Seewölfe 195 1
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Seewölfe 195 1
Roy Palmer 1.
Alewa sah das Schiff und begann zu weinen. Die Tränen liefen ihr über die Wangen und befeuchteten fast die ganze Fläche ihres sanften braunhäutigen Gesichts. Sie kämpfte nicht dagegen an, sondern ließ ihren Gefühlen freien Lauf. Sie hatte das große, stolze Schiff mit den drei hohen Masten und den prallen, gelblich-weiß gelohten Segeln daran wieder erkannt. Eigentlich hatte Alewa, das Polynesiermädchen, in ihr zerstörtes Dorf hinunterspähen und nach den Männern Ausschau halten wollen, vor denen sie sich so fürchtete, denn sie hatte sich überlegt, daß sie — falls die Kerle keinen Wächter bei den eingestürzten Pfahlbauten zurückgelassen hatten — wenigstens versuchen konnte, hinunter zu steigen und sich ein Boot zu nehmen. Es bestand immerhin die Möglichkeit, daß nicht alle Auslegerboote durch Tsunami, die Riesenwelle, zerschmettert worden waren. An diese Hoffnung knüpfte Alewa alle ihre Pläne. Flucht! Darin lag die einzige Rettung. Die Insel war kein Paradies mehr, sie war zur Hölle geworden, zur Verdammnis im wahrsten Sinne des Wortes. Jetzt aber war das Schiff hinter einer weiter südlich gelegenen, bewaldeten Landzunge aufgetaucht, und Alewas Herz begann vor jäher Freude und Überraschung heftiger zu schlagen. Es erschien ihr als ein Wunder, daß die Galeone plötzlich da war, so als wären nur Tage vergangen, seit sie davongesegelt war. Ihr Kapitän, die Besatzung - ja, waren diese Männer denn wirklich gekommen, um hier zu landen und nachzusehen, ob die Freunde von damals noch lebten? Das war zu schön, um wahr zu sein. „Pele“, murmelte Alewa. Ein Schluchzen erstickte ihre Stimme, und sie dachte: Pele, Pele, allmächtige Göttin der Feuerseen, du hast mich also doch erhört und dafür gesorgt, daß sie uns noch einmal besuchen, einmal, bevor wir alle sterben müssen!
Im Meer der Ruhe
Der Platz, auf dem Alewa lag und zur Küste hinunterblickte, befand sich hoch über der geschwungenen, langgestreckten Bucht, auf die sich der Bugspriet der Galeone jetzt richtete. Der Platz war von niedrigem Gebüsch gesäumt. Die Sträucher boten Alewa Deckung. Ein üppig bewachsenes, terrassenartiges Plateau, von Menschenhand geschaffen, und darüber und darunter schlossen sich weitere solcher Stufen an, die dem ganzen Hang ein treppenförmiges Aussehen verliehen. Alle diese Stufen waren auf Anraten von Thomas Federmann hin von den Insulanern eingerichtet worden. Hier hatten sie Obst und Gemüse angebaut und geerntet, und sie waren mit ihrem Werk zufrieden gewesen. Ein glückliches Leben hatten sie geführt, und es hatte ihnen an nichts gemangelt — bis zu dem Tag, an dem sie nach langer Zeit wieder überfallen worden waren. „,Isabella` „, flüsterte Alewa, „komm zu mir. Pele, ich danke dir. Es wird alles wieder gut, ja, alles wieder gut.“ Die Galeone erhielt den Wind aus Osten, also ablandig, und sie hatte jetzt hart angeluvt und segelte über Backbordbug liegend mit Steuerbordhalsen auf die Inselbucht zu. Mit jedem Yard, den sie sich näherte, wuchs Alewas Hoffnung. „,Isabella` „, wiederholte sie leise. „Seewolf ...“ Dann vernahm sie ein Geräusch hinter ihrem Rücken und fuhr entsetzt herum. Sie sah die Männer sofort. Es waren drei, und sie hatten sich so auf die Terrasse verteilt, daß sie, Alewa, keine Chance mehr zur Flucht hatte. Grinsend schoben sie sich auf sie zu, überquerten schweren Schrittes die so sorgfältig angelegten Felder und traten die Pflanzen süßer Kartoffeln und grüne Beerensträucher nieder. „Los, schnapp sie dir, Richard“, sagte der, der sich links befand. Er war ein großer, bärenstarker Kerl mit einem bunten Tuch um den Kopf und einem Ring im linken Ohr. Sein Hemd hatte er über dem Bauchnabel zusammengeknotet. Seine Beinkleider waren unten ausgefranst, er
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trug keine Stiefel. Barfuß marschierte er auf das Mädchen zu, das sich allmählich erhob. „Voila“, sagte er rauh. „Hab ich euch nicht gesagt, daß hier jemand gesprochen hat? Ihr wolltet mir ja nicht glauben, aber jetzt seht ihr wohl ein, daß der alte Louis nicht spinnt, sondern ganz ausgezeichnete Ohren hat, oder? He, Richard, du bist am nächsten an ihr dran, pack sie!“ „Du überläßt sie also mir?“ fragte Richard, ein untersetzter, breit grinsender Kerl, der in der Mitte des Trios ging. „Hast du das gehört, Marcel?“ Marcel näherte sich von rechts her dem verstörten, zitternden Mädchen Alewa und entgegnete: „Du mußt das nicht falsch auslegen. Natürlich knöpfen wir sie uns alle drei vor. Dreimal, das ist das richtige Maß, ich schwör's dir, Mann.“ Sie lachten gleichzeitig. Alewa wich vor ihnen zurück und hob abwehrend die Hände. Sie befand sich jetzt mitten in dem flachen Gebüsch, am Rand der Terrasse. Sie wußte, daß sie nur noch den ziemlich steil abfallenden Hang hinunterspringen konnte, um sich vor ihnen in Sicherheit zu bringen. Dabei konnte sie sich die Knochen im Leib brechen, aber das war ihr lieber, als von den wilden Kerlen gefaßt zu werden. Sie verstand ihre näselnde Sprache nur ansatzweise, aber sie wußte trotzdem genau, was ihr Ansinnen war. Sie tat noch einen Schritt zurück und war über den Abbruch des Plateaus hinweg. * Der Seewolf, Siri-Tong und die Zwillinge Philip und Hasard standen an der vorderen Schmuckbalustrade der Back, die den Querabschluß zum Galion hin bildete, und um sie herum hatte sich fast die gesamte Crew der „Isabella VIII.“ versammelt – ausgenommen natürlich Blacky, der zur Stunde als Rudergänger fungierte, Ben Brighton, der Blacky auf dem Quarterdeck Gesellschaft leistete, sowie Matt Davies, Jeff Bowie, Bob Grey und Luke Morgan, die von der Kuhl aus die erforderlichen
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Segelmanöver durchführten. Bill, der Moses, hockte als Ausguck im Großmars, und der Kutscher war eben noch in der Kombüse damit beschäftigt, die Holzkohlenfeuer kräftig anzufachen und die Suppe für die Mittagsmahlzeit zum Brodeln zu bringen. Aber von ihnen abgesehen waren alle auf dem Vordeck erschienen, um sich das Panorama anzusehen, das sich an diesem sonnigen Vormit- tag dem Auge bot. Selbst Arwenack, der Schimpanse, kauerte an der Backbordseite auf der Handleiste der hölzernen Balustrade und hielt sich mit einer Pfote an den Fockwanten fest. Leise schmatzend kaute er auf irgendetwas herum und hielt seinen Blick so interessiert auf die große Insel gerichtet, als könne er sich wirklich daran erinnern, daß sie schon einmal hier gewesen waren. Sir John, der karmesinrote Aracanga, hockte auf der linken Schulter seines allgewaltigen Herrn Edwin Carberry und knabberte zärtlich an dessen Ohrläppchen herum – aber nur. so lange, bis es dem Profos zu bunt wurde. Carberry hob mit einem unterdrückten Fluch die rechte Hand und schickte sich an, den frechen Papagei von seiner Schulter zu scheuchen. Sir John reagierte jedoch gedankenschnell, flatterte auf und schwang elegant bis zu Bill in den Großmars empor. „„Rübenschweine, Affenärsche!” zeterte er aufgebracht. Dann ließ er sich auf der Segeltuchumrandung der Plattform nieder und spähte mit dem Moses zusammen aufmerksam in die Bucht, die sich vor ihren Augen öffnete. Bill beobachtete durch den Kieker und sah die ganze Landschaft wie zum Greifen nah vor sich, auch die schneegekrönten Zwillingsgipfel der Insel, die seines Wissens über viertausend Yards hoch waren. Bill ließ seinen Blick wieder tiefer gleiten und über den Strand der Bucht wandern, bis hin zu dem zerstörten Pfahlbautendorf und den Booten, die wie von einer gigantischen Macht bis ins Dickicht jenseits der Uferzone geschleudert worden waren.
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Tsunami, die Riesenwelle! Welch ungeheure Macht sie hatte, das hatten die Seewölfe vor Nihoa, der am weitesten nordwestlich liegenden Insel des Archipels, erlebt. Sie hatten abgewartet, bis die Tsunami sich ausgetobt hatte, um dann weiter nach Süden abzulaufen und nach der Insel zu suchen, von der aus sie damals die sagenhafte Manila-Galeone aufgebracht hatten. Hawaii. So nannten die Polynesier die große Insel. Wie sich herausgestellt hatte, waren die geographischen Berechnungen des Seewolfs wieder einmall richtig: Zwar war die Inselgruppe von den Europäern offiziell noch nicht „entdeckt“ und daher auch nicht genau erforscht, aber die Behauptung Hasards, Nihoa gehöre zu demselben Archipel wie auch Hawaii, Maui und Oahu, hatte sich als Tatsache bestätigt. Mit Wind aus Nordwesten war die „Isabella“ zunächst auf südöstlichen Kurs gegangen und hatte Oahu an ihrem östlichen Ufer passiert. Als dann am Tag darauf der Pailolo-Kanal zwischen Molokai und Maui erreicht war, war jeder Zweifel beseitigt: Hier hatte ja seinerzeit die denkwürdige Schlacht zwischen der „Isabella“, dem schwarzen Segler und der Galeone des Ciro de Galantes stattgefunden, bei der de Galantes den kürzeren gezogen hatte. - Hasard hatte den Kanal nicht durchquert wie damals, sondern war mit jetzt wechselnden Winden weiter nach Südosten gesegelt. Er hatte Maui im Süden runden wollen, um an das flachere Westufer von Hawaii zu gelangen, hatte aber vor dem plötzlich steif aus Süden blasenden Wind kapitulieren müssen. So hatten sie die Insel im Osten gerundet und eine recht stürmische Nacht hinter sich, in der sie gegen den weiterhin schralenden Wind hatten kreuzen müssen. Am frühen Morgen hatten sie jedoch mit Ostwind Ka Lae, das Südkap von Hawaii, umrundet und waren anschließend hoch am Wind auf Nordkurs gegangen. „Meine Güte, Hasard“, sagte Siri-Tong soeben. „Hättest du das gedacht - daß wir
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nach so langer Zeit wieder hierher zurückkehren würden?“ Der Seewolf hatte seine Hände auf die Schultern seiner Söhne gelegt und lächelte versonnen. „Ich hatte nicht gewagt, es zu hoffen“, entgegnete er. „Aber jetzt kann ich es kaum erwarten, Zegú, den König von Hawaii, Thomas Federmann und all die anderen wiederzusehen. Dieses Pfahlhüttendorf am Ufer der Bucht - es war damals noch nicht da.“ „Nein, ich glaube nicht.“ „Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Insulaner ihre geschützte Siedlung im Inneren der Insel aufgegeben haben, um hierher, an die Bucht, zu ziehen.“ „Vielleicht wurde dieses Dorf zusätzlich errichtet“, sagte die Rote Korsarin. „Vielleicht ist der Stamm inzwischen gewachsen, und - nun ja, vielleicht benötigen die Leute ganz einfach größeren Lebensraum.“ „Du meinst, es könnte noch andere neue Dörfer geben, die über ganz Hawaii verteilt sind?“ Sie nickte. „Ich kann es mir gut vorstellen.“ „Ich auch“, sagte nun Carberry. „Wenn ich mich nicht irre, sind seit unserem letzten Besuch gut zehn Jahre vergangen. Und in zehn Jahren passiert so allerlei.“ Er grinste plötzlich. „Hölle, wie viele kleine Kinder mögen da wohl geboren worden sein?“ „Ed“, mischte Dan O'Flynn sich ein. „Darf ich dich berichtigen? Wir schreiben jetzt den Monat März des Jahres 1590.“ „Das weiß ich doch, du Stint!“ „Schön, und deshalb liegt die Geschichte mit der Manila-Galeone eben nur sechs Jahre zurück.“ „Ach...“ „Ja, Edwin, Dan hat recht“, meinte SiriTong mit dem Anflug eines Lächelns. „1584 – das war das Jahr, in dem wir zusammen die ,Santa Ana` überfielen. Im übrigen dürfte dies aber auch in der Bordchronik festgehalten sein.“ Carberry kratzte sich verlegen am Kinn und legte den Kopf ein wenig schief, was bei ihm immer ein Zeichen für angestrengtes Nachdenken war.
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„Bordchronik, Madam?“ wiederholte er verdutzt. „Schon gut, Ed“, sagte der Seewolf. „SiriTong meint das Logbuch von damals.“ Carberry blickte ziemlich betroffen drein, und ihm fehlten die Worte, was sonst eigentlich selten passierte. Dan O'Flynn wollte schon eine seiner bissigen Bemerkungen über des Profos' Gesichtsausdruck fallenlassen, da sagte sein Vater, der alte Donegal Daniel O'Flynn: „Soso, das Logbuch von damals. Steht da auch was über die niedlichen kleinen Mädchen drin, die hier 'rumsprangen und die wir aus de Galantes’ Gewalt befreiten? Wie hießen die doch noch gleich ...“ „Alewa, Waialae, Mara und Hauula“, zählte Ferris Tucker die Namen der Mädchen auf. „Und du bist ein alter Schwerenöter, Donegal. Verzeihung, Madam.“ Siri-Tong konnte ihr Lachen kaum noch zurückhalten. „Ferris, du ungehobelter Klamphauer“, sagte Old O'Flynn mit gespielter Freundlichkeit. „Wie kommt es eigentlich, daß du dich so genau an die kleinen Ladys erinnerst? Hast du dir die Namen vielleicht aufgeschrieben? Ha, das wäre vielleicht spaßig.“ „Quatsch, ich hab nur ein gutes Gedächtnis“, erwiderte Hasards rothaariger Schiffszimmermann. Er bereute es schon, überhaupt etwas geäußert zu haben. „Männer, ihr braucht euch gar nicht so zu zieren“, meinte der Seewolf. „Auch SiriTong hat großes Verständnis dafür, daß ihr es nicht er- warten könnt, die HawaiiMädchen wiederzusehen. Allerdings muß ich eines gleich vorwegschicken: Ich will, daß ihr euch mustergültig benehmt. Keiner tanzt aus der Reihe, verstanden? Wenn ihr das nicht beherzigt, gibt es dicken Ärger. Ihr wißt, daß ich mich nicht scheue, den einen oder anderen von euch in die Vorpiek zu sperren, falls er sich nicht zusammenreißen kann.“ „Aye, aye, Sir“, murmelten die Männer. Hasard hatte seine Gründe dafür, die prächtige Laune seiner Männer ein wenig
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zu dämpfen. Es war schon viel zu lange her, daß sie Frauen gehabt hatten, und von allen Entbehrungen, die sie seit dem Beginn der Reise durch die Nordwestpassage hatten über sich ergehen lassen müssen, war diese wohl die schlimmste. Deshalb mußte er aufpassen und seine Crew streng an der Kandare halten, denn es war gut möglich, daß die Männer beim Anblick des ersten Mädchens, das am Strand auftauchte, alle Disziplin vergaßen. „Mal herhören“, sagte nun auch der Profos. „Ich passe auf, daß die Order des Seewolfs strikt befolgt wird, klar? Angucken dürft ihr Barsche die Frauen von mir aus, aber nicht anfassen, solange kein neuer Befehl erfolgt. Kapiert? Finger weg von den Mädchenhintern - Verzeihung, Madam.“ „Bitte, Ed.“ „Aye, Sir“, brummelten die Männer. „Ich will mich nicht falsch verstanden wissen“, sagte Old O'Flynn. „Ich hab eher väterliche Gefühle, was die Mädchen betrifft. In Ordnung, Sir?“ „Ja, Donegal“, entgegnete Hasard. Stenmark stieß hinter Carberrys Rücken heimlich Al Conroy an und flüsterte: „Der Alte kann uns viel erzählen, Al. Väterliche Gefühle — daß ich nicht lache!“ „Wie, du meinst ...“ „Er sagt doch immer, daß er noch lange nicht zum alten Eisen gehört, oder?“ „Tja.“ Al fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Was der Schwede da eben gesagt hatte, gab ihm denn doch zu denken. Er wollte nachhaken, eine Frage stellen, aber jetzt meldete sich Gary Andrews zu Wort. „Mädchen, ich höre immer Mädchen! Wo bleiben sie denn nur? Warum kommen sie nicht an den Strand, um uns zu begrüßen und uns geflochtene Blumenkränze umzuhängen gen? Ist die Insel am Ende gar nicht mehr bewohnt?“ „Hölle und Teufel“, entfuhr es Batuti. „Müßten uns doch längst entdeckt haben. Inselmenschen kennen ,Isabella` wieder — oder nicht, Ssör?“ „Ruhe an Deck“, sagte Carberry. „Habt ihr den Verstand verloren, daß ihr hier so 'rumbrüllt, ihr triefäugigen Seegurken?“
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Hasard hatte, während die „Isabella“ in die Bucht einlief, seinen Blick nicht von dem zerstörten Dorf am Wasser und den gestrandeten Auslegerbooten genommen. Jetzt wandte er sich zu seinen Männern um. Seine Miene hatte sich verändert. Sie war ernst geworden. „Es gibt zwei Möglichkeiten“, sagte er. „Entweder lebt jetzt ein anderer Stamm auf Hawaii, der uns nicht wohlgesinnt ist. Oder es ist etwas passiert.“ „Was Schlimmes?“ fragte Big Old Shane. „Verdammt, du meinst doch wohl nicht, im Zusammenhang mit der Riesenwelle und ...“ „Die Tsunami kann sie unmöglich alle ertränkt haben“, unterbrach Siri-Tong den graubärtigen Riesen. „Entschuldige, Shane, aber das kann ich mir nicht vorstellen. Die Insulaner sind zu erfahren im Umgang mit den Naturgewalten, als daß sie sich derart übertölpeln lassen würden.“ „Aber was ist dann geschehen?“ „Das fragen wir uns alle“, meinte Old O'Flynn. Sie alle ließen ihren Blick wieder über das Ufer der Bucht schweifen. Aber dort regte sich nichts — weder bei den eingestürzten, zermalmten Pfahlbauten noch bei den Booten, noch irgendwo im Dickicht. Keine Menschenseele zeigte sich, um die Seewölfe und die Rote Korsarin so freudig, wie es nur die Polynesier vermochten, zu begrüßen. „Mann“, sagte der alte O'Flynn. „Ich krieg da so ein mulmiges Gefühl. Das bedeutet nichts Gutes, Leute. Es liegt Unheil in der Luft.“ „Das merkst du jetzt erst?“ Carberry gab einen undeutlichen, grunzenden Laut von sich. „Man braucht kein Hellseher zu sein, um das zu spüren.“ Hasard, der sich auch wieder umgedreht hatte und sein Gesicht dem Ufer zugewandt hielt, hob plötzlich die Hand. Im selben Augenblick registrierte auch Siri-Tong die Bewegung oben am Hang hinter dem Pfahlhüttendorf. Carberry kniff die Augen mißtrauisch zusammen, Dan O'Flynn murmelte etwas Unverständliches, Ferris Tucker hob den Kieker ans Auge.
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Etwa einen Atemzug darauf rief Bill, der Moses, über ihren Köpfen: „Deck, da ist jemand! Er rutscht den Abhang 'runter. Das ist ja ein Mädchen!“ Er hatte noch nicht ganz ausgesprochen, als sie alle den verzweifelten Schrei vernahmen, der von den bebauten Inselterrassen zu ihnen herüberwehte. 2. Alewa hatte in dem Moment, in dem sie das Gleichgewicht verloren hatte und rücklings den Hang hinuntergestürzt war, ihren Körper zusammengekrümmt und die Arme schützend über den Kopf gelegt. Sie überrollte sich zweimal wie eine Katze, gewann dann mehr Stabilität, streckte die Beine aus, hob den Oberkörper an und legte in beinah sitzender Haltung den Rest ihrer Rutschpartie zurück. Der Rock aus dunkelrotem Tuch, den sie sich um die Hüften geschlungen hatte, verschob sich dabei. Sie war fast völlig nackt, als sie auf der nächsten Terrasse landete. Ihre Knie knickten ein, sie atmete schwer und kauerte einen Augenblick lang da, rappelte sich dann aber schnell wieder auf, weil sie über sich einen Fluch in der fremden Sprache vernommen hatte. Sie blickte auf — und stieß einen Schrei des Entsetzens aus. Richard, Marcel und Louis — die drei Kerle hatten sich am Rand des Plateaus auf ihren Hosenboden gesetzt und trafen gerade Anstalten, ebenfalls die Abwärtsfahrt anzutreten. „Los, wir kriegen sie doch noch!“ rief Louis. „Beeilen wir uns!“ „Gnade dir Gott, wenn wir dich packen!“ brüllte Marcel und schüttelte die Faust zu Alewa hinunter. Alewa begann zu laufen, zupfte mit fahrigen Bewegungen ihren Rock zurecht, schluchzte vor Panik auf, stolperte fast, fing sich wieder und hetzte quer über einen Acker voller Bataten. Ihr vor Angst flackernder Blick suchte nach einem schützenden Dickicht, aber ausgerechnet hier gab es kein Gesträuch, in dem sie untertauchen und sich den Augen ihrer Verfolger entziehen konnte.
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Pele, Pele, dachte sie immer wieder, warum stehst du mir nicht mehr bei? Was habe ich getan, daß du mich so strafst? Louis war als erster der drei Männer den Hang hinunter, zückte seine mit Perlmutteinlagen verzierte Schnapphahnschloß-Pistole, spannte den Hahn und legte auf das flüchtende Mädchen an. „Na warte, du. Miststück“, murmelte er. „Dich erwische ich schon. Und wenn wir dich richtig 'rangenommen haben, wirst du uns schon verraten, in welche Richtung die anderen geflohen sind.“ Er visierte ihre Gestalt über den Lauf der Waffe an, hielt die Pistole ganz still und krümmte den Zeigefinger um den Abzug. Der Sperrmechanismus gab den Hahn frei, der Funken sprühte. die Ladung zündete. Donnernd brach der Schuß. Eine weißliche Qualmwolke puffte hoch, und vor der Mündung seiner Pistole konnte Louis die rotgelbe Feuerzunge blitzen sehen. Alewa schrie und stürzte. Heiß war etwas an ihrer linken Wade vorbei gestrichen. Die Kugel hatte sie nicht getroffen, sondern war in den Batatenacker geschlagen, aber im ersten Entsetzen hatte sie wirklich angenommen, es habe ihr Bein aufgerissen. Sie fiel vornüber, schlug hart auf und wälzte sich auf dem Erdboden. Sie weinte und sah durch einen Schleier von Tränen Louis, der vor Richard und Marcel auf sie zustürmte, das Grinsen des Siegers schon im Gesicht. Benommen erhob sie sich wieder, rannte nach links, dann nach rechts und schlug Haken wie ein verstörtes Tier. Louis lachte. Er hob die leergeschossene Schnapphahnschloß-Pistole und warf sie nach Alewa. Die Waffe prallte Alewa gegen die linke Hüftseite. Alewa stöhnte auf, mehr vor Panik und Todesangst als vor Schmerz. Wieder taumelte sie und drohte hinzufallen. „Ich hab sie!“ rief Louis triumphierend. „Jetzt geht sie uns nicht mehr durch die Lappen!“ Er tat zwei wahre Panthersätze, brachte sich neben das Mädchen und hielt sie am
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linken Arm fest. Er riß sie zu sich heran, und sie strauchelte und stürzte, klammerte sich aber an ihm fest und zerrte ihn so mit sich zu Boden. Louis stieß eine ganze Reihe von üblen Verwünschungen aus. Er wollte Alewas langes schwarzes Haar packen und ihr Gesicht auf diese Weise dicht zu sich heranziehen, aber sie ließ ihn plötzlich los, spreizte die Finger und zog ihm die Fingernägel quer durchs Gesicht. Entsetzt fuhr er zurück. Er hatte nicht mehr mit einer Attacke gerechnet, deshalb war er umso überraschter und lockerte für einen Moment seinen Griff um ihren linken Arm. Alewa wußte die Chance zu nutzen. Sie befreite sich mit einem Ruck und war sehr schnell wieder auf den Beinen. Noch ehe Louis aufspringen konnte und bevor Marcel und Richard heran waren, war Alewa über das langgestreckte, bebaute Plateau gelaufen und brachte sich über die grasbewachsene Umrandung hinweg. Sie kugelte sich wieder wie eine Katze zusammen und rollte den Hang hinab. Ihre Drehungen wurden immer schneller. Sie war schmutzig, ihr Rock war halb zerfetzt, es brauste und toste in ihrem Kopf, während sich die Welt wie verrückt um sie zu drehen schien. Sie glaubte, jeden Augenblick den Verstand zu verlieren, aber sie wußte, daß sie trotzdem mit ihren Händen und Füßen und mit den Zähnen weiter gegen diese grausamen Kerle kämpfen würde – bis sie sie umbrachten. * Natürlich hatte der Seewolf auf die Entdeckung des braunhäutigen, halbnackten Mädchens hin sofort sein Spektiv ans Auge gehoben und hatte sowohl die drei weißen Verfolger als auch die Pistole in der Faust des einen erspäht. „Zeug wegnehmen! Jolle abfieren! Fünf Mann mit mir! Wir müssen dem Mädchen helfen!“ Seine Befehle schallten über Deck. Carberry hatte sich bereits umgedreht, um auf die Kuhl hinunterzuhasten und die Männer anzutreiben. Ben Brighton leitete die erforderlichen Manöver. Ferris Tucker,
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Shane, die beiden O'Flynns und Smoky folgten als erste dem Profos, dann eilten auch die anderen los, und plötzlich schien auf der „Isabella“ der Teufel los zu sein. Während die Galeone mit aufgegeiten Segeln beidrehte und rasch an Fahrt verlor, hatten Dan O'Flynn, Stenmark und Batuti bereits die Persenning von der einen Jolle heruntergezerrt, lösten jetzt die Zurrings und hievten das Boot mit Hilfe von Jeff Bowie und Matt Davies ein Stück hoch, um es dann außenbords zu schwenken und in Lee abzufieren. „Ed, Ferris, Shane, Dan und Batuti - ihr setzt mit mir an Land über?“ rief der Seewolf. Siri-Tong war neben ihm und sagte ziemlich laut: „Damit bin ich aber nicht ganz einverstanden. Ich ...“ „Nein, du bleibst hier“, schnitt er ihr das Wort ab, wandte sich um, war mit zwei Sätzen den Steuerbordniedergang hinunter, der die Back mit der Kuhl verband, und eilte zur Jakobsleiter, die von Bob Grey und Sam Roskill mit routinierten Bewegungen am Schanzkleid belegt und dann abgefiert worden war. Der Profos, Ferris Tucker, Big Old Shane, Dan O'Flynn und der Gambia-Mann schickten sich schon an, in das inzwischen längsseits der „Isabella“ dümpelnde Boot abzuentern. Die Rote Korsarin gab so leicht aber nun doch nicht auf. Sie jumpte ebenfalls auf die Kuhl hinunter, brachte sich neben Hasard und versuchte, ihn zurückzuhalten. „Das ist nicht fair von dir. Ich bin dir ebenbürtig und habe das gleiche Recht wie du, auf Hawaii zu landen. Das kannst du mir nicht verbieten. Ich werde also ...“ „ ... das tun, was ich dir sage!“ Er war stehen geblieben und blickte sie aus seinen eisblauen Augen an. „Hasard ...“ „Du hast dich meinem Kommando zu fügen wie alle anderen an Bord dieses Schiffes“, sagte er scharf. Philip und Hasard, die Zwillinge, beobachteten die Szene von der Back aus. Sie wären auch gern mit in die Jolle abgeentert, aber sie hatten lieber gar nicht erst danach gefragt, weil sie die Antwort ihres Vaters ohnehin im voraus kannten. Er behandelte sie durchaus wie vollwertige
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Besatzungsmitglieder, aber wenn besondere Gefahren drohten, trug er lieber selbst das größte Risiko - er mit seinen besten Männern, falls es nötig war. Eben das war der Fall; dort, an Land, schien eine ganze Reihe von tückischen Gefahren zu lauern. „Warum willst du mich nicht mithaben?“ fragte die Rote Korsarin. Eben krachte drüben am Hang der Schuß aus der Pistole des einen Verfolgers, und Hasard wies mit der rechten Hand zum Ufer und entgegnete: „Darum. Ich habe keinen Zweifel daran, daß die Insel von Piraten besetzt ist. Im Uferdickicht, bei den Hütten, überall können weitere Feinde lauern. Ich habe vor, weder dich noch die Jungen, noch sonst jemanden über den Haufen schießen zu lassen.“ „Ach! Und wenn es euch sechs erwischt?“ „Wir haben die härtere Haut, das dickere Fell“, erwiderte er. Damit drehte er sich um und kletterte über das Schanzkleid auf die Sprossen der Jakobsleiter. Batuti war gerade eben als letzter der fünf Ausgewählten hinter der Bordwand verschwunden. „Ben, du übernimmst während meiner Abwesenheit das Kommando!“ rief Hasard seinem Ersten und Bootsmann noch zu. „Geht gefechtsklar und heizt jedem gehörig ein, der versucht, uns den Weg zu den Hügeln abzuschneiden.“ „Aye, Sir!“ rief Ben Brighton zurück. „Aye, Sir“, sagte auch Siri-Tong mit einem letzten, mißbilligen Blick auf den Seewolf. „Dann eben nicht, du Dickschädel.“ Es hätte nicht viel gefehlt, und sie hätte dazu auch noch wütend mit dem Fuß aufgestampft. Die Fäuste hatte sie ohnehin schon in die Seiten gestemmt. Hasard junior stieß Philip junior mit dem Ellbogen an. „Siehst du, Dad ist doch wieder der Stärkere geblieben.“ „Was denn wohl sonst?“ sagte Philip junior richtig empört. „Er ist schließlich der Kapitän und läßt sich von keinem in seine Entscheidung 'reinreden. Das wäre ja noch schöner!“ „Aber sie hätte ihm fast 'ne Backpfeife gegeben.“
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„Das glaubst aber auch bloß du.“ „Wollen wir wetten?“ „Mit dir wette ich nicht.“ Hasard junior kicherte hinter der vorgehaltenen Hand. „Weißt du was? Ich glaube, Madam ist eifersüchtig auf die Inselmädchen. Deswegen wollte sie unbedingt mit ...“ „He, ihr zwei!“ rief die Rote Korsarin plötzlich zur Back hinauf. „Kommt herunter und schnappt euch zwei Holzkübel. Wir brauchen Seewasser für die Wischer der Geschütze, und außerdem muß sofort Sand auf den Decks ausgestreut werden. Wird's bald?“ Sie hatte den Zwillingen gegenüber eine fast mütterliche Rolle eingenommen, aber wenn es um die Einhaltung der Borddisziplin ging, dann kannte auch sie keinen Pardon. „Schnell“, zischte Hasard junior daher seinem Bruder zu. „Sonst kriegen wir am Ende noch die Backpfeifen.“ * Die Jolle hatte sich von der Bordwand der „Isabella“ gelöst. Hasard saß auf der achteren Ducht und hielt als Bootsführer die Ruderpinne, während seine fünf Männer im Gleichtakt pullten. Die Jolle glitt aus dem Windschatten heraus, der Seewolf drückte die Ruderpinne etwas herum, und das Fahrzeug glitt mit Direktkurs auf das von der Riesenwelle zerstörte Pfahlbautendorf zu. Hinter seinem Rücken konnte Hasard noch vernehmen, wie die 17pfünder der „Isabella“ mit beeindruckendem Gerumpel ausgerannt wurden. Binnen weniger Minuten würde das Schiff gefechtsklar sein, jeder Handgriff saß. Auch die Drehbassen auf dem Vor- und Achterdeck würden geladen und gerichtet werden. Und Al Conroy würde natürlich einen Satz Flaschenbomben bereitlegen, für alle Fälle. Die Galeone lag jetzt nur noch etwa eine Kabellänge vorn Sandstrand der Insel entfernt und wiegte sich in den rhythmisch schwingenden Wogen. Dies war keine zu große Entfernung, um ein paar gezielte
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Schüsse anzubringen. Rückendeckung für die sechs Männer der Jolle — genau darauf richtete sich Ben Brighton in diesem Moment ein. Die Wellen unter dem Beiboot hoben und senkten sich stärker, Hasard und seine fünf Kameraden gerieten jetzt in die heftige Brandung der Insel. Auch bei sonst ruhiger See ging diese Brandung stets steil und rauschend vor der Küste von Hawaii, das wußten sie schon von ihrem ersten Besuch. Hasard zog die doppelläufige sächsische Reiterpistole aus dem Gurt, spannte die beiden Hähne und legte die Waffe neben sich auf die Ducht. Das Boot erklomm einen Wellenkamm, wurde von der Strömung mitgenommen, neigte den Bug etwas nach unten, streckte das Heck dem Himmel entgegen und ritt auf der Woge. Hasard spähte zum Ufer und versuchte wieder etwas von dem Mädchen zu entdecken, hatte dabei aber keinen Erfolg. Wo immer sie jetzt auch stecken mochte, sie hatte sich seinem Sichtfeld entzogen. Und die drei Kerle? Hatten sie sie gestellt? Er wagte nicht, daran zu denken. Irgendwie war Hasard das braunhäutige Mädchen bekannt erschienen, und diese Empfindung verstärkte seine dumpfen Ahnungen noch. Die Insel Hawaii von Piraten besetzt — und was hatten diese Kerle mit den rechtmäßigen Bewohnern gemacht? Hatten sie sie bis auf wenige Leute umgebracht? Hatte es ein Gemetzel gegeben? Wie hatten sich die Polynesier denn wohl verteidigen sollen? Sie waren friedfertig und kannten kaum Waffen, und auch das damalige Ereignis mit de Galantes und die Eroberung der Manila-Galeone „Santa Ana“ konnten daran kaum etwas geändert haben. Sicher, Zegú, Federmann und alle die anderen hätten die Möglichkeit gehabt, die Waffen der „Santa Ana“ zu bergen und an Land zu schaffen, aber so, wie Hasard sie kannte, hatten sie dies nicht getan. Eher hatten sie wohl die „Nao de China“ samt ihren Geschützen und Musketen, Degen, Säbeln, Entermessern und Pistolen auf den Grund der See geschickt.
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Je intensiver Hasard darüber nachdachte, was der Inselbevölkerung zugestoßen sein konnte, desto mehr krampfte es ihm das Herz zusammen. Dieses beklemmende Gefühl wollte nicht mehr weichen. „Sir!“ rief Carberry gegen das Donnern der Brandung an. „Glaubst du wirklich, daß wir aus einem Hinterhalt überfallen werden?“ „Was ich glaube, spielt keine große Rolle“, rief Hasard nicht weniger laut zurück. „Wir müssen mit allem rechnen, vor allem damit, daß wir seit unserem Aufkreuzen beobachtet worden sind.“ „Ja, aber .. . „Ed!“ brüllte Shane seinem Nebenmann Carberry direkt ins Ohr. „Du weißt doch, was für nette Überraschungen wir auf Inseln schon erlebt haben. Was fragst du da noch groß?“ „Ich will nur wissen, wie wir uns verhalten sollen!“ schrie der Profos dem ehemaligen Schmied und Waffenmeister von Arwenack Castle mitten ins Gesicht. Shane wischte sich mit dem Handrücken durchs Gesicht und zerdrückte einen Fluch auf den Lippen. War das nun der Gischt der Brandung oder Carberrys feuchte Aussprache gewesen, die ihm entgegen gesprüht War? „Wenn man uns angreift, dann feuern wir zurück!“ rief der Seewolf. „Und zwar schießen wir nicht nur zur Warnung in die Luft, verstanden? Wir haben es mindestens mit einem ebenbürtigen, wahrscheinlich aber mit einem haushoch überlegenen Gegner zu tun, der gnadenlos seinen Vorteil ausnutzt, Wir werden uns nicht wie die Hasen abknallen lassen.“ Er sprach nicht weiter, denn eine neue Woge bemächtigte sich der Jolle, hob sie hoch, brachte sie fast zum Kentern und trug sie in pfeilschneller Fahrt dem hellgelben Sandstrand entgegen. Die Männer setzten mit dem Pullen aus, hielten sich fest und achteten darauf, daß ihre Waffen nicht naß wurden. Das Boot wackelte bedrohlich. Carberry und Ferris Tucker fluchten fast gleichzeitig. Ein Ruck lief durch die Jolle, dann saß sie auf dem Strand fest, und ein
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rauschender Gischtregen ging auf den Duchten und dem Dollbord nieder. Hasard war als erster mit einem Satz aus dem Boot, lief durch schäumendes Flachwasser an Land und sicherte mit der Doppelläufigen zum Dorf hinüber. Sie waren keine zwanzig Schritte von dem am weitesten südlich gelegenen Pfahlbau entfernt gelandet. Als er glaubte, daß zwischen den Hütten kein Gegner auf sie lauerte, winkte er seinen Männern zu. Sie hatten die Jolle ebenfalls verlassen, packten jetzt an und schoben sie weiter auf den Strand, so daß sie von der Brandung nicht fortgespült und abgetrieben werden konnte. Carberry, Ferris, Shane, Dan und Batuti hatten sich mit Tromblons und Pistolen bewaffnet. Shane und der Gambia-Mann trugen zusätzlich Pfeil und Bogen bei sich, und der Schiffszimmermann hatte zwei Flaschenbomben aus dem umfangreichen Arsenal der „Isabella“ in die Taschen seiner Hosen gestopft. Der Seewolf hingegen hatte nur seine Reiterpistole und einen schweren Cutlass mit vergoldetem Handkorb mitgenommen. Wieder gab der Seewolf seinen Männern einen Wink, dann rückte er an der Spitze des kleinen Trupps auf die Palmen und das Uferdickicht zu. Gut dreißig, vierzig Yards Sandstrand waren zu überqueren, ehe sie unter den fächerartigen Wipfeln der Palmen in das Gebüsch „ tauchen konnten. Auf dieser Strecke, die es nun zu überbrücken galt, befanden sie sich für eventuell im Gebüsch verborgene Heckenschützen wie auf einem Präsentierteller. Dan O'Flynn drehte sich kurz zur „Isabella“ hin um. Ben hatte sie näher an den Strand herandümpeln lassen, indem er nur die Fock und die Blinde hatte setzen lassen. Er war dem Strand somit nahe genug, um auch „einer Mücke ein Auge ausschießen zu können“, wie Al Conroy zu sagen pflegte, aber jede Schützenhilfe der Kameraden auf dem Schiff erfolgte zu spät, wenn plötzlich vom Dickicht aus das Feuer auf die Landgänger eröffnet wurde.
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Hasard strebte voran. Er begann leicht zu schwitzen. Dies war der gefährlichste Moment in dem Unternehmen, auf das er sich eingelassen hatte. Sie riskierten alle sechs, dabei draufzugehen. Wo war das Mädchen? Er konnte sie nicht mehr schreien hören. Auch das Fluchen und Brüllen der drei Verfolger, die er nur allzu deutlich durch sein Spektiv beobachtet hatte, war verstummt und geschossen wurde nicht mehr. Was hatte das zu bedeuten? Hatten sie das Mädchen gefangen? Fielen sie in diesem Augenblick wie die Wölfe über sie her? Er zwang sich, nicht daran zu denken. Konzentriert richtete er seinen Blick auf das Dickicht, das jetzt näher und näher rückte. Plötzlich sah er zwischen den Blättern etwas blinken, etwas Mattes, Metallenes. „Hinlegen“, stieß er heiser aus, „'runter mit euch!“ Dann ließ er sich selbst fallen und streckte die Rechte mit der Doppelläufigen vor. Im Gebüsch blitzte es grellgelb auf, dann war das Krachen zu vernehmen, das so typisch für eine Schußwaffe war, und die Kugel raste heran. 3. Louis hatte seine SchnapphahnschloßPistole vom Boden aufgelesen und war Alewa nachgestürmt. Er hatte keine Zeit, die Waffe nachzuladen, wollte sie sich aber zumindest in den Gurt stecken, um sie später nicht auf dem Batatenfeld suchen zu müssen. Vom Rand der Terrasse aus konnte er gerade noch sehen, wie das Mädchen sich gut fünf, sechs Yards unter ihm aufraffte und die Flucht fortsetzte. Drecksstück, verdammtes, dachte er, ich hatte gehofft, es würde dir das Genick brechen. Aber so ist es besser - ich kann dich lebend fassen und noch aus dir herausprügeln, wo die anderen stecken. Er setzte sich auf den Abhang, gab sich einen Ruck und schlitterte auf dem Hosenboden nach unten.
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„Louis, warte auf uns“, hörte er über- sich noch Marcels keuchende Stimme. „Mann, was ist denn bloß los mit dir, wieso hast du sie wieder losgelassen?“ rief Richard. Louis kümmerte sich nicht weiter um sie. Er war viel zu wütend darüber, daß das Mädchen ihm entschlüpft war, wollte jetzt nicht mit seinen Kumpanen darüber debattieren und hatte überdies auch die Befürchtung, die Polynesierin würde sie nun endgültig überlisten und spurlos im Dickicht verschwinden. Dieses Dickicht zog sich zwischen dem Fuß der Hügel und dem Pfahldorf wie ein breiter grüner Teppich dahin, stieg dann links und rechts der künstlich angelegten Terrassen auf und säumte die Felder. Wie eine einzige Moosfläche schmiegte es sich an die Hänge und ging später in dichten tropischen Regenwald über, der erst an der Vegetationsgrenze der Berge endete. Louis langte auf der Terrasse an und lief geduckt auf seinen nackten Fußsohlen über die gehackte und bepflanzte Fläche. Er befand sich jetzt auf dem untersten Plateau, und dieses brach mit einem Hang ab, der nur etwa halb so hoch wie die anderen war. Alewa sprang soeben auf diesen Hang hinunter und entzog sich Louis' Blick. Er fluchte und beschleunigte seine Schritte. Unten am Hang begann das Dickicht. Wer würde das Mädchen dort noch wiederfinden? Im Voranstürmen warf Louis noch einmal einen Blick auf die Dreimast-Galeone, die inzwischen in die Bucht eingelaufen war. Natürlich hatten Richard, Marcel und er das Schiff von den Hügeln aus sehr gut beobachten können, seit es die im Süden liegende Landzunge umrundet hatte, und sie hatten sich auch die Frage gestellt, was das wohl für ein Schiff sei, welcher Herkunft die Besatzung war und welche Absichten der Kapitän haben mochte. Dann aber hatte Louis die leise Stimme des Mädchens aus dem Gebüsch vernommen. Alewa hatte sich durch ihre Unachtsamkeit selbst verraten, und die weitere Zeit war durch die Jagd der drei Piraten auf das Mädchen ausgefüllt gewesen.
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Louis konnte gerade noch die Masten der Dreimast-Galeone über den Palmenwipfeln sehen, alles andere wurde durch die Baumstämme und das Gebüsch verdeckt. Louis war jetzt sicher, daß die Mannschaft des Schiffes hier, am Ufer der Bucht, landen wollte, vielleicht, um nach den Bewohnern des vernichteten Dorfes zu forschen. Er verfluchte die fremde Crew und die Neugierde ihres Kapitäns, rechnete aber damit, daß die zwei Männer, die er als Bewacher des Dorfes im Ufergestrüpp zurückgelassen hatte, den Unbekannten einen gebührenden Empfang bereiten würden. Louis erreichte den Terrassenrand und blickte in das Dickicht hinunter, konnte von Alewa aber nichts mehr entdecken. Sie schien sich in Luft aufgelöst zu haben. Er stieß ein paar lästerliche Verwünschungen aus. Das, was er hatte vermeiden wollen, war eingetreten. Doch plötzlich knallte unten, im Gesträuch am Strand, der Schuß eines seiner Kumpane. Ein paar Rufe waren zu vernehmen, von wem sie ausgestoßen worden waren, ließ sich nicht feststellen. Louis grinste plötzlich, denn erstens war er sicher, daß seine Spießgesellen dort unten für eine „gelungene Überraschung“ gesorgt hatten, und zweitens hatte er in diesem Moment im Dickicht eine Regung bemerkt. Das Mädchen! Jetzt wußte er, wo sie steckte. Alewa hatte sich in das dichte Gebüsch gekauert — in der Hoffnung, Louis, Marcel und Richard würden zwar noch eine Weile nach ihr suchen, es dann aber aufgeben. Beim Krachen des Schusses zuckte sie jedoch zusammen und vollführte einen Satz nach vorn. Sie nahm in ihrer Panik an, Louis hätte die Pistole inzwischen nachgeladen und damit aufs Geratewohl in das Dickicht gefeuert. Aus Angst, getroffen zu werden, wechselte sie ihren Standort. Damit brachte sie Blätter und Zweige zum Rascheln und verriet sich zum zweitenmal an diesem Vormittag.
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Siedend heiß sirrte es über Hasards Kopf weg. Die Kugel war für ihn bestimmt gewesen, und hätte er nicht den Waffenlauf im Gebüsch schimmern sehen, wäre er zweifellos getroffen worden. Hinter sich hörte er den Profos, Ferris, Shane, Batuti und Dan gleichzeitig losfluchen. Sie hatten sich auch geistesgegenwärtig fallen lassen und hantierten mit ihren Waffen. Hasard zielte so ruhig wie möglich auf die Stelle, an der er die gegnerische Waffe hatte aufblitzen sehen, und drückte ab. Der rechte Lauf seiner Reiterpistole ging los, die Waffe ruckte in seiner Faust. Im Krachen des Schusses hörte er den Aufschrei eines Mannes. Beide Geräusche verloren sich im Donnern der Brandung, die gegen die Insel anrollte, aber dann knallte es wieder im Dickicht, und zwar nur einen, höchstens aber anderthalb Yards links vom Stand- ort des ersten Schützen entfernt. Die Kugel stob vor dem Seewolf in den makellos reinen Sand des Strandes und riß eine kleine Fontäne hoch. Hasard feuerte den linken Pistolenlauf ah, aber ein Schrei blieb diesmal aus. Der zweite Schütze hatte wohl aus der schlechten Erfahrung seines Kumpans gelernt. Zum drittenmal leckte ein Feuerblitz aus dem Dickicht hervor. Pistole, dachte Hasard, als er das Blaffen der Waffe hörte. Erst haben sie ihre Musketen leer geschossen, jetzt bedient der zweite sich seiner Handfeuerwaffe. Der erste kann wohl nicht mehr schießen, aber sein Mitstreiter wird ihm die geladene Pistole abnehmen. „Gebt mir Feuerschutz!“ rief Hasard seinen Männern zu. Und schon war er auf den Beinen, wich nach rechts aus und hetzte mit leicht vorgebeugtem Oberkörper über den Strand. Schräg hinter ihm krachten die Tromblons los. Ein wahrer Bleihagel prasselte in das Gebüsch, doch ob der Gegner getroffen war, ließ sich nicht feststellen. Hasard rechnete damit, daß Carberry, Ferris
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Tucker, Shane, Dan O'Flynn und der Gambia-Mann zu hoch gehalten hatten, daß der Feind flach auf dem Boden lag und zu seinem verletzten oder toten Gefährten hinüberrobbte. Hasard erreichte das Dickicht und sprang hinein. Er fragte sich nicht, ob der Kerl ihn wohl beobachtet hatte. Er arbeitete sich voran, zog seinen Cutlass, weil zum Nachladen der Doppelläufigen keine Zeit blieb, und war darauf gefaßt, den Gegner jeden Moment vor sich aus dem dunkelgrünen Vorhang hervorbrechen zu sehen. Schwer wog der Cutlass in seiner rechten Hand. Am Strand belferten jetzt die Pistolen los. Die fünf von der „Isabella“ taten ihr Bestes, um ihrem Kapitän Schutz zu geben, aber mehr würden sie nicht unternehmen, um ihn jetzt, da er im Gestrüpp verschwunden war, nicht zu gefährden. Batuti und Shane verzichteten darauf, auch Pfeil und Bogen einzusetzen. Ferris Tucker sparte sich die Flaschenbomben für später auf, falls er sie dann überhaupt noch brauchte. Sicher, er hätte vorher auch einfach eine Höllenflasche anzünden und ins Gebüsch schleudern können, dadurch hätten sie schnell mit dem Gegner aufgeräumt und sich jeden weiteren Kampf erspart. Aber dazu brauchte er Hasards Befehl. Und diesen Befehl wollte der Seewolf nicht geben. Bevor er aufs Ganze ging und alle Register zog, wollte er wissen, mit wem er es zu tun hatte, und die Situation klar erkennen. Carberry und die vier anderen stellten das Feuer ein. Sie robbten jetzt sicherlich über den Strand auf das Dickicht zu. Und der unverletzte Pirat – Hasard nahm zumindest an, daß er nicht getroffen worden war – trachtete in diesem Augenblick, die Pistole des Kumpans an sich zu bringen. Ein lang gezogenes Stöhnen aus dem Buschwerk wies Hasard den Weg, den er zu nehmen hatte. Fast könnte man hier im Dickicht die Orientierung verlieren, das dichte, verfilzt wirkende Niedriggehölz, das Hasard bis zum Kopf reichte, war ein
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einziges Labyrinth. Hasard hörte dicht vor sich ein feines, metallisches Geräusch. Er ging noch einen Schritt weiter, sah plötzlich Stoff zwischen den Zweigen und Blättern, hatte den Mann vor sich und stürzte sich auf ihn. Beim Knacken und Rascheln des Strauchwerks blickte der zweite Pirat von der reglos und verkrümmt daliegenden Gestalt seines Kumpans auf. Ja, er hatte die Pistole schon in der Hand und auch den Hahn gespannt. „Merde!“ zischte er und wollte auf den Seewolf, der mit erhobenem Cutlass auf ihn zusprang, abdrücken. Hasard hätte den Cutlass auf den ungeschützten Schädel des Kerls niedersausen lassen können, aber es widerstrebte ihm. Lieber stoppte er ab, riß ein Bein hoch und knallte die Stiefelspitze unter den Waffenarm des Mannes. Mit einem Wutschrei quittierte der Pirat, ein wuchtiger, muskulöser Mann mit nacktem Oberkörper und bärtigem Haupt, diesen Ausfall. Er wollte noch abdrücken, aber die schmerzende Hand versagte ihm den Dienst. Sein Arm flog hoch, seine Finger lösten sich von dem Pistolenkolben, und die Waffe wirbelte in hohem Bogen durch die Luft – aus dem Dickicht heraus und gegen den Stamm einer mächtigen Palme. Beim Aufprall lockerte sich der Hahn, er knallte auf die Pfanne des Steinschlosses, und der funkensprühende Flint löste den Schuß aus. Beim Aufkrachen der Pistole zogen Carberry und die vier anderen, die dem Dickicht jetzt sehr nah waren, unwillkürlich die Köpfe ein. Die Kugel traf aber keinen von ihnen. Sie pfiff wirkungslos in den blauen Himmel. Die Pistole fiel ins Gebüsch zurück. Der bärtige Pirat wollte sein Messer zücken, die letzte Waffe, die ihm im Kampf gegen den Seewolf noch zur Verfügung stand. Hasard kam ihm jedoch zuvor. Er rammte ihm die freie linke Faust gegen %die Brust. Der Pirat stolperte rückwärts und ruderte mit den Armen, torkelte aus dem Dickicht heraus und
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genau auf Carberry, Ferris Tucker, Shane, Dan und Batuti zu. Der Profos war dem Piraten am nächsten. Er hatte sich vom Strand erhoben, ließ das leergefeuerte Tromblon, das er vorsichtshalber doch lieber mitgenommen hatte, fallen und marschierte mit ausgebreiteten Armen auf den taumelnden Freibeuter zu. Es wirkte grotesk, und Dan O'Flynn konnte sich mal wieder ein Grinsen nicht verkneifen. „Ho“, sagte Carberry. „Was ist denn dir passiert, du plattnäsiges Rübenschwein? Am frühen Morgen schon zuviel gesoffen, was, wie? Komm, Junge, komm zum guten alten Carberry, der wird dich schon verarzten.“ Der Pirat fuhr zu ihm herum. Plötzlich hatte er das Messer doch in der Hand. Carberrys Blick fiel auf die blinkende Waffe. Seine Miene verdüsterte sich. „Wie? Auch noch frech werden, Bursche? Das haben wir gern. Gib das Ding her. Na los, rück es 'raus.“ Der bärtige Kerl stieß etwas aus, das wie „Vaffankühl“ oder ähnlich klang. Der Profos, der ohnehin kein besonderes Gefühl für Sprachen hatte, verstand kein Wort. Er ließ lieber die Taten für sich sprechen, packte unerwartet schnell den Arm des Kerls und drehte ihn so um, dass dieser einen spitzen Laut vernehmen ließ und in die Knie ging. Das Messer fiel in den Sand. Carberry wuchtete dem Gegner die Faust unters Kinn. Der Kerl brach zusammen, streckte alle viere von sich und rührte sich nicht mehr. „So“, sagte der Profos zufrieden. „Mit hinterhältigen Säcken verfahren wir so und nicht anders, merk dir das.“ Ferris Tucker und Dan O'Flynn waren ins Dickicht getreten. Shane und der GambiaMann waren neben Carberry geeilt, und Big Old Shane legte dem Narbenmann die Hand auf die Schulter. „Ed, er kann dich im Moment ja doch nicht hören. Und außerdem spricht er eine andere Sprache als wir. Englisch versteht er bestimmt nicht.“
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„So“, brummte der Profos. „Was ist er denn? Ein Holländer? Ein Portugiese?“ „Ich glaube, ein Franzose.“ „Hol's der Henker. Und was hat er zu mir gesagt?“ „Dan!“ rief Shane. „Hast du verstanden, was der Kerl hier unserem Profos an den Kopf geschmissen hat?“ „Ja“, tönte Dans Stimme aus dem Dickicht zurück. „Er könne ihn mal kreuzweise, hat er gesagt.“ Carberry senkte das Haupt, beäugte den Bewußtlosen wütend und sagte: „Darüber unterhalten wir uns noch ausführlich, wenn du wieder bei dir bist, Freundchen. Dan O'Flynn, der ja ein paar Brocken Französisch kann, wird dann den Dolmetscher spielen. Nicht wahr, Dan, das wirst du doch, was?“ „Ich kann meinem Freund Carberry doch so eine Bitte nicht abschlagen“, erwiderte Dan O'Flynn, aber der Profos überhörte glatt den spöttischen Unterton, den seine Stimme dabei hatte. „Sir!“ rief Batuti ins Dickicht. „Was ist mit anderes Mann, Sir?“ „Den hat es voll erwischt“, gab der Seewolf zurück. „Der wird nie wieder auf jemanden schießen können. Die Kugel hat seine Brust getroffen. Batuti!“ „Sir?“ „Du fesselst den Ohnmächtigen und paßt auf ihn auf. Wir anderen setzen jetzt unseren Weg fort und suchen das Mädchen. Hoffentlich kommen wir nicht schon zu spät.“ Wie eine Bestätigung seiner schlimmsten Befürchtungen drang in diesem Moment wieder ein heller, in höchster Angst ausgestoßener Schrei an ihre Ohren — der Schrei eines Mädchens. * Louis war den schätzungsweise zwei Yards hohen Hang hinab gesprungen, war im Dickicht gelandet und hetzte hinter der aufspringenden Alewa her, als am Strand in rascher Folge die Schüsse krachten. Er schlug die Zweige und Blätter mit den Händen auseinander und paßte auf, daß er
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sich nirgends mit den Füßen verfing oder über eine Wurzel stolperte. Er war ihr dicht auf den Fersen und konnte sie zwischen den wippenden Zweigen laufen sehen. Dann strauchelte sie plötzlich. Louis holte auf, der Vorsprung, den Alewa eben noch gehabt hatte, schrumpfte auf ein Nichts zusammen. Ehe sie ihren drohenden Sturz abfangen und sich wieder aufrichten konnte, war der Pirat über ihr, warf sie zu Boden, kniete sich auf sie und hielt ihre Arme fest, so daß sie ihn diesmal nicht kratzen konnte. Alewa lag dieses Mal außerdem auf dem Bauch und hatte von vornherein keine Chance mehr, sich aus Louis' Gewalt zu befreien. Er versetzte ihr einen Schlag und beschimpfte sie. Die Tränen standen ihr in den Augen, aber es waren Tränen der Wut. Die Verzweiflung hatte ihr mehr Mut verliehen, Zorn und Haß hatten über die Angst gesiegt. Wenn sie nur eine winzige Möglichkeit hatte, ihn abzuschütteln, dann nahm sie sie auch wahr. Louis spürte ihren geschmeidigen, warmen Körper unter sich, und plötzlich fühlte er unbändiges Verlangen in sich aufsteigen. Er schob seine linke Hand auf ihre Hüfte und begann, an ihrem dunkelroten Rock herumzunesteln. Sein Atem ging schnell und stoßweise. „Louis!“ Das war Marcel. Er mußte jetzt ebenfalls im Dickicht sein. „Louis, wo steckst du?“ rief nun auch Richard. Louis antwortete ihnen nicht. Er wollte mit dem Mädchen allein sein und seinem übermächtigen Trieb freien Lauf lassen. Aber dann bremste ihn doch etwas. Am Strand wurde jetzt nicht mehr geschossen, aber der Schrei eines Mannes tönte herüber. Louis erkannte seine Stimme wieder. Das war einer der Kumpane, die dort das Dorf und den Strand hatten bewachen sollen. Der Schrei verstummte. Andere Stimmen riefen sich etwas zu, mehrere Männer unterhielten sich auf englisch. Louis wußte jetzt, daß der kurze, heftige Kampf nicht zugunsten seiner Kumpane ausgefallen war. Alewa schrie plötzlich gellend auf. Louis
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schlug sie noch einmal und zischte: „Sei still! Wirst du wohl ruhig sein! Du holst uns die Hundesöhne noch auf den Hals.“ „Louis“, sagte Marcel dicht hinter seinem Rücken. „Teufel, hast du das gehört? Das sind englische Bastarde, wenn mich nicht alles täuscht. Hölle, sie scheinen Jean und Luc überrumpelt zu haben.“ „Ja.“ „Louis, warum hast du dich denn nicht gemeldet?“ rief Richard, der jetzt - von dem Schrei des Mädchens angelockt ebenfalls auftauchte. „Parbleu, in was für einen Schlamassel sind wir da bloß geraten?“ „Ich hole die anderen“, sagte Marcel. „Die haben die Schüsse ohnehin gehört und sind hierher unterwegs, um nach dem Rechten zu sehen. Wir brauchen Verstärkung, Louis, um mit der Drecksmannschaft dieses elenden Schiffes fertig zu werden.“ „Gut“, meinte Louis. „Richard und ich, wir verstecken uns solange mit dem Luder hier im Dickicht. Wir müssen bloß den Standort wechseln, sonst haben wir sie gleich alle auf dem Pelz. Richard, stopf diesem Hurenstück das Maul, damit sie nicht wieder los schreien kann.“ „In Ordnung“, sagte Richard, während Marcel sich bereits zurückzog. Er riß einfach einen Fetzen Stoff von seinem Hemd los, knüllte es zusammen und steckte es Alewa zwischen die Zähne, als der Kumpan sie hoch zerrte und vor ihm festhielt. „Komm“, flüsterte Louis seinem Begleiter zu. „Wir verstecken uns und belauern diese dreckigen Hurensöhne. Wenn Marcel mit den anderen zurückkehrt, gibt es einen Feuerzauber, der sich sehen lassen kann, das schwöre ich dir.“ Er zerrte Alewa durch das Dickicht mit sich fort. Richard folgte den beiden. 4. Der Seewolf hastete seinen Männern voran und trieb mit dem Cut-lass einen Weg in das Dickicht. Er strebte auf die Hügel zu, orientierte sich an dem Schrei, den das Mädchen zuletzt ausgestoßen hatte,
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rechnete aber auch damit, daß er sie an jenem Platz nicht mehr antreffen würde. Wenn die Piraten sie noch nicht gefaßt hatten, würde sie bestimmt weiterhin in panischer Flucht durch das Gebüsch irren. Und wenn die Kerle sie schon gepackt hatten? Was war dann? Hasard drosch mit dem Cutlass auf das Gestrüpp ein und fühlte sich von dem wütenden, unerbittlichen Drang beseelt, die Freibeuter zu stellen und vor die Klinge zu holen. Französische Piraten also - welcher Teufel hatte sie geritten, auf Hawaii zu landen und das Paradies zu zerstören? Hier gab es an Schätzen nichts zu holen, nichts zu heben, hier gab es eigentlich nichts, weswegen man längere Zeit verweilen konnte, es sei denn, man war ein Schöngeist wie Thomas Federmann, der sich mit seinem Leben dieser exotischen Welt verschrieben hatte. Die Frauen und Mädchen! War es das? Waren die Kerle nur hierher gekommen, um sich austoben zu können und sich die Polynesierinnen eine nach der anderen vorzunehmen? Nein, das war zu ungeheuerlich. Hasard wagte nicht, den Gedanken weiterzuführen. Er war jetzt ungefähr an dem Punkt angelangt, an dem er den. Schrei des Mädchens gehört hatte. Er blieb stehen und senkte den Cutlass. Hinter ihm rückten Carberry, Shane, Ferris und Dan auf. Batuti war Hasards Anordnung gemäß bei dem toten und dem bewußtlosen Piraten geblieben. Hasard drehte sich zu seinen vier Männern um und raunte ihnen zu: „Es hat keinen Zweck, daß wir so weitersuchen. Wir schwärmen jetzt aus und sehen zu, daß wir uns so leise wie möglich bewegen. Ich habe mit dem Cutlass schon zuviel Lärm gemacht.“ „Ist gut“, flüsterte Dan O'Flynn. „Das heißt also, wir pirschen wie die Indianer weiter?“ „Ja.“ „Besteht nicht die Gefahr, daß wir uns aus den Augen verlieren und dann gegenseitig über uns herfallen?“ wisperte der Profos.
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Es fiel ihm sichtlich schwer, so leise zu sprechen. „Ed“, raunte der Seewolf so eindringlich wie möglich. „Es bleibt unserem Können überlassen, daß das nicht geschieht. Verstehst du mich? Ehe wir handeln, müssen wir uns genau vergewissern, daß wir auch wirklich den Gegner vor uns haben.“ Alle vier nickten, sogar Dan verkniff sich diesmal eine Bemerkung, die er an den Profos richten wollte. Sie trennten sich und strebten nach links und nach rechts, also nach Norden und Süden auseinander. Hasard schob sich mit größter Vorsicht voran und bog die Zweige so zur Seite, daß sie kaum raschelten. Auch von seinen Männern vermochte er jetzt nichts mehr zu hören. Stille hatte sich über das Dickicht gesenkt. Sie wurde nur durch das Rauschen der Brandung und das Kreischen einiger Seevögel gestört. Ben Brighton und die anderen an Bord der „Isabella“ verhielten sich abwartend. Ben hätte ohnehin nur auf einen Befehl seines Kapitäns hin etwas unternommen. Außerdem hatte der Seewolf dem GambiaMann die Order gegeben, zum Schiff hinüberzusignalisieren und Siri-Tong und den Männern bekannt zu geben, daß das Landunternehmen bislang ohne Verluste abgelaufen sei und der kleine Trupp jetzt weiter nach dem Mädchen forsche. Die wichtigste Phase des Kampfes am Strand hatten die auf der „Isabella“ Zurückgebliebenen ja sowieso durch ihre Kieker verfolgen können. Für den Rest würde Batuti sich einiger gut verständlicher Zeichen bedienen, die sie alle kannten. Hasard verharrte. Schräg rechts vor Sich hatte er ein feines Geräusch gehört. Eine Art Knacken war es gewesen - oder ein Knistern? Egal, dachte er. Behutsam glitt er weiter, Zoll um Zoll, Fuß um Fuß, und glaubte jetzt jemanden atmen zu hören. Er war sicher, auf dem richtigen Pfad zu dem Polynesiermädchen zu sein und nicht etwa ein Tier des
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Dschungels vor sich zu haben. Unbeirrt pirschte er weiter vor. Das Anschleichen konnte auch ein Seemann, ein Korsar Ihrer Majestät, Elizabeth I. von England, durchaus fachgerecht lernen. Waren sie, die Seewölfe, nicht lange genug in der Neuen Welt und im Fernen Osten gewesen, hatten sie nicht engen Kontakt mit der Urbevölkerung gehabt? Vieles hatten sie von diesen Menschen abgeschaut, viele Fertigkeiten und Techniken, die in der Alten Welt bei weitem nicht so entwickelt waren. Gerade die Urwaldstämme — und das traf für alle Kontinente zu — waren Meister im lautlosen Anpirschen. Hasard bewegte sich jetzt so geschickt durch das Dickicht, daß er weder einen Laut verursachte noch die Blätter und Zweige der Sträucher mehr als eben nötig berührte. Er hatte sich auf alle viere niedergelassen, hielt den Cutlass in der Rechten, achtete aber darauf, daß er mit der Klinge nirgends anstieß. Dann vernahm er wieder einen Atemzug, dicht vor sich. Kurz darauf flüsterte jemand etwas auf französisch. Hasard fühlte seine innere Anspannung bis ins Unerträgliche wachsen. Sollte er jetzt aufspringen und sich auf die Kerle stürzen? Nein, das konnte nie und nimmer die richtige Taktik sein, denn wenn sich das Mädchen schon in ihrer Gewalt befand, gefährdete er es nur durch sein unüberlegtes Handeln. Sie können dich nicht bemerkt haben, dachte er, nutzte das aus. Immer langsamer arbeitete er sich voran. Er verengte die Augen zu Schlitzen, spähte zwischen den Feuchtigkeit ausdampfenden Blättern voraus, um möglicherweise etwas von dem oder den Feinden zu entdecken — und dann, ganz plötzlich, sah er sie wirklich. Fast zum Greifen nah kauerten sie im Gebüsch. Zwei Männer — und das Mädchen. Hasard schob sich so behutsam, als könne er etwas zerbrechen, noch um einige Zoll weiter vor und konnte nun ihr
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Gesicht, ihre angstgeweiteten Augen erkennen. Alewa, dachte er bestürzt. Ja, jetzt hatte sich auch diese Ahnung bewahrheitet. Er kannte sie. In den sechs Jahren, die inzwischen vergangen waren, war sie reifer und fraulicher geworden, aber er wußte auf Anhieb, daß sie das eine Mädchen aus dem Quartett von damals war, das de Galantes an Bord des schwarzen Seglers entführt hatte. Gerade die Mädchen hatten dann dazu beigetragen, daß de Galantes doch gescheitert war, denn sie hatten ihm ein Pülverchen verabreicht, das ihn eingeschläfert hatte. Damit hatte das Verhängnis für ihn erst richtig begonnen. Dann hatten auch noch seine Männer gemeutert, und es war ausgewesen. Hasard und Siri-Tong, der Wikinger und alle anderen hatten das schwarze Schiff zurückerobern können. Wie konnte man jemals die Ereignisse von damals vergessen? Sie waren für immer in Hasards Geist verhaftet, und er vergaß auch nicht die Tapferkeit, mit der die Mädchen seinerzeit vorgegangen waren. Alewa hatte einen Knebel im Mund stecken, und der eine Kerl, ein untersetzter Mann mit breitem, derbem Gesicht und einer speckigen Mütze auf dem Kopf, hielt sie fest, während der andere immer wieder nach allen Seiten Ausschau hielt. Dieser zweite Pirat war groß und ausgesprochen kräftig gebaut. Er hatte sich ein buntes Tuch um den Kopf geschlungen. Von seinem linken Ohrläppchen baumelte ein Ring herab, der zweifellos aus Gold war. Sein Hemd hatte er über dem Bauchnabel zusammengeknotet. Seine Hosen reichten ihm nur bis zu den Waden, Schuhe schien er nicht zu besitzen. In seinem scharfgeschnittenen Gesicht fielen die klaren blauen Augen auf, die so kalt wie Eis zu sein schienen. Hasard überlegte noch, ob er lieber seine Kameraden holen solle, statt allein zu handeln, da wurde ihm die Entscheidung durch die Entwicklung der Dinge abgenommen. Der Blauäugige wandte sich seinem Kumpan zu und raunte ihm etwas ins Ohr, was der Seewolf nicht verstehen
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konnte. Der andere Pirat nickte. Der Blauäugige erhob sich vorsichtig, schlich gebückt voran und gab somit die Richtung an. Der untersetzte Mann zerrte Alewa mit sich hoch, stieß sie voran und folgte dem anderen, der der Wortführer in dem Duo zu sein schien. Zweifellos fühlten sie sich an diesem Platz nicht mehr sicher. Sie zogen sich lieber tiefer ins Dickicht zurück. Hasard mußte zugeben, daß der Blauäugige . sich damit völlig richtig verhielt - von seiner Warte aus gesehen natürlich. Er schien scharf ausgeprägte Instinkte zu haben, ein Gespür für aufziehende Gefahren. Hasard saß den beiden Kerlen ja nun wirklich dicht auf dem Leib. Als der Untersetzte Alewa vor sich her trieb und Hasard damit den Rücken zuwandte, zögerte Hasard nicht mehr. Er stand auf, schlich den Piraten nach, nahm den Cutlass in die linke Hand und hob die rechte, um einen brettharten Jagdhieb auf den Nacken des Piraten niedersausen zu lassen. Er schlug mit voller Wucht zu, aber im selben Augenblick fuhr der Franzose zu ihm herum. * Damit brachte der Pirat sich in eine andere Position. Der Hieb, der ihn eigentlich hätte fällen müssen, traf seinen Rücken, nicht seine Nackenpartie. Hasard konnte den Schlag nicht mehr abstoppen. Jede Reaktion erfolgte zu spät. Der Pirat stöhnte zwar auf, sackte in die Knie und ließ dabei Alewa los, aber er wurde nicht besinnungslos. Während sein vorn pirschender Kumpan herumwirbelte, griff er nach dem Entermesser in seinem Gurt, riß es heraus und stöhnte dabei: „Louis - Louis, Achtung!“ Hasard bediente sich wieder seines Beines, um den Widersacher kampfunfähig zu machen. Er trat ihm das Entermesser aus der Hand, bückte sich und schlug noch einmal mit der rechten Faust zu. Diesmal traf er besser als vorher. Der Untersetzte
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brach mit einem erstickten, keuchenden Laut zusammen. Alewa hatte sich ebenfalls umgedreht und blickte aus ungläubig geweiteten Augen auf den Seewolf. In diesem Moment dachte sie wieder an Pele, die Göttin der Vulkane, und dankte ihr für die Gnade und die Hilfe, die sie ihr zuteil werden ließ - Pele hatte El Lobo del Mar, den Seewolf, direkt zu ihr geschickt. Hasard wandte sich Louis zu. Louis hatte sofort erkannt, von welchem Format der Kämpfer war, der da so blitzschnell über sie hergefallen war. Auf einen Zweikampf wollte er sich nicht unbedingt einlassen. Deshalb packte er Alewa, ehe diese zu dem Retter eilen konnte. Er riß sie zu sich heran, preßte sie an seinen Körper und hielt sie als lebenden Schutzschild vor sich fest. Die Schnapphahnschloß-Pistole mit den Perlmuttverzierungen drückte er ihr in die Seite. „Zurück“, sagte er zu dem Angreifer. „Zurück, oder sie stirbt!“ Hasard kannte sich in der französischen Sprache gut genug aus, um die Worte zu verstehen. Selbst wenn er nicht begriffen hätte, was Louis sagte — die Lage sprach für sich. Plötzlich stand er wie vom Donner gerührt da. Er verfluchte sich selbst, weil er nicht doch wenigstens einen seiner Männer zu Hilfe geholt hatte. „Gut“, zischte Louis. „Und jetzt weg mit der Waffe. Wird's bald? Englischer Bastard, verstehst du mich nicht?“ In gebrochenem Englisch wiederholte er: „Wirf den Cut-lass weg!“ Hasard wollte die Aufforderung schon befolgen, da handelte Alewa. Zu Hasards größtem Entsetzen beugte sie sich vor, rammte dem Piraten beide Ellenbogen in den Bauch und trat ihm zusätzlich noch auf den nackten Fuß. Louis stöhnte auf, ächzte, hielt aber weiterhin ihren Arm umklammert. Sie riß sich los — und da drückte er auf sie ab. Hasard schloß in seiner Hilflosigkeit die Augen. Alewa befand sich zwischen
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dem Franzosen und ihm, er mußte erst an ihr vorbei, um sich auf den Kerl zu werfen, aber jede Aktion kam zu spät. Louis feuerte auf Alewas Rücken. Doch das Krachen der Pistole blieb aus. Nur das metallische Klicken des Schnapphahnschlosses war zu vernehmen. Hasard riß die Augen wieder auf und glaubte zu träumen. Aber es stimmte: Alewa lebte und taumelte auf ihn zu. Louis' Pistole war nicht geladen gewesen, und sie mußte das gewußt haben, sonst hätte sie nie so scheinbar wahnwitzig gehandelt. Louis schleuderte ihr die Pistole gegen den Rücken, stieß einen lästerlichen Fluch in seiner Muttersprache aus und drehte sich um. Er stellte sich nicht dem Kampf — er suchte sein Heil in der Flucht. Hasard wollte ihn stoppen, aber Alewa fiel ihm um den Hals. Die Pistole konnte ihr keinen großen Schmerz zufügen, und wenn sie es doch tat, dann kümmerte sie sich nicht darum und vergaß alles andere um sich herum unter dem Eindruck des grenzenlosen Glücksgefühls, das sie in diesem Moment durchflutete. Sie hatte sich den Knebel aus dem Mund genommen und brachte ihre weichen Lippen dem Mund des Seewolfs näher. „Mädchen“, sagte er auf spanisch. Spanisch beherrschte sie ziemlich gut, das hatte er von damals noch in Erinnerung. Thomas Federmann hatte vielen auf der Insel Hawaii diese Sprache beigebracht. „Mädchen“, sagte der Seewolf noch einmal. „Laß mich los. Ich muß diesem gemeinen Hund nach.“ „Bleib bei mir“, flüsterte sie. „Alewa ...“ „Pele hat dich geschickt. Ich lasse dich nie wieder fort. Du hast mir das Leben gerettet, Lobo del Mar.“ Louis war im Dickicht verschwunden. Hasard wollte sich sanft von Alewa befreien, aber ihre Lippen preßten sich auf seinen Mund, und sie klammerte sich an ihm fest. Er spürte ihren Körper an dem seinen und war mit einemmal wie benommen. Himmel, war dieses Mädchen denn von allen guten Geistern verlassen?
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„Sir“, sagte Big Old Shane irgendwo im Dickicht. „Wo steckst du? Was ist los? Hölle und Teufel, so antworte doch! Ed, Dan, Ferris, habt ihr das gehört?“ „Ja“, antwortete Ferris Tucker. „Mann“, wetterte der Profos. „Dieses verfluchte Scheißdickicht! Ich dreh gleich durch und laufe auf Grund, wenn nicht he, was wird hier eigentlich gespielt?“ „Ed“, sagte Dan O'Flynn etwas weiter rechts. „Ganz ruhig bleiben. Profos, du wirst uns doch wohl nicht im Stich lassen, oder?“ „Wer spricht denn davon?“ Hasard mußte unwillkürlich lächeln. „Hier bin ich, Männer“, sagte er. „Etwas weiter südlich. Ich habe das Mädchen. Einen Piraten habe ich niederschlagen können, der andere ist getürmt - in Richtung Süden. Versucht, ihn zu fassen.“ „Aye, Sir“, tönte Carberrys Stimme. „Kurs Süden, Männer, und dann auf ihn mit Gebrüll! Aber wo, zur Hölle, ist Süden?“ „Hier!“ rief Dan O'Flynn. „Hierher, Leute!“ „Orientiert euch am Stand der Sonne“, sagte Shane. „Wie denn, wenn sie gleich im Zenit steht?“ wollte Carberry wissen. Er fluchte, stapfte voran und ging dicht an seinem Kapitän und dem Mädchen vorbei, ohne sie zu sehen. Er malte sich in Gedanken aus, was er alles mit dem flüchtigen Piraten anstellte, wenn er den Kerl packte. Oh, was hatte er doch für eine Riesenwut im Bauch! Shane und Ferris Tucker marschierten auch an Hasard und Alewa vorbei, trafen sich wenig später mit dem Profos, entdeckten aber von dem Piraten Louis keine Spur mehr. Dieser war im Gestrüpp untergetaucht und suchte mit der Angst im Nacken nach seinen Kumpanen, nach Marcel und den anderen, die bald eintreffen mußten. Dan O'Flynn stieß genau auf den Seewolf und die befreite Polynesierin. Er blieb dicht vor ihnen stehen, kratzte sich etwas verlegen und leicht belustigt am Kopf und meinte dann: „Also, das ist mal eine gelungene Überraschung. Ich will ab sofort
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nicht mehr O'Flynn heißen, wenn das nicht die kleine Alewa ist.“ Alewa ließ vom Seewolf ab, blickte Dan an und stieß einen kleinen, entzückten Laut aus. Sie trippelte zu ihm hinüber, stellte sich auf die Zehenspitzen wie bei Hasard, legte Dan die Hände auf die Schultern und drückte dann auch ihm ein paar Küsse auf. Hasard grinste. „Bei den Menschen von Hawaii ist das eine ganz normale Begrüßung“, sagte er. „Man soll sich nicht mehr dabei denken, als unbedingt erforderlich ist.“ Dan kriegte wieder Luft und rief: „Bei den Mädchen von Hawaii ist alles ganz normal, oder?“ „Dan, wir sollten das lieber ein andermal erörtern, findest du nicht auch?“ Dan nickte, lachte, blickte dem bildhübschen Mädchen in die Augen und fragte sie auf spanisch: „Haben die elenden Hunde dir auch nichts getan. Alewa?“ „Nein“, entgegnete sie. „Aber sie hätten Böses getan, wenn ihr nicht gekommen wäret.“ „Was ist hier passiert?“ wollte der Seewolf wissen. Sie sah zu ihm hinüber, und ihr Blick wurde traurig. „Schlimmes, aber wir müssen hier weg, Lobo del Mar. Andere Männer können jeden Moment auftauchen. Gefahr, große Gefahr ...“ „Alewa“, sagte Hasard. „Waren es nicht drei Kerle, die dich verfolgten?“ „Ja. Einer ist fort, um die anderen zu holen. Er heißt Marcel.“ „Ed, Ferris und Shane!“ rief der Seewolf. „Sofort zu mir!“ „Hier, Sir.“ Carberry war als erster zur Stelle. Er teilte mit seinen mächtigen Händen das Dickicht und trat auf die beiden Männer und das Mädchen zu. Er deutete eine Art Verbeugung zu Alewa hin an und zeigte einen Anflug von Verlegenheit. „Äh, wir haben diesen verlausten Hundesohn nicht mehr packen können“, sagte er. „Wir lassen ihn laufen“, erwiderte der Seewolf. „Es hat keinen Zweck, nach ihm zu suchen. Jeden Augenblick kann es hier von Piraten wimmeln, und wenn sie uns
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erst umzingelt haben, haben wir keine Chance mehr, uns freizukämpfen.“ „Du vergißt, daß wir noch die zwei Flaschenbomben haben“, sagte Ferris Tucker. Er erschien neben dem Profos, grinste breit und streckte Alewa seinerechte Hand entgegen. Selbstverständlich hielt er dies für die richtige Art der Begrüßung. Aber Alewa schritt lächelnd auf ihn zu, stellte sich wieder auf die Zehenspitzen und drückte ihm einen Kuß auf die Wange. Dasselbe tat sie bei Ed Carberry und gleich darauf auch bei Big Old Shane, der mit Pfeil und Bogen in den Fäusten aus dem Strauchwerk trat. Carberry rieb sich verdutzt die Wange. Sein Blick glitt über die Gestalt des halbnackten Mädchens. Ein voll ausgereifter Körper war das, mit allen Attributen, die einen normal beschaffenen Mann binnen weniger Minuten komplett um den Verstand bringen konnten. „Hasard, Sir“, sagte Carberry. „Das, äh, können wir doch nicht dulden. Ich meine, dein Befehl — der, nun ...“ „Laß nur, Ed“, unterbrach der Seewolf sein Gestotter. „Das ist die hierzulande übliche Art, gute alte Freunde zu begrüßen.“ „Im übrigen hat mein Alter gesagt, daß man für die Mädchen von Hawaii auch väterliche Gefühle entwickeln kann“, erklärte Dan O'Flynn mit spitzbübischem Grinsen. „Ja, der alte Donegal“, murmelte Ferris Tucker. „Der hat es auch faustdick hinter den Ohren, das sage ich euch.“ Shane lachte rauh auf. „Männer, einen Kuß in Ehren kann niemand verwehren. Ein Schurke ist, wer was Schlechtes dabei denkt.“ Alewa stand neben ihm und legte den Kopf ein wenig schief. „Was sagt er, Lobo del Mar?“ fragte sie auf spanisch. Hasard erklärte es ihr, und sie lachte silberhell. Carberry war das Ganze irgendwie peinlich und nicht ganz geheuer, er trat jetzt lieber zu dem Bewußtlosen und tippte dessen reglose Gestalt mit der Stiefelspitze an. „Was machen wir mit dem hier? Den
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lassen wir doch nicht einfach so liegen, oder?“ „Er heißt Richard“, sagte Alewa. „Fein“, sagte Dan O'Flynn. „Ich schätze, wir nehmen ihn als Geisel mit, nicht wahr?“ „Allerdings.“ Hasard gab seinem Profos und Shane einen Wink, und die beiden hoben den besinnungslosen Piraten auf, als handle es sich um einen Sack voll Daunen. „Wir tragen ihn zum Strand; nehmen auch den anderen Kerl mit und kehren an Bord der ,Isabella` zurück, um zu beratschlagen“, fuhr der Seewolf fort. „Bevor Alewa uns nicht alles genau geschildert hat, können wir keinen richtigen Plan schmieden, wie wir die anderen Freibeuter am besten von der Insel vertreiben.“ Er griff nach Alewas Hand, zog sie mit sich fort und setzte sich an die Spitze seines kleinen Trupps. Sie kehrten auf den Pfad zurück, den er vorher mit dem Cutlass durch das Dickicht getrieben hatte, und trafen kurz darauf bei Batuti ein, der sie schon ungeduldig erwartete. Alewa beugte sich interessiert über den bärtigen Seeräuber, der immer noch ohnmächtig dalag und Arme und Beine von sich streckte. Der Gambia-Mann hingegen betrachtete das Mädchen mit sichtlichem Wohlgefallen. Als er aber bemerkte, daß Hasard und der Profos zu ihm herüberblickten, wandte, er sich schleunigst ab. Dan O'Flynn deutete auf den bärtigen Franzosen. „Eine gute Handschrift hast du, Ed, das muß man dir lassen.“ „Danke“, sagte Carberry. „Der Mann - ich kenne auch seinen Namen“, ließ sich Alewa vernehmen. „Er heißt Luc.“ „Großartig“, kommentierte Big Old Shane. „Dann hätten wir also Richard und Luc, und Louis ist uns entwischt. Im Gebüsch liegt ein Toter, Alewa, aber dessen Namen werden wir wohl nicht mehr erfahren.“ Alewa warf einen Blick in das Dickicht, fuhr unwillkürlich zusammen, als sie die Leiche des Freibeuters sah, und sagte:
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„Jean - einer unserer Bewacher aus dem Pfahlhüttendorf. Ein grausamer Kerl.“ „Um ihn ist es nicht schade“, brummte der Profos. „Und um die anderen, die noch wie die Fliegen krepieren, wenn wir erst mal richtig losschlagen, auch nicht.“ Er hatte immer noch eine höllische Wut im Leib. „Ed, nimm den Mund lieber nicht zu voll“, warnte der Seewolf. „Du weißt ja, man soll den Tag nicht vor dem Abend loben.“ „Aye, Sir“, sagte Carberry. Er griff mit Widerwillen nach der speckigen Mütze, die Richard soeben vom Kopf zu rutschen drohte, stülpte sie dem Burschen wieder über und setzte sich dann in Bewegung, um den immer noch Bewußtlosen mit Shane zusammen zur Jolle zu schleppen. Der Seewolf, Dan O'Flynn und das Mädchen Alewa hatten sich bereits wieder in Marsch gesetzt. Batuti und Ferris Tucker bückten sich nach Luc, dem Bärtigen, hoben ihn vom Strand auf und trugen ihn ebenfalls auf die rauschende, gischtende Brandung zu. Die Sonne stand jetzt hoch im Zenit und brannte mit erstaunlicher Macht auf Hawaii nieder. Sie wärmte die Decks der wartenden „Isabella“ und hätte die Seewölfe heiter gestimmt, wenn nicht die Bedrohung durch die französischen Freibeuter gewesen wäre. 5. Louis hatte sich zuerst in südlicher Richtung bewegt, dann aber einen Bogen geschlagen und pirschte jetzt nach Norden, weil Marcel und die anderen von dorther auftauchen würden. Louis konnte es kaum erwarten, mit ihnen zusammenzutreffen, denn in ihm gärten der Haß und der Wunsch nach blutiger Rache. Mit einem starken Trupp würde er die Engländer verfolgen und aus dem Hinterhalt niederschießen. Tod, dachte er immer wieder, Tod euch allen, ihr verfluchten Bastarde! Wer war dieser schwarzhaarige Riese mit den blauen Augen, der wie der Teufel zwischen sie gefahren war und Richard gefällt hatte? Wie hatte dieser Hund sich
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überhaupt anschleichen können? Wer schickte ihn, wie hieß er, was wollte er? Fragen über Fragen, auf die Louis keine Antwort wußte. Er sann nicht weiter darüber nach, sondern malte sich nur aus, wie grausam er Rache nehmen würde. Für Alewa, so überlegte er, darf es keinen schnellen Tod geben, sie hat uns diese Dreckskerle auf den Hals geholt, sie muß auf grauenvolle, unendlich langsame Weise sterben. Louis hatte sein Entermesser gezückt und hielt es für den Fall bereit, daß die Fremden wieder aus dem Dickicht auftauchten und ihm den Weg versperrten. Er würde alles daransetzen, sich den Pfad frei zu fechten, ganz gleich, wie viele Engländer sich ihm entgegenstellten. Warum war er vor dem Schwarzhaarigen geflohen? Warum hatte er sich nicht mit ihm duelliert? Louis verging fast vor Wut darüber. Hatte er etwa Angst gehabt? Nein, .das konnte nicht sein. Er, Louis, fürchtete weder Tod noch Teufel. Nein – das, was er getan hatte, war ein taktischer Rückzug gewesen, denn er hatte ja richtig vermutet, daß sich die Kameraden des Schwarzhaarigen nicht weit entfernt befanden und binnen kurzer Zeit alle Mann über ihn hergefallen wären. Louis hatte den Terrassenhügel hinter sich gebracht und bog jetzt ins Inselinnere ab. Bald, so wußte er, würde er auf den Pfad treffen, der in das Hauptdorf im Herzen der Insel führte. Auf diesem Weg mußten ihm die anderen begegnen. Er war so tief in seine Gedanken verstrickt, daß er die Gestalten vor sich erst im allerletzten Augenblick bemerkte. Mit einem Fluch riß er sein Entermesser hoch. „Louis!“ rief Marcel entsetzt aus. „Mon Dieu, was ist denn in dich gefahren?“ Die Männer hinter Marcels Rücken verharrten betroffen. Es waren acht wilde, abenteuerlich gekleidete Gestalten, die allesamt bis an die Zähne bewaffnet waren – mit Musketen, Blunderbüchsen und Arkebusen, Pistolen, wuchtigen Entermessern und Piken. Louis blieb wie gelähmt stehen. Er musterte die Ankömmlinge aus seinen
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glitzernden blauen Augen, ließ das Entermesser langsam sinken und sagte nach einigen Momenten betretenen Schweigens: „Um ein Haar hätte ich euch nicht erkannt. Ich dachte, ihr wäret gottverfluchte Engländer.“ „Was ist geschehen?“ fragte Marcel. „Wir haben Geräusche aus dem Dickicht gehört. Wo ist Richard?“ „Niedergeschlagen und gefangen genommen“, erwiderte Louis lakonisch. „Los, nichts wie 'runter zum Strand! Wir können diese Hundesöhne noch einholen — und gnade ihnen Gott, wenn wir sie erwischen! Dann schießt ihr, was die Rohre hergeben, verstanden?“ „Ja“, murmelten die Männer. Unter Louis' Führung gelangten sie rasch ins Uferdickicht, kauerten sich in die Büsche und spähten in südwestlicher Richtung über den breiten Strand und die Brandung hinweg zu der dreimastigen Galeone, die sich auf den Wellen der Bucht hob und senkte. In derselben Richtung war auch die Jolle zu sehen. Sie lag praktisch auf einer Linie zwischen der „Isabella“ und den Piraten. Louis, Marcel und die acht anderen Kerle sahen in aller Deutlichkeit, wie vier Engländer die beiden Gefangenen in die Jolle hoben, während der Schwarzhaarige, ein sechster Mann und das Mädchen bereits zupackten und versuchten, das Boot in die Brandung zu schieben. Richard und Luc lagen jetzt zwischen den Duchten, und ihre Träger griffen ebenfalls mit ans Dollbord, um die Jolle vom Strand herunterzubekommen. „Los“, zischte Louis. „Wir stürmen. Wir schießen sie nieder, rennen sie über den Haufen, stechen sie ab. Los!“ Er fuhr als erster hoch, brach aus dem Dickicht hervor, rannte eine flache Böschung hinunter, war dann auf dem breiten weißen Strand und stürmte auf die verhaßten Widersacher zu. Er hatte sich von einem seiner Kumpane eine Blunderbüchse aushändigen lassen. Den Hahn der Waffe spannte er jetzt im Laufen, hob die Büchse und preßte den Kolben gegen die Schulter.
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Er zielte auf die Jolle, blieb stehen, hielt den Blunderbuss so ruhig wie möglich und drückte ab. Brüllend entlud sich die Waffe. Gehacktes Blei und Eisenstücke stoben auf die Jolle, das Mädchen und die Männer zu. Marcel und die anderen waren heran und begannen ebenfalls zu feuern. Im Nu war der Teufel los. * Hasard hatte die Angreifer als erster bemerkt. „Schnell!“ rief er den Kameraden zu. „Ins Wasser mit dem verdammten Kahn und dann nichts wie an Bord! Sie rücken an, um uns zu erledigen!“ Ein letzter Ruck mit vereinten Kräften beförderte die Jolle vollends ins Wasser. Alewa stieß einen Laut des Entsetzens aus, wurde dann aber von Dan O'Flynn in das Boot gehievt. Carberry, Ferris Tucker, Shane und Batuti enterten auf die Duchten und griffen fluchend nach den Riemen. Hasard stieg als letzter zu. Er hob das linke Bein, schwang es über die Heckducht, verlieh der Jolle mit dem rechten Bein Schub und kletterte dann auf die Ducht. Blei und Eisen hagelte in den Ufersand und ließ kleine Fontänen aufsteigen. Die Piraten schrien und stießen Verwünschungen aus, liefen noch ein Stück näher und schossen wieder. Diesmal stoben ihre Kugeln und das gehackte Blei und Eisen gleich hinter dem Bootsheck ins Wasser. Der Seewolf und seine Begleiter duckten sich. „Pullt!“ schrie Hasard. „Pullt wie die Teufel, sonst kriegen sie uns doch noch!“ Er drehte sich um, hatte die Reiterpistole, die er inzwischen nachgeladen hatte, in der Faust und zielte, so gut es in dem schwankenden Boot ging, auf die Feinde. Er feuerte beide Läufe kurz hintereinander ab. Die Franzosen waren jetzt fast bis ans Wasser gelangt, zückten ihre Pistolen, weil sie die Langwaffen leer geschossen hatten, und legten von neuem auf die Männer der „Isabella“ und das Mädchen an. Hasard sah im Aufblitzen des Mündungsfeuers seiner
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Doppelläufigen, wie einer von ihnen zusammenbrach. Die anderen quittierten es mit haßerfülltem Geschrei. Ihre Pistolen krachten, und plötzlich stöhnte Big Old Shane auf. Hasard fuhr zu ihm herum, sah, wie der Riese sich krümmte und fast von der Ducht rutschte. Der Stoff seines linken Hemdsärmeln begann sich dunkel zu färben. „Shane!“ rief Ferris Tucker. „Himmel, Shane, mach bloß keinen Mist!“ stieß der Profos entsetzt aus. Alewa kroch ein Stück weiter nach vorn und stützte Shane. Der Schmied von Arwenack murmelte einen saftigen Fluch, richtete sich wieder etwas auf und tat dann genau das, was typisch für einen Kerl seines Formats war: Er packte den Riemen mit der rechten, gesunden Hand und pullte weiter. „Ferris!“ schrie der Seewolf im Donnern der Brandung. „Wirf ihnen eine Flasche zwischen die Beine, diesen Hunden!“ Ferris überließ den Riemen, den er bedient hatte, Batuti. Der Gambia-Mann packte zu und pullte mit zwei Riemen weiter. Ferris drehte sich zu Dan O'Flynn um, und dieser ließ für eine Weile auch von dem Riemen ab, holte Feuerstein und Feuerstahl aus seinen Jackentaschen hervor und schlug sie aneinander, als der Schiffszimmermann ihm die eine Flaschenbombe entgegenhielt. Der Funke sprang auf die trockene Lunte über und entfachte sie. Ferris Tucker hob die Höllenflasche mit einem grimmigen Laut, stand von seiner Ducht auf, balancierte die heftigen Bewegungen des Bootes durch geschickte Beinarbeit aus, zählte noch bis fünf - und schleuderte die mit Pulver, Blei, Eisen und Glasscherben gefüllte Flasche zu den lärmenden Franzosen hinüber. Eine Pike, von Marcel geworfen, flog der Jolle nach. Sie war für den Seewolf bestimmt. Alewa, Ferris, der Profos und Dan O'Flynn stießen gleichzeitig einen Warnruf aus. Der Seewolf beugte sich vor und zog den Kopf ein. Aber die Pike erreichte das Bootsheck nicht mehr. Wirkungslos schlug sie ins Wasser.
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Ferris und Dan hatten wieder die Riemen gepackt und halfen mit, das Boot durch die wogende Brandung zu befördern. „Die Flasche“, sagte Dan O'Flynn. „Sie ist mitten zwischen ihnen gelandet und rollt über den Strand.“ „Sie geht gleich hoch“, sagte Ferris Tucker mit einem Ausdruck der Genugtuung auf den Zügen. „Geschieht ihnen recht, diesen elenden Hunden.“ „Was sagt ihr?“ brüllte der Profos. „Die Flasche fliegt ihnen gleich um die Ohren!“ schrie der Zimmermann der „Isabella“. „Das will ich aber auch hoffen!“ brüllte Ed Carberry. „Wenn nicht, helfe ich dir auf die Sprünge, du verdammter alter Holzwurm!“ * Verblüfft blickten die Piraten auf die Flasche aus grünlichem Glas, die mitten zwischen ihnen auf den Sand gefallen war und jetzt allmählich ausrollte. Sie blieb dicht vor den nackten Füßen eines glatzköpfigen Bretonen liegen, der sich verwundert darüber beugte und nicht wußte, was er von der Sache halten sollte. „Verdammt!“ rief Marcel. „Die Flasche hat eine Lunte!“ „Die Lunte brennt!“ sagte der Bretone. „Tretet die Glut aus!“ brüllte Marcel. „Los, schnell!“ „Nein!“ schrie Louis. „Laßt die Finger von dem Ding! Lauft lieber weg, los, nichts wie weg!“ Sie standen da und blickten sich untereinander unschlüssig an. Marcel bückte sich schließlich mit einem Fluch nach der Flasche, hob sie auf und schickte sich an, sie zur Jolle zurückzuschleudern. Die Lunte ließ sich jetzt nicht mehr löschen, sie war schon bis durch den Korken hindurch ins Innere der Flasche abgebrannt. Louis drehte sich um und begann zu laufen. Die meisten anderen folgten sofort seinem Beispiel und glaubten zu wissen, was jetzt passierte. Sie hatten nichts Eiligeres' zu
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tun, als soviel Distanz wie irgend möglich zwischen sich und Marcel zu legen. Nur der Bretone stand immer noch wie angewurzelt auf seinem Platz und beobachtete entgeistert, was Marcel tat. Marcel hatte die Flasche hoch über den Kopf gehoben. Er wollte seine Hand vorschnellen lassen, um die Flasche zur Jolle zurückzubefördern, aber die Zeit reichte nicht mehr aus, sie war abgelaufen. Mit einem grellen Feuerblitz zerplatzte die Bombe in Marcels Hand. Marcel sah noch das grelle Licht und hörte das Donnern der Explosion, aber dann versagten seine Sinne. Nur eine heiße Welle fühlte er noch durch seinen Körper rasen, und der Himmel, der sich blutrot färbte, schien auf ihn niederzustürzen. Der Bretone fühlte sich hochgehoben und von einem glühenden Sturm mitgerissen, weit weg, über die See hinaus und dann in einen schwarzen Strudel, der direkt ins Jenseits führte und mit seiner Finsternis alles auslöschte. Louis stoppte abrupt und blickte über die Schulter zurück. Er sah alles bis ins Detail, und ein kehliger Laut löste sich von seinen Lippen. Marcel und der Bretone waren durch die Explosion der Flasche zerfetzt worden, die anderen sieben Piraten hat- ten sich auf den Strand geworfen und schienen unverletzt zu sein. Die Druckwelle wehte heran und warf auch Louis aus dem Gleichgewicht. Er stolperte, fiel hin, rappelte sich wieder auf und torkelte benommen und verwirrt auf das Dickicht zu. Er wankte zwischen die Büsche, ziellos, und wußte nicht mehr, was er tun sollte. Wer seid ihr Teufel, fragte er sich, wer nur, wer? Was ist los, was geht hier vor? Marcel und der Bretone hatten nicht einmal mehr einen Schrei ausgestoßen, so schnell war alles gegangen. Teufel, dachte Louis, die Hölle hat euch ausgespuckt. Schwarzhaariger Bastard, wer bist du? „Ich — werde dich töten“, keuchte er. Dann blieb er wie vom Donner gerührt stehen. Er war mit seinen bloßen Füßen
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gegen die Beine eines Mannes gestoßen. Er schaute in die blicklosen, gebrochenen Augen und erkannte Jean, den Kumpan, der mit Luc zusammen das Pfahldorf und die Bucht bewacht hatte — für den Fall, daß die flüchtigen Insulaner mit der Absicht zurückkehrten, eins oder mehrere Auslegerboote flottzumachen. „Jean“, würgte Louis entsetzt hervor. Übelkeit stieg in ihm auf, er fühlte seine Knie weich werden. Ein Tosen war mit einemmal in seinen Ohren, ihm wurde schwindlig. Er sank auf die Knie und stammelte Unverständliches. Dann war es vorbei. Er konnte sich wieder erheben, hatte sich gefaßt, konnte das Dickicht verlassen und zu seinen Männern zurückkehren. Er trat vor sie hin und sagte: „Verscharrt das, was von Marcel und dem Bretonen übrig geblieben ist. Hier im Gebüsch liegt Jean. Sie haben auch ihn umgebracht. Hebt eine Grube aus, wir vergraben auch seinen Leichnam.“ Er blickte zu der Jolle, die jetzt durch die stärkste Brandung hindurch war und zügig auf die Dreimast-Galeone zuhielt. „Hunde“, sagte er. „Das werdet ihr mir büßen. Und wenn es mich selbst den Kopf kostet — das zahle ich euch heim.“ 6. Der Seewolf sah Shane, seinen väterlichen Freund, an. So kalkig weiß im Gesicht war Shane noch nie gewesen, und auch aus der Art, wie er die Lippen zusammengepreßt hatte, ließ sich schließen, daß es alles andere als gut um ihn bestellt war. Dennoch pullte er weiter. „Shane“, sagte Hasard. „Du solltest dich jetzt nicht mehr anstrengen. Hör mit dem Pullen auf. Wir sind sowieso gleich da.“ Big Old Shane grinste matt. „Sir — der Teufel soll mich holen, wenn ich mich von so einem kleinen Kratzer gleich umhauen lasse. Ho, ich bin doch kein Milchbart, der sich von dem ersten Ding, das er verpaßt kriegt, gleich aus den Stiefeln schmeißen läßt. Wo kämen wir denn da hin?“ Alewa hatte geistesgegenwärtig gehandelt und Shanes linken Arm so gut wie irgend
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möglich abgebunden. Sie kauerte immer noch bei dem graubärtigen Riesen, hielt ihr Gesicht aber dem Seewolf zugewandt. Hasard konnte aus ihrer Miene lesen, daß sie sehr besorgt um das alte Rauhbein war. Dan O'Flynn sagte: „Der eine Bursche hier kommt gerade zu sich. Soll ich ihm noch eins überziehen, damit er sich wieder schlafen legt?“ „Nein, nicht nötig. Er wird schon nicht über Bord springen. Und gefährlich werden kann er uns auch nicht“, erwiderte der Seewolf. Er blickte zu dem Piraten - es war Luc, der Bärtige - und verfolgte, wie dieser, zwischen Dans und Ferris' Ducht liegend, die Augen aufschlug und verwirrt um sich schaute. Ehe er irgendetwas unternehmen konnte, sagte Hasard auf französisch: „Keine Dummheiten, Mann! Du bist unser Gefangener.“ Luc musterte ihn aus schmalen, haßlodernden Augen. Er war zwar an den Händen und den Füßen gefesselt, aber um sich treten konnte er immer noch. Hasard richtete vorsichtshalber die Reiterpistole auf ihn. Die war zwar leer geschossen, aber das konnte Luc nicht wissen. „Hör mal, Sir“, sagte der Profos nach einem verächtlichen Blick auf den Gefangenen. „Wir haben doch diese beiden Geiseln hier. Wenn wir den Piraten auf der Insel damit drohen, daß wir die zwei ersäufen, können wir sie doch erpressen, oder?“ „Und sie zwingen, Hawaii zu verlassen, meinst du?“ „Genau das.“ Hasard schüttelte den Kopf. „Darauf lassen sich die Kerle niemals ein. Und so, wie ich diesen Louis einschätze, wird er sogar das Leben von Luc und Richard bereitwillig aufs Spiel setzen, wenn er uns bloß eins auswischen kann. Was die Flaschenbombe eben angerichtet hat, wird der Kerl uns nie vergessen.“ „Verdammt“, stieß Ferris Tucker hervor. „Und das, was sie Shane angetan haben, werden wir diesen Hurensöhnen auch nicht vergessen. Außerdem wären wir alle verreckt, wenn Jean und Luc, die
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Heckenschützen, mehr Glück mit ihrem Überfall auf uns gehabt hätten. Ja, und darum meine ich, daß es nur einen Weg gibt, diesen Piraten eine zünftige Lektion zu erteilen.“ Er wies mit dem Daumen über seine Schulter auf die „Isabella“. „Wir sollen also ihren Stützpunkt beschießen, Ferris?“ sagte der Seewolf. „Dazu müßten wir erst einmal wissen, wo der liegt.“ „Was redet ihr?“ fragte Alewa. „Ich verstehe eure Sprache nicht.“ Hasard setzte ihr wieder auseinander, um was es ging, und sie erklärte ziemlich aufgeregt: „Die weißen Männer - ja, Louis ist ihr Anführer, und sie haben ein Schiff. Ein Schiff mit Segeln wie das eure!“ „Augenblick“, sagte der Seewolf. „Laß uns erst mal an Bord der ,Isabella` gehen, dann erzählst du uns alles hübsch der Reihe nach, ja?“ „Ja.“ Sie nickte eifrig. Wenig später war die Jolle längsseits der „Isabella“ geglitten, und Hasard ließ Alewa als erste an der Jakobsleiter aufentern, schickte dann Ed Carberry, Dan O'Flynn und Ferris Tucker nach oben und fragte Big Old Shane: „Schaffst du es oder soll ich dich stützen?“ „Du mich stützen?“ Shane grinste verkniffen. „Sag mal, du machst wohl Witze, was? Nein, besten Dank, Sir, das erledige ich schon allein.“ Er brachte wirklich das Kunststück fertig, allein an der Jakobsleiter hochzuklettern, was ihn natürlich erhebliche Energien kostete. Sein Zustand konnte sich dadurch nicht verbessern, aber der Seewolf ließ ihn gewähren, denn er kannte Shanes Stolz in diesen Dingen. Mit vorgehaltener Pistole zwang Hasard Luc, den Bärtigen, ebenfalls auf die Kuhl zu entern. Batuti hatte dem Kerl die Handfesseln gelöst und die Stricke, die seine Fußknöchel zusammenhielten, gelockert. Luc konnte sich ausreichend bewegen. Mit vor Haß verzerrter Miene stieg er die Holzsprossen empor. Richard war immer noch bewußtlos. Batuti hatte ihm Fesseln angelegt und blieb jetzt
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noch im Boot, um die Taue zu belegen, an denen die Jolle hochgehievt werden sollte. Hasard kletterte hinter Luc her. Auf der Kuhl gab es eine herzliche Wiedersehensszene, denn die Männer hatten jetzt natürlich alle Alewa erkannt. Sie umringten sie und bestürmten sie mit ihren Fragen. Alewa lächelte und beugte sich hier und da vor, um Freundschaftsküsse auszuteilen. Siri-Tong stand etwas abseits und hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Sie schien das Verhalten des Mädchens nicht zu billigen, aber was sie genau dachte, ging aus ihren Zügen nicht hervor. Der Kutscher bemühte sich bereits um Shanes linken Arm. Jeff Bowie und Bob Grey nahmen den gefangenen Freibeuter in Empfang. Sie musterten ihn ungefähr so freundlich, wie ein Scharfrichter einen todgeweihten Delinquenten ansehen mochte, und Luc wurde jetzt richtig mulmig zumute. „Der andere Gefangene liegt im Boot“, sagte Hasard. „Er scheint immer noch besinnungslos zu sein. Vielleicht stellt er sich aber auch nur so. Paßt auf, wenn ihr ihn aus der Jolle holt. Er ist zwar gefesselt, aber ich will nicht das geringste Risiko eingehen.“ „Aye, aye, Sir!“ riefen die Männer. „Sperrt die beiden ins Kabelgatt“, ordnete Hasard an. „Später überlege ich mir, was wir mit ihnen tun.“ „Wir sollten sie vernehmen“, schlug Blacky vor. „Sie werden zwar nichts ausspucken wollen, aber ...“ Der Seewolf hob die Hand und beschrieb eine verneinende Geste. „Ich weiß, was du sagen willst, Blacky, aber ich bin dagegen. Vergiß nie, daß wir uns auf die primitive Ebene solcher Burschen nicht herablassen. Was sie tun würden, tun wir noch lange nicht.“ „Verzeihung“, sagte Blacky. „Natürlich weiß ich das. Was wir wissen müssen, wird uns wohl auch Alewa erzählen können, nehme ich an.“ „Ja, bestimmt.“ Ben Brighton hatte Stenmark, Luke Morgan, Sam Roskill und Gary Andrews
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die Anweisung gegeben, die Jolle hochzuhieven, und die Männer gingen in diesem Moment an die Arbeit. Ben trat mit Smoky, Old O'Flynn und der Roten Korsarin quer über die Kuhl auf den Seewolf zu. „Ihr habt euch hervorragend geschlagen“, sagte er. „Ich habe die ganze Zeit über darauf gewartet, daß das Zeichen für unseren Einsatz erfolgt, aber es gab ja offensichtlich nichts für uns zu tun.“ Hasard lächelte. „Ben, wenn du scharf darauf bist, dich mit den französischen Freibeutern herumzuschlagen, dann kriegst du noch die Gelegenheit dazu, das versichere ich dir.“ Ben wollte etwas dazu sagen, aber sie alle wurden jetzt durch Big Old Shane abgelenkt, der einen wütenden Schrei ausstieß und den Kutscher anfuhr: „Kutscher, bist du des Teufels? Hau mit deiner Tinktur und deinem Quacksalberzeug ab, sonst werde ich verflucht ungemütlich! Hol mir lieber die Rumbuddel. Das ist der richtige Balsam für mich, verstanden?“ „Ich werde die Wunde auswaschen und die Tinktur draufpinseln“, sagte der Kutscher ruhig. „Ob es dir nun paßt oder nicht. Man sollte meinen, es hat deinen Köpf erwischt, Shane, so einen Blödsinn redest du.“ „Das wagst du, zu mir zu sagen?“ „Das und noch viel mehr, wenn du dich so bescheuert anstellst!“ rief der Kutscher ärgerlich. Old O'Flynn grinste. „Holla, er ist so richtig schön in Fahrt, unser Kutscher. Aber ich an seiner Stelle würde doch vorsichtig sein. Wenn Shane, dieser krummbucklige Eisenbieger, seine große Wut kriegt, dann ist er imstande und rammt den Kutscher ungespitzt durch die Planken.“ „Shane“, sagte Hasard scharf. Big Old Shane hob verdutzt den Kopf. „Was ...“ „Du hinderst den Kutscher nicht an der Ausübung seiner Pflicht, verstanden? Das ist ein Befehl!“ „Aye, Sir“, murmelte der Schmied von Arwenack.
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„Philip“, sagte der Seewolf zu seinem Sohn. „Lauf in die Kombüse und hol eine Fasche Rum. Shane soll ruhig einen ordentlichen Schluck davon nehmen, aber erst, wenn der Kutscher ihn fertig verbunden hat.“ „Ja, Dad, Sir“, gab Philip junior zurück. Und fort war er, flitzte über die Kuhl zum Kombüsenschott, öffnete es und schlüpfte in das Allerheiligste des Kutschers; um die gewünschte Flasche zu holen, Hasard ließ seinen Blick weiter nach links wandern 'und sah das Boot, das eben außenbords auftauchte, von den Männern höher gehievt und dann binnenbords geholt wurde. Vorsichtig fierten sie es auf die Kuhl ab. Batuti und Richard, der mittlerweile nun doch zu sich gekommen war, stiegen aus. Der Gambia-Mann, Jeff Bowie und Bob Grey dirigierten Luc und Richard vor sich her, führten sie zum Vordecksschott und brachten sie ins Kabelgatt, um sie dort ausbruchssicher einzusperren. Hasards Blick wanderte wieder über Deck und verharrte auf Alewas Gestalt. Sie schien den Männern, die sich rund um sie herum aufgebaut hatten, gerade etwas über die Begebenheiten an Land erzählt zu haben, soviel ließ sich aus ihrer ernsten Miene und ihren Gesten schließen. Dan O'Flynn stand dicht vor ihr und sagte auf spanisch: „Toll, wie du dich aus Louis' Griff befreit hast, Alewa. Aber wie konntest du wissen, daß die Pistole nicht geladen war?“ „Einmal hat er auf m ich geschossen und dann nicht nachgeladen. Keine Zeit dazu gehabt“, erklärte sie, und ein feines Lächeln stahl sich in ihre Züge. „Ein hübsches Kind“, sagte die Rote Korsarin. „Und rein wie die Natur, nicht wahr? Hat sie dich auch geküßt?“ „Ja.” „Sie sind schon hinreißend, diese HawaiiMädchen, nicht wahr?“ Er sah sie an. „Ich finde deine Bemerkung ziemlich unpassend und unangebracht. Alewas Leute schweben sicherlich in der gleichen tödlichen Gefahr, in der sie sich
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bis vor kurzem befunden hat. Da solltest du nicht auch noch sticheln, Siri-Tong.“ Sie nahm es hin, ohne mit der Wimper zu zucken. „Ja, du hast recht, ich sehe es ein. Aber wenn das so ist, dann dürfen wir keine Zeit verlieren. Wir müssen handeln. Die Piratenbande könnte sich aus Wut über unsere Landung über die gefangenen Insulaner hermachen. Denn Zegús Leute und auch Thomas Federmann befinden sich doch in der Gewalt der Seeräuber, nicht? Oder wie ist das eigentlich?“ „Das will ich gerade von dem Mädchen erfahren“, sagte der Seewolf und ging zu Alewa hinüber. Siri-Tong, Ben Brighton, Old O'Flynn, Smoky und Hasard junior folgten ihm auf dem Fuß. Philip junior, der die Flasche Rum gerade an den Kutscher übergeben hatte, schloß sich ihnen an. * Der Seewolf bedeutete dem Polynesiermädchen, sich auf dem Rand der Kuhlgräting niederzulassen. Er selbst nahm neben ihr Platz und begann: „Wann sind die Piraten auf Hawaii gelandet?“ Er hielt es für das beste, gezielte Fragen an sie zu richten. So gut, daß sie einen kompletten, zusammenhängenden Bericht liefern konnte, war ihr Spanisch nun doch wieder nicht. Sie dachte nach und hielt schließlich die gespreizten Finger beider Hände hoch. „Zehn — zehn Tage. Richtig?“ Die Zeitrechnung der Bewohner von Hawaii schien sich von der der Europäer wesentlich zu unterscheiden, doch Thomas Federmann mußte auch diese Art des Denkens und Messens in seinem Bestreben, ihnen soviel wie möglich über die abendländische Kultur zu vermitteln, an seine eingeborenen Freunde weitergegeben haben. „Zehn Tage nur“, sagte Hasard nachdenklich. „Ich dachte, die Franzosen hätten sich schon seit längerer Zeit auf der Insel niedergelassen.“ Er sprach spanisch, damit auch Alewa ihn verstand.
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„Vielleicht sind wir gerade rechtzeitig gekommen“, warf Siri-Tong ein. „Das ist ja ein toller Zufall.“ „Warte“, sagte er. „Nicht so voreilig.“ Alewa blickte sie alle der Reihe nach an, ihre Augen waren geweitet, als wäre sie von einer wunderbaren Erscheinung überwältigt. „Pele — die Göttin der Feuerseen —, sie hat euch geschickt“, sagte sie. „Sie hat Alewas Flehen erhört.“ „Alewa“, fuhr der Seewolf in seiner Befragung fort. „Wo sind die anderen_? Deine Schwestern und Brüder? Zegú, der König von Hawaii — und Thomas Federmann, unser deutscher Freund?“ „Fort .. . „Was? Alle fort?“ Sie holte tief Luft, dann entgegnete sie: „Nicht alle, Lobo del Mar. Zwei Schiffe erschienen vor zehn Tagen. Zwei. Jedes mit drei Bäumen.“ „Masten“, berichtigte Hasard. „Ja, Masten. Männer landeten, und wir dachten, sie wären Freunde. Zegú ließ Musik spielen und Tänze vorführen. Wir Mädchen hängten Fremden Kränze aus Blumen um. Dann kam das Böse ...“ „Die Franzosen zeigten sich von ihrer üblen Seite?“ „Ja. Ein kurzer Kampf - zwei Brüder von uns wurden getötet. Wir weinten und klagten. Die Piraten wollten uns Mädchen in den Busch schleppen. Aber Thomas Federmann half uns. Er rettete uns.“ „Dieser Teufelskerl“, entfuhr es Siri-Tong. „Aber ich möchte gern wissen, wie er das fertig gebracht hat. Die Freibeuter sind wie die wilden Tiere. Es erscheint mir unwahrscheinlich, daß er- das verhindern konnte.“ „Warte doch“, sagte der Seewolf noch einmal. Zu Alewa gewandt, erkundigte er sich: „Was tat Thomas Federmann?“ „Sagte, er würde ihnen seinen Schatz schenken.“ „Seinen Schatz?“ „Ach, ich weiß schon!“ rief Carberry. „Sir, die ,Pieces of eight, die Achterstücke, die wir ihnen damals hiergelassen haben. Der Anteil der Insulaner am Schatz der ,Santa Ana`.“
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„Ja, ja“, sagte Alewa aufgeregt. Obwohl der Profos englisch gesprochen hatte, hatte sie doch die Wörter „Pieces of eight“ und „Santa Ana“ verstanden. „Nao de China“, stieß sie hervor. „Die Manila-Galeone. Thomas Federmann hat die Münzen vergraben, damals. Wie Lobo del Mar ihm gesagt hatte.“ „Himmel“, sagte der Seewolf. „Er wollte sie nicht annehmen, aber ich riet ihm dazu. Ich war der Meinung, eines Tages könnte der Stamm das Geld doch vielleicht gebrauchen. Wenn ich gewußt hätte, daß er es benutzen müßte, um sich und seine Freunde freizukaufen, hätte ich das wahrscheinlich anders formuliert.“ „Piraten waren gierig. Ließen von uns ab. Drohten Thomas, er würde sterben, falls gelogen“, fuhr Alewa erregt fort. „Dann Mitte der Insel, Hügel. Dort graben, viel graben. Thomas und vier Männer des Stammes. Masot brüllte los wie böser Geist, als er dann Achterstücke sah.“ „Masot? Wer ist das?“ wollte Hasard wissen. „Der Anführer.“ „Moment mal, ich denke, das ist Louis.“ Sie schüttelte den Kopf. „Masot Häuptling. Louis Unterhäuptling von anderes Schiff. Louis hier geblieben mit Hälfte von Horde. Masot mit den anderen auf größerem Schiff fort. Fort - vor sieben Tagen.“ „Masot ist der wirkliche Piratenführer“, sagte Hasard versonnen. „Louis ist der Kapitän auf dem zweiten Segler, untersteht aber Masots Kommando. So weit, so gut. Warum aber haben sie sich getrennt?“ Alewa wußte die Antwort: „Piraten waren wie im Rausch über den Fund. Konnten sich gar nicht beruhigen. Thomas sagte ihnen, er wüßte, wo mehr Silbergeld und Gold liegt.“ „Masot glaubte ihm?“ „Ja.“ „Das hätte ich nach dem Ausgraben von mehr als einer halben Million Achterstücke auch getan“, sagte der Seewolf. „Ein überzeugenderes 'Argument als die Münzen gab es wohl nicht. In seinem Freudentaumel hätte Masot es Thomas wohl auch abgenommen, wenn dieser
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behauptet hätte, er hätte sämtliche Schätze der Spanier und Portugiesen auf der Insel zusammengetragen. Ich schätze, Thomas hat dies entsprechend ausgenutzt.“ „Masot befragte ihn“, erklärte Alewa in ihrem etwas holprigen, akzentgeladenen Spanisch. „Thomas antwortete, anderer, größerer Schatz wäre auf anderer Insel vergraben. Er zeigte Karte vor.“ „Eine Karte?“ wiederholte Old O'Flynn verblüfft. „Wie denn das?“ „Du vergißt, daß Thomas Federmann ein geborener Künstler und hervorragender Maler und Zeichner ist“, erwiderte Hasard. „Ich glaube, er hat viele Phantasiekarten skizziert, von der Südsee und von anderen Teilen der Welt, und eine von diesen Zeichnungen muß er wohl diesem Masot unter die Nase gehalten haben.“ „Und dann hat Masot ihn als Geisel mitgenommen und ist aufgebrochen, um den riesigen Schatz zu heben?“ fragte die Rote Korsarin. „Mit großem Schiff“, sagte Alewa. „Und Zegú und zwanzig andere Gefangene an Bord. Auch Mara und Hauula, Alewas Freundinnen, dabei. Sie müssen alle sterben, wenn Masot den Schatz nicht findet.“ Hasard stieß einen leisen Pfiff aus. „Donnerwetter, ich verstehe ja, daß Thomas einen Teil der Piraten von Hawaii fortlocken wollte, aber er hat trotzdem hoch gesetzt. Was will er Masot denn noch alles vorschwindeln? Und glaubt er denn im Ernst, daß er sich und die anderen befreien kann?“ „Er hofft es“, sagte Ben Brighton. „Er klammert sich an diese Möglichkeit. Ich kann begreifen, wie ihm zumute ist.“ „Ja, sicher, Ben, ich natürlich auch“, meinte der Seewolf. „Noch etwas kommt hinzu. Thomas rechnet sich aus, daß die auf Hawaii zurückgebliebenen Insulaner sich früher oder später gegen Louis und die übrigen Freibeuter erheben, eine Revolte vom Zaun brechen und die Bezwinger im Kampf besiegen. Wahrscheinlich denkt er, daß sie es dank ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit schaffen können.“
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Ben schüttelte den Kopf. „Unmöglich. Ohne Schußwaffen sind sie von vornherein zum Scheitern verdammt.“ „Sicher“, sagte Siri-Tong. „Die Verzweiflung verleiht den Menschen zwar manchmal gleichsam übernatürliche Kräfte, aber gegen Pulver und Blei sind sie im Endeffekt dann doch machtlos.“ „Alewa, wie viele deiner Leute befinden sich auf der Insel?“ wollte der Seewolf von dem Mädchen wissen. „Viele — hundert oder mehr.“ „Könnten es nicht auch zweihundert sein?” „Ja, ja“, erwiderte sie heftig. „Das habe ich mir gedacht“, sagte er. „Ganz so phantastisch erscheinen mir Thomas Federmanns Pläne unter diesem Gesichtspunkt auch nicht mehr. Zweihundert Insulaner, vielleicht aber auch noch mehr. Wehe, wenn sie losgelassen — dann können Louis und seine Bande zwei, drei oder auch vier Dutzend niederschießen, aber der Rest würde über sie herfallen.“ „Es würde ein Blutbad geben“, warf der alte O'Flynn ein. „Zweifellos. Aber sehen wir mal weiter. Alewa, wo befinden sich deine Leute eigentlich?“ „Im Hauptdorf. Mitte der Insel.” „Ist es das Dorf, das wir damals, vor sechs Jahren, schon kennen gelernt haben?“ „Ja.“ „Und welche Bedeutung hatte nun das Pfahlhüttendorf?“ Sie fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen, schien nach Worten zu suchen. „Mehrere solcher Dörfer - auf ganzes Insel“, antwortete sie dann. „Sechs Stück. Drei am Wasser-Fischerdörfer. Drei im Busch - Jägerdörfer.“ „Ich verstehe“, sagte der Seewolf. „In sechs Jahren hat sich die Bevölkerung vermehrt, nicht wahr? Und ihr habt die neuen Dörfer gegründet, um euch sinnvoll über ganz Hawaii zu verteilen und das sonst ungenutzte Territorium in Anspruch zu nehmen.“ „Schwierige Wörter, Lobo del Mar.“
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„Eure jungen Männer bauten die neuen Dörfer, um dort mit ihren Familien zu leben, oder?“ „Ja.“ Diesmal hatte sie jedes Wort verstanden. „Und wo wohntest du?“ „Dort.“ Sie wies mit dem Finger auf das zerstörte Dorf. „Und Waialae?“ „Auch dort.“ „Aber Mara und Hauula blieben doch wie früher bei Zegú, eurem König, im Hauptdorf wohnen, nicht wahr? Und auch Thomas Federmann verweilte im Zentrum der Insel, oder irre ich mich?“ „Es stimmt alles, was du sagst, Lobo del Mar.“ „Warum habt ihr beide - Waialae und du euch abgesondert?“ fragte er sie. Sie blickte ihn an, und ihre Augen begannen feucht zu schimmern. „Unsere Männer — unsere Freunde holten uns zu sich in das Fischerdorf. Koa, so heißt Alewas Mann. Lanoko ist Waialaes Mann. Weiß nicht, ob sie noch leben.“ Sie schlug die Hände vors Gesicht und begann zu schluchzen. 7. Siri-Tong bewies, daß sie trotz des Anflugs von Eifersucht, den sie vorher gezeigt hatte, ihrer Geschlechtsgenossin auch ein echter Kamerad sein konnte. Sie setzte sich neben Alewa auf die Gräting, legte ihr die Hand auf die Schulter und sprach leise und beschwichtigend auf sie ein. Das Mädchen schien sich allmählich wieder zu beruhigen. „Da schlag doch einer lang hin“, sagte der Profos verblüfft. „Die Kleine ist also verheiratet. Wer hätte denn das gedacht?“ „Aber eine Ehe, wie wir sie kennen, gehen die Polynesier nicht ein, Ed, vergiß das nicht“, gab Old O'Flynn zu bedenken. „Sie empfinden sich alle als eine große Familie, wenn ich das damals richtig verstanden habe.“ „Ja, das war eine pükante Geschichte“, sagte Matt Davies.
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„Pikant, nicht pükant, Mann“, verbesserte der Profos ihn. „Hab ich doch gesagt ...“ „Außerdem: Pikant, das ist, wenn ein Essen scharf gewürzt ist“, meldete sich Stenmark zu Wort. Er sah aber, daß Dan O'Flynn vergnügt zu grinsen begann, und fügte gleich noch hinzu: „Oder etwa nicht?“ „Das ist doch jetzt piepegal“, brummte Ferris Tucker. „Eines wissen wir ja nun, Alewas Liebster ist weg, Waialae und ihr Auserwählter sind auch verschwunden. Wir müssen sie suchen und finden, verdammt noch mal.“ Alewa schaute auf. Sie wischte sich die Tränen ab und sagte: „Das war so. Vor zwei Nächten kam die Tsunami.“ „Ja, die Riesenwelle!“ rief Carberry. „Damit haben wir ja auch Bekanntschaft geschlossen.“ „Tsunami fiel über Pfahlbauten her“, fuhr das Mädchen fort. „Alles kaputt. Großes Durcheinander. Wir Waialae, Koa, Lanoko und zehn andere Mädchen und junge Männer und ich — wir konnten fliehen, als überall Wasser war und die Hütten zusammenbrachen.“ „Wieso wart ihr hier, nicht im Hauptdorf?“ wollte der Seewolf wissen. „Warum hatten Louis und die anderen Halunken euch nicht alle im Zentrum zusammengetrieben, um euch dort besser bewachen zu können?“ „Pfahldorf war ein vorgeschobener Posten“, sagte sie. „Ich verstehe schon“, meinte die Rote Korsarin. „Die Franzosen mußten ja immerhin damit rechnen, daß sie früher oder später Besuch von einer der Nachbarinseln erhielten. Ich schätze, sie sagten sich, daß die Bewohner von Maui oder Oahu sie durch Späher beobachtet haben konnten. Vielleicht hatten sie auch Auslegerboote gesichtet, die Hawaii umrundeten. Auf jeden Fall wollten sie auf unliebsame Überraschungen vorbereitet sein.“ „Darum besetzten sie auch das Pfahlbautendorf und bewachten dort gleich die Insassen mit, um möglicherweise für
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den Fall einer Bedrohung von außen Geiseln zur Verfügung zu haben“, spann Hasard den Faden weiter. „Ja, das leuchtet mir ein. Wenn es einen Überfall gab, dann auf jeden Fall von der Westseite her. Das Dorf an dieser Bucht mußte Louis, Marcel, Richard, Jean, Luc und den anderen darum als ideale Basis erscheinen. Nun, sie haben einen Denkfehler begangen. Die Freundschaft der einzelnen Inselstämme untereinander geht wohl doch nicht so weit, daß sie sich gegenseitig helfen, falls sie bedroht werden. Alewa, hast du mich verstanden?“ „Ja.“ „Kamen jemals Eingeborene von den Nachbarinseln, um nach dem Rechten zu sehen?“ „Nein, nie.“ „Wie verhielten die Piraten sich nun euch gegenüber?“ „Sie wollten uns - uns Frauen und Mädchen. Koa und Lanoko und andere junge Männer wehrten sich. Wurden niedergeschlagen.“ Wieder stiegen Tränen in ihren Augen auf. „Aber dann kam Tsunami. Und wir flöhen. Ich verlor Brüder und Schwestern aus den Augen, verirrte mich. War verzweifelt. Zwei Nächte lang starb ich fast vor Angst. Überall Piraten, die uns suchten. Dann, heute früh, wollte ich ins Dorf zurückschleichen, ein Boot nehmen, nach Maui hinüber. Dort wollte ich um Hilfe flehen.“ „Jean und Luc hätten dir eine üble Falle gestellt“, sagte Hasard. „Mein Gott, wenn wir das alles geahnt hätten. Aber verrate mir, wo deiner Ansicht nach Waialae, Koa, Lanoko und die anderen stecken.“ Alewa richtete sich kerzengerade auf und wies mit dem ausgestreckten Arm zu den schneebedeckten Zwillingsgipfeln der Insel empor. „Dort hinauf vielleicht. Zu den Feuerseen. Zu Pele, der feuerspeienden Göttin von Hawaii. Dort oben einzige Rettung vor Verfolgern.“ Siri-Tong spähte zu den Bergen hinauf. „Was immer die Piraten dort oben erwarten mag, sie werden nicht zögern, in
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die Berge aufzusteigen und die Eingeborenen zu hetzen.“ „Ja“, sagte Hasard. „Und die anderen Gefangenen, Alewa? Sie sind doch nach wie vor im Hauptdorf zusammengepfercht, oder?“ „Ich glaube.“ „Die Tsunami hat dort keine Zerstörungen angerichtet?“ „Nein.“ „Und das Schiff der Piraten? Wo liegt es?“ Alewa deutete nach Norden. „In kleinerer Bucht.“ „Moment mal“, sagte Carberry. „Dann wundert es mich aber, daß diese triefäugigen Kakerlaken noch nicht mit ihrem Kahn aufgetaucht sind, um uns einen Schuß vor den Bug zu setzen und die große Schlacht zu eröffnen. Woran liegt das?“ „Ja, woran liegt das“, ahmte Ferris Tucker ihn nach. „Hör mal, hast du die Riesenwelle schon wieder vergessen?“ „Ach, richtig - vielleicht hat sie den Scheißkahn der Halunken ja gegen das Ufer geworfen. Vielleicht ist der Zuber sogar gestrandet. Ho, das wäre zu schön, um wahr zu sein, und wir ...“ „Wir werden sie in ihrer kleinen Bucht besuchen, Ed“, unterbrach ihn der Seewolf. „Darauf kannst du dich verlassen. Nur müssen wir damit rechnen, daß sie ihren Dreimaster inzwischen wieder so weit instand gesetzt haben, daß sie damit auslaufen und ins Gefecht mit uns gehen können. Immerhin haben sie zwei Tage Zeit dazu gehabt.“ „Wir müssen uns beeilen“, sagte die Rote Korsarin. „Je mehr Zeit verstreicht, desto mehr Möglichkeiten haben diese Hunde, einen Angriff auf uns zu planen und in die Tat umzusetzen.“ „Hasard und Philip“, wandte der Seewolf sich an seine Söhne. „Holt Papier und einen Federkiel. Wir entwerfen eine Skizze von der Insel und markieren die für uns wichtigsten Punkte darauf. Alewa, sag du mir bitte, wie viele Piraten sich deines Wissens an welchen Stellen der Insel aufhalten.“ Big Old Shanes mächtige Gestalt hatte sich zwischen die Männer geschoben. „Sir!“
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rief er. „Der Kutscher sagt, ich soll mich aufs Ohr hauen, aber, Hölle, wenn wir gegen die verfluchten Franzosen losziehen, dann will ich dabeisein, hol's der Henker!“ Hasard blickte zu ihm auf. „Wie fühlst du dich denn jetzt, Shane?“ „Prächtig.“ „Übertreibst du auch nicht?“ „Ich stehe ohne zu wackeln auf meinen Beinen, und die Schmerzen im Arm haben schon nachgelassen.“ „Er hat ein Drittel von dem Inhalt der Flasche ausgesoffen“, meldete Carberry. „Das hilft ganz schön, meine ich.“ Hasard lächelte. „Genehmigt, Shane, du bleibst im Dienst.“ „Danke, Sir.“ „Du bist nicht klein zu kriegen, was?“ „Da muß es schon dicker kommen“, erwiderte Big Old Shane. Er grinste und sah auch schon nicht mehr so blaß im Gesicht aus wie zuvor, als ihn die Kugel getroffen hatte. * Die Zeichnung, die der Seewolf von der Insel Hawaii zu Papier brachte, war natürlich bei weitem nicht so kunstvoll und genau, wie ein Thomas Federmann sie hätte anfertigen können. Aber für Hasards Zwecke genügte sie vollauf. So von oben besehen, war Hawaii ein ungefüges, klobiges Etwas, dessen Form man in etwa mit der eines verunglückten Fladenbrotes vergleichen konnte. Nicht ganz in der Mitte, sondern leicht südwestlich verschoben befanden sich die Zwillingsgipfel des Mauna-Loa-Kraters, genau westlich davon die große, langgestreckte Bucht, an der das zerstörte Pfahlhüttendorf stand. Fünf Meilen nördlich kerbte sich nach Hasards Messungen und Berechnungen, die er aufgrund von Alewas Angaben gemacht hatte, die kleinere Bucht in die Küste, in der die Dreimast-Galeone der französischen Freibeuter ankern mußte. „Saint Croix“, hieß diese Galeone, soviel hatte Alewa von ihren Bewachern – Jean
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und Luc und sieben anderen Kerlen – im Pfahlbautendorf vernommen. „Saint Croix!, dieser Name ließ darauf schließen, daß die Seewölfe es mit einer Meute hartgesottener Karibik-Piraten zu tun hatten. Saint Croix war eine kleine Insel, die gar nicht weit entfernt von Puerto Rico und der Mona-Passage lag, und nur sie konnte den Anlaß gegeben haben, daß die Freibeuter ihre Galeone auf diesen Namen getauft hatten. „Saint Vincent“ hieß die Galeone von Masot, das größere Schiff, das mit Zegú, dem König von Hawaii, mit Thomas Federmann und zwanzig anderen Geiseln, darunter auch Mara und Hauula, irgendwohin unterwegs war. Diesen Namen hatte Alewa ebenfalls gehört, ehe Masot mit seiner Crew und seinen Gefangenen von Hawaii aufgebrochen war. Mehr aber wußte das Mädchen über die beiden Schiffe nicht. Wie sie armiert waren, wußte sie zum Beispiel beim besten Willen nicht auszusagen. „Saint Vincent“ - auch dieser Name war Hasard aus der Karibik bekannt. So hieß eine der Inseln unter dem Winde. Folglich war mit einiger Sicherheit, anzunehmen, daß Masot und seine Kerle irgendwann die lange Reise von der Karibik bis nach Feuerland hinunter gewagt hatten, dann den lebensgefährlichen, halsbrecherischen Törn durch die Magellan-Straße riskiert hatten und auf diese Weise in die Südsee gelangt waren. Es mußte ein Zufall gewesen sein, daß sie die Hawaii-Inseln gefunden hatten, denn offiziell war der. Archipel noch nicht entdeckt worden, war also auf keiner Karte der seefahrenden Nationen verzeichnet. Es war schon ein ausgesprochenes Pech für die Insulaner, daß ausgerechnet eine grausame Seeräuberbande hier hatte landen müssen, nachdem sie ihr Inselparadies über Jahrhunderte hinaus so erfolgreich behütet und geheim gehalten hatten. Hasard nahm die letzten Eintragungen auf seiner groben Skizze vor. Er saß immer noch auf der Kuhlgräting, hielt den Federkiel in der rechten Hand, tunkte die Spitze in das Tintenfäßchen, das Philip
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junior ihm hinhielt, und schrieb an die kleine Bucht fünf Meilen nördlich der Pfahlhüttensiedlung: „,Saint Croix` mit zehn bis fünfzehn Piraten an Bord.“ An der großen, langgestreckten Bucht machte er den Vermerk: ,,,Isabella` mit kompletter Crew und Alewa an Bord.“ Er zeichnete das Pfahlbautendorf ein, dann - rund zehn Meilen nördlich des MaunaLoa-Nordhanges - das Hauptdorf im Inselzentrum. Hier brachte er den Hinweis „Zweihundert gefangene Insulaner mit fünf Bewachern“ an. Marcel hatte auf Louis' Befehl hin acht Mann von dort abgezogen und sie als Verstärkung in den Kampf gegen Hasards Landtrupp geführt. Wie Alewa glaubhaft versichert hatte, konnten sich demnach tatsächlich nur noch fünf Mann als Bewacher der Gefangenen im Hauptdorf befinden. Louis und seine sieben Kumpane konnten sich inzwischen jedoch wieder ins Dorf zurückgezogen haben, um dort zu beratschlagen. Auch dies schrieb Hasard gewissenhaft auf, zeichnete auch den ungefähren Weg von Louis' Gruppe zum Dorf hin ein. Auf den imaginären Mauna-LoaNordhang schrieb der Seewolf: „Dreizehn flüchtige Insulaner, darunter Waialae, Koa und Lanoko.“ Zwischen Kratergipfel und Pfahlhüttendorf trug er als letzten Hinweis ein: „Acht Piraten auf der Suche nach den Flüchtigen.“ Er sah auf. „Folglich haben wir insgesamt mit einunddreißig bis sechsunddreißig Gegnern zu rechnen“, sagte er. „Die ganze Crew der ,Saint Croix` muß aus fast vierzig Mann bestanden haben. Jean, Marcel und dieser Glatzkopf sind tot, Luc und Richard befinden sich in unserer Hand. Die ,Saint Croix` kann kein kleiner Kahn sein, jedenfalls nicht nach der Stärke ihrer Mannschaft zu urteilen. Wir müssen aufpassen, daß wir uns nicht die Zähne an ihr ausbeißen.“ „Wenn wir das Überraschungsmoment auf unserer Seite haben, könnte unser Schlag vernichtend sein“, meinte die Rote Korsarin. „Verstehst du mich, Hasard?“
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„Natürlich. Wir dürfen nicht abwarten, bis sie mit ihrem Dreimaster hier aufkreuzen. Wir müssen ihnen um einen Zug voraus sein.“ „Genau das.“ „Aber die ,Isabella` wird unterbemannt sein, denn wir brauchen auch mindestens einen schlagkräftigen Landtrupp“, sagte der Seewolf. „Zwei Landtrupps wären besser“, sagte Ben Brighton. „Denn wir müssen ja die im Dorf gefangen gesetzten Eingeborenen befreien und auch Alewas Freunde, die zum höchsten Gipfel der Insel unterwegs zu sein scheinen, heraushauen.“ „Richtig“, sagte Hasard. „Aber damit würden zu wenige Leute an Bord unser alten Lady bleiben, das mußt auch du einsehen, Ben.“ „Ja, allerdings.“ „Ich gehe auch von der Hoffnung aus, daß Waialae, Lanoko, Koa und die zehn anderen Flüchtigen sich bislang vor ihren Verfolgern verstecken konnten.“ „Mit anderen Worten“, fragte die Rote Korsarin, „du willst als erstes in das Hauptdorf eindringen?“ „Ja. Mit so wenigen Männern wie möglich, damit die Crew hier auf der ,Isabella` groß genug für ein Gefecht gegen die ,Saint Croix' bleibt. Erst danach können wir uns auf die Suche nach den Frauen und Männern des Pfahlhüttendorfes begeben, von denen wir im übrigen ja nicht einmal genau wissen, wo sie stecken.“ „Also“, sagte sie. „Dann weiß ich schon, wie dein Plan in allen Details aussieht. Ja, er ist mir jetzt klar.“ „Wir brauchen nur noch die Männer für das Landunternehmen auszuwählen.“ „Nur Männer, Hasard?“ „Du willst diesmal mit auf die Insel?“ „Wenn auch du gehst ...“ „Du hast gesehen, was wir riskieren.“ „Und der Kampf gegen die ,Saint Croix'?“ fragte sie ihn mit hochgezogenen Augenbrauen. „Ist das kein Risiko? Du vergißt wohl, wer ich bin? Ich bin SiriTong - kein ängstliches Hausmütterchen, das sich beim ersten Kanonendonner in der Kombüse verkriecht.“
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Er lächelte. „Oh, das habe ich nie vergessen. Also gut, einverstanden, du bist mit von der Partie, wenn wir zum zweitenmal landen. Ich würde ja gern die Dunkelheit abwarten, aber ich fürchte, bis dahin würde zuviel Zeit verstreichen.“ „Ja, das finden wir auch, Sir“, sagte Carberry im Namen der ganzen Crew. Hasard blickte zu Alewa. „Alewa, ehe ich die Männer einteile, habe ich noch eine Frage an dich. Weißt du, wohin Masot. mit der ,Saint Vincent' gesegelt sein könnte? Ich meine, du hast doch vielleicht die Karte gesehen, die Thomas Federmann diesem Piratenführer vorgelegt hat.“ „Ja.“ „Und?“ Sie kaute ein wenig auf ihrer Unterlippe herum, dann entgegnete sie: „Erinnere mich nicht genau. Werde nachdenken, Lobo del Mar.“ „Tu das“, empfahl er ihr. „Deine Antwort ist sehr wichtig für uns, denn wir wollen versuchen, der ,Saint Vincent zu folgen und die Gefangenen zu befreien.“ „Wenn uns hier auf Hawaii nicht der Achtersteven versengt wird“, sagte der Profos. „Mensch, mal doch den Teufel nicht an die Wand“, zischelte der alte O'Flynn. „Mußt du das denn so schwarzsehen?“ „Hört, hört!“ Carberry grinste höhnisch. „Ausgerechnet du mußt das sagen, Donegal. Ist dir nicht gut? Oder glaubst du wirklich, daß wir die Piraten so mir nichts, dir nichts in die Flucht schlagen und dann gleich weiterklüsen, um Thomas Federmann und dessen Freunde zu suchen? He, du bist wohl unter die Optimisten gegangen, was, wie?“ „Nein, bei ihm ist der zweite Frühling ausgebrochen“, meinte Blacky. „Seit Alewa an Bord ist, ist er wie umgewandelt, merkt ihr das nicht?“ „Ach wo, das sind nur die väterlichen Gefühle, die er so hat“, sagte Ferris Tucker, der sich ein Lachen kaum verkneifen konnte. „Schluß jetzt“, sagte der Seewolf. „Kommen wir zur Sache. Ich habe meine Wahl getroffen. Siri-Tong, Dan, Smoky
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und Matt begleiten mich. Wir gehen an Land, und dann lauft ihr anderen aus, um den Kerlen an Bord der ,Saint Croix` eine heiße Überraschung zu bereiten.“ „Augenblick“, sagte Ben Brighton. „Du willst doch wohl nicht noch einmal am Strand dieser Bucht landen, oder? Himmel, ich bin überzeugt, daß dieser Louis und die anderen Schnapphähne uns nach wie vor beobachten und nur darauf warten, daß eine Abordnung von uns ihnen vor die Läufe gerät.“ Hasard lächelte. „Aber sicher doch. Hört jetzt meinen Plan. Er ist einfach, aber trotzdem bin ich von seiner Wirksamkeit überzeugt. Die simpelsten Pläne sind ja oft die besten.“ „Sir“, sagte der Kutscher. „Eine bescheidene Frage noch. Es ist Zeit zum Backen und Banken, aber ich schätze, wir werden unsere Mittagsmahlzeit wohl verschieben.“ „Richtig, Kutscher. Lösch ruhig die Kombüsenfeuer.“ „Aye, Sir.“ „Männer“, sagte der Seewolf. „Wir gehen sofort ankerauf und verlassen die Bucht. Wir laufen nach Süden ab. Ja, ihr braucht mich gar nicht so verdutzt anzusehen. Es soll so aussehen, als ob wir von diesem ungastlichen Platz verschwinden. Louis und seine Galgenstricke sollen sich ruhig gehörig den Kopf darüber zerbrechen.“ 8. Der Pirat trug einen schwarzen, breitkrempigen Hut, unter dem einige dicke Strähnen schwarzen Haares hervorquollen. Sein einstmals wohl weißes, jetzt aber undefinierbar gefärbtes Hemd stand bis zum Bauchansatz offen, der Stoff bewegte sich leicht in dem warmen Wind, der von den Bergen herab übers Westufer der Insel auf die offene See hinausstrich. Die Beine des Mannes steckten in einer zerlumpten schwarzen Hose. Um seine Hüfte hatte er sich ein Stück rotes Tuch geschlungen und zusammengeknotet, offenbar war der Fetzen als eine Art Schärpe gedacht. Vor
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dem rechten Auge hielt der Mann einen langen Messingkieker, dessen Optik auf die große Bucht des Pfahlhüttendorfes gerichtet war. Sein Mund, der von einem ausgefransten, sichelförmigen Schnauzbart umrahmt war, verzog sich in diesem Moment zu einem triumphierenden Grinsen. Er setzte das Rohr ab und blickte von dem Baum, auf dessen stärkstem Ast er sich seinen Platz ausgesucht hatte, auf die kleine Lichtung der Hügelkuppe hinunter. „Brassens!“ rief er. Der dicke Mann mit dem nackten Oberkörper, der unten mit der einen Schulter gegen den Stamm des knorrigen Baumes gelehnt stand, blickte zu ihm auf. „Was gibt's? Tut sich was, Maurice? Rücken die Hundesöhne wieder an? Na, die werden sich wundern.“ „Nein“, sagte Maurice, der Mann mit dem schwarzen Hut. „Sie hauen ab. Ja, sie verholen sich wirklich. Lauf 'runter ins Dorf und melde das Louis. Ich schätze, er wird froh darüber sein.“ „Das glaube ich nicht. Er vergeht vor Haß.“ „Lauf los und melde es ihm!“ Brassens verzog sein grobes, gerötetes Gesicht zu einer Grimasse, wandte sich nun aber doch von dem Baum ab und verließ die kleine Lichtung. Er rannte durch den Busch in das große Dorf der Insulaner hinunter und erreichte es bereits nach kurzer Zeit, denn die Entfernung zwischen der Eingeborenensiedlung und dem Aussichtspunkt auf dem Hügel betrug kaum mehr als fünfhundert Yards. „Louis!“ rief er. „Louis, es gibt Neuigkeiten!“ Louis war mit seinen sieben Begleitern erst vor kurzem eingetroffen, und sie hatten alle acht einen mehr als niedergeschlagenen Eindruck gemacht. Louis hatte unverzüglich einen Vergeltungsschlag gegen die Engländer führen wollen, aber seine Männer hatten ihm gesagt, daß die Arbeiten an der „Saint Croix“, die durch die Riesenwelle nicht unerheblich beschädigt worden war, noch nicht ganz abgeschlossen waren, und das
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hatte seine Wut und seinen Haß nur noch verstärkt. Er brauchte das Schiff, um sich an dem Schwarzhaarigen und dessen Teufelscrew rächen zu können. Wie sollte er die Galeone denn sonst angreifen? Mit den Auslegerbooten der Eingeborenen etwa? Das wäre Selbstmord gewesen. Die Engländer hätten mit ihren Kanonen ein Zielschießen auf die Boote veranstaltet. Aus mehr als dreißig geräumigen Hütten bestand das Dorf, und rundherum hatte Zegú im Laufe der vergangenen sechs Jahre vorsichtshalber eine Palisade errichten lassen – auf Anraten von Thomas Federmann hin, der die dumpfe Ahnung gehabt hatte, daß man früher oder später wohl doch mit weiteren Besuchern rechnen mußte, die sicherlich nicht so kameradschaftlich auftreten würden wie die Seewölfe, sondern eher das verbrecherische Format eines Ciro de Galantes haben würden. Vorsorge hatte deshalb Not getan, aber Masot, Louis und die anderen Karibik-Piraten hatten dann doch keine großen Schwierigkeiten gehabt, die Eingeborenen zu überwältigen. Die Palisade empfanden die Freibeuter ihrerseits nun sogar als große Hilfe, denn sie hatten die Gefangenen mühelos einsperren können und brauchten nur das große Tor an der Westseite zu bewachen. Hin und wieder patrouillierten sie auch an der Einfriedung entlang ganz um das Dorf herum, aber bislang hatte noch keiner der Insulaner versucht, aus dem eigenartigen Verlies zu fliehen. Louis stand bei den anderen Piraten vor dem großen Tor und fuhr in diesem Moment zu Brassens herum. „Schrei nicht so herum, du Narr, fuhr er den dicken Piraten an. Brassens lief auf die Gruppe von Kumpanen zu, blieb schwer atmend vor Louis stehen und erklärte: „Sie verziehen sich. Ja, sie segeln wirklich davon. Maurice meinte, das würde dich freuen und ...“ „Davon?“ wiederholte Louis scharf. „Das glaubt ihr doch selbst nicht. Ihr seid ja verrückt.“
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„Maurice hat es gesagt. Und Maurice ist der beste Ausguck, den wir haben“, verteidigte sich Brassens. „Maurice, Maurice“, äffte Louis ihn nach. „Ich will das selbst sehen. Du bleibst hier, ich laufe den Hügel hinauf.“ Er wartete keine Bestätigung ab. Leicht geduckt hastete er den Pfad entlang, den sie hier bereits vorgefunden, in diesen zehn Tagen auf der Insel jedoch immer wieder vom wuchernden Unkraut hatten befreien müssen. Der Aussichtspunkt auf der kleinen Lichtung der Hügelkuppe war also schon von den Eingeborenen als solcher benutzt worden - und eigentlich gab es so nah beim Dorf auch keinen besseren Ort, von dem aus man einen so weit reichenden Ausblick hatte: bis zur Bucht und über deren gesamten Strand hinweg zwei, drei Meilen nach Norden und nach Süden, außerdem im Inneren der Insel bis zum gewaltigen, schneebedeckten Zwillingsgipfel hinauf. Es war erstaunlich, wie viele Details man von hier aus sah. Louis langte bei dem knorrigen Baum an, auf dem Maurice nach wie vor in unveränderter Haltung thronte. Er sprach kein Wort, kletterte zu dem Kumpan hinauf, nahm ihm den Messingkieker ab und spähte selbst hindurch. Die Galeone der Engländer lag nicht mehr in der Bucht vor Anker! Es stimmte also! Louis mußte erst nach ihr suchen. Er entdeckte sie im Süden der Bucht wieder. Sie segelte auf Steuerbordbug liegend mit Backbordhalsen dahin und schien gute Fahrt zu machen. Ihr Bug teilte die See wie eine Pflugschar, die sich energisch durch schwere, fettige Marscherde grub. „Gleich verschwindet sie hinter der Landzunge“, sagte Maurice. „Na schön, wir haben den Hurensöhnen keins mehr überbraten können, aber vielleicht ist es besser so. Was meinst du, Louis?“ „Schweig.“ „Hör mal, du ... „Du sollst still sein“, herrschte der Blauäugige ihn an. „Merkst du denn nicht, daß es ein elender Trick von den Hunden ist? Sie führen uns an der Nase herum. Will dir das nicht in den Kopf?“
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„Willst du damit sagen, sie runden die Insel, gehen woanders an Land und fallen uns so in den Rücken? Unmöglich - die Insel ist zu groß. dafür. Sie würden sich hoffnungslos im Bergland verirren.“ „Halt doch endlich den Mund“, zischte Louis. „Ich kann dein dämliches Gerede nicht mehr ertragen. Der Schwarzhaarige ist schlau wie ein Luchs. Der hat sich schon was Brauchbares ausgedacht, um uns noch einmal überfallen zu können.“ „Aber was?“ „Was, was! Wenn ich das wüßte! Da, jetzt schiebt sich die verfluchte Landzunge zwischen uns und das Schiff. Der Teufel soll sie holen! Was jetzt?“ Maurice hielt sich mit der linken Hand an einem steil aufragenden Ast fest und musterte seinen Anführer aus schmalen Augen. „Wir können nur einen Späher 'runterschicken, der bis zur Landzunge läuft. Eine andere Wahl haben wir nicht, wenn wir die Galeone noch weiter beobachten wollen.“ Er rechnete damit, daß Louis ihn wieder anschreien würde, aber diesmal reagierte der andere erstaunlich ruhig. „Ja. Du hast recht. Doch warten wir noch eine Weile. Ich hab da so einen Verdacht.“ Maurice fragte nicht danach, um was für einen Verdacht es sich handelte. Er schwieg, harrte neben seinem Kapitän aus und behielt die See nahe der Landzunge im Auge. Kurze Zeit später erblickte Louis die Dreimast-Galeone von neuem. Er stieß einen Fluch aus, drehte an dem Messingkieker herum und reichte ihn dann Maurice. Maurice blickte ebenfalls durch die Optik und sah in dem schwarzgerahmten Kreis die Umrisse des Schiffes. „Hol's der Henker“, wetterte er los. „Jetzt läuft sie platt vor dem Wind nach Westen ab. Was, in aller Welt, hat denn das jetzt zu bedeuten? Erst nach Süden, dann nach Westen - das ergibt doch keinen Sinn.“ „Er will uns irreführen, der schwarzhaarige Bastard.“ „Das schafft er nicht.“
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„Er überschätzt sich diesmal selbst“, sagte Louis mit heiserer Stimme. „Er kann mich nicht überlisten. Ich habe es gelernt, ihn zu beurteilen. Er ist ein kaltblütiger, hinterhältiger Dreckskerl, aber was ihm einmal gelungen ist, das gelingt ihm nicht wieder. Ich schwör's dir, Maurice. Lieber sterbe ich, als daß ich so eine Schmach noch einmal ertrage.“ „Ja! Da, der Hund luvt an!“ „Was? Welchen Kurs nimmt er?“ „Norden ...“ „Gib mir den Kieker.“ Louis griff schon nach dem Rohr, entriß es seinem Landsmann, hob es ans Auge und starrte mit einer bitteren Verwünschung auf den Lippen hindurch. „Satan“, murmelte er dann. „Verrecken sollst du. Ist denn das zu fassen? Er segelt immer weiter nach Norden rauf, aber ich habe den Eindruck, er geht höher und höher an den Wind, um sich wieder der Küste zu nähern.“ Ja, noch war die Galeone ein bräunlicher Fleck vor der blaß schimmernden Kimm, aber allmählich vergrößerten sich ihre Konturen wieder. Tollkühn war dieses Manöver, das mußte selbst Louis dem Engländer lassen, denn höher hätte sich auch der beste Kapitän mit einem Rahsegler wie diesem nicht an den Ostwind gewagt. Jeden Augenblick konnten die Segel zu killen beginnen und der Besatzung um die Ohren knallen, aber das schien dem Schwarzhaarigen egal zu sein. „Mon Dieu“, stammelte Louis plötzlich. „Was ist? Was hast du gesehen?“ wollte Maurice von ihm wissen. „Unsere Ankerbucht - natürlich!“ keuchte Louis. „Er läuft die Bucht an, in der die ,Saint Croix` liegt. Das Mädchen, dieses Miststück, muß dem Bastard verraten haben, wo unser Schiff versteckt ist. Das hat er vor! Er will die ,Saint Croix` angreifen!“ Louis fuhr herum, rutschte auf dem Baumast fast aus, fing sich aber wieder. Er kletterte an Maurice vorbei, umklammerte den Stamm und rutschte an ihm zu Boden. „Du bleibst hier!“ rief er dem Kumpan
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noch zu. „Melde jeden Kurswechsel, den die Kerle vornehmen!“ „Ja. Noch halten sie mit Kurs Nord-NordOst auf die Küste zu!“ „Ich werde sie töten. Alle.“ Louis hastete mit diesen Worten von der Lichtung, rannte den Pfad zum Dorf hinab und schrie seinen wartenden Männern schon aus einiger Entfernung zu: „Alarm! Die Engländer steuern die Bucht der ,Saint Croix` an. Zwei Mann sofort 'runter zur Bucht. Sagt unseren Leuten Bescheid! Sie sollen auslaufen, gefechtsklar gehen und den Schweinehunden einen heißen Empfang bereiten!“ Zwei Piraten setzten sich unverzüglich in Trab. Ihre Gestalten verschwanden im Busch, der rings um das Dorf emporwucherte. „Brassens“, sagte Louis. „Du kehrst jetzt zu Maurice zurück. Er braucht dich als Melder, falls es neue Überraschungen gibt.“ „Jawohl.“ Brassens lief ebenfalls los. Louis blieb mit elf Männern vor dem großen Tor der Palisade zurück und überschlug im Geist, wie viel Zeit seine beiden Boten wohl brauchen würden, um die Ankerbucht der „Saint Croix“ zu erreichen. Knapp die Hälfte der von ihm kalkulierten Zeitspanne war abgelaufen, als plötzlich der Donner einer Explosion ertönte. Louis stand wie gelähmt da. Sein Mund öffnete sich langsam, seine Augen weiteten sich. „Was War das?“ stieß einer seiner Gefährten aus. „Das war nie und nimmer eine Schiffskanone.“ „Die Bombe! Sie haben wieder eine ihrer Flaschenbomben zum Einsatz gebracht“, sagte Louis. „Wie konnten sie so rasch heran sein? So schnell ist eine Galeone doch nicht. O Himmel...“ „Sie hat sehr hohe Masten und sehr viel Segelfläche“, meinte einer seiner Kumpane. „Scheint auch sehr flach konstruiert zu sein. Das ist wohl die Erklärung für ...“ „Zwei Mann bleiben hier“, schrie Louis plötzlich. „Die anderen neun mit mir! Ich will an dem Gefecht teilnehmen! Wenn
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sieh auch nur einer der Gefangenen erdreistet, über die Palisade zu sehen, schießt ihr ihn nieder, verstanden?“ „Ja“, erwiderte einer der Freibeuter. „Aber wer bleibt nun hier?“ Louis wählte die Männer aus, dann rannte er mit den anderen los. Sie tauchten ins Dickicht, stolperten fluchend voran und hörten jetzt den Donner einer neuen Explosion. Maurice und der gewichtige Brassens konnten von ihrem erhöhten Posten aus die Feuerblitze und die schwarzen Qualmwolken sehen, die von der Küste aufstiegen. Der Angriff der Seewölfe hatte begonnen. 9. Die Ankerbucht der „Saint Croix“ verfügte über eine recht enge Einfahrt, die allenfalls zwei Schiffe zur selben Zeit passieren ließ. Dies hatte Bill, der Ausguck der „Isabella“, aus der Entfernung von gut einer halben Meile schon entdeckt, bevor Ben Brighton, der von Hasard das Kommando übernommen hatte, sich zu einer recht eigenwilligen Taktik durchrang. Bills Meldung, daß der Bucht eine bewaldete Barriere vorgelagert war, gab den Ausschlag. Ben entschied sich für ein kleines Ablenkungsmanöver. Gefährlich krängte die „Isabella“ nach Backbord, hart lag sie an dem frisch aus Osten blasenden Wind. Ihre Masten hatten sich der Wasserfläche so tief zugeneigt, daß Ben fest damit rechnete, die Piraten in der Bucht würden sie erst im allerletzten Augenblick entdecken können. Jedenfalls ragte der Dschungel auf der Landzunge vor der Bucht höher auf als die Großmarsstenge der „Isabella“. „Ferris!“ rief Ben dem rothaarigen Schiffszimmermann zu. Ferris Tucker kauerte schon auf der Back, wo er diesmal seine „Höllenflaschenabschußkanone“ aufgebaut hatte. Er drehte sich zu Ben um, der auf dem Quarterdeck stand, und grinste ihm wie der Teufel in Person zu. Er zeigte klar, und Ben Brighton gab ihm seinen Befehl:
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„Sobald du kannst, läßt du die erste Flasche los. Schick sie so weit wie möglich nach Süden 'rüber!“ „Aye, Sir. Schon verstanden, Sir!“ rief Ferris zurück. Er richtete sich auf seine Aufgabe ein, platzierte die erste Flasche auf der pfannenförmigen Vorrichtung des Apparates, zerrte ein Kupferbecken mit glimmender Holzkohle zu sich heran, griff sich einen Luntenstock und zündete die Lunte der Flasche, sobald sie auf weniger als eine Kabellänge Distanz an die Einfahrt der Bucht heran waren. Die Flaschenbombe wirbelte von Bord, als er die Arretierung der Schleuder löste. Sie flog nach Steuerbord davon, landete im Regenwald und ging mit mächtigem Getöse in die Luft. Ferris packte gleich die nächste Flasche auf die Pfanne, blickte zu Ben — und ließ auch diese Ladung los, weil Hasards erster Offizier und Bootsmann ihm aufmunternd zunickte. Die Höllenflasche segelte über die südliche Landzunge der Bucht, schlug in den Busch am Südufer des Piratenverstecks und ging hier mit genauso großem Donner wie die erste hoch. So kam es, daß die „Isabella“ unbehelligt durch die Einfahrt segelte und von den Piraten an Bord der „Saint Croix“ viel zu spät bemerkt wurde, weil sie in diesem Moment alle wie gebannt nach Süden spähten. Vielleicht wäre Ben Brighton die Überraschung auch ohne den Einsatz der beiden Flaschenbomben gelungen, aber er hielt diese Art Taktik für effektvoller — und für dramatisch genug, um den Franzosen einen gehörigen Schrecken einzujagen. Mit einemmal war die „Isabella“ mitten in der Ankerbucht des Piratenseglers und rauschte mit den Wogen auf den Feind zu. Die „Saint Croix“ war tatsächlich kein Schiff von bescheidenen Maßen. Ben Brighton warf Old O'Flynn, der rechts neben ihm an der Querbalustrade des Quarterdecks stand, einen Seitenblick zu und rief: „Mindestens vierhundert Tonnen, schätze ich, und Kanonen hat der Bruder auch genug. Zwei Dutzend Geschütze, nach seinen Stückpforten zu urteilen ...“
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„Deck!“ schrie Bill, der Moses, hoch über ihren Köpfen. „Sie springen an die Kanonen, die Kerle!“ Dann räumte er den Großmars — und es war auch höchste Zeit dafür. Die Piraten hatten ihre Überraschung überwunden. Sie fluchten, brüllten sich gegenseitig Befehle zu und hasteten auf ihre Gefechtsposten. Klar zum Kampf war die „Saint Croix“, und auch die Schäden, die sie durch die Riesenwelle erlitten hatte, waren inzwischen bis auf Kleinigkeiten alle behoben. Vier Kerle rannten an die Winsch, rammten die Spillspaken hinein und begannen zu drehen. Der Anker hob sich, das Großsegel und die Fock wurden gesetzt, die Galeone nahm etwas Fahrt auf, ehe die „Isabella“ ihr ganz auf den Leib rücken konnte — und dann wummerten auch schon zwei Drehbassen und zwei Serpentinen los, die auf ihrer Back montiert waren. „Zieht die Köpfe ein!“ schrie Ed Carberry auf der Kuhl der „Isabella“. „Ben, auf was wartest du?“ „Ruder hart Steuerbord!“ rief Ben Brighton dem Rudergänger Pete Ballie zu. „Wir halsen und begrüßen die Halunken mit den Backbordgeschützen! Männer, klar zur Halse!“ Die Bucht war geräumig genug, um das Manöver zu gestatten. Für einen Moment sah es so aus, als wollten die „Isabella“ und die französische Galeone aufeinander zulaufen. Aber dann lag die „Isabella“ auch schon auf dem anderen Bug, steuerte in einer engen Schleife das Buchtufer im Osten an und glitt zwischen den Fontänen hindurch, die die Kugeln der gegnerischen Drehbassen und Serpentinen im Wasser hatten aufsteigen lassen. „Backbordbatterie — Feuer!“ brüllte der Profos. Die Culverinen schienen sich aufzubäumen, spuckten Feuer, Eisen und Rauch, ruckten auf ihren Lafetten zurück und prallten in die Brooktaue zurück, als wollten sie sie sprengen. Die sandbestreute Kuhl vibrierte. Carberry feuerte die Crew mit seinen üblichen Rufen an. Bill, Philip
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junior und Hasard junior rannten auf und ab, um Wasser für die Wischer und Kellen und Pulver für die 17pfünder zu transportieren, das Deck war von fiebrigen Aktivitäten erfüllt, und Batuti enterte soeben in den Vormars auf, um die ersten Brandpfeile zu zünden und zum Gegner hinüberzusenden. Ferris Tucker hatte die Flaschenschleuder neu justiert und schickte sich gerade an, die nächste Bombe zu den Freibeutern hinüberzujagen. Die „Saint Croix“ war jetzt abgefallen, lief mit westlichem Kurs auf die Ausfahrt der Bucht zu und bot der „Isabella“ ihre Backbordbatterie dar. Die Piraten schrien durcheinander, hantierten mit den Luntenstöcken, senkten sie auf die Bodenstücke ihrer Geschütze. Gleichzeitig mit den schweren Culverinen und den leichteren Demi-Culverinen der „Saint Croix“ donnerte die Flaschenbombe los, die Ferris Tucker genau in die Mitte der feindlichen Kuhl gesetzt hatte. Batutis erster Brandpfeil bohrte sich in das Großsegel der Piraten-Galeone. Es krachte und toste, und plötzlich schien das Inferno seine Tore geöffnet zu haben. Die Männer der „Isabella“ warfen sich auf die Planken, denn die gegnerischen Kugeln heulten heran. Es knackte und knirschte, Splitter wirbelten, etwas segelte in hohem Bogen quer über die Kuhl, und das Backbordschanzkleid der „Isabella“ hatte dicht beim Niedergang zur Back mit einemmal ein großes Loch. Auf der „Saint Croix“ herrschte aber noch größere Wuhling als auf der .Isabella“, und das lag an der Wirkung, die Ferris Tuckers Höllenflasche gehabt hatte. Das Großsegel der Feindgaleone stand in Flammen, und Batuti schoß den nächsten Brandpfeil ab, der mit geradezu unheimlicher Präzision die Fock der „Saint Croix“ traf. Die Piraten brüllten, rannten auf und ab, bargen Verwundete, warfen Tote über Bord und trachteten, das Feuer zu löschen. Der Kampf tobte hin und her. Louis hatte in diesem Augenblick an der Spitze seines Trupps das Ufer der Ankerbucht erreicht. Er blieb stehen,
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starrte für einen Moment auf das Bild, das sich seinen Augen bot, faßte sich dann aber und schrie seinen Männern zu: „Los, schiebt die Jolle ins Wasser! Wir versuchen, an Bord der ,Saint Croix` zu gehen!“ Die Jolle lag nicht weit entfernt auf dem weißen Sandstrand. Sie war eins der beiden Beiboote der „Saint Croix“. Die Piraten rannten fluchend über den Sand, packten das Boot und zerrten wie verrückt daran, um es ins Wasser zu befördern. Wenig später saßen sie auf den Duchten und pullten gemeinsam durch die hohe Brandung. Louis saß auf der Heckducht, hielt die Ruderpinne und blickte mit verzerrter Miene auf sein Schiff. Er begriff in diesem Moment, daß er bereits zu spät kam. Die „Saint Croix“ stand in hellen, hoch himmelan lodernden Flammen. 10. Brassens lehnte wieder an dem Baumstamm auf der kleinen Lichtung des Hügels, und er zweifelte beim Donner der Schiffskanonen keinen Augenblick daran, daß seine Kumpane dieses Gefecht für sich entscheiden würden. Er hatte gesehen, daß die Galeone der Engländer kleiner als die „Saint Croix“ war, außerdem schien sie auch nicht so gut armiert zu sein. Dies allein war für Brassens, den dicken Piraten, ausschlaggebend, aber er sollte noch lernen, daß man im Leben nicht gar so einfältig sein durfte. Maurice kauerte nach wie vor oben auf seinem Aussichtsposten und versuchte, etwas von den Vorgängen in der fünf Meilen nördlich gelegenen Ankerbucht zu erkennen. Er sah aber nur das Feuer und den Rauch, die immer intensiver aufzusteigen schienen. Brassens vernahm einen beunruhigenden Laut hinter seinem Rücken, wollte herumfahren, aber da war es schon zu spät für ihn. Etwas sauste schwer in seinen Nacken nieder, und er brachte nicht einmal
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mehr einen Laut hervor, ehe er bewußtlos zusammenbrach. Der Seewolf trat an Brassens' Stelle und blickte zu Maurice auf, der seinerseits gespannt nach Nord-Nord-West spähte. „Hör dir das an“, sagte Maurice. „Und dabei heißt dieses Meer rund um die Inselwelt das ,Meer der Ruhe'. Ist das nicht ein Hohn?“ „Ja“, antwortete Hasard und zog seine doppelläufige sächsische Reiterpistole. „Das ganze Leben ist manchmal ein einziger Hohn, nicht wahr?“ Maurice ließ entgeistert den Messingkieker sinken. Er sah nach unten und erblickte zu seinen Füßen den schwarzhaarigen Hünen. Er wollte seine Miqueletschloß-Pistole zücken, die griffbereit vorn im Gurt steckte, wurde aber durch eine Geste des Seewolfs gebremst. Hasard hatte die Reiterpistole gehoben und vorgestreckt. Die Mündungen zielten bedrohlich auf Maurices Unterleib. „Wer - wer bist du?“ stammelte der Pirat, aber er war sich im selben Moment der Dummheit bewußt, die dazu gehörte, solch eine Frage zu stellen. Hasard sagte: „Ich erkläre es dir vielleicht später. Steig jetzt 'runter von deinem Ast und wage bloß keine Dummheiten. Es könnte das letzte Mal in deinem Leben sein, daß du einen idiotischen Trick versuchst.“ Siri-Tong, Dan O'Flynn, Smoky und Matt Davies traten jetzt ebenfalls aus dem Dickicht auf die kleine Lichtung, und damit war es um Maurices Fassung endgültig geschehen. Er ließ den Messingkieker fallen, kletterte vom Baum und hob die Arme. Er begriff, was geschehen war. Die Engländer hatten sie hereingelegt, und zwar gründlich. Sie waren hinter der südlichen Landzunge, wo sie nicht mehr beobachtet werden konnten, mit einem Beiboot am Ufer gelandet. Dann hatte das Ablenkungsmanöver ihrer Galeone begonnen, und sie hatten seelenruhig durch den Inselurwald bis hierherauf marschieren können.
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Zweifellos hatte das Mädchen Alewa ihnen verraten, daß es hier oben, über dem Hauptdorf, einen Aussichtsplatz gab. „Wir gehen 'runter zum Dorf“, sagte Hasard. „Dan und Smoky, ihr nehmt diesen Fettwanst hier mit.“ Er wandte sich wieder an Maurice und erklärte ihm in seinem besten Französisch, was er von ihm verlangte. Maurice sah auf die doppelläufige Radschloßpistole, die immer noch auf seinen Bauch gerichtet war, und zweifelte keinen Moment daran, daß dieser schwarzhaarige Teufel mit den eisblauen Augen auch wirklich abdrücken würde, falls er seine Befehle nicht befolgte. Hasard hätte niemals auf einen wehrlosen Menschen geschossen, auch auf den größten Schurken nicht, aber das konnte Maurice nicht ahnen. Maurice wußte nur das eine: daß er nämlich das Leben so heiß und innig liebte wie nie zuvor und nicht sterben wollte. Er nickte und sagte leise: „Ich tue alles, was ihr von mir verlangt, wenn ihr mich leben laßt.“ * Die beiden Wachtposten, die vor dem großen Tor der Palisade zurückgeblieben waren, blickten sich verdutzt an, als im Dickicht plötzlich Maurice auftauchte und ihnen zuwinkte. „Hier“, zischte Maurice. „Seht euch an, was ich geschnappt habe. Ein Weibsbild. Kommt her und nehmt sie gefangen.“ Die beiden Piraten schritten gleichzeitig los und blieben zwei Schritte von Maurice entfernt stehen, um sich über die schwarzhaarige Frau mit den exotischen Zügen zu beugen. Sie lag zu Maurices Füßen im Dickicht. Wer war sie? Woher kam sie? Wie hatte Maurice sie überwältigen können? All diese Fragen, die die Piraten sich im stillen stellten, blieben leider unbeantwortet. Die Schwarzhaarige kam nämlich ganz überraschend zu sich, schnellte hoch und hieb dem rechten
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Posten die Hand so hart gegen die Schläfe, daß dieser umfiel und nicht mehr aufstand. Der links stehende Kerl wollte protestieren, zur Waffe greifen, handeln, aber alles war zu spät, viel zu spät. Wie der Teufel schoß ein schwarzhaariger Riese aus dem Gebüsch hervor und warf sich auf ihn. Daß zwei andere Gestalten neben Maurice hochwuchsen, nahm der Wächter des Dorfes schon gar nicht mehr wahr. Etwas schien vor seinem Kopf zu explodieren, und er sank hin und spürte den Aufprall auf dem Boden schon nicht mehr. Ihm schwanden die Sinne, und das war gut für ihn, denn er brauchte am weiteren Geschehen nicht mehr teilzunehmen und rettete dadurch sein Leben. Matt Davies und Smoky hatten Maurice in die Zange genommen. Maurice, der schnauzbärtige Pirat, stieß einen Laut ohnmächtiger Wut aus, aber Matt grinste ihn sofort so freundlich wie ein hungriger Hai an und sagte: „Nur eine falsche Bewegung, und du lernst meinen geschliffenen Eisenhaken kennen, mein Junge. Willst du das wirklich?“ Maurice verstand kein Wort, aber er wußte, daß es eine Warnung war. Er fügte sich in sein Schicksal. Dan O'Flynn hatte weiter hinten auf dem Pfad nach achtern gesichert, und er blieb auch jetzt als Wachtposten im Dickicht zurück, als Hasard und Siri-Tong zur Palisade liefen und das Tor öffneten und Smoky und Matt den Gefangenen auf das Dorf zudirigierten. Brassens, der dicke Freibeuter, lag zu Dans Füßen. Sie hatten ihn gefesselt und geknebelt. Hasard hatte den Verriegelungsbalken des großen Tores angehoben, wuchtete ihn jetzt ganz hoch, zog ihn zu sich heran und ließ ihn zu Boden gleiten. Er drückte die Torflügel auf, trat über den Balken hinweg und ging in das Dorf. Zunächst blickten sie ihn noch voll Entsetzen an, weil sie nicht begriffen, was geschah - Männer, Frauen, Kinder und Greise. Einige von ihnen erkannte er wieder. Er lächelte ihnen aufmunternd zu
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und beschrieb ein paar Gebärden, die ihnen zeigen sollten, daß sie jetzt frei waren. Schließlich sagte er auf spanisch: „Ihr seid jetzt frei. Wir sind hier, um euch zu helfen.“ Da hellten sich ihre Mienen auf. Sie wußten jetzt, wer er war, riefen immer wieder „Pele, Pele“ und meinten wohl wie Alewa, daß die Göttin der feuerspeienden Krater ein Wunder vollbracht hatte. Hasard war ziemlich sicher, daß sie das Grollen der Kanonen für die Stimme der Inselvulkane hielten, zumindest in diesem Moment. Dann fiel draußen ein Pistolenschuß, und Hasard fuhr herum und sah Siri-Tong, die ebenfalls herumgewirbelt war und aus dem Tor hinaus zum Dickicht lief. Hasard eilte ihr nach und hatte die Reiterpistole in der Faust. Er sah Dan O'Flynn aus dem Gebüsch springen und sich zu Boden werfen. Er sah Smoky und Matt Davies, die ihre von der „Isabella“ mitgebrachten Tromblons in Anschlag gebracht hatten und über Dans Gestalt hinwegfeuerten. Er duckte sich, zielte mit der Pistole und drückte zweimal auf die Gestalten ab, die aus dem Gestrüpp drangen und das Feuer auf sie eröffneten. Auch die Rote Korsarin schoß - zuerst mit ihrer Muskete, dann mit der Pistole, die sie aus dem Gurt riß. Fünf Piraten fielen, die drei anderen waren über die Lichtung vor dem Dorf hinweg und rannten in panischer Flucht zur Ankerbucht der „Saint Croix“ davon. „Das müssen . die Kerle gewesen sein, die hinter Waialae, Koa, Lanoko und den anderen Mädchen und Männern aus dem Pfahlhüttendorf her waren!“ rief Dan O'Flynn, der sich gerade wieder erhob und den Schmutz von der Kleidung wischte. „Sie haben natürlich den Kanonendonner gehört und sind aus den Bergen zurückgekehrt, um nachzusehen, was los ist.“ Hasard steckte seine Pistole weg. „Seid ihr unverletzt?“ fragte er. Sie bestätigten es ihm durch Gesten, und er konnte sich zu den Insulanern umdrehen, die jetzt zunächst zögernd, dann aber
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zügiger aus der Palisade hervortraten und ein aufgeregtes Gemurmel anstimmten. Er wies zu den Zwillingsgipfeln von Hawaii und rief ihnen auf spanisch zu: „Geht hin. und sucht eure Freunde - die Bewohner des zerstörten Fischerdorfes. Sagt ihnen, daß alles vorbei sei und sie sich nicht mehr zu verstecken brauchen. Versteht ihr mich?“ „Jedes Wort, Lobo del Mar“, antwortete ihm ein weißhaariger alter Mann mit freundlichem Lächeln. Hasard fand, daß es eine großartige Tat von Thomas Federmann gewesen war, diesen Eingeborenen die spanische Sprache beizubringen. * Brennend segelte die „Saint Croix“ aus der Bucht auf die offene See. Ihre Geschütze schwiegen jetzt und würden nie mehr sprechen. Die letzten überlebenden des kurzen, vehementen Gefechts retteten sich durch kühne Sprünge ins Wasser und schwammen zu den Beibooten. In dem einen saß der erschütterte Louis mit seinen Mitstreitern vom Dorf. Das andere war gerade noch rechtzeitig von Bord der Piraten-Galeone aus abgefiert worden, ehe es auch in Flammen hatte aufgehen können. Die „Saint Croix“ glitt durch die Passage. Ihre Fahrt verlangsamte sich, es war kein Stück Zeug mehr vorhanden, das sie voranbringen konnte. Es war ein gespenstisches Bild, wie sie allmählich mehr Wasser in ihren Rumpf aufnahm und tiefer sank. Louis blickte zur „Isabella“. Die war zwar lädiert. brannte aber nicht. Auch ihre Kanonen waren verstummt. Sie hob und senkte sich auf den blaugrünen Wogen, und von ihren Decks drangen die Stimmen der Engländer herüber. „Sie werden uns alle töten“, sagte einer der Freibeuter vor Louis. „Nein“, murmelte Louis. „Wenn sie das gewollt hätten, hätten sie es längst getan. Sie verschonen uns, gewähren uns Überlebenden freies Geleit.“
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„Louis“, sagte ein anderer Kerl. „Dort, am Ufer! Drei von unseren Leuten !“ Louis blickte zum Ufer der Bucht. Die drei, die den Kampf vor der Palisade überlebt hatten, rannten soeben in die Brandung, als hätten sie sämtliche Teufel der Hölle im Nacken sitzen. Sie begannen zu schwimmen und hielten auf die Beiboote der „Saint Croix“ zu. „Wir nehmen sie über“, murmelte Louis. Er nahm seinen Blick nicht vom Ufer. Weitere Gestalten erschienen jetzt. Da war der schwarzhaarige Teufel, dessen Namen er immer noch nicht wußte, dann eine Frau, ein Mann mit einer Eisenhakenprothese und noch zwei Kerle. Engländer. Bastarde, dachte Louis, der Leibhaftige soll euch holen. Wer seid ihr bloß? Plötzlich waren auch Maurice, der Ausguck, und Brassens, der Dicke, da. Louis erkannte die beiden Posten, die er vor dem Tor der Palisade zurückgelassen hatte. Sie machten einen benommenen Eindruck und schienen soeben aus tiefer Ohnmacht erwacht zu sein. Sie alle durften in das Wasser der Bucht steigen und zu ihren Booten schwimmen – und von Bord der „Isabella“ plumpsten jetzt auch zwei andere Gestalten ins Wasser, die sich hei näherem Hinsehen als Richard und Luc, der Bärtige, entpuppten. Ein narbiger Riese mit wuchtigem Kinn blickte ihnen von der Back aus nach, schüttelte die Faust und brüllte: „Ihr habt Schwein gehabt, ihr Satansbraten! Laßt euch bloß nie wieder blicken, ihr krummbuckeligen Zander, oder es geht euch wirklich schlecht! Ich hätte mich ja gern noch näher mit euch unterhalten, aber man ist ja ein Mensch und keine Bestie wie ihr Kanaillen!“ Louis sah wieder zu dem schwarzhaarigen Kapitän der fremden Galeone. Gewiß, er konnte jetzt zu ihm schwimmen und ihn vor die Klinge fordern. Aber plötzlich fehlte ihm der innere Ansporn dazu. Sein Haß schien verflogen zu sein. Der Selbsterhaltungstrieb überwog.
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„Fort“, sagte er mit rauher Stimme zu seinen Männern. „Nichts wie weg von hier, ehe die es sich anders überlegen.“ Sie nahmen ihre Kumpane in die Boote auf, pullten aus der Bucht hinaus und an der sinkenden „Saint Croix“ vorbei. Draußen, auf See, setzten sie ihren Jollen Masten auf und segelten bald darauf in westlicher Richtung davon. Von Bord der „Isabella“ löste sich wieder eine Gestalt - Alewa. Sie tauchte mit einem Kopfsprung ins Wasser, verschwand in dem klaren Wasser der Bucht, schoß wenig später aber wieder an die Oberfläche und schwamm mit langen, weit ausholenden Zügen zu den am Ufer Wartenden. Sie ging an Land und fiel vor Hasard, SiriTong und den anderen auf die Knie. Der Seewolf legte ihr die Hand auf die Schulter. „Steh auf“, sagte er. „Für solche Gesten sind wir nicht zu haben.“ Sie erhob sich wirklich und sah ihm in die Augen. „Wie kann ich dir danken, Lobo del Mar?“ „Hast du über die Insel nachgedacht, zu der Masot mit seinen Geiseln unterwegs ist?“ „Ja.“ „Dann wirst du mir aufzeichnen, wie sie auf Thomas Federmanns Karte ausgesehen hat. Traust du dir das zu?“ „Ich glaube, ja.“ Rufe erklangen aus dem Dickicht. Alewa wandte den Kopf etwas nach rechts, blickte zwischen Hasard und Siri-Tong hindurch, lachte plötzlich und rief: „Das sind Waialae und Koa! Und Lanoko und die anderen! Sie kommen! O Pele, Göttin von Hawaii, sie kommen wirklich!“ Braunhäutige Gestalten traten aus dem Ufergestrüpp auf den Strand, so viele, daß der Streifen weißen Sandes bald nicht mehr für sie auszureichen schien. Alewa stürzte auf einen hochgewachsenen, sehr jungen Mann mit edlen Zügen zu. Et war ein Mann, der auch für europäische
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Begriffe unbedingt als schön zu bezeichnen war. Alewa umarmte und küßte ihn. „Nun wissen wir, wer Koa ist“, sagte Dan O'Flynn mit einem schiefen Grinsen. „Oh, und da sind ja auch Waialae und - ja, der Junge, der ihre Hand hält, muß Lanoko sein.“ „Die Leute aus dem Dorf haben sie schnell gefunden“, sagte Siri-Tong. „Gott sei Dank.” Der Seewolf blickte zur „Isabella“, winkte Ben Brighton, Ferris Tucker, Carberry und den anderen zu. „Alles in Ordnung dort drüben?“ schrie er. „Aye, Sir!“ rief Ben zurück. „Batuti und Stenmark haben ein paar Kratzer abgekriegt, aber die sind nicht weiter der Rede wert.“ „Und Shane?“ „Kann schon wieder kräftig fluchen!“ „Eine Sonderration Rum für alle!“ rief der Seewolf. „Kutscher, rück den edelsten Tropfen heraus, den du in deinem Schapp versteckt hast, verstanden?“ „Ja, Sir!“ rief der Kutscher. Und die Crew stimmte den alten Kampfund Siegesruf der Seewölfe an: „Arwenack, Ar-we-nack!“ Hasard ließ seinen Blick weiter nach rechts wandern und sah, wie die „Saint Croix“ brennend in der See versank. Zischend erloschen die letzten Flammen. Das Heck war das letzte, was noch aus den Fluten aufragte, aber rasch schluckte das Meer auch diesen Teil des Schiffes. Die Beiboote segelten – jedes mit Großsegel und Fock versehen – nach Westen davon und verschwanden bald ganz hinter der Kimm. „Die See um Hawaii wird wieder zum Meer der Ruhe“, sagte der Seewolf. ,Und wir kämpfen weiterhin mit allen Mitteln dafür, daß dieses Paradies erhalten bleibt und nicht von Narren, Schnapphähnen und Glücksrittern zerstört wird.“
ENDE