Gerald Green
Herzattacke
Inhaltsangabe Dies ist ein außergewöhnlicher Arzt-Roman, ebenso authentisch wie spannend. ...
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Gerald Green
Herzattacke
Inhaltsangabe Dies ist ein außergewöhnlicher Arzt-Roman, ebenso authentisch wie spannend. Er zeigt, wie grausam unsere Welt geworden ist, aber es gibt auch Hoffnung, weil er beweist, daß selbst terrori stische Gewalt durch Hingabe, Mut und Leidenschaft besiegt werden kann. Im Operationssaal Nr. 3 beugt sich der Herzchirurg Eric Lake über den geöffneten Brustkorb des Millionärs Walter Tench. Er spürt die Pistole, die der hinter ihm stehende Revolutionär John Trask auf ihn gerichtet hat. Und er weiß, daß auf den verlassenen Studentenrängen Rashid sitzt – mit einem Karabiner im Anschlag. Das Operationsteam ist wehrlos und ebenso verletzlich wie Tenchs ungeschütztes Herz. »Wir fordern Lösegeld für Walter Tench«, erklärt Trask. »Dies ist eine Kriegserklärung der Armen dieser Welt. Ihr Ärzte seid für uns unwichtig. Nur Tench zählt. 10 Millionen Dollar müssen für ihn gezahlt werden. Erhalten wir das Geld nicht, wird er diesen Raum nicht lebend verlassen.« Lake weiß: Trasks Mitverschwörer haben das Krankenhaus besetzt; der Operationssaal ist völlig isoliert. Er ist überzeugt: Die Terroristen werden ihre Drohung kaltblütig wahrmachen. »Fahren Sie mit der Operation fort«, befiehlt Trask. Um 10.26 Uhr schneidet Dr. Lake durch das Fettgewebe direkt in die Fasermasse. Damit beginnt eine der aufregendsten und schwierigsten Herzoperationen in der Geschichte der Medizin. Im Operationssaal, von der Außenwelt abgeschnitten, kämpfen Ärzte um das Leben ihres Patienten und um ihr eigenes Leben. Draußen eine unberechenbare Masse, hilflose Beamte, ratlose, unfähige Vorgesetzte. Dazwischen die fanatischen, zum Leuten entschlossenen Erpresser.
Sonderausgabe des Lingen Verlags, Köln
© by Hestia-Verlag GmbH, Bayreuth
Gesamtherstellung: Lingen Verlag, Köln
und Bercker Graph. Betrieb GmbH, Kevelaer
Schutzumschlag: Roberto Patelli
Printed in West-Germany
Alle Rechte vorbehalten
Dieses eBook ist umwelt- und leserfreundlich, da es weder
chlorhaltiges Papier noch einen Abgabepreis beinhaltet! ☺
I. BUCH
1
T
rask lenkte den Wagen zur Einfahrt des Parkplatzes. Doch ein Fahrzeug der Müllabfuhr versperrte den Weg. Die Müllarbeiter traten fluchend gegen überquellende Mülltonnen und hievten die schweren Abfallsäcke in den Wagen. Der Vorarbeiter starrte in das Innere des an der Einfahrt wartenden Autos, sah Trask und Rashid, die weiße Ärztemäntel mit dem Emblem des ›City General Hospital‹ auf der Brust trugen, und sagte lässig: »Au genblick noch, Doc! Die Herrschaften vom Krankenhaus sollten mal 'nen Kurs im Müllsäckepacken mitmachen. Sehen Sie sich die Besche rung doch mal an! Das Zeug ist über den ganzen Gehsteig verstreut.« Er senkte fast vertraulich die Stimme. »Daran sind diese ausländischen Elemente schuld.« Dann schweifte sein Blick zu Rashid, über dessen schwarzes, lockiges Haar, seinen dichten Schnurrbart, und wandte sich abrupt ab. Der geringschätzige Blick sprach Bände. Wer konnte wissen, ob der Arzt nicht selbst Puertoricaner war. Im ›City General Hospital‹ wimmelte es von Ausländern. Alles war vertreten: Chinesen, Chicos und Schwarze. »He, Angie!« rief einer der Arbeiter. »Wir haben schon wieder 'ne Ratte erschlagen. Das war die vierte heute morgen.« »Haben Sie's gehört? Das ist der Erfolg«, wandte sich der Vorarbeiter wieder an die zwei Ärzte. »Okay, Doc! Nichts wie rein mit Ihnen. Tut mir leid, daß wir Sie aufgehalten haben!« Der Müllwagen fuhr weiter. Trask lächelte. Rashid nickte ihm freundlich zu. Sie fanden schließlich einen freien Platz am Rand des morastigen, teilweise mit einer dünnen Eisschicht überzogenen Areals. Der Park platz lag einige hundert Meter vom Krankenhauskomplex entfernt 2
und wurde vom Verwaltungs- und Pflegepersonal, nicht aber von den Ärzten der Klinik benutzt. Einen Augenblick lang überlegte Rashid, ob sich die Männer von der Müllabfuhr möglicherweise an die beiden jungen Ärzte erinnern würden, die den grauen Wagen hier parkten. »Was ist? Schließen wir ab?« erkundigte sich Rashid. Die beiden standen in der eisigen Morgenluft. Jeder hatte eine schwere Aktenta sche bei sich. »Nicht nötig. Den Ford brauchen wir nicht mehr.« Das Auto hatten sie mit gestohlenen Kreditkarten gemietet. Es war sieben Uhr morgens. Im Osten zog leichtes Grau über den noch nacht dunklen Himmel. Neonleuchten tauchten die Gebäude in kaltes, fah les Licht. Die Klinik lag direkt in der City, eine nicht gerade friedli che Gegend. Doch im grellgelben Licht und der etwas nebligen Luft des Märzmorgens wirkte sie wie schlafend. Am Rande des Parkplat zes erstreckten sich rote Backsteintrakte, in denen die Krankenschwe stern und die Assistenzärzte ihre Zimmer hatten. An der Straßenseite reckten sich die zwei Türme des ›City General Hospital‹ wie Wolken kratzer in den Himmel. Über den obersten Stockwerken lag bereits ein leichter rötlicher Schimmer des beginnenden Tages. »Verdammt kalt«, murmelte Rashid. »Auf Wintermäntel müssen wir verzichten«, sagte Trask. »Assistenz ärzte tragen hier ihre weißen Mäntel, als seien sie Statussymbole.« »Stimmt«, pflichtete Rashid bei. »Oder Tarnanzüge.« Eine Krankenschwester, in einen dicken Mantel gehüllt, kam ihnen entgegen. Sie hatte offenbar eine anstrengende Nachtschicht hinter sich und war auf dem Weg zum Schwesternheim. Rashid grüßte sie. Er hatte trotz seiner dunklen Hautfarbe freundliche Gesichtszüge, und unter seinem schwarzen Schnurrbart blitzten strahlend weiße Zähne. Rashid war zwar klein, doch als Sportler muskulös gebaut. »Falls wir an der Tür angehalten werden, folgst du mir einfach«, wies Trask seinen Komplicen an. »Es gibt fünfzehn Möglichkeiten, in die Klinik zu kommen. Die fünf Sicherheitsbeamten sind, mit Ausnahme des Polizisten in der Notaufnahme, nicht bewaffnet. Wir versuchen es zuerst an einem der Seiteneingänge oder am Kellereingang.« 3
Rashid war sich nicht ganz im klaren darüber, warum Trask diese Anweisungen wiederholte. Das alles war in langen Gesprächen mit Ol medo ausführlich erörtert worden. Olmedo befand sich seit sechs Wo chen in der Klinik und hatte alle Möglichkeiten genauestens ausge kundschaftet. Trasks Stimme hatte ruhig und bestimmend geklungen. Er war etwa ein Meter achtzig groß und schlank, hatte ein schmales, längli ches Gesicht mit ausdruckslosen, grünen Augen und kurz geschnit tenes, hellblondes Haar. Sein Schritt klang herrisch und herausfor dernd. Die beiden Männer liefen unter einem Fußgängerübergang hindurch, der die beiden Haupttrakte des ›City General Hospital‹ mit den neu en Anbauten für die gynäkologische Abteilung verband, und betraten den Innenhof. Dieser wurde meistens von den Ärzten als Parkplatz benutzt. Hinter den abgestellten Autos tauchte ein größerer Gebäude block auf, in dem außer den Garagen für die Krankenwagen auch die Notaggregate des Krankenhauses und die poliklinische Abteilung un tergebracht waren. Der Innenhof war hell beleuchtet. Rashid fühlte sich wie ein Schau spieler im Scheinwerferlicht einer Bühne. Er strich mit den Fingern über das Emblem des ›City General Hospital‹. Die Arztrolle, in die er geschlüpft war, begann ihm Spaß zu machen. Trasks hageres Gesicht wirkte angespannt, als er seine Blicke prü fend über den Hof gleiten ließ. »Kein Wachtposten zu sehen«, stellte er fest. »Was ist mit dem Hund?« fragte Rashid. Trask runzelte die Stirn. »Du scheinst bei der Besprechung des Ein satzes nicht aufgepaßt zu haben. Olmedo hat doch festgestellt, daß das Tier vor drei Monaten auf Drängen einiger Selbsthilfegruppen aus der Nachbarschaft abgeschafft werden mußte.« »Natürlich, stimmt.« Nach einem kurzen Blick auf seine Armbanduhr meinte Trask: »Okay, gehen wir rein. Bis jetzt sind wir pünktlich.« Die angenehme Wärme in der Empfangshalle der Klinik wirkte fast 4
belebend. Kälte machte Rashid normalerweise nichts aus. In den Ber gen seiner Heimat im Libanon herrschte ein raues Klima. Doch die feuchtkalte, klamme Luft des nordamerikanischen Winters ließ das Blut in seinen Adern gefrieren. Vor ihnen tauchte ein Schild auf: Das Krankenhauspersonal wird gebeten sich auszuweisen Der Nachtportier hatte sich in seiner Loge in die letzten Rennergeb nisse vertieft. Er sah nicht einmal auf, als zwei Männer mit dicken Ak tentaschen an ihm vorbeigingen. Seit Jahren wurden hier keine Aus weise mehr kontrolliert. Trask und Rashid tauchten in die hektische Betriebsamkeit auf den Fluren des Krankenhauses. Ein Laborangestellter drängte sich mit ei nem Tablett voller Blutproben in Reagenzgläsern an ihnen vorbei, und zwei Krankenschwestern kamen ihnen plaudernd entgegen und nick ten ihnen höflich zu. Obwohl Olmedo ihnen genau vorausgesagt hatte, was sie erwarten würde, war Rashid doch eigentlich überrascht, daß man ihre Anwesenheit wie selbstverständlich hinnahm. Er fühlte das Stethoskop in der Tasche seines Arztmantels. Es war wie ein Talisman, der die Nerven beruhigte. Trasks Blick glitt über die Türaufschriften. Dialyse, Urologie, Schwe sternzimmer, las er. Fast am Ende des Flurs fand er schließlich neben dem Informationsschalter für Krankenschwestern das Schwarze Brett, nach dem er gesucht hatte. Seine Augen suchten nach einer ganz be stimmten Nachricht. »Guten Morgen, Doktor«, begrüßte eine mollige Krankenschwester Trask. »Guten Morgen«, gab Trask zurück und blickte ihr kurz nach. Rashid schenkte ihr ein strahlendes Lächeln. Am Schwarzen Brett hingen Zettel mit Veranstaltungsterminen, Kaufgesuchen und Verkaufsangeboten über Möbel, Küchengeräte, Ra dio- und Fernsehapparate und vieles andere mehr. Trasks Augen rich teten sich auf das rechte untere Eck des Schwarzen Bretts. Rashid be obachtete ihn. »Alles in Ordnung«, sagte Trask schließlich. »Es bleibt alles wie ver 5
abredet.« Er deutete kurz auf eine weiße Karteikarte mit folgendem Text: Verkaufe gebrauchten, gut erhaltenen Stereo-Plattenspieler, Marke Harmon-Kardon, mit automatischem Plattenwechsler und Lautsprechern. 150 $. Tel. 555-28 66, nur abends. Das war die verschlüsselte Nachricht von Olmedo, die ihnen mitteil te, daß keine Planänderung nötig war. Wäre die Operation verscho ben worden, hätte Olmedo einen Plattenspieler der Marke ›Pioneer‹ annonciert. Ein grauhaariger Arzt drängte sich an ihnen vorbei. Am Informa tionsschalter für die Krankenschwestern blieb er stehen, sprach kurz mit der Schwester hinter der Theke, drehte sich dann nach Trask und Rashid um und musterte die beiden. »Sie da …« Die vielen unbekannten Gesichter und die fremdlän dischen Akzente, die er täglich um sich sah und hörte, brachten ihn manchmal fast durcheinander. »Sie beide … Nehmen Sie zufällig an meinem Seminar über Kardiologie teil? Wir müssen heute in den fünf ten Stock umziehen.« »Nein, Doktor«, erwiderte Trask und schien seine gerade Haltung noch mehr zu straffen. »Wir sind von der Chirurgie.« »Ich weiß nie genau, wer zu meiner Gruppe gehört und wer nicht«, stöhnte der Arzt auf und ging hastig weiter. »Armer Dr. Evans«, meinte die Krankenschwester. »Er ist so überla stet, daß er manchmal seine eigenen Leute nicht mehr kennt. Haben Sie was Interessantes entdeckt?« Trask wandte sich vom Schwarzen Brett ab. »Leider nicht.« Dann wandte er sich an Rashid: »Gehen wir frühstücken.« Die Luft in der überfüllten Cafeteria war verbraucht. Die beiden reihten sich in die lange Schlange am Büfett ein und nahmen sich ein Tablett. Trask empfand plötzlich Hunger. Er bestellte Cornflakes, Eier und Speck, Toast und Kaffee. Rashid begnügte sich mit einer Tasse Kaffee. 6
»Sie schwitzen ja ganz schön«, bemerkte die Farbige, die ihnen Kaf fee servierte. »Das macht der Temperaturunterschied. Draußen ist es eiskalt. Hier drinnen herrscht eine Bullenhitze.« Rashid gab ihr einen Dollar und wartete auf das Wechselgeld. »Ihr Assistenzärzte seid doch alle gleich. Zu heiß, zu kalt, so geht's den ganzen Tag. Wo kommen Sie her?« Rashid schenkte ihr ein Lächeln. Olmedo hatte ihnen erzählt, was für ein zwangloser Umgangston in dieser Klinik herrschte. Sanitäter und Monteure saßen hier zusammen mit Ärzten an einem Tisch. »Aus dem Sudan«, antwortete Rashid. »Ein verdammt heißes Land.« »Mal was ganz Neues«, sagte die Frau am Kaffeeausschank. »Der Nächste bitte!« Trask saß am Tisch und widmete sich intensiv dem knusprigen Schinkenspeck und dem cremig-weichen Ei. Er beteiligte sich nicht an der Unterhaltung, doch seine Augen glitten musternd von Tisch zu Tisch. »Ein verdammt alter Kasten«, bemerkte Rashid und trank langsam seinen Kaffee. Die heiße Flüssigkeit brannte in der Kehle. »Der Raum sieht ziemlich ramponiert aus. Man fragt sich wirklich, warum ein Mann wie Trench ausgerechnet hier …« Trasks drohender Blick brachte ihn augenblicklich zum Verstum men. »In Ordnung! Ich halte ja schon den Mund.«
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r. Eric Lake war meistens schon vor dem Klingeln des Weckers wach. Seine innere Uhr funktionierte präzise. Einige Minuten vor sechs wachte er auf, tastete nach der Uhr und schaltete den Weckme chanismus aus, um seine Frau nicht zu stören. Martha schlief gerne noch etwas länger. »Ich höre dich«, murmelte Martha aus den Kissen. »Du kannst unser Badezimmer benutzen. Ich bin wach.« Lake war bereits auf Zehenspitzen auf dem Weg zum Badezimmer der Kinder. Beide hatten einen gesunden Schlaf. »Schon gut«, flüsterte Lake. »Schlaf weiter.« Der Chirurg sah nach seinen Kindern. Der zwölf jährige Eric junior bauschte die Bettdecke merkwürdig hoch. Der Jun ge wird langsam dick, dachte Lake. Er konnte sich nicht erklären, wo her der Junge diese Veranlagung hatte. Lake selbst war schmal, beinahe mager. Martha war ebenfalls schlank und groß. Wie kamen ausgerech net sie zu diesem pummeligen, etwas phlegmatischen Jungen? Die zwei Jahre jüngere Tochter Sarah war nach den Eltern geraten: ein schlankes, agiles und etwas eigensinniges Mädchen. Unter der kalten Dusche über kam Lake fast so etwas wie Schuldbewusstsein. Er hatte einfach zu we nig Zeit für den Jungen, ermunterte ihn nicht, Sport zu treiben. Andere Väter spielten mit ihren Söhnen Tennis oder Hockey. Er dagegen verließ die Wohnung im Morgengrauen, kehrte abends erschöpft zurück, mach te es sich in einem Sessel bequem und vergrub sich dann meistens in ei ner Fachzeitschrift. Seit drei Jahren versprach er Sarah und Eric schon, mit ihnen eine Campingtour in die Adirondacks zu machen. In T-Shirt und Unterhose kehrte er ins Schlafzimmer zurück. Auf der Suche nach einem frischen Oberhemd riß er die seit Wochen lok kere Deckblende einer Schublade ab, die zu Boden fiel. 8
»Unhold«, stöhnte seine Frau. »Der schnellste Herzchirurg der Welt schafft's nicht, mal eine Schublade aufzuziehen, ohne sie gleich in ihre Einzelteile zu zerlegen.« »Entschuldige, aber das Ding ist schon seit einem Monat locker. Ist uns vielleicht der Alleskleber ausgegangen?« »Nein, dem Mädchen für alles, Martha Hunterden-Lake, ist einfach die Zeit ausgegangen«, gab Martha zurück. Lake knöpfte sein Oberhemd zu. »Liebling, hack bitte jetzt nicht auf mir rum. Nicht um halb sieben Uhr morgens. Ich habe dir schon hun dertmal gesagt, du sollst dir eine Haushaltshilfe besorgen.« »Hausangestellte mag ich nicht. Außerdem sind sie dauernd belei digt, schmollen und machen nicht ordentlich sauber.« Bei dem Wort ›Hausmädchen‹ stellten sich bei Martha Lake stets Assoziationen wie Sklavenhandel oder Arbeit in den Plantagen der Südstaaten ein. Das Thema dauerte schon so lange wie ihre Ehe. Lake band seine Krawatte und dachte dabei über seine Ehe nach. Martha war eine treue, intelligente und tüchtige Frau, und er fragte sich, ob er je eine andere hätte heiraten oder lieben können. Martha war Biologin und mit siebenundzwanzig nach zwei gescheiterten Ro manzen noch allein gewesen, als er sie kennen gelernt hatte. Die hüb sche, hochgewachsene Frau mit den ausgeprägten fraulichen Zügen hatte stets das Kompliment genossen, ein interessantes Gesicht zu ha ben. Doch es steckte mehr in ihr. Mit ihrer Klugheit und unverwüst lichen Natur war sie zugleich der beste Kamerad, den man sich wün schen konnte. »Bitte, hol endlich einen Handwerker, Martha«, drängte Lake. »Die Fliesen im Badezimmer sind locker, die Decke in der Küche ist un dicht.« Lake vollbrachte am Operationstisch mit seinen feinfühligen Händen oft wahre Wunder, doch im Haus war er nicht zu gebrauchen. War es Zementmischen oder Fliesenlegen – dies war nicht sein Fall. Martha machte die meisten anfallenden Reparaturen selbst. »Außer dem sind die Fußbodenbretter in der Veranda locker und die Außen beleuchtung funktioniert nicht.« Martha lachte leise ins Kissen. »Komm in meine Arme, Eric.« Lake 9
setzte sich auf den Bettrand und nahm Martha in seine Arme. Ihr Kör per war immer noch schlank und geschmeidig, ihre Haut weich und zart, die Brust blühte noch in vollen Formen. Sie hatte ihm eröffnet, daß sie im nächsten Jahr wieder anfangen wolle, in ihrem alten Beruf zu arbeiten. Sie hatte vor, das große alte Haus mit den sechzehn Zim mern, den schiefen Fußböden und dem leichten Modergeruch zu ver kaufen. »Martha, du sagst jetzt jeden Morgen hundertmal ›Wir sind reich‹, und dann rufst du den Fliesenleger an, damit endlich der Fußboden im Badezimmer repariert wird. Ich möchte mal wieder frühstücken, ohne daß mir ständig Seifenwasser in den Kaffee tropft.« »Gut. Ich rufe den netten Mr. Battista noch heute an.« »Und anschließend den Schreiner und den Elektriker«, ergänzte Lake. »Mein Gott, wir müßten unser Geld doch besser anlegen kön nen als die Regierung! Es ist absurd«, seufzte er. »Ich werde mich ein fach nie daran gewöhnen. Alan Motzkin liebt sein Geld. Evans, Fess, alle wissen was damit anzufangen.« »Wir sind eben tief in unserem Herzen Puritaner.« Eric sah Martha einen Augenblick schweigend an. Dann sagte er so leichthin: »Du, ich habe mit Rockewicz gesprochen.« Martha horchte auf. Steve Rockewicz war der Verwaltungsdirek tor des ›City General Hospital‹, und Martha und Eric waren in Bezug auf ihn geteilter Meinung. Rockewicz war einerseits ein kluger, ener gischer Geschäftsmann, der die Klinik glänzend verwaltete, anderer seits war er doch schwer zu durchschauen, was Martha weniger schätz te. Sie traute ihm nicht ganz. »Worüber?« fragte sie. »Ich werde einen Teil meines Verdienstes wieder dem Krankenhaus zukommen lassen«, erklärte Lake. »Wir brauchen unbedingt moderne Geräte für das Herzforschungszentrum. Sämtliche Einrichtungen sind völlig veraltet. Ich habe deswegen mit Steve geredet, und er ist Feuer und Flamme …« »Das kann ich mir vorstellen.« »Sei vernünftig, Martha. Ich gebe dem Krankenhaus ein Zehntel 10
meines Verdienstes. Das macht ungefähr den gesetzlichen Freibetrag aus, vielleicht auch etwas mehr. Ich schulde der Klinik viel. Rocke wicz hat mir damals, als die Abteilung für Herz- und Gefäßchirurgie ausgebaut worden ist, völlig freie Hand gelassen. Die Summe müßten wir ansonsten dem Finanzamt zahlen. Warum sollte ich sie also nicht der Klinik geben? Unsere Herz-Lungen-Maschinen gehören sowieso längst auf den Müll.« »Du willst also dem Krankenhaus im Jahr dreißigtausend Dollar schenken?« »Auf das läuft's raus. Steve und ich müssen das natürlich noch regeln.« »Was sagt Alan Motzkin dazu?« wollte Martha wissen. Dr. Motzkin war Lakes Anästhesist. »Alan findet, daß ich meine ei gene Firma gründen sollte. Dr. med. Eric Lake GmbH.« »Und?« »Ich bin doch kein Geschäftsunternehmen, sondern ein Mensch.« Lake erzählte Martha allerdings nicht, daß Motzkin vor einigen Ta gen nach einer ziemlich anstrengenden Operation, bei der sie einem Patienten eine künstliche Aortenklappe eingesetzt hatten, gesagt hat te: ›Eric, du brauchst keinen Mercedes oder Cadillac … jedenfalls nicht in dem Maße wie ich. Du bist Eric Lake, einer der Besten. Dich kennt man, dich achtet man! Und wir? Wir Trittbrettfahrer haben doch ab und zu eine gewisse Selbstbestätigung nötig …‹ Martha Lake schwang die schlanken Beine aus dem Bett und stand auf, gähnte und zog den Morgenrock über. Eric überprüfte den Inhalt seiner Jackettaschen: Brieftasche, Taschentuch, zwei Packungen Ziga retten, Autoschlüssel. »Glaubst du, Rockewicz macht dann endlich ein bißchen Werbung für dich? Kein Mensch kennt dich.« »Walker Tench kannte mich.« »Weil ihr auf dem College befreundet wart. Wann wachen Rocke wicz und sein Verwaltungsrat endlich auf und kapieren, wie gut du ei gentlich bist?« In ihrem Innern wußte Martha, daß es auch an Eric Lake selbst lag. Ihm war Publicity zuwider, wie sie die Chirurgen texa nischer Prägung genossen. 11
Lake schloß ihr mit einem Kuß den Mund. »Sag Eric junior, daß wir noch vor Ende der Saison ein Match der Knicks besuchen. Basketball lang weilt mich zwar, aber ich gehe trotzdem. Kannst du Karten besorgen?« »Ich werd's versuchen. Viel Glück bei Walker.« »Das ist eine reine Routineoperation.« Martha horchte auf die Fehlzündungen von Erics altem Wagen, als dieser aus der Einfahrt kam. Sie legte sich noch einmal hin und ver suchte einzuschlafen. Ihre Gedanken kreisten um das, was Jack Lica ta, der Assistenzarzt in der Herzchirurgie, einmal zu ihr gesagt hatte: »Wenn es dir gelingt, Eric aus einem Irrenhaus wie dem ›City General‹ herauszuholen, erscheint sein Bild innerhalb einer Woche auf der Ti telseite von ›Time-Magazine‹.« Als Lake über die Brücke fuhr, die das Land mit der City verband, in der das ›City General Hospital‹ lag, kam er zu dem Schluß, daß sie eigentlich dringend Urlaub nötig hätten. Alan und Bev Motzkin jette ten ständig zu den karibischen Inseln. Er nahm sich vor, Alan um Rat zu fragen. Doch so schnell wie ihm dieser Gedanke gekommen war, verwarf er ihn auch wieder. Er hasste es, mit Fremden an irgendeinem Swimmingpool herumzuliegen und die kostbare Zeit mit Nichtstun zu verbringen. Außerdem hatte er noch nie eine Badehose besessen, die ihm gepaßt hätte.
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H
ustenbonbons«, erklärte Tench. »Wie bitte? Was haben Sie gesagt, Mr. Tench?« erkundigte sich die Nachtschwester. Sie war eine großgewachsene, schlanke Farbige in steriler, weißer Schwesternkleidung. »Diese Pillen, die Sie mir gegeben haben. Die haben bei mir dieselbe Wirkung wie Hustenbonbons. Was für ein Zeug ist das überhaupt?« 12
»Das darf ich Ihnen eigentlich nicht sagen.« »Aber Schwester! Ich bin Dr. Lakes prominentester Patient. Schließ lich hat er diese Suite hier extra für mich richten lassen.« »Ich weiß, ich weiß.« Die Schwester half Mr. Tench hoch. Sie schüt telte die Kissen auf und fühlte seinen Puls. Er empfand jede ihrer Be wegungen unter dem gestärkten weißen Stoff als sinnerregend. Trotz Schmerzen, Krankheit und dem möglichen Tod vor Augen gab es für ihn immer noch ein Gefühl der Männlichkeit. Von der farbigen Schwester ging irgendwie der verruchte Duft von Dschungelleiden schaft aus. »Diazepam, Mr. Tench, und Valium.« »Das wird nichts helfen, Miß Redpath. Ich bin einen Meter acht undachtzig groß, wiege zweihundertfünfundvierzig Pfund und habe schon alles ausprobiert. Wieviel Tabletten ich auch schlucke und was der Anästhesist auch in mich reinpumpt, bei mir hat das keine Wir kung. Schmerzmittel, Schlaftabletten, Beruhigungsmittel … ich könn te genauso gut Hustenbonbons lutschen.« Mit einer mehr liebevollen als sinnlichen Geste strich Tench mit sei ner großen Hand über den Rücken der gutgewachsenen Helferin. Die Schwester nahm die Hand und legte sie sanft auf die Bettdecke zurück. »Aber, aber! Von Dr. Lakes Freund hätte ich das nicht erwar tet. Im übrigen sollte ein Patient mit Angina pectoris jede Aufregung vermeiden.« Die präzise Erwähnung seiner Krankheit hatte eine fast ernüchtern de Wirkung auf Tench. Oder sollten die Medikamente doch zu wirken begonnen haben? In den vergangenen fünf Monaten litt Tench stän dig unter Schmerzen und Anfällen. Mit seinem Geschäftsflugzeug war er häufig von Palm Beach in den nördlichen Teil von Michigan und in die karibische See gejettet. Herzspezialisten hatten ihn mit Nitroglyze rin und anderen Medikamenten behandelt und ihm geraten, eine Ab magerungskur zu machen, das Rauchen aufzugeben und sich des Al kohols zu enthalten. Dann hatten ihn alle verlassen. Seine zweite Frau, die Erbin eines Vermögens, das annähernd so groß war wie sein eigenes, war mit ei 13
nem libanesischen Goldhändler in die Schweiz verschwunden. Und seine Tochter aus erster Ehe lebte irgendwo im Staat New York in einer Kommune und versuchte dort, das wahre Glück zu finden. Schließlich war er bei seinem Studienfreund Eric Lake gelandet. Und jetzt hatte er Angst. Einfache, niederträchtige Angst. »Miß Redpath, wann beginnen sie mit der Narkose?« »Oh, Mr. Tench, Sie werden nicht mal wissen, wie's passiert ist.« »Miß Redpath, ich bin kein Feigling, aber ich kann keinen Schmerz ertragen. Ich habe eine sehr niedere Schmerzschwelle. Ich war im Zweiten Weltkrieg ein braver Infanteriesoldat und habe 'ne Menge Or den, aber Schuhe, die drücken, kratzige Unterwäsche oder einen ver stauchten Knöchel kann ich einfach nicht ausstehen.« »Dr. Motzkin wird sie mit schmerzstillenden Mitteln so sorgfältig behandeln, daß sie das Gefühl haben, auf einer Wolke zu schweben.« »Ich habe von Patienten gehört, die am Herzen operiert worden sind, die wie gelähmt waren, weder reden noch sich bewegen konnten, aber alles genau gefühlt haben.« »Das sind Ammenmärchen. Wenn jemand wirklich was von Gefäß chirurgie versteht, dann Dr. Lakes Team.« Sie wandte sich zum Gehen. Tench spürte einen stechenden Schmerz in der Herzgegend. Das mit Blut schlecht versorgte Herz machte sich bemerkbar. Tench wußte, daß die Koronargefäße seines Herzens verstopft, defekt waren. Und sobald sich der Blutstrom verringerte und das Herz überlastet war, zog der Schmerz durch den ganzen Körper. »Bleiben Sie! Ich möchte mich mit Ihnen unterhalten.« »Ich komme gleich zurück.« Was ist aus meiner Allgewalt geworden, dachte Tench. Ich bringe nicht einmal mehr eine farbige Krankenschwester dazu, fünf Minu ten bei mir zu bleiben. Der Lärm der Müllabfuhr auf den Straßen tief unter den Fenstern der Prominentensuite drang bis hier herauf. Tench erinnerte sich an eine Italienreise, die er kurz nach seiner ersten Schei dung unternommen hatte. Herrliche fünf Wochen hatte er mit einer 14
bezaubernden und aufregenden Venetianerin verbracht. Raphaël bei Tag und die Geräusche der Straße bei Nacht. In Italien hatten selbst die Mülltonnen einen anheimelnden Klang gehabt. Tench merkte, wie die Beruhigungsmittel langsam zu wirken began nen. Er fühlte sich in einen Zustand der Euphorie versetzt. Plötzlich sah er sich wieder wie vor acht Jahren in dem großen Kon ferenzsaal stehen: er, der neu gewählte Präsident, der die Nachfolge des Vaters angetreten hatte. Klug, schlagfertig und mit untrüglichem Ge schäftssinn, war er den alten Herren, auf die sich der Vater einst ver lassen hatte, in allem immer einen Schritt voraus gewesen. Er hatte schnell gelernt. Die mitverantwortlichen Herren konnten seinem Tem po bald nicht mehr folgen. Erst jetzt hatte er sich aus dem Management zurückgezogen. Der Konzern und seine Tochtergesellschaften funk tionierten von allein. Vorstandsmitglieder saßen in der Regierung, kümmerten sich um den Absatz und hielten enge Verbindung zu den Gewerkschaften. Ein Heer von Ingenieuren und Wissenschaftlern war mit der Entwicklung neuer, besserer Produkte beschäftigt, und Scha ren von Vertretern brachten diese Waren auf den Markt. So einfach war das. Tench hatte sich schließlich von dem Posten des Vorsitzenden des Verwaltungsrates zurückgezogen und James J. Cardone zum Prä sidenten vorgeschlagen. Doch Walker Tench war trotzdem noch immer aktiv, eröffnete sei nem Konzern neue Absatzmärkte, knüpfte Beziehungen, ließ seine Verbindungen spielen, war ständig auf der Suche. Und noch während er unablässig tätig war, hatte es ihn erwischt. Sein Herz streikte, ver sagte, verweigerte für Sekunden den Dienst. Die Anfälle von Herzbe klemmung häuften sich. Wie lange würde es noch dauern, bis es ganz stillstand? Er wanderte von einem Spezialisten zum anderen. Keiner konnte ihm helfen. Tabletten sollten sein Leiden bessern. Doch es ver schlimmerte sich. Jetzt gab es für ihn nur noch eine Chance, und die lag in Eric Lakes Händen. Die Beruhigungsmittel versetzten ihn mit der Zeit in eine Art woh ligen Dämmerzustand. Lächelnd döste er vor sich hin und stellte sich die Gesichter der anderen vor, wenn er, der Vorsitzende des Verwal 15
tungsrates, schließlich wieder schlank, voller Tatendrang und frei von Schmerzen bei den Sitzungen auftauchen würde.
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E
ric Lake vermied es in den meisten Fällen, seine Patienten vor der Operation zu besuchen. Er zog es vor, ihnen erst im Operations saal zu begegnen, wenn sie, an zahlreiche Schläuche, Kabel und Kathe ter angeschlossen, aus dem Narkoseraum gerollt wurden. Während er den Korridor zu Tenchs Suite entlangging und den Krankenschwestern zunickte, denen er begegnete, dachte er über das unstete, nervenaufreibende Leben seines Freundes nach. Macht, Reichtum, Ehefrauen, Mätressen, Drogen und Alkohol spielten eine Rolle. Er hatte Kunstgalerien und Musicals gefördert. Mittlerweile entstand bereits ein neues Projekt. Es handelte sich um eine Stiftung für die jugendlichen Angehörigen ethnischer Minderheiten in den In nenstädten. Der Präsident des Konzerns, James J. Cardone, entwickel te diesen Plan, der Tenchs ganzer Stolz war, jedoch den älteren Mit gliedern des Verwaltungsrates ein Kopfschütteln abnötigte. Dann war Tench jedoch herzkrank geworden und mußte eine erzwungene Pau se einlegen. Vor der Zimmertür sprach Dr. Lake kurz mit der Schwe ster, Miß Redpath. »Wie geht es ihm?« »Gut. Er ist bereits vorbereitet. Dieser Mann ist doch kaum zum Ein schlafen zu bringen.« »Mr. Tench hat in seinem Leben Schlaf, so gut es ging, zu umgehen versucht … besonders nachts oder am frühen Morgen.« Eric Lake suchte nach einem Aschenbecher im Flur, um seine halb gerauchte Zigarette auszumachen. Dann öffnete er die Zimmertür und trat ein. 16
»He, Eric!« lallte Tench. »Was haben deine Leute eigentlich mit mir gemacht?« »Warum?« erkundigte sich Lake. »Hör mal, Eric«, begann Tench erneut mit einer Stimme, die von weither zu kommen schien. »Die Männer, die mich gestern abend ra siert haben, das sind vielleicht Perfektionisten gewesen. Wer waren sie?« Tenchs bereits halbverschleierter Blick glitt über Lakes hageres Gesicht. Er sah die Spuren außergewöhnlicher Anstrengung und Kon zentration darin. Die vielen Stunden am Operationstisch hatten sich deutlich eingeprägt, eine jede hinterließ ein kleines Merkmal, das sich in den Zügen widerspiegelte. »Die Männer, die dich rasiert haben, gehören zu meinem Team«, antwortete Lake. Eine Bahre wurde ins Zimmer gerollt. Die beiden Sanitäter traten an Tenchs Bett. »Geht's schon los? Schade! Ich hab' einen so schönen Traum gehabt.« Tench faßte Lake am Arm. »Diese zwei Prozent Patienten, die während der Operation sterben, Eric … Ich werde doch wohl nicht zu diesem erlesenen Verein gehören, oder?« »Kaum. Du bist jung und widerstandsfähig, auch wenn du Überge wicht hast. Du wirst dich wie neugeboren fühlen.« »Ja, ja, ich habe eine Verjüngung dringend nötig, Eric! Und kein Wort zu den Herren vom Konzern, solange ich noch nicht über den Berg bin, verstanden?« »Keine Angst, dafür wird gesorgt.« Miß Redpath half ihm auf die Bahre. Ihre dunkle Haut und das exo tische Parfüm ließen Tench in einen Traum vom Wunder des Lebens versinken. »Wenn's mir nicht um die Ehre zu tun wäre, würde ich fast lieber zu Fuß gehen.« »Wir helfen dir. Decken Sie ihn zu, Olmedo.« Olmedo, der Mann mit der blassen Gesichtsfarbe und der langen Nase, zog das Leintuch über Tenchs massige Gestalt und befestigte es an den Seiten. Der andere Sanitäter schnallte Tenchs Beine an. Tench glitt langsam in das Dämmer der Betäubung. Er war unfähig, zu spre 17
chen oder sich an das zu erinnern, was er in der letzten Viertelstunde gesagt hatte. Sie warteten am Aufzug. Lake sah gedankenvoll auf seinen Patien ten herab. Tench konnte seine Worte vielleicht nicht mehr hören, doch ein bißchen Aufmunterung hatte noch nie geschadet. »Bis ich komme, übernimmt Jack Licata die Vorbereitung«, sagte Lake. »Du kennst ja Jack. Er ist der beste Oberarzt weit und breit.« Der Pfleger, den die Krankenschwester Olmedo genannt hatte, schob die Bahre mit Tench in den Aufzug. Der Operationssaal lag im drit ten Stock. Lake betrat neben seinem Patienten den Lift. Tenchs Lippen beweg ten sich, er wollte etwas sagen. »Mit … mit einer tollen … Liebesnacht hat … alles … angefangen«, murmelte der Millionär undeutlich. Dann war er eingeschlafen.
In seinem Büro zog Lake seinen weißen Arztkittel an, holte ein Päck chen Filterzigaretten aus dem Schrank und legte es auf den Schreib tisch. Allein die Tatsache, daß er Zigaretten hatte, gab Eric Lake ein beruhigendes Gefühl. Wenn es sein mußte, konnte er bis zum Abend aushalten, ohne etwas zu essen. Ab und zu eine Zigarette – sie gab ihm Ruhe und Sicherheit. Martha versuchte zwar hin und wieder, ihm die Schädlichkeit des Rauchens drastisch vor Augen zu führen, was ihm ja als Arzt bekannt war, doch er konnte es einfach nicht ganz aufgeben. Lake schlug den grauen Ordner auf seinem Schreibtisch auf. Er ent hielt den Bericht über die Herzkatheterisierung, die vom kardiologi schen Labor bei Tench durchgeführt worden war. Ein Blick genügte Lake. »Mit dieser Liebesnacht hat's nicht angefan gen«, sprach er mit sich selbst und inhalierte den Zug aus der Zigaret te. »Aber sie hat die Sache beschleunigt.«
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Lake las: Bei dem Patienten handelt es sich um einen einundfünfzigjährigen Mann, der seit vier Monaten unter starken Schmerzen in der Brust leidet. Diese Schmerzen tauchten zum ersten Mal während des Sexualverkehrs auf und dauerten noch mehrere Stunden nach dem Orgasmus an. Begleitet wurden sie von Schweißausbrüchen und hatten eine ausstrahlende Wirkung, die bis in den Rücken reicht. Im Lauf von eineinhalb Monaten kehrten diese Schmerzen regelmäßig wieder und hielten meistens bis fünfzehn Minuten lang an. Im Dezember stellte sich dann der erste schwere Anfall ein. Die Schmerzen, die sich dabei über die ganze Brusthöhle ausgebreitet hatten, konnten nur minimal mit Isordil gelindert werden. Weitere Symptome waren Kurzatmigkeit und Schweißausbrüche. Nach einwöchiger Bettruhe wurde der Patient weiterhin mit Isordil, Nitroglycerin und Inderal medikamentiert. Keines dieser Mittel zeigte jedoch nachhaltige Wirkung. Im vergangenen Monat traten die Anfälle täglich in regelmäßigen Abständen bis zu fünfzehnmal auf, so daß der Patient ans Bett gefesselt war. Die Anfälle standen nur sporadisch in Zusammenhang mit körperlicher Anstrengung, traten jedoch fast immer nach den Mahlzeiten auf. Ergänzend zur Krankheitsgeschichte ist hinzuzufügen, daß der Vater des Patienten mit Sechsundsechzig Jahren an einer Erkrankung der Herzkranzgefäße starb. Die Mutter litt an Diabetes. Der Patient hat vor drei Monaten das Rauchen aufgegeben und seit dieser Zeit auch keinen Alkohol mehr getrunken. Für sein Alter und seine Größe ist er gut vierzig Pfund zu schwer. Abgesehen von den Herzschmerzen und dem Übergewicht ist Tench ein völlig gesunder Mensch, überlegte Lake. Sein Puls war regelmä ßig, verdächtige Herzgeräusche gab es nicht, und er litt auch nicht an Herzrhythmusstörungen oder Herzklopfen. Das EKG zeigte vollkom men normale Werte. In einer Ecke von Lakes Büro stand ein Bildschirmgerät. Lake drück 19
te seine Zigarette aus, öffnete eine Filmbüchse, nahm den 35-mm-Rönt genfilm von Tenchs geschwächtem Herzen heraus und legte ihn in das Vorführgerät.
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rask und Rashid ließen sich beim Frühstück viel Zeit. Die Cafete ria war noch immer überfüllt, die Luft stickig. Ein Wachmann musterte die beiden Männer im Vorübergehen durch seine Brille und setzte sich dann mit seinem Kaffee in einiger Entfernung an einen Tisch. »Hier ist weit und breit keiner bewaffnet«, bemerkte Trask. »Du vergisst den Polizisten am Vordereingang.« »Der verläßt seinen Posten nie.« Rashid schob sein Tablett beiseite. Das ganze Unternehmen kam ihm zu einfach vor. Es lief alles glatt und ohne Störung ab. Er erinner te sich an den Coup am Flughafen von Amsterdam. Dort hatten sie es mit schwerbewaffneten Polizisten zu tun. »Schmeckt dir der Kaffee nicht?« erkundigte sich Trask. »Hm, schwarz und mit viel Zucker ist er mir lieber.« Rashid lächelte. Er und Trask verstanden sich im Grunde nicht be sonders gut. Trask war zwar der gewählte Anführer, doch Rashid mach te sich manchmal Gedanken. Trask war jung, Ende Zwanzig. War er tatsächlich so intelligent, wie es den Anschein hatte, und würden sei ne Pläne wirklich immer ohne Panne funktionieren? Zweimal hatten sie einwandfrei geklappt. Der Bombenanschlag auf die Börse und der Banküberfall waren volle Erfolge gewesen. Jetzt waren sie soweit, zu ei nem größeren Schlag ausholen zu können, um die Welt auf sich auf merksam zu machen. Trask mußte einfach recht haben. »Hast du Angst?« fragte Trask. 20
Rashid, der Araber, hatte nachdenklich die Augen geschlossen. Sei ne Hand glitt langsam an seinem Bart entlang. »Nein, nein. Du weißt doch, ich habe eine schwache Blase.« Trask lachte. »Dann solltest du besser auf die Toilette gehen. Wir werden verdammt lange im OP bleiben müssen. Die Operation kann Stunden dauern.« »Tja, dann sollte ich das wohl gleich erledigen.« »Ich rufe inzwischen das Büro an.« Trask machte Rashid ein Zeichen, ihm zu folgen. Dann betrat er die Telefonzelle, die in der Ecke der Cafeteria eingerichtet war. Er hob den Hörer ab und wählte. Das Rufzeichen ertönte dreimal, dann meldete sich Bate Hooks rauhe Stimme. »Druckerei ›Acme‹.« »Hallo? Hier ist die Firma ›Fairfax‹, Geschäftsformulare. Wir haben die Lieferung bekommen. Alles in bester Ordnung.« »Okay. Haben Sie noch zusätzliche Aufträge für uns?« »Nein, es bleibt bei der Liste vom vorigen Monat. Keine Änderun gen.« Damit legte Trask auf. Also wurde der Zeitplan sowohl im Kranken haus als auch draußen exakt eingehalten.
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enchs Herz flimmerte über den Bildschirm. Lake beobachtete an gespannt, wie sich das Herz krampfhaft zusammenzog und unre gelmäßig pumpte. Dabei wurden die Schäden sichtbar, als der Kathe ter Farbstoff in die Herzkammer sprühte. »Zwei Defekte«, murmelte Lake vor sich hin. »Einmal eine Veren gung am Ramus descendens, dem absteigenden Ast des linken Herz kranzes. Zweitens an der Circumflexa. Reine Routineangelegenheit.« 21
Lakes Augen verengten sich. Die dunkel getönten Abschnitte der Ar terien machten deutlich, daß das Herz ungenügend durchblutet war. Lake, frei von Emotionen, fühlte instinktiv die Herausforderung, die in dieser Operation lag. Lake war als Gefäßchirurg kaum bekannt. Er hatte sich im ›City General Hospital‹ vergraben und dort im stillen ge arbeitet. Trotzdem war Walker Tench gerade zu ihm gekommen. »Ich will nicht, daß jemand was davon erfährt«, hatte der Millionär gesagt. »Wenn es bekannt wird, würden sie mich sofort nach Houston oder Cleveland verfrachten. Aber ich will, daß du mich operierst und daß die Sache nicht bekannt wird.« »Das ist kein Problem«, hatte Lake ihn beruhigt. »Unsere Presse er scheint kaum hier im Krankenhaus, und außergewöhnliche Fälle ha ben wir hier nur selten. Ich glaube, die Reporter wissen nicht einmal, daß ich Herzchirurg bin.« Während der Röntgenfilm weiter abrollte, der die Einzelheiten von Tenchs Krankheit zeigte – die Zusammenziehung des Herzens und der in der Folge entstehende ›Stau‹, sobald das Kontrastmittel nicht durch die stenosierten Gefäßteile dringen konnte –, dachte Lake er neut über Walker Tench nach. Dabei kehrte die Erinnerung an einen Vorfall wieder, der sich vor Jahrzehnten an der Princeton-Universität zugetragen hatte. Er erlebte im Geiste noch einmal die brutale Prügelei in Princeton, als sich einige betrunkene, athletische Studenten des er sten Semesters nach ihrem Baseballspiel den mageren, schäbig geklei deten Eric Lake als Opfer ihres grausamen Scherzes ausgesucht hatten. Walker Tench hatte damals eingegriffen und Lake gerettet. Das war der Beginn einer seltsamen Freundschaft. Lake schaltete das Bildschirmgerät ab und legte die Filmrolle in die Büchse zurück. Dann steckte er den Bericht über die Herzkatheterisie rung in den Ordner zurück und schrieb eine kurze Notiz für seine Se kretärin. Danach zündete er sich noch eine Zigarette an und überlegte. »Du wirst gesund werden, Walker«, murmelte Lake. Und er erinner te sich an die Worte des Millionärs, als dieser in die Operation einge willigt hatte: ›Eric, ich bin erst einundfünfzig. Die Schmerzen kann ich nicht mehr aushalten, und sterben möchte ich noch nicht.‹ 22
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ach dem Telefongespräch mit Trask legte Bate Hooks den Hörer wieder auf. Er hatte Zeit. Sein Eingreifen war erst in zweieinhalb Stunden vorgesehen. Fiona war schon früher dran. Sie mußte bald auf dem Klinikgelände sein. »Alles in Ordnung?« erkundigte sie sich. »Yeah! Trask ist okay«, antwortete Hooks. »Gestern abend bist du aber ganz anderer Meinung gewesen.« »Da hatte ich auch zuviel Alkohol erwischt und dieser ›Rashit‹ hat mich noch blöd angefaucht. Ich sei ein Großmaul und müsse mich erst noch bewähren, hat er gesagt. Tja, er hat ja auch schon Busse und Flug häfen in die Luft gejagt.« »Wir sitzen alle im selben Boot, Bate«, entgegnete Fiona. »Trask hält die Fäden in der Hand.« Hooks stand auf und ging hinüber zu der Liege, die das einzige Mo biliar im Raum darstellte. Dort lagen die Waffen ausgebreitet. Er hat te die Gewehre gereinigt, geölt und geladen. Die Handgranaten waren überprüft. Rashid, den Hooks immer ›Rashit‹ nannte, und Carlos Ol medo verstanden einiges von Waffen. Doch er, Bate Hooks, war der wirkliche Waffenexperte. »Trask ist der Meinung, wir brauchten das Armalite nicht, aber viel leicht ist es doch ganz nützlich.« Hooks nahm das Sturmgewehr M-16 vom Bett. Die übrigen Waffen waren alles automatische Karabiner und Spezial-MPs, Kaliber 9 mm. »Du wirst das Armalite nicht benutzen«, sagte Fiona. Hooks glattes Gesicht verzog sich zu einem Grinsen. »Wirklich nicht? Vielleicht möchtest du 'ne Ladung, Baby? Trask ist weg.« Er zielte auf Fiona. 23
»Nicht mal fünfzehn von deiner Sorte könnten mir Angst machen, Hooks«, entgegnete Fiona leise. »Ah, ich weiß! Du hast den Tommies massenweise die Eier wegge schossen, stimmt's?« »Und dir blüht dasselbe, wenn's nötig sein sollte.« Hooks kicherte. Fiona Regan war ein schlankes, zierliches Mädchen mit milchig weißer Haut und braunem Haar. Hooks hatte Trask im Verdacht, mit ihr geschlafen zu haben. Hooks überlegte: Sie waren jetzt allein in der Wohnung; später kam der große Coup, bei dem sie allerdings auch hops gehen konnten. Er nahm das Gewehr, ging damit zum Fenster, schob die Jalousie hoch und zielte mit dem Armalite auf die Straße hinunter. »Geh sofort vom Fenster weg!« kam es scharf von Fiona. »Von dir lasse ich mir nichts sagen, Baby!« »Manchmal frage ich mich wirklich, warum Trask dich bei uns auf genommen hat.« »Ganz einfach, weil ich Waffenexperte bin, Baby … und weil ich ei nen heißen Reifen fahre. Hooks schießt, fährt und fickt erstklassig. Wie bist du im Bett?« »Du interessierst mich nicht.« »Das kommt noch.« Er lachte leise in sich hinein. »Ich bin besser als Trask. Du weißt, welchen Ruf wir schwarzen Hengste haben.« Fiona achtete nicht auf ihn. Sie drehte ihm den Rücken zu und schrieb mit einem Filzstift den Satz an die Wand: Der anbrechende Tag wird uns entschlossen, stolz und kompromisslos erleben. »Was is'n das für'n Scheiß?« erkundigte sich Hooks. »Das ist ein Ausspruch von einem unserer Helden, Frantz Fanon.« »Ich lese keine Bücher.« »Es könnte dir aber nicht schaden«, entgegnete Fiona. »Dann wärst du für die Revolution wertvoller.« Hooks warf das Armalite auf das Bett. Er fühlte sich vollkommen entspannt. »Hat's euch geholfen? Ich habe dich, Trask, Rashit und Car los gestern abend reden gehört. Deinen Leuten in Irland geht's wie den Schwarzen hier. Ihr Katholiken seid in Belfast nur Dreck. Du und dei ne Katholiken, ihr seid die Nigger von Irland.« 24
»Gewissermaßen.« Hooks verwirrte Fiona. Sie hatte einen zwar pri mitiven, doch anständigen Mann, ein Mindestmaß an Niveau erwar tet. Hooks hatte Geheimnisse. Er war schwer zu durchschauen. Selbst seine Gedanken hinter der finsteren Stirn waren nicht zu erraten. »Die Bücher, die ihr lest, die Schulen, die ihr besucht, die Pamphle te, die ihr schreibt, haben die euch geholfen? Für die protestantischen Mammis seid ihr doch nur Nigger, oder?« »Ja, ja. Und jetzt halt den Mund.« Fiona schrieb den Namen ›Frantz Fanon‹ unter das Zitat an die Wand. Trask hatte zwar befohlen, sämtliche Spuren zu vernichten, doch Fio na hatte Sinn für historische Augenblicke. Eines Tages, davon war sie überzeugt, würde das schäbige Einzimmerappartement, in dem sie seit sechs Wochen hausten, eine Gedenkstätte werden … wie die Arbeiter wohnungen in Moskau, in denen die Revolution geplant und vorberei tet wurde. Hooks Blicke glitten über Fionas Rücken, als sie sich streckte, um den Namen des Revolutionshelden an die Wand zu schreiben. Ihr Po schwang leicht hin und her. Da war wieder die Eifersucht auf Trask, da war die Nähe ihres abweisenden, weißen Gesichts. Von hinten sah sie mit ihrem langen, braunen Haar, der schmalen Taille unter dem schwarzen Pullover und dem prallen Hinterteil verdammt gut aus. Mit der Lautlosigkeit eines erfahrenen Dschungelkämpfers glitt er hinter Fiona. Bevor sie sich umdrehen konnte, umfing sein Arm ih ren Oberkörper in Brusthöhe, während er ihr mit der anderen Hand Hose und Unterhose von den Hüften schob. Beim Anblick ihres wohl geformten, weißen Hinterteils war er mehr überrascht als erregt. »Hör sofort mit diesem Unsinn auf, Hooks!« sagte sie kalt und schnei dend. »Lass mich augenblicklich los!« »Du hast's mit Trask getrieben, jetzt treibst du's mit mir. Wir beide werden jetzt eine tolle Nummer abziehen, Baby.« »Ich schreie!« drohte Fiona. »Damit die Bullen hier zusammenlaufen, die Dinger auf dem Bett se hen und unser schöner Plan auffliegt? Das kann doch nicht dein Ernst sein, Baby.« 25
Fiona schloß die Augen und biss die Zähne zusammen. Jeder Wider stand war zwecklos, er war zu stark für sie. Er zwang sie, sich auf Knie und Ellbogen gestützt auf die Liege zu kauern. Sie konnte sich nicht wehren, doch beschloß sie, vollkommen passiv zu bleiben. »Du hast's rausgefordert, jetzt sollst du's auch haben.« »Ich habe gar nichts herausgefordert.« Fionas harten, zusammengepressten Lippen entrang sich ein kleiner Schrei, als er in sie drang.
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r. Alan Motzkin liebte seinen Beruf über alles und war stolz dar auf, einer der besten Anästhesisten der Stadt zu sein. Er freute sich täglich auf die Arbeit mit Eric Lake. Und an Tagen, die mit einem heftigen Meinungsaustausch mit seiner Frau Beverly begannen, er schienen ihm die beiden Riesentürme des ›City General Hospital‹ wie freundliche Hände der Geborgenheit. Seit die Kinder kurz vor dem Übertritt ins College standen, war es noch schlimmer geworden. Beim Frühstück hatte Bev wieder von Cia rice, ihrer siebzehnjährigen Tochter, angefangen, die sich standhaft weigerte, ein Collegestudium zu beginnen. »Bev, Liebling, sie wird ihre Meinung ändern. Das ist eine Entwick lungs- und Trotzphase, die sie gerade durchmacht.« »Phase! Phase! Mehr fällt dir dazu wohl nicht ein? Ciarice kann in deinen Augen wohl nie etwas falsch machen. Alan, du hast ihnen die Köpfe mit Thoreau, Ornithologie und den Nachteilen des Systems voll gestopft, und was ist dabei rausgekommen?« 26
Motzkin stand auf. Er war ein untersetzter Mann mit sanften brau nen Augen. Ein ausgeprägter Ordnungssinn bestimmte sein Handeln. Er legte den Deckel auf die Zuckerdose, stellte die Packung Milch in den Kühlschrank zurück und warf den Deckel der Fruchtsaftdose in den Abfalleimer. Langsam drehte er sich um und blickte Beverly an. »Bev, Ciarice wird ihren Weg machen. Ich finde, du solltest sie jetzt eine Weile in Ruhe lassen, sonst wird sie nur störrisch.« Damit war Beverly jedoch nicht zu beruhigen. »Alan, wir beide ha ben hart gearbeitet. Deine Eltern in Brownsville haben Opfer gebracht. Wir haben nur für den Zeitpunkt gelebt, an dem wir uns ein Haus wie dieses und Kinder leisten konnten, die darin sorglos aufwachsen durften. Und da kommt diese Göre und wirft uns einfach alles vor die Füße. Eines sage ich dir, wenn wir uns jetzt nicht durchsetzen, ist Pe ter der nächste. Für wen, wenn nicht für die Kinder, haben wir denn geschuftet?« »Vielleicht für uns selbst«, entgegnete Motzkin in beruhigendem Ton und küßte seine Frau auf die Stirn. »Es wird sich schon wieder einren ken, Bev. Es ist alles eine Frage der Methodik, wie Eric immer zu sa gen pflegt.« »Dann lass dir bitte von Eric eine Möglichkeit verraten, wie wir un sere Tochter zur Räson bringen können. Ich will, daß sie das College besucht, und nicht, daß sie sich einer Kommune anschließt oder in ei nem Zelt im Wald haust.« »Versprich ihr ein Auto«, schlug Alan gutmütig vor. »Das hast du ja bereits getan. Gegen meinen Willen. Sie würde das Auto nur dazu benutzen, damit durchzugehen. Alan, Liebling, sie ist aus dem Alter raus, in dem man Mädchen bestechen kann.« Motzkin zog seinen Kamelhaarmantel an, nahm seine Frau sanft in die Arme und ging aus dem Haus. Während er in seinem luxuriösen Wagen durch das vornehme Wohnviertel fuhr, dachte er über Bever lys Worte nach. Er war wesentlich toleranter als seine Frau. Wenn die Kinder zu Aussteigern werden wollten, dann war das ihre Angelegen heit. Er würde seine Arbeit, seinen Wohlstand und seine Stellung in der Gesellschaft genießen. Für einen Jungen, dessen Vater noch ein 27
Reinigungsgeschäft in der Saratoga Avenue betrieben hatte, war er nicht gerade schlecht vorangekommen. Eine Stunde später betrat Motzkin in grüner Operationskleidung den Operationssaal Nummer drei. Er begrüßte Dr. Jack Licata und Dr. Gamel Mihrab, die beiden Oberärzte. Da es noch früh am Morgen war, wirkten sie noch ein bißchen schläfrig, während sie sich leise mit Flor Aquino, der ersten, und Sally Moorhead, der zweiten Operations schwester unterhielten. Beide Schwestern waren dabei, Instrumente, Wattetupfer, Bandagen, chirurgischen Nähfaden und andere Geräte, die bei der Operation gebraucht wurden, auf den verschieden hohen Instrumententischen zu ordnen. Motzkin warf einen Blick auf seinen Narkosewagen: Sauerstoff, Lachgas, physiologische Kochsalzlösung, Glucoselösung, Blutserum, Isuprel. Es war alles für die Anästhesie bereit. Motzkin sah sich nach seinem Assistenten um. Flor Aquino ging mit einem Instrumenten bündel an ihm vorbei. Sie war ein auffallend hübsches Mädchen von den Philippinen. Jetzt waren über der gelben Gesichtsmaske nur ihre etwas schrägen, dunkelgrauen Augen zu sehen, die wie ein stilles Meer schimmerten. »He, Flor, hast du meinen Assistenten gesehen?« erkundigte sich Motzkin bei ihr. »Vor 'ner Minute ist er noch hier gewesen, Doc«, erwiderte Flor leise. In diesem Augenblick kam ein kleiner, schmächtiger Asiate mit dem Oszillographen herein, den er an einen Stecker an der Wand anschloss. Motzkin, der immer gut gelaunt und zu jedem freundlich war, hielt ihn für einen Freund seines jüngsten Assistenten Yoshio. »Ah, Ohayo«, begrüßte er ihn. »Wie bitte?« »Ohayo. Das heißt ›Guten Morgen‹ auf japanisch. Sie sind vermut lich Yoshiros …« »Ich bin Koreaner, Dokter Motzkin«, unterbrach ihn leise der ande re. »Mein Name ist Cho. Cho Park.« Er streckte die Hand aus, stolper te dabei über ein Kabel und landete direkt in Motzkins Armen. »Ent schuldigen Sie. Das sind die neuen Schuhe.« 28
»Cho, Sie können sofort mit der Venen-Anästhesie anfangen, sobald der Patient gebracht wird.« Motzkins Augen musterten den Koreaner über die Gesichtsmaske hinweg. Licata und Mihrab hielten ihre frisch gewaschenen und gebürste ten Arme hoch. Flor Aquino half ihnen in die grünen Operations schürzen und anschließend in die Gummihandschuhe. Licata zwin kerte Mihrab zu. »Packen wir's an, Gamel? Heute haben wir einen fet ten Braten, im wahrsten Sinne des Wortes. Erics Freund und vermut lich der reichste Patient, dem wir je 'ne Umleitung in die Herzkranzge fäße eingesetzt haben.« »Zusammen mit dir und Eric bin ich zu allem bereit«, entgegnete Mihrab und zwinkerte ihm zu. Licata war ein Italo-Amerikaner aus der Bronx und ehemaliger Foot ballspieler, der später Medizin studiert hatte. Inzwischen hatte er seine Fachausbildung als Herzchirurg beinahe beendet. Licata war ein athle tisch gebauter Mann mit breiten Schultern und rundem Kopf. Gamel Mihrab, Lakes zweiter Assistenzarzt, war Ägypter aus Alex andria. Er war etwas größer und schlanker als Licata, wirkte dadurch nicht so kraftvoll wie sein Kollege. Pünktlich um 7 Uhr 15 rollten Carlos Olmedo und ein weiterer Pfle ger die Bahre mit Walker Tench in den Operationssaal. Beim Anblick der massigen Gestalt unter dem Leintuch traten Motz kin und Cho Park fast automatisch zur Seite. Dem Operationsteam kam es so vor, als sei der OP plötzlich kleiner geworden. Die beiden Pfleger mußten alle Kraft aufbieten, um Tench auf den Operationstisch zu legen. Flor Aquino zog das Laken weg. Tenchs glat trasierter, weicher Brustkorb hob und senkte sich rhythmisch. »Mein Gott, diese Beine!« murmelte Sally Moorhead. »Die hängen ja glatt über! Wir brauchen das Verlängerungsstück aus dem Sterilisati onsraum.« Jack Licata, der bis zum Erscheinen von Lake dessen Stelle als Team chef einnahm, betrachtete den nackten Tench und schüttelte den Kopf. »Das Verlängerungsstück, meinst du? Wir hätten die Operation lieber in einem Amphitheater durchführen sollen. Dann hätten wir die Sa 29
che wenigstens als Vorführung für die älteren Semester arrangieren können.« »Aber doch nicht bei einem VIP wie Tench«, warf Motzkin ein. »Da hast du recht. Diese Sorte verirrt sich nicht oft zu uns. Meistens haben wir doch nur unsere Verwandten auf dem Operationstisch, was, Alan?« Motzkin grinste. Er und Licata verstanden sich ausnehmend gut. Beide hatten sich aus niederem Milieu hochgearbeitet. Flor kam mit dem metallenen Verlängerungsstück für den Operati onstisch zurück. Motzkin überlegte, daß Flors eleganter Hüftschwung zu den wenigen Freuden gehörte, die die Arbeit in Lakes Team mit sich brachte. Dem Narkosearzt war allerdings aufgefallen, daß in letz ter Zeit im OP viel weniger geflirtet wurde als sonst. Licatas hellgraue Augen folgten Flor zwar ständig, doch sagte er kein Wort. Motzkin fühlte es, daß da etwas im Gange war. Zwischen Licata, Flor und Mi hrab herrschte eine fast greifbare knisternde Spannung. »›Ich hasse dich, du hast so große Füße‹, hat Fats Waller mal gesun gen«, bemerkte Licata. »Kennst du das Lied, Garn?« »Natürlich. Wir haben's an der Uni sogar auf Arabisch gesungen«, erwiderte Mihrab. »Seine Füße sind wirklich zu groß geraten.« »Ansonsten ist er auch recht gut im Futter«, konnte sich Licata nicht verkneifen zu äußern. Dr. Mihrab brach zwei Pakete antiseptischer Seife auf und rieb Tench damit ein. Flor sprühte Flüssigpflaster darüber. Dann deckte sie mit Dr. Mihrab ein durchsichtiges Plastiktuch über Tench. Sally Moorhead schnallte Tenchs Beine inzwischen auf dem verlängerten Operationstisch fest. Motzkin beobachtete das alles mit gerunzelter Stirn. Licata war ein ewiger Schürzenjäger. Obwohl er mit der schönen Mary Ann McGi vern aus bester Gesellschaft verheiratet war, hatte er doch mit fast allen Krankenschwestern und einigen Assistenzärztinnen des ›City General Hospital‹ eine Liaison. Flor, dachte Motzkin. Das mußte es sein. Und es war ein offenes Geheimnis, daß der bescheidene Gamel Mihrab in das Mädchen unsterblich verliebt war. 30
»Wach auf, Alan!« riß Licata seinen Kollegen Motzkin aus den Ge danken. »Es geht los.« Flor band den beiden Ärzten den Mundschutz um. Sally reichte die Instrumente. Der erste Assistenzarzt setzte das Skalpell an Tenchs linker Leiste an. Blut floß aus der Wunde. Sally Moorhead reichte Mihrab einen Tupfer, um den Blutfluß zu stillen. »Er ist verdammt fett«, bemerkte Gamel Mihrab. »Stimmt«, murmelte Licata. Er durchtrennte Haut, Fettschicht und Muskelgewebe und begann, nach Tenchs Schlagader am Schenkel zu suchen. »Irgendwo da unten muß sie doch liegen.« In wenigen Minuten hatte Licata Tenchs Schenkelschlagader gefun den, durchtrennte sie, klemmte sie ab und führte eine Kanüle ein. Die se Kanüle war das Zwischenstück zu dem Plastikschlauch, der direkt mit der Herz-Lungen-Maschine verbunden war und durch den Tenchs Körper während der Operation mit sauerstoffangereichertem Blut ver sorgt wurde. Mindestens zwei Stunden lang sollte dieser Apparat Tenchs Herz er setzen.
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rask und Rashid blieben vor der großen Tür mit der Aufschrift Konferenzraum stehen. Jeder hatte eine Aktentasche bei sich. Trask wandte sich schließlich an eine Schwester, die ein weibliches Ske lett den Korridor entlangrollte. »Wird der Raum benutzt?« »Nur zur Mittagszeit«, erwiderte die Krankenschwester. »Die Assi stenzärzte essen gewöhnlich da drinnen.« »Danke.« Trask ging hinein. Rashid folgte. Sie setzten sich an den 31
langen Tisch, auf dem benutzte Pappbecher und fast überquellende Aschenbecher standen. »Bist du in Ordnung?« fragte Trask. »Natürlich, was soll denn sein?« »Es ist ganz einfach. So einfach, wie ich es vorausgesagt habe.« »Klar. Ich habe dich ja auch als Anführer akzeptiert.« »Aber zuerst hattest du doch Zweifel, nicht wahr?« Trasks scharf ge schnittenes Gesicht zeigte ein flüchtiges Lächeln. »Stimmt. Aber du hattest die besten Empfehlungen, John.« Trask breitete einen Plan auf dem Tisch aus. »Sieh dir noch mal den Grundriss vom ersten Stock an, ja?« »Den habe ich im Kopf. Außerdem wird Carlos dort sein.« Trask runzelte die Stirn. »Du redest dauernd von Carlos. Traust du mir noch immer nicht? Du und Fiona, ihr wolltet, daß Carlos das Un ternehmen leitet, stimmt's?« »Schon. Aber nachdem …« Rashid brach ab. Es hatte keinen Sinn, Vergangenes wieder aufzurol len. Trask hatte bis jetzt recht behalten. Zweifel waren nicht mehr am Platz. »Viel hast du nicht vorweisen können, als du zu uns gekommen bist«, konnte sich Rashid trotzdem nicht enthalten, zu bemerken. »Du hast es lediglich deinem Intellekt zu verdanken, daß wir heute hier sind.«
Trask hatte zwar keine Gewaltaktionen vorweisen können, als er zu der Gruppe gestoßen war, doch hatte er etwas anzubieten, das zu ent wickeln bisher keines der Mitglieder imstande gewesen war: ein genau entwickeltes Konzept, den Plan für eine weltweite Revolution. Trask war es gelungen, dadurch eine Grundlage für revolutionäre Gewalt aktionen zu schaffen, mit denen er die ganze Welt überziehen woll te. Schon damals, während der Studentenunruhen in New York, als amerikanische Arbeiter und Gewerkschaftsmitglieder auf die radika len Studenten losgegangen waren, war Trask klar geworden, daß der 32
herkömmliche Weg zu einer ›neuen‹ Welt, wie er sie sich vorstellte, zum Scheitern verurteilt war. Weder in Frankreich noch in Deutsch land konnten junge Rechtsextremisten oder links gerichtete Gruppen mit der Unterstützung der Arbeiterklasse rechnen, die doch eigentlich die treibende Kraft einer Revolution hätte sein sollen. Sobald Trask das erkannt hatte, hatte er seine eigene, im Grunde ein fache Theorie entwickelt, die sich nicht mehr auf die ehemalige Kern truppe der marxistischen Revolution, das inzwischen längst zum Esta blishment gehörende Industrieproletariat, sondern allein auf die un terentwickelten Länder, auf die sogenannte dritte Welt stützte. Immerhin kontrollierte die dritte Welt die größten Rohstoffvorkom men, von denen die Industriestaaten abhängig waren: Erdöl, Edelme talle, Holz. Trasks Plan war es, durch Aktionsgruppen die Regierungen der drit ten Welt zu zwingen, jegliche Handelsbeziehungen zu den Vereinig ten Staaten, Japan und den abtrünnigen Mitgliedern des kommunisti schen Blocks abzubrechen. Gleichzeitig sollte eine Terrorwelle großen Ausmaßes die kapitalistische Welt erfassen: Entführungen, Bomben attentate, Sabotageakte, Banküberfälle standen auf Trasks Programm. Waren die Industriestaaten erst einmal dem Terror ausgeliefert und von den Rohstoffen abgeschnitten, mußte deren System früher oder später zusammenbrechen. Trask konnte überzeugen durch fanatische Worte. Terroristen aus Indien, die roten Kader Japans, die Tupamaros, Monteneros und die Fedajin im Nahen Osten, Maoisten, Anarchisten, Frelimos und die schwarzen Extremisten Amerikas horchten auf, als Trasks Pläne in ih ren Reihen bekannt wurden. Trask war intelligent, belesen, er kann te die Geschichte, war vertraut mit dem Verhalten der Menschen und dem korrupten Geist der alten Ordnung. Und es war Trask, der dieser Gruppe den Namen gab: ›Die Elenden dieser Welt‹, ›The Wretched of the Earth‹ oder kurz WOTE genannt. Doch wo und wie sollten sie den Anfang machen? Trask hatte vorge schlagen, mit kleinen Aktionen zu starten. Die erste war der Anschlag auf die ›Bourse‹, die Pariser Börse, gewesen. Trask und ein Kader, der 33
aus Fiona, Olmedo und Rashid bestanden hatte, hatten den Terror anschlag zusammen mit einer französischen Studentengruppe durch geführt. Dabei war niemand getötet worden, aber wertvolles Akten material, technische Geräte und Gebäudeteile wurden zerstört. Trasks Leute informierten die Zeitungen. »Wir sind die Elenden dieser Welt«, meldeten sie sich. »Das ist erst der Anfang.« Der Kader hatte sich später aufgelöst und traf sich nach einiger Zeit in London wieder: Trask, Rashid, Olmedo, Fiona. Dort wurde der zwei te Anschlag geplant und in Manchester ausgeführt. Bei dem Überfall auf eine Zweigstelle der ›United Merchants Bank of the Midlands'‹ hat te die Gruppe gut hunderttausend Dollar in englischer Währung er beutet. Nach dem Coup waren sie auf verschiedenen Wegen nach Belfast ge langt und hatten bei Fionas Freunden Unterschlupf gefunden. Dort planten sie auch ihre nächste Aktion. Dann verließen sie Irland und setzten sich, als ihnen der Boden zu heiß geworden war, nach Ameri ka ab. »Ein Bombenanschlag und ein Banküberfall machen noch keine Re volution«, hatte Trask den Freunden beim Wiedersehen in New York erklärt. Durch eine größere Aktion sollten sie die Welt auf sich auf merksam machen. Ihr nächster Schlag sollte weltweit ein starkes Echo auslösen.
So kam es, daß sie jetzt als Ärzte getarnt in einem Konferenzzimmer in einem Krankenhaus saßen. In wenigen Minuten würde die Aktion beginnen. Rashid musterte Trasks hagere Züge, die ausdruckslosen Augen und die beinahe durch sichtig scheinende weiße Haut. Ein seltsamer Mensch war dieser John Trask. Aber er konnte etwas. »Ich muß dir recht geben, John. Es war nicht richtig, an dir zu zwei feln.« Trask nickte beinahe unmerklich. 34
Hinter der Glastür eilten Krankenschwestern, Ärzte und Patienten im Korridor vorüber. Sie werden diese Aktion nicht als unbeteiligte Zuschauer erleben, dachte Trask. Alle waren an der Misere auf dieser Welt schuldig. Alle würden eines Tages zur Rechenschaft gezogen wer den. Diesen Entschluß hatte er schon vor Jahren gefaßt, als er die er sten Studentenunruhen erlebt hatte. Ja, die ganze Welt wollte er mit seinen Unternehmungen in Atem halten, wollte ihr zeigen, daß er den richtigen Weg zur Befreiung der Menschheit wußte und auch gehen würde.
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r. Motzkin schob einen Schlauch in Walker Tenchs Luftröhre. Cho Park, der Assistent, befestigte inzwischen die Hand des Pati enten mit einem Klebeband am Operationstisch. Über Tenchs Hand rücken liefen zahlreiche Infusionsschläuche. Motzkin machte einen Einschnitt in eine Armpartie des Patienten und schob eine Schlauch verbindung in die Öffnung, über den der Druck des arteriellen Kreis laufs reguliert werden sollte. Am Bein des Patienten, der in tiefer Narkose lag, öffnete sich eine Klammer. Blut spritzte aus Tenchs Schenkelschlagader. »Gebt mir ge fälligst eine Klammer, die funktioniert«, schimpfte Licata. »Die könnt ihr in die allgemeine Chirurgie schicken. Für Gallenblasen taugt sie gerade noch.« Licata klemmte die Arterie erneut ab und schob die Ka nüle wieder in die Öffnung. Motzkin beobachtete seinen Assistenten Cho, der den Oxygenator einstellte. Der Apparat sorgte dafür, daß der Patient ausreichend mit Sauerstoff versorgt wurde. »Cho, sitzen das Rektal- und das Speiseröhrenthermometer richtig?« erkundigte sich der Anästhesist. 35
»Ah … Oh, ja natürlich, Doc.« Cho schloß Tenchs Blase an einen Ka theter an. Dabei stolperte er über die elektrische Säge und fiel gegen Gamel Mihrab, der dem Koreaner stirnrunzelnd wieder auf die Beine half. »Bitte, passen Sie doch auf.« »Entschuldigung.« »Dieser Bursche hat lagenweise Fett auf den Knochen«, seufzte Lica ta. »Macht euch auf einen langen Vormittag gefaßt.« »Vorsicht, Jack«, meinte Motzkin mit einem Lächeln unter seiner Ge sichtsmaske. »Vielleicht ist unser VIP gar nicht bewusstlos. Was ist, wenn er dich hören kann?« »Dann verpaß ihm gefälligst noch 'ne Portion Morphium, Alan.« »Ich hab' ja nur Spaß gemacht.« »Das würde ich dir auch geraten haben.« Licata stöhnte. »Ein Glück, daß Gott diesen Dicken nicht mit drei Aftern geschaffen hat. Sonst könnten wir bei dem alles reinschieben, einschließlich der Herz-Lun gen-Maschine.« »Tench ist so reich, vielleicht hat er drei«, bemerkte Motzkin. »Er hat doch von allem mehr als alle anderen.« Licata warf dem Narkosearzt einen flüchtigen Blick zu. »Wenn er wieder zu sich kommt, kannst du ihn vielleicht dazu bewegen, dir ein paar Börsentipps zu geben, was, Alan?« Motzkin grinste. Seine Börsenspekulationen waren bekannt. Aus der Kanüle in Tenchs Schenkelschlagader tropfte Blut. Licata runzelte die Stirn. »Sieh zu, daß du sie dicht bekommst, Flor«, bat er die Operationsschwester. »Ich scheine heute morgen kein Glück zu ha ben.« Licata Operationsmantel war bereits voll mit Blutspritzern. Das är gerte den stets peinlich sauberen Assistenzarzt, und er bat Flor, ihm ei nen neuen Mantel zu bringen. Als er die Arme hob, um sich von der Operationsschwester den neuen Mantel überstreifen zu lassen, stan den sich die beiden dicht gegenüber. Licata zwinkerte dem schönen Mädchen zu, doch Flor zeigte keinerlei Reaktion. Mihrab, der die Sze ne beobachtet hatte, wandte sich ab. Warum mußte Licata versuchen, alle Mädchen zu umgarnen? Konnte er keine Rücksicht nehmen auf 36
andere, die ein Mädchen wie Flor liebten? Mußte Licata denn alles ha ben? Mihrab konzentrierte sich auf den Patienten, wollte seinen Ge danken eine andere Richtung geben. In diesem Augenblick betrat ein untersetzter Farbiger den Operati onssaal. »Wo haben Sie sich denn so lange rumgetrieben, James William?« er kundigte sich Licata. »Wir haben Personalmangel«, antwortete Baggs. »Blauer Montag. Sie wissen schon. Heute macht doch fast jeder ein verlängertes Wochen ende.« »Hallo, Jimmy«, begrüßte Dr. Motzkin den Mann, und Mihrab nick te dem Neuankömmling zu. »Guten Morgen«, sagte Jimmy Baggs in die Runde. »Entschuldigt, daß ich so spät dran bin, aber Musgrave hat im Labor der Kardiologie zu tun. Ich werde die Pumpe selbst bedienen.« Motzkin beobachtete, wie Jimmy Baggs zu der Maschine ging, die während der Operation Tenchs Herz ersetzen würde. Es war schwer zu erklären, doch Jimmy gab dem Team durch seine Sicherheit und sein Können ein gewisses zusätzliches Vertrauen. Baggs war kein Medizi ner, er war Techniker. Er bediente ebenso wie all jene Männer, die er ausgebildet hatte, die Herz-Lungen-Maschine und alle übrigen über aus komplizierten Apparaturen im Operationssaal. Baggs war vor drei Jahren zu Lakes Team gestoßen. Lake, der ein Ge fühl für Talente hatte, behielt Baggs sofort in seiner Operationsgrup pe. Und Baggs, ein Techniker aus Leidenschaft, hatte nach und nach Spitzenkräfte herangebildet, auf die man sich in jeder Situation verlas sen konnte. Alle hatten die Ruhe und Sicherheit von Baggs gewonnen und gaben den Operateuren ein beruhigendes Gefühl bei ihrer Arbeit auf Leben und Tod. »Mein Gott, das ist ja ein Koloss«, murmelte Baggs. »Und so schön weich«, seufzte Licata. »Aderklemme, Sally.« »Übrigens, Doktor Licata«, sagte Baggs leise. »Dr. Lake kommt ver mutlich später. Ich habe gerade gesehen, wie er in Mr. Rockewicz' Büro gegangen ist.« 37
Licata stöhnte. »Dann kommt er nicht nur spät, sondern ist auch noch miserabler Laune.« Lakes Team wußte von der gespannten Atmosphäre zwischen dem Verwaltungsdirektor und dem Chef Chirurgen. »Tja, Steve hat's vermutlich mal wieder auf das Lake-Imperium abge sehen«, murmelte Licata. »Der gibt so lange keine Ruhe, bis Eric klein beigibt.« Sally Moorhead nickte. »Da kann er allerdings warten, bis er schwarz wird.« »Dieser Mr. Tench müßte nach Adam Riese eigentlich eine Schenkel schlagader von der Stärke einer ausgewachsenen Python haben«, be merkte Licata. »Wir werden diese jetzt suchen und ihn um ein Stück erleichtern.« Er schnitt mit dem Skalpell in Tenchs Oberschenkel. »Schon wieder ein stumpfes Skalpell«, stellte er fest und gab das In strument Sally. »Vielleicht haben wir irgendwo noch ein besseres Kü chenmesser herumliegen.«
Nachdem sich Lake die Angiogramme von Walker Tenchs Herz ange sehen hatte, ging er in das Büro des Radiologen, Dr. Fred Braff. Braff war ein junger Mann mit langem, braunem Haar, der meistens eine in dische Tunika und Sandalen trug. Er gehörte zu den Leuten im ›City General Hospital‹, die Lake ob ihres Könnens am meisten schätzte. Die beiden Männer sahen sich die Röntgenaufnahmen von Tenchs Herz an. »Die Circumflexa ist nicht deutlich sichtbar«, sagte Braff. »Vielleicht verläuft sie weiter hinten … an der Rückseite.« »Oder sie sitzt tief.« »Das hoffe ich nicht«, seufzte Lake. »Wenn der untere Teil stenosiert ist, sieht es schlecht aus. Er wird alles Blut brauchen, das ich zur Ver fügung habe.« »Aber das ist doch kein Problem für dich, Eric.« Lake schaute stirnrunzelnd auf die Röntgenbilder und versuchte, die zirkulär verlaufenden Koronargefäße ausfindig zu machen. 38
Steve Rockewicz' schnarrende Stimme riß ihn aus seinen Gedanken. Der Verwaltungsdirektor streckte seinen blonden Kopf mit den kanti gen Zügen zur Tür herein. »Morgen, Eric … Hallo, Fred! Ah, der Herr Chefradiologe hat neue Sandalen … aber noch immer keine Socken. Du wirst dir die Knöchel erkälten, Fred.« Braff lächelte. Rockewicz liebte dieses Geplänkel. »Hallo, Steve«, sagte Lake, ohne sich umzudrehen. »Haben Sie mal kurz für mich Zeit, Eric?« »Ich werde im OP erwartet«, entgegnete Lake. »Die sind noch nicht soweit. Ich habe gerade nachgesehen. Kommen Sie doch auf einen Sprung in mein Büro, ja?«
»Halten wir den Zeitplan ein?« erkundigte sich Rashid. »Selbstverständlich«, erwiderte Trask. »Es läuft alles auf die Minu te genau ab. Ich habe dir doch gesagt, daß das alles nur eine Frage der Planung ist.« »Hast du schon mit Carlos Kontakt aufgenommen?« »Er wartet auf uns. Und vergiß nicht, du betrittst erst dreißig Sekun den nach mir und Lake den OP. Kapiert?« »Ja, natürlich.« Trask erhob sich und verließ den Konferenzraum. Bis jetzt hatte sich Rashid als brauchbar erwiesen. Doch Trask war sich des Arabers nicht ganz sicher. Bei dieser Aktion kam es nicht darauf an, daß man ziellos in eine Menschenmenge ballerte. Ihre Aufgabe erforderte diesmal Prä zision und Disziplin.
»Eric, der Verwaltungsrat setzt mir schon wieder zu«, begann Rocke wicz. »Weshalb denn?« 39
Sie saßen sich im Büro des Verwaltungsdirektors gegenüber. So schäbig das Krankenhaus auch sein mochte, in diesem Zimmer gab es wertvolle Teppiche, Vorhänge und tiefe Ledersessel. »Eric, seien Sie jetzt bitte nicht empfindlich, aber es wird wieder mal scharf geschossen. Das Lake-Imperium! Ihr liefert keine präzisen Be richte ab und nehmt an keinen konsiliarischen Besprechungen teil. Ei nige Chefärzte haben sich bereits beklagt.« »Evans, natürlich. Was kann ich dafür, daß mich der Chefarzt der allgemein-chirurgischen Abteilung nicht leiden kann?« Lake zündete sich eine Zigarette an. »Estelle, bitte einen Aschenbecher für Doktor Lake«, rief Rockewicz seiner Sekretärin zu. Dann blickte er zur Decke. »Eric, seien Sie doch vernünftig. Ich habe diesen Herren schon hundertmal gesagt, daß du die Abteilung für Herzchirurgie aufgebaut und groß gemacht hast, und daß es deshalb nur gerecht ist, wenn du auch mehr verdienst. Aber das ist mir egal.« »Mir auch.« Rockewicz nickte Estelle zu, die einen Aschenbecher vor Eric auf den Tisch setzte. Sein Blick glitt genüßlich über ihre ausgezeichnete Figur. Es wurde unter dem Personal getuschelt, Estelle sei einmal die Gelieb te von Rockewicz gewesen. Noch immer attraktiv und mit tadellos fri siertem, graumeliertem Haar, bewachte sie Rockewicz' Allerheiligstes und begegnete Männern wie Eric mit einem gewissen Misstrauen. »Um ganz offen zu sein«, begann Rockewicz erneut. »Die Herren sind empört darüber, wie Sie die Sache mit Walker Tench arrangiert haben.« Rockewicz fuhr mit nervösen Fingern über sein kurzgeschorenes Haar. Lake beobachtete ihn und überlegte. »Was habe ich denn falsch gemacht?« »Sie haben ihn hier quasi versteckt.« »Das war Tenchs Wunsch.« »Ein paar Zeilen in der Presse wären trotzdem für uns dabei rausge sprungen. Wie wär's mit einer guten Story nach der Operation?« 40
»Nur, wenn Tench einverstanden ist«, antwortete Lake. »Sie könnten ja ein bißchen nachhelfen. Schließlich ist er Ihr Studi enfreund. Warum erlauben Sie uns nicht … sagen wir in ungefähr vier Stunden, wenn Sie eine ›Umleitung‹ in seine Herzkranzgefäße einge pflanzt haben … eine kurze Presseerklärung herauszugeben?« »Kommt nicht in Frage.« »Und wenn Mr. Tench einverstanden wäre?« »Mr. Tench wird in den nächsten Tagen kaum in der Lage sein, Ent scheidungen zu treffen«, sagte Lake bestimmt. Rockewicz stand auf und ging mit den Händen auf dem Rücken nachdenklich in seinem Büro auf und ab. Unter dem Bild von Sir Wil liam Harvey, dem Förderer des ›City General Hospital‹, blieb er ste hen. »Sie machen es einem braven Bürger wie mir verdammt schwer, Eric.« »Sie werden jedenfalls nichts unternehmen, was auch nur im ent ferntesten mit Publicrelations zu tun hat«, erklärte Lake. »Es handelt sich hier um eine Routineoperation an einem einundfünfzigjährigen Patienten, der an Angina pectoris und Koronarinsuffizienz leidet. Das ist nichts Aufregendes. Als ich damals die ausgefeilte Technik bei der Implantation von Aortenklappen-Prothesen entwickelt habe, war das wirklich eine durchschlagende Neuerung, aber Ihre Pressereferenten haben sie verschlafen. Ich weiß natürlich warum. Diese so genann ten berühmten Mediziner hatten ihnen zugesetzt. Diesen Kardiologen und Internisten ist es völlig gleichgültig, wie ich Menschen heile.« »Dann tun Sie dem guten alten Steve wenigstens den Gefallen.« »Ich werd's mir überlegen. Aber im Augenblick steht mir nicht der Sinn nach Werbeslogans für diese Klinik. Ich muß mich auf eine Ope ration konzentrieren.« Lake stand auf. Rockewicz begleitete ihn hinaus. An der Tür leg te sich der Arm des Verwaltungsdirektors um Lakes Schulter. »Noch was, Eric. Der Verwaltungsrat möchte dringend wissen, warum Sie in Ihrer Abteilung so viele Ausländer beschäftigen.« »Ganz einfach deshalb, weil dieser Saftladen hier für qualifizierte amerikanische Mediziner nicht attraktiv genug ist«, erwiderte Lake. 41
»Tut mir leid, aber so sieht's nun mal aus. Im übrigen arbeite ich gern mit Ausländern.« »Aber diese vielen braunen und gelben Gesichter …« »Diese Leute verstehen ihr Handwerk.« »Und was soll ich dem Verwaltungsrat sagen? Die Mitglieder beste hen darauf, daß mehr Amerikaner eingestellt werden.« »Sie können Ihrem Verwaltungsrat ausrichten, daß Amerikaner mei stens Millionäre werden wollen, bevor sie was Anständiges gelernt ha ben.« Rockewicz öffnete die Tür. »Wenn Sie auf Ihrem Gebiet nicht so ver dammt gut wären, müßte ich jetzt böse werden. Unser Rechnungsprü fer setzt gerade den Vertrag über die Schenkung auf, die Sie uns ma chen wollen. Es wird Ihnen eine große Steuervergünstigung bringen. Und wir können das Geld natürlich dringend brauchen. Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, undankbar zu sein.« Lake runzelte die Stirn. »Gibt's sonst noch was?« »Ja. Morgen findet Marvin Schlossers Bar-Mizwa-Feier statt. Wir sind eingeladen und sollten uns dort sehen lassen. Wenigstens wäh rend der Lesung aus der Thora. Das chinesische Dinner können wir uns schenken.« »Marvin ist schon dreizehn?« Lake lächelte. »Der Junge war der erste Patient, dem ich eine Aortenklappen-Prothese eingesetzt habe.« Eric Lake ging zur Tür und verließ den Raum, einen tief in Gedan ken versunkenen Rockewicz zurücklassend.
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ünktlich um sieben Uhr fünfzehn war James J. Cardone, Präsident und geschäftsführender Direktor des Tench-Konzerns, in seinem Büro. Er diktierte ein Kapitel für sein neues Buch, das den Titel ›The 42
Corporate Response‹ tragen sollte. Es war eine Rechtfertigung des frei en Unternehmertums und befürwortete größere Unternehmenszu sammenschlüsse, um die Wirtschaft konzentrisch einsetzen und even tuelle Marktschwankungen von einem Unternehmen zum anderen ausgleichen zu können. Nur so war es möglich, einer weltweiten Rezes sion zu begegnen. Cardone hatte einen exakten Zeitplan. Er verwende te täglich etwa eine Stunde darauf, Gedanken für sein Buch zu diktie ren. Danach las er Firmenberichte und Stellungnahmen und blätterte das ›Wall Street Journal‹ durch. Um Punkt neun Uhr versammelte sich bei ihm das Management des Konzerns. Mit seinen achtunddreißig Jahren war Cardone für die meist älteren Mitglieder des Verwaltungsrates geradezu provozierend jung. In den Augen dieser Herren war Cardones Art der Geschäftsführung und sei ne Denkweise geradezu gefährlich und unseriös. Cardone hatte gegen den Willen des Verwaltungsrates, jedoch mit Tenchs Einwilligung, die ›Tench-Stiftung für die soziale Sanierung der Innenstädte‹ ins Leben gerufen. Tench hatte Cardone für den Konzern gewonnen. Der Vorsitzende des Verwaltungsrates hatte sich schon lange außerhalb seines Industrie-Im periums nach einem Nachfolger auf dem Präsidentensessel umgesehen und schließlich Cardone entdeckt. Cardone war damals Direktor ei ner Arzneimittelfirma in New Jersey, die nur Medikamente produzier te. Bekannt geworden war er durch ein Bildungsprogramm für Min derjährige, das er entwickelt hatte. Außerdem hatte er mehrere Neue rungen eingeführt, die von Erfolg gekrönt waren. Er hatte seine leiten den Angestellten motiviert, sich mehr sozialpolitisch einzusetzen. »Ich habe Jim Cardone durch eine Hintertür in den Tench-Konzern eingeschleust, und ich habe es nie bereut«, hatte Tench einmal einem Reporter von ›Business Week‹ gesagt. »Sehen Sie sich mal unsere Bi lanz vom letzten Jahr an.« Mit Cardone auf dem Posten des Präsidenten hatte Tench gehofft, mehr reisen und sich intensiver um die Stiftung kümmern zu können, doch dann hatte sich sein krankes Herz gemeldet und ihm deutlich zu verstehen gegeben, daß er nicht mehr der Jüngste war. 43
Als sich um sechs Minuten nach neun der Führungsstab des TenchKonzerns in Cardones Büro einfand, wußten Cardone und der Vize präsident der Public-Relations-Abteilung ›Hutchins‹ bereits, daß sich Tench im ›City General Hospital‹ befand. Der Vizepräsident der Ab teilung für öffentliche Angelegenheiten hatte durch Zufall von einem Memorandum über Tenchs Erkrankung und Aufenthalt im ›City Ge neral Hospital‹ erfahren und umgehend Cardone verständigt. »Sind Sie sicher, daß es sich wirklich um Walker handelt?« fragte Cardone. »Ganz sicher«, erwiderte Hutchins. »Hm, ich nehme an, daß er uns nicht beunruhigen oder negative Auswirkungen an der Börse hervorrufen wollte.« Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Cardone, der mächtig ste Mann nach Tench, überlegte: Konnte Tenchs Krankheit und bevor stehende Operation irgendwelchen Einfluß auf den Konzern haben? Würden manche Pläne geändert werden müssen? Was war – wenn Tench die Operation nicht überstand? »Randolph, haben Sie schon mit dem Krankenhaus telefoniert?« er kundigte sich Cardone. »Nein, Sir.« »Dann holen Sie das nach. Einer von uns sollte wenigstens dort sein. Was ist mit Mrs. Tench?« Irgend jemand hüstelte leicht. »Welche meinen Sie, Jim?« wollte Hutchins wissen. Cardone lächelte. »Na, die letzte natürlich.« »Sie ist in Davos … oder Klosters.« Cardone legte einen Finger an die Lippen. »Und seine Tochter? Die ses einundzwanzigjährige Mädchen?« Hutchins schüttelte den Kopf. »Mr. Tench hatte schon seit einiger Zeit keinen Kontakt mehr zu seiner Familie. Soviel ich weiß, lebt das Mädchen irgendwo im Norden des Staates New York – in einer Kom mune auf dem Land.« »Wir sollten trotzdem versuchen, sie ausfindig zu machen. Und be nachrichtigen Sie Walkers Ehefrau Nummer zwei.« 44
Der Präsident des Tench-Konzerns ging zu seinem Schreibtisch aus Mahagoni, an dem er den größten Teil seiner Zeit verbrachte. »Was hat Walker eigentlich?« »Sie wollen ihm eine Gefäßprothese, eine sogenannte ›Umleitung‹ in die Herzkranzgefäße einsetzen«, erklärte Hutchins. »Dadurch sollen verstopfte Koronararterien ersetzt werden, die eine bisher ungenügen de Durchblutung des Herzens verursacht haben.« Gallatin, ein weißhaariger Herr mit dem durchgeistigten Gesichts ausdruck eines Pfarrers, der Leiter der Finanzabteilung, räusperte sich. »Jim, das ist eine reine Routineoperation. Mein Cousin hat sie bereits hinter sich. Zur Zeit wird dieser Eingriff jährlich in dreißigtausend Fällen durchgeführt.« »Aha«, murmelte Cardone. Er sah Gallatin nicht an. Cardone kann te seine Feinde. Der junge Hutchins war eher ein Mann nach seinem Geschmack. »Ich habe in unserem Archiv in ›Time-Magazine‹ und ›Newsweek‹ einige Artikel gefunden, die sich mit diesem Thema befassen«, meldete sich Hutchins wieder. »Soll ich Ihnen einige Stellen daraus vorlesen?« Cardone nickte. Er mußte jetzt schnell handeln. Wenn Tench wirk lich starb, war Cardones Position in Gefahr. Gallatin und die ande ren älteren Herren würden alles daransetzen, ihn aus der Position zu verdrängen. Außerdem waren diese Mrs. Tench in der Schweiz und die Tochter ein Unsicherheitsfaktor. Niemand wußte, was sie mit ihren Aktienanteilen machen würden. »Bei einer verengten oder verstopften Koronararterie«, begann Hut chins, »fließt dem Herzen zu wenig Blut zu. Das führt zu Gefäßkrämp fen und nachfolgenden starken Schmerzen und kann sich bis zu Angi na pectoris steigern. Ich erinnere mich, daß Mr. Tench ständig Tablet ten geschluckt hat, bevor er seinen Urlaub antrat.« »Urlaub ist gut«, bemerkte Gallatin. »Er hat sich sofort ins Kranken haus begeben.« »Wenn bei einer solchen Erkrankung der Herzkranzgefäße nicht Abhilfe geschaffen wird«, fuhr Hutchins fort, »kommt es schließlich durch einen Blutpfropfen oder einen Gefäßkrampf zur völligen Blok 45
kierung der Arterie. Das wiederum hat das Versagen des betroffenen Herzmuskelteils und den möglichen Tod zur Folge.« »Und diese Umleitung …?« begann Cardone. »Soll dem Herzen da durch wieder mehr Blut zugeführt werden?« »Ja, Jim«, antwortete Hutchins und zeigte Cardone eine graphische Darstellung aus ›Time-Magazine‹. »Der Chirurg entnimmt dem Pati enten ein Stück aus einer Beinvene, näht das eine Ende unterhalb der kranken Arterie an einem gesunden Gefäßteil ein und verbindet das andere Ende mit der Aorta. Durch diesen verpflanzten Venenabschnitt wird mehr Blut aus der Aorta in die Arterie geleitet.« Gallatin räusperte sich. »Darf ich fragen, wer diesen chirurgischen Eingriff vornehmen soll?« »Ein Mann namens Lake«, antwortete Hutchins. »Ein gewisser Dok tor Eric Lake.« »Nie von ihm gehört«, sagte Gallatin. »Jim, die Sache gefällt mir nicht. Wir hätten Tench in Houston von DeBakey oder Cooley operie ren lassen sollen.« »›City General Hospital‹, sagen Sie«, meldete sich ein anderes Mit glied des Verwaltungsrats. »Das ist doch ein uralter Kasten. Was soll dort ein Mann wie Tench! Haben die eigentlich überhaupt eine Mög lichkeit, eine solche Operation durchzuführen?« Cardone blickte vor sich hin. Warum hatte sich Tench in ein Kran kenhaus wie dem ›City General‹ begeben und sich den Händen eines unbekannten Chirurgen anvertraut? »Dr. Lake ist ein alter Freund von Mr. Tench«, erklärte Hutchins in diesem Augenblick. »Die beiden sind zusammen auf dem College ge wesen. Wie ich die Sache sehe, muß sich sein Zustand in letzter Zeit sehr verschlechtert haben. Aus diesem Grund ist er in ein Kranken haus wie das ›City General‹ und zu einem Arzt gegangen, der die Sa che nicht an die große Glocke hängen würde.« »Es wäre mir lieber gewesen, er hätte uns das alles arrangieren las sen«, murmelte Cardone. »Doktor Lake ist ein fähiger Mann«, bemerkte Hutchins. »Ich habe mich umgehört.« 46
Cardone stand auf und trat ans Fenster. »Irgend jemand sollte wäh rend der Operation in der Klinik sein. So ganz ohne Familie oder Freunde … das ist doch unmöglich.« »Ich fahre, wenn Sie wollen«, erbot sich Hutchins. »Ich werde selbst in die Klinik fahren«, entschied der Präsident. »Las sen Sie meinen Wagen vorfahren.« »Falls Sie mich brauchen, Jim«, begann Hutchins. »Später könnte eine Presseerklärung …« »Wenn ich Sie brauche, sage ich Ihnen Bescheid.« Während Cardone in seiner Limousine durch die Stadt rollte, be gann er bereits eine Strategie für den Fall zu entwickeln, daß Walker Tench die Operation nicht überleben sollte.
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H
ooks ließ Fiona los. Die Art, wie sie seine Vergewaltigung erdul det hatte, ärgerte ihn. Es war ihm nicht möglich gewesen, zum Höhepunkt zu kommen. »Blöde Zicke«, zischte er. »Deine Leute sind vielleicht die Nigger von Belfast, aber du … Mann, du bist 'ne weiße Niete. Kein Wunder, daß Trask dich aus seinem Bett geworfen hat.« Fiona wirkte wie hilflos, als sie mit nacktem Hinterteil, die Hose bis zu den Knöcheln heruntergezogen, auf dem Bett lag. Hooks richtete sich auf. Er atmete schwer. Das Mädchen drehte sich langsam um, stand auf und zog sich an. Hooks musterte ihr Gesicht. Es wirkte leer und verschlossen. Ihre blauen, ausdruckslosen Augen irritierten ihn. »Du bist schon ein verrücktes Huhn«, bemerkte er. »Du hast über haupt keine Angst vor mir.« »Hooks, du bist dumm und gemein, und wenn's jetzt nicht schon zu spät wäre, würde ich dafür sorgen, daß Trask dich aus der Gruppe 47
wirft. Du bist unzuverlässig und lebst nur für deine eigenen Bedürfnis se. Für das, was du gerade getan hast, sollte man dich umbringen.« »Reg dich ab, Baby.« Hooks setzte sich und streckte seine Beine von sich. »Wenn wir das hinter uns haben, werde ich Trask erzählen, was pas siert ist«, sagte Fiona. »Du bist nichts als Dreck.« »Meine Brüder werden schon auf mich aufpassen. Ich bin nur eine Leihgabe, vergiß das nicht. Sie haben mich zu Trask geschickt, weil niemand soviel von Waffen versteht wie der gute, alte Hooks.« »Mit einem Gewehr kann jeder umgehen«, konterte Fiona. Sie nahm ihre braune Stofftasche vom Bett und griff nach einem länglichen, in braunes Packpapier gewickeltes Paket. Beides stellte sie neben die Tür und zog ihren Schaffellmantel an. »Ich gehe jetzt«, er klärte sie. »Wenn du deine Sache gut machst, könnte ich vielleicht ver gessen, was passiert ist.« »Einen Sch … kannst du vergessen.« »Oh, Mann, und solche Leute wie dich sollen wir retten!« »Ich brauche nicht gerettet zu werden. Schon gar nicht von dir.« »Halte dich an deine Befehle, Hooks.« Er lachte hellauf, sprang hoch und packte sie erneut. »Ich könnte dich in Stücke zerteilen und in einer Konservenbüchse nach Irland zu rückschicken, Baby.« Sie hob blitzschnell ihre schmalen Hände. Ihre Nägel gruben sich tief in sein schwarzes Gesicht. Dann spuckte sie in seine erstaunten Augen. Die Pupillen schienen sich mit dem Weiß des Auges zu vermi schen. Blutspuren liefen über seine Backen. Er ließ sie los. »Du wirst mir eines Tages Rechenschaft ablegen müssen«, keuchte sie. »Wir beide sind noch nicht quitt.« Er verspürte den beinahe übermächtigen Wunsch, sie noch einmal mit Gewalt zu nehmen, sie zu erniedrigen, ihren harten Willen zu zer brechen. Doch Hooks zögerte. Der Auftrag des Ashanti-Chefs war eindeutig gewesen: »Du machst mit, Bate. Du bist unser Verbindungs mann. Wir helfen ihnen bis zu einem gewissen Grad, dann erteilen wir ihnen eine Lektion. Zum Schluß sind wir da.« 48
Fiona fröstelte, als sie die ausgetretenen Stufen hinunterstieg. Es roch nach Urin. Ob in Belfast oder in New York, in den Treppenhäusern stank es überall gleich. Erst jetzt geriet sie fast in Panik wegen Hooks und erschauderte. Er war launisch, unberechenbar. Dabei hatte Trask angeblich jeden einzelnen genau überprüft. Trask hatte darauf bestan den, einen Farbigen in den Kader aufzunehmen. Er vertrat die Mei nung, daß es ein Fehler der Bewegung sei, den Kontakt zu den Schwar zen zu verlieren. Draußen fiel Schneeregen, der sie ernüchterte. Ihre Gedanken glit ten zurück nach Irland. Bücher, Lehrer und Klassenzimmer, das war unendlich lange her. Jetzt hatte sie sich mit Haut und Haaren der Re volution verschrieben. Der nasse Schnee drang durch ihre dünnen Schuhe. Aber Fiona war hart. Kalte Füße machten ihr nichts aus. Auf dem Weg zur Bushaltestelle dachte Fiona über Hooks nach. Falls er die Gruppe im Stich lassen sollte, würde sie den Wagen fahren, schießen und töten. Das alles hatte sie schon in Irland getan. An der Kreuzung blieb sie stehen. Auf der gegenüberliegenden Sei te war die Bushaltestelle. Sie mußte einmal umsteigen und das letzte Stück zur Klinik zu Fuß gehen. Als sie die Straße überquerte, kam sie an Arbeitern vorbei, die die Straße aufrissen. Einige standen um ein Feuer herum, das in einer Blechtonne brannte, und tranken Kaffee. »He, Süße, soll ich dir tragen helfen?« rief einer. »Wo ist dein Alter? Wenn er Schicht hat … ich bin jederzeit bereit!« Die Männer lachten und pfiffen hinter ihr her.
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V
on Walker Tench war nur noch je ein dreißig mal dreißig Zenti meter großes Quadrat seiner Brust und des massigen linken Ober schenkels frei. Der übrige Körper war mit grünem Tuch bedeckt, sein Kopf steckte unter einer Sauerstoffmaske, die sich rhythmisch hob und senkte. Seine Haut schimmerte wächsern. Um acht Uhr zweiundzwanzig machte Dr. Licata mit dem Skal pell einen vertikalen Schnitt in der Höhe von Tenchs Brustbein. Blut trat aus den Wundrändern. Als der Einschnitt weiter auseinanderge klammert wurde, legte man Absaugschläuche in die Öffnung, und der Blutfluß wurde zusätzlich durch Tupfer gestoppt. Schnell und sicher durchtrennten Licata und Mihrab Adern und koagulierten sie mit ei nem Glüheisen. »Dieser Mann ist wirklich ein Koloss«, seufzte Mihrab. »Hoffentlich ist der übliche Wundhaken groß genug.« Geschickt trennte er Fett schichten durch. »Flor, mit der Absaugpumpe kann was nicht stimmen«, sagte Lica ta, ohne aufzusehen. Flor ging an den beiden Chirurgen und der Herz-Lungen-Maschi ne vorbei zum Absauggerät. Jimmy Baggs verließ seinen Platz an der Herz-Lungen-Maschine und trat zum Absauggerät. Baggs spürte, wenn etwas nicht funktionierte. Er hatte ein Gefühl für diese Dinge. Flor und Baggs stellten das Gerät neu ein. »Das Ding müßte sowieso längst verschrottet werden«, murmelte Baggs. »Das habe ich Doktor Lake schon hundertmal gesagt. Außer dem steht es hier im Weg. Man müßte es an Schienen über dem Ope rationstisch befestigen.« »Was hat Lake dazu gemeint?« fragte Licata. 50
»Daß wir kein Geld haben … Das ist es doch immer.« Baggs kehrte an seinen Platz an der Herz-Lungen-Maschine zurück. »Was ist mit einem neuen Membran-Oxygenator?« wollte Mihrab wissen. »Haben Sie deshalb mit Lake gesprochen, Jimmy?« »Machen Sie Witze, Dr. Mihrab? Seit einer halben Ewigkeit rede ich von nichts anderem. Aber wir werden wohl bis ans Ende unserer Tage mit diesem alten Kasten vorlieb nehmen müssen. Doktor Lake kann eben bei der Verwaltung immer nur ein Projekt durchbringen.« Der scharfe Geruch von versengtem Fleisch hing in der Luft, der beim Koagulieren der Adern entstanden war. »Riecht wie bei einer Grillparty«, bemerkte Licata. »Flor, kümmere dich doch noch mal um die Absaugpumpe. Das verdammte Ding schaltet sich dauernd ein und aus. Ich kann mich hier vor Blut nicht mehr retten. Gamel, wir brau chen mehr Adernklemmen. Oh, Mann, dieser Bursche hat mehr Fett schichten als ein Blauwal.« Licata folgte Flor erneut mit den Augen, wie sie geschmeidig und ohne Hast hinüberging. Was war sie doch für ein Mädchen, das einen mit ihren lasziven Bewegungen zum Äußersten reizte. Ihre olivbraune Haut und die etwas schräg stehenden, mandelförmigen Augen konn ten einen fast wahnsinnig machen. »Wir schenken Flor zum Geburtstag am besten Rollschuhe«, be merkte Licata. »Ich finde, Flor ist schnell genug«, entgegnete Mihrab. Licata gab keine Antwort. Schließlich nickte er zufrieden. »Da ha ben wir endlich das Brustbein. Irgendwo mußte es ja sein. Jimmy, bit te die Säge.« Baggs verließ seinen Platz an der Herz-Lungen-Maschine und roll te die Stryker-Säge in Reichweite. Licata nahm die Handsäge, hob sie mit einer fast feierlichen Geste hoch und sagte: »Zurück, Leute. Jack the Ripper schlägt wieder zu.« Mihrab zog die Wundränder auseinan der. Die Säge begann zu surren. Es dauerte nur Sekunden, bis die Säge Tenchs Brustbein vertikal durchtrennt hatte. Mihrab nahm Sally Moorhead einen Wundhaken aus Metall aus der Hand. 51
»Bis jetzt hält er sich gut«, verkündete Alan Motzkin an seinem Mo nitor. »Blutdruck neunzig zu hundertzwanzig.« »Körpertemperatur?« wollte Licata wissen. »Normal.« »So hat Dr. Lake seine Kunden am liebsten«, bemerkte Licata. »In Tenchs Brustkorb könnten wir jetzt Bier kalt stellen.« »Jack, du bist heute so guter Laune«, sagte Mihrab. »Stimmt. Wir haben schließlich nicht alle Tage das Herz eines Indu striekonzerns auf dem Tisch.« Motzkin räusperte sich. Licata und Mihrab schoben den Wundha ken in den Einschnitt. »Ich habe im ›Journal of Anaesthesiology‹ einen interessanten Arti kel über Hypothermie gelesen«, begann Motzkin schließlich und setz te sich auf einen Hocker. »Aha. Wird in der Zeitschrift auch die J.-Baggs-Methode, den Pati enten mit Eiswürfeln zu kühlen, empfohlen?« Jimmy lächelte. »Es ist wirklich verblüffend«, gab Motzkin zu. »Aber es ist genauso wirksam wie ein Wärmeaustauscher.« Mihrab setzte die Zwinge zwischen die beiden Knochenteile, drehte die Schraube langsam zu und drückte das Brustbein auseinander. Ei nen Augenblick lang herrschte absolute Stille. Jeder wartete gespannt darauf, einen ersten Blick auf Tenchs Herz werfen zu können. Dann war es soweit. Das Herz des Patienten schlug so kräftig unter dem glänzenden Herzbeutel, als wolle es sich jeden Moment losreißen, und darüber wand sich die schlauchartige Aorta heraus. »Alles in Ordnung, was?« fragte Licata zu Mihrab hinüber. »Ja, bestens«, antwortete der Ägypter. »Wir sind pünktlich.« Licata ging zum unteren Ende des Operati onstischs, nahm den Wundhaken, den Sally Moorhead ihm reichte, und zog den Einschnitt in Tenchs Oberschenkel auseinander. Mihrab hatte inzwischen Tenchs Thymusdrüse aus dem Operations feld gebunden. Lake erwartete, daß seine Assistenten alles so vorberei teten, daß ihn nichts mehr bei seiner Arbeit behinderte. 52
Licata tastete nach der unteren Verlängerung der großen Hohlvene in Tenchs Oberschenkel. Diese würde später über einen Katheter mit der Herz-Lungen-Maschine verbunden werden. Allein durch die Schwer kraft begünstigt, floß dann das dunkle venöse Blut durch Schläuche in die Maschine, wurde dort gereinigt, mit Sauerstoff angereichert und anschließend mit Hilfe einer Pumpe über die Schenkelschlagader wie der in Tenchs Blutkreislauf zurückgeleitet. Auf diese Weise entstand ein geschlossener Kreislauf, der Tenchs Herz ausklammerte und eine Operation am offenen Herzen ermöglichte. Motzkin griff unter die Haube über Tenchs Kopf und vergewisser te sich, daß die Sauerstoffmaske richtig saß. Tench atmete ruhig und gleichmäßig. Mihrab begann den Herzbeutel aufzuschneiden. »Das machst du fast so gut wie meine Mutter, wenn sie einen Kala mar öffnet«, neckte Jack Licata den Araber. »Flor, weißt du, was ein Kalamar ist?« Flor Aquino lachte. »Nein. Und wenn's was Unanständiges ist, will ich's auch gar nicht wissen.« »Was Unanständiges?« wiederholte Licata gespielt empört. »Das ist Tintenfisch. Isst man auf den Philippinen denn keinen Tintenfisch?« »Nein. Wir benutzen ihn als Köder oder werfen ihn weg.«
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ooks spielte mit dem Gedanken, noch kurz in einem Bordell Sta tion zu machen. Er war wütend auf die kühle Irin, die seine Ge fühle beleidigt hatte. Dann überlegte er es sich doch anders. Im Badezimmerspiegel betrachtete Hooks die Kratzwunden, die Fio na ihm beigebracht hatte. Er wusch das Blut ab und desinfizierte die Wunden mit Jod. 53
Hooks verließ die Wohnung als letzter. Er schloß die Tür ab und warf den Schlüssel in den Abfluss. Abgesehen von Fionas Wandspruch deutete nichts darauf hin, daß dieses Appartement je benutzt worden war. In den Geschäften der Nachbarschaft hatten sie sich kaum blicken lassen. Ihre notwendigen Einkäufe hatten sie immer in anderen Stadt teilen gemacht, um ja nicht aufzufallen oder jemand die Chance zu ge ben, sie wieder zu erkennen. Hooks stieg in den Wagen, der einen Block weiter neben einem Bau holzlager parkte. Es war kein Mietauto. Die Gruppe hatte ihn einen Monat zuvor gebraucht gekauft. Der Wagen war in ausgezeichnetem Zustand gewesen. Er fuhr traumhaft ruhig, streikte nie und beschleu nigte wie eine Rakete. Hooks hatte ihn bar bezahlt mit dem Geld von Trask. Trask und Rashid hatten immer volle Taschen. Bate Hooks schaltete die Zündung ein. Noch kalt, heulte der Motor auf. Das Geräusch erinnerte Hooks an die Waffen, die er in Vietnam zur Verfügung gehabt hatte: Sturmgewehre der Marke Armalite, auto matische Karabiner, Splitterbomben, Handgranaten und Bazookas. Hooks fuhr langsam durch die City. Er war in dem Krankenhaus zur Welt gekommen, das sie jetzt in ihre Hand bringen würden. In der Abteilung für Sozialfälle war es gewesen. Der Staat, die Regierung be zahlten alles. Regen prasselte gegen die Windschutzscheibe. Oder war es Schnee? Hooks war sich nicht sicher. Die schnelle Jagd mit dem Auto würde schwierig werden. Aber Hooks würde seine Sache gut machen; beson ders wenn Carlos neben ihm saß. Er wollte ihnen zeigen, wer wirklich Mut hatte. Hooks hatte ihre Prahlerei von dem Bombenanschlag in Paris und dem Bankraub in England satt. Das hier war sein Revier. Die anderen waren Amateure; vielleicht mit Ausnahme von Olmedo. Hooks bog zum Weaver-Park ab. Dort hatten sie als Kinder in zer fetzten Turnschuhen und mit nacktem Oberkörper wild und frei Base ball gespielt. Jetzt war der Park wie leergefegt. Bäume und Rasen hat ten sich mit Feuchtigkeit voll gesogen. Hooks hatte die Gegend ge meinsam mit Trask eine Woche zuvor gründlich inspiziert. Der Platz war günstig. Er lag unter einem dichten Blätterdach, war deshalb von 54
oben nicht einzusehen, und außerdem abseits der Hauptverkehrsstra ße, die am Parkrand entlang zu einer Ausfallstraße auf der gegenüber liegenden Seite der Stadt führte. Hooks fuhr scharf rechts heran und ließ den Wagen ausrollen. Er zog den Zündschlüssel aus dem Schloß und stieg aus. Bate schloß den Wagen ab, machte den Kofferraum auf, holte einen kleinen Armee-Matchsack heraus und schwang ihn über die Schul ter. Die Karabiner und Handgranaten schlugen gegen seinen Rücken. Hooks nahm eine Abkürzung durch den Park und erreichte gegenüber einer Siedlung wieder die Straße. Hier wohnten überwiegend Einwan derer aus Polen oder Italien; Kinder, mit denen er in seiner Jugend ge spielt und sich geprügelt hatte. Ein Streifenwagen fuhr langsam vorüber. Zwei Augenpaare starr ten ihn an. An einem Farbigen in Drillichkleidung mit einem Match sack über der Schulter war allerdings nichts Verdächtiges festzustel len. Hooks machte sich ansonsten immer einen Spaß daraus, Bullen provozierend anzublicken, aber an diesem Morgen antwortete er mit einem breiten Lächeln und schwang den Matchsack über die andere Schulter. Plötzlich war er irgendwie versucht, den anderen alles hinzuwer fen und einfach abzuhauen … einen Bus irgendwohin zu nehmen, die Waffen zu verkaufen. Doch dann straffte er sich und dachte an das, was ihm eingeschärft worden war. Er konnte die anderen nicht im Stich lassen. »Beweg dich, Hooks«, sagte er zu sich selbst. »Schwing dich in den nächsten Bus.«
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aum hatte Dr. Lake Rockewicz' Büro verlassen, kam Mrs. LeBlanc, die Sekretärin des Verwaltungsdirektors, herein. »Und?« erkun digte sie sich. »Hat der große Doktor Lake nachgegeben?« »Nicht viel. Keine Pressekonferenz. Vielleicht geht er zur Bar-MizwaFeier. Du kennst ihn doch, Estelle.« Mrs. LeBlanc und andere – insbesondere die Kardiologen des Kran kenhauses – mochten Eric Lake und sein Team nicht, das wie Pech und Schwefel zusammenhielt. Was Mrs. LeBlanc Lake besonders übel nahm, war die Tatsache, daß er und sein Team die Autorität ihres Chefs missachteten. Estelle LeBlanc wußte vieles, was hinter dem Rük ken der Verwaltung und ohne Wissen von Dr. Eric Lake vor sich ging. So verhandelte Jimmy Baggs seit längerer Zeit mit ›General Electrics‹ über Membran-Oxygenatoren. Rockewicz' Telefon klingelte. Estelle hob ab. Sie legte die Hand über die Sprechmuschel. »Es ist Mr. Cardone, der Präsident des Tench-Kon zerns. Er klingt verärgert.« Der Verwaltungsdirektor nahm ihr den Hörer aus der Hand. »Mr. Cardone? Hier spricht Steve Rockewicz. Sie möchten kommen? Nein, wir sind nicht verpflichtet gewesen, Sie zu informieren. Im Gegenteil. Mr. Tench hat diesbezüglich strikte Anweisungen ge geben. Selbstverständlich können Sie den Ausgang der Operation hier abwarten. Mr. Tench wird bereits operiert. Ich versichere Ih nen, Doktor Eric Lake ist der beste Herzchirurg, den Sie bekommen können …« Rockewicz zwinkerte Estelle zu und fuhr sich mit der Hand über das kurzgeschorene Haar. Seine Stimme klang selbstsicher und zuver sichtlich. Steve Rockewicz beschwingte nicht nur die Aussicht auf ei 56
nen so wichtigen Besucher wie James J. Cardone. Er sah im Geiste be reits ein neues Labor, eine neue innere Station, ein vollkommen neu es Klinikgebäude. Sollte er nur kommen! Rockewicz wollte sich mit James J. Cardone schon unterhalten und versuchen, aus dem Tench-Konzern etwas für sein Krankenhaus herauszuholen.
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rask war zurückgekommen und führte Rashid aus dem Konfe renzzimmer. Zwei farbige Jungen rannten durch den Korridor. Eine Tür fiel zu. »Sicherheitskontrollen scheint's hier nicht zu geben«, bemerkte Ras hid. »Wir können uns völlig frei bewegen.« Eine geöffnete Tür wies den Weg in einen dunklen Umkleideraum mit langen Schrankreihen. Dort saß Carlos Olmedo auf einer Bank und rauchte. »Hallo, John! Rashid! Ihr seid pünktlich.« »Sollen wir uns umziehen?« erkundigte sich Trask. »Ja. Das hier ist der alte Umkleideraum. Er wird nur gelegentlich von den Leuten aus der Pathologie benutzt.« Trask und Rashid zogen ihre weißen Mäntel, Hemden und Krawat ten aus, nahmen zwei Spezialrevolver Kaliber 9 mm aus den Aktenta schen und steckten sie in die Ledergürtel, die sie um die Taille trugen. Olmedo gab jedem ein Kleiderbündel, das aus einem grünen hüftlan gen Oberteil mit kurzen Ärmeln, einer weiten Hose und einer grünen Operationshaube bestand. »Setzt die Mützen bitte erst im OP auf. Es ist hier nicht üblich, die Kopfbedeckung außerhalb der Chirurgie zu tragen«, wies Olmedo die anderen an. 57
Trask runzelte die Stirn. »Warum ziehen wir uns eigentlich jetzt schon um?« »Weil ihr in den anderen Umkleideräumen in Schwierigkeiten kom men könntet«, erwiderte Olmedo. »Die sind meist überfüllt. Man wür de auf euch aufmerksam werden. Hier ist es ruhig.« »Was machen wir, wenn uns jemand anspricht?« Vor der Tür des Umkleideraums begann jemand mit Kehrschau fel und Besen zu hantieren. »Hallo, ist da jemand?« rief eine Stimme. »Wer ist da so früh schon drinnen?« Ein dicker Farbiger steckte seinen Kopf zur Tür herein. »Alles in Ordnung, Albert«, sagte Olmedo. »Ich habe hier ein paar Besucher für die Chirurgie. Studenten!« »Wer ist'n das? Ach so, Carlos!« Rashid trat schnell zurück. Seine Hand fuhr zu dem Revolver in sei nem Gürtel. »Die Waffe wirst du nicht brauchen«, murmelte Olmedo. »Ich kenne die Arbeiter hier. Die hören auf mich.« Rashid holte einen M2-Karabiner aus der Aktentasche. Er war zer legt. Olmedo gab Rashid ein grünes Tuch, das dieser um die Waffe wickelte. »Ich zeige euch jetzt, wo ihr die Überschuhe aus Papier und das Mundtuch bekommt. Zieht eure weißen Mäntel wieder an.« Olmedos Blick schweifte zu Rashid. »Hast du den Karabiner ausprobiert?« »Ja, vor zwei Tagen. Eine Kalaschnikow wäre mir lieber gewesen.« »Also, bleibt es dabei?« warf Trask ein. »Zwei drinnen, einer drau ßen?« Er ärgerte sich über Rashid. Der Araber war zwar furchtlos, aber ein Querulant. Die Bemerkung über die von der Fedajin bevorzugte russische Waffe war völlig unangebracht gewesen. »Ich gehe mit rein, wenn du willst, John«, sagte Olmedo. »Nein, du wirst draußen gebraucht. Du kennst dich im Krankenhaus aus, gehörst ja eigentlich dazu.« Olmedo nickte. »Rashid bleibt bei mir in der Kleiderkammer, bis du soweit bist. Und vergiß nicht, falls dich jemand wegen deiner grünen OP-Kleidung anspricht, erfinde eine Entschuldigung.« 58
Trask reckte sich zur vollen Größe. »Ist es der OP, von dem wir ge sprochen haben? Der mit nur einem Eingang?« »Ja. Man kommt nur auf einem Weg rein oder raus.« »Keine zugemauerten Fenster oder Türen?« wollte Trask wissen. Olmedo schüttelte den Kopf. »Nein. Ich habe das gründlich über prüft. Es gibt lediglich einen alten Luftschacht, aber der ist sehr schmal und inzwischen verschlossen.« Trask nahm ein Transistorradio aus seiner Aktenmappe und steckte es in die Brusttasche seines Kittels. »Damit wir die Nachrichten abhö ren können«, erklärte er. Olmedo führte sie in den Korridor hinaus. Der dicke Farbige von der Reinigungskolonne schürfte mit dem Fegblech an den Metallschrän ken vor der Pathologie entlang. »Du machst heute aber viel Krach«, sagte Olmedo zu ihm.
»Die Toten stört das nicht mehr. Viel Spaß noch, die Herren.«
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II. BUCH
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r. Licata arbeitete noch immer an Tenchs Schenkeln. Auf der an deren Seite des Operationstisches befestigte Dr. Mihrab Tenchs geöffneten Herzbeutel mit einigen Stichen an der Innenwand der Brusthöhle. Das freigelegte Herz schien schneller zu schlagen. Die orangefarbene Fettschicht pulsierte heftig. »Nimm einen Teil des epikardialen Fettgewebes heraus«, bat Licata. Mihrab ersetzte einen mit Blut voll gesogenen Tupfer unterhalb von Tenchs Herzen durch einen neuen. Flor rückte den Absaugschlauch wieder in Position. »Na, da ist sie ja«, seufzte Licata. »Die Beinvene hat den Durchmesser eines Feuerwehrschlauchs. Was sagst du dazu, Gamel?« »Sieht gut aus, Jack«, erwiderte der Ägypter. Die beiden Operationsschwestern sahen zu der freigelegten Vene. Auch Baggs stand von seinem Platz auf. Licata löste die Vene mit einer Pinzette aus dem Gewebe. »Ein äußerst praktisches Ersatzteil«, erklär te Licata. »Adernklemme bitte.« Licata klemmte ein ungefähr dreißig Zentimeter langes Stück der Vene beidseitig ab, schnitt es heraus und legte es in die Nierenschale mit Normosol-Lösung, die Flor ihm reichte. »Wie heißt es doch immer in Kochrezepten, Flor? Zur späteren Verwendung bereithalten.« Licata warf einen Blick auf die Wanduhr. Es war acht Minuten nach neun. Sie hatten Verspätung. Tench war einfach zu dick. Alles dauerte länger. Der erste Assistenzarzt nahm den Thermokauter und verödete die Beinvene. Der Patient würde sie kaum vermissen. Andere Blutge fäße übernahmen ihre Funktion. »Ich verschwinde mal kurz«, flüsterte Motzkin Cho ins Ohr. »Passen Sie auf die Geräte auf.« 61
Cho, der auf einem Hocker neben dem Narkosewagen saß, nickte ihm zu. Licata beugte sich über den Operationstisch und sagte leise zu Mi hrab: »Garn, weißt du, wohin Alan gegangen ist?« »Zum Telefon. Er ruft seinen Börsenmakler an. Man könnte seine Uhr danach stellen. Sobald der Makler sein Büro öffnet, verläßt Alan den OP.« »Weiß Eric das?« »Nein. Und wenn er es erfahren sollte, bekommt Alan einen Rüffel. Mir ist das gleichgültig. Was juckt es mich, wenn Alan sich einen Spaß draus macht, an der Börse zu spekulieren?«
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er dunkelhäutige, muskulöse Rashid betrat an der Seite von Car los Olmedo die chirurgische Abteilung. Sie trugen die grüne Ope rationskleidung und Hauben. »Hier wird interessante Arbeit geleistet«, sagte Olmedo zu dem Ara ber. »Es fällt mir schwer, mich nicht ablenken zu lassen.« Rashid lächelte. »Da habe ich keine Probleme.« »Einbahnverkehr, Amigos«, sagte ein farbiger Pfleger, der eine Bahre den Gang entlangrollte, auf dem ein blondes Mädchen in Narkose lag. An einem Wasserspender blieben sie stehen. Rashid beugte sich zum Hahn hinunter. »Das ist ausgezeichnetes Wasser«, bemerkte Olmedo. »Die Klinik hat ihr eigenes Wasserreservoir.« »Ich habe immer Durst. Meine Nieren arbeiten nicht richtig.« »Jammerschade, daß du dich hier nicht behandeln lassen kannst«, erwiderte Olmedo. »Wir haben eine der besten urologischen Abteilun gen des Landes.« 62
Rashid schwieg. Es ärgerte ihn, daß sich Olmedo mit dem Kranken haus identifizierte. Eine ältere Krankenschwester grüßte Olmedo, sah Rashid mißtrau isch an und ging dann weiter. An der gläsernen Eingangstür zur chir urgischen Abteilung blieb sie bei der Oberschwester McCarran stehen. Rashid, der sich schnell nach den beiden umgedreht hatte, bekam ein unsicheres Gefühl. Er drückte den Karabiner in der grünen Stoffhülle fester gegen die Hüfte.
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otzkin kehrte von dem Telefongespräch mit dem Börsenmakler in den Operationssaal zurück. Cho reichte ihm eine lange Sprit ze. »Heparin, Doktor«, erklärte der Assistent. Motzkin spritzte das Mittel gegen Blutgerinnung in Tenchs Herzvor hof. »Donnerwetter«, murmelte er schließlich. »Der Bursche hat jetzt hundertsechzig Milligramm bekommen. Das reicht normalerweise für einen Walfisch aus.« Licata machte Flor ein Zeichen. Die Operationsschwester brach te ihm das Venenstück in der Nierenschale. Licata nahm es aus der Normosol-Lösung, legte es auf das grüne Tuch über Tenchs geöffneter Brusthöhle und betrachtete es einen Augenblick. Dr. Mihrab starrte stirnrunzelnd auf Tenchs heftig schlagendes Herz. »Jack, sieh dir das mal an!« forderte er Licata plötzlich auf. Beide Chirurgen betrachteten die Herzspitze. Dort schimmerte auf einer Seite ein graubrauner Fleck. »Ich werd' verrückt«, murmelte Licata. »Eine alte Infarktnarbe. Auf dem EKG war davon nichts zu sehen. Bin gespannt, was Eric dazu sagt.« Licata und Mihrab nahmen je ein Ende des Venenstücks mit der 63
Pinzette und schälten schnell und geschickt die Gewebereste ab, die es umgaben. Dann nähten sie einige Löcher in den Gefäßwänden mit kleinen Stichen zu. Schließlich nahm Licata eine mit Wasser gefüllte Spritze, die Sally ihm reichte, und preßte das Wasser durch die Vene. Die Gefäßwände waren dicht. »Wisch uns bitte die Stirn ab, Flor«, bat Licata. Flor holte ein steriles Handtuch, tupfte zuerst Licata und dann Mi hrabs Stirn trocken. Mihrab zitterten die Knie. Sie sah ihm direkt in die Augen. Lächelte sie? Er hatte sie nie auch nur angefasst. Mossad, ein iranischer Assistenzarzt aus der Gynäkologie, war mit ihr einmal ausgegangen und hatte berichtet, daß sie sich wie eine Tigerin gewehrt hatte. »Sie hat was gegen Moslems«, hatte Mossad vermutet. »Wo, zum Teufel, bleibt eigentlich Eric?« fragte Licata. »Es eilt noch nicht«, erwiderte Mihrab mit seiner ruhigen Stimme, ohne aufzusehen. »Ich brauche noch etwas Zeit, bis ich den Schrittma cher drinnen habe.« Jimmy Baggs drehte sich auf seinem Sitz um und zog an dem dicken Kabel, das die Herz-Lungen-Maschine mit der Steckdose in der Wand verband. Es war fest. Licata wartete, bis Mihrab den Schrittmacher eingenäht hatte. Ga mel war ein guter Mann. Er hatte ruhige Hände und war äußerst zu verlässig. Licata fragte sich insgeheim, wie sich Mihrab wohl seine Zu kunft vorstellen mochte. Würde er nach Ägypten zurückkehren? Aber was sollte ein Herzchirurg ohne moderne Geräte und Ausrüstung in Kairo anfangen? »Bist du in letzter Zeit mal mit Flor ausgewesen?« fragte Licata lei se. Die Operationsschwester war kurz hinausgegangen, um Kaffee zu holen. »Nein.« »Dann solltest du das nachholen. Nur den Tapferen gebührt der Sieg.« »Ich bin fertig. Falls nötig, können wir den Schrittmacher einschal ten, Jack.« Viel habe ich nicht erreicht, aber ich habe es wenigstens versucht, dachte Licata. 64
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ashid war über Olmedos medizinische Kenntnisse erstaunt. Au ßerdem wußte er über alles genau Bescheid, was in der Klinik pas sierte. Olmedo deutete auf einen Operationssaal, über dem das rote Licht brannte. »Hier operiert Doktor Fess«, erklärte er. »Er ist ein gu ter Neurochirurg. Allerdings braucht er immer absolute Ruhe im Ope rationssaal. Doktor Lake dagegen hat nichts gegen Besucher.« »Davon wird er mehr haben, als ihm lieb ist«, gab Rashid sarkastisch zurück. Olmedo führte Rashid in die Wäschekammer. Da ertönte über den Lautsprecher eine Durchsage. »Doktor Lake wird dringend im Unter suchungslabor der Inneren Abteilung gebraucht. Wir haben einen Fall von Lungenembolie …« Rashid sah Olmedo fragend an. »Kann das bedeuten, daß sich die Operation verzögert?« »Vielleicht.« »Aber … John …« »John hat das auch gehört.« Die farbige Schwester aus dem Sterilisationszimmer steckte ihren Kopf zur Tür herein. »Carlos, wir haben schon wieder keine Laken mehr.« »Sofort, Mrs. Fountain.« Er wandte sich an Rashid. »Amigo, gib Mrs. Fountain, was sie braucht.«
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ric Lake hatte Rockewicz' Büro gerade verlassen, als er die Durch sage hörte. Er runzelte die Stirn. So etwas war typisch für das ›City General Hospital‹. Mit der Kommunikation zwischen den einzelnen Stationen und Abteilungen klappte es nie. Man hätte wissen müssen, daß er bereits einen Operationstermin hatte. Von seinem Büro aus rief er auf der Inneren Station an, erklärte, daß er den Fall nicht übernehmen könne und empfahl, sich an einen der Assistenzärzte der Chirurgie zu wenden. Dann zündete er sich noch eine Zigarette an. Ein schlanker junger Mann, der unter seinem weißen Arztmantel mit dem Emblem des ›City General Hospital‹ grüne Operationsklei dung trug, stand plötzlich im Türrahmen zu Lakes Büro. In seiner Ta sche steckte ein Stethoskop. »Doktor Lake?« fragte er. »Ja.« »Kann ich Sie einen Augenblick sprechen?« »Ich habe aber wirklich nur eine Minute Zeit. Ich werde im OP er wartet.« Lake nahm an, daß es sich bei dem Besucher um einen der vielen ameri kanischen Medizinstudenten handelte, die im Ausland studierten. Rocke wicz hatte ein System ausgearbeitet, wie er diese jungen Leute für ihr prak tisches Jahr nach Amerika zurückholen konnte. Diese Studenten und jun gen Mediziner kamen dann meistens unsicher und scheu in das ›City Ge neral‹, erwiesen sich später jedoch als sehr brauchbar und nützlich. Der Mann, der Lake jetzt gegenübersaß, machte jedoch nicht den Eindruck eines unsicheren Studenten. »Mein Name ist John Trask«, begann er. 66
»Sind Sie von der Inneren Station?« »Nein. Doktor Lake, haben Sie etwas dagegen, wenn ich die Tür schließe? Was ich Ihnen zu sagen habe, ist streng vertraulich.« »Machen Sie, was Sie für richtig finden, aber beeilen Sie sich.« Nachdem er die Tür geschlossen hatte, setzte sich Trask wieder. Im nächsten Augenblick hatte er den Revolver unter seinem grünen Kittel hervorgeholt und richtete den Lauf auf Dr. Lake. »Keine Bewe gung. Bleiben Sie ganz ruhig. Wenn Sie tun, was ich Ihnen sage, pas siert Ihnen nichts.« Lake schwieg. Auf Zwischenfälle dieser Art mußte man in einem Krankenhaus immer gefaßt sein. Gerade Kliniken zogen Verrückte an wie der Honig die Bienen. Dr. Fess hatte einige Monate zuvor etwas Ähnliches erlebt. Damals war der Neurochirurg von dem Verwand ten eines Mannes bedroht worden, der während einer Gehirnoperati on gestorben war. »Was wollen Sie?« fragte Lake. Trask musterte Lake kalt. Lake drückte seine Zigarette im Aschen becher aus. Die Revolvermündung zeigte genau auf seine Stirn.
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ames J. Cardone war ein Mann, der seine Zeit stets nutzbringend zu verwenden wußte. Auf der Autofahrt zum Krankenhaus diktierte er Briefe und schickte anschließend den Chauffeur damit ins Büro zu rück. Sobald das erledigt war, sollte der Wagen zum Krankenhaus zu rückkehren und dort auf ihn warten. Die Krankenhausatmosphäre deprimierte Cardone. Krankenschwe stern, ausländische Arzte, Patienten der verschiedensten Rassen und Hautfarben liefen durch die Gänge. Schließlich hatte er Rockewicz' Büro gefunden. Estelle begrüßte ihn. »Bitte nehmen Sie einen Augen 67
blick Platz, Mr. Cardone«, bat sie ihn. »Mr. Rockewicz hat gerade ei nen Besucher.« »Was ist mit Mr. Tench? Kann ich zu ihm?« »Im Augenblick nicht. Er wird gerade operiert. Aber soviel ich weiß, verläuft alles ohne Komplikationen.« Cardone setzte sich. Er war es nicht gewöhnt zu warten. Normaler weise war es umgekehrt – die anderen warteten auf ihn. Die Tür zu Rockewicz' Büro stand halb offen. Cardone hörte, daß dort eine erreg te Auseinandersetzung im Gang war. Er schlug die Beine übereinan der. Mrs. LeBlanc betrachtete bewundernd seine Krokodillederschu he. »Steve, ich habe ein Recht darauf, den Bericht über die Herzkathete risierung einzusehen«, erklärte jemand im Raum nebenan. »Lake hat ihn mir vorenthalten.« »Das war sicher ein Versehen, Burt. Sie wissen, wie Eric in solchen Fällen ist.« »Ja, natürlich! Das Lake-Imperium! Steve, er mag vielleicht ein her vorragender Chirurg sein, aber das gibt ihm noch lange nicht das Recht, uns Internisten zu übergehen. Ich bin kein dummer Schuljun ge, sondern Chefarzt der Kardiologie.« Der Mann, der diese Worte gesprochen hatte, tauchte jetzt unter der Tür auf. Cardone sah einen schlanken Herrn mit eisgrauem Haar, der erregt gestikulierte. »Das ist Doktor Evans«, erklärte Estelle lächelnd. »Ein bekannter Herzspezialist.« »Nicht nur ein bekannter, sondern auch ein wütender«, entgegnete Cardone scharf. Er fing an, sich Sorgen zu machen. Was sollte er von einem Krankenhausdirektor halten, der es zuließ, daß interne Ausein andersetzungen für jedermann in weitem Umkreis zu hören waren? »Sie werden den Laborbericht bekommen«, versicherte Rockewicz. »Estelle!« rief er. »Bitten Sie Doktor Lake um den Bericht über die Herz katheterisierung, sobald die Operation an Mr. Tench beendet ist.« »Es ist immer dasselbe«, nörgelte Dr. Evans. »Ich bekomme das In formationsmaterial erst, wenn alles schon passiert ist.« 68
Cardone hatte sich erhoben. »Es geht um Mr. Tench?« Estelle schüttelte ihr volles Haar. »Ach, machen Sie sich nichts draus. Das kommt täglich vor. Zwischen den Chirurgen und Internisten herrscht ständig Krieg.« Cardone war entsetzt. Er machte einen Schritt auf die halboffene Tür zu. »Es ist mir ganz egal, ob der Patient ein Straßenkehrer oder ein mil lionenschwerer Freund von Lake ist, Steve. Der Fall eines jeden Pati enten muß von Chirurgen und Internisten gemeinsam durchgespro chen werden …« »Ein Mann wie Tench hat gewisse Privilegien. Tench wollte jeden Rummel um seine Person vermeiden. Er ist Erics Freund. Außerdem handelt es sich um eine ganz gewöhnliche, prothetische Operation.« »Ja, natürlich ganz gewöhnlich«, hörte Cardone Dr. Evans entgeg nen. »Darauf wollte ich gerade kommen. Diese Chirurgen nehmen je den unters Messer, als handle es sich nur um eine Blinddarmoperati on. Die Sterblichkeitsziffer ist höher, als Lake es zugibt.« »Aber ich bitte Sie, Burt«, versuchte Rockewicz den Mann zu beru higen. »Das kommt darauf an, welche Statistik Sie benutzen. Was er warten Sie außerdem von herzkranken Patienten? Sollen sie leiden? Nach diesen Operationen sind sie schmerzfrei und wieder voll arbeits fähig.« »Die Frage ist nur, für wie lange! Ich hätte Tench wesentlich wirk samer medikamentös behandeln können. Dazu eine vernünftige Diät und viel Ruhe. Also?« »Das ist doch Unsinn, Burt. Bei Tench ist alles versucht worden …« Dr. Evans ließ sich jedoch nicht ablenken. »Diese Chirurgen geben erst dann Ruhe, wenn jeder erwachsene Mann in Amerika über ih ren Operationstisch gewandert ist. Kaum leidet jemand unter Atem not, greifen sie schon zum Messer. Ich habe keine einzige Unterlage über Tench zu Gesicht bekommen, aber eines sage ich Ihnen, Steve: Wenn der Mann die Operation nicht überlebt, dann sollten Sie eine verdammt gute Erklärung dafür parat haben.« »Lassen Sie den Unsinn, Burt.« 69
Cardone, dem der Hemdkragen bereits zu eng geworden schien, be trat das Büro des Verwaltungsdirektors. »Mein Name ist James Cardone, Mr. Rockewicz. Ich bin über das, was ich eben gehört habe, reichlich entsetzt.« Rockewicz streckte die Hand aus. Dann stellte er Dr. Evans vor, der sich verlegen und hastig verabschiedete. »Setzen Sie sich doch, Mr. Cardone. Es besteht kein Grund zur Auf regung. Es gibt Kardiologen, die sehen einfach Rot, wenn es sich um Operationen an den Herzkranzgefäßen handelt.« »Es wäre mir lieber gewesen, man hätte mich früher verständigt«, er klärte Cardone. Steve zuckte resigniert mit den Schultern. »Mr. Cardone, reiche Leu te setzen immer ihren Willen durch. Mr. Tench wollte absolutes Still schweigen. Sie sind kein Blutsverwandter. Nicht einmal seine Tochter weiß Bescheid.« »Dieser Dr. Evans hat mir einen ziemlichen Schreck eingejagt.« Steve Rockewicz machte eine wegwerfende Handbewegung. »Mr. Tench wird die Sache glänzend überstehen. Dr. Lake muß jetzt jede Minute den OP betreten. Seine Assistenten haben Mr. Tench bereits vorbereitet, da mit er an die Herz-Lungen-Maschine angeschlossen werden kann.« Cardone klopfte mit den Fingern nervös auf sein Knie. »Mr. Rocke wicz, ich muß Sie um eine präzise Auskunft bitten. Welche Chancen hat Mr. Tench?« »Ich will Ihnen nichts vormachen, Mr. Cardone«, erwiderte Rocke wicz. »Ein gewisses Risiko ist immer dabei … aber es ist gering. Die Sterblichkeitsziffer liegt bei zwei Prozent. Nieren- oder Gehirnschäden sind nach solchen Eingriffen nicht auszuschließen, aber wir versuchen dem vorzubeugen. Trotz allem überwiegen die Vorteile einer solchen ›Bypass‹-Operation bei weitem. In einem Monat kann Mr. Tench be reits wieder an Ihren Sitzungen teilnehmen. Dann wird er schlanker, gesünder und vor allem schmerzfrei sein.« »Wer kann mir das garantieren?« »Todsichere Prognosen wage ich nicht mal bei einer Bruchoperati on, Mr. Cardone.« 70
»Und wie sieht die langfristige Prognose für Mr. Tench aus?« »Wenn die Patienten die ersten dreißig Tage nach der Operation überstehen, können sie ein weiteres halbes Jahr sorgenfrei leben. Brin gen sie auch diese Zeit hinter sich, sind sie weitere fünf oder sechs, viel leicht auch mehr Jahre gesund.« »Wann kann ich Mr. Tench sehen?« »Da muß ich erst Doktor Lake fragen.« »Sie müssen ihn fragen?« entgegnete Cardone verwundert. »Richtig, Mr. Cardone. Wir sind hier kein Industrieunternehmen. Meine Leute funktionieren nicht auf Knopfdruck. Unsere Chirurgen sind begabt, ständig überarbeitet und meist auch unterbezahlt. Ich be handle sie so zuvorkommend wie möglich, weil sie hervorragende Ar beit leisten … bessere sogar, als diese publicitysüchtigen Mediziner vom ›Protestant Memorial Hospital‹.« »Das war deutlich, Mr. Rockewicz.« »Ich freue mich, daß wir uns verstanden haben. Darf ich Ihnen jetzt unser Krankenhaus zeigen?« »Ich glaube, ich sollte lieber warten, bis …« »Die Operation an Mr. Tench wird noch mehrere Stunden dauern, Mr. Cardone.« Als Rockewicz sein Büro mit Cardone verließ, zwinkerte er Estelle LeBlanc zu. Er war fast sicher, in Cardone einen neuen Geldgeber für seine Klinik gefunden zu haben.
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s dauerte eine Weile, bis bei Dr. Eric Lake ein Gefühl von Angst hochstieg. Doch auch dann blieb er Herr seiner selbst. Mit Psycho pathen hatte man es in einem Krankenhaus häufig zu tun. Was Lake allerdings beunruhigte, war die Tatsache, daß der Mann mit dem Re 71
volver in der Hand einen fast gebildeten, ja intelligenten Eindruck machte. »Sie wollen mich doch nicht umbringen, oder?« »Nein. Aber falls Sie Widerstand leisten sollten, werde ich es, ohne mit der Wimper zu zucken, tun«, erwiderte Trask. »Ich werde im Operationsraum erwartet.« »Ich begleite sie.« Eric Lake schüttelte den Kopf. »Waffen sind innerhalb des Kranken hausgeländes strikt verboten. Wenn Sie bereit sind, auf den Revolver zu verzichten, kann ich es vielleicht einrichten, daß Sie bei der Opera tion anwesend sein dürfen.« Er griff nach dem Telefon. »Ich sage nur im OP Bescheid, daß ich soweit bin.« Trask schlug mit dem Revolver brutal gegen Lakes linken Unterarm. Ein stechender Schmerz durchzuckte Lake, und er ließ den Hörer so fort wieder fallen. Kalte Wut packte ihn. Am liebsten hätte er den Ein dringling umgebracht. »Versuchen Sie ja nicht, noch einmal zu telefonieren. Sonst schieße ich.« »Wenn Sie mir endlich sagen würden, was Sie von mir wollen, wird das alles nicht nötig sein.« Lake rieb sich den linken Arm. »Also, was haben Sie vor? Möchten Sie bei einer Operation dabei sein, etwas steh len oder brauchen Sie Drogen?« In diesem Moment läutete das Telefon. Trask fuhr zusammen. Lake sah das gefährliche Glitzern in den Augen seines Gegenübers. Dann war die Schrecksekunde vorbei. Er musterte Trask kalt und entschlos sen. »Kann ich abheben?« erkundigte sich der Chirurg. »Ja. Aber keine schmutzigen Tricks. Ich schieße ohne Vorwarnung.« »Hier Doktor Lake«, meldete sich der Chirurg. »Der Mann mit der Lungenembolie? Was? Er ist gestorben? Tut mir leid. Bitten Sie die Fa milie um eine Obduktionserlaubnis.« Trask lächelte. »Der große Eric Lake. Der Wohltäter der Mensch heit«, sagte er zynisch. »Was wollen Sie damit sagen?« 72
»Für so ein armes Schwein, das in einem Ihrer Labors abgekratzt ist, haben Sie keine Zeit. Dafür drängt es sie um so mehr zu Walker Tench, einem der reichsten Parasiten unseres Landes. Genauso habe ich es mir vorgestellt.« »Aha«, murmelte Lake. »Das ist es also. Sie sind einer dieser Polit gangster …« »Halten Sie den Mund!« »Womit kann ich Ihrer Sache dienen? Mit meiner Brieftasche? Mei nen Kreditkarten?« »Schnauze! Oder wollen Sie noch mal 'ne Abreibung?« »Nein, danke. Ich lege Wert darauf, in guter körperlicher Verfassung zu sein, wenn ich operiere.« Lake hasste Schmerzen. Er gab auch sei nen Patienten stets starke Schmerzmittel. »Darf ich rauchen?« »Bitte.« Lake inhalierte tief und lehnte sich in seinen Stuhl zurück. »Hören Sie, Mister. Im OP liegt ein Mann, der meine Hilfe braucht. Ob reich oder arm, zählt bei mir nicht. Ich operiere jeden, bei dem es nötig ist.« Er massierte weiter seinen linken Arm. »Verdammt, Sie haben mir ganz schön wehgetan. Falls meine Arbeit dadurch beeinträchtigt wird, werden Sie es büßen.« »Sie sind kaum in der Lage, mir zu drohen. Im übrigen wird Ihnen und Ihren Leuten so lange nichts geschehen, wie Sie meinen Anord nungen Folge leisten. Es handelt sich hier um eine politische Angele genheit.« »Aha.« »Um eine militärische Aktion.« »So? Ich wußte gar nicht, daß wir uns im Krieg befinden«, entgeg nete Lake. »Meine Truppe ist im ganzen Krankenhauskomplex verteilt«, erwi derte Trask. »Zehn Männer haben sämtliche Schlüsselstellen besetzt.« Trasks Gesicht rötete sich. Seine Augen begannen erneut zu glänzen. »Wir haben euch als Feinde eingestuft. Wenn ihr kooperiert, werdet ihr überleben. Von jetzt an gibt die revolutionäre Armee hier die Be fehle.« 73
Lakes Zigarette fiel auf die Tischplatte. Er achtete nicht darauf. »Tench«, stieß Lake hervor. »Sie sind hinter Tench her.«
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ie warteten. Dr. Lake war längst überfällig. Licata hob Tenchs hef tig pochendes Herz hoch, betrachtete stirnrunzelnd das Fettgewe be und ließ es wieder los. »Suchst du die Herzkranzarterien, Jack?« erkundigte sich Mihrab. »Sie liegen tief.« »Welche Temperatur wünscht Doktor Lake, bevor er operieren kann?« erkundigte sich Cho. »Das kommt darauf an«, erwiderte Jimmy Baggs. »Meistens genügen vierunddreißig Grad Celsius.« Einer von Baggs Technikern rollte einen Kübel Eiswürfel in den Operationssaal. »Helfen Sie ihm mal!« forder te Baggs Cho auf. »Na, es wurde auch Zeit«, bemerkte Licata grinsend. »Mr. Baggs' transportable Bar. Einen einfachen Scotch on the Rocks, James.« Cho schob den Kübel näher. »Eiswürfel?« Er sah Baggs verständnis los an. »Die sind für die Pumpe. Auf diese Weise können wir das Blut schnel ler kühlen«, erklärte Baggs. Motzkin und Licata beobachteten die beiden Männer. »Das hier ist ein finanzschwaches Krankenhaus«, erklärte Jimmy. »Für Wärmeaustauscher haben wir kein Geld. Stimmt's, Doktor Li cata?« »Wir haben für gar nichts Geld, Jim.« »Und wie erwärmt ihr das Blut der Patienten?« wollte der Koreaner wissen. »Mit Hilfe von heißem Wasser«, antwortete Baggs. »Mit gutem al 74
tem Leitungswasser.« Er klopfte mit dem Fingerknöchel gegen ein Lei tungsrohr. In diesem Augenblick ertönte der Lautsprecher. »Doktor Evans braucht heute nachmittag um fünf Uhr eine Arteriographie. Das La borpersonal wird gebeten, vollzählig anwesend zu sein.« Baggs stöhnte. Er hatte einen weiteren Fünfzehnstundentag vor sich. Es war erst kurz nach zehn Uhr morgens, aber er war bereits müde.
»Man kann also ruhig sagen, daß das ›City General‹ modernsten An forderungen entspricht«, prahlte Steve Rockewicz, während er Cardo ne durch den Neubau des Krankenhauses führte. Cardone ging nicht darauf ein. Er richtete unaufhörlich Fragen an Rockewicz über Herzkranzoperationen und über Tenchs Zustand vor der Operation. »Bei Mr. Tench war ein chirurgischer Eingriff absolut notwendig«, erklärte Rockewicz. »Doktor Lake hat ihn gründlich untersucht.« »Und die Ergebnisse geheim gehalten?« »Mr. Tench wollte es so.« Ein hagerer Mann schlurfte in Pantoffeln und Bademantel über den Korridor. Als er Rockewicz sah, hob er die Hand zum Gruß. »Na, wie geht's heute, Mr. Montaigne?« erkundigte sich der Direk tor. »Ausgezeichnet. Mein Motor läuft wieder auf vollen Touren.« »Gut. Darf ich Ihnen Mr. Cardone vorstellen?« »Hallo, Doc.« »Mr. Montaigne gehört zu unserem Wartungsteam. Erzählen Sie Mr. Cardone mal, was Doktor Lake vergangene Woche mit Ihnen gemacht hat.« »Er hat mir ein neues Herz verpasst, das ist alles«, erwiderte Mr. Montaigne gelassen. »Eine Transplantation?« »Ach, was! Damit gibt sich Dr. Lake nicht ab. So was überlässt er den 75
publicitysüchtigen Ärzten. Er hat mir eine künstliche Aortenklappe eingesetzt. Hier!« Er deutete auf sein Brustbein. Cardone sah den dik ken Verband unter dem Pyjama. »Die alte Klappe war völlig eingero stet. Dr. Lake hat sie rausgenommen und durch eine Plastikklappe mit Spiralfeder ersetzt. Doc Lake ist für mich der Größte.« »Sie scheinen die Operation ja gut überstanden zu haben«, mußte Cardone zugeben. Als Mr. Montaigne gegangen war, sah Cardone Steve lächelnd an. »Dieser Dr. Lake scheint seinen Patienten ja alles genau zu erklären.« »Er ist ein hervorragender Chirurg, Mr. Cardone. Ein wenig schwie rig, aber erstklassig.« »Langsam werde ich zuversichtlicher«, gestand Cardone. »Sie wissen ja, daß Mr. Tench jederzeit DeBakey oder Cooley hätte konsultieren können.« Und nach einer Pause fügte er hinzu: »Ich kenne beide Chir urgen persönlich.« »Eric steht ihnen in nichts nach«, entgegnete Rockewicz. »Ich glaube, ich sollte mich bei Ihnen für einige unbedachte Äuße rungen entschuldigen, Mr. Rockewicz. Außerdem war es ziemlich un höflich von mir, Ihr Gespräch mit dem Kardiologen Dr. Evans so ab rupt zu unterbrechen.« »Reden wir nicht mehr davon. Hier im Krankenhaus gehen alle bei mir aus und ein, wie es ihnen gerade paßt. Mein Büro ist so was wie Allgemeingut.« Cardone lächelte. Gemeinsam gingen sie weiter zum Fernsehzim mer.
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iona Regan mußte mit ihrer schweren Schultertasche und dem sperrigen Paket einmal den Bus wechseln und das letzte Stück zum Krankenhaus zu Fuß gehen. In dem Schaffellmantel, der schwarzen engen Hose und den flachen Halbschuhen wirkte sie fast zerbrechlich. Sie sah beinahe anziehend aus. Ihre weiße Haut war wie durchscheinend und bildete einen kras sen Kontrast zu ihrem braunen, dichten Haar. Im Hof des Krankenhauses wirkte alles noch trostloser und grauer als draußen. Der Regen war endgültig in Schnee übergegangen. Krank heit, Frustration und stummer Zorn herrschten hinter den Mauern der schäbigen Häuser, an denen sie vorbeigegangen war. Sogar die grauen Mauern drückten Elend aus, das in ihrem Innern herrschte. Auch ihr werdet eines Tages befreit sein, dachte Fiona. Sie ging zu der Metalltreppe, die in die Drogenambulanz führte. Ein junger Mann mit Hut, Fransenjacke und Ohrringen lümmelte auf der obersten Stufe. »Hallo, Baby«, sagte er mit spanischem Akzent. »Guten Morgen«, erwiderte Fiona. Der Mann machte keine Anstalten, Fiona vorbeizulassen. »Du bist neu hier, Baby. Nimm dich vor diesem Methadon in acht.« »Lassen Sie mich vorbei.« Der merkwürdige Typ rührte sich nicht von der Stelle. »Sie setzen dich auf Methadon, Süße. Aber das Zeug ist schlimmer als Heroin. Hast du gewußt, daß mehr Fixer an Methadon sterben als an Stoff?« Fiona überlegte fieberhaft, ob der Mann ein Polizist sein könnte, der längst über sie Bescheid wußte. Waren Trask und Rashid vielleicht schon verhaftet? »Stehen Sie auf! Ich möchte da rein!« 77
»Die Ambulanz macht erst um zehn auf.« »Es ist schon nach zehn.« »Du begehst einen Fehler, Baby. Ich mache dir ein besseres Angebot als der da drinnen. Arbeite für Rico, und du bekommst alles, was du für deine kleine Leidenschaft brauchst.« Ein untersetzter Mann in Trainingsjacke tauchte hinter der Glastür auf. Er öffnete. »Hau ab, Rico«, sagte er. »Komm ruhig rein, Schwe ster.« Rico sah Fiona grinsend an. »Komm in meinen flotten Rennstall, Baby. Ich mach' dich glücklich. Fat ist nur aufs Geld aus. Je mehr Fixer er an Land zieht, desto mehr Moneten kriegt er von der Stadt.« Der Mann trat vor die Tür. Er strich sich sein glattes, braunes Haar aus der Stirn. »Rico, wie oft habe ich dir schon gesagt, daß du die Am bulanz hier nicht als Werbebüro für dein Gewerbe benutzen sollst. Zisch ab, oder ich rufe die Polizei.« »Einen Scheiß wirst du tun, Fat.« Der Zuhälter packte Fiona beim Arm und zog sie an sich. Seine Zähne blitzten. Der Mann von der Kli nik machte keine Anstalten, ihr zu Hilfe zu kommen. »Lass mich los!« befahl Fiona. Er versuchte, ihr den Arm auf den Rücken zu drehen. Die Schultertasche fiel zu Boden. »Herrgott, Rico! Such dir deine Nutten anderswo.« Der Zuhälter roch nach Drogen. »Versuch ruhig das Zeug, das sie dir geben, Baby, und dann kommst du zu mir. Von mir kriegst du was, das macht dich high. Dann reden wir über Geschäfte.« Fiona ließ das Paket fallen, zog blitzschnell ihr rechtes Knie an und stieß es Rico in die Lenden. »Verdammtes Aas!« zischte Rico. Fat lachte. »Bravo, Mädchen!« »Dich kaufe ich mir noch!« stieß Rico zwischen zusammengebisse nen Zähnen hervor und taumelte rückwärts, die Hand gegen den Un terleib gepresst, gegen das Treppengeländer. »Komm rein, Schwester!« forderte Fat Fiona auf. »Warum tun Sie nichts gegen ihn?« erkundigte sich Fiona. »Er kann doch hier nicht dauernd Leute belästigen!« 78
»Rico ist harmlos«, erwiderte Fat. Er führte sie zu einem Tisch und gab ihr ein Anmeldeformular. Fio na fragte sich erneut, ob sie möglicherweise beobachtet wurde. Sie war plötzlich nicht mehr sicher, daß Trasks Idee, die Drogenambulanz als Tarnung zu benutzen, so gut gewesen war.
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eitergehen!« befahl Trask Dr. Lake. »Grüßen Sie freundlich, aber bleiben Sie auf keinen Fall stehen.« Sie hatten den Lift im dritten Stock verlassen. Trask ging schräg hin ter dem Chirurgen. Seine rechte Hand steckte in der Tasche des wei ßen Mantels. Lake genoß zu Recht den Ruf, in jeder Situation einen kühlen Kopf zu bewahren. Auch jetzt versuchte er die Lage klar zu analysieren. Der Mann mußte entweder verrückt oder ein politischer Aktivist sein. Vielleicht war er auch beides. Aber wie gefährlich konnte er werden? Würde er töten? Lake überlegte verschiedene Möglichkeiten, wie er mit dem Mann fertig werden könnte. Doch keine erschien ihm genügend Erfolg ver sprechend. Er dachte an Jimmy Baggs. Baggs war der Mann, der in sol chen Situationen wußte, was zu tun war. Er mußte Jimmy Baggs ein Zeichen machen. Dann war der Spuk in wenigen Sekunden zu Ende. »Jetzt ist noch Zeit zur Umkehr«, bemerkte Lake. »Überlegen Sie's sich. Sie haben sowieso keine Chance.« »Halten Sie lieber den Mund.« »Wo sind denn Ihre Leute, die Sie angeblich hier überall postiert ha ben? Ich sehe nichts!« »Sie sollen auch niemanden sehen«, entgegnete Trask. An der Tür zur Chirurgie machte Lake einen letzten Versuch. »Kom 79
men Sie zur Vernunft. Wenn wir erst drinnen sind, ist's zu spät!« Er sah das Flackern in Trasks Augen, die aufrechte Haltung und die Ent schlossenheit in dem fast intelligent wirkenden Gesicht. Wenn Trask verrückt war, war er ein äußerst gefährlicher Psychopath. »Los, rein!« befahl Trask. »Und keine Mätzchen, sonst sind Sie, das Team im OP und auch Tench dran. Ich mache mit euch kurzen Pro zess.« Lake stieß die Tür auf und ging zum Umkleideraum. Dort kam ih nen Dr. Harvey Fess entgegen. »Hallo, Eric«, begrüßte dieser den Kol legen müde. »Was schiefgegangen, Harvey?« erkundigte sich Lake. »Der Patient ist okay, aber die Röntgenbilder, die wir nach der Ope ration gemacht haben, gefallen mir nicht«, seufzte der Neurochirurg. »Das tut mir leid, Harvey.« Dr. Fess machte eine resignierende Handbewegung. Dann fiel sein Blick auf Trask. »Wieso sind Sie schon in grüner Kluft? Sie sind doch in OP-Kleidung hier reingekommen, oder?« Trask wurde blaß. Er sah zu Lake. »Mein Fehler, Harvey«, erwiderte Lake. »Dr. West vom ›Massachus etts General‹ war schon im OP und ist wieder raus, um mich zu su chen.« »Aha. Schwamm drüber. In der Provinz sind die Regeln wohl nicht so streng, was?« Dr. Fess grinste. »Jedenfalls haben Sie jetzt Gelegen heit, dem besten Gefäßchirurgen Amerikas über die Schulter zu sehen. Dr. Lake ist absolute Spitze.« »Du übertreibst, Harvey.« Damit öffnete Lake die Tür zum Um kleideraum, wo zwei Assistenzärzte in alten Sesseln saßen und Kaffee tranken. Lake ging zu seinem Schrank, ohne die beiden weiter zu be achten, und hängte seinen Arztmantel an einen Haken. Trask folgte seinem Beispiel. Der Revolver beulte seinen grünen Kit tel in der Taille deutlich aus. Lake zog sich schweigend und ohne Hast um. Trask beobachtete ihn aufmerksam, machte jedoch nicht den Versuch, ihn zur Eile anzutrei ben. Schließlich zog Lake grüne Papierüberschuhe über und reich 80
te Trask ebenfalls ein Paar. Während Lake sich noch eine Zigarette anzündete, beobachtete er, wie Trask sich gegen den Heizungskörper lehnte. Der Chirurg durchschaute das Manöver. Trask zog die Über schuhe nur mit einer Hand an, um mit der anderen jederzeit zur Waf fe greifen zu können. Lake nahm eine grüne Operationshaube aus dem Regal. Dann gingen sie zusammen zur Tür. Trask hatte seine rechte Hand an der Taille. Einer der jungen Assistenzärzte betrachtete ihn interessiert. »Ma genschmerzen?« erkundigte er sich. »Verdauungsbeschwerden«, murmelte Trask. »Die sind nach einer Operation am offenen Herzen kuriert«, pro phezeite der junge Arzt, und er und sein Kollege lachten über diesen Scherz. Draußen kam ihnen Jimmy Baggs entgegen. Lake gewann seine alte Zuversicht und war überzeugt, daß jetzt bald alles vorbei sein würde. »Es ist alles vorbereitet, Doc. Wir warten nur noch auf Sie«, begrüßte Baggs den Chef. »Mr. Rockewicz hat mich aufgehalten«, erklärte Lake. »Kann mir schon denken, warum«, seufzte Baggs und sah Trask an. »Darf ich vorstellen, Dr. West vom ›Massachusetts General Hospi tal‹«, sagte Lake prompt. »Er möchte heute zusehen. Das ist Mr. Baggs, der Cheftechniker unseres Teams.« Trask nickte Baggs kurz zu. »Tag, Doktor. Haben Sie alles?« Baggs griff in einen Blechcontainer an der grün gekachelten Wand und holte zwei gelbe Mundtücher her aus. Das eine gab er Lake, das andere dem Besucher. Lake und Trask legten die Mundtücher um. Diesmal mußte Trask beide Hände zu Hil fe nehmen. Lake spielte mit dem Gedanken, sich jetzt auf Trask zu stürzen. Gemeinsam mit Baggs mußte es ihm gelingen, ihn zu über wältigen. Doch Trask hatte sich bereits einige Schritte entfernt. Auf diese Weise hatte er in jedem Fall Zeit, die Waffe zu ziehen, bevor Lake ihn erreichen konnte. »Heute fehlt uns ein Mann«, bemerkte Baggs. »Sie wissen schon, blauer Montag!« 81
Lake runzelte die Stirn. »Wir sollten gleich die Vier-Tage-Woche ein führen.« »Ich bediene die Pumpe und helfe am Tisch aus«, beruhigte ihn Baggs. Trask musterte Baggs. Olmedo hatte ihm von dem Farbigen erzählt, der mit Lake im Team arbeitete. Er hatte ihn vor dem athletischen, re aktionsschnellen und furchtlosen Mann gewarnt. »Außerdem haben sie uns mal wieder eines dieser ›Goldstücke‹ aus der Anästhesie geschickt«, fuhr Baggs fort. »Dr. Motzkin hat alle Hände voll zu tun. Der Bursche ist zwar willig, aber verdammt lang sam.« »Scheint ja ein spannender Morgen zu werden«, murmelte Lake. Er begrüßte Miß McCarran, die Oberschwester, stellte Trask jedoch nicht vor. »Ich gehe voraus«, sagte Baggs und verschwand. Im Operationssaal meldete Baggs, daß Dr. Lake gekommen war. »Wurde auch Zeit«, bemerkte Licata. »Alan, ist er kalt genug?« »Wer?« erkundigte sich Motzkin. »Dr. Lake oder Mr. Tench?« »Witzbold. Wollen wir Platz wechseln? Ich mache dann die Witze und du assistierst Eric.« »Würde mir schon gefallen. Aber für so was bin ich zu alt. Ich bin nur ein alternder ›gasman‹*.« Motzkin beobachtete, wie Cho den Monitor für den zentralen Ve nendruck neu einstellte und dann zum Defibrillator weiterging. Der Koreaner machte sich gut. Es gab Zeiten, in denen die berufliche Routinearbeit Motzkin gründ lich langweilte. Längst hatte er sich an die üblichen Witze, die über den ›gasman‹, den Narkotiseur, gemacht wurden, gewöhnt. Allgemein war man der Meinung, daß der Anästhesist für das bißchen Arbeit, die er leistete, zu hoch bezahlt wurde. Der Anästhesist überwachte mit Hil fe von Monitoren die Atemtätigkeit, die Körpertemperatur, die Blasen funktion, den Stoffwechsel und die Gehirnströme des Patienten. Motzkin stand auf und reckte sich. Eine weitere Operation mit Eric * gasman: Kolloquium für Narkotiseur. 82
war für den Nachmittag angesetzt. Die kränkliche kleine Ramazot ti, ein junges Mädchen, litt an einem Vorhof-Septum-Defekt. Bei der Arbeit mit Eric Lake schwanden seine Zweifel. Er hatte so etwas wie eine beinahe magische Ausstrahlung im Operationssaal. Wenn eine Schwester, ein Arzt oder ein Techniker reizbar oder gleichgültig war, änderte sich allein durch Lakes Gegenwart und Ruhe die Atmosphä re fast schlagartig.
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otzkin sah, wie der Chirurg den Waschraum betrat. Er wurde von einem hochgewachsenen jungen Mann begleitet. Motzkin war überrascht. Niemand hatte ihm etwas von einem Besucher gesagt. Normalerweise wußte Jimmy Baggs schon im voraus über diese Dinge Bescheid und informierte die anderen. »Ist das alles notwendig?« fragte Trask Lake. »Haben Sie noch nie im Kino gesehen, wie sorgfältig sich Chirurgen vor einer Operation waschen?« »Beeilen Sie sich!« »Ich denke nicht daran. Ich werde mich haarklein an die Vorschrif ten halten. Und das kann auch nur für Sie von Vorteil sein.« Lake sah sich vorsichtig um. »Wenn Tench stirbt, dann sitzen Sie ganz schön in der Patsche, oder? Was Sie auch vorhaben, Sie brauchen Tench lebend, um zum Ziel zu kommen, stimmt's?« »Ja, so war's geplant.« »Sie haben von Krieg gesprochen. Selbst ein Krieg hat seine Spielre geln.« »Halten Sie den Mund. Sie reden zuviel.« Jack Licata kam in den Waschraum. »Er ist in bester Verfassung, Eric«, sagte er, ohne Trask weiter zu beachten. »Ich würde deinem 83
Freund raten, nach der Operation eine anständige Hungerkur zu ma chen. Der Mann bringt fünfzig Pfund zuviel auf die Waage.« »Walker ist ziemlich groß«, entgegnete Lake. Die gelbe, desinfizie rende Seife schäumte auf Lakes Händen und Unterarmen. Ohne Trask überhaupt eines Blickes gewürdigt zu haben, kehrte Licata an den Ope rationstisch zurück. Der Chirurg trocknete die Hände ab. »Hier ist nicht der richtige Ort, um eine Revolution anzuzetteln«, erklärte er Trask. »Ich kenne mich in der Politik nicht aus, aber ich weiß, daß das glatter Wahnsinn ist. Sympathien werden Sie sich damit bestimmt nicht erwerben.« »Davon bin ich nicht abhängig.« »Na gut. Wenn ich Sie von diesem Irrsinn schon nicht abbringen kann, verlange ich, daß Sie mich bei meiner Arbeit wenigstens nicht behindern. Und lassen Sie Tench oder meine Leute in Ruhe. Nur so kann ich Ihnen helfen, das zu bekommen, was Sie wollen.« »Genauso hatte ich's mir auch vorgestellt«, entgegnete Trask. Er trat einen Schritt zurück. Seinen Augen über dem gelben Mundschutz ent ging nichts. Flor Aquino kam auf Lake zu. Lake hob die Arme, damit sie ihm in den Operationsmantel helfen konnte. »Danke, Flor.« Trask drehte sich leicht zur Seite und sah Rashids schwarze Augen hinter dem Fenster in der Doppeltür blitzen. Trask nickte ihm zu. Ras hid stieß die Tür auf und trat ein. In der Hand hielt er ein Stoffbün del. Lake, der noch immer die Arme erhoben hatte, während Flor den Operationsmantel auf seinem Rücken zuband, erfasste die Situation sofort. Es gab also tatsächlich noch Helfer. Trask hatte nicht gelogen. Trask wandte sich an den Neuankömmling. »Hallo! Sag Doktor Lake guten Tag!« Rashid holte grinsend den Karabiner aus der Hülle. »Was, zum Teufel, ist hier denn los?« fragte Licata. »Was soll das? Findet hier 'ne Versammlung statt, oder was?« »Los, geh voraus!« wies Trask Rashid an. Dann zog er den Revolver aus dem Gürtel und stieß ihn Lake in die Seite. »Rein mit Ihnen. Und 84
sagen Sie den anderen, daß sie sich nicht von der Stelle rühren sol len!« Rashid hatte den zerlegten Karabiner blitzschnell zusammengesetzt und richtete den Lauf jetzt auf das Team im Operationssaal. »Vorwärts!« befahl Trask Lake. Zu dritt gingen sie auf den Operati onstisch zu. »Was soll das?« fragte Licata atemlos. »Die Burschen sind bewaffnet. Vielleicht erklärt uns einer mal …« »Ruhig Blut, Jack«, sagte Lake. »Bleibt, wo ihr seid.« Baggs sprang von seiner Bank an der Herz-Lungen-Maschine auf. »He! Wer seid ihr?« »Schon gut, Jimmy«, besänftigte Lake ihn. »Es ist alles in Ordnung.« Rashid ging an Baggs, Motzkin und Cho, an Licata und Mihrab und schließlich an den Operationsschwestern vorbei. Trask stieß Lake zum Operationstisch. Dann griff er sich einen hochbeinigen Hocker und setzte sich vor die Schwelle zum Waschraum. Sein Revolver blieb auf Lake gerichtet. »Wenn jemand sich bewegt, schreit oder Mätzchen macht, erschieße ich Doktor Lake«, erklärte er. Er deutete auf Jimmy Baggs. »Setzen Sie sich gefälligst!« Rashid nahm am anderen Ende des Operationssaals einen schwe ren Hocker und schlug damit die riesige Glasscheibe ein, die den Ope rationssaal von einer erhöhten Galerie trennt, die sonst von Medizin studenten benutzt wurde. Das Krachen der splitternden Glastür hallte von den Wänden wider. Sally Moorhead, die der Scheibe am nächsten stand, duckte sich schnell und legte die Arme schützend um Flor. Das Mädchen von den Philippinen schrie hysterisch auf, doch der Laut ging im Bersten des Glases unter. »Eric …« Licata machte einen Schritt auf den Chirurgen zu. »Bleib, wo du bist, Jack.« Rashid ging zu der Seitentür, die zur Galerie führte, öffnete sie und ging zum Podium hinauf. »Jeder bleibt an seinem Platz. Wenn sich jemand bewegt, wird sofort geschossen«, warnte Trask. 85
Rashid stieg zur obersten Zuschauerreihe auf der Galerie hinauf, nahm zwei Handgranaten aus dem Gürtel und legte sie vorsichtig auf einen Sitz neben sich. Dann zielte er mit dem Karabiner auf Lakes Team im Operationssaal und schwenkte die Waffe mit ruhiger Hand langsam von rechts nach links. Schließlich nickte er zufrieden. Trask hatte recht gehabt. Er allein konnte mit dem Karabiner den gesamten Operationssaal bestreichen. Die zwanzig Patronenstreifen im Magazin würden ausreichen, um das Vernichtungswerk durchzuführen. »Eric, wer sind diese Idioten?« rief Licata aufgebracht. Flor, die leise zu jammern begonnen hatte, verstummte und machte einen Schritt zurück. »Stehenbleiben!« schnarrte Rashid. Motzkin zitterte. Er bewegte sich unmerklich auf Cho zu. Das Ge sicht des Koreaners war völlig ausdruckslos. Motzkin mußte nur daran denken, daß der arme Junge den ersten Tag im Operationssaal war … und dann das … »Bitte, meine Herren«, begann Motzkin, der Trask am nächsten stand. »Das ist doch Wahnsinn. Wer sind Sie überhaupt? Das Leben eines Man nes steht auf dem Spiel. Können wir nicht vernünftig reden …« Trask war mit zwei Schritten neben Motzkin und drückte ihm den Revolver in die Seite. »Gehen Sie zur Tür! Aber versuchen Sie ja nicht zu fliehen oder jemandem Zeichen zu machen! Sagen Sie den Leuten draußen, sie sollen die Tür verbarrikadieren. Sie können Tische, Bah ren, Schränke … alles nehmen, was sie finden. Los, vorwärts!« Motzkins Knie waren plötzlich weich. Fast wäre er zusammengesun ken. Doch dann nahm er sich zusammen, lief zur Tür und rief: »Ver barrikadiert die Tür! Schnell! Beeilt euch! Ich kann das jetzt nicht er klären.« Carlos Olmedo, der vor dem Operationsraum bereits wartete, brauchte keine zweite Aufforderung. Schnell schob er Schränke, Ti sche und eine Bahre vor die Tür. Dann packte er Aaron Musgrave, ei nen von Jimmy Baggs Technikern, am Arm und drängte ihn zur Eile. »Da drinnen scheint's Schwierigkeiten zu geben. Ich habe jemand mit einer Waffe gesehen. Da muß ein Irrer ausgekommen sein. Tun Sie, was Dr. Motzkin sagt!« 86
Musgrave rückte einen Aktenschrank vor die Tür. Andere kamen ihm zu Hilfe. Olmedo fing sofort die Oberschwester McCarran ab, die den Gang entlanggelaufen kam. »Da muß ein Irrer drinnen sein«, er klärte er ihr. »Ich habe jemand mit einem Revolver gesehen. Er be droht offensichtlich Dr. Lake.« Miß McCarran lief sofort in ihr Büro und rief Rockewicz an. Trask schob Motzkin wieder zum Narkosewagen. Dann nahm er sei nen Platz auf dem Hocker ein. Von dort aus konnte er aus den Augen winkeln beobachten, wie Olmedo draußen vor der Tür in Aktion trat. »Setzen Sie die Operation fort«, befahl Trask und sah Lake an. »Sa gen Sie Ihren Leuten Bescheid.« »Wir müssen tun, was er will«, begann Lake. »Diese Männer planen eine politische Aktion. Mr. Tench spielt dabei eine Rolle, wir sind im Grunde unwichtig. Wir sind angeblich sicher, solange wir die Operati on planmäßig durchführen und diese Herren gewähren lassen.« »Walker Tench ist unsere Geisel«, erklärte Trask. »Es handelt sich um einen Kriegsakt der Gruppe der ›Elenden dieser Welt‹. Sie sind für uns bedeutungslos. Wir interessieren uns nur für Tench, der uns zehn Mil lionen Dollar Lösegeld einbringen soll. Falls unsere Forderung nicht erfüllt werden sollte, wird er nur noch als Toter den Raum verlassen.« »Das sind doch Wahnsinnige«, zischte Licata. »Das glaube ich nicht, Jack«, widersprach Dr. Mihrab. Er sah den Mann auf der Galerie an. Die Augen und die Hautfarbe sagten ihm ge nug. Er war ein Bruder. »Also gut. Machen wir weiter«, seufzte Lake. »Zwölf unserer Leute sind über die ganze Klinik verteilt«, fuhr Trask fort. »Alle sind schwer bewaffnet. Niemand kann uns aufhalten.« Dr. Licata legte sein Skalpell zur Seite. Er maß mit Blicken die Ent fernung von dem Mann auf der Galerie zu dem hageren, großen Typ an der Tür. Den letzteren konnte er möglicherweise überwältigen, aber an den Mann in der obersten Reihe der Galerie war nicht heranzu kommen. »Eric, wie ist das nur passiert?« fragte Licata. »Können wir mit diesen Leuten keine vernünftige Übereinkunft …« 87
»Los, an die Arbeit!« befahl Trask scharf. »Rashid, behalte sie im Vi sier.« Rashid nickte. Mihrab versuchte den Blick des Mannes aufzufangen. Vermutlich war er Palästinenser. Normalerweise waren das freundli che Menschen. »Sie sind uns alle hilflos ausgeliefert«, fuhr Trask drohend fort. »Die ser Raum hat kein Fenster und nur einen einzigen Zugang, und der ist blockiert. Alle bleiben hier, bis die Operation vorüber ist und wir zum Abzug bereit sind.« »Ja«, begann Lake. »Fangen wir an.« Motzkin machte eine hilflose Geste. »Hören Sie! Wer Sie auch sein mögen … was immer Sie erreichen wollen, wir könnten doch in Ruhe, wie zivilisierte Menschen …« »Hör auf, Alan«, unterbrach Lake ihn. »Es hat keinen Sinn.« Trask rückte den Hocker etwas zur Seite, so daß er von seinem Platz aus das Wandtelefon erreichen konnte. Gleichzeitig behielt er die Tür und den Operationstisch im Auge. Schließlich nahm Trask den Telefonhörer ab. Er wollte gerade eine Nummer wählen, als Lake zu ihm sagte: »Ich verstehe, daß weder je mand den Raum betreten noch daß jemand ihn verlassen darf. Aber wir müssen uns hier frei bewegen können … Das gilt besonders für die beiden OP-Schwestern und meine Assistenten.« »In Ordnung. Aber keine Mätzchen. Und keiner verläßt den Raum«, erwiderte Trask. »Herrgott, das ist doch alles Irrsinn, Eric!« sagte Licata. »Wer sind diese Leute überhaupt?« »Hör auf, Jack.« Der Chirurg betrachtete die Röntgenaufnahmen, die Jimmy Baggs an einem Leuchtschirm aufgehängt hatte. Er ver suchte dabei, nicht mehr an die Anwesenheit der bewaffneten Män ner zu denken, sondern sich auf seine Arbeit zu konzentrieren. Das Wichtigste für ihn war jetzt, Tenchs krankes Herz zu retten. Die Angst vor Tod, Verletzung und brutaler Gewalt mußte dahinter zu rückstehen. Deshalb studierte er aufmerksam die Schatten auf dem Röntgenbild. Sein Blick schweifte zu der Verengung an der linken 88
Koronararterie und schließlich zur Circumflexa, die so merkwürdig endete. »Wie hoch ist der mittlere Blutdruck?« fragte Lake. Motzkin sah zu Trask hinüber, der am Telefon bereits eine Nummer wählte, jedoch plötzlich wieder auflegte. Cho stand noch immer wie gelähmt vor Schreck neben ihm. »Ich habe dich nach dem mittleren Blutdruck des Mannes gefragt, Alan!« sagte Lake scharf. »Wach endlich auf! Wir haben 'ne Menge zu tun.« »Entschuldige, Eric. Der mittlere Blutdruckwert liegt bei achtzig.« Sally Moorhead spritzte physiologische Kochsalzlösung in den Ein schnitt in die Oberschenkelschlagader. Dann tupfte sie die Wunde ab und legte den Absauger an. Lake sah sie prüfend an. Sally war eine erfahrene Operationsschwester, die sich nicht so leicht aus der Ruhe bringen ließ. »He, Sie!« sagte in diesem Moment Jimmy Baggs, stand auf und machte einen Schritt auf Trask zu. »Ich muß mal mit Ihnen reden.« Trask, der die Nummer vergessen hatte, die er hatte wählen wollen, sprach mit der Telefonistin. »Ich möchte Mr. Rockewicz' Nummer«, bat er gerade. Baggs kam näher. »Hören Sie, Mann«, fuhr Baggs fort. »Ich hab' da ein Problem. Ich muß 'ne Menge Blutproben für den Blutgascheck raus- und reinbringen. Das Labor liegt am anderen Ende des Korridors. Kapiert? Außerdem kommt ständig 'ne neue Lieferung Eiswürfel für den Patienten. Und wenn die Pumpe versagt, brauche ich Hilfe. Sie können uns hier nicht einfach ein sperren. Wir haben sowieso heute einen Mann zuwenig.« »Jimmy«, begann Lake besorgt. Baggs hatte bereits zweimal gewalt tätige Rauschgiftsüchtige im ›City General‹ überwältigt und entwaff net. Lake durchschaute sein Manöver. »Setzen Sie sich auf Ihren Platz!« befahl Trask scharf. »Keinen Schritt weiter!« Er kehrte zum Telefon zurück. »Ich will ja nur mit Ihnen reden, Mann.« »Zurück!« Trask zielte mit dem Revolver auf Baggs Kopf. »Tu, was er sagt, Jimmy«, warf Lake ein. Er betrachtete Tenchs Herz. 89
»Jack, hast du und Gamel die Infarktnarbe gesehen? Das ist eine Über raschung.« Lake schob die Hand unter das Herz und hob es heraus. Es protestierte gegen den Eindringling mit heftigen Schlägen. »Okay, Mann«, seufzte Baggs. Er sah Trask an. »Jimmy gibt einen schlechten ›Onkel Tom‹ ab«, murmelte Licata. Insgeheim sah er sich und Jimmy Baggs bereits die beiden bewaffneten Männer überwältigen. Wie konnte er Jimmy ein Zeichen geben, sich mit ihm verständigen? »Lassen Sie mir 'ne Vorzugsbehandlung zukommen, Mann«, dräng te Baggs unverdrossen. »Ich bin auf Ihrer Seite, Junge. Fahre voll drauf ab! Ich kann kommen und gehen, damit hier der Laden läuft. Wir sit zen alle im selben Boot. Sie wollen Ihre Show abziehen, und ich helfe Ihnen dabei.« Dr. Mihrab war wütend. Er achtete Jimmy Baggs. Es machte ihn fast krank, Jimmy diese unwürdige Rolle spielen zu sehen. »Ich schieße, wenn Sie auch nur einen Schritt näher kommen!« droh te Trask. Flor begann zu weinen. Ihre gelbe Maske war bereits nass. Sally nahm ihren Arm. »Hör auf, Flor.« »Sie sind mir ganz egal«, sagte Trask zu Baggs. »Wenn ich einen von Ihnen umbringen muß, um meinen Standpunkt klarzumachen, dann werde ich das auch tun.« »Oh, Mann! Kann ich denn nicht mal ein paar Blutproben rausschaf fen?« nörgelte Baggs weiter. »Nein. Alles wird hier in diesem Raum erledigt.« Baggs ging zu seinem Platz zurück und machte sich einige Notizen auf seinem Block. Es gab also keine Blutanalysen während der Opera tion. Ein Patient konnte auch überleben, ohne daß der pH-Wert oder die CO2-Werte seines Blutes festgestellt wurden. Das Ganze war le diglich ein Ablenkungsmanöver gewesen. Baggs Blick schweifte durch den Raum. Zweimal schon hatte er versucht, Licata ein Zeichen zu ge ben. Licata war ein Mann, mit dem er diese Verbrecher überwältigen konnte. Sie waren in seinen … in Dr. Eric Lakes Operationsraum ein gedrungen, und das mußten sie büßen. 90
Trask hatte endlich Rockewicz erreicht. Er wandte sich ab und legte die Hand über den Hörer. »Jimmy, was ist mit der Maschine?« fragte Lake. »Startbereit«, erwiderte Baggs. »Ist er kalt genug?« »Ja.« »Okay, wir werden eine ›Umleitung‹ in seine Herzkranzgefäße ein setzen. Jimmy? Alles klar?« »Selbstverständlich, Doc.« »Fertig?« »Fertig!« erwiderte Baggs. Trask hatte den Kopf abgewandt und konzentrierte sich auf das Ge spräch mit Rockewicz. Baggs musterte ihn. Sollte er jetzt angreifen, den anderen zurufen, sich auf den Boden zu werfen und versuchen, aus der Reichweite des Karabiners zu kommen? Dann allerdings mußte er Tenchs Tod in Kauf nehmen. Der dicke Mann auf dem Operationstisch war den Verbre chern hilflos ausgeliefert. »Maschine an!« befahl Lake. »Maschine eingeschaltet!« erwiderte Baggs. Er drückte auf den Knopf mit der Aufschrift ›arterieller Druck‹. Die Herz-Lungen-Maschine begann jetzt leise zu surren. Es war ein altes, aber zuverlässiges Gerät, von Baggs mit viel Liebe und Sorgfalt immer gewartet. Diese Maschine pumpte Tenchs dunk les venöses Blut aus der unteren Hohlvene, führte es dem Oxygenator zu und beförderte es anschließend über dicke, durchsichtige Schläu che in die Schenkelschlagader des Körpers zurück. Die Schläuche füll ten sich jetzt langsam und begannen zu pulsieren. Der Kreislauf hat te sich geschlossen. In wenigen Minuten würde das Herz stillstehen und für Dr. Lakes Skalpell frei sein.
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obald sie von der Verbarrikadierung des Operationssaals erfahren hatte, hatte Oberschwester McCarran Rockewicz angerufen. Sie teilte ihm mit, daß bewaffnete Männer Dr. Lakes Operationssaal bela gerten und angeblich gedroht hatten, Mr. Tench zu erschießen. Kurz darauf war ein älterer Wachmann in der Chirurgie erschienen, ließ sich von Carlos Olmedo die Situation schildern und erkannte, daß er allein keine Chance hatte. Als das Telefon wieder klingelte, versuchte Rockewicz gerade, die Po lizeistation des Viertels anzurufen. Gleichzeitig stellte Estelle LeBlanc über einen anderen Apparat eine Verbindung mit dem FBI her, der für dieses Viertel zuständig war. James J. Cardone, der die umlaufenden Gerüchte und die aufge regten Stimmen gehört hatte, wollte sofort die Initiative ergreifen. Er wollte sofort nach dem Telefon greifen, um Washington und seinen Freund, den Justizminister, anrufen zu können. »John? Wer ist John?« fragte Rockewicz ungerührt am Telefon. Er legte die Hand über die Sprechmuschel und wandte sich an seine Se kretärin: »Estelle! Sagen Sie Chief Reinhold und Mr. Stade vom FBI, sie sollen sofort herkommen. Wir wissen zwar noch nicht, was gespielt wird, aber wir brauchen sie dringend.« »Mein Name ist John«, fuhr die Stimme am anderen Ende fort. »Ich und mein Kollege sind bewaffnet. Ein Dutzend unserer Freunde ist als Personal getarnt über die ganze Klinik verteilt. Alle sind bewaffnet. Ich rate Ihnen daher, zu tun, was ich Ihnen sage.« »Schießen Sie los!« »Wir halten Dr. Lakes Operationssaal besetzt. Walker Tench ist un sere Geisel. Wir fordern Lösegeld.« 92
»Langsam … langsam, mein Junge.« Rockewicz überlegte fieberhaft, was er unternehmen konnte. »Ich vertrete die ›Elenden dieser Welt‹, Rockewicz«, erklärte Trask am anderen Ende. »Trench ist in unserer Hand. Sorgen Sie dafür, daß niemand … weder die Polizei noch das FBI unsere Aktion stört. Der Raum hier ist voller Leute. Sie zu erschießen ist eine Angelegenheit von wenigen Sekunden. Und dann ist Doktor Lake auch dran. Wenn Sie uns allerdings helfen, beim Tench-Konzern unsere Forderungen durchzusetzen, wird niemandem ein Haar gekrümmt. Kapiert?« »Sicher. Ist jemand verletzt?« »Nein. Und solange unsere Befehle befolgt werden, bleibt das auch so.« Cardone trat an Rockewicz' Schreibtisch. »Mr. Rockewicz, ich werde mit dem Burschen verhandeln. Geben Sie mir den Hörer.« Rockewicz machte eine abwehrende Geste. »Ich habe verstanden, John. Aber hören Sie! Ich möchte mit Dr. Lake sprechen.« Am anderen Ende wurde es still. Cardone war dunkelrot im Gesicht. Er streckte die Hand nach dem Hörer aus. Rockewicz schüttelte nur den Kopf und umklammerte den Hörer noch fester. »Na gut«, sagte Trask schließlich. »Aber keine Mätzchen. Ich bin si cher, daß das FBI Sie liebend gern über uns aufklären wird. Wir haben die Pariser Börse in die Luft gesprengt und sind für etliche Banküber fälle verantwortlich. Ich rate Ihnen und Lake, sich kooperativ zu zei gen.« Nach kurzer Pause fügte er hinzu: »Doktor Lake hat das schon verstanden.«
»Die Temperatur ist zu hoch«, sagte Lake und untersuchte Tenchs Herz. Es war von einer orangeroten, wabbeligen Fettschicht umgeben. »Die Körpertemperatur liegt bei einunddreißig Komma fünf Grad«, erklärte Baggs. »Gut, bei einunddreißig Grad fangen wir an. Feuchten Tupfer bitte. Bekommt er genügend Sauerstoff?« 93
Motzkin stieß Cho an. »Was ist mit dem Sauerstoff?« »Sauerstoffversorgung ist okay«, murmelte der Assistent. »Rockewicz möchte Sie sprechen«, wandte sich Trask unvermittelt an Lake. »Alle anderen bleiben auf ihren Plätzen.« Lake, den es nach einer Zigarette verlangte, wandte sich vom Opera tionstisch ab und nahm den Hörer. Draußen im Korridor waren laute Stimmen, darunter auch die von Harvey Fess, zu hören. Ein Gesicht tauchte kurz hinter dem Fenster in der Tür auf. Trask hatte es ebenfalls gesehen. Er nahm sofort einen größeren Karton mit Mullbinden, riß den Deckel ab und befestigte ihn mit Klebestreifen über der Scheibe. Jetzt konnte niemand mehr in den Operationssaal sehen. »Steve?« begann Lake. »Niemand ist verletzt. Ja, sie sind bewaffnet. Lass um Himmels willen die Polizei aus dem Spiel. Wir geben hier herrliche Schießscheiben ab. Was? Zwei Männer. Der eine sitzt …« Trask entriss ihm den Hörer. »Das genügt! Gehen Sie zum Operati onstisch zurück.« Lake suchte in Trasks fiebrig glänzenden Augen nach einem Hinweis auf eine mögliche Verständigungsbereitschaft, mußte jedoch einsehen, daß alles zwecklos war. Trask sprach noch einmal mit Rockewicz. Ab und zu flog ein schnel ler Blick zu Rashid hinüber. Er nickte ihm zu. Eric Lake ließ sich von Sally ein Paar neue sterile Gummihandschu he überziehen, dann untersuchte er erneut Tenchs Herz und war froh, daß Rockewicz die Sache in die Hand genommen hatte. Rockewicz war zäh und mit allen Wassern gewaschen. Der Chirurg versuchte, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren. »Hör doch endlich auf zu schnüffeln, Flor!« »Verzeihung, Doc.« »Flor, wir müssen hier unsere Arbeit tun. Versuch, die beiden Män ner nicht zu beachten!« Baggs Blicke hefteten sich auf Trasks Rücken. Steve redet auf ihn ein, versucht ihn abzulenken, dachte Baggs. Eine schnelle Aktion und ich habe ihn … Aber was machen wir mit dem anderen oben 94
auf der Galerie? Seine Hilflosigkeit brachte Baggs fast zur Verzweif lung. »Jimmy!« ertönte Lakes Stimme. »Ich habe Sie was gefragt!« »Entschuldigen Sie, Doc. Ich habe nichts gehört.« »Wie ist die Körpertemperatur?« »Genau einunddreißig Grad.« »Gut. Von jetzt an geht ihr hier alle auf Zehenspitzen. Wir fangen an zu schneiden.«
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ockewicz weigerte sich, Cardone das Telefon zu überlassen. Die sorgfältig manikürte Hand des Industriemanagers blieb in der Luft hängen. »Nur keine Panik«, sagte Rockewicz. »Es ist irgendeine revolutionäre Gruppe. Sie sind bewaffnet und haben den Operations saal besetzt. Ich schätze, daß Sie mit einer Lösegeldforderung rechnen müssen.« Cardone ließ seine Hand sinken. Er brauchte Zeit zum Nachdenken, um die richtigen Entschlüsse zu fassen. Schließlich gab Rockewicz doch den Hörer an Cardone ab. »Hier spricht James J. Cardone«, meldete sich der Präsident des Tench-Kon zerns. »Ich bin in Mr. Rockewicz' Büro.« Trask schwieg verblüfft. Was machte Cardone in der Klinik? Dann fragte er zurück: »Sind Sie der Präsident von Tench Industrials?« »Ja. Mit wem spreche ich?« Trask ließ sich nicht überrumpeln. Olmedos Informationen zufol ge befand sich Tench in dieser Klinik, ohne daß jemand davon wußte. Trask war deshalb nicht darauf gefaßt gewesen, so schnell mit Cardo ne Kontakt aufnehmen zu können. Rockewicz hörte mit einer zweiten Hörmuschel mit. Plötzlich tauch 95
te George Reinhold, der junge Polizeichef, im Türrahmen auf. Hinter ihm erkannte Rockewicz zwei Polizeibeamte mit Helmen und kugelsi cheren Westen. Sie waren mit Gewehren ausgerüstet. »Estelle!« rief Rockewicz seiner Sekretärin zu. »Sag Reinhold, er soll seine Beamten fortschicken. Ich will hier niemand mit Waffen sehen. George, lassen wir doch den Unsinn!« Chief Reinhold betrat mit finsterer Entschlossenheit Mrs. LeBlancs Zimmer. Er hatte den Ruf, mutig und gerissen zu sein. »Ich bin zu Verhandlungen bereit«, sagte in diesem Augenblick Car done. »Aber vorher müssen Sie mir schon erklären, wer Sie sind und was Sie vorhaben.« »Wir haben Tench als Geisel genommen und fordern Lösegeld.« »Ich verstehe.« »Wir wollen für Tenchs Freilassung zehn Millionen Dollar.« »Aha. Und Sie sind …« »Wir sind entschlossen, Tench zu töten, falls uns die genannte Sum me nicht in zwei Stunden ausgehändigt wird.« »Aber … aber wer seid ihr überhaupt? Welche Motive habt ihr?« Cardone wollte Zeit gewinnen. »Wir sind die ›Elenden der Welt‹ und vertreten die unterdrückten, hungrigen und elenden Opfer des Systems … jenes Systems, das Män ner wie Sie und Tench beherrschen.« Cardone dachte fieberhaft nach. Der Mann hatte von nichts eine Ah nung. Er beherrschte überhaupt niemand und nichts. Und die Arbeiter, weiß oder farbig, würden sie durch solche Terrorakte auch nicht für sich gewinnen. Wut packte ihn. Er kannte die Slums, den Hunger, die Ar beitslosigkeit und das Analphabetentum besser als diese Politakrobaten. »Junger Mann, können wir das alles nicht unter vier Augen bespre chen?« fragte er, seinen Ärger mühsam unterdrückend. »Sie scheinen ein verständiger Mensch zu sein. Vielleicht können wir uns auf ver nünftige Art unterhalten.« »Nein. Leute wie Sie verstehen nur Gewalt. Tench hat den Faschisten in Vietnam, den Zionisten und den Mördern von Allende und Che Waffen geliefert.« 96
»Sie sind ganz offensichtlich falsch informiert«, entgegnete Cardo ne. »Wir machen keine Waffengeschäfte. Aber vielleicht spielen Sie auf das Gebiet der elektronischen Nachrichtentechnik an, auf dem wir en gagiert sind. Natürlich haben wir Geräte dieser Art auch an andere Länder geliefert. Aber deswegen können Sie doch einen unschuldigen Mann nicht einfach umbringen.« »Unschuldige gibt es bei uns nicht.« Cardone versuchte, sich ein Bild von dem anderen zu machen. Er schien ein Intellektueller zu sein, gebildet, aber leicht reizbar. Was ver suchte er hinter seiner Klugheit und Schlagfertigkeit zu verbergen? Vielleicht Angst? »Können wir das Ganze nicht in einem persönlichen Gespräch klä ren?« fragte Cardone den Unbekannten im Operationsraum. »Ich lasse mich nicht korrumpieren, Cardone«, wehrte der Mann am anderen Ende der Leitung ab. »Wir machen lediglich ein Geschäft mit einander: Zehn Millionen Dollar gegen Tenchs Leben. So einfach ist das.« »Aber ich kann unmöglich eine solche Summe …« Ein mittelgroßer Mann in einem graublauen Anzug betrat das Zim mer. Arnold Stade, der Agent des FBI, war eine unauffällige Erschei nung. Rockewicz machte ihm ein Zeichen, die zweite Hörmuschel des Apparats zu übernehmen. »Zehn Millionen«, wiederholte Cardone. »Wo und wann soll die Übergabe stattfinden?« »Diesbezügliche Instruktionen bekommen Sie, wenn's soweit ist.« »Und wann wollen Sie das Geld haben?« fragte Cardone. Am anderen Ende entstand eine Pause. Mußte sich der Mann erst mit seinen Partnern absprechen? »In genau zwei Stunden«, kam die Antwort. »Um zwölf Minuten nach zwölf Uhr mittags.« Rockewicz, der inzwischen ins Vorzimmer hinübergegangen war und über Mrs. LeBlancs Apparat mithörte, mischte sich in das Ge spräch: »John? Hier spricht Rockewicz. Was wird aus Dr. Lake, Dr. Motzkin und den anderen?« 97
»Sie sind unsere Geiseln.« »Was?« »Falls man versuchen sollte, uns zu hintergehen, uns anzugreifen oder unsere Flucht zu behindern, werden wir einen nach dem ande ren erschießen.« »Das ist Mord! Sie halten einige der besten Ärzte der Welt gefan gen!« »Ich habe einen anderen Vorschlag …«, warf Cardone ein. »Ihre Vorschläge interessieren mich nicht.« »Das ist ein Fehler«, warnte Cardone. »Noch sind Sie hier nicht wie der draußen. Wenn wir uns einigen können, garantiere ich Ihnen frei en Abzug. Die Tench-Stiftung wird zehn Millionen Dollar für die Ar men bereitstellen …« »Nein, das ist für uns nicht annehmbar«, unterbrach Trask ihn schroff. »Überlegen Sie es sich gut. Ich garantiere Ihnen damit doch, daß Sie mit dem Leben davonkommen.« »Wir wollen Geld.« »Und wer gibt mir die Gewissheit, daß Mr. Tench nichts geschieht, wenn ich Ihre Forderung erfülle?« wollte Cardone wissen. »Sie haben mein Wort darauf. Damit müssen Sie sich wohl oder übel zufrieden geben.« »Und was ist mit den anderen?« fragte Rockewicz. »Solange wir unbehelligt bleiben, passiert Ihren Leuten nichts«, ant wortete Trask. »Gut, wir werden Ihre Forderung erfüllen«, entschied Cardone. »Sie bekommen die zehn Millionen.« »Ich rufe Sie in fünf Minuten wieder an und gebe Ihnen weitere In struktionen. Ihre Frist läuft pünktlich um zwölf Minuten nach zwölf ab.« »Es ist möglich, daß wir es in dieser kurzen Zeit nicht schaffen«, wollte Cardone abwehren. »Seien Sie vernünftig. Ich habe ja bereits ge sagt, daß ich Ihre Forderungen erfüllen will.« »Haben Sie denn noch immer nicht kapiert, was los ist?« 98
Der eiskalte Unterton in der Stimme des Mannes jagte Cardone ei nen Schauer über den Rücken. »Sie haben keine andere Wahl. Wir ha ben keine Angst vor dem Tod.« »Geben Sie uns noch zusätzlich eine Stunde Zeit.« »Nein. Wenn ich wieder anrufe, dann will ich die Gewissheit haben, daß Sie das Geld aufbringen können. Sie haben jetzt genau zehn Mi nuten Zeit, das zu regeln. Das ist ein Zugeständnis, das ich eigentlich nicht hätte zu machen brauchen. Rockewicz?« »Ja?« »Kommen Sie ja nicht auf die Idee, sich mit den Bullen zu verbün den. Meine bewaffneten Leute sind überall in der Klinik.« Damit leg te Trask auf. Stade hängte die Hörmuschel an den Apparat. Zwei weitere Herren in grauen Anzügen betraten das Büro. Der eine, FBI-Agent Harris, be gann damit, ein Tonband an das Telefon anzuschließen. Chief Reinhold zwängte sich, gefolgt von den bewaffneten beiden Polizisten in kugelsicheren Westen, an den Männern vom FBI vorbei in Rockewicz' Büro. »Mr. Rockewicz«, erklärte Reinhold. »Wir sollten vielleicht zuerst eine Zuständigkeitsfrage klären.« Er deutete auf Stade und seine bei den Mitarbeiter. »Das FBI ist hier nicht befugt, einzugreifen.« Ein dritter Polizist in kugelsicherer Weste mit einer automatischen Waffe tauchte im Türrahmen auf. Rockewicz lief im Gesicht rot an. »Reinhold«, sagte er leise, doch mit vibrierender Stimme. »Eure Schieß prügel werden hier nicht gebraucht.« »Das kann man nie wissen.« »In meinem Krankenhaus wird nicht geschossen!« Reinhold schüttelte den Kopf. »Ich habe diesen Herrn telefonieren gehört.« Er deutete mit dem Daumen auf Cardone. »Mit Gangstern kann man nicht verhandeln. Die verstehen nur eine Sprache. Wir stür men den OP mit drei oder vier Mann und machen die Kerle unschäd lich, bevor sie jemandem ein Haar krümmen können.« »Kommt nicht in Frage«, wehrte Rockewicz entschieden ab. »Be trachten Sie das als einen Befehl, Chief. Hier bin ich der Hausherr.« 99
Reinhold strich sich ein paar Haare aus der Stirn. »Das hier ist Ihre Klinik, Mr. Rockewicz«, sagte Reinhold. »Aber ich bin der Polizeichef dieses Viertels. Das Leben Unschuldiger wird be droht. Wenn ich eine detaillierte Beschreibung von der Lage und dem Grundriss des Operationssaals bekomme, ist es für mich kein großes Problem, da reinzukommen und diese Kerle auszuschalten, bevor sie den Finger am Abzug krumm machen können.« Stade hörte der Auseinandersetzung schweigend zu. »Dieses Krankenhaus ist eine unabhängige Institution«, entgegnete Rockewicz. »Die Polizei hat hier keine Weisungsbefugnis.« »Sie hat sie aber durchaus, wenn ein Verbrechen verübt wird«, kon terte Reinhold. »In einem Ihrer Operationssäle haben sich Mörder ver barrikadiert. Die einzige Möglichkeit, mit ihnen fertigzuwerden, ist, sie zu erledigen.« Er deutete auf seine bewaffneten Beamten. »Pinow ski und Olenik mit Gewehren, ich mit einem Revolver und ein vierter Mann mit einem MG stürmen den OP, rufen Ihren Leuten zu, sich auf den Fußboden zu werfen, und schalten die Verbrecher aus. Auf die se Weise wird dem Krankenhauspersonal nichts geschehen.« In Rein holds Gesicht spiegelte sich bereits Unternehmensdrang. Cardone war mit wenigen Schritten bei Reinhold. »Sie haben Mr. Tench vergessen, der in Narkose hilflos auf dem Operationstisch liegt, während ihm die Kugeln um die Ohren pfeifen.« Cardone drehte sich zu Stade um. »Mr. Stade, Sie sind vom FBI. Ich verlange, daß Sie hier etwas unternehmen.« »George«, begann Rockewicz. »Ich kann Ihnen nur raten, sich mit Ihren Leuten möglichst ruhig zu verhalten. Außerdem muß ich Sie bit ten, mein Büro zu verlassen. Das ist eine überregionale Angelegenheit und fällt in die Zuständigkeit des FBI. Falls Sie versuchen sollten, auf eigene Faust etwas zu unternehmen, können Sie sich auf etwas gefaßt machen. Das ist mein Ernst, George.« Reinhold zögerte. Er wußte, welchen Einfluß Rockewicz bei höhe ren Stellen besaß. Allerdings war er nicht bereit, so schnell aufzugeben. »Ich bin da nicht so sicher«, sagte er schließlich. »Wie meinen Sie das? Glauben Sie, ich bin machtlos, falls Sie ohne 100
meine Einwilligung was unternehmen?« Rockewicz begann ungehal ten zu werden. »Nein, das ist es nicht. Ich bin nur nicht sicher, daß das FBI wirklich zuständig ist. Dazu müßte erst ein Bundesgesetz verletzt worden sein.« Cardone und Rockewicz sahen Stade erwartungsvoll an. Beide schie nen sich zu fragen, warum die FBI-Beamten so schnell zur Stelle gewe sen waren, wenn Reinhold recht hatte. »Theoretisch stimmt das natürlich«, bemerkte Stade lakonisch. »Und praktisch?« wollte Rockewicz wissen. »In der Praxis sieht es ein wenig anders aus«, fuhr Stade fort. »Wir haben es uns zur Gewohnheit gemacht, der Polizei hilfreich zur Seite zu stehen und zu beobachten, ob ein Bundesgesetz verletzt wird. Dann allerdings übernehmen wir sofort den Fall.« »Ach, du lieber Himmel!« seufzte Rockewicz. »Ich wollte sagen …« Er starrte verwirrt und wütend zugleich Reinhold an. Dann murmelte er: »Nichts für ungut, Chief.« Stade hatte begonnen, sich Notizen zu machen. »Haben Sie einen ge nauen Plan des Krankenhauses?« Rockewicz sah Stade nachdenklich an. »Mr. Stade, sind Sie mit mei nen Weisungen einverstanden? Keine unbedachten Aktionen, keine Schießerei?« »Im Augenblick, ja.« Stade wandte sich an seinen Mitarbeiter. »Har ris, halten Sie eine Leitung nach Washington frei.« »Das ist unser Fall«, protestierte Reinhold. »Das FBI ist nicht zustän dig.« Stade lächelte. »Trotzdem können wir zusammenarbeiten, oder?« Cardone gab Stade seine Visitenkarte. »Mr. Stade, ich halte es für äu ßerst wichtig, daß Sie von jetzt an jede Aktion in diesem Fall leiten.« Der FBI-Agent sah Cardone ausdruckslos an. Dann nickte er. »Wie viele Männer haben Sie zur Verfügung?« erkundigte sich Car done. »Der Justizminister ist mein Freund. Ich bin sicher, daß er Inter esse daran hat, daß Mr. Tench nichts zustößt.« »Fünfzig Agenten sind bereits in der Gegend. Ich kann mehrere hun dert anfordern. Den Justizminister brauchen wir noch nicht.« 101
Reinhold verließ, gefolgt von seinen Beamten, mit düsterer Miene Rockewicz' Büro. »Die Grundrißpläne der einzelnen Stockwerke, Estelle!« rief Rocke wicz seiner Sekretärin zu. »Dave Buttram hat einen ganzen Schrank voller Pläne.«
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ür die Terroristen war es ein glücklicher Zufall, daß die Operation an Walker Tench im Operationssaal 3 stattfand. Der Raum hatte lediglich einen Zugang, durch den er direkt mit dem Hauptkorridor der Chirurgie verbunden war. Nachdem das Türfenster durch ein Stück Karton abgedeckt worden war, konnte der Operationssaal von außen nicht mehr eingesehen werden. Niemand wußte deshalb, wo sich die beiden bewaffneten Geiselnehmer postiert hatten. Auch die Tatsache, daß der Operationssaal an der Rückseite eine kleine Galerie besaß, kam den Terroristen zugute. Von seinem erhöhten Platz aus konnte Rashid den ganzen Raum überblicken und bis in die letzte Ecke mit seinem Karabiner bestreichen. Hinzu kam, daß auch der auf der rechten Seite angrenzende Waschraum und der danebenliegende Ge räteraum fensterlos und nur jeweils durch eine Tür mit dem Operati onssaal verbunden waren. Während Trask die zehn Minuten bis zu seinem nächsten Gespräch mit Cardone abwartete, wurde ihm erst richtig bewußt, wieviel Glück sie bei ihrer Aktion hatten. Er wußte, wie geschickt das FBI operier te. Jedoch in diesem hermetisch von der Außenwelt abgeschlossenen Raum hatte es keine Chance. »Das unsinnige Geschwätz über Unterdrückung kotzt mich an«, be merkte Licata. »Ich kann diesen Blödsinn nicht mehr hören.« »Reg dich nicht auf«, versuchte Lake seinen Assistenzarzt zu beru 102
higen. Er kannte Licata manchmal recht unbeherrschtes Tempera ment. Licatas Blick schweifte von Tenchs noch immer leicht pulsierendem Herzen zu Jimmy Baggs. Suchte Baggs seine Aufmerksamkeit zu erre gen? Er glaubte ein kaum merkliches Kopfnicken in Richtung auf die Galerie zu sehen. Während Licata weiter Adern koagulierte, sah er schnell zu der zer brochenen Glasscheibe hinüber. Dahinter hatte sich Rashid auf einem Stuhl niedergelassen. Der Karabiner lag schussbereit in seiner Arm beuge. Lake hob Tenchs Herzspitze vorsichtig an. Es pulsierte schwach. »Wie hoch ist der mittlere Blutdruckwert?« fragte Lake. »Genau achtzig«, erwiderte der Anästhesist. Licata glaubte, erneut eine Kopfbewegung von Jimmy Baggs bemerkt zu haben. Hatte Jimmy Trask zugenickt? Der erste Assistenzarzt ver suchte zu erraten, was die Geste bedeuten sollte. Hatte Jimmy ihn ge meint? »Jack! Gamel!« riß Lakes Stimme Licata aus seinen Gedanken. »Ich werde das vernarbte Infarktgewebe herausnehmen.« Er fuhr mit dem Finger über das tote Gewebe. »Walker hat, ohne es zu wissen, vor eini ger Zeit schon einen Infarkt gehabt. Skalpell!« Das scharfe Instrument durchschnitt das graue Gewebepolster. Miß Moorhead legte einen Absaugschlauch in den Einschnitt. Ein kleiner Rest Blut floß in die Kanüle. Durch den Verlust an Flüssigkeit und Sau erstoff war das Herz ganz flach geworden. »Nähseide!« bat Lake. Baggs stand jetzt ebenfalls am Operationstisch und zog die Plastik schläuche der Herz-Lungen-Maschine glatt. Ohne ein Wort zu sagen, ließ Baggs seinen Blick immer wieder von Licata zu dem Mann auf der Galerie schweifen. Licata verstand jetzt das Zeichen. Baggs wollte offen sichtlich, daß er diesen Mann überwältigte. Licata schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er laut. »Was machen Sie jetzt eigentlich?« erkundigte sich Trask, der sie ge nau beobachtete. 103
»Sally, die Kanüle sitzt zu tief«, sagte Licata hastig. »Warum? Es ist alles in Ordnung«, widersprach Lake. »Aber die Absaugpumpe funktioniert nicht richtig. Jemand sollte sich um das Ding kümmern.« »Ich mach das schon«, erbot sich Baggs sofort. »Flor, bleiben Sie am Tisch.« Die Absaugpumpe stand hinter dem Platz des Anästhesisten. Li cata beobachtete, wie sich Baggs langsam und ungespannt zwischen Operationstisch und Pumpe schob. Ich habe versucht, ihn zu warnen, dachte Licata. Er wagte allerdings nicht, Lake bei der Arbeit zu stören. Tu's nicht, Jimmy! Es ist unmöglich! Der Kerl auf der Galerie ist viel zu weit weg. »Ich sehe mir jetzt mal die Vene an«, bemerkte Lake. »Die rechte Muffe ist locker!« rief Lake Baggs zu. »Das Ding müßte mal überholt werden.« »Das habe ich letzte Woche getan. Die Pumpe ist museumsreif.« Baggs kniete nieder und zog den Schlauch wieder fest. Dann richte te er sich langsam auf. Er stand vor der Absaugpumpe, als wollte er im nächsten Augenblick einen Sprung wagen und sich auf Trask werfen. »Ich brauche Sie hier, Jimmy«, sagte Licata. »Eric …« Er versuchte, Lake ein Zeichen zu machen. »Leg die Vene mal auf den Stoff hier!« forderte Lake. Sally hielt Dr. Mihrab die Nierenschale hin. Tenchs Beinvene hatte sich in der Lösung graurosa verfärbt. Baggs drehte sich zur Seite. Er versuchte, die Armaturen am Absaugtank neu einzustellen. Die Flüssigkeiten in den Schläuchen zischten, als er sie bewegte. Trask glitt von seinem Hocker. Er beobachtete, wie Lake das Venen stück vorsichtig auf dem Tuch über Tenchs geöffneter Brust ausbrei tete. »Geht in Deckung!« schrie Baggs. Mein Gott, er tut's tatsächlich, schoß es Licata durch den Kopf. Er sah sich verzweifelt nach einem Gegenstand um, mit dem er nach Rashid hätte werfen können, fand jedoch nichts. Dann war es bereits zu spät. 104
Baggs hatte sich auf Trask gestürzt und versuchte, diesem den Revol ver zu entreißen. »Rashid!« brüllte Trask. Baggs drängte Trask gegen die Wand. Trask war überraschend stark. Baggs hatte ihn unterschätzt. »Rashid!« schrie Trask zum zweiten Mal. Licata sah, wie der Araber aufstand, mit dem Karabiner auf Baggs zielte. Sollte er jetzt durch das Loch in der Glaswand auf die Galerie springen? Motzkin und Cho lagen bereits auf dem Fußboden. Mihrab packte Flor und zerrte sie zu Boden. Sally duckte sich. Die Schüsse hallten dumpf durch den Operationssaal. »Mein Gott, er hat ihn getroffen«, sagte Licata atemlos. »Eric, ruf Jimmy zurück!« Baggs hielt Trask noch immer umklammert. Im nächsten Moment sackte er dann kraftlos in sich zusammen und glitt zu Boden. Auf sei nem grünen Kittel zeichneten sich zwei rote Flecken ab. »Keine Bewegung!« brüllte Rashid. »Ich schieße auf jeden, der sich bewegt.« Er zielte mit dem Karabiner erneut auf Baggs. »Um Himmels willen, hören Sie auf zu schießen!« rief Lake. »Keine Bewegung!« wiederholte Rashid scharf. »Er ist verletzt!« sagte Lake. »Wenn Sie unbedingt schießen müssen, dann schießen Sie auf mich!« Blaugrauer Rauch hing in der Luft. Ein beißender Geruch breitete sich aus. Motzkin, der neben dem Narkosewagen auf dem Fußboden lag, rollte zur Seite, als Lake an ihm vorbeiging. »Bring sie zur Ver nunft, Eric!« flehte er leise. Baggs lag mit dem Gesicht nach oben vor Trask. Seine Augen waren weit geöffnet. Trask machte einen Schritt rückwärts und zielte mit dem Revolver auf Lake. »Schaffen Sie ihn weg!« befahl Trask. »Er wollte ja nicht hören. Jetzt wissen Sie, daß es uns ernst ist. Schaffen Sie ihn weg«, wiederholte er. Licata ging ebenfalls zu dem leblosen Baggs. In dem schmalen Zwi schenraum zwischen der Wand und den Absaugtanks hatten sie kaum 105
Platz, Baggs aufzuheben. »Wir bringen ihn in den Geräteraum«, schlug Lake vor. Motzkin kam wieder auf die Beine. »Ihr verdammten Feiglinge«, keuchte er mühsam. »Ihr habt ihn in den Rücken geschossen.« Lake und Licata legten Baggs auf eine Gummiunterlage im Geräteraum. Licata versuchte vergeblich, Herztöne bei Jimmy Baggs zu hö ren. Lake fühlte den Puls. »Er ist tot, Jack«, sagte Lake resignierend. »Er hat versucht, mir ein Zeichen zu geben«, murmelte Licata. »Ich wollte ihn aufhalten … Aber ich wußte nicht, was ich sagen sollte.« Trask stand vor der Nische und hielt den Revolver auf Lake gerich tet. »Tot ist tot, da kann man nichts machen. Gehen Sie wieder an Ihre Arbeit.« »Ihr feigen Mörder«, entgegnete Lake gefährlich leise. »Ihr tötet im Namen der Unterdrückten die Unschuldigen! Ist Ihnen eigentlich klar, was dieser Mann für unser Team bedeutet hat? Nein, natürlich nicht. Sie würden das auch nie verstehen.« Unter Jimmy Baggs bildete sich schnell eine Blutlache. Lake stand auf. »Gehen Sie ans Telefon und machen Sie endlich Ihr Geschäft per fekt!« fuhr Lake Trask an. »Ich möchte Sie hier so schnell wie möglich draußen haben. Ob zehn oder zwanzig Millionen … Wenn Sie wollen, rede ich mit diesen Leuten.« »Ich komme ganz gut ohne Sie zurecht«, entgegnete Trask. Sei ne Stimme klang unnatürlich. Er lehnte sich gegen die Wand und musterte Lake mit einem unergründlichen Ausdruck in den Augen. Plötzlich versetzte er Licata einen Fußtritt. »Los, scheren Sie sich wie der an den Operationstisch. Sie haben gewußt, was dieser Mann vor hatte!« In Licata Augen glomm ein gefährliches Feuer. »Komm jetzt, Jack«, forderte Lake ihn leise auf. »Decken wir Jimmy zu.« Und an die ande ren gewandt, fuhr er fort: »Außerdem brauchen wir alle frische Opera tionsmäntel und Handschuhe. Flor, dafür sorgst du!« Doch Flor kauerte leise wimmernd unter dem Operationstisch und machte keine Anstalten aufzustehen. 106
»Flor, bitte nimm dich jetzt zusammen!« bat Mihrab inständig. »Wir können jetzt doch nichts ändern.« Lake betrachtete das Mädchen. »Los, steh auf, Flor! Wir brauchen frische Operationsmäntel und Handschuhe. Gamel hat recht. Für Jim my können wir nichts mehr tun.« Mihrab hob das Mädchen sanft auf und stellte es auf die Beine. Sally Moorhead legte Flor den Arm um die Schultern. »Los, weitermachen!« befahl Trask. Motzkin drehte sich nach Trask um. »Wissen Sie überhaupt, was Sie getan haben? Sie haben den anständigsten, besten Menschen getötet, der …« Er brach ab, wandte sich um und zuckte resigniert mit den Schultern. Trask rückte sein Mundtuch zurecht. Er atmete schwer. Er hat kei nen einzigen Schuß abgegeben, dachte Motzkin. Das hat er dem Ara ber überlassen. »Er war ein Spitzel«, behauptete Trask unvermittelt. »Ein CIA-Agent.« »Sie sind ja verrückt«, entgegnete Motzkin. »Komplett verrückt.« »Hör endlich auf zu weinen, Flor«, sagte Lake. »Sally, wischen Sie das Blut vom Fußboden auf. Verdammt, wir müssen endlich mit die ser Operation weiterkommen. Die beiden werden jetzt nichts mehr un ternehmen. Sie wollen Geld und freien Abzug. Wir werden von jetzt an kooperieren. Haben Sie das gehört, Trask?« »Ja.« Lake versuchte alles, um sich auf die Operation zu konzentrieren. »Wer übernimmt die Herz-Lungen-Maschine?« erkundigte sich Motzkin. »Wie wär's mit deinem Assistenten?« entgegnete Lake. Motzkin sah Cho an. Der Koreaner lehnte kreidebleich an der Wand. Motzkin fragte: »Cho, kannst du mit der Herz-Lungen-Maschine um gehen?« »Ich weiß nicht. Ich glaube, nicht gut.« »Dann mußt du eben ran, Alan«, entschied Lake. »Natürlich … Macht nichts.« Der Anästhesist setzte sich auf die nie dere Bank. 107
Motzkins Blick schweifte zu dem toten Jimmy Baggs, der unter ei nem Leintuch in der Nische zum Geräteraum lag. Jimmy war ein zu verlässiger Freund gewesen. Er hatte in seinem Beruf an Begriffen wie Ehre und Treue festgehalten. Arbeit war für ihn nicht nur ein Mittel zum Geldverdienen und zum sozialen Aufstieg, sondern so etwas wie eine Lebensform gewesen. Niemand hätte je in ihm einen Farbigen ge sehen, der nicht in diese Standesschicht paßte. »Hör auf zu weinen, Flor«, ermahnte Lake die Operationsschwester noch einmal. »Jack? Gamel? Können wir weitermachen?« Die beiden Assistenzärzte nickten. »Dieses Schwein kaufe ich mir noch«, flüsterte Licata. »Halte das Venenstück mit der Pinzette fest, Jack«, bat Lake. »Wir schneiden die Transplantate zurecht. Fertig?«
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III. BUCH
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I
m Korridor der Chirurgie hörten alle die beiden Schüsse. Dr. Fess drängte mit Olmedos Hilfe die Schaulustigen zurück. »Alle bleiben in den Zimmern!« rief der Neurochirurg energisch. »Lediglich die Ver sorgung der Operationssäle muß aufrechterhalten bleiben. Sonst hat niemand was im Gang zu suchen.« Oberschwester McCarran hatte so fort Rockewicz angerufen und berichtet, daß sie Schreie und Schüsse gehört, jedoch nichts gesehen hatten. »Du lieber Himmel«, stöhnte Rockewicz. »Das hat uns gerade noch gefehlt.« Er sah den FBI-Agenten an. Cardone stand mitten im Zim mer. Er hatte hektische Flecken im Gesicht. In diesem Augenblick stürmte Reinhold ins Zimmer. »Na, was sagen Sie jetzt? Ist Ihnen endlich klar geworden, was passiert, wenn man die sen Burschen nachgibt?« Rockewicz stellte sich insgeheim die Frage, ob Reinhold nicht doch von Anfang an recht gehabt hatte. Bis jetzt tappten sie völlig im Dun keln, waren diesen unberechenbaren und gefährlichen Männern hilf los ausgeliefert. »Ich schlage vor, meine Leute und ich stürmen wie geplant den Ope rationssaal«, wiederholte Reinhold seinen Vorschlag. »Wir werden die sen Burschen in Sekundenschnelle das Handwerk legen.« »Nein! Verdammt noch mal, das kommt nicht in Frage!« brüllte Rok kewicz gereizt. Reinholds Backenmuskeln zuckten. »Sie sollen meines Wissens frü her Marineoffizier gewesen sein, der sich durch Tapferkeit und Ent schlusskraft ausgezeichnet hat«, begann Reinhold bissig. »Es wird Zeit, daß Sie sich auch so verhalten. Diese Leute müssen ausgeschaltet wer den. Daran führt kein Weg vorbei. Letzte Woche sind wir schließlich 110
auch mit diesen Geiselnehmern im Supermarkt fertig geworden. Le sen Sie keine Zeitung?« »Soviel ich weiß, haben Sie dabei ganz zufällig einen harmlosen Pas santen erschossen«, entgegnete Rockewicz scharf. »Okay! Schließen Sie das Krankenhaus. Lassen Sie es evakuieren«, sagte Reinhold. »Treffen Sie alle erdenklichen Sicherheitsmaßnah men.« »Nein«, wehrte Rockewicz entschieden ab. »Der Krankenhausbe trieb muß ganz normal weitergehen. Ich lasse lediglich die Chirurgie räumen … Die noch andauernden Operationen werden allerdings zu Ende geführt!« »Ich kann das nicht mehr hören! Herrgott, wer redet denn endlich mal von Mr. Tench?« explodierte Cardone plötzlich. »Schließlich ist allein sein Leben bedroht. Kommt denn keiner auf die Idee, bei de nen dort unten mal anzurufen und zu fragen, was eigentlich losgewe sen ist?« Rockewicz sah Stade hilfesuchend an. Der FBI-Agent stand am Fen ster. Unten auf dem Hof parkte ein halbes Dutzend blau-weißer Strei fenwagen der Polizei. Straßensperren wurden errichtet. »Was sollen wir tun, Arnold?« erkundigte sich Rockewicz. »Den OP stürmen wir jedenfalls nicht«, erwiderte der Mann vom FBI. »Schließlich wissen wir noch nicht mal, was passiert ist. Mögli cherweise haben die Kerle nur zwei Warnschüsse abgegeben.« »Stimmt.« Rockewicz hob den Telefonhörer ab. »George, die Sache ist endgültig. Ich will keine Schießerei. Falls Sie und Ihre Leute Dumm heiten machen, gnade Ihnen Gott. Dann können Sie Ihren Hut neh men.« Reinhold verließ wutentbrannt Rockewicz' Büro. Er war gegen Ver handlungen mit Verbrechern. Wer war eigentlich dieser Mr. Tench? Ein Mann – ganz allein. Wer hatte sich schon einmal um einen Polizeibeamten Sorgen gemacht? Trask hob den Telefonhörer im Operationssaal ab. »Hier spricht Rockewicz, John. Bei euch dort unten ist geschossen worden. Was ist passiert?« 111
Der Mann am anderen Ende räusperte sich umständlich. »Einer ih rer Leute hier war ein CIA-Agent«, antwortete er schließlich vorsichtig. »Er wurde eingeschleust, um unsere Aktion zu behindern. Er hat ver sucht, uns anzugreifen. Wir waren gezwungen, ihn zu liquidieren.« »Von wem reden Sie?« »Von diesem Baggs.« »Jimmy? Jimmy ist tot?« »Er wollte mich ausschalten. Er war ein Agent des CIA«, wiederhol te Trask noch einmal. »Sie sind ja verrückt! Hören Sie, niemand will Sie bei Ihrer Aktion behindern. Mr. Cardone hat sich bereit erklärt, das Geld zu beschaffen. Wir sind außerdem übereingekommen, Ihnen freien Abzug zu gewäh ren.« Rockewicz hatte Mühe, einigermaßen ruhig zu bleiben. Am lieb sten hätte er diesen Burschen durchs Telefon erwürgen können. »Wir können keinem von euch trauen«, erklang Trasks Stimme vom anderen Ende der Leitung. Er hatte seine Selbstsicherheit wiederge wonnen. »Sie haben einen Mann getötet!« »Darauf waren wir vorbereitet. Ihr habt uns dazu gezwungen. Jetzt habt ihr wenigstens den Beweis, daß wir es ernst meinen. Und von jetzt an keine Verzögerungen oder dummen Tricks mehr, verstanden? Sonst werden andere folgen.« »Hören Sie! Wir sind hier mitten in einem vollbesetzten Kranken haus. Ich gebe Ihnen mein Wort, daß Sie bekommen, was Sie wollen. Notfalls stelle ich mich selbst als Geisel zur Verfügung.« »Kein Bedarf. Bleiben Sie, wo Sie sind.« »Was ist mit den Instruktionen für Mr. Cardone?« erkundigte sich Rockewicz. »Er wartet hier neben dem Telefon.« »Ich melde mich wieder.« Damit legte Trask einfach auf.
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ake beobachtete, wie Tenchs Herz langsam zu einer formlosen, orangeroten Masse wurde. Jimmy Baggs Tod war für ihn in die sem Augenblick noch völlig unfassbar. In seinem so präzise funktio nierenden Gehirn versuchte er die Erinnerung an das bronzefarbene Gesicht, die geschickten Hände, das gutmütige Wesen, die Fähigkeit zu begeistern, auszuschalten. Es war vorbei. Ein Leben sinnlos vergeudet. Rashid, der die tödlichen Schüsse abgegeben hatte, schien unbeein druckt. Er saß mit lässig übereinander geschlagenen Beinen schwei gend in der obersten Reihe auf der Galerie. Sein Gewehr lag vor ihm schussbereit. Seinen wachen, scharfen Augen entging keine Bewegung im Raum. Mihrab ahnte, daß Rashid eiskalt jeden anderen töten wür de, der nicht Trasks Befehlen gehorchte. »Vor der Ärzteversammlung ist vergangene Woche einer unserer Fälle zur Sprache gebracht worden«, begann Lake, um die Gedanken seines Teams von Baggs abzulenken. »Jemand hat eine Klemme an der Aorta des Patienten vergessen. Die Sache war für mich äußerst pein lich. Wer war das?« »Ich, Eric«, antwortete Mihrab prompt. »Es tut mir leid.« »Nein, ich war's, Eric«, meldete sich auch Licata. »Ich hatte einen schlechten Tag.« »Egal«, sagte Lake ärgerlich. »Es war Pfusch. Von euch hätte ich das am allerwenigsten erwartet.« Mihrab wußte genau, daß ihm dieser grobe Fehler unterlaufen war, und er fragte sich, warum Licata versucht hatte, die Schuld auf sich zu nehmen. Motzkin, der dem Telefon am nächsten war, machte eine Eintragung 113
in Jimmy Baggs Protokoll und versuchte Trasks Aufmerksamkeit zu erregen. »Junger Mann!« sprach er ihn schließlich an. »Kann ich mal einen Moment mit Ihnen reden?« »Nein. Tun Sie Ihre Arbeit.« »Darum geht's ja gerade. Ich muß von Zeit zu Zeit Blutgasanalysen im Labor machen lassen. Das Labor liegt am anderen Ende des Kor ridors. Erlauben Sie mir, einige Blutproben dorthin zu bringen? Sie könnten ja mitgehen.« »Ich habe schon mal gesagt, daß Sie auf diese Tests verzichten müs sen.« »Hören Sie! Überlegen Sie es sich gut!« »Halten Sie den Mund«, unterbrach Trask ihn und verzog wie ange widert sein Gesicht. Diese Anbiederungen schlugen ihm auf den Ma gen. »Das werde ich nicht tun. Und nur weil ich rede, können Sie mich kaum erschießen«, entgegnete Motzkin. Er wußte selbst nicht, wo her er den Mut zu diesen Worten nahm. »Hören Sie! Wir führen diese Blutgaschecks achtmal während einer Operation durch. Unter diesen Umständen würden vielleicht auch vier Tests genügen. Wenn wir das Blut allerdings nicht auf diese Weise überwachen, kann es azedotisch werden. Und das ist eine sehr ernste Angelegenheit.« »Ich sagte bereits, nein!« Motzkin blickte auf die Schläuche der Herz-Lungen-Maschine, die inzwischen ganz die Funktion von Tenchs Herz übernommen hatte. Die Maschine arbeitete zuverlässig. »Elektroschock!« befahl Lake knapp. Cho schaltete sofort den Defibrillator ein. Das Herz begann leicht zu zittern. »Ich brauche mein Operationsmikroskop«, sagte Lake. Niemand bewegte sich. Es war von jeher Baggs Aufgabe gewesen, dem Chirurgen das Operationsmikroskop zu bringen und aufzu setzen. Jimmy trug es bei jeder Operation in einem Lederetui in der Brusttasche seines Operationskittels. 114
»Es … es steckt in Jimmys Tasche«, brachte Motzkin mühsam her aus. »Ich hole es.« Der Anästhesist stand auf. »Was haben Sie vor?« fragte Trask prompt. »Ich muß Dr. Lakes Operationsmikroskop holen. Jimmy hat es.« »Gut, gehen Sie.« Es kostete Motzkin einige Überwindung, dem leblosen, bereits kal ten Körper von Jimmy das Operationsmikroskop aus der Tasche zu ziehen. Einen Augenblick sah er in die starren, beinahe vorwurfsvoll aufgerissenen Augen des Toten. Haben wir seinen Tod verschuldet? fragte er sich. Motzkin verwarf den Gedanken sofort wieder. Er deck te das Leintuch wieder über Jimmy und brachte Flor das Operations mikroskop. »Flor, ich glaube, ich bin nicht mehr steril. Kannst du Dr. Lake das Mikroskop aufsetzen?« bat Motzkin. Die Operationsschwester nahm das Mikroskop mit der soliden Me tallhalterung aus dem Etui und setzte es Lake auf. Rashid beobachtete alles von der Galerie aus. Mihrabs Gedanken wanderten wieder zu dem Araber. Er hatte einiges über die arabischen Terroristen gelesen, die sich des Mordes an Kindern und einfachen Bauern rühmten und Flugzeuge in die Luft sprengten. »Es salam alejkum«, wandte sich Mihrab unvermittelt an Rashid. Es war immerhin einen Versuch wert. Rashids Augen glänzten wie schwarzer Obsidian. »Alejkum es sa lam«, erwiderte er prompt. »Warum macht ihr nicht Schluß mit dem Unsinn?« fragte Mihrab. Rashid schüttelte den Kopf. »Es muß vollbracht werden. Unsere Ehre verlangt es.« Lake nahm das Venenstück hoch. Es war alles bereit. Er konnte das Transplantat in Tenchs Herzkranzgefäße einsetzen.
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m zehn Uhr 19 rief Trask in Rockewicz' Büro an und verlangte Cardone zu sprechen. »Hier ist John«, sagte er. »Ich habe neue Instruktionen für Sie.« »Ich höre.« »Wir fordern zehn Millionen Dollar an Wiedergutmachung. Und zwar in den üblichen Bündeln mit den Originalbandagen. Wir wollen nur unregistrierte Hundertdollarnoten. Insgesamt werden es demnach tausend Bündel sein, die auf vier grüne Stoffhandkoffer mit Reißver schluss verteilt werden sollen. Ist das soweit klar?« »Ja«, antwortete Cardone. »Ich habe noch einen Vorschlag. Kön nen wir nicht den Leiter unserer Finanzabteilung in diese Verhand lung einschalten. Ich habe bereits mit ihm gesprochen. Er ist in seinem Büro in New York City.« »Und was soll das?« »Es könnte nur zu Ihrem Vorteil sein. Er muß das Geld bei der Fede ral-Reserve-Bank beschaffen und alles übrige organisieren. Es ist des halb besser, Sie geben ihm die Anweisungen persönlich«, erwiderte Cardone. Trask überlegte fieberhaft. War das eine Falle? Der Vorschlag klang vernünftig. Trask war überzeugt, daß jedes dieser Gespräche auf Band mitgeschnitten wurde. Er hatte nichts dagegen, daß seine Stimme, über Radio und Fernsehen verbreitet, der ganzen Welt bekannt wurde. Sie würden die mächtigsten Industrieunternehmen, die gesamte Po lizei, ja Regierungen in die Knie zwingen. Die ›Elenden dieser Welt‹ stellten eine Macht dar. »Gut. Es klingt vernünftig«, stimmte er schließlich zu. »Na also. Wir rufen sofort Mr. Gallatin an. Er ist bereits informiert.« 116
Arnold Stade, der FBI-Agent, unterhielt sich flüsternd mit seinem Mitarbeiter Harris. Reinhold, der im Türrahmen lehnte, fragte sich, was die beiden aushecken mochten. Die City lag in seinem Zuständig keitsbereich. Man hätte ihm erlauben müssen, den Operationssaal zu stürmen. Selbst auf die Gefahr hin, daß dabei jemand getötet wurde. Das Wichtigste an der Sache war, daß dabei diese Politgangster und Mörder ins Gras beißen würden. Reinhold hatte seine Jacke ausgezo gen. In seinem Gürtel steckte ein Magnum-Colt Kaliber 9 Millimeter. »Es läuft«, hörte Reinhold Harris sagen. Er meinte das Tonbandge rät. »Mr. Gallatin hat sich eingeschaltet«, sagte Cardone zu Trask. »Schie ßen Sie los.« »Die Frist läuft um zwölf Minuten nach zwölf ab«, wiederholte Trask. Seine Stimme klang selbstsicher und energisch. »Zehn Millionen Dol lar in unregistrierten Hundertdollarscheinen in den banküblichen Bündeln. Die Summe soll in vier Stoffhandkoffer mit Reißverschluss verpackt werden. Diese Handkoffer stehen pünktlich bei Fristablauf auf der Ladeplattform des Hauptgebäudes. Ich meine die unbenutzte Ladeplattform am Kennedy Boulevard. Die Leute, die die Koffer dort hinbringen, werden sofort wieder verschwinden.« »Junger Mann …«, begann Gallatin und räusperte sich. »Jim, kann ich?« »Ja, selbstverständlich«, erwiderte Cardone. »Es ist möglich, daß die Federal Reserve Schwierigkeiten macht«, er klärte Gallatin. »Sicher haben sie den Betrag vorrätig, aber ich weiß nicht, ob sie so viele Hundertdollarscheine haben. Es könnte sein, daß wir auch einige Bündel kleinerer Noten nehmen müssen.« »Ausgeschlossen. Unsere Bedingungen werden genau eingehalten.« Trask hatte aufgelegt. »Jim?« fragte Gallatin erregt. »Sind Sie noch da? Was soll ich tun?« »Halten Sie sich an seine Instruktionen. Wir brauchen die volle Sum me in Hundertern.« »Das schaffen wir bis zum Ende der Frist möglicherweise nicht. Die Bank hat nur knapp sieben Millionen vorrätig.« 117
»Tun Sie Ihr möglichstes«, wies Cardone ihn an. »Wir müssen die se Summe beschaffen. Ich rufe den Finanzminister an.« Damit häng te er ein. »Der Fall betrifft uns«, sagte der FBI-Agent prompt zu Cardone. »Wie bitte?« Cardone sah ihn verständnislos an. »Diese Verbindung mit New York gibt dem Fall einen überregiona len Charakter«, erklärte Stade. »Er hat eine Einrichtung des Bundes in erpresserischer Absicht benutzt. Damit wurde ein Bundesgesetz ver letzt. Die Sache fällt in unseren Zuständigkeitsbereich.« Reinhold machte Anstalten zu protestieren, doch Rockewicz brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. Der Polizeichef rückte seinen Ledergürtel zurecht und ging wütend in den Korridor hinaus, wo seine Beamten auf ihn gewartet hatten. »Gehen wir, Chief?« erkundigte sich einer der Polizisten. »Nein. Noch nicht. Das verdammte FBI denkt, es kann mit uns al les machen.« Er dachte einen Augenblick nach. »Olenik, arbeitet hier nicht Ihr Schwager als Monteur?« »Sie meinen Frankie Parolo? Stimmt. Er ist hier so was wie Haus meister.« »Holen Sie ihn«, befahl Reinhold und legte die Hand auf seinen Magnum-Colt. »Wir treffen uns in der Cafeteria. Nur Sie, Ihr Schwager und ich.«
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ann jemand mal die Scheinwerfer anders einstellen?« bat Lake. »Das Licht wirft viel zu viele Schatten.« Flor bewegte sich lautlos zur anderen Seite des Operationstisches und verstellte die Leuchten. »Skalpell!« befahl der Chirurg. Es war zehn Uhr 26. Lake durchschnitt schnell und geschickt die 118
Fettschicht über dem Herzen von Tench, auf der Suche nach dem ab steigenden Ast der linken Koronararterie. Mihrab hielt die Gewebeschichten mit Hilfe einer Pinzette auseinander. Schließlich lag die Ar terie offen vor ihnen. Lake löste sie vorsichtig von der Herzwand. »Sie hatte keine Möglichkeit mehr, sich zu verstecken«, murmelte Lake. »Die Röntgenaufnahmen haben nicht gelogen.« Trask, der nach seinem Gespräch mit dem Finanzdirektor und Car done einen entspannten, selbstsicheren, beinahe zufriedenen Eindruck machte, schien sich zu Motzkins Erstaunen für die Operation zu inter essieren. Offensichtlich hatte auch Lake das gemerkt, denn er sagte unvermit telt zu Flor: »Stell den Spiegel ein, damit unser Gast zusehen kann.« Der zynische Unterton in seiner Stimme war allerdings nicht zu über hören. Flor machte sich an dem Spiegel zu schaffen und drehte ihn etwas. »Ich würde dem Kerl nicht mal die Uhrzeit sagen«, schimpfte Lake gepresst. Wir haben es mit einer gestörten Persönlichkeit zu tun, Jack, dachte Lake, wagte jedoch nicht, es laut auszusprechen. Ich will ihn bei Lau ne halten. Im Spiegel über dem Operationstisch war jetzt die blutige Öffnung in Tenchs Brust mit dem vibrierenden orangeroten Herzen und den silbrig glänzenden chirurgischen Instrumenten deutlich zu sehen. Trask glitt von seinem Hocker und blickte gebannt in den Spiegel. »Sei vorsichtig, John!« mahnte Rashid mit ruhiger Stimme. »Keine Angst, ich weiß, was ich tue«, wehrte Trask ab. Rashid hüstelte leicht und nahm eine andere Position ein. Er war im Bruchteil einer Sekunde bereit, nach dem Gewehr zu greifen und jede Aktion im Operationsraum im Keim zu ersticken. Rashid hatte nicht zum ersten Mal getötet. Wenn dieser Tag zu Ende war, würde die Welt wissen, welche Macht die ›Vorkämpfer für die Unterdrückten‹ besa ßen.
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on Miß McCarrans Büro aus sprach Dr. Harvey Fess mit Rocke wicz die Situation in der Chirurgie durch. »Ich bin mit einer Ge hirnoperation fast fertig. Harper hat noch ein paar Minuten mit einer Hysterektomie zu tun. Außerdem ist eine orthopädische Operation im Gang. Die wird allerdings lange dauern. Das ist alles.« »Gut, Harvey. Alle anderen Operationen werden abgesagt. Die ge samte Chirurgie wird geräumt werden. Es wäre mir recht, wenn Sie das in die Hand nehmen könnten. Ich möchte nicht, daß Panik ent steht.« »Steve, stimmt es, daß Baggs tot ist?« »Ja, leider.« »Und Eric und die anderen?« »Sind okay. Wir versuchen gerade, die Sache in den Griff zu bekom men.« Der Neurochirurg legte auf und wandte sich an die Oberschwe ster: »Miß McCarran, Sie können jetzt nach Hause gehen. Rockewicz wünscht, daß die Chirurgie geräumt wird.« »Ich bleibe«, lautete die lakonische Antwort der Schwester. Harvey Fess wußte, daß mit ihr jede Diskussion sinnlos war. Miß McCarran kannte nur einen Lebensinhalt: ihre Arbeit in der Chirur gie. Ohne Miß McCarran war diese Abteilung fast undenkbar. Sie war eine tüchtige Schwester, nicht geliebt, aber bewundert. Fess ging in seinen Operationssaal zurück. Sie hatten dem Patien ten ein Gliom entfernt, dabei jedoch einen Teil des Gehirns amputie ren müssen. Viel hatte der Mann danach vom Leben nicht mehr zu er warten. Er konnte bestenfalls noch dahinvegetieren. Deprimiert erreichte er die Tür zum Operationssaal. Sie hatten getan, 120
was sie konnten, aber das war eben oft doch noch nicht genug. Plötz lich fiel sein Blick auf Olmedo, der mit einem Tablett an dem Operati onssaal vorbeiging, in dem der Orthopäde operierte. »Hallo, Olmedo! Kommen Sie mal her!« »Ja? Was ist, Doc?« »Raus hier, Olmedo! Die Chirurgie muß geräumt werden. Sie werden hier nicht mehr gebraucht.« »Ich muß die Reagenzgläser nur noch in Nummer fünf bringen, Doc.« »Ich habe raus gesagt! Verstehen Sie kein Englisch?« Fess bereute im selben Augenblick seine harten Worte. Das ›City Ge neral‹ war voller Ausländer. Außerdem war Olmedo ihm nicht unsym pathisch. »Also, gut! Laden Sie das Zeug ab und verschwinden Sie!« Olmedo brachte das Tablett in den Operationsraum. Er mußte Zeit gewinnen, denn er hörte, wie Fess draußen im Korridor Kranken schwestern und Techniker aufforderte, die Chirurgie zu verlassen. Eine Krankenschwester brach in Tränen aus, und die Frau, die im Ste rilisationsraum arbeitete, wurde fast hysterisch, weil sie von der Schie ßerei im Operationssaal bereits gehört hatte. Olmedo begann Abfall in einen Plastiksack zu füllen. Das Operationsteam schenkte ihm kei ne Beachtung. Schließlich verließ er mit dem Plastiksack beladen den Operations saal, sah sich im leeren Korridor vorsichtig um, lief zum Müllschlucker an der Wand, warf den Plastiksack hinein und wandte sich dann zum Vorratsraum, in dem er den Karabiner versteckt hatte. Er durfte von jetzt an kein Risiko mehr eingehen. Vor allem mußte er sich vor Fess hüten, um später, wenn Trask und die anderen den Operationssaal ver lassen wollten, auf dem Posten zu sein. Der Vorratsraum war leer. Olmedo öffnete den hohen Wandschrank, ging hinein, kauerte im untersten Fach mit dem Karabiner in der Arm beuge nieder und zog die Tür hinter sich zu. »Hallo, ist da jemand?« ertönte wenige Minuten später Dr. Fess' energi sche Stimme. Er stand in der Tür zum Vorratsraum. »Carlos? Aaron?« Olmedo hielt die Luft an und hoffte inständig, daß der Neurochirurg so schnell wie möglich wieder verschwand. 121
Er überlegte gerade fieberhaft, wie er sich verhalten sollte, falls Dr. Fess tatsächlich auf die Idee kam, in den Schrank zu sehen, als die Tür bereits aufgerissen wurde. »He, was soll denn das?« fragte der Chirurg verblüfft. »Was machen Sie da? Spielen Sie Räuber und Gendarm?« »Dr. Fess, ich …« Fess packte Olmedo kurzerhand bei den Schultern und zog ihn aus dem Schrank. Eine Konservenbüchse fiel zu Boden. »Raus mit Ihnen!« schrie Fess wütend. »Die Gratisvorstellung fällt aus. Wenn Sie Nerven kitzel brauchen, dann gehen Sie ins Kino!« Olmedo zögerte keinen Augenblick. Er war durchtrainiert und kräf tig. Mit zwei kurzen Handkantenschlägen befreite er sich aus dem Griff des Chirurgen, drehte ihm den Arm auf den Rücken und wirbel te ihn herum, während er versuchte, mit dem Fuß die Schranktür zu zuschlagen. Dabei stieß er gegen ein Regal. Der Karabiner fiel zu Bo den. Fess sah die Waffe. »So ist das also«, keuchte der Mediziner, der von den anstrengenden Stunden am Operationstisch müde und er schöpft war. »Sie sind einer von ihnen … Sie gehören zu diesen Gang stern im OP … Sie miese, kleine Ratte … Sie …« Olmedo preßte Fess die Hand auf den Mund. Die Zähne des Medi ziners gruben sich tief in seine Handfläche, doch er ließ nicht locker. Aus Fess' Kehle kam nur ein Gurgeln, als er versuchte, um Hilfe zu ru fen. Olmedo zog das rechte Knie an und stieß es Fess in die Lenden. Fess krümmte sich vor Schmerzen, doch er gab nicht auf. Er packte den Jüngeren erneut bei den Armen. Olmedo reagierte, indem er den Arzt mehrmals mit dem Kopf gegen die Kachelwand stieß, aber Fess war zäh. »Sie Bastard«, stöhnte er. »Ich bin noch lange nicht fertig. Ich kriege Sie! Hilfe …!« Fess versuchte stolpernd und stöhnend an Olmedo vorbei zur Tür und in den Korridor zu kommen. Olmedo, der mit so erbittertem Wi derstand des Älteren nicht gerechnet hatte, zerrte diesen zum Schrank zurück. Fess rief noch immer heiser um Hilfe, zerrte am grünen Kittel Olmedos und versuchte, ihn auf den Boden zu zwingen. Olmedo schien keine andere Wahl mehr zu haben, um Fess zu über 122
winden. Seine Hände schlossen sich um die Kehle des Chirurgen und drückten zu. Auf diese Weise hatte Olmedo schon einmal einen Poli zeispitzel getötet, der ihn ausschalten wollte. Fess lief blau an und keuchte. Sein Körper wurde schlaff, und sei ne Hände, mit denen er sich verzweifelt in Olmedos grünen Kittel ge krallt hatte, fielen kraftlos herab. Olmedo ließ los, stieß den Mann in den Schrank und schloß die Tür hinter ihm ab.
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ber hundert FBI-Agenten hatten sich inzwischen als Ärzte, Pfle ger, Hausmeister und Wartungspersonal verkleidet, über das ge samte Klinikgelände verteilt. Stade selbst studierte die Pläne von der Raumaufteilung der chirurgischen Abteilung im dritten Stock und den Lageplan der Klinik. »Sie haben keine andere Wahl«, bemerkte Rockewicz. »Sie müssen auf demselben Weg raus, wie sie reingekommen sind.« Der FBI-Mann dachte bereits weiter. Sobald die Terroristen das Kran kenhaus verlassen hatten, konnten Scharfschützen die Aktion überneh men. Damit waren schon mehrmals Erfolge erzielt worden. Selbst wenn die Terroristen Geiseln bei sich haben sollten, konnten sie durch gezielte Schüsse ausgeschaltet werden, ohne daß Unschuldige verletzt wurden. Rockewicz betrachtete die Pläne stirnrunzelnd. »Mann, damit kennt sich ja keiner aus! Estelle, hol einen der Hausmeister. Jemand muß uns diese Pläne erklären.« Dann wandte er sich wieder an Stade: »Ich glau be, wir denken beide dasselbe. Wenn die Burschen hier wieder raus wollen, dann müssen sie Geiseln mitnehmen, oder?« Stade nickte. »Ich sehe keine andere Möglichkeit.« »Eric … Motzkin, oder die Operationsschwestern. Die Auswahl ist groß. Was sollen wir tun?« 123
»Im Augenblick können wir gar nichts anderes machen, als mit die sem John zu reden. Manchmal kann man sich irgendwie arrangie ren.« Cardone trat neben sie. »Was ist mit Mr. Tench?« »Was soll mit ihm sein?« fragte Rockewicz. »Sie haben eben von Geiseln für den Abzug geredet. Wäre es nicht vorstellbar … möglich … daß sie ihn mitnehmen?« Rockewicz dachte darüber nach. »Sie meinen, sofort nach der Ope ration?« »Ja.« »Tja … möglich wäre es.« Rockewicz fuhr sich mit der Hand über die Stirn. »Natürlich. In einem Krankenwagen könnte er weiterhin mit den nötigen Infusionen versorgt werden. Sauerstoff, Bluttransfusion, Defibrillator, Schrittmacher … in einem Notarztwagen zum Beispiel ist alles vorhanden. Bei den Erschütterungen, denen Mr. Tench in ei nem Wagen ausgesetzt wäre, stünden seine Chancen, die Operation zu überstehen, allerdings wesentlich schlechter, als wenn er die erste Pha se nach dem Eingriff in einem Aufwachraum verbringen könnte.«
Frank Parolo, der erste Hausmeister und Leiter des Wartungsperso nals der Klinik, betrat die Cafeteria. Chief Reinhold und der Streifen polizist Olenik erwarteten ihn bereits. »Frank, du kennst den Polizeichef ja bereits«, begann Olenik. Die beiden Männer schüttelten sich die Hand. Sie verstanden sich auch ohne Worte. Dem Terror in der Chirurgie konnte nur auf eine Art begegnet werden: die Gangster mußten ausgeschaltet werden. Pa rolo war ein hagerer, grauhaariger Mann, der mit verstopften Rohren und Kurzschlüssen wie kein anderer umzugehen verstand. »Wir brauchen Ihre Hilfe«, sagte Reinhold ohne Umschweife. Sie wollten sich gerade an einen Tisch setzen, als Parolo über die Sprechanlage ausgerufen wurde. Rockewicz wollte ihn sehen. Parolo entschuldigte sich sofort. 124
»Verdammt«, fluchte Reinhold. »Sobald Sie fertig sind, treffen wir uns wieder hier, okay?« Parolo nickte und lief hinaus. Estelle führte ihn kurz darauf in Rok kewicz' Büro, wo Cardone, Stade und der Verwaltungschef gerade be sprachen, wo die FBI-Agenten postiert werden sollten. Der FBI-Agent Lief war ebenfalls dabei. Er war der Leiter einer bewaffneten Spezi aleinheit und trug jetzt einen weißen Arztmantel. Arnold Stade betrachtete die Grundrisse der einzelnen Stockwer ke. Das alte Gebäude mit seinen zahlreichen Aus- und Eingängen, Treppen und Laderampen war fast wie ein Sieb. »Veranlassen Sie, daß sämtliche Seitenausgänge geschlossen werden«, sagte Stade schließlich zu Rockewicz. »Nur die Ein- und Ausgänge auf der Vorderseite und an der Rückfront bleiben geöffnet. Außerdem bin ich dafür, daß un wichtige Einrichtungen wie Postschalter, Cafeteria und Empfang ge räumt werden. Alle Patienten bleiben in ihren Zimmern. Die Schwe stern sammeln sich in den Stationszimmern. Es wird lediglich ein Notdienst aufrechterhalten.« »Was ist mit den Garagen und der Poliklinik?« wollte Rockewicz wissen. »Beide Einrichtungen arbeiten normal weiter. Die Poliklinik liegt günstig. Wir werden dort einen Scharfschützen postieren. Falls die Terroristen die Klinik über den Hof verlassen, ergibt sich dort eine erstklassige Schußposition.« »Was?« unterbrach Cardone ihn erregt. »Ich höre wohl schlecht? Ich lasse auf keinen Fall zu, daß Ihre Leute eine Schießerei anfangen, wäh rend Mr. Tench auf einer Bahre über den Hof gerollt wird.« »Wir bringen niemand unnötig in Gefahr«, beruhigte Stade ihn. »Tut mir leid, aber es fällt mir schwer, Ihnen zu glauben. Für meinen Geschmack hat es in letzter Zeit viel zu oft Schießereien mit Gangstern und Terroristen gegeben.« »Ich gebe Ihnen mein Wort. Damit müssen Sie sich allerdings zufrie den geben.« »Das genügt mir nicht, Stade. Der Finanzminister ist mein Freund. Er und ich …« 125
Cardone griff nach dem Telefon. Stade hielt Cardone sanft, aber be stimmt, am Handgelenk fest. »Mr. Cardone, das hier ist unser Fall. Ich habe viel Geduld mit Ihnen gehabt. Sie sind nur ein Beobachter der Szene. Wir müssen schnelle und richtige Entscheidungen treffen und können daher nicht die geringste Einmischung oder Hysterie dul den.« »Hysterie?« wiederholte Cardone und machte ein Gesicht, als habe man einen Kübel kaltes Wasser über ihn geschüttet. »Vielleicht habe ich etwas übertrieben, aber trotzdem muß ich Sie bitten, uns tun zu lassen, was wir für notwendig halten. Wir verstehen Ihre Sorge um Mr. Tench. Verstehen Sie bitte auch, daß wir ein Inter esse daran haben, alle zu retten.« Cardone machte auf dem Absatz kehrt und ging aus dem Zimmer. Rockewicz blickte hinüber zu Stade. Dann bat er Parolo, dem FBIMann die Lagepläne zu erklären. »Ist der betroffene Operationssaal tatsächlich nur vom Hauptkorri dor aus zugänglich?« erkundigte sich Stade. »Ja«, antwortete Parolo. »Mit Ausnahme der alten Entlüftungsschäch te natürlich. Aber die kann man kaum als Zugang bezeichnen.« »Entlüftungsschächte?« wiederholte Stade interessiert. »Ja, die stammen aus der Zeit, als wir noch keine Klimaanlage hat ten. Es sind nur schmale Wandöffnungen, die längst verschlossen wor den sind. Durch die kann niemand in den OP kommen. Dazu sind sie viel zu eng.« Sie konzentrierten sich wieder auf die Pläne. Parolo konnte gehen. Der Hausmeister kehrte sofort in die Cafeteria zurück, wo Reinhold ihn erwartete. Parolo versuchte sich zu erinnern, womit man die Lüftungsschächte verschlossen hatte und wie man an sie herankommen konnte. Sie waren allerdings kaum von Bedeutung, denn der Versuch, dort hindurchzukriechen, war von vornherein zum Scheitern verurteilt. Jeder würde in Schmutz und Abfall ersticken.
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Cardone hatte Gallatin zur Federal-Reserve-Bank in New York ge schickt. Mehrere Bankbeamte waren bereits dabei, das Geld abzuzäh len. Die Schnelligkeit, mit der der Konzern und die Regierung in dieser Krisensituation reagierten, in deren Mittelpunkt Tench stand, mach ten Cardone Mut. Das Ganze war nichts weiter als eine Transaktion. Sie bekamen die zehn Millionen. Damit würde ihr Konto belastet wer den. So einfach war das. Cardone legte die Hand über die Sprechmuschel des Telefons und hob den Kopf. »Mr. Rockewicz, kann auf dem Dach der Klinik ein Hubschrauber landen?« wollte er wissen. »Ja, selbstverständlich.« Cardone gab diese Information an Gallatin weiter. Stade, der während seiner Besprechung mit Rockewicz mit halbem Ohr Cardones Telefongespräch mitverfolgte, dachte angestrengt nach. Er hat te Erfahrung in Geiselnahmen. Es konnte nur von Vorteil sein, wenn man den Ablauf verzögerte, mit den Terroristen redete, zu verhandeln versuchte. Geiselnehmer waren meistens, auch dann, wenn sie politische Motive hatten, psychisch gestört. Sie hatten das dringende Bedürfnis, Aufmerksamkeit zu erregen, wollten anerkannt und bewundert werden. Der Mann, der sich John nannte, war daher möglicherweise auf Publici ty, auf Verbreitung seiner Ideen aus. Wenn Cardone die gesetzte Frist ein hielt, vergaben sie vielleicht eine gute Chance, die Terroristen entweder in eine Falle zu locken oder über deren Aufgabe zu verhandeln. »Sobald dieser John wieder anruft, sollten Sie unbedingt erwähnen, daß sich die Geldübergabe möglicherweise verzögern kann«, wandte sich Stade unvermittelt an Cardone. »Und warum sollte ich das tun?« fragte Cardone. »Es könnte ein Vorteil für uns sein.« »Das glaube ich kaum. Ich möchte Mr. Tench so schnell wie mög lich aus den Händen dieser Leute befreien. Einen haben sie schließlich schon umgebracht.« »Ich kann mir nicht vorstellen, daß das in ihrer Absicht gelegen hat«, entgegnete Stade. »Wenn wir mit ihnen im Gespräch bleiben, steigen unsere Chancen, sie schließlich doch zu überwältigen.« 127
Rockewicz hörte dem Gespräch zwischen den beiden Männern in teressiert zu. Schließlich war er von der ganzen Sache ebenfalls betrof fen. Jimmy Baggs, einer seiner Angestellten, war getötet worden, und mehrere seiner Ärzte und Krankenschwestern befanden sich noch im mer in Gefahr. Cardone war ein schwieriger Mann. Er war intelligent, gerissen, und hatte Macht und Beziehungen. Man müßte sich mit ihm irgendwie ar rangieren, ansonsten durchkreuzte er noch alle Pläne und versuchte, das Problem auf seine Art zu lösen. »Da kommt die Presse«, seufzte Rockewicz resigniert, der beobach tet hatte, wie neben den Streifenwagen der Polizei ein ihm bekannter Ford-Kombi zum Halten kam. Zwei Männer nahmen gerade Filmka meras und Tonaufnahmegeräte aus dem Wagen. Ein Fernsehreporter unterhielt sich mit einem Polizisten. »Jemand muß der Presse einen Tip gegeben haben«, murmelte Rok kewicz. »Eine solche Story ist wohl kaum zu verheimlichen.« Stades Mitarbeiter Harris kam ins Zimmer. »Gibt es hier einen Pres sereferenten, der mit den Reportern sprechen kann?« »Der Posten ist nicht besetzt. Wir haben für so was kein Geld. Mein Stellvertreter Buttram ist dafür zuständig.« »Dann setzen Sie sich lieber mit ihm in Verbindung.« Ein zweiter Wagen hielt. Männer mit Kameras stiegen aus. »Von jetzt an wird mit harten Bandagen gekämpft«, stöhnte Rocke wicz. »Wir sagen der Presse so wenig wie möglich«, erklärte Stade. »Ihr Stellvertreter soll vor allem dafür sorgen, daß sie einen Raum zuge wiesen bekommen, den sie nicht verlassen dürfen. Das Zimmer sollte möglichst abseits vom Geschehen liegen. Vielleicht brauchen wir die se Leute noch mal.« »Inwiefern?« »Die Revolutionäre im Operationssaal wollen vermutlich eine Heils botschaft verkünden. Wir könnten ihnen die Möglichkeit bieten, sie mit Hilfe der Reporter unter die Menschheit zu bringen. Das hält sie vielleicht bei Laune. Außerdem bleiben sie dann gesprächsbereit. Falls 128
sie wegen Verzögerungen nervös werden, bekommen sie wenigstens ihre TV-Show.« Stade wandte sich an Cardone. »Versuchen Sie, John anzurufen. Sa gen Sie ihm, daß das Geld bereits gezählt und verpackt wird, aber daß es vermutlich länger dauern wird.« Estelle kam herein. »Mrs. Lake ist am Telefon, Mr. Rockewicz. Spre chen Sie mit ihr?«
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r. Lake deutete mit seinem Skalpell auf einen Punkt an der Aorta, der knapp drei Zentimeter oberhalb des Herzens lag. »Hier setzen wir die Umleitung für den absteigenden Ast der linken Koronararterie an«, erklärte er. Dann rückte er mit dem Skalpell ein Stück höher. »Und hier das Transplantat für die Circumflexa. Was meinst du dazu, Jack?« »Es ist sicher die beste Lösung«, erwiderte Jack Licata. Mihrab nickte zustimmend. »Seht euch das mal an«, murmelte Lake und drückte das verdick te Ende der Koronararterie mit dem Finger ein. »Sie ist fast völlig ver stopft. Der Pfropfen ist mehrere Zentimeter lang. Es wäre nur noch eine Frage der Zeit gewesen, bis die Blutzufuhr zum Herzen völlig un terbrochen worden wäre.« Lake tastete die Arterie der Länge nach ab. »Hier unten ist sie in Ordnung. Das ist der gesunde Teil. Schere bitte!« Lake schnitt die Arterie durch. Licata legte sofort den Absauger in den Einschnitt. Blut strömte durch die Kanüle. Lake nahm mit der Pinzette das gesunde Ende des Blutgefäßes. »Haben Sie alles geregelt?« fragte Motzkin plötzlich Trask. »Ich mei ne, bekommt ihr, was ihr wollt?« »Bis jetzt ja.« 129
»Dann … dann sind wir also wieder frei, sobald die Operation been det ist?« wollte Motzkin wissen. »Vielleicht.« »Alan, paß lieber auf die Pumpe auf«, ermahnte Lake seinen Assi stenten leise. »Warum? Lassen Sie ihn doch mit mir reden«, mischte Trask sich ein. »Wir sind schließlich keine Ungeheuer. Ihr rettet vielleicht ab und zu das Leben eines Menschen. Rashid und ich, wir retten die ganze Menschheit.« »Der ist noch verrückter, als ich gedacht habe«, flüsterte Licata. »Eric …« »Sonde!« befahl Lake. »Eineinhalb Millimeter.« Sally reichte Lake eine gebogene Drahtsonde, die dieser in den Ein schnitt in der Arterie einführte. »Alles in Ordnung«, sagte er schließ lich. »Sie ist offen. Bis zum anderen Ende.« Licata und Mihrab hielten bereits Adernklemmen bereit. Der schwie rigste Teil der Operation, bei dem das Transplantat aus Tenchs Bein vene in die Arterie eingenäht werden sollte, konnte beginnen. Es war zehn Uhr 42 Minuten vormittags. Licata hielt den Einschnitt offen, während Lake schnell und geschickt die Vene durch kleine, exakte Stiche mit der Arterie verband. »John!« sagte er plötzlich, ohne von seiner Arbeit aufzusehen. »Ja?« »Ich möchte gern wissen, wie es weitergehen soll. Offensichtlich wer den eure Forderungen erfüllt. Ich bin mit meiner Arbeit gegen halb oder dreiviertel zwölf fertig. Meine Assistenten brauchen anschließend noch gut eineinhalb bis zwei Stunden, bevor Mr. Tench in den Auf wachraum gebracht werden kann. Können Sie mir wenigstens sagen, wann wir hier rauskommen?« »Das hängt von denen dort oben ab.« »Von wem?« Licata schüttelte den Kopf. »Der hat doch nicht alle beisammen. Die dort oben. Wir. Krieg. Der Feind. Wiedergutmachung. Was hat es für einen Sinn, mit ihm zu reden?« 130
»Die Entscheidung liegt bei den Leuten vom Tench-Konzern«, er klärte Trask. »Und bei der Polizei. Und natürlich auch bei Rockewicz. Sie sitzen am Drücker. Die haben bis jetzt euer Leben bestimmt, und tun's auch jetzt noch. Baggs ist ihr Vollstreckungsgehilfe gewesen.« »Seien Sie still«, sagte Motzkin scharf. »Es steht Ihnen nicht zu, über Jimmy zu reden.« Lake nähte Stich für Stich mit ruhiger Hand weiter. Der Einschnitt war schon fast verschlossen. »Ich habe gehört, wie Sie gesagt haben, daß sie die Summe bezahlen wollen«, bemerkte er wie nebenbei. Motzkin warf einen Blick auf seine Monitore. Der arterielle Druck blieb konstant. Er wußte, wie schnell und präzise Lake arbeitete. In nerhalb der folgenden halben Stunde würden die Transplantate in die Koronargefäße des Patienten eingesetzt sein. »Sie kriegen Ihr Geld«, begann Motzkin von neuem, »und wir kön nen nach Hause gehen, oder?« »Vorausgesetzt, daß die Herrschaften nicht versuchen, uns reinzule gen«, erwiderte Trask. Seine Stimme klang gereizt. Er rutschte auf dem Hocker hin und her. Seine Bewegungen waren merkwürdig unruhig. »Dann allerdings sitzt ihr in der Tinte. Daran ist nichts zu ändern.«
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inanzchef Gallatin rief an und hatte schlechte Nachrichten. Es war inzwischen ziemlich sicher, daß sie bis zum Ablauf des Ultima tums kaum zehn Millionen Dollar in Hundertdollarnoten auftreiben, verpacken und im Hubschrauber zur Klinik bringen konnten. Sie mußten gut eine Stunde Verzögerung einkalkulieren, bis sie überhaupt die gewünschte Summe in Hundertdollarnoten beisammen hatten. »Sie müssen mit den Leuten reden«, drängte Gallatin. Er war lang jähriger Mitarbeiter von Tenchs Vater. Cardone hatte vergeblich ver 131
sucht, ihn zum Ausscheiden zu bewegen. »Viele von uns sind der Mei nung, daß es dem Image unseres Unternehmens schadet, wenn wir den Befehlen dieser Verbrecher so eilfertig nachkommen. Wir sollten vielleicht härter verhandeln … versuchen, ihnen unseren Willen auf zuzwingen.« Cardone wurde wütend. »Gallatin, eine Ölgesellschaft hat vor kur zem vierzehn Millionen Lösegeld für einen kleinen Angestellten be zahlt. Mr. Tench ist doch wohl zehn Millionen wert, oder?« Nach einer Pause fuhr er sarkastisch fort: »Sie werden meinen Anweisungen Fol ge leisten, das Geld auftreiben und mich ständig über jede weitere Ent wicklung unterrichten, oder Sie sind morgen entlassen.« Rockewicz blinzelte Stade zu. »Der Mann weiß, wie man mit Unter gebenen umspringt.« Kurz darauf klingelte erneut das Telefon. Diesmal war es Trask. »Cardone, ich will wissen, wie die Sache steht.« »Das Geld wird bereits gezählt und in der gewünschten Form ver packt«, antwortete Cardone. »Kriegen wir das Geld bis zwölf nach zwölf?« »Wir tun unser Möglichstes, die Frist einzuhalten.« »Das ist ein übler Trick! Sie versuchen uns hinzuhalten, bis Tench die Operation hinter sich hat. Machen Sie sich keine falschen Hoffnungen! Tench kommt hier erst raus, wenn wir die Moneten haben!« »Ich muß Sie bitten, wenigstens was die Zeit betrifft, eine kleine Kon zession zu machen«, entgegnete Cardone gezwungen ruhig. »Es ist möglich, daß nicht die volle Summe ausschließlich in Hundertdollarscheinen vorrätig ist. Geben Sie uns mehr Zeit – oder akzeptieren Sie Banknoten mit kleineren Nennwerten. Ich garantiere Ihnen in jedem Fall, daß Sie den Rest bekommen. Sie haben mein Wort.« »Sie werden das Geld in der Form und zu dem Zeitpunkt beschaffen, die wir Ihnen vorgeschrieben haben!« Trask reckte sich zur vollen Größe. Das war seine Stunde! Wie da mals während der Studentenunruhen genoß er es, die anderen in die Knie zu zwingen, ihnen Befehle zu erteilen. »Hier Rockewicz«, mischte sich der Verwaltungsdirektor über einen 132
anderen Apparat in das Gespräch. »Kann ich mal mit Dr. Lake spre chen?« »Sicher«, sagte Trask und hielt Lake den Hörer hin. »Ich kann jetzt nicht«, wehrte Lake ab. »Sagen Sie ihm, daß ich das erste Transplantat fast eingesetzt habe.« Licata entfernte einen blutgetränkten Tupfer unter Tenchs Herzen und legte ihn zu den übrigen blutigen Tupfern in eine Schale. Flor wür de die Tupfer später wiegen. Auf diese Weise konnte man feststellen, wieviel Blut der Patient während der Operation verloren hatte. »Schrecklich, wie sich der Faden dauernd kringelt«, murmelte Lake, um sich und die anderen ein wenig abzulenken. Licata ging sofort darauf ein. »Eigentlich hätte man längst ein bes seres Cutgut erfinden können. Vielleicht sollte ich das tun, mich zur Ruhe setzen und von dem Geld leben, das mir das Patent einbringt.« »Dann vergiß aber bitte nicht, gleichzeitig eine andere Farbe zu neh men. Dieses Grün ist auf den Tüchern kaum zu erkennen. Grellgelb wäre besser.« Mihrab nickte. Er kannte Eric Lakes übliches Wortgeplänkel wäh rend einer Operation. Doch diesmal schien es kaum zu einer Locke rung der gespannten Atmosphäre beizutragen. Er begegnete Rashids Blick. Die dunklen Augen des Arabers schienen ihn zu durchbohren, doch Mihrab schwieg. Es gab keine Gesprächsbasis mit diesem Mann. Er hatte Baggs erschossen, und er würde nicht zögern, sie alle zu töten, falls das nötig werden sollte. Lake brachte die letzten Stiche an der Nahtstelle in Tenchs Aorta an. In wenigen Minuten würde der erste Bypass, die sogenannte ›Umlei tung‹ fertig sein. Motzkin stand auf. Seine Glieder schmerzten. »Kann ich die Maschine mal 'ne Sekunde abstellen?« fragte er Lake. »Ich möchte mich vergewissern, daß keine Luft in den Schläuchen ist.« »Ist gut. Schalte ab.« Der Anästhesist überprüfte die Schläuche, die zur Oberschenkel schlagader des Patienten führten. Es war alles in Ordnung. »Sieht gut aus«, verkündete Motzkin. »Ich schalte wieder ein.« 133
Trask war aufgestanden und baute sich vor Motzkin auf. »He, Sie!« »Was wollen Sie?« fragte Motzkin. »Wie lange kann ein Mensch leben, nachdem die Herz-Lungen-Ma schine abgeschaltet wurde, an die er angeschlossen war?« wollte Trask erfahren. »Wozu will er das wissen?« warf Licata ein. »Der Bursche verdient es nicht, daß man ihn beachtet.« »Ich weiß nicht, was Sie meinen«, erwiderte Motzkin. Lake musterte Trask prüfend. »Hatten wir nicht verabredet, uns nicht gegenseitig zu stören? Wenn Sie uns in Ruhe arbeiten lassen, sind wir schneller fertig.« Trask machte einen Schritt auf die Herz-Lungen-Maschine zu und trat auf das dicke schwarze Kabel, das zur Steckdose führte. »Antwor ten Sie mir jetzt, oder muß ich erst das Kabel durchschneiden. Wie lange, Mann?« Motzkin holte hörbar Luft. Trask stand nur noch einen Meter von ihm entfernt. War das seine Chance? Doch er war kein Draufgänger wie Jim my Baggs. Außerdem war es sinnlos. Der Araber auf der Galerie … »Ich habe Sie was gefragt, Mann!« riß Trasks scharfe Stimme Motz kin aus seinen Gedanken. »Wie lange hat er noch zu leben, wenn wir diese verdammte Maschine abschalten?«
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tades Mitarbeiter Harris machte sich am Telefon hastig Notizen. Der Computer in der FBI-Zentrale in Washington hatte wichtige Informationen über den Mann namens John gespeichert. Sie wurden Harris gerade telefonisch durchgegeben. »Dieser John ist ein gewisser John Trask«, berichtete Harris später in Rockewicz' Büro. »Es existiert ein Haftbefehl gegen ihn. John Trask 134
ist neunundzwanzig Jahre alt, stammt aus Aurora, Illinois, und ist der Sohn eines dortigen Stadtdirektors. Er hat mehrere Colleges besucht. Zum ersten Mal ist er während der Studentenkrawalle in New York im Jahr 1968 in Erscheinung getreten. Obwohl er an keiner Universi tät immatrikuliert war, hat er an den Studentenunruhen an der Co lumbia-Universität, an der New Yorker Universität und dem City Col lege teilgenommen. Der Haftbefehl gegen ihn wurde nach einem Bom benattentat auf ein Elektroniklabor erlassen, bei dem ein Angestellter so schwer verletzt wurde, daß er das Augenlicht verlor. Man hat Trask jedoch nie erwischt. Er hat sich seit mehreren Jahren in Europa und Nordafrika versteckt gehalten.« »Ein Junge aus dem Mittelstand des mittleren Westens«, bemerkte Rockewicz. »Reizend.« »Offensichtlich wollen die meisten anderen radikalpolitischen Grup pen nichts mit ihm zu tun haben«, warf Stade ein. »Das sind doch alles Psychopathen. Sie finden nicht mal bei Leuten derselben politischen Richtung Rückhalt und Unterstützung.« »Das macht sie nicht harmloser«, sagte Rockewicz.
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ch würde sagen, ungefähr vier Minuten«, antwortete Motzkin schließlich widerwillig. »Vier Minuten?« Trask richtete die Revolvermündung auf den Anäs thesisten. »Wenn die Maschine stillsteht, hat Tench also noch vier Mi nuten zu leben, stimmt's?« Motzkin wischte sich mit der Hand über die Stirn. Er begann un ter seiner grünen Operationskleidung zu schwitzen. »Das ist von Pati ent zu Patient verschieden. Ein Mann in anderer körperlicher Verfas sung …« 135
»Alan!« unterbrach Lake den Kollegen. »Halte keine medizini schen Vorträge.« Er hob die eingesetzte Vene mit einer Pinzette hoch. Sie war leicht gekrümmt, heller und dicker als die Arterie. Tenchs Herz hatte damit ein neues funktionsfähiges Blutgefäß be kommen. »Tut mir leid, Eric«, murmelte Motzkin. »Aber der Revolver zeigt auf mich … nicht auf dich.« »Weiter!« forderte Trask den Anästhesisten auf. »Nehmen Sie augenblicklich den Fuß von dem Kabel!« befahl Lake scharf. »Sie brauchen Tench doch lebend, oder? Sie wollen doch bewei sen, daß Sie diese Aktion diszipliniert und geschäftsmäßig durchfüh ren können. Die Leute in Argentinien haben ihre Geiseln unversehrt wieder freigelassen. Ebenso in Mexiko.« »Stimmt. Aber Geiselnahmen sind auch schon ganz anders ausge gangen«, erwiderte Trask. »Mit revolutionären Taktiken bin ich besser bewandert, Doktor Lake.« Trask wandte sich erneut an Motzkin. »Ist die Maschine unzuverlässig? Kann sie schnell repariert werden, falls sie ausfallen sollte?« »Ich bin kein Experte dafür. Das war Baggs, der Mann, den Sie er schossen haben.« »Sie wissen doch auch ganz gut Bescheid, Doktor. Also, wie kann man das Maschinchen abstellen?« »Indem man auf diesen Knopf mit der Aufschrift ›arterieller Druck‹ drückt«, antwortete Motzkin zögernd. »Aha. Stimmt das, Doktor Lake?« erkundigte sich Trask. »Ist es rich tig, daß der Patient nach vier Minuten sterben muß?« »Im allgemeinen trifft das zu.« »Mit einigen Abweichungen«, platzte Motzkin dazwischen. »Die körperliche …« Lake wandte sich vom Operationstisch ab und maß Trask mit wü tendem Blick. »Ich muß Sie bitten, meinen Anästhesisten nicht wei ter zu belästigen! Bleiben Sie auf Ihrem Platz. Das einzige, worüber Sie sich Gedanken machen sollten, ist das Lösegeld. Ich dulde keine Stö rungen in meinem OP.« 136
Trask straffte die Schultern. Eine harte Antwort lag ihm auf der Zun ge. Doch er schwieg. Motzkin machte eine Eintragung in das Operationsprotokoll. Er be wunderte Eric Lakes Ruhe und seinen Mut. Alan wußte, warum Eric das Gespräch so abrupt abgebrochen hatte. Es war richtig, daß der Pa tient beim Stillstand der Herz-Lungen-Maschine nur noch vier Minu ten überleben konnte. Das galt jedoch nur bei normalen Körpertempe raturen. Bei tieferen Körpertemperaturen erhöhte sich diese Zeitspan ne auf acht bis neun Minuten. Alan hatte selbst erlebt, wie Jimmy die Körpertemperatur einer Patientin mit Eiswürfeln gesenkt hatte, um sie am Leben zu erhalten, als die Pumpe plötzlich ausgefallen war. Musgrave, einer von Jimmys Assistenten, hatte die Maschine dann manu ell weiter betrieben. Dazu gehörten allerdings viel Kraft und Ausdau er. Alan Motzkin war nicht der richtige Mann dafür.
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teve Rockewicz forderte in einer Durchsage über die Sprechanlage Ärzte und Pflegepersonal auf, den Klinikbetrieb einzustellen. Le diglich ein Notdienst sollte aufrechterhalten werden. Der Anschau ungsunterricht für Medizinstudenten und die Konsiliarbesprechun gen wurden verschoben, Stationen geschlossen. David Buttram, der stellvertretende Direktor, sorgte dafür, daß Rockewicz' Anordnung in der ganzen Klinik befolgt wurde. Einige Krankenschwestern weiger ten sich allerdings, ihre Stationen zu verlassen. Sie wollten einfach ihre Patienten nicht sich allein überlassen. Inzwischen begann ein Team von FBI-Beamten mit der Vernehmung von Zeugen. Sie sprachen mit den Frauen aus dem Sterilisationsraum, den Wachmännern und den Ärzten. Dabei kam heraus, daß am Mor gen ein großer, schlanker blonder und ein kleiner, untersetzter dun 137
kelhaariger Mann die Klinik betreten hatten, die weder zum Ärzte – noch zum Pflegepersonal des ›City General Hospital‹ gehörten. Kaum jemand hatte mit den beiden gesprochen. Die Frauen im Sterilisations raum waren allerdings überzeugt, daß der dunkelhaarige Mann Puer toricaner war. Dieser war außerdem in Begleitung von Carlos Olme do gesehen worden. Ein anderer Zeuge erinnerte sich, daß Dr. Lake den großen Schlan ken als Dr. West vom ›Massachusetts General‹ vorgestellt hatte. Einer der FBI-Beamten rief Boston an und erfuhr, daß dort kein Arzt dieses Namens registriert war. Schließlich kehrte Buttram in Rockewicz' Büro zurück. In der Ein gangshalle warteten Reporter und Kameraleute. »Sprechen Sie mit der Presse«, bat Rockewicz seinen Stellvertreter. »Das beste ist, Sie führen die Herren ins Auditorium. Lassen Sie Tele fone, Kaffee, Sandwiches und so weiter kommen. Seien Sie höflich und zuvorkommend, aber halten Sie sie uns vom Hals.« »Versuchen Sie, Tenchs Tochter zu finden«, sagte Cardone, der gera de mit einem leitenden Angestellten des Konzerns telefonierte. »Au ßerdem müßten die geschiedene und die gegenwärtige Mrs. Tench be nachrichtigt werden. Das Mädchen soll angeblich irgendwo in New York in einer Kommune leben. Jemand soll es herbringen … Ich weiß, daß er das Kind seit Jahren nicht mehr gesehen hat.« Damit knallte Cardone den Hörer auf die Gabel.
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iona lungerte in der Eingangshalle der Drogenambulanz herum. Über Lautsprecher hatte sie die Anordnung gehört, den Klinikbe trieb einzustellen, den dritten Stock und sämtliche Korridore und Gänge zu räumen. Der Direktor der Ambulanz hatte sein Radio einge 138
stellt. Fiona horchte auf, als die ersten Nachrichten von der Geiselnah me gesendet wurden: »Mindestens zwei bewaffnete Männer sind in ei nen Operationssaal des ›City General Hospital‹ eingedrungen und ha ben die dort anwesenden Personen als Geiseln genommen. Es wurden bereits Schüsse registriert, doch niemand weiß bis jetzt, ob es Verletz te oder Tote gegeben hat. Die Verhandlungen mit den Geiselnehmern führen der Verwaltungsdirektor der Klinik, Steve Rockewicz, und …« Der Mann, den der Zuhälter Fats genannt hatte, pfiff leise durch die Zähne. »Wir hätten die Hunde nicht abschaffen dürfen.« »Die Hunde? Welche Hunde?« fragte Fiona. Sie kauerte auf einer Bank neben der Eingangstür. Von ihrem Platz aus konnte sie den Hof überblicken. »Wir hatten hier früher einige scharfe Wachhunde. Nachbarschafts gruppen haben verlangt, daß wir die Hunde abschaffen. Aber solan ge wir die Hunde hatten, hat's hier keinen einzigen Raubüberfall ge geben.« Fiona nickte. Selbst Hunde hätten Trask und Rashid nicht von Wal ker Tench fernhalten können. »Ihre Papiere muß ich erst zur Bearbeitung weiterreichen«, begann Fats unvermittelt. »Wollen Sie nicht lieber morgen wiederkommen? Für ein Mädchen allein ist's hier im Moment nicht sehr gemütlich.« »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, warte ich.« »Okay, bleiben Sie ruhig.« Draußen vor der Tür stand noch immer der Zuhälter, zwinkerte ihr zu und machte eine eindeutige Handbewegung. Fiona stellte sich erneut die Frage, ob er ein Spitzel sein könnte. Hat te vielleicht jemand geredet und die Polizei veranlasst, sie zu beschat ten? Fat hielt sein kleines Transistorradio ans Ohr gepresst. »Großer Gott«, flüsterte er plötzlich. »Sie sagen gerade, daß es im OP einen To ten gegeben hat. Die Kerle haben einen Mann erschossen. Vielleicht hat auch einer von ihnen dran glauben müssen.« Fat wackelte mit dem Kopf. »Wir hätten die Hunde nicht abschaffen dürfen.« 139
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uttrams erste Pressemitteilung war knapp und wenig informativ ausgefallen und hatte den Unwillen der Reporter erregt. Besonders Brian O'Boyle, der Star des New Yorker Nachrichtenfernsehens, war über die knappe Art, wie die Reporter abgespeist worden waren, und das Verbot, sich im Krankenhaus umzusehen, verärgert gewesen. Buttram hatte die Presseleute schließlich dadurch zu besänftigen ver sucht, daß er ihnen die Telefone einiger angrenzender, leerer Büros zur Verfügung stellte, ihnen Kaffee servieren ließ und bei Rockewicz die Erlaubnis zu einer weiteren Mitteilung einholte. Der stellvertretende Verwaltungsdirektor gab dann zu, daß bei der Schießerei im OP ein Mann getötet worden war. Er teilte mit, daß es sich um Jimmy Baggs, einen Techniker des Krankenhauses, handle. Buttram erwähnte in diesem Zusammenhang auch zum ersten Mal den Namen Lake und Tench, versicherte jedoch, daß noch nicht be kannt sei, unter welchen Umständen der Mann ums Leben gekom men sei. Nach dieser Mitteilung stürzten die Reporter zu den Telefonen, um ihre Agenturen zu informieren. Ein Fernsehteam bat Buttram, die Er klärung vor der Kamera zu wiederholen. Alles schien bestens zu lau fen.
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önnen Sie Ihren Zeitplan einhalten?« wollte Trask von Lake wis sen. Trask hatte immer häufiger zur Tür gesehen. Draußen im Korridor war es fast verdächtig ruhig geworden. »Kaum, wenn Sie uns weiterhin dauernd stören«, entgegnete Lake. »Gamel, nimm bitte die Klemme von der Arterie. Sie ist mir im Weg.« »Ich könnte den Kerl kaltblütig umbringen«, zischte Licata. Lake ging auf diese Bemerkung nicht ein. »Heb die Aorta etwas an, Jack. Ich glaube, die ›Umleitung‹ zur Circumflexa müssen wir etwas höher an setzen. Absauger bitte!« Über dem Operationsteam auf der Galerie schlug Rashid erneut die Beine übereinander und rutschte unruhig hin und her. Er hatte ge ahnt, daß ihm seine Nieren- und Blasenschwäche Schwierigkeiten ma chen würde. Er mußte dringend seine Blase entleeren. »Halte die Herzspitze etwas hoch, Jack«, sagte Lake in diesem Au genblick. Seine Stimme zitterte leicht. Es war sonst nicht Lakes Art, leicht nervös zu werden, doch die Anspannung, unter der sie seit Stun den arbeiteten, machte sich auch bei ihm bemerkbar. »Wir nehmen uns jetzt die Circumflexa vor.« Licata hob das formlose Herz hoch. Lediglich ein leichtes Zittern des Muskels zeigte an, daß es noch funktionsfähig war. Lake betrachte te die linke Herzseite aufmerksam. »Die Circumflexa liegt tief … ver schwindet irgendwo. Davor hatte ich schon heute morgen Angst, als ich mir das Angiogramm angesehen habe.« »Ist sie nicht hier zu Ende?« fragte Mihrab. Lake schüttelte den Kopf. Er konzentrierte sich jetzt ausschließlich auf das orangerote Herz und das Problem, das zu lösen eine Herausfor derung für ihn darstellte. 141
Trask glitt von seinem Hocker und trat an den Operationstisch. Cho stellte sich an die Wand. »Was ist los? Soll das ein gemeiner Trick sein?« Lake schnarrte, ohne aufzusehen: »Setzen Sie sich wieder an Ihren Platz. Bleiben Sie mir vom Hals, wenn Sie möchten, daß ich diese Ope ration erfolgreich beende.« Trask rührte sich nicht von der Stelle. »Sie schinden Zeit!« »Was kümmert Sie das denn!« brüllte Licata ihn plötzlich an. »Sie würden Tench doch auch, ohne mit der Wimper zu zucken, umbrin gen. Wir versuchen sein Leben zu retten, Mann!« »Ich will das Geld … und ich will es rechtzeitig. Das ist alles, was mich interessiert.« Lake antwortete nicht. Er berührte das Herz leicht mit seinem Skal pell. »Meine Herren, wir haben hier den klassischen Fall einer intra muralen Arterie. Die linke Circumflexa liegt in der Herzwand verbor gen. Wir können lediglich das obere Ende sehen. Der Teil der Arterie, den wir brauchen, um unser Transplantat einzusetzen, liegt im Herz muskel selbst.« »Hast du schon mal eine Arterie gehabt, die so tief lag?« fragte Lica ta. »Ja, aber nicht viele. Wir werden ein bißchen graben müssen.« Trask fuchtelte mit seinem Revolver herum. »Was hat das zu bedeu ten?« »Es bedeutet, daß die Operation etwas länger dauern wird«, antwor tete Lake gelassen. »Kommt nicht in Frage. Machen Sie jetzt Schluß. Nähen Sie ihn zu!« Lake starrte ihn an. Sein Gesicht war eine undurchdringliche Maske. Die Augen waren hinter dem Operationsmikroskop nur verschwom men zu erkennen. »Ich werde diese Operation so zu Ende führen, wie ich es für richtig halte. Ist das klar?« Trask lenkte sofort ein. »Na, gut.« Er brachte sogar ein schiefes Lä cheln zustande. »Ihr beruflicher Eifer ehrt Sie.« »Sie ist im Fett- und Muskelgewebe eingebettet«, fuhr Lake fort. 142
»Seht euch nur das Ende an«, murmelte Licata. »Es ist kaum einen Millimeter dick. Damit können wir nicht viel anfangen.« Mihrab hatte Mühe, seine Enttäuschung zu verbergen. Die meisten Gefäßchirurgen hielten es für riskant, eine Arterie zu durchschneiden, deren Durchmesser kaum einen Millimeter betrug, da dann Throm bosegefahr bestand. Doch Lake stand über allem. Er wußte mehr über Physik, Hämatologie, Pathologie und die Flüssigkeiten des Körpers als die meisten Chirurgen, und er hatte auch den Mut, etwas zu riskieren, um zum Erfolg zu kommen. Lake studierte Tenchs Herz erneut eingehend. »Jack, fahr mit dem Finger mal die Linie nach, auf der deiner Ansicht nach die Arterie ver laufen müßte. Vielleicht spürst du eine Verdickung. Ich halte es zwar für unwahrscheinlich, aber probieren sollten wir's trotzdem.« Licata tat, worum Lake ihn gebeten hatte. »Nichts, Eric. Vielleicht hat Tench überhaupt keine Circumflexa.« »Das Ende und der Anfang sind da, also muß es auch ein Mittelstück geben«, entgegnete Lake. »Das wird mir jetzt langsam zu dumm!« meldete sich Trask mit schriller Stimme. »Da ist doch was faul!« Lake beachtete ihn nicht. Er hob das Herz etwas hoch. »Wir kom men einfach durch die Hintertür rein«, sagte er leise, fast wie zu sich selbst. Dann machte er einen winzigen Schnitt in das sichtbare unte re Ende der Arterie. »Die Schulmedizin warnt vor einem Einschnitt in eine dünne Koro nararterie. Aber nur wer wagt, gewinnt, was, Jack?« »Stimmt. Aber ich bin nicht sicher, daß ein Jack Licata es wagen wür de, wenn er ganz auf sich gestellt wäre.« »Wenn du nie was riskierst, kommst du auch nie auf die Titelseite von ›Time-Magazine‹«, erklärte Lake. Jack Licata sah auf. Er blickte in die Augen von Eric Lake. Trotz aller Anspannung bemerkte er einen leichten Anflug eines Lächelns. Woher nimmt Eric bloß diese Ruhe und Überlegenheit? fragte sich Licata. Er konnte seinen Chef manchmal nicht ganz verstehen. 143
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d McFeeley, ein hagerer Mann mit eisgrauem Bürstenhaarschnitt, war ein stadtbekanntes Unikum, das sich ständig auf der Suche nach Informationen und Sensationen in Krankenhäusern herumtrieb. Er hatte sich unter die Reporter gemischt. Dr. Eric Lake hatte ihm vor längerer Zeit eine künstliche Aortenklappe eingesetzt. Er kannte das Krankenhaus wie kein anderer. Aus der Menge der Reporter suchte er sich schließlich Brian O'Boyle aus und sprach ihn an. Und der Sensati onsreporter O'Boyle witterte bereits eine gute Story. McFeeley führte Reinhold, Parolo und O'Boyle in ein kleines Bespre chungszimmer. »Chief Reinhold, das ist Mr. O'Boyle. Sie haben ihn sicher schon mal im Fernsehen gesehen«, stellte McFeeley die beiden vor. »Der Junge hat den Betrug mit der Müllabfuhr in Jersey aufgedeckt.« Reinholds schmales Gesicht drückte Misstrauen aus. O'Boyle war nicht gerade sein Mann. Er musterte ihn lange. »Und?« erkundigte sich Reinhold. »Der Junge braucht 'ne Story«, antwortete McFeeley. Aus dem Mundwinkel fügte er hinzu: »Er bringt Sie ins Fernsehen, Mann. Ich kenne mich in dem Geschäft aus. Bin Polizeireporter bei den ›Fair banks News‹ gewesen, bevor ich Hundeschlittenrennen gefahren hab'.« Reinhold riß die Tür auf. »Ziehen Sie Leine, McFeeley. Und halten Sie gefälligst die Klappe.« »Das können Sie mit mir nicht machen. Ich hab' euch zusammenge bracht, alles arrangiert …« »Raus – oder ich lasse Sie hochgehen!« O'Boyle beobachtete die beiden mit verächtlichen Blicken. 144
McFeeley zog sich schließlich beleidigt zurück. Reinhold sah O'Boyle an. »Also, was wollen Sie?« »Mich interessiert, was hier gespielt wird.« Der Polizeichef erzählte es ihm. Das FBI hatte den Fall an sich geris sen und ihn ausgebootet. Der Operationsraum war tabu. Es sollte nicht einmal der Versuch gemacht werden, ihn zu stürmen. Reinholds Darlegungen hatten einen bitteren Unterton. »Und was hat Parolo damit zu tun?« wollte O'Boyle wissen. Die Anwesenheit des Hausmeisters irritierte ihn irgendwie. Er konn te den Mann mit dem riesigen Schlüsselbund nicht einordnen. »Parolo hat mit mir 'ne interessante Führung durchs Krankenhaus gemacht.« »So? Wirklich? Darf ich fragen warum?« Reinhold sah O'Boyle an und schwieg. »Lassen Sie mich raten«, fuhr O'Boyle fort. »Sie suchen nach einer Möglichkeit, den OP unter Beschuss zu nehmen, die Kerle auszuschal ten, bevor sie bis drei zählen können, es dem FBI gründlich heimzu zahlen und die Herren in den grauen Anzügen bloßzustellen. Na, lie ge ich da richtig?« »Goldrichtig«, erwiderte der Polizeichef lächelnd. »Also kommen wir zur Sache, Parolo«, wandte sich O'Boyle an den Hausmeister. »In den OP kommt man angeblich nicht rein. Stimmt das? Gibt es wirklich nur einen Zugang? Die Tür zum Korridor?« »Ja.« »Aus der Traum. Durch die Tür reinzustürmen, wäre also Selbst mord, und die Leute von der Klinik müßten ebenfalls dran glauben.« »Ich würd's riskieren«, entgegnete Reinhold. »Aber nicht durch die Tür.« Parolo war es nicht ganz wohl in seiner Haut. Er hatte ein schlech tes Gewissen, weil er diesen beiden Männern vielleicht ihnen nützliche Informationen gab. Falls Rockewicz das herausbekam, würde er seine Stelle verlieren. »Wollen Sie durch eine Mauer, Chief?« 145
»Vielleicht … vielleicht auch nicht«, erwiderte Reinhold. »Warum sollte ich Ihnen das auf die Nase binden?« O'Boyle strich mit der einen Hand über das Haar. »Ich könnte mich als nützlich erweisen.« »Inwiefern?« »Hören Sie! Sie wollen den Herren vom FBI doch eine Lektion ertei len. Das ist Ihr Fall gewesen, und er ist Ihnen weggenommen worden. Ich könnte zum Beispiel dafür sorgen, daß die Medien die Geschichte so bringen, wie sie sich wirklich zugetragen hat.« »Sie sind der Größte«, bemerkte Reinhold sarkastisch. »Sagen Sie endlich, was Sie vorhaben! Wollen Sie wirklich durch die Korridortür rein? Ich kenne mich in Operationssälen aus, Chief. Das sind Mausefallen. Das gesamte OP-Personal steht am Operationstisch. Die sind tot, bevor Sie den ersten Schuß abgefeuert haben. Die Sauer stofftanks können explodieren. Außerdem haben diese Geisteskran ken sicher Handgranaten und automatische Waffen. Der OP ist auf diese Weise nicht zu nehmen. Das können Sie sich aus dem Kopf schla gen.« Reinholds Blick schweifte zwischen Parolo und dem Fernsehrepor ter hin und her. »Auch wenn ich was Ähnliches vorhätte, würde ich es Ihnen nicht auf die Nase binden.« »Vielleicht sollten Sie das aber doch tun. Immerhin könnte ich zu Rockewicz und den Herren vom FBI gehen und sie warnen.« »O nein! Das werden Sie nicht tun. Sie warten doch nur darauf, daß ich den OP mit Waffengewalt stürme. Nur so kriegen Sie Ihre Story. Ob's Tote gibt, kümmert Sie nicht. Ich dagegen habe ein persönliches Interesse. Ich will zwei Verbrecher unschädlich machen. Das hier ist meine Stadt, O'Boyle, diese Kerle verstehen nur eine Sprache.« »Warum hält sich dann das FBI zurück? Warum soll das Lösegeld anstandslos bezahlt werden?« Reinhold zuckte mit den Schultern. »Daran ist natürlich dieser Bon ze Tench schuld. Der ist Ihnen 'ne Menge Geld wert.« »Nur Ihnen nicht, was Chief?« spottete der Reporter. O'Boyles Direktheit, Mut und Geradlinigkeit imponierten Reinhold. 146
Er zögerte einen Augenblick und nickte dann Parolo zu. »Sagen Sie's ihm.« Parolo holte tief Luft. »Es gibt da einen Luftschacht, wissen Sie«, be gann er mit seiner heiseren Stimme. O'Boyle zog erstaunt die Augenbrauen hoch. Dann riß er ein Blatt von seinem gelben Notizblock und gab es Parolo. »Zeichnen Sie mir den OP im Grundriss auf! Ich will wissen, wo der Operationstisch steht, wo die Tür ist … alles.« Parolo skizzierte schnell den Grundriss des Operationsraumes. »Die Öffnung des Luftschachts liegt ungefähr hier.« »In der Decke?« »Nein. Am oberen Ende einer Seitenwand. Vielleicht dreißig Zen timeter unterhalb der Decke. Die Öffnung ist ungefähr sechzig mal sechzig Zentimeter groß.« »Und sie ist zu?« fragte O'Boyle prompt. »Sie ist durch ein schweres Gitter verschlossen. Die Gitteröffnungen sind allerdings ziemlich groß. Es ist kein Fliegengitter oder was Ähn liches.« »Könnte man das Gitter herausbrechen?« fragte Reinhold. »Ja, mit einem Hammer vielleicht.« Der Reporter zog eine Grimasse. »Sobald die drinnen das hören, ist derjenige, der das versucht, ein toter Mann«, seufzte er. »Nicht, wenn ich schnell reagiere«, entgegnete der Chief. »Die wüs sten nicht mal, wie sie's erwischt hat.« »Und wie wollen Sie die Bösen von den Guten unterscheiden?« er kundigte sich O'Boyle. »Die Herrschaften tragen keine Abzeichen, son dern grüne Operationskleidung und gelbe Mundtücher. In dieser Ver kleidung haben sich die Burschen ja eingeschlichen.« »Jeder, der eine Waffe hat, wird erschossen«, antwortete Reinhold. »Ich habe vergangenes Jahr den Schießwettbewerb der Polizei der Oststaaten gewonnen. Diese Kerle wären tot, bevor sie kapieren, was los ist.« O'Boyle strich sich mit dem Finger über die Lippen. Reinhold hat te keine Ahnung, was in dem Reporter vorging. O'Boyle witterte eine Sensation, die Chance, seinen Namen in aller Munde zu bringen. 147
»Welchen Durchmesser hat dieser Luftschacht?« erkundigte sich der Reporter schließlich. »Vielleicht achtzig Zentimeter«, schätzte Parolo und deutete den Durchmesser mit den Händen an. »So ungefähr. Ein kleiner, schmaler Mann könnte reinkriechen. Ich hab' früher Fusco zum Saubermachen reingeschickt. Fusco ist mal Jockey gewesen.« O'Boyle sah Reinhold von oben bis unten an. »Da kommen Sie nie durch, Reinhold. Sie würden stecken bleiben.« »Ich bin schon durch noch engere Schächte gekrochen«, entgegne te Reinhold. »O'Boyle, Sie können draußen warten. Sobald ich wieder rauskomme, kriegen Sie die Story. Und Sie werden der erste sein, der im Operationsraum die Leichen filmen darf.« »Ich hab' 'ne bessere Idee.« »Und die wäre?« »Ich bin schlanker als Sie. Lassen Sie mich durch den Schacht krie chen.« »Sie? Sie dürfen keine Waffe tragen, Mann.« »Das werde ich auch nicht tun.« O'Boyle klopfte auf sein kleines Ton bandgerät. »Das hier und 'ne kleine Kamera. Mehr brauche ich nicht. Ich gehe rein und verhandle mit den Burschen. Diese Kerle sind mei stens auf Publicity aus. Ich werde sie dazu bringen, aufzugeben.« Reinhold belächelte die Naivität des Reporters. »Sie haben vielleicht Mut, O'Boyle, aber leider nicht viel Grips.« »Ich habe schon ganz andere Leute zur Aufgabe überredet«, entgeg nete O'Boyle. »Und das auch noch bei laufenden Kameras. Die Ker le im OP scheinen politische Wirrköpfe zu sein. Ich kann mit solchen Typen umgehen. Ich verspreche ihnen, daß das FBI nichts gegen sie unternimmt, wenn sie aufgeben, und mache ihnen klar, daß es reiner Selbstmord ist, meinen Vorschlag nicht zu akzeptieren. Wenn sie auf geben, haben sie eine Chance. Mir glauben sie eher als einem Polizi sten.« Reinhold ging das alles etwas zu schnell. »Und Sie glauben, die fallen darauf rein?« fragte er schließlich. »Es kommt auf einen Versuch an. Begreifen Sie doch, Reinhold! 148
Wenn Sie diese Geisteskranken dem FBI auf einem Tablett servieren, sind wir Helden! Wir knacken die ganze Bande mitsamt ihrem politi schen Umfeld und ihren konspirativen Wohnungen.« »Und was soll ich machen, während Sie im OP Süßholz raspeln?« er kundigte sich Reinhold mißtrauisch. »Parolo sagt, daß nur ein Mann in den Schacht paßt.« »Sie warten mit Ihren Männern im Korridor vor dem OP. Was küm mert Sie das FBI? Das FBI kann Ihnen doch nicht den Zutritt zur Chir urgie verwehren, oder? Ich verhandle mit den Jungs, und sobald sie rauskommen, legen Sie ihnen Handschellen an. Und das, ohne einen einzigen Schuß abgeben zu müssen.« Reinhold zögerte. »Und was ist, wenn sie bluffen und dann doch eine Schießerei anfangen?« »Diese Jungs sehen fern. Die kennen mich. Sie schießen bestimmt nicht. Reinhold, eine solche Chance bekommen Sie nie wieder!« dräng te der Reporter. »Sobald die Kerle den OP verlassen, sind Sie ein Held. Und wenn was schief geht, bin ich allein dran. Sie haben eine reine Weste, Chief.« O'Boyle beugte sich näher zu Reinhold. »Lassen Sie mir etwas Zeit, alles zu überlegen.« »Und was ist mit mir?« erkundigte sich Parolo stirnrunzelnd. »Ich stecke mit drin. Rockewicz wird früher oder später rauskriegen, daß ich euch den Tip gegeben habe.« O'Boyle tätschelte beruhigend Parolos Arm. »Wir decken Sie, Parolo. Keine Angst. Wir werden sagen, daß Sie mal beiläufig was von diesem Luftschacht erzählt haben. Mehr nicht. Bei diesem Gespräch hier sind Sie nie dabei gewesen, was, Chief?« Reinhold zwinkerte ihm zu. »Keine Angst, Parolo«, fuhr O'Boyle fort. »Ich nehme notfalls alle Schuld auf mich. Ich habe einen breiten Rücken.« »Und Mut«, fügte Reinhold hinzu.
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IV. BUCH
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K
urz vor elf rief Martha Lake an. Sie hatte auf dem Weg zu einer Versammlung der ›Gesellschaft für Erwachsenenfortbildung‹ im Autoradio die Nachrichten mitge hört. In der ersten, kurzen Meldung war allerdings weder Eric Lakes noch Tenchs Name genannt worden. »Wir haben schlechte Nachrichten«, gestand Rockewicz auf Marthas Frage hin. »Sie halten Tench als Geisel fest und verlangen Lösegeld. Eric … und seinem Team geht es gut. Die Geiselnehmer interessieren sich nur für Tenchs Geld. Die Operation läuft planmäßig. Das FBI hat sich eingeschaltet. Es wird alles gut ausgehen, Martha.« »Ist … ist jemand verletzt worden?« Steve hielt den Atem an. Er mußte es ihr sagen. »Martha, Jimmy Baggs ist tot. Es ist zu einer Schießerei im OP gekommen. Was tat sächlich passiert ist, wissen wir nicht.« Rockewicz war erstaunt, wie diszipliniert und beherrscht Eric Lakes Frau reagierte. Er hatte Martha Lake von jeher bewundert. Sie war in telligent, sah gut aus, und war fast so etwas wie Erics Schutzengel und Stütze. Dabei machte sie sich ständig Sorgen um ihren Mann. Als Rok kewicz das letzte Mal bei einem Abendessen bei Burt Evans ausführ lich mit ihr gesprochen hatte, hatte sie ihm ihr Herz ausgeschüttet. Und Rockewicz war ein guter Zuhörer. Martha hatte ihm mitgeteilt, wie erschöpft Eric täglich nach Hau se kam, schon bei den Zehnuhrnachrichten im Fernsehen einschlief, außer Fachliteratur nichts mehr las, kaum Zeit für die Kinder hatte und in seiner eigenen Welt lebte. Martha wußte es zu schätzen, daß ihr Mann zwar viel Geld verdiente, sie hoffte, daß er auch zu Ruhm und Ansehen kommen würde, aber sie fragte sich oft, wofür er all sei 151
ne Kraft und Zeit in den Beruf investierte. Für die Familie, für sie und die Kinder blieb kaum eine Minute Zeit übrig. So konnte es doch nicht immer weitergehen. »Jimmy …«, ihre Stimme vibrierte. »Aber was, um Himmels willen, hat Jimmy diesen Leuten denn getan? Und Eric oder Alan? Was wol len sie von ihnen?« »Sie interessieren sich nur für Tench, Martha«, erwiderte Rockewicz. »Und sie verlangen zehn Millionen Dollar Lösegeld. Eric ist rein zufäl lig in die Sache hineingeraten.« »Ich frage mich nur, wie diese Leute überhaupt in die Klinik reinge kommen sind«, entgegnete Martha. »Martha, Sie wissen doch, wie es hier zugeht. Es gehen täglich Hun derte aus und ein. Diese Leute sind als Ärzte getarnt eingeschleust worden.« »Ich verlange, daß Eric so schnell wie möglich wieder frei kommt. Es ist mir völlig gleichgültig, um welche Summen die Geiselnehmer Tench und seinen Industriekonzern erleichtern. Mir geht es um Eric. Seht zu, daß ihr ihn befreit, sobald die Operation beendet ist.« »Wir tun, was wir können, Martha.« »Es ist wohl das beste, ich komme in die Klinik.« »Soll ich Ihnen einen Wagen schicken, Martha?« »Danke, nicht nötig. Ich fahre selbst.« Rockewicz nickte unmerklich. Das war typisch Martha. Sie war nicht die Frau, die in solchen Situationen hysterische Anfälle bekam. »Die ganze Sache tut mir verdammt leid, Martha«, sagte Rockewicz. »Unsere Sicherheitsbestimmungen lassen zu wünschen übrig. Vermut lich ist es meine Schuld.« »Eric hat sich öfters darüber beschwert, daß die Klinik zu einem Tummelplatz für alle möglichen Herumtreiber und Psychopathen ge worden ist.« Marthas Stimme klang fest und bestimmt. »Sagen Sie den Herren vom FBI, daß ich mit den Geiselnehmern sprechen möchte. Schließlich ist mein Mann in diesem Operationssaal. Ich werde nicht zulassen, daß ihm etwas zustößt.« 152
2
S
ie haben die ganze Chirurgie in die Luft gesprengt«, schrie eine Negerin. »Sie haben sechs Menschen getötet!« Bate Hooks, der an der Theke einer Imbissstube gegenüber dem Ein gang des ›City General Hospital‹ saß, hörte den Gesprächen der übri gen Gäste zu, während er die Menschenmenge beobachtete, die sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite hinter den Absperrungen der Polizei zu versammeln begann. »Was haben die im Radio gesagt?« fragte Hooks den Mann hinter der Theke. »Einer ist tot. Sie haben alle im Operationssaal als Geiseln genom men. Das mit den sechs oder sieben Toten ist Quatsch. Manche Leute haben eben 'ne rege Phantasie.« Hooky drehte seine Tasse Kaffee in der Hand. Die Nachricht von der Geiselnahme im Krankenhaus begann sich wie ein Lauffeuer zu ver breiten. Hinter den Absperrungen drängten sich bereits die Schaulu stigen in dichten Reihen. Der Haupteingang der Klinik wurde zwar von Polizeibeamten bewacht, doch Ärzte und Krankenschwestern gin gen noch immer ein und aus, und auch die Zufahrt war nicht vollstän dig gesperrt worden. Ein Wachmann der Klinik kontrollierte sämtli che Autos, die auf das Krankenhausgelände fahren wollten. Die mei sten wurden wieder fortgeschickt. Nur wenige durften passieren. Wen wollen sie damit eigentlich täuschen, überlegte Hooks verächt lich. Das FBI hatte sich das offensichtlich ganz schlau ausgedacht. Während der Klinikbetrieb nach außen hin scheinbar normal weiter ging, wurden überall Scharfschützen postiert, die Bate Hooks, Trask und Rashid einzeln auseinander nehmen würden, sobald sie zu flie hen versuchten. 153
Hooks betrachtete die beiden mit Marmor und Glas verkleideten Türme der Klinik, die ihm plötzlich wie ein überdimensionaler Busen einer dicken Negermutter vorkamen. »Es hat bisher einen Toten gegeben«, sagte eine farbige Kranken schwester, die soeben in die Imbissstube kam. Sie kaufte ein Päckchen Zigaretten und riß die Schachtel auf. »Jimmy Baggs, den Mann, der die Herz-Lungen-Maschine bedient hat, hat's erwischt. Sie haben ihn ein fach erschossen. Furchtbar.« »War's ein Bruder?« erkundigte sich Hooks. »Ja, und ein verdammt guter Mensch. Vater von zwei Kindern.« Hooks trank langsam seinen Kaffee. Wer konnte das gewesen sein? Rashid vermutlich. Rashid machte das Töten Spaß. Seine Augen hatten geleuchtet, als er die Episode mit dem Schulbus zum besten gegeben hatte. Trask? Trask hatte den Kopf voller revolutionärer Ideen. Manch mal hatte auch er ein fiebriges Glänzen in den Augen. »Tja, es ist immer dasselbe«, bemerkte Hooks. »Wenn die Weißen aufeinander schießen, erwischt's doch als erstes immer 'nen Bruder.« Er sah auf den Matchsack zu seinen Füßen hinab. Er war eine rich tige kleine Wundertüte mit Karabinern, Handgranaten, Munition. Wenn er sie jetzt im Stich ließ, saßen die Jungs in der Wüste. Trask konnte reden und planen soviel er wollte, wenn er sich jetzt absetz te … »Sie räumen den Platz«, sagte die Krankenschwester. »Ich muß ge hen.« Hooks blieb an der Theke sitzen. Ein junger Polizist steckte den Kopf zur Tür herein und musterte den großen Farbigen verächtlich. »Arbei ten Sie hier in der Gegend?« »Nee, ich lebe von der Sozialhilfe.« Hooks grinste. »Dann ziehen Sie Leine«, forderte der Bulle Hooks auf. »Wir haben Befehl, die Straße zu räumen.« »Ich bin ja nicht auf der Straße, sondern hier drinnen«, entgegne te Hooks. »Wenn ich Ihnen sage, Sie sollen verschwinden, dann verschwinden Sie, Mann!« 154
Hooks stand auf. Er wirkte in der kleinen Imbissstube fast riesig groß. »Ich hab' meinen Kaffee bezahlt, und den werde ich noch aus trinken.« Der Polizist machte einen Schritt auf ihn zu. »Ich habe ›raus!‹ gesagt, Freundchen. Der Kennedy Boulevard wird geräumt, verstanden?« »Klar, Mann. Sobald ich meinen Kaffee ausgetrunken habe.« Der Mann hinter der Theke versuchte den Polizeibeamten zu be schwichtigen. »Ich werde dafür sorgen, daß er verschwindet, Ed. Lass mich nur machen.« Der Streifenpolizist drehte sich um und ging zur Tür. »Ich sehe spä ter noch mal nach!« rief er über die Schulter. »Machen Sie ja, daß Sie rauskommen!« Hooks setzte sich wieder. »Dreckskerl«, sagte er mit Nachdruck. »Wenn ich meinen Kaffee getrunken habe, muß ich mal auf die Toilet te«, wandte er sich an den Mann hinter der Theke. »Und danach möch te ich Ihr Telefon benutzen. Ich glaube, ich habe hier noch 'ne ganze Menge zu tun.« »Sie haben doch gehört, was der Polizist gesagt hat.« Hooks warf einen Blick auf seine Uhr. Es war zehn Minuten nach elf. Er beobachtete, wie der Streifenpolizist auf dem Gehsteig mit einem Sergeant sprach. Sie deuteten auf ihn. »Hab' mir beim Militär 'ne schwache Blase geholt«, erklärte Hooks, stand auf und ging zur Herrentoilette auf der Rückseite der schäbigen Imbissstube. Die Polizisten beobachteten ihn.
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J
ohn Trask«, las der FBI-Mann vor. »Haftbefehl ausgestellt am 3. 11. 70. New York. Danach ist er untergetaucht. Und ausgerechnet hier muß er wieder in Erscheinung treten.« 155
Cardone hörte ihm nur mit halbem Ohr zu. Er trieb Gallatin am Te lefon zur Eile an. Stade besprach mit zwei Mitarbeitern den Bericht über Trask. Die FBIAgenten trugen weiße Arztmäntel, und jeder hatte ein Gewehr mit Ziel fernrohr in der Hand. Beide waren gerade von einer Inspektion der Räu me, die in nächster Nähe der Chirurgie lagen, zurückgekehrt. »Es ist jetzt Viertel nach elf!« brüllte Cardone ins Telefon. »Wir ha ben nicht mal mehr eine Stunde Zeit, Gallatin! Mr. Tenchs Leben steht auf dem Spiel.« Damit knallte er den Hörer auf die Gabel. Cardone trat an Rockewicz' Schreibtisch. »Sie kommen mit dem Zäh len nicht weiter. Wahrscheinlich können wir nicht die vollständige Sum me in Hundertern beschaffen, wie es dieser Wahnsinnige verlangt.« Stade entwarf inzwischen einen Lageplan, auf dem er die Standorte seiner Männer verzeichnete. Sämtliche Korridore, Ein- und Ausgän ge und Seitenstraßen wurden überwacht. Das FBI verfügte inzwischen über zweihundert Mann. Der Leiter des FBI-Distrikts hatte sich eben falls eingeschaltet. Mr. Walker Tench war keine gewöhnliche Geisel. »Was ist das für eine Verzögerung?« wollte Rockewicz wissen. »Könn te sie problematisch werden?« Stade blickte zur Decke. »Normalerweise machen Geiselnehmer, was die Einhaltung der Frist betrifft, Konzessionen. Wenn man erst mal auf ihre Forderungen eingegangen ist, sind sie meistens bereit, etwas länger zu warten.« »Sie meinen also, es sei nicht so tragisch, wenn wir das Geld nicht pünktlich beschaffen können?« fragte Cardone. »Ich weiß nicht. Mir ist kein gegenteiliger Fall bekannt. Bei Geisel nehmern dieser Art haben wir es meistens mit Egozentrikern zu tun, die sich gern reden hören, es genießen, Macht über andere auszuüben und der Polizei Befehle zu erteilen. Das befriedigt sie kolossal.« Rockewicz dachte an Dr. Eric Lake und sein Team und an den Vor wurf, den Martha Lake ihm gemacht hatte. Er beschloß, wenigstens ei nen Teil der Initiative wieder an sich zu reißen. Wenn es wirklich zu einer Schießerei kam, mußten doch meistens die Unschuldigen dar an glauben. 156
»Arnold«, wandte er sich an den FBI-Agenten. »Ich habe den Bericht über Trask gelesen und bin mir nicht so sicher, daß man ihn mit den japanischen oder arabischen Geiselnehmern vergleichen kann.« »Wie kommen Sie jetzt darauf?« fragte Cardone scharf. »Vielleicht ist er geistesgestört, aber er hat offenbar ein Talent dafür, sich durchzusetzen, anderen seinen Willen aufzuzwingen.« Rockewicz nahm den FBI-Bericht zur Hand und las laut: »Trask drohte, die Uni versität von New York niederzubrennen, falls seine Forderung nach einer Radikalisierung des Lehrkörpers nicht erfüllt würde. Als Trask sich mit den Universitätsvertretern zu Verhandlungen traf, setzte er ihnen ein Ultimatum. Als dieses abgelaufen war, explodierten in zwei Universitätsgebäuden Bomben.« Rockewicz sah auf. »Eine Woche spä ter ist er am City College nach derselben Methode vorgegangen. Ich glaube deshalb nicht, daß wir darauf vertrauen können, daß er nichts unternehmen wird, wenn wir die Frist nicht pünktlich einhalten.« »Genau aus diesem Grund versuche ich ja alles, das Geld bis zum Ablauf der Frist zu beschaffen!« brauste Cardone auf. »So dumm kann Trask nicht sein«, entgegnete Stade. »Damals hatte er es mit Universitätspersonal zu tun, das Angst hatte, die Polizei ein zuschalten. Trask weiß, daß es hier inzwischen vor FBI-Agenten nur so wimmelt. Er will das Geld – und er will Publicity. Er wird warten.« »Aber garantieren können Sie doch nichts!« warf Cardone bissig ein. Dann wandte er sich an Rockewicz. »Ich habe Ihr Telefongespräch mit der Frau dieses Chirurgen gehört. Keine Sicherheitsvorkehrungen, kein Wachpersonal … nichts! Falls Mr. Tench das überleben sollte …« »Es hat keinen Sinn, uns jetzt gegenseitig anzuschreien und Vor würfe zu formulieren«, wehrte Rockewicz ab. »Vielleicht hat Mr. Stade recht, und sie bleiben verhandlungsbereit.« Doch Rockewicz war sich ganz und gar nicht mehr sicher. Der Be richt des FBI machte deutlich, wie unberechenbar dieser Trask war. Man konnte nicht ausschließen, daß er sich in einer selbstmörderi schen Aktion zum Märtyrer für seine Sache machen und Eric Lake und die anderen mit in den Tod nehmen würde. 157
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B
evor die Klimaanlage eingebaut wurde, dienten diese Schächte zur Entlüftung der Operationssäle«, erklärte Parolo, der Hausmeister. Er hatte das Gefühl, weniger Schuld auf sich zu laden, wenn er sich bei seinem Gespräch mit Reinhold und O'Boyle auf technische Einzelhei ten beschränkte. O'Boyle, Reinhold und Parolo standen in einem dunklen Lagerraum neben der Chirurgie. Reservebetten und Tragbahren lehnten an der Wand. Niemand hatte sie gesehen, als sie den fensterlosen Raum betra ten. Die Korridore des Krankenhauses waren leer. Alle hatten sich den Anordnungen gefügt und waren auf den Zimmern verblieben. Parolo leuchtete mit einer Taschenlampe langsam die Decke ab. Da tauchte im Lichtkegel ein ungefähr ein Meter langes und ein Meter breites Metallgitter auf, das mit Schrauben befestigt war. »Hier ist der Einstieg«, erklärte Parolo. »Einer meiner Leute hat vor Jahren mal die Nester dort ausgeräumt. Der Junge ist fast im Dreck er stickt. Wollen Sie's sich nicht noch mal überlegen?« fragte er O'Boyle. »Nein, warum?« Parolo stellte mit Reinholds Hilfe einen Tisch unter das Gitter, stieg hinauf und begann mit seinem Schraubenzieher das Gitter zu lockern. Nachdem Farbe und Gipsreste an den Rändern entfernt waren, konnte er es abnehmen. Dahinter gähnte eine dunkle, viereckige Öffnung. »Und woher weiß ich, wann ich über Lakes OP bin?« wollte O'Boyle wissen. »Moment mal«, murmelte Parolo nachdenklich und begann an den Fingern abzuzählen: »Zuerst kommt die Abzweigung zum Büro der Oberschwester, dann die zum Umkleideraum der Ärzte, die zum Schwesternzimmer, die Öffnung über dem Korridor und dann die zu 158
den Operationsräumen eins und zwei. Die siebte Öffnung müßte dann die zum OP sein, wo Dr. Lake gerade operiert.« »Müßte?« wiederholte Reinhold mißtrauisch. »Was ist, wenn O'Boyle einen Fehler macht und mit Krach in einem leeren Raum landet, so daß man es im ganzen Krankenhaus hört?« »Keine Angst, ich bin sicher, daß die siebte Öffnung die richtige ist«, beruhigte Parolo Reinhold. »Gut, versuchen wir's«, sagte O'Boyle. Er wußte, wie riskant das Un ternehmen war, und daß er viel Mut und Kaltblütigkeit brauchen wür de, um hier einen Erfolg zu haben und wieder lebend davonzukom men. Doch er war nicht umsonst beim Fernsehen bekannt für gefähr liche Unternehmen. O'Boyle vergewisserte sich noch einmal, daß das kleine Tonbandgerät in seiner Tasche steckte und die Schmalfilmka mera auf seinem Rücken festgeschnallt war. Er hätte lieber die größere Tonbildkamera mitgenommen, doch der Schacht war zu eng dazu. »Sind Sie bereit, George?« fragte O'Boyle Reinhold. »Wissen Sie, was Sie zu tun haben?« »Klar«, entgegnete Reinhold. »Ich warte vor dem OP, bis Sie mir die Schäfchen in die Arme treiben.« O'Boyle grinste. Er wollte gerade auf den Tisch steigen, als ihm etwas einfiel. »Ist in dem Operationssaal ein Telefon?« »Selbstverständlich. Jeder OP hat ein Telefon.« O'Boyle lächelte. »Dann werde ich dem Herrn meinen Besuch an kündigen.« Reinhold runzelte die Stirn. Wollte dieser O'Boyle ihn am Ende doch noch hereinlegen? »Zum Teufel, warum denn? Damit er Sie wärmstens empfängt?« »Nein, aber so ganz überraschend möchte ich doch nicht auftau chen«, antwortete O'Boyle. Er wußte ebenso wie Reinhold, wie gefähr lich es sein konnte, einen Psychopathen zu erschrecken. »Wie lautet die Nummer?« Reinhold schlug sein Notizbuch auf. »Drei-neun-vier-neun«, las er laut. »Der Bursche nennt sich John. Ich habe gehört, wie Rockewicz mit ihm telefoniert hat.« 159
O'Boyle ging zu dem Telefon, das im Lagerraum stand, nahm den Hörer ab und wählte. »John?« fragte O'Boyle. »Wer ist da? Cardone? Polizei?« »Nein, nein, John. Hier ist Brian O'Boyle. Ich bin Fernsehreporter. Sie kennen mich, John. Sind wir uns nicht vor Jahren mal bei einer De monstration vor dem Weißen Haus begegnet?« »Scheren Sie sich zum Teufel! Ich kann die Presse nicht brauchen. Wenn wir hier fertig sind, werden Sie's erfahren.« »Wie viele von euch sind im OP? Zwei? Drei? Warum hat es einen Toten gegeben?« »Lassen Sie mich mit dem Gequatsche in Ruhe. Wenn ich Sie brau che, melde ich mich. Woher soll ich wissen, daß Sie kein Bulle sind?« »Ich bin kein Bulle, Junge. Ich bin Brian O'Boyle. Und Brian O'Boyle kennt jeden Typ aus der linken Szene. Erinnern Sie sich nicht mehr an das Interview, das ich mit Ihnen gemacht habe?« O'Boyle bluffte. Da mit hatte er schon oft sein Ziel erreicht. »Nein. Und ich habe auch jetzt keine Lust, mit Ihnen zu reden.« »Aha, Sie wollen natürlich sicher sein, daß ich's wirklich bin. Wun dern Sie sich nicht, wenn ich Sie besuche. Ich bin übrigens nicht be waffnet. Alles, was ich will, ist Ihre Story. Ich habe lange Haare und trage ein Stirnband. Das sind meine Markenzeichen. Wenn ich kurz rüberkomme, schießen Sie bitte nicht gleich. Ich könnte Ihre Rettung sein. Die Welt möchte eure Motive, eure Perspektiven kennenlernen.« »Wenn Sie hier auftauchen, bringe ich Sie um«, entgegnete Trask. »Ich melde mich, wenn ich Sie nötig habe.« »John, ich …« Trask hatte aufgelegt. »Glauben Sie, es war klug, ihn anzurufen?« fragte Reinhold. »Klar. Den Floh habe ich ihm schon mal ins Ohr gesetzt«, erklärte O'Boyle. »Jetzt hat er bald nur noch den Wunsch, der Welt seine Versi on dieser Geschichte zu erzählen. Helfen Sie mir hinauf!« Trasks Ablehnung entmutigte O'Boyle in keiner Weise. Er hatte schon öfters in fast aussichtslosen Situationen Erfolg gehabt. Wenn dieser Mann erst einmal eine Kamera sah und die Chance hatte, sei 160
ne Theorien der Welt darzulegen, würde er sich anders benehmen. Der Reporter sah die Szene im Geiste schon vor sich. Zuerst der Operati onsraum, dann ein Interview und schließlich die Aufforderung, sich zu ergeben. Reinhold kam erst ganz zum Schluß. Die Story war das Wichtigste. »Was ist, wenn das FBI das Gespräch abgehört hat?« wollte Reinhold wissen. »Na und? Was macht das schon? Die können mich auch nicht mehr aufhalten. Die wissen außerdem gar nicht, wo ich bin.« »Falls was schief geht, O'Boyle«, wandte sich Parolo an den Reporter, »dann lassen Sie gefälligst meinen Namen aus dem Spiel, ja?« »Natürlich. Nur keine Panik. In zehn Minuten sind wir alle die Hel den des Tages.« O'Boyle zog seine Schuhe aus und stieg auf den Tisch. Der schlanke, drahtige Reporter stemmte sich in den Schacht. Staub wolken quollen aus der Öffnung, als er sich im Dunkel ausstreckte. Er angelte eine kleine Taschenlampe aus seiner Jacke. Der kleine Licht strahl würde ihm genügen. »Gehen Sie auf Ihren Posten, George!« rief er hinunter. »Ich bin un terwegs!« Chief Reinhold rückte seinen Gürtel zurecht und überprüfte das Ma gazin seines Magnum-Colts.
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rask hatte das Transistorradio eingeschaltet und hörte die Nach richten. »Wir sind berühmt, Rashid!« rief er dem Araber zu. »Mei nen Namen haben sie schon. Mit dir wissen Sie offensichtlich noch nichts anzufangen.« Er lächelte. »Sie bezeichnen uns als eine revolutio näre Randgruppe. Wir werden sie bald eines Besseren belehren.« Er stellte das Radio lauter. Die Stimme des Sprechers war deutlich 161
zu vernehmen: »Die Gruppe, die sich als die ›Elenden dieser Welt‹ be zeichnet, hat ungefähr zwei Dutzend Mitglieder, die sich ausschließ lich aus revolutionären Aktionsgruppen rekrutieren. Die Gruppe hat sich vor ungefähr einem halben Jahr in Europa zusammengefunden und bisher die Verantwortung für den Bombenanschlag auf die Pari ser Börse …« »Jetzt hört er sich seine Heldentaten an«, flüsterte Licata. »Seht ihn euch nur an!« »Die Ein-Millimeter-Sonde bitte!« ertönte Lakes energische Stim me. »John!« rief Rashid. »Was sagen sie im Radio? Geht alles nach Plan?« »Cardone hat behauptet, daß er unsere Forderungen erfüllen will«, antwortete Trask. »Aber das haben wir ja bereits gewußt.« Er wandte sich an Lake: »Sehen Sie, Doktor, es klappt. Hätte die CIA Baggs nicht eingeschleust, wäre niemandem auch nur ein Haar gekrümmt worden. Beeilen Sie sich, damit Sie mit Ihrer Arbeit fertig werden.« Licata schnaubte verächtlich. Er hob Tenchs Herz leicht an. »Diese Idioten merken gar nicht, daß sie praktisch schon tot sind.« »Was haben Sie gesagt?« fragte Trask. Seit der Nachrichtensendung machte er einen selbstzufriedenen, beinahe selbstgefälligen Eindruck. »Hör mit diesem Gerede auf, Jack!« befahl Lake seinem Assistenten. Motzkin warf einen Blick auf die Messgeräte. Es war alles in Ord nung. »Zehn Millionen Dollar«, seufzte er. »Du liebe Zeit, was wollen Sie denn damit anfangen?« »Wir werden Krieg führen, um die Unterdrückten dieser Welt zu be freien«, antwortete Trask. »Stellen Sie endlich das Radio ab!« wandte Lake sich scharf an Trask. »Ich will diesen Unsinn nicht mehr hören.« »Sie sollten sich aber wirklich für diese Dinge interessieren, Doktor.« Trask lachte kurz auf. »Sie würden dann eher verstehen, wie wichtig wir sind …«
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artha Lake betrat Rockewicz' Büro im ›City General‹. Ihre Ge fühle wankten zwischen Angst und Wut. Konnte hier denn nie mand etwas unternehmen, um diesem Gangstertum Einhalt zu gebie ten und ihren Mann zu befreien? Steve Rockewicz stellte ihr Cardone und Stade vor. Das schien sie noch mehr aufzubringen. »Eric muß befreit werden!« erklärte sie kategorisch. »So einfach ist das leider nicht, Martha«, entgegnete Rockewicz. »Eric muß zuerst die Operation beenden. Sobald Tench jedoch außer Gefahr und die Geldübergabe erfolgt ist, wird sicher auch Eric wieder frei sein.« »Wer garantiert mir das?« Stade, der an Rockewicz' Schreibtisch gesessen hatte, stand auf. »Mrs. Lake, wir arbeiten fieberhaft an einer Lösung, aber im Augen blick bleibt uns nichts anderes übrig, als abzuwarten. Das FBI wird durch Aktionen jedenfalls niemand gefährden. Wir erfüllen die For derungen der Geiselnehmer.« Cardone sah Martha an. »Das stimmt, Mrs. Lake. Ich habe meinen Einfluß geltend gemacht, um unüberlegte Aktionen, Tricks oder Ver zögerungen zu verhindern. Die Beschaffung der Lösegeldsumme über wache ich persönlich. Mr. Tenchs Sicherheit … Sie als alte Bekann te …« Martha Lake und Cardone musterten sich. Der Arztfrau erschien der überaus elegant gekleidete Präsident des Tench-Konzerns als schil lernder Paradiesvogel. Cardone spürte sofort, daß er mit Martha Lake eine Frau von Format vor sich hatte, die wußte, was sie wollte, die auch tat, was sie für richtig hielt. »Ich will offen sein«, begann Martha Lake. »Als Freunde kann man 163
mich und Mr. Tench kaum bezeichnen. Dazu haben wir uns zu selten gesehen. Er und mein Mann sind Kommilitonen auf dem College ge wesen. Es tut mir leid, daß Mr. Tench in diese scheußliche Situation ge raten ist, aber meine Sorge gilt doch vorwiegend meinem Mann.« »Wir sitzen alle in demselben Boot«, warf Rockewicz ein. »Das scheint mir nicht so«, widersprach Martha Lake. »Haben diese Männer schon gesagt, wie sie die Klinik wieder verlassen wollen?« Stade, der auf der Schreibtischkante saß, machte ein ernstes Gesicht. »Nein, aber ich vermute, daß sie Geiseln mitnehmen werden.« »Genau das habe ich mir auch gedacht«, stimmte Martha Lake zu. Obwohl sie äußerlich ruhig wirkte, hatte ihre Stimme einen gereizten Unterton. »Und zu diesem Zweck brauchen sie gesunde Geiseln, die sie als Deckung benutzen können.« Sie wandte sich an Cardone. »Mr. Tench kommt dafür also kaum in Frage.« »Ich verstehe Ihre Sorge«, erwiderte Cardone. »Aber weder Mr. Tench noch ich haben das alles gewollt. Mr. Tench ist das eigentliche Ziel die ses Anschlags. Ihr Mann und sein Team sind im Grunde nebensäch lich. Ich habe mit diesem Trask telefoniert und kenne seine Einstel lung. Unschuldige gibt es für ihn nicht.« »Damit wird die Sache für Sie nicht leichter, Martha«, lenkte Rocke wicz ein. »Aber es ist die Wahrheit. Wir tun unser Bestes, um Eric frei zubekommen.« »Steve, lassen Sie mich mit ihnen reden.« »Mit Trask?« Der Verwaltungsdirektor sah Stade an. Der FBI-Agent nickte. Ein Gespräch von Mrs. Lake mit Trask konnte jedenfalls nicht schaden.
Auf halbem Weg zwischen den Operationsräumen 1 und 2 blieb O'Boyle plötzlich in dem engen Schacht stecken. Staub und Schmutz hatten sei ne Nasenlöcher verklebt, während er durch eine dicke Schicht aus Rat tenkot, Skeletten von Mäusen und vertrockneten Insekten robbte. An jedem Seitenstutzen des Schachts, der mit einem Gitter versehen war, 164
hatte er angehalten, um frische Luft zu atmen. Das kleine Tonband war ihm aus der Tasche gefallen und den Schacht abwärts gerutscht. Er konnte es nicht mehr erreichen. Mühselig bewegte er sich rückwärts. Endlich hatte er es mit den Fingern ertastet. Jetzt war er mit dem Ka merariemen an einem Armiereisen hängen geblieben. Während er versuchte, sich zu befreien, wirbelte er noch mehr Staub und Schmutz auf und konnte nur mühsam ein Niesen unterdrücken. Dann hörte er Stimmen. Er wußte, daß er dem Ziel schon ganz nahe war.
Trask nahm den Hörer ab, als das Telefon klingelte. »Mr. Trask? Martha Lake, die Frau von Dr. Lake. Ich bin in Mr. Rok kewicz' Büro. Kann ich mit meinem Mann sprechen? Geht es ihm gut?« »Alle hier werden gut behandelt«, erwiderte Trask. »Sie können Car done und den anderen ausrichten, daß wir unser Wort halten. Ich weiß, daß es inzwischen in diesem Krankenhaus von FBI-Agenten wimmelt und kann mir vorstellen, was sie vorhaben. Aber wenn Sie Ihren Mann lebend wieder sehen wollen, sollten Sie uns helfen. Sagen Sie das den Herren.« »Ich helfe Ihnen auf jede erdenkliche Art«, versprach Martha Lake. »Ich will meinen Mann wiederhaben.« »Das liegt nicht nur bei mir allein.« »Aber Sie bedrohen ihn mit der Waffe. Und Sie haben bereits einen Mann getötet.« »Man hat versucht, unsere Aktion zu sabotieren.« Trasks Stimme klang plötzlich gereizt. »Wenn man uns freien Abzug garantiert und unsere Befehle befolgt … fällt kein einziger Schuß mehr. Haben Sie verstanden, Mrs. Lake?« »Ja, Mr. Trask. Kann ich mit meinem Mann sprechen?« Trask hielt Lake den Hörer hin. »Ihre Frau.« Der Chirurg sah nicht einmal von seiner Arbeit auf. »Sagen Sie ihr, ich sei beschäftigt. Es geht uns gut. Bitten Sie sie, sich mit Mrs. Baggs 165
in Verbindung zu setzen. Sie soll hergebracht werden. Meine Frau soll bei ihr bleiben.« Trask wiederholte Lakes Anweisungen. »Begreifen Sie jetzt, was Sie getan haben?« Zum ersten Mal zitterte Martha Lakes Stimme. »Sie haben einen unschuldigen Menschen um gebracht. Welche Motive Sie auch haben mögen, es endet immer da mit, daß Unschuldige getötet oder gequält werden.« »Unschuldige wie Ihren Mann, Mrs. Lake, die dreihundertfünfzig tausend Dollar im Jahr verdienen. Ist er bereits Millionär? Auch Sie gehören mittlerweile zum System. Sie sind genauso korrupt wie Wal ker Tench.« »Das ist doch alles Unsinn!« »Kaum, Mrs. Lake. Ich glaube nicht, daß wir uns je verstehen wer den, Mrs. Lake. Kurz nach zwölf Uhr verlassen wir die Klinik. Schär fen Sie den Bullen ein, uns nicht zu nahe zu kommen. Sonst ist Ihr Mann auch erledigt.« Dann legte Trask auf. Lake hob den Kopf. »Sie sind gefühllos und gemein.« »Nein, nur konsequent.« Eric Lake war ganz versunken in seine Tätigkeit und machte einen Einschnitt in die Herzwand. Schweißtropfen bildeten sich auf seiner Stirn. Mit äußerster Vorsicht und allem ihm zur Verfügung stehenden chirurgischen Können und Wissen arbeitete er weiter. Er wußte, daß das Leben von Walker Tench an einem seidenen Faden hing.
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hief Reinhold betrat die Chirurgie. Im Stationszimmer saß Ober schwester McCarran an der Schreibmaschine. Sie hatte sich ge weigert, ihren Posten zu verlassen, und nur ihre Sekretärin nach Hau 166
se geschickt. Außer ihr war ein Mann im weißen Arztmantel im Zim mer. Er und Reinhold maßen sich kurz mit Blicken. »Hier hat niemand Zutritt«, erklärte der FBI-Agent prompt. »Auch Sie nicht, Chief. Ich habe klare Anweisung.« »Von wem?« »Ich bin FBI-Agent Lief«, antwortete der andere. »Ich will nur einen kleinen Spaziergang machen und mir die Ört lichkeiten ansehen. Es könnte ja immerhin sein, daß ihr mich später noch braucht«, entgegnete Reinhold. Lief zuckte mit den Schultern. Es war Reinholds Stadt, und er wollte den Stolz des Polizeichefs nicht noch mehr verletzen. Reinhold schlenderte den Gang entlang und zählte die Türen. Zwei erschöpfte Assistenzärzte kamen ihm entgegen. Es waren Dr. Harvey Fess' Assistenten und hatten die Operation allein zu Ende geführt. Bei de nahmen an, daß ihr Chef längst zu Hause war. Nur etwa dreißig Meter entfernt horchte Olmedo hinter einer Maue recke auf Schritte. Dann war plötzlich alles wieder ruhig. Lediglich zwei Operationssäle waren noch besetzt. Er schaltete die einzelne, nackte Glühbirne aus. Ein schwacher Lichtschein fiel durch einen Tür spalt. Das Gewehr in der Armbeuge, wartete er. Fess' Leiche hatte er unter einem Stapel Wäsche versteckt. Flor Aquino sah, wie der Schlauch der Herz-Lungen-Maschine, der zum arteriellen Kreislauf des Patienten führte, ruckartig zu zittern be gann. Sie verließ schnell ihren Platz und begann den Schlauch vor sichtig zu glätten und zu strecken. »Entschuldige, das hätte ich mer ken müssen«, seufzte Motzkin. »Lass mich das machen, Flor.« Er stand auf. Doch Flors Hände waren schneller und geschickter als die des Anäs thesisten. Durch mehrere Knicke in den Schläuchen war der arteriel le Kreislauf kurz unterbrochen. Schaden war dadurch jedoch nicht ent standen. Lake wußte das und achtete daher nicht weiter auf die beiden. »Alan, du kannst die Maschine einen Augenblick abschalten«, sagte Licata zu Motzkin. »Wir können ihn über Wasser halten, bis du deine Schläuche entwirrt hast!« 167
»Tut mir leid«, murmelte Motzkin. »Aber ich habe mit dem Apparat kaum Erfahrung …« Motzkin hielt abrupt inne. Trask hatte den Revolver erneut auf den Anästhesisten gerichtet. »Was soll das? Ist das schon wieder ein fauler Trick?« »Nein, ganz und gar nicht!« entgegnete Motzkin und war selbst über den harten Ton in seiner Stimme überrascht. Flors Hände zitterten, als sie den Schlauch geschickt entwirrte und glättete. »John! Hast du nichts gehört?« rief Rashid von der Galerie herüber. Trask horchte angestrengt. Doch außer dem gleichmäßigen Pumpen der Herz-Lungen-Maschine, dem Zischen der Absaugpumpe und den leisen Stimmen der Chirurgen am Operationstisch konnte er nichts hören. »Da oben! Direkt über uns!« beharrte Rashid und deutete zur Decke. »Es klingt, als würde dort oben jemand Möbel verrücken.« Angst flackerte in Trasks Augen auf. Versuchten sie die Decke zu durchbohren, ein Ablenkungsmanöver zu inszenieren, um vom Korri dor aus den Operationssaal zu stürmen? Trask verwarf diesen Gedan ken schnell. Wenn es um Leute wie Tench ging, versuchte die Polizei, jedes unnötige Risiko zu vermeiden. »Ruhe bitte!« verlangte Mihrab. »Wir sind fast fertig. Wenn es Al lahs Wille ist, werden wir überleben.« Er fügte noch ein paar Worte auf Arabisch hinzu. »Noch ein paar Stiche bitte!« forderte Lake ihn auf.
Oben im Entlüftungsschacht hob O'Boyle die Kamera vorsichtig ans Auge und rückte das Tonbandgerät an das Gitter. Das Mikrophon war in den Operationssaal gerichtet. Stimmen drangen einmal leiser, ein mal lauter zu ihm herauf. Er schaltete das Tonbandgerät ein. Er schob sich mit der Kamera näher an das Metallgitter heran. Im Sucher erschien ein von groben Rastern durchzogenes Bild. Er beweg te die Kamera etwas nach links und dann nach rechts, um sämtliche 168
Blickwinkel auszuleuchten, die von seinem Platz hinter dem Gitter des Lüftungsschachtes einzufangen waren. Das Objektiv erfasste ei nen Teil des Operationstischs und vier Personen in grüner Operati onskleidung, die um den Tisch herumstanden. Links davon saß eine Operationsschwester auf einem Hocker und reichte den Chirurgen In strumente. O'Boyle hörte gedämpft die Worte der Ärzte: »Klemme … Schere … Pinzette …« Die Köpfe mit den grünen Hauben bildeten ei nen gleichmäßigen Ring um Tench. Das Operationsfeld selbst konnte er jedoch nicht erfassen, doch O'Boyle nahm das nicht weiter tragisch. Er hatte, was er wollte. Rechts tauchte eine große, teilweise zerbrochene Glasscheibe im Sucher auf. Das Metallgitter versperrte ihm die Sicht, doch dann erkannte er die erhöhte Besuchergalerie mit den Stuhlrei hen. In der letzten Reihe saß ein Mann in grüner Operationskleidung. Sein Gesicht war teilweise verdeckt. Er hielt ein Gewehr schussbereit in der Armbeuge und auf dem Stuhl neben ihm lagen zwei Handgra naten. O'Boyle hatte auf dieser Seite genug gesehen. Er bewegte die Kame ra jetzt ganz nach rechts, doch den Teil des Saals, der rechts hinter dem Operationstisch lag, erfasste die Kamera nicht mehr. Und ausge rechnet in diesem toten Winkel war das Telefon an der Wand ange bracht und daneben mußte sich der Mann befinden, den das FBI als John Trask identifiziert hatte. Im Sucher der Kamera erfasste er ledig lich noch ein Bein und die äußerste Ecke eines Metalltischs oder einer dicken Metallplatte, von der aus Schläuche zum Operationstisch führ ten. O'Boyle holte tief Luft. Er war von der Anstrengung des Kriechens in dem engen Schacht in Schweiß gebadet. Doch ein weiterer kritischer Augenblick stand bevor, wenn er die Kamera einschalten würde. Wür de man das Surren unten im Operationssaal hören können? Das Federwerk der einfachen Kamera, die ohne Batterien arbeitete, und alle zwanzig Filmminuten von Hand neu aufgezogen werden mußte, war ziemlich laut. Der Reporter stemmte die Ellbogen fest auf den Schachtboden, rich tete die Kamera auf den Operationstisch und drückte auf den Auslö 169
ser. In dem schmalen, engen Schacht klang das Geräusch des Feder werks geradezu ohrenbetäubend laut. O'Boyle filmte die gesamte Ope rationsszene, bis er die Kamera erneut aufziehen mußte. Das ging einfacher, als er es sich vorgestellt hatte. Als das Gerät wie der aufnahmebereit war, suchte er sein nächstes Ziel. Diesmal wollte er den Mann auf der Galerie einfangen. O'Boyle fröstelte vor gespannter Erwartung. O'Boyle machte eine kleine Drehung nach rechts, preßte den Rücken gegen die Metallwand des Schachts, schwenkte die Kame ra auf Rashid und stellte das Objektiv. Gerade als O'Boyle ihn im Su cher hatte, stand Rashid auf. Die Kamera begann zu surren. Vielleicht hatte Chief Reinhold doch recht, überlegte O'Boyle. Ein treffsicherer Scharfschütze hätte den Mann mit dem Karabiner mit einem Schuß ausschalten können. Der einzige Haken an der Sache war, daß an der gegenüberliegenden Seite des Raumes, außerhalb der Reichweite der Kamera, John Trask saß.
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ohn, ich höre was!« sagte Rashid und neigte den Kopf leicht zur Sei te. »Was denn?« fragte Trask. »Ein Summen«, antwortete Rashid. »Es klingt, als ob irgendein Elek trogerät eingeschaltet worden ist.« »Das könnte der Transformator sein«, warf Motzkin ein, der das Surren der Kamera ebenfalls gehört hatte. »Das ist das Gerät dort drü ben. Es ist direkt an den Stromkreis angeschlossen.« Motzkin hatte zwar keine exakte Vorstellung davon, wie dieser Transformator funk tionierte, doch suchte er für Trask schnell eine plausible Erklärung des Geräusches. 170
»Ah, da ist sie endlich«, atmete Lake auf. Unter seinem Skalpell wur de der Teil einer Arterie sichtbar. Licata pfiff leise durch die Zähne. »Kaum zu glauben.« Mihrab warf Lake einen bewundernden Blick zu. »Eric, du hast ei nen sechsten Sinn. Das muß man dir lassen. Tupfer bitte, Flor.« Rashid horchte mit angehaltenem Atem. Das merkwürdige Geräusch verstummte. Er sah Trask verwirrt an. »John, ich möchte mir den Ne benraum genauer ansehen und die Wände abhören.« Trask nickte. »Ich gebe dir Deckung. Lake, treten Sie mit Ihren Leu ten zur Seite, damit Rashid vorbei kann. Licata, Sie warne ich eindring lich, machen Sie keine Dummheiten. Sie haben gesehen, was mit Baggs passiert ist.« Rashid blieb in der Tür zur Galerie stehen. Er hörte plötzlich ein an deres Geräusch. Diesmal klang es, als würde eine Uhr aufgezogen. Fast drei Meter über dem Araber zog O'Boyle seine Filmkamera zum zweiten Mal auf. Durch das Gitter konnte er den Araber direkt unter dem Schacht ste hen sehen, wie er angestrengt horchte. O'Boyle hielt die Luft an. Dann zog er den Schlüssel aus dem Federwerk. Er konnte jetzt noch gut sie ben Meter Film drehen, ohne die Kamera erneut aufziehen zu müssen. Rashid wich nicht von der Stelle. Dann blickte der Araber zum Metall gitter hinauf. O'Boyle fuhr erschrocken zurück, aber es war bereits zu spät. »Bleib, wo du bist!« befahl Rashid Trask scharf. »Komm auf keinen Fall näher. Behalte die Türen im Auge.« »Was ist los?« rief Trask. Rashid hatte hinter dem weißgestrichenen Gitterrost in der Decke Metall blinken gesehen. »Paß auf die Türen auf, John!« wiederholte er heiser. »Sie könn ten …« Der Araber riß den Karabiner hoch, sprang zurück und feuerte. Die Schüsse hallten vielfach von den gekachelten Wänden, der Decke und in dem schmalen Schacht wider. »Runter!« schrie Licata. Er zog Sally von ihrem Hocker. Mihrab 171
duckte sich unter den Operationstisch. Flor fiel mit einem Aufschrei gegen die Wand. Motzkin wollte aufspringen, stolperte und preßte sich gegen die Metallwand der Herz-Lungen-Maschine. Trask starrte mit gezogenem Revolver auf das Metallgitter. Rashid hatte drei Schüsse abgegeben, O'Boyle jedoch nicht getrof fen. Den Kopf hinter der Kamera verborgen, war er hastig ein Stück zurückgekrochen. Zwei Kugeln hatten weit ihr Ziel verfehlt, die dritte war vom Gitterrahmen abgeprallt. »Dort im Lüftungsschacht, John«, sagte Rashid atemlos. »Es ist eine Falle.« »Wartet!« schrie O'Boyle aufgeregt. »Hört um Himmels willen auf zu schießen. Ich bin kein Bulle!« Er schob sich einen weiteren halben Me ter zurück. Rashid brachte den Karabiner erneut in Anschlag. Eric Lake blieb am Operationstisch stehen und zwang sich, ruhig zu bleiben. »Nimm mir das Operationsmikroskop ab, Flor«, bat er. Flor gehorchte zitternd. Rashid stand mittlerweile direkt unter dem Lüftungsschacht. »Was meinst du, John? Sollen wir's mit einer Handgranate versuchen?« »Nein«, wehrte Trask ab. »Sag ihm, er soll bleiben, wo er ist.« »John!« schrie O'Boyle. »Ich bin's. Brian O'Boyle. Der Fernsehrepor ter. Wir haben vorhin miteinander telefoniert. Ich bin nicht von der Polizei. Hier ist weit und breit kein Bulle. Ich möchte ein Geschäft mit Ihnen machen.« »Verschwinden Sie!« drohte Rashid. »Oder ich lege Sie um!« »Moment!« Trask sah zur Tür. Nichts deutete darauf hin, daß die Po lizei den Operationssaal stürmen wollte. Trotzdem konnte er seinen Posten nicht verlassen. Er stand mit dem Rücken zur Wand neben dem Telefon. »Hauen Sie ab, O'Boyle. Wenn Sie nicht machen, daß Sie fort kommen, bringen wir hier einen nach dem anderen um.« »John, ich will Ihnen helfen«, entgegnete O'Boyle. »Sagen Sie Ihrem Freund, er soll das Schießeisen wegstecken. Ich muß mit Ihnen re den.« »Geh auf die Galerie zurück, Rashid, und behalte ihn von dort aus 172
im Auge«, befahl Trask. »O'Boyle, Sie haben genau zwei Minuten Zeit, sich auszuquatschen!« Der Reporter kroch wieder ans Gitter. Das Tonband lief. »Trask, Sie schaffen es nie, hier rauszukommen! Die schnappen Sie. Ich könnte ei nen Kompromiss aushandeln. Ich habe hier ein Bandgerät. Verkünden Sie der Welt, welche Ziele Sie verfolgen. Innerhalb von fünfzehn Minu ten kann Ihr Aufruf gesendet werden. Dann verlassen Sie den Operati onssaal. Es passiert Ihnen nichts. Ich habe das Wort des Polizeichefs.« »Soll das ein Witz sein?« rief Rashid. »Ich knall ihn ab, John!« »Hören Sie auf mich!« flehte O'Boyle. »Sie können auf Totschlag plä dieren …« »Blödsinn!« unterbrach Trask ihn heftig. »Wir führen unseren Plan durch. Die Polizei hat Sie geschickt. Feuer, Rashid!« Der Araber schoß noch zweimal auf das Metallgitter. Nur eine Kugel drang durch die Gitterstäbe und zerfetzte die Kamera. O'Boyle fluchte, gab jedoch noch nicht auf. »Trask, das ist Ihre große Chance! Soll die Welt von Ihrer Mission erfahren, oder nicht? Vom FBI hört sie doch nur Lügen!« Motzkin kam keuchend auf die Beine. Er fühlte in seinem linken Fuß einen brennenden Schmerz und sah nach unten. Der grüne Pa pierüberschuh und der Tennisschuh waren über dem kleinen Zeh auf geschlitzt. Die Stelle färbte sich langsam rot. »Ich bin getroffen, Eric!« Motzkins Stimme klang bemitleidenswert. »Verflucht, mich hat's am kleinen Zeh erwischt.« »Kümmern Sie sich um Dr. Motzkin!« wandte sich Lake an Cho. Dann drehte er sich zu Trask. »Es kann sich jetzt nur noch um Mi nuten handeln, bis die Operation beendet ist, Trask. Lassen Sie diesen Reporter in Ruhe! Er ist allein und ungefährlich. Er will nur Ihre Ge schichte. Warum reden Sie nicht mit ihm?« Cho desinfizierte die Wunde an Motzkins Zeh und legte einen Ver band an. »Tut's sehr weh, Doc?« Motzkin machte eine nichts sagende Handbewegung. Er war von je her sehr empfindlich, doch jetzt hatte er den ersten Schreck überwun 173
den. »Nein, nein. Ich muß auf meinen Platz zurück und die Geräte prüfen.« »Trask, hören Sie auf mich!« begann O'Boyle von neuem. »Achtung, ich komme jetzt an die Öffnung!« Vom Operationssaal aus konnte man bereits sein blondes Haar und sein bleiches Gesicht sehen. »Ich habe hier ein Bandgerät, Trask. Mit meiner Hilfe können Sie der Welt eine Botschaft übermitteln. Außerdem werde ich dafür sorgen, daß niemandem was geschieht. Die Polizei garantiert freien Abzug …« O'Boyle redete um sein Leben. Trask zögerte. Er hörte Stimmen im Korridor. Sofort machte er Rashid ein Zeichen, mit ihm den Platz zu wechseln. Sollte es de nen da draußen einfallen, in den Operationsraum einzudringen, war es besser, wenn Rashid mit der automatischen Waffe an der Tür stand.
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hief Reinhold, der sich in der Nähe des Wasserspenders im Korri dor aufgehalten hatte, hörte die Schüsse. Er war überrascht. Der Polizeichef hatte nicht erwartet, daß die Terroristen auf den Reporter schießen würden. Er rannte zur Tür. Noch im Laufen zog er seinen Colt. Etwa ein halbes Dutzend Män ner in grüner Operationskleidung oder weißen Arztmänteln erreich ten gleichzeitig mit Reinhold die verbarrikadierte Tür. »Aha, Stades Armee ist im Anmarsch!« spottete Reinhold. »Stecken Sie die Waffe weg, Chief!« befahl Lief ihm. Die FBI-Agenten hatten Pistolen oder Revolver in der Hand, mach ten jedoch keine Anstalten, den Operationssaal zu stürmen. Reinholds Gesicht zuckte. »Einen Dreck werde ich tun!« keuchte er. »Ich geh' jetzt rein. Wer kommt mit?« 174
Lief beachtete ihn gar nicht. Er legte das Ohr an die Tür. »John?« rief er. »Können Sie mich hören? Warum haben Sie geschossen?« Knappe fünfzehn Meter weiter stand Olmedo in einer Mauernische. Jetzt entsicherte er seinen Karabiner und schlich an der Wand entlang bis zum Hauptkorridor. Dort wartete er mit angehaltenem Atem und horchte. Olmedo kamen Zweifel. Sollte der Plan von Trask doch nicht aufge hen? Plante das FBI einen Überfall auf den Operationssaal und nahm dabei selbst den Tod Unschuldiger in Kauf? Vor der Tür zum Operationssaal standen jetzt sieben Männer in Operationskleidung oder Arztmänteln. Nur einer trug eine blaue Po lizeiuniform. Olmedo zog sich vorsichtig wieder zurück. Mit einem oder zwei Polizisten wäre er wahrscheinlich fertig geworden, doch ge gen sieben bewaffnete Männer hatte er keine Chance. »John? John Trask«, hörte Olmedo einen Polizeibeamten rufen. »Was ist bei euch los? Wer hat geschossen?« Ein FBI-Agent mit Funksprechgerät gab Instruktionen weiter: »Be fehl von Stade! Auf keinen Fall reingehen.« »Laßt uns in Ruhe!« ertönte in diesem Augenblick Trasks Stimme aus dem Operationssaal. »Verschwindet, oder wir erschießen eine Gei sel nach der anderen. Bisher ist niemand verletzt. Ein Gewehr ist aus Versehen losgegangen.« »Stade will, daß wir in der Nähe der Tür bleiben«, flüsterte der Mann mit dem Funkgerät. »Er meint, die da drinnen könnten die Nerven verloren haben.« »Ist wirklich alles in Ordnung, John?« rief Lief. »Wir wollen Beweise!« Plötzlich wurde der Pappkarton vom Fenster gerissen. Ein dunkel häutiger Mann in Operationskleidung zerrte Cho, den Koreaner, an die Scheibe und drückte ihm die Mündung eines Karabiners unter das Kinn. »Der ist als erster dran, wenn ihr nicht verschwindet!« kam Trasks Stimme aus dem Operationsraum. Seine Stimme wurde laut. »Los, haut endlich ab! Zieht Leine! Lake, sagen Sie diesen Idioten, daß nie mand verletzt ist!« 175
Im Hintergrund tauchte Dr. Lakes Gesicht auf. »Es ist alles in Ord nung. Uns ist nichts passiert!« rief er. Im nächsten Moment wurde das Fenster wieder von innen verschlos sen. Lief sah Reinhold an. »Wieso haben die bloß geschossen! Sie sind doch ganz in der Nähe gewesen. Haben Sie was gehört?« »Nein. Ich bin erst durch die Schüsse aufmerksam geworden.« Insge heim verfluchte Reinhold den Reporter. Wo war O'Boyle? Wie weit war er überhaupt gekommen? Möglicherweise hatte es ihn längst erwischt. Irgend jemand würde ihn dann aus dem Schacht herausholen müssen. Oder hatte der Bursche vielleicht bereits einen Handel mit den Terro risten geschlossen? »Okay, ihr könnt den Mann wieder loslassen!« rief Lief. »Wir räu men das Feld.« Im Operationssaal ließ Rashid Cho los. Der Koreaner hatte gerade den Narkosewagen erreicht, als ein dumpfes Poltern alle erschreckte. O'Boyle hatte mit einem Fausthieb das alte verrostete Metallgitter aus der Verankerung geschlagen. Es fiel in den Operationssaal hinun ter und krachte auf den Boden. »He, was soll der Unsinn!« rief Lake aufgebracht. »Hier drinnen muß alles steril sein! Flor, kehr den Schmutz zusammen.« O'Boyle hielt das Tonbandgerät aus der Öffnung. »Sie sind dran, Trask. Fangen Sie an!« Trasks Augen begannen zu leuchten. »Wie schnell kann das gesen det werden?« »Sobald Sie fertig sind, fahre ich ins Studio. Das dauert knapp zehn Minuten. Wir unterbrechen das Programm und bringen Ihre Bot schaft.«
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ir wissen nicht, was wir davon halten sollen«, berichtete Stade in Rockewicz' Büro. »Es sind drei oder vier Schüsse gefallen, aber niemand ist verletzt worden. Davon konnten wir uns überzeugen. Sie haben den jungen Koreaner ans Fenster gezerrt und mit dem Karabi ner bedroht.« »Steve, ich verlange, daß Sie Eric da rausholen!« warf Martha Lake ein. »Klar, Martha. Nur Geduld!« Stade nahm Rockewicz beiseite. »Irgend etwas ist da faul. Es ist merk würdig, daß dieser Reinhold sofort zur Stelle war, als die Schüsse fie len. Er hat trotz ausdrücklichen Verbots die Chirurgie betreten …« »Mein Gott, das alles ist doch Irrsinn!« sagte Martha Lake und ging auf Stade zu. Stade stand am Fenster und sah auf die Übertragungswa gen des Fernsehens und die Menge der Schaulustigen hinunter. Ein Po lizeibeamter stritt sich lautstark mit einem Farbigen im Hof des Kran kenhauses. Cardone telefonierte erneut mit Gallatin. »Sieben Millionen?« frag te er und ging nervös mit dem Telefonapparat in der Hand im Zim mer auf und ab. »Mehr bringen wir bis zum Ablauf der Frist beim besten Willen nicht zusammen«, erklärte Gallatin am anderen Ende. »Wir könnten die restliche Summe in kleinen Scheinen aufbringen, aber dazu brau chen wir Zeit. Wir können die Frist dann nicht einhalten.« Cardone warf einen Blick auf seine Uhr. Es war elf Uhr 28. »Gut. Wie lange brauchen Sie, wenn wir auch kleine Scheine nehmen?« »Vielleicht noch vierzig Minuten«, antwortete Gallatin. »Sie müssen diese Leute hinhalten. Soviel ich mich erinnere, ist mit den Japanern 177
in Holland tagelang verhandelt worden. Warum müssen wir eigentlich so schnell …« »Steht der Hubschrauber bereit?« unterbrach Cardone den Finanz direktor. »Ja. Er kann jede Minute starten.« Cardone drehte sich um. Martha Lake blickte ihn verächtlich an. Er hatte Verständnis für ihre Gefühle, aber warum mußte sie sich ausge rechnet ihn als Opfer aussuchen? War er schuld an diesem Dilemma? »Wenn wir also auf die volle Summe warten, kann der Hubschrauber kaum vor halb eins hier sein, stimmt's?« »Vielleicht wird's sogar noch später.« »Ich weiß nicht, was ich machen soll. Diese Leute sind vollkommen unberechenbar. Sie könnten …« Er verstummte, als er sah, daß die Frau des Chirurgen auf ihn zukam. »Die Kerle werden sich kaum die Mühe machen, das Geld im Kran kenhaus nachzuzählen«, entgegnete Gallatin. »Warum übergeben wir ihnen nicht einfach die Summe, die wir bis jetzt haben? Dann kön nen wir die Frist einhalten. Sie wollen doch sicher so schnell wie mög lich abhauen. Wir brauchen dann nur noch die Garantie, daß sie Mr. Tench wohlbehalten im Krankenhaus zurücklassen.« »Gut«, stimmte Cardone zu. »Machen wir's so. Es genügt, wenn der Hubschrauber um zwölf Uhr hier ist. Schicken Sie uns, was Sie bis da hin auftreiben können. Sobald Mr. Tench in Sicherheit ist, können wir weitersehen.« »Haben Sie Probleme mit dem Lösegeld?« erkundigte sich Martha Lake bei Cardone. Ihre Frage kam hart, schneidend. »Ja. Ich habe angeordnet, daß die Bank alles schickt, was sie bis zwölf Uhr auftreiben kann. Hauptsache, Mr. Tench übersteht diesen Alp traum.« »Nur Mr. Tench?« fragte Martha Lake, über Cardone maßlos schok kiert. »Das ist wohl alles, was Sie interessiert? Die Terroristen werden Mr. Tench hier lassen und meinen Mann als Geisel mitnehmen. Und dann zählen Sie das Geld und entdecken, daß es zu wenig ist. Was wol len Sie dann unternehmen, um meinen Mann zu retten?« 178
»Alles, was in meiner Macht steht, Mrs. Lake.« Cardone machte ei nen Schritt rückwärts. »Ich will Ihnen mal was sagen, Mr. Cardone«, sagte Martha Lake gefährlich leise. »Mr. Stade und Mr. Rockewicz rechnen auch mit der Möglichkeit, daß sich die Geiselnehmer den Fluchtweg sichern, indem sie Mr. Tench in einem Krankenwagen mitnehmen. Ich hoffe instän dig, daß das auch tatsächlich geschieht. Mein Mann ist mehr wert als fünfzig Mr. Tenchs. Und falls ihm etwas zustößt, weil Sie oder das FBI oder irgend jemand anderer nur daran interessiert ist, den Tench-Kon zern zu retten, werden Sie es bitter bereuen.« Cardone fand darauf keine Antwort. Die Werteinschätzung eines Menschen war eine subjektive Angelegenheit, von welcher Seite man hier eine Einschätzung vornahm. Cardone verdankte Walker Tench seine Kariere, und Eric Lake war er nie begegnet. Es war keine leichte Aufgabe, diese Frau … und auch sich selbst davon zu überzeugen, daß er für alle nur das Beste wollte.
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ake legte das eine Ende des Transplantats neben den Einschnitt in der Circumflexa. Für kurze Zeit hatte das Leben von Walker Tench an einem seidenen Faden gehangen. Das menschliche Herz reagierte auf so schwere Eingriffe, wie Lake sie ausführte, äußerst empfindlich. Hier war eine der Grenzen der Gefäßchirurgie erreicht, diese zu über schreiten den sicheren Tod des Patienten herbeigeführt hätte. Die mei sten Chirurgen würden es nie wagen, diesen ›Bypass‹ an einer intra mularen Arterie einzusetzen. Ich habe wieder einmal Glück gehabt, dachte Lake. Aber wie oft wür de so etwas gut gehen? Licata hatte bereits damit begonnen, den gesunden Teil der Arterie 179
mit dem Venenstück zu verbinden. Seine Hände arbeiteten erstaunlich schnell und geschickt. Während die drei Chirurgen, die Köpfe tief über das Operationsfeld gebeugt, fieberhaft arbeiteten, hatte sich Trask unter den Entlüftungs schacht gestellt und diktierte O'Boyle seine Botschaft an die Mensch heit ins Mikrophon des Tonbandgeräts. »Die Imperialisten lügen!« rief Trask emphatisch aus. »Wir, die ›Elenden dieser Welt‹, werden die Macht an uns reißen, die Unterdrücker vernich ten! Wir haben Banken in die Luft gesprengt und ausgeraubt! Jetzt setzen wir den Krieg mit Geiselnahmen unter den Imperialisten und Revanchi sten fort! Tench ist nur der erste von vielen, die ihm folgen werden. Die Armeen bezahlter Killer können uns nicht aufhalten. Eines Tages werden sämtliche Produktionsstätten nur noch zugunsten der Armen und Ärm sten funktionieren. Kein einziges Kind wird in Indien mehr sterben müs sen, wenn erst die Walker Tenchs dieser Erde eliminiert sind …« »Muß er diesen Unsinn ausgerechnet hier loswerden? Mir wird übel!« flüsterte Licata. »Wir werden unsere Waffen nur gegen diejenigen richten, die sich uns in den Weg stellen. Ansonsten ist uns jede Hilfe im revolutionären Kampf für das Glück der Menschheit willkommen!« »Großartig, Baby«, lobte O'Boyle. »Sonst noch was?« »Wenn Sie meine Meinung interessiert«, begann Licata. »Von mir aus kann der Typ ins Gras beißen, und zwar schnell.« »Jack!« warnte Mihrab den Kollegen erschrocken. In diesem Augenblick klingelte das Telefon. Rashid hob ab. Es war Cardone. Er wollte mit Trask sprechen. Rashid hielt Trask den Hörer hin. Doch Trask beendete seine Rede und ließ sich von O'Boyle noch einmal versichern, daß seine Botschaft so schnell wie möglich über alle Rundfunkstationen gesendet würde. O'Boyle sah zu Lake hinüber. »Es war mir ein Vergnügen, Doktor Lake. Vielleicht mache ich mal ein Interview mit Ihnen. Okay?« Lake nickte. »Sagen Sie meiner Frau, daß es mir gut geht.« »Wird gemacht.« O'Boyle verschwand auf demselben Weg, auf dem er gekommen war. 180
Trask nahm den Telefonhörer. »Das Geld ist gezählt und verpackt«, verkündete Cardone. »Haben Sie die volle Summe aufgetrieben?« »Deshalb rufe ich an. Ich muß Sie bitten, uns etwas mehr Zeit zu las sen …« »Wie lange?« »Sagen wir eine Stunde?« »Nein. Wir werden unseren Zeitplan einhalten. Wir verhandeln nicht.« »Hören Sie, Sie müssen uns etwas Spielraum lassen. Wir haben be reits sieben Millionen in Hunderterscheinen, den Rest …« »Sie versuchen nur Zeit zu schinden, um uns eine Falle zu stellen!« unterbrach Trask ihn. »Sie irren sich, John! Wir …« »Vor kurzem sind draußen im Korridor 'ne ganze Menge Polypen aufgetaucht. Wir mußten Ihnen erst beweisen, wie ernst es uns ist, be vor sie abgezogen sind. Sie haben keine Wahl, Cardone.« »Gut. Wir schicken Ihnen bis zwölf Uhr zwölf jeden Dollar, den wir auftreiben können. Ich versichere Ihnen, daß sie weder verfolgt noch in irgendeiner Weise angegriffen werden. Voraussetzung dafür ist al lerdings die Freilassung von Mr. Tench …« Cardone spürte Martha Lakes bohrenden Blick. »… und von allen übrigen Geiseln.« »Die Forderungen stelle ich!« Trasks Stimme bebte. »Sie und die an deren Imperialisten scheinen noch nicht begriffen zu haben, daß euer Ende nah' ist!« »Hören Sie, John!« sagte Cardone hastig. »Sie bekommen alles Geld, das wir auftreiben können. Das ist ein Vermögen. Dafür müssen Sie Tench freilassen. Und die anderen natürlich auch …« »Ich verstehe nur, daß es eine Verzögerung geben wird. Sie hecken mit dem FBI irgendeine Gemeinheit aus. Cardone, bleiben Sie am Ap parat. Ich lege den Hörer ab.« Er lachte heiser. »Ich möchte Ihnen de monstrieren, daß ich meine, was ich sage. Warten Sie!« Lake hatte inzwischen die Vene mit der Arterie verbunden, strich 181
sie vorsichtig glatt und führte das noch offene Ende zur Aorta, wo er es gut zwei Zentimeter unterhalb des ersten Transplantats befestigen wollte. Auf diese Weise floß Tenchs Blut direkt vom Transplantat in den gesunden Teil der Arterie und unter Umgehung des kranken Ge fäßteils weiter in die linke Herzkammer. Eric Lake atmete etwas erleichtert auf. Trask legte den Hörer zur Seite, ging zu Motzkin und richtete die Waffe auf den Anästhesisten. Flor schrie erschrocken auf. »Was wollen Sie?« fragte Motzkin. »Lassen Sie ihn in Ruhe!« kam es scharf von Lake. »Trask, ich rede mit Cardone! Aber legen Sie die Waffe weg!« »Jetzt langt's mir aber!« zischte Licata. »Los, macht Platz! Es ist mir egal, wenn sie Tench …« »Nein, Jack!« flüsterte Mihrab. »Bleibt auf euren Plätzen!« befahl Lake. »Trask …!« Doch Trask hatte sich gebückt und versuchte, den Stecker am Kabel der Herz-Lungen-Maschine aus der Wand zu ziehen. Rashid, der wie der seinen Platz auf der Galerie eingenommen hatte, schwenkte den Lauf seiner Waffe langsam hin und her. »Eric, er versucht die Pumpe abzuschalten!« »Los, zieh die Vene straff. Wir können nähen!« sagte Lake heiser. Trask zerrte ungeduldig am Stecker, der, wie Motzkin wußte, eine doppelte Sicherung besaß. Man mußte ihn erst bis zum Anschlag nach links drehen, bevor man ihn herausziehen konnte. Schließlich gab Trask auf und steckte die Mündung seines Revolvers in Motzkins Ohr. Motzkin glaubte sein Blut rauschen zu hören. »Na gut. Ich habe keine andere Wahl«, murmelte er. Motzkin hatte den brennenden Schmerz in seinem Zeh vergessen, als er sich auf einem Knie vor der Steckdose niederließ. Angstschweiß brach ihm aus. Es faßte den Stecker und versuchte, ihn nach links zu drehen, doch er rührte sich nicht. Motzkins Hände zitterten. »Cho!« rief er. »Hilf mir mal!« Der Assistent kam vom Sauerstoffgerät herüber, drehte den Stecker kräftig nach links und zog ihn heraus. 182
»Er ist draußen!« sagte Licata. »Die Pumpe steht still.« Die Herz-Lungen-Maschine erzitterte, hörte dann auf zu arbeiten. Tenchs Blutkreislauf war unterbrochen. »Oh, bitte, schalten Sie die Maschine wieder ein!« flehte Sally. Trask richtete den Revolver auf Lake. »Los, gehen Sie ans Telefon und sagen Sie Cardone, was ich gemacht habe.« »Tun Sie es doch selbst!« »Der Mann auf dem Tisch hat genau vier Minuten zu leben«, entgeg nete Trask. »Das haben Sie selbst gesagt. Wenn er abkratzt, ist das nicht meine Schuld. Das haben sich dann diese Bullen da draußen, Cardo ne … und Sie mit Ihrem Dreihundertfünfzigtausend-Dollar-Jahresge halt zuzuschreiben. Das würde auf Ihre Rechnung gehen, Lake! Sie ge hören zum korrupten System. Los, sagen Sie's ihnen!« »Tu, was er sagt, Eric«, flüsterte Licata. Lake zögerte. Seine Augen schleuderten Blitze. »Gut, Trask, aber dann halten Sie mir den Hörer. Ich muß keimfrei bleiben. Sie wollen doch auch, daß wir hier endlich fertig werden, oder?« Trask gehorchte. »Hier spricht Dr. Lake«, meldete sich der Chirurg. »Sie haben die Herz-Lungen-Maschine abgestellt. Wir haben ungefähr vier Minuten Zeit, dann kommt jede Hilfe für Tench zu spät. Gehen Sie auf die Forderungen der Männer ein, wenn Sie Tenchs Leben ret ten wollen.« »Ich habe mich ja bereits mit allem einverstanden erklärt!« entgegne te Cardone erregt. »Um Himmels willen, Doktor! Bringen Sie ihn zur Vernunft!« Trask nahm den Hörer. »Cardone!« »Ich tue alles, was Sie wollen!« »Na, also! Warum nicht gleich so? Das sollte Ihnen eine Lehre sein, Cardone. Wir sind keine unbedeutende Randgruppe, keine hilflosen Amateure oder radikalisierte Geisteskranke, wie das FBI behauptet. Wir haben Macht! Und wir wissen sie zu gebrauchen. Wie lange haben wir noch, Dr. Lake?« »Eine … vielleicht eineinhalb Minuten«, antwortete der Arzt. »Okay. Hören Sie, Cardone, das Revolutionskomitee schenkt Tench 183
das Leben. Wir nehmen hiermit Ihre Kapitulation und ihr Verspre chen, die Reparationszahlungen in voller Höhe zu leisten, zur Kennt nis. Das alles wird veröffentlicht und über Funk und Fernsehen aus gestrahlt werden, damit unsere Brüder von unserem Triumph erfah ren.« »Geben Sie Tench eine Chance«, erwiderte Cardone erschöpft. »Hat er den Bauern Vietnams, den arabischen Dorfbewohnern in Palästina, hat er Che Guevara eine Chance gegeben?« Lake griff nach dem Telefonhörer. »Jetzt langt's, Trask. Der Mann hat sich mit allem einverstanden erklärt. Ich lasse es nicht zu, daß Sie einen meiner Patienten töten.« Damit riß er Trask den Hörer aus der Hand. »Wenn die Operation beendet ist, können Sie meinetwegen stundenlang Reden halten!« Trasks Kopf zuckte. »Ich warne Sie, Doktor!« »Vor Ihnen habe ich keine Angst … und vor dem Burschen auf der Galerie auch nicht. Ich möchte meine Arbeit tun. Wenn Sie uns unbe dingt erschießen wollen, dann bringen Sie's hinter sich. Das wäre dann allerdings wohl das Ende Ihrer Revolution.« »Sie gehen zu weit, Mann!« zischte Trask. Lake beachtete ihn gar nicht. »Cardone? Eric Lake, hier. Keine Angst, die Herz-Lungen-Maschine wird sofort wieder angestellt.« Licata berührte Tenchs Schenkel. Er war kalt. Ein gutes Zeichen. Je niedriger die Körpertemperatur, desto weniger Blut und Sauerstoff braucht der Mensch. Die vier Minuten waren vorüber. Bei der augen blicklichen Körpertemperatur konnte Tench noch weitere vier Minu ten überleben, jedoch hatten sie nur noch eine Minute Zeit, um einen irreversiblen Gehirnschaden auszuschalten. Im Raum war es still. »Okay. Alle bleiben an ihren Plätzen.« Trask stieß Lake den Revolver in die Seite. »Gehen Sie zum Tisch zurück. Motzkin, schalten Sie die Maschine wieder an!« Motzkin griff sofort nach dem Stecker und versuchte, ihn in die Buchse zu stecken. Es gelang ihm nicht. Die Hände des Anästhesisten zitterten. »Da stimmt was nicht«, keuchte er. 184
»Was soll nicht stimmen?« erkundigte sich Lake, der bereits begon nen hatte, die Vene mit der Aorta zu verbinden. »Ein Pol ist verbogen! Der Stecker geht nicht rein!« jammerte Motz kin. »Dann bieg das Ding wieder gerade!« »Das kann ich nicht!« entgegnete Motzkin. »Der Pol ist völlig hin über!« Cho kam ihm mit einer Pinzette zu Hilfe. Gemeinsam versuchten sie den Stecker zu reparieren. Alle hielten den Atem an. Flor begann lei se zu weinen. Das Zischen des Sauerstoffgeräts klang fast wie Tenchs letzter Atemzug. Cho stocherte mit der Pinzette am Stecker herum. Plötzlich hielt er in der einen Hand die Pinzette und in der anderen den Stecker. In der Pinzette blitzte ein kurzer Metallstab. Cho hatte einen Pol aus dem Stecker gerissen. »Tun Sie doch etwas, verdammt noch mal!« brauste Trask wütend auf. »Dafür sind Sie jetzt verantwortlich!« Licata sah auf. Er und Lake nähten die Vene an die Öffnung in der Aorta. »Eric? Jetzt sind wir dran.« Lake antwortete nicht. Die Adernklemmen und der chirurgische Fa den vibrierten, als er winzige Knoten machte. »Er stirbt!« schrie Trask. »Das ist Absicht! Wenn er abkratzt, seid Ihr alle dran!«
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chmutzverklebt ließ sich O'Boyle aus dem Schacht auf den Tisch gleiten. Der grelle Strahl einer Taschenlampe blendete ihn. Chief Reinhold erwartete ihn bereits. »Sie verdammter Lügner!« 185
Zwei von Reinholds Männern standen im Hintergrund. Sie waren bewaffnet. Reinhold packte den Reporter am Arm und schüttelte ihn. »Sie ha ben mich ganz schön reingelegt! Sie haben jetzt Ihre Story. Und was habe ich?« O'Boyle riß sich los. »Was soll das? Wovon reden Sie überhaupt?« Er klopfte sich den Staub ab. »Ich habe versucht, sie zur Aufgabe zu über reden, aber dieser Trask ist komplett verrückt. Er wollte nur 'ne Rede halten!« »Jetzt werd' ich mal 'ne Rede halten, Bürschchen!« rief Reinhold heiser vor Wut und packte O'Boyle erneut bei den Armen. »Ich will die Filme, das Tonband … alles! Olenik, nimm ihm die Kamera weg!« »Lass die Pfoten von meiner Ausrüstung!« zischte O'Boyle und wir belte zu Olenik herum. Gleichzeitig schüttelte er Reinholds Griff ab. »Oh, Mann! Reinhold, Sie sitzen tiefer im Dreck, als Sie ahnen.« »Sie drohen mir?« Reinhold lief rot an. »Wenn Sie mich daran hindern sollten, dieses Filmmaterial mei nem Sender zu überspielen, Reinhold, dann werden Sie den Rest Ih res Lebens als Nachtwächter zubringen! Sie haben mir bei dieser Akti on Schützenhilfe geleistet! Sie haben wissentlich die Arbeit des FBI be hindert! Das ist strafbar, Mann. Ich bin Journalist und habe die Pflicht, die Öffentlichkeit zu informieren. Aber Sie sind Ihren Stern los, sobald der Chef des FBI von Ihren Machenschaften erfährt!« Reinholds Hände zuckten. Er erkannte, daß er diesem mit allen Was sern gewaschenen Journalisten unterlegen war. »Okay, O'Boyle«, sagte er schließlich. »Ist jemand im OP verletzt?« »Ein Arzt hat eine kleine Fußverletzung, das ist alles. Zwei bewaff nete Männer halten das Ärzteteam in Schach. Der eine ist Trask, der andere ist ein Araber. Der Araber hat vier Schüsse abgegeben … und meine Kamera getroffen. Zum Glück ist der Film okay.« »Hören Sie, O'Boyle. Ich halte es für besser, wenn wir zu Stade vom FBI gehen und Sie ihm die ganze Geschichte erzählen.« »Klar, Chief. Ich bin doch ein anständiger Staatsbürger, oder? Aber 186
zuerst muß ich mal meinen Kurier finden.« In der Eingangshalle der Klinik traf O'Boyle schließlich sein Aufnahmeteam. Die Tonbandkas sette und der Film wurden von einem motorisierten Boten sofort ins Fernsehstudio gebracht. Seinen Kommentar wollte O'Boyle während der Sendung per Telefon durchgeben. Schließlich machten sich O'Boyle und Reinhold auf den Weg zu Sta de. Reinhold war wütend auf sich selbst. Er hatte sich von einem Re porter täuschen lassen und war jetzt auch noch gezwungen, vor dem FBI Farbe zu bekennen. Die Sache war gründlich schiefgegangen. Es stand viel für ihn auf dem Spiel.
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'Boyle schilderte Stade ausführlich sein Unternehmen. Cardone, Rockewicz und Martha Lake hörten schockiert zu. Sie erfuhren, daß das Operationsteam unverletzt war, daß lediglich Motzkin eine leichte Wunde am Fuß davongetragen hatte. Der FBI-Agent stand auf. »Mann, Sie haben Nerven. Ich könnte Sie wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt und vorsätzlicher Gefähr dung fremden Lebens verhaften.« »So was würden Sie doch nicht tun«, entgegnete O'Boyle freundlich. »Schließlich kann ich Ihnen helfen. Sie wissen jetzt, daß nur zwei be waffnete Männer im OP sind. Ich kann mit Trask verhandeln. Er ver traut mir. Warten Sie, bis er sich im Radio hört. Vielleicht bringen wir ihn doch noch dazu aufzugeben.« »Wie geht es Dr. Lake?« wollte Martha wissen. »Gut. Er hat nicht mal mit dem kleinen Finger gezuckt, als die Schüs se gefallen sind. Allerdings hat der Araber auf mich gezielt.« O'Boyle machte eine Pause. Er wollte nicht zuviel erzählen, vor allem Reinhold nicht in die Sache hineinziehen. 187
»Woher haben Sie überhaupt von diesem Entlüftungsschacht gewußt, und wie sind Sie da hineingekommen?« fragte Stade prompt. »Aber, Mr. Stade«, wehrte O'Boyle lächelnd ab. »Sie wissen doch, daß wir unsere Informanten nie preisgeben.« Stade wies Harris sofort an, sämtliche Zugänge zu den Entlüftungs schächten bewachen zu lassen. Es war nicht ausgeschlossen, daß die Terroristen versuchten, die Schächte als Fluchtweg zu benutzen. »Wenn Sie mich brauchen, Mr. Stade, Anruf genügt. Ich bleibe ihnen erhalten«, versprach der Reporter. »Vergessen Sie nicht, ich könnte als Vermittler auftreten. Diese Leute bringen keine Reporter um.« »Nein«, stimmte Rockewicz zu, »sie missbrauchen sie nur für ihre Zwecke.« O'Boyle lächelte undurchsichtig. »Was ist schon dabei? Wir leben im Zeitalter der Elektronik. Jeder möchte mal ein Fernsehstar sein. Auch schwerbewaffnete Geisteskranke.«
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r stirbt, oder?« schrie Trask erregt. »Was ist, Eric?« fragte Licata. »Können wir?« »Sekunde«, wehrte Lake ab. »Tench ist schön unterkühlt. Das Ab schalten der Pumpe hat ihm nicht viel ausgemacht«, sagte Lake leise. »Hoffentlich«, flüsterte er, mehr zu sich selbst. »Was ist los? Ich verstehe Sie nicht!« brüllte Trask. »Ist er schon tot? Lake, ich warne Sie! Sie sind für uns genauso viel wert wie Tench.« »Du hast ihn völlig aus der Fassung gebracht, Eric«, flüsterte Mihrab. »Vielleicht sollten wir jetzt …« »Mach dich an die Arbeit, Jack!« befahl Lake. Trask war an den Operationstisch getreten und starrte fassungslos auf Tenchs lebloses Herz. Sein Gesicht zuckte. 188
Licata ging zur Herz-Lungen-Maschine. »Wie geht's deinem Fuß, Alan?« erkundigte er sich. »Nicht schlecht. Ich habe kaum Schmerzen. Daran ist vermutlich die spannende Unterhaltung schuld, die ich hier gratis geliefert bekom me.« »Wahrscheinlich.« Licata zwinkerte Motzkin zu. »Was machen Sie da?« fuhr Trask Licata an und fuchtelte mit der Waffe herum. »Gehen Sie auf Ihren Platz zurück. Das ist ein übler Trick.« Rashid richtete jetzt den Karabiner auf Licata. »Zum Teufel mit Ihnen und dem ganzen revolutionären …« »Bleiben Sie von John weg!« rief Rashid scharf. Flor zuckte beim harten Ton des Arabers zurück und stellte sich mit dem Rücken zur Wand. »Halt's Maul!« entgegnete Licata ungerührt, bückte sich und zog eine Handkurbel unter der Herz-Lungen-Maschine hervor. »Zurück!« zischte Trask. »Angst?« erkundigte sich Licata in einem unverschämten Ton. »Ich hätte tatsächlich große Lust, Sie damit …« »Wirf die Maschine an, Jack!« befahl Lake energisch.
»James, für die volle Summe reicht es nicht. Es fehlen ungefähr drei Millionen«, erklärte Gallatin. »Dann ist es eben nicht zu ändern. Schicken Sie das Geld per Hub schrauber zur Klinik.« Die Entscheidung war gefallen. Cardone war zu der Einsicht gelangt, daß die Geldübergabe unter allen Umständen zur festgesetzten Zeit, um zwölf Uhr zwölf, stattfinden mußte. Trask war für Vernunftgründe oder Kompromisse nicht zugänglich. Das Material, das das FBI über den Mann besaß, war aufschlussreich genug. Nachdem Cardone Gallatin noch eine Pressemitteilung diktiert hat te, die klarstellen sollte, daß die Lösegeldsumme lediglich das Famili 189
envermögen, nicht aber das Aktienkapital des Tench-Konzerns bela ste, legte er auf. Er wandte sich an Rockewicz. »Wir dürfen doch wohl annehmen, daß die Herz-Lungen-Maschine inzwischen wieder arbei tet, oder?« »Ich denke schon. Es gehört schließlich nicht mehr dazu, als den Stecker in die Anschlußbuchse zu stecken«, erwiderte Rockewicz. Rockewicz hörte, wie Martha Lake im Vorzimmer die tränenlos schluchzende Mrs. Baggs zu beruhigen versuchte. Er hatte vergeblich versucht, mit ihr zu reden. Die Gedanken des Verwaltungsdirektors eilten voraus. Wen ließ man frei? Wer überlebte? Würden sie den frisch operierten, von In fusionen abhängigen Tench in seinem labilen Zustand als Geisel mit nehmen?
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abt ihr etwas auf dem EEG?« erkundigte sich Lake. »Cho!« rief Motzkin barsch. »Ja … ja, natürlich.« Cho schaltete schnell das Gerät ein. Lichtströme flackerten über den Bildschirm. Licata betrachtete die Hirnstromkurven. »Er lebt, Eric. Aber ganz einwandfrei sieht das nicht aus.« »Immerhin, er lebt!« rief Trask. »Sehen Sie zu, daß er auch am Le ben bleibt!« Licata setzte die Kurbel an den Motor der Herz-Lungen-Maschine an und prüfte den Verschluss. »Wie lange wirst du sie brauchen, Eric?« fragte Licata. »Schwer zu sagen. Fünfzehn Minuten … vielleicht auch weniger.« »Die Maschine kann also mit der Hand betrieben werden«, bemerk te Trask. »Warum habt ihr damit so lange gewartet? Ihr bringt ihn um. 190
Das ist eure Schuld. Wenn ihm was passiert, ist euer Leben keinen Pfif ferling mehr wert.« Licata warf die Kurbel an. Der Motor ließ sich nur schwer in Gang bringen. Er spürte den Widerstand bis in die Schulter hinauf. Endlich gelang es ihm, die Herz-Lungen-Maschine in Gang zu setzen. Lica ta wußte, daß ihm eine schwere Viertelstunde bevorstand. Am besten hatte Jimmy Baggs die Maschine manuell in Gang halten können. »Das machst du großartig, Alan«, lobte Motzkin. »Ein Glück, daß du da bist. Ich hätte das nie geschafft.« »Ich auch nicht«, stimmte Mihrab zu. Motzkin beobachtete den Mo nitor für den arteriellen Blutdruck. »Wie sieht's aus, Alan?« erkundigte sich Licata. »Momentan sind wir bei fünfzig.« »Und du willst vermutlich siebzig, oder?« »So ungefähr«, erwiderte Motzkin. Licata ließ sich auf die Knie nieder. Bei jeder Umdrehung schmerz ten seine Kniescheiben. Schweiß rann ihm über die Stirn und in die Augen. »Kannst du mein Gesicht abwischen, Flor?« bat er keuchend. Flor trat neben ihn. Licata atmete schwer. Ein feiner Duft parfümier ter Seife ging von Flors Händen aus. Nein, dachte er energisch, keine unanständigen Gedanken. Nicht schon wieder. »Du bist bei sechzig«, berichtete Motzkin. Mit der Disziplin eines kraftvollen Athleten drehte Licata rhyth misch die Kurbel. Er brauchte dazu die ganze Kraft seiner Muskeln. »Großartig«, lobte der Anästhesist. »Der Blutkreislauf ist okay!« Der Schlauch, der von der Herz-Lungen-Maschine zur Beinschlag ader des Patienten führte, füllte sich zusehends und pulsierte. »Kannst du versuchen, den arteriellen Druck auf siebzig zu erhö hen?« Licata drehte die Kurbel schneller. »Eric, bist du sicher, daß du die Maschine eine Viertelstunde brauchst?« Lake ignorierte die Frage. Er hob mit Mihrab die Aorta hoch und deutete auf die Stelle, an der er die Vene mit der Aorta verbinden woll te. 191
Licatas Körper schien inzwischen mit der Maschine eins geworden zu sein. Er bewegte sich und atmete im Rhythmus der Pumpen. Im stillen fragte er sich, wie lange er das durchhalten konnte. »Ich muß 'ne ganze Reihe von Drehorgelspielern in der Familie ha ben«, keuchte er. »Es scheint bei mir im Blut zu liegen, was Alan?« »Red' nicht soviel, Jack. Spar dir deinen Atem«, warnte Lake. »Ihr könnt damit beginnen, die Körpertemperatur langsam und gleichmä ßig zu erhöhen.« Lake und Mihrab nähten die Vene an die Aorta. Das Transplan tat war von einer Reihe Adernklemmen umgeben. Die grüne Näh seide mit den nadelspitzen Enden durchstach in schneller Folge die Gefäßwände. Winzige Knoten befestigten das Transplantat an der Aorta. »Wie lange brauchen Sie noch?« fragte Trask. Er saß wieder auf sei nem Hocker am Telefon, schien sich etwas beruhigt zu haben, war je doch noch immer mißtrauisch. »Fünfzehn Minuten vielleicht«, erwiderte Lake. »Anschließend dau ert es noch gut eineinhalb Stunden, bis der Patient in den Aufwach raum gebracht werden kann.« »Wann können Sie sagen, ob der Patient die Operation gut überstan den hat?« wollte Trask wissen. »Er wird sie überstehen«, entgegnete Lake und warf Mihrab einen warnenden Blick zu. Beide wußten nur zu gut, daß Tench noch längst nicht außer Lebensgefahr war. »Ihr Glück, Doktor. Wenn Tench was passiert …« Lake hörte ihm bereits nicht mehr zu. Mit Glück hat das nichts zu tun, du Idiot, dachte Lake. »Wie geht's Jack?« erkundigte sich Motzkin. »Brauchst du Hilfe?« »Nein, danke. Ich fühle mich großartig. Bumsen tue ich zwar noch lieber, aber man könnte sich glatt auch an das Kurbeln gewöhnen.« Flor überhörte diese Bemerkung, wandte Licata den Rücken zu und zählte die mit Blut getränkten Tupfer auf dem Beistelltisch. Während sich langsam ein dumpfer, stechender Schmerz von sei nen Schultern über Nacken und Rücken ausbreitete, wanderten Licatas 192
Gedanken zu einer anderen körperlichen Betätigung, die ihm ähnlich Kraft und Energie abverlangte. Wie viele Frauen hatte er im ›City Ge neral‹ in unbenutzten Umkleideräumen, Wäschekammern und Ab stellecken schon verführt? Schuldgefühle bedrückten Licata nicht. Es war immer ein Vergnügen, das war alles. Seine Eroberungen waren fast so etwas wie ein Aufputschmittel, ein amüsanter Zeitvertreib. Wer hatte je gelitten? Niemand. Und geblieben waren ihm äußerst ange nehme Erinnerungen. Mit einer Ausnahme: Flor. Flor, die geweint hat te. Flor konnte seither nie an ihm vorübergehen, ohne scheu den Kopf abzuwenden. Flor, das unschuldige Mädchen vom Lande. Diese Rolle hatte sie gespielt, bis er, Verführer und erster Assistenzarzt, seinen Tri but verlangt hatte. Die Gedanken an Flor waren kaum ermutigend; er verdrängte sie hastig. »Das hast du prima hingekriegt, Eric«, sagte Mihrab bewundernd. »Spart euch die Komplimente und arbeitet lieber schneller«, keuch te Licata. »Mein Arm fühlt sich an, als würde er jeden Augenblick ab fallen.« Lake betrachtete prüfend die beiden Transplantate. »Wir haben ge rade einen neuen OP-Rekord aufgestellt. Wir können stolz sein.« Sein Finger fuhr über den oberen ›Bypass‹. »Da ist noch ein Knick. Mihrab, hier sind ein paar Stiche nötig.« »Eric, du hast wirklich die Ruhe weg«, stöhnte Licata. Die Luft vor seinen Augen begann zu flimmern. »Sind Sie endlich fertig?« erkundigte sich Trask, der nervös zwischen Tür und Galerie auf und ab ging. »Ja, das wär's wohl«, seufzte Lake. »Noch ein Stich, dann haben wir's geschafft. Wie ist der Blutdruck?« »Hm … siebzig«, antwortete Cho. »Wie sieht das EEG aus?« »Hirnströme sind vorhanden.« »Wie ist die Urinausscheidung, Flor?« »Harnblase funktioniert normal«, antwortete Flor nach einem Blick auf den Urinbeutel. »Na gut. Sobald die Körpertemperatur normal ist, nehmen wir ihn 193
von der Maschine«, erklärte Lake. »Dann können wir gleich mal se hen, ob wir gute Arbeit geleistet haben.« »Warum nicht jetzt schon?« fragte Licata keuchend. Sein Arm fühl te sich schwer wie Blei an. Der Schmerz in der Schulter drohte uner träglich zu werden. Rashid sprach leise mit Mihrab auf Arabisch. Der zweite Assistenz arzt machte die letzten Stiche am Transplantat und hörte den weichen gutturalen Lauten aufmerksam zu. »Was sagt er?« fragte Lake. »Er möchte wissen, ob die Operation gelungen ist.« »Ich schicke ihm einen schriftlichen Bericht.« Trask schien inzwischen seine Selbstsicherheit wiedergewonnen zu haben. Er ging zum Telefon und rief Rockewicz an. »Geben Sie mir Cardone«, verlangte er. »Die Revolutionsarmee der ›Elenden dieser Welt‹ hat weitere Instruktionen. Es ist jetzt elf Uhr zweiundvierzig. Wir bereiten unseren Rückzug vor.«
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er Direktor des FBI rief Arnold Stade in Rockewicz' Büro an. Er hatte aus dem Radio erfahren, daß ein Reporter bis zu den Terro risten im Operationssaal vorgedrungen war und eine Reportage fürs Fernsehen aufgezeichnet hatte. Der Chef der amerikanischen Bundeskriminalpolizei ließ seinen Unwillen deutlich spüren. Warum hatte das FBI nicht geschafft, was einem Reporter gelungen war? »Er hat diese Sache gegen unseren Willen und ohne unser Wissen unternommen«, entgegnete Stade. »Daß er damit das Leben Unschul diger gefährdet hat, war ihm offenbar gleichgültig. Wir stellen uns da auf einen anderen Standpunkt.« 194
Reinhold hatte inzwischen das Büro des Verwaltungsdirektors betre ten und sofort erkannt, daß Stade Probleme mit seinem Vorgesetzten hatte. Bisher wußten nur Parolo, zwei seiner Mitarbeiter und O'Boyle, daß er am Abenteuer des Reporters nicht ganz unbeteiligt gewesen war. »Gut, Sir. Wir werden unsere Möglichkeiten neu überdenken«, ant wortete Stade gerade. »Ich verstehe die Haltung des Justizministers. Selbstverständlich geht es nicht, daß wir uns von Terroristen herum kommandieren lassen. Trask ist ein gefährlicher Mann. Die Unterla gen beweisen es. Aber die Leute im …« Reinhold wußte, was gespielt wurde. Jemand in Washington woll te offensichtlich die Angelegenheit schnellstens erledigt wissen. Er war also noch nicht abgeschrieben. Seine Chance konnte kommen, wenn diese Terroristen die Klinik verließen. Der Direktor deutete Stade am Telefon an, daß der Justizminister Resultate sehen wolle. Die unerträgliche Situation mußte ein schnelles Ende finden. Am Ende des Gesprächs machte er dem FBI-Mann klar, daß Folgen nicht auszuschließen seien, wenn auch nur einer der Gei selnehmer entkam.
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ören Sie gut zu, Cardone«, begann Trask das Gespräch. »Ich sage Ihnen jetzt, wo und wann Sie die Lösegeldsumme zu deponieren haben. Haben Sie das Geld?« »Ja«, antwortete Cardone. »Die ganze Summe?« »Ja. Ein Hubschrauber bringt das Geld.« »Wenn Sie also einen Hubschrauber hören«, mischte sich Rockewicz ein, der mithörte, »dann ist das nur Ihr Geld … keine Polizei. Kein Grund zur Panik!« 195
»Gut.« Trask fühlte sich auf dem Höhepunkt seines Triumphs. »Cardone?« »Ja?« »Die Koffer sollen auf der großen Laderampe hinter der Pathologie und der Leichenhalle, also rechts vom Küchentrakt, abgestellt werden.« Rockewicz überlegte blitzschnell. Er mußte dafür sorgen, daß die Koffer sofort mit dem Lift aus dem obersten Stock hinuntergebracht werden konnten. Das würde nur Minuten dauern. »Um acht Minuten nach zwölf betritt ein weiteres Mitglied unserer Truppe das Klinikgelände. Es handelt sich um einen Farbigen in Ar meekleidung. Er ist bewaffnet. Sollte ihm etwas zustoßen, wird Dok tor Lake mit seinem Leben dafür bezahlen.« »Wir haben verstanden«, erwiderte Cardone. »Das FBI hört mit.« »Ausgezeichnet. Sie werden für diesen Mann einen voll aufgetank ten Krankenwagen bereitstellen. Das Auto muß ein Funkgerät instal liert haben, über das man Verbindung zu Rockewicz' Büro aufnehmen kann. Parken Sie den Wagen in der Hofmitte.« »Geht in Ordnung«, antwortete Steve Rockewicz. Trask machte eine Pause. Er schien seine Macht auskosten zu wol len. »Auf dem Parkplatz hält sich ein zweites Mitglied unseres Kaders auf. Eine Weiße, die einen braunen Lammfellmantel trägt. Sie muß ebenfalls völlig unbehelligt bleiben. Falls ihr was passiert, töten wir Dr. Motzkin …« Harris beugte sich über Stades Schreibtisch. Die beiden FBI-Beam ten hatten einen Lageplan des Innenhofs mit sämtlichen Einfahrten und Ausgängen und der Krankenhausgarage vor sich. »Einverstanden«, sagte Cardone. »Ich bin noch nicht fertig«, erklärte Trask. »Sie haben sicher erraten, daß wir unseren Rückzug durch Geiseln sichern werden.« »Das war vorauszusehen«, sagte Stade. »Aber vielleicht können wir Sie in diesem Punkt umstimmen. Sie haben unser Wort, daß Sie die Klinik ungehindert verlassen können.« »Wofür halten Sie mich?« erkundigte sich Trask. »Ihre Scharfschüt zen würden ein Schlachtfest mit uns veranstalten. Glauben Sie, wir ha 196
ben vergessen, was Sie mit den Black-Panther-Leuten in Chicago ge macht haben?« Reinhold, der das ganze Gespräch mitangehört hatte, nickte und wandte sich an Martha Lake: »Genauso habe ich's mir vorgestellt. Ich könnte Ihren Mann und die anderen in einem Handstreich befreien.« Martha war totenblass geworden. »Gegen zwölf Uhr verlassen wir den Operationssaal mit unseren Geiseln«, verkündete Trask. Cardone räusperte sich. »Was ist mit Mr. Tench? Ich meine, selbst wenn die Operation beendet ist, dauert es noch eine Stunde, bis die Operationswunde vernäht ist. Sie wollen ihn doch nicht auf einer Bah re …« »Möglich ist alles, Cardone.« »Okay, John«, warf Rockewicz ein. »Machen wir's kurz. Wen neh men Sie mit?« »Die Auswahl ist groß. Das einzige, was Sie interessieren kann, ist, daß jede Schießerei den Tod der Geiseln bedeuten würde. Wenn wir sterben, sterben sie ebenfalls.« Rockewicz hob eine Hand, um Cardone zum Schweigen zu veran lassen. »John, das ist doch Unsinn! Ich bin kein Kapitalist. Wissen Sie eigentlich, daß ich hier ein Ausbildungsprogramm für Minderjähri ge durchführe und im ganzen Osten dafür bekannt bin, daß die Löh ne des Krankenhauspersonals gut sind? Wir beide hätten uns sehr viel zu sagen …« »Dazu ist es zu spät.« »Niemand darf verletzt werden«, mischte sich Cardone schließlich ein. »Wir haben bereits versprochen, daß wir von unserer Seite nichts unternehmen werden. Ihr Abzug wird nicht behindert. Sie bekommen das Lösegeld. Jetzt ist es an der Zeit, daß Sie Ihren Teil des Abkom mens erfüllen. Was mich und den Tench-Konzern betrifft, werden wir die ganze Geschichte als ungeschehen betrachten, wenn Sie Mr. Tench in Ruhe lassen.« »Und das soll ich Ihnen glauben? Wollen Sie mich auf den Arm neh men?« 197
»John, was haben Ihnen Männer wie Doktor Lake, Motzkin oder Li cata denn getan?« erkundigte sich Rockewicz. »Sie können doch nichts gegen Sie haben.« »Lake ist Millionär. Auf diese Sorte kann die Welt verzichten.« Rockewicz blickte ergeben zur Decke. Er war froh, daß Martha Lake die Worte von Trask nicht hören konnte. »John, ich mache Ihnen ein Angebot. Wir beide verstehen uns«, ver suchte es Rockewicz noch einmal. »Ich stelle mich als Geisel zur Ver fügung …« Doch Trask hatte bereits aufgelegt. Martha Lake stand auf. »Steve, Eric muß befreit werden. Sollen sie Mr. Tench als Geisel mitnehmen. Er ist sowieso der einzige, der zehn Millionen Dollar besitzt.« Stade und Harris zeichneten blaue Linien in den Lageplan. »Hier müssen sie durchkommen«, sagte Stade gerade. »Und falls sie Tench auf einer Bahre mitnehmen, benutzen sie diesen Aufzug, falls nicht, diese Treppe. Wenn sie die Klinik verlassen, steht der Krankenwagen mit laufendem Motor bereit. Ihre Komplicen haben das Geld inzwi schen eingeladen und warten.« »Sobald sie auf dem Hof sind, gibt es gut zehn Stellen, wo Scharf schützen sie erledigen können.« Harris zeichnete Kreuze in den Plan. »Nein, zu einer Schießerei darf es nicht kommen!« widersprach Rok kewicz energisch. »Das lasse ich nicht zu. Immerhin ist das hier mei ne Klinik!« »Wir schießen nur dann, wenn sicher ist, daß die Geiseln nicht in Gefahr sind«, entgegnete Stade. »Das kommt nicht in Frage!« fuhr Martha Lake auf. »Steve, Sie müs sen Ihnen ihr Wort geben. Es darf nicht geschossen werden. Ich gehe runter und hole Eric selbst raus.« Rockewicz dachte wie Reinhold und wie der Justizminister. Sie konn ten die Terroristen nicht einfach gehen lassen. »Ruf die Garage an!« wandte sich Rockewicz an Estelle. »Sie sollen den Chevrolet auftanken und in den Hof fahren.« Rockewicz stand auf und sah Martha Lake an. »Ich habe gerade einen Entschluß gefaßt.« »Welchen?« fragte sie. 198
»Ich werde jetzt in die Chirurgie hinuntergehen. Ich muß mit diesen Männern reden. Wenn ich Glück habe, lassen sie mich rein.« »Ich bin dagegen!« sagte Stade. »Sie sind diesem Mann nicht gewach sen.« »Sie können mich auch nicht davon abhalten.« »Da irren Sie sich.« »Vielleicht. Trotzdem werden Sie's nicht tun.« Stade erhob sich. »Rockewicz, überlegen Sie sich das gut. Sie könnten 'ne Menge Unheil anrichten.« »Stade, das hier ist meine Klinik«, erwiderte Rockewicz. »Das Team im OP sind meine Angestellten. Ich bin denen diesen Versuch schul dig. Ich kann es nicht zulassen, daß ein paar Geisteskranke Eric Lake oder einen anderen mit Waffengewalt aus diesem Krankenhaus ent führen.« Rockewicz umarmte Martha Lake. »Keine Angst, es wird alles gut werden, Martha.« Reinhold hatte im Vorzimmer alles mitangehört. Jetzt sah der Po lizeichef den breitschultrigen Rockewicz das Büro verlassen. Er folg te ihm.
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ir haben Banken in die Luft gesprengt und ausgeraubt … Wir setzen den Krieg mit Geiselnahmen gegen die Imperialisten und Revanchisten fort … Sämtliche Produktionsstätten werden eines Tages nur zugunsten der Armen und Ärmsten funktionieren …« Trask hielt das Transistorradio in die Höhe. Seine Stimme tönte durch den Operationssaal. »Na, was sagt ihr dazu?« fragte er und lauschte wie verzückt der eige nen Stimme. »Die ganze Welt hört zu. Ihr könntet unserer Bewegung nützlich sein. Tut euch mit uns zusammen.« »Wir sollten uns wie Cooley eine Stereoanlage in den OP legen las sen«, keuchte Licata. »Dann könnten wir das dämliche Gequassel jetzt mit Rockmusik übertönen.« »Achte nicht auf ihn«, warnte Mihrab. »Wir sind fast fertig.« »Darauf freue ich mich trotz allem nicht besonders«, sagte Licata heiser. »Dann folgt nämlich der zweite Teil der revolutionären Vorstellung.« Lake und Mihrab nähten fieberhaft. Sobald Tenchs Körpertempera tur die normale Höhe erreicht hatte, würden sie Tench von der Herz Lungen-Maschine absetzen, sein Herz durch Stromstöße reaktivieren, und Licata konnte dann die Kurbel aus der Hand legen. »Zwei-Minuten-Quiz, Flor!« wandte sich Lake an die Operations schwester. »Warum erhöhen wir die Körpertemperatur des Patienten, bevor wir sein Herz wieder zum Schlagen bringen?« »Damit wir etwaige Rhythmusstörungen besser korrigieren kön nen«, kam es von Flor wie aus der Pistole geschossen. »Bei niedri ger Temperatur ist es viel schwieriger, eine Tachykardie, also eine zu schnelle Herztätigkeit, oder eine Bradykardie, eine zu langsame Herz tätigkeit, auszugleichen.« 201
»Eins mit Stern«, lobte Licata atemlos. »Eric, macht den Burschen um Gottes willen endlich fertig.« »Cho, wir brauchen mehr heißes Wasser. Dreh den Hahn auf!« be fahl Motzkin. Mihrab nahm die Kanüle aus Tenchs Herzwunde und vernähte sie mit schnellen, sicheren Stichen. »Wie hoch ist die Körpertemperatur jetzt?« wollte Lake wissen. »Genau fünfunddreißig Grad«, gab Motzkin zurück und klopfte Li cata den Rücken. »Du bist unser Held. Wir schicken dich zu den näch sten Olympischen Spielen.« »Laßt die Komplimente, beeilt euch lieber!« drängte Licata. Schweiß rann ihm in die Augen. »Mein Arm macht's nicht mehr lange.« Licata bediente die Herz-Lungen-Maschine jetzt seit zwölf Minuten, und er fragte sich, wie Jimmy Baggs das oft fünfzehn Minuten lang ausgehalten hatte, ohne sich je zu beklagen. Aber Baggs war Techniker aus Passion, dieser Operationssaal war sein Heiligtum. Für Eric Lake hätte er alles getan. Kein Wunder, daß er bei der erstbesten Möglich keit Trask angegriffen hatte. »Langsamer, Jack«, befahl Lake. »Halbe Kraft. Wir geben Tench erst mal die Hälfte seines Blutes zurück.« »Dem Himmel sei Dank«, stöhnte Licata. »Das bedeutet endlich halb soviel Arbeit für mich.« »Ich brauche den Defibrillator!« verlangte Lake. Cho saß auf einem Hocker, hatte den Kopf in den Händen vergraben und schien nichts zu hören. »Alan, weck mal deinen Assistenten auf!« rief Lake. »Schläfer kann ich hier nicht brauchen!« »Cho!« brüllte Motzkin. »Schalten Sie den Defibrillator ein.« Der Koreaner bediente einen Schalter. »Elektrodenpaddel!« verlangte Lake. Trask warf einen Blick auf seine Uhr. Es war neun Minuten vor zwölf. Um zwölf Uhr würden sie den Operationssaal verlassen. Cho reichte dem Chirurgen die Elektrodenpaddel. Lake betrachtete das Gerät nachdenklich. 202
»Mittlerer Blutdruck, Alan?« »Achtundfünfzig.« »Okay, Jack. Du kannst aufhören. Ich werde sein gutes, altes Herz wieder aufwecken!« Er legte ein Elektrodenpaddel unter und das andere auf das Herz. »Cho?« fragte er. »Fertig?« »Ja, Sir. Alles fertig.« »Strom an!« Der Assistent des Anästhesisten drückte auf einen Knopf. Der Defi brillator begann zu summen. Tenchs Herz reagierte nicht. »Noch mal!« befahl Lake. Diesmal begann das Herz zu flattern. Dann fing es langsam an, schwach zu schlagen. »Das Herz schlägt wieder«, erklärte Lake. »Allerdings nicht so kräf tig, wie gewünscht.« Er hob das Herz leicht an und betrachtete stirn runzelnd die Narbe. »Er ist tot!« schrie Trask hysterisch. »Sie haben ihn umgebracht!« »Halten Sie den Mund!« brüllte Motzkin. »Ah! Jetzt wird es schon besser«, sagte Lake. »Jack, Alan! Maschine halbe Kraft!« Motzkin klemmte den Schlauch, durch den das venöse Blut des Pati enten in die Herz-Lungen-Maschine geflossen war, ab, und Licata ver ringerte die Umdrehungen der Kurbel auf die Hälfte. Beide beobachte ten gespannt das Blutdepot der Herz-Lungen-Maschine. »Was ist? Nimmt der Blutvorrat ab?« erkundigte sich Lake. »Natürlich«, antwortete Motzkin. »Das Niveau sinkt deutlich. Wie weit, Eric?« Lake beobachtete kritisch Tenchs Herz. Es war immer wieder er staunlich, wie schnell der Körper seine Funktionen wieder aufnahm. Blut floß bereits in den rechten Vorhof, die rechte Herzkammer, die Lungenarterie und die Aorta. »Gebt ihm zweitausendfünfhundert Kubikzentimeter«, sagte Lake schließlich. »Wird gemacht!« antwortete Licata und kurbelte langsam weiter. 203
Lake prüfte den Druck in der Aorta und der Lungenvene. »Sieht gut aus!« Rashid hatte seinen Platz auf der Galerie verlassen und beobachtete, wie sich Tenchs Herz schnell mit Blut füllte. »In Ordnung, Jack!« entschied Lake. »Jetzt kannst du bald aufhören.« »Wird auch langsam Zeit«, keuchte Licata und legte die Stirn an die Metallwand der Herz-Lungen-Maschine. »Wenn das noch lange so geht, bin ich dein nächster Patient.« Lake war mit Tenchs Herz zufrieden. Die beiden Transplantate wa ren funktionstüchtig. Das Blut konnte ungehindert in die linke Koro nararterie und die linke Herzkammer fließen. »Alan, wir nehmen ihn jetzt von der Maschine«, bestimmte Lake schließlich. »Fertig?« »Fertig!« »Okay, abklemmen!« »Abgeklemmt.« »Maschine aus!« »Aus! Gott sei's gedankt!« stöhnte Licata. Motzkin hatte den Schlauch, über den das venöse Blut in die Herz Lungen-Maschine geflossen war, diesmal endgültig abgeklemmt. Licata kurbelte langsamer und beobachtete dabei, wie sich das Blut depot entleerte. »Noch fünfhundert Kubik«, sagte Lake. »Bis jetzt läuft alles prima.« »Die hat er schon«, murmelte Licata und hörte auf zu kurbeln. »Großartig«, lobte Lake. »Ich hoffe, ihr habt alle beobachtet, wie das Starlingsche Gesetz funktioniert. Die Auswurfmenge des Herzens er höht sich in Abhängigkeit zur Kammervorfüllung.« »Es ist nicht zu fassen, mein Arm ist ruiniert und Eric hält hier 'ne Medizinvorlesung fürs erste Semester«, beklagte sich Licata bei Motz kin. »Wofür wirst du sonst bezahlt, Jack?« entgegnete Motzkin. »Wie lange hat er überhaupt an der Maschine gehangen?« erkundig te sich Lake. »Ich meine natürlich einschließlich Dr. Licata lobenswer ten Bemühungen.« 204
»Siebenundachtzig Minuten«, antwortete Motzkin, nachdem er auf die Uhr gesehen hatte. »Nicht gut, aber auch nicht schlecht«, bemerkte Lake. Licata massierte seine rechte Schulter und ging an den Operations tisch zurück. »Kommen Sie mir ja nicht zu nahe!« warnte Trask und trat einen Schritt zurück, als Licata an ihm vorbeiging. »Lassen Sie mich doch in Frieden, Sie Idiot!« konterte Licata. »Du solltest ihn nicht unnötig verärgern!« mahnte Mihrab Licata. »Wir haben noch 'ne Menge zu tun. Es wird eine Weile dauern, bis wir ihn zugenäht haben.« »Heute machen wir's zur Abwechslung einfach mal mit 'nem Reiß verschluss«, schlug Licata vor. Sally Moorhead legte die Hand auf Licata Arm. »Sie waren großar tig, Doc.« »Wir sind alle großartig, Sally. Sehen Sie sich mal den armen Dr. Motzkin an, unser neunzehiges Wunder!« »Komisch, aber es tut überhaupt nicht weh«, erwiderte Motzkin. »Macht das der Stress, das Adrenalin oder habe ich keine Nerven im kleinen Zeh?« Licata und Mihrab begannen damit, die Operationswunden zu schließen. Trask trat an den Operationstisch. Cho wich erschrocken vor ihm zurück. »Wie ist der arterielle Druck?« wollte Lake von Motzkin wissen. »Der systolische Druck liegt bei siebzig.« »Die Auswurfmenge ist gut, aber sie könnte sich noch steigern.« »Vielleicht hilft's, daß sich der systolische Druck gerade auf achtzig erhöht hat.« Lake nickte. »Gib ihm Isuprel.« Motzkin sah Cho an. Der Koreaner schien alles um sich herum ver gessen zu haben. Er war eindeutig der langsamste Assistent, mit dem Motzkin je hatte arbeiten müssen. »Isuprel!« rief er Cho zu. »Was?« 205
»Oh, Mann!« Motzkin stand resignierend auf und nahm die Klem me von der Infusionsflasche über Tenchs Kopf. Das Medikament floß in die Venen des Patienten. »Wunderbar!« freute sich Lake. »Seht, wie sein Herz arbeitet! Na, wir haben wir das gemacht?« Alle waren erleichtert, hatten das Gefühl, das Schlimmste hinter sich zu haben und bald wieder frei zu sein. Die gelungene Herzoperation und die Tatsache, daß die Lösegeldforderung der Terroristen erfüllt wurde, konnte nur ihre Freilassung zur Folge haben. Wen kümmert es schon, daß der Tench-Konzern zehn Millionen Dollar verloren hatte? Tench bestimmt nicht … wenigstens jetzt noch nicht. »Wir machen uns in genau sieben Minuten auf den Weg!« rief Trask zu Rashid hinüber. »Ich glaube, wir haben's geschafft«, murmelte Licata. Er half Mihrab Äderchen abzubinden, zu durchschneiden und zu koagulieren. »Wenn du in einem Jahr Chefarzt bist, Jack, kannst du die Herz-Lun gen-Maschine von einem Assistenzarzt bedienen lassen«, prophezei te Lake. »In diesem Falle stelle ich nur Gewichtheber ein«, lachte Licata. Trask machte Rashid ein Zeichen, zu ihm zu kommen. Am Operationstisch sagte keiner mehr ein Wort. Sally legte den Arm um Flor. »Was haben sie jetzt vor?« flüsterte Flor. »Keine Angst, uns tun sie bestimmt nichts.«
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ockewicz ging durch die leeren Korridore seiner Klinik. An der Treppe trat ihm Dave Buttram in den Weg. »Steve, willst du es dir nicht noch mal überlegen?« 206
»Was dieser Reporter gekonnt hat, kann ich auch«, entgegnete Rok kewicz. »Das mit O'Boyle tut mir leid. Irgend jemand hat ihm einen Tip ge geben.« »Du mußt rauskriegen, wer das war! Wenn Parolo was mit der Sache zu tun hat, kann er was erleben. George Reinhold, unser Freund und Helfer von der Polizei, kommt mir auch reichlich verdächtig vor.« »Stimmt es, daß diese Wahnsinnigen drohen, Tench aus dem OP zu schaffen, bevor die Operationswunde richtig geschlossen worden ist?« erkundigte sich Buttram. »Das weiß niemand. Deshalb gehe ich ja runter.« »Mir wär's lieber, du würdest es nicht tun.« »Irgend jemand muß mit diesen Kerlen reden.« Dave Buttram schwieg. Ihn bedrückte noch etwas. »Steve …«, be gann er zögernd. »Es sieht so aus, als sei Dr. Fess spurlos verschwun den.« Rockewicz runzelte die Stirn. »Was? Harvey?« »Ja. Seine Assistenzärzte haben angenommen, er sei nach Hause ge fahren. Aber da ist er nicht. Wir haben angerufen, weil wir dachten, er könnte uns hier mit dem FBI helfen …« »Harvey macht vielleicht irgendwo ein Nickerchen«, wehrte Rocke wicz ab. »Er ist doch kein Kind mehr. Lass mich erst mit diesen Kerlen im OP reden, dann kümmere ich mich um Harvey.« Buttram sah Rockewicz nach, wie er mit energischen Schritten die Chirurgie betrat. Chief Reinhold hatte dies alles ebenfalls beobachtet. Dann hörte er plötzlich eine Stimme. Brian O'Boyle sprach auf Tonband. »He, O'Boyle!« sagte Reinhold grimmig. »Gehen Sie wieder dahin, wo sie hergekommen sind!« »Klar, Chief. Im Presseraum ist nur so 'ne schlechte Luft. Was hat Rockewicz eigentlich vor?« »Der muß bloß mal.« In diesem Augenblick rannte Parolo auf Reinhold zu. »Chief! Sie müssen mir helfen. Mr. Buttram weiß, daß ich dem Reporter den Ent 207
lüftungsschacht gezeigt habe. Sie müssen ihm erklären, daß ich das mit Ihrer Genehmigung gesagt habe …« Reinhold packte den Hausmeister beim Kragen. »Gibt's noch einen anderen Zugang zur Chirurgie, Mann? Ich meine, von der anderen Seite her?« »Sicher … Man kann noch durch den Aufwachraum gehen.« »Okay, dann bringen Sie mich da hin!« »George, ich habe schon genug Probleme. Sie können nicht …« Reinhold stieß ihn vor sich her. »Los, Parolo! Ich regle das mit dem FBI, und du bringst mich jetzt zum Aufwachraum.«
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eht euch mal diese Kontraktionen an«, sagte Lake. »Fast wie bei ei nem gesunden Herzen. Alan, gib ihm mehr Isuprel.« Diesmal reagierte Cho sofort und löste eine Klemme vom Infusionsschlauch. Plötzlich klopfte jemand an die Tür. Rashid brachte sofort den Ka rabiner in Anschlag. Trask sprang vom Hocker. »Keiner bewegt sich!« befahl er. »Rashid, behalte die Herrschaften im Auge!« Von draußen konnte man Rockewicz' Stimme vernehmen. »John? John, ich bin's! Steve Rockewicz. Ich muß mit Ihnen sprechen. Ich bin unbewaffnet und habe niemanden bei mir. Lassen Sie mich rein!« »Kommt nicht in Frage! Hauen Sie ab, sonst fangen wir an, einen nach dem anderen zu erschießen.« »Seien Sie vernünftig, John. Ich will nur, daß Sie heil hier rauskom men. Das Geld ist schon auf dem Weg zur Klinik. Ich möchte mit Ih nen wegen Dr. Lake und seinem Team verhandeln.« »Verschwinden Sie, Rockewicz!« forderte Trask hart. Steve stand im Flur und lehnte sich gegen die Tragbahren, die als 208
Barrikaden dienten. Sie konnten schnell beiseite geräumt werden, doch das würde ziemlich viel Lärm machen. Steve preßte sich jetzt an die Wand rechts neben der Doppeltür zum Operationssaal. Am anderen Ende des Korridors standen Lief und zwei weitere Mitarbeiter vom FBI unter der Tür zu Miß McCarrans Büro und beobachteten ihn. Rocke wicz machte ihnen ein Zeichen, sich nicht blicken zu lassen. »John, wir haben Zeit. Reden wir. Sie wollten Baggs nicht töten. Das glaube ich Ihnen. Sie haben eine politische Mission, ein gebildeter Mann mit hohen Idealen …« Im Operationssaal schüttelte Lake verwundert den Kopf, und Licata rollte mit den Augen. Rockewicz würde einen guten Schauspieler abge ben. Seine Überredungskunst war kaum zu überbieten. »Verschwinden Sie! Das ist die letzte Warnung!« »John, das ist doch Unsinn. Sie wollen niemanden umbringen, das wissen Sie selbst am besten …« »Lake, sagen Sie ihm, er soll verschwinden!« Trasks Stimme klang gefährlich. Rockewicz hörte Erics gereizte Stimme: »Er hat recht, Steve. Wir sind hier bald fertig. Tench wird's überleben. Lassen Sie die Leute ih ren Plan durchführen.« »Natürlich, genau das ist meine Absicht«, erklärte Rockewicz. »Ich will John die Entscheidung überlassen. John, hören Sie mich? Es ist besser, lebend vor Gericht zu stehen, als tot in einem Krankenwagen zu liegen. Mein Gott, wenn diese Sauerstofftanks explodieren …« Trask hob mit einem Ruck den Karton an der Fensterscheibe hoch. Rockewicz sah seine fiebrig glänzenden Augen und seine schweißnas se Stirn. Steve hob langsam die Hände hoch. »Ich bin unbewaffnet. Der Kor ridor ist vollkommen leer. Ich bin allein.« »Sie haben genau zehn Sekunden Zeit, hier zu verschwinden, Rok kewicz!« »Kommen Sie, mein Junge. Sie brauchen Hilfe! Ich bin noch nicht fertig mit Ihnen!« 209
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arolo führte Chief Reinhold eine Treppe hinauf und zur Tür des Aufwachraums. Dort stand ein FBI-Beamter mit einem Funkge
rät. »Tut mir leid, Chief, aber hier darf niemand rein!« erklärte der Mann vom FBI. »Ich schon!« entgegnete Reinhold. »Ich habe genaue Anweisungen von Mr. Stade.« Reinholds Gesicht wurde hart. »Man hat mich gerade angerufen. Eine der Krankenschwestern im Aufwachraum hat einen hysterischen Anfall«, erklärte der Polizeichef. »Ich bin gerade drinnen gewesen. Es war alles in Ordnung.« »Ich komme ja gleich wieder! Sie können gehen, Parolo!« Der Hausmeister entfernte sich schnell. Reinhold drängte sich an dem FBI-Beamten vorbei und stieß die Flügeltür auf. Zwei Krankenschwestern kamen auf ihn zu. Irgendwo spielte ein Ra dio. Fünf oder sechs frisch operierte Patienten lagen, an zahlreichen Infusionen und Geräten angeschlossen, in ihren Betten. »Wie komme ich in die Chirurgie?« erkundigte sich Reinhold kurz. Die Krankenschwester deutete stumm auf eine Tür. Reinhold öffnete sie und gelangte in einen leeren Korridor. Seinen Magnum-Colt hielt er schussbereit in der rechten Hand. Reinhold wußte aus Rockewicz' Plänen, wie sich die einzelnen Operationssäle entlang des L-förmigen Korridors verteilten. Mittlerweile waren nur noch zwei Operationsräume besetzt. Der eine, in dem noch immer der Orthopäde operierte, war Reinhold am nächsten. Der zweite befand sich am anderen Ende der Chirurgie, in dem Teil, der abbog. In ihm hielten die Terroristen Tench, Dr. Lake und sein Team in Schach. Reinhold wartete einen Au 210
genblick und vermutete, daß Rockewicz inzwischen auch sein Ziel er reicht haben mußte. Mit dem Rücken zur Wand schlich Reinhold lautlos den Gang ent lang. Er hörte Rockewicz' Stimme, konnte jedoch kein Wort verste hen. Reinhold hatte die Absicht, unbemerkt in Steves Nähe zu bleiben. Er öffnete die Tür zu dem Saal, in dem die orthopädische Operation statt fand. »Wer sind Sie? … Was wollen Sie?« erkundigte sich ein Assistenz arzt verblüfft. Das Team am Operationstisch sah Reinhold erschrok ken an. Reinhold legte den Finger an die Lippen. »Alles in Ordnung. Ich bin Chief Reinhold. City Police.« »Was ist da draußen los?« fragte der Arzt. »Nicht mehr viel. Sie werden bald abziehen.« Ein großer Farbiger in grüner Operationskleidung trat näher. »Was ist mit Baggs passiert, Chief?« wollte der Mann wissen. »Sie haben ihn erschossen.« Der Farbige strich sich mit der Hand über die Stirn. »Großer Gott! Jimmy war mein Chef.« Reinholds Blicke schweiften schnell durch den Operationsraum, der fast doppelt so groß war wie die anderen. Der hintere Teil wurde als Stauraum für größere orthopädische Geräte benutzt. Chief Reinhold entdeckte eine unbenutzte Tragbahre. Er betrachtete sie nachdenklich. Plötzlich kam ihm eine Idee. Er knöpfte sein Ober hemd auf. »Hören Sie«, sprach der Chirurg ihn an. »Ziehen Sie uns nicht in die Sache hinein. Wir wollen endlich nach Hause.« »Ich will Sie gar nicht weiter belästigen«, wehrte Reinhold ab. »Ope rieren Sie ruhig weiter.« Er warf Hemd und Unterhemd auf einen lee ren Tisch. Der Farbige beobachtete ihn aufmerksam. »Wie heißen Sie?« erkundigte sich Reinhold. »Musgrave. Ich gehöre zu Baggs Team.« »Wollen Sie helfen, Baggs zu rächen?« 211
»Natürlich!« »Holen Sie die Tragbahre dort drüben und ein paar grüne Tücher.« Reinhold zog Schuhe und Socken aus und krempelte die Hosenbeine auf. Die Ärzte und Schwestern betrachteten ihn verständnislos. Musgrave rollte die Bahre zur Tür. »Okay«, begann Reinhold. »Ich werde mich jetzt da drauflegen, und Sie schieben mich durch den Kor ridor. Sobald ich eine Bewegung mache, verdrücken Sie sich … oder gehen wenigstens in Deckung!« »Das kann ich nicht zulassen!« mischte sich der Chirurg erregt ein. »Sie haben kein Recht, diesen Mann in Lebensgefahr …« »Schon gut, Doktor!« wehrte Musgrave ab. Er deckte ein grünes Tuch über Reinhold und steckte es an den Seiten fest. Von Reinhold waren nur noch Kopf und Schultern zu sehen. Die Hand, in der er seinen Magnum-Colt hielt, war unter dem Tuch verborgen. »Haben Sie auch für mich eine Waffe?« fragte Musgrave. »Sie brauchen keine. Sobald ich ziehe, machen Sie, daß Sie fortkom men!« Reinhold bewegte die rechte Hand. Er hatte zu wenig Bewegungs freiheit. »Lockern Sie das Tuch an den Seiten!« befahl er Musgrave. »Denken Sie sich eine gute Ausrede aus … Für den Fall, daß uns je mand aufhält.« »Ich sage, daß Sie aus dem Aufwachraum kommen.« »Ausgezeichnet.« Der Farbige schob die Bahre durch die Schwingtür.
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lmedo öffnete die Tür des Vorratsraums ein wenig und horchte. War Rockewicz allein gekommen? So, wie Olmedo den Klinikdi rektor kannte, war dieser durchaus in der Lage, Trask und Rashid eine Falle zu stellen. Der Mann konnte so lange auf jemand einreden, bis sie unvorsichtig und für Scharfschützen erreichbar wurden. Olmedo war irgendwie verunsichert. Er wußte nicht, warum im Operationssaal ein zweites Mal geschossen wurde. Möglicherweise waren Rashid oder John verletzt, und Rockewicz versuchte deshalb, sie zur Aufgabe zu überreden. Er öffnete die Tür etwas weiter. Rockewicz' Stimme klang drängen der, zwingender. Warum gab er nicht endlich auf? Trask würde sich auf nichts einlassen. Olmedo wickelte sein Gewehr aus dem grünen Tuch. Es handelte sich um dasselbe Modell, mit Schulterstütze und kurzem Kolben, das auch Rashid benutzte. Im Magazin waren dreißig Schuß. Olmedo steckte das Gewehr unter seinen grünen Kittel, trat in den Gang hinaus und preßte sich flach an die Wand.
Rockewicz spielte seinen letzten Trumpf aus. »John, nehmen Sie mich als Geisel. Das ist das beste Angebot, das Ihnen je gemacht wurde.« »Sie?« »Richtig. Kommen Sie jetzt mit Ihrem Freund aus dem OP?« Trask zögerte. Rashid schüttelte verneinend den Kopf. Er war wü tend, weil Trask sich auf diese billige Art und Weise hinhalten ließ. Olmedo hatte sie vor Rockewicz gewarnt. Trask schwankte in seinem Entschluß. Was sollte er tun? Der Direktor hatte ihn verunsichert. 213
»Das ist doch alles Unsinn! Mach Schluß!« drängte Rashid. »Ich merke, Sie überlegen sich's, John. Das ist gut«, begann Rocke wicz von neuem. »John, ich bin die beste Lebensversicherung für Sie. Machen Sie mit mir, was Sie wollen, nehmen Sie mich mit, aber lassen Sie die anderen in Ruhe.« Rockewicz standen Schweißperlen auf der Stirn, doch seine Hände waren eiskalt. Die Haare im Nacken juckten. Er hatte dieses Gefühl schon einmal – vor Jahren … »Ich bin unbewaffnet«, fuhr Rockewicz fort. »Ich habe sämtliche Schlüssel der Klinik in Besitz. Ohne mich geht hier nichts. John, nehmt mich mit!« Aus den Augenwinkeln beobachtete Rockewicz, wie Lief und ein an derer FBI-Beamter versuchten, ungesehen aus dem Stationszimmer zu schleichen. Er gab ihnen ein Zeichen, zu verschwinden. Trotz der Mahnung ihres Chefs, nicht zu schießen, hatten die FBI-Beamten of fensichtlich bereits die Finger am Abzug. Rockewicz bedeutete Lief er neut, zurückzubleiben. Lief verschwand, doch ein Stück seines weißen Arztmantels war noch im Türrahmen zu sehen. Trask schien etwas ge sehen zu haben. »Abgelehnt, Rockewicz!« erklärte Trask schließlich. »Verschwinden Sie!« »Aber John! Überlegen Sie! Wenn ihr mich habt, wird nicht geschos sen. Ich zeige euch den kürzesten Weg zum Krankenwagen.«
Olmedo schlich lautlos in den Korridor. Den Karabiner hatte er noch immer unter seinem grünen Mantel versteckt. Die Sinne geschärft und jeden Muskel gespannt, blieb er hinter der Abzweigung des Korridors, dicht gegen die gekachelte Wand gepresst, stehen. Vorsichtig spähte er um die Ecke und sah Rockewicz. Der Di rektor der Klinik hatte offensichtlich einen Aktenschrank zur Seite ge rückt, denn er stand jetzt dicht am Türfenster des Operationssaals und bot sich als Geisel an. 214
Olmedo dachte über die verschiedenen Möglichkeiten nach. Was war zu tun? Sollte er Rockewicz erledigen? Sollte er sich an den Plan halten? Was würde Trask tun? Und Rashid? Was gewannen sie, wenn sie einen solchen Mann töteten? Es war nicht das erste Mal, daß Ol medo der Verdacht kam, daß sie schließlich die Falschen umbrachten. Olmedos Augen wurden zu Schlitzen. Es würde ein schwieriger Schuß werden, wenn er Rockewicz töten wollte, aber mit der automati schen Waffe mußte bei Dauerfeuer eine Kugel mindestens treffen.
Rockewicz erhielt keine Antwort auf seine drängenden Fragen. Seine Knie wurden weich. Er hörte Schritte und Stimmengemurmel im Ope rationssaal. »John? Sind Sie noch da?« Wieder keine Antwort. Rockewicz hörte Licatas Stimme und das Weinen einer Frau. »John! Reden wir noch mal miteinander!« Auf der Galerie hinter dem Operationssaal hob Rashid seinen Kara biner und feuerte auf die Tür. Der Schuß peitschte über den Operati onstisch, schlug in den Rahmen der Tür ein, daß diese erzitterte. Rockewicz sprang geistesgegenwärtig zur Seite und preßte sich flach gegen die Wand. Lief und sein Kollege rannten mit gezogenem Revolver auf ihn zu. »Verschwindet!« schrie Rockewicz. Ein zweiter Schuß traf die Tür. Rashid hätte das ganze Magazin abgefeuert, wenn Trask ihn nicht mit einer Handbewegung gestoppt hätte. »Es ist niemand verletzt!« rief Trask. »Das waren nur Warnschüsse. Wir kommen in ein paar Minuten raus. Wer dann noch da ist, wird erschossen.« Als Olmedo die Schüsse hörte, zog er sein Gewehr unter dem grünen Mantel hervor, brachte es blitzschnell in Anschlag und trat gerade so weit hinter der Mauerecke hervor, um sein Ziel zu erreichen. 215
Rockewicz stand flach gegen die Wand gepresst. Er bot mit seinem weißen Hemd eine ausgezeichnete Zielscheibe. Zwei Männer in wei ßen Mänteln liefen auf ihn zu. Jeder hatte einen Revolver schussbereit in der Hand. Polizei, stellte Olmedo fest. Rockewicz' Aktion war dem nach doch eine Falle gewesen. Olmedo zögerte. Er hatte jetzt drei Männer vor sich. Was sollte er tun? Seine Aufgabe war es, den Korridor freizuhalten, jeden Versuch der Polizei, den Operationssaal zu stürmen, zu verhindern und im äu ßersten Fall einzugreifen. Es war wieder ruhig geworden. Die beiden Schüsse waren offensicht lich im Operationsraum selbst abgegeben worden. Die drei Männer, die vor der Tür des Operationssaals flach an die Wand gepresst stan den, schienen unschlüssig zu sein. Olmedo beobachtete sie. Er wuß te nicht, sollte er den drei Männern gegenübertreten – oder noch ab warten. Einer der Männer sah sich prüfend um. Der Lauf von Olmedos Karabiner blinkte im Licht der Deckenbe leuchtung. »Dort hinten ist jemand!« rief Lief. »Trask hat behauptet, daß seine Leute überall im Krankenhaus po stiert sind«, sagte Rockewicz. Lief zögerte. War der Mann dahinten einer von Trasks Leuten? War es nur ein Neugieriger? Lief entschloß sich, den Mann zu warnen. »Hallo! Bleiben Sie, wo Sie sind! Wir wollen niemanden verletzen! Wir lassen die anderen in wenigen Minuten abziehen.« Olmedo machte noch einen Schritt nach vorne. Da sah Lief das Ge wehr. Lief schoß zweimal. Die Kugeln prallten an der Kachelwand ab. Ke ramikstücke flogen durch die Luft. Olmedo ließ sich auf ein Knie niederfallen, riß den Karabiner hoch und schoß zweimal. Die Schüsse schlugen weit ab von Rockewicz und den FBI-Agenten in die Decke. »Aufhören!« rief Lief. »Hallo! Hören Sie mich!« Olmedo machte einen Sprung hinter die Mauerecke. 216
Musgrave schob Reinhold auf der Bahre den Gang entlang. Sie hat ten sich kurz in einer Nische verborgen, doch als die ersten Schüsse aus Rashids Karabiner gefallen waren, hatte Reinhold dem Farbigen be fohlen, ihn weiterzuschieben. Kurz darauf hallten bereits die nächsten Schüsse durch den Korridor. Reinhold hörte lautes Rufen und schnel le Schritte. »Los, beeilen Sie sich!« zischte Reinhold. »Schneller!« Musgrave sah Olmedo zuerst. Er kannte den Pfleger. »Da stimmt was nicht, Mister!« flüsterte Musgrave. Reinhold hob leicht den Kopf. Er erkannte einen schlanken Mann in Operationskleidung, der sich hinter einer Mauerecke verborgen hielt. Er hatte einen M2-Karabiner in der Hand. Reinhold kannte das Waf fenmodell. Zuerst glaubte er, einen von Stades Agenten vor sich zu haben, doch dann sah er, wie der Mann das Gewehr hochriss und feuerte. »Wer, zum Teufel, ist das?« fragte Reinhold seinen Helfer Musgrave. »Olmedo. Ein Pfleger. Er arbeitet in der Chirurgie.« Er arbeitet hier! Warum ist er bewaffnet? dachte Reinhold. Das konn te doch nur einer der Männer sein, die Trask in das Krankenhaus ein geschleust hatten. Olmedo duckte sich und zielte wieder. »Keine Bewegung!« schrie Reinhold. »Ich bin bewaffnet.« Zu Musgrave sagte er leise: »Los, geben Sie der Bahre einen Stoß und gehen Sie in Deckung!« Der Farbige schob das Rollgestell mit Schwung an. Es glitt über den blanken Fußboden. Olmedo wirbelte herum. Sein hageres Gesicht wirkte zwar über rascht, doch ruhig und entschlossen. Eine Bahre rollte auf ihn zu. Ein Mann mit nacktem Oberkörper richtete sich halb auf. Ein Farbiger lief in entgegengesetzter Richtung davon. Olmedo war im ersten Augenblick wie gelähmt. Der Mann auf der Bahre hatte einen Revolver in der Hand und richtete die Waffe auf ihn. Olmedo riß das Gewehr an die Schulter. 217
Chief Reinhold war schneller. Die Wucht der großkalibrigen Patronen warf Olmedo gegen die Wand. Das Gewehr hielt er noch umklammert, als er tot zu Boden sank. Reinhold sprang in halbnacktem Zustand von der noch immer wei terrollenden Bahre und eilte zu dem Toten. Er kniete nieder. Olmedos Kopf war nur noch eine blutige Masse. Vorsichtig schaute Reinhold um die Ecke. Lief und sein Kollege lie fen geduckt an der Wand entlang. »Ich bin's! Reinhold!« rief er. »Ich habe einen dieser Kerle erwischt.«
Trask und Rashid im Operationssaal hörten ebenfalls die Schüsse. Ihr erster Gedanke sagte ihnen, daß man sie angreifen würde. »Kein Grund zur Aufregung, John!« schrie Rockewicz draußen. »Es wird nicht mehr geschossen. Ihr habt gewonnen! Nicht schießen. Ich gehe! Die Polizei ist nervös geworden, als ihr in die Tür geschossen habt. Alles okay, John?« »Der Kerl kriegt noch ein paar aufs Fell!« brüllte Rashid drinnen. »Lass das!« befahl Trask. »Rockewicz, gehen Sie endlich!« »Ja, natürlich, John. Mein Angebot gilt trotzdem. Nehmen Sie mich als Geisel und lassen Sie die anderen frei. Ich verspreche Ihnen, daß niemandem etwas geschieht!« Trask ging zur Tür, hob den Karton ein Stück hoch und blickte vor sichtig auf den Korridor hinaus. Der Klinikdirektor war verschwun den, der Flur offensichtlich leer. Er hörte Stimmen, die sich langsam entfernten. »Alles in Ordnung?« erkundigte sich Rashid. »Sie sind fort. Sie wissen, daß sie uns nichts anhaben können.« Rashid grinste. Die Waffen, die Macht über Leben und Tod verlie hen, waren alles, was zählte.
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ake warf einen Blick auf die Wanduhr. Es war elf Uhr 55. Er trat vom Operationstisch zurück, atmete tief auf und bat Flor, ihm den Schweiß auf der Stirn abzuwischen. Die Situation hatte sich ge fährlich verändert. Er wußte nicht, wie lange sich seine Leute noch seinen Anordnungen fügen würden. Die Schießerei war zu einer echten Belastungsprobe geworden. Flor weinte leise, Sally hatte zu zittern begonnen. Motzkin humpelte aufgeregt umher. Die Nerven aller waren zum Zerreißen gespannt. Wie lange würden sie noch halten? »Macht eure Arbeit und kümmert euch sonst um nichts«, wies Lake sein Team an und versuchte, seiner Stimme einen beruhigenden Klang zu geben. Licata koagulierte Blutgefäße im Brustkorb des Patienten, während Mihrab den Einschnitt an der Oberschenkelschlagader mit kleinen Sti chen schloß. Tenchs Herz schlug kräftig und regelmäßig. Die anfäng lich etwas zu langsame Herztätigkeit hatte sich ohne Hilfe von Medi kamenten von selbst reguliert. »Sind Sie fertig?« erkundigte sich Trask. Er stand neben der Tür. Er hatte sich wieder beruhigt. »Ich schon«, erwiderte Lake. »Aber die anderen haben noch einiges zu tun. Der Schrittmacher und Dränagen müssen eingesetzt werden und das Brustbein wird verdrahtet.« »Sein Zustand ist zufrieden stellend?« wollte Trask wissen. Lake holte tief Luft. »Wenn Sie vorhaben, ihn mitzunehmen …« »Das ist durchaus möglich.« »Dann würde er innerhalb der nächsten halben Stunde sterben.« »Nicht, wenn wir den großen Eric Lake mitnehmen, damit er sich 219
um ihn kümmert … Die anderen Mitglieder des berühmten LakeTeams nicht zu vergessen.« Lake beobachtete Licata bei der Arbeit. Jetzt, da die kritischen Pha sen der Operation vorüber waren, merkte er, daß Angst in ihm hoch kroch. Als Trask ihn vor einigen Stunden in seinem Büro mit der Waffe be droht hatte, war er zwar überrascht und empört, doch kein unsiche res, erschrecktes Gefühl hatte ihn befallen. Die geistige und seelische Konzentration auf die bevorstehende schwierige Operation hatte al les andere ausgeschaltet. Doch jetzt wurde ihm klar, was ihm bevor stand. Diese Terroristen, die sich als Propheten und Weltverbesserer sahen, würden ihn als Geisel mitnehmen. Trask hatte in seinen Wor ten keinen Zweifel darüber aufkommen lassen. Für Trask gab es kei ne Unschuldigen, keine Unbeteiligten. Ein Chirurg wie Lake war in Trasks Augen schon allein durch sein enormes Jahresgehalt ein Geg ner der Revolution. »Doktor Lake, stellen Sie sich neben das Waschbecken!« befahl Trask. »Hierher!« »Sie sind ein Schwein, Trask!« rief Licata aufgebracht. »Lassen Sie ihn in Ruhe. Ich werde mitkommen!« »Ich habe mit Doktor Lake geredet! Also – was ist?« Lake ging langsam zum Waschbecken. »Übernimm du den Rest, Jack. Es ist ja nur noch reine Routine.«
Rockewicz, Lief und ein halbes Dutzend FBI-Agenten eilten zu der Stelle, wo der tote Olmedo lag. »Schafft ihn fort!« befahl Steve. »Ich will auf keinen Fall, daß ihn je mand sieht.« Musgrave, der umgekehrt war, und Reinhold hoben den Toten auf die Bahre, deckten ihn zu und fuhren durch den Aufwachraum hinaus. Rockewicz folgte ihnen und beruhigte die erschrockenen Kranken schwestern. »Alles in Ordnung. Ein kleiner Unfall.« 220
Draußen in der Vorhalle faßte Rockewicz Reinhold hart an der Schul ter. »Was, zum Teufel, haben Sie da gemacht? Wer war das?« »Olmedo, Mr. Rockewicz«, antwortete Musgrave. »Er hatte ein Ge wehr in der Hand.« Der Farbige deutete auf den M2-Karabiner, den Reinhold an sich genommen hatte. »Ein netter Pfleger«, spottete Reinhold. »Der Kerl hat zur Bande ge hört … ihr Kundschafterdienste geleistet.« Reinhold beobachtete Lief, der Stade über Funk verständigte. »Einen habe ich bereits ausgeschaltet«, fuhr Reinhold fort. »Jetzt sind die anderen dran. Was ist? Wer geht mit?« Reinhold zog seine Schuhe an. »Fragen Sie Ihren Chef, was er dazu meint. Ich könnte den Sturm trupp führen.« Lief machte eine abwehrende Handbewegung. »Kommt nicht in Fra ge. Der Hubschrauber mit dem Geld ist da. Die Forderungen der Ter roristen werden erfüllt. Von jetzt an bleiben Sie in unserer Nähe, Chief. Keine Eigenmächtigkeiten mehr.« »Feiglinge!« schnaubte Reinhold verächtlich, knöpfte sein Hemd zu und lud seinen Colt nach. »Immer mit der Ruhe, George«, versuchte Rockewicz ihn zu besänf tigen und wandte sich an Lief. »Schaffen wir den Toten ins Leichen schauhaus. Mein Gott, ausgerechnet Olmedo! Ich kann's noch nicht glauben.« »Sie werden sich an den Gedanken gewöhnen!« murrte Reinhold. »Musgrave ist Zeuge, daß der Bursche den Karabiner auf euch gerich tet hatte.« »Okay, gehen wir!« forderte Lief auf. »Mr. Rockewicz, Mr. Stade er wartet Sie unten.«
Stade gewann schnell die Überzeugung, daß der Pfleger zur Terro ristengruppe gehört hatte. Er beschloß jedoch, Trask gegenüber zu schweigen. »Soll er's selbst herausfinden«, sagte er zu Rockewicz. »Aber wenn Trask auf Olmedo wartet?« fragte der Klinikdirektor. 221
»Trask muß ja irgendwann einmal aus dem Operationssaal raus … ob mit oder ohne Olmedo«, stellte der FBI-Mann fest. »Sicher wird er annehmen, daß Olmedo entweder aufgehalten oder als Mitglied seiner Bande erkannt worden ist.« »Könnte er dann nicht auf die Idee kommen, Rache für Olmedo zu nehmen und eine Geisel erschießen?« warf Reinhold ein, der neben Rockewicz ging. »Auge um Auge. Zahn um Zahn.« »Um so mehr Grund für uns, die Sache zu vertuschen«, erwider te Stade und sah auf die Uhr. »Der Hubschrauber ist gelandet. Mei ne Männer müssen jeden Augenblick mit den Koffern herunterkom men.« Martha Lake trat zu Rockewicz. »Was soll das heißen? Sie lassen sie einfach gehen?« »Es bleibt uns wohl kaum etwas anderes übrig.« »Und mein Mann – und sein Team? Wird wegen ihnen nicht ver handelt? Ich habe gehört, was Mr. Reinhold gesagt hat. Was ist, wenn er recht hat, und sie für diesen Olmedo eine Geisel töten? Mein Mann ist dort unten!« Rockewicz nahm Marthas Hand und sprach leise auf sie ein. »Martha, ich habe versucht, diese Männer zu überreden, die anderen freizulas sen und mich als Geisel zu nehmen. Sie haben abgelehnt!« Cardone war aus seinem Sessel aufgestanden. »Mrs. Lake, solan ge sich diese Terroristen nicht bedroht fühlen, tun sie den Geiseln nichts …« »Woher wollen Sie das wissen, Mr. Cardone? Sie können leicht reden. Dank meinem Mann ist Mr. Tench außer Lebensgefahr. Aber so ist das wohl immer mit den Walker Tenchs dieser Welt. Sie kommen unge schoren davon, die anderen bezahlen dann die Zeche.« »Tut mir leid, daß Sie das so sehen.« »Denkt eigentlich niemand daran, etwas für meinen Mann zu tun?« erkundigte sich Martha Lake. »Wäre der Tench-Konzern bereit, weite re zehn Millionen für meinen Mann zu bezahlen?« »Selbstverständlich«, erwiderte Cardone. »Martha, für derartige Überlegungen ist es jetzt zu spät«, warf Rok 222
kewicz ein. »Sie nehmen Geiseln mit, daran ist nichts zu ändern. Ohne sie wären sie den Scharfschützen des FBI hilflos ausgeliefert. Auch zehn Millionen mehr könnten sie von dem Plan nicht abbringen.« »Ich verstehe, Steve. Deshalb hat Mr. Cardone meine Frage auch un bedenklich positiv beantworten können. Er wußte, daß wir Eric auch nicht für noch weitere zehn Millionen freikaufen können. Stimmt's, Mr. Cardone?« Cardone schwieg. Er wandte sich ab. Was sollte er hierauf auch ant worten? »Martha, es ist wahrscheinlich, daß den Geiseln nichts zustößt«, ver suchte Rockewicz sie zu beruhigen. »Und Stade hat versprochen, daß es zu keiner Schießerei mehr kommen wird. Nicht wahr?« »Sie haben mein Wort.« Stade konnte Martha Lake einfach nicht sa gen, daß er bei seinem letzten Telefongespräch mit dem Justizminister den Befehl erhalten hatte, keine weiteren Zugeständnisse an die Terro risten zu machen, um keinen Präzedenzfall zu schaffen. Martha Lake trat ans Fenster. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, rollten an den Wangen herunter, tropften zu Boden. All ihr Mut hat te sie verlassen. Sie wußte nicht mehr, was sie noch für Eric tun konn te. Cardone machte ein paar Schritte auf sie zu, blieb dann stehen und schwieg. Stade nickte Rockewicz und Harris zu. Die drei Männer verließen das Büro und gingen in eines der oberen Stockwerke, um von dort aus besser den Hof und die Stellungen der Scharfschützen überblicken zu können.
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rask horchte. Er wartete auf Olmedo. Der war bereits dreißig Se kunden überfällig. Draußen blieb alles still. Niemand räumte die Barrikaden an der Tür weg. John und Rashids Blicke trafen sich. »Was ist denn los, John?«
»Komm mal her!«
Lake stand mit dem Gesicht zur Wand im Waschraum.
»Binde ihm die Hände auf den Rücken!« befahl Trask. Er nahm Ras hid das Gewehr ab. Motzkin starrte angestrengt auf den EKG-Monitor. Ein gelber Punkt hüpfte über den Bildschirm. »Eric … das EKG. Da stimmt was nicht!« Lake wandte sich an Trask. »Ich muß mir das EKG mal ansehen.« Rashid band Lakes Hände mit Klebestreifen fest. »Ich habe gesagt, daß ich mir den Monitor ansehen muß!« wieder holte Lake. Trask zog seinen Mundschutz herunter. Sein Atem ging schnell. Er drehte sich zur Tür und horchte. Von Olmedo war noch immer nichts zu hören. »Gut, gehen Sie zum Monitor«, sagte Trask schließlich. Seine Stim me klang belegt, und seine Bewegungen waren nervös und fahrig. Rashid stieß Lake neben Motzkin. Der Chirurg betrachtete einen Augenblick das EKG und stellte fest: »Er hat einen SA-Knotenblock.« »Das verstehe ich nicht«, murmelte Licata. »Ich bin sicher, daß wir keine Nerven verletzt haben.« »Schließt den Schrittmacher an!« befahl Lake. »Wir haben das Herz ziemlich traktiert. Das allein kann den Knotenblock ausgelöst haben.« Motzkin nickte. Die Impulse auf dem Monitor kamen zu langsam und in zu großen Intervallen. 224
»Er wird es schaffen«, sagte Lake zuversichtlich. »Hat er schon Prota min bekommen?« »Ja, Eric.« Motzkin stand mühsam auf. Sein verwundeter Zeh schmerzte jetzt noch mehr. »Kommen Sie hierher, Lake!« befahl Trask. »Wir gehen jetzt!« »Ich bin noch nicht fertig!« entgegnete Lake. »Alan, gib ihm noch mal ein paar Impulse!« Die gezackten Linien auf dem EKG-Monitor wurden gleichmäßiger. »Ah, jetzt sieht es schon besser aus«, lobte Lake. »Ich wußte doch, daß er ein gesundes Herz hat.« Trask nickte Rashid kurz zu und deutete zur Decke. Der Araber gab einen Warnschuss ab. »Der nächste trifft!« erklärte Trask, als ihn alle bestürzt anstarrten. Als Licata protestieren wollte, schnitt er ihm das Wort ab: »Los, an die Wand mit euch! Wird's bald!« Sally wollte Flor helfen, doch Mihrab legte den Arm um die junge Asiatin. »Gesicht zur Wand!« kommandierte Trask. »Lake, Sie kommen hierher!« »Machen Sie sich nicht unglücklich, Trask!« sagte Licata erregt. »Was haben Sie davon? Nehmen Sie das Geld und verschwinden Sie!« Trask sprach leise mit Rashid. Licata spürte, daß im Plan der Terroristen etwas schiefgelaufen war. »Hier stimmt etwas nicht«, sagte er zu Motzkin. »Hoffentlich behalten sie die Nerven«, wünschte Motzkin. »Motzkin! Sie kommen ebenfalls her!« Trasks scharfe Stimme unter band jeden Widerspruch. »Ich?« »Ja, Sie! Und zwar ein bißchen plötzlich.« »Warum? Was wollen Sie von mir?« Licata drehte sich um. »Er ist verletzt. Nehmen Sie lieber mich!« »Gesicht zur Wand!« fuhr Rashid den Assistenzarzt an. Licata ge horchte, und Motzkin humpelte in den Waschraum. Rashid stieß ihn neben Lake und band dem Anästhesisten ebenfalls mit Klebeband die Hände auf dem Rücken fest. 225
»Jack, Burns und einer von Jimmys Leuten sollen euch helfen, sobald wir weg sind«, wies Lake vom Waschraum aus Licata an. »Mach dir wegen uns keine Sorgen, Eric.« Trask ging zur Tür, öffnete sie und sah hinaus. Von Carlos Olmedo keine Spur. Der Korridor lag verlassen. »Ich glaube, wir müssen auf ihn verzichten«, sagte Trask zu Rashid. Seine Stimme hatte einen unsicheren Klang. Rashid nickte. »Nehmen wir einen dritten?« fragte Trask. Rashid nickte erneut. »Irgendeinen.« Lake achtete nicht auf die beiden. »Jack, hörst du mich?« »Ja, Eric.« »Lass sofort eine Blutgasanalyse machen. Achtet auf die Urinaus scheidung und vergesst das Serum-Kalium nicht. Wenn Tench aus der Narkose aufwacht, sagt ihr ihm, daß ich einen dringenden Fall habe. Ich kümmere mich wieder um ihn, sobald ich kann.« Trask und Rashid flüsterten miteinander. »Laßt das Perikard geöffnet«, fuhr Lake fort. »Evans wird sich im Aufwachraum um ihn kümmern.« Mihrab fröstelte. Er ahnte, daß die beiden Terroristen eine dritte Geisel aussuchen würden. Sollte er sich freiwillig melden? Fast glaubte er zu wissen, daß sie Licata nicht nehmen würden. »Nehmen Sie mich«, erklärte Mihrab unvermittelt. »Und lassen Sie Doktor Motzkin hier. Er ist verletzt. Bitte!« Mihrab sah Rashid an. »Wir sind doch beide Araber.« Doch Rashid beachtete ihn gar nicht. »Na, gut«, beschloß Trask endlich. »He, Sie! Der letzte dort.« Er deu tete auf Cho. »Ich?« fragte der Koreaner. »Ja. Kommen Sie her!« »Aber ich bin neu hier. Das ist mein erster Arbeitstag.« Rashid packte ihn am Arm und stieß ihn in den Waschraum. »Ge sicht zur Wand!« Rashid band ihm die Hände auf den Rücken. 226
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ockewicz hatte Stade und seinen Mitarbeitern alle nur möglichen Fluchtwege der Terroristen gezeigt. Am wahrscheinlichsten war, daß sie über die Treppe links vom Eingang zur Chirurgie in den Kel ler, am Leichenschauhaus, der Pathologie und dem alten Vorlesungs saal vorbei zur Laderampe gehen würden. »Wenn sie nur zu zweit sind, wird es nicht leicht für sie sein, die Gei seln in Schach zu halten. Schließlich müssen sie ja noch die vier Kof fer tragen«, überlegte Stade laut, während er die Laderampe eingehend studierte. »Die beiden haben Helfer«, warf Lief ein. »Trask hat sicher nicht ge blufft, als er behauptet hat, daß seine Leute überall postiert sind.« Stades Blick schweifte über Türen, Aufzugschächte und Treppen aufgänge. Seine Scharfschützen waren mit Winchester-Gewehren mit Zielfernrohren ausgerüstet und an allen taktisch wichtigen Stellen po stiert. Jeder Schütze hatte einen Kollegen bei sich, der ein Funkgerät hatte. Die Männer kehrten in Rockewicz' Büro zurück. Stade wiederhol te seine Anweisungen. »Die Sicherheit der Geiseln hat absolute Prio rität«, sagte er zu seinen Mitarbeitern. »Wir beobachten ihren Abzug und nehmen dann die Verfolgung auf. Die Geiseln dürfen auf keinen Fall gefährdet werden.« »Verfolgung?« wiederholte Rockewicz. »Bitte, stellen Sie mir jetzt keine weiteren Fragen.« Reinhold machte sich bemerkbar. »Was ist mit mir und meinen Män nern? Sind wir von der Aktion ausgeschlossen?« »Im Augenblick, ja«, lautete die kurze, klare Antwort. »Unbestätigten Berichten zufolge hat der terroristische Überfall mit 227
Geiselnahme im ›City General Hospital‹ ein weiteres Todesopfer ge fordert …« Der Leiter der Drogenambulanz stellte das Radio lauter. Wer konn te das sein, überlegte Fiona. Ihre Gedanken arbeiteten fieberhaft. Wa rum wurden keine Namen genannt? War Rashid getötet worden? Oder Trask? Sie mußte folglich allein handeln, wenn die Gruppe gesprengt sein sollte. Der Krankenwagen stand mit kreisendem Blinklicht und laufendem Motor im Hof. Hooks hatte behauptet, jeden Wagen fahren zu können. Fiona hoffte, daß das auch wirklich zutraf. Zwei Männer standen neben dem Krankenwagen, deuteten besorgt auf die Karosserie und verschwanden wieder. »Mein Gott, das ist doch reiner Wahnsinn!« seufzte Fat. »Jetzt ist schon wieder einer tot. Ich hoffe, es hat einen von den Kerlen er wischt.« Fiona war die einzige Person, die sich hier in der Ambulanz aufhielt. Sie hatte ihre Schultertasche und das längliche Paket an der Tür abge stellt. Fat hatte sie aufgefordert, nach Hause zu gehen, doch sie war un ter dem Vorwand, Schwindelanfälle zu haben, geblieben. Daraufhin hatte sie einen Pappbecher mit einer Dosis Methadon bekommen, des sen Inhalt sie allerdings unauffällig weggeschüttet hatte. Langsam stand sie auf, ging zur Glastür und schätzte die Entfer nung vom Ambulanzraum zur Laderampe. Es konnten ungefähr vier zig Meter sein. Die Laderampe war leer. In einer Ecke standen drei alte, verbeulte Mülltonnen. Fiona überschlug in Gedanken, wie lange sie für die Strecke brauchen würde. Die Tasche und das Paket konnte sie in den Krankenwagen legen und Hooks mit den Koffern helfen. Dann würden sie Trask, Rashid und Olmedo erwarten. Fiona stand an der Tür und wartete. Da bemerkte sie im Augenwin kel eine Bewegung auf einem Dach gegenüber der Klinik. Sie sah ge nau hin und wußte sofort, was das bedeutete. Das FBI hatte Scharf schützen in Stellung gebracht. Fiona nahm ihre Tasche über die Schulter und das Paket in die lin ke Hand. 228
»He, was haben Sie vor? Bleiben Sie lieber hier!« rief Fat. »Da drau ßen scheint sich was zu tun. Wir haben Anweisung, niemand in den Hof zu lassen.« »Keine Angst, mir passiert nichts.« In diesem Augenblick öffnete sich die Tür über der Laderampe und vier Männer traten heraus mit grünen Stoffkoffern in der Hand, die sie am Rampenrand abstellten.
Trask stieß Motzkin mit dem Revolver zur Tür. »Los, alle drei stellen sich hintereinander vor der Tür auf!« befahl er. »Motzkin, Sie sind der erste. Dann Cho und Lake.« Rashid öffnete die Tür, stieß eine Tragbahre zur Seite, rückte einen Aktenschrank weg und sah in den Korridor hinaus. »Keine Spur von Olmedo!« stellte er fest. »Verdammt!« zischte Trask. »Diese verdammten Schweine!« Ein leichtes Zittern befiel ihn. »Wir … wir …« Lake und Motzkin warteten schweigend. »Jetzt ist es zu spät, um sich um Olmedo zu kümmern«, erklärte Ras hid. »Er ist entweder tot oder er hat uns verraten.« »Ausgeschlossen. Carlos würde das nie tun!« »Wenn wir schon gehen müssen, dann gehen wir doch endlich!« sag te Lake ungeduldig. »Wartet, verdammt noch mal!« schrie Trask unbeherrscht. Er war erregt. Während Rashid die drei Geiseln bewachte, ging Trask zum Telefon zurück und wählte Rockewicz' Nummer. Lief meldete sich. »Wo ist Stade? Wo ist Rockewicz?« brüllte er in den Hörer. »Ihr ver dammten Schweine! Was habt ihr mit Carlos gemacht? Wo ist er?« »Ich weiß nicht, wovon Sie reden, John. Aber jetzt haben Sie noch Zeit aufzugeben. Wir würden alle ein gutes Ende begrüßen.« »Stellen Sie sich nicht dümmer als Sie sind!« entgegnete Trask mit bebender Stimme. »Wo ist er? Glauben Sie nichts, was er Ihnen sagt. 229
Er ist ein pathologischer Lügner. Was habt ihr mit ihm gemacht? Habt ihr ihn bestochen? Ist er beschattet worden?« »John, wer ist Carlos?« fragte Lief. »Worum geht's überhaupt?« »Ihr Mörder! Versucht ja keine schmutzigen Tricks, wenn wir die Klinik verlassen. Die Ärzte hier werden jeden eurer Fehler mit dem Le ben bezahlen. Und – wenn wir sterben, sterben sie mit uns.« »John, wir müssen unseren Zeitplan einhalten!« rief Rashid zu Trask hinüber. »Die anderen warten schon. Vielleicht mußte Carlos umdis ponieren. Möglicherweise wartet er beim Krankenwagen.« Trask hängte ein. Licata beobachtete ihn fasziniert. »Sie hatten draußen einen Kompli cen …«, sagte er leise zu Mihrab. Trask richtete die Waffe auf Jack Licata. »Schnauze, oder Sie sind dran.« »Carlos«, murmelte Motzkin. »Heißt nicht Olmedo so mit Vorna men?« »Keine Ahnung, Alan«, murmelte Lake. Rashid öffnete die Tür. Trask stieß Lake den Revolver in die Seite. »Lake, Sie kommen mit mir. Cho, Sie folgen Doktor Lake, und Rashid bildet mit Motzkin den Schluß. Wir bleiben alle hübsch beieinander, verstanden? Mundtuch und Hauben dürfen auf keinen Fall abgenommen werden. Eine falsche Bewegung und es wird geschossen.« »Keine Sorge, Eric!« rief Licata. »Wir holen euch da raus!« »Quatschen Sie nicht!« herrschte Trask Licata an. »Rufen Sie Rocke wicz an, sobald wir den OP verlassen haben!« Stade, Rockewicz und Cardone starrten von einem Fenster im zehn ten Stock auf den Hof hinunter. Sie konnten den überdachten Über gang sehen, der die beiden Gebäudeteile miteinander verband. Darun ter führte der Kennedy-Boulevard hindurch. Auf der anderen Seite des Hofs lagen der Eingang zur Drogenambulanz und die Garagen. Schräg gegenüber sah man auf die alte Laderampe. In der Hofmitte parkte der Krankenwagen. Sein Blaulicht kreiste. Alle anderen Autos waren verschwunden. 230
Rechts und links von Stade kauerten Scharfschützen hinter den Fen stern. Die zurückgesetzten Mauersimse im fünften Stock und die Fen ster im Parterre waren ebenfalls mit Scharfschützen besetzt. »Es schneit«, bemerkte Rockewicz. »Ist das gut oder schlecht?« »Für uns kann es nur von Vorteil sein«, erwiderte Stade. »Wenn sie einen Unfall vermeiden wollen, müssen die Burschen langsam fahren und können uns nicht so schnell abhängen.« »Haben Sie ernstlich vor, sie zu verfolgen?« erkundigte sich Cardo ne. »Selbstverständlich. Alles können wir uns schließlich von diesen Kerlen nicht bieten lassen. Allerdings werden sie nicht merken, daß wir sie beschatten.« »Aber Mr. Tench …?« begann Cardone. »Ob sie es wagen, ihn bei diesem Wetter in seinem labilen Zustand …« »Die menschliche Natur ist zäher als man denkt«, warf Rockewicz ein. Er begann Martha Lake langsam zu verstehen. Sollen sie doch Tench mitnehmen, dachte er. Nur ja nicht Lake oder Motzkin und die anderen. Martha Lake hatte recht. Die Tenchs dieser Welt setzten sich immer und überall durch … auch auf Kosten anderer. Geld blieb am Ende immer siegreich. Unten im Hof stellten Stades Männer die vier Geldkoffer auf der La derampe ab. »Wieviel Dollar sind es nach der letzten Zählung?« wollte Stade wis sen. »Sieben Millionen«, antwortete Cardone. »Den Rest versuchen mei ne Leute noch aufzutreiben.« »Damit könnte man einige neue Apparate für unser Krankenhaus kaufen«, bemerkte Rockewicz düster. Im geheimen schwor er sich, Cardone und den Tench-Konzern für das Drama, das sich in seiner Klinik abspielte, nicht ungeschoren davonkommen zu lassen. Da kam ihm eine Idee. Zum Gedenken an den toten Jimmy Baggs mußte etwas getan werden. Ein neuer Operationssaal, ein Gebäude … oder am besten ein Herzforschungszentrum: ›The James Baggs Memo rial Heart Research Center‹. 231
»Da kommt ein Mädchen aus der Drogenambulanz«, sagte Cardone plötzlich. »Wer ist das?« Fiona wirkte mit ihrer großen Schultertasche und dem Paket in der Hand fast klein und schmächtig. Sie kam langsam die Treppe herunter und ging quer über den Hof in Richtung Laderampe. »Sie ist eine von ihnen«, stellte Stade fest. »Trask hat von zwei Kom plicen gesprochen, von einem Farbigen und einer Frau.« »Machen Sie Witze?« fragte Rockewicz verwundert. »Das ist ja noch ein halbes Kind.« »Eine weiße, schlanke Frau … bewaffnet«, erwiderte Stade. »Das ist sie.« »Es wäre interessant zu wissen, was in ihrer Tasche und dem Pa ket steckt.« Cardone rieb sich die Nase. »Es ist nur ein blutjunges, schmächtiges Mädchen, aber sie hat uns in der Hand.« »Es wird nicht geschossen«, gab Stade über sein Funkgerät durch. »Ich wiederhole! Nicht schießen!«
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achdem Bate Hooks die Imbissstube durch Toilette und Hinter ausgang verlassen hatte, nahm er seinen Matchsack über die Schulter, sah nach links und rechts und umrundete zur Sicherheit drei mal den Block. Die ganze Gegend wimmelte von Polizisten. Streifen polizisten in Uniform und Kriminalbeamte in Zivil drückten sich an jeder Ecke herum oder saßen gelangweilt in den Autos. Hooks beob achtete alles genau. Diese Polizisten konnten ihm keine Angst einja gen. In einer Seitenstraße auf dem Weg zum Krankenhaus kam ihm ein Farbiger mit einem Transistorradio unter dem Arm entgegen. »Was 'n los?« erkundigte sich Hooks bei ihm. 232
»Sie haben noch jemand umgebracht.« Hooks nickte. »Wen? Wieder einen Bruder?« »Nein, aber Genaueres sagen sie nicht.« Hooks konnte sich fast vorstellen, was passiert war. Dieser heißblü tige Rashid hatte bestimmt die Nerven verloren und einen Arzt oder eine Krankenschwester umgelegt. Für Rashid war das wie eine Droge. Hooks sah auf die Uhr. Seine Zeit war jetzt gekommen. Der nas se Schnee könnte sich beim Fahren zu einem Problem auswachsen. Vor allem beim Bremsen, Beschleunigen und in Kurven konnte es ge fährlich werden. Hooks ging gedankenschwer in Richtung Kranken haus weiter. Er achtete darauf, daß er den Neugierigen, die fröstelnd im nassen Schneeregen hinter der Absperrung harrten, nicht zu nahe kam. Er dachte an den Farbigen, den Bruder, der gleich zu Anfang der Ak tion erschossen worden war. Dieser Baggs sollte einer der besten gewe sen sein, hatte die Krankenschwester behauptet. Falls Rashid ihn auf dem Gewissen hatte, na dann … Hooks näherte sich der Absperrung. Er konnte die Gruppe jetzt nicht im Stich lassen. Es gab Zeiten, da verachtete er Trask und die Irin, und manchmal hasste er Rashid. Aber Carlos Olmedo war ein Mann nach seinem Geschmack. Carlos Olmedo wußte, was leiden heißt. Seine Augen hatten immer einen weichen Glanz. Er hatte kei nen Spaß am Töten; nicht einmal, wenn es sich um seine Feinde han delte. Sie hatten lange miteinander geredet. Hooks glaubte, Olmedo zu verstehen. »He, Mann! Was bilden Sie sich ein? Wohin wollen Sie?« Es war der junge Polizist, mit dem Hooks sich in der Imbissstube angelegt hatte. »Zum Parkplatz natürlich.« »Bei Ihnen piept's wohl! Los, zurück!« Hooks hatte bereits ein Bein über die Absperrung geschwungen. Den Matchsack trug er über der Schulter. »Los, machen Sie, daß Sie wieder rüberkommen! Aber 'n bißchen plötzlich! He, Sergeant, da ist der Kerl schon wieder.« »Sie brauchen nicht nach Ihrem Sergeant zu brüllen, Mann«, ent 233
gegnete Hooks freundlich. »Fragen Sie lieber den Mann vom FBI dort drüben mit dem Funkgerät.« Hooks deutete zum Eingang des Kran kenhauses hinüber. »Das FBI weiß über mich Bescheid!« Hooks winkte dem FBI-Agenten zu. »Hallo, Freunde! Ich bin's!« Einer der FBI-Agenten sprach hastig etwas in sein Funkgerät, wäh rend er Hooks eingehend musterte. Die Mütze, die Armeekleidung, die Stiefel … Dann gab er dem Streifenpolizisten ein Zeichen, Hooks durchzulassen. »War auch Zeit, mein Freund«, bemerkte Hooks sarkastisch. Der junge Streifenpolizist beobachtete verwirrt und fassungslos, wie Hooks über die Absperrung kletterte und die Straße überquerte. Neu gierige Blicke folgten ihm. Hooks kümmerte sich nicht um die Zuschauer. Mit langsamen, si cheren Schritten ging er die Auffahrt entlang. Wenn ihr mir jetzt eine Kugel in den Rücken schießen wollt, dann tut es, Freunde, dachte er. Doch Trask war überzeugt, daß ihm nichts zustoßen konnte. Wenig stens nicht, solange einige ihrer Medizinmänner seine Geiseln waren. Da war einfach nichts drin. Hooks sah zu den beiden Hochhaustürmen des Krankenhauses em por. Seltsam, wie sich der Kreis immer wieder irgendwie schließt, wenn auch eine große Spanne Zeit dazwischen liegt, überlegte er. Schreiend und unerwünscht war er hier zur Welt gekommen. Vor ihm lag der Innenhof, in dessen Mitte der große Krankenwa gen parkte.
»Ich kann es einfach nicht glauben, daß sie dazu gehört«, sagte Cardo ne. »Sie sieht wie sechzehn aus.« »Keine Angst, sie ist es. Trask hat sie uns beschrieben«, entgegnete Stade. Fiona blieb neben der Tür des Krankenwagens stehen, öffnete sie und legte Tasche und Paket auf den Sitz. Dann ging sie in Richtung Laderampe weiter. 234
Ihr Kopf erschien im Fadenkreuz der Zielfernrohre von gut einem halben Dutzend Scharfschützen. »Es wird nicht geschossen«, wiederholte Stade seine Anweisung per Funk. An der Laderampe angelangt, nahm Fiona zwei Koffer. Als sie sich umdrehte, sah sie Hooks auf sich zukommen und lief zum Kranken wagen zurück. »Welche Reichweite hat das Funkgerät im Krankenwagen?« wollte Stade wissen. »Hundert bis hundertzwanzig Kilometer«, antwortete Rockewicz. »Vorausgesetzt, es funktioniert. Es ist kein besonderes Modell!« Der FBI-Beamte machte eine lässige Handbewegung. »Keine Angst, so weit kommen die gar nicht. Bis dahin haben wir sie längst.«
Kaum hatten Trask und Rashid mit ihren drei Geiseln den Operations saal verlassen, ging Licata zum Telefon und wählte Rockewicz' Num mer. Der stellvertretende Klinikdirektor Buttram hob ab. »Sie sind unterwegs, Dave«, verkündete Licata. »Wen haben sie mitgenommen?« »Eric.« »Mist. Sonst noch jemand?« »Ja. Alan und seinen Assistenten, diesen Koreaner Cho.« »Drei?« Auch Stade schaltete sich in das Gespräch ein. »Und wieviel Terroristen sind es?« »Zwei. Nur die beiden, die die ganze Zeit über im OP gewesen sind. Dieser Trask und ein Araber.« »Ist sonst jemand verletzt?« »Nein. Die Operation ist gut verlaufen. Tench ist in guter Verfassung. Allerdings brauche ich jetzt Hilfe. Könnten Sie mir Burns schicken? Vor ausgesetzt, er ist frei. Außerdem brauche ich zwei Anästhesisten. Am liebsten wäre mir Abe Gilad. Und dann noch einen von Jimmys Team. Vielleicht Musgrave. Er muß im Haus sein. Ich sah ihn heute morgen.« 235
»Welche Waffen haben die Burschen?« wollte Stade wissen. Licata dachte einen Moment nach. »Der Araber hatte meines Erach tens einen automatischen Karabiner. Auf sein Konto geht die Schieße rei. Er hat Baggs getötet … durch einen Schuß in den Rücken. Trask hat einen Revolver. Vermutlich Kaliber neun Millimeter. Außerdem besitzen sie Handgranaten.« »Ist Ihnen sonst noch was aufgefallen?« fragte Stade. Licata überlegte. »Zum Schluß haben sich die beiden recht merkwür dig benommen. Ich hatte, offen gestanden, den Eindruck, daß sie auf jemanden gewartet haben.« »Bestellt und nicht abgeholt«, bemerkte Stade und schaltete sich aus. Licata bat Buttram, dafür zu sorgen, daß der tote Baggs fortge bracht, das Labor wieder geöffnet und im Aufwachraum alles für Tench vorbereitet wurde. Die Operation konnte in einer Stunde be endet sein. Buttram gab Licata Anweisungen an Estelle LeBlanc weiter. Als er aufsah, blickte er geradewegs in Martha Lakes traurige Augen. »Ich hab's schon gehört«, sagte sie leise. »Tut mir leid, Mrs. Lake. Sie haben Ihren Mann mitgenommen. Aber machen Sie sich keine Sorgen. Diese Kerle werden es nicht wagen, ihm etwas anzutun.« »Hören Sie auf mit Ihrem Gefasel! Sie wollen mich doch nur beru higen!« Stade sah Martha Lake an. »Mrs. Lake, diese Männer haben, was sie wollten: das Geld. Sobald sie glauben, in Sicherheit zu sein, werden sie die Geiseln freilassen.« »Warum sollte ich Ihnen glauben?« entgegnete Martha Lake. »Seit Stunden höre ich nichts als optimistische Worte, und jetzt? Jetzt ist das Schlimmste eingetreten.« »Nicht das Schlimmste, Mrs. Lake«, widersprach Stade. »Nein …« Ihre Stimme versagte. »Noch nicht.« Das Funkgerät knackte. »Sie haben das Geld abgeholt und sitzen jetzt im Krankenwagen«, erklärte Stade. »Die Komplicen sind ein jun ges Mädchen und ein Farbiger.« 236
»Wo ist mein Mann?« wollte Martha Lake wissen. »Die Terroristen bringen die Geiseln gerade hinunter in den Hof. Sie werden das Klinikgelände in wenigen Minuten verlassen.« Buttram sah, wie Martha Lake die Hände an die Schläfen preßte. Sie schwankte. Er sprang auf. »Ist Ihnen nicht gut, Mrs. Lake?« Er ging auf sie zu. Sie wich vor ihm zurück. »Mir fehlt nichts. Rüh ren Sie mich nicht an!«
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ie Geiseln verließen mit den zwei Terroristen die Chirurgie. Eric Lake machte den Anfang. Trask hatte dem Chirurgen die Waffe in die Seite gedrückt und schob ihn vor sich her. Plötzlich riß Trask die Tür zu einem Vorratsraum auf. Dahinter stand ein Mann in blauer Windjacke. Die beiden starrten sich einen Augenblick an. Trask sah, daß der Mann nicht bewaffnet war. Trask warf die Tür wieder zu. »Weitergehen!« befahl er scharf. Trask atmete schwer. Er vermißte Carlos Olmedo. Wo mochte er nur sein? Carlos war für das Unternehmen sehr wichtig. Er allein kannte sich im Krankenhaus genau aus. »Wie kommen wir am schnellsten in den Hof?« fragte Trask. »Wir müssen jetzt nach rechts abbiegen, und dann ist es die erste Treppe rechts«, gab Lake zurück. Eine Krankenschwester, die einen Rollstuhl um die Ecke schob, sah die Gruppe und floh in ein Zimmer. Den Rollstuhl ließ sie stehen. »Könnten Sie nicht langsamer gehen?« bat Motzkin. »Ich habe schließlich eine Fußverletzung.« Rashid hörte nicht hin. Der Araber schwitzte. Seine wachsamen Au gen waren überall. Als Motzkin auf der Treppe jammernd stehen blieb, 237
stieß er dem Anästhesisten den Lauf seines Gewehrs in den Rücken. »Vorwärts! Wenn die Polizei vernünftig ist, passiert niemandem was.« Trask blieb im ersten Stock unschlüssig stehen. Das Treppenhaus wies eine schlechte Beleuchtung auf. »Die Laderampe liegt noch eine Etage tiefer«, behauptete Rashid. »Meinst du wirklich?« Trask wurde unsicher. Er hatte sich darauf verlassen, daß Olmedo sie aus der Klinik führen würde. »Das ist richtig«, stimmte Lake zu. »Aber wenn wir hier durch den Küchentrakt und anschließend eine Treppe hinuntergehen, sind wir schneller da. Die Polizei ist hier sowieso überall.« Trask nickte. »Okay! Vorwärts!« Er schob Lake weiter.
Als Hooks den Innenhof betrat, sah er, wie Fiona gerade zwei Koffer an der Laderampe aufnahm. In der Hofmitte parkte die Ambulanz, ein Chevrolet-Kastenwagen. Seine Reifen würden rauchen, wenn Hooks erst am Lenkrad saß. Er trat zu Fiona. »Packen wir's an, Baby«, sagte Hooks zu ihr. »Los, hilf mir!« forderte Fiona ihn auf. »Ist doch klar!« Hooks zog den M2-Karabiner aus dem Matchsack und schwenkte ihn über dem Kopf hin und her. »Hier bin ich, Bate Hooks, der Rächer!« Hooks nahm einen Koffer von der Laderampe. Fiona, die bereits die er sten beiden Koffer in den Krankenwagen gestellt hatte, kam zurück, nahm den letzten Koffer und lief zusammen mit Hooks zum Auto zurück. »Wo bleiben die anderen?« fragte Hooks. »Die kommen schon. Setz dich hinters Lenkrad. Kannst du mit dem Funkgerät umgehen?« »Alles, Baby. Bate Hooks kann alles. Aber hör gefälligst auf, mich rumzukommandieren, ja? Ich bin nicht einer eurer Idioten aus Belfast. Von jetzt an hast du hier Funkstille. Der einzige, der mir noch was zu sagen hat, ist Carlos. Trask und Rashid können mich mal.« 238
Fiona kletterte in den Fond der Ambulanz und ließ die Tür ange lehnt. Sie setzte sich auf eine der beiden gepolsterten Bahren und blick te zuerst durch die verschiebbare Trennscheibe in die Fahrerkabine und dann auf den Hof hinaus. Vorne hatten zwei Personen Platz, der hintere Teil war geräumiger. Im Wagen waren zwei Telefone und meh rere chromglänzende medizinische Geräte installiert. Hooks streckte sich. »Mann, Schnee ist was Herrliches. Die ganze Welt will mir das Lebenslicht ausblasen und kann's doch nicht tun!« Über einem Mauersims sah er einen Gewehrlauf blinken. Hooks grin ste. Dann stieg er ein und setzte sich hinter das Lenkrad. Die Mechaniker, die vor der Garage standen, begannen Hooks zu be schimpfen. »Du kannst schon mal anfangen zu beten, Baby!« rief einer. »Sie werden dir deine Birne gleich wegpusten.« »Das FBI zündet 'ne Bombe unter deinem Hintern.« »Dschungelboy!« »Mieser Nigger!« Hooks spuckte aus dem Fenster. Dann drückte er mit seinem großen GI-Stiefel das Gaspedal durch. Der laufende Motor heulte auf. An der Anzeige sah Hooks, daß der Benzintank voll war. Er zog die Mütze tief in die Augen. »He, Big Mama, du hast den richtigen Sound!«
Stade sah in den Hof hinunter. »Da kommt der zweite. Genau wie Trask ihn beschrieben hat.« »Ein alter Bekannter?« fragte Cardone. »Nein. Aber wir machen eine hübsche Aufnahme von ihm. In zwei Stunden wissen wir wahrscheinlich, mit wem wir es zu tun haben.« »Das sind Verrückte«, murmelte Rockewicz. »Vollkommene Idi oten!« »Es ist immer wieder erstaunlich, was Verzweiflung und Hoffnungs losigkeit aus einem Menschen machen können«, überlegte Cardone. Walker Tench hatte die Operation gut überstanden, die Terroristen hatten ihn nicht als Geisel mitgenommen. Somit war sein Leben geret 239
tet – und Cardones Zukunft gesichert. Cardone war wieder der Herr scher, würde es auch weiter bleiben. Nur ein kurzer Gedanke glitt zu den Geiseln, die in Lebensgefahr schwebten. Doch das Leben war oft ungerecht. Der Parkplatz wirkte jetzt wie leergefegt. Allein das Ambulanzfahr zeug stand mit laufendem Motor in der Mitte des Hofes. »Sie verfolgen sie natürlich«, bemerkte Cardone. »Bis wir sie haben«, antwortete der FBI-Beamte.
Hooks Augen richteten sich auf das Autoradio, die Telefonappara te und das Funksprechgerät. Es war alles übersichtlich angeordnet, funktionierte auf Knopfdruck. Mann, wir reisen erster Klasse, dach te Hooks und begann die Knöpfe zu bedienen. Rockmusik plärrte aus dem Radio. »Mach sofort das verdammte Ding aus, Hooks!« kam Fionas Stimme aus dem rückwärtigen Teil des Ambulanzwagens. »Bate Hooks braucht Musik, Baby!« »Schalte das Radio aus, habe ich gesagt!« Hooks beachtete sie gar nicht. Fiona öffnete den ersten Koffer, starrte wie hypnotisiert auf die Dol larbündel, doch dann schloß sie den Deckel wieder. Wirre Gedanken trieben ihr durch den Kopf. War diese Millionenbeute das Ziel von Trask? Geriet nicht ihre Idee der Revolution dabei ins Wanken? Geld – Geld! Was könnte man damit alles anfangen! Den Armen helfen – aber auch sich selbst einige Annehmlichkeiten gönnen. Im Fahrerhaus nickte Hooks im Rhythmus der Musik mit dem Kopf und trommelte den Takt mit seinen Fingern auf dem Lenkrad mit.
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ie kommen«, sagte Hooks plötzlich. »Trask, Rashid und die ande ren.« »Wo ist Olmedo?« »Den sehe ich noch nicht. Der in der Mitte! Ist er das nicht?« Hooks blickte angestrengt durch die Windschutzscheibe. Im nächsten Mo ment wußte er, daß der Mann in der Mitte nicht Olmedo, sondern ein Fremder war, dem man wie den beiden anderen Geiseln die Hände auf dem Rücken gefesselt hatte. »Es sind also insgesamt fünf«, bemerkte Rockewicz. »Die beiden Ker le aus dem OP, das Mädchen, der Farbige und Olmedo.« »Vier inzwischen«, verbesserte Stade ihn. Sie hörten, wie der Motor des Ambulanzwagens aufheulte. Der gro ße Farbige saß am Steuer. »Jetzt könnten sie zwei weitere Terroristen ausschalten«, bemerkte Cardone. »Und dann?« fragte der FBI-Agent. »Wenn wir jetzt zwei von ihnen töten, springen die anderen aus dem Wagen und fangen an, die Ärz te zu exekutieren.« Die Tür zur Laderampe wurde geöffnet. Fünf Männer kamen her aus. »Der erste ist Eric«, sagte Rockewicz. »Alan macht den Schluß. Mein Gott, der Mann kann ja kaum gehen. Der in der Mitte muß Alans As sistent sein.« »Den großen Burschen mit dem Revolver habe ich genau im Visier«, meldete einer der Scharfschützen neben ihm. »Mein Befehl gilt«, entgegnete Stade. »Es wird nicht geschossen.« Rockewicz merkte, daß seine Hände zitterten. Die Erinnerung an 241
Bilder von einem Ausbruchsversuch in einem kalifornischen Gefäng nis stiegen in ihm hoch. Verzweifelte, zu allem entschlossene Gefan gene hatten während einer Gerichtsverhandlung einen Richter in ihre Gewalt gebracht, ihm ein Gewehr um den Hals gehängt und mit ihm das Gebäude verlassen. Irgend jemand hatte das Feuer eröffnet und drei Gefangene getötet. Der Richter hatte das Massaker ebenfalls nicht überlebt. Cardone beobachtete, wie das Mädchen die Tür zum Laderaum des Kastenwagens aufhielt. »Lake und Motzkin steigen hinten ein«, stellte Rockewicz gequält fest. Fiona verschwand hinter den Geiseln im Wagen. Rashid war der letz te. Er warf noch schnell einen Blick in die Runde, der wohl den Scharf schützen gelten sollte, sprang dann ebenfalls in das Krankenfahrzeug und zog die Tür hinter sich zu. Trask kletterte auf den Beifahrersitz ins Fahrerhaus. »Und was machen wir jetzt?« fragte Cardone. »Wir nehmen die Verfolgung auf«, antwortete einer der FBI-Agen ten. »Die Terroristen werden darauf gefaßt sein!« meinte Rockewicz. »Natürlich sind sie mißtrauisch und werden was Ähnliches vermu ten, aber das Risiko müssen wir eingehen.« Mit einem Aufheulen des Motors und quietschenden Reifen auf dem schneenassen Asphalt fuhr die Ambulanz an und unter dem Über gang zwischen den Gebäuden hindurch. Sekunden später war das Fahrzeug aus ihrem Blickfeld verschwun den.
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VI. BUCH
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usgrave und ein weiterer Kollege aus Baggs früherem Team wur den in den Operationsraum geschickt, um Licata und Mihrab zu helfen, die Operation zu beenden. An Motzkins Stelle trat der israelische Anästhesist Abe Gilad, und am Operationstisch half einer der erfahrensten Assistenzärzte, ein Ir länder namens Maurice Burns. Wenige Minuten später kam auch Dr. Burt Evans, Chefarzt der Inneren Abteilung und Herzspezialist. »Der Schnitt in der Schenkelschlagader ist geschlossen«, meldete Mi hrab. »Kann ich die Klemme abnehmen?« »Natürlich. Das Herz schlägt einwandfrei.« Die Chirurgen schlossen den Einschnitt in Tenchs Oberschenkel mit feinen Stichen. Dr. Burns nahm den Retraktor aus Tenchs Brustbein. Die beiden Knochenteile fügten sich wieder zusammen, und die Ärzte begannen mit der Verdrahtung. »Wie sieht's bei dir aus?« fragte Licata zu Gilad hinüber. »Noch nicht einwandfrei, aber es wird schon. Wir steuern das Herz am besten noch über den Schrittmacher. Ist Motzkin eigentlich schwer verletzt?« »Er hat ein Stück von einem Zeh verloren«, gab Licata zurück. Gilad nickte. Er schätzte Motzkin, er hatte viel von ihm gelernt. Mihrab verdrahtete geschickt Tenchs Brustbein. Licata tat seine Ar beit beinahe automatisch. In Gedanken war er bei Lake und den an deren. Für die bewaffneten Terroristen, die den Operationssaal besetzt gehalten hatten und Baggs töteten, empfand er weder Mitleid noch Sympathie. »Ich möchte den Schrittmacher jetzt langsam abschalten«, sagte Li cata laut. »Abe, gib ihm bitte mehr Isuprel.« 244
Der Himmel über der Stadt verdunkelte sich. Heftiger Schneeregen peitschte gegen die Fensterscheiben, so daß man die Menschen im Hof und auf der Straße nur als Schemen sehen konnte. Die Neonbeleuch tung war frühzeitig eingeschaltet worden, und das Leben im Kranken haus begann sich langsam wieder zu normalisieren. »Der Krankenwagen fährt in westlicher Richtung«, meldete Harris. Stade, der Einsatzleiter des FBI, war gerade ins Zimmer des Verwal tungsdirektors getreten. »Sind wir ihnen auf den Fersen?« fragte Stade. »So dicht wie möglich. Wir dürfen ja nicht auffallen.« Die Sprechanlage in Rockewicz' Büro war mit dem Funkgerät des Krankenwagens auf eine Wellenlänge geschaltet. Martha Lake stand neben Rockewicz. »Welchen Eindruck hat Eric gemacht?« »Er wirkte beherrscht und ruhig wie immer. Sie tun ihm bestimmt nichts, Martha. Dazu ist er eine viel zu wichtige Persönlichkeit.« Harris horchte angestrengt in sein Funkgerät und verkündete dann: »Die Herrschaften in der Ambulanz haben Sinn für Dramatik. Wie ich höre, haben sie Sirene und Blinklicht eingeschaltet.« »Das ist Berechnung«, stellte Stade fest. »Auf diese Weise schaffen sie sich freie Straßen. Außerdem weiß die Polizei der ganzen Stadt, daß sie Geiseln mitgenommen haben. Schon deshalb macht ihnen je der Platz.« Rockewicz fuhr sich mit der Hand über das kurze Haar. »Wie wol len sie eigentlich das Geld unauffällig loswerden? Sie sind offensicht lich noch dümmer als ich gedacht habe.« Im Vorzimmer hatte Estelle LeBlanc plötzlich zu schluchzen begon nen. Buttram telefonierte aufgeregt mit Oberschwester McCarran. Zwei Pfleger hatten Dr. Harvey Fess' Leiche in einem Vorratsraum ent deckt. »Fess ist tot?« flüsterte Rockewicz ungläubig. »Harvey? Oh, mein Gott …« Buttram setzte sich. Seine Knie zitterten. »Steve, das ist einfach un glaublich. Die Polizei ist der Ansicht, daß Olmedo ihn getötet hat. Als 245
Harvey versucht hat, die Chirurgie zu räumen, muß er Olmedo in die Arme gelaufen sein.« Rockewicz fuhr sich mit der Hand über die Stirn. »Oh, Gott, und ich habe ihn hinuntergeschickt. Aber woher hätte ich wissen sollen … Hat man … hat man ihn erschossen?« »Nein. Es sieht so aus, als sei er erwürgt worden«, erwiderte Buttram mit etwas unsicherer Stimme. In diesem Moment kam Chief Reinhold ins Zimmer. Er war im Kor ridor von O'Boyle fürs Fernsehen interviewt worden. Reinhold hat te seine Uniformjacke wieder angezogen. Sein Colt steckte im Halfter. »Wenn man auf mich gehört hätte, wäre das alles nicht passiert.« Und an Martha Lake gewandt meinte er in einem Ton der Überzeugung: »Ich hätte Ihren Mann da rausgeholt, Mrs. Lake.« »Jetzt reicht's, Reinhold!« wies Stade ihn zurecht. »Ich will diesen Unsinn nicht mehr hören.« Der Lautsprecher knackte. Trasks Stimme kam gereizt. »Ich will mit dem Mann vom FBI sprechen!« »Hier ist Arnold Stade«, meldete sich der FBI-Beamte. »Hören Sie mir gut zu, Stade. Sie werden uns nicht verfolgen! An dernfalls bringen wir in zehnminütigen Abständen eine Geisel nach der anderen um. Einen Mann behalten wir so lange, bis wir in Sicher heit sind.« »Verstanden. Sie werden nicht behelligt.« Am anderen Ende der Leitung ertönte ein Knacken und Rauschen. Trask schien sich mit jemandem zu streiten. Plötzlich fragte eine unbekannte Stimme laut: »Was habt ihr Gang ster mit Carlos gemacht?« »Wer spricht da?« fragte Stade zurück. »Bate Hooks, der Boss, du dämlicher Bulle. Was habt ihr mit Carlos gemacht?« Stade sah Rockewicz an. »Was für einen Carlos meinen Sie?« »Lass das, Hooks«, tönte Trasks scharfe Stimme dazwischen. »Ich will nicht …« »Wenn du mich noch einmal anrührst, jage ich dir eine Kugel in 246
den Kopf! – He, Sie? Ich meine Carlos Olmedo! Habt ihr ihn erschos sen?« Rockewicz wartete, bis Stade zustimmend nickte, dann meldete er sich: »Mr. Hooks? Hier spricht Mr. Rockewicz, der Direktor der Kli nik. Bei uns arbeitet ein Mann namens Carlos Olmedo. Er ist Pfleger. Als wir die Chirurgie geräumt haben, ist er vermutlich nach Hau se gegangen. Jedenfalls wurde er hier seit Stunden nicht mehr gese hen.« »Los, spuckt es endlich aus! Habt ihr ihn geschnappt? Wollt ihr ihn zum Reden bringen? Ihr werdet euch an ihm die Finger verbrennen! Olmedo ist mehr wert als ihr alle zusammen!« »Halt's Maul, Hooks!« zischte Trask im Hintergrund. »Gib mir end lich das Mikrophon!« »Kann ich mal mit ihnen sprechen?« Cardone sah Stade fragend an. Als dieser nickte, sagte er in die Sprechanlage: »John? Hier Cardone. Ich will ehrlich mit Ihnen sein. Bei der Lösegeldsumme fehlen einige Millionen. Wir haben getan, was wir konnten, aber die Federal-Reser ve-Bank hatte nicht mehr Hundertdollarnoten vorrätig. Es hätte eine weitere Stunde gedauert, die gesamte Summe zu beschaffen. Ich ver sichere Ihnen allerdings, daß Sie den Rest bekommen, wenn den Gei seln nichts geschieht.« Am anderen Ende wurde es gefährlich still. »Sie haben unsere Ver einbarung gebrochen!« brüllte Trask schließlich. »Wenn jetzt etwas passiert, haben Sie sich das selbst zuzuschreiben! Wir haben Walker Tench unversehrt freigelassen und unser Wort gehalten. Der Spion Baggs hat mich angegriffen, und nicht umgekehrt!« »Wo ist Carlos!« schrie Hooks dazwischen. »Trask, das hat er dir zu verdanken! Sie haben ihn geschnappt!« »Es ist durchaus möglich, daß wir jetzt ein Exempel statuieren!« mel dete sich Trask erregt. »Wir wissen nichts über diesen Olmedo«, warf Stade ein. »Darum geht es nicht«, wehrte Trask ab. »Tatsache ist, daß ihr uns mit dem Geld reingelegt habt. Cardone, Sie haben uns belogen!« Dann wurde der Sprechkontakt abgebrochen. 247
»Harmonie scheint in dieser Gruppe ja nicht gerade zu herrschen«, bemerkte Rockewicz. »Dieser Hooks! Oh, Mann!« Harris überflog den Computerbericht. »Sein Name taucht hier nir gends auf.« »Ich bin dafür, die Gruppe in Bezug auf Olmedo weiter im unklaren zu lassen«, entschied Stade. Cardone telefonierte bereits mit dem Finanzdirektor des Tench-Kon zerns und gab Anweisung, die restliche Lösegeldsumme so schnell wie möglich abzuzählen und zu verpacken. Rockewicz ging durch den Raum und setzte sich neben Martha Lake, die mit versteinertem Gesicht aus dem Fenster starrte. Keine Träne wollte ihre innere Qual lösen. Stade besprach sich mit seinen Mitarbeitern. Ein FBI-Agent zeichne te Linien in den Stadtplan ein. »Einen Krankenwagen können sie nicht ewig verborgen halten«, sag te Stade gerade. »Irgendwo müssen sie ihn abstellen.« »Im Augenblick machen sie nicht einmal den Versuch, unterzutau chen«, erwiderte einer von Stades Mitarbeitern. »Sie rasen mit Sirene und Blinklicht durch die Stadt, damit praktisch jeder weiß, wo sie stek ken.« Estelle öffnete die Tür. Sie sah zu Rockewicz hinüber. »Wir haben endlich Doktor Motzkins Frau erreicht. Wer spricht mit ihr?« Rockewicz sah auf. »Freiwillige vor!« Martha machte Anstalten aufzustehen, doch Rockewicz hielt sie zurück. »Nein, Sie waren nicht gemeint, Martha.« Es kümmerte ihn nicht, daß die anderen die Tränen in seinen Augen sahen, als er ins Vorzimmer hinüberging.
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ooks fuhr schnell und riskant, ohne jedoch die Herrschaft über den schweren Ambulanzwagen zu verlieren. Seinen Karabiner hatte er zwischen den beiden Sitzen gegen das Armaturenbrett gelehnt. Trask hielt seinen Revolver auf dem Schoß. Lake sah sich aufmerksam im Wageninneren um. Es war viele Jah re her, seit er zum letzten Mal in einem Krankenwagen gefahren war. Dieser verfügte über die modernste Ausrüstung. Die Trennscheibe zum Führerhaus war ein Stück geöffnet, damit sich Trask mit Rashid und Fiona besprechen konnte. Der Araber saß an der rückwärtigen Tür auf der linken Bahre. Der Lauf seines Karabiners war auf die Gei seln gerichtet. Das Mädchen war anscheinend unbewaffnet. Sie hatte auf der Bank vor der Trennscheibe Platz genommen. Da neben dem Araber auf der linken Bahre die Geldkoffer lagen, mußten sich die drei Geiseln neben einander auf die rechte Bahre zwängen. Motzkin saß dem Araber ge genüber an der rückwärtigen Tür. Lake musterte Fiona. Sie war ein junges, hübsches Mädchen. Er grü belte darüber nach, wie sie wohl in diese Gruppe gelangt war. Durch politische Anliegen, die sie mit der allgemeinen Richtung nicht verein baren konnte, oder warum sonst? »Haben Sie vielleicht eine Zigarette für mich?« wandte sich Lake an Fiona. »Tut mir leid, Doktor, aber hier dürfen Sie nicht rauchen.« »Willst du uns in die Luft sprengen?« fragte Motzkin. »Hier stehen doch überall Sauerstoffflaschen rum.« Motzkin beobachtete den Araber, der ihm gegenübersaß. Sein nar biges, dunkles Gesicht mit dem dichten, bläulichen Bartansatz wirk te maskenhaft starr. Die schwarzen Augen glitzerten gefährlich. Motz 249
kin hatte Angst vor Rashid. Diese Araber waren manchmal unbere chenbar. »Hör zu, Eric«, wandte sich Motzkin an Lake. »Falls mir etwas zu stößt, sag' bitte Bev und den Kindern, daß ich mit Würde gestorben bin.« »Es passiert dir nichts, Alan«, beruhigte ihn Lake. »Du und Bev, ihr schaut zu viele Fernsehfilme an. Wenn ihr schon bei den Nachrichten einschlafen würdet wie ich …« »Vielleicht hast du recht«, seufzte Motzkin. Trask drehte sich um. »Fiona, verbinde ihnen die Augen.« Das Mädchen stand auf, nahm einige Mullbinden aus dem Regal über den Tragbahren und begann, den Geiseln die Binden um den Kopf zu wickeln. »Junge Dame«, wandte sich Motzkin an Fiona. »Sie scheinen intelli gent und gebildet zu sein. Was haben Sie mit … mit diesen Leuten zu tun?« Fiona ignorierte die Frage des Anästhesisten. Der Krankenwagen raste durch die Armenviertel der Stadt, an klei nen Fabriken und Geschäften mit zugenagelten Schaufensterscheiben vorbei. Immer wieder säumten abbruchreife Wohnblocks die Straßen. Über ihnen verlief ein riesiger Highway. Olmedo hatte die Fluchtrou te nach Plan A festgelegt. Sie sollten sich nur im Gewirr düsterer, zwie lichtiger Straßen bewegen, wo sie jederzeit wenden, Täuschungsmanö ver durchführen und schließlich ganz untertauchen konnten. »Hörst du das?« fragte Hooks. »Was denn?« »Na, den Hubschrauber. Sie folgen uns. Verdammt, Olmedo fehlt uns. Er kannte die Stadt besser als jeder andere.« Trask kurbelte sein Fenster herunter und starrte zum grauschwar zen Himmel hinauf. Schneeflocken wirbelten durch die Luft. »Ich hör' nichts.« »Du hörst nichts und siehst nichts. Wozu bist du überhaupt zu ge brauchen? Du hast Olmedo einfach abknallen lassen!« »Red' keinen Quatsch. Er ist vielleicht gar nicht tot.« 250
»Natürlich haben sie ihn erwischt«, widersprach Hooks wütend. »Du hast ihn ausgeliefert, um deine Haut zu retten. Carlos war mehr wert als ihr alle zusammen. Ihr habt ihn von den Bullen umlegen lassen, und …« »Hör mit dem Unsinn auf und konzentrier dich lieber aufs Fahren! Verdammt, runter vom Gehsteig!« »Und dann hast du mit den Bullen 'nen Handel abgeschlossen. Ein toller Handel ist das, kann ich nur sagen! Jetzt schwirren sie über un seren Köpfen mit 'nem Hubschrauber rum. Ich hör' das Ding doch ge nau. Verdammter Mist, und Carlos ist nicht da. Er könnte uns wenig stens sagen, wie wir hier wieder rauskommen.« »Es scheint Familienzwistigkeiten zu geben«, flüsterte Motzkin Lake zu. »Ist das von Vorteil für uns oder ein Nachteil?« »Keine Ahnung.« Lake gähnte. Die Erschöpfung nach der schweren Operation drohte ihn zu überwältigen. Er spürte, wie sich eine fast läh mende Müdigkeit in seinem ganzen Körper ausbreitete. Lake zwang seine Gedanken in eine andere Richtung. Er dachte an Walker Tench. Doch er brauchte sich keine Sorgen zu machen. Licata und die anderen würden sich um ihn kümmern. Walker Tench würde überleben. Lake versuchte vergeblich, seine Beine auszustrecken. Es war ziem lich eng in diesem Ambulanzwagen. Seine Muskeln waren verkrampft und seine Nerven überreizt. Fiona hatte sich inzwischen wieder auf die Bank gesetzt, nahm vier Faltkoffer aus ihrer großen Schultertasche und begann das Geld aus dem ersten der grünen Koffer zu zählen und umzupacken. Rashid klemmte den Karabiner zwischen die Beine und half ihr dabei. Cho saß vornübergebeugt zwischen Lake und Motzkin und hatte den Kopf in die Armbeuge gelegt. »Ich habe heute nachmittag einen Operationstermin«, begann Lake. »Wann werden Sie uns freilassen?« »Vielleicht nie«, antwortete Trask. »Das hängt ganz vom FBI und der Polizei ab.« Trask schaltete das Autoradio ein. In der Nachrichtensendung er tönte plötzlich seine Stimme. Das Interview, das Trask O'Boyle gege 251
ben hatte, wurde im Rundfunk wiederholt. Trask hörte andächtig zu: »… wir sind stärker als die heimlichen Herren dieser Welt, als die Re gierungen, die Ölkonzerne, die Vollstreckungsgehilfen der Unterdrük ker, die verlogenen Massenmedien, die morbiden Universitäten. Wir sind die Sprecher der Unterdrückten in Asien, in Lateinamerika und in Afrika …« Hooks ließ diesen Worten ein schallendes Gelächter folgen. »Mann, du sprichst für keinen einzigen Afrikaner!« Trask wurde dunkelrot. »Ich warne dich, Hooks!« Im Fond des Wagens begannen Fiona und Rashid den zweiten Geld koffer umzuräumen. »Du und dein verdammter Plan!« nörgelte Hooks wütend. Er hat te das Fenster auf seiner Seite heruntergedreht und warf von Zeit zu Zeit einen prüfenden Blick zum Himmel und in die Seitenstraßen. Es herrschte kaum Verkehr. Es schien ihnen niemand zu folgen. Trotz dem war sich Hooks seiner Sache nicht sicher. Hin und wieder glaubte er das Dröhnen eines Hubschraubermotors zu hören. »Bis jetzt hat er jedenfalls funktioniert«, entgegnete Trask grimmig und versuchte, sich auf die Nachrichten zu konzentrieren. »Na, klar funktioniert er … prima funktioniert er«, äffte Hooks ihn nach. »Was machen wir mit dem vielen Geld, Trask? Machen wir 'ne Revolution? Du hast doch die ganze Zeit davon gefaselt, daß du Ara bern wie Rashid beibringen willst, General Motors die wichtigen Roh stoffe zu sperren, damit wir hier die Macht übernehmen können, oder? Willst du mich eigentlich mit solchem Quatsch verarschen? Diese ara bischen Scheiche und Nigger-Präsidenten halten sich doch für den Herrgott persönlich. Vielleicht sind das genauso miese Typen wie die Bosse von General Motors? Wie findest du das? Die sind doch eifrig damit beschäftigt, andere Nigger umzubringen. Mann, wenn du wirk lich glaubst, daß diese Ölmilliardäre und Urwaldpräsidenten auf un serer Seite sind, dann bist du noch verrückter als ich gedacht habe. Die lassen doch ihre eigenen Leute kaltblütig umkommen!« »Damit hat er nicht ganz unrecht«, murmelte Motzkin. »Halte du dich da raus, Alan«, sagte Lake leise. 252
Wir werden ihn umbringen müssen, dachte Trask. Hooks raste um eine Kurve. Der Wagen geriet ins Schleudern. Die Insassen im Fond des Wagens wurden hin und her geworfen. Fiona und Rashid protestierten gegen diese Fahrweise von Hooks. Obwohl seine Augen verbunden waren, spürte Lake, daß Rashid et was von der rückwärtigen Tür abgerückt war. Ein anderer wie Lake hätte sich jetzt vielleicht eine Chance ausgerechnet, die beiden Terro risten in ihrem hinteren Teil des Wagens zu überwältigen, wenn sie von den Fesseln frei wären, mit einem Sprung die Tür zu erreichen und versuchen zu entkommen. Doch Eric Lake dachte an die klei ne Ramazotti mit dem Septumdefekt, die er am Nachmittag operie ren sollte. »Du kannst jetzt die Klamotten verteilen«, sagte Trask nach hinten. Fiona öffnete die Schultertasche und zog dünne Nylonjacken und Mützen heraus. »Wir brauchen nur jeweils vier«, murmelte sie. »Ich möchte wissen, was mit Carlos …« Sie brach ab. Rashid zählte ungerührt weiter. »Sei still!« »Carlos … Carlos Olmedo hat zu euch gehört?« fragte Motzkin ver wundert. »Er war doch ein netter Kerl.« Im Anschluss an die Nachrichtensendung wurde eine kurze Bio graphie von Trask gesendet. Sie hatten inzwischen eine Menge aus gegraben: Die Unruhen an der Universität von New York, die konspi rativen Treffen in Berlin, seine Kontakte mit der japanischen Roten Armee, den Tupamaros und der PLO. Über Rashid war anscheinend noch nichts bekannt. Trask drehte sich um. »Rashid, Fiona, ihr könnt euch jetzt umzie hen.« Dann wandte er sich an Hooks. »Hooks, stell die Sirene und das Blinklicht ab.« »Kommt nicht in Frage. Krachmachen ist mein Hobby. Hier komme ich, Freunde! Mighty Hooks, der Rächer!« »Ich habe gesagt, du sollst die Dinger abschalten«, wiederholte Trask scharf. »Die haben wir nur gebraucht, um durch den dichten Verkehr in der Innenstadt zu kommen!« 253
»Nee, Trask. Ich fahre mit Sirenengeheul und Blinklicht weiter wie 'ne Rakete beim Angriff auf ein Schlitzaugendorf.« Trask griff unter das Lenkrad und stellte die Sirene und das Blink licht ab. »Nimm deine dreckigen Finger da weg, du weißes Schwein!« zischte Hooks. »Lang mir noch mal in die Lenkung, und du bist deine Hand los!« Fiona wandte den Kopf und sprach nach vorne: »Du hast den Befeh len zu gehorchen, Hooks!« »Halt die Fresse, Süße!« brüllte Hooks zurück.
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ie fahren in südlicher Richtung weiter«, meldete Harris. »Sind wir noch am Ball?« wollte Stade wissen. »Ja. Die Wagen folgen ihnen, ohne daß sie Verdacht schöpfen kön nen, und der Hubschrauber hat den Auftrag, außer Sichtweite zu blei ben. Zum Glück ist der Himmel bedeckt.« Stade studierte sorgfältig den Stadtplan. Es war anzunehmen, daß die Terroristen den Krankenwagen bald irgendwo abstellen und in an dere bereitstehende Fluchtfahrzeuge umsteigen würden. Die Frage war nur, wo das geschehen sollte, und ob sie bei dieser Gelegenheit die Gei seln freilassen würden. In Stade verdichtete sich allerdings die Vermu tung, daß die Verbrecher zumindest einen der drei Männer bis zum Ende gefangen halten und ihn dazu benutzen würden, sich die Ausrei se in ein anderes Land zu erzwingen. Stade hatte bereits sämtliche um liegende Flughäfen alarmiert. Der Plan dieser Verbrecher war gewagt, hatte jedoch bis jetzt ausge zeichnet funktioniert. Nur Olmedos Tod war ein kleiner Fehler in der Rechnung. 254
»Es geht mich zwar nichts an«, meinte Rockewicz, »aber es interes siert mich doch, wie sie den Krankenwagen verfolgen können, ohne die Kerle merken zu lassen, daß man hinter ihnen her ist.« Stade lächelte leicht. »Unsere Techniker haben an der Karosserie des Ambulanzwagens einen Sender befestigt, der Funksignale abgibt, die von Empfängern in den Wagen meiner Leute aufgefangen werden. Auf diese Weise wissen wir immer, wo sich das Fahrzeug befindet, ohne es tatsächlich zu sehen.« »Klingt verdammt gut.« »Vorausgesetzt, das Ding funktioniert«, warf Harris ein. Als Rockewicz eine besorgte Miene machte, beschwichtigte Stade: »Kei ne Angst, wir verlieren sie mit oder ohne Sender nicht aus den Augen.« Cardone telefonierte noch immer. Eben erfuhr er, daß man Tenchs Tochter gefunden hatte. Sie war auf dem Weg zur Klinik. »Sie melden sich wieder«, verkündete Stade. Das Sprechgerät auf Rockewicz' Schreibtisch knackte. »Hier ist John!« »Ich höre Sie. Hier spricht Stade.« »Wir haben einen Hubschrauber gehört, Stade.« »Unmöglich. Das könnte ein Verkehrshubschrauber der City Police gewesen sein, aber eigentlich haben wir Anweisung gegeben, den Flug verkehr einzustellen. Chief Reinhold hat seine Hubschrauber zurück gepfiffen.« »Sie lügen, Stade. Ihr beobachtet uns.« »John, warum macht ihr nicht endlich Schluß? Mit dem Krankenwa gen kommt ihr nicht weit. Muß es denn unbedingt erst Blutvergießen geben? Halten Sie irgendwo an. Ich schicke einen Unterhändler.« »Soll das ein Witz sein?« »John, hier ist Rockewicz«, mischte sich der Krankenhausdirektor ein. Trask ignorierte ihn. »Wir könnten uns vielleicht entschließen, ein oder auch zwei Männer freizulassen«, erklärte er statt dessen. »Aber ich warne Sie! Das Leben der Geiseln ist noch immer in Gefahr! Also kommen Sie auf keine falschen Gedanken!« 255
»Bestimmt nicht«, versicherte Stade ihm. Martha Lake bedeckte das Gesicht mit den Händen. Cardone wand te sich fast schuldbewusst ab. Tench war frei, aber dafür mußten die anderen um ihr Leben bangen und er konnte nichts tun. Es war ein nicht gerade erhebendes Gefühl für Cardone, hier machtlos dazuste hen und die Dinge ihren Lauf nehmen zu lassen. Die Sprechverbindung mit den Geiselnehmern war erneut abgebro chen. Cardone las den neuesten Bericht aus der FBI-Zentrale durch. Demnach hieß der Mann, der sich Carlos Olmedo genannt hatte, in Wirklichkeit Vasquez. Vasquez war ein Jurastudent aus Buenos Aires, ein in linken Kreisen bekannter Aktivist, gewesen.
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rask hatte nach dem Gespräch mit dem Krankenhaus das Funkge rät wieder abgeschaltet. Lake hörte Kleiderrascheln. Reißver schlüsse wurden gezogen. Die Geiselnehmer wechselten offensichtlich ihre Kleidung. Fiona steckte ihr Haar unter eine schwarze Perücke und setzte eine Brille auf. Die Männer trugen Mützen. Die Lösegeldsumme war inzwischen in die von Fiona mitgebrachten kleineren Faltkoffer verpackt. »Es deutet alles darauf hin, daß sie bald untertauchen werden«, flü sterte Motzkin Lake zu. »Eric, ist mit dir alles in Ordnung?« »Meine Rückenschmerzen machen mir zu schaffen. Ich würde gern eine Zigarette rauchen.« Fiona tastete sich zur rückwärtigen Tür. Sie hatte einen blauen Stoff koffer in der Hand, der ungefähr zwei Millionen Dollar enthielt. Gelas sen stellte sie den Koffer an der Tür ab und steckte sich noch ein paar blonde Strähnen unter die Perücke. Ihren braunen Lammfellmantel hat 256
te sie mit einem burgunderroten Nylonmantel vertauscht, die Hosenbei ne hochgeschlagen und einen grauen Rock über die Hose gezogen. »Hinter der nächsten Kurve«, sagte Rashid. »Ich mach' dir die Tür auf. Spring raus und versteck dich ein paar Minuten in irgendeinem Hauseingang.« Rashid öffnete die Tür einen Spalt breit. Sie fuhren durch die Slums. Die Straße hätte in der Gegend liegen können, in der die Gruppe die ses Verbrechen geplant hatte. Der Araber warf einen Blick auf die Uhr. Es war zwölf Uhr 45. Die mit Schneematsch bedeckten Straßen mach ten einen verlassenen, fast trostlosen Eindruck. Rashid hielt den Ka rabiner mit der rechten Hand fest, während er die Tür mit der linken aufstieß. Der Ambulanzwagen schleuderte um die Kurve und streifte ein par kendes Auto. Hooks trat zweimal kräftig auf die Bremse. Motzkin und Trask wurden nach vorn geworfen. Rashid stemmte sich in die Wage necke. »Jetzt!« rief er Fiona zu. Fiona umklammerte den Koffergriff fester und sprang. Sie fiel auf die Knie und prallte gegen den Rinnstein. Ohne auf ihre schmerzenden Knie zu achten, erhob sie sich schnell, stöhnte auf und lief in einen dü steren Hauseingang. Dort rang sie zitternd nach Luft. »Es muß klappen«, murmelte sie atemlos. »Trask hat recht.« Sie lehnte sich gegen die Wand, von der bereits der Putz abbröckel te. Im Hauseingang stank es nach Urin und billigem Bratfett. Armut roch überall gleich. Freude über den Erfolg konnte sie sich jetzt nicht leisten. Das kam später, wenn sie sich in einigen Stunden alle wieder trafen. Dann wollte Trask ihnen das nächste, noch größere Unterneh men erklären, das sie mit dem Lösegeld durchführen konnten. Trotz dem wünschte Fiona, Olmedo wäre noch bei ihnen. Er war bewegli cher in der Planung als Trask. Fiona holte tief Luft. Die Schmerzen in den Knien meldeten sich wie der. Das Schneetreiben wurde dichter. Fiona schleppte sich zur Tür und blickte die Straße entlang. Alles leer. Die Gegend wirkte fast wie unbewohnt. 257
Langsam überquerte Fiona die Straße. Zwei Blocks weiter war eine Bushaltestelle. Als sie auf die Bushaltestelle zuging, traten zwei farbige Jungen aus einem Süßwarengeschäft. Der eine hatte mattglänzende, sandfarbene Haut, ebenmäßige Züge und große Augen. Der andere war größer, bei nahe schwarzbraun, und machte einen etwas verschlagenen Eindruck. Sie lächelten Fiona an. Unter der Tür des Geschäfts stand ein dicker Farbiger und schimpfte auf das Wetter. In einem Zeitschriftenstän der vor dem Schaufenster steckten drei durchweichte Exemplare einer Morgenzeitung. »Ich trag' Ihren Koffer, Ma’am«, erbot sich der Junge mit den großen Augen. »Danke, ich komme gut allein zurecht.« »Oh, Mann, das Ding scheint schwer zu sein«, bemerkte der andere. »Ich un' Loftus, wir tragen's Ihnen für 'nen Dollar.« »Nicht nötig. Ich habe nicht weit.« Die beiden jungen Burschen stellten sich ihr in den Weg. Sie sahen plötzlich bedrohlich aus, und Fiona bekam zum ersten Mal Angst. »Laßt mich vorbei!« forderte Fiona die beiden auf. »Ich muß zum Bus. Ich warne euch! Ich schreie und alarmiere die Polizei!« »'n Dreck werden Sie tun«, entgegnete Loftus. »Bishop, die redet ko misch. Das is' 'ne Ausländerin!« »'n Bus gibt's hier nicht, Ma’am. Wir fahren alle Cadillacs!« Damit griff er nach Fionas Koffer. Fiona zog den Arm zurück, doch seine kräftigen Finger hielten ihr Handgelenk fest umschlossen. Sie schlug ihm mit der freien Hand in den Nacken. Loftus beobachtete das Gerangel mit verschlagenem Blick. »Loftus, die ist verdammt zäh!« keuchte Bishop. Fiona zog ihr Knie an und stieß es Bishop kräftig in den Unterleib. Der Junge ließ sie augenblicklich los und krümmte sich keuchend und spuckend. Doch im nächsten Augenblick sprang er Fiona erneut an. Fiona stieß ihm zwei Finger in die Augen. Er biß sie wütend in den Daumen und riß sie zu Boden. Eng verschlungen wälzten sie sich im nassen Schnee. Loftus beob 258
achtete den Ringkampf mit sichtlichem Vergnügen. Schließlich ging er in die Knie und schlug Fiona mit der flachen Hand ins Gesicht. Der Schmerz durchzuckte Fiona wie ein elektrischer Schlag. Sie war sekun denlang wie gelähmt. Bishop erhob sich und packte den Koffer. »Gehen wir, Loftus!« Der kleinere Junge versetzte Fiona noch einen brutalen Fußtritt in die Leistengegend. »Verdammtes Weibsbild! Das nächste Mal machen wir dich kalt!« Damit rannten die beiden davon. Fiona schüttelte den Kopf, spuckte Blut, kam mühsam auf die Bei ne und lief taumelnd hinter ihnen her. Sie sah jedoch bald ein, daß es sinnlos war, die beiden zu verfolgen. »Kommt sofort zurück!« schrie sie. Sie wollte ihnen erklären, daß sie auf ihrer Seite war, für sie kämpf te. Plötzlich fuhr ein weißer Lieferwagen an ihr vorbei und hielt eini ge Meter weiter am Straßenrand an. Die rückwärtige Tür flog auf und zwei Männer sprangen heraus. Revolver richteten sich auf sie. »Keine Bewegung!« befahl der eine. »Hände hoch und umdrehen!« schnarrte der andere. »Scheiß-Bullen!« zischte Fiona. »Schon gut. Schön ruhig bleiben.« »Ihr seid uns gefolgt, ihr Schweine! Wenn Trask das erfährt, bringt er eure Ärzte um!« »Er wird's nicht erfahren.« Einer der FBI-Beamten tastete Fiona nach Waffen ab. Dann stieß er sie in den Wagen. Der weiße Lieferwagen fuhr weiter. Die FBI-Beamten legten Fiona Handschellen an. Fiona bereute es bitter, keine Waffe zu haben. Sie hatte sie im Krankenwagen zurückgelassen. Zwei Blocks weiter holte der Lieferwagen die farbigen Jungen ein. Ein FBI-Agent verfolgte sie. Als sie die Waffe in seiner Hand sahen, lie ßen sie den Koffer fallen, fluchten und verschwanden in dem Gewirr von Eingängen, Türen und düsteren Gassen.
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»Sie haben das Mädchen und einen Koffer«, verkündete Harris. »Die Geiselnehmer haben das Geld offensichtlich in andere Koffer umge packt.« »Hat es eine Schießerei gegeben?« wollte Stade wissen. »Nein. Sie war nicht bewaffnet. Außerdem trug sie eine Perücke und andere Kleider. Die Burschen haben alles sorgfältig geplant.« Stade nickte. »Nur die Alternativen haben sie vergessen. Es ist schon beinahe zu einfach.« Er sah zu Harris auf. »Warum lächeln Sie?« »Zwei jugendliche Kriminelle haben versucht, ihren Koffer zu steh len. Die beiden haben das Mädchen übel zugerichtet. Unsere Männer haben zwar den Koffer wiederbekommen, aber die beiden Burschen sind entwischt.« Der Einsatzleiter des FBI nickte Chief Reinhold zu. »Das ist Ihr Pro blem, Chief!« Reinhold murmelte Unverständliches und verließ das Zimmer. Drau ßen im Korridor fing O'Boyle ihn ab. »Warum lassen Sie sich von die sen Typen so behandeln?« fragte der Reporter. »Warum jagen sie die Kerle nicht einfach auf eigene Faust?« »Der Fall gehört dem FBI!« O'Boyle strich über sein langes Haar. »Das hat Sie aber nicht abhalten können, Olmedo auszuschalten. Haben Sie nicht Lust auf ein kleines Abenteuer? Sie kennen diese Stadt besser als die Leute von der Bun deskriminalpolizei. Warum unternehmen wir beide nicht zusammen was? Wenn Sie den Krankenwagen erwischen, kriegen Sie 'nen Or den.« Reinhold hörte dem Reporter aufmerksam zu. Stades letzte Bemer kung hatte weh getan. Ihm die Fahndung nach zwei kriminellen Kin dern zu überlassen, war eine Frechheit gewesen. »Okay, gehen wir, O'Boyle«, sagte er unvermittelt. »Ich brauche nur noch meinen Kameramann!« »Und einen Fahrer. Wir werden's diesen Kerlen schon zeigen!«
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Rockewicz hörte zu, wie Martha Lake am Telefon versuchte, Motzkins Frau zu beruhigen. Steve hatte es nicht vermocht, ihr die Lage ver nünftig zu erklären. Dabei fiel Rockewicz plötzlich auf, daß sich prak tisch niemand um die dritte Geisel kümmerte. »He, Estelle!« rief er. »Wie heißt der dritte, den die Burschen gefan gen halten?« »Er ist aus der Anästhesie und heißt Cho Park.« »Kennst du ihn?« »Nein. Sie wissen doch, was in dieser Abteilung los ist! Da herrscht ein ständiges Kommen und Gehen.« »Versuch bitte herauszufinden, ob der Junge eine Frau oder Fami lie hat«, bat Steve. »Der Arme ist gleich an seinem ersten Arbeitstag im OP in diesen Schlamassel geraten.«
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ashid hatte einen schwarzen Nylonanorak übergezogen, eine dunkle Baseballmütze aufgesetzt und trug eine Brille. Er stellte den Koffer an die Tür und wartete, daß Trask ihm ein Zeichen zum Aussteigen gab. »Fiona ist in Sicherheit«, sagte er. »Gut. Du bist der nächste, Rashid!« rief Trask ihm durch die Trenn scheibe zu. »Warte! Erst hinter der nächsten Kurve!« schrie Hooks wütend. »Trask, solange ich am Steuer sitze, gebe ich hier die Befehle!« »Lass den Unsinn, Hooks. Wir müssen uns vertragen. Noch haben wir's nicht geschafft!« Motzkin beugte sich zu Lake hinüber. Gefesselt und mit verbunde nen Augen konnten sie nur erraten, was um sie herum vorging. »Der 261
Araber hat gesagt, daß er jetzt geht«, flüsterte Motzkin. »Dann sind wir, du, ich und Cho, hier allein!« »Was sollen wir mit gefesselten Händen und verbundenen Augen schon tun?« erkundigte sich Lake. »Es ist zu gefährlich«, behauptete Cho. »Was?« fragte Motzkin. »Selbst wenn er fort ist, haben wir keine Chance.« »Vermutlich hat er recht«, seufzte Motzkin auf. »Trotzdem hörst du auf, hier herumzukommandieren!« tobte Hooks. Der Krankenwagen vibrierte, als Hooks das Gaspedal noch weiter durchdrückte. »Okay, das nächste Mal bitte ich erst dich um Erlaubnis«, entgegnete Trask sarkastisch. Seine Stimme bebte. »Hoffentlich bringen sie sich gegenseitig um«, flüsterte Motzkin. »Diese Kerle sind mir egal«, erwiderte Lake leise. »Ich möchte nur wieder pünktlich im Krankenhaus sein.« »Hinter der nächsten Straßenbiegung ist eine Verkehrsinsel gegen über einer Fabrik«, erklärte Trask. »Dort müßte auch ein Taxistand sein. Hast du gehört, Rashid?« »Ich bin soweit.« Mit einem letzten Blick auf die Geiseln, die auf grund ihrer Augenbinden zum Glück nichts sehen konnten, schob der Araber seinen Karabiner unter die Decke auf der Bahre. Cho rückte von den anderen ab und drückte sich in eine Ecke an der Tür. Der Krankenwagen schleuderte um die Kurve. Mehrere Leute an ei ner Bushaltestelle sprangen schreiend zurück. Eine Gruppe von Fa brikarbeitern, die offensichtlich gerade von der Pause zurückkam, drohte Hooks mit den Fäusten. Zum Trotz schaltete Hooks die Sire ne wieder an. Sekunden später hatte Hooks den Krankenwagen wieder unter Kon trolle. Als Hooks die Fahrt verlangsamte, öffnete Rashid die rückwär tige Tür, sprang hinaus und ging auf den Taxistand zu. Ein gelbes Taxi parkte am Straßenrand. Der Fahrer las Zeitung. Rashid öffnete die Tür zum Fond des Wagens, warf den Koffer hinein und stieg ein. 262
»River Avenue und Tenth Street«, sagte er zu dem Fahrer. Der Taxichauffeur ließ seine Zeitung sinken. Bei Rashids fremden Akzent horchte er auf. Er sah sich um und starrte in Rashids dunk les, vernarbtes Gesicht. Der Fahrer schaltete sofort sein ›Frei‹-Zeichen aus. »Tut mir leid, Gonzales, aber ich bin gerade nicht im Dienst«, er widerte er. »Wie bitte?« »Ich arbeite gerade nicht. Was'n los, Lopez? Kannste nicht lesen? Mein Frei-Zeichen ist ausgeschaltet!« »Sie haben es ja gerade erst ausgeknipst«, entgegnete Rashid. »Ich hab's eilig. Ich muß quer durch die Stadt!« Der Fahrer sah Rashid lächelnd an. »Hör zu, mein Junge, ich mein's ja nicht persönlich. Aber ich habe meine Prinzipien. Ich fahre mit mei nem Taxi keine Chicos und keine Nigger, okay? Also steig gefälligst aus!« »Dazu haben Sie kein Recht!« stieß Rashid atemlos hervor. Er war todmüde. »Tu mir den Gefallen und zieh Leine, bevor ich dir sämtliche Kno chen breche.« Rashid zog den Revolver aus dem Gürtel und richtete ihn auf den Fahrer. »Tun Sie, was ich sage, Mann. Los, aber ein bißchen plötz lich!« Der Taxichauffeur sah nach vorn, schaltete die Zündung ein und ließ den Motor an. Als er vom Randstein wegfahren wollte, rammte ihn eine blaue Limousine von rechts. Zwei Männer sprangen heraus. Der eine riß den Wagenschlag auf, der zweite richtete seine Waffe auf Rashid. »Lassen Sie den Revolver fallen!« befahl er. »Polizei!« Für den Bruchteil einer Sekunde war Rashid versucht, zu schießen, doch dann überlegte er es sich anders. »Lassen Sie den Revolver fallen!« wiederholte der FBI-Beamte. »Natürlich, natürlich«, antwortete Rashid hastig. »Aussteigen und Hände hoch!« Rashid kletterte steif und mit schmerzenden Gliedern aus dem Wagen. 263
»Ihr seid gerade rechtzeitig gekommen, Jungs«, seufzte der Taxifah rer. »Dieser Chico hat mich mit 'nem Revolver bedroht. Kann ich ihn mir mal vornehmen?«
»Jetzt haben wir schon zwei«, verkündete Harris. Er hatte gerade über Funk die Meldung bekommen, daß man Rashid gefaßt hatte. »Er hat keinen Widerstand geleistet.« »Diesmal hatte er eben keine Gelegenheit, jemand in den Rücken zu schießen«, bemerkte Stade. Rockewicz ging im Zimmer auf und ab. »Das ist doch verrückt! Ich verstehe das nicht. Jetzt sind nur noch der Farbige und Trask übrig. Die Geiseln sind im Fond des Wagens allein!« »Schon, aber sie sind gefesselt«, entgegnete Stade. »Vielleicht hat man ihnen auch noch die Augen verbunden. Trask kann sie jederzeit vom Fahrerhaus aus in Schach halten.« »Trotzdem kommt mir die Sache komisch vor«, beharrte Rockewicz. »Schließlich haben sie Baggs doch sofort erschossen.« In diesem Augenblick begann der Lautsprecher auf Rockewicz' Schreibtisch erneut zu knacken. »Stade?« ertönte Trasks Stimme. »Wir werden jetzt eine Geisel freilassen. Wen, sagen wir nicht.« »Wie wär's, wenn wir jetzt einen Doktor abknallen, he?« krächzte Hooks Stimme dazwischen. »Dann wären wir quitt!« »Sagen Sie uns wenigstens, wo Sie die Geisel freilassen«, drängte Sta de. »Nein«, lautete Trasks knappe Antwort. Dann wurde es am anderen Ende still. Trask schien sich eine neue Taktik zu überlegen. »Stade? Rok kewicz?« fragte er schließlich im Befehlston. »Wir behalten einen Mann bis zum Schluß. Sobald wir in Sicherheit sind, können wir über einen Gefangenenaustausch verhandeln. Olmedo gegen unsere Geisel.« »Olmedo?« wiederholte Stade. »Aber Olmedo ist nicht hier! Sie sind anscheinend überzeugt, daß er für Sie gearbeitet hat, Trask. Er muß Sie im Stich gelassen haben.« 264
»Du dreckiger Lügner!« brüllte Hooks. »Carlos hat noch nie jeman den verraten!« Damit brach der Funkkontakt ab. Rockewicz schüttelte verwundert den Kopf. »Um wirklich eine Ver handlungsbasis zu haben, brauchen wir drei Geiseln.« Er schlug mit der Faust auf den Tisch. »Da ist doch was faul!«
»Schalten Sie langsam den Schrittmacher ab«, bat Licata den Assisten ten Gilad. Licata und der Kardiologe Dr. Evans studierten die Kurve auf dem Monitor. Dr. Evans maß die Länge der Ausschläge mit einem Zirkel. »Sieht gut aus. Wirklich nicht schlecht. Vielleicht war dieser Bypass tatsächlich gerechtfertigt.« »Ihr Vertrauen in das Lake-Team ist überwältigend, Burt«, seufzte Licata. Im gleichen Augenblick fragte sich Licata, ob das sogenannte Lake-Team auch am folgenden Tag noch in seiner bisherigen Zusam mensetzung operieren würde. Mihrab schloß den Einschnitt in Tenchs Brust mit schnellen Stichen. Ab und zu sah er schnell zu Flor hinüber. Sie unterhielt sich mit ihrer Freundin Imelda. Flor schien sich von den Schrecken des Vormittags wieder erholt zu haben. Die leise Unterhaltung der beiden Mädchen klang in Mihrabs Ohren wie Vogelgezwitscher. Der Ägypter war hoff nungslos in Flor verliebt. Was für ein Paar würden sie doch abgeben! Die Wirklichkeit gewordene Verbindung zweier alter Kulturen – Mi schung des Fernen und des Mittleren Ostens. »Abe«, wandte sich Licata an den Anästhesisten. »Rufen Sie doch bitte mal Rockewicz an. Ich möchte wissen, was mit Alan und Eric los ist.« Gilad wählte die Nummer und betrachtete dabei die Einschüsse in der Decke. Er hätte in dieser Situation bestimmt gehandelt, etwaige Verletzte und Tote in den eigenen Reihen in Kauf genommen und die Geiselnehmer erschossen. Wenn man auf die Forderungen dieser Ver brecher einging, ermutigte man sie lediglich, ihre Tat zu wiederholen. 265
Rockewicz meldete sich. »Sie sind noch immer in dem Ambulanzfahrzeug«, berichtete Gilad und legte den Hörer auf die Gabel zurück. »Aber die Geiselnehmer ha ben unterwegs zwei ihrer eigenen Leute abgesetzt. Das FBI hat sie ge schnappt.« Licata nickte zufrieden und nahm Sally zwei Adernklemmen aus der Hand. Tenchs Brustwunde war schon fast mit einer sauberen Naht ge schlossen. Über den Augen waren noch immer die Klebestreifen, die Cho dort vor einigen Stunden angebracht hatte. »Der arme Japs«, murmelte Licata unvermittelt. »Koreaner«, verbesserte Mihrab. Er zog die Naht fest. »Alan hat ihn doch auf japanisch begrüßt, aber er hat ihn nicht verstanden.« »Wirklich? Es kommt mir so vor, als sei das schon fast eine Ewigkeit her.«
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otzkin!« rief Trask. »Wir lassen Sie jetzt frei. An der nächsten Ecke springen Sie raus!« »Aber wie denn, um Gottes willen? Vielleicht gefesselt und mit ver bundenen Augen? Nehmen Sie mir doch die Binde und die Fesseln ab.« »He, Sie!« schrie Trask nach hinten. Er meinte Cho, der zusammen gekrümmt in einer Ecke kauerte. »Los, kriechen Sie bis zur Trenn scheibe!« Der Koreaner tastete sich unsicher vorwärts. »Umdrehen!« befahl Trask. »Ich schneide jetzt Ihre Fesseln durch. Die Augenbinde können Sie sich dann selbst abnehmen. Anschließend öff nen Sie die Tür für Motzkin. Aber kommen Sie ja nicht auf die Idee, mit ihm abzuhauen. Wenn Sie Dummheiten machen, knalle ich Sie ab.« 266
Trask schnitt die Fesseln des Koreaners mit einem Jagdmesser durch. Der Koreaner duckte sich, als fürchtete er, geschlagen zu werden. Dann zerrte er sich die Binde von den Augen. Als der Krankenwagen plötz lich ins Schleudern geriet, fiel er hin. »Los, an die Tür!« rief Trask. »An der nächsten Ecke werfen Sie Motz kin raus. Los, Motzkin. Wird's bald! Diese Chance kriegen Sie nur ein mal.« Cho öffnete die Tür. Über ihnen am Himmel hingen schwere, schnee graue Wolken. Cho nahm Motzkin am Arm und führte ihn zur Tür. Dann schob er Motzkins Augenbinde ein Stück nach oben. Motzkin sah die Gebäudereihen entlang der Straße wie durch einen Zerrspiegel. Der Farbige fuhr wie ein Wahnsinniger. Motzkin ahn te, daß jeder Protest sinnlos war. An der nächsten Kurve wurde die Fahrt etwas langsamer. Er sprang auf den Gehsteig, fiel in den nassen Schnee, raffte sich aber mit einem Knie gleich wieder hoch. Eiskaltes Schneewasser brannte in Motzkins Wunde am kleinen Zeh. Auch die Knie, auf die er beim Sprung gestürzt war, taten ihm weh. Doch er mußte weiter. Motzkin sah sich um. Es war eine arme, fast trostlose Gegend. Die meisten Geschäfte waren mit Brettern vernagelt. Motzkin humpel te die Straße entlang, bis er hinter einem Schaufenster einen schwa chen Lichtschimmer entdeckte. Es war ein Textilgeschäft mit schäbi ger, schmuddeliger Auslage und erinnerte Motzkin an die Läden am Prospect Place, wo er aufgewachsen war. An der Tür hing ein Schild: Besitzer: D. Teitelbaum. Am ganzen Körper zitternd, aber glücklich, wieder frei zu sein, stieß Motzkin die Tür auf. Eine Glocke schrillte. Hinter der Theke stand ein kleiner Mann mit geringelten Ohrlocken und einem üppigen, schwar zen Bart – ein Jude. »Bitte, helfen Sie mir … Ich bin vom ›City General‹ … Sie haben viel leicht im Radio gehört …« »Ja, ich weiß Bescheid. Sind Sie Arzt?« »Ja. Darf ich mal Ihr Telefon benutzen? Aber nehmen Sie mir doch bitte zuerst die Fesseln ab.« 267
»Selbstverständlich, Doktor.« »Danke, Mr. Teitelbaum.« »Ich bin Mr. Klarsfeld. Teitelbaums Schwiegersohn.« Motzkin wählte die Nummer der Klinik und wartete, bis sich Rocke wicz melden würde. Er dachte an Lake und Cho. In diesem Augenblick betrat ein Herr im grauen Trenchcoat das Ge schäft. Er war vom FBI, einer von Stades Mitarbeitern. »Alles soweit in Ordnung, Dr. Motzkin? Was macht Ihre Fußverletzung?« »Oh, die ist nicht der Rede wert. Ich rufe gerade die Klinik an.« Motz kins Niedergeschlagenheit verflog. Er fühlte sich wieder sicher.
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enn wir nur wüssten, wohin diese Kerle fahren«, sagte Reinhold zu O'Boyle. »Könnten wir das nicht herausbekommen? Los, gib Gas und schalte die Sirene an«, drängte er den Fahrer. »Sie haben in zwischen zwei ihrer Komplicen und eine Geisel abgesetzt. Bleiben noch vier. Die sind gerade richtig für uns.« Der blau-weiße Streifenwagen raste mit Sirenengeheul durch die Stadt. Auf dem Rücksitz saßen O'Boyle und sein Kameramann. »Ich bin Ihnen sehr zu Dank verpflichtet, George«, bemerkte der Re porter. Reinhold schwieg. Er suchte mit seinen scharfen Augen die Straße ab. Der Streifenwagen der City Police raste über eine Kreuzung. In der Ferne sahen sie etwas Weißes. Das könnte der Ambulanzwagen sein, dachte Reinhold. Seine Nerven spannten sich bis zum Zerreißen. Sie kamen näher. »Das sind sie«, sagte Reinhold. »Gib Gas!« Harris telefonierte erregt. »Wir haben sie verloren«, meldete er schließlich an Stade. 268
»Wie kann das passieren?« »Sie kennen doch diese Mini-Sender. Irgendwas hat ihn lahm gelegt. Die Dinger funktionieren nicht immer.« »Sie haben sie verloren?« wiederholte Martha Lake. »Kann es sein, daß der Sender plötzlich wieder Signale gibt?« wollte Rockewicz wissen. »Ja, das ist möglich«, antwortete Harris. »Diese Apparate sind hoch empfindlich. Sie fallen öfters aus. Außerdem funkt uns da jemand da zwischen …« »Wer?« fragte Rockewicz dazwischen. »Irgendein Idiot rast mit einem Streifenwagen durch die Stadt. Unse re Kollegen haben ohne Erfolg versucht, ihn aufzuhalten. Das Funkge rät des Streifenwagens stört unseren Sender.« »Das hat uns gerade noch gefehlt!« stöhnte Stade auf und warf Rok kewicz einen bedeutungsvollen Blick zu. »Haben Sie in letzter Zeit Ih ren Freund, den Polizeichef, gesehen?« Rockewicz schüttelte den Kopf. »So was sähe George wieder mal ähnlich.« Marthas Augen weiteten sich vor Entsetzen. »Ist das alles, was euch dazu einfällt? Mein Gott, unternimmt denn niemand was? Sagt diesen Männern, daß alles nur ein Versehen ist, daß niemand hinter ihnen her ist! Denkt euch irgendwas aus!« »Dr. Motzkin ist am Telefon!« rief Estelle draußen aufgeregt. »Sie ha ben ihn freigelassen. Er ist in Sicherheit!« Rockewicz sprang auf und klatschte spontan in die Hände. »Na, was habe ich gesagt, Martha! Es wendet sich noch alles zum Guten! Alan hat's geschafft. Eric ist der nächste.« Stade und Harris versuchten vergeblich, Funkkontakt mit Trask auf zunehmen. Im Krankenwagen meldete sich niemand. Die FBI-Be amten unterhielten sich leise. Besorgte Mienen drückten aus, was sie dachten. Sie waren wütend auf Reinhold, der mit seiner wahnsinni gen Jagd alles aufs Spiel setzte, was sie so vorsichtig und sorgfältig ge plant hatten. 269
Hooks und Trask hörten die Sirene zur gleichen Zeit. Trask schaltete das Funkgerät ein. »Ein Streifenwagen ist hinter uns her!« sagte Trask vorwurfsvoll zu Stade. »Das ist ein Wagen der City Police«, erklärte Stade. »Er ist in einer anderen Sache unterwegs. Wir versuchen, ihn gerade umzuleiten.« »Ich glaube Ihnen kein Wort, Stade. Das ist der Dank dafür, daß wir eine Geisel freigelassen haben.« »Wir wissen Doktor Motzkins Freilassung durchaus zu schätzen«, versicherte Stade hastig. »Er hat sich bereits bei uns gemeldet. Sie wer den nicht verfolgt.« Diesmal war es fast die Wahrheit. Jedoch nur ›fast‹. Der elektronische Sender schwieg noch immer. »Rufen Sie den Streifenwagen zurück, oder wir erschießen Lake.« »Wir tun unser Bestes, John. Bitte, glauben Sie mir. Der Streifenwa gen ist sicher hinter einem Verkehrsrowdy her. Die City Police hat An weisung, Sie in Ruhe zu lassen!« »Sie hintergehen uns!« Hooks, der mit direkt aufreizender Lässigkeit Lenkung, Gaspedal und Bremse bediente, schrie Trask wütend an: »Du Idiot! Du läßt dich von den Kerlen verarschen! Wenn wir in unser Versteck kommen, wimmelt's dort von Bullen. Sag ihnen gefälligst, daß du jetzt sofort je manden erschießen wirst!« Trask drehte sich um und rief so laut er konnte, um die Sirene zu übertönen: »Cho! Zurück! Keine Bewegung. Ich schieße!« »Machen Sie keine Dummheiten, Trask!« entgegnete Lake entsetzt. »Wir sind ja völlig hilflos.« Der erschöpfte und gefesselte Lake versuchte der Angst, die ihn über kommen hatte, Herr zu werden. Durch diese Terroristen zu sterben, erschien ihm sinnlos und absurd. Er versuchte, seine Nerven wieder in den Griff zu bekommen, ruhig und überlegt zu bleiben. »Trask!« rief Lake, »nehmen Sie mir wenigstens die Augenbinde ab. Wenn Sie wollen, spreche ich mit Stade, damit er den Streifenwagen zurückruft!« »Cho!« sagte Trask scharf. »Los, mach schon!« Cho zögerte einen Moment. Schließlich setzte er sich neben Lake 270
und löste dessen Augenbinde und die Fesseln. Trask achtete nicht wei ter auf die beiden. Eric Lake rieb sich die Augen und massierte seine Handgelenke. Ir gend etwas stimmte nicht. Es war plötzlich alles zu einfach. Er brauch te sich nur bis zur Tür vorzutasten, um dann zusammen mit dem Ko reaner aus dem Wagen zu springen und frei zu sein. Hooks raste die breite Straße am Fluss entlang, während Trask noch immer heftig mit jemanden über das Funkgerät diskutierte. Lake rutschte vorsichtig zur Tür. Rücken und Knie waren steif. Er fing den Blick des Koreaners auf, deutete auf sich und dann auf die Tür. Als er Cho gegenübersaß, gab er diesem ein Zeichen, zuerst zu sprin gen. Doch Motzkins Assistent hob die graue Decke hoch und holte den Karabiner hervor, den Rashid zurückgelassen hatte. Lake bedeutete dem Koreaner, daß sie keine Waffe brauchen würden. Cho richtete jedoch die Waffe auf ihn. »Bleiben Sie, wo Sie sind, Dok tor Lake!«
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everly Motzkin traf in der Klinik ein. Hin- und hergerissen zwi schen hysterischen Anfällen und Weinkrämpfen, empfand sie vor allem Schuldgefühle, denn Eric Lake war noch immer in der Hand der Verbrecher. Miß LeBlanc trat ins Zimmer. Sie hatte in der Anästhesie nach Unterlagen über Cho Park gesucht. »Hier, das lag auf einem Akten schrank!« Rockewicz betrachtete die gelbe Karteikarte. Er las: »Cho Park, sechsundzwanzig Jahre alt. Studium an der Universität von Berkeley. 271
Einjährige Ausbildung am San Francisco Medical Center. Keine Tele fonnummer. Einzige Verwandte Mrs. Cho Sung, Pusan, Korea. Das ist seine Tante. Sagt uns gar nichts.« »Die Sekretärin in der Anästhesie hat mir erzählt, daß er hier neu war«, berichtete Estelle. »Sie hatten ihn gerade erst eingestellt.« Rockewicz runzelte die Stirn und dachte an eine Verbindung zu Trask. Harris machte Stade ein Zeichen. »Ich habe das Polizeipräsidium er reicht. Sie versuchen, den Streifenwagen zurückzurufen.« »Was ist mit dem Sender?« »Der funktioniert noch immer nicht. Fünf Wagen sind hinter Trask und den anderen her, aber in den letzten fünf Minuten hat niemand den Ambulanzwagen gesehen.« »Wer ist jetzt noch im Krankenwagen?« »Trask, der Fahrer, Dr. Lake und dieser Koreaner.« Stade wandte sich an Rockewicz. »Was wissen Sie über den Korea ner?« Steve Rockewicz schlug mit der flachen Hand auf die gelbe Kar teikarte. »Sehen Sie sich das an! Der Bursche war für die Arbeit hier gar nicht qualifiziert. Licata hatte schon gesagt, daß Cho eher ein Hin dernis als eine Hilfe war.« Stade hörte nachdenklich zu. Schließlich stand er auf. »Wie lange ist dieser Cho bei Ihnen?« »Seit ungefähr zwei Wochen.« »Kann ich die Karte mal einen Moment haben?« Stade streckte die Hand aus, warf dann einen Blick auf die Karteikarte und gab sie an ei nen seiner Mitarbeiter weiter. »Rufen Sie die Zentrale in Washington an und erkundigen Sie sich, ob wir was über diesen Mann haben.« Als Rockewicz zum Telefon griff, um die Vorsitzende des Personal rates anzurufen, der Cho Parker eingestellt hatte, kam über Funk die Nachricht, daß der Sender in der Karosserie des Krankenwagens wie der funktionierte.
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Per Funk wurde Chief Reinhold die Aufforderung des FBI übermittelt, sofort die Verfolgung des Krankenwagens aufzugeben und die Sirene seines Streifenwagens abzustellen, um die Geiseln nicht zu gefährden. »Sagt Stade, daß ich ihm auf halbem Weg entgegenkomme«, antwor tete Reinhold. Er lachte in sich hinein. »Ich schalte die Sirene aus!« Reinhold lehnte sich zufrieden in seinem Sitz zurück. »Wir fahren jetzt die Straße am Fluss entlang«, meldete der Fahrer. »Wohin wollen die Kerle eigentlich?« Reinhold schloß die Augen, als versuche er, sich den Stadtplan mit den wichtigsten Ausfallstraßen, dem Flugplatz, den Busbahnhöfen und menschenleeren, abbruchreifen Vierteln zu vergegenwärtigen. »Vielleicht ist der Park ihr Ziel«, murmelte er schließlich. »Der Park?« wiederholte O'Boyle. »Natürlich. Wer geht schon im Winter in den Park? Der ist sogar im Sommer fast leer. Im Park treibt man sich nur rum, wenn man ein Mädchen braucht, Zigarettenkippen auslesen oder sich ausrauben las sen will. Es käme auf einen Versuch an.« Der Streifenwagen holperte über den Gehsteig, geriet auf schneeglat tem Asphalt ins Schleudern und wendete schließlich mit quietschen den Reifen.
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m Aufwachraum der Klinik beugte sich Dr. Licata zu Tench hinun ter und rief ihm ins Ohr: »Mr. Tench, ich bin Doktor Licata! Wenn Sie mich hören können, bewegen Sie bitte die Zehen.« Tench, der an Infusionen und Messgeräte angeschlossen, auf dem Bett lag, wirkte hier noch riesiger als sonst. Er wackelte gehorsam mit den Zehen. »Doktor Lake wird jede Minute bei Ihnen sein. In Ordnung?« 273
Tenchs Zehen bewegten sich erneut. Licata sah Mihrab an und sagte leise: »Erics Gesicht wäre mir jetzt tausendmal lieber, als der Anblick der Zehen dieses Monsters.« Mihrab berührte leicht Licata Arm und machte eine Kopfbewegung zur Tür. Rockewicz und Cardone hatten in diesem Augenblick den Aufwachraum betreten. Der Präsident des Tench-Konzerns bekam weiche Knie, als er Walker Tench in diesem Zustand sah. Rockewicz stellte Cardone das Ärzteteam vor. »Ich bin Ihnen zu großem Dank verpflichtet«, begann Cardone. »Sie haben unter diesen doch sehr ungewöhnlichen und äußerst bedauerli chen Umständen Großartiges geleistet.« »Wir haben's wenigstens überstanden«, antwortete Licata auswei chend. Der nach der letzten Mode gekleidete Cardone war ihm auf Anhieb unsympathisch. »Soviel wir gehört haben, ist Doktor Motzkin wieder frei«, bemerk te Mihrab. »Ja, das stimmt«, antwortete Rockewicz. »Wir hoffen, daß sie jetzt auch Eric freilassen werden … und natürlich auch seinen Assisten ten.« Cardone blickte mit einer Mischung aus Entsetzen und Erleichte rung auf die massige Gestalt seines Wohltäters und wurde sich noch einmal bewußt, wie knapp sie beide ihrem Schicksal entronnen wa ren.
In sein Büro zurückgekehrt, nahm Rockewicz den Anruf der Vorsit zenden des Personalrates entgegen. Miß DeFord hatte inzwischen fest gestellt, wer Mitglied des Komitees war, das Cho Park eingestellt hat te. »Ich selbst, Mr. Davis, Miß Lugan und Mr. Olmedo«, erklärte die Gewerkschafterin. »Wer?« fragte Rockewicz atemlos. »Mr. Carlos Olmedo. Der Pfleger aus der Chirurgie.« 274
»Der sitzt in Ihrem Komitee?« »Ja. Wir brauchten jemand von der Chirurgie … und natürlich woll ten wir keinen Arzt und Akademiker.« Rockewicz warf den Hörer auf die Gabel. »Das ist Wahnsinn!« bemerkte Stade. »Denken Sie dasselbe wie ich?« fragte Rockewicz. »Für mich ist das ziemlich neu. Die Geisel ist gar keine Geisel. Aber was soll das?« Rockewicz trommelte mit den Fingern auf seinen Schreibtisch. »Was haben sie davon?« »Ganz einfach«, überlegte Stade. »Beim Endspurt, wenn sie die Fluchtfahrzeuge wechseln oder sonst wie untertauchen wollen, haben sie einen Mann mehr, der schießen kann, und keine Geisel, die sie nur behindern würde.« »Das ist ja großartig«, stöhnte Rockewicz. »Und wir versuchen die ganze Zeit, einen Mann freizubekommen.« »Und wir könnten sie bis zum Jüngsten Tag verfolgen, ohne irgend etwas zu erreichen«, überlegte Stade. »Er gehört zu ihnen. Sie würden ihn natürlich nie freilassen.« Harris nickte. »Aber sie erreichen damit, daß wir sie nie angreifen.« »Die Sache hat nur einen Haken«, entgegnete Stade. »Wenn wir ih nen auf die Schliche kommen, nachdem sie Lake freigelassen haben, sind sie Kanonenfutter für uns.« Stade sah Harris an. »Was ist mit den beiden, die wir erwischt haben. Reden sie?« »Nein. Das Mädchen hat einen typisch irischen Akzent. Es weigert sich allerdings, seinen Namen zu nennen. Ausweispapiere haben wir nicht bei ihm gefunden.« »Und was ist mit dem Araber?« »Der amüsiert sich. Er hat lediglich zugegeben, Rashid Ali zu heißen und Palästinenser zu sein.« »Hat er etwas über Cho oder die anderen gesagt?« »Nein. Aber er verlangt, daß sein Fall vor die UNO-Vollversamm lung kommt. Er behauptet, das sei die einzige Institution, die ihm ei nen fairen Prozess garantieren könne.« 275
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N
a, was sagst du jetzt, du Wunderknabe?« fragte Hooks. »Es läuft alles nach Plan. Hinter der nächsten Kurve liegt der Park.« Trask drehte den Kopf. Seine hageren Gesichtszüge zuckten, als er sah, daß Lake nicht mehr gefesselt war und auch keine Augenbinde mehr trug. Kalte Wut stieg in ihm hoch. Außerdem hielt Cho ihn mit Rashids Ka rabiner in Schach. »Wer hat dir gesagt, daß du ihm die Augenbinde ab nehmen sollst?« brüllte Trask. »Bist du übergeschnappt?« »Aber du hast doch gesagt …« »Quatsch! Halt's Maul, du Idiot!« Hooks lachte hämisch auf. »Schon wieder 'ne Pleite, Trask. Du ver masselst wirklich alles. Das Schlitzauge ist nicht zu gebrauchen!« Trask überlegte fieberhaft. Wenn Lake wußte, daß der Koreaner zur Gruppe gehörte, konnte er den Chirurgen nicht mehr freilassen. Er griff nach dem Mikrophon. »Stade? Hier spricht Trask.« »Ich höre.« »Wir haben Lake freigelassen.« Hooks warf Trask nur einen flüchtigen Seitenblick zu, als er den Krankenwagen durch das Parktor lenkte. Sie hatten den WeaverPark erreicht. Hinter den Rädern des schweren Transporters spritz te Schneematsch auf, als sie den Hauptverbindungsweg des Parks ent langrasten. Der Park wirkte leer und verlassen. »Wo ist Doktor Lake jetzt?« wollte Stade wissen. »Sie finden ihn schon. Lake wird sich bald melden.« »Warum lassen Sie nicht auch Cho Park frei?« erkundigte sich Stade. »Dann könnten wir vernünftig verhandeln. Es muß doch nicht unbe dingt jemand verletzt werden.« 276
»Cho bleibt so lange bei uns, bis wir in Sicherheit sind«, entgegne te Trask. »Das kann natürlich zwei oder drei Tage dauern. Aber er wird anständig behandelt.« Trask überdachte die Situation schnell. Er kam jedoch zu dem Schluß, daß er Lake würde töten müssen, wenn er verhindern wollte, daß dieser der Polizei die Wahrheit über Cho verriet. »Ich glaube allerdings, daß Sie Cho anständig behandeln«, bemerkte Stade in diesem Augenblick. »Er ist schließlich einer von euch!« Panische Angst erfasste Trask und schnürte ihm sekundenlang die Kehle ein. »Ich weiß nicht, wovon Sie reden«, brachte er schließlich mühsam heraus. »Cho Park ist von Ihrem Freund Olmedo ins Krankenhaus einge schleust worden. Er ist ein Mitglied der Roten Armee Japans, und wir haben eine hübsche Akte über ihn. Seinen richtigen Namen bekom men wir auch noch heraus. Von mir aus dürfen Sie ihn ruhig behalten. Warum geben Sie nicht auf und ersparen uns die Mühe, den Kranken wagen mit Waffengewalt zu stoppen?« »Idiot!« schrie Hooks. »Jetzt sitzen wir im Dreck. Und du bist wie immer schuld. Die Bullen wissen, wer Schlitzauge ist. Sie haben Carlos umgebracht, die Wahrheit über Schlitzauge rausbekommen, und jetzt machen sie uns fertig.« Bei Hooks Wutausbruch geriet der Wagen auf dem schmalen, unebe nen Weg, der zu dem Auto führte, das Hooks Stunden zuvor dort ab gestellt hatte, gefährlich ins Schleudern. Schneematsch spritzte hoch, als Hooks den Transporter wieder in Fahrtrichtung brachte.
Vom Parktor aus sah Reinhold gerade noch, wie der Krankenwagen zwischen den Bäumen verschwand. Er bedeutete dem Fahrer, dem Chevrolet zu folgen, kurbelte sein Fenster herunter und brachte seinen Colt in Anschlag. Im Ambulanzwagen wartete Trask einige Minuten, dann schaltete er 277
das Mikrophon ein. »Stade? Bleiben Sie dran. Sie haben mir alles ge sagt, was ich wissen sollte. Lake, kommen Sie her!« Geduckt wankte Lake zur Trennscheibe und steckte seinen Kopf ins Fahrerhaus. Trask gab ihm das Mikrophon. »Hier spricht Doktor Lake«, begann der Chirurg. »Das war ein Trick. Ich bin noch hier im Wagen. Greift ja nicht an. Solange sie mich brau chen, tun sie mir nichts.« Trask riß ihm das Mikrophon aus der Hand. »Sie haben einen Fehler gemacht, Stade. Wenn Sie versuchen, uns aufzuhalten, ist Doktor Lake ein toter Mann.« »John, hören Sie. Wir sollten reinen Tisch machen. Sie haben keine Chance. Olmedo ist tot, und wir haben Rashid und das Mädchen ge schnappt. Sie reden …« Martha Lake lief zu Stades Schreibtisch. »Sind Sie wahnsinnig? Sie haben eben das Todesurteil meines Mannes unterschrieben!« Rockewicz hielt sie zurück. »Ruhig, Martha. Er weiß, was er tut.« »Kapieren Sie denn nicht, Steve?« schrie sie. »Dieser Wahnsinni ge hatte ihn reingelegt. Sie haben Eric … Er ist ihre Lebensversiche rung … die einzige, die sie jetzt noch haben.« Am anderen Ende der Leitung waren tumultartige Geräusche zu hö ren, dann war plötzlich alles still. »Tut mir leid, Mrs. Lake«, sagte Stade. »Aber wir mußten es ihnen sagen. Jetzt, nachdem sie wissen, daß wir zwei Komplicen geschnappt haben, werden sie vielleicht verhandlungsbereit sein.« »Oder durchdrehen und meinen Mann umbringen.« Martha Lake sank in Rockewicz' Arme.
»Idiot!« schnaubte Hooks. »Mann, und du hast uns diesen Quatsch er zählt, wie du mit deinem großartigen Plan die Welt verändern, Regie rungen stürzen und die Kapitalisten wegfegen willst … Alles, was du kannst, ist Mist zu bauen!« »Wir kommen da raus! Schließlich haben wir Lake!« 278
»Lake … Lake … Der ist mir piepegal! Wenn du ihn unbedingt erle digen willst, dann tu's endlich!« »Hör zu, Hooks!« begann Trask eindringlich. »Niemand hat uns ge sehen. Wir schaffen es. Die Hälfte der Lösegeldsumme haben wir noch. Sobald wir in den Buick umgestiegen sind, ist alles überstanden!« Hooks raste mit dem Ambulanzwagen an der morastigen Lichtung vorbei, auf der der Fluchtwagen abgestellt war. Dann trat er auf die Bremse. Der schwere Transporter schleuderte zwischen einer Gruppe Pappeln hindurch. Hooks wendete. Lake wurde im Fond des Wagens erbarmungslos hin und her ge schleudert. Auch Cho hatte Mühe, das Gleichgewicht zu halten und Lake nicht aus der Schusslinie zu verlieren. Dann tauchte plötzlich hinter der schneebedeckten Wiese Reinholds blau-weißer Streifenwagen auf und raste mit Blinklicht und heulender Sirene genau auf den Krankenwagen zu. Hooks und Trask sahen ihn gleichzeitig. »Polente!« zischte Hooks. Er spuckte aus dem Fenster. »Die Bullen von der City Police. Jetzt hast du uns die Tour endgültig vermasselt, Trask.« Hooks brachte den Ambulanzwagen hinter dem Buick zum Stehen. »Cho, nimm die Koffer und schaff sie in den Wagen!« schrie Trask. »Um Lake kümmere ich mich.« Cho hängte den Karabiner über die Schulter, öffnete die Tür des Laderaums, griff nach den beiden Koffern, sprang geduckt ins Freie, rutschte mit seiner schweren Last auf dem glatten, tiefen Untergrund aus und fiel auf die Knie. Die Strecke zwischen dem Krankenwagen und dem Buick betrug nur wenige Meter, doch die plötzliche Kälte, der weiche, glitschige Bo den machten Cho zu schaffen. In panischer Hast richtete er sich auf, rutschte wieder und fiel der Länge nach hin. Mühsam kam er wieder auf die Beine und griff nach den Koffern. »Steh auf, du Dreckskerl!« schrie Reinhold. O'Boyle und sein Kameramann lehnten aus den Fenstern des Strei fenwagens. 279
Fluchend und schimpfend befahl Reinhold seinem Fahrer, vom Weg abzubiegen und um den Transporter und den Buick in einer weiten Schleife herumzufahren. Er mußte schließlich damit rechnen, daß die Terroristen das Feuer eröffnen würden. »Nur her mit euch, ihr Schweine!« krächzte Hooks. »Ihr werdet alle ins Gras beißen!« Er riß den Karabiner hoch. Lake ließ sich auf den Fußboden des Krankenwagens fallen und roll te geistesgegenwärtig unter eine Bahre. Die dicke Matratze und die Decken würden, so hoffte er, etwas Schutz bieten. Er hörte das leise, dumpfe Geräusch der Schüsse, wartete darauf, daß Kugeln ihm um die Ohren pfeifen würden. Nach Sterben war ihm nicht zumute. Der aufsteigende Zorn und die Erkenntnis seiner Hilf losigkeit waren wesentlich größer als die Angst. Er mußte diesen Kil lern einen Denkzettel verpassen. Da kam ihm eine Idee …
Reinhold befahl dem Fahrer anzuhalten. Der Streifenwagen schleu derte auf der glatten Wiese, blieb dann endlich stehen. Chief Reinhold sprang aus dem Wagen und ging hinter der Motorhaube in Deckung. Dann hob er den Colt und zielte auf eine kleine Gestalt in grünlicher Operationskleidung, die zu einem schneebedeckten Wagen stolperte. »Um Himmels willen, George! Sie wissen doch gar nicht, wer das ist!« schrie O'Boyle entsetzt. »Das kann genauso gut …« »Er hat 'ne Waffe. Das genügt mir.« Cho hatte einen Koffer abgestellt und riß verzweifelt an der Tür des Buick. Offenbar war das Schloß im eisigen Schneeregen eingefroren. Reinhold faßte den Revolver mit beiden Händen. Die Kugeln aus Hooks Karabiner spritzten über die Motorhaube und schlugen in den Motor ein. O'Boyle, der Kameramann und Reinholds Fahrer lagen auf dem Fußboden des Streifenwagens. »Halt wenigstens die Kamera aus dem Fenster!« befahl O'Boyle atem los. 280
Der Kameramann legte das Filmgerät vorsichtig in den Türrahmen, ohne seine Deckung aufzugeben. Reinhold drückte zweimal ab. Helles Mündungsfeuer schoß aus dem Lauf des Colt. Cho wurde durch das schwere Kaliber gegen den Buick geworfen. Dort traf ihn Reinholds dritter Schuß. Er sackte langsam in sich zusammen und fiel vornüber in den Schnee. »Oh, Gott! Oh, Gott!« jammerte O'Boyle. »Jetzt ist es aus! Schnell! Weg von hier!« Reinhold kniete noch immer hinter der Motorhaube und schoß. »Machen Sie 'nen Spaziergang, wenn Sie die Hose voll haben, O'Boyle!« schrie er dem Reporter zu. »Ich habe Sie nicht eingeladen, mitzukom men. Das war Ihre Idee!« »Wir töten Lake!« ertönte Trasks Stimme aus dem Krankenwagen. »Lake wird erschossen!« »Lass den Mann in Ruhe, du Feigling!« brüllte Reinhold zurück. »Werft eure Waffen weg und ergebt euch!« »Kriegst du das alles auf den Film?« erkundigte sich O'Boyle. Der Kameramann spähte vorsichtig über den Rand der Autotür. »So gar mehr, als mir lieb ist.«
»Sie sind im Weaver-Park«, meldete Harris. »Reinhold hat sie entdeckt und gestoppt.« »Was ist mit unseren Leuten?« fragte Stade. »Eine Einheit hat die Signale des Senders empfangen und muß jeden Augenblick an Ort und Stelle eintreffen«, antwortete Harris. »Reinhold hat das Feuer eröffnet.« Martha Lake verbarg ihr Gesicht in den Händen. Rockewicz legte den Arm um sie, wollte sie trösten, doch dem sonst nie verlegenen Kli nikdirektor fielen beim besten Willen keine passenden Worte ein.
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»Oh, Mann, du hast wirklich alles gründlich versaut, Trask«, fluchte Hooks. Er hatte Mühe, mit dem Karabiner genau zu zielen. Der Bulle aus dem Streifenwagen war wirklich schlau. Er gab seine Deckung um keinen Zentimeter auf. Hooks dachte kurz an sein Armalite M-16. Da mit hätte er den Bullen einheizen können. Hooks blickte mit zusammengekniffenen Augen zum Himmel. Er hörte den Hubschrauber wieder. Trask hielt seinen Spezialrevolver in zitternden Händen. Er war leichenblass. Hooks musterte ihn. »Du bist ein Versager. Große Klappe und nichts dahinter.« »Los, Hooks! Riskieren wir's. Versuchen wir, zum Buick zu kommen. Das Geld ist bereits drin.« »Irrtum. Cho hat's erwischt. Die Koffer liegen im Dreck. Wer von uns soll sie holen und wer gibt Feuerschutz?« »Wir nehmen Lake mit … benutzen ihn als Deckung.« »Sobald du nur deinen Hintern aus dem Auto streckst, kriegst du von dem Bullen dort drüben 'ne Ladung verpasst, die sich gewaschen hat«, entgegnete Hooks gelassen. Trask richtete sich auf und zielte mit dem Revolver in den Fond des Krankenwagens. »Lake! Kommen Sie raus! Wir gehen!« Lake hatte den fast kindischen Wunsch, die Köpfe der beiden gegen einander zuschlagen. »Raus, Dreckskerl!« schrie Trask. »Zu spät«, warf Hooks ein. »Da draußen gibt's gleich 'ne Volksver sammlung. Wenn du Lake jetzt umlegst, bringen die uns da draußen erst recht um. Außerdem hat er sich versteckt.« »Hol ihn raus!« »Quatsch! Wie denn?« Lake überlegte, was er tun konnte. Vielleicht mußte er doch nicht sterben. Zwei schwarze Limousinen rasten über die schneebedeckte Wiese auf den Krankenwagen zu. Über einen Lautsprecher dröhnte eine Stimme: »John, hier spricht das FBI. Sie sind umstellt. Werfen Sie Ihre Waffen weg und ergeben Sie sich!« 282
»Du kannst mich mal, du dämlicher Bulle!« brüllte Hooks zurück. »Wenn wir schon abkratzen, dann sterben wir wie Männer!« Lake hörte erneut Schüsse und das Splittern von Glas. Lake lag unter der Bahre mit der dicken Matratze. Sie bot einen guten Schutz. Hooks und Trask konnten ihn weder sehen, noch aus dem ungünstigen Win kel töten. Lake dachte einen Augenblick daran, aus dem Versteck zu kriechen und sich mit einem Sprung aus dem Wagen in Sicherheit zu bringen. Der Koreaner war wahrscheinlich auf dem Weg zum Flucht auto erschossen worden. Plötzlich lag totenähnliche Stille über dem Platz. Kein Schuß fiel mehr. »Trask, jetzt gehen wir in die ewigen Jagdgründe«, sagte Hooks zu Trask. »Noch nicht, Hooks. Wenn es einer von uns beiden fertig bringt, die ses Kapitalistenschwein da hinten rauszuziehen, schaffen wir's. Er ist unsere letzte Rettung, Hooks.« »Du hast alles vermasselt, also holst du ihn auch raus.« »Ich kann ihn nicht sehen. Ist er noch immer da drin?« Draußen ertönte erneut Liefs Stimme über den Lautsprecher: »John, wir haben den Streifenwagen aufgefordert, das Feuer einzustellen. Ihr könnt jetzt rauskommen.« Chief Reinhold steckte fluchend seinen Colt ins Halfter. Es war fast ein Trost für ihn, daß er wenigstens zwei von diesen Gangstern er schossen hatte. O'Boyle und sein Kameramann waren inzwischen aus dem Strei fenwagen gekrochen und neben Reinhold in Deckung gegangen. Der Krankenwagen war von vier schwarzen Limousinen umstellt. »Oh, Mann! Das ganze FBI ist auf den Beinen«, staunte O'Boyle. Er hat te fünfzehn FBI-Beamte gezählt. Doch ständig trafen noch mehr Wa gen ein. »Wer war der Mann, den Sie gerade erschossen haben?« wollte O'Boyle von Reinhold wissen. Chos leblose Gestalt lag noch immer ne ben dem Buick. »Keine Ahnung.« 283
»Er hat Operationskleidung getragen. Er könnte eine Geisel gewe sen sein.« »Mit einem Karabiner über der Schulter?« entgegnete Reinhold. Trask machte einen letzten Versuch. »Wir kommen jetzt mit Lake raus, gehen zum Wagen und fahren ab! Wenn jemand versucht, uns daran zu hindern, wird Lake erschossen.« Hooks steckte den Kopf aus dem Fenster. Der kühle, frische Schnee erinnerte ihn an seine wilde Jugend. Lake rutschte näher zum Gang. Seine Blicke glitten zum Regal über der gegenüberliegenden Bahre. Die Krankenwagen waren wesentlich besser ausgerüstet als zu seiner Studienzeit. Plötzlich entdeckte er am Fuß der anderen Bahre einen weißen Kasten. Es war ein tragbarer, bat teriegespeister Defibrillator. Lake sah plötzlich einen Ausweg. Lake war kein Held, aber nachdem er sich einmal eine gute Chance ausgerechnet hatte, war er entschlossen, zu handeln. Allerdings mußte es schnell gehen. Andernfalls war er ein toter Mann. Er rollte ein Stück weit in den Gang und zog die Decke mit sich. »Mach Lake kalt!« forderte Trask von Hooks. »Wenn wir ihn schon nicht mitnehmen können, dann muß er sterben.« »Ich rühr den Doktor nicht an.« Gleichgültig, auf welcher Seite sie stehen, sie lassen dich die Drecksarbeit machen und heimsen den Ruhm ein, dachte Hooks. Die Stimme aus dem Lautsprecher dröhnte: »Ihr habt genau zwei Minuten Zeit. Laßt Lake frei und ergebt euch.« In einem Wagen des FBI wandte sich Lief an einen Kollegen: »Und nach diesen zwei Minuten bekommen sie noch mal zwei Minuten und so weiter … Wir bleiben den ganzen Nachmittag hier, wenn wir Lake damit retten können.« »Hast du's endlich kapiert, Trask? Die scheren sich nicht um Lake. Die greifen jede Minute an.« »Hooks, wir haben noch eine Chance!« Trasks Kopf zuckte heftig. »Schieß dein ganzes Magazin nach hinten!« »Nee, ich mach' mir für keinen Weißen die Finger schmutzig.« Trasks Kopf zuckte. Ein merkwürdiger Schimmer hatte sich über die 284
Augen des Mannes gelegt. Als er sich umdrehte, um nach Lake zu se hen, schob Hooks die Trennscheibe zum Fond zur Seite. »Was machst du da, du dämlicher Nigger?« fluchte Trask. »'n dämlicher Nigger zu sein, ist das Problem meines Lebens, Mann«, entgegnete Hooks gelassen. Lake horchte auf die immer heftiger werdende Auseinandersetzung. Plötzlich fielen zwei dumpfe Schüsse. Lake sah, wie Trask zusammen sackte. »Wir müssen alle mal dran glauben«, murmelte Hooks. Lake rollte unter der Bahre hervor, sprang auf, hob den Deckel des weißen Kastens hoch, schaltete den Defibrillator ein, stellte die Wähl scheibe auf 400 Volt und packte die Elektrodenpaddel. Hooks hörte das Geräusch. Mit staunendem Gesichtsausdruck dreh te er sich um. Lake sah, wie sich der Lauf des Karabiners über den Rand der Öffnung zum Fahrerhaus schob. Seltsamerweise zielte Hooks jedoch nicht auf ihn. »Was soll das?« fragte Hooks. Lake sprang auf, stützte sich mit einem Knie auf die Bank vor der Trennscheibe und knallte dem entgeisterten Hooks die beiden Paddel des Defibrillators ins Gesicht. Der mächtige Stromstoß durchfuhr Hooks wie ein Blitzschlag. Der Farbige schrie gellend auf. Sein kräftiger Körper wurde vom Sitz geris sen, bäumte sich auf und sackte dann zuckend über dem Lenkrad zu sammen. Lake sank auf eine Bahre und barg den Kopf in den Händen. »Was ist bei euch los?« fragte die Stimme aus dem Lautsprecher. »Nicht schießen!« Lake öffnete die Ladetür des Krankenwagens. »Alles in Ordnung!« rief er. »Ich bin's, Lake! Nicht schießen! Einer der Terroristen ist tot, der andere bewusstlos!« Dann fiel er erschöpft auf die Bahre zurück. Wenige Minuten spä ter tauchte Liefs Gesicht in der Türöffnung auf. Er hielt ein Gewehr in der Hand. »Doktor Lake?« 285
»Ja. Mir geht's gut. Jemand sollte sich um den Fahrer kümmern. Ich habe ihn mit 400 Volt behandelt. Gut hat's ihm nicht getan, aber er lebt. Trask ist wahrscheinlich tot. Der Farbige hat ihn erschossen. Die beiden sind sich wohl auf die Nerven gefallen.« »Und Sie sind nicht verletzt?« »Nein. Aber bringen Sie mich so schnell wie möglich in die Klinik zurück.«
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ake ging sofort in den Aufwachraum. Buttram hielt die herein drängenden Reporter und Fotografen zurück. Als Licata und Mi hrab von Lakes Ankunft erfuhren, verließen sie die Cafeteria, wo sie mit Flor und Sally etwas gegessen hatten, und rannten in die Chirur gie zurück. Motzkin, der sich inzwischen einen Krückstock aus der or thopädischen Abteilung besorgt hatte, humpelte hinterher. »Die Herzrhythmusstörungen haben vor einer Stunde wieder ange fangen«, erklärte Licata. »Ich mußte den Schrittmacher einstellen.« Lake betrachtete das EKG. »Die P-Zacken sehen gut aus«, bemerkte er. »Paßt auf ihn auf, Mädchen. Wir haben sein Herz ziemlich traktiert.« Er beugte sich unter den Tisch und warf einen Blick auf den Urinbeutel. »Scheint alles soweit in Ordnung zu sein. Und vergesst nicht, er ist ein Lake-Patient und bekommt den entsprechenden Service!« Die Krankenschwestern lächelten. »Und paßt auf den Blutdruck auf. Der kann in der postoperativen Phase gefährlich ansteigen. Seine Körpertemperatur scheint mir recht niedrig. Das könnte zu Krämpfen führen. Eine Dosis Curare wäre an gebracht. Und gebt ihm Morphium, wenn er über Schmerzen klagt.« Er sah in die Runde. »Alles klar?« »Ja, Doktor.« 286
»Und ich brauche jetzt eine heiße Dusche und frische Kleider … und mindestens vier Zigaretten.« Martha Lake wartete an der Tür zum Aufwachraum. Hinter ihr stand ein großes, schlankes Mädchen Mitte Zwanzig. Sie hatte langes Haar und ernste Gesichtszüge. Lake ging zu seiner Frau. Sie umarmten sich. »Eric … Eric … Bist du gesund? Fehlt dir nichts?« »Es ist alles in Ordnung, Martha.« Sie schlang die Arme um seinen Hals. »Gehen wir, Liebling!« »Warum?« »Also … Wir können doch nicht hier im Aufwachraum vor allen Krankenschwestern …« Marthas Gesicht kam näher. »Aber warum nicht? Gerade vor den Krankenschwestern …« Sie legte die Hände um sein hageres Gesicht und küßte ihn lange und zärtlich. Eric Lake versuchte, sich sachte aus der Umklammerung zu lösen, doch Martha hielt ihn fest, legte ihren Kopf an seine Brust. Tränen der Erleichterung lösten sich. Ihre Augen wurden feucht. »Martha, wir können doch nicht …« »Ich liebe dich.« »Ich weiß, Martha.« Die Krankenschwestern blickten neugierig auf das Paar. Motzkin lachte. »Küß ihn ruhig noch mal, Martha!« forderte Motzkin. Martha Lake ließ sich das nicht zweimal sagen. Sie legte einen Arm um Erics Hals und preßte ihn an sich. »Martha, wir haben noch den ganzen Tag vor uns.« »Komm nach Hause.« »Das geht nicht. Für heute nachmittag ist die Operation an der klei nen Ramazotti festgesetzt. Sie wartet schon seit Monaten.« Martha hielt ihn an der Hand fest. »Steve hat eine Flasche Bourbon in seinem Büro.« »Hör auf, mich im Aufwachraum zu vergewaltigen, und ich tue al les, was du willst.« 287
»Küß mich!« Lake gab ihr einen flüchtigen Kuß auf die Wange. »Jetzt ist es ge nug.« In diesem Moment fiel Marthas Blick auf das junge Mädchen im Overall und dem Umhang. »Ach du liebe Zeit! Ich habe ja Miß Tench völlig vergessen.« Martha nahm die junge Frau mit dem etwas traurigen Blick an der Hand und führte sie zu den Ärzten. »Eric, das ist Dee-Dee. Walkers Tochter.« Lake schüttelte ihr die Hand. Das Mädchen war dunkelhaarig und schlank. Ihre Augen hatten einen seltsamen Ausdruck. »Als ich Sie das letzte Mal gesehen habe, waren Sie noch ein kleines Mädchen. Das war in Newport, im Haus Ihres Großvaters, oder?« »Daran erinnere ich mich nicht. Mit diesem Teil meines Lebens bin ich fertig.« Sie drehte verlegen ein Amulett in ihrer Hand, das sie an ei nem Lederriemen um den Hals trug. »Leben Sie hier in der Nähe?« fragte Lake höflich. »Ja, in einem Ashram.« »In einem was?« »Eric, das ist eine Art Kommune«, mischte sich Martha schnell ein. »Ich habe einiges darüber gelesen. Und wo ist dieses Ashram?« »Also … rein geographisch betrachtet in New York City. Aber wir le ben auf einer völlig anderen Bewußtseinsebene.« Licata, Motzkin und Mihrab warfen sich bedeutungsvolle Blicke zu. Lake führte Dee-Dee Tench an das Bett ihres Vaters. Der massige Körper von Tench bot einen beinahe furchterregenden Anblick. »Das … das … soll Vater sein?« »Er ist es garantiert«, entgegnete Lake. »Ja … vermutlich haben Sie recht«, hauchte Dee-Dee verträumt. »Auf welcher Bewußtseinsebene bewegt er sich jetzt? Ist das nur eine Über gangsphase oder schon ein kreativer Zustand?« »Tut mir leid, aber mit diesen Dingen kenne ich mich nicht aus.« »Daddy sieht … sieht so merkwürdig aus«, flüsterte Dee-Dee. »Da hat sich der gute Tench eine ziemlich ausgeflippte Tochter zu 288
gelegt«, murmelte Licata im Hintergrund. »Aber wer Geld hat, kann eben auch Unsinn am laufenden Band verzapfen.« »Genau wie in den Aufsichtsratssitzungen«, bemerkte Motzkin. Flor Aquino wartete vor der Chirurgie auf Licata und Mihrab. Sie hatte sich inzwischen umgezogen und trug jetzt einen weißen Ho senanzug, der ihre schlanke, biegsame Figur noch besser zur Geltung brachte. »Wie geht es ihm?« erkundigte sie sich. »Gut«, antwortete Mihrab. Licata winkte den beiden kurz zu und ging weiter. Mihrab nahm Flors Arm. Vor der nächsten Operation blieb ihnen gerade noch Zeit für eine Tasse Kaffee. Mihrab fand zwar noch nicht die richtigen Worte, und es würde auch einige Wochen dauern, bis er den Mut dazu hatte, doch er wuß te fast sicher, daß Flor ihn doch lieben würde. Jack sollte sein Trauzeu ge werden.
»Wie geht es diesem Hooks?« erkundigte sich Rockewicz. »400 Volt sind eine anständige Ladung, aber der zähe Bursche hat's überstanden … von einigen bleibenden Schäden abgesehen«, antwor tete Lief. Rockewicz sah Lief nachdenklich an. »Ich glaube, Lake hat ihm dadurch das Leben gerettet. Ihr hättet ihn doch sofort erschossen, oder?« »Was ist mit Trask?« erkundigte sich Stade und wechselte das The ma. Estelle LeBlanc kam ins Zimmer. »Zuerst hat man ihn für tot gehal ten, aber er lebt noch. Er liegt in der Notaufnahme.« »Wer ist bei ihm?« fragte Rockewicz. »Dr. Burns.« Rockewicz Augen glitzerten, als er die Sprechanlage einschaltete. Sämtliche Ärzte und Krankenschwestern von Lakes Team, Martha 289
Lake, Bev Motzkin, Dee-Dee Tench, O'Boyle und Cardone hatten sich in der Cafeteria getroffen, und Cardone hatte eine kleine Rede gehal ten. Cardone musterte Dee-Dee Tench versonnen. Sie trank weder Kaf fee noch Tee, nur Milch. Cardone wurde erneut von einer gewissen Zukunftsangst befallen. Was stand in Tenchs Testament? Wer war die ser Eindringling im Überwurf, der von anderen Bewußtseinsebenen faselte? In diesem Augenblick kam eine Durchsage über den Lautsprecher: »Dr. Eric Lake wird dringend gebeten, in die Notaufnahme zu kom men. Es handelt sich um einen Patienten mit einer Herzwunde und schweren inneren Blutungen …« Rockewicz' Stimme klang honigsüß. »Seit wann bin ich Wundarzt?« fragte Lake sarkastisch. »Das hört sich nach einem typischen Steve-Witz an«, seufzte Licata. Er stand auf. »Tun wir dem guten alten Rockewicz den Gefallen.« Mit ten in der Bewegung hielt er inne. »Oh, Mann, ich glaube, ich weiß, wer der Patient ist.« Lake blickte ihn erstaunt an. »Das kann doch nicht sein!« Mihrab lief den beiden, gefolgt vom humpelnden Motzkin, nach. Im Gang holte O'Boyle den Chirurgen ein. »Es ist einer von denen, stimmt's? Vielleicht Ihr Freund Trask?« »Ich habe keine Freunde«, entgegnete Lake. »Nur Patienten.«
An der Tür der Cafeteria fing Rockewicz Cardone ab. Ohne Umschwei fe begann er: »Wenn ich mich recht entsinne, wollten Sie dem ›City General‹ fi nanziell etwas unter die Arme greifen, oder?« »Ja, stimmt. Brauchen Sie nicht einen neuen Oxygenator?« »Mr. Cardone, dieses Gerät kostet ungefähr sechshundert Dollar. Ich hatte, offen gestanden, an etwas Lukrativeres gedacht.« »So, wirklich?« »Ja, zum Beispiel an ein Herzforschungszentrum. Wir haben die 290
richtigen Leute dafür, und Lake hat das beste Programm, das Sie sich vorstellen können. Er braucht nur die Räumlichkeiten und die techni sche Ausrüstung.« »Schüchtern sind Sie nicht gerade, Mr. Rockewicz.« »Sagen Sie ruhig Steve zu mir. Das tun hier alle.« Cardone lächelte. »Gut, ich werd's mir überlegen. Was würden Sie von einem ›Tench Heart Institute‹ halten?« »Klingt gut, aber ich hatte eigentlich mehr an ein ›James Baggs Me morial Institute‹ gedacht. Sie brauchen sich ja nicht gleich zu entschei den. Ich rufe Sie morgen an. Vielleicht könnten wir uns dann gleich mit unserem Architekten treffen. Er ist jederzeit verfügbar.« James J. Cardone blieb stehen und brach in schallendes Gelächter aus. »Steve, falls Sie je einen Job brauchen sollten, kommen Sie zuerst zu mir.«
Trask lag kalkweiß und nackt auf dem Operationstisch. Er hatte einen Einschuss von der Größe einer Walnuss in der Brust. Eine von Hooks Kugeln schien ihn getroffen zu haben. Maurice Burns hatte zwischen der vierten und fünften Rippe einen tiefen Einschnitt gemacht. Als Lake die Notaufnahme betrat, schüttel te Burns den Kopf. »Ich verstehe das nicht, Eric. Warum blutet er nicht mehr?« »Vermutlich hat sich ein Blutgerinnsel im Perikard gebildet«, ant wortete Lake. »Jack, hilf mir. Flor und Gamel, ihr hebt seinen linken Arm hoch und haltet seinen Oberkörper schräg.« »Es ist verrückt. Er hat bisher kaum Blut verloren«, wiederholte Burns. »Sein Glück«, erwiderte Lake. »Vermutlich verhindert ein Blutpfrop fen, daß Blut in die Brusthöhle dringen kann. Aber wir werden's ja se hen.« Licata zog die Wundränder auseinander. »Ahnt dieser Bursche über haupt, wer sein mieses Leben zu retten versucht?« 291
»Er wird's noch rechtzeitig erfahren«, entgegnete Lake. »Alan, gib ihm Blutserum.« »In Ordnung, Eric.« »Tretet zurück! Ich schneide jetzt den Herzbeutel auf. Ich glaube, er ist voller Blut!« Lake machte einen tiefen Einschnitt. Hellrotes Blut schwappte aus der Wunde und ergoss sich über den Operationstisch und Fußboden, spritzte auf die Kleidung der Chirurgen. Die Schwestern begannen ha stig, alles aufzuwischen. Lake griff in den Einschnitt, faßte Trasks Herz und untersuchte die Wunde. »Hier ist sie. Ein glatter Durchschuss in der rechten Vorkammer.« »Steck 'nen Knallfrosch rein«, schlug Licata vor. »Gamel, halt die Nähseide bereit«, befahl Lake. »Ich drehe das Herz so lange, bis du die Wunde sehen kannst. Hier ist sie! Fang an zu nä hen.« »Der Herzschlag ist verdammt schwach, Eric«, meldete Licata. »Gut, dann fängst du mit der Herzmassage an.« »Achtung, Jack!« warnte Mihrab. »Ich kann kaum was sehen. Klem me bitte!« Licata massierte gleichmäßig. Er fühlte, wie das Herz unter seinen Händen wieder kräftiger schlug. »Mann, der Herzschlag wird besser. Jetzt hat er's geschafft«, keuchte er. Lake schob Licata beiseite, griff in den Einschnitt und tastete nach dem Herz. »Stimmt. Die Herztätigkeit ist gut. Wenn er zu sich kommt, wird er Schmerzen haben. Alan, gib ihm eine Dosis Morphium.« »Muß das sein?« Das Herz schlug schneller. Trask blinzelte. Flor nahm seinen rech ten Arm und säuberte ihn. Motzkin gab ihm eine Morphiuminjekti on. »Es wird nicht lange wehtun«, murmelte er. Bevor Trask endgültig das Bewußtsein verlor, hatte er eine Vision von gleißendem Licht, chromblitzenden Geräten und Schläuchen und hörte das Klappern metallener Instrumente. »Bringt ihn jetzt in den OP hinauf!« befahl Lake. »Macht ihn fertig. 292
Dränagen, Foley-Katheter und so weiter. Die Kugel suchen wir spä ter. Sie steckt vermutlich irgendwo zwischen den Rippen. Die Lunge scheint zu funktionieren.« Zwei Pfleger hoben Trask vom Operationstisch und legten ihn auf eine Bahre. An der Tür zur Notaufnahme stand mit düsterer Miene Oberschwester McCarran. Sie sah aus, als würde sie Trasks Bluttrans fusionen am liebsten abschneiden. »Was ist mit der kleinen Ramazotti, Dr. Lake?« erkundigte sie sich. »Bleibt es bei halb drei?« »Wenn meine Assistenten nicht meutern, ja.« Licata zog sein Mundtuch herunter und sah Mihrab, Motzkin und die Operationsschwester an. »Haben wir sonst noch was heute nach mittag?« »Dr. Lake hat heute nachmittag noch ein kleines Interview mit der Welt«, mischte sich Brian O'Boyle ein. Eric Lake starrte ihn fassungslos an. Der Reporter war ihnen unbe merkt gefolgt. Schließlich nickte Lake und lächelte.
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