Rolf Prigge · Thomas Schwarzer Großstädte zwischen Hierarchie, Wettbewerb und Kooperation
Stadtforschung aktuell Band...
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Rolf Prigge · Thomas Schwarzer Großstädte zwischen Hierarchie, Wettbewerb und Kooperation
Stadtforschung aktuell Band 105 Herausgegeben von Hellmut Wollmann
Rolf Prigge Thomas Schwarzer
Großstädte zwischen Hierarchie, Wettbewerb und Kooperation
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
. . 1. Auflage Februar 2006 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften/GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006 Lektorat: Monika Mülhausen / Tanja Köhler Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: MercedesDruck, Berlin Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 3-531-14820-6
Inhaltsverzeichnis
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Inhaltsverzeichnis 1
Vorwort....................................................................................................9
2
Projektkonzept ......................................................................................11
2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.2 2.2.1 2.2.2
Fragestellung und Hypothesen................................................................11 Großstädte als Akteure im System staatlicher Regelungsstrukturen.......11 Regionale Entwicklung und großstädtische Modernisierung..................13 Spezielle Regelungsstrukturen der Großstädte .......................................15 Konzeptualisierung des Regierens großer Städte....................................16 Das Regieren großer Städte als Politikfeld und Institutionensystem ......16 Wandel staatlicher Tätigkeit und großstädtischer Governancestrukturen ................................................................................................20 City Governance: Analyse der Regelungsstrukturen und Akteurkonstellationen .............................................................................27 Das Untersuchungsdesign.......................................................................29 Zielsetzung..............................................................................................29 Untersuchungsmethode...........................................................................31 Operationalisierungskonzept...................................................................33 Anlass, Ziele und Adressaten der Untersuchung ....................................36
2.2.3 2.3 2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.4 3 3.1. 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4
Die Großstädte zwischen kommunaler Selbstverwaltung und staatlicher Rahmensteuerung ..............................................................39 Zur Konstruktion des deutschen Großstädtesystems ..............................39 Großstädte und Großstädtesytem ............................................................39 Entwicklungsdimensionen der Großstadtregion .....................................42 Ursprung und Wandel kommunaler Selbstverwaltung ...........................47 Die Vernetzung großstädtischer Interessen im staatlichen Mehrebenensystem .................................................................................49 Die Regelungsstruktur kommunaler Aufgaben und Finanzen ................55 Das Aufgabenspektrum der Kommunen.................................................55 Föderale Finanzverfassung und kommunale Haushaltswirtschaft ..........58 Effekte der Sektorsteuerung: Die Gemeindefinanzen 1992-2003...........64 Regionale Disparitäten kommunaler Haushalte......................................72 Kommunale Demokratie und Ausbau der Bürgerbeteiligung.................78 Analysedimensionen des Wandels großstädtischer Demokratie.............78 Ausweitung und Differenzierung der Bürgerbeteiligung........................82 Wahlen und Koalitionsbildung in den größten deutschen Städten..........86 Zur Bedeutung des Leitbildes der Bürgerkommune für Großstädte .......94
6
Inhaltsverzeichnis
3.4 3.4.1 3.4.2 3.4.3 3.5.
Governancestrukturen großstädtischer Entwicklung ..............................97 Das nationale Großstädtesystem als weiches Governancenetzwerk .......97 Staatliche Sektorsteuerung als hierarchische Arbeitsteilung...................99 Die Großstadt als korporative Verhandlungsdemokratie ......................100 Hypothese: Der multipolare Steuerungsmix der Großstädte.................102
4
Die sozioökonomische Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990 – 2000 .......................................................................105 Analysen großstädtischer Entwicklungen .............................................105 Stadt, Großstadt, Metropole und die Diskussion um Städtesysteme.....105 Konkurrierende Ansätze zur Analyse von Großstadtregionen..............116 Forschungsfragen und Vorgehen ..........................................................121 Sozioökonomische Längsschnittsanalyse 19900 – 2000.......................127 Demografie und Haushaltsstrukturen....................................................127 Wirtschaft und Beschäftigung...............................................................146 Probleme institutioneller Integration ....................................................170 Kommunale Finanzen ...........................................................................176 Zusammenfassung ................................................................................190 Typen großstädtischer Entwicklung......................................................202 Methode und Ergebnis der Clusteranalyse: Erst fünf dann vier Großstadttypen......................................................................................202 Cluster A: Durchschnittliche Entwicklung ...........................................207 Cluster B: Polarisierende Prosperität ....................................................208 Cluster C: Prekärer Strukturwandel und Schrumpfung.........................209 Cluster D: Ausgewogenere Prosperität .................................................211 Großstädtische Entwicklungspfade zwischen Schrumpfung und Wachstum .............................................................................................212
4.1 4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4 4.2.5 4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.3.4 4.3.5 4.4
5 5.1 5.1.1 5.1.2 5.1.3 5.1.4 5.2 5.2.1 5.2.2 5.2.3
Felder und Ausprägungen großstädtischer Modernisierungspolitik ...................................................................................................223 Konzept zur Untersuchung der Modernisierungspoltik ........................223 Fragen zum Wandel großstädtischer Entscheidungsprozesse ...............223 Konzeptualisierung und Auswahl der Felder der Modernisierungspolitik....................................................................................................225 Analyse der Ausprägungen der Modernisierungspolitik.......................228 Empirische Erhebungen und Verfahren der Datenauswertung .............229 Felder, Akteure und Strategien der Modernisierung.............................231 Stadtentwicklung ..................................................................................231 Großstädtische Demokratie...................................................................283 Verwaltungsmodernisierung .................................................................302
Inhaltsverzeichnis
7
5.2.4 5.3 5.3.1 5.3.2 5.3.3 5.3.4 5.4 5.4.1 5.4.2 5.4.3 5.4.4
Arbeitsbeziehungen...............................................................................322 Potentiale und Blockaden großstädtischer Modernisierung..................345 Multipolarer Steuerungsmodus und Netzwerkstrukturen......................345 Unterschiedliche Pfade der sozioökonomischen Entwicklung..............349 Diffuse Rahmen- und Kontextsteuerung des kommunalen Sektors......360 Steuerungsdilemma und Steuerungsbilanz der Großstädte ...................368 Die Governancestruktur großstädtischer Modernisierung ....................388 Regulation und Wettbewerb im deutschen Großstädtesystem ..............388 Der erweiterte lokale Korporatismus als interner Steuerungsmodus ....390 Politikfelder, Hegemonialprojekte und Mitbestimmungschancen ........394 Strategiekompass für eine kooperative Stadtpolitik..............................401
6
Das andere Regieren großer Städte...................................................417
7
Literaturverzeichnis ...........................................................................441
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Vorwort
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Vorwort
Gefragt wird mit dem Projekt nach der Einbindung der Großstädte in staatliche Rahmenbedingungen, nach dem Zusammenhang zwischen regionalen Entwicklungsbedingungen und großstädtischer Modernisierung sowie nach den speziellen Regelungsstrukturen, Akteurkonstellationen und Handlungsmustern, die sich in den Großstädten unter diesen Bedingungen herausbilden konnten. Untersucht wurden innerhalb eines Zeitraums von etwa zehn Jahren die Wechselwirkungen zwischen den Modernisierungsstrategien der Großstädte, dem Wandel staatlicher Rahmenbedingungen und den differenzierten sozioökonomischen Entwicklungsbedingungen. Die großen Städte werden in der Untersuchung als ein Politikfeld oder Subsystem angesehen, das sich zum Teil neben und außerhalb des institutionell geregelten staatlichen Mehrebenensystems herausgebildet hat. Für die Untersuchungen der großstädtischen Regelungsstrukturen, ihrer Akteurkonstellationen und Handlungsmuster wurde der Ansatz des akteurszentrierten Institutionalismus erweitert und mit Ansätzen der Stadt- und Regionalsoziologie zu einem City-Governance-Konzept verbunden. Mit dem für das Projekt entwickelten Untersuchungskonzept des „City Governance“ wurde eine vergleichende Policy-Analyse über das „andere“ Regieren der größten deutschen Städte unter Einbeziehung der staatlichen Rahmenbedingungen und der sozioökonomischen Entwicklungsbedingungen durchgeführt. Die Untersuchungen zur großstädtischen Modernisierungspolitik wurden auf die Politikfelder der Stadtentwicklung, der urbanen Demokratie, der Verwaltungsmodernisierung und der Arbeitsbeziehungen konzentriert. Auf diese Weise wurden Erkenntnisse über die Konstruktion, den Wandel und die Dynamik, die relevanten Steuerungsformen und die zentralen Entwicklungsprobleme der fünfzehn größten deutschen Städte gewonnen. Wir gehen davon aus, dass das Untersuchungskonzept des Projektes auch auf weitere Politikfelder der Großstädte jeweils unter Einbeziehung staatlicher Rahmenbedingungen und sozioökonomischer Entwicklungsbedingungen angewandt werden kann. Der Governance-Ansatz hat sich als nützliches Instrument bei der Analyse der Regelungsstrukturen, Akteurkonstellationen und Mitbestimmungschancen erwiesen. Die sozioökonomische Entwicklung der Großstädte wurde mit den
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Vorwort
Indikatoren der Bevölkerungsentwicklung, der lokalen Wirtschafts- und Beschäftigungsstrukturen, der institutionellen Integration und der kommunalen Haushaltsstrukturen erfasst und analysiert. Mit Hilfe einer Clusteranalyse konnten verschiedene Typen der großstädtischen Entwicklung ermittelt werden. Die Auswertung der qualitativen Erhebungen zur großstädtischen Modernisierungspolitik erfolgte in den Politikfeldern bzw. Modernisierungspfaden der Stadtentwicklung, der urbanen Demokratie, der Verwaltungsmodernisierung und der Arbeitsbeziehungen. Ein wesentliches Merkmal unserer Forschungskonzeption ist die Kooperation mit den großstädtischen Modernisierungsakteuren, mit deren Vertreter wir in den Großstädten des Untersuchungsfeldes Experteninterviews durchgeführt haben. Die Sitzungen des Projektbeirates der Hans-Böckler-Stiftung sowie Workshops und Transferveranstaltungen in Kooperation mit Großstädten, Instituten und Interessenverbänden waren eine willkommene Gelegenheit, die Thesen und Befunde unserer Forschungsarbeit zu diskutieren. Bei den Kontaktpersonen und Interviewpartnern in den Großstädten möchten wir uns herzlich für die bereitwillige und offene Unterstützung sowie für die nette Aufnahme bei unseren Forschungsreisen bedanken. Der Hans-BöcklerStiftung des DGB gilt der besondere Dank für die Finanzierung und Förderung dieses Forschungsvorhabens. Dr. Erika Mezger, Volker Grünewald und Karsten Schneider sagen wir herzlichen Dank für die produktive Zusammenarbeit. Nach dem durch eine Mutterschaft bedingten vorzeitigem Ausscheiden von Okka Alberts als wissenschaftliche Mitarbeiterin konnte durch den Eintritt von Thomas Schwarzer in diese Funktion die stadtsoziologische Kompetenz des Projektes gestärkt werden. Hartmut Schekerka leistete in der Abschlussphase besonders wichtige statistische Beratung und Unterstützung. Niels Kohlrausch unterstützte das Projekt als studentische Hilfskraft in wertvoller Weise. Peter Flieshardt von der Arbeitnehmerkammer Bremen schulden wir Dank für die gute Unterstützung in den Fragen der Gemeindefinanzen. Dem Deutschen Städtetag und dem Deutschen Institut für Urbanistik möchten wir für die gute Zusammenarbeit und die Unterstützung unserer Recherchen besonders danken. Der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (VER.DI) schulden wir großen Dank für die wohlwollende Unterstützung und Mitfinanzierung des Projektes. Bremen, im April 2005
Rolf Prigge
Thomas Schwarzer
Projektkonzept
2
2.1 2.1.1
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Projektkonzept
Fragestellung und Hypothesen Großstädte als Akteure im System staatlicher Regelungsstrukturen
Im modernen staatlichen Mehrebenensystem stellen die Kommunen die Basiseinheit eines von unten nach oben gegliederten Demokratie- und Verwaltungsaufbaus dar (vgl. z.B. Blanke/Henzler 1991 und Heinelt 1996). Die Kommunen agieren danach in einem gestuften System staatlicher Regelungsstrukturen, das über verschiedene Governance-Mechanismen wie z.B. Hierarchie und Macht, Verhandlung, demokratische Beteiligung und Einwirkung, Wettbewerb und Netzwerke durch die Akteure gesteuert wird. Die zentrale Frage für die Kommunen und Stadtstaaten ist, ob daraus eine „Politikverflechtungsfalle“ (Scharpf 1994) resultiert, die ihre Selbststeuerungsfähigkeit aushöhlt oder sogar zerstört, oder ob die Großstädte das bestehende System staatlicher Regelungsstrukturen als Netzwerk für die Durchsetzung ihrer Interessen nutzen können. Die Kommunen üben im Rahmen des Grundgesetzes und der länderspezifischen Kommunalverfassung kommunale Selbstverwaltungsrechte aus und sind gleichzeitig die untere lokale staatliche Ebene. Die Kommunen sind in der Regel Mitglieder im Deutschen Städte- und Gemeindebund, im Deutschen Städtetag sowie in der Kommunalen Gemeinschaftsstelle (KGSt). Auf regionaler Ebene können sie sich an den verschiedenen Zweckverbänden und anderen Kooperationsformen im Zusammenwirken mit anderen Gebietskörperschaften beteiligen. Gegenüber der Europäischen Union (EU) nehmen sie anerkanntermaßen die lokalen bzw. regionalen Interessen wahr. Soweit das staatliche Regelungssystem hierarchisch funktioniert, sind mit dieser Verflechtung Abhängigkeiten von der Aufgaben- und Finanzzuweisung höherer staatlicher Ebenen (Bund, Länder) verbunden, die nur durch bestimmte Akteurskonstellationen zu beeinflussen sind. Wer unter den Bedingungen der vertikalen und horizontalen Politikverflechtung etwas erreichen will, der muss sich nach Scharpf auf den mühevollen und langwierigen Weg der Koordination zwischen Bund, Ländern und Gemeinden (und der EU, d.V.) einlassen. In einem
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Projektkonzept
solchen System ist die Realisierung politischer Forderungen schwierig, aber nicht unmöglich. „Politische Forderungen werden in diesem System nicht abgewiesen sondern abgearbeitet.“ (Scharpf 1976:20). Die Akteure müssen dazu ein hohes Maß an politischer, bürokratischer und taktischer Kompetenz aufbauen. Diese horizontale und vertikale Differenzierung des politischen Systems führt zu einer Pluralisierung und, wenn die Mehrheit des Bundestages und damit die Bundesregierung einerseits und die Mehrheit der Länder und des Bundesrates andererseits unterschiedlichen politischen Lagern angehören, zur Polarisierung der Politikverarbeitungsprozesse (Scharpf 1976: 18). Angesichts der Einigungszwänge zwischen dem Bund und den Ländern im gesamtstaatlichen Interesse drohen Kompromisse zu Lasten des unbeteiligten Dritten, der Gemeinden und Städte. Ellwein spricht deshalb auch von einer „Dualität” zwischen Staat und Kommunen (1992:321). Die lokale Ebene (Kreise, Gemeinden, Städte) wird von Kleinfeld allgemein als die wichtigste Durchführungsebene für öffentliche Aufgaben angesehen. Er insistiert, dass in Deutschland der örtlichen Ebene als Träger gebündelter Verwaltungsleistungen eine erhebliche Verantwortung für den Output des politischadministrativen Systems und seiner grundsätzlichen Legitimation in der Bevölkerung zukommt (Kleinfeld 1996:13). Städte und Gemeinden erweisen sich als ein Schmelztiegel wirtschaftlicher, sozialer, räumlicher, politischer und kultureller Prozesse, der den Bürger/-innen gute Partizipationschancen bietet. Kleinfeld sieht eine Renaissance der Kommunalpolitik, die auch die institutionellen Grundlagen in Bewegung gesetzt hat. Kommunalverfassungen werden reformiert, Beteiligungsrechte der Bürger/-innen ausgebaut, Steuerung und Verwaltungen der Kommunen sollen modernisiert werden. Hier fungiert die KGSt als eine für die Verwaltungsführungen wirksame Transfereinrichtung kommunaler Modernisierungskonzepte. Gleichzeitig ist die Aufgaben- und Lastenverteilung zwischen dem Bund, den Ländern und Kommunen weiterhin umstritten und konfliktträchtig. Das Gleichgewicht zwischen dem Bund, den Ländern und den Gemeinden sei gestört, lautet eine wiederholt vorgebrachte These (Kreuder 1997:31). Den Gemeinden würden zusätzliche Aufgaben übertragen, ohne dass für die Finanzierung gesorgt sei (z.B. durch die Einführung eines Rechtsanspruches auf einen Kindergartenplatz). Die Kostenverlagerungen zu Lasten der Länder und Gemeinden engen deren finanziellen Handlungsspielraum in Abhängigkeit von der regionalen Wirtschafts- und Beschäftigungsstruktur und dem Politikregime in zum Teil existenzgefährdender Weise ein (Pohlan 1997: 271). Andererseits werden die Gemeinden auch durch gesetzgeberische Aktivitäten des Bundes
Projektkonzept
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(z.B. Einführung der Pflegeversicherung) oder einzelner Länder (z.B. Förderung der Landeshauptstädte) entlastet. In Abhängigkeit von der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Lage wird immer wieder darüber gestritten, ob nun gerade Tendenzen der Zentralisierung oder Dezentralisierung das Verhältnis zwischen Stadt und Staat bestimmen würden. Häußermann (1991) verfolgt diese Kontroverse bis in das letzte Jahrhundert und die Weimarer Zeit zurück. Blanke/Benzler (1991) behandeln die Frage am Beispiel der Achtziger Jahre dieses Jahrhunderts. Einiges spricht vor dem Hintergrund dieser Überlegungen dafür, die Großstädte als einen wesentlichen Teil des „lokal spezifischen gesellschaftlichen Systems“ (Häußermann 1991) zu sehen, das in der Abfolge verschiedener historischer Gesellschaftsformationen Veränderungen unterliegt. „Lag der Schwerpunkt der Funktionen lokaler Politik im Fordismus auf dem Vollziehen und Verwalten, Abfedern, Filtern und Kleinarbeiten von zentralstaatlich gesetzter Politik, so erfordern die neuen deregulierten Bedingungen und die neue interregionale Konkurrenzstruktur die Entwicklung eigener unternehmerischer Strategien.“ (Mayer 1991: 40) 2.1.2
Regionale Entwicklung und großstädtische Modernisierung
Mit der These der sozialen Polarisierung der Städte wird seit den 1980er Jahren ein Auseinanderdriften der Wirtschafts- und Beschäftigungsentwicklung städtischer Agglomerationen innerhalb nationaler Wirtschaftsräume umschrieben (Krätke 1995). Eine zunehmende Polarisierung der Städte wurde auf der europäischen, der nationalen und der innerstädtischen Entwicklungsebene konstatiert. Für Deutschland wurde zunächst ein Nord-Süd-Gefälle und später ein Ost-WestGefälle großstädtischer Entwicklung beschrieben. Hinzu kam die soziale Polarisierung innerhalb der großen Städte durch die disparitäte Entwicklung einzelner Stadtteile. Sozial benachteiligte Stadtteile mit hohen Arbeitslosen- und Sozialhilfeempfängerzahlen stehen danach anderen Stadtteilen mit hoher Lebensqualität und guter Kaufkraft gegenüber. Die Städte bilden ein Netzwerk, das durch die wirtschaftlichen, politischen und administrativen Transfer- und Abhängigkeitsbeziehungen geknüpft wird. Die einzelne Stadt kann durch ihre Einbindung in vielfältige grenzüberschreitende Wirtschaftskreisläufe und politischinstitutionelle Rahmenbedingungen als ein weithin offenes gesellschaftliches Subsystem betrachtet werden. Die Entwicklung der einzelnen Großstadt - so die Annahme - wird im Rahmen des gesamten Städte-Systems nicht nur von lokalen Akteuren gesteuert, vielmehr ist die einzelne Stadtregion mehr oder weniger stark externen Einflüssen z.B. durch die Standortentscheidungen privater Großunternehmen oder durch staatliche Regulierung ausgesetzt (Krätke 1995: 100).
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Projektkonzept
Die Großstädte unterliegen unterschiedlichen regionalwirtschaftlichen Rahmenbedingungen (Stadtregionen/Ballungszentren/Metropolen). Der Strukturwandel von der Industrie- zur Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft der lokalen Wirtschaft weist unterschiedliche Formen und Tempi auf. Demzufolge sind die Großstädte mehr oder weniger von Arbeitslosigkeit und sozialer Spaltung betroffen. Hinzu kommen differenzierte Entwicklungen der Bevölkerungsstruktur, die sich z.B. in einem unterschiedlichen Ausländeranteil und der Wanderungsbilanz zeigen können. Die Mehrzahl der Großstädte kämpft - bisher weitgehend vergebens - gegen die Folgen der Suburbanisierung, d.h. gegen die Abwanderung einkommensstarker Mittelschichten und Arbeitsplätze in das Umland (Häußermann, Siebel 1995). Angenommen wird, dass das Modernisierungsprofil einer Großstadt maßgeblich von deren regionalen Entwicklungsbedingungen abhängig ist. Großstädte sind in geographische, wirtschaftliche, soziale, politische und institutionelle Entwicklungen der Region „eingebettet“. Unter der Bedingung der Globalisierung und Europäisierung, staatlicher Devolution und auf Regionen und Städte abgewälzter öffentlicher Finanznot laufen die Regionen und ihre Kernstädte Gefahr, in ein neues System ruinöser Modernisierungskonkurrenz zu geraten. Zu befürchten ist, dass in dieser Entwicklung ein „Sprengsatz für eine sozial integrierte Regionalentwicklung bzw. für die Stadtgesellschaft“ liegt (Elsner 2000). Während in den 1970er und 1980er Jahren die Regionen und Städte versuchten, durch eine eigenständigere und damit nachhaltigere, partizipatorische Regionalentwicklung und mit dem Argument ihrer größeren Bürgernähe den höheren staatlichen Ebenen Handlungskompetenzen abzutrotzen, soll sich diese Entwicklung nach Elsner nun in das Gegenteil verkehrt haben. Als Folge wirtschaftlicher Globalisierung, staatlicher Deregulierung und trotz kommunaler Finanzprobleme sind Regionen und Städte mehr und mehr als Wirtschaftsstandort einer verschärften Standortkonkurrenz ausgesetzt und können Elsner zufolge immer weniger vitale Lebenszentren für die Bürger sein. Großstädte und Regionen würden so zu Brennpunkten gesellschaftlicher Desintegration werden. Einige Regionen und Städte scheinen als Global City oder Global Region von dieser regionalen und großstädtischen Entwicklungskonkurrenz durch überdurchschnittliches Wirtschaftswachstum zu profitieren, aber auch ihnen droht eine Zunahme innerstädtischer sozialer Polarisierung (vgl. z.B. Frankfurt/Main). Noch zugespitzter könnte sich die Entwicklung im Falle der marginalisierten Regionen und ihrer Kernstädte darstellen. Zu befürchten ist hier der Verlust politischer Steuerungsfähigkeit und die weitere Auslagerung und Privatisierung öffentlicher Aufgaben: Eine nicht mehr zu bewältigende soziale Desintegration einzelner Bevölkerungsgruppen und Stadtteile, die Effektivierung bzw. Redu-
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zierung von Mitbestimmungsmöglichkeiten für die Bürgerinnen und Bürger sowie für die Beschäftigten und deren Interessenvertretungen könnten die Folge sein. 2.1.3
Spezielle Regelungsstrukturen der Großstädte
Angesichts disparitärer regionaler Entwicklungen ist unsicher, ob durchweg von einer Finanzkrise der Großstädte gesprochen werden kann, über welche Handlungspotentiale die Großstädte wirklich verfügen und welche Regelungsstruktur der kommunale öffentliche Sektor nach dem eingeleiteten Umbau der Kommunalverwaltung aufweist. Angenommen wird, dass die Großstädte auf die differenzierten regionalen Entwicklungsbedingungen mit unterschiedlichen Modernisierungsstrategien reagieren, so dass begründete Aussagen zu den Strategien, das Management und der Mitbestimmung der Modernisierung durch die Bürgerinnen und Bürger sowie die Beschäftigten erst auf der Basis einer empirischen Analyse einzelner Bausteine der großstädtischen Modernisierungspraxis getroffen werden können. Der Blick auf die großstädtische Modernisierungsprogrammatik, auf Prämiierungen in Modernisierungswettbewerben, auf Ergebnisse eines überwiegend quantitativen Benchmarking oder auf die Produkte des Großstadtmarketings reicht für eine fundierte Einschätzung des gegenwärtigen Entwicklungstandes der Großstädte nicht aus. Die Frage nach der Regierungsfähigkeit der Großstädte wurde im Laufe der letzten Jahre immer wieder gestellt (Häußermann 1994, Gerstenberger 1997, Prigge 1998, Stratmann 1999, Schuster, Murawski 2002). Die „Besonderung“ der Großstädte ergibt sich nicht nur aus ihrer institutionellen Stellung und dem organisatorischen Aufbau; sie wird erst im Zusammenhang mit der relativ überschaubaren räumlichen Struktur wirksam. Betroffene Bevölkerungsgruppen, organisierte gesellschaftliche Gruppen und im Umfeld etablierte halböffentliche Institutionen können versuchen, ihre Interessen als intermediäre Organisationen durch Konflikt und Kooperation gegenüber den politischen und administrativen Instanzen der Städte unmittelbar durchzusetzen. Das gilt prinzipiell auch für (große) private Unternehmen, die über ein relevantes Arbeitsplatzpotential verfügen. Die Mobilisierbarkeit von Interessen wird durch die Wirkungsweise der modernen örtlichen Medien verstärkt. Die politischen und administrativen Akteure haben sich auf diesen Regulationsmodus eingestellt und beteiligen in selektiver Weise die intermediären und wirtschaftlichen Gruppen als politische Vorfeldorganisationen an der politischen Willensbildung. Dies galt bisher auch für die Gewerkschaften und betrieblichen Interessenvertretungen der Beschäftigten des öffentlichen Sektors, die als arbeitspolitische Akteure mit der Arbeitgeberseite an der Regulierung der Arbeitsbeziehungen beteiligt sind (Busse u.a. 1997).
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Die Großstädte versuchen sich unter den jeweiligen staatlichen Regulierungs- sowie regionalen und lokalen Entwicklungsbedingungen im Wettbewerb um Einwohner und Arbeitsplätze neu zu positionieren und ein eigenes Modernisierungsprofil zu gewinnen. Diesem Ziel dienen die Strategien und das strategische Management der Modernisierung, das einzelne modernisierungspolitische Bausteine zu integrieren beansprucht. Es wird angenommen, dass die Großstädte besonders daran interessiert sind, a) ein spezifisches Großstadtprofil in Kooperation mit der Region zu entwickeln, um die Entwicklungskonkurrenz mit anderen Großstädten, Regionen und auf europäischer Ebene bestehen zu können, b) ihre öffentlichen Haushalte zu sanieren und den öffentlichen Sektor durch die Einführung neuer Steuerungsmodelle zu effektivieren, um kommunale Steuerungsfähigkeit zurückzugewinnen, c) zentrale kommunale Aufgabenbereiche und großstädtische Dienstleistungsprozesse wie die kommunale Sozialpolitik und die sozialen Dienste neu zu ordnen, um die soziale Integrationskraft wieder zu erhöhen, d) die Bürgerinnen und Bürger als Auftraggeber, Mitgestalter und Adressat bei der großstädtischen Leistungserstellung stärker zu beteiligen, um diese bürgernah und effizient zu organisieren und Einwohnerverluste zu vermeiden. Ob und inwieweit die Großstädte diese Strategien wirklich verfolgen, in welchen Akteurskonstellationen diese umsetzbar sind oder wären, welche externen Bedingungen sich als förderlich oder restriktiv erweisen, das soll durch die folgende empirische Untersuchung über die Strategien, das Management und die Mitbestimmung der Modernisierung der größten deutschen Städte geklärt werden.
2.2 2.2.1
Konzeptualisierung des Regierens großer Städte Das Regieren großer Städte als Politikfeld und Institutionensystem
Den Untersuchungen liegt die Annahme zu Grunde, dass die größten deutschen Städte ein eigenes in sich differenziertes Politikfeld oder Städtesystem bilden, das sich zum Teil neben und außerhalb des institutionell geregelten staatlichen Mehrebenensystems herausgebildet und etabliert hat. Bei dem Großstädtesystem handelt es sich um eine Gruppe von Institutionen, die ein komplexes, vernetztes und dynamisches Politikfeld in dem Staatsaufbau der Bundesrepublik Deutsch-
Projektkonzept
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land bilden, das als solches in der Verfassung nicht ausdrücklich erwähnt wird aber praktisch existiert. Die größten deutschen Städte werden als ein nationales Städtesystem näher betrachtet, das auf bestimmten Konstruktionsprinzipien beruht und eine spezifische Eigendynamik aufweist. Mit dem Projekt sollen Erkenntnisse darüber gewonnen, durch welche Entwicklungstendenzen und probleme die deutschen Großstädte gekennzeichnet sind, mit welchen Regelungsstrukturen sie gesteuert werden und welche Wirkung die angewandten Steuerungsformen erzeugen. Die besondere Komplexität des großstädtischen Regierens ergibt sich daraus, dass es durch viele externe wie interne Variablen beeinflusst wird, die miteinander vernetzt sind und die sich untereinander mehr oder minder stark beeinflussen. Mit unserer Untersuchung möchten wir einen Beitrag zu einer größeren Transparenz des deutschen Großstädtesystems leisten und den aktuellen Wandel ausgewählter Prozesse des Regierens großer Städte untersuchen.
Projektkonzept
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(Greater City Governance)
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Großstädtisches Regieren
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Externe Bedingung
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I. Steuerung großstädtischer Modernisierung: Pfade, Akteure, Strategien und Muster
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Abbildung 1: Hauptvariablen des Politikfelds „Großstädtisches Regierens“
Für unser Projekt standen wir vor der Frage, welche (fach-) wissenschaftlichen Ansätze geeignet erscheinen, mehr Licht in das schwer zu durchschauende System der deutschen Großstädte zu bringen. Da die Großstädte nach den Einwohnerzahlen, ihrer sozioökonomischen Bedeutung und regionalen Lage sowie nach ihrer Einbindung in institutionelle Strukturen kleineren Nationalstaaten, Regionen und Bundesländern sehr nahe kommen, galt unser Interesse den Ansätzen der Vergleichenden Politikwissenschaften (Berg-Schlosser, Müller-Rommel 1997). Speziell mit den Ansätzen der vergleichenden Policy-Forschung der sogenannten dritten Phase (Schmidt 1997: 207 u. 212.) kann gefragt werden: „Auf welche Weise und unter welchen Handlungszwängen und –grenzen wird Politik (im Sinne von Policy) durch Politik (im Sinne von Politics und Polity) geprägt?“ (Schmidt 1997:213). Die für das Projekt zentrale Frage lautet: Inwieweit wird das Regieren der großen Städte durch großstädtische Akteure, durch staatliche Rahmenbedingungen und/oder sozioökonomische Entwicklungsbedingungen geprägt? Als die unabhängige Hauptvariablen unserer PolicyAnalyse des Regierens der großen Städte bestimmen wir demnach a) die von den Großstädten angewandten Strategien der Modernisierung, b) den Wandel staatlicher Rahmenbedingungen und c) die unterschiedlichen sozioökonomischen Entwicklungsbedingungen (s. Abbildung 1).
Projektkonzept
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Annahmen, wie sie dem Advocacy-Koalitionsansatz der Policy-Analyse zu Grunde gelegt werden, waren für die Ausarbeitung des Untersuchungskonzeptes weiterführend. Danach erscheint es vertretbar (1.) den Prozess des PolicyWandels und die Rolle des policy-orientierten Lernens in einer Zeitperspektive von einem Jahrzehnt zu untersuchen. Ist es (2.) am sinnvollsten, den PolicyWandel in einer solchen Zeitspanne in „Policy-Subsystemen“ zu betrachten, d.h. die Interaktionen von Akteuren verschiedener Institutionen zu erfassen, die an einem Policy-Bereich interessiert sind. (3.) können staatliche Maßnahmen in der gleichen Weise konzeptualisiert werden wie handlungsleitende Orientierungen und „Glaubens“-Systeme, d.h. als Sets von Wertprioritäten und kausalen Annahmen darüber, wie diese realisiert werden (Sabatier 1993: 120). Vergleichende Analysen haben sich dann als besonders ertragreich erwiesen, wenn sie alle Fälle einer Grundgesamtheit einbeziehen und diese über mehrere kritische Politikbereiche und mehrere Perioden hinweg unter Einbeziehung externer Einflüsse untersuchen (Schmidt 1997: 212 u. 220). Die Untersuchungen über die Bedingungen und Strategien des Regierens großer Städte beziehen wir auf einen Zeitraum von etwa 10 Jahren. Als Untersuchungszeitraum haben wir die Zeit von 1990 bis 2000 gewählt, um die Auswirkungen der Wiedervereinigung Deutschlands auf das System der Großstädte mit erfassen zu können. Unser Untersuchungsfeld begrenzen wir aus forschungsmethodischen Gründen auf die fünfzehn, nach ihrer Einwohnerzahl größten deutschen Städte. In den ausgewählten drei Hauptvariablen haben wir nach wichtigen Bestimmungsgrößen des großstädtischen Regierens gesucht. Die ausgewählten Policy-Faktoren des großstädtischen Regierens zeigt Abbildung 2. Die interne Steuerung großstädtischer Modernisierung (Hauptvariable I) wollen wir danach in den Pfaden (Modernisierungsarenen) der Verwaltungsmodernisierung, der Stadtentwicklung, der Politischen Führung und Bürgerbeteiligung sowie der Arbeitsbeziehungen analysieren. Dabei kam es uns darauf an, den fach- und ressortübergreifenden Zuschnitt des großstädtischen Regierens exemplarisch abzubilden und möglichst mehrere strategisch bedeutsame Aufgabenfelder einer Großkommune in die Untersuchungen einzubeziehen. Die ursprünglich auch noch beabsichtigte Untersuchung der großstädtischen Sozialpolitik bleibt einem gesonderten Forschungsprojekt vorbehalten.
Projektkonzept
20 Abbildung 2: Policy-Faktoren für das Regieren großer Städte
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I. Steuerung großstädtischer Modernisierung (Pfade, Strategien, Akteure und Muster) Verwaltungsmodernisierung
Stadtentwicklung
Großstädtische Demokratie
Arbeitsbeziehungen
(Umbau Großstädt. Sozialpolitik u. sozialer Dienste)
Die Untersuchung des Wandels und der Kontinuität staatlicher Rahmenbedingungen (Hauptvariable II.) konzentrieren wir auf Fragen nach der Architektur des Großstädtesystems, nach dem Wandel der kommunalen Selbstverwaltung einschließlich der Gemeindefinanzen, dem Wandel kommunaler Demokratie und nach der Restrukturierung großstädtischer Steuerung. Die Untersuchung der sozioökonomischen Entwicklungsbedingungen der Großstädte (Hauptvariable III.) erfolgt mit den Indikatoren der Bevölkerungsentwicklung, der Wirtschaftsund Beschäftigungsstruktur, der sozialen Integration/Desintegration und der Kommunalen Haushalte. 2.2.2
Wandel staatlicher Tätigkeit und großstädtischer Governancestrukturen
Mit Hilfe der vergleichenden Politikwissenschaft können grundlegende Veränderungen der Architektur des Staates, veränderte Politikregime, einzelne Funktionen und Aufgabenregime, die Modernisierung der Institutionen und Arbeitsbeziehungen sowie die Art und Weise, wie verschiedene gesellschaftliche Gruppen und Individuen als Akteure bei der Steuerung und Durchführung staatlich-öffentlicher Aufgaben einbezogen werden, zum Gegenstand von Untersu-
Projektkonzept
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chungen gemacht werden (Jessop 1996: 43 ff.). Damit geraten so unterschiedliche Akteurkonstellationen wie die zwischen Politik und Verwaltung, Staat und Verbänden, Bürger und gesellschaftliche Gruppen in das Blickfeld. Von besonderem Interesse ist, inwieweit sich die Steuerungsformen der gesellschaftlichen Prozesse verändern, wenn sich – wie von Jessop angedeutet - die staatliche Tätigkeit von der Hoheitsverwaltung zum kooperativen Staat wandelt. Gefragt wird, welche Bedeutung die in dem staatlichen, dem marktwirtschaftlichen und dem sogenannten dritten (intermediären oder zivilgesellschaftlichen) Sektor bestehenden Regelungsstrukturen für die Steuerung der großstädtischen Entwicklung erlangen. Die Steuerungsformen großstädtischer Entwicklung sind für das Projekt sowohl Gegenstand als auch Instrument der empirischer Forschung. Übereinstimmendes Ergebnis neuerer politikwissenschaftlicher Studien ist eine Entwicklung „from Government to Governance“ (Heinelt 1996), d.h. dass das Regieren entwickelter Gesellschaften und ihrer Subsysteme nur hinreichend erklärt werden kann, wenn die Beziehungen und Konstellationen zwischen dem Staat und den gesellschaftlichen Akteuren in die Analysen einbezogen werden. Aus der Analyse der Akteurkonstellationen können dann neue Erkenntnisse über die vorherrschenden Formen der Handlungskoordination, der Steuerung und der Machtverteilung gewonnen werden (Governancestrukturen). Einer weiten Begriffsauslegung folgend sind unter Governance alle Formen gesellschaftlicher Steuerung zu verstehen, die öffentliche und private Akteure umfassen und die institutionalisierte Formen der Steuerung ergänzen (Einig, Fürst, Knieling 2003:I). Ein allgemein gültiges Verständnis des Begriffs hat sich aber bisher nicht durchgesetzt. Als ein Nutzen des Governance-Ansatzes wird vielfach angesehen, dass mit seiner Hilfe zwischen verschiedenen Sektoren und Fachwissenschaften nun Fragen nach der Steuerung gesellschaftlicher Entwicklung und Institutionen besser kommuniziert werden können. Der Begriff „Governance“ hat auf verschiedenen Wegen Eingang in die deutsche Sozialwissenschaften gefunden. Anfang der Neunziger Jahre mutierte er zu einem Schlüsselbegriff der Entwicklungspolitik, mit dem versucht wurde, verschiedene Entwicklungsstadien von Regierungssystemen im Sinne eines vermeintlich guten Regierens („Good Governance“) zu beschreiben (König 2001: 275). In Untersuchungen über Fragen der Unternehmenskontrolle in der US-amerikanischen Wirtschaft wurde der Begriff „Corporate Governance“ geprägt, der später u.a. von einer Kommission der Bundesregierung auf deutsche Unternehmen bezogen wurde (Regierungskommission Corporate Governance, Abschlussbericht Berlin 10.07.2001). Insbesondere im angelsächsischen Kulturkreis findet der Begriff Governance eine vielfältige Verwendung. Er wird auf alle Ebenen des Regierens von der lokalen bis zur globalen Ebene bezogen, dient der Analyse von Politiknetzwerken, zur Beschreibung ganzer Politikfelder
22
Projektkonzept
oder Wirtschaftssektoren (Botzem 2002:16). Das Weißbuch der Europäischen Kommission thematisiert unter dem Titel „Good Governance“ ein Reformangebot der Kommission, das als Versuch der Deregulierung und Abdankung öffentlicher Institutionen zugunsten privater Akteure, als Öffnung staatlicher Institutionen gegenüber der Zivilgesellschaft, als Versuch der Erarbeitung modernerer themen- und ebenenübergreifender Politikverfahren kritisch interpretiert werden kann (Nischwitz, Molitor, Rohne 2001: 2). Mit dem Begriff des Local Governance werden Vorschläge bezeichnet, die eine umfassende Krise von Akteuren und Institutionen, der politischen Steuerung und der Werte des deutschen politisch-administrativen Systems diagnostizieren und daraus Vorschläge ableiten, wie das Leitbild des aktivierenden Staat auf kommunaler Ebene umzusetzen sei (Damkowski, Rösener 2003: 13 ff.). Die Autoren konstruieren eine positive Verbindungslinie zwischen Ansätzen des Bürgerschaftlichen Engagements und dem Neuen Steuerungsmodell als dem klassischem Modell der kommunalen Verwaltungsmodernisierung der Neunziger Jahre sowie dem von der rotgrünen Bundesregierung erarbeiteten Leitbild des aktivierenden Staates. Sie sehen darin ein politisches Gegenmodell zum schlanken Staat, der als Leitbild der konservativ-liberalen Regierungsära mit dem Bundeskanzler Kohl galt. In der aktivierenden Kommune sollen folgende Bedingungskonstellationen zusammen geführt werden: 1.) Ein in der Kommune vernetztes, vertrauensvolles Zusammenwirken zwischen allen Stakeholders eines kommunalen Akteurssechsecks aus engagierten Bürgergruppen, klassischen örtlichen Vereinen, Rat und Ratsfraktionen, Verwaltung, örtlichen Verbänden und Wirtschaftsunternehmen. 2.) Starke Führungsstrukturen und Führungspersönlichkeiten in den verschiedenen Akteursbereichen 3.) Neue, für Local Governance angemessene Steuerungsstrukturen und Steuerungsverfahren wie die Arbeit in Netzwerken und die prozesshafte Verfahrenssteuerung. Damkowski/Rösener möchten mit ihrem Konzept Brücken bauen für die wechselseitige Nutzung der Instrumente des Bürgerschaftlichen Engagements und des Neuen Steuerungsmodells, der Effizienz und der Effektivität, des aktivierenden Staates und der aktivierenden Kommune, zur Selbstaktivierung von Politik und Verwaltung unter Einbeziehung von Verwaltungsmitarbeitern (ebenda; 186).
Projektkonzept
23
Abbildung 3: Forschungsstand zu Local und Regional Governance x
Stärken Instrument zur Umsetzung integrativer Ansätze
x
x
Austausch zwischen unterschiedlichen Fachdisziplinen
x
x
Zusammenführung von Einzelaspekten
x
x
Verknüpfung von verschieden Steuerungsformen Netzwerkaufbau – international, national, (regionale, lokal)
x
Governance als Möglichkeit, neue inhaltliche, akteurbezogene und steuerungsorientierte Konstellationen zu thematisieren und umzusetzen Der Raumbezug von Governance kann ein integratives Bindeglied zwischen verschie-denen Zugängen und Disziplinen sein.
x
x
x
x
x
x
Schwächen Definition als „Ansatz“ und „Konzept“ anstatt es als begriffliches Instrument zu betrachten Diskontinuierliche Austauschformen und unkritischer Umgang mit Governance in der deutschen Debatte Keine Thematisierung von Grenzen und Problemen (z.B. Legitimationsdefizite) Ungeklärte Zuständigkeiten und Legitimationsmodalitäten Vertikale (politische Handlungsebenen), horizontale (raum- und querschnittsbezogen) und kausale (thematisch-inhaltliche) Integrationsdefizite Bisher fehlt es an integrativen Ansätzen und Schnittstellen zwischen den verschiedenen räumlichen und thematischen Ebenen Fehlende Aufarbeitung von Praxisbeispielen, geringer Abgleich mit praktischen Erfahrungen vor Ort
Quelle: Nischwitz, Molitor, Rohne 2001: 25 In einer Studie für das Bundesministerium für Bildung und Forschung werden integrative Ansätze des „Local und Regional Governance für eine nachhaltige Entwicklung“ skizziert (Nischwitz et al. 2001). Die Autoren nennen auf der Basis eigener Untersuchungen Stärken und Schwächen des derzeitigen Forschungsstandes zur Governance-Frage (s. Abbildung 3). Governance könne im Zusammenhang mit einer nachhaltigen Raumentwicklung zu einem strategisch wichtigen Bindeglied für die Verknüpfung unterschiedlicher Zugänge und Disziplinen werden. Schwächen sehen sie vor allem in den Schnittstellen zwischen den verschiedenen räumlichen und politischen Problem- und Steuerungsebenen. Mit Hilfe des Governance-Ansatzes können Steuerungskonfigurationen analysiert und bewertet werden (Botzem 2002: 21). Erkennntnisleitend ist, von welchem Steuerungsverständnis ausgegangen wird (s. Abbildung 4). Für unsere Untersuchung gehen wir von einem produktiven Steuerungsverständnis aus und möchten mit dem so verstandenen Governance-Ansatz Steuerungskonfigurationen der deutschen Großstädte näher analysieren und einschätzen.
Projektkonzept
24 Abbildung 4: Governance-Ansätze in der Steuerungsdiskussion AnalytischeBetrachtung Analyse der Steuerungskonfiguration Produktives Steuerungsverständnis
Skeptisches Steuerungsverständnis
Analyse der Steuerungskonfiguration mit Hilfe von Governance Governance-Failure
Normative Betrachtung Bewertung der Steuerungskonfiguration Governance als Chiffré für Steuerungsreformbedarf: x demokratietheoretisch x entwicklungspolitisch Sozialkybernetische Governance: Steuerung unmöglich
Quelle: Botzem 2002:21 Für die Einschätzung des Transformationsprozesses der Großstädte werden wir in den nachfolgenden Kapiteln räumliche, institutionelle, ökonomische, soziale und demokratische Analysedimensionen entwickeln und anwenden (s. Abbildung 5). Damit wollen wir einen normativen Rahmen ausweisen, mit dessen Hilfe die Prozesse großstädtischer Entwicklung und Steuerung bewertet werden können.
Projektkonzept
25
Abbildung 5: Analysedimensionen großstädtischer Governancestrukturen
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CITY GOVERNANCE
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Muster u. Typen der Entwicklung
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Demokratie Die räumliche Analysedimension ermöglicht Fragen nach der Konstruktion des nationalen Großstädtesystems, nach den Austauschbeziehungen zwischen Großstadt und Region, nach den Entwicklungsperspektiven der Großstädte und ihrer Stadtteile. Die ökonomische Analysedimension zielt auf die spezifische Wirtschafts- und Beschäftigungsstruktur der Großstädte, ihre unterschiedliche Wirtschafts- und Steuerkraft sowie die Struktur der kommunalen Haushalte. Die soziale Analysedimension nimmt Fragen nach der Bevölkerungsstruktur und Bevölkerungsentwicklung, nach Arbeitslosigkeit und Sozialhilfeabhängigkeit auf. Mit Hilfe der institutionellen Analysedimension soll die besondere Stellung der Großstädte im staatlichen Mehrebenensystem geklärt werden, sollen Funktion und Wandel kommunaler Selbstverwaltung näher bestimmt werden. Ferner ist sowohl die Rolle und Wirkung der administrativen Führung, also des „TopManagements“, als auch der Wandel der innerstädtischen Arbeitsbeziehungen von Interesse. Die demokratische Analysedimension ermöglicht Fragen zum Wandel der kommunalen Demokratie, den Formen der Bürgerbeteiligung, der politischen Steuerung und der Verbreitung direkten Demokratie. Die räumlichen, ökonomischen, sozialen, institutionellen und demokratischen Analysedimensionen legitimieren Fragen zur Governancestruktur der Großstadtentwicklung, der Wirtschaftsstrukturentwicklung in den Großstädten, zur Regelungsstruktur sozialer Integration und Desintegration, des institutionellen Wandels und der großstädtischen Demokratie (s. Abbildung 6).
Räumlich
Großstädtesystem Stadtregion
Großstadt Stadtteile der Großstadtentwicklung
Analysedimension
Teilaspekte:
Teilaspekte:
Teilaspekte: Teilaspekte:
Fragen nach der Governancestruktur
Steuerkraft Kommunale Haushalte der Wirtschaftsstrukturentwicklung
Branchen- u. Beschäftigungsstruktur
Wirtschaftskraft
Ökonomisch
Arbeitslosigkeit Sozialhilfeabhängigkeit der institutionellen Integration
Bevölkerungsstruktur Bevölkerungsentwicklung
Sozial
des institutionellen Wandels
Großstädte im staatlichen Mehrebenensystem Funktion und Wandel Kommunaler Selbstverwaltung Administrative Führung/Management Arbeitsbeziehungen
Institutionell
Abbildung 6: Konzept zur Analyse großstädtischer Governancestrukturen
Politische Steuerung Beschäftigtenbeteiligung urbaner Demokratie
Kommunale Demokratie Formen der Bürgerbeteiligung
Demokratisch
Projektkonzept
2.2.3
27
City Governance: Analyse der Regelungsstrukturen und Akteurkonstellationen
Die großstädtischen Regelungsstrukturen und Akteurkonstellationen analysieren wir mit dem von uns entwickelten Untersuchungskonzept des City Governance. Naschold (1994) ging in seiner Konzeption des Public Governance von den Governanceformen Macht/ Hierarchie, Markt, Netze, Associations, Demokratische Kontrolle und Staat aus. Dieses Konzept wurde von ihm für die Analyse von Steuerungs- und Innovationsprozessen im kommunalen öffentlichen Sektor entwickelt. Scharpf (2000) beschreibt auf der Grundlage seiner Studien über die Regelungsstrukturen des öffentlichen Sektors ein breites Spektrum von möglichen Akteurkonstellationen und Governanceformen. Er behandelt als Formen der Handlungskoordination zwischen den Akteuren einseitiges Handeln und wechselseitige Anpassung, Verhandlungen, Mehrheitsentscheidungen, hierarchische Steuerung und Formen des verhandelnden Staates. Klenk/Nullmeier (2003) verstehen Public Governance nicht nur als ein Analyseinstrument sondern auch als eine Reformstrategie. Sie plädieren für einen sozialwissenschaftlichen Begriff von Governance. Klenk/Nullmeier wollen durch ihre Analyse eine nachvollziehbare und an sozialwissenschaftliche Überlegungen rückgebundene Differenzierung zwischen grundlegenden Reformen, Anpassungen, Teilreformen, einzelnen Modernisierungschritten und Entwicklungsprozessen ermöglichen (2003:113). Sie unterscheiden zwischen den Governanceformen Hierarchie, Markt und Wettbewerb, Netzwerken, Assoziationen sowie Gemeinschaften. Im Unterschied zu Naschold blenden sie demokratische Kontrolle und Staat als eigenständige Governanceformen aus, nehmen aber die Gemeinschaft als auf Selbstregulation angelegte Governanceform neu auf. Klenk/Nullmeier differenzieren in ihrem Analysekonzept von Governancestrukturen zwischen Feldern und Reformdimensionen. Als zu unterscheidende Felder nennen sie Wirtschaft, Staat und Zivilgesellschaft. Als „Reformdimensionen“ unterscheiden sie interne und sektorale Governancereformen. Merkmale interner Governancereformen sind danach Veränderungen in den Bereichen der Leitung und Kontrolle, der vertikalen und horizontalen Koordination sowie bei der Gestaltung der Umweltbeziehungen. Merkmale sektoraler Governancereformen sind bei ihnen die Sektorsteuerung und Eingriffe in das Organisationsgefüge (2003: 43). Naschold und Klenk/Nullmeier nehmen übereinstimmend an, dass Regelungsstrukturen überwiegend durch einen Governancemix, d.h. die Kombination verschiedener Governanceformen gekennzeichnet sein werden. In Abbildung 7 nennen wir einige Beispiele für sektorale und interne Governancereformen, die für die großstädtische Entwicklung Bedeutung erlangen können.
Projektkonzept
28 Abbildung 7: Beispiele für Governancereformen Beispiel 1 Gewerbesteuerreform
Beispiel 2 Bundesprogramm Soziale Stadt
Beispiel 3 Bürgerbegehren und Bürgerentscheide in der Kommunalverfassung
Beispiel 4 Reform des Branchen-tarifvertrages
Wesentliche Akteure
Bund/Länder/ Kommunale Interessen-verbände
Bund/Länder/ Kommunale Interessenverbände
Länder/ Kommunale Interessenverbände
Verbände der öff. Arbeit-geber/ Gewerkschaften
Governance-mix
hierarchisch/ assoziativ
hierarchisch/ netzwerkartig
hierarchisch/ assoziativ
assoziativ/ hierarchisch
Beispiel 5 Neues Finanzmanagement
Beispiel 6 Partizipative Quartiersentwicklung
Beispiel 7 Herbeiführen von Bürgerbegehren u. Bürgerentscheide
Beispiel 8 Strategisches Personal-entwicklungskonzept
Länder/ Großstädte
Großstädte/ BürgerInnen
Bürgergruppen/ Großstädte
Großstädte/ Personalräte
hierarchisch/ netzwerkartig
Netzwerkartig/ gemeinschaftlich
gemeinschaftlich/ hierarchisch
hierarchisch/ assoziativ
Sektorale Governancereformen: GroßstädteSystem
Interne Governance-reformen: Großstädte Wesentliche Akteure Governance Mix
Durch die weiteren Untersuchungen des Projektes soll näher geklärt werden, über welche Machtressourcen die jeweiligen Akteure verfügen und inwieweit die Akteure diese zu mobilisieren vermögen. Von Interesse ist, welche Akteurkonstellationen und Governancestrukturen das großstädtische Regieren nachhaltig prägen. Aus diesen Analysen werden Erkenntnisse darüber erwartet, wie Macht und Herrschaft, Einfluss und Mitbestimmungschancen zwischen den beteiligten Akteuren verteilt sind und welche Formen der Handlungskoordination die Steuerung großstädtischer Entwicklung zu bestimmen vermögen.
Projektkonzept
2.3 2.3.1
29
Das Untersuchungsdesign Zielsetzung
Seit die Großstädte zu Beginn der 1990er Jahre begonnen haben, Politik und Verwaltungen unter veränderten sozioökonomischen und staatlichen Bedingungen zu modernisieren, sich über den Standortwettbewerb aktiv in den Wandel regionaler Wirtschaftsstrukturen einschalten, die Folgen der Wiedervereinigung Deutschlands zu bewältigen versuchen und soziale Polarisierungstendenzen unübersehbar wurden, ist nicht mehr gesichert, welche Annahmen über die Bedingungen, Strategien und Akteursbeziehungen großstädtischer Modernisierung noch zutreffen. Der bisherige Stand der Empirie gibt keinen Aufschluss darüber, welche reale Bedeutung die in Fachkreisen und Teilen der politischen Öffentlichkeit sowie in Interessenverbänden diskutierten Leitbilder des „Neuen Steuerungsmodells“ (NSM), der „Bürgerkommune“, des „Aktivierenden Staates“ sowie des „Strategischen Managements“ für die Entwicklung der Großstädte wirklich erlangt haben. Das von der Hans-Böckler-Stiftung des DGB geförderte Forschungsprojekt „Strategien, Management und Mitbestimmung der Modernisierung deutscher Großstädte“ (Großstädte 2002-Projekt) zielt daher auf den aktuellen Wandel großstädtischer Regelungsstrukturen, also auf die in der neueren politik- und verwaltungswissenschaftlichen Diskussion sogenannten Governancestrukturen (Nullmeier 2003). Abbildung 8: Ziele der Untersuchung 1.
2.
2.
Untersuchung der Rahmenbedingungen großstädtischer Modernisierung x Wandel staatlicher Rahmenbedingungen x Sozioökonomische und regionale Entwicklungsbedingungen Untersuchung der Steuerung und Mitbestimmung großstädtischer Modernisierung in den Pfaden/Arenen x Zentrale Ressourcensteuerung und Verwaltungsmodernisierung, x Stadtentwicklung, x Politische Führung und Bürgerbeteiligung sowie x Wandel der Arbeitsbeziehungen Begleitende Workshops und Tagungen mit Unterstützung des Projektes und in Kooperation mit den großstädtischen Modernisierungsakteuren, der HBS und dem Verdi-Fachbereich Gemeinden
Als Großstädte werden aus stadtsoziologischer Sicht gemeinhin die 39 deutschen Städte angesehen, in deren Grenzen mehr als 200.000 Einwohner leben
Projektkonzept
30
(Ewehling, Kost 2003: 15). Für unser Projekt mussten wir das Untersuchungsfeld aus forschungsmethodischen und arbeitsökonomischen Gründen weiter eingrenzen. Das immer noch sehr komplexe Untersuchungsfeld wurde auf solche lokale Gebietskörperschaften begrenzt, in deren Grenzen mehr als 450.000 Einwohner leben, da diese Städte in stadtsoziologischer und institutioneller Hinsicht ein hohes Maß an vergleichbaren Strukturen aufweisen dürften. Offen bleiben muss hier, inwieweit unserer Befunde und Schlussfolgerungen auf Großstädte mit geringeren Bevölkerungszahlen bezogen werden können. Abbildung 9: Untersuchungsfahrplan (Geplante Projektlaufzeit 30 Monate) Quartal
1.
2.
Untersuchungsabschnitte: (1) Bedingungen der Modernisierung: x Staatliche Rahmenbedingungen x Sozioökonomische Entwicklungsbedingungen (2) Steuerung und Mitbestimmung großstädtischer Modernisierung Verw.`modernisierung, x Stadtentwicklung x polit. Führung/ Bürgerbeteiligung x Wandel der Arbeitsbeziehungen Workshops/Projektbeirat
3.
P
4.
.
5.
P/W
6.
7.
8.
W
9.
10
P.
P Zwischen - bzw. Abschlussbericht
In Zusammenarbeit mit dem Projektbeirat der HBS wurde das Arbeitsprogramm des Projektes in der in Abbildung 9 dargestellten Form aktualisiert. Der Untersuchungsfahrplan des Projektes wurde dem aktualisierten Arbeitsprogramm angepasst. Für Berlin, Hamburg und Bremen konnten die Ergebnisse des von der HBS geförderten Projektes über die Modernisierung des öffentlichen Sektors in den Stadtstaaten genutzt werden (Prigge, Prange, Bovenschulte 1999).
Projektkonzept
2.3.2
31
Untersuchungsmethode
Die Untersuchung des großstädtischen Regierens wird auf den Forschungsansatz des akteurszentrierten Institutionalismus (Scharpf 2000, Mayntz 2002) gestützt Er wurde von Mayntz, Scharpf (1995) als eine Schule der vergleichenden Policy-Analyse (Schmidt 1997: 213) begründet. Dieser Untersuchungsansatz gilt gegenüber neueren Varianten der Korporatismus-Forschung in der Governance-Perspektive (Naschold et al. 1994, Klenk/Nullmeier 2003), der Policy-Netzwerk-Analyse (Windhoff-Hèretier 1996) sowie der Verwaltungswissenschaften (Schuppert 2000) als anschlussfähig (Mayntz, Scharpf 1995:13 u. 20). Das Untersuchungskonzept des Projekts steht in der Tradition der Public Governance-Diskussion. Es wurde erstmalig in dem von der Hans-BöcklerStiftung des DGB (HBS) und dem ÖTV-Hauptvorstand geförderten Forschungsprojekt über die Modernisierung des öffentlichen Sektors in den Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen (Stadtstaaten-Projekt) operationalisiert und wird hier weiterentwickelt (Prigge u.a. 1999, 2000, 2001). Die empirischen Erhebungen und Analysen des Projektes bewegen sich vorwiegend auf einer mittleren Untersuchungsebene (Meso-Ebene) des institutionellen Wandels, wobei die Beziehungsstruktur, die Sichtweisen und Handlungskonzepte der in den zu untersuchenden Arenen tätigen relevanten Akteure einbezogen werden und zu interpretieren sind. Der erweiterte und akteursbezogene institutionalistische Ansatz (MüllerJentsch 1996) will eine theoretische Verknüpfung von historischen Prozessen mit je gegenwärtigen institutionellen und verhandlungstheoretischen Komponenten der industriellen Beziehungen leisten. Er geht davon aus, dass die Institutionen und Arenen (der Regulierung von Arbeitsbeziehungen in betrieblichen Modernisierungsprozessen, A.d.V.) Ergebnisse pfadabhängiger Entwicklungen und interaktíver Lernprozesse sind, welche als geronnene Interessenkompromisse die weiteren Interaktionen der Akteure zu regulieren vermögen. Die auf diese Weise entstandenen Institutionensysteme konditionieren demnach die in ihrem Rahmen stattfindenden Aushandlungsprozesse. In Anknüpfung an diese Überlegungen können im Rahmen dieses Projektes strategisch relevante Pfade der Modernisierung großstädtischer Strukturen als Modernisierungsarenen identifiziert werden, die institutionellen und sozioökonomischen Rahmenbedingungen, die Beziehungsstruktur und die aktuellen (Aus-) Handlungskonzepte zwischen den wesentlichen Akteuren beschrieben werden. Bei der Auswahl der Untersuchungsfelder konzentrieren sich Mayntz/Scharpf auf staatsnahe Sektoren, um das Zusammenspiel zwischen Steuerung und Selbstorganisation genauer betrachten zu können. Sie entwickeln
Projektkonzept
32
den akteurzentrierten Untersuchungsansatz am Beispiel staatsnaher Sektoren wie dem Gesundheits- und Telekommunikations- sowie dem Forschungssektor. Wir beziehen diesen Ansatz auf die Großstädte einschließlich ihrer Einbindung in staatliche Regelungsstrukturen und in die Austauschbeziehungen mit den sozioökonomischen Entwicklungsbedingungen. Abbildung 10: Gegenstandsbereiche der interaktionsorientierten PolicyForschung Institutioneller Kontext
Probleme
Akteure, Handlungsorientierungen, Fähigkeiten
Konstellationen
Interaktionsformen
Politische Entscheidungen
Politik - Umwelt
Scharpf 2000:85
Die interaktionsorientierte Policy-Forschung geht von der Annahme aus, „dass politische Entscheidungen als das Resultat von Interaktionsformen zwischen individuellen, kollektiven und korporativen Akteuren anzusehen sind, die von dem jeweiligen institutionellen Kontext, in dem sie stattfinden, beeinflusst werden. Da Arbeitshypothesen nicht von umfassenden Theorien abgeleitet werden können, müssten Partialtheorien oder wohlverstandene Mechanismen in modularen Erklärungen komplexer Fälle kombiniert werden“ (Scharpf 2000: 41/42). Abbildung 10 zeigt den Gegenstandsbereich der interaktionsorientierten PolicyForschung. Bei unseren Untersuchungen über die wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungsbedingungen der Großstädte berücksichtigen wir den Stand der Forschung zum europäischen und deutschen Städtesystem (Krätke 1995, Blotevogel 2000), der Stadt- und Regionalsoziologie (Friedrichs 1995 u. 1997, Häußer-
Projektkonzept
33
mann/Siebel 1987 u. 1995) sowie der Raumordnung und Raumentwicklung (BBR 2002). 2.3.3
Operationalisierungskonzept
Die Untersuchung basiert auf einem interdisziplinären Forschungskonzept der vergleichenden Policy-Analyse. In dem Konzept verbinden wir den Ansatz des akteurszentrierten Institutionalismus mit Ansätzen der Public GovernanceForschung sowie der Stadt- und Regionalforschung. Dieses Vorgehen erscheint uns angemessen, da wir über eine vorwiegend institutionelle Sichtweise hinaus auch die sozialen, ökonomischen und politischen Grundlagen des deutschen Großstädtesystems einbeziehen und die Wechselbeziehungen zwischen den externen Bedingungen und den Strategien großstädtischer Modernisierung analysieren wollen. Unser Konzept, das wir als City Governance-Konzept bezeichnen, verstehen wir als eine Variante der makro-sozialen Analyse. Als makro-soziale Analysen werden bisher vor allem komplexe Untersuchungsvorhaben der international vergleichenden Politikwissenschaften konzipiert, um Zusammenhänge und Interdependenzen, die Prozessualität, die Pfadabhängigkeit, vertikale Differenzierungen und systemische Interdepenzen politisch-institutioneller Entwicklungen näher zu untersuchen. Im Rahmen der makro-sozialen Analyse müssen sich die einzelnen Module der Untersuchung zu einem Gesamtkonzept zusammenfügen und aufeinander beziehen lassen. Die unter Einsatz von qualitativen und quantitativen Methoden gewonnenen Befunde und Schlussfolgerungen lassen sich als Beiträge zu Theorien mittlerer Reichweite debattieren und ausweisen (Mayntz 2002: 18 ff.). Die makro-soziale Analyse des Regierens der größten deutschen Städte haben wir mit den drei Hauptvariablen I.) der Steuerung und Mitbestimmung großstädtischer Modernisierungsprozesse, II.) der sich verändernden staatlichen Rahmenbedingungen und III.) der differenzierten wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung des Großstädtesystems konzipiert (s. Abbildung 11). Für die Untersuchung der strategischen Steuerung des Strukturwandels einer Großstadt und die Entwicklung der Partizipations- und Mitbestimmungschancen wurde der Prozess großstädtischer Modernisierung aufgegliedert. Als Pfade und Arenen der Modernisierung haben wir die Verwaltungsmodernisierung, die politische Führung einschl. der Bürgerbeteiligung, Strategien der Stadtentwicklung sowie den Wandel der Arbeitsbeziehungen näher untersucht. Die Untersuchung wurde so angelegt, dass Vergleiche zwischen den Großstädten sowohl innerhalb einzelner Modernisierungspfade als auch zwischen der Modernisierungspolitik der Großstädte möglich sind. Als externe Bedingungen
34
Projektkonzept
großstädtischer Modernisierung werden der Wandel der staatlichen Rahmenbedingungen und die wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungsbedingungen der Großstädte näher analysiert. Gefragt wird im Bereich der staatlichen Rahmenbedingungen weiter nach der Architektur des Großstädtesystems, dem Wandel kommunaler Selbstverwaltung einschließlich der Gemeindefinanzen, nach dem Wandel kommunaler Demokratie und der Restrukturierung kommunaler Steuerung. Um die Relevanz unterschiedlicher regionaler Entwicklungsbedingungen für die Großstädte abschätzen zu können, haben wir als Indikatoren bei umfangreichen Datenerhebungen die Bevölkerungsentwicklung, die lokalen Wirtschafts- und Beschäftigungsstrukturen, Merkmale institutioneller Integration und Desintegration sowie der kommunalen Haushaltsstrukturen eingesetzt. Quantitative Datenerhebungen wurden von uns zu den Erhebungszeitpunkten 1990-1995-2000 durchgeführt. Die erstellte Datenbank wurde für Längs- und Querschnittsanalysen genutzt. Mit Hilfe eine Clusteranalyse wurden die Großstädte typisiert. Durch die Untersuchungen sollen Antworten auf die Frage nach der Konstruktion, dem Wandel und der Dynamik, den relevanten Steuerungsformen und zentralen Entwicklungsproblemen des Systems der größten Städte gegeben werden. Wir erwarten Erkenntnisse über den Wandel staatlicher Rahmenbedingungen, das Ausmaß und die Wirkung regionaler Entwicklungsunterschiede und die Ausgestaltung und Wirkung großstädtischer Modernisierungspolitik. Außerdem soll die Wechselwirkung zwischen den externen Rahmenbedingungen und den angewandten Strategien großstädtischer Modernisierung analysiert werden. Den Untersuchungsbericht schließen wir mit einem Kapitel über die Ausprägungen der Modernisierungspolitik der großen Städte. Damit wollen wir die Stärken und Schwächen der großstädtischen Modernisierungspolitik thematisieren und die für die Großstädte förderlichen und restriktiv wirkenden externen Bedingungen aufzeigen. Abschließend entwerfen wir eine Strategiekarte für das Regieren großer Städte im Rahmen einer kooperativen Stadtpolitik.
Projektkonzept
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Abbildung 11: Operationalisierungskonzept
Bedingungen und Strategien Großstädtischen Regierens (Operationalisierungskonzept)
ENTWICKLUNG DER RAHMENBEDINGUNGEN I. Wandel staatlicher Rahmenbedingungen x Architektur des Großstädtesystems x Wandel der kommunalen Selbstverwaltung x Wandel kommunaler Demokratie x Restrukturierung großstädtischer Steuerung Empirische Methoden: x Literatur- und Dokumentenanalysen, Expertengespräche II. Differenzierte sozioökonomische Entwicklungsbedingungen der Großstädte x Bevölkerungsentwicklung x Wirtschafts- und Beschäftigungsstrukturen x Soziale Integration x Kommunale Haushalte Empirische Methoden: x Aufbau einer Datenbank x Indikatorenbezogene Quer- und Längsschnittanalysen x Typisierung und Gruppierung der Großstädte ( Clusteranalyse)
ANGEWANDTE MODERNISIERUNGSSTRATEGIEN
III. Steuerung und Mitbestimmung großstädtischer Modernisierungsprozesse Pfade der Modernisierung x Verw`modernisierung/ Zentrale Ressourcensteuerung x Ansätze der Stadtentwicklung x Politische Steuerung und Bürgerbeteiligung x Wandel der Arbeitsbeziehungen Empirische Methoden: x Dokumentenanalyse, Expertenìnterviews x Pfadbezogene Potentialanalyse x Erstellung von Großstadtporträts x Pfadbezogene Bilanzierung x Analyse der Muster und Wirkungszusammenhänge großstädtischer Modernisierungspolitik
Befunde und Schlussfolgerungen:
Das andere Regieren der großen Städte
Projektkonzept
36
2.4
Anlass, Ziele und Adressaten der Untersuchung
Großstädte eigneten sich schon immer deswegen als ein Feld für größere wissenschaftliche Untersuchungen, da sie auf Grund ihrer Komplexität einen besonderen Brennpunkt der gesellschaftlichen Entwicklung bilden. Fragen nach der Regierungsfähigkeit der Großstädte und der Steuerung ihrer wirtschaftlichen, sozialen und politischen Entwicklung haben durch die Wiedervereinigung Deutschlands und das Voranschreiten der europäischen Integration eine neue Aktualität erhalten. Mit dem Forschungsprojekt wird in methodischer Hinsicht ein neues Kapitel der Policy-Analyse aufgeschlagen und Neuland betreten. Während bisherige politikwissenschaftliche Untersuchungen überwiegend mit den zwei Hauptvariablen der staatlichen Regelungsstrukturen und den Steuerungskapazitäten der Großstädte arbeiteten, bezieht das Großstädte-Projekt als dritte Hauptvariable die besonderen sozioökonomischen Entwicklungsbedingungen der Stadtregionen mit ein. Mit dem Großstädte-Projekt sollen Erkenntnisse darüber gewonnen werden, wie die Großstädte in staatliche Rahmenbedingungen eingebunden sind, welcher Wirkungszusammenhang zwischen regionalen Entwicklungsbedingungen und der großstädtischer Modernisierung besteht und welche speziellen Regelungsstrukturen, Akteurkonstellationen und Handlungsmustern sich in den Großstädten unter diesen Bedingungen herausbilden konnten. Die Untersuchungen erstrecken sich nach der Wiedervereinigung Deutschlands auf einen Zeitraum von zehn Jahren und betreffen die Wechselbeziehungen zwischen den Modernisierungsstrategien der Großstädte, dem Wandel staatlicher Rahmenbedingungen und den differenzierten sozioökonomischen Entwicklungsbedingungen. Die großen Städte werden in der Untersuchung als ein Politikfeld oder Subsystem angesehen, das sich zum Teil neben und außerhalb des institutionell geregelten staatlichen Mehrebenensystems herausgebildet hat. Für die Untersuchungen der großstädtischen Regelungsstrukturen, ihrer Akteurkonstellationen und Handlungsmuster wurde der Ansatz des akteurszentrierten Institutionalismus erweitert und mit dem Public-Governance-Ansatz sowie Ansätzen der Stadt- und Regionalsoziologie verbunden. Mit dem für das Projekt entwickelten Untersuchungskonzept des „City Governance“ wird eine vergleichende Policy-Analyse über das „andere“ Regieren der größten deutschen Städte durchgeführt. Auf diese Weise werden Erkenntnisse über die Konstruktion, den Wandel und die Dynamik, die relevanten Steuerungsformen und die zentralen Entwicklungsprobleme der größten deutschen Städte gewonnen. Die Adressaten der Untersuchungen in Politik, Verwaltungen und Interessenvertretungen werden durch Experteninterviews, bei der Erhebung von Do-
Projektkonzept
37
kumenten sowie über Workshops und den Projektbeirat der Hans-BöcklerStiftung beteiligt. Als Stütze für diesen Kommunikationsprozess wirkt die Homepage des Projektes im Internet (www.iaw.uni-bremen.de/rprigge/ Großstädte/Großstädte-Projekt). Auf der Basis der Ergebnisse des Projektes können für jede der beteiligten Großstädte besondere Auswertungen und Analysen erarbeitet und interessierten Akteuren zur Diskussion gestellt werden.
Die Großstädte zwischen Selbstverwaltung und Rahmensteuerung
3
3.1 3.1.1
39
Die Großstädte zwischen kommunaler Selbstverwaltung und staatlicher Rahmensteuerung
Zur Konstruktion des deutschen Großstädtesystems Großstädte und Großstädtesystem
Städte lassen sich nicht als isolierte Einheiten untersuchen. Ihre Entwicklung steht in einem engen Zusammenhang mit den sozioökonomischen, räumlichen, technologischen, politischen und institutionellen Bedingungen einer Gesellschaft. Wenn etwa 70 % der Bevölkerung in Städten wohne, sind die Problem der Stadt zentrale Probleme der modernen Gesellschaft (Saunders 1987: 11). Trotzdem ist keine allgemeine interdisziplinäre Theorie und Empirie der Stadt bzw. Großstadt verfügbar. Vielmehr überbieten sich die verschiedenen Teildisziplinen der Ökonomie, Soziologie und Geografie, der Politik-, Staats- und Verwaltungswissenschaften darin, nur Teilaspekte der Stadt zu analysieren (Friedrich 1995: 16ff). Wir möchten unsere Analyse der lokalen Politik und ihrer Funktionsbedingungen auf einen disziplinübergreifenden sozialwissenschaftlicher Zugang gründen, wie er in Ansätzen der lokalen Politikforschung zu finden ist. Damit stellt sich uns die Frage, wie wir staatsrechtliche und demokratietheoretische („Kommunalpolitik“), institutionenpolitisch-verwaltungswissenschaftliche („Stadtpolitik“), policy-analytische („Lokale Politik“), finanzwissenschaftliche („Kommunalfinanzen“), sozioökonomische und –ökologische („Regionalökonommie, Stadtentwicklungspolitik“) und soziologisch-zivilisationstheorische („Stadtsoziologie“) Ansätze lokaler Politikforschung für unsere Untersuchung fruchtbar machen können (Blanke/Benzler 1991:11). In der umfangreichen Literatur wird die Stadt häufig nur als administrative Einheit behandelt. Diese Betrachtungsweise greift entschieden zu kurz. Es war Max Weber, der die Doppelstruktur der Städte zutreffend beschrieb, indem er den wirtschaftlich-sozialen Lebensraum der Stadt von dem Stadtgebiet im politisch-administrativen Sinne unterschied. Der sozial-räumliche Bereich der Stadt neige dazu sich auszudehnen und gerate dadurch zu den engeren politisch-
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Die Großstädte zwischen Selbstverwaltung und Rahmensteuerung
administrativen Grenzen der Stadt in Widerspruch. Weber sah die Stadt als einen Marktort (Weber 1980: 732). Die Stadt war aber auch ein Platz der Zuflucht, des Schutzes und der Rechte der Bürger/innen. Wirth (1938) definierte die Stadt über vier Merkmale, und zwar die Größe, die Dichte, die Heterogenität und die Dauerhaftigkeit des Siedelns (Friedrich 1995: 17). Wo aber beginnt das Großstädtische? Eine Antwort auf diese Frage findet man nicht durch einen Blick in das Grundgesetz oder in die Verfassungen der Länder. Als verfassungsrechtliche Institutionen sind die Städte und die Großstädte im Unterschied zu den Kommunen nicht zu identifizieren. Da die Großstädte (mit Ausnahme der Stadtstaaten) wie alle Kommunen in Deutschland in verfassungsrechtlicher Hinsicht als Teil der Verwaltungen der Länder angesehen werden, sind sie auf die verbandsförmige Vertretung ihrer Interessen angewiesen. Die kleinste Mitgliedsgemeinde des Deutschen Städtetages, dem Interessenverband der deutschen Städte, verfügt über etwas mehr als 10.000 Einwohner, Berlin als größte Mitgliedskommune über knapp 3,4 Millionen Einwohner (staedtetag.de: 2003). Diese Spannbreite zeigt, dass die genauere Analyse von Problemen und Prozessen kommunaler Entwicklung erst möglich wird, wenn die Untersuchungen auf einen städtischen Entwicklungstyp konzentriert werden. Infolgedessen haben wir das Untersuchungsfeld auf die der Einwohnerzahl nach fünfzehn größten deutschen Städte begrenzt. Damit definieren wir für unsere Untersuchung die Großstadt als eine urbane Einheit, die mindestens etwa 450.000 Einwohner hat. Blotevogel (2000:148) sieht Städtesysteme als Gruppen von Städten, die arbeitsteilig durch Leistungsaustausch miteinander verbunden sind. Sie zeigen seiner Einschätzung nach in der Regel eine hierarchische Ordnung. Diese ergebe sich aus den Ansätzen der interdisziplinären Stadtforschung und beruhe auf der Theorie des Rank Size Rule (Größenranking) und der Theorie zentraler Orte. Danach beruht die hierarchische Ordnung des Städtesystems auf mehreren Faktoren: x der hierarchischen Organisation des politisch-administrativen Systems, x den mit der Stadtgröße zunehmenden Agglomerationsvorteilen, die die Standortwahl privater Unternehmen, vor allem des Dienstleistungssektors beeinflussen, x den Urbanisationsvorteilen, die Zeitvorteile für die Verfügbarkeit von Informationen durch den Zugang zu Spezialisten bieten. Eine politikwissenschaftliche Analyse des lokalen Regierens durch Großstädte kann sich demnach nicht auf ein institutionell abgesichertes Terrain stützen.
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Sie ist gehalten ihren Gegenstand in drei Richtungen zu erweitern: a)
um die Einbindung der lokalen Politik in die vertikale Politikverflechtung, und zwar sowohl im Sinne der „intergovernmentalen“ Beziehungen als auch des „interorganizational policy-making“;
b) um die horizontale Vernetzung verschiedener sektoraler Politikbereiche auf der lokalen Ebene über die kommunalen Institutionen hinaus unter Einbeziehung differenzierter Akteursbeziehungen sowie c)
um die räumlichen Entwicklungsprozesse, damit historisch begründete, veränderte politische und administrative Handlungsanforderungen sichtbar werden (Blanke/Benzler 1991: 12).
Das Konzept des Europäischen Städte-Systems beruht nach Krätke (1995: 144) auf der Vorstellung, dass Wirtschaftsräume durch sozialökonomische Verflechtungsbeziehungen strukturiert werden. Das Städtesystem soll nach einer Prognose im Zuge der europäischen Integration auf zweierlei Ebenen eine neue Polarisierung erfahren. Zum einen werden verstärkte Entwicklungsdifferenzen zwischen den Stadtregionen im jeweiligen nationalen Wirtschaftsraum erwartet, zum anderen entstehe eine akzentuierte Polarisierung zwischen den städtischen Entwicklungstypen im gesamteuropäischen Maßstab. Die europäische Entwicklung könnte die Global Cities und die metropolitanen Stadtregionen begünstigen. Auf der anderen Seite müssten die vom Netz der metropolitanen Stadtregionen abhängigen Zentren von nationaler Bedeutung sowie die vom europäischen Produktionszusammenhang abgekoppelten Städte um neue Entwicklungschancen konkurrieren. Das deutsche Städtesystem wird als ein nationales Städtesystem beschrieben, dem Städte angehören, die untereinander durch eine Arbeitsteilung verflochten sind und zwar enger als mit den Städten jenseits der Staatsgrenze (Häußermann 2000: 74). In der Zeit der europäischen Integration und Globalisierung der Wirtschaft gehe der Grad der Geschlossenheit der nationalen Städtesysteme allerdings ständig zurück. Das deutsche Städtesystem sei dabei, mit dem europäischen und globalen Stadtsystem zu verschmelzen. Häußermann hält dem Wunsch- oder Leitbild einer Metropole das Gegenbild eines funktional differenzierten Stadtsystems entgegen, das offener und flexibler sein kann als ein zentralistisches. Von Innovationsforschern werde heute in der Regel das Städtesystem als ein durch komplementäre Funktionsspezialisierung miteinander verbundenes Städtenetz verstanden. Metropole sei ein Begriff, der einem hierarchischem Ordnungssystem entstamme. In modernen Organisationskonzepten spielten Zentralen eine geringere Rolle als in früheren. Delegation von Verantwortung, Dezentralisierung von Entscheidungen, Kon-
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kurrenz von Unternehmensteilen miteinander, das seien Rezepte für Innovation und zur Steigerung von Produktivität: Nicht ein Zentrum, sondern viele Zentren, nicht hierarchische Kommunikation, sondern Vernetzung, nicht zentral gesteuerte Arbeitsteilung, sondern Entfaltung der verschiedenen Begabungen im Wettbewerb und in arbeitsteiliger Kooperation unter fairen, förderlichen staatlichen Rahmenbedingungen. Die dezentrale, föderale Struktur des deutschen Bundesstaates hat sich in der Zeit der politischen und ökonomischen Teilung Deutschlands befestigt und wurde durch die Wiedervereinigung fortgeschrieben. Nationalstaaten mit einer zentralistischen Struktur wie Großbritannien, Frankreich und Portugal haben am deutlichsten Metropolen herausgebildet: Paris, London, Lissabon. Nationen mit föderaler Tradition wie Deutschland, die Schweiz oder die Niederlande kennen demgegenüber keine eindeutige Dominanz der Hauptstadt oder Metropole. Es ist das Verdienst von Häußermann, darauf hingewiesen zu haben, dass der Metropolenbegriff von institutionalisierten, hierarchischen Systemen ausging und heute wohl eher als kulturelles Leitbild verstanden werden sollte. Städte wie Metropolen stehen nämlich möglicherweise vor ähnlichen Problemen: x
Arbeitsmarktprobleme, d.h. die ökonomische Integration der Stadtgesellschaft,
x
Umweltprobleme, d.h. die Durchsetzung einer ökologisch verträglichen Wirtschafts- und Lebensweise,
x
die soziale Polarisierung durch wachsende Ungleichheit,
x
die Integration der Stadtgesellschaft in kultureller Hinsicht, also die Realisierung einer multikulturellen Gesellschaft,
x
die Mobilitätsprobleme in den Städten.
„Metropole ist (deshalb) überall, wo an der Bewältigung unserer Zukunftsprobleme gearbeitet wird.“ (Häußermann 2000:79). 3.1.2
Entwicklungsdimensionen der Großstadtregion
Während Stadtökonomen und Wirtschaftsgeografen lieber die Austauschbeziehungen zwischen den großen Städten in den Blick zu nehmen scheinen, richten die Stadtsoziologen ihr Erkenntnisinteresse bisher vorwiegend auf die Binnenverhältnisse der Städte. Nach einer Definition zeichnet sich die Stadtsoziologie „durch ein spezifisches theoretisches und empirisches Interesse an den miteinander verbundenen Prozessen der gesellschaftlichen Konsumtion, der politischen Konkurrenz und der Kommunalverwaltung im Kontext des Spannungs-
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verhältnisses zwischen Profitprinzip des Privatsektors und den sozialen Bedürfnissen, zwischen strategischer Planung und demokratischen Verantwortung sowie zwischen der zentralisierten Leitung und der lokalen Autonomie“ aus (Saunders 1987: 251). Der Wandel der „Europäischen Stadt“1 wird von namhaften Stadtsoziologen unter den Aspekten des Wandels der Stadtgestalt, der Frage nach einer neuen Urbanität, des Wandels der Stadtpolitik und der Zukunftsfähigkeit thematisiert: Danach ist sie (1.) der Ort, an dem die bürgerliche Gesellschaft entstanden ist. Deshalb sei sie auch (2.) ein geschichtlicher Ort der Emanzipation, der Auseinandersetzung um Einfluss und Herrschaft gesellschaftlicher Gruppen. Die europäische Stadt ist gleichzeitig (3.) Ort einer besonderen urbanen Lebensweise, durch die sich die Stadtbewohnerinnen und Stadtbewohner von den Landbewohnern unterscheiden. Außerdem sei die europäische Stadt (4.) ein Produkt von bewusster Planung und staatlicher Intervention. Sie habe historisch gesehen immer wieder erfolgreich in das Marktgeschehen interveniert (z.B. durch das Planungs- und Baurecht, durch sozialen Wohnungsbau etc.). Die europäische Stadt habe (5.) als sozialstaatlich regulierte Stadt durch die öffentliche technische und soziale Infrastruktur ein Kapitel sozialer Integration geschrieben (Siebel 2004: 13 ff.). Die großstädtische, urbane Lebensweise ist durch die besondere Polarität von Öffentlichkeit und Privatheit, durch das Gegenüber von Marktplatz und Wohnung gekennzeichnet (Bahrdt 1998:83). Die Polarität der städtischen Lebensweise kann in fünf Dimensionen analysiert werden: a)
Die soziale Dimension betont, dass das städtische Alltagsleben in Sphären des öffentlichen Raums als Vorderbühne und des privaten Raumes als Hinterbühne differenziert werden könne.
b) In funktionaler Hinsicht sind Platz und Straße als öffentliche Räume den Funktionen Markt und Politik zuzuordnen, während den privaten Räumen von Betrieb und Wohnung von den Funktionen der Produktion und Reproduktion erfüllt würden. c)
1
In juristischer Hinsicht steht der öffentliche Raum unter öffentlichem Recht, während der private Raum unter dem privaten Hausrecht des Eigentümers falle, woraus sich eine besondere Macht zur Nutzung der Räume ableiten lasse.
So der Titel des von Walter Siebel zum sechzigsten Geburtstag von Hartmut Häußermann herausgegebenen Sammelbands (Siebel 2004).
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d) In materiell-symbolischer Hinsicht gibt es ein breites Repertoire an architektonischen und städtebaulichen Ausdrucksformen, die Zugänglichkeit oder Exklusivität von Räumen verheißen. e)
In normativer Hinsicht hat das Ideal bürgerlicher Öffentlichkeit demokratischen Strukturen zum Durchbruch verholfen und die Integration einer sich ausdifferenzierenden Stadtgesellschaft ermöglicht. (Siebel 2004:15).
Die beschriebenen Analysedimension der urbanen Lebensweise weisen eine große Affinität zu den sozialen, ökonomischen, institutionellen, räumlichen und demokratischen Analysedimensionen auf, mit denen wir nach unserem Projektkonzept die Prozesse und Steuerungsformen der großstädtischen Entwicklung und Modernisierung untersuchen wollen (vgl. Kap. 2.2.2). Seit dem Beginn der 1990er Jahre wird unter Stadtplanern, Stadtsoziologen und Architekten verstärkt über die Krise der Stadt diskutiert. Beklagt wird der Verlust von Urbanität als Folge eines seit langem zu beobachtenden Auflösungsprozesses der überschaubaren, kompakten stadträumlichen Strukturen. Konstatiert wird die schwindende Attraktivität der Innenstädte, der Bedeutungsschwund der Kernstadt gegenüber der Peripherie und Region. Die Stadt werde verlandschaftet, die Landschaft verstädtert. In der neuen Zwischenstadt drohe der Verfall öffentlichen Lebens und der Stadtdiskurse. Die Zweiteilung der Stadtgesellschaft führe zu einer internationalisierten und einer lokalen Welt (Wilhelm 2002: 15). Die großen Städte sind für Häußermann/Siebel Brennpunkte des sozialen Wandels, seine Motoren und seine Opfer. Der Wandel räumlicher Strukturen ist für sie kein automatischer Reflex des sozialen Wandels sondern eine Mischung aus überlokaler Determination und lokaler Filterwirkung (Häußermann, Siebel 1995: 91 u. 97). Große Städte bestehen in sozialräumlicher Hinsicht aus einem Zentrum und der Peripherie, der Innenstadt und den Stadtteilen. Um das Zentrum liegt häufig eine erste Zone innenstadtnaher Stadtteile, in einer zweiten und auch dritten städtischen Zone können weitere Stadtteile liegen, die manchmal auch eingemeindet wurden. Der Stadtteil lässt sich sozialräumlich noch in verschiedene Wohnquartiere aufgliedern. Die Innenstadt ist häufig durch eine Polarisierung in einen für den Einzelhandel und für höherwertiges Wohnen modernisierten sowie einen noch sanierungsbedürftigen Teil gekennzeichnet. In den innenstadtfernen Stadtteilen kommt es eher zu einer Entmischung von Arbeiten und Wohnen. Das Bild einer Großstadt ist naturgemäß stark von ihrer spezifischen Lage und Geschichte geprägt. Dies betrifft auch das Verhältnis der Stadt zu ihrer Region.
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Abbildung 12.: Modell einer Stadtregion
Boskoff 1970 (entnommen: Friedrich 1995: 17)
Abbildung 12 zeigt das Modell einer Stadtregion. Es bildet die Stadt in ihren administrativen Grenzen als Kernstadt (central city) ab. Daran schließt sich die suburbane Zone (Umland) an mit zwei Typen darin gelegener Orte (suburbs Vororte). Im Westen der Stadt sind es Wohnvororte (residential suberbs), im Osten der Stadt Industrie- bzw. Gewerbe-Vororte (industrial suberbs). Auf die Zone des weiteren Umlands (urban frings) folgt eine Zone, in der zwei Typen von Gemeinden liegen: Kleinere Gemeinden mit überwiegender Wohnbebauung (exurbia) und Trabantenstädte (satellite citiers) (Friedrich 1995: 18). Auf Grund der um sich greifenden Prozesse der Suburbanisierung verlieren die Großstädte Arbeitsplätze und zumeist gut verdienende Einwohner an die Vororte, während in sozialer Hinsicht unterprivilegierte Bevölkerungsschichten die Anonymität der Großstadt suchen. Die Vororte profitieren von der Suburbanisierung. Sie gewinnen Einwohner und Arbeitsplätze und verfügen über die öffentlichen Finanzmittel, um ihre kommunale Infrastruktur auszubauen. Die Großstädte bleiben demgegenüber auf den Folgen der Massenarbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung sitzen. Sie verlieren häufig Einwohner und Unterneh-
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men als Steuerzahler. Ohne ausreichende staatliche Unterstützung und einen Interessenausgleich mit den Umlandgemeinden fällt es den Großstädten immer schwerer, die kommunale Infrastruktur und die soziale Integration in den Ballungszentren aufrecht zu erhalten. Die Verwaltungsgrenzen der Großstadt umfassen heute zumeist nur das Gebiet der Kernstadt, während die Vororte eigenständige Gemeinden außerhalb der Großstadt bilden. Die Stadtregionen verfügen bisher nur im Ausnahmefall über einen eigenen festen institutionellen Kern mit eigener demokratischer Legitimität. Es überwiegen gegenwärtig noch weiche Formen der interkommunalen Kooperation, die aber kaum dazu geeignet sind, gegensätzliche Interessen zwischen der Kernstadt und den Umlandgemeinden zu überwinden. Zwischen den Stadtteilen vor allem größerer Städte und in den Stadtregionen können sich die Lebensbedingungen unterschiedlich entwickeln und polarisieren. Krätke zeichnet das Bild der vielfach geteilten Stadt, nämlich der Stadt des Luxus, der gentrifizierten Stadt, der mittelständischen Stadt, der MieterStadt sowie der aufgegebenen Stadt (Krätke 1995: 158 u. 174). Dieses Bild der inneren Differenzierung einer Stadtregion provoziert Fragen danach, welche Leitbilder, Konzepte und Strategien der Stadtentwicklung von den Großstädten verfolgt werden sollen und können. Die These von der Entzentralisierung der Stadt und einer polyzentrischen Stadtentwicklung geht von einem Bedeutungsverlust der Innenstadt aus und gibt den Stadtteilen und der Region ein größeres Eigengewicht (Herrlyn 1998). Drohen die Städte wirklich in der Region aufund unterzugehen? Wie gestalten sie die regionale Kooperation mit den Umlandgemeinden? Vor diesem Hintergrund müssen Fragen nach der für die Entwicklung der deutschen Großstädte angemessenen Stadtentwicklungspolitik, nach den institutionellen Strukturen und Akteursbeziehungen, nach der Steuerung, demokratischen Legitimation und Mitbestimmung der Modernisierungsprozesse in den Großstädten und in der Stadtregion neu beantwortet werden: a)
Behindern oder fördern die staatlichen Rahmenbedingungen die Entwicklung der Großstädte und Stadtregionen?
b) Lassen die kommunalen Regelungsstrukturen den Großstädten die für ihre Größe und Aufgaben angemessenen Handlungsspielräume? c)
Muss das Beziehungsgeflecht zwischen dem Bund und den Ländern sowie den Großkommunen und Umlandgemeinden im Bereich von Stadtregionen neu justiert werden?
d) Wie zentral und wie dezentral werden bzw. müssten großstädtische Demokratie und Verwaltung organisiert werden.
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3.1.3
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Ursprung und Wandel kommunaler Selbstverwaltung
Die Beziehung zwischen den Kommunen und Großstädten einerseits sowie Bund und Länder andererseits wird in politischer und administrativer Hinsicht durch das Verfassungsinstitut der kommunalen Selbstverwaltung strukturiert. Die kommunale Selbstverwaltung geht in Deutschland im Wesentlichen auf die preußische Städteordnung von 1808 des Freiherrn von Stein zurück. Sie hatte zum Ziel, das bürgerschaftliche Engagement enger mit dem Staat zu verbinden, um den Gegensatz zwischen Obrigkeit und Untertan zu überwinden und durch selbstverantwortliche Beteiligung der Bürgerschaft an der öffentlichen Verwaltung auf der Kommunalebene den Gemeinsinn sowie das Interesse des Einzelnen neu zu beleben und zu kräftigen (Inhester 1998: 38). Die preußische Städteordnung sah vor, dass Gemeinden bereits mit mehr als 800 Einwohnern räumlich geteilt wurden und eine kommunale Untergliederung zu bilden hatten. Die Städteordnung beschränkte damals die Beteiligung der Bürger auf die Angehörigen der Besitz- und Bildungsschicht. Die restaurativen Tendenzen der deutschen Monarchien führten jedoch zu einem Scheitern der Reformbewegung. Das Bürgertum betrachtete nun die Selbstverwaltung der Städte als politische Organisationsform und setzte sie als gesellschaftliche Eigenverantwortung der staatlichen Verwaltung entgegen. Der Begriff der Selbstverwaltung wurde zu einem Schlagwort zum Schutze der individuellen Freiheit und zur Errichtung eines konstitutionellen Rechtsstaates. Nach der Lehre von Rudolf von Gneist sollte die Selbstverwaltung eine Mittlerstelle zwischen Staat und bürgerlicher Gesellschaft einnehmen. Es sollte sowohl die staatliche Einheit als auch die politische und bürgerliche Freiheit gewährleistet sein. Gneist sah im damaligen England die organische Verbindung zwischen Staat und Gesellschaft als verwirklicht an. Er definierte die Selbstverwaltung in Anlehnung an das Prinzip des klassischen Selfgovernment als „eine innere Landesverwaltung der Kreise und Ortsgemeinden nach den Gesetzen des Landes durch persönliche Ehrenämter unter Aufbringung der Kosten durch kommunale Grundsteuern“ (von Gneist 1863 und 1871, zit. nach Inhester 1998: 40). Selbstverwaltung bedeutete danach die Ausübung von Verwaltungsbefugnissen durch Personen, die aus dem Staatsdienst nicht ihren Lebensberuf machten. Mitte der 1870er Jahre rückte der juristische Körper der kommunalen Selbstverwaltung in das Blickfeld der deutschen Staats- und Verwaltungsrechtslehre. Der Selbstverwaltung im politischen Sinne nach Gneist wurde der Begriff der Selbstverwaltung im juristischen Sinne gegenübergestellt. Für Paul Laband war Selbstverwaltung „ein öffentlich-rechtliches Subject, das zwischen den Staat und den Einzelnen gestellt ist und das vom Staat zur Durchführung seiner Aufgaben verwendet wird“ (Inhester 1998:38). Damit war der Begriff der
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Selbstverwaltung nicht mehr an die zur Mitwirkung berufenen Bürgerinnen und Bürger sondern an den rechtsfähigen Staatsverband gebunden. In der Weimarer Republik wurde der Begriff der Selbstverwaltung unter Fortführung der positivistischen Rechtslehre mehr und mehr zu einem formalen Begriff, um den legitimen Bereich der überörtlichen Staatsverwaltung von dem der Lokalverwaltung abzugrenzen. In der Weimarer Republik wurden die kommunalen Gebietskörperschaften uneingeschränkt in den Bereich organisierter Staatlichkeit eingefügt. Als Ausübung abgeleiteter Staatsgewalt war kommunale Selbstverwaltung daher mittelbare Staatsverwaltung. Geschützt war die kommunale Selbstverwaltung als solche. Die verfassungsrechtliche Absicherung der Gemeinden beruhte nach fast einhelliger Meinung der Weimarer Staatsrechtslehre nicht auf der Idee einer grundrechtsgeschützten Sphäre, sondern auf der Institutionalisierung der in der Örtlichkeit verwurzelten selbständigen Rechts- und Verwaltungseinheiten. Unter der nationalsozialistischen Diktatur wurde die kommunale Selbstverwaltung im Zuge des Umbaus der gesamten öffentlichen Ordnung in einer strengen Hierarchie gleichgeschaltet. Nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes wurden die kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften wieder in ihre Rechte eingesetzt. Die Unterscheidung zwischen politischer und juristischer Selbstverwaltung lebte wieder auf. Danach ist Selbstverwaltung ihrem Wesen und ihrer Intention nach „Aktivierung der Beteiligten für ihre eigenen Angelegenheiten, die die in der örtlichen Gemeinschaft lebenden Kräfte des Volkes zur eigenverantwortlichen Erfüllung öffentlicher Aufgaben der engeren Heimat mit dem Ziel zusammenschließt, das Wohl der Einwohner zu fördern und die geschichtliche und heimatliche Eigenart zu wahren. Selbstverwaltung im juristischen Sinne bedeutet die selbständige, fachweisungsfreie Wahrnehmung enumerativ oder global überlassener oder zugeteilter eigener öffentlicher Angelegenheiten durch unterstaatliche Träger oder Subjekte öffentlicher Verwaltung im eigenen Namen“ (Inhester 1998: 43f). Art. 28 des Grundgesetzes (GG) enthält in Absatz 1 und 3 eine Bundesgarantie für die Länderverfassungen und in Absatz 2 die Gewährleistung der kommunalen Selbstverwaltung. Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern muss danach den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne des Grundgesetzes entsprechen. In den Ländern, Kreisen und Gemeinden muss das Volk eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgeht. Den Gemeinden und Gemeindeverbände muss das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Die Gewährleistung der kommunalen Selbstverwaltung umfasst formal auch die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung.
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Kommunale Selbstverwaltung besteht nach der verfassungsmäßigen Konstruktion des Grundgesetzes aus zwei Kernaufgaben: a) der Organisation der lokalen Verwaltungsangelegenheiten und b) ihrer demokratischen Legitimation durch die Bürgerinnen und Bürger. In das Institut der Kommunalen Selbstverwaltung ist durch die Regelung der Verfassung ein hybrider Steuerungsmechanismus eingelagert worden. Während in den Kommunalverwaltungen bisher die hierarchische Steuerung überwog, waren die politischen Prozesse vor allem durch die Konkurrenz der Parteien und politischen Gruppen geprägt (Naschold 1997). Ob und inwieweit unter diesen Bedingungen eine gesamtstädtische Steuerung des kommunalen Sektors überhaupt möglich und durch welche Governancestrukturen diese gekennzeichnet ist, soll durch die weiteren Untersuchungen näher geklärt werden. Deutschland hat sich mit dem Grundgesetz für einen zweistufigen Staatsaufbau mit dem Bund und den Ländern entschieden, innerhalb der Länder für einen auf kommunale Selbstverwaltungskörperschaften beruhenden Staatsaufbau. Die Gemeinden und Gemeindeverbände gehören verfassungsrechtlich damit zum Organisationsbereich der Länder und üben als Verwaltungsträger staatliche Gewalt aus, die sich nach Art. 28 i.V. mit Art. 20 GG vom Volk ableiten muss. Die kommunale Selbstverwaltung ergänzt als Ausdruck einer verfassungsrechtlichen Grundentscheidung für eine dezentrale Organisation von Staat und Verwaltung den föderalen Staatsaufbau. Die Ausgestaltung des Kommunalwesens fällt nach dem Verfassungsaufbau der Bundesrepublik damit in die ausschließliche Verfassungskompetenz der Länder, da nach Art. 30 GG die Ausübung staatlicher Befugnisse und die Erfüllung staatlicher Aufgaben Sache der Länder ist (Inhester 1998). In der kommunalwissenschaftlichen Lehre und in der Rechtsprechung setzte sich folgerichtig bald die Meinung durch, dass die Gemeinden über keine grundrechtsgleichen Rechte verfügen und das Recht der Selbstverwaltung nach Art. 28 Abs. 2 GG den Gemeinden und Gemeindeverbänden lediglich institutionell gewährleistet ist. 3.1.4
Die Vernetzung großstädtischer Interessen im staatlichen Mehrebenensystem
Das staatliche Mehrebenensystem kennt bisher die institutionell ausgeprägten Handlungsebenen der Kommunen als lokale Ebene, der Länder als regionale, des Bundes als nationale Ebene sowie die Europäische Union (EU) als europäische Ebene (s. Abbildung 13). Hinzu kommen noch die supranationalen Institutionen, die im Weltmaßstab operieren (z.B. die Vereinten Nationen mit ihren Tochterorganisationen). Offen ist derzeit, inwieweit sich zwischen der lokalen kommunalen und der von den Ländern gebildeten regionalen Handlungsebene noch institutionelle Zwischenformen etablieren können und sollen, die über
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einen festen institutionellen Kern verfügen und die sich politisch und demokratisch legitimieren können (vgl. z.B. die Entwicklung der Stadtregionen und der europäischen Metropolregionen). Die lokale Handlungsebene kann noch weiter in eine subkommunale Ebene ausdifferenziert werden. Damit sind im Falle der Großstädte die Stadtbezirke gemeint. Die Großstädte entscheiden in Abhängigkeit von der Kommunalverfassung der Bundesländer darüber, welche demokratischen Rechte und Verwaltungsaufgaben sie den Stadtbezirken übertragen. Auf Grund ihrer verfassungsrechtlichen Stellung können die Kommunen ihre Interessen im modernen, mehrstufigen Staatsaufbau nur durch ihre Verbände und über vernetzte Strukturen wahrnehmen. Als Spitzenverbände der Kommunen wurden der Deutsche Städtetag, der Deutsche Städte- und Gemeindebund und der Deutsche Landkreistag gegründet. Diese Verbände organisieren sich sowohl regional in Landesverbänden als auch auf Bundesebene. Die Kommunen entscheiden über ihre Mitgliedschaft und entsenden ihre Vertreter in die Gremien der Verbände. Als Interessenverband der Städte fungiert der Deutsche Städtetag, während der Deutsche Städte- und Gemeindebund sich eher auf die kommunale Selbstverwaltung kleinerer Gemeinden stützt und der Deutsche Landkreistag die kommunalen Interessen der Kreise wahr nimmt. Viele Kommunen gehören jedoch mehreren Verbänden an. Im Deutschen Städtetag haben sich 5.700 Städte und Gemeinden mit insgesamt 51 Millionen Einwohnern zusammengeschlossen (staedtetag.de 2003). Der Deutsche Städte- und Gemeindebund repräsentiert nach eigenen Angaben 14.000 Städte mit mehr als 47 Millionen Einwohnern. Dem Deutschen Landkreistag gehören mittelbar alle 323 Landkreise an.
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Abbildung 13: Kommunen und Großstädte im staatlichen Mehrebenensystem Staatliche Regelungsebene Europäische Union (EU-Vertrag)
Bundesrepublik Deutschland (Kommunale Selbstverwaltung nach Art. 28 GG)
Bundesländer (Länder- und StadtstaatenVerfassungen, Gemeindeordnungen der Länder, Stadtstaaten-Regelungen)
Institutionelle Strukturen und Akteure EU-Kommission Ausschuss der Regionen EU-Staaten Bundesländer Kommunale Spitzenverbände (1) Institutionelle Garantie der Kommunalen Selbstverwal tung (2) Übertragung staatlicher Aufgaben auf die Kommu nen (3) Regelung der kommunalen Finanzausstattung zwischen Bund, Ländern (4) Föderative Regelungskompe tenz der Kommunalverfas sung (Ländersache) (5) Lobbyistenstatus für die kommunalen Spitzenverbän de (1) Eine Kommunalverfassung für Großstadt- und Landge meinden, Landkreise (2) Regelung der kommunalen Untergliederung (3) Übertragung von Landesauf gaben auf die kommunale Ebene (4) Regelung der kommunalen Finanzausstattung durch die Länder (5) Spez. Regelungen der Stadt staaten
Entwicklungsprobleme Stellung der Kommunen im Europa der Regionen nach dem Subsidiaritätsprinzip
(1) Dualismus Staat/Kommunen: Kommunen als Teil der Staatsverwaltung (Zweistufi ger Staatsaufbau: Bund/Länder) und/oder Kommunen als Basis der gegliederten Demokratie/ öff. Verwaltung (2) Verknappung kommunaler Finanzausstattung (3) Modernisierungsdruck für die Kommunalverwaltung
Hohe Differenzierung zwischen den Bundesländern und unter den Gemeinden je nach: x Größe/Einwohnerzahl und räumlicher Struktur x Verfassungs- und Leitungstyp x Demokratische Legitimation x Kommunale Untergliederung x Verwaltungsorganisation
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Fortführung Kommunen und Großstädte im staatlichen Mehrebenensystem Staatliche Regelungsebene Kommunen (Hauptsatzung, Geschäftsordnung Organisationsregelungen)
Kommunale Untergliederung
Institutionelle Strukturen und Akteure (1) Demokratische Beteiligungsrechte der Bürger/innen (2) Parteien und Wählergruppen (3) Stellung des/r Oberbürger-meister/in (4) Stadt-/Gemeinderat, Landkreistag (5) Leitung/Aufbau der Verwaltung (6) Arbeitsbeziehungen und Interessenvertretung der Beschäftigten Stadtbezirksbevölkerung Stadbezirks/Ortsschaftsvertetung Stadtbezirks/Ortsschaftsverwaltung Personalvertretung
Entwicklungsprobleme (1) Demokratischen Legitimation der Gemeindevertretung (2) Politisch-administrative Steuerung der Gemeinde (3) Demokratische Legitimation der Stadtbezirksvertretung (4) Modernisierung der Kommunalverwaltung (5) Ausformung der kommunalen Untergliederung
Service der Stadtbezirksverwaltung Kommunale Stadtteildemokratie
Quelle: Prigge 1999
Der Deutsche Städtetag fungiert als Interessenverband aller Städte und ist bemüht, die widersprüchlichen Interessen der verschiedenen Städtegruppen zu integrieren. Wie die Zusammensetzung der politischen Verbandsspitze zeigt, scheinen die Vertreter der größeren Städte jedoch einen starken Einfluss auf die Verbandspolitik zu nehmen. So gehören mehrere Oberbürgermeister der größten deutschen Städte dem Präsidium des Städtetags an. Präsidentin ist zur Zeit Petra Roth (CDU), Oberbürgermeisterin von Frankfurt/Main, ihre Stellvertreter sind Christian Ude (SPD), Oberbürgermeister von München, und Dr. Herbert Schmalstieg (SPD), Oberbürgermeister von Hannover (Stand: 2004). Die Verbandsgeschäftsführung des Deutschen Städtetages ist der administrativen Führungsstruktur großer Städte nachgebildet, d.h. neben der Hauptgeschäftsführung bestehen verschiedene Dezernate. Die politische Spitze des Deutschen Städtetages wird vom Präsidium gebildet. Die kommunalen Spitzenverbände beraten, qualifizieren und unterstützen ihre Mitglieder bei der Erledigung ihrer Aufgaben. Sie führen Delegiertenversammlungen und Tagungen durch und erstellen Gutachten und Stellungnahmen zu Fragen der kommunalen Entwicklung. Diese Hilfestellungen werden von den kommunalen Akteuren in der Politik und in den Verwaltungen geschätzt und als eine wichtige Unterstützung bei der Bewältigung der lokalen Aufgaben angesehen. Von großer Bedeu-
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tung für den fachlichen Wissens- und Erfahrungsaustausch unter den Großstädten sind die regelmäßigen Treffen der Führungskräfte verschiedener Fachbereiche und Steuerungsfunktionen. So gibt es kontinuierlich arbeitende Arbeitskreise und Tagungen der Führungskräfte z.B. aus den Bereichen der Stadtentwicklungsplanung und der „Hauptverwaltungsbeamten“. Die über den Verband vermittelte Kommunikation hat zwar zur Bildung von fachlich hochspezialisierten Netzwerken geführt, ein kontinuierlicher Diskurs über die Zukunft der Großstädte kann auf diese Weise aber nicht gewährleistet werden. In der Öffentlichkeit sind die kommunalen Spitzenverbände als Interessenvertretungen der Kommunen sehr gefragt. Die Verbände nutzen geschickt besonders medienwirksame Formen der Öffentlichkeitsarbeit (z.B. öffentliches Baden der Bürgermeister als Protest gegen die Verschlechterung der Gemeindefinanzen). Bei der Vorbereitung von Gesetzen werden die Verbände von den Ministerialverwaltungen und den politischen Gruppen angehört. Sie organisieren auch die Vertretung kommunaler Interessen auf der europäischen Ebene und gegenüber den Institutionen der EU. Kritisch zu hinterfragen bleibt, ob die Verbände wirklich die differenzierten Interessen ihrer Mitglieder (z.B. der Gruppe der großen Städte) angemessen zur Geltung bringen können und ob die bisher gepflegten Formen der Verbandsarbeit den Wissenstransfer zwischen den Großstädten effektiv genug zu organisieren vermögen. Neben der Interessenvertretung durch die häufig auch konkurrierenden Verbände organisieren sich die großen Städte zunehmend in eigenen Netzwerken. Diese Netzwerke der Großstädte können völlig unterschiedlichen Aufgaben dienen (Städtepartnerschaften, regionale Kooperationen, themenspezifische Transferverbünde etc.). Entsprechend unterschiedlich fällt der Grad ihrer Verbindlichkeit aus: Er reicht von effektiv und verbindlich bis symbolisch und unergiebig. Wichtige Institutionen, die derartige Netzwerke fördern, sind die Bertelsmann-Stiftung und die EU. Als Netzwerkknoten fungieren praktisch auch die großen privaten Unternehmensberatungsgesellschaften, die Aufträge aus dem kommunalen Sektor erhalten. Die Hans-Böckler-Stiftung des DGB hat bis vor kurzem in Kooperation mit anderen Verbänden und Institutionen (ÖTV/VER.DI, Bertelsmann-Stiftung, Deutscher Städtetag, kommunale Arbeitgeber u.a.) ein Netzwerk „Kommunen der Zukunft“ gefördert. Bei derartigen Netzwerken stellt sich für die Großstädte wieder die Frage, inwieweit ihre spezifischen Interessen dort berücksichtigt werden. Der Deutsche Städtetag hat auf seiner 32. ordentlichen Hauptversammlung am 15.05.2003 in Mannheim einen Beschluss zur „Stadt der Zukunft“ gefasst. Der Beschluss formuliert ein Leitbild für die Stadt der Zukunft sowie Strategien zur Umsetzung dieses Leitbildes. Der Beschluss beruht auf einem Projekt, wel-
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ches vom Städtetag selbst initiiert und durchgeführt wurde und das vor allem die fachbereichsübergreifende Vernetzung von Zukunftsentwürfen zum Ziel hatte. Als Grundwerte der Politik in der Stadt der Zukunft werden in dem Beschluss unter A.1.) Lokale Autonomie; Demokratie und Bürgerorientierung; Partizipation und Integration; Ganzheitliche Verantwortung und die Beschränkung der Aufgaben und der Gestaltungsansprüche genannt. Die Ziele der Stadtpolitik lauten nach A.2.) Demokratie stärken, Grundversorgung sichern, Dienstleistungen verbessern, Integration leisten und Wirtschaft und Arbeit fördern. In Teil B.) des Beschlusses werden Strategien zur Umsetzung des Leitbildes beschrieben, die die Stärkung der Demokratie und des Bürgerschaftlichen Engagements, ein neues Verhältnis zwischen Stadt und Wirtschaft und die Neubestimmung des Verhältnisses von Stadt und Region betreffen. Außerdem soll das Gewicht der Städte gegenüber staatlichen Institutionen gestärkt werden, um die finanziellen Handlungsspielräume verbessern zu können. Leitbilder können in Organisationen, wenn sie von den Leitfiguren transportiert werden und bei den Mitgliedern und im Umfeld eine Akzeptanz finden, Gruppen von Akteuren zu weiteren Handlungen anregen. Wenn daraus Handlungsprogramme (Policies) folgen und diese implementiert (Outputs) werden, können sich daraus Wirkungen (Impacts) durch die Adressaten ergeben, die wiederum auf die (groß-) städtischen Regelungsstrukturen (Outcome) zurückwirken könnten (Naschold 1996: 51). Ein solcher zeitraubender Entwicklungsprozess (Policy-Zyklus) unterliegt der Gefahr, dass proklamierte Leitbilder frühzeitig verblassen. Um diesem Schicksal zu entgehen, wird im Interesse einer vordergründigen Akzeptanz des Leitbildes auf Delegiertenversammlungen häufig auf eine eingehende Analyse der Materie verzichtet und zu allgemein gehaltenen Formulierungen gegriffen. Darunter leidet aber dann die Schärfe des Leitbildes. Es findet nicht mehr genug Anerkennung und Zuspruch und wird für die angesprochenen Akteure uninteressant. Die Beschlüsse des Deutschen Städtetags zur Stadt der Zukunft haben für den Verband und die politische Öffentlichkeit vorübergehend eine gewisse Bedeutung erlangt, wegen der Selektivität des Policy-Prozesses ist von dem beschlossenen Leitbild aber keine nachhaltige Wirkung in den Städten zu erwarten.
Die Großstädte zwischen Selbstverwaltung und Rahmensteuerung
3.2
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Die Regelungsstruktur kommunaler Aufgaben und Finanzen
3.2.1
Das Aufgabenspektrum der Kommunen
Das Grundgesetz weist den Gemeinden, Städten und Kreisen sowie den Gemeindeverbänden keine eigenständige „Staatsqualität” zu. Die Kommunen nehmen im staatlichen Mehrebenensystem eine Doppelfunktion wahr, die häufig übersehen wird: x
Sie sind Träger kommunaler Selbstverwaltung und bilden den dezentralen Gegenpol zur staatlichen Zentralgewalt des Bundes und der föderalen Ebene der Länder.
x
Gleichzeitig sind die Kommunen Teil der Länderverwaltungen und führen als solche Gesetze und Aufgaben des Bundes und der Länder aus.
Die institutionelle Garantie nach Art. 28 Abs. 2 GG schützt einen unantastbaren Kernbereich kommunaler Selbstverwaltung. Den Gemeinden ist danach die Allzuständigkeit im örtlichen Wirkungsbereich garantiert. Außerdem ist den Gemeinden das Recht garantiert, diese Aufgaben in eigener Verantwortung zu erledigen. Daraus folgt praktisch ein Aufgabenerfindungsrecht. Die Staatsaufsicht bleibt grundsätzlich auf die Rechtskontrolle beschränkt, so dass die Gemeinden das Entscheidungsrecht über das „Ob“, „Wann“ und „Wie“ für Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft besitzen. Allerdings stehen diese Kompetenzen unter dem Vorbehalt, dass sie nur im Rahmen der Gesetze und damit auch der verfügbaren Finanzmittel Geltung erlangen. Die Gestaltngsrechte des Bundes und der Länder genießen also weiterhin Vorrang (Inhester 1995: 52 ff.). Im föderal organisierten Deutschland konnten sich nach dem zweiten Weltkrieg zunächst unterschiedliche Typen der Kommunalverfassung herausbilden. Unterschieden wurde zwischen der Magistrats- und der Bürgermeisterverfassung sowie zwischen der süddeutschen und der norddeutschen Ratsverfassung (Schefold/Neumann 1996). Maßgebend für diesen Unterschied war der Einfluss der Besatzungsmächte in der Nachkriegszeit. Heute (2004) werden aber die großen Städte mit Ausnahme der Stadtstaaten von direkt gewählten Oberbürgermeistern regiert. Die Süddeutsche Ratsverfassung mit der Direktwahl der Oberbürgermeister, der auch die Verwaltung leitet, hat sich damit mit der Ausnahme, dass in Frankfurt ein modifiziertes Modell der Hessischen Magistratsverfassung angewandt wird, weitgehend durchgesetzt. In den Stadtstaaten wird als Besonderheit die Funktion der Großstadt mit der eines Landes verbunden.
56
Die Großstädte zwischen Selbstverwaltung und Rahmensteuerung
Die Landesregierungen werden dort von den Parlamenten gewählt (Prigge, Prange, Bovenschulte 1999). Die administrative Führung der Städte erfolgt durch fachlich nach dem Ressortprinzip gegliederte Geschäfts- oder Fachbereiche, Dezernate oder Referate, die von politischen Wahlbeamten geleitet werden. Der Wahlmodus unterscheidet sich von Bundesland zu Bundesland. Die Aufgabenstruktur der Gemeinden wird durch eine Vielzahl von Gesetzen und Regelungen bestimmt, die nur schwer zu überschauen sind. Als Wesensgehalt der grundgesetzlich garantierten kommunalen Selbstverwaltung gilt, dass die Kommunen im Rahmen der Gesetze ein Aufgabenbestimmungsrecht haben und folgende “Hoheitsrechte” besitzen: Abbildung 14: Hoheitsrechte der Kommunen a)
Das Recht, auf ihrem Gebiet bestimmte Kompetenzen autoritativ auszuüben (Gebietshoheit).
b)
Das Recht, als juristische Person des öffentlichen Rechts zu handeln (Rechtssubjekthoheit).
c)
Das Recht zur eigenverantwortlichen Ordnung und Gestaltung des Gemeindegebietes (Planungshoheit).
d)
Das Recht, zur Erfüllung ihrer Aufgaben die erforderlichen Organisationsstrukturen einzurichten, öffentliche Einrichtungen zu unterhalten und ihre Tätigkeit durch Rechtsvorschriften zu regulieren (Organisationshoheit).
e)
Das Recht, verbindliche Rechtsnormen wie die Hauptsatzung der Gemeinde, die Haushaltssatzung und weitere kommunale Satzungen zu erlassen (Satzungshoheit).
f)
Das Recht, im Rahmen der Gesetze eigene Einnahmen und Ausgaben zu tätigen (Budgethoheit), einschließlich der Berechtigung, in begrenztem Maße Gebühren, Entgelte, Beiträge und Steuern von ihren Bürgern zu erheben.
g)
Die Befugnis, den Rat und die Verwaltungsspitze zu wählen.
h)
Die Befugnis, Personal auszuwählen, einzustellen, zu befördern, zu entlassen und den spezifischen Einsatz anzuordnen (Personalhoheit).
Auf der anderen Seite sind Selbstverwaltung und Eigenverantwortung dadurch eingeschränkt, dass sie nach dem Grundgesetz an den „Rahmen der Gesetze” gebunden sind, die vom Bund und den Ländern beschlossen werden. Somit können der Bund und die Länder die kommunalen Aufgaben regulieren. Auf diesem Wege ist die Übertragung von staatlichen Funktionen bis auf die Ebene der Kommunen möglich. In diesen Aufgabenbereichen wird dann eine Rechtsund Fachaufsicht ausgeübt, die die Kommunen bindet.
Die Großstädte zwischen Selbstverwaltung und Rahmensteuerung
57
Unterschieden werden können somit grundsätzlich x
kommunale Aufgaben des eigenen Wirkungskreises (weisungsfreie Aufgaben der Kommunen, freie Selbstverwaltungsaufgaben) von den
x
kommunalen Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises (Pflichtaufgaben nach und ohne Weisung sowie im staatlichen Auftrag, Auftragsangelegenheiten, Fremdaufgaben, staatliche Aufgaben in Auftragsverwaltung) (Wehling, Kost 2003:17).
Die Aufgaben des eigenen Wirkungskreises müssen einen engen Bezug zur örtlichen Gemeinschaft haben. Sie dürfen die Finanzkraft der Gemeinde nicht übersteigen. Nur hier hat der Rat der Gemeinde das letzte Wort (s. Abbildung 15). Abbildung 15: Weisungsfreie Aufgaben und staatliche Pflichtaufgaben Weisungsfreie Aufgaben x Unterhaltung bzw. Betrieb von Einrichtungen der Daseinsvorsorge (Strom-, Gas-, Wasserund Verkehrsbetriebe);
Staatliche Pflichtaufgaben x Bau und Unterhaltung von Grund- und Hauptschulen; x
Stadtentwicklungsplanung, Bauleitplanung,
Kulturelle und soziale Einrichtungen;
x
Baulanderschließung;
x
Wirtschaftsförderung;
x
x
Teilaufgaben bei der Förderung des Wohnungsbaues (z.B. im Bereich des Vorhaltens von Grundstücken);
Bau und Unterhalt von Gemeindeverkehrsflächen (Straßen, Plätze, Brücken, Kanäle);
x
Weiterbildung (Volkshochschule);
x
Förderung von Vereinen im örtlichen Bereich;
x
Abwasser- und Abfallbeseitigung;
x
Benennung von öffentlichen Verkehrsflächen (Plätzen, Straßen);
x
Versorgung mit Wasser;
x
Soziale Dienste und Leistungen;
x
Partnerschaftsverhältnisse.
x
Förderung des Wohnungsbaues.
x
Sportanlagen und Badeanstalten;
x
Auf Grund der unterschiedlichen Einbindung der kommunalen Aufgaben in die staatlichen Regelungsstrukturen wäre eine strikte Trennung zwischen Aufgaben des eigenen und des übertragenen Wirkungskreises eigentlich wünschenswert. Über das Verhältnis der Aufgaben des übertragenen staatlichen Wirkungskreises zu dem eigenen kommunalen Wirkungsbereich liegen bisher keine verlässlichen empirischen Untersuchungen vor. Angenommen wird häufig, dass zunehmende staatliche Eingriffe eigenverantwortliches kommunales Handeln erschweren (Scherf/Hofmann 2003: 319).
58
Die Großstädte zwischen Selbstverwaltung und Rahmensteuerung
Die aus der Analyse des Instituts der kommunalen Selbstverwaltung gewonnene These von einem hybriden Steuerungsmodus der Kommunen kann nach dem Blick auf das Aufgabenspektrum der Kommunen nicht nur bestätigt werden, sondern ist noch zu der These von einem komplexen hybriden Steuerungsmechanismus zu erweitern. Diese Komplexität spiegelt sich darin wider, dass insbesondere die Großstädte einen kommunalen Sektor demokratisch zu legitimieren und zu managen haben, der aus der Kernverwaltung, öffentlichrechtlichen Betrieben und privatrechtlich geführten städtischen Gesellschaften besteht und dem in einem weiteren Sinne zudem die von öffentlichen Zuschüssen abhängigen Einrichtungen und Betriebe hingerechnet werden müssten. In Deutschland spielen die Einrichtungen und Betriebe des sogenannten dritten oder gemeinnützigen Sektors bei der Bewältigung kommunaler Aufgaben vor allem im Bereich der lokalen Sozialpolitik eine große Rolle (vgl. z.B. Kindergärten, soziale Beratungsangebote der Wohlfahrtsverbände). Das gesamte Spektrum kommunaler Aufgaben wird - so die Hypothese über mehrere, multipolare Entscheidungszentren und mit unterschiedlichen Akteurkonstellationen gesteuert. Umstritten ist, ob sich die Entwicklung zu einem multipolaren Steuerungsmodus der Kommunen erst mit der Herausbildung von dezentralen Konzernstrukturen ergeben hat (Wohlfahrt, Zühlke 1999:57) oder ob der multipolare Steuerungsmodus gleichsam in das Institut der kommunalen Selbstverwaltung eingelagert ist und mit zunehmender Komplexität kommunaler Aufgaben insbesondere von größeren Kommunen ausgebildet wird. Es ist gerade diese institutionelle Komplexität des deutschen kommunalen Sektors, die Vergleiche mit Entwicklungen des privatwirtschaftlichen Dienstleistungssektors und mit der Entwicklung im öffentlichen Sektor anderer entwickelter Staaten besonders schwierig macht. 3.2.2
Föderale Finanzverfassung und kommunale Haushaltswirtschaft
Die ursprüngliche Finanzverfassung des Grundgesetzes vom 23. Mai 1949 bestand aus einem strikten Trennsystem, in dem die Länder über eigene Finanzquellen verfügen konnten. Die Länder besaßen die alleinige Gesetzgebungs- und Ertragshoheit über die Einkommen- und Körperschaftsteuer. Mit dem Finanzverfassungsgesetz von 1955 wurde diese Regelung zu Gunsten eines Verbundsystems für die besonders ertragreichen Steuern wie die Einkommen- und Körperschaftssteuer geändert, das später mit der Finanzreform von 1967/68 auch auf die Umsatzsteuer ausgedehnt wurde (Schade 2003: 244).
Die Großstädte zwischen Selbstverwaltung und Rahmensteuerung
59
Die Verteilung öffentlicher Aufgaben und Finanzen auf den Bund, die Länder und die Gemeinden soll nach dem Konnexitätsprinzip erfolgen. Art. 104a Abs. 1 GG folgt diesem Gedanken und regelt, dass Bund und Länder gesondert die Ausgaben tragen, die sich aus der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ergeben. Ausgaben sind alle zur Erfüllung der staatlichen Aufgaben erforderlichen Finanzmittel (z.B. die Kosten für die Verwaltung, für Straßenbau, Schulen, Subventionen usw.). Die Kommunen sind Glieder des betreffenden Landes, ihre Aufgaben und Ausgaben werden den Ländern zugerechnet. Handeln die Länder im Auftrage des Bundes, trägt der Bund die sich daraus ergebenden Ausgaben. Von dem strikten Konnexitätsgrundsatz kann nach den weiteren Bestimmungen des Grundgesetzes dann abgewichen werden, wenn x
der Bund durch Gesetz Geldleistungen gewährt, die von den Ländern auszuführen sind (Art. 104a Abs.3 GG) und
x
wenn von ihm Finanzhilfen für besonders bedeutsame Investitionen der Länder und Gemeinden gezahlt werden (Art. 104a Abs.4 GG).
x
Ferner tragen der Bund und die Länder die bei ihren Behörden entstehenden Verwaltungskosten und haften im Verhältnis zueinander für eine ordnungsgemäße Verwaltung (Art 104a Abs. 5 GG).
Diese Regelungen bilden den verfassungsrechtlichen Rahmen, in dem sich der Bund und die Länder über den Tausch von Aufgaben, Finanzen und Verwaltungskosten auseinandersetzen. In den politischen und administrativen Aushandlungsprozessen werden die Gemeinden und ihre Interessenverbände – wenn überhaupt – nur gehört und oft übergangen. Von Seiten der Kommunen und Großstädte werden immer wieder Verstöße durch den Bund und die Länder gegen das Konnexitätsprinzip beklagt. Die Kommunen und ihre Verbände führen an, dass staatliche Pflichtaufgaben, die ihnen übertragen werden, aus politischen oder administrativen Gründen falsch kalkuliert würden und unterfinanziert seien (vgl. die aktuelle Auseinandersetzung über die Zusammenlegung der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe). Einige Bundesländer wie Hessen haben das Konnexitätsprinzip inzwischen ausdrücklich in ihre Verfassungen aufgenommen. Die konsequente Beachtung des Konnexitätsprinzips und die Einführung verbindlicher, institutionell ausgestalteter Konsultationsmechanismen zwischen dem Bund bzw. den Ländern und den Kommunen wird von den kommunalen Spitzenverbänden immer wieder eingefordert, um mehr Transparenz und zusätzliche Legitimationszwänge in die politischen und verwaltungsmäßigen Auseinandersetzung um die Verteilung von Aufgaben und Finanzen auf die staatlichen Ebenen zu bringen (Karrenberg,
60
Die Großstädte zwischen Selbstverwaltung und Rahmensteuerung
Münstermann 2003: 56). Den Stadtstaaten steht, da sie im Bundesrat nur eine Minderheit darstellen, in strittigen Fragen der Finanzverteilung der Weg zum Bundesverfassungsgericht offen. Bremen hat mit dem Saarland erfolgreich auf Sanierungsbeihilfen des Bundes geklagt (BVerfGE vom 27.5.1992). Berlin hat derzeit eine Klage anhängig, die vom Bundesverfassungsgericht noch zu entscheiden ist. Bund und Länder bilden mit den Gemeinden einen Finanzverbund. Für die Beurteilung der Finanzausstattung ist die Ertragshoheit, d.h. der Anspruch auf die Steuereinnahmen entscheidend. Die Gesetzgebungshoheit regelt, welche staatliche Ebene Steuern einführen, gestalten und abschaffen darf. Dies beinhaltet auch das Recht, Steuersätze und Bemessungsgrundlagen zu erhöhen oder zu senken. Entscheidend für die Finanzausstattung der einzelnen Gebietskörperschaften sind die Gemeinschaftssteuern (Einkommen- und Körperschaftssteuer, Umsatzsteuer). Diese werden nach Beteiligungsquoten auf Bund und Länder und von diesen dann auf die Gemeinden verteilt. Außerdem soll mit dem Finanzverbund durch die Länder unter den Gemeinden ein horizontaler, interkommunaler Finanzausgleich gewährleistet werden. Damit wird dem Postulat des Grundgesetzes nach Herstellung gleichwertiger Lebensbedingungen im Bundesgebiet (Art. 72 Abs. 2 GG) entsprochen. Der Anspruch der Gemeinden auf eine ihrer Größe und ihrer Aufgaben nach angemessenen Finanzausstattung zielt seinem Inhalt nach auf eine gerechte Aufteilung des Finanzaufkommens zwischen den am Finanzausgleich beteiligten Gebietskörperschaften. Bund, Länder und Gemeinden sollen also im Verhältnis ihrer finanziellen Lasten am Ertrag der nationalen Steuerleistung beteiligt werden (Scherf, Hofmann 2003: 318). Den Gemeinden ist im Rahmen ihrer Selbstverwaltungsgarantie zwar keine eigene Finanzhoheit im verfassungsrechtlichen Sinne übertragen worden, ihnen steht aber eine substanzielle finanzielle Eigenverantwortung zu. Die kommunale Finanzhoheit bzw. das kommunale Finanzsystem umfasst im Wesentlichen die eigenverantwortliche Einnahmen- und Ausgabenpolitik im Rahmen eines eigenen Haushalts (Budgethoheit). Die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung umfasst nach herrschender Verfassungsinterpretation zwar auch den institutionellen Anspruch auf eine angemessene Grundlage der finanziellen Eigenverantwortung der Kommunen. Ein bezifferbarer Anspruch oder ein nach quantifizierbaren Maßstäben bestimmtes Finanzausgleichsvolumen war trotz mehrerer Klagen von Kommunen vor den Verfassungsgerichten des Bundes und der Länder bisher nicht durchsetzbar. Das Bundesverfassungsgericht hat lediglich festgestellt, dass die Länder gehalten sind, für eine aufgabengerechte Finanzausstattung ihrer Kommunen zu sorgen (Inhester 1995: 80).
Die Großstädte zwischen Selbstverwaltung und Rahmensteuerung
61
Nach dem Grundgesetz steht den Gemeinden ein Anteil an der Einkommensteuer sowie an der Umsatzsteuer zu. Darüber hinaus steht den Kommunen das Aufkommen der Gewerbe- und Grundsteuer (Realsteuergarantie) zu, deren Höhe die einzelnen Gemeinden durch Hebesätze beeinflussen können. Finanzpolitisch nicht so bedeutend sind für die Gemeinde ihre Aufkommen aus den örtlichen Verbrauchs- und Aufwandsteuern. Der kommunale Finanzausgleich ist den einzelnen Ländern unterschiedlich geregelt und deshalb nur schwer zu vergleichen. Im Prinzip soll dadurch allen Gemeinden eine möglichst weitgehende Übereinstimmung zwischen ihrer Finanzkraft und ihrem Finanzbedarf ermöglicht werden. Interkommunale Unterschiede in der Finanzausstattung sollen soweit abgebaut werden, als die Unterschiede nicht durch autonome Entscheidungen der Gemeinden verursacht sind. Im Idealfall müssten die kommunalen Gebietskörperschaften so mit Finanzmitteln ausgestattet sein, dass ihnen neben der Erfüllung der Auftragsangelegenheiten und der pflichtigen Selbstverwaltungsangelegenheiten noch genügend finanzieller Spielraum verbleibt, um freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben übernehmen und ausfüllen zu können.
62
Die Großstädte zwischen Selbstverwaltung und Rahmensteuerung
Abbildung 16 : Verwaltungs- und Vermögenshaushalt im kommunalen Haushaltsrecht Verwaltungshaushalt Einnahmen x Steuereinnahmen (Grund-, Gewerbe- u. Einkommenssteuer u.a.) x Gebühreneinnahmen (Abwasser, Abfall, Straßenreinigung u.a.) x Schlüsselzuweisungen x Mieten/Pachten x Erstattung von Verwaltungskosten x Zuführung zum Vermögenshaushalt Ausgaben x Personalausgaben x Gebäudeunterhaltung x Transferleistungen (Sozial- und Jugendhilfe) x Kreisumlage x Beschaffung vermögensunwirksamer Geräte x Zinsen x Büromaterial x Zuführung zum Vermögenshaushalt
Vermögenshaushalt x Zuführung vom Verwaltungshaushalt x Einnahmen aus der Veränderung des Anlagevermögens x Zuweisung und Zuschüsse für Investitionen x Entnahme aus den Rücklagen x Aufnahme von Krediten x Tilgung von Krediten x Ausgaben für die Veränderung des Anlagevermögens x Zuführung zu Rücklagen x Zuführungen an den Verwaltungshaushalt
Quelle: Holtkamp 2000: 98
Die Kommunen haben eine begrenzte Finanzhoheit. Sie gewährt ihnen die Befugnis zur Einnahmen- und Ausgabenwirtschaft im Rahmen eines gesetzlich geordneten Haushaltswesens (s. Abbildung 16). Die Gemeinden haben Einnahmen aus Steuern, Gebühren, Beiträgen, Vermögen, Krediten und Zuweisungen des Bundes und der Länder. Auf der Ausgabenseite stehen der Personal- und Sachaufwand, Soziale Leistungen, Zinsen und die Finanzierung von Sachinvestitionen vor allem im Baubereich. Der kommunale Haushalt wird als Verwaltungs- und als Vermögenshaushalt geführt. Er soll ausgeglichen gestaltet werden und bedarf der Genehmigung durch die Kommunalaufsicht. Die größten Ausgabeblöcke im Verwaltungshaushalt sind die Personalausgaben, die laufenden Sachausgaben und die Ausgaben für Sozialleistungen. Der Verwaltungshaushalt darf nur ausnahmsweise mit kurzfristigen Kassenkrediten finanziert werden, da die Aufnahme längerfristiger Kredite für den Verwaltungshaushalt unzulässig ist. Aus den laufenden Einnahmen soll nach Abzug der Kosten für die laufende Verwaltung ein Überschuss erzielt werden, mit dem die Investitionen zu finanzieren sind. Ein Defizit im Vermögenshaushalt kann mit der Aufnahme von Krediten, Veräußerungserlösen oder dem Verzicht auf Investitionen ausgeglichen werden. Den größten Ausgabeblock im Vermögenshaushalt bilden die Bauinvestitionen.
Die Großstädte zwischen Selbstverwaltung und Rahmensteuerung
63
Die Gemeinde kann Realsteuern erheben, die ihr unmittelbar zufließen (z.B. Gewerbe- sowie Grundsteuern A und B). Insbesondere die Gewerbesteuer ist für die Kommunen als Einnahmequelle nach wie vor von großer Bedeutung. Ferner steht den Kommunen das Aufkommen aus den örtlichen Verbrauchs- und Aufwandsteuern (z.B. u.a. Vergnügungs-, Getränke-, Fremdenverkehrs-, Jagd-, Fischerei-, Hunde- und Zweitwohnungsteuer) zu. Diese Bagatellsteuern stellen aber im Allgemeinen keinen großen Anteil an den Steuereinnahmen der Gemeinden dar. Zusätzlich hat die Kommune das Recht, Steuern zu erfinden, welche jedoch nicht gegen Bundes- und Landesgesetze verstoßen dürfen. Eine beachtliche Einnahmequelle für die Kommunen stellt die grundgesetzlich geregelte Beteiligung der Gemeinde an dem Aufkommen der Lohn- und Einkommenssteuer (des Bundes) dar. Bemessungsgrundlage dafür ist die Summe der Einkommensteuerleistungen aller Gemeindeeinwohner an den Bund. Ferner fließen an die Gemeinden staatliche Finanzzuweisungen auf der Grundlage jährlicher Finanzausgleichgesetze (Gemeindefinanzierungsgesetze) der einzelnen Bundesländer. Die Finanzzuweisungen an die Gemeinden erfolgen auf der Basis des horizontalen Finanzausgleiches innerhalb eines Bundeslandes, den durchzuführen die Kommunen einen grundgesetzlich garantierten Anspruch haben. Kernstück dieses Finanzausgleiches ist eine prozentuale Beteiligung der Gemeinden aus dem Aufkommen an allen Gemeinschaftssteuern, die auf das zugehörige Bundesland entfallen. Im Wesentlichen geht es um Rückflüsse aus der Einkommen-, Umsatz (Mehrwert)- und Körperschaftssteuer. Die Summe der Rückflüsse verteilt sich auf zweierlei Arten von „Finanzspritzen” an die Gemeinden: x x
allgemeine Finanzzuweisungen zur Deckung des allgemeinen gemeindlichen Finanzbedarfes (Dotationen), zweckgebundene Finanzzuweisung zur Finanzierung bestimmter, vorher genehmigter Vorhaben und Projekte (Subsidien).
Die allgemeinen Finanzzuweisungen umfassen in aller Regel x x
Schlüsselzuweisungen (Kompliziert zu berechnen auf der Basis der eigenen Steuerkraft der Gemeinde sowie von Faktoren der Ausgabenbelastung der Gemeinde); Zuweisungen zu den der Kommune entstandenen Kosten aller Auftragsaufgaben (Aufgaben der Auftragsverwaltung):
64
Die Großstädte zwischen Selbstverwaltung und Rahmensteuerung
Die Zweckzuweisungen des Landes an eine Gemeinde verfolgen die besonderen politischen Zielsetzungen des Landesgesetzgebers. Weitere Einnahmen können die Kommunen – soweit vorhanden - aus ihrem angelegten Finanzvermögen und aus der Vermietung oder Verpachtung von gemeindeeigenem Haus- und Grundbesitz erwirtschaften. Ferner zählen hierzu die Betriebsüberschüsse („Gewinne”) von Eigenbetrieben und Sparkassen, wie auch die Dividenden aus kommunaler Beteiligung an den rechtlich selbständigen, öffentlichen Versorgungsbetrieben. 3.2.3
Effekte der Sektorsteuerung: Die Gemeindefinanzen 1992-2003
Die Großstädte sind auf möglichst förderliche, stabile und berechenbare staatliche Rahmenbedingungen angewiesen, um sich mit den von ihnen ohnehin nur schwer zu beeinflussenden sozioökonomischen Entwicklungsbedingungen erfolgreich auseinander setzen zu können. Diese Voraussetzung war aber – wie die folgende Analyse der Entwicklung der Gemeindefinanzen im Zeitraum 1992-2003 zeigen wird – nur ausnahmsweise und selten gegeben. Der Bund steuert im Zusammenwirken mit den Ländern die Aufgaben- und Finanzentwicklung des kommunalen Sektors. Der Prozess der staatlichen Sektorsteuerung ist durch verschiedene Interdependenzen und sich überlagernde Policy-Prozesse gekennzeichnet (s. Abbildung 17). Für die staatliche Sektorsteuerung der Gemeindefinanzen sind nach unseren Recherchen die PolicyProzesse (I.)
der kurz- und mittelfristigen Finanz- und Haushaltspolitik des Bundes und der Länder, (II.) der Steuerpolitik des Bundes, (III.) der allgemeinen Steuerung öffentlicher Aufgaben, (IV.) der Neuschaffung und Umverteilung spezieller öffentlicher Aufgaben sowie (V.) der Steuerung des Finanzausgleichs zwischen dem Bund und den Ländern, unter den Ländern und zwischen den Ländern und Gemeinden von entscheidender Bedeutung. Die Auseinandersetzungen zwischen den an den politischen Prozessen der Sektorsteuerung beteiligten Akteuren sind äußerst konfliktbeladen, über die Medien aber nur schwer vermittelbar. Bund, Länder und Gemeinden verfolgen unterschiedliche Interessen bezüglich der Finanzierung und Verteilung staatlicher Aufgaben. Eine Arena für diese Auseinandersetzungen ist auf Grund der hohen Zahl zustimmungsbedürftiger Gesetze der Bundesrat. Stimmt er den vom Deut-
Die Großstädte zwischen Selbstverwaltung und Rahmensteuerung
65
schen Bundestag beschlossenen zustimmungsbedürftigen Gesetzen nicht zu, kann der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat angerufen werden. Der Status der Kommunen in den Prozessen ist nur der eines korporativen Akteurs, der sich selbst erst über die Medien und in Anhörungen bei den staatlichen Akteuren Gehör verschaffen muss. Die Kommunen verfügen aber keineswegs über einheitliche Interessen, da die größeren, mittleren und ländlichen Kommunen auf Grund der unterschiedlichen Größe, ihrer sozioökonomischen Struktur und regionalen Lage unterschiedliche Interessen verfolgen. Wegen dieser Interessenvielfalt operieren die drei kommunalen Interessenverbände auch mit unterschiedlichen Stellungnahmen. Ferner spielen die massiv vorgebrachten antagonistischen Interessen der gesellschaftlichen Gruppen und ihrer Verbände zum Beispiel zu steuerpolitischen Fragen eine große Rolle. Der politische Parteienwettbewerb ist spürbar, wenn sich die Parteien in ihrer Rolle als Regierung oder Opposition im Bund und bei der Mehrheitsbildung unter den Ländern („A und B-Länder“) zu profilieren versuchen. Da die Entwicklung der Gemeindefinanzen durch verschiedene Politikprozesse im Zusammenhang mit der Rahmensteuerung des kommunalen Sektors beeinflusst wird, diese Politikprozesse sich aber häufig zeitlich überlagern, d.h. parallel ablaufen, kommt es immer wieder zu von den politischen Akteuren nicht intendierten Folgen (s. Abbildung 17). Diese unerwünschten Nebeneffekte führen dann häufig zu politischen Initiativen, die auf eine Nachbesserung gerade beschlossener Gesetze zielen. Eine detaillierte Analyse dieser Prozesse kann hier nicht geleistet werden. Im folgenden soll der Blick auf die Effekte der Steuerung der Gemeindefinanzen konzentriert werden.
Die Großstädte zwischen Selbstverwaltung und Rahmensteuerung
66
Abbildung 17 : Interdependenzprobleme bei der staatlichen Rahmensteuerung der Gemeindefinanzen Politikfeld I.
Finanz- und Haushaltspolitik
II.
Steuerpolitik
Policy-Prozesse z.B. Einhaltung der EUStabilitätskriterien Gestaltung des Finanzverbundes von Bund, Länder und Gemeinden
Änderungen des/der Körperschafts-steuergesetzes, Einkommensteuergesetzes, Gewerbesteuergesetzes
III. Steuerung laufender öffentlicher Aufgaben
Aufbau Ost, Sozialhilfe, Finanzierung kommunaler Investitionen, etc.
IV. Neuschaffung und Umverteilung öffentlicher Aufgaben
Schaffung des Rechtsanspruchs auf Kindergartenplätze, Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, Einführung einer Grundsicherung Teilweiser Ausgleich der unterschiedlichen Finanzkraft der Kommunen durch die Länder
V.
Steuerung des kommunalen Finanzausgleich
Akteure
Akteurkonstellation
EU Bund Länder Gemeinden Sozialversicherungen Medien Bund Länder Parteien Interessenverbände der Arbeitgeber und Arbeitnehmer Medien Bund Länder Parteien Interessenverbände der Arbeitgeber und Arbeitnehmer Medien Bund Länder Parteien Interessenverbände der Arbeitgeber und Arbeitnehmer Medien
Verteilungskonflikt zwischen staatlichen Akteuren und zwischen jüngeren und älteren Generationen
Länder Kommunen Interessenverbände der Kommunen
Verteilungskonflikt zwischen staatlichen Akteuren, Regionen und Kommunen
Gesellschafts- und ordnungspolitischer Richtungskonflikt: Höhere oder niedrigere Steuern für wen und für welchen Zweck mit welcher Wirkung? Verteilungskonflikt zwischen staatlichen Akteuren, Regionen und gesellschaftlichen Gruppen
Parteienwettbewerb: Verteilungskonflikt zwischen staatlichen Akteuren, Regionen und gesellschaftlichen Gruppen
Die Großstädte zwischen Selbstverwaltung und Rahmensteuerung
67
Als Untersuchungszeitraum für eine nähere Betrachtung der Gemeindefinanzen haben wir die Zeit von 1992 bis 2003 gewählt. Der Beobachtungszeitraum weicht aus datenerhebungstechnischen Gründen von dem sonst für die Untersuchungen des Projektes gewählten Zeitraum 1990 – 2000 etwas ab. Die Daten wurden von der Arbeitnehmerkammer Bremen aufbereitet.2 Abbildung 18 zeigt eine Übersicht über die Einnahmen und Ausgaben der Gemeinden in den alten und den neuen Ländern im Zeitraum 1992 – 2004, wobei die Zahlen für 2003 und 2004 vom Deutschen Städtetag ermittelte prognostische Werte darstellen. Der sich aus der Differenz zwischen den Einnahmen und Ausgaben ergebende Finanzierungssaldo der kommunalen Haushalte war im Beobachtungszeitraum von 1992 bis 2003 in drei Jahren, nämlich von 1998 bis 2000 positiv. Davor und danach haben sich unterschiedlich hohe Finanzierungsdefizite eingestellt und insbesondere seit 2001 ist wieder eine neue scherenartige Entwicklung zwischen sinkenden Einnahmen und steigenden Ausgaben zu verzeichnen. Der negative Finanzierungssaldo bildete sich in drei Phasen heraus. Er betrug im Jahre 1992 bereits minus 8,28 Mrd. Euro, verringerte sich dann aber bis 1987 auf minus 2,84 Mrd. Euro. In den Jahren 1998 bis 2000 konnte dann ein positiver Finanzierungssaldo der Gemeindefinanzen gemeldet werden. Ab 2001 begann eine neue Periode negativer Finanzierungssalden, die mit minus 3,95 Mrd Euro in 2001 begann und in 2004 voraussichtlich mit minus 10,00 Mrd Euro kumulieren wird, wenn sich die prognostizierten Werte bewahrheiten sollten. Im Zeitraum von 2000 bis 2003 gingen die Steuereinnahmen um 5,4 Mrd. Euro (darunter auch die Einnahmen aus der Gewerbesteuer) zurück, während die Ausgaben für soziale Leistungen um 4,07 Mrd. Euro stiegen. Die Gemeinden haben auf die Finanzmisere besonders mit einer starken Rückführung ihrer Investitionen reagiert. Gleichzeitig wurden die Personalausgaben trotz Tarifsteigerungen weitgehend stabilisiert, indem in großem Umfang Personal abgebaut wurde. Gleichbleibend hoch blieben über die Jahre die Erlöse aus Veräußerungen, was auf den rigiden Verkauf kommunalen Vermögens für Zwecke der Haushaltskonsolidierung schließen lässt. Vor dem Hintergrund der Zuspitzung dieser Entwicklung treten die Interessenverbände der Kommunen für die Reform der Gewerbesteuer mit dem Ziel ein, diese auf eine breitere Bemessungsgrundlage zu stellen und so die kommunalen Einnahmen nachhaltig zu erhöhen.
2
Für die Aufbereitung der Daten über die Entwicklung der Gemeindefinanzen und die Unterstützung bei ihrer Interpretation möchten wir Peter Flieshardt, Arbeitnehmerkammer Bremen, besonders danken. Unser Dank gilt auch dem Deutschen Städtetag für die Lieferung vieler Daten.
2)
3)
Einnahmen des Verwaltungshaushalts
Sonstige Einnahmen
Gebühren
114,47
17,56
17,43
x
35,70
Zahlungen v. Bund, Land
Ausgleichszahlungen n.d. Fam.Leistgausgl.
20,58
Gemeindeanteile a.d.Einkommenssteuer
x
20,79
Gemeindeanteile a.d.Umsatzsteuer
17,62
Gewerbesteuer (brutto)
43,79
1992
Gewerbesteuer (netto)
darunter:
Steuern (netto)
Einnahmen
I. Verwaltungshaushalt
Art der Einnahmen und Ausgaben
120,37
18,46
18,77
x
38,57
21,01
x
19,51
17,55
44,58
1993
123,13
19,17
19,74
x
39,38
21,21
x
20,12
17,17
44,83
1994
124,30
20,08
19,88
x
40,25
21,53
x
19,49
15,58
44,08
1995
122,71
19,98
19,02
x
38,29
19,40
x
21,34
17,09
43,87
1996
1998
119,36
18,26
18,16
1,43
36,79
18,50
x
22,56
18,44
44,72
122,69
17,95
17,53
1,41
37,18
19,62
x
23,44
18,54
48,61
Mrd. Euro
1997
125,28
19,12
17,20
1,32
36,67
20,51
2,60
24,42
19,40
50,97
1999
128,10
18,48
16,95
1,40
39,27
21,35
2,67
24,55
19,35
52,00
2000
125,05
18,65
16,54
1,46
39,34
20,42
2,68
22,31
17,14
49,06
2001
125,15
20,27
16,09
1,53
39,77
20,22
2,59
21,21
15,80
47,49
2002
Tab. : Einnahmen und Ausgaben der Gemeinden (Gv) in den alten und neuen Ländern 1992 bis 2004*)1) (ohne Stadtstaaten)
Abbildung 18: Einnahmen und Ausgaben der Gemeinden 1992-2003
121,90
19,68
16,18
1,59
37,85
19,88
2,57
21,71
15,17
46,60
2003
5,33
Sonstige Ausgaben
4)
Einnahmen d. Vermögenshaushalts
Sonstige Einnahmen
Beiträge
Veräußerungserlöse
Inv.-Zahlungen v. Bund, Land
II. Vermögenshaushalt Einnahmen
19,93
1,48
2,49
4,71
11,26
103,76
5,61
Zahlungen a. öffentlichen Bereich
Ausgaben d. Verwaltungshaushalts
5,16
21,94
Soziale Leistungen
Zinsausgaben
39,72 25,99
Laufender Sachaufwand
1992
Personalausgaben
Ausgaben
Art der Einnahmen und Ausgaben
21,25
1,49
2,83
5,62
11,31
110,42
6,08
6,17
5,63
25,50
26,67
40,36
1993
21,46
1,61
3,01
7,13
9,70
114,31
6,16
6,88
5,73
28,45
27,35
39,74
1994
21,07
1,67
2,95
6,63
9,80
118,11
7,77
6,87
5,83
30,44
26,68
40,52
1995
21,86
2,01
2,80
7,09
9,96
116,44
8,32
6,71
5,90
29,13
26,54
39,84
1996
Tab. : Einnahmen und Ausgaben der Gemeinden (Gv) in den alten und neuen Ländern 1992 bis 2004
Fortführung 1 Einnahmen und Ausgaben der Gemeinden 1992-2003
8,99
6,14
5,72
26,38
26,41
38,98
21,49
1,88
2,81
7,33
9,47
21,97
1,90
2,74
8,36
8,97
112,72
9,68
5,96
5,66
26,13
26,58
38,71
Mrd. Euro
1998
1999
20,64
1,99
2,58
7,48
8,59
113,79
9,97
5,79
5,35
26,04
27,45
39,19
(ohne Stadtstaaten) 1997
112,61
*)1)
19,90
1,60
2,40
7,35
8,57
116,17
10,73
6,06
5,30
26,28
28,24
39,55
2000
18,91
1,56
2,29
6,93
8,14
118,07
10,94
6,61
5,30
27,34
28,55
39,32
2001
19,39
2,14
2,19
6,80
8,26
120,91
11,47
6,74
5,13
28,17
29,32
40,07
2002
18,75
1,90
2,10
6,35
8,40
123,70
12,01
6,40
5,24
30,35
28,85
40,85
2003
5,44
7)
-8,28
142,68
Finanzierungssaldo
134,40
Bereinigte Ausgaben (ohne besondere Finanzierungsvorgänge6))
38,92
Bereinigte Einnahmen (ohne besondere Finanzierungsvorgänge6))
III. Zusammenfassung
Ausgaben d. Vermögenshaushalts
Sonstige Ausgaben
5)
6,63
26,85
Baumaßnahmen
Erwerb v. Sachvermögen
33,48
1992
Sachinvestitionen davon:
Ausgaben
Art der Einnahmen und Ausgaben
-6,61
148,24
141,63
37,82
5,60
6,33
25,89
32,22
1993
-5,84
150,44
144,59
36,13
5,79
5,79
24,55
30,34
1994
-7,33
152,69
145,37
34,58
5,74
5,61
23,23
28,84
1995
-4,04
148,61
144,57
32,17
5,55
5,40
21,22
26,62
1996
*)1)
-2,84
143,68
140,85
31,07
5,90
5,36
19,82
25,18
2,16
142,51
144,66
29,79
5,13
5,60
19,06
24,66
Mrd. Euro
1998
2,18
143,75
145,92
29,96
5,38
5,71
18,87
24,58
1999
(ohne Stadtstaaten)
1997
Tab. : Einnahmen und Ausgaben der Gemeinden (Gv) in den alten und neuen Ländern 1992 bis 2004
Fortführung 2 Einnahmen und Ausgaben der Gemeinden 1992-2003
1,93
146,07
148,01
29,90
5,24
5,79
18,92
24,66
2000
-3,95
147,91
143,95
29,84
5,65
5,76
18,42
24,19
2001
-4,66
149,20
144,54
28,29
4,69
5,87
17,73
23,60
2002
-9,70
150,35
140,65
26,65
5,00
4,60
17,05
21,65
2003
7)
2) 3) 4) 5) 6)
*) 1)
Ohne Stadtstaaten, ohne Krankenhäuser mit kaufmännischem Rechnungswesen und ohne ausgegliederte Einrichtungen 1992 bis 2000 Rechnungsergebnisse; 2001 und 2002 Jahresergebnisse der Vierteljahresstatistik; für 2003 u. 2004 auf der Basis einer gemeinsamen Umfrage der kommunalen Spitzenverbände; die Zahlungen von Gemeinden (Gv) sind jeweils abgesetzt. Einschließl. Steuerähnliche Einnahmen. Einschließl. Zweckgebundene Abgaben. Und ähnliche Entgelte. Insbesondere Finanzinvestitionen. Einnahmeseite: Schuldenaufnahmen am Kreditmarkt, Innere Darlehen, Entnahmen aus Rücklagen; Ausgabenseite: Tilgung am Kreditmarkt, Rückzahlung Innerer Darlehen, Abwicklung von Fehlbeträgen aus Vorjahren, Zuführungen an Rücklagen Einschl. des Saldos der Haushaltstechnischen Verrechnungen. Eigene Zusammenstellung und Berechnungen nach Angaben des Deutschen Städtetages auf Grundlage der Angaben des Statistischen Bundesamtes, Der Städtetag 9/2003, S.77, für 1992-2002 sowie der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände für 2003 und 2004, Kommunalfinanzen 2003 u. 2004, v. 3.2.2004
Fortführung 3 Einnahmen und Ausgaben der Gemeinden 1992-2003
72
Die Großstädte zwischen Selbstverwaltung und Rahmensteuerung
Die dramatische Entwicklung der Gemeindefinanzen zeigt sich auch in den zunehmenden Defiziten der städtischen Verwaltungshaushalte. Nach einer gesonderten Erhebung des Deutschen Städtetages betrug das Defizit 1992 nur 0,791 Mrd. Euro, in den Jahren 1995 bis 2000 pendelte es um Werte zwischen 3,283 und 3,338 Mrd.. Dann stiegen die Lücken in den Verwaltungshaushalten sprunghaft auf 4,942 Mrd. Euro im Jahre 2001 und 6,434 Mrd. Euro im Jahre 2002 an. Für 2003 wird ein Defizit der städtischen Verwaltungshaushalte von 9,055 Mrd. Euro erwartet. In der Folge explodierten die zur Deckung der Defizite des Verwaltungshaushaltes aufzunehmenden Kassenkredite. Auf der Ebene aller Städte und Gemeinden stiegen die Kassenkredite stetig von 1,211 Mrd. Euro in 1992, über 3,385 Mrd. Euro in 1995 und auf 7,158 Mrd. Euro im Jahre 2000, um dann weiter steil auf die bisherige Rekordhöhe von voraussichtlich 15,3 Mrd. Euro in 2003 anzuwachsen (Arbeitnehmerkammer Bremen 2004, Daten vom Deutschen Städtetag). 3.2.4
Regionale Disparitäten kommunaler Haushalte
Im vorherigen Abschnitt haben wir die prekäre Entwicklung der Gemeindefinanzen ab 1992 verdeutlicht. Nun wollen wir der Frage nachgehen, ob regionale Disparitäten nachweisbar sind, die eine unterschiedliche Betroffenheit der Kommunen und Großstädte bewirken. Eine Hypothese besteht darin, dass die Wiedervereinigung Deutschlands eine tiefgreifende Veränderung unter den Kommunen bewirkt habe und das bekannte Nord/Süd-Gefälle regionaler Entwicklung nun durch ein Ost/West-Gefälle regionaler Entwicklung überlagert werde. Diese Annahme soll durch den Vergleich der Entwicklung kommunaler Haushaltsstrukturen zwischen den alten und den neuen Bundesländern im Zeitverlauf von 1990 – 2003 überprüft werden. Zwar bestehen zwischen den Einnahmen und Ausgaben pro Einwohner in den westdeutschen und den ostdeutschen Kommunen keine großen Unterschiede mehr, wie aber haben sich die Haushaltsstrukturen in Ost und West entwickelt? Die Einnahmen der westdeutschen Kommunen betrugen im Jahre 2003 1.850 Euro pro Einwohner, die der ostdeutschen 1852 Euro pro Einwohner. Die Ausgaben der westdeutschen Kommunen beliefen sich auf 1988 Euro, die der ostdeutschen auf 1938 Euro je Einwohner (Gemeindefinanzbericht 2003, Städtetag 9/2003:11,13). Die unterschiedlichen Haushaltsstrukturen in Ost und West zeigt Abbildung.19 im Zeitverlauf von 1990 bis 2003.
Die Großstädte zwischen Selbstverwaltung und Rahmensteuerung
73
Abbildung 19: Kommunale Haushaltsstrukturen im West-/Ostvergleich 1990-2003 Kommunale Einnahmen (Anteil in v. H. der bereinigten Ausgaben) Alte Bundesländer Jahr
Steuern (netto) 37,3 33,1 39,7 34,2
1990 1995 2000 2003
Entgelte
Zahlungen v. Bund/Land 28,3 27,1 27,7 25,8
14,8 16,3 14,1 12,9
Neue Bundesländer Jahr
Steuern Entgelte Zahlungen v. (netto) Bund/Land 1991 5,10 6,70 77,60 1995 12,80 9,70 54,90 2000 16,50 9,40 56,30 2003 15,00 7,90 57,70 Ohne Stadtstaaten, ohne Krankenhäuser mit kaufmännischen Rechnungswesen und ohne ausgegliederte Einrichtungen Kommunale Ausgaben (Anteil in v. H. der bereinigten Ausgaben) Alte Bundesländer 1990 1995 2000 2003
26,7 25,8 26,5 26,9
18,4 17,4 19,4 19,4
17,4 21,4 19,0 19,0
4,3 4,1 3,7 3,7
21,7 16,9 15,8 15,8
Neue Bundesländer 1991 35,5 21,9 4,5 0,5 27,9 1995 29,6 17,6 14,3 2,5 26,9 2000 29,6 19,0 13,3 3,5 21,8 2003 27,8 18,2 15,0 3,2 22,8 Ohne Stadtstaaten, ohne Krankenhäuser mit kaufmännischen Rechnungswesen und ohne ausgegliederte Einrichtungen
Quelle: Gemeinefinenzbericht 2003, Der Städtetag 9/2003: 84/85
Die Kommunen in den alten Bundesländern finanzieren etwa ein Drittel ihrer bereinigten Ausgaben über Steuern. Der Deckungsbeitrag der Steuern beträgt bei den Kommunen in den neuen Bundesländern nach etwa 5 % in 1991 und nach einem Zwischenhoch von 16,5 % in 2000 im Jahre 2003 etwa 15 %. Den
74
Die Großstädte zwischen Selbstverwaltung und Rahmensteuerung
größten Deckungsbeitrag liefern bei den ostdeutschen Kommunen die Zahlungen des Bundes und der Länder, die 1991 77,6 % betrugen und ab 1995 sowie in den Jahren 2000 und 2003 bei etwa 55 % der Ausgaben liegen. Aus der Einnahmestruktur ihrer Haushalte ergibt sich ein spezifisches Interesse der ostdeutschen Kommunen: Staatliche Transferzahlungen sind für sie zur die Finanzierung ihrer Haushalte wichtiger als originäre Steuereinnahmen. Auf der Ausgabeseite der kommunalen Haushalte haben die ostdeutschen Kommunen infolge einer besonders restriktiven Personalpolitik die Personalkosten westdeutscher Kommunen bald erreicht. Diese haben trotz neuer Aufgaben durch eine restriktive Personalpolitik den Anteil der Personalausgaben an den bereinigten Ausgaben bei etwa 26 % stabil gehalten. Die größten Unterschiede zwischen West und Ost zeigen sich bei den Ausgaben für Sozialleistungen und für Sachinvestitionen. Der Anteil der Sozialleistungen an den bereinigten Ausgaben steigt bei den westdeutschen Kommunen von 17,4 % in 1990 auf 21,4 % in 1995 und geht dann auf Grund gesetzgeberischer Eingriffe auf 19 % im Jahre 2000 zurück, um dann wieder auf 20,4 % im Jahre 2003 anzusteigen. Die ostdeutschen Kommunen starten nach der Wiedervereinigung Deutschlands mit einem Anteil der Sozialleistungen von nur 4,5 % an den bereinigten Ausgaben, dieser Wert steigt dann infolge der Transformationskrise auf 14,3 % in 1995, geht bis 2000 auf 13,3 % zurück, um dann in 2003 bei 15 % zu kumulieren. Bei dem Anteil der Sachinvestitionen an den bereinigten Ausgaben weisen die Kommunen in Ost und West im Zeitraum 1990 bis 2003 einen kontinuierlichen Rückgang auf. Allerdings beträgt der entsprechende Anteil der Investitionen bei den westdeutschen Kommunen in 1990 noch 21,7 %, fällt dort dann bis 2003 auf 13,8 % ( minus 7,9 %), während der Anteil der Investitionen bei den ostdeutschen Kommunen in 1990 bei 27,9 % lag und bis 2003 auf lediglich 22,8 % (minus 5,1 %) zurück ging. Nach den Ergebnissen des Ost-West-Vergleichs sind die Unterschiede der kommunalen Haushaltsstrukturen bei den Einnahmen besonders gravierend. Ostdeutsche Kommunen finanzieren ihre Haushalte zu über 55% aus den Transferzahlungen von Bund und Länder. Ihre Steuerkraft ist immer noch unzureichend entwickelt. Westdeutsche Kommunen finanzieren sich zu einem Drittel über Steuern und zu einem Viertel über Zahlungen des Bundes und der Länder. Erhobene Entgelte tragen bei den westdeutschen Kommunen mehr zur Haushaltsfinanzierung bei als bei den ostdeutschen Kommunen. Die auf die Ausgaben für das Personal entfallene Anteil hat sich im Ost/West-Vergleich weitgehend angenähert. Die Sozialleistungen sind in den westdeutschen Kommunen aufwändiger, während in den ostdeutschen Kommunen mehr investiert wird. Die Sozialleistungen steigen in Ost und West tendenziell, während der Investitionsanteil in den Kommunen der beiden Teile Deutschlands beständig fällt. Al-
Die Großstädte zwischen Selbstverwaltung und Rahmensteuerung
75
lerdings liegt die Investitionsquote ostdeutschen Kommunen noch erheblich über der westdeutscher Kommunen (Westen: 13,8 % gegenüber Ost: 22,8 %, Zahlen für 2003). Offen geblieben ist noch, wie sich die aufgelaufenen Defizite im Finanzierungssaldo der Gemeindefinanzen zwischen Ost und West verteilen. Wir betrachten die Jahre 2001 bis 2003: Abbildung 20: Finanzierungssaldo der Gemeindefinanzen im Ost-West-Vergleich Jahr Saldo West
2001 2002 2003 (in Mrd. Euro) (in Mrd. Euro) (in Mrd. Euro) - 3,47 - 4,44 -8,50
Saldo Ost
- 0,48
- 0,22
- 1,20
Gesamt-Saldo
-3,95
- 4,66
-9,70
Quelle: Gemeindefinanzbericht 2003, Der Städtetag Nr.9/2003, 10, 12)
Die obigen Zahlen zeigen, dass die in der Öffentlichkeit diskutierte Krise der Gemeindefinanzen kein gesamtdeutsches Problem ist. Die ostdeutschen Kommunen verfügen durch ihre hohe Abhängigkeit von den staatlichen Finanztransfers und die bisher politisch nicht strittige Finanzierung des Aufbau Ost über eine relativ stabile finanzielle Basis für ihre Haushaltseinnahmen. Die Haushalte der westdeutschen Kommunen sind demgegenüber von Steuereinnahmen abhängig und demzufolge von der Konjunkturentwicklung und der Steuersenkungspolitik des Bundes weitaus stärker betroffen. Diese Annahmen sollen durch einen Blick auf die neuere Defizitentwicklung der Verwaltungshaushalte einiger Großstädte aus unserem Untersuchungssample, für die Zahlen verfügbar waren, überprüft werden. Zunächst bestätigt sich die Annahme, dass die Defizite der großstädtischen Verwaltungshaushalte steigen.3 Die Defizite haben sich von 2002 zu 2003 verdoppelt. Es können jedoch drei Gruppen von Großstädten unterschieden werden. Besonders gut geht es nach diesen Zahlen mit Leipzig und Dresden zwei ostdeutschen Großstädten sowie mit Düsseldorf und München auch zwei westdeutschen Großstädten. Damit bestätigt sich zunächst, dass die Finanzierungsprobleme der ostdeutschen Kommunen anders gelagert sind. Das Problem dieser Städte ist ihre schwache wirtschaftliche Basis, was sich bei den Steuereinnahmen zeigt. Die Lage der westdeutschen Großstädte ist demgegenüber polarisiert: Es gibt Städte mit einer besseren und solche mit einer schlechteren Haushaltssituation. Ein katastrophal anmutendes Defizit weist der Verwaltungshaushalt Duisburgs in 2002 und 2003 auf, schwierig erscheint die Lage für Essen und 3
Die Stadtstaaten werden wegen ihrer Besonderheiten in diese Betrachtungen nicht einbezogen.
76
Die Großstädte zwischen Selbstverwaltung und Rahmensteuerung
Hannover. Ein mittleres Defizit finden wir in Köln, Frankfurt/Main (trotz hoher Steuereinnahmen pro Einwohner) und Dortmund. Im positiven Sinne ragen in diesem Zahlenspiegel Düsseldorf und München heraus. Es liegt die Hypothese nahe, dass es die besonders günstige regionalwirtschaftliche Lage dieser Städte ist, die zu der relativ günstigen Haushaltssituation führt (vgl. Abbildung 21). Während die Förderung des Aufbau Ost zu einer Stabilisierung der kommunalen Finanzen in den neuen Bundesländern maßgeblich beiträgt, steht eine ähnliche Stabilisierung der Finanzen in den Städten der alten Bundesländer noch aus. Die bisherige Rahmensteuerung des kommunalen Sektors hat die disparitäre und zum überwiegenden Teil prekäre Entwicklung der Gemeindefinanzen der westdeutschen Kommunen nicht behoben. Im Gegenteil: Alles deutet daraufhin, dass die Krise der westdeutschen Gemeindefinanzen ein Effekt dieser Rahmensteuerung selbst ist. Will man keine politische Absicht unterstellen, dann liegen die Ursachen dafür in den „unerwünschten Effekten“ einer misslungenen Steuerungsoperation infolge nicht berücksichtigter Interdependenzen von sich überlagernden Politikprozessen! Die gleichzeitige Bewältigung der Folgen der Wiedervereinigung, der Sanierung der Gemeindefinanzen sowie der Einhaltung des Stabilitätspaktes der EU (Obergrenze für die Verschuldung Deutschlands: 3 % des BIP p.A.) bei gleichzeitiger Steuersenkungspolitik des Bundes kommt der Quadratur des Kreises gleich und hat die politischen Akteure – so lautet ein vorläufiges Fazit – überfordert! Inwieweit durch eine politische Umsteuerung von Aufgaben und Finanzen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden - wie sie durch die Zusammenlegung der Arbeitslosenhilfe mit der Sozialhilfe bei Wegfall des Wohngeldes intendiert ist - die Finanzkrise westdeutscher Großstädte wirklich überwunden werden kann und ob damit diese Großstädte wieder eine größere Chance erhielten, ihre Entwicklung im Wege der kommunalen Selbstverwaltung selbst zu bestimmen, bleibt weiter zu beobachten.
STADT
Einwohner Steuereinnahmen SteuereinnahmeSteuereinnahmen Defizit des in v.H. der Defizit des in v.H. der Verw`haushalts Verw`Ausgaben Verw`haushalts Verw`Ausgaben (Tsd) netto/gesamt netto/pro Einwo. netto/gesamt in Mio. Euro in Euro in vH.gg. Vj. in Mio. Euro in Mio. Euro 2000 2002 2002 2002 2002 2003 2003 1. Berlin 3.394 2.208,3 650,65 -2,5 2. Hamburg 1.702 2.294,5 1348,12 4,8 3. München 1.193 1.652,9 1385,50 -5,9 -61,3 1,7 -140,4 3,7 4. Köln 967 1.025,6 1060,60 -3,1 -217,0 8,7 -420,3 15,0 5. Frankfurt / Main 651 1.077,2 1654,69 -8,5 -285,3 11,2 -366,5 13,6 6. Essen 601 477,5 794,51 -9,2 -307,2 19,5 -429,8 25,4 7. Dortmund 592 480,2 811,15 -31,4 -118,1 8,0 -214,1 13,8 8. Düsseldorf 569 740,1 1300,70 -21,2 -35,8 1,6 -75,8 3,6 9. Stuttgart 551 668,6 1213,43 -2,9 10. Bremen 543 480,7 885,27 -2,9 11. Duisburg 520 305,9 588,27 -2,7 -539,4 37,1 -730,0 45,7 12. Hannover 506 544,5 1076,09 2,3 -355,6 19,3 13. Leipzig 490 220,2 449,39 13,3 -12,5 1,3 14. Nürnberg 486 482,3 992,39 5,8 -67,9 5,1 -48,7 3,7 15. Dresden 472 240,6 509,75 -2,9 -4,5 0,5 Durchschnitt: -164,9 9,47 -309,02 15,98 Quelle: Gemeindefinanzbericht 2003
Steuereinnahmen und Defizite des Verwaltungshaushaltes in den Großstädten 2002/2003
Abbildung 21: Defizite des Verwaltungshaushalts ausgewählter Großstädte 2002/2003
Die Großstädte zwischen Selbstverwaltung und Rahmensteuerung
78
3.3
Kommunale Demokratie und Ausbau der Bürgerbeteiligung
3.3.1
Analysedimensionen des Wandels großstädtischer Demokratie
Die Entwicklung der großstädtischen Demokratie lässt sich nach Gabriel (2000) anhand von drei Kriterien diskutieren, die dem Demokratiekonzept von Lijphart (1984) entnommen sind: x
Wie sind die Entscheidungsprozesse organisiert und wie ist die politische Entscheidungsmacht unter den Institutionen verteilt?
x
Wie arbeitet das System von Interessenvermittlung durch intermediäre Organisationen und Strukturen?
x
Wie wirken die Bürgerinnen und Bürger am politischen Leben mit, wie entwickelt sich die bürgerschaftliche Partizipation auf städtischer Ebene?
Als entscheidendes politisches Gremium legt der Rat jährlich den Haushalt der Kommune fest und trifft durch Abstimmungen Entscheidungen für die lokalen Politikfelder, für die die Kommune nach Maßgabe der im jeweiligen Bundesland geltenden Kommunalverfassung zuständig ist. Es besteht ein Spannungsverhältnis zwischen der grundsätzlich bestehenden „Allzuständigkeit“ der Kommunen und den tatsächlichen Handlungsspielräumen, die sich zunehmend auf die Ausführung von Landes- und Bundesgesetzen beschränken. Den einzelnen Politikfeldern und Aufgabenbereichen der Kommune sind jeweils Ausschüsse des Rates zugeordnet, in denen durch die Ratsfraktionen bestimmte Ratsmitglieder zusammen mit den Fachverwaltungen Entscheidungen des Rates vorbereiten.4 Sowohl bei den Wahlen als auch in den Räten selbst besitzen Parteien eine dominierende Stellung: Gewählt werden von den Parteien aufgestellte Listen (obwohl auch Einzelbewerber kandidieren können), in den Räten haben Fraktionen besondere Rechte. Je größer die Kommune, desto deutlicher wird die Bedeutung der Parteien: Debattenstil, Vorentscheidungen in den Fraktionen, Abstimmung nach Mehrheit, parteipolitische Bindung der Hauptverwaltungsbeamten. Entsprechend bedeutet politisches Engagement von Bür-
4
Die Darstellung in den Abschnitten 3.3.1. und 3.3.2. folgt in den Grundzügen Osthorst, Winfried, Prigge, Rolf, Bürgerbeteiligung, Bürgerkommune und Arbeitnehmerinteressen, Neue Handlungsformen im kommunalen Bereich, Universität Bremen –IAW- 2003: 14 ff. und Osthorst, Winfried, Prigge, Rolf, Die Großstadt als Bürgerkommune, Bremen 2003.
Die Großstädte zwischen Selbstverwaltung und Rahmensteuerung
79
gerinnen und Bürger in der Kommune oft ein Engagement in einer Partei. (Holtmann 1999) Wichtige Unterschiede zwischen den Bundesländern bestehen bei den Wahlsystemen auf kommunaler Ebene: In einem Teil der Länder gilt auch bei Kommunalwahlen die 5%-Hürde, in anderen Bundesländern nicht, so dass dort auch kleinere Parteien und Wählergruppen in den Rat gewählt werden und eine lokale Bedeutung entwickeln können. Außerdem können die Bürger/innen in einigen Bundesländern die Zusammensetzung des Rates stärker beeinflussen, indem sie mehrere Stimmen haben, die sie auf Kandidaten unterschiedlicher Parteien verteilen können (Panaschieren) oder auf einzelne Kandidaten konzentrieren (Kumulieren). Hierdurch sollen die gewählten Personen stärker in den Vordergrund rücken. Gleichzeitig wird das Wahlsystem allerdings komplizierter und unübersichtlicher. Die Reform der Kommunalverfassungen soll kommunale Politik zurechenbarer machen und die Rolle der Bürgerinnen und Bürger stärken. Erste Untersuchungen zeigen, dass direkt gewählte Bürgermeister in der Tat versuchen, eine stärkere Beziehung zu den Bürgern aufzubauen. Dies kann jedoch entweder durch Verfahren der Bürgerbeteiligung geschehen oder durch die populistische Inszenierung von Bürgernähe. Die Parteien und der Rat scheinen in diesem Modell von Kommunalpolitik an Bedeutung zu verlieren. (Holtkamp 2001) Neben der Direktwahl der Bürgermeister wurden in allen Flächenländern auch Bürgerbegehren und Bürgerentscheide eingeführt. Auch hier bestehen jedoch deutliche Unterschiede zwischen den Kommunalverfassungen, die darüber entscheiden, ob diese Elemente direkter Demokratie tatsächlich von praktischer Bedeutung sind. Wichtige Hürden sind die x
Zahl der für ein Bürgerbegehren notwendigen Unterschriften,
x
die Bereiche, auf die sich die Begehren erstrecken dürfen,
x
sowie der Mindestanteil der Bevölkerung, der sich am Bürgerentscheid beteiligen muss (Quorum).
Während diese Verfahren aus Sicht der etablierten Akteure des politischadministrativen Systems häufig nur widerwillig als eine Ergänzung der bestehenden Entscheidungsstrukturen hingenommen werden, können sie aus der Sicht verschiedener gesellschaftlicher Akteure wie der Initiative „Mehr Demokratie e.V.“ und der Gewerkschaften einen wichtigen Beitrag zur Erweiterung der demokratischen Rechte der Bürgerinnen und Bürger darstellen. Hier steht im Vordergrund, dass diese Verfahren die Dominanz der politisch-administrativen Führung bei der Entwicklung politischer Konzepte mindern und Akteuren wie z.B. Bürgerinitiativen eine stärkere Stellung geben.
Die Großstädte zwischen Selbstverwaltung und Rahmensteuerung
80
Erste Erfahrungen mit den direktdemokratischen Verfahren bestätigen dies: Bürgerbegehren und Bürgerentscheide werden vor allem von lokalen Bürgerinitiativen und kleineren Parteien genutzt, um ihre Anliegen zu thematisieren. Zu beobachten ist auch, dass die politisch-administrativen Führungen zuvor ignorierte Themen und Anliegen vermehrt aufgreifen, wenn sich Initiativen zur Vorbereitung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden bilden. Insbesondere in Bayern – einem Bundesland mit vergleichsweise niedrigen Hürden – hat die Reform über die intensive Nutzung dieser Instrumente zu einer deutlichen Veränderung der politischen Kultur auf kommunaler Ebene geführt (Mehr Demokratie e.V. 2001: 8ff.). Abbildung 12: Kommunales Wahlrecht der Bundesländer im Überblick Direktwahl
BadenWürttemberg Bayern Brandenburg Hessen MecklenburgVorpommern Niedersachsen NordrheinWestfalen Rheinland-Pfalz Saarland Sachsen Sachsen-Anhalt SchleswigHolstein Thüringen
Unterschriftenquorum
Zustimmungsquorum
Kumulieren / Panaschieren
5%Hürde
Ja
Bürgerbegehren Ja
10%-15%
30%
Ja
Nein
Ja Ja Ja Ja
Ja Ja Ja Ja
3%-10% 10% 10% 2,5%-10%
10-20% 25% 25% 25%
Ja Ja Ja Ja
Nein Nein Ja Ja
Ja
Ja
10%
25%
Ja
Nein
Ja
Ja
3%-10%
20%
Nein
Nein
Ja Ja Ja Ja Ja
Ja Ja Ja Ja Ja
6%-15% 5%-15% 15% 15% 10%
30% 30% 25% 25% 25%
Ja Nein Ja Ja Nein
Ja Ja Nein Nein Ja
Ja
Ja
20%
25%
Ja
Ja
Quelle: Holtkamp 2001: 17
Insgesamt können direktdemokratische Verfahren zu einer Bereicherung der politischen Partizipationsmöglichen beitragen, ohne dass sich Belege für die von Kritikern befürchtete Blockade des politisch-administrativen Systems durch plebiszitäre Veto-Entscheidungen finden lassen. In den meisten Bundesländern spielen Bürgerentscheide und Bürgerbegehren auf Grund der zu hohen rechtlichen Anforderungen allerdings nach wie vor keine relevante Rolle. Aus der nachstehenden Abbildung geht hervor, dass es vor allen die Großstädte in Nordrhein-Westfalen und Bayern sind, die über Erfahrungen mit Bürgerentscheiden
Die Großstädte zwischen Selbstverwaltung und Rahmensteuerung
81
verfügen. Die Hamburger Bürger haben im Jahre 2004 bei der Bürgerschaftswahl mit 77 % der Stimmen dem Volksbegehren zugestimmt, das sich gegen den Mehrheitsverkauf der städtischen Krankenhäuser richtete (Verdi-News vom 13. März 2004,2). Abbildung 23: Registrierte kommunale Bürgerentscheide Land Baden-Württemberg Bayern Brandenburg Hamburg Hessen Mecklenburg-Vorpommern Niedersachsen Nordrhein-Westfalen Rheinlan-Pfalz Saarland Sachsen Sachsen-Anhalt Schleswig-Holstein Thüringen
Anzahl 300 1198 55 23 200 65 68 155 64 1 173 16 172 57
Städte bis 200.000 bis 500.000 Ew. 8 20 0 0 6 1 2 20 0 0 8 0 1 1
Städte über 500.000 Ew. 2 18 1 4 0 18 0 -
Quelle: Forschungsstelle Bürgerbeteiligung und Direkte Demokratie, http:/cgi-host.uni-marburg.de, 26.3.2004
In einer Vielzahl von Kommunen bestehen Beiräte für einzelne Bevölkerungsgruppen, die dem Rat zugeordnet sind und einen beratenden Status haben (Ausländerbeirat, Seniorenbeirat, Jugendparlament). Diese Gremien haben zwar keinen offiziellen Status als Organe der Kommune, kooperieren aber meist mit einem Fachausschuss des Rates. Damit stellen sie ein Beispiel für eine dauerhaft institutionalisierte Form von Bürgerbeteiligung für einzelne Zielgruppen dar, die diese in die Arbeit der zuständigen politischen Gremien und der Fachverwaltungen einbindet (Prigge, Prange, Zapatka 2001: 29). Eine andere Form der Einbeziehung von Bürger/innen stellen sogenannte „zugewählte Mitglieder“ von Ausschüssen dar. Dabei können in einigen Bundesländern Bürger/innen , die nicht Mitglied des Rates sind, auf Vorschlag einer Fraktion (nicht-stimmberechtigtes) Mitglied eine Ausschusses werden. Die Räte haben damit die Möglichkeit, zusätzliches Fachwissen in ihre Arbeit einzubeziehen.
82 3.3.2
Die Großstädte zwischen Selbstverwaltung und Rahmensteuerung
Ausweitung und Differenzierung der Bürgerbeteiligung
Nach 1968 haben sich neue Formen der politischen Partizipation entwickelt, die gerade auf kommunaler Ebene die politische Kultur beeinflusst und die bestehenden Partizipationsformen ergänzt haben (s. Abbildung 24). Insbesondere in großstädtischen Milieus haben sich die „neuen sozialen Bewegungen“ und Bürgerinitiativen herausgebildet, die mit legalen Aktionsformen wie Unterschriftensammlungen, öffentlichen Kampagnen, Demonstrationen, Gesprächen mit Vertreterinnen und Vertretern der Kommunen, Klagen gegen kommunale Entscheidungen und auch mit spektakulären Protestformen wie Straßenblockaden die politische Auseinandersetzung mit der politisch-administrativen Führung gesucht haben. Abbildung 24: Formen des Bürgerengagements Aktivität Themenorientierte Aktivitäten: Unterschriften sammeln Teilnahme an Protestversammlung Unterstützung von Interessenverbänden mobilisieren Mich mit gleichgesinnten Personen zusammenschließen In Bürgerinitiativen mitarbeiten Medien (Presse, Rundfunk, Fernsehen) ansprechen Rechtsweg beschreiten Outputbezogene Aktivitäten: Stadt- oder Gemeindeverwaltung ansprechen Zuständige Behörde ansprechen Aktionsformen des zivilen Ungehorsams Straßenblockade Aktiver Widerstand (Besetzung von Fabriken, Häusern, Ämtern)
Bereits getan % 20 9 9 14 9 8 7 % 15 16 % 3 1
Grundsätzlich bereit % 35 24 30 32 31 32 % 35 35 % 8 6
Quelle: Gabriel 2000: 208f. Als Ergebnis dieser Veränderungen hat sich die soziale Praxis von politischer Partizipation in den Kommunen deutlich gewandelt. Empirische Befunde (Gabriel 2000) zeigen, dass diese neuen Partizipationsformen dauerhaft neben die traditionellen Formen getreten sind. Das Ausmaß der politischen Partizipation insgesamt beschränkt sich jedoch nach wie vor auf eine aktive Minderheit, die allerdings in deutlicher Abhängigkeit von einem aktuellen Anlass und je nach Aktionsform einen bedeutsamen Anteil der Bürgerschaft umfassen kann. In den Großstädten liegt die politische Partizipation dabei jeweils einige Prozentpunkte über dem Durchschnitt.
Die Großstädte zwischen Selbstverwaltung und Rahmensteuerung
83
Eine ambivalente Rolle für die lokale Demokratie nehmen die Verbände, Vereine und ähnliche Organisationen ein, die oft eng mit der politischadministrativen Führung verflochten sind (lokaler Korporatismus): Einerseits organisieren sie die Kommunikation zwischen den politischen Entscheidungsträgern und einzelnen Teilen der Gesellschaft. Sie haben damit eine wichtige integrative Funktion, da ihre Mitglieder Gelegenheit zur Mitwirkung an Entscheidungen und an der Vermittlung zwischen gegensätzlichen Interessen haben und sie auf diese Weise in die institutionalisierten politischen Entscheidungsprozesse eingebunden sind. Der politischen Elite bietet der Kontakt zu den Organisationen die Möglichkeit, sich der Akzeptanz ihrer Entscheidungen in der Bürgerschaft zu versichern – vorausgesetzt, das System von Organisationen und Verbänden ist nicht zu stark fragmentiert. Anderseits sichern sich durch diese privilegierten Kontakte Politiker oder einzelne Interessengruppen einen demokratisch nicht kontrollierbaren Einfluss auf Entscheidungsprozesse und den Zugriff auf Geld- oder Machtressourcen. Die Grenzen zwischen legitimer Interessenvermittlung und Ämterpatronage, Filz und Korruption sind dabei fließend. Für die einzelnen kommunalen Handlungsfelder wie Sozialpolitik, Gesundheitspolitik, Arbeitsmarktpolitik, Wirtschaftsförderung, Sport und Kultur bestehen jeweils unterschiedliche Akteurkonstellationen, in die z.B. Wohlfahrtsverbände, Unternehmensverbände, Gewerkschaften, Umweltschutzgruppen oder Sportvereine eingebunden sind. Diese Interessenorganisationen sind gegenwärtig ebenfalls durch den Formwandel des bürgerschaftlichen Engagements berührt: Als Ergebnis der Entstehung neuer pluralisierter Lebensstile, individualisierter Lebenslagen und der gleichzeitigen sukzessiven Auflösung traditioneller, homogener Milieus verändern sich deshalb auch die Möglichkeiten, einzelne gesellschaftliche Gruppen bzw. Milieus über gesellschaftliche Organisationen in Aushandlungsprozesse mit dem lokalen politisch-administrativen System einzubinden. Für alle Formen von politischer Partizipation gilt, dass sie Voraussetzungen und Kompetenzen erfordern, die in der Gesellschaft ungleich verteilt sind (soziale Selektivität): Um an Gremien mitzuwirken oder politische Interessen eigentätig zu artikulieren und zu organisieren, sind Kommunikations-, Artikulationsund Organisationsfähigkeiten erforderlich, über die in der Regel vor allem Angehörige der Mittel- und Oberschicht verfügen. Die meisten Möglichkeiten der politischen Partizipation werden deshalb auch von Personen und Gruppen aktiv genutzt, die auf Grund ihrer sozialen und wirtschaftlichen Stellung sowie ihrer gesellschaftlichen Teilhabemöglichkeiten als bereits privilegiert gelten können und die im Ergebnis die verschiedenen Formen ihres politischen Engagements auch zur Wahrung ihrer gesellschaftlichen Interessen nutzen. Hier besteht die
84
Die Großstädte zwischen Selbstverwaltung und Rahmensteuerung
Gefahr, dass bereits bestehende Ungleichgewichte fortgeschrieben und als Resultat von politischer Beteiligung zusätzlich legitimiert werden. Sowohl im politischen Engagement im eigentlichen Sinne als auch bei der Mitwirkung in Organisationen und Verbänden ergibt sich für die Engagierten zudem die Möglichkeit, Beziehungen und Netzwerke zu entwickeln, die als „soziales Kapital“ persönliche Chancen und Einflussmöglichkeiten eröffnen. Empirisch lässt sich dabei für Deutschland belegen, dass nach Bildung, Einkommen und beruflicher Stellung privilegierte Bevölkerungsgruppen sich häufiger engagieren und dabei auch häufiger politisch-administrative Ehrenämter bekleiden als soziale Ehrenämter. Ungleichgewichtig verteilt sind dabei auch Einflussmöglichkeiten und soziales Kapital zwischen Männern und Frauen (Offe, Fuchs 2001: 432ff). Das Ziel der Entwicklung der kommunalen Demokratie setzt jedoch eine Einbeziehung aller Teile der Gesellschaft in Aushandlungsprozesse und eine Überwindung von Ausschlussmechanismen voraus. Dieses Ziel macht deshalb besondere Beteiligungsprojekte und Unterstützungsstrukturen für die Teile der Bevölkerung notwendig, die über keinen privilegierten Zugtang zu den lokalen „Machtzentren“ verfügen und die diese Benachteiligung zumindest teilweise ausgleichen. Jenseits der rechtlich vorgesehenen Formen und Gremien der politischen Willensbildung haben sich gerade auf lokaler Ebene in den vergangenen 30 bis 40 Jahren vielfältige Formen von Bürgerbeteiligung entwickelt, die zu einer allmählichen Abkehr von der in Deutschland lange dominierenden obrigkeitsstaatlichen Vorstellung beitragen, die Bürgerinnen und Bürger wären dem Staat untergeordnet. Ursache für diese Veränderung ist zum einen die Entwicklung einer neuen politischen Kultur, in der während der „partizipativen Revolution“ Selbsthilfegruppen, Bürgerinitiativen, die unterschiedlichsten selbstorganisierten Projekte und lokale „pressure groups“ entstanden sind, die nicht nur unbequeme Forderungen an die Verwaltung richten, sondern mit ihrem Engagement und fachlichen Kompetenzen auch zu wichtigen Partnern für die Verwaltungen geworden sind. Inzwischen kommen auch viele Mitarbeiter der einzelnen Fachverwaltung aus dem Umfeld dieser Gruppen, was die Kooperationsbereitschaft der Verwaltungen gegenüber diesen Formen gesellschaftlichen Engagements weiter erhöht. Die Verwaltung tritt diesen Gruppen zudem immer weniger als geschlossene Einheit gegenüber – die einzelnen Fachverwaltungen bilden mit ihrer jeweiligen Klientel oft sogar mehr oder weniger offen Bündnisse, um einzelne Projekte oder Konzepte gegen andere Teile der Verwaltung durchzusetzen.
Die Großstädte zwischen Selbstverwaltung und Rahmensteuerung
85
Die Entwicklung von Beteiligungsrechten lässt sich insbesondere im Bauund Planungsrecht nachvollziehen. Staatliche Planungsentscheidungen und Bauprojekte betreffen alle zentralen Aspekte der Lebensbedingungen (Wohnqualität, Belastungen der Gesundheit z.B. durch Lärm oder Emissionen, Wert von Immobilien, Arbeitsplätze). Mit den direkt Betroffenen und gesellschaftlichen Interessengruppen entwickeln sich daher regelmäßig Konflikte um die Berechtigung und Ausgestaltung der Bauprojekte. Aus diesem Anlass wurden seit den 1960er Jahren die Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung im Planungsrecht deutlich erweitert: x
Waren vorher nur rechtliche Schritte direkt Betroffener (insbesondere Grundstückseigentümer) möglich, sah das Bundesbaugesetz ab 1960 die Information und Beteiligung der Öffentlichkeit vor. Ab 1971 werden nach dem Städtebauförderungsgesetz Pläne öffentlich ausgelegt und in Bürgerversammlungen erörtert.
x
Ab Mitte der 1970er Jahre gewinnen in der „Zweiten Generation der Bürgerbeteiligung“ Methoden an Bedeutung, die die direkte Ansprache unterschiedlicher, auch artikulationsschwacher Zielgruppen anstreben, die zur Beteiligung aktiviert werden sollen. Mit diesen Formen der Beteiligung wird auch das Ziel einer Demokratisierung der Stadtentwicklung verbunden.
x
In den 1990er Jahren hat sich die bislang dialogorientierte Bürgerbeteiligung hin zur Kooperation der Beteiligten in gemeinsamen Gremien entwickelt, die einen Konsens über die mit den Planungen verfolgten Ziele anstreben. Beteiligung wird dabei noch gleichberechtigter, aber auch exklusiver. Sinnbild dieser Form von Beteiligung ist der „Runde Tisch“.
Im Ergebnis bestehen heute Instrumente und Verfahren der unterschiedlichen Entwicklungsphasen nebeneinander und bilden einen Fundus unterschiedlicher Methoden, die in vielen Formen von Konflikten und auf vielen Politikfeldern genutzt werden. Sie sind grundsätzlich geeignet, die Kommunikation in und mit den verschiedenen Teilöffentlichkeiten zu organisieren sowie die als soziale Selektivität von Beteiligungsprozessen bekannte Ausrichtung auf kommunikations- und organisationserfahrene Mittelschichten zu überwinden und auch artikulationsschwache Bevölkerungsgruppen einzubinden. „Kurzum: Kommunikationsprozesse sind so gestaltbar, dass alle zu Wort kommen, ihre Interessen einbringen können. Wenn es denn gewollt ist“ (Selle 2000: 307).
Die Großstädte zwischen Selbstverwaltung und Rahmensteuerung
86 3.3.3
Wahlen und Koalitionsbildungen in den größten deutschen Städten
Die politischen Kräfteverhältnisse in der lokalen Demokratie einer Großstadt werden von den Wahlen zum Stadtrat und mit der Direktwahl der Oberbürgermeister mitbestimmt. In den Stadtstaaten Hamburg und Bremen sind es die parlamentarischen Wahlen zur Bürgerschaft bzw. in Berlin dem Abgeordnetenhaus. Der Wahlmodus wird durch Landesgesetz geregelt, sodass sich wichtige Unterschiede zwischen den Bundesländern ergeben können. Wie setzen sich nun in den untersuchten Großstädten die Stadträte bzw. Stadtparlamente nach Parteien und politischen Gruppen zusammen? Daten wurden für die Jahre 1990, 1995 und 2000 sowie 2004 erhoben. Die Auswertung beruht auf den Angaben in den Stat. Jahrbüchern Deutscher Gemeinden und einer eigenen Nacherhebung für 2004. Die gegenwärtig amtierenden Oberbürgermeister/innen der größten Städte Deutschlands wurden den Internetportalen der Großstädte entnommen. Die durch Wahlen legitimierten politischen Verhältnisse in den Großstädten deuten auf eine hohe Professionalisierung des Politikbetriebs hin. Die etablierten Parteien bestimmen die jeweiligen Politikregime in unterschiedlichen Formationen maßgeblich mit. In allen Großstädten mit Ausnahme der Stadtstaaten, die verfassungsstrukturell wie Bundesländer organisiert sind, werden die Oberbürgermeister/innen direkt und persönlich von der Wahlbevölkerung gewählt. Die starke Stellung der direkt gewählten Oberbürgermeister/innen dürfte die Politikregime der Großstädte nachhaltig prägen bzw. da, wo die Direktwahl erstmalig erfolgte, auch verändern. Aus den Wahlen haben sich bezogen auf das Jahr 2003 zwecks Mehrheitsbildung im Stadtrat folgende Parteienkonstellationen ergeben, die durch Koalitionsvereinbarungen oder Kooperationsabsprachen befestigt wurden: x x x x x
Rotgrüne Mehrheiten (SPD/Bündnis 90-Die Grünen) Bürgerliche Mehrheiten (CDU/FDP/Bürgerliche Gruppen) Große Koalitionen (SPD/CDU) Allparteien-Koalitionen (unter Ausschluss rechtsradikaler Parteien) Schwarzgrüne Koalitionen (neu, seit 2003 in Köln).
Verbreitet ist auch die von dem/r Oberbürgermeister/in vermittelte parteienübergreifende Kooperation mit der Bildung von Mehrheiten im Rat der Stadt von Fall zu Fall. Eine Nachrecherche zur Wahlbeteiligung ergab, dass die Beteiligung an den Direktwahlen der Oberbürgermeister/innen niedriger ausfällt als bei der (getrennt durchgeführten) Wahl des Stadtrates. Allerdings sinkt die Beteiligung bei
Die Großstädte zwischen Selbstverwaltung und Rahmensteuerung
87
der Wahl des Stadtrates im Vergleich zur jeweils vorangegangenen Wahl. Die Beteiligung an den kommunalen Wahlakten ist auf dem besten Wege, dauerhaft unter die 50%-Marke zu fallen! Abbildung 25: Anteile der Parteien/Gruppen an der Gesamtheit der Ratssitze in den Großstädten Partei/Gruppe CDU/CSU SPD FDP Bündnis 90/Die Grünen PDS Andere Wählergruppen
1990 in % 36,59
1995 in % 35,49
2000 in % 42,34
2004 in % 40,58
42,59 5,28 7,85 1,84 6,24
39,55 1,28 13,31 4,96 5,41
34,29 2,32 10,84 6,27 3,95
35,22 3,7 10,24 6,61 3,65
Quelle: eig. Berechnungen, Stat. Jahrbücher deutscher Gemeinden
Die Ergebnisse der Wahlen zu den Stadträten der Großstädte zeigen, dass es immer noch die politischen Parteien sind, die die Kandidatinnen und Kandidaten aufstellen und auch durchsetzen können. Der Einfluss anderer Wählergruppen ist in den Großstädten bisher erstaunlich gering. Anzunehmen ist daher, dass die mehrheitsbildenden Parteien in der Regierung und der Verwaltung der Großstädte nach wie vor über einen erheblichen Einfluss verfügen und diesen auch für die Durchsetzung ihrer personellen Interessen im Verwaltungsapparat nutzen. Die politische Landkarte der Großstädte hat sich im Untersuchungszeitraum erheblich gewandelt. Darauf deutet die Auswertung der Verteilung der Ratssitze aller untersuchten Städte hin (s. Abbildung 25). Die vorstehende Abbildung zeigt, dass die CDU von 1995 auf 2000 ihren Anteil an den Ratssitzen um fast 7 % vergrößern konnte. Diese Entwicklung könnte wesentlich durch den Ausgang der Kommunalwahlen in NRW bedingt sein. Anschließend verlor die CDU nach der Erhebung für das Jahr 2004 wieder leicht. Die SPD musste im Untersuchungszeitrum erhebliche Verluste an Sitzen und Stimmanteilen in den untersuchten Großstädte hinnehmen und büßte schließlich ihre Hegemonialstellung in den großen Städten ein. Die Verluste der SPD beliefen sich im Zeitraum von 1990 bis 2000 auf über 8% der Ratssitze. Für diese Entwicklung der SPD dürften sowohl die Verschleißerscheinungen nach einer langen Periode der politischen Führung in westdeutschen Großstädte als auch das Aufkommen der Partei der Grünen verantwortlich sein. Die Partei Bündnis 90/Die Grünen ist in allen Stadträten der großen Städte vertreten. Sie konnten sich vor allem in den nord- und westdeutschen Großstädten etablieren. Die FDP droht nach den Zahlen (mit Ausnahme Dresdens) in die kommunalpolitische Bedeutungslosigkeit zu versinken. Die PDS dürfte eine Regionalpartei
Die Großstädte zwischen Selbstverwaltung und Rahmensteuerung
88
der neuen Bundesländer bleiben. Der Einfluss sonstiger politischer Gruppen ist in den Großstädten mit der aktuellen Ausnahme von Hamburg überraschend gering. Das politische Phänomen der Schill-Partei war eine vorübergehende Erscheinung und wird mit den hier erhobenen Daten nicht erfasst. Ein dauerhafter Einfluss parteiferner Gruppen kann in den Wahlen der Großstädte nicht nachgewiesen werden. Allerdings können derartige Gruppen, wie das Beispiel Hamburgs zeigt, durch ihre vorübergehende Existenz den Wechsel von Politikregimen unter bestimmten Umständen entscheidend beeinflussen. Im Jahre 2003 stellte die SPD acht Stadtoberhäupter, während sechs Oberbürgermeister/innen von der CDU kommen und einer bei der FDP politisch beheimatet ist. Eine Auswertung aus dem Jahre 2003 ergibt folgendes Bild der amtierenden Oberbürgermeister/innen der deutschen Großstädte mit über 450.000 Einwohnern: Abbildung 26: Amtierende Oberbürgermeister/innen der Großstädte 2003 Großstadt
Name
Partei
Berlin*)
Klaus Wowereit
SPD
Hamburg*)
Ole von Beust
CDU
München
Dr. Christian Ude
SPD
Köln
Fritz Schramma
CDU
Frankfurt
Petra Roth
CDU
Essen
Dr. Wolfgang Reiniger
CDU
Dortmund
Dr. Gerhard Langemeyer
SPD
Stuttgart
Dr. Wolfgang Schuster
CDU
Düsseldorf
Joachim Erwin
CDU
Bremen*)
Dr. Henning Scherf
SPD
Duisburg
Bärbel Zieling
SPD
Hannover
Dr. h.c. Herbert Schmalstieg
SPD
Nürnberg
Dr. Ulrich Maly
SPD
Leipzig
Wolfgang Tiefensee
SPD
Dresden
Ingolf Roßberg
FDP
*) nicht direkt gewählt. Quelle: Internetportale der Großstädte 2003
Die Großstädte zwischen Selbstverwaltung und Rahmensteuerung
89
Abbildung 27: Die Zusammensetzung der Stadträte 1990 Städte 1990
Anzahl der CDU/CSU Ratsmitglieder
SPD
FDP Die Grünen
Andere PDS Wählergruppen und Sonstige 11 23
Berlin(West)
241
101
76
18
12
Hamburg
121
61
44
7
9
0
0
München
80
25
36
4
8
7
0
Köln
95
30
41
6
11
7
0
Frankfurt
93
36
40
0
10
7
0
Essen
83
28
43
4
0
8
0
Dortmund
83
23
47
0
8
5
0
Stuttgart
60
20
18
6
7
9
0
Düsseldorf
83
32
33
5
8
5
0
Bremen
80
26
32
8
10
4
0
Duisburg
75
20
49
0
6
0
0 0
Hannover
65
23
27
4
0
11
Nürnberg
70
26
32
2
6
4
/
/
/
/
/
/
Leipzig
/
Dresden
/
/
/
/
/
/
/
Gesamt
1249
457
532
66
98
78
23
Prozent
100%
36,59%
7,85%
6,24%
1,84%
42,59% 5,28%
Quelle: Statistisches Jahrbuch Deutscher Gemeinden Jg. 78 Anmerkung: Durch Rundierung ergeben die addierten Prozentwerte der einzelnen Städte nicht immer 100 %!
Die Großstädte zwischen Selbstverwaltung und Rahmensteuerung
90
Abbildung 28: Die Zusammensetzung der Stadträte 1995 Städte 1995
Anzahl Ratsmitglieder
CDU/ CSU
SPD
FDP
Bündnis PDS Freie Grüne 90/ Wähler WähDie Grüne gruppen lergruppen 30 34 / 0
Sonstige Sitze
Berlin
206
87
55
0
Hamburg
121
36
58
/
19
0
7
0
1
München
80
30
29
3
9
0
1
2
6
Köln
91
33
42
0
16
0
0
0
0
Frankfurt
93
35
33
0
15
0
0
0
10
0
Essen
83
30
44
0
9
0
0
0
0
Dortmund
83
27
46
0
10
0
0
0
0
Stuttgart
60
20
16
4
11
0
4
0
5
Düsseldorf
83
35
37
0
11
0
0
0
0
Bremen
80
29
29
0
12
0
10
0
0
Duisburg
75
22
46
0
7
0
0
0
0
Hannover
65
21
27
4
6
0
4
0
3
Nürnberg
70
25
32
1
6
0
0
0
6
Leipzig
70
17
21
2
10
16
2
0
2
Dresden
70
25
11
3
6
16
7
0
2
Gesamt
1330
472
526
17
177
66
35
2
35
Prozent
100 %
35,49 %
39,55 %
1,28 %
13,31 %
4,96 %
2,63 %
0,15 %
2,63 %
Quelle: Statistisches Jahrbuch Deutscher Gemeinden Jg. 82
Die Großstädte zwischen Selbstverwaltung und Rahmensteuerung
91
Abbildung 29: Die Zusammensetzung der Stadträte 2000 Städte 2000
Anzahl CDU/ der CSU Ratsmitglieder
SPD
FDP
Bündnis PDS 90/ Die Grüne
Berlin
169
75
42
0
18
33
Freie Wählergruppen und Sonstige 0
Grüne WählerGruppen
Sonstige Sitze
0
1
Hamburg
121
46
54
0
16
0
0
5
0
München
80
31
31
2
8
0
2
1
5
Köln
94
43
29
4
15
2
0
0
1
Frankfurt
93
36
29
5
17
0
0
0
6
Essen
82
40
29
2
7
2
0
0
2
Dortmund
82
34
34
1
8
0
2
1
2
Stuttgart
60
25
15
4
8
1
4
0
3
Düsseldorf
82
40
29
4
6
2
0
0
1
Bremen
80
34
38
0
8
0
0
0
0
Duisburg
74
31
34
2
4
3
0
0
0
Hannover
64
24
25
2
10
1
2
0
0
Nürnberg
70
33
25
1
6
0
3
0
2
Leipzig
71
23
20
1
5
19
0
0
3
Dresden
70
32
9
2
4
18
3
0
2
Gesamt
1292
547
443
30
140
81
16
7
28
Prozent
100 %
42,34 %
34,29 %
2,32 %
10,84 %
6,27 %
1,24% 0,54% 2,17%
Quelle: Statistisches Jahrbuch Deutscher Gemeinden Jahrgang 87 Anmerkung: Die zusammen addierten Prozentwerte der einzelnen Städte weichen geringfügig von 100% ab durch das auf -und abrunden der einzelnen Werte.
141 121 82 94 93 82 83 60 82
Hamburg 2004
München 2002
Köln 1999
Frankfurt 2001
Essen
Dortmund
Stuttgart 1999
Düsseldorf
40
25
34
40
36
43
31
63
35
29
15
34
30
28
29
36
41
44
4
4
1
2
4
4
3
0
14
6
8
8
5
13
15
9
17
14
2
1
0
2
2
2
1
0
33
Anzahl der CDU/ SPD FDP Bündnis 90/ PDS Ratsmitglieder CSU Die Grüne
Berlin 2001
Städte 2004
Abbildung 30: Die Zusammensetzung der Stadträte 2004
0
4
2
0
0
0
1
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
1
3
2
2
3
1
1
0
0
0
0
2
0
1
0
0
0
0
0
0
0
1
6
0
0
0
1
Freie Grüne Reps dvu, linke listen Sonstige Sitze Wähler- Wählergruppen und Gruppen Sonstige
32 515 40,58 35,22 3,7
70
70
70
1269
100
Nürnberg 2002
Leipzig
Dresden 1999
Gesamt
Prozent
447
9
19
29
29
47
2
1
1
4
10,24
130
4
5
4
7
3
12
Quelle: Internetportale der Städte, Stand: Juli 2004
23
32
22
2
1
64
35
40
Hannover
30
74
29
83
Duisburg 1999
6,61
84
18
19
0
1
3
0
0,71
9
1
0
1
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
1,2
15
0
0
1
0
0
1
0,24
3
0
0
0
0
0
0
1,5
19
4
3
2
1
1
0
Anzahl der CDU/ SPD FDP Bündnis 90/ PDS Freie Wähler- Grüne Wähler- Reps dvu, linke listen Sonstige Sitze Ratsmitglieder CSU Die Grüne gruppen und gruppen Sonstige
Bremen 2003
Städte 2004
Fortführung Die Zusammensetzung der Stadträte 2004
Die Großstädte zwischen Selbstverwaltung und Rahmensteuerung
94 3.3.4
Zur Bedeutung des Leitbildes der Bürgerkommune für Großstädte
Die Städte und Gemeinden unternehmen gegenwärtig erhebliche Anstrengungen, um die Beziehungen zu ihren Bürgern auf eine neue Grundlage zu stellen. In den Konzepten der Städte oder der kommunalen Spitzenverbände wird die Erweiterung von Bürgerbeteiligung und Bürgerschaftlichem Engagement zum Ziel erklärt (z.B. für den Deutschen Städtetag: Witte 2001) – programmatisch wird von der „kooperativen Kommune“ oder der „Bürgerkommune“ gesprochen.5 In den 1990er Jahren war die Modernisierungspolitik des Staates - und hier insbesondere der Kommunen - überwiegend von einer Erneuerung der organisatorischen Strukturen der Verwaltungen im Rahmen des „Neuen Steuerungsmodells“ oder anderer vom „New Public Management“ beeinflusster Konzepte geprägt. Bei der Entwicklung einer an privatwirtschaftlichen Vorbildern ausgerichteten betriebswirtschaftlich orientierten Dienstleistungskultur für die öffentlichen Verwaltungen und Einrichtungen wurden die Bürger immer stärker als Kunden gesehen – der Aspekt der bürgerschaftlichen Teilhabe blieb dagegen sekundär (Baer 2002: 168). Inzwischen hat sich jedoch zunehmend ein Bedarf an einer verbesserten Einbettung kommunaler Institutionen in die sich verändernde Gesellschaft herausgebildet: In der sich nach Lebensstilen, ethnischer Zugehörigkeit, Generationen und sozialen Lagen ausdifferenzierenden Gesellschaft lockern sich die Bindungen an politische Parteien und Lager. Die Lebensbezüge der Menschen sind individualisierter, ihre normativen Erwartungen pluralisierter geworden. Daraus ergibt sich für die Kommunen die Notwendigkeit, für die Integration ihrer Bürger in soziale, kulturelle und berufliche Zusammenhänge neue Formen zu suchen und neue Probleme zu bewältigen. Den Kommunen treten dabei Menschen gegenüber, deren Fähigkeiten zur Selbstorganisation und Interessenartikulation entwickelter sind als noch vor wenigen Jahrzehnten. Sowohl als Beschäftigte als auch als Bürger treten sie öffentlichen Institutionen selbstbewusst mit dem Anspruch gegenüber, dass auf ihre Anliegen eingegangen wird. Zum einen erwarten die Bürger deshalb weitgehende Partizipations- und Mitwirkungsangebote, die die obrigkeitsstaatliche Tradition der deutschen Verwaltung aufbrechen und damit die dienstleistungsorientierten Ansätze der bisherigen Reformstrategien erweitern. Zum anderen beziehen sich die Bürger weniger auf öffentliche Institutionen – die Beteiligung an Wahlen wird geringer, über die Form und den Umfang ihrer Mitwirkung an
5
Die Ausführungen dieses Unterabschnitts folgen Osthorst/Prigge 2003: 13 ff.
Die Großstädte zwischen Selbstverwaltung und Rahmensteuerung
95
öffentlichen Aufgaben oder in gemeinnützigen Organisationen entscheiden Bürgerinnen und Bürger autonomer nach eigenen Präferenzen. Gleichzeitig stellen die Kommunen fest, dass sie die von ihnen wahrgenommenen Aufgaben nicht mehr angemessen erfüllen können. Ihre angespannte Haushaltssituation zwingt sie, insbesondere im Bereich der sogenannten „freiwilligen“ Leistungen drastische Einsparungen vorzunehmen. Die Kommunen suchen deshalb nach Möglichkeiten, diese Angebote mit einem geringeren eigenen finanziellen Engagement aufrecht zu erhalten. Eine finanzielle Entlastung versprechen sie sich dabei von der Stärkung der individuellen und gesellschaftlichen Selbstverantwortung. Aus der Sicht der Kommunen werden damit die Bedarfe ihrer Bürger vielfältiger und ihre Ansprüche höher, während der Kontakt zu ihnen immer schwieriger zu organisieren ist. Zusätzlich sind die verfügbaren Ressourcen begrenzter denn je. Rein betriebswirtschaftlich ausgerichtete Konzepte werden dieser komplexen Konstellation nicht gerecht. Für die kommunale Ebene wurde aus diesen Ansätzen das Leitbild der „Bürgerkommune“ entwickelt, das die Dimension der gleichberechtigten Mitwirkung der Bürger an ihrem lokalen Gemeinwesen programmatisch anspricht. In die kommunale Modernisierungsdiskussion wurde der Begriff der Bürgerkommune ab 1998 von der KGSt übernommen, die damit auf die Kritik an dem von ihr entwickelten „Neuen Steuerungsmodell“ reagierte. Über die Ausweitung der Bürgerbeteiligung sollen sowohl die Politik als auch die Bürger stärker in die Verwaltungsmodernisierung einbezogen werden, die hierdurch ihren binnenzentrierten Charakter überwinden soll. Die KGSt sieht die Bürgerkommune deshalb als konsequente Weiterentwicklung ihres bisherigen Ansatzes (Plamper 2000: 6ff.). Vor dem Hintergrund der dargestellten Problemlagen zielt das von diesen Akteuren entwickelte Konzept der Bürgerkommune auf (Holtkamp 2002): x
höhere Bürgerzufriedenheit mit kommunalen Dienstleistungen und Planungsprojekten (Akzeptanz),
x
stärkere Teilnahme der Bürger an der demokratischen Willensbildung und Revitalisierung der kommunalen Demokratie (Demokratisierung),
x
Stärkung der Unterstützungsnetzwerke der Bürger (Solidarität) durch die Gewährleistung angemessener Infrastrukturen,
x
Entlastung der kommunalen Haushalte (Effizienz),
x
bessere Politikergebnisse im Sinne der politischen Zielsetzungen (Effektivität).
96
Die Großstädte zwischen Selbstverwaltung und Rahmensteuerung
In zahlreichen Kommunen – vorwiegend kleineren und mittleren Städten – wurden vielfältige Projekte zur Realisierung der Bürgerkommune begonnen. Diese Initiativen werden gegenwärtig von Akteuren unterstützt, die für die Entwicklung der Verwaltungsreform in Deutschland bedeutsam sind: den kommunalen Spitzenverbänden, Parteien, Landesregierungen und der für den öffentlichen Dienst zuständigen Gewerkschaft Ver.di. Wichtige Impulse für die Debatte hat der Deutsche Bundestag mit der von ihm eingesetzten der EnqueteKommission „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“ geliefert6. Erwähnenswert sind zudem das Programm „Moderner Staat – Moderne Verwaltung“ der Bundesregierung sowie von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Forschungsprojekte, die sich mit Erfahrungen verschiedener Kommunen befassen (z.B.: Bogumil, Holtkamp 2001). Eine bedeutende Rolle bei der Förderung der Diskussion und der praktischen Umsetzung von Vorhaben hat die Bertelsmann-Stiftung eingenommen, die 1998 gemeinsam mit dem Verein „Aktive Bürgerschaft“ einen Wettbewerb organisiert und prämierte Modellprojekte durch CIVITAS-Netzwerk gefördert hat. Entsprechend den Zielsetzungen des Leitbildes Bürgerkommune hat sich der Wettbewerb dabei an den Kriterien Beteiligung der Bürger an Entscheidungen, Übernahme öffentlicher Aufgaben durch die Bürger und die von den Kommunen bereitgestellte unterstützende Infrastruktur orientiert (von Trott zu Solz 1998: 71ff.). Ob das auch als „sozialromantisch“ und „basisdemokratisch“ kritisierte Leitbild der Bürgerkommune geeignet ist, eine neue Phase kommunaler bzw. großstädtischer Entwicklung zu prägen, ist gegenwärtig noch offen und von der Ausgestaltung der in den einzelnen Kommunen begonnenen Projekte abhängig (Budäus 2002:33). Die mit dem Leitbild angesprochenen grundlegenden gesellschaftlichen Veränderungen und Defizite der in den 1990er Jahren dominierenden Modernisierungskonzepte machen einerseits eine langfristig orientierte Neuausrichtung kommunalen Handelns notwendig, die über symbolische Problembearbeitung hinausgehend auf die Stärkung zivilgesellschaftlicher Institutionen und auf die Förderung der lokalen Selbstorganisation einer pluralen und demokratischen Gesellschaft zielen. Andererseits fördern die Legitimationsbedürfnisse der kommunalpolitischen Akteure eine Orientierung auf kurzfristig sichtbare Erfolge; sie sind zudem nur schwer mit einer Übertragung von Handlungsspielräumen auf andere Akteure vereinbar, was mit einer Einschränkung der Gestaltungsspielräume der kommunalpolitischen Akteure verbunden wäre. Gleichzeitig unterliegen die kommunalen Haushalte erheblichen Sparzwängen. 6
Siehe hierzu auch die Zusammenfassung der Ergebnisse im Bericht in: Deutscher Bundestag 2002. Zu den Kommunen und dem Leitbild der Bürgerkommune S. 333-350.
Die Großstädte zwischen Selbstverwaltung und Rahmensteuerung
97
Es ist deshalb auch eine neoliberale Entwicklungsform der Bürgerkommune (Holtkamp 2002) vorstellbar, in der die Akteure des politisch-administrativen Systems mit der selektiven Förderung einzelner Modernisierungs- und Beteiligungsprojekte vordringlich die verringerte Zugänglichkeit kommunaler Dienstleistungen und Infrastrukturen legitimieren. Wichtige Handlungsfelder der kommunalen Ebene zur Entwicklung der Bürgerkommune hat die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages benannt (Deutscher Bundestag 2002: 344ff.). Im Umgang mit diesen Vorschlägen wird sichtbar, ob die zentralen politischen und administrativen Akteure durch die gleichzeitige Förderung der Kunden-, Mitgestalter- und politischen Auftraggeberrolle der Bürger die Entwicklungsziele der Bürgerkommune durch politische Entscheidungen unterstützen (Bogumil, Holtkamp 2001). Dabei hätten sie in den einzelnen Projekten und Handlungsfeldern sicherzustellen, dass eine politikfeldübergreifende Koordination erfolgt, Beteiligungsprozesse strukturiert und verbindlich organisiert werden, Entscheidungskompetenzen soweit wie möglich an beteiligte Gremien delegiert werden und der angekündigte Kulturwandel in den formellen Strukturen gelebt wird.
3.4 3.4.1
Governancestrukturen großstädtischer Entwicklung Das nationale Großstädtesystem als weiches Governancenetzwerk
Die Großstadt ist als Gebietskörperschaft ein wirtschaftlich-sozialer Lebensraum und eine räumlich abgrenzbare Einheit im politisch-administrativen Sinne. Mit der horizontalen und vertikalen Vernetzung ihrer Interessen verfolgen die Großstädte eine Doppelstrategie in ihrer korporativen Interessenvertretung, deren Reichweite und Wirkung klärungsbedürftig ist. Von entscheidender Bedeutung scheint für die Beurteilung dieser Frage zu sein, inwieweit es den Großstädten gelingt, die Vernetzung ihrer Interessen mit einen festen institutionellen Kern auszustatten, um sich gegen dominierende private Investoreninteressen und regulative Politik höherer staatlicher Ebenen behaupten zu können (Fürst 2003:447). Zum einen geht es in der horizontalen Vernetzung darum, Auswüchsen des Wettbewerbs unter den Großstädten um Bürger und Investoren wenigstens insoweit entgegen zu treten, wie es durch den selbstorganisierten und über die Interessenverbände organisierten Austausch von Steuerungswissen möglich ist. Dieser Erfahrungs- und Wissenstransfer erfolgt in Win-Win-Koalitionen zwischen den Abgesandten der Großstädte auf Verbandstagungen und funktioniert
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Die Großstädte zwischen Selbstverwaltung und Rahmensteuerung
nur insoweit, als er dem gegenseitigen Vorteil, der Transparenz des Großstädtesystems und seiner Wettbewerbsbedingungen dient. Für den Zugang zu strategischem Steuerungswissen und dessen Aneignung haben Unternehmensberatungsgesellschaften und modernisierungspolitische Netzwerke, wie sie von der Bertelsmann-Stiftung, der KGSt und der HansBöckler-Stiftung initiiert wurden, eine nicht zu unterschätzende Bedeutung erlangt. Diese Netzwerke bilden parallele Kommunikationsstrukturen aus, weisen aber eine unterschiedliche Festigkeit auf. Der Finanz- und Organisationskraft der Bertelsmann-Stiftung und der markt- und politikbezogenen Lobbyarbeit von Unternehmensberatungsgesellschaften sind Verbandsstrukturen zumeist unterlegen. Neben diesen modernisierungspolitisch orientierten nationalen Netzwerken hat sich das Feld der nationalen und internationalen Städtepartnerschaften herausgebildet, die vom Bundesbauministerium und der EU unterstützt werden. Diese Netzwerke zielen auf regionale Entwicklungskooperationen oder dienen dem interkulturellen Austausch in Europa. Ein konkreter Nutzen außerhalb dieser Ziele konnte für die Entwicklung einer Großstadt nur selten nachgewiesen werden. In strategischer Hinsicht ist es für die Großstädte von großer Bedeutung, inwieweit es ihnen gelingt, ihre Interessenvertretung auch in vertikaler Hinsicht zu vernetzen und ihr einen festen institutionellen Kern zu geben. Da der Deutsche Städtetag alle Kommunen zu vertreten beansprucht, kann der institutionelle Kern für die großstädtische Interessenvertretung nur zustande kommen, wenn es den Großstädten gelänge, in dem Verband einen großstädtischen Interessenkern bilden. Dieser muss in einem sich verändernden Verband immer wieder neu konstituiert werden, da ansonsten der Verband seine positive Legitimationskraft einbüßen würde. Es ist bisher jedoch nicht gelungen, einen über mehrere Jahre hinweg bestehenden festen institutionellen Kern großstädtischer Interessenvertretung in den Verbänden und gegenüber den höheren staatlichen Ebenen zu etablieren. Die Gründe hierfür liegen in der Interessenvielfalt der Verbände und deren durch interne und externe Faktoren begrenzten Aktionsradius. Mit diesem Befund kann erklärt werden, warum die vertikale Vernetzung großstädtische Interessen eher locker gestrickt ist und warum sich die Großstädte gegenüber regulativer Politik höherer staatlicher Ebenen nur selten behaupten können. Eine Ausnahme von dieser Regel stellen die besonderen Arrangements zwischen Landeshauptstädten und ihren Landesregierungen dar, die der Wahrung gemeinsamer Interessen in einer für das Bundesland besonders bedeutsamen Region dienen. Das nationale Städtesystem wird durch den Governancemechanismus des Netzwerkes indirekt gesteuert. Knoten des Netzwerkes bilden die Interessenverbände der Großstädte, der Bund, die Länder sowie Unternehmensberatungsge-
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sellschaften und modernisierungspolitische Netzwerke. In Bereich der unmittelbaren Vertretung großstädtischer Interessen, d.h. in den Verbänden und den von ihnen beeinflussbaren modernisierungspolitischen Netzwerken sowie in der Interessenvertretung gegenüber der regulativen Politik höherer staatlicher Ebenen dominierten im Untersuchungszeitraum unseres Projektes aber weiche Governancestrukturen. 3.4.2
Staatliche Sektorsteuerung als hierarchische Arbeitsteilung
Die Analyse der Politikverflechtung im vielfach gegliederten föderalen Bundesstaat hat u.a. die Erkenntnis erbracht, dass Politik und Verwaltung im Vorfeld von Entscheidungen die relevanten wirtschaftlichen, sozialen und politischen Akteure konsultieren, auch wenn diese am Gesetzgebungsverfahren formal nicht teilnehmen (Scharpf 1976). Diese Veränderungen staatlicher Handlungskoordinierung haben in die politikwissenschaftliche Debatte mit unterschiedlicher Akzentuierung als These vom korporativen oder vom kooperativen Staat Eingang gefunden (Voigt 1995: 17). Das Bild des korporativen Staates betont die selektive Abstimmung zwischen der staatlichen Politik und Verwaltung mit den großen gesellschaftlichen Gruppen und Verbänden. Außerdem geht es davon aus, dass kooperative Interaktions- und Steuerungssysteme überall dort unverzichtbar werden, wo der hoheitlich-hierarchische Staat an seine Grenzen stößt. Insbesondere die Etablierung von Politiknetzwerken zeige, dass sich staatliche Ebenen, Parteien, Verbände und Verwaltungen in einem Politikfeld auf ein bestimmtes Muster organisatorischer Identitäten, Kompetenzen und Interessensphären einigen könnten. Allerdings fehlt es nicht an Warnungen, dass das kooperative Handeln des Staates nur eine der bestehenden Handlungsmöglichkeiten ist und bei gesellschaftlichen Konfliktlagen Entscheidungen im gesamtstaatlichen Interesse hierarchisch unter Verletzung von Partikularinteressen durchsetzbar bleiben. Kooperative Inszenierung und tatsächliche Entscheidungsverfahren fielen in der Wirklichkeit oft auseinander (Nahanowitz 1995: 119 ff.). Bund, Länder und Gemeinden sind auf Grund ihrer verfassungsrechtlichen Stellung gemeinsam für die Rahmen- oder Kontextsteuerung des kommunalen Sektors zuständig. Auf Grund ihrer verfassungsrechtlichen Stellung können die Kommunen ihre Interessen im modernen, mehrstufigen Staatsaufbau nur durch ihre Verbände und über vernetzte Strukturen wahrnehmen. Für die Durchsetzung ihrer Interessen gegenüber höheren staatlichen Ebenen sind alle Kommunen auf die Mittel korporativer Interessenorganisation angewiesen. Sie müssen für ihre Interessen die Aufmerksamkeit der Medien und der politischen Öffentlichkeit erreichen. Sie müssen warnen und drohen, spektakuläre Aktionen veranstalten, um Aufsehen zu erregen, und trotzdem alle Möglichkeiten der politi-
100
Die Großstädte zwischen Selbstverwaltung und Rahmensteuerung
schen Kommunikation und Verhandlung mit den politischen Parteien und den zuständigen Regierungsstellen des Bundes und der Länder ausschöpfen. Wie die Entwicklung der Gemeindefinanzen zeigt, scheuen sich der Bund und die Länder nicht, sich mittels regulativer Politik und hierarchischer Steuerung über Interessen der Kommunen und Großstädte hinweg zu setzen. Auf diese Weise wollen sie die politischen Erträge bestimmter Maßnahmen für sich buchen, während die finanziellen und die sozialen Kosten als unbeabsichtigte Nebenfolgen den Kommunen zugeschoben werden. Von daher ist zu konstatieren, dass das Verhältnis des Bundes und der Länder zu den Kommunen und Großstädten nach wie vor eine „hierarchische Arbeitsteilung“ (Siebel 1974) zu Lasten der Gemeinden darstellt. 3.4.3
Die Großstadt als korporative Verhandlungsdemokratie
Konkordanzdemokratie, Korporatismus und bundesstaatliche Politikverflechtung sind für Lehmbruch Ausprägungen der korporativen Verhandlungsdemokratie (Lehmbruch 2004: www.uni-tübingen.de29.04.2004). Die zentralen Akteure sind staatliche Bürokratien, organisierte Interessen, politische Parteien und autonome Gebietskörperschaften. Im Verhältnis der Parteien dominiert der Aktionsmodus der Kooperation und Koalition über den des Wettbewerbs. Für die Verhandlungsdemokratie ist das Mehrheitsprinzip nicht konstitutiv. Die Akteure und Subjekte sind nicht die individuellen Bürger, sondern korporative Akteure, also vor allem Verbände und organisierte Gruppen. Merkmale des demokratischen Korporatismus sind die Ideologie der Sozialpartnerschaft, ein relativ stark konzentriertes System von Interessengruppen und freiwillige, informelle Koordination durch ständige politische Verhandlungsprozesse zwischen Interessengruppen, staatlichen Bürokratien und politischen Parteien (Katzenstein 1984). Zu den institutionalistischen Strukturmustern, die für die Ausbildung von Verhandlungssystemen wichtig sind, gehören neben der korporativer Interessenrepräsentation föderative und kommunale Autonomien. Inwieweit treffen nun die Annahmen der korporativen Verhandlungsdemokratie auf den Modus der politisch-administrativen Steuerung der deutschen Großstädte zu? Als zentrale Strukturprobleme politischer Steuerung konnten die managerielle Dominanz in den Veränderungsprozessen, Konflikte zwischen dem Managerialismus und der repäsentativ-demokratischen Führung sowie Umsetzungs- und Azeptanzprobleme gegenüber der mit dem Neuen Steuerungsmodell intendierten Trennung von Politik (Was?) und Verwaltung (Wie?) vermutet werden (Naschold 1997). Da die kommunale Governance-Struktur vor allem durch die Hybridkombination von politischem Konkurrenzmechanismus und administrativem Hierarchiemechanismus gekennzeichnet ist, kommt der
Die Großstädte zwischen Selbstverwaltung und Rahmensteuerung
101
Vermittlung von politischer und managerieller Führung mit den kommunalen Interessengruppen eine Schlüsselrolle zu. Welche Entwicklungen waren hier zu verzeichnen? Ausgehend von den 1980er Jahren wurden Ausmaß und Formen der Bürgerbeteiligung durch eine Veränderung institutioneller Regeln erweitert. Diese bürgerschaftliche Bewegung hat sich trotz des Widerstandes politischer Repräsentanten und marktwirtschaftlich vermittelter Interessen behaupten können. Schwächen der Bürgerbeteiligung bestehen darin, dass sie eine relativ hohe soziale Selektivität aufweist, weil sie von den besser qualifizierten Bevölkerungsteilen dominiert wird. Die Instrumente der direkten Demokratie sind zwar Schritt für Schritt in allen Bundesländern eingeführt worden. Die Hürden für Bürgerbegehren und Bürgerentscheide liegen aber noch vergleichsweise hoch. Nur in Bayern und neuerdings in Nordrhein-Westfalen und Hamburg hat sich eine rege Inanspruchnahme der Instrumente direkter Demokratie herausgebildet. In den Großstädten hat die SPD ihre dominierende Stellung an die CDU verloren und muss die politische Macht in den Rathäusern der Großstädte mit der CDU teilen. In den Räten der Großstädte dominieren die etablierten politischen Parteien. Der politische Machtwechsel verläuft relativ reibungslos und deutet auf eine hohe Professionalität und gewisse Konsensbereitschaft der Akteure hin. Durch die Direktwahl der Oberbürgermeister (Ausnahme: Stadtstaaten) wurde die politische und administrative Führung der Großstädte in eine Hand gelegt. Die Personalisierung der OB-Wahlen mag zur effektiveren Führung der Kommunalverwaltung beitragen, Fortschritte für die Akzeptanz der kommunalen Demokratie waren ausweislich der Wahlbeteiligung damit nicht verbunden. Auffällig ist, dass in den Großstädten vielfältige korporatistische Bündnisse zur längerfristigen Sanierung oder Modernisierung der jeweiligen Großstadt gebildet wurden. In diesen Bündnissen können sich Brüche ergeben, wenn Bevölkerungskreise nicht organisationsfähig sind oder deren Organisationsfähigkeit nachlässt. Dies könnte z.B. der Fall sein, wenn infolge schärferer Sanierungserfordernisse die öffentlichen Arbeitgeber zu den Gewerkschaften auf Konfrontationskurs gehen. Die Annahmen der korporativen Verhandlungsdemokratie wie Konkordanzdemokratie, Korporatismus und Politikverflechtung finden sich demnach auch in der Praxis der politischen Steuerung der deutschen Großstädte wieder. Als zentrale Akteure großstädtischer Entwicklung fungieren die Kommunalverwaltungen, politische Parteien und ihre Vertreter sowie organisierte Interessen. Nicht übersehen werden darf die Selektivität dieser Governancestrukturen für nicht organisations- und durchsetzungsfähige Interessen des kommunalen Raumes.
102
3.5
Die Großstädte zwischen Selbstverwaltung und Rahmensteuerung
Hypothese: Der multipolare Steuerungsmix der Großstädte
Die bisherige Analyse der Austauschbeziehungen zwischen kommunaler Selbstverwaltung und staatlicher Rahmensteuerung ermöglicht uns die Bildung einer zentralen Hypothese: Die großstädtische Entwicklung wird über mehrere Handlungsebenen und einen Mix verschiedenartiger Governancestrukturen gesteuert. Die kommunale Selbstverwaltung ist durch einen besonders komplexen hybriden Steuerungsmechanismus charakterisiert. Die Vernetzung großstädtischer Interessen im deutschen Großstädtesystem erfolgt über ein weiches Governancenetzwerk. Die staatliche Rahmensteuerung des kommunalen Sektors kann als hierarchische Arbeitsteilung näher bestimmt werden, die überwiegend zu Lasten der Kommunen geht. Das Verhältnis von großstädtischer Demokratie und Verwaltung wurde als korporative Verhandlungsdemokratie charakterisiert. Welche Möglichkeiten gibt es nun, diesen Governancemix großstädtischer Entwicklung im Hinblick auf Wechselwirkungen und Abhängigkeitsverhältnisse näher zu analysieren? Wir wollen in dem Steuerungsmix großstädtischer Entwicklung vier Steuerungsebenen unterscheiden, denen jeweils zwei Steuerungskreise als Governancemechanismen zugeordnet werden. Diese Regelungsstrukturen können noch durch jeweils zwei Entwicklungspole in den Steuerungskreisen ausdifferenziert werden (s. Abbildung 31). Als exogen gesteuert möchten wir die außerhalb des institutionell befestigten Terrains staatlicher Strukturen stattfindende Reproduktion des städtischen Lebenszusammenhanges und der städtischen bzw. regionalen Ökonomie ansehen. Angenommen wird, dass individuelle Wohnortentscheidungen die demografische Entwicklung und die Verhaltensmuster der Menschen sowie die Integration bzw. Desintegration in die jeweilige Großstadt prägen. Die städtische Ökonomie ist das Ergebnis lokaler und globaler Wirtschaftskreisläufe. Von besonderen Interesse sind hier der Wandel der lokalen bzw. regionalen Wirtschafts- und Beschäftigungsstrukturen sowie die Auswirkungen für die kommunalen Haushalte. Nähere Untersuchungen zu den sozioökonomische Entwicklungsbedingungen der Großstädte erfolgen in Kap. 4. Die externe Steuerung der großstädtischen Entwicklung erfolgt – wie wir in Kap. 3 zeigen konnten - über die staatliche Sektorsteuerung und die Vernetzung des Großstädtesystems. Die staatliche Rahmensteuerung des kommunalen Sektors wird durch Ansätze der indirekten Kontextsteuerung ergänzt. Die staatliche Sektorsteuerung bezieht die Pole ihrer Entwicklung aus der Steuerung und Verteilung öffentlicher Aufgaben sowie die Ausformung des föderalen Finanzsystems. Auf der Handlungsebene der externen Steuerung ist als korporative Ergänzung der staatlicher Rahmensteuerung das von den Großstädten gebildete
Die Großstädte zwischen Selbstverwaltung und Rahmensteuerung
103
Governancenetzwerk zu verorten, in dem die Interessenverbände und andere spezielle Netzwerke der Großstädte tätig werden. Abbildung 31: Governancemix großstädtischer Entwicklung
Steuerungskreise
Ebene der Steuerung
Exogene Steuerung
Reproduktion der Lebenszusammenhänge x Demografische Entwicklung x Institutionelle Integration
Externe Kontextsteuerung x x
Interne Steuerung
Interne Kontextsteuerung
Governancenetzwerk der Großstädte Interessenverbände Spezielle Netzwerke
Stadtökonomie x x
Wirtschafts- und Beschäftigungsstrukturen Kommunale Haushalte
Staatliche Rahmen- oder Sektorsteuerung x Aufgabensteuerung x Föderales Finanzsystem
Großstädtische Demokratie Management des kommunalen Sektors x Repräsentative Demokratie x Neue Steuerungsformen x Korporative x Zergliederung in Bürgerbeteiligung Verwaltungen, Einrichtungen, Betriebe u. Unternehmen Stadtbezirksdemokratie Repräsentative Demokratie x Korporative Bürgerbeteiligung x
x x
Stadtteile/Stadtbezirke Stadtteilmanagement Netzwerke
Untersuchungsvariable Sozioökonomische Entwicklung
Staatliche Rahmenbedingungen
Großstädtische Modernisierungspolitk
Großstädtische Modernisierungspolitik
104
Die Großstädte zwischen Selbstverwaltung und Rahmensteuerung
Die interne Steuerung großstädtischer Entwicklung erfolgt über den hybriden Steuerungsmechanismus aus kommunaler Demokratie und Verwaltung. Der Steuerungskreis der großstädtischen Demokratie – so unser vorläufiges Ergebnis - wird von dem Governancemechanismus der von den Oberbürgermeistern monokratisch gefärbten repräsentativen Demokratie sowie der korporativen Bürgerbeteiligung geprägt. Das Management des fragmentierten kommunalen Sektors erfolgt über neue Steuerungsformen, die ein Mindestmaß an Integration der verschiedenen Verwaltungen, Einrichtungen, Betriebe und Unternehmen gewährleisten. Die untere Handlungsebene bezieht sich auf die Aufgabe der internen Kontextsteuerung durch die Großstädte. Wie noch zu zeigen sein wird, tun sich die Großstädte schwer mit der Ausformung ihrer subkommunalen Ebene, den Stadtbezirken bzw. Stadtteilen. In Kap. 5 wird der Frage nachgegangen werden, wie die Großstädte das Verhältnis zwischen Zentralität und Dezentralität des kommunalen Sektors ausbalancieren und mit welchen Strategien die Großstädte die demokratische und verwaltungsmäßige Entwicklung in den Stadtbezirken bzw. der Stadtregion zu beeinflussen versuchen. Großstädtische Entwicklung wird nach unseren Analysen von mehreren Entscheidungszentralen auf mehreren Handlungsebenen mit unterschiedlichen Governancestrukturen gesteuert. Wir haben es mit einem multipolaren Steuerungsmix großstädtischer Entwicklung zu tun. Ist mit dieser von den Kommunalverwaltungen und der Kommunalpolitik eingeschlagene Weg der Modernisierung auch als der Anfang vom Ende der gemeinwesenorientierten Führungskultur anzusehen, wie Wohlfahrt/Zühlke (1999: 57) meinen? Oder ist Renate Mayntz zuzustimmen, wenn sie formuliert: „In modern governance, hierarchical control and civic selfdetermination should not be opposed to, but combined with each other. Theoretically, this combination can be more effectice than either of the `pure` forms“ (Mayntz 2003). Inwieweit an die Stelle hierarchischer Ordnungsmuster nach der „Krise der regulativen Politik“ (Mayntz 1979) neue Ordnungsregime getreten sind, die durch Selbstorganisation, Wettbewerb, Netzwerke, Partizipation oder Verhandlung gekennzeichnet sein könnten, soll im Kap. 5 näher untersucht werden.
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
4
105
Die sozioökonomische Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990 – 2000
4.1
Analysen großstädtischer Entwicklungen
4.1.1
Stadt, Großstadt, Metropole und die Diskussion um Städtesysteme
Im vorherigen Kapitel wurden die staatlichen Rahmenbedingungen, ihre derzeitigen Veränderungen und damit verbundene Auswirkungen auf die deutschen Großstädte thematisiert. In diesem Kapitel wird die sozioökonomische Entwicklung der 15 untersuchten Großstädte seit 1990 analysiert. Dieser Ausgangspunkt wurde gewählt, weil sich mit der deutschen Einheit und dem Hauptstadtbeschluss von 1991 die gewachsenen, arbeitsteiligen Strukturen zwischen den bundesdeutschen Großstädten neu formieren. Dieser komplexe und erst in Konturen erkennbare Prozess wird anhand ausgewählter demographischer, ökonomischer, sozialer und finanzpolitischer Indikatoren dargestellt, analysiert und interpretiert. Überprüft und präzisiert wird die These einer zunehmenden Polarisierung im föderalistisch geprägten, bisher relativ ausgeglichenen deutschen Städtesystem7. In den verschiedenen Disziplinen der Stadtforschung8 herrscht Konsens, dass nach einer Phase der Angleichung regionaler und städtischer Unterschiede, die Wirtschafts- und Beschäftigungsentwicklung seit den 1980er Jahren wieder auseinanderdriftet. Innerhalb Europas und seiner Nationalstaaten komme es zu einer Polarisierung der Städte (Krätke 1995). In der Bundesrepublik wurde diese Entwicklung Anfang der 1980er Jahre als so genanntes Nord-Süd-Gefälle 7
8
Blotevogel (2000: 149) spricht von einem (nationalen) Städtesystem, wenn eine Gruppe von Städten durch den Austausch von Waren, Leistungen und Informationen enger miteinander verbunden ist, als mit anderen Städten. Strittig ist jedoch, inwieweit zum Beispiel die als „halboffen“ charakterisierten deutschen Städte durch die europäische Integration und globale Verflechtungen, bereits enger mit Städten außerhalb des nationalen Städtesystems verbunden sind. Das sind vor allem die Geographie, die Soziologie, die Ökonomie, sowie die Politik- und Verwaltungswissenschaft.
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Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
debattiert. Die stärkste Wachstumsdynamik verlagerte sich von den Stadtregionen im Nordwesten in die südlichen Regionen der Bundesrepublik. Seit der deutschen Vereinigung 1989 werden diese Disparitäten von einem tiefergehenden West-Ost-Gefälle überlagert. Gleichzeitig ließ sich eine zunehmende Polarisierung innerhalb der Großstadtregionen beobachten. Vor allem in vielen Kernstädten schrumpft die Zahl von Industriebetrieben und sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen. Gleichzeitig steigt die Anzahl von Arbeitslosen- und Sozialhilfeempfängern, die sich in benachteiligten Quartieren konzentrieren. Diesen Quartieren stehen wohlhabende Gebiete mit hoher Lebensqualität und Kaufkraft gegenüber („Armut im Reichtum“). Die Randgemeinden der Großstädte profitieren hingegen von der anhaltenden Suburbanisierung besser situierter Milieus, von Unternehmensansiedlungen und Beschäftigungswachstum (Häußermann, Siebel 1995: 91 ff). Diese unterschiedlichen, sich überlagernden Entwicklungen bewirkten außerdem einen folgenreichen Bedeutungswandel in der öffentlichen Wahrnehmung der Großstädte. Bis Mitte der 1970er Jahre galten die Großstädte, angesichts expandierender Arbeitsmärkte, wachsender Kaufkraft und wohlfahrtstaatlicher Absicherungen, als Vorbilder ökonomischer Dynamik und gesellschaftlicher Modernisierung. Das Umland der Städte und die ländlichen Regionen wurden dagegen als ökonomisch strukturschwach und gesellschaftlich rückständig betrachtet. Dieser, in der Wahrnehmung, scharfe Stadt-Land-Gegensatz hat sich seit dem Ende der 1980er Jahre gewandelt. Mit der „Renaissance regionaler Ökonomien“ (Sabel 1989: 9) wurden vor allem innovative Regionen außerhalb der großen Stadtzentren zu neuen Hoffnungsträgern im verschärften globalen und technologischen Konkurrenzkampf. Seitdem sind es die Kernstädte, die zunehmend als Orte ungelöster ökonomischer, sozialer und fiskalischer Entwicklungen9 problematisiert werden (Läpple 2001: 14). Hinter den beschriebenen Entwicklungen und den veränderten Wahrnehmungen lassen sich derzeit kaum eindeutige oder stabile Entwicklungsmuster für die großen Stadtregionen erkennen. Die empirische Realität zeige „ein breites Spektrum von teilweise gegensätzlichen Entwicklungstendenzen“ (Läpple 2001: 31): Wachstum und Schrumpfung, dynamische Innovationen und Blocka-
9
Seit Ende der 80er Jahre debattieren Politiker, Medien und die Stadtforschung „die Krise der Großstädte“. 1994 forderten die Bürgermeister mehrerer deutscher Großstädte „Rettet unsere Städte jetzt“. In der Stadtsoziologie gibt es eine breite wissenschaftliche Diskussion um die „Krise der Stadt“ (Heitmeyer 1998). Sie äußere sich in der anhaltenden De-Industrialiesierung, struktureller Arbeitslosigkeit, sozialer Exclusion und Zersplitterung der Stadtgesellschaft (Touraine 1996: 24) sowie in Tendenzen der Entzivilisierung des Verhaltens (Eisner?).
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
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den, integrierende und ausschließende Prozesse sowie De-Urbanisierung und Re-Urbanisierung. Eine empirische Analyse dieser widersprüchlichen Entwicklungen steht vor erheblichen Problemen. Bereits die Ausgangsbegriffe wie auch die theoretischen Ansätze zur Erklärung großstädtischer Entwicklungen sind zwischen und innerhalb der verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen umstritten. Aktuell existiere keine allgemeine, interdisziplinäre Theorie und Empirie der Stadt oder der Großstadt (Häußermann 2003). Wann heute berechtigter Weise von Stadt, wann von Großstadt und wann von Metropole gesprochen werden kann, ist in den Wissenschaften ebenfalls strittig. Die kleinste Mitgliedsgemeinde des Deutschen Städtetages, dem Interessenverband deutscher Städte, verfügt über etwas mehr als 10.000 Einwohner. Die Bundeshauptstadt Berlin, die größte Mitgliedskommune in diesem Verband, zählt knapp 3,4 Millionen Einwohner. Angesichts von so genannten „Megacities“ in Asien und Lateinamerika mit mehr als 20 Mio. Bewohnern erscheint Berlin als relativ kleine Großstadt. Wo beginnt das städtische, was charakterisiert Großstädte und was macht sie zu Metropolen? In der umfangreichen wissenschaftlichen Literatur beginnt die Diskussion um die Ursprünge der (europäischen) Stadt mit Verweisen auf die klassischen Passagen von Max Weber und von Georg Simmel. Weber charakterisierte die „Stadt des Okzidents“ insbesondere als Marktort mit einer autonomen Gewerbeaufsicht sowie als Gemeinschaft von Bürgern, die sich wirtschaftliche und politische Freiheitsrechte erkämpften (Weber 1980: 732). Erst dadurch wurde die Stadt auch zu einem Platz der Zuflucht und des Schutzes im Sinne von „Stadtluft macht frei“. Bereits Max Weber unterschied das Stadtgebiet im politisch-administrativen Sinne gegenüber dem wirtschaftlich-sozialen Lebensraum der Stadt. Der sozialräumliche Bereich der Stadt neige dazu sich auszudehnen und gerate dadurch zu seinen engeren, politisch-administrativen Grenzen in Widerspruch. Ähnlich formulierte Georg Simmel diesen Sachverhalt: „Das Bedeutungs- und Wirksamkeitsgebiet einer Stadt, innerhalb eines Staates, endet doch nicht an ihrer geographischen Grenze, sondern, mehr oder weniger bemerkbar, erstreckt es sich mit geistigen, ökonomischen und politischen Wellenzügen über das ganze Land (...)“ (Simmel 1908). Städte und insbesondere Großstädte können demnach nicht als isolierte Einheiten untersucht werden. Ihre Entwicklung steht in einem engen Zusammenhang mit den gesamt-gesellschaftlichen sozioökonomischen, räumlichen, technologischen, politischen und institutionellen Bedingungen. Wenn heute etwa 70% der Bevölkerung in Städten wohnen, repräsentieren die Städte zentrale Probleme der gesamten modernen Gesellschaft (Saunders 1987: 11).
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Darüber hinaus haben in den letzten Jahrzehnten gerade die Austauschbeziehungen zwischen einzelnen Stadtregionen und Nationalstaaten infolge der europäischen Integration und der so genannten Globalisierung der Wirtschaft stark zugenommen. Wenn interne und externe Verflechtungszusammenhänge an Bedeutung gewinnen, die über einzelne Stadtregionen hinausgehen, müsse verstärkt das Städtesystem zum Forschungsgegenstand werden (Krätke 1995: 127). Von einem Städtesystem könne dann gesprochen werden, wenn eine Gruppe von Städten arbeitsteilig durch Leistungsaustausch miteinander verbunden sind, und zwar relativ enger als mit Städten jenseits der Staatsgrenzen (Blotevogel 2000: 148). In diesem Sinne könne ein Städtesystem als eine aktive Netzwerkstruktur verstanden werden, die durch verschiedene Arten von Transferbeziehungen miteinander verbunden ist: durch „materiell-physische Transfers“ oder durch Transfers in der Form von „Informationsflüssen“. Ob die deutschen (Groß-) Städte untereinander enger verbunden sind als mit Städten jenseits der nationalen Grenzen, wäre jedoch eine erst zu überprüfende, empirische Frage. Wenn in der Stadtforschung derzeit von einem deutschen Städtesystem die Rede ist, wird angenommen, dass es sich dabei um ein halboffenes, nationales Städtesystem handelt. Die nationalen, halboffenen Städtesysteme seien jedoch dabei, zu einem europäischen oder gar zu einem globalen Städtesystem zu verschmelzen (Blotevogel 2000: 149). Entstanden ist die Vorstellung von Städtesystemen durch Forschungen von US-amerikanischen Stadtökonomen, die ein „urban-system-Konzept“ entwickelten (Pred 1977, Dunn 1980). Sie gingen davon aus, dass die Entwicklung von Städtesystemen primär ökonomisch bestimmt sei und sich die einzelnen Städte unter dem Einfluss gegenseitiger Abhängigkeiten sowie durch selbststärkende Effekte ungleichmäßig entwickeln würden. Diese ungleiche Entwicklung sei verantwortlich dafür, dass Städtesysteme in der Regel eine hierarchische Ordnung ausbilden. Ähnlich argumentieren deutsche Stadtökonomen. Sie verweisen ganz allgemein auf die „triviale Beobachtung, dass es viele kleine, aber nur wenige große Städte gibt“ (Blotevogel 2000: 148). Die Hierarchie von Städtesystemen reiche von ländlichen Zentralorten, welche die Bevölkerung ihres Umlandes mit Waren und Diensten versorgen, über größere Zentren mit spezialisierten Handels-, Dienstleistungs- und Arbeitsmarktangeboten, bis hin zu nationalen Hauptstädten und international ausstrahlenden Metropolen. Für die derzeitige Transformation von Städtesystemen spiele vor allem ein möglichst großer und vielfältig verflochtener Komplex von hochrangigen Steue-
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rungs- und Dienstleistungsfunktionen10 eine zentrale Rolle - so genannte „global business districte“ oder „metropolitane Komplexe“. Für das neue Europa hat insbesondere Krätke die Grundzüge eines europäischen Städtesystems erarbeitet (Abbildung 32). Sein theoretisches Konzept beruht auf der Annahme, dass Wirtschaftsräume vor allem durch sozialökonomische Verflechtungsbeziehungen strukturiert werden. Auf dieser Grundlage ordnet er die europäischen Großstädte insbesondere nach ihrer Wirtschaftskraft und ihren Standortqualitäten. Dabei unterscheidet er: global cities: x
metropolitane Stadtregionen
x
national bedeutsame Stadtregionen und
x
Städten nachgeordneter Rangkategorie
Die hierarchische Abstufung versteht Krätke nicht als starre Rangordnung, sondern als Ausdruck veränderlicher Beziehungen in einem Netzwerk von Stadtregionen. Die jeweilige Position einer Stadtregion im europäischen Städtesystem müsse zum Ausgangspunkt für weiterführende Vergleichsuntersuchungen werden. Zentral sei die Frage, in welche Richtung sich bestimmte Stadtregionen entwickeln und welche Position innerhalb des Städtesystems zukünftig als erreichbar erscheint.
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Mit Hilfe neuer Informations- und Kommunikationstechnologien wird die funktionale und räumliche Reichweite von Direktions- und Kontrollbeziehungen zwischen den Unternehmenseinheiten enorm vergrößert. Dadurch können Konzernzentralen auf weniger Stadtregionen konzentriert werden, während sich gleichzeitig mit Hilfe neuer Informations- und Kommunikationstechnologien neue Möglichkeiten zur Dezentralisierung und Fernsteuerung von Unternehmenseinheiten ergeben.
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Abbildung 32: Städtesystem in Europa
Quelle: Krätke 1995, 143
Den vier identifizierten Typen europäischer Großstädte (siehe Oben), ordnet Krätke die folgenden Merkmale zu und zeigt beispielhaft welche europäischen und deutschen Städte den jeweiligen Typen entsprechen (Krätke 1995: 139).
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Abbildung 33: Ökonomisch-funktionale Hierarchie europäischer Stadtregionen Typ 1 Global Cities
2 Europäische metropolitane Stadtregionen
3 National bedeutende Stadtregionen
4 Städte mit einer Spezialisierung auf innovative Produktionsstrukturen 5 Städte mit einer Spezialisierung auf Funktionen der standardisierten Massenfertigung 6 Marginalisierte Stadtregionen
Typisierungsmerkmal
Beispielstädte
Übergewicht von Unternehmenszentralen und Finanzzentren mit internationalem Geschäftsfeld, Konzentration hochrangiger unternehmensbezogener Dienstleistungen Konzentration von Unternehmenszentralen und Finanzzentren mit europaweitem Geschäftsfeld, Konzentration hochrangiger unternehmens-orientierter Dienstleistungen, bedeutender Standort für innovative Produktionsstrukturen Standort intranational bzw. regional bedeutsamer Unternehmen und Dienstleistungen, Standort für innovative Produktionsstrukturen oder standardisierte Produktion Konzentration von Produktionsstätten und Firmen mit flexibler Produktion und Vernetzung, vielfältiges Angebot von unmittelbar produktionsorientierten Dienstleistungen Übergewicht von häufig extern kontrollierten Betrieben mit traditionellen Organisationsformen
London, Paris
Niedergang oder Fehlen lebensfähiger industrieller Produktionsstätten, geringes Angebot unternehmerischer Dienstleistungen, bedeutender Umfang der informellen Ökonomie
-
Frankfurt/Main, Hamburg, Berlin, München
Düsseldorf, Dortmund
Stuttgart
Duisburg
Quelle: Krätke 1995: 139
Auf dieser Grundlage prognostiziert er, dass sich im Verlauf der europäischen Integration das europäische Städtesystem in zweierlei Hinsicht polarisieren werde: x die Entwicklungsdifferenzen zwischen den Stadtregionen der jeweiligen nationalen Wirtschaftsräume würden sich verstärken; x wie auch die Differenzen zwischen den städtischen Entwicklungstypen im gesamteuropäischen Maßstab. Durch die europäische Integration würden insbesondere die „global cities“ und die metropolitanen Stadtregionen begünstigt. Dagegen müssten die vom Netz der metropolitanen Stadtregionen abhängigen Zentren von nationaler Bedeutung sowie die vom europäischen Produktionszusammenhang abgekoppelten Städte um neue Entwicklungschancen konkurrieren (1995: 144). Daraus folgt eine Polarisierung im Sinne von begünstigten Städten an der Spitze des europäischen
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Städtesystems („global cities“ und die metropolitane Stadtregionen) und benachteiligten, abhängigen und abgekoppelten Städten am unteren Ende der Hierarchie. Mit den beschriebenen Auswirkungen auf die Großstädte des deutschen Städtesystem hat sich aktuell insbesondere Blotevogel auseinandergesetzt. Die derzeitigen Transformationsprozesse im globalen und im europäischen Standortwettbewerb ließen sich seiner Meinung nach nur dann angemessen beurteilen, wenn einige zentrale historische Entwicklungen des deutschen Städtesystems berücksichtigt werden. Dabei zeige sich der zweite Weltkrieg und seine politischen Folgen als der wohl tiefste Einschnitt. Berlin verlor einen Großteil seiner Metropolfunktionen und viele große Konzerne verließen die Stadt. Von der deutschen Teilung profitierten vor allem die großen west- und süddeutschen Regionalzentren. Als sich zeigte, dass die Verkehrsverbindungen nach Berlin unter sowjetischer Kontrolle bleiben würden und der politische Status der Stadt unsicher war, zogen die Banken nach Frankfurt/Main und Düsseldorf. Der Raum Köln/Bonn übernahm die wichtigsten politischen Leitfunktionen. Hamburg und München wurden zu Medienzentren und zu Standorten modernster Industrien. Diese Entwicklungen festigten die dezentrale, föderale Struktur des deutschen Bundesstaates und hatte erhebliche Auswirkungen auf die Struktur des deutschen Städtesystems. Während Nationalstaaten mit einer zentralistischen Struktur wie Großbritannien, Frankreich und Portugal große Metropolen hervorbrachten (Paris, London, Lissabon), sind Länder mit föderaler Tradition, wie Deutschland, die Schweiz oder die Niederlande, durch ein funktional differenziertes, arbeitsteiliges Städtesystem charakterisiert. Ob im Prozess der europäischen Integration und der wirtschaftlichen Globalisierung ein Städtesystem mit einer herausgehobenen Metropole oder aber ein arbeitsteilig differenziertes Städtesystem von Vorteil ist, wird in Politik und Wissenschaft kontrovers diskutiert (vgl. Matejovski 2000). In Deutschland wurde die Diskussion um „Metropolen“ vor allem durch die Debatten um die neue Rolle der alten Bundeshauptstadt Berlin angestoßen. Seit 1995 wurde außerdem mit dem „Raumordnungspolitischen Handlungsrahmen der Ministerkonferenz für Raumordnung“ die Kategorie Europäische Metropolregion in das Instrumentarium der deutschen Raumordnungspolitik eingeführt. Als europäische Metropolregion gelten danach „räumliche und funktionale Standorte, deren herausragende Funktionen im internationalen Maßstab über die nationalen Grenzen hinweg ausstrahlen“ (Bundesministerium 1995). In diesem Sinne wurden sieben Agglomerationen in Deutschland als Metropolregionen anerkannt: Berlin und die umliegenden Gemeinden Brandenburgs, die Großstadtregionen Hamburg, München und Stuttgart, die Region Rhein-Main mit Frankfurt als
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Zentrum, Rhein-Ruhr, mit den Großstädten Köln und Düsseldorf, das Ruhrgebiet (Duisburg, Dortmund und Essen) sowie das Städtedreieck Halle, Leipzig und Dresden in den neuen Bundesländern (zukünftig erweitert zum Wirtschaftsraum „Mitteldeutschland“ um die Thüringer Städtereihe und die Oberzentren von Sachsen-Anhalt). Neu als Metropolregionen aufgenommen wurden im Jahr 2005 Nürnberg, Hannover-Braunschweig-Göttingen, Rhein-Neckar mit Mannheim und Ludwigsburg sowie die Region um Bremen und Oldenburg. Die räumliche Verteilung dieser großen Stadtregionen und ihre spezifische Beschäftigtenstruktur in ausgewählten Wirtschaftszweigen des tertiären Sektors verdeutlicht Abbildung 34 (Blotevogel 2000: 156). Die Winkel der Kreissektoren zeigen den Anteil der zentralörtlichen Wirtschaftszweige an der Gesamtzahl der Beschäftigten. Deutlich wird die ausgeprägte funktionale Spezialisierung und Arbeitsteilung zwischen den deutschen Metropolregionen.
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Abbildung 34: Höhere Zentralfunktionen der großen Zentren in Deutschland 1995
Quelle: Blotevogel 2000:156
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Auf der Grundlage dieses empirischen Befundes, lassen sich in der momentanen Debatte um die Entwicklung der großen Städte oder Metropolregionen zwei Positionen unterscheiden: (a) Ähnlich wie Krätke argumentiert Blotevogel (2000: 165 ff.). Mit einem Verweis auf die „Geografie“ der neuen, globalisierten Ökonomie, prognostizieren sie einen Bedeutungsgewinn von Metropolen. Sie werden als Knotenpunkte der globalen Netzwerkökonomie quasi an die Stelle der tradierten, territorialen Ordnung von Nationalstaaten und ihren Volkswirtschaften treten. Jenseits lokalund regionalpolitischer Eitelkeiten und Marketingstrategien könne es zukünftig weder dem Bund, noch den Ländern und schon gar nicht den Großstädten gleichgültig sein, inwieweit das deutsche Städtesystem auf der metropolitanen Ebene leistungs- und wettbewerbsfähig ist. „Deutschland brauche nicht eine Metropole, sondern ein metropolitanes Netzwerk als integraler Bestandteil des europäischen Städtesystems“ (ebenda: 166). Trotz der gleichzeitig prognostizierten Polarisierungstendenzen liege es im ureigensten Interesse von Bund, Ländern und Großstädten, die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit gerade der besonders leistungs- und wettbewerbsfähigen deutschen Großstädte zu fördern, hin zu einem metropolitanen Netzwerk. (b) In dieser Debatte um Metropolen und metropolitane Netzwerke merkt Häußermann kritisch an (2000: 74), dass der Begriff der Metropole hierarchischen Ordnungssystemen entstamme. In modernen Organisationskonzepten würden Zentralen eine geringere Rolle spielen als in früheren. Die Delegation von Verantwortung, die Dezentralisierung von Entscheidungen, die Konkurrenz von Unternehmensteilen miteinander würden dort als Rezepte für Innovationen sowie zur Steigerung von Produktivität gelten. Sie würden eine höhere Flexibilität und Produktivität garantieren als zentralistisch-hierarchische Systeme. Diese Einsicht könne auch auf das Städtesystem übertragen werden: nicht ein Zentrum, sondern viele Zentren; nicht hierarchische Kommunikation, sondern Vernetzung; nicht zentral gesteuerte Arbeitsteilung, sondern Entfaltung verschiedener Begabungen im Wettbewerb und in arbeitsteiliger Kooperation. Diese Argumentation führt jedoch zu einer Verschiebung der Perspektive gegenüber der ersten, oben dargestellten Position. Vermutet wird, dass sich das komplementäre, funktional spezialisierte deutsche Städtesystem, flexibler entwickeln könne, als stark zentralisierte Städtesysteme. Ist dies tatsächlich der Fall, stellt sich die Frage nach der Entwicklungsfähigkeit jedoch auf eine andere Art. Sollen die bereits wettbewerbsfähigsten deutschen Großstädte speziell gefördert werden oder die Vernetzung der Großstädte untereinander, hin zu einem arbeitsteiligen, kooperativen Netzwerk trotz Wettbewerb.
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Den beiden formulierten Positionen und ihren jeweiligen Schlussfolgerungen für das europäische und das deutsche Städtesystem liegen theoretische Annahmen und Ansätzen zu Grunde, die im nachfolgend skizziert werden. Auf diesem Weg können die zentralen Hypothesen über die Ursachen der Polarisierung zwischen und innerhalb der Großstädte deutlicher identifiziert werden. 4.1.2
Konkurrierende Ansätze zur Analyse von Großstadtregionen
In der Öffentlichkeit dominieren seit einigen Jahren die Thesen der „Globalisten“, die sich in der Stadtforschung insbesondere auf den „world-city-Ansatz“ (Friedman 1982) und den „global-city-Ansatz“ (Sassen 1990) beziehen. Sie betrachten lokale Strategien als relativ hilfloses Agieren angesichts übermächtiger (Welt-) Marktprozesse. Die Städte hätten eigentlich kaum eine andere Wahl, als sich der dominanten Logik der globalen (Finanz-) Märkte anzupassen. Begründet wird diese Sichtweise durch eine betriebswirtschaftlich orientierte Argumentationskette. Danach wird die Entwicklung der großen Städte und der Metropolen durch die Logik von Unternehmensstrategien und Marktkonkurrenz dominiert. Immer mehr Unternehmen würden sich über Regionen und Nationalstaaten hinweg zu transnationalen Netzwerkunternehmen zusammenschließen („global player“), unabhängiger von traditionellen Standortfaktoren produzieren (Rohstoffen, Infrastrukturen) und sich das notwendige Kapital, wie auch Güter, Technologie und Informationen, mit Hilfe weltweiter (Daten-) Netze beschaffen. In letzter Konsequenz werde ein erheblicher Teil der Arbeit standortlos (z.B. Telearbeiter, Zulieferer, Informationen) und in den „globalen Raum der Ströme“ verlagert (Castells 2001: 468). Nach dieser Argumentation werden die Städte und Regionen zunehmend abhängiger von multinational tätigen Unternehmen und einer gesteigerten, weltweiten Standortkonkurrenz ausgesetzt. Die wachsende Unabhängigkeit dieser Unternehmen von territorialen Bindungen und lokalen Arbeitsmärkten stärke außerdem ihre Verhandlungsmacht gegenüber den Städten und Regionen. Letztere werden nicht nur abhängiger von den Entscheidungen in den jeweiligen Konzernzentralen, sondern verlieren aufgrund des „äußeren“ Anpassungsdrucks durch die gesteigerte Standortkonkurrenz erheblich an Gestaltungsspielräumen. Diesem Macht- und Gestaltungsverlust könnten lediglich einige wenige „global-cities“ entgehen, die über eine möglichst große Anzahl von weltweit operierenden Unternehmen auf ihrem Territorium verfügen. Dazu werden die Konzernzentralen transnationaler Unternehmen gezählt, international tätige Finanzinstitutionen sowie qualitativ hochwertige Unternehmensdienstleistun-
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gen11. Sie würden in den global vernetzten Metropolen ein Produktions- und Managementnetzwerk mit zentralen Steuerungs- und Kontrollaufgaben bilden, das als „metropolitaner Komplex“ bezeichnet wird. Die räumlich ungleiche Verteilung dieser hochspezialisierten und globalisierten Wirtschaftsfunktionen sei die Grundlage für die Herausbildung einer internationalen Städtehierarchie (Läpple 2001: 22). An der Spitze dieser Hierarchie würden jene (wenigen) „global cities“ stehen, deren Produktions- und Managementnetzwerke die höchste Leistungsfähigkeit und die größte Reichweite entfalten. Am unteren Ende dieser Hierarchie befinden sich von „außen“ kontrollierte und gesteuerte Ausführungsstädte. Zusätzlich zu dieser Polarisierung in „Gewinner“- und „Verliererstädte“, würden sich die Städte aber auch intern spalten und zwar in räumlicher und in sozialer Hinsicht („dual city“). Räumlich entstehe mit der Herausbildung metropolitaner Komplexe eine „neue Form städtischer Zentralität (Sassen 2001: 85f.): neben dem zentralen „business-districts“ zählen dazu auch moderne Konsum-, Kultur- und Freizeiteinrichtungen. Sie würden gemeinsam mit den privilegierten Stadtquartieren der „high-professionals“ einen scharfen Gegensatz zu den benachteiligten (Arbeiter-) Quartieren der städtischen Unterschichten bilden zu denen auch viele Bewohner mit Migrationshintergrund gehören („Armut im Reichtum“). Dieser räumlichen Spaltung liege eine soziale Spaltung der Stadtgesellschaft in Gewinner und Verlierer zugrunde. Gewinnen würden hochqualifizierte und international orientierte Dienstleister der metropolitanen Komplexe durch einen Zugewinn an Informationen, Wissen, Macht und Geld. Ihre langen Arbeitstage und ihre große Mobilität erfordere ein vielfältiges Angebot persönlicher Dienstleistungen, um sich von möglichst vielen zeitintensiven Arbeits- und Alltagsverrichtungen zu entlasten. Verlieren würde die Arbeiterschaft in den traditionellen Industrien sowie gering qualifizierte und schlecht bezahlte Dienstleister in unsicheren Beschäftigungsverhältnissen. An der „global-city-Hypothese“ wird vor allem ihre betriebswirtschaftliche Verengung und die Konzentration auf die hochwertigen, international orientierten Finanz- und Unternehmensdienstleistungen kritisiert. Ihr Forschungsgegenstand seien nicht die großen Städte insgesamt, mit ihren komplexen und verschiedenartigen Teilökonomien, sondern lediglich die metropolitanen Komplexe insbesondere von New York, Tokio und London (Läpple 2001: 30). Selbst in diesen drei Metropolen könnten aber lediglich 15% der Beschäftigten zum metropolitanen Komplex gezählt werden (Sorper 1997: 226 ff.). Obwohl die 11
Viele zentrale Kontroll- und Managementaufgaben würden die Unternehmensleitungen aufgrund ihrer Komplexität auslagern: an hochspezialisierte Dienstleistungsunternehmen wie Rechtskanzleien, Unternehmensberatungen, Finanzdienstleister sowie Werbe- und Marketingunternehmen (Sassen 2001).
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„Globalisten“ diesen Einwand zugestehen, verweisen sie auf die zentrale strategische Bedeutung des metropolitanen Komplexes für den städtischen Raum und die Entwicklung der Metropolen. Fraglich bleibt dennoch, ob sich mit derart eingegrenzten Analysen, die besondere Komplexität großstädtischer Entwicklungen angemessen untersuchen lässt? Insbesondere Regionalökonomen und Stadtsoziologen charakterisieren Städte und Regionen weder als relativ passive Resonanzkörper globaler Entwicklungsprozesse12, noch als relativ autonome räumliche Wirtschaftseinheiten, sondern beschreiben ein „Standortparadox“ (Porter 1999: 52). „Die dauerhaften Wettbewerbsvorteile in einer globalen Wirtschaft liegen häufig besonders in Regionen, sie beruhen auf der Konzentration von hochspezialisierten Fertigkeiten und Kenntnissen, Institutionen, Konkurrenten sowie verwandten Unternehmen und anspruchsvollen Kunden. Geographische, kulturelle und institutionelle Nähe führe zu privilegiertem Zugang, engeren Beziehungen, kräftigen Anreizen und weiteren Produktivitäts- und Innovationsvorteilen, die sich schwerlich aus der Ferne nutzen lassen“ (Porter 1999: 63). Für die „Regionalisten“ sind lokale Strategien kein relativ hilfloses Unterfangen angesichts globaler Veränderungsprozesse. Durch die Förderung und Bündelung endogener Potentiale könnten globale Herausforderungen überhaupt erst erfolgversprechend bearbeitet und bewältigt werden. Diese Argumentation beruht insbesondere auf regionalwirtschaftlichen Argumenten. Einzelne Unternehmen seien zwar von zentraler Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung (von Regionen). Ihre Abhängigkeit von regionalen „Kontexten“ nehme jedoch nicht ab, sondern eher noch zu. Zu diesen „Kontexten“ gehören Institutionen und Netzwerke von Politik, Verwaltung und Wissenschaft sowie arbeitnehmerische Qualifikationen und Kompetenzen13. Vor allem die innovationsorientierte Regionalforschung betont die zentrale strategische Position der Städte und Regionen. Hier müssten lokale mit globalen Prozessen vermittelt werden, „top-down“ - mit „bottom-up“ - Entscheidungen. Städte und Regionen hätten den Charakter einer intermediären Gesellschaftsebene14 mit spezifischen ökonomischen, sozialen sowie politischen Institutionen
12
13
14
Die Globalisierung ist nicht ein von oben nach unten gerichteter Vorgang, der sich außerhalb von Nationalstaaten, Regionen und Städten entfaltet und dann „gleichsam durch einen Trichter in die untergeordneten Ebenen“ ergießt (Schmid 1996, 231). Zur Ökonomie der Stadt gehören auch eine Vielzahl nichtmarktmäßig vermittelter Effekte, Kontexte und Vernetzungen. Stadtregionen bilden für die verschiedenen Akteure ein komplexes Kommunikations-, Lern- und Handlungsfeld, für die regionalen Betriebe ein Kooperations- und wenn möglich auch ein Innovationsmilieu (Läpple 1999). Ganz ähnlich argumentiert Benz aus Sicht der Politikwissenschaft: „Die Region ist als intermediäre Organisation zwischen Staat und Kommunen sowie zwischen Staat und Gesellschaft
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und Netzwerken (Läpple 1999). Um die Dynamiken des Strukturwandels einschätzen zu können, ließen sich die komplexen Wirkungsmechanismen zwischen lokalen und globalen Einflüssen am besten in Stadtregionen untersuchen. Ausgehend von sich erfolgreich entwickelnden Regionen15 entstanden in den 1990er Jahren Analysekonzepte, die sich insbesondere auf Begriffe wie Region, Netzwerk und Innovation stützen. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass technologische und ökonomische Fortschritte einzelner Unternehmen in der Regel nicht hinreichend seien. Erst durch vielfältige Vernetzungen in einem regionalen Milieu16 seien Innovationen entstanden und zum Markterfolg geführt worden. Neben dem jeweiligen Unternehmen ermögliche vor allem die spezifische Vernetzung mit anderen Unternehmen (z.B. Zulieferer), mit der Kommune, den Finanzinstituten, den Verbänden, Kammern und Forschungseinrichtungen Innovationen. Gerade durch die Einbettung von Unternehmen in kollektiv lernund veränderungsfähige regionale Milieus könnten Unternehmen ihre Konkurrenzfähigkeit auf globalisierten Märkten steigern. Dies werde zukünftig in noch stärkerem Maße gelten, angesichts der Entwicklung zur Wissensgesellschaft. Denn Lernprozesse, Kompetenzen und Innovationen würden sich vor allem aus dem impliziten Wissen regionaler Milieus speisen („tacit knowledge“). Für dieses implizite Wissen bilden die regionalen Qualifikations- und Unternehmensstrukturen die Basis. Dazu gehöre vor allem die räumliche Nähe für „face-to-face“-Kontakte, Erfahrungen mit institutioneller Kooperation und Vertrauen: ein „auf institutioneller und räumlicher Nähe basierender Verflechtungszusammenhang und Handlungskontext“ (Blotevogel 1999: 56). Gestützt auf diese Wirkungsprozesse, sprechen die „Regionalisten“ von einem Bedeutungsgewinn des Lokalen gerade in Zeiten der Globalisierung („Glokalisierung“). Gegen ihre auch empirisch untermauerten Argumente entwickelte sich aber gleichfalls eine vielschichtige Kritik. Problematisiert wird zum einen die (Über-) Betonung von Kooperationen in der Diskussion über regionale Milieus, Netzwerke und Innovationen. In dieser Diskussion wird darauf verwiesen, dass Akteursnetzwerke relativ dauerhafte, auf Gegenseitigkeit beruhende Vertrauensbeziehungen benötigen. Vertrauen werde vor allem durch räumliche Nähe befördert, sei grundlegend für den Auf-
15
16
zu begreifen und sie muss entsprechende Koordinations- und Vermittlungsprozesse organisieren“ (Benz 2001: 68). Es handelte sich insbesondere um Regionen wie das „Dritte Italien“, Baden-Württemberg oder das Silicon Valley. Der Begriff geht auf Alfred Marshall (1920) zurück, der als „industrial distrikt“ ein regional konstituiertes, vielfältig verflochtenes und abgrenzbares Produktionssystem bezeichnet hat. Seit den 1990er Jahren erfährt der Begriff eine erneute Konjunktur, vgl. Häußermann 1992, S. 14.
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bau von Netzwerken sowie innerhalb funktionstüchtiger Netzwerke und erleichtere den vorbehaltlosen Austausch von Informationen und Ressourcen (Hellmer u.a. 1999: 61). Erst nach und nach entstehe Vertrauen durch gemeinsame (positive) Erfahrungen unterschiedlicher Akteure und führe zu einem berechenbaren Umgang, sodass „die Partner die Schädigung ihrer wechselseitigen Interessenpositionen vermeiden werden“ (Scharpf 1993: 76). Räumliche Nähe und längerfristige Beziehungen, so die Kritiker dieser Position, würden immer auch mit Interessenkonflikten und Misstrauen einher gehen. Beteiligte Akteure würden trotz gemeinsamer Anliegen auch individuelle Ziele verfolgen und versuchen, diese gegen andere durchzusetzen. Kennzeichnend für länger bestehende Netzwerke sei deshalb die Gefahr der sozialen Schließung (Seilschaften, „old-boys-networks“), wodurch notwendige Veränderungen oder Innovationen blockiert werden können. Bei der Einschätzung von regionalen Akteursnetzwerken müsse demnach untersucht werden, ob es sich eher um offene, veränderungsfähige Netze handelt, oder um relativ geschlossene, blockierende Netze. Insgesamt bezieht sich die Aufwertung von regionalen, möglichst veränderungsfähigen Netzwerken, zunächst auf die Handlungsperspektive von Unternehmen. In wieweit die ganz unterschiedlichen Unternehmen tatsächlich auf lokale Netzwerke in Städten und Kommunen angewiesen sind, ist derzeit umstritten. Offen bleibt damit auch die Frage, wie die Städte und Kommunen ihre Verhandlungsmacht gegenüber Unternehmen der Region erhöhen können, sollte diese Abhängigkeit tatsächlich bestehen. Wenig öffentlich wahrgenommen und diskutiert werden bisher lokal orientierte Strategien, mit denen die lokale Stadt- bzw. Quartiersökonomie unterstützt bzw. gefördert wird. Dies ist erstaunlich, da die bewohnerorientierten städtischen Dienstleistungen, wie auch die Stadtteilökonomie, in den letzten Jahren zu den wachsenden Segmenten der Stadtwirtschaft gehören (Läpple 1994, Prange, Warsewa 2000). Hierzu zählt ein Großteil der städtischen Arbeitsplätze, insbesondere solche, die keine formal höheren Qualifikationen voraussetzen. Selbst wenn man die außenorientierten, modernen Leitsektoren17 als Motoren der Entwicklung von Stadtregionen forciert fördert, könnten sich diese nur entfalten, wenn sich auch die lokalen und regionalen Wirtschaftssegmente dynamisch entwickeln. Bisher hätten die interregional (innereuropäisch) und international (global) ausgerichteten Strategien der Stadtentwicklung die damit verknüpften Beschäftigungshoffnungen nicht erfüllt. Die „Lokalisten“ bezweifeln die These, dass die ökonomische Dynamik der exportorientierten Sektoren über 17
High-tech-Firmen, moderne Großbetriebe, moderne Finanz-, Dienstleistungs- und Messefunktionen.
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Einkommensströme, Kooperationsbeziehungen und Nachfrageeffekte bis zu den lokalen Zulieferern, Dienstleistern, dem Einzelhandel und diversen Hilfsarbeitskräften durchsickert („trickle down“-Effekt). Durch die außenorientierten Strategien würden die Lebensverhältnisse in den Städten nicht besser, sondern zusätzlich polarisiert. Gerade in den wirtschaftlich dynamischen Stadtregionen sei die soziale Spaltung weit fortgeschritten in Form von räumlich konzentrierter Arbeitslosigkeit, Armut und drohender Ausgrenzung. Zusätzlich zur Förderung der außenorientierten Leitsektoren, werden deshalb verstärkte lokale und regionale Aktivitäten und Ressourcen gefordert. Sie sollen der Bestandspflege dienen und durch zukunftsorientierte, lokale Konzepte regional orientierte Betriebe und Beschäftigungsprojekte fördern. Eine ähnliche Zielrichtung verfolgen auch ökologisch argumentierende Autoren. Sie kritisieren an den ökonomisch dominierten Analysen die Vernachlässigung der vielschichtigen Gefährdungen der natürlichen Lebensgrundlagen. Gerade in den Großstädten würden schwerwiegende Probleme verursacht, aufgrund ihres enormen Flächen-, Material- und Energieverbrauchs. Seit dem Brundlandt-Report (1987) und der Konferenz von Rio (1992) haben sich deshalb viele (Groß-) Städte auf den Weg begeben, die konkrete Utopie einer zukunftsfähigen oder nachhaltigen Stadtentwicklung in ein realisierbares Leitziel und in praktische Projekte umzusetzen. Diese „Jahrhundertaufgabe“ hat in Deutschland eine kaum noch überschaubare Anzahl von Kommunen auf ihre lokale Agenda gesetzt, durch mittlerweile über 1.300 Beschlüssen von Stadträten. Vor allem auf dem Gebiet des Klimaschutzes setzen viele Städte Maßstäbe für eine nationale und internationale Klimaschutzpolitik. Ein zentrales Argument in dieser Debatte um nachhaltiges Wirtschaften und Ökologie ist der Verweis darauf, dass große Bedarfsfelder kaum den vielbeschworenen Globalisierungszwängen unterliegen: Bauen und Wohnen, Gesundheit, Kultur, regionale Mobilität, Freizeit, Ausbildung sowie die haushaltsbezogenen und auch Teile der produktionsnahen Dienstleistungen. Diese Bereiche könnten sehr wohl ein lokal- oder regionalpolitisches Aktionsfeld für die Vernetzung regionaler Wirtschaftskreisläufe sein (Kopatz, Hennike 2000: 230). 4.1.3
Forschungsfragen und Vorgehen
Trotz der vielfältigen theoretischen Ansätze und wissenschaftlichen Debatten steht die empirische Stadtforschung angesichts der technologischen, wirtschaftlichen und sozialen Umbrüche vor einem Dilemma. Aktuell existiert keine allgemeine, interdisziplinäre Theorie und Empirie der Stadt oder der Großstadt. Die verschiedenen Teildisziplinen der Ökonomie, der Soziologie, der Geografie
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sowie der Politik- und Staatswissenschaften überbieten sich vielmehr darin, lediglich Teilaspekte der Stadt zu analysieren (Friedrich 1995: 16ff). Häußermann formuliert diesen Sachverhalt als „eine auffällige Diskrepanz zwischen der lebendigen Wirklichkeit der europäischen Städte und den theoretischen Modellen zu ihrer Erklärung“ (Häußermann 2001: 236). Bis heute würden in der Stadtforschung Modelle der Stadtentwicklung dominieren, die an amerikanischen Städten entwickelt wurden und dennoch universelle Gültigkeit beanspruchen. Die amerikanische Stadt stehe jedoch idealtypisch für eine „radikale Moderne“, für eine im wesentlichen marktförmig gesteuerte Stadtentwicklung. Die europäischen Städte hingegen konstituierten sich in einem langen historischen Prozess auch als politische Subjekte und soziale Organismen. Gegen eine rein marktförmige Stadtentwicklung intervenierten vor allem die besitzenden Stadtbürger und soziale Bewegungen, insbesondere die Arbeiterbewegung. Sie erkämpften während der bürgerlichen und der industriellen „Revolution“ Institutionen kommunaler Selbstverwaltung, gewerkschaftliche Gegenmacht und Organisationen der Selbsthilfe. Die europäische Stadt sollte nicht allein das Resultat von Marktprozessen sein, sondern auch den Vorstellungen und Bedürfnissen seiner Bewohner entsprechen. Ökonomische und soziale Interessen sollten durch politische Repräsentation, staatliche Regulierung und planerische Anstrengungen im Sinne eines öffentlichen Gemeinwohls abgewogen werden. Insofern lasse sich die europäische Stadt idealtypisch als „moderate Moderne“, als politisch gezügelte, soziale Marktwirtschaft charakterisieren. Aufgrund dieser europäischen Städtetradition wurde in der folgenden Untersuchung die Einengung auf ökonomische Faktoren großstädtischer Entwicklung vermieden, ohne deshalb deren besondere Relevanz zu übergehen. Diese Vorgehensweise entspricht auch dem Stand der aktuellen wissenschaftlichen Diskussion18. Seit Ende 1990er Jahre werden verstärkte wissenschaftliche Anstrengungen getätigt, um die verbreiteten ökonomischen Verkürzungen nicht nur in der Stadtforschung zu überwinden. In dieser Untersuchung werden die 15 ausgewählten deutschen Großstädte deshalb nicht allein als Knotenpunkte regionaler und globaler Vernetzungen von wirtschaftlichen Steuerungs- und Dienstleistungszentralen betrachtet. Analysiert wurden auch ihre politischen und sozialen Funktionen, insbesondere ihre jeweiligen politischen Handlungs- und Steuerungskapazitäten. Denn „schon die Einbeziehung der politischen Sphäre ist keineswegs selbstverständlich“ (Blotevogel 2000: 147). Versucht wurde eine umfassendere Analyse großstädtischer Entwicklungen, bei der auch die Rolle 18
King, Anthony D. (1995), Representing the city. Ethnicity, capital and culture in the 21st century, London. Featherstone, Mike, Lash, Scott (1999), Spaces of culture. City, nation, world, London.
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der politischen Institutionen, der politischen (Steuerungs-) Kultur sowie soziale und haushaltspolitische Faktoren berücksichtig wurden. Wie stark die 15 ausgewählten Großstädte in spezifische gesamteuropäisch und international verflochtene Städtenetzwerke eingebunden sind, stand bei dieser Untersuchung zum nationalen Städtesystem nicht im Mittelpunkt. Der Blick auf das nationale Städtesystem zielte auch nicht auf Ergebnisse, um ein hierarchisches Städtesystem mit „Gewinnern und Verlierern“ gruppieren zu können. Im Mittelpunkt des Interesses standen die grundlegenden wirtschaftlichen, sozialen und (Haushaltspolitischen Veränderungen in den einzelnen Großstädten seit 1990(Längs) schnittanalyse). Um diese vielfältigen Veränderungsprozesse in einer notwendig differenzierten Form analysieren zu können, wurden exemplarisch unterschiedliche großstädtische „Entwicklungsfelder“ ausgewählt (Stadtentwicklung, lokale Demokratie, Verwaltungsmodernisierung, Mitbestimmung). Gefragt wurde danach, ob sich die einzelnen Großstädte in ähnlicher Weise zu modernen Dienstleistungsstädten entwickeln oder ob jede einzelne Großstadt einen spezifisch eigenständigen Entwicklungspfad verfolgt? Welches sind die zentralen Faktoren, durch die sich das deutsche Städtesystem wie prognostiziert weiter polarisiert? Zur Beantwortung dieser zentralen Forschungsfragen wurden die drei folgenden Hypothesen entwickelt: x
Haben sich die 1990 bestehenden Entwicklungsdifferenzen zwischen den 15 Großstädten weiter verstärkt oder gibt es auch ausgleichende Entwicklungen? Was heißt angesichts der konkreten Entwicklungsprozesse „Polarisierung“, insbesondere in einem räumlich verteilten, arbeitsteiligen Städtesystem wie in Deutschland?
x
Wird eine umfassendere Perspektive großstädtischer Entwicklung zu Grunde gelegt [wirtschaftlich, sozial, (Haushalts-) politisch], profitieren auch dann diejenigen Großstädte mit einem möglichst leistungsfähigen und dynamischen Dienstleistungskomplex?
x
Lässt sich in den wirtschaftlich besonders dynamischen Stadtregionen eine besonders tiefe soziale Spaltung nachweisen? Ein solcher Zusammenhang würde die Bestrebungen in vielen Großstädten in Frage stellen, warum sie möglichst weit Oben in der Städtehierarchie angesiedelt sein sollen.
Überprüft wurden diese Fragestellungen und Hypothesen anhand von vier zentralen Untersuchungsfeldern großstädtischer Entwicklung: x
Bevölkerungsentwicklung und Haushaltsstrukturen: Charakterisieren die fünfzehn Großstädte ähnliche oder unterschiedliche Bevölkerungstrends? Von besonderem Interesse war die Frage, ob die Bevölkerung auch in den
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Großstädten „altert“ oder ob es zu diesem allgemeinen Trend auch Gegenbeispiele gibt? x
Wirtschaft und Beschäftigung: Befinden sich alle fünfzehn Großstädte auf einem ähnlichen Pfad in die wissensorientierte Dienstleistungsstadt oder bedeutet Polarisierung auch, dass sich unterschiedliche Entwicklungspfade abzeichnen?
x
Probleme institutioneller Integration: Ist die so genannte „Integrationsmaschine Stadt“ überall ins Stocken geraten oder gibt es deutliche Unterschiede bei der Betroffenheit durch Arbeitslosigkeit, Sozialhilfebezug und politische (Wahl-) Beteiligung in den einzelnen Städten?
x
Kommunale Finanzen: Ist für die finanzpolitische Situation der Städte durchgängig der Begriff der „städtischen Armut“ zutreffend, oder verfügen die einzelnen Großstädte, trotz wachsender Haushaltsdefizite, über unterschied große finanzielle Handlungsspielräume?
Angesichts der bereits thematisierten, widersprüchlichen Situation der Großstädte mit zum Teil gegenläufigen Entwicklungstrends, wurden die 15 Großstädte nach den vier genannten Entwicklungsfeldern getrennt einer vergleichenden Analyse unterzogen. Die Ergebnisse werden im folgenden Kapitel dargestellt (Kapitel 4): Demografie und Haushaltsstrukturen (4.1.1), Wirtschaft und Beschäftigung (4.1.2), Probleme institutioneller Integration (4.1.3) sowie kommunale Finanzen (4.1.4). Zuvor werden noch die ausgewählten Indikatoren dargestellt und die Aufbereitung der Daten erläutert.
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
125
Abbildung 35: Bildung von Indikatoren und Variablen Indikator 1 Demografie Und Haushalte
Indikator 2 Wirtschaft und Beschäftigung
1990 – 1995 – 1999/2000
1990 - 1995 –1999/2000
Indikator 3 Probleme institutioneller Integration 1990 - 1995 – 1999/2000
Indikator 4 Kommunale Finanzen 1990 – 1995 – 1999/2000
Variablen
Variablen
Variablen
Variablen
x Bevölkerung insg. x BevölkerungsentWicklung x Anteil d. Bewohner mit Migrationshintergrund x Altersgruppen: - Unter-18Jährige - 18 - 65Jährige - über 65 Jährige x Private Haushalte: - Eine Personen - Über-3Personen
x Erwerbs- und Beschäftigtendichte x Frauenerwerbsquote x Anteil der Beschäftigten nach den Wirtschaftszweigen: x Verarb. Gewerbe x Baugewerbe x Handel x Verkehr x Kreditwirtschaft x Sonst. Dienstleistungen x Bruttoinlandprodukt je Einwohner
x Arbeitslosenquote x Anteil der Sozialhilfeempfänger x Öffentliche Ausgaben für Sozialhilfe je Einwohner x Kommunale Wahlbeteiligung
x Verwaltungshaushalt: - Zahlungen von Bund, LAF, ERP und Land je Ein wohner - Gebühreneinnah me je Einwohner - Ausgaben für so ziale Leistungen je Einwohner x Vermögenshaushalt: - Investitionszuweisungen von Bund, LAF, ERP und Land je Einwohner - Bauausgaben je Einwohner x Steuereinnahmen je Einwohner x Schulden je Einwohner
Quelle: Großstädteprojekt
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
126
Für die empirische Analyse der fünfzehn Großstädte mussten die notwendigen Daten aus unterschiedlichen Quellen recherchiert, aufbereitet und analysiert werden. Folgende Datenquellen wurden dabei genutzt: x
Statistisches Jahrbuch Deutscher Gemeinden, verschiedene Jahrgänge
x
Statistische Landesämter von Baden Württemberg, Bayern, Bremen, Berlin, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein Westfalen und Sachsen
x
Statistische Ämter der Städte Hannover, Frankfurt, Dresden, Leipzig, Nürnberg, Stuttgart, Köln, München, Essen, Duisburg, Düsseldorf und Dortmund
x
Statistisches Jahrbuch der Städte Düsseldorf, Dortmund, Nürnberg, Bremen, Stuttgart
x
Internetdarstellung der Städte Berlin, Hamburg, Bremen, Hannover, Frankfurt, Dresden, Leipzig, Nürnberg, Stuttgart, Köln, München, Essen, Duisburg, Düsseldorf und Dortmund
x
Statistisches Bundesamt
Mit Hilfe dieser Quellen wurden Sekundärdaten gewonnen und eine Datenbank aufgebaut. Sekundärdaten zeichnen sich dadurch aus, dass die Daten aus schon ausgewerteten Material stammen und mit ihnen eine erneute Analyse mit neuen Fragestellungen durchgeführt wird. Eines der Hauptprobleme der Sekundäranalyse ist die Validität, also die Gültigkeit der vorliegenden Daten in Bezug auf die neuen Fragestellungen. Die Sekundärdaten gestatten größere statistische Untersuchungen mit einem geringeren zeitlichen und finanziellen Aufwand, sie erfordern keine eigene Feldforschung. Die für dieses Forschungsprojekt erhobenen Sekundärdaten stammen vor allem von verschiedenen Statistischen Ämtern. Die Sekundärdaten wurden für drei unterschiedliche Zeitpunkte (1990, 1995 und 2000) ermittelt, so dass nicht nur ein Querschnittvergleich, sondern auch eine Längsschnittuntersuchung (Panel-Analyse) vorgenommen werden konnte. Anders als bei den Querschnittdaten, die an einem Zeitpunkt oder in einem begrenzten Zeitraum gewonnen werden, zeichnen sich Längsschnittdaten dadurch aus, dass sie an mehreren, mindestens zwei Zeitpunkten erhoben werden. Längsschnittuntersuchungen, wie Panel-Analysen und Retrospektiverhebungen, werden vor allem eingesetzt, um Veränderungsmuster zu identifizieren oder aber auch eine Konstanz von Merkmalen darzustellen. Außerdem eignen sie sich besonders zur Erstellung von Zeitreihen und der Prognose von Trends (Fuchs-Heinritz/Lautmann/Rammstedt/Wienold 1973: 534). Aus den erhobenen Daten wurde eine Datenbank mit Hilfe des PC-Programms SPSS aufgebaut, in
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
127
der für jede der 15 untersuchten Städte ca. 80 Merkmale zu drei verschiedenen Zeitpunkten gespeichert sind.19 Mit den in der Datenbank gespeicherten Werten konnte eine vergleichende Analyse der Entwicklungsbedingungen der Großstädte über die drei Zeitpunkte hinweg erfolgen. Um einen Vergleich der Daten zwischen den Städten zu ermöglichen, wurden Quoten und Mittelwerte für die jeweilige Variablen berechnet. Die Ergebnisse dieser Erhebungen und Analysen haben wir anschließend außerdem für eine Clusteranalyse der Großstädte genutzt. Dabei ging es darum, die Entwicklung der Großstädte zu typisieren und Gruppen ähnlicher Entwicklungen zu identifizieren.
4.2 4.2.1
Sozioökonomische Längsschnittsanalyse 1990 – 2000 Demografie und Haushaltsstrukturen
Der Indikator 1 dient der Analyse der Bevölkerungsentwicklung und der Bevölkerungsstrukturen in den fünfzehn Großstädten. Uns interessiert, ob es in diesen Städten ähnliche oder unterschiedliche Bevölkerungstrends gibt. Dazu betrachten wir die Entwicklung der Einwohnerzahlen in den 1990er Jahren und den Anteil der Bewohner mit einem Migrationshintergrund. Führen die demografischen Entwicklungen auch in den Kernstädten zu der aktuell in Wissenschaft und Öffentlichkeit viel diskutierten gesellschaftlichen „Alterung“? Gibt es „alternde“ und sich „verjüngende“ Großstädte? Ebenfalls berücksichtigt werden die Veränderungen der Haushaltsstrukturen, wobei die alleine Wohnenden (1-Personenhaushalte) und die Familien mit mindestens zwei Kindern (Über-3-Personenhaushalte) von besonderem Interesse sind. Bevölkerungsentwicklung „In einer zutiefst wachstumsorientierten Gesellschaft ist Schrumpfung in der Regel mit der Vorstellung von Niedergang und Verfall verbunden. Dementsprechend wird sie verdrängt. Zuwanderer aber denken nicht an Niedergang und Verfall, sondern an Wachstum und Aufstieg” (Spiegel, 2004, S. 196).
19
Nicht für alle Städte konnten die ca. 80 Merkmale umfassend recherchiert werden. Teilweise lagen die Daten nicht exakt für die Jahre 1990, 1995 oder 2000 vor. Dann wurden dann die Daten nächstliegenden Jahre gewählt (und gekennzeichnet), um ein möglichst komplettes Datenset für jede Großstädte zu erhalten.
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
128
Die Entwicklung der Einwohnerzahl kann als das allgemeinste, viele Entwicklungen bündelnde Merkmal für die Situation einer Stadt angesehen werden. Wenn die Bevölkerung wächst durch höhere Geburten- als Sterberaten oder durch viele Zuzüge, gilt eine Stadt als attraktiv, so die weit verbreitete Ansicht. Seit der Industriellen Revolution ist Stadtentwicklung nur als Stadtwachstum vorstellbar, die gesamte Stadtplanung orientiert sich an Fortschritt und Expansion, Wachstum ist „das bewegende Prinzip der neueren Stadtgeschichte” (Spiegel 2004, S. 183). In Zeiten niedriger Geburtenraten, wie wir sie derzeit beobachten, wachsen Städte nur durch Zuzüge. „Großstädte entstehen und wachsen durch Zuwanderung. Ohne Zuwanderung gibt es nicht nur kein Bevölkerungswachstum, selbst eine Stabilität der Bevölkerung würde es in Großstädten ohne Zuwanderung nicht geben” (Häußermann/Oswald 1997: 9). Zuzüge erfolgen aber nur, wenn sich die Zuziehenden von einem Ortswechsel einen Vorteil versprechen. Dies kann ein Arbeitsplatz oder eine Ausbildung sein, eine bezahlbare Wohnung oder attraktivere Lebensbedingungen. Ob eine Stadt wächst, stagniert oder schrumpft wirkt sich in erheblichem Maße auf das öffentliche Ansehen einer Stadt aus. Es besteht eine Wechselwirkung: Attraktive Städte wachsen – wachsende Städte sind attraktiv. Deshalb benutzen Städte ihr Wachstum gern für eine offensive Selbstdarstellung, wie derzeit besonders Hamburg, dass sein aktuelles Leitbild selbstbewusst „Wachsende Stadt“ nennt20. Tabelle 1: Bevölkerung Bevölkerungszahl 1990 3.465.748
Verä. % 1990-1995 ,18
Bevölkerungszahl 1995 3.472.009
Verä. % 1995-2000 -2,46
Bevölkerungszahl 2000 3.386.667
Hamburg
1.652.363
3,24
München
1.229.026
1,27
1.705.872
-,07
1.704.735
3,17
1.244.676
-4,03
1.194.560
-2,80
Köln
953.551
1,08
Frankfurt
644.865
1,17
963.817
-,14
962.507
,94
652.412
-1,32
643.821
-,16
Essen
626.973
Dortmund
599.055
-1,44
617.955
-2,98
599.515
-4,38
,31
600.918
-1,78
590.213
Stuttgart
-1,48
579.988
1,46
588.482
-1,03
582.443
,42
Düsseldorf
575.794
-,55
572.638
-,66
568.855
-1,21
Bremen
551.219
-,37
549.182
-1,61
540.330
-1,98
Duisburg
535.447
,12
536.106
-3,04
519.793
-2,92
Hannover
513.010
2,49
525.763
-2,10
514.718
,33
Leipzig
496.647
-3,13
481.121
1,75
489.532
-1,43
Nürnberg
493.692
,44
495.845
-1,86
486.628
-1,43
Dresden
481.676
-1,50
474.443
,47
476.668
-1,04
Berlin
Mittelwerte
0,31
Verä. % 1990-2000 -2,28
-1,39
-1,08
Quelle: Statistische Jahrbücher deutscher Gemeinden und eigene Berechnungen
20
http://www.wachsende-stadt.hamburg.de/grafikversion/wachsende_stadt/wachsende_stadt. html, Zugriff vom 5.7.2004
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
129
Wie hat sich die Bevölkerungszahl in den untersuchten 15 Großstädten in den 1990ern entwickelt? Insgesamt fällt auf, dass Bevölkerungswachstum in dieser Phase nur in vier von fünfzehn Großstädten stattfindet, in Hamburg, Köln, Stuttgart und Hannover. In den drei letzteren bleibt das Wachstum unter einem Prozent, nur Hamburg erreicht mit 3,2% eine relativ hohe Zunahme. Alle anderen Städte verlieren in den 1990ern Einwohner, zehn Kernstädte verlieren mehr als ein Prozent ihrer Einwohner. Sehr hohe Verluste verzeichnet Essen (-4,4%), gefolgt von Duisburg (-2,9%) und München (-2,8%). Deutlich ablesbar ist auch, dass die Bevölkerungsentwicklung in diesen zehn Jahren nicht gleichmäßig verläuft. In der Phase von 1990-1995 wachsen noch zwei Drittel der Städte, nämlich alle bis auf die Städte im Ruhrgebiet und die in den Neuen Ländern21. In der zweiten Phase von 1995-2000 sinkt in allen Städten die Bevölkerungszahl, in zehn Städten sogar um mehr als ein Prozent. Eine Ausnahme bilden Hamburg, Dresden und Leipzig. Bei Leipzig und Dresden beruht die Bevölkerungszunahme zum Teil auf Eingemeindungen22. Seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre wachsen die Kernstädte nicht mehr, außer in Hamburg. Die stärksten Bevölkerungsverluste finden in dieser Phase in München (-4%), Duisburg (-3%) und Essen statt (-2%). Von entscheidender Bedeutung bei der Interpretation der Bevölkerungsverluste ist, ob ausschließlich die Kernstadt durch Abwanderung in die Region Einwohner verliert, oder ob die gesamte Großstadtregion schrumpft. Die Stadt verliert dann zwar Steuerzahler und somit viel Geld, aber die Menschen bleiben als potenzielle Konsumenten, Unternehmer, Arbeitskräfte oder Eltern zumindest der Region erhalten. Pohlan (Pohlan 2003: 191ff.) stellt hierzu in seiner Untersuchung zu den deutschen Städten und Regionen für den gleichen Beobachtungszeitraum fest, dass in den alten Ländern in allen untersuchten Stadtregionen die Ränder wachsen, und dass nur die Region Ruhr insgesamt leicht an Bevölkerung verliert (-0,4%). In den neuen Ländern dagegen verlieren die beiden Stadtregionen Dresden und Halle/Leipzig insgesamt an Bevölkerung, auch wenn in Halle/Leipzig zumindest der Rand eine Zunahme aufweist. Die Suburbanisierung, das extreme Abfallen der vor der Wende hohen Geburtenrate23 und 21
22
23
Diesen Trend bildet auch der Mittelwert der prozentualen Veränderung der Bevölkerungszahl zwischen 1990 und 1995 von 0,32 Prozentpunkten ab. Von 1995-2000 fällt dieser Mittelwert dann auf -1,39. So gewann Dresden in den 1990ern durch Eingemeindungen 31000 („Bevölkerungsbewegungen” 2002, Landeshauptstadt Dresden Kommunale Statistikstelle). Vor der Wende lag die Geburtenrate (Lebendgeborene auf 1000 Einw.) in Leipzig 1988 bei 11,84 und in Dresden bei 10,2 (Stadt Leipzig, Statistisches Jahrbuch 1991, Stadt Dresden, Statistisches Jahrbuch 1991). 1995 dagegen hatten Leipzig und Dresden Geburtenraten von 4,5 bzw. 5,6. Keine der untersuchten Städte aus den alten Ländern hatte 1995 einen Wert unter 9,0. Berlin liegt bei 8,3.
130
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
die Abwanderung in den Westen führen zu starken Bevölkerungsverlusten in den Kernstädten der neuen Länder. Im Beobachtungszeitraum ist in den Großstädten eine Trendwende der Bevölkerungsentwicklung ablesbar. Ab 1990 wächst noch die Mehrzahl der Städte, im Durchschnitt findet ein leichtes Wachstum von 0,3% statt. Dieses Wachstum Anfang der 1990er beruhte zu einem großen Teil auf der nach der Wiedervereinigung einsetzenden Binnenwanderung aus den Neuen Ländern. Ab 1995 setzt dann eine entgegengesetzte Entwicklung ein, die von der Wiedervereinigung scheinbar verzögert wurde. Fast alle Kernstädte verlieren Einwohner, im Durchschnitt -1,4%. Über den gesamten Beobachtungszeitraum hinweg verlieren 11 der 15 Großstädte Einwohner. Ein schwaches Wachstum findet in Hannover (0,3%), Stuttgart (0,4%) und Köln (0,9%) statt, ein deutliches von 3,2% ausschließlich in Hamburg. Müssen sich die Kernstädte von dem alten Ideal des Wachstums verabschieden? Von 1990 bis 2000 schrumpfen viele Kernstädte, wenn auch in unterschiedlichem Umfang. Die höchsten Verluste gab es in Essen (-4,4%), Duisburg (-2,9%) und München (-2,8%). Ohne die vollzogenen Eingemeindungen fänden sich auch Dresden und Leipzig in diese Gruppe wieder. Bevölkerungsanteil der Bewohner ohne deutschen Pass Fremdheit ist eines der wichtigen Themen der theoretischen Auseinandersetzung mit der Großstadt. Fremdheit ist ein zentrales Element von Urbanität, von städtischer Kultur und Lebensweise. Im städtischen Alltag sind die Menschen umgeben von Fremden, die dadurch entstehende Anonymität in der Öffentlichkeit, die Abwesenheit von sozialer Kontrolle ist eine Basis für urbane politische und kulturelle Pluralität. Fremdheit ist im großstädtischen Alltag etwas ganz gewöhnliches. Wenn es aber um Fremde geht, die eine andere Nationalität oder Hautfarbe haben, die „nicht von hier“ sind und die nicht die gleiche Sprache sprechen, ist diese Fremdheit nicht mehr selbstverständlich. In der Menschheitsgeschichte hat es immer Migration gegeben. In Deutschland ist der Umgang mit Menschen, die einen Migrationshintergrund haben24, allerdings politisch besonders aufgeladen. Obwohl ein Teil der hier lebenden Bewohner mit Migrationshintergrund auf deutschen Wunsch als sogenannte „Gastarbeiter“ ins Land kamen, wird in der Öffentlichkeit häufig kritisiert, dass diese sich angeblich nicht in ausreichender Weise an die deutsche Kultur anpas-
24
Diese Formulierung erscheint uns sinnvoller, weil das Gegensatzpaar Ausländer/Deutsche auf der Staatszugehörigkeit beruht, einige Bewohner mit Migrationshintergrund inzwischen aber einen deutschen Pass haben. Da dies aber das einzige Kriterium ist, mit dem Zuwanderer statistisch erfasst sind, müssen wir mit diesem Unterscheidungsmerkmal arbeiten.
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
131
sen25. Insofern ist die Bewertung des Anteils von Bewohnern mit Migrationshintergrund in einer Großstadt umstritten Ein hoher Anteil wird häufig als ein Problem für die Städte betrachtet, da sie als lokaler Staat, Kosten für die Integration zu tragen haben und alle in diesem Zusammenhang auftretenden Probleme lösen müssen. Einige Wissenschaftler26 und Lokalpolitiker thematisieren angesichts des demografischen Wandels die Bedeutung von weiteren Zuwanderern jedoch unter dem Gesichtspunkt einer positiven Bevölkerungsentwicklung. Da viele Bewohner mit Migrationshintergrund, verglichen mit den Deutschen, derzeit im Durchschnitt mehr Kinder haben27 und seltener aus den Kernstädten abwandern, kommt ihnen eine zentrale Rolle für die Bevölkerungsentwicklung in den Großstädten zu. Schon vor 1990 hatten sechs von den untersuchten dreizehn Großstädten eine Abnahme der deutschen Bevölkerungsmehrheit zu verzeichnen, und bei allen wurde dies lediglich durch die Zunahme der ausländischen Bevölkerung kompensiert (Statistisches Jahrbuch Deutscher Gemeinden Bd. 79). Lediglich in München und Köln gab es 1999 eine Zunahme bei den deutschen Einwohnern, alle anderen Städte verloren bei dieser Gruppe. Und andererseits hatten lediglich zwei Städte, Frankfurt und Stuttgart, eine Abnahme bei der ausländischen Bevölkerung zu verzeichnen (Statistisches Jahrbuch Deutscher Gemeinden Bd. 88).
25 26
27
Aktuell ablesbar ist das an der Debatte um die deutsche Leitkultur. So stellen Bade/Münz im Migrationsreport 2002 fest: „Deutschland wird im 21. Jahrhundert stärker als bisher auf Zuwanderung angewiesen sein” (Bade/Münz 2002: 20). Und: „Wer nur die Kosten der Integration von Zuwanderern in Rechnung stellt, verschweigt dabei, dass auch das Leben in einer alternden und schrumpfenden Gesellschaft ohne nennenswerte Zuwanderung mit Anpassungskosten und möglicherweise mit Wohlstandsverlusten verbunden ist” (Bade/ Münz 2002: 20). So ist im Jahr 1999 in allen fünfzehn Städten der Geburten/Sterbeüberschuss bei Deutschen negativ und bei Ausländern positiv (Statistisches Jahrbuch Deutscher Gemeinden Bd. 88).
384.698 196.631 243.347 157.336 156.702 50.785 65.896 118.898 83.490 57.878 78.175 53.353 8.443 68.129 8.670
12,7
11,1 11,9 19,8 16,5 24,3 8,1 11,0 20,5 14,5 10,5 14,6 10,4 1,7 13,8 1,8
49.303 78.014 47.907 31.572 39.021 14.100 8.618 25.869 25.311 16.811 15.107 24.460 5.991 14.677 3.191 3,04
1,4 4,2 3,6 3,1 5,7 2,4 1,4 4,1 4,5 3,1 2,8 4,4 1,3 2,9 0,7
Verä. 1990-1995 absolut %Pkt. 434.001 274.645 291.254 188.908 195.724 64.885 74.514 144.767 108.801 74.689 93.282 77.813 14.434 82.806 11.861 15,74
12,5 16,1 23,4 19,6 30,0 10,5 12,4 24,6 19,0 13,6 17,4 14,8 3,0 16,7 2,5
1995 absolut % -508 -12.116 -32.035 -257 -16.741 -7.931 3.984 -5.563 -12.096 -8.768 -10.635 -1.120 10.533 5.274 1.009 -0,41
0,3 -0,7 -1,7 0,0 -2,2 -1,0 0,9 -0,7 -2,0 -1,4 -1,5 0,1 2,1 1,4 0,2
Verä. 1995-2000 absolut %Pkt.
Quelle: Statistische Jahrbücher deutscher Gemeinden und eigene Berechnungen
Mittelwerte
Berlin Hamburg München Köln Frankfurt Essen Dortmund Stuttgart Düsseldorf Bremen Duisburg Hannover Leipzig Nürnberg Dresden
1990 Absolut %
Tabelle 2: Bevölkerungsanteil der Bewohner ohne deutschen Pass
433.493 262.529 259.220 188.651 178.982 56.954 78.498 139.204 96.705 65.920 82.647 76.693 24.966 88.080 12.870 15,33
12,8 15,4 21,7 19,6 27,8 9,5 13,3 23,9 17,0 12,2 15,9 14,9 5,1 18,1 2,7
2000 Absolut % 48.795 65.898 15.872 31.315 22.280 6.169 12.602 20.306 13.215 8.042 4.472 23.340 16.523 19.950 4.200
2,63
1,7 3,5 1,9 3,1 3,5 1,4 2,3 3,4 2,5 1,7 1,3 4,5 3,4 4,3 0,9
Verä. 1990-2000 absolut %Pkt.
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
133
Bevölkerungswachstum erfolgte nur durch den Zuwachs bei den Personen mit Migrationshintergrund. Ihr Anteil liefert somit wichtige Informationen zur genaueren Interpretation der Bevölkerungsentwicklung. Städte mit einem hohen Ausländeranteil verfügen über einen demografischen Vorteil für die Zukunft. Zwar ist davon auszugehen, das im Zuge der Integration auch die Geburtenraten der Zuwanderer sinken, aber vorerst trägt die hohe Rate zur Stabilisierung der Bevölkerungszahl in den Kernstädten bei. Im Beobachtungszeitraum haben durchgehend Frankfurt, Stuttgart und München die höchsten Anteile an Bewohnern ohne deutschen Pass mit 20% und mehr. Auffällig ist der sehr geringe Anteil in Dresden und Leipzig (1990: 1,8% bzw. 1,7%). Dies hatte zwei Ursachen: zum einen die geringe Zahl von Bewohner mit Migrationshintergrund zu DDR-Zeiten, was zu einer relativ homogenen Bevölkerungsstruktur beitrug; zum anderen die niedrige Zahl von Bewohnern mit Migrationshintergrund, die nach der Wende zuzogen, was in erster Linie auf die schrumpfenden Arbeitsmärkte in diesen Städten zurückzuführen sein dürfte. Die Positionen mit den höchsten und den geringsten Werten werden zu den drei Zeitpunkten von den gleichen Städten besetzt. Verschiebungen gibt es lediglich im Mittelfeld. Über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg wächst in allen Städten der Anteil an Bewohnern mit Migrationshintergrund, wobei der Zuwachs in Hannover, Nürnberg, Frankfurt und Hamburg mit jeweils mindestens 3,5 Prozentpunkten am höchsten ist. Am geringsten ist das Wachstum in Dresden, Duisburg und Essen. Hinter diesem Gesamtwachstum von 1990 bis 2000 stehen allerdings unterschiedliche Entwicklungskurven. Von 1990 bis 1995 steigt noch in allen Städten der Ausländeranteil, am stärksten in Frankfurt, Stuttgart, Düsseldorf und Hannover. Zwischen 1995 und 2000 sinkt er jedoch in acht von fünfzehn Städten. Auffällig ist dabei, dass er am stärksten in Städten mit einem überdurchschnittlich hohen Ausländeranteil abnimmt, nämlich in Frankfurt, Düsseldorf und München. Insgesamt nahm die Zahl der Ausländer von 1990 bis 1995 in den Großstädten zu, aber der Trend kehrt sich in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts leicht um.28 Festzuhalten ist, dass der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund im Beobachtungszeitraum nicht in allen Städten gleichermaßen steigt, sondern dass die Städte mit einem attraktiveren Arbeitsmarkt bevorzugte Zielorte sind. Dies widerlegt die in der Öffentlichkeit häufig geäußerte These, das Hauptziel der Bewohner mit Migrationshintergrund sei die Aufnahme in die deutschen Sozialsysteme. Wäre dies der Fall, müssten die Ausländerquoten gleichmäßiger 28
Dies lässt sich auch an der Entwicklung des Mittelwertes ablesen, der 1990 12,7% beträgt, bis 1995 auf 15,74 steigt und dann 2000 leicht auf 15,33 abfällt.
134
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
verteilt sein, und dürften nicht diese starke Polarität aufweisen. Der Zielort der Migration ist offensichtlich nicht beliebig. Altersgruppen Die demografische Entwicklung ist aktuell ein brisantes Thema, dass nicht nur Experten aus der Wissenschaft beschäftigt. Weil die sinkende Geburtenrate und das steigende Durchschnittsalter einen starken Effekt auf das Rentensystem oder die Pflege haben, ist die Veränderung der Alterstruktur in aller Munde. Wir haben uns in unserer Untersuchung auf eine Einteilung in drei Altersgruppen beschränkt: die Minderjährigen, die Personen im erwerbsfähigen Alter und die Rentner. Uns interessiert vor allem ob es auch in den Großstädten Tendenzen der Alterung gibt oder auch gegenläufige Trends. Die Tabelle der Unter-18-Jährigen an der Gesamtbevölkerung bildet deutlich ab, dass sich in den ost- und westdeutschen Großstädten unterschiedliche Alterstrukturen herausgebildet haben und aktuell unterschiedliche Entwicklungen ablaufen. Im Beobachtungszeitraum lässt sich ein Angleichungsprozess zwischen diesen beiden Strukturen ablesen. Während im Betrachtungszeitraum 1990 bis 2000 in den West-Städten der Anteil der Unter-18-Jährigen an der Gesamtbevölkerung steigt, sinkt die Quote von 1995 zu 2000 minimal.
642.550 251.655 166.041 154.189 93.312 100.692 99.383 87.520 83.029 86.266 92.900 73.360 94.711 73.955 101.730 16,17
18,5 15,2 13,5 16,2 14,5 16,1 16,6 15,1 14,4 15,7 17,4 14,3 19,1 15,0 21,1
-6.478 19.749 13.067 6.286 4.158 2.877 4.876 4.930 3.439 1.713 4.725 4.400 -7.387 3.050 -8.027 0,34
-0,2 0,7 0,9 0,5 0,5 0,7 0,8 0,6 0,7 0,4 0,9 0,5 -0,9 0,5 -1,4
636.072 271.404 179.109 160.476 97.470 103.569 104.259 92.451 86.468 87.979 97.625 77.760 87.323 77.005 93.702 16,51
18,3 15,9 14,4 16,7 14,9 16,8 17,4 15,7 15,1 16,0 18,2 14,8 18,2 15,5 19,8
Verä. 19901995 1995 absolut %Pkt. Absolut % -62.032 3.399 -642 841 -1.541 -2.011 -264 -1.473 396 959 -2.087 374 -13.845 -604 -16.959 -0,38
-1,4 0,2 0,5 0,1 0,0 0,2 0,3 -0,1 0,2 0,4 0,2 0,4 -3,1 0,2 -3,7
Verä. 19952000 absolut %Pkt.
Quelle: Statistische Jahrbücher deutscher Gemeinden und eigene Berechnungen
Mittelwerte
Berlin Hamburg München Köln Frankfurt Essen Dortmund Stuttgart Düsseldorf Bremen Duisburg Hannover Leipzig Nürnberg Dresden
1990 absolut %
Tabelle 3: Unter 18-Jährige an der Gesamtbevölkerung
574.040 274.803 178.467 161.316 95.929 101.558 103.996 90.978 86.864 88.938 95.538 78.134 73.479 76.401 76.744 16,13
17,0 16,1 14,9 16,8 14,9 16,9 17,6 15,6 15,3 16,5 18,4 15,2 15,0 15,7 16,1
2000 absolut % -68.510 23.148 12.426 7.127 2.617 866 4.612 3.457 3.835 2.673 2.638 4.774 -21.232 2.446 -24.986
-0,04
-1,6 0,9 1,4 0,6 0,4 0,9 1,0 0,5 0,9 0,8 1,0 0,9 -4,1 0,7 -5,0
Verä. 1990-2000 absolut %Pkt.
136
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
Von 1990 bis 2000 sinken die Quoten in Dresden (-5 Prozentpunkte), Leipzig (4,1 Prozentpunkte) und Berlin (-1,6 Prozentpunkte) deutlich. Im Jahr 1990 haben Dresden und Leipzig mit 21,1% und 19,1% noch die höchsten Anteile der Unter-18-Jährigen. Duisburg, die Stadt aus den alten Ländern mit dem höchsten Wert, hat zu diesem Zeitpunkt 17,4%. Berlin, das sich ja aus einer ehemaligen West- und einer ehemaligen Oststadt zusammensetzt, liegt mit 18,5% zwischen den beiden Gruppen. 1995 lässt sich allmählich eine Angleichungstendenz ablesen, Leipzig (18,2%), Dresden (19,8%) und Berlin (18,3%) liegen aber immer noch deutlich über dem Mittelwert von 16,5%. Ein grundsätzlich verändertes Bild zeigt sich aber in 2000. Zu diesem Zeitpunkt liegen Leipzig (15%) und Dresden (16,1%) unter dem Mittelwert von 16,13%, Berlin mit 17% noch knapp darüber. Leipzig weist damit den drittniedrigsten Wert aller Städte auf.29 Die Hauptursache für diesen Prozess liegt in der extrem abfallenden Geburtenrate in den Oststädten. Die höchsten Zuwächse finden von 1990 zu 2000 in München (1,4 Prozentpunkte), Dortmund und Duisburg statt (jeweils 1 Prozentpunkt). München weist zu den drei Untersuchungszeitpunkten durchgehend den niedrigsten bzw. 2000 den zweitniedrigsten Wert auf. Von den Weststädten haben durchgehend die Ruhrgebietsstädte die höchsten Anteile an den Unter-18-Jährigen an der Gesamtbevölkerung. Im Jahr 2000 sind die Quoten der Oststädte so weit abgesunken, so dass zwei Ruhrgebietsstädte die höchsten Anteile aller untersuchten Städte aufweisen, Duisburg mit 18,4% und Dortmund mit 17,6%. Bei dem Anteil der Unter-18-Jährigen an der Gesamtbevölkerung lässt sich also ausgehend von einer starken Ost-West-Polarisierung ein Angleichungsprozess beobachten. Im Jahre 2000 kennzeichnen die untersuchten Großstädte nur geringe Unterschiede bei dieser Altersgruppe. 30Allerdings kann es bei einer Fortsetzung dieses Trends zu einer Umkehrung der alten Polarität kommen. Von 1995 bis 2000 sank der Anteil der Unter-18-Jährigen in Dresden und Leipzig deutlich stärker als von 1990 bis 1995 31. Die Altersgruppe der 18-65-Jährigen erfasst den Teil der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter. Wenn eine Stadt eine schlechte ökonomische Perspektive bietet, wandert dieses Alterssegment am ehesten ab. Veränderungen in dieser Altersgruppe sind aber auch von der demografischen Entwicklung der jeweiligen Stadt abhängig. 29
30 31
Diese Entwicklung lässt sich auch am Werteverlauf der Spannweite ablesen, die 1990 bei 7,61% liegt, 1995 auf 5,36 fällt und dann bis 2000 weiter auf 3,48 absinkt. Dies ist auch ablesbar an der Spannweite die Spannweite beträgt nur noch 3,48%. Von 1990 zu 1995 sank dieser Anteilswert um –0,92% in Leipzig und –1,37% in Dresden, von 1995 zu 2000 verstärkte sich dies Abnahme auf –3,14% in Leipzig und –3,65% in Dresden.
2.344.925 1.110.057 872.363 658.427 446.182 415.432 402.805 398.626 395.110 368.931 356.501 343.819 324.310 333.686 306.298
67,46
67,7 67,2 71,0 69,1 69,2 66,3 67,2 68,7 68,6 66,9 66,6 67,0 65,3 67,6 63,6
16.041 33.900 2.022 -815 3.134 -16.542 -8.362 3.366 -8.064 -4.549 -9.586 8.021 -7.733 -2.264 430 -0,54
0,3 -0,1 -0,7 -0,8 -0,3 -1,7 -1,6 -0,4 -1,0 -0,6 -1,9 -0,1 0,5 -0,8 1,1
Verä. 1990-1995 absolut %Pkt. 2.360.966 1.143.958 874.385 657.612 449.316 398.890 394.443 401.992 387.046 364.382 346.914 351.841 316.578 331.423 306.727 66,92
68,0 67,1 70,3 68,2 68,9 64,6 65,6 68,3 67,6 66,4 64,7 66,9 65,8 66,8 64,7
1995 Absolut % -28.230 1.113 -48.586 -7.439 -4.758 -17.898 -14.404 -5.348 -5.231 -10.088 -18.665 -8.575 12.975 -9.908 11.162 -0,22
0,9 0,1 -1,1 -0,7 0,2 -1,0 -1,3 -0,2 -0,5 -0,8 -1,6 -0,2 1,5 -0,8 2,0
Verä. 1995-2000 absolut %Pkt.
Quelle: Statistische Jahrbücher deutscher Gemeinden und eigene Berechnungen
Mittelwerte
Berlin Hamburg München Köln Frankfurt Essen Dortmund Stuttgart Düsseldorf Bremen Duisburg Hannover Leipzig Nürnberg Dresden
1990 absolut %
Tabelle 4: 18-65-Jährige an der Gesamtbevölkerung
2.332.736 1.145.070 825.799 650.173 444.558 380.992 380.038 396.644 381.815 354.294 328.249 343.265 329.553 321.515 317.890 66,70
68,9 67,2 69,1 67,6 69,1 63,6 64,4 68,1 67,1 65,6 63,2 66,7 67,3 66,1 66,7
2000 absolut % -12.189 35.013 -46.563 -8.253 -1.624 -34.441 -22.766 -1.982 -13.294 -14.636 -28.251 -554 5.242 -12.171 11.592
-0,76
1,2 0,0 -1,9 -1,5 -0,1 -2,7 -2,8 -0,6 -1,5 -1,4 -3,4 -0,3 2,0 -1,5 3,1
Verä. 1990-2000 absolut %Pkt.
138
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
Bei dieser Altersgruppe lassen sich ebenfalls entgegengesetzte Entwicklungstendenzen zwischen den Städten in den Alten und in den Neuen Ländern ablesen. Zu Beginn des Untersuchungszeitraums ist in den beiden ostdeutschen Städten der Anteil bei den 18-65-Jährigen noch am geringsten, in Dresden beträgt er 63,6% und in Leipzig 65,3%. Im Beobachtungszeitraum steigt in diesen beiden Städten und in Berlin der Anteil dieser Altersgruppe an, während er in allen westdeutschen Großstädten kontinuierlich sinkt, nur in Hamburg und Frankfurt findet von 1995 bis 2000 mit 0,1 Prozentpunkten bzw. 0,2 Prozentpunkten eine geringfügige Zunahme statt.32 Das stärkste Absinken der Quote der 18-65-Jährigen ist in den Ruhrgebietsstädten Duisburg(-3,4 Prozentpunkte) und Essen (-2,7 Prozentpunkte) festzustellen. Sie weisen im Jahr 2000 dann auch die geringsten Anteilswerte aller Großstädte auf, Duisburg mit 63,2%, Essen mit 63,6% und Dortmund mit 64,4%. Einen kontinuierlich hohen Anteil an Personen im erwerbsfähigen Alter weisen München, Frankfurt, Stuttgart und Köln auf. Sie befinden sich zu allen drei Zeitpunkten unter den fünf Städten mit den höchsten Werten. Zu allen Zeitpunkten hat München den höchsten und Frankfurt den zweithöchsten Wert. In München und Frankfurt ist die Gruppe der Personen im erwerbsfähigen Alter um ca. 6 Prozentpunkte größer als in Duisburg. Die Altersgruppe der Über-65-Jährigen an der Gesamtbevölkerung erfasst die Menschen im Rentenalter. Da sie sich nicht mehr auf dem Arbeitsmarkt orientieren müssen, sind sie in der Regel weniger mobil.
32
Dieser Angleichungsprozess lässt sich auch an der Entwicklung der Spannweite ablesen, sie beträgt 1990 noch 7,39% und sinkt bis 2000 auf 5,98% ab.
478.273 290.816 190.622 140.935 105.371 110.849 96.927 93.842 97.655 96.022 86.046 95.779 77.676 86.051 73.648
16,37
13,8 17,6 15,5 14,8 16,3 17,7 16,2 16,2 17,0 17,4 16,1 18,7 15,6 17,4 15,3
-2.955 -306 560 4.794 320 4.647 5.289 197 1.469 853 5.521 383 -456 1.367 412 0,21
-0,1 -0,6 -0,2 0,3 -0,1 1,0 0,8 -0,2 0,3 0,2 1,0 -0,4 0,4 0,2 0,3
Verä. 1990-1995 absolut %Pkt. 475.318 290.510 191.182 145.729 105.691 115.496 102.216 94.039 99.124 96.876 91.567 96.162 77.220 87.417 74.061 16,58
13,7 17,0 15,4 15,1 16,2 18,7 17,0 16,0 17,3 17,6 17,1 18,3 16,1 17,6 15,6
1995 Absolut % 4.573 -5.819 -889 5.192 -2.357 1.470 3.963 724 1.052 222 4.439 -2.844 9.280 1.343 7.974 0,59
0,5 -0,3 0,6 0,6 -0,1 0,8 1,0 0,3 0,3 0,3 1,4 -0,2 1,6 0,6 1,6
Verä. 1995-2000 Absolut %Pkt.
Quelle: Statistische Jahrbücher deutscher Gemeinden und eigene Berechnungen
Mittelwerte
Berlin Hamburg München Köln Frankfurt Essen Dortmund Stuttgart Düsseldorf Bremen Duisburg Hannover Leipzig Nürnberg Dresden
1990 absolut %
Tabelle 5: Über-65-Jährige an der Gesamtbevölkerung
479.891 284.691 190.293 150.921 103.333 116.965 106.179 94.763 100.175 97.097 96.006 93.318 86.500 88.761 82.035 17,17
14,2 16,7 15,9 15,7 16,1 19,5 18,0 16,3 17,6 18,0 18,5 18,1 17,7 18,2 17,2
2000 absolut % 1.617 -6.125 -329 9.986 -2.038 6.117 9.252 921 2.521 1.075 9.959 -2.461 8.825 2.710 8.386
0,80
0,4 -0,9 0,4 0,9 -0,3 1,8 1,8 0,1 0,6 0,5 2,4 -0,5 2,0 0,8 1,9
Verä. 1990-2000 absolut %Pkt.
140
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
Bei dieser Altersgruppe lässt sich ebenfalls eine Angleichung der Alterstruktur der Neuen und Alten Länder ablesen. 1990 waren Leipzig, Dresden und Berlin noch unter den fünf Städten mit den geringsten Anteilen der Über-65-Jährigen zu finden. Im Jahr 2000 liegt nur noch Berlin, das im gesamten Beobachtungszeitraum die geringsten Anteilswerte aller Städte aufweist, in dieser Gruppe. Leipzig und Dresden liegen dann im Mittelfeld, in diesen beiden Städten steigt, wie auch in den Ruhrgebietsstädten, der Anteil dieser Altersgruppe von 1990 bis 2000 deutlich. In Duisburg ist die Zunahme mit 2,4 Prozentpunkten am höchsten, in keiner dieser fünf Städte geringer als 1,8 Prozentpunkte. In den meisten anderen Städten kommt es ebenfalls zu einer Zunahme bei der Quote der Über65-Jährigen, allerdings fällt sie deutlich geringer aus und übersteigt nicht 0,9 Prozentpunkte (Köln). Nur in Hamburg (-0,9 Prozentpunkte), Hannover (-0,5 Prozentpunkte) und Frankfurt (-0,3 Prozentpunkte) sinkt der Anteil der Über65-Jährigen.33 Die Spannweite dokumentiert bei dieser Altersgruppe keinen Angleichungsprozess zwischen den Kernstädten, sie steigt vielmehr von 1990 (4,87 Prozentpunkte) zu 2000 (5,34 Prozentpunkte) an. Die höchsten Anteile der Über-65-Jährigen haben 2000 Essen (19,5%), Duisburg (18,5%) und Nürnberg (18,2%), die geringsten Anteile weisen Berlin (14,2%), Köln (15,7%) und München (15,9%) auf. Der gesamtgesellschaftliche Alterungsprozess zeigt sich auch in den Kernstädten34, er verläuft insgesamt jedoch sehr langsam: Im Durchschnitt bleibt der Anteil der Unter-18-Jährigen von 1990-2000 relativ stabil; der Anteil der 18-65Jährigen sinkt leicht und der Anteil der Über-65-Jährigen steigt geringfügig an. Nur in einzelnen Städten zeigen sich dynamischere Prozesse. In Dresden und Leipzig sinkt der Anteil der Unter-18-Jährigen deutlich, der Anteil der 18-65Jährigen steigt35 und auch der Anteil der Über-65-Jährigen nimmt zu. In den Großstädten der Alten Länder dagegen steigt der Anteil der Unter-18-Jährigen leicht an, die Quote der 18-65-Jährigen sinkt, und der Anteil der Über-65Jährigen wächst in der Mehrzahl dieser Städte. Die drei Ruhrgebietsstädte Duisburg, Dortmund und Essen bilden dieses Muster in besonders deutlicher Weise ab. Der Anteil der Minderjährigen steigt überdurchschnittlich, die Quote der 33
34
35
Dies bildet auch die Entwicklung des Mittelwertes ab, er liegt 1990 noch bei 16,37%, und steigt dann bis zum Jahr 2000 auf 17,17% an. Die Alterstruktur der Großstadtkerne unterscheidet sich dabei von der des Bundes. In den Kernstädten ist in den 1990ern der Anteil der Unter-18-Jährigen um 3% geringer, der Anteil der 18-65-Jährigen um 2% höher und der Anteil der Über-65-Jährigen um 1% höher als in Deutschland insgesamt. Angesichts der hohen Anwanderungen von Arbeitssuchenden und der ins Umland ziehenden überrascht diese Zahl auf den ersten Blick. Sie erklärt sich aber durch das altern der geburtenstarken jüngeren Jahrgänge, durch den geringer werdenden Anteil der Unter-18-Jährigen in Folge der einbrechenden Geburtenrate und der Eingemeindungen.
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
141
Personen im erwerbsfähigen Alter sinkt deutlich, und der Anteil der Personen im Rentenalter wächst ebenfalls. Durch Alterung herausgefordert sind vor allem die ostdeutschen Großstädte und die Großstädte im Ruhrgebiet. Angesichts ihrer Bevölkerungsabnahme, der gleichzeitigen Alterung und vergleichsweise geringen Bewohneranteilen mit Migrationshintergrund, die ausgleichend wirken könnten, wird sich eine weitere Abnahme der Einwohnerzahlen wohl kaum verhindern lassen. Haushaltsstrukturen Mit der Darstellung der Haushaltsstrukturen sollen in der Regel Veränderungen in den städtischen Lebensformen abgebildet werden. Bei der Betrachtung der aktuellen Entwicklung der Haushaltsstrukturen mit ihrer Zunahme der 1Personen-Haushalte wird häufig ein Zerfall der Familie in den Städten kritisiert. In Wirklichkeit lässt das Merkmal 1-Personen-Haushalt nur bedingt Rückschlüsse auf die real gelebten Beziehungsformen36 und die geringe Verbreitung von Familie zu. Durch die Verlängerung der Ausbildungszeiten werden die Familiengründungen häufig erst zu einem späteren Zeitpunkt realisiert, wodurch sich die Familienphase und das Zusammenwohnen als Familie verkürzt. Zum anderen ist ein 1-Personen-Haushalt nicht mit einem Single-Haushalt gleichzusetzen. Gerade in den Großstädten sind neue Lebensformen, wie das „living apart together“ verbreitet, was sich aber nicht an der Haushaltsstruktur ablesen lässt. Außerdem stellen immer noch Frauen über 60 den größten Anteil der 1Personen-Haushalte (Gräbe 1994: 12). Deshalb könne der Wandel der Wohnund Haushaltsstrukturen in den großen Städten „nicht als Indikator für den Zerfall sozialer Beziehungen herangezogen werden“ (Bertram 1998: 122). Haushaltsstrukturen verweisen vor allem auf Entwicklungen, von denen Effekte auf den städtischen Wohnungsmarkt ausgehen. Der Anstieg des Anteils von 1-Personen-Haushalten lässt sich seit Beginn des 19. Jahrhunderts beobachten (vgl. Nave-Herz 2003: 302), und ist vor allem ein großstädtisches Phänomen. Welche Trends lassen sich zwischen 1990 und 2000 in den deutschen Großstädten erkennen?
36
Hierfür sind allerdings aufwändigere Untersuchungen der Beziehungsnetzwerke notwendig.
52,72 44,20 48,39 39,93 36,73 46,31 48,39 41,44 34,96 46,29 35,76 42,59 37,50
43,09
München
Köln
Frankfurt
Essen
Dortmund
Stuttgart
Düsseldorf
Bremen
Duisburg
Hannover
Leipzig
Nürnberg
Dresden
Mittelwerte
1,52
2,50
4,05
,44
3,01
1,69
,36
-,36
,85
5,86
,20
2,07
1,97
-,61
-,56
Verä. %Pkt. 1990-1995 1,33
44,61
40,00
46,64
36,20
49,30
36,65
41,80
48,03
47,16
42,59
40,13
50,46
46,17
52,11
45,69
1-Pers.-Haush. 1995 46,18
1,09
3,42
-1,71
6,30
1,76
2,72
2,96
-,78
,45
-3,28
-,13
,15
1,48
-,31
2,01
Verä. %Pkt. 1995-2000 1,32
Quelle: Statistische Jahrbücher deutscher Gemeinden und eigene Berechnungen
46,25
Hamburg
Berlin
1-Pers.-Haush. 1990 44,85
Tabelle 6: 1-Personen-Haushalte in % aller Privathaushalte
45,70
43,42
44,93
42,50
51,06
39,37
44,76
47,25
47,61
39,31
40,00
50,61
47,65
51,80
47,70
1-Pers.-Haush. 2000 47,50
2,61
5,92
2,34
6,74
4,77
4,41
3,32
-1,14
1,30
2,58
,07
2,22
3,45
-,92
1,45
Verä. %Pkt. 1990-2000 2,65
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
143
Insgesamt ist es im Beobachtungszeitraum zu einer weiteren Zunahme der 1-Personen-Haushalte gekommen (der Mittelwert steigt von 43,09% in 1990 auf 45,70% in 2000). Außer in München und Düsseldorf steigt die Quote in allen untersuchten Großstädten. Zusätzlich ist es zu einer deutlichen Angleichung zwischen den Städten gekommen.37 Bei den einzelnen Städten lassen sich allerdings unterschiedliche Trends beobachten. Eine starke Zunahme der 1Personen-Haushalte verzeichnen Leipzig (6,7 Prozentpunkte) und Dresden (5,9 Prozentpunkte)38, eine geringere Hannover (4,8 Prozentpunkte) und Duisburg (4,4 Prozentpunkte). Auffällig ist, dass der Anteil nur in Städten sinkt, die schon in den Jahren zuvor einen sehr hohen Wert aufweisen. In München zum Beispiel, dass durchgehend von 1990 bis 2000 durch die höchsten Werte charakterisiert ist (über 50%), sinkt die Quote der 1-Personenhaushalte um ca. einen Prozentpunkt. Die geringsten Anteile der 1-Personen-Haushalte finden sich im gesamten Beobachtungszeitraum in Dresden und Leipzig sowie in Duisburg, Dortmund und Essen.39 Im Jahr 2000 sind die Anteilswerte in München (51,8%), Hannover (51,1%) und Frankfurt (50,6%) am höchsten. Der Anteil der Über-3-Personen-Haushalte bildet vor allem die Entwicklung der Familien mit zwei und mehr Kindern in den Kernstädten ab. Auch hier gibt es einen einheitlichen Trend. In allen untersuchten Städten sinkt die Quote der Über 3-Personen-Haushalte.40 Es kommt wie bei den 1-Personen-Haushalten zu einer Angleichung zwischen den Städten.41
37 38
39
40 41
So sinkt die Spannweite der Werte von 17,76% 1990 auf 12,49% im Jahr 2000. Dies liegt aber nicht an einer sich mit der Wiedervereinigung ändernden Lebensweise sondern auch an dem extrem knappen Wohnraum in der DDR. Nach 1989 änderte sich mit der starken Abwanderung und dem zusätzlichen Wohnungsbau die Situation grundsätzlich. Mit der einzigen Ausnahme 1995, hier ist Bremen statt Dortmund unter den fünf Städten mit den geringsten Anteilswerten. Der Mittelwert beträgt 1990 noch 26,25% und sinkt bis 2000 auf 22,84% ab. Die Spannweite verringert sich von 11,63 Prozentpunkte im Jahr 1990 bis 2000 auf 7,80 Prozentpunkte.
19,67 28,14 26,26 27,06 29,80 27,48 21,61 29,05 31,30 20,85 29,78 24,76 30,00
26,25
München
Köln
Frankfurt
Essen
Dortmund
Stuttgart
Düsseldorf
Bremen
Duisburg
Hannover
Leipzig
Nürnberg
Dresden
Mittelwerte
-1,83
,80
-3,49
-,56
-1,13
-2,22
-5,36
-,89
-,92
-2,92
-,64
-6,08
-2,02
-,43
,27
Verä. %Pkt. 1990-1995 -1,84
24,42
30,80
21,27
29,22
19,72
29,08
23,69
20,72
26,56
26,88
26,42
20,18
26,12
19,24
22,83
< 3-Pers.-Haush. 1995 23,60
-1,58
-4,82
1,78
-6,46
,49
-4,28
-,45
-,01
-,61
-,91
-2,42
,79
-1,38
-1,06
-1,60
Verä. %Pkt. 1995-2000 -2,84
Quelle: Statistische Jahrbücher deutscher Gemeinden und eigene Berechnungen
22,56
Hamburg
Berlin
< 3-Pers.-Haush. 1990 25,44
Tabelle 7: Über 3-Personen-Haushalte in % aller Privathaushalte
-4,02
-3,41
22,84
-1,71
-7,02
-,64
-6,50
-5,81
-,90
-1,53
-3,83
-3,06
-5,29
-3,40
-1,49
-1,33
Verä. %Pkt. 1990-2000 -4,68
25,98
23,05
22,76
20,21
24,80
23,24
20,71
25,95
25,97
24,00
20,97
24,74
18,18
21,23
< 3-Pers.-Haush. 2000 20,76
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
145
Auffällig ist, dass die Entwicklungen in den einzelnen Städten im Zeitverlauf nicht gleichmäßig verlaufen. Zwischen 1990 und 1995 sinkt der Anteil der Über-3-Personenhaushalte in Frankfurt (-6,1 Prozentpunkte) und Bremen (-5,4 Prozentpunkte) deutlich, von 1995 bis 2000 verringert sich dieser Wert in Bremen nur noch geringfügig (-0,4 Prozentpunkte), in Frankfurt steigt er sogar leicht (0,8 Prozentpunkte). In den beiden ostdeutschen Großstädten Leipzig (0,6 Prozentpunkte) und Dresden (0,8 Prozentpunkte) kommt es zwischen 1990 und 1995 zu geringfügigen Veränderungen. Von 1995-2000 verringert sich in Leipzig (-6,5 Prozentpunkte) und Dresden (-4,8 Prozentpunkte) der Anteil der Über-3-Personen-Haushalte dann stark. Die stärksten Abnahmen im Gesamt-Untersuchungszeitrahmen gibt es in Leipzig (-7,0 Prozentpunkte), Duisburg (-6,5 Prozentpunkte) und Bremen (-5,8 Prozentpunkte), und damit in Städten, die 1990 noch vergleichsweise hohe Anteilswerte aufweisen. Unter den vier Städten mit den höchsten Anteilswerten finden sich zu allen drei Zeitpunkten Dresden, Dortmund und Duisburg. Die geringsten Abnahmen gibt es mit Hannover (-0,6 Prozentpunkte) und Düsseldorf (-0,9 Prozentpunkte) in Städten, die durchgehend eine geringe Quote vorweisen. Der mit Abstand geringste Wert findet sich zu allen Zeitpunkten in München (immer unter 20%), der Stadt mit den höchsten Anteilen an 1Personen-Haushalten. Im Jahr 2000 haben neben München (18,2%) auch Hannover (20,2%) und Düsseldorf (20,7%) sehr geringe Anteile an Hauhalten mit mehr als 3-Personen. Die beiden von uns erfassten Merkmale 1-Personen-Haushalte und Über-3Personen-Haushalte bilden einen kontinuierlichen und einheitlichen Prozess der Verringerung der Haushaltsgröße ab. Allerdings scheint sich der Prozess der Zunahme von 1-Personenhaushalten nicht endlos fortzusetzen. In Städten, die einen Anteil von 50% und mehr erreicht haben (München, Frankfurt), stagniert diese Entwicklung. Insgesamt kommt es zu einer Vereinheitlichung bei den städtischen Haushaltsstrukturen. Den Zeitraum von 1990 bis 1995 kennzeichnete noch ein geringer Anstieg der Bevölkerungszahlen bei 2/3 der deutschen Kernstädte. Rückläufig entwickelten sich in dieser Phase bereits die Bevölkerungszahlen in Leipzig, Dresden, Essen, Düsseldorf und Bremen. Seit 1995 gibt es kein nennenswertes Bevölkerungswachstum mehr in den deutschen Kernstädten, außer in Hamburg. In den sechs Städten mit den geringsten Anteilen von Bewohnern mit Migrationshintergrund schrumpft die Bevölkerung kontinuierlich über den gesamten Untersuchungszeitraum. Außerdem steigt der Anteil an Bewohner mit Migrationshintergrund besonders in den Städten mit einem bereits hohen Migrantenanteil.
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Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
Der extreme Geburtenrückgang und die vermehrte Abwanderung seit der Vereinigung 1989 führten in Leipzig, Dresden und Berlin zu einem erheblichen Abschmelzen des zuvor überdurchschnittlich hohen Anteils der Unter-18Jährigen. Dagegen profitierten viele westdeutsche Großstädte von dieser Abwanderung der jüngeren Ostdeutschen, was sich an einem leichten Anstieg des Anteils der Unter-18-Jährigen zeigt. Trotz des allgemeinen Bevölkerungsrückgangs in den ostdeutschen Großstädten, blieb der Anteil der Personen im erwerbsfähigen Alter (18-65) relativ stabil. Dazu beigetragen hat vor allem, dass der oben beschriebene, ursprünglich hohe Anteil der Jüngeren in die Gruppe der Personen im erwerbsfähigen Alter aufgerückt ist. In den westdeutschen Großstädten zeigt sich ein anderes Muster. Hier schrumpft der Anteil der 18-65 Jährigen überall, besonders stark in den Ruhrgebietsstädten. Dennoch kann auch für die Ruhrgebietsstätte nur bedingt von „Alterung“ gesprochen werden, da gleichzeitig der Anteil der Jüngeren ansteigt. Problematisch ist das Schrumpfen der mittleren Altersgruppe. In allen deutschen Städten wächst der Anteil der Über-65-Jährigen, lediglich in Hamburg, Hannover und Frankfurt ist er in sehr geringem Umfang rückläufig. Ein relativ starker Anstieg dieser Altersgruppe kennzeichnet besonders Duisburg, Leipzig, Dresden, Essen und Dortmund. Von 1990 bis 2000 findet in den deutschen Großstädten ein Angleichungsprozess bei den Haushaltsstrukturen statt. In allen Kernstädten steigt der Anteil der 1-Personenhaushalte, nur in München und Düsseldorf, zwei Städten mit sehr hohen Anteilswerten, sinkt er geringfügig. Am höchsten ist die Quote der 1Personenhaushalte in Frankfurt, Hannover und München, am geringsten in Dortmund, Duisburg und Essen. Demgegenüber sinkt in allen Großstädten der Anteil der Über-3-Personenhaushalte. Die geringsten Werte finden sich in München, Hannover und Düsseldorf, die höchsten in Dresden, Stuttgart, Duisburg und Dortmund. 4.2.2
Wirtschaft und Beschäftigung
Zur Beschreibung und Analyse der Transformation von Wirtschaft und Beschäftigung hatten seit den 1980er Jahren bereits unterschiedliche Begriffe und Konzepte Konjunktur: Die Rede war vom Niedergang altindustrialisierter Branchen und Regionen42 und dem Aufstieg moderner Standorte unternehmensorientierter Dienstleistungen; von einem Wandel der traditionellen Massenproduktion zu flexibler, spezialisierter Qualitätsproduktion; von „versäulten“, hierarchischen Branchenstrukturen zu vernetzten Produktionsmilieus und Technologieclustern 42
Regionen mit hohem Anteil an Montan-, Werft- und Textilindustrie wie z. B. das nördliche Ruhrgebiet, Lotringen, Mittelengland oder der „Rostgürtel“ im Nordwesten der USA.
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
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oder allgemeiner, von der (fordistischen) Industriegesellschaft zur postindustriellen bzw. postmodernen Dienstleistungsgesellschaft. Allgemein verbreitet hat sich der Terminus vom Wandel der Industriegesellschaft zur wissensbasierten Dienstleistungsgesellschaft. Dazu hat vor allem die Hoffnung beigetragen, der Dienstleistungssektor könnte als Träger neuer Beschäftigungsverhältnisse den Verlust industrieller Arbeitsplätze (über-) kompensieren. Diese Hoffnung untermauern Langzeitvergleiche der sektoralen Beschäftigungsentwicklung43 in den USA, Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden, Skandinavien und Deutschland. Alle diese wirtschaftlich hoch entwickelten Länder könne man als Dienstleistungsgesellschaften charakterisieren, da sich der tertiäre Sektor, zumindest quantitativ44, zum wirtschaftlich dominierenden entwickelt habe. Zugleich lassen sich durch solche Ländervergleiche unterschiedliche Entwicklungsverläufe der Tertiarisierung erkennen. Wie schon bei der Transformation zum Industriekapitalismus im 19. Jahrhundert, gehöre Deutschland auch bei der Entwicklung von Dienstleistungen zu den „verspäteten Nationen“. Dieser Befund hat seit Mitte der 1990er Jahre kontroverse Diskussionen ausgelöst. Ist Deutschland eine rückständige, weil (noch) überindustrialisierte Dienstleistungsgesellschaft? In der anschließenden, bis heute anhaltenden Debatte, haben sich insbesondere zwei Positionen heraus kristallisiert: Die These der industriellen Modernisierung und der vergleichsweise geringen Mobilisierung von Erwerbstätigen: Die Charakterisierung als vergleichsweise überindustrialisiert beruhe auf einer zu oberflächlichen Betrachtung statistischer Daten. Danach ist Deutschland zwar durch einen insgesamt überdurchschnittlich hohen Anteil des produzierenden Sektors bei der Bruttowertschöpfung45 und bei den Beschäftigten gekennzeichnet (Baethge 2000: 90). Dieser Befund sei jedoch nicht als Modernisierungsrückstand zu interpretieren, sondern verweise eher auf das Gegenteil. Die Schrumpfung des Industriesektors erfolgte nicht allein aufgrund von DeIndustriealisierung und Beschäftigtenabbau, sondern auch durch eine gleichzeitige, enorme technologische Modernisierung, Rationalisierung und Produktivitätssteigerung. Beide Entwicklungen verursachen einen erheblichen Abbau von Beschäftigten, der seit den 1990er Jahren insgesamt nahezu 20% betrug (Baethge 2000). Durch diesen massiven Beschäftigtenrückgang sei Deutschland durch vergleichsweise ähnliche Beschäftigtenanteile im Industriesektor gekenn43
44 45
Z.B. Beathge (2000), Abschied vom Industrialismus, S. 88. Er stützt sich auf Zahlen von Maddison (1995), Monitoring the World Economy 1820-1992. (OECD Development Centre Studies). Häußermann, Siebel (1995), Dienstleistungsgesellschaften. Bezogen auf die Bruttowertschöpfung und die Beschäftigung. Sie lag Mitte der 90er Jahre mit 38% höher als in den Niederlanden (35%) und den USA (30%).
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Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
zeichnet wie andere Länder, wenn der Anteil der Erwerbstätigen im erwerbsfähigen Alter (15-65) als Grundlage dient (Scharpf: 1986, Häußermann/Siebel: 1995). Die überdurchschnittliche Bruttowertschöpfung bei durchschnittlichem Beschäftigtenanteil liege demnach in einer besonderen Effizienz und Produktivität des verarbeitenden Gewerbes begründet. Ein erheblicher Rückstand gegenüber vergleichbaren Ländern existiere in Deutschland nicht allgemein bei den Dienstleistungen, sondern insbesondere bei den konsumorientierten Dienstleistungen46. Damit einher gehe eine vergleichsweise geringe Erwerbsmobilisierung der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter. Die Ursache liege vor allem in dem relativen hohen Anteil von Arbeitslosen und nicht erwerbstätigen Frauen (niedrige Arbeitsplatzdichte von Frauen). Dadurch existiere ein weit überdurchschnittlicher Anteil von Nichterwerbstätigen im erwerbsfähigen Alter, wodurch sich die Erwerbstätigkeit auf einen vergleichsweise kleinen Bevölkerungsteil formeller Arbeitsplatzbesitzer47 konzentriert. Insgesamt befinden sich in Deutschland mehr Männer, vor allem aber viel mehr Frauen außerhalb des Beschäftigungssystems, als in vergleichbaren Ländern. Die Bundesrepublik Deutschland charakterisieren demnach relativ moderne, hochproduktive und exportorientierte Industriekerne48 sowie eine sich relativ langsam ausweitende Dienstleistungsbeschäftigung. Letzteres hänge vor allem mit der vergleichsweise geringeren Erwerbstätigkeit von Frauen als in anderen Ländern zusammen (Häußermann, Siebel 1995: 62) und einer relativ hohen Arbeitslosigkeit.
46 47
48
Vergleichszahlen für das Jahr 1990: Schweden 42%, USA 39%, Deutschland 24%. Beathge (2000: 90) benennt ebenfalls das deutlich niedrigere Niveau der Erwerbstätigkeit als den entscheidenden Unterschied zu anderen Ländern auf dem Weg zur Dienstleistungsgesellschaft. Er verweist auf die folgenden Erwerbsquoten für das Jahr 1997: Deutschland (64%), Niederlande (70%), Großbritannien (71%), USA (73%), Dänemark (75%). Beathge bettet die Charakterisierung der traditionellen, deutschen Industriegesellschaft in ein erweitertes Gesellschaftsmodell ein und spricht vom Industrialismus als gesellschaftspolitisches Konzept und institutionelles Gefüge der Organisation von Arbeit, dass sich derzeit „transformiert“ (Baethge 2000: 90).
70,90 92,29 107,50 88,15 128,53 70,36 71,28 117,23 113,76 109,86 63,37 114,48 93,71 107,62 94,67 96,25
-50.000 -8.700 -62.200 -18.200 -27.300 -5.100 -17.600 -30.800 -19.000 -16.600 -18.300 -12.500 -40.400 -12.900 -12.900
-2,59 -3,50 -7,37 -2,65 -6,96 1,64 -2,96 -8,65 -2,54 -3,18 -3,53 -6,16 -10,48 -3,16 -4,32 -4,43
Verä. 1990-1995 Absolut %Pkt. 1.612.700 1.015.700 875.600 562.200 546.200 287.200 269.500 436.500 430.500 388.700 207.600 381.100 263.500 346.200 277.100
68,31 88,79 100,13 85,50 121,57 72,00 68,32 108,58 111,22 106,68 59,84 108,32 83,23 104,46 90,35 91,82
1995 absolut % -49.000 26.600 33.600 65.200 42.000 14.300 5.700 19.600 27.700 -2.200 7.700 5.600 3.300 -200 1.600
-1,28 2,23 9,97 10,99 10,75 7,13 4,10 6,40 8,79 2,41 5,75 4,33 -2,27 3,16 -2,68 4,65
Verä. 1995-2000 absolut %Pkt.
Quelle: Statistische Jahrbücher deutscher Gemeinden und eigene Berechnungen
Berlin 1.662.700 Hamburg 1.024.400 München 937.800 Köln 580.400 Frankfurt 573.500 Essen 292.300 Dortmund 287.100 Stuttgart 467.300 Düsseldorf 449.500 Bremen 405.300 Duisburg 225.900 Hannover 393.600 Leipzig 303.900 Nürnberg 359.100 Dresden 290.000 Mittelwerte
1990 absolut %
Tabelle 8: Erwerbstätige am Arbeitsort und Arbeitsplatzdichte der 18-65 Jährigen
1.563.700 1.042.300 909.200 627.400 588.200 301.500 275.200 456.100 458.200 386.500 215.300 386.700 266.800 346.000 278.700
67,03 91,02 110,10 96,49 132,32 79,13 72,42 114,98 120,01 109,09 65,59 112,65 80,96 107,62 87,67 96,47
2000 absolut % -99.000 17.900 -28.600 47.000 14.700 9.200 -11.900 -11.200 8.700 -18.800 -10.600 -6.900 -37.100 -13.100 -11.300
-3,87 -1,27 2,60 8,34 3,79 8,77 1,14 -2,25 6,25 -0,77 2,22 -1,83 -12,75 0,00 -7,00 0,22
Verä. 1990-2000 Absolut %Pkt.
150
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
Die Diskussion über die Transformation von der Industrie- zur wissensbasierten Dienstleistungsgesellschaft wird bisher fast ausschließlich auf der Ebene von Ländervergleichen diskutiert. Im folgenden wird versucht, die dabei diskutierten Fragestellungen und Hypothesen an der besonderen, arbeitsteiligen Entwicklung der 15 größten deutschen Städte im föderalen deutschen Staat zu überprüfen. Dabei muss berücksichtigt werden, dass der allgemeine Trend zur wissensbasierten Dienstleistungsgesellschaft nicht zwangsläufig und nicht linear verlaufen muss. Zu erwarten sind vielmehr unterschiedliche, lokal gebrochene Entwicklungsphasen sowie auch gegenläufige Trends. Die absolute Zahl der Erwerbstätigen am beitsort vermittelt einen ersten Eindruck von der quantitativen Größe der fünfzehn Arbeitsmärkte in den einzelnen Kernstädten. Es zeigt sich die besondere Stellung von Berlin, das mit den beiden anderen Millionenstädten, Hamburg und München, einen deutlichen Abstand gegenüber allen anderen Großstädten aufweist. Die Abstufung der nachfolgenden, kleineren Großstädte wird lediglich durch die drei Ruhrgebietsstädte Essen, Dortmund und Duisburg durchbrochen sowie von Leipzig und Dresden. Diese fünf Städte charakterisiert im Vergleich zu ihrer Gesamtzahl an Einwohnern ein verhältnismäßig kleiner Arbeitsmarkt. Im Zeitverlauf wird deutlich, dass sich in Berlin, Bremen und Nürnberg die Gesamtzahl der Erwerbstätigen von 1990 bis 2000 kontinuierlich verringert, der Arbeitsmarkt insgesamt also schrumpft. In allen anderen Großstädten verringert sich die Gesamtzahl der Erwerbstätigen bis 1995 ebenfalls, steigt dann aber bis zum Jahr 2000 wieder an. Dieses erneute Wachstum nach 1995 erreicht in München, Dortmund, Stuttgart, Duisburg, Hannover, Leipzig und Dresden aber nicht den Stand von 1990. Dagegen wächst der Arbeitsmarkt in Hamburg, Köln, Frankfurt, Essen und Düsseldorf, ebenfalls nach einem Rückgang bis 1995, noch über die ursprüngliche Größe von 1990 hinaus. Noch deutlicher zeigen sich diese Entwicklungen, wenn auch die jeweilige Arbeitsplatzdichte der Großstädte berücksichtigt wird. Die dargestellte Arbeitsplatzdichte der Kernstädte gibt Auskunft über den jeweiligen Anteil der Erwerbspersonen und der Erwerbslosen am Arbeitsort, bezogen auf die Altersgruppe der 18 bis 65 Jährigen. Als Erwerbspersonen zählen alle erwerbstätigen Arbeitnehmer, Auszubildende, Selbstständige, Freiberufler, Mitarbeiter in der Landwirtschaft, Aushilfen, so genannte „mithelfende Familienangehörige“ sowie Soldaten und Zivildienstleistende. Eine hohe Arbeitsplatzdichte kann auf einer überdurchschnittlichen Mobilisierung von Erwerbspersonen in dieser Altersgruppe beruhen sowie auf einer großen Zahl von Einpendlern, die in den Kernstädten arbeiten, dort aber nicht wohnen. Auffällig sind die enormen Unterschiede zwischen den deutschen Kernstädten. Gegenüber Duisburg mit einer Arbeitsplatzdichte von fast 66% (2000) liegt
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
151
diese in Frankfurt exakt doppelt so hoch (132% im Jahr 2000). Die Unterschiede zwischen den einzelnen westdeutschen Städten waren schon 1990 stark ausgeprägt. Nach der deutschen Vereinigung 1990 lagen die beiden ostdeutschen Städte Leipzig und Dresden etwa im „Mittelfeld“ und Berlin weit unter dem Durchschnitt. Im Zeitverlauf der untersuchten zehn Jahre wird der starke Rückgang der Arbeitsplatzdichte in Leipzig und Dresden deutlich sowie in geringerem Umfang in Berlin, dort jedoch von einem bereits niedrigem Niveaus aus. Interessant ist der starke Anstieg der Arbeitsplatzdichte in Köln und Essen, wo diese Entwicklung von einem zuvor weit unterdurchschnittlichen Niveau aus stattfand. Unberührt von diesen Veränderungen verbleiben Frankfurt, Düsseldorf und Stuttgart über diese Zehnjahresphase hinweg die Großstädte mit den höchsten Arbeitsplatzdichte insgesamt. Berücksichtigt man die Entwicklung in allen fünfzehn Großstädten, haben sich die Arbeitsplatzdichten vereinigungsbedingt bis 1995 angeglichen. Bis zum Jahr 2000 setzt dann aber eine erneute Polarisierung ein, die ausgeprägter ist, als 1990.49 Ähnlich wie sich die Gesamtzahl der Erwerbstätigen in vielen Städten von 1990 bis 1995 verringerte, war auch die Arbeitsplatzdichte von 1990 bis 1995 in allen Städten, außer in Essen, rückläufig. Dieser durchgehende Trend wandelte sich ab 1995 jedoch hin zu einer starken Auseinanderentwicklung. Die höchsten Steigerungen der Arbeitsplatzdichte im gesamten Untersuchungszeitraum verzeichneten die westdeutschen Großstädte Essen (8,8 Prozentpunkte), Köln (8,3 Prozentpunkte) und Düsseldorf (6,3 Prozentpunkte). Leicht rückläufig war die Arbeitsplatzdichte dagegen in Berlin, Stuttgart, Hannover und Hamburg, stark rückläufig in Dresden (-7,0 Prozentpunkte) und Leipzig (-12,8 Prozentpunkte).
49
Die Spannweite zwischen der geringsten und der höchsten Arbeitsplatzdichte lag 1990 bei 65%Pkt., 1995 bei 62%Pkt. und im Jahr 2000 bei fast 67%Pkt.
57,03 70,14 80,23 67,99 110,54 54,86 53,06 96,36 91,59 69,80 52,01 88,53 66,60 87,00 79,08 75,00
-126.980 -35.700 -60.100 -19.500 -34.700 -6.400 -14.200 -42.700 -25.700 -17.000 -23.800 -18.500 -8.000 -25.700 -21.962
-5,76 -5,21 -7,06 -2,87 -8,49 0,67 -2,48 -11,44 -4,73 -3,79 -5,43 -7,27 -0,90 -7,16 -7,26 -5,29
Verä. 1990-1995 absolut %Pkt. 1.210.386 742.800 639.800 428.200 458.500 221.500 199.500 341.400 336.200 240.500 161.600 285.900 208.001 264.600 220.276
51,27 64,93 73,17 65,12 102,05 55,53 50,58 84,92 86,86 66,01 46,58 81,26 65,70 79,84 71,82 69,71
1995 absolut % -71.286 19.700 36.300 29.700 19.200 -500 -2.300 8.500 12.800 -1.900 -3.100 7.600 -801 -2.400 -2.876
-2,44 1,66 8,70 5,30 5,41 2,47 1,31 3,29 4,55 1,34 1,71 4,24 -2,83 1,71 -3,43 2,20
Verä. 1995-2000 absolut %Pkt.
Quelle: Statistische Jahrbücher deutscher Gemeinden und eigene Berechnungen
Berlin 1.337.366 Hamburg 778.500 München 699.900 Köln 447.700 Frankfurt 493.200 Essen 227.900 Dortmund 213.700 Stuttgart 384.100 Düsseldorf 361.900 Bremen 257.500 Duisburg 185.400 Hannover 304.400 Leipzig 216.001 Nürnberg 290.300 Dresden 242.238 Mittelwerte
1990 absolut %
Tabelle 9: Beschäftigte am Arbeitsort (in %) im Alter zwischen 18 – 65 Jahre
1.139.100 762.500 676.100 457.900 477.700 221.000 197.200 349.900 349.000 238.600 158.500 293.500 207.200 262.200 217.400
48,83 66,59 81,87 70,42 107,46 58,00 51,89 88,21 91,41 67,35 48,29 85,50 62,87 81,55 68,39 71,91
2000 absolut % -198.266 -16.000 -23.800 10.200 -15.500 -6.900 -16.500 -34.200 -12.900 -18.900 -26.900 -10.900 -8.801 -28.100 -24.838
-8,20 -3,55 1,64 2,43 -3,08 3,14 -1,17 -8,15 -0,18 -2,45 -3,72 -3,03 -3,73 -5,45 -10,69 -3,09
Verä. 1990-2000 absolut %Pkt.
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
153 50
Die Beschäftigtendichte umfasst alle sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (Arbeiter, Angestellte und Auszubildende) zwischen 18 und 65 Jahren. Nicht berücksichtig werden Beamte, Selbständige 51 und geringfügig Beschäftigte , die zuvor bei der Arbeitsplatzdichte mitgezählt wurden. Im Vergleich mit der bereits analysierten Arbeitsplatzdichte sind die Differenzen zwischen den fünfzehn ausgewählten Großstädten insgesamt geringer. Erneut zeigt sich ein erheblicher Rückgang auch bei der Beschäftigtendichte von 1990 bis 1995 in allen Großstädten, außer in Essen. Der stärkste Rückgang kennzeichnet gerade jene Städte, die zuvor durch die höchste Arbeitsplatzdichte charakterisiert waren: Stuttgart (-11,4 Prozentpunkte) und Frankfurt (-8,5 Prozentpunkte). Auch in Hannover, Dresden, Nürnberg und München erfolgte ein erheblicher Rückgang von mehr als 7 Prozentpunkte. Der folgende Anstieg der Beschäftigtendte von 1995 bis 2000 verlief moderat und erfolgte in allen Großstädten außer in Berlin, Leipzig und Dresden. Trotz dieses erneuten Anstiegs, lag die Beschäftigtendichte jedoch lediglich in Essen, Köln und München über der Quote von 1990. Im Jahr 2000 haben sich die Unterschiede zwischen den Städten insgesamt, bezogen auf die Beschäftigtendichte, gegenüber 1990 verringert. Die geringsten Quoten charakterisieren Duisburg (48,3%), Berlin (48,8%) und Dortmund (51,9%). Aber auch Essen (58,0%), Leipzig (62,9%), die beiden Hansestädte Bremen (67,4%) und Hamburg (66,6%) sowie Dresden (68,4%) liegen unter dem Durchschnitt von 71,9%. Erheblich über dem Durchschnitt liegt mit großem Abstand Frankfurt (107,5%), vor Düsseldorf (91,4%), Stuttgart (88,2%), Hannover (85,5%) und München (81,9%). Ob es tatsächlich einen Zusammenhang zwischen der besonders hohen Erwerbs- und Beschäftigtendichte in den Städten Frankfurt, Düsseldorf und Stuttgart und der dortigen Arbeitsplatzdichte von Frauen gibt, soll ein Blick auf die nächste Tabelle verdeutlichen.
50
51
Die Sozialversicherungspflicht umfasst die Beiträge zur Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung. Eine Beschäftigung gilt versicherungsrechtlich dann als geringfügige Tätigkeit, wenn sie nur kurzfristig ausgeübt oder nur geringfügig entlohnt wird.
389.700 338.200 307.600 180.800 195.100 91.400 85.500 156.500 150.200 100.900 61.100 128.300 103.822 122.700 124.774
34,04 61,28 71,20 55,26 89,12 44,16 43,11 80,91 75,11 55,26 34,87 74,15 61,27 73,52 86,65 62,67
15.600 -5.500 -13.200 0 -2.800 1.300 -2.100 -9.900 -1.400 -2.200 -1.600 100 -599 -6.900 -18.417
0,77 -2,29 -2,91 0,13 -1,70 2,47 -0,04 -5,84 0,65 -0,29 0,07 -1,04 4,42 -3,23 -16,62 -1,71
Verä. 1990-1995 absolut %Pkt. 405.300 332.700 294.400 180.800 192.300 92.700 83.400 146.600 148.800 98.700 59.500 128.400 103.223 115.800 106.357
34,81 58,99 68,29 55,39 87,42 46,63 43,07 75,07 75,76 54,97 34,94 73,11 65,69 70,29 70,03 60,96
1995 absolut % 162.500 8.600 16.300 14.800 11.000 2.400 800 3.700 6.900 -200 -400 3.700 3.377 -1.700 2.343
14,57 1,36 6,54 4,94 5,89 3,37 2,09 2,79 4,47 1,09 1,61 3,84 0,32 1,06 -0,65 3,56
Verä. 1995-2000 absolut %Pkt.
Quelle: Statistische Jahrbücher deutscher Gemeinden und eigene Berechnungen
Berlin Hamburg München Köln Frankfurt Essen Dortmund Stuttgart Düsseldorf Bremen Duisburg Hannover Leipzig Nürnberg Dresden Mittelwerte
1990 absolut %
Tabelle 10: Arbeitsplatzdichte der 18 – 65 jährigen Frauen in % der weibl. Bevölkerung
567.800 341.300 310.700 195.600 203.300 95.100 84.200 150.300 155.700 98.500 59.100 132.100 106.600 114.100 108.700
49,38 60,35 74,83 60,33 93,31 50,00 45,16 77,86 80,23 56,06 36,55 76,95 66,01 71,35 69,38 64,52
2000 absolut % 178.100 3.100 3.100 14.800 8.200 3.700 -1.300 -6.200 5.500 -2.400 -2.000 3.800 2.778 -8.600 -16.074
15,34 -0,93 3,63 5,07 4,19 5,84 2,05 -3,05 5,12 0,80 1,68 2,80 4,74 -2,17 -17,27 1,85
Verä. 1990-2000 absolut %Pkt.
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
155
Die Arbeitsplatzdichte der Frauen ist in weiten Teilen ein Spiegelbild der Beschäftigtendichte. In fast allen Städten sinkt sie von 1990 bis 1995 und steigt dann bis 2000 wieder an. Lediglich in Berlin ist ein (starker) Anstieg über alle drei Untersuchungszeitpunkte zu beobachten. Ansonsten ist die Entwicklung zwischen 1990 und 2000 von extrem gegenläufigen Prozessen gekennzeichnet, wie sich exemplarisch an den Großstädten Berlin und Dresden verdeutlichen lässt. Während in Dresden die Quote bereits von 1990 bis 1995 um fast 17 Prozentpunkte fällt, bleibt sie in diesem Zeitraum in Berlin annähernd konstant, steigt dann aber zwischen 1995 und 2000 um fast 15 Prozentpunkte. Trotz dieser enormen Steigerung hat Berlin im Jahr 2000 nach Duisburg (37%) immer noch die drittgeringste Arbeitsplatzdichte von Frauen (49%). Die besonders starke Gegenläufigkeit der Entwicklungen zeigt ein Vergleich zwischen den beiden ostdeutschen Städten Leipzig und Dresden. Im gleichen Zeitraum (1990 bis 1995), indem die Arbeitsplatzdichte der Frauen in Dresden um ca. 17 Prozentpunkte sinkt, steigt sie in Leipzig um über 4 Prozentpunkte. Der starke Abbau von Beschäftigten insgesamt traf in Leipzig scheinbar in den ersten Jahren nach der Vereinigung relativ mehr Männer als Frauen, in Dresden dagegen überproportional viele weibliche Beschäftigte. Insgesamt wiederholt sich das bereits deutlich gewordene Muster: Die Ruhrgebietsstädte (Duisburg, Dortmund, Essen) und Berlin mobilisieren auch bei der Arbeitsplatzdichte von Frauen relativ geringe Beschäftigtenanteile; dagegen kennzeichnet Frankfurt, Düsseldorf und Stuttgart eine überdurchschnittliche hohe Quote auch bei den Frauen. Auffallend sind auch die unter dem Durchschnitt liegenden Quoten der Frauen in Städten wie Bremen (56%), Hamburg und Köln (jeweils 60%). Ebenfalls stark gegenläufig entwickelt sich die Arbeitsplatzdichte der Frauen zwischen 1990 und 2000 insgesamt. Während Berlin, wie schon beschrieben, mit 15 Prozentpunkte den absolut höchsten Zuwachs verzeichnen konnte, stieg die Quote, wenn auch von einem relativ geringem Niveau aus, in Köln um 5 Prozentpunkte und in Essen um 5,8 Prozentpunkte. In Düsseldorf stieg die Arbeitsplatzdichte der Frauen von einem bereits hohen Niveau um weitere 5 Prozentpunkte, wogegen sie in Nürnberg von einem ähnlich hohen Niveau um 2,2 Prozentpunkte fiel. Alle diese vielfältigen gegenläufigen Entwicklungstendenzen führen in letzter Konsequenz dazu, dass sich die Arbeitsplatzdichte von Frauen zwischen 1990 und 2000 insgesamt auseinander entwickelt.
90.500
80.400
79.400
85.200
36.597
100.300
42.797
Düsseldorf
Bremen
Duisburg
Hannover
Leipzig
Nürnberg
Dresden
27,23
17,90
34,69
16,99
28,07
42,97
31,31
25,06
34,84
31,53
22,97 27,63
-8.401
-26.000
-5.278
-20.000
-23.200
-12.500
-24.600
-36.200
-13.900
-29.800 -11.100
-35.800 -27.100
-4,33
-2,08
-6,49
-1,89
-5,22
-8,06
-3,02
-5,42
-6,30
-4,78
-4,76 -4,24
-3,24 -5,10
Verä. 1990-1995 absolut %Pkt. -54.740 -2,43 -21.800 -1,83
34.396
74.300
31.319
65.200
56.200
67.900
65.900
97.100
53.100
83.300 51.500
140.700 95.600
22,90
15,82
28,20
15,10
22,85
34,91
28,29
19,64
28,54
26,75
18,21 23,39
22,06 22,39
1995 absolut % 213.499 17,75 145.200 19,63
-4.796
-7.400
-9.419
-9.700
-7.300
-7.800
-6.700
-700
-15.700
-26.500 -12.300
10.500 -17.600
-3,69
-2,10
-2,59
-4,48
-3,90
-3,92
-3,01
-2,64
-0,88
-7,67
-6,29 -5,53
0,38 -5,30
Verä. 1995-2000 absolut %Pkt. -57.599 -3,98 -22.500 -3,47
Quelle: Statistische Jahrbücher deutscher Gemeinden und eigene Berechnungen
Mittelwerte
67.000
133.300
Frankfurt Essen
Stuttgart
113.100 62.600
München Köln
Dortmund
176.500 122.700
Berlin Hamburg
25,30 27,49
1990 absolut % 268.239 20,18 167.000 21,46
Tabelle 11: Anteil der Beschäftigten im verarbeitenden Gewerbe in %
29.600
66.900
21.900
55.500
48.900
60.100
59.200
96.400
37.400
56.800 39.200
151.200 78.000
19,21
13,72
25,61
10,62
18,95
30,99
25,28
17,00
27,66
19,08
11,92 17,86
22,44 17,09
2000 Absolut % 155.900 13,77 122.700 16,16
-13.197
-33.400
-14.697
-29.700
-30.500
-20.300
-31.300
-36.900
-29.600
-56.300 -23.400
-25.300 -44.700
-8,02
-4,18
-9,08
-6,37
-9,12
-11,98
-6,03
-8,06
-7,18
-12,45
-11,05 -9,77
-2,86 -10,40
Verä. 1990-2000 absolut %Pkt. 112.339 -6,41 -44.300 -5,30
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
157
Die Beschäftigtenanteile im verarbeitenden Gewerbe52 zeigen für alle 15 Großstädte einen kontinuierlichen Rückgang und eine Angleichung auf geringerem Niveau. Einen besonders starken Rückgang kennzeichnet insbesondere jene Städte, die 1990 noch einen relativ hohen Anteil besaßen (Dortmund –12 Prozentpunkte, Duisburg –12 Prozentpunkte und Köln –10 Prozentpunkte) sowie Frankfurt als Sonderfall (-11 Prozentpunkte). Durch den starken Rückgang in der Kernstadt Frankfurt von einem bereits relativ niedrigem Niveau hat sich die dortige Industriebasis durch den Verlust von ca. 55.000 Beschäftigten halbiert. Sichtbar wird gleichzeitig, dass sich der durchgängige Beschäftigungsrückgang in einigen Städten verlangsamt oder fast zum Stillstand gekommen ist. Dies gilt vor allem für Stuttgart, das von 1990 bis 1995 6 Prozentpunkte verlor, von 1995 bis 2000 jedoch weniger als einen Prozentpunkt. In München war der Rückgang schon von 1990 bis 1995 relativ schwach (-3 Prozentpunkte) und von 1995 bis 2000 stieg der Anteil sogar geringfügig (+0,4 Prozentpunkte). Insgesamt verfügen Stuttgart (28%) und München (22%) im Jahr 2000 neben Duisburg (31%), Nürnberg (26%) und Bremen (25%) über die höchsten Anteile von Beschäftigten im verarbeitenden Gewerbe. Die geringsten Beschäftigtenanteile haben Leipzig (11%), Frankfurt (12%) sowie Berlin und Dresden mit jeweils ca. 14%.
52
Hierzu zählen das Ernährungsgewerbe und die Tabakverarbeitung, das Textil-, Bekleidungsund Ledergewerbe, das Holzgewerbe, das Papier-, Verlags- und Druckgewerbe, die Mineralölverarbeitung, die Chemische Industrie, die Herstellung von Gummi und Kunststoffen, die Verarbeitung von Glas, Keramik, Steinen und Erden, die Metallerzeugung, der Maschinenbau, die Herstellung von Büromaschinen, EDV-Geräten, Elektrotechnik, Feinmechanik und Optik, Medizin-, Mess-, Steuerungs- und Regeltechnik, der Fahrzeugbau, die Herstellung von Möbeln, Schmuck, Sport- und Musikinstrumenten sowie die Energie- und Wasserversorgung.
112.672 39.100 35.700 22.300 21.200 18.400 14.200 18.900 17.000 12.900 10.800 13.600 24.556 16.000 22.291
8,48 5,02 5,12 5,00 4,31 8,12 6,68 4,94 4,71 5,02 5,84 4,48 11,40 5,53 9,32 6,26
-3.868 -1.200 -8.000 -1.000 -1.200 -1.000 -1.700 -2.200 -3.000 -900 -700 -600 2.320 -3.300 -60
0,57 0,10 -0,78 -0,01 0,06 -0,22 -0,38 -0,03 -0,54 -0,02 0,43 0,08 1,56 -0,71 0,91 0,07
Verä. 1990-1995 absolut %Pkt. 108.804 37.900 27.700 21.300 20.000 17.400 12.500 16.700 14.000 12.000 10.100 13.000 26.876 12.700 22.231
9,05 5,12 4,34 4,99 4,37 7,90 6,30 4,91 4,17 5,00 6,27 4,56 12,96 4,82 10,23 6,33
1995 Absolut % -18.904 -100 -4.300 500 -4.300 -400 3.000 -1.100 200 1.900 200 -200 -2.876 -1.200 -5.631
-1,11 -0,14 -0,87 -0,21 -1,07 -0,16 1,61 -0,43 -0,09 0,85 0,26 -0,19 -1,33 -0,42 -2,54 -0,39
Verä. 1995-2000 absolut %Pkt.
Quelle: Statistische Jahrbücher deutscher Gemeinden und eigene Berechnungen
Berlin Hamburg München Köln Frankfurt Essen Dortmund Stuttgart Düsseldorf Bremen Duisburg Hannover Leipzig Nürnberg Dresden Mittelwerte
1990 absolut %
Tabelle 12: Anteil der Beschäftigten im Baugewerbe in %
89.900 37.800 23.400 21.800 15.700 17.000 15.500 15.600 14.200 13.900 10.300 12.800 24.000 11.500 16.600
7,94 4,98 3,47 4,78 3,30 7,74 7,91 4,48 4,08 5,85 6,53 4,37 11,63 4,40 7,69 5,94
2000 absolut % -22.772 -1.300 -12.300 -500 -5.500 -1.400 1.300 -3.300 -2.800 1.000 -500 -800 -556 -4.500 -5.691
-0,54 -0,04 -1,65 -0,22 -1,01 -0,38 1,23 -0,46 -0,63 0,83 0,69 -0,11 0,23 -1,13 -1,63 -0,32
Verä. 1990-2000 absolut %Pkt.
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
159
Einen deutlichen Gegensatz zur der Situation im verarbeitenden Gewerbe zeigt sich bei den Beschäftigtenanteilen der Großstädte im Baugewerbe53. Feststellbar sind lediglich geringfügige Veränderungen um plus oder minus 1 Prozentpunkt zwischen 1990 und 2000. Insgesamt lassen sich für die 15 Großstädte zwei Gruppen erkennen. Im Jahr 2000 charakterisiert die Städte Hamburg, München, Köln, Frankfurt, Stuttgart, Düsseldorf, Hannover und Nürnberg ein Beschäftigtenanteil von etwa 3% bis 5%. In Berlin, Essen, Dortmund, Bremen, Duisburg und Dresden beträgt der Beschäftigtenanteil zwischen 6% und 8% und Leipzig erreicht mit fast 12% den Spitzenwert. Einen überdurchschnittlichen Verlust von Beschäftigtenanteilen im Baugewerbe lässt sich über den gesamten Betrachtungszeitraum hinweg in München (1,7 Prozentpunkte), Dresden (-1,6 Prozentpunkte), Nürnberg (-1,1 Prozentpunkte) und Frankfurt (-1 Prozentpunkt) beobachten. Dagegen stieg der Beschäftigtenanteil in Bremen, Duisburg und Leipzig nur geringfügig, in Dortmund war die Steigerung um 1,2 Prozentpunkte am höchsten. Die relativ geringen Unterschiede zwischen den Städten im Jahre 1990 hatten sich bis 1995 stärker ausgeweitet, bis 2000 dann aber wieder leicht angeglichen.
53
Hierzu zählen vorbereitende Baustellenarbeiten, der Hoch- und Tiefbau, Bauinstallationen, das sonstige Baugewerbe und die Vermietung von Baumaschinen.
161.359 143.200 106.500 71.200 69.500 40.900 35.600 50.700 68.700 43.400 26.100 45.400 23.532 52.900 26.890
12,14 18,40 15,27 15,95 14,12 18,05 16,75 13,25 19,02 16,90 14,12 14,96 10,93 18,30 11,25 15,29
-21.115 -15.800 -17.900 -2.800 -11.700 -1.500 -4.000 -5.900 -4.700 -6.300 -4.000 -6.400 -1.858 -6.700 -2.019
-0,48 -1,18 -1,38 0,07 -1,49 -0,16 -0,83 -0,08 0,05 -1,44 -0,39 -1,29 -0,48 -0,77 0,19 -0,64
Verä. 1990-1995 absolut %Pkt. 140.244 127.400 88.600 68.400 57.800 39.400 31.600 44.800 64.000 37.100 22.100 39.000 21.674 46.200 24.871
11,66 17,22 13,89 16,02 12,63 17,89 15,92 13,17 19,07 15,46 13,73 13,67 10,45 17,53 11,44 14,65
1995 Absolut % 3.756 10.400 2.100 11.700 -6.000 -3.900 -400 -4.100 -900 400 1.300 300 4.026 -3.900 729
1,06 0,93 -0,43 1,53 -1,76 -1,72 0,00 -1,49 -0,95 0,32 1,10 -0,25 2,01 -1,34 0,42 -0,04
Verä. 1995-2000 absolut %Pkt.
Quelle: Statistische Jahrbücher deutscher Gemeinden und eigene Berechnungen
Berlin Hamburg München Köln Frankfurt Essen Dortmund Stuttgart Düsseldorf Bremen Duisburg Hannover Leipzig Nürnberg Dresden Mittelwerte
1990 absolut %
Tabelle 13: Anteil der Beschäftigten im Handel in %
144.000 137.800 90.700 80.100 51.800 35.500 31.200 40.700 63.100 37.500 23.400 39.300 25.700 42.300 25.600
12,72 18,15 13,46 17,55 10,87 16,17 15,92 11,68 18,12 15,78 14,83 13,42 12,46 16,19 11,86 14,61
2000 absolut % -17.359 -5.400 -15.800 8.900 -17.700 -5.400 -4.400 -10.000 -5.600 -5.900 -2.700 -6.100 2.168 -10.600 -1.290
0,58 -0,25 -1,81 1,60 -3,25 -1,88 -0,83 -1,57 -0,90 -1,12 0,71 -1,54 1,53 -2,11 0,61 -0,68
Verä. 1990-2000 absolut %Pkt.
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
161
Eine ähnliche Situation, wie zuvor beim Baugewerbe, ist auch bei den Beschäftigtenanteilen der Großstädte im Handel54 festzustellen. Es lassen sich insgesamt lediglich leichte Veränderungen in den Jahren von 1990 bis 2000 von plus oder minus einem Prozentpunkt beobachten. Nur Nürnberg, Essen und München büßten im Untersuchungszeitraum fast 2 Prozentpunkte im Handel ein, Frankfurt 3,3 Prozentpunkte. Bezogen auf den Beschäftigtenanteil, aber auch auf die Gesamtzahl der im Handel Beschäftigten, können in Deutschland vier Handelszentren identifiziert werden: Hamburg, München, Köln und Düsseldorf. Hamburg konnte in den hier untersuchten zehn Jahren seine Position stabilisieren und Köln verzeichnete einen leichten Zuwachs. Dagegen büßte München Beschäftigtenanteile in geringem Umfang ein, wie auch Düsseldorf. Insgesamt haben sich die Beschäftigtenanteile im Handel zwischen 1995 und 2000 in den meisten Städten stabilisiert oder leicht positiv entwickelt. Von 1990 bis 1995 hatte dagegen eine leicht negative Gesamttendenz dominiert. Von dem positiven Trend seit 1995 profitierten insbesondere Städte wie Leipzig, Duisburg und Berlin.
54
Zum Handel zählt der Bereich KFZ – Handel, Instandhaltung und Reparatur, der Groß- und der Einzelhandel sowie das Gastgewerbe.
107.523 94.100 46.200 33.400 67.300 13.300 12.500 19.300 26.800 30.300 16.300 21.900 19.917 22.300 23.822
8,09 12,09 6,62 7,48 13,67 5,87 5,88 5,04 7,42 11,80 8,82 7,22 9,25 7,71 9,96 8,46
-19.620 -19.800 -13.400 -2.900 -7.400 -700 900 -2.200 -800 -2.700 -1.400 -1.500 -4.151 -900 -5.689
-0,78 -2,05 -1,48 -0,34 -0,58 -0,15 0,87 -0,01 0,33 -0,30 0,43 -0,07 -1,65 0,41 -1,62 -0,46
Verä. 1990-1995 absolut %Pkt. 87.903 74.300 32.800 30.500 59.900 12.600 13.400 17.100 26.000 27.600 14.900 20.400 15.766 21.400 18.133
7,31 10,04 5,14 7,14 13,09 5,72 6,75 5,03 7,75 11,50 9,25 7,15 7,60 8,12 8,34 8,00
1995 absolut % -15.903 -3.400 -2.600 2.300 9.400 -900 1.100 -1.300 -800 -2.100 -900 -1.900 -866 -700 -2.333
-0,95 -0,70 -0,66 0,05 1,46 -0,39 0,65 -0,50 -0,51 -0,77 -0,38 -0,83 -0,38 -0,20 -1,02 -0,35
Verä. 1995-2000 absolut %Pkt.
Quelle: Statistische Jahrbücher deutscher Gemeinden und eigene Berechnungen
Berlin Hamburg München Köln Frankfurt Essen Dortmund Stuttgart Düsseldorf Bremen Duisburg Hannover Leipzig Nürnberg Dresden Mittelwerte
1990 absolut %
Tabelle 14: Anteil der Beschäftigten in der Verkehrswirtschaft in %
72.000 70.900 30.200 32.800 69.300 11.700 14.500 15.800 25.200 25.500 14.000 18.500 14.900 20.700 15.800
6,36 9,34 4,48 7,19 14,55 5,33 7,40 4,53 7,24 10,73 8,87 6,32 7,22 7,92 7,32 7,65
2000 absolut % -35.523 -23.200 -16.000 -600 2.000 -1.600 2.000 -3.500 -1.600 -4.800 -2.300 -3.400 -5.017 -1.600 -8.022
-1,73 -2,75 -2,14 -0,29 0,88 -0,54 1,52 -0,51 -0,18 -1,07 0,05 -0,90 -2,03 0,21 -2,64 -0,81
Verä. 1990-2000 absolut %Pkt.
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
163
Beim Beschäftigtenanteil in der Verkehrswirtschaft55 zeigen sich, wie schon zuvor, insgesamt nur leichte Verschiebungen zwischen 1990 bis 2000. Fast alle Großstädte verlieren innerhalb dieser Periode Beschäftigtenanteile von 1 bis 3 Prozentpunkten. Die gilt vor allem für Hamburg, Dresden, München, Leipzig und auch für Berlin. Als Verkehrzentren in Deutschland treten in 2000 deutlich die beiden Hafenstädte Hamburg (9%) und Bremen (10%) sowie Frankfurt (14%) hervor. Die Stadt am Main ist durch ihre Mittellage und den internationalen Flughafen Deutschlands zentraler Verkehrsknotenpunkt und konnte diese Position im Untersuchungszeitraum ausbauen. Eine vergleichsweise geringe Bedeutung hat der Verkehrsektor für München (4%), Stuttgart und Essen (jeweils 5%). Einen deutlichen Zuwachs bei den Beschäftigtenanteilen konnte lediglich Dortmund mit 1,5 Prozentpunkte realisieren. Insgesamt hat sich der Beschäftigtenanteil in der Verkehrswirtschaft zwischen 1990 und 2000 zwischen den 15 Großstädten auseinander entwickelt.
55
Zur Verkehrswirtschaft zählt die Nachrichtenübermittlung, Post und Bahnen, Lager und Logistik, die Schiff- und Luftfahrt sowie die Reiseveranstalter.
42.858 53.100 60.000 38.800 64.800 8.600 11.500 31.200 29.800 10.400 4.400 22.700 6.739 15.400 6.000
3,22 6,82 8,60 8,69 13,16 3,80 5,41 8,15 8,25 4,05 2,38 7,48 3,13 5,33 2,51 6,1
-1.443 -1.300 2.400 -1.200 3.200 100 200 500 -700 0 -500 400 857 800 985
0,22 0,18 1,19 0,12 1,70 0,15 0,48 1,17 0,42 0,28 0,04 0,61 0,53 0,82 0,70 0,5
Verä. 1990-1995 Absolut %Pkt. 41.415 51.800 62.400 37.600 68.000 8.700 11.700 31.700 29.100 10.400 3.900 23.100 7.596 16.200 6.985
3,44 7,00 9,79 8,81 14,86 3,95 5,89 9,32 8,67 4,33 2,42 8,09 3,66 6,15 3,21 6,6
1995 absolut % 1.185 -600 -1.100 2.600 6.600 -200 -100 1.700 1.500 -800 800 -400 2.404 -200 -85
0,32 -0,26 -0,69 0,00 0,80 -0,08 0,03 0,26 0,12 -0,29 0,56 -0,34 1,19 -0,02 -0,01 0,1
Verä. 1995-2000 absolut %Pkt.
Quelle: Statistische Jahrbücher deutscher Gemeinden und eigene Berechnungen
Berlin Hamburg München Köln Frankfurt Essen Dortmund Stuttgart Düsseldorf Bremen Duisburg Hannover Leipzig Nürnberg Dresden Mittelwerte
1990 absolut %
Tabelle 15: Anteil der Beschäftigten in der Kreditwirtschaft in %
42.600 51.200 61.300 40.200 74.600 8.500 11.600 33.400 30.600 9.600 4.700 22.700 10.000 16.000 6.900
3,76 6,74 9,10 8,81 15,66 3,87 5,92 9,58 8,79 4,04 2,98 7,75 4,85 6,13 3,20 6,7
2000 absolut % -258 -1.900 1.300 1.400 9.800 -100 100 2.200 800 -800 300 0 3.261 600 900
0,54 -0,08 0,50 0,12 2,50 0,07 0,51 1,43 0,54 -0,01 0,60 0,27 1,72 0,80 0,69 0,6
Verä. 1990-2000 absolut %Pkt.
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
165
Analog zu den Beschäftigtenanteilen in der Verkehrswirtschaft besitzt Frankfurt auch in der Kreditwirtschaft56 eine Sonderstellung in Deutschland. Bereits 1990 besaß die Stadt am Main den mit Abstand höchsten Beschäftigtenanteil in diesem Wirtschaftszweig (13%) und erzielte außerdem bis 2000 die insgesamt höchste Wachstumsrate (2,5 Prozentpunkte). Eine deutliche Steigerung in diesem Jahrzehnt erreichte auch Leipzig (1,7 Prozentpunkte), jedoch von einem sehr niedrigem Niveau aus sowie Stuttgart (1,4 Prozentpunkte). Neben Frankfurt ist auch München (9,1% in 2000) ein bedeutender Standort der Kreditwirtschaft. Auffällig in unserer Analyse ist der durchgängig leichte Anstieg des Beschäftigtenanteils von 1990 bis 1995. Bis zum Jahr 2000 gibt es dann lediglich geringfügige Veränderungen um wenige Zehntel hinter dem Komma. Ausgesprochen geringe Beschäftigtenanteile im Finanz- und Versicherungswesen gibt es in Duisburg (3%), in Dresden (3%), in Berlin (4%) und in Essen (4%). Insgesamt entwickeln sich die Beschäftigtenanteile in diesem Wirtschaftszweig seit 1990 langsam auseinander.
56
Zur Kreditwirtschaft zählt das Kredit- und das Versicherungsgewerbe.
636.685 281.800 272.700 158.000 156.400 82.800 71.700 129.200 128.400 79.400 47.800 114.700 104.018 82.200 117.310
47,89 36,21 39,09 35,39 31,77 36,54 33,74 33,77 35,55 30,92 25,87 37,79 48,30 28,43 49,06 36,69
-26.027 21.400 12.800 15.600 12.100 7.800 4.500 3.600 8.200 5.600 6.000 10.000 143 10.500 -6.539
2,89 4,77 5,68 5,27 5,06 4,60 4,65 5,27 5,15 4,50 7,55 5,90 1,92 6,75 1,90 4,79
Verä. 1990-1995 Absolut %Pkt. 610.658 303.200 285.500 173.600 168.500 90.600 76.200 132.800 136.600 85.000 53.800 124.700 104.161 92.700 110.771
50,78 40,98 44,77 40,66 36,83 41,14 38,39 39,04 40,70 35,42 33,42 43,69 50,22 35,18 50,96 41,48
1995 absolut % 16.942 35.500 31.600 30.000 39.700 17.000 9.600 13.800 19.300 6.100 2.700 19.400 5.639 11.100 10.529
4,66 3,64 2,28 3,94 6,87 7,88 5,39 3,03 4,07 2,91 2,38 5,51 3,00 4,56 5,25 4,36
Verä. 1995-2000 absolut %Pkt.
Quelle: Statistische Jahrbücher deutscher Gemeinden und eigene Berechnungen
Berlin Hamburg München Köln Frankfurt Essen Dortmund Stuttgart Düsseldorf Bremen Duisburg Hannover Leipzig Nürnberg Dresden Mittelwerte
1990 absolut %
Tabelle 16: Anteil der Beschäftigten in Sonstigen Dienstleistungen in %
627.600 338.700 317.100 203.600 208.200 107.600 85.800 146.600 155.900 91.100 56.500 144.100 109.800 103.800 121.300
55,44 44,62 47,05 44,60 43,70 49,02 43,78 42,07 44,77 38,33 35,80 49,20 53,22 39,74 56,21 45,84
2000 absolut % -9.085 56.900 44.400 45.600 51.800 24.800 14.100 17.400 27.500 11.700 8.700 29.400 5.782 21.600 3.990
7,55 8,41 7,96 9,21 11,93 12,48 10,04 8,30 9,22 7,41 9,93 11,41 4,92 11,31 7,15 9,15
Verä. 1990-2000 absolut %Pkt.
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
167
Auf den ersten Blick bestätigt das durchgängige Wachstum der Beschäftigtenanteile in den sonstigen Dienstleistungen57 die These von der Entwicklung zu Dienstleistungsstädten. Bei einer genaueren Analyse lassen sich jedoch zwei unterschiedliche „Wege“ erkennen. Die mit Abstand höchsten Beschäftigtenanteile bei den sonstigen Dienstleistungen sind in allen drei Erhebungsjahren bei den ostdeutschen Städten Dresden und Leipzig sowie Berlin zu verzeichnen. Tatsächlich verweist ihr überdurchschnittlich hoher Anteil der sonstigen Dienstleistungen aber auf ihre ansonsten überdurchschnittlich stark geschrumpften übrigen Wirtschaftszweige. Dagegen gab es in allen westdeutschen Städten von 1990 bis 2000 eine kontinuierliche Zunahme nicht nur des Beschäftigtenanteils der sonstigen Dienstleistungen, sondern auch bezogen auf ihre Gesamtzahl. In einigen Städten wie Hamburg, Frankfurt, Köln und München lag der Zuwachs bei den sonstigen Dienstleitungen in Größenordnungen von 44.000 bis 57.000 Beschäftigten.
57
Zu den sonstigen Dienstleistungen gehört das Grundstücks- und Wohnungswesen, unternehmensbezogene Dienstleistungen wie Datenverarbeitung und Datenbanken, Forschung und Entwicklung, die Freien Berufe (Rechts-, Steuer- und Unternehmensberatung, Markt- und Meinungsforschung, Werbung, Architekten und Ingenieure), Schutz- und Reinigungsdienste, die Öffentliche Verwaltung, die Sozialversicherungen, der Bereich Erziehung und Unterricht, das Gesundheits- und Sozialwesen, die Abwasser- und Abfallbeseitigung, Kultur, Sport und Unterhaltung, private Haushalte und exterritoriale Organisationen und Körperschaften.
40.957 33.068 54.476 26.914 22.158 44.540 49.413 27.237 19.147 36.002 12.170 33.720 12.607
31.095
München
Köln
Frankfurt
Essen
Dortmund
Stuttgart
Düsseldorf
Bremen
Duisburg
Hannover
Leipzig
Nürnberg
Dresden
Mittelwerte
51,40
6,57
55,30
4,45
11,07
6,59
7,16
-,43
3,09
2,97
11,58
10,18
7,66
8,25
Verä. % 1990-1995 13,33
34.030
19.087
35.936
18.900
37.605
21.266
29.032
52.950
44.349
22.842
27.714
60.782
36.435
44.094
37.168
BIP / Einwohner 1995 22.297
21,54
14,83
11,85
16,17
8,73
13,98
21,46
16,93
10,48
9,32
13,04
10,70
18,31
13,08
Verä. % 1995-2000 -,68
Quelle: Statistische Jahrbücher deutscher Gemeinden und eigene Berechnungen
34.336
Hamburg
Berlin
BIP / Einwohner 1990 19.674
Tabelle 17: Bruttoinlandsprodukt je Einwohner in €
38.839
23.199
41.266
21.139
43.685
23.122
33.090
64.312
51.857
25.236
30.297
68.705
40.334
52.168
42.031
BIP / Einwohner 2000 22.146
84,02
22,38
73,70
21,34
20,76
21,49
30,15
16,43
13,89
12,57
26,12
21,97
27,37
22,41
Verä. % 1990-2000 12,56
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
169
Die zuvor beschriebenen Indikatoren zur Erwerbs- und Beschäftigtenmobilisierung sowie zur Struktur der Wirtschaftszweige bilden die Basis für die Wirtschaftskraft und den möglichen Wohlstand in einer Großstadt. Für quantitative Vergleiche der jeweiligen Wirtschaftskraft wird vor allem der Indikator „Bruttoinlandsprodukt je Einwohner“ (BIP je Einwohner) verwendet, obwohl er als umstritten gilt. Deutlich zeigen sich erhebliche Unterschiede in der Wirtschaftskraft zwischen den deutschen Großstädten. Das geringste BIP je Einwohner hatten 1990 die ostdeutschen Städte Dresden und Leipzig (ca. 12.000 €), vor Duisburg und Berlin (ca. 19.000 €) sowie Essen und Bremen (27.000 €). In einer mittleren Position mit mehr als 33.000 € befanden sich Köln, Nürnberg, Hamburg und Hannover. Zu den Städten mit der höchsten Wirtschaftskraft je Einwohner zählten München (41.000 €), Stuttgart (45.000 €), Düsseldorf (49.000 €) und Frankfurt (54.000 €). Deutlich zeigt sich ein Anstieg des Bruttoinlandsproduktes in allen Städten um mindestens 13 % innerhalb von zehn Jahren. Diese Steigerungsrate kennzeichnet die Entwicklung in Berlin, Essen und Dortmund, Großstädte mit einem vergleichsweise niedrigen BIP pro Einwohner. Extrem hohe Steigerungsraten verzeichneten Leipzig (74%) und Dresden (84%) in Folge der Vereinigung, wodurch sie zu Großstädten wie Berlin und Duisburg aufschließen konnten (ca. 22.000 €). Die oben genannten Städte mit mittlerem Niveau (Köln, Hamburg, Hannover, Nürnberg) sowie Bremen erzielten Steigerungsraten von etwa 22%. Hohe Wachstumsraten erzielten die Städte mit dem bereits höchsten BIP pro Einwohner: Frankfurt (26%), München (27%) und Düsseldorf (30%). Hingegen hatte Stuttgart im Vergleich mit den wirtschaftsstärksten Großstädten lediglich einen unterdurchschnittlichen Anstieg von 16% zu verzeichnen. Vergleichsweise günstig verlief die Entwicklung in Duisburg, mit einem Anstieg von fast 21%. Mit dem allgemeinen Anstieg des BIP pro Einwohner in allen untersuchten Großstädten hat sich in den letzten zehn Jahren der Abstand zwischen ihnen insgesamt weiter vergrößert. Einer zeitweiligen Annäherung zwischen den Großstädten (1990 bis 1995) folgte eine wesentlich stärkere Auseinanderentwicklung (1995 bis 2000). Da diejenigen Großstädte, die bereits ein hohes BIP realisieren, auch die höchsten Steigerungsraten verzeichneten, entwickelt sich die Wirtschaftskraft weiter auseinander.
170 4.2.3
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
Probleme institutioneller Integration
Galten die Großstädte noch bis Mitte der 1970er Jahre als Integrationsmaschinen, überwiegen seit Mitte der 1980er Jahre Krisendiagnosen. Im Zentrum dieser Diagnosen steht die wachsende Massenarbeitslosigkeit. War diese früher, in den 1920er und 1930er Jahren, mit einer tiefen wirtschaftlichen Depression verbunden, wächst die Zahl der Arbeitslosen seit den 1980er Jahren selbst in Phasen der Prosperität mit beträchtlichen Gewinnmargen an den Börsen und in den Schlüsselindustrien (Kronauer 1998: 22). Diese relative Abkopplung von den wirtschaftlichen Konjunkturzyklen führe dazu, dass selbst in Phasen des Aufschwungs sich die Zahl der Arbeitslosen kaum noch verringert („jobless grow“). Dadurch würde die Zahl der Menschen wachsen, die dauerhaft keine Arbeit findet (strukturelle Arbeitslosigkeit). Vor allem die Großstädte sehen sich durch diesen wachsenden Sockel von Arbeitslosen mit weitreichenden Folgeproblemen konfrontiert. Die hier ohnehin stärker ausgeprägten sozialen Ungleichheiten zwischen unterprivilegierten und wohlhabenden Bewohnergruppen verschärfen sich durch die wachsende Zahl von Arbeitslosen bis hin zur räumlichen Konzentration struktureller Armut. Einer steigenden Zahl von Großstadtbewohnern drohe die dauerhafte Ausgrenzung von regelmäßiger Erwerbsarbeit sowie Einschränkungen bei der Teilhabe am sozialen, kulturellen und politischen Leben. Durch diese Desintegration und ihre vielfältigen Folgeeffekte drohe besonders den Großstädten die soziale Spaltung und städtische Armut: starker Anstieg kommunaler Transferzahlungen, insbesondere der Sozialhilfe (HLU), die Krise der kommunalen Haushalte, Entsolidarisierung, Kriminalität usw.
0 69.925 25.645 43.198 25.345 29.783 31.266 10.343 24.262 30.619 25.470 24.216 0 14.695 24.740
10,60 10,50 4,40 10,50 4,60 11,60 13,00 3,90 9,20 13,10 11,90 10,90 6,50 6,70 8,60 9,07
238.017 14.432 15.832 12.620 3.957 4.115 7.806 13.099 9.601 3.341 10.048 9.212 29.057 11.041 1.771
4,80 1,20 2,80 3,00 5,90 1,90 2,90 5,20 3,90 1,70 4,70 3,50 7,10 4,80 3,50 3,79
Verä. 1990-1995 absolut %Pkt. 238.017 84.357 41.477 55.818 29.302 33.898 39.072 23.442 33.863 33.960 35.518 33.428 29.057 25.736 26.511
15,40 11,70 7,20 13,50 10,50 13,50 15,90 9,10 13,10 14,80 16,60 14,40 13,60 11,50 12,10 12,86
1995 absolut % 25.245 -11.222 -8.643 -3.105 -5.896 -2.797 -1.244 -5.901 -5.262 -2.577 -4.110 -2.336 12.931 -3.204 10.144
2,10 -1,90 -1,60 -1,40 -2,30 -1,30 -0,70 -2,30 -2,30 -1,50 -2,30 -1,20 5,00 -1,00 3,70 -0,6
Verä. 1995-2000 absolut %Pkt.
Quelle: Statistische Jahrbücher deutscher Gemeinden und eigene Berechnungen
Berlin Hamburg München Köln Frankfurt Essen Dortmund Stuttgart Düsseldorf Bremen Duisburg Hannover Leipzig Nürnberg Dresden Mittelwerte
1990 absolut %
Tabelle 18: Arbeitslosenquote
263.262 73.135 32.834 52.713 23.406 31.101 37.828 17.541 28.601 31.383 31.408 31.092 41.988 22.532 36.655
17,50 9,80 5,60 12,10 8,20 12,20 15,20 6,80 10,80 13,30 14,30 13,20 18,60 10,50 15,80 12,26
2000 absolut % 263.262 3.210 7.189 9.515 -1.939 1.318 6.562 7.198 4.339 764 5.938 6.876 41.988 7.837 11.915
6,90 -0,70 1,20 1,60 3,60 0,60 2,20 2,90 1,60 0,20 2,40 2,30 12,10 3,80 7,20 3,19
Verä. 1990-2000 absolut %Pkt.
172
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
1990 waren die Städte mit der größten Wirtschaftskraft lediglich mit geringfügigen Arbeitslosenquoten konfrontiert: Stuttgart (3,9%), München (4,4%) und Frankfurt (4,6%). In Leipzig (6,5%), Nürnberg (6,7%) und Dresden (8,6%) lagen die Arbeitslosenquoten unter dem großstädtischen Durchschnitt von 9,1%; Düsseldorf wies eine Quote von 9,2% auf. Leicht erhöht, zwischen 10% und 11%, waren die Arbeitslosenquoten in Hamburg, Köln, Berlin und Hannover. Hohe Arbeitslosigkeit kennzeichnete besonders die Städte mit relativ geringer Wirtschaftskraft wie Essen (11,6%), Duisburg (11,9%), Dortmund (13,0%) und Bremen (13,1%). Trotz der konjunkturellen Belebung infolge der deutschen Vereinigung („Vereinigungsboom“) stieg die Arbeitslosenquote in allen Großstädten bis 1995, in einigen zwischen 5 und 7 Prozentpunkten: am stärksten betroffen waren mit Stuttgart (5,2 Prozentpunkte) und Frankfurt (5,9 Prozentpunkte), Städte mit hoher Wirtschaftskraft und hohen Wachstumsraten, aber auch Leipzig (7,1 Prozentpunkte). In einigen Städten mit schon zuvor hoher Arbeitslosigkeit stiegen die Quoten dagegen lediglich geringfügig: in Hamburg um 1,2 Prozentpunkte, in Bremen um 1,7 Prozentpunkte und Essen um 1,9 Prozentpunkte. Zwischen 1995 und 2000 waren die Arbeitslosenquoten in allen deutschen Großstädten rückläufig, außer in Leipzig (5 Prozentpunkte), Dresden (3,7 Prozentpunkte) und Berlin (2,1 Prozentpunkte). Der Rückgang in den westdeutschen Großstädten fiel aber geringer aus als der Anstieg bis 1995, so dass die Arbeitslosenquoten in allen westdeutschen Städten im Jahre 2000 mindestens 10% erreichte, außer in München (5,6%), Stuttgart (6,8%) und Frankfurt (8,2%). In Bremen und Hannover stieg die Arbeitslosenquote auf über 13%, in Duisburg erreichte sie 14,3%, in Dortmund und Dresden über 15%, in Berlin 17,5% und in Leipzig 18,6%. Die beschriebenen, zum Teil gegenläufigen Entwicklungen, bewirkten insgesamt einen erheblichen Anstieg der Arbeitslosigkeit und eine Vergrößerung des Abstandes zwischen den Arbeitslosenquoten der Großstädte.58 Obwohl die Arbeitslosenquote zwischen 1995 und dem Jahr 2000 in allen Großstädten, außer in Leipzig, Dresden und Berlin, rückläufig waren, reduzierte sich die Zahl der Arbeitslosen in keiner Großstadt unter das Niveau von 1990. Trotz Vereinigungsboom und beachtlicher Prosperität Ende der 1990er Jahre, entstand selbst in den Großstädten mit erheblichen Wachstumsraten ein wachsender Sockel von Arbeitslosen. Dennoch sind die Herausforderungen durch diese Entwicklung für die jeweiligen Großstädten unterschiedlich groß; weniger dramatisch in Städten wie München (5,6%) und Stuttgart (6,8%), dramatisch in Duisburg, Dortmund, Dresden, Berlin und Leipzig. 58
Die Spannweite zwischen dem geringsten Wert 1990 (4%) und dem höchsten Wert (13%) von 9 Prozentpunkten stieg bis zum Jahr 2000 auf 13 Prozentpunkte (6% bis 19%).
136.897 104.595 31.217 77.142 30.309 55.550 33.787 20.126 43.991 35.113 36.839 28.010 13.409 33.818 4.383
4,0 6,3 2,5 8,1 4,7 8,9 5,6 3,5 7,6 6,4 6,9 5,5 2,7 6,9 0,9 5,3
64.479 43.646 8.239 -32.807 14.512 -20.203 -1.457 118 -19.081 9.426 -11.266 6.427 -1.718 -5.654 1.452
1,9 2,4 0,6 -3,5 2,2 -3,1 -0,3 0,0 -3,3 1,7 -2,1 1,1 -0,3 -1,2 0,3 -0,2
Verä. 1990-1995 absolut %Pkt. 201.377 148.240 39.456 44.336 44.821 35.347 32.329 20.244 24.910 44.539 25.572 34.437 11.691 28.164 5.836
5,8 8,7 3,2 4,6 6,9 5,7 5,4 3,4 4,4 8,1 4,8 6,6 2,4 5,7 1,2 5,1
1995 absolut % 74.298 -21.238 2.712 17.457 -7.028 -2.554 4.736 3.112 4.898 6.901 3.328 4.578 8.282 644 7.559
2,3 -1,2 0,4 1,8 -1,0 -0,3 0,9 0,6 0,9 1,4 0,8 1,0 1,7 0,2 1,6 0,8
Verä. 1995-2000 absolut %Pkt.
Quelle: Statistische Jahrbücher deutscher Gemeinden und eigene Berechnungen
Berlin Hamburg München Köln Frankfurt Essen Dortmund Stuttgart Düsseldorf Bremen Duisburg Hannover Leipzig Nürnberg Dresden Mittelwerte
1990 absolut %
Tabelle 19: Sozialhilfeempfänger-Quote
275.675 127.003 42.168 61.793 37.792 32.793 37.065 23.356 29.808 51.439 28.900 39.016 19.973 28.808 13.394
8,1 7,5 3,5 6,4 5,9 5,5 6,3 4,0 5,2 9,5 5,6 7,6 4,1 5,9 2,8 5,9
2000 absolut % 138.778 22.408 10.951 -15.349 7.484 -22.756 3.279 3.230 -14.183 16.327 -7.938 11.005 6.563 -5.010 9.011
4,2 1,1 1,0 -1,7 1,2 -3,4 0,6 0,5 -2,4 3,2 -1,3 2,1 1,4 -0,9 1,9 0,6
Verä. 1990-2000 absolut %Pkt.
174
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
Relativ geringe Sozialhilfequoten, mit Werten von unter 3% der Gesamtbevölkerung, gab es 1990 in Dresden und Leipzig sowie in München. Eine relativ niedrige Quote kennzeichnete auch Stuttgart mit 3,5%. Wie in Dresden und Leipzig lagen auch im östlichen Teil von Berlin die Werte im Jahr 1990 noch relativ niedrig, die Quote der Sozialhilfeempfänger lag in Berlin bei 4%. In den meisten westdeutschen Städten lag die Quote 1990 zwischen 5% und 7%, in Düsseldorf, Köln und Essen zwischen 7,5% und fast 9%. Bis 1995 entwickelten sich die Sozialhilfequoten in den untersuchten Großstädten in entgegengesetzte Richtungen. Vor allem die Großstädte in NordrheinWestfalen (Köln, Essen, Düsseldorf, Duisburg) mit den zuvor höchsten Quoten, konnten diese um -2 bis -3 Prozentpunkte reduzieren, was ansonsten nur noch Nürnberg gelang (-1,2 Prozentpunkte). Dagegen stiegen die Sozialhilfequoten in Hamburg, Frankfurt, Berlin, Bremen, und Hannover um 1 bis 2 Prozentpunkte. Die geringsten Sozialhilfequoten gab es 1995 wiederum in Dresden (1,2%) und Leipzig (2,4%), gefolgt von München und Stuttgart (beide ca. 3%). Die höchsten Quoten belasteten die Hafenstädte Bremen (8,1%) und Hamburg (8,7%). Zwischen 1995 und 2000 stiegen die Sozialhilfequoten dann in allen Großstädten. Lediglich Hamburg und Frankfurt, die bis 1995 die höchsten Zuwächse verzeichneten, konnten ihre Quoten um etwa -1 Prozentpunkt senken. Den stärksten Zuwachs erlebte Berlin (2 Prozentpunkte), Dresden und Leipzig (etwa 1,5 Prozentpunkte) sowie wiederum Bremen (1,4 Prozentpunkte). Im Untersuchungszeitraum zwischen 1990 und 2000 zeigen sich zwei gegenläufige Entwicklungen. Am stärksten und durchgängig stiegen die Quoten der Sozialhilfeempfänger in Berlin (4,2 Prozentpunkte) und Bremen (3,2 Prozentpunkte), in Hannover und Dresden um ca. 2 Prozentpunkte sowie in geringem Umfang in Frankfurt, Hamburg und Leipzig (ca. 1 Prozentpunkt). Dagegen waren die Quoten insgesamt in Essen, Köln, Düsseldorf, Nürnberg und Duisburg rückläufig.
59,80 69,70 58,00 61,80 57,50 62,60 73,77 56,00 62,30 70,30 66,20 71,30
Köln
Frankfurt
Essen
Dortmund
Stuttgart
Düsseldorf
Bremen
Duisburg
Hannover
Leipzig
Nürnberg
Dresden
1,7
-4,30
-9,40
-12,40
-5,40
-13,10
-3,39
17,00
6,80
17,90
20,70
-9,20
19,20
-12,16
-,90
Verä. %Pkt. 1990-1995 -12,00
67,33
67,00
56,80
57,90
56,90
69,10
70,38
79,60
64,30
79,70
78,70
60,50
79,00
52,84
68,70
Wahlbeteiligung um 1995 68,60
53,70
52,64
-14,69
55,30
42,20
48,10
44,20
61,97
50,20
47,70
54,90
49,30
46,10
45,80
51,00
71,00
Wahlbeteiligung um 2000 68,10
-13,30
-1,50
-15,70
-8,80
-24,90
-8,41
-29,40
-16,60
-24,80
-29,40
-14,40
-33,20
-1,84
2,30
Verä. %Pkt. 1995-2000 -,50
Quelle: Statistische Jahrbücher deutscher Gemeinden und eigene Berechnungen
65,63
65,00
München
Mittelwerte
69,60
Hamburg
Berlin
Wahlbeteiligung um 1990 80,60
Tabelle 20: Wahlbeteiligung in % an den Kommunalwahlen zum Stadtrat
-12,99
-17,60
-10,90
-28,10
-14,20
-11,80
-11,80
-12,40
-9,80
-6,90
-8,70
-23,60
-14,00
-14,00
1,40
Verä. %Pkt. 1990-2000 -12,50
176
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
Nach dem Fall der innerdeutschen Grenze und der deutschen Vereinigung 1990 lag in Berlin die Beteiligung bei den Kommunalwahlen mit fast 81% am höchsten. Über 70% der Wahlberechtigten wählten in Bremen (73,8%) und Dresden (71,3%), knapp 70% beteiligten sich in Leipzig, Frankfurt und Hamburg. Über 60% der Wähler gaben ihre Stimme in Nürnberg (66,2%), München (65%), Düsseldorf (62,6%) Hannover (62,3%) und Dortmund (61,8%) ab, unter 60% in Köln (59,8%), Essen (58%), Stuttgart (57,5%) und Duisburg (56%). Ähnlich wie bei den Sozialhilfeempfängerquoten gab es dann zwischen 1990 und 1995 in den Großstädten Nordrhein-Westfalens auch bei der Wahlbeteiligung einen gegenläufigen Trend. In Köln, Essen, Dortmund und Düsseldorf nahmen zwischen 17 und 20 Prozentpunkte mehr Wähler und Wählerinnen an den Wahlen zum Stadtrat teil. In allen anderen Großstädten außer in Stuttgart (6,8 Prozentpunkte) ging die Wahlbeteiligung dagegen zurück. In Duisburg um –13,1 Prozentpunkte, in Leipzig, Berlin und München um ca. –12 Prozentpunkte, in Frankfurt und Nürnberg um ca. –9 Prozentpunkte, in Hannover um –5,4 Prozentpunkte, in Dresden um –4,3 Prozentpunkte, in Bremen um –3,4 Prozentpunkte und in Hamburg um –0,9 Prozentpunkte. Insgesamt befindet sich in den Jahren von 1990 bis 2000 die lokale Parteienpolitik in Leipzig (-28,1 Prozentpunkte), Frankfurt (-23,6 Prozentpunkte) und Dresden (-17,6 Prozentpunkte) in einer erheblichen Legitimationskrise. Dies gilt für fast alle anderen deutschen Großstädte auch (Hannover, München, Köln, Berlin, Düsseldorf, Bremen, Duisburg, Nürnberg und Stuttgart), wenn auch in etwas abgeschwächtem Maße, da auch hier die Wahlbeteiligung um –10 bis –14 Prozentpunkte zurückging. Etwas weniger dramatisch waren die Rückgänge in Essen (-8,7 Prozentpunkte) und Dortmund (-6,9 Prozentpunkte). Positiv, gegen den allgemeinen Trend, verlief einzig und allein die Entwicklung der Wahlbeteiligung in Hamburg (+1,4 Prozentpunkte). 4.2.4
Kommunale Finanzen
Spätestens seit 1994, als die Bürgermeister und Bürgermeisterinnen einiger Großstädte das Manifest „Rettet unsere Städte jetzt“ (Kronawitta 1994) veröffentlichten, wird die schwierige Lage der Großstädte vor allem als Krise der kommunalen Haushalte diskutiert. Friedrichs (2001: 13) prägte in diesem Zusammenhang den eingängigen Begriff der städtischen Armut, der zwei Aspekte umfasst: die zunehmende Verbreitung von Armut und ihre räumliche Konzentration in spezifischen Stadtquartieren, wodurch die kommunalen Sozialhilfeausgaben „explodierten“; aber auch die Armut der öffentlichen Hände, insbesondere der Kommunen, die aufgrund von Schuldendiensten, rückläufigen (Gewerbe-) Steuereinnahmen und steigender Sozialetats sich immer neue Sparzwänge
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
177
auferlegen müssen. In diesem Teufelskreis steige die Verschuldung der kommunalen Haushalte und Zukunftsinvestitionen müssten zurück gestellt werden. Bei einer Analyse der kommunalen Haushalte sind zwei wichtige Aspekte zu berücksichtigen. Zum einen muss zwischen dem Verwaltungshaushalt einerseits und dem Vermögenshaushalt andererseits unterschieden werden. Zum anderen sind die Kommunen abhängig von den finanzpolitischen und den aufgabenpolitischen Regelungen des Bundes und der Ländern. Vor allem die unterschiedliche Aufgabenverteilung zwischen den einzelnen Bundesländern und ihren Kommunen beeinträchtigen die Vergleichbarkeit kommunaler Einzeldaten (Karrenberg 2004). Erschwert werden Datenvergleiche auch durch den unterschiedlichen Stand der Ausgliederungen innerhalb der einzelnen Großstädte sowie durch die verschiedenen Buchungspraktiken und Rechnungssysteme. Trotz dieser Probleme bei der Vergleichbarkeit sind die Kommunen selbst daran interessiert, Daten über ihre kommunalen Haushalte aufzubereiten und für (Städte-) Vergleiche zur Verfügung zu stellen. Neben der beschriebenen Probleme bei der Vergleichbarkeit sind die kommunalen Haushalte aufgrund ihrer komplexen Zusammensetzung aus Einnahmen (Gebühren, Steuern, Zuweisungen usw.) und Ausgaben (Personal, Transferzahlungen, Zinsen usw.) selbst für „Insider“ kaum noch transparent. Trotz dieser gewichtigen Argumente haben wir einige der zentralen Variablen zur Situation der kommunalen Haushalte erhoben und aufbereitet. Sie sollten zumindest Anhaltspunkte für die Beantwortung der Frage bieten, inwiefern die einzelnen Großstädte über unterschiedliche finanzielle Handlungsspielräume zur Gestaltung ihrer Aufgaben verfügen?
1.077 1.257 1.287 583 884 275 844 335
Stuttgart
Düsseldorf
Bremen
Duisburg
Hannover
Leipzig
Nürnberg
Dresden ,27
1,51
39,07
10,18
-3,25
-31,00
-1,87
-2,66
14,68
13,25
,22
3,31
-1,61
10,97
Verä. % 1990-1995 -36,98
885
336
857
382
974
564
888
1.233
1.049
687
835
1.646
1.004
1.157
1.072
Steuern / Einw. 1995 588
51,75
24,46
49,47
27,09
20,04
6,87
30,80
37,69
12,05
12,86
55,86
18,28
28,03
32,84
Verä. % 1995-2000 16,67
1142
510
1.067
572
1.238
677
949
1.613
1.444
770
942
2.565
1.188
1.481
1.424
Steuern / Einw. 2000 686
Quelle: Statistische Jahrbücher deutscher Gemeinden und eigene Berechnungen
904
599
Dortmund
Mittelwerte
737
1.642
Essen
Frankfurt
972
München
Köln
966 1.175
Hamburg
Berlin
Steuern / Einw. 1990 933
Tabelle 21: Steuereinnahmen je Einwohner in €
52,17
26,35
107,86
40,02
16,14
-26,26
28,36
34,03
28,50
27,81
56,20
22,20
25,97
47,41
Verä. % 1990-2000 -26,47
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
179
Im Jahr 1990 konnte die Stadt Frankfurt/Main die höchsten Steuereinnahmen verzeichnen (1.642 €), gefolgt von Bremen und Düsseldorf (je ca. 1.300 €) sowie München (1.175 €) und Stuttgart (1.077 €). Ein mittleres Niveau, nahe dem Durchschnitt, erreichte Köln (972 €) Hamburg (960 €) und Berlin (930 €). Geringfügig unter dem Durchschnitt lagen die Steuereinnahmen in Hannover (884 €) und Nürnberg (844 €), stärker unter dem Durchschnitt in Essen (737 €). Mit geringen Steuereinnahmen pro Einwohnern mussten Dortmund (599 €) und Duisburg (583 €) auskommen und in Leipzig (275 €) und Dresden (335 €) waren die Einnahmen 1990 noch ausgesprochen niedrig. Die erheblichen Unterschiede der Großstädte bezogen auf ihre Steuereinnahmen verringerten sich bis 1995 geringfügig. Die steuerkräftigsten Großstädte konnten ihre Einnahmen nicht weiter steigern, was jedoch einigen steuerschwächeren Großstädten gelang (Leipzig, Essen, Dortmund). Mit starken Einbußen von über –30% mussten dagegen Berlin und Bremen haushalten. Von 1995 bis 2000 stiegen dann die Steuereinnahmen in allen Großstädten, am stärksten in Frankfurt (55%) von dem schon zuvor höchsten Niveau aus, sowie in Leipzig und Dresden (um 50%), hier jedoch vom geringsten Niveau aus. Auch in den anderen, schon zuvor steuerstarken Großstädten wie Stuttgart (38%), Hamburg (33%) und Düsseldorf (31%) stiegen die Steuereinnahmen erheblich, weniger stark in den Städten, die vorher bei einem mittleren Niveau lagen. Dadurch stieg insgesamt die Spannbreite zwischen den Großstädten mit hohen und denen mit niedrigen Steuereinnahmen deutlich an. Auffällig ist besonders der große Abstand von Frankfurt mit fast 1.000 € höheren Steuereinnahmen in 2000 als Düsseldorf, das mit 1.600 € ebenfalls einen sehr hohen Wert erzielt. Gegenüber Leipzig und Dresden erzielt Frankfurt in 2000 das fünffache an Steuerkraft. Insgesamt erzielten im Gesamt-Untersuchungszeitraum alle Großstädte deutliche Steuerzuwächse, einige um 15% bis 30% (Duisburg, Köln, München, Nürnberg, Essen, Düsseldorf, Dortmund), Stuttgart, Hannover und Hamburg um mehr als 30%, Dresden um 52%, Frankfurt um 56% und Leipzig gar um 108%. Ganz entgegengesetzt zu dieser Entwicklung waren die Steuereinnahmen pro Kopf in Bremen und Berlin stark rückläufig (-26%).
1.351 1.073 1.394 2.618 1.633 2.254
Essen
Dortmund
Stuttgart
Düsseldorf
Duisburg
Hannover
112,95
49,19
325,23
-23,84
19,54
22,19
33,86
19,20
20,77
32,36
24,51
Verä. % 1990-1995 24,68
2.077
1.484
1.741
957
1.716
1.952
3.199
1.866
1.279
1.632
4.921
2.774
Schulden / Einw. 1995 1.397
17,46
1,06
91,50
-4,08
7,89
-13,67
-22,28
19,62
4,86
-30,73
-7,74
Verä. % 1995-2000 27,33
Quelle: Statistische Jahrbücher deutscher Gemeinden und eigene Berechnungen
1.623
697
Dresden
Mittelwerte
1.167
Nürnberg
225
3.718
Frankfurt
Leipzig
2.228
Köln
München
Schulden / Einw. 1990 1.121
Tabelle 22: Schuldenstand je Einwohner in € (ohne Stadtstaaten)
2.024
1.744
1.760
1.832
1.646
2.105
2.761
1.450
1.530
1.711
3.409
2.560
Schulden / Einw. 2000 1.779
150,14
50,77
714,32
-26,95
28,97
5,49
4,04
42,59
26,64
-8,32
14,87
Verä. % 1990-2000 58,76
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
181
Den mit Abstand höchsten Schuldenstand je Einwohner kennzeichnete im Jahr 1990 die Stadt Frankfurt/Main (3.718 €), vor Düsseldorf (2.618 €), Hannover (2.254 €) und Köln (2.228 €). Eine deutlich geringe Verschuldung zeigte sich in den Ruhrgebietsstädten (Duisburg, Essen und Dortmund) sowie in den süddeutschen Städten (Stuttgart, München und Nürnberg). Relativ gering war die Verschuldung in 1990 erwartungsgemäß noch in Leipzig und Dresden. Vom 1990 bis 1995 nahm die Verschuldung der deutschen Großstädte einen relativ einheitlichen Verlauf, da sie fast durchgängig um etwa 20% bis 30% anstieg. Ausnahmen waren in diesem Zeitraum die niedersächsische Landeshauptstadt Hannover und die beiden ostdeutschen Großstädte. Anders verlief die Entwicklung von 1995 bis 2000. Hier zeigte sich, dass gerade die zuvor besonders hoch verschuldeten Großstädte Frankfurt, Düsseldorf und Köln, aber auch Stuttgart versuchten, ihre Schuldenlast zu reduzieren. Im gesamten Zeitverlauf (1990-2000) gelang es lediglich Hannover und Frankfurt seine Schuldenlast zu verringern. Dagegen stieg die Schuldenlast in diesem Zeitraum in München (59%), Nürnberg (51%) und Dortmund (43%).
324 350 207 280 242 547
Essen
Dortmund
Stuttgart
Düsseldorf
Duisburg
Hannover
166,47
,20
77,84
39,29
36,36
19,53
23,51
51,82
24,33
109,25
25,89
Verä. % 1990-1995 40,70
395
232
257
168
761
330
335
255
532
402
729
378
Soz. Leist. / Einw. 1995 368
-42,38
32,67
36,47
-4,10
-6,36
14,81
10,22
-32,79
-5,84
-9,75
12,18
Verä. % 1995-2000 -5,56
Quelle: Statistische Jahrbücher deutscher Gemeinden und eigene Berechnungen
275
87
Dresden
Mittelwerte
256
Nürnberg
95
348
Frankfurt
Leipzig
300
Köln
München
Soz. Leist. / Einw. 1990 261
Tabelle 23: Soziale Leistungen je Einwohner in € (ohne Stadtstaaten)
381
133
341
230
730
309
384
281
357
379
658
424
Soz. Leist. / Einw. 2000 347
53,53
32,93
142,70
33,58
27,70
37,23
36,14
2,04
17,06
88,84
41,23
Verä. % 1990-2000 32,88
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
183
Bei den Aufwendungen für soziale Leistungen je Einwohner lagen die untersuchten West-Großstädte 1990 noch relativ nahe beieinander (zwischen 207 und 350 €). Auffällig waren lediglich die sehr hohen Aufwendungen in Hannover (547 €). Bis 1995 stiegen die Aufwendungen dann in allen Großstädten um mindestens 20%, in Frankfurt um über 100%, sowie in München, Dortmund, Hannover und Duisburg überdurchschnittlich. Den höchsten Anstieg von 1990 bis 1995 gab es in Dresden, wo dann bis zum Jahr 2000 die Ausgaben für soziale Leistungen wieder erheblich zurückgeführt wurden. Das gelang auch den Großstädten, die bis 1995 die stärksten Zuwächse zu verzeichnen hatten (Dortmund, Frankfurt, München, Duisburg, Hannover und Essen). Im Jahr 2000 zeigt sich das folgende Bild. Die höchsten Ausgaben für soziale Leistungen pro Kopf gibt es Hannover (730 €) und Frankfurt (658 €). Im mittleren Bereich befinden sich die nordrheinwestfälischen Großstädte Köln, Düsseldorf, Essen, Dortmund sowie München und Nürnberg. Relativ gering sind die Aufwendungen hingegen in Stuttgart, Leipzig und Dresden.
363 154 254 258 517 212 165 349 224 476
286
Frankfurt
Essen
Dortmund
Stuttgart
Düsseldorf
Duisburg
Hannover
Leipzig
Nürnberg
Dresden
Mittelwerte
-3,33
-,91
11,73
-55,42
25,30
-33,23
-61,39
-45,47
-4,32
-20,00
-39,75
Verä. % 1990-1995 -53,38
223
460
222
390
74
266
345
100
139
147
290
149
Bauausg. / Einw. 1995 99
-46,11
-43,45
-17,85
139,58
-45,58
-34,67
37,44
33,58
-15,28
-31,69
-25,77
Verä. % 1995-2000 71,50
Quelle: Statistische Jahrbücher deutscher Gemeinden und eigene Berechnungen
247
Köln
München
Bauausg. / Einw. 1990 212
Tabelle 24: Bauausgaben je Einwohner in € (ohne Stadtstaaten)
180
248
126
320
176
145
225
137
185
125
198
110
Bauausg. / Einw. 2000 169
-47,91
-43,96
-8,21
6,81
-31,81
-56,38
-46,93
-27,16
-18,94
-45,35
-55,28
Verä. % 1990-2000 -20,05
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
185
Die Bauausgaben sind ein wichtiger Indikator für die Investitionen in die Modernisierung der städtischen Gebäude- und Infrastrukturen. Prägnant sind die erheblichen Unterschiede zwischen den einzelnen Großstädten. Die höchsten Bauinvestitionen lassen sich für das Jahr 1990 in Düsseldorf, Dresden, Frankfurt und Leipzig erkennen. Gering waren die Ausgaben dagegen in Hannover sowie in Essen und Duisburg. Bis 1995 haben dann nahezu alle Großstädte ihre Bauausgaben reduziert, in erheblichem Umfang vor allem Stuttgart, Hannover, München und Dortmund; auffällig gering war der Rückgang in Essen und Nürnberg. Zwischen 1995 und dem Jahr 2000 setzte sich die uneinheitlichen Entwicklungen zwischen den Großstädten weiter fort. Vor allem München und Hannover steigerten ihre Bauinvestitionen in großem Umfang, Dortmund und Stuttgart ebenfalls in einem beträchtlichen Maße. Dagegen reduzierten Städte wie Duisburg, Nürnberg, Dresden, Köln, Frankfurt und Düsseldorf ihre Bauausgaben erheblich.
482 187 244 304 359 271 293 203 350 121
294
Frankfurt
Essen
Dortmund
Stuttgart
Düsseldorf
Duisburg
Hannover
Leipzig
Nürnberg
Dresden
Mittelwerte
119,07
38,54
30,65
-33,16
53,30
66,81
3,37
72,75
70,96
20,47
48,19
Verä. % 1990-1995 11,53
399
264
485
266
196
416
599
314
421
319
581
522
Gebühren / Einw. 1995 405
-29,59
-62,49
-24,42
-7,05
-67,44
-4,18
-4,89
4,25
6,57
-33,89
-28,11
Verä. % 1995-2000 -31,90
Quelle: Statistische Jahrbücher deutscher Gemeinden und eigene Berechnungen
352
Köln
München
Gebühren / Einw. 1990 364
Tabelle 25: Gebühreneinnahmen je Einwohner € (ohne Stadtstaaten)
298
186
182
201
182
135
574
299
439
340
384
375
Gebühren / Einw. 2000 276
54,24
-48,03
-1,26
-37,87
-50,09
59,83
-1,68
80,08
82,19
-20,36
6,53
Verä. % 1990-2000 -24,05
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
187
Im Jahr 1990 konnten Frankfurt, München, Düsseldorf, Köln und Nürnberg vergleichsweise hohe Einnahmen aus Gebühren verbuchen. Geringer waren die Einnahmen in den Ruhrgebietsstädten Essen, Dortmund und Duisburg, aber auch in Hannover und Leipzig. Mit Abstand die geringsten Gebühreneinnahmen hatte Dresden zu verzeichnen. Von 1990 bis 1995 stiegen dann die Gebühreneinnahmen in den Großstädte von Nordrheinwestfalen am stärksten und wurden lediglich von Dresden übertroffen. Einzig in Hannover waren die Einnahmen durch Gebühren rückläufig. Von 1995 bis zum Jahr 2000 zeigte sich dann eine uneinheitliche Entwicklung. Essen und Dortmund konnten ihre Gebühreneinnahmen leicht steigern. Einen leichten Rückgang ihrer Einnahmen mussten Stuttgart, Düsseldorf und Hannover hinnehmen, einen deutlichen Rückgang Köln, München, Frankfurt, Leipzig und Dresden. Massiv war der Einnahmeverlust für Duisburg und Nürnberg.
74
Hannover
189
123
Dresden
Mittelwerte
3,78
-34,73
-4,00
-55,56
9,35
-64,58
-60,00
-21,92
10,42
6,06
-8,89
Verä. % 1990-1995 11,59
104
196
56
160
33
179
58
35
146
108
72
84
Inv.-zuw. / Einw. 1995 118
-7,81
-24,77
28,53
35,94
-19,94
43,36
-41,18
-17,54
-24,06
-42,86
-14,02
Verä. % 1995-2000 -25,54
Quelle: Statistische Jahrbücher deutscher Gemeinden und eigene Berechnungen
85
Nürnberg
166
164
Duisburg
Leipzig
163
Düsseldorf
87
Stuttgart
98
Essen 187
67
Frankfurt
Dortmund
92
Köln
München
Inv.-zuw. / Einw. 1990 106
Tabelle 26: Investitionszuweisungen je Einwohner € (ohne Stadtstaaten)
94
181
42
205
44
144
83
20
120
82
41
72
Inv.-zuw. / Einw. 2000 88
-4,32
-50,90
23,38
-39,58
-12,46
-49,22
-76,47
-35,62
-16,15
-39,39
-21,67
Verä. % 1990-2000 -16,91
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
189
Die Investitionszuweisungen von Bund, Ländern u.a. tragen zur Finanzierung des gesamten Haushalt der Großstädte nur ein relativ geringes Volumen bei. Im Jahr 1990 erhielten Städte wie Dresden, Dortmund, Leipzig, Duisburg und Düsseldorf nahezu dreimal so hohe Zuweisungen wie Frankfurt oder Hannover. Im Zeitraum von 1990 bis 1995 veränderte sich die Höhe der Zuweisungen für die einzelnen Städte in einem ganz uneinheitlichen Maße. In Hannover, Düsseldorf und Stuttgart waren die Zuweisungen stark rückläufig. Einen geringeren Rückgang verzeichneten aber auch Nürnberg, Dortmund, Köln und Leipzig. Dagegen erhöhten sich die Zuweisungen in München, Frankfurt, Essen, Duisburg und Dresden. Bis zum Jahr 2000 entwickelten sich die Investitionszuweisungen in fast allen Städten negativ. Besonders ausgeprägt war der Rückgang in Frankfurt und Stuttgart. Dagegen konnten Düsseldorf, Hannover und Leipzig als einzige Städte die Einnahmen aus Investitionszuweisungen steigern. Zusammenfassend ist die enorm ungleiche Wirtschafts- und Steuerkraft der 15 Großstädte für ihre Finanzsituation grundlegend. Frankfurt erzielte im Jahr 2000 zum Beispiel eine fünfmal so hohe Steuerkraft pro Kopf wie Leipzig oder Dresden. Deutlich wird, dass vor allem die ostdeutschen Großstädte und Berlin, die Ruhrgebietsstädte, aber auch Bremen (nach dem Länderfinanzausgleich) durch ihre Einnahmen auch nicht annähernd ihre Ausgaben eigenständig aufbringen können. Über die Gewerbesteuer sind sie an die vergleichsweise geringe lokale Wirtschaftskraft pro Kopf gebunden. Durch den Gemeindeanteil an der Einkommenssteuer und über den kommunalen Finanzausgleich sind sie an die Zahl der Einwohner gebunden, die schrumpft. Durch diese prekäre Finanzlage unterliegen die Ruhrgebietsstädte schon seit Jahren der Haushaltsaufsicht durch die jeweiligen Bezirksregierungen (Haushaltssicherungsgesetzte). Damit haben sie ihre Finanzhoheit und eigenständige, finanzielle Gestaltungsmöglichkeiten weitgehend verloren. Faktisch gilt das auch für die beiden Stadtstaaten Berlin und Bremen, die sich aufgrund einer extremen Schuldenlast in extremer Haushaltsnotlage befinden. Vor einer solchen Haushaltsnotlage sind bisher die beiden ostdeutschen Großstädte Leipzig und Dresden geschützt. Sie besitzen durch die gesicherten Finanzzuweisungen für den Aufbau-Ost (Solidarpakt II) eine längerfristig stabile Finanzgrundlage, auch wenn sich ihre Verschuldung langsam erhöht. Völlig anders sieht die Situation in München und Stuttgart aus. Beide Großstädte besitzen zum einen ein hohes Steueraufkommen pro Kopf, zum anderen ist ihre Verschuldung relativ gering (Stuttgart) oder im Durchschnitt (München). Im Gegensatz zu allen anderen Großstädten verfügen sie außerdem über nennenswerte allgemeine Rücklagen. Diese Finanzsituation erlaubt es ihnen trotz der allgemeinen Krise der öffentlichen Haushalte auch weiterhin hohe Investiti-
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
190
onen zu tätigen. Dazu sind auch Frankfurt und Düsseldorf aufgrund ihrer besonders hohen Steuerkraft in der Lage. Eingeschränkt werden ihre Finanzspielräume jedoch durch eine hohe Schuldenlast der Kommunalhaushalte, die mittelfristig aber durch eine entsprechende Konsolidierungspolitik ausgeglichen werden könnten. In einer ähnlichen Situation befindet sich auch der Stadtstaat Hamburg. Trotz einer hohen Schuldenlast verfügt die Hansestadt aufgrund ihrer hohen Wirtschaftskraft und durchschnittlichem Steueraufkommen über ausreichende finanzielle Handlungsspielräume. Von den verbleibenden Großstädten weist Hannover eine relativ niedrige Verschuldung der kommunalen Haushalte auf, Köln eine starke Verschuldung und Nürnberg befindet sich auf einem mittleren Niveau. Ihr durchschnittliches Steueraufkommen reicht derzeit aber kaum noch aus, um die stetig steigen Kosten für soziale Transfers auszugleichen. Dennoch befinden sie sich nicht annähernd in einer Haushaltsnotlage, sondern verfügen über (noch) ausreichende finanzielle Handlungsmöglichkeiten. 4.2.5
Zusammenfassung
Die in der politischen und wissenschaftlichen Öffentlichkeit kontrovers geführte Debatte um die vor allem zukünftig zu erwartende „Alterung“ der Bevölkerung ist im Untersuchungszeitraum erst in Ansätzen zu erkennen. Das hängt zum einen mit der für Bevölkerungsentwicklungen relativ kurzen Zeitspanne von 1990 bis 2000 zusammen. Vor allem aber mit gegenläufigen Entwicklungsprozessen in einzelnen Großstädten. Eine pauschale Alterung der Bevölkerung auch in den Großstädten, lässt sich nicht nachweisen. Vielmehr stieg der Anteil und die Anzahl von Kindern und Jugendlichen in zwölf der fünfzehn Großstädte. Ausnahmen bei dieser Entwicklung bilden lediglich Berlin, Dresden und Leipzig. In Frankfurt, Hannover, Hamburg und München lässt sich sogar ein Verjüngungstrend beobachten: In diesen vier Großstädten erhöhte sich nicht allein die Zahl der Kinder und der Jugendlichen, sondern gleichzeitig verringerte sich die Anzahl und der Anteil der über 65jähirgen. Im Gegensatz zu diesem Verjüngungstrend stieg die Zahl und der Anteil der über 65jährigen in Köln, Essen, Dortmund und Duisburg sowie in Berlin, Dresden und Leipzig. In den drei zuletzt genannten Großstädten entwickelte sich außerdem der Anteil der unter 18jährigen rückläufig. Durch Prozesse der „Alterung“ ihrer Bevölkerung sind demnach vor allem die ostdeutschen Großstädte und Berlin herausgefordert. Gleiches gilt nur bedingt für die Ruhrgebietsstädte Duisburg, Essen und Dortmund, da hier zumindest der Anteil der Jüngeren angestiegen ist.
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
191
Die zu beobachtende, polarisierte Entwicklung zwischen Großstädten, in denen sich die Bevölkerung „verjüngt“ und in einigen, in denen sie „altert“, widerspricht der These von einer quasi zwangsläufigen demografischen Alterung. Insbesondere die sich dynamisch entwickelnden Großstädte mit einem bereits hohen und wachsenden Anteil von Bewohner mit Migrationshintergrund sind attraktiv für jüngere Bevölkerungsgruppen und werden dies auch in Zukunft sein: durch vielfältige Bildungs- und Ausbildungsgänge, durch hoch differenzierte und spezialisierte Erwerbsmöglichkeiten sowie durch urbane Wohngebiete. Einschränkend muss jedoch berücksichtigt werden, dass sich der „verjüngende Effekt“ durch den Zuzug von Bewohner mit Migrationshintergrund zum Ende der 1990er Jahre aufgrund rückläufiger Anteile an der Gesamtbevölkerung leicht abschwächt hat. Erst in langfristigen Berechnungen von Bevölkerungstrends bis 2030 oder 2050 wird durchgängig auf erhebliche Bevölkerungsrückgänge verwiesen. Dann besteht auch für die jetzt noch wachsenden oder kaum durch „Alterung“ betroffenen Großstädte die Gefahr von erheblichen Bevölkerungseinbußen (Göschel 2004). Dies gilt jedoch nur, wenn es bis dahin nicht zu unerwarteten gesellschaftlichen Brüchen oder kaum vorherzusehenden Entwicklungen kommt, wie schon oft in der deutschen Geschichte. Im Bereich von Wirtschaft und Beschäftigung zeigen sich überwiegend durchgängige Entwicklungen, aber auch einige gegenläufige Trends. Durchgängig lässt sich in allen Großstädten ein erheblicher Rückgang von Erwerbs- und Beschäftigungsverhältnissen im Zeitraum von 1990 bis 1995 beobachten. In den darauf folgenden fünf Jahren (1995-2000) verkehrte sich dieser negative Trend in einen erneuten Anstieg der Erwerbstätigen in den meisten Großstädten (außer in Berlin, Bremen und Nürnberg). Bei den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen hat sich der zuvor negative Trend seit 1995 in allen Großstädten zumindest abgeschwächt. In Hamburg, München, Köln, Frankfurt, Stuttgart, Düsseldorf und Hannover stieg die Zahl der Beschäftigungsverhältnisse wieder an. Trotz dieser Trendwende seit Mitte der 1990er Jahre sind gegenüber dem Jahr 1990 insgesamt mehr Erwerbs- und Beschäftigungsverhältnisse verloren gegangen, als neu aufgebaut wurden. Eine quantitativ positive Erwerbs- und Beschäftigtenbilanz verzeichnete dabei einzig und allein die Großstadt Köln. In allen anderen Großstädten ging die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zwischen 1990 und 2000 insgesamt zurück. In Köln, Hamburg, Frankfurt, Essen und Düsseldorf steht diesem Beschäftigtenrückgang jedoch eine steigende Anzahl von Erwerbsverhältnissen in ungefähr gleichem Umfang gegenüber (vor allem 400-Euro-Jobs). Die relativ positive Entwicklung besonders in Köln, Hamburg, Frankfurt, Essen
192
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
und Düsseldorf geht einher mit einem überdurchschnittlichen Anstieg der Frauenerwerbstätigkeit. Ein spezifischer Sonderfall ist in diesem Zusammenhang die Bundeshauptstadt Berlin. Dem extremen Rückgang von fast 100.000 Erwerbsund fast 200.000 Beschäftigungsverhältnissen stand ein gleichzeitiger Anstieg um 178.000 zusätzlich erwerbstätiger Frauen gegenüber. Berlin repräsentiert damit in zugespitzter Form die These von der weiteren Feminisierung der Erwerbsarbeit, die zumindest für neun59 der fünfzehn deutschen Großstädte zutrifft. Ein weiteres, durchgängiges Entwicklungsmuster, das alle fünfzehn Großstädte kennzeichnet, ist der massive Beschäftigtenrückgang im verarbeitenden Gewerbe. Alle Großstädte verloren zwischen 1990 und 2000 mindestens 13.000 Beschäftigte in diesem Wirtschaftszweig, im Durchschnitt jedoch zwischen 20.000 und 40.000. Unterhalb dieses allgemeinen Trends lassen sich jedoch sehr unterschiedliche, spezifische Prozesse in einzelnen Großstädten erkennen. Der Beschäftigtenrückgang im verarbeitenden Gewerbe verlangsamte sich in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre gegenüber der Phase von 1990 bis 1995. In München erhöhte sich sogar die Anzahl der Beschäftigten in diesem Wirtschaftszweig von 1995 bis zum Jahr 2000. Lediglich ganz geringfügige Verluste hatte in dieser Phase Stuttgart zu verzeichnen, das ähnlich wie München, einen der höchsten Beschäftigtenanteile im verarbeitenden Gewerbe stabilisieren konnte. Ein anderes Entwicklungsmuster zeigt sich in Köln, Dortmund und Duisburg. Diese Städte verfügten 1990 noch über die vergleichsweise höchsten Beschäftigtenanteile im verarbeitenden Gewerbe. Bis zum Jahr 2000 mussten dann aber gerade diese drei Großstädte die stärksten Rückgänge verkraften. Den extremsten Rückgang erlebte Frankfurt, das zwischen 1990 und 2000 nahezu die Hälfte seines produzierenden Gewerbes einbüßte. Der starke Fokus auf den massiven Beschäftigtenrückgang im verarbeitenden Gewerbe verdeckt häufig den ebenfalls erheblichen technologisch- und rationalisierungsbedingten Beschäftigtenabbau im Baugewerbe, im Handel und im Verkehrswesen. In allen drei dieser Wirtschaftszweige gab es in Berlin, in Hamburg, in München, in Essen, in Stuttgart, in Düsseldorf, in Duisburg, in Hannover, in Nürnberg und in Dresden rückläufige Beschäftigtenzahlen. Trotz dieser allgemeinen Entwicklung, lassen sich in einigen wenigen Großstädten auch entgegengesetzte Trends beobachten: Im Handel verzeichneten die traditionsreichen Handelsstädte Köln und Leipzig einen Beschäftigtenzuwachs; einen Zuwachs erlebte auch das Bauwesen in Dortmund und Bremen sowie das Verkehrswesen in Dortmund und Frankfurt.
59
Berlin, Hamburg, München, Köln, Frankfurt, Essen, Düsseldorf, Hannover und Leipzig.
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
193
Frankfurt profitierte mit erheblichem Abstand vor allen anderen Großstädten besonders von der insgesamt positiven Entwicklung im Kreditwesen (Banken und Versicherungen). Einen deutlichen Beschäftigtenzuwachs gab es aber auch in Leipzig, sowie geringer ausgeprägt, in Stuttgart, Köln und München. Ein abschließender Blick auf die Entwicklung der sonstigen Dienstleistungen (1990-2000) zeigt deren Wachstum in allen deutschen Großstädten, außer in Berlin. Die Bundeshauptstadt, wie auch Leipzig und Dresden verfügen zwar über die höchsten Dienstleistungsanteile mit über 50%. Tatsächlich verweist dieser hohe Anteil lediglich auf ihre ansonsten überdurchschnittlich stark geschrumpften übrigen Wirtschaftszweige, da die Gesamtzahl der Beschäftigten in den sonstigen Dienstleistungen nahezu stagniert. Dagegen stieg die Zahl der Beschäftigten in den westdeutschen Großstädten zwischen annähernd 9.000 (Duisburg) und 56.000 (Hamburg). Die zuvor beschriebene Erwerbs- und Beschäftigtenentwicklung sowie die Struktur und die Dynamik der Wirtschaftszweige bilden die Grundlage für die Wirtschaftskraft der einzelnen Großstädte und ihre finanziellen Spielräume. Um die Entwicklung dieser materiellen Basis auch im Zeitverlauf anschaulicher nachvollziehen zu können, wurden das „Brutto-Inlandsprodukt je Einwohner“ (BIP je Einwohner) mit den „Steuereinnahmen je Einwohner“ in einer Kreuztabelle gegenübergestellt. Durch einen Vergleich der dabei entstehenden drei Grafiken für die Jahre 1990, 1995 und 2000 lassen sich drei „Bewegungen“ analysieren: Jede einzelne Großstadt kann ihre Position im Zeitverlauf und im Verhältnis zu allen anderen Großstädten verändern; und jede Großstadt kann ihre Position gegenüber der Entwicklung des allgemeinen Durchschnittes verändern oder stabilisieren (gestrichelte Linie).
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
194
Abbildung 36: BIP und Steuereinnahmen je Einwohner 1990 70.000
60.000
Frankfurt
Düsseldorf
50.000
BIP je Einwohner
Stuttgart München 40.000
Hannover Nürnberg
Hamburg Köln
30.000
Bremen
Essen
Dortmund Duisburg
20.000
Berlin
Dresden Leipzig
10.000 0
500
1.000
1.500
2.000
2.500
Steuereinnahmen je Einwohner
Fläche der Kreise: Stadt
Quelle: Statistische Jahrbücher deutscher Gemeinden und eigene Berechnungen
Für das Jahr 1990 zeigt sich deutlich der erhebliche, wenn auch zu erwartende, Abstand von Leipzig und Dresden gegenüber den westdeutschen Großstädten. Darüber befinden sich die Ruhrgebietsstädte Duisburg, Dortmund und Essen, sowie Berlin und Bremen. Bremen hat zu diesen Großstädten jedoch aufgrund seiner vergleichsweise deutlich höheren Steuereinnahmen einen großen Abstand nach „rechts“. Darüber, dicht am Durchschnitt, befinden sich die Großstädte Köln, Hamburg, Nürnberg und Hannover, die alle relativ nahe beieinander liegen. Leicht abgesetzt von dieser Gruppe folgen München und dann Stuttgart, aber auch relativ nahe beieinander. Größer ist der Abstand zu Düsseldorf und
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
195
erst recht zu Frankfurt. Ähnlich wie Bremen ist auch Frankfurt aufgrund der höheren Steuereinnahmen je Einwohner stärker nach „rechts“ positioniert. Abbildung 37: BIP und Steuereinnahmen je Einwohner 1995 70.000
Frankfurt 60.000
Düsseldorf 50.000
BIP je Einwohner
Stuttgart München 40.000
Hannover Nürnberg
30.000
Hamburg Köln
Bremen Essen
Berlin 20.000
Dortmund Duisburg
Dresden Leipzig
10.000 0
500
1.000
1.500
2.000
2.500
Steuereinnahmen je Einwohner
Fläche der Kreise: Stadt
Quelle: Statistische Jahrbücher deutscher Gemeinden und eigene Berechnungen
Ausgehend von der (gestrichelten) Durchschnittslinie, hat sich der Abstand zwischen den Großstädten oberhalb (Hannover, Nürnberg, Köln und Hamburg) und unterhalb dieser Linie (Essen, Bremen) vergrößert. Dagegen liegen nun Dortmund, Duisburg und Berlin dicht beieinander und die beiden ostdeutschen Großstädte haben zu ihnen aufgeschlossen. Bremen ist von seiner vorherigen, nach „rechts“ verschobenen Position „zurückgewandert“ und liegt dicht mit Essen zusammen. Im oberen Teil der Grafik ist der Abstand von Stuttgart und München zur Durchschnittslinie nicht weiter gewachsen. München und
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
196
Stuttgart sind außerdem weiter „zusammengerückt“. Dagegen haben Düsseldorf und auch Frankfurt den Abstand zu den anderen Großstädten noch weiter vergrößert. Abbildung 38: BIP und Steuereinnahmen je Einwohner 2000 70.000
Frankfurt
Düsseldorf 60.000
Stuttgart
München
BIP je Einwohner
50.000
Hannover Hamburg
Nürnberg Köln
40.000
Bremen Essen
30.000
Dortmund Dresden Leipzig
20.000
Duisburg Berlin
10.000 0
500
1.000
1.500
2.000
2.500
Steuereinnahmen je Einwohner
Fläche der Kreise: Stadt
Quelle: Statistische Jahrbücher deutscher Gemeinden und eigene Berechnungen
Im Vergleich mit dem Jahr 1995 konnten die Großstädte im unteren Teil der Grafik ihre Positionen stabilisieren oder einen leichten Anstieg des BruttoInlandsproduktes erzielen. Dennoch sind sie im Vergleich mit den Großstädten oberhalb der Durchschnittslinie, zurückgefallen. Denn Hannover, Nürnberg, Hamburg und Köln haben die Anhebung der Durchschnittswerte mit vollziehen können. Noch deutlicher als schon von 1990 zu 1995, konnten Stuttgart und
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
197
München ihren Abstand zu den Großstädten am Mittelpunkt vergrößern. Das gleiche gilt auch für Düsseldorf und Frankfurt, die eine Art Sprungbewegung vollzogen haben. Besonders deutlich wird diese Bewegung bei Frankfurt, das selbst gegenüber Düsseldorf nochmals viel weiter nach „rechts“ gewandert ist. Insgesamt zeigen die beschriebenen Entwicklungen nicht eine Polarisierung im Sinne gleichzeitig verlaufender Aufstiegs- und Abstiegsspiralen. Die ostdeutschen Großstädte erreichten immerhin den Anschluss an die Ruhrgebietsstädte und an Berlin. Die Ruhrgebietsstädte sowie Berlin und Bremen konnten ihre Positionen stabilisieren oder sogar leicht verbessern, zumindest beim Brutto-Inlandsprodukt. Trotz dieser Konsolidierung hat sich der Abstand zu Hannover, Nürnberg, Köln und Hamburg vergrößert, weil diese vier Großstädte einen relativ stärkeren Zuwachs beim Brutto-Inlandsprodukt und bei den Steuereinnahmen realisieren konnten. Von einer relativ dynamischen Aufwärtsspirale kann für München und Stuttgart gesprochen werden, besonders jedoch für Düsseldorf und Frankfurt. Durch die dynamische Entwicklung dieser vier Städte hat sich das Feld der fünfzehn deutschen Großstädte erheblich gespreizt. Diese Spreizung nach „Oben“ erfolgte vor allem durch die besondere Aufstiegsdynamik dieser vier prosperierenden Großstädte, schon weniger durch die schwächeren Entwicklungen in Hannover, Köln, Hamburg und Nürnberg. Da diese Spreizung durch Aufstiegsdynamiken erzeugt und nicht von einer gleichzeitigen Abwärtsentwicklung verstärkt wird, kann von einer einseitigen Spreizung oder Polarisierung für die wirtschaftliche und finanzielle Entwicklung der Großstädte gesprochen werden. Für die Analyse der sozioökonomischen Entwicklungen in den fünfzehn Großstädten sind jedoch auch die anderen beiden Entwicklungsfelder von Bedeutung. Deutlich zeigte sich hier, dass die dynamischen Aufwärtsspiralen, besonders deutlich in Düsseldorf und Frankfurt zu erkennen, mit erheblichen Folgeproblemen für die institutionelle Integration und die kommunale Verschuldung verbunden waren. Bei den Arbeitslosenzahlen fällt auf, dass es trotz des „Vereinigungsbooms“ nach 1990 und den großen Aktien- und Immobiliengewinnen vieler Unternehmen zu einem erheblichen Anstieg in allen Großstädten kam. Die Arbeitslosenquoten entwickelten sich dann bis zum Jahr 2000 rückläufig, außer in Berlin, Leipzig und Dresden, sie verblieben jedoch über dem Stand von 1990. In allen anderen Großstädten stieg der „Sockel struktureller Arbeitslosigkeit“ weiter an. Gegensätzlicher entwickelte sich die Zahl der Sozialhilfeempfänger zwischen den Großstädten. 1990 hatten die NRW-Städte an Rhein und Ruhr die höchsten Quoten an Sozialhilfeempfängern. Im Gegensatz zu allen anderen Großstädten konnten gerade diese Großstädte die Zahl der Hilfeempfänger bis 1995 zwischen 10.000 und 30.000 Personen reduzieren. Während in allen ande-
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
198
ren Großstädten die Quoten und die Gesamtzahl im Untersuchungszeitraum anstieg, erreichten die NRW-Großstädte diese erhebliche Verringerung. Anhand einer weiteren Grafik mit den Werten von Arbeitslosigkeit und Sozialhilfe, lassen sich die zum Teil „turbulenten Bewegungen“ zwischen den Städten deutlicher erkennen. Abbildung 39: Quoten von Sozialhilfe und Arbeitslosigkeit 1990 12
10
Essen Köln
Quote Sozialhilfeempfänger
8
Düsseldorf Duisburg
Nürnberg
Bremen Hamburg
6
Dortmund Hannover Frankfurt 4
Berlin Stuttgart Leipzig
München 2
Dresden 0 0
2
4
6
8
10
12
14
16
18
Quote Arbeitslose
Quelle: Statistische Jahrbücher deutscher Gemeinden und eigene Berechnungen
Fläche der Kreise: Stadt
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
199
Ein Blick auf die Sozialhilfe- und Arbeitslosenquote zeigt für das Jahr 1990 zwei gegensätzliche Gruppen von Großstädten. In Stuttgart, München, Frankfurt und den beiden ostdeutschen Städten liegt beide Quoten unter den Durchschnittswerten. Zum Teil erheblich über den durchschnittlichen Werten liegen dagegen Essen, Köln, Duisburg, Bremen, Dortmund, Düsseldorf und Hannover. Berlin und Nürnberg haben eine Sonderposition. Berlin hat bei einer relativ hohen Arbeitslosenquote durch die Vereinigung noch eine relativ geringe Quote von Sozialhilfeempfänger. Nürnberg dagegen hat eine relativ hohe Quote bei den Sozialhilfeempfänger, aber relativ weniger Arbeitslose. Dieses Verteilungsmuster von 1990 kommt bis zum Jahr 1995 erheblich durcheinander. Die Quoten der Sozialhilfeempfänger verbleiben insgesamt innerhalb des gleichen Spektrums, obwohl einige Großstädte erhebliche Anstiege verzeichnen (Frankfurt, Hamburg, Bremen, Hannover), andere Großstädte erhebliche Rückgänge (Essen, Köln, Düsseldorf, Duisburg). Insgesamt kommt es gleichzeitig zu einer allgemeinen Verlagerung nach „rechts“, durch den Anstieg der Arbeitslosigkeit in fast allen Großstädten. Abbildung 40: Quoten von Sozialhilfe und Arbeitslosigkeit 1995 12
10
Hamburg Bremen
Quote Sozialhilfeempfänger
8
Frankfurt Hannover 6
Nürnberg
Berlin Dortmund
Essen Köln Düsseldorf
4
Duisburg
Stuttgart
München
Leipzig 2
Dresden
0 0
2
4
6
8
10
Quote Arbeitslose
12
14
16
18
Fläche der Kreise: Stadt
Quelle: Statistische Jahrbücher deutscher Gemeinden und eigene Berechnungen
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
200
Eine weitere „Bewegung“ ist außerdem die vergleichsweise stärkere Zusammenballung der Großstädte insgesamt. Lediglich Leipzig und Dresden sowie München und Stuttgart haben in diesem Bereich eine „Randposition“. Alle anderen deutschen Großstädte weisen recht ähnliche Strukturen auf. Diese recht ähnlichen Strukturen wandeln sich dann bis zum Jahr 2000 wiederum erheblich. München und Stuttgart verbessern ihre zuvor schon günstige Position noch weiter und entfernen sich noch deutlicher vom Trend in den anderen Großstädten. Die meisten anderen Großstädte rücken gegenüber 1995 noch weiter zusammen und konzentrieren sich relativ nahe am Mittelpunkt beider Mittelwerte. Von dieser Grundtendenz weichen vier Großstädte deutlich ab. Bremen mit der höchsten Quote bei den Sozialhilfeempfängern sowie Dresden, Berlin und Leipzig mit den höchsten Arbeitslosenquoten. Abbildung 41: Quoten von Sozialhilfe und Arbeitslosigkeit 2000 12
10
Bremen
Berlin
Quote Sozialhilfeempfänger
8
Hannover
Hamburg
Frankfurt
6
Köln
Nürnberg
Dortmund
Essen
Düsseldorf
Duisburg
Leipzig
Stuttgart
4
München Dresden 2
0 0
2
4
6
8
10
12
14
16
18
Quote Arbeitslose
Quelle: Statistische Jahrbücher deutscher Gemeinden und eigene Berechnungen
Fläche der Kreise: Stadt
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201
Im Jahr 2000 zeigt sich vor allem für Berlin, aber auch für Bremen, Hannover und Dortmund eine insgesamt negative Situation. Duisburg, Dresden und Leipzig erreichen trotz sehr hoher Arbeitslosigkeit eine etwas günstigere Position durch ihre Sozialhilfequoten unter dem Durchschnitt. Dagegen ist die Quote der Sozialhilfeempfänger in Hamburg relativ hoch im Gegensatz zur Quote der Arbeitslosen. Frankfurt kann als einzige Großstadt seine Situation in beiden Bereichen leicht verbessern und München sowie Stuttgart stabilisieren ihr ohnehin niedriges Niveau weiter. Nach dieser Phase starker Schwankungen und gegenläufiger Entwicklungen, lassen sich für das Jahr 2000 eindeutigere Entwicklungsmuster erkennen. Die wirtschaftlich und finanziell stärksten Großstädte erreichen auch auf dem Gebiet der sozialen Indikatoren nach und nach die günstigsten Konstellationen. Dagegen stehen die wirtschaftlich und finanziell schwächsten Großstädte vor den größten Problemen institutioneller Integration. Trotz dieser sich relativ parallel entwickelnden materiellen und sozialen Situation in den meisten Großstädten ist es erstaunlich, dass selbst die dynamischen Großstädte vor ähnlich großen Problemen politischer Legitimation stehen. Besonders in Frankfurt und Düsseldorf verläuft zeitgleich zur dynamischen Aufwärtsspirale dieser Städte ein enormer politischer Vertrauensverlust auf der kommunalen Ebene. In Düsseldorf fällt die Wahlbeteiligung zwischen 1995 und 2000 um fast 30%, in Frankfurt zwischen 1990 und 2000 um 23%. Gleichzeitig zu dieser Entwicklung verzeichnen beide Städte, trotz ihrer mit Abstand höchsten Steuereinnahmen insgesamt, auch die höchste Verschuldung pro Kopf. Wie auch die Großstädte Köln, Stuttgart und Hannover können sie ihre hohe Verschuldung bis zum Jahr 2000 jedoch reduzieren. Die derzeit verbreitete Hoffnung, ein stärkeres konjunkturelles Wirtschaftswachstum könnte auch die politischen Legitimationsprobleme mildern, müssen angesichts dieser Befunde zu den Großstädten skeptisch beurteilt werden. Parallel zu der Entwicklung der Spreizung, insbesondere durch die dynamische Entwicklung von Frankfurt, Düsseldorf, München und Stuttgart, lässt sich noch ein weiteres Entwicklungsmuster erkennen. Die Großstädte bewegen sich bei fast allen Indikatoren weniger auf individuellen, relativ unabhängigen Wegen, sondern in recht beharrlichen Gruppen. Innerhalb dieser Gruppen bewegen sie sich zwischen 1990 und 2000 eher aufeinander zu als voneinander weg. Diese Entwicklung bestärkt die Hypothese von spezifischen Entwicklungspfaden, auf denen die Großstädte den Strukturwandel zu bewältigen versuchen. Um diese Hypothese näher zu spezifizieren, haben wir im folgenden Kapitel eine Typisierung der fünfzehn Großstädte versucht.
202
4.3 4.3.1
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
Typen großstädtischer Entwicklung Methode und Ergebnis der Clusteranalyse: Erst fünf dann vier Großstadttypen
Clusteranalysen dienen dazu, eine (große) Menge von Elementen in Gruppen möglichst großer Ähnlichkeit zu unterteilen. Die dabei entstehenden Gruppen oder „Cluster“ ähnlicher Elemente sollen sich untereinander möglichst eindeutig unterscheiden. Die Zuordnung zu einem Cluster und die Abgrenzung gegenüber anderen Clustern erfolgt durch ein multivariates, statistisches Verfahren. In dieses Rechenverfahren gingen 27 ausgewählte Variablen ein, die jeweils für zwölf Großstädte erhoben wurden. Die Entscheidung, eine Clusteranalyse durchzuführen, erfolgte mit dem Ziel, charakteristische Typen unter den Großstädten zu identifizieren, und zwar in zweierlei Hinsicht: Welche der Großstädte sind durch relativ ähnliche (Daten-) Strukturen bzw. Datenniveaus gekennzeichnet? Welche Großstädte haben sich innerhalb der untersuchten zehn Jahre relativ ähnlich weiterentwickelt? Für die Durchführung einer Clusteranalyse60 eignet sich insbesondere das Statistikprogramm SPSS (Statistical Package for Social Science). Im Verlauf der Analyse müssen drei zentrale methodische Entscheidungen getroffen werden: 1. Zunächst müssen Überlegungen hinsichtlich des Distanzmaßes angestellt werden. Für die Berechnung von Clustern sieht SPSS eine Fülle von Ähnlichkeits- und Unähnlichkeits-(Distanz-) Maße vor. Bei den berechneten Messungen geht es darum, paarweise die Distanzen zwischen den Variablen der Großstädte zu ermitteln. Für die erhobenen (metrischen) Daten haben wir als Maße der Unähnlichkeit die „Euclidean Distance (EUC)“61 sowie die „Squared Euclidean Distance (SEUC)“62 alternativ herangezogen.
60
61
62
Bacher, J.,: Clusteranalyse. Anwendungsorientierte Einführung, München-Wien 1994: Oldenbourg. Backhaus, K. u.a.: Multivariate Analysemethoden. Eine anwendungsorientierte Einführung, 9. Auflage, Berlin-Heidelberg-New York 2000: Springer. Krause, D.: Clusteranalyse mit SPSS. 4. Fassung. Universität Bremen, Fachbereich 8, Institut für Soziologie, Bremen 2003. Bühl, A., Zöfel, P.: SPSS 11. Einführung in die moderne Datenanalyse unter Windows, 8. Auflage. München 2002: Person Studium. Euklidische Distanz: Die Quadratwurzel der Summe der quadrierten Differenzen zwischen den Werten der Elemente. Quadrierte Euklidische Distanz: Die Summe der quadrierten Differenzen zwischen den Werten der Elemente.
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
2.
203
Parallel zur Bestimmung des Distanzmaßes muss eine methodenspezifische Regel zur Gruppenbildung gewählt werden63. Auf der Basis des jeweils gewählten Distanzmaßes muss bestimmt werden, mit welchem Rechenverfahren (Algorithmus) die einzelnen Elemente (Fälle) zusammengeführt werden.
Für die Gruppenbildung haben wir mit alternativen Methoden der Clusterbildung experimentiert. Als methodische Einschränkung haben wir uns auf eine Auswahl der „Hierarchischer Methoden“ beschränkt64, was angesichts des metrischen Zahlenniveaus der Variablen und der relativ geringen Anzahl von Fällen sinnvoll ist. Das Kriterium für die Auswahl der geeigneten Methode war für uns, dass solche Elemente (Fälle) zu einer Gruppe zusammengefasst werden, deren Abstand (Distanz) voneinander möglichst gering ist. Den von uns alternativ herangezogenen Methoden liegen die nachfolgenden (theoretischen) Überlegungen zu Grunde: x
Die Single Linkage-Methode (in SPSS NÄCHSTGELEGENER NACHBAR mit der Syntaxbezeichnung SINGLE) ermittelt die geringste Distanz einer neuen Gruppe zur vorhergehenden Gruppe und hat die „Neigung“ zur Bildung großer Gruppen.65 In eine (Ausgangs-)Gruppe werden auch noch sehr entfernte Elemente einbezogen. Hier wird von einem kontrahierenden Effekt gesprochen. Praktisch heißt das: Eine große Gruppe enthält fast alle Fälle, die wenigen übrigen Fälle verteilen sich auf eine größere Zahl von Gruppen (je nach betrachteter Gruppenzahl).
x
Die Complete Linkage-Methode (in SPSS ENTFERNTESTER NACHBAR mit der Syntaxbezeichnung COMPLETE) ermittelt die größte Distanz einer neuen Gruppe zur vorhergehenden Gruppe und hat die „Neigung“ zur Bildung kleiner Gruppen.66 Es werden eher solche Gruppen gebildet, die je-
63
In unserem Projekt haben wir alternative Distanzmaße sowie alternative Algorithmen der Clusterbildung gerechnet. Als methodische Einschränkung haben wir uns auf eine Auswahl der Hierarchischen Methoden beschränkt. Hierarchische Methoden beginnen im Prinzip - in den Grenzen der jeweiligen methodenspezifischen Regel zur Gruppenbildung - jeweils mit der kleinsten Gruppe von zwei Elementen mit der geringsten Distanz (hier: geringste Unähnlichkeit) zueinander. Dann wird geprüft, zu welchem noch nicht zugeordneten Element (Fall) die geringste Distanz besteht und welche Distanzen zwischen den noch nicht zugeordneten Elementen (Fällen) bestehen. Die Elemente mit der geringsten Distanz zueinander bilden dann eine erweiterte Ausgangsgruppe oder eine neue Gruppe. Dieses Verfahren wird bis zur Zuordnung aller Elemente zu Gruppen fortgesetzt. Neben den Hierarchischen Methoden gibt es in SPSS die allokativen Methoden sowie die probalistischen Methoden. Entspricht maximaler Verbundenheit der Gruppen. Entspricht maximaler Kompaktheit der Gruppen.
64
65 66
204
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
weils nahe beieinander liegende Elemente einschließen. Hier wird auch von einem dilatierendem Effekt gesprochen. Praktisch heißt das: Die Fälle werden eher gleichmäßiger auf die Gruppen aufgeteilt (je nach betrachteter Gruppenzahl). x
Bei der Median-Methode (in SPSS MEDIAN-CLUSTERING mit der Syntaxbezeichnung MEDIAN) wird jede neue Gruppe annähernd auf dem Median der fusionierten Gruppen gebildet, und bei der Centroid-Methode (in SPSS CENTROID-CLUSTERING mit der Syntaxbezeichnung CENTROID) sind die Distanzen zwischen den Mittelwerten zu fusionierender Gruppen entscheidend, wodurch wiederum die Gruppengrößen berücksichtigt werden. Erfahrungsgemäß „neigen“ diese Methoden wie die Methode SINGLE deutlich eher zur Bildung größerer Gruppen.
x
Die Ward-Methode (in SPSS WARD-METHODE mit der Syntaxbezeichnung WARD) vereinigt auf der Grundlage des Distanzmaßes quadrierte euklidische Distanz Fälle zu Gruppen, wobei die Summe der Distanzen (Fehlerquadratsumme) als Kriterium zur Bildung einer neuen Gruppe (Cluster) dient. Wie bei der Methode COMPLETE ist hier eher mit der Bildung kleinerer Gruppen zu rechnen.
Die Entscheidung für eine dieser Methoden, die das Programm SPSS innerhalb der hierarchischen Methoden zur Auswahl steht, ist von erheblicher Bedeutung. Denn jede Cluster-Methode kann, ausgehend von identischen Ausgangsdaten, zu abweichenden Ergebnissen führen. Daher empfiehlt sich immer die Erprobung von mehr als einer Methode, kombiniert mit unterschiedlichen Distanzmaßen. Als Orientierung bei der Durchführung unserer Clusteranalyse diente die Frage, ob durch unterschiedliche Methoden der Gruppenbildung, bei gleichen Distanzmaßen, einzelne Städte in unterschiedliche Cluster „wandern“. Zur Überprüfung haben wir die Ergebnisse von Berechnungen mit unterschiedlichen (hierarchischen) Cluster-Methoden und unterschiedlichen Distanzmaßen (Euklidische Distanz bzw. Quadrierte Euklidische Distanz) verglichen. Es zeigten sich jedoch keine inhaltlichen Abweichungen. Wir waren in der komfortablen Situation, uns ohne methodische Einschränkungen für ein Cluster-Modell entscheiden zu können. Die Wahl fiel auf die Methode WARD67 unter Verwendung des Distanzmaßes „SQUARED EUCLIDEAN DISTANCE (SEUC)“. 67
Die Methode WARD hat allgemein bei veröffentlichten Clusterlösungen einen hohen Stellenwert und liefert erfahrungsgemäß die ‚griffigsten‘ Ergebnisse. Wie gemeinhin im Schrifttum sowie von SPSS empfohlen, haben wir als Unähnlichkeitsmaß die quadrierte euklidische Distanz verwendet. Grundlage dieser Entscheidung war der Gewichtungseffekt über die Distanz-
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
3.
205
Nachdem diese Auswahl erfolgt war, musste eine Entscheidung zur Bestimmung der „optimalen“ Gruppenzahl (Anzahl der Cluster) herbeigeführt werden. Hinweise dazu liefert die mit der WARD-Methode anzufordernde ZUORDNUNGSÜBERSICHT68. Bei der Auswahl der (statistisch) relativ besten Clusterlösung ist das so genannte „Ellenbogenkriterium“ eine Entscheidungshilfe. Eine grafische Darstellung des so genannten „Ellenbogenknicks“ (Auswertung der Koeffizienten der Zuordnungsübersicht) zeigte, dass für das Erhebungsjahr 1990 eine Lösung mit fünf Clustern das (statistisch) beste Ergebnis lieferte. Für die Erhebungsjahre 1995 und 2000 hingegen verwies ein deutlicher Anstieg der Fehlerquadratsumme auf eine Lösung mit vier Clustern. Diese rechnerisch „optimalen“ Lösungen hatten auch inhaltlich eine hohe Plausibilität.
Für die Großstädte Berlin, Hamburg und Bremen bestand das Problem, dass zentrale Daten zur Finanzsituation dieser Stadtstaaten nicht in vergleichbarer Form vorlagen und auch nicht in einem zeitlich vertretbaren Umfang errechnet werden konnten. Damit diese fehlenden Werte die Ergebnisse der Clusteranalyse nicht verfälschen, wurden die drei Stadtstaaten bei dem rechnerischen Verfahren der Clusteranalyse nicht berücksichtigt. In einem separaten Schritt konnten die drei Stadtstaaten dennoch den fünf bzw. vier Großstadttypen zugeordnet werden. Dies war möglich und auch methodisch vertretbar, weil die Zuordnung nach genauen Berechnungen erfolgte. Verglichen wurde die Gesamtdifferenz zwischen den einzelnen Werten der Stadtstaaten und den (Variablen-) Mittelwerten der fünf, bzw. vier Cluster. Dadurch entstand die folgende Zuordnung der fünfzehn Großstädte zu fünf Typen für das Jahr 1990 sowie zu vier Typen für 1995 und 2000: x
68
zum Typ A gehören Bremen und Hamburg sowie Hannover, Köln und Nürnberg;
bestimmungen: Die euklidische Distanz gewichtet schwächer als die quadrierte euklidische Distanz. Mit der Befehlssyntax der WARD-Methode werden im Einzelnen angefordert: über /METHOD die Clustermethode WARD, über /MEASURE das Unähnlichkeitsmaß SEUCLID, über /PRINT SCHEDULE eine Agglomerationstabelle (ZUORDNUNGSÜBERSICHT), über /PRINT CLUSTER(2,4) eine Tabelle der Zugehörigkeiten von Fällen zu Zwei- bis VierCluster-Lösungen (CLUSTER-ZUGEHÖRIGKEIT), über /PRINT DISTANCE eine Distanz matrix (NÄHERUNGSMATRIX) und über /PLOT DENDROGRAM ein Diagramm der Phasen der Clusterbildung. Die KOEFFIZIENTEN in der Tabelle ZUORDNUNGSÜBER SICHT geben die Summe der Distanzen für die bis zum jeweiligen Agglomerationsschritt gebildeten Gruppen an (Fehlerquadratsumme). Die Fehlerquadratsumme entspricht der Hälfte der quadrierten euklidischen Distanz.
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
206 x
zum Typ B gehören Düsseldorf und Frankfurt;
x
zum Typ C gehört Berlin und die Ruhrgebietsstädte Dortmund, Duisburg und Essen (C1) und die beiden ostdeutschen Großstädte Dresden und Leipzig (C2)
x
zum Typ D München und Stuttgart.
Abbildung 42: Fünf Großstadttypen in 1990
A Bremen Hamburg Hannover
Köln
B Düsseldorf Frankfurt
C1 Berlin Dortmund Duisburg Essen
C2 Dresden Leipzig
D München Stuttgart
Nürnberg
Die Entwicklung von fünf großstädtischen Typen 1990 zu vier Typen 1995 und 2000 ist inhaltlich plausibel und verweist bereits auf zwei Befunde. Im Jahr 1990, ein Jahr nach dem Fall der innerdeutschen Grenze, unterscheiden sich die beiden ostdeutschen Städte Leipzig und Dresden erwartungsgemäß (noch) erheblich von den anderen Großstädten und bilden einen eigenen Typus. Breits 1995 haben sich einige der ausgewählten Variablen von Leipzig und Dresden jenen der Ruhrgebietsstädte angenähert, nicht aber angeglichen. Sie sind sich jedoch in sofern ähnlich und bilden einen gemeinsamen Typ, weil die Differenzen der beiden ostdeutschen Städte zu Duisburg und Dortmund bereits geringer sind als von Duisburg und Dortmund zur Ruhrgebietsstadt Essen.
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
207
Abbildung 43: Vier Großstadttypen in 1995 und 2000
A Bremen Hamburg Hannover Köln Nürnberg
B Düsseldorf Frankfurt
C Berlin Dortmund Dresden Duisburg Essen Leipzig
D München Stuttgart
Gleichzeitig verweisen die Clusterlösungen für die Jahre zwischen 1990 und 2000 trotz beträchtlicher dynamischer Veränderungen zwischen den vier Großstadttypen auf eine relative Stabilität innerhalb der jeweiligen Entwicklungspfade. Extreme Verschiebungen oder Brüche lassen sich nicht erkennen. 4.3.2
Cluster A: Durchschnittliche Entwicklung
Zum Cluster A gehören zwei der einwohnerstärksten deutschen Großstädte, Hamburg mit über 1.7 Mio. A und Köln mit mehr als 960.00 Einwohnern. Dagegen Bremen zählen Bremen (540.000), Hannover (514.000) und Hamburg Nürnberg (485.000) zu den kleineren unter den fünfHannover zehn Großstädten. Unterschiedlich sind auch die poliKöln tisch-administrativen Funktionen dieser fünf Städte. Nürnberg In den Stadtstaaten Hamburg und Bremen sowie in der Landeshauptstadt Hannover sind neben Stadtpolitik und Stadtverwaltung auch Landesverwaltungen und das Landesparlament konzentriert. Was verbindet diese Großstädte, welche Ähnlichkeiten führen sie im Cluster A zusammen und unterscheiden sie von den anderen Clustern? Am besten charakterisiert diese fünf Großstädte ihre, im Vergleich mit den anderen zehn Großstädten, durchschnittliche Entwicklung. Bei den meisten Indikatoren der Bevölkerungsentwicklung, der Wirtschafts- und Beschäftigungsentwicklung sowie der sozialen, politischen und finanziellen Lage kennzeichnen diese Städte durchschnittliche Werte. Extremwerte gibt es in anderen Großstädten. Diese fünf Großstädte befinden sich meist auf einem mittleren Niveau. Im Durchschnitt aller Großstädte liegt zum Beispiel der Anteil der Ju-
208
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
gendlichen, der Älteren und der Personen im erwerbsfähigen Alter. Das BruttoInlandprodukt ist durchschnittlich, und die Größe der Industriebasis auch. Wie in allen anderen Städten schrumpft die Industriebasis, aber nicht so massiv wie in anderen Großstädten und auch die Dienstleistungsbranche weitet sich in einem moderaten Umfang aus. Durchschnittlich ist die Frauenerwerbsdichte und die Arbeitslosenquote. Abweichend von diesem Muster, liegt dagegen die Erwerbsquote und auch die Beschäftigtendichte leicht über dem Durchschnitt. Gestützt wird diese Arbeitskräftemobilisierung durch das vergleichsweise große Pendlerumland dieser Großstädte. Ihre vielfältigen Arbeitsmärkten wirken wie eine Art Magnet weit in die Umlandregionen hinein und ziehen von dort zusätzliche Arbeitskräfte an. Dabei machen ihnen andere, nahe gelegene größere Städten wenig Konkurrenz, wie es zum Beispiel für die Ruhrgebietsstädte der Fall ist. Auffällig sind dagegen die weit überdurchschnittlichen Sozialhilfeempfängerquoten. Zusammenfassend wird deutlich, dass sich diese fünf Großstädte trotz dynamischer Prozesse und Trends, insgesamt gemächlich umstrukturieren. Dazu passt, dass ihre Bevölkerung weder „altert“ noch in größerem Umfang schrumpft oder wächst. Relativ stabil und Schritt für Schritt verläuft der Strukturwandel. 4.3.3
Cluster B: Polarisierende Prosperität
Zum Cluster B gehören mit Frankfurt (640.000) und Düsseldorf (570.000) zwei Großstädte mittlerer Größe. Düsseldorf ist die Landeshauptstadt einer der B weltweit größten Verdichtungsräume mit vielfältigen Düsseldorf politisch-administrativen Funktionen. In Frankfurt Frankfurt hingegen dominieren unzählige Banken und Finandienst-leistungen sowie der größte kontinentaleuropäische Flughafen die Entwicklung. Was verbindet diese beiden ungleichen Großstädte und welche Ähnlich-keiten führen sie dennoch im Cluster B zusammen? Am besten lässt sich die Entwicklung dieser beiden Großstädte durch ihre, im Vergleich mit den anderen zwölf Großstädten, polarisierende Prosperität charakterisieren. Bestimmten den vorherigen Großstadttypus vor allem durchschnittliche Werte, verkörpern Frankfurt und Düsseldorf in vielen Bereichen Extremwerte. Trotzdem verläuft die Bevölkerungsentwicklung stabil. Beide Städte verlieren so gut wie keinerlei Einwohner und „altern“ bisher nicht. Dagegen lässt sich bei der Verteilung zwischen den Altersgruppen der höchste Anteil von Personen im erwerbsfähigen Alter beobachten. Entsprechend
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
209
ist sowohl der Anteil der Kinder und Jugendlichen, aber auch der Senioren unterdurchschnittlich. Diese Verschiebung hin zu den erwerbsfähigen Personen setzt sich bei den insgesamt mit Abstand höchsten Erwerbs- und Beschäftigtendichten fort. Die Mobilisierung von Arbeitskräften ist in allen anderen Großstädten nicht so ausgeprägt wie in diesen beiden. Diese Mobilisierung basieret auf einer „gespaltenen“ Wirtschaftsdynamik. Die industrielle Basis schrumpft schneller als in den anderen Großstädten und ist mittlerweile erheblich schmaler als dort. Obwohl gleichzeitig die Dienstleistungen stärker als in allen anderen Großstädten expandierten (vor allem Handel, Verkehr, Kredit und Sonstige), ging die Arbeitslosigkeit nicht zurück. Sie liegt mit 9,5% zwar unter dem Durchschnitt, ist aber angesichts der enormen Mobilisierung von Arbeits- und Finanzkraft bedenklich. Immerhin verfügen beide Städte über das mit Abstand höchste Brutto-Inlandsprodukt und über die höchsten Steuereinnahmen pro Kopf. Durchschnittlich ist dagegen die Sozialhilfequote. Die extrem gegenläufigen Entwicklungen durch die schrumpfende Industriebasis und die expandierenden Dienstleistungen, ermöglichen insgesamt Prosperität, jedoch mit der Einschränkung, dass sie eine starke Polarisierung fördert. Dazu gehört auch die höchste öffentlichen Verschuldung unter allen deutschen Großstädten. Zusammenfassend zeigt sich, dass in diesen beiden Großstädten die dynamischen Prozesse und Trends zu einer beschleunigten Umstrukturierung führen, die aber mit einer erheblichen sozialen Spaltung verbunden ist. 4.3.4
Cluster C: Prekärer Strukturwandel und Schrumpfung
Im Cluster C befinden sich mit Berlin die einwohnerreichste deutsche Großstadt (3.387.000 Einwohner), die mittelgroßen Ruhrgebietsstädte Dortmund (590.000), C Duisburg (520.000) und Essen (600.000) sowie die Berlin vergleichsweise kleinsten Großstädte Leipzig (490.000) Dortmund Dresden und Dresden (477.000). Berlin hat als Bundeshauptstadt Duisburg und Stadtstaat eine politisch herausgehobene Stellung Essen und Dresden ist Landeshauptstadt. Alle anderen GroßLeipzig städte sind politisch lediglich als Regionalzentren von Bedeutung. Was führte diese sechs Städte in Cluster C zusammen? Charakteristisch für diese Städte ist ein prekär verlaufender Strukturwandel mit Schrumpfungen, vor allem bei den Einwohnerzahlen und ihrer industriellen
210
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
Basis.69 Bei den meisten Merkmalen der Bevölkerungsentwicklung, der Wirtschafts- und Beschäftigungsentwicklung sowie der sozialen, politischen und finanziellen Lage weisen diese Städte relativ geringe Werte und negative Trends auf: die Bevölkerungszahlen sinken überdurchschnittlich, die relative Alterung ist überdurchschnittlich70, die Anteile der Beschäftigten in den Finanzdienstleistungen sind sehr gering, wie auch das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf. Diese sechs Großstädte unterscheiden sich außerdem durch ihre relativ geringe Mobilisierung von Erwerbstätigen. Die Erwerbs- und Beschäftigtendichten, wie auch die Frauenerwerbsdichte sind niedrig71, die Arbeitslosenquoten besonders hoch. Unterdurchschnittlich ist der Anteil der Sozialhilfeempfänger, der Steuereinnahmen, aber auch die Verschuldung. Trotz der gemeinsamen Eingruppierung dieser sechs Städte finden sich innerhalb dieses Clusters auch ausgeprägte Differenzen. Leipzig und Dresden haben extrem geringe Anteile von Bewohnern mit Migrationshintergrund, die noch einmal deutlich niedriger sind, als die vergleichsweise geringen Werte der Ruhrgebietsstädte. Außerdem gibt es ausgeprägte Unterschiede bei den Alterstrukturen. Der Anteil der 18-65-Jährigen ist in Essen, Dortmund und Duisburg deutlich geringer als in den Großstädten der Neuen Länder72. In den Ruhrgebietstädten ist der Anteil der Beschäftigten des produzierenden Gewerbes immer noch sehr hoch in Duisburg, durchschnittlich in Essen und Dortmund, in Dresden, Leipzig und Berlin dagegen extrem niedrig. Entsprechend ist in den ostdeutschen Großstädten der Beschäftigtenanteil in den sonstigen Dienstleistungen am höchsten.73 Auffällig ist auch die geringe Bedeutung des Handels in
69
70
71
72
73
Die Ruhrgebietsstädte sind unter den 5 Städten, in denen die Beschäftigten im verarbeitenden Gewerbe am stärksten schrumpfen, Berlin, Leipzig und Dresden gehören zu den vier Städten mit den geringsten Anteilen von Beschäftigten im verarbeitenden Gewerbe. Der Begriff der relativen Alterung beschreibt ein Anwachsen der ältern Altersgruppen gegenüber einem Absinken der jüngeren Altersgruppen (vgl. Walter 1998: 28) Bei diesen drei Variablen liegt jeweils das Cluster C als einziges unter dem Mittelwert. Ein Grund hierfür ist, dass diese Städte beim Pendlersaldo 1998 die sechs letzten Plätze belegen (Statistik regional- Daten und Informationen der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder). Bei den Ruhrgebietsstädten liegt dies an der räumlichen Nähe zu anderen Großstädten, und bei allen Städten dieses Clusters am geringen Grad der Suburbanisierung. Die Einordnung von Berlin in diese Cluster ist nicht ganz eindeutig. Die Beschäftigungsstruktur ähnelt Dresden und Leipzig, bei der Wirtschaftskraft (BIP und Steuereinnahmen), beim Anteil der Bewohner mit Migrationshintergrund und bei der Sozialhilfeempfängerquote sind die Ähnlichkeiten mit den Ruhrgebietsstädten größer. Die Wirtschaftsstruktur dieser sechs Städte weist Parallelen auf. Hinter der allgemein stark schrumpfenden industrielle Basis verbergen sich jedoch unterschiedliche Prozesse. In den Ruhrgebietsstädten gingen mit dem Niedergang der traditionellen Kohle- und Stahlbetriebe eine große Zahl von Arbeitsplätzen verloren. In Leipzig und Dresden wurden im Zuge der Wiedervereinigung fast alle Industriebetriebe aus DDR-Zeiten geschlossen. Der Zusammen-
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
211
Dresden, Leipzig und Berlin, wieder im Vergleich zu den Ruhrgebietsstädten74. Die Erwerbs- und Beschäftigtendichten und die Frauenerwerbsdichte sind in Dresden und Leipzig deutlich höher als in Essen, Dortmund und Duisburg, die Arbeitslosenquoten sind höher und der Anteil der Sozialhilfeempfänger ist geringer. Viele verbindende Merkmal dieser Großstädte haben ihre Ursache in der Erosion ihrer vorher zentralen Industriebasis. Keine dieser Städte konnte diesen Beschäftigtenabbau annähernd kompensieren, was sich durch gleichzeitige Wanderungsverlusten bis in die Alterstrukturen auswirkt. Der Umstrukturierungsprozess und der Aufbau einer stabilen wirtschaftlichen Basis ist vor allem in den ostdeutschen Großstädten, aber auch in den Ruhrgebietsstädten noch lange nicht abgeschlossen. Gelingt er nicht, werden sich die Trends der Schrumpfung und der relativen Alterung beschleunigt fortsetzen.
4.3.5
Cluster D: Ausgewogenere Prosperität
Zum Cluster D gehören München, mit der drittgrößten Einwohnerzahl (1.2 Mio.) sowie Stuttgart (580.000), eine mittlere Großstadt. Beide sind Landeshauptstädte mit vielfältigen politisch-administrativen Funktionen. D Was verbindet das fast doppelt so große München mit München Stuttgart und welche Ähnlichkeiten führen sie im Stuttgart Cluster D zusammen? Am besten lässt sich die Entwicklung dieser beiden Großstädte durch ihre, im Vergleich mit den anderen Großstädten, ausgewogeneren Prosperität charakterisieren. Dies wird deutlich, wenn man diesen Großstädtetypus mit den ebenfalls prosperierenden Großstädten Düsseldorf und Frankfurt vergleicht. Waren letztere vor allem durch extreme Werte charakterisieren, erreichen München und Stuttgart zwar auch hohe Werte, in einigen Problembereichen bleiben diese jedoch moderat. Ausgeglichen ist in den süddeutschen Städten die Bevölkerungsentwicklung und es gibt keinen Trend zur „Alterung“. Wie im ebenfalls prosperierenden Düsseldorf und Frankfurt, ist auch in diesen beiden Großstädten der Anteil von Kindern und Jugendlichen sowie von Senioren unterdurchschnittlich. Es zeigt sich ebenfalls eine Verschiebung der Bevölkerungsstruktu-
74
schluss der deutschen Staaten hatte den Verlust von fast 113.000 Arbeitsplätze im verarbeitenden Gewerbe von Gesamtberlin zur Folge. Dies hat seine Ursache in dem nach der Wiedervereinigung forcierten Bau von „shopping malls“ am Stadtrand.
212
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
ren hin zu den erwerbsfähigen Personen, was sich in überdurchschnittlich hohen Erwerbs- und Beschäftigtendichten niederschlägt. Zur relativ starken Mobilisierung von Erwerbstätigen trägt auch die relativ niedrige Arbeitslosigkeit bei (lediglich 6%). Diese Mobilisierung basieret auf einer relativ „ausgewogenen“ Wirtschaftsdynamik, mit einer langsam schrumpfenden, modernen Industriebasis. Das gleichzeitige moderate Dienstleistungswachstum wird in beiden Großstädten vor allem durch das Kreditwesen und die sonstigen Dienstleistungen getragen. Diese Faktoren ermöglichen eine hohes Brutto-Inlandsprodukt und relativ hohe Steuereinnahmen. Die ausgewogene Prosperität zeigt sich besonders im Bereich der sozialen Probleme und bei der kommunalen Haushaltspolitik. Beide Großstädte besitzen die geringsten Quoten bei den Sozialhilfeempfängern und eine geringe Verschuldung pro Kopf. Die beschriebenen, relativ „ausbalancierten“ Entwicklungen ermöglichen ebenfalls ein dynamische Prosperität jedoch ohne die Gefahren einer tiefgehenden sozialen Spaltung.
4.4
Großstädtische Entwicklungspfade zwischen Schrumpfung und Wachstum
Jede der untersuchten 15 Großstädte ist durch ganz spezifsiche, historisch gewachsene Strukturen und Entwicklungen geprägt. Mit Hilfe der vorherigen Clusteranalyse konnten auch ähnliche Strukturen und Entwicklungen zwischen 1990 und 2000 identifiziert werden. In diesem abschließenden Kapitel zur Analyse der sozioökonomischen Entwicklungen in den untersuchten Großstädten, werden jene Faktoren heraus gearbeitet, durch die sich die Typen großstädtischer Entwicklung voneinander unterscheiden. Welches sind die charakteristischen Merkmale, durch die sich die einzelnen Großstadttypen auf ihrem Entwicklungspfad von 1990 bis 2000 differenzieren? Kommt es zu einer Angleichung zwischen den einzelnen Entwicklungspfaden oder kristallisieren sich unterschiedliche, sich polarisierende Wege ab? Diese Fragen werden auf der Grundlage der Mittelwerte (Tabelle 27) zusammenfassend beantwortet.
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
213
Für das Jahr 1990 wurden fünf Typen großstädtischer Entwicklung identifiziert.
A Bremen Hamburg Hannover
Köln Nürnberg
Durchschnittliche Entwicklung
B
C1
C2
D
Düsseldorf Frankfurt
Berlin Dortmund Duisburg Essen
Dresden Leipzig
München Stuttgart
Polarisierende Prosperität
Prekärer Strukturwandel
Schrumpfung
Ausgewogenere Prosperität
Bei den Bevölkerungsstrukturen lassen sich für das Jahr 1990 relativ geringe Unterschiede zwischen den Clustern erkennen. Lediglich die beiden ostdeutschen Großstädte zeigen erwartungsgemäß eine stark abweichende Zusammensetzung ihrer Bevölkerung. In den prosperierenden Großstädten (Cluster B und D) ist der Anteil der Kinder und Jugendlichen vergleichsweise gering, der Anteil von Bewohnern im erwerbsfähigen Alter erhöht. Diese Konzentration von Bevölkerungsgruppen im erwerbsfähigen Alter zeigt sich besonders deutlich in München und Stuttgart, wo auch der Anteil der Älteren unter dem Durchschnitt liegt. Ein deutliches Unterscheidungsmerkmal zu den anderen Großstadttypen ist außerdem der wesentlich höhere Anteil der Bewohner mit Migrationshintergrund. In den prosperierenden Großstädten besaß fast jeder fünfte Bewohner keinen deutschen Pass (ca. 20%), im Cluster A waren es ca. 14%, in Cluster C1 ca. 11% und in den ostdeutschen Großstädten weniger als 2%. In den ostdeutschen Großstädten unterschieden sich aber auch die Altersstrukturen im Jahr 1990 erheblich von allen anderen Clustern. Es gibt einen höheren Anteil von Kindern und Jugendlichen, dafür geringe Anteile von 18 bis 65Jährigen und von über 65Jährigen.
Bevölkerungszahl Migrantenanteil % Unter 18-Jährige % 18-65 Jährige % Über 65-Jährige % 1-Personen-Haushalte % Über 3-Personen-Haushalte % Erwerbsquote % Beschäftigtenquote % Frauenerwerbsquote % Verarbeitendes Gewerbe Bauwirtschaft % Handel Verkehrswirtschaft % Kreditwirtschaft % Sonstige Dienstleistungen % Bruttoinlandsprodukt je Einwohner € Arbeitslosenquote %
Tabelle 27: Fünf Cluster 1990 Clustertypen A B 653.418 610.330 13,57 19,40 15,15 14,45 67,89 68,91 16,96 16,65 44,36 48,39 24,58 23,94 103,42 121,15 81,17 101,07 67,64 82,12 30,08 24,02 5,00 4,51 16,40 16,57 7,47 10,55 7,17 10,71 33,87 33,66 34.263 51.945 9,37 6,90 C1 587.158 11,23 16,67 66,69 16,64 37,21 29,39 68,34 53,31 40,71 34,04 6,88 16,31 6,86 3,86 32,06 22.740 12,17
C2 489.162 1,75 20,10 64,44 15,47 36,63 29,89 94,19 72,84 73,96 17,45 10,35 11,09 9,61 2,82 48,68 12.389 7,55
D 904.507 20,15 14,30 69,86 15,85 49,52 23,58 112,37 88,30 76,06 30,07 5,03 14,26 5,83 8,38 36,43 42.749 4,15
Gesamt 644.144 13,08 16,09 67,51 16,39 42,81 26,39 97,56 77,32 65,78 27,95 6,29 15,16 7,91 6,41 36,28 32.098 8,48
B 6,17 66,15 1.450 421 115 118 314 440 3.168 2
6,80 62,77 900 332 84 343 368 212 1.883 3
A
305 207 1.352 3
442 91 412 461 2
918
Clustertypen C1 C2 7,13 1,81 58,60 70,80 640 305 234 162 150 178
234 235 1.257 2
378
D 3,01 61,25 1.126 334 96
275 286 1.623 12
432
Gesamt 5,31 63,37 865 294 123
Quelle: eigene Berechnungen anhand der Indikatoren und der errechneten Durchschnittswerte
Quote Sozialhilfeempfänger % Kommunale Wahlbeteiligung % Steuereinnahmen je Einwohner € Gebühreneinnahmen je Einwohner € Investitionszuweisungen je Einwohner € Allgemeine Zuweisungen je Einwohner € Soziale Leistungen je Einwohner € Bauausgaben je Einwohner € Schuldenstand je Einwohner € Städte im Cluster
Fortführung Fünf Cluster 1990
216
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
Ein ähnliches Grundmuster zeigt sich bei den Haushaltsstrukturen. Wieder kennzeichnen die prosperierenden Großstädte ganz ähnliche Werte, während die Großstädte mit durchschnittlicher Entwicklung über weniger 1-PersonenHaushalte verfügen. Interessant ist der Befund, dass 1990 die Haushaltsstrukturen der westdeutschen Großstädte im prekären Strukturwandel fast identisch sind mit denen der ostdeutschen Großstädte. Entgegen den vorherigen Strukturmustern zwischen den Clustern zeigt sich bei den Erwerbs- und Beschäftigungsverhältnissen eine klare Abstufung. Die stärkste Mobilisierung von Arbeitskräften erfolgt in den Großstädten von Cluster B, etwas geringer ist sie in Cluster D, gefolgt von Cluster A und von Cluster C2. Die enormen Unterschiede in diesem Bereich werden deutlich an den Erwerbs-, Beschäftigten- und Frauenerwerbsquoten, die in den Ruhrgebietsstädten und in Berlin lediglich halb so hoch sind, wie in den prosperierenden Großstädten in Cluster B. Die starken Unterschiede bei der Mobilisierung von Arbeitskräften sind verknüpft mit den spezifischen Strukturen der Wirtschaftszweige in den Großstädten. Für das Jahr 1990 lassen sich vier unterschiedliche Muster erkennen. x
Ganz ähnliche Werte charakterisieren die Großstädte von Cluster A und von Cluster D: Es existiert noch eine relativ breite Basis von verarbeitendem Gewerbe. Die Anteile der Bau-, Verkehrs- und Kreditwirtschaft liegen etwa im Durchschnitt, wobei diese Bereiche keine hervorgehobenen Schwerpunkte sind. Stärkeres Gewicht haben der Handel und vor allem die sonstigen Dienstleistungen.
x
Ein dazu stark abweichendes Muster zeigen die Großstädte in Cluster B. Der Anteil des verarbeitenden Gewerbes ist unterdurchschnittlich wie auch der Anteilswert der Bauwirtschaft. Überdurchschnittlich stark ausgeprägt sind die Anteile des Handels sowie der Verkehrs- und der Kreditwirtschaft. Dagegen ist der Anteilwert der sonstigen Dienstleistungen leicht unterdurchschnittlich.
x
Die Großstädte im Cluster C1 charakterisieren vor allem ihre hohen Beschäftigtenanteile im verarbeitenden Gewerbe wie auch in der Bauindustrie. Überdurchschnittlich ist auch der Anteil des Handels. Dagegen sind die Anteile der Verkehrs- und der Kreditwirtschaft unterdurchschnittlich wie auch die sonstigen Dienstleistungen.
x
Eine völlig von den anderen Mustern abweichende Struktur charakterisiert Cluster C2. Der Anteilswert des verarbeitenden Gewerbes ist schon 1990 nur noch halb so groß wie im Cluster C1. Überdurchschnittlich sind die Anteile der Bau- und der Verkehrswirtschaft, unterdurchschnittlich die Anteile
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990 – 2000
217
des Handels und der Kreditwirtschaft. Dagegen ist der Anteil der sonstigen Dienstleistungen weit überdurchschnittlich. Nach exakt dem gleichen Muster der Abstufung wie bei den Erwerbs- und Beschäftigungsverhältnissen unterscheiden sich die Großstadttypen auch beim Bruttoinlandsprodukt je Einwohner. In Cluster B liegt es mit 52.000 € deutlich höher als in Cluster D mit 43.000 € und hier wiederum deutlich höher als in Cluster A mit 34.000 €. Im Vergleich zu den höchsten Werten erreichen die Großstädte in Cluster C1 weniger als die Hälfte mit 23.000 €. Im Cluster C2 halbiert sich der Wert nochmals auf insgesamt 12.000 €. Nach diesem abgestuften Muster unterscheiden sich auch die Steuereinnahmen pro Kopf zwischen den Großstadttypen. Sie sind mit Abstand am höchsten in Cluster B, gefolgt von Cluster D und Cluster A. Gegenüber den höchsten Werten erreichen die Großstädte in Cluster C1 wiederum weniger als die Hälfte der Einnahmen, die sich für die Großstädte in Cluster C2 nochmals halbieren. Bei den Arbeitslosenzahlen zeigt sich eine andere Abstufung zwischen den Großstadttypen. Ein unterdurchschnittlicher Wert kennzeichnet die prosperierenden Großstädte in Cluster D (4,1%) sowie in Cluster B (6,9%), aber auch das Cluster C2 (7,5%). Über dem Durchschnitt liegt die Arbeitslosenquote in Cluster A (9,4%) und insbesondere in Cluster C1 (12,2%). Bezogen auf die Quote der Sozialhilfeempfänger zeigt sich eine Zweiteilung. In den Clustern A, B und C liegt die Quote bei etwa 7%, im Cluster D bei 3% und in den ostdeutschen Städten war sie 1990 noch unbedeutend. Eine klare Abstufung ergibt sich wiederum beim Schuldenstand je Einwohner. Die höchste Verschuldung lässt sich für die Großstädte in Cluster B feststellen (ca. 3.200 €), gefolgt von Cluster A (ca. 1.900 €), von Cluster C1 und Cluster D (ca. 1.300 €) und zuletzt von Cluster C2 (461 €). Veränderungen zwischen 1990 und 2000 Der erste Befund einer Angleichung zwischen den einzelnen Entwicklungspfaden ist die bereits oben erläuterte Herausbildung von einem neuen Cluster C, in dem sich Leipzig und Dresden mit den Ruhrgebietsstädten (Duisburg, Essen, Dortmund) und Berlin zusammenfinden. Dieser Prozess dokumentiert den erfolgreichen Aufholprozess der beiden ostdeutschen Großstädte und ihren Anschluss an Strukturen, wie sie in ähnlicher Form auch in den Ruhrgebietsstädten existieren.
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
218
Für die Jahre 1995 und 2000 wurden vier Typen großstädtischer Entwicklung identifiziert.
A
B
C
D
Bremen Hamburg Hannover Köln
Düsseldorf Frankfurt
Berlin Dortmund Dresden Duisburg Essen
München Stuttgart
Nürnberg
Durchschnittliche Entwicklung
Polarisierende Prosperität
Prekärer Strukturwandel und Schrumpfung
Ausgewogenere Prosperität
Bei den Bevölkerungsstrukturen zeigt sich als erster Befund, dass es in keinem der Cluster zu einem realen Bevölkerungswachstum gekommen ist. Die untersuchten Kernstädte verlieren insgesamt betrachtet zwischen 1990 und 2000 in geringem Umfang an Bewohnern. Durch die Zusammenfassung von zwei Clustern lässt sich dieser Befund anhand der vorliegenden Tabellen für die Großstädte in Cluster C nicht dokumentieren. Insgesamt schrumpft in diesen Großstädten die Bevölkerungszahl stärker, wie zuvor bereits gezeigt wurde.
15,88 66,77 17,35 47,88 22,67
Unter 18-Jährige %
18-65 Jährige %
Über 65-Jährige %
1-Personen-Haushalte %
Über 3-Personen-Haushalte %
20,55
Verarbeitendes Gewerbe %
138 1.989
Soziale Leistungen je Einwohner €
Bauausgaben je Einwohner €
Schuldenstand je Einwohner €
B
2
3.085
212
521
194
62
479
2.089
48,15
5,56
9,50
66.509
44,24
12,23
10,90
14,50
3,69
14,46
86,77
99,44
126,17
20,84
48,93
16,83
68,09
15,09
22,40
606.338
Clustertypen C
5
1.785
205
282
717
146
260
694
48,86
4,84
15,22
24.599
47,61
4,16
7,23
14,25
8,30
18,45
53,42
57,89
77,15
24,70
40,92
18,17
65,02
16,81
9,30
535.144
D
2
1.615
153
314
509
54
287
1.462
49,35
3,77
6,20
52.013
44,56
9,34
4,51
12,57
3,98
25,05
76,35
85,04
112,54
22,07
49,71
16,10
68,61
15,28
22,80
888.502
Quelle: eigene Berechnungen anhand der Indikatoren und der errechneten Durchschnittswerte
3
498
Allgemeine Zuweisungen je Einwohner €
Städte im Cluster
53 436
Investitionszuweisungen je Einwohner €
246
1.164
Steuereinnahmen je Einwohner €
Gebühreneinnahmen je Einwohner €
6,64 49,73
Kommunale Wahlbeteiligung %
11,93
41.762
Quote Sozialhilfeempfänger %
Arbeitslosenquote %
Bruttoinlandsprodukt je Einwohner €
44,51
7,56
Kreditwirtschaft %
Sonstige Dienstleistungen %
7,14
15,72
Verkehrswirtschaft %
Handel %
4,52
69,54
Frauenerwerbsquote %
Bauwirtschaft %
79,16
Beschäftigungsquote %
105,59
17,53
Erwerbsquote %
654.618
Migrantenanteil %
A
Bevölkerungszahl
Tabelle 28: Vier Cluster 2000
12
2.024
180
381
525
94
298
1.172
49,04
5,23
11,94
40.443
45,76
7,22
7,36
14,38
5,87
19,41
66,83
74,65
98,33
23,11
45,46
17,40
66,57
16,04
15,79
Gesamt 635.771
220
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
Bei der Zusammensetzung der Bevölkerung lassen sich über die Jahre zwei Entwicklungen erkennen. In den Clustern A, B und D erhöht sich der Anteil an Bewohnern mit Migrationshintergrund und gleichen sich auf diesem recht hohen Niveau an. Noch deutlicher als 1990 ist im Jahr 2000 aber die gewachsene Kluft zum Cluster C zu erkennen. Diese auseinander strebenden Entwicklungen zeigen sich für 2000 auch bei der Altersstruktur der Bevölkerung. In den Großstädten der Cluster A, B und D hat sich der Anteil der Kinder und Jugendlichen insgesamt erhöht, wie auch der Anteil der über 65-Jährigen. Zwangsläufig hat sich der Anteil von Bewohnern im erwerbsfähigen Alter reduziert und damit die zuvor beschriebene Konzentration von Bewohnern im erwerbsfähigen Alter abgeschwächt. Diesem durchgängigen Muster steht wiederum die Entwicklung im Cluster C entgegen. Der Anteil der Kinder und Jugendlichen hat sich zwar auch im Cluster C erhöht. Der Anteil der Bewohner im erwerbsfähigen Alter ist erheblich geringer, der Anteil der über 65Jähigen vergleichsweise groß. Das gleiche Entwicklungsmuster zeigt sich auch bei der Anzahl der Personen pro Haushalt. In den Clustern A, B und C erhöht sich der Anteil der 1Personen-Haushalte weiter und der Anteil mit drei und mehr Personen wird geringer. Auch bei diesem Trend gleichen sich die Großstädte in den Clustern A, B und C insgesamt an. Der weitere Rückgang von Mehrpersonenhaushalten charakterisiert zwar auch die Großstädte im Cluster C, der Anteil der 1Personenhaushalte ist jedoch deutlich geringer. Die erhebliche Kluft zwischen den Großstädten der Cluster A, B und D zum Cluster C setzt sich auch bei der Entwicklung der Erwerbs- und der Beschäftigungsstrukturen fort. Da sich die durchschnittlichen Erwerbsquoten durchgängig erhöht haben, kann insgesamt von einer Mobilisierung von Erwerbstätigen (auch durch Einpendler) gesprochen werden, was sich auch an der insgesamt steigenden Arbeitsplatzdichte von Frauen zeigt. Diese Muster der Mobilisierung gelten nur bedingt für die Großstädte im Cluster C, wobei diese weiterhin einen enormen Abstand zu den anderen Großstädten aufweisen. Die für das Jahr 1990 beschriebenen vier unterschiedlichen Muster bei der Struktur der Wirtschaftszweige bilden im Jahr 2000 in stärkerem Maße ein Muster der Abstufung mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Dabei sind zwar durchgängig die Anteile des verarbeitenden Gewerbes in allen Clustern stark rückläufig, dies jedoch in ganz unterschiedlichem Umfang: im Cluster D beträgt der Rückgang etwa 5 Prozentpunkte, im Cluster A und B 10 Prozentpunkte und im Cluster C 16 Prozentpunkte. Auch der Anteil der sonstigen Dienstleistungen gleicht sich zwischen den Clustern insgesamt bei etwa 44% bis 47% an. Mit diesen ähnlichen Anteilswer-
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
221
ten sind jedoch ganz unterschiedliche Entwicklungen und Schwerpunkte verbunden. Im Cluster A sind neben dem stark rückläufigen Anteil im verarbeitenden Gewerbe auch die Beschäftigtenanteile in der Bauwirtschaft und im Handel zurück gegangen. Die Anteile in der Verkehrs- und Kreditwirtschaft blieben hingegen stabil. Im Cluster B sind neben dem ebenfalls stark rückläufigen Anteil im verarbeitenden Gewerbe auch die Beschäftigtenanteile in der Bauwirtschaft und im Handel zurück gegangen. Dagegen blieben die Anteile in der Verkehrs- und Kreditwirtschaft stabil oder konnten noch ausgebaut werden. Im Cluster C hat der extreme rückläufige Anteil des verarbeitenden Gewerbes zu einem extrem starken Anstieg der sonstigen Dienstleistungen geführt. Während auch der Anteil der Bauwirtschaft anstieg, ging der Anteil des Handels zurück. Im Cluster D ist neben dem lediglich leicht rückläufigen Anteil des verarbeitenden Gewerbes auch der Anteil der Bauwirtschaft und des Handels kleiner geworden. Während der Anteil der Verkehrswirtschaft rückgängig war, ist ein erhöhter Anteil in der Kreditwirtschaft zu beobachten. Das Brutto-Inlandsprodukt stieg innerhalb des Untersuchungszeitraumes insgesamt deutlich an, wobei sich das bereits beschriebene Muster der Abstufung auf höherem Niveau fortsetzte. Der Anstieg war jedoch überproportional für die Großstädte von Cluster B (Frankfurt, Düsseldorf) und Cluster D (Stuttgart, München), schon schwächer für das Cluster A und geringfügig für das Cluster C. Bei den Arbeitslosenzahlen hat sich die bereits für 1990 beschriebene Abstufung auf ein durchgängig höheres Niveau entwickelt. Ein unterdurchschnittlicher Wert kennzeichnet weiterhin die prosperierenden Großstädte in Cluster D (6,2%) sowie in Cluster B (9,5%). Ein Wert im Durchschnitt charakterisiert das Cluster A (11,9%). Weit über dem Durchschnitt liegt die Arbeitslosenquote im Cluster C (15,2%). Während die Arbeitslosenquote durchgängig anstieg verringerte sich die Quote der Sozialhilfeempfänger insgesamt in allen Clustern und hat sich zwischen den einzelnen Clustern angeglichen. Dabei hat sich eine andere Abstufung zwischen den Clustern herausgebildet. Die geringste Quote findet sich im Cluster D (3,8%), gefolgt von Cluster C (4,8%) und Cluster B (5,6%). Die höchste Quote weist Cluster A auf (6,6%). Eine interessante Entwicklung lässt sich bei den Steuereinnahmen pro Kopf und den Schulden je Einwohner erkennen. Insgesamt stiegen zwischen 1990 und 2000 in allen untersuchten Großstädten die Steuereinnahmen, aber auch die Verschuldung insgesamt. Die höchsten Steuereinnahmen kennzeichnet das
222
Die Entwicklung der größten deutschen Städte von 1990-2000
Cluster B (2.089 €), vor Cluster D (1.462 €), gefolgt von Cluster A (1.164 €) und Cluster C (694 €). Aber auch bei der Verschuldung erreicht Cluster B den höchsten Wert (3.085 €), vor Cluster A (1.989 €), gefolgt von Cluster C (1.785 €) und Cluster D (1.615 €). Die beschriebenen Entwicklungen können zusammenfassend weniger als eine Polarisierung durch gleichzeitige Auf- und Abstiegsdynamiken charakterisiert werden. Denn bei wesentlichen Merkmalen konnten selbst die Großstädte aus dem Cluster C erfolgreiche Aufholprozesse realisieren (Dresden, Leipzig) und/oder ihre Position stabilisieren (Dortmund), wenn nicht sogar leicht verbessern (Essen). Die Großstädte aus dem Cluster C blieben lediglich aus der Perspektive der überdurchschnittlich stark prosperierenden Großstädte „zurück“, weil diese sich in einigen Bereichen besonders dynamisch entwickeln. Gegen die Polarisierungsthese spricht außerdem, dass sich die Großstädte mit durchschnittlicher Entwicklung, die quasi das „Mittelfeld“ bilden, nicht in Auf- und Absteiger aufspalten. Sie erreichen ebenfalls bei wesentlichen Indikatoren ein höheres Niveau und können zumindest mit den durchschnittlichen Zuwächsen „Schritt halten“. Erkennbar ist vielmehr eine progressive Spreizung nach „Oben“, nicht jedoch nach „Unten“ zwischen den deutschen Großstädten.
Felder und Ausprägungen großstädtischer Modernisierungspolitik
5
5.1 5.1.1
223
Felder und Ausprägungen großstädtischer Modernisierungspolitik
Konzept zur Untersuchung der Modernisierungspolitik Fragen zum Wandel großstädtischer Entscheidungsprozesse
Die Untersuchungen des Projektes zielen auf die Einbindung der Großstädte in staatliche Rahmenbedingungen, auf den Zusammenhang zwischen regionalen Entwicklungsbedingungen und großstädtischer Modernisierung sowie auf die speziellen Regelungsstrukturen, Akteurkonstellationen und Handlungsmustern, die sich in den Großstädten unter diesen Bedingungen in bestimmten Politikfeldern herausbilden konnten. Das Erkenntnisinteresse ist auf den Wandel großstädtischer Entscheidungsprozesse gerichtet. Als zentrale Fragestellung hatten wir in formuliert (vgl. Kap. 2): Inwieweit wird das Regieren der großen Städte durch großstädtische Akteure, durch die staatlichen Rahmenbedingungen und die sozioökonomischen Entwicklungsbedingungen geprägt? Als die Hauptvariablen unserer Policy-Analyse des Regierens der großen Städte bestimmten wir a) die von den Großstädten angewandten Strategien der Modernisierung, b) den Wandel staatlicher Rahmenbedingungen und c) die unterschiedlichen sozioökonomischen Entwicklungsbedingungen. Indem wir die sozioökonomischen Entwicklungsbedingungen als eine Hauptvariable in unsere Untersuchung einbeziehen, gehen wir über das in der lokalen Politikforschung bisher verbreitete Konzept der Berücksichtigung institutioneller Rahmenbedingungen und der Akteursstrategien als Variablen hinaus (vgl. Bogumil 2001: 7 ff.). Zur Vorbereitung der Untersuchungen hatten wir in den ausgewählten drei Hauptvariablen nach wichtigen Bestimmungsgrößen (Policy-Faktoren) des großstädtischen Regierens gesucht. Für die interne Steuerung großstädtischer Modernisierung (Hauptvariable I) hatten wir als Policy-Faktoren (Politikfelder) die Verwaltungsmodernisierung, die Stadtentwicklung, die großstädtische Demokratie sowie die Arbeitsbeziehungen identifiziert. Ursprünglich sollte auch
224
Felder und Ausprägungen großstädtischer Modernisierungspolitik
die großstädtische Sozialpolitik einbezogen werden. Dieses Politikfeld soll aus arbeitsökonomischen Gründen später in einem gesonderten Forschungsprojekt bearbeitet werden. Mit dem Untersuchungskonzept wollen wir der besonderen Komplexität der großstädtischen Modernisierungspolitik in ausgewählten Politikfeldern gerecht werden und beziehen dabei die Wechselwirkungen zwischen den internen und externen Bestimmungsgrößen der Modernisierungspolitik in die Untersuchungen mit ein. Kommunale Entscheidungsprozesse sind seit den siebziger Jahren in Deutschland Gegenstand der lokalen Politikforschung. Die Untersuchungen konzentrierten sich zunächst auf die kommunalen Entscheidungsprozesse im engeren Sinne, d.h. auf das Zusammenspiel der kommunalen Entscheidungsträger im lokalen politisch-administrativen System (Rat, Verwaltung, Bürgermeister). Dabei stand das Verhältnis zwischen Kommunalvertretung und Kommunalverwaltung im Vordergrund, wobei kommunale Machtstrukturen zunächst wenig beachtet wurden. Später setzte sich dann die Erkenntnis durch, dass das kommunale Entscheidungssystem durch institutionelle Strukturen und durch die Akteursstrategien auf lokaler Ebene geprägt wird (Bogumil 2002:7). In den 1970er Jahren wurde die Praxistauglichkeit verschiedener Modelle der politischen Verwaltungsführung wie die legislative Programmsteuerung, die exekutive Führerschaft und das korrelative Führungsmodell diskutiert (Grauhan 1970). Die von Grauhan damals in deutschen Großstädten durchgeführten Untersuchungen zeigten, dass sich auch unter der Bedingung direkt gewählter Oberbürgermeister sowohl Tendenzen zu einer zentralisierten Verwaltungsleitung als auch Fälle der fragmentierten Verwaltungsleitung durchsetzen konnten. Mit der Größe der Stadt wächst der kommunale Verwaltungsapparat und führt zu einem auf den Oberbürgermeister zugeschnittenen hierarchischen Verwaltungsaufbau, während sich aus dem Bedeutungszuwachs der Dezernate und Fachbereiche in den Großstädten eine fragmentarische Tendenz ergab. Es bildete sich eine einflussreiche Stellung der politischen Parteien in den Großstädten heraus. Die politischen Parteien erlangten im Zusammenwirken mit anderen Akteuren eine Schlüsselstellung für die Auswahl des Oberbürgermeisters und der Dezernenten. Politik und Verwaltung waren im kommunalen Entscheidungssystem nicht mehr trennbar. Die im gesamtstädtischen Interesse notwendige politische Koordinierung zwischen Rat, Oberbürgermeister und Verwaltung – so eine weitere Erkenntnis – laufe maßgeblich über korporatistische Vorentscheiderstrukturen. Diese seien in demokratischer Hinsicht sowie unter planerischen und Effizienzaspekten problematisch (Banner 1972). Zu den Vorentscheidern können z.B. der Oberbürgermeister, Ausschussvorsitzende, Fraktionsvorsitzende, Dezernenten, Fachbereichsleiter, Verbandsfunktionäre und Vertreter einflussreicher gesellschaftli-
Felder und Ausprägungen großstädtischer Modernisierungspolitik
225
cher Gruppen zählen. Mit der Durchsetzung der eingleisigen Kommunalverfassung und der Direktwahl der Oberbürgermeister in allen Großstädten mit Ausnahme der Stadtstaaten sollte die Dualität zwischen Politik und Verwaltung aufgehoben werden. Damit wurde – so das Plädoyer von Banner- aus der Debatte über den Zusammenhang zwischen dem kommunalen Entscheidungssystem und den Kommunalverfassungen eine Konsequenz gezogen. Offen ist heute, ob die damit verbundenen Hoffnungen einer größeren demokratischen Legitimation, des Zurückdrängens korporatistischer Einflüsse und einer effektiveren politischen Verwaltungsführung auch tatsächlich eingetreten sind. Kommunale Entscheidungsprozesse, die institutionellen Grundlagen lokaler Politik und die internen Prozesse und Strukturen waren seit den 1990er Jahren durch verschiedene Trends einem starkem Veränderungsdruck ausgesetzt (Bogumil 2001:9, ähnlich Bogumil, Holtkamp, Kißler 2004:64): x x x x x x
zunehmende Anstrengungen zur Haushaltskonsolidierung, Bemühungen zur Verwaltungsmodernisierung nach dem New-PublicManagement-Konzept (in Deutschland: Neues Steuerungsmodell), Liberalisierungs- und Privatisierungsbestrebungen vor allem im Bereich kommunaler Daseinsvorsorge, Einführung von direktdemokratischen Elementen, zunächst mit Ausnahme der Stadtstaaten (Direktwahl des hauptamtlichen Bürgermeisters, Bürgerbegehren/-entscheide), Renaissance der Bürgerbeteiligung und zunehmende Bedeutung kooperativer Demokratieelemente (z.B. Lokale-Agenda-Prozesse, Mediationsverfahren) sowie Ansätze des E-Government oder einer E-Democrazy.
Für viele dieser Modernisierungsimpulse gilt, dass deren Wirkungen empirisch noch wenig erforscht sind. Weitgehend unbekannt ist, inwieweit es im kommunalen Kräftedreieck zwischen Bürgermeister, der Kommunalvertretung und den Bürgern zu einer Neuverteilung der Einflusschancen gekommen ist und welche Rolle die gesellschaftlichen Gruppen dabei spielen. (Bogumil et al. 2004:72 ff.). 5.1.2
Konzeptualisierung und Auswahl der Felder der Modernisierungspolitik
Mit Hilfe der makro-sozialen Policy-Analyse (vgl. auch Kap.2) können die sozialen Phänomene großstädtischer Modernisierungspolitik daraufhin untersucht werden, inwieweit diese kontingent, prozesshaft und historisch geprägt sind und welche strukturelle Komplexität sie aufweisen (Mayntz 2002: 20). Die
226
Felder und Ausprägungen großstädtischer Modernisierungspolitik
Multikausalität großstädtischer Modernisierungspolitik beruht auf kontingenten Zusammenhängen und komplexen Interdepenzen. Dies ist eine Folge der hohen Variabilität der Elemente und Beziehungen im deutschen Städtesystem. Politische, soziale und wirtschaftliche Prozesse sollen im Hinblick auf die Prozessstrukturen und ihre neuere Entwicklung näher betrachtet werden. Das Weiterwirken der Vergangenheit in die Gegenwart, die Tatsache, dass jedes zu einem Zeitpunkt beobachtbare soziale Phänomen Ergebnis eines in die Vergangenheit zurückreichenden Prozesses ist, wird heute als Pfadabhängigkeit bezeichnet. Das Konzept der Pfadabhängigkeit ermöglicht die Bestimmung von Kreuzungspunkten oder von Gabelungen einer Entwicklung, den Blick auf Alternativen und Potentiale, die genetische Analyse von Regelmäßigkeiten und Wechselbeziehungen (Mayntz 2002: 27 ff.). Berücksichtigt werden soll in unserer Untersuchung die strukturelle Komplexität der Modernisierungspolitik der Großstädte unter zwei Aspekten. Ihre vertikale Differenzierung ergibt sich daraus, dass sie auf den staatlichen und kommunalen Handlungsebenen in verschiedenen Politikfeldern stattfindet und verschiedene Modi sozialer Handlungskoordination von den Akteuren eingesetzt werden (z.B. Markt, Netzwerke und Hierarchie). Funktionale Wirkungszusammenhänge sollen durch die Analyse systemischer Interdependenzen aufgespürt werden. Die von uns für die Analyse ausgewählten Felder der Modernisierungspolitik können gleichzeitig als Arenen großstädtischer Modernisierungspolitik verstanden werden, die durch institutionelle Rahmenbedingungen, die Beziehungsstruktur und die aktuellen Handlungskonzepte der dort agierenden Akteure begrenzt werden. Unter Modernisierungspolitik verstehen wir die von verschiedenen Akteuren zur institutionellen Entwicklung und Veränderung von Politikfeldern angewandten Strategien, die über die alltägliche operationelle Bewältigung von Aufgaben hinausweisen. Die ausgewählten Felder großstädtischer Modernisierungspolitik lassen sich ebenso mit Hilfe einer strategischen Aufgabenanalyse legitimieren. Dabei kommt es darauf an, den fach- und ressortübergreifenden Zuschnitt des großstädtischen Regierens exemplarisch abzubilden und möglichst mehrere strategisch bedeutsame Aufgabenfelder einer Großkommune zur Grundlage der Untersuchungen zu machen. Der Blick auf die Organisations- und Geschäftsverteilungspläne der Großstädte reicht dafür nicht aus. Für die Auswahl der zu untersuchenden Felder großstädtischer Modernisierungspolitik haben wir danach gefragt, welche Geschäftsbereiche für den Modernisierungserfolg einer Großstadt unter den gegebenen Umweltbedingungen von besonderer Bedeutung sind (Bea, Haas 1997: 121). Wir nehmen idealtypisch an, dass die Großstädte versuchen, der Politikverflechtungsfalle aus staatlichen Rahmenbedingungen sowie regionalen Entwicklungsbedingungen einerseits und begrenzter kommunaler
Felder und Ausprägungen großstädtischer Modernisierungspolitik
227
Selbstverwaltung andererseits zu entrinnen, indem sie mehrere strategische Handlungsoptionen verfolgen: a)
Sie versuchen ein spezifisches Großstadtprofil in Kooperation mit der Region zu entwickeln, um in der Entwicklungskonkurrenz um Arbeitsplätze und Investoren mit anderen Großstädten, Regionen und auf europäischer Ebene bestehen zu können. b) Sie versuchen die Bürgerinnen und Bürger und die gesellschaftlichen Gruppen als Auftraggeber, Mitgestalter und Adressaten bei der großstädtischen Leistungserstellung stärker zu beteiligen, um die Einwohner wieder stärker an ihre Großstadt zu binden und Einwohnerverluste zu vermeiden. c) Sie versuchen ihre öffentlichen Haushalte zu sanieren und den öffentlichen Sektor durch die Einführung neuer Steuerungsmodelle zu effektivieren, um kommunale Steuerungsfähigkeit zurückzugewinnen. d) Sie versuchen die Arbeitsbeziehungen durch neue Formen der Aufgabenund Personalsteuerung, der Personalentwicklung und die Einbeziehung der Beschäftigten und ihrer Interessenvertretungen zu reformieren. Für die Analyse der großstädtischen Modernisierungspolitik spalten wir diese in mehrere strategisch relevante Politikfelder auf. Die Politikfelder entsprechen den von uns für die Großstädte identifizierten bedeutenden strategischen Geschäftsfeldern. Im Anschluss an die angenommenen handlungsstrategischen Optionen der Großstädte legen wir die folgenden strategischen Geschäftsfelder als Politik- und Analysefelder sowie Modernisierungsarenen unseren Untersuchungen zu Grunde: a) Stadtentwicklung, b) Großstädtische Demokratie, c) Verwaltungsmodernisierung, d) Arbeitsbeziehungen Wir werden der Frage nachgehen, inwieweit die Großstädte ihr Modernisierungspotential ausschöpfen. Wir fragen nach dem institutionellen Kontext, den Akteurkonstellationen, den fachlichen Visionen und politischen Strategien relevanter Akteure und analysieren die Handlungsmuster und Governancestrukturen. Auf der Grundlage dieser politikfeldbezogenen Analysen soll dann später die großstädtische Modernisierungspolitik in ihren Wechselwirkungen mit den staatlichen Rahmenbedingungen und den unterschiedlichen sozioökonomischen Entwicklungsbedingungen bilanziert werden.
228 5.1.3
Felder und Ausprägungen großstädtischer Modernisierungspolitik
Analyse der Ausprägungen der Modernisierungspolitik
Die Ausprägungen der großstädtischen Modernisierungspolitik werden von uns in diesem Kapitel in drei Schritten analysiert. Zunächst werden die aus der Politikfeldanalyse gewonnenen Erkenntnisse zu empirisch nachweisbaren Profilen und Mustern der großstädtischen Modernisierungspolitik verdichtet (Abschnitt 5.2.). In einem zweiten Analyseschritt werden die Potentiale und Blockaden großstädtischer Modernisierung diskutiert (Abschnitt 5.3.). In einem dritten Analyseschritt werden wir die Governancestruktur großstädtischer Modernisierung zusammenfassend beschreiben, wie sie sich aus unseren empirischen Analysen ergeben (Abschnitt 5.4.). Aus den in den Kapiteln 3 und 4 vorgestellten Untersuchungsergebnissen über die staatliche Kontextsteuerung und die sozioökonomischen Entwicklungsbedingungen können einige Hypothesen für die folgende Untersuchung der großstädtischen Modernisierungspolitik gewonnen werden. Die Befunde unserer institutionellen Analyse der Großstädte zwischen kommunaler Selbstverwaltung und staatlichen Rahmenbedingungen deuten darauf hin, dass es sich bei der Gruppe der Großstädte um ein „weiches Governancenetzwerk“ handelt, das über eine unzureichende Durchsetzungskraft gegenüber höheren staatlichen Ebenen verfügt (vgl. Kap. 3). Dies liegt daran, dass Großstädte untereinander weiterhin um Arbeitsplätze und Einwohner konkurrieren und ihre Interessen verbandsförmig ohne einen ausreichend harten institutionellen Kern organisieren. Die Vernetzung großstädtischer Interessen über Verbände und andere Institutionen konzentriert sich bisher auf einen regen fachlichen Austausch über mögliche Modernisierungsstrategien und befördert Städtekooperationen. Die Zuspitzung der Krise der Gemeindefinanzen ist der hierarchischen Arbeitsteilung zwischen dem Bund und den Ländern zum Nachteil der Gemeinden geschuldet. Hinzu kommt eine vor allem vom Bund zu verantwortende krisenverschärfende Diffusion in der staatlichen Rahmensteuerung für den kommunalen Sektor. Allerdings kann aus diesen Befunden nicht geschlossen werden, dass davon alle Großstädte gleichermaßen betroffen wären. Vielmehr deuten die Ergebnisse der voran gegangenen Analysen zur Entwicklung der großstädtischen Haushalte auf erhebliche Disparitäten zwischen Regionen und einzelnen Großstädten hin. Der Wandel kommunaler Demokratie scheint nicht durchweg zu mehr Bürgerbeteiligung zu führen. Dem Mehr an organisierter Bürgerbeteiligung und der zunehmenden Zahl von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden (kooperative Demokratie) steht die Konzentration politischer und administrativer Kompetenzen in der Person des direkt gewählten Oberbürgermeisters gegenüber, die zu Lasten von Rat, Stadtbezirksvertretungen und schwer organisierbaren gesellschaftlichen Gruppen gehen könnte. Einer neuen Oligarchisierung der großstäd-
Felder und Ausprägungen großstädtischer Modernisierungspolitik
229
tischen Kommunalpolitik im Zusammenwirken mit machtvollen gesellschaftlichen Gruppen könnte so der Weg geebnet werden. Die etablierten Parteien prägen nach wie vor, wenn auch in wechselnden Koalitionen, das politische System der Großstädte. Fraglich bleibt, welchen Stellenwert unter derartigen Bedingungen das Bürgerschaftliche Engagement und die Bürgerbeteiligung in den Großstädten real haben. Die Analyse der sozioökonomischen Entwicklung der Großstädte mit den Indikatoren zur demografischen Entwicklung, der Entwicklung von Wirtschaft und Beschäftigung, der institutionellen Integration und der kommunalen Finanzen zeigt lokale Besonderheiten, ähnliche Trends großstädtischer Entwicklung und erhebliche regionale Entwicklungsunterschiede, die sich im Verlauf von 10 Jahren weiter polarisiert, zum Teil aber auch angeglichen haben. Mit Hilfe einer Clusteranalyse konnten wir Pfade der sozioökonomischen Entwicklung und des Strukturwandels von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft in der Gruppe der Großstädte identifizieren: x Großstädte mit stark polarisierten und mit einer ausgewogeneren Prosperität, x Großstädte mit durchschnittlicher Entwicklung, x Großstädte im prekären Strukturwandel mit Tendenzen der Schrumpfung. Von Interesse ist, ob und inwieweit es nachweisbare Zusammenhänge zwischen den Ergebnissen der Clusteranalyse und der großstädtischen Modernisierungspolitik gibt. Zu analysieren bleibt, inwieweit die unterschiedlichen sozioökonomischen Entwicklungsbedingungen der Großstädte die Startbedingungen und die Ergebnisse der Modernisierungspolitik in den für die Untersuchung ausgewählten Politikfeldern zu beeinflussen vermögen. 5.1.4
Empirische Erhebungen und Verfahren der Datenauswertung
Die vorherigen quantitativen Untersuchungen beruhten auf Daten, die zu den Erhebungszeitpunkten 1990, 1995 und 2000 erfasst wurden. Der qualitative Teil der Untersuchung zielt auf eine institutionelle Analyse des Wandels staatlicher Rahmenbedingungen und kommunaler Regelungsstrukturen sowie auf politikfeldbezogene Analysen zur großstädtischen Modernisierungspolitik. Den qualitativen Erhebungen und Analysen der großstädtischen Modernisierungspolitik liegen die folgenden Erhebungen zugrunde: x
Durchführung einer Analyse von Dokumenten zur Stadtgeschichte, Stadtpolitik, Verwaltungsmodernisierung, Stadtentwicklung und Personalentwicklung,
230 x
x
x x x
Felder und Ausprägungen großstädtischer Modernisierungspolitik
Experteninterviews I im Frühjahr und Sommer 2003 und im Sommer 2004: Problemzentrierte und leitfadengestützte Interviews von je etwa 1-2 Stunden Dauer mit Führungskräften der Großstädte aus den Bereichen Verwaltungsmodernisierung und Stadtentwicklung, Experteninterviews II im Sommer 2004: Problemzentrierte und leitfadengestützte Interviews von je etwa 1-2 Stunden Dauer mit einem/r Vertreter/in des Hauptpersonalrats der Großstädte zu Fragen der Großstädtischen Modernisierungspolitik und dem Wandel der Arbeitsbeziehungen, Anfertigung von Protokollen über die Interviews, Auswertung fachwissenschaftlicher Diskurse, Nachrecherchen mit Hilfe des Internets und direkter Kontaktaufnahme.
Die Auswertung des qualitativen Materials erfolgte in mehreren Schritten. Zunächst wurden die Dokumente und Experteninterviews bezogen auf die Untersuchungsschwerpunkte und Fragestellungen des Projektes einer Inhaltsanalyse unterzogen. Für die Analyse der großstädtischen Modernisierungspolitik wurden die vier Politikfelder in vier bis fünf Feldvariablen aufgegliedert. Pro Feldvariable wurden für die Bewertung der Modernisierungspolitik der einzelnen Großstädte mehrere Ausprägungsstufen gebildet. Der jeweilige Entwicklungsstand einer Großstadt wurde in Sitzungen des Projektteams gedeutet und nach den vorliegenden Erkenntnissen den Ausprägungsstufen jeder Pfadvariable zugeordnet. Eine Rückkopplung der Analyseergebnisse mit den Modernisierungsakteuren wurde durch den Versand des Entwurfs des Projektberichts, durch die Bereitstellung der Projektberichte im Internet und durch die Projektbeiratssitzungen sichergestellt. Der Rücklauf und die Kritik aus dieser Ruckkopplung wurden in diese Endfassung eingearbeitet.
Felder und Ausprägungen großstädtischer Modernisierungspolitik
5.2 5.2.1
231
Felder, Akteure und Strategien der Modernisierung Stadtentwicklung
Die Diskussionen über angemessene Konzepte der Stadtentwicklung und ihre Umsetzung erfolgten bisher in wellenartig wiederkehrenden Diskursen. Bis Mitte der 70er Jahre dominierte der sogenannte Planungsoptimismus die deutsche Stadtentwicklung der Nachkriegszeit. Dieses Planungsverständnis wurde auch als „Gott-Vater-Modell“ charakterisiert (Siebel 1989: 83), weil es flächendeckend, umfassend, langfristig und auf ein einheitliches Ziel hin ausgerichtet war. Der hohe Anspruch dieses relativ „geschlossenen Planungsmodells“ (Häußermann/Siebel 1993: 142f.) konnte in der Praxis nur selten eingelöst werden. Die Planung von so komplexen Gebilden wie Großstädten, sei nicht widerspruchsfrei. Man verfüge nicht über vollständige Informationen und die unterschiedlichen, dynamischen Entwicklungen ließen sich nicht eindeutig prognostizieren (Selle 1994: 38 f.). Die Kritik an diesem optimistischen Planungsverständnis konzentriert sich insbesondere auf drei Problematiken (Göschel 2003: 6): x Häufig projizierten die Zukunftsbilder eher Bedingungen der Gegenwart unkontrolliert in die Zukunft. Zielsetzungen mit großer zeitlicher Reichweite eröffneten nicht Zukunft sondern verschlossen sie eher. Denn die Verlässlichkeit der zugrunde gelegten Prognosen wurde systematisch überschätzt. x In den nur scheinbar umfassenden Gesamtkonzepten der Stadtentwicklung erhielten Einzelaspekte häufig absolute Priorität, wie zum Beispiel die „autogerechte Stadt“. x In den Gesamtplanungen dieser Jahre wurde systematisch die Planungsmacht und die Planungskompetenz der zentralen politischen und administrativen Akteure überschätzt. Seit Mitte der 70er Jahre, verschärft durch die Erfahrungen der Ölkrise, habe ein planerischer Paradigmenwechsel zu einer stärker prozessorientierten „Schrittfür-Schritt“-Planung eingesetzt, der sogenannte perspektivische Inkrementalismus. Mit diesem „offenen Planungsmodell“ werde weitgehend auf vorgreifende und ganzheitliche Zielkonzepte verzichtet: Zielvorgaben sollen mit zentralen gesellschaftlichen Grundwerten verbunden bleiben; Zieltreue solle an symbolischen Einzelfallentscheidungen nachgewiesen werden; konkrete Projekte sollen an die Stelle abstrakter Programmziele treten und letztere sollen durch mittel-
232
Felder und Ausprägungen großstädtischer Modernisierungspolitik
fristige, überschaubare Handlungszeiträume ersetzt werden (Ganser 1991: 59 ff.). Auch gegen dieses Planungsverständnis, das den Vorteil kurzfristiger Handlungsfähigkeit biete, richtete sich schnell erneute Kritik, bis heute. Das schrittweise Vortasten realisiere sich im Planungsalltag als „Durchwursteln“ („muddling through“), lediglich darauf bedacht, bloß Abhilfe statt wirkliche Lösungen zu schaffen. Unklar bleibe, wohin die vielen „kleinen Schritte“ führen sollen. Seit Ende der 80er Jahre sehen sich die Großstädte außerdem tiefgreifenderen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Herausforderungen sowie neuen Aufgaben gegenüber als zuvor. Verbreitet ist die Auffassung, dass das traditionelle Planungsverständnis und Planungsinstrumentarium dem Gewicht dieser Probleme und der Eile, mit der sie bearbeitet werden müssten, nicht mehr gerecht wird. Insbesondere drei Strukturwandlungen hätten zu einem (kommunalen) Steuerungsverlust der herkömmlichen, vor allem planungsrechtlich verfassten Grundlagen und Instrumente beigetragen (Keim 2003: 1): x Die praktischen Erfahrung hätten gezeigt, dass die (zuvor unterstellte) Wirksamkeit städtischer und regionaler Planungen gegenüber anderen Macht- und Einflussfaktoren immer mehr in die Defensive gerate. x Aus den Transformationsprozessen gehe besonders die kapitalistische Wirtschaftsweise gestärkt hervor und führe zu räumlichen Entwicklungen, bei denen Standortkonkurrenz und überregionale Integrationsabsichten dominieren und Grundsätze oder Ziele räumlicher Planung häufig umgangen werden. x Indem sich die Leistungs- und Legitimationsgrenzen staatlicher Planungen immer deutlicher gezeigt hätten, könnten sich andere Auffassungen von staatlicher Steuerung verbreiten. Sie würden zu einer anderen Planungspolitik und neuen Planungskulturen führen. Kritisch erörtert Selle (1998: 54f.) die wiederkehrenden, öffentlich geführten Diskussionen über Paradigmenwechsel und Zäsuren zwischen traditionellen Planungsauffassungen und neuen Planungskulturen. Seiner Meinung nach hätten sich einzelne Etappen in der Entwicklung des Planungsverständnisses nicht abgelöst, sondern würden sich als Schichten überlagern und aufeinander aufbauen. Frühere Instrumente der Gefahrenabwehr durch Bauvorschriften und Verordnungen wurden später durch Flächennutzungspläne ergänzt, um der privaten Bautätigkeit einen „Planungsrahmen“ zu geben (Angebotsplanung). Diese Instrumente wurden durch Konzepte der Entwicklungsplanung mit gestalterischen Ambitionen erweitert. Wenn jedoch nicht nur geplant, sondern in größerem Umfang auch initiativ und aktiv gestaltet werden soll, müsse auch das Kooperieren gelernt werden: mit privaten Investoren, Verbänden, öffentlichen
Felder und Ausprägungen großstädtischer Modernisierungspolitik
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Institutionen und privaten Haushalten. Planungskonzepte und Instrumente aus verschiedenen Phasen würden deshalb nebeneinander fort bestehen und zu einer Gleichzeitigkeit von Ungleichzeitigem führen. Nach dieser Auffassung sei auch ein Denken und Handeln in Alternativen wie Regulierung oder Deregulierung, Verstaatlichung oder Privatisierung, Zentralisierung oder Dezentralisierung wenig hilfreich. Ausgehend vom gesamten Planungsinstrumentarium seien innovative, institutionellen Vorkehrungen erforderlich, durch die individuelle und kollektive Akteure gestärkt werden, sich anders als durch marktstrategisches Handel, nämlich „verantwortlich“, „solidarisch“ oder gar „prinzipiengeleitet“, zu koordinieren. Dies könne durch erweiterte und neue Formen der Mitbestimmung, der Selbstverwaltung und des verhandlungsförmigen Interessenausgleich gelingen (Offe 1990). Tatsächlich sei im letzten Jahrzehnt, zusätzlich zur formellen Stadtplanung, ein rasantes Anwachsen informeller Planungen zu beobachten, insbesondere auf örtlicher und regionaler Ebene. Verbreitet hätten sich Mischformen („Steuerungsmix“) zwischen formeller und informeller Planung (Keim 2003: 1). Kooperative Planungsansätze würden hierarchische Planungsstrukturen häufig jedoch nicht ersetzen, sondern komplementär ergänzen. Durch derartige Konstellationen ließe sich mehr relevantes Wissen durch die Kooperation mit Unternehmen, Haushalten, Verbänden, Vereinigungen, Netzwerken und Foren nutzbar machen. Hierin liege eine Chance, die oft beklagte Separierung, zwischen dem unter Entscheidungsdruck zu vollziehenden planerischen Handeln und der wachsenden Ungewissheit über das dafür relevante Wissen, zu überbrücken (ebenda: 6). In wieweit sich dieses „neue Verständnis“, dass Planung als kooperative Modernisierung betrachtet, in den fünfzehn untersuchten Großstädten verbreitet hat, wird nachfolgend für vier spezifische Feldvariablen untersucht: (a) Konzepte der Stadtentwicklung, (b) Aktivitäten zur Einwohnerbindung und (c) zur Standortentwicklung sowie (d) regionale Kooperationen. a) Stadtentwicklungskonzepte Sich den Zukunftsvisionen, Leitbildern und Planwerken von Großstädten zu nähern ist aus verschiedenen Gründen kompliziert. Wie schon weiter oben ausgeführt, überbieten sich auch hier die Teildisziplinen der Geographie, der Sozial- und Politikwissenschaft sowie der Ökonomie darin, lediglich Teilaspekte der Stadt zu analysieren. Ein Gesamtblick auf die Großstadt sei heute kaum noch möglich. Ein Überblick über ihre Gestalt oder gar über die Lebensverhältnisse in Großstädten, sei schon während des enormen Stadtwachstum am Ende des 19. Jahrhunderts verloren gegangen. Insofern sei die Dynamik der modernen Großstädte heutzutage viel zu komplex, zu global und gleichzeitig zu fragmen-
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tarisch, als das man sie analysieren und insgesamt erfassen könnte. Diese verbreitete Haltung wird wiederum von Kritikern als „Mythos der Unbegreiflichkeit“ beklagt (Venturi 2003: 16). Da liegt der Rückzug auf pragmatische Positionen nahe. Wenn insbesondere die Metropolen und die Großstädte durch Globalisierung, Ökonominierung und extreme Ausdifferenzierung (Fragmentierung) im Inneren dominiert werden, erscheinen umfassende Erklärungsformeln oder Gesamtkonzepte als hoffnungsloses Unterfangen, letztendlich als Größenwahnsinnig. Realistischer erscheint es, die möglichst relevanten Fakten und Einzelheiten zusammenzutragen, um daraus, quasi von ´unten´, ein Konzept aufzubauen. Diese dann doch zu pragmatische Haltung, so wiederum die Kritiker, sei überhaupt nicht zukunftsfähig: sie bleibe im Flickwerk stecken, im „muddlingtrouth“. Sie sei Planung auf Abruf, abhängig von ökonomischer Dynamik oder persönlichen Vorlieben. Letztlich laufe das auf eine Stadt ohne Eigenschaften hinaus, auf eine nur scheinbar planlose Entwicklung, die tatsächlich dem Ziel eines ziellosen Wachstums folge. Identifikation oder gar Emphase für die enormen Entwicklungsaufgaben der großen Städte sei so nicht zu erreichen. Beides müsse gerade in gesellschaftlichen Umbruchphasen gestärkt werden, wenn das Bedürfnis nach Orientierung und Identifikation steige. Doch wie kann letztlich Identifikation erreicht werden und wer engagiert sich für die enormen Entwicklungsaufgaben einer Stadt, die sich als Gemeinwesen verstanden wissen will? Um sich diesen komplexen, weitreichenden Aufgaben anzunähern, entwickeln die Großstädte seit einigen Jahren verstärkt städtische Leitbilder, neue Stadtentwicklungskonzepte und Masterpläne. Strategische Planungen würden seit den 90er Jahren eine Renaissance erleben (Wentz 1997: 5). Insbesondere die Entwicklung gesamtstädtischer Leitbilder ist seit einigen Jahren populär. Sie seien Ausdruck eines Verlangens nach Orientierung (vgl. Stuttgart 2003). Erhofft werden Antworten auf gesellschaftliche Trends, die als problematisch empfunden werden: mit dem Leitbild der „sozialen Stadt“ werde auf Segregations- und Spaltungstendenzen reagiert; mit der Forderung nach „Nutzungsmischung“ auf die verbreiteten funktionalen Trennungen; mit dem Wunsch einer „Stadt der kurzen Wege“ auf den sogenannten Verkehrsinfarkt; mit „nachhaltiger Stadtentwicklung“ auf das häufige ignorieren längerfristiger und ökologischer Belange und mit dem Bekenntnis zur „europäischen Stadt“ auf die suburbanisierte „Zwischenstadt“, die mit „Amerikanisierung“ gleichgesetzt wird (Kaltenbrunner 2004). Gegen die Popularität von Leitbildern formulieren insbesondere Stadtplaner Kritik. Die Komplexität von Großstädten könne nicht in einem Leitbild konzentriert werden, sondern müsse eher induktiv aus dem vielfältigen Mit- und Gegen-
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einander städtischer Akteure entstehen. Trotz ihrer Ambivalenz könnten Leitbilder für die Stadtentwicklungspolitik einen unabdingbaren Zielhorizont darstellen, wenn exklusive Forderungen nicht als „Entweder-Oder“, sondern im Sinnes eines „sowohl als auch“ verhandelt werden. Eine solche Diskussion in Gang zusetzen ist nach der Auffassung vieler Planer jedoch eher die Aufgabe eines Stadtentwicklungsplanes. Stadtentwicklungsplanung gilt als die Königsdisziplin der Stadtplanung, als interessanteste und entscheidende Planungsebene (Pfromm: 1997: 65; Prigge 1997: 66). Sie diene der bewussten Steuerung des Auf- und Ausbaus einer dynamischen Gemeinde (Lenort 1960: 31f.). Sie gilt als Ort für die Problematisierung von Stadt und Planung, wo wirtschaftspolitische, stadtökonomische, ökologische, kulturelle und soziale Erfordernisse zu übergreifenden Zielsetzungen zusammengeführt werden. Zugleich gilt sie als dubios. Auf keiner anderen Planungsebene sei die Versuchung so groß, sich ohnehin vollziehende Entwicklungen in planerische Ziele umzukostümieren (Hoffmann-Axthelm 1997: 63). Von Stadtentwicklungsplänen wird erwartet, dass sie sich an eine breitere Öffentlichkeit wenden und potentiell die gesamte Stadt umfassen. Sie müssten klare Alternativen aufzeigen und offen sein für Einsprüche, Kritik und Zurückweisungen, wobei letztlich die Politik entscheiden müsse. Zu den Aufgaben gehöre die Auflösung von Stillstellungen und toten Zonen. Für die einzelnen Teilgebiete müssten, im veränderten Licht der Gesamtstadt und unter der Berücksichtigung der Veränderungen aller anderen Gebiete, die jeweiligen Funktionen neu diskutiert werden. Die entwickelten Planungsziele hätten vor allem einen rahmengebenden Charakter, an dem sich die sektoralen Planungen der unterschiedlichen Ressorts ausrichten sollen. Anschließend an ein Stadtentwicklungskonzept wird in der Regel ein neuer Flächennutzungsplan aufgestellt. In den 70er Jahren, als die Stadtentwicklungsplanung schon einmal eine Konjunktur erlebte, standen die Städte vor ähnlichen Problemen wie heute: schrumpfenden Finanzmitteln standen wachsende Aufgaben gegenüber; gleichzeitig stieg die Abhängigkeit von privatem Kapital und staatlichen Vorgaben sowie von wirtschaftlichem Wachstum. Diese Problematiken hätten sich heute zu einem Bewusstsein relativer Hilflosigkeit verdichtet, angesichts der staatlichen, wirtschaftlichen und von anonymen globalen Mächten gesetzten Rahmenbedingungen (Rautenstrauch 1997: 69). Stadtentwicklungsplanung sei deshalb kein Instrument der „Vorwärtsverteidigung“, sondern des Rückzugs, der geordnet stattfinden soll. Die Notwendigkeit, den geordneten Rückzug zu organisieren gerate jedoch in ein Spannungsverhältnis mit dem zentralen Ziel der Stadtentwicklungsplanung, Wachstum zu organisieren (Hoffmann-Axthelm 1997: 63). Denn jeder Plan werde danach befragt, wo in den nächsten Jahren neue Einwohnergruppen wohnen sollen, wie das Verkehrssystem dafür eingerichtet
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werden muss, wo sich Flächen für neue Arbeitsplätze befinden und wo verdichtet oder erweitert werden muss. Ein solcher Stadtentwicklungsplan könne deshalb auch kein verallgemeinerter Flächennutzungsplan sein (Hoffmann-Axthelm 1997: 64). Der Flächennutzungsplan habe gerade die gegenteilige Funktion zu erfüllen und so viel wie möglich still zustellen. Mit ihm werde detailliert flächendeckend und scheinbar endgültig argumentiert. Im Flächennutzungsplan schlägt sich die gesamte Strukturplanung nieder, wenn auch mit dem Nachteil, dass der Plan einen zukünftigen Zustand darzustellen scheint, während er in Wahrheit lediglich zeigt, wie sich die Gemeinde die langfristige Nutzung ihrer räumlichen Ressourcen zum Zeitpunkt der Planaufstellung vorstellt (Albers 1993: 405). Seiner Herkunft nach sei der Flächenutzungsplan ein Schutzinstrument. Schutz habe aber nur als Ausnahme einen Sinn, für Grün, Denkmäler und kommunale Infrastruktur. Da Stadtpolitik ein Kampf unterschiedlicher Interessen um den Schutz jeweils eigener Interessen sei, tendieren politische Kompromisse dazu, Besitzstände zu wahren und unbefriedigte oder neue Forderungen durch das Ausweisen neuer Flächen zu befriedigen. Dann unterbleibe gerade das notwendige, aber anstrengende Aushandeln, wodurch neue Lösungen und neue Planungskulturen entstehen könnten. Zusammenfassend lassen sich derzeit zwei Argumentationslinien erkennen. Tritt mit den neuen Planungsauffassungen, orientiert am Planungsprozess, an Projekten und an offener Planung (Friedmann 1987, 1993; Fassbinder 1992; Mayer 2004), die Erstellung von Planwerken und ihre Fortschreibung in den Hintergrund, zugunsten der Initiierung von Lernprozessen und einer Erweiterung der Wissensgrundlagen der beteiligten Akteure (Keim 2004: 6)? Oder rückt die so schwer fassbare Großstadt in ihrer Gesamtheit wieder stärker in den Mittelpunkt, begleitet von neuen, strategischen Planungsansätzen und einer „Renaissance“ der Stadtentwicklungsplanung (Wentz 1997: 5)? Kürzer gefragt: Dominiert weiterhin die Wachstumsperspektive oder erhalten auch andere Zielstellungen und die Organisation von Lernprozessen Priorität? Bei der Untersuchung in den 15 deutschen Großstädten konnten wir fast durchgängig umfangreiche Aktivitäten zur Schaffung oder Zuspitzung gesamtstädtischer Leitbilder und umfassender, neuer Stadtentwicklungskonzepte feststellen. Ganz unterschiedlich sind jedoch die dabei beschrittenen Wege und Akteurskonstellationen. In Frankfurt zum Beispiel hat sich aus dem Mit- und Gegeneinander der regionalen Akteure ein implizites Leitbild ohne Koordination einer zentralen Instanz herauskristallisiert. Geprägt wird das implizite, ökonomisch ausgerichtete Leitbild eines „europäischen Marktplatzes mit globaler „Gateway-Funktion“ von den machtvollsten Schlüsselakteuren der Region. In Hamburg wurde, nach
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einer jahrzehntelangen, sozialdemokratischen Vorherrschaft, das neue Leitbild der „wachsenden Stadt“, unabhängig von den städtischen Machtkonstellationen, auf ein wissenschaftliches Gutachten gegründet. In Köln nutze der neu gewählte CDU-Oberbürgermeister ebenfalls die Entwicklung eines Leitbildes zur politischen Neuorientierung nach einer langen Phase sozialdemokratischer Vorherrschaft. Anders als in Hamburg, entstand das „Leitbild Köln 2020“ aus einem intensiven Diskussionsprozess mit der städtischen Bürgerschaft. Ein langer Stadtdialog, mit verschiedenen Formen der Bürgerbeteiligung und mit einem Bürgerentscheid, ging in Hannover der umstrittenen EXPO 2000 voraus. Die dafür entwickelten Leitbilder „Stadt als sozialer Lebensraum, Stadt als Garten, Stadt als Festraum“ sowie der Stadtdialog, dienten vor allem dazu, für dieses Großereignis in der Bevölkerung Unterstützung und eine Abstimmungsmehrheit zu erreichen, was, wenn auch knapp, gelang. Stuttgart nutzte ganz aktuell die Teilnahme am Wettbewerb des BMBF „Stadt 2030“, um durch ein regionales Kompetenznetzwerk einen langfristig angelegten Entwicklungsprozess einzuleiten. Neben dem dabei entwickelten sozialpolitischen Leitbild „Dynamik – Integration – Ausgleich“, ist es das Ziel dieses Prozesses, durch wissenschaftliche und bürgerschaftliche Diskussionen, Konzepte und Strategien für die Zukunft der Stadtregion zu entwickeln. Die Stadt Leipzig entwickelte ebenfalls im Rahmen des Wettbewerbs „Stadt 2030“ das städtebauliche Leitbild der „perforierten Stadt“. Entworfen werden Szenarien des Wachstums und der Schrumpfung, wobei erstmals das Phänomen schrumpfender Städte als (realistische) Zukunftsperspektive thematisiert wird. In Berlin wurde die Stadtentwicklung seit 1989 durch verschiedene räumliche, teilräumliche und sektorale Leitbilder charakterisiert (z.B. „Labor der Einheit“, „Ost-West-Drehscheibe“, „Stadt des Wissens“), die parallel nebeneinander jedoch kaum eine orientierende Wirkung erzielten. Die Orientierungs-, Motivations- und Kommunikationsfunktionen der vorhandenen Leitbilder sollen nun durch das Konzept „Stadt 2030“ stadtplanerisch optimiert werden. Die Stadt Dortmund verweist mit dem Begriff „Das neue Dortmund“ auf seine bisherigen Modernisierungserfolge im langandauernden Prozess des Strukturwandels und bezeichnet sich gern als „Das Herz von Westfalen“. Die Stadt Essen unterstreicht neben anderen Besonderheiten vor allem seine Funktion als „Messestadt“. Duisburg betont vor allem seine Standortqualitäten als „Logistik- und Werkstoffzentrum am Rhein“. Die Großstadt Nürnberg stellt ihre einzigartige Altstadt in den Mittelpunkt und formuliert aus diesem Blickwinkel „Einheit von Tradition und Moderne“ als städtisches Leitbild. Die Freie Hansestadt Bremen entwickelte ebenfalls im Wettbewerb „Stadt 2030“ ein integratives, übergeordnetes Leitbild für „eine zeitgerechte Stadt“.
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Die Entwicklung von Leitbildern ist in vielen der 15 untersuchten Großstädte an die Erstellung von neuen Konzepten zur Stadtentwicklung gekoppelt, nicht jedoch in allen. Ein interessanter Prozess wird derzeit in Dortmund abgeschlossen. Mit der Aufstellung eines neuen Flächennutzungsplanes war die parallele Bearbeitung von 12 integrierten, teilräumlichen Konzepten zur Stadtbezirksentwicklung (InSEKt) sowie von mehreren thematischen Masterplänen verbunden. In diesen Prozess waren die Fachöffentlichkeit, die politischen Vertretungen und die Bürger der jeweiligen Stadtbezirke eingebunden. Damit wurde die besonders ausgeprägte, polyzentrische Siedlungsstruktur von Dortmund berücksichtigt. Diese dezentrale Bezirksorientierung wird außerdem durch ein Projekt „Stadtbezirksmarketing“ unterstützt, das die lokale Identität stärken und Bürgerengagement fördern soll. Die Bundeshauptstadt Berlin reagiert mit ihrem 2004 beschlossenen Stadtentwicklungskonzept Berlin 2030 auf die verflogene Euphorie der unmittelbaren Nachwendezeit: auf eine geringe Wirtschaftsdynamik und eine massiv angespannte Haushaltslage, eine stagnierende, statt wachsende Bevölkerung bei gleichzeitig massiven Veränderungen im Altersaufbau sowie auf Wohnungsleerstand statt Wohnungsknappheit. Damit werden zentrale Wachstumserwartungen zurückgenommen, die noch dem räumlichen Strukturkonzept aus dem Jahr 1992 und dem Flächennutzungsplan von 1994 zugrunde lagen. Bereits vor dem Inkrafttreten dieses Flächennutzungsplanes waren bedeutsame Großprojekte für die Berliner Stadtentwicklung beschlossen worden. Die Planungsgrundlage in den turbulenten 90er Jahren beruhte auf einem Bausteinkonzept, dass den projektorientierten Ansatz fortführte („Planung durch Projekte“), mit dem die IBA-Berlin gestaltet wurde. Ein Gesamtkonzept gab es in dieser Zeit nicht. Angesichts der veränderten und enormen Herausforderungen soll nun ein Konsens zu Leitlinien für die langfristige, strategische Stadtentwicklungsplanung erarbeitet werden. Dazu sollen Aufgabenbereiche identifiziert werden, in denen (noch) strategische Steuerungsmöglichkeiten vorhanden sind. Als zukünftige Steuerungsinstrumente der Berliner Stadtentwicklung gelten: das Management einzelner Stadtentwicklungsprozesse zu verbessern; Moderations- und Kommunikationsprozesse zu stärken, da nicht der Konsens auf dem Papier, sondern in den Köpfen notwendig sei; neue und schärfere Prioritäten zu setzen; neue Kooperationen zu suchen sowie den Wettbewerb fördern. Insgesamt soll auf den zunehmenden Ökonomisierungsdruck, der nicht allein, aber in besonderem Maße durch die Finanzkrise der Stadt verursacht werde, mit einer Konzentration auf Pflichtaufgaben und Prioritäten reagiert werden. Am Beispiel der Stadtentwicklungskonzepte in der Freien und Hansestadt Hamburg von 1996 bis heute, lässt sich eine Schwerpunktverlagerung feststellen. Eine interdisziplinär zusammengesetzte Projektgruppe der Stadtentwick-
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lungsbehörde (STEB) hatte 1996 die bisherigen Siedlungsentwicklung Hamburgs umfangreich analysiert und sektorale Szenarien zu den Politikfeldern „Stadtökonomie“, „Stadtgesellschaft“ und „Stadtökologie“ erarbeitet. Aufgrund der zunehmenden Komplexität der Stadtentwicklung wurde jedoch kein umfassendes Konzept erarbeitet, sondern eine strategische Planung „die Ziele formuliert, Spielräume aufzeigt und thematisch wie räumlich Schwerpunkte setzt (STEB 1996, S. 30). Darauf aufbauend wurde zum einen das Szenario „Expansion“ abgeleitet: es stellt die Ökonomie sowie die Stadt als europäische Metropole in den Mittelpunkt und zielte auf verstärkte Stadterweiterungen, die durch ökologische und soziale Ausgleichsmaßnahmen begleitet werden sollten; das zweite Szenario „Integration“ gab dem Stadtumbau Vorrang vor der Stadterweiterung und zielte auf eine sozial-ökologische Ausrichtung. Das Begleitgutachten im Auftrag der Senatskanzlei „Metropole Hamburg – Wachsende Stadt“ aus dem Jahr 2003 knüpfte an das Szenario „Expansion“ an. Dazu wird versucht, erfolgreiche Ansätze aus anderen europäischen Großstädten für die Weiterentwicklung der Hamburger Stadtentwicklung nutzbar zu machen. Als zentrale Ziele werden Wachstumsstrategien auf der Grundlage verschiedener Formen von Clusteransätzen formuliert sowie Bedingungen ihrer regionalen Implementation und Einbettung in übergreifende wirtschafts- und wohnungspolitische Strategien. Dazu sei pro-aktives Engagement und die effektive Nutzung der städtischen Steuerungspotentiale notwendig. Damit Visionen, wie die wachsende Stadt geteilt und getragen werden, müsse eine breite Diskussion von Leitbildern gewährleistet sein. Akteure und Institutionen, die wichtige wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Ressourcen kontrollieren, müssten an der Entwicklung von stadtentwicklungspolitischen Visionen und Planungen beteiligt werden. In den Mittelpunkt rückt ein Verständnis von „urban governance“, das Offenheit und Transparenz, wissenschaftlich-kulturelle Internationalität und innovativ-effiziente Wirtschaftsformen als zentrale Bezugspunkte urbaner Qualität betont. Für die Umsetzung der Vision einer wachsenden Metropole Hamburg seien vier Politikfelder zentral: Wohnungspolitik, Wirtschaftpolitik, innerstädtisches Flächenmanagement, mit dem Leitbild der Nutzungsmischung, sowie die genannten pro-aktiven Governance-Strukturen. Die Landeshauptstadt München stellt ihr Stadtentwicklungskonzept „Perspektive München“ in eine lange Tradition von Stadtentwicklungsplänen (1963, 1975 und 1983). Mit dem neuen Konzept „Perspektive München“ aus dem Jahr 1998 will sie einen flexiblen Orientierungsrahmen für die weitere Entwicklung der Stadt schaffen. Stärker als zuvor sei das neue Stadtentwicklungskonzept umsetzungs- und handlungsorientiert, ziele auf die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger sowie auf eine enge Kooperation mit Kammern, Verbänden, Gewerkschaften, Kirchen, Institutionen und Vereinen. Mit der „Perspektive Mün-
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chen“ sei Planung zum Prozess geworden. Bereits 1995 stellte die Landeshauptstadt München Konzeptentwürfe zu vier Themenschwerpunkten öffentlich vor: Wirtschaft, Soziales sowie räumliche und regionale Entwicklung. In den folgenden zwei Jahren wurde in etwa 70 Veranstaltungen mit unterschiedlichen Zielgruppen über diese Zukunftskonzepte diskutiert. Daraus wurden folgende Leitlinien abgeleitet: qualifizierte Innenentwicklung, stadtverträgliche Mobilität, Flächenmanagement auf städtischer und regionaler Ebene, Stadtteilentwicklung als Stadtteilmanagement sowie die Sicherung und Entwicklung von Freiflächen. Mit der Bewilligung des Stadtwicklungskonzeptes 1998 wurde gleichzeitig seine Fortschreibung beschlossen sowie die Entwicklung von Leitlinien. Derzeit liegen folgende, neuformulierte Leitlinien dem Rat der Stadt München zur Beschlussfassung vor (2004): Leitlinie „Ökologie“, Leitlinie „Neue Medien“, Leitlinie „Kultur in München“ sowie die Leitlinie „Sicherung des Freizeitwertes der Stadt München“. Insgesamt versucht München seine Stadtentwicklungsplanung nicht allein auf dynamisches, wirtschaftliches Wachstum zu gründen. Entwickelt wird ein umfassendes, integratives Konzept mit vielfältigen Schwerpunkten, in dessen Zentrum eine Stadtkultur des konflikthaften Dialogs steht. Die beiden rheinischen Großstädte Düsseldorf und Köln haben in den letzten Jahren keine neuen, umfassenden Stadtentwicklungspläne entworfen. In Düsseldorf wurden vor allem Flächennutzungspläne erarbeitet und mit sektoralen und teilräumigen Planungskonzepten flankiert. Im Mittelpunkt standen insbesondere Großprojekte, die mit privaten Investoren abgewickelt wurden sowie bürgerorientierte Planungen in Form von Planungswerkstätten. In Köln dominierte ebenfalls sektorale und teilräumige Planungskonzepte sowie eine kaum zu überschauende Anzahl von größeren und kleineren Projekten (Fruhner 2003). Aktuell hat das Stadtplanungsamt ein umfangreiches Konzept zur Wohnungsentwicklung beschlossen und versucht durch möglichst hochwertige architektonische Entwürfe, dass Stadtbild aufzuwerten. Nach dem aufwendigen, integrierten Planungskonzept für die EXPO 2000 hatte die Landeshauptstadt Hannover ein Handlungsprogramm zur Stadtentwicklung 2001-2005 vorgelegt. Dem folgte aktuell das Handlungskonzept „Hannover plusZehn – Arbeiten für eine junge und innovative Stadt“. In zehn Handlungsschwerpunkten werden Ziele und Maßnahmen der zukünftigen Stadtentwicklung konkretisiert. b) Strategien der Einwohnerbindung In Kapitel 4 wurde bereits deutlich, dass die untersuchten Großstädte seit Mitte der 90er Jahre fast durchgängig keine Einwohner mehr in ihren Kernstädten gewinnen. Zum ersten mal seit dem Mittelalter würden die deutschen Städte nicht mehr wachsen (Venturi 1996). Als wenig später die Debatte um die demo-
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graphische Alterung einsetzte, gaben alle Untersuchungsstädte längerfristige Bevölkerungsprognosen in Auftrag und debattieren bis heute die Auswirkungen dieser Entwicklungen. Noch intensiver als zuvor beobachten sie die Einwohnerzahlen und die Bevölkerungsstrukturen in der jeweiligen Großstadt (Alter, Geschlecht, ethnische Zusammensetzung, soziale Merkmale). Je nach dem Grad der Betroffenheit in den einzelnen Großstädten reagieren die einzelnen Großstädte mit verschiedenen Strategien zur Einwohnerbindung. Das gilt vor allem für die insgesamt „schrumpfenden“ Großstädte im Osten Deutschlands (Leipzig, Dresden, Berlin), zum Teil auch für die Ruhrgebietsstädte (Duisburg, Essen und Dortmund). Sie sehen sich aufgrund rückläufiger Einwohnerzahlen und verstärkter Alterungstendenzen unter besonderem Handlungsdruck. Essen gilt als die am schnellsten schrumpfende westdeutsche Großstadt. 1962 lebten hier 752.000 Menschen, heute sind es noch 599.000. Für das Jahr 2015 rechnet die Stadtveraltung mit 546.000 Einwohnern, das Statistische Landesamt Nordrhein-Westfalen prognostiziert lediglich 525.000. Eine Untersuchung zu den Ursachen der rückläufigen Einwohnerzahlen aus dem Jahr 1999 zeigte, dass diese zu zwei Drittel durch Wanderungsverluste erfolgten, zu einem Drittel durch Sterbefallüberschüsse. Gleichzeitig verblieben jedoch rund die Hälfte der Wegziehenden in der Region Essen. Diese Ergebnisse nahm der Rat der Stadt im Jahr 2000 zum Anlass, die Umkehr der Abwanderungstrends und Maßnahmen gegen die weitere Alterung der Bevölkerung zum strategischen Ziel vor allen anderen Politikbereichen zu erklären . Unter dem Motto „kinderfreundliche Großstadt“ wurden Familien mit Kindern zur wichtigsten Zielgruppe erklärt. Um dieses Ziel zu erreichen, verfolgt die Stadt Essen eine Strategie, die mehrere Politikfelder umfasst: ein Kinderbüro soll darüber wachen, das die Stadt ihrem eigenen Anspruch gerecht wird; jedes Amt muss angeben, welchen Anteil die Kinderfreundlichkeit an beschlossenen Maßnahmen einnimmt; und es werden in größerem Umfang als bisher Wohnflächen für Einfamilienhäuser ausgewiesen und durch Finanzzuschüsse aus einem kommunalen Wohnungsbauförderprogramm unterstützt. Als Ziel gilt es mindestens 2000 neue Wohneinheiten pro Jahr bereitzustellen. Da Essen keine städtische Wohnungsbaugesellschaft besitzt und sich nur wenige geeignete Flächen in öffentlicher Hand befinden, ist die Realisierung schwierig. Wie Essen gilt auch Duisburg als „schrumpfende Stadt“, die besonders seit Mitte der 1990er Jahre überdurchschnittlich viele Einwohner verliert. In Duisburg begann bereits Anfang der 1980er Jahre die Diskussion über den kontinuierlichen Einwohnerrückgang. Unter dem Leitbild der „Einwohnerförderung“ hatte die Stadt bereits damals mehrere Baugebiete für Einfamilienhäuser ausgewiesen. Die plötzlich wieder ansteigende Zuwanderung nach dem Mauerfall
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drängte die wirtschafts- und beschäftigungspolitischen Ursachen der Abwanderung für einige Jahre in den Hintergrund. Ein verwaltungsinterner Workshop nahm dann im Jahr 2001 das Thema „Stabilisierung der Einwohnerzahl“ wieder auf und legte die folgenden Maßnahmen zum Beschluss vor: Bauland soll günstig angeboten werden und insbesondere Familien sollen verbesserte Kindergärten und Schulen vorfinden; Immobilien und Bauflächen sollen öffentlich besser vermarktet werden; für spezifische großstädtische Zielgruppen (jüngere Senioren, Berufstätige ohne Kinder) sollen attraktive Angebote wie „Wohnen am Wasser“ (Duisburg Innenhafen) oder „Wohnen am Wald“ entstehen. Auch in Dortmund ging die Zahl der Einwohner von 658.000 (1965) auf 588.000 (2003) zurück, stieg in den letzten drei Jahren aber wieder leicht an. Bis 2015 prognostiziert die Stadtveraltung wie auch das Statistische Landesamt Nordrhein-Westfalen lediglich einen geringfügigen Bevölkerungsverlust auf etwa 586.000, sodass man sich in Dortmund als konsolidiert betrachtet. Dennoch will die Stadt Dortmund den Abwanderungstrends „ins Grüne“ durch eine verstärkte Planung von attraktiven Standorten innerhalb des Stadtgebietes auffangen. Vorgesehen sind hochwertige Miet- und Eigentumswohnungen in innerstädtischen Lagen sowie Einfamilienhäuser am Rande von Ortsteilen, die durch neue Grünverbindungen und Parkanlagen aufgewertet werden sollen (Flächennutzungsplan Dortmund 2004: 50). Für diese Zwecke verfügt Dortmund über viele geeignete, innerstädtische Brachflächen und konkrete Projekte. Besondere Hoffnungen sind mit dem Gebiet Phoenix West und Ost verbunden, wo auf einer 110 ha großen ehemaligen Industriebrache ein Stadtsee entsteht. Um die imposante Landmarke eines stillgelegten Hochofens herum, soll ein moderner Standort für Gewerbe, Dienstleistungen, Kultur und Wohnen entstehen mit bis zu 10.000 Arbeitsplätzen. In der Stadt Leipzig sank die Einwohnerzahl von 584.000 (1970) auf 438.000 (2000). Allein seit dem Mauerfall 1989 verließen 100.000 Menschen die Stadt. Anfang der 1990er Jahre galt Leipzig dennoch als „Boomtown“, mit einem von Wachstumserwartungen getragenen enormen Stadtumbau- und Investitionsprogramm. Die Folge war eine erhebliche Aufwertung des Stadtbildes und der City sowie eine moderne bauliche Hülle in einigen bevorzugten Stadtteilen. Nach dem Boom wurde deutlich, das annähernd 60.000 Wohnungen leer stehen, wie auch 800.000 Quadratmeter Büro- und Gewerbeflächen. Schnell erlangte Leipzig nun den zweifelhaften Ruf, ein besonders krasses Beispiel für extrem schrumpfe Städte in Ostdeutschland zu sein. Neben der Abwanderung in die alten Bundesländer beruhte der Bevölkerungsverlust in Leipzig vor allem auf einem enormen Suburbanisierungsschub, dem die Stadt durch Eingemeindungen begegnete. Durch ihre fast verdoppelte Fläche erhöhte sich die Einwohnerzahl wieder auf knapp 500.000 und ist derzeit relativ stabil. Dazu tragen
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aktuell geburtenstarke Jahrgänge aus den 1970er Jahren bei, die jetzt Haushalte gründen. Mittel- und vor allem langfristig rechnet man in Leipzig jedoch mit einer sinkenden Zahl an Haushalten und Einwohnern. Die Verantwortlichen von Stadtpolitik und Stadtplanung reagieren auf diese Entwicklungen mit einer Prioritätenverschiebung. Es soll zukünftig weniger als bisher in Neubauten und in die Altbausanierung investiert werden, sondern in eine Strategie der Eigenheimförderung innerhalb der Kernstadt (Leipzig 2030: 6). Dazu verfügt die Stadt über vielfältige Brach- und Abrissflächen, nicht jedoch über die notwendigen öffentlichen Fördermittel. Angesichts der Alternativlosigkeit zu einem drastischen Sparkurs würden mehr frei einsetzbare Fördermittel benötigt, um diese Prioritäten durchsetzen zu können. Denn Leipzig möchte die erste „familienfreundliche Stadt“ werden. Dazu denken die Verantwortlichen über kostenfreie Betreuungseinrichtungen für Kinder nach und die Schaffung eines „Familienquartiers“. Eine andere Situation herrscht in Großstädten wie Hamburg, Köln oder Hannover. Hier sind die Bevölkerungszahlen insgesamt relativ stabil, in Hamburg stiegen sie sogar während der 90er Jahre. Die Strategien der Einwohnerbindung sind in diesen Großstädten weniger auf die quantitative Entwicklung gerichtet. Im Mittelpunkt stehen qualitative Auswirkungen durch die demographische Alterung und das wachsende Wohlstandsgefälle zwischen materiell benachteiligten Quartieren in den Kernstädten und wohlhabenden Gemeinden im Umland. Mögliche Strategien zur Einwohnerbindung in Großstädten werden im Begleitgutachten „Metropole Hamburg – wachsende Stadt“ erörtert. Als Orientierung dient für die innerstädtischen Gebiete das Leitbild der „kompakten Stadt“ mit nutzungsgemischten Quartieren. Als Leitbild für die Umlandgemeinden oder die „Zwischenstadt“ werden aufgelockerte Gebiete mit einer Funktionstrennung zwischen Wohnen und Gewerbe favorisiert. Insgesamt lasse sich das Ziel einer wachsenden Großstadt nur durch aktive Wohnungsbaupolitik in der Kernstadt, wie auch in den Randgebieten erreichen. „Wünschenswert wäre eine präventive Wohnungsbaupolitik“ (Begleitgutachten 2003: 112), die mit Maßnahmen anderer Politikbereiche verknüpft wird (Verkehr, Soziales, Grün- und Freiflächen). Eine solche Wohnungsbaupolitik müsse sich an den vielfältigen Wohnvorstellungen ganz unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen orientieren: für (potentielle) Suburbanisierer, Starter, Reurbanisierer, transnationale Eliten und Migranten; in Bezug auf Architektur, Gestaltung und Angebote des Wohnumfeldes sowie hinsichtlich unterschiedlicher Einkommen, Haushaltsformen, Lebensstile und Lebensphasen. Das Thema Wohnen solle insgesamt eine zentrale Rolle bei der Formulierung von städtischen Visionen und Leitbildern erhalten. Durch innovative Klein- und Großprojekte sollen sie Hamburgs Vorzüge als
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Wohnstandort innerhalb und außerhalb der Stadt darstellen. Eine Leitfunktion soll in Hamburg der Ausbau der sogenannten „Hafen-City“ übernehmen. Eine Strategie der aktiven Wohnungsbaupolitik zur Einwohnerbindung wird auch in Hannover verfolgt. Ein Anstoß dazu ergab sich bereits durch die Planungen für die EXPO 2000. In direkter Nachbarschaft zum EXPO-Gelände wurde ein neuer Stadtteil mit gemischten Nutzungen und orientiert am ökologisch Durchsetzbaren für 6.000 Bewohner errichtet. Als Nebeneffekt dieser zusätzlichen Wohneinheiten (Sozial- und Mietwohnungen sowie Eigenheime) stellte sich auf dem bereits entspannten Wohnungsmarkt Ende der 90er Jahre ein sozialverträgliches Mietniveau ein. Derzeit wird in Hannover versucht, den Nachholbedarf an neuen, innerstädtischen Einfamilienhausgebieten auszugleichen (Bau des „Gilde-Carrés“), und wie auch in anderen Großstädten, eine „Wasserstadt“ auf einer ehemaligen innerstädtischen Industriebrache zu realisieren. Die Stadt Köln hat 2003 einen neuen Wohnungsgesamtplan verabschiedet, um ebenfalls mit einer Angebotsoffensive auf die demographischen Entwicklungen, auf veränderte Wanderungsmotive und Wanderungsbewegungen sowie auf die Belebung ihrer Wirtschaft und ihres Arbeitsmarktes zu reagieren. Die besondere Herausforderung in Köln wird darin gesehen, mittelfristig noch Wachstum gegen den Trend zu organisieren (etwa bis 2010) und sich gleichzeitig auf Schrumpfungstendenzen danach vorzubereiten (Wohnungsgesamtplan 2003: 5). Deshalb sei der Neubau von 57.500 Wohneinheiten bis 2015 erforderlich, auch wenn an anderer Stelle, bereits Leerstände und Vermarktungsprobleme in schlechten Lagen und in wenig attraktiven Siedlungen bestehen. Als ein zukünftiger Schlüsselbereich wird auch in Köln der Einfamilienhausbau betrachtet. Durch die schrumpfenden Bestände an Sozialwohnungen und durch einen weiteren Abbau der Wohnungsbauförderung, entstehe außerdem eine „neue soziale Wohnungsfrage“ (ebenda: 15). Um diesen beiden Herausforderung begegnen zu können, müsse die Stadt alles tun, damit die Grundstücksund Objektpreise spürbar sinken und ein entspannter und preisgünstiger Mietwohnungsbau entstehe. Dies könnte durch „Sickereffekte“ auch die neue soziale Wohnungsfrage entschärfen. Zwiespältige Erfahrungen mit Konzepten zur Einwohnerbindung werden in München gemacht. Seit den 70er Jahren steigen die Einwohnerzahlen kaum noch, bei einer gleichzeitigen starken Suburbanisierung. Schon seit Jahren gibt es nur noch geringe private Wohnungsbautätigkeiten, da die Grundstückspreise in der Kernstadt sehr hoch sind und die Renditeerwartungen eher gering. Um drohenden Standortnachteilen zu begegnen, und vor allem um Familien mit Kindern das Wohnen in der Kernstadt durch günstigen Mietwohnungsbau weiterhin zu ermöglichen, hat München nach 1989 und 1994 erneut ein wohnungs-
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politisches Handlungsprogramm aufgelegt (Wohnen in München / WIM III). Stand in der Vergangenheit vor allem die Förderung im Eigentumsbereich im Mittelpunkt, soll nun der Mietwohnungsbau mit kommunalen Mitteln in Höhe von 50 Mio. Euro öffentlich gefördert werden. Insgesamt sollen pro Jahr 7.000 Wohnungen durch Neubau entstehen, 1.800 Wohnungen pro Jahr im öffentlich geförderten Wohnungsbau. Als besondere Zielgruppe gelten Haushalte, die über der Sozialwohnungsberechtigung liegen, und dennoch Schwierigkeiten auf dem (teuren) Wohnungsmarkt haben. Zur Unterstützung dieser Politik wurde ein „Münchner Bündnis für Wohnungsbau“ beim Oberbürgermeister angesiedelt, um Bürgerbegehren gegen Wohnungsbauprojekte, wie in der Vergangenheit häufiger passiert, präventiv abwehren zu können. c) Standortpolitik: Hochhäuser als Symbole der Modernisierung In Deutschland sind moderne Bürohochhäuser innerhalb der historischen oder modernisierten Innenstadtbereiche noch immer eine Ausnahme. Der Sonderweg der Stadt Frankfurt am Main, wo viele Hochhäuser dicht in der City zusammengedrängt ein „Hochhauscluster“ und eine „Skyline“ bilden, hat bisher noch in keiner deutschen Großstadt Nachahmer gefunden. Schon die Planung und erst recht der Bau von Hochhäusern löst hier zu Lande stets heftige, emotional geführte Debatten aus. Seit in den 20er Jahren in den USA der städtebauliche Wettlauf um die höchsten Bürogebäude begann, wurde auch in Deutschland, vor allem in Phasen beschleunigter Modernisierung, die „Hochhausfrage“ diskutiert (Rodenstein 2000: 11). Schnell wurde deutlich, dass die amerikanischen Wolkenkratzer von vielen Fachleuten in Europa als Symbole eines hemmungslosen Kapitalismus kritisiert wurden. Ihre übertriebene Größe, die durch ihren Bau ausgelöste Erhöhung der innerstädtischen Bodenwerte und die sich daraus ergebende Zusammenballung von immer mehr Wolkenkratzern zu sogenannten „Hochhaus-clustern“ würde die Gestalt der europäischen Stadt sprengen. Um sich vor einem solchen „Amerikanismus“ zu schützen, sollten in Deutschland die Gestalter die Vormacht gegenüber den Investoren erhalten und eine „Kultivierung“ des Hochhausbaus durchsetzen (Strommer, Mayer-Gürr 1990: 12, Rodenstein 2004: 304 f.). Diese Haltung gegenüber Hochhäusern entsprach außerdem der wirtschaftlichen Situation in Deutschland nach dem ersten Weltkrieg. Es gab damals kaum Investoren, die über die notwendigen Finanzmittel für den Bau eines Wolkenkratzers verfügten. Das deutsche Hochhaus ist seitdem ein freistehendes, hohes Gebäude an einer Straßenecke, an einer Brücke oder an einem Platz. Es soll diesen Orten als Dominante eine ästhetische Wirkung sowie symbolisch Bedeutung verleihen. Da es sich zumeist lediglich um ein einzelnes Grundstück handelt, auf dem
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Ausnahmsweise höher gebaut werden darf, konnten bodenpreissteigernde Effekte meistens vermieden werden. Nach dem Fall der innerdeutschen Grenze und den dadurch entstehenden neuen Perspektiven für in vereintes Deutschland entbrannte erneut eine kontroverse Hochhausdebatte. Auslöser waren vielfältige Wünsche in Berlin, der Hauptstadtrolle entsprechend, neue Hochhäuser zu bauen. Aber auch ein neuer Hochhausentwicklungsplan in Frankfurt am Main (1999) förderte diese Diskussion ebenso wie das verstärkte Auftreten von Bürohochhaus-Investoren in einigen deutschen Großstädten. Hier wird die These vertreten, dass sich in den Auseinandersetzungen um die „Hochhausfrage“ nicht allein die unterschiedlichen Planungskulturen in den einzelnen Großstädten widerspiegeln (Rodenstein 2000: 14). Der Umgang mit und die Relevanz von Hochhäusern wirft auch ein Schlaglicht auf die historisch spezifischen Haltungen und Vorstellungen großstädtischer Tradition und Modernisierung In zugespitzter Form werden in den jeweiligen Hochhausdebatten die Konfliktlinien zwischen den Bewohnern, den Investoren, den Politikern und Stadtplanern sowie den Architekten sichtbar. Dies macht die Diskussionen über Hochhäuser für eine Analyse großstädtischer Modernisierungsstrategien besonders interessant. Trotz der besonderen Situation in jeder einzelnen untersuchten Großstadt können auf der Grundlage des Forschungsstandes und unserer Befunde drei Muster unterschieden werden: x Strategien, die das historische Stadtbild als Identitätskern bewahren wollen und moderne Bürohochhäuser lediglich außerhalb des Zentrums zulassen (München, Hamburg, Stuttgart). x Ambivalente Strategien, die dominante Einzelhochhäuser oder kleine „Cluster“ stadtgestalterisch einsetzen: zum Teil direkt in der Stadtmitte oder relativ nah am Stadtzentrum (Berlin, Düsseldorf, Köln, Essen, Leipzig und Dresden). x Der Sonderweg der Stadt Frankfurt, wo eine Konzentration von Büroflächen in Hochhäusern direkt im Stadtzentrum betreiben wurde und wird, was zu einer „Clusterbildung“ und der in Deutschland einzigartigen „Skyline“ geführt hat. (1) Strategien, die das historische Stadtbild und die Stadtsilhouette als Identitätskern bewahren wollen und als notwendig erachtete moderne Bürohochhäuser als Einzelgebäude oder kleine „Cluster“ außerhalb des Zentrums zulassen (München, Hamburg, Stuttgart). Die politisch-administrative Steuerung der Hochhausentwicklung geht in München von einem öffentlichen Interesse an der Erhaltung des traditionellen Stadtbildes aus. Dieses wurde nach dem zweiten Weltkrieg rekonstruiert, da
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Eingriffe in die bestehenden Eigentumsverhältnisse außerordentlich erschwert waren. Zum Leitbild wurde in München auch nicht das „Neue Bauen“, wie es viele „Modernisten“ damals forderten. In den folgenden Jahrzehnten bestimmte eine pragmatische Mischung aus Traditionellem und Fortschrittlichem die Stadtentwicklung. Am Stadtrand entstanden in den 50er Jahren durchaus Wohnsiedlungen im Stile des „Neuen Bauens“ mit bis zu 19 Geschossen, und bis Ende der 70er Jahre auch „maßvolle Bürohochhäuser“ (Hoffmann 2000: 198). Typisch für die grundsätzliche Haltung in München ist das im Stadtentwicklungsplan von 1975 formulierte Leitbild einer „Stadt im Gleichgewicht“. Als Grundsatz wurde dort die Qualität der historischen Stadtbereiche betont, „die Werte darstellen, die nicht ersetzbar sind und keinesfalls dem sogenannten Fortschritt geopfert werden dürfen“ (Stadtentwicklungsplan 1975, II-8). Das steigende Interesse von Bürohochhaus-Investoren führte 1977 und 1995 zu Hochhausstudien, in denen „Schutzzonen“ ausgewiesen wurden sowie Gebiete, die sich mittel- und langfristig zu einer Nachverdichtung eignen würden (Strake 1996: 9). Hochhäuser werden darin lediglich als eine Möglichkeit neben anderen betrachtet, um städtische Teilräume zu verdichten. Das bedeutet nicht, das eine solche Verdichtung angestrebt würde, sie wird aber auch nicht ausgeschlossen. Diese zurückhaltende und doch flexible Haltung gegenüber Hochhäusern gilt bis heute als weitgehender Konsens in der Fachwelt, bei den Bürgern und in den Gremien des Stadtrats (Hoffmann 2000: 206). Von 1982 bis heute wurden in München so gut wie keine echten Hochhäuser mehr gebaut. Interessant an der Münchner Entwicklung ist der Befund, das der fast zum Erliegen gekommene Bau von neuen Bürohochhäusern seit Anfang der 80er sich nicht mit einem Nachfragemangel nach Büroflächen begründen lässt. München nimmt heute den ersten Platz bei den Versicherungen ein und den zweiten Platz bei den Banken. Gleichzeitig ist die Stadt der Verwaltungssitz von vielen großen Unternehmen der Industrie, der Informations- und Kommunikationsbranche sowie der Medien und der Werbung. Von diesen Unternehmen geht ein starker Nachfragedruck nach Büroflächen aus, wodurch auch in München die Bodenpreise in ähnliche Höhen gestiegen sind wie in Frankfurt. Dennoch entstanden nicht vermehrt Hochhäuser, um die teuren Grundstücke effektiver ausnutzen zu können. Durch seine große Zahl von repräsentativen, historischen Bauten bietet München Alternativen zu Hochhäusern, durch die Unternehmen ihre Bedürfnisse nach Prestige oder nach Image-Pflege erfüllen können. Selbst die angeblich so hochhausbegeisterten Finanzdienstleister ordnen sich in das Münchner Stadtbild ein. Dennoch erlebte München im Jahr 2004 die wohl spektakulärste Hochhausdebatte der jüngeren deutschen Vergangenheit. Ausgelöst wurde diese intensive öffentliche Kontroverse durch die Planung eines 208 Meter hohen Hochhauses („Uptown München“), dass einige Kilometer entfernt vom historischen Zentrum
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erreichte wurde und am Ende, von Amts wegen, auf 146 Meter reduziert werden musste. Öffentlichkeitswirksam wurde diese Hochhausdebatte vor allem, weil sich gegen die Haltung aller politischen Parteien eine Initiative organisierte („Unser München“). Sie setzte durch einen Bürgerentscheid eine generelle Höhenbeschränkung für Gebäude auf 100 Meter durch (Höhe der Münchner Frauenkirche), auch außerhalb des mittleren Rings. Bei einer Wahlbeteiligung von 22% stimmten 50,8% für die strikte Höhenbegrenzung und gegen zwei Hochhausprojekte in der geplanten Form (Siemensstadtteil und Hochhaus der Süddeutschen Zeitung). Für die Hamburger Innenstadt galt in der Vergangenheit und prinzipiell bis heute, dass die Hauptkirchen die Stadtsilhouette prägen. Hochhäuser oder Hochhaussiedlungen wie die frühe Wohnsiedlung am Grindelberg im Stil des „Neuen Bauens“ (1953) oder die „Geschäftsstadt Hamburg-Nord“ (1974) wurden nur aufgrund ihrer dezentralen Lage als verträglich betrachtet (Stadtentwicklungskonzept 1996: 43). Durch die Errichtung der „Geschäftstadt Hamburg-Nord“, wurde in Zeiten der Dienstleistungsexpansion großen Hamburger Unternehmen „Spielraum im Grünen“ verschafft und „Unterwanderungsprozesse“ in den citynahen Wohngebieten verhindert (Schubert 2000: 242). In der inneren Stadt kam es in Hamburg lediglich durch die Bebauung der Ost-WestStraße zum Bau vereinzelter Bürohochhäuser mit „moderaten Höhen“. Zu Beginn der 90er Jahre entstand wiederum zur Entlastung der Innenstadt die „CitySüd“. Dieses Viertel für „Kaufleute und Kreative“ prägen bis zu achtgeschossige Kontorhäuser und moderne, gläserne Bürohochhäuser. Bis heute hat der planerische Konsens in Hamburg Bestand, dass spektakuläre Wolkenkratzerprojekte zu vermeiden sind. In den letzten Jahren lasse sich jedoch eine schleichende Anhebung der Geschosszahlen bei vielen Neubauten auch in der inneren Stadt beobachten (Schubert 2000: 251). Die Dominanz der Stadtkirchen werde durch neuere Gebäudekomplexe mehr und mehr angetastet. Auch das zentrale Hamburger Zukunftsprojekt der Stadtentwicklung, die „HafenCity“, sehe einzelne Hochhäuser vor. Sie sollen allerdings nicht an die Speicherstadt und die Innere Stadt angrenzend entstehen, sondern nahe der Elbbrücken, am Rand des Planungsgebietes. Als dieser Konsens in Hamburg für kurze Zeit durch den Stadtbausenator nach einer USA-Reise in Frage gestellt wurde, sprach der Hamburger Oberbürgermeister ein Machtwort. Auch zukünftig dürften lediglich am Rand der „HafenCity“, nahe der Elbbrücken, Hochhäuser entstehen. In Stuttgart fiel, ähnlich wie in München, schon 1948 eine entscheidende Weichenstellung in der Stadtentwicklungsplanung. Angeknüpft wurde an die lokale Traditionen der europäischen Stadt und ein Projekt mit sieben Hochhäusern im Stile der Corbusier´schen Stadt abgelehnt. Obwohl die technische Abtei-
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lung der Stadtverwaltung mit diesem frühen Hochhausprojekt zunächst einverstanden war, ließ es sich gegen den Druck der Stuttgarter Öffentlichkeit nicht durchsetzen. Wie in vielen anderen deutschen Großstädten auch, entstanden die ersten Hochhäuser als Wohnhochhäuser. Ab den 60er Jahren wurden einige wenige Bürohäuser des tertiären Sektors gebaut, wie z. B. die beiden Scheibenhochhäuser der Universität Stuttgart. Alle weiteren Bürohochhäuser überschritten nicht den „Stuttgarter Maßstab“, der bei einer durchschnittlichen Höhe von 50 Metern, maximal bei 60 Metern liegt (Reuter 2000: 220). Dies war unter anderem auch deshalb möglich, weil es in den siebziger und achtziger Jahren in Stuttgart kaum nennenswerte Nachfragen nach Hochhäusern gab. Mit dem Mauerfall 1989 flammte in Stuttgart eine heftige Hochhausdebatte auf. Faktisch wurde die verfügbare Fläche im engen Stuttgarter Talkessel tatsächlich immer geringer, die Sogkraft des Zentrums gleichzeitig immer größer. „Wenn Europa komme, brauche Stuttgart neue Spielräume und müsse einen eigenen Weg finden zwischen München und Frankfurt“ (Humpert 1989). Der damalige Regierungspräsident favorisierte mehrere 200-Meter-Hochhäuser im Zentrum von Stuttgart, um der Welt ein Signal ihres Zukunftswillens zu geben. Die Kritiker von neuen Hochhäusern im Zentrum sahen lediglich Spielraum für 60 bis 90 Meter Höhe, aber außerhalb der Innenstadt. Obwohl noch im gleichen Jahr die Landesgirokasse und die Landesentwicklungsgesellschaft Hochhausprojekte präsentierten, die von Star-Architekten ausgeführt werden sollten, wurden diese nicht realisiert. In den folgenden Jahren wurden lediglich einige Hochhäuser von geringerer Höhe außerhalb der Innenstadt gebaut. Die hitzige Hochhausdebatte war außerdem der Anstoß 1991 ein Gutachten zur Hochhausentwicklung zu vergeben. Der Gutachter kam darin zu dem Schluss, dass Stuttgart Identität aus der im Talkessel liegenden Masse der City ziehe, die „eher gesichert als verändert werden sollte“ (Strake 1992: 57). Stuttgart sei nicht darauf angewiesen, etwa in Konkurrenz zu anderen europäischen Großstädten, sein Image durch übersteigerte bauliche Gesten zu verändern. Es sollten Gestaltungsprinzipien festgelegt werden, mit dem Ziel, einen Stuttgarter Hochhaustyp zu formulieren, der Integration statt Gestaltegoismus sucht. Bei der Gestaltung sollte ein übergeordnetes öffentliches Interesse gewahrt werden. Diese restriktiven Bestimmungen für den Stuttgarter Talkessel wurden weitgehend in den neuen Flächennutzungsplan 2010 aufgenommen, für den 1999 der Feststellungsbeschluss gefasst wurde. Gesonderte Aussagen wurden für das Projekt „Stuttgart 21“ formuliert. Die Stadt strebt Urbanität durch Dichte an, die Deutsche Bahn AG bevorzugt renditeträchtige Nutzungen, die Investoren locken und möglichst teuer zu verkaufen sind. Dabei spielt auch die Möglichkeit, Hochhaus-Standorte anzubieten eine Rolle (Reuter 2000: 226). Neben der Höhenbegrenzung auf 60
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Meter setzte die Stadt auch das Prinzip „schlanker Türme“ durch, dass eine geringere Rentabilität nach sich zieht. (2) Ein zweites Muster lässt sich Großstädten erkennen, die ambivalente, schwankende Strategien verfolgen. Dominante Einzelhochhäuser oder kleine „Cluster“ werden stadtgestalterisch eingesetzt, zum Teil selbst direkt in der Stadtmitte oder doch nahe des Stadtzentrums (Berlin, Düsseldorf, Köln, Essen, Leipzig und Dresden). In Berlin begann der Hochhausbau nach dem zweiten Weltkrieg, wie auch in anderen deutschen Städten, durch die Errichtung von Wohnhochhäusern. In den 50er Jahren entstand ein Punkthochhaus in der Ernst-Reuter-Siedlung und später im neuen Hansaviertel gleich eine ganze Reihe von völlig unwirtschaftlichen Wohnhochhäusern (Bodenschatz 2000: 123). Das erste 18-geschossige Bürohochhaus in Berlin wurde ebenfalls nicht für ein privates Unternehmen errichtet, sondern für die Berliner Senatsverwaltung (1955). Damit begann eine für Berlin bis heute typische Entwicklung, das politisch gewollte Hochhaus. In der Hauptstadt der DDR und in West-Berlin wurden viele Wohnhochhäuser gebaut, die privatwirtschaftlich nicht rentabel waren. Sie wurden im Rahmen des sozialen bzw. staatlichen Wohnungsbau bezahlt und dienten demonstrativen politischen Zielen. Diese Entwicklung schien sich nach dem Fall der Mauer 1989 und dem Hauptstadtbeschluss 1991 grundsätzlich zu ändern. Die politisch Verantwortlichen in Berlin rechneten damals mit völlig überzogenen Wachstumserwartungen und sahen die Stadt als ein „Boomtown“, die in wenigen Jahren zu London und Paris aufschließen würde. Die völlig überschätzte Büroraumnachfrage mobilisierte immerhin zahlreiche Immobilieninvestoren, denen vielfältigste Brachflächen direkt in der City angeboten werden konnten. Es kam zu umfangreichen Hochhausplanungen, insbesondere am Potsdamer Platz und am Alexanderplatz. Das verbindende der Hochhausplanungen in den frühen 90er Jahren war ihre Gigantomanie mit dem scheinbar der Hauptstadt- und Metropolenanspruch unterstrichen werden sollte. 1992 relativierte sich bereits die Wachstumseuphorie und Kritiker bezeichneten „Hochhäuser, Wolkenkratzer gar, als dem Aussterben geweihte Dinosaurier der Architektur“ (Jaeger 1992). In den Debatten um die Gestaltung des Potsdamer Platzes erreichte dann bereits das Leitbild der „europäischen Stadt“ nach und nach mehr Gewicht. Lediglich am Alexanderplatz wurden die Planungen für ein „Hochhauscluster“ bis zum Planungsrecht vorbereitet. Als 1993 die Olympiabewerbung fehlschlug und nach der Berliner Wahl des Jahres 1995 das Sparen zum wichtigsten Ziel wurde, war die Berliner Hochhauseuphorie fürs erste ökonomisch „gezügelt“ (Bodenschatz 2000: 135 f.). Die Überproduktion von Büros, Einzelhandelsflächen, Hotels und Mittelschichtwohnungen ließ die vielen auf dem Papier existieren-
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den Hochhäuser als überflüssig erscheinen. Dennoch gibt es in Berlin noch immer Landespolitiker, die sich mit Hochhäusern ein Denkmal setzen und Prosperität simulieren wollen. Bei der Errichtung der neuen Hauptstadtgebäude des Bundes waren Hochhäuser dagegen kein Thema. In Düsseldorf war es zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts bereits gelungen, die Entwicklung von einer Industriestadt zur Ausstellungs- und Kongressstadt sowie zur Verwaltungsstadt zu wenden. Durch die Ansiedlung von Verwaltungen der Konzerne und Verbände wurde Düsseldorf zum „Schreibtisch des Ruhrgebietes“ (Schmidt 2000: 138). Bereits 1924 entstand an der heutigen Heinrich-Heine-Allee mit 56 Metern Höhe das erste Bürohochhaus in Westdeutschland. Diese Tradition wurde auch nach dem zweiten Weltkrieg fortgesetzt. Dem Neuordnungsplan für Düsseldorf lag das Modell einer verkehrsgerechten, funktional geordneten Stadt zugrunde und das Ziel, „den Stadtkörper durch hohe Bauten zu gliedern, um das Stadtbild fassbarer und anschaulicher zu machen, (...), was in besonderem Maße für das Regierungszentrum von Nordrhein-Westfalen gilt“ (Schmidt 2000: 141). Die Hochhäuser sollten jedoch kein Produkt von Zufall und Investorenwünschen sein, sondern dem Gestaltungswillen der Planer entspringen. Sie sollten keine Verdichtung der Stadt bewirken und dadurch auch keine Bodenspekulation auslösen. Der Aufbau der neuen Landesregierung wirkte sich als Schubkraft für die wirtschaftliche Entwicklung Düsseldorfs aus. 1958 wurde das 88 Meter hohe Mannesmann-Hochhaus am Rheinufer fertig, 1960 das 95 Meter hohe Thyssenhaus und 1964 die 72 Meter hohe Stadtsparkasse. Alle drei Gebäude wurden bewusst als Symbole des wirtschaftlichen Aufstiegs an planerisch wichtig erscheinende Punkte gesetzt. Schon seit den 80er Jahren vertraten zentrale Akteure der Stadtentwicklung, dass die Verwaltung als Dienstleistungsorganisation die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt nicht behindern dürfe, sondern fördern müsse. Es folgte eine Machtverschiebung weg von der lenkenden Planung hin zur Erfüllung von Investorenwünschen. Das wurde erstmals augenfällig, als die VictoriaVersicherung einen 109 Meter hohen Turm bauen wollte. Nach Ansicht der Planer lag dieses Hochhaus zu dicht am Rhein und auch am Hofgarten. Die Victoria-Versicherung war bereit, einen Grundstückspreis zu bezahlen, mit dessen Hilfe eine neue Stadthalle finanziert werden konnte und zwei weitere Hallen saniert wurden. Als 1994 16 weitere Hochhausprojekte in der planerischen Diskussion waren, wurde ein Plan zur Bauhöhenbeschränkung in der Innenstadt erstellt. Dieses Konzept wurde im Ausschuss für Planung und Stadtentwicklung jedoch weder diskutiert noch beschlossen, da sich die Politiker für einzelne Entscheidungen Freiräume offen halten wollten. In den 90er Jahren waren die Düsseldorfer Planungsdezernenten außerdem gleichfalls für die Wirt-
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schaftsförderung zuständig. Aber auch insgesamt waren die politischen Entscheidungsstrukturen unüberschaubarer geworden. Durch die Einrichtung der Bezirksvertretungen pochte die Bürgerschaft teilweise auf Nachbarschaftsrechte und wurde dabei zum Teil von Umweltverbänden unterstützt. So verloren die Fachplaner innerhalb der Stadtverwaltung an Bedeutung. In Düsseldorf werden Hochhäuser gewollt, wenn sie an der ´richtigen´ Stelle stehen und eine angemessene Qualität aufweisen. In den letzten Jahren entstanden insbesondere im Umnutzungsbereich des Industriehafens mehrere „maßvolle Hochhäuser“. Aktuell (2004) verfügt Düsseldorf über 29 Hochhäuser von denen das ARAGHochhaus mit 125 Metern das höchste ist. Die Hochhäuser sind zumeist relativ dispers über die Innenstadt verteilt und lediglich in den Bereichen des Hafens, am Kennedydamm und im Mörsenbroicher Ei bilden sich räumliche Schwerpunkte. Im Untersuchungszeitraum kam es in Düsseldorf aber zu einem wachsenden Investorendruck, um weitere Hochhäuser zu bauen. Öffentlich bekannt sind derzeit 15 Hochhäuser mit bis zu 140 Metern Höhe, die entweder schon über Baurecht verfügen, sich in der Vorplanung befinden oder als Bauabsicht vorliegen. In dieser Situation hat sich die Stadtpolitik 2004 doch entschlossen 2004 einen Rahmenplan zur Hochhausentwicklung vorzulegen. Darin werden Stadtgebiete ausgewiesen in denen (a) überhaupt keine Hochhäuser entstehen sollen (historische Stadtkerne, Wohngebiete); (b) Hochhäuser mit einer Höhenbeschränkung möglich sind (City) sowie ohne besondere Einschränkungen Hochhäuser errichtet werden können. Die weit überwiegende Zahl der Hochhausprojekte soll in einem geregelten Verfahren auf seine jeweilige Standortverträglichkeit geprüft werden. Dazu hat das Stadtplanungsamt ein Prüfkatalog entwickelt (Landeshauptstadt Düsseldorf 2004). In Köln ereignete sich 1925 der erste Hochhausstreit, weil der Entwurf eines Hochhauses die historische, linksrheinische Altstadtsilhouette beeinträchtigt hätte. „Damals wie heute ging es nicht darum, den kostbaren Stadtboden intensiver zu nutzen oder bestimmten Nutzungen einen Raum zu geben. Es bestand der Wunsch nach einem mächtigen Symbol für die Bedeutung einer Stadt und ihrer Wirtschaftskraft“ (Precht von Taboritzki 2000: 154) . Die Entwürfe blieben jedoch Visionen, da kein Konsens zu erzielen war. Es folgten Hochhausdebatten in den 70er und 90er Jahren, die derzeit wieder von neuem beginnen. Der Wiederaufbau von Köln erfolgte ab 1946 auf der Grundlage des historischen Stadtgrundrisses, jedoch mit einer modernen Architektursprache. Unter dem maßgeblichen Einfluss der Denkmalpflege wurde die Rheinvorstadt mit schmalen Baukörpern und Spitzdächern rekonstruiert. 1959 wurde das Polizeipräsidium als erstes Bürohochhaus von 141 Metern Höhe errichtet. In den 60er und frühen 70er Jahren entstanden nach dem Motto „Urbanität durch Verdichtung“ neue Hochhausbauten an Verflechtungspunkten
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des öffentlichen Nahverkehrs. Damit ergab sich eine Maßstabsveränderung in der historischen Stadt, wenn auch mit einer gewissen Beschränkung der Höhe der modernen Bauten. Hochhäuser sollten nicht als Monumente verstanden werden, sondern als Ergebnis vernünftiger Verdichtung. Das Prinzip vom verdichteten „Wohnen am Strom“ galt gleichzeitig für Verwaltungshochhäuser, die an unterschiedlichen Standorten entstanden. Die vereinzelte Anordnung von Hochhäusern entlang der Ringe und Radialen gilt als wenig geglückter Versuch, Köln eine neue Struktur zu geben. In den 90er Jahren begann wie in fast allen Großstädten in Deutschland so auch in Köln eine neue Hochhausdebatte. Als die Absichten von Konzernen und Banken durchsickerten, das eventuell Hochhäuser in unmittelbarer Nähe des Domes gebaut werden sollten, wurde der Ruf nach einem Hochhauskonzept für Köln laut. Politik und Architektenverbände wollten nicht hochhausfeindlich sein, die Hochhausentwickelung jedoch sinnvoll gelenkt wissen. Dies sei in der Vergangenheit nicht der Fall gewesen, sondern durch Zufälligkeiten und rein wirtschaftliche Interessen geprägt. Generell sollte die linke Rheinseite im Bereich der historischen Altstadt ausgespart bleiben. Als dies durch eine Aussage des Oberbürgermeisters in Frage gestellt schien, entbrannte die Hochhausdebatte in Köln vehement. Ein Jahr später wurde dann festgesellt, dass in Köln die Hochhausinvestoren derzeit nicht Schlange stehen. Als die Verwaltung ein Negativkatalog vorlegte, wurde ihr unterstellt, sie wolle alle Hochhausplanungen im Keim ersticken. Tatsächlich hatte sie Hochhäuser nur in Deutz für sinnvoll gehalten, wo eine Konzentration angestrebt werde. Inzwischen war aus der Unverträglichkeits- eine Verträglichkeitsstudie geworden, die in der Presse wie folgt kommentiert wurde: „Kölns Manhattan soll nach Deutz“. Geplant sind Hochhäuser von 100 bis 120 Meter Höhe. Hier im rechtsrheinischen Deutz bestehe die einmalige Chance, die östliche Seite von Köln zukunftsorientiert um das bereits entstehende Euroforum und die Kölnarena zu entwickeln. Ein Beschluss fasste der Stadtentwicklungsausschuss nicht, weil die Vorschläge nicht der Meinung des Rates entsprächen. Eine erneute Phase hitziger Hochhausdebatten ist in Köln entbrannt, als bekannt wurde, der Kölner Dom könnte von der Liste des Weltkulturerbes der UNESCO gestrichen werden. Kritisiert wurden die Pläne, dass durch neue Hochhäuser im rechtsrheinischen Deutz zentrale Sichtachsen auf das historische Wahrzeichen der Stadt Köln versperrt werden könnten. Seitdem sind in Köln die Auseinandersetzung über den Sinn von Hochhäusern zwischen Bürgern, dem Oberbürgermeister und Stadtplanern nicht zur Ruhe gekommen. Am Beispiel der sächsischen Landeshauptstadt Dresden lassen sich die enormen planerischen und städtebaulichen Rekonstruktionsleitungen in vielen Städten der früheren DDR besonders deutlich erkennen. Spezifisch an der Entwicklung der Innenstadt von Dresden ist, dass seit 1990 weniger eine Stadtrepa-
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ratur oder ein Stadtumbau begonnen hat, sondern eine „Stadtneuausformung“ (Just 2003: 9). Es ist diese Neuausformung des Stadtzentrums und nicht so sehr die Hochhausfrage, die in verdichteter Form das Modernisierungsverständnis der Dresdner Akteure verdeutlicht. Die damit einhergehenden Planungen und Bautätigkeiten können als Reaktion auf die besondere Unzufriedenheit mit der Innenstadtentwicklung bis 1989 interpretiert werden. Beeinflusst wurden sie durch unzählige öffentliche Debatten und Streitigkeiten zwischen Politik, Verwaltung, Investoren und Bewohnern. Betrachtet man diese Konflikte als notwendige öffentliche und demokratische Streitkultur, dann haben sie zur stadtkulturellen Selbstvergewisserung und zur politischen Neuorientierung in Dresden erheblich beigetragen. Bei allen unterschiedlichen und zum Teil auch gegensätzlichen Positionen herrschte weitgehende Übereinstimmung darin, die bisherige Entwicklung der Innenstadt grundlegend zu korrigieren. Dies wurde aufgrund der spezifischen baulichen Strukturen und einem enormen Investitionsvolumen75 auch möglich. Vor dem zweiten Weltkrieg war Dresden durch sein besonders anmutiges Stadt- und Landschaftsbild berühmt, dass sich in der verbreiteten Bezeichnung als „Elbflorenz“ widerspiegelt. Umso schmerzlicher wurde die fast vollständige Zerstörung der historischen Stadt durch die Bombardierung der Alliierten und den folgenden Feuersturm am 13. Februar 1945 empfunden. Der Neuaufbau der zerstörten und entrümpelten Altstand erfolgte zu DDR-Zeiten nach den Prinzipen der Funktionstrennung als offene, moderne Stadt. Die Innenstadt wurde weitgehend als Wohngebiet gestaltet, mit freistehenden Gebäudekomplexen, Plattenbauten sowie einigen kulturellen und administrativen Einrichtungen. Dazwischen blieben weite Areale unbebaut, sodass die großen Frei- und Grünflächen den Eindruck einer Vorstadtsiedlung vermittelten. Seit 1989 inspirierten diese weitläufigen und unbebauten Flächen vielfältige Phantasien, Bauwünsche und Planungen gegen die „große innerstädtische Leere“ (Walter, Friedrichs 2003: 17). Manche der älteren Dresdner Bürger träumten davon, ihr „Elbflorenz“ nach 50 Jahren wieder auferstehen zu sehen. Vertreter der ehemaligen DDR-Elite wollten wenigstens die qualitätsvolle Vorzeigearchitektur der 50er Jahre bewahrt wissen. Und viele Jüngere sowie finanzkräftige Investoren favorisierten ein völlig neues Stadtzentrum mit Symbolen modernster Bautechnologie und Architektur. Die Dresdner Stadtplaner bekannten sich seit Anfang der 90er Jahre zur ideellen, kulturellen und kommerziellen Bedeutung einer identifikationsstiften-
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Neben Berlin wurde in Dresden zwischen 1990 und 1998 (dem letzen Jahr der Abschreibungsmöglichkeiten) das größte Bauvolumen in Deutschland bewegt.
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den Stadtmitte in der Tradition der kompakten, europäischen Stadt76. Bewusst wollte man den gleichzeitig verlaufenden Auszehrungsprozessen der Kernstadt entgegensteuern: angesichts der aufgelockerten und zum Teil sogar aufgelösten stadträumlichen Strukturen in der Innenstadt; angesichts der enormen Suburbanisierung von Wohnen und Gewerbe und nicht zu letzt angesichts aller Auflösungstheorien des Städtischen. Konkret begann die Neuausformung der Innenstadt entlang der zum Teil noch ablesbaren alten Parzellenstruktur. Es werden architektonisch und stadtgeschichtlich bedeutsame Leitbauten wiederaufgebaut (z.B. die Frauenkirche), aber auch Gebäude in moderner Architektursprache. Sie sollen den weiteren Neubauten das Maß und die Qualität vorgeben. Dieser Planungsansatz zielt darauf, die räumliche Dimension der ehemaligen Plätze, Straßen und Gassen wieder sichtbar zu machen. Von einem derart neu ausgeformten, verdichteten und nutzungsgemischten Stadtorganismus erhoffen sich die Planer und viele Bürger, dass ein neues Stadtgeflecht und urbanes Leben entsteht (Just 2003: 11). Der vorgesehene Wiederaufbau zerstörter, historischer Gebäude, wird dabei nicht als baulicher Sündenfall betrachtet, wie es unter einigen Denkmalpflegern und Architekten verbreitet ist. Denn abgeschlossene Historie werde nicht lediglich wiederholt, sondern Neues so gestaltet, dass sich die Stadtgeschichte fortsetzen könne. Ob dieser Planungsansatz als „fortschrittlich im tiefsten Sinne des Wortes“ (Dieckmann 2003: 11) bezeichnet werden kann oder aber als traditionalistisch bzw. nostalgisch, ist vor allem außerhalb der sächsischen Landeshauptstadt heftig umstritten. Die pauschale und provokante Frage: „Dresden, barock in die Zukunft“, versuchen die örtlichen Stadtplaner durch zwei Argumentationslinie zu relativieren: x Vordringlich sei der „Heilungsbedarf“ (Just 2003: 9) und die „Wundenheilung“ (Sack 2003: 29) dieser besonders malträtierten Stadt. Dieses Bedürfnis dürfe nicht als Stadtgeschichtsnostalgie missverstanden werden, sondern als Sorgfaltspflicht der Stadtplaner den Bewohnern gegenüber. Denn die Dresdner würden nach Resten eines verständlichen und erkennbaren Stadtbildes suchen. x Dresden werde vor allem mit seinen barocken Bauwerken und Gärten identifiziert, die als harmonisches Gesamtkunstwerk erhalten und weiter entwi-
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Die Leitlinie des Stadtplanungsamtes im „Ratgeber Bauen, Wohnen, Finanzieren“ lautete 2002: „die künftigen Schwerpunkte der Stadtentwicklung orientieren sich am städtebaulichstrukturellen Leitbild der europäischen Stadt, d.h. der Zielstellung einer kompakten, urbanen Stadt, mit einer attraktiven, funktional und städtebaulich aufgewerteten Stadtmitte“ (zitiert nach Guratsch 2003: 59). Dieses Leitbild greife die unter dem Dach der „Nachhaltigkeit“ vereinigten Grundwerte einer möglichen Zukunft des Städtischen auf: „das Ideal von der ökologischen und umweltverträglichen, von der solidarischen und sozialverträglichen Stadt“ (Walter, Friedrich 2003: 17).
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ckelt werden. Neben diesen offenen Baustrukturen aus der barocken Tradition als Residenzstadt und Hauptstadt des Königreiches Sachsens, existieren weitere historische Schichtungen: weitläufige Gründerzeitquartiere sowie offene, funktionsgetrennte Gebieten der modernen Stadt. Angesichts dieser unterschiedlichen Innenstadtteile könne die kompakte, europäische Stadt und das „Blockrezept“ (Blockrandbebauung) nicht als alleiniges, alles umfassendes Leitbild dienen (Kil 2003: 102). Tatsächlich wird lediglich auf einem Viertel der Innenstadtfläche die historisch inspirierte Stadtneuausformung im Sinne der kompakten, europäischen Stadt praktiziert, was 3% der gesamten Stadtfläche Dresdens entspricht (Just 2003: 10). Auch zukünftig werden mindestens zwei Entwicklungslinien die Innenstadt von Dresden prägen: die historisch gewachsene und rekonstruierte (harmonische) Altstadt sowie die moderne Innenstadt der Brüche und Fragmente (Walter, Friedrich 2003: 17). Als eine ähnlich große Herausforderung wie die Neuausformung der Innenstadt, wird in Dresden die Rettung der weitläufigen, gründerzeitlichen Wohnquartiere betrachtet. Mit Hilfe der Finanzmittel aus den Förderprogrammen der Bundesund der Landesregierung wurden bisher zwei Drittel der vom Verfall bedrohten Gründerzeitquartiere erneuert. Im „bauhistorisch Alten“ sei das „neue, das junge Dresden“ entstanden (Guratsch 2003: 59). Vor allem junge Menschen (viele Studenten) entfalten in den Gründerzeitvierteln ein intensives, urbanes Leben der Geselligkeit, des Austausches und der Familien- bzw. Firmengründung. Verbreitet ist eine vielfältige Mischnutzung aus neuen Gewerbehöfen, Einzelhandel, Handwerk und Wohnen. Nach Ansicht einiger Planer haben sich die Gründerzeitquartiere gegenüber den modernen „Weltverbesserungskonstrukten“ des 20. Jahrhunderts als wirtschaftlich, ökologisch und sozial tragfähiger sowie nachhaltiger erwiesen77 (Guratsch 2003: 59). Auch diese Entwicklung habe dazu beigetragen, dass Teile der aktiven Dresdner Bürgerschaft glauben, dass baulich Ältere sei das bessere Neue. Aufgrund solcher Erfahrungen würden viele Dresdner die Rekonstruktion der untergegangenen Altbauten oder ganzer Altbauquartiere fordern. Dies sei weder „anachronistisch“ oder „gestrig“, sondern entspreche den realen bauhistorischen und begrifflichen Umkehrungen: die frühere Altstadt ist bauhistorisch eine Stadt der Moderne, die jetzt teilweise wieder im alten Stil neu errichtet wird, mit modernster Bautechnologie. Hingegen besteht die sogenannte Dresdner Neustadt 77
Dies lasse sich vor allem an der „Abstimmung mit dem Möbelwagen“ belegen. In Dresden habe sich die Bevölkerung der Plattenbauquartiere um 15-42% reduziert (bei 24 Mio. Euro an investierten Fördermitteln), die der Altbauquartiere sei im gleichen Zeitraum um 15% gestiegen (bei 126 Mio. Euro an investierten Fördermitteln).
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aus gründerzeitlichen Altbauquartieren, die durch ihre Sanierung und ihre junge Bewohnerschaft das neue Dresden repräsentieren. Diese Umkehrungen von Alt und Neu sowie Traditionell und Modern würden reale kulturelle Umbrüche widerspiegeln, von dessen Dimensionen und Folgen sich die städtische Gesellschaft noch kaum einen Begriff zu machen vermag (Guratsch 2003: 57). Denn mit diesen Umkehrungen sind weitreichende Umwertungen verbunden. Sie zeigen sich zum Beispiel an der relativen Abwertung vieler Plattenbausiedlungen (und deren Bewohnerschaft) und der gleichzeitigen Aufwertung der gründerzeitlichen Altbauquartiere. Denn noch zu DDR-Zeiten galten vor allem unter Arbeitern und Angestellten die nach und nach verfallenden Altbauquartiere als rückständig und unattraktiv. Aufgrund ihrer typischen Industriearbeitermentalität hätten viele DDR-Arbeiter und Angestellte technische Modernität und Funktionalität auch im Wohnbereich geschätzt, was zur Beliebtheit der Plattenbauten beigetragen habe (Göschel 2004: 5). Deshalb sei es selbst dort, wo Plattenbauten in größerem Umfang leer stehen „symbolisch und mental riskant, Teile dieser modernen Stadt abzureißen“ (Göschel 2004: 6). In Dresden erfolgte die Sanierung der Großsiedlungen aus den 70er und 80er Jahren, bis auf wenige vorbildliche Beispiele78, in Form einer Bestandssicherung und Instandsetzung. Trotz einer Reihe engagierter Einzelmaßnahmen und der weitgehenden Fertigstellung aller öffentlichen Räume (Straßen, Wege, Grünanlagen), gelang es den meisten großen Gesellschaften und Genossenschaften nicht79, bemerkenswerte wohnungspolitische oder städtebauliche Zeichen zur strukturellen Aufwertung ihrer Bestände zu setzten (Walter, Friedrich 2003: 24). (3) Die Stadtentwicklung in Frankfurt repräsentiert ein drittes Muster, einen Sonderweg zumindest in Deutschland. Denn allein in Frankfurt wurde und wird die „Clusterbildung“ von Hochhäusern direkt im Stadtzentrum ermöglicht, zeitweise auch aktiv gefördert. Einfache und scheinbar einleuchtende Erklärungen für diesen Sonderweg erweisen sich bei einer genaueren Analyse aber nicht als stichhaltig: weder sei die Fläche der Kernstadt zu klein, noch benötige ein bedeutender Finanzplatz wie Frankfurt zwangsläufig Hochhäuser (Rodenstein 2000: 12). Die häufig behauptete ökonomische Zwangsläufigkeit der Stadtentwicklung in die Höhe, in die „dritte Dimension“, lässt sich deshalb am Beispiel der Geschichte des Hochhausbaus in Frankfurt gut überprüfen. Vor dem zweiten Weltkrieg gab es in Frankfurt lediglich zwei sogenannte Bürohochhausbauten. Im Vergleich mit anderen deutschen Großstädten, gehörte 78
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Als vorbildliche Beispiele gelten in Dresden die Wohnanlagen am Wölfnitzer Rink, in der Hauptstraße, auf der Südhöhe und in der Johannstadt. Die lag unter anderem auch an den hinderlichen Altschuldenreglungen dieser Organisationen.
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das Hochhaus der Firma IG-Farben, indem sich heute die Universität befindet (33 Meter hoch) und das des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (31 Meter) nicht zu den höchsten Bürobauten in Deutschland. Letztere wurden in Hamburg (Chilehaus, 42 Meter), in Köln (Hochhaus am Hansaring, 65 Meter) und in Stuttgart errichtet (Turm des Stuttgarter Tagblatts, 61 Meter). Frankfurt war in der Weimarer Zeit vor allem eine Pilgerstätte für modernen Wohnungsbau (Erst May u.a.). An diese Tradition des neuen Bauens wurde nach 1945 sowohl personell, als auch gestalterisch angeknüpft. Dies zeigte sich schnell in den öffentlichen Diskussionen um den Wideraufbau, denn auch in Frankfurt war die mittelalterliche Altstadt fast völlig zerstört worden. Gegen den erbitterten Widerstand des „Bunds tätiger Altstadtfreunde“ wurden die Reste der historischen Innenstadt weitgehend abgetragen. Lediglich der Wiederaufbau der Paulskirche, als traditionsreiches Symbol für einen demokratischen Neuanfang, wurde im Jahr 1946 beschlossen sowie die Rekonstruktion der Stadtkirchen. Neben der Entscheidung Teile der Altstadt nicht wieder aufzubauen, wurde die „Hauptstadtfrage“ zur zweiten zentralen Weichenstellung für die Frankfurter Stadtentwicklung. Obwohl sich Hamburg in den Nachkriegsjahren zum größten Banken- und Börsenplatz in Deutschland entwickelte (vor München), wollte die amerikanische Militärregierung die Bank deutscher Länder in Frankfurt gründen. Dies geschah in der Erwartung, dass Frankfurt die neue Bundeshauptstadt werden würde. Diese Planungen widersprachen aber den Vorstellungen der britischen Militärregierung sowie einflussreichen deutschen Notenbankern. Sie favorisierten Hamburg, auch um der neuen Notenbank eine größere Unabhängigkeit gegenüber der Politik am künftigen Regierungssitz zu verschaffen (Holtfrerich 1999, 230-243). Obwohl 1948 die Gründung der Bank deutscher Länder in Frankfurt erfolgte, wurde 1949 Bonn die neue Bundeshauptstadt. Dieser Schock veranlasste die Verantwortlichen in Frankfurt, sich auf die Tradition als Handels-, Messe- und Bankenstadt zu konzentrieren. Die Wirtschaftsförderung wurde zum obersten Programmpunkt der Kommunalpolitik erhoben und Investorenfreundlichkeit zur Leitlinie der Frankfurter Stadtpolitik (Rodenstein 2000: 21). Gezielt bemühte sich die Frankfurter Wirtschaftsförderung in den Nachkriegsjahren um die ortsansässigen Unternehmen sowie um die Ansieldung von Betrieben (z.B. AEG) und Banken80, insbesondere aus Berlin und Ostdeutschland. 1949 wurde mit dem Neubau eines Arbeitsamtes das erste Hochhaus (40 Meter) nach dem zweiten Weltkrieg in Frankfurt fertig gestellt und weitere 80
Nach der Bank deutscher Länder erfolgte die Gründung der Kreditanstalt für Wideraufbau in Frankfurt, es folgten öffentlich-rechtliche Geldinstitute wie die Landwirtschaftliche Rentenbank, die Deutsche Genossenschaftskasse, die Deutsche Bau- und Bodenbank AG sowie private Banken vor allem aus Berlin.
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Hochhausprojekte eingereicht. Schon im gleichen Jahr beschäftigte sich der Magistrat mit der Genehmigung eines Hochhauses im „amerikanischen Stil“ und der Stadtbaurat sprach von einer „Hochhausseuche“. Für den Magistrat stellte sich die Frage, wie weit man Investoren und Architekten entgegenkommen könne, da man in Frankfurt durch Ausnahmegenehmigungen für maßvolle Hochhäuser schon weiter gegangen war, als in den anderen deutschen Städten. Um die sich abzeichnende Hochhausentwicklung steuern zu können, zu der man sich aufgrund der Nachfrage entschlossen hatte, verabschiedete der Magistrat 1948/49 Generalfluchtlinienpläne und lehnte das Projekt im „amerikanischen Stil“ ab. „Man könne Frankfurt nicht zu einem New York machen“ (zit. nach Rodenstein 2000: 23). Die Entwicklung amerikanischer Großstädte wie Chicago und New York erlangte aber besonders in Frankfurt, dem Zentrum der amerikanischen Militärregierung und der Army, eine faszinierende Vorbildfunktion. Trotz der städtischen Steuerungsversuche „schießt Frankfurt in die Höhe“ (Neue Zeitung, 6.12.51, S.8) und das Stadtplanungsamt fühlte sich überfahren. 1951 wurde das erste Hochhaus im Bankenviertel und das Junior Hochhaus am Kaiserplatz fertiggestellt (35 Meter), 1952 das Bayer Hochhaus am Anlagenring, 1953 das Degussa-Hochhaus und 1954 das Postfernmeldehochhaus (70 Meter). Insbesondere das Degussa-Hochhaus war bei seiner Fertigstellung weit höher als ursprünglich genehmigt. Dies konnte sich die finanzkräftige Wirtschaft in Frankfurt jedoch leisten. Mit der Drohung, in eine andere Stadt umzuziehen, zwang sie die Stadtverwaltung immer wieder höher hinauf bauen zu dürfen. Das 70 Meter hohe Postfernmeldehochhaus markiert in der Frankfurter Stadtentwicklung nicht allein einen Maßstabssprung in der Höhe, sondern auch politisch und gestalterisch eine Zäsur. Die Pläne der Post unterlagen nicht der Kontrolle der Frankfurter Baupolizei, sondern der staatlichen Postverwaltung. Also baute die Post wie sie wollte. Selbst die Auflage der Stadt, das angrenzende, kriegsbeschädigte Thurn- und Taxis-Palais in historischer Form zu rekonstruieren, wurde umgangen. Als die Post feststellte, dass es zu einer Verteuerung um ca. 100.000 Mark gekommen wäre, weil Kabelstränge um das schöne Rokoko-Palais herumgelegt werden mussten, stellte die Post die Stadt vor die Alternative: Abbruch des Palais oder Verzicht auf den Fernmeldeturm. Die Stadt stimmte dem Abbruch zu (Baretzko 1995: 30) und verlor eines seiner bedeutendsten Baudenkmäler. Als 1954 das Postmeldehochhaus errichtet war, wurde gleichzeitig das sogenannte Bienkorb-Hochhaus der Frankfurter Stadtparkasse fertiggestellt (43 Meter). Erstmals orientierte sich der Architekt bei der Gestaltung dieses Gebäudes an zeitgenössischen, damals modernen Bauformen amerikanischer Hochhäuser: dem 1952 gebauten „Lever House“ in New York. Seitdem wurden in Frankfurt immer wieder Hochhäuser auch nach „amerikani-
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schen“ Vorbildern errichtet. Und es gab seitdem immer wieder skrupellose Entscheidungen für den Abbruch historischer Bauwerke zugunsten moderner Gebäude oder von modernen Gebäuden, zum Beispiel aus den 70er Jahren, zugunsten ganz ´moderner´. 1953 erfolgten mit dem ersten Hochhausplan und einem Gestaltungsplan weitere städtische Steuerungsversuche. Im Sinne des modernen funktionalen Städtebaus81, sollten sogenannte Dominanten städtebauliche Akzente setzen. Auch in Frankfurt wurden dazu freistehende Hochhäusern an einigen wenigen, wichtigen Punkten der Stadt geplant. Tatsächlich wurde an den im ersten Hochhausplan vorgegebenen Standorten größtenteils gebaut, aber auch an nicht geplanten Standorten. So erlebte Frankfurt zwischen 1952 und 1956 seinen ersten Hochhausboom und das traditionelle Stadtbild, mit seinen wiedererrichteten Stadtkirchen (Kaiserdom, Paulskirche, Nikolaikirche), geriet zunehmend in Bedrängnis. Die Verantwortlichen der Stadt und Teile der Bevölkerung interpretierten den Hochhausboom jedoch überwiegend positiv, als Ausdruck einer überdurchschnittlichen Frankfurter Wirtschaftskraft. Die besondere Frankfurter Wirtschaftskraft wurde ab Mitte der 50er Jahre durch zentrale politische und wirtschaftliche Weichenstellungen unterstützt und weiter gestärkt. Zwei der drei wiedergegründeten Großbanken entschieden sich für Frankfurt als Hauptsitz, die Deutsche und die Dresdner Bank. Lediglich die Commerzbank siedelte sich in Düsseldorf an. Sie zentralisierte seit 1970 aber viele Aktivitäten in Frankfurt, wohin sie dann 1990 auch ihren Hauptsitz verlegte. Obwohl der erste Bundeskanzler, Konrad Adenauer, die neue Bundesnotenbank im Köln-Bonner Raum ansiedeln wollte, damit man dort die politische Atmosphäre mitempfinden könne, wurde Frankfurt 1957 zum vorläufigen Sitz der Bundesbank. Gleichzeitig überflügelte die Frankfurter Börse den Börseplatz in Düsseldorf und wurde zur Leitbörse der Bundesrepublik (Santifaller 1954: 85). Damit hatte Frankfurt endgültig seine Position als neues Zentrum von Finanzdienstleistungen in der Bundesrepublik gefestigt. Die räumliche Expansion der Finanzdienstleistungen, insbesondere die der Versicherungen, förderte in den 60er Jahren eine wachsende Nachfrage nach Büroflächen. Diese Nachfrage drängte in verschiedenen Großstädten zunehmend in die innenstadtnahen, bürgerlichen Wohnviertel. Ende der 60er Jahre entstanden erste Bürgerinitiativen gegen diese Umnutzung in München und Frankfurt. Lediglich in Frankfurt radikalisierte sich dieser Konflikt jedoch zu einem mehrjährigen Häuserkampf. Büroraum erwies sich nicht allein einträgli81
„Die Monotonie der gleich hohen Straßenwände wird nicht wiederkommen, und die Geschlossenheit der Straßen und Platzräume im Sinne des aus dem lateinischen Barock stammenden Stilerbes wird sich lockern zugunsten freier, raumkörperlicher Beziehungen der Baukuben“ (Frankfurter Neue Presse, 31.1.53, zit. nach Müller-Reamisch 1996: 50).
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cher als Wohnraum, sondern die Spekulation bezüglich neuer Bürohochhäuser heizte in Frankfurt diesen Konflikt zusätzlich an (Rodenstein 2000: 34). Während in München oder Hamburg Dezentralisierungskonzepte verfolg wurden, setzte die Stadt Frankfurt in diesem Konflikt auf eine Doppelstrategie. Zur Entlastung des Zentrums wurde die Bürostadt Niederrad mit weiteren Hochhausprojekten auf der ´grünen Wiese´ geplant. Gleichzeitig wurde trotz Bürgerprotesten im Zentrum eine Cityerweiterung in das durchgrünte Villenviertel „Westend“ hinein betrieben sowie eine Verdichtung durch Hochhäuser zum sogenannten neuen Bankenviertel. Die Folge war eine zweite Phase des Hochhausbaus. Den Beginn markierte das 1962 errichtete Zürich Hochhaus (65 Meter), direkt am Übergang des Westends zur City. Es war der erste sogenannte „Betonklotz“, dem in den 60er und 70er Jahren eine lange Reihe weiterer Hochhäuser in dieser Form folgten. Als durch den sogenannten Bankenplan von 1970 auch Höhenwerte von über 95 Metern zugelassen wurden (die Höhe des Doms), erfolgte auch in der Höhe ein Maßstabssprung: 1972 die Chase Manhattan-Bank, für die ein repräsentatives Gründerzeitgebäude abgerissen wurde (114 Meter), 1976 die Hessische Landesbank (127 Meter), 1977 die Bank für Gemeinwirtschaft, heute Eurotower (148 Meter) und 1980 die Dresdner Bank (166 Meter). Hatte die Frankfurter Stadtplanung anfangs die Hochhausentwicklung forciert und später durch immer neue Ausnahmegenehmigungen zumindest ermöglicht, war der Hochhausbau seit den 70er Jahren kaum noch zu stoppen (Rodenstein 2000: 41). Der Abriss von aus heutiger Sicht denkmalpflegerisch zu schützenden Villen und Palais´ oder von gründerzeitlichen Wohnhäusern sowie die rasch einsetzende Kritik am sogenannten „Beton-Brutalismus“ in dieser zweiten Phase der Hochhausentwicklung, veränderte die Haltung der Bevölkerung grundlegend. Insbesondere die Hochhaustürme der Banken wurden nun von vielen als Symbole für die Rücksichtslosigkeit und die Macht des Kapitals gegenüber den Interessen der Bewohner interpretiert. Diese Sichtweise wurde in den 70er Jahren immer verbreiteter, obwohl seit Mitte der 60er Jahre eine reformorientierte Kommunalpolitik den erwirtschafteten Wohlstand auf lokaler Ebene gerechter verteilen wollte. Die prosperierende Frankfurter Wirtschaft sollte durch hohe Gewerbesteuern82 mit zur Finanzierung einer modernen städtischen Infrastruktur für alle Bevölkerungsgruppen beitragen. Die umfangreichen öffentlichen Investitionen wurden aber auch durch eine weit überdurchschnittliche öffentliche Verschuldung ´erkauft´. Weil Frankfurt gegen Ende der 70er Jahre immer häufiger als „Krankfurt“ bezeichnet wurde, als eine moderne, häss82
1965 betrug der Hebesatz für die Gewerbesteuer in Frankfurt 275%, 1967 320% und 1973 400% (Rodenstein 2000: 42).
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liche, hochverschuldete und unfriedliche Stadt, sah sich die kommunale Politik zu einem veränderten Umgang mit der Baukultur veranlasst. Als zentrales Projekt wurde mit dem Wiederaufbau von Fachwerkhäusern auf dem Römerberg (Ostzeile) ein zentraler Raum zur Identifikation mit der (alten) Innenstadt für die Bürgerschaft geschaffen (1983). In die gleiche Richtung zielte die Rekonstruktion der alten Oper (1981) und die postmoderne Architektur am neuerrichteten Museumsufers: das deutsche Architektur-Museum und das Filmmuseum (beide 1985), das Museum für Kunsthandwerk (1986) und der Kulturschirn (1987). Unabhängig von diesem baukulturellen Richtungswechsel wurde die bisherige Frankfurter Strategie der Innenstadtentwicklung mit Hochhäusern in den 80er Jahren fortgesetzt und noch forciert. Bisher hatte die Stadt auf eine real vorhandene oder durch Spekulation erzeugte Nachfrage nach Bürohochhäusern durch Investoren lediglich reagiert. Der 1983 vorgelegte City-Leitplan war hingegen erstmals ein Angebotsplan, der Hochhausinvestoren ermutigen sollte (Rodenstein 2000: 49). Weil auch Wohngebiete im Westend (Mainzer Landstraße), im Gallusviertel und im Gutleutviertel als Cityerweiterungsgebiete ausgeschrieben wurden, waren Konflikte mit der dortigen Wohnbevölkerung vorprogrammiert. Gleichzeitig versuchten viele Hochhausinvestoren in dieser Phase das schlechte Image der vielen unansehnlichen „Hochhaus-Kisten“ durch ästhetisch anspruchsvollere Fassaden zu überwinden. Den Anfang machte bereits 1980 die Dresdner-Bank mit einer silbrigen Aluminiumfassade. Ihr folgten spiegelverglaste Türme wie bei der Deutschen Bank, bei der Citybank (beide 1984) und beim umgebauten Hochhaus am Grüneburgpark (1985). Ebenfalls 1985 entstand das Messe-Torhaus (1985). Es war weder ein „Betonklotz“ noch ein Spiegelglasturm, sondern gilt als erstes postmodernes Hochhaus in Frankfurt. Die beschriebenen Entwicklungen führten zur Ästhetisierung des Stadtbildes und zur verstärkten Imagebildung als starker Wirtschaftsstandort, symbolisiert durch eine weithin sichtbare Skyline. In Szene gesetzt wurde diese dritte Phase der Hochhausentwicklung von der Stadt Frankfurt selbst. Zur Aufwertung ihres Messestandortes entstand 1984 der Messeturm im Stil amerikanischer Wolkenkratzer der 20er Jahre. Mit 254 Metern war der Messeturm damals das höchste Hochhaus Europas. Zur Imageverbesserung der Hochhäuser in Frankfurt sollte auch die Öffnung zumindest der Untergeschosse für Stadtnutzer beitragen sowie eine Einbindung in städtische Nutzungszusammenhänge. Tatsächlich wurden viele bei der Erteilung von Baugenehmigungen getroffene Absprachen mit den ursprünglichen Investoren von den späteren Besitzern im Verlauf des Bauens wieder zurückgenommen (Rodenstein 2000: 52). Diese nicht zu
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realisierenden, bürgerfreundlichen Versprechungen der Stadt wurden so zum Sinnbild für ihre schwache Position gegenüber den Investoren. Diese Position der Schwäche verschärfte sich, als 1987 die Diskussion um den zukünftigen Standort einer europäischen Zentralbank einsetzte. Befürchtet wurde in der Frankfurter Öffentlichkeit wie in der kommunalen Politik, dass die neue Zentralbank an einem anderen europäischen Standort gegründet werden könnte und andere Banken dann aus Frankfurt abwandern würden. Als Reaktion auf dieses bedrohliche Szenarium versuchte man in Frankfurt, sich durch ständige Städtevergleiche und Imagekampagien gegenüber London, Paris, Amsterdam und Zürich als moderne „Metropole“ darzustellen. Dazu gehörten auch neue, spektakuläre Hochhäuser. Ein ähnlich bedrohliches Szenarium wiederholte sich 1989, als mit der deutschen Vereinigung und der Hauptstadtentscheidung für Berlin auch die Standortfrage der Bundesbank wieder akut wurde. Immer deutlicher zeigte sich sowohl die überdurchschnittliche Wirtschaftskraft Frankfurts aufgrund seiner Finanzdienstleistungen, aber auch die besondere Abhängigkeit von dieser Branche. In dieser Situation versuchte die Stadt seit Anfang der 90er Jahre wiederum eine Doppelstrategie. Neue Hochhäuser sollten nicht in Wohngebieten entstehen, um Konflikte mit der Bürgerschaft zu vermeiden. Gleichzeitig ermöglichte der Bankenplan von 1990 eine weitere Konzentration von Hochhäusern im Bankenzentrum83. Mit diesem Plan rückte die seit 1989 regierende Rot-GrüneKoalition erstmalig auch offiziell vom räumlichen Muster der Dominanten in der Stadtplanung ab. Seitdem setzt die Stadt auf das „amerikanische“ Muster der Zusammenballung von Hochhäusern auf engstem Raum im innerstädtischen Bankenviertel und auf die sich daraus entwickelnde Skyline. Das Argument für diese Strategie lautete, die angrenzenden Wohngebiete zu schützen. Die dazu vorgelegten Hochhausrahmenpläne verhinderten in den folgenden Jahren aber nicht, dass wiederum Ausnahmen vom Plan genehmigt wurden. Mit der Abkehr von der Dominante und der Hinwendung zum „Cluster“ und zur Skyline als städtebauliche Symbolik ging ein Perspektivwechsel einher (Rodenstein 2004: 310). Es werden nicht mehr in erster Linie die Stadtbewohner angesprochen, die mit dem Blick von unten nach oben die Hochhäuser in Sichtachsen als Dominanten wahrnehmen können. Angesprochen werden in erster Linie diejenigen, welche die Skyline aus der Ferne und von oben betrachten können. Das gilt als nicht unpassend für eine Großstadt, die mit ihrem Flughafen wirbt und deren Arbeitsplätze zu einem großen Teil von täglich einpendelnden Personen aus dem Umland eingenommen werden. 83
Seitdem entstanden weitere fünf neue Hochhäuser: das Japan-Center, die Commerzbank, der Main Tower der Landesbank Hessen und Thüringen sowie das Hochhaus der Frankfurter Sparkasse.
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Durch die forcierte Politik der Konzentration von Büroarbeitsplätzen in der City, hat sich in Frankfurt jedoch die spezifische räumliche und soziale Spaltung der Stadt vertieft. Frankfurt weist die höchste Erwerbsdichte aller deutschen Großstädte auf, aber die geringste Erwerbsbeteiligung Ortsansässiger (Bartelheimer 1997: 177-180). Ein überdurchschnittlich großer Anteil der Einwohner Frankfurts profitiert demnach nicht von der zentralen Strategie der Stadtentwicklung: der Konzentration von Büroarbeitsplätzen in Hochhäusern des Stadtzentrums. Die Stadt Frankfurt profitiert ihrerseits als Kommune zwar von den relativ hohen Gewerbsteuereinnahmen. Dem stehen jedoch extrem hohe Ausgaben für Sozialleistungen und städtische Infrastrukturen entgegen sowie erhebliche Verluste bei der Einkommenssteuer. Denn über 60% der in Frankfurt verdienten Löhne und Gehälter werden nicht in der Stadt, sondern im Umland versteuert. Trotzdem halten die Verantwortlichen in der Stadt, über alle Parteigrenzen hinweg, den Bau von weiteren Hochhäusern für unvermeidlich. Städtische Steuerungsversuche beschränken sich in erster Linie auf die Gestaltung ökologischer und sozialer Randbedingungen des Hochhausbaus. Seit sich im Jahr 1999 die Europäische Zentralbank tatsächlich in Frankfurt etabliert hat und dort ebenfalls ein neues Hochhaus plant, verfolgt die Stadt eine neue Variante in der Stadt- und Hochhausplanung. Selbst verfügt die Stadt kaum noch über Grundstücke in der City und außerdem fehlt es an öffentlichen Mitteln zur Modernisierung der städtischen Infrastrukturen (Rodenstein 2000: 60). Deshalb wird versucht, durch Hochhausbaurecht die Bodenwerte so zu steigern, dass sich durch den Verkauf teurer Hochhausgrundstücke neue Großprojekte der Bahn, der Messe, des Landes Hessen und der Universität finanzieren lassen. Der weitere Hochhausbau wird damit für Modernisierungen im Stadtzentrums scheinbar unausweichlich. Dieser Entwicklung steht mittlerweile ein wachsender Teil der Frankfurter Bevölkerung84 positiv gegenüber, anders als noch in den 70er Jahren. Sie haben nicht zuletzt durch die ansehnlichere ästhetische Gestaltung vor allem die neuen Hochhäuser akzeptiert und identifizieren sich mit der in Deutschland einzigartigen Skyline. Unterstützt wird diese Entwicklung durch vielfältige Aktivitäten in der Stadt zur Verbesserung des Images der Hochhäuser. Zum Beispiel die erste öffentlich zugängliche Aussichtsplattform und ein Restaurant auf 200 Metern Höhe im Main Tower, der seit dem Jahr 2000 eine der Touristenattraktionen in Frankfurt ist. 84
Den Hochhäusern stehen vor allem Jüngere, Männer und gebildete Personen positiv gegenüber, wogegen ältere Menschen, Frauen und weniger gebildete Personen zu ablehnenden Haltungen neigen. Stefan Schuberts (1999) interpretiert dieses Ergebnis mit der größeren Distanz der zuletzt genannten Gruppe gegenüber dem modernen, von Technik und hohen Mobilitätsanforderungen geprägten Berufsleben.
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Insgesamt betrachtet bilden die Hochhäuser aber weiterhin eine Welt für sich, die sozial und räumlich relativ abgegrenzt von der übrigen Innenstadt existiert. Anders als in New York, wo die Hochhäuser zu einer spezifischen Urbanität und Vielfalt beitragen, führte die Konzentration von immer mehr Arbeitsplätzen in den innerstädtischen Hochhäusern von Frankfurt zur Verödung von Teilen der City. Weil die Bodenwerte gerade in der Umgebung von Hochhäusern in spekulative Höhen steigen, fehlt es an bezahlbarem Raum für kleinteilige, vielfältige Nutzungen (Wohnungen, Geschäfte, Restaurants, Bars). Und weil es an attraktiven urbanen Orten in der Nähe der Hochhäuser mangelt, gibt es auch kaum gute Gründe, warum die vielen Einpendler nach Arbeitsschluss in der City verweilen sollten, ein Teufelskreis (Rodenstein 2000: 66). In Frankfurt wollten seit 1949 nicht allein viele Investoren Hochhäuser, sondern auch Stadtplaner und die Politik förderten oder ermöglichten zumindest anfangs maßvolle Hochhäuser. Besonders in Frankfurt wurden amerikanische Großstädte wie Chicago und New York zu einer wirkmächtigen Zukunftsvision von modernen, prosperierenden und demokratischen Großstädten. Die schon früh einsetzende Genehmigung von Hochhäusern als Mittel der Wirtschaftsförderung war jedoch mit einem Dilemma verbunden, dem sich die Frankfurter Stadtbaupolitik später nicht mehr entziehen konnte. Wenn man im Einzelfall den Wirtschaftsinteressen so weit als möglich Spielräume gewähren möchte, dann sei man gezwungen, die selbstgesetzten Grundsätze für den Hochhausbau ständig an den Einzelfall anzupassen und sie dadurch immer mehr aufzuweichen (Rodenstein 2004: 308). Der politische Maßstab für die Bewilligung von Hochhäusern werde diffus, sodass die Spekulanten unter solchen Bedingungen immer auf Ausnahmen hoffen können. Gerade erst aufgestellte Planungsgrundsätze zum Hochhausbau wurden immer wieder beiseite geschoben, wenn mögliche Investoren verstärkt Druck ausübten. Auf Grund dieses Politikmusters entstand in Frankfurt ein Hochhaus nach (und neben) dem anderen und der Sonderweg der Hochhausentwicklung begann (Rodenstein 2000: 309). Ein weiteres Dilemma dieses Entwicklungspfades ist die stets drohende Marginalisierung der Bewohnerinteressen gegenüber der Wirtschaft, was letzten Endes zum Legitimitätsverlust und zu einer weiteren Schwächung der Stadtpolitik führt. Heute repräsentiert die Skyline von Frankfurt schon von weitem, dass allein die moderne Arbeitswelt das Zentrum der Stadt bildet. Damit entlastet dieses spezifische Stadtbild nicht von der Arbeitswelt, wie zum Beispiel in München, sondern es verstärke sie und ist gleichzeitig ein sichtbares Symbol für die Schwäche der Politik und der Stadtbürger. Die Vorstellungen der Bürger von „ihrer“ Stadt sind jedoch vielfältig und zumeist nicht allein auf die Arbeitswelt beschränkt. Insofern ist es kaum verwunderlich, wenn durch den aktuell geplanten Abriss des Technischen Rathauses aus den 70er Jahren direkt auf dem Rö-
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merberg, die „Sehnsucht“ (FR, 23.08.2005) nach der vor 60 Jahren zerstörten Altstadt neu erwacht. Nicht allein für Wirtschaft- und Arbeit soll in der Stadt gebaut werden, sondern auch für „Frankfurts Seele“. Wird womöglich in der „Modernsten Stadt Europas“ (Baretetzko 2001: 31) die Rekonstruktion von Teilen der historischen Altstadt zum Zukunftsthema? d) Regionalisierung Seit Ende der 90er Jahre hat sich in den Raum- und Planungswissenschaften die Auffassung verbreitet, Großstädte im regionalen Kontext zu betrachten. Wichtige Impulse für diese Sichtweise entstanden aus der kontroversen Debatte um die „Zwischenstadt“ (Sieverts 1997; 1998). Anstatt die Veränderungen der alten (Kern-) Stadt zu beklagen, müssten die großen Gestaltungschancen erkannt werden, „die die Zwischenstadt bietet“ (Sieverts 1997: 7). Seitdem hat die Diskussion um „vernetzte Stadtregionen“ und Regionalisierungsprozesse neue Impulse erhalten. Dennoch ist es weiterhin strittig, ob auch zukünftig insbesondere die „Innenentwicklung“ der Kernstädte im Zentrum stehen sollte, als konkrete und symbolische Orte von Identität, oder ob die „Zwischenstadt“ und die „Region“ verstärkt in den Blickpunkt rücken werden. Zurückgeführt wird das gewachsene Interesse an interkommunalen Perspektiven und an regionalen Prozessen, auf die veränderten wirtschaftlichen Konkurrenzbedingungen der Regionen. Insbesondere der verschärfte wirtschaftliche Wettbewerb zwischen den Regionen auf europäischer und nationaler Ebene würde die Kommunen in neue Konkurrenz- bzw. Kooperationsformen zwingen. Umstritten ist, ob man vor allem auf Wettbewerb zwischen den Gemeinden setzten solle, in der Erwartung einer höhere Leistungseffizienz von fragmentierten Wettbewerbsstrukturen. Oder lassen sich mit integrierenden, kooperativen Handlungsformen und Synergieeffekten (Agglomerationseffekte) bessere Leistungen erzielen, weil Reibungsverluste durch Wettbewerb vermieden werden (vgl. Fürst 2001: 5 f). Konsens herrscht lediglich darüber, dass den Stadtregionen zukünftig vermehrt komplexe Entwicklungsaufgaben und eigenständige Vernetzungen abverlangt werden. Das schließe auch die Aktivierung endogener Potentiale ein, neue strategische Planungsansätze sowie Formen regionaler Selbststeuerung. Außerdem würden in den Regionen ökonomische, ökologische und soziale Handlungsanforderungen auf die Prozesse eines sozio-kulturellen Wandels treffen, der den Nahbereich der Kommunen und Regionen als Erfahrungsraum sowie als gesellschaftliche Handlungsebene aufwerte (Bullmann 1994). Diese Entwicklungen hätten dazu geführt, dass Stadtregionen und Prozesse der Regionalisierung derzeit eine neue Konjunktur erleben (Fürst 2001: 6, Läpple 2001: 33).
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In Deutschland wird Regionalisierung überwiegend als eine Strategie betrachtet, durch die neue Politikstrukturen entwickelt werden, ohne kommunale aufzulösen. Meistens stehe zunächst der Aufbau regionaler Akteursnetze im Vordergrund. Regionalisierung sei nicht allein eine Strategie regionaler Entwicklungspolitik, die lediglich auf einen Wandel der Organisationsform zielt, sondern auch auf die ökonomischen, sozialen, ökologischen und kulturellen Entwicklungen des regionalen Raumes. Ein solcher Regionalisierungsprozess ziele auf die institutionellen Bedingungen, die gegeben sind oder geschaffen werden müssen, um eine effiziente Steuerung der Stadt- und Regionalentwicklung zu ermöglichen. Ein wichtiger Grund für diese Bestrebungen sei außerdem die sich verschärfende Finanzkrise gerade der großen Kernstädte, obwohl sie weiterhin zu den Motoren der ökonomischen Entwicklung gehören. Wenn eine bessere Ausstattung mit Finanzen durch den Bund und die Länder nicht zu realisieren ist, dann werde bei den Nachbarn im Umland gesucht, die nicht so viele Schulden und zumeist geringere Soziallasten haben (Rautenstrauch 1997: 69). In Deutschland sind es die Bundesländer, die für die rechtlichen und politischen Vorgaben zur Organisation der regionalen und kommunalen Ebene zuständig sind. Sie könnten bei Widerständen der Lokalverwaltungen („kommunale Selbstverwaltung“) intervenieren, wenn diese interkommunale oder regionale Kooperationen der Kommunen blockieren. Die Gesetzgebungskompetenz der Länder kann demnach als „Schatten der Hierarchie“ wirken. Bisherige Reforminitiativen zur Regionalisierung gingen jedoch überwiegend von kommunalen Akteuren aus. Konkrete Impulse erhielt die Diskussion um Prozesse der Regionalisierung durch die administrative Stärkung der Region Stuttgart (Steinacher 1998), die bisher gescheiterte Reform des Rhein-Main-Raumes (Schweller 2002) und die Bildung der Region Hannover (Priebs 2002). Umstritten ist vor allem der Grad der Institutionalisierung von Strukturen zur regionalen Kooperation: soll das Ziel eine territorial einheitliche, politisch legitimierte Region mit gebündelten Funktionen der Entwicklungssteuerung sein? Oder sind netzwerkartige, informelle Kooperationen, wie thematische Gesprächskreise, Regionalkonferenzen und Städtenetze produktiver, die sich z.B. über Regionalbüros oder regionale Entwicklungsagenturen organisieren? Für die untersuchten 15 Großstädte konnten wir vier charakteristische Formen feststellen, in denen sie die Beziehungen zwischen der Kernstadt und dem Umland organisieren.
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(1) Eingemeindungen ermöglichen eine räumliche Erweiterung der Kernstädte entsprechend ihres tatsächlichen Siedlungsflächenwachstums. Das Extrem dieses Grundmodells ist die sogenannte Regionalstadt, die in Deutschland lediglich im Jahr 1920 mit der Bildung Groß-Berlins realisiert wurde. Dieses Grundmodell bietet eine verantwortliche politische Ebene (Ratsversammlung) und effiziente Steuerungsinstrumente für die Gesamtstadt (Haushaltsplan, Flächennutzungs- und Bebauungsplan). Mit der wachsenden Stadtgröße entstehe jedoch ein zunehmendes Spannungsverhältnis zwischen den Kompetenzen der Gesamtstadt und den kommunalrechtlich unselbständigen Stadtteilen oder Stadtbezirken. Klassische Eingemeindungen seien zukünftig nur noch in Ausnahmefällen zu erwarten, da mit einer breiten politischen Ablehnung in den Nachbarkommunen zu rechnen sei und somit hohe politische Kosten entstehen. Ausnahmen in diesem Sinne stellen die ostdeutschen Großstädte Leipzig und Dresden dar. Durch die schubartig einsetzende Suburbanisierung nach 1989 haben beide Großstädte ihre erheblichen Bevölkerungs- und Kaufkraftverluste aufgrund der massiven Umlandwanderungen durch Eingemeindungen Ende der 90er Jahre relativ ausgeglichen. Über die konkrete Eingemeindung hinaus gab es in Dresden bereits seit Anfang der 90er Jahre Überlegungen für die Bildung einer „Region Dresden“. Dieser Prozess musste aufgrund der Ungewissheiten, die mit der geplanten Gebietsreform verbunden waren jedoch aufgeschoben werden. Da die Entscheidungsprozesse im Zuge der Eingemeindungen relativ kooperativ verliefen, konnten bis 1999 alle Kommunen, bis auf eine, freiwillig eingemeindet werden. Seitdem haben sich insgesamt 14 Kommunen und die erweiterte Stadt Dresden zur „Region Dresden“ zusammengeschlossen. Dieser Zusammenschluss verfügt über eine gemeinsame Satzung, ein Büro und eine zentrale Arbeitsgruppe. In dieser Arbeitsgruppe sitzt für jede Kommune ein Regionalbeauftragter und die Vertreter der regionalen Planungsstellen. Das wichtigste Gremium ist eine regelmäßig tagende Bürgermeisterkonferenz, in der jeder Bürgermeister mit einer Stimme vertreten ist. Ganz allgemein verfolgen die Aktiven der „Region Dresden“ das Ziel, sich dem verschärften Standortwettbewerb gemeinsam als Region zu stellen. Konkretere Ziele sind die gemeinsame Teilnahme an Messen und das Entwickeln von interkommunalen Gewerbegebieten. (2) Umlandverbände sind derzeit die häufigste, institutionalisierte Form regionaler Kooperation. Sie eröffnen stadtregionale Ansätze zur Steuerung einzelner Politikfelder. Historisch wurde dieses Grundmodell bereits 1911 mit dem Zweckverband Groß-Berlin realisiert sowie 1920 mit dem Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk. Unstrittig ist die Leistungsfähigkeit dieses Organisationstyps besonders auf den Gebieten der räumlichen Gesamtplanung, der Wirtschaftsför-
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derung und beim ÖPNV sowie bei der Unterstützung stadtregionaler Integration und Identität. An ihre Grenzen würden diese Verbände stoßen, wenn es um weitergehende Kompetenzen der Umsetzung und um die notwendigen Finanzmittel gehe (Priebs 2003: 37). Besonders die Abhängigkeit von den beteiligten Kommunen bei der Umlage schwäche die Verbände in ihrer Handlungsfähigkeit. Das Beispiel der Stadt Frankfurt zeigt, wie schwierig sich die Veränderung politisch-administrativer Strukturen gestalten können, angesichts ausgreifender wirtschaftlicher Verflechtungen und gleichzeitig gesteigerter Standortkonkurrenz. Die relativ kleine Kernstadt Frankfurt (600.000 Einwohner) bildet gemeinsam mit einem weitläufigen Kranz von suburbanisierten Gemeinden und vielen konkurrierenden Städten einen Umlandverband mit etwa 1,6 Mio. Einwohnern. Seit Anfang der 90er Jahre orientieren sich zentrale Wirtschafts- und Planungsakteure jedoch an der wesentlich größeren südhessischen „Rhein-Main-Region“ mit 4,8 Mio. Einwohner. Der Umlandverband würde die tatsächlich räumlich und funktional zusammenhängende Region nicht mehr hinreichend abbilden, so ihre Kritik. Die regionalen Schlüsselakteure betonten die wirtschaftlichen Verflechtungen und hielten ein geschlossenes Auftreten als Region für zwingend erforderlich. Wenn die Kernstadt Frankfurt ihre Funktion als „Hauptmotor“ der Entwicklung innerhalb der Region erhalten wolle, müsse sie sich zu einer einheitlichen Region verschmelzen. Die Gestaltung der administrativen Strukturen und die kulturräumlichen Traditionen standen dabei im Hintergrund. Immerhin erstreckt sich die südhessische „Rhein-Main-Region“ über die Grenzen von drei Bundesländern hinweg (Hessen, Rheinland-Pfalz, Bayern). Mit dem sogenannten „Jordan-Papier“ 1994 wurde diese Kritik aufgegriffen. Die hier skizzierte regionale Einheit Frankfurt/Rhein-Main erfuhr angesichts der gering ausgeprägten regionalen Identität und der Rivalitäten zwischen den relevanten Akteuren ein kritisches Echo. Die mangelnde Konsens- und Kompromißbereitschaft vieler Beteiligter führte 2001 zum sogenannten „Ballungsraumgesetz“ durch das Land Hessen, womit die Diskussion um eine Regionalisierung beendet werden sollte. Das Gesetzt sieht funktionale Zusammenschlüsse vor, zum Beispiel in Form von Zweckverbänden, die zentrale Aufgaben steuern. Ein „Rat der Region“ soll gebildet werden sowie ein größerer Planungsverband. Einer anderen Problematik sehen sich die drei Großstädte Essen, Dortmund und Duisburg gegenüber. Gemeinsam mit den fünf größeren Kernstädten Mühlheim, Oberhausen, Gelsenkirchen, Herne sowie Bochum bilden sie die engverflochtene, extrem polyzentrische und verstädterte Region „Ruhrgebiet“ mit rund 2,8 Mio. Einwohnern. Essen und Duisburg gehören zum Regierungsbezirk Düsseldorf (zuständig für Regionalplanung) und zum Landschaftsverband Rhein-
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land (Kommunalverband mit Aufgaben in der Denkmalpflege und im Sozialwesen). Dortmund hingegen gehört zum Regierungsbezirk Arnsberg und zum Landschaftsverband Westfalen-Lippe. Trotz dieser unterschiedlichen Zugehörigkeiten und der eigensinnigen Konkurrenz um Einwohner und Unternehmensansiedlungen stehen die drei Großstädte in einer wechselseitigen Abhängigkeit von einander. Einige Autoren sprechen deshalb von einem „Raumschicksal“. Gleichzeitig sei keine der drei großen Städte so überlegen, dass sie zum „Spielmacher“ eines kooperativen Regionalisierungsprozesses werden könne. Realistisch sei lediglich der schrittweise Aufbau kooperativer Strukturen von „unten“. Dazu dienen seit Mitte der 90er Jahre vor allem informell organisierte Regionalkonferenzen und seit dem Jahr 2000 ein Projekt zur regionalen Kooperation (Stadt 2030). Erkundet werden soll, ob und wieweit typische Probleme der stadtregionalen Entwicklung durch Kooperation besser gelöst werden können als durch Wettbewerb. Ansonsten müssen die kommunalen Planungen mit den übergeordneten Planungsebenen formell abgestimmt werden: dem fachübergreifenden und integrativen Landesentwicklungsplan Nordrhein-Westfalens, der 1995 in Kraft getreten ist; sowie mit der Regionalplanung (Gebietsentwicklungsplanung GEP), die auf der Ebene der Regierungsbezirke erfolgt. Gemeinden und Kommunen, die gemeinsam ein Teilgebiet innerhalb der Regierungsbezirke bilden, stimmen ihre Einzelinteressen im Rahmen der Gebietsentwicklungsplanung untereinander ab und fügen sie zu einem regionalen Konzept zusammen. Angesichts der Gefahr einer räumlichen Zersplitterung hat die Landesregierung NRW die Rolle übernommen, ein Verständnis als gemeinsame Region zu fördern. Durch ihre Strategie einer „regionalisierten Strukturpolitik“ versucht sie die Zusammenarbeit innerhalb von Teilregionen zu fördern und diese kooperativ in die Landespolitik zu integrieren. In die gleiche Richtung zielt die Verankerung der „Europäischen Metropolregion Rhein-Ruhr“ im Landesentwicklungsplan 1995. Da jedoch Aktivitäten und Mittel zum Aufbau von Organisationsstrukturen ausblieben, blieb dieser Entwurf einer „Designer Region“ (Knapp 2001) bisher ein abstraktes, räumliches Konstrukt. Selbst innerhalb der beiden zentralen Teilräume des Rheinlandes und des Ruhrgebietes gelingt es nur in Ansätzen durch Initiativen wie „Regio-Rheinland“ und den Kommunalverband Ruhrgebiet, das Denken und Handeln in Konkurrenz zu anderen Kommunen zu begrenzen. Vor allem im Ruhrgebiet bestimmt lokales Denken den Blick auf die anderen Großstädte, das historisch mit der Entwicklung der Bergbaustandorte erklärt wird. Von einer langen, historischen Rivalität ist auch das Verhältnis zwischen Düsseldorf und Köln geprägt. Düsseldorf gilt als Ort politischer Macht (Landeshauptstadt mit Regierung und Verwaltung) mit einem breiten Bürger-
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tum, Köln als historisch bedeutende Handelsstadt mit ehemals breiter Industrietradition. Die Region München / Oberbayern verfolgt gemäß dem räumlichen Leitmotiv der Landesplanung zum „Aufbau und zur Sicherung dezentraler Strukturen in Bayern“ ein Netzwerkansatz. Unternehmen, Forschungsinstitute und spezialisierte Dienstleister werden bei der Weiterentwicklung eines High-TechNetzwerkes unterstützt, dessen Knotenpunkte zu Kompetenz- und Spezialistenzentren ausgebaut werden. Zur Abstimmung der lokalen Ansprüche mit den überörtlichen Zielen der Region und des Landes wird der seit 1973 bestehenden Planungsverband für die Region München genutzt. Trotz seiner begrenzten Umsetzungsmöglichkeiten gibt es derzeit keine weitreichenderen Planungen, etwa in die Richtung einer Gebietskörperschaft. Zur besseren Kooperation und Außendarstellung entstand jedoch unter der Federführung der Landesregierung das neue Standortmarketing-Konzept der „Greater Munich Area“. (3) Politisch legitimierte regionale Verbände und Regionalkreise wurden bereits im Zuge der kommunalen Gebiets- und Funktionalreform der 60er und 70er Jahre diskutiert. In Deutschland wurde dieses Modell damals nur in Form des Stadtverbandes Saarbrücken realisiert und auch international lediglich in begrenztem Umfang. In den 1990er Jahren begann eine erneute Debatte um dieses Modell, die in Deutschland durch die 1994 beschlossene „Region Stuttgart“ forciert wurde und auch die Bildung der „Region Hannover“ 2001 beeinflusste. Während einige Autoren dieses Modell als übertragbar auf andere Stadtregionen betrachten (Priebs: 2002: 151), wird es von anderen eher als „Sonderfall“ bezeichnet (Benz 2001: 64), weil es lediglich unter den spezifischen Bedingungen eines monozentrierten Verdichtungsraumes realistisch sei. In der neuen „Region Stuttgart“ leben insgesamt 2,6 Mio. Einwohner. Sie umfaßt die relativ kleine Kernstadt (590.000 Einwohner) und einen Kranz von traditionsreichen und wirtschaftlich starken Städten, der sie umgibt. Diese Polyzentralität der Region wurzelt in historischen Traditionen. Die in vielen Großstadtregionen bekannten Stadt-Umlandkonflikte waren schon in den 1970er stark ausgeprägt, und konnten auch mit dem 1972 eingerichteten Regionalverband „Mittlerer Neckarraum“ nicht wesentlich besser bewältigt werden als zuvor durch die regionalen Planungsgemeinschaften. Zwischen 1991 und 1994 gerieten die verantwortlichen Akteure durch einen massiven Beschäftigtenrückgang und den verschärften regionalen Standortwettbewerb unter erheblichen Handlungsdruck. Der damalige Stuttgarter Oberbürgermeister forderte daraufhin die Bildung eines Regionalkreises und die Wirtschaft drängte die Landesregierung, die Standortbedingungen in der Region zu verbessern.
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1994 wurde aus dem kommunalen ein regionaler Verband, der rechtlich wie eine Gebietskörperschaft ausgestaltet wurde. Seine Hauptaufgabe ist eine optimierte regionale Entwicklungssteuerung (Benz 2003: 506), die faktisch auf einem spezifischen Steuerungsmix beruht: Mehrheitsdemokratie (direkt gewähltes Regionalparlament), hierarchische Steuerungsstruktur (Regionalverwaltung mit Planungsgebot) und ein damit verknüpftes, funktional differenzierte Netzwerk (Vertreter aus Forschungseinrichtungen, Kammern und Unternehmen). Die zuletzt genannten gehörten von Beginn an zu den treibenden Kräften des Reformprozesses und sind nach wie vor Schlüsselakteure der regionalen Politik (Frenzel 1998). Institutionell konnten wichtige regionale Fragen und Zielperspektiven aus dem Beziehungsgeflecht rein lokaler und sich gegenseitig blockierender Interessen gelöst werden. Zu diesen Zielperspektiven gehört vor allem die Standortsicherung von Unternehmen durch die Bildung und Stärkung regionaler Cluster sowie ein verbessertes Standortmarketing. Ebenso das Bündeln von Kompetenzen und Nachfragemacht (2,6 Mio. Einwohner) für Verhandlungen mit Anbietern von Ver- und Entsorgungsleistungen (Energie, Wasser, Abfall, ÖPNV), die zunehmend als internationale Großkonzerne organisiert sind. Grundlegend, um diese Ziele zu erreichen, sei ein möglichst weitreichendes Netzwerk von Wirtschaft, Wissenschaft und Politik zur Förderung neuer Technologien und Existenzgründungen (besonders in den Bereichen Mobilitäts-, Umwelt-, und Biotechnologie). Damit ist die folgende Absicht verbunden: „Alle Partner, die im Gegensatz zu den global agierenden Großkonzernen mit dem Standort verbunden sind, müssen sich zusammenfinden und gemeinsam agieren (Steinacher 2003: 379). Dies würde für öffentliche Körperschaften wie den Verband Region Stuttgart und seine Wirtschaftsförderung gelten, für kleine und mittlere Unternehmen und sogar für manche der Werksleitungen großer Konzerne. Hierin wird die notwendige Antwort auf die Globalisierung gesehen und nicht in Sozial-, Lohn- und Umweltdumping. In der seit 2001 bestehenden neuen „Region Hannover“ leben insgesamt 1,1 Mio. Einwohner, davon etwas weniger als die Hälfte in der Kernstadt Hannover (515.000 Einwohner) und etwas mehr als die Hälfte in 20 Städten und Gemeinde des ehemaligen Landkreises (585.000 Einwohner). In dieser monozentrischen Region gab es seit 1963 einen Gemeindeverband mit regionalen Planungs- und Entwicklungsaufgaben. Bereits 1970, mit der Bildung des Verkehrsverbundes „Großraum-Verkehr-Hannover (GVH) erhielt der Gemeindeverband auch Umsetzungsaufgaben im Bereich des ÖPNVs. Seit 1992 nahm diese Aufgabe dann der Kommunalverband Großraum Hannover (KGH) wahr, der Aufgabenträger des gesamten Personennahverkehrs wurde sowie Träger der Regionalplanung und weiterer regional bedeutsamer Aufgaben. Aufbauend auf diese
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langsam gewachsene Selbstverständlichkeit regionaler Aufgabenwahrnehmung führte 1995 ein Vorstoß aus dem niedersächsischen Wirtschaftsministerium zur letztlich erfolgreichen Gründung der neuen „Region Hannover“ (ein Jahr nach der Regionsgründung in Stuttgart). Dieser Vorstoß wurde mit drei Entwicklungen begründet: Nur durch regionale Einheiten ließe sich der verschärfte Standortwettbewerb aufgrund der europäischen Integration und der Globalisierung bestehen; außerdem würde der Gesamtraum durch die Konkurrenz der Kommunen geschwächt, weshalb ein intraregionaler Vorteils- und Lastenausgleich sowie die Bündelung administrativer Strukturen notwendig sei. Ähnlich wie die „Region Stuttgart“ wurde auch der neue Gemeindeverband formell als Gebietskörperschaft „Region Hannover“ gebildet. Sie besitzt eine direkt gewählte Regionsversammlung, einen Regionsausschuss sowie einen direkt gewählten Regionspräsidenten. In der neuen Regionsverwaltung wurde Personal des Landkreises Hannover, des Kommunalverbands Großraum Hannover, der Landeshauptstadt Hannover sowie der Bezirksregierung zusammengeführt. Widersprüchlich ausgestaltet wurde die „Eingliederung“ der Großstadt Hannover in die Region. Hannover behält seine Dominanz hinsichtlich der Bevölkerungszahl, der Wirtschaftskraft und auch der politischen Bedeutung. Obwohl grundsätzlich der Verzicht der Landeshauptstadt auf ihre Kreisfreiheit nahe lag, behält Hannover nach Maßgabe des Regionsgesetzes die Rechtsstellung einer kreisfreien Stadt (Priebs 2002: 145). Diese Ambivalenz zeigt sich auch darin, dass die Bezirksregierung Hannover Kommunalaufsichtsbehörde sowohl für die Region wie für die Landeshauptstadt Hannover ist. Der „Region Hannover“ wurden folgende Aufgaben übertragen: öffentlicher Personennahverkehr und Regionalplanung, einschließlich der Erstellung regionaler Entwicklungskonzepte; regionale Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung; Förderung regional bedeutsamer Naherholung; Trägerschaft der kommunalen Krankenhäuser, der Sozial- und Jugendhilfe, der berufsbildenden Schulen und Sonderschulen sowie der gesamten Schulenwicklungsplanung; Abschlüsse von Vergütungsvereinbarungen über die ambulante Pflege sowie über die stationäre, die Kurzzeit – und Tagespflege. Im Gegenzug dazu wurden auch die Gemeinden gestärkt, die Träger aller allgemeinbildenden Schulen sind wie auch der Erwachsenenbildung. Andere regional bedeutsame Einrichtungen der Landeshauptstadt Hannover, wie z.B. einige Kultureinrichtungen, die Geschäftsanteile am Flughafen Hannover-Langenhagen sowie an der Messegesellschaft wurden jedoch nicht an die Region übertragen. Mit der Bildung der „Region Hannover“ sei insbesondere ein Qualitätssprung in der stadtregionalen Verwaltung gelungen. Obwohl das Ziel einer eigenständigen Regionsfinanzierung über eine eigene Steuerquelle nicht erreicht wurde, erhält sie im Rahmen des Finanzausgleichs auch direkte Zuweisungen des Landes Niedersachsens.
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(4) Der Stadtstaat Berlin ist ein spezifischer Sonderfall. Historisch entwickelte sich das enorm wachsende Groß-Berlin bereits im Jahr 1920 zu einer sogenannten Regionalstadt. Nach dem zweiten Weltkrieg war der Ostteil von Berlin während der Teilung (1948-1989) weiterhin mit dem Umland verflochten, der Westteil Berlins durch die Mauer in Stadt und Region zertrennt. Seit 1990 ist ganz Berlin und das umliegende Brandenburg durch eine Landesgrenze getrennt. Da es für ein integratives Modell zwischen Berlin und Brandenburg kein unmittelbares historisches Vorbild als Anknüpfungspunkt gab, war jegliche Form kooperativer Zusammenarbeit Neuland. Auf der rein technokratischen Ebene, wie im Nahverkehrsmanagement, gibt es bis heute wenige Schwierigkeiten bei der Kooperation, weil sie eine Notwendigkeit ist. Dagegen förderte der Wettbewerb um neue Investitionen und Bewohner das Nicht-Kooperieren, weil im Erfolgsfall die dadurch ansteigenden Gewerbe- oder Einkommenssteuern lokal anfallen. Dennoch wurde das von Berlin und Brandenburg gemeinsam in Auftrag gegebene regionale Entwicklungskonzept 1992 in Kraft gesetzt und 1995 durch einen Staatsvertrag die Grundlage für die Gemeinsame Landesplanung geschaffen. Darin verpflichten sich beide Länder, eine auf „Dauer angelegte gemeinsame Raumordnung und Landesplanung zu betreiben (Priebs 1996: 544). Viele der Zukunftsdiskussionen, Planungen und Entwicklungsmodelle gingen jedoch von Berlin aus und förderten den traditionellen Argwohn gegenüber Berliner Herrschaftsansprüchen, wodurch 1996 der Versuch einer Länderfusion zwischen Berlin und Brandenburg durch Volksentscheid scheiterte. Seitdem zielen alle Ansätze der Zusammenarbeit zwischen Berlin und dem Brandenburger Umland auf weniger bindende und temporäre Kooperationen für zeitlich begrenzte Projekte. Die einzigen formellen Einrichtungen auf regionaler Ebene sind regionale Planungsgemeinschaften und die oben genannte Gemeinsame Landesplanung. Beide basieren auf freiwilliger Zusammenarbeit und sind mit relativ geringen Projektmitteln ausgestattet. Ansonsten sind informelle Treffen führender Akteure aus den lokalen und regionalen Verwaltungsebenen die häufigste Form der Kooperation. Für den inneren Ring Brandenburgs, um Berlin herum, liegt seit 1998 ein gemeinsamer Landesentwicklungsplan vor. Für den Gesamtraum BerlinBrandenburg existiert lediglich ein gemeinsames Landesentwicklungsprogramm. Daran zeigt sich, dass die Zusammenarbeit vor allem problemgetrieben ist. Das bedeutet im Berliner Umland vor allem, eine Auseinandersetzung mit den Folgen der Suburbanisierung. Insgesamt sind kurzfristig zu erzielende finanzielle Vorteile für die Umland-Gemeinden oftmals wichtiger als große Konzepte, weil sie damit auch eine gewisse Unabhängigkeit gegenüber Berlin demonstrieren können.
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Die traditionelle Selbstständigkeit des Stadtstaates Bremen und die besondere Komplexität der regionalen Entwicklungsmöglichkeiten haben bisher einen intensiven Prozess der Regionalisierung behindert. Die Freie Hansestadt Bremen hat zwar die gesetzlichen Möglichkeiten und die Kompetenzen eines Bundeslandes sowie die einer Großstadt „in einer Hand“, gleichzeitig ist sie jedoch eine „Landeshauptstadt ohne Umland“ (Prigge 1998: 17). Das niedersächsische Umland ist seit der Gebiets- und Verwaltungsreform der 70er Jahre in drei Bezirke unterteilt, die alle an die Landesgrenze von Bremen stoßen. Hinzu kommen die vielstimmigen Bewertungen und Einschätzungen des Bremer Senats, der durch sein Kollegialprinzip den einzelnen Senatsressorts Autonomie und Gleichberechtigung zusichert. Verstärkte Bemühungen zur Regionalisierung gingen bisher selten über die gemeinsame Landesplanung Niedersachsen-Bremen hinaus, obwohl 1992/93 ein regionales Entwicklungskonzept (REK) auf den Weg gebracht wurde. Dem folgten 1996/97 drei multilaterale Verwaltungsabkommen: zur grundsätzlichen Absicherung der Zusammenarbeit zwischen Bremen und Niedersachsen; zur Anbindung einer neuen Geschäftstelle der gemeinsamen Landesplanung an die Landkreisverwaltung Diepholz sowie eine Regelung der Landkreisverwaltung Diepholz mit allen beteiligten kommunalen Gebietskörperschaften, zur Aufteilung der Finanzierungslasten. Auf kommunaler Ebene entstanden aus dem 1991 gegründeten Kommunalverbund Niedersachsen-Bremen ein eingetragener Verein mit Netzwerkcharakter und zwei weitergehende Initiativen: ein Modellprojekt „Regionales Kulturbüro“ sowie regionale Aktivitäten zum Thema „Großflächiger Einzelhandel“. Plötzliche Bewegung in die Diskussion um Prozesse der Regionalisierung kam im Jahr 2000. In den Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und CDU für die Legislaturperiode 1999-2003 wurde der Auftrag formuliert, eine Neugestaltung der institutionellen Beziehungen zum Umland vorzubereiten (Baumheier 2001: 49). Diese Formulierung wurde kurze Zeit später aus der Senatskanzlei heraus überraschend konkret durch eine „Regionalkörperschaft BremenUnterweser“ präzisiert. Begründet wurde das Konzept einer neuen „Regionalkörperschaft“ mit den Kosten der Zentralität, insbesondere im Sozial-, Bildungsund Kulturbereich, denen kein ausreichender Lasten- und Finanzausgleich mit dem niedersächsischen Umland gegenüberstehe. Die neue Regionalkörperschaft sollte das gesamte Land Bremen mit beiden Stadtgemeinden umfassen sowie das niedersächsische Umland in einem Radius von etwa 30 km. In der Öffentlichkeit löste das Regionalisierungskonzept ein relativ negatives Echo aus, insbesondere bei den niedersächsischen Umlandgemeinden. Kritisiert wurde vor allem, dass die Planungen einseitig ohne Absprachen aus der Kernstadt Bremen heraus entwickelt wurden, zu völlig neuen Gebietszuschnit-
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ten führen würden und relevante Teile des Steueraufkommens von der gemeindlichen Ebene auf die regionale Ebene verlagert werden sollten. Die breite Kritik führte schließlich zur Rücknahme des Planungspapiers. Dennoch stimmen viele Akteure aus Bremen und aus der Region drin überein, dass verbindlichere regionale Strukturen zukünftig notwendig sind und in einem längerfristigen, gemeinsamen Lernprozeß entwickelt werden sollen. Die Freie und Hansestadt Hamburg umfasst als Stadtstaat ein Gebiet mit etwa 1.8 Mio. Einwohnern, gemeinsam mit dem auf Hamburg bezogenen Umland einen Ballungsraum mit rund 3,2 Mio. Menschen. Grundlage der Zusammenarbeit aller in der sogenannten Metropolregion Hamburg befindlichen Kreise, Städte und Gemeinden ist ein regionales Entwicklungskonzept. Es entstand aus der gemeinsamen Landesplanung zwischen Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein, die jeweils bilateral organisiert wird und nicht trilateral. Für Hamburg und in ähnlicher Weise auch für Bremen erlangten in den letzten Jahren eher informelle Kooperationsanstrengungen eine größere Bedeutung, wie Regionalkonferenzen und regionale Arbeitsgemeinschaften. Sie sind vor allem für die Stadtstaaten sinnvoll, in denen durch Ländergrenzen besonders hohe administrative und politische Hürden aufgebaut sind. Die Stärke dieser informellen Ansätze liegt in der Möglichkeit zur Einbindung öffentlicher und privaten Akteure gleichermaßen. Obwohl die Aufgabenfelder von Großstadtregion zu Großstadtregion variieren, steht die Vernetzung von Akteuren aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung im Vorderund. Verbessert werden sollen die Standortbedingungen der Regionen (regionale Entwicklung, Standort- und Regionalmarketing, Kultur, Tourismus, Erholung). Kritiker bemängeln an diesen informellen Strukturen ihre hohe Abhängigkeit von Konsensentscheidungen, weswegen ihnen die Schlechtwettertauglichkeit abgesprochen wird (Priebs 2004: 38). e) Fazit Nach vielen Jahren eher pragmatischer und kleinteiliger Stadtplanungen (teilräumlich, sektoral, projektorientiert) lässt sich seit der Jahrtausendwende eine neue Konjunktur gesamtstädtischer Entwicklungsprogramme beobachten. In acht Großstädten wurden relativ aktuelle, strategische Gesamtprogramme entwickelt, in sieben Großstädten nicht. Vier dieser Gesamtprogramme wurden zwar durch das Bundesprogramm „Stadt 2030“ angeregt (Bremen, Stuttgart, München, Leipzig). Eine genauere Analyse zeigt jedoch, dass diese vier Großstädte schon zuvor sehr ausgefeilte, integrative Konzepte entwickelt hatten. Sie nutzen das Programm „Stadt 2030“ als zusätzliche Chance, ihre Zukunftsplanungen langfristiger auszuarbeiten. Insgesamt wenig ausgeprägt ist das Entwerfen von Entwicklungskonzepten in den Großstädten von Nordrhein-Westfalen. Dortmund, das als einzige Großstadt in NRW ein integriertes Gesamtkonzept
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besitzt, bestätigt eigentlich ebenfalls diesen Befund. Denn das Konzept der Stadt Dortmund beruht auf einem Flächennutzungsplan inklusive drauf abgestimmter kleinräumiger Bezirksentwicklungspläne und verzichtet bewusst auf ein übergeordnetes Konzept. Insgesamt lässt sich tatsächlich eine „Renaissance“ der Stadtentwicklungsplanung feststellen. Es hat den Anschein, dass die turbulenteren wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen in den Großstädten das Bedürfnis nach einer gesamtstädtischen Selbstvergewisserung bestärken. Das gilt besonders für die drei ostdeutschen Großstädte Berlin, Leipzig und Dresden, die sich im deutschen wie auch im europäischen Städtesystem neu verorten müssen. Nach den anfänglich zum Teil überschießenden Erwartungen wird in diesen drei Städten versucht, die Zukunftsperspektiven systematischer und realistischer zu entwickeln. Aber auch Großstädte wie Hamburg, München, Stuttgart, Hannover und Bremen versuchen angesichts der Herausforderungen der Ökonomisierung ihre bisherige Stadtentwicklungsplanung zu überprüfen. Fraglich ist, in welchem Umfang sie ihre bisherigen Strategien einer Stadtpolitik des Wachstums und des sozialräumlichen Ausgleichs fortführen können. Eine neuartige Perspektive entsteht durch die Erfahrungen mit Schrumpfungsprozessen insbesondere in den ostdeutschen Großstädten und in den Großstädten des Ruhrgebietes. Bei der Abkehr von Wachstumskonzepten in der Stadtentwicklungsplanung spielt Leipzig eine wichtige Vorreiterrolle, aber auch in Berlin und in Duisburg werden Ansätze zur Umorientierung entwickelt. In Essen und Dortmund, aber auch in Hannover, Bremen und Nürnberg setzt man angesichts von gleichzeitigen Schrumpfungsund Wachstumsprozessen auf Konsolidierung. Dagegen dominieren in Köln und Hamburg, besonders aber in Stuttgart, München, Düsseldorf und Frankfurt zumindest mittelfristig weiterhin Wachstumsperspektiven in den Konzepten zur Stadtentwicklung. Großstädtische Leitbilder dienen in allen untersuchten Großstädten in mehr oder weniger großem Umfang der Zuspitzung von Entwicklungsperspektiven. Auf diesem Gebiet versuchen sich alle Großstädte, im Sinne der Alleinstellung, möglichst deutlich von den anderen deutschen Großstädten zu unterscheiden. Nur wenige Großstädte verdichten ihre vielfältigen Entwicklungsperspektiven zu einer einzigen zentralen Formel: Hamburg zum Beispiel mit der „wachsenden Stadt“, Bremen mit der „zeitgerechten Stadt“ und Dortmund mit dem Slogan das „neue Dortmund“. Die meisten Großstädte wählen mehrere Leitbegriffe als Perspektiven für ihre vielfältigen Großstadtfunktionen und unterlegen diese mit verschiedenen Schwerpunkten, Leitlinien und Handlungskonzepten. Dabei ist eine deutliche Abkehr von festumrissenen Planungszielen festzustellen, hin zum Planungsprozess und zu konkreten Handlungsprogrammen. Ein erheblicher Unterschied besteht zwischen den Großstädten darin, inwieweit die Bevölke-
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rung sowie Vereine, Verbände, Unternehmen und Initiativen bei der Entwicklung der jeweiligen Leitbilder einbezogen sind. In einigen Großstädten stützt sich die Politik dabei in erster Linie auf Expertisen von Wissenschaft und Verwaltung (z.B. Hamburg), wogegen andere Großstädte ihre Bürger und organisierte Akteure der Stadtgesellschaft zum Teil in aufwendige Beteiligungsverfahren einbinden (z.B. Köln). Insgesamt betrachtet genießt in allen Großstädten die Förderung von wirtschaftlicher Dynamik und von Innovationen Priorität, um sich als leistungsfähige Großstadt im Standortwettbewerb erfolgreich zu positionieren. Dabei lassen sich jedoch zwei unterschiedliche, idealtypischen Muster der Stadtentwicklung erkennen, die sich besonders deutlich an den vier prosperierenden Großstädten verdeutlichen lassen. (1) Der historische Blick auf die Stadtentwicklung zeigt, dass sich zum Beispiel Frankfurt und auch Düsseldorf schon zu Beginn der Nachkriegszeit weitgehend und bewusst aus den Baustrukturen der traditionellen, europäischen Stadt gelöst haben. Gleichzeitig haben sie die Wirtschaftsförderung mit besonderer Priorität gegenüber anderen Entwicklungszielen behandelt (soziale, kulturelle, ökologische). Diese Ausrichtung der lokalen Politik wurde seit den 70er Jahren forciert, lange vor den Diskussionen über die ökonomischen Zwänge der europäischen Integration und der Globalisierung. Beim aktuellen Stadtumbau stehen wie auch anderswo die Stadtzentren im Mittelpunkt sowie die Errichtung von modernen Komplexen der Hochkultur- und der Unterhaltungsindustrie, der Medien- und der Wissensökonomie. Um die Attraktivität der Stadt zu steigern setzt man auf spektakuläre Architektur, moderne Hochhäuser und Großprojekte („bigness“) als Symbole eines starken Wirtschaftsstandortes. Im Vordergrund des Wohnungsbaus steht das Ringen um den Verbleib oder die Rückkehr besser verdienender Schichten. Die Beteiligung der Bevölkerung und von organisierten Akteuren der Stadtgesellschaft an der Weiterentwicklung ´ihrer´ Großstadt ist insgesamt eher begrenzt und wird von besonders durchsetzungsstarken Gruppen wahrgenommen. (2) Neben der gemeinsamen Wachstumsorientierung verfolgen Großstädte wie München und Stuttgart ein breiteres Spektrum an Entwicklungszielen mit Priorität. In historischer Perspektive haben sie ihre alte Bausubstanz in der inneren Stadt so weit wie möglich rekonstruiert und gegenüber grundlegenden baulichen Eingriffen möglichst geschützt. Die Innenstädte dienen bis heute, gerade in ihrer historischen Bausubstanz, als wichtige symbolische Bezugspunkte der Identifizierung: mit eigensinnigen, an Traditionen gebundene und von der Politik sowie den Bürgern gesetzten kulturellen, sozialen und politischen Vorstellungen. Beim derzeitigen Stadtumbau steht ebenfalls das Stadtzentrum im Mittelpunkt. Neue
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Kultur- und Unterhaltungskomplexe werden jedoch baulich und räumlich stärker in das bestehende Stadtgefüge integriert und kleinteilige, gemischte Nutzungsstrukturen favorisiert. Beim Wohnungsbau dominieren zwar auch Projekte für besser verdienende Schichten. Es werden gleichzeitig aber auch Programme und Projekte für einkommensschwache Gruppen verfolgt, Strategien des räumlichen und sozialen Ausgleichs sowie Planungen zur Aufwertung der städtischen Freizeitqualität. Bei den Planungen zur Weiterentwicklung ´ihrer´ Großstadt besitzen die Bürger und organisierte Akteure der Stadtgesellschaft ein größeres Gewicht und umfassendere politische Rechte zur Durchsetzung ihrer Interessen. Angesichts dieser Gesamtsituation kann es nicht verwundern, wenn sich Großstädte wie Stuttgart oder München trotz Sparhaushalten als regierbar wahrnehmen. Dagegen ist in Frankfurt der Eindruck viel stärker ausgeprägt, dass sich die lokale Politik und die Bürger in einer weitgehend abhängigen, schwachen Position befinden, die durch ökonomische Zwänge und die Macht der (Finanz-) Wirtschaft dominiert wird. Bei ihrem Stadtumbau setzten alle Großstädte auch auf die Bindung vorhandener und neuer Einwohner: durch moderne, zum Teil nutzungsgemischte Stadtteile, durch mehr Einfamilienhausgebiete in den Kernstädten und durch die Öffnung hin zum Wasser85, wo immer sich die Gelegenheit dazu bietet („Wohnen am Wasser“). Alle Großstädte forcieren außerdem Programme, mit denen sie sich angesichts der demographischen Entwicklungen als Familien- und kinderfreundlich präsentieren. Besonders in den Großstädten im prekären Strukturwandel mit Schrumpfungstendenzen wird der Stabilisierung der Einwohnerzahlen durch eine familien- und kinderfreundliche Stadtpolitik höchste Priorität zugesprochen. Gleichfalls stehen gerade in diesen Großstädten kaum hinreichende öffentliche Ressourcen zur Verfügung, um durch lokalpolitische Initiativen tatsächlich nachhaltige Effekte zu erzielen. Es sind einige der prosperierenden Großstädte, die in größerem Umfang in ihre soziale, kulturelle und bildungsorientierte Infrastrukturen zur Förderung von Familien- und Kindern investieren (können). In Deutschland wird seit weit über 20 Jahren intensiv über die besondere Problematik der Kernstädte mit der fortschreitenden Suburbanisierung diskutiert. Aus dieser Perspektive ist die Konstituierung von erweiterten Stadtregionen kaum in hinreichender Weise voran geschritten. Die derzeitige Konzentration der Stadtplanung insbesondere auf den Umbau und die Aufwertung der Stadtzentren scheint diesen Eindruck zu bestärken. Denn politisch legitimierte 85
Zum Beispiel die HafenCity in Hamburg, die Überseestadt in Bremen, die Wasserstadt „Limmer“ in Hannover, Duisburg „Innenhafen“, der neue Stadtteil Phoenix West und Ost an einem Stadtsee in Dortmund.
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Gebietskörperschaften in Form von Stadtregionen entstanden lediglich in Stuttgart und Hannover sowie in Dresden und Leipzig durch Eingemeindungen. Berücksichtigt man jedoch auch die erheblichen Bemühungen zur Bildung einer Stadtregion in Frankfurt und Bremen, die versuchte Länderfusion Berlin – Brandenburg sowie die vielfältigen formellen und informellen StadtUmlandkooperationen in allen deutschen Großstädten, entsteht ein differenzierteres Bild. Vor allem die drei Staatstaaten stehen vor dem besonderen Problem, dass sie entweder ihre Eigenständigkeit aufgeben müssten oder aber die angrenzenden Bundesländer Gebiete abzutreten hätten. Ähnlich kompliziert ist die Situation in den ausgeprägt polyzentrischen Regionen wie dem Ruhrgebiet und der Rhein-Main-Region um Frankfurt. Aufgrund der drei vorerst gescheiterten Versuche der Regionsbildung in Frankfurt und Bremen sowie bei der Länderfusion von Berlin und Brandenburg, dominiert derzeit die Organisation von regionalen Planungsverbänden.
Wachstumsorientiert Frankfurt, Düsseldorf, Köln Konsolidierung / Schrumpfung Nürnberg, Dresden, Essen, Duisburg Konzepte der Einwohnerbindung schon vor 1989
Sektorale, teilräumliche und Projektorientierte Konzepte
Duisburg, Essen ... durch Hochhäuser als Hochhäuser als Dominanten Symbole für im Modernisierung oder außerhalb des Zentrums (kaum Investoren) Hannover, Leipzig, Dresden, Duisburg, Bremen, Dortmund
Standortsicherung durch ... EinwohnerBindung
Konzepte der Stadtentwicklungsplanung
Frankfurt, Hamburg, Düsseldorf Hochhäuser als Dominanten oder kleine Cluster außerhalb des Zentrums München, Hamburg, Stuttgart, Nürnberg
Neue Wohngebiete für Gutsituierte und Mittelschichten
Prioritäten Orientiertes Konzept Wachstumsorientiert Hamburg Konsolidierung / Schrumpfung Berlin , Leipzig
München, Dortmund, Nürnberg, Köln, Bremen, Berlin Hochhäuser als Dominanten und kleine Cluster im oder nahe des Zentrums (Nachfrage durch Investoren) Köln, Düsseldorf, Essen, Berlin
Neue Wohngebiete für Gutsituierte, Mittelschichten+ Sozialerwohnungsbau
Frankfurt
Neue Wohngebiete für Gutsituierte, Mittelschicten+ Sozialerwohnungsbau und Regionsbildung/Eingemeindungen Hannover, Stuttgart, Dresden, Leipzig Hochhauscluster und Skyline Direkt im Zentrum
Gesamtstädtische Entwicklungsprogramme Integriertes Integriertes kleinräumiges Konzept Gesamtkonzepte Wachstumsorientiert Stuttgart, München Konsolidierung Konsolidierung / SchrumpHannover, Bremen fung Dortmund
Abbildung 44: Auswertungsübersicht zu Konzepten der Stadtentwicklung
Konzepte Regional-/ Umland-Verbände der Regionalisie- Formelle/informelle Kooperationen Versuche zur Regionsbildung rung * Übergreifende Lan *Interkommunale Kooperationen desplanung *Übergreifende Arbeitsgruppen * Regionalkonferenzen, -foren *Regionalkonferenzen, -foren München, Düsseldorf, Köln, Hamburg Berlin, Frankfurt, Bremen Nürnberg, Essen, Duisburg, Dortmund,
Fortführung Auswertungsübersicht zu Konzepten der Stadtentwicklung
Eingemeindungen und interkommunale Kooperationen Dresden, Leipzig Stuttgart, Hannover
*Regionsversammlung / Parlament
Regionsbildung
Politisch legitimierte Gebietskörperschaften
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Insgesamt hat die notwendige Ausweitung der Sichtweisen auf die gesamte Stadtregion im Bewußtsein von Stadtplanung, Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Bürgern im Untersuchungszeitraum zwar deutlich zugenommen. In der alltäglichen Praxis dominieren in den meisten Großstädten dennoch Sichtweisen der Fragmentierung: entweder auf die Innenstadt, oder auf Areale zur Umnutzung (Konversionsflächen), oder auf Großsiedlungen bzw. Plattenbauten, oder auf die zersiedelte ´Zwischenstadt´ außerhalb der Kernstädte. Die notwendige Entwicklung von umfassenden Konzepten zum Umbau der gesamten Stadtregionen steht noch immer am Anfang. 5.2.2
Großstädtische Demokratie
In demokratisch föderalistischen Systemen kommt es nicht nur auf die kommunale Selbstverwaltung an sich an, sondern darüber hinaus auch auf die Art und Weise, wie sie genutzt wird, d.h. welchen Interessen sie dient, ob sie die Lebensbedingungen der Menschen sichern helfen kann, wie bürger- und bürgerinnennah agiert wird und welchen Beitrag sie zu einer sozial und demokratisch orientierten, aktiven politischen Kultur zu leisten vermag (von Saldern 1998: 36). In den 1990erJahren kam es zu Veränderungen des rechtlichen Rahmens der lokalen Politik. Für die Durchsetzung dieses Prozesses waren zwei Ziele relevant. Zum einen sollte die in den meisten Kommunen bestehende duale Struktur von Politik und Verwaltung reformiert werden. Mit der Direktwahl der Oberbürgermeister und der Implementierung von Elementen des Neuen Steuerungsmodells sollte die Steuerbarkeit der Städte verbessert werden und die finanziellen Probleme der Kommunen sollten sich so besser auffangen lassen (vgl. Kap. 3.3). Unter dem Einfluss der Erfolge der DDR-Bürgerbewegung, der Debatte um Kommunitarismus, Zivilgesellschaft und lokale Agenda 21 sollte außerdem die demokratische Kultur auf lokaler Ebene verändert werden. Das Ziel war eine stärkere Beteiligung der Bürger bei der Gestaltung der lokalen Politik. Dies sollte mit der Einführung von Referenden und einer grundsätzlich verbesserten Förderung des Bürgerschaftlichen Engagements und der Bürgerbeteiligung erreicht werden. Inzwischen ist ein ausreichender Zeitraum verstrichen, um die neuen politischen Instrumente auf den Prüfstand zu stellen. Wir untersuchen die Veränderungen der politischen Steuerung und der Bürgerbeteiligung in der fünfzehn größten deutschen Städten im Verlauf der 1990er Jahre. Wir wollen herauszuarbeiten, inwiefern diese beiden Reformansätze die urbane Demokratie in den Großstädten verändert haben. Hat sich die strategische Steuerbarkeit der größten deutschen Städte durch die institutionellen Veränderungen verbessert? Nutzen Bürger und Stadtspitze die Möglichkeiten der Bürgereinbindung zur Veränderung der lokalen Demokratie? Kann auf der kommunalen Ebene der Bürger
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aktiv die Inhalte der Stadtpolitik beeinflussen oder bleibt er auf die Auswahl seines Bürgermeisters und der Ratsvertreter beschränkt? Die aktuelle Debatte um lokale Demokratie ist geprägt von der historischen Tradition der Selbstverwaltung der deutschen Städte. „Wie ein Leitstern stand die bürgerschaftliche Tradition der vorindustriellen Selbstverwaltung als eine Vorstellung von lokaler Autonomie bis zur jüngsten Zeit über der historischen und verwaltungswissenschaftlichen Diskussion” (Häußermann 1991: 35). In Folge der französischen Revolution und unter dem Eindruck des in Deutschland vorsichtiger rebellierenden Bürgertums wurden mit der preußischen Gemeindeordnung von 1808 erste Ansätze städtischer Demokratie verankert, die Vorbildfunktion für andere deutsche Staaten hatten. Infolge des Census- und Dreiklassenwahlrechts wurde die Stadtpolitik beherrscht von dem durch dass ständische Wahlrecht privilegierten Besitzbürgertum. Mindestens die Hälfte der Stadtverordneten mussten Grundbesitzer sein. Frauen und Nichtbesitzende waren ausgeschlossen, so dass sich „in der Praxis eine bürgerliche Klassengesellschaft” (von Saldern 1998: 25) entwickelte. Trotzdem führte der für damalige Verhältnisse demokratisch-progressive Anspruch des Bürgertums zu dem „Mythos einer besonderen demokratischen Qualität kommunaler Politik” (Häußermann 1991 36). In den Kommunen setzte sich jedoch ein unpolitisches Selbstverständnis der „Honoratiorenverwaltung” durch, dass sich auch noch in heutigen politischen Vorstellungen wiederspiegelt. Lokale Politik sei nicht eine Angelegenheit von politischen Parteien, sondern solle die Belange aller Bürger bestmöglich regeln. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland definierte einen offenen Rahmen, der unterschiedliche Entwicklungen ermöglichte. Das Grundgesetz zeigt aber für die lokale Ebene „bemerkenswerte direktdemokratische Sympathien” (Wollmann 1998: 136). Es ermöglicht an Stelle einer gewählten Körperschaft die Gemeindeversammlung einzurichten, und lässt auch Spielraum für andere direktdemokratische Elemente. Dieser Spielraum wurde, durch die unterschiedlichen kommunalen Demokratietraditionen der Besatzungsmächte aber lediglich in der amerikanischen Besatzungszone teilweise ausgeschöpft. In Bayern und Baden-Württemberg wurde die Direktwahl des Oberbürgermeister eingeführt. In der Baden-Württembergischen Kommunalverfassung wurde 1955 die Durchführung von kommunalen Referenden ermöglicht. Das Land blieb damit aber über Jahrzehnte ein ”einsamer Sonderling” (Wollmann 1998: 138). In den Siebzigern kam es unter dem Druck der Neuen Sozialen Bewegungen zu Veränderungen der lokalen politischen Kultur. Sie bewirkten „nachhaltig eine Politisierung der kommunalen Handlungsfelder” (Roth 1998: 6), was aber vorerst keinen Wandel des institutionellen Rahmens bewirkte. Erst die politikwissenschaftliche Debatte der 1980er, der Einfluss des US-amerikanischen Komm-
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unitarismus (Osthorst/Prigge 2003: 16), die Debatte um die Zivilgesellschaft und später auch die in der Wiedervereinigung mündenden Erfolge der Bürgerbewegung in der DDR bewirkten eine Hinwendung zur Implementierung weitergehender Elemente direkter Demokratie auf lokaler Ebene. Schon in die DDR-Kommunal-Verfassung vom Mai 1990 wurden Bürgerbegehren aufgenommen. Mit den neuen Kommunalverfassungen der ostdeutschen Länder wurde dann sowohl die Direktwahl des Oberbürgermeister wie auch die Möglichkeit für Referenden eingeführt. In den frühen 1990ern wurden diese Elemente auch in allen Kommunalverfassungen der Alten Länder verankert86. Allerdings blieben im Detail lokale Unterschiede bestehen..87 a) Der institutionelle Rahmen Eine genauerer Betrachtung der institutionellen Entwicklung der Großstädte zeigt vier verschiedene typische Entwicklungen des Institutionellen Rahmens: x Für die drei Großstädte in Bayern und Baden-Württemberg (München, Nürnberg und Stuttgart) hat sich wenig grundsätzliches geändert. Die süddeutschen Ratsverfassungen sahen schon immer die Direktwahl des Oberbürgermeister vor. In Baden-Württemberg wurde zusätzlich schon 1956 das Verfahren des kommunalen Bürgerbegehrens und des Bürger-entscheids eingeführt (Wollmann 1998: 136). Wir bezeichnen die Großstädte als Städte mit längerer direktdemokratischer Tradition und zentraler politischer Führung. x In den drei Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen sind neuerdings die Elemente der direkten Demokratie auf Stadtbezirksebene (in Hamburg) und Referenden möglich. Mit dem Nachziehen von Bremen werden in allen Stadtstaaten die Stadtbezirksvertretungen direkt gewählt. Diese drei Großstädte unterscheiden sich von den 12 anderen Städten dadurch, dass die lokale Politik nach Landesstrukturen organisiert ist. Die Bürgermeister leiten die Landesregierungen und werden weiterhin vom Parlament gewählt. Die Senatoren genießen größere politische Eigenständigkeit als die Dezernenten in den Großstädten der Flächenstaaten. Wir bezeichnen diese drei Städte daher als Großstädte mit verteilter politischer Führung und teilweise neuen Elementen direkter Demokratie.
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Für eine Darstellung der unterschiedlichen Quoren für Referenden s. Kap. 3, Abb. 11 S. So kann nur in einigen Bundesländern ein Bürgerbegehren von der Gemeindevertretung initiiert werden. Unterschiede gibt es auch bei den hierfür erforderlichen Mehrheiten. Außerdem variiert das erforderliche Antragsquorum für die Durchsetzung eines Bürgerbegehrens (Wollmann 1998: 139).
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x In den beiden Großstädten Leipzig und Dresden hat sich ein kompletter Umbruch im politisch-administrativen System vollzogen. Die Bürgermeister werden nun direkt gewählt, Referenden sind möglich. Die zentralen Elemente bundesrepublikanischer Kommunalverfassungen sind neu, so dass hier ein umfassender institutioneller Neubeginn erfolgte, gestützt auf die Erfahrungen der Bürgerbewegungen in der DDR sowie durch erfahrene Westdeutsche Politiker. Die Gemeindeordnungen folgen dem Vorbild der süddeutschen Ratsverfassungen.88 Wir bezeichnen sie als Großstädte, die ihre kommunale Politik neu aufbauen. x Die in der kommunalpolitischen Literatur diskutierten Reformen in den Kommunalverfassungen findet man in Dortmund, Duisburg, Düsseldorf, Essen, Köln, Hannover, Frankfurt. Hier wurden die Direktwahl der Oberbürgermeister und die lokalen Referenden neu eingeführt. Wir definieren diese Städte als reformierte Großstädte mit erst beginnender direkter Demokratie und zentraler politischer Führung. Diese Unterschiede in den lokalen demokratischen Entwicklungsverläufen gilt es bei der weiteren Analyse zu berücksichtigen. Die weitere Untersuchung der fünfzehn Großstädte beruht auf den Feldvariablen ”Politische Führung”, ”Parteienkonstellation” ”Rechte der Stadtbezirksvertretungen”, ”Anwendung der Instrumente direkter Demokratie” und ”Förderung von Bürgerbeteiligung/Bürgerschaftlichem Engagement”. b) Politische Führung Banner zog in seinen Studien zur Kommunalpolitik in den 1980ern den Schluss, dass je geringer die parteipolitische Aufladung der kommunalen Politik und je größer das Gewicht eines zentralen Politikers wäre (also vor allem der Oberbürgermeister), desto größer sei die Chance auf einen ausgeglichenen Haushalt (Banner 1984, Bogumil 2002). Der große Einfluss der Parteipolitik in Kommunen, in denen der Oberbürgermeister vom Rat gewählt wurde, und die damit verbundene Notwendigkeit zur Befriedigung breiterer Interessen, hätte in diesen Kommunen zu der Neigung geführt, mehr Geld auszugeben als vorhanden war. Dies gälte es durch eine Veränderung des Institutionellen Rahmens zu beheben. Als sinnvolles Reformmittel wurde eine Stärkung der Stellung der Oberbürgermeister diskutiert. Bogumil dagegen weist darauf hin, dass die Kritiker die politischen Rahmenbedingungen in der 1980er Jahren (Finanzen, Wohnungsnot, Umweltschutz, Verkehrspolitik) übersehen hätten, die eine Politisierung der 88
Ausführlicher hierzu Prigge, Prange, Zapatka 2001: Gemeinden in der Großstadt. Kellner Verlag: Bremen.
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Kommunalpolitik bewirkt und zu einer stärkeren Rolle der Parteien geführt hätten. In den meisten Kommunen bestand bis dahin eine duale Führungsstruktur von Politik und Verwaltung. Diese Dualität (Scharpf 1976) sollte mit den Reformen der Kommunalverfassungen in den 1990ern behoben werden, indem der Oberbürgermeister zum Verwaltungschef erhoben wurde und durch die Direktwahl dieses Amtes eine Abkopplung von dem als zu stark diagnostizierten Parteieneinfluss gewährleistet werden sollte. Die Feldvariable ”Politische Führung” erfasst die parlamentarische Machtbasis der Regierungschefs in den Stadtstaaten und der Oberbürgermeister in den Großstädten der Flächenstaaten: x In den Stadtstaaten regiert ein Bürgermeister mit einer absoluten Parlamentsmehrheit der CDU (Hamburg), zwei Bürgermeister stützen sich auf Koalitionen (Berlin, Bremen). x
Sieben Oberbürgermeister regieren mit einer klaren Mehrheit in Dresden, Düsseldorf, Frankfurt, Hannover, München, Köln, Nürnberg.
x
In den übrigen fünf Großstädten beruht die Machtkonstellation im Rat auf breiteren losen Bündnissen oder ist durch sehr knappe Mehrheiten gekennzeichnet (Duisburg, Dortmund, Essen, Leipzig, Stuttgart).
In den Städten bestehen kleinere Differenzen bei den Kompetenzen der Oberbürgermeister und größere bei der Stabilität der parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse89, was unterschiedliche Anforderungen an den Umgang mit anderen Parteien bedeutet. Bogumil schlägt vor, von ”einer exekutiven Führerschaft innerhalb konkurrenzdemokratischer und konkordanzdemokratischer Strukturen“ zu sprechen (Bogumil 2002: 33). c) Parteienkonstellationen In der Politik der Großstädte 0spielen die Parteien (Kersting 2002: 139; Holtmann 1998: 209) nach wie vor eine zentrale Rolle. In allen Großstädten regieren Parteien mit absoluter Mehrheit oder in Koalitionen, die auch auf der gesamtstaatlichen Ebene eine Rolle spielen (vgl. Kap. 3.3.). Zentrale Posten werden i.d.R. an Mitglieder der regierenden Parteien vergeben. Alle Oberbürgermeister in diesen fünfzehn Großstädten gehören einer bundesweit einflussreichen Partei an. Es gibt nur vereinzelt lokale Besonderheiten durch neue Parteien90, die sich aber nicht lange behaupten können. Die lokale Politik ist auch nach den Änderungen in den Kommunalverfassungen entscheidend von etablierten Parteien
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Vergleiche Bogumil 2002 (S. 32f) Wie in Hamburg die Statt-Partei oder die Partei Rechtsstaatliche Offensive (”Schill-Partei”).
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geprägt91. Trotzdem lässt sich eine Tendenz zur Abschwächung ihres Einflusses erkennen. Durch die Direktwahl des Oberbürgermeisters agiert dieser unabhängiger von den Ratsfraktionen und von seiner eigenen Partei. Früher waren in den Großstädten mit einem vom Rat gewählten Oberbürgermeister häufig die Vorsitzenden der Mehrheitsfraktion die einflussreicheren Personen in der Stadtpolitik. Heute ist es durch seine neue Machtfülle eindeutig der Oberbürgermeister. Es kam zu einer Verschiebung in den Vorentscheidergruppen. Dadurch, dass der Oberbürgermeister direkt von den Bürgern gewählt wird, und weil dabei auch seine Persönlichkeit und nicht nur seine Parteizugehörigkeit entscheidend ist, muss er sich aus wahlstrategischem Kalkül von seiner Partei etwas absetzen. Sie ist nicht mehr seine wichtigste Machtbasis. Er ist darauf angewiesen, sich oft – beispielsweise bei einem bundespolitischen Umfragetief seiner Partei, auch gegen diese zu profilieren. x Von den von uns untersuchten Städten wiesen nur zwei (Hannover, Bremen) eine langjährige, durch eine oder mehrere Parteien gebildete Regierungskonstellation auf. Ohne die politischen Umwälzungen in NordrheinWestfalen bei den Kommunalwahlen 1999, die in drei der untersuchten Großstädte für die SPD den Machtverlust bedeuteten, wäre diese Anzahl deutlich höher gewesen. x
Sieben Städte werden von relativ neuen stabilen Mehrheiten regiert (Dresden, Frankfurt, München, Nürnberg, Köln, Hamburg, Berlin).
x
In drei Städten (Duisburg, Düsseldorf, Essen) existiert eine formale politische Zusammenarbeit der Parteien mit knappen Mehrheiten. Darunter fassen wir Städte, in denen Koalitionsvereinbarungen durch die Parteien unterzeichnet wurden.
x
In übrigen drei Städten (Leipzig, Stuttgart, Dortmund) kommt es nur zu einer informellen Zusammenarbeit politischer Gruppen und Parteien.
In allen Großstädten, mit der Ausnahme Dresdens, gehören die amtierenden Oberbürgermeister einer der großen Volksparteien an (vgl. Kap. 3.3.). In den 1990er Jahren verloren in einigen Großstädten, die jahrzehntelang von der Vorherrschaft einer einzelnen Partei dominiert waren (Essen, Hamburg, und seit der Wahl von Oktober 2004 auch Duisburg), diese Parteien ihre Macht und sind nun gar nicht mehr an der Stadtregierung beteiligt. In diesen Städten kommt es zu latenten Spannungen zwischen den von der alten Tradition geprägten Verwaltungen und der neuen politischen Führung. Das Erreichen einer durchsetzungsmächtigen politischen Steuerungsfähigkeit gelingt nicht reibungslos. Eine stabi91
Die hier vorhandenen Konstellationen sind in Kap 3 S. (alt benannt).
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le Steuerungsgrundlage für die neuen Oberbürgermeister muss sich erst herausbilden. d) Rechte der Stadtbezirksvertretungen Zusätzlich zu der Entwicklung der Politischen Steuerung analysierten wir die Veränderungen der Einflussmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger auf die kommunale Politik. Da die Kommunalverfassungen der Hoheit der Länder unterliegen, stellt sich der rechtliche Rahmen für die Ausgestaltung der Bezirksvertretungsrechte in den von uns untersuchten Städten sehr unterschiedlich dar: x Immerhin werden in elf der fünfzehn untersuchten Städte die Bezirksvertretungen demokratisch durch Wahlen direkt legitimiert. Allerdings gibt es in diesen Städten entscheidende Unterschiede bei der Ausgestaltung ihrer Kompetenzen. In neun (Berlin, Hamburg, Köln, Essen, Dortmund, Düsseldorf, Duisburg Hannover und München) dieser elf Städte verfügen die Stadtbezirksvertretungen über weitgehende demokratische Rechte. München hat die Direktwahl der fünfundzwanzig Bezirksausschüsse 1996 eingeführt und diese anschließend mit Entscheidungsrechten in Stadtteilangelegenheiten und einer Unterstützungsstruktur ausgestattet. x
In den zwei übrigen Großstädten (Frankfurt, Bremen) können diese Rechte nur als eingeschränkt bezeichnet werden.
x
In den Städten, in denen die Stadtbezirksvertretungen nicht direkt gewählt werden, existieren in einer Stadt gar keine Bezirksvertretungen (Nürnberg). Hier soll diese Vertretungsebene durch die politische Beteiligung örtlicher Bürgervereine gewährleistet werden.
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In drei Städten (Stuttgart, Leipzig, Dresden) ist die demokratische Legitimation nur abgeleitet, d.h. die Bezirksvertretungen werden entsprechend der Stimmenanteile der Parteien bei der Stadtratswahl vom Rat bestimmt. Die Orientierung an der Ratszusammensetzung bedeutet eine Stärkung der im Rat vertretenen Parteien, parteiunabhängige Kandidaten können nicht in diese Gremien gelangen. Die realen politischen Verhältnisse des jeweiligen Stadtbezirks werden nicht in der Zusammensetzung der Bezirksvertretungen wiedergespiegelt.
e) Anwendung der Instrumente direkter Demokratie Es ist die Frage, ob die erweiterten Möglichkeiten der direkten Demokratie zu einer regelmäßigen Einbindung der Bürger durch Bürgerbegehren und damit zu
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einer grundsätzlichen Veränderung der großstädtischen demokratischen Kultur führen konnte. x
In acht der untersuchten Städte fanden gar keine Bürgerentscheide statt (Berlin, Köln, Frankfurt, Essen, Dortmund, Bremen, Duisburg, Leipzig).
x
In drei der Städte kam es zu einer vereinzelten Nutzung von Bürgerentscheiden (Stuttgart, Düsseldorf, Hannover),
x
In vier der Städte kann von einer häufigeren Nutzung von Bürgerentscheiden gesprochen werden (München, Hamburg, Nürnberg, Dresden).
x
Eine häufigere Nutzung dieser Möglichkeit sowohl auf bezirklicher wie auf städtischer Ebene ließ sich in keiner Stadt feststellen.
Die Instrumente der direkten Demokratie, die nun ein gutes Jahrzehnt zur Verfügung stehen, werden offensichtlich noch nicht intensiv genug genutzt. Bei der Beurteilung der Anzahl der Bürgerbegehren ist zu berücksichtigen, dass sie z.T. auch von der politischen Führung eingeleitet werden, um Planungssicherheit für in der städtischen Öffentlichkeit umstrittene Projekte zu erreichen. Dass Bürger ihre Stadtbezirksvertretungen direkt wählen können, scheint keine Auswirkung auf die Anwendung der Instrumente direkter Demokratie zu haben. Nur in einer der Städte, in denen die Bezirksvertreter durch die Bürger demokratisch legitimiert sind, wird das Instrument des Bürgerentscheids häufiger genutzt (Hamburg). f) Bürgerbeteiligung und bürgerschaftliches Engagement Für die Feldvariable „Förderung der Bürgerbeteiligung und des Bürgerschaftlichen Engagements“ lassen sich keine gravierenden Unterschiede bei den 15 untersuchten Großstädten ablesen. In allen Städten findet eine gezielte öffentliche Förderung statt, es werden ausreichende “Gelegenheitsstrukturen” (Wollmann) geschaffen. x In neun Städten wird zumindest eine Unterstützungsstruktur für Bürgerschaftliches Engagement angeboten (Berlin, Hamburg, München, Köln, Frankfurt, Essen, Düsseldorf, Bremen, Duisburg). x
Sechs Städte haben Stadtdialoge zur Förderung des BE eingerichtet (Dortmund, Stuttgart, Hannover, Nürnberg, Leipzig, Dresden). Nur hier kann
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auch von einer spezifischen Pflege der Anerkennungskultur bürgerlicher Beteiligung gesprochen werden. x
Allerdings ging die Organisation und Anwendung dieser Elemente in keiner Stadt so weit, dass von einer grundsätzlich neuen Qualität der politischen Mitbestimmung und Mitgestaltung durch Bürgerengagement gesprochen werden kann.
Die in der Literatur angenommenen Veränderungen der lokalen politischen Kultur lassen sich nicht eindeutig messen. Unsere Befunde zeigen allerdings, das der vorhandene rechtliche Rahmen von den Großstädten nur unzureichend ausgeschöpft wird. Nur sechs Städte haben Stadtdialoge und eine angemessene Anerkennungskultur etabliert. Wollmann verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass viele „Aktivitäten und Projekte teilweise noch reichlich unkoordiniert und ihr Erfahrungsaustausch untereinander (...) als wenig entwickelt erscheinen” (Wollmann 2002a: 111).92 Eine Erklärung für das noch unzureichende Angebot scheint in der zögerlichen Haltung der Stadtregierungen zu bieten. So wird von Vertretern der Stadtpolitik darauf verweisen, dass der entscheidende Grund für das Bürgerschaftlichen Engagement eher in dem Grad der Identifikation mit der Stadt und der Stadtpolitik zu suchen sei, und daher umfassende Anstrengungen der Stadt nicht notwendig seien. Dieses Argument lässt sich aber auch umkehren. Es ist vorstellbar, dass ein stärkeres Bemühen der Stadtverwaltung um eine breitere politische Partizipation eine höhere Identifikation der Bürger mit ihrer Stadt bewirken und in einer stärkeren Motivation zur politischen Teilhabe münden kann. Auf diesem Gebiet werden offensichtlich noch große Chancen ausgelassen, die vielfältigen Kompetenzen der Bürger in die Stadtpolitik einzubinden. Ein zunehmende Teilhabe an den lokalen kommunalen Partizipationsmöglichkeiten wäre aber notwendig, um die aktuell von bürgerlichen Milieus dominierte Stadtpolitik zu einer Veranstaltung aller Stadtbewohner zu machen, und die historisch gewachsene sozialstrukturelle Schieflage93 der Stadtpolitik auszugleichen. Das Potential, das die Bürgerbeteiligung und das Bürgerschaftliche Engagement für eine Entwicklung hin zu einer kooperativeren Stadtpolitik bieten, wird bei weitem nicht ausgeschöpft, viele Elemente haben noch einen eher legitimatorischen Charakter, als das es Instrumente der konkreten Mitgestaltung sind. Die Reformen der Kommunalverfassung haben in jedem Fall eines bewirkt: Eine nachhaltige Stärkung der Stellung der Oberbürgermeister. Er ist nun in
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Zur Behebung dieses Missstandes schlägt er die Einrichtung eines koordinierenden Gremiums auf Bundesebene, einen “Deutschen Rat für bürgerschaftliches Engagement” vor (ebd.). vgl. von Saldern 1998, Kocka 2002.
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allen Städten der Leiter der Verwaltung, führt in der Regel den Vorsitz in den entscheidenden Steuerungsgremien, (und in einigen Städten ist er auch der Vorsitzende des Stadtrates94), und er genießt durch die Direktwahl der Bürger eine hohe politische Legitimation und symbolische Macht. Vor der Reform der Kommunalverfassungen waren in den meisten Städten die Vorsitzenden der Mehrheitsfraktion die mächtigsten Personen in der lokalen Politikarena (vgl. Gissendammer 2002: 98). g) Fazit Mit der Reform der Kommunalverfassungen kam es in den Großstädten, in denen es zuvor keine Direktwahl der Oberbürgermeister gab, zu Machtverschiebungen. Der zentrale Netzwerkknoten im politisch-administrativen Bereich, der sich zuvor oft um den Vorsitzenden der Mehrheitsfraktion bildete, hat sich auf das Amt des OB verlagert95. Der Oberbürgermeister verkörpert durch seine gestärkte Führungsposition das Zentrum im lokalen Machtnetz, wodurch sich auch Vorentscheiderstrukturen neu gruppiert haben. In den Großstädten lässt sich der neue Führungsanspruch der Oberbürgermeister auch an den ihm zugeordneten Spiegelreferaten96 ablesen. Dennoch kann der OB kein Alleinherrscher sein, da seine wirkliche Macht von mehreren anderen Faktoren abhängt. Er ist bei Ratsentscheidungen auf eine Mehrheit angewiesen und benötigt zur Umsetzung der politischen Entscheidungen die Kooperation der Verwaltungsspitzen und zentraler städtischer Akteure. Um sie in Vorentscheidungsstrukturen einzubinden, benötigt er „politisches Geschick und Ambition” (Gissendammer 2002: 97). Das Knüpfen von Unterstützernetzwerken kostet außerdem Zeit, weshalb die Stabilität seiner Machtbasis auch von der Dauer seines Regierens abhängen kann. Das Einbinden von Unterstützern gelingt außerdem leichter, wenn größere finanzielle Ressourcen zur Verfügung stehen. Dementsprechend verfügen die Oberbürgermeister in Städten, die in einer schwierigeren ökonomischen Situation sind oder in denen ein Machtwechsel stattfand, oft über eine geringere Durchsetzungskraft. Eine durchsetzungsfähige Steuerung ist aber notwendig, da die „strategische Kapazität von der Präsenz einer einflussstarken individuellen
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Der Bedeutung dieses Amtes ist allerdings eher gering einzuschätzen (Gissendammer 2002). Dazu Gissendammer: “Der Machtvorteil des Bürgermeisters geht auf zusätzliche Ressourcen zurück, über die nur er verfügt. Der Bürgermeister, als das symbolische Stadtoberhaupt, ist der einzige, der sich legitimerweise in die Geschäfte eines jeden anderen einmischen kann” (2002: 98). Die Spiegelressorts werden meistens entsprechend der Gruppierung der städtischen Dezernate gebildet und dienen dem Oberbürgermeister zur fachkompetenten Steuerung und Kontrolle dieser Bereiche von oben.
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Führungspersönlichkeit abhängt, die gewillt ist, Institutionen ‚gefügig‘ zu machen” (Gissendammer 2002: 108). In den von uns untersuchten Städten dominieren zwei unterschiedliche Muster politischer Führung: der autokratisch durchsetzungsorientierte politische Unternehmer und die autokratisch-verhandlungsorientierte politische Integrationsfigur. Für vier Großstädten konnte kein verfestigtes Politikmuster identifiziert werden. Entweder befanden sie sich in einem tiefgreifenden politischen Umbruch oder es erfolgte aktuell ein politischer Wechsel, durch den sich noch kein deutliches Muster herausbilden konnte. In ihrer Außenwirkung erscheinen die beiden identifizierten Politikmuster auf den ersten Blick recht ähnlich. Beide Typen, der politische Unternehmer und die politische Integrationsfigur, kooperieren mit der Wirtschaft und den Verbänden und stellen ihre Stadt als optimalen Standort für Investitionen dar. Beide präsentieren sich außerdem als erfolgreiche Stadtmanager und charismatische Stadtväter mit einem offenem Ohr die Bürger (beide richten beispielsweise Bürgersprechstunden ein). Sie betonen unternehmerische Tugenden und versuchen Handlungs- und Durchsetzungsfähigkeit zu vermitteln. Denn die Qualität ihrer Außendarstellung hat Auswirkungen auf ihre Macht und auf die Chance zur Wiederwahl. Gleichzeitig unterscheiden sie sich allerdings in ihrem Umgang mit den Verwaltungsspitzen und den Beschäftigten sowie in entscheidenden Punkten ihrer politischen Programmatik. Der autokratische Stadtunternehmer setzt auf einen schlanken, effizienten Macht- und Verwaltungsapparat, der für ihn vor allem ein Instrument zur Durchsetzung seiner Politik ist. Er propagiert nach Innen einen „harten Sparkurs“ und forciert den Abbau von Bürokratie (Personal), um die Stadt als Unternehmen im Konkurrenzkampf mit anderen Dienstleistern zu stärken. Er treibt gern große Projekte voran, delegiert Detailaufgaben und ist an den konkreten Umsetzungsproblemen sowie den sozialen Folgen seiner Politik nur begrenzt interessiert. Durch sein Selbstverständnis als politischer Unternehmer präsentiert er sich nach ´Außen´ als Entscheider und Macher. Er sucht die Nähe zu den regionalen Unternehmen und zu den einflußreichen Verbänden. Gegenüber der Stadtverwaltung (der Bürokratie) und besonders gegenüber den Mitbestimmungsorganen der Arbeitnehmer hält er Distanz. Seine Handlungen stützt er insbesondere auf Hierarchien und Macht. Die autokratische Integrationsfigur setzt auf einen Umbau der Stadtverwaltung hin zu qualitätsorientierten Dienstleistungen. Sie betreibt nach Innen einen „moderaten Sparkurs“ und verweist als Chef der Verwaltung gerne auf ein offenes Ohr auch für die städtischen Mitarbeiter. Dabei werden auch die Dezernenten in Entscheidungsprozesse einbezogen und eigene Gestaltungsmöglichkeiten gewährt. Bei wichtigen politischen Entscheidungen und Konflikten schrecken
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sie aber nicht vor einer energischen Durchsetzung ihrer politischen Ziele zurück. Dabei berücksichtigt sie ihre Angewiesenheit auf eine aktive Mitarbeit der städtischen Beschäftigten, um die anvisierten politischen Ziele auch erreichen zu können. Durch das Selbstverständnis als integrierender Stadtvater und Stadtmanager präsentiert sich dieser Oberbürgermeister-Typus nach ´Außen´ als Integrationsfigur und Moderator und versucht für alle Gruppen der Stadtgesellschaft „da zu sein“. Dies gilt ebenfalls für die Mitbestimmungsorgane der Arbeitnehmer, mit denen einen strategische Kooperationen trotz möglicher Konflikte gesucht wird. x In vier Großstädten dominiert als Muster politischer Führung der autokratisch-durchsetzungsorientierte politische Unternehmer (Hamburg, Frankfurt, Düsseldorf, Dresden). x
In sieben Großstädten dominiert als Muster politischer Führung die autokratisch-verhandlungsorientierte politische Integrationsfigur (München, Stuttgart, Dortmund, Bremen, Hannover, Nürnberg, Leipzig).
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Vier Großstädte befinden sich in einem tiefgreifenden oder aktuellen politischen Umbruch, sodass sich kein verfestigtes Politikmuster identifizieren lässt (Berlin, Köln, Essen, Duisburg).
Abbildung 45: Muster politischer Führung
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Dominierendes Politikmuster Vom Führungsstil des Oberbürgermeisters beeinflußt
Selbstverständnis des Oberbürgermeisters und der politischen Führung
Autokratischdurchsetzungsorientiert
Politische Unternehmer
An Hierarchien und Macht orientierte Handlungsmuster Relativ geringe „Gestaltungsspielräume“ für die Dezernenten Distanz zur Stadtverwaltung und den Mitbestimmungsorganen der Arbeitnehmer
Leitbilder der Stadtpolitik
Stadt als Unternehmen Dominant ist das Selbstverständnis als politischer Unternehmer (Endscheider, Macher) Suchen vor allem die „Nähe“ zur regionalen Wirtschaft und ihren Verbänden sowie zu den Bürgern
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Stadt als Unternehmen im Konkurrenzkampf mit anderen Dienstleitern „Schlanke“, effiziente Verwaltung (Kernaufgaben) durch Bürokratieabbau (Personalabbau) und forcierte Privatisierung „Harter“ Sparkurs Bürger als Nachfrager und Wähler
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Fortführung Abbildung 46: Muster politischer Führung Frankfurt, Düsseldorf, Hamburg, Dresden Autokratisch-verhandlungsorientiert Stadt als öffentlicher Politische Integrationsfigur Dienstleister x
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x Dominant ist das Selbst- Stadt als Anbieter moderAn Kooperation orientierte verständnis als integrati- ner, öffentlicher DienstleiHandlungsmuster (machtpolitiver Stadtvater und sches und hierarchieorientiertes tungen Stadtmanager (Integrati- Umbau der Verwaltung hin Handeln erst bei Widerstand) onsfigur, Moderator) Erweiterte Gestaltungsmöglichzu qualitätsorientierten x Suchen die „Nähe“ zu keiten für die Dezernenten (im Dienstleistungen allen Gruppen der Stadt- „Moderater“ Sparkurs Rahmen der Haushaltslage) gesellschaft, besonders Kooperation mit der StadtverBürger als Koproduzenten zu den Bürgern waltung und den Mitbestimund Wähler mungsorganen der Arbeitnehmer München, Nürnberg, Hannover, Stuttgart, Bremen, Dortmund, Leipzig Großstädte im politischen Umbruch (ohne bereits verfestigtes Politikmuster) Essen, Duisburg, Berlin, Köln
Nach unseren Befunden greift das zentrale Argument jener Stimmen zu kurz, die sich von einem strukturellen Machtzuwachs der Bürgermeister größere Chancen für eine finanzielle Konsolidierung der Städte versprochen haben97. Die politische Lage der Städte ist komplexer, und für ihre finanzielle Situation sind andere Einflussgrößen wichtiger, wie zum Beispiel die wirtschaftlichen und die strukturellen Rahmenbedingungen.98 Gissendammer ist zuzustimmen, wenn er kritisiert, dass in der deutschen Diskussion die Bedeutung des institutionellen Rahmens für den Einfluss des Oberbürgermeisters überschätzt werde (Gissendammer 2002: 107). Der Oberbürgermeister ist zwar die zentrale politische Figur der Stadtpolitik, um den sich wichtige Vorentscheider gruppieren und er kann auch mehrere entscheidende Machthebel bedienen. Diese Stellung muss er jedoch möglichst mit Charisma sowie mit Kooperations- und Durchsetzungsfä-
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Siehe die oben dargestellte Argumentation von Banner und Bogumil. Dieser Komplexität versucht unser breiter angelegter Forschungsansatz gerecht zu werden (s. Kap 2).
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higkeit ausfüllen, um die politische Gefolgschaft zentraler Akteure und die Mehrheit der Wähler zu erreichen.99 Ob sich dabei in Zukunft ein stärker unternehmerischer oder ein stärker integrativer Führungsstil bewähren wird, ist angesichts der bisherigen Entwicklungen in den 15 Großstädten nicht eindeutig zu beantworten. Vor allem in der (Medien-) Öffentlichkeit, in den Parteien und auch in einigen Führungsetagen der Stadtverwaltungen wird derzeit ein unternehmerischer Führungsstil favorisiert. Betrachtet man jedoch alle untersuchten Großstädte, zeigt sich auch eine gegenläufige Tendenz. Trotz wirtschaftlich, sozial und politisch sehr unterschiedlichen Gesamtsituationen in den jeweiligen Großstädten, sind auch Oberbürgermeister mit einem eher kooperativen, integrierenden Führungsstil erfolgreich. Neben den Veränderungen der politischen Führung in den Großstädten hat sich als zweites wichtiges Element die Rolle der Bürger in der lokalen Demokratie gewandelt. Doch entwickelt sie sich tatsächlich in die Richtung der Leitbilder einer aktiven Zivilgesellschaft oder gar einer Bürgerkommune mit Bürgern als politische Auftrageber, Kunden und Mitgestalter des Gemeinwesens (Osthorts/Prigge 2003: 19)? Ausgehend von der Situation der politischen Vertretungen in den Stadtbezirken, lässt sich diese Entwicklung eher nicht belegen. Lediglich in zwei Dritteln der Großstädte werden die Stadtbezirksvertreter direkt von den Bürgern gewählt und nur in der Hälfte der Städte verfügen sie über weitergehende Rechte. Ähnlich stellt sich die Situation bei der Anwendung der Instrumente direkter Demokratie dar. Lediglich in vier der fünfzehn Großstädte kam es häufiger zur Durchführung von Bürgerentscheiden, wogegen in acht Städten keine Bürgerentscheide stattfanden. Es zeigt sich vielmehr, dass Referenden dann häufiger durchgeführt werden, wenn die Städte bereits über eine länger gewachsene direktdemokratische Tradition und Kultur verfügen, wie die süddeutschen Großstädte100. Die süddeutschen Großstädte verfügen zwar über diese längere Tradition und haben ihre Oberbürgermeister schon immer direkt gewählt, besitzen jedoch geringere Entscheidungsrechte bei den Stadtbezirksvertretungen. Auf diese Situation wurde bisher lediglich in der Großstadt München reagiert, wo die Direktwahl der Stadtbezirksvertretungen vor einigen Jahren eingeführt wurde. 99
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Wie Gissendammer in einem Stadtvergleich von Augsburg und Dortmund aufzeigt, können diese strategischen Fähigkeiten entscheidender sein als ein formal machtvollerer institutioneller Rahmen. Diese Annahme wird gestützt durch die Daten der Forschungsstelle Bürgerbeteiligung und direkte Demokratie (2004). vgl. auch Wollmann zur Entwicklung der Anwendungshäufigkeit von Referenden in Baden-Württemberg seit 1956 (Wollmann 1998: 140).
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Auf der Grundlage unserer Ergebnisse müssen die Hoffnungen auf eine nachhaltige Belebung der lokalen Demokratie, zumindest für einige der untersuchten Großstädte, relativiert werden. Die Hoffnung, ”dass das direktdemokratische Pflänzlein des kommunalen Referendums (...) durchaus Wurzeln zu schlagen begonnen hat, und wenn schon nicht einen Umbruch, so doch eine bedeutsame Veränderung der kommunalen Institutionenwelt und Politikkultur und insgesamt eine nachhaltige101 Belebung der lokalen Demokratie einleiten könnte” (Wollmann 1998: 140), gilt nicht durchgängig. Festellen lässt sich hingegen in allen Städten eine forcierte Förderung des Bürgerschaftlichen Engagements. Konkret geht es aber nur selten über die Bereitstellung von Gelegenheitsstrukturen, die öffentliche Anerkennung für freiwilliges Engagement, die Einrichtung von Kommunikationsgremien (Bürgeranhörung) oder die Darstellung politischer Entscheidungen hinaus. Es gibt nach unseren Befunden viele interessante Ansätze, aber (noch?) keine grundsätzlich neue Qualität politischer Mitbestimmung. Einfluss auf zentrale politische Entscheidungen wird durch Instrumente direkter Demokratie in den 15 Großstädten bisher nur in wenigen (Ausnahme-) Fällen genommen. Die Reformen des institutionellen Rahmens haben vor allem die politische Position der Oberbürgermeister gestärkt und sie mit mehr Steuerungsmacht ausgestattet. Dies erscheint bisher jedoch nicht hinreichend, um vor allem die Haushaltsprobleme vieler Großstädte besser in den Griff zu bekommen und schon gar nicht angesichts der enormen Zukunftserfordernisse in den Großstädten. Die gestärkte Machtposition der Oberbürgermeister könnten sie dazu nutzen, der lokalen politischen Kultur einen kooperativeren, demokratischeren Charakter zu verleihen, sie müssen dies aber nicht. Wie am Beispiel der autokratisch-durchsetzungsorientierten Oberbürgermeister deutlich wird, ist derzeit nicht allein Kooperationsfähigkeit ein wichtiges Kriterium modernen Regierens. Wichtig ist auch, mit wem kooperiert wird und welche Gruppen der Stadtgesellschaft am Rande stehen oder sogar ausgegrenzt werden. Das Damoklesschwert der direkten Demokratie im Nacken der Verwaltungsspitze hat bisher noch eine recht stumpfe Klinge. Der formale Rahmen ermöglicht zwar eine weitergehende Bürgereinbindung in die lokale Demokratie, dieser wird bisher von der Politik, aber auch von den Bürgern nicht wirklich ausgeschöpft. Außerdem sind in vielen Großstädten zum Beispiel die Unterschrifts- und Zustimmungsquoren für Referenden unnötig hoch. In den Großstädten Bayerns mit ihrer längeren direktdemokratischen Tradition und vergleichsweise geringen Quoren fanden bisher dementsprechend die meisten Re-
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Hervorhebung von uns.
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ferenden statt.102 Wie die Entwicklung der Anwendungshäufigkeit kommunaler Referenden in Baden-Württemberg zeigt (vgl. Wollmann 1998: 140), bedarf es einer längeren Einübungsphase auf beiden Seiten mit diesen Instrumenten. Gleichzeitig hat die Geschichte der Bundesrepublik, und vor allem die der Neuen sozialen Bewegungen gezeigt, dass auch ohne einen auf Partizipation ausgerichteten institutionellen Rahmen, in Initiativen organisierte Bürger Einfluss auf lokale Politik nehmen können. Aktuell läßt sich weder in den städtischen Administrationen noch bei der Stadtbürgerschaft in den Großstädten eine wirklich neue Qualität im Sinne eines breiten Interesses an direkter lokaler Demokratie feststellen. Es besteht außerdem die Gefahr, dass die Bürgerbeteiligung in der lokalen Politik eine ”symbolische Inszenierung” bleibt und vor allem ”eine legitimatorische Funktion hat” (Osthorst/Prigge 2003: 144). Denn die tatsächlich erweiterten Partizipationsmöglichkeiten und Hoffnungen der Bürger (Direktwahl der Bürgermeister, Bürgerbegehren, Bürgerforen und Befragungen) werden durch andere Entwicklungstrends zum Teil erheblich konterkariert: zum Beispiel durch die Modernisierungsstrategie der Auslagerung oder Privatisierung öffentlicher Aufgaben (vgl. Kapitel 5.2.3) und vor allem durch die sich zuspitzende Haushaltskrise in vielen Großstädten. Bürger verfügen zwar über erweiterte Einflussmöglichkeiten, mit denen sich jedoch angesichts abnehmender kommunaler Handlungsspielräume, wenig verändern lässt. Diese Gefahr der „Partizipationsenttäuschung“ (Bogumil u.a. 2004: 7) spitzt sich weiter zu, wenn wie in Hamburg geschehen, ein erfolgreicher Volksentscheid (zur Privatisierung von Krankenhäusern) vom Senat durch Gerichtsbeschluß aufgehoben wird.
102
Vergleiche Tabelle 11 und 12 Kap 3.
C. 3.
C. 2.
C. 1.
Verteilung zu C. 2.
Parteienkonstellation
Verteilung zu C. 1.
Politische Führung
Langjährige, durch eine oder mehrere Parteien geprägte Konstellation Hannover, Bremen
Regierungschef mit absoluter Parlamentsmehrheit Hamburg
München, Nürnberg und Stuttgart
Verteilung zu C.0.
Institutioneller Rahmen
Ausprägung A Städte mit längerer direktdemokratischer Tradition und zentraler politischer Führung.
Pfadvariable
Dresden, Frankfurt, München, Nürnberg, Köln, Hamburg, Berlin
Regieren mit neuen, stabilen Mehrheiten
Regierungschef mit Koalitionsmehrheit Berlin, Bremen
Berlin, Hamburg und Bremen
Ausprägung B Stadtstaaten, Großstädte mit verteilter politischer Führung und neuen Elementen direkter Demokratie.
OB mit stabilen Mehrheiten Dresden, Düsseldorf, Frankfurt, Hannover, München, Köln, Nürnberg Formale politische Zusammenarbeit mit knappen Mehrheiten Duisburg, Düsseldorf, Essen
Leipzig, Dresden
Ausprägung C Großstädte die ihre kommunale Politik neu aufbauen
Abbildung 47: Auswertungsübersicht zur Entwicklung großstädtischer Demokratie
Informelle Zusammenarbeit politischer Parteien u. Gruppen Leipzig, Stuttgart, Dortmund
Duisburg, Dortmund, Essen, Leipzig, Stuttgart
Dortmund, Duisburg, Düsseldorf, Essen, Köln, Hannover, Frankfurt OB mit labilen Mehrheiten
Ausprägung D Reformierte Großstädte mit erst beginnender direkter Demokratie und zentraler politischer Führung.
C. 4.
Verteilung zu C.3.
Rechte der Stadtbezirksvertretung
Pfadvariable
Ausprägung A Ersatz durch Beteiligung örtlicher Bürgervereine Nürnberg
Ausprägung B Eingeschränkte Rechte mit abgeleiteter Legitimation Stuttgart, Leipzig, Dresden
Ausprägung C Eingeschränkte Rechte mit demokratischer Legitimation Frankfurt, Bremen,
Fortführung Auswertungsübersicht zur Entwicklung großstädtischer Demokratie
Berlin, Hamburg, Köln, Essen, Dortmund, Düsseldorf, Duisburg Hannover, München
Ausprägung D Weitgehende Rechte mit demokratischer Legitimation
Anwendung der Instrumente direkter Demokratie Verteilung zu C. 4.
Förderung von Bürgerbeteiligung/Bürgerschaftlichem Engagements Verteilung zu C. 5.
C. 5.
C. 6.
Pfadvariable
0
Berlin, Hamburg, München, Köln, Frankfurt, Essen, Düsseldorf, Bremen, Duisburg
Neue Qualität politischer Mitbestimmung
0
Dortmund, Stuttgart, Hannover, Nürnberg, Leipzig, Dresden
Ausprägung D Häufige Nutzung auf städtischer und bezirklicher Ebene 0
Stadtdialoge zur BE, Pflege der Anerkennungskultur
München, Hamburg, Nürnberg, Dresden
Stuttgart, Düsseldorf, Hannover
Berlin, Köln, Frankfurt, Essen, Dortmund, Bremen, Duisburg, Leipzig Ohne gezielte Förderung Gewährleistung einer Unterstützungsstruktur
Ausprägung C Häufigere Nutzung von Bürgerentscheiden
Ausprägung B Vereinzelte Nutzung von Bürgerentscheiden
Ausprägung A Keine Nutzung von Bürgerentscheiden
Fortführung Auswertungsübersicht zur Entwicklung großstädtischer Demokratie
302 5.2.3.
Felder und Ausprägungen großstädtischer Modernisierungspolitik
Verwaltungsmodernisierung
Den Untersuchungen im Modernisierungspfad der Verwaltungsmodernisierung haben wir die Annahme zu Grunde gelegt, dass die Großstädte mit ihrer Verwaltungsreformpolitik in erster Linie ihre öffentlichen Haushalte sanieren und den öffentlichen Sektor durch die Einführung neuer Steuerungsmodelle effektivieren möchten, um kommunale Steuerungsfähigkeit zurückzugewinnen. Um die Potentiale, Fortschritte und Defizite der Verwaltungsmodernisierung abschätzen zu können, soll zunächst ein Blick auf den institutionellen Kontext geworfen, unter dem die Großstädte ihre Strategien der Verwaltungsreformpolitik entwickeln, auswählen und anwenden. Wie wir bereits in Kap. 3 zeigen konnten, ist in das Institut der kommunalen Selbstverwaltung ein hybrider Steuerungsmodus eingelagert. Kommunen und Großstädte müssen sich demokratisch gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern legitimieren und sollen ihre lokalen Verwaltungsangelegenheiten managen. Aus den Verwaltungsaufgaben der Kommunen ergibt sich eine weitere Verflechtungsstruktur. Kommunen nehmen in einem großen Ausmaß öffentliche Aufgaben im Wege der Auftragsverwaltung für den Bund und die Länder wahr. Andererseits verfügen die Kommunen über ein eigenes Aufgabenerfindungsrecht und damit einen eigenen Wirkungsbereich. In der kommunalen Praxis und der formalen Verwaltungsorganisation werden die Grenzen zwischen beiden Aufgabensektoren nicht abgebildet. Aus der hierarchische Arbeitsteilung bei der Verteilung öffentlicher Aufgaben und Finanzen zwischen dem Bund und Ländern zu Lasten der Kommunen folgt außerdem, dass strategische Steuerungsentscheidungen über Aufgaben und Ressourcen außerhalb der Kommunen auf höheren staatlichen Ebenen fallen und den Großstädten nur das operative Management dieser Aufgaben überlassen wird. Die Bewältigung des Knappheitsproblems der verfügbaren Ressourcen wird von den höheren staatlichen Ebenen, wie die Entwicklung der Gemeindefinanzen zeigt, nur zu gerne den Kommunen überantwortet. Unter diesen institutionellen Bedingungen geht es für die Großstädte bei der Verwaltungsmodernisierung realistischerweise nicht um die Aufhebung jeder Form von Bürokratie, sondern um veränderte, modernere Muster der Bürokratisierung, die neuen Formen der Staatlichkeit entsprechen. Gefragt sind neue Grenzziehungen zwischen Politik und Verwaltung, zwischen Verwaltungsorganisationen und Organisationen der Wirtschaft und des Dritten Sektors, zwischen Verwaltung und Bürgern sowie zwischen den verschiedenen staatlichen Ebenen und Aufgabenfeldern. Die Optionen des Gewährleistungsstaates und des New Public Management, die als Public-Choice-Ansatz, Neue Institutionenökonomie und Managerialismus thematisiert werden, versprechen eine klarere Trennung
Felder und Ausprägungen großstädtischer Modernisierungspolitik
303
von Politik und Verwaltung bei gleichzeitiger Ökonomisierung der Verwaltungsstrukturen (Felder: 2001:139/140). Die Kommunen gelten als Vorreiter der Verwaltungsmodernisierung in Deutschland. Sie folgten in den 90er Jahren dabei überwiegend der Modernisierungsphilosphie des Neuen Steuerungsmodells (NSM) der dezentralen Ressourcenverantwortung, das von der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGSt) entwickelt wurde. Das NSM wird zu dem Bereich des New Public Management gezählt werden. Mit den Vorschlägen zur Reform der Verwaltungsführungen wird versucht, Elemente einzelwirtschaftlicher Steuerungsmethoden aus der privaten Wirtschaft auf die kommunale Verwaltung zu übertragen: x Steuerung der Verwaltung und ihrer Mitarbeiter durch Zielvereinbarungen bzw. Kontrakte zwischen Verwaltungsführung/Politik und ausführenden Organisationseinheiten (Management by Objectives und Management by Results) x
Verantwortungszentren, d.h. Enthierarchisierung durch Dezentralisierung und Verselbständigung von Verwaltungseinheiten (Konzernmodell als Prinzip der Organisation)
x
Formulierung von Leistungs-, Qualitäts- und anderen Standards (Leistungsindikatoren)
x
Einführung betriebswirtschaftlicher Formen der Personalrekrutierung, beurteilung, und -entwicklung (Personalmanagement) sowie
x
Controlling/Budgetierung als neue Form der Steuerung kommunaler Haushalte und kommunalen Handelns (Busse u.a.. 1997, 33 ff.).
In einer weitergehenden Beschreibung des NSM propagierte die KGSt bereits 1993 als neues Leitbild das politisch gesteuerte "Dienstleistungsunternehmen Kommunalverwaltung". Die kommunalen Beteiligungsunternehmen (Eigenbetriebe und Eigengesellschaften) müssten - bei aller gewollten Selbständigkeit in die von den politischen Gremien verfolgten kommunalpolitischen Ziele eingebunden sein, da sie kommunale Aufgaben zu erfüllen hätten. Das Geschäftsergebnis der Beteiligungsunternehmen hänge entscheidend von der Qualität der Steuerung und Kontrolle durch den Eigentümer (Trägerkommune) und den Wettbewerbsbedingungen ab. In mancher Großstadt würden die Beteiligungsunternehmen bereits mehr als die Hälfte der Beschäftigten stellen, würde das Umsatzvolumen der Beteiligungsunternehmen das Haushaltsvolumen übersteigen und würden die öffentlichen Unternehmen zum Hauptinvestor der Region wer-
304
Felder und Ausprägungen großstädtischer Modernisierungspolitik
den. Die KGSt befürchtet in dem Zusammenhang eine Erosion der kommunalen Selbstverwaltung, falls dieser Trend anhalte (Prigge 1999: 23 ff.). Die Empfehlungen der KGSt können als ein Modernisierungsprogramm für ein neues öffentliches Verwaltungsmanagement verstanden werden. Sie sprechen in selektiver Weise die Akteursperspektive der Verwaltungsführungen in den Kommunen an und blenden die politischen, prozessualen und arbeitspolitischen Konsequenzen der Modernisierung des öffentlichen Sektors weitgehend aus. Nach einer Umfrage des Deutschen Städtetags beschritten 203 Städte im Jahre 1998 den Reformweg. Das waren mehr als drei Viertel der 271 unmittelbaren Mitgliedsstädte des Deutschen Städtetages (Städtetag Juni 1998). Schwerpunkte der Modernisierungen in den Rathäusern bilden laut der Umfrage: x das Haushalts- und Rechnungswesen, x
die Personal- und Organisationsentwicklung und
x
die Ausgliederung städtischer Aufgaben.
Der neuere Stand der Verwaltungsmodernisierung nach dem NSM wurde von der Unternehmensberatung Price, Waterhause & Coopers (PWC) mit einer schriftlichen Erhebung untersucht (Price, Waterhause & Coopers 2003: Deutsche Städte auf dem Weg zum modernen Dienstleister, Kommunalstudie 2002). Die Umsetzung des NSM wird in der PWC-Studie mit den Variablen „Erstellung eines Leitbildes“, „Kosten- und Leistungsrechnung“, „Dezentrale Ressourcensteuerung“, „Controlling“, „Budgetierung“ sowie „Kontraktmanagement in der Verwaltung“ evaluiert. Einbezogen wurden in die Befragung alle 197 Städte mit mehr als 50.000 Einwohnern. Die Rücklaufquote betrug 50%, von den fünfzehn größten deutschen Städten beteiligten sich zehn. Untersuchungsergebnisse für den Kreis der fünfzehn größten Städte werden in der PWC-Studie nicht gesondert ausgewiesen.
Felder und Ausprägungen großstädtischer Modernisierungspolitik
305
Abbildung 48: Einführung von NSM-Elementen
Einführung von NSM-Elementen ein ge füh rt
K o n tr a
k tm a n
agem e
Budge
D ez
u rc e n ve
tu n u . L e is K o s te n
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s n e in e E rs te lle
21%
68%
35 %
6 0%
nung
L e it b ild
44%
53%
lli n g
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g s re c h
18 %
77 %
ti e ru n g
C o n tr o
R esso e n tr a le
4 1%
30 %
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g ep la n t
4 4%
es 0%
20%
2 9%
40%
60%
80%
100%
120%
PriceWaterhouse&Coopers 2003
Nach den Ergebnissen der Studie ist die Einführung der Budgetierung, der dezentralen Ressourcenverantwortung, der Kosten- und Leistungsrechnung und mit gewissen Abstrichen – des Controlling am weitesten vorangeschritten. Hinter der Modernisierung der zentralen und dezentralen Ressourcensteuerung bleiben die Einführung des Kontraktmanagements und das Erstellen von Leitbildern zurück. Die PWC-Studie geht davon aus, dass sich damit nach gut 10 Jahren Verwaltungsreform zentrale Elemente des Neuen Steuerungsmodells (NSM) in der kommunalen Praxis durchgesetzt haben (s. Abbildung)! Die Großstädte können die prozessuale Steuerung der Verwaltungsmodernisierung als Linien- oder Stabsfunktion organisieren. In der Praxis wurde sie der Kämmerei, dem zentralen Steuerungsdienst oder einer zeitlich befristeten Projektgruppe übertragen. Nach unseren Erhebungen haben mehrere Großstädte die besonderen Organisationseinheiten für Verwaltungsmodernisierung einschließlich der besonderen Prozessorganisation in den letzten Jahren aufgelöst, weil das Verwaltungsreformprogramm als abgearbeitet erklärt wurde oder aber die Verwaltungsreform zum Gegenstand eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses der Kernverwaltung gemacht werden sollte. Mehrere Großstädten haben
306
Felder und Ausprägungen großstädtischer Modernisierungspolitik
zudem Consultingfirmen für die strategische und operative Beratung zu hohen Marktpreisen eingekauft. Eine überregional tätige Firma hat ihr Beratungskonzept mehrfach an Großstädten verkaufen können. Eine nachhaltige Wirkung hat diese Beratung aber nur in einer Großstadt hinterlassen, wobei die Umsetzung des Konzeptes in einer anderen Großstadt u.a. an einem Wechsel der politischen Mehrheiten scheiterte. In das Beziehungsgeflecht kommunaler Modernisierungspolitik sind die politischen Repräsentanten der Parteien und Ratsfraktionen, die politische Verwaltungsführung mit den Dezernaten und Fachbereichen, die Leiter der Ämter, Fachdienste und Einrichtungen sowie die Geschäftsführer der öffentlichen Unternehmen und Betriebe eingebunden. Diese Akteursgruppen achten auf die Akzeptanz der Leistungserbringung in Interaktion mit der Marktentwicklung und in Kooperation mit relevanten gesellschaftlichen Gruppen. Über die Arbeitsprozesse wirken die Beschäftigte und ihre Interessenvertretungen in den Personal- und Betriebsräte sowie Gewerkschaften an der Dienstleistungsproduktion und den Steuerungsleistungen mit. Kennzeichnend für diese Regelungsstruktur ist, dass diese Akteursgruppen untereinander nach institutionell geprägten Ritualen kommunizieren, verhandeln und entscheiden. Als Ergebnis des Machtkampfes bilden sich Hegemonialprojekte heraus, welche in einer Koalition aus Modernisierungsakteuren durchgesetzt werden. Je nach Auswahl der Modernisierungsbausteine und Variation der Implementationsstrategie können sich in den Städten verschiedene Muster der Verwaltungsmodernisierung herausbilden und behaupten (Prigge 1999: 32). Für eine neue Phase kommunaler Entwicklung, die nicht mehr allein durch das NSM geprägt ist („Post-NSM-Phase“), werden zwei große Herausforderungen gesehen: Zum einen gebe es Probleme beim Zusammenführen der dezentralisierten Organisationseinheiten (!) im Hinblick auf gesamtstädtische Belange. Zum anderen fehle es häufig an der tatsächlichen Akzeptanz der neuen Systeme und Regeln im Arbeitsalltag. Dies verweise auf die Herausforderung, den Kulturwandel besser zu organisieren (Naschold 2000: 113). Die Probleme mit der Steuerung der dezentralen Einheiten und der Akzeptanz neuer Systeme und Regeln sowie dem Kulturwandel könnten auch darin begründet liegen, dass NSM-orientierte Modernisierungsimpulse im Zusammenwirken mit staatlichen Rahmenbedingungen und regionalen Entwicklungsbedingungen zur Erosion und Fragmentierung der Kommunalpolitik und Kommunalverwaltung führen. Diese Differenzierung könnte einen neuen Bedarf nach einer stärker integralen Führung der Städte auslösen. Als weiterführende Rezepte für die integrale Führung der Städte werden Konzepte der politisch-manageriellen Gesamtsteuerung (Banner 2002,. Schuster, Murawski 2002) und der strikteren Organisierung des kommunalen Sektors nach dem Konzernmodell (Prigge, Köllmann 2000,
Felder und Ausprägungen großstädtischer Modernisierungspolitik
307
Schneider, Böck, Killian, Kreissler 2001, Schneider 2002, DifU 2003) empfohlen. Empirisch zu klären bleibt die Frage, welche Muster die Verwaltungsmodernisierung prägen, ob die Post-NSM-Phase großstädtischer Modernisierung in Deutschland bereits begonnen hat und welche Governancestrukturen dabei eine wichtige Rolle spielen. Nach der Analyse des institutionellen Kontextes, der Akteurkonstellationen und sowie der diskutierten Strategien haben wir uns entschieden, das durch qualitative Erhebungen gewonnene empirische Material im Hinblick auf x Veränderungen des Steuerungstyps (a) x
den Stand der Modernisierung in der Ressourcensteuerung (b)
x
die Organisation der Steuerung öffentlicher Betriebe und Unternehmen (c),
x
das Angebot dezentraler allgemeiner Verwaltungsdienste (Bürgerservice) (d) und
x
auf Angebote des E-Government (e)
auszuwerten. Diese fünf Variablen des Feldes wollen wir näher betrachten und ihnen die Ergebnisse unserer Recherche in den Großstädten zuordnen (s. Abbildung am Schluss des Abschnittes). a) Veränderungen des Steuerungstyps Hinsichtlich der möglichen Veränderung des Typs der Steuerung sind wir von einem Entwicklungspotential in den Großstädten ausgegangen, das durch die Entwicklungsstadien der traditionellen Verwaltungssteuerung, der Umsetzung von NSM-Bausteinen in der Kernverwaltung, durch die Ausbildung des Konzern Stadt in der Form eines Steuerungs- und Konsolidierungskreises für den kommunalen Sektor sowie die integrierte politisch-managerielle Steuerung des Konzern Stadt hätte geprägt sein können. Den Zustand der traditionellen Verwaltungssteuerung haben wir in keiner der von uns untersuchten Großstädte mehr angetroffen. Das besonders anspruchsvolle Konzept der integrierten politisch-manageriellen Steuerung des Konzern Stadt befand sich nur in einer Großstadt bereits in der Implementierung. Der integrative Anspruch des strategischen Steuerungskonzeptes wird in dieser Stadt sowohl auf die Beziehungen zwischen Politik, Verwaltung und den Bürgern als auch auf die konzernförmige Steuerung der Kernverwaltung und der ausgegliederten Einrichtungen, Betriebe und Unternehmen der Stadt bezogen. Der gesamte Entwicklungs- und Implementierungsprozess ist gut dokumentiert.
308
Felder und Ausprägungen großstädtischer Modernisierungspolitik
Einschränkend muss angemerkt werden, dass die Krisenfestigkeit dieses aufwändigen und bereits in großen Teilen implementierten Konzeptes noch nicht beurteilt werden kann. Acht Großstädte verstehen den Konzern Stadt als ein Organisationsmodell zur Steuerung und Konsolidierung ihres kommunalen Sektors (Konzern als Steuerungs- und Regelkreis für die Kernverwaltung, öffentlich-rechtliche Betriebe und die privatrechtlich geführten Gesellschaften). Aufgaben, Ressourcen und institutionelle Strukturen der Beteiligungsunternehmen und der Kernverwaltung können von diesen Städten in Ansätzen strategisch und ergebnisbezogen gesteuert werden. Die Kernverwaltung einerseits sowie die ausgegliederten Einrichtungen, Betriebe und Unternehmen andererseits stehen als Subbereiche des kommunalen Sektors aber noch relativ unverbunden nebeneinander. Unterschiedlich gegliederte Konzernberichte mit kaum vergleichbaren Kennzahlen sorgen für wenig Transparenz in der Aufgaben- und Ressourcenverteilung in diesen und zwischen diesen Städten. Das Finanz- und Rechnungswesen folgt noch einer unterschiedlichen Logik, Personalpolitik und Personalentwicklung verbleiben in den Subbereichen. Einmal werden öffentlich-rechtliche Eigenbetriebe zur Kernverwaltung zugeordnet, ein anderes Mal dem ausgegliederten Bereich zugeschlagen. Die großen Transparenzdefizite im Konzern Stadt verdeutlichen, wie wichtig die Realisierung eines Public Corporate Governance Kodex (Budäus 2002:37) und wie notwendig eine politische Steuerung und demokratische Legitimation öffentlicher Unternehmen ist (Prigge 2004: 97). In sechs Großstädten dominiert noch die Umsetzung von NSM-Bausteinen die Verwaltungsmodernisierung. Den kommunalen Sektor einer Großstadt als Konzern zu organisieren, war hier kein Thema. Für diese Situation gibt es nach unseren Recherchen unterschiedliche Gründe. In einem Fall sind nach einem ambitionierten Start der Verwaltungsmodernisierung Anfang der 90er Jahre die Protagonisten dieses Prozesses von Bord gegangen. Der Reformmotor geriet ins Stottern. In drei Fällen wird aus erklärtermaßen politischen Gründen ein moderater Modernisierungskurs in den Großstädten gefahren und das NSM als Modernisierungsprogramm und der Konzern Stadt als Organisationsmodell nur bedingt akzeptiert. Im Falle von zwei Großstädten sind die Erfordernisse des Um- und Aufbaus kommunaler Dienstleistungen so prägend, dass hinter diesen Alltagszwängen die Realisierung weiterführender Entwicklungsstrategien noch zurückstehen muss.
Felder und Ausprägungen großstädtischer Modernisierungspolitik
309
b) Modernisierung der Ressourcensteuerung Zu vermuten ist, dass sowohl in der NSM-Phase als auch in der Post-NSMPhase die Modernisierung der Ressourcensteuerung einen Schwerpunkt in der großstädtischer Verwaltungsreformpolitik bildet. Sie wird in den Städten durch Änderungen des Haushaltsrechts realisiert und durch besondere Förderprogramme mehrerer Bundesländer (vgl. das Programm „Neues kommunales Finanzmanagement (NKF)“ in Nordrhein-Westfalen) gut abgestützt, sodass von einem einigermaßen kontinuierlichen Entwicklungsprozess zur weiteren Modernisierung des Finanz- und Rechnungswesens in einem Zeithorizont von fünf bis zehn Jahren ausgegangen werden kann. Die Ausprägungen dieser Feldvariablen wollen wir mit den Ausprägungsstufen des inkrementalistischen Vorgehens, der zentralen Ressourcensteuerung mit Budgetierung und Controlling, des budgetierten Produkthaushalts mit dezentraler Ressourcenverantwortung und Controlling sowie eines neuen integrierten Kommunalen Finanzmanagements mit weitgehend funktionsfähiger Kosten- und Leistungsrechnung (KLR) erfassen. Eine Großstadt, deren Ressourcensteuerung durch ein inkrementalistisches Vorgehen gekennzeichnet wäre, haben wir nicht mehr vorgefunden. In acht Großstädten ist die Modernisierung der Ressourcensteuerung nach den Befunden zentral ausgerichtet und mit einer groben Budgetierung und einem einfacheren aufgabenbezogenen Controlling verbunden. Zu dieser Gruppe gehört die überwiegende Mehrzahl der Städte (mit Ausnahme der Stadtstaaten), deren Lage durch einen prekären Strukturwandel oder durch Schrumpfung gekennzeichnet ist und/oder die eine akute Haushaltskrise zu bewältigen haben. Die Not der Haushaltskonsolidierung führt in diesen Städten auch zur ReZentralisierung von Ressourcenentscheidungen. Haushaltsreste, die im Rahmen der Jahresbudgets eigentlich übertragbar sein sollten, werden zur Deckung von Haushaltslöchern fast vollständig abgeschöpft. Instrumente für eine feingliedrige Ressourcensteuerung sind nicht konsequent entwickelt oder wurden wieder zurückgenommen. An der Entwicklung eines Neuen Kommunalen Finanzmanagements beteiligen sich mehrere Städte aus dieser Gruppe, sodass hier in den nächsten Jahren noch Fortschritte zu erwarten sind. Sechs Großstädte vermelden einen budgetierten Produkthaushalt mit dezentraler Ressourcenverantwortung und Controlling. Hier ist einschränkend anzumerken, dass in den Produkthaushalten die Produktinformationen häufig noch unvollständig sind, sodass die angestrebte Steuerungswirkung noch kaum entfaltet werden kann. Detailliertere Controlling-Berichte ermöglichen aber die Analyse von aufgabenbezogenen Soll/Ist-Vergleichen und unterstützen die daraus
310
Felder und Ausprägungen großstädtischer Modernisierungspolitik
folgenden Steuerungsentscheidungen. „Systemwidrige“ Eingriffe aus haushaltspolitischen Gründen halten sich in dieser Ausprägung der Ressourcensteuerung in Grenzen. Als technische Infrastruktur dieser Stufe der Ressourcensteuerung dienen häufig umfangreiche Softwarepakete namhafter deutscher Softwareentwickler. Sie sind im Rechnungs- und Finanzwesen privater Dienstleistungsunternehmen erfolgreich erprobt. Ihr Einsatz im kommunalen Sektor setzt aber voraus, dass sie mit erheblichem Ressourcenaufwand angepasst werden. Indizien sprechen für die Annahme, dass Großstädte mit einer günstigeren Finanzsituation diesen Prozess schneller bewältigen können, weil sie den Ressourcenaufwand für die Entwicklung bzw. Anpassung der Software leichter finanzieren können. Eine Großstadt hat frühzeitig und erfolgreich auf die Eigenentwicklung einer Software für das großstädtische Finanz- und Rechnungswesen gesetzt, um sich einen Zeitvorsprung zu verschaffen. Positiv hervorzuheben ist auch der Entwicklungsstand der Ressourcensteuerung in den Stadtstaaten. In einer Großstadt wurde mit der Einführung eines neues kommunalen Finanzmanagements unter Einbeziehung der Kosten- und Leistungsrechnung bereits eine wichtige Grundlage für die Etablierung eines integrierten öffentlichen Rechnungswesens (IÖR) geschaffen. Mit dem IÖR will diese Großstadt eines Tages die modernisierte Kameralistik der Kernverwaltung und das kaufmännische Finanz- und Rechnungswesen der öffentlichen Betriebe und Unternehmen im Konzern Stadt zusammen führen. c) Ausgliederungen und Beteiligungssteuerung Je größer eine Stadt ist, je mehr direkte und indirekte Beteiligungen hat sie. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie über die Privatisierung der Kommunen des Deutschen Instituts für Urbanistik (Trapp und Diekelmann, DifU 2003:23). Es wurden 36 Beteiligungsberichte von Großstädten ausgewertet, unter denen sich auch die Städte unseres Samples befinden. Zusammen kommen die vom DifU untersuchten Großstädte auf 3212 direkte und indirekte Beteiligungen! Im Durchschnitt besitzt jede Stadt 84,3 inländische und 4,9 ausländische Beteiligungen, insgesamt also 89,2 Beteiligungen (DifU 2003:24). 75,7 % der Beteiligungen werden in der Rechtsform der GmbH geführt, nur 8 % der Beteiligungen in einer öffentlich-rechtlichen Form. Dies deutet allerdings auf ein Problem der Erhebung hin: Da nicht alle Beteiligungsberichte der Großstädte die öffentlichrechtlichen Betriebe erfassen, dürfte deren Zahl in der Wirklichkeit höher liegen. Die Zahl der Beteiligungen der der Einwohnerzahl nach größten deutsche Städte kann der folgenden Tabelle entnommen werden:
Felder und Ausprägungen großstädtischer Modernisierungspolitik
311
Abbildung 49: Beteiligungsunternehmen der Großstädte Stadt
Einwohner 2000 Anzahl der Beteiligungen
Berlin
3.465.748
320
Hamburg
1.652.363
404
München
1.229.026
135
Köln
953.551
81
Frankfurt / Main
644.865
169
Essen
626.973
45
Dortmund
599.055
103
Stuttgart
579.988
53
Düsseldorf
575.794
78
Bremen
551.219
203
Duisburg
535.447
76
Hannover
513.010
130
Leipzig
496.647
152
Nürnberg
493.692
115
Dresden
481.676
66
Quellen: Einwohner: Großstädteprojekt, Beteiligungen: DifU Die Ergebnisse der DifU-Studie bestätigen unsere Annahme, dass die Ausgliederung öffentlicher Aufgaben längst Teil der Verwaltungsreformpolitik aller Großstädte ist. Allerdings streut die Zahl der Beteiligungen unter den Großstädten erheblich. Nicht aufklärbar ist mit dem vorliegenden Material die Frage, welche Beteiligungen noch aus historischen Beständen stammen und in welchen Zeitspannen die Großstädte mehr oder weniger stark privatisiert haben. Empirisch nachgewiesen ist die extensive Ausgliederungspolitik der drei Stadtstaaten im Zeitraum von 1993 bis 1998 (Prigge, Köllmann 2000) Das zentrale Beteiligungsmanagement der Großstädte wird überwiegend bei der Kämmerei bzw. den Finanzsenatoren oder als Stabsstelle beim Oberbürgermeister organisiert. In einem Fall ist es sogar einer städtischen Gesellschaft überantwortet worden. Das dezentrale Beteiligungsmanagement wird in der Regel den Dezernaten und Fachbereichen übertragen, bei denen die Beteiligungsunternehmen ressortieren. Aufgabe des Beteiligungsmanagements ist es, die Konzernsteuerung zu unterstützen und das Controlling zu organisieren.
312
Felder und Ausprägungen großstädtischer Modernisierungspolitik
Vorherrschend ist in den Großstädten aber ein auf die managerielle Steuerung verkürztes Verständnis von Unternehmenssteuerung und ein additives Verständnis des Controlling. Die Gemeinwohlbezüge kommunaler Unternehmen werden weitgehend ignoriert, Zielvereinbarungen zwischen politischen Entscheidungsträgern und Geschäftsführungen über die Entwicklung der Unternehmen bleiben die Ausnahme. Das Controlling liefert Beteiligungsberichte, die oft eine recht zufällige Kennzahlensammlung darstellen. Die Bilanzierung der ausgegliederten Unternehmen nach Erlösen und Aufwand sowie weiteren Kennzahlen ist noch kein Standard. Der Zuschussbedarf bzw. Überschuss gegenüber dem Haushalt der Großstädte wird häufig nicht ausgewiesen. Als Alibi für eine angebliche politische Steuerung der Unternehmen wird die Beteiligung der Vertreter des Stadtrates an den Aufsichtsgremien der Unternehmen benutzt. Diese Mandatsträger nehmen auf der Eigentümerbank Platz, sind an Weisungen der Stadt gebunden und unterliegen der Verschwiegenheitspflicht von Aufsichtsratsmitgliedern. Bei den eigenen Erhebungen zur Pfadvariable Ausgliederungen/Beteiligungen wurde das Erkenntnisinteresse auf die Form der Beteiligungssteuerung und ihre Integration in den Verbund des Konzern Stadt gerichtet. Nur von einer Großstadt wurde uns kein Beteiligungsbericht zur Verfügung gestellt. Sechs Großstädte verfügen über einen additiv angelegten Beteiligungsbericht. Aussagekraft und Vergleichbarkeit der Berichte dieser Städte leiden darunter, dass sie einer unterschiedlichen Systematik folgen. So werden die öffentlich-rechtlichen Betriebe (z.B. Eigenbetriebe) der Kernverwaltung zugeordnet, als eigene Sparte geführt oder den ausgegliederten privatrechtlich geführten Unternehmen zugeschlagen. Häufig wird der Konzernbegriff nur in einem eingeschränkten Sinne benutzt, nämlich zur Umschreibung des ausgegliederten Bereiches der Beteiligungsunternehmen. In sieben Städten werden regelmäßig Beteiligungsberichte erstellt, die sich auf den Konzernverbund beziehen und den Querbezug zwischen der Kernverwaltung, den öffentlich-rechtlichen Betrieben und den privatrechtlich geführten Unternehmen im Ansatz abbilden. Durch den systematischen Einsatz von Kennzahlen ist eine erste „Bilanzierung“ des ausgegliederten Bereichs nach dem Zuschussbedarf und Erlösen/Überschüssen möglich. Die benutzten Kennzahlen ermöglichen erste, aber keine vollständigen Einblicke in die Geschäftspolitik der Beteiligungsunternehmen. Eine strategische Steuerung der Unternehmen und Betriebe wäre auf dieser Grundlage möglich, soweit ein durchgängiges Schema für die Erfassung und Darstellung der Kennzahlen der Beteiligungsunternehmen verwendet wird. Nur in einer Großstadt war für die ausgegliederten Unternehmen und Betriebe unter Berücksichtigkeit der Bestimmungen des Handelsgesetzbuches
Felder und Ausprägungen großstädtischer Modernisierungspolitik
313
(HGB) eine ordentliche Bilanz als Konzern aufgestellt und mit dem Beteiligungsbericht veröffentlicht worden. Die ordentliche HGB-Bilanz setzt u.a. voraus, dass konzerninterne Umsätze aus den Kennzahlen herausgerechnet werden. Diese Großstadt arbeitet bereits seit einigen Jahren an dem Ziel, ein integriertes öffentliches Rechnungswesen für den gesamten Konzern Stadt aufzubauen. Einschränkend ist hier anzumerken, dass aus heutiger Sicht noch keinesfalls gesichert ist, dass auf diesem Weg – solange die politischen Steuerungs- und demokratischen Legitimationsprobleme des Konzern Stadt nicht gelöst sind – eine nachhaltige integrierte Konzernsteuerung realisiert werden kann. d) Stadtbezirksverwaltungen Mit der Herausbildung der Großstädte als große Agglomerationen in der Industriegesellschaft war eine Differenzierung der Vorstellung von der zentral zu organisierenden Einheitsgemeinde verbunden (Hlépas 1990). Es entstand das Bild von der in zwei Ebenen zu organisierenden Großkommune. In einer ZweiEbenen-Organisation können die staatlichen und kommunalen Akteure verschiedenen Optionen folgen, die sich insbesondere aus der unterschiedlichen Gewichtung der beiden Organisationsebenen und ihrer Umsetzung in den verschiedenen kommunalen Aufgabenfeldern ergeben. In diesem Entscheidungsprozess werden von städtischen Akteuren organisatorisch-kulturelle und politisch-ökonomische Aspekte gegeneinander abgewogen. In räumlicher Hinsicht geht es um den gebietsmäßigen Zuschnitt der Stadtbezirke und Stadtteile, von Zentrum und Peripherie. Hier können Fragen nach der Größe (Fläche und Einwohnerzahl), der Siedlungsstruktur und Stadtentwicklung, des räumlich-sozialen Zusammenhalts sowie traditionelle örtlichpolitische Bindungen eine Rolle spielen. Bei der Verteilung der Aufgaben und Ressourcen auf beide Ebenen der kommunalen Organisation konkurrieren bisher verschiedene Leitbilder und Organisationskulturen miteinander, die von den Akteuren in der Politik, den Ministerial- und Kommunalverwaltungen internalisiert wurden und immer noch kontrovers diskutiert werden. Die aktuelle Modernisierungsbewegung des öffentlichen Sektors enthält sowohl Tendenzen der Zentralisierung als auch der Dezentralisierung. Wegen veränderter gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und politischer Verhältnisse wird eine neue Balance zwischen den zentralen und dezentralen Elementen des kommunalen Regelungssystems gesucht und erst noch gefunden werden müssen. Den Effektivierungsversuchen kommunaler Steuerung im Sinne der Zentralisierung stehen auf der anderen Seite vielfältige Ansätze gegenüber, die im Falle ihrer konsequenten Anwendung eine Dezentralisation bzw. Dekonzentra-
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Felder und Ausprägungen großstädtischer Modernisierungspolitik
tion kommunaler Demokratie und Verwaltung bewirken (Schefold/Neumann 1996). Die Dekonzentration und Dezentralisation von Demokratie und Verwaltung in den Bezirken der nach der Einwohnerzahl siebzehn größten deutschen Städte war der Gegenstand der zweiten Phase des sogenannten Stadtstaaten-Projektes (vgl. zu den Ergebnissen: Prigge, Prange, Zapatka 2001). Ausgangspunkt für diese Untersuchung war die Annahme, dass sich die großstädtischen Regelungsstrukturen im Laufe von etwa 80 Jahren in einer bestimmten Weise ausdifferenziert haben. Ein Ergebnis dieser historischen Entwicklung ist die räumliche Untergliederung der Großstädte in Stadtbezirke und die zweistufige Organisation von Demokratie und Verwaltung in der Großstadt. Kommunale Demokratieund Verwaltungsfunktionen wurden demnach auf Stadtbezirke übertragen bzw. stadtbezirksbezogen organisiert. Da die Kommunen nach dem Grundgesetz über Selbstverwaltungsrechte verfügen und die Länder die Kommunalverfassungen regeln, verläuft dieser Entwicklungsprozess nicht einheitlich. Das Ergebnis sind unterschiedliche Konstituierungsbedingungen und Rechte der Bürgerbeteiligung, unterschiedliche Beratungs- und Entscheidungsrechte der Stadtbezirksvertretungen sowie unterschiedliche Aufgabenstrukturen und Leistungsangebote zwischen den Verwaltungen im Großstadtbezirk. Die Aufgaben der Stadtbezirksverwaltung kann die Unterstützung für die Stadtbezirksvertretung und andere Formen der Bürgerbeteiligung im Stadtbezirk, aber auch bestimmte Aufgaben des Stadtbezirksmanagements und des Verwaltungsservice umfassen. Unter Stadtbezirksmanagement versteht man allgemein das Interessenclearing mit den gesellschaftlichen Gruppen des Stadtbezirks, die Repräsentanz des Stadtbezirks in der Öffentlichkeit, die Interessenwahrnehmung gegenüber der Stadtregierung und der zentralen Stadtverwaltung sowie die Leitung der Stadtbezirksverwaltung. Wegen der starken kommunalpolitischen Orientierung dieser Funktion wird in den einschlägigen rechtlichen Regelungen der Großstädte dieser Aufgabenkreis oft auch als Wahlfunktion ausgestaltet (Bezirksbürgermeister, Bezirksamtsleiter, Ortsamtsleiter). Als Stadtbezirksverwaltung verstehen wir in dieser Untersuchung nur die Serviceaufgaben, die als solche von den Großstädten organisatorisch ausgewiesen sind. Anderen Formen dekonzentrierter Fachverwaltungen im Stadtbezirk (Außenstellen des Sozialamtes, Meldestellen, Polizeireviere, Serviceeinrichtungen wie Kindergärten, Schulen etc.) zählen nur dann zur Stadtbezirksverwaltung, wenn sie organisatorisch ausdrücklich dort eingegliedert sind oder ihr als nachgeordnete Einrichtung unterstellt wurden. Angenommen wird, dass mit dem Umfang der den Stadtbezirksverwaltungen übertragenen Aufgaben auch die Qualität der Verwaltungsleistung für die Bürgerinnen und Bürger des Stadtbezirks steigt. Neben der Geschäftsführung
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für die Stadtbezirksvertretung kann es sich dabei um typische Aufgaben eines Bürgerbüros bzw. Bürgeramtes handeln. Die weitergehende Form der Aufgabenübertragung auf die Stadtbezirke in den Bereichen Bauordnung, Soziale Dienste u.a. führt quasi zur Bildung von Bezirksämtern. Als Indikatoren für den Umfang der übertragenen Aufgaben haben wir Aufgabenkataloge und den Umfang des Personaleinsatzes herangezogen. Es interessierte auch die räumliche Struktur des stadtbezirksbezogenen Verwaltungsangebots. Darunter verstehen wir die Frage, ob und wie stadtbezirksbezogene Verwaltungen auf die jeweilige Großstadt verteilt werden. Auffällig sind z.B. Unterschiede in dem Angebot stadtbezirksbezogener Verwaltungsleistungen zwischen den Innenstädten, Außenbereichen und Randbereichen (Ortschaften) der jeweiligen Großstädte (Prigge, Prange, Zapatka 2001:187). Der von der Ländern gesetzte kommunalverfassungsrechtliche Rahmen, die räumliche Untergliederung und die Regelungspraxis der Großstädte bezüglich der Stadtbezirksvertretungen und Stadtbezirksverwaltungen wurden im Rahmen des Stadtstaaten-Projektes für die siebzehn größten deutschen Städte erhoben und ausgewertet (ebenda, 75 ff., 137 ff.). Mit den in den Jahren 2003 und 2004 durchgeführten Erhebungen im Rahmen des Großstädte-Projektes konnten der Ergebnisse der Untersuchungen des Stadtstaaten-Projektes aus den Jahren 1999 und 2000 überprüft werden. Neue Initiativen der Großstädte zur kundenorientierten Verbesserung des Verwaltungsservice in den Stadtbezirken konnten berücksichtigt werden. Nach den Befunden des Stadtstaaten-Projektes verfügte z.B. Nürnberg als einzige Großstadt weder über eine Stadtbezirksvertretung noch über ein gesamtstädtisches System von Stadtbezirksverwaltungen. Berlin, Hamburg und Köln kombinierten dagegen in vorbildlicher Weise gute Rechte einer gewählten Stadtbezirksvertretung mit Bezirksämtern. Die größten Unterschiede und Entwicklungsprobleme wiesen die „mittleren“ Großstädte (450.000 bis 650.000 Einwohner) auf. München verfolgt schrittweise das ambitionierte Ziel, auf die ganze Stadt verteilt Sozialbürgerhäuser zu errichten, in denen soziale Dienste, Bürgeramtsaufgaben und die Unterstützung der Bezirksausschüsse als Service angeboten werden sollen. In den letzten Jahren haben zwei prosperierende Großstädte (Stuttgart und Düsseldorf) große Anstrengungen unternommen und ihr Serviceangebot in den Stadtbezirken erweitert. In beiden Fällen wurde ein auf die ganze Stadt verteiltes Serviceangebot entwickelt und umgesetzt. Zu dem neuen Service zählen nicht nur die allgemeinen Verwaltungsdienste sondern auch weitere elementare Dienstleistungen für die Bürger wie z.B. die kommunale Sozialhilfe. Eine weitere Großstadt arbeitet an entsprechenden Planungen. Heute organisieren sieben Großstädte ihre Stadtbezirksverwaltungen nach einem
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bezirksamtsähnlichen Modell. Von hier werden allerdings nun auch vereinzelt erste Rezentralisierungen gemeldet. Vier Großstädte beschränken sich bei dem auf die ganze Stadt verteilten allgemeinen Verwaltungsdiensten auf die Funktion des Bürgerservice bzw. des Bürgeramtes. Drei Großstädte weisen derzeit ein heterogenes, uneinheitliches System der Bürgerdienste auf und können damit eine gleiches Angebot allgemeiner Verwaltungsdienste in den Stadtbezirken noch nicht gewährleisten. Nur in einer Großstadt besteht nach wie vor kein stadtweites Angebot dezentraler Bürgerdienste. e) Bürgerbezogenes E-Government Mit der Initiative BundOnline2005 hat sich die Bundesregierung verpflichtet, bis zum Jahre 2005 alle Dienstleistungen der Bundesverwaltung online anzubieten. E-Government wird – so die Annahme von Jansen, Priddat 2001 - die Beziehung von Verwaltung/Bürger und von Politik/Bürger auf eine völlig neue Grundlage stellen: x Virtuelle Rathäuser werden eines Tages die Leistungsbeziehungen zu den Bürgern qualitativ verbessern: die Verwaltung wird zum BürgerDienstleister, die Bürger werden Kunden des Staates. x
E-Procurement optimiert die kommunalen und Staatseinkäufe: Mit Steuergeldern wird effizienter umgegangen, Politik und Verwaltung operieren kosten- und leistungsbewußter und denken in Wertschöpfungsketten.
x
E-Democracy treibt die Demokratisierung der Gesellschaft in unmittelbar die Bürger angehenden Planungs- und Entscheidungsprozessen voran. Politik könnte Bürgerpolitik werden. Bürgerwünsche würden umgesetzt und als Kommunikation Teil schwieriger Entscheidungsverfahren, die viele Interessen austarieren müssen.
Vier Entwicklungsstufen der digitalen Verwaltung lassen sich mit Habbel (2001) unterscheiden: In einer ersten Phase verwenden Gemeinden und Behörden das Internet als Schaufenster. In der zweiten Phase stellen Behörden elektronische Formulare zur Verfügung, die sich der Bürger aus dem Netz herunterladen und am Computer ausfüllen kann, allerdings noch mit der Post an die Behörde schicken muss. Die dritte Stufe ist erreicht, wenn sich die Verwaltungen zu virtuellen Arbeitsräumen für Bürger und Unternehmen verwandelt haben. Mit der digitalen Signatur können Genehmigungen eingeholt, Einträge beantragt und Steuererklärungen online abgegeben werden. Erst in einer vierten Stufe können sich die Bürger über das Internet am politischen Prozeß beteiligen. Bis zum Erreichen dieser Entwicklungsstufe sind noch viele Restriktionen zu überwinden:
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x
Einführung einer rechtsverbindlichen digitalen Signatur auf europäischer Ebene
x
Finanzierung von Investitionskosten (geschätzt 12 Mrd. DM bis 2005 für die Kommunen)
x
Gewinnung von Fachkräften der Informationstechnik
x
Lösung von Software-Problemen
x
Schaffung weiterer Internetzugänge für Beschäftigte und Bürger
x
Quervernetzung mit der Schaffung von Servicepaketen für Bürger und Unternehmen.
Nach einer Umfrage glauben 85 % der Kommunen an einen neuen Modernisierungsschub durch das Internet, aber nur 67 % sind bereit, diese Einschätzung auch auf die eigene Gemeinde zu beziehen! Nur 10 % der Befragten verfügen bereits über eine formulierte Entwicklungsstrategie (PriceWaterhouseCoopers, zit. nach Jansen, Priddat 2001). Nach einer anderen Umfrage bei 100 Kommunen planen 91 % der deutschen Städte die Einführung von E-Government, aber erst 53 % haben ein schriftliches Konzept für einen elektonischen Bürgerservice erstellt. Nur jedes fünfte Rathaus ist überhaupt im Netz vertreten (Jansen, Priddat 2001, 96) Bei den Erhebungen und Auswertungen zu der Pfadvariablen EGovernment stützen wir uns auf eine Studie der Fachhochschule Münster über den Internetauftritt deutscher Städte vom Dezember 2003 (Schengber, Multhaupt 2003). Die Autoren kommen zu der Einschätzung, dass die Großstädte ihren Internetauftritt in erster Linie unter dem Aspekt des Stadtmarketing gestalten. Stadtmarketing verstehen die Autoren als Teil einer integrierten Stadtentwicklungspolitik, die auf die Verbesserung der Standortqualität für die Wirtschaft, auf die Erhöhung der Lebensqualität für die Bewohner und Besucher, die Attraktivitätssteigerung vor allem der Innenstadt und die Steigerung der Effektivität von Verwaltung und Politik zielt. Die Internetauftritte der Städte wurden unter den Aspekten der Breite, Tiefe und Aktualität des Angebots, der Benutzerfreundlichkeit und der Interaktivität der Angebote der Verwaltung analysiert. Dabei ist das Informationsinteresse verschiedener Zielgruppen wie Touristen, Jobsuchende, Einwohner, Besucher, Unternehmer etc. berücksichtigt worden. Der Prüfkatalog besteht aus den Bereichen Internetkriterien (29 Indikatoren), Stadtinformation (126 Indikatoren), Kultur/Freizeit/Tourismus (20 Indikatoren), Bürgerinformationen/-service (129 Indikatoren), Politik/Kommunika-
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tion (11 Indikatoren) und Links (7 Indikatoren). Die Ausstattung der Bereiche mit einer unterschiedlichen Zahl von Indikatoren führt zu einer von den Autoren beabsichtigten Gewichtung. In das Ranking wurden 122 Städte einbezogen. Darunter sind auch die fünfzehn größten deutschen Städte. Alle in das Großstädte-Projekt einbezogenen Städte verfügen über einen funktionierenden Internetauftritt. In den Top 10 des Gesamtranking finden sich 7 Städte mit über 500.000 Einwohnern wieder. Fünf weitere Städte mit über 450.000 Einwohnern positionieren sich zwischen dem 11. und dem 39.Platz. Je größer eine Stadt, desto größer ist auch die Wahrscheinlichkeit eines akzeptablen Internetauftritts. Die von uns vorgenommene Auswertung unter dem Blickwinkel eines bürgerbezogenen E-Government ergibt ein nüchterneres Bild. Sieben Großstädte bieten einen Bürgerservice mit Angeboten zur Interaktion mit den Bürgern. Diese Städte erreichen die zweite Entwicklungsstufe des E-Government und stellen elektronische Formulare zur Verfügung, die sich der Bürger aus dem Netz herunterladen und am Computer ausfüllen kann, allerdings noch mit der Post an die Behörde schicken muss. Nur vereinzelt wird mit weiterführenden Anwendungen und Interaktionen experimentiert, die für bestimmte Nutzergruppen (z.B. Notare) unter Einsatz einer elektronischen Signatur zugänglich sind. Die Angebote zur interaktiven Bürgerbeteiligung im Stadtteil oder bei politischen Themen haben aber bisher nur experimentellen Charakter, sodass von einer breiten Beteiligung der Bürger am politischen Prozess der Städte über das Internet noch nicht einmal ansatzweise gesprochen werden kann. Die Entwicklung zu einer E-Democracy erscheint nach diesen Befunden sogar eher unwahrscheinlich. Sieben Städte bieten lediglich einen Interauftritt mit einem Bürgerservice ohne nennenswerte Möglichkeiten der Interaktion. Eine Großstadt über 450.000 Einwohner bietet einen Internetauftritt ohne besondere Service- oder Beteiligungsangebote für die Bürger. Ein Internetauftritt mit breiter Interaktion der Bürger und einer allgemeinen, breitenwirksamen Zugangsregelung fehlt noch in allen Großstädten. Zwar investieren die Großstädte erhebliche Mittel in eigene Anwendungen und Interaktionen, eine fruchtbare Kooperation unter den Großstädten findet jedoch nur selten statt. Stattdessen werden häufig mit kommerziellen Entwicklern nach dem Private-Public-Partnership-Modell Allianzen geschmiedet, die nicht immer erfolgreich sind. Unserer Einschätzung nach werden die Angebote des E-Government auf absehbare Zeit den Charakter eines Expertensystems behalten und dem Stadtmarketing dienen. Technikinteressierte Bürger werden das E-Government zur Informationsbeschaffung, bei Ausschreibungen und als Formular-Server nutzen, für die politische Beteiligung der Bürger wird es auf absehbare Zeit keine große Bedeutung erlangen.
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f) Fazit Die Modernisierungspolitik der Großstädte im Pfad der Verwaltungsmodernisierung zeigt, dass die Großstädte erhebliche Anstrengungen zur Modernisierung ihrer administrativen Steuerungsorganisation unternommen haben. Die kommunale Haushaltsreform und die Anreicherung der Kameralistik um Elemente der Ziel- und Ergebnissteuerung (Einführung der Kosten- und Leistungsrechnung) ist ein laufender und nicht mehr umkehrbarer Prozess. Weitergehende Ziele des NSM verblassen demgegenüber oder werden in Folge kommunalpolitisch gewollter Abweichungen kaum noch angestrebt. Die Post-NSM-Phase der Verwaltungsmodernisierung hat begonnen. Eine durchgreifende Dezentralisierung der Ressourcenverantwortung in den Kernverwaltungen konnte nicht nachgewiesen werden. Es kann jeher von Aufgabenverschiebungen oder Kompetenzverlagerungen zwischen der zentralen und dezentralen Steuerung in der Kernverwaltung gesprochen werden kann. Durch die Ausgliederungs- und Privatisierungspolitik der Großstädte tritt dadurch aber auch ein neues Steuerungsproblem in den Vordergrund. Ausgelagerte Unternehmen und Betriebe entwickeln ein Eigenleben und müssten in den Konzern Stadt wieder stärker integriert werden. Dabei Es gibt es jedoch erhebliche, noch weitgehend ungelöste Probleme mit der Transparenz und der politischen Steuerung sowie der demokratischen Legitimation des Konzern Stadt. Eine Großstadt geht bereits diesen Weg und wenige andere Großstädte planen die erneute Integration des öffentlichen Sektors über ein integriertes Rechnungswesen mit der Kernverwaltung, den öffentliche Betrieben und privatrechtlich geführten Unternehmen. In neun Städten ist der Konzern Stadt immerhin ein Thema und wird zumindest als Steuerungs- und Konsolidierungskreis genutzt. Die Entwicklung der Stadtbezirksverwaltungen deutet daraufhin, dass weitere Städte den Weg zur Dekonzentration ihrer Verwaltungen forcieren, während eine Minderheit sich zurück hält. Eine Rezentralisierung der Stadtbezirksverwaltungen wurde in einigen Großstädten thematisiert und punktuell realisiert. Die Auswertungen zum E-Government zeigen, dass die Internetauftritte der Großstädte in erster Linie dem Stadtmarketing dienen. Interaktiver Bürgerservice und politische Beteiligung mit Hilfe des E-Government wird auf absehbare Zeit für ein breites Publikum keine größere Rolle spielen, da der Weg zur viel beschworenen E-Democracy (noch) mit noch zu vielen Zugangsbarrieren versperrt ist. Dennoch erreicht fast die Hälfte der untersuchten Großstädte die zweite Entwicklungsstufe des E-Government und stellt elektronische Formulare zur
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Felder und Ausprägungen großstädtischer Modernisierungspolitik
Verfügung, die sich der Bürger herunterladen und am Computer ausfüllen kann, allerdings noch mit der Post an die Behörde schicken muss.
0 Inkrementalistisches Vorgehen
1 Kein stadtweites Angebot dezentraler Bürgerdienste 1 Internetauftritt
Verteilung zu C. 1. C. Modernisierung der Res2. sourcensteuerung
Verteilung zu C. 2. C. Ausgliederungen/ Beteili3. gungssteuerung
Verteilung zu C.3. C. Dezentrales Angebot allg. 4. Verwaltungsdienste (Stadtbezirksverwaltungen) Verteilung zu C. 4. C. Bürgerbezogenes 5. E-Government
1
0 Inkrementalistisches Vorgehen
C. Veränderung des Steue1. rungstyps
Verteilung zu C. 5.
Ausprägung A Traditionelle Verwaltungssteuerungn
Pfadvariable
7
4 Internetauftritt mit Bürgerservice und Bürgerbeteiligung
3 Internetauftritt mit Bürgerservice
7
6 Beteiligungsmanagement u. controlling für den Konzernverbund 7 Stadtweites Angebot gleicher Bürgerdienste
8 Budgetierter Produkthaushalt mit dezentraler Ressourcenverantwortung und Controlling
Ausprägung C Konzern Stadt als Steuerungsund Konsolidierungskreis
8 Beteiligungsmanagement für ausgegliederte Betriebe/Unternehmen 6 Heterogenes System der Bürgerdienste
6 Zentrale Ressourcensteuerung mit Budgetierung u. Controlling
Ausprägung B Umsetzung von NSMBausteinen in der Kernverwaltung
Abbildung 50: Auswertungsübersicht zur Verwaltungsmodernisierung
7 Internetauftritt mit breiter Interaktion und allg. Zugangsregelung 0
Ausprägung D Integrierte politisch-managerielle Steuerung des Konzern Stadt 1 Neues kommunales Finanzmagement (mit KLR) 1 Integrierte Konzernsteuerung mit HGB-Bilanz/IÖR 1 Entwickeltes Bezirksmodell
322 5.2.4.
Felder und Ausprägungen großstädtischer Modernisierungspolitik
Arbeitsbeziehungen
In Deutschland besteht noch weitgehend ein Konsens darüber, dass die Arbeitsbeziehungen vom Staat, den Tarifvertragsparteien und den Betriebsparteien reguliert werden (Jürgens, Naschold 1994). In das Regime der Arbeitspolitik sind die Arbeitgeber und ihre Verbände sowie die Gewerkschaften und die betrieblichen Interessenvertretungen (Betriebs- und Personalräte) als Akteure der Arbeitnehmerseite eingebunden. Das duale System der Interessenvertretung durch Gewerkschaften und Betriebs- bzw. Personalräte ist typisch für Deutschland. Dieses Regulierungsmodell haben wir für unsere Untersuchung um die Akteursebene der Arbeitsprozesse und der Arbeitsgruppen erweitert. Die Handlungskoordination in den Arbeitsbeziehungen erfolgt zwischen den Interessenparteien in einer assoziativen Konfliktpartnerschaft (Müller-Jentsch 1991). Der Wandel der Arbeitsbeziehungen kann mit Hilfe des Vier-EbenenModells der arbeitspolitischen Regulierung näher betrachtet werden (Keller 1991, 1993; Prigge 1999: 56). In der ersten Ebene setzt der demokratischparlamentarische Staat einen regulatorischen Rahmen mit der Koalitionsfreiheit und der Tarifautonomie für Arbeitgeber und Arbeitnehmer sowie der Ausformung des Arbeits- und Sozialrechts. Der Staat greift nach den negativen Erfahrungen mit der Staatsschlichtung während der Weimarer Republik grundsätzlich nicht mehr in aktuelle Arbeits- und Tarifkonflikte ein und beschränkt sich im Verhältnis zu den Tarifparteien überwiegend auf eine neutrale Rolle. Allerdings finden die arbeitspolitischen Beteiligungs- und Mitbestimmungsrechte ihre Grenze in den Befugnissen des Parlamentes und dem Kern der Regierungsverantwortung. Wenn der Staat von seinem Regulierungsbefugnissen Gebrauch macht, folgen diese Eingriffe der Logik hierarchischer Koordinierung. Auf der zweiten Ebene verhandeln Arbeitgeber bzw. Arbeitgeberverbände mit den Gewerkschaften über Tarifverträge, welche die Arbeits- und Bezahlungsbedingungen für einzelne Unternehmen oder Branchen regeln. Voraussetzung hierfür ist die Bereitschaft der Arbeitgeber, sich in Arbeitgeberverbänden zu organisieren und die Bildung und Anerkennung verhandlungs- und streikfähiger Gewerkschaften. Auf der dritten Ebene beteiligen die Arbeitgeber in privaten Unternehmen den Betriebsrat, in den öffentlichen Diensten den Personalrat sowie in kirchlichen Einrichtungen die Mitarbeitervertretung an den Entscheidungen der Geschäftsleitungen in dem rechtlich gezogenen Rahmen. Die betrieblichen Arbeitsbeziehungen werden zwischen den Betriebsparteien der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite auf der Basis des Betriebsverfassungsgesetzes, der Personalvertretungsgesetze und dem kirchlichen Mitarbeitervertretungsrecht reguliert. Als vierte Ebene der arbeitspolitischen Regulierung sind die Arbeitsprozesse und Arbeitsgruppen in den Betrieben und Verwaltungen zu berücksichtigen, da
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eine Organisation nicht vom Handlungsstandpunkt der Spitze aus oder eines einzelnen Teilnehmers verstanden werden kann, sondern nur in ihrer Gesamtheit als sozialer, interaktiver Organismus (Heisig, Littek, Prigge 2000). In den Arbeitsbeziehungen können demnach die Governanceformen der Marktmacht, der Hierarchie, der Assoziationen und der Gemeinschaft eine Rolle spielen. Abbildung 51: Arbeitsbeziehungen im öffentlichen Sektor
Öffentlichkeit / Legitimation Handlungsebenen
Akteure der
Arbeitspolitik
Mittel der Regulation
Regierung: Durchführung von Gesetzen, Anhörung der Tarifvertragsparteien Gewerkschaften
Koalitionsfreiheit, Tarifautonomie, Sozialstaatsgebot, Arbeits- und Sozialgesetze
Geschäftsführung
Betriebs- und Personalräte
Direktionsrecht des Arbeitgebers, Beteiligung und Mitbestimmung Friedenspflicht
Leitungen
Arbeitende
Hierarchie/Kooperation (Vertrauensbeziehungen, Mitbestimmung am Arbeitsplatz)
Staat (Regulierung und Akteur)
Politische Parteien, Parlament, Verabschiedung von Gesetzen
Tarifvertragsparteien
Arbeitgeber-verbände, einzelne Arbeitgeber
Betriebsparteien
Arbeitsprozesse/ Arbeitgruppen
Verhandeln von Tarifverträgen, Austragen von Tarifkonflikten
Prigge 1995
Markt / Umwelt Die Regulierung der Arbeitsbeziehungen im öffentlichen Sektor weist eine Reihe besonderer Merkmale auf. Der Staat nimmt eine Doppelrolle wahr, da er sowohl in der Funktion des Regulierers als auch des Arbeitgebers und der Tarifvertragspartei auftritt. Wenn der Staat als öffentlicher Arbeitgeber fungiert, muss er sich auch in dieser Funktion politisch gegenüber den parlamentarischen Vertretungen, den Parteien und in der Öffentlichkeit legitimieren. In den öffentlichen Diensten ist zum weiteren zwischen dem besonderen, durch das Verord-
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Felder und Ausprägungen großstädtischer Modernisierungspolitik
nen gekennzeichneten hierarchischen Regelungsmodus für Beamte und dem durch Verhandeln gekennzeichneten korporativen tarifvertraglichen Regulationsmodus für Arbeiter und Angestellte zu unterscheiden (Prigge 1994). Die Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst werden bisher vom Bundesinnenministerium für den Bund, der Tarifgemeinschaft deutscher Länder und der Vereinigung kommunaler Arbeitgeberverbände gemeinsam geführt. Die Tarifeinheit der öffentlichen Arbeitgeber ist gegenwärtig durch das Bestreben einzelner Bundesländer, tarifpolitische Sonderwege zu gehen, in ihrem Bestand gefährdet. Die Rationalisierung der Arbeitsprozesse im kommunalen Bereich zeigt Formen, wie sie für qualifizierte Angestelltenarbeit typisch sind und wie sie sich aus dem besonderen Charakter öffentlicher Dienstleistungsarbeit ergeben. Beschäftigte mit einer Berufsausbildung und einem Fachhochschulabschluss prägen die Qualifikationsstruktur der Belegschaften in den Großkommunen. Das hohe Qualifikationsniveau der Beschäftigten ist die Voraussetzung dafür, dass die Anforderungen komplexer öffentlicher Steuerungs- und Dienstleistungen bewältigt werden können. Qualifizierte Dienstleistungsarbeit kann adäquat nur erledigt werden, wenn den Arbeitenden bei der Erledigung der anliegenden Aufgaben eine gewisse Autonomie darüber eingeräumt wird, was und wie es zu tun ist (Berger, Offe 1981: 46). Der wachsende Bedarf an notwendigem Fachwissen bringt es mit sich, dass die Beschäftigten oft sachverständiger sind als ihre Vorgesetzten. Durch überlegenen, wenn auch spezialisierten Sachverstand drohen sie den Vorgesetzten zu entgleiten. Sie können nicht mehr durch Anweisungen, sondern müssen durch neuartige Formen der vertikalen Kooperation in die Organisation integriert werden (vgl. hierzu Mayntz 1985: 112 f. und Heisig, Littek, Prigge 2000: 29). Auch wenn die Restrukturierung öffentlicher Dienstleistungen teilweise privatwirtschaftlichen Mustern folgt, Verwaltungen als Verantwortungszentren geführt werden und die Ressourcenverantwortung dezentralisiert wird, bestehen nach wie vor grundlegende Unterschiede im Vergleich zur Privatwirtschaft. Denn öffentliche Dienstleistungen sind keiner unmittelbaren marktwirtschaftlichen Konkurrenz ausgesetzt. Kennzeichnend für staatliche Dienstleistungen ist, dass sie aus politischen Gründen nicht kostendeckend zu Marktpreisen angeboten werden (Mayntz 1985: 126 ff.). Der sachliche und personelle Aufwand für öffentlichen Dienstleistungen wird entscheidend durch politische Setzungen bestimmt sowie durch Steuereinnahmen, Beiträge und Gebühren begrenzt. Wenn die öffentlichen Finanzmittel knapper, die Aufgaben aber ausgeweitet werden, kommt es zu einer Verdichtung und Intensivierung der Arbeit (Heisig, Littek, Prigge 2000:19).
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Großstädte können im Rahmen ihrer Gewährleistungsverantwortung Dienstleistungen, die marktgängig sind, auch outsourcen und durch private Unternehmen erstellen lassen. Bei der Auslagerung öffentlicher Aufgaben können zwei Strategien der Großstädte unterschieden werden. Zum einen werden Geschäftsfelder ausgegliedert, die in Folge der Deregulierungspolitik der EU und des Bundes marktwirtschaftlich organisiert werden sollen und deren Verkauf nennenswerte Beiträge zur Konsolidierung der großstädtischen Haushalte erwarten lässt (z.B. Energieversorgung, Entsorgung). Zum anderen trifft es die Tätigkeiten, deren Aufgaben mangels einer bestimmten Spezifität auch außerhalb des öffentlichen Sektors eingekauft werden können. Es sind die Tätigkeiten der Angelernten und der Arbeiter, die besonders häufig von Rationalisierungen und Privatisierungen betroffen sind, weil sie im kommunalen Sektor nur eine Minderheit der Beschäftigten stellen. Außerdem ist die Personalstruktur des öffentlichen Sektors durch etwa 25-30% Teilzeitarbeitende und eine zunehmende Zahl befristeter Arbeitsverhältnisse gekennzeichnet (Keller 1993). Die Arbeitsbeziehungen zwischen den Beschäftigten und den Arbeitgebern des kommunalen Sektors der Großstädte unterliegen einem Wandel, der durch Verwaltungsmodernisierung, Ausgliederungen und neue Steuerungsmodelle, das jeweilige Personalmanagement und die Politik der Tarifvertragsparteien und betrieblichen Interessenvertretungen beeinflusst wird. Mit dem von der KGSt propagierten neuen Steuerungsmodell wird suggeriert, dass die Steuerung des öffentlichen Sektors der Großstädte wie bei einem privatwirtschaftlich organisierten Konzern erfolgen könne. Im politischen Konzern Stadt führen die Kernverwaltungen, die öffentlich-rechtlichen Betriebe sowie die selbständigen öffentlichen Unternehmen in privater Rechtsform, die der Stadt mehrheitlich oder ganz gehören, noch eine weitgehend unvermittelte Koexistenz. Ein einheitliches Konzernmodell, wie das die Rede vom „Konzern Stadt“ nahe legt, wird weder in der Fachliteratur noch in der Realität nachgewiesen (Prigge, Köllmann 2000). In den Großstädten scheint der Zusammenhalt des kommunalen Sektors zu erodieren, während sich gleichzeitig die effizienzfördernde Wirkung von Dezentralisierungen zu entfalten sucht (Schneider 2002). Im Konzern Stadt werden mit jeder Privatisierung die Arbeitsbeziehungen tendenziell weiter ausdifferenziert. Weder die nur für die Kernverwaltung und die Eigenbetriebe gültigen Tarifverträge des öffentlichen Dienstes noch Überleitungsregelungen zur sozialen Absicherung der Beschäftigten bei Privatisierungen können die sich öffnende tarifpolitische Lücke im Konzern Stadt schließen. Organisation, Entwicklung und Qualität des Personalwesens sind für die Stabilität des Systems der Arbeitsbeziehungen von großer Bedeutung. Das Personalwesen einer Verwaltung oder eines Betriebes bildet zusammen mit der
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Interessenvertretung der Beschäftigten sozusagen die Infrastruktur des Systems der Arbeitsbeziehungen. Die Einführung neuer Steuerungsmodelle und die Ausgliederung öffentlicher Aufgaben haben Einfluss auf die Gestalt des Personalwesens und der Arbeitsbeziehungen. Im Konzern Stadt kann die Personalpolitik entweder als strategische Aufgabe der Holdingebene übertragen oder auch der Kernverwaltung, den öffentlich-rechtlichen Betrieben und privatrechtlich geführten Unternehmen und ihren Untereinheiten überlassen bleiben. Ausgliederungen und Privatisierungen werfen die Frage auf, wie sich dadurch das Personalwesen verändert und welche Tarifverträge und sonstigen Arbeits-, Bezahlungs- und Mitbestimmungsbedingungen für die Beschäftigten und ihre Interessenvertretungen zukünftig gelten. Die Organisation der Personalpolitik und des Personalservice entscheidet über die Kompetenzverteilung zwischen dem zentralen und dem dezentralen Personalwesen. Die Schnittstellen zwischen zentral und dezentral können unter Berücksichtigung konzeptioneller, organisatorischer, wirtschaftlicher, technischer und sozialer Aspekte ausgestaltet werden (Prigge 1999). Wie wir gesehen haben, folgen die Großstädte unterschiedlichen sozioökonomischen Entwicklungspfaden und weisen ein eigenes modernisierungspolitisches Profil auf. Zwar ist die Gesamtzahl der Beschäftigten im kommunalen Bereich zum Beispiel im Zeitraum von 1997-2001 um durchschnittlich -2,33 % pro Jahr zurück gegangen, offen bleibt damit aber noch, welche Personalpolitik die Großstädte betreiben (Bundesamt für Statistik, Jahrbücher 1997-2003). Eine Antwort auf diese Fragen wäre nur möglich, wenn alle Großstädte nach einem ähnlichen Muster Personalcontrolling- bzw. Personalberichte vorlegen würden. Dann könnte darüber informiert werden, wie sich das Personal in den Großstädten zwischen der Kernverwaltung, den öffentlich-rechtlichen Betrieben und privatrechtlich geführten städtischen Unternehmen verteilt und über mehrere Jahre entwickelt hat. Durch den Wandel kommunaler Aufgaben, der Führung und des Managements, einer stärkeren Bürger- und Kundenorientierung der Arbeitsweisen, der Reform des Finanz- und Haushaltswesens und den Einsatz neuer Informationsund Kommunikationstechniken werden neue Anforderungen an die Beschäftigten gestellt. Da die Beschäftigten über ein hohes Qualifikationsniveau verfügen, können diese Anforderungen nur bewältigt werden, wenn erhebliche Anstrengungen der Personalentwicklung unternommen werden. In der Personalentwicklung treffen sich die Interessen der Beschäftigten und der Arbeitgeber. Es gilt das gute Qualifikationsniveau der Beschäftigten zu erhalten und weiter zu entwickeln. Aus- und Weiterbildung deckt den komplexen Umfang der Personalentwicklung aber noch nicht ausreichend ab. Hinzu kommen müssen weitere Formen der Personalförderung. Personalentwicklung ist vielmehr die Gesamt-
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heit aller Maßnahmen der Steuerung betrieblicher Qualifizierungs- und Entwicklungsprozesse der Mitarbeiter, insbesondere der Führungs- und Führungsnachwuchskräfte. Personalentwicklung ist ein System, das alle Instrumente und Maßnahmen umfasst, mit denen das Entwicklungspotenzial der Mitarbeiter identifiziert, die notwendige Entwicklungsrichtung und der erforderliche Entwicklungsumfang festgelegt, die Maßnahmen geplant, eingeleitet und durchgeführt und die Entwicklungsfortschritte überwacht werden. Personalentwicklung hat Auswirkungen auf die Qualifikation, Motivation und Karriereerwartungen der Beschäftigten und wirkt als Belohnungssystem. Personalentwicklung ist eine zentrale Aufgabe der Personalpolitik. Sie findet mehr oder weniger systematisch und intensiv in den Großstädten statt. Nur wenn die Großstädte aus ihrer Personalentwicklungsarbeit einen deutlichen Nutzen ziehen, sind sie auch bereit, die nötigen Mittel zur Verfügung zu stellen (Hentze 1989, Prigge 1999). Während im privatwirtschaftlichen Sektor bei der Einführung neuer Produktionsmethoden der Beteiligung der Beschäftigten partiell eine große Rolle zugemessen wurde, ist fraglich, inwieweit dieses im Bereich des öffentlichen Sektors der Fall ist. Gibt es Anzeichen dafür, dass unter dem Blickwinkel der Modernisierung des öffentlichen Sektors die betrieblichen Arbeitsbeziehungen an Bedeutung gewinnen? Organisatorische, personelle und soziale Fragen einer Umgestaltung des öffentlichen Sektors werden vermehrt durch Dienst- und Betriebsvereinbarungen geregelt (Killian, Schneider 2003). Auf der betrieblichen Ebene sollen sogenannte Verwaltungsreformabkommen zwischen den Personalräten und den Gewerkschaften, wie z.B. Verdi einerseits und den örtlichen Arbeitgebern andererseits, abgeschlossen worden sein, welche die Prozesssteuerung, die Beschäftigtenbeteiligung und den speziellen Rationalisierungsschutz (keine Entlassungen, Besitzstandsschutz etc.) regeln (Prigge 1995). Inwieweit in den Großstädten die arbeitspolitischen Akteure diesem Trend gefolgt sind, soll durch eine besondere Erhebung und Analyse von Dienstvereinbarungen geklärt werden, die Personalräte zur arbeitspolitischen Regulierung kommunaler Modernisierungsprozesse abgeschlossen haben (Keller, Henneberger 1991). Durch die Auslagerung öffentlicher Aufgaben in Folge der Privatisierung beginnen die Großstädte, sich als Konzern zu organisieren. Eine einheitliche Ausgliederungspolitik der großen Städte ist bisher nicht erkennbar. Als Bereiche, die für eine Ausgliederung in Betracht kommen, werden die Alten/Krankenpflege, die Abfallwirtschaft und Energieversorgung, aber auch Wohnen/Bauen, Tourismus, Kultur und Wirtschaftsförderung genannt (Kilian, Schneider 1999: 27). Von der Auslagerung besonders bedroht sind auch interne Serviceeinheiten (z.B. die Reinigung, das Gebäudemanagement sowie die Informations- und Datentechnik). Diese Form der Dezentralisierung großstädti-
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scher Aufgabenerfüllung führt zu einer Veränderung von Arbeitgeberfunktionen, des Personaleinsatzes und des Personalmanagements (Schneider 2002). Um Entlassungen zu vermeiden und die Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten zu sichern, sind sozialverträgliche Überleitungsregelungen und neue Tarifverträge notwendig. Auf der Ebene des politischen Konzerns Stadt sehen die gesetzlichen Regelungen bisher keine Arbeitnehmervertretung vor (Plander 1998). Wie das Beispiel privater Konzerne zeigt, sind Konzern-, Euro- und WeltKonzernbetriebsräte für Hunderttausende von Beschäftigten bereits eine Realität (Eberwein, Tholen, Schuster 1998). Durch die Formierung des öffentlich Sektors der Großstädte als Konzern Stadt ergibt sich die Frage, ob die bestehenden unterschiedlichen Kulturen der Interessenvertretung überwunden werden können und eine Konzernarbeitnehmervertretung etabliert werden kann. In Wuppertal konnte die Bildung einer Konzernarbeitnehmervertretung von der Gewerkschaft ÖTV (jetzt: Ver.di) und den Personal- und Betriebsräten durchgesetzt werden. In der Tarifrunde 2003 wurde eine sogenannte Prozessvereinbarung getroffen, mit der sich die Tarifvertragsparteien des öffentlichen Dienstes auf eine grundlegende Reform der Tarifverträge für Angestellte und Arbeiter verständigt haben. Aus diesem Reformprozess hat sich die Tarifgemeinschaft der Länder derzeit ausgekoppelt. Bereits die ÖTV forderte vor mehreren Jahren von den Arbeitgebern des Bundes, der Länder und Gemeinden gemeinsame Tarifverträge für Arbeiter und Angestellte und die Reform des Bundesangestelltentarifvertrag (Vergütungstabelle, Eingruppierung und Tätigkeitsmerkmale). Obwohl bereits 1996 ein Rahmentarifvertrag über Leistungsprämien und Leistungszulagen für den kommunalen Bereich abgeschlossen wurde, ist es den Tarifvertragsparteien bisher jedoch nur vereinzelt gelungen, die für seine Umsetzung erforderlichen bezirklichen Regelungen abzuschließen (ÖTV-Hauptvorstand 1994). Im Modernisierungsprozess der Kommunen gehörte es lange zum "guten Ton", die aktive Beschäftigtenbeteiligung einzufordern und ihr die Funktion einer tragenden Säule im Modernisierungsprozess zuzubilligen, wobei durchaus unterschiedliche Absichten (Beschäftigungsbeteiligung als Motivationsverstärker, als Akzeptanzgewinnungsinstrument oder als Element der Effizienzsteigerung) zum Tragen kommen können (Bogumil, Kißler 1998: 54). Aus Untersuchungen ist bekannt, dass die Verwaltungsmodernisierung bei den Beschäftigten eine erhebliche Betroffenheit auslöst. Erfahrungsgemäß halten sich Befürworter und Ablehner der Verwaltungsreform die Waage. Je nach Prozessverlauf und Organisationskultur kann dieses Bild durch eine starke Gruppe von Modernisierungsduldern differenziert werden (Busse u.a.. 1997: 221 ff.). Organisation und Formen der repräsentativ und dual strukturierten Interessenvertretung unterliegen dort einem Wandel, wo der Modernisierungsprozess
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praktisch greift und projekt- oder sogar prozessförmig organisiert wird. Die Beteiligung der Interessenvertretung erfolgt dann nicht mehr in erster Linie fallbezogen, sondern erstreckt sich als ein Prozess mit mehreren, aufeinander bezogenen einzelnen Schritten und Vorhaben über einen längeren Zeitraum. Ergebnisse und Verlauf der Entwicklung bleiben relativ offen. Auf die Form einer erweiterten Beteiligung in prozessbezogenen Regelungen wurde bereits im Zusammenhang mit den Handlungsmöglichkeiten der betrieblichen Interessenvertretungen bei der Rationalisierung durch Bildschirmgeräte und computergestützte Informationssysteme hingewiesen (Kubicek, Berger, Döbele, Seitz 1981: 107). Ziele und Verfahren der Entwicklung werden nur grob festgelegt und lösen eine bisher ungewohnte und vom Einzelnen schwer zu überschauende Informationsflut aus: Der erweiterte und akteursbezogene institutionalistische Ansatz (MüllerJentsch 1996) leistet eine theoretische Verknüpfung von historischen Prozessen mit den gegenwärtigen institutionellen und verhandlungstheoretischen Komponenten der Arbeitsbeziehungen. Er geht davon aus, dass die Institutionen und Arenen der Regulierung von Arbeitsbeziehungen in betrieblichen Modernisierungsprozessen Ergebnisse pfadabhängiger Entwicklungen und interaktíver Lernprozesse sind, welche als geronnene Interessenkompromisse die weiteren Interaktionen der Akteure zu regulieren vermögen. Die auf diese Weise entstandenen Institutionen konditionieren demnach die in ihrem Rahmen stattfindenden Aushandlungsprozesse. In Anknüpfung an diese Überlegungen können im Rahmen dieses Projektes prekäre Pfade und Felder des Wandels der Arbeitsbeziehungen in den Großstädten als Modernisierungsarenen identifiziert werden und die institutionellen Rahmenbedingungen, die Beziehungsstruktur und die aktuellen (Aus-) Handlungskonzepte der dort agierenden Akteure untersucht werden. Im Anschluss daran wollen wir fragen: a)
Welche Personalpolitik wird in den Großstädten betrieben, wie verteilt sich das Personal im Konzern Stadt, über welchen Beschäftigtenanteil verfügen die Kernverwaltung, die öffentlich-rechtlichen Betriebe und die privatrechtlich geführten Unternehmen der jeweiligen Großstädte? Inwieweit verfügen die Großstädte über ein Personalcontrolling und welche Aussagekraft haben die Personalcontrolling-Berichte?
b) Welche Rollen nehmen die Personalvertretungen im Modernisierungsprozess ein? Wie sehen sie das Engagement der Beschäftigten in Fragen der Verwaltungsmodernisierung? c)
Inwieweit werden zwischen der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite innovative Regelungen der Arbeitsbedingungen vereinbart?
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d) Welche Handlungsmuster prägen die Politik der zentralen betrieblichen Interessenvertretung der Beschäftigten in den großstädtischen Kernverwaltungen und in den Eigenbetrieben? a) Personalpolitik: Personalabbau und organisatorische Aufsplitterung In der wissenschaftlichen und politischen Debatte besteht Konsens darüber, dass es seit 1990 einen erneuten Schub der Verselbständigung von Organisationen und Organisationsteilen auch im kommunalen Sektor gegeben hat. Dazu habe die angestrebte dezentrale Ressourcenverantwortung ebenso beigetragen, wie eine erneute Welle der Auslagerung von Aufgaben aus den Kernverwaltungen in öffentlich-rechtliche Betriebe und selbstständige öffentliche Unternehmen in privater Rechtsform, die der Stadt ganz oder mehrheitlich gehören. Wie weit dieser Prozess speziell in den Großstädten schon fortgeschritten ist, und vor allem, wie sich die Zahlen der Beschäftigten entwickeln und sich auf die einzelnen Organisationsteile verteilen, ist jedoch umstritten. Kontrovers diskutiert wird außerdem die Frage, in welchem Maße und in welcher organisatorischen Form eine Gesamtkoordinierung notwendig ist. Während die Unternehmensleitungen versuchen, durch Controlling-Konzepte Einfluss auf die einzelnen Teile des „Konzern Stadt“ zu nehmen, könne durch Gesamtpersonalräte innerhalb der Kommunalverwaltung ein gewisser Zusammenhalt der Arbeitnehmervertreter erreicht werden (Schneider 2002: 79). Ob und wie im Arbeitsalltag eine produktive Zusammenarbeit stattfindet und ob eher eine informelle oder formelle geregelte Kooperation angestrebt werden soll, ist ebenfalls eine offene Frage. Um möglichst exakte Angaben zur Beschäftigtenentwicklung in den einzelnen Organisationsteilen zu erhalten, haben wir in den 15 Untersuchungsstädte die zugänglichen Beteiligungs- und Personalberichte gesichtet sowie Informationen aus den Expertengesprächen aufbereitet. Bei diesem umfangreichen Recherchen zeigte sich jedoch, dass genaue Beschäftigtenzahlen für den Untersuchungszeitraum für die einzelnen Organisationseinheiten nicht in vergleichbarer Form vorliegen. Nicht in allen Beteiligungsberichten werden Angaben zur Personalstruktur gemacht und einige Großstädte veröffentlichen keine differenzierten Personalberichte. Aus diesen datentechnischen Gründen können daher keine exakten und vergleichbaren Zahlen vorgelegt werden. Möglich sind lediglich grobe Trendaussagen.
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Abbildung 52: Personalverteilung im Konzern Stadt Großstädte 1 München Köln Frankfurt / Main
Kernverwaltung 2 26.200 (1993) 26.400 (2003) k.A.
Öffentlich-rechtliche Betriebe Sondervermögen 3 9.600 (1993) 11.200 (2003) k.A.
Privatrechtliche Beteiligungsunternehmen 4 k.A. 10.268
24.000 (2+3:1983) 11.752 14.000 (2+3: 1992) 10.000 (2003) 8.759 (1994) 8.539 (2002) 15.000 (2+3:1993) 8.810 16.322 (2+3:1992) 8.011 (2003) 9.500 (1994) 7.022 15.969 (2+3: 1998) 16.486 (2+3: 2002) 20.000 (1989) 6.664 9.418 (1989) 9.152 (2003) 16.188 (1991) 6.818 (2003)
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15.086
6.901(2003) k.A.
8.855 9.619,3
6.381
9.152
Stadtstaaten: (Zahlen für 1999) Berlin
157.253
43.629
73.790
Hamburg
59.233
14.477
46.362
41.270 (2+3: 1991) 23.218
14.778
12.716
Essen Dortmund Düsseldorf Stuttgart Duisburg Hannover Leipzig Nürnberg Dresden
Bremen
k.A. 11.721 k.A. 8.794 k.A. 12.576 (3+4)
k.A. 6.718 5.638 k.A.
11.353 14.323
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Auffällig ist, dass insbesondere in den bayrischen Großstädten Nürnberg und München, aber auch in Dortmund, in den Kernverwaltungen kein nennenswerter Personalabbau stattgefunden hat. Neben dieser Entwicklung dominiert das Muster einer Aufspaltung der vorherigen Beschäftigten auf die Kernverwaltung und den öffentlich-rechtlichen Betrieben (in Frankfurt, Stuttgart, Bremen, Hannover). Zu einem darüber hinausgehenden Personalabbau (mehr als 1.000 oder 1.500) ist es nach dieser unsicheren Zahlengrundlage in den Ruhrgebietsstädten Duisburg und Essen gekommen, in Düsseldorf sowie in Leipzig und Dresden. Hier lassen sich gleichzeitig relativ umfangreiche Beschäftigtenzahlen in den privatrechtlichen Beteiligungsunternehmen erkennen, was ebenfalls besonders für Hamburg zutrifft. In eine ähnliche Richtung, wie sie sich nach den Zahlen andeutet, hat auch ein Teil der Gesamtpersonalräte (GPR´s) argumentiert. Danach ist es in vielen Großstädten vor allem zu einer Arbeitsverdichtung und Rationalisierung gekommen sowie zu einer inneren Umorganisation. Der tatsächliche Verlust von Arbeitsplätzen liege in den meisten Großstädten real zwischen 500 und höchstens 1.500 Stellen (außer in den oben genannten Großstädten) und gehe ansonsten auf die Auslagerungen in die öffentlich-rechtlichen Eigenbetriebe zurück. Diese Tendenz setze sich derzeit aber in beschleunigtem Maße fort. Vor allem die Auslagerung städtischer Kliniken und Kultreinrichtungen sowie von Reinigungsaufgaben sind derzeit für die GPR´s ein zentrales Thema in nahezu allen Großstädten. b) Rolle der Personalräte und der Beschäftigten im Modernisierungsprozess Um diesem Auslagerungs- und Zersplitterungsprozess angemessen begegnen zu können, wird schon seit längerem in den Gewerkschaften und in einigen Großstädten über das Thema Konzernarbeitnehmervertretungen diskutiert. Die zunehmende Unübersichtlichkeit des kommunalen Sektors im Zuge der Ausgliederungsprozesse wirke sich ganz direkt auf die Arbeit der Interessenvertretungen aus und mache diese komplizierter und zeitaufwendiger (Greifenstein/Kißler 1998, Schneider 2002: 97). Viele Personalvertretungen würden deshalb ein übergeordnetes Vertretungsgremium für alle Verwaltungsteile und Unternehmen befürworten. In den untersuchten Großstädten wird diese Auffassung ebenfalls von fast allen GPR´s geteilt. Die praktische Umsetzung erweist sich in einigen Großstädten jedoch als äußerst kompliziert und bestenfalls langfristig zu realisieren, in anderen Großstädten gibt es noch gar keine konkreten Initiativen. In Hannover zum Beispiel gibt es einen Arbeitskreis „Konzern Stadt“ bei Verdi und einen erneuten Anlauf (nach einem ersten Vorbereitungstreffen), um
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durch ein Arbeitstreffen mit allen Personalratsvorsitzenden zu konkreteren Absprachen und Planungen zu kommen. Der Prozess gestalte sich aber schwierig. In München verfolgt der GPR ebenfalls dieses Thema. Nach einem ersten, extrem kontroversen Sondierungstreffen gelang es über den ´Umweg´ einer parteipolitischen Initiative, einen informellen Austausch (zweimal im Jahr) auf die Tagesordnung zu setzen. Geplant ist zukünftig ein institutionalisiertes, regelmäßiges, aber informelles Treffen, wo jedoch keine verbindlichen Beschlüsse gefasst werden. In Essen hat die Konzernarbeitnehmervertretung den politischen Machtwechsel nach der letzten Kommunalwahl bisher überlebt. Im Zusammenhang mit einem Konzept zur Neugestaltung der zentralen Steuerungsdienste auf Seiten der Arbeitgeber, soll auch das Thema einer Umgestaltung der Arbeitnehmervertretungen erörtert werden. In Köln wird dem Thema zwar ein wichtiger Stellenwert zugesprochen, es gibt zur Zeit aber keine konkreten Planungen. In Dresden ist ein ´Konzern Stadt´ für den GPR kein Thema. In Leipzig gibt es ein informelles Treffen zwischen dem GPR und einigen Personalratsvorsitzenden, an dem aber nicht alle Vertreter der dazugehörigen Organisationen regelmäßig teilnehmen. In Duisburg konnte man sich bei einem Koordinationstreffen nicht auf eine gemeinsame Organisationsform einigen. In Frankfurt würde dieses Thema derzeit nicht zur vorherrschen Politik in der Stadt passen, die kaum an übergreifender Organisation interessiert sei. Der GPR befürchtet, dass sich die starke Zersplitterung der Kommune weiter fortsetzen wird. In Düsseldorf ist eine bereits existierende Konzerarbeitnehmervertretung nach dem politischen Wechsel durch die Kommunalwahlen auf ´Eis´ gelegt worden. Der GPR verfolgt zwar die Diskussion über das Thema ´Konzern Stadt´ weiter, es gibt aber keine konkreten Initiativen. In Bremen erwartet der GPR, dass das Thema ´Konzern Stadt´ von Seiten der Arbeitgeber auf die Tagesordnung kommt. Gewünscht wird außerdem eine tiefergehende Diskussion der Personalvertretungen über einen zukünftigen öffentlichen Dienst, der sich nicht hinreichend durch den betriebswirtschaftlich geprägten Begriff ´Konzern Stadt´ charakterisieren lasse. In den übrigen Großstädten besitzt das Thema ´Konzern Stadt´ derzeit keine größere Relevanz. Mit dem Beginn der Verwaltungsreformprozesse habe sich recht schnell die Schwäche der Personalvertretungsgesetze des öffentlichen Dienstes gezeigt. Sie seien vor allem defensiv und einzellfallorientiert (Kißler 1999: 272) und würden einer Gestaltungsaufgabe der Personalräte nicht gerecht. Auf der Agenda der Verwaltungsreform sei die Beschäftigtenbeteiligung außerdem ein Ziel mit relativ geringer Priorität gewesen. Insofern musste die Rolle der Beschäftigten und die ihrer Interessenvertretungen zu Beginn der Verwaltungsmodernisierung erst geklärt werden.
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Umstritten war außerdem, welche Ziele mit der Forderung nach Beschäftigtenbeteiligung bei den verschiedenen Akteuren verbunden waren: Sollte durch Beteiligung die Motivation für ein stärkeres Engagement gesteigert werden? Sollte Akzeptanz für die Durchsetzung von geplanten Maßnahmen erreicht werden oder sollte die Effizienz erhöht werden, indem Erfahrungen und Ideen der Beschäftigten als Ressource einbezogen werden (Bogumil, Kißler 1998: 54). Sowohl auf der Seite der Arbeitgeber, aber auch auf der Seite der Arbeitnehmer hätte es Vorbehalte gegen die Ausweitung der Beschäftigtenbeteiligung gegeben. Aus der Sicht der befragten Gesamtpersonalräte in den 15 Großstädten stand die Klärung ihrer eigenen Rolle im Prozess der Verwaltungsmodernisierung am Anfang. Trotz kontroverser Debatten und zum Teil auch heftiger Angriffe (bis heute) gab es für den überwiegenden Teil der GPR´s in den westdeutschen Großstädten keine wirkliche Alternative zum Co-Management. Insbesondere auf den Feldern der Personal- und Organisationsentwicklung sowie der Qualifizierung wollten die GPR´s Gestaltungsspielräume nutzen. Die Bedingungen dazu waren in den 15 Großstädten jedoch sehr unterschiedlich und haben sich während des Untersuchungszeitraumes noch weiter auseinander entwickelt. Zu diesen stark ungleichen Gestaltungsmöglichkeiten haben mehrere Faktoren beigetragen: x Die formalrechtlichen Regelungen der jeweiligen, länderspezifischen Personal-vertretungsgesetze zur Mitbestimmung und ihre Auswirkungen auf die Anzahl von freigestellten Personalräten und Mitgliedern im Gesamtpersonalrat; x
Das spezifische Verhältnis zum Oberbürgermeister und zu den Dezernenten, das auch beeinflusst wird von deren Interesse oder Desinteresse an einer konstruktiven Zusammenarbeit;
x
Das spezifische eigene Selbstverständnis, das eigene persönliche Engagement und die eigenen Fähigkeit, auch um die notwendigen Kompetenzen arbeitsteilig im GPR zu bündeln und weiterzuentwickeln.
Übereinstimmung herrscht bei den gewählten Gesamtpersonalräten darüber, dass in einer Großstadtverwaltung die Motivation und das Engagement der Beschäftigten, sich an Prozessen der Verwaltungsmodernisierung zu beteiligen, sehr unterschiedlich ausgeprägt ist. Genannt wurden vor allem individuelle Beweggründe sowie erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Dienststellen, Abteilungen, Fachbereichen und Dezernaten. Einige GPR´s betonen vor allem individuelle Aspekte: persönliche Karriereziele der Beschäftigten oder die Haltung, lieber etwas selber zu machen, als
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von ´Oben´ Maßnahmen und Ziele verordnet zu bekommen. Es gebe immer diejenigen, die alles unter dem Aspekt der Mehrarbeit betrachten oder aufgrund vorheriger Erfahrungen nicht mehr an Beteiligungsprozessen teilnehmen wollen („Mache ich nie wieder“). Andere seien grundsätzlich erst einmal aufgeschlossen und sagen hinterher „Das hat mir viel gebracht“. Es seien in der Regel ganz spezifische Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter, die sich stark engagieren und beteiligen. Eine andere Argumentationslinie zielt eher auf gruppenspezifische Aspekte. Das Alter der Mitarbeiter habe nicht grundsätzlich, aber doch in der Tendenz Auswirkungen. Viele der Jüngeren wären mit mehr ´Schwung´ bei der Sache und hätten zum Teil auch andere Umgangsweisen und Vorstellungen von Zusammenarbeit: „Nur weil es der Vorgesetzte gesagt hat, muss es nicht immer richtig sein“. Für sie sei es eher selbstverständlich, die eigene Meinung deutlich zu äußern und sich auch einzumischen. Dabei betonen die meisten GPR´s die besondere Rolle der Vorgesetzten. Sie seien von entscheidender Bedeutung dafür, ob es so etwas wie eine gelebte Kultur der Mitsprache und der Beteiligung im ihrem Bereich gebe oder auch nicht. Herrsche eine solche Beteiligungskultur in einer bestimmten Dienststelle oder in einem Referat, dann wäre auch die Motivation, sich an Prozessen der Verwaltungsmodernisieren zu beteiligen, grundsätzlich höher. Einfluss habe aber auch die spezifische Aufgabe der jeweiligen Dienststellen. Zum Beispiel habe es bei den Mitarbeitern mit „Kundenverkehr“ mehr Interesse an Veränderungen gegeben. Es werde von vielen als nicht mehr zeitgemäß angesehen, dass die Bürger „unten anklopfen müssten“ und als „Bittsteller“ behandelt werden. Deshalb müsse es einen besseren Service geben und bedarfsgerechtere Öffnungszeiten. Nur wenige GPR´s verweisen darauf, dass sich die Beschäftigten in öffentlichen Verwaltungen eher beharrlich gegenüber Veränderungen verhalten würden und lediglich zu einem sehr begrenzten Engagement zu bewegen sind. Sie würden auf dem Standpunkt stehen, „die Personalräte sollen ihre Interessen vertreten“. Neben diesen differenzierten, übergreifenden Sichtweisen gab es aber auch unterschiedliche Einschätzungen zur Beteiligung der Mitarbeiter im Verlauf der Verwaltungsmodernisierung durch die GPR´s. In den beiden ostdeutschen Großstädten habe der massive Stellenabbau und der anfänglich fehlende Kündigungsschutz die organisatorischen Veränderungen oder Modernisierungen fast vollständig überschattet. Bis heute seien die Stadtverwaltungen etwa auf die Hälfte geschrumpft gegenüber ihrer Größe noch zu DDR-Zeiten. In Leipzig zum Beispiel wurden 42 Ämter und Referate zu 20 zusammengelegt und von etwa 20.000 Mitarbeitern (1989) sind derzeit 6.600 in der Kernverwaltung und etwa
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5.000 in neun städtischen Eigenbetrieben beschäftigt. Das NSM wird von den ostdeutschen GPR´s als eine „Kopfgeburt“ betrachtet, die für die spezifischen ostdeutschen Bedingungen kaum relevant geworden sei. Kleinere Projekte und Qualitätszirkel in einigen Dienststellen seien meist schnell wieder „versickert“. Eine Abflachung der Hierarchien habe nicht stattgefunden und auch keine Dezentralisierung von Entscheidungsbefugnissen. Charakteristisch sei vielmehr eine verstärkte Zentralisierung. Die Situation der Beschäftigten sei insgesamt durch ein Klima der Verunsicherung geprägt. In vielen westdeutschen Großstädten gab es hingegen bereits vor dem Beginn der Verwaltungsmodernisierung Projekte zur Umgestaltung der kommunalen Verwaltungen (ÖTV-Programm „Optimieren statt Privatisieren“ oder „Mitarbeiter senken Kosten“). Dies gilt in besonderem Maße für die Großstädte im Ruhrgebiet. Durch ihre schon früher und massiver einsetzende wirtschaftliche Umstrukturierungskrise begannen der Umbau und die Rationalisierungen der öffentlichen Verwaltungen bereits in den 1980er Jahren, nicht zuletzt aufgrund massiver Haushaltskrisen. Duisburg zum Beispiel befindet sich bereits seit der ersten Haushaltssperre 1978 in einer permanenten Haushaltskrise. Schon in den 80er Jahren zielten sogenannte „Aufgaben kritische Verfahren“ (AKV) auf Kosteneinsparungen. Trotz der unterschiedlichen Entwicklungen in den einzelnen Großstädten verweisen viele GPR´s, wie auch ein Teil der Führungskräfte darauf, dass es zu Beginn der Verwaltungsmodernisierung ein verstärktes Interesse und Engagement von Seiten der Mitarbeiter gegeben habe. Das gelte sowohl für die „Vorläuferprojekte“, wie auch für die Anfangszeit der Ära des Neuen Steuerungsmodells. c) Dienstvereinbarungen und Kooperationsverträge der Gesamtpersonalräte In der wissenschaftlichen Diskussion wird auf die Tradition einer bürokratischen Form der Interessenregelung verwiesen, in der das Personalvertretungsrecht stehe. Dem Verzicht auf weitergehende Gestaltungs- und Partizipationsmöglichkeiten würde eine vergleichsweise gute Absicherung der Mitarbeiter gegenüberstehen, die in vielen Einzelaspekten geregelt sei (Bogumil, Kißler 1998: 2). Zu Beginn der Verwaltungsmodernisierung existierten dementsprechend kaum ausgeprägte gesetzliche Beteiligungsrechte bei der Konzeptentwicklung oder für die Begleitung des Umbauprozesses der Verwaltungsorganisation. Da in den meisten der untersuchten Großstädte die Akteure der Verwaltungsspitze und die Gesamtpersonalräte jedoch die Vorstellung hatten, die Beschäftigten und auch die Personalräte stärker einzubeziehen, bestand die Chance, weitergehende Beteiligungsrechte auszuhandeln, als sie in den jeweiligen
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Personalvertretungsgesetzen der Länder vorgesehen sind. Diese Chance nutzten die jeweiligen Gesamtpersonalräte entsprechend ihrer jeweiligen (Macht-) Position gegenüber der Verwaltungsspitze samt Oberbürgermeister sowie ihren vorhergehenden Erfahrungen in dieser Konfliktpartnerschaft. Von Beginn an war es in der meisten Großstädten offensichtlich, dass die Verwaltungsmodernisierung Hand in Hand mit Bestrebungen zur Haushaltskonsolidierung erfolgen würde. Aspekte der Haushaltskonsolidierung dominierten zwar in den Ruhrgebietsstädten noch stärker als in den anderen Großstädten. Sie waren aber in allen untersuchten Großstädten bereits zu Beginn der 1990er Jahre ein zentrales Thema. Aus diesem Grund machten alle GPR`s ein stärkeres Engagement vor allem von einer formellen Dienstvereinbarung zur Verwaltungsmodernisierung abhängig, die den Ausschluss von betriebsbedingten Kündigungen beinhaltete. Alle befragten GPR´s vertraten übereinstimmend die Auffassung, dass sich die Beschäftigten nur an Verwaltungsreformprozessen beteiligen würden, wenn ihre Arbeitslätze sicher sind und sie keine Verschlechterungen ihrer Arbeitsbedingungen befürchten müssten. Diese Grundauffassung schlägt sich auch in vielen Dienstvereinbarungen zur Verwaltungsmodernisierung nieder. Über diese Mindestforderung hinaus, wurden in den untersuchten Großstädten aber viele weitergehende Dienstvereinbarungen, Kooperationsverträge und Leitlinien beschlossen (s. Abbildung). Dabei lassen sich die folgenden Schwerpunkte erkennen: Besitzstandswahrung Es sollte ein Anspruch auf einen gleichwertigen Arbeitsplatz bei Umstrukturierungen von Dienststellen oder bei Umsetzungsmaßnahmen abgesichert werden; es sollten die vorherigen Besitzstände durch Überleitungstarifverträge bei Neugründungen oder Auslagerungen in Form von Eigenbetrieben oder privatrechtlichen Unternehmensformen gesichert sein; diese Ansprüche wurden vor allem in Rahmenvereinbarungen oder Dienstvereinbarungen zur Haushaltskonsolidierung und Verwaltungsreform geregelt. Arbeitszeitregelungen Hierzu zählen vielfältige Vereinbarungen zur Flexibilisierung der Arbeitszeit: z.B. aufgrund von veränderten Öffnungszeiten, gleitender Arbeitszeit, Telearbeit und Heimarbeit sowie der elektronischen Arbeitszeitmessung.
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Einsatz neuer Technologien Hierbei geht es vor allem um die Folgewirkungen der Einführung von neuen Software zur Kosten- und Leistungsrechnung (Einführung von SAP, SAP HR, doppelter Buchführung, NKF und ähnlichem) sowie der Personalverwaltung (Datenzugang, Datenschutz); Verbesserungen in der Führungskultur sowie im Umgang und in der Kommunikation mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Hierzu gehören vor allem Projekte wie ´Führung auf Zeit´, regelmäßige Förderund Beratungsgespräche zwischen Vorgesetzen und Mitarbeitern, das Management von Informationen sowie Beschäftigtenbefragungen und Leitlinien zur Gleichstellung und zum ´gender mainstreaming´. Das verstärkte Engagement eines Teils der Mitarbeiter, dass Selbstverständnis der befragten GPR´s als Mitgestalter und die erweiterten Chancen für neue Ansätze zur Verwaltungsmodernisierung förderten seit Beginn der 1990er Jahre bis etwa zum Ende der 1990er Jahre in den meisten Großstädten vielfältige Veränderungsprozesse und Projekte. Abbildung 53: Ausgewählte Dienstvereinbarungen der Großstädte x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x x
Dienstvereinbarung zur Verwaltungsreform Rahmenvereinbarung zur Haushaltskonsolidierung und Verwaltungsreform Rahmenvereinbarung zur Verwaltungsreform Einbindungsvereinbarung zur Aufgaben- und Verwaltungsreform Vereinbarung zur Einführung von SAP HR Rahmendienstvereinbarung für den Einsatz der IuK-Technologien Dienstvereinbarung über die technikgestützte Kosten- und Leistungsrechnung Dienstvereinbarung über die automatisierte Verarbeitung von Personaldaten Dienstvereinbarung zum Einsatz eines Dienstplanungsprogramms Dienstvereinbarung über die Durchführung von Beschäftigtenbefragungen. Dienstvereinbarung über die gleitende Arbeitszeit Dienstvereinbarung „flexible Arbeitszeitgestaltung“ Dienstvereinbarung zur Anwendung von „Führung auf Zeit“ Dienstvereinbarung über die Arbeit des städtischen JobCenters Dienstvereinbarung gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz Richtlinien zur Gleichstellung von Frauen und Männern Leitlinie für Führung und Zusammenarbeit Leitlinie zum Mitarbeitergespräch Dienstvereinbarung über die Beteiligung der PV an der Personalkostenbugetierung Dienstvereinbarung zur Telearbeit und Heimarbeit Dienstvereinbarung zur Gesundheitsförderung
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Fortführung Ausgewählte Dienstvereinbarungen der Großstädte x x x
Dienstvereinbarung über die automatisierte Erfassung von Gleitzeit Dienstvereinbarung über den Einsatz eine Informationsmanagements Personalwesen Leitlinie zu Förder- und Beratungsgesprächen
In vielen Dienststellen wurden flexiblere Arbeits- und Öffnungszeiten eingeführt, die zuvor oft in Modellämtern ausprobiert wurden. In fast allen Großstädten entstanden neue, moderne Kunden- oder Servicezentren mit verbesserten Angeboten für die Bürger, die teilweise durch aufwendige und weitreichende Beteiligungsprozesse initiiert und durch externe Beratung begleitet wurden. Viele GPR`s förderten spezielle Projekte zur Optimierung von Arbeitsabläufen und von qualitativ höherwertig zugeschnittenen Arbeitsaufgaben. Es wurde verstärkt in Qualifizierungsmaßnahmen und Fortbildungen investiert, insbesondere für Führungskräfte sowie bei der Einführung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien. Ein weiterer Schwerpunkt waren anspruchsvolle Konzepte zur Personalentwicklung sowie Mitarbeiter- und Kundenbefragungen. Diejenigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich aktiv an Veränderungsprozessen beteiligten merkten jedoch schnell, dass in den jeweiligen öffentlichen Verwaltungen nicht gleich die „Demokratie ausgebrochen war“. Lediglich ein geringer Teil der vielfältigen Aktivitäten und Verbesserungsvorschläge in Projektgruppen und Qualitätszirkeln wurde aufgegriffen und auch umgesetzt. Solche desillusionierenden Erfahrungen verstärkten sich gegen Ende der 90er Jahre mehr und mehr, als die wachsenden Zwänge zur Haushaltskonsolidierung auch die zuvor noch besser situierten Großstädte erreichten. Die Gestaltungsspielräume für umfassende und qualitative Veränderungen verengten sich immer stärker auf Grund von betriebswirtschaftliche Erwägungen zur Kosteneinsparung. Außer in den drei Großstädten München, Stuttgart und Hamburg, sind die Prozesse der Verwaltungsmodernisierung, wie sie ursprünglich angelegt waren, weitgehend beendet. Geblieben ist vor allem die weitere Optimierung der Leistungs- und Kostenrechnung. d) Politikmuster der Interessenvertretung In der wissenschaftlichen und gewerkschaftspolitischen Debatte herrscht Konsens darüber, dass die gestaltende Rolle des Ko-Managements für die Gesamtpersonalräte „völlig veränderte“ Anforderungen (Kißler 1999: 6), wenn nicht sogar Überforderungen mit sich bringt. Sie müßten sich Management- und Steuerungswissen aneignen, ihren Arbeitsalltag neu organisieren und Prioritäten setzen, angesichts unzähliger Sitzungen von Projektgruppen und Abstimmungsterminen. Kißler verweist außerdem auf die Tendenz, dass die ehrenamtlich tätigen Personalräte dazu neigen würden, alles auf die Freigestellten abzuschie-
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ben, insbesondere die Verantwortung für den Gesamtprozeß. Wie in Zukunft eine umfassende Gesamtvertretung von Beschäftigteninteressen in den kommunalen Verwaltungen zu erfolgen habe, sei indes eine gänzlich ungeklärte Frage. Neben der institutionellen, rechtlich abgesicherten Seite der Vertretungsarbeit würde der tatsächliche Einfluß von Personalvertretungen vor allem von ihrem Selbstverständnis als Interessenvertretung abhängen (Kißler 1999: 9). In mehreren empirischen Untersuchungen im privaten und öffentlichen Sektor zum Rollenverständnis von Interessenvertretungen, wurden drei Typen identifiziert: „traditionelle“ Interessenvertretung, „ausgleichende“ Interessenvertretung und „progressive“ Interessenvertretung. Diese Typologie von Kißler bildete auch für unsere empirische Befragung der 15 großstädtischen Personalräte einen wichtigen Bezugspunkt. Durch die Untersuchung der Entwicklungsprozesse seit 1990 wollten wir zusätzlich aber auch die zentralen Veränderungen der institutionellen Bedingungen sowie die Stellung der Gesamtpersonalräte zwischen Verwaltungsspitze und Beschäftigten berücksichtigen. Dabei gelangten wir zu folgenden Befunden. Den Typ der „traditionellen“ Interessenvertretung, der seine Beteiligungsrechte restriktiv auslegt und sich in der Praxis passiv darauf beschränkt, das Erreichte zu bewahren und Gefahren abzuwehren, haben wir nicht gefunden. In zwei Großstädten (Nürnberg, Dortmund) ähnelt die Arbeit der GPR´s der „ausgleichenden“ Interessenvertretung, die sich als Vermittler begreift und sich pragmatisch auf das „Machbare“ konzentriert. In vier Großstädten (Essen, München, Hannover, Bremen) ähnelt die Arbeit der GPR´s der „progressiven Interessenvertretung“, welche die vorhandenen Gestaltungsspielräume für Veränderungen der Arbeitsbedingungen aktiv zu nutzen weiß. Die Beteiligungsmöglichkeiten nutzen sie bei Bedarf für „Gegenmacht-Strategien“ und versuchen diese auszubauen. In sechs Großstädten dominierten in der Vergangenheit ebenfalls progressive Interessenvertretungen. Die vorherige, aktive Mitgestaltung der Arbeitsbedingungen, ist jedoch stark erschwert, weil eine schleichende (Duisburg, Stuttgart, Frankfurt) oder eine abrupte Distanzierung der Verwaltungsspitze (z.B. nach einem politischen Wechsel wie in Köln, Düsseldorf, Hamburg) lediglich eine formalrechtliche Interessenvertretung auf Distanz zulässt. Neu hinzugekommen ist der Typ „Konstituierung“ von Interessenvertretung (Dresden, Leipzig), wo Strukturen und Vernetzungen für eine aktive Gestaltung und Verbesserungen von Arbeitsbedingungen erst erkämpft und aufgebaut werden müssen.
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Dresden, Leipzig
Müssen formale Mitbestimmungsrechte einfordern oder einklagen Kämpfen um Anerkennung und Respekt
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Strukturen und Vernetzun- x gen für eine Konfliktpartnerschaft sind noch im Aufbau x Werden über den Kurs der Arbeitgeber lediglich informiert x Sehen sich als ´fünftes Rad am Wagen´ x
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Konstituierung von Interessenvertretung
Nürnberg, Dortmund
Genießen Respekt und verhandeln ´auf gleicher Augenhöhe´
Langjährig gewachsene Kooperation, eher Konsensals Konfliktorientiert Werden vom Arbeitgeber selbstverständlich eingebunden Sehen sich ´in einem Boot´ und greifen bei Bedarf korrigierend ein Betreiben Ko-Management
Ausgleichende, kooperative Interessenvertretung
Abbildung 54: Politikmuster der Interessenvertretung
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Stuttgart, Duisburg, FrankfurtKöln, Düsseldorf, Hamburg, Berlin
Langjährig gewachsene Kooperation führte schleichend oder abrupt zu einer Distanzierung Wurden vom Arbeitgeber Schritt für Schritt oder abrupt abgedrängt Sind auf ihre formalen Mitbestimmungsrechte zurückgeworfen Haben früher Ko-Management betrieben, jetzt „Gegenmacht“ Haben an Anerkennung eingebüßt und werden „auf Distanz“ gehalten
Interessenvertretung auf Distanz
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Essen, München, Hannover, Bremen
Wurden vom Arbeitgeber selbstverständlich eingebunden und gefördert Sehen sich in einer selbstbewußten Position und gestalten mit Betreiben KoManangement und im Konfliktfall selbstbewußt Gegenmacht Genießen Respekt und Verhandeln auf gleicher Augenhöhe
Langjährig gewachsene Kooperations- und Konfliktkultur
Kooperativ–gestaltende Mitbestimmungskultur
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Durch die Auswertung unseres Untersuchungsmaterials haben wir abschließend eine anders strukturierte, erweiterte Typologie von Politikmustern der Interessenvertretung entwickelt. a.
Ausgleichende, kooperative Interessenvertretung
Dieses Politikmuster beruht auf einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen einem konsensorientierten GPR und einer Verwaltungsspitze, die Beteiligungsrechte von Arbeitnehmern und deren Personalvertretungen respektiert und fördert. Beide Seiten sehen sich letztlich in ´einem Boot´, um die Stadtverwaltung als Ganzes zu modernisieren. Im Vordergrund der Arbeit des GPR stehen einkommens- und beschäftigungspolitische Probleme. Nur bei wirklich unversöhnlichen Interessengegensätzen werden öffentliche oder rechtliche Konfliktformen ergriffen. b.
Gestaltende, kooperative Interessenvertretung
Dieses Politikmuster beruht auf einer langjährig gewachsenen Kooperationsund Konfliktkultur zwischen einem selbstbewußten GPR und einer Verwaltungsspitze, die Beteiligungsrechte von Arbeitnehmern und deren Personalvertretungen respektiert und fördert. Im Vordergrund der Arbeit des GPR steht die qualitative Mitgestaltung von Arbeitsinhalten und einer effektiveren Arbeitsorganisation. Sie nutzen selbstbewußt alle Gestaltungsspielräume und organisieren im Konfliktfall vielfältige Strategien der Gegenmacht. In Essen zum Beispiel konnte der GPR seine Machtposition selbst angesichts eines Politikwechsels nach einer jahrzehntelangen SPD-Vorherrschaft sichern. In Hannover und Bremen bröckelt derzeit die arbeitnehmerfreundliche Grundhaltung der Verwaltungsspitze angesichts der verschärften Haushaltskrise. Immer häufiger dominieren Kostenerwägungen gegenüber der Wahrung von sozialen Standards der Mitarbeiter, die in der Vergangenheit stärker im Vordergrund standen. c.
Interessenvertretung auf Distanz
In Duisburg und Stuttgart ist eine Interessenvertretung lediglich aus der Distanz möglich, weil die Verwaltungsspitze ihre zentralen politischen Entscheidungen mehr und mehr ohne die weitergehende Beteiligung der GPR´s trifft. In Duisburg wird dafür die prekäre Haushaltslage als eine Ursache unter anderem angesehen, in Stuttgart die forcierte, umfassende Modernisierung der kommunalen Verwaltung. Der GPR in Frankfurt erleidet schon über Jahre einen kontinuierlichen Machtverlust, insbesondere seit in der Stadt eine große Koalition die Politik
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bestimmt. Diese Situation hat sich aktuell durch das neue, restriktive Hessische Personalvertretungsgesetzt weiter verschärft. Der GPR musste dadurch von zuvor vier auf jetzt zwei freigestellte Personalräte reduziert werden. Ähnlich verschlechtert hat sich auch die Situation in Köln, wo dem GPR im Zuge von Haushaltseinsparungen die Hälfte der Finanzmittel gestrichen wurden. In Hamburg und in Düsseldorf ist seit dem politischen Machtwechsel, der einer langjährigen Vorherrschaft der SPD folgte, die direkte Kommunikation zwischen der jeweiligen Verwaltungsspitze und dem Düsseldorfer GPR sowie auch der Arbeitsgemeinschaft der Hamburger Personalräte unterbrochen. In Hamburg, wo derzeit ein neuer Anlauf zur Verwaltungsreform in der Planung ist, wurden die Vertreter der Arbeitnehmerinteressen aus ihrer früheren Rolle der Mitgestaltung abgedrängt. Aufgrund der geschilderten Entwicklungen sind die GPR´s dieser Großstädte auf die Durchsetzung der formalen Mitbestimmungsrechte zurückgeworfen, und versuchen notgedrungen Gegenmacht - Strategien zu entwickeln. d.
Konstituierung von Interessenvertretung
Dieses Politikmuster ist entstanden, weil in diesen Großstädten eine gewachsene Kultur demokratischer Mitbestimmung der Arbeitnehmer nicht existiert. Die Spielräume der relativ restriktiven Personalvertretungsbestimmungen des Landes Sachsen müssen erst nach und nach eingefordert und ihre Einhaltung erkämpft werden. In diesem Prozess werden die GPR´s von der Verwaltungsspitze lediglich über die notwendigsten Entscheidungen und Prozesse informiert. Die GPR´s müssen ihre formalen Mitbestimmungsrechte massiv einfordern und teilweise juristisch einklagen. Das gilt selbst für Leipzig, mit seiner Tradition einer demokratischen Bürgerbewegung. Diese Tradition wird zwar nach ´Außen´ kultiviert, innerhalb der Stadtverwaltung jedoch kaum noch gelebt. e.
Fazit
Aus der Sicht der Gesamtpersonalräte (GPR´s) verlief die Verwaltungsmodernisierung in vielen Großstädten zu eng geführt als technokratische Umsetzung von NSM-Bausteinen. Erst durch das Engagement von (Gesamt-) Personalräten und Beschäftigten seien auch weitergehende, gestalterische Elemente wie Personalentwicklung und Veränderungen der Arbeitsaufgaben in den Blick geraten. Insofern waren die GPR´s in den untersuchten Großstädten nicht in der Rolle von „Bremsern“, sondern gehörten häufig zu den Protagonisten von breiter angelegten Reformstrategien. Aus den anfänglichen Prozessen bis etwa Mitte der 1990er Jahre haben sich auch Ansätze der Veränderung ergeben: vor allem im Bereich flexibler Arbeits- und Öffnungszeiten, neuer Kundenzentren mit
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verbesserten Serviceangeboten für Bürger, veränderten Arbeitsabläufen und Aufgabenzuschnitten vor allem durch den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien sowie Verbesserungen in der Führungskultur und der Kommunikation mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Diese Ansätze, die in den einzelnen Großstädten unterschiedlich weit fortgeschritten sind, gerieten Ende der 90er Jahre zunehmend unter Rationalisierungsdruck durch die Verwaltungsspitze. Dieser Druck erfolgte zum Teil durch eine Reduktion auf betriebswirtschaftliche Prioritäten, unter anderem auch, weil sich ein Teil der Führungskräfte stärker am Leitbild moderner Manager orientiert, als am öffentlichen Beamten im klassischen Sinn. Vor allem erhöhte sich der Druck durch die sich zuspitzende Krise der öffentlichen Haushalte in nahezu allen untersuchten Großstädten. Außer in München, Stuttgart und Hamburg sind derzeit weiterreichende Prozesse der Verwaltungsmodernisierung weitgehend zum erliegen gekommen. Verfolgt werden weiterhin Maßnahmen zur Leistungs- und Kostenrechnung mit dem Ziel von Einsparungen. Diese Entwicklung wird vor allem in denjenigen Großstädten als frustrierend wahrgenommen, in denen die GPR´s ihre Arbeitsorganisation, ihre Vernetzung und ihre Mitgestaltung erheblich professionalisieren konnten. Hier zeigt sich, dass ihre Machtposition zwischen den Beschäftigten und der Verwaltungsspitze nicht allein von ihrem Selbstverständnis und ihrer Professionalität abhängig ist. Entscheidend sind auch die finanziellen Rahmenbedingungen in der jeweiligen Großstadt und vor allem die Modernisierungsstrategien der Verwaltungsspitze und deren Kooperationsbereitschaft Aus der Sicht der Gesamtpersonalräte (GPR´s) verlief die Verwaltungsmodernisierung in vielen Großstädten zu eng geführt als technokratische Umsetzung von NSM-Bausteinen. Erst durch das Engagement von (Gesamt-) Personalräten und Beschäftigten seien auch weitergehende, gestalterische Elemente wie Personalentwicklung und Veränderungen der Arbeitsaufgaben in den Blick geraten. Insofern waren die GPR´s in den untersuchten Großstädten nicht in der Rolle von „Bremsern“, sondern gehörten häufig zu den Protagonisten von breiter angelegten Reformstrategien. Aus den anfänglichen Prozessen bis etwa Mitte der 1990er Jahre haben sich auch Ansätze der Veränderung ergeben: vor allem im Bereich flexibler Arbeitsund Öffnungszeiten, neuer Kundenzentren mit verbesserten Serviceangeboten für Bürger, veränderten Arbeitsabläufen und Aufgabenzuschnitten vor allem durch den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien sowie Verbesserungen in der Führungskultur und der Kommunikation mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Diese Ansätze, die in den einzelnen Großstädten unterschiedlich weit fortgeschritten sind, gerieten Ende der 90er Jahre zunehmend unter Rationalisierungsdruck durch die Verwaltungsspitze. Dieser Druck erfolgte zum Teil durch eine Reduktion auf betriebswirtschaftliche Prioritäten,
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unter anderem auch, weil sich ein Teil der Führungskräfte stärker am Leitbild moderner Manager orientiert, als am öffentlichen Beamten im klassischen Sinn. Vor allem erhöhte sich der Druck durch die sich zuspitzende Krise der öffentlichen Haushalte in nahezu allen untersuchten Großstädten. Außer in München, Stuttgart und Hamburg sind derzeit weiterreichende Prozesse der Verwaltungsmodernisierung weitgehend zum erliegen gekommen. Verfolgt werden weiterhin Maßnahmen zur Leistungs- und Kostenrechnung mit dem Ziel von Einsparungen. Die Verengung der Reformperspektive auf „reines Sparen“ demotiviert mittlerweile weite Teile der Beschäftigten, viele Führungskräfte bis hin zu Amtsleitern und Dezernenten und auch einen Teil der Gesamtpersonalräte. Durch die aktuellen Veränderungen, wie die Verlängerung von Arbeitszeiten, die Kürzungen von Sonderzulagen (Urlaubs-, Weihnachtsgeld) sowie die „Renaissance“ hierarchischer und direktiver Führungs- und Steuerungsmodelle in einigen der Großstädte, wird diese Demotivation weiter verstärkt. Durch nicht verlängerte Dienstvereinbarungen, in denen auch der Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen geregelt ist (wie z.B. in Düsseldorf), und weiteren drastischen Sparankündigungen nehmen derzeit auch in den kommunalen Verwaltungen einiger westdeutscher Großstädte Zukunftsängste und Unsicherheiten.
5.3 5.3.1
Potentiale und Blockaden großstädtischer Modernisierung Multipolarer Steuerungsmodus und Netzwerkstrukturen
Nachdem die Stärken und Schwächen großstädtischer Modernisierungspolitik im vorherigen Abschnitt untersucht wurden, wird nun ein Blick auf die Potentiale und Blockaden der identifizierbaren Governancestrukturen geworfen (Mayntz 1993:39 ff.). Die Analyse von Verflechtungen zwischen den Großstädten sowie die Rahmen- und Kontextsteuerung des kommunalen Sektors hatten wir mit der Hypothese von der multipolaren Steuerung großstädtischer Entwicklung vorläufig abgeschlossen (vgl. Kap. 3). Die Annahme war, dass die Entwicklung der Großstädte über mehrere Handlungsebenen und Steuerungskreise durch einen Mix verschiedenartiger Governanceformen und Akteurkonstellationen gesteuert werden. Unterschieden wurde die exogene, externe und interne Steuerung der großstädtischen Entwicklung mit jeweils zwei Steuerungskreisen.
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Als exogene Steuerungskreise wurden: x die Wohnortwahl der Bürgerinnen und Bürger und x
die Standortwahl sowie die Investitionsentscheidung der Unternehmen identifiziert.
Die Bürger entscheiden darüber, ob sie Einwohner einer Großstadt werden oder bleiben wollen. Durch ihr Verhalten begründen und reproduzieren sie den großstädtischen Lebenszusammenhang. Kleinere und größerer Unternehmen entscheiden über ihren Standort und ihre Vermarktungsstrategie. Sie bewirken damit einen Wandel der regionalen Wirtschafts- und Beschäftigungsstrukturen, der konstitutiv für die Wirtschafts- und Finanzkraft der Großstädte wirkt. Die großen Städte konkurrieren untereinander mit ihrem Angebot von Lebens- und Standortbedingungen um die Einwohner und die Investoren. Externe Steuerungskreise werden aus der Sicht der Großstädte: x durch die staatliche Rahmensteuerung des kommunalen Sektors x
durch die Kontextsteuerung in Form großstädtischer Netzwerke und Verbände gebildet.
Durch die Rahmen- und Kontextsteuerung des kommunalen Sektors formen der Bund und die Länder die institutionellen Rahmenbedingungen, indem sie die Aufgaben und Finanzen zwischen den staatlichen Ebenen verteilen und über die Kommunalverfassung entscheiden. Hier befinden sich die Großstädte gegenüber dem Bund und den Ländern in einem hierarchischen Abhängigkeitsverhältnis. Als supranationale Ebene greift die EU mit ihrer Politik der Verwirklichung des Europäischen Binnenmarktes in die wirtschaftliche Betätigung deutscher Kommunen ein, indem sie die Deregulierung kommunaler Energieversorgungs-, Müllentsorgungs- und Nahverkehrsbetriebe fordert. Die Kontextsteuerung des kommunalen Sektors erfolgt über kommunale Interessenverbände und spezielle Netzwerke der Städte. Die Interessenverbände und Städtenetzwerke transferieren Steuerungswissen und dienen der äußeren Interessenvertretung gegenüber höheren staatlichen Ebenen. Städtenetzwerke können auf regionalen, nationalen, europäischen und weltweiten Bezügen beruhen. Besonders auf europäischer Ebene hat die Vernetzung großstädtischer Interessen in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Die ursprüngliche Annahme, dass zwischen einer zentralen internen Steuerung und einer dezentralen Kontextsteuerung der Großstädte unterschieden werden könne und dass sich die zentrale und dezentrale Steuerung großstädtische Modernisierung in den Polen von Politik und Verwaltung erschöpfend analysieren ließe, muss relativiert werden. Die Analysen zur Modernisierungspolitik haben ergeben, dass die Politikprozesse in den Großstädten einem res-
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sortspezifischen sektoralen Führungs- und Entwicklungsmodell folgen, in dessen Segmenten zentripedale und zentrifugale bzw. zentrale und dezentrale Kräfte wirksam werden. Unsere Analyse der großstädtischen Modernisierungspolitik haben wir deshalb an den Feldern der Stadtentwicklung, der urbanen Demokratie, der Verwaltungsmodernisierung und der Arbeitsbeziehungen ausgerichtet, die sich gleichermaßen als Modernisierungspfade erwiesen haben. Großstädtische Modernisierungspolitik findet, wie gezeigt wurde, in verschiedenen Politikfeldern auf unterschiedliche Art und Weise statt und ist wiederum mit externen Handlungsebenen mehr oder weniger stark verflochten. Durch die zunehmende Verselbständigung der Verwaltungen, Betriebe und Einrichtungen des Konzern Stadt und die Relativierung der traditionellen hierarchischen Verwaltungssteuerung entwickelt sich ein neuer verteilter Steuerungsmodus. Zielsetzung und Zieldurchsetzung erfolgen durch mehrere Stellen und Netzwerkknoten. Repräsentative Politik läuft Gefahr, unter diesen komplexen Bedingungen Steuerungsfähigkeit einzubüßen. Legitimiert wird dieses Modell der multipolaren Steuerung auch mit dem Konzept des Verhandlungsstaates, bei dem die Kommune sich auf eine moderierende und aktivierende Rolle im Netzwerk von Verwaltung, kommunalen Unternehmen und Beteiligungen, Verbänden und Vereinen beschränken (Wohlfahrt, Zühlke 1999: 53).
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Abbildung 55: Multipolare Steuerung der Großstädte
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(OB, Rat, Vorentscheiderstrukturen, Hegemonialprojekte)
I. Pfadbezogene Steuerung u. Mitbestimmung ( Institutionelle Strukturen, Prozesse, Akteure)
Stadtentwicklung
GroßVerwaltungsstädtische moderniDemokratie sierung
Arbeitsbeziehungen
(Großstädt. Sozialpolitik)
Wenn über die Entwicklung der Großstädte in verschiedenen Zentren entschieden wird, dann nimmt das Regierungen in den großen Städten fast zwangsläufig die Gestalt eines vielfältig verflochtenen Netzwerkes an. Damit etabliert sich ein politisches System, in dem die öffentlichen Aufgaben nicht mehr durch selbständige Entscheidungen auf einzelnen politischen Ebenen, sondern erst durch das Zusammenwirken mehrerer politischer Ebenen wahrgenommen werden. In Politikverflechtungssystemen werden öffentliche Aufgaben üblicherweise nicht nach Sachgebieten auf die Ebenen verteilt, sondern nach Funktionen wie z.B. der Gesetzgebung, der Verwaltung und der Finanzierung geordnet. Da bei der Wahrnehmung einer öffentlichen Aufgabe in der Regel verschiedene Funktionen benötigt werden, wird die Kooperation verschiedener Ebenen und Funktionen erforderlich (Lang, Naschold, Reissert 1998:20). Politikformulierung und Politikimplementation ist unter diesen Bedingungen in hohem Maße auf Kooperation und Verhandeln angewiesen und durch einen hohen Konsensbedarf gekennzeichnet. Verflochtene Mehrebenensysteme droht deshalb die Gefahr in einer „Politikverflechtungsfalle“ zu enden. Entscheidungen werden auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner getroffen und stabilisieren den Staus quo oder
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führen zur gegenseitigen Selbstblockade (Scharpf 1994:44). Um einen gewissen Einfluss auf die Implementation ihrer Politik zu behalten, neigen die höheren staatlichen Ebenen dazu, ihre Programmvorgaben möglichst detailliert und in Konditionalprogramme zu fassen (sehr detaillierte Gesetze). Ein verflochtenes Mehrebenensystem wie die Großstädte, das suprastaatlichen, nationale, regionale und lokale Ebenen sowie gesellschaftlichen und privaten Akteuren umfasst, geht durch diese Komplexität über einfache Modelle der Politikverflechtung hinaus und wird in der politikwissenschaftlichen Literatur als „multi-level-governance“ bezeichnet (Lang, Naschold, Reissert 1998: 22). Scheinbar gibt es kein Entscheidungszentrum mehr mit akkumulierter Autorität, sondern lediglich unterschiedliche Kombinationen verschiedener Regierungsebenen. Die faktische Kompetenzverteilung in diesen dynamischen Mehrebenensystemen soll sich durch die Interaktionsprozesse ergeben. Dadurch besteht ein erhebliches Potential für Konflikte über die Kompetenzverteilung. Um durchsetzungsfähig zu bleiben bzw. wieder zu werden, werden die weiterhin bestehenden institutionellen Strukturen und die staatliche Politik eingebunden in ein immer weiter verzweigtes und immer dichteres Netz von transnationalen, regionalen und innergesellschaftlichen Abhängigkeiten und Verhandlungsbeziehungen. Angesichts der wachsenden Komplexität dieses Regulationszusammenhangs stellt sich die Frage, wie Modernisierungsblockaden überwunden werden können? Umstritten ist auch, ob und inwieweit es zu einer Rückverlagerung politischer Kompetenzen auf die lokale und die regionale Ebene kommt, zu einem neuen lokalstaatlichen Korporatismus und zu einer Stärkung demokratischer Institutionen (Hirsch 1995:201). Durch die Analyse der Governanceformen soll geklärt werden, inwieweit durch die sozioökonomische Entwicklung, die staatliche Rahmen- und Kontextsteuerung des kommunalen Sektors und die Modernisierungspolitik der Großstädte die Potentiale großstädtischer Entwicklung erweitert oder blockiert werden. Das Erkenntnisinteresse wird zunächst auf die Governance der sozioökonomischen Entwicklung der Städte gerichtet. 5.3.2
Unterschiedliche Pfade der sozioökonomischen Entwicklung
Grundlegend und charakteristisch für das deutsche Städtesystem sind seine räumlich relativ gleichmäßig verteilten großen Städte. Zu den monozentrischen Stadtregionen mit einem eindeutig dominierenden Zentrum zählen Hamburg, Bremen, Hannover, Berlin, Dresden, Stuttgart und München. Polyzentrische Stadtregionen bilden hingegen Köln (mit Bonn) und Düsseldorf (Rheinschiene), Essen, Dortmund und Duisburg (Ruhrgebiet), Frankfurt mit Wiesbaden, Mainz und Darmstadt (Rhein-Main) sowie Leipzig und Halle. Zwischen diesen großen
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Stadtregionen hat sich über Jahrzehnte eine komplexe, komplementäre Arbeitsteilung herausgebildet, die sich in unterschiedlichen Branchen-, Industrie- und Dienstleistungsschwerpunkten verfestigt hat. Diese stark arbeitsteilige Ausdifferenzierung besteht zwischen den monozentrischen Großstädten und ist besonders ausgeprägt zwischen den polyzentrischen Stadtregionen. Insbesondere Düsseldorf konnte aufgrund dieser räumlichen Konstellation seine ausgeprägten Dienstleistungsfunktionen für die gesamte Rhein-Ruhrregion ausbilden, ähnlich wie Frankfurt für das Rhein-Main-Gebiet. Durch die relativ gleichmäßige Verteilung der deutschen Großstädte und ihre enge arbeitsteilige Verflochtenheit kann es nicht verwundern, dass sich recht unterschiedliche Entwicklungspfade hin zu modernen Industrie-, Dienstleistungs- und Wissensstädten herausgebildet haben. Die Grundstrukturen dieser Entwicklungspfade sind bereits weit vor der deutschen Vereinigung entstanden und haben sich durch vielfältige Modernisierungen und wirtschaftliche Transformationen weiterentwickelt (Niedergang von Altindustrien, Tertiärisierung, Individualisierung, europäische Integration). Beharrlich wirkt dabei die historisch gewachsene bauliche „Hülle“, traditionelle Branchenschwerpunkte, Unternehmenskulturen, lokale Institutionen und verwurzelte Mentalitäten. Mit der deutschen Vereinigung haben sich dann die dynamischen Prozesse weiter beschleunigt und eine Phase turbulenter Veränderungen mit zum Teil gegenläufigen Trends begann. Dem zuvor schleichenden Bevölkerungsrückgang in den Kernstädten (Suburbanisierung), der lediglich durch steigende Migrantenanteile relativiert wurde, folgte in sechs103 der fünfzehn Großstädte ein erneuter Bevölkerungsanstieg. Dieser vereinigungsbedingte Bevölkerungszuwachs war jedoch nur von kurzer Dauer. Zwischen 1995 und 2000 verloren wieder alle Kernstädte an Einwohnern. Ausnahmen waren lediglich Leipzig und Dresden. Sie stabilisierten durch Eingemeindungen ihre ebenfalls stark rückläufigen Bewohnerzahlen in den Kernstädten. Im einsetzenden Wettbewerb um Einwohner hatten sie über 20% durch Abwanderung und Suburbanisierung verloren. Die rückläufigen Bewohnerzahlen in den Kernstädten sind auch mit veränderten Bedingungen der Migration verbunden. Migranten wählten in den 80er und 90er Jahren bevorzugt jene prosperierenden Großstädte als Ziel, die aufgrund ihrer großen, vielfältigen Arbeitsmärkte, die Chance auf eine Beschäftigung versprachen. Die These der Zuwanderung in die Sozialsysteme (Versorungsmentalität) ist anhand der vorliegenden Daten nicht zu belegen. Ein größerer Teil der Migranten müsste demnach in die Großstädte im Ruhrgebiet, nach Nürnberg, Bremen, Leipzig oder Dresden ziehen, wo sich aufgrund günstiger 103
Hamburg, München, Köln, Frankfurt, Stuttgart, Hannover.
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Mieten und Lebenshaltungskosten preiswerter leben lässt. Genau das Gegenteil war der Fall. Sie zogen bevorzugt in diejenigen Kernstädte, aus denen die deutschen Mittelschichten wegziehen, weil sie angeblich die erforderlichen Mieten nicht mehr bezahlen können. Dieser Trend, durch den bis Mitte der 1990er Jahre der Anteil und die Gesamtzahl von Migranten in allen 15 Kernstädten anstieg, hat sich seit 1995 umgekehrt. Jetzt stieg ihr Anteil in vier Kernstädten mit eher geringen Migrantenanteilen, während er in den Großstädten mit den zuvor höchsten Anteilen rückläufig war. Es ist zu vermuten, dass die Trendumkehr mit den sozialen Schließungsprozessen der Arbeitsmärkte auch in den prosperierenden Großstädten zusammenhängt. Angesichts dieser Entwicklungen und forciert durch die Debatten über die demographische ´Alterung´, kam in allen Großstädten die Problematik der Einwohnerbindung als ein zentrales Zukunftsthema auf die politische Agenda. Dieses Thema hat jedoch mehrere Facetten. Die großen Stadtregionen können die nachfolgende Generation und Zuzügler von „Außen“ vor allem durch Ausbildungs- und Arbeitsplätze binden, aber auch durch Lebensqualität und gute Wohnbedingungen. Dabei stehen sie zwar im Wettbewerb mit anderen Kommunen, dieser bricht sich jedoch an lokalen Bindungen in Familien- und Freundschaftsnetze. Sozialen Zusammenhalt und lokale Identität zu stärken ist deshalb ebenfalls zu einem zentralen Thema in den untersuchten Großstädten geworden. Das gilt vor allem angesichts des großen Anteils von Bewohnern, die nicht über Erwerbsarbeit integriert sind. Aufgrund der rückläufigen Einwohnerzahlen und der drohenden demographischen „Alterung“ in fast allen untersuchten Kernstädten steigt der Wettbewerbsdruck um möglichst qualifizierte Zuzügler. Deshalb versuchen alle Großstädte, als Reaktion auf diesen Druck, in attraktive Angebote zu investieren: zusätzliche Programme zur Förderung und Bezuschussung von neuen Wohnungen und Eigenheimen sowie unterstützende Betreuungs-, Bildungs- und Infrastruktureinrichtungen für unterschiedliche Zielgruppen (für Geringverdienende, Familien mit Kindern, Singles, ältere Paare). Da die Bevölkerung aus sich selbst heraus jedoch nicht mehr wächst, sind Wachstumsstrategien lediglich als Verdrängungswettbewerb denkbar, oder durch eine Ausweitung der Migration. Eine andere Variante sind die derzeit vieldiskutierten Strategien der Regionsbildung. Wenn die großen Stadtregionen versuchen, den Wettbewerb um Einwohner zu beeinflussen, stehen sie jedoch vor einem Dilemma. Um möglichst attraktiv für möglichst gut qualifizierte oder gar internationale Zuzügler zu sein, streben sie ein weltoffenes, urbanes und tolerantes ´Flair´ an. Dem steht jedoch die Haltung von Teilen der Bevölkerung und der Politik entgegen, die Migranten vor allem als Belastung betrachten. Weil die Migration durch nationale Gesetze und EU-Regelungen gesteuert wird, verfügen die Großstädte lediglich über
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begrenzte, eigenständige Handlungsspielräume. Sie müssen oder wollen die Ausländergesetze vollstrecken und tragen außerdem den größten Anteil der Kosten der Zuwanderungspolitik. Dieses Dilemma der Stadtpolitik auf dem Zukunftsfeld der Einwohnerentwicklung und der Migration stellt sich für die 15 untersuchten Großstädte in ganz unterschiedlicher Dringlichkeit dar. x
Sieben Stadtregionen mit den höchsten Migrantenanteilen (München, Stuttgart, Frankfurt, Düsseldorf, Hamburg, Köln, Hannover) erwarten weiterhin zumindest stabile oder wachsende Bevölkerungszahlen. Sie sind auf vielfältigen Feldern aktiv, um sich als attraktive Wirtschafts-, Kultur- und Freizeitstandorte zu positionieren und rechnen auch zukünftig mit einer besonderen Anziehungskraft. Gleichzeitig sehen sie sich lediglich durch sehr langsame Alterungsprozesse herausgefordert (etwa ab 2015). Durch ihre relativ hohe Zahl an bereits vorhandenen Migranten, die durchschnittlich mehr Kinder haben, wird die Alterung der Gesamtbevölkerung abgeschwächt. Das Thema „Integration von Migranten“ erhielt in diesen Großstädten bereits in der Vergangenheit, allein durch den quantitativen Umfang, einen zunehmenden Stellenwert. In Zukunft soll dieses Politikfeld verstärkt auch mit qualitativen Maßnahmen bearbeitet werden, um das Image einer „weltoffenen“ Großstadt zu stärken.
x
Acht Großstädte mit mittleren oder geringen Migrantenanteilen, (Berlin, Bremen, Dortmund, Nürnberg, Leipzig, Dresden, Essen, Duisburg) sind bereits mit rückläufigen Einwohnerzahlen sowie Prozessen der demographischen ´Alterung´ in unterschiedlichem Ausmaß konfrontiert. Sie versuchen Schrumpfungsprozesse der Bevölkerung vor allem durch indirektes Gegensteuern aufzufangen. Dazu gehört vor allem ein rigider öffentlicher Sparkurs (der die Schrumpfung verschärft), um Investitionen und Fördermittel für zukunftsträchtige Beschäftigungsfelder, attraktive Innenstädte und neue, nutzungsgemischte Stadtteile frei zu bekommen. Diese Maßnahmen entfalten, wenn sie erfolgreich sind, aber erst mittel- und langfristig Effekte. Trotz der insgesamt negativen Bevölkerungsentwicklung, stehen jedoch auch diese Großstädte im Vergleich mit kleineren Städten und Gemeinden recht gut da. Selbst die durch extreme Schrumpfung betroffenen Großstädte Leipzig und Dresden gelten als ´Gewinner´ innerhalb der neuen Länder.
Deutlich zeigt sich beim Thema Bevölkerungsentwicklung und Migration, wie durch diese Effekte die bestehende Polarisierung zwischen den 15 großen Stadtregionen weiter gefördert und zukünftig noch verschärft wird. Insgesamt aber relativieren diese Entwicklungen, zumindest für die Städtegruppe mit stabiler oder leicht wachsender Bevölkerung, die derzeit aufgeregt geführten Debatten
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um schrumpfende Städte und die drohende, demographische ´Alterung´. Dass diese Gefahr mittelfristig und vor allem langfristig besteht, steht außer Frage (Göschel 2003). Dennoch wird es auch zukünftig in einigen der großen Stadtregionen Wachstumskerne und auch Bevölkerungswachstum geben. Dies wird jedoch zu Lasten anderer Regionen erfolgen, es sei denn wirtschaftspolitische Ausgleichsstrategien104 oder verstärkte Migration schwächen diese Dynamik ab. Rückläufige Bevölkerungszahlen sind jedoch lediglich ein Teilphänomen für einen viel umfassenderen Prozess, der aktuell am Thema der schrumpfenden Städte in zugespitzter Form diskutiert wird (Keim 2004, Hannemann 2004, Informationen zur Raumentwicklung 2003: 10/11). Diese Debatte bietet den zweifelhaften Vorteil, dass in den neuen Bundesländern Schrumpfungsprozesse quasi im Zeitraffer abgelaufen sind und weiter ablaufen. Ein zentraler Befund dieser Debatten ist die Einsicht, dass die Schrumpfungsprozesse nicht allein auf der massiven Deindustrialisierung beruhen, auch wenn auf die Industrie im Saldo 70% des Arbeitsplatzabbaus in Folge der deutschen Einheit entfielen (Lutz/Grünert 2001: 142). Der massive Abbau war und ist verbunden mit verschiedenen Rückbildungsprozessen wie Abwanderung, einem massiven Abbau von Arbeitsplätzen auch in der Landwirtschaft (80%) sowie in den staatlichen Verwaltungen und gesellschaftlichen Organisationen. Die Gleichzeitigkeit von Deökonomisierung, Depopulation und Deurbanisierung erzeugten in ihrer wechselseitigen Verstärkung eine Schrumpfung aller städtischen Lebensprozesse (Hannemann 2004: 207). Ein solcher Blick auf die unterschiedlichen Entwicklungen in den verschiedenen Wirtschaftszweigen und den wechselseitigen Zusammenhängen lag auch unserer Analyse der Wirtschafts- und Beschäftigungssituation in den 15 Großstädten zugrunde. Deutlich zeigte sich, dass in allen Großstädten trotz des Vereinigungsbooms zwischen 1990 und 1995 ein erheblicher Rückgang von Erwerbs- und von Beschäftigungsverhältnissen stattfand. Dieser negative Gesamttrend verkehrte sich seit 1995 in einen Wiederanstieg der Erwerbstätigen in allen Großstädten, außer in Berlin, Bremen und Nürnberg. Bei den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen schwächte sich der negative Trend seit 1995 in allen Großstädten zwar ab, einen Wiederanstieg verzeichneten aber lediglich die bereits oben genannten Großstädte mit einer stabilen oder wieder leicht wachsenden Einwohnerzahl: Hamburg, München, Köln, Frankfurt, Stuttgart, Düsseldorf, Hannover.
104
Das solche Strategien möglich sind zeigt sich zum Beispiel am bayrischen Biotechnologienetzwerk. Es war zunächst auf München konzentriert, wurde dann aber durch gezielte Fördermaßnahmen auf die Regionen Würzburg, Erlangen und Regensburg ausgeweitet (Kujath 2002: 388).
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Ein weiterer Zusammenhang besteht zwischen dem Wiederanstieg von Erwerbsverhältnissen seit 1995 besonders in Köln, Hamburg, Frankfurt, Essen und Düsseldorf und einem gleichzeitigen, überdurchschnittlichen Anstieg der Frauenerwerbstätigkeit in diesen Städten. Dieser Befund untermauert die These, dass eine Ausweitung von Erwerbsverhältnissen insbesondere über die Beschäftigung von Frauen erfolgt ist. In die gleiche Richtung deutet der Befund, dass die Großstädte mit der höchsten Wirtschafts- und Finanzkraft auch die höchste Frauenerwerbsdichte verzeichnen können. Diese verschiedenen Entwicklungen tragen ebenfalls zu einer Polarisierung zwischen den untersuchten Großstädten bei. Denn in Dortmund, Bremen, Duisburg, Nürnberg und Dresden war die Frauenerwerbsdichte zwischen 1990 und 2000 negativ, wie auch in Stuttgart. Die unterschiedlich starke Mobilisierung von Erwerbstätigen in den Kernstädten sowie von Pendlern und ihre spezifische Verteilung auf die jeweiligen Wirtschaftszweige hat zwischen 1990 und 2000 das komplementäre Profil der Wirtschaftsstrukturen verstärkt. Ihre Entwicklung kann auf der Grundlage der identifizierten vier Cluster interpretiert werden (vgl. Kapitel 4.3 Großstädtische Entwicklungspfade), die wir zu drei sozioökonomischen Entwicklungspfaden zusammengefasst haben: 1) Prosperierende Großstädte a) Trotz eines durchgängig starken Beschäftigungsrückganges im verarbeitenden Gewerbe in allen Großstädten, konnte vor allem München, aber auch Stuttgart, seine zuvor schon relativ breite Industriebasis ab Mitte der 90er Jahre stabilisieren. Beschäftigtenverluste in einigen wenigen Wirtschaftszweigen wurden durch einen massiven Anstieg von Dienstleistungstätigkeiten weitgehend ausgeglichen. Die positive Dynamik dieses Entwicklungspfades wird auf einen relativ breiten ´Branchenmix´, eine moderne, relativ stabile Industriebasis und dadurch wachsende, produktionsorientierte Dienstleistungen zurückgeführt105. Dieser Erfolg ist jedoch nicht allein das Ergebnis von wirtschaftlichem Wettbewerb, sondern auch von einer jahrzehntelangen, engagierten Strukturpolitik. b) Dagegen befinden sich Düsseldorf und Frankfurt auf dem Weg zu Dienstleistungsstädten mit lediglich schmaler, zersplitterter Industriebasis. Vor allem Frankfurt entwickelte ein besonderes Profil mit doppelt so hohen Beschäftigten105
In mehreren europäischen Städtevergleichen wurde deutlich, dass zwischen 1988 und 2000 jene Stadtregionen die höchsten Zuwächse bei der Gesamtbeschäftigung erzielten, die einen besonders eng verflochtenen Industrie-Dienstleistungskomplex haben (wie z.B. München und Madrid).
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anteilen im Verkehrs- und Kreditwesen wie in anderen Großstädten (Flughafenund Bankenzentrum). Düsseldorf profiliert sich dagegen als Dienstleistungsund Handelszentrum. Frankfurt und Düsseldorf konnten ihre massiven Beschäftigtenverluste vor allem im verarbeitenden Gewerbe ebenfalls durch einen massiven Anstieg von Dienstleistungstätigkeiten ausgleichen. Der Erfolg insbesondere von Frankfurt war jedoch eng verknüpft mit dem Boom der „New Economy“ und dem „Investmentbanking“. Seit dem Ende dieses Booms und der Krise in der Finanzindustrie106 mehren sich die Stimmen, die eine zu große Abhängigkeit vom Bankensektor und die Vernachlässigung moderner Industriepolitik kritisieren. 2) Großstädte durchschnittlicher Entwicklung a) Ein anderes Wirtschaftsprofil kennzeichnet die beiden Hansestädte Hamburg und Bremen. Hamburg konnte als zentraler deutscher Hafen sein Profil als Handels- und Logistikstandort stärken und den massiven Beschäftigtenabbau im verarbeitenden Gewerbe durch stark zunehmende Dienstleistungstätigkeiten ausgleichen. Bremens Wirtschaftsprofil ist ebenfalls durch Schwerpunkte im Hafen-, Handels- und Logistikgewerbe gekennzeichnet. Die Verluste gewerblicher Beschäftigung in den 90er Jahren konnten jedoch nicht durch wachsende Dienstleistungstätigkeiten ausgeglichen werden. b) Die Großstädte Köln, Hannover und Nürnberg prägen relativ durchschnittliche Beschäftigtenanteile in den einzelnen Wirtschaftszweigen. Hannover profitiert von ihrem politischen Status einer Landeshauptstadt und profiliert sich als Standort des Fahrzeugbaus und internationaler Messen. Köln hat sich neben Düsseldorf zu einem Dienstleistungs- und Handelszentrum von überregionaler Bedeutung entwickelt, dessen ehemals breite Industriebasis jedoch stark schrumpft. Alle drei Großstädte verloren massiv Beschäftigte im verarbeitenden Gewerbe, die in Hannover und Köln jedoch durch Dienstleistungen fast vollständig ausgeglichen werden konnten, in Nürnberg nur zur Hälfte. 3) Großstädte im prekären Strukturwandel a) Am schmalsten ist die industrielle Basis in Berlin, Leipzig und Dresden. Die massive De-Industrialisierung und gleichzeitige Schrumpfung weiterer Beschäftigungsbereiche wurde durch mehrere, sich überlagernde Effekte verstärkt. Dazu gehörte der schockartige Wettbewerbsdruck nach dem Fall der Mauer, aber auch 106
Allein die drei größten Kreditinstitute in Deutschland haben, so wird geschätzt, 50.000 Arbeitsplätze gestrichen.
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die massiven wirtschaftspolitischen Eingriffe durch die staatliche ´Treuhand´. Gleichzeitig begann ebenfalls durch wirtschaftspolitische Steuerung die Profilbildung der beiden sächsischen Großstädte als industrielle ´Leuchttürme´ mit modernsten Unternehmen der Mikroelektronik (Dresden) und des Fahrzeugbaus (Leipzig). Berlin wiederum erhielt mit dem Hauptstadtbeschluss seine Sonderrolle als politisches Machtzentrum, um das sich moderne Dienstleiter der Medienbranche sowie von Kunst- und Kultur angesiedelt haben. b) Die drei Großstädte im Ruhrgebiet (Essen, Dortmund, Duisburg) wandeln seit Anfang der 80er Jahre ihr Profil von ehemaligen Standorten der Montanindustrie zu Dienstleistungsstädten mit modernisierter Industriebasis. Dieser Strukturwandel wurde begleitet durch milliardenschwere Subventionen und Investitionen des Bundes, des Landes Nordrhein-Westfalen und der EUStrukturfonds107. Duisburg besitzt unter allen deutschen Großstädten aktuell noch den höchsten Anteil von Beschäftigten im verarbeitenden Gewerbe. Der Anteil in diesem Wirtschaftszweig war in allen drei Städten im Untersuchungszeitraum stark rückläufig. Während in Dortmund und Essen dieser Rückgang durch Dienstleistungstätigkeiten ungefähr zur Hälfte ausgeglichen werden konnte, gelang dies in Duisburg lediglich für ein Drittel der verlorenen Erwerbsverhältnisse. Die Kehrseite von wirtschaftlicher Prosperität durch moderne Dienstleistungen, bei gleichzeitigem Niedergang traditioneller Industriestrukturen, sind erhebliche Probleme institutioneller Integration. Wird von der „Krise“ der großen Städten gesprochen, sind hohe Arbeitslosenzahlen, viele Sozialhilfeempfänger sowie Prozesse der Verarmung und der Ausgrenzung gemeint. Die soziale Spaltung drohe insbesondere den Großstädten. Einige Autoren vertreten die These, dass gerade in den besonders prosperierenden, wohlhabenden Großstädten die soziale Spaltung besonders ausgeprägt sei („Armut im Reichtum“ vgl. Dangschat 1998). Trotz des „Vereinigungsbooms“ nach 1990 und den großen Aktien- und Immobiliengewinnen vieler Unternehmen stiegen die Arbeitslosenzahlen nach 1990 deutlich an. Sie waren insgesamt bis zum Jahr 2000 wieder rückläufig, verblieben jedoch über dem Stand von 1990. Außer in Frankfurt ist der „Sockel struktureller Arbeitslosigkeit“ kontinuierlich weiter angestiegen. Dadurch erhöhten sich die bereits hohen Arbeitslosenquoten in den Großstädten mit ehemaligen altindustriellen Standorten (Textil-, Werften-, Montan). Ihre schon 107
Am Beginn stand ein spezifisches Arbeitsmarktprogramm der Bundesregierung (EhrenbergProgramm), gefolgt vom „Stahlstandorteprogramm“ sowie vor allem das Aktionsprogramm „Ruhr“ (6,9 Mrd. DM) für die Jahre 1980-1984( Petzina 1993: 268).
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lange bestehenden „Sockel struktureller Arbeitslosigkeit“ erhöhten sich von ca. 12 auf bis zu 15%. Im Jahr 2000 lagen dann bereits Berlin, Leipzig und Dresden mit ihren ehemaligen großen Industriekernen noch über diesen Werten mit 1618%. Anders als bei den Arbeitslosenzahlen, deren Entwicklung die Städte lediglich indirekt beeinflussen können (Ausbildungs- und Qualifizierungsinitiativen, zweiter Arbeitsmarkt), besitzen die Großstädte im Bereich der Sozialhilfe direktere Steuerungsmöglichkeiten. Das zeigte sich vor allem in den Großstädten in Nordrhein-Westfalen. 1990 hatten sie durchweg hohe und höchste Sozialhilfequoten im Vergleich mit den andere Großstädten. Gegen den allgemeinen Trend konnten sie ihre besonders hohen Sozialhilfequoten bis 1995 reduzieren. Der allgemeine Anstieg der Arbeitslosenquoten und der Anstieg der Sozialhilfequoten, außer in Nordrhein-Westfalen, belegt für den Zeitraum bis 1995 tatsächlich die sich zuspitzende soziale Spaltung in den Kernstädten. Nicht bestätigt hat sich die These, die soziale Spaltung würde sich besonders in den reichen, prosperierenden Großstädten vertiefen. Diese Entwicklung gilt lediglich für Hamburg bis 1995, als die Sozialhilfequote den höchsten Wert von allen Großstädten erreichte und abgeschwächt für Frankfurt, mit einer überdurchschnittlichen Sozialhilfequote 1995. Diese These stimmt aber weder für Düsseldorf und schon gar nicht für Stuttgart und München. Im weiteren Verlauf, bis zum Jahr 2000, gibt es für die These der besonderen „Armut im Reichtum“ keine Anhaltspunkte mehr. Im Gegenteil. Es sind gerade die vier prosperierenden Großstädte (München, Stuttgart, Frankfurt, Düsseldorf), die bezogen auf den Anteil der Arbeitslosen und der Empfänger von Sozialhilfe, die geringsten Belastungen tragen müssen. Stark belastet sind dagegen Dortmund, Hannover, Bremen und vor allem Berlin. Beim Thema Arbeitslosigkeit und Sozialhilfe muß jedoch relativierend auf die Aussagekraft der offiziellen Statistik hingewiesen werden. Das gilt besonders, wenn von Sozialhilfe- und Arbeitslosenzahlen Aussagen über die Armutsentwicklung abgeleitet werden, was verbreitet ist. Erstens wurden in den 90er Jahren in allen Bundesländern erhebliche statistische ´Bereinigungen´ und Umstellungen vorgenommen, wodurch sich Trends zeigen, aber keine exakten Entwicklungen. Zweitens haben spezielle Armutsberichte in deutschen Großstädten gezeigt, dass auch bei rückläufigen Arbeitslosen- und Sozialhilfequoten, die materielle Einkommensarmut weiter zugenommen hat. Trotz der enormen und gewachsenen wirtschaftlichen, finanziellen und sozialen Ungleichheiten im Untersuchungszeitraum, schlagen sich diese Ungleichheiten nicht in Form von signifikanten Zusammenhängen bei der kommunalen Wahlbeteiligung nieder. Ob die Städte prosperieren, sich stabil entwickeln oder schrumpfen, in allen zeigt sich eine massiv rückläufige Wahlbeteiligung.
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Der kommunale Wahlakt erfolgt scheinbar relativ unabhängig von der allgemeinen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der deutschen Großstädte. Die Erwartung, ein allgemeiner konjunktureller Aufschwung könnte die Legitimation der politischen Parteien relativieren, erscheint unbegründet. Die extrem angespannte Haushaltssituation in den deutschen (Groß-) Städten ist bereits seit vielen Jahren eine öffentliches Thema. Aktuell soll die Haushaltskrise selbst die ansonsten als „reich“ eingeschätzten süddeutschen Städte erreicht haben. Tatsächlich befinden sich die untersuchten Großstädte jedoch in Haushaltskrisen von sehr unterschiedlicher Tragweite (vgl. Kap. 3.2.4.: Regionale Disparitäten kommunaler Haushalte). In den Ruhrgebietsstädten gehören Sparhaushalte schon mehr als 15 Jahre zum Alltag. Aktuell verfügen diese Großstädte nicht mehr über die Finanzhoheit, sondern unterliegen der Finanzaufsicht der Bezirksregierungen. Die zu geringen Steuereinnahmen der Ruhrstädte decken bei weitem nicht ihre Ausgaben. Dies gilt auch für die ostdeutschen Großstädte Leipzig und Dresden. Sie haben jedoch durch die stabilen Finanztransfers des Bundes eine zumindest mittelfristig berechenbare finanzielle Grundlage. Eine solche Grundlage fehlt auch den Stadtstaaten Bremen und Berlin, die trotz deutlich höherer Steuereinnahmen pro Kopf, keine verfassungskonformen Haushalte vorlegen können. Berlin und Bremen waren außerdem die einzigen Großstädte, die im Untersuchungszeitraum rückläufige Steuereinnahmen zu verzeichnen hatten. Alle anderen Großstädte erzielten Steigerungen zwischen 15 und 50% Prozent. Eine weitere Besonderheit sind gerade die wirtschafts- und finanzkräftigsten Großstädte Frankfurt und Düsseldorf. Trotz der insgesamt höchsten und steigender Steuereinnahmen pro Kopf im Untersuchungszeitraum, waren sie am stärksten verschuldeten. Ihre expansive Haushaltspolitik hat die öffentlichen Handlungsspielräume extrem eingeschränkt. Am geringsten verschuldet sind trotz allgemeiner Haushaltskrise dennoch die süddeutschen Großstädte. Durch die beschriebenen, sehr unterschiedlichen ökonomischen, sozialen und demographischen Entwicklungen in den 15 untersuchten Großstädten hat sich die Tendenz der Polarisierung auch im Untersuchungszeitraum (19902000) weiter fortgesetzt. Betrachtet man die 15 Großstädte innerhalb des gesamten deutschen Städtesystems, kann jedoch nicht von einer Aufspaltung in niedergehende, stagnierende oder weiterhin prosperierende Großstadtregionen gesprochen werden (Krätke 1995: 16). Von den derzeitigen gesellschaftlichen Transformationen sind die untersuchten Großstädte zwar nachhaltig betroffen und herausgefordert. In allen Großstädten überlagern sich jedoch gleichzeitig verlaufende Prozesse von Schrumpfung und Wachstum. Selbst die Großstädte im prekären Strukturwandel, deren Einwohnerzahlen schrumpfen (Berlin, Leipzig, Dresden, Duisburg, Essen, Dortmund), befinden
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sich nicht im Niedergang. Auch sie verzeichnen im Untersuchungszeitraum einen Anstieg ihrer Wirtschafts- und Steuerkraft, auch wenn dieser moderat, und im Vergleich mit den anderen untersuchten Großstädten, unterdurchschnittlich ausgefallen ist. Leipzig und Dresden gelang durch einen Aufholprozess nach dem Fall der innerdeutschen Grenze immerhin der Anschluss an die Großstädte im Ruhrgebiet. Und die Ruhrgebietsstädte Essen und Dortmund befinden sich, trotz ihres langwierigen und noch andauernden Strukturwandels, weder im Niedergang noch verharren sie in Stagnation. Trotz Schrumpfungstendenzen haben sie sich weiter modernisiert und konsolidiert. Diese Entwicklungen verweisen darauf, dass die voranschreitende Polarisierung im deutschen Städtesystem nicht dem vereinfachenden Gegensatz von prosperierenden Großstädten auf der „Gewinnerseite“ und niedergehenden Großstädten auf der „Verliererseite“ folgt. Dies zeigen vor allem die Entwicklungen in der „mittleren Zone“ des Großstädtesystems. Zu diesem Segment gehören die Großstädte mit durchschnittlicher Entwicklung (Hamburg, Köln, Hannover, Bremen und Nürnberg), deren Wirtschafts- und Steuerkraft um durchschnittliche Werte anstieg. Für diese Großstädte ist die Charakterisierung der Stagnation nicht zutreffend, auch wenn viele ein stärkeres Wachstum für notwendig erachten. Zwischen diesen fünf Großstädten, die das mittlere Segment im Großstädtesystem bilden, deutet sich in jüngster Zeit aber eine Bruchlinie an. In den traditionsreichen, großen Handelsstädten Hamburg und Köln gibt es seit Ende der 90er Jahre zunehmend Anzeichen für eine Belebung der Wachstumskräfte (Kapitel 4 sowie Geppert/Gorning 2003: 2). In Hannover, Bremen und Nürnberg sind diese schwächer ausgeprägt und geraten durch die prekäre Entwicklung der öffentlichen Haushalte und steigender Sozialausgaben zusätzlich unter Druck (besonders in Bremen). Weiter polarisiert hat sich das deutsche Städtesystem vor allem durch eine Absetzbewegung der prosperierenden Großstädte Frankfurt, Düsseldorf, München und Stuttgart. Ihre überdurchschnittlichen Wachstumsraten haben maßgeblich zu einer Spreizung nach ´Oben´ beigetragen. Wie beschrieben unterscheiden sich die Herausforderungen erheblich, denen sich in den Großstädten die lokale Politik, die Verwaltung, die Wirtschaft und die Stadtgesellschaft insgesamt gegenüber sehen. Denn vor allem auf der lokalen Ebene müssen die vielfältigen Auswirkungen der globalen und gesamtgesellschaftlichen Umbrüche und ihre sozialen Verwerfungen bewältigt werden (Krätke 1995). Die Großstädte haben dabei nicht allein die Aufgabe der Feinsteuerung zentralstaatlicher Programme. Sie sind vor allem aufgefordert, möglichst kreativ und pro-aktiv ihre relativ begrenzten kommunalen Handlungsspielräume zu einer möglichst weitreichenden Mobilisierung „endogener Potentiale“ zu nutzen.
Felder und Ausprägungen großstädtischer Modernisierungspolitik
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Ob und inwieweit sich diese Aufgabe erfolgreich bewältigen läßt, ist aber in erheblichem Umfang an ihre sozioökonomische Gesamtentwicklung gebunden, wie auch an die Gestaltung der staatlichen Rahmenbedingungen. Insofern ist die These begründet, dass es auch zu einer Aufspaltung der Großstädte in solche mit weitergehenden Handlungsspielräumen und in solche mit stark eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten kommt. Läßt sich diese Entwicklung in den 15 Großstädten tatsächlich feststellen? Wenn ja, welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die einzelnen Großstädte sowie für das deutsche Großstädtesystem insgesamt? 5.3.3
Diffuse Rahmen- und Kontextsteuerung des kommunalen Sektors
Wie gezeigt, verläuft die sozioökonomische Entwicklung der Großstädte in unterschiedlichen Pfaden. Die Großstädte sind unterschiedlichen Entwicklungsbedingungen und Haushaltslagen ausgesetzt, die nur durch das Zusammenwirken verschiedener Govnernanceformen und Akteure zu beeinflussen sind. Zu vermuten ist, dass die kommunalen Steuerungskapazitäten und die Steuerungschancen unter den Großstädte trotz erheblicher Anstrengungen im Rahmen der eigenen Modernisierungspolitik ungleich verteilt sind. Unter diesen Bedingungen haben die Großstädte ein Interesse daran, dass die Beziehungen zu den Akteuren der höheren staatlichen Ebenen möglichst berechenbar und für sie förderlich gestaltet werden. Die Frage ist daher, durch welche Governance- und Netzwerkstrukturen ist die aktuelle Rahmen- und Kontextsteuerung des kommunalen Sektors durch den Bund und die Länder unter Beteiligung kommunaler Verbände und Netzwerke gekennzeichnet? Inwieweit wird dadurch die kommunale Steuerungskapazität erhöht und inwieweit werden ungleiche Steuerungschancen der Großstädte damit ausgeglichen? Diesen Fragen wollen wir nachgehen, indem wir exemplarisch einen Blick auf: a)
die Auswirkungen der Einführung der eingleisigen Kommunalverfassung,
b) die Ergebnisse der Auseinandersetzung um eine Gemeindefinanzreform im Jahre 2003/2004, c)
die Verständigung über die Zusammenlegung der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe zwischen dem Bund und den Ländern (Hartz IV) und auf
d) die Auswirkungen dieser Entwicklung auf die Governancestruktur des kommunalen Sektors werfen. a) In den Kommunalverfassungen der Länder hat sich in den 1990er Jahren endgültig die süddeutsche Bürgermeisterverfassung mit dem direkt gewählten
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Bürgermeister, der die Verwaltung leitet, und - was häufig übersehen wird – der Einführung von Referenden für die Bürger durchgesetzt. Dieses ist auch die Situation, die wir bei unserer Untersuchung in den größten deutschen Städten mit Ausnahme der Stadtstaaten vorgefunden haben. Die lokale Politikforschung hat sich lange auf die Frage nach dem angemessenen kommunalen Führungsmodell konzentriert und der eingleisigen Kommunalverfassung im Zusammenwirken mit kommunalen Interessenverbänden, den Bundesländern und regionalen Parteiorganisationen schließlich mit zum Durchbruch verholfen (Bogumil 2002:29). Nach unseren Beobachtungen in den Großstädten ist damit zwar die zentrale Steuerung von Politik und Verwaltung effektiviert worden, aber um den Preis einer neuen Konzentration politisch-administrativer Macht. In unseren Politikfeldanalysen hatten wir eine eher integrative, eine eher hierarchische Variante sowie Mischformen zwischen diesen beiden Mustern der politischen Führung ausgemacht. Die mit der Direktwahl verbundene Hoffnung, auf diesem Wege eine größere finanzielle Stabilität und eine größere demokratische Legitimation der Städte bei den Bürgern zu erreichen, hat sich aber nicht erfüllt. Zum ersten bleiben die korporativen Vorentscheiderstrukturen in veränderter Form auch für das Regieren des direkt gewählten Oberbürgermeister relevant, zweitens hängt die Regierbarkeit einer Stadt von einer größeren Zahl interner und externer Variablen ab und drittens ist die Wahlbeteiligung bei den Direktwahlen der Oberbürgermeister keineswegs signifikant besser als bei den Wahlen des Stadtrates. Ein Vergleich mit den als Bundesland regierten Stadtstaaten zeigt zudem, dass sich auch ohne die Legitimation durch eine Direktwahl der „Oberbürgermeister“ als ein zentraler Netzwerkknoten in dem multipolaren Steuerungsmodus einer Großstadt etablieren kann. Die Hoffnung, dass sich durch die Einführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden ein ausreichendes demokratisches Gegengewicht zu dem neuen lokalen Korporatismus schaffen ließe, haben sich noch nicht erfüllt. Dieses demokratische Instrument ist noch zu wenig verbreitet. Derartige Initiativen scheitern noch zu häufig an zu hohen formalen Hürden und rechtlichen Einwänden der Kommunalaufsicht, des Oberbürgermeisters oder der Verwaltung. Die regionale Verteilung der kommenden Bürgerbegehren und Bürgerentscheide in den großen Städten ab 200.000 Einwohner (Stichtag: 23.3.2004, vgl. Kap. 3.3.1.) weist aus, dass nur in den Städten Bayerns, Nordrhein-Westfalens sowie Hessens und Sachsens derartige Initiativen gewisse Erfolge zu verzeichnen haben. Anerkennenswert sind hier die Aktivitäten der Initiative Mehr Demokratie e.V., die in vielen Großstädten präsent ist (www.mehr-demokratie.de). Hervorzuheben sind aber auch gewerkschaftlich unterstützte Bürgerbegehren und Bürgerentscheide, die sich z.B. in Düsseldorf und Hamburg gegen Privatisierungsvorhaben der Großstädte gerichtet haben.
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Felder und Ausprägungen großstädtischer Modernisierungspolitik
Zwar wurde seit den 1980er Jahren die Bürgerbeteiligung in mehreren Phasen und in unterschiedlichen Formen ausgeweitet. Das Potential kommunalverfassungsrechtlicher Regelungen, das den Bürgern einer Großstadt im Falle der konsequenten Implementierung und Anwendung mehr demokratische Kontrolle, mehr Bürgerbeteiligung und Chancengleichheit sowie eine größere bürger- und stadtteilnahe kommunale Dienstleistungsqualität verspricht, wird von den Ländern als Kommunalverfassungsgeber und von den Großstädten aber bei weitem noch nicht ausgeschöpft (Schefold, Neumann 1996, Prigge, Prange, Zapatka 2001). Es handelt sich z.B. um die mögliche x
Stärkung der Rechte der Kommunalparlamente, der Ausschüsse und der Ratsmitglieder,
x
Erweiterung der eigentlichen Bürgerbeteiligung durch Bürgerentscheide, Bürgerbegehren, Bürger- und Einwohneranträge, Bürger- und Einwohnerversammlungen,
x
Durchsetzung des Wahlrechts für Ausländer und ihre Beteiligung an der kommunalpolitischen Willensbildung,
x
Gewährung von Mitbestimmungs- und Beteiligungsrechten in kommunalen Einrichtungen,
x
Einrichtung von Gleichstellungsstellen und Gleichstellungsbeauftragte,
x
konsequentere Dekonzentration der Kommunalverwaltung durch Bezirks-, Orts- und Bürgerämter,
x
konsequentere Dezentralisation kommunalpolitischer Entscheidungen durch von der Bevölkerung des Stadtteils oder Bezirks gewählte Beiräte.
Im Unterschied zu der weitgehenden Durchsetzung der eingleisigen Kommunalverfassung gleicht die Umsetzung dezentraler Ansätze kommunaler Demokratie und Verwaltung in den Großstädten trotz mancher Fortschritte eher einem Flickenteppich. Entwickelte Stadtbezirksverwaltungen, gewählte Stadtbezirksvertretungen mit Entscheidungsrechten, einem Quartiersmanagement und eigenen Budgets, direkte Demokratie durch Bürgerbegehren und Volksentscheide auf gesamtstädtischer und stadtbezirklicher Ebene kennzeichnen noch lange nicht durchgehend die Politik- und Verwaltungsstrukturen der deutschen Großstädte (vgl. 5.2.2. und 5.2.3). Der Widerspruch zwischen der in stadtsoziologischer Hinsicht zu konstatierenden polyzentrischen Großstadtentwicklung und einer eher zentralistisch und bürokratisch orientierten Kommunalverwaltung lebt also weiter und dürfte sich besonders in den Großstädten wieder verstärken,
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die von Umbrüchen der regionalen Wirtschaftsstruktur und einer angespannten Haushaltslage gezeichnet sind. Der Diskurs zur Weiterentwicklung kommunalverfassungsrechtlicher Regelungen und zur Reflektion der kommunalen Steuerungspraxis sollte demnach stärker auf Fragen der dezentralen Entwicklung der Großstädte in den Stadtteilen und Bezirken gelenkt werden. b) In Kap. 3.2. haben wir die prekäre Entwicklung der Gemeindefinanzen ausführlich analysiert. Der Finanzierungssaldo der Gemeindefinanzen hat sich ab 2001 von –4,1 Mrd. € bis im Jahre 2003 auf –8,5, Mrd. € vergrößert. Obwohl die kommunalen Interessenverbände immer wieder auf diese Entwicklung hingewiesen hatten, kam für die Bundesregierung diese Entwicklung angeblich überraschend. Zur Erklärung verweist sie darauf, dass in den vorangegangenen Jahren von 1998 bis 2000 noch jährliche Überschüsse von jeweils etwa 2 Mrd. € zu verzeichnen waren (Bundesministerium der Finanzen, Monatsbericht 9/2004). Nicht offen thematisiert wird von den politischen Akteuren, dass sich hinter diesen Finanzierungssalden eine unterschiedliche Betroffenheit ostdeutscher und westdeutscher Großstädte verbirgt. Das Defizit der Gemeindefinanzen läuft im Jahre 2003 zu mehr als 80 % bei den westdeutschen Kommunen auf, da diese in ihren Einnahmen stärker von der Gewerbesteuer und damit von konjunkturellen Entwicklungen sowie von Änderungen des Steuerrechts abhängig sind (vgl. Kap. 3.2.3. und 3.2.4). Die ostdeutschen Kommunen werden demgegenüber auf Grund der schwächeren Wirtschafts- und Steuerkraft stärker über die Zuschüsse des Bundes und der Länder finanziert. Diese Finanzierung ist über den neuen Bund/Länder-Finanzausgleich und das Programm für den Aufbau Ost mittelfristig abgesichert. Im März 2002 setzte die Bundesregierung die Kommission zur Reform der Gemeindefinanzen unter Beteiligung der Bundesländer, den Interessenverbänden der Industrie, der Gewerkschaften und kommunalen Spitzenverbände ein. Die Arbeit der Kommission konzentrierte sich alsbald auf die Zukunft der Gewerbesteuer und eine effizientere Gestaltung der unterschiedlichen Transfersysteme der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe (!). In der Kommission konnte sich nach einer kontroversen Debatte eine Koalition aus Nordrhein-Westfalen, den kommunalen Spitzenverbänden und den Gewerkschaften durchsetzen. Die von der Bundesregierung im August 2003 beschlossenen Gesetzentwürfe über die Reform der Gewerbesteuer und zur Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe wichen von den Kommissionsempfehlungen jedoch ab. Im Oktober 2003 wurden die Gesetze in durch die Regierungsfraktionen nachgebesserter Form schließlich vom Bundestag verabschiedet. Der Bundesrat versagte beiden Gesetzen die Zustimmung und rief den Vermittlungsausschuss an. Das Ergebnis ist ein Kompromiss zwischen Bundestag und Bundesrat, der von bei-
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Felder und Ausprägungen großstädtischer Modernisierungspolitik
den Organen am 19.Dezember 2003 verabschiedet wurde. Der VerdiVorsitzende Bsirske erklärte daraufhin die Gemeindefinanzreform für gescheitert, weil die erforderlichen Investitions- und Beschäftigungsimpulse ausbleiben würden (www.verdi.de-Gemeindefinanzen, 4.10.2004). Nach dem Kompromiss zwischen Bundestag und Bundestag wird die Gewerbesteuerumlage zu Gunsten der Kommunen auf einen früher bereits erreichten Stand abgesenkt. Bei der Gewerbesteuer erfolgt eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage und außerdem wird ein Mindesthebesatz von 200 % ab 2004 vorgegeben, um Steueroasen einzudämmen. Die von den kommunalen Interessenverbänden und Gewerkschaften geforderte Einbeziehung der freien Berufe in den Kreis der Gewerbesteuerpflichtigen scheiterte am Widerstand der CDU-geführten Bundesländer. Nach einer Prognose der Bundesregierung sollen die Gemeindefinanzen durch diese Maßnahmen um jährlich etwa 2,53 Mrd. in 2004 und um über 3 Mrd. ab 2004 entlastet werden. c) Die Übernahme der Sozialhilfekosten für Langzeitarbeitslose ist eine langjährige Forderung der Städte und Gemeinden gegenüber dem Bund. Grundlage der vom Vermittlungsausschuss im Dezember 2003 empfohlenen Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe ist das Hartz IV-Konzept der Bundesregierung. Träger der vom Bund finanzierten neuen Leistung „Arbeitslosengeld II für erwerbsfähige Arbeitsuchende“ wird die Bundesagentur für Arbeit (BA). Die BA soll mit den Kommunen in Arbeitsgemeinschaften kooperieren, um die Betreuung erwerbsfähiger Leistungsempfänger aus einer Hand zu gewährleisten. Einzelne Bundesländer und der Deutsche Landkreistag hatten gefordert, diese Aufgabe den Kommunen zu übertragen. Die Kosten für die Unterkunft tragen zukünftig überwiegend die Kommunen. Die neuen Bundesländer hatten einen Kaufkraftausgleich wegen der aus den Kürzungen der Transferleistungen folgenden Schwächung der Konsumkraft gefordert. Sie erhalten nun weitere Sonderbedarfszuweisungen zum Ausgleich des Mehrbedarfs in Folge der strukturellen Arbeitslosigkeit und der überproportionalen Lasten bei der Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe in der Höhe von netto 800 Mio. Euro jährlich bis zum Jahre 2009! Als Maßnahme zu Gunsten strukturschwacher Räume in Ost und West ist die vorrangige Verwendung der für die Eingliederung von Arbeitslosen zur Verfügung stehenden Mittel in Regionen mit einer Arbeitslosigkeit von mindestens 15 % vorgesehen (Bundesministerium der Finanzen 2004. Nach einem Kompromiss im Vermittlungsausschuss haben Bundestag und Bundesrat am 9.Juli 2004 dem kommunalen Optionsgesetz zugestimmt. Das Gesetz regelt die Modalitäten für die Bildung von Arbeitsgemeinschaften zwischen der BA und den Kommunen sowie finanzielle Fragen. Im Rahmen einer
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sogenannten Experimentierklausel können bis zu 69 kommunale Träger (entspricht den 69 Stimmen im Bundesrat!) als Träger der Grundsicherung für Arbeitslose fungieren. Nach heftigen Protesten der kommunalen Spitzenverbände wegen der aus ihrer Sicht unabsehbaren finanziellen Folgen der Hartz IVGesetzgebung garantiert die Bundesregierung den Kommunen nun eine Entlastungswirkung in der Höhe von 2,5 Mrd. Die Aufwendungen für die Grundsicherung der Arbeitsuchenden einschließlich der Verwaltungskosten trägt der Bund. Er beteiligt sich im Jahre 2005 außerdem mit einem Anteil von 29,1 % an den ansonsten von den Kommunen zu tragenden Kosten für Unterkunft und Heizung. Nach einer Revisionsklausel soll zum 1.3.2005 und im Herbst 2005 überprüft werden, ob die zugesagte Entlastung bei den Kommunen auch angekommen ist. Diese Klausel dient dem Bund auch zur Kontrolle der Länder, da er hofft, dass die Länder die durch Hartz IV erfolgende Entlastung von den Kosten des Wohngeldes an die Kommunen weiter geben. Ein neuer Streit zwischen der Bundesregierung und den Kommunen droht nun wegen der Schaffung von Kinderbetreuungsplätzen für unter dreijährige Kinder. Der Bundestag hat mittlerweile das Tagesbetreuungsausbaugesetz am 27.12.2004 verabschiedet, das ein derartiges Angebot den Kommunen unter bestimmten Voraussetzungen auferlegt, allerdings ohne eine Finanzierung dieser neuen kommunalen Aufgabe anzubieten. Da die Betriebs- und Investitionskosten für diese Aufgabe nach den Zahlen des Bundes von etwa 0,6 Mrd. € im Jahre 2005 auf bis zu 1,9, Mrd. € im Jahre 2009 steigen sollen, befürchten die kommunalen Interessenverbände, dass die Kommunen die Entlastungen aus dem Kompromiss um Hartz IV doch nicht zur Konsolidierung ihrer Haushalte einsetzen können. e) Welche Governance- und Netzwerkstrukturen kennzeichnen die ausgewählten Fälle der Rahmen- und Kontextsteuerung des kommunalen Sektors nun, welche Wirkungen ergeben sich für die großen Städte? Die Direktwahl der Oberbürgermeister hat sich durch einen Prozess der Angleichung kommunalverfassungsrechtlicher Regelungen zwischen den Bundesländern in den Großstädten unter maßgeblicher Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände und ihrer Vorstände weitgehend durchgesetzt. Auf das Engagement in diesem Sinne von Gerhard Banner, zeitweise Dezernent einer westdeutschen Großstadt und später Vorsitzender der Kommunalen Gemeinschaftsstelle (KGSt), wurde an anderer Stelle bereits hingewiesen (vgl. Kap. 5.1.1). Die Implementation der Direktwahl verlief aber zeitlich versetzt und unter lokal spezifischen Bedingungen. In den süddeutschen Städten besteht die Regelung seit langem in Verbindung mit Referenden, aber unter Inkaufnahme einer schwächeren Ausprägung der Rechte der Stadtbezirksvertretungen. Eine rühmliche Ausnahme ist München, das die un-
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mittelbare Wahl der Stadtbezirksauschüsse Mitte der 1990er Jahre einführte. In den neuen Bundesländern wurde die Direktwahl der Oberbürgermeister mit der Systemtransformation in landesspezifische Traditionen eingebettet, in Westund Norddeutschland sukzessive in den letzten zehn Jahren eingeführt. Der Rückgang der Wahlbeteiligung bei kommunalen Wahlakten konnte damit nicht aufgehalten werden. Interessant ist, dass in den Stadtstaaten der Rückgang der Wahlbeteiligung noch am geringsten ausfällt (vgl. Kap. 4.2.5). Ein recht diffuses Bild bietet mit den Stadtbezirken die subkommunale Ebene der Großstädte. In einigen Großstädten scheint die Rekonzentration von Verwaltungsaufgaben erwogen zu werden, während andere die Dekonzentration und weitere Dezentralisierung forcieren. Trotz mancher Fortschritte wird das Potential zur Stärkung der demokratischer Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger und einer serviceorientierten Stadtteilverwaltung von vielen Großstädten noch nicht ausgeschöpft. Andererseits haben drei prosperierende Großstädte ihre dezentralen Angebote des Verwaltungsservice stadtweit ausgebaut, aber auch eine westdeutsche Großstadt mit prekärem Strukturwandel plant dieses. Die Einigung zwischen dem Bund und den Ländern über die Reform der Gewerbesteuer und die Zusammenlegung der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe zeigt alle Merkmale typischer Politikprozesse im vertikal und horizontal verflochtenen staatlichen Mehrebenensystem. Erst großer krisenhafter Problemdruck führt zu einer Verhandlungslösung zwischen dem Bund und der Mehrheit der Länder im Schatten der Hierarchie (Scharpf 2000: 323). Derartige Hegemonialprojekte werden unter großem Zeitdruck von den politischen Akteuren des Bundes und der Länder und ihren Beratern etabliert und mit staatlichen Machtmitteln durchgesetzt. Durch den Kompromiss wird die Entwicklungskonkurrenz unter den Kommunen zwar reguliert, aber nicht aufgehoben: Städte mit hohen Sozialhilfeempfänger- und Arbeitslosenzahlen sollen entlastet werden, gleichzeitig werden aber verschiedene Pfade für die kommunale Entwicklung offen gehalten. Die vom Bund angestrebte Entlastung von 2,5 Mrd. Euro reicht bei einem Finanzierungsdefizit des kommunalen Sektors von 8,5 Mrd. Euro in 2003 bei weitem nicht aus, die Unterfinanzierung zu beheben und den Großstädten bessere bzw. gleiche Steuerungs- und Entwicklungschancen zu verschaffen. Korporative Akteure, die in dem politischen Beratungsprozess noch einbezogen waren, von Verfassung wegen aber nicht über entsprechende Machtressourcen und demokratische Legitimation verfügen, werden in den entscheidenden Phasen des Politikprozesses ausgegrenzt. So ist es z.B. den kommunalen Interessenverbänden und den Gewerkschaften ergangen. Wegen der zunehmenden Interdependenz zwischen den in Rede stehenden Politikprozessen steigt das Risiko, das die Ergebnisse, d.h. der Output dieses Policy-Prozesses nachgebes-
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sert werden muss, weil die einkalkulierten Folgewirkungen nicht eintreten und bei der eigenen politischen Klientel die gewünschte Akzeptanz nicht erreicht wird. Nach der Krise ist dann vor der Krise, neue Unübersichtlichkeiten machen sich in der Rahmen- und Kontextsteuerung des kommunalen Sektors breit. Machtpolitische Kalküle und nicht konsensorientierte Strategien bestimmen die Arrangements zwischen den Akteuren. So lebt der Bund seinen Traum weiter, die Finanzen und Aufgaben der Länder und Gemeinden stärker steuern zu können. Er setzt sich dafür ein, dass auch die dezentral zu erbringenden Dienstleistungsaufgaben möglichst bei der Bundesagentur für Arbeit angesiedelt werden oder zumindest von ihm über die zu bildenden Arbeitsgemeinschaften in Kooperation mit den Kommunen mit kontrolliert werden können. Die Frage, inwieweit tatsächlich eine größere Effizienz der Arbeitsvermittlung und Arbeitsförderung sowie eine Vereinfachung von Arbeitsprozessen und Verwaltungsabläufen eintritt, von der Bürger und Beschäftigte etwas hätten, kann erst mit Hilfe weiterer Evaluierungsstudien abschließend beantwortet werden. Zur Zeit deutet vieles darauf hin, dass durch diese Art der Zusammenlegung der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe die öffentlichen Dienstleistungsprozesse und der staatliche Regulationszusammenhang eher komplizierter werden als einfacher und effektiver. Politische Demokratie, hierarchische Steuerung, Verbände und Netzwerke sind an der Vorbereitung von Entscheidungen zur Rahmensteuerung des kommunalen Sektors beteiligt. Über Fragen der Gemeindefinanzen und der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben wird nach wie vor von den zentralen Verfassungsorganen des Bundes und der Länder entschieden, umgesetzt werden die staatlichen Entscheidungen mit den Mitteln hierarchischer Steuerung, verhandelt werden kann dann wieder über Probleme der Operationalisierung und Schadensbegrenzung. Eine durchgehende Rückverlagerung politischer Kompetenzen auf die lokale und regionale Ebene und damit eine Stärkung der kommunalen Handlungskapazität ist unter diesen Umständen nicht zu erwarten. Im verflochtenen staatlichen Mehrebensystem können Modernisierungsblockaden mit Hilfe von Hegemonialprojekten und hegemonialen Akteurkonstellationen überwunden werden. Die Entwicklung dürfte, sofern nicht doch noch weitreichende politische Reformen des föderalen Systems auf den Weg gebracht werden, eher in die Richtung eines neuen bundes-, regional- und lokalstaatlichen Korporatismus gehen. Netzwerke können unter diesen Bedingungen nur erfolgreich sein, wenn es den Netzwerkakteuren gelingt einen harten institutionellen Kern selbst auszubilden oder sich diesen durch Kooperation mit mächtigeren Verbündeten zu erschließen.
368 5.3.4
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Steuerungsdilemma und Steuerungsbilanz der Großstädte
Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen spricht einiges dafür, die Großstädte als einen wesentlichen Teil des „lokal spezifischen gesellschaftlichen Systems“ (Häußermann 1991) zu sehen, das in der Abfolge verschiedener historischer Gesellschaftsformationen Veränderungen unterliegt. Die Zu- oder Abnahme kommunaler Handlungskapazitäten ergebe sich aus verschiedenen Phasen einer Veränderung der Staatlichkeit (Petzina 1996:258). In Abhängigkeit von der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Lage müssten demnach Tendenzen der Zentralisierung oder Dezentralisierung das Verhältnis zwischen Stadt und Staat bestimmen. Krätke fragt wird nach der kommunalen Handlungskapazität der Städte. Den Städten falle nicht nur die Aufgabe zu, „den gesellschaftlichen Umbauprozess auf lokaler Ebene zu unterstützen, zu regulieren oder zu modifizieren, sondern auch räumliche und soziale Folgewirkungen des Umbauprozesses aufzufangen bzw. zu bearbeiten“ (Krätke 1995:233). Einerseits könne die Stadt als verlängerter Arm des Staates betrachtet werden, andererseits könnten Städte auch die Funktion einer Gegenmacht gegenüber höheren staatlichen Ebenen wahrnehmen. Der lokale Staat nehme nicht nur die Funktion einer Feinsteuerung von staatlichen Aufgabenprogrammen wahr, sondern verfüge über eine relative Autonomie. Dadurch würden die Städte die Funktion eines Puffers zwischen lokal Betroffenen und den höheren staatlichen Ebenen einnehmen. Einige Autoren sehen in den Kommunen die Hauptbetroffenen einer Zentralisierung von staatlichen Regelungskompetenzen und der Dezentralisierung öffentlicher Aufgaben (Evers 1977: 3241 ff.). Die großen Stadtregionen sind weder Laboratorien der Zukunft noch Integrationsmaschinen. Diese Begriffe sind durch das Maschinenzeitalter und einen Glauben an den Fortschritt geprägt, der sich in Forschungslaboren wissenschaftlich herstellen ließe. Dazu gehört auch die Vorstellung, der hochkomplexe, weitläufig vernetzte und lebendige Organismus Großstadt ließe sich quasi von „Außen“ oder von „Oben“ steuern: rational, nach den „Gesetzen“ des Marktes und der Logik funktionaler Betriebsführung sowie politisch durch staatliche Steuerung, in Form von Gesetzen, Verordnungen und der Organisation von Interessen. Man müsse lediglich an den richtigen Stellschrauben drehen, hier und da ordnend eingreifen oder moderieren sowie die neuesten Technologien für Innovationen zu nutzen. Dann werde der Konjunkturmotor wieder anspringen und die großstädtische „Unordnung“ ins Gleichgewicht bringen. Tatsächlich sind die großen Stadtregionen extrem komplexe Organismen des Zusammenlebens und der Zusammenarbeit, für die gleichzeitig Fremdheit, Abgrenzung und „aneinander vorbei leben“ konstitutiv sind. Es sind die in ihnen
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lebenden und arbeitenden Menschen sowie die vielen Besucher, Geschäftsreisenden und Touristen, die gemeinsam diese lebendigen Organismen bilden und verändern. Sie steuern die städtische Entwicklung zwar nicht, beeinflussen aber durch ihre alltagspraktischen Handlungen das städtische Leben nachhaltig. Dabei sind sie mehr oder weniger stark lokal in sich überlappende und gegenseitig beeinflussende Felder eingebunden (Institutionen und Akteure): der Familien, der Betreuung, der Bildung, der städtischen Ökonomie, der Gesundheit, der Kultur, der Freizeit und der Politik. Insgesamt entsteht dadurch ein hochkomplexes Kräftefeld, in das die Ökonomie der Großstadt eingebettet ist und das durch vielfältige, auch nicht marktvermittelte Effekte beeinflusst wird. Die eingebettete Ökonomie der großen Stadtregionen ist selbst hochgradig diversifiziert nach Branchen, unterschiedlichen Wirtschaftszweigen und Unternehmensfeldern. Es sind lediglich einige Unternehmen108, vor allem große Konzerne und Finanzdienstleister, die versuchen, sich aus ihren regionalen Bindungen und ihren Verpflichtungen (steuerlich) zu entziehen. Alle anderen Unternehmen, insgesamt eine Mehrheit, sind für regionale Strategien zu interessieren oder darauf angewiesen. Beide Effekte zusammen, die nicht marktvermittelten Einflüsse und die diversen Wirtschaftszweige mit ihren unterschiedlichen Orientierungen, ergeben eine spezifische Entwicklungsoffenheit109 der großen Stadtregionen (Grabher 1994, Läpple 2000: 13).
108
109
Selbst in den drei großen Metropolen New York, Tokio und London, die insbesondere als „Global Cities“ gelten, umfasst der gesamte sogenannten „metropolitane Komlex“ bestenfalls 10-15% der Beschäftigten (Storper 1997: 226, Läpple 2001: 30). Durch diese Entwicklungsoffenheit kann sich selbst das Nicht-Notwendige mit dem NichtUnmöglichen verbinden. Umstritten ist jedoch, wie sich Zukunftsentwicklungen oder Innovationen steuern oder planen lassen, im Sinnes eines „geplanten Zufalls“.
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Felder und Ausprägungen großstädtischer Modernisierungspolitik
Aufgrund dieser enormen Komplexität und Vielfalt, der weitreichenden wirtschaftlichen und sozialen Verflechtungen sowie der prinzipiellen Entwicklungsoffenheit befinden sich die großen Städte durch ihre territorial begrenzte politische Verfasstheit in einem grundlegenden Steuerungsdilemma. Schon immer unterlag ihre Entwicklung einer erheblichen Fremdbestimmung: durch wirtschaftlich starke Unternehmen und ihre Interessen, durch politische Entscheidungen höherer staatlicher Ebenen, durch interne Fehlentwicklungen und Fehlsteuerungen, durch mangelnde Kooperation oder eine unzureichende Bildung von Gegenmacht gegenüber höheren staatlichen Ebenen. Für unsere Untersuchung ist davon ausgehend die Frage zentral, wie sich die kommunale Handlungskapazität und die Steuerungschancen der Städte in der Zeit nach der deutschen Vereinigung (seit 1990) entwickelt haben. Ist es zu einer neuen Qualität von weitreichenden Steuerungsverlusten in den großen Städte bis hin zur Unregierbarkeit gekommen? Wir nehmen an, dass sich durch die multipolare Steuerung des großstädtischen Regierens in den Großstädten unterschiedliche Muster der Steuerung herausbilden, deren Analyse wiederum Aussagen über die Verteilung der Steuerungschancen unter der Großstädten ermöglicht. Um auf diese Fragen Antworten zu finden, werden wir für die von uns untersuchten Großstädte eine Steuerungs-Bilanz aufstellen, die wir mit Hilfe von Steuerungsvariablen bilden. Der ökonomischen Status einer Großstadt bestimmen wir unter Bezug auf unsere Untersuchungen zu den sozioökonomischen Entwicklungsbedingungen (Cluster-Analyse). Auf diese Weise konnten vier sozioökonomische Entwicklungspfade unter den Großstädten identifiziert werden (vgl. Kap. 4.3.). Aus der Analyse der staatlichen Rahmensteuerung des kommunalen Sektors generieren wir das institutionelle Profil (Stadtstaat, Landeshauptstadt, politisches Regionalzentrum). und damit den politischen Status der Großstädte (vgl. Kap. 3). Die Analyse der Politikfelder Stadtentwicklung, Großstädtische, Verwaltungsmodernisierung und Arbeitsbeziehungen der großstädtischen Modernisierungspolitik bietet Feldvariablen, mit deren Hilfe unterschiedliche Politikmuster in den Großstädten nachgewiesen werden können. Wir haben für die Steuerungsbilanz die Feldvariablen aus der Analyse der Politikfelder einbezogen, die besonders trennscharf erscheinen und am ehesten auf unterschiedliche Steuerungsmuster in den Großstädten hindeuten: a) Stadtentwicklung x Stadtentwicklungspolitik x Regionalisierungspolitik
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b) Großstädtische Demokratie x Rechte der Stadtbezirksvertretung u. direkte Demokratie x Legitimationsverluste der politischen Parteien c) x x
Verwaltungsmodernisierung Dezentrale Stadtbezirksverwaltungen Haushaltslage, Verschuldung
d) Arbeitsbeziehungen x Personalpolitik und Auslagerungen x Politikmuster der Interessenvertretungen Dargestellt sind der ökonomische und politische Status sowie die Steuerungsmuster der Großstädte in drei Tabellen am Ende des Abschnitts. Bei den vier prosperierenden Großstädten (Stuttgart, München, Düsseldorf und Frankfurt) fällt auf, dass diese ihre weitreichenden wirtschaftlichen und erweiterten politischen Steuerungskapazitäten (Frankfurt lediglich begrenzte) in geradezu gegensätzlicher Art und Weise für die lokale Politik nutzen. In Stuttgart und München wurden nicht nur erhebliche Steuerungsinitiativen in vielen Politikfeldern ergriffen, sondern vor allem durch die moderate Haushaltspolitik sowie durch begrenzte Auslagerungen und Privatisierungen die Steuerungsverluste begrenzt. In Frankfurt und Düsseldorf hingegen stehen den ebenfalls relativ weitreichenden Steuerungskapazitäten vergleichsweise geringe Steuerungsinitiativen auf dem Feld lokaler Politik gegenüber. Dieser Steuerungsverzicht ging Hand in Hand mit einer Haushaltspolitik extremer öffentlicher Verschuldung und stark forcierten Auslagerungen und Privatisierungen. Vor allem daraus resultiert der starke Steuerungsverlust dieser beiden Großstädte. Insbesondere Frankfurt entwickelte sich durch diese lokalpolitische Strategie trotz seiner enormen Wirtschafts- und Steuerkraft zu einem politischen „Leichtgewicht“.
Felder und Ausprägungen großstädtischer Modernisierungspolitik
372
Abbildung 56: Verteilung der Steuerungschancen unter den Großstädten Steuerungsvariable
Zahl der Nennungen (n=15)
Verteilung auf die Großstädte
Wirtschaftliche Steuerungskapazität x Weitreichend x Weitgehend x Begrenzt x Gering
4 2 5 4
Stuttgart, München, Düsseldorf, Frankfurt Hamburg, Köln, Hannover, Nürnberg, Bremen, Berlin, Essen, Leipzig, Dresden, Dortmund, Duisburg
Politische Steuerungskapazität x Erheblich erweitert x Erweitert
3 6
x x
5 1
Hamburg, Bremen, Berlin Stuttgart, München, Düsseldorf, Köln, Hannover, Dresden, Frankfurt, Nürnberg, Leipzig, Dortmund, Essen, Duisburg
Begrenzt Gering
Lokale Steuerungsinitiative x Erheblich x Durchschnittlich x Gering
4 6 5
Stuttgart, München, Dortmund, Hannover Hamburg, Bremen, Leipzig, Dresden, Berlin, Essen, Düsseldorf, Frankfurt, Köln, Nürnberg, Duisburg
Lokaler Steuerungsverlust x Moderat x Durchschnittlich x Starker
2 4 8
Stuttgart, München, Düsseldorf, Hamburg, Hannover, Dortmund, Essen, Frankfurt, Köln, Nürnberg, Bremen, Leipzig, Dresden, Berlin, Duisburg
Der Vergleich der wirtschaftlichen und politischen Steuerungskapazitäten der Großstädte, ihrer Steuerungsinitiativen und Steuerungsverluste erlaubt Rückschlüsse dahingehend, über welche Steuerungschancen die einzelnen Großstädte im deutschen Großstädtesystem verfügen (Abbildung 55). Nur bei sechs von fünfzehn Großstädten kann von einer weitreichenden bzw. weitgehenden eigenen wirtschaftlichen Handlungskapazität ausgegangen werden. Neun Großstädte verfügen derzeit nur über eine vergleichsweise begrenzte oder geringe wirtschaftliche Entwicklungsfähigkeit. Die politische Steuerungskapazität wird beeinflusst durch die institutionelle Struktur und Organisation der Großstädte, ihren politischen Status. Neun von fünfzehn Großstädten kann eine erheblich erweiterte bzw. erweiterte politische Handlungskapazität attestiert werden. Genauso positiv fällt das Bild von den lokalen Steuerungsinitiativen unter den Großstädten aus. Immerhin zehn von fünfzehn Großstädten stehen für erhebli-
Felder und Ausprägungen großstädtischer Modernisierungspolitik
373
che bzw. durchschnittliche lokale Steuerungsinitiativen. Dieser Befund zeigt einmal mehr, dass die Großstädte weit überwiegend eine aktive Modernisierungspolitik betreiben. Dem steht gegenüber, dass acht von fünfzehn Großstädten massive Verluste ihrer lokalen Steuerungsfähigkeit erleben. Hauptursache hierfür sind die Umbrüche in der regionalen Wirtschafts- und Sozialstruktur und die Krise der kommunalen Haushalte. Die Chancen zur Steuerung der eigenen Entwicklung sind in den Großstädten besonders groß, die als wirtschaftlich prosperierende oder dynamische Großstadt gelten, wo die Kommunalverwaltung zentral und dezentral konsequent serviceorientiert organisiert wird, eine moderate Haushaltspolitik betrieben wird und den Bürgerinnen und Bürgern möglichst weitreichende Mitbestimmungsrechte eingeräumt werden. Umgekehrt sind die Steuerungschancen in den Großstädten am ungünstigsten, die ein geringes Wirtschaftswachstum aufweisen und schrumpfen, die von einer langjährigen Haushaltskrise gekennzeichnet sind, die offensiv privatisieren und kommunales Vermögen veräußern, die den Bürgerinnen und Bürgern nur eingeschränkten Service sowie eingeschränkte Mitbestimmungsmöglichkeiten bieten. Die Gunst der regionalen Lage entscheidet also derzeit eher über die Qualität der Arbeits- und Lebensbedingungen der in einer Großstadt lebenden Menschen als die Qualität der großstädtischen Modernisierungspolitik. Die aktuelle Rahmen- und Kontextsteuerung des kommunalen Sektors in der Gestalt des Bundes will und kann diese ungleichen Steuerungschancen der Großstädte derzeit nicht ausgleichen. Abschließend lässt sich feststellen, dass die Großstädte im prekären Strukturwandel kaum noch ausreichende Handlungsspielräume besitzen. Ihre Ressourcen für eigenständige, lokalpolitische Steuerungsinitiativen sind so stark begrenzt, sodass sie ihre prekären sozioökonomischen Entwicklungsbedingungen nicht im notwendigen Umfang und aus eigener Kraft nachhaltig verbessern können. Die Großstädte durchschnittlicher Entwicklung verfügen über eine insgesamt höhere Wirtschafts- und Steuerkraft und können dadurch ihre sozialen Aufgaben eher bewältigen. Wenn die dadurch erweiterten Handlungsspielräume für forcierte Steuerungsinitiativen effektiv genutzt werden, können sie durchaus ihre sozioökonomischen Entwicklungsbedingungen positiv beeinflussen. Über diese Chance, die eigene sozioökonomische Entwicklung noch selbst bestimmen zu können, scheint der Stadtstaat Bremen nach dem Auslaufen der Sanierungsbeihilfen des Bundes nicht mehr zu verfügen. Nachdem Bremen sich diese Beihilfen bereits vor dem Bundesverfassungsgericht erstreiten musste, klagt nun die hoch verschuldete Bundeshauptstadt vor dem Bundesverfassungsgericht darauf, dass der Bund einen Teil der Berliner Schulden im Wege der Sonderbedarfsergänzungszuweisung übernimmt. Hamburgs große Wirtschafts-
374
Felder und Ausprägungen großstädtischer Modernisierungspolitik
und Finanzkraft führt dazu, dass dieser Stadtstaat in den Finanzausgleich zwischen dem Bund und den Ländern einzahlt. Die prosperierenden Großstädte verfügen über eine so hohe Wirtschaftsund Steuerkraft (bei geringeren Soziallasten), dass sie auf der Grundlage einer verantwortlichen Haushaltspolitik, vielfältige Steuerungsinitiativen ergreifen können. In welchem Umfang sie diese Spielräume tatsächlich nutzen, und welche Politikfelder dabei Priorität erhalten, hängt jedoch von der favorisierten lokalen Politik ab.
Prosperierende Kernstadt mit relativ weitreichenden wirtschaftlichen Steuerungskapazitäten Erweiterte politische Steuerungskapazitäten als Landeshauptstadt Erweiterter Anspruch durch ein Integratives Gesamtkonzept Erweiterte Möglichkeiten durch politisch gesteuerte Region
Wirtschaftlicher Status
b) Regionalisierungspolitik
Stadtentwicklungsplanung a) Stadtentwicklungskonzepte
Politischer Status
Stuttgart
Großstadt Prosperierende Kernstadt mit relativ weitreichenden wirtschaftlichen Steuerungskapazitäten Erweiterte politische Steuerungskapazitäten als Landeshauptstadt Erweiterter Anspruch durch ein Integratives Gesamtkonzept Begrenzte Möglichkeiten durch interkommunale Kooperation
Cluster 1 Ausgewogenere Prosperität München
Abbildung 57: Steuerungsmuster der prosperierenden Großstädte
Begrenzte Möglichkeiten durch interkommunale Kooperation
Prosperierende Kernstadt mit relativ weitreichenden wirtschaftlichen Steuerungskapazitäten Erweiterte politische Steuerungskapazitäten als Landeshauptstadt Begrenzter Anspruch durch sektoral und projektorientiertes Konzept
Begrenzte Möglichkeiten durch interkommunale Kooperation
Begrenzte politische Steuerungskapazitäten als Regionalzentrum Begrenzter Anspruch durch sektoral und projektorientiertes Konzept
Prosperierende Kernstadt mit relativ weitreichenden wirtschaftlichen Steuerungskapazitäten
Cluster 2 Polarisierende Prosperität Düsseldorf Frankfurt
Großstädtische Demokratie a) Rechte der Bezirksvertretungen / direkte Demokratie b) Legitimationsverlust der politischen Parteien Weitgehende, demokratisch legitimierte Rechte und vereinzelt genutzte Bürgerentscheide Verlust aufgrund durchschnittlich rückläufige Wahlbeteiligung
Eingeschränkte, demokratisch legitimierte Rechte und häufiger genutzte Bürgerentscheide Verlust aufgrund durchschnittlich rückläufige Wahlbeteiligung
Eingeschränkte, abgeleitete Rechte und vereinzelt genutzte Bürgerentscheide
Moderater Verlust aufgrund unterdurchschnittlich rückläufiger Wahlbeteiligung
Fortführung Abbildung: Steuerungsmuster der prosperierenden Großstädte
Starker Verlust aufgrund extrem rückläufiger Wahlbeteiligung
Eingeschränkte, demokratisch legitimierte Rechte und vereinzelt genutzte Bürgerentscheide
b) Politikmuster der Interessenvertretung
Arbeitsbeziehungen ) Personalpolitik / Auslagerungen
b) Haushalt / Verschuldung
Großstadt Verwaltungsmodernisierung a) Dezentrale Bezirksverwaltungen
München Entwickeltes Bezirksmodells, Umbau der bisher 25 dezentralen Bezirksinspektionen zu 5 zentralen ServiceCentren Begrenzte Verluste Begrenzte Verluste aufgrund moderater aufgrund moderater Verschuldung und Verschuldung und hoher Investitionen Rücklagen Begrenzte Verluste Begrenzte Verluste durch Effizienzsteigedurch Effizienzsteigerung, Auslagerung in rung, Auslagerung in Eigenbetriebe & mode- Eigenbetriebe & moderate Privatisierung rate Privatisierung Interessenvertretung auf Kooperativ-gestaltende Distanz Mitbestimmungskultur
Stuttgart Entwickeltes Bezirksmodell, Ausbau dezentraler Bürgerdienste (23 Bürgerbüros in den Stadtbezirke)
Cluster 1 Ausgewogenere Prosperität
Starker Verlust durch extreme Verschuldung und den Verlust der Haushaltshoheit Starke Verluste durch schlanke Verwaltung, Auslagerung in Eigenbetriebe & weitgehende Privatisierung
Verlust aufgrund durchschnittlicher Verschuldung Starke Verluste durch schlanke Verwaltung, Auslagerung in Eigenbetriebe & forcierte Privatisierung Interessenvertretung auf Distanz
Interessenvertretung auf Distanz
Frankfurt Entwickeltes Bezirksmodell, Ausbau dezentraler Bürgerdienste (12 dezentrale Bürgerämter)
Cluster 2 Polarisierende Prosperität Düsseldorf Entwickeltes Bezirksmodell, Ausbau dezentraler Bürgerdienste (11 dezentrale Bürgerbüros)
Fortführung Abbildung: Steuerungsmuster der prosperierenden Großstädte
region mit weitreichenden wirtschaftlichen & erweiterten politischen Steuerungskapazitäten sowie erheblicher Steuerungsinitiative bei gleichzeitig moderaten Steuerungsverlusten lokaler Politik
stadt mit weitrechenden wirtschaftlichen & erweiterten politischen Steuerungskapazitäten sowie erheblicher Steuerungsinitiative bei gleichzeitig moderaten Steuerungsverlusten lokaler Politik
mit weitreichenden wirtschaftlichen & erweiterten politischen Steuerungskapazitäten sowie geringer Steuerungsinitiative bei gleichzeitig durchschnittlichen Steuerungsverlusten lokaler Politik
Fortführung Abbildung: Steuerungsmuster der prosperierenden Großstädte Steuerungsmuster Prosperierende Kernstadt Prosperierende KernProsperierende StadtProsperierende Kernstadt mit relativ weitreichenden wirtschaftlichen, aber begrenzten politischen Steuerungskapazitäten sowie geringer Steuerungsinitiative bei gleichzeitig starken Steuerungsverlusten lokaler Politik
Erheblich erweiterte politische Steuerungskapazitäten als Stadtstaat
Begrenzter Anspruch durch sektoral und projektorientiertes Konzept
Politischer Status
Stadtentwicklungsplanung a) Stadtentwicklungskonzepte
Großstadt Ökonomischer Status
Begrenzter Anspruch durch sektoral und projektorientiertes Konzept
Begrenzte politische Steuerungskapazitäten als politisches Regionalzentrum
Cluster 3 Durchschnittliche Entwicklung (mit Wachstumstendenzen) Hamburg Köln Dynamische Kernstadt Dynamische Kernstadt mit relativ weitreichen- mit relativ weitreichenden wirtschaftlichen den wirtschaftlichen Steuerungskapazitäten Steuerungskapazitäten
Cluster 3 Durchschnittliche Entwicklung (mit schwachen Wachstumstendenzen) Hannover Nürnberg Bremen Kernstadt mit begrenz- Kernstadt mit begrenz- Kernstadt mit begrenztem tem Wachstum & tem Wachstum & begrenzten wirtschaftli- begrenzten wirtschaftli- Wachstum & chen Steuerungskapazi- chen Steuerungskapazi- begrenzten wirtschaftlichen täten täten Steuerungskapazitäten Erweiterte politische Begrenzte politische Erheblich erweiSteuerungskapazitäten Steuerungskapazitäten terte politische als Landeshauptstadt als politisches RegioSteuerungskapanalzentrum zitäten als Stadtstaat Erweiterter Anspruch Begrenzter Anspruch Erweiterter durch ein durch sektoral und Anspruch durch projektorientiertes ein Integratives GesamtKonzept konzept Integratives Gesamtkonzept
Abbildung 58: Steuerungsmuster der Großstädte mit durchschnittlicher Entwicklung
Großstädtische Demokratie a) Rechte der Bezirksvertretungen / Direkte Demokratie
b) Regionalisierungspolitik
Begrenzte Möglichkeiten durch interkommunale Kooperation Weitgehende, demokratisch legitimierte Rechte und häufiger genutzte Bürgerentscheide Begrenzte Möglichkeiten durch interkommunale Kooperation Weitgehende, demokratisch legitimierte Rechte und vereinzelt genutzte Bürgerentscheide
Erweiterte Möglichkeiten durch politisch gesteuerte Region Weitgehende, demokratisch legitimierte Rechte und vereinzelt genutzte Bürgerentscheide Begrenzte Möglichkeiten durch interkommunale Kooperation Keine Stadtbezirksvertretungen (Beteiligung von Bürgervereinen) und häufiger genutzte Bürgerentscheide
Fortführung Abbildung : Steuerungsmuster der Großstädte mit durchschnittlicher Entwicklung Begrenzte Möglichkeiten durch interkommunale Kooperation Eingeschränkte, demokratisch legitimierte Rechte und kaum genutzte Bürgerentscheide
Verwaltungsmodernisierung a) Dezentrale Bezirksverwaltungen und Bürgerdienste
Großstadt b) Legitimationsverlust der politischen Parteien
Entwickeltes Bezirksmodell, Ausbau dezentraler Bürgerdienste (7 Bezirksämtern, 15 Ortsämter, 15 Kundencentren)
Entwickeltes Bezirksmodell, Ausbau dezentraler Bürgerdienste (9 Meldehallen)
Cluster 3 Durchschnittliche Entwicklung (mit Wachstumstendenzen) Hamburg Köln Verlust aufgrund Moderater Verlust durchschnittlich durch kaum rückrückläufiger Wahlläufige Wahlbeteibeteiligung ligung Cluster 3 Durchschnittliche Entwicklung (mit schwachen Wachstumstendenzen Hannover Nürnberg Bremen Verlust aufVerlust aufgrund Verlust aufgrund grund durchdurchschnittlich durchschnittlich schnittlich rückrückläufige Wahlbe- rückläufige Wahlbeläufige Wahlbeteiligung teiligung teiligung Ausbau eines heteKein stadtweites Ausbau eines stadtAngebot dezentraler rogen Systems von weiten Angebotes Bürgerdiensten (2 Bürgerdienste (3 relativ gleicher Bürger-Sercicezentrale VerwalBürgerdienste (7 Center, 1 Bürgerbüdezentrale Bürgeräm- tungsämter) ro (KFZ), fünf tern) dezentrale Ortsämter)
Fortführung Abbildung: Steuerungsmuster der Großstädte mit durchschnittlicher Entwicklung
Verlust aufgrund durchschnittlicher Verschuldung
Starke Verluste durch schlanke Verwaltung, Auslagerung in Eigenbetriebe & forcierte Privatisierung
Interessenvertretung auf Distanz
b) Haushalt / Verschuldung
Arbeitsbeziehungen a) Personalpolitik / Auslagerungen
b) Politikmuster der Interessenvertretung Interessenvertretung auf Distanz
Verschlankt durch Auslagerung in Eigenbetriebe & moderate Privatisierung
Verlust aufgrund durchschnittlicher Verschuldung Begrenzte Verluste durch Effizienzsteigerung, Auslagerung in Eigenbetriebe & moderate Privatisierung Kooperativgestaltende Mitbestimmungskultur
Verlust aufgrund durchschnittlicher Verschuldung
Begrenzter Verlust aufgrund durchschnittlicher Verschuldung Begrenzte Verluste durch Effizienzsteigerung, Auslagerung in Eigenbetriebe & moderate Privatisierung Ausgleichende, kooperative Mitbestimmungskultur
Fortführung Abbildung : Steuerungsmuster der Großstädte mit durchschnittlicher Entwicklung
Stärkere Verluste durch Effizienzsteigerung, Auslagerung in Eigenbetriebe & forcierte Privatisierung Kooperativgestaltende Mitbestimmungskultur
Starker Verlust durch extreme Verschuldung
Steuerungsmuster
Großstadt
Cluster 3 Durchschnittliche Entwicklung (mit Wachstumstendenzen) Hamburg Köln Dynamische StadtreDynamischer Stadtgion mit weitstaat mit weitgehenden wirtschaft- gehenden wirtschaftlichen & erweiterten lichen & erheblich politischen Steueerweiterten politischen Steuerungska- rungskapazitäten sowie geringer pazitäten sowie Steuerungsinitiative durchschnittlicher bei gleichzeitig Steuerungsinitiative starken Steuerungsbei gleichzeitig verlusten lokaler durchschnittlichen Steuerungsverlusten Politik lokaler Politik Cluster 3 Durchschnittliche Entwicklung (mit schwachen Wachstumstendenzen Hannover Nürnberg Bremen Begrenzt wachsende Begrenzt wachsender Begrenzt wachsende Stadtstaat mit beKernstadt mit beStadtregion mit begrenzten wirtschaftli- grenzten wirtschaft- grenzten wirtschaftchen aber erweiterten lichen & begrenzten lichen aber erheblich erweiterten politipolitischen Steuepolitischen Steueschen Steuerungskarungskapazitäten rungskapazitäten pazitäten sowie sowie geringer sowie erheblicher Steuerungsinitiative durchschnittlicher Steuerungsinitiative Steuerungsinitiative bei gleichzeitig durch- bei gleichzeitig starken Steuerungs- bei gleichzeitig schnittlichen Steuestarken Steuerungsrungsverlusten lokaler verlusten lokaler verlusten lokaler Politik Politik Politik
Fortführung Abbildung: Steuerungsmuster der Großstädte mit durchschnittlicher Entwicklung
b) Regionalisierungspolitik
Stadtentwicklungsplanung a) Entwicklungskonzepte
Politischer Statu
Großstadt Ökonomischer Status
Begrenzte Erweiterte MögErweiterte MögMöglichkeiten durch lichkeiten durch lichkeiten durch Eingemeindungen Eingemeindungen interkommunale Kooperation
Cluster 4: Prekärer Strukturwandel „Ost“ (mit Schrumpfungstendenzen) Leipzig Dresden Berlin Kernstadt mit Kernstadt mit Kernstadt mit begrenzgeringem Wachs- geringem Wachs- tem Wachstum / tum / wirtschafttum / wirtschaftwirtschaftlichen lichen Steuelichen SteueSteuerungskapazitäten rungskapazitäten rungskapazitäten Begrenzte politi- Erweiterte politi- Erhebliche erweiterte sche Steuerungs- sche Steuerungs- politische Steuerungskapazitäten (Hauptkapazitäten als kapazitäten als politisches Regi- Landeshauptstadt stadt und Stadtstaat onalzentrum Erweiterter Anspruch Erweiterter Erweiterter durch integratives Anspruch durch Anspruch durch Gesamtkonzept integratives integratives Gesamtkonzept Gesamtkonzept
Cluster 4: Prekärer Strukturwandel „West“ (mit Schrumpfungstendenzen) Dortmund Essen Duisburg Kernstadt mit Kernstadt mit Kernstadt mit ger.Wachstum / geringem Wachs- geringem Wachswirtschaftlichen tum / wirtschafttum / wirtschaftliSteuerungskapa- lichen Steuechen Steuerungszitäten rungskapazitäten kapazitäten Begrenzte politi- Begrenzte politiBegrenzte politische Steue- sche Steuerungs- sche Steuerungskapazitäten als rungskapazitäten kapazitäten als als polit. Regio- politisches Regi- politisches Regionalzentrum onalzentrum nalzentrum Begrenzter AnBegrenzter AnErweiterter spruch durch Anspruch durch spruch durch sektoral und sektoral und integratives projektorientiertes projektorientiertes Gesamtkonzept Konzept Konzept Begrenzte MögBegrenzte MögBegrenzte lichkeiten durch lichkeiten durch Möglichkeiten interkommunale interkommunale durch interKooperation Kooperation kommunale Kooperation
Abbildung 59: Steuerungsmuster der Großstädte im prekären Strukturwandel („West“ und „Ost“)
b) Legitimationsverlust der politischen Parteien
Großstadt Großstädtische Demokratie a) Rechte der Bezirksvertretungen / direkte Demokratie
Starker Verlust aufgrund extrem rückläufiger Wahlbeteiligung
Starker Verlust aufgrund überdurchschnittlich rückläufiger Wahlbeteiligung
Verlust aufgrund durchschnittlich rückläufiger Wahlbeteiligung
Cluster 4: Prekärer Strukturwandel „Ost“ (mit Schrumpfungstendenzen) Leipzig Dresden Berlin Weitgehende, Eingeschränkte, Eingeschränkte, abgeleitete Rechte abgeleitete Rechte demokratisch legitimierte Rechte und vereinzelt und vereinzelt und vereinzelt genutzte Bürgergenutzte Bürgergenutzte Bürgerentscheide entscheide entscheide
Cluster 4: Prekärer Strukturwandel „West“ (mit Schrumpfungstendenzen) Dortmund Essen Duisburg Weitgehende, Weitgehende, Weitgehende, demokratisch demokratisch demokratisch legitimierte legitimierte legitimierte Rechte und Rechte und Rechte und vereinzelt genutz- vereinzelt gevereinzelt genutzte Bürgerte Bürgerentnutzte Bürgerentscheide scheide entscheide Verlust aufgrund Moderater VerModerater durchschnittlich Verlust aufgrund lust aufgrund unterdurchschnitt- rückläufiger unterdurchWahlbeteiligung lich rückläufiger schnittlich Wahlbeteiligung rückläufiger Wahlbeteiligung
Fortführung Abbildung: Steuerungsmuster der Großstädte im prekären Strukturwandel („West“ und „Ost“)
Berlin Entwickeltes Bezirksmodell, Ausbau dezentraler Bürgerdienste (in den 12 Bezirken entstehen 5 Bürgerämter) Starker Verlust durch extreme Verschuldung
Starke Verluste durch fragmentierte Verwaltung, Auslagerung in Eigenbetriebe & forcierte Privatisierung Interessenvertretung auf Distanz
Dresden Entwickeltes Bezirksmodell, Ausbau dezentraler Bürgerdienste (10 Ortsämtern werden zu Bürgerbüros) Begrenzter Verlust durch gesicherte AufbauOst-Mittel Starke Verluste durch schlanke Verwaltung, Auslagerung in Eigenbetriebe & weitgehende Privatisierung Konstituierung von Interessenvertretung
Leipzig Entwickeltes Bezirksmodell, Ausbau dezentraler Bürgerdienste (13 Bürgerämter)
Begrenzter Verlust durch gesicherte Aufbau-Ost-Mittel
Starke Verluste durch schlanke Verwaltung, Auslagerung in Eigenbetriebe & weitgehende Privatisierung Konstituierung von Interessenvertretung
b) Haushalt / Verschuldung
Arbeitsbeziehungen a) Personalpolitik / Auslagerungen
b) Interessenvertretung
Verwaltungsmodernisierung a) Dezentrale Bezirksverwaltungen
Großstadt
Cluster 4: Prekärer Strukturwandel „Ost“ (mit Schrumpfungstendenzen)
Interessenvertretung auf Distanz
Starke Verluste durch schlanke Verwaltung, Auslagerung in Eigenbetriebe & forcierte Privatisierung Starke Verluste durch schlanke Verwaltung, Auslagerung in Eigenbetriebe & forcierte Privatisierung
Begrenzte Verluste durch Effizienzsteigerung, Auslagerung in Eigenbetriebe & moderate Privatisierung
Kooperativgestaltende Mitbestimmungskultur
Starker Verlust durch Entzug der Haushaltshoheit (Haushaltssicherungskonzept
Starker Verlust durch Entzug der Haushaltshoheit (Haushaltssicherungskonzept
Starker Verlust durch Entzug der Haushaltshoheit (Haushaltssicherungskonzept)
Ausgleichende, kooperative Mitbestimmungskultur
Duisburg Ausbau eines heterogenen Systems der Bürgerdienste (drei dezentrale Rathäuser)
Essen Entwickeltes Bezirksmodell, Ausbau dezentraler Bürgerdienste (in 9 Bezirken)
Dortmund Entwickeltes Bezirksmodell, Ausbau dezentraler Bürgerdienste (in 12 Bezirken)
Cluster 4: Prekärer Strukturwandel „West“ (mit Schrumpfungstendenzen)
Fortführung Abbildung: Steuerungsmuster der Großstädte im prekären Strukturwandel („West“ und „Ost“)
Steuerungsmuster
Großstadt
Cluster 4: Prekärer Strukturwandel „Ost“ (mit Schrumpfungstendenzen) Leipzig Dresden Berlin Stadtstaat mit Kernstadt mit Kernstadt mit geringem geringem Wachsgeringem WachsWachstum, geringen tum, begrenzten tum, geringen wirtschaftlichen & wirtschaftlichen, wirtschaftlichen begrenzten politischen aber erheblich aber erweiterten Steuerungskapazitäten erweiterten sowie durchschnittlicher politischen Steuepolitischen rungskapazitäten Steuerungsinitiative bei sowie durchschnitt- Steuerungsgleichzeitig starken kapazitäten sowie licher SteuerungsSteuerungsverlusten durchinitiative bei lokaler Politik gleichzeitig starken schnittlicher Steuerungsverlusten Steuerungsinitiative bei lokaler Politik gleichzeitig starken Steuerungsverlusten lokaler Politik
Cluster 4: Prekärer Strukturwandel „West“ (mit Schrumpfungstendenzen) Dortmund Essen Duisburg Kernstadt mit Kernstadt mit Kernstadt mit geringem Wachstum, geringem Wachsgeringem Wachsgeringen wirtschafttum, begrenzten tum, geringen wirtschaftlichen & wirtschaftlichen & lichen & geringen politischen Steuebegrenzten begrenzten politirungskapazitäten schen Steuerungs- politischen Steuerungskapazi- sowie geringer kapazitäten sowie Steuerungsinitiative täten sowie erheblicher Steuerungsinitiati- durchschnittlicher bei gleichzeitig ve bei gleichzeitig Steuerungsinitiati- starken Steuerungsverlusten lokaler durchschnittlichen ve bei ebenfalls Steuerungsverlus- durchschnittlichen Politik ten lokaler Politik Steuerungsverlusten lokaler Politik
Fortführung Abbildung: Steuerungsmuster der Großstädte im prekären Strukturwandel („West“ und „Ost“)
388
5.4 5.4.1
Felder und Ausprägungen großstädtischer Modernisierungspolitik
Die Governancestruktur großstädtischer Modernisierung Regulation und Wettbewerb im deutschen Großstädtesystem
Auf der Basis der voran gestellten Untersuchungsergebnisse ist es nun möglich, die Governancestruktur großstädtischer Modernisierung zu beschreiben. Wir haben gezeigt, dass das Regieren der großen Städte durch verschiedenartige Governancestrukturen gesteuert wird. Jede dieser Governancestrukturen besteht aus einem besonderen Mix verschiedener Governanceformen und Akteurkonstellationen. Nach unseren Befunden dominiert in der Austauschbeziehung zwischen den Großstädten und der Rahmen- und Kontextsteuerung des kommunalen Sektors die Governanceform der hierarchischen Koordinierung unter Assistenz von Netzwerkstrukturen. Die Beziehungen zwischen den Großstädten und ihren sozioökonomische Entwicklungsbedingungen wird von Märkten, durch staatliche Intervention und die Mobilität der Bürger geprägt. Die interne Steuerung und Mitbestimmung großstädtischer Modernisierungsprozesse ist von einem erweiterten lokalen Korporatismus gekennzeichnet, der assoziativ gesteuert wird, dem aber Hierarchien, Gemeinschaften und Wettbewerb zur Hand gehen. Im Zentrum der ersten Hauptvariable der Untersuchung, der Rahmen- und Kontextsteuerung des kommunalen Sektors, stehen die Prozesse, mit denen öffentliche Aufgaben und Finanzen durch den Bund und die Länder auf die staatlichen Ebenen verteilt werden. Als Machtressource dienen den Akteuren die Kompetenzen der Gesetzgebung und spezielle mit finanziellen Anreizen ausgestattete Förderprogramme (z.B. soziale Stadt, Stadtumbau Ost und West). Die politischen Parteien wirken an der politischen Willensbildung mit, indem sie politische Programme entwerfen, bei Wahlen um die Zustimmung der Wählerinnen und Wähler konkurrieren und sich an Regierungen beteiligen. Die Europäische Union (EU) interveniert als supranationale Ebene durch ihre Politik der Verwirklichung des europäischen Binnenmarktes vermittelt über Bund und Länder indirekt in die wirtschaftliche Betätigung der Großstädte. Andererseits gewährt die EU-Politik der sozialen Kohäsion mit Hilfe der Struktur- und Sozialfonds (vgl. z.B. das Programm Urban II) ziel- und indikatorenbezogene Hilfen für die Bewältigung sozialer Großstadtprobleme. Aus der Sicht der Großstädte dominieren in der EU-Binnenmarktpolitik hierarchische und bei der Steuerung der EU-Strukturpolitik eher netzwerkartige Governancestrukturen. Als Machtressourcen dienen der EU die sich aus den EU-Verträgen ergebenden Regulierungsinstrumente sowie die finanziellen Mittel, welche die EU-Mitgliedsstaaten bereitstellen.
Felder und Ausprägungen großstädtischer Modernisierungspolitik
389
Für die Rahmen- und Kontextsteuerung des kommunalen Sektors bedeutend sind außerdem die Interessenverbände und Städtenetzwerke. Die Machtressource der kommunalen Interessenverbände besteht in der hohen Zahl der Mitgliedsgemeinden, der fachlichen Kompetenz sowie der Möglichkeit öffentlicher Protestaktionen. Für die Kontextsteuerung bedeutsam sind auch die vielfältigen regionalen, nationalen und EU-weiten Städtenetzwerke. Bei der Regulierung der Arbeits- und Entgeltbedingungen spielen die kommunalen Arbeitgeberverbände (Vereinigung kommunaler Arbeitgeberverbände – VKA -) und Gewerkschaften (vor allem die Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft - Ver.di -) des kommunalen Sektors eine maßgebende Rolle. Machtressource der öffentlichen Arbeitgeber sind das Direktionsrecht gegenüber den Beschäftigten und politischer Druck, während die Gewerkschaften sich auf ihre Mitglieder und das Streikrecht stützen. Die bisher noch branchenweit abgeschlossenen Tarifverträge setzen einen Rahmen mit begrenzten lokalen und regionalen Gestaltungsspielräumen. Unter dem Dach der diffusen Rahmen- und Kontextsteuerung des kommunalen Sektors befinden sich die Großstädte in einer Entwicklungskonkurrenz. Das Verhältnis der staatlichen zur kommunalen Ebene hatten wir als hierarchische Arbeitsteilung charakterisiert. Korporative Akteure tragen ihren Teil zu den Governancestrukturen vor allem im Bereich der Tarifpolitik bei. Sie sind außerdem als kommunale Interessenverbände im Vorfeld politischer Entscheidungen des Bundes und der Länder beteiligt. Insgesamt wird die Rahmensteuerung des kommunalen Sektors durch Bund und Länder dominiert von der Governanceform hierarchischen Koordinierung, während die indirekte Kontextsteuerung des kommunalen Sektors im Schatten der Hierarchie eher durch Netzwerke, Assoziationen und Wettbewerb bestimmt wird. Die Governancestruktur der sozioökonomischen Entwicklung der Großstädte wird geprägt von der demografischen und wirtschaftlichen Entwicklung der Regionen. Bei der Entscheidung über ihren Wohnort wägen die Bürger zwischen ihren Lebensbedürfnissen und den Lebensbedingungen in den Städten ab. Machtressource der Bürger ist ihre Mobilität und die freie Wahl des Aufenthaltsortes, die durch das Grundrecht auf Freizügkeit (Art 11 GG) verfassungsrechtlich geschützt wird. Soweit die Bürger in der Stadt bleiben, bilden sie soziale Lebenszusammenhänge in ihren Wohnquartieren aus. Unternehmen und Selbständige entscheiden über ihren Standort und über Investitionen. Ihre Machtressource sind die Mechanismen des Marktes und die Stellung als Marktteilnehmer. Die wirtschaftliche Entwicklung der Großkommune beeinflusst ihre Steuerkraft erheblich, ihre reale Finanzkraft aber nur bedingt, da durch die Verteilungsmechanismen des Finanzverbundes zwischen Bund, Ländern und Gemeinden zumindest teilweise ein Ausgleich unter den Kommunen erfolgt. Darüber hinausgehende Finanztransfers können durch unterschiedliche Anlässe
390
Felder und Ausprägungen großstädtischer Modernisierungspolitik
ausgelöst werden wie z.B. durch den Status als Landeshauptstadt, für die Durchführung von Großveranstaltungen im Auftrag des Bundes (z.B. Expo Hannover), als Finanzhilfe zur Bewältigung einer Haushaltsnotlage (Saarland, Bremen) oder als Solidarpakt zur Organisation von Finanztransfers für den Aufbau Ost in den neuen Bundesländern. 5.4.2
Der erweiterte lokale Korporatismus als interner Steuerungsmodus
Einen zentralen Netzwerkknoten zur internen Steuerung großstädtischer Modernisierungspolitik bilden die Oberbürgermeister im Zusammenwirken mit dem Rat, den mehrheitsbildenden politischen Parteien sowie den kooperierenden gesellschaftlichen Gruppen. In Abhängigkeit von internen und externen Bedingungen sind verschiedene Muster und Stile der politischen Führung einer Großstadt möglich. Ihre Legitimation beziehen diese Akteure durch die nach repräsentativen Verfahren durchgeführte demokratischen Wahlen. Durch die Wahlen delegiert das Volk für eine zeitlich begrenzte Frist politische Macht. Das Privileg dieser Akteure besteht darin, die Stadtregierung zu bilden und demokratisch abgeleitete Macht hierarchisch exekutieren zu können. Infolgedessen verfügen sie über die Machtressourcen, mit denen Hegemonialprojekte definiert und mit deren Hilfe Prozesse der Modernisierung in Gang gesetzt werden können. Weitere für das Steuern der Modernisierungsprozesse relevante Netzwerknoten bilden die Geschäftsbereiche (auch Dezernate oder Referate) der Stadt mit eigenen Vorentscheiderstrukturen. Sie steuern die alltäglichen Geschäfte der Stadt und sollen die Hegemonialprojekte umsetzen. Ihre Machtressource ist die Kooperation bzw. Kooperationsverweigerung. Die Beschäftigte produzieren durch den Einsatz ihrer Arbeitskraft die Arbeits- und Dienstleistungsprozesse der Kommune. Deren Machtressource ist ihr Arbeitsvermögen, die Nachfragemacht, die Motivation und Kooperation. Die Interessen der Beschäftigten werden von innerbetrieblichen Interessenvertretungen, den Personal- und Betriebsräten und außerbetrieblich von den Gewerkschaften wahrgenommen. Machtressource der innerbetrieblichen Interessenvertretungen sind die Beteiligungs- und Verhandlungsrechte, während die Domäne der Gewerkschaften eher in der Aktions- und Kampagnenfähigkeit sowie in offiziellen Streiks im Rahmen von Arbeitskämpfen liegt. Die Machtressource der Stadtteilvertretungen sind ihr Zugriff auf Verwaltungskompetenzen, eigene Budgets und demokratische Entscheidungsrechte. Ansonsten sind sie wie die Bürgerschaft und Bürgerinitiativen auf den gemeinschaftlichen öffentlichen Protest und Widerstand angewiesen. Die Bürger können auf die formalen, ihnen für die Zeit zwischen den Wahlen zugestandenen Beteiligungsrechte pochen und z.B. durch Bürgerbegehren und Bürgerentscheide intervenieren. Eine von der Öffentlichkeit nicht immer wahr-
Felder und Ausprägungen großstädtischer Modernisierungspolitik
391
genommener Akteur großstädtischer Modernisierung sind schließlich die Vereine, Verbände und Kammern. Sie sind häufig ein einflussreicher Teil der allgemeinen und politikfeldbezogenen Vorentscheiderstrukturen in der Großstadt. Wir hatten die Großstädte als horizontal und vertikal verflochtenes Mehrebenensystem, als korporative Verhandlungsdemokratie und als vernetztes System multipolarer Steuerung charakterisiert. Der interne Steuerungsmodus großstädtischer Modernisierungspolitik kann daran anschließend im Sinne des erweiterten lokalen Korporatismus als assoziative Koordinierung im Schatten von Hierarchie, Markt und Gemeinschaft gedeutet werden. Die folgende Abbildung zeigt die nach den Hauptvariablen der Untersuchung gegliederten Akteure großstädtischen Regierens und ihre Machtressourcen. In die Übersicht aufgenommen wurden die Befunde aus der Analyse der Governancestrukturen. Abbildung 60: Akteure großstädtischen Regierens und ihre Machtressourcen Hauptvariable
Relevante Akteure Bund, Länder,
Rahmen- und Kontextsteuerung des kommunalen Sektors
Parteien,
EU
Sozioökonomische Entwicklung
Deutscher Städtetag Deutscher Städte- und Gemeindebund Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften Bürger/innen (Einwohner, Bürger)
Machtressourcen Steuerung großstädtischer Aufgaben und Finanzen, Förderprogramme Programme, Wähler/innenzustimmung Regierungsbeteiligung, EU-Binnenmarkt, Strukturu. Sozialfondförderung, Wissenstransfer, Verbändeprotest, Verhand-lungen, Leistungsabbau Verbändepolitik, Arbeitskampf Mobilität und Konsumkraft (Fortzug, Zuzug)
Governancestruktur Dominanz hierarchischer Koordinierung
in der Sektorsteuerung durch Bund und Länder Ergänzende Kontextsteuerung durch Netzwerke, Assoziationen und Wettbewerb der Städte (These)
Dominanz marktlicher Koordinierung
Unternehmen und Selbständige, Großstädte,
Verfügung über Arbeitsplätze und Investitionen,
bei staatlicher Intervention und Mobilität der Bürger
Bund und Länder, Steuerzahler/innen
Wirtschafts- und Finanzkraft
(These)
Felder und Ausprägungen großstädtischer Modernisierungspolitik
392
Fortführung Akteure großstädtischen Regierens und ihre Machtressourcen Hauptvariable
Steuerung und Mitbestimmung großstädtischer Modernisierungsprozesse
Relevante Akteure
Machtressourcen
Wohnquartiere der Großstädte OB, Rat, Parteien,
Reproduktion des Lebenszusammenhangs Legitimation durch Wahlen, Regierungsbildung, Hegemonialprojekte
Geschäftsbereiche, Ämter, Einrichtungen und Betriebe, Beschäftigte
Steuerung kommunaler Aufgaben, Kooperation Qualifikation, Arbeitsmotivation, Kooperation
Governancestruktur
Erweiterter lokaler Korporatismus mit einer Dominanz assoziativer Koordinierung im Schatten von Hierarchie, Wettbewerb und Gemeinschaft
Interessenvertretungen u. Interessenverbände der Beschäftigten Stadtteilvertretungen, Bürgerinitiativen, Vereine Verbände, Kammern
Beteiligungs- u. Verhand(These) lungsrechte, Gewerkschaftliche Aktionen, Streiks Demokratische Legitimation, Bürgerbeteiligung und -protest, Bürgerentscheide Verknüpfung wirtschaftlicher und politischer Macht
Die vertikale Verflechtung großstädtischer Modernisierungspolitik spiegelt sich in den strategischen Politikfeldern wieder, die wir unserer Policy-Analyse zu Grunde gelegt haben. Das Ergebnis unserer Untersuchungen ist, dass in vernetzten Systemen multipolarer Steuerung Govenancereformen nur über Hegemonialprojekte zu erreichen sind. Voraussetzung dafür ist, dass sich eine Hegemonialstruktur herausbildet, die in der Lage ist, interessengeleitete Widerstände und Blockaden im gesamtstädtischen Interesse zu überwinden. Den institutionellen Kern der Hegemonialstruktur bilden in den Großstädten die Oberbürgermeister bzw. Regierungschefs, die einen - wenn auch begrenzten - direkten oder indirekten Zugriff auf die Verwaltung und die Ressourcen des kommunalen Sektors haben. Er wirkt mit den Vorentscheiderstrukturen zusammen, die aus den Fraktionsspitzen sowie Dezernenten bzw. Senatoren der mehrheitsbildenden Parteien bestehen könnte. Zu den Vorentscheiderstrukturen zu rechnen wären noch politikfeld- oder milieubezogene Vorfeldorganisationen. Für die Bildung der Hege-
Felder und Ausprägungen großstädtischer Modernisierungspolitik
393
monialstrukturen können von den entscheidenden Akteuren unterschiedliche politische Wege beschritten werden. Es bieten sich zugespitzt ausgedrückt je nach Akteurkonstellation grundsätzlich zwei Wege an: a)
Ein Konzept der hierarchischen Stadtpolitik, das auf die Durchsetzungskraft des OB und der Vorentscheiderstrukturen setzt, mit Marktmacht ausgestattete mächtige gesellschaftliche Gruppen einbezieht und politische Konflikte mit Bürgergruppen in Kauf nimmt.
b) Ein Konzept der kooperativen Stadtpolitik, das auf die Verhandlungskraft des OB und spezifischer Vorentscheiderstrukturen setzt, eine Politik des sozialen Ausgleichs bereibt, möglichst viele mächtige und weniger mächtige gesellschaftliche Gruppen einbezieht und politische Konflikte mit Bürgergruppen zu minimalisieren sucht. Beide Konzepte der Stadtpolitik sind bei der Umsetzung auf die Herausbildung von Hegemonialprojekten angewiesen. Der erweiterte lokale Korporatismus (s. Abbildung) unterscheidet sich vom „alten Koporatismus“ (vgl. Lehmbruch 2004) in drei Aspekten: (1.) Der erweiterte Regulationszusammenhang geht über die korporativen Akteure hinaus und umfasst die Governanceformen Assoziationen, Hierarchie, Markt und Gemeinschaft. (2.) Aus der Stabilisierung der Funktion der Oberbürgermeister und Regierungschefs der Großstädte bei gleichzeitiger Dezentralisierung durch Auslagerungen und Privatisierungen ergeben sich neue Anforderungen für die kommunale Steuerung. (3.) Neben den Interessenverbänden betreten die Bürger bzw. einfache Formen der Bürgerbeteiligung und der direkten Demokratie die Bühne der Steuerung von Politik und Verwaltung. Deshalb bleibt zwar die assoziative Koordinierung die dominierende Form der Koordinierung, die Zusammensetzung der Governancemixes hat sich jedoch verändert.
Felder und Ausprägungen großstädtischer Modernisierungspolitik
394
Abbildung 61: Erweiterter lokaler Korporatismus
II es E n I . So gd n tw z i o eru ick ök teu lu on s t ng om x e de is nt s o r G ch K tor . u ro e k ßs n- Se e n täd m e Großstädtisches Regieren l h na a te R u (OB, Rat, Vorentscheiderstrukturen, II. mm Hegemonialprojekte) ko
I. Pfadbezogene Steuerung u. Mitbestimmung ( Institutionelle Strukturen, Prozesse, Akteure)
Stadtentwicklung
5.4.3
GroßVerwaltungsstädtische moderniDemokratie sierung
Arbeitsbeziehungen
(Großstädt. Sozialpolitik)
Politikfelder, Hegemonialprojekte und Mitbestimmungschancen
Wie wirkt sich aber nun der erweiterte lokale Korporatismus auf die Governancestrukturen der Modernisierungspfade und Politikfelder aus? Welche Hegemonialprojekte von gesamtstädtischer Bedeutung sind dort zu verzeichnen und mit welchen Akteurkonstellationen verbunden? Um diese Fragen zu beantworten, möchten wir nun eine Auswahl von typischen Hegemonialprojekten vorstellen, die nach unseren Recherchen in den Pfaden großstädtischer Modernisierungspolitik eine Bedeutung erlangt haben. Bei einem Hegemonialprojekt handelt es sich um größere Vorhaben von gesamtstädtischer Bedeutung, mit denen Governancereformen in einem Modernisierungspfad vorbereitet und umgesetzt werden. Hegemonialprojekte können in der Gruppe der größten deutschen Städte streuen. Deshalb wollen wir zwischen den Hegemonialprojekten unterscheiden, die in der Mehrzahl der Großstädte vorkommen und denen, die in einer Minderheit der Großstädte eine Rolle gespielt haben. Die Analyse der Interaktion der an den Hegemonialprojekten beteiligten Akteure soll Aufschluss darüber bringen, wie die Kräfte- und Machtverhältnisse zwischen den Akteuren beschaffen sind und welche Governancestrukturen den Pfad steuern.
Auswahl von Hegemonialprojekten*)
Akteure
Festivalisierungsprojekte (z.B. Expo Hannover) Gewerbeflächenerschließung Neue Wohngebiete u. Wohnformen Projekte Soziale Stadt Regionale Kooperation
Verschiedene Wirtschaftsgruppen , Investoren Dezernat für Stadtentwicklung Assoziative Steuerung im Schatten eines doppelten Architekten, Kammern Wettbewerbs, von Hierarchie, Mobilität der Bürger Polit. Akteure u. Gruppen und Gemeinschaft Bürger Bürger, OB, Rat, Parteien Stadtdialoge des OB, Symbolische BE-Pflege Urbane Demokratie Bündnisse zur Standortpflege (z.B. Neues Dortmund) Stadtbezirksvertretungen Bürgerintiativen, Vereine (Bündnisse für Arbeit und Beschäftigung) Assoziative Steuerung im Schatten von GemeinGesellschaftl. Gruppen (Bürgerentscheid gegen Privatisierungen) schaf, Hierarchie und Wettbewerb OB, Rat Haushaltskonsolidierung VerwaltungsStadtverwaltung (Allg. VerwalAuslagerung und Privatisierung, Konzern Stadt modernisierung tung) Neues kommunales Finanzmanagement Beschäftigte Assoziative Steuerung im Schatten einer doppelten E-Government Interessenvertretungen (Stadtweiter Bürgerservice) Hierarchie, von Wettbewerb und Gemeinschaft Innerbetriebliche Regelung der Arbeitsbed. Privatisie- Verbänder der Arbeitgeber Arbeitsbeziehungen (VKA), Gewerkschaften rung öff. Aufgaben Konzern Stadt Tarifrechtsreform Doppelte assoziative Steuerung im Schatten von Personaldezernat (Strategische Personalentwicklung) Hierarchie und Gemeinschaft Betriebl. Interessenvertretungen (Abbau von Mitbestimmungsrechten) Beschäftigte (Konzernarbeitnehmervertretung) *) Hegemonialprojekte in der Klammer wurden nur in einer Minderheit der untersuchten Großstädte vorgefunden.
Politikfeld/Modernisierungspfad mit Governancestruktur Stadtentwicklung
Abbildung 62: Pfadbezogene Hegemonialprojekte und Akteurkonstellationen
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Felder und Ausprägungen großstädtischer Modernisierungspolitik
Im Pfad Stadtentwicklung agieren verschiedenen Gruppen der regionalen und überregionalen Wirtschaft. Das Spektrum der beteiligten Branchen reicht von der Bau- und Wohnungswirtschaft bis zu den die Region dominierenden Unternehmen. Private und öffentliche Investoren sind von großer Bedeutung, wenn es um die räumliche Weiterentwicklung der Großstädte geht. Auf Seiten der Großstädte agieren die Stadtplaner als Vertreter des Dezernates für Stadtentwicklung. Der in einer eigenen Kammer organisierte Berufsstand der Architekten ist sowohl in der Stadtentwicklung als auch in privaten Planungsbüros vertreten. Für die formale Beteiligung der Bürger und der politischen Gremien gelten die Bestimmungen des Baugesetzbuchs. In besonderen Konfliktfällen intervenieren in diese Prozesse protestierende Bürgergruppen oder zum Zecke der Regulierung widerstreitender Interessen der OB mit seinen unmittelbaren Vorentscheiderstrukturen. In fast allen Großstädten wurden große Veranstaltungsprojekte bereits durchgeführt oder sie werden geplant (z.B. Expo Hannover, OlympiaBewerbung Leipzig). Alle Großstädte erschließen in großem Maße neue Gewerbeflächen, weswegen das Flächenangebot die Nachfrage bei weitem übersteigt. Nur in den prosperierenden Großstädten sind Engpässe bei der Befriedigung von Ansiedlungswünschen möglich. Ebenso weisen fast alle Großstädte neue Wohngebiete aus und versuchen Einwohner an die Stadt durch neue Wohnformen zu binden. Projekte zur sozialintegrativen Entwicklung belasteter Wohnquartiere wurden in fast allen Städten durchgeführt. In der regionalen Kooperation mit den Umlandgemeinden dominiert der netzwerkförmige Interessenverbund, während institutionalisierte Formen der Kooperation noch die Ausnahme bilden. Der Modernisierungspfad der Stadtentwicklung wird durch das Zusammenwirken gut organisierter Interessengruppen gesteuert. Diese können sich auf die Governanceformen des doppelten Wettbewerbs, der Hierarchie, der Mobilität der Bürger und der Gemeinschaft stützen. Die Verdoppelung der Governanceform des Wettbewerbs ergibt sich aus der Marktsteuerung der lokalen und regionalen Wirtschaft sowie der Tatsache, dass die Großstädte untereinander und mit anderen Kommunen (z.B. aus ihrem Umland) um Einwohner und Investoren konkurrieren. Im Modernisierungspfad der großstädtischen Demokratie agieren die Bürger, die Oberbürgermeister, der Rat und die politischen Parteien. Die Bürger wählen ihre politischen Vertreter im Stadtrat sowie den OB, d.h. sie können sie auch abwählen. Bürgerentscheide und Bürgerbegehren, auch wenn von ihnen noch zu wenig Gebrauch gemacht wird und größtenteils zu hohe Zugangsbarrieren bestehen, geben den Bürgern in Verbindung mit dem Versammlungsrecht quasi ein Vetorecht, mit dem sie in die politischen Entscheidungsprozesse inter-
Felder und Ausprägungen großstädtischer Modernisierungspolitik
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venieren können. In einigen Großstädten von Nordrhein-Westfalen und in Hamburg haben Gewerkschafter Bürgerentescheide gegen die Privatisierung kommunaler Aufgaben durchsetzen können. In Abhängigkeit von den lokalen Verhältnissen und den gewährten Entscheidungsrechten spielen die Stadtbezirksvertretungen für die subkommunale Ebene eine Rolle. Bürgerinitiativen, Vereine, gesellschaftliche Gruppen und Verbände vervollständigen den Kreis der Akteure dieses Pfades. Die mit der Position des OB verbundenen Vorentscheiderstrukturen haben informellen Charakter und scheinen nur bei bestimmten Anlässen (z.B. Verkündung von politischen Entscheidungen) in der Öffentlichkeit durch. In den meisten Großstädten pflegen die Oberbürgermeister in symbolischer Weise das Bürgerschaftliche Engagement, indem sie Bürgersprechstunden anbieten, Bürgerdialoge organisieren und Unterstützungsstrukturen für das Bürgerschaftliche Engagement gewährleisten. In einer Mehrheit der Großstädte gibt es öffentlich ausgewiesene Bündnisse der Stadt mit den gesellschaftlichen Gruppen zur Standortpflege (z.B. Neues Dortmund), in einer Minderheit der Großstädte derartige Bündnisse für Arbeit und Beschäftigung. Der OB kann mit seinen Vorentscheiderstrukturen im Rahmen seiner Möglichkeiten in die Steuerungsprozesse der Stadt intervenieren und politische Entscheidungen an sich ziehen. Dies kann z.B. der Fall sein, wenn bei einem Projekt Investoreninteressen gegen Bürgerinteressen stehen oder Bürgerproteste gegen Verwaltungsinteressen. Die Steuerung dieses Pfades erfolgt durch gut organisierte Akteure im Schatten von Gemeinschaft, Hierarchie, und Wettbewerb. Im Pfad Verwaltungsmodernisierung agieren der OB, der Rat und seine Ausschüsse, die Stadtverwaltung (zentrale und dezentrale Einheiten), die Beschäftigten und ihre Interessenvertretungen. Die Verwaltungsmodernisierung wird in der überwiegenden Mehrzahl der Großstädte seit mehreren Jahren geprägt von den Problemen der Haushaltskonsolidierung. Sie sind die Triebfeder dafür, dass die Großstädte ihren öffentlichen Sektor umbauen, kommunale Aufgaben auslagern und privatisieren sowie ein neues kommunales Finanzmanagement einführen. Wirtschaftliche Gruppen fragen bei den Städten die ausgegliederten Leistungen nach, wenn diese für sie profitträchtig sind. Für die Bewältigung der aufgetretenen neuen Steuerungsprobleme des dezentralisierten kommunalen Sektors bedient sich eine große Gruppe der Großstädte des Organisationsmodells des Konzern Stadt. In fast allen Großstädten ist die Entwicklung und der Ausbau des E-Government ein Thema, während der stadtweite Ausbau bürgernaher, bezirksamtsähnlicher Verwaltungsdienste nicht von allen Großstädten verfolgt wird. Die Steuerung des Pfades der Verwaltungsmodernisierung erfolgt durch gut organisierte Interessengruppen im Schatten einer doppelten Hierarchie, von Wettbewerb und Gemeinschaft. Die Verdoppelung der Governanceform der
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Felder und Ausprägungen großstädtischer Modernisierungspolitik
Hierarchie ergibt sich daraus, dass der Bund und die Länder den Kommunen viele Aufgaben zur Durchführung übertragen und selbst für die Art und Weise der Durchführung Vorgaben machen. Der Modernisierungspfad der Arbeitsbeziehungen ist durch mehrere Handlungsebenen und durch eine Tendenz zur Atomisierung gekennzeichnet. Überbetrieblich und branchenweit verhandeln die Verbände der kommunalen Arbeitgeber (VKA) und die Gewerkschaften (vor allem Verdi) über die Tarifverträge für den kommunalen Sektor. Die Tarifverträge regeln für Arbeiter und Angestellte Fragen der Arbeitsbedingungen und der Arbeitsentgelte. Für die Beamten wird die Besoldung bisher vom Bundesgesetzgeber vorgegeben. Mit der zunehmenden Ausgliederung und Privatisierung kommunaler Aufgaben sind neue Arbeitgeber entstanden, die nicht mehr unter dem Geltungsbereich der Tarifverträge des kommunalen Sektors fallen. Die Arbeitsbedingungen dieser Unternehmen können demnach neu geregelt werden, und zwar durch Überleitungsregelungen, neue Haustarife mit den Gewerkschaften oder durch das Direktionsrecht des Arbeitgebers. Branchenweit laufen derzeit Tarifverhandlungen über eine Reform der Tarifverträge für den kommunalen Sektor mit dem Ziel, die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten aufzuheben und einen Tarifvertrag für alle Arbeitnehmer (ohne die Beamten) zu schaffen. Innerbetrieblich werden von allen Großstädten erhebliche Anstrengungen zur Fort- und Weiterbildung der Mitarbeiter unternommen. Verwaltungsreformabkommen bestanden in jeder Großstadt, außerdem wurde der Konflikt zwischen Arbeitszeiten der Beschäftigten und den Öffnungszeiten von kommunalen Einrichtungen durch Vereinbarungen mit den Personalräten beigelegt. In einigen wenigen Großstädten wurde von den Personalräten mit gewerkschaftlicher Unterstützung erfolgreich versucht, eine Konzernarbeitnehmervertretung zu etablieren. Infolge der Verschlechterung einiger Länderpersonalvertretungsgesetze wurden in einigen Großstädten die Mitbestimmungsrechte abgebaut und die Arbeitsmöglichkeiten für die Personalräte eingeschränkt. Dieser Pfad wird im doppelten Sinne von gut organisierten Gruppen im Schatten von Hierarchie und Gemeinschaft gesteuert. Die Verdopplung der Governanceform der assoziativen Steuerung ergibt sich daraus, dass die Verbände auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite die Arbeitsbeziehungen auf Branchenebene verhandeln und bei den Großstädten die für den öffentlichen Dienst zuständigen Personalräte überwiegend ein professionelles CoManagement für die Beschäftigten betreiben. Allerdings kann auf diesem Wege die Privatisierung und Auslagerung kommunaler Aufgaben nicht verhindert werden. Der Vergleich der pfadbezogenen Governancestrukturen zeigt einige Auffälligkeiten. Die Bürger treten als Akteure in den Pfaden der Stadtentwicklung
Felder und Ausprägungen großstädtischer Modernisierungspolitik
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und der urbanen Demokratie auf, nicht jedoch in den Pfaden der Verwaltungsmodernisierung und der Arbeitsbeziehungen! Wirtschaftliche Gruppen nehmen über die korporativen Akteursbeziehungen in den Pfaden der Stadtentwicklung, der urbanen Demokratie und der Verwaltungsmodernisierung Einfluss. Die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes der Großstädte und ihre Interessenvertretungen verharren weit überwiegend in den Pfaden der Verwaltungsmodernisierung und Arbeitsbeziehungen. Die Oberbürgermeister spielen mit ihren Vorentscheiderstrukturen in den Akteurbeziehungen der Pfade eine Sonderrolle, die von den handelnden Personen in unterschiedlicher Weise genutzt werden kann. Ein Oberbürgermeister kann politische Entscheidungen an sich ziehen oder sie auf die zweite Ebene politisch und administrativ delegieren. Die Analyse der Interaktion der an dem Regieren großer Städte beteiligten Akteure zeigt, dass sie über unterschiedliche Machtressourcen und Mitbestimmungschancen verfügen. Die Machtressourcen der Akteure und die daraus folgenden Mitbestimmungschancen begründen demnach eine Ungleichheit der Akteure großstädtischen Regierens. Fragt man danach, welche Govenanceformen für die Akteure unter dem Aspekt einer Teilhabe an Hegemonialprojekten besonders wichtig sind, so zeigt sich, dass der Zugriff auf die Governanceformen der Marktmacht und der öffentlich-rechtlichen Hierarchie den größten Einfluss verspricht. Die Governanceform der Assoziation mobilisiert Macht unter bestimmten Voraussetzungen und zwar zeitlich begrenzt. Der Grund hierfür liegt darin, dass Verbände nur über von ihren Mitgliedern abgeleitete Macht und Legitimation verfügen, die sie nicht dauerhaft und kontinuierlich bereitstellen können. Netzwerke bedürfen eines beständigen harten institutionellen Kerns, wenn sie Macht ausüben wollen. Die Bürgerschaft als Gemeinschaft ist eine soziale Fiktion. Erst durch die politische Aktion und Sozialisation wird die Gemeinschaft zum politischen Subjekt. Die Voraussetzungen für die politische Aktion der gesamten Bürgerschaft sind in den Großstädten bisher bei Wahlen, bei Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden sowie gelungenen Kampagnen gegeben. Immerhin ist auf diese Weise in den Großstädten der Wechsel politischer Regime herbei geführt und punktuell auch in die Steuerung von Hegemonialprojekten eingegriffen worden. Unter der Bedingung der horizontalen und vertikalen Politikverflechtung ist Modernisierung dann möglich, wenn von den Akteuren Hegemonialprojekte herausgebildet und durchgesetzt werden. Um die Mitbestimmungschancen der Modernisierungsakteure abschätzen zu können, müssen wir eine Antwort auf die Fragen finden, über welche Machtressourcen sie verfügen. Wenn man nach den Governanceformen fragt, auf die die großstädtischen Modernisierungsakteure zugreifen können, so erhält man Hinweise auf die Machtressourcen der Akteure und damit auch auf ihre Durchsetzungskraft (s. Abbildung). Mit einer
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starken Durchsetzungskraft ausgestattet sind demnach die Akteure die sich auf die Governanceform der Hierarchie oder des Marktes stützen können. Assoziationen können ebenso wie Netzwerke dann eine starke Durchsetzungskraft entwickeln, wenn sie eine entsprechende Verbindung in einem Governancemix eingehen. Bund und die Länder verfügen über die Machtressource der Hierarchie, Unternehmen und Selbständige über die Machtressource des Marktes. Die Oberbürgermeister der Großstädte können in der eingleisigen Kommunalverfassung oder in den Stadtstaaten im Verbund mit ihrer Leitungsfunktion gegenüber der Verwaltung und mit ihren Vorentscheiderstrukturen eine starke Durchsetzungskraft entwickeln, weil die assoziative Koordinierung mit der Govonernanceform der Hierarchie verschmilzt. Abbildung 63: Durchsetzungskraft der Modernisierungsakteure Hauptvariable I. SektorSteuerung
II. Sozioökonomische Entwicklung III. Großst. Modernisierungspolitik
Großstädtische Modernisierungsakteure Bund, Länder, Parteien, EU Kommunale Spitzenverbände Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften Bürger/innen (Einwohner, Bürger) Unternehmen und Selbständige Bund und Länder, Wohnquartiere der Großstädte OB, Rat, Mehrheitsparteien, Geschäftsbereiche, Ämter, Einrichtungen und Betriebe, Beschäftigte Interessenvertretungen u. Interessenverbände der Beschäftigten Stadtteilvertretungen, Bürgerinitiativen, Vereine Verbände, Kammern
Machtressourcen (Zugängliche Governanceform) Hierarchie Assoziation und Wettbewerb Hierarchie und Netzwerke Netzwerk Assoziationen Gemeinschaft und Mobilität
Durchsetzungskraft Stark Teils/teils Teils/teils schwach teils/teils schwach
Marktmacht Hierarchie Gemeinschaft Assoziationen und Hierarchie
stark stark schwach Stark
Hierarchie u. Assoziationen Gemeinschaft Assoziativ u. Gemeinschaft
Teils/teils Schwach Teils/teils
Assoziationen. Gemeinschaft u. Hierarchie
Teils/teils
Assoziationen
Teils/teils
Den Zugang zu einer mit wenig Durchsetzungskraft ausgestatteten Governanceform haben die kommunalen Spitzenverbände als weiches Netzwerk, die Wohnquartiere der Großstädte und die Beschäftigten der Kommunalverwaltungen, die beide als Gemeinschaft „funktionieren“ und sich jeweils erst organisieren und artikulieren müssen.
Felder und Ausprägungen großstädtischer Modernisierungspolitik
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Akteure mit einer mittleren Durchsetzungskraft sind je nach Anlass und Rahmen ihres Handelns teils schwach, teils stark. Ihnen mangelt es zumeist an einer beständigen Stärke, weswegen ihre reale Macht schwer einzuschätzen ist. Ihre Durchsetzungskraft steigt, wenn sie Verbindungen mit starken Partnern und anderen Governanceformen eingehen können. Gelingt dieses nicht, können sie auch Niederlagen erleiden und geschwächt werden. Die Parteien, die EU, Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften, Dezernate und nachgeordnete Ämter, Einrichtungen und Betriebe, betriebliche Interessenvertretungen der Beschäftigen, Stadtteilvertretungen, Bürgerinitiativen und Vereine können zu dieser Gruppe der großstädtischen Modernisierungsakteure gerechnet werden. 5.4.4
Strategiekompass für eine kooperative Stadtpolitik
Aus unseren Untersuchungen über die Steuerung der großstädtischen Modernisierungspolitik ergeben sich verschiedene Hinweise darauf, dass die Governanceform der Kooperation als strategische Ressource der Stadtpolitik von den Modernisierungsakteuren noch nicht voll ausgeschöpft wird und dadurch Chancen einer breitenwirksameren und nachhaltigen Steuerung der großstädtischen Entwicklung nicht genutzt werden. Für diese Annahme sprechen mehrere Gründe: a) Zwar genügt die korporative Vertretung kommunaler Interessen durch ihre Spitzenverbände gegenüber höheren staatlichen Ebene durchaus den Ansprüchen moderner Verbandspolitik. Sie ist professionalisiert, dient dem fachlichen Austausch von Modernisierungswissen und nutzt die Medien als Bühne für die Artikulation von Forderungen und Vorschlägen. Die Vernetzung großstädtischer Interessen erfolgt aber weitgehend ohne einen festen institutionellen Kern und geht in der Verbandsarbeit oft unter. Entwicklungsverbünde zu modernisierungspolitischen Themen, die die Konkurrenz unter den Großstädten beschränken würden und die den gemeinsamen Vorteil suchen, bleiben die Ausnahme. So bleibt diese Aufgabe Unternehmensberatungsgesellschaft überlassen. b) In den Großstädten konkurrieren je nach Akteurkonstellation derzeit etwas zugespritzt zwei demokratisch legitimierte Konzepte der Stadtpolitik miteinander. Das Konzept der hierarchischen Stadtpolitik setzt auf die Durchsetzungskraft des OB und der Vorentscheiderstrukturen, bezieht mit Marktmacht ausgestattete mächtige gesellschaftliche Gruppen ein und nimmt politische Konflikte mit Bürgergruppen in Kauf. Das Konzept der kooperativen Stadtpolitik setzt auf die Verhandlungskraft des OB und spezifische Vorentscheiderstrukturen, bezieht möglichst viele mächtige und weniger mächtige gesellschaftliche Gruppen
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Felder und Ausprägungen großstädtischer Modernisierungspolitik
ein und sucht politische Konflikte mit Bürgergruppen zu minimalisieren. In den Großstädten konkurrieren derzeit das Muster der kooperativen und der hierarchischen Führung miteinander. c) In der kooperativen Demokratie (Prigge 2002 nach Bogumil/Holtkamp) könnten sich die verschiedenen partizipativen Ansätze treffen und ín produktiver Weise ergänzen, an Statt sich gegenseitig ausstechen zu wollen. Verfahren der repräsentativen Demokratie, der direkten Demokratie, der Bürgerbeteiligung, der Selbsthilfeaktivitäten, des ehrenamtlichen Engagements, des Mäzenatentums und der Kunden-, Adressaten- und Bürgerorientierung der öffentlichen Dienste könnten als Träger dieses erweiterten Konzeptes kommunaler Demokratie fungieren (Prigge 2002). d) Der interne Steuerungsmodus des erweiterten lokalen Korporatismus unterliegt der Gefahr, kommunalen Akteuren mit schwachen Machtressourcen den Zugang zu Hegemonialprojekten zu verwehren. Diese Art der Ausgrenzung würde soziale Desintegration von Bürgern und anderen Akteuren forcieren. Chancen der Einwohnerbindung blieben so ungenutzt. e) Der multipolare Steuerungsmodus des politisch-administrativen Systems der Großstädte ermöglicht es, das großstädtische Politiknetzwerk auf zwei Ebenen (zentral und dezentral) zu steuern. Mit diesem Mehrebenmanagement hat nicht nur die Mehrzahl der Großstädte noch ihre Probleme. Gerhard Banner weist zwar zutreffend auf den Bedarf für eine integrale Führung der Städte unter Einbeziehung der Akteure hin. Er offenbart aber ein hierarchische Verständnis von Steuerung, wenn er meint, dass sich damit die sektorale Führung erübrigen würde (Banner 2002: 82). Integrale Steuerung ist vielmehr auf mehrere, zentrale wie dezentrale Ebenen der Steuerung und auf mehrere Politikfelder und Netzwerkknoten unter Beteiligung kommunaler Akteure zu beziehen. f) Für die Entwicklung der Arbeitsbeziehungen und bei der Realisierung des Organisationsmodells des Konzern Stadt gilt, dass nicht der Abbau sondern die sinnvolle Ergänzung der Mitbestimmungsrechte für Personal- und Betriebsräte im Konzern Stadt durch Konzernarbeitnehmervertretungen ansteht. Nicht Ausgliederung ohne politische Kontrolle und sondern politisches und managerielles Steuern auf Abstand durch Zielvereinbarungen und striktes Controlling gegenüber Tochtergesellschaften wären sinnvolle Schritte. Da die kommunale Governance-Struktur vor allem durch die Hybridkombination von politischem Konkurrenzmechanismus und administrativem Hierarchie-
Felder und Ausprägungen großstädtischer Modernisierungspolitik
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mechanismus gekennzeichnet ist, kommt in den Großstädten der Verknüpfung von politischer und managerieller Führung eine Schlüsselrolle zu. Als zentrale Strukturprobleme politischer Steuerung wurden von Naschold (1997) die managerielle Dominanz in den Veränderungsprozessen, Konflikte zwischen dem Managerialismus und der repäsentativ-demokratischen Führung sowie Umsetzungs- und Azeptanzprobleme gegenüber der mit dem Neuen Steuerungsmodell intendierten Trennung von Politik (Was?) und Verwaltung (Wie?) identifiziert. Folgende Verknüpfungsmodelle zwischen Politik und managerieller Führung hat er ausgemacht: a) Managerielle Dominanz, b) Politische Dominanz, c) Kontrakte zwischen Politik und Management und d) Reziprozität mit günstigen Voraussetzungen für die Koevolution von Politik und Verwaltung. Neue Leitbilder, die der Komplexität der Großstädte nicht gerecht werden und den Interessen maßgeblicher Akteursgruppen widersprechen, erscheinen vor diesem Hintergrund als wenig hilfreich. Das Neue Steuerungsmodell der dezentralen Ressourcenverantwortung und auch die Bürgerkommune haben sich nicht als Leitbild behaupten können. Diese Leitbilder mögen in den Köpfen hegemonialer Verwaltungsakteure und in den Fachwissenschaften eine Rolle spielen, eine große Verbreitung und Akzeptanz haben sie bei den Bürgerinnen und Bürgern und den Beschäftigten des kommunalen Sektors jedenfalls nicht erfahren. Das NSM ist von der Welle der Haushaltssanierungen und Privatisierungen überrollt worden und hat sich als nicht kompatibel mit den Interessen der politischen Akteuren erwiesen, die sich vor ihren Wählern legitimieren müssen. Es stößt bei den Beschäftigten der Verwaltungen immer noch auf Unverständnis. Das Leitbild der Bürgerkommune widerspricht der institutionellen Verfassung hierarchischer Verwaltung, löst bei den politischen Akteuren Konkurrenzängste aus und kann sich gegenüber Ansätzen der direkten Demokratie und Bürgerbeteiligung nur schwer behaupten. Um den strategischen Kernaufgaben gerecht werden zu können, bedarf es einer Weiterentwicklung kommunaler Steuerung, die über das ziel- und ergebnisbezogene New Public Management (NPM) neuer Steuerungsmodelle (NSM) hinausgeht. Für die Steuerungsunterstützung in der „Post-NSM-Phase“ (Naschold, Bogumil 2000) wird eine strategische Managementkonzeption gesucht, die der Komplexität großstädtischer Aufgaben und Akteurkonstellationen gerecht wird. Dafür bietet sich aus heutiger Sicht vor allem das von Kaplan und Norton entwickelte Konzept der Balanced Scorecard (BSC) an, das in einigen Großstädten bereits Verbreitung gefunden hat (z.B. in Stuttgart und Frankfurt/Main). Das in Deutschland angewandte Konzept der BSC zeichnet sich dadurch aus, dass es eine strategische Aufgabenanalyse voraussetzt und einen integrativen Ansatz der Strategieumsetzung und –anpassung auf einer horizontalen und vertikalen Ebene verfolgt und damit Netzwerkstrukturen in Rechnung
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Felder und Ausprägungen großstädtischer Modernisierungspolitik
stellt (Budäus 2002: 320). Außerdem kann als nachgewiesen gelten, dass die Entwicklung und Anwendung der BSC in einer für den öffentlichen Sektor modifizierten Variante besonders in den Großstädten möglich ist und gelingen kann (Scherer, Alt 2002). Die Controlling-Konzeption für eine öffentliche Institution muss sich allerdings von der Controlling-Konzeption eines privaten Unternehmens grundlegend unterscheiden. Aus den institutionellen Rahmenbedingungen des kommunalen Sektors ergeben sich besondere Herausforderungen an ein Controlling für öffentliche Institutionen: a)
Das Controlling muss den unterschiedlichen Interessen der involvierten Akteure gerecht werden. Während in der privaten Wirtschaft das finanzielle Interesse im Mittelpunkt steht, müssen in öffentlichen Institutionen Gemeinwohlinteressen berücksichtigt werden.
b) Das Controlling muss die beteiligten Akteure permanent zum Nachdenken über den gewählten strategischen Kurs anhalten. Das ergibt sich u.a. aus den Unwägbarkeiten, denen die Großstädte durch die sozioökonomische Entwicklung der Region und den Wandel staatlicher Rahmenbedingungen ausgesetzt sind sowie aus veränderten Erwartungen der Bürger. c)
Das Controlling muss horizontale und vertikale Kommunikationsprozesse in der Organisation stimulieren, damit die Organisationsmitglieder sich in die strategischen Entscheidungsprozesse mit ihrem spezifischen Know-how einbringen können, um helfen zu können, dass ein erfolgversprechender strategischer Kurs definiert werden kann.
d) Das Controlling muss helfen eine Brücke zwischen Politik und Verwaltung zu schlagen. Die Verwaltung soll möglichst eindeutige Vorgaben erhalten, die Politik soll in die Lage versetzt werden, zu kontrollieren und zu steuern. Jens Michael Alt hat für die Umsetzung der BSC in öffentlichen Verwaltungen einen Leitfaden entwickelt. Sein Modell, das er „Balanced Government“ nennt, verläuft in vier Phasen (Alt 2002:63 ff.). In der ersten Phase formulieren Politik- und Verwaltungsführung einen strategischen Handlungsrahmen für die Gesamtverwaltung. Dabei soll über den politischen Dialog und das gemeinsame Ziel des Gemeinwohls ein langfristiger Konsens über das Zielsystem der öffentlichen Institutionen erreicht werden. Visionen und strategische Ziele müssen in der zweiten Phase in die Verwaltung und zu den Akteuren getragen werden. Durch eine offene und breite Kommunikation, unter Berücksichtigung des Demokratie- und Öffentlichkeitsprinzips, aber auch der Verantwortungsteilung und mikropolitischer Verflechtung sind nach Möglichkeit alle Mitarbieter, Bereiche
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und Ebenen an der Systematsierung und Integration des Zielsystems zu beteiligen. In der dritten Phase bekommt der „Government-Kreislauf“ durch den Aufbau der strategischen Steuerungsunterstützung sowie eines leistungsfähigen und benutzeradäquaten Berichtssystems seine Verbindlichkeit. Schließlich bedarf es in der vierten Phase der Fähigkeit zu Lernen und Veränderung, um das System dynamisch und entwicklungsoffen zu gestalten. Dies kann in einer Dienstleistungsorganisation wie der öffentlichen Verwaltung nur über die Mitarbeiter und Bürger sowie weitere Akteure stattfinden. Über Feedback und Lernen gepaart mit Anreizen zur Organisationsveränderung soll der Kreislauf einer Neufassung und Weiterentwicklung der strategischen Ziele am Leben gehalten werden. Alt selbst plagen allerdings Zweifel, ob das Konzept des Balanced Government mehr darstellt als eine der Modewellen für strategische Managementkonzepte. Er befürchtet, dass der Veränderungsdruck in den öffentlichen Verwaltungen noch nicht ausreiche, um BSC zu einer langfristig wirkenden Säule der Verwaltungsarbeit zu machen. Die politische und demokratische Legitimation der BSC sieht er als noch zu lückenhaft an. Ihm ist nicht klar, welche Akteure an der Pflege und Steuerung mit Hilfe der BSC längerfristig ein Interesse haben könnten. Da die operationalen Ziele im Rahmen der BSC mit Kennzahlen unterlegt und messbar sein sollen, sieht er für die Entwicklung dieser Zahlengerüste noch keine ausreichenden Anreizstrukturen und Vergleichsmöglichkeiten. Schließlich müsse die BSC auch von den Verwaltungsakteuren wirklich gewollt sein (Alt 2002: 67). Wie wir durch unsere Untersuchungen zeigen konnten, haben die Bürger der Großstädte die Option zwischen einem eher kooperativen oder einem eher hierarchischen Konzept der Stadtpolitik. In der Kooperation zwischen den Akteuren möglichst vieler Ebenen und zwischen möglichst vielen Bereichen sehen wir die zentrale strategische Ressource kooperativer Stadtpolitik. Die politische und soziale Ausgrenzung von weniger mächtigen gesellschaftlichen Gruppen und Bürgern aus solchen Vorentscheiderstrukturen wäre kontraproduktiv und zu vermeiden. Vielfältige offene und öffentliche korporative Bündnisse zwischen Akteuren sowie eine lebendige Kultur der kooperativen Demokratie würden den kooperativen Ansatz der Stadtpolitik abrunden. Statt an einigen wenigen Hegemonialprojekten wäre die Stadtpolitik an einer noch überschaubaren Zahl von Reformprojekten auszurichten und entsprechend zu kommunizieren. Als strategische Felder kooperativer Stadtpolitik können die Felder und Pfade großstädtischer Modernisierungspolitik gelten, die wir unseren Untersuchungen zu Grunde gelegt haben (s. Abbildung):
Felder und Ausprägungen großstädtischer Modernisierungspolitik
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Abbildung 64: Strategische Felder kooperativer Stadtpolitik
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(Strategische Politikfelder)
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Kooperative Stadtpolitik
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Demokratie
Für die mögliche strategische Ausrichtung der Politikfelder im Rahmen der kooperativen Stadtpolitik fügen wir für folgende Aktionsfelder Strategiekarten bei: x Mehrebenenmanagement und Netzwerkpolitik x
Stadtentwicklung
x
Großstädtische Demokratie
x
Verwaltungsmodernisierung und
x
Arbeitsbeziehungen
Mit dem Mehrebenenmanagement werden Probleme angesprochen, die sich daraus ergeben, dass das Regieren großer Städte auf der subkommunalen, der kommunalen, der regionalen, nationalen und europäischen Ebene verteilt stattfindet. Mittels der dezentralen Kontextsteuerung sowie dem Stricken von Akteursnetzen (Networking) können Großstädte die Politik auf den höheren Ebenen zu beeinflussen versuchen. Kooperative Stadtpolitik intendiert nach unserem Verständnis die Stärkung der Stadtbezirke als subkommunale Ebene und
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die aktive Vernetzung großstädtischer Interessen in Kooperation mit den kommunalen Interessenverbänden auf regionaler, Länder-, Bundes- und europäischer Ebene. Die untersuchten Großstädte reagieren auf die gleichzeitig verlaufenden Wachstums- und Schrumpfungsprozesse in den verschiedene Feldern der Stadtentwicklung mit unterschiedlichen Strategien. Acht Großstädte haben neue, gesamtstädtische Entwicklungsprogramme entworfen und stecken Ziele sowie einen Rahmen für teilräumliche, sektorale und projektorientierte Planungen ab. Die neuen Entwicklungsprogramme dienen in München, Stuttgart und Hamburg dazu, die auch zukünftig erwarteten Wachstumsdynamiken zu steuern. Dabei setzten München und Stuttgart weiterhin auf die Strategie, wirtschaftliche Dynamik durch eine sozial ausgleichende und integrative Politik zuzügeln. In Stuttgart wurde dieser integrative Steuerungsansatz auch räumlich umgesetzt. Den Herausforderungen der Globalisierung wird mit einer politisch gesteuerten Regionalisierungspolitik begegnet. Hamburg setzt gegenüber seinen früheren, integrativen Entwicklungskonzepten zukünftig stärker auf dynamisches Wachstum. Dazu sollen moderne Branchencluster und neue Wohnquartiere gefördert werden. Die gesamtstädtischen Entwicklungsprogramme in Hannover, Bremen und Dortmund bauen weiterhin auf integrative Strategien, um eine möglichst stabile Entwicklung abzusichern. Dazu gehört in Hannover auch die politisch verfasste Regionsbildung. Sie zielt ebenfalls auf einen sozialen Ausgleich zwischen Kernstadt und Umlandgemeinden sowie auf eine Neuordnung von Verwaltungsstrukturen. In Bremen und Dortmund sind die neuen Entwicklungsprogramme durch stadtteilorientierte Konzepte unterlegt. Die gesamtstädtischen Entwicklungsprogramme in Berlin und Leipzig zielen auf eine geplante Rückentwicklung. In Berlin soll öffentliche Planung angesichts leerer Kassen auf wenige Felder hoher Priorität und auf Vernetzungen konzentriert werden. In Leipzig steht der städtebauliche Um- und Rückbau im Zentrum. Die übrigen Großstädte verfolgen weiterhin sektorale, teilräumliche und vor allem projektorientierte Planungsprozesse. Insbesondere Frankfurt und Düsseldorf setzten auf Konzepte einer unternehmerischen Großstadt. In Köln erfolgte auf der Basis eher integrierter Planungskonzepte eine Neuausrichtung hin zu einer stärker unternehmerischen Großstadt. Aufgrund des erneuten Politikwechsels ist derzeit unklar, ob diese Ausrichtung fortgesetzt wird. Die vier Großstädte Nürnberg, Essen, Dresden und Duisburg, versuchen gegen unterschiedlich stark ausgeprägte Schrumpfungsprozesse anzuarbeiten. Nürnberg und Dresden stützen sich dabei auf ihre identitätsstiftenden Innenstadtkerne und die Förderung von Zukunftstechnologien, Essen und Duisburg auf ihre Industriekultur. Die historische Perspektive auf die Stadtentwicklung zeigt, welche beharrlichen Muster städtischer Modernisierung in den Großstädte, zum Teil bis Heute,
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die Entwicklung bestimmen. Frankfurt und Düsseldorf, aber auch Großstädte wie Hannover, Essen und Dortmund haben sich bereits kurz nach dem zweiten Weltkrieg aus den städtebaulichen Grundmustern der europäischen Stadt gelöst. In Düsseldorf, besonders aber in Frankfurt, wurde dieser Weg einer radikaleren, marktorientierten Modernisierung besonders während der beschleunigten Modernisierungsschübe der 70er und der 90er Jahre fortgesetzt. Diese baustrukturelle Perspektive zeigt gleichzeitig, dass es sich dabei um keine zwangsläufigen Zusammenhänge handeln muss. In Hannover und Dortmund gelang es z.B. durch integrative Ansätze der Stadtpolitik, verbunden mit einem geringeren Druck von Investoren auf den städtischen Immobilienmarkt, die Fragmentierungen in Grenzen zu halten. In der großstädtischen Demokratie sollte der erweiterte lokale Korporatismus dazu genutzt werden, um bisher ausgeschlossene oder mit unzureichenden Mitbestimmungschancen ausgestattete Akteure stärker in die kommunale Steuerung einzubeziehen. Die Rechte der direkten Demokratie sind auf bezirklicher und gesamtstädtischer Ebene zu stärken, die Zugangsbarrieren zu Bürgerbegehren und Bürgerentscheide nach bayrischen Vorbild zu senken. Die Stadtbezirksvertretungen sollten von der Bevölkerung unmittelbar gewählt werden und mit eigenen Entscheidungsrechte und einem Budget ausgestattet sein. In dem Pfad der Verwaltungsmodernisierung geht es um die Steuerung und Entwicklung der institutionellen Strukturen des kommunalen Sektors. Das Organisationsmodell des politisch gesteuerten Misch-Konzern Stadt sollte zur Reintegration des kommunalen Sektors der Großstädte genutzt werden. Politische Steuerung, demokratische Legitimation und das Beteiligungsmanagement des Konzern Stadt bedürfen noch einer durchgreifenden Entwicklung. Für die Beteiligungspolitik sollte ein Verhaltens-Kodex entworfen und zwischen den Großstädten vereinbart werden. Das Neue Kommunale Finanzmanagement ist bereits in Umrissen erkennbar: Es wird aus einem budgetierten Produkthaushalt mit einer Kosten- und Leistungsrechnung bestehen. Das integrierte öffentliche Rechnungswesen für den Konzern Stadt bedarf noch der Entwicklung. Die Stadtbezirke haben Anspruch auf die ortsnahe Erbringung von Dienstleistungen durch einen bezirksamtsähnlichen Service. Die Rezentralisieung von Verwaltungen ist kontraproduktiv. Die Möglichkeiten zur Interaktion und zur politischen Bürgerbeteiligung über das E-Government sollten ausgebaut werden. In dem Pfad der Arbeitsbeziehungen dominierten in dem Untersuchungszeitraum des Projektes Fragen der Verwaltungsreform, der Beschäftigtenbeteiligung, der Personalentwicklung, der Regelung von Arbeits- und Öffnungszeiten und nach dem Schutz von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Die Verwaltungsmodernisierung verlief ursprünglich in vielen Großstädten als zu eng geführte, technokratische Umsetzung von NSM-Bausteinen. Erst durch das Enga-
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gement von Personalräten und Beschäftigten konnten weitergehende, gestalterische Elemente wie die Personalentwicklung und die Veränderungen der Arbeitsaufgaben realisiert werden. Die Beteiligung der Beschäftigten und der Personalräte an den Verwaltungsreformprozessen hat sich also durchaus bewährt. Flexiblere Arbeits- und Öffnungszeiten, neuer Kundenzentren mit verbesserten Serviceangeboten für Bürger, veränderten Arbeitsabläufen und Aufgabenzuschnitten vor allem durch den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien sowie Verbesserungen in der Führungskultur und der Kommunikation mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wurden möglich. Diese Ansätze, die in den einzelnen Großstädten unterschiedlich weit fortgeschritten sind, gerieten zum Ende der 90er Jahre zunehmend unter Druck der Haushaltskonsolidierung. Dort wo die Prozesse der Verwaltungsmodernisierung weitgehend zum Erliegen gekommen sind, müssen sie in kontinuierliche Verbesserungsprozesse übergeleitet werden. Eine Perspektivverengung auf „reines Sparen“ demotiviert aber nicht allein weite Teile der Beschäftigten und zum Teil auch die Personalräte sondern auch viele Führungskräfte, bis hin zu Amtsleitern und Dezernenten. Durch die aktuellen Veränderungen, wie die Verlängerung von Arbeitszeiten, die Kürzungen von Sonderzahlungen (Urlaubs-, Weihnachtsgeld) sowie die „Renaissance“ hierarchischer und direktiver Führungs- bzw. Steuerungsmodelle in einigen Großstädten wird diese Demotivation verstärkt. Es zeigt sich, dass ihre Machtposition zwischen den Beschäftigten und der Verwaltungsspitze nicht allein von ihrem Selbstverständnis und ihrer Professionalität abhängig ist. Entscheidend sind außerdem die finanziellen Rahmenbedingungen in der jeweiligen Großstadt und vor allem auch die Modernisierungsstrategie der Verwaltungsspitze und ihre Kooperationsbereitschaft. Vor diesem Hintergrund kommt der Einigung zwischen der Gewerkschaft Verdi mit dem Bund und den kommunalen Arbeitgebern vom Februar 2005 über den neuen Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) eine große Bedeutung für den weiteren Wandel der Arbeitsbeziehungen des kommunalen Sektors zu. Die Integration des Tarifrechtes für Arbeiter und Angestellte, die einheitliche Entgelttabelle, die Einführung leistungsbezogener Entgeltbestandteile, die Übertragung von Führungsfunktionen auf Zeit etc. bedeuten für den öffentlichen Dienst lt. Thomas Böhle, Verhandlungsführer der kommunalen Arbeitgeber, „eine kleine Revolution“ (Frankfurter Rundschau vom 7.2.2005, Seite 2). Das neue Tarifrecht soll zum 1.10.2005 in Kraft treten und wird die arbeitspolitischen Akteure des öffentlichen Sektors in den nächsten Jahren noch bestens beschäftigen. Die inhaltlichen Empfehlungen der folgenden Strategiekarten beruhen auf den Ergebnissen des Großstädte-Projektes und geben jeweils die nach den Be-
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Felder und Ausprägungen großstädtischer Modernisierungspolitik
funden optimale Strategie aus dem Blickwinkel der Großstädte wieder. Den strategischen Zielen sind kurze Hinweise auf qualitative und quantitative Indikatoren zugeordnet, die eine Überprüfung der Ausgangslage und das Controlling der Zielumsetzung erleichtern sollen.
Subkommunale Ebene der Stadtbezirks
Kommunale Ebene
Regionale Ebene Landesebene
Bundesebene
Europäische Ebene
A. 1.
A. 2.
A. 3. A. 4.
A. 5.
A. 6.
Pfadvariable
Pflege und Vernetzung regionaler Kooperation Weiterentwicklung der Kommunalverfassung: Absenkung der rechtlichen Hürden für Bürgerbegehren und Bürgerentscheide Unmittelbare Wahl der Stadtbezirksvertretungen Erträglicher kommunaler Finanzausgleich Erträgliche Verteilung öffentlicher Aufgaben und Finanzen Konsolidierung der Gemeindefinanzen durch eine Gemeindefinanzreform Beteiligung an europaweiten Städtenetzwerken Durchführung von Projekten im Rahmen der EU-Struktur- , Sozail- und Regionalfonds
Ziele A Erleichterung der Bürgerbeteiligung, von Bürgerbegehren und Bürgerentscheide Stärkung von Angebot und Qualität des Servives Einführung eines Bezirksbudgets Ausbau der Rechte der Stadtbezirksvertretungn Aktive dezentrale Kontextsteuerung Steuerung der Beteiligung an Netzwerken
Indikatoren B Rechtl. Prüfung und gfls. Änderurng der Gemeindesatzung, Dezentrale Verwaltungsreform, Einführung des budgetierten Produkthaushalts, Rechtl. Prüfung und gfls. Änderurng der Gemeindesatzung Stellung der Stadtbezirke im GroßstädteVergleich, Zahl und Themen der Netzwerke Form der Institutionalisierung Kennzahlen zur Finanzsituation Rechtliche Regelungen, Zahl der Bürgerbegehren und Bürgerentscheide Rechtl. Prüfung und gfls. Änderung der Gemeindeordnung Kennzahlen zur Finanzsituation Vorlage eines Konzeptes, Kennzahlen zur Finanzsituation Zahl und Themen der Netzwerke Zahl und Themen der EU-geförderten Projekte, Kennzahlen zur Finanzsituation
Abbildung 65 Strategiekarte kooperativer Stadtpolitik: Mehrebenenmanagement und Netzwerkpolitik
Konzeption der Stadtentwicklungsplanung
Standortentwicklung
Einwohnerbindung
Regionale Kooperation
B. 1.
B. 2.
B. 3.
B. 4.
Pfadvariable
Integrierte Gesamtkonzepte zur Förderunge von Netzwerken und Clustern zwischen Wirtschaft, Wissenschaft, Bildung und Politik Förderung des sozialen Wohungsbau und von Einfamilienhausgebieten in den Kernstädten und Rückbau unattraktiver Quartiere Qualitative Verbesserungen der lokalen Infrastrukturen (insb. Betreuung, Bildung, Verkehr) Forcierte Regionsbildung mit dem Ziel einer politisch, demokratischen Legitimation Regionsbildungsbildung als kooperativer Prozess auf gleicher Augenhöhe aller Partner aber mit politischem Nachdruck durch das Land
A Integrierte, längerfristige Gesamtkonzepte zur Stadtentwicklungsplanung Planungen zur Stärkung des Stadtzentrums (Identifikation) und der Zwischenstadt
Ziel
Abbildung 66 Strategiekarte kooperativer Stadtpolitik: Stadtentwicklung
Konkrete Kooperationsvereinbarungen
Investitionsmittel, Konzepte
Zahl neuer erstellter Wohneinheiten (differenziert nach Zielgruppen)
B Stadtentwicklungspläne, Teilkonzepte, Leitbildkonzepte Konkrete öffentliche, private und PPProjekte Mittelverteilung für Stadtentwicklungsprojekte Konkrete Projektnetzwerke
Indikator
Politische Führung
Vorentscheiderstrukturen
Rechte der Stadtbezirksvertretung
Anwendung der Instrumente direkter Demokratie
Förderung von Bürgerbeteiligung/Bürger-schaftlichem Engagements
C. 1.
C. 2.
C. 3.
C. 4.
C. 5.
Pfadvariable
Häufige Nutzung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden auf städtischer und bezirklicher Ebene Ausweitung verbindlicher Bürgerbeteiligung mit dem Ziel einer neuen Qualität politischer Mitbestimmung
Weitgehende Entscheidungsrechte mit eigenem Budget und mit eigener demokratischer Legitimation
Ziel A OB und Rat mit stabilen Mehrheiten und kooperativem, offenem Führungsstil Beteiligung relevanter Akteursgruppen und offene Kooperation mit ihnen in den jeweiligen Politikfeldern
Indikator B Ergebnisse der Wahlen des OB und zum Rat Regierungschef mit Koalitionsmehrheit Korporative Ausformung von Akteursbeziehungen Transparenz und Öffentlichkeit Themen und Zahl relevanter lokaler Foren und Bündnisse Stellung der Stadtbezirksvertretungen in der Kommunalverfassung und nach der Gemeindeordnung Städtevergleich Zahl der Bürgerbegehren und Bürgerentscheide Erfolgschancen Rechtliche Hürden Ausprägung der Unterstützungsstrukturen Lokale Demokratiebilanzen Städtevergleiche
Abbildung 67: Strategiekarte kooperativer Stadtpolitik: Großstädtische Demokratie
Veränderung des Steuerungstyps
Modernisierung der Ressourcensteuerung
Ausgliederungen/ Beteiligungssteuerung
Dezentrales Angebot allg. Verwaltungsdienste (Bürgerdienste)
Bürgerbezogenes E-Government
D. 1.
D. 2.
D. 3.
D. 4.
D. 5.
Pfadvariable
Interaktiver Internetauftritt der Großstädte mit breitem Zugang für Bürger zu kommunalen Diensten und mit breitem Angebot zur politischen Bürgerbeteiligung
Strategische Neuausrichtung der Beteiligungspolitik Politische Beteiligungssteuerung Integriertes Konzerncontrolling Stadtweites, bezirksamtsähnliches dezentrales Angebot von kommunalen Dienstleistungen
Entwicklung und Einführung des integrierten öffentlichen Rechnungswesen im Konzern Stadt Neues kommunales Finanzmanagement
Ziele A Politisch gesteuerter und integrativ geführter Misch-Konzern Stadt
Indikatoren B Umsetzung von NSM-Bausteinen oder von alternativen Konzepten, Konzern Stadt als Steuerungs- und Konsolidierungskreis Grad der Integration des gemischten Konzerns Stadt Budgetierter Produkthaushalt Zentrale und dezentraler Ressourcenverantwortung Grad der Verzahnung zwischen Kernverwaltung und öffentl. Unternehmen Transparenz der Beteiligungen Qualität der Beteiligungsberichte Verhaltenskodex für öff. Unternehmen Städtevergleich Umfang und Qualität des dezentralen Services Zahl der Bürgerämter/Bezirksämter pro Großstadt bzw. Einwohner Räumliche Verteilung in der Großstadt Internetauftritt der Großstädte Angebote des interaktiven Bürgerservice Unterstützung von Formen direkter politischer Bürgerbeteiligung
Abbildung 68: Strategiekarte kooperativer Stadtpolitik: Verwaltungsmodernisierung
Einheitliches Tarifrecht für Arbeiter und Angestellte Stärkere Leistungsorientierung, Neue Entgelttabelle etc.
E.5-
Umsetzung des neuen Tarifvertrages für den öff. Dienst (TVöD)
E. 4. Politik der Interessenvertretung
Innovative Regelung von Arbeits- und Entgeltbedingungen (Verwaltungsreform, neue Technologien, Arbeitszeit, Öffnungszeiten, Gesundheitsschutz, Personalentwicklung) Professionalisierung der Personalratsarbeit Vernetzung der Personalratsarbeit Gewerkschaftliche Unterstützung durch Verdi Strategien der Interessenvertretung
Ziel A Transparenz der Personalverteilung im Konzern Stadt Integrierte Personalpolitik im Konzern Stadt Integrierte Personalentwicklung im Konzern Stadt Ausgewogene Personalpolitik Verwaltungsreformabkommen, Aktive Beschäftigtenbeteiligung, Co-Management und Gegenmacht der Personalräte, Bildung einer Konzernarbeitnehmervertretung
E. 3. Innovative Regelung der Arbeitsbedingungen
E. 2. Beteiligung der Beschäftigten und Personalräte am Verwaltungsreformprozess
E. 1. Personalpolitik im Konzern Stadt
Pfadvariable
Abbildung 69: Strategiekarte kooperativer Stadtpolitik: Arbeitsbeziehungen
Zahl der Freigestellten, Büroaustattung Teilnahme an Netzwerken, Projekt- u. Arbeitsgruppen z.B. Verdi-Arbeitskreis der Hauptpersonalräte der Großstädte Muster der Interessenvertretung Paraphieren des Tarifverträgs, Betriebliche Regelungen, Betriebliche Umsetzung
Indikator B Regelmäßige PersonalcontrollingBerichte, Jährliches Fort- und Weiterbildungsprogramm, Richtlinien für Führung und Zusammenarbeit Abschluss von Dienstvereinbarungen Regelung zur Beteiligung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Betriebliches Vorschlagswesen, Kooperatives Klima zwischen den Akteuren Abschluss entspr. Dienstvereinbarungen (Zahl u. Themen)
Das andere Regieren großer Städte
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1.
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Das andere Regieren großer Städte
Das Großstädte-Projekt: Untersuchungskonzept und Fragestellung
Mit dieser Publikation wird über die Ergebnisse des Forschungsvorhabens über den Wandel der Bedingungen und der Strategien der Modernisierung in den fünfzehn größten deutschen Städten in der Zeit von 1990 bis 2000 bzw. 2003 berichtet. Die Untersuchung basiert auf einem erweiterten interdisziplinären Forschungskonzept der vergleichenden Policy-Analyse, das wir CityGovernance-Konzept nennen. In dem Konzept verbinden wir den Ansatz des akteurszentrierten Institutionalismus mit Ansätzen der Public GovernanceForschung sowie der Stadt- und Regionalforschung. Dieses Vorgehen erscheint uns angemessen, da wir über eine vorwiegend institutionelle Sichtweise hinaus auch die sozialen, ökonomischen und politischen Grundlagen des deutschen Großstädtesystems einbeziehen und die Wechselbeziehungen zwischen den externen Bedingungen und den Strategien großstädtischer Modernisierung analysieren wollten. Die Untersuchung berücksichtigt als die Hauptvariablen des großstädtischen Regierens veränderte staatliche Rahmenbedingungen, die sozioökonomischen Entwicklungsbedingungen und die Modernisierungspolitik der Großstädte! Bewirkt die Städtekonkurrenz in Folge der deutschen Vereinigung, der europäischen Integration und der Globalisierung eine Aufspaltung in niedergehende, stagnierende oder weiterhin prosperierende Großstadtregionen? Wie reagieren die staatlichen Akteure auf diese Entwicklung? Wie wirken sich die Entwicklungen auf die „relative Autonomie“ des (kommunal-) politischen Handelns in den einzelnen Großstädten aus? 2.
Das deutsche Städtesystem als dynamisches Politikfeld
Das deutsche Städtesystem hat sich zu einem komplexen, vernetzten und dynamischen Politikfeld im Staatsaufbau der Bundesrepublik Deutschland entwickelt. Die Großstädte haben innerhalb dieses Städtesystems eine gewisse Leitfunktion: als weiträumig vernetzte wirtschaftliche und soziale Lebensräume und als räumlich abgegrenzte Einheiten im politisch-administrativen Sinne. Sie sind
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Das andere Regieren großer Städte
arbeitsteilig durch rege Austauschbeziehungen eng miteinander sowie auch mit ihren Stadtregionen verflochten. Gemeinsam sind sie durch die Veränderungen der staatlichen Rahmenbedingungen und die Dynamik der sozioökonomischen Entwicklung in besonderer Weise herausgefordert. Denn in den großen Stadtregionen zeigen sich die aktuellen und die zukünftigen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Herausforderungen bzw. Konfliktlagen in einer verdichteten Form. Mit welchen speziellen Regelungsstrukturen, in welchen Akteurkonstellationen und mit welchen Handlungsstrategien in den untersuchten Großstädten diesen Herausforderungen begegnet wird, haben wir exemplarisch in den vier Politikfeldern der Stadtentwicklung, lokalen Demokratie, der Verwaltungsmodernisierung und den Arbeitsbeziehungen untersucht. Unser Erkenntnisinteresse zielte auf den Wandel großstädtischer Steuerungs- und Entscheidungsprozesse, mit anderen Worten: auf die Regelungs- und Governanceformen des Großstädtesystems sowie der großstädtischen Modernisierungspolitik. Die zentrale Frage der Untersuchung lautete, inwieweit wird das Regieren der großen Städte durch die großstädtischen Akteure, durch staatliche Rahmenbedingungen und die sozioökonomischen Entwicklungsbedingungen beeinflusst? 3.
Diffuse Kontextsteuerung des kommunalen Sektors nach der Wiedervereinigung
An der Entwicklung der Gemeindefinanzen konnte beispielhaft gezeigt werden, dass sich der Bund und die Länder nicht scheuen, sich mittels regulativer Politik und hierarchischer Steuerung über die Interessen der Kommunen und der Großstädte hinweg zu setzen. Das Verhältnis des Bundes und der Länder zu den Kommunen, und damit auch zu den Großstädten, entspricht einer „hierarchischen Arbeitsteilung“, die sich häufig zu Lasten letzterer auswirkt. Die Großstädte haben sich zwar untereinander auf vielfältige Weise vernetzt, sie verfügen für ihre Interessenvertretung bisher aber über keinen ausreichend harten institutionellen Kern. In Grundgesetz ist für Deutschland ein zweistufiger Staatsaufbau mit dem Bund und den Ländern verankert. Die Gemeinden und Gemeindeverbände, und damit auch die Großstädte, gehören verfassungsrechtlich zum Organisationsbereich der Länder. Die Kommunale Selbstverwaltung ist Ausdruck einer verfassungsrechtlichen Grundentscheidung für eine dezentrale Organisation von Staat und Verwaltung und ergänzt den föderalen Staatsaufbau. Die Kommunale Selbstverwaltung umfasst nach der verfassungsmäßigen Konstruktion des Grundgesetzes zwei Kernaufgaben: die Organisation der lokalen Verwaltungsangelegenheiten und ihre demokratische Legitimation durch die Bürgerinnen
Das andere Regieren großer Städte
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und Bürger. Die Großstädte können demnach ihre politischen Interessen innerhalb dieses mehrstufigen Staatsaufbaus lediglich durch ihre Verbände und über vernetzte Strukturen wahrnehmen. Gegenüber den höheren staatlichen Ebenen sind sie auf die Mittel korporativer Interessenorganisation angewiesen. Die ursprüngliche Finanzverfassung des Grundgesetzes sah eine strikte Trennung des Finanzwesens von Bund und Ländern vor, in der die Länder über eigene Finanzquellen verfügen konnten. Mit der Finanzverfassung von 1955 wurde diese Regelung zu Gunsten eines Verbundsystems geändert, das später mit der Finanzreform von 1967/68 noch ausgedehnt wurde. Seitdem bilden Bund und Länder mit den Gemeinden einen Finanzverbund. Innerhalb eines Zeitraums von 11 Jahren (1992 bis 2003) entwickelte sich der Finanzierungssaldo der kommunalen Haushalte lediglich in drei Jahren positiv, nämlich von 1998 bis 2000. Ab 2001 begann erneut eine Periode negativer, ansteigender Finanzierungssalden (minus 3,95 Mrd. Euro in 2001 und voraussichtlich minus 10 Mrd. Euro 2004). Diese Haushaltsdefizite laufen zu mehr als 80 % bei den Kommunen der alten Bundesländer auf. Die ostdeutschen Kommunen finanzieren ihre Haushalte zu über 55% aus den Transferzahlungen des Bundes und der Länder (Solidarpakt und Aufbau Ost), was zu einer relativen Stabilisierung ihrer kommunalen Finanzen beiträgt. Eine ähnliche Stabilisierung konnten die Städten in den alten Bundesländern noch nicht erreichen, da ihre Finanzen stärker vom Konjunkturverlauf und der Steuerpolitik des Bundes abhängig sind. Der Bundes und die Länder stellen hier lediglich etwa 25 % der Finanzmittel bereit. Die Krise der westdeutschen Gemeindefinanzen ist im Wesentlichen ein Effekt der diffusen Rahmensteuerung des kommunalen Sektors durch den Bund.. Will man keine politische Absicht unterstellen, dann liegen die Ursachen dafür in den „unerwünschten Effekten“ von Steuerungsversuchen in sich komplex überlagernden Policy-Prozessen: der Bewältigung der Wiedervereinigungsfolgen, der Gemeindefinanzreform 2003/4, der Sanierung der Staatsfinanzen, der Einhaltung des Stabilitätspaktes der EU bei einer gleichzeitigen Steuersenkungspolitik des Bundes. Diese finanzpolitischen Reformversuche gleichen einer Quadratur des Kreises. Ob das neueste Reformprojekt, die Zusammenlegung der Arbeitslosenhilfe mit der Sozialhilfe (Hartz IV), die erhoffte finanzielle Entlastung der kommunalen Haushalte erbringen wird, ist derzeit nicht absehbar. Ganz deutlich zeigt sich hingegen, dass die Übertragung der eingleisigen (süddeutschen) Kommunalverfassung auf alle deutschen Großstädte (außer auf die Stadtstaaten) bisher nicht die erhofften Effekte bewirkt hat. Seit den 90er Jahren wählen die Bürger in allen Großstädten die Bürgermeister direkt, die jetzt auch gleichzeitig Chef der Verwaltung sind. Dies hat eine erhebliche Stär-
Das andere Regieren großer Städte
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kung und Konzentration ihrer politisch-administrativen Macht zur Folge. Diese gestärkte Führungsposition hat bisher aber weder zu einer durchgreifenderen Stabilisierung der (groß-) städtischen Finanzen beigetragen noch zu einer größeren demokratischen Legitimation der Stadtpolitik durch die Bürger. Die Partizipationsmöglichkeiten der Bürger wurden zwar formal erweitert (Direktwahl der OB, Bürgerbegehren, Bürgerforen), ohne dass dadurch in der politischen Praxis aber eine neue Beteiligungsqualität erreicht werden konnte. Die um sich greifende Parteienverdrossenheit hat angesichts abnehmender kommunaler Handlungsspielräume in Folge der kommunalen Finanzkrise, der Reduzierung freiwilliger Leistung, des Verlustes demokratischer Einflussmöglichkeiten durch Auslagerungen und Privatisierungen nun auch die kommunale Demokratie erreicht. Das verdeutlicht insbesondere die weiter rückläufige Beteiligung an Kommunalwahlen in den Großstädten. Auffällig ist in diesem Zusammenhang die durchgängig höhere Wahlbeteiligung an lokalen Wahlen in den drei Stadtstaaten, die aufgrund ihrer Länderkompetenzen über umfangreichere politische Gestaltungsmöglichkeiten verfügen. Der gestärkten Führungsposition der Oberbürgermeister stehen reduzierte Einflusschancen der Stadträte sowie eine „Demokratisierung“ der reduzierten, kommunalen Gestaltungsmöglichkeiten durch die Bürger gegenüber. Die demokratische Legitimation kommunaler Politik wurde nicht gestärkt, sondern ihre Erosion hat sich weiter fortgesetzt. Die vielfach geforderte Stärkung der großstädtischen Handlungskapazitäten steht noch immer aus. Die zahlreichen politischen Steuerungsinitiativen haben weder die Aufgabenteilung und ihre Finanzierung zwischen dem Bund, den Ländern und den Kommunen zu Gunsten der Großstädte zu ändern vermocht noch ist es zu einer entscheidenden Stärkung politischer Mitbestimmung und Mitentscheidung durch die Bürger in den Großstädten gekommen. 4.
Vier Typen großstädtischer Entwicklung
Das Leben und Arbeiten in den deutschen Großstädten ist seit dem Fall der Berliner Mauer 1989 und der deutschen Vereinigung turbulenter geworden. Die zuvor relativ beharrlichen Entwicklungspfade der Großstädte sind seitdem durch dynamischere Veränderungen und zum Teil gegenläufige Trends gekennzeichnet. Letztere überlagern die Einflüsse durch die wirtschaftliche Globalisierung, die fortschreitende europäische Integration bzw. Osterweiterung, und werden durch diese zum Teil verstärkt. Diese turbulenten, zum Teil gegenläufigen Dynamiken haben die Zweifel verstärkt, ob sich die großen Stadtregionen und ihre komplexe Vielfalt überhaupt erfolgversprechend beeinflussen und steuern lassen.
421
Das andere Regieren großer Städte
Welche Entwicklungen und Veränderungen die 15 untersuchten Großstädte innerhalb des deutschen Städtesystems tatsächlich kennzeichnen, haben wir für die Jahre von 1990 bis 2003 in zwei Untersuchungsschritten analysiert. In einer vergleichenden Längsschnittanalyse (1990, 1995, 2000) und einer Querschnittsanalyse wurden 21 zentrale Indikatoren zur Bevölkerungsentwicklung, zur Beschäftigungssituation (nach Wirtschaftszweigen), zum Arbeitsmarkt, zur sozialen Situation sowie zu den öffentlichen Haushalten untersucht. Nach dieser vergleichenden Analyse der 15 Großstädte wurden mit einer Clusteranalyse vier spezifische, großstädtische Entwicklungstypen identifiziert. Trotz der Unterschiede zwischen den Großstädten im Detail konnten dadurch ähnliche Strukturen und Entwicklungen sichtbar gemacht werden. Vier Typen großstädtischer Entwicklung
A Köln Hamburg Hannover Nürnberg Bremen
Durchschnittliche
Entwicklung
B Düsseldorf Frankfurt
Polarisierende Prosperität
C Berlin Dortmund Dresden Duisburg Essen Leipzig
Prekärer Strukturwandel und Schrumpfung
D München Stuttgart
Ausgewogenere Prosperität
x
Nahezu alle für die Großstädte Hamburg, Köln, Hannover, Nürnberg und Bremen ausgewählten Daten weisen zwischen 1990 und 2000 durchschnittliche Werte aus. Diese Städte können als Großstädte durchschnittlicher Entwicklung beschrieben werden.
x
Die Frankfurter und Düsseldorfer Daten zeigen dagegen die am stärksten polarisierten Werte. Es finden sich viele der höchsten Werte, die gleichzeitig auf eine ausgeprägte Prosperität und auf erhebliche soziale und finan-
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Das andere Regieren großer Städte
zielle Probleme verweisen. Sie können deshalb als Großstädte mit einer polarisierenden Prosperität bezeichnet werden. x
Die Großstädte Berlin, Essen, Dortmund, Duisburg, Leipzig und Dresden sind insbesondere durch Werte unter dem großstädtischen Durchschnitt gekennzeichnet sowie durch hohe und höchste problematische Werte bei den sozialen und finanziellen Indikatoren. Sie können als Großstädte im prekären Strukturwandel mit Tendenzen der Schrumpfung beschrieben werden.
x
München und Stuttgart charakterisieren insgesamt relativ hohe Werte, die jedoch nicht ganz die Höchstwerte von Frankfurt und Düsseldorf erreichen. Im Unterschied zu Frankfurt und Düsseldorf finden sich in den beiden süddeutschen Großstädten die günstigsten Werte bei den sozialen und den finanziellen Indikatoren. München und Stuttgart können deshalb als Großstädte mit einer ausgeglicheneren Prosperität bezeichnet werden.
a) Großstädte mit durchschnittlicher Entwicklung Hierzu zählen zwei der einwohnerstärksten deutschen Großstädte, Hamburg (1.7 Mio.) und Köln (960.000). A Dagegen gehören Bremen (540.000), Hannover Hamburg (514.000) und Nürnberg (485.000) zu den kleineren Köln unter den fünfzehn Großstädten. Stabilisierend und Hannover förderlich wirken in Hamburg und Bremen die politischNürnberg administrativen Funktionen als Stadtstaaten und in HanBremen nover die Funktion als Landeshauptstadt. Dagegen befindet sich Köln in direkter, auch räumlicher Konkurrenz zur Landeshauptstadt Düsseldorf, und Nürnberg gegenüber dem politischen Machtzentrum der Landeshauptstadt München im Nachteil. Charakteristisch ist für diese fünf Großstädte ihre vergleichsweise durchschnittliche Entwicklungsdynamik. Gemeinsam bilden sie derzeit die Mitte des deutschen Städtesystems. Alle fünf Großstädte verfügen über hoch differenzierte Arbeitsmärkte, profitieren von ihrer zentralen Lage und ziehen viele zusätzliche Arbeitskräfte aus ihrem weiten, regionalen Umland an. Gegenüber den Ruhrgebietsstädten machen ihnen naheliegende Mittel- oder Großstädte weniger Konkurrenz. Wie in den meisten Großstädten schrumpft ihre Industriebasis, aber lediglich in einem durchschnittlichem Umfang (vom 30% auf 20%). Auf dieser Grundlage erreichten sie in den 90er Jahren eine deutliche Steigerung ihrer
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durchschnittlichen Wirtschaftskraft (BIP: von 35.000 auf 42.000 Euro) wie auch ihrer Steuerkraft (von 900 auf 1.160 Euro). Die Lebensweisen in diesen fünf Großstädten charakterisieren ebenfalls mittlere Werte: eine leicht steigende Erwerbs- und Frauenerwerbsdichte sowie eine leicht rückläufige Beschäftigtendichte. Selbst die Arbeitslosenquoten lagen im Durchschnitt, stiegen aber von 9% auf 12%, die Sozialhilfequoten sind vergleichsweise hoch und liegen durchschnittlich bei 7%. Der Migrantenanteil stieg von 14% auf 18% und liegt leicht über dem Durchschnitt. Am Ende der 90er Jahre deutet sich bei der Entwicklung dieser fünf Großstädte eine mögliche Aufspaltung an. Hamburg, Köln und Hannover gelang es, ihre Einwohnerzahlen zu stabilisieren oder gar zu erhöhen und auch ihre Erwerbs- und Frauenerwerbsdichte weiter zu steigern. Dagegen zeigen sich in Bremen und Nürnberg leichte Tendenzen der Schrumpfung bei den Einwohnern und den Arbeitsplätzen. In Bremen wird diese Situation durch eine extrem prekäre öffentliche Haushaltsnotlage verschärft, während die Verschuldung (pro Kopf und insgesamt) in den anderen Großstädten auf einem mittleren Niveau liegt (höher in Köln und Nürnberg, geringer in Hannover). b) Großstädte mit polarisierender Prosperität Hierzu gehören mit Frankfurt (640.000) und Düsseldorf (570.000) zwei Großstädte mittlerer Größe. Düsseldorf ist Landeshauptstadt mit vielen politisch-administrativen B Funktionen sowie das Handels- und Dienstleistungszentrum für einen der weltweit größten Verdichtungsräume Düsseldorf (Rhein-Ruhr). Eine ähnliche Position hat Frankfurt für Frankfurt den Verdichtungsraum Rhein-Main. Die Stadt ist ein zentraler Wirtschaftsstandort der Banken, der Finanzdienstleistungen und des Luftverkehrs (größter kontinental-europäischer Flughafen), politisch jedoch lediglich ein Regionalzentrum. Beide Großstädte kennzeichnet eine polarisierende Prosperität. Sie beruht auf einer gespaltenen Wirtschaftsdynamik: eine bereits schmale, schnell schrumpfende und zersplitterte Industriebasis (von 24% auf 14%) und ein gleichzeitiger Dienstleistungsboom. Beide Großstädte kennzeichnen Höchstwerte bei der Wirtschaftkraft (BIP: von 52.000 auf 66.000 Euro) und der Steuerkraft (von 1.500 auf 2.100), aber auch bei der öffentlichen Verschuldung. Trotz der enormen Wohlstandsdynamik stieg die Arbeitslosigkeit (von 7% auf 10%) und die Zahl der Sozialhilfeempfänger stabilisierte sich auf relativ hohem Niveau (6%).
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Das andere Regieren großer Städte
Die Lebensweisen kennzeichnen die insgesamt höchsten Anteilen von Personen im erwerbsfähigen Alter, bei vergleichsweise wenigen Kindern, Jugendlichen und Senioren. Die starke Erwerbszentrierung verdeutlicht sich auch an der mit Abstand höchsten Erwerbs- und Beschäftigtendichte sowie der höchsten Erwerbsdichte von Frauen. Einen Höchstwert erreicht außerdem der Anteil von Bewohnern mit Migrationshintergrund, der in den 90er Jahren auf 22% stieg. Eine Folge dieser Bevölkerungs- und Erwerbsstrukturen ist eine relativ stabile Bevölkerungsentwicklung mit einer lediglich langfristig wirkenden Tendenz der Alterung. c) Großstädte im prekären Strukturwandel mit Schrumpfungstendenzen Hierzu gehört mit Berlin die einwohnerreichste deutsche Großstadt (3.387.000), die mittelgroßen Ruhrgebietsstädte Dortmund (590.000), Duisburg (520.000) C und Essen (600.000) sowie die kleineren Großstädte Berlin Leipzig (490.000) und Dresden (477.000). Berlin profiDortmund tiert als Bundeshauptstadt von seiner Funktion als poliDresden tisches Machtzentrum Deutschlands. Dresden ist LanDuisburg deshauptstadt mit Parlament und diversen LandesverEssen waltungen und gegenüber dem Handelszentrum Leipzig Leipzig politisch im Vorteil. Die drei Ruhrgebietsstädte liegen im größten verstädterten Verdichtungsraum Europas, sind politisch aber lediglich regionale Zentren. Die Entwicklung dieser Großstädte ist durch eine prekäre Stabilität oder Schrumpfung bei den Einwohnerzahlen gekennzeichnet sowie durch eine stark geschrumpfte industrielle Basis. Trotz dieser starken Schrumpfung ist das produzierende Gewerbe in Duisburg immer noch überdurchschnittlich umfangreich (30%), in Essen und Dortmund durchschnittlich (18%). Dagegen ist der Anteil in Berlin, Leipzig und Dresden weit unterdurchschnittlich (11%-13%). Entsprechend sind die Beschäftigtenanteile in den Dienstleistungen, allein durch den statistischen Effekt, die höchsten aller deutschen Großstädte. Die durchschnittliche Wirtschaftskraft dieser fünf Städte ist begrenzt (25.000 Euro) und erreicht lediglich die Hälfte jener Wirtschaftskraft, welche die prosperierenden Großstädte erzielen: sie stieg in den 90er Jahren in den drei Ruhrgebietsstädten leicht an, stagnierte in Berlin und verdoppelte sich annähernd in Dresden und Leipzig. Die Unterschiede in den Wirtschaftsstrukturen spiegeln sich teilweise in den Lebensweisen wieder. Die Erwerbs- und die Frauenerwerbsdichte sind in Folge der hohen Frauenerwerbstätigkeit zu DDR-Zeiten in Dresden und Leipzig noch deutlich höher als in Essen, Dortmund und Duisburg. Die Ruhrgebietsstädte
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Das andere Regieren großer Städte
charakterisieren hingegen die geringsten Erwerbs- und Frauenerwerbsdichten überhaupt. Gemeinsam sind allen sechs Großstädten hohe Arbeitslosenquoten zwischen 12% und 19%, wobei Berlin und Leipzig derzeit die höchsten Quoten insgesamt aufweisen. Alle Faktoren zusammen ergeben eine vergleichsweise geringe Integration von Bewohnern in den lokalen Arbeitsmarkt. Durch die Schrumpfungstendenzen der Arbeitsmärkte und ihre geringe Dynamik üben diese Großstädte außerdem vergleichsweise geringe Anreize für Zuzügler mit Migrations-hintergrund aus. Ihr Anteil liegt in Leipzig und Dresden zwischen 3% und 5%, in Essen bei 9%, in Berlin und Dortmund bei 13% und in Duisburg bei 15%. Die Zahl der Empfänger von Sozialhilfe liegt konstant hoch bei etwa 6%, wobei Berlin mit 8%, nach Bremen mit 9,5%, den zweithöchsten Wert aller 15 Großstädte aufweist. Problematisch für die zukünftige Entwicklung sind in diesen fünf Großstädten vor allem zwei Trends. Zum einen die latente Tendenz der Abwanderung von insbesondere besser qualifizierten und jüngeren Arbeitskräften, die an anderen Orten bessere Beschäftigungsperspektiven haben. Durch diese Entwicklung ist bereits eine Alterung der Bevölkerung eingetreten, die zudem weniger gebremst verläuft als in jenen Großstädten mit einem hohen Anteil von Bewohnern mit Migrationshintergrund (letztere sind im Durchschnitt jünger und besitzen mehr Kinder). Zum anderen können diese Großstädte mit ihren relativ begrenzten Steuereinnahmen die Ausgaben ihrer öffentlichen Haushalte bei weitem nicht finanzieren. In den ostdeutschen Großstädten werden die dadurch auftretenden Defizite durch staatliche Transfers ausgeglichen (Solidarpakt und Aufbaumittel ´Ost´) und weitgehend stabilisiert. In den Ruhrgebietsstädten haben sich die langjährigen Defizite jedoch zu Haushaltsnotlagen zugespitzt. Deshalb unterliegen sie sogenannten Haushaltssicherungskonzepten und wurden unter die Kontrolle der zuständigen Bezirksregierungen gestellt. Auch Berlin wird seine die extreme öffentliche Verschuldung nicht aus eigener Kraft überwinden können. d) Großstädte mit einer ausgewogeneren Prosperität Hierzu gehört München, mit der drittgrößten Einwohnerzahl (1.2 Mio.), sowie Stuttgart (580.000), eine mittlere Großstadt. Die beide süddeutschen Städte sind Landeshauptstädte mit umfangreichen politisch-administrativen Funktionen. Die Entwicklung dieser beiden Großstädte wird durch eine relativ ausgewogenere Prosperität charakterisiert. Sie basiert auf einem vielfältigen Branchenmix, mit einer
D München Stuttgart
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relativ langsam schrumpfenden, stark modernisierten Industriebasis. Gleichzeitig haben sich vor allem die unternehmensorientierten Dienstleistungen und das Finanzwesen ausgeweitet und zu einem kontinuierlichen Wachstum der Dienstleistungen geführt. Das Resultat ist eine weit überdurchschnittliche Wirtschaftskraft (BIP: 52.000 Euro) und eine ebenso gut entwickelte Steuerkraft (1.500 Euro). Diese solide wirtschaftliche und finanzielle Grundlage geht einher mit der geringsten öffentlichen Verschuldung und einer Stadtpolitik, die auf sozialen Ausgleich setzt und Integration berücksichtigt. Die Lebensweisen sind in München und Stuttgart durch einen überdurchschnittlichen Anteil von Bewohnern im erwerbsfähigen Alter geprägt sowie von relativ wenigen Kindern, Jugendlichen und Senioren. Die starke Mobilisierung von Erwerbstätigen zeigt sich einerseits an der überdurchschnittlichen Erwerbsund Frauenerwerbsdichte, die jedoch nicht ganz die Höchstwerte von Frankfurt und Düsseldorf erreichen. München und Stuttgart weisen die geringste Arbeitslosigkeit (6%) der untersuchten Großstädte auf. Die Quoten der Sozialhilfeempfänger sind ebenfalls mit 4% die geringsten unter den 15 untersuchten Großstädten. Relativ stabil ist in diesen beiden süddeutschen Großstädten auch die Bevölkerungsentwicklung, die trotz Abwanderungen ins Umland, lediglich langfristig zu altern droht. 5.
Schrumpfung, Konsolidierung und Spreizung nach ´Oben´ - drei Entwicklungsdynamiken im deutschen Großstädtesystem
Durch die beschriebenen unterschiedlichen ökonomischen, sozialen und demographischen Entwicklungen in den 15 Großstädten hat sich die Tendenz der Polarisierung zwischen ihnen im Untersuchungszeitraum (1990-2000) weiter fortgesetzt. Betrachtet man die 15 Großstädte innerhalb des gesamten deutschen Städtesystems, kann jedoch nicht von einer Aufspaltung in niedergehende, stagnierende oder weiterhin prosperierende Großstadtregionen gesprochen werden (Krätke 1995: 16). Von den derzeitigen gesellschaftlichen Transformationen sind die untersuchten Großstädte zwar nachhaltig betroffen und herausgefordert. In allen Großstädten überlagern sich jedoch gleichzeitig verlaufende Prozesse von Schrumpfung und Wachstum, jedoch in unterschiedlicher Ausprägung. Selbst die Großstädte im prekären Strukturwandel, deren Einwohnerzahlen schrumpfen (Berlin, Leipzig, Dresden, Duisburg, Essen, Dortmund), befinden sich nicht im Niedergang. Auch sie verzeichneten im Untersuchungszeitraum einen Anstieg ihrer Wirtschafts- und Steuerkraft, auch wenn dieser gering war und im Vergleich mit den anderen Großstädten, unter dem Durchschnitt lag. Leipzig und Dresden gelang durch einen Aufholprozess nach dem Fall der in-
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nerdeutschen Grenze immerhin der Anschluss an die Großstädte im Ruhrgebiet. Und die Ruhrgebietsstädte Essen und Dortmund befinden sich, trotz ihres langwierigen und noch andauernden Strukturwandels, weder im Niedergang noch verharren sie in Stagnation. Trotz Schrumpfungstendenzen haben sie sich weiter modernisiert und konsolidiert. Diese Entwicklungen verweisen darauf, dass die voranschreitende Polarisierung im deutschen Städtesystem nicht dem vereinfachenden Gegensatz von prosperierenden Großstädten auf der „Gewinnerseite“ und niedergehenden Großstädten auf der „Verliererseite“ folgt. Dies zeigen auch die Entwicklungen in der „mittleren Zone“ des Großstädtesystems. Zu diesem Segment gehören die Großstädte mit durchschnittlicher Entwicklung (Hamburg, Köln, Hannover, Bremen und Nürnberg). Ihre Wirtschafts- und Steuerkraft stieg um durchschnittliche Werte an. Auch diese Großstädte können nicht als stagnierend bezeichnet werden, auch wenn ein stärkeres Wachstum wünschenswert wäre. In jüngster Zeit deutet sich zwischen diesen fünf Großstädten jedoch eine Bruchlinie an. In den traditionsreichen, großen Handelsstädten Hamburg und Köln gibt es seit Ende der 90er Jahre zunehmend Anzeichen für eine Belebung der Wachstumskräfte. In Hannover, Bremen und Nürnberg sind diese schwächer ausgeprägt, und geraten durch die prekäre Entwicklung der öffentlichen Haushalte und steigender Sozialausgaben zusätzlich unter Druck (gilt besonders für Bremen). Weiter polarisiert hat sich das deutsche Städtesystem vor allem durch eine Absetzbewegung der prosperierenden Großstädte Frankfurt, Düsseldorf, München und Stuttgart. Ihre überdurchschnittliche Wirtschafts- und Steuerkraft haben maßgeblich zu einer Spreizung nach ´Oben´ beigetragen. Vor allem durch diesen Prozess haben sich die stadtregionalen Ungleichheiten in den 90er Jahren weiter verstärkt. Sie waren schon vor der deutschen Vereinigung erheblich und wurden durch die dynamische Wohlstandsproduktion vor allem in den prosperierenden Großstädten während der 90er Jahre noch weiter intensiviert. Die erheblichen Ungleichheiten zeigen sich in vielen Bereichen: die Wirtschaftskraft ist in den Großstädten des Ruhrgebietes und der neuen Länder lediglich halb so groß wie in Stuttgart oder München. Selbst die Großstädte in der Mitte des deutschen Großstädtesystem erreichen lediglich zwei Drittel der Wirtschaftskraft von Düsseldorf und Frankfurt. Ähnlich ist die Situation bei der Steuerkraft. Hier können die Großstädte in der Mitte des Großstädtesystems über doppelt so hohe Steuereinnahmen verfügen wie die Großstädte im prekären Strukturwandel. Ähnlich groß sind die Unterschiede im Erwerbsbereich. Die Arbeitskräftemobilisierung ist in den prosperierenden Großstädten nahezu doppelt so hoch wie in den Großstädten im prekären Strukturwandel, wobei letztere
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doppelt so hohe Arbeitslosenzahlen aufweisen. Gravierend sind, trotz der allgemeinen Krise der öffentlichen Haushalte und ihrer begrenzten Transparenz, auch die Ungleichheiten bei den öffentlichen Finanzen. Die Verschuldung pro Kopf erreicht in Stuttgart und Hannover lediglich die Hälfte der Verschuldung von Duisburg, Köln und Frankfurt. Gleichzeitig verfügen die prosperierenden Großstädte, obwohl allgemein die Investitionen zurückgefahren werden, weiterhin über erhebliche finanzielle Spielräume. 6.
Multipolare Steuerung und Vernetzung in ausgewählten Politikfeldern
Das staatliche Mehrebenensystem gliedert sich institutionell in die Kommunen als lokale Handlungsebene, in die Länder als regionale Ebene, den Bund als nationale Ebene sowie die Europäische Union (EU) als europäische Handlungsebene. Im Untersuchungszeitraum haben Formen regionaler Kooperation an Bedeutung gewonnen, die zwischen der lokalen und der von den Ländern gebildeten regionalen Handlungsebene angesiedelt sind. Außerdem wird die lokale Handlungsebene häufig noch weiter in die subkommunale Ebene der Stadtbezirke ausdifferenziert, die besonders in den Großstädten von Bedeutung ist. Dieses horizontal und vertikal verflochtene Mehrebenensystem geht in seiner Komplexität über einfache Modelle der Politikverflechtung hinaus. Über die Entwicklung von Großstädten wird demnach in verschiedenen Zentren entschieden und die faktischen Entscheidungen fallen zwischen den (Modernisierungs-) Akteuren verschiedener Ebenen. Insofern findet das großstädtische Regieren zunehmend in verflochtenen Netzwerken unterschiedlicher Akteure statt. Gemeinsam müssen sie in der Lage sein, interessengeleitete Widerstände und Blockaden im gesamtstädtischen Interesse zu überwinden. Netzwerkknoten bilden dabei häufig politische Institutionen und ihre interorganisatorischen Beziehungen. In diesen Zusammenhängen ist kooperatives Handeln und Verhandeln auf den unterschiedlichen Ebenen zunehmend erforderlich. Um sich dabei nicht in den Gefahren der „Politikverflechtungsfalle“ zu verfangen, versuchen die Großstädte vor allem durch Hegemonialprojekte ihre Modernisierung voranzutreiben. Dazu sind in allen Großstädten mehr oder weniger vielfältige Partnerschaften zwischen öffentlichen und privaten Akteuren entstanden. Für Ihre Entstehung und eine möglichst erfolgreiche Zusammenarbeit dieser stadtregionalen Elitekooperationen ist vor allem das Engagement und die Handlungskompetenz des Oberbürgermeisters eine wichtige Voraussetzung. Um diese Prozesse für die einzelnen Großstädte stärker im Detail untersuchen zu können, haben wir sie anhand von vier strategischen Aufgabenfeldern analysiert: der Stadtentwicklung, der großstädtischen Demokratie, der Verwaltungsmodernisierung und der Arbeitsbeziehungen. Dazu wurden in jeder der 15 Großstädte umfangreiche
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Materialien ausgewertet und annähernd 50 themenzentrierte Experteninterviews mit lokalen Akteuren geführt. a) Modernisierungspfad Stadtentwicklung Die Großstädte reagieren auf die Wachstums- und Schrumpfungsprozesse in den verschiedene Feldern der Stadtentwicklung mit unterschiedlichen Strategien. Acht Großstädte haben neue, gesamtstädtische Entwicklungsprogramme entworfen und stecken Ziele sowie einen Rahmen für teilräumliche, sektorale und projektorientierte Planungen ab. Die neuen Entwicklungsprogramme dienen in München, Stuttgart und Hamburg dazu, die auch zukünftig erwarteten Wachstumsdynamiken zu steuern. Dabei setzten München und Stuttgart weiterhin auf die Strategie, wirtschaftliche Dynamik durch eine sozial ausgleichende und integrative Politik zu zügeln. In Stuttgart wurde dieser integrative Steuerungsansatz auch räumlich umgesetzt. Den Herausforderungen der Globalisierung wird hier mit einer politisch gesteuerten Regionalisierungspolitik begegnet. Hamburg setzt gegenüber seinen früheren, integrativen Entwicklungskonzepten zukünftig stärker auf dynamisches Wachstum. Dazu sollen moderne Wirtschaftscluster und neue Wohnquartiere gefördert werden. Die gesamtstädtischen Entwicklungsprogramme in Hannover, Bremen und Dortmund bauen weiterhin auf integrative Strategien, um die eigene Entwicklung zu stabilisieren. In Bremen und Dortmund sind die neuen Entwicklungsprogramme durch stadtteilorientierte Konzepte unterlegt. Hannover ist Teil der politisch verfassten Regionsbildung. Sie zielt auf einen sozialen Ausgleich zwischen Kernstadt und Umlandgemeinden sowie auf eine Neuordnung von Verwaltungsstrukturen. Die gesamtstädtischen Entwicklungsprogramme in Berlin und Leipzig zielen auf eine geplante Rückentwicklung. In Berlin soll öffentliche Planung angesichts leerer Kassen auf wenige Felder hoher Priorität und auf Vernetzungen konzentriert werden. In Leipzig steht der städtebauliche Um- und Rückbau im Zentrum. Die übrigen Großstädte verfolgen weiterhin sektorale, teilräumliche und vor allem projektorientierte Planungsprozesse. Insbesondere Frankfurt und Düsseldorf setzen auf Konzepte einer unternehmerischen Großstadt. In Köln erfolgte auf der Basis eher integrierter Planungskonzepte eine Neuausrichtung hin zu einer stärker unternehmerischen Großstadt. Aufgrund des erneuten Politikwechsels ist derzeit unklar, ob diese Ausrichtung fortgesetzt wird. Die vier Großstädte Nürnberg, Essen, Dresden und Duisburg, versuchen gegen unterschiedlich stark ausgeprägte Schrumpfungsprozesse anzuarbeiten. Nürnberg und Dresden stützen sich dabei auf ihre identitätsstiftenden Innenstadtkerne und die Förderung von Zukunftstechnologien, Essen und Duisburg auf ihre Industriekultur.
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Historisch betrachtet zeigt die Stadtentwicklung, welche beharrlichen Muster städtischer Modernisierung in den Großstädten, zum Teil bis Heute, die Entwicklung bestimmen. München rekonstruierte nach dem zweiten Weltkrieg die zerstörten Gebäude in den alten Quartieren. Frankfurt und Düsseldorf, aber auch Großstädte wie Hannover, Essen und Dortmund haben bereits kurz nach dem zweiten Weltkrieg versucht, sich aus den städtebaulichen Grundmustern der europäischen Stadt zu lösen. In Düsseldorf und besonders in Frankfurt wurde der Weg einer marktorientierten Modernisierung besonders während der beschleunigten Modernisierungsschübe der 1970er und der 1990er Jahre fortgesetzt. Die Entwicklung der Baustrukturen zeigt gleichzeitig, dass es sich dabei um keine zwangsläufigen Zusammenhänge handelt. In Hannover und Dortmund gelang es z.B. durch integrative Ansätze der Stadtpolitik, verbunden mit einem geringeren Druck von Investoren auf den städtischen Immobilienmarkt, den Fragmentierungen Grenzen zu setzen. In fast allen Großstädten wurden große Veranstaltungsprojekte bereits durchgeführt oder sie werden geplant (z.B. Expo Hannover, OlympiaBewerbung Leipzig). Alle Großstädte erschließen in großem Maße neue Gewerbeflächen, weswegen das Flächenangebot die Nachfrage bei weitem übersteigt. Nur in den prosperierenden Großstädten sind Engpässe bei der Befriedigung von Ansiedlungswünschen möglich. Ebenso weisen fast alle Großstädte neue Wohngebiete aus und versuchen Einwohner an die Stadt durch neue Wohnformen zu binden. Projekte zur sozialintegrativen Entwicklung belasteter Wohnquartiere wurden in fast allen Städten durchgeführt. In der regionalen Kooperation mit den Umlandgemeinden dominiert der netzwerkförmige Interessenverbund, während institutionalisierte Formen der Kooperation noch die Ausnahme bilden. Der Modernisierungspfad der Stadtentwicklung wird durch das Zusammenwirken gut organisierter Interessengruppen gesteuert. Es agieren verschiedenen Gruppen der regionalen und überregionalen Wirtschaft. Das Spektrum der beteiligten Branchen reicht von der Bau- und Wohnungswirtschaft bis zu den die Region dominierenden Unternehmen. Private und öffentliche Investoren sind von großer Bedeutung, wenn es um die räumliche Weiterentwicklung der Großstädte geht. Auf Seiten der Großstädte agieren die Stadtplaner als Vertreter des Dezernates für Stadtentwicklung. Der in einer eigenen Kammer organisierte Berufsstand der Architekten ist sowohl in der Stadtentwicklung als auch in privaten Planungsbüros vertreten. Für die formale Beteiligung der Bürger und der politischen Gremien gelten die Bestimmungen des Baugesetzbuchs. In besonderen Konfliktfällen intervenieren in diese Prozesse protestierende Bürgergruppen oder zum Zecke der Regulierung widerstreitender Interessen der Oberbürgermeister.
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b) Modernisierungspfad großstädtische Demokratie Nach der länderübergreifenden Angleichung der Kommunalverfassungen werden alle Oberbürgermeister der Großstädte mit Ausnahme der Stadtstaaten direkt von den Bürgern gewählt. Es gibt Großstädte mit längerer direktdemokratischer Tradition und zentraler politischer Führung, Großstädte mit verteilter politischer Führung, Großstädte im kommunalpolitischen Neuaufbau und reformierte Großstädte mit beginnender direkter Demokratie und zentraler politischer Führung. Als politische Führung der Großstädte fungieren in den Stadtstaaten Regierungschefs mit absoluter Parlamentsmehrheit und mit Koalitionsmehrheiten. Die direkt gewählten Oberbürgermeister der Flächenstaaten regieren mit stabilen oder auch labilen Mehrheiten, d.h. ohne feste Koalitionsabsprachen bzw. mit knappen Mehrheiten. In allen Großstädten dominieren nach den Wahlergebnissen zu den Stadtparlamenten die etablierten politischen Parteien. Sie kooperieren in langjährigen oder neuen stabilen Mehrheitskonstellationen, aber auch mit knappen Mehrheiten und in Formen der informellen Zusammenarbeit. Insgesamt hat sich das politischen System der Großstädte bisher mit diesen Differenzierungen als stabil erwiesen. Der politische Regimewechsel in Folge von veränderten Wahlergebnissen wird recht reibungslos vollzogen, ist aber im Bereich der Vorentscheiderstrukturen, bei den Dezernaten und in den Politikprozessen mit Brüchen verbunden. Den institutionellen Kern der Hegemonialstruktur bilden in den Großstädten die Oberbürgermeister bzw. Regierungschefs, die einen - wenn auch begrenzten - direkten oder indirekten Zugriff auf die Verwaltung und die Ressourcen des kommunalen Sektors haben. Er wirkt mit den Vorentscheiderstrukturen zusammen, die aus den Fraktionsspitzen sowie Dezernenten bzw. Senatoren der mehrheitsbildenden Parteien bestehen. Zu den Vorentscheiderstrukturen zu rechnen wären noch politikfeld- oder milieubezogene Vorfeldorganisationen. Wir haben unter den amtierenden Oberbürgermeistern unterschiedliche Regierungsstile ausmachen können: Den autokratisch-durchsetzungsorientierten Stadtunternehmer, er setzt auf einen schlanken Apparat, der für ihn vor allem ein Instrument zur Durchsetzung seiner Politik ist. Er schlägt nach Innen einen Sparkurs ein. Er treibt große Projekte voran und delegiert Detailaufgaben. An den konkreten Umsetzungsproblemen und den sozialen Folgen seines Handelns ist er begrenzt interessiert. Den autokratisch-verhandelnden Stadtvater, er interessiert sich nicht ausschließlich für den ökonomischen Erfolg der Stadt und sein Image bei den Bürgern, sondern stellt gern sein offenes Ohr für seine Mitbürger und die Beschäftigten in der Verwaltung heraus. Er braucht die Verwaltung für seine Politik des sozialen Ausgleichs.
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Die Stadtbezirksvertretungen sind in neun Großstädten mit weitgehenden Rechten und unmittelbarer demokratischer Legitimation ausgestattet. In einer Minderheit der Großstädte verfügen die Stadtbezirksvertretungen nur über eingeschränkte Rechte und/oder werden nach den Wahlergebnissen zum Stadtrat zusammen gesetzt. Eine Großstadt verfügt über keine Stadtbezirksvertretung. Auffällig ist, dass in den süddeutschen Großstädten mit direkt gewähltem Oberbürgermeister die Stellung der Stadtbezirksvertretungen vergleichsweise schwach ausgeprägt ist. Lediglich in München wurde Mitte der 1990er Jahre die Direktwahl der Stadtteilvertretungen eingeführt. Eine anderes Bild vermittelt die bescheidene Praxis der direkten Demokratie. Hier glänzen München und Nürnberg mit häufigeren Bürgerentscheiden, während Hamburg und Düsseldorf neben Dresden erste Erfahrungen mit diesem demokratischen Instrument machten. In der Mehrzahl der Großstädte spielen Bürgerentscheide bisher keine Rolle. In keiner Großstadt werden Bürgerentscheide in breitem Stile sowohl auf zentraler wie dezentraler Ebene angewandt. In allen Städten ist eine verstärkte Förderung des Bürgerschaftlichen Engagements festzustellen. Dies geht aber selten über die Bereitstellung von Unterstützungsstrukturen und die öffentliche Anerkennung für freiwilliges Engagement hinaus. Einfluss auf politische Entscheidungen wird durch diese Instrumente bisher nur selten genommen. Von einer grundsätzlich neuen Qualität politischer Mitbestimmung kann nicht gesprochen werden. c)
Modernisierungspfad Verwaltungsmodernisierung
Die Großstädte haben erhebliche Anstrengungen zur Modernisierung ihrer Steuerungsorganisation unternommen. Die kommunale Haushaltsreform und die Anreicherung der Kameralistik zunächst um Elemente der Ziel- und Ergebnissteuerung und dann der Kosten- und Leistungsrechnung ist ein erfolgreich angelaufener Prozess. Weitergehende Ziele des Neuen Steuerungsmodells (NSM) verblassen demgegenüber oder werden in Folge kommunalpolitisch gewollter Abweichungen nicht mehr angestrebt. Der „Konzern Stadt“ ist in neun Städten ein Thema. Dort wird mit dem Konzernmodell ein Steuerungs- und Konsolidierungskreis umschrieben, der die Kernverwaltung, die öffentlich-rechtlichen Betriebe und die privatrechtlich geführten städtischen Gesellschaften umfasst. Eine durchgreifende Dezentralisierung der Ressourcenverantwortung in den Kernverwaltungen konnte nicht nachgewiesen werden. Verbreitet sind Aufgabenverschiebungen oder Kompetenzverlagerungen zwischen der zentralen und dezentralen Steuerung in der Kernverwaltung durch die Realisierung von NSMBausteinen und Ausgliederungen. Durch die Ausgliederungs- und Privatisierungspolitik der Großstädte tritt ein neues Steuerungsproblem in den Vorder-
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grund. Ausgelagerte Unternehmen und Betriebe entwickeln ein Eigenleben und müssen in dem Konzern Stadt wieder integriert werden. Allerdings gibt es noch weitgehend ungelöste Probleme mit der Transparenz, der politischen Steuerung und demokratischen Legitimation des Konzern Stadt. Nur wenige Großstädte planen bisher ein integriertes öffentliches Finanz- und Rechnungswesen mit der Kernverwaltung, den öffentlichen Betrieben und den privatrechtlich geführten städtischen Gesellschaften. Die Entwicklung der Stadtbezirksverwaltungen deutet daraufhin, dass eine Mehrheit der Städte den Weg zur Dekonzentration ihrer Verwaltungen beibehält oder forciert, während eine Minderheit sich noch nicht für die konsequente Dekonzentration der Verwaltungen entscheiden konnte. Eine Rezentralisierung der Stadtbezirksverwaltungen wird in einigen Großstädten thematisiert und punktuell realisiert. Die Auswertungen zum EGovernment signalisieren, dass die Internetauftritte der Großstädte in erster Linie dem Stadtmarketing dienen. Interaktiver Bürgerservice und politische Beteiligung mit Hilfe des E-Government werden auf absehbare Zeit für das breite Publikum noch keine große Rolle spielen, da der Weg zur viel beschworenen Interaktion und E-Democracy durch Zugangsbarrieren versperrt ist. d) Modernisierungspfad Arbeitsbeziehungen Der Wandel der Arbeitsbeziehungen in den Großstädten wurde im Untersuchungszeitraum durch die Auswirkungen der Verwaltungsmodernisierung dominiert. Die Verwaltungsmodernisierung verlief ursprünglich in vielen Großstädten als zu eng geführte, technokratische Umsetzung von Bausteinen des Neuen Steuerungsmodells. Fragen nach einer Regelung der Steuerung von Verwaltungsreformprozessen, der Beschäftigtenbeteiligung, der Personalentwicklung, von Arbeits- und Öffnungszeiten und nach dem Schutz von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wurden erst durch das Engagement von Personalräten und Beschäftigten thematisiert. Die Beteiligung der Beschäftigten und der Personalräte an den Verwaltungsreformprozessen hat sich also durchaus bewährt. Flexiblere Arbeits- und Öffnungszeiten, neue Kundenzentren mit verbesserten Serviceangeboten für Bürger, veränderten Arbeitsabläufen und Aufgabenzuschnitten vor allem durch den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien sowie Verbesserungen in der Führungskultur und der Kommunikation mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wurden möglich. Diese Ansätze, die in den einzelnen Großstädten unterschiedlich weit fortgeschritten sind, gerieten zum Ende der 1990er Jahre zunehmend unter Druck der Haushaltskonsolidierung. Dort wo die Prozesse der Verwaltungsmodernisierung weitgehend zum Erliegen gekommen sind, müssen sie in kontinuierliche
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zum Erliegen gekommen sind, müssen sie in kontinuierliche Verbesserungsprozesse übergeleitet werden. Eine Perspektivverengung auf „reines Sparen“ demotiviert aber nicht allein weite Teile der Beschäftigten und zum Teil auch die Personalräte sondern auch viele Führungskräfte bis hin zu Amtsleitern und Dezernenten. Durch die aktuellen Veränderungen, wie die Verlängerung von Arbeitszeiten, die Kürzungen von Sonderzahlungen (Urlaubs-, Weihnachtsgeld) sowie die „Renaissance“ hierarchischer und direktiver Führungs- bzw. Steuerungsmodelle in einigen Großstädten wird diese Demotivation verstärkt. Es zeigt sich, dass die Machtposition der Personalräte zwischen den Beschäftigten und der Verwaltungsspitze nicht allein von ihrem Selbstverständnis und ihrer Professionalität abhängig ist. Entscheidend sind außerdem die finanziellen Rahmenbedingungen in der jeweiligen Großstadt und vor allem auch die Modernisierungsstrategie der Verwaltungsspitze und ihre Kooperationsbereitschaft. Für die weitere Entwicklung der Arbeitsbeziehungen und der Mitbestimmung kommt der Einigung zwischen der Gewerkschaft Verdi mit dem Bund und den kommunalen Arbeitgebern vom Februar 2005 über den neuen Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) eine große Bedeutung zu. 7.
Governancestrukturen und Mitbestimmungschancen der Modernisierungsakteure
Als zentrale Akteure großstädtischer Entwicklung fungieren die Kommunalverwaltungen, politische Parteien und ihre Vertreter sowie organisierte Interessen. Nicht übersehen werden darf die Selektivität dieser Governancestrukturen für nicht organisations- und durchsetzungsfähige Interessen des kommunalen Raumes. Der erweiterte lokale Korporatismus unterscheidet sich vom alten „Koporatismus“ in drei Aspekten: 1.) Der erweiterte Regulationszusammenhang geht über die korporativen Akteure hinaus und umfasst die Governanceformen Assoziationen, Hierarchie, Markt und Gemeinschaft. 2.) Aus der Stabilisierung der Funktion der Oberbürgermeister und Regierungschefs der Großstädte bei gleichzeitiger Dezentralisierung durch Auslagerungen und Privatisierungen ergeben sich neue Anforderungen für die kommunale Steuerung. 3.) Neben den Interessenverbänden betreten die Bürger bzw. einfache Formen der Bürgerbeteiligung und der direkten Demokratie die Bühne der Steuerung von Politik und Verwaltung. Das Regieren der großen Städte wird durch verschiedenartige Governancestrukturen gesteuert. Jede dieser Governancestrukturen besteht aus einem besonderen Mix verschiedener Governanceformen und Akteurkonstellationen. Nach unseren Befunden dominiert in der Austauschbeziehung zwischen den
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Großstädten und der Rahmen- und Kontextsteuerung des kommunalen Sektors die Governanceform der hierarchischen Koordinierung unter Assistenz von Netzwerkstrukturen. Die Beziehungen zwischen den Großstädten und ihren sozioökonomische Entwicklungsbedingungen wird von Märkten, durch staatliche Intervention und die Mobilität der Bürger geprägt. Die interne Steuerung und Mitbestimmung großstädtischer Modernisierungsprozesse ist von einem erweiterten lokalen Korporatismus gekennzeichnet, der assoziativ gesteuert wird, dem aber Hierarchien, Gemeinschaften und Wettbewerb zur Hand gehen. Unter der Bedingung der horizontalen und vertikalen Politikverflechtung ist Modernisierung dann möglich, wenn von den Akteuren Hegemonialprojekte herausgebildet und durchgesetzt werden können. Mit einer starken Durchsetzungskraft ausgestattet sind die Akteure die sich auf die Governanceform der Hierarchie oder des Marktes stützen können. Assoziationen können ebenso wie Netzwerke dann eine starke Durchsetzungskraft entwickeln, wenn sie eine entsprechende Verbindung in einem Governancemix eingehen. Der Bund und die Länder verfügen über die Machtressource der Hierarchie, Unternehmen und Selbständige über die Machtressource des Marktes. Die Oberbürgermeister der Großstädte können in der eingleisigen Kommunalverfassung oder in den Stadtstaaten im Verbund mit ihrer Leitungsfunktion gegenüber der Verwaltung und mit ihren Vorentscheiderstrukturen eine starke Durchsetzungskraft entwickeln, weil die assoziative Koordinierung mit der Govnernanceform der Hierarchie verschmilzt. Den Zugang zu einer mit wenig Durchsetzungskraft ausgestatteten Governanceform haben die kommunalen Spitzenverbände als weiches Netzwerk, die Wohnquartiere der Großstädte und die Beschäftigten der Kommunalverwaltungen, die sich jeweils erst organisieren und artikulieren müssen, um gemeinschaftlich etwas durchsetzen zu können. Akteure mit einer mittleren Durchsetzungskraft sind je nach Anlass und Rahmen ihres Handelns teils schwach, teils stark. Ihnen mangelt es zumeist an einer beständigen Stärke, weswegen ihre reale Macht schwer einzuschätzen ist. Ihre Durchsetzungskraft steigt, wenn sie Verbindungen mit starken Partnern und anderen Governanceformen eingehen können. Gelingt dieses nicht, können sie auch Niederlagen erleiden und geschwächt werden. Die Parteien, die EU, Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften, Dezernate und nachgeordnete Ämter, Einrichtungen und Betriebe, betriebliche Interessenvertretungen der Beschäftigen, Stadtteilvertretungen, Bürgerinitiativen und Vereine können zu dieser Gruppe der großstädtischen Modernisierungsakteure gerechnet werden.
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8. Kooperation als strategische Ressource der Stadtpolitik Die Befunde unserer Untersuchungen weisen aus, dass die Kooperation als strategische Ressource der Stadtpolitik von den Großstädten noch zu wenig genutzt wird und dadurch zumindest einige Großstädte die Chancen einer breitenwirksameren Steuerung der eigenen Entwicklung nicht ausschöpfen. Für diese Annahme sprechen mehrere Gründe: a) Die Vernetzung großstädtischer Interessen erfolgt bisher weitgehend ohne einen festen institutionellen Kern und geht in der Verbandsarbeit oft unter. Entwicklungsverbünde zu modernisierungspolitischen Themen, die die Konkurrenz unter den Großstädten beschränken würden und die den gemeinsamen Vorteil suchen, bleiben so die Ausnahme. b) In den Großstädten konkurrieren je nach Akteurkonstellation derzeit etwas zugespritzt zwei demokratisch legitimierte Konzepte der Stadtpolitik miteinander. Das Konzept der hierarchischen Stadtpolitik setzt auf die Durchsetzungskraft des OB und der Vorentscheiderstrukturen, bezieht mit Marktmacht ausgestattete mächtige gesellschaftliche Gruppen ein und nimmt politische und soziale Konflikte in Kauf. Das Konzept der kooperativen Stadtpolitik setzt auf die Verhandlungskraft des OB und spezifische Vorentscheiderstrukturen, bezieht möglichst viele mächtige und weniger mächtige gesellschaftliche Gruppen ein und sucht politische Konflikte mit Bürgergruppen zu minimalisieren. c) In der kooperativen Demokratie könnten sich verschiedene partizipative Ansätze treffen und in produktiver Weise ergänzen, an Statt gegeneinander zu konkurrieren. Verfahren der repräsentativen Demokratie, der direkten Demokratie, der Bürgerbeteiligung, der Selbsthilfeaktivitäten, des ehrenamtlichen Engagements, des Mäzenatentums und der Kunden-, Adressaten- und Bürgerorientierung der öffentlichen Dienste sind potenzielle Träger dieses erweiterten Konzeptes kommunaler Demokratie. d) In die Hegemonialprojekte des erweiterten lokale Korporatismus sollten die kommunalen Akteure mit schwachen Machtressourcen besser integriert werden. Dadurch könnte der Ausgrenzung und der Desintegration von Bürgern und anderen Akteuren begegnet werden. Chancen der Einwohnerbindung bleiben so ungenutzt.
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e) Der multipolare Steuerungsmodus der Großstädte ist Ausdruck davon, dass das Regierungssystem der Großstädte zunehmend die Form eines zentral und dezentral ausgelegten Netzwerks und damit aus zwei internen Steuerungsebenen besteht. Das Mehrebenmanagement stellt die Mehrzahl der Großstädte noch vor große strategische Probleme. Die erforderliche integrale Steuerung ist auf mehrere zentrale wie dezentrale Ebenen der Steuerung und auf mehrere Politikfelder und Netzwerknoten unter Beteiligung kommunaler Akteure zu beziehen. f) Dies gilt auch für die Entwicklung der Arbeitsbeziehungen und die angemessene Realisierung des Organisationsmodells des Konzern Stadt. Nicht Abbau sondern die sinnvolle Ergänzung der Mitbestimmungsrechte für Personal- und Betriebsräte im Konzern Stadt durch Konzernarbeitnehmervertretungen wäre die Konsequenz. Nicht Ausgliederung ohne politische Kontrolle, sondern Steuern auf Abstand durch Zielvereinbarungen und striktes Controlling gegenüber Tochtergesellschaften wären sinnvolle Schritte.
9. Das Steuerungsdilemma der Großstädte: Ungleiche Steuerungskapazitäten und Steuerungsinitiativen Die 15 großen deutschen Stadtregionen sind weder Laboratorien der Zukunft noch Integrationsmaschinen. Es handelt sich vielmehr um hochkomplexe, weitläufig vernetzte, lebendige Organismen des Zusammenlebens und der Zusammenarbeit, die sich nicht von ´Oben´ steuern lassen. Es sind die in ihnen lebenden und arbeitenden Menschen sowie die vielen Besucher, Geschäftsreisenden und Touristen, die gemeinsam diese lebendigen Organismen bilden und verändern. Durch ihre alltagspraktischen Handlungen sind die Stadtbewohner mehr oder weniger stark lokal eingebunden in sich überlappende und gegenseitig beeinflussende Felder (Akteure und Institutionen) der Familien, der Betreuung, der Bildung, der städtischen Ökonomie, der Gesundheit, der Kultur, der Freizeit und der Politik. Gemeinsam bilden sie ein hochkomplexes Kräftefeld, in das die Ökonomie der Großstadt eingebettet ist und durch vielfältige, auch nicht marktvermittelte Effekte beeinflusst wird. Aufgabe der Politik in der Stadtgesellschaft sollte sein, möglichst viele Menschen zu beteiligen, ihnen Selbstverwirklichungschancen einzuräumen, um eine möglichst weitreichende Selbstbestimmung der Stadtbewohner und der Großstadt als Gemeinwesen insgesamt zu erreichen.
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Die eingebettete Ökonomie der großen Stadtregionen ist selbst hochgradig diversifiziert. Lediglich einige Unternehmen110, vor allem große Konzerne und Finanzdienstleister versuchen, sich aus ihren regionalen Bindungen zu lösen. Die übrigen Unternehmen, und die mit ihnen vernetzten Institutionen, können durch regionale Strategien profitieren oder sind auf sie angewiesen. In diesem Sinne sind regionale Kooperationsnetzwerke, ein geregelter Wettbewerb und ein (pro-) aktiver, interventionsfähiger Staat die passenden Antworten auf die Folgen der wirtschaftlichen Globalisierung. Der Vergleich der wirtschaftlichen und politischen Steuerungskapazitäten der Großstädte, ihrer Steuerungsinitiativen und Steuerungsverluste gibt Aufschluss darüber, über welche Steuerungschancen die einzelnen Großstädte im deutschen Großstädtesystem verfügen. Lediglich sechs von fünfzehn Großstädten verfügen über weitreichende bzw. weitgehende eigene wirtschaftliche Handlungskapazitäten. Neun Großstädte verfügen derzeit lediglich über begrenzte oder sogar über geringe wirtschaftliche Handlungskapazitäten. Die politische Steuerungskapazität ergibt sich aus ihrer institutionellen Struktur und ihrer Organisation, d.h. ihrem politischen Status. Neun von fünfzehn Großstädten verfügen über eine erheblich erweiterte bzw. erweiterte politische Handlungskapazitäten. Insgesamt positiv ist auch das Bild der vielfältigen lokalen Steuerungsinitiativen unter den Großstädten. Zehn von fünfzehn Großstädten haben lokale Steuerungsinitiativen in erheblichem bzw. durchschnittlichem Umfang ergriffen. Dieser Befund zeigt, dass die Großstädte überwiegend eine aktive Modernisierungspolitik vorantreiben. Dem stehen jedoch in acht von fünfzehn Großstädten massive Verluste der lokalen Steuerungsfähigkeit gegenüber. Hauptursache hierfür sind die Umbrüche in der regionalen Wirtschaftsund Sozialstruktur sowie die Krise der kommunalen Haushalte. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Großstädte im prekären Strukturwandel kaum noch ausreichende Handlungsspielräume besitzen. Ihre Ressourcen für eigenständige, lokalpolitische Steuerungsinitiativen sind so stark begrenzt, dass sie ihre prekären sozioökonomischen Entwicklungsbedingungen nicht mehr im notwendigen Umfang und aus eigener Kraft nachhaltig verbessern können. Die Großstädte durchschnittlicher Entwicklung verfügen über eine insgesamt höhere Wirtschafts- und Steuerkraft und können dadurch ihren wachsenden sozialen Aufgaben relativ besser gerecht werden. Wenn die dadurch erweiterten Handlungsspielräume für forcierte Steuerungsinitiativen effektiv genutzt 110
Selbst in den drei großen Metropolen New York, Tokio und London, die insbesondere als „Global Cities“ gelten, umfasst der sogenannten „metropolitane Komlex“ bestenfalls 10-15% der Beschäftigten (Storper 1997: 226, Läpple 2001: 30)
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werden, können sie ihre sozioökonomischen Entwicklungsbedingungen positiv beeinflussen. Die prosperierenden Großstädte verfügen über eine so hohe Wirtschaftsund Steuerkraft (bei geringeren Soziallasten), sodass sie auf der Grundlage einer verantwortlichen Haushaltspolitik, vielfältige Steuerungsinitiativen ergreifen können. In welchem Umfang sie diese Spielräume tatsächlich nutzen, und welche Politikfelder dabei Priorität erhalten, hängt jedoch von der favorisierten lokalen Politik ab. Die Ergebnisse zeigen, dass die 15 größten deutschen Städte über unterschiedlich weitreichende Handlungskapazitäten verfügen und ihre durchaus vorhandenen, aber ebenfalls unterschiedlich weitreichenden lokalen Handlungsspielräume mehr oder weniger konsequent nutzen. Erheblich verbesserungsbedürftig sind vor allem die gesamtstaatlichen Rahmenbedingungen, damit die lokal vorhandenen Ansätze und Konzepte wirksamer und umfassender vorangetrieben werden können.
Literaturverzeichnis
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