aus. »Camp evakuieren! Kommen Sie sofort zurück!« rief Freemount. »Sie sind in Gefahr! Wir messen…« Da brach die Verbindung zusammen. »Umschalten auf Hyperfunk!« befahl der Captain. »Schnell!« Granissa war wieder in der Bordverständigung. »Captain, etwas nähert sich uns sehr schnell. Das Objekt ist nicht eindeutig zu erfassen. Ungefähr so, als habe ein Nogkraumer seinen Unsichtbarkeitsschirm nur teilweise aktiviert… wenn’s das gibt…« »Waffensteuerung!« rief Freemount ins Bordvipho. »Drehstrahl und Tremble-Schock aktivieren! Klar zum Feuern auf mein Kommando…« Im Maschinenraum des 100-Meter-Raumers liefen zusätzliche Energieerzeuger an. Ganz wehrlos war das Forschungsschiff nicht, wenngleich Freemount in diesem Moment lieber in einem Kreuzer gesessen hätte als in einem Schiff der Wolf-Klasse. »Granissa, Koordinaten des Objekts an Waffensteuerung! Calgor, Schutzschirm auf Maximum! Funk-Z, wo bleibt die Hyperfunkverbindung mit dem Basislager? Und rufen Sie das anfliegende Objekt…« »Captain, wir kommen nicht durch!« »Mit Hyperfunk?« Er wollte es nicht glauben. »Die Störstrahlung überlagert auch unsere Hyperfrequenzen! Wir versuchen ein Band zu erwischen, das nicht gestört wird, aber…« »Annäherung Fremdobjekt bis auf achtzig Kilometer! Beschleunigt und…« meldete Granissa. Und dann gar nichts mehr. Aber auf dem großen Hauptbildschirm sah Freemount etwas. Es mußte bereits viel näher sein als achtzig Kilometer, denn sonst hätte der Schirm es nicht so groß darstellen können. Es jagte mit einer geradezu unwahrscheinlichen Geschwindigkeit heran. Panik erfaßte Freemount. Vielleicht war es falsch, was er tat. Aber er konnte nicht anders. »Feuer!« Abuzir bekam gerade noch mit, daß der Captain den Evakuierungsbefehl gab, dann brach die Verbindung mit der FO-12 zusammen. »Alles herhören!« brüllte er. »Befehl vom Captain – alles abbrechen, in die Boote! Wir verschwinden von hier!« Stimmengewirr, Proteste. »Was soll das? Wir können doch nicht einfach…« »Start in drei Minuten!« übertönte Abuzir das Durcheinander. »Wer dann nicht an Bord ist, bleibt zurück! Verdammt noch mal, die FO-12 hat Alarm gegeben! Das Camp ist in Gefahr, die Funkverbindung eben abgerissen! Los, Leute, lauft!« Jemand hielt ihn fest. »Und die Geräte? Unsere Sammlungen?« 41
»Wenn sie Ihnen wichtiger sind als Ihr Leben, können Sie ja gern hierbleiben und sie mit Ihrem Körper beschützen!« fauchte Abuzir. »Die anderen… die Hookers, Leutnant Banks, der Flugdozer…« »Die anderen holt Boot l ab, der Dozer bleibt vorläufig hier! Noch zwei Minuten!« Er stand noch draußen, bewegte sich aber in Richtung der Linse. Da endlich kam Bewegung in die Wissenschaftler. Einige glaubten es immer noch nicht. Abuzir versuchte über Vipho Verbindung mit Banks aufzunehmen. Es gelang ihm nicht. Das Störfeld überlagerte alles. »Na, die werden sich freuen, wenn wir mit der Linse bei ihnen auftauchen«, knurrte Abuzir. »Wie lange dauert das denn noch? Der Scheitan frißt euch alle, wenn das nicht schneller geht…« Er sah auf sein Chrono. Der Evakuierungsvorgang dauerte schon viel zu lange! Es gab Richtwerte, die für die Forschungsflotte ebenso galten wie für jeden anderen Raumer der TF. Wenn es Alarm gab, wenn evakuiert werden mußte, hatte es rasend schnell zu gehen, auch wenn es sich bei den Personen um untrainierte Wissenschaftler und nicht um Raumsoldaten handelte. Abuzir turnte in die Linse. Ein anderer startete gerade Boot l. Es war der Moment, in dem Dutzende der Reptilienpflanzen auftauchten und dem Camp entgegenstürmten… Rea Banks schaltete ihr Vipho ab. »Es hat keinen Zweck mehr«, sagte sie. »Die Verbindung ist tot. Wir sollten…« »Schleunigst zum Camp zurück«, nickte Art Hooker. »Ehe die Shecan über uns herfallen. Ich glaube, ihr aggressives Verhalten hat etwas mit der Störstrahlung zu tun.« Rea sah ihn mit großen Augen an. »Das ist verrückt, Hooker!« stieß sie hervor. »Wie sollen diese Wesen auf Funk-Wellen…« »Darüber können wir uns später streiten«, drängte der Prospektor. Er faßte nach Janes Arm; sie versuchte immer noch, mit den Shecan zu reden. Aber die Reptilienpflanzen antworteten ihr nicht mehr, auch keinem anderen, doch ihre Körpersprache verriet, daß sie ungeduldig und angriffslustig geworden waren. Bittan unterstützte Hooker. »Wir müssen hier weg«, drängte auch er. Sakuro und Jane fiel es schwer, den Kontakt aufzugeben, obgleich er jetzt nur noch sehr einseitig war. Sie zogen sich endlich zurück. Die Shecan setzten nach! Sie folgten den Terranern, und ihre Bewegungen hatten jetzt eindeutig etwas Drohendes! Plötzlich jagte ein Schatten über den Himmel. Entferntes Donnern war zu hören. »Eine Linse!« stieß Rea Banks hervor. »Sie muß vom Camp gestartet…« Sie verstummte. Die zweite Linse nahte. Sie flog in vierzig oder fünfzig Metern Höhe, näherte sich der kleinen Gruppe. Aus den Augenwinkeln sah Hooker, daß die Shecan verharrten. Ihre Kopfblüten waren so ausgerichtet, daß sie jetzt nicht mehr die Terraner, sondern das Flugobjekt anstarrten; immer noch zeigten sie eher Aggressivität als Angst. Zu Hookers Verblüffung stürmten plötzlich zwei, drei Shecan vor. Sie warfen sich auf Rea. Ehe die anderen eingreifen konnten, hatte einer der Shecan ihr den Blaster aus dem Holster gerissen und richtete ihn auf die Linse. Die Wurzelfinger kamen mit der Waffe hervorragend zurecht, und im nächsten Moment jagte ein greller Lichtfinger der Linse entgegen. Art Hookers Hand mit dem Paraschocker zuckte hoch. Aber dann feuerte er doch nicht, denn Jane schlug dem Shecan den Blaster einfach aus der >Hand<. Der Energiestrahl hatte die Linse verfehlt. Deren Pilot zog jetzt extrem hoch. Sekundenlang sah es so aus, als 42
würde er bei dem Notmanöver die Kontrolle über das Raumboot verlieren, aber in größerer Höhe bekam er es wieder in den Griff. Das Ausweichmanöver war eine Schreckreaktion gewesen; wer auch immer an der Steuerkonsole saß, hatte nicht mit einem solchen Angriff gerechnet! Da jagte etwas unglaublich Schnelles am Himmel entlang, so rasend, daß niemand erkennen konnte, worum es sich bei diesem Objekt handelte. Ein Aufblitzen – dann flog die Linse in einer grellen Explosion auseinander! Gut zweihundert Meter über Menschen und Shecan entstand ein Feuerball. Glühende und schmelzende Trümmerstücke rasten nach allen Seiten davon. Augenblicke später kam der ohrenbetäubende Knall der Explosion, und dann regnete Feuer vom Himmel, schlug überall ein, setzte Gras und Gehölz in Brand. Ein Aufschrei von Shen Sakuro ließ Art Hooker herumwirbeln. Hoch am Himmel, schon etliche Kilometer entfernt, ging eine weitere Mini-Sonne auf. Dort mußte sich die andere Linse inzwischen befunden haben. Das Rasendschnelle, das nicht erkennen ließ, woraus es bestand und wie es aussah, verschwand in der Ferne… Dicht hinter Hooker knackte und fauchte etwas. Ein Paraschocker! In der Entladung tanzten zwei Shecan wie Twingulas, brachen aber unter dem Strahlschuß nicht zusammen. Andre Bittan sah fassungslos auf seine Waffe, die keine Wirkung zeigte. Im nächsten Moment fielen weitere Shecan über ihn her, und auch über die anderen. Art sah, wie Jane zu Boden ging. Er schlug um sich, wollte zu ihr. Daß der Schocker nutzlos war, wußte er jetzt, aber als er den Blaster benutzen wollte, um die Shecan auf Distanz zu zwingen, schlugen sie ihn bereits nieder. Die Welt um ihn herum versank im Feuer der kleinen, sich rasch ausbreitenden Brände, die überall entstanden, wo die glühenden, zerschmelzenden Trümmerstücke der Linse eingeschlagen hatten. Eine fettig-schwarze Qualmwolke trieb im Wind davon, bekam ständig neue Nahrung von den Feuern am Boden. sich der große Hauptbildschirm wie in Zeitlupe von der Wand löste und durch die Zentrale trieb. Dann leuchtete alles in hellem Feuer auf. Neben Freemount löste sich Calgor in einer Wolke sprühenden Lichtes auf. Ein furchtbarer Schmerz durchraste den Captain. Er sah einen gleißenden Lichtbalken quer durch die Zentrale schneiden, begriff gerade noch, daß der Schutzschirm den Angriff nicht hatte stoppen können, dann durchschnitt der Strahl auch ihn. Freemounts letzter Eindruck war, sich im Zentrum einer Supernova zu befinden. Ein Regenbogen verdampfender Fragmente strebte aus dem Orbit auf den Planeten hinunter; er hinterließ eine fantastisch glitzernde Feuerspur am Himmel und verlosch lange, ehe er den Boden berührte. Etwas unglaublich Schnelles verschwand so rasch wieder, wie es aufgetaucht war. Durch die FO-12 ging ein heftiger Ruck, als die Tremble-SchockAntennen ihre Energie abgaben. Im gleichen Moment gab Granissa eine Katastrophenmeldung durch. »Energieausbruch auf Bittan! Eine der Linsen ist… und die zweite auch! Vernichtet, Captain! Abgeschossen!« Die FO-12 feuerte ihre zweite Salve. Eine dritte. Das fremde Objekt schien keine Wirkung zu zeigen. »Funk-Z! Notruf absenden! Koordinaten und Status…“ »Wie denn, Captain?« schrie der Cheffunker. »Das Störfeld…« Ein Schlag traf den Raumer. Diesmal war es nicht die eigene Waffenenergie. Das künstliche Schwerefeld fiel aus. Freemount sah, wie
5. 43
Art Hooker war der erste, der wieder erwachte. Es war dunkel geworden, aber immer noch warm. Das lag sicher nicht an den bereits wieder erloschenen Bränden, die von den Trümmern der Linse hervorgerufen worden waren. Der Prospektor richtete sich auf. Sein Chrono verriet ihm, daß gut vier Stunden vergangen sein mußten. Die Nacht konnte gerade erst begonnen haben. Von den Shecan war nichts zu sehen. Hatten sie sich vor der Dunkelheit zurückgezogen? Auch Blüten schließen sich bei Nacht. Es roch nach Asche und Rauch. Art Hooker sah die anderen am Boden liegen. Jane, Shen Sakuro, André Bittan, Rea Banks. Er entdeckte einen Blaster. Damit schnitt er einen Ast von einem nahen, halbstämmigen Bäumchen und setzte ihn in Brand. Im Licht dieser kurzlebigen Fackel untersuchte er die Gefährten, so gut es ihm möglich war. Sie waren nur bewußtlos, und sie schienen auch, von ein paar Schrammen und blauen Flecken abgesehen, unverletzt zu sein. Die Shecan schienen sich damit zufriedengegeben zu haben, sie außer Gefecht zu setzen. Nicht einmal die Waffen hatten sie mitgenommen. Blaster und Schocker waren noch vollzählig vorhanden. Das wunderte den Prospektor etwas. Immerhin hatte er gesehen, wie ein Shecan mit einem Blaster gefeuert hatte. Gerade so, als sei dem Hybridwesen die Waffe vertraut. Art versuchte nicht, die anderen aufzuwecken. Er wartete ab. Das gab ihm Zeit, nachzudenken. Er schaltete Reas Vipho ein, aber niemand antwortete auf seine Rufe. Der Bildschirm blieb grau, zeigte nur das typische Flackern der Störeinflüsse. Die Störstrahlung, auf die die FO-12 hingewiesen hatte, ehe der Kontakt abriß, dauerte also scheinbar noch an. Die beiden Linsen waren zerstört worden, das stand fest. Aber was war mit dem Raumer? Dort mußte die Vernichtung der Beiboote geortet worden sein. Nach vier Stunden hätte jemand nach Überlebenden suchen müssen. In der FO-12 wußte man, daß sich eine kleine Gruppe vom Basislager abgesetzt hatte. Aber niemand war gekommen. Das ließ zwei Möglichkeiten offen. Die eine war, daß die FO-12 das System verlassen hatte. Flucht vor einem überlegenen Gegner; das Vernünftigste, was ein Kommandant tun konnte, auch wenn es bedeutete, Besatzungsmitglieder vorübergehend im Stich zu lassen. Immerhin konnte dann später ein Rettungsteam auftauchen, um die Überlebenden zu bergen, wenn die Gefahr vorüber war. Die zweite Möglichkeit ließ sich in wenige Worte kleiden: Die FO-12 war vernichtet worden. Wie die beiden Linsen! Aber wer war dafür verantwortlich? Die Shecan, die so überraschend eine enorme Aggressivität gezeigt hatten, die in krassem Widerspruch zu ihrem anfangs eher furchtsamen, vorsichtigen Verhalten stand? Verfügten diese Mischwesen über eine Technologie, die in der Lage war, Giant-Raumer und ihre Beiboote in einem einzigen blitzschnellen Zuschlagen zu vernichten? Art schüttelte den Kopf. Er konnte es nicht glauben. Es paßte nicht zusammen. Der Eindruck, den er von den Shecan hatte, war der einer nichttechnischen Zivilisation. Sie hatten ja nicht einmal Städte oder Dörfer auf Bittan entdecken können, als sie den Planeten vom Orbit aus untersuchten! Aber das perfekte Umgehen eines Shecan mit einem Blaster… und kein Shecan hatte über den für diese Hybridwesen doch völlig fremd44
artigen Metabolismus der Terraner gestaunt! Sie mußten andersartige Lebewesen kennen. »Das paßt alles noch nicht richtig zusammen«, murmelte Art und mußte plötzlich wieder an die dunklen Götter der Verdammnis denken. »Wir müssen mehr über die Shecan in Erfahrung bringen…« Aber im Moment hatten sie andere Probleme. Nacheinander erwachten die anderen. In der Zwischenzeit hatte Art Hooker ein kleines Lagerfeuer entfacht, damit sie nicht als ersten Eindruck Dunkelheit wahrnehmen mußten. Erleichtert stellte Art fest, daß tatsächlich alle unverletzt geblieben waren; er hatte insgeheim noch innere Verletzungen befürchtet. Aber zumindest das blieb ihnen erspart. Er versuchte die Fragen zu beantworten, mit denen die Erwachenden ihn bestürmten. Dabei wußte er selbst kaum etwas. Aber rasch wuchs er in die Führungsrolle hinein, die er liebend gern Rea Banks überlassen hätte. Schließlich war er Privatmann; ein Prospektor, kein Angehöriger der TF. Doch Rea schien diese Rolle gern an ihn abzugeben. Er ahnte, weshalb. Sie hatte immer noch damit zu kämpfen, daß sie während des Landeanflugs den Flugdozer verloren hatte. Auch wenn sie keine Schuld daran trug, wenn die eigentliche Schuld bei den Hookers lag, die sie zu diesem wahnwitzigen Landemanöver überredet hatten – sie hatte damit ein Problem. Und ihr Unterbewußtsein weigerte sich, weitere Probleme auf sich zu nehmen. Deshalb hielt sie sich zurück. Und vielleicht spielte auch ein wenig der Gedanke mit, daß diesmal ein anderer die Schuldkomplexe zu ertragen haben würde, wenn wieder etwas schiefging… Art Hooker hatte wenig Probleme damit, zum Anführer der kleinen Gruppe zu werden. Als ehemaliger Offizier der TF hatte er es lernen müssen, Verantwortung zu übernehmen. Allerdings hatte auch er an seinen Schuldkomplexen von damals zu tragen… Es waren Dinge, an die er sich lieber nicht erinnert hätte. Aber in dieser Situation kehrten die dunklen Erinnerungen zurück. Er schob sie beiseite. Jetzt zählte nur die Gegenwart, nicht die Vergangenheit. »Zurück zum Camp!« schlug er vor, als sie alle wieder einigermaßen fit waren, und sie nahmen es wie eine Anordnung hin. Das Feuer wurde gelöscht, doch vorher bereiteten sie Fackeln vor, die aus abgetrennten Ästen bestanden. Diese Fackeln hielten logischerweise nicht lange vor, brannten sehr schnell ab. Aber es war eher Beschäftigungstherapie denn Notwendigkeit. Die kosmische Staubwolke, die hinter dem 404-System stand, erhellte die Nacht seltsamerweise stärker, als der irdische Mond es fertiggebracht hätte. Man hätte den Weg zurück also durchaus auch ohne Fackeln finden können. Doch das Feuer schuf nicht nur Licht, sondern auch vertraute Wärme, wenn auch immer nur für kurze Zeit. Es reichte, um im Eilmarsch das Camp zu erreichen. Oder das, was davon übriggeblieben war. Erleichtert erkannte Art den Flugdozer. Er sah unbeschädigt aus. Es deutete auch nichts darauf hin, daß das Camp durch Strahlbeschuß vernichtet worden war. Die Verwüstungen wirkten >handgemacht<. Menschen waren nicht zu sehen, weder bewußtlos noch tot. Sie schienen evakuiert worden zu sein. Um dann mit den Linsen abgeschossen zu werden… Art Hooker sah keine andere Möglichkeit. Aus welchem Grund hätten die Raumboote sonst explodiert sein sollen? Dieses schnelle, kaum wahrnehmbare Flugobjekt mußte sie vernichtet haben. Woher kam es? Art konnte sich nicht vorstellen, daß die Shecan etwas damit zu tun hatten. Trotz ihrer Affinität zur Waffentechnik der Terraner. Die fünf Menschen durchstöberten das Camp. 45
Die Zeltpavillons waren zerstört – die Stoffbahnen zerfetzt, die Stangen verbogen oder zerbrochen. Und die technischen Geräte… Die Flüchtenden hatten offenbar keine Zeit mehr gefunden, sie wieder an Bord der Linsen zurückzuschaffen. Aber zu gebrauchen waren sie trotzdem nicht. Sie waren zertrümmert worden. Die Geräte ebenso wie die Behältnisse, in denen Erd- und Pflanzenproben und Insekten verpackt gewesen waren. Irgend jemand hatte mit ungeheurer Wucht auf die Gegenstände eingeschlagen und sie systematisch vernichtet. Auch das tragbare Hyperfunkgerät war zerstört worden. Damit blieb nur das Vipho von Rea Banks. Oder die Funkanlage des Flugdozers, wenn die Antennen erneuert wurden. Zumindest das war mit den vorhandenen Mitteln nicht unmöglich. »Die Shecan müssen hier ganz schön gewütet haben«, sagte Jane. »Ich verstehe nur nicht, warum. Anfangs hat es doch mit der Verständigung so gut geklappt. Und dann plötzlich diese Entfremdung und Aggressivität… Wenigstens haben sie uns am Leben gelassen.« »Erstaunlich bei dem Chaos, das sie hier angerichtet haben«, sagte Andre Bittan. »So handeln nur Amokläufer oder Wesen, die unglaublich stark hassen. Beide hätten uns aber kaum verschont.« »Ich halte das nicht unbedingt für einen Grund, sich zu beschweren«, bemerkte Sakuro trocken. »Ich würde aber gern wissen, warum es passiert ist«, sagte Jane. Weil die dunklen Götter der Verdammnis es so wollten, raschelte es halbtelepathisch hinter ihr und den anderen. Ein Programmgehirn erkannte, daß der Störfaktor aus Raumtiefen beseitigt worden war. Der Sicherheit war Genüge getan. Das Programmgehirn schaltete auf wachsame Bereitschaft zurück. Mehr war in diesem Stadium nicht erforderlich. Die Erfordernis, fremde Kommunikation zu stören, war nicht mehr gegeben. Das Störfeld wurde deaktiviert und erlosch. Im Stand-by-Modus wartete das Programmgehirn. Wenn in den nächsten hundert Zeiteinheiten keine fremdgesteuerte Aktivität mehr erfaßt wurde, würde es sich in den Schlaf-Modus zurückschalten. Bis die Erbauer zurückkehrten, um abermals zu ernten, wo sie nicht gesät hatten. Doch das war schon lange nicht mehr geschehen. Offenbar hatte der Kluis diesen Planeten bereits vergessen. Jane Hooker fuhr herum. Auch die anderen reagierten, obgleich nur Jane die semitelepathische Botschaft aufgenommen hatte. Ein einzelner Shecan stand hinter ihnen. Lautlos hatte er sich den Menschen genähert. Niemand hatte gehört, wie sich die Reptilienpflanze durch das Gras bewegt hatte. Erst das akustische Rascheln der semitelepathischen Verständigung hatte die Menschen auf den Shecan aufmerksam gemacht. Wir wollten das nicht, teilte der Shecan mit. Doch wir konnten nicht anders. Er deutete auf das zerstörte Hyperfunkgerät. Das da wollten wir. »Warum?« entfuhr es Rea. »Das war das einzige Mittel, mit dem wir…« Was von ihm ausgeht, schadet uns. Wir werden krank und sterben. »Aber wieso? Es ist doch nur ein Funkgerät. So wie das hier!« Rea wies auf das Vipho, das am Trageriemen vor ihrer Brust hing. Es ist anders, teilte der Shecan mit. Was du trägst, schadet uns nicht. Das andere schadet uns. »Die Frequenz«, sagte Art Hooker. »Fünfdimensional. Die Shecan reagieren darauf. Wie auch auf die Störstrahlung. Vielleicht ist das auch der Grund dafür, daß sie ausgeflippt sind. Ich gehe davon aus, daß die Störstrahlung im Hyperbereich arbeitet und sowohl die Shecan beeinflußt als auch unseren Funk lahmgelegt hat.« Rea aktivierte ihr Vipho. Sie rief die FO-12. Aber auch jetzt kam kein Kontakt zustande. Allerdings wirkte das Bildschirmflimmern anders 46
als zuvor. »Könnte sein, daß die Störstrahlung jetzt nicht mehr besteht«, vermutete sie leise. »Wenn das Vipho in Ihrem Flugdozer klar wäre, könnten wir es jetzt testen.« »Ist es aber nicht«, brummte Art. »Das ist doch verrückt«, bemerkte Andre Bittan. »Die Shecan sollen auf diese Störstrahlung reagieren? Mann, die sind doch keine lebenden Funkgeräte…« »Nein?« fragte Hooker gelassen. »Sie verständigen sich mit uns über eine Art Telepathie. Das sind fünfdimensionale Wellen.« »Da hätte ich aber gern Beweise«, verlangte Bittan prompt. Aber Hooker ließ sich darauf nicht ein. »Ich bin sicher, daß die Shecan auf 5-D-Einflüsse reagieren. Denken Sie an die Strahlung, die von der Sonne ausgeht. Leben, das unter der Einwirkung dieser Strahlung entstanden ist, reagiert vermutlich ganz anders als alles, was wir kennen. Denken Sie nicht nur in menschlichen Maßstäben. Die funktionieren vielleicht noch bei den Amphis, den Wieseln, den Sukooren… aber garantiert schon nicht mehr bei den G’Loorn oder bei den Giants. Wer weiß, was uns noch alles erwartet. Diese Hybridwesen sind jedenfalls anders als alles, was wir bisher kennen. Sie sind auch anders als die Nogk – und anders als die G’Loorn.« Er grinste boshaft. »Vielleicht, Freunde, sind wir die Ausnahme, wir Humanoiden, Amphis, Wiesel… vielleicht sind Wesen wie die Shecan die Norm im Universum.« »Sie sind ja verrückt!« behauptete Sakuro. »Nein«, widersprach Art Hooker. »Ich spekuliere nur und versuche dabei, mich nicht von festgefahrenen Denkstrukturen einschränken zu lassen. Gesetzt den Fall, daß die Shecan tatsächlich strahlungsabhängig sind, dann werden sie von dem Störfeld garantiert beeinflußt. Deshalb haben sie uns angegriffen…« Die ganze Zeit über hatte der Shecan – die Shecan, das Shecan? ruhig dagestanden wie ein fest verwurzelter Baum, und die Terraner diskutieren lassen. Jane wandte sich ihm wieder zu. »Ihr habt zerstört, was euch schadet«, sagte sie. »Was euch schadet – stammt es von den dunklen Göttern der Verdammnis?« Ja, bestätigte der Shecan. »Wer sind diese dunklen Götter?« Sie sind schwarz wie die dunkelste Nacht. »Erschöpfende Auskunft«, murmelte Sakuro. »Wo leben diese Götter?« fragte Jane. Hinter dunklen Toren. Und in Dingen, die am Himmel fliegen. »Was sind das für Dinge?« Sie sind rund, und sie sind immer doppelt. »Wirklich«, murmelte Sakuro ätzend. »Sehr erschöpfende Auskunft. Ich weiß jetzt genau Bescheid.« »Halten Sie den Mund, Kollege«, sagte Bittan. »Warten Sie doch erst mal ab. Schließlich sind wir erst am Anfang unserer Gespräche. Vergessen Sie nicht, daß die Shecan eine Menge von dem mitkriegen, was wir reden und auch denken, selbst wenn wir es nicht direkt an sie richten. Daher sollten wir vorsichtig sein mit Äußerungen, die diese Wesen verärgern könnten.« Der Shecan drehte seinen Blütenkopf. Jetzt, bei Nacht, sah die Blüte anders aus als am Tag – fast so, als hätte sie sich geschlossen. Der Pflanzenanteil, dachte Art Hooker. Blüten schließen sich in der Nacht. Der Shecan sah Andre Bittan lange an, nachdenklich, wie es Art schien. Dann wandte er den Kopf wieder Jane zu. Sie hatte gewartet, bis sie wieder seine ungeteilte Aufmerksamkeit besaß. »Wie rund sind sie?« fragte Jane. »Und weshalb immer doppelt?« Es ist so. Der Shecan schaffte es irgendwie, Jane eine annähernd ku47
gelförmige Gestalt zu beschreiben, aber er ging nicht darauf ein, warum sie immer doppelt sein sollte. »Wo befinden sich die dunklen Tore?« wollte Jane jetzt wissen. Weit von hier. »Wie weit?« Weit genug. Damit glaubte der Shecan alles gesagt zu haben. »Besonders mitteilsam ist er wirklich nicht«, flüsterte Rea Banks Art Hooker zu. Erstaunlich schnell wirbelte die Reptilienpflanze zu ihr herum. Ihr seid ungeduldig wie die dunklen Götter der Verdammnis. Vielleicht seid ihr ebenso schrecklich… Wir kennen euch nicht. Wir müssen euch erst noch kennenlernen. »Du hast recht«, lenkte Rea ein. »Wir werden uns näher kennenlernen. Dann reden wir noch einmal über die dunklen Tore der dunklen Götter.« Wir bedauern, Gewalt gegen euch angewendet zu haben, teilte der Shecan sich mit. Dann wandte er sich um und eilte auf seinen Laufwurzeln davon. Die Terraner blieben allein zurück. Allein mit ihren Fragen und Ängsten… Sie übernachteten im Flugdozer. Für fünf Personen war es zwar recht eng in der relativ kleinen Maschine, aber in ihrem Innern fühlten sie sich einfach sicherer als unter dem freien Himmel der fremden Welt. während der Nacht, aber auch im Laufe des nächsten Tages, versuchte Rea Banks immer wieder, eine Funkverbindung zur FO-12 herzustellen. Doch der Raumer meldete sich nicht. Aus Resten der im Camp zerstörten Geräte bastelten die Hookers neue Funkantennen für den Flugdozer, aber auch damit war kein Kontakt zum Forschungsraumer möglich. Das Hyperfunkgerät ließ sich nicht mehr reparieren. Wichtige Teile waren so zerstört, daß sie keinesfalls ersetzt oder überbrückt werden konnten. Art Hooker konnte sich des Verdachts nicht erwehren, daß die vandalierenden Shecan sehr genau gewußt hatten, was sie zerstören mußten… Genau wie bei der Sache mit dem Blaster: Es war, als würden sie sich bestens mit Technik auskennen! Aber andererseits deutete alles auf eine nichttechnische Zivilisation hin. Die Art, wie sie sich ausdrückten, war selbst in den Gedankenbildern eher unbefangen und umschreibend. Die Menschen hatten bisher nur wenige intelligente Völker kennengelernt; ihnen fehlten die entsprechenden Erfahrungswerte. Aber gerade Art und Jane Hooker kannten zwei Fremdvölker aus eigenem Erleben – Synties und Nogk. Und beide verständigten sich mit einer Art Gedankenübertragung, ähnlich wie hier die Shecan. Deshalb glaubten die beiden Prospektoren, ihre entsprechenden Erfahrungen übertragen zu können. Konnte man im telepathischen Bereich lügen? Konnte man, wenn Gedankenbilder im Spiel waren, überhaupt jemanden täuschen? Bei den Nogk schien das nicht der Fall zu sein. Die Synties, diese energetischen Tropfenwesen, die sich sowohl in Planetenatmosphären als auch im Weltraum aufhalten konnten, über enorme hypnosuggestive Kräfte verfügten und sich auf irgendeine Weise ohne technische Hilfsmittel per Transition durchs All fortbewegten, waren da schon undurchschaubarer. Auch die Shecan waren undurchschaubar; vorläufig wenigstens. Weder Art noch Jane wußten so recht, was sie von diesen Hybriden halten sollten. Waren sie ihnen tatsächlich freundlich gesonnen? »Wie auch immer«, sagte Art schließlich, »wir werden uns wohl irgendwie mit ihnen zusammenraufen müssen. Denn vorerst sitzen wir auf diesem Planeten fest. Da die FO-12 sich immer noch nicht meldet, gehe ich davon aus, daß sie vernichtet wurde.« »Von den Shecan?« fragte Sakuro bitter. »Kaum. Es paßt nicht zu ihnen. Erinnern Sie sich, wie dieser Bursche 48
versucht hat, sich zu entschuldigen. Wenn sie uns hätten töten wollen, hätten sie das mühelos gekonnt. Sie haben es aber nicht getan. Warum also hätten sie die FO-12 vernichten sollen?« »Vielleicht unterscheiden sie zwischen Lebewesen und Raumschiffen«, gab Rea zu bedenken. »Oder zwischen Dingen, die fliegen, und Dingen, die am Boden sind. Den Flugdozer haben sie in Ruhe gelassen, die beiden Linsen wurden abgeschossen.« »Ich bin mir da nicht so sicher. Ich denke, auch wenn sie wenig mit Technik zu tun haben, wissen sie doch sehr genau zu unterscheiden. Wir werden vermutlich mit diesen Wesen noch eine Menge Überraschungen erleben.« »Ich muß immer wieder an die G’Loorn denken«, sagte Rea. »Was über sie berichtet wurde, macht mich schaudern. Auch sie waren auf irgendeine Weise pflanzlich. Gut, wir wissen nicht sehr viel über sie – im Grunde nur das, was Ren Dhark und die Crew der POINT of aus dem Zentrumsbereich der Galaxis an Informationen mitgebracht haben, und wir wissen, daß die G’Loorn jetzt in unserer Zeit keine Rolle mehr spielen – aber was, wenn sie nicht die einzige Entität dieser Art darstellen?« Art winkte ab. »Zerbrechen Sie sich darüber nicht den Kopf. Mir geht da gerade der Begriff >Cargo-Kult< durch den Kopf.« »Was bedeutet das?« Der Prospektor lächelte. »Ein Phänomen, das es auf der Erde gab, noch vor Beginn des Raumfahrtzeitalters. Damals hatte die Ära der Flugzeuge begonnen. Das waren auch hochtechnisierte Apparate. Und es gab damals wie heute Bereiche, in denen Menschen unter noch recht primitiven Bedingungen lebten. Die Papua, die Aborigines, die Yanomami, und so weiter. Jedenfalls gab es weit mehr nichttechnisierte Gemeinschaften als heute. Im Lebensbereich einer dieser nichttechnisierten Gemeinschaften tauchten irgendwann Frachtflugzeuge auf, die irgendwelche Lebensmittel oder Hilfsgüter für Forscher brachten. Und als die Forscher und die Flugzeuge nicht mehr kamen, bauten die Nichttechnisierten mit ihren Mitteln ein Flugzeug, als Modell, als eine Art Tempelanlage… Es konnte natürlich nicht fliegen, sah nur so aus wie ein Flugzeug. Sie imitierten sogar die RumpfAufschrift, die das Wort >Cargo<, also >Fracht<, beinhaltete. Daher der Begriff >Cargo-Kult<. Die Menschen verehrten dieses Flugzeug wie eine Gottheit.« »Was wollen Sie uns damit sagen, Art?« fragte Rea. »Ich überlege, ob es hier nicht ähnlich sein könnte. Erinnern wir uns mal an das, was wir erfahren haben. Dinge, die am Himmel fliegen, dunkle Götter der Verdammnis… der Umgang mit Blastern, das fehlende Staunen über unseren völlig anderen Metabolismus.« »Was um so bemerkenswerter ist, wenn man bedenkt, daß wir bisher keine Säugetiere entdecken konnten. Was wir fanden, sind Reptilien oder Insekten«, warf Sakuro ein. Hooker nickte. »Wir zählen ebenfalls zu den Säugern, die sie eigentlich gar nicht kennen dürften. Für mich deutet das darauf hin, daß sie zwar selbst keine Technik verwenden, aber durchaus über außerplanetarische technikorientierte Wesen informiert sind. Daß Besuche aus dem Weltraum für sie völlig normal sind.« »Aber warum nehmen sie dann die Technik der Außerirdischen nicht an?« brummte Sakuro. »Weil sie so glücklicher sind. Weil sie sich davor fürchten. Oder aus anderen Gründen«, arbeitete Bittan an einer Erklärung. »Selbst auf der Erde gab es Zivilisationen, denen die technische Entwicklung viel zu schnell ging und die auch ohne Technik glücklich sein konnten. Etwa die von Hooker vorhin erwähnten nichttechnischen Gemeinschaften. Die Shecan bekommen Besuch, aber sie sehen keinen Sinn darin, dessen Gebräuche zu übernehmen. Andererseits sind sie gute Beobachter und können mit der Technik ihrer Besucher durchaus 49
umgehen. Sie kennen sie, aber sie brauchen sie nicht zum Leben.« »Vielleicht brauchen sie etwas anderes zum Leben«, murmelte Rea düster. »Wie die G’Loorn…« »Daran glaube ich nicht«, sagte Hooker entschieden. »Wir sollten uns auch nicht zu sehr in Spekulationen ergehen, sondern einfach nach vorn blicken. Wir müssen uns hier irgendwie arrangieren, und deshalb müssen wir so viel wie möglich über unsere Umwelt erfahren, und das auch noch möglichst schnell. Wenn uns die Shecan dabei helfen können, ist das sehr gut – aber dazu müssen wir auch die Shecan verstehen lernen. Also keine unnützen Spekulationen, bitte, sondern Fakten. Und die müssen wir uns erarbeiten.« Er mußte sie aufrütteln, mußte ihnen eine Aufgabe geben, bevor die Verzweiflung sich ausbreiten konnte. Sie waren allein auf diesem Planeten. Alle anderen waren tot, die FO12 höchstwahrscheinlich vernichtet. Darüber durfte niemand zu intensiv nachdenken. Sie waren auf Bittan gestrandet. Das war absolut klar. Jane und er hatten sich schon einmal in einer ähnlichen Situation befunden. Damals, als der Kolonistenraumer GALAXIS sich durch einen Defekt im Antrieb zwischen den Sternen verirrt hatte und auf Hope landen mußte, statt wie geplant im Deneb-System. Und dennoch war es damals noch ein wenig anders gewesen; schließlich hatten sich nicht nur fünf Menschen an Bord der galaxis befundenen, sondern fünfzigtausend, und anfangs war der Raumer noch flugfähig gewesen. Dann hatte Rocco begonnen, das Schiff auszuschlachten, und bald darauf hatten die Amphis bei ihrem ersten Großangriff die Hülle zerstrahlt und die Menschen zu Gefangenen ihres Planeten gemacht. Aber sie waren eine große Gemeinschaft gewesen, eine ganze Stadt. Hier waren sie nur noch eine Handvoll. Hier konnte der Einzelne keinen Halt in einer großen Gemeinschaft finden… Sie mußten beschäftigt werden. Sie durften nicht dazu kommen, über den Tod ihrer Kameraden oder über ihre fatale Situation nachzudenken. »Wir brauchen die Shecan. Sie müssen uns helfen, von hier wegzukommen«, drängte der Prospektor. »Ausgerechnet die Shecan? Die unser Hyperfunkgerät kurz und klein geschlagen haben?« fauchte Shen Sakuro. Hooker registrierte voller Sorge den Stimmungsumschwung des Biologen, der gestern noch ein ausgeglichener, neugieriger Mensch gewesen war. »Sie kommen mit der 5-D-Strahlung nicht zurecht«, erinnerte Hooker. »Deshalb haben sie das Hyperfunkgerät zerstört. Es arbeitet auf der gleichen Basis wie die Störstrahlung, die zuvor unseren Funk lahmgelegt hat.« »Ich glaube ihnen einfach nicht, daß sie das spüren. Das ist Unsinn«, brummte Sakuro. »Schon mal an die Giants gedacht, die mit ihrer CommutatorStrahlung Menschen zu willenlosen Marionetten machten, die auf Funksignale reagierten? Was dort künstlich hervorgerufen wurde, kann hier natürlichen Ursprungs sein – und muß ich jetzt noch einmal auf die Sonne mit ihrer abstrusen 5-D-Strahlung verweisen?« »Und wenn die Shecan selbst künstlich geschaffen wurden?« gab Sakuro zu bedenken. »Diese dunklen Götter… vielleicht waren sie Genetiker, die Hybriden züchteten? Großer Sternenhimmel, Hooker, Wesen, die die Eigenschaften von Pflanzen und Reptilien auf sich vereinigen, kann es in der Natur nicht geben…« »Weil viele Wissenschaftler ein Brett vorm Kopf haben und nicht von ihren Dogmen lassen wollen. Sie haben irgendwann als kleine Kinder mal etwas erzählt bekommen, und das nehmen sie als Maßstab, der in alle Ewigkeit zu gelten hat! Was nicht in dieses engstirnige Weltbild paßt, kann allein deswegen nicht sein, weil es gefälligst nicht zu sein 50
hat!« fuhr Hooker ihn bewußt an. »Verdammt, wie lange haben alle nachgeplappert, was irgendwer aus Einsteins Relativitätstheorie gedeutet hat, daß Überlichtgeschwindigkeit unmöglich sei? Nur fünfzig Jahre vor Einstein galt eine Geschwindigkeit von mehr als 20 Kilometer pro Stunde für den Menschen noch als tödlich! Mann, Sakuro, warum fehlt es euch Akademikern eigentlich grundsätzlich an Fantasie? Ist das eine Vorbedingung, um sich Wissenschaftler nennen zu dürfen?« Der Biologe sprang mit geballten Fäusten auf. »Art!« entfuhr es Jane. »Bist du…« »Lernen Sie erst mal, zwischen Fantasterei und ernsthafter Wissenschaft zu unterscheiden!« schrie Sakuro den Prospektor an. »Und was ist Wissen ohne Fantasie? Wie kommt man auf neue Ideen? Nicht, indem man alte kritiklos nachplappert!« Hooker riß abwehrend beide Arme hoch und lachte. »Und, Sakuro? Wach geworden? Habe ich Sie jetzt endlich bei Ihrer akademischen Ehre gepackt? Kommen Sie, finden wir heraus, was es mit den Shecan auf sich hat! Vielleicht haben Sie ja recht, und die Shecan sind tatsächlich genmanipulierte Opfer irgendwelcher Superverbrecher von den Sternen. Aber vielleicht sind sie wirklich echte Kinder dieses Planeten und dieser Sonne! Nur wenn wir herausfinden, wie alles zusammenhängt, können wir vielleicht mit Hilfe der Shecan einen Hypersender konstruieren, der so arbeitet, daß die 5-D-Strahlung sie nicht in ihrem Wohlbefinden beeinträchtigt!« Shen Sakuro, einen ganzen Kopf kleiner als der Prospektor, stand mit geballten Fäusten vor Hooker – ein Kraftpaket, das jeden Moment explodieren konnte, und in den Augen des Biologen sah Art, daß dieser kleine Mann durchaus zu kämpfen gewillt war. »Unsere Feinde«, sagte Hooker, »sind nicht wir, sondern unsere Fantasielosigkeit und jene, die für die Zerstörung der Linsen und vielleicht der FO-12 verantwortlich sind!« Sakuros Schultern sanken herab. »Ja«, sagte er. »Packen wir sie und reißen wir ihnen den Schwanz aus.« Der Prospektor grinste. »Das wollte ich hören«, sagte er. »Das heißt, wir werden uns mit den Shecan beschäftigen und ihr Vertrauen gewinnen müssen – und sie schließlich dazu bringen, uns zu erzählen, wie wir mit ihren dunklen Göttern Kontakt aufnehmen können. Ich bin sicher, daß diese ominösen Götter die Linsen abgeschossen haben.« »Und vielleicht die FO-12«, fügte Rea bitter hinzu. »Darüber können wir nur spekulieren. Vielleicht existiert der Raumer noch, und wir werden bald abgeholt. Vielleicht ist er geflohen, ruft Hilfe herbei, und in ein paar Stunden oder ein paar Tagen scheppert es hier ganz gewaltig.« »Spekulation«, sagte Bittan. »Ich glaube, daß der Raumer vernichtet wurde. Was da vorüberraste und die Linse zerfetzt hat… ich fürchte, dagegen hat ein Forschungsschiff keine besonders große Chance.« »Sie haben eine fantastische Art, andere Leute zu ermutigen«, fuhr Sakuro ihn angriffslustig an. »Springt euch nicht gegenseitig an den Hals, sondern wartet damit, bis wir die wahren Schuldigen haben«, ermahnte Hooker die beiden Streithähne. »Und je schneller wir das schaffen, um so besser. Worauf warten wir eigentlich noch?« »Hat dich eigentlich schon mal jemand einen Narren genannt?« flüsterte Jane ihrem Mann in einem der wenigen Augenblicke zu, in denen sie allein waren. »Du läßt zu, daß sie glauben, die FO-12 sei vernichtet worden. Damit nimmst du ihnen doch jede Hoffnung.« »Sie wollen es doch glauben«, sagte er düster. »Warum soll ich versuchen, gegen diesen Willen anzukämpfen? Aber wenn ich sie bestätige und ihnen aus der Bestätigung heraus eine Aufgabe gebe, werden sie sich besonders intensiv hineinknien, weil sie glauben…« 51
»…ein Raumschiff erbeuten zu können?« »Oder wenigstens diesen Hypersender, der den Shecan nicht schadet!« »Art, wir haben hier keinen Ren Dhark, der allein durch sein Charisma alle mitreißt…« »Wenn ich es richtig anstelle, brauchen wir hier vielleicht keinen Ren Dhark.« Er lächelte verloren. »Obgleich es ein schöner Anblick wäre, wenn der Ringraumer über uns am Himmel erscheinen würde, nicht wahr? Wenn Dhark mit seiner POINT of käme, um uns alle von hier abzuholen… Jane, ich bin froh, daß wir den Dozer auf diese abenteuerliche Weise nach unten gebracht haben. So ist uns wenigstens unsere vertraute Maschine geblieben«, wechselte er abrupt das Thema. Ihr einziger Besitz, ihr Wohnmobil… …das sie jetzt mit den anderen Gestrandeten zu teilen hatten. Jane reckte sich der Sonne entgegen. »Die Shecan kennen den Flugdozer jetzt«, sagte sie. »So, wie ich diese Wesen einschätze, sprechen sich Neuigkeiten unter ihresgleichen schnell herum. Ich denke, wir können es also riskieren, Expeditionen mit dem Dozer durchzuführen.« Art nickte. »Besser, als uns zu Fuß durchs Gelände zu arbeiten«, sagte er. »Allerdings sollten wir den Shecan auch ein Zeichen setzen. Eine Konstante, damit sie wissen, daß sie uns zumindest in diesem Punkt vertrauen können.« »Und der wäre?« »Wir errichten das Basislager neu. Das wird jetzt zwar nur mit den primitivsten Mitteln möglich sein, aber wenn irgend jemand eine Hütte baut, mag das schon reichen. Wir sind hier in Wassernähe, der Ort ist fast ideal. Eng wird es nur mit Nahrungsmitteln. Falls sich die gefangenen beziehungsweise gesammelten Pflanzen, Insekten und Reptilien nicht als eßbar erweisen, bekommen wir ernsthafte Probleme. Auf jeden Fall wird sich Sakuro daran gewöhnen müssen, seine Forschungsobjekte zu essen.« »Du glaubst, die Shecan würden uns sonst nicht vertrauen?« Art sah sie ernst an. »Du hast sie besser kennengelernt als ich. Was meinst du?« »Daß du wohl leider recht hast… nun gut, bauen wir eine Hütte. Und dann sehen wir zu, daß wir auf Shecan treffen. Wir dürfen nicht warten, bis sie wieder zu uns kommen, sondern wir müssen zu ihnen gehen. Ich glaube, darauf warten sie jetzt sogar. Wen nehmen wir mit?« »Uns beide«, sagte Art. »Ich werde mit dem Dozer ein paar Bäume und Sträucher heran schaffen und zerkleinern, so daß die anderen daraus eine primitive Hütte bauen können, die Schutz vor Regen bietet – falls es hier in absehbarer Zeit regnen sollte. Ein paar Zeltreste können auch verwendet werden, aber darum sollen die anderen sich kümmern. Wir kümmern uns derweil um die Shecan.« »Ohne Sakuro und Bittan?« Art lächelte. »Ich möchte mit den Shecan plaudern. Ich möchte sie nicht sezieren und unters Mikroskop legen oder ihre Paarungsgewohnheiten beobachten«, sagte er. Sie umarmte ihn und lehnte sich an ihn. »Art, glaubst du auch, daß die FO-12 vernichtet worden ist?« Er zögerte mit seiner Antwort. »Ja«, sagte er schließlich. »Ich hoffe zwar das Gegenteil, aber das lange Schweigen spricht für sich.« »Wir sitzen hier also fest.« »Nur wenn wir uns festhalten lassen. Aber das will ich nicht. Deshalb müssen wir bald los. Je früher wir uns mit den Shecan über ihre dunklen Götter unterhalten, desto eher kommen wir an deren Technologie.« »Du glaubst also wirklich, daß…« »Sie leben hinter dunklen Türen und fliegen mit Dingen, die runder 52
sind als unsere«, sagte Art. »Sie sind eine technisch orientierte Zivilisation, vermutlich ein raumfahrendes Volk. Und an die Raumschiffe will ich heran. Diese Götter der Verdammnis sind keine Wesen dieser Welt!«
6. Es dauerte Tage, bis es zu einem richtigen Kontakt mit den Shecan kam. Lange zogen sie sich vor den Terranern zurück, abgesehen von ein paar lockeren Plaudereien, wenn sich bei einem zufälligen Zusammentreffen eine Unterhaltung nicht vermeiden ließ. Aber die Shecan nutzten jede Gelegenheit, wieder im Wald zu verschwinden. Nach knapp einer Woche änderte sich das. Da kamen Shecan zum Camp der Gestrandeten. Sie brachten Geschenke – keine Gegenstände, sondern Jagdbeute, zum größten Teil bereits verzehrfertig zubereitet. Dabei zeigte sich, daß zumindest in diesem Punkt der Reptilienanteil in ihnen überwog; sie erwiesen sich als Fleischfresser, die ihre Beute lieber jagten, als wie Pflanzen darauf zu warten, daß diese Beute sich ihnen näherte. In anderer Hinsicht war jedoch der pflanzliche Anteil spürbar: sie nahmen einen Teil ihrer Nahrung über die Wurzeln auf. Wenn sie sich mit ihren Laufwurzeln vorübergehend dort im Boden verankerten, wo sie sich gerade befanden, sogen sie Mineralstoffe auf. In der Zwischenzeit hatte die Sonne für Aufregung gesorgt. Da die aus der FO-12 mitgebrachten Instrumente samt und sonders zerstört waren, gab es keine Möglichkeit, neue Strahlungsausbrüche meßtechnisch festzustellen. Die Geräte des Flugdozers waren wohl dazu geeignet, Masse zu orten und Bodenbeschaffenheit und Erdschichten zu analysieren. Aber was aus dem Weltraum kommende Strahlung anging, war der Dozer nicht gut genug ausgestattet. Bittan hatte noch ungefähr im Kopf, für welche Zeiten die AstroAbteilung der FO-12 weitere Eruptionen geschätzt hatte; einer dieser Momente lag bereits hinter ihnen, und vorsichtshalber hatten sie sich während dieses Zeitraums ins Innere des Flugdozers verkrochen und gehofft, daß dessen Druckkörper, der immerhin wasser-und vakuumfest war, die Strahlung weitestgehend von ihnen abhalten würde. Nach der Verwüstung des Camps gab es natürlich auch keine Möglichkeit mehr, einen Energieschirm zu errichten, und Schutzanzüge besaßen sie nicht – die waren mit den Linsen vernichtet worden. »Auch in diesem Punkt müßten uns die Shecan helfen können«, überlegte Sakuro. »Wenn sie tatsächlich so stark auf 5-D-Strahlung reagieren, wird eine Sonneneruption kaum unbemerkt an ihnen vorübergehen. Möglicherweise hat ihre Spezies im Laufe ihrer Existenz einen Warninstinkt entwickelt. Davon könnten wir profitieren. Wenn die Shecan Schutzmaßnahmen ergreifen oder ihr Verhalten in Richtung verstärkter Aggression ändern, wird es auch für uns Zeit, in Deckung zu gehen…« Art Hooker verzichtete darauf, den Biologen daran zu erinnern, daß er noch vor ein paar Tagen an die Strahlungsempfindlichkeit der Shecan nicht hatte glauben wollen, und daß er auch noch behauptet hatte, diese Wesen seien nicht auf natürliche Weise auf diesem Planeten entstanden, sondern künstlich geschaffen worden. Warum sollte der Mann seine Meinung nicht korrigieren dürfen? Die Selbstverständlichkeit, mit der es tat, freute Hooker. Offenbar gehörte Shen Sakuro doch nicht zu den Betonköpfen, die nur deshalb nicht umdenken wollten, weil sie keine Lust dazu hatten. Sie unterhielten sich mit den Shecan, wann immer es möglich war, und fanden überraschende Dinge heraus; wenngleich diese Hybriden niemals auch nur versucht hatten, Technik zu entwickeln, verfügten sie doch über eine erstaunliche Kultur. Sie blickten auf eine lange Geschichte zurück, sie kannten Heldensagen, sie kannten Lieder. Es war erstaunlich, welche Klänge sie zustandebrachten, nur indem sie 53
ihre Blätterhaut in Bewegung versetzten. Was ihnen fehlte, war das geschriebene Wort. Schriftliche Aufzeichnungen waren ihnen völlig unbekannt, und sie konnten sich darunter auch nichts vorstellen. Ihr gesamtes Wissen wurde >mündlich< weitergegeben, wobei sie sich untereinander auf andere Weise verständigten als im halbtelepathischen Gespräch mit den Menschen. So schlichen sich in die Überlieferungen hin und wieder Unstimmigkeiten ein. Je nachdem, welcher Shecan >erzählte<, klang die Geschichte manchmal etwas anders. Was aber sehr verblüffend war: auch wenn ihnen selbst jede Technik fremd war, begriffen sie doch die Technik anderer Wesen! Es stellte sich heraus, daß die Menschen nicht die erste Fremdrasse war, mit der sie in Kontakt gekommen waren. Unter welchen Umständen frühere Kontakte stattgefunden hatten, darüber sprachen sie nicht, aber sie berichteten von glatthäutigen feuchten Wesen, von Geschöpfen, die eiförmige Raumschiffe flogen und sich mittels Gedankenbildern verständigten, sie sprachen von schwebenden Tropfen… unschwer waren in diesen Beschreibungen Amphis, Nogk und Synties wiederzuerkennen. Aber es gab auch Beschreibungen von Riesen mit vier Sprechmündern, von kleinwüchsigen Humanoiden, von anderen mit regenbogenfarbener Haut, von spinnenartigen Kreaturen, deren Körper das Licht schluckten und von denen die Terraner zunächst annahmen, damit seien die dunklen Götter der Verdammnis gemeint. Aber bald stellte sich heraus, daß das ein Irrtum war. Die Giants waren ihnen unbekannt. »Habt ihr jemals Wesen gesehen, die in Raumschiffen flogen, die wie Ringe aussehen?« wollte Jane Hooker wissen. Da änderte sich die vorher entspannte Haltung ihrer Gesprächspartner. Wir haben sie niemals gesehen, aber unsere Ahnen kannten ihre Raumschiffe, mit denen sie den Himmel verdunkelten. Sie holten viele von unseren Ahnen zu sich an Bord, doch wer entführt wurde, kehrte nie zurück. Außerhalb ihrer Raumschiffe haben die Unheimlichen sich niemals gezeigt. Doch als sie unsere Welt endlich wieder verließen, waren wir nur noch wenige. »Scheint ganz so, als würden sich die Mysterious nicht nur bei raumfahrenden Völkern einer enormen Beliebtheit erfreuen, sondern auch bei planetengebundenen«, bemerkte Art sarkastisch. Es war eine Tatsache – und zugleich ein Rätsel –, daß Ren Dharks Ringraumer immer wieder von Fremdrassen angegriffen wurde. Selbst um den Preis ihrer eigenen Zerstörung versuchten sie, die POINT of zu vernichten – was bisher erfreulicherweise nie gelungen war. Sie mußten einen unvorstellbaren, unerbittlichen Haß auf die Erbauer der point of haben, die sogenannten Mysterious. Das hatte den Ringraumer schon oft in gefährliche Situationen gebracht. Mehrfach versuchten Art und Jane, die hauptsächlich die Gespräche mit den Shecan führten, den Mischwesen auf den Zahn zu fühlen und nach dem Ursprung ihres überlieferten Wissens und ihres Einfühlungsvermögens in Fremdtechnik zu forschen. Aber sie erhielten keine zufriedenstellende Auskunft. Auch was die Entstehung ihrer Art und ihre Fortpflanzung anging, hüllten sich die Shecan in Schweigen. Es gab zwar eine Schöpfungsgeschichte, doch die war seltsam verworren, in sich noch widersprüchlicher als alles andere, und immer wieder tauchten die dunklen Götter der Verdammnis in dieser Legende auf. Weder Art noch Jane Hooker gelang es jemals, eine nähere Beschreibung zu erhalten. Es wurde lediglich deutlich, daß die Shecan ihre dunklen Götter haßten und ihnen die Schuld für jedes Ungemach gaben -sogar im Zusammenhang mit jenen Ringraumern, die vor weit mehr als tausend Planetenjahren Reptilienpflanzen entführt haben sollten. Shen Sakuro versuchte auf andere Weise, dem Geheimnis der Shecan näherzukommen. 54
Sie halfen ihm bereitwillig dabei. Als er nach Zellproben suchte, händigten sie ihm mehrere Handvoll abgelegter Hautblätter aus, und zwei Shecan arbeiteten mit daran, technisches Gerät wieder zusammenzubasteln, das bei ihrem früheren Überfall auf das Camp zerschlagen worden war. Sakuro konnte eine Gen-Analyse durchführen. Das Ergebnis war so überraschend, daß Sakuro es zunächst selbst nicht glauben wollte. Er überprüfte es mehrmals, verglich es mit anderen Zellproben aus Fauna und Flora des Planeten, verglich es sogar mit Körperzellen, die er sich selbst entnahm. »Wenn das hier stimmt«, seufzte er, »haben wir es mit einem Phänomen zu tun, das höchstwahrscheinlich in der Galaxis einzigartig sein dürfte. Für eine eingehendere Analyse brauchte ich natürlich eine viel bessere Ausrüstung als dieses Provisorium hier, und es wäre mir lieb, wenn das Resultat von anderen Experten überprüft und bestätigt werden könnte…« »Was haben Sie herausgefunden?« wollten die anderen wissen. Sakuro wartete mit seiner Eröffnung bis die Nacht hereinbrach, die Shecan sich zurückzogen und die Terraner unter sich waren. »Ich bin mir nicht sicher, wie sie darauf reagieren werden«, sagte er schließlich. »Es könnte ihr gesamtes Weltbild über den Haufen werfen. Sie scheinen mir zwar sehr aufgeschlossen zu sein, aber…« »Nun reden Sie schon«, drängte Rea. »Unser Weltbild wird schon nicht so schnell ins Wanken geraten.« Sakuro zuckte mit den Schultern. »Die Shecan sagen, die dunklen Götter hätten sie geschaffen. Inwieweit das stimmt, weiß ich nicht, aber es kommt der Sache sehr nahe. Denn natürlich entstanden ist diese Lebensform nicht.« »Was soll das heißen?« »Ganz einfach«, erklärte er. »Die Shecan sind künstlich geschaffene Wesen. Nur die in unserer Galaxis wohl einmalige Strahlungszusammensetzung ihrer Sonne hat die von Unbekannten durchgeführte Verschmelzung von pflanzlicher und reptilischer Lebensform ermöglicht und ein Absterben verhindert; eigentlich sind die Gene nicht kompatibel, aber dieses Strahlengemisch schafft andere, >unnatürliche< Voraussetzungen.« »Wie soll das denn funktionieren?« warf Rea ein. »Was meinen Sie mit unnatürlichen Voraussetzungen? Viren, die fremde Genkombinationen in Zellkerne einschleusen? Dann müßte die DNS…« »Ich verstehe es selbst nicht genau«, wehrte Sakuro ab. »Ich bin Biologe, kein Genetiker. Wie es im Einzelnen funktioniert, kann ich Ihnen nicht sagen. Ich kann nur ein Denkmodell anbieten… Allerdings bin ich absolut sicher, daß es an der Sonne liegt. Das Strahlengemisch, das sie bei ihren Eruptionen aussendet, ist ja an sich schon völlig unmöglich in seiner Zusammensetzung, und irgendein Supergenie hat auf dieser Grundlage fleißig experimentiert. Ich glaube, die Shecan sind außerhalb dieses Systems nicht lebensfähig. Sie sind abhängig von dieser Strahlung, die dafür sorgt, daß die Mischwesen so >funktionieren<, wie wir es vor uns sehen. Nehmen Sie die Strahlung weg, und wir haben keinen Shecan mehr, sondern vielleicht ein Pflanzenfragment, dem etwas Wichtiges fehlt, oder ein Reptil, dem ebenfalls etwas Wichtiges zum Überleben fehlt. Meine Güte, was ließe sich aus dieser Entdeckung machen… wenn ich das Wissen, das Können und die technische Ausrüstung dafür hätte! Aber mit unseren Mitteln bleibt ein großer Teil Spekulation.« »Etwas kann aber nicht stimmen«, wandte Art Hooker ein. »Wir haben doch festgestellt, daß die Shecan auf die Sonneneruptionen, also auf die Strahlung, überaus aggressiv reagieren, und sie haben selbst gesagt, daß die 5-D-Strahlung ihnen Schaden zufügt.« »Kein Widerspruch!« wurde Sakuro jetzt zum Verfechter der Idee, die Hooker vor Tagen als erster aufgebracht hatte. »Aber auch das ist nur Spekulation: Wenn die Strahlungsausbrüche das System, den Pla55
neten und alles Lebende durchdringen, geschieht das in einer wesentlich stärkeren Dosierung, als den Shecan guttut. Stellen Sie sich eine Batterie vor, die überladen wird, oder eine Lampe, die zu viel Strom bekommt – sie brennt durch. Die Shecan werden so mit Energie durchströmt, daß sie nicht wissen, wohin damit. Sie können sie nicht verarbeiten. Ihre… >Batterien< laden sich auf, und die überschüssige Energie, die sie nicht mehr aufnehmen können, wird dann in Aggressionen umgewandelt. So kann ich es mir vorstellen. Das andere Extrem dürfte dann so aussehen, daß ein Wegfall der Strahlung ihre Lebensfunktionen beeinträchtigt; irgendwann ist die >Batterie< leer, die Shecan werden lethargisch, und die Gene verlieren ihre Fähigkeit, zu arbeiten, vor allem zusammenzuarbeiten. Dann werden die Shecan innerhalb kurzer Zeit sterben.« »Klingt alles ziemlich verrückt«, meinte Bittan. »Gene kann man doch nicht einfach auf diese Art, nur durch Strahlung, ein- oder ausschalten. Und wenn sie in die DNS eingefügt werden, müssen sie auch ablesbar und reproduzierbar sein. Es bedarf anderer Enzyme, eines unglaublich komplizierten Systems von…« Er brach ab und zuckte hilflos mit den Schultern. »Ach, zum Teufel, ich kann’s mir nicht vorstellen«, sagte er. »Es widerspricht einfach allem, was ich jemals gelernt habe. Auch wenn mir das Fachwissen fehlt.« »Aber können Sie sich nicht genausowenig vorstellen, wie diese 5-DStrahlung der Sonne überhaupt möglich ist? Trotz Ihres entsprechenden Fachwissens?« konterte der Biologe. Bittan lächelte. Und nickte. »Da ist noch etwas Merkwürdiges«, sagte Sakuro. »Ich habe in den mir zur Verfügung stehenden Hautblättern der Shecan einen Virus entdeckt. Einen tödlichen Virus…« »Was soll das heißen?« entfuhr es Jane Hooker. »Ein tödlicher Virus? Wollen Sie damit sagen, daß die Shecan sterben werden? Oder daß ein Kontakt für uns gefährlich ist?« »Wahrscheinlich nicht«, erwiderte der Biologe. »Den Virus gibt es in kristalliner Form überall auf diesem Planeten. Nichtkristallisiert habe ich ihn auch in anderen Pflanzen und Kaltblütern gefunden. Die aber sind daran gestorben. Die Shecan leben. Und jetzt halten Sie sich fest – der Virus zeigt sich in den Shecan in einer völlig anderen Form, die mich verblüfft: sie leben, und der Virus ist nicht kristallisiert! Es gibt insgesamt sechs Stämme, und dies ist der sechste, der letzte von mir bisher entdeckte. Er verhält sich anders als die übrigen fünf.« »Könnte es dann nicht etwas ganz anderes sein?« »Nein.« Sakuro schüttelte entschieden den Kopf. »Es gibt bestimmte Merkmale, die in allen sechs Versionen vorhanden sind, und zwar so stark, daß es keine andere Deutung gibt – es sind verschiedene, wohl durch Mutation entstandene Varianten desselben Virus. Ich halte ihn übrigens für stark krebserregend, so wie er sich in den Pflanzen und Tieren zeigte, die daran starben.« »Krebs bei Pflanzen?« brummte Bittan. Sakuro ging nicht darauf ein. »Der sechste Virus, der F-Stamm, zeigt dagegen eine völlig andere Charakteristik. Ich finde ihn auch nur in den Shecan. Wie auch immer – er bringt sie nicht um.« Rea hob die Hand. »Shen, könnte es sein, daß dieser F-Virus dafür verantwortlich ist, daß in den Shecan Pflanzen- und Reptilien-Gene so zusammenarbeiten, daß ein lebensfähiger, intelligenter Organismus entsteht?« Sakuro hob beide Hände. »Woher soll ich das wissen?« stöhnte er auf. »Ich sagte schon, ich bin auf diesem Gebiet kein Experte. Ich kann nur Vermutungen anstellen, und ich kann Ihnen nur vortragen, was ich herausgefunden habe. Wenn das dummerweise nicht dem entspricht, was wir alle in der Schule gelernt haben, haben wir eben Pech und lernen wieder etwas dazu. Ich müßte wirklich zumindest eine bessere Ausrüstung haben. 56
Was mir zur Verfügung steht, reicht vorn und hinten nicht.« »Die Shecan«, sagte Rea mißtrauisch, »haben Ihnen beim Reparieren einiger Analysegeräte geholfen. Könnte es sein, daß dabei Geräte so zusammengebastelt worden sind, daß sie fehlerhaft funktionieren?« »Darf ich Ihnen einen Stück vom Fingernagel, ein paar Hautzellen oder einen Tropfen Blut entnehmen?« konterte Sakuro. »Dann führe ich Ihnen vor, wie erstklassig und fehlerfrei diese Bastelresultate funktionieren…« Rea lachte auf. »Ich könnte es nicht einmal nachprüfen, Shen, weil ich meine eigene Gen-Datei nicht kenne! Ich will Ihr Können auch nicht anzweifeln. Ich wollte nur diese Möglichkeit zu bedenken geben. Wenn Sie sagen, daß es keinen Fehler in der Technik gibt, glaube ich es.« »Und was fangen wir jetzt mit unserem Wissen an?« fragte Jane Hooker. Und erinnerte sie alle ungewollt wieder einmal daran, daß sie auf dem Planeten Bittan gestrandet waren. Die ganzen Tage über hatte es von der FO-12 kein Lebenszeichen gegeben. Vermutlich war der Kugelraumer tatsächlich vernichtet worden. Was bedeutete, daß sie sich auf dem Planeten häuslich einrichten mußten. Natürlich war es dabei wichtig, so viel wie möglich zu wissen, zu lernen. Allein, um überleben zu können. Jane schaffte es, das Gespräch wieder auf ein anderes Thema zu bringen und die kleine Gruppe damit von der fatalen Situation abzulenken. Aber später in der Nacht, als sie und Art für ein paar Minuten allein waren, gestand sie ihm, daß sie allmählich den Punkt erreichte, an dem ihre Kraft für all das hier nicht mehr ausreichte. »Es ist alles so sinnlos«, sagte sie. »Wir suchen und untersuchen und forschen, aber wozu? Wir stecken hier noch viel endgültiger fest als damals auf Hope… wir hätten auf Hope bleiben sollen.« »Was sollten wir da noch? Der Planet brachte uns nichts mehr. Den Industriedom erforschen? Dafür gibt es bessere Leute als uns. Wir sind ruhelose Sternenzigeuner, Jane…« »Die jetzt ihren letzten Stern gefunden haben.« »Da ist das letzte Wort noch längst nicht gesprochen«, sagte er. Aber er glaubte selbst nicht so recht daran. Am folgenden Tag unterhielten Hooker und Sakuro sich wieder einmal über die mangelhafte Ausstattung an Geräten. Ein Shecan war in der Nähe und bekam das Gespräch zwangsläufig mit. Bei einem Analyseversuch war Sakuro einmal mehr an die Grenzen der vorhandenen Technik gestoßen. »Es ist zum Kotzen, daß es auf diesem Planeten keine besseren Geräte gibt!« knurrte er zornig. Es gibt sie, vernahmen sie beide das Rascheln und die halbtelepathische >Stimme< des Shecan. Hooker fuhr herum. »Wo?« stieß er hervor. Doch der Shecan eilte auf seinen Laufwurzeln davon, ohne zu antworten. Art versuchte ihn einzuholen und ihm ein Gespräch aufzuzwingen. Aber der Shecan ignorierte ihn, und andere Reptilienpflanzen schalteten sich ein und machten dem Prospektor klar, daß sein Vorgehen sehr unhöflich sei. Auf seine drängenden Fragen, was der erste Shecan mit seiner Bemerkung gemeint hatte, erhielt er keine Antwort. Einmal mehr zeigten die Mischwesen sich von ihrer rätselhaften Seite – einmal waren sie auskunftsfreudig, das nächste Mal wichen sie allen Fragen aus. So wie jetzt. Und dann kam der Tag…
7. 57
Schon am frühen Morgen spürte Art Hooker, daß irgend etwas nicht stimmte. Keiner der Shecan ließ sich in der unmittelbaren Nähe des Flugdozers blicken. Sonst bewegten sich um diese Zeit immer wenigstens drei oder vier von ihnen in der Nähe der Menschen. Warum heute nicht? Der leichte Wind brachte einen seltsamen Duft mit, der ihnen bisher noch nie aufgefallen war. Auch die Farbe des Himmels schien irgendwie anders zu sein. Aber das war, wie sich schnell herausstellte, nichts als eine optische Täuschung. Denn jeder von ihnen sah die Färbung anders. So, als würde jeder einen Farbfilter in seiner ganz persönlichen Lieblingsfarbe vor den Augen haben… »Andre, haben wir vielleicht wieder einen Strahlungsausbruch der Sonne?« erkundigte sich Rea Banks mißtrauisch. Aber der Astronom schüttelte den Kopf. »Scheint mir nicht so zu sein«, überlegte er. »Es würde nicht in den Rhythmus passen, den ich nach den bisherigen Eruptionen und den Daten berechnet habe, die ich noch im Kopf hatte.« »Wissen wir denn wirklich, ob die Sonne sich an die Berechnungen hält? Vielleicht ist sie in dieser Hinsicht ebenso unkalkulierbar wie bei ihrem Strahlengemisch, oder wie es die Gene der Shecan und dieser seltsame Virus sind.« »In diesem Fall nicht«, widersprach Bittan. »Denn das Strahlengemisch an sich ist bei jedem Ausbruch gleich. Muß es schon allein deshalb sein, um die Überlebensfähigkeit der Shecan garantieren zu können.« Er warf Sakuro einen um Unterstützung heischenden Blick zu, und der Biologe nickte. »Würde die Zusammensetzung der Strahlung wechseln, könnte sie die eigenartige Gen-Mischung der Shecan nicht stabil halten«, fuhr Bittan fort. »Da wir aber bei den bisherigen Ausbrüchen nichts gespürt haben, dürften wir auch jetzt nichts spüren. Also ist es nicht die Sonne. Keine Gefahr.« »Die bisherigen Strahlenschauer haben wir nicht ungeschützt im Freien erlebt«, gab Rea zu bedenken. »Wir hatten uns in den Flugdozer verkrochen…« »Und gehofft, daß wir die Zeit richtig kalkuliert haben«, brummte Bittan. »Lieber Himmel, wir sind dieser Veränderung jetzt schon seit ein paar Stunden ausgesetzt und spüren keine Nebenwirkungen. Was soll’s? Vielleicht gehe ich mal los und frage die Shecan, was sie davon halten. Nebenbei gefällt mir dieser Duft, den der Wind herantreibt. Mit dieser Duftnote müßte sich bestimmt ein gutes Geschäft machen lassen.« »Meinen Sie?« staunte Sakuro. »Das als Parfüm oder Luftzusatz bei Konferenzen? Sie können die besten Verträge aushandeln, weil jeder Konferenzteilnehmer sich wohlfühlt…« Das fiel auch Art Hooker auf. Er fühlte sich einfach wohl. Dabei spürte er, wie seine Vorsicht langsam nachließ. Er war bereit, Bittan zu glauben, daß keine Gefahr bestand. »Ich suche die Shecan und rede mit ihnen«, beschloß Sakuro. »Ich komme mit«, erklärte Rea Banks spontan. Jane Hooker wechselte einen schnellen Blick mit ihrem Mann. »Vielleicht«, sagte sie, »sollte noch jemand mitgehen, der sich einen geringen Prozentsatz an Vorsicht bewahrt hat. Läßt du das Bordvipho des Flugdozers auf Dauerempfang?« Er nickte. Seit ein paar Tagen verfügte die Maschine wieder über die Möglichkeit, zumindest im Bildfunkbereich zu senden und zu empfangen. Aber was half es ihnen, wenn sie den Abgrund zwischen den Sternen nicht überbrücken konnten? Immerhin waren sie m der Lage, Verbindung zwischen dem Dozer und den anderen zu halten. »Sollte tatsächlich etwas sein, kommen wir mit dem Dozer«, versprach Art. 58
Er sah den drei Suchern hinterher, wie sie durch das höher gewordene Gras davonschritten. Was sollte schon passieren? Der Duft war eine Laune der Natur. Vielleicht blühten irgendwo Pflanzen, und der Wind brachte ihre Duftstoffe hierher. Andre Bittan hatte recht; damit ließe sich auf Terra ein kleines Vermögen verdienen. Nur befanden sie sich nicht auf Terra… Sakuro und die beiden Frauen schritten zügig aus. Mittlerweile wußten sie, wo sich die Shecan bevorzugt aufhielten. Es gab eine Art Versammlungsplatz hinter dem Waldstreifen, an dessen Rand der erste direkte Kontakt zwischen Jane und einem der Mischwesen stattgefunden hatte. Je weiter sie vordrangen, desto intensiver wurde der Duft. Jane wußte, daß man sich normalerweise mit der Zeit an einen Dauergeruch gewöhnte und ihn nicht mehr bewußt wahrnahm. Wenn er hier sogar noch intensiver zu werden schien, konnte das nur bedeuten, daß die Duftstoffe jetzt eine größere Dichte erreicht hatten. Tatsächlich Blütenduft? Aber woher sollte er sonst stammen? Von Blüten war indessen nichts zu sehen. Für die Gräser, Sträucher und Kräuter schien es nicht die rechte Zeit zu sein. In den Tagen vorher hatte Jane auch bei keiner Pflanze Knospen entdeckt. Gut, das besagte nicht viel; es mochte hier Pflanzen geben, deren Knospen sich so schnell entwickelten, daß man daneben stehen und zuschauen konnte, und natürlich hielt sie nicht grundsätzlich nach solchen Vorgängen Ausschau, aber dennoch… Eine ungewohnte Leichtigkeit beherrschte sie. Rea Banks schien ihre Vorsicht vollkommen abgelegt zu haben. Auch Jane ertappte sich dabei, ihr Mißtrauen abzulegen. Sakuro benahm sich fast wie ein übermütiger kleiner Junge. Ein paar Dutzend Meter entfernt tauchte eine Echse im Gras auf. Sie zeigte sich von ihrer harmlosesten Seite. Dabei wußte Jane, daß diese Biester mit den rasiermesserscharfen Zähnen normalerweise alles, was sich bewegte und nicht wie sie selbst aussah, als Beute betrachteten. Selbst wenn sie satt waren, blieben sie gefährlich -diese Tiere jagten auf Vorrat! Jetzt jedoch machte die braungefleckte Echse keine Anstalten, anzugreifen. Im Gegenteil, sie schien sehr friedlich und zutraulich zu sein. Dicht vor ihr summte ein handspannengroßes Insekt durch die Luft, direkt vor der Nase der Echse, die aber gar nicht daran dachte, zuzuschnappen. Sie schnaufte und knurrte nur. Unter normalen Umständen hätte der Blaufalter nicht den Hauch einer Chance gehabt. Jane lächelte. Die Echse hatte wohl heute ihren sozialen Tag. Erst viel später wurde der Prospektorin klar, wie leichtsinnig sie sich verhalten hatte – sie und die beiden anderen. Die schäferhundgroße Echse hätte die Distanz innerhalb weniger Sekunden zurücklegen können. Wieso hatte Jane nicht wenigstens die Waffe in die Hand genommen? Sie konnte es nicht sagen. Etwas in ihr hemmte Reaktionen und Denkvermögen. Sie drangen in den Waldstreifen vor, durchquerten ihn. Zweimal kamen sie an geflügelten Baumschlangen vorbei, die sie aber total ignorierten. Sie flohen nicht einmal vor den Menschen; statt dessen waren sie sehr eingehend miteinander beschäftigt. Und dann standen sie auf der Lichtung, die die Shecan offenbar als Versammlungsort für ihresgleichen betrachteten. Jane erstarrte. Es mußten Hunderte von Shecan sein, die sich hier versammelt hatten. Sie waren teilweise ineinander verschlungen. Zwischen ihnen bewegten sich Tiere – Reptilien und Insekten, die normalerweise zur 59
Beute der Shecan gehörten, oder die selbst Pflanzen als Nahrung ansahen und dabei, wie die Terraner in Erfahrung gebracht hatten, auch vor Shecan nicht zurückschreckten. Zwischen ihnen allen war eine sehr intensive Vertrautheit entstanden… Jane sah, daß Reas Augen zu glänzen begannen. Sakuro befeuchtete seine Lippen mit der Zungenspitze. »Faszinierend«, raunte er. »Das – das ist ja… unglaublich…« In dieser Form hatten sie die Shecan bisher noch nicht gesehen. Sie blühten… Der Biologe sah glücklich aus. Er begann seinen Overall zu öffnen und atmete tief durch. Er lächelte den beiden Frauen zu und ging dann langsam auf die Reptilpflanzen zu. »Kommt mit«, sagte er leise. »Sie brauchen uns… es ist so schön… so fantastisch… so wunderbar…« Rea Banks nickte. »Was ist, Jane?« fragte sie. »Warum zögerst du noch? Etwas Großartigeres kann es in der ganzen Galaxis nicht geben…« »Art«, klang es aus dem Bordvipho des Flugdozers. Janes Stimme klang gehetzt. »Art, schnell… wir… ich…« Art hörte die Stimme aus der Ferne. Einen Augenblick lang hatte er Probleme, sich zurechtzufinden. Wo war Jane? Er hörte ihre Stimme aus dem Dozer, aber er wußte doch, daß sie nicht da war… Etwas stimmt mit mir nicht, durchfuhr es ihn. Er turnte in den Flugdozer, warf sich in den Sitz vor dem Vipho. »Jane?« »Art, ich kann nicht mehr«, keuchte sie. »Du mußt… wir…« »Was ist passiert?« rief er. »Was ist mit dem Vipho?« Das Bild zeigte nicht Jane, sondern hohe Gräser. Das Bildsprechgerät mußte am Boden liegen. Aber wo war Jane? Was war geschehen? »Bist du verletzt?« Noch während er sprach, schaltete er die Maschinen hoch. Eine Strombank begann zu summen. Die Motoren des Flugdozers erwachten zum Leben. »Nein, Art, nicht verletzt… ich bin… ich bin so glücklich…« Danach klang ihre Stimme aber nicht! »Nein, nicht glücklich, Art! Hilf uns! Wir… du mußt…« »Ich bin schon unterwegs! Halte durch!« verlangte er. »Wo seid ihr? Am >Versammlungsplatz< der Shecan?« »Ich halte durch! Es ist… so schön… so… ich muß zu ihnen… Art, hilf mir!« Es war ein gellender Schrei. »Art! Ich will das nicht! Ich kann nicht mehr…« »Schon unterwegs.« Die Rotorblätter wurden ausgeklappt und gespreizt, begannen sich zu drehen. Augenblicke später hob die Allzweckmaschine ab. Art ging auf etwa fünfzehn Meter Höhe. Er schwenkte die Maschine herum. Dann setzte der Schub der Staustrahl-Turbos ein. Erst als der Flugdozer mit einem gewaltigen Ruck vorwärts schoß, fiel Art ein, daß er Andre Bittan im Lager zurückgelassen hatte. Doch er landete nicht wieder, um den Astronomen aufzunehmen. Jane und die beiden anderen befanden sich in Gefahr. Das war wichtiger. Wahrscheinlich würde Bittan sich wundern, daß Hooker im Alarmstart davonraste, und ihm später Vorwürfe machen. Aber das kümmerte den Prospektor in diesem Moment nicht. Innerhalb weniger Minuten legte der Flugdozer die Entfernung zurück, für die die Menschen gut eine Stunde gebraucht hatten. Noch vor dem Waldstreifen zwang Art den Dozer wieder auf den Boden hinunter. Dort lag ein Mensch im Gras – Jane! Er ließ die Maschine im Leerlauf. Die Rotoren drehten sich träge, bereit, den Dozer jederzeit wieder in die Höhe zu reißen. Vorsichtshalber schaltete Art den Sperrcode ein, den nur er oder Jane wieder lösen konnten und der verhinderte, daß während ihrer Abwesenheit ein anderer die Maschine benutzte. 60
Art prüfte Blaster und Schocker am Gürtel, riß die kleine First-AidBox aus dem Fach und verließ den Dozer. Er sah sich kurz um, konnte keine Bedrohung entdecken und eilte auf Jane zu, von der er ein gutes Dutzend Meter entfernt gelandet war. Sie richtete sich auf. Ihr Haar war zerzaust, Schweiß perlte auf ihrer Haut. Ihre Augen besaßen einen seltsamen Glanz, den er bei ihr bisher nur erlebt hatte, wenn… »Jane!« Er kauerte sich neben sie. Ihr Overall war halb geöffnet, als habe sie ihn ausziehen wollen. »Jane, was ist passiert?« Sie keuchte auf. »Art!« stieß sie hervor und umarmte ihn, wollte ihn küssen. So aufregend das unter anderen Umständen gewesen wäre, jetzt siegte die Vernunft – beziehungsweise das, was davon noch vorhanden war. Art löste die Umarmung. »Bist du verletzt?« »Nein«, brachte sie hervor. »Mir geht es gut, Art, ich bin so froh, daß du hier bist… ich brauche dich… ich will dich…« Sie versuchte den Magnetsaum seines Overalls zu öffnen, wollte sich wieder an ihn schmiegen. Er packte sie, wirbelte mit ihr herum und drängte sie zum Flugdozer. Als er sie in der Einstiegsschleuse abgesetzt hatte, rannte er noch einmal zurück und holte das Vipho, das einfach so im Gras lag. Bei seiner Rückkehr fiel Jane geradezu über ihn her. »Art, die Umluft«, keuchte sie dabei. »Ich… du mußt sie abschalten! Autarke Versorgung! Ich werde noch verrückt, Art, ich brenne… ich… halte es nicht mehr aus…« Sekundenlang starrte er sie verwirrt an. Dann handelte er. Zog sie mit sich in die Druckkabine, aktivierte die Schleusenfunktion und koppelte die Luftversorgung des Flugdozers von der Außenwelt ab. »Etwas ist in der Luft, nicht wahr?« stieß er hervor. »Welche Filter… egal!« Natürlich konnte ihm niemand sagen, welche Filter er vorschalten mußte, um die fremden Partikel auszufiltern. Konsequent setzte er alles ein, worüber der Dozer verfügte. Vielleicht half ja einer der Luftfilter tatsächlich. Atemlos lehnte Jane sich an ihren Mann; er packte zu und hielt sie fest. Ihre Hände glitten über seinen Körper. »Art«, keuchte sie. »Es ist gut… es ist gut, daß du hier bist. Ich weiß nicht, wie lange ich es noch ausgehalten hätte. Ich bin fix und fertig, ich…« Sie küßte ihn voller Leidenschaft, und für einen ganz kurzen Augenblick war er versucht, diese Chance zu nutzen. Hier waren sie gerade mal einen Moment völlig allein; die Welt um sie herum war so abgeschottet, als existiere sie überhaupt nicht mehr. Warum also nicht…? Aber er riß sich zusammen, blockte die Gefühle ab, die ihn überschwemmten. Da waren die anderen, waren vielleicht in Gefahr, und er wußte ja noch nicht einmal, was mit Jane passiert war! Wieso war sie allein? Wo waren Banks und Sakuro? Wieso hatte Jane Banks’ Vipho bei sich? Er mußte Jane noch etwas Zeit geben. Sie befand sich in einem seltsamen Zustand zwischen Euphorie und Verzweiflung. Aber wie war es dazu gekommen? Nach einer Weile beruhigte sie sich. Auch Art spürte, daß er wieder klarer zu denken begann. Lag es wirklich an der Luft? Inzwischen mußten die Filter alles, was störte, herausgefiltert haben; die Luftumwälzungsanlage lief auf Hochtouren, und im Innern des Flugdozers mußte das Luftgemisch jetzt nahezu steril sein. Jane atmete tief durch. »Die anderen«, sagte sie leise. »Wir müssen sie herausholen, ehe sie endgültig… ach, verdammt, ich weiß nicht genau, ob es wirklich eine Gefahr darstellt oder nicht. Auf jeden Fall sind sie nicht mehr sie selbst. Mich hätte es beinahe auch erwischt. Ich habe dagegen angekämpft, aber ich weiß nicht, wie lange ich das noch geschafft hätte. 61
Ich bin froh, daß du gekommen bist.« »Was ist passiert?« fragte er. Alles in ihm drängte danach, zu helfen, aber er mußte erst wissen, was geschehen war. Er hoffte, daß nun Andre Bittan nicht in Gefahr geriet, den er zurückgelassen hatte. Er hatte unverantwortlich gehandelt – sie alle hatten unverantwortlich gehandelt! Das Fernbleiben der Shecan hätte ihnen zu denken geben müssen. Hatte es ja auch. Aber dann hatten sie gegenseitig ihre Bedenken zurückgedrängt, waren leichtsinnig geworden… Was war der Grund? Der Duft? »Wir haben die Shecan gefunden«, sagte Jane leise. »Sie blühen. Und wir… weißt du, was geschieht, wenn Blumen blühen?« »Sie sind schön anzusehen. Sie duften.« »Das ist es«, sagte Jane. »Die Kopfblüten sind wunderschön anzusehen… und von ihnen geht dieser Duft aus. Dessen bin ich sicher. Aber das ist noch nicht alles. Warum blühen Blumen?« »Sicher nicht, um uns Menschen mit ihrem Anblick zu erfreuen«, murmelte Art. »Sie locken Insekten an, mit ihrer Farbenpracht und mit ihrem Duft, und… verdammt!« »Ja«, sagte Jane. »Sie vermehren sich. Entweder treibt der Wind den Blutenstaub weiter, oder Insekten tun es. Die Shecan sind auch m einer Vermehrungsphase. Erinnerst du dich, daß sie auf Sakuros Fragen zu ihrer Art der Fortpflanzung nie geantwortet haben? Ich weiß immer noch nicht, warum. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie selbst nichts darüber wissen. Vielleicht wollten sie uns absichtlich nichts darüber sagen. Jedenfalls erleben wir es jetzt. Und…« Sie verstummte. Art griff nach ihrer Hand. »Ich kann es nicht beschreiben«, sagte Jane leise. »Mir fehlen die Worte. Du mußt es dir selbst ansehen. Flieg hin. Schnell. Ich weiß nicht, ob es gut für uns Menschen ist, was dort passiert. Ich konnte mich dem Zwang entziehen, die anderen nicht. Ich konnte Reas Vipho nehmen und bin gelaufen, einfach nur gelaufen…« Art hatte den Sperrcode wieder zurückgenommen und startete den Flugdozer. Das Universalgerät schwebte über den Waldstreifen der Lichtung entgegen, auf der die Shecan sich ihrem Treiben hingaben. »Zwang?« murmelte Art. Er dachte daran, wie Jane sich ihm vorhin förmlich an den Hals geworfen hatte. Was auch immer es war, was in der Luft lag, es schien das Lustzentrum des Gehirns zu stimulieren. Und gleichzeitig hatte Jane gewußt, daß es nicht geschehen durfte – das war der Verzweiflungszustand gewesen, in dem sie sich befunden hatte. Die beiden anderen offenbar nicht. Es dauerte eine Weile, bis Art Hooker sie zwischen den Shecan und ihren tierischen und insektoiden Bestäubungshelfern entdeckte. »Kannst du die Maschine halten?« fragte Art. »Ich werde sie paralysieren. Das ist alles, was ich tun kann. Vielleicht geben die Shecan sie dann frei. Wenn ich hinuntergehe und versuche, sie zu bergen, falle ich selbst diesem Zwang anheim.« »Wir haben Atemmasken«, erinnerte Jane ihn. Art zuckte zusammen. Wieso hatte er nicht selbst daran gedacht? Scheinbar litt er immer noch unter Nachwirkungen. Oder die Gedanken an das, was gerade unter dem Dozer geschah, verwirrten ihn zu sehr, lenkten ihn ab… »Ich übernehme den Dozer«, sagte Jane. Ihre Stimme klang nicht besonders fest. Art nickte. Er erhob sich aus dem Pilotensitz. Jane schaltete die Steuerung zu ihrem Platz hinüber. Ihr Mann verschwand kurz im hinteren Teil der großen Maschine, dann kam er mit zwei Atemmasken zurück. Eine legte er neben Jane auf das Pult. »Wozu das?« fragte sie. 62
»Die Druckschleuse ist klein. Vielleicht muß ich beide Schotts öffnen. Außerdem, wenn wir Banks und Sakuro an Bord haben, werden sie atmen – ausatmen! Ich möchte das, was dann freigesetzt wird, nicht noch einmal in die Lungen bekommen, ehe es von den Filtern absorbiert wird. Und ich denke, du bist auch nicht besonders darauf erpicht.« »An einem Aphrodisiakum dieser Art bin ich wirklich nicht interessiert«, murmelte sie. »Allerdings… wir hätten vorhin vielleicht…« »Wir holen es später nach«, sagte Art. »Zu unseren Bedingungen. Wenn wir sicher sein können, daß wir alles überstanden haben und die Kontrolle über uns verlieren können, ohne dabei die Kontrolle über uns zu verlieren.« Er grinste, beugte sich vor und küßte Jane. »Ich liebe dich«, flüsterte er ihr zu. Dann streifte er sich die Atemmaske über. Jane tat es ihm gleich. Sie senkte den Flugdozer ab. Der Luftwirbel, den die Rotoren erzeugten, peitschte auf alles ein, was sich unter der Maschine befand. Die Shecan wurden zerzaust, aber sie wichen dem Dozer nicht aus. Es war, als hätten auch sie alle den Verstand verloren. Art hatte sich Rea Banks’ Vipho umgehängt. Er öffnete das Außenschott der Druckschleuse und beugte sich vor, hielt sich dabei mit einer Hand an der Griffstange fest. Er entdeckte die beiden. Sie wanden sich zwischen tastendem Wurzelwerk, schmiegten sich an Blütenköpfe und fast in diese hinein. Ein eigenartiges Gefühl erfaßte Hooker; er mußte dagegen ankämpfen. Etwas wollte ihn trotz der Atemmaske bedrängen und dazu bringen, mitzumachen. Vielleicht eine unkontrollierte halbtelepathische Ausstrahlung der Shecan? Verstärkte sie hier in unmittelbarer Nähe noch die Wirkung der Pheromone, die offenbar durch die Luft gesandt und vom Wind verbreitet wurden? Shen Sakuro war nackt und über und über von einer bunten Masse überzogen – Blutenstaub? Rea Banks trug noch ihre Stiefel und Reste ihres Overalls, den sie offenbar zum größten Teil zerrissen hatte. Auch an ihren freien Hautstellen klebte die fremde Substanz. An den Stoffresten nicht! Die waren völlig blank…! Art hob den Paraschocker und feuerte. Der flirrende Energiefächer hüllte die beiden Menschen ein, ließ sie zusammensinken. Die Shecan selbst reagierten nicht auf die Energie. Art sprang nach unten. Er schlug tastende Greifwurzeln zur Seite, trat und hieb um sich, kämpfte sich seinen Weg frei und schaffte es schließlich, Banks und Sakuro in die Luftschleuse des Dozers zu bringen. Es wurde wirklich sehr eng, aber es gelang ihm dann doch, das Außenschott zu schließen. Körper an Körper mit den beiden stand er in der winzigen Druckkammer. Er schaltete Reas Vipho ein. »Jane!« brüllte er unter der Atemmaske hinein. »Jane, kannst du mich hören?« »Ja! Was ist? Soll ich öffnen?« »Um Himmels Willen nicht!« schrie er in das Gerät. »Du mußt den Fluß anfliegen, so schnell wie möglich! Zum Fluß, Jane! Daneben landen, am Ufer… hast du verstanden?« Sie hatte. Am Andruck merkte Art, daß der Flugdozer herumschwang und Tempo gewann. Jane fragte nicht nach dem Grund für die Anweisung ihres Mannes, sondern handelte einfach danach; er hatte sicher eine Menge guter Gründe dafür. Art stand eingekeilt zwischen den beiden paralysierten Menschen. Ihm schien es, als würde die Atemmaske nicht mehr gut arbeiten; als käme der vertrackte Duft nun doch langsam zu ihm durch. Das fehlte ihm gerade noch – daß er gleich selbst handlungsunfähig wurde! Aber dann setzte der Flugdozer mit einem harten Ruck auf und bewegte sich noch weiter; diesmal auf seinen Raupenketten. Jane fuhr ihn die letzten Meter zum Fluß hinunter. Schließlich kam die Maschine mit einem weiteren Ruck zum Stehen. 63
Hooker hieb auf den Schalter, der das Außenschott öffnete. Er sprang hinaus und zog Rea und Shen nach draußen. »Bleib im Dozer«, forderte er Jane über Vipho auf. »Ich schaffe das schon.« Er hoffte, daß er sich nicht überschätzt hatte. Nacheinander schleppte er die beiden Menschen zum Wasser und tauchte sie ein. So lange, bis der Fluß auch die letzten Reste des Blutenstaubs von ihren Körpern gespült hatte. Dabei stellte er fest, daß Sakuro verletzt war. Am linken Oberschenkel und in Höhe des rechten Schlüsselbeins war seine Haut aufgeschrammt. Vorher, als sein Körper von den Pollen bedeckt war, hatte Art diese Schrammen nicht sehen können. Theoretisch waren es Bagatellwunden; sie begannen erst wieder zu bluten, als der Prospektor die schon getrocknete Blutkruste losriß; er vermutete nicht zu unrecht, daß sich auch unter der Kruste bereits Blutenstaub angesiedelt hatte. Er hoffte, daß nichts von der Substanz in die Blutbahn des Biologen gelangt war. Wenn es seinem Organismus schadete – gab es kein Gegenmittel, kein Serum, das Shen Sakuro retten konnte… Schließlich trug er die beiden in den Flugdozer zurück, schleuste sie ein und achtete dabei sorgfältig darauf, keine eventuellen Pollenreste ins Innere der Maschine zu bringen. Er atmete tief durch, als er es endlich geschafft hatte. Jane hatte sich von ihrem Sitz erhoben. Bestürzt sah sie auf die beiden Gefährten hinab. »Hoffentlich überstehen sie es ohne organische Schäden«, murmelte sie. »Was meinst du damit?« fragte Art. »Ich habe alle Pollen weggespült.« »Aber wir wissen nicht, was sie in sich tragen«, sagte Jane leise. Die Systeme, über die das Programmgehirn auch im Stand-by-Modus verfügte, registrierten nach fast hundert Zeiteinheiten doch wieder energetische Aktivität. Sie war nur gering und bodennah, aber das Energiespektrum entsprach keinem der als freundlich gespeicherten Muster. Technisch orientierte Fremdintelligenzen hielten sich auf der Oberfläche dieses Planeten auf! Das Objekt hatte sich nur dreimal in schneller Folge über extrem kurze Distanzen bewegt. Das Programmgehirn schalte die Überwachung vom passiven in den aktiven Status zurück. Wieder wurde ein Intervall von hundert Zeiteinheiten initiiert… Noch ließ sich die energetische Aktivität nicht als Gefahr einstufen. Aber das Programmgehirn setzte die neue Ortung und die Zerstörung der nicht autorisierten Fremdobjekte im Orbit und im planetaren Bereich miteinander in Verbindung. Hinzu kam der Fakt, daß die neue Ortung nach fast hundert Zeiteinheiten stattgefunden hatte. Also kurz vor dem Moment, in dem das Programmgehirn sich in den Schlaf-Modus zurückgeschaltet hätte. Dann hätte es die schwachenergetischen Impulse überhaupt nicht registriert. Hatte das Fremdobjekt sich zu früh sicher gefühlt? Das Programmgehirn zog keine weiteren Schlüsse, sondern wartete – noch – ab. Die Entscheidung, ob eine Vollaktivierung zu erfolgen hatte, bedurfte einer größeren Menge an Informationen. Stunden später tauchten draußen vor dem Flugdozer drei Shecan auf. Sie trugen ein Stoffbündel bei sich. Dabei bewegten sie sich ziemlich normal – fast. »Wenn ich es wagen kann, ihre Körpersprache mit menschlichen Verhaltensweisen zu interpretieren, dann sind sie ziemlich zerknirscht«, überlegte Jane. Art wechselte einen stummen Blick mit ihr und zuckte mit den Schultern. Sie hatte wahrscheinlich recht. Sie hatte sich am intensivsten mit den Shecan befaßt und unterhalten, mehr noch als der Hobby64
Verhaltensforscher Bittan. Jane konnte das Verhalten der Mischwesen wohl noch am ehesten deuten und richtig einordnen. Erstaunlicherweise hatte Bittan Art keine Vorwürfe wegen seines rasanten Notstarts gemacht. Er hatte sich deshalb nicht mal Gedanken gemacht, sondern die Aktion nur nebenher registriert. Er war tief in Gedanken versunken und – glücklich gewesen. Auch er war dem Einfluß der Duftpartikel erlegen und erst wieder klar im Kopf geworden, als der Flugdozer zum Lager zurückkehrte. Banks und Sakuro waren noch nicht wieder aus der Paralyse erwacht. Die Dosierung, mit der Art geschossen hatte, war sehr hoch gewesen. Er hatte nicht daran gedacht, die Strahlintensität niedriger einzuregulieren, ehe er die Waffe benutzte. »Die Orgie scheint vorbei zu sein«, sagte Jane. »Und die Kopfblüten sehen ein wenig welk aus.« Das war auch Art schon aufgefallen. Offenbar blühten die Mischwesen nicht mehr. »Können wir gefahrlos hinaus?« fragte Bittan. »Ich denke schon«, meinte Jane. »Das Verhalten der Shecan ist wie früher. Sie kommen zu uns. Als sie ihr… hm… Blütenfest feierten, sind wir zu ihnen gelockt worden. Ich gehe hinaus.« »Warte«, bat Art. »Du?« »Natürlich.« Sie berührte seinen Arm, drückte fest zu. »Ich muß es tun«, flüsterte sie und ging zum Ausstieg. Im Vorbeigehen nahm sie Banks’ Vipho mit. Er sah ihr besorgt nach. Aber vermutlich mußte sie es tatsächlich tun; mußte sich dem Geschehen und ihrer Erinnerung an das Unfaßbare stellen, um es besser verarbeiten zu können. Sie schleuste sich aus. Durch die Sichtscheiben beobachteten Art und der Astronom das Geschehen. Der Gestik zufolge schien es eine sehr angeregte, intensive Unterhaltung zu sein, die Jane mit den drei Reptilienpflanzen führte. Hin und wieder drangen verwaschene Gedankenbilder bis zu den beiden Männern im Flugdozer; was die Shecan >sagten<, schien ziemlich >laut< oder zumindest sehr eindringlich zu sein. Was es bedeutete, ließ sich aber im Innern des Dozers nicht mehr feststellen. Nach einer Weile drehte Jane sich um und wies auf das Vipho, das sie vor der Brust hängen hatte. Art schaltete das Bordgerät ein. »Alles in Ordnung«, sagte Jane. »Es ist vorbei. Keine Beeinflussung mehr. Und die Shecan haben mir erklärt, was passiert ist. Sie wollen es auch euch mitteilen und bitten um Verständnis.« »Dann sollten sie eher abwarten, bis Rea und Shen wieder wach sind«, brummte Art. »In Ordnung, wir kommen zu euch.« Bittan warf einen Blick auf die beiden Paralysierten. »Nur gut, daß sie lediglich um Verständnis, aber nicht um Entschuldigung bitten«, sagte er. »Ich bleibe an Bord, Art.« Der Prospektor nickte und schleuste sich allein aus. Er nahm sich die Zeit, ein paar Minuten einfach nur neben den Raupenketten des Dozers zu stehen, ehe er sich zu den anderen gesellte. Er atmete tief durch. Der Farbton des Himmels veränderte sich nicht, blieb normal, und Art spürte auch keine künstliche Euphorie. Die in der Luft schwebenden Pheromone schienen ihre Wirkung verloren zu haben. Die Shecan hatten Sakuros Kleidung und die Waffengürtel der beiden Menschen mitgebracht. Dies gehört euch, teilte einer von ihnen mit. Wir bedauern zutiefst, was geschehen ist, aber es ließ sich nicht verhindern. »Ihr wußtet vorher davon«, sagte Art. »Ihr seid unseren Fragen nach eurer Fortpflanzung ausgewichen. Warum habt ihr uns in diese Falle laufen lassen?« Es war keine Falle. Wir wußten nicht, daß es auch auf euch so wirkt. Die dunklen Götter der Verdammnis reagierten nie auf unsere Blütephase. 65
»Aber andere Lebensformen dieses Planeten reagieren. Die Insekten, die Reptilien… sie alle werden von den Pheromonen stimuliert, die von euren Blüten ausgesandt werden«, sagte Jane. Ihr seid keine Kaltblüter und keine Insekten. Es ist erstaunlich, daß ihr reagiert habt. Es lag nicht in unserer Absicht. Wir wollten euch nicht in unseren Fortpflanzungszyklus einbeziehen. »Zyklus? Einbeziehen? Bedeutet das etwa, daß…?« Art Hooker schnappte nach Luft, aber ehe er weitersprechen konnte, unterbrach ihn der Shecan mit erneutem Hautblätterrascheln und halbtelepathischen Bildern. Was geschehen konnte, ist geschehen. Befürchte nicht, daß einer von euch Nachfahren von uns reproduzieren muß. Unsere Arten sind genetisch nicht kompatibel. »Woher weißt du das?« fragte Art. Der Shecan beantwortete die Frage nicht. »Sag es mir«, beharrte Art. »Diesmal kommt ihr uns nicht so einfach davon! Diesmal wollen wir Antworten! Ihr verlaßt diesen Ort nicht, ehe wir die Antworten kennen!« Wir mögen nicht darüber reden. »Über eure Fortpflanzung mochtet ihr auch nicht reden. Muß ich euch erst zum Reden zwingen?« Jane warf ihm einen tadelnden Blick zu. Aber Art reagierte nicht darauf. Er wußte, was er tat! Er konzentrierte seine Gedanken auf eine diffuse Drohung, deren Details undefinierbar blieben, die aber deutlich zeigte, daß er die Macht besaß, die Shecan zu einer Antwort zu zwingen. Es gefiel ihm selbst nicht, mit anderen so umzugehen. Aber er fühlte sich auf übelste Art an der Nase herumgeführt. Er fühlte sich verantwortlich für die Menschen um ihn herum. Und er hatte sie nicht schützen können, weil ihm wichtige Informationen fehlten. Einmal in der Vergangenheit hatte Captain Hooker sich aus seiner Verantwortung gestohlen. Diesmal wollte Prospektor Hooker das nicht. Auch, wenn niemand ihm diese Verantwortung offiziell übertragen hatte, wenn sie offiziell immer noch bei Rea Banks lag. Du willst nicht tun, was du androhst, klang es in ihm auf. Wir erkennen das. Wir verstehen das. Deine Motive sind ehrenwert. Er zuckte zusammen. Sie hatten ihn durchschaut! Irgendwie hatten sie mit ihrer Beinahe-Telepathie seine Absichten erkannt! Oder hatten sie aus Janes Bewußtsein entsprechende Informationen gewonnen? Einmal mehr fühlte er sich an die Nogk erinnert. Mit ihren kugelförmigen Mentalübersetzern konnten sie ebenfalls Lügen durchschauen. Sie, die selbst zu keiner Lüge fähig waren, nicht einmal in der Not… Und dann wurde er von Bildern geradezu überschwemmt! Einst schufen die dunklen Götter der Verdammnis die Shecan. Unendliche Möglichkeiten in unendlicher Vielfalt… Sicher war dieser Planet nicht der einzige, auf dem die dunklen Götter ihre unheilvollen Experimente durchführten. Doch diese Sonne, deren Ausstrahlung im Hyperbereich so einmalig war, gab ihnen auch die einmalige Chance, eine völlig neue Lebensform zu schaffen. Gene wurden verbunden, und Pflanzen verschmolzen mit Reptilien zu einer intelligenten Spezies, die nur hier lebensfähig war. Die dunklen Götter der Verdammnis waren aus Weltraumtiefen gekommen, und mit sich brachten sie das Wissen um viele andere Sternenvölker. Dieses Wissen grub sich in die Erinnerungen der ersten Shecan und wurde weitergegeben, so daß sie diese Sternenvölker kannten, ohne sie jemals selbst gesehen zu haben. Nur jene, die Raumschiffe in Ringform flogen, sich aber selbst nie auf dem Planeten zeigten, kamen einst wirklich zu Besuch, den dunklen Göttern der Verdammnis gleich. Die Götter waren nicht gnädig. Sie schufen die Shecan nicht, um dem Universum eine neue Lebensform zu schenken, sondern aus eigennütziger Absicht. Sie hatten 66
gesät, und sie ernteten. Sie benötigten etwas, das sich im Blutenstaub der Shecan befand -und in ihrem Blut. Etwas, das kein Shecan begreifen konnte, das es aber in anderer Form auch in vielen anderen Lebensformen des Planeten geben mußte. Doch nur im Blut und Blutenstaub der Shecan war es für die Götter nutzbar, weil es darin eine andere Form angenommen hatte. Wozu sie es benötigten, wußten die Shecan nicht. Aber die Götter benutzten ihre Spezies, um jene Substanz regelrecht zu züchten. Doch was ihnen nützte und was die Existenz der Shecan erst ermöglichte, war in anderer Hinsicht ein Fehlschlag: 5-D-Strahlung, die auch nur geringfügig von den normalen Werten abwich, die die Sonne aussandte, störte ihre Lebensvorgänge. Durch die Abhängigkeit von dieser Strahlung hypersensibel, konnten sie schon bei geringen Abweichungen zu Amokläufern werden. Dabei richtete ihre Aggressivität sich gegen praktisch alles – gegen artfremdes Leben, gegen Technik, sogar gegen sich selbst. Abweichungen waren bereits die in bestimmten Abständen stattfindenden starken Strahlungsausbrüche der Sonne. Dann erhöhten sich die Werte, die den Shecan eigentlich erst das Überleben ermöglichten. Die Sonneneruptionen störten empfindlich, ebenso wie andere hypertechnische Ausstrahlungen. Zum Beispiel Hyperfunkfrequenzen… Zur Fortpflanzung blühten sie wie jede normale Pflanze. Um den Blutenstaub von einem Shecan zum anderen zu übertragen, wurden Hilfsorganismen benötigt. Sie hatten für eine optimale Vermischung zu sorgen, um die genetische Vielfalt der Shecan zu erhalten und Raum für neue Kombinationen zu schaffen. Einige Male im Jahr, zu Zeiten, die sie nicht vorausberechnen konnten, blühten die Shecan und sandten Pheromone aus, die von den meisten nichtpflanzlichen Lebensformen des Planeten erkannt wurden. Die Blütezeit war jeweils nur extrem kurz, um das biologische Gleichgewicht der anderen Arten untereinander nicht zu sehr zu stören. Doch die Terraner sprachen ebenfalls auf die Pheromone an! Damit hatten die Shecan nicht gerechnet. Aber selbst, wenn sie es gewußt hätten, wäre es ihnen unmöglich gewesen, die Besucher aus dem All rechtzeitig zu warnen. Die Blütezeit waren viel zu unberechenbar. Und so hatten die Dinge ihren Lauf genommen. Art brauchte eine Weile, um die auf ihn einstürzenden Gedankenbilder zu ordnen und zu verarbeiten. Es kam zu schnell. Und es erklärte einiges, wenn auch noch nicht alles. Er sah Jane an und erkannte, daß es ihr nicht anders erging. Allerdings hatte sie wohl vorher schon einen Teil dieser Informationen erhalten. »Einer von uns wurde verletzt«, sagte er. Die Shecan zeigten deutliche Unruhe. Das ist unmöglich! protestierten sie alle zugleich. Wenn wir blühen, verletzen wir niemanden! Warum sollten wir uns gegen unsere Bestäubungshelfer wenden? Und auch die Helfer verletzen sich nicht untereinander. Sie sollen ihre Funktion erfüllen, nicht sich gegenseitig töten, ehe ihre Arbeit getan ist! Sie logen nicht, das fühlte Art. Dennoch führte er die Shecan ins Innere des Flugdozers, in dem es jetzt ernsthaft eng wurde. Auch wenn die Shecan nur zu dritt waren, war ihre Gestalt doch recht ausladend. Dabei waren sie nur wenig größer als die Menschen. Sie waren nur pflanzenhaft breit. Er zeigte ihnen die Verletzungen Sakuros. Er muß sich diese Verletzungen selbst zugezogen haben, behauptete einer der Shecan. Wenn sie von uns stammten, wären die Körperzellen abgestorben, die Wunde schwarz und das Fleisch verschrumpelt. Das ist eine unserer Eigenarten, wenn wir kämpfen und 67
Beute schlagen. Unsere Wurzeln, er bewegte die feinen Fingerwurzelhärchen vor Hookers Gesicht, dringen in den Körper des anderen ein und entziehen ihm sämtliche Nährstoffe, die für unsere Art verwertbar sind. Minerale, Proteine… dieser Terraner sähe ganz anders aus, wenn ihn einer von uns verletzt hätte. Ein anderer Shecan wandte ein: Vielleicht hat er eine der Echsen berührt, und sie kratzte ihn mit ihren Extremitäten. Er hätte sich nicht häuten sollen, dann wäre er vielleicht nicht so verletzbar gewesen. Gehört es zum Paarungsverhalten eurer Spezies, vorher die Haut abzuwerfen? »Hä?« machte Art verblüfft. »Aber seine Haut ist doch…« »Er meint unsere Kleidung«, erklärte Jane. »Die Shecan kennen keine Kleidung. Sie halten unsere Overalls für unsere Haut.« Einige der dunklen Götter der Verdammnis besaßen ebenfalls Haut, die sie ablegen und wechseln konnten, andere nicht, aber die, die keine Wechselhaut trugen, hatten Augen, die leuchteten wie die Sonne, teilte der dritte Shecan mit. »Es könnte sein, daß durch die Verletzung Blutenstaub in das Blut unseres Artgenossen geraten ist«, sprach Art seine Befürchtung aus. »Kann das für ihn gefährlich sein?« Für einen Augenblick schienen die drei Shecan sich untereinander auszutauschen; irgendwie flirrte es unsichtbar zwischen ihnen, ohne daß die Terraner mehr mitbekamen als verwaschene Eindrücke und das Wissen, daß diese Eindrücke keinesfalls für sie bestimmt waren. Dann wandte sich einer der Shecan wieder an die Terraner. Wir wissen es nicht, gestand er. Aber es kann sein, daß die Strahlung unserer Sonne hilft, aus Schaden Vorteil zu gewinnen. »Das heißt, wenn er jetzt ein Kind bekommt, ist das eine Mischung aus Säuger, Pflanze und Reptil?« fauchte Bittan. »Andre!« fuhr Jane ihn an. »Er ist ein Mann! Wie soll er ein Kind bekommen?« »Soll schon vorgekommen sein«, brummte der Astronom. »Da hat im vergangenen Jahrhundert sogar mal jemand einen Dokumentarfilm drüber gedreht…« Wir verstehen das nicht, machten sich die Shecan wieder bemerkbar. Aber es kann ihm schaden oder auch nicht. Alles ist möglich. »Wenn es ihm schadet«, forschte Art, »könntet ihr ihm helfen, den Schaden abzuwenden?« Wir verstehen zu wenig vom Metabolismus der Lebendgebärenden. Wir kennen keine Säuger auf unserer Welt. Wir wissen nur, daß es sie anderswo gibt. »Woher wißt ihr das alles?« hakte Jane nach. »Das und auch viele Dinge, von denen ihr uns erzählt habt. Beschreibungen von Fremdwesen, die ihr selbst nie gesehen habt, von denen wir aber einige aus eigenen Begegnungen kennen und daher wissen, daß es sie wirklich gibt, daß sie kein Fantasieprodukt sind… eure Entstehungsgeschichte und die Sache mit der Substanz, die die dunklen Götter von euch wollen… euer Begreifen unserer Technik, obgleich ihr nie zuvor damit zu tun hattet und keine eigene Technik entwickelt habt… oder verschweigt ihr uns wieder etwas? Ist das auch etwas, worüber ihr nicht mit uns reden wollt, aus welchem Grund auch immer?« Wir wissen es nicht. Es ist einfach in uns, kam die ein wenig verwirrte Antwort. Wollt ihr uns unser Wissen zum Vorwurf machen? »Das nicht«, sagte Jane nachdrücklich. »Aber wir wollen wissen, woher es stammt. Es sind Dinge, die ihr eigentlich nicht wissen könnt. Sie passen nicht zu allem, was ihr uns bisher über euch erzählt habt. Eure Geschichten sind teilweise sehr widersprüchlich.« Es ist in uns, wiederholten die Shecan. Manchmal erinnern wir uns daran, aber wir wissen nicht, woher diese Erinnerung kommt. Sie ist einfach da. Jeder von uns hat sie, sobald seine Samenkapsel aufgeht und ihn zu einem von uns werden läßt, der wurzelt und wächst. »Genetisch aufgeprägt?« überlegte Bittan leise. »So wie Verhal68
tensmuster und Instinkte?« »Sie verlangen viel von diesen seltsamen Misch-Genen, Andre«, murmelte Art Hooker. »Na schön, lassen wir es erst mal gut sein. Ich glaube, Rea wacht gerade auf. Vielleicht sollten unsere Besucher jetzt erst mal gehen. Ich weiß nicht, ob es gut ist, wenn Rea gleich nach ihrem Erwachen als erstes einen Shecan sieht.« Die Mischwesen verließen den Flugdozer ohne Protest. Jane sah Art und den Astronomen an. »Es ist vielleicht besser, wenn ihr auch hinausgeht«, sagte sie leise. Art nickte. Er faßte Bittan am Ärmel. »Kommen Sie«, sagte er. »Jane hat recht, und wir haben draußen bestimmt noch allerhand zu tun.« »Was denn?« ächzte Bittan, aber der Prospektor zog ihn bereits in die Druckschleuse. Rea Banks begann sich zu bewegen. Die Paralyse ließ jetzt rasch nach. Jane wunderte sich, daß Sakuro noch nicht erwachte. Seine größere Körpermasse hätte die Wirkung des Schockstrahls noch schneller verarbeiten müssen. Aber er blieb reglos, während Rea sich halb aufrichtete. Ihre Augenlider flatterten. Sie erbrach sich mehrmals hintereinander. Jane säuberte sie und entfernte die saure Masse, die vorwiegend aus Blutenstaub bestand. Dann gab sie Rea einen ihrer eigenen Overalls und half ihr beim Anziehen. Rea kauerte sich in einen der Sitze. Jane gab ihr etwas zu trinken. »Du hattest die bessere Selbstkontrolle«, sagte Rea schließlich tonlos. »Ich bewundere dich. Du konntest dich dem Zwang entziehen. Ich wollte, ich hätte es auch gekonnt.« Sie warf einen beinahe scheuen Blick auf Sakuro, der nach wie vor reglos auf einer der Decken lag, die Art und Jane für die beiden Blütenopfer ausgebreitet hatten. »Was ist mit ihm?« »Art hat euch beide geschockt«, sagte Jane. »Gut«, sagte Rea. »Gut. Warum ist Shen noch nicht wach? Hat er eine stärkere Dosis abbekommen?« »Nein. Wir wissen es nicht«, sagte Jane. Sie setzte sich neben Rea auf die Kante des Sitzes und legte einen Arm um die Schultern der anderen Frau. »Ich glaube, ich hatte einfach nur Glück, daß ich…« »Glück?« fragte Rea mutlos. »Ich war glücklich. Es war so unglaublich schön. Es war… es war purer Sex, Jane. Hingabe, ohne zu denken, ohne Verantwortung, einfach nur so. Ich hätte bedenkenlos mit jedem von euch geschlafen, verstehst du? Mit jedem! Aber…« »Du mußt nicht darüber reden, wenn du nicht willst«, sagte Jane. »Ich wollte, ich müßte es nicht«, sagte Rea leise. »Aber ihr sollt wissen, daß ich nicht so bin. Nicht so… so wild. So zügellos. Ich bin nicht der Typ, gleich über jeden herzufallen, nur weil mir sein Gesicht oder sein Duft oder sein Hintern gefällt, verstehst du? Ich begreife nicht, was ich getan habe. Und es war…« Sie verstummte, brauchte eine Weile, bis sie wieder reden konnte. Geduldig wartete Jane ab, strich durch Reas Haar, streichelte ihre Wange. Rea wich den Berührungen nicht aus, sondern erduldete sie stumm. »Es war so verdammt schön«, stieß Rea schließlich hervor. »So unglaublich, unbeschreiblich… ich weiß, daß ich so etwas Wunderbares niemals wieder erleben werde. Wenn ich daran denke, sehne ich mich danach. Aber ich weiß, daß es falsch war.« »Mit Shen zu schlafen?« »Mit Shen?« Reas Kopf flog herum; aus großen Augen sah sie Jane an. »Aber das war es nicht, wir haben uns nicht einmal berührt! Es… es… es waren die Shecan… die Shecan! Was habe ich nur getan? Jane… ich…« »Warum versuchst du dich dafür zu entschuldigen?« »Weil es falsch war. So falsch…« »Du konntest nichts dafür. Du wurdest dazu gezwungen.« 69
»Aber du nicht. Du bist davongelaufen, rechtzeitig.« »Woher willst du wissen, daß es mich nicht trotzdem noch erwischt hat?« »Ich weiß es einfach«, sagte Rea düster. »Du hast es nicht mehr erlebt, diese unglaubliche Lust, dieses Glück, diese Erfüllung… ich wollte nichts anderes mehr. Nur noch das. Und jetzt…« Sie begann wieder zu würgen, aber da war nichts mehr, das sie von sich geben konnte. »Ich… ich bin krank, Jane. Ich bin abartig. Wie konnte ich es geschehen lassen, ohne mich so dagegen zu wehren, wie du es konntest?« »Shen konnte sich auch nicht wehren.« »Shen ist ein Mann. Männer erleben den Sex anders. Ich bitte dich um etwas, Jane.« »Schon gewährt.« »Warte erst, bis du es hörst«, sagte Rea. »Ich bitte dich: Denke niemals schlecht über mich. Ich bin nicht so, wie es ausgesehen hat. Willst du mir das versprechen?« »Warum sollte ich schlecht über dich denken?« »Denke nicht schlecht über mich«, wiederholte Rea. »Und wenn du kannst, laß es nicht zu, daß die anderen schlecht über mich denken. Behaltet mich so in Erinnerung, wie ich vorher war.« »Selbstverständlich«, versprach Jane. »Aber…« »Still«, sagte Rea. Sie zog Janes Kopf zu sich herum und küßte die Prospektorin auf die Wange. Dann zog sie den Blaster aus Janes Gürtelholster, setzte sich den Abstrahlpol an die Schläfe und betätigte den Strahlkontakt. Sie begruben sie am Fluß, an einer Stelle mit guter Aussicht über die Landschaft und im Schatten eines großen Baumes. Die Morgensonne berührte das einsame kleine Grab und hüllte es täglich in goldenen Glanz. Jane war zwei Tage lang nicht ansprechbar. Sie schaffte es nicht einmal, mit ihrem Mann zu reden, und er war klug genug, sie in Ruhe zu lassen. Sie verschwand stundenlang irgendwo in der Umgebung, immerhin vorsichtshalber mit dem Vipho, um zwar allein zu sein, aber im Gefahrenfall eine Notrufmöglichkeit zu haben. Sie brauchte das Vipho nicht; sogar die wilden Raubechsen ließen sie in Ruhe. Shen Sakuro erwachte nicht. Er blieb starr, obgleich die Paralyse längst abgeklungen war. Er wies keinerlei Lebenszeichen mehr auf. Bittan, der ihm vorher schon gern assistiert hatte, wollte ihn untersuchen. Der Astronom, der sich bereits dafür verfluchte, den Planeten betreten zu haben, dem er seinen Namen gegeben hatte, war froh, eine Aufgabe zu haben, denn als Sternbeobachter war er hier wirklich fehl am Platz. So hatte er sich Sakuro angedient und von ihm gelernt. Zusammen mit Hooker versuchte er nun, etwas über Sakuros Zustand herauszufinden. Er wollte Sakuros Blut untersuchen. Aber er konnte seinem Körper kein Blut entnehmen. Er versuchte es mit einem Schnitt, öffnete Blutgefäße und entnahm Zellproben. Sämtliche Körperflüssigkeiten waren erstarrt, gebunden. Blut und Lymphflüssigkeit eine feste Masse. Der gesamte Organismus stillgelegt. Das Herz erstarrt. Und in der starren Masse fand sich ein Virus. Jener Virus, den Sakuro entdeckt hatte. Es war jener F-Stamm, der sich nur in den Shecan fand und bei ihnen nicht tödlich wirkte, obgleich der Virus an sich in jeder Form bei anderen Lebewesen Krebs erzeugte und sich so schnell vermehrte, daß eine Infektion innerhalb kürzester Zeit zum Tod führte. Auch in Sakuros Körper hatte der Virus sich vermehrt; aber diese Vermehrung war bei einem bestimmten Punkt zum Stillstand ge70
kommen. Biologisch war Shen Sakuro tot. Aber etwas stimmte nicht. Er verweste nicht. In der Hitze, die in dieser Region vorherrschte und in der Mittagszeit weit über 30“ Celsius erreichte, hatte der Zerfallsprozeß bei Rea Banks schon sehr schnell eingesetzt. Bei Sakuro zeigte sich auch am Ende des zweiten Tages keine Veränderung. Zumindest nicht in dieser Hinsicht. In anderer schon. Seine Verletzungen, die Schrammen an Oberschenkel und Schlüsselbein, verheilten unglaublich rasch. Schon am ersten Abend war kaum noch etwas von ihnen zu sehen, eine neue Hautschicht hatte sich gebildet, und am Morgen des zweiten Tages gab es nicht einmal mehr Narben. Das paßte nicht zu einem Toten! Die Instrumente behaupteten nach wie vor, daß Sakuro keine Lebensfunktionen mehr zeigte. »Solange er nicht verwest, brauchen wir ihn nicht zu bestatten«, stellte Art Hooker trocken fest. »Warten wir einfach ab. Vielleicht werden wir ja auch doch noch abgeholt, dann können wir ihn vielleicht mitnehmen und auf Terra beerdigen…« »Du glaubst noch daran, daß wir die Erde wiedersehen?« wunderte sich Bittan. Der Prospektor lächelte. »Ich will daran glauben, Andre. Wenn wir damals auf Hope einfach den Kopf in den Sand gesteckt und uns mit allem abgefunden hätten, wären wir heute nicht hier. Aber wir – wir alle, wir Siedler von Hope, haben nicht aufgegeben. Nein, Andre. Die Hoffnung ist etwas, das ich niemals aufgeben werde. Rea hatte ihre Hoffnung verloren, und ihre Selbstachtung. Das war das Schlimmste. Aber ich glaube und hoffe, daß wir es schaffen.« »Vielleicht sollten wir diesen Planeten dann nicht >Bittan<, sondern >Hope-2< nennen«, sagte der Astronom. »Ich glaube, das wäre doch etwas überzogen und geschmacklos«, erwiderte Hooker. Bittan winkte ab. »Du hast recht. Trotzdem fällt es mir schwer, deinen Optimismus zu teilen.« Er sah wieder zu dem Instrumentensatz. »Zum Teufel, wenn wir eine bessere Ausrüstung hätten…« Art Hooker stutzte. Da war eine Erinnerung: Sakuro: »Es ist zum Kotzen, daß es auf diesem Planeten keine besseren Geräte gibt!« Shecan: ES gibt sie. Art Hooker: »Wo?« Shecan: – Keine Antwort. »Na wartet«, murmelte Art. »Da wollen wir doch mal ein bißchen nachhaken…« Tief unter dem alten Inder schössen rauschend und schäumend die Wasser des Brana-Flusses zu Tal. Gedankenverloren streichelte Echri Ezbal seinen Hund Urran; schnurrend strich die Katze Choldi um seine Beine. Sein Blick ruhte auf den schneebedeckten Gipfeln der Bergriesen. Einer seiner Assistenten trat zu ihm. »Wir sind bereit, Echri. Alles ist vorbereitet.« Ohne eine Erwiderung erhob Ezbal sich und suchte gemessenen Schrittes das Labor auf. Die pulsierende Hektik um ihn her berührte ihn kaum. Er war ein Pol der Ruhe im Geschehen. Am Haupteingang des Labortraktes wies er die beiden Tiere zurück, die ihm bis hierher gefolgt waren. »Geht!« befahl er leise. »Wenn Brahma will, sehen wir uns morgen 71
wieder.« Wenig später stand er im Labor. Aber etwas stimmte nicht. An seiner Stelle lag einer seiner Assistenten auf der Liegefläche, bereits entkleidet und für das Experiment vorbereitet. »Was bedeutet das?« fragte Ezbal stirnrunzelnd. »Wir haben abgestimmt, Echri«, sagte der Mann, der ihn abgeholt hatte. »Wir lassen nicht zu, daß Sie sich opfern. Shakana erbot sich, das Experiment zu wagen.« »Das kann ich nicht verantworten«, erwiderte Ezbal. »Wir können nicht verantworten, Sie zu verlieren, Echri«, sagte der Mann auf dem OP-Tisch. »Es ist mein Wille. Wir wissen, daß es Ihr großes Projekt ist, wir wissen, wie sehr Ihr Herz daran hängt. Aber Ihr Wille darf Sie nicht blenden, Echri. Wer soll Ihr Werk fortführen, wenn dieses Experiment mißlingt? Ist dieses Risiko nicht viel größer?« »Ich bin nicht wertvoller als Sie alle. Ich kann es nicht zulassen. Stehen Sie auf. Ich bin sicher, daß der Versuch gelingt, sonst würde ich ihn nicht durchführen wollen. Mißlingt er, ist in jedem von Ihnen und in meinen Aufzeichnungen genug Wissen, dieses Projekt fortzuführen.« »Aber keiner von uns hat Ihre Träume, Echri«, sagte der erste Assistent. »Wenn es wirklich so gefahrlos ist, wie Sie sagen, können Sie es auch verantworten, daß einer von uns an Ihre Stelle tritt.« Ezbal schüttelte den Kopf. »Dann wird dieser Versuch nie stattfinden«, erklärte der Assistent. Die anderen nickten. »Wir werden uns weigern, Sie zu unterstützen, und auch jeden späteren Selbstversuch unterbinden.« »Sie wissen, daß Sie damit meinen Traum zerstören würden.« »Ja«, sagte Shakana. »Doch das will keiner von uns. Echri, Sie sind der Motor dieses Projektes. Sie sind es, dessen Stimme zählt, wenn es um Verhandlungen mit der Regierung geht. Sie wird man anhören, nicht einen von uns. Deshalb dürfen Sie dieses Risiko nicht eingehen. Ich kann es. Ich bin bereit.« Echri Ezbal überlegte lange. Endlich nickte er. Shakana war bereits an die Instrumente angeschlossen. Doch diesmal war es nicht Ezbal, der zum Wandschrank ging und dem Stahlsafe das Serum entnahm. Er brachte es nicht fertig. Was er bei Urran gekonnt hatte, was er seinen Assistenten abverlangt hätte – hier und jetzt war er nicht in der Lage, es auszuführen. Es war nicht so, daß er sich um den Versuch betrogen fühlte. Es war unwichtig, ob es ihm als Versuchsperson gelang oder einem anderen. Entdeckerstolz, Ruhm und Ehre – das waren Empfindungen, die er längst hinter sich gelassen hatte. Was zählte, war nicht die Person, sondern der Erfolg. Oder der Mißerfolg. Und er war erschüttert, daß einer seiner Assistenten bereit war, das Risiko des Mißerfolgs auf sich zu nehmen. Dieser Mann trug einen ebenso großen Traum in sich wie Ezbal selbst, gepaart mit Hingabe und Vertrauen. Die Leute hatten recht. Ezbal war wichtiger als jeder von ihnen. Aber es fiel dem alten Brahmanen schwer, das zu akzeptieren. Ein Risiko, das er selbst zu tragen gewillt war, einem anderen aufzubürden, war nicht seine Art. Aber sie hatten entschieden, und er glaubte Shakana, daß die Entscheidung wirklich aus freiem Willen erfolgt war. Bandar verabreichte Shakana die Injektion. Alles lief so ab wie vor Tagen. Shakana hatte die Augen geschlossen. Er wirkte ruhig und entspannt. Die Instrumente sendeten ihre Meßwerte an den Suprasensor. Dieser Versuch lief etwas verzögert ab, was aber an der größeren 72
Körpermasse der Versuchsperson lag. Erst in der fünften Sekunde erfolgte die Meldung: Körper wird steif. Dann verlief alles im gleichen zeitlichen Rhythmus wie zuvor Atmung wird träger. Herztätigkeit läßt nach. Gehirnströme merklich schwächer. Atmung setzt aus. Herztätigkeit setzt aus. Gehirnströme nicht mehr meßbar. Exitus nach exakt 18 Sekunden. Auch das Erwachen am folgenden Tag verlief im gleichen Rhythmus. Wie bei Urran, war auch der Körper des Menschen nicht starrgefroren, sondern weich und beweglich, als er aus dem Kältebad geholt wurde. Die zweite Injektion wurde verabreicht, nachdem der Aufheiz-Prozeß begonnen hatte und die Körpertemperatur stieg. Gehirnströme erkennbar. Gehirnströme meßbar! Herzschlag setzt ein! Atmung setzt ein. Gehirnströme stärker und normal. Herztätigkeit normal. Atmung normal. In der 19. Sekunde hätte Shakana die Augen öffnen müssen. Er tat es nicht! Den Instrumenten zufolge war mit ihm alles in Ordnung. Er war wieder zum Leben erwacht – aber wieso reagierte er nicht? »Er macht einen Scherz«, vermutete Bandar, der auch diese Injektion gesetzt hatte. »Er amüsiert sich köstlich über unser Entsetzen!« Aber Shakana war kein Scherzbold. 31 Sekunden nach dem Erweckungsprozeß öffnete er endlich die Augen. Immer noch zeigten alle Instrumente normale Werte an, nur glaubte das im Labor kein Mensch mehr. »Shakana«, sagte Ezbal leise und beugte sich über seinen Assistenten. »Shakana, können Sie mich hören?« Die Reaktion war ein orientierungsloses Lallen. Das Experiment am Menschen war mißlungen. Ezbal empfand keine Erleichterung, weil nicht er die Versuchsperson gewesen war, sondern Shakana, der ganz neu leben lernen mußte. Er war entsetzt darüber, daß sein Traum verflog, zerstört worden war. Und er konnte es nicht riskieren, das Experiment unter diesen Umständen zu wiederholen, um mit einer leichten Modifikation des Serums ein anderes, vielleicht besseres Resultat zu erzielen. Denn möglicherweise gab es ein noch schlechteres Resultat! Weitere Experimente waren unverantwortlich. Organisch war Shakana völlig in Ordnung. Das Einfrieren auf minus 192,4“ hatte seinem Körper nicht geschadet. Der Virus in dem >Serum<, wie sie es der Einfachheit halber genannt hatten, weil die ellenlange fachwissenschaftliche Bezeichnung kaum ein Mensch aussprechen konnte, band alle Flüssigkeiten im Körper des Kandidaten und verhinderte, daß die extreme Kälte die Zellwände zerstörte. Dabei blieb der Körper aber völlig beweglich. Wenn es gelang, das Bewußtsein aktiv zu halten, würde sich Ezbals Traum vom Cyborg erfüllen. Aber wie es aussah, war es nicht einmal gelungen, das Bewußtsein im Passiv-Zustand zu erhalten. Es war ausgelöscht worden. Shakana befand sich auf dem Niveau eines Kleinkindes. Eines Säuglings, der alles neu lernen mußte. Nicht nur die Sprache, auch körperliche Grundfunktionen wie die Schließmuskelkontrolle… Sicher, es war sein freier Wille gewesen, sich für das Experiment zur Verfügung zu stellen. Dennoch trug Ezbal die Verantwortung für das, was geschehen war. Es war sein Versuch. 73
Wie sollte er es den Menschen erklären, die Shakana schätzten und liebten, die zu ihm gehörten? Shakana würde niemals mehr er selbst sein. Auch wenn sie alle ihm beim Lernen halfen und er weit schneller lernen würde als ein Kleinstkind. Aber alles würde ihm fremd sein, alles und jeder. Selbst die Menschen, die er geliebt hatte, mußte er ganz neu kennenlernen. Echri Ezbal war am Ende seiner Träume angelangt. Unter diesen Umständen konnte er es unmöglich wagen, weiterzuarbeiten. Er hatte den Tod doch nicht besiegen können. Und das Cyborg-Projekt mußte am Punkt Null neu begonnen werden, denn das, worauf Ezbal hingearbeitet hatte, funktionierte so nicht. Ein ganz neuer Weg mußte gefunden werden. Wenn man ihm und den anderen diese Chance gewährte…
9. Das Programmgehirn registrierte erneut energetische Aktivität. Sie war wieder nur planetar. Aber diesmal näherte sich die Energiequelle dem Programmgehirn. Es war die gleiche wie beim vorigen Mal. Auch jetzt zu unbedeutend, um größere Abwehrmaßnahmen einzuleiten. Aber es galt, wachsam zu bleiben. Vorsichtshalber gab das Programmgehirn seinen untergeordneten Einheiten stillen Invasionsalarm. Die untergeordneten Einheiten wurden aktiv geschaltet und waren bereit, die Eindringlinge zu erwarten. Sobald sie eintrafen… Die Burg der dunklen Götter… Eine seltsame Bezeichnung, wie Art Hooker fand. Er hätte ebenso wie die anderen eher damit gerechnet, daß die Shecan es einen Tempel nannten. Aber für sie war es eine Burg. »Ein recht pragmatischer Umgang mit Göttern und Schöpfern«, hatte Andre Bittan kommentiert. Art Hooker steuerte den Flugdozer. Anfangs hatte er die Maschine fliegen lassen, aber je näher sie ihrem Ziel kamen, desto vorsichtiger war er geworden. Er war gelandet und ließ sie jetzt auf den breiten Plastikraupen vorwärts rollen. Er hoffte, damit unter dem Radarfächer der fremden Station zu bleiben – und den mußte es geben. Die Fremden würden keinesfalls auf den Einsatz ihrer technischen Möglichkeiten verzichten. Sie waren noch hier, die >dunklen Götter<. Art wußte es jetzt. Er hatte die Shecan entsprechend bedrängt, und sie hatten ihm gesagt, wo die >Burg der dunklen Götter< zu finden war. Die Burg, nicht der Tempel. Die Shecan hatten die dunklen Götter nie verehrt, nie angebetet. Sie haßten sie. Die dunklen Götter hatten die Shecan erschaffen, aber was sie gesät hatten, das ernteten sie auch. Die letzte >Ernte< lag schon lange zurück; als sei der Planet in Vergessenheit geraten. Aber die >Burg< gab es nach wie vor… Art Hooker hatte die Shecan unter Druck gesetzt. Er hatte ihnen den Tod von Rea Banks zum Vorwurf gemacht und sie an die seltsame Totenstarre von Shen Sakuro erinnert. Beides zusammen sei ein Angriff auf die Terraner, und Art hatte den Shecan klargemacht, daß ein solcher Angriff nicht ungesühnt bleiben konnte. Dabei hatte er sich in eine derartige Aggressivität hineingesteigert, daß die Shecan bei der Unterhaltung glaubten, was er sagte. Diesmal waren sie nicht fähig gewesen, ihn zu durchschauen. Aber sie hatten etwas erkannt, das ihnen zu gefallen schien. Seinen absoluten Willen, die Schuldigen am Tod seiner Gefährten zur Rechenschaft zu ziehen! Und sie hatten sich sofort angeboten, ihm zu helfen. 74
Sie waren erleichtert, als er seinen mentalen Druck daraufhin löste. Aber ihr Angebot blieb. Sie wollten ihm helfen. Wenn du den dunklen Göttern der Verdammnis Schaden zufügst, ist dieser Schaden für uns Nutzen. Deshalb werden wir alles tun, was nötig ist, um dich bei deinem Vorhaben zu unterstützen. Und jetzt war er hier. Ihr Haß auf ihre Götter mußte unwahrscheinlich stark sein, daß sie ihn hierher geleitet hatten, und Art Hooker hatte keinen Zweifel daran gelassen, daß es zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung kommen mußte, die er auf jeden Fall gewinnen wollte! Dabei ging es ihm nicht um Rache, und er war auch nicht sicher, ob es gut war, sich in den internen Konflikt zwischen den Shecan und ihren Göttern einzumischen, aber er hoffte darauf, daß es in der Station ein Raumschiff gab – oder wenigstens ein Hyperfunkgerät! Jemand, der ein terranisches Landungsteam angreifen, die Linsen zerstören und die Funkverbindungen lahmlegen konnte, mußte einfach über eine entsprechende eigene Technik verfügen! Schließlich mußten die dunklen Götter ja auch irgendwie hierher gekommen sein, und die Lichtjahrdistanzen zwischen den Sternen hatten sie ganz bestimmt nicht zu Fuß zurückgelegt… Ein Funkgerät, wußte Art, würde schon reichen. Damit konnte er einen Notruf abstrahlen. Nur mußte er dazu die absolute Kontrolle über die Station erhalten, weil man ihm sonst sehr schnell wieder den Saft abdrehen würde. Daß die Fremden ihm die Kontrolle ganz sicher nicht freiwillig abtreten würden, war dabei völlig klar. Daran gedacht, diese Station zu suchen, hatte er auch schon in den Tagen zuvor, nur hatte er nicht gewußt, wo er suchen sollte. Das mögliche Areal war groß, und wenn sie gut getarnt war, konnten sie auch mit den technischen Möglichkeiten des Flugdozers wochenlang danach suchen. Fraglich, ob die >Götter< sich das lange genug ansehen würden, ohne einen Präventivschlag zu führen, so wie sie die beiden Linsen eiskalt abgeschossen hatten. Außerdem war Art lange Zeit nicht sicher gewesen, ob sich die Shecan nicht schließlich doch auf die Seite ihrer Götter stellen würden. Der Begriff hatte ihn ständig abgeschreckt und zur Vorsicht ermahnt – auch wenn er den Zusatz >Verdammnis< trug… Inzwischen schien aber klar zu sein, daß die Shecan unter diesen >Göttern< eher bösartige Dämonen verstanden… In noch respektabler Entfernung zur Station stoppte Hooker den Flugdozer und schaltete die Maschinen ab. Nur noch die Grundversorgung blieb aktiviert. Der Prospektor sah sich zu dem Shecan um, der hinter den Steuersitzen stand. Das Mischwesen hatte mit seinen Fingerwurzeln ganz leicht Arts Schulter berührt. Er hatte es trotzdem durch den Stoff seines Overalls gefühlt. Ein wenig mißtrauisch war er trotz allem noch. Seine rechte Hand hatte sich im gleichen Moment, in dem der Shecan seine Schulter berührte, in Richtung Paraschocker bewegt. Dein Mißtrauen ist unbegründet, teilte der Shecan ihm mit. Ich will dich nicht gefährden. Aber ich habe gelernt, daß körperliche Berührungen bei Terranern aufmerksamkeitserhöhend sind. Art schwenkte mit dem Sessel herum. Warum fährst du nicht näher heran? wollte der Shecan wissen. »Ich will die anderen überraschen, nicht umgekehrt. Ich werde den Rest der Strecke zu Fuß zurücklegen.« »Aber doch nicht allein!« protestierte Jane. »Du brauchst jemanden, der dir den Rücken deckt.« »Du bleibst hier«, sagte er. »Ich brauche jemanden, der den Flugdozer steuern kann. Andre kann das nicht.« Und den Shecan wollte er das erst recht nicht überlassen. Zwar traute Art ihnen auch zu, den Dozer zu bedienen. Aber er spürte ein erhebliches Unbehagen dabei, diese 75
vertraute Maschine in fremde Hände zu geben. Vor allem, wenn diese Hände gar keine Hände im menschlichen Sinn waren… »Aber Andre kann dich begleiten, Art«, sagte der Astronom etwas unsicher. »Andre ist zwar kein Kämpfer und im Grunde seines Herzens ein verdammter, elender Feigling, aber er kann zumindest versuchen, dir den Rücken freizuhalten und auf alles zu schießen, was nicht wie Terraner oder Shecan aussieht.« »Dann paß nur auf, daß du den dunklen Götter nicht Zeit gibst, auf dich zu schießen«, sagte Art. »Ich werde aufpassen«, sagte Bittan. Der Prospektor runzelte die Stirn. »Bist du sicher, daß du es dir zutraust? Wenn du dir nicht ganz sicher bist, gehe ich lieber doch allein. Ich möchte nicht, daß du etwas tust, was du eigentlich gar nicht willst.« »Ich will«, sagte Bittan. »Immerhin sitzen wir alle in einem Boot«, er korrigierte sich mit einem unechten Lächeln, »beziehungsweise in einem Flugdozer, und ich habe bisher wenig genug für unsere Gemeinschaft tun können. Wenn ich eine Chance bekomme, etwas dagegen zu unternehmen, daß wir wie die zehn kleinen Negerlein immer weniger werden, werde ich sie ergreifen, auch wenn ich dabei verdammte Angst habe. Aber vielleicht läßt mich gerade meine Angst besonders vorsichtig sein.« »Angst ist immer ein guter Ratgeber«, sagte Art. »Es gibt zwei Sorten von Menschen: Die einen sind Helden, die anderen überleben. Ich denke, wir sollten nicht unbedingt die Helden spielen.« Er streckte die Hand aus; grinsend berührte er den Shecan. »Komm, mein Freund. Du wirst uns die letzten Schritte wohl auch noch führen, oder?« Der Shecan ging voraus. Art fühlte mehr, als daß er es hörte, wie Jane erleichtert aufatmete. In der unmittelbaren Nähe der Pflanzenwesen fühlte sie Unbehagen. Wer wollte es ihr verdenken, nachdem sie beim >Blütenfest< gerade noch davongekommen war? Und Rea Banks’ Suizid hatte sie auch noch nicht richtig verkraftet. Vielleicht würde ihr das nie gelingen. Solche Erlebnisse zehren an der Substanz und bleiben als Erinnerung für alle Zeiten gegenwärtig… Mit einem Kuß verabschiedete sich Art von seiner Frau. »Komm bloß wieder«, flüsterte sie. »Ich brauche dich so sehr wie noch nie zuvor.« »Verlaß dich drauf«, sagte er. »Mich wirst du so schnell nicht los…« Dann waren sie draußen. Der Shecan führte sie die letzten Kilometer der Burg der dunklen Götter entgegen. Die Station war tatsächlich gut getarnt. Aus der Luft, nur mit den technischen Möglichkeiten des Flugdozers, wäre sie möglicherweise überhaupt nicht zu erkennen gewesen. Sie war zum größten Teil überwuchert. Nur einige wenige freie Stellen ließen erahnen, daß hier etwas Künstliches errichtet worden war. Und eine Art Pfad führte zu einer jener freien Stellen. Er war nicht so ausgetreten, wie er es auf der Erde gewesen wäre. Die Shecan trampelten nicht mit Fußsohlen alles nieder, sondern bewegten sich auf ihren Laufwurzeln gewissermaßen zwischen den Gräsern hindurch. Dennoch wurde deutlich, daß es sich hier um einen Weg handelte, der oft benutzt wurde. Vielleicht benutzten ihn sogar die dunklen Götter gelegentlich… Art Hooker duckte sich hinter hohem Gras und niedrigen Sträuchern, die mit ihren spinnennetzartig verwobenen Zweigen einen nicht ganz ungefährlichen Eindruck machten. Er hatte Bittan mit sich zu Boden gezogen. Der Shecan verschmolz beinahe mit seiner Umgebung; er war fast unsichtbar. Art suchte nach Kameras, konnte aber keine entdecken. Sollte dieser Weg nicht abgesichert sein? »Das dort ist der Eingang?« vergewisserte er sich bei dem Shecan. 76
Er wird benutzt. Es geschieht, daß die dunklen Götter der Verdammnis einige von uns zu sich rufen. Dann benutzen wir diesen Weg. Der Eingang öffnet sich, wenn wir kommen, und schließt sich, wenn wir gehen. »Aus welchem Grund rufen sie euch, und wie geschieht das?« Die gerufen werden, spüren den Drang, hierher zu kommen. Die dunklen Götter der Verdammnis entnehmen ihnen etwas von ihrer Substanz und schicken sie wieder fort. Auch ich war schon oft hier. »Pheromone«, raunte Bittan. »So, wie die Shecan Duftstoffe aussenden, um ihre Bestäubungshelfer anzulocken, werden sie selbst von den Göttern angelockt. Wie sonst sollte der Drang entstehen?« »Vielleicht geschieht es auf Para-Ebene«, überlegte Art. »Ich erinnere mich daran, wie uns auf Hope die Synties mit ihren ungeheuren Hypno-Kräften gezwungen haben, Dinge zu tun, die wir gar nicht wollten… Mit den Pheromonen gibt es außerdem ein Problem: sie würden alle in der Nähe befindlichen Shecan zu sich rufen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie das wollen. Schon aus Sicherheitsgründen. Und jeden Shecan genetisch so zu trimmen, daß er nur auf einen ganz bestimmten Duftstoff anspricht, und damit Abertausende von Düften aussenden zu müssen… na, ich weiß nicht, Andre. Auf paramentale Weise läßt sich das viel leichter organisieren, man kann sie in kleinen Gruppen herbeiholen, wie’s einem gerade in den Kram paßt.« Der Astronom und Hobby-Verhaltensforscher sah den Shecan an. »Bestand deine Gruppe immer aus den gleichen Individuen, oder waren es jedesmal andere?« Wir waren stets die, die auch vorher zusammen zu den dunklen Göttern der Verdammnis gingen. »Siehst du, Art?« grinste Bittan. »Jetzt glaube ich erst recht nicht mehr an Parakräfte. Wenn man die Shecan zu Gruppen zusammenfaßt, wird die Menge der erforderlichen Duftstoffe schon erheblich eingeschränkt. Man holt sich dann jeweils eine ganz bestimmte Gruppe ins Labor.« Hooker zuckte mit den Schultern. »Werdet ihr auch in immer gleichen Zeitabständen zu den Göttern gerufen?« wollte er wissen. Einmal dauert es lange zwischen den Rufen, dann wieder weniger lange. »Schade«, sagte der Prospektor. »Ich hatte schon gehofft, deine Theorie doch noch widerlegen zu können. Bei immer gleichen Zeitabständen hätten die Shecan irgendwie darauf eingestimmt sein können, hierher zu kommen, entweder genetisch veranlagt oder durch Suggestion oder Erziehung… wie auch immer.« »Mal ‘ne Zwischenfrage«, sagte Bittan. »Wollen wir das hier und jetzt ausdiskutieren, oder wollen wir da ‘rein?« Dabei deutete er auf den Stationseingang am Ende des Pfades. »Du hast recht«, murmelte Hooker. »Wir verschenken nur sinnlos Zeit. Du bewegst dich links, ich komme von rechts. Sieh zu, daß du immer in Deckung bleibst. Irgendeine Form der Überwachung muß es geben, und ich möchte nicht, daß wir zu früh entdeckt werden.« »Vielleicht überwachen sie nicht optisch, sondern über Infrarot oder Zellkernschwingungen oder sonstwas, das sie möglicherweise anmessen können.« »Dann haben wir eben Pech«, sagte Hooker. »Los jetzt.« Der Shecan blieb hinter ihnen zurück. Die beiden Terraner bewegten sich so leise wie möglich vorwärts und waren auch bemüht, Zweige nicht so zu bewegen, daß diese Bewegung von anderen bemerkt werden konnte. Es sollte allenfalls so aussehen, als spiele der Wind mit den Sträuchern. Einige Zeit später erreichten sie die Stelle, an der der Eingang sein sollte. Die Wand war fugenlos glatt. Wo sollte hier eine Tür sein? Unwillkürlich mußte Art an die Mysterious denken. Die brachten es im Industriedom und in der POINT OF auch fertig, Metallflächen 77
fugenlos erscheinen zu lassen, obgleich sich Öffnungen darin befanden. Und diese fugenlos schließenden Türen öffneten oder schlössen sich per Gedankenbefehl! War das hier auch so? Art konzentrierte sich und versuchte sich eine Tür vorzustellen, die vor ihm aufglitt. Aber nichts geschah. Die graue Wandfläche blieb verschlossen. Nur zwei Meter neben der Tür preßte sich Art an das getarnte Bauwerk. Auf der anderen Seite sah er den Astronomen. Andre Bittan hielt seinen Blaster feuerbereit in der Hand. Art löste seinen Paraschocker aus dem Holster. Als er sicher war, daß Bittan ihn sah, gab er ihm ein Handzeichen. Dann trat er direkt vor die Stelle, an der die Tür sein mußte. Bittan tat es ihm gleich. »Hier muß doch irgendwo die Klinke sein«, brummte der Astronom, legte die Hand gegen die Wand – und war im nächsten Moment verschwunden! Der Shecan wartete nicht ab, was die Terraner taten. Er war überzeugt, daß sie zu zweit nicht viel ausrichten konnten. Er konnte auch die Angst spüren, die von dem Terraner ausging, der als Andreebittan bezeichnet wurde. Der andere, Artuker, hatte auch Angst, aber seine animalische Entschlossenheit überdeckte sie. Kurz nur fragte sich der Shecan, warum die Terraner sich einerseits als >Menschen< definierten und trotzdem jeder von ihnen noch einen eigenen Artnamen besaß. War jeder von ihnen tatsächlich der Vertreter einer eigenen Spezies – der Artuker, der Andreebittan, der Scheenhuker, der Schensakuro, der Reabenx – oder waren sie einfach nicht fähig, sich anders voneinander zu unterscheiden? Immerhin sah doch jeder von ihnen völlig anders aus als die anderen! Aber wenn sie meinten, sich unnötig viele Bezeichnungen geben zu müssen, war das ihre Sache. Für die Shecan war es höchstens verwirrend, weil sie das nicht gewohnt waren. Der Shecan kehrte zum Flugdozer zurück, in dem Scheenhuker wartete. Aber er betrat die Maschine nicht. Er spürte die Scheu, die der Terraner Scheenhuker verspürte, und respektierte sie. Deshalb wartete er draußen, zeigte nur seine Anwesenheit. Scheen, wie die anderen Terraner dieses Wesen meist nannten, tauchte in der Druckschleuse auf. »Was ist los, warum bist du zurückgekommen?« Sie sind jetzt in der Burg. Deshalb bin ich wieder hier. »Und wenn sie in Gefahr sind? Wenn sie Hilfe brauchen?« Dann werde ich für Hilfe sorgen. »Von hier aus?« Ja. Damit hatte der Shecan alles gesagt. Der Terraner war damit nicht zufrieden und drängte mit Fragen, aber der Shecan schwieg. Warum sollte er überflüssige Gedanken und Worte erzeugen? Er wußte, was er tat. Und das mußte auch allen anderen genügen. Verblüfft starrte Art Hooker die Stelle an, an der sich Bittan eben noch befunden hatte. Unwillkürlich streckte er die Hand aus, aber der Astronom war nicht einfach nur unsichtbar geworden, sondern tatsächlich nicht mehr vorhanden. »Andre?« fragte Hooker leise. »Andre, wo steckst du? Kannst du mich hören, Sterngucker?« Der Astronom antwortete nicht. Er blieb verschwunden. Art erinnerte sich daran, was der Shecan ihnen mitgeteilt hatte: das Tor öffnete sich vor ihnen und schloß sich hinter ihnen wieder… Nicht alles, was die Shecan von sich gaben, war hundertprozentig wörtlich zu nehmen. Offenbar funktionierte diese Tür etwas anders. Aber warum, bei allen Sternengeistern, hatte der Shecan sich dann so 78
diffus ausgedrückt, obgleich sein Volk sich doch mit Technik auskannte, sogar mit der ihnen völlig fremden terranischen, und demzufolge auch die Technik der >Götter<, mit denen sie ständig zu tun hatten, für sie kein Buch mit sieben Siegeln sein konnte! Art seufzte. Ihm blieb keine andere Möglichkeit, als Bittan zu folgen. Er schaltete das Vipho ein, das er mitgenommen hatte. »Jane?« Es dauerte ein paar Sekunden, bis sie sich meldete. War sie draußen gewesen? Warum? Sie wußte doch, daß sie im Cockpit des Flugdozers gebraucht wurde! Aber vielleicht war sie auch nur kurz im Hygieneraum gewesen… »Was ist?« fragte sie. »Andre ist drinnen. Eine Art Transmittereffekt. Ich folge ihm jetzt. Ich melde mich, sobald ich es wieder gefahrlos tun kann. Ende.« Er schaltete ab. So kurz die Verbindung gewesen war, sie konnte angemessen und abgehört worden sein. Seit Bittans Verschwinden glaubte der Prospektor zwar nicht mehr, daß sie noch nicht bemerkt worden waren, aber er wollte das Risiko nicht unnötig vergrößern. Transmittereffekt! Der Gedanke war ihm im gleichen Moment gekommen, als er ihn ausgesprochen hatte, ein spontaner Einfall. War diese getarnte Tür keine Tür, sondern ein getarnter Transmitter? Aber das konnte nicht sein. Zumindest hätte die typische Ringantenne zu sehen sein müssen! Und wer sagt dir, alter Freund, daß Transmitter überall so aussehen wie bei den Mysterious? fragte er sich selbst. Vielleicht war das, was Bittan hatte verschwinden lassen, etwas ganz anderes! Er gab sich einen Ruck und folgte dem Astronomen. Blitzschnell wechselte die Umgebung Das Programmgehirn registrierte Funkverkehr und zwei Eindringlinge unmittelbar hintereinander. Die Eindringlinge paßten in keine Autorisierungs-Schablone. Ihre äußere Form war zwar korrekt, aber ihre Zellschwingungen und alle übrigen Daten paßten nicht. Sekundenbruchteile lang prüfte das Programmgehirn alle möglichen Variationen, aber die Eindringlinge waren nicht einmal Crekker. Allein die Farbabweichung verriet sie als Fremde. Da es sich nicht um Crekker handelte, löste das Programmgehirn keinen Imperiumsalarm aus und verzichtete darauf, eine Hyperfunkverbindung zum Kluis aufzubauen. So konnte das Programmgehirn weiter eigenständig handeln. Es entschied, die Eindringlinge entsprechend den Anforderungsprofilen zu verwerten. Art Hooker sah sich um. Fahles Licht erhellte den Raum nur mäßig. Von Andre Bittan keine Spur! »Andre?« rief er halblaut. Er zog jetzt auch den Blaster. Beide Strahlwaffen in den Händen, drehte er sich langsam im Kreis. Er suchte nach dem Transmitter, der ihn hierher versetzt haben mußte. Er war jetzt sicher, daß die vermeintliche Tür ein Transmitter war. Er hatte das typische schwache Prickeln der Ent- und Rematerialisierung gespürt. Dabei war dieses Prickeln schwächer gewesen als beim Transport von Hopes Kontinent 4 in den Industriedom. Also mußte der Transit hier über eine wesentlich kürzere Distanz erfolgt sein. Auf jeden Fall befand er sich noch innerhalb der Station! »Andre, wo steckst du?« War der Astronom an einen anderen Ort in der Station gebracht worden? Art konnte den Transmitter nirgends entdecken. Auch als er einen Schritt in die Richtung machte, aus der er gekommen sein mußte, geschah nichts. Das perfekt getarnte Gerät wurde nicht wieder aktiv. Entweder war es eine Einbahnstraße, oder es bedurfte einer Um79
schaltung, nur konnte Art diese Schalteinheit nirgendwo entdecken. Statt dessen fand er sich in einer großen Halle, in der eine Reihe von grauverkleideten Metallblöcken einen langen Korridor bildeten. Kein Unitall… kein mehrere Zentimeter hoher Staub wie im Industriedom und in der Ringraumerhöhle… also keine Mysterious! Aber warum sollten die Geheimnisvollen die einzigen sein, die Transmitter entwickelt hatten? Das Licht war auch nicht das typische Blau der Mysterious, sondern weicher, harmonischer. Gelblicher. Aber die zunächst einmal unsichtbaren Lichtquellen waren wie bei den Mysterious so verteilt, daß sie den Raum praktisch schattenlos erhellten. Art verzichtete darauf, sein Vipho wieder zu aktivieren und einen kurzen Statusbericht abzugeben. Sicher machte sich Jane Sorgen, aber er wollte sich in diesem Stadium von nichts ablenken lassen. Langsam bewegte er sich vorwärts. Niemand erschien, um ihn aufzuhalten. Die Halle war gespenstisch leer. Was auch immer sich hinter den grauverkleideten Blöcken befand – nichts regte sich. Waren es ruhende Maschinen? Oder irgend etwas anderes? Hooker erreichte das andere Ende der Halle. Dort gab es eine Türöffnung und einen Schalter. Er betätigte ihn. Die Tür glitt auf; er trat hindurch. Er erreichte einen Gang mit zahlreichen anderen Türen. Auch hier näherte sich ihm niemand. »Andre!« brüllte er laut. Wenn der Astronom sich hinter einer der Türen befand, konnte er Art vielleicht hören. Weder Bittan noch sonst jemand reagierte. Aufs Geratewohl versuchte Art, eine der Türen zu öffnen. Sie glitt auf und gab den Zugang zu einem Labor frei. Ein medizinisches Labor – aber ebenfalls menschenleer. Doch die Geräte waren aktiv! Überall glommen kleine Lichtfelder, die wahrscheinlich Bereitschaft signalisierten. Monitore ungewohnter Bauart flimmerten oder zeigten stetig wiederkehrende Linien und Kurven. Ein schwaches Summen lag in der Luft. Im gleichen Moment, in dem Art das Labor betrat, flammte Licht auf, aber es war auf die Stelle begrenzt, an der er sich befand. Auch jetzt konnte er die Lichtquelle nicht ausfindig machen, aber um ihn herum war es taghell, während der Rest des Labors im für diese Station typischen schattenlosen Dämmerlicht lag. Art Hooker wurde es unheimlich. Warum waren all diese Geräte in Bereitschaft, wenn niemand sich zeigte? Wo waren die Benutzer? Die schwarzen >Götter<…? Götter, die der Teufel holen sollte, wenn es nach Hooker ging. Was ihn am stärksten interessierte: Wo befand sich Bittan, und wo befand sich ein Hyperfunkgerät, mit dem er SOS senden konnte? Da war ein Geräusch. Er wirbelte herum. Er sah einen Schatten – und dann war um ihn herum nur noch Schwärze. Andre Bittan öffnete die Augen. Und sah direkt über sich zwei grell glühende Punkte. Unwillkürlich schloß er die Lider, öffnete sie langsam wieder. Er sah ein Gesicht, aus dem Augen grell wie Sonnenfeuer leuchteten. Ein schwarzes Gesicht. Das Gesicht eines Menschen, eines jungen Mannes, schön und klassisch geformt, aber obgleich seine Haut tiefschwarz war, zeigte dieses Gesicht keine negroiden Merkmale. Und diese grell leuchtenden Augen… Bittans Blickfeld erweiterte sich, je wacher er wurde. Er stellte fest, daß man ihn ausgezogen hatte, bevor er auf diesem Behandlungstisch festgeschnallt worden war. Seine Kleidung lag sauber zusammengefaltet auf einem Pult neben ihm wie auch seine Waffen, nur waren sie unerreichbar, solange er von den Haltespangen gefesselt war. 80
Wann und wie er betäubt worden war, konnte er nicht sagen, auch nicht, wieviel Zeit seither vergangen war. Sie mußten ihn sofort erwischt haben, nachdem etwas Unglaubliches ihn von draußen ins Innere der Station versetzt hatte. Der Schwarze, der kein Neger war, wich zurück und wandte sich einer Gerätekonsole zu. Bittan konnte ihn jetzt fast ganz sehen. Der Schwarze war nackt. Sein Körper glich einer Statue aus Griechenlands Antike, perfekt geformt. Aber warum trug er keine Kleidung? Bittan entsann sich der Worte eines Shecan. Einige der dunklen Götter der Verdammnis besitzen ebenfalls Haut, die sie ablegen und wechseln können, andere wieder nicht, aber die, die keine Wechselhaut tragen, besitzen Augen, die leuchten wie die Sonne… Einen der dunklen Götter sah Bittan vor sich! Einen, dessen Augen leuchteten und der keine Wechselhaut besaß – keine Kleidung! Der Astronom sah den Schwarzen jetzt mit unglaublich schnellen Bewegungen Sensortasten betätigen. Etwas schwenkte heran. Greifarme kamen auf Bittan zu. Er wollte aufspringen, ausweichen, aber er konnte es nicht. Er war gefesselt! Einer der Greifarme senkte sich auf ihn nieder. Er hielt eine Injektionspistole. Im transparenten Tubus befand sich eine Flüssigkeit, deren typische Färbung Bittan sofort erkannte. Er begann zu schreien und an seinen Fesseln zu zerren. Aber niemand hörte ihn. Der Schwarze hatte den Raum bereits verlassen. Und dann berührte die Injektionspistole Bittans Haut. Er spürte nicht einmal Schmerz, als sie den Inhalt des Tubus in eine seiner Adern schoß…
10. Je mehr Zeit verstrich, desto ungeduldiger wurde Jane. Sie fühlte, daß etwas nicht so lief, wie es eigentlich sollte. Immer wieder glitten ihre Finger über die Sensortaste, mit der das Bordvipho aktiviert wurde; immer wieder schreckte sie im letzten Moment davor zurück, Art anzurufen. Schließlich überwand sie sich und schaltete das Bildsprechgerät ein. »Art…? – Art, melde dich! Was ist los?« Aber sie erhielt keine Antwort. Die Sichtscheibe des Bordviphos blieb flimmergrau. Da faßte sie einen Entschluß. Wenn Art tot war, wollte sie auch nicht mehr leben, allein auf diesem fremden Planeten. Wenn er noch lebte, war es jedes Risiko wert, ihm zu helfen. Sie stürmte wieder nach draußen, wo der Shecan abwartend stand, die Laufwurzeln im Boden versenkt. »Du sagtest, du könntest für Hilfe sorgen, wenn Art und Andre in Gefahr sind«, stieß sie hervor. »Jetzt sind sie in Gefahr.« Du bist deiner Sache sicher? »Natürlich!« schrie sie den Shecan an. Ich auch. Und deshalb werden wir jetzt tun, was unser Untergang sein kann. Aber wir tragen Schuld, die schwer wiegt. Deshalb müssen wir Freunden helfen, über die wir Schaden brachten. Wir werden die dunklen Götter der Verdammnis angreifen. Und schon löste er blitzschnell seine Laufwurzeln, setzte sich in Bewegung. Auf eine unheimlich unbewegliche Weise glitt er in unglaublichem Tempo davon. Jane zögerte ein paar Sekunden. Sollte sie ihm zu Fuß folgen? Aber sie würde ihn niemals einholen. Also mit dem Dozer. Direkt bis vor die Station, so unvorsichtig es auch sein mochte. Sie kletterte in die Maschine zurück, fuhr die Motoren an. Die Rotor81
blätter klappten hoch, spreizten sich, begannen sich zu drehen und zu wirbeln. Rissen den Flugdozer empor. Jane jagte hinter dem Shecan her. Und sie sah, daß er nicht mehr allein war. Irgendwie – vielleicht auf halbtelepathische Art, vielleicht auch anders – hatte er seine Artgenossen alarmiert, und sie waren da. Sie stürmten der Burg der dunklen Götter entgegen. Dutzende. Hunderte. Viele Hunderte von Shecan… Art Hooker hatte einen Schatten gesehen, als er das Bewußtsein verlor, und er sah einen Schatten, als er wieder erwachte, nur zeigte dieser Schatten ihm nicht seine Gestalt, sondern verschwand genau in diesem Augenblick aus dem Raum, in dem der Prospektor sich befand. Schatten sind dunkel… Hatte Art eben einen der dunklen Götter gesehen? Eine Bewegung über ihm zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Ein Greifarm senkte sich auf ihn herab, und dieser Greifarm hielt eine Injektionspistole. Bestimmte Gegenstände werden von jeder Zivilisation gleich gestaltet, weil ihre Funktion das Aussehen bestimmt. Und dieses Ding war eindeutig dazu gedacht, dem Terraner eine Substanz zu injizieren, die ihm garantiert nicht guttat. Er erkannte sie an der Farbe. So hatten die Proben ausgesehen, die Sakuro und Bittan genommen und analysiert hatten. In dem Tubus befand sich der Virus! Und der sollte jetzt in Art Hookers Körper landen! Er keuchte, wollte aufspringen – und schaffte es nicht, weil er gefesselt war. In diesen wenigen Sekunden, während das Damoklesschwert auf ihn niederfiel, nahm er alles um sich herum auf fast schon unheimlich umfassende Weise wahr. Sah, daß er sich noch immer in dem Labor befand, sah, daß er während seiner kurzen Bewußtlosigkeit hier festgeschnallt worden war, sah die Geräte um ihn herum, sah die Gefahr, die ihm drohte. Sah, daß er trotz seiner Fesseln eine winzige Chance hatte, zu entkommen. Er reagierte instinktiv. Er hatte noch nicht ganz begriffen, was um ihn herum vorging, als er bereits handelte. Sich drehte und wand, zur Seite hin, wie es unter anderen Umständen kein Mensch riskiert hätte. Er brüllte vor fast unerträglichem Schmerz, als er ein Gelenk ausschnappen spürte, einen Knochen brechen hörte und fühlte. Aber die Injektionspistole verfehlte ihn. Der Greifarm schwenkte wieder hoch, ohne die Injektion durchgeführt zu haben. Irgendein Sensor hatte wohl erkannt, daß das Ziel verfehlt worden war, und hatte darauf verzichtet, Material zu verschwenden. Andere Sensoren erkannten aber auch, daß der Patient falsch lag! Sie gaben Alarm! Blitzschnell sprangen die Spangen auf, die Art an Hand- und Fußgelenken fesselten. Sie wollten ihn nicht freigeben, sondern wurden nur geöffnet, um ihn gleich wieder neu fixieren zu können; er sah Schienen, in denen die Spangen sich bewegen konnten. War diese Beweglichkeit nötig, um Shecan festhalten zu können? Oder war man es hier gewohnt, es auch mit anderen Entitäten zu tun zu haben? Die Laufschienen waren so angeordnet, daß sie auf eine Vielzahl von Körperformen eingestellt werden konnten! Die Schmerzen waren teuflisch und wollten ihm die Besinnung rauben. Er kämpfte dagegen an, sah fast nichts und schaffte es, sich unter dem Greif arm herumzurollen. Er fiel! 82
Auf den verletzten Arm! Wieder brüllte er auf. Sah im Stürzen auf einem Pult direkt neben dem Behandlungstisch etwas liegen und beglückwünschte die dunklen Götter für ihre Ordnungsliebe, weil sie seine Kleidung sorgfältig zusammengefaltet und abgelegt hatten. Daß er nackt war, begriff er erst in diesem Moment, nur interessierte es ihn weniger als die Tatsache, daß die Götter auch gleich Blaster und Schocker mitgebracht hatten, die er verloren hatte, als er niedergeschlagen worden war. Beide Waffen lagen griffbereit neben dem Kleiderbündel und dem ausgeschalteten Vipho auf dem Pult. Mühsam kämpfte Art sich auf die Beine. Hinter ihm klappten die Spangen in rasender Folge auf und zu, weil sie ihr Opfer fesseln sollten, es aber nicht fanden. Der Greifarm rotierte und suchte, und zu Arts Entsetzen suchte er plötzlich nicht nur über dem Behandlungstisch, sondern auch außerhalb – und war auch noch lang genug, das zu schaffen! Was war das für ein Computer, der diese Technik so verflucht erstaunlich steuerte? Art bekam den Blaster zu fassen. Der Schocker nützte ihm hier nichts, aber mit dem Blaster konnte er irreparable Schäden anrichten! Mit vor Schmerz tränenden Augen sah er, wie die Eingangstür aufglitt. Er sah einen Schatten hereinkommen! Einen schwarzen Schatten! Mehr konnte er mit tränenumflorten Augen nicht erkennen, aber im Reflex löste er die Strahlwaffe aus und begriff erst, daß er nicht mit dem Schocker, sondern mit dem Blaster geschossen hatte, als in der Tür ein Schatten in einer grellen Explosion auseinanderflog. Was war da explodiert? Ein Roboter? Ein Lebewesen konnte es nicht gewesen sein, weil organische Wesen unter Strahlbeschuß nicht explodieren, sondern verbrennen. Da hackte etwas gegen seinen Nacken. Der Robot hatte ihn lange genug abgelenkt, um dem Greifarm und seiner Steuerelektronik genug Zeit zu geben, ihr Ziel wiederzufinden. Zu spät fuhr Art herum. Der Greifarm mit der Injektionspistole schwang schon wieder zurück. Der Tubus war leer, und Art Hooker wußte, daß der verfluchte Virus ihn jetzt doch erwischt hatte. Trotzdem feuerte er. Der Blasterstrahl fauchte durch das Labor, das sich in eine kleine Hölle zerschmelzender und explodierender Geräte verwandelte, nur kam diese Katastrophe zu spät, um Arts Infizierung zu verhindern. Er wollte sich aufstützen, verlor vor Schmerz beinahe schon wieder die Besinnung, weil er sich gedankenlos mit dem verletzten Arm aufstützte, schoß wieder wie ein Wahnsinniger um sich und merkte, wie die Umgebung um ihn herum verschwamm. Verlor er den Verstand und war keines klaren Gedankens mehr fähig, oder brachte ihm der Virus jetzt die Totenstarre? Er taumelte. Um ihn herum sprühten Funken und tanzten Flammen. Lichtbögen zuckten, knisterten und flirrten knackend und prasselnd. Art Hooker stürzte in einen Lichtbogen hinein. Das letzte, was er wahrnahm, war sein eigener Schrei. Jane war ausgestiegen. Der Flugdozer befand sich in Startbereitschaft, nur durch den Sperrcode gesichert, der entweder von ihr oder Art gelöst werden konnte. Jane hatte Waffen mitgebracht. Die überzähligen Blaster und Schocker. Sie legte sie vor sich auf den Boden. Mochten die Shecan sich untereinander einigen, wer sie an sich nahm. »Wichtig ist«, sagte sie eindringlich, »die Station so schnell wie möglich zu besetzen und jede Menge Schaden anzurichten. Ausnahme: die Energieversorgung und der Hyperfunk. Er muß erhalten bleiben. Wir brauchen ihn für unsere Rettung.« 83
Aber das, was du Hyperfunk nennst, schadet uns, wandten einige Shecan ein. Es muß ebenfalls zerstört werden! »Auf gar keinen Fall!« protestierte sie. »Ihr werdet diese Strahlung ja wohl für ein paar Stunden ertragen können! Für uns ist sie sehr wichtig.« Nicht für uns. »Ich bitte euch darum.« Wir werden versuchen, deine Bitte zu erfüllen und unsere Instinkte zu unterdrücken, antworteten sie. »Was aber noch viel wichtiger ist: Die beiden Terraner müssen gerettet werden. Um jeden Preis!« Auch um den Preis der Zerstörung dessen, was du Hyperfunk nennst und was uns schadet? »Wenn es sich wirklich nicht vermeiden läßt – auch das«, räumte sie ein und hoffte, daß die Shecan dieses Zugeständnis nicht als Freibrief für die Zerstörung nahmen. Das traust du uns zu? fragte einer von ihnen vorwurfsvoll. Sie sah ihn nur an, dann wandte sie sich dem Eingang zu, der für sie wie zuvor auch für Art und den Astronomen eine geschlossene Wand darstellte. Kurz zögerte sie. Es ist wirklich der Zugang, teilte ein Shecan ihr mit – und benutzte ihn. Jane Hooker folgte ihm. Und in rasender Folge kamen die anderen hinter ihnen her… Art erwachte wieder. Er konnte nicht lange ohne Bewußtsein gewesen sein. Er hing halb über einem Gerät, und er hörte das Knistern von Stromspannung. Als er nach dem Ursprung des Geräuschs suchte, sah er einen Lichtbogen. Direkt daneben befand sich ein blanker Kontakt, den er berührte. Er konnte sehen, daß Strom floß, aber diese Stromspannung mußte so schwach sein, daß er sie nicht einmal fühlen konnte. Was er auch nicht fühlen konnte, war sein verletzter Arm. Überhaupt, sein ganzer Körper! Er wußte nicht, ob es in seiner Umgebung wärmer geworden war – hier und da knisterten Feuer in den durch seinen Blasterbeschuß beschädigten Einrichtungsteilen –, er spürte den Widerstand des Gerätes nicht, auf dem er lag. Seine entsprechenden Sinne schienen völlig ausgeschaltet zu sein. Aber wieso lebte er noch? Wieso konnte sich bewegen? Sakuro war dazu nicht in der Lage! Was auch immer mit dem Biologen geschehen war, es war etwas anderes als bei Art Hooker. Sollte es sich bei der injizierten Substanz trotz gleicher Farbe doch um einen anderen Stoff gehandelt haben? Oder hatte die Wirkung nur noch nicht eingesetzt? Diese Möglichkeit schied aus. Eine Wirkung spürte Art immerhin schon – nämlich den völligen Verlust seiner Tast- und Schmerzrezeptoren. Aber er war in der Lage, sich zu bewegen. Und das tat er jetzt. Er richtete sich auf. Und verlor den Hautkontakt mit der Schwachstromquelle Art erwachte wieder. Er konnte nicht lange ohne Bewußtsein gewesen sein. Er hing halb über dem Gerät mit der Schwachstromquelle. Instinktiv richtete er sich wieder auf Er erwachte wieder. Und begriff. Jedesmal, wenn er den Kontakt mit dem Schwachstrom verlor, verlor er auch die Besinnung. Die Schlußfolgerung war unglaublich. Diese teuflische Substanz, dieser Virus, der ihm injiziert worden war, 84
legte seine Körperfunktionen komplett still – nur dann nicht, wenn er in Kontakt mit dieser Schwachstromquelle war! Irgendwie brauchte er den Strom, um sich bewegen zu können! Sollte das bei Sakuro auch so sein? Mußte man ihm vielleicht eine Batterie anhängen, um ihn wieder von den Scheintoten aufzuwecken? Als Art sich diesmal bewegte, achtete er darauf, den Kontakt nicht zu unterbrechen. Er bewegte sich und sah, daß er eine offene Wunde am anderen Arm hatte; wie er sie sich zugezogen hatte, wußte er nicht. Vielleicht hatte ihn ein Trümmerstück von einer im Strahlbeschuß explodierenden Maschine gestreift. Aber diese offene Wunde blutete nicht! »Schön«, murmelte Art sarkastisch. »So werde ich wenigstens nicht zum Auslauf-Modell, das den Boden hier mit ein paar Litern Blut versaut…« Dafür gab es ein anderes Problem. Das Feuer! In einigen zerstörten Geräten entstanden, breitete es sich immer weiter aus, wurde stärker und stärker, und auch wenn Art kein Hitzeempfinden mehr besaß, konnte er sich doch denken, was rings um ihn geschah. Die Flammen würden ihn bald erreichen, aber vermutlich würde er schon vorher an Sauerstoffmangel und Qualm erstickt sein oder in der Gluthitze, die ihnen voranging, verdorren! Nur konnte er hier nicht weg. Versuchte er zu flüchten, würde er den Kontakt zur Schwachstromquelle verlieren und sofort bewegungslos werden. Daß er dabei auch das Bewußtsein verlor, war höchstens ein willkommener Nebeneffekt, um ihm das Erlebnis des Feuertods zu ersparen! Verdammt, von wo kam der Strom, der an dieser beschädigten Kontaktstelle freigesetzt wurde? Wo war die Quelle? Wenn es eine Art Batterie war, konnte er sie vielleicht noch ausbauen oder mit dem Blaster losschweißen; wenn das Kabel nur an der Stationsversorgung hing, war für ihn in ein paar Minuten alles vorbei. Das Feuer wurde noch stärker. Die ersten brausenden Flammen waren nur noch drei oder vier Meter von dem Prospektor entfernt… Von einer Gruppe Shecan begleitet, durchsuchte Jane die Station, die menschenleer zu sein schien – beziehungsweise leer von Lebewesen, die zu ihren Erbauern zählten. Nichts bewegte sich. Jane fürchtete eine Falle. Hin und wieder hörte sie Explosionen. Die Shecan setzten die Strahlwaffen ein und richteten Zerstörungen an. Hier und da begann Technik zu erwachen, schien aber um so mehr unter offensichtlichen Fehlfunktionen zu leiden, je mehr Zeit verging und je mehr es irgendwo anders krachte. Immer noch tauchte niemand auf, um den Störenfrieden Einhalt zu gebieten! Wo waren die > Götter Warum zeigten sie sich nicht? Plötzlich sah Jane aus den Augenwinkeln eine Bewegung. Noch ehe sie es verhindern konnte, riß einer der Shecan ihr den Blaster vom Gürtel und feuerte. Ein paar Meter entfernt flogen zwei dunkle Schemen auseinander. Roboter? Ihr Aussehen hatte sie nicht mehr erkennen können, nur, daß sie schwarz gewesen sein konnten. Waren die >Götter< Roboter? Und wie waren sie so überraschend in den Gang gekommen? Wo sie aufgetaucht waren, gab es keine Tür! Transmitter! durchfuhr es Jane. Nicht nur die Verbindung zur Außenwelt schien per Transmitter zu funktionieren, sondern auch intern! Womit sich ihr die Frage stellte, ob sich an dieser Stelle des Planeten vielleicht nur ein Teil der Basis befand und der Rest ganz woanders, vielleicht sogar auf einem anderen Planeten! 85
Wer kannte schon die Reichweite dieser unglaublichen Technologie? Der Shecan, der geschossen hatte, jagte einen gedanklichen Triumphschrei durch Janes Bewußtsein. Die Götter sind sterblich! Man kann sie vernichten – und wir sind hier nicht mehr sicher, denn die dunklen Götter der Verdammnis können überall zugleich sein und auftauchen, wo und wann sie wollen! Das bestätigte Janes Vermutung, es in dieser Station mit einem ganzen System von Transmittern zu tun zu haben. »Wir müssen Art und Andre finden!« drängte sie. Neben ihr flog eine Tür auf. Jane sah in ein verwüstetes Labor, in dem es brannte. Eine Gruppe Shecan, die es über einen anderen Zugang erreicht haben mußte, stürmte auf sich rasend schnell bewegenden Laufwurzeln heraus. Jane sah einen Mann, der nackt auf einer Liege festgeschnallt war und der auf keinen Fall mehr leben konnte. Ein halb zerschmolzenes Stück Metallplastik, abgesprengt von einem zerstörten Gerät, hatte seinen Körper beinahe zerteilt. »Art!« schrie sie entsetzt auf, aber dann erkannte sie, daß der Tote etwas kleiner war als ihr Mann. Andre Bittan, der diesem Planeten seinen Namen gegeben hatte, lebte nicht mehr. Es war nicht unsere Absicht, teilten die Shecan ihr mit. Von wo wir kamen, konnten wir ihn nicht sehen. Wir zerstörten Technik, aber als wir ihn fanden, war er bereits frei von allem Leben. Die Formulierung erschien Jane wie Hohn, aber sie wußte, daß es nicht so gemeint war. Frei von allem Leben! Auch eine Art, den Tod zu umschreiben… und wieder ein Beweis dafür, wie sehr sich das Denken von Terranern und Shecan unterschied. Wir bedauern es. Mehr hatten die Reptilienpflanzen nicht dazu zu sagen. Sie wandten sich der nächsten Tür zu… Wie unglaublich aggressiv sie waren! Gerade so, als stünden sie wieder unter dem Einfluß der Störstrahlung. So wie vor Tagen, als sie das Camp kurz und klein geschlagen hatten, um sich hinterher für ihr Tun zu entschuldigen. Wir bedauern es. War das echt? Oder hatten sie bei ihrer Zerstörungsorgie Bittans Tod billigend in Kauf genommen? Aber dann mußten sie telepathisch doch lügen können! Und Jane kam sich noch mehr vor wie in dem Kinderlied von den zehn kleinen Negerlein. Da waren’s nur noch zwei! Art und sie! Wenn er noch lebte… Die Tür glitt jetzt auf. Dahinter gab es nichts mehr zu zerstören, weil schon alles in hellen Flammen stand. Eine Hitzewelle schlug Jane und den Shecan entgegen. Aber in dem Inferno entdeckte sie ihren Mann! Er lag halb über einen teilzerstörten Aggregatblock gebeugt und schien an etwas zu basteln. Jane rannte auf ihn zu, wollte nach ihm greifen und ihn mit sich ziehen. »Nicht!« schrie er sie an. »Warte! Um Himmels Willen, Jane, ich kann hier nicht los…« Spürte er die ungeheure Hitze nicht, die ihr fast den Atem raubte? Schon glaubte sie, daß ihre Lungen von der kochend heißen Luft zu verbrennen begannen, und unter dem Overall brach ihr der Schweiß aus allen Poren, aber auf Arts Haut war nichts davon zu sehen! »Ich brauche den Schwachstrom, sonst bin ich tot – so tot wie Sakuro!« keuchte er hastig. »Jane, sie haben mich mit dem Virus infiziert…« Ein paar Shecan tauchten neben ihnen auf. Verlaßt diesen Raum sofort. Wollt ihr denn frei von allem Leben werden? drängten sie. Jane starrte sie an, machte dann eine abwehrende Handbewegung. »Ruhe!« fuhr sie die Reptilienpflanzen an. »Ich muß nachdenken!« 86
Denke nicht zu lange! warnten die Shecan. Es bleibt wenig Zeit! Das wußte Jane selbst. Die Hitze war unerträglich. Wie Art, der den Flammen noch näher war, das aushielt, ohne schon die ersten Brandblasen aufzuweisen, war ihr ein Rätsel. Aber plötzlich griff sie zu ihrem Schocker. »Willst du etwa…?« entfuhr es Art. Da hatte sie das Griffstück der Waffe bereits geöffnet. Sie nahm die Energiezelle heraus. »Was ist das da? Wie stark ist der Strom, den du brauchst?« »Weiß ich doch nicht! Bin ich ein Meßgerät?« keuchte der Prospektor, der nach wie vor versuchte, eine Energiequelle zu entdekken, die er ausbauen konnte; allerdings waren seine Möglichkeiten allein dadurch eingeschränkt, daß er sich von dem Kurzschlußkontakt nicht entfernen durfte. Jane riskierte viel, als sie blitzschnell ihre Hand zwischen Arts Haut und den Kontakt schob, von dem Strom kaum etwas merkte, aber sah, wie er ebenso rasch zusammenbrach. Der Strom war zu schwach, um in zwei Körpern zu wirken; der Mensch ist eben nur ein elektrischer Halbleiter… Sie zog die Hand zurück, und Art kam wieder zu sich. Aber Jane hatte ihre Idee! Sie schob die Energiezelle wieder in den Paraschocker zurück -und kantete die Waffe so gegen ein Stück Metall, daß die Diode zerstört wurde, die die Betriebsbereitschaft anzeigte. Das blanke Drähtchen, das mit geringster Energie versorgt wurde, lag frei. »Versuch’s damit!« stieß sie hervor. Ungläubig staunend nahm Hooker die Waffe an sich, preßte sie mit dem blanken Drähtchen gegen seine Haut und löste sich gleichzeitig von dem Stromkontakt. Er blieb beweglich… »Und jetzt ‘raus hier!« drängte Jane. »Aber so schnell wie möglich! Und halte dich unter Strom, so lange es eben geht…« Sie begannen zu laufen. In der Hoffnung, daß sie es schaffen würden, wieder heil nach draußen zu kommen. Hinter ihnen breiteten sich die Flammen immer weiter aus. Das Programmgehirn war überfordert. Zu viel geschah gleichzeitig. Der Gegner mußte sein Vorhaben bis in Detail geplant haben. Die Aktionen waren perfekt aufeinander abgestimmt. Das Eindringen der hellhäutigen Fremden, die sich die Shecan zu Verbündeten gemacht hatten, die Zerstörungen, die sie anrichteten. Der Einsatz der Roboter kam zu spät. Zudem waren diese Roboter nicht darauf programmiert, im Innern der Station zu kämpfen. Sie hätten im tronischen Bereich erst umgestellt werden müssen, doch da hatte das Programmgehirn seine Kapazität bereits zu sehr auf die Einzelschauplätze aufgeteilt. Immerhin mußte auch die Verwertung der beiden ersten Eindringlinge überwacht werden. Von denen hatte sich einer der Kontrolle entzogen, was eigentlich völlig unmöglich war und in den Schaltkreisen des Programmgehirns widersprüchliche Resultate identischer Rechenoperationen erzeugte. Das Programmgehirn war kein Kluis, der mit seiner multiplen Programmstruktur zu logischen Paradoxberechnungen fähig war. Dadurch, daß sich die Kapazität des Programmgehirns aufteilte, wurden einige Rechenoperationen in die Warteschleife geschoben. Das geschah automatisch und nicht nach Wichtigkeit, sondern nach Reihenfolge. Das Programmgehirn war nicht mehr in der Lage, Wichtigkeit zu ordnen. Auch diese Fähigkeit hing in einer Warteschleife. Prioritätskonflikte kämpften gegeneinander an. So wurden Ortungsergebnisse zu spät ausgewertet. zu spät, um noch Kampfjäger auszusenden, die sich mit den neu hinzugekommenen Gegnern befassen sollten. Es blieb nur die bodengebundene Verteidigung. 87
Und deren Wirksamkeit war recht gering… Jane half ihrem Mann in den Flugdozer. Er ließ sich in einen der Sitze fallen… um festzustellen, daß er zwar Erschöpfung spürte, aber nicht außer Atem geraten war… er atmete überhaupt nicht! Aber jetzt war nicht die Zeit, sich darüber zu wundern. »Andre«, stieß er hervor. »Wo ist er? Könnt ihr ihn noch herausholen?« »Andre ist tot«, erwiderte Jane bitter. »Verdammt! Ihr müßt trotzdem zurück. Der Hyperfunk…« Jane schüttelte den Kopf. »Ich glaube, das hat jetzt keinen Sinn mehr«, sagte sie leise. »Warum?« »Schau!« Sie hatte durch das Sichtfenster die Umgebung beobachtet. Jetzt entdeckte auch Art, was sie meinte. Der Boden rund um die Station brach auf. Sie konnten von ihrer Position aus nur einen Teil sehen, aber das reichte schon. Ein gewaltiger Geschützturm wurde ausgefahren. Weiter im Hintergrund tauchte eine gleichartige Konstruktion aus dem Boden auf, der inzwischen zitterte – was selbst im Innern des Flugdozers deutlich zu spüren war. »Wir müssen hier weg«, sagte Jane leise. »Ich muß die Shecan warnen…« »Die wissen schon selbst, daß sie verschwinden müssen«, sagte Art Hooker. »Schau…« Der Tortransmitter spie eines der Pflanzenwesen nach dem anderen aus. Jane löschte den Sperrcode. Dann fuhr sie die Maschinen hoch. Der Flugdozer hob vom Boden ab. »Sollen wir nicht Shecan an Bord nehmen?« fragte Art gepreßt. »Nein!« schrie sie ihn an, begriff ihr egoistisches Verhalten und war trotzdem nicht in der Lage, etwas dagegen zu tun. Aber in diesem Moment, in dem sie Art verletzt, beinahe tot, neben sich sah, und unter dem Eindruck der Erlebnisse mit den blühenden Hybridwesen und des Freitodes von Rea Banks, konnte sie die Nähe der Shecan nicht mehr ertragen. Den Schocker nach wie vor gegen seine Haut pressend, beugte Art sich vor. »Nicht so hoch!« preßte er hervor. »Paß auf, wir…« Da sah auch sie das Flimmern. Es war wie ein Regenbogen, aber nicht weit entfernt am Horizont, sondern ganz nah. Und auch nicht als Lichtstreifen, sondern als leuchtendes Kraftfeld. Die Station hatte einen Schutzschirm über sich aufgebaut, der nur die Spitzen der Waffentürme freigab, damit sie feuern konnten! Die Waffen richteten sich mithin nicht gegen die Shecan und die beiden Terraner in ihrem Flugdozer, die aus ein paar Dutzend Metern Höhe jetzt die gesamte Ausdehnung der Festungsanlage überschauen konnten, sondern nach draußen. Gegen einen Angriff aus der Luft… oder aus dem Weltraum… Unwillkürlich stöhnte Art Hooker auf. »Das ist keine Forschungsstation, das ist ein Kampffort«, murmelte er erschüttert. »Eine solche Waffenkapazität hätten wir auf Hope haben müssen, dann könnte Cattan noch stehen, dann wären wir mit den G’Loorn auch noch fertig geworden…« In diesem Moment begannen die Waffentürme zu feuern. Es war wie ein Weltuntergang. Das Programmgehirn schloß die Überwachung, wo sie nicht mehr erforderlich war, da an den entsprechenden Stellen in der Station ohnehin alles zerstört war. Je geringer die Anzahl der Tasks wurde, desto größer die verfügbare Hauptkapazität. Endlich konnten die Warteschleife abgearbeitet und auch wieder Prioritäten gesetzt werden. 88
Das Programmgehirn erkannte, daß die Verteidigungsbereitschaft zu früh geschaltet worden war. Die dafür erforderliche Energie wurde von den Angreifern erkannt und analysiert. Sie war stärker als die Tarnung, die nur für den Normalstatus galt. Hätte die Station abgewartet, wäre sie möglicherweise nicht entdeckt werden. Jetzt scannten und analysierten die Angreifer die Energiekapazität. Es blieb nur noch die Flucht nach vorn, der Präventivschlag. Das Programmgehirn war nicht sicher, ob die geringe Abwehrkraft der Station ausreichte und bereitete einen Hyperfunkspruch nach Cromar vor. Der Kluis mußte informiert werden. Von einem Moment zum anderen war der Himmel über der Station nur noch ein gleißendes Fanal. Turmdicke Strahlbahnen jagten empor, um irgendwo weit oben ein für die Terraner unsichtbares Ziel zu erfassen. Mitgerissene, blitzschnell aufgeheizte Luftmassen heulten in die Höhe, schufen Feuerkorridore, die alles überstrahlten, und entfesselten dabei einen Orkan, der Bäume entwurzelte und ringsum alles zerstörte und hinwegfegte. Nur was sich unter dem Energieschirm befand, blieb verschont. Aber solange dieser Schirm existierte, konnte auch niemand hinaus und flüchten! Wenn der Gegner, auf den die Station das Feuer eröffnet hatte, sich als stärker erwies, waren sie hier unten erledigt! »Da muß in einer Minute mehr Energie freigesetzt werden, als ganz Terra vor der Invasion in einem Monat verpulvern konnte«, stöhnte Art Hooker. »Woher kommt diese Energie? Wieso hat die FO-12 dieses Gigantkraftwerk nicht schon vom Raum aus erfassen können? Selbst im Ruhezustand muß so ein Energieerzeuger doch mit mehr Strom arbeiten als ein kompletter Raumkreuzer!« Das Donnern und Brüllen der entfesselten Luftmassen durchdrang mittlerweile die Schallisolierung des Flugdozers. Der draußen über dem Energieschirm tobende Orkan wurde immer stärker und spottete längst jeder Beschreibung. Was an aufgeheizten Luftmassen emporgejagt wurde, mußte Ersatz finden, und Sturmböen jagten in das entstehende Vakuum hinein. Wehe dem, der sich dort draußen befand! Art vermutete, daß die Auswirkungen dieses Orkans inzwischen mehr als hundert Kilometer weit reichten. Von ihrem Mini-Camp und wohl auch von Rea Banks’ Grab war inzwischen vermutlich nichts mehr übriggeblieben. Da schlug der Gegner zurück! Blaßrot und sprühend loderte es über dem Schirm auf, wurde noch greller und gleißender! Die automatische Verdunkelung der Sichtscheiben kam nicht mehr mit. Hatte es eben noch nur oberhalb des Energieschirms geleuchtet, so strahlte es jetzt blendend grell. Ein Inferno dieser Art hatten die Siedler auf Hope unter ihrem die Stadt Cattan umspannenden Schutzschirm niemals erlebt. Er wäre unter diesen Energiemengen zusammengebrochen! Dieser Schirm brach nicht zusammen. Er hielt stand. Und das blaßrote Leuchten der Kampfstrahlen, die aus dem Raum herabstachen… viel enger gebündelt als die Strahlbahnen aus den Waffentürmen der Station und trotz ihrer Blässe unwahrscheinlich grell… »Nadelstrahlen!« stieß Jane hervor. »Das sind Nadelstrahlen! Das ist der Ringraumer!« Nur die POINT OF verfügte über diese verheerende Waffe, die überlichtschnell wirkte und jede Materie unverzüglich in Energie umwandelte. Im gleichen Moment hielt der Schutzschirm dem Nadelstrahlbeschuß nicht mehr stand und zerflatterte! Das Regenbogenleuchten war wieder zu sehen, unglaublich grell, und an mehreren Stellen zugleich riß es auf und verschwand, aber im glei89
chen Augenblick waren die Nadelstrahlen verschwunden. Statt dessen geisterte es grünlich heran! Die Männer in den beiden Waffensteuerungen des Ringraumers mußten unwahrscheinliche Präzisionsarbeit geleistet haben, um den Nadelstrahlbeschuß in der gleichen Pikosekunde einzustellen, in der der Schirm zusammenbrach – oder wurde der Angriff von der geheimnisvollen Gedankensteuerung geführt, die tausendmal schneller reagierte als der schnellste Mensch? Aber diese Gedankensteuerung mit ihrer eiskalten, unmenschlichen Logik hätte garantiert nicht von totaler Vernichtung auf partielle Zerstörung umgeschaltet, sondern die Station zu einer winzigen künstlichen Sonne werden lassen, die ihre gesamte Energie in einem einzigen Ausbruch verstrahlte! Hier kamen Dust-Strahlen zum Tragen! Dust-Strahlen, die anorganische Materie in amorphen Staub verwandelten, organisches Material aber ungeschoren ließen! Auch eine Waffenart, die es nur in der POINT OF gab! Grün flirrende Dust-Strahlen zerpulverten die Waffentürme der jetzt ungeschützten Station! Aber im gleichen Moment, in dem der Schutzschirm zusammenbrach, trat für den Flugdozer eine andere, zusätzliche Gefahr auf -der Orkan! Brüllend und tobend griff er jetzt auch nach dem Flugdozer und nebenbei nach den Staubmassen, die an der Station aufwallten. »Weg!« hatte Art seine Frau angebrüllt, dabei beinahe vergessen, den Schocker an sich zu pressen, und dann brüllte er noch einmal: »Weg, schnell, oder wir gehen doch noch drauf! Jane…« Sie schaltete die Staustrahl-Turbos von Null auf Vollast! Die Turbinen brüllten noch lauter als der Sturm. Rissen sie ab? War ihre Notleistung stärker als die Befestigungen? Der Dozer machte einen Satz vorwärts! Die Turbos rissen nicht ab, dafür aber die Rotorblätter, die dieser Belastung nicht gewachsen waren. Was spielte es für eine Rolle? Wichtig war nur, daß sie davonkamen! Um sie herum schlug es ein. Nicht nur die POINT OF feuerte. Auch Kugelraumer mußten hier sein! Sie schossen mit TrembleSchock. Energie wurde kurz vor dem Ziel verdichtet und hämmerte in rasenden Intervallen gegen das Zielobjekt, um es unter den Vibrationen zerbersten zu lassen. Die Richtschützen in dem oder den Kugelraumern waren nicht so gut wie Cliftons und Rochards Leute in der POINT OF. Fehlschüsse gruben den Boden um die Station weiträumig um. Dann traf ein Strahl die Station und mußte dabei das Kraftwerk erwischt haben. Hinter dem davonrasenden, von Orkanböen geschüttelten Flugdozer brach ein Vulkan aus. Der Dozer wurde herumgewirbelt. Art flog aus dem Sitz, verlor den Schocker und das Bewußtsein. Jane kämpfte allein ums Überleben und ahnte, daß sie diesen Kampf verlieren mußte.
11. Der blauviolett schimmernde Ring, 180 Meter durchmessend, stand auf seinen 45 Auslegerpaaren mit geöffneten Schleusen in einer total verwüsteten Landschaft unweit der Stelle, an der sich noch vor kurzem eine Station unbekannter Intelligenzen befunden hatte. Jetzt gab es nur noch Trümmer und Staubschleier, die vom Wind immer wieder aufgewirbelt und träge davongetrieben wurden. Die Menschen, die in diesen Trümmern arbeiteten, trugen Raumanzüge, um im Staub nicht zu ersticken, den die Dust-Strahlen des 90
Ringraumers erzeugt hatten. Die POINT OF war auf der anderen Seite gelandet, der Wind trug den Staub von ihr weg. Jane Hooker lehnte sich an die gewaltigen Plastikraupen des Flugdozers. »Ich verstehe immer noch nicht, wieso wir noch leben«, sagte sie leise. »Plötzlich war die POINT OF da, und ich bekam den Dozer wieder unter Kontrolle! Er stürzte doch schon ab, die Triebwerke…« Der weißblonde, junge Mann, der ihr gegenüberstand, strich sich durch das kurzgeschnittene Haar. Er lächelte. »Bedanken Sie sich bei Tino Grappa, Jane«, sagte er. »Er hat den Ortungsimpuls des Dozers in dem gewaltigen Chaos entdeckt und uns darauf aufmerksam gemacht. Wir konnten Ihre Position gerade noch anfliegen und Sie ins untere Intervallfeld des Ringraumers kapseln.« »So war das also«, murmelte sie. »Danke, Commander.« Ren Dhark winkte ab. »Lassen Sie den Commander. Früher haben Sie mich doch auch beim Namen genannt. Ich schätze, wir werden uns einiges zu erzählen haben.« »Das glaube ich auch.« Zwei ungleiche Männer näherten sich ihnen; Leon Bebir, der neue 2. Offizier, und Miles Congollon. »Können wir anfangen?« erkundigte sich der junge Bebir. »Womit?« fragte Jane Hooker erstaunt. »Mit dem Einschleusen.« Bebir deutete auf den Flugdozer. »Hat der Commander es Ihnen noch nicht gesagt? Von den Kreuzern landet keiner. Wir müssen Ihr Vehikel in die POINT OF verladen.« »Paßt er denn überhaupt durch die Schleuse – und dann weiter? Wohin? So groß ist der Ringraumer doch auch nicht…« »Er paßt knapp, aber er paßt«, versicherte Bebir. »Wir lassen ihn in der Schleuse und verankern ihn magnetisch. Wahrscheinlich wird das Außenschott offenbleiben müssen. Aber bei eingeschaltetem Intervallfeld macht das nichts.« »Nur reparieren können wir ihn im Weltraum nicht. Was wir während unserer Zeit auf diesem Planeten nicht fertigbekommen, werden wir wohl erst auf Terra flicken können, oder auf Hope, falls Sie dorthin zurückwollen«, bemerkte Congollon und betrachtete angelegentlich den beschädigten Rotor. Von den Blättern war nichts übriggeblieben. Er wollte es Jane noch nicht sagen, aber vermutlich mußte der gesamte Rotorkopf ausgetauscht werden, und Ersatz gab es nur auf Terra – wenn überhaupt. Angesichts der schwierigen Lage der Prospektorin machte er aber in Optimismus. »Bittan«, sagte Jane. »Wie bitte?« »Dieser Planet heißt Bittan. Der Astronom Andre Bittan gab ihm den Namen, und ich denke, wir sollten ihn beibehalten.« »Sicher«, versprach Ren Dhark. »Wollen Sie nach Hope zurück?« »Wahrscheinlich nicht. Ich weiß es noch nicht. Ich will nur, daß Art geholfen wird.« »Er ist in der Medo-Station der POINT OF in den besten Händen«, sagte Dhark. »Und Sakuro befindet sich bereits in einer Kältekammer. Auf Terra wird man sich um die beiden eingehend kümmern. Wir haben Experten mit Möglichkeiten, von denen Sie sich wahrscheinlich nichts träumen lassen. Sie werden nun zwangsläufig mit ihnen zu tun bekommen und dadurch zu Geheimnisträgern, aber ich denke, wir werden Ihnen vertrauen können. Das konnten wir doch immer. Die Alternative wäre eine Gedächtnislöschung.« »Wenn, dann löschen Sie möglichst diesen gesamten Planetenaufenthalt«, entfuhr es Jane spontan, aber dann schüttelte sie den Kopf und sah zu Boden. »Nein«, korrigierte sie sich. »Ich möchte immer daran denken können. Rea hat es nicht verdient, einfach vergessen zu werden…« »Erzählen Sie uns, was passiert ist, während der Dozer verladen wird.« 91
»Nein«, protestierte sie. »Ich bringe ihn selbst in die Schleuse. Es ist ein sehr kompliziertes Gerät. An die Steuerung lasse ich niemanden heran.« »Wie Sie wollen«, sagte Dhark. »Fangen wir an, um so schneller haben wir es hinter uns.« Später saßen sie in der Offiziersmesse des Ringraumers zusammen. Jane erzählte zuerst. Danach war Ren Dhark an der Reihe. »Nein«, sagte er. »Wir haben keinen Notruf empfangen. Nichts dergleichen. Aber Marschall Ted Bulton ist ein vorsichtiger, umsichtiger und mißtrauischer Mann. Ihm verdanken Sie es, daß wir überhaupt hierher geflogen sind.« »Diesem cholerischen Poltergeist?« Jane erinnerte sich daran, den etwas korpulenten Offizier einmal kennengelernt zu haben, aber sonderlich sympathisch war er ihr nicht gewesen. »Er, Marschall Trawler und Dan Riker pflegen abwechselnd Einsatzpläne und Rückmeldungen der Schiffe und Flottenverbände abzuchecken.« Dhark lächelte bei dem Wort Flottenverbände. Bei der Größe der Terranischen Flotte von Verbänden zu sprechen, war wohl doch nahe an der Grenze zum Größenwahn… »Dabei stellte Bulton fest, daß die FO-12 sich mehrere Tage nicht mehr gemeldet hatte. Es wurde versucht, das Schiff per Hyperfunk zu erreichen. Ohne Erfolg. Also beschloß Bulton, jemanden hinzuschicken, nachzusehen und bösen Buben auf die Pfoten zu hauen, wie er sich ausdrückte.« Jane lächelte verloren. »Typisch Bulton.« »Typisch Bulton, hat er gleich drei Kreuzer der Planetenklasse in Marsch gesetzt. Wohin, war ja durch die letzte Positionsmeldung bekannt. Die Kreuzer kreisen jetzt im Orbit. Als ich erfuhr, daß Art und Sie an Bord der FO-12 waren, beschloß ich, mich der Sache selbst anzunehmen. Wir Siedler von Hope…« Jane nickte. Es war schon seltsam; die Menschen, die mit der GALAXIS nach Hope geflogen waren, verband ein unsichtbares, aber sehr festes Band. Einer für alle und alle für einen, dieser Grundsatz war für sie mehr als nur eine hohle Phrase. Davon war auch Commander Ren Dhark nicht ausgeschlossen – er am allerwenigsten! »Leider hat es deshalb auch ein wenig länger gedauert, bis wir hier waren«, fuhr Dhark fort. »Sie wissen ja, im Gegensatz zu den GiantRaumern besitzt die POINT OF leider kein Transitionstriebwerk. Und über zwölfhundert Lichtjahre zurückzulegen, dauert eben seine Zeit… Als wir uns hier mit den Kreuzern trafen, gab es von der FO-12 nur eine Spur, die uns gar nicht gefallen hat.« »Eine Spur?« stieß Jane hervor. »Was für eine Spur?« »Trümmer und Energiefahnen«, sagte Leon Bebir. »Der Raumer ist durch massiven Strahlbeschuß vernichtet worden. Jemand hatte eine Menge Energie eingesetzt. Erfreulicherweise, denn sonst hätten wir die Energiefahnen nach der langen Zeit nicht mehr feststellen können. Triebwerks-Emissionen zum Beispiel, ganz gleich, ob von der FO-12 oder von den Gegnern, waren längst verweht. Wir konnten die Energiefahnen allerdings nicht einordnen. Die Strahlart ist uns unbekannt.« »Deshalb haben wir dann das ganze System gescannt und festgestellt, daß dieser Planet… Bittan… in der Biosphäre liegt. Wir haben noch näher hingeschaut, und siehe da, wir wurden fündig«, fuhr Dhark fort. »Kaum waren wir fündig geworden, bekamen wir Dampf. Diese Station griff uns an. Wir haben ein bißchen zurückgeschlagen. Schade, daß nicht mehr viel übriggeblieben ist. Die BERNHARDTS STAR hat mit dem Tremble-Schock etwas zu gründliche Arbeit geleistet.« »Die Zielerfassung der Kugelraumer ist nicht so exakt wie die der POINT OF«, erinnerte Bebir. »Sorry, Commander, aber die Suprasensoren flippen ein wenig, wenn aus einem stationären Orbit heraus auf ein Ziel innerhalb der Atmosphäre geschossen werden soll. Die Beobachtungssatelliten, die unsere Ahnen im vergangenen Jahrhundert in 92
den Erdorbit gejagt haben, waren da wesentlich genauer. Die FuzzyLogik unserer heutigen Suprasensoren ist zwar ‘ne sehr gute Erfindung, führt hier aber zu gewaltiger Unscharfe und läßt sich nicht wegschalten. Schade, daß wir den Checkmaster der POINT OF nicht nachbauen können…« »Sie kennen sich mit der Waffentechnik der Kugelraumer erstaunlich gut aus, Bebir«, stellte Dhark fest. »Bevor ich mich für die Führungsebene bewarb, wollte ich mal Waffenoffizier werden«, erklärte Bebir. Er grinste plötzlich. »Eigentlich wollte ich Bud Clifton den Platz streitig machen…« Jane hatte dem Geplänkel nur mit halbem Ohr zugehört. Die FO-12 war also tatsächlich vernichtet worden. Alle, die an Bord gewesen waren, waren tot. Und wenn sie nicht das gewagte Landemanöver mit dem an die Linse gekoppelten Flugdozer riskiert hätten, wären sie jetzt auch tot… Aber waren sie das nicht ohnehin? Sakuro und Art – waren sie nicht Tote auf Abruf, infiziert mit diesem höllischen Virus? »Was ist mit den Shecan?« fragte sie plötzlich. »Wir haben ein paar Dutzend in den Resten der Station entdeckt«, sagte Dhark. »Als sie die POINT OF sahen, rannten sie in panischer Angst davon.« »Es ist der Ringraumer«, sagte Jane. »In grauer Vorzeit müssen sie Besuch von den Mysterious bekommen haben, und die sind ihnen nicht gerade in guter Erinnerung geblieben. Aber fragen Sie mich nicht, wie die Mysterious ausgesehen haben – die Shecan konnten darüber keine Auskunft geben. Ein paar Dutzend? Es waren Hunderte mit mir in der Station!« »Der Höllenorkan wird sie weggefegt haben«, vermutete Bebir bedauernd. »Mit viel Glück können sie überlebt haben. Pflanzen sind widerstandsfähig, Reptilien auch. Die Station muß übrigens vollrobotisch gewesen sein. Wir haben außer ein paar flüchtenden Shecan und den sterblichen Überresten Andre Bittans keine Lebensformen entdeckt.« »Aber dafür haben wir etwas anderes gefunden«, sagte Ren Dhark. »Vielleicht werden wir damit etwas schlauer. Momentan beißt sich der Checkmaster die Zähne daran aus. Vielleicht kann er die Dateien knacken.« »Dateien?« Der Commander nickte. »Eine Untereinheit des Stationsrechners ist teilweise unbeschädigt geblieben. Arc Doorn hat sich das Teil vorgenommen und uns gezeigt, wo wir Speicherinhalte anzapfen könnten. Das haben wir getan. Und nun wollen wir mal hoffen, daß unser geheimnisvolles Super-Bordgehirn mit diesen Daten ebensogut zurechtkommt wie seinerzeit mit denen der Giants…« Es war eine dunkle und stürmische Nacht, als sie Abschied von Bittan nahmen. Jane Hooker war zu der Stelle hinübergegangen, an der Reas Grab hätte sein müssen. Selbst von dem Fluß war nichts geblieben. Der Feuerorkan hatte alles restlos eingeebnet und verwüstet. Jane fand die ungefähre Stelle nur wieder, weil sie sich nach entfernten Geländemerkmalen richtete. Sie stand inmitten aufgerissenen Bodens. Bald schon würde hier wieder das erste Grün wachsen, und in ein paar Jahren oder Jahrzehnten würde nichts mehr daran erinnern, welche Tragödie sich hier abgespielt hatte. »Du hast es nicht verdient, vergessen zu werden, Rea«, murmelte Jane. Der Wind spielte mit ihrem Haar. Plötzlich waren Schritte hinter ihr. »Wir werden sie nicht vergessen«, sagte eine ihr nur zu bekannte Stimme. 93
Sie flog förmlich herum. »Art?« Er lächelte. »Es sprach nichts dagegen, mich wieder auf die Menschheit loszulassen«, sagte er. »Ich trage diesen Virus zwar noch in mir, aber sie haben mir eine kleine Batterie eingepflanzt, so daß ich mich überall frei bewegen kann, ohne wie Shen in Starre zu verfallen. Es ist fast wie ein Herzschrittmacher, weißt du? Die Batterie erzeugt eine permanente Reizspannung, die zwischen 0,003 und 0,047 Volt liegt. Übersteigt sie diesen Wert, habe ich ebenso Pech, wie wenn sie merklich absinkt. Dann kann ich Sakuro in der Kältekammer Gesellschaft leisten. Aber solange die Batterie funktioniert, gibt es keine Probleme. Bis auf eines – ich spüre keine Schmerzen, und ich kann nicht bluten. Der Virus bindet jede Körperflüssigkeit in mir. Auf Terra wird man versuchen, den Virus aus meinem Körper zu entfernen.« Er strich ihr Haar zur Seite und küßte ihren Nacken. »Wir werden in einer Viertelstunde starten. Es ist Zeit, an Bord zu gehen. Dhark hat es eilig. Weiß der Himmel, warum. Vielleicht haben sie in den Dateien des Stationscomputers etwas Wichtiges entdeckt.« Jane nickte und wandte sich um. »Gehen wir«, sagte sie. Wenig später hob die POINT OF ab. Die 45 Auslegerpaare wurden eingezogen; die Landeteller schlössen fugenlos mit der Außenhülle des Ringraumers ab. Lautlos stieg das blauviolett schimmernde Raumschiff empor. Bei Erreichen der ersten Wolkenschichten wurden die beiden Intervallfelder eingeschaltet. Dann beschleunigte das Schiff und verschwand blitzschnell als winziger Stern am Nachthimmel, der bald nicht mehr zu sehen war. Die Shecan hatten den Planeten jetzt wieder für sich allein. Sie konnten den Legenden ihrer Vorfahren nun eine weitere hinzufügen. Jene, die vor über tausend Sonnenumläufen Unheil über die Shecan gebracht hatten, waren zurückgekehrt, um Unheil über die dunklen Götter der Verdammnis zu bringen. Sie hatten die dunklen Götter ausgelöscht und damit früheres Unheil wieder gutgemacht. Der Ring war nicht länger das Symbol des Bösen. Während der Ringraumer mit vieltausendfacher Überlichtgeschwindigkeit dem Sol-System entgegenraste und Leon Bebir sich in der Zentrale langweilte, saßen Dhark, die Hookers und Manu Tschobe sich in einem Besprechungsraum gegenüber. Diesmal war es kein lockeres Beisammensein, sondern dienstlich. Manu Tschobe, der afrikanische Arzt und Funkspezialist, war auf beiden Fachgebieten eine Koryphäe. Er, der es selten fertigbrachte, beim Gespräch anderen Menschen in die Augen zu sehen, legte eine Chip-Folie vor sich auf den Tisch. »Das sind die Daten, die wir dem Stationsgehirn entnehmen konnten«, sagte er. »Der Checkmaster hat seine Arbeit getan, und wir sind in mancher Hinsicht so schlau wie zuvor. Wir haben zum Beispiel nicht herausbekommen, wer diese >dunklen Götter< sind, woher sie kommen. Bedauerlicherweise konnten wir es auch nicht durch den Hyperfunk herausfinden – gerade in dem Moment, in welchem die Station zerstört wurde, wollte der Stationscomputer einen Richtfunkspruch abstrahlen, wie wir mit der Echo-Kontrolle der Funk-Z feststellten. Hätte er es geschafft, hätten wir möglicherweise anhand der Richtung zumindest den Raumsektor ausmachen können, in dem wir die Fremden zu suchen haben.« »Aber der Funkspruch hätte die anderen auch alarmieren können«, wandte Ren Dhark ein. »Dann hätten wir es jetzt vielleicht schon mit einem Kampfverband zu tun. So wird es eine Weile dauern, bis sie herausfinden, daß ihre Station zerstört wurde. Die drei Kugelraumer bleiben noch eine Weile im System, bis die Energiefahnen des Kampfes nicht mehr festzustellen sind, und haben Befehl, sich dann in einer Reihe von schnellen, vorher programmierten Zick-Zack-Transitionen zu entfernen, damit ihre Raumsprünge nicht mehr verfolgt werden 94
können, falls doch noch jemand – für uns ein paar Tage zu früh – auftaucht.« »Das heißt, wir stehlen uns aus unserer Verantwortung, nachdem wir eine Menge Flurschaden angerichtet haben«, sagte Tschobe trocken. »Ganz so sehe ich das nicht, Manu«, wandte der Commander ein. »Prinzipiell mögen Sie recht haben, aber wir können uns bei diesem Flurschaden auf unsere Fahnen schreiben, daß es erstens einem guten Zweck diente, indem wir die Shecan aus einer bitteren Knechtschaft befreiten, und zweitens Notwehr war, um unseren Leuten zu helfen. Wir sind es, die grundlos angegriffen wurden. Unser Forschungsraumer wurde zerstört. Wer das tut, muß eben auch das Echo vertragen können. Und daß wir jetzt möglichst unentdeckt zu verschwinden versuchen, ist reines Sicherheitsbedürfnis. Wir haben die Invasion der Giants noch längst nicht verkraftet, wir knabbern noch an der G’Loorn-Krise – Terra ist für eine weitere Auseinandersetzung noch gar nicht gerüstet. Wir brauchen Zeit.« Tschobe nickte. »Habe ich was gesagt?« brummte er. »Was ist nun mit diesem Datenchip?« fragte Art Hooker. »Der Checkmaster ist mit der Sprache dieser >Götter< also nicht zurechtgekommen?« »Nein«, sagte Tschobe. »Er hat sie nicht erfassen können. Aber was er erfassen konnte, sind Formeln. Bestimmte Dinge sind überall im Universum immer gleich. Sie unterscheiden sich nur in der Form, in der sie niedergeschrieben werden. Wenn Sie mathematische Formeln nehmen, oder die Struktur von Atomen, oder bestimmte Moleküle, wird man sie immer erkennen. Ganz gleich, ob sie in ägyptischen Hieroglyphen, arabischen Zahlen und lateinischen Buchstaben oder in der Schrift der Mysterious oder Amphis abgefaßt sind. Vielleicht nicht auf den ersten Blick, sondern nach einigem Nachdenken. Und der Checkmaster hat die Kapazität, sehr gründlich nachzudenken. Dabei ist er zu dem Ergebnis gekommen, daß es sich um biochemische Formeln handelt. Wir wissen jetzt, woran die sogenannten Götter forschten.« Dhark stieß einen Pfiff aus. »Mit dem, was ich von Ihnen erfahren habe«, Tschobe nickte den beiden Hookers zu, »und was mir ein Shecan erzählte, ergibt sich ein wunderschönes, rundes Bild.« »Sie haben mit einem Shecan gesprochen?« entfuhr es Jane verblüfft. »Die sind doch alle vor dem Ringraumer geflohen! Wie haben Sie denn das Wunder hinbekommen?« »Ich bin Arzt, kein Zauberer«, erwiderte Tschobe ruhig. »Ich mußte eine Weile suchen, bis ich auf einen Shecan traf, der mir vertraute. Und das trotz meiner dunklen Haut, die ihn doch an seine Götter erinnern mußte. Aber ich habe dann einiges erfahren.« Ren Dhark lehnte sich zurück und sah Tschobe nachdenklich an. Er wußte um die schwach ausgeprägten Para-Fähigkeiten des Mediziners. Sollte Tschobe über den Para-Sektor leichteren Zugang zu den Shecan gefunden haben? Vielleicht, ohne es selbst bewußt zu wollen… »Diese >Götter<«, berichtete Tschobe, »arbeiteten an einer Art Unsterblichkeits- oder auch Unverletzlichkeits-Serum. Allerdings bisher wohl erfolglos, denn die Forschungen dauerten ja bis heute an. Sie gewinnen den Stoff, vom dem sie sich diese Wunderdinge erhoffen, aus dem Blutenstaub der Shecan – und aus ihrem Blut, oder Saft, wie auch immer man es bei diesen Mischwesen nennen mag. In diesem… Blut… gibt es einen Virus, der in den Shecan inaktiv ist. Beides, Blut-Virus und Blutenstaub miteinander kombiniert, ergibt unter der speziellen und einmaligen Hyperstrahlung der Sonne 404 eine Substanz, die alle Körper- bzw. Zellflüssigkeiten bindet.« »Sie sagten aber gerade, der Virus sei in den Shecan inaktiv«, erinnerte Art Hooker. »Richtig. Im zweiten Fall sprach ich ja auch von einer Mischung bei95
der Komponenten. Diese Mischung hat man Ihnen injiziert, Hooker.« »Und was ist mit Sakuro? Der ist doch nur mit dem…« »Er muß durch seine Verletzung sowohl den Blutenstaub aufgenommen haben, als auch irgendwie an den Pflanzensaft, beziehungsweise das Blut eines Shecan, gekommen sein«, unterbrach ihn Tschobe. »Deshalb hat beides zusammen bei ihm ebenso gewirkt wie bei Ihnen. Nun, vielleicht ein wenig modifiziert, denn ich nehme an, daß die Robots in der Station die Substanz kaum in ihrer Originalform belassen haben, sondern damit experimentierten. Verschiedene Mischungsverhältnisse, eventuelle Zusätze… nun, das werden wir alles herausfinden, wenn wir wieder auf Terra sind. Dort haben wir weit bessere medizinische und biologisch-chemische Analysemöglichkeiten als hier in der POINT OF.« »Aber gerade von der Medo-Station der POINT OF erzählt man sich Wunderdinge«, sagte Jane. »Die Mysterious haben auch nur mit Wasser gekocht«, schmunzelte Tschobe. »Im Brana-Tal kochen wir mit Schwerem Wasser -um es mal ebenso drastisch wie hinkend zu vergleichen. Jane, unsere Leute dort sind auf medizinisch-technischem Gebiet längst viel weiter als das, was die Mysterious konnten. Zumindest bei ganz bestimmten Dingen«, schränkte er plötzlich ein. Jane sah ihn und dann Ren Dhark an. »Was sollen all diese Andeutungen? Geheimnisträger, eventuelle Gedächtnislöschungen, jetzt das hier – wovon ist eigentlich die Rede? Ren? Tschobe? Ist es nicht an der Zeit, Klartext zu reden? Immerhin sitzt derjenige, um den es geht, hier an diesem Tisch!« Sie griff nach der Hand ihres Mannes, die sich eigenartig kühl anfühlte. Wie die eines Toten…! Aber er war nicht tot! Jetzt brachte es Tschobe fertig, ganz kurz aufzublicken, aber er sah Ren Dhark an, nicht Jane oder Art. Dann nickte er. »So tragisch die Erfahrungen, die Sie auf Bittan machen mußten, für Sie persönlich auch sind, Jane und Art, und so sehr der Verlust eines Forschungsraumers mit allen Menschen darin schmerzt – aber möglicherweise hilft uns gerade das weiter. Ich glaube in diesem Virus, der laut Shen Sakuros Analysen in verschiedenen Stämmen auftritt und im Regelfall extrem krebserregend ist, etwas zu erkennen, das wir für unsere Forschungen dringend benötigen. Jane, im Brana-Tal schaffen wir den ganz neuen Menschen. Wir schaffen den Cyborg…«
12. »Wir schaffen den Cyborg nicht, mein Freund«, sagte Echri Ezbal gelassen. Seine Ruhe war Manu Tschobe unheimlich, dessen Temperament nicht zuließ, Niederlagen so einfach einzustecken. Wie wenig einfach es sich Ezbal machte, ahnte Tschobe nicht einmal. Nichts von den Zweifeln und Selbstvorwürfen, die den alten Gelehrten erschütterten, drang nach außen. Der Brahmane hatte sich völlig unter Kontrolle. »Der entscheidende Versuch ist fehlgeschlagen, Manu«, fuhr Ezbal fort. »Was nützt es uns, den Körper nach Belieben abschalten und wieder einschalten zu können, wenn es uns nicht gelingt, auch den Geist, das Bewußtsein, wieder einzuschalten? Mit all seinem Wissen, seinen Erinnerungen…« »Deshalb bin ich hier«, sagte Tschobe. »Vielleicht gibt es noch eine Chance.« »Nein«, sagte Ezbal. »Doch«, widersprach der Afrikaner. »Lassen Sie mich erzählen, was auf Bittan im 404-System geschah, Echri. Sie werden staunen… und erst recht, wenn Sie sehen, was wir mitgebracht haben. Es steckt in 96
den Körpern zweier Menschen und muß isoliert und herausgezogen werden. Das ist Ihre Aufgabe, Echri. Sie sind der beste Virologe dieses Universums. Wenn es einer schafft, dann Sie.« »Sie schmeicheln einem alten Mann, dessen Traum einem Menschen den Geistestod brachte.« »Kein Selbstmitleid, bitte«, verlangte Tschobe. »Dieser alte Mann hat mehr bewirkt als alle anderen vor ihm. Kommen Sie, hören Sie sich die Geschichte an, sehen Sie sich meine Patienten an, untersuchen Sie die Substanz, die in ihren Adern kreist, den Virus, der jeden Moment ins Aktiv-Stadium treten kann… und von Ihnen will ich nicht nur die Heilung dieser beiden Patienten, sondern von Ihnen will ich auch wissen, ob man diesen Virus nicht für das Cyborg-Projekt nutzen kann! Dafür haben Sie doch mehr als ein halbes Leben lang gearbeitet, oder? Dafür haben wir doch diese fantastische Forschungsstation in den Fels gebaut! Echri, lassen Sie Ihren Traum doch jetzt nicht im Stich!« »Ein Traum, der für mich zum Alptraum geworden ist, Manu«, seufzte Ezbal und streichelte Choldi, die Katze, die es sich auf seinem Schoß gemütlich gemacht hatte und Tschobe argwöhnisch beäugte; sie befürchtete wohl, er würde die Aufmerksamkeit Ezbals zu sehr von ihr ablenken… »Jede große Erfindung oder Entdeckung hat ihre Opfer gefordert«, erinnerte Tschobe. »Viele der Verantwortlichen mußten mit ihrem Gewissen kämpfen. Nobel, Oppenheimer, möglicherweise auch der Mann, der als erster entdeckte, wie man Stahl schmiedet und feststellen mußte, daß man Schwerter statt Pflugscharen schuf… Echri, wollen Sie wirklich kampflos aufgeben?« »Sie haben diesen Mann nicht gesehen, an dessen Geist ich durch meine Vermessenheit zum Mörder geworden bin. Dieses Wesen, so nackt und hilflos wie ein neugeborenes Kind…« »Vermessenheit?« Tschobe stieß ein kurzes, fast bellendes Lachen aus, das die Katze die Ohren zurücklegen und den Hund mißtrauisch den Kopf heben ließ. »Echri, vielleicht können Sie gerade mit diesem Virus aus der Vermessenheit anderer etwas Positives machen! Jene, die mit ihm arbeiteten und dafür in ihrer Genschmiede eigens ein ganzes Volk von Versuchsobjekten schufen, wollten damit die Unsterblichkeit! Das, Echri, halte ich für vermessen!« »Unsterblichkeit«, flüsterte der alte Mann und lehnte sich zurück. Er sah sich wieder im Licht der Vormittagssonne stehen, sah, wie Urran sich seines wiedergewonnenen Lebens erfreute, und hörte sich wieder lautlos sagen: »Tod, jetzt hat dich zum ersten Mal ein Mensch überlistet! Jetzt weiß ich, wo du angreifbar bist! Und ich werde dich attackieren, solange noch ein Hauch von Leben in mir ist!« Unsterblichkeit… Die anderen hatten diesen Weg also auch beschriften! Doch in diesem Augenblick begriff Echri Ezbal, daß Unsterblichkeit so nicht zu erlangen war. Und doch… Hatte er nicht in jener Stunde ein Versprechen gegeben? Das Versprechen, zu kämpfen? Er setzte Choldi ab und erhob sich. »Zeigen Sie mir, was ich sehen soll, Manu!« Shen Sakuro und Art Hooker waren noch Patienten der CyborgStation, aber sie würden es nicht länger als ein Vierteljahr bleiben. Den Experten war es nach einer von Ezbal entwickelten Methode gelungen, den Virus tatsächlich zu isolieren und aus ihren Körpern zu entfernen. Daß das einen vollständigen Blutaustausch erforderlich machte, war normal; weniger, daß eine Art Anti-Viren entwickelt werden mußte, die auf die vom Phant-Virus befallenen Zellkerne in den Organen und im Rückenmark ansprachen, um sie auszuschalten wie lästige Bakterien. Das hatte bisher einen Monat gedauert und würde noch weitere Zeit in Anspruch nehmen. So rasch, wie der Virus sich in den Körpern der beiden Menschen ausgebreitet hatte, ließ 97
er sich nicht wieder entfernen… »Phant-Virus?« staunte Tschobe bei seinem nächsten Besuch, weil er sich unter diesem Begriff nicht viel vorstellen konnte. »So hat Doktor Sakuro ihn genannt, der selbst zum größten Forscher in eigener Sache geworden ist«, lächelte Ezbal. »Sakuro wird bei uns bleiben und weiterarbeiten. Phant-Virus, Manu… der Begriff hat zwei Bedeutungen. Phantom, weil die 5-D-Schwingungen ihn teilweise phantomhaft erscheinen lassen, und zugleich phantastisch, seiner phänomenalen Eigenschaften wegen.« »Fünfdimensionale Schwingungen?« »Erinnern Sie sich an das Strahlenspektrum der Sonne 404, Manu? Der Virus schwingt gewissermaßen synchron im 5-D-Bereich. Vermutlich ist er nur deshalb überhaupt fähig zu existieren, weil er sich diese Schwingungsamplituden zu eigen gemacht hat, so wie die Shecan in keinem anderen System leben könnten, weil sie ebenfalls von diesen Schwingungen abhängig sind. Ihre Biologie ist zu komplex, aber der wesentlich einfacher strukturierte Virus ist fähig, die Schwingungen zu übernehmen und zu seiner Natur zu machen.« »Ein Virus, der schwingt…« Tschobe zuckte mit den Schultern. »Sorry, Echri, aber damit wird mir dieses Ding noch unheimlicher als bisher…« »Nennen Sie es nicht Ding«, bat der Brahmane. »Das hat es nicht verdient. Es ist tatsächlich der phänomenalste Stoff, der mir jemals untergekommen ist. Er ist dem Virus, den ich selbst entwickelt habe, zum Verwechseln ähnlich und unterscheidet sich von ihm nur durch die 5-D-Schwingung, zumindest in diesem F-Stamm, mit dem wir nur noch arbeiten. Manu, mein Virus mußte deshalb versagen, weil er nicht fünfdimensional schwingen konnte. Wie denn auch, weil nichts ihn anregen konnte. Hätte ich ihn auf Bittan in einem Labor entwickeln können, wäre er mit diesem Phant-Virus identisch! Meine einfache Variante wirkt zwar bei niederen Organismen perfekt, bei höher entwickelten Wesen allerdings nur noch bedingt. Urran hat mit seiner relativ einfachen Gehirnstruktur die Scheintod-Phase leicht überstanden, Shakana war dafür jedoch zu intelligent. Er wurde auf das Minimum reduziert, das der Virus zuließ…« »Sie können den Phant-Virus also hier auf Terra nicht synthetisieren?« Ezbal schüttelte den Kopf. »Keinesfalls. Wir können ihn nur von den Shecan erhandeln. Wir können nicht einmal das, was wir hier erzeugen, ins 404-System bringen und dort bestrahlen lassen, weil der Virus bis dahin bereits in sich verfestigt ist, um es mal unwissenschaftlich auszudrücken. Wir sind auf die Shecan angewiesen. Manu, wir werden mit dem Commander reden müssen. Bittan muß zur gesperrten Welt erklärt werden. Denn sonst werden irgendwann Freibeuter diesen Planeten anfliegen und die Shecan wie Tiere jagen, nur um an den Phant-Virus zu kommen. Es wird den Shecan so ergehen wie den Elefanten auf Terra, die einst wegen ihrer Stoßzähne beinahe ausgerottet worden wären…« »Ich wette, beim Commander der Planeten rennen Sie damit offene Türen ein«, stellte Tschobe trocken fest. »Und beim Rest der Sternenverwaltung ebenfalls. Der Strahlenausbrüche der Sonne 404 wegen ist Bittan für eine Besiedlung nicht geeignet; nennenswerte Bodenschätze gibt es nicht… dafür aber ein intelligentes Volk, das wir ohnehin erst um Erlaubnis bitten müßten, um eine Kolonie zu gründen. Ich schätze, eine Sperre durchzusetzen, ist leicht… solange auch in der Regierung niemand ahnt, welche Entdeckung dort gemacht wurde.« »Sie denken an Korruption?« »Wäre das so abwegig?« fragte Tschobe. »Manchmal traue ich mir selbst nicht über den Weg, wenn ich meinen Träumen und Wünschen zu folgen versuche…« Ezbal lächelte wieder. 98
»Sie sind zur richtigen Zeit zurückgekommen, Manu. Morgen werde ich einen weiteren Versuch durchführen. An mir selbst. Gelingt dieser Versuch, haben wir es geschafft. Wenn nicht, ist das Cyborg-Projekt, so wie ich es mir erträume, gestorben, und ein anderer wird an meiner Stelle kämpfen müssen…« »Echri«, wandte Tschobe ein, »Sie…« »Der Versuch muß riskiert werden, und ich werde nicht noch einmal zulassen, daß ein anderer sich für meinen Traum opfert! Sie sind der einzige, den ich eingeweiht habe, und ich bitte Sie, mir morgen zu assistieren, weil ich von meinen Assistenten in diesem Punkt keine Unterstützung zu erwarten habe.« »Ich soll Ihnen dabei helfen, vielleicht zu einem lallenden Idioten zu werden?« »Sind Hooker und Sakuro zu lallenden Idioten geworden? Manu, sie sind es nicht, und deshalb werde ich das Risiko auf mich nehmen, aber auch deshalb, weil ich mit dem reinen, unverfälschten Virus arbeiten werde. Der wird noch besser reagieren als die Substanz, mit der es die beiden zu tun hatten. Manu, ich bin meiner Sache so sicher wie nie zuvor!« In den Augen des alten Mannes loderte jugendliches Feuer, und in ihm schwang eine Begeisterung, die Tschobe nach ihrer letzten Begegnung nicht mehr erwartet hatte. Da war nichts mehr von dem Zweifler, der gegen seine Selbstvorwürfe kämpfte, sondern vor Tschobe stand ein Sieger! »Ich weiß nicht, ob ich es kann, Echri«, sagte Tschobe leise, der seinem Gegenüber auch jetzt nicht in die Augen sehen konnte. »Sie werden es können.« Und Manu Tschobe konnte es. Zum dritten Mal lief das Experiment ab, in dem diesmal Ezbal selbst sich einfrieren und wieder aufwecken ließ, und Manu Tschobe war der einzige, der ihm dabei assistierte. Tschobe, jetzt selbst der Zweifler, der sich Vorwürfe machte, sich auf das Projekt eingelassen zu haben; Tschobe, der sich plötzlich wie ein Mörder vorkam, nachdem er den entscheidenden Schritt getan hatte. Und dann stand er dem aufgetauten und wiedererwachten Echri Ezbal gegenüber, dessen Augen so strahlten wie vor dem Experiment, und der soviel Freude und Triumph ausstrahlte, daß es Tschobe schon fast wieder unheimlich wurde. »Manu«, sagte Echri Ezbal, »Manu, jetzt werden wir den Cyborg schaffen!«
Epilog Sie hatten ihn geschaffen. Jahre später saßen sie sich wieder gegenüber, und die Abendsonne beschien den stillen Platz, den Echri Ezbal für dieses Zusammentreffen ausgewählt hatte. Einen der ganz wenigen Ruhepunkte im hektischen Betrieb der Cyborg-Station im Brana-Tal. Ezbal, Tschobe, Jane und Art Hooker, Holger Alsop und Mark Carrell. Alsop und Carrell waren Cyborgs – Alsop einer der ersten, und Carrell schon einer der zweiten Generation, die in ihrer Konstruktion bereits verbessert und vereinfacht worden waren. Der Cyborg – der >cybernetic organism<; die Synthese aus menschlichem Körper und elektronischer Steuerung. Ein Programmgehirn, kaum größer als eine Bohne, wurde dem organischen Gehirn zugefügt und synaptisch verbunden, und über dieses Programmgehirn konnte das 2. System geschaltet werden, das den Cyborg zum perfekten Menschen machte, der selbst unter extremsten Umwelteinflüssen noch funktionierte und weit höhere Belastungen ertrug als ein >normaler< Mensch. Wichtigstes Detail dabei war der Phant-Virus. Einmal in einem Depot in den Körper des Cyborgs implantiert, wur99
den die Phant-Viren durch eine einmalig angelegte Steuerspannung von 6,38 Volt zur Vermehrung gezwungen, um dann mit einer Reizspannung zwischen 0,003 und 0,047 Volt aktiviert zu werden. Dadurch traten sie ins Medium und banden jede Flüssigkeit im sie beherbergenden Körper. Der Trick bestand darin, bei der Vermehrung eine bestimmte Anzahl pro Raumeinheit im Körper nicht zu überschreiten; sonst wurde unheilbarer Krebs ausgelöst. Wurde ein Körper länger als neun Tage und sechs Stunden im Phant-Zustand gehalten, begann der Virus sich von selbst explosionsartig zu vermehren und tötete den ihn beherbergenden Organismus. Das war durch Tierversuche nachgewiesen worden. Daß Hooker und Sakuro wesentlich länger im Phant-Zustand überlebt hatten, lag daran, daß sich in ihren Körpern nicht der reine Virus befunden hatte, sondern ein Gemisch aus Virus, Blutenstaub und Shecan-Blut. Den >dunklen Göttern< hatten ihre Forschungen vermutlich nichts gebracht, weil ihre Interessen sich in eine andere Richtung bewegt hatten als die des Terraners Echri Ezbal. Er hatte damit sehr viel anfangen können! Aber nur mit dem F-Stamm; die anderen fünf Varianten des PhantVirus waren unbrauchbar und tödlich gefährlich. Der Virus, im passiven Zustand kristallin, besaß praktisch keine Inkubationszeit und wurde sofort nach der Verabreichung im lebenden Gewebe aktiv, um sich explosionsartig zu vermehren und zum rasend schnellen Krebstod zu führen, aber die F-Version blieb auch im lebenden Gewebe passiv, um erst durch jene Steuerspannung von 6,38 Volt zur kontrollierten Vermehrung gebracht zu werden. Wenn die Viren dann durch die Reizspannung wiederum aktiviert wurden und jede Körperflüssigkeit banden, ohne dabei aber das Volumen der Flüssigkeit zu verändern, wurde der Körper dadurch hochgradig resistent und unempfindlich gegen extreme Hitze und extreme Kälte, ebenfalls gegen Druckschwankungen. Allerdings konnte der Phant nur ausgelöst werden, wenn der Cyborg auf sein 2. System geschaltet hatte. Nicht der Mensch durfte, sondern der cybernetic organism mußte die Steuerung des Körpers ausüben. Wurde der Phant ohne die Steuerung des cybernetic organism ausgelöst, trat ein sofortiges Koma ein. Ezbal und seine Teams hatten viele Probleme gelöst. Andere Probleme waren geblieben. Zum Beispiel das Problem, den Phant-Virus zu beschaffen, der auf Bittan gekauft werden mußte. Aber gerade das war die Schwierigkeit; Menschen, die die Shecan nicht übers Ohr hauen und ausbeuten wollten, trafen hier auf Wesen, die kein Profitstreben kannten. Die Hookers erinnerten sich nur zu gut an das, was die Shecan ihnen damals mitgeteilt hatten. Ihr gehört zu jenen, die Gabe und Gegengabe berechnen. Das halten wir unter uns für falsch. Niemals läßt sich ein Wert völlig durch einen anderen Wert ersetzen, weil jeder Wert von jedem Individuum anders aufgefaßt wird. Wenn wir geben, wollen wir nicht dafür nehmen. Wenn wir nehmen, wollen wir nicht dafür geben. Einer könnte glauben, der andere hätte größeren Vorteil. Das vermeiden wir. Wir nehmen, was man uns geben will, und wir geben, was andere nehmen wollen. Wir berechnen den Wert nicht. Aber das war eben nicht die Art der Terraner. »Sehen wir’s einfach so«, schlug Holger Alsop vor. »Wir haben schon eine enorme Vorleistung erbracht, indem wir die Station der Fremden zerstörten und den Shecan dadurch die Freiheit schenkten. Bis heute sind die Fremden nicht ins 404-System zurückgekehrt… Ich denke, wenn die Shecan schon keinen Preis berechnen, sollten wir es so sehen, daß Freiheit einfach ein unbezahlbares Gut ist.« »Wir könnten noch eine weitere Gegenleistung erbringen«, sagte Ech100
ri Ezbal. »Sie bringt zwar den Shecan keinen Vorteil, aber für uns ist es eine leichte Art, zu bezahlen – wir sollten nie vergessen, welche Opfer gebracht wurden. Die Besatzung eines Forschungsraumers starb. Wir sollten diese Menschen in Erinnerung behalten. Sie alle, nicht nur Andre Bittan.« Jane Hooker schloß die Augen. Sie alle in Erinnerung behalten. Speziell Rea. Vielleicht, dachte Jane, wäre es besser gewesen, den Planeten Rea oder Banks zu nennen. Aber sie schwieg. Denn Rea war Vergangenheit. Den Cyborgs gehörte die Zukunft. – ENDE-
checkmaster Zwischen gestern und morgen Ren Dhark und sein dornenreicher Weg ins Weltall Als am 1. August 1966 unter dem Titel »Sternendschungel Galaxis« der erste Ren Dhark-Roman an die Kioske kam, konnte noch niemand ahnen, daß damit ein Mythos seinen Anfang nehmen sollte, der nicht nur über mehr als 30 Jahre hinweg Bestand haben, sondern in den 90er Jahren überhaupt erst zur vollen Entfaltung kommen würde. Und daß Ren Dhark -neben der absoluten Ausnahmeerscheinung Perry Rhodan – als einziger SF-Serienheld einmal den Sprung vom Heft ins Buch schaffen und auch in dieser Form erfolgreich sein würde. Doch von jenem ersten Heft bis zum gleichzeitig mit diesem Sonderband erscheinenden Band 11 der Buchausgabe war es ein langer, alles andere als gradliniger Weg… Damals, 1966… Der erste SF-Boom der 50er Jahre, die große Zeit der Leihbuchverlage und der vielen Heftreihen war vorbei. Von ersteren war nur noch der Bewin Verlag übriggeblieben, von letzteren Pabels Utopia Zukunftsroman und Moewigs Terra und Terra Extra. Dafür schickte sich die SF ganz langsam an, das Taschenbuch zu erobern. So hatte Moewig seine Heftreihe Terra Sonderband erfolgreich zum Terra Taschenbuch umgewandelt, und Fabel versuchte etwas Ähnliches mit seinem Utopia Großband (mit allerdings deutlich geringerem Erfolg). Goldmann brachte unter dem Signet Goldmanns Weltraumtaschenbücher Nachdrucke aus der Hardcoverreihe Goldmanns Zukunftsromane, und Heyne feierte bereits Erfolge mit der auch heute noch erscheinenden Reihe Heyne Science Fiction. Doch Goldmann brachte es 1966 gerade mal auf zwölf SF-Taschenbücher, Heyne auf knapp doppelt so viele – und die SF-Taschenbuchreihe von Bastei gab es noch gar nicht. Einen ihrer großen Erfolge feierte die SF aber immer noch am Kiosk, im Heftroman, und dieser Erfolg hatte einen Namen: Perry Rhodan! Die im September 1961 von Moewig gestartete Fortsetzungsserie erzielte Auflagen, von denen die nicht einem Serienhelden verpflichteten Heftreihen nur träumen konnten. Gerade war mit Band 250 »Die 6. Epoche« (so der Titel des betreffenden Romans von K.H. Scheer) angebrochen, und so ganz nebenbei hatten sich auch bereits die Planetenroman genannten Rhodan-Taschenbücher auf dem Markt etabliert. Was lag also näher, als eine am Vorbild des »Erben des Universums« orientierte Konkurrenzserie auf den Markt zu bringen, eine Serie mit festen Helden und einem fortlaufenden Handlungsbogen, die den »Weg ins Weltall« beschreiben sollte, den die Menschheit irgendwann einmal anzutreten gedachte? Und paßte es da nicht hervorragend, daß es einen Autor gab, der einige Jahre an Perry Rhodan mitgeschrieben, doch dann unter niemals genauer geklärten Umständen das Team verlassen hatte – und der darauf brannte, »es denen mal so richtig zu zeigen«? 101
Kein Wunder also, daß sie sich suchten und fanden: Kurt Brand, besagter Ex-PR-Autor, und der Martin Kelter Verlag, der bisher hauptsächlich mit Western an den Kiosken in Erscheinung getreten war, und dem jetzt die Zeit reif schien, es einmal mit einem Weltraumhelden zu versuchen. Nach längeren Vorbereitungen, in deren Verlauf unser Held noch zwei Namensänderungen (von Sam Torring über Ron Dhark schließlich zu Ren Dhark) durchmachte, schlug an jenem bereits erwähnten 1. August 1966 die Geburtsstunde für Kellers neue SF-Serie Ren Dhark – Weg ins Weltall. Und die Zeichen standen zunächst einmal gut für den weißblonden jungen Raumfahrer aus dem hohen Norden. Eine gelungene Titelbildgestaltung (so gelungen, daß ihre wichtigsten Elemente, der dunkle Hintergrund und der kreisförmige Coverausschnitt, auch in die Gestaltung der Buchausgabe Eingang fanden) sorgte für ausreichend Aufmerksamkeit am Kiosk. »Die große SF-Saga von Kurt Brand« startete zudem furios, und mit dem Chef-und Expose-Autor Brand als planendem, die Fäden in der Hand haltendem Denker und Lenker im Hintergrund war eigentlich ein Debakel à la Mark Powers nicht zu befürchten. Pabels Mark Powers war 1962 der erste Versuch gewesen, sich an den Erfolg von Perry Rhodan anzuhängen, doch die ohne ein übergreifendes Konzept geschriebenen Einzelabenteuer, bei denen die Hauptpersonen (Mark Powers und sein Kumpel »Biggy«!) die einzigen konstanten Elemente waren, hatten nicht den Hauch einer Chance gegen den von K.H. Scheer kohärent strukturierten RhodanKosmos. Immerhin rekrutierte sich aus Mark Powers ein großer Teil der Dhark-Autorenriege: H.G. Francis, M. Wegener, Staff Caine und Cal Canter (letztere waren bei MP unter anderen Pseudonymen aktiv gewesen). Zu diesen »alten SF-Hasen«, die sich nicht nur im Genre auskannten sondern somit auch eine (begrenzte!) Serienerfahrung mitbrachten, gesellten sich zwei weniger bekannte Namen: Ralf Lorenz und H.J. Freiberg. Die Mischung hätte eigentlich stimmen müssen… Doch Francis und Wegener blieben nur wenige Wochen dabei. Parallel zu ihrer Mitarbeit an Ren Dhark hatten sie nämlich ihre eigene SFSerie für den Bastei Verlag konzipiert, die ebenfalls noch 1966 an die Kioske kommen sollte: Rex Corda – Der Retter der Erde. Außerdem hat Kurt Brand in Interviews mehrfach beklagt, daß sich seine CoAutoren häufig kaum oder überhaupt nicht an die Expose-Vorgaben gehalten haben. Und so war denn auch nach dem furiosen Auftakt in den 40er und vor allem den 50er Bänden ein deutlicher Durchhänger zu bemerken. Spürbar besser wurde es dann wieder ab den 60er Bänden, und so etwa ab Band 70 setzte Ren Dhark noch einmal zu einem richtigen Höhenflug an. Dies lag nicht zuletzt daran, daß der Erscheinungsrhythmus mit Band 57 von wöchentlich auf vierzehntäglich umgestellt worden war und in der Folgezeit Kurt Brand die Serie fast im Alleingang schrieb. Von den anderen Autoren blieben nach Band 60 nur noch Staff Caine (alias Werner Hermann Peters), der »Vater« der überaus beliebten Nogk, und Tensor McDyke (alias Dieter Ueckermann), der erst mit Band 57 bei Ren Dhark eingestiegen war, dabei. Doch was 1966 so verheißungsvoll begonnen hatte, endete 1969 ebenso überraschend wie enttäuschend. »Die Straße zu den Sternen« (so der Titel von Band 98) erwies sich als Sackgasse, die keineswegs aus dem Sternendschungel Galaxis herausführte, sondern den Lesern und Leserinnen eine mühsam zusammengeschusterte Auflösung des Rätsels der Mysterious bot, die den über viele Bände geschürten Erwartungen einfach nicht gerecht werden konnte. Warum Ren Dhark damals letztlich gescheitert ist, läßt sich im Nachhinein kaum noch beantworten. Sicher verebbte der SF-Boom, der 1966 zusätzlich durch die Erstausstrahlung der Fernsehserie Raumpatrouille angeheizt worden war, allmählich wieder. Zudem nahm die Konkurrenz auf dem Heftmarkt ständig zu: So konnte man 1966 nicht 102
nur die ersten Bände der Serien Ren Dhark und Rex Corda an den Kiosken finden, sondern auch die ersten Bände der Reihe Zauberkreis SF. Und bereits wenige Wochen vor Ren Dhark war die 2. Auflage des Dauerbrenners Perry Rhodan an den Start gegangen. 1967 folgte auf den kurzlebigen Rex Corda die wiederum von H.G. Francis konzipierte Serie Ad Astra (im Rahmen des Utopia Zukunftsromans), 1968 erschienen die ersten Orion-Taschenbücher (zur bereits erwähnten Fernsehserie Raumpatrouille), und 1969 schlug mit dem Band »Das galaktische Syndikat« die Geburtsstunde der PR-Schwesternserie Atlan. Vielleicht wurde der Markt wirklich einfach zu klein… Immerhin hatte Ren Dhark am Thron des Erben des Universums gerüttelt und hätte in die Geschichte eingehen können als der erste (und lange Zeit auch einzige) ernstzunehmende Versuch, Perry Rhodan Konkurrenz zu machen. Doch um einfach nur eine Fußnote in der Geschichte der deutschen SF zu werden, dafür war Ren Dhark viel zu lebendig. Er kehrte zurück – und das gleich mehrfach. Zuerst – 1974 und 1975 – in Form von sechs Taschenbüchern, die allerdings mit der Heftserie nur noch wenig zu tun hatten, obwohl Kurt Brand selbst als Autor zeichnete. Am 2. November 1977 war Ren Dhark aber wieder voll da, denn an diesem Tag startete die 2. Auflage. Sie wurde vom Verlag jedoch so lieblos behandelt, daß man ihr die verdiente Ruhe gönnen sollte, die sie vier Jahre später fand. Immerhin muß irgendwann während der Laufzeit dieser 2. Auflage das Gerücht entstanden sein, diesmal werde die Serie über den magischen Band 98 hinaus weitergeführt… Dieses Gerücht begleitete die 3. Auflage, die 1987 auf den Markt kam, praktisch vom Start weg. Äußerlich modernisiert, mit moderneren Titelbildern, die längst nicht alle schlecht waren, aber nichts vom Flair der alten Dhark-Cover hatten, und ab Band 9 mit dem Ren Dhark Magazin, das neben Rezensionen, Grafiken und Kurzgeschichten auch Raum für Leserbriefe bot, schienen die Chancen zunächst auch gar nicht so schlecht zu stehen. Kurt Brand selbst wollte/sollte als Chefdenker im Hintergrund die Fäden für die Weiterführung der Handlung ziehen, sein Freund Werner Kurt Giesa – der seit Jahren für Bastei die SF-Fantasy-Grusel-Serie Professor Zamorra schreibt – sollte als Hauptautor füngieren. Bis weit in die 80er Bände hinein schürte der Kelter Verlag die Hoffnungen der Leser, die dann doch wieder bitter enttäuscht wurden. Ende 1990 kam zum dritten Mal mit Band 98 das Aus. Drei vergebliche Anläufe – wer hätte jetzt noch einen Pfifferling auf Ren Dhark gegeben? Aber Ren Dhark ist etwas ganz Besonderes, seine Geschichte noch lange nicht zu Ende. Denn bereits 1990 begann eine Gruppe rühriger Fans, die Serie unter dem Titel Projekt 99 weiterzuführen – mit ausdrücklicher Billigung und Ermutigung von Kurt Brand! Inzwischen liegen immerhin schon zehn der von Fan-Autoren geschriebenen und in einer Kleinstauflage veröffentlichten Hefte vor. Und 1994 schließlich begann endgültig eine neue Epoche der Dhark-Saga, denn unter dem wohlbekannten Titel »Sternendschungel Galaxis« kam der erste Band der Ren Dhark Buchausgabe auf den Markt! Heute, 1998… Mittlerweile sind bereits 11 der schwarzen Bücher mit dem charakteristischen kreisförmigen Titelbildausschnitt (und zwei Sonderbände) erschienen, drei bis vier weitere werden jährlich hinzukommen. Natürlich können in einer derartigen Buchausgabe nicht einfach nur die alten Hefte nachgedruckt werden, die schließlich von verschiedenen – sehr unterschiedlich schreibenden – Autoren stammen. Ganz im Gegenteil bietet eine solche Ausgabe die Chance, durch behutsames Überarbeiten und Ergänzen - aber auch durch Kürzen und Straffen – die Serie einerseits von überflüssigem Ballast zu befreien, andererseits gezielt auf die Lösung jener Rätsel hinzuarbeiten, die in der Heftausgabe niemals gelöst wurden. Denn wir haben fest vor, diese Rätsel zu lösen! Ein erster, eher noch zögernder Schritt in diese Richtung waren die 103
RD-Bücher 6-8, die die von Manfred Weinland konzipierte und mitverfaßte »G’Loorn-Trilogie« bilden. Nachdem in den ersten fünf Büchern die Ren Dhark-Hefte 1-49 aufgearbeitet worden waren, nutzte Weinland eine Handlungslücke von drei Jahren in der Heftserie, um in diesen drei neugeschriebenen Büchern neue Handlungsfäden zu spinnen, aber auch einige Rätsel des Dhark-Kosmos zu lösen (Stichworte: CAL, Ducks/Sukooren). Mit Buch 9, »Das Nor-ex greift an!«, begann die Aufarbeitung der Hefte 50-98, die in knapp eineinhalb Jahren abgeschlossen sein wird. Doch das wird natürlich nicht das Ende der Ren Dhark-Buchausgabe sein, denn die »Lösungen« der Heftserie schreien geradezu nach einer Weiterführung. Zusätzlich zur regulären Buchreihe gibt es mittlerweile auch die Ren Dhark-Sonderbände, die ausschließlich neugeschriebene Abenteuer präsentieren und Ereignisse, Hintergründe und Nebenhandlungen schildern, die in der regulären Buchreihe aus den unterschiedlichsten Gründen zu kurz kommen mußten. In diesen Sonderbänden kann man etlichen bekannten Personen aus dem Dhark-Kosmos wiederbegegnen, aber auch alten und neuen Fremdrassen – und einer gehörigen Portion »sense of wonder«. Denn dies war von Anfang an das erklärte Ziel der Buchausgabe: das Potential, das in Ren Dhark steckt, endlich einmal auszuschöpfen und eine SF-Saga vorzulegen, die vor allem eines besitzt: jenen »sense of wonder«. den man bei der modernen SF leider allzu häufig vermißt. Auch in der regulären Buchausgabe stehen faszinierende Geschehnisse an, wenn Ren Dhark sich ernsthaft auf die Suche nach den Mysterious begibt und immer neuen Fremdvölkern begegnet. Rateken, Tels und Grakos werden die Terraner noch vor manche Probleme stellen, und auf wen außer die Nogk – und vielleicht noch die Utaren – können Ren Dhark und seine Getreuen wirklich zählen? Auf die Synties, deren Verhalten von Mal zu Mal unverständlicher erscheint? Auf die »Zweite Menschheit« – die letzten Robonen, die mitsamt ihrem Anführer Allon Sawall spurlos verschwunden sind? Und was ist mit den Sukooren, die Ren Dhark aus der Knechtschaft der G’Loorn befreite? Oder mit den Amphis, die überraschend wieder auftauchen? Und wovor fürchten sich die Nogk? Ren Dhark ist noch lange nicht am Ende seines Wegs ins Weltall angekommen – ganz im Gegenteil, eigentlich hat er gerade erst damit begonnen, die Straße zu den Sternen zu beschreiten… Ren Dhark MAGAZIN Mitte Oktober erscheint gleichzeitig mit REN DHARK Buch 12 die erste Ausgabe des REN DHARK Magazins! Auf insgesamt 48 Seiten unterhält das Magazin die REN DHARK Leser u. a. in den Rubriken: • RD – Kurzgeschichte von Hubert Haensel • Hintergrundartikel zur Entstehung der Serie • Aktuelle News zur Buchausgabe • Die William Voltz – Ära in PERRY RHODAN • Wie ein Modell entsteht • Astronomie und Raumfahrt • Rißzeichnung In Vorbereitung: Ren Dhark Magazin 1: Oktober 1998 Ren Dhark Magazin 2: April 1999 Weitere Ausgaben erscheinen halbjährlich Heft, Format A4, 48 Seiten HJB Hansjoachim Bernt Verlag Postfach 22 01 22, 56.544 Neuwied Tel. 0 26 31 – 35 61 00, Fax 0 26 31 – 35 61 02 Internet: http://www.bernt.de
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Ren Dhark – Programm Kurt Brand schuf von 1966 bis 1969 die Heftserie Ren Dhark. Für die Buchausgabe des HJB Bernt Verlages wird der SF-Klassiker neu bearbeitet, ergänzt und fortgeschrieben, denn in den Tiefen des Alls ist das Rätsel der Mysterious noch immer zu lösen… Bereits erschienen und lieferbar: Buchausgabe (jeweils ca. 352 Seiten) Ren Dhark Band l „Sternendschungel Galaxis“ Ren Dhark Band 2 „Das Rätsel des Ringraumers“ Ren Dhark Band 3 „Zielpunkt Terra“ Ren Dhark Band 4 „Todeszone T-XXX“ Ren Dhark Band 5 „Die Hüter des Alls“ Ren Dhark Band 6 „Botschaft aus dem Gestern“ Ren Dhark Band 7 „Im Zentrum der Galaxis“ Ren Dhark Band 8 „Die Meister des Chaos“ Ren Dhark Band 9 „Das Nor-ex greift an!“ Ren Dhark Band 10 „Gehetzte Cyborgs“ Ren Dhark Band 11 „Wunder des blauen Planeten“ Buchausgabe (ca. 192 Seiten) Ren Dhark Sonderband „Die Legende der Nogk“ Ren Dhark Sonderband „Gestrandet auf Bittan“ In Vorbereitung: Ren Dhark Band 12 (Mitte Oktober 1998) Ren Dhark Band 13 und der dritte Sonderband (Mitte Januar 1999) Weitere Bände erscheinen im Abstand von drei Monaten HJB Hansjoachim Bernt Verlag Postfach 22 01 22, 56.544 Neuwied Tel. 02.631 -3561 00, Fax 0 26 31 – 35 61 02 Internet: http://www.bernt.de
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