Im Jenseits verurteilt von Jason Dark, erschienen am 12.04.1982, Titelbild: Vicente Ballestar Das Schwert mit der golde...
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Im Jenseits verurteilt von Jason Dark, erschienen am 12.04.1982, Titelbild: Vicente Ballestar Das Schwert mit der goldenen Klinge fuhr schräg von oben nach unten. Ein pfeifendes Geräusch entstand, als es durch die Luft schnitt. Der Schatten versuchte zwar noch wegzukommen, doch die Klinge war schneller. In einem Lichtreflex sah man das Funkeln ihrer Schneide, dann traf sie mit tödlicher Sicherheit ins Ziel. Der Schatten wurde buchstäblich an die Wand genagelt. Ein Schrei ertönte. Ein Schrei aus der konturlosen Schwärze, der in einem Röcheln endete. Sofort wirbelte die Frau herum. Sie wußte, daß noch ein zweiter in der Nähe lauerte, und sie sah nicht getäuscht. Dieser Schatten befand sich dicht an der Tür, und er wurde von einer kleinen Person mit grüner Haut in Schach gehalten. Von Myxin, dem Magier!
Er stand vor dem Gebilde, hatte die Arme ausgestreckt und seine Finger gespreizt. Aus den Kuppen stießen zehn blasse Strahlen, die an der Wand die bizarre Form des Schattens genau nachzeichneten und der dadurch heller wirkte, als er in Wirklichkeit war. Der Schatten kam nicht weg. Myxins magische Kraft hatte ihn gebannt. Die Frau mit dem Schwert trat näher. Wieder blinkte das Restlicht auf der Klinge und ließ erkennen, wie wertvoll diese Waffe war. Leicht gebogen präsentierte sich das edle Metall, dessen Alter fast unschätzbar war, denn schon in vorchristlicher Zeit hatte dieses Schwert existiert. Die Frau mit den langen schwarzen Haaren, dem schmalen Gesicht und den großen Augen war nur der Erbe des Schwerts. Ihr Vater hatte es ihr vermacht. Sie hieß Kara, war die Schöne aus dem Totenreich und immer auf der Suche nach dem Trank des Vergessens, den sie irgendwann zu finden hoffte, wobei ihr Myxin, der kleine Magier, half, mit dem sie vor 10000 Jahren verfeindet gewesen war. »Du hast ihn sicher, nicht?« Es war mehr eine Feststellung als eine Frage, und Myxin bewegte den Kopf. »Soll ich ihn lassen?« »Nein«, erwiderte Kara und trat noch näher, damit die Spitze des goldenen Schwerts den Schatten berÜhren konnte, wenn sie den Arm ausstreckte. Der Schatten war ein Wesen aus dem Reich des Spuks. Es kam nicht oft vor, daß der Spuk einen seiner Diener entließ. Wenn dies eintrat, mußte es einen besonderen Grund haben. Den wollten Kara und Myxin erfahren! Der Schatten oder vielmehr beide waren in ihre magische Falle gelaufen. Es gab auf der Welt gewisse Punkte, wo sich die Dimensionen Überlappten. Und an solchen Punkten hatten Kara und Myxin ihre Fallen aufgestellt. Manche Dämonen umgingen sie, doch die Schatten waren unvorsichtig gewesen und voll hineingetappt. Einer existierte nicht mehr. Kara hatte ihn bewußt vor den Augen des anderen getötet, damit dieser merkte, was ihm bevorstand, wenn er sich weigerte zu reden. Und er würde reden, dessen waren sich Kara und Myxin sicher. Denn Dämonen sind im Grunde ihres höllischen Daseins feige und hinterlistig. Wenn Stärkere kamen, zogen sie sich meist zurück, wimmerten um Gnade und taten alles, was man von ihnen wollte. Schatten können nicht sprechen, und Schatten konnte man auch nicht töten. Im Normalfall nicht, doch wer eine Waffe wie Kara besaß, der schaffte auch dies. Ein penetranter Schwefelgeruch durchzog das schmale Verlies. Er stammte von dem erledigten Schatten, der sich aufgelöst hatte und nicht mehr dazu gekommen war, seine Zweitgestalt anzunehmen, die eines echsenköpfigen Wesens. Nur wenn die Schatten Gestalt angenommen hatten, dann konnte man auch mit ihnen reden. Das wusste Kara. Deshalb wollte sie ihren Gegner zwingen, sich zu verwandeln. »Du siehst mein Schwert«, sagte sie. »Du kannst es dir genau anschauen. Es riecht noch nach dem Tod deines Artgenossen. Und dir wird es ebenso ergehen, falls du nicht genau das tust, was ich von dir verlange, Dämon!« Reden konnte der Schatten nicht, aber er
vibrierte innerlich stärker. Ein Zeichen, dass er verstanden hatte. Kara drehte den Kopf und nickte Myxin zu. Der verstand. Seine Hände ballten sich zur Faust, und im selben Augenblick waren auch die Strahlen verschwunden. Natürlich trauten weder Kara noch Myxin dem Schatten. Damit er nicht in seine Dimension fliehen konnte, drehte die Schöne aus dem Totenreich die Klinge gedankenschnell herum, so dass die flache Seite den Schatten berührte und ihn weiterhin bannte. Kara zog die Klinge von oben nach unten. Dabei murmelte sie eine uralte Beschwörung, die ihr Vater sie gelehrt hatte. Sie hoffte, dass sie damit etwas erreichte, und hatte tatsächlich Erfolg. Der Schatten veränderte seine Gestalt. Zuerst plusterte er sich auf, nahm einen grünlichen Schimmer an, dann zog er sich zusammen und wurde wenig später in die Länge gezogen, als würden unsichtbare Hände an ihm reißen und ihm seine Form geben, die Kara wollte. Neue Dimensionen entstanden. Drei insgesamt. Länge, Breite und Höhe. Ja, der Schatten wurde dreidimensional, und er nahm die Gestalt eines echsenköpfigen Monsters an. Allerdings war der Schädel nicht so flach, er sah mehr nach einer Kreuzung zwischen Feuersalamander und dem Kopf eines Sauriers aus. Kara trat einen Schritt zurück. Sie und Myxin mussten die Köpfe in den Nacken legen, denn das echsenköpfige, grünlich schimmernde, schuppige Wesen Überragte sie beide. Es hatte lange Beine und gleichfalls lange Arme. Mit Fingern, die in Krallen endeten. In seinem Maul steckten scharfe Zähne, und normalerweise, im Reiche des Spuks, waren diese Wesen mit langen Lanzen bewaffnet. Jetzt aber nicht. Er hatte sich auf die Erde gewagt und war in die Falle gelaufen. Myxin hatte sich zur Seite bewegt und eine kleine Lampe angezündet. In ihrem Licht wurde ein etwas groteskes Bild sichtbar. Da war einmal das große Ungeheuer mit dem Echsenkopf, und davor standen Kara und Myxin, zwei wesentlich kleinere Personen, vor denen sich der andere jedoch fürchtete, denn in seinen schmalen Augen funkelte es. Die Blicke waren auf das Schwert gerichtet. Der Dämon hatte Angst vor der Waffe. Dies zu recht, denn Kara sagte es ihm auch noch einmal: »Du wirst Ärger bekommen, wenn du uns nicht verrätst, was dich in diese Welt getrieben hat. Wer hat dich geschickt? « »Der Spuk.« Die Worte waren zu verstehen, denn Dämonen, die in die normale Welt gelangten, redeten automatisch auch die Sprache der Menschen. Das musste so sein. »Und was will der Spuk?« »Ich weiß es nicht.« Kara verzog die vollen Lippen. Sie fasste diese Antwort als eine Lüge auf und reagierte entsprechend. Wieder schwang sie die Waffe herum, so dass die Spitze des Schwerts auf den Hals des echsenköpfigen Ungeheuers zeigte. »Noch eine falsche Antwort, und ich werde dich vernichten. Verlass dich drauf.« Der Dämon wand sich. »Ich weiß es einfach nicht.
Es geht um eine große Sache.« »Um welche?« »Der der Spuk und Asmodina haben sich verbündet. Sie sie wollen endlich herausfinden, wo sich Dr. Tod und seine Mordliga aufhalten. Es muss was geschehen ...« »Und warum kommt der Spuk nicht selbst?« »Keine Ahnung.« »Wo wolltet ihr den Hebel ansetzen? Wen solltet ihr fragen? Und warum das alles?« »Man hat uns nicht eingeweiht.« »Lüg nicht. Was braut sich in eurem Reich zusammen? Was wollen der Spuk und Asmodina? Wie sieht es mit der Mordliga aus? Ist sie euch zu mächtig geworden?« »Ich kann nichts sagen! « Kara war fast geneigt, dem Echsenwesen zu glauben, denn normalerweise weihten die oberen Dämonen ihre Diener nicht in die großen Pläne ein. Sie bekamen nur immer Bruchstücke zu hören, die wie ein Puzzle zusammengesetzt werden mussten, um ein Ganzes zu werden. Und dieser Dämon musste einfach wissen, wo er den Hebel ansetzen sollte. Denn ohne einen fest umrissenen Auftrag schickte man ihn nie auf die normale Welt. »Wen solltest du fragen? Und Über was?« »Costello! « »Aha, jetzt kommen wir der Sache schon näher.« Kara wusste natürlich, dass der große Londoner Unterweltsboß Logan Costello in Wirklichkeit für Solo Morasso, alias Dr. Tod arbeitete. Vielleicht sollte er gezwungen werden, seine Verbindungen zu Dr. Tod bekanntzugeben, denn Costello musste wissen, wie man Solo Morasso erreichte. »Und was genau solltest du diesem Logan Costello bestellen?« fragte Kara. »Ich ich sollte ihn warnen ...« »Gut. Und wovor?« »Er er soll sich seine Männer müssen die ...« Der ehemalige Schatten sprach nicht mehr weiter, dafür riss er sein Maul auf und brüllte so laut, dass Kara und Myxin erschreckt zurückweichen. Da sahen sie, was geschehen war. Hinter ihm war die Wand zu einer glühenden Hölle geworden. Sie schimmerte dunkelrot, und aus ihr stießen zwei lange, tentakelartige Arme hervor, die die Echse umklammerten. Sie drückten so hart zu, dass die grüne Haut brach und der Körper in der Mitte geteilt wurde. Myxin und Kara wollten dem Wesen noch zu Hilfe eilen, es war bereits zu spät. Die Strahlen des kleinen Magiers umschwirrten schon einen Toten, und als Kara mit ihrem Schwert gegen den linken Tentakelarm schlagen wollte, war dieser bereits wieder verschwunden. Blitzschnell hatte er sich zurückgezogen, die Klinge klirrte gegen die Wand. Diese Wand war auch eine Verbindung in eine andere Welt, in eine fremde Dimension. Leer lag sie vor Myxin und Kara. Nein, doch nicht. Ein Schatten war darin zu sehen. Er steckte tief im Gestein, und sie hörten auch eine Stimme. »Ihr funkt mir nicht dazwischen. Wer unsere Pläne stört, ist verloren ...« Sie hatten die Stimme erkannt. Sie gehörte einem der mächtigsten Herrscher im Dämonenreich, dem Herrn Über die toten Seelen genauer gesagt, dem Spuk! Die Worte waren kaum verklungen, als sich der Schatten auch schon zurückzog. Er hinterließ eine völlig normale Wand, auf der nichts an das geheimnisvolle Tor zu einer Jenseitswelt erinnerte.
Sekundenlang stand das Schweigen zwischen Myxin und Kara wie eine Mauer. Schließlich meinte der kleine Magier: »Sie haben etwas Großes vor, das wissen wir inzwischen.« »Ja, aber was?« Kara hatte den Blick gesenkt. Sie schritt auf und ab. Das Schwert hielt sie noch immer fest. »Es muss mit Costello zusammenhängen.« Die Schöne aus dem Totenreich blieb stehen. »Nicht nur das, mein Lieber. Diese Sache zieht Kreise, weite Kreise. Sie ist bestimmt von langer Hand vorbereitet. Der Spuk und Asmodina stecken dahinter. Sie wollen zum großen Schlag ausholen. Gegen Costello und damit auch gegen Dr. Tod?« »Warum haben sie dann nur die Diener geschickt?« fragte Myxin. »Stimmt auch wieder.« Kara ballte die linke Hand. »Das Spiel ist sehr verworren.« »Dann entwirren wir es.« »Aber wie?« »Zuerst einmal müssten wir John Sinclair Bescheid geben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er in diesen großen Plänen keine Rolle spielt. Vielleicht suchten die anderen nach einer besonderen Art und Weise, ihn zu töten.« Kara schaute den kleinen Magier an. »Ja, das kann durchaus möglich sein.« Beide ahnten nicht, wie sehr sie sich irrten. Denn diesmal hatten sich die Mächte der Finsternis etwas völlig anderes ausgedacht, und es war in seiner Raffinesse undurchschaubar ...
In der Londoner Unterwelt nannten sie ihn Bongo. Das war auch der richtige Name für den kleiderschrankbreiten Typ mit den fettigen schwarzen Haaren. Bongo hatte nicht mehr Gefühlt als eine ausrangierte Dampflok, und als er vor zwei Jahren versuchte, ins Zuhältergeschäft einzusteigen, wurde er von seinen eigenen Kollegen so fertiggemacht, dass er nie mehr einen Gedanken an den Job verschwendete. Die Mädchen, die für ihn liefen, waren ihr Leben lang gezeichnet. Mit diesen einfachen Worten war Bongo zu charakterisieren. Dass er trotzdem der Unterwelt von London treu blieb, lag nicht zuletzt an Logan Costello. Der Mafioso stellte Bongo in seine Dienste. Dieser Killer und Totschläger war für Jobs gut, für die sich andere zu schade waren. Zumeist arbeitete er für einen Kredithai und trieb Geld bei zahlungsunwilligen oder armen Ausländern ein. Schon oft hatte es Tote gegeben, aber um Einwanderer kümmerte sich niemand hier in London. Sie fanden immer einen Platz in der Themse. Bongo einen Mann zur Seite zu stellen hatte keinen Sinn. Das wäre nicht einen Tag gut gegangen, Bongo hätte den anderen sicherlich erschlagen. Und nun hatte er einen neuen Job. Sogar einen ziemlich attraktiven. Er sollte jemanden beobachten, dann festnehmen und mit dieser Person zu einem bestimmten Platz fahren. Was er dort mit ihr anstellte, war egal. Da es sich um eine Frau handelte, lief bei Bongo so etwas immer auf eine Vergewaltigung hinaus. Er hatte sein Opfer bereits im Auge. Nur gut, dass es sich zu Fuß durch die Straßen bewegte, eine Verfolgung mit dem Wagen wäre im dichten Verkehr der Vorweihnachtszeit ziemlich schwer gewesen. Passanten, die Bongo entgegenkamen und ihn anschauten, traten zur Seite. Mit dem wollte niemand Ärger bekommen. Der sah nicht nur brutal aus, der war es auch. Die schwarzen, fettigen Haare hatte er in der Mitte gescheitelt. Sie fielen rechts und links bis auf die Ohren. Die hohe Stirn allerdings wollte nicht so recht zu seiner kleinen Nase passen, bei der besonders die großen Nasenlöcher auffielen. Darunter lag der Mund mit den dicken Lippen, und das harte Kinn sprang vor wie ein kleiner Felsbrocken. Es kam ja selten vor, dass Bongo schlechte Laune hatte, aber bei diesem Wetter näherte sich seine Laune bereits dem absoluten Tiefpunkt. Da konnte das Opfer noch so hübsch sein, das er vier folgte und nicht aus den Augen ließ. Im Sommer machte der Job wesentlich mehr Spaß. Da schlug einem kein feuchter Schneeregen ins Gesicht, wenn man durch die Straßen von Soho ging. In Soho befand er sich. In einer Straße, die ziemlich eng und zudem Überfüllt war. Alle Welt schien auf den Beinen zu sein, um Weihnachtsgeschenke zu kaufen. Auch sein Opfer, denn es trug bereits zwei Einkaufstüten mit weihnachtlichem Aufdruck mit sich. Die kleinen Geschäfte in dieser Straße hatten die Schaufenster vorweihnachtlich dekoriert, und nicht nur die Glocken der Ladentüren klingelten, sondern
auch die Kassen der Besitzer. Die Käufer schienen doch mehr Geld zu haben, als es die offizielle Statistik behauptete. Wieder blieb sein Opfer stehen. Bongo drückte sich an die Hauswand. Das Geschäft, vor dem sein Opfer stand, kannte Bongo ganz gut. Hier hatte er mal abkassiert, und der Sohn des Besitzers verdankte ihm einen gebrochenen Arm. Würde die Frau das Geschäft betreten? Sie zögerte noch. Dann gab sie sich einen Ruck, ging zwei Schritte vor und stieß die Ladentür auf. Über Bonzos Lippen huschte ein gemeines, teuflisches Grinsen. Leichter hätte es ihm sein Opfer wirklich nicht machen können. Jetzt saß es in der Falle. Gemächlich setzte sich der Killer in Bewegung ...
Es war einfach nicht zu schaffen, nach Feierabend loszuziehen und Weihnachtsgeschenke einzukaufen. Wer in Ruhe aussuchen wollte, musste sich als berufstätige Frau Urlaub nehmen. Das hatte Glenda Perkins getan. Sie arbeitete bei Scotland Yard als Sekretärin des Geisterjägers John Sinclair und seit kurzer Zeit auch für den Chinesen Suko, der ebenfalls beim Yard angestellt war. Und zwar im Range eines Inspektors. Glenda wollte für ihre Mutter ein passendes Geschenk suchen. Der Vater lebte nicht mehr, und Glenda wusste, dass die Mutter altes Zinn sammelte. In London gab es genug Trödlerladen. Im Winter, wenn die Flohmärkte kaum belegt waren, dann fand man die entsprechen den Händler in Soho, wo sie ihre kleinen Geschäfte hatten, manchmal nicht größer als eine Wohnstube. Nicht jeder Laden hatte auch ein Schaufenster. Oft genug wiesen Schilder an den Hauswänden daraufhin, wer alles in dem entsprechenden Gebäude verkaufte. Selbst Soho war weihnachtlich eingestimmt. Wenigstens dort, wo sich die Läden befanden. Jeder Besitzer grüßte seine Käufer mit einem »Merry Christmas« und wünschte ihm nur das Beste. Vor allem aber sich selbst und seiner Kasse, aber das sprach er nicht aus. Es herrschte ein unwahrscheinlicher Betrieb. Nicht nur Einheimische wälzten durch die schmalen Straßen, auch Touristen, die zum vorweihnachtlichen Shopping nach London gekommen waren. Trotz des Menschengewühls war Glenda Perkins schon zweimal der gleiche Typ aufgefallen. Ein Kerl, den sie nicht mochte. Mit schwarzen, fettigen Haaren und einem Gesicht, das unsympathisch wirkte. So stellte man sich die Schläger und Killer der Londoner Unterwelt vor. Glenda arbeitete nicht umsonst bei der Polizei. Als sie den Kerl ein drittes Mal sah und auch bemerkte, dass er sie anstarrte, da beschloss sie, von nun an auf der Hut zu sein.
Sie achtete jetzt bewusst auf eine Verfolgung. Glenda hatte Pech oder Gluck, das kam auf die Auslegung an. Von dem Mann war nichts zu sehen. Er hatte sich entweder abgesetzt oder verfolgte Glenda so raffiniert weiter, dass sie nichts davon bemerkte. Möglich war alles. Eine halbe Stunde später hatte sie ihn wieder vergessen, denn bei diesem Trubel war es so gut wie unmöglich, sich zu konzentrieren. Zudem wollte sie noch Geschenke aussuchen. An mehreren Läden, die Zinngeschirr anboten, war sie bereits vorbeigekommen. Es war nie das Richtige. In einer Seitenstraße, wo Über die Fahrbahn ein paar Girlanden hingen und bunte Glühbirnen in Glockenform einen zuckenden Tanz aufführten, entdeckte sie dann in einem Geschäft, was sie suchte. Auf einem alten Holzstuhl stand eine wunderschöne Zinnkanne. Glenda presste die Nase an die leicht beschlagene Schaufensterscheibe, aber trotz intensiver Suche konnte sie kein Preisschild entdecken. Wahrscheinlich war die Kanne ziemlich teuer, so dass sich der Verkäufer geschämt hatte, sie auszuzeichnen. Glenda gefiel die Kanne so gut, dass sie trotzdem nachfragen wollte. Vielleicht ließ der Mann auch mit sich handeln. Das wäre nicht unüblich in solchen Geschäften gewesen. Sie ging die zwei Stufen zur Tür hoch, stieß sie auf und hörte eine Glocke bimmeln. Soeben verließ ein Kunde den Laden. Der Mann nickte Glenda zu und verschwand. Der Verkäufer, ein Mann um die Sechzig, lächelte, als sich Glenda ein wenig umschaute und dabei unschlüssig stehenblieb. »Sehr nette und ausgefallene Dinge habe ich hier, junge Frau. Sehen Sie sich ruhig ein wenig um.« »Danke.« Glendas Blick schweifte in die Runde. Hier wurde nicht nur Zinn verkauft, sondern auch anderes Geschirr, sei es aus Ton oder Metall. Alles sah ziemlich alt aus, doch Glenda fragte sich, ob es auch wirklich alt war oder nur nachgemacht. »Die Kanne dort«, sagte Glenda. »Ein wunderschönes Stücke, wirklich.« Der Verkäufer geriet ins Schwärmen. »Wenn nicht sogar mein Lieblingsstück.« Seine Augen glänzten. Hätte nur noch gefehlt, dass er in Tränen ausgebrochen wäre, aber er sagte nur den Preis. »Vierzig Pfund, meine Dame. Nicht ganz billig, aber sie ist es wert.« Glenda zuckte zusammen. »Wie viel?« »Vierzig Pfund.« »Finden Sie das nicht unverschämt?« »Ich bitte Sie.« Der Mann hob die Schultern. »Es ist ein wirklich altes Stücke, zudem noch sehr gut erhalten, und ich selbst hänge daran, weil ich es ...« Glenda winkte ab. »Hören Sie auf. Diese und ähnliche Spreche kenne ich. Die erzählt mir jeder Trödler.« »Um Himmels willen, ich bin kein Trödler. Ich arbeite hier als Antiquitätenhändler.« »Wie auch immer, Mister. Vierzig Pfund sind mir zuviel. Das müssen Sie verstehen.« »Ja, das verstehe ich. Man könnte Über den Preis ja noch einmal verhandeln.« Innerlich lächelte Glenda. Genau das hatte sie erreichen wollen. »Dann machen Sie ein Angebot.« »Siebenunddreißig.« Glenda lachte. »Das ist für mich kein Angebot, sondern einfach zum Lachen.«
Der Antiquitätenhändler schaute Glenda an. Was er sah, schien ihm zu gefallen, und nicht nur ihm, denn Glenda war wirklich eine Augenweide. Sie hatte dunkles, volles Haar, ein hübsches Gesicht und große Augen. Viele verglichen sie mit der jungen Liz Taylor, was gar nicht so weit hergeholt war. Auch der blaue Mantel konnte nicht verbergen, dass sie eine gute Figur hatte. »Was würden Sie denn zahlen?« fragte der Mann. »Dreißig.« »Was?« »Ja, dreißig Pfund.« »Um Himmels willen, wollen Sie mich an den Rand des Ruins bringen, Miss?« »Nein, da machen Sie noch immer ein gutes Geschäft, glauben Sie mir.« Der Verkäufer schüttelte den Kopf und schaute dabei auf die Schrift, die allen Käufern ein Frohes Fest wünschte. »Nein, das kann ich nicht. Ich würde sie unter meinem Einkaufspreis abgeben. Und das ist kein Geschäftsgebaren.« »Dann tut es mir leid«, lächelte Glenda. Sie blieb gleichbleibend freundlich, aber hart in der Sache. »Was soll ich dazu sagen?« Er brauchte nicht weiterzusprechen, denn die Tür wurde ziemlich hart aufgestoßen. Am Glockenklang zu erkennen, denn er hörte sich ziemlich hektisch an. Glenda wandte den Kopf. Ein Mann hatte den Laden betreten. Genau der Kerl, den sie schon zweimal gesehen hatte und vor dem sie sich fürchtete. »Mein Gott.« Glenda hörte genau die Worte des Besitzers und sah, wie er blass wurde. Wie fortgewischt war die weihnachtliche Stimmung. Dafür hatte die Angst ihren Einzug gehalten. Der Kerl blieb dicht hinter der Tür stehen und grinste breit. Seine rechte Hand steckte in der Jackentasche. Sie wurde dadurch ziemlicht kantig ausgebeult, und Glenda konnte sich gut vorstellen, was der Typ dort umklammerte. »Was wollen Sie denn noch?« rief der Besitzer. »Ich habe doch meine Schulden bezahlt. Bitte, verschwinden Sie. Reicht es Ihnen denn nicht, dass Sie meinen Sohn ...« »Hat’s Maul, Alter. Von dir will ich nichts, sondern von der Kleinen hier.« Glenda hatte das Gefühlt, als wäre ein Eissplitter in ihr Herz gefahren. Sie schluckte und wurde blass. Schlagartig strömte das Blut aus ihrem Gesicht. Im ersten Moment war sie unfähig, etwas zu sagen. Sie hatte sich schon des Öfteren in gefährlichen Situationen befunden, aber diesmal fürchtete sie sich besonders. Sie wusste selbst nicht, wieso. Dieser Mann war kein Dämon oder ein Abgesandter der Hölle, aber er strömte eine Aura von Gewalt aus. »Du kommst mit«, sagte er zu Glenda. »Sind Sie wahnsinnig?« Glendas Stimme zitterte, als sie diese Worte hervorpreßte. »Nein«, sagte der Mann und zog seine Hand aus der Tasche. Jetzt richtete er die Mündung einer Waffe auf Glenda Perkins. Nun wusste Glenda genau, dass dies kein Spaß war. Auch der Besitzer begann zu zittern. Er bewegte seinen Mund, doch nicht ein Wort drang Über seine Lippen. Er war ebenso bleich im Gesicht wie Glenda. Der Eindringling bewegte sich einen Schritt zu Seite, so dass er neben einem Regal stand. Dort lagen alte Kissen in den einzelnen Fächern.
Eins davon schnappte er sich und presste es blitzschnell vor die Mündung, um den Abschußknall der Waffe zu dämpfen. Glenda kannte die Spielregeln. Sie wusste genau, was dieser Kerl vorhatte. »Nein!« schrie sie. Da drückte der Mann ab. Das Kissen dämpfte den Abschußknall des Revolvers tatsächlich. Aber es hinderte die Kugel nicht daran, ihr Ziel zu finden. Der Antiquitätenhändler warf beide Arme hoch, und auf seiner Brust breitete sich plötzlich ein roter Fleck aus. Er torkelte bis gegen den Verkaufstresen, und da gaben seine Beine nach. Schwer fiel er zu Boden. Auf der Seite blieb er liegen und rührte sich nicht mehr. Das brutale Verbrechen hatte Glenda Perkins geschockt. Vor ihren Augen war es geschehen, und sie hatte den Mord nicht verhindern können, zudem der Mann seinen rechten Arm schwenkte, so dass die Mündung des Revolvers nun auf Glenda Perkins wies. »Du siehst, dass ich nicht spaße, Süße. Also sei vernünftig.« Glenda schluckte. Die Angst hatte sich in ihrem Körper regelrecht festgefressen. Es dauerte eine Weile, bis sie fähig war, eine Frage zu formulieren. »Was wollen Sie von mir?« »Du kommst mit.« »Und wohin?« »Wirst du schon sehen.« Der Mann ließ die Waffe wieder in seiner rechten Jackentasche verschwinden, aber die Mündung zeigte weiter auf Glenda. »Geh raus!« Mit zitternden Knien verließ Glenda den Laden, in dem ein Toter zurück blieb. Allein das bewies der jungen Frau, wie gnadenlos und kalt dieser Eindringling war. Er wusste genau, was er zu tun hatte. Eiskalt ging er vor. Er hinterließ keine Zeugen. Für Glenda ein Beweis, dass er auch sie nicht am Leben lassen würde, wenn er das bekommen hatte, was er wollte. Sie traten auf die Straße. Draußen fielen erste Schneeflocken, die nach wenigen Sekunden so stark zunahmen, dass die Straße aussah, als wäre sie in einen weißen, tanzenden Vorhang getaucht. Genau das richtige Wetter für Bongo und seinen Plan, denn bei diesem Schneefall achtete niemand auf den anderen. Er hielt sich dicht bei Glenda. Einen halben Schritt ging er hinter ihr, wobei er allerdings so auf Tuchfühlung blieb, dass Glenda immer den Druck der Waffenmündung spüren konnte. Sie schritten gemeinsam Über den Gehsteig und auf die nächste kreuzende Straße zu, wo das Vergnügungsviertel begann. Kurz vor der Einmündung erreichten sie ein Haus, dessen Fassade jemand gelb gestrichen hatte. Vier Stockwerke hatte der Bau, und rechts neben dem Eingang führte ein schmaler Weg zu einem Hinterhof und zur Rückseite des Gebäudes. Allerdings war der Weg durch eine Holztür versperrt. Bongo dirigierte Glenda so, dass sie vor der Tür stehenblieb. Er selbst blies ihr seinen warmen Atem in den Nacken. Mit der linken Hand holte er einen Schlüssel hervor und drückte ihn Glenda zwischen die Finger. »Los, aufschließen! « »Und dann?« »Mach schon, verdammt! Du bist hier nicht in der Lage, Fragen zu stellen!« Glenda nickte. Dieser Kerl hatte recht. Sie befand sich wirklich nicht in der Situation, Fragen zu stellen.
Sie musste froh sein, wenn sie mit dem Leben davonkam. Der Schlüsselbart fuhr Über das Holz, bevor er seinen Weg ins Schloss fand. Die Passanten kümmerten sich nicht um die beiden. Sie hasteten vorbei. Jeder war mit sich selbst und seinen eigenen Problemen beschäftigt. Glenda hatte natürlich daran gedacht, um Hilfe zu rufen. Es hätte nichts geholfen. Sie schätzte den Typ hinter sich so ein, dass er eiskalt abdrücken würde. »Offen?« »Ja.« »Dann geh vor!« Noch zögerte Glenda. Wenn sie jetzt in dieser düsteren schmalen Einfahrt verschwand, dann war sie verloren, das wusste sie genau. Deshalb versteifte sie sich, doch der Mann mit der Waffe ließ ihr keine Chance. Er verstärkte den Druck, und Glenda blieb nichts anderes Übrig, als zu gehorchen. Der dunkle Schlauch nahm sie auf. Im ersten Augenblick konnte sie nichts erkennen. Als dann die Tür hinter ihr mit einem Fußtritt des Mannes wieder zugedrückt wurde, da war ihr, als hätte sie eine andere Welt betreten, denn die Geräusche um sie herum vier stummsten. Meilenweit schien der Weihnachtstrubel entfernt zu sein. Ihre Angst steigerte sich. Ja, sie hatte Furcht, und sie spürte den Druck im Magen, der sich immer stärker ausbreitete und bis hoch zum Herzen kroch, als wäre er eine Hand und würde dort alles zusammenpressen. »Geh schneller! « Glenda stolperte voran. Der Boden unter ihr war mit Unrat bedeckt. Mehr als einmal stieß sie mit der Schuhspitze gegen leere Konservendosen oder alte Kartons, die nach vorn schlitterten und wenige Schritte weiter durch einen erneuten Stoß der Schuhspitzen vorwärts getrieben wurden. Vereinzelte Schneeflocken verirrten sich in den düsteren Schlauch, tupften gegen Glendas erhitztes Gesicht und kühlten die Haut. Sie hielt die Lippen fest zusammengepresst und atmete nur durch die Nase. Inzwischen hatten sich ihre Augen an die Lichtverhältnisse gewöhnt, und weiter vorn erkannte sie, dass der Gang auf einen Hof endete, genau dort, wo das Haus mit seiner Rückseite die Abtrennung zum Hof bildete. Vereinzelte Lichter, die nie so recht das Schneetreiben durchdringen konnten, erinnerten Glenda daran, dass es noch eine andere Welt gab als diese hier. Nur schien sie so weit entfernt wie der Mond zu sein. Sie erreichten den Hinterhof. Eingehüllt in einen Flockenwirbel und schrecklich allein. »Geh links rüber!« Das hatte Bongo nicht umsonst gesagt, denn dort sah Glenda die Umrisse eines Schuppens. Der Schnee hatte bereits eine dünne weiße Haube auf sein Dach gelegt. An den Scheiben schmolzen die Flocken und rannen als Wasserstreifen nach unten. Die Schuppentür war nicht verschlossen. Glenda brauchte sie nur aufzuziehen. Kaum hatte sie das getan, als sie einen Stoß in den Rücken erhielt, der sie Über die Schwelle beförderte. Sie stolperte in einen dunklen Raum, in dem es feucht und nach faulem Holz oder Papier stank. Als sie sich gefangen hatte und umdrehte, hörte sie hinter sich ein klackendes Geräusch. Augenblicklich wurde es heller, denn unter der hölzernen Decke flammte eine Lampe auf.
Bongo grinste schief. Er hatte seine Hand aus der Tasche genommen. Die Revolvermündung zeigte auf Glenda. »Zuvor möchte ich etwas klarstellen«, sagte der Verbrecher, »du kannst schreien, du kannst dich aufführen wie eine Furie, aber es hilft dir nichts. Dein Schreien wird niemand hören.« Glenda nickte. Sie war bleich vor Angst geworden. Es kostete sie Mühe, die nächsten Worte zu formulieren. »Was wollen Sie eigentlich von mir, Mister?« »Einiges.« »Und warum haben Sie mich entführt?« »Weil man mir den Auftrag gab.« Glenda wunderte sich, wie gesprächig sich dieser Mann zeigte, deshalb wollte sie den Dialog auch nicht abbrechen und dadurch Zeit gewinnen. »Und wer hat Ihnen den Auftrag gegeben?« »Einer, der dich nicht leiden kann, Süße. Ich habe freie Hand. Vorerst. Ich habe mir auch schon einen Plan ausgedacht, Süße.« Er leckte Über seine dicken Lippen, zog die Nase hoch, und ein gewisses Funkeln trat in seine Augen. »Kannst du es dir nicht denken?« Doch, Glenda konnte sich vorstellen, was dieser Typ von ihr wollte. Sie wagte jedoch nicht, es auszusprechen. Dafür aber Bongo. »Zieh dich aus!« verlangte er. »Dieses Parfüm hat einen Duft, der einmalig ist, mein Herr. Wenn Sie es der Dame Ihres Herzens schenken, wird sie es Ihnen sehr danken. Sie wissen schon, was ich damit meine.« Ich grinste. Klar, wusste ich es. Meine Antwort musste einfach kommen. »Und wenn ich es Ihnen schenke, danken Sie es mir dann auch auf diese Art und Weise?« Die Frau mit dem künstlichen blonden Haar und dem weinroten Kostüm schnappte nach Luft. »Also also ...« »Sorry«, sagte ich, »aber Sie haben mich erst durch Ihre Worte auf diesen Gedanken gebracht. Oder stimmt das nicht, was Sie mir da unter die Weste jubeln wollten?« »Nein ja ...« »Was denn nun?« Sie holte tief Luft. Natürlich mit allen möglichen Dürften angereichert, denn in einer Parfümerie riecht es nun mal komisch. »Der Name, Sir, müsste Ihnen eigentlich genug sagen. Nuit noir. Schwarze Nacht. Das ist doch etwas.« »Ja, da fällt der Vorhang«, erwiderte ich. »Was soll der Spaß denn kosten?« »Die kleine Flasche elf Pfund, die größere zwanzig.« Ich kniff ein Auge zu. »Billiger haben Sie es nicht?« »Sir, das ist eine Kreation eines wirklich bekannten Pariser Mode Schöpfers. Sie bekommen diesen Duft nirgendwo billiger und ...« »Schon gut.« Ich winkte ab. »Packen Sie es ein.« »Die große oder die kleine Flasche, Sir?« »Weil Sie es sind, die große.« »Ich darf mich bedanken, Sir, und gleich links dort ist die Kasse. Dort können Sie die Rechnung begleichen. Soll ich es Ihnen ein wenig weihnachtlich einpacken lassen?« »Ja. Aber in Duftpapier. Fichtennadeln, wissen Sie. Das riecht so schön nach Wald.« Sie erlitt fast einen Herzanfall. »Fichtennadeln«, hörte ich sie im Weggehen murmeln. »Wer kauft denn so etwas. Das ist ja unmöglich.« Ich hatte auf jeden Fall ein Weihnachtsgeschenk für Jane Collins. Ich marschierte zur Kasse, stieß zwei Frauen an, die es besonders eilig hatten und sich vordrängelten, und dachte daran, dass ich jetzt noch Geschenke für Suko, Shao, Bill,
Sheila und auch Glenda Perkins kaufen musste. Aber nicht an diesem Abend. Ich war jetzt schon sauer, denn der Trubel ging mir gewaltig auf den Wecker. Suko hatte mal von einem Sturzhelm gesprochen. Sein alter war ziemlich verbeult. Ich wollte ihm einen neuen schenken. Und Shao sollte etwas für ihre Wohnung bekommen. Sie sammelte Gefäße aus sehr dünnem Glas, handgeblasen. Für Bill hatte ich eine Flasche Whisky ausgesucht, Sheila bekam ein Buch, in dem viel Über alte Kunst stand. Für Glenda wusste ich noch nichts. Als ich an der Kasse stand, fiel mir noch etwas ein. Ich hatte mein Patenkind vergessen, den kleinen Johnny. Für ihn wollte ich an diesem Abend noch etwas aussuchen. Ein Spielwarenladen befand sich ganz in der Nähe, Unwillkürlich musste ich grinsen. Ein Geisterjäger kauft Spielwaren. Warum nicht? Irgendwann musste man ja Mensch sein. Ich zahlte. An der Tür stand die blonde Verkäuferin und lächelte. »Beehren Sie uns bald wieder, Sir.« »Nicht vor dem nächsten Weihnachtsfest. Bis dahin muss das Parfüm nämlich reichen.« »Das wird es, Sir. Es ist nämlich sehr duftintensiv.« »Hoffentlich.« Ich verließ den Laden und stellte sofort den Kragen des Burberry hoch, da dicke Schneeflocken durch die Luft tanzten und sich auf meine Kleidung setzten. Ich musste nach rechts. Im Strom der zahlreichen Passanten ließ ich mich treiben. Es war mal wieder Hochbetrieb, und ich kam mir vor wie in einem Bienenschwarm. Auch der Spielzeugladen war brechend voll. Bis zu den einzelnen Regalen und Verkaufsständen musste ich mich regelrecht vor kämpfen, und das Personal lief mit schweißbedeckten, verbissenen Gesichtern umher, während aus unter der Decke angebrachten Lautsprechern Weihnachtsmusik rieselte. Das war nichts für mich. Ich nahm mir vor, im nächsten Jahr mit der Schwenkerei aufzuhören. Dann bekam nur noch der kleine Johnny etwas, und damit hatte es sich. Bill und Sheila hatte Johnny den Grundkasten einer Autorennbahn gekauft, das wusste ich. Deshalb kaufte ich noch Zubehör, musste mich an der Kasse anstellen und verließ mit einem großen Paket den Laden. Raus, nur raus aus dem Trubel. Sich freiwillig da hineinzustürzen grenzte schon an Wahnsinn. Auch Glenda Perkins war an diesem Abend unterwegs, um einzukaufen. Meine Sekretärin hatte sich sogar frei genommen. Ich tigerte zur nächsten Subway Haltestelle, brauchte nicht lange zu warten und bekam schnell einen Zug, der mich zum Yard Building brachte, wo mein Wagen stand. Ich war nicht der einzige, der die großen Pakete schleppte. Alle Passagiere waren mehr oder minder bepackt, und sie sahen auch dementsprechend erschöpft aus. Ins Büro- zurückzukehren hatte ich keine Lust mehr. Ich warf die Pakete auf den Rücksitz, klemmte mich hinter das Lenkrad, startete und rollte durch das Verkehrsgewühl. Tanken musste ich auch noch, und da sich in der Nähe ein Schnellimbiss befand, aß ich noch schnell einen Hamburger. Das Abendessen eines Junggesellen.
Zu Hause wollte ich mir mit einer Flasche Bier die Kehle spülen. Es schneite noch immer. Ein dicker Vorhang aus weißem Stoff schien in der Luft zu hängen. Auf den Gehsteigen glänzte die Nässe, und dicht neben den Häusern lag der erste Matsch. Die zahlreichen bunten Lichter wirkten seltsam verwaschen, und das monotone Geräusch der beiden Wischer machte mich schläfrig. Ich sehnte mich danach, endlich zu Hause zu sein. Ein paar Mal schon hatte ich gegähnt. So ein Einkaufsbummel schaffte mich mehr als ein harter Tag im Büro- oder an der Dämonenfront. Nein, so machte Weihnachten keinen Spaß. Als ich den Wagen in die Tiefgarage fuhr, atmete ich auf. Endlich ging es mir besser. Und noch besser ging es mir, als ich vor meiner Wohnungstür stand und den Schlüssel aus der Tasche fummelte. Da schwang die Tür nach innen. Sofort stand ich sprungbereit. Die Tüten fielen mir aus der Hand, meine Rechte zuckte zur Waffe und fiel im nächsten Moment wieder nach unten. Myxin stand vor mir. »Musstest du mich so erschrecken?« begrüßte ich den kleinen Magier und hob die Tüten auf. »Nein.« »Na eben. Las mich wenigstens in meine Wohnung, du alter Giftzwerg.« Den Giftzwerg nahm er mir Übel. Ich sah plötzlich ein huschendes Etwas, und schon klatschte ein Schlag gegen meine Wangen. Als ich hingriff, war da nichts mehr. Myxin grinste. Ich drohte mit dem Zeigefinger. »Mir scheint, dass deine Kräfte wieder normal werden oder?« »Ja, so ist es.« »Wenn du solche Scherze treibst, passt mir das aber Überhaupt nicht.« »Das sag mal Kara.« »Ist sie auch hier?« Ich schälte mich aus dem Mantel. »Ja.« »Endlich ein Lichtblick an diesem trüben Tag.« »Du hast eingekauft?« fragte mich Myxin. »Ja«, erwiderte ich und zog meine Schuhe aus. In gebückter Haltung schaute ich zu ihm hoch, jetzt war er größer als ich. »Aber sag nur nicht, dass du auch etwas zu Weihnachten haben willst.« »Weihnachten? Was ist das?« Ich kam wieder hoch. »Das frage ich mich manchmal auch.« Zuerst ging ich in die Koche und holte eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank. Dann betrat ich den Wohnraum. Dort saß Kara. Sie hatte auf einer Sessellehne Platz genommen und lächelte mich an, wobei sie ihr schwarzes Haar zurückwarf. Wir begrüßten uns, ich nahm Platz und schenkte mir erst einmal ein Glas ein. Herrlich, wie der Schaum hochstieg. Das war ein regelrechter Vorgenuß. Kara und Myxin ließen mich einen Schluck nehmen, bevor sie zur Sache kamen, denn dass sie irgend etwas auf dem Herzen hatten, war klar, sonst hätten sie mich nicht aufgesucht. In die Wohnung hineinzukommen, das bedeutete für sie keinerlei Schwierigkeiten. Dank ihrer Magie gehörte das zu ihren leichtesten Übungen. »Wo drückt denn der Schuh?« fragte ich. »Spuk und Asmodina.« Das war natürlich ein Thema. Ich fragte nach, ob ich Suko herholen sollte, und die beiden nickten. Wenig später kam Suko. Er hatte Shao in der Wohnung gelassen, weil sie sich um das Essen kümmerte. »Der Spuk und Asmodina haben sich verbündet«, begann
Myxin noch einmal. Ich nickte. »Das wissen wir.« »Natürlich, aber jetzt wird es wohl eine besondere Allianz, denn Asmodina will endlich den Aufenthaltsort der Mordliga erfahren, John Sinclair.« »Oho.« Ich schaute Suko an. Der Chinese verstand den Blick, denn er nickte. Da lag etwas in der Luft. Asmodina und Dr. Tod, seine Mordliga dabei eingeschlossen, hatten sowieso ein nicht sehr freundschaftliches Verhältnis, obwohl Asmodina eigentlich die Chefin des Dr. Tod war. Sie hatte dafür gesorgt, dass der Spuk seine Seele freiließ, die Platz im Körper des Super Mafioso Solo Morasso gefunden hatte. Asmodina rechnete mit Morassos Ergebenheit. Das war am Anfang auch der Fall gewesen, doch dann hatte Dr. Tod seine Mordliga gegründet, er wurde stark, und er sorgte dafür, dass sich seine Macht vergrößerte. Dr. Tod baute sie aus. Wie es im Leben so ist, will der Lehrling oft von dem Meister nichts mehr wissen. Dabei möchte er die Macht an sich reißen, was Dr. Tod bisher noch nicht gelungen war, denn Asmodina war ungeheuer stark. Sie befehligte in ihrer Dimension Dämonenheere, und sie besaß die Unterstützung des Teufels. Asmodis hatte sie schließlich in ihrer jetzigen Gestalt geschaffen. Aus der Schlange wurde eine Frau, obwohl sich Asmodina noch immer in die Schlange verwandeln konnte. Zu Dr. Tod. Er hatte sich tatsächlich abgesetzt. Es war ihm gelungen, irgendwo auf der Welt ein Versteck zu finden, das Asmodina trotz intensiver Suche noch nicht gefunden hatte. Und Solo Morasso stärkte seine Macht. Er holte sich Helfer. Zuletzt war es ihm gelungen, Xorron zu erwecken. Xorron verstärkte die Mordliga also. Leider wussten wir zu wenig Über ihn, aber er sollte der Herr der Ghouls und Untoten, sprich Zombies, sein. Nach der Erweckung Xorrons erlebte Morasso allerdings auch eine Niederlage. Durch einen Zufall wurde Lady X, die ehemalige Terroristin, zum Vampir. Eigentlich hätte ich in einen dieser Blutsauger verwandelt werden sollen, aber es traf die Scott. Ihr Pech. Das war ein Rückschlag für Dr. Tod. Ich nahm an, dass er schwer daran zu knacken hatte. Und nun gab es neue Aktivitäten innerhalb der Dämonenhierarchie, wie Myxin andeutete. »Was weißt du denn genau?« fragte ich. Er und Kara berichteten von dem Diener des Spuks, der ihnen einiges erzählt hatte. Ich wunderte mich, dass Costello eingeschaltet wurde. »So direkt hat er doch nie mitgemischt.« »Doch.« Ich schüttelte den Kopf. »Du hast mich falsch verstanden, Myxin. Ich meine natürlich, er hat wohl mitgemacht, aber nicht auf der Seite des Spuks. Bisher stand er doch mehr Dr. Tod zur Verfügung.« »Aber er wird Informationen haben«, meinte Suko. »Und zwar Über Dr. Tod«, fügte Kara hinzu. Ich nahm einen Schmuck Bier. »Wenn man den Faden weiter spinnt, wird er vielleicht wissen, wo sich Morasso aufhält.« »Und Asmodina nicht.« Kara lächelte. »Das wäre eine Möglichkeit.« Suko legte die Stirn in Falten. Ich merkte, dass es in seinem Kopf arbeitete, und fragte: »Was stört dich?« »Alles.« Wir schauten uns an. »Das musst du genauer erklären.« »Ja, John, es ist
schwer und trotzdem einfach. Mir kommt das ganze Spiel verdammt kompliziert vor. Da ist irgend etwas im Busch, da sitzt ein Regisseur hinter den Kulissen und zieht seine Fäden. Ich weiß nur nicht, in welche Richtung sie eigentlich laufen. Und das macht mich ein bisschen unruhig.« »Uns auch«, gab Myxin zu. »Vielleicht sollten wir Costello auf den Zahn fühlen«, schlug ich vor. »Wäre nicht das schlechteste.« Myxin nickte. »Nur haben wir nichts in der Hand«, sagte der Chinese. Ich verzog die Lippen zu einem Grinsen. »Du bist noch nicht lange beim Yard«, sagte ich. »Wie wäre es denn, wenn wir beide in die Nähe von Costellos Burg gingen und die Augen ein wenig offenhielten?« Suko schaute zum Fenster. Seine Mimik zeigte keine Freude. »Wenn es nicht anders geht, all right.« »Dann hol mal deine Handschuhe.« »Hinterher sind wir Schneemänner.« Gutes Wetter, um etwas zu observieren, war es sicherlich nicht. Aber ich sah im Augenblick keine andere Möglichkeit und fragte sicherheitshalber noch Myxin. »Wir halten natürlich die Augen offen, aber wir müssen erst einmal abwarten.« Es war schon schlecht. Da hockte man hier, wusste, dass etwas in der Luft lag, und konnte trotzdem nichts unternehmen, weil die andere Seite zu sehr im Hintergrund arbeitete. Wir mussten uns wirklich etwas einfallen lassen. »Und wo wollt ihr den Hebel ansetzen?« fragte ich. Die Antwort gab Kara. »Vielleicht bei den Flaming Stones. Wir müssten Beschwörungen versuchen.« Das war nicht schlecht, denn die Flammenden Steine grenzten ein Quadrat ein, in dem es vor Magie nur so knisterte. Ich trank den Rest. »Sobald einer von uns eine Information hat, lässt er sie dem anderen zukommen.« Damit waren alle einverstanden. Ich hoffte nur, dass wir richtig reagiert hatten. Von dem eigentlichen Spiel ahnten weder Kara, Myxin noch Suko oder ich etwas. Es war viel zu kompliziert und raffiniert. Und irgendwie auch unverdächtig. Jetzt war es heraus. Obwohl Glenda im Innern damit gerechnet hatte, zeigte sie sich doch Überrascht und geschockt. Gleichzeitig stiegen Trotz und Wut in ihr hoch. Nein, so einfach wollte sie es dem Kerl nicht machen. Sie war zwar nicht bewaffnet, aber sie hatte es gelernt, sich zu wehren. Der würde sich wundem. »Na, Süße, wie gefällt dir das?« »Überhaupt nicht.« Bongo kicherte. »Kann ich mir denken, aber man hat mir gesagt, dass ich viel mit dir machen kann.« »Wer?« »Das brauchst du nicht zu wissen, Süße.« Trotz ihrer schlechten Karten dachte Glenda noch scharf nach. In solchen Extremsituationen musste man auf jedes Wort des Gegners achtgeben. Und Glenda hatte einen Vorteil für sich aus all den Reden des Entführers herausgehört. Der Mann hatte zwar den Auftrag, sie zu entführen, aber er sollte sie nicht töten. Jemand brauchte sie noch. Wahrscheinlich als Druckmittel. Und da kam eigentlich nur John Sinclair in Frage, denn ihn konnte man auf diese Art und Weise erpressen. Wer steckte also hinter dem Kerl? Die andere, die dämonische Seite! Es war natürlich ein sehr dünner und gläserner Boden, auf dem sich Glenda
bewegte. Sie kannte den Typ schließlich nicht. Sie wusste nicht, ob er durchdrehte oder ihr wer weiß was antat, wenn ihn einmal die Wut gepackt hatte, weil sich Glenda wehrte. Dann konnte er unter Umständen seinen eigentlichen Auftrag vergessen und vollends durchdrehen. Deshalb war ihr gar nicht wohl zumute. »Hast du nicht gehört?« fuhr Bongo sie an. »Ja, ja, natürlich.« »Dann mach schon, oder ich jage dir eine Kugel ins Bein!« Glendas Herz klopfte schneller. Sie spürte einen säuerlichen Geschmack auf der Zunge. Eine Folge der Angst, die sie mit ihren gewaltigen Krallen umfasst hielt. Die Beine zitterten, die Hände auch, das sah sie, als sie den Mantel aufknöpfte. Bongo wollte etwas sagen, verschluckte die Worte jedoch, als er bemerkte, dass Glenda damit anfing, sich zu entkleiden. Sie streifte den Mantel Über ihre Schultern und ließ ihn einfach zu Boden rutschen. Darunter trug sie einen gelben Pullover und einen grüngrauen Rock, der ziemlich eng geschnitten war. Die dunkel roten Stiefel hörten dicht unter dem Knie auf, und die Strumpfhose glänzte matt auf ihrer Haut. Bongo trat einen Schritt zur Seite und nickte. »Gut siehst du aus, verdammt gut. Mit dir hätte ich früher ein kleines Vermögen verdienen können.« Den Worten entnahm Glenda, dass sie es bei diesem Kerl mit einem ehemaligen Zuhälter zu tun hatte. Diese Typen waren gefährlich. Sie stand vor ihm, wobei ihre Arme an beiden Seiten des Körpers herabhingen. »Los, weiter!« Glenda schüttelte den Kopf. »Du willst nicht?« Die Frage klang erstaunt, als könnte der Mann nicht begreifen, dass sich sein Opfer angesichts der Waffe noch widersetzte. Glenda schwieg. Da hob Bongo den rechten Arm. Seine Hand hielt den Revolver umklammert, und Glenda schaute genau in die Mündung, die sich ihr als ein schwarzes Loch präsentierte, aus dem jeden Augenblick Tod und Verderben herausplatzen konnten. »Wollen Sie mich erschießen?« fragte Glenda leise. »Erst ins Bein, wie ich dir versprochen hatte«, gab der Kerl flüsternd zurück und wedelte mit seiner Waffe, als wollte er böse Geister vertreiben, die sich zwischen ihm und Glenda aufgebaut hatten. »Dann schießen Sie!« Glenda wusste selbst nicht, woher sie den Mut nahm, dies zu sagen. Schon im nächsten Augenblick bereute sie die Worte, doch da war es zu spät. Der ehemalige Zuhälter drückte ab! Glenda zuckte zusammen. Sie sah das Mündungslicht, hörte den krachenden Knall und sogar das Pfeifen der Kugel, so dicht fuhr das Geschoß an ihrem Kopf vorbei und hieb irgendwo in die Holzwand hinter ihr. »Die nächste sitzt«, sagte Bongo gelassen. Da wusste Glenda Bescheid, und ein krächzendes »Okay« entrang sich ihrer Kehle. Ihr Mund war trocken, ihr Hals ebenfalls. Die Angst wurde von Minute zu Minute stärker, und sie bewegte vorsichtig die Arme, wobei ihre Finger den unteren Saum des gelben Pullovers umfassten, um das Kleidungsstück hochzuziehen. Bongo lächelte, was Glenda nicht sehen konnte, weil sie ihr Kleidungsstück Über den Kopf streifte.
Darunter trug sie einen knappen BH aus weißem Stoff. Er war wirklich knapp, denn von Glendas Anatomie war ein großer Teil zu sehen. Bongo atmete schneller. Er hatte als Zuhälter gearbeitet und schon zahlreiche Frauen unbekleidet gesehen, aber das waren Dirnen gewesen, da achtete man zwar auch auf den Körper, nur sah man diesen mehr geschäftlich. Hier war das etwas völlig anderes. Hier stand eine Frau vor ihm, die einiges zu bieten hatte, das er sich holen wollte. »Gut«, sagte er rau, »du siehst verdammt gut aus, Kleine. Und jetzt noch den Rock.« Glendas Finger fanden den Reißverschluss an der Seite und zogen ihn nach unten. Das helle Weiß eines Slips blitzte in dem Stoffspalt. Der Rock rutschte an den Beinen entlang nach unten, und Glenda musste zuerst den rechten, dann den linken Fuß hochheben, um aus dem Kleidungsstück zu steigen. Sie fror. Nicht nur wegen der kühlen Temperatur, die hier herrschte, sondern auch vor Angst. Unter dem Blick des Mannes schien ihre Haut zu brennen und auch zu frösteln. »Die Stiefel!« Glenda musste sich bücken. Dabei bekam Bongo noch größere Einblicke in den Ausschnitt des Büstenhalters. Seine untere Gesichtspartie bewegte sich. Manchmal stieß die Zungenspitze zuckend aus dem Lippenspalt hervor, dann fuhr sie wieder zurück, und der Mann begann zu grinsen, wobei in seinen Pupillen regelrechte kleine Funken tanzten. Er war äußerst erregt. »Gut«, sagte er, »du bist gut.« Gleitend kam er näher, und Glenda schleuderte soeben den linken Stiefel zur Seite, so dass er neben der Wand liegenblieb. »Komm zu mir!« zischte Bongo. »Nein!« Glenda hatte die Arme erhoben und vor der Brust vier schränkt. Kalkweiß war sie im Gesicht. Über ihren Körper lief eine Gänsehaut, und sie wich zurück. Wie oft hatte sie von Vergewaltigungen gehört und gelesen. Durch Aussagen der Opfer wusste sie, welche Hölle die Frauen durchlebt hatten. Eine schreckliche, grausame Hölle der Erniedrigung, und viele trugen seelische Schäden davon, die irreparabel waren. Sie wollte dem Kerl nicht zwischen die Finger geraten. Zwei Schritte trennten ihn von ihr. Die Waffe in seiner rechten Hand zitterte. Der linke Arm stieß plötzlich vor. So schnell, dass Glenda auch mit einem Reflex nicht mehr richtig wegkam. Die Hand des Mannes klatschte auf ihre Schulter. Kalt fühlte sie sich an. Kalt und trotzdem heiß. Ein Schweißfilm befand sich in der inneren Handfläche, der eine glänzende Spur hinterließ, als die Pranke Über Glendas Schulter wanderte und sich ein Finger am Träger des BHs festhakte. Glenda zuckte zusammen. Das hatte seinen Grund, denn sie spürte das kalte Loch der Mündung dicht Über ihren Bauchnabel. Wenn der Mann jetzt den Finger krümmte, dann war es aus. »Ja«, keuchte er, »ja, so wollte ich dich haben, Kleine! Den Rest erledige ich selbst ...« Er grinste und sprühte Glenda Speichel ins Gesicht, so dass die junge Frau von einem selten erlebten Ekel erfasst wurde. Sie roch diesen Mann, nahm seinen säuerlichen Schweiß wahr und auch das Fett in seinen halblangen,
lackschwarzen Haaren. Dieser Typ war schon kein Mensch mehr, er war ...
Ihre Gedanken stockten, weil Bongo den Träger des Büstenhalters langsam zur Seite schob. Er rutschte Über die Schulterrundung und blieb in Höhe des Oberarms hängen. »Gut«, sagte Bongo. »Und jetzt ...« Da wich Glenda zurück. Plötzlich war der Revolverdruck auf ihrem Bauch fort, aber sie spürte noch die Pranke. Und die hielt eisern fest. Mit rohem Griff zwang der Mann Glenda Perkins in die Knie. Ihn störte auch nicht der Aufschrei seines Opfers, im Gegenteil, er machte ihn sogar noch an. »Dir hilft nichts, Süße!« keuchte er. »Gar nichts. Ich werde mir das holen, was mir zusteht ...« Dann schleuderte er Glenda auf den kalten Boden ...
Für Menschen war das Reich tödlich! Wer einen Fuß hinein setzte, tat dies nie freiwillig. Er war immer ein Entführter, ein Geknechteter, den die andere Seite, die Dämonenbrut, zu sich geholt hatte. In diesem Reich konnte sich niemand wohl fühlen, es sei denn, er gehörte zu ihnen, zu den Vasallen des Spuks. Innerhalb der wallenden grauen Nebelwolken waren die Schatten kaum zu erkennen. Nur hin und wieder entstand eine huschende Bewegung, die den grauen Nebel durchdrang. Denn die Schatten waren Überall. Sie hüteten das Reich des Spuks, wo die durch Maddox, den Dämonenrichter, verurteilten Schwarzblüterseelen bis in allen Ewigkeiten die Schrecken der Bestrafung erlitten. Hier war er zu Hause. Hier befand sich sein Domizil. Hier redete ihm niemand rein. Denn er war ein Mächtiger, auf den zahlreiche Dämonen hörten. Er war
der Spuk! Innerhalb des Nebels fühlte er sich pudelwohl. Er bewegte sich selbst wie ein Schatten, weil er völlig konturenlos war. Nur eine schwarze Gestalt, nicht viel mehr als ein Nebelstreif und doch existent. Irgendwo jammerte der Höllenwind. Es war ein Geräusch, das an das Wehklagen eines Menschen erinnerte und in dieses Reich passte. Schreien, Klagen, Jammern Dämonenseelen, die für alle Ewigkeiten gefangen gehalten wurden. Der Spuk war unantastbar. Wenigstens bildete er sich das ein. Er nahm eine Position ein, die ihm niemand streitig machen konnte und auch würde. Das wussten Asmodina ebenso wie andere rang hohe Dämonen, und deshalb gaben sie sich vor ihm nie eine Blöße und zeigten das, was sie wirklich von ihm dachten. Sie hatten Angst vor ihm und hassten ihn gleichzeitig. Sie mussten mit ihm leben, und manchmal versuchten sie, sich mit ihm zu arrangieren. Wie auch Asmodina. Sie hatte es als einzige geschafft, den Spuk dazu zu überreden, dass er eine Seele freiließ. Die von Dr. Tod! Aus diesem Grunde glaubte sie, in dem Spuk einen Verbündeten gefunden zu haben, was irgendwie auch stimmte, denn dem mächtigen Spuk ging es im Prinzip um eine Ausweitung des Dämonenreiches. Er wusste, dass die Schwarzblütern irgendwie zusammenhalten mussten. Jetzt wartete der Spuk auf Asmodina. Es war nicht ihr erster Besuch beim Herrscher im Reich der geknechteten Dämonenseelen. Immer wenn sie erschien, gab es Probleme, und meistens ging es dabei um einen Mann. John Sinclair, den Geisterjäger! Ihn hasste Asmodina besonders. Und sie hätte ihn vielleicht auch schon venichtet, wenn sie ihre gesamte Kraft auf ihn hätte konzentrieren können. Aber da gab es noch Dr. Tod und die Mordliga. Zuerst standen sie auf ihrer Seite, dann aber hatte er sich selbständig gemacht, weil er in einen regelrechten Machtrausch geraten war, und nun wollte er Asmodina den Platz streitig machen. Das wusste die Teufelstochter haargenau, und sie richtete sich danach. Sie griff Morasso und seine Mordliga nicht frontal an, nein, sie spannte ein Netz von Intrigen und Fallen. Äußerlich blieb alles ruhig, eine Ruhe vor dem Sturm allerdings, der irgendwann in der nächsten Zeit losbrechen konnte und würde. Ja, der Sturm würde kommen. Und er würde alles hinwegfegen, wenn ihr Plan gelang. Zu lange schon hatte sie sich von Dr. Tod und seiner Mordliga auf der Nase herumtanzen lassen, nun war endgültig Schluss. Eine Abrechnung war unausweichlich, das hatte auch Asmodis gefordert, dessen Thron irgendwie wackelte, denn andere wollten es auf einmal nicht mehr hinnehmen, dass er sich als oberster Herrscher aufspielte. Es musste etwas geschehen. Und dieser Besuch beim Spuk sollte die Ouvertüre werden. Asmodina kam nicht allein, zwei ihrer Todesengel begleiteten sie. Dämonische Frauen mit Flügeln auf dem Rücken. Zwischen ihnen steckte der Köcher, in dem sich die Pfeile für die Bogen befanden, denn die grausamen Engel mit den langen, roten Haaren und der pechschwarzen Kleidung waren mit Pfeil und
Bogen bewaffnet. Damit konnten sie ausgezeichnet umgehen. Die drei tauchten ein in den wallenden Nebel, der das Reich des Spuks umgab. Hin und wieder erschienen die Wächter. Mal nicht als Schatten, sondern als echsenköpfige Wesen, die lange Lanzen in ihren Klauen hielten. Sie ließen Asmodina und die beiden Todesengel passieren. Asmodina sah aus wie immer. Kalt und hart das Gesicht. Grausam die Augen, und aus ihrer Stirn stachen zwei Hörner, die in der Mitte mit einer kleinen Kette verbunden waren, die sich aus lauter Totenköpfen zusammensetzte. Der Nebel lichtete sich ein wenig. Asmodina sah das grauschwarze Gestein der Wände. Es war ein vulkanartiges, poröses Material, und aus seinen Poren drang der ätzende Dampf. Sie stand vor dem Spuk. Innerhalb der Nebelschleier bildete er ein schwarzes, sich bewegendes Etwas, eine lange Kutte, die nicht gefüllt zu sein schien, denn einen Körper hatte der Spuk nicht. Seine Stimme kam irgendwo aus der Schwärze, und sie traf Asmodina. »Du bist pünktlich.« »Ja, ich muss mit dir reden.« Das Gelächter des Spuks drang irgendwo aus dem schwarzen Schatten und erfüllte die nähere Umgebung. Es war sogar so laut, dass es das Jammern und Wehklagen der gemarterten Seelen Übertönte, die irgendwo in dieser Welt ihre Bestrafung absaßen. »Soll ich dir wieder einen Gefallen erweisen?« »Nein, nicht nur mir, sondern auch dir.« »Oh, du siehst mich in Gefahr?« »Noch nicht, aber es könnte so weit kommen, wenn Dr. Tod allzu mächtig wird.« »Darüber haben wir gesprochen.« »Sicher, aber gibt es schon einen Erfolg?« »Nein.« »Dann haben deine Diener nichts erreicht?« »Zum Teil. Sie sind in eine Falle gelaufen.« »Sinclair?« »Nicht er, sondern Myxin und Kara. Einen haben sie sofort getötet, den anderen wollten sie zum Reden bringen. Bevor es dazu kam, habe ich einen Diener geschickt, der den Schatten tötete.« »Diese beiden wissen also Bescheid.« »Kaum.« »Aber sie können sich etwas zusammenreimen«, stellte Asmodina mit knirschender Stimme fest. Der Spuk lachte verächtlich. »Wenn schon. Was sollten Sie denn unternehmen?« »Du scheinst dir deiner Stärke sehr sicher zu sein«, bemerkte die Teufelstochter. »Das muss ich auch. Sonst hätte man mich in meinem eigenen Reich längst gestürzt.« Nach dieser Antwort entstand eine kleine Pause. »Vielleicht hättest du es sogar versucht.« »Rede keinen Unsinn.« Der Spuk lachte dröhnend. »Das ist kein Unsinn. Ich kenne deinen Machthunger. Du wirfst Solo Morasso, deinem Gezecht, das gleiche vor, das in dir sitzt. Aggression und Machthunger. Aber hüte dich, Asmodina, gegen mich kommst du nicht an. Du wirst die gefangenen Seelen nicht bekommen.« »Schon gut, schon gut. Wir wollen uns nicht streiten. Schließlich sind wir Partner.« »Möglich.« »Also, du hast eine Niederlage erlitten.« »Nein, keine Niederlage. Es läuft alles genau nach Plan. Sinclair wird nicht anders können, als für uns zu arbeiten.
Wir stellen ihn in unsere Dienste, und dein Plan, Asmodina wird voll und ganz aufgehen, das verspreche ich.« Die Teufelstochter zögerte mit einer Zustimmung. Sie hatte schlechte Erfahrungen gesammelt und erinnerte sich nur zu gut daran, als sie hier mit dem Spuk zusammengesessen hatte und Über Pläne redete. Alle waren irgendwie fehlgeschlagen, denn der Geisterjäger hatte einen gewissen Riecher, und er war mutig und geschickt. Zudem konnte er auf eine wahre Fundgrube an Erfahrungen zurückgreifen, aus der er immer wieder neue Ideen holte. »Was ist?« fragte der Spuk. »Gefällt dir das nicht?« »Doch.« »Aber?« »Ich weiß nicht. Sinclair kann man nicht so leicht Überlisten. Er wird uns nicht folgen, sondern sein eigenes Süppchen kochen. Davon bin ich Überzeugt.« »Es hört sich an, als hättest du Angst.« »Nein, das nicht, aber ich bin ein gebranntes Kind. Ich selbst hatte ihn bereits in meinem Reich. Er ist aus der Schädelwelt entkommen, und auch bei den Flammenden Steinen ist er uns entwischt.« »Das habe ich nicht vergessen«, erwiderte der Spuk, und eine heranwogende Nebelwand verschluckte seine Worte.»Deshalb sind wir auch diesmal vorsichtiger. Die anderen Attacken waren zu direkt. Sie brachten nichts, weil sie zu durchsichtig waren. Diesmal schlagen wir echt und hart zu.« »Ich verlasse mich auf dich«, sagte Asmodina. »Das kannst du auch.« »Wie weit bist du jetzt?« »Komm mit.« Ohne eine Reaktion der Teufelstochter abzuwarten, drehte sich der Spuk um und verschwand. Sein dunkler Schatten wurde von der Nebelwand aufgesaugt und war schon bald nicht mehr zu sehen, weil alles ineinanderfloss. Asmodina gab ihren beiden Todesengeln einen Wink. Diese blieben bei ihr und rahmten sie ein, als sie dem Spuk folgten. Er verschwand irgendwo in seinem Reich. Wände öffneten sich, wurden zu nebelhaften Gebilden, so dass sie niemanden aufhalten konnten. Und die Seelen der Geknechteten schrien weiter. Irgendwo im Niemandsland der Dimensionen erklang ihr schauriges Jammern als Begleitmusik für den Spuk und Asmodina. Dann jedoch blieb der Spuk stehen. Seine nebelhafte Gestalt beugte sich nach unten, und er schaute auf eine pechschwarze, glänzende Platte, die acht Ecken hatte. »Schau hinein!« befahl er Asmodina. Die Teufelstochter kam der Aufforderung nach. Was sie sah, erzeugte in ihrem Innern ein Triumph gefühl. Irgendwo in London lag ein kaum bekleidetes schwarzhaariges Girl vor einem gewalttätig aussehenden Mann, der sich Über sie gebeugt hatte. Glenda Perkins! »Du siehst«, hörte die Teufelstochter die Stimme des Spuks. »Alles läuft genau nach Plan ...«
In diesem Augenblick flog die Tür auf! Glenda Perkins hörte es nicht. Sie vernahm nur einen Knall, wie die Türklinke gegen die Wand prallte und das laute Geräusch durch den Schuppen hallte. Bongo wirbelte herum. Dieses Geräusch hatte ihn aus all seinen Träumen gerissen. Vergessen war die Frau, denn jemand hatte es gewagt, ihn zu stören. Der Mann stand auf der Schwelle. Leicht geduckt, in Combat Haltung, in der rechten Hand hielt er einen schweren Revolver, und er stützte sein Gelenk durch die Linke ab. »Weg mit der Kanone!« peitschte seine Stimme. Bongo sprang zur Seite. Sein Gesicht verzerrte sich. Hass flammte in seinem Innern auf. Hass und Zorn. Noch nie hatte er aufgegeben, immer war er der Gewinner gewesen, und so sollte es auch diesmal bleiben, verdammt. Er schoss. Laut wummerte die schwere Waffe. Der Revolver in seiner Rechten schien förmlich zu explodieren, das heiße Blei fauchte dem Eindringling entgegen. Für einen winzigen Augenblick sah es so aus, als hätte die Kugel getroffen. Der Mann zuckte nämlich zusammen, doch dann glitt ein kaltes Grinsen Über sein Gesicht, und er schoss zurück. Zweimal! Die Kugeln hämmerten aus dem Lauf, sie pfiffen dem ehemaligen Zuhälter entgegen, der nicht von der Stelle wegkam und das Blei voll mit seinem Körper auffing. Bongo wurde durchgeschüttelt. Dicht nebeneinander befanden sich die beiden Einschusslöcher auf seiner Brust, dazu in Herzhöhe. Keine Chance für diesen brutalen Typen. Er sackte in die Knie. Die Waffe rutschte aus seinen Fingern. Über die Lippen drang ein fürchterliches Röcheln, ein letztes, tiefes Luftholen, dann fiel er zu Boden und war schon tot, als er ihn berührte. Seine gebrochenen Augen starrten Glenda Perkins an, irgendwie anklagend, als trüge sie die Schuld. Glenda stand wie unter Strom. Die Eskalation der Gewalt hatte sie innerlich zerrissen. Fieber schüttelte sie durch. Entsetzen wurde in ihr hochgetrieben, und sie empfand die nach den Schüssen eingetretene Stille als brutal und nervtötend. Erst als sie Schritte hörte, hob sie den Kopf, wobei ihr Blick noch flackerte. Glendas Retter tauchte in den von der Decke fallenden Lichtschein. Sein Lächeln wirkte irgendwie jungenhaft, das Gesicht war keine Maske der Anspannung mehr, sondern präsentierte sich gelöst. Glenda sah, dass dieser Mann grünlich schillernde Augen hatte, dazu dunkelblondes Haar und ein schmales Gesicht. In Seinen Bewegungen erinnerte er irgendwie an John Sinclair, und Glenda, die ihm entgegenblickte, sah die Hand, die der Mann ihr hinhielt. »Möchten Sie nicht aufstehen?« Seine Stimme war beruhigend, zudem hatte sie einen vollen Klang. »Ja, ja.« Glenda ergriff die Hand. Mit einem kraftvollen Ruck zog der Mann sie auf die Beine. Jetzt erst erfolgte bei Glenda die Reaktion. Von den Zehen bis zum Hals peitschte Schüttelfrost ihren Körper. Sie riss den Mund auf, und ein befreiendes Schluchzen drang Über ihre Lippen. Sie warf sich an die Brust des Mannes und weinte hemmungslos. Der Retter ließ sie. Er wusste, was ihr gut tat.
Diese junge Frau hatte Schlimmes hinter sich, obwohl es nicht zum Allerschlimmsten gekommen war, woran sie hätte unter Umständen zerbrechen können. Jetzt sollte sie erst einmal weinen und sehen, dass sie den Schock verkraftete. Die grünen Augen des Mannes waren auf den Toten gerichtet. Er empfand kein Mitleid mit dem Mann, denn der hatte es nicht anders verdient. Seiner Meinung nach. Es dauerte wirklich Minuten, bis sich Glenda beruhigt hatte, und auch nur auf Drängen des Retters hin, der ihr nahelegte, sich etwas Überzuziehen, denn es war ihr inzwischen sicherlich kalt geworden. »Ja, natürlich«, schluchzte Glenda. »Ich ziehe mir etwas Über. Aber ich musste »Mein Verständnis haben Sie«, sagte der Mann. Glenda ging zur Seite. Sie zitterte noch immer. Zudem vermied sie es, den Toten anzuschauen. Sie wollte ihn einfach nicht mehr sehen, das Erlebnis war zu schrecklich. Langsam streifte sie die Sachen Über, die ihr Retter ihr sogar reichte. Mittlerweile war auch etwas Farbe in ihr Gesicht zurückgekehrt, und sie schaute dem Mann voll ins Gesicht. »Danke«, flüsterte sie. »Danke.« Ihr Retter hob die Schultern. »Ach was. Jeder andere an meiner Stelle hätte das gleiche getan.« »Kaum, Mister.« Glenda hob den Kopf und warf ihr langes Haar zurück. Die Augen waren ebenso vom Weinen gerötet wie die Wangen. »Dabei weiß ich nicht einmal Ihren Namen.« »Ich heiße Rick Hunter.« »Und mein Name ist Glenda Perkins.« Hunter lächelte. »Er passt zu Ihnen.« »Wieso?« »Nur so.« »Hören Sie auf. Wenn ich daran denke, was dieser Kerl mit mir angestellt hätte ...« Glenda schluckte, bevor sie flüsternd hinzufügte: »Furchtbar ...« »Ja, das stimmt.« Glenda Perkins schlüpfte noch in ihren linken Stiefel und zog ihn an der Wade hoch. »Wir wir müssen die Polizei benachrichtigen, Mr. Hunter.« Rick nickte. »Natürlich, Miss Perkins. Nur machen wir das später.« »Außerdem kann ich bezeugen, dass Sie in Notwehr gehandelt haben«, erklärte Glenda. »Sie denken auch an alles.« »Das bringt der Beruf mit sich.« »Sind Sie bei der Polizei?« »Ja, ich arbeite als Sekretärin.« »Ach so. Und ich bin auch im Staatsdienst tätig. Deshalb trage ich auch eine Waffe.« »Geheimdienst?« fragte Glenda. »Möglich ...« »Ich verstehe. Kommen Sie, wir wollen diesen Schuppen vier lassen.« Sie schüttelte sich. Vor der Tür traf der nasse Schnee ihre Gesichter. Noch immer fielen die hellen Flocken sehr dicht und bedeckten den Boden mit einem weißen Teppich. Auch in dem engen Schlauch der Einfahrt lag jetzt der Schnee. Er taute zum Teil weg, so dass sich auf dem Boden eine glitschige Fläche gebildet hatte. Der Mann ging hinter Glenda und hörte sie fragen: »Wie haben Sie mich eigentlich gefunden?« »Durch Beobachtung. Ich habe gesehen, wie dicht der Mann neben Ihnen ging, und Ihrem Gesicht war abzulesen, dass Sie nicht eben von großer Freude beherrscht wurden. In meinem Beruf muss man auf Kleinigkeiten achten, eben diese fielen mir bei Ihnen auf.
Leider hat es ein wenig gedauert, bis ich das Versteck fand, sonst wäre ich sicherlich früher gekommen, das können Sie mir glauben.« Die beiden hatten die schmale Einfahrt hinter sich gelassen und standen nun auf der Straße. Rick Hunter legte seinen Arm um die Schultern der schwarzhaarigen Glenda, die sich die Berührung gern gefallen ließ, denn bei diesem Mann fühlte sie sich sicher. »Mein Wagen parkt nicht weit von hier. Wenn Sie möchten, kann ich Sie nach Hause fahren.« »Aber wir müssen erst die Polizei benachrichtigen.« »Sicher, das tun wir auch noch. Der Fall liegt ja klar. Da wird wohl kaum eine Mordkommission Spuren finden. Außerdem muss ich das noch mit meiner Dienststelle regeln, und das möchte ich gern vor dem Eintreffen der Polizei.« Dafür hatte Glenda Verständnis, und so schloss sie sich weiterhin dem Retter an, der sie die Straße hinunterführte und sie zu seinem Wagen brachte. Der kleine Ford Escort stand in einer schmalen Parklücke halb auf dem Gehsteig. Eine weiße Haube lag auf ihm. Hunter reinigte die Scheiben vom ärgsten Schnee. Er öffnete Glenda die Beifahrertür und ließ sie einsteigen. Erst dann nahm er hinter dem Lenkrad Platz. »Jetzt müssen Sie mir nur noch verraten, wo Sie wohnen, dann ist alles klar.« Glenda nannte die Adresse. Es war für Rick Hunter gar nicht einfach, aus der schmalen Glücke zu scheren. Er musste ein paar Mal rangieren, zudem rutschten die Reifen auf dem Matsch. Schließlich schaffte er es doch und reihte sich in den Verkehr ein. Glenda hatte sich zurückgelehnt. Die Heizung begann zu arbeiten. Warme Luft strömte aus den Düsen. Angenehm fuhr sie Über Glenda Perkins' Haut, und die junge Frau schloss die Augen. Ruhig konnte sie nicht sein, denn immer wieder erschienen vor ihrem geistigen Auge die schrecklichen Bilder. Sie sah sich selbst am Boden liegen und den Mann neben sich stehen. Ein schreckliches Bild, so demütigend und grausam, einfach furchtbar. Es war sicherlich nicht einfach, diese schrecklichen Minuten aus der Erinnerung zu streichen. Sie stoppten an einer Ampel. Hunter hatte Glenda das Gesicht zugewandt. Er lächelte. Auch Glenda schaute den Mann an. Er gefiel ihr. Wirklich. Rick machte einen äußerst sympathischen Eindruck, er war ein Typ, zu dem man Vertrauen haben konnte. Vor ihnen standen die Wagen. Noch immer fiel Schnee. Dicke, nasse Flocken tupften gegen die Scheibe, wo sie sofort als Wasserstreifen verliefen. »Geht's wieder?« fragte Hunter. »So einigermaßen.« »Wenn Sie erst einmal geschlafen haben, wird die Sache ganz anders aussehen«, versprach der dunkelblonde Rick Hunter. »Ich hoffe es.« Er fuhr wieder an. Dabei bewegte er sich etwas nach vorn, und Glenda sah an seiner linken Seite, genau dort, wo die Hüfte anfing, ein Einschussloch. Sie versteifte sich und wurde blass. »Was ist mit Ihnen?« Rick Hunter hatte trotz der Fahrerei bemerkt, dass mit Glenda etwas nicht stimmte. »Sie
Sie sind ja angeschossen, Mister.« Hunter musste wieder halten, weil eine nächste Ampel den roten Kreis zeigte. »Na und?« »Mehr sagen Sie nicht dazu?« »Nein, warum? Was ist schon ein kleines Kugelloch, liebe Glenda?« Wir rasten nach Soho! Rasen ist wirklich der richtige Ausdruck, denn eine Meldung aus der Zentrale hatte mich alarmiert. Ein Kunde hatte den Mord an einem Antiquitätenhändler entdeckt und sofort die Polizei benachrichtigt. Als die Beamten eintrafen, sahen sie nicht nur die Leiche, sondern entdeckten auch eine am Boden liegende dunkelrote Handtasche. Natürlich wurde die Tasche sofort durchsucht. Man fand einen Ausweis auf den Namen Glenda Perkins. Einer der Beamten erinnerte sich. Er hatte einmal mit einer Glenda Perkins zu tun gehabt. Es lag schon einige Monate zurück, doch er dachte an den Briefwechsel, der zwischen seinem Revier und Scotland Yard geführt worden war. Der Mann schaltete schnell und telefonierte mit dem Yard. Dort wurde auch keine Sekunde gezögert, Superintendent Sir James Powell, mein Chef, wurde informiert, und der alarmierte mich natürlich. Costello musste warten. Jetzt ging es um Glenda Perkins. Suko saß neben mir. Das Fahren in diesem Verkehr war wirklich kein Vergnügen. Hinzu kam der nasse Schnee, und als wir Soho erreich ten, da war der Verkehr noch dichter. Es ging nur ruckartig voran. Ich versuchte alles, sprang in Lücken und orderte schließlich einen Polizisten auf einem Motorrad herbei, der vorausfahren und uns Platz, schaffen sollte. Es ging etwas besser. Die Zeit, bis wir unser Ziel erreichten, kam mir wie eine halbe Ewigkeit vor. Am Geschäft fand ich natürlich keinen Parkplatz und stellte den Bentley schräg auf den Gehsteig. Auf den Stufen zum Geschäft lag Schnee. Wir mussten achtgeben, dass wir nicht ausrutschten. Leiter der Mordkommission war ein alter Bekannter. Chiefinspektor Tanner. Wie immer trug er seinen alten Filz, den sein Großvater wahrscheinlich schon aufgehabt hatte, und diesmal sah der Hut noch schlimmer aus, weil er vor Nässe triefte. Im Mundwinkel hatte Tanner eine Pfeife stecken, und als er uns sah, verzog sich sein zerknittertes Gesicht zu einem schiefen Grinsen. »Wenn ihr dabei seid, habe ich immer Angst.« »Warum?« fragte ich. »Weil ich dann das Gefühlt habe, von Geistern umgeben zu sein.« Dann wandte er sich an Suko und reichte ihm die Hand. »Gratuliere zu Ihrem neuen Beruf, Suko.« »Ach, das ist nicht so tragisch.« »Jetzt werden Sie sich an die Launen des alten Powell gewöhnen müssen, mein Lieber.« Ich unterbrach das Gespräch. »Wo ist die Tasche?« Tanner deutete zu seinen Mitarbeitern, die das Beweismaterial auf den Verkaufstresen gelegt hatten. Dort befand sich auch die weinrote Handtasche. Kein Zweifel, sie gehörte Glenda. Oft hatte ich sie bei ihr gesehen. Verpackt war sie in eine durchsichtige Plastiktüte, wie alles, was an Spuren gesichert wurde. »Und?« Tanner war zu mir getreten. Er schaute mich von der Seite fragend an. »Kein Zweifel, das ist die Tasche.« »Sie gehört also Glenda Perkins.«. »Ja.«
»Frage ist: Was hat man mit ihr gemacht?« Ich drehte mich um und warf einen Blick auf den am Boden liegenden Mann. Er konnte uns keine Antwort mehr geben. Eine Kugel hatte seinem Leben ein Ende bereitet. Chiefinspektor Tanner schickte zwei Leute, um nach Zeugen zu suchen. Wie auch ich wusste er, dass dies kaum Erfolg haben würde, denn das Spiel war bekannt. Niemand hatte etwas gesehen, und wenn, dann konnte er sich kaum erinnern. Ich zündete mir eine Zigarette an. Innerlich war ich schrecklich nervös. Ich machte mir Sorgen um Glenda. War sie nun einem normalen Verbrechen zum Opfer gefallen, oder steckte hinter dem Ganzen ein dämonisches System? Diese Frage quälte mich und würde mich auch weiterhin quälen, denn so leicht würde ich keine Antwort finden. Ein jüngerer Mann traf ein. Als er den am Boden Liegenden sah, begann er zu weinen. Er stand mitten im Laden, stützte eine Hand auf den Verkaufstresen und schluchzte fast lautlos. Es war regelrecht gespenstisch, ihm so zuzusehen. »Der Sohn«, sagte Tanner leise. Ich nickte. Vielleicht wusste er mehr. Ein Arzt wollte sich um ihn kümmern, doch der Junior schüttelte den Kopf. Er drehte sich um und schaute uns an. »Können Sie uns einige Fragen beantworten?« erkundigte sich der Chiefinspektor. Nicken. Klar und präzise stellte Tanner seine Fragen. Er erhielt auch Antworten, So erfuhren wir, dass Vater und Sohn unter einer erpresserischen Bande gelitten hatten, Die Gangster kassierten hier die Geschäftsleute ab. Der Vater hatte sich erst geweigert zu zahlen, bis man dem Sohn den linken Arm brach. Da gab der alte Newman, so hieß der Tote, nach. Es war schon hart, was wir da zu hören bekamen, und wieder einmal wurden wir mit dem Teufelskreis des Verbrechens konfrontiert. Diese verfluchten Killer ahnten nicht, wie viel Leid und Trauer sie hinterließen. Ein Name fiel. Bongo! Tanner reagierte sofort. Er gab seinen Leuten Bescheid, und auf telefonischem Wege setzte man sich mit der Zentrale in Verbindung. Die Computer bekamen Arbeit. Sie erledigten das in einer kurzen Zeitspanne, und schon bald hatten wir das Ergebnis. Bongo war in der Unterwelt kein unbeschriebenes Blatt. Er hatte mehrere Jahre gesessen, war als Zuhälter bekannt und sollte für einen gewissen Logan Costello arbeiten. Ich zuckte zusammen, als ich das hörte. »Da haben wir ja die Verbindung«, sagte Suko. »Ihr Fall?« fragte Tanner. »Möglich.« Der Chiefinspektor nickte. »Na, dann können wir ja zusammen packen, wenn das so ist.« Ich winkte ab. »Moment noch. Wir werden zuerst einmal Logan Costello auf den Zahn fühlen. Das hatten wir sowieso heute vor. Danach sehen wir weiter.« Tanners Gesicht wurde noch faltiger und verkniffener.»Freunde, das schafft ihr nicht.« »Was schaffen wir nicht?« »Costello zu kriegen.« Ich widersprach nicht einmal. Wie oft hatten wir es versucht, aber diesem Kerl war nichts nachzuweisen. Der war so schlüpfrig, dass er uns immer entwischte. Wir konnten machen, was wir wollten, wir kamen einfach nicht an ihn heran.
Zudem hasste er mich besonders, denn er gab mir die Schuld am Tod seines Bruders, obwohl sich der Kerl selbst erschossen hatte. »Costello wird doch nicht so dumm sein und Glenda Perkins entführen«, sagte Suko. »Er nicht, aber er wird einen Auftrag erhalten haben.« »Von wem?« Ich grinste. »Soll ich dir aufzählen, wer dafür alles in Frage kommt, mein Lieber?« »Nein, das brauchst du nicht.« Suko und ich hatten das Gefühlt, dass Über unseren Köpfen eine Schlinge lag, die sich langsam aber sicher zuzog. Und ich wusste nicht, wo ich die Schlinge hätte packen sollen. Das war ja das Schlimme. Man fühlte sich irgendwie in der Luft hängend. »Jetzt haben wir erst recht einen Grund, Costello auf den Zahn zu fühlen«, meinte Suko. »Ich weiß nicht ...
« »Was ist?« »Vielleicht sollten wir ihn noch im unklaren darüber, lassen, dass wir schon Bescheid wissen.« »Das wäre auch eine Möglichkeit«, gab der Chinese zu. Nur wo bestand jetzt die Verbindung zwischen dem Auftauchen der beiden Spukdiener und Glendas Entführung? Das wollte mir nicht aus dem Kopf, und ich suchte verzweifelt den Faden. »Du gehst also davon aus, dass es eine Verbindung geben muss?« fragte der Chinese. »Ja.« Mein Partner schwieg. So ganz hatte ich ihn nicht Überzeugen können, das war seinem Gesicht anzusehen. Und doch sollte ich recht behalten. Einer der Beamten, die draußen Neugierige abhielten, erschien im Geschäft. Auf seinem Helm schmolzen die letzten Schnee flocken. »Sir«, meldete er. »In Ihrem Wagen meldet sich das Telefon. Es scheint dringend zu sein, der Anrufer lässt nicht locker.« Ich ging. Suko blieb zurück und hörte zu, wie Chiefinspektor Tanner den jungen Newman vernahm. Viel konnte er auch nicht sagen, und ob der Zuhälter namens Bongo den Mord begangen hatte, war ebenfalls nicht sicher, obwohl Suko daran glaubte. John Sinclair kehrte zurück. Der Chinese sah mir sofort an, dass etwas passiert war. Mein Gesichtsausdruck sagte ihm genug. »Was ist geschehen, John?« Ich holte erst einmal tief Luft. »Costello hat bei Sir James angerufen.« »Was?« »Ja, und er hat dem Superintendenten bestellen lassen, dass er mich sprechen will. Und zwar allein.« Schweigen entstand nach meinen Worten. Auch Tanner vergaß vor Überraschung, an seiner Pfeife zu ziehen. »Weißt du, worum es geht?« wollte Suko wissen. »Das können wir uns wohl denken, nicht wahr?« Suko nickte. Er brauchte den Namen Glenda Perkins wirklich nicht auszusprechen ...
In den nächsten Sekunden wurde Glenda einiges klar. Sie war wirklich kein heuriger Hase, sie arbeitete für den Geisterjäger John Sinclair und wusste, dass es Dämonen und Wesen aus anderen Dimensionen gab. Da kannte sie sich aus. Sie wusste ferner, dass normale Bleigeschosse einem Dämon nichts ausmachten. Der Mann neben ihr, der Retter, war von einem Bleigeschoß getroffen worden, und es hatte ihm nichts getan. Das musste Glenda erst einmal verdauen und auch das Wissen, vom Regen in die Traufe geraten zu sein. Sie fuhren wieder an. Glenda hoffte, dass der andere nichts bemerkt hatte, und sie schaute geradeaus in den tanzenden, wirbelnden Flockensturm. »Woran denken Sie jetzt?« fragte ihr Retter. »An nichts.« Der Mann lachte. »Sie lügen schlecht, kleine Glenda. Und zwar sehr schlecht.« »Wieso?« »Sie denken Über meine Verletzung nach und wieso es kommt, dass ich nicht entkräftet und vielleicht auch schwerverletzt daliege. Stimmt es?« »Möglich.« »Also ja«, sagte der Mann und schaltete einen Gang höher, weil die Straße freier wurde. »Sind Sie schon zu einem Ergebnis gelangt, meine Liebe?« »Natürlich.« »Und das wäre?« »Lassen Sie mich aussteigen!« Lachen. Irgendwie boshaft klingend und auch hämisch. »Nein, das können Sie mir nicht antun. Sie wollen doch Ihren Retter nicht vor den Kopf stoßen.« »Retter? « »Genau.« »Ich glaube kaum, dass Sie ein Retter sind, Mr. Hunter oder wie Sie sonst heißen. Ich bin in Ihre Falle gelaufen. Alles war ein abgekartetes Spiel. Wahrscheinlich ist dieser Kerl gar nicht tot. Sie haben nur so getan, um mich in Sicherheit zu wiegen.« »Nein, ich habe ihn wirklich erschossen.« Glenda schwieg. Schon längst suchte ihre linke Hand nach dem Griff der Tür. Sie wollte raus, und die Chance bot sich, denn eine Ampel leuchtete wieder rot. Hunter musste langsamer fahren. Er schaltete zurück und senkte die Geschwindigkeit. Vor ihnen glühten Bremsleuchten auf. Jetzt stoppte auch der Ford. Und da probierte Glenda es. Sie riss am Türriegel, drängte ihr Körpergewicht schon nach links, um sich aus dem Ford zu werfen. Doch das war nicht möglich. Hunter hatte die Tür versperrt. Glenda hieb gegen die Innenverkleidung, mehr schaffte sie nicht. Die Tür blieb zu. Hunter lachte. »Nein, Glenda, so haben wir wirklich nicht gewettet. Sie bleiben hier.« Die junge Frau sank zusammen. Wieder stieg Angst in ihr hoch, dann riss sie den Mund auf, um zu schreien. Andere mussten sie doch hören! Sie wollte sich auch auf den Mann stürzen, sich wehren, die Passanten aufmerksam machen, sie wollte soviel und schaffte nichts, denn nun spielte Hunter seine Macht aus, und Glendas Vorhaben blieben bereits im Ansatz stecken. Ihr Sitz veränderte sich. Er wurde weicher, dann regelrecht schwammig. Glenda stellte fest, dass sie nicht mehr hochkam. Schrecken breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Als sie nach unten schaute, sah sie, dass sich der Sitz verändert hatte. Er war grünlich geworden, und sie bemerkte, wie sich zwei tentakelartige Arme links und rechts ihrer Beine aus dem Sitz schoben.
Glenda erstarrte vor Entsetzen. Es gab ein klatschendes Geräusch, und die Arme pressten sich fest auf ihre Oberschenkel. Dann spürte sie den Druck, der sie immer tiefer in den schwammigen Sitz schob, und öffnete den Mund, wobei ein Schrei aus ihrer Kehle stieg. »Schrei nur!« lachte Hunter. »Dich hört keiner. Und im Jenseits wird nur geschrien!« Dumpf drangen die Worte an ihre Ohren. Während sie weiterschrie und um sich schlug, veränderte sich auch die Umgebung. Sie sah die roten Rückleuchten nicht mehr. Wie Luftballons, die platzten, so lösten sie sich auf und verschwanden. Plötzlich waren sie nicht mehr da. Dafür umwallte den Wagen eine grüngraue Wand. Beißender, ätzender Nebelqualm, wie er nur in den Dimensionen des Schreckens zu Hause war. Der Wagen und mit ihr Glenda Perkins sowie Hunter hatten sich von einer Sekunde zur anderen aufgelöst. Sie waren durch einen zeitlosen Sprung in eine andere Dimension verschwunden. Die Autofahrer, die hinter dem Ford gehalten hatten, trauten ihren Augen nicht. Plötzlich war der Wagen weg. »Ich glaube, ich spinne«, murmelte ein Mann, nahm seine Brille ab und rieb Über seine Augen. Das Bild blieb. Kein Ford zu sehen. Und Hunter, der Dämon, sagte in diesem Augenblick zu Glenda Perkins: »Willkommen im Jenseits, meine Liebe ...«
Auf der Uferstraße, die zum Schloss der Windsors führte, wollten wir uns treffen. Logan Costello hatte glasklar seine Bedingungen gestellt. Nur ich sollte im Wagen sitzen, und die Uhrzeit hatte er auch angegeben. Zwei Stunden vor Mitternacht. Wie das alles Über die Bühne laufen sollte und was genau geschehen würde, davon musste ich mich Überraschen lassen. Natürlich hatte Suko heftig protestiert. Er hätte sich auch im Kofferraum einschließen lassen, wenn es nach ihm gegangen wäre, aber dagegen hatte ich etwas. Mir war Glenda Perkins' Leben zu wertvoll. Suko hatte dies auch eingesehen und hielt sich dementsprechend ruhig. Dass Logan Costello mich nicht von seinen Männern ermorden lassen würde, davon konnte ich ausgehen. Der verfolgte ganz andere Pläne. Außerdem konnte er sich einen Mord zum momentanen Zeitpunkt nicht an den Hals hängen. Zudem hätte dann jeder gewusst, wer dafür verantwortlich war. Nein, Costello musste seinen Hass auf mich zügeln. Ich fuhr entlang der Themse. Parallel zu dieser Straße lief ein Motorway, davon sah ich hin und wieder nur vereinzelte Lichter zu mir herüber blinken. Das Wetter war unter aller Kanone. Schnee, jetzt mit Regen vermischt, fiel fast senkrecht vom Himmel. Auf der Straße lag ein Matschfilm, der auch für meine Winterreifen nicht eben angenehm war. Die Dunkelheit war schlimm. Da schien kein Mond, nicht ein Stern war zu sehen, und ich hatte das
Gefühlt, als würde ich durch einen grauen Tunnel fahren. Wären die Scheinwerfer nicht gewesen, hätte ich Überhaupt nichts gesehen. Nach wie vor ging ich davon aus, dass Costello Glenda Perkins hatte entführen lassen. Was er genau vorhatte, würde ich erfahren, aber er sollte sich hüten, der dunkelhaarigen Glenda auch nur ein Haar zu krümmen. Ich fuhr langsam, weil ich nicht wusste, wann und wie etwas passierte. Man hatte mir nur gesagt, dass ich mich Überraschen lassen sollte. Des öfteren wurde ich Überholt. Dann klatschte Spritzwasser gegen meinen Wagen und die Scheiben des Bentley. Regelrechte Fontänen bildeten sich. Die Rücklichter der mich Überholenden Fahrzeuge verschwan den schnell in der Dunkelheit. Ich war gespannt, wann sich Costello sehen lassen würde. Hoffentlich ließ er mich nicht zu weit fahren und hatte sich nur einen Scherz erlaubt. Wieder wurde ich Überholt. Ein Motorradfahrer war es, und ich musste unwillkürlich an Suko denken, doch der Chinese war zu Hause geblieben, das hatte er mir versprochen. Zudem erkannte ich die vermummte Gestalt auf der Maschine nicht. Es war, wenn mich nicht alles täuschte, auch keine Harley Davidson gewesen, die mich Überholt hatte. Dann sah ich das Licht. Ein Mann schwenkte eine Taschenlampe im Kreis, so dass Über dem Boden ein fahler Lichtkranz entstand. Das Zeichen! Ich senkte die Geschwindigkeit. Meine langen Scheinwerferbahnen erfassten den Mann, der dicke Lederkleidung trug und eine flache Mütze tief in die Stirn gedrückt hatte. Der Bentley rollte aus. Einen Zoll vor dem Knaben kam er zum Stehen. Der Mann ging um die Kühlerschnauze herum und blieb neben dem Fenster stehen. Ich ließ die Scheibe nach unten fahren. »Sinclair?« Seine Stimme klang rau. »Ja.« »Steig aus, der Boss will dich sehen.« Ich Überlegte. Wenn ich an dem Mann vorbeischaute, sah ich ein dunkles, flaches Gelände, das sich bis zum Motorway hinzog. Rechts von mir wälzte sich die Themse durch ihr breites Bett. »All right«, erwiderte ich und öffnete die Tür. Die Scheibe ließ ich wieder hochsurren. Der Mann trat zur Seite. Die Lampe hielt er so, dass der Lichtkegel auf mich zeigte, jedoch nicht blendete. »Und wohin?« fragte ich. Mit der freien Hand deutete er auf das Feld, wo plötzlich ein Scheinwerferpaar aufstrahlte und sofort wieder verlosch. »Das ist das Zeichen«, bemerkte mein Bewacher. »Wofür?« »Dass alles okay ist.« Ich grinste. »Und wenn es nicht gewesen wäre?« Da schwieg der Mann. Er stampfte neben mir her und leuchtete. Der Lampenstrahl hüpfte Über unebenen Boden. Furchen, Risse, Pfützen. Matsch und Schneereste. Einmal wäre ich fast ausgerutscht, weil sich das Gelände ein wenig senkte. Dann sah ich den Wagen. Je näher ich kam, um so besser konnte ich die Farbe erkennen. Gold. Und das sagte mir genug. Costello war mit seinem goldfarbenen Rolls eingetroffen. Das war seine neueste Errungenschaft. Seit er gesehen hatte, dass ein amerikanischer Zuhälterboß einen goldfarbenen Rolls fuhr, wollte Costello auch einen
haben. Jetzt hatte er ihn. Natürlich war er nicht allein gekommen. Killerbosse wie Logan Costello kamen nie allein. Sie hatten immer Angst, fürchteten um ihr Leben und brachten stets einige Männer der Leibgarde mit. So auch hier. Nicht nur der Typ, der mich abgeholt hatte, begleitete ihn, sondern noch zwei andere Kerle, die beide ausgestiegen waren. Einer trug eine Maschinenpistole. Der Lauf schaute unter seinem Mantel hervor, wies Über die lange Kühlerschnauze und damit auch auf uns. Ich musste bis zum Fond des Wagens gehen, und als ich neben der Tür stand, ließ Costello die Scheibe nach unten surren. Allerdings nur zur Hälfte, so dass wir sprechen konnten, ohne zu schreien. Unsere Blicke trafen sich. Die Scheibe war getönt, und in der Dunkelheit konnte ich ihn nicht genau erkennen. Sein Gesicht erschien mir mehr als ein heller Fleck. Dafür hörte ich seine Stimme. »Sind Sie allein, Sinclair?« »Sicher.« »All right. Kommen wir zur Sache. Ich habe einen Job für Sie.« Ich war tatsächlich Überrascht. »Für mich?« »Genau.« Ich gestattete mir ein Grinsen und holte Zigaretten hervor. Erst als das Stäbchen brannte und ich es in der hohlen Hand festhielt, fragte ich: »Wissen Sie nicht, dass ich bereits einen Job habe?« »Klar, aber Sie werden trotzdem das tun, was ich sage. Es geht nämlich um die kleine Glenda Perkins.« Er sagte es triumphierend und höhnisch zugleich. Am liebsten hätte ich ihm ins Gesicht geschlagen, aber ich riss mich zusammen und ließ auch meiner Stimme nichts anmerken. »So?« »Ja, Sie wollen sie doch heil wiedersehen. Und damit dies geschieht, werden Sie uns einen kleinen Gefallen tun, Sinclair.« »Das steht noch nicht fest.« »Und wie das feststeht.« Er lachte, und es hörte sich an wie ein Grunzen. »Um Glenda Perkins zurückzubekommen, werden Sie den Aufenthaltsort eines gewissen Solo Morasso herausfinden. So lauten die Bedingungen, Sinclair. Und Sie haben genau zwei Tage Zeit. Wenn Sie sich weigern oder irgendwie falschspielen, sehen Sie Glenda Perkins höchstens noch als Leiche.« Das war deutlich. Verdammt deutlich sogar! Ich zog an meiner Zigarette. Damit hatte ich nun nicht gerechnet. Ich sollte also das Versteck des Solo Morasso, herausfinden, um es Costello zu verraten. Dann bekam ich Glenda zurück. Sicher war das allerdings auch nicht, denn ich traute Costello nicht Über den Weg. Er würde Glenda eiskalt Über die Klinge springen lassen, so brutal sich das anhört, aber es entsprach Costellos Mentalität. Rücksicht oder Nachgeben kannte ein Mann wie er nicht. »Haben Sie mich verstanden?« »Ja.« »Und? Wie haben Sie sich entschieden?« »Überhaupt noch nicht.« »Wieso?« »Weil ich das Ganze für einen miesen Bluff halte.« »Die Entführung Ihrer Sekretärin ist kein Bluff, Sinclair.« »Es wundert mich aber, dass ausgerechnet Sie mir den Vorschlag machen. Sie, Costello, müssten doch am besten wissen, wo Morasso zu finden ist. Schließlich stehen Sie mit ihm in Verbindung.« »Nein, das ist Ihr Irrtum!« »Aber Sie arbeiten für ihn.« »Nehmen Sie die
Bedingungen an oder nicht?« Logan Costello ging auf meine Frage nicht weiter ein. »Was ist, wenn ich mich weigere?« »Muss ich Ihnen das noch sagen, Sinclair?« Nein, das brauchte er wirklich nicht. »Ich soll also Dr. Tods Aufenthaltsort herausfinden?« »Ja.« »Und wenn ich ihn habe?« »Geben Sie mir Bescheid, und der Rest regelt sich von allein. Ich kann Ihnen sogar noch eine Hilfe geben, Sinclair, obwohl es mir sehr schwerfällt, dies zu tun. Solo Morasso befindet sich irgendwo auf dieser Erde.« »Eine tolle Hilfe«, bemerkte ich spöttisch. »Besser als keine. Sehen Sie zu, dass Sie es schaffen, Geisterjäger. Sie sind doch angeblich so toll. Jetzt können Sie Ihr Meisterstück machen.« Er lachte, und die Scheibe surrte wieder nach oben. Somit war unser Gespräch für ihn beendet. Auch seine Männer wussten Bescheid. Sie stiegen in den Luxuswagen. Als letzter der Typ mit der MPi. Er warf mir noch einen scharfen Blick zu und verschwand. Als der Motor angelassen wurde, hörten wir nur ein Flüstern, so leise war er. Die Reifen wühlten den schlammigen Boden auf und schleuderten auch einige Spritzer in meine Richtung, die ihren Platz an meinen Hosenbeinen fanden. Der Wagen fuhr davon, und ich blieb allein zurück. Verdammt allein, und ich würde auch allein bleiben, denn dieser Hundesohn hatte Bedingungen gestellt, die so gut wie unerfüllbar waren. Innerhalb von zwei Tagen sollte ich das schaffen, was andere in Monaten nicht vollbracht hatten. Nein, das war kaum zu erfüllen. Ich sah, wie die großen Rückleuchten des Rolls verschwanden. Sie wurden von der Schwärze aufgesaugt. Allein blieb ich auf dem Feld zurück. Allein und deprimiert. Der Zigarettenstummel war mir längst aus der Hand gerutscht. Er lag auf dem Boden. So ähnlich kam ich mir auch vor. Wie ein Zigarettenstummel, der keine Chancen gegen das Wasser hat und von ihm aufgelöst wurde. Der Schnee war jetzt in Regen Übergegangen. Ich merkte kaum, wie er in mein Gesicht schlug und die Haut kühlte, ich dachte nur an die Bedingungen, die mir Costello gestellt hatte. Konnte ich es wirklich schaffen? Allein sicherlich nicht. Meine Freunde mussten mithelfen. Vor allen Dingen Myxin und Kara. Sie kannten sich besser aus als ich, wussten Über die Dämonenhierarchie ausgezeichnet Bescheid, und vielleicht hatten sie etwas von Dr. Tods Versteck gehört. Eine winzige Hoffnungsflamme, mehr nicht, denn wenn ich genauer darüber nachdachte, dann war diese Annahme reiner Unsinn. Hätten Myxin oder Kara etwas gewusst, dann hätten sie mir sicherlich schon Bescheid gegeben. Ich ging wieder zurück. Den Kopf hielt ich dabei gesenkt. Ich wusste wirklich nicht, wie es weitergehen sollte. Man hielt Glenda irgendwo gefangen, und zwar nicht auf dieser Welt, wie ich stark annahm. Man hatte sie bestimmt in irgendeine Dimension verschleppt, um mich zu locken. Die Gegner hatten damit eiskalt die Schwäche des Sinclair Teams aufgedeckt. Ja, wir waren verwundbar, sogar sehr stark. Ich erreichte meinen Wagen, setzte mich hinein, startete und wendete.
Zurück nach London. Auf der Fahrt dorthin griff ich zum Autotelefon. Ich alarmierte mit meiner Meldung Sir James Powell. Er musste jetzt Bescheid wissen und auch Suko. Vielleicht hatten wir doch noch eine Chance. Unsere Welt ist schließlich endlich. Wenn sich irgendwo jemand versteckt hält, dann musste er auch zu finden sein, davon ging ich aus. Doch zwei Tage Galgenfrist sind verdammt wenig Zeit. Zu wenig ...
Wie ein Tier kroch sie Über den Boden. Sie hatte die Orientierung verloren, wusste nicht, wo rechts, links, vorn oder hinten war. In ihrem Kopf sammelten sich tausend Gedanken, spielten verrückt und vereinigten sich zu einem gewaltigen Gefühlt der Angst. Und diese Angst war es, die Glenda reagieren ließ. Sie kam zur Ruhe. Erst einmal blieb sie liegen. Ihre Nerven waren gespannt, Überdreht sogar, und sie fühlte unter ihren Händen einen lauwarmen Stein, der rau und porös war. Als sie die Augen öffnete, konnte sie nichts erkennen, nur einen grauen, wallenden Nebel, der manchmal grünlich schimmerte. Er war so dick, dass sich Glenda wunderte, Überhaupt atmen zu können, aber sie nahm es hin. Natürlich machte sie sich darüber Gedanken, wo sie sich befinden konnte. Noch einmal ließ sie die letzten Ereignisse vor ihrem geistigen Auge ablaufen. Sie dachte an die Autofahrt und daran, dass sich ihr Retter plötzlich als Dämon entpuppt hatte. Rick Hunter, ein Dämon! Und wenn er sie verschleppt hatte, dann nur in sein Reich. Mit Schrecken wurde Glenda dies klar. Ja, sie befand sich nicht mehr auf der Erde, sondern in einer Dimension des Grauens. Davon musste sie ausgehen, und daran war nichts mehr zu ändern. Sie wunderte sich nur, dass sie nicht weinen konnte, als sie daran dachte. Sie war noch zu geschockt und musste erst einmal mit sich selbst ins reine kommen. Glenda stand auf. Normalerweise eine simple Angelegenheit, doch Glenda hatte Mühe. Sie war ziemlich wacklig auf den Beinen und breitete die Arme aus, um das Gleichgewicht zu bewahren. Dann endlich stand sie. Erst jetzt fiel ihr auf, dass der Boden unter ihren Füßeln vibrierte. Tief in der Erde hörte sie ein unheimlich klingendes Grollen, das ihr wie eine Drohung entgegen strömte und etwas von dem ahnen ließ, was sich hier tat. Diese Welt befand sich in Bewegung. Hier wallte und quirlte nicht nur der Nebel, auch das Gestein, Über das Glenda Perkins schritt, schien sich zu heben und senken. Dabei stellte sie fest, dass der Boden leicht abschüssig war. Sie hatte das Gefühlt, als würde sie in die Tiefe laufen, wo ein schreckliches Unheil lauerte. Es war warm. Viel zu warm für einen Mantel. Glenda merkte kaum, dass sie ihren Mantel auszog und kurzerhand auf dem Boden liegenließ.
Der Nebel war Überall. Er hatte auch einen Geruch. Glenda glaubte, Schwefel zu riechen, wie manchmal bei einem Zündholz, wenn man es anzündete und mit der Nase zu dicht an die Flamme geriet. Schwefel? Das erinnerte sie an den Höllenatem. Befand sie sich nahe der Hölle? Sie wusste, dass es Jenseitsmächte gab, dass ein Teufel existierte, der Asmodis genannt wurde, und dass er der Herrscher der Hölle sein sollte. Dann war sie also in seiner Nähe? Dieser Glauben trieb wieder die Angst in ihr hoch und beschleunigte ihren Herzschlag. Plötzlich sah sie eine Gestalt. Sofort blieb Glenda stehen. Ihre Lippen öffneten sich dabei. Ein Schrei drang jedoch nicht aus ihrem Mund, er blieb auf halbem Wege stecken. Die Gestalt konnte Glenda nicht identifizieren. Sie wurde vom Nebel umwallt, und Glenda erkannte nur, dass sie ein menschliches Aussehen hatte. Mehr nicht ... Unheimlich sah sie aus. Glenda kam der Vergleich eines Wächters vor der Höllenpforte in den Sinn. Unwillkürlich schüttelte sie sich und begann zu zittern. Zudem traf die Gestalt keine Anstalten, sich ihr zu nähern. Sie blieb einfach stehen, und auch Glenda traute sich nicht, weiter vorzugehen. So verging die Zeit. Für Glenda waren es Sekunden, in denen ihre Angst noch stärker wurde. Sie spürte einen pelzigen Geschmack im Mund, und es bereitete ihr Mühe, die ersten Worte zu formulieren. »Wer wer sind Sie?« Keine Antwort. Glenda hob den Arm und presste die Handfläche dorthin, wo unter der Brust das Herz schlug. »Sagen Sie doch was!« Die Gestalt sagte nichts. Nur der graugrüne Nebel bewegte sich. In Wolken wallte er um den Unheimlichen herum, der sich nicht rührte und wie eine Figur aus Stein dastand. Schließlich hielt es Glenda nicht mehr länger aus. Sie wollte end licht Gewissheit haben, auch wenn ihre Angst noch so groß war. Sie musste wissen, woran sie war. Zögernd ging sie vor. Schritt für Schritt näherte sie sich der stummen Gestalt. Und als sie näher kam und den Nebel besser durch schauen konnte, da erkannte sie den anderen auch. Es war ihr Retter! Rick Hunter hatte er sich genannt, aber sicherlich hieß er anders, denn er war ein Dämon. Menschen hatten keine Tentakelarme. Vor ihr stand ein Dämon. Glenda blieb stehen, als sie nur noch ein Schritt von dem anderen trennte. Sie schaute zu ihm hoch, sah in sein menschliches Gesicht, und auch sonst wirkte er wie ein Mensch. Selbst seine Arme waren völlig normal. Sie hingen zu beiden Seiten des Körpers herab. Glenda fasste sich ein Herz und stellte die erste Frage. »Wer wer sind Sie?« »Dein Retter!« Sie schüttelte den Kopf. »Nein, du bist nicht mein Retter. Du hast mich entführt, aber mein Retter bist du nicht. Was soll das alles? Ich will eine Antwort!« »Die kannst du bekommen.« »Dann gib sie mir! « schrie Glenda. »Nein, von mir nicht«, erwiderte Hunter. »Ein anderer wird sie dir geben.« »Wer?« »Las dich Überraschen.« Überraschen, dachte Glenda. Meine Güte, der sprach, als wären sie irgendwo in einem Lokal und befänden sich nicht in einer Welt voller Grauen und Abscheu.
»Komm mit.« Glenda zuckte zusammen, als die Stimme ihre Gedanken unterbrach. »Und wohin?« »Das wirst du sehen.« »Was ist, wenn ich mich weigere?« Glenda wusste selbst nicht, woher sie den Mut zu dieser Frage nahm. Der Mann schaute sie nur an. »Dann wirst du die große Hölle erleben.« Mehr sagte er nicht, aber seine Worte klangen so, dass Glenda jedes glaubte. Sie senkte den Kopf. Rick Hunter bemerkte ihre Reaktion und nickte zufrieden. Er drehte sich um, dabei streckte er seine Hand aus. »Ich führe dich.« »Nein!« Glenda dachte an den Tentakelarm. Mit ihm wollte sie nicht noch einmal in Berührung kommen. Sie ekelte sich vor dieser schleimigen Masse. »Wie du willst.« Der Dämon ließ Glenda vorgehen. »Geh nur immer geradeaus, aber weiche nicht vom Weg ab, hörst du? Weiche nie ab, sonst wird es schlimm.« »Was kann denn noch schlimmer werden?« flüsterte Glenda. Hunter lachte. »Du wirst dich wundern, Kleine. Sogar sehr wundern, das kannst du mir glauben.« Der Boden unter ihr bestand aus rauem, aber weichem Stein. Kanten, Buckel und auch Spalten, aus denen der Nebel quoll, bildeten gefährliche Stolperfallen. »Geh weiter!« Hunter sagte dies beschwörend, und das merkte Glenda auch. Es musste dafür einen Grund geben. Sie wurde wirklich vorsichtig und schaute auf ihre Stiefelspitzen. Manchmal hatte sie das Gefühlt, als würde sie auf einem schmalen Grat balancieren, obwohl sie nichts sehen konnte, denn der Nebel um sie herum war äußerst dicht. Nach ein paar Schritten hörte sie die Geräusche. Es waren schlimme Laute, die rechts und links von ihr aus der Tiefe drangen. Heulen, Jaulen, Klagen und Schreien. So schrecklich und grauenvoll, dass Glenda stehenblieb, ihre Hände hob und sich die Ohren zuhielt. »Weiter!« drängte Hunter. Glenda schüttelte den Kopf. »Nein«, keuchte sie, »ich kann nicht mehr weitergehen. Ich habe nicht mehr die Kraft. Das ist alles so schrecklich, so grauenhaft. Ich bringe es nicht fertig. Wirklich nicht.« »Du musst!« Glenda zuckte zusammen, als sie nach dieser Antwort die Berührung in ihrem Rücken spürte. Ein Stromstoß schien durch ihren Körper zu fließen, sie schüttelte sich und versuchte, den Tentakelarmen auszuweichen. Dabei ging sie einen zu schnellen Schritt nach vorn, und schon war es passiert. Nach links rutschte sie ab. Tatsächlich wanderte sie nur auf einem sehr schmalen Grat dahin. Und da war nichts, an dem sie sich festhalten konnte. Sie fiel nach links und sah noch während des Falls, wie sich eine Nebelspirale gebildet hatte und einen Trichter schuf, in den sie hineinschauen konnte. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte Glenda Perkins einen freien Blick. Sämtliche Schrecken und Bilder der Hölle taten sich vor ihr auf. Was sie früher nur von Alpträumen her kannte, das wurde nun Wirklichkeit. Glenda sah schreckliche Gestalten. Monster mit zwei oder mehr Köpfen, Wesen, die eine Mischung zwischen Tier und Mensch dar stellten.
Kraken mit Menschenköpfen an ihren Fangarmen, riesige Ratten, die an Knochen nagten, gefährliche Wesen mit Fischköpfen und messerscharfen Gebissen. Große Fledermäuse, Werwölfe mit blutbefleckten Schnauzen und schleimige Ghouls auf der Suche nach Aas. All diese Wesen hielten sich in dem Kessel auf, in dem es brodelte und gärte, wo der reine Schrecken zu Hause war und Alpträume zu einer Tatsache wurden. Sie alle warteten, wollten Opfer. Menschen, wenn möglich. Und Glenda würde ihnen in die Klauen fallen, Sie schrie. Schon schossen zwei mit Menschenköpfen versehene Krakenarme in die Höhe. Glenda sah zwei Mäuler in den Köpfen, die sich öffneten und Vampirzähne zeigten, um beißen zu können, damit der Weg für das Blut frei war. Mit den Armen ruderte Glenda. Doch sie griff nur in den wallenden Nebel. Halt fand sie nicht. Den gab ihr Rick Hunter! Bevor Glenda endgültig in den Schlund fallen konnte und ein Opfer der grässlichen Gestalten wurde, griff er zu. Allerdings nicht mit seinem normalen Arm, sondern mit dem langen Fangarm eines Kraken. Der wickelte sich von unten her gedankenschnell um Glendas Körper, so dass er die Fallende festhalten konnte. Kraft genug besaß er. Bevor der Menschenkopf zubeißen konnte, wurde Glenda wieder in die Höhe gehievt und auf den relativ sicheren schmalen Steg gestellt. Jetzt weinte sie. Die Angst musste sich freie Bahn verschaffen. Zudem zitterte sie am ganzen Körper. Hätte Hunter sie nicht weiterhin festgehalten, wäre sie sicherlich gestürzt. »Ich habe dir doch gesagt, dass du vorsichtig sein sollst!« zischte er. Glenda erwiderte nichts. Sie war nicht in der Lage, auch nur ein Wort hervorzubringen. Sie blieb in den Armen des Dämons und schnappte keuchend nach Luft. Hunter ließ sie. Er schaute Über Glendas Kopf hinweg, und ein teuflisches Lächeln umspielte seine Lippen. Aus reinem Mitgefühlt hatte er Glenda nicht gerettet, nein, wenn sie irgendwelche Zicken machte, würde sie den Monstern vorgeworfen werden. Aber zuvor wollte noch jemand anderer sie sehen. Und den Auftrag musste Hunter erfüllen, denn sein Herr, der Spuk, hatte es angeordnet. Glenda musste weitergehen. Die Geräusche aus der Tiefe begleiteten sie. Mit der Zeit gewöhnte sie sich daran, und ebenfalls an den Tentakelarm, der sich um ihre Hüfte geschlungen hatte und sie nicht mehr losließ. Hunter wollte nicht, dass Glenda noch einmal das gleiche passierte wie vorhin. Manchmal klatschte etwas neben ihr auf den Rand. Dann schälte sich ein Schatten aus dem Nebel hervor und wurde, wenn er näher kam, zu einem grauenvollen Monster. Doch niemand griff sie an. Hunter schien in dieser Welt eine Respektsperson zu sein, denn vor ihm hatten alle Angst. Das ZeitgefÜhl hatte Glenda verloren. Sie befand sich in einem regelrechten Trott, hielt den Blick gesenkt und schaute weder nach rechts noch links. Sie merkte kaum, dass der Tentakelarm verschwand und sie wieder frei gehen konnte. »So, die Gefahr ist gebannt«, erklärte Hunter. Seine Stimme klang plötzlich seltsam.
So laut und irgendwie hallend, trotz der wabernden Nebelschwaden. Glenda schien es, als befänden sie sich in einer gewaltigen Höhle, deren Ausmaße kaum zu schätzen waren. So sehr sie sich auch bemühte, sehen oder erkennen konnte sie kaum etwas. Auch war der Boden nicht mehr so rau und uneben. Genau das Gegenteil war eingetreten. Eine glatte Fläche befand sich unter Glendas Füßeln. Wie aus Marmor geschaffen, und wenn der Nebel mal ein wenig Sicht zuließ, dann kam es Glenda vor, als könnte sie sich in dem Untergrund spiegeln. »Wir sind da!« sagte Hunter. »Wo?« Glendas Stimme zitterte. Da lachte der Mann. »Am Ziel, kleine Glenda. In seinem Reich. Im Reich des Spuks!« Jetzt war es heraus. Natürlich wusste Glenda, was es mit dem Spuk auf sich hatte. Er war schließlich der Herr Über die geknechteten Dämonenseelen. Er war ihr Meister, er war ihr Aufpasser, er sorgte dafür, dass die Bestrafung bis in alle Ewigkeit fortgeführt wurde. Ein Meister des Grauens, ein Wesen, das sicherlich so mächtig war wie Asmodis. Und der Nebel verschwand. Er trat zurück und bildete eine regelrechte Insel, auf die Glenda zuschritt. Seltsamerweise konnte sie alles sehen, obwohl keine Lichtquelle zu erkennen war. Von irgendwoher strömte das Licht, und es beleuchtete eine Gestalt, die auf einem Stuhl vor einem Tisch saß. Ein Mensch? Er sah so aus. Das Gesicht unter den grauen, strähnigen Haaren war verwüstet. Es wirkte wie eine zerfurchte Kraterlandschaft. Kalt und grausam blickten die Augen, und in der rechten Hand hielt der Mann einen Holzhammer. Trotz der Gefahr, in der sich Glenda, befand, begann sie nachzudenken. Diese Gestalt hatte sie zwar noch nie persönlich gesehen, aber sie wusste, wer vor ihr saß. Und sie erhielt gleich darauf von Hunter die Bestätigung. »Er wollte dich sehen, Glenda. Ich habe dich zu ihm gebracht, in dieses Refugium des Schreckens. Nun bist du da, und alles läuft genau nach Plan. Weißt du, wer er ist?« Glenda nickte. »Wer denn?« »Maddox!« flüsterte die schreckensstarre Glenda Perkins. »Maddox, der Dämonenrichter ...«
Wir hatten wirklich alles versucht! Ich erlebte Sir James Powell in absoluter Hochform. Er ließ seine Beziehungen spielen, rief die Geheimdienstzentralen an, machte die NATO mobil und schaffte es, Satellitenaufnahmen zu bekommen. Überall in Europa liefen die Computer heiß, spuckten Informationen aus, verwerteten sie, verglichen und reichten neue Erkenntnisse auf elektronischem Wege weiter. Die Anlage bei Scotland Yard gehörte zu den modernsten, die esÜberhaupt gab. Sie war auch mit dem amerikanischen Zentralcomputer des FBI verbunden, aber auch dort wusste man nichts von einem Solo Morasso.
Man hatte den Namen zwar gespeichert, aber wo er und seine Mordliga sich aufhielten, war nicht herauszubekommen. Wir arbeiteten wirklich die Nacht durch, und im Morgengrauen waren wir alle geschafft. »Legen Sie sich für ein paar Stunden aufs Ohr«, ordnete Sir James an. Der Befehl galt nicht nur mir, sondern auch Suko. Unseren Protest wischte er einfach weg. In einem der Bereitschaftsräume fanden wir einen Schlafplatz, und mir fielen wirklich die Augen zu. Die Erschöpfung war zu groß. Ich schlief fest und auch traumlos. Als ich erwachte, war Suko schon verschwunden, und ich schaute auf meine Uhr. Wir hatten schon fast zehn Uhr. Der Vormittag war ziemlich weit fortgeschritten. Es gab Waschgelegenheiten, und als ich unter der Dusche stand, erschien Suko. Er brachte frische Kleidung, Zahnbürste und Rasierzeug. »Woher hast du das denn?« Übertönte ich das Prasseln der Dusche. »Shao hat alles zusammengestellt.« »Dann warst du schon zu Hause?« »Sicher.« »Das gibt's doch nicht.« »Frühstücke ist bereits unterwegs. Sir James hat es bestellt.« Mein Schreibtisch war gedeckt. Das heißt, dort stand ein Tablett. Der Kaffee duftete, die Hörnchen und die Brötchen waren noch frisch, aber irgendwie hatte ich keinen Appetit. Mir fehlte etwas. Und zwar Glenda Perkins. Sie gehörte ebenso dazu wie ich. Und wenn ich daran dachte, was unter Umständen mit ihr hätte passieren können, wurde mir ganz anders. Plötzlich wollte mir das Essen nicht mehr schmecken. Das Telefon schlug an. Da ich den Mund voll hatte, nahm Suko ab und meldete sich. »Für dich, John«, sagte er und reichte mir den Hörer rüber. »Wer ist es denn?« Er gab mir keine Antwort, hörte die Stimme jedoch zwei Sekunden später. Es war Logan Costello. »Nun, großer Geisterjäger? Haben Sie schon einen Erfolg zu verzeichnen?« Hätte dieser verfluchte Killerboß jetzt vor mir gestanden, bei Gott, ich hätte mich vergessen und ihm die Faust in sein feistes, grinsendes Gesicht geschlagen. So aber musste ich mich beherrschen, und man sah es nur meinem Gesicht an, welche Gefühlte in mir tobten. Suko machte eine beruhigende Handbewegung, die ich nickend zur Kenntnis nahm. Dann hörte ich wieder die Stimme. »Warum sagen Sie nichts, oder sind Sie erfolglos?« »Was wollen Sie?« Costello lachte. »Ihnen nur mitteilen, dass die Zeit schon zu einem großen Teil verstrichen ist. Viel Gluck, Geisterjäger.« Ich hörte noch sein dreckiges Lachen, als sich der Hörer bereits auf dem Weg zur Gabel befand. Vor Wut knirschte ich mit den Zähnen, und das Blut schoss mir in den Kopf. Ich stand wirklich vor der Explosion. »Reg dich ab, John«, warnte Suko. »Wir müssen wirklich einen klaren Kopf behalten.« »Ja, ja, zum Teufel!« Ich schloss die Hände zur Faust und öffnete sie wieder. Diese Aufgabe, die man mir zwangsläufig gestellt hatte, ging einfach Über meine Kräfte. Es war verdammt schwer für mich, dies einzugestehen. Da hatten wir die modernsten Hilfsmittel der Technik, und was kam dabei heraus? Nichts! Nur Luft. Aber keine Spur von Solo Morasso oder
den Mitgliedern seiner Mordliga. Ich schaute auf und bemerkte, dass Suko sein Tablett geleert hatte. »Deine Nerven möchte ich haben.« Suko schüttelte den Kopf. »Das hat mit Nerven nichts zu tun. Wer weiß, wann ich die nächste Malzeit bekomme.« Damit hatte er auch recht. Ich aß ebenfalls, wurde jedoch unterbrochen, da Sir James unser Bürobetrat. Auch sein Gesicht sah etwas grau aus, ein Zeichen, dass er nicht geschlafen hatte. Er schwenkte einen Streifen aus dem Fernschreiber, und sofort durchflutete mich Hoffnung. »Haben Sie etwas gefunden, Sir?« »Nein, leider nicht. Es ist nur die Antwort von Kommissar Mallmann. Auch im deutschsprachigen Raum rührt sich nichts.« »Dann steckt er woanders!« rief ich und schlug mit der flachen Hand auf den Schreibtisch. »New York hat er verlassen, nachdem Xorron erweckt wurde. Wo kann er sich nur verkrochen haben?« Ich stand auf und durchwanderte das Zimmer. Sir James und Suko schauten mir zu. Der Superintendent rückte seine Brille mit den dicken Gläsern zurecht. Auch er wusste nicht, wie es weitergehen sollte. Wir standen praktisch vor einem Abgrund, den wir nicht Überspringen konnten. Wo steckte Dr. Tod? Das war die Frage, die uns alle quälte. Ob es Glenda Perkins allerdings etwas nutzte, das wusste ich auch nicht. Dämonen hielten ihr Wort nie. Das Telefon meldete sich. Wieder war Suko näher am Apparat und hörte zu. »Ja«, sagte er, »schicken Sie die beiden hoch.« »Wer ist es denn?« fragte Sir James. »Kara und Myxin.« � »Ach so.« Sir James stand den beiden ein wenig skeptisch gegenüber, akzeptierte sie jedoch. Als Kara und Myxin mein Bürobetraten, saß ich wieder hinter dem Schreibtisch. Sie grüßten. Ich bot Stühle an, und die beiden nahmen Platz. Als Kara sich hinsetzte, schwang ihr langes Kleid zur Seite, und ich konnte den Griff des goldenen Schwerts erkennen. Die beiden wussten Bescheid, um was es ging. Sie waren meine große Hoffnung. »Habt ihr etwas erfahren?« Mein Blick glitt von Kara zu Myxin und wieder zurück. Der kleine Magier antwortete. »Wir haben etwas erfahren. In den Jenseitsreichen herrscht Unruhe, das kann man deutlich spüren. Wir nehmen die magischen Schwingungen wahr, die auch unsere Dimension erreichen. Alles sieht danach aus, als würde es bald eine Entscheidung geben.« »Zwischen wem?« »Asmodina und Dr. Tod.« »Und dabei soll ich ihnen helfen.« Ich schüttelte den Kopf. »Mein Gott, ich verstehe nicht, dass Asmodina es nicht schafft, herauszufinden, wo sich ihre Gegner aufhalten.« »Sie schirmen sich ab.« »Und womit?« Da lächelte Myxin. »Du wirst es kaum glauben, John, aber durch den Todesnebel.« »Was?« »Ja, dieser Nebel ist etwas Besonderes. Er sorgt nicht nur dafür, dass Menschen zu Skeletten werden, wenn sie mit ihm in Berührung kommen, sondern er kann auch einen magischen Abwehrschirm bilden, der selbst von Asmodina nicht durchdrungen werden kann.« Ich schüttelte den Kopf.
»Das verstehe, wer will«, erwiderte ich. »Mir kommt alles ziemlich spanisch vor.« »Hat Dr. Tod denn schon so eine große Macht erlangt?« wollte Suko wissen. »Alles deutet darauf hin.« »Und was können wir tun?« Diese Frage stellte Sir James an die beiden. Eine Antwort erhielt auch er nicht. Myxin und Kara hoben nur die Schultern. Eine Schweigepause entstand. Ich hatte einen Bleistift genommen und spielte mit ihm. Mit der Spitze tickte ich auf ein Blatt Papier und murmelte dabei: »Vielleicht machen wir alles falsch.« »Wieso?« Sir James sprang darauf an. »Wir konzentrieren uns nur immer auf Dr. Tod und seine Helfershelfer. Dabei gibt es ja noch andere Dämonen. Mächtige Dämonen, die sicherlich auch mit dem Fall zu tun haben.« »Das wäre?« »Der Spuk und seine Vasallen.« Ich schaute Kara und Myxin an. »Wir müssten doch einen von ihnen in die Hände bekommen können. Vielleicht zeigt er uns den Weg zu unserem Ziel.« »Die wissen ja auch nichts«, hielt mir Kara entgegen. »Unter Umständen aber ist ihnen bekannt, wo Glenda Perkins gefangen gehalten wird.« »Ja, das ist gar nicht schlecht.« Suko stand mir bei. »Könnt ihr nicht wenigstens versuchen, einen Weg zu finden?« erkundigte ich mich. Myxin und Kara Überlegten. Sicherlich checkten sie jetzt einige Möglichkeiten durch, und wir ließen sie in Ruhe. Selbst Sir James sagte nichts. »Man müsste sie locken«, sagte Kara schließlich. Kara schaute mich an. Ich sah den Ernst in ihren dunklen Augen und ahnte, dass ihre Gedanken auf fruchtbaren Boden gefallen waren. »Du besitzt etwas, John Sinclair, das sich unter Umständen als sehr wertvoll erweisen könnte.« »Und was?« »Den silbernen Nagel!« Ihre Worte tropften in die Stille. Ich schaute Suko an, der mich und Sir James ebenfalls anblickte. »Ja, den silbernen Nagel habe ich.« »Damit hast du Dr. Tod einmal erledigt oder nicht?« fragte mich die Schöne aus dem Totenreich. Ich nickte. Und ich dachte daran, als ich gegen Dr. Tod oben auf dem Turm kämpfte. Er hatte Nadine Berger in die Tiefe stürzen wollen. Ich verhinderte es, dafür stürzte er nach unten, und ich hatte ihm dort den silbernen Nagel in die Hand gegeben, damit er sich selbst damit töten konnte. So starb sein Körper. Den Nagel aber hatte ich an mich genommen und bewahrte ihn zusammen mit dem Kelch des Feuers auf. »Wie kann er uns helfen?« wollte ich wissen. »Wir müssen zusehen, dass irgend jemand von diesem Nagel erfährt. Und zwar jemand, der voll auf Asmodinas Seite steht und ihr von dieser Waffe berichtet. Du müsstest unter Umständen bereit sein, dich von dem Nagel zu trennen und ihn der Teufelstochter Überlassen. Vielleicht im Tausch gegen Glenda Perkins.« Ja, die Idee war nicht schlecht, doch ich winkte schnell wieder ab. »Was nützt das, Freunde? Es ist doch für Asmodina eine Kleinigkeit, mir den Nagel wegzunehmen.« »Das glaube ich nicht.« »Und wieso nicht?« Kara lächelte. »Wenn du ihn durch dein Kreuz schützt, wird sich
Asmodina hüten, ihm zu nahe zu kommen. Sie ist die Tochter des Teufels. Und der Teufel hat vor dem Kreuz Angst. Also wird sich auch Asmodina davor fürchten.« Eine einleuchtende Logik. Ich schaute zu Sir James. Der Superintendent schien Über diesen Vorschlag nicht glücklich zu sein. Er tat auch gleich seine Meinung kund. »Für mich hört sich das alles zu kompliziert an.« »Das ist es auch«, gab ich ihm recht. »Aber eine bessere Lösung ist uns nicht eingefallen.« »Dann versuchen Sie es.« Ich stand auf. »Den Nagel besorge ich, keine Bange. Und wenn es sein muss, mitten aus der Hölle.« ……
»Sehr richtig, Glenda Perkins, ich bin Maddox, der Dämonenrichter. Und habe mich schon auf dich gefreut.« Er rieb seine Hände, so dass es sich anhörte, als würde Papiere gegeneinander schaben. »Endlich bist du bei mir.« »Und was wollen Sie?« Maddox lachte. »Was tut ein Richter schon? Er sitzt Über jemanden Gericht.« »Und das bin ich?« »Genau.« »Aber aber ...« Glenda schluckte. »Ich habe doch gar nichts getan. Ich bin unschuldig. Ich ...« »Was?« brüllte Maddox und sprang auf. »Unschuldig? Dass ich nicht lache!« Seine Stimme hallte durch den dämonischen Tempel und schuf ein schauriges Echo. »Du bist nicht unschuldig, du nicht, denn du gehörst zu ihm, zu Sinclair, dem Geisterjäger!« Er schüttelte sich, als hätte jemand eine stinkende Flüssigkeit Über ihn geleert. »Du kannst mir nichts weismachen. Sinclair ist unser Feind, und wer zu ihm hält, gehört ebenfalls dazu!« Maddox nahm wieder Platz. Vor seinen Lippen sprühte Speichel, die Augen glitzerten kalt wie Eiskristalle, und Glenda las darin ihr Todesurteil. Ja, dieser Mann würde sie töten! In all der Aufregung hatte sie nicht bemerkt, dass zwei Gestalten aufgetaucht waren. Erst als sie einen scharfen, beißenden Geruch wahrnahm, da blickte sie hoch. Die Diener des Spuks standen neben ihr. Echsenwesen mit großen Köpfen, grüner schuppiger Haut und spitzen Zähnen in den gewaltigen Mäulern. Sie hielten Lanzen in den Klauen, und einer trug sogar einen alten Holzstuhl. »Setz dich hin!« befahl der Dämonenrichter. Glenda schaute auf Maddox, sah dann den Stuhl an und holte tief Luft. Dabei schüttelte sie den Kopf. »Nein, bitte, ich ...« Der Schlag traf ihren Rücken. Völlig unvorbereitet, so dass sie sich nicht mehr abstützen konnte und nach vorn fiel, genau auf den Stuhl zu. Sie wollte sich an der Lehne festhalten und stürzte mit dem Sitzmöbel zu Boden. Dort blieb sie liegen. Hart war sie aufgeschlagen und hatte sich an den Ellbogen die Haut aufgerissen. Das Blut tropfte zu Boden. Es breitete sich auf dem glatten Marmor aus. »Hoch mit dir!« Maddox' Stimme klang gnadenlos. Als Glenda nicht sofort gehorchte, griffen die Echsenmenschen zu.
Sie rissen die junge Frau in die Höhe, hoben auch den Stuhl auf und zwangen Glenda auf die Sitzfläche. Plötzlich erschien auch ihr Retter. Er tauchte aus einer Nebelwolke auf, und nur an der Kleidung sowie an den Haaren war zu erkennen, dass es sich dabei um Rick Hunter handelte. An sonnten hatte er sich verändert. Wo sich sonst sein Gesicht befand, schimmerte eine silbrige Fläche, die von roten Streifen durchlaufen wurde. Die Streifen zogen sich von oben nach unten, sie bildeten ein regelrechtes Gittermuster, und seine Arme bestanden wieder aus langen Tentakeln. »Wer wer sind Sie?« flüsterte Glenda erschreckt. Hunter blieb stehen. »Ich bin einer unter vielen, die in dieser Hölle leben, und dein persönlicher Aufpasser.« Wo sich sonst der Mund befand, drang ein Lacher hervor. Dann sah Glenda die Stricke, die an seinem Gürtel hingen. Jetzt war ihr alles klar. Sie sollte gefesselt werden. »Nicht, bitte«, flüsterte sie, doch Rick Hunter kümmerte sich nicht darum. Er löste die Stricke vom Gürtel, war blitzschnell bei Glenda, und innerhalb von Sekunden hatte er mit den Fesseln ihre Arme so an den Stuhl gebunden, dass sie sich nicht mehr rühren konnte. »Jetzt ist alles klar«, sagte er. Der Dämonenrichter hatte mit angesehen, wie Glenda gebunden wurde. Dies geschah genau in seinem Sinne. Der Stuhl wurde noch herumgedrückt, so dass Glenda in Maddox' verunstaltetes Gesicht schauen musste, wenn sie die Augen öffnete. Der Richter rührte sich nicht. Er saß auf seinem Stuhl, fixierte Glenda aus bösen Augen. Auch Hunter bewegte sich nicht. Nur die Streifen in seinem Gesicht zuckten. Alles wies darauf hin, als würden sie auf irgendein Ereignis warten, und selbst bei Glenda wurde die Angst für einen Augenblick verdrängt, so dass die Spannung stieg. Was würde jetzt noch folgen? Sie sah ihn nicht, sie spürte ihn. Irgendwie veränderte sich die Umgebung. Die Luft schien auf einmal zu knistern, sie wurde aufgeladen mit Schwarzer Magie und einem beinahe körperlich greifbaren Grauen. Kalt rieselte es Glenda Über den Rücken. Gern hätte sie sich umgeschaut, doch die Fesseln hinderten sie daran. Und die Magie verstärkte sich, bis sie Glenda direkt erreicht hatte. Sie spürte sie hinter sich, und sie hatte das Gefühlt, ein eiserner Ring würde ihren Körper umschließen. Weit riss sie die Augen auf, plötzlich tat sie sich schwer, Luft zu holen, sie atmete keuchend und unkontrolliert und sah Maddox, den Dämonenrichter, wie durch einen Schleier. Dann war es vorbei. Alles war wieder normal, Glenda konnte tief durchatmen, obwohl sie sich in einer anderen Dimension befand. Nein, es war doch nicht alles normal Etwas hatte sich verändert. Jemand war eingetroffen. Der eigentliche Herrscher in diesem gewaltigen Reich, Der Spuk! Auch von ihm hatte Glenda gehört, allerdings hatte sie ihn nie gesehen, nun war er ihr zum ersten Mal unter die Augen getreten.
Er stand dort in seiner vollen Größe. Gewaltig wuchs er vor ihr in die Höhe, und das Grauen umgab ihn wie ein großer Mantel. Er hatte keine Gestalt, sondern bestand nur aus Schwärze, aber eine Schwärze, die sich bewegte, die kreiste, nie stillstand und von einer Seite zur anderen wallte. Glenda hatte nur noch Augen für den Spuk. Zudem konnte sie Überhaupt nicht an ihm vorbeisehen, denn er nahm ihr gesamtes Gesichtsfeld ein. Hoch und breit präsentierte sich der Herr im Reich der jammernden Seelen, und als gewaltiger Schatten war er einfach nicht zu fassen. Auch Maddox war aufgestanden. Er hatte den Spuk als seinen Chef anerkannt und dienerte vor ihm, denn zahlreiche Dämonenseelen wurden erst durch Maddox verurteilt, bevor sie in den Kreislauf der Hölle gerieten. »Das ist sie«, sagte der Dämonenrichter. Der Spuk hörte die Worte und lachte dumpf. »Meinst du, dass John Sinclair für sie alles tun wird?« »Ja.« »Dann kann Asmodinas Plan aufgehen«, sagte der Spuk. »Ich hoffe es sogar.« »Aber wir lassen sie nicht am Leben, oder?« fragte der Dämonenrichter. »Nein, bestimmt nicht. Sie wird all die Schrecken der Hölle durchleben müssen, das ist gewiss. Für sie gibt es keine Rettung, auch Sinclair kann es nicht schaffen, denn hier sind wir die Herren. Er strengt sich schon an, ist vielleicht sogar auf dem richtigen Weg, doch bevor er dieses Reich hier erreicht, muss er durch das Labyrinth der Angst, und da hilft ihm keiner.« Glenda hörte die Worte. Sie vernahm, wie mit einer eiskalten Selbstverständlichkeit von ihrem Tod gesprochen wurde, und abermals stieg die Furcht in ihr hoch. Gleichzeitig begriff sie auch, dass sie ein kleines, aber wichtiges Teil im Räderwerk eines gewaltigen Planspiels war, das sie allerdings nicht durchschauen konnte, denn für sie war nur wichtig, von hier zu fliehen. Aber wie hatte der Spuk gesagt? John Sinclair, der auch in das Spiel mit hineingezogen worden war, würde es nicht schaffen. Glenda glaubte es sogar. Nein, hier regierte der Wahnsinn, das konnte John nicht schaffen, und wenn es ihm tatsächlich gelang, hier einzudringen, dann waren die anderen stärker. Sie brauchte nur an all die Monster zu denken, die hier im Zentrum des Schreckens lauerten. »Hast du noch irgendwelche Bedingungen?« fragte Maddox, der Dämonenrichter, den Spuk. »Nein!« »Dann darf ich also anfangen?« »Ja«, erwiderte der Spuk mit dumpfer Stimme. »Die Verhandlung gegen Glenda Perkins kann beginnen ...«
Es war eine Stelle, wo die Magie in greifbarer Nähe zu liegen schien. Hier konzentrierte sie sich, und ich merkte, dass dunkle Kräfte wirkten. Dazu war der Ort ebenso ungemütlich wie ungewöhnlich. Wir befanden uns in einer offenen Gruft! Sie gehörte zu einer alten, verfallenen Kapelle, irgendwo, denn den genauen Ort wusste ich nicht. Myxin, Kara und ich waren durch einen zeitlosen Sprung bis hierher gelangt. Zuvor hatte ich mich mit Waffen eingedeckt. Ich trug nicht nur den silbernen Nagel bei mir, sondern auch das Kreuz, die Beretta, den Dolch und das Schwert, das einmal Destero gehört hatte, denn ich wurde das Gefühlt nicht los, dass wir uns auf eine weite Reise begeben würden. Auf eine Reise, von der ich unter Umständen nicht mehr zurückkehrte. Das wussten auch Suko und Sir James. Sie hatten mir Gluck gewünscht. Und Gluck, Freunde, konnte ich jetzt gebrauchen, falls unser Plan gelingen sollte. Jenseits der Kapelle lag eine alte Friedhofsmauer. Zum Teil war sie eingefallen, und das Eisentor hing schief in den Angeln. Es knarrte bei jedem Windzug. An das Geräusch hatte ich mich in zwischen gewöhnt, denn der Wind heulte und pfiff. Obwohl die Nacht noch nicht ihre langen Schatten Über das Land gelegt hatte, war es sehr dunkel geworden. Besonders in der alten Kapelle mit der offenen Gruft. Durch die verfallenen Mauem der Kapelle pfiff der Wind. Über eine zum Teil zerstörte Steintreppe erreichten wir die Gruft, in der drei zersplitterte Särge standen. Hier war es so düster, dass ich meine kleine Lampe eingeschaltet hatte, um etwas sehen zu können, Es war ein makabrer Ort. Diejenigen, die die Särge zerstört hatten, wollten mehr und hat ten dies nicht nur aus reiner Zerstörungswut getan. Sie brauchten die Gebeine der längst Verstorbenen. Reste lagen noch um die beiden Särge verstreut. Schädelknochen, Rippen, Arme und Beinschienen. Ich schaute Myxin an. »Was hat das zu bedeuten?« »Hier ist ein Ort des Bösen. Es gab eine Sekte, die den Teufel anbetete.« »In dieser Gruft?« »Nein, aber sie haben sich die Gebeine der Toten von hier geholt.« »Aus einer Kapelle?« »Ja, das war das Schlimme. Sie haben sie entweiht.« Ich schüttelte den Kopf. »Und woher weißt du und nicht ich davon?« Myxin lächelte. »Weil dies alles vor deiner Zeit geschah, Geisterjäger.« »Ach so.« Kara hatte sich gebückt. Ich sah, wie sie die Gebeine aufhob und zur Treppe ging. Hastig drehte ich mich um. »Was willst du damit?« »John, wir müssen zu ungewöhnlichen Maßnahmen greifen und eine Beschwörung durchführen. Wir wollen Asmodina, denn sie ist nicht bereit, sich freiwillig zu zeigen. Verstehst du das?« Okay, ich verstand es. Auch wenn mir das Ganze ein wenig abgeschmackt erschien. Aber die Magie geht oft seltsame Wege. Ich hatte mich nun entschlossen, den Weg zu beschreiten und würde ihn auch weitergehen. Auch ich nahm Knochen auf und trug sie nach oben. Es ist schon ein seltsames Gefühlt, Gebeine eines längst Verstorbenen in der Hand zu halten, mir wurde direkt komisch, doch ich riss mich zusammen und dachte nicht an das,
was ich die Stufen der Treppe hinauftrug. Oben warteten bereits Myxin und Kara. »Und jetzt?« fragte ich. »Komm mit«, sagte der kleine Magier. Ich folgte ihm. Kara schloss sich mir an. Ich kannte die beiden zwar schon lange, aber ein Rätsel waren sie noch immer für mich und würden es auch immer bleiben. Keine Menschenseele war zu sehen. Diese Kapelle oder ehemalige Kirche lag ziemlich einsam, trotzdem wurde ich das Gefühlt nicht los, schon einmal hier gewesen zu sein. Darüber grübelte ich nach, während wir die Gebeine aus der Gruft nach oben trugen. Es hatte zwar aufgehört zu schneien, dennoch pfiff der Wind. Unangenehm fuhr er in unsere Gesichter, was Kara und Myxin Überhaupt nichts auszumachen schien. Sie gingen ruhig und zielstrebig ihrer Aufgabe nach. Ich blieb stehen, als ich die Gruft verlassen hatte. »Gib mir die Gebeine«, sagte Myxin. Ich reichte sie ihm. »Wem gehören sie eigentlich?« »Einer Person, die vor langer Zeit geopfert wurde.« »War das ein Satansdiener?« »Nein, aber durch seine Gebeine sind wir in der Lage, ein Brücke herzustellen.« Ich schüttelte den Kopf. »Woher weißt du das alles, Myxin?« »Wir schlafen ja auch nicht, sondern forschen. Wir kennen uns allmählich wieder aus, und ich habe auch einen großen Teil meiner Kräfte schon zurückgewinnen. Vielleicht werde ich sie ganz haben, wenn Asmodina stirbt.« »Damit rechnest du?« »Immer, John Sinclair. Ich will sie tot sehen.« Das Gesicht des kleinen Magiers lief noch grüner an. Ein Zeichen, dass er innerlich aufgewühlt war. Er hasste Asmodina wie die Pest. Für ihn war sie der Gegner Überhaupt, denn die Teufelstochter hatte ihn schrecklich gedemütigt und fertiggemacht. Es war eine Wandlung mit ihm eingetreten, besonders dann, als er Kara kennenlernte. Die beiden hatten in Atlantis schon existiert und waren damals Feinde gewesen, weil sie auf verschiedenen Seiten standen. Myxin auf der des Bösen, Kara auf der des Lichts. Durch Myxins Verwandlung war es zu einer Allianz zwischen den beiden gekommen. Sie blieben zusammen und hatten sich. vorgenommen, ihre Gegner gemeinsam zu bekämpfen. Sie waren ein gutes Team und hatten den Mächten der Finsternis schon manche Niederlage bereitet. Deshalb verfolgte Asmodina Myxin mit glühendem Hass. Wenn sie sich nicht noch hätte auf andere Dinge konzentrieren müssen, wäre der kleine Magier sicherlich nicht mehr am Leben, doch so gelang es Myxin immer wieder, der großen Teufelstochter Knüppel zwischen die Beine zu werfen und ihre Aktivitäten zu stören. Wie jetzt. Wir standen inmitten der Kapelle. Einsam war die Gegend, aber der nächste Ort befand sich nicht allzu weit entfernt. Und wieder hatte ich das Gefühlt, hier schon einmal gewesen zu sein. Ich sprach Myxin darauf an. Der kleine Magier hob die Schultern. »Möglich, mein Lieber. Kann gut sein, aber da darfst du mich nicht fragen. Ich weiß nicht, wo du dich so herumgetrieben hast.« »Es muss schon lange her sein«, murmelte ich und schaute mich noch einmal um. »Damals stand die Kirche oder Kapelle noch.
Allerdings war sie, glaube ich, dem Bösen geweiht. Na ja, ist egal.« Ich würde noch darauf kommen. Myxin und Kara hatten ihre Vorbereitungen inzwischen zum Großteil beendet. Die Gebeine, die bleich und irgendwie grünlich schimmerten, waren kreisförmig auf den Boden gelegt worden. Und zwar so, dass sich die Knochen gegenseitig berührten. »Wem gehörten sie denn?« erkundigte ich mich noch einmal und schritt den Kreis ab. Myxin und Kara gaben mir keine Antwort. Sie hatten sich innerhalb des Kreises aufgestellt und verteilten ein kleines Pulver, das grünlich schimmerte. Dabei wunderte ich mich, dass es nicht vom Wind weggetrieben wurde, als sie es auf den Boden streuten. Irgendwie fühlte ich mich unwohl, denn mir passte dieses Statistendasein nicht. Ich Überließ nicht gern anderen die Arbeit. Und hier war dies der Fall. Myxin und Kara Übernahmen den Job, ich war Zuschauer. Dabei merkte ich auch, wie gut die beiden aufeinander eingespielt waren. Sie schufen genau in der Mitte des Knochenkreises einen weiteren kleinen Kreis aus dem grünlichen Pulver. Von ihm aus streuten sie Verbindungslinien zu dem Kreis aus Knochen, so dass es keine Stelle gab, die nicht irgendwie miteinander verbunden war. Erst als sie dies fertig gestellt hatten, blickten sie mich auffordernd an. »Was ist?« fragte ich. »Wir brauchen jetzt den Nagel.« Ich holte ihn hervor und ließ ihn für wenige Sekunden auf meiner Handfläche liegen. Gedanken durchzuckten meinen Kopf. Schwere Gedanken. Erinnerungen auch an Nadine Berger, denn sie hatte bei diesem Fall, wo ich den Nagel gebrauchen musste, ebenfalls eine sehr große Rolle gespielt. Und nun war sie tot ... Doch ihr Geist lebte weiter. Das wusste ich genau. In dem Körper einer Wölfin, deren Fell etwa die Farbe ihrer Haare hatte. »Den Nagel, John!« Karas Stimme unterbrach meinen Gedankenlauf in die Vergangenheit. »Natürlich, bitte.« Ich gab ihn ihr. Silbern glänzte er. Kara wog den Nagel in der Hand und betrachtete ihn. Auch bei ihr hatte ich das Gefühlt, als würden ihre Gedanken auf Wanderschaft gehen, sie sagte jedoch nichts, sondern bückte sich und legte den Nagel in den kleineren Kreis. Dann trat sie zurück. Myxin legte einen Arm auf ihre Schultern. »Fehlt noch etwas?« fragte er. Kara schaute erst den kleinen Magier und danach mich an. »Möglich«, sagte sie. »Und was?« »John, würdest du dich unter Umständen von deinem Kreuz trennen?« Oh! Mit dieser Bitte hatte ich wirklich nicht gerechnet und zeigte mich auch dementsprechend Überrascht. »Ich soll dir mein Kreuz geben, Kara?« »Ja, es wäre vielleicht gut.« »Aber warum?« Sie lächelte. »Das ist so. Wenn wir die Beschwörung durchführen und die Gegenseite den Nagel schutzlos innerhalb dieser magischen Kreise sieht, könnte sie ihn leicht an sich nehmen. Deshalb möchte ich ihn durch dein Kreuz schützen. Es ist eine besondere Bitte, ich weiß, doch im Zuge der Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen, sehe ich nur die eine.« Im Prinzip hatte Kara recht. Das musste ich zugeben, wenn ich ehrlich sein sollte.
Allerdings trennte ich mich nur ungern von meinem Kreuz, denn es war die wertvollste Abwehr und Schutzwaffe, die mir zur Verfügung stand. Ich runzelte die Stirn. Kara bemerkte dies. »Wenn du es nicht möchtest, John, dann können wir es auch lassen.« »Nein, nein, das ist schon in Ordnung. Wir stehen das durch.« »Gut. Ich danke dir.« Langsam hob ich beide Arme, brachte sie in Höhe des Halses und ertastete mit den Fingerspitzen die Silberkette, an der das Kreuz hing. Dann streifte ich sie Über den Kopf und nicht nur sie, sondern auch mein Kreuz. »Bitte.« Kara nahm es dankend entgegen. Sie wusste, wie schwer mir dieser Entschluss gefallen war, und würdigte ihn dementsprechend. Sie war innerhalb des großen Kreises stehengeblieben, allerdings so, dass ihre Fuße nie mit dem Pulver in Kontakt gekommen waren. Jetzt bückte sie sich und legte das Kreuz genau neben den Nagel, wobei es nicht ausblieb, dass die beiden sich berührten. Es erfolgte keine Reaktion, weil die Kräfte nicht negativ eingestellt waren, sondern zu den Guten gehörten. Friedlich lagen sie nebeneinander. »Kann ich euch bei der Beschwörung irgendwie behilflich sein?« erkundigte ich mich. Myxin antwortete. »Nein, John, dieses Ritual ist nur Kara bekannt. Ein Erbe aus Atlantis. Ihr Vater hat es sie gelehrt, und wir hoffen, dass es auch noch heute Gültigkeit hat. Drücken wir ihr die Daumen, John.« »Ja.« Kara hatte den Kreis verlassen. Ihr rechter Arm bewegte sich, und mit einem glatten Zug holte sie das Schwert mit der goldenen Klinge aus der Scheide. Auch um diese Waffe gab es ein Geheimnis. Mit ihr konnte man nicht nur kämpfen, in ihr wohnten auch magische Fähigkeiten. Sie war praktisch ein Teil von Kara. Das Schwert, wenn es aktiviert wurde, konnte Kara fast ebensoviel sagen wie ein aufgeschlagenes Buch. Eine wirklich seltsame und außergewöhnliche Waffe, wie ich zugeben musste. Kara fiel auf die Knie. Diese Haltung kannte ich. Sie kantete das Schwert dabei so, dass sich seine Spitze ebenfalls innerhalb des kleinen Kreises befand, und umklammerte den Griff mit beiden Händen. Hart hielt sie ihn fest. So hart, dass die Knöchel ihrer schmalen Hände spitz hervortraten. Es wurde still. Niemand von uns sprach auch nur ein Wort. Wir waren alle gespannt, ob Kara die Beschwörung gelingen würde. Fest drückten wir ihr die Daumen. Sie musste es schaffen, sie musste ... Ich dachte an Glenda und daran, dass sie irgendwo gefangen gehalten wurde. In einer anderen Welt vielleicht, in einer anderen, schrecklichen Dimension. Alleingelassen, seelisch und körperlich am Ende. Ja, so konnte es sein. Um uns wehte der Wind. In der Nähe lagen schmutzige Schneereste auf dem Boden. Wenn es noch wärmer wurde, dann würden sie bald weggetaut sein. Kara senkte den Kopf. Ihr schwarzes Haar fiel nach vorn und bedeckte das schmale Gesicht mit den hochstehenden Wangenknochen wie ein langer Vorhang. Myxins und meine Blicke trafen sich. Auf dem Gesicht des kleinen Magiers las ich die Spannung. Ihm erging es wie mir.
Er drückte uns die Daumen, dass wir die große und die letzte Chance nutzen konnten. Wir mussten es schaffen. Wenn Kara versagte, sah ich für Glenda Perkins keine Hoffnung mehr, soviel stand fest. Vor Aufregung fuhr meine Zunge Über die Lippen. Sekunden verstrichen. Niemand sprach. Dann aber redete Kara. Ich sah nicht, wie sie den Mund öffnete. Nur als ich die ersten Worte vernahm, wusste ich, dass sie mit der Beschwörung begonnen hatte. Ob sie Erfolg hatte, würde sich zeigen. Wir nahmen wirklich unsere allerletzte Chance wahr! Glenda Perkins glaubte, Mittelpunkt eines Alptraums zu sein. Aber es war kein Traum, sondern Wirklichkeit. Eine Realität, die so unglaublich war, dass ihr die Wahrheit wohl niemand glauben würde, wenn sie das erzählte. Einfach irre. Da saß sie als Angeklagte gefesselt auf einem Stuhl. Und sie schaute auf ihren Richter, der eine Verhandlung durchführen wollte. Eine dämonische Farce, die jedoch mit ihrem Tod enden konnte und würde. Man hatte sie gefangen, und sie wusste noch immer nicht den Grund. Nur weil sie mit John Sinclair zusammenarbeitete? Wobei sie nicht einmal aktiv in das Geschehen mit eingegriffen hatte. Sie war nur eine Randfigur, war wohl hin und wieder durch unglückliche Umstände mit in einen Fall hineingeraten, aber selbst und mit persönlichem Einsatz hatte sie die Dämonen nie bekämpft. Das Überließ sie anderen. Und jetzt sollte sie für diese büßen. Der Spuk hatte die Worte gesprochen. Er war der Herr in dieser Dimension, und auch ein Wesen wie Maddox nahm von ihm Befehle an. Der dämonische Richter sollte Glenda Perkins verurteilen. Er würde ihr das Urteil vorlesen, und sie konnte sich denken, wie es ausfiel. Dreimal schlug Maddox mit seinem Holzhammer auf den Tisch. Glenda zuckte bei jedem Schlag zusammen. Und sie zuckte auch zusammen, als sie die Stimme des Richters hörte, der sich mit einer Frage an sie wandte. »Bist du bereit?« »Nein!« schrie sie, warf sich dabei nach vorn und bäumte sich in ihren Fesseln auf. Augenblicklich griffen die beiden ehemaligen Schatten ein, die jetzt als Echsenmenschen links und rechts neben Glendas Stuhl standen und die Angeklagte bewachten, Mit ihren Krallenhänden packten sie zu. Glenda spürte sie auf ihrer Schulter und wurde wieder nach hinten gerissen, so dass sie in ihrer Anfangsposition sitzen blieb. »Ich wiederhole«, sagte Maddox. »Bist du bereit?« »Nein!« schrie Glenda. »Nein und abermals nein! Ich habe nichts getan. Ich bin mir keiner Schuld bewusst. Ich weiß nicht, warum ich hier sitze.« »Es geht um Sinclair!« »Dann holt ihn euch doch!« Glenda schluckte. »Verdammt, holt ihn. Dazu seid ihr zu feige. Er würde euch ...« »Sei ruhig!« Glenda schwieg erschrocken, denn die Stimme des Dämonenrichters hatte sehr hart geklungen. »Wir bekommen Sinclair auch«, sagte er, »darauf kannst du dich verlassen.
Er wird sogar freiwillig herkommen oder versuchen, dich einzutauschen.« »Einzutauschen? Wogegen?« »Gegen eine Information.« »Welche?« Da lachte Maddox. Er ließ den Blick aus seinen kalten Augen Über Glenda schweifen und nickte, so dass seine grauen, strähnigen Haare zitterten. »Sinclair weiß bereits Bescheid, was mit dir geschehen ist, Glenda Perkins. Und er weiß ferner, dass es für ihn nur eine Möglichkeit gibt, dich freizukaufen. Er muss uns eine Information liefern.« »Welche?« »Wir wollen wissen, wo sich Dr. Tod aufhält.« Glenda öffnete den Mund und bekam ihn nicht mehr zu. Ihre Gedanken jagten sich. Sie wusste von der Suche nach Dr. Tod und der Mordliga und dass bisher nichts gefunden worden war. Nein, das konnte und würde John nicht schaffen. »Das das kann er nicht.« Maddox grinste breit. »Sein Problem und dein Pech!« Glenda schüttelte den Kopf. Jetzt erst durchschaute sie das Teuflische dieser Methode. Da hatten sich die Schwarzblütern einen immens gefährlichen Plan einfallen lassen. Gefährlich für Glenda und John Sinclair. »Warum wollt ihr Dr. Tods Versteck wissen?« fragte sie nach einer Weile, als sich ihre Gedanken wieder einigermaßen beruhigt hatten. »Er gehört doch zu euch, oder nicht?« »Schon, aber wir möchten ihn gern kontrollieren. Dazu müssen, wir herausfinden, wo er sich aufhält. In der letzten Zeit ist es umihn herum ruhig geworden. Vielleicht brütet er einen Plan aus, der uns nicht gefällt. Wir wollen nicht, dass einer einfach seinen eigenen Weg geht. Wenn, dann gehen wir den Weg zusammen. Hast du das begriffen, Glenda Perkins?« »Ja, das habe ich.« Glenda atmete noch einmal tief durch und stellte nun die für sie wichtigste Frage. »Und was ist, wenn John Sinclair es tatsächlich schafft?« Da lächelte der Dämonenhenker. »Das wäre für uns sehr gut.« »Für mich nicht?« Maddox schaute Glenda aus kalten Augen an.»Du bist nur ein Steinchen in dem kleinen Spiel«, erwiderte er nach einer Weile, als die Spannung bei Glenda fast unerträglich geworden war. »Allerdings ein wichtiges Steinchen, doch das kümmert uns nicht. Sobald wir unser Ziel erreicht haben, bist du wertlos für uns geworden.« »Werdet ihr mich töten?« Maddox nickte. Selbst der Wind schien eingeschlafen zu sein, als sich Kara, die Schöne aus dem Totenreich, konzentrierte. Ich spürte ihn kaum noch, und die Natur hielt wirklich den Atem an. Wir befanden uns zwar auf der Mutter Erde, wie man so schön sagt, schienen aber in einem Vakuum zu stecken, denn um uns herum hatte sich die Magie ausgebreitet. Weiße Magie! Kara redete wie selbstvergessen. Ihr Körper war noch mehr zusammengesunken, wobei sie weiterhin mit ihren Händen den Schwertgriff umklammert hielt und ihn nicht losließ, während sie die magischen Worte einer uralten Sprache redete. Es waren singende Laute, die aus ihrem Mund drangen, nicht hart, sondern eher weich und fließend. Sie rief mächtige Kräfte an, die irgendwo in der Unendlichkeit der Dimensionen ihren Platz hatten und nun auf die Erde geholt werden
sollten. Geister, Kräfte des Lichts, die die Boten der Finsternis vertreiben sollten, die ebenfalls ihre Finger ausgestreckt hatten. Und die Worte sollten locken, bestimmte Dämonen mussten auf sie reagieren, sie sollten beschworen werden, und Karas Worte würden die Unendlichkeit der Dimensionen durchdringen. Weit hinein sollten sie vorstoßen. In ein Reich, das schaurig und schrecklich war in dem die anderen, die Bösen, zu Hause waren, sich dorthin zurückzogen, um irgendwann wie Pfeile vorzuschnellen, und den Menschen Tod und Verderben brachten. Aber man konnte sie beschwören. Es gab Wege, und einen davon hatte Kara gezeigt. Mir fehlten leider die Voraussetzungen, ich kannte die uralten Sprachen nicht, wusste nichts von den Beschwörungsformeln, die nie jemand niedergeschrieben hatte, weil sie zu gefährlich waren. Denn schon bei ihrer Entstehung und in grauer Vorzeit hatte es verantwortungsbewusste Menschen gegeben, die genau wussten, welchen Schaden diese Worte und Beschwörungsformeln anrichten konnten, wenn sie aus einem unberufenen Munde drangen. Kara war eine Berufene. Sie konnte ihre Worte steuern. Sie wusste genau, was sie sagte, und sie wollte, dass Kräfte der Finsternis ihr gehorchten. Durch eine Beschwörung konnte man sie zwingen. Nichts anderes hatte Kara im Sinn. Myxin und ich beobachteten sie gemeinsam. Unsere Gesichter waren gespannt, die Blicke starr auf den leicht gekrümmten Rücken der Schönen gerichtet. Würde sie es schaffen? Ich hoffte, denn dies hier war die einzige Chance, irgendeine Verbindung zu Glenda herzustellen. Ich schaute auf den silbernen Nagel und damit auch auf das Kreuz. Beide Teile lagen dicht nebeneinander. Und beide hatten noch nicht reagiert. Ich rechnete damit, dass sich irgendwann, wenn Kara Kontakt bekam, ein leichtes Strahlen Über mein Kreuz legen und somit eine Brücke schaffen würde, doch mein Kreuz blieb stumm. Dafür reagierte das Schwert mit der goldenen Klinge. Wie ich bereits erwähnte, war es ebenfalls magisch aufgeladen, und es konnte eine Verbindung zwischen den Dimensionen schaffen. Wie es aussah, war es bereits dabei, denn die Klinge des Schwerts geriet in einen strahlenden Kranz, und plötzlich schien die Umgebung und das Innere des Kreises regelrecht zu explodieren. Eine goldene Flut umgab nicht nur Kara, sondern auch das Schwert sowie mein Kreuz und den silbernen Nagel. Ein heller Schrei drang aus Karas Kehle. Gleichzeitig fing das Pulver Feuer, und vom äußeren bis hin zum inneren Kreis befanden sich plötzlich brennende Wände. Kaltes Feuer ... Dämonisches! Ich war vielleicht mehr fasziniert als Myxin, der ähnliche Beschwörungen kannte. In seinem Gesicht regte sich kein Muskel. Die Haut schimmerte nur fahl im Widerschein der Flammen. Kara redete weiter. Schneller und hektischer als zuvor, und dann verstand ich einen Namen. »Asmodina! « Kara rief die Teufelstochter. Sie wollte, dass sie erschien, um ihr mitzuteilen, welche Botschaft wir für sie hatten.
Würde sie kommen? Würde meine schlimmste Feindin er scheinen und auf unseren Plan eingehen? Die Spannung steigerte sich noch mehr. Ich biss mir so stark auf die Unterlippe, dass ich schon Blut spürte. Und wieder schrie Kara den Namen. Sie musste es hören, denn die alten Gesetze zwangen sie dazu. Diesen Kreis konnte auch die Teufelstochter nicht ignorieren, denn sie war daran gebunden. Wann würde sie erscheinen? Jetzt, in diesem Augenblick! Vom Griff des Schwerts und zwischen den beiden zufassenden Händen stieg plötzlich eine lange Feuersäule in den grauen Himmel, fächerte dort auseinander und bildete eine große Wolke, die sich in ihrem Zentrum verdichtete und an den Rändern auseinanderlief. In der Wolke aber, genau in der Mitte, erschien sie. Asmodina! Ich hatte mich breitbeinig hingestellt, meine rechte Hand lag auf dem Griff der Beretta, und den Kopf hatte ich in den Nacken gelegt. Ich wollte ihr ins Gesicht schauen, das sich so präsentierte wie immer. Kalt, gnadenlos und doch irgendwie faszinierend. Die Lippen ein wenig breit, die Augen grün schillernd, und aus der Stirn wuchsen zwei gewaltige Hörner. Das Wahrzeichen des Satans, das der Teufel auch seiner Tochter vererbt hatte. Zwischen den beiden Hörnern schimmerte gelblich bleich eine Kette aus Totenschädel, und die brandrote Haarflut fiel in starren Wellen zu beiden Seiten des Gesichts nach unten. Sie war da. Kara hatte es geschafft. Die Schöne aus dem Totenreich hob den Kopf. Dann drehte sie ihn und blies einige Haarsträhnen zur Seite, die ihr in die Augen gefallen waren. Ihre Lippen hatten sich verzogen, und ich las den Triumph aus ihrem Lächeln. »Was wollt ihr von mir?« donnerte die Stimme auf uns nieder. Jetzt war ich nicht mehr zu halten. Bisher hatte ich Myxin und Kara die Initiative Überlassen, doch nun wollte ich die Saat ernten, die sie gelegt hatten. Ich streckte meinen Arm so aus, dass die Finger auf Asmodina deuteten. »Du hast jemanden entführt, dessen Leben ich gern zurückhaben will, Asmodina. Gib es zu!« »Ja, ich habe sie! « »Und warum?« »Hat man dir das nicht gesagt?« donnerte mir ihre Stimme entgegen. »Das hat man. Aber du weißt selbst, dass es unmöglich für mich ist, den Aufenthaltsort von Solo Morasso zu finden. Das muss dir klar sein, Asmodina.« Die Teufelstochter stieß ein meckerndes Lachen aus. »Dann hat sie eben Pech gehabt.« Diese Worte sagten an sich genug. Asmodina zeigte sich nicht bereit, auch nur um eine Idee nachzugeben. Ich konnte dies nicht hinnehmen und forderte sie weiter heraus. »So kann nur jemand reden, der selbst zu feige ist.« »Du wirfst mir Feigheit vor?« »Ja, Asmodina, ich werfe dir Feigheit vor. Du hast dich immer als Mächtige aufgespielt, doch in Wirklichkeit bist du verdammt schwach. Es wundert mich wirklich, dass es dir nicht gelungen ist, Dr. Tods Versteck selbst herauszufinden. Dabei hast du doch Hunderte von Dienern, und Tausende von Dämonen stehen dir zur Verfügung. Ich behaupte, dass du nicht nur zu feige bist, sondern auch Angst vor Solo Morasso und dessen Mordliga hast.
Du bist nicht mehr die große Herrscherin, andere haben dir den Rang abgelaufen. Sie sind stärker geworden, nicht nur Dr. Tod, sondern auch die AEBA Dämonen, das weiß ich genau. Sie lassen sich nichts mehr sagen, weil du versagt hast, Asmodina. Ist es nicht so?« Ihr Gesicht verzerrte sich. Ich hatte sie mit meinen Worten schwer getroffen, wahrscheinlich sogar bis in die Tiefe ihrer schwarzen Seele hinein. Sie hatte Schwierigkeiten, andere wollten sie weghaben, das wussten wir und hatten es bereits selbst erlebt, als Dr. Tod und seine Mordliga einen ersten Aufstand versuchten. Nur hatte dieser nicht geklappt. Asmodina war es gelungen, zurückzuschlagen, und sie hatte Solo Morasso sehr gedemütigt. »Du wagst es, mir diese Worte ins Gesicht zu schleudern, John Sinclair?« »Ja, weil sie stimmen!« »Lüge, nichts als Lüge!« Die Teufelstochter kreischte. Sie verlor ihre Übersicht und die Beherrschung, ein Zeichen, dass es mit ihr nicht zum besten bestellt war. »Dann beweise mir das Gegenteil! Wenn du so stark bist, wie du dich mit deinen Worten gibst, hätte es dir schon längst gelungen sein müssen, Dr. Tod zu finden. Aber das hast du nicht geschafft, weil du nicht mehr die bist, die du einmal warst. Und auch Asmodis wird dir nicht mehr helfen, denn sein Thron befindet sich ebenfalls in Gefahr. Es gibt Mächtigere, viel Mächtigere, die in deinem Reich bald die Herrschaft Übernehmen werden, das weißt du so gut wie ich!« Sie hatte mich ausreden lassen, aber in ihrem Gesicht zuckte es verräterisch. Diese Worte konnte sie wirklich nicht so leicht verdauen. »Das alles stört mich nicht, John Sinclair. Du kannst reden, was du willst, ich habe Glenda Perkins, und ihr Leben scheint dir nicht viel wert zu sein.« »Das musst du mir erklären!« »Gern, Geisterjäger. Wenn dir wirklich viel an Glenda Perkins liegen würde, hättest du dich längst auf die Suche nach Solo Morasso gemacht, um deinen Teil der Vereinbarung einzuhalten. Im Moment sitzt sie gefesselt vor dem Richtertisch des James Maddox und wartet auf ihre Aburteilung. Jede Minute, die du untätig vergehen lässt, verkürzt ihr Leben.« »Ich weiß nicht, ob ich untätig bin. Schließlich haben wir dich beschworen«, hielt ich ihr entgegen. »Das ist verlorene Zeit.« »Nein.« »Und was macht dich so sicher? « Ich ließ mir Zeit mit der Antwort, weil ich die Teufelstochter schmoren lassen wollte. Sie war nicht allein gekommen, das bemerkte ich erst jetzt. Sie hatte ihre Leibwächterinnen mitgebracht. Todesengel. Diese dämonischen Wesen mit den flammend roten Haaren, der schwarzen, an der Taille unterbrochenen Kleidung, mit Pfeil und Bogen als Bewaffnung. Sechs dieser Wächterinnen zählte ich, und die sechs hatten einen Kreis um uns gebildet. Die Pfeile lagen auf den gespannten Sehnen, sie brauchten sie nur noch loszulassen. Asmodina schien ein nahezu unerschöpfliches Reservoir dieser Dienerinnen zu besitzen. Wenn ich daran dachte, wie viele von ihnen ich schon getötet hatte und dass immer mehr erschienen, dann kam es mir schon fast wie ein kleines Wunder vor,
dass sie immer wieder neue Todesengel aus der Hinterhand zog. Sie waren gefährlich. Allerdings nicht so stark, als dass ich sie nicht hätte mit einer Silberkugel stoppen können. Nur durfte ich sie nicht zuerst zum Schuß kommen lassen. Zum Gluck hatte ich in Myxin und Kara eine gute Unterstützung. Sie würden sich schon etwas einfallen lassen, wenn es hart auf hart kam. »Antworte!« rief sie. »Beeil dich, John!« hörte ich Myxin sagen. »Es ist schwer für Kara, die Verbindung aufrecht zu erhalten.« Das glaubte ich ihm sogar, zudem wollte ich es nicht auf die Spitze treiben. »Also gut, Asmodina«, rief ich, »du sollst eine Antwort bekommen! Dr. Tod und sein Versteck habe ich zwar nicht gefunden, aber ich biete dir etwas zum Tausch an.« Sie lachte laut. »Was willst du mir schon anbieten, John Sinclair? Vielleicht dein Leben?« »Nein, nicht mein Leben, aber einen Nagel!« Ihr Gesicht verzerrte sich, das war deutlich zu gehen.»Du wagst es wirklich und bietest mir irgendeinen lächerlichen Nagel an, mit dem du Glenda Perkins' Leben retten willst? Bist du verrückt geworden? Soll man dich in eine Anstalt stecken, John Sinclair?« »Nein, ich bin nicht verrückt geworden, aber ich an deiner Stelle würde den Nagel annehmen. Er ...« »Unsinn, Geisterjäger. Du willst mich aufs Glatteis führen.« Sie ließ mich nicht ausreden. »Nein, ich führe dich nicht aufs Glatteis. Ich biete ihn dir wirklich an, denn es ist genau der Nagel, mit dem ich Dr. Tod damals getötet habe!« Jetzt war es heraus, und ich wartete wirklich gespannt auf Asmodinas Reaktion. Die folgte auch. »Was soll ich mit dem Nagel?« »Das musst du wissen. Ich habe immer angenommen, dass du die Mächtige bist. Vielleicht kannst du durch ihn eine Brücke zu Solo Morasso schaffen.« Dieser Vorschlag schien auf fruchtbaren Boden gefallen zu sein, denn Asmodina schwieg erst einmal. Ich hatte Zeit, um einen schnellen Blick auf Kara zu werfen. Es ging ihr nicht gut. Sie atmete heftig. Dabei bewegte sich ihr kniender Körper vor und zurück. Wie im Krampf hielten ihre Hände den Schwertgriff fest, aus dem noch immer dieser glühende Strahl in den Himmel fuhr und das Abbild der Teufelstochter schuf. »Willst du ihn haben?« Ich wollte Asmodinas Denkvorgang beschleunigen. »Ja, gib ihn her! « »Gern, wenn du eine Bedingung erfüllst.« »Und die wäre?« »Du lässt Glenda Perkins frei!« »Nein!« schrie sie. »Niemals kommt sie frei. Ich habe mich entschlossen, und ich werde sie nicht aus den Klauen des Dämonenrichters lassen, der ihren Tod schon prophezeit. Du kannst hier keine Bedingungen stellen, dein Trumpf ist nicht so stark.« »Dann bist du an Solo Morasso nicht interessiert?« »Schon, aber nicht auf diese Art und Weise.« »Denke immer daran, dass, je mehr Zeit vergeht, Dr. Tod auch stärker wird. Und irgendwann wird er so erstarkt sein, dass er auch dich kurzerhand Übertrumpft. Du kannst diese Entwicklung nur aufhalten, wenn du den Nagel besitzt, mit dem ich ihn schon einmal getötet habe. Versuche du nun das gleiche, Asmodina. Und niemand wird da sein, der seine Seele
diesmal den Schlünden der Verdammnis entreißt!« Es waren starke Worte, die ich ihr da entgegen schleuderte, und ich war gespannt, wie die Teufelstochter sie aufnehmen würde. »Gut«, sagte sie. »Du sollst deinen Willen haben. Ich werde mir den Nagel holen.« »Und Glenda Perkins?« »Erst den Nagel!« »Nein, so haben wir nicht gewettet!« Heftig schüttelte ich den Kopf. Asmodina gab jedoch nicht auf. Ihr Gesicht verzerrte sich, und ich wusste oder ahnte zumindest, was kommen würde. Ich hatte mich auch nicht getäuscht. »Los, holt ihn!« Dieser Befehl galt ihren Todesengeln, und sie zögerten nicht, ihn sofort in die Tat umzusetzen. Gleichzeitig ließen zwei von ihnen die Sehnen ihrer Bögen los. Die Pfeile hatten ein Ziel. Mich! Ausweichen konnte ich nicht, sie waren zu schnell. Auch kam ich nicht rasch genug an meine Waffe heran. Vielleicht schaffte ich es, einem Pfeil zu entgehen, der zweite jedoch würde mich treffen. Und ohne mein Kreuz, diese mächtige Waffe des Guten, fühlte ich mich nahezu hilflos. Da war noch Myxin. Der kleine Magier hatte in den letzten Monaten wirklich an sich gearbeitet, und seine alten Kräfte waren zum großen Teil zurückgekehrt. Die setzte er ein. Myxin, dieser Magier und Zauberpriester aus uralter Zeit, gebrauchte nur seine Hände. Er winkelte die Arme an, spreizte dabei die Finger, und plötzlich zischten gezackte Linien direkt auf die beiden abgeschossenen Pfeile zu. Sie waren schneller als diese tödlichen Instrumente. Im Flug trafen sie. Dicht vor mir vernahm ich ein Splittern, dann blitzte etwas blendend auf, so dass ich für einen winzigen Moment die Augen schließen musste. Als ich sie wieder öffnete, war von den Pfeilen nichts mehr zu sehen. Dafür hatte sich Myxin gedreht und griff die beiden anderen an, die voll von seiner magischen Kraft getroffen wurden. Es zerriss sie. Ich sah sie noch durch die Luft wirbeln, hörte Schreie, dann waren nur noch Rauchwolken zu erkennen, die träge davon flatterten. Noch hatten wir vier Gegner. Zwei davon mit schussbereiten Bögen. Das wusste auch ich verdammt gut, hechtete zu Boden und tat dies genau im richtigen Augenblick, denn dicht neben meiner Schulter flog ein Pfeil vorbei und hackte in den Boden, wobei er nicht nur in die Erde stieß, sondern sie auch noch verbrannte. Ich hielt die Beretta schon in der Hand, drehte mich um und feuerte. Die vierte kam nicht mehr dazu, ihren tödlichen Pfeil auf die Reise zu schicken. Meine Kugel schmetterte sie zurück und beendete ihr unseliges Dasein. Noch drei. Eine zitterte plötzlich, als stünde sie unter Strom, weil Myxins Magie sie getroffen hatte. Um ihren Körper herum zuckte und blitzte es grün, dann war es von einer Sekunde zur anderen mit ihr vorbei. Sie löste sich auf. Noch zwei Gegnerinnen hatten wir. Es waren die beiden, die zuerst ihre Pfeile abgeschossen hatten. Eine von ihnen hatte bereits einen neuen Pfeil auf die Sehne gelegt und, zog sie nach hinten. Die andere hatte ihre Flügel ausgebreitet und näherte sich dem magischen Kreis, um den Nagel zu holen, so wie Asmodina es ihr befohlen hatte.
Die Fliegende befand sich zu mir in einem relativ schlechten Winkel. Ich musste mich erst um die zweite Gegnerin kümmern. Das jedoch tat Myxin. Vielleicht war er froh, endlich seine Kräfte unter Beweis stellen zu können, lange genug hatte es ja gedauert. Der kleine Magier stieß sogar einen Schrei aus, als ein Blitz aus seiner Hand fuhr und den Todesengel buchstäblich zerstörte. Der andere war in den Kreis geflogen. Myxin kreiselte herum, wollte ihn auch töten, doch ich schrie ihm mein »Nein« entgegen. Kara zuckte nicht einmal zusammen, als der Todesengel neben ihr erschien und seinen rechten Arm ausstreckte. Da lag der Nagel! Und daneben das Kreuz! Unsere Rechnung ging auf. Als der Todesengel den Nagel packte, da berührte er auch mein geweihtes Kruzifix. Die Folgen für ihn konnte man als verheerend bezeichnen. Es war, als hätte das Kreuz nur auf die Berührung gelauert, um endlich reagieren und seine volle Magie entfalten zu können. Der gewaltige Blitzstrahl räumte furchtbar mit dem Wesen auf. Er atomisierte es regelrecht. Nichts blieb von dem Todesengel Übrig, und die Teufelstochter hatte abermals das Nachsehen. Sechs Gegner hatten wir gehabt. Nun existierte keiner mehr! Als letzte Erinnerung trieben grüne Rauchwolken träge Über den Kampfplatz. Diese kleine Schlacht hatte die Teufelstochter verloren, und in mir breitete sich ein gutes Gefühlt aus. Aber wie würde sie reagieren? Zeigte sie noch immer Interesse an dem Nagel? Das war die große Frage, und die quälte wohl nicht nur mich allein. Das Bild am Himmel war verblasst, doch die Wolke stand dort nach wie vor. Kara hatte sich ein wenig gedreht und den Kopf zu uns gewandt. Wir sahen die Erschöpfung deutlich in ihren Gesichtszügen geschrieben. Sie hatte wirklich alles gegeben. »Wie geht es dir?« erkundigte sich Myxin besorgt. »Einigermaßen gut. Bleibt da«, warnte sie, als Myxin und ich den Kreis verlassen wollten. »Es ist noch nicht alles vorbei. Sie kommt wieder, ich spüre es genau!« Weder Myxin noch ich zweifelten an ihren Worten. Sie hatte schließlich den Kontakt gehabt, nicht wir. Zudem musste sich auch die Teufelstochter erst mit den neuen Gegebenheiten abfinden, das dauerte seine Zeit. Ich war gespannt, wie sie anschließend reagieren würde. Wir verließen trotzdem den magischen Kreis, denn wir mussten Asmodina locken. »Sie ist an dem Nagel interessiert«, bemerkte auch Myxin. »Das hat man gemerkt.« Ich war da nicht so sicher, hielt mich mit meinem Kommentar allerdings zurück. Dann erschien sie tatsächlich wieder. Über uns in der Wolke leuchtete wieder ihr Gesicht. Es war ein Ausbund an Hass und Wut. Sie hatte den Mund aufgerissen und schleuderte etwas daraus hervor. »Eine magische Bombe!« schrie Kara. »In den Kreis!« Uns blieb nicht einmal eine Sekunde, um zu reagieren. Myxin und ich hechteten vor, wir schlitterten buchstäblich in den schützenden Kreis hinein, und das wurde auch Zeit, denn im nächsten Augenblick brach um uns herum eine Hölle aus ...
Von einer magischen Bombe hatte ich zum ersten Mal gehört. Doch ihre Wirkung bekamen wir bald zu spüren. Sie explodierte dicht Über dem Boden, und sie schleuderte uns Tod und Verderben entgegen. Nicht nur flüssiges Feuer, das sich rasend schnell ausbreitete, sondern lebende kleine Feuerdämonen, die aus den Flammen hervorstießen, wie kleine braune Teufel aussahen, eine durchsichtige Haut hatten und im Innern brannten. Sie waren mit glühenden Stangen bewaffnet, die sie aus dem Feuerring heraus auf uns zu schleuderten. Normalerweise hätten wir keine Chance gehabt. Aber da waren noch Karas Schwert und mein Kreuz. Beide zusammen bildeten einen Schutzmantel, der uns Sicherheit gab, als säßen wir in einem bombensicheren gläsernen Käfig. Sie schleuderten ihre Lanzen. Ich hörte es zischen, wenn die tödlichen Wurfgeschosse gegen die uns umgebende magische Wand prallten und zurückgestoßen wurden, denn sie konnten sie nicht durchdringen. Auch die tanzenden Flammen waren nicht in der Lage, uns zu erreichen. Ich machte die Probe aufs Exempel und gab einen Schuss ab. Die Silberkugel durchdrang mühelos den Feuervorhang und traf einen der kleinen Dämonen. Er tanzte für einen Moment wie ein Irrwisch und schmolz danach zu einem faustgroßen Klumpen. Gegen Silberkugeln waren die Feuerdämonen also nicht gefeit. Einen zweiten Schuß brauchte ich nicht mehr abzugeben, denn so rasch, wie sich das Feuer ausgebreitet hatte, erlosch es auch wieder. Die Flammen sanken zusammen, und wir hatten nicht einmal die Hitze gespürt, da es sich um dämonisches Feuer handelte, das mit dem normalen nicht zu vergleichen war. Leer lag das unmittelbare Gelände um den Kreis herum vor uns. Myxin lachte leise. »Das wäre Asmodina früher niemals passiert, glaubt mir.« »Was wäre ihr nicht passiert?« wollte ich wissen. »Dass sie sich so gehen lässt. Es war doch ein Zeichen dafür, dass sie die Kontrolle Über sich verloren hat.« Ich grinste. Dann schaute ich nach oben, denn Asmodinas Gesicht war wieder erschienen. »Was sollte das?« schrie ich ihr entgegen. »Mit solchen Lappalien kannst du uns nicht schrecken!« Sie lachte. »Das habe ich mir gedacht. Ich wollte euch nur zeigen, was Glenda Perkins bevorsteht!« Sofort war meine Euphorie verschwunden. Der Name meiner Sekretärin war gefallen, und ich wurde wieder daran erinnert, dass sich bei diesem Fall alles um Glenda drehte. Ich presste hart die Zähne zusammen, und meine Wangen knocken stachen spitz hervor. »Was willst du?« »Den Nagel!« Endlich rückte sie damit heraus. Also doch. Asmodina hatte an gebissen, aber ich würde um keinen Preis nachgeben. »Du kannst ihn bekommen, Asmodina, aber ich will Glenda Perkins!« Dieser Name stand zwischen uns. Und die Spannung stieg. Wie würde sich die Teufelstochter entscheiden? Sie ging darauf ein. »Also gut, John Sinclair, du bekommst sie. Du bekommst deine Glenda zurück!« Myxin, Kara und ich schauten uns an.
Keiner von uns konnte es begreifen. »Eine Falle«, zischte Kara, »das ist eine verdammte Falle!« Auch ich dachte daran und stand innerlich wie unter Strom. Hatte sie uns reingelegt? »Sieh her!« Ich schaute wieder nach oben. Und in der Wolke erschienen zwei Gestalten. Ein Mann und eine Frau. Der Mann hatte blonde Haare, er schwebte dem Boden entgegen und hielt auf seinen ausgestreckten Armen eine schwarzhaarige junge Frau. Glenda! Mir fiel ein Stein vom Herzen. »Na, Sinclair!« rief die Teufelstochter. »Was sagst du dazu? Habe ich mein Wort nicht gehalten?« »Es sieht so aus.« »Dann halte du das deinige ebenfalls. Gib mir den Nagel, John Sinclair. Und zwar sofort!« Ich zögerte noch. Irgendwie fühlte ich mich nicht wohl. Ich glaubte noch immer an einen Trick und schaute Myxin und Kara fragend an. Die beiden konnte mir auch keine Antwort geben, und somit lag die Verantwortung allein auf meinen Schultern. Asmodina musste sich verdammt in der Klemme befinden, wenn sie auf so einen Tausch einging. Wahrscheinlich bereitete ihr die Mordliga mehr Schwierigkeiten und Ärger, als sie zugeben wollte. »Den Nagel!« giftete sie. »Ja, ja.« Ich bückte mich und hob ihn auf. Dann legte ich ihn auf die Handfläche und stellte mich so hin, dass Asmodina den Nagel genau sehen konnte. »Da ist er!« »Gut!« Kaum hatte sie das Wort ausgesprochen, als der blonde Mann mit seiner menschlichen Last den Boden berührte. Allerdings außerhalb des Kreises, und dort blieb er stehen. Nun, ich konnte nicht verlangen, dass er sich in den Kreis begab, er war sicherlich ein Dämon, wenn auch als Mensch verkleidet. So musste ich den Kreis verlassen. »Sei auf der Hut«, warnte mich Kara. Ich nickte. »Okay, Freunde, und haltet mir den Rücken frei. Klar?« »Sicher! « Ich verließ den Kreis, der mich bisher so glänzend geschützt hatte. Ein komisches Gefühlt war es schon, als ich dem blonden Mann, der Glenda Perkins auf den Armen hielt, entgegenschritt. Zwei Schritte voneinander entfernt blieben wir stehen. Wir schauten uns an. Jetzt erkannte ich, dass ich keinen Menschen vor mir hatte, sondern einen Dämon, denn unter seiner eigentlichen Haut sah ich lange, rote Streifen, die ein regelrechtes Gitter bildeten und dabei zitterten. »Den Nagel«, sagte er. Ich zeigte ihn ihm. »Gib ihn her!« »Nein, mein Lieber. Wir machen einen Tausch. Wenn ich das Mädchen nehme, bekommst du den Nagel. Einverstanden?« »Ja.« Asmodina schien ihrem Diener eingeimpft zu haben, auf meine Bedingungen einzugehen. Um so besser. Ich konnte einen Blick in Glendas Gesicht werfen. Es war bleich, aber ihre Finger bewegten sich, so dass mir Asmodina keine Tote untergeschoben hatte. Zuzutrauen war ihr so etwas. Der blonde Dämon, unter dessen Gesichtshaut es flimmerte, bewegte sich jetzt. Mit einem Ruck warf er Glenda Über seine Schulter. Meine Hand zuckte unwillkürlich zur Beretta, dann sah ich sein spöttisches Grinsen und ließ die Waffe stecken, denn er hatte nur eine Hand freihaben wollen, um den Nagel entgegennehmen zu können.
»Gib ihn endlich, Geisterjäger!« schrie Asmodina. Auch sie beobachtete die Szene. Ich warf einen schnellen Blick in die Höhe. Ihr Gesicht strahlte noch immer in der Wolke. Es war nicht mehr verzerrt, ein anderer Ausdruck hatte sich darauf ausgebreitet. Spannung und Erwartung. Sie will dich reinlegen! Irgendwie schoss mir der Gedanke durch den Kopf. Einem Dämon durfte man nicht trauen! Aber blieb mir eine Wahl? Doch ich konnte sie reinlegen, mir Glenda schnappen und ihr den Nagel nicht geben. Allerdings stand ich außerhalb des Kreises und wurde nicht durch mein Kreuz geschützt. Es war wirklich eine Zwickmühle. Andererseits, was sollte es, wenn ich den Nagel abgab? Vielleicht erledigte sie damit Dr. Tod zum zweiten Mal, und wir hatten einen gefährlichen Gegner weniger. Man musste manchmal den Teufel wirklich mit dem Beelzebub austreiben. Sie sollte den Nagel bekommen. Ich ging noch einen halben Schritt vor, streckte den Arm aus und ließ den Nagel in seine offene Handfläche fallen. Augenblicklich schlossen sich die Finger darum. In seinen Augen leuchtete es für einen Moment auf. Misstrauen schoss in mir hoch. Er warf mir Glenda entgegen. Ich fing sie auf, packte hart zu, und meine Hände griffen nicht in Fleisch, sondern in ein Zeug, das sich wie Torf anfühlte und unter meinen Fingern zerbröselte. Glenda Perkins war nicht echt. Asmodina hatte mich reingelegt! Ihre Blicke waren starr auf den Dämonenrichter fixiert. Maddox hockte hinter seinem Tisch und schlug dreimal mit dem Hammer auf die Platte. Langsam verhallten die Echos. »Kommen wir zur Urteilsverkündung«, sprach der Dämonenrichter und stand sogar auf. »Im Namen der geknechteten Seelen, im Namen des Dämonenreiches und des Spuks sowie des allmächtigen Kaisers der Hölle verurteile ich dich, Glenda Perkins, zu lebenslänglichem Tod und lebenslänglicher Qual in den Dimensionen des Grauens. Du wirst in das Zentrum des Schreckens geschafft und sollst dort das erleiden, was auch die anderen erleiden müssen, die nicht auf meiner Seite stehen. Das habe ich beschlossen, und das halte ich ein!« Glenda hatte die Worte sehr genau vernommen. Sie schluckte, wollte etwas sagen, doch ihre Stimme versagte. Ihr eigenes Todesurteil war ihr vorgelesen worden, für alle Ewigkeiten sollte sie in den Dimensionen des Wahnsinns bleiben. All ihre Angst und Panik löste sich in einem gellenden, Mark erschütternden Schrei, der schaurig durch das Gewölbe hallte und dessen Echos in Glendas Ohren schallten. Maddox ließ sie schreien. Er hatte sich auf seinen Stuhl gesetzt, zurückgelehnt und die lappigen Lippen verzogen. Gnadenlos blickten seine Augen. Eine tiefe Zufriedenheit erfüllte ihn. Seiner Aufgabe hatte er präzise erfüllt, die anderen würden zufrieden sein. Und vor allen Dingen der Spuk. Maddox gab den beiden Echsenköpfigen ein Zeichen. »Bindet sie los und schafft sie weg!« Maddox erhob sich und ging weg. Schon bald hatte der Nebel seine gekrümmte Gestalt geschluckt. Glenda Perkins aber wurde hochgezerrt
und von den beiden Monstern weggeschleift. Sie war im Jenseits verurteilt! Das Begreifen dieses schrecklichen Vorgangs und das Wissen, mich reingelegt zu haben, dauerte bei mir mehrere Sekunden. Eine verflucht lange Zeitspanne, die der blonde Dämon eiskalt ausnutzte. Er zog sich sofort zurück, grinste breit, und seine Konturen begannen zu verwischen. Er wollte sich auflösen, einfach verschwinden und mit ihm der Nagel! Das Wissen brannte in meinem Hirn. Und ich sah nicht ein, dass ich dies zulassen sollte. Mit einem Wutschrei auf den Lippen schleuderte ich die nachgemachte Glenda Perkins zu Boden, hechtete vor, sah das Erschrecken auf dem Gesicht des Dämons und klammerte mich an ihn. »So nicht!« schrie ich. »Die Reise machen wir gemeinsam!« »John, dein Kreuz!« Es waren die letzten Worte, die ich vernahm. Myxin hatte sie ausgestoßen. Leider zu spät, das Kreuz musste zurückbleiben, die Zeit, es an mich zu nehmen, reichte nicht mehr, denn im nächsten Augenblick wurden der blonde Dämon und ich vom Dimensionsschacht verschlungen ...