ROBERT SHECKLEY UND JÄGER OPFER
BASTEI-LÜBBE-TASCHENBUCH Band 13163 Erste Auflage: Oktober 1988
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ROBERT SHECKLEY UND JÄGER OPFER
BASTEI-LÜBBE-TASCHENBUCH Band 13163 Erste Auflage: Oktober 1988
© Copyright 1988 by Robert Sheckley All rights reserved Deutsche Lizenzausgabe 1988 Scan by Brrazo 10/2005 Bastei-Verlag Gustav H. Lübbe GmbH & Co., Bergisch Gladbach Originaltitel: Hunter/Victim Ins Deutsche übertragen von Kalla Wefel Lektorat: Martina Sahler Titelillustration: Manuel Sanjulian/Norma Agency, Barcelona Umschlaggestaltung: Quadro Grafik, Bensberg Satz: VID Verlags- und Industriedrucke GmbH & Co. KG, Villingen-Schwenningen Druck und Verarbeitung: Brodard & Taupin, La Flêche, Frankreich Printed in France ISBN 3-404-13163-0 Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.
Für N. Lee Wood
Folgenden Personen möchte ich für ihre Hilfe danken: Norman Schwarz vom Norman's Hotel in Miami Beach, Florida Augustin ›Augie‹ Enriquez vom Combat Corner in Portland, Oregon Ed Kirsch aus Beaverton, Oregon N. Lee Wood aus Portland, Oregon
Erster Teil Wie man zum Jäger wird 1 Die meiste Zeit des letzten Tages ihrer Parisreise verbrachten Frank Blackwell und seine Frau Claire im Hotelzimmer mit einem dieser endlosen Streits, bei dem keiner mehr wußte, worum es ging, aber jeder davon überzeugt war, daß der andere vollkommen falsch lag und man ihn davon überzeugen mußte. Das Gespräch hatte den Zustand langen Schweigens erreicht. Blackwell schüttelte wiederholt den Kopf, als ob er vor einem unsichtbaren Publikum einen Vortrag über die bemerkenswerte Widerspenstigkeit der Frauen hielt. Claire, für ihren Teil, hatte den Blick in die Ferne gerichtet, so wie es Heldinnen aller Zeiten und Jahrhunderte zu tun pflegen. Außerhalb der verhüllten Fenster schmorte Paris in den Ausdünstungen von Selbstgefälligkeit und Diesel. »Und was war gestern in der Metro?« fragte Claire, als sie sich plötzlich daran erinnerte, warum sie auf Frank so wütend war. »Die Metro? Was ist mit der Metro?« fragte Frank. »Das Mädchen, dem du deinen Platz angeboten hast. Dieses Flittchen mit den schwarzen Strümpfen und diesen dicken Möpsen, von denen du deinen Blick nicht lassen konntest. Das 6
Mädchen war in der Metro!« »Ach, die«, sagte Blackwell. »Aber was war falsch daran, daß ich ihr meinen Platz angeboten habe?« »Die Metro war nicht einmal voll!« schrie Claire. »Sie hätte sich in diesem verdammten Wagen wer weiß wohin setzen können!« »Das schien sie nicht bemerkt zu haben«, sagte Blackwell. »Sie kam mir ziemlich unschuldig vor.« »Unschuldig! Oh, du Bastard!« rief Claire. Sie starrte ihn voller Abscheu an. Er starrte verständnislos zurück. Das Komische war, daß keiner von beiden Lust hatte zu streiten. Beide spürten, daß eine der schlimmsten Eigenschaften ihrer Beziehung die Art war, in der der andere auf sein Recht bestand. Wie viele Paare hatten sie eine regelrechte Anthologie von unerfreulichen Themen, und eines lenkte unweigerlich zum nächsten. Dennoch liebten sie sich sehr. Blackwell war ein Mann von mittlerer Länge mit Augenblicken erstaunlicher Größe. Glattes, mausbraunes Haar. Zurückgehendem Haaransatz, Nickelbrille, durch die die sanften, haselnußbraunen Augen intelligenter Kurzsichtigkeit blickten. Claire war eine gutaussehende, stämmige Blondine aus der Vielfalt der Greenwich Village Kellnerinnen mit einer Schwäche für Turners Aquarelle und ausländische Filme, solange sie nicht synchronisiert waren. Sie war eine zärtliche Frau mit viel Klasse, die sie jetzt bewies, als sie wider Erwarten 7
sagte: »Ach, Frank, das ist doch alles lächerlich, oder? Was hältst du davon, wenn wir diesen Streit vorläufig abbrechen und nach unten gehen, um etwas zu essen?« Ihr Paristrip konnte nicht ausschließlich als Erfolg gewertet werden. Erstens hatte es die ersten drei Tage ununterbrochen geregnet. Zweitens hatte sich Claire von der schweren, ungewohnten Küche den Magen verdorben; fürs Auskurieren gingen der vierte und fünfte Tag drauf. Dann wurden Frank die Traveller-Schecks aus der Jackentasche gestohlen, wahrscheinlich während sie sich durch die Menschenmasse zwischen Montparnasse und St. Germain kämpften. Glücklicherweise hatte er sich die Schecknummern notiert, aber er verbrachte dennoch den größten Teil des Tages damit, den Verlust erstattet zu bekommen. Jetzt verwahrte Claire das Geld und beide Reisepässe in einer ledernen Umhängetasche, die sie nicht mehr losließ. Ihr Hotel Le Cygne war ein malerisches, kleines Haus und nur ein paar Straßen vom Notre Dame entfernt. Es war auf diese heruntergekommene, schäbige Art, die die Franzosen perfektioniert haben, entzückend. Man kam in einen kleinen Empfangsraum, der von Fünfzehn-Watt-Glühbirnen erleuchtet wurde. Die Concierge – eine massive, im bombastischen Schwarz gekleidete Frau – hatte direkt neben dem Empfangsraum ihr eigenes Quartier. Ihre Tür war stets geöffnet, damit sie jeden kommen und gehen sah, um mit den Nachbarn oder der Polizei über die Gäste tratschen zu können. Nachdem sie einen identifiziert hatte, gab sie einem den Schlüssel, der an einem großen Gummiball mit einem Messingschild befestigt war, 8
damit man daran gehindert wurde, ihn in die Tasche zu stecken und mit ihm fortzugehen. Um in sein Zimmer zu gelangen, das meistens im fünften Stock lag, bog man mit dem Schlüssel in der Hand nach links ab und ging ein gekrümmtes Treppenhaus mit einem gefährlichen Neigungswinkel hinauf. Einmal drinnen, ging man über den verschlissenen, schrägen Fußboden, öffnete die bis zum Boden reichenden Flügelfenster samt den großen, weißen Vorhängen und konnte über die Dächer von Paris sehen. Und dieser in der ganzen Welt einmalige Augenblick entschädigte für alles. Frank und Claire stiegen die wackeligen Treppen hinunter und brachten Madame den Schlüssel zurück. Frank hatte bereits die Rechnung bezahlt. Ihre Koffer waren in einem verschlossenen Abstellraum verwahrt, bis es Zeit war, sie in ein Taxi zu laden und zum Flughafen zu fahren. Es verblieb noch genügend Zeit für ein Mittagessen und einen abschließenden Drink in ihrem bevorzugten kleinen Straßencafe direkt um die Ecke. Ihr Cafe ›Le Select‹ nahm eine Seite eines von fünf- und sechsstöckigen Gebäuden umgebenen Pflastersteinplatzes ein. Verborgen vor der Hektik und dem Lärm der City war es eine Oase der Ruhe. Es gab etwa ein Dutzend Tische. Die meisten waren von anderen Touristen belegt, die auch vom Reiz dieses verschwiegenen, kleinen Ortes gehört hatten. Der Oberkellner im schwarzen Smoking und mit einem schmalen, geschniegelten Schnurrbart konnte ihnen sofort einen Platz anweisen. Nachdem sie sich an einem Weißwein, der das Tafelweinprädikat wohlverdient hatte, erquickt hatten, bestellten sie ein Festpreis-Menü: Salat, Steak, Pommes frites und Pastete – das traditionelle Mahl des gallischen Volkes. Und nur um es perfekt zu machen, schlenderte ein Akkordeonspieler im gestreiften Hemd vorbei 9
und spielte eines der Klagelieder in Moll, die dafür sorgten, daß die französische Volksmusik ein lokales Phänomen blieb. Frank Blackwell spürte, wie seine Seele von Frieden durchdrungen wurde. Er spürte die unmittelbare Nähe zu einer vergangenen, friedlicheren Welt. Er nahm Claires Hand. »Honey, es tut mir so leid«, sagte er. »Ich bin mir nicht ganz sicher, was ich falsch gemacht habe, aber es tut mir wirklich leid, wenn ich dich verletzt habe.« Claires Lächeln konnte ihn noch immer erweichen. »Mir tut's auch leid«, sagte sie. »Manchmal weiß ich auch nicht, was in mich fährt.« Sie hörten Musik, die weiter entfernt aus einer der Straßen hinter ihrem bepflasterten Platz schwach hervordrang. Der Klang der Gitarren und Mandolinen wurde lauter und von Gesängen begleitet. Dann kamen die Musiker in den Hofraum des Restaurants. Sie waren zu viert und trugen mittelalterliche Kostüme mit langen Strümpfen, Pumphosen und weiten Umhängen. Sie sangen etwas, von dem Blackwell annahm, daß es eine alte Ballade sei. Es waren junge, bärtige Männer mit bläßlicher Hautfarbe – nicht besonders musikalisch. »Was sind das für Burschen?« fragte Claire. »Vermutlich Studenten«, sagte Blackwell, gescheit durch seine früheren Besuche in der Stadt der tausend Lichter. »Sie singen in den Cafes, und die Leute geben ihnen ihr Kleingeld.« »In was für einer Sprache singen sie?« Blackwell fand es nicht heraus, aber es war weder Englisch noch Französisch oder Deutsch. Er wußte, daß eine Menge südamerikanischer Studenten in Paris lebten, aber die Lieder waren auch nicht in Spanisch. 10
Sie beendeten das Lied, und Frank fummelte in seiner Tasche nach Kleingeld. Dann warf einer der Studenten seinen Umhang zurück und enthüllte ein kleines Schnellfeuergewehr, das vor seinen Brustkorb geschnallt war. Blackwell hatte gerade noch Zeit, Claire gegenüber zu bemerken: »Sieh nur, der Typ hat eine Knarre!« Dann hatten die Studenten ihre Umhänge zurückgeworfen, ihre Automatikwaffen abgeschnallt und begannen, ins Cafe zu feuern. Frank packte Claires Hand und zog sie unter den Tisch. Ein Kugelhagel fegte über den Platz. Die Geschosse prallten von den grauschwarzen Pflastersteinen ab und schlugen gegen die dunklen, gelben Wände der umliegenden Häuser. Ein Schrei des Entsetzens und der Angst kam von den Tischgästen, während sie in Deckung krochen. Die Körper purzelten wie aufgewirbelte Blätter im Herbstwind durcheinander. Der Akkordeonspieler machte einen Hechtsprung auf den Eingang des Cafes zu, und noch während er das tat, folgte ihm ein Kugelhagel, wie ein Schwärm in einer Munitionsfabrik gezüchteter, stahlgepanzerter Hornissen. Als die Kugeln in das zurückgelassene Akkordeon schlugen, gab es einen quäkenden, hohen Ton von sich. Blackwell kroch hinter einen umgekippten Tisch und spürte, wie sich Claires Hand mit aller Gewalt aus seinem Griff befreite. Voller Angst und Schrecken schaute er sich um und sah, daß sie zwei Meter von ihm entfernt lag. Sie schien auseinandergetrennt zu sein. Der Teil von ihr mit dem buntkarierten Rock war von dem Teil mit der hübschen, kleinen Jacke von Blomingdale abgerissen. Er starrte auf sie. Einen Augenblick lang konnte er dort, wo sie getroffen sein mußte, fünf verschiedene Blutflecken ausmachen. Aber dann wurden die Blutlachen immer größer und liefen ineinander über. 11
Der Hofraum war vom Gewehrrauch blau. Acht andere Menschen schienen auch tot zu sein. Die Studenten, oder was immer sie waren, waren verschwunden. Sie waren eine Terroristengruppe vom Balkan, die für ein freies Montenegro demonstrierten. Sie hatten sich das ›Le Select‹ für ihren Einsatz ausgewählt, weil sie (irrtümlicherweise) annahmen, daß der jugoslawische Botschafter und seine Frau dort zu Mittag essen würden. Sie wurden zwei Tage später in Cagnes am Mittelmeer von der französischen Polizei erwischt, als sie versuchten, ein Schiff nach Afrika zu besteigen. In dem anschließenden Feuergefecht wurden alle vier Männer getötet. Blackwell erfuhr später davon. Jetzt saß er mit Claires Umhängetasche im Schoß inmitten des Blutgemetzels und war erstaunlich unbeteiligt. Die Polizei kam und nahm Zeugenaussagen auf. Fotografen kamen und nahmen Bilder auf. Reporter kamen, um der Nachwelt die übliche Empörung der Überlebenden zu überliefern. Ein Leichenwagen kam, und Beamte entfernten die Toten, nachdem sie jeden einzelnen Leichensack zugezogen hatten. Claire mußte selbstverständlich mit ihnen verschwinden. Ein Mann der amerikanischen Botschaft kam, drückte Frank sein Beileid aus und gab ihm seine Karte. Er sagte, er würde Frank dabei helfen, alle notwendigen Vorkehrungen zu treffen, um Claires sterbliche Überreste in die Heimat zu überführen. Blackwell dankte ihm. Schließlich waren alle fort. Alle, mit Ausnahme von Blackwell, der wirklich nicht wußte, wo er hingehen sollte und mehr oder weniger am Ende war. Der Kellner hatte auch überlebt. Er fragte Frank, ob er einen 12
Drink haben wolle. Frank wollte, mochte aber nicht darüber nachdenken, was er bestellen sollte. Der Kellner schlug den besten Champagner des Hauses vor. Es passierte nicht alle Tage, daß einem das Leben zerstört wurde, daß einem die Frau getötet wurde und sich der Verlauf des Schicksals für immer wandelte. Als der Kellner ging, um den Champagner zu holen, versuchte Frank, Claires Tasche zu öffnen, in der sein Paß und die Traveller-Schecks zusammen mit den Flugtickets waren. Die Tasche wollte nicht aufgehen. Frank sah, daß noch zwei abgetrennte Finger von Claire fest um die Schnalle geklemmt waren. Er schaute sich um, aber niemand beobachtete ihn. Er zupfte zunächst behutsam an den Fingern, dann mit mehr Kraft. Plötzlich öffneten sich die Finger und fielen auf die Pflastersteine. Der Kellner kam mit seinem Getränk zurück. Frank entdeckte ein Taschentuch, wickelte die Finger drin ein und steckte es in seine Tasche. Dann fing er an zu weinen. Der Kellner legte eine Hand auf Blackwells Schulter. »Courage, mon vieux«, sagte er. Mit erstickter Stimme sagte Blackwell zu dem Kellner: »Jemand wird dafür bezahlen müssen.« Eben das, was Opfer immer sagen.
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Mit der Asche seiner Frau in einer schlichten Metallurne verließ Frank Blackwell Paris. Am Flughafen deGaulle wollten die Sicherheitskräfte die Urne nicht durchgehen lassen, bis Blackwell ihnen eine Bescheinigung der Polizeipräfektur zeigte, die bestätigte, daß die Urne lediglich die sterblichen Überreste eines Opfers enthielt und kein Mittel dazu war, weitere zu fordern. Blackwell flog nach Newark und hatte dort einen dreistündigen Aufenthalt, bis der Bus nach South Lake in New Jersey kam. Die Fahrt nach South Lake dauerte weitere drei Stunden. Blackwell starrte während der ganzen Zeit aus dem Fenster und sah auf nichts, eben auf New Jersey. Claires Eltern warteten auf ihn beim Metallwarengeschäft, das auch als städtische Busstation diente. Mr. Niestrom war ein gewandter, kleiner Mann, der stets einen Spazierstock aus Bambus bei sich trug. Es war das erste Mal, daß Frank ihn in einem Anzug sah. Mr. Niestroms Augen waren rot angelaufen. Mrs. Niestrom war eine große Frau mit einem dünnen Oberlippenbärtchen. Als sie Frank sah, begann sie zu weinen. »Wer hat es getan, Frank?« fragte Mr. Niestrom, als sie im Auto waren. »Vier junge Männer. Es waren montenegrinische Terroristen.« »Das sagten sie auch in den Nachrichten«, sagte Mr. Niestrom. »Aber ich habe es verpaßt, als sie erklärten, was so ein Scheiß-Montenegriner ist.« »Es ist ein Land«, sagte Blackwell, »oder es war einmal ein Land. Ich bin mir da nicht ganz sicher.« »Eins von diesen Niggerländern?« 14
»Nein, es liegt im Balkan zwischen Albanien und Jugoslawien. Oder es war da mal. Ich meine, falls es jemals ein unabhängiger Staat war.« »Ich hatte nur gedacht, daß die bei einem solchen Namen, Afrikaner sein müßten.« »Nun, das ist ein üblicher Irrtum«, sagte Blackwell. Er hatte ein wenig Schwierigkeiten, mit der Mischung aus aufrichtigem Kummer und aufrichtigem Fanatismus von Claires Vater klarzukommen. Aber wie Claire ihm gesagt hatte, sucht man sich seine Frau und nicht seine Schwiegereltern aus. »Immerhin hat man diese Scheißkerle umgelegt«, sagte Mr. Niestrom. »Das stimmt doch, Frank?« »Ja, das ist richtig.« »Irgendwo bedaure ich es, daß sie es getan haben, und weißt du warum, Frank?« »Nein, Mr. Niestrom, sagen Sie es mir«, sagte Frank, und er erhoffte sich davon, daß es das letzte Mal in seinem Leben war. »Weil ich sie selbst gerne umgebracht hätte.« Claire hatte ihm erzählt, auf welche Art und Weise der alte Mann sie als Kind geschlagen hatte. Mrs. Niestrom hielt dann Claires Brille, und der alte Mann pflegte sie mit einem Lederriemen zu schlagen; falls sie einmal böse war, was immer das heißen mochte. »Du würdest kaum glauben, daß so ein hagerer, kleiner Mann derart brutal sein kann.« Und sie hatte dabei gelacht. »Sie war mein Baby«, sagte Mrs. Niestrom und brach in Tränen aus. Das Essen fiel an diesem Abend aus. 15
Frank blieb in einem Motel am Rande der Stadt und konnte sich so um Claires Trauerfeier in der lutherischen Kirche kümmern, zu der Claire keine Verbindung mehr gehabt hatte. Er konnte sich nicht helfen, aber er war ein wenig ärgerlich darüber, daß es Claire war, die erschossen worden war. Er mußte sich nun um die Beerdigung kümmern, sich mit ihren Eltern arrangieren und herausfinden, was er mit dem Rest seines Lebens anfangen sollte. Aber besser als anders herum. Nicht, daß er nicht froh war zu leben. Grundsätzlich.
3 Nach dem Gottesdienst mietete Blackwell einen Wagen bei der örtlichen Autowrackvermietung und begab sich auf den Rückweg nach New York. Als er auf die Fernstraße 101 abbog, erinnerte er sich an Minskas Taverne, immer den Highway entlang, zwischen der Tankstelle und dem Ethan Allen Möbelgeschäft. Er war dort häufig mit Claire hingegangen. Eingedenk alter Zeiten beschloß er, ein letztes Mal hineinzugehen. Minska sah genauso wie immer aus, bis zu den Ohren behaart, dahinter kahlköpfig. Er hatte einen Schnurrbart wie eine Lenkstange und einen Spitzbauch, der an Umfang und Größe einer Bowlingkugel entsprach, seine Hautfarbe war aber blasser, denn Minska war polnischer Abstammung. Er hatte Glotzaugen und watschelte auf seinen Spreizfüßen wie Donald Duck. Er war ein ulkig aussehender Mann, und die Leute in 16
South Lake behandelten ihn geringschätzig, fast verächtlich. Bis zu der Nacht, als Tommy Trambelli, den sie Tommy Trouble nannten, die Sache endgültig bereinigte. Das war vor zwei Jahren. Tommy Trouble war Lagerist im großen Sears Kaufhaus fünf Meilen östlich von Netcong an der Fernstraße 123. Er hatte an diesem Abend den jährlichen Armdrücken-Wettstreit beim Garibaldi-Fest am Saddle River gewonnen und war gut abgefüllt. Er begann damit, sich über Minska lustig zu machen. Er ahmte seinen Gang nach und die langsame slawische Art, Worte auszusprechen. Minska lächelte nur und fuhr damit fort, die Gläser zu polieren. Wenn man in New Jersey lebt, muß man sich an großmäulige Lageristen gewöhnen. Als Tommy über die Kielbasa Wurst schimpfte, wurde Minska ein wenig rot im Gesicht, ließ es aber über sich ergehen. Zum Vergnügen der Kunden servierte er die Wurst stets zur ›Happy Hour‹ – in Stücke geschnitten, mit Zahnstochern durchbohrt und mit rotem, gekräuseltem Zellophanpapier dekoriert. Aber dann fragte Tommy Minska danach, wann denn seine Vorfahren von den Bäumen heruntergekommen seien: »War das vor oder nach dem zweiten Weltkrieg?« Minska seufzte. Er wischte seine großen, roten Hände an der Schürze ab und sagte: »Also gut, Tommy, du hast jetzt genug geredet, also halt jetzt die Klappe, bevor ich dir dein Gesicht zertrümmere.« Tommy war ein wenig größer als der Durchschnitt, aber er sah kleiner aus, weil er Muskeln wie ein Bär oder etwas verdammt Ähnlichem hatte. Zudem war er Gewichtheber, hatte den schwarzen Karategürtel und war ein erstklassiger Baseballspieler auf der Mittelschule gewesen. 17
»Nun. Minska, wenn du mich freundlich darum bitten würdest, würde ich dich vielleicht in Ruhe lassen. Aber du kannst mir keine Befehle erteilen, verstehst du, Mann?« »Ich gebe dir jetzt einen Befehl«, sagte Minska. »Zisch ab aus meiner Kneipe und komm erst dann wieder zurück, wenn du dir einen zivilen Umgangston zugelegt hast.« Tommy legte sein Kegelbrudergehabe ab, zog sein Bruce Springsteen-T-Shirt gerade und sagte: »Willst du mich herausfordern?« »Jawohl, genau das habe ich vor«, sagte Minska. Er legte seine Schürze ab und kam hinter der Bar hervor. Alle gingen beiseite, um ihnen genügend Platz zu schaffen. Unpassenderweise lief in der Musikbox Cole Porters vergoldeter Superoldie ›Begin the Beguine‹. Tommy tänzelte auf den Zehenspitzen auf und ab und begann mit ein paar linken Geraden. In der Besserungsanstalt ist er ein ausgezeichneter Mittelgewichtler gewesen und hätte irgendwo als Profi unterkommen können, wenn er nicht Ärger mit der Mafia gehabt hätte. Aber das ist eine andere Geschichte. Minska stand plattfüßig da, seine Arme baumelten seitlich herunter. Tommy traf ihn hart an der Stirn. Minska steckte den Schlag weg, machte einen Schritt nach vorn und landete mit seinen gelben Georgia-Stiefeln mit voller Wucht auf Tommys Spann. Tommy gab einen Laut von sich, der sich irgendwo zwischen einem Schrei und einem Grunzen bewegte, und krümmte sich vornüber. Minska schlug ihm mit seinen beiden ineinander verschlungenen Händen quer über das Genick, und das war bereits das Ende des Kampfes. Einige Leute wunderten sich danach, woher Minska eine 18
solche Geschicklichkeit haben konnte. Es gab eine Theorie, daß er einst Sumo-Ringer im Japanerviertel von Warschau gewesen war, aber jedermann wußte, daß Kommunisten keine Profiringkämpfe erlaubten. Joe Duggan, der einen Esso-Fünfachser fuhr, klärte alle auf. Er hatte Minskas Namen und Foto in einer alten Ausgabe des ›Soldatenmagazins‹ gesehen, in dem Minska als Söldner des Monats gewählt worden war. Aber was tat er dann heute in New Jersey, außer eine Taverne in South Lake zu führen? Niemand wußte es, und niemand fragte danach. Blackwell wurde von einem für einen sonst so enthaltsamen Mann seltenen Verlangen nach Alkohol ergriffen und schüttete sich den zweiten doppelten Bourbon herunter, überwand den Brechreiz und bestellte sich noch einen. Minska brachte die Flasche mit, schüttete aber nicht ein. »Hör mal, Frank«, sagte Minska mit leicht heiserer Stimme und polnischem Einschlag, »es geht mich zwar nichts an, aber das tut dir nicht gut.« »Das ist auch nicht notwendig«, sagte Blackwell. »Das mit Claire tut mir leid. Erlaube mir, dir mein aufrichtiges Beileid auszudrücken, Frank.« »Danke, Minska«, sagte Blackwell. Die beiden Männer standen eine Weile tröstlich beieinander. Die späte Nachmittagssonne wurde durch die Beimischung der industriellen Abfallprodukte New Jerseys eisig gestaltet und flutete mit ihrem goldenen, durch radioaktive Staubpartikel angereichertem Licht durch den mahagonifarbenen Eingang der Bar. »Ist es wahr, daß du ein Söldner warst?« fragte Blackwell. 19
»Ja, stimmt, ich war Söldner«, sagte Minska. »Wie war das?« »Mir gefielen eine Menge Punkte. Aber nach einer Weile wurde es schwierig, die Ansichten zu rechtfertigen. Wir mußten zuviele Leute töten, die lediglich zur falschen Zeit am falschen Platz standen. Also beschloß ich, ins Kneipengeschäft in New Jersey einzusteigen und meinen polnischen Akzent zu pflegen.« »Sag mir noch etwas«, sagte Blackwell. »Was muß ich tun, um mich den Söldnern anzuschließen?« »Wozu soll das gut sein, Frank?« »Manchmal treffen Ereignisse zusammen, die in dir einen seelischen Zusammenbruch hervorrufen, der nur durch das Töten menschlichen Lebens wiedergutgemacht werden kann. Ich will jemanden umbringen, Minska.« Minska legte seine dickfingrige, slawische Hand auf Blackwells Unterarm. »Frank, glaub mir, da gibt es eine bessere Lösung.« »Und was für eine Lösung ist das, Minska?« Gerade in diesem Augenblick kamen zwei feiste Gäste, gefolgt von einem hageren, durch die Tür. Minska schob Blackwell einen Block und einen Bleistiftstumpf zu. »Schreib deine Telefonnummer auf, Frank. Es wird jemand mit dir in Verbindung treten.«
4 Die ›Jäger‹ nahmen an einem regnerischen Novembernachmittag mit Frank Blackwell Kontakt auf, während die New 20
Yorker unter bedecktem Himmel in überdrehter Freizeitstimmung auf das vor ihnen liegende Erntedankfest zutaumelten. Es würde bald der Zeitpunkt kommen, an dem man vergnügt zu sein hatte, und aus diesem Grund sannen die einsamen Menschen in allen fünf Verwaltungsbezirken der Stadt über Suff, Drogen oder Selbstmord nach – jedenfalls über irgend etwas, das als versöhnlicher Zug für ihr klägliches Dasein gelten konnte, um der zwangsläufigen Heuchelei zu entfliehen. Frank war in seinem Apartment in der Greenwich Avenue und aß Stouffers gegrillte Bimbos und wünschte, Claire wäre da, um ihm ihre Spezialität zu kochen: Schinkensteak im zusammengeklappten Brötchen. Es sind immer die Kleinigkeiten, die man vermißt; das Kichern im Badezimmer, die Tränen im Schlafzimmer und extravagante Dinge, die man machte, wie einmal im Jahr nur zum Nervenkitzel nach Chinatown zu gehen. Frank grübelte darüber nach, als es an der Haustür klingelte. Er sah mißtrauisch hin. In New York läutete man normalerweise nicht mehr um neun Uhr abends an der Haustürklingel, bevor man nicht angerufen hatte, um dem anderen keine Angst einzujagen. Er drückte den Knopf der Gegensprechanlage. »Wer ist da?« »Die Pizza-Auslieferung.« Blackwell konnte sich nicht daran erinnern, eine Pizza bestellt zu haben. »Was für eine ist es denn?« »Mit doppeltem Käse und Pepperoni.« Blackwell runzelte die Stirn. Die letzten Pizza-Auslieferungsmorde hatten dieser einst weitverbreiteten Bestellung, einen unangenehmen Beigeschmack gegeben. 21
»Verschwinden Sie. Ich habe keine Pizza bestellt.« »Sind Sie sich da sicher?« »Ich bin mir fast sicher, und das reicht mir.« »Tatsächlich bin ich überhaupt kein Pizzamann«, sagte die Stimme. »Es war ein Witz. Ich habe für Sie eine wichtige Nachricht. Es geht um ein Angebot, das Ihnen nicht noch einmal gemacht werden wird.« »Schicken Sie mir einen Brief«, sagte Blackwell und machte sich wieder an sein Abendessen. Eine halbe Stunde verging. Frank beendete seinen Nachtisch aus Bordens Instant Plumpskugeln, die mit noch aus unverfälschten Chemikalien hergestellter Marmelade gefüllt waren. Für ihre letzte Reise auf den Müllberg von Staten Island pfropfte er die unverwüstlichen Plastikbehälter in den Mülleimer. Er war nun bereit, sich auf einen Fernsehabend einzurichten. Kaum hatte er sich auf seiner durchhängenden Couch niedergelassen, hörte er ein Geräusch aus dem kleinen Schlafzimmer. Es war schwierig herauszubekommen, was es war, aber es hätte das Geräusch eines Stahlrohrs sein können, das das Schloß am Eisengitter des Schlafzimmerfensters aufbrach. Blackwell stand auf und sah sich aufgeregt nach einer Waffe um. Er entdeckte ein Brotmesser mit Plastikgriff und patentierter Schneide. Das müßte reichen. Er wünschte sich, er hätte sich die Hausverteidigungs-Handgranaten-Ausrüstung gekauft, die er während des letzten Schlußverkaufs in der Selbstverteidigungs-Boutique gesehen hatte. Leise bahnte er sich den Weg ins Schlafzimmer über die Zeitungsberge, die Claire einmal im Monat umzubauen pflegte. 22
Ein Mann trat aus der Dunkelheit hervor. »Hallo«, sagte er fröhlich, »ich bin Simmons. Minska sagte mir, daß Sie Interesse daran haben, Menschen zu töten.« Er fegte an Blackwell vorbei, ging ins Wohnzimmer und setzte sich hin. Blackwell zögerte einen Augenblick, dann legte er das Messer auf eine Kommode und folgte ihm. »Wie sind Sie hereingekommen?« fragte ihn Frank. Simmons hielt ein Paar glockenförmiger Geräte mit Riemen, Spangen und druckauslösenden Ventilen hoch. Blackwell erkante sie als ›Clompers‹, Sauggeräte, die dazu gebaut worden waren, um Halt an den porösen Oberflächen der meisten älteren Gebäude New Yorks zu haben. »Ein wirklich simpler Trick«, sagte Simmons, »aber nützlich, um die Aufmerksamkeit zukünftiger Klienten auf sich zu lenken.« Simmons war ein schmächtig gebauter Mann, Mitte Vierzig. Er trug eine randlose Brille, hatte graublondes Haar, das zu einem unpassenden Bürstenhaarschnitt geschnitten war, eine kleine Boxernase und farblose Augenbrauen. Er war ein schwächlich aussehender Kerl in einem grauen Geschäftsanzug, der nicht allzu neu und nicht sonderlich gut geschnitten war. Er war die Sorte Mann, der es im Wesentlichen an persönlicher Ausstrahlung mangelte. Er sah derart harmlos aus, daß sich Blackwell sicher war, daß er gefährlich sein mußte. »Lassen Sie mich Ihnen zunächst mein tiefstes Beileid über den schrecklichen Mord an Ihrer Frau ausdrücken.« »Wenn Sie Söldner anwerben«, sagte Blackwell, »dann stellen Sie die Sache aber ganz schön umständlich an.« »Oh, nein, ich habe nichts mit Söldnern zu tun«, sagte 23
Simmons. »Ich arbeite für eine völlig andere Organisation. Es ist etwas Gefährlicheres als Söldnertätigkeit und befriedigender, wenn Sie Spaß daran haben – entschuldigen Sie den Ausdruck.« »Das müssen Sie mir schon erklären«, sagte Blackwell. »Die Leute, für die ich arbeite, Mr. Blackwell, jagen das größte, hinterhältigste und bösartigste Lebewesen von allen – den Menschen selbst. Ich bin von den Jägern.« Blackwell hatte von der ›Jagd‹ gehört. Wer nicht? Die Geheimorganisation – unlogisch, aber reizvoll – hatte in den vergangenen Jahren Schlagzeilen gemacht. Sie hielt ihre Jagden in Städten des ganzen Landes unter den Augen der Polizei ab, die keine Lust hatte oder nicht dazu in der Lage war, etwas dagegen zu unternehmen. Die ›Jagd‹ war bei den Amerikanern beliebt, und man sprach davon, daß sie demnächst legalisiert werden solle, besonders seit der Kongress vor kurzem den Parlamentsbeschluß zur Normalisierung von Suizid‹ verabschiedet hatte, der Selbstmord entkriminalisierte, solange man ihn in den eigenen vier Wänden vollführte und nicht die bürgerlichen Ehrenrechte anderer Menschen verletzte. »Ich weiß nicht«, sagte Blackwell. »Die Idee, hinauszugehen und jemand Fremden zu töten … also, ist irgendwie reizvoll, aber was hat das mit Claire zu tun?« »Eine ganze Menge«, sagte Simmons. »Die gewöhnliche Grundlage für die ›Jagd‹ ist eine zufällige Auswahl unter Freiwilligen. Aber im Augenblick, veranlaßt durch eine Unausgewogenheit in unserem Jäger/Opfer-Verhältnis und auch aus gesellschaftlicher Verpflichtung heraus, haben wir unseren Aufgabenbereich erweitert und die Ausrottung von Attentätern, 24
Terroristen und Berufskillern mit Freunden in hohen Positionen mit eingeschlossen. Es ist genau die Sorte Mensch, die für den Tod Ihrer Frau verantwortlich ist.« »Aber die Leute, die Claire ermordet haben, sind tot.« »Diejenigen, die tatsächlich auf den Abzug gedrückt haben, ja. Aber was ist mit der bleibenden Gruppe von Menschen, die hinter ihnen steht – den mittleren und höheren Managern von politischen und wirtschaftlichen Morden?« »Sie meinen, ich könnte die Leute jagen, die für das Pariser Greuel verantwortlich sind?« »Nicht dieselben Leute, aber Leute, die in ähnliche Sachen verwickelt sind. Die ›Jagd‹ wurde nicht für die persönliche Rache geschaffen.« Blackwell dachte darüber nach und fand die Idee reizvoll. Er wollte wirklich jemanden töten, und es würde befriedigend sein, die Sorte Mensch zu töten, die für Claires Tod verantwortlich war. Natürlich gab es die Möglichkeit, daß er selbst getötet werden könnte. Aber es gab keinen Grund, bereits jetzt an der Sache zu zweifeln. »Nun«, sagte Blackwell, »ich bin interessiert. Ich würde gerne mehr darüber hören.« »Gut!« sagte Simmons. »Warum kommen Sie dann nicht zu einem unserer geheimen Treffen, bekommen eine Ahnung davon, wie alles bei uns läuft und entschließen sich erst dann?« »Einverstanden«, sagte Blackwell, »und wohin muß ich kommen?« »Oh, das kann ich Ihnen nicht sagen«, sagte Simmons lächelnd. »Geheim, verstehen Sie? Aber wir werden Sie in ein, zwei Tagen anrufen und alles mit Ihnen absprechen.« 25
»Okay«, sagte Blackwell. »Ich nehme an, Sie haben auch meine Nummer aus dem Büro?« »Selbstverständlich.« Er schüttelte Blackwell die Hand. »Es war mir ein Vergnügen.« Blackwell ging mit Simmons zur Haustür und öffnete die Türriegel. Simmons verschwand in die Nacht. Das Abenteuer hatte begonnen.
5 Frank Blackwells verhängnisvolles Schicksal war es, als freier Herausgeber bei der Elsinore Press zu arbeiten, einem kleinen Verlag mit Büros in der 23. Straße nahe der 7. Avenue. Simmons rief ihn zwei Tage später bei der Arbeit an und gab ihm eine Adresse in der 60. Straße nahe der 9. Avenue. Blackwell willigte ein, um neun Uhr dort zu sein. Frank nahm die U-Bahn bis zum Columbus Circle. Weil er zu früh war, ging er noch auf eine Tasse Kaffee und einen Shrimpburger-Jambalaya mit einem Beigeschmack von Brackwasser ins Cajun Schnellrestaurant an der Ecke 58. Straße/ Broadway. Dann ging er zu der Adresse, die man ihm gegeben hatte. Es war ein großes, neues Apartmenthaus. Als Blackwell unschlüssig davorstand, öffnete sich eine Wagentür, und ein großer, dunkelhäutiger Mann mit langen Koteletten stieg in Chauffeursuniform aus. »Mr. Blackwell?« »Ja?« »Ich bin der Chauffeur. Mr. Simmons schickt mich. Bitte 26
steigen Sie in den Wagen.« »Simmons bestellte mich hierher«, sagte Blackwell und zeigte auf das Gebäude. »Oh, das war nur der erste Schritt, Sir. Eine Sicherheitsmaßnahme, verstehen Sie? Ich soll Sie den restlichen Weg mitnehmen.« »Den restlichen Weg, wohin?« »Dahin, wo Mr. Simmons und die anderen Sie erwarten.« Blackwell begann, ein wenig ärgerlich zu werden. »Sind denn all diese Täuschungsmanöver wirklich notwendig?« Der Chauffeur lächelte bedauernd. »Nun, wir sind eine Geheimorganisation, Sir.« »Also gut«, sagte Blackwell und stieg auf den Rücksitz des langgezogenen Cadillacs. »Wohin fahren wir?« »Nach Jersey«, sagte der Chauffeur und bewegte seinen Nacken innerhalb des Zylinders seines gestärkten weißen Kragens hin und her. »Auch das noch«, sagte Blackwell. Die Limousine glitt mit wohlerwogener Geschwindigkeit von der Bordsteinkante, und der Chauffeur unternahm das erste einer Serie von Lenkmanövern, die sie zum Lincoln-Tunnel bringen würde. Anfang August 1821 durchstreifte John Farley Todd, ein Neffe des unlängst verschiedenen Thomas Jefferson, die Appalachen; es war ein beliebter Zeitvertreib in jenen Tagen. Seine Reise hatte in Monticello im Staate New York begonnen, von hier aus strebte er mit Rucksack und Spazierstock südwärts. Todd hatte 27
die Kittatiny Bergkette durchkreuzt, deren Kamm auf den Delaware Water Gap zuläuft, und er setzte seine Wanderung durch die verschlungenen Hügel von Franklin fort. An einer Stelle entdeckte er zwischen zwei Faltenhügeln einen auslaufenden Pfad. Todd, ein leidenschaftlicher Amateurgeologe und beliebter junger Anwalt der gehobenen Gesellschaft aus Camden in New Jersey, entdeckte an der Stelle, an der sich die beiden Felsmassen trafen, eine zwischen starker Vegetation verborgene, schmale Spalte, die ins Erdinnere führte. Er vermerkte seine Entdeckung in seinem Tagebuch, ohne es zu versäumen, Coleridge zu zitieren: »Tiefe, romantische Schlucht, die sich schräg mit einer Zederndecke den Hügel hinunterneigt«, obwohl in diesem Fall die Decke aus Kiefern und Krüppeleichen bestand. Dieses Tagebuch ist heute der wertvollste Besitz des ›Jagd‹-Archivs. Todd stieg durch die schrägen Lichtstrahlen des von Gräben umgebenen Sonnenlichts hinab, das immer schwächer wurde, als er in das kam, was er als »die gigantische Finsternis dieser unermeßlichen Tiefen« bezeichnete. Schließlich fand er sich in einer riesigen Höhle, tief unter der Erdoberfläche. Die Höhlenwände waren von lumineszierender Flechte erhellt, die ein »blaugrünes Licht, sanft strahlend und schattenlos« abgab. Als er sich ehrfurchtsvoll umsah, erinnerte sich Todd an die letzten Worte seines berühmten Onkels Thomas Jefferson, die er am 4. Juli 1826, nur eine Woche vor seinem Tod, sprach: »Dieses Land ist zur Zeit in einem blühenden Zustand, mein Junge, und scheint ein nicht unvernünftiger Ort zum Leben zu sein. Aber der Segen einer guten Regierung ist wie eine 28
zerbrechliche Blume, die häufig auf der Jagd nach Profiten zertrampelt wird. Es kann der Tag kommen,. an dem die rechtschaffenen Menschen einer Zuflucht bedürfen, in der sie gegen Verrat und Tyrannei von außen oder gegen teuflische Untaten von innen Pläne schmieden können. Wenn du jemals auf so einen Ort stößt, sichere ihn auf alle Fälle für die Zukunft, wenn sein Nutzen offenkundig erscheint.« Die genaue Bedeutung von Jeffersons Worten und auch deren Genauigkeit sind mit Vehemenz diskutiert worden. Aber es steht fest, daß Todd das Gebiet erwarb, in dem sich der Eingang zu der geheimen Höhle verbarg. Sein Nachkomme Edward Todd Jackson, ein unabhängiger, wohlhabender Großwildjäger mit liberalen Ansichten, verpachtete es aus dem besten Anlaß, den er kannte, der ›Jagd‹-Gesellschaft. Frank Blackwell erfuhr von all dem erst später. Im Augenblick wußte er nur, daß die Limousine seit einer Ewigkeit durch die nichtssagenden Vorstädte New Jerseys fuhr, dann durch die ländliche Gegend, die noch weniger interessant als die Vorstädte ist, und dann etliche, holprige Meilen einen verschmutzten Pfad entlang, bis sie endlich zu etwas kamen, das wie der Eingang zu einem aufgegebenen Minenschacht aussah. Aus der danebenliegenden Wachhütte kamen ernst aussehende Männer und hielten mit dem Chauffeur flüsternd Rücksprache. Eine ganze Weile sahen sie Blackwell an. Dann gab einer von ihnen Blackwell ein Plastikschildchen, auf dem stand: »BESUCHER – ZUVERLÄSSIGKEIT UNBEKANNT«. Auf der anderen Seite war eine Anstecknadel, so daß er es sich an 29
die Jacke heften konnte. »Sie werden das da unten brauchen«, sagte der Mann. »Sie sind gründlich«, sagte Blackwell, bloß um etwas zu sagen. »Das müssen wir sein«, sagte der Wachmann, wie er es immer tat, wenn sich irgendwelche Besucher über seine Gründlichkeit ausließen. Er führte Blackwell in den Minenschacht hinein und zu einem alten Aufzug französischen Typs mit geöffneter Kabinentür aus Drahtgitter und Art deco Eisenarbeiten. Der Wachmann forderte ihn auf einzusteigen. »Ich weiß aber nicht, welchen Knopf ich drücken soll«, sagte Blackwell in einem verzweifelten Anfall von Leichtsinn. »Machen Sie sich keine Sorgen«, sagte der Wachmann, »ich drücke Ihren Knopf.« Seine einfachen Worte hatten eine unheilvolle Wirkung, als der Fahrstuhl nach unten in die Tiefe der Erde schoß.
6 Der Fahrstuhl bremste sanft ab. Die Tür glitt automatisch auf. Blackwell trat in einen weit ausgedehnten, gewölbten Raum, der in den Granitfels hineingemeißelt war. Hinter natürlichen Einbuchtungen im Gestein war die indirekte Beleuchtung eingelassen und gab dem Ort das Aussehen einer Filmszene aus ›Tarzan entdeckt die verlorene Stadt Ophir‹. Direkt vor ihm saß eine Empfangsdame hinter einem verchromten Glastisch. Sie war eisig schön und musterte Blackwell 30
mit der typischen Arroganz einer Büroangestellten einer geheimen Untergrundorganisation. Sie nahm seinen Ausweis und hielt ihn gegen das .Licht, um das Wasserzeichen zu prüfen. Dann rief sie jemanden an und beriet sich kurz. »Sie können durchgehen«, sagte sie und wies ihm den Weg durch eine Tür in einen getäfelten Flur mit alten Currier und Ives Drucken an der Wand. Am Ende des Flurs war ein bewaffneter Wachmann, der auch Blackwells Ausweis prüfte, bevor er ihn in einen anderen Flur durchließ. Dieser Flur war mit hin- und herlaufenden Sekretärinnen gefüllt, deren Hände voller Papier waren und die über Liebesabenteuer sprachen. Geschäftige Mitarbeiter und Verwaltungsangestellte tranken schwarzen Kaffee und telefonierten in kleinen Zellen. Am Ende dieses Flurs stempelte ein Wachmann in grüner Uniform und mit einem goldenen Abzeichen Blackwells Ausweis ab und führte ihn zu einer Tür, auf der ZUTRITT VERBOTEN stand. Als er sich ihr näherte, glitt die Tür auf und schloß sich wieder hinter ihm, nachdem er eingetreten war. Auf der anderen Seite des Raums war Mr. Simmons. Er saß hinter einem Nußbaum-Schreibtisch und trug einen hellgelben, offenen Anzug, unter dem sich eine Geschworenenweste zeigte. »Ah, Blackwell! Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Reise?« Er kam hinter dem Schreibtisch hervor und schüttelte Blackwell herzlich die Hand. »Ich weiß, es ist ein wenig trostlos, das Hauptquartier der Gesellschaft so weit von New York zu haben, aber es ist uns nicht gelungen, eine geeignete 31
Höhle unter Manhattan ausfindig zu machen. Setzen Sie sich. Einen Drink? Einen sehr trockenen Martini ohne Olive? Was für harte Männer. Geht doch in Ordnung, oder?« Er zwinkerte spitzbübisch. »Moneypenny!« Die Empfangsdame sah durch die Tür. »Zwei Martinis, und einen ganz speziellen hier für unseren Freund James Bond.« »Sein Name ist Blackwell«, sagte die Empfangsdame mit einer Stimme, die implizierte, daß sie diese Scharade schon öfter erlebt hatte. »Ach, du lieber Himmel, selbstverständlich!« sagte Simmons und drückte sich die Fingerspitzen gegen die Stirn. »Es handelt sich lediglich um eine zeitweilige Verwirrung. Natürlich sind Sie Blackwell. Ich weiß auch nicht, woran ich gedacht habe.« »Das kommt vom ewigen Fantasieren«, sagte die Empfangsdame. »Ich habe Ihnen das schon früher gesagt.« »Ja, Doris, und nun gehen Sie wieder an Ihren Schreibtisch.« Doris zog eine Grimasse und stolzierte zurück an ihren Schreibtisch. Die Tür glitt hinter ihr zu. Blackwell und Simmons standen da und betrachteten eine Weile die Tür. »Tolles Weib, nicht wahr?« sagte Simmons. »Dieser stramme, junge Hintern. Ich glaube, ich mache mich lächerlich. Macht nichts. Ich lasse sie in dem Glauben, daß ich ein wenig verrückt bin. Ich hoffe, Sie werden das niemandem gegenüber erwähnen.« »Niemals«, sagte Blackwell. »Kommen Sie hier entlang, und lassen Sie mich Ihnen alles zeigen.«
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Er führte ihn in einen großen Raum, der mit Reihen von Männern und Frauen gefüllt war, die vor Computern saßen. »Das hier ist der Computer-Raum, wie Sie sehen, das Herz des Unternehmens. Lucy, wenn Sie mich bitte entschuldigen würden …?« Die junge Frau, an die er sich gewandt hatte, machte gehorsam ihren Sitz vor der Tastatur frei. Sie hatte lockiges, kastanienbraunes Haar und ein freundliches Gesicht ohne Makeup. Simmons ließ sich nieder. Seine kleinen, dicken Finger tanzten auf den Tasten. Es erschienen verschiedene Darstellungen auf dem Bildschirm. Die Maschinen waren natürlich alle Maclntoshes, seit die Firma einige Jahre zuvor die führende Position im Computerbereich eingenommen hatte. »Das ist unsere Informanten-Direktverbindung. Wir haben eine wachsende Anzahl von Leuten, die, weil sie sich selbst nicht der ›Jagd‹ anschließen wollen oder können, eine moralische Verpflichtung fühlen, uns mit Informationen über etwaige Kandidaten zu unterstützen. Und da oben ist das laufende Hauptverzeichnis aller zur Zeit abgehaltenen Jagden. Es wird stündlich auf den neuesten Stand gebracht. Und hier sind die Datenbanken, aus der wir unsere Liste der unfreiwilligen Opfer auswählen. Das ist die, an der Sie interessiert sind. Die, auf der die Leute aus den Todesschwadronen verzeichnet sind.« »Das ist sie«, sagte Blackwell. »Damit gibt es keine Probleme. Wir wissen über jeden alles. Wir haben zu jeder Datenbank Zugriff, die wir wollen. Wir können an geheime Polizei- und Regierungsdaten kommen. Wir haben auch unsere eigene Liste der fünfzig bösartigsten Fälle. Sie basiert auf weltweiter Grundlage, und unsere Meßmethode 33
für Bösartigkeit wurde für uns von amtlich zugelassenen Semantikern entwickelt, die in Verbindung mit hochmotivierten Programmierern arbeiteten.« »Sie geben sich viel Mühe«, sagte Blackwell. »Oh, ja, ungeheuer, Blackwell, wirklich ungeheuer. Wissen Sie, eines Tages werden wir legalisiert werden. Wir werden eine bekannte und weltweit anerkannte Organisation sein. Wir sind die Gründungsväter einer neuen Ordnung.« Für einen Augenblick sah Simmons in seiner strengen Reinheit wie ein idealisiertes Portrait von Marx, Engels und Lenin aus, die sich auf einer Wolke stehend an die jubelnden Matrosen vom Panzerkreuzer Potemkin wenden. »Aber das gilt für die Zukunft. Die Frage, vor der wir jetzt stehen, lautet, trauen Sie sich zu, sich der ›Jagd‹ zu verpflichten und ein Mitglied der professionellen Mörderklasse töten zu können?« »Oh, ja«, sagte Blackwell. »Kein Problem. Aber sagen Sie … nur zu meiner eigenen Information, ich meine … gibt es wirklich eine professionelle Mörderklasse?« »Oh, ja! Unsere Soziologen haben überprüft, daß seit Beginn der menschlichen Zivilisation in jeder Generation Menschen geboren werden, die ihre Vorliebe für das Empfangen von Befehlen mit einem Hang zur Gewalt in sich vereinen. Diese Sorte Mensch tendiert dazu, sich selbst in Positionen zu hieven, aus der heraus man seine Mitmenschen töten kann. Solche Leute sind für ihre Herrscher von großem Nutzen, weil sie alles tun werden – egal wie abscheulich –, solange man ihnen von Zeit zu Zeit versichert, daß alles so für das große Ganze am besten ist. Es braucht nicht viel, sie geistig zu befriedigen, und viele von 34
ihnen melden sich freiwillig zu Spezialeinheiten. Es wäre alles in Ordnung, wenn sie sich darauf beschränken würden, sich gegenseitig umzubringen. Aber das machen sie nicht. Wir von der ›Jagd‹ erkennen unsere soziale Pflicht, obwohl wir dem Ideal der ›Hetzjagd‹ in all seiner Reinheit verpflichtet sind. Es ist jemand aus dieser Gruppe, den Sie jagen werden, Mr. Blackwell – wenn Sie sich entscheiden, bei uns zu bleiben.« »Was muß ich tun, um mich Ihnen anzuschließen?« »Es gibt verschiedene Voraussetzungen. Sie müssen sich für den Zeitraum der ›Jagd‹ aus dem normalen Leben zurückziehen. Wir können Ihnen dabei helfen. Aber wenn Sie einmal angefangen haben, müssen Sie sich um die ›Jagd‹ bis zum Ende kümmern.« »Was geschieht mit Jägern, die ausscheiden, ohne ihre Tötungen ausgeführt zu haben.« »Sie neigen dazu, böse Unfälle zu haben«, sagte Simmons. »Das Beste ist, sich von Anfang an sicher zu sein. Wenn Sie sich entscheiden beizutreten, werden wir Ihnen das beste Training geben, das es für diesen Tätigkeitsbereich gibt. Wir stellen Ihnen einen Aufklärer zur Verfügung, der Ihnen bei den Tötungsvorbereitungen helfen wird. Wir werden Ihre Mission auf jede denkliche Art unterstützen, als täten wir es für uns selbst.« Blackwell sagte: »Ich denke gerade darüber nach, was für eine Sorte Mensch zum Jäger wird?« Simmons lächelte freundlich. »Der einzige Jäger, den Sie sich vorstellen können, ist ein altmodischer Mann, der versucht, sich in seine individuelle, nur auf sich bezogene Welt zurückzuziehen. Aber er ist ein Sportsmann, der gern das gefährlichste 35
aller Spiele spielt. Er ist ein Existenzialist, der für den Augenblick lebt. Er ist ein Kind, das das Schwert schwingt. Er ist ein Mann, der einer Idee folgt, deren Zeit reif ist. Das ist es, was einen wahren Jäger ausmacht, Mr. Blackwell.« »Ist ein Jäger auch jemand, der mit einer Sache abrechnen möchte?« »Ja, Mr. Blackwell.« »Dann möchte ich mitmachen.«
7 Nachdem Blackwell nach New York abgereist war, um dort seine Vorkehrungen zu treffen, sich lange genug für die Tötung seines Opfers ausklinken zu können, drückte Simmons auf einen Knopf in der Wand. Eine Wandverkleidung glitt zurück und enthüllte einen Aufzug. Simmons stieg hinein und fuhr in eine tiefere Ebene hinunter. Er ging durch einen schmalen Korridor aus nacktem Fels. Eine einzelne Glühbirne flimmerte über einem schlichten Türeingang. Simmons zog seine Schuhe aus und trat geräuschlos in eine schmale, schwach erleuchtete Kammer ein. Am gegenüberliegenden Ende des Zimmers, das von Kerzen erleuchtet und kahl wie ein Affenkäfig war, saß ein alter Mann, der in Zen-Manier eine Wand ansah. Seine Beine waren auf einem quadratischen, schwarzen Kissen verschränkt. Er trug ein schlichtes, einfaches Gewand. Er wirkte schwächlich, vielleicht war er krank; dennoch hatten seine Schultern eine straffe Haltung. 36
Ohne seinen Kopf umzudrehen, sagte der alte Mann: »Guten Tag, Simmons.« »Wie konnten Sie wissen, daß ich es bin?« Simmons hatte den Trick schon früher gesehen, aber es gefiel ihm, den Rest der übriggebliebenen Eitelkeit des Jagdmeisters zu reizen. Der Jagdmeister lachte in sich hinein. »Sie gehen sehr leise, Simmons, leiser als ein Dieb. Aber auch Nicht-Geräusche kann man hören, wenn der Geist ruhig ist.« »Was ist, wenn mein Nicht-Geräusch wirklich kein Geräusch macht?« »Dann würde ich Sie an Ihrem Geruch erkennen.« »Und wenn ich ihn ausschalten würde, indem ich mich in eine riesige Plastiktüte einhüllen würde?« »Dann würde ich Sie an Ihrer Aura erkennen.« »Und wenn meine Aura ausbleiben würde.« »Was ausbleibt, hinterläßt auch seine Spur.« Simmons grinste kläglich. Der Jagdmeister würde ihn in diesen Jagdgründen immer übertreffen. »Sir, ich komme, um Ihnen zu berichten, daß ich diesen neuen Jäger, über den wir uns unterhalten hatten, angeworben habe.« »Blackwell? Gut.« »Aber ich habe Bedenken«, sagte Simmons. »Tatsächlich?« »Ihren Anweisungen folgend habe ich ihm unseren tieferen Grund, ihn für die ›Jagd‹ zu gewinnen, vorenthalten.« »Das Gegenteil der Wahrheit ist ebenfalls wahr«, betonte der Jagdmeister. Er stand mit einer einzigen schwungvollen Bewe37
gung auf. Der mattbraune Umhang wirbelte um ihn herum, als sei er lebendig. Das flackernde Kerzenlicht ließ seine vergeistigten, aber entschlossenen Gesichtsfalten weicher erscheinen. Er konnte gereizt sein, wie Simmons nur zu gut wußte. Aber er war die treibende Kraft hinter der ›Jagd‹-Philosophie, der Thomas Aquinus oder Rabbi Akiba des Mordes, der Heilige Franziskus des Gemetzels. »Tee?« fragte der Jagdmeister. Ohne auf eine Antwort zu warten, durchquerte er den Raum und schürte in einer niedrigen Eisenpfanne die glühende Asche eines Kohlefeuers. Gebückt fachte er das Feuer zu neuem Leben an und fügte noch einige Scheite Kienholz hinzu. Als das Feuer aufloderte, schob er einen altertümlichen Kupferkessel darüber, der an einer Eisenkette von einem Gestell herabhing. »Vielleicht hält es der Meister für angebracht, mich jetzt darüber in Kenntnis zu setzen, warum es so wichtig war, diesen ganz bestimmten Mann für die Jagd zu gewinnen«, sagte Simmons. »Seine Wichtigkeit ist von strategischer Bedeutung. Seine charakteristischen Merkmale unterstützen ein tiefergehendes Vorhaben. Lassen Sie mich Ihnen einen Vergleich geben. Im Schach haben doch alle Bauern die gleiche Wertigkeit, oder?« »Klar!« sagte Simmons. »Aber es ist nicht wirklich so. Ein Bauernzug kann die angreifende Königin entlarven, ein anderer Bauernzug kann den scheuen König bloßstellen.« »Also stellt Blackwell eine Möglichkeit in einer ganz besonderen Situation dar, was ein anderer Jäger nicht tun würde?« »Das ist wahr, aber nur als Vergleich. Welche Schachfigur 38
man auch immer gebraucht, sie produziert ein eigenständiges Ergebnis, das ein Teil des zukünftigen Zusammenhangs ist. Blackwells Züge werden eher vorauszusehen sein, als gewisse Züge der Gegenseite vorauszuberechnen sind.« »Aber wird das nicht für Blackwell gefährlich werden?« »Natürlich. Aber er muß auch seinen Zweck erfüllen, wohl oder übel. Die Zeiten haben einen Bedarf an ihm hervorgerufen. Amerika befindet sich in einer Periode raschen Wandels. Gesetze, die alle Aspekte des Drogenhandels entkriminalisieren, sind in Vorbereitung. Selbstmord ist nicht mehr gegen das Gesetz. Mord ist unter Berücksichtigung gewisser Umstände offiziell vergeben worden. Noch in diesem Jahr wird die Gesetzesvorlage für die Legalisierung der Jagd von unseren Freunden im Kongress als Antrag vorgebracht werden. Wir stehen kurz davor, an die Öffentlichkeit treten zu können, Simmons. Und in dieser entscheidenden Phase unserer Gesellschaft müssen wir gewisse Risiken auf uns nehmen, um anderen Schwierigkeiten aus dem Wege zu gehen.« Simmons nickte. Er war wie immer von der Fähigkeit des alten Mannes, eine Situation zu erfassen, erstaunt. Nicht umsonst war der Jagdmeister als der Kardinal Mazarin des Mordes bekannt. »Dennoch wird es Blackwell ganz schön hart treffen, oder?« betonte Simmons. Der Gesichtsausdruck des Jagdmeisters wurde gleichzeitig sanft und unnachgiebig. »Er kann da lebend rauskommen. Es sind schon merkwürdigere Dinge geschehen.«
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8 Es war leicht für Blackwell auszusteigen. Da Claire tot war, interessierte es niemand, ob er lebte oder tot war. Er hatte seinen letzten freien Herausgeberjob mit dem ›Imbißbudenführer durch Europa‹ beendet. Seine Chefredakteurin Marcia Gottshalk war auf ihre nachgiebige Art zufrieden und sagte ihm, er solle nach ein, zwei Monaten wieder reinschauen, und sie würden wahrscheinlich etwas anderes für ihn haben. Mit Hilfe des JagdSchutzfonds zahlte Blackwell seine Miete sechs Monate im voraus, packte einen kleinen Koffer und nahm laut Instruktionen einen Flug nach Phoenix. Am Flughafen wurde er von einem wortkargen Mann mit einem rehbraunen Schlapphut erwartet, der ihn zu einem verbeulten Lieferwagen führte und ihn zum Jagd-Trainingslager in den Superstition Mountains von Nord-Arizona fuhr. Ihm wurde eine Hütte und ein Platz im Speisesaal zugewiesen. Dann wurden ihm Kleidung und Ausrüstung zugeteilt. Am nächsten Tag begann sein Training. Sein erster Ausbilder hieß McNab, er war ein schwarzer Zweimeter-Mann und sprach mit starkem schottischem Akzent. Vielleicht spielte er Blackwell etwas vor. Es war schwierig, etwas über die recht merkwürdigen Typen zu sagen, die das Morden mit seinen verwandten Techniken im Superstition Mountain-Trainingslager lehrten. »Sehen Sie, Kleiner«, sagte McNab zu ihm, »im Killergeschäft ist es normalerweise nicht ganz so einfach, wie mal eben auf Mister Zielscheibe zuzugehen und ihm einen Revolver ins Ohr zu stecken. Und vergessen Sie diesen Schuß mit dem 40
Zielfernrohr aus dem Hinterhalt. In Filmen sieht das toll aus, aber in der Praxis sieht es unbeholfen aus, ein durchschlagskräftiges Gewehr mit Zielfernrohr mit sich herumzutragen. Und wenn Sie Ihre Arbeit außerhalb des Landes verrichten müssen, können Sie es sowieso vergessen. Sie werden sich wahrscheinlich nicht mit so einem Ding erwischen lassen wollen, wenn Sie durch den Zoll kommen – patriotische Gefühle existieren nun einmal. Vergessen Sie wirklich alle Gewehre. Für die Nahdistanz sollten Sie eine Handfeuerwaffe benutzen, oder eins von diesen tödlichen Spielzeugen, mit denen unsere Entwicklungsabteilung immer wieder auftrumpft. Aber, auf meine Art gesagt, ein Spazierstock ist noch besser als jeder Revolver verarbeitet, und selbst ein Schirm ist noch besser.« McNab war Spezialist im Schirmkampf. »Ich spreche nicht vom Degenschirm, wohlgemerkt. Zu riskant, wenn man geschnappt wird. Zu spezialisiert. Worüber ich hier rede, ist ein einfacher Schirm mit einem Holz- oder Bambusstock, obwohl wir ein Modell aus Chirurgenstahl hergestellt haben, das von allen das beste ist. Man kann die Spitze scharfmachen. Und wenn der Griff abgerundet und mit Blei beschwert ist, hat man an jedem Ende eine Mordwaffe.« McNab demonstrierte die Grundbewegungen: Die Finte, in der man so tut, als öffne man den Schirm, der Ausfallschritt nach dem Ziel, die erste Riposte, die zweite Riposte und das Nachschlagen mit dem beschwerten Griff. Blackwell übte gewissenhaft mehrere Male am Tag. Er wurde geübt, obwohl er nie so gut wie McNab wurde, der sein ganzes Leben in regnerischen Klimazonen damit verbracht hatte, seinen Beruf auszuüben.
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Houston James, ein kahlköpfiger, riesiger Mann mit einem roten Bart hielt einen Kurs über kleine Standardwaffen ab. »Sie dürfen sich nicht von einer bestimmten Waffe abhängig machen«, sagte er Blackwell. »Der erfolgreiche Killer muß sich auf das verlassen können, was er in die Hand bekommt. Und wir haben nicht die Zeit, die Feinheiten vom Umgang mit Handfeuerwaffen zu lehren. Für Ihr Vorhaben reicht es, dazu in der Lage zu sein, irgendeine Waffe mitgehen zu lassen, zu wissen, wie man sie lädt, sie entsichert und abdrückt. Es ist leicht, mit einer Pistole zu töten, aber Sie werden Probleme haben, wenn Sie nicht wissen, wie Sie eine Kugel in die Kammer bekommen, ob es eine Automatik ist, ob sie mit gespanntem oder ruhigem Hahn abfeuert, ob das Spannstück hoch oder nach unten muß. Wenn Sie diese Gruppe verlassen, werden Sie in der Lage sein, jede der zweiundfünfzig üblicherweise benutzten Handwaffen, Gewehre und leichten Maschinenpistolen zu benutzen.« In der unbewaffneten Kampfgruppe lehrte der Ausbilder, ein kleiner, grinsender Gurkha aus einem Dorf vor den Toren Katmandus, immer nur ein und dasselbe: »Da Sie nicht lange genug hier sein werden, um Karate, Aikido oder das tibetanische Mung-Ho, das allen anderen Systemen überlegen ist, zu lernen, werde ich Ihnen nur eins beibringen: Immer auf die Eier, Gentlemen, auf die Eier!« Der Ausbilder fuhr damit fort, darauf hinzuweisen, daß die Eier ein ideales Ziel wären. »Vergessen Sie es, einen Mann aufs Kinn zu schlagen; auf diese Art könnten Sie sich Ihre Finger brechen. Vergessen Sie, ihn über die Schulter zu werfen; Sie könnten sich den Rücken verrenken. Nichts davon ist überhaupt irgendwie gut, solange Sie nicht wirklich wissen, was Sie damit 42
anfangen können. Und wenn Ihr Gegenüber eine Frau ist, können Sie die gleiche Technik anwenden und so tun, als ob sie Eier hätte.« In der Sprengstoffgruppe lernte Blackwell die Grundlagen von Bomben und Sprengzündern kennen, aber lediglich die elementarsten Grundlagen. Sein Ausbilder, ein schmächtiger, kahl werdender Mann mit leichtem irischen Akzent, sagte ihm: »Die Zeit ist zu knapp, Ihnen beizubringen, wie Sie Ihre eigenen Bomben herstellen können; das ist ein Jammer. Es ist eine wunderbare Kunst, aber niemand sollte sich an ihr versuchen, es sei denn nach etlichen Lehrjahren bei einem Experten. Ich werde Ihnen zeigen, wie man mit gewissen Sprengvorrichtungen umgeht, auf die Sie während Ihrer Reise stoßen könnten.« Keiner der Ausbilder hielt viel von Pistolen. Einer sagte seiner Gruppe: »Sie töten Leute nicht so schnell oder wirksam, wie man meinen sollte. Aber die tatsächliche Schwierigkeit besteht darin, daß jede Polizeiabteilung der Welt dazu ausgerüstet ist, Schußwaffen an Hand von spezifischen Merkmalen zu identifizieren, an Ihrer Hand entdecken sie Schmauchspuren und so weiter. Man ist ihnen ausgeliefert, wenn man eine Pistole benutzt. Welches sind die besten Möglichkeiten, ein Opfer zu töten? Gifte haben einige Vorteile, aber mehr Nachteile. Wir haben einige sehr schnell wirkende. Treffen Sie Ihren Mann mit einem Pfeil, stechen Sie ihn mit einer Nadel oder blasen Sie ihm Puder ins Gesicht, er wird hinüber sein. Aber das machen Sie nur, wenn etwas schief läuft. Und es geht öfter etwas schief als nicht. 43
Das Wichtigste ist, die Augen offenzuhalten, nahe ans Opfer heranzukommen und auf zufällige Ereignisse zu achten. Seien Sie entschlossen und auf der Hut, aber vor allem seien Sie hinterlistig.«
9 Nach beinahe sechswöchigem Kurs kam Simmons in Blackwells Zimmer. »Wie kommen Sie voran?« fragte er. »Mir gefällt's«, sagte Blackwell. »Ich fürchte, das ist die falsche Haltung, aber so fühle ich mich nun mal.« »Nein, es ist die korrekte Haltung. Schämen Sie sich nicht, daß Sie Spaß am Töten haben, weder an der Vorstellung noch an der Ausführung. Wir Menschen haben eine lange Vergangenheit als Jäger und Killer. Weit länger als zivilisierte Wesen. Fühlen Sie sich dabei wohl, wenn Sie an das denken, was Sie vorhaben?« »Ich denke schon«, sagte Blackwell. »Es fällt mir nur schwer zu glauben, daß ich tatsächlich so etwas machen werde. Diesen Mann zu töten. Ich meine, ja, ich weiß, ich werde es tun, aber ich glaube es immer noch nicht so ganz.« »Die meisten von uns haben eine tiefsitzende Aversion dagegen, die eigene Art zu töten«, sagte Simmons. »Obwohl wir, ungeachtet des Tabus, eine Menge dafür tun, ist das noch die mit Abstand größte Hürde, die ein Jäger überwinden muß.« »Kommen alle Jäger darüber hinweg?« »Einige ja, andere nein. Einige bringen es trotz bestem Willen nicht fertig, wenn der Augenblick kommt.« 44
»Was geschieht mit ihnen?« »Das Opfer tötet sie normalerweise.« »Ich denke, ich werde dazu in der Lage sein«, sagte Blackwell. »Sie werden Ihre Chance bekommen. Wir haben übrigens das Ziel für Sie ausgesucht. Ich habe hier seine Akte. Er ist ein wohlhabender Mann und gut beschützt. Hier, lesen Sie das.« Er übergab Blackwell einen Computerausdruck. Alphonso Alberto Guzman Torres wurde 1933 in einer mittelgroßen Stadt südlich von Managua geboren. Sein Vater war ein armenischer Geschäftsmann ohne gesellschaftlichen Rang, aber mit einer Menge Geld. Der junge Alphonso wurde auf guten Schulen erzogen, und 1949, als er sechzehn war, kam er auf die nicaraguanische Militärakademie. Er bestand 1952 die Abschlußprüfung und war fest entschlossen, Karriere bei der Polizei zu machen. Er ging nach Peru und studierte die folgenden vier Jahre an der Nationalakademie der Staatssicherheit und belegte viele interessante Kurse, die es zu Hause nicht gab. Nach seiner Rückkehr nach Nicaragua trat er der Polizei in Managua bei und wurde dem nationalen Sicherheitskommando zugeteilt. Seine Fähigkeiten – totale Skrupellosigkeit und politische Zuverlässigkeit – wurden erkannt, und er wurde zum Kommandanten des Muster-Gefängnisses in Managua ernannt. Er erreichte den Rang eines Colonels. 1970 heiratete er Catarina Lopez aus der bekannten Lopez-Familie mit Besitzungen in La Flor und El Castillo, eine der vierzehn Familien, die in Nicaragua etwas zählten. Als seine Exzellenz, der Präsident der Republik, Anastasio Somoza im April 1979 entmachtet wurde, flohen Guzman, 45
Catarina Lopez und ihre drei Kinder in einem Transportflugzeug der nicaraguanischen Luftwaffe nach Guatemala. In Guatemala City schloß sich Guzman der FRENICA (Frente Revolucionario Nicaragüense) an, einer der ersten Contra-Gruppen, trat aber schon bald zur aktiven FDN (Fuerza Democratica Nicaragüense) über, die durch die Unterstützung der USA zur wichtigsten Contra-Gruppe wurde. Er nahm an dem erfolglosen Plan C teil, wurde zur FAD (Fuerzas Armadas Democritas) abkommandiert und dann zur FARAC (Fuerzas Armadas AntiCommunistas). Seine Befähigung, den Schmerz anderer zu ertragen, in Verbindung mit seinem Talent für Kleinwaffen und Konspiration, machten ihn zu einem idealen Führer des Todesschwadrons. Er wußte, daß seinem Job eine gewisse Verruchtheit anhaftete, aber er trug es wie ein Mann. Es war nicht unbedingt sein Traumjob, linke Schweine aus den Indianerhöfen der Cordillera de Yolaina oder den Kornfeldern um Bocay in den Kommunistischen Himmel zu schicken, aber jemand mußte es ja tun. Guzman wurde bei einem FSLN-Hinterhalt in der Nähe von Matagalpa verwundet. Sein zweiter Offizier, sein Jugendfreund Emilio Salvador Aranda, schleppte ihn durch den Rio Coco to Danli nach Honduras, und der CIA flog ihn in ein Krankenhaus nach Miami. Er nahm Emilio mit sich in die Staaten – eine Hand wäscht die andere. Er holte auch noch Tito, einen schwerfälligen Riesen, ziemlich helle für einen Schwachkopf, der im MusterGefängnis in Managua sein Sergeant war. Und er ging nicht wieder zurück nach Nicaragua: Die FSLN hatte ihn für vogelfrei erklärt, einen Preis auf seinen Kopf ausgesetzt und ihn zu einem 46
sadistischen Kriminellen erklärt anstatt zu einem aufrechten Soldaten. Er blieb in Miami, erhielt die amerikanische Staatsbürgerschaft (was bei seiner sauberen politischen Überzeugung und den Kontakten zum CIA ein Leichtes war) und ließ seine Frau und Kinder Anfang 1982 nachkommen. Mit Unterstützung seiner Freunde und dem Geld der Familie seiner Frau, die wohlweislich in die Zukunft des costaricanischen Kaffees investiert hatte, war er in der Lage, ins Bau- und Schiffsfrachtgeschäft einzusteigen. Er gab jedoch seine Nebenbeschäftigung, Menschen zu töten, niemals auf. Es gab eine Menge vorlauter, nicaraguanischer Großmäuler in Miami, die es zu stopfen galt – vorzugsweise mit schnellhärtendem Zement. Guzman kümmerte sich mit Hilfe einiger seiner Jungs um diese Leute. Er war auch die Schlüsselfigur für das Verschiffen von Waffen an verschiedene, über ganz Zentralamerika verstreute rechte Gruppen. »Was soll ich tun?« fragte Blackwell. »Nach Miami gehen und zusehen, ob ich ihn kriegen kann?« Simmons schüttelte den Kopf. »Guzman ist auf solche Eventualitäten gut vorbereitet. Das wurde bereits erfolglos versucht. Wir werden Sie möglichst nah an ihn heranbringen müssen.« »Ich könnte ja vielleicht versuchen, ihm eine Enzyklopädie an der Tür zu verkaufen.« »Er meldet sich nie an der Tür. Er hat Leute um sich herum, die ihn abschirmen. Er hat ein riesiges Haus in Süd-Miami, das durch das modernste Alarmsystem der Welt gesichert wird. Er hat Leibwächter, Dobermänner und einen elektrischen Zaun. Niemand kommt in seine Nähe, es sei denn, er bestellt jemanden 47
zu sich.« »Geht er niemals aus?« »Doch, schon. Er geht in Restaurants im Jai Lai Center und manchmal in den Biscayne Club. Aber es gibt da keine Verhaltensregel. Er plant nichts im voraus. Niemand blickt da durch, er bestellt sich lediglich seine Leibwächter und geht los. Man kann nichts vorausplanen, wenn das Verhalten derart willkürlich ist.« »Gut, wie bekommen wir mich dann in die Nähe von Guzmann?« fragte Blackwell. »Daran arbeiten wir gerade. Wissen Sie, diese Typen aus diesem Todesschwadron stellen ein ziemliches Problem dar. Es ist verblüffend, wieviele Freunde und Unterstützer sie trotz ihrer Taten haben. Sie stehen normalerweise mit der örtlichen Verwaltung und den Gesetzeshütern auf gutem Fuß. Und sie geben großzügige Spenden an lokale Wohltätigkeitsorganisationen.« »Das macht es noch schwieriger«, bemerkte Blackwell. »Und in einem Bezirk wie Dade, der von Miami aus beherrscht wird, ist es ganz besonders schwierig«, sagte Simmons. »Man hat es mit einer Menge Leute zu tun, die über ein verflucht großes Land verteilt sind. Es ist ein gewaltiger, tropischer Slum. Neben den wenigen großen Gebäuden in den Zentren nahe von West Flagler und Biscayne gibt es nichts als endlose Meilen von ein- und zweistöckigen Gebäuden. Es gibt dort Dutzende von kleinen Ortschaften, die sich von Homestead bis nach North Miami Beach erstrecken. Viele dieser Ortschaften werden von Schwarzen oder Spaniern bewohnt. Ein Fremder, insbesondere ein Angloamerikaner, fällt in dieser Gegend wie ein bunter Vogel auf. Und die Leute in der größeren 48
Umgebung von Miami sind äußerst mißtrauisch. Es gibt dort hohe Arbeitslosigkeit und hohe Kriminalität; viel Drogenschmuggel, Handel mit Waffen und illegale Einwanderer; eine Menge Morde. Alle paar Tage entdeckt die Polizei einen Wagen in einem Bewässerungsgraben neben irgendeiner Landstraße. Wenn sie den Wagen herausziehen, entdecken sie einen Kerl darin. Zu dem Zeitpunkt, an dem sie ihn ins Leichenschauhaus bringen, haben bereits die Flußkrebse an ihm herumgenagt, und es ist weit schwieriger zu sagen, wie er starb, als wer ihn tötete.« »Zu schade, daß ich kein Spanier bin«, sagte Blackwell. »Es würde alles ein wenig leichter machen.« »Das würde überhaupt nichts nützen«, sagte Simmons. »Es sei denn, Sie wären im Miami Milieu geboren und aufgewachsen. Selbst wenn Sie Spanier wären, würde Sie jeder als Außenseiter entlarven, sobald Sie den Mund aufmachen. Und dann wären Sie doppelt suspekt.« »Sie sagen das so, als wenn Sie mir den Mut nehmen wollten«, sagte Blackwell. »Ich will lediglich, daß Sie die wirkliche Situation begreifen. Aber wir haben schon früher vor so schwierigen Problemen gestanden. Wir müssen lediglich auf die passende Gelegenheit warten, in der wir den Fuß zwischen die Tür stellen können.« »Wie meinen Sie das?« »Eine passende Gelegenheit sind die wenigen Stunden oder Tage, in denen ein Opfer verwundbar ist. Sie kann sehr unverhofft kommen, und deshalb ist es das beste, darauf vorbereitet zu sein. Gehen Sie lieber zurück zu Ihrem Training. Aber seien Sie bereit. Wenn wir Sie brauchen, wird alles sehr schnell gehen. Ich kann Ihnen nur anraten, den Kurs in tropischen Kills 49
und Fluchten zu belegen. Er beinhaltet einige Techniken, die sich in der Gegend von Miami als nützlich erwiesen haben. Und er wird Sie auch mit etwas ausstatten, das Sie dort benötigen, um nicht vollkommen fremd zu wirken.« »Und was ist das?« »Eine wirklich gute Sonnenbräune.«
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Zweiter Teil Wie man zum Opfer wird
10 Während Frank Blackwell sein Spezialtraining absolvierte, wurden, hunderte von Meilen entfernt, in Honduras die Vorkehrungen getroffen, sein Opfer für ihn zugänglich zu machen. Dort saßen auf einem felsigen Bergkamm nahe der Stadt San Francisco de la Paz zwei Contra-Späher und beobachteten fortwährend die Hauptstraße, die sich bis zum flachen, baumlosen Horizont wie eine staubige, spitz zulaufende Schlange wand. Hinter ihnen verteilte sich das Rebellen-Camp von Miguelito und seinen Cobras über drei kahle, gelbbraune Berghänge, die auf den trüben Rio Telica Sicht boten. In seinem Chaos wirkte das Camp wie eine Versammlung von Lumpensammlern in der Innenstadt von Port-au-Prince. Aber obgleich es ihm an den meisten natürlichen Vorzügen mangelte, lag das Camp in direkter Nähe zu Nicaragua, das auf der anderen Seite des Flusses begann und wo das Volk nicht aufhören wollte, ein linksgerichtetes Regime zu unterstützen, ungeachtet der Tatsache, daß diese Regierung für nordamerikanische Interessen untragbar war. Das war ein Fehler, für den das nicaraguanische Volk fortwährend zahlen mußte. Die beiden Männer faulenzten sorglos herum. Ihre Hemden 51
waren bis zur Taille aufgeknöpft und die Schuhe aufgeschnürt, so wie es alle Guerillatruppen der Welt taten, besonders in tropischen Klimazonen. Es war ein Tag mit einem tiefblauen Himmel mit lilabäuchigen Wolken, die wie spanische Galeonen vom mexikanischen Golf hinaufsegelten und den für die Ernte segensreichen Regen mit sich brachten, der in diesem Jahr früher eintrat als die Jahre zuvor. Einer der Späher, ein untersetzter, bärtiger, drahtiger kleiner Mann mit Namen Valeriano, war Student an der Universität in Silves gewesen, einer Gegend achtzig Meilen von Managua entfernt. Er hatte Elisabethanische Literatur studiert, bis eine Contra-Einberufungskolonne in seine Schlafkammer eindrang und ihn gewaltsam für die Befreiungsarmee verpflichtete. Sein Freund Panfilo war an der Universität sein Zimmergefährte gewesen und mit Valerianos Schwester Pilar verlobt. Er war auch eingezogen worden. Panfilo war die andere Wache auf dem Bergkamm. All das war vor zwölf Jahren geschehen. Jetzt stand Panfilo mit seinem offenem Hemd da, lehnte sich über eine Anhöhe, rauchte eine mexikanische Delicado Zigarette und beobachtete träge, wie sein Freund Valeriano die glänzende, schwarze Serpentinenstraße mit einem abgestoßenen 7x50-Zeiss-Fernglas beobachtete. Beide Männer hörten hinter ihnen das schlurfende Geräusch von Stiefeln und drehten sich mit ihren Maschinenpistolen im Anschlag wachsam um. Aber es war nur Jean-Claude, der Koch, ein kleiner, feister Mann mit einer weißen Schürze. »Wie läuft es im Camp?« fragte Valeriano ihn. »Furchtbar, furchtbar«, murmelte Jean-Claude. »Ich mußte 52
für ein paar Minuten weggehen. Ich muß mich erst einmal beruhigen.« Er setzte sich auf einen Felsen. Seine Hände zitterten. Unverzüglich stand er wieder auf und begann, auf und ab zu laufen. »Nimm's leicht, mein Freund«, sagte Panfilo. »Ich denke, du pumpst dir zuviel von dem Stoff rein, wenn du verstehst, was ich meine.« »Ich nehme ihn nur, um wach zu bleiben«, sagte Jean-Claude. »Außerdem, was soll ich tun? Im Camp sind doch alle high, und Miguelito hört nicht auf, den Stoff auszuteilen. Aber ich habe keine Entzugserscheinungen, sondern mache mir nur Sorgen um das Schwein.« Die zwei Wachleute, beide ehemalige Universitätsstudenten, starrten auf den Koch, als ob er verrückt geworden wäre. »Beziehst du dich auf jemanden, den wir kennen?« fragte Panfilo. Jean-Claude stierte sie verblüfft an. »Ich spreche natürlich von dem Schwein für das Festessen.« Panfilo und Valeriano schlugen sich beide die offenen Handflächen vor die Stirn, eine Geste, die von Nicaragua vor kurzem aus Italien importiert worden war. Das Festessen! Natürlich! Denn der Grund, weshalb sie auf dem Bergkamm waren, war der, die Ankunft von Ramon de las Casas, den FSLN (C) Repräsentanten aus Miami, zu beobachten. Und selbstverständlich gab es ihm zu Ehren ein großes Festessen, und dieser Mann, Jean-Claude, hatte von dem Schwein für das Festessen gesprochen, dem Lechon Asado, das Würdenträgern, die hierher zu Besuch kommen, überall da, wo Spanisch gesprochen wird, immer serviert wird, auch wenn es sich bei den 53
Gästen um Vegetarier handelt. »Aber was ist denn los mit dem Schwein?« fragte Valeriano. »Ist es kein gutes Schwein?« Jean-Claude knirschte mit den Zähnen. Diese Männer verwirrten ihn, aber immerhin waren sie intelligent, auch wenn sie ihre Hemden bis zur Taille geöffnet trugen. Natürlich nicht intelligent im französischen Sinne des Wortes, aber für Spanier doch nicht schlecht. »Das Schwein ist vollkommen in Ordnung. Ich habe es selbst ausgewählt. Das Problem ist, daß sich unser Gast verspätet. Ich sagte Miguelito, daß er zu spät kommen würde, weil alle Delegationen zu spät kommen. Ich sagte ihm, wir sollten das Schwein erst dann aufspießen, wenn wir das Taxi aus San Francisco de la Paz diese staubige, schwarze Schlange von Straße hinaufkommen sehen. Aber natürlich bin ich nur der Koch, und wer hat schon jemals davon gehört, daß Commandante Bandera Negra einen Rat von einem Koch annahm? Fang schon an, sagte er – weil er der Commandante ist und ich nur ein Koch, obwohl ich aus Bordeaux komme und dort im Holiday Inn gearbeitet habe, bis mich die Unannehmlichkeiten mit dem elf Jahre alten estnischen Mädchen dazu zwangen auszuwandern.« »Was hast du mit dem Schwein gemacht?« fragte Valeriano. Jean-Claude zuckte die Achseln. »Was sollte ich schon tun? Befehl ist Befehl. Ich hab das Schwein auf den Spieß gesteckt.« »Ja, aber warum dann diese Aufregung? Hast du etwas vom Rezept vergessen?« Jean-Claude verzog voller Verachtung seinen Mund. »Ich? Ich soll einen Schritt aus einem von mir selbst zusammen54
gestellten Rezept ausgelassen haben, das gerade letzten Monat im Gourmet-Magazin veröffentlicht wurde? Nein, ich bin dem ganz normalen Ablauf gefolgt; ich wickelte das Ferkel in Tequila getränkte Agavenblätter, füllte es mit Kräutern, Gewürzen und Maisbrot, rieb es mit meiner eigenen, speziellen Kräutermischung ein, bestrich es mit dem allerfeinsten, kaltgepreßten Olivenöl aus erster Pressung aus Seville und drehte es am Spieß. Es lief alles prächtig, der Spieß drehte sich in genau der Geschwindigkeit, die ich mit meinem inneren Metronom für ihn festgelegt hatte, ohne langsamer zu werden, bis das Schwein mit einer glänzenden, goldbraunen Haut überzogen war, gerade bis die appetitlichen Säfte herausspritzten, außen kroß und innen zart, eben so, wie Lechon Asado sein soll.« »Gibt es eine Chance, etwas für uns aufzubewahren?« fragte Panfilo. »Ihr versteht mich immer noch nicht«, sagte Jean-Claude. »Das Schwein ist genau jetzt absolut perfekt. Es weitere zehn Minuten auf dem Spieß zu lassen, heißt, daß es verschmort und daß das zarte Fleisch innen austrocknet.« »Dann nimm es herunter!« rief Panfilo. »Aber dann wird es vorzeitig auskühlen, und ich müßte kaltes Fleisch servieren, überzogen mit gehärtetem weißen Schweinefett.« »Warum wickelst du es nicht in Alufolie ein?« fragte Valeriano grinsend, zumal es nicht sein Schwein war und er nicht zum Festessen eingeladen worden war. »Ach, so was haben wir hier doch gar nicht«, sagte der Koch. »Ich wünschte, ich wäre wieder im Hilton in Tegulcigapa. Wenn es da nicht diese Unannehmlichkeiten mit der deutschen Touri55
stin und ihrem Baby gegeben hätte.« Valeriano hatte gerade die Straße überprüft und hob gebieterisch die Hand. »Leise! Genau jetzt kommt er!« Eine Staubwolke war am entferntesten Punkt der spitz zulaufenden, staubigen, schwarzen, sich schlängelnden Straße erschienen. Schon bald verwandelte sich die Wolke in ein rasendes Automobil. Es war ein hellbrauner Plymouth, das Taxi aus San Francisco de la Paz. »Das Festmahl ist gerettet!« rief Jean-Claude und eilte zurück ins Contra-Camp. »Nicht nur das ist gerettet«, bemerkte Valeriano gegenüber Panfilo. »Jetzt wird der Truppe die Extrazuteilung der peruanischen Spezialmischung gegeben, die ihnen Miguelito versprochen hat, damit sie bei de las Casas Ankunft mit glänzenden Augen strahlen.« Der Plymouth überwand die mit Kopfstein bepflasterte Straße, die von grob gefällten Baumstümpfen begrenzt wurde, schlängelte sich den Hang hinauf und schoß schwungvoll ins Camp hinein. Die versammelte Truppe klatschte laut Beifall, winkte mit Mützen und wischte sich die Nasen. Eine aus Tabasco eingeflogene Fünf-Mann-Mariachi-Kapelle ließ einen ausgelassenen Huapango erklingen. Hinten stieg Ramon de las Casas heraus, der Verbindungsmann der FSLN (C), einer Gruppe, die sich der Wiedereroberung des nicaraguanischen Heimatlandes und der Wiedereinsetzung der Polizeikräfte des jüngst entschlafenen Tacho Somoza und seiner Nationalgarde widmete, nur dieses Mal mit weniger Milde. 56
Casas trug einen gutgeschnittenen weißen Anzug und eine schwarze, schmale Krawatte. Mit seinem länglichen, fein geformten Gesicht und dem gewellten grauen Haar sah er wie eine Mischung aus Simon Bolivar und Sankt Martin aus. Miguelito, der Contra-Kommandant, der berühmte Commandante Bandera Negra höchstpersönlich, trat vor, um ihn mit einer gewaltigen Abrazado zu begrüßen. Miguelito war ein specknackiger, feister Mann mit einer Zahnlücke und leicht irrem Blick. Ein Schreiber der New York Times hatte ihn als eine Mischung aus Eli Wallach und Attila dem Hunnen beschrieben. Sie gingen in Miguelitos Zelt. Casas lehnte sich in einem Stuhl aus Segeltuch zurück, während Miguelito kleine, verzierte Tassen mit gräulichem Chicha füllte. »Ich hoffe, die Reise war nicht zu strapaziös?« »Nein, überhaupt nicht. Und ich hoffe, Sie haben die Schiffsladung Frauen erhalten, die ich letzten Monat über unseren Agenten in Guatemala City schicken ließ.« »Sie wurden innerhalb der Truppe aufgeteilt, die Ihnen, genau wie ich auch, dankt.« »Waren sie in Ordnung?« »Ausgezeichnet, Sie haben einen tadellosen Geschmack, Don Ramon …« Seine Stimme verlor sich. Casas sagte: »Was war mit ihnen los? Nicht dick genug, wie? Ich weiß, ich weiß. Aber Sie können sich ja vorstellen, wie schwierig es ist, passabel aufgedonnerte Huren zu finden, die bereit sind zu reisen. Ich sage das unserem Agenten in Panama, Manchego de Quesadillo, immer wieder, aber er entschuldigt sich immer nur.« 57
Durch die offene Zeltplane konnte man die in dunkles Violett mit goldener Umrandung getauchten Berge der Sierra de Agaltâ sehen. Die durchdringende Hitze vom tropischen Himmel hatte nachgelassen. Ein paar schwere Regentropfen fielen herunter. »Verdammter Mist«, sagte Miguelito, »es sieht so aus, als ob der Regen dieses Jahr früh kommt. Und wir hängen hier in diesen schäbigen Zelten herum und campieren auf diesem gottverlassenen Berghang ohne Filme und ohne dicke Huren, die uns im Schmutz und im Glanz der zentralamerikanischen Nächte Gesellschaft leisten könnten! Gott sei Dank läuft die Versorgung mit Schweinen weiter.« Von draußen kam ein erfreuter, französisch akzentuierter Ruf: »Schwein is' fertisch! Kommen Sie und 'olen Sie sisch etwas!« »Noch ein Wort, bevor wir uns den Festlichkeiten zuwenden«, sagte Miguelito. »Ich hätte Sie wegen eines SchweineFestmahls nicht den ganzen Weg hierher gebeten, Ramon, auch wenn es Ihnen zu Ehren ist. Ich bat Sie zu kommen, um Ihnen zu sagen, daß wir endlich bereit sind.« Casas holte tief Luft. »Sie meinen bereits bereit?« Miguelitos Augenlider zuckten, eine minimale Geste der Bestätigung, um so wirkungsvoller infolge ihrer Winzigkeit. »Wieviele Männer haben Sie?« »Mir ist es gelungen, viertausend fronterfahrene Kämpfer von Flavian Estes, dem Kommandanten Gato Azul, zu verpflichten. Er hat beschlossen, sich vom Guerilla-Geschäft zurückzuziehen und in Fiesole Aquarelle zu malen, also nahm ich jeden seiner Männer. Ich habe einen guten Kurs erzielt, mußte aber dennoch meinen CIA-Unterstützungsfonds ausnutzen, plus das bißchen, 58
das wir letzten Herbst nach der Plünderung von Tumbuqû in die gemeinsame Brigade-Kasse geworfen hatten.« »Viertausend ist gut«, sagte Casas, »aber noch …« »Moment, es sind mehr. Ich habe feste Vereinbarungen mit den Führern von drei weiteren aufrührerischen Banden getroffen. Sie haben es satt herumzulungern und stimmten zu, sofort anzugreifen, wenn ich es tu. Ramon, wir können es dieses Mal schaffen!« »Miguelito, und das sage ich voller Bewunderung: Sie waren sehr fleißig.« Miguelito lächelte. »Nun wissen Sie, warum man mich El Exigente nannte, bevor ich zum Commandanten Bandera Negra wurde. Ramon, wir könnten den ganzen Weg zurücklegen! Ich werde den Fluß bei Dos Ojetes überqueren, die Virgin Gorda Linie des Feindes umgehen, mich durch das AussätzigenBataillon bei Dolces de Muerte schlagen und mich mit Jorge Encenladora und seinen Purpurnen Raupen jenseits von Morena de Churri zusammenschließen.« »Hervorragend!« rief Casas. »Und was dann?« »Dann gehen wir über zum Plan ›Honcho Azul‹, den wir, wie Sie sich bestimmt erinnern, letztes Jahr beim Guerillatreffen auf Jamaica diskutierten, als ich das Vergnügen hatte, Ihre hübsche Freundin und deren merkwürdigen, kleinen Bruder kennenzulernen. Dann werden wir uns mit den ganzen vereinigten Streitkräften verteilen, mit der Absicht, uns bei Taco Enchilada für den entscheidenden Schlag auf Managua wieder zu vereinen.« »Das ist ein absolut genialer Einfall«, sagte Casas, »ich meine das ganz im Ernst, Miguelito. Kein Wunder, daß man Sie den Napoleon der Provinz Bocachica nannte.« 59
»Da ist nur noch eins, was ich brauche.« »Ich weiß schon: dicke Huren.« »Sicher, sie würden von extremem Nutzen sein. Aber wovon ich sprach, sind Waffen.« Casas Gesicht wurde länger. »Das ist immer wieder der schwierige Teil, erst recht bei den Mengen, die Sie brauchen werden.« »Und wir könnten wirklich einige Luftabwehrkanonen gebrauchen, und ein paar Panzer wären sicher auch keine schlechte Idee.« »Hey, immer mit der Ruhe, demnächst werden Sie noch nach vollem Marschgepäck und Stiefeln für alle fragen.« »Und ein paar Ärzteteams wären hilfreich. Das erwarten die Männer, verstehen Sie?« »Miguelito, ich würde Ihnen gerne einen Gefallen tun, aber es liegt nicht an mir, der Exil-Revolutionsrat der nationalen Freiheit muß darüber abstimmen. Aber derart viel Geld hat die Organisation nicht.« Casas machte schnell eine Kalkulation. »Hombre, Sie sprechen von mehr als zwanzig Millionen Dollar. Ganz schön mutig, volle Power, wie? Entschuldigen Sie den nordamerikanischen Ausdruck.« Miguels Gesicht verzog sich zu einer verzweifelten Gebärde der Entmutigung. »Ich wußte, daß es darauf hinauslaufen würde. Ohne durchschlagende Wirkung läuft nichts – das ist es ja gerade.« Casas sagte: »Miguelito, wir sind eine lange Zeit Freunde gewesen. Es ist Ramon, mit dem Sie gerade sprechen, verstehen Sie, was ich meine, Sie Kindskopf? Hören Sie, ganz im Ernst, werden Ihre Jungens kämpfen?« 60
»Ob sie kämpfen werden?« rief Miguelito mit lauter Stimme in das dunkle Purpur der friedlichen Abenddämmerung Zentralamerikas. »Ich habe sie abhängig gemacht, und sie sind bereit zu töten. Es sind die Drogen. Wir hatten das Glück, zufällig auf einen Trupp Kokainschmuggler zu stoßen, die als geografisches Fotografenteam verkleidet durch die Berge zogen. Ich konfiszierte ihren Vorrat und habe ihn seither unter den Männern ausgeteilt. Diese Jungens sind bereit. Haben Sie all die gefällten Bäume auf Ihrem Weg hierher bemerkt? Die Burschen haben das gemacht. Sie knirschten dabei mit den Zähnen und stießen mit den Bajonetten zu. Wir rennen hinaus in den Wald, und Sie fragen mich, ob sie kämpfen wollen! Sie werden kämpfen, Ramon, alles was ich zu tun habe, ist, sie weiter aufzuheizen, mit dem Ziel, daß sie mit dem entsprechenden Elan vorrücken, wenn die Zeit reif ist. Aber der Angriff muß bald sein, noch bevor mir der Vorrat ausgeht und sie aufeinander losgehen oder sich gegenseitig umbringen – und wahrscheinlich mich und die Huren dazu.« »Hören Sie«, sagte Ramon, »wenn ich in der Lage wäre, Sie mit den Dingen zu unterstützen, die Sie benötigen …« »Dann wären Sie der nächste Präsident!« unterbrach ihn Miguelito. »Ich bin kein politischer Mensch. Alles, was ich für mich will, ist, auf ewig Chefkommandant der bewaffneten Streitkräfte zu sein.« »Nun, ich gebe zu, das klingt verlockend«, sagte Casas. »Kommen Sie, Ramon, lassen Sie es uns entweder tun, oder lassen Sie uns alles aufgeben und das nehmen, was wir haben, und nach Spanien fliehen. Ich habe es satt, in diesen Bergen herumzuhängen und zu versuchen, tausende Soldaten, die sich wie Kindsköpfe aufführen, bei Laune zu halten, wobei mir noch 61
nicht einmal dicke Huren helfen.« Genau in diesem Augenblick platzte Jean-Claude mit rollenden Augen und zerzausten Haaren ins Zelt. »Mein lieber Freund, worum geht's?« fragte Miguelito seinen aufgebrachten Küchenchef. »Ich mag Sie eigentlich nicht unterbrechen, Commandante Bandera Negra«, sagte Jean-Claude, er brachte dabei die Worte wie ein japanischer Schauspieler heraus, der eine große Szene interpretierte, »aber wenn Sie und Ihr Gast nicht augenblicklich zum Essen kommen, werde ich abdanken und mich einer Contra-Gruppe anschließen, die sich über ihr Essen mehr Gedanken macht.« »Das wird nicht nötig sein«, sagte Miguelito lachend. »Wir werden das Schwein bis zum letzten Bissen essen oder was, Ramon?« »Und ob. Und das ist nicht alles, was wir uns einverleiben werden«, sagte Casas. »Im Ernst?« fragte Miguelito. Ihre Blicke trafen sich mit dem Ausdruck von Falken. Casas nickte bestimmt und legte die Hand um Miguelitos Schulter. »Okay, mein Freund«, sagte er, »wir werden uns darum bemühen.«
11 Ramon de las Casas verließ das Contra-Camp kurz nach dem Spanferkel-Festmahl, ohne zu vergessen, Jean-Claude ein Kompliment auszusprechen, der dessen schmeichelnde Worte in dem 62
Vorwort zu seinem Kochbuch ›DER CONTRA-GOURMET‹, das einige Jahre später erschien, wiederholte. Der große, klassisch schöne FSLN (C) Repräsentant sagte seinem Taxifahrer, er solle ihn zum San Leandro Flughafen in Tegulcigapa bringen. Dort waren nur wenige Fluggäste, aber eine Menge Soldaten mit Bajonettgewehren, und in den Ecken hockten ein paar Indianerinnen mit ihren in bunte Decken eingewickelten Kindern. Casas trank im VIP-Warteraum bis zum frühen Morgen Kaffee und Cognac. Dann nahm er den 7Uhr-Flug der Pan Am nach Guatemala City. Er kam nur einige Minuten vor dem Beginn des wöchentlichen Treffens des Präsidiums der ›Freien Republikanischen Demokratischen Freiheitspartei Nicaraguas«, der FSLN (C), an. Die Delegierten trafen sich im blauen Saal des Hotels Huespedes, einem protzigen, spanischen Gebäude, erbaut im neoplateresken Stil mit gaudieskem Einschlag. Viele von ihnen waren kleine Männer und trugen weiße Hemden, diskrete Krawatten und dunkle Anzüge. Alle hatten blankpolierte Schuhe, und einige von ihnen hatten abgenutzte Aktentaschen dabei. Etliche von ihnen trugen Brillen. Unter den sich langsam drehenden Deckenventilatoren trug Casas mit hochgekrempelten Ärmeln und gewichtiger Stimme den Fall der Opferung Nicaraguas als Nebenbürgschaft für ein Darlehen vor, groß genug, um die Gewehre für Miguelitos Contras für einen einzigen Versuch zu finanzieren. Alles oder nichts. Es gab Einwände. »Was ist mit den Vereinigten Staaten?« fragte Patricio Seguidiya, der Exilminister für auswärtige Angelegenheiten. Er hatte feuchte Augen, einen Klumpfuß und die Angewohnheit, auf seine feuchte Brille zu klopfen. Seguidiya 63
wies auf die jüngsten Meinungsumfragen hin, nach denen 79 Prozent der amerikanischen Wähler gegen die aktive Unterstützung der Contras oder sonstwem sind, 87 Prozent die Staaten Zentralamerikas nicht auseinanderhalten können und fast 82 Prozent daran auch gar kein Interesse haben. »Machen Sie sich keine Sorgen um die Amerikaner«, sagte Casas. »Sie wissen, daß wir die einzige Partei sind, die will, daß unsere Wirtschaft mit ihren großen Trusts verflochten wird. Sie werden zustimmen.« »Aber wie können wir uns auf ihre Haltung verlassen?« fragte Seguidiya. Garcilaso Vegas stand auf. Er war ein schlanker, junger Delegierter aus Choyotepe. »Ich glaube, ich kann Sie in dieser Sache beruhigen«, sagte Vegas. »Ich bin der CIA-Maulwurf in Ihrer Organisation und autorisiert, Ihnen zu sagen, daß wir Sie voll und ganz unterstützen werden, wenn Sie tatsächlich den Hintern hoch und diesen Krieg in Gang kriegen sollten.« Es wurde abgestimmt und einstimmig festgelegt, daß sich de las Casas an die Bahamas Corporation wenden sollte, einer internationalen Finanzierungsgesellschaft für verdeckte Waffengeschäfte, und um fünfundzwanzig Millionen Dollar bitten sollte – weil noch etwas für die Delegierten übrigbleiben mußte – im Austausch für eine Mobiliarhypothek auf Nicaragua.
12 Die Bahamas Corporation war eine kuriose Anomalie der 64
streßvollen Jahre, als sich die Zivilisation auf die Jahrtausendwende zubewegte. Es war eine private Gesellschaft, die sich aus idealistischen Frauen und Männern zusammensetzte. Die meisten von ihnen waren Wissenschaftler von höchstem Rang, die sich der Aufgabe widmeten, die lohnendsten Ziele auf illegale Art und Weise zu unterstützen. Der Nutzen einer solchen Organisation wurde offensichtlich, als Wissenschaftler mehr und mehr in Sorge um die durch die unsinnige Industrialisierung bedrohte Menschheit gerieten. Diese Leute erkannten, daß, – selbst wenn weiterhin ein Atomkrieg verhütet werden könnte, in fünfzig bis hundert Jahren der Planet am Ende sein würde und nur noch für Kakerlaken und Zitteraale bewohnbar wäre. Und obwohl Hellseher vorgeschlagen hatten, die Erde in großen Raumschiffen zu verlassen, sah es so aus, als ob alles vorüber sein würde, noch bevor das erste Raumschiff hätte gebaut werden können. Das Bevölkerungswachstum und die verschiedenen Formen der Umweltzerstörung bedeuteten, daß die menschliche Bestie am Ende war, sie hatte ihren Spielraum ausgeschöpft. Die menschliche Bestie hatte alles in ihrer Umgebung vernichtet, die anderen großen Tiere getötet und Millionen Jahre alte Vorräte an Trinkwasser, Öl, Kohle und Mineralien aufgebraucht. Das anfällige Ökosystem war an seine Grenzen gestoßen, einiges davon unheilbar krank. Das Sterben der Erde verlief undramatisch, aber unaufhaltsam und schnell. Die Regierungen stritten sich fortwährend und verteidigten ihre verschiedenartigen ökonomischen, religiösen und sozialen Grundsätze. Die Völker der kleinen und großen Nationen wurden durch das stete Bemühen, Größe, Erfindungsgabe und Grausamkeit der bewaffneten Streitkräfte auszubauen, ausgeblutet. Die Menschen waren 65
wie Killerameisen, die ihre ganze Zeit damit verbrachten, immer kräftigere Unterkiefer heranzubilden. Es mußte sofort etwas unternommen werden, um das große ineinandergreifende und weltumspannende System von Ökosystemen zu bewahren und aufrechtzuerhalten. Nur wenn man die ganze Erde als eine Einheit verwalten würde, hätte man eine Grundlage für ein Leben über die nächsten ein, zwei Jahrhunderte hinaus. Aber die Zivilisation des 20. Jahrhunderts war auf einem selbstzerstörerischen Abstellgleis festgefahren. Nichts konnte offiziell unternommen werden, ohne daß die verschiedenen Bedrohungen noch bedrohlicher wurden. Aber zu dem Zeitpunkt, als dieser Zustand erreicht worden war, war es wahrscheinlich schon zu spät, überhaupt noch etwas zu unternehmen. Entscheidende Denker aus einer Anzahl wissenschaftlicher Disziplinen erkannten, daß, wenn die Erde vor dem Wahnsinn der Menschheit gerettet werden sollte, es außerhalb der üblichen Regeln geschehen müßte. Es müßte eben illegal ablaufen. Nur für diesen Fall bestimmte Gruppen von besorgten Wissenschaftlern trafen sich und diskutierten das Problem. Der Schlüssel für die Errettung der Erde lag in der Anhäufung von Kapital. Nur mit gewaltigen Geldsummen konnten die weltumfassenden Probleme angepackt werden. Woher sollten die Millionen, Milliarden, vielleicht Billionen Dollar kommen? Keine Regierung oder privater Kreis hatte auch nur einen annähernden Teil der benötigten Summe zur Verfügung. 66
Die Bahamas Corporation wurde gegründet, sich diesem Problem zu widmen. Nur ein Wirtschaftszweig empfahl sich für die umgehende Beschaffung immenser Reichtümer; das war selbstverständlich das Verbrechen. Für die Wissenschaftler war dies eine bittere Wahrheit, die es zu erkennen galt. Viele von ihnen hatten noch nicht einmal bei der Einkommensteuer geschwindelt und waren, außer den üblichen Trunkenheitsdelikten, noch nie mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Dennoch stellten sie sich der Situation und akzeptierten die schreckliche Logik, die gesetzestreue Menschen mit hohen idealistischen Werten dazu zwang, sich mit dem Verbrechen zu verbünden. Es war nicht richtig, aber es war eine bessere Entscheidung, als Politiker die ganze Welt in die Luft jagen oder im Dreck ersticken zu lassen, so wie sie es jetzt zu planen schienen. Folglich wurde die Bahamas Corporation ins Leben gerufen und von Wissenschaftlern aller Nationen gegründet, die um die Erhaltung der Erde als Heimat aller menschlichen Wesen, egal welcher Hautfarbe, Religion, politischen oder ökonomischen Überzeugung, besorgt waren. Sie befaßten sich mit internationalen Geldbetrügereien auf höchster Ebene und wurden von patriotischen Mafia- und Tongführern unterstützt, die bereit waren, ihre Zeit und ihr Wissen diesem Unternehmen zu opfern. Sie entdeckten bald, daß sie von niemandem Ratschläge brauchten. Denn für Frauen und Männer, die die Atomphysik, die Chromophratografie oder die Erddiffision durch die KristallImpact-Methode beherrschten, war es nicht schwer zu lernen, 67
wie man große Profite mit dunklen Geschäften machte. Eine spezielle Forschungsgruppe studierte die ideale Drogenanforderung aus der Sicht des Verbrauchers und entwickelte eine Marihuana-Mischung, die zwanzig- bis vierzigmal wirksamer war, als alles was man zuvor geraucht hatte. Superverde, wie es genannt wurde, hatte nur sehr schwachen Geruch und sah genauso aus wie Bohnenkeimlinge. Schon eine geringe Menge reichte eine lange Zeit. Die Bahamas Corporation war auf dem besten Weg, den Weltmarkt für Marihuana zu erobern. Ihr Superkoks verletzte nicht die Nasenscheidewände. Eine ›Straße‹ hielt für Stunden an. Aber das beste war: Das Superkoks konnte in leichte Kleidung genäht werden und durch Zufügung einer Salzlösung in eine feste Paste verwandelt werden, die auf den Unterboden von Autos geschmiert und bei Bedarf wieder abgekratzt werden konnte. Aber diese Entwicklung stand noch am Anfang, und derzeitig machte die Bahamas Corporation das meiste Geld durch Anleihen. Ein sehr interessantes Angebot wurde gerade ihrem Büro für die westliche Hemisphäre auf Outer Cay, 158 Meilen nordöstlich von Nassau, auf den Bahamas gemacht. Im Zimmer des Hauptausschusses waren die Jalousien heruntergelassen und die schrägstehende Nachmittagssonne überzog den reich ausgestatteten Raum mit einem Glanz aus Messing und Nußbaumholz. Die Klimaanlage mühte sich redlich ab, um den Raum für die dunkelblauen Wollblazer der Gesellschaft, die die Ausschußmitglieder trugen, kühl genug zu machen. Dr. Alois Dahl eröffnete die Sitzung. Er war in den Niederlanden ausgebildet worden und hatte seinen Doktor der Philo68
sophie an der Utrechter Universität gemacht. Zwei Jahre später ging er an das Zentrum für Linearbeschleuniger an der Stantford Universität. Nach vier Jahren in Berkeley besuchte er die Universität von Michigan, an die er vom Physikprofessor Edward T. Flynn berufen worden war. Im vergangenen Jahr war er vom wissenschaftlichen Geheimausschuß in Genf ausgewählt worden, das Kommando über die Bahamas Corporation nach dem noch immer ungeklärten Tod von Hans Castorpe, dem vorhergehenden Amtsinhaber, zu übernehmen. Dahl war ein großer, blonder Mann mit einer rötlichen, sommersprossigen Haut, die sich weigerte, Sonnenbräune anzunehmen. »Der Hauptpunkt unserer Tagesordnung ist die Anfrage von Ramon de las Casas der FSLN (C) über eine Anleihe von 25 Millionen Dollar zum Zweck der Anschaffung von Waffen und des Umsturzes der gegenwärtigen Regierung Nicaraguas«, sagte der Vorsitzende Dahl. »Ich hoffe, Sie haben alle die Unterlagen studiert?« Die fünf Männer auf der Sitzung nickten oder malten Strichmännchen auf ihre Notizblöcke. »Ich erwarte Ihre Kommentare«, sagte Dahl. Isao Yakitori, der vom nationalen Geodäsie-Institut der USA kam, an dem er Grundlinien-Interferometrie studiert hatte, nahm kein Blatt vor den Mund. »Die geforderte Anleihe ist höchst unsicher. Casas will das Geld, um sein Waffengeschäft zu finanzieren. Aber wieviele Waffen haben diese Leute in der Vergangenheit bereits bekommen, und was haben sie damit erreicht? Ihr Vorschlag, daß sie uns im Zeitraum von fünf Jahren durch die Erhebung einer fünfzigprozentigen Friedenssteuer auf das Volk von Nicaragua alles zurückzahlen, klingt gut, aber wir haben keine Möglichkeit, sie zur Verantwortung zu ziehen, 69
selbst für den unwahrscheinlichen Fall, daß sie überhaupt jemals an die Macht kommen.« »Ich denke, mein Kollege bewertet die negativen Aspekte dieses Falles über«, sagte Eduardo Macidelli, Professor der Chemie und Biochemie an der Universität von Colorado in Boulder. »Das Risiko ist groß, aber auch der Reingewinn. Zweihundert Prozent über fünf Jahre ist nicht schlecht.« »Wenn sie an die Macht kommen«, sagte Yakitori. Vorsitzender Dahl sagte: »Sehen Sie denn nicht, daß die Verzinsung unseres Kapitals gesichert ist, egal, was geschieht? Sollten wir der FSLN (C) zustimmen, wäre eine Vorbedingung, daß ihr Mann in Miami, Alphonso Guzman, die Waffen von Yitzhak Framijian, unserem Waffenhändler in Miami, kauft. Wenn Guzman Framijian für die Waffen bezahlt, bekommen wir unser Geld zurück. Im Endeffekt werden wir einen Waffenhandel mit uns selbst betreiben und uns die fünfundzwanzig Millionen Dollar plus den Profit an den Waffen zurückzahlen. Auch wenn die FSLN (C) nicht erfolgreich sein wird, stehen wir nicht als Verlierer da.« »Man betreibt keine Geschäfte, um keinen Gewinn abzuschließen«, sagte Mark Clancy, ein außerordentlicher Professor der Anatomie und Zoologie an der Universität von Illinois in Urbana. »Und was ist mit deren Mann, diesem Guzman, ist er vertrauenswürdig?« »In finanziellen Angelegenheiten ist er ein Ehrenmann, wie so viele dieser alten Schlachtrösser dieser Todesschwadrone«, sagte Macidelli. »Mir gefällt es nicht, sich auf diese Art in die Politik einzumischen«, sagte Yakitori. »Politiker sind nicht vertrauens70
würdig. Warum bleiben wir nicht einfach dabei, Terroristenoperationen zu finanzieren? Bislang hat es das doch auch gut getan.« »Ich denke, einige von Ihnen vergessen dabei einen entscheidenden Punkt«, sagte Dahl. »Wir können an dieser Operation nicht nur finanziell, sondern auch an Prestige gewinnen und in internationale Kreise vorstoßen, wenn wir den Sturz einer Regierung finanziert haben. Terroristenfinanzierung hat bereits seine Grenze als Wachstumsbranche erreicht. Es wird Zeit, neue Märkte zu erschließen. Die Finanzierung von Revolutionen ist zweifellos das Zukunftsgeschäft für private Kapitalanleger. Wenn es einer Erinnerung bedarf, haben wir diesbezüglich die jüngste Verlautbarung des Innenministeriums.« »Ich denke, das geht in Ordnung«, sagte Yakitori. »Ich hoffe nur, daß Sie diese Entscheidung später nicht bereuen werden.« »Ganz meine Meinung«, sagte Macidelli mit einem gerissenen Grinsen. Dahl lächelte, spürte aber stechende Angst. Einem Vorsitzenden der Bahamas Corporation waren nur wenige Fehler gestattet. Schon ein einziger konnte das Maß vollmachen, ein Fehler konnte die sofortige Degradierung zur Folge haben. Und der einzige Ort, an dem der Ausschußvorsitzende der Bahamas Corporation landete, war in der Dunkelheit direkt unten auf dem Meeresgrund, gekleidet in einen Übermantel aus Beton. Das Innenministerium hatte noch nicht herausbekommen, wie eine Organisation, die der Illegalität verschrieben war, eine Machtfolge durch festumrissene Regeln festlegen konnte. Die Abstimmung wurde abgehalten, und die gewünschte Anleihe der FSLN (C) wurde einstimmig, vorbehaltlich einer 71
Zustimmungsklausel, bewilligt. Der Vorsitzende Dahl ging in seine Wohnräume zurück.
13 Direkt nachdem er ein chiffriertes Telegramm erhalten hatte, in dem stand, daß die Summe von zwanzig Millionen Dollar auf seinem Konto in Panama gutgeschrieben worden war, langte Alphonso Guzman nach einer ›Montecristo Spezialauslese Nummer 1‹-Zigarre aus seinem Zedernholzkästchen. Als er sie anzündete, stellte er mit Bedauern fest, daß keine Zigarre teuer genug war, so einen großen Coup zu feiern. Zwanzig Millionen! Sicher, das meiste davon würde er ausgeben müssen, um die Waffen von Framijian zu bezahlen, und etwa eine weitere Million würde an verschiedene Freunde, Förderer, Offizielle und andere gehen. Dennoch rechnete er damit, daß für ihn ein Reingewinn von ein, zwei Millionen Dollar dabei herausspringen könnte. Nicht übel für einen armenischen Kaufmannssohn aus Masaya. Er genoß diesen Augenblick in vollen Zügen und lehnte sich in der lederbezogenen Barkacouch im großen, weißen Arbeitszimmer im ersten Stock seines weitläufigen rosa Hauses in SüdMiami zurück. Dann wurde es Zeit, sich wieder den Geschäften zu widmen. Er drückte eine Nummer in das Telefon. »Mr. Blake? Ich bin heilfroh, daß ich Sie erreiche. Ich habe etwas mit Ihnen zu besprechen, eine höchst dringliche Angelegenheit.« Blakes gelangweilte Stimme war nur schwach zu hören. »Dringlich für wen, Alphonso?« 72
»Für uns beide, mein Freund. Die Verwirklichung eines großen Traums, den wir beide miteinander teilen. Ein Traum, der das Bestreben unserer beiden großen Nationen beinhaltet. Ein Traum, der glücklicherweise auch einen beachtlichen Profit für alle Beteiligten abwirft.« »Das ist ja großartig, Al«, Blakes Stimme klang nun eisenhart. »Warum belästigen Sie mich mit Ihrem Anruf? Warum setzen Sie nicht einfach eine Anzeige in den Miami Herold?« »Weil das ein abhörsicherer Telefonanschluß ist«, sagte Guzman. »Woher, um Himmels willen, wußten Sie das?« »Weil Sie es mir selbst gesagt haben«, sagte Guzman und fühlte sich ein wenig gemaßregelt. Blake schaffte es immer wieder, daß er sich klein, häßlich und dumm fühlte. Er haßte Blake. »Und wenn ich Ihnen sagen würde, daß in der Mitte der Orangenbowle ein Topf Gold wäre, würden Sie das auch glauben?« »Blake, ich bitte Sie …« »Ich weiß nicht, welche Sorte Shit Sie gerade geraucht haben«, sagte Blake. »Sie klingen für mich vollkommen wirr. Haben Sie mir wirklich etwas zu sagen, oder ist das wieder eine Ihrer ›Flyin Down to Rio‹-Phantasien?« »Es ist wichtig, glauben Sie mir Blake«, sagte Guzman. »Also gut«, sagte Blake, »ich werde mir Ihr Geschwätz anhören. Wir können uns heute abend im Dania Jai Lai Center treffen. Eine Karte wird für Sie an der Kasse hinterlegt sein.« »Hören Sie«, sagte Guzman, »könnten wir uns nicht hier in meinem Haus treffen? Wissen Sie, seit diesem Vorfall im 73
letzten Monat mit dem verrückten Kolumbianer und seiner Machete versuche ich, möglichst selten auszugehen.« »Nun werden Sie nicht noch vollkommen verrückt, AL«, sagte Blake. »Sie wollen mit mir reden, dann kommen Sie heute abend ins Jai Lai. Schluß und vorbei, Herzchen.« Blake hängte auf. Guzman setzte das Telefon ab. Er nahm ein Seidentaschentuch aus der Tasche und wischte sich über die Stirn. Wenn er sich eine Sache zu Weihnachten wünschen dürfte, wäre es Blakes Kopf auf einer Platte mit einem Apfel im Mund, garantiert mit dampfenden Yuccafrüchten, auf zentralamerikanische Art zubereitet. Und ausgerechnet Blake war der eine Mann, den er nicht töten konnte, nicht töten durfte. Dennoch, vielleicht könnte er einen Unfall arrangieren … Nein, vergiß es. Dennoch … Er stand auf. Ein Gespräch mit Blake, und die ganze Freude an einem Zweikommafünf-Millionen-Geschäft war den Bach hinunter. Er tippte auf die Gegensprechanlage. »Tito!« Tito Herrera war direkt gegenüber im Empfangszimmer. Als der Boss ihn rief, eilte er herein. Tito war ein riesiger Mann, ein Mischling aus San Juan del Norte und Ausbildungs-Sergeant Guzmans aus den Tagen, als Guzman der Kommandeur des Modell-Gefängnisses in Managua gewesen war. Tito hatte ein dunkles, mürrisches Gesicht, faltig und von Messerstichen entstellt. Er besaß eine Sammlung 74
getrockneter Ohren, die im Sinne von Typenvielfalt, Farben und Ohrläppchenbeschaffenheit als das Beste in Miami galten. Er hatte eine alte Mutter, die in Panama lebte, und der er ergeben war. Unabhängig davon hielt Guzman ihn kaum für menschlich, aber er war nützlich; er war der beste Bodyguard, den er je gehabt hatte. »Wir gehen heute abend ins Dania Jai Lai«, sagte er zu Tito. »Wir werden den Lamborghini nehmen.« »Okay, Boss, betrachten Sie das als erledigt«, sagte Tito. Er sprach gutes Englisch, da er sich die meiste Zeit Gangsterfilme auf dem Videorecorder ansah. Er ging zur Tür und zögerte. »Ist noch was?« »Es geht mich zwar nichts an, Boss, aber ist das wirklich eine gute Idee? Sie wissen schon, was ich meine.« »Ich weiß, was du meinst; du mußt eben auf der Hut sein. Und jetzt geh, und hol den Wagen.« Einen Monat vorher war Guzman oben in seinem Arbeitszimmer gewesen und hatte sich ›Casablanca‹ auf dem Videorecorder angesehen. Die Explosion war ein entfernter, dumpfer Schlag, den man auch irrtümlicherweise für einen Erdstoß hätte halten können. Der Boden wackelte heftig und die 70-Zentimeter-Bildröhre flackerte zweimal auf, bevor sie sich selbsttätig elektronisch neu ordnete. Don Alphonso stellte den Film auf Stop, ging zu einer kleinen Truhe, die aus exotischem, tropischem Laubholz gemacht war, nahm eine 9-Millimeter-Browning heraus und überprüfte den Patronenrahmen. Er hielt noch einen Moment inne, um abzuwarten, ob es noch eine weitere Explosion geben würde. Dann ging er nach unten. 75
Die Waschküche bot keinen schönen Anblick. Die Waschfrau, die arme, alte Tia Teresa und der Hemdenbedarf einer Woche klebten wie ein surrealistisches Design der Friseurinnung rundherum an den Wänden. Selbst für einen Kommandanten des Modell-Gefängnisses von Managua war das unangenehm. Er war ins Wohnzimmer gegangen. Dort entdeckte er seine Frau, die in dem Flügelsessel aus Chrom zu einer großen, schwarzen Kugel zusammengerollt war und einen hysterischen Anfall hatte. Kurz darauf holperte Juanito, Guzmans vierundzwanzig Jahre alter Neffe, herein, gähnte und kratzte seinen Lockenkopf. Er hatte am Swimmingpool auf der anderen Seite des Hauses in einem Liegestuhl geschlafen, und die Explosion hatte ihn aufgeweckt. »Also gut«, sagte Guzman, »wir hatten einen unangenehmen Zwischenfall. Wir müssen uns jetzt zusammenreißen. Juanito, du rufst das Beerdigungsinstitut von Cielo de Corazon an und läßt Teresa aufsammeln. Dann rufst du die TransCaribbean Arbeitsvermittlung an und besorgst mir eine andere Waschfrau. Und dann ruf noch den Klempner an; die Sprenger sind kaputt.« »Die Sprenger?« fragte Juanito und grinste dümmlich. »Die Bombe muß die Wasserleitungen zerstört haben. Die Rasensprenger sind kaputt. Du kannst selbst nachsehen. Zehntausend Dollar, die ich alleine im letzten Monat in Blumenarrangements von den Floristen Gil & Eddy investiert habe, könnten den Bach hinunter sein. Du findest die Telefonnummer im Büro.« Juanito ging zum Telefon ins Büro, das ans Wohnzimmer 76
anschloß. Guzmans Frau, Dona Catarina, riß sich zusammen und erhob sich zitternd aus dem Sessel. »Wir müssen eine Messe für die Seele der armen Frau abhalten lassen.« Don Guzman, der sich an seinen Film erinnerte, sagte: »Baby, sag dem Priester, er soll die übliche Andacht halten.« »Was ist?« fragte Dona Guzman. Sie war eine große, hagere, blasse Frau mit majestätischer Haltung. Sie schien ein Abbild einer der spanischen Königinnen, wie von Isabella la Catôlico oder noch eher von Juana la Loca, zu sein. »Nichts, Liebes, nur ein kleiner Scherz«, sagte ihr Guzman. Er konnte es sich nicht erlauben, sich ihr völlig zu entfremden, zumindest nicht offensichtlich. Nicht, solange sie die Schuldverschreibungen, die das Fundament für seine geschäftlichen Unternehmungen waren, besaß. Er hatte die Angelegenheit zweifellos mit Stil durchstanden, aber es hatte ihn trotzdem mitgenommen, und er wußte noch immer nicht, wer die Bombe versteckt hatte, beziehungsweise, wie man sie in seine Waschküche bekommen hatte. Es gab so viele Leute, die ihn gerne verschwinden sehen würden. Er hatte seine Vorsichtsmaßnahmen verdoppelt und Tito losgeschickt, einige der in Betracht kommenden verdächtigen Personen genauer zu beobachten. Und er hatte damit angefangen, weit mehr zu Hause zu bleiben. Aber nun war da dieser verdammte Blake. Guzman schwor sich, wenn er die Angelegenheit durchgezogen hätte, würde er nie wieder sein Haus verlassen. Wenn man ihn töten wollte, müßte man schon im Sturzflug Bomben auf ihn werfen.
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14 Guzman fuhr mit Tito am Steuer auf der Nationalstraße 1 und bog auf den Dania Beach Boulevard ab, dann in den Dania Jai Lai Gebäudekomplex; einen Häuserblock lang und erleuchtet wie ein Kreuzfahrtschiff. Tito übergab einem Hausdiener den Wagen zum Parken, und sie gingen hinein. Guzman hatte ins Auge gefaßt, rechtzeitig anzukommen, um noch im Clubhaus zu Abend zu essen. Er hatte eine besondere Schwäche für ihre Zuppa di Cozze, den in Olivenöl gebackenen Miesmuscheln, die mit Knoblauch, Basilikum, Petersilie und kleingehackten Tomaten in einer Suppenterrine serviert wurden. Aber es war schon zu spät dafür, und er ging direkt zu den reservierten Plätzen. Alles lief gut ab, bis ein Aufseher nach seiner Eintrittskarte fragte, die Guzman vergessen hatte, an der Kasse abzuholen. Als Guzman sie nicht vorlegen konnte, sagte ihm der Aufseher, daß er gehen müsse. Der Aufseher hätte es besser wissen sollen, als ausgerechnet Alphonso Guzman zu nerven, auch wenn er neu in seinem Job war. Selbst wenn er nicht wußte, wer Guzman war, hätte er doch dazu fähig sein müssen, etwas von der weltmännischen Art des Mannes zu spüren. Und wenn das nicht reichte, war da immer noch Tito, der wie ein spanischer Golem zwei Schritte hinter ihm stolzierte. Das hätte ihm einiges sagen sollen. Und als Guzman die Samtkordel aus ihren kleinen Haken löste und direkt nach vorne in den Block mit den reservierten Plätzen ging, hätte der Aufseher merken müssen, daß Guzman dorthin gehörte, und besser kein Theater gemacht. Guzman lächelte den Mann an, und als der Aufseher ihn 78
fragte, was denn so spaßig sei, sagte ihm Guzman, daß er für einen Maulaffen ein wirklich bemerkenswertes Lächeln habe. Bevor der Mann herausbekommen konnte, was das nun wieder bedeuten sollte, war Tito da und baute sich vor ihm auf – über zwei Meter groß, dick, breit und häßlich. »Belästigt Sie das Bürschchen, Boss?« fragte Tito. All das lief ganz ruhig, fast im Flüsterton, ab. Sie standen neben den reservierten Plätzen; Guzman, der in seinem leichten Alpacamantel untersetzt und erheiternd wirkte, Tito, dessen Schultern aus seiner weißen ›Miami Dolphins« Windjacke hervorquollen, und der Aufseher, der kurz davor war, sich in die Hose zu scheißen, weil ihm plötzlich klar wurde, daß er in Schwierigkeiten steckte, aber noch nicht wußte, daß er für einen Mord zu unwichtig war. Angst ist das schönste Kompliment an den Machismo, und Guzman war zufriedengestellt. »Zisch einfach ab«, sagte er und nahm seinen Platz ein. Eine Weile saß er da und beobachtete das Geschehen. Er saß direkt am Rand der 54 Meter langen Cancha, der langen Wand des an drei Seiten ummauerten Spielfelds. Die Basken, mit roten Plastikhelmen und weißen, langen Hosen, trugen Tennisschuhe und auf ihren bunten T-Shirts waren Mannschaftsnummern. Sie salutierten mit ihren Cestas, Fangschalen, und die Runde begann. Vier Kubaner waren im nächsten Block mit reservierten Plätzen. Sie spielten Quinielas (Wettspiel), und einer von ihnen, ein breitbrüstiger Mann mit schwarzem, lockigem Haar, schlug, immer wenn seine Mannschaft punktete, seinem Freund mit einem zusammengefalteten Programmheft auf den Kopf. Für 79
außerhalb der Saison war doch einigermaßen Publikum da, zumeist Angloamerikaner, die die Nummern anfeuerten, auf die sie gesetzt hatten. »Vorwärts, Nummer Zwei!« Die Namen der Spieler waren in dem Programmheft, aber es waren ungewohnte, baskische Namen – Gorricho, Urreta, Larrusca, Assis III. und Chaz. Es war leichter, die Nummern anzufeuern. Nur um es interessanter zu gestalten, beschloß Guzman, im nächsten Wettkampf eine Dreierwette zu versuchen, als Blake sich neben ihm auf einem leeren Sitz niederließ. Blake war klein und hatte ein scharfkantiges Gesicht. Das, was von seinem strohblonden Haar noch übrig war, war kurzgeschoren. Er trug eine hellgraue Tropenhose aus Kammgarn, einen schmalen, braunen Gürtel aus Krokodilleder, ein kastanienbraunes Hemd, eine königsblaue Schottenjacke und weiße Schuhe mit kleinen Troddeln. Es war auch für eine den Tropen angepaßte Jacke zu heiß, aber Blake trug seine, um seine Pistole zu verbergen: Eine flache, stupsnasige .32er, ohne große Schußkraft, aber sinnvoll in Nahkampf-Situationen. Er trug sie in einer ledernen Schulterhalfter. Blakes Partner Angelo Coelli war einsneunzig groß, und breit wie hoch. Über einem weißen Tropenhemd hatte er ein düsteres, olivenförmiges Gesicht. Er trug keine Jacke: Seine .32er war im Stiefel direkt um seine Knöchel geschnallt. »Nun, wie geht's, Freundchen?« fragte Blake. Coelli setzte sich neben Tito in die Reihe dahinter. Die beiden Männer grummelten sich etwas zu. »Mein Freund, es ist schön, Sie zu sehen«, sagte Guzman. »Ich werde wetten«, sagte Blake. Er schaute auf die 80
Anzeigentafel und sah, daß das fünfte Spiel gerade abgeschlossen wurde. »Wen schlagen Sie für das sechste vor?« Guzman interessierte sich in Wahrheit nicht im geringsten für Jai Lai. Er war Fan der Miami Dolphins. Aber er gab sich den Anschein, als ob er das Programm studierte. »Die Zwei und die Fünf«, sagte er schließlich. »Goitterez ist dieses Jahr groß in Form, und Braca ist der beste Mann im Hinterfeld bei diesem Spiel.« »Drauf wetten, daß sie gewinnen?« »Ich würde drauf setzen.« Blake drehte sich in seinem Sitz herum. »Setz für mich ein paar Scheine auf sie, Angelo. Nimm Tito mit, und gib ihm einen Drink aus.« Tito schüttelte den Kopf. »Ich bleibe hier.« Coelli sah auf Blake. Blake zuckte die Achseln. Coelli ging nach draußen, um zu wetten. »Also, Kumpel, wie läuft's, wie geht's der Seňora?« fragte Blake. »Ausgezeichnet«, sagte Guzman. Er erkundigte sich nicht nach dem Befinden von Blakes Familie. Er hatte keine Ahnung, ob der Mann überhaupt eine hatte. Seit wann haben Kakerlaken Familien? »Und wie komme ich zu der Ehre, Sie in diesem Sportpalast treffen zu dürfen?« fragte Blake. »Eines unserer Projekte hat die größten Schwierigkeiten überwunden«, sagte Guzman. »Würden Sie das Ganze bitte noch einmal auf Englisch wiederholen?« 81
»Miguelito ist bereit.« »Um welchen Miguelito handelt es sich?« fragte Blake. »Um den in El Yunque oder den in San Francisco de la Paz?« »Den in San Francisco, in Honduras. Der, den sie Commandante Bandera Negra nennen.« »Ich erinnere mich an ihn«, sagte Blake. »Er war bei dem Contra-Treffen letztes Jahr in Jamaica, stimmt's? Ein kleiner Mann mit großen Ideen?« »Miguelito hat fünftausend Mann aus drei verschiedenen Gruppen fest an sich gebunden. Er hat fünftausend durchtrainierte Männer, und die Zusammenarbeit mit den anderen Gruppen wurde ihm zugesagt. Die FSLN (C) steht hinter ihm. Er ist bereit, noch vor der Regenzeit innerhalb eines Monats auf Santa Clara loszumarschieren.« Auf dem Jai Lai Spielfeld kamen die neuen Mannschaften für das sechste Spiel heraus. Coelli kam von den Wettschaltern zurück und gab Blake zwei Fünfdollar-Wettscheine. »Wie sind die Quoten?« fragte Blake. »Drei zu eins.« »Nichts Tolles«, sagte Blake. »Dennoch, vielleicht versteht Al hier ja etwas davon. Also ist Miguelito bereit loszulegen? Das ist schön. Ich hoffe, er hält das Kontaktbüro informiert.« »Selbstverständlich. Aber es gibt ein Problem.« »Es gibt immer Probleme«, philosophierte Blake. »Waffen und Munition.« »Es gibt immer die gleichen Probleme.« »Mit Verlaub, dieses Mal ist es etwas anderes. Denn dieses Mal ist er bereit, zu kämpfen und zu gewinnen. Dieses Mal, 82
Blake, könnten wir tatsächlich alles bekommen, erst recht, weil Angel de Goyos Truppen an der Grenze von Guatemala konzentriert sind.« Blake schaute interessiert. »Sie wissen davon, he?« »Auch ich habe meine Quellen.« »Was benötigt Miguelito?« »Waffen und Munition für eine Truppe von fünftausend Mann.« Blake pfiff leise. »Sie sprechen über ganz schön viele Scheinchen, Amigo.« Von der Menge kam Applaus. Auf dem Spielfeld waren – bis auf zwei – alle Paare ausgeschieden. Eines der Paare war das, auf das Blake gesetzt hatte. Er drehte sich um und beobachtete die Finalrunde mit Interesse. Die Pelota (Ball) knallte gegen die hintere Wand. »Guter Rebote (Rückprall)«, sagte Blake. Der Gegner schlug einen schlechten Return. Dem Vorderfeldmann gelang ein klassischer Zweiwand-Killer. Sein Gegner erklomm das Netz, um den Punkt zu retten, aber es war unmöglich. »Phantastisch«, sagte Blake und händigte Coelli die Wettscheine aus. »Kassier bitte für mich ab, Angelo, okay?« Er wandte sich Guzman zu. »Sie sind wirklich ein Jai Lai-Kenner, Amigo.« »Ich kenne auch meine Guerillas. Miguelito ist ein Gewinnertyp.« »Und er will über Sie Waffen kaufen?« Guzman nickte. »Eine Menge Geld für das ganze Zeug.« »Sie sagen, sie haben es. Ich mache mir darum keine Sorgen. 83
Aber ich wollte die Transaktion mit Ihnen abklären.« »Gut, ich sag Ihnen was«, sagte Blake. »Sie machen weiter und treffen Ihre eigenen Vorkehrungen. Rufen Sie Framijian an, wie gewöhnlich wird er es mit Ihnen aushandeln. Wir erwarten Ihre übliche Spende an den CIA-Notfond, bevor wir endgültig liefern.« »Danke, Mr. Blake.« »Ach, zum Teufel, keine Ursache«, sagte Blake.
15 Yitzhak Framijian war ein kleiner, dunkler, kräftig gebauter Mann, 47 Jahre alt. Er war Israeli, ein im Lande Israel geborener Mann und in einem Kibbuz in der Nähe von Eilat aufgewachsen. Seit seiner Kindheit hatte er sich mit Waffenschmuggel befaßt. Sein Vater war zur Zeit der Befreiung aktiver Waffenlieferant für die flügge werdenden Streitkräfte von Irgun und Hagganah gewesen. Nachdem der ältere Framijian bei einem Terroristenangriff auf einer Kreuzung in der Nähe des Gaza-Streifens getötet worden war, hatte Framijian Junior das Geschäft übernommen. Etliche Jahre lang hatte die neue Nation einen Bedarf an Waffen und garantierte Framijian ein stattliches Einkommen. Aber in den Jahren nach dem Sechstagekrieg sank der Bedarf an importierten Waffen. Israel baute seine eigenen Waffen- und Munitionsfabriken und wurde so zu einem wichtigen Lieferanten in alle Welt. Als neue, kleine Waffenschmieden hinzukamen, schwand 84
sein Einkommen dahin, und Framijian wanderte in die Vereinigten Staaten aus. Er stellte fest, daß ein Mann mit guten Kontakten nach ganz Afrika, Europa und dem Nahen Osten in Amerika gut für sich sorgen konnte. Er ließ sich in Miami nieder, pflegte seine Kontakte und arbeitete schließlich bei illegalen Geschäften mit der stillschweigenden Übereinkunft von Geheimdiensten; wie dem CIA, der ihn dafür einsetzte, an Kunden, die vom Gesetz her nicht hätten beliefert werden dürfen, in Kriegsgebiete Waffen zu verkaufen. Durch seinen Erfolg wurde die Bahamas Corporation auf ihn aufmerksam. Framijian zog es vor, selbständig zu arbeiten, aber sie machten ihm ein Angebot, das er nicht ausschlagen konnte und das zudem mit einer Drohung verbunden war, die er nicht ignorieren konnte. Zwar machte er mit der Bahamas Corporation mehr Geld, aber es nahm etwas von der Freude am Geschäftemachen. Doch war Framijian stets bewußt, daß er sich über kurz oder lang daran würde gewöhnen müssen. Die Waffen, die Framijian verkaufte, wurden dazu benutzt, Haitianer, Dominikaner, Chilenen, Argentinier und viele andere zu unterdrücken. Die Waffen, die Framijian lieferte, wurden durch die erfolglose Invasion in der Schweinebucht gegen Castro und das kubanische Volk berühmt. Möglicherweise wurden einige der Gewehre Framijians von der PLO gegen israelische Nationalisten benutzt. Es war unmöglich festzustellen, wo am Ende ein Gewehr landete. Waffen waren wie Geld: Sie zirkulierten überall. Framijian wußte, daß er nicht dafür verantwortlich gemacht werden konnte, wofür seine Waffen benutzt wurden. Jedenfalls nicht mehr als der Besitzer eines Münchner Schuhgeschäfts in den Dreißiger Jahren zur 85
Verantwortung gezogen werden konnte, nur weil er an einen Kunden ein Paar Kampfstiefel verkauft hatte und dieser Kunde sie dann dazu benutzt hatte, einen alten Juden in einer schmalen Gasse in der Nähe der Lindenstraße totzutrampeln. Er bekam Guzmans Anruf an einem Freitag. Als nichtorthodoxer Jude aß Framijian gerade ein Außer-Haus-Gericht, einen angebrannten Krabben-Komplettfraß von Louisiana Wong, dem neuesten China-Restaurant im Coconut Grove, und sah im Fernsehen den Freitagnachtfilm. Die beiden Männer hatten schon seit Jahren gemeinsame Geschäfte gemacht. Nach den üblichen Höflichkeitsfloskeln, erwähnte Guzman, daß er ein in etwa zwei Wochen stattfindendes Festessen vorbereiten müsse. Er bat Framijian, die Früchte zu liefern. Framijian besaß einen Im- und Exporthandel für Obst. Das gab ihm etwas Deckung und bot eine gute Möglichkeit, über Waffen zu reden, ohne sie dabei tatsächlich erwähnen zu müssen. »Wieviele Gäste erwarten Sie?« »Etwa fünftausend.« Framijian gab einen leisen, überraschten Pfiff von sich. Das schien eine der größten Bestellungen zu werden, die er jemals erhalten hatte. »So viele?« fragte er. »Das wird teuer.« »Ich weiß. Ich bin gerade dabei, alles vorzubereiten. Mein Kunde will nur vom Feinsten.« Das bedeutete neue Gewehre, kein altes Material aus dem Vietnamkrieg. 86
»Ich denke, Sie werden für jeden Gast einen Apfel pro Kopf haben wollen?« fragte Framijian. Ein Apfel hieß ein M-16Kampfgewehr oder etwas Entsprechendes. »Ja, und noch einige mehr für den Fall, daß einige noch Appetit haben sollten. Sagen wir sechstausend Äpfel.« »Okay«, sagte Framijian. »Wie wär's noch mit ein paar Weintrauben?« Das bedeutete Munition; jede Weintraube stand für zweihundert Schuß der passenden Munition. »Fünf Weintrauben für einen Apfel.« Eintausend Kugeln. »Und zwei Granatäpfel pro Gast.« Zwanzig Handgranaten. »Alles klar, Mr. Guzman. Eine ganze Menge, aber kein Problem. Das macht dann etwa …«, er kalkulierte schnell nach, » … etwa zwei Dollar pro Gast.« Wenn sie über Geld sprachen, ließen sie gewohnheitsmäßig die Nullen weg. Framijian sprach von zweitausend Dollar pro bewaffneten Soldat, was auf zwölf Millionen Dollar herauskam. »Das ist akzeptabel«, sagte Guzman. »Wie schnell können Sie liefern?« »Geben Sie mir zwei Tage, Mr. Guzman. Rufen Sie mich übermorgen abend an.«
16 Während Guzman mit Framijian telefonierte, saß sein lockenköpfiger Neffe Juanito in seinem eigenen Zimmer auf der entlegenen Seite des Rosa Palastes und hörte das Gespräch seines Onkels über eine Wanze ab. Die Wanze war mit dem hervorragenden Sony-Tonbandgerät verbunden, das Juanito 87
ausschließlich zu diesem Zweck benutzte. Er hatte Guzmans Gespräche schon seit etlichen Monaten aufgezeichnet, ohne auf etwas wirklich Interessantes gestoßen zu sein; Onkel Alphonso war ein vorsichtiger Mensch. Aber dieses Mal schloß er ein Geschäft ab, und die Informationen darüber waren für die richtigen Leute etwas wert. Juanito hatte für sein unfamiliäres Verhalten seine Gründe. Hinter seinen glatten Brauen, den flaumigen Wangen und seinen unschuldigen Augen verbargen sich all die Probleme eines Mannes ohne eigenes Einkommen. Sicherlich denken Sie, daß es leicht ist, der Neffe des reichsten Nicaraguaners in Süd-Miami zu sein? Das beweist nur, wie wenig Sie davon verstehen. Wahrscheinlich denken Sie auch, daß es wundervoll sein muß, eine Freundin wie Thalia Suarez zu haben, Miss Teen Latino Queen von South Dade, hübsch, mit einem flotten Busen und einem knackigen Hintern, noch in ihrem letzten Jahr auf der High School, und sie hatte bereits eine Statistenrolle in der Miami Vice Folge, in der Sonny als Wiedergeburt eines Inka-Prinzen auftrat, um einen Mogambo-Betrieb auszuheben, der die armen Leute in Hialeah mit Schnee überschüttete. Sicher, es hört sich gut an, Neffe des Big Bosses zu sein. Aber als Guzmans Neffe bezog man kein Gehalt, und wie weit müßte ein Mann gehen, um an das benötigte Geld zu kommen, mit dem er seine Freundin hätte ausführen und seinen Status unter seinesgleichen hätte aufrecht erhalten können? Und es war ja nicht so, daß Juanito nicht arbeiten würde. Er erledigte eine Menge Arbeiten, und sie waren alle für seinen Onkel. Guzman hatte normalerweise ein paar süd- und zentral88
amerikanische Kumpane um sich herum, die stets länger blieben. Juanito hatte diese Freunde von ihm satt, diese alten Pistoleros von der Nationalgarde, die zwei- dreimal die Woche herüberkamen, um sich vollaufen zu lassen und zum Essen dazubleiben. Zu solchen Zeiten florierte die Gastfreundschaft, aber das geschah nicht durch ein Wunder. Jemand mußte den Köchen sagen, wieviel sie zu kochen hatten, jemand mußte den Zimmermädchen sagen, wieviel Räume sie vorzubereiten hatten, jemand mußte die Autos umparken, damit genug Platz für die anderen Wagen war, jemand mußte sich um all die übrigen Details kümmern. Jemand mußte diese Arbeit organisieren, und dieser eine war bestimmt nicht Emilio. Denn Emilio war ein Berater, und Beratern war von ihrer Gewerkschaft nichts anderes erlaubt, als in ihren Mänteln herumzulungern und dumm zu gucken. Und Guzmans Frau Dona Catarina würde niemals eine gute Gastgeberin abgeben, vergiß es, sie hatte ihr ausdrucksloses, blasses Gesicht von weltlichen Problemen abgewandt und verbrachte ihre ganze Zeit mit Priestern und Nonnen. Und Tito konnte es auch nicht sein, weil Tito der Leibwächter und ein weitbekannter Killer war. Außerdem kann man von einem Mann mit der schönsten Sammlung von getrockneten Ohren im Großraum Miami, vielleicht sogar von ganz Florida, nicht erwarten, Bender & Sons anzurufen, um fünf Dutzend von ihren Kasha Varnishkas, die bis um sechs Uhr abends geliefert werden mußten, zu bestellen. Das alles blieb an Juanito hängen. Er war unentbehrlich. Aber nur Juanito wußte, daß er unentbehrlich war, und Onkel Al benutzte ihn lediglich. Er pflegte Juanito etwa jede Woche einen Hunderter zuzustecken und hielt sich wohl für reichlich großzügig, gerade so, als ob er ihm einen Gefallen damit tun 89
würde. So stand es also um Juanito, der die Portokasse führte und die Schecks vom Haushaltskonto für die Lieferanten, die Autowerkstatt, die Gärtner und die Lebensmittel-Boten ausstellte, und er war gerade fünfundzwanzig Jahre alt und hatte keine Zukunft, außer als Lakai seines Onkels. Es war Bender, der ihn bestach; Bender von Bender & Sons Feinkost, 78 Jahre alt, kahl wie eine Billiardkugel, der an zwei Krücken ging, gebrochenes Englisch sprach und noch immer den Laden schmiß; seine beiden Söhne hatten lediglich seine Befehle auszuführen. Eines Tages, als Juanito unten auf der Alton Road beim A & Z Weinhändler die neuesten Weinsorten für Onkel Al kostete, stolperte ihm Bender in die Arme. Er fragte ihn, ob er ihn zu einem Drink einladen dürfe, denn er habe mit ihm ein kleines Geschäft zu besprechen. Also gingen sie zu Ruggiero in der Nähe der Jefferson und Lincoln Promenade. Bender verlor keine Zeit, um auf den Punkt zu kommen. »Bis vor kurzem sind wir Ihre Lieferanten gewesen«, sagte Bender, »aber nun ist es dieser Vachensky. Ich will mich nicht beschweren, wir leben in einem freien Land. Sie können bestellen, wo Sie wollen. Ich würde lediglich gerne wissen: Gibt es irgend etwas, wodurch wir Sie verärgert haben?« Er fragte mit gutem Grund, denn Onkel Guzman war in jüdisches Essen vernarrt. Sie bezeichneten so einen Mann als Maven, den Traum eines jüdischen Feinkostlieferanten. Pro Woche verpulverte er ein paar Hunderter und mehr für rumänische Pasteten, Kasha, Hühnchen im Topf, Frikassee und Gewürzgurken, und das war nur für den alltäglichen Bedarf und beinhaltete nicht die etwa einmal im Monat stattfindenden großen Parties. 90
»Ich denke nicht, daß es etwas Besonderes war, Mr. Bender«, sagte ihm Juanito. »Sie sitzen am Südstrand, und die Brüder Vachensky sind direkt in Miami und bringen das Zeugs ein wenig schneller ins Haus.« »Sie wollen es schnell haben? Ich kann es schnell bringen«, sagte Bender. »Unser Auslieferungsservice hat sich verbessert, seit ich die neuen Lieferwagen gekauft habe. Ich hab mir einen Haufen Schwarze besorgt, die wie Verrückte arbeiten. Unser Essen hat die gleiche unübertroffene Qualität wie seit siebenundzwanzig Jahren, und obwohl es mir nicht liegt, etwas gegen einen geschäftlichen Konkurrenten zu sagen: Die Gebrüder Vachensky sind am Strand dafür nur zu gut bekannt, daß sie den letzten Dreck verkaufen, der nicht einmal wirklich koscher ist, weil sie einen Rabbi auf der Lohnliste stehen haben, der ein Reformer ist und auch nicht an den Kasruth glaubt. Möglicherweise wollen Sie von dem ganzen Zeugs nichts wissen, Juanito, aber Ihren Onkel, der ein Kenner der jüdischen Küche ist, wird das interessieren.« »Ich werde es irgendwann ansprechen«, sagte Juanito. »Interessiert es ihn wirklich, welchen Lieferanten Sie nehmen?« fragte Bender. »Nein, er überläßt es mir.« »Sehen Sie«, sagte Bender, »da Sie ein solch spezieller Kunde sind, und da wir versuchen, unsere jüdischen Spezialitäten auch innerhalb der lateinamerikanischen Bevölkerungsgruppe anzubieten, kann ich Ihnen einen Sonderrabatt gewähren. Von allem zehn Prozent. Wie klingt das?« »Ganz nett«, sagte Juanito nicht allzu begeistert. »Der Rabatt würde in den Rechnungen, die wir schicken, 91
nicht erscheinen. Die Rechnung würde die ganz normale Endsumme enthalten. Was wir machen könnten: Sie würden einmal in der Woche oder wann immer Sie wollen, ins Hauptbüro in der Arthur Godfrey Road kommen, und wir geben Ihnen den Rabatt in bar.« »Das ist praktisch«, sagte Juanito, »und ich könnte die Quittung meinem Onkel bringen.« Bender zuckte die Achseln. »Warum diese Umstände? Der Nachlaß ist für Sie persönlich. Ein Geheimnis nur zwischen Ihnen und mir. Ich würde nicht gern wollen, daß es sich herumspricht, daß ich Ihnen einen Nachlaß gewähre. Sie wissen doch, wie Juden sind; sie hören, daß der eine einen Nachlaß erhält, und schon wollen sie auch einen. Ich würde auch nicht wollen, daß Ihr Onkel davon erfährt. Warum sollte er auch? Sie sind derjenige, der die Einkäufe macht und die Rechnungen bezahlt. Nein, ich würde nur direkt Ihnen das Geld geben wollen. Zehn, sagen wir fünfzehn Prozent von allem, was Sie bei uns ausgeben. Sie würden es niemandem erzählen, ich würde es niemandem erzählen, und alle wären glücklich.« »Alle, außer Vachensky«, sagte Juanito. »Dafür, daß er minderwertige Ware an Nicht-Juden verkauft, die keine Ahnung von der Wahrheit haben, hat Vachensky es auch nicht besser verdient. Machen Sie sich keine Sorgen um Vachensky. Aber das erinnert mich daran, daß ich Ihnen dankbar wäre, wenn ich Ihnen, nur als Beweis meiner ehrbaren Absichten, einen Vorschuß bezahlen könnte. Eine Art Prämie, damit Sie wissen, daß der alte Bender kein falscher Fünfziger ist.« Er zog zwei frische Hundertdollarscheine heraus und legte sie 92
in Juanitos Hand, dann legte er die andere Hand darüber, und das war's. Bender hatte Juanito die Augen geöffnet. Er merkte bald, daß es viele Leute gab, die mit Onkel Al im Geschäft bleiben wollten, und es gab auch eine Menge neuer Leute, die gerne ins Geschäft kommen wollten. Juanito mußte nie direkt darüber sprechen. Höchstens mal: »Ich habe darüber nachgedacht, ob ich meine Bestellungen demnächst woanders mache …« Er bekam dann sehr schnell einen wirklich beachtlichen Zuschuß zu seinem Gehalt. Aber das reichte noch nicht. Es ist schon seltsam, aber je mehr man einstreicht, desto mehr braucht man, um seinem neuen Status auch gerecht zu werden. Es mußte da noch eine andere Möglichkeit geben, über Onkel Al an Geld zu kommen. Man mußte es lediglich herausfinden. Deshalb war Juanito sehr interessiert, als ihm der kleine Mann aus dem hohen Norden einen Kaffee im ›Cafe des Artes‹ am Südstrand bestellte und ihm sagte, daß er bereit wäre, ihm für Informationen über Onkel Al einen wirklich stattlichen Betrag zu zahlen. Alles, was Juanito zu tun hätte, wäre, eine Wanze zu installieren, die komplett mit einer leichten Gebrauchsanweisung in Englisch und Spanisch geliefert würde, und die Wanze dann mit dem wunderbaren Sony-Recorder zu verbinden, den ihm der kleine Mann geben würde. Juanito hatte zugestimmt. Das war vor zwei Monaten gewesen. Er hatte etliche Male angerufen und dem kleinen Mann ein paar Informationen über nicht sehr wichtige Veränderungen in Guzmans Haushalt gegeben. Der kleine Mann schickte Bargeld in Hundertdollarnoten an Juanitos Postfach in Coral Gables. Und der kleine Mann hatte ihm gesagt, daß er doch noch sehr 93
viel mehr zahlen würde, wenn er an etwas kommen könnte, das ihn wirklich interessierte. Dieser Telefonanruf war so einer, von dem der kleine Mann etwas hören wollte. Juanito ging an diesem Abend in eine seiner Lieblingsbars, dem ›Source‹ im Coconut Grove. Hinter dem Haus war eine Telefonzelle. Juanito wählte eine Nummer in New Jersey an und telefonierte für einige Minuten.
17 Der Mann mit der Pistole war von Kopf bis Fuß in einen schwarzen Kampfanzug gekleidet. Eine Kapuze, die fest um seine schwarze, enganliegende Wollmütze gezogen war, umrahmte sein Gesicht. Er hielt eine kleine .22er Skoda-Automatik in der Hand, die auf Nahdistanz tödlich war. Sie war auf Blackwells Bauch gerichtet. Er stand etwa einen Meter vor Blackwell und hüpfte auf schwarzen Turnschuhen leichtfüßig hin und her. »Komm her, Bürschchen, schnapp sie dir«, sagte er. »Ich hab jetzt wirklich keine Lust dazu«, sagte Blackwell und drehte sich um. »Sieh mich an, du Arsch!« sagte der Mann und machte einen Schritt nach vorn. Als sich das Gewicht des Mannes auf das linke Standbein verlagerte, wirbelte Blackwell herum. Seine linke Hand schlug scharf wie eine Axt auf das Gelenk der Hand, in der der Mann die Pistole hielt. Der Revolverheld versuchte, seine Bewegung 94
fortzusetzen; offensichtlich hatte er vor, eine ganze Umdrehung zu machen, um die Pistole einsetzen zu können. Blackwell bewegte sich mit der Drehung des Mannes, dann entgegengesetzt und klemmte das rechte Handgelenk des Mannes unter seinen linken Arm ein. »Also gut, das reicht«, sagte der Revolverheld. Er und Blackwell befreiten sich voneinander. »Keine schlechte Aktion«, sagte er. »Was Handwaffen betrifft, machen Sie eine sehr gute Frontalentwaffnung. Haben Sie jemals Baseball gespielt?« »Im linken Feld, aber ich war nicht sehr gut«, sagte Blackwell. »Basketball wäre besser gewesen. Die Jungens verstehen wirklich etwas von einem schnellen Sternschritt. Aber Sie haben es gut gemacht.« »Was wäre gewesen, wenn die Pistole geladen gewesen wäre? Was, wenn Sie wirklich versucht hätten, mich zu erschießen?« »Oh, ich hätte Sie selbstverständlich erwischt«, sagte der Ausbilder. »Aber denken Sie daran, daß ich weiß, welche Bewegungen Sie vollführen, weil ich sie Ihnen gerade beigebracht habe. Anderen gegenüber haben Sie das Überraschungsmoment. Beziehungsweise, wir wollen das so hoffen. Okay, es ist an der Zeit, Sie zu Skelly für Ihren Fortgeschrittenenkurs in EispickelTechniken zu schicken.« Sie standen auf zusammengelegten Karate-Übungsmatten auf einer ausgedehnten Hochebene in der Nähe von flachen RanchGebäuden. Verhangene Berge zeichneten sich am Horizont ab. Ein einsamer Bussard zog langsam seine Kreise am. Himmel. Zur Linken war eine Hochgeschwindigkeits-Rennbahn. Dort 95
hatte Blackwell den Drogen- und Alkoholschmuggler Schleudertest gemeistert und die Note befriedigend im Fach ›Barrierendurchbrechen‹ erhalten. Direkt dahinter war der künstliche See, auf dem er Hochgeschwindigkeitsrennen mit Gleitbooten und Wasserski gelernt hatte. Neben dem See war das Studio für spitze und scharfe Waffen. Er ging auf das Studio zu. Ein Jeep raste vom Haupthaus heran und hielt neben ihm an. Hinter dem Steuer saß Fritz, einer der Nachwuchsausbilder im Schirmkampf. »Steigen Sie ein! Simmons möchte Sie sprechen.« Simmons war in seinem Büro im Haupthaus und wie gewöhnlich tadellos gekleidet. Er hatte einen Hausanzug an. Seine schmale, schwarze Seidenkrawatte war perfekt gebunden. Er saß in einem der Queen Anne Ohrensessel aus dem frühen 18. Jahrhundert, und da war noch ein anderer Mann, der neben ihm saß; ein großer Mann mit einem groben, massigen und häßlichen, aber gutmütigen Gesicht. »Minska!« »Wie geht's, Frank?« fragte Minska. »Was machst du denn hier?« Minska grinste. »Ich hab hier mal gearbeitet.« »Aber du hast mir doch gesagt, daß du mit den Jägern überhaupt nichts mehr zu tun hast.« »Sicher hab ich dir das gesagt. Ich habe gelogen.« »Also, was machst du jetzt hier?« »Nachdem du gegangen warst, habe ich nachgedacht. Ich habe darüber nachgedacht, daß du eventuell einen guten Hinter96
mann gebrauchen könntest. Und ehrlich gesagt, habe ich mich ein wenig gelangweilt. Also habe ich mich darum beworben, dein Aufklärer zu werden. Wenn du willst: Hier bin ich.« »Er ist der beste in der Branche«, sagte Simmons. »Das hätte ich auch gewußt, wenn Sie es mir nicht gesagt hätten«, sagte Blackwell. »Ich würde dich wirklich gerne als meinen Aufklärer haben, Minska.« »Gut, dann wäre das geklärt«, sagte Simmons. »Sie können sich dazu ja später selbst gratulieren. Jetzt muß ich erstmal den Plan für Sie vorbereiten. Es ist nicht mehr allzu viel Zeit. Sie müssen morgen früh einen Flug um elf Uhr von Newark aus bekommen.« »Warum solche Eile? Ich habe hier sechs Wochen lang Liegestütze gemacht, und plötzlich soll ich im nächsten Augenblick verschwinden?« fragte Blackwell. »Erinnern Sie sich daran, daß ich davon sprach, daß wir bei passender Gelegenheit den Fuß zwischen die Tür stellen müssen? Diese Tür ist gerade geöffnet, und sie wird nicht allzu lange offen bleiben.« »Also das ist es«, sagte Blackwell. Simmons nickte. »Sind Sie nach wie vor bereit?« »Ich fühle mich ein wenig merkwürdig«, sagte Blackwell, »aber ja, wenn Sie mich in die Nähe des Kerls bringen können und mir eine Chance geben, nachdem alles vorbei ist, zu entkommen, dann bin ich bereit.« »Kommen Sie mit ins Arbeitszimmer. Ich werde Ihnen den Lageplan und den Ablauf erklären.«
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Dritter Teil Miami 18 Frank Blackwell kam auf dem Miami International Flughafen mit dem 21-Uhr-Flug der Eastern Airways aus New York an. Blackwell trug eine Rundumsonnenbrille, eine dezentfarbene Hose, Nike Turnschuhe und ein gestreiftes Rugby-Sporthemd. Er hätte auch für einen Touristen oder Terroristen, für einen Schlepper oder Nepper, oder auch für einen drahtigen Seemann gehalten werden können. Er ging in das Flughafengebäude und in dessen zwielichtige Welt voll künstlicher Beleuchtung, konservierter Luft und synthetischer Musik. Unauffällig nahm er die Rolltreppe in die untere Wandelhalle und verlangte sein Gepäck. Er ging an den Tresen der Hertz-Autovermietung, und man schickte einen Helfer los, der den Wagen holen sollte, den Blackwell vom Newark International Flughafen aus bestellt hatte. Es war ein weißer Chevrolet Cavalier Kabriolett mit Automatik. Blackwell legte sein Gepäck in den Kofferraum und fuhr aus dem Schatten und Beton in die Luft und Sonne SüdFloridas. Miami war feucht und stickig, mit einem Himmel aus blauer Emaille und Wolken, die wie Wolle am Horizont festzukleben schienen. Blackwell fuhr die Chaussee in Richtung Osten nach Biscayne hinunter, bog in Richtung Süden auf die 37. Straße ab 98
und fuhr auf den Parkplatz des Turfriders, eines neuen, fünfstöckigen Hotelgebäudes aus Glas und Aluminium in der Form einer Stufenpyramide. Das Turfrider hatte eine gewundene Auffahrt, die von Hotelpagen umsäumt war. Die von Michael Jackson inspirierten, hochkragigen Pagenuniformen glitzerten. Der Tagesbefehl lautete: entschiedene Unterwürfigkeit; Diener machen und sich anbiedern, wenn jemand aus seinem neuesten Automodell stieg; immer lächeln und Grüße murmeln, wenn jemand durch die Rauchglastüren in die kathedralenhafte Empfangshalle schlenderte. Der Eingang war auf neuaztekisch getrimmt. Auf einem Sockel in der Mitte der Vorhalle stand in Schräglage die Bronzenachbildung des aztekischen Kalendersteins in Originalgröße. Ein gewaltiges Dâvilos Wandgemälde des arbeitenden Landvolkes beim Huttanz bedeckte eine ganze Wand. Hier und da waren kostspielig aussehende Gäste sternförmig über den Teppich verstreut, rauchten Zigarren, und ihre Zähne blitzten. Jedermann bewegte sich träge und gequält vornehm voran, als ob sie die Darsteller in einem Broadway Musical namens ›Geld mit Taco-Sauce‹ wären. Die theatralische Beleuchtung gab dem Ort das Aussehen einer Götterdämmerung jenseits vom Süden. Blackwells Zimmer hatte große Flügelfenster, und vom Balkon aus konnte man auf die Bucht von Biscayne sehen. Er packte ordentlich aus, nahm eine Dusche und zog sich um. Er zog eine frische, gelbbraune Hose, ein dünnes Sporthemd und eine weiße Leinen-Sportjacke an. Dann telefonierte er mit der Rezeption. Für ihn waren noch keine Anrufe angekommen. Minskas Flugzeug hatte wahrscheinlich Verspätung (sie hatten aus Sicherheitsgründen verschiedene Flüge genommen). Blackwell bekam Hunger und hatte Drang nach Bewegung. 99
Als er das Hotel verließ, nahm er hinter sich und links von ihm eine Bewegung wahr. Er war sich nicht absolut sicher, aber als er gerade den Bürgersteig erreicht hatte, kam es ihm so vor, als ob jemand hinter der großen, eingetopften Palme am Rande der Hotelzufahrt hervorgekommen wäre. Aber er war sich nicht sicher … Er ging nach Norden auf die 8. Straße zu. Der frühe Abendhimmel war samtblau. Ein großer und unwirklich gelber Mond hatte auf ihn die schwarzen Umrisse von Palmen projiziert. In Miami war sogar der Himmel wie ein Reklametrick. Blackwell ging auf die 8. Straße, der Hauptschlagader von Latin Miami. Es war unmöglich zu sagen, ob ihm jemand folgte oder nicht. Er war mißtrauisch, war sich aber nicht sicher. Er wußte, daß er sich demnächst mit einer Menge Unsicherheiten vertraut machen müßte. Die ganze Zeit begleitete ihn die Ungewißheit. Es gab zuviele Menschen, zuviel Lärm und Farbe und zuviel Hektik auf dem Bürgersteig. Neben ihm fiel ein Mann in seinen Schrittrhythmus ein. Er war ein kleiner, hagerer Mann, dunkelhäutig, mit gekräuseltem dichten Lockenhaar. Er hatte einen kleinen Silberring in seinem linken Nasenloch, trug ein Cowboyhemd und einen breiten Ledergurt, rundherum mit silbernen Conchos, oder wie immer man diese Dinger nannte. Er hatte ein Paar handgefertigter Cowboystiefel an, die spitz wie Dolche waren. Um seinen Hals trug er ein rotes Halstuch, das durch einen mit Diamanten besetzten silbernen Reif zusammengehalten wurde. Es war wahrhaftig kein Kunststück, ihn aus der Menge heraus zu erkennen. Er zwinkerte Blackwell zu und sagte: »Na, mein Freund, brauchen Sie Abwechslung?« 100
»Verpiß dich!« sagte Blackwell. »Na, hören Sie, Mann! Ich bin Eddy Lopez. Man nennt mich auch Fast Eddy, wie im Film, alles klar?« Blackwell bog in ein Restaurant ab. Das La Floridita war ein von Neonlicht erhellter, langer, schmaler Ort. Auf der einen Seite mit einer Imbißbar und einer Reihe Nischen auf der anderen. Es war ein hektischer, von schwarzen Typen bevölkerter Laden. In der Nähe des Grills lag ein Haufen Medionoches herum, das sind getoastete Schinken- und Käsesandwiches, die zu vorgerückter Stunde der bevorzugte Imbiß vieler Cubaner sind. Blackwell setzte sich in eine der hinteren Nischen. Lopez folgte ihm und ließ sich auf der gegenüberliegenden Bank nieder. »Mögen Sie cubanischen Kaffee, Mister?« fragte Lopez. »Er ist der beste in der Welt.« Er bestellte zwei Kaffee. »Wie gefällt Ihnen Miami? Alles, was Sie sich wünschen, besprechen Sie mit mir, okay? Ich möchte nicht aufdringlich sein, aber wenn Sie eine Frau oder auch einen Jungen möchten …« »Ach, lassen Sie mich«, sagte Blackwell. Lopez war nicht aus der Fassung zu bringen. »Vielen Geschäftsleuten gefällt das. Auch wenn Sie es nicht nötig haben, so wollen Sie doch gefragt werden.« »Ich fürchte, Sie wollen mir auch noch Dope anbieten.« »Sicher, Mann. Der beste Stoff in der ganzen Welt.« »Schön. Haben Sie sonst noch was?« »Wie wär's, wenn Sie sich an einem Freizeit-Center an der Marathon Küste beteiligten? Mit garantiertem Gewinn nach drei Jahren.« 101
»Fast Eddy, ich fürchte, Sie übernehmen sich da ein wenig.« »Unterschätzen Sie mich nicht«, sagte Lopez. »Wir werden uns bald wieder sprechen, Mister.« Er stand abrupt auf und ging hinaus. Lopez bog nach Westen ab und ging einen Häuserblock weiter, dann blieb er an einem neuen Pontiac stehen, der mit laufendem Motor auf zwei Parkflächen wartete. Er setzte sich auf die Rückbank. Der Pontiac fuhr davon. Blackwell beobachtete seine Abfahrt durch das neongestreifte Glas des Restaurantfensters. Es hätte etwas bedeuten können, oder auch nicht. Das war so ein Moment der Ungewißheit, von dem man nicht wußte, was er zu bedeuten hatte. Als Blackwell ins Turfrider zurückkam, war für ihn eine Nachricht an der Rezeption hinterlegt worden. Kein Name. Nur eine Adresse.
19 Das Hotel Nemo lag am Südstrand von Miami Beach. Es war ein niedriges, limonengrünes Stuckgebäude mit einer langen Holzveranda. Auf der Veranda saßen alte Leute in Lehnstühlen und auf Sofas. Einige Hühner pickten auf dem vergammelten Rasen herum, aber sie gehörten wahrscheinlich zum Nueva Buenavista, das ans Nemo anschloß. Von oben überflutete die gewaltig glühende Sonne von Miami alles mit Hitze und Feuchtigkeit. Der Verwalter war nicht im Haus. Aber eine der alten Damen auf der Veranda, die ein verschmutztes Umhängekleid trug und deren zerfurchtes Gesicht zum Teil von einem großen Strohhut, 102
auf dem ›Ein Souvenir von den Bahamas‹ stand, verdeckt wurde, fragte Blackwell, ob sie ihm helfen könne. »Mr. Minska? Der hat sich gestern hier eingetragen.« Sie hatte nichts weiter zu tun, als Leute zu beobachten und sich daran zu erinnern, wie diese aussahen, für den Fall, daß die UBahn-Polizei überhaupt etwas davon wissen wollte. »Ein großer, gewichtiger Mann, ohne viele Haare und mit einer großen Nase, stimmt's? Und mit leicht sommersprossiger Haut – er sollte öfter in die Sonne gehen. Er trug so etwas wie ein Hawaiihemd, überall rot und grün, mit schwarzen Palmen vor einem zitronengelben Mond. Er hat ein Zimmer in der zweiten Etage. Nummer 23. Ein ganz netter Mann sozusagen. Sind Sie vielleicht sein Bruder?« »Nein, nur ein Freund«, klärte sie Blackwell auf. »Hab ich mir gedacht«, sagte sie. »Sie sehen ihm wirklich nicht sehr ähnlich.« Blackwell ging hinein, die knarrende Treppe hinauf und den Korridor hinunter, der von 15-Watt-Birnen an der Decke beleuchtet wurde. Der ganze Innenraum war derart abgebröckelt, als habe er einen Sonnenbrand zuviel abbekommen. Die getünchten Wände hatten den stimmigen Farbton von Hoffnungslosigkeit. Im Hausflur roch es nach Campbells Champignon-Cremesuppe. Blackwell klopfte an die ›23‹, und Minska ließ ihn herein. Sein kleines Zimmer war mit einem Klappbett und zwei Kommoden vollgestopft, auf einer stand ein Elektrokocher. In der Ecke stand die Miniaturausgabe eines Eisschranks, gerade so groß, daß man sich mit gekühltem Wein in Vergeßlichkeit 103
trinken konnte. Das Zimmer roch nach Kaffee, Bourbon und Seetang. »Schön, dich zu sehen«, sagte Minska freundlich. »Was hat dich denn hierher verschlagen?« fragte Blackwell. »Ich habe einen Onkel, dem das hier gehört. Ich kann hier umsonst wohnen.« »Selbst umsonst ist noch zu teuer.« »Da könntest du recht haben«, sagte Minska. »Komm, laß uns in die Cafeteria Heliogabulus gehen und uns deren SpezialFrühstück einverleiben.« »Es ist bereits nachmittags, Minska.« »Keine Sorge, das Spezial-Frühstück gibt's den ganzen Tag.« In die Decke der Heliogabulus Cafeteria waren orangeleuchtende Birnen eingelassen, die ein warmes Licht auf die zwielichtig erscheinenden Gesichter der Gäste, deren Durchschnittsalter etwa 110 sein mußte, warfen. Wie zu Kugeln aufgeblasene Sandwiches wurden von Kellnerinnen serviert, die sich dem Temperament der Gäste angepaßt hatten. Der Besitzer, dessen Name entweder Max oder Harry war, lungerte in einem Lehnstuhl neben der Registrierkasse herum und wog in Gedanken das angenehme Klimpern des Geldes, das in die Schublade geworfen wurde, mit dem unangenehmen Geräusch der Marielitos ab, die in der Küche Geschirr zerschlugen. Es brauchte seine Zeit, ehe sie mit den Geschirrspülmaschinen klarkamen. Hinter dem Serviertresen waren Reihen von rostfreien Stahldeckeln, unter denen sich der allgegenwärtige gestampfte Kohl, Rinderbrust, junger Truthahn und die Suppe seiner Artgenossen befanden. Es gab Bottiche voller Braten104
soße, weil Bratensoße eine gute Möglichkeit ist, Fleisch, das gewaltsam zu Tode gedämpft wurde, herunterzuwürgen. Blackwell bestellte sich einen Toast und Weichkäse, und Minska nahm den Schnellfraß gleich zweimal, drei Streifen Schinken, brauner Mischmasch, Toast und Kaffee. »Hör zu, Minska, laß uns aufhören, die Zeit totzuschlagen. Wir haben einiges zu erledigen. Verdammt, wo warst du überhaupt?« »Was treibt dich so, Junge? Wir kommen nicht allzu oft nach Miami. Hab doch etwas Geduld.« »Ich dachte, wir müßten uns beeilen. Du erinnerst dich doch an die passende Gelegenheit?« »Aber wir haben noch Zeit zu frühstücken und ein paar Stunden am Strand zu verbringen.« »Was ist mit der Ausrüstung?« fragte Blackwell. »Ich habe alles oben auf dem Zimmer.« »Sollten wir sie nicht austesten?« »Keine Zeit. Wir müssen noch diese Nacht loslegen. Ist das schnell genug für dich?« »Und ob, das ist mehr als schnell genug«, sagte Blackwell, und er spürte, wie sich sein Magen zusammenzog.
20 Kurz nach Mitternacht nahmen sie ein Taxi zur 67. Straße, Ecke Indian Creek Road. Sie gingen in eines der bekanntesten Wahrzeichen von Miami Beach, in Normans Taverne. Es war eine ruhige, schwach beleuchtete Spelunke mit Schachtischen an der 105
Rückseite. Die lange Bar war dunkel und gemütlich, mit indirekter Beleuchtung und Daumier Drucken an der Wand. Aber was die Bars richtig charakterisierte, war die Musik. Viele Läden, und das galt für die meisten in Miami, gaben sich damit zufrieden, einen Musikautomaten aufzustellen und ihn den unintelligenten Brei von sich geben zu lassen, der zweifellos dazu dienen sollte, die Menschenmengen ruhig zu halten mit so süßen Versprechen wie ›Love ya Baby, yah, yah‹ und ähnlichen Texten von möglicherweise sprachwissenschaftlichem Interesse, aber ohne geistigen Tiefgang. Coolere Läden, mit ihren verzweifelten Ambitionen ›in‹ zu sein, und Läden im Coconut Grove, die versuchten, ihren blasierten Chic aufzupolieren, spielten manchmal anerkannte Jazz-Klassiker und harmlosen Dixieland. Die wirklich modernen Bars, die dem jungen Volk etwas bieten wollten, spielten Heavy Metal und Schlager. Nur in Normans Taverne gab es Sitar-Musik und türkischen, progressiven Jazz, der von den Instanbul Five gespielt wurde. In die Taverne kamen einige der nebulösesten Gestalten von Süd-Florida, die Key Largo Rotnacken, genau wie die Schmuggler des weißen Stoffs aus Baker's Haulover. Normans Taverne war so ein Laden. Es interessierte niemanden, was man tat oder vorhatte zu tun. Es gab nur eine Regel: Tu es nicht in Normans Taverne. Wenn es einen Streit gab, war Normans erster Barmixer Big Kate normalerweise dazu in der Lage, ihn zu schlichten. Norman selbst lungerte an einer Ecke der Bar herum. Ein bohemehafter Typ mit Rollkragenpullover und ausgebeulter Levis, der alles mitbekam und alles für sich behielt. Norman grüßte Minska mit einem freundlichen Hallo, nickte Blackwell zu, hieß beide in seiner Kneipe willkommen und ließ 106
ihnen zwei Bier auf Kosten des Hauses bringen. »Der Bursche kennt uns«, sagte Blackwell. »Norman weiß von allem, was in dieser Stadt geschieht«, sagte Minska. »Aber er redet niemals darüber. Wo hast du deinen Sack hingelegt?« Beide Männer hatten die Bar mit einem langen Nylonsack mit Reißverschluß betreten. »Er liegt hier unter meinen Füßen.« »Okay. Und jetzt hör zu, ich werde dir jetzt sagen, wie wir vorgehen …« Blackwell hatte viel Vertrauen in Minska. Aber später – als sie sich nur drei Häuserblöcke entfernt leise in das dunkle, verölte Wasser der Intracoastel Wasserstraße gleiten ließen, ihren Sauerstoffapparat und die Taucherbrillen aufsetzten, unter Wasser tauchten und eine dreiviertel Meile zu dem großen Abflußrohr schwammen, das direkt unter der Wasseroberfläche von Framijians Deich auf der anderen Seite des Indian Creek lag – war er sich dessen nicht mehr so sicher. 21 Blackwell schwamm kräftesparend auf der Seite und zog seinen wasserdichten Sack hinter sich her, der seine Waffen, Kleidungsstücke, Zigaretten, Kleingeld und ein Schweizer Armeemesser enthielt. Das Wasser war leicht salzig und schmeckte nach altem Kaffeesatz. Der gedämpfte Verkehrslärm der nahegelegenen 79. Straße drang wie das Surren eines 107
riesigen Insekts vom Damm herüber. Blackwell war ein guter Schwimmer. Er blieb direkt rechts hinter Minska, der auch kräftesparend seitlich schwamm, sein vermummter Kopf war knapp über der Wasseroberfläche. Blackwell roch den staatlich genehmigten Duft von Orangenschalen und von verwesenden Seemöwen. Das süßsaure Aroma des hyazinthroten Wassers, vermengt mit den Benzindämpfen, ergaben einen allgegenwärtigen Wohlgeruch, wie ihn sich die Natur selbst auch nicht hätte besser einfallen lassen können. Die Wasserstraße war an diesem Punkt nicht breiter als eine halbe Meile. Blackwell versuchte, Orientierungspunkte auszumachen, aber mit seinem Kopf auf Wasserhöhe war das schwierig. Die Lichter in den Häusern entlang der Küste flimmerten nur schwach. Ein Boot kam in weniger als zwanzig Meter Abstand an ihm vorbei. Es war ein weißer Sportangler, der Seemöwen und den Sound von Rockmusik hinter sich herzog. Blackwell tauchte unter, bis er vorbei war. Das Wasser war warm, und die Lufttemperatur lag bei 25 Grad. Blackwell spürte den Rauschzustand, den man bekam, wenn man sich auf eine gefährliche Situation einließ, ohne allzu viel darüber nachzudenken. Sie tauchten erneut unter, als eine mit ausgelassenen Teenagern überfüllte, offene Barkasse an ihnen vorbeituckerte. Dann schwammen sie weiter. Bald hatten sie die Wasserstraße durchquert und schwammen parallel zu den abgeschotteten, künstlichen Inseln auf der Miami Seite. Blackwell staunte über das phantastische Orientierungsvermögen, das Minska haben mußte, weil sie direkt in den Kanalwindungen waren, die die Normandy Inseln umschlossen. Von der Wasserhöhe aus sah alles gleich aus – nur eine ganze Menge Kanäle mit von den 108
Schutzwänden zurückgesetzten Häusern, die von dichtem Strauchwerk umgeben waren. Dann zögerte Minska und deutete Blackwell an, näher zu ihm heranzuschwimmen. »Was ist los?« fragte Blackwell. »Es sieht alles gleich aus«, sagte Minska. »Du meinst, du hast dich verirrt?« »Nein, nicht verirrt. Ich bin nur ein wenig desorientiert. Sie sollten wirklich Schilder haben, die man auch vom Wasser aus lesen kann.« »Du meinst, du weißt nicht, wo wir sind?« »Natürlich weiß ich das, nur nicht genau.« »Also, was machen wir jetzt?« »Ich denke, wir gehen am besten an Land und finden es heraus.« Auf den kleinen Inselchen war es ruhig. Sie waren durch kleine Straßen und Brücken verbunden, die für die Normandy Inseln typisch waren. Die Straßen waren leer. Hier und da glimmte eine Straßenlaterne durch die umliegenden Bäume. An diesem Punkt waren die Normandy Inseln wie ein kleines Flußdelta, aus dem die Kanäle strahlenförmig in verschiedenste Richtungen wie die Speichen einer Radnabe auseinanderliefen. In der nur vom schwachen, trügerischen Licht des wolkenverhangenen Mondes erhellten Dunkelheit, waren die verschiedenen Kanäle voneinander nicht zu unterscheiden. Minska entdeckte zwischen zwei Grundstücken, wo sich die Küste tief genug neigte, eine Lücke, an der sie an Land robben konnten. Sie standen am Ende einer Einbahnstraße. Hier und da 109
waren Autos geparkt. Flackernde farbige Lichter übertrugen durch die großen Aussichtsfenster das abendliche Fernsehprogramm. Sie warfen ihre Flossen in die wasserdichten Säcke und gingen los. Sie suchten nach einem Straßenschild oder irgendeinem anderen Hinweis. Die Straße bog und wellte, krümmte und drehte sich; Straßenlaternen schienen aus der Mode gekommen zu sein, und Straßenschilder existierten nicht. Dann sahen sie den Mann auf sich zukommen. Er war ein kleiner Kerl in kurzen Hosen und einem kurzärmeligen, weißen Hemd, das in der Dunkelheit leuchtete. Er ging mit einem Tier spazieren; es war irgendein kleiner Köter. Als sie sich ihm näherten und der Mann Blackwell und Minska genauer sah, schreckte er zurück. Mit ihren schwarzen Taucheranzügen, den wasserdichten Säcken um den Schultern und den auf der Stirn sitzenden Tauchermasken sahen sie wie die Vorhut einer Invasion der Fischmenschen aus. Als der kleine Kerl sie richtig sehen konnte, hätte er es wahrscheinlich vorgezogen, woanders zu sein, vielleicht in irgendeiner Bar in Nagodoches, Texas. Aber es war zu spät. Die beiden Verrückten im schwarzen Gummi kamen auf ihn zu, und einer sagte: »Entschuldigen Sie, Sir, wie ist der Name dieser Straße?« Nun wußte er alles: Zwei Typen, von Kopf bis Fuß in schwarzes Gummi gekleidet und naßtropfend, fragen nach dem Namen seiner Straße. Danach werden sie ihn töten, mit Sicherheit, und er hat es sich selbst eingebrockt; er hätte sein Haus niemals ohne seinen guten, alten Armeerevolver verlassen sollen. »Das hier ist die Sea Grape Lane«, sagte er und erwartete das Schlimmste. 110
Sein Hund spürte aufkommenden Ärger und verkroch sich winselnd hinter seinen Beinen. »Aha«, sagte der Fragesteller »Sea Grape, natürlich! In diesem Fall muß der Flamingo Drive zwei Straßen weiter und dann links sein.« »Das stimmt«, sagte der kleine Kerl, »es ist der Block hinter den Dolphin Shores.« »Ich hätte es wissen müssen«, sagte der Fragesteller. »Danke, Mister.« Die beiden Typen in den Froschanzügen gingen in die Richtung zurück, aus der sie gekommen waren – der Einbahnstraße. Was den kurzen, kurzärmeligen Hundeausführer betrifft, so drehte er sich um und ging den Weg zurück, den er gekommen war, zurück nach Hause, und zwar schnell. Der Hund führte ihn und zog an der Leine. Ich meine, man muß es doch einmal so sehen: Wenn naßtröpfelnde, verrückte, schwarze Gummigestalten umherspazieren und nach Straßenrichtungen fragen, ist es an der Zeit, sich zu verbarrikadieren, die Türen doppelt zu verschließen, den Revolver zu laden und notfalls den Hund auf den Teppich pissen zu lassen, wenn es denn unbedingt sein muß. Zurück im Wasser führte sie Minska unbeirrbar um eine Biegung, in einen Kanal und dann scharf rechts herum in einen anderen Kanal. »Hier ist es«, sagte er zu Blackwell. Blackwell, der im Wasser auf der Stelle trat, sah ein Grundstück, das bis an den Wasserrand heranging. Es wurde durch einen über drei Meter hohen Maschendrahtzaun und Stacheldraht geschützt, der mit Sensoren ausgestattet war. Auf einem in der Mitte angebrachten Schild stand: ›Dieser Besitz wird von 111
der Midas Donnerschlag Objektschutz-Gesellschaft bewacht. Vorsicht, Hochspannung!‹ Hinter dem Zaun und dichtem Gebüsch protzte ein großes Haus, es wurde vom klagenden, weißen Auge des feindlich gesinnten Mondes wie ein auf einer Landzunge weidendes, apokalyptisches Mörtelmonster erleuchtet. »Okay«, sagte Minska, »laß uns jetzt das Abflußrohr suchen.« Er rückte seine Tauchermaske zurecht und verschwand unter der Wasseroberfläche. Kurz darauf kam er wieder hoch. »Du mußt die Taschenlampe halten«, sagte er zu Blackwell. Er und Blackwell tauchten wieder nach unten. In dem starken, weißen Lichtkegel der wasserdichten Taschenlampe konnte Blackwell ein großes, rundes Gitter sehen, das etwa zwei Meter unter der Wasseroberfläche in den Damm eingelassen war. Während er die Taschenlampe hielt, öffnete Minska einen kleinen Beutel, der an seinem Gürtel befestigt war, und nahm einen Schraubenzieher heraus. Er arbeitete einen Augenblick damit, stieg dann wieder an die Oberfläche und zeigte Blackwell an, ihm zu folgen. »Was ist los?« fragte Blackwell. »Ich brauche einen Kreuzschlitz-Schraubenzieher.« »Ich dachte, du hättest alles benötigte Werkzeug bei dir.« »Woher sollte ich wissen, daß sie das Ding da unten mit Kreuzschlitz-Schrauben befestigt haben?« »Ich glaube, ich habe einen an meinem Schweizer Armeemesser«, sagte Blackwell. »Aber es ist in meinem kleinen Werkzeugkasten in dem wasserdichten Sack drin.« »Ja und? Gib ihn mir.« Mit Minskas Hilfe zog Blackwell einen Reißverschluß auf. 112
Warmes, nach Abfällen duftendes Wasser umflutete seinen wasserdichten Sack, der laut Beschreibung keinen Tropfen mehr herausließ, wenn er erstmal wieder zugezogen worden war. Er bekam sein Messer zu fassen und übergab es Minska. Nach ein paar Minuten hatte Minska das Gitter entfernt. Danach war es relativ einfach, sich durch das gewundene Rohr mit einem Meter Durchmesser bis zum trockenen Auffangtank aus Beton zu schlängeln, der einen Meter innerhalb von Framijians Grundstück lag. Sie bewaffneten sich und gingen auf das Haus zu, das still und dunkel wie eine Sphinx von Cariocas vor ihnen lag. 22 Seitdem seine in Amerika geborene Frau Rosalie ihn verlassen und ihre gemeinsame, zwei Jahre alte Tochter Hannah mit sich genommen hatte, lebte Framijian in seinem Haus auf Venetian Isle allein. Er hatte ein fast viertausend Quadratmeter großes Grundstück, und die Vorderfront des Hauses war etwa dreißig Meter lang. Sein Haus wurde durch einen Stacheldrahtzaun geschützt, der nach dem neuesten Stand der Technik mit Sensoren ausgestattet war. Der Zaun selbst war hinter hohen, grünen Hecken verborgen. Hinter dem Haus mit seiner gewundenen Auffahrt war ein Swimmingpool von olympischer Größe. Auf dem gepflegten Grundstück waren überall Teile und Bruchstücke von Skulpturen verteilt. Er war ein vorsichtiger Mann, aber kein Sicherheitsfanatiker. Er hatte niemals mit jemandem Schwierigkeiten gehabt. Niemand belästigte einen Waffenhändler, es sei denn, man war sehr 113
verärgert, aber Framijian war mit allen befreundet. Den Charakter seines Wohnzimmers bestimmten Mobiles und kubistische Gemälde. An den Wänden waren Bücher, die besten Titel in Luxusausgabe, mit einem Ehrenplatz für die Harvard Klassiker und der Sammlung ›Die hundert größten Romane‹. Die Morgensonne flimmerte auf der Kristallkaraffe auf dem Büfett, das mit verschiedenen Flaschen seltener Whiskysorten vollstand. Sein Weinvorrat war direkt neben der Küche. Er hatte eine Sammlung von Jahrgängen, die der Lagerbestand eines kleinen Restaurants hätte sein können. Framijian betrat das Wohnzimmer. Er war ein kleiner, dunkelhäutiger Mann mit einem runden Schädel, auf dem kurzgeschorenes, lockiges, schwarzes Haar wuchs, in dem sich erste graue Strähnen zeigten. Er pfiff vor sich hin. Es war halb elf, seine gewöhnliche Zeit aufzustehen. Er trug einen blauen Morgenmantel aus Seide. An den Füßen hatte er schwarze Ledersandalen. Um seinen Hals trug er eine dünne Goldkette mit einer antiken römischen Goldmünze: Alle Rauschgifthändler trugen sie in dieser Saison, und Framijian gefiel es, mit der Mode zu gehen. An diesem Morgen war im Wohnzimmer etwas merkwürdig, aber er fand nicht heraus, was es war. Alles sah aus wie immer, doch irgendetwas war anders. Er verglich den gegenwärtigen Zustand des Raums mit einem Muster, das er im Kopf hatte. Ein Muster, das ihm alle Objekte des Zimmers und ihre Verhältnisse zueinander, zu den Wänden, zum Flur und zur Decke zeigte. Es zeigte ihm auch den Weg der Sonne, der schräg durch die Jalousien verlief, und alles, je nach Tageszeit verschieden, ausleuchtete. Das war es. Das Licht war anders als sonst. 114
Dann bemerkte er, daß die Jalousie aufgezogen worden war, nicht viel, etwa zwei, drei Zentimeter, aber ausreichend, einen Lichtstrahl zu einem Teil des Raums durchdringen zu lassen, wo sonst keiner war. Sein Verstand arbeitete wie rasend. Er mußte annehmen, daß jemand in dem Raum gewesen war. Und er mußte annehmen, daß derjenige, egal, wer das war, es nicht gut mit ihm meinte. Der Übergang vom absoluten Frieden zur totalen Krise verlief schockierend schnell. Schweißperlen schossen auf seine Stirn. Nicht einmal eine Sekunde war verstrichen, seit er die hochgezogene Jalousie entdeckt hatte, und er wußte, daß es Zeit wurde, etwas zu unternehmen, weil es wichtig war, sich nichts von seinem Wissen eines Eindringlings anmerken zu lassen. Er überwand sich, einen weiteren Schritt ins Zimmer zu machen, ein Zimmer, das sich plötzlich von einer Zuflucht in eine Falle verwandelt hatte. Augenblicklich hatte er seine nächsten Schritte geplant. Er drehte sich um, als habe er etwas vergessen, tippte sich mit dem Zeigefinger der rechten Hand leicht auf die Stirn, lächelte nach dem Motto ›Oh, ich Dummkopf, hab ja noch etwas vergessen‹ und ging zurück durch die Tür der 357 Magnum entgegen, die er in einer Schublade unter dem geölten Walnußtisch in der Eingangshalle aufbewahrte. Aber plötzlich stand da ein Mann vor ihm, ein großer Mann mit einem schwarzen Taucheranzug und einer Knarre in der Hand. Woher, zur Hölle, war er gekommen? Und dann war da noch ein Mann, auch mit einem Taucheranzug. Die Füße der Eindringlinge machten auf seinem tiefen Wollteppich keine Geräusche. Framijian duckte sich, als einer von ihnen, der große, stämmige Kerl, seine Pistole gegen Framijians Kopf richtete. Er sank auf die Knie. Der Mann stützte die Pistolen115
mündung gegen Framijians Stirn. Framijian konnte sehen, wie sich sein Finger um den Abzug legte, und er sah, wie sich der Hahn aus dem großen, blauen Stahl der Pistole zu heben begann. Framijians Augen füllten sich mit Tränen, seine Knochen wurden weich wie Gummi, er krümmte sich, seine Augen waren auf den perspektivisch verkürzten Lauf der Pistole gerichtet. »Um Himmels willen«, sagte er, »warten Sie wenigstens, bis ich das Sh'ma gesprochen habe.« Der Abzug klickte. Der Hahn fiel auf eine leere Kammer. Framijian brach zusammen, als ob jemand die Stöpsel aus seinen Knien gezogen hätte. Er fiel auf den Boden. Jemand schüttelte ihn. »Werd nicht schwach«, sagte ihm der große, ältere Typ. »Reiß dich zusammen, wenn du am Leben bleiben willst.« »Alles klar«, sagte Framijian und kämpfte gegen den Drang an, in gefahrlose Bewußtlosigkeit zu versinken. Der Mann sagte zu ihm sehr ernsthaft: »Das war nur die Probe.« Er steckte eine Kugel in die Kammer der Selbstladepistole. »Beim nächsten Mal laufen die Kameras, kapierst du?« »Ja«, sagte Framijian. Sein Herz schlug so stark, daß es ihm schier aus der Brust springen wollte. Er zitterte, wischte sich über das Gesicht und versuchte, sich zu beherrschen. Er zitterte immer noch, aber sein gut ausgeprägter Überlebensinstinkt gewann überhand. Er sprach erst, als er seiner Stimme wieder vertrauen konnte. »Lassen Sie mich aufstehen«, sagte Framijian. Er stand 116
wackelig vom Boden auf und setzte sich in einen der großen Lehnsessel. »Hat jemand eine Zigarette? Ich glaube, auf meinem Schreibtisch liegt 'ne Packung.« Der ältere Mann gab ihm die Packung und ein Feuerzeug. Bei Framijian zündete es. Er konnte sich jetzt an das Sh'ma erinnern, aber vielleicht würde das gar nicht mehr nötig sein. »Hören Sie«, sagte Framijian. »Ich bin ein Realist. Ich bin Ihnen ausgeliefert, okay? Sagen Sie mir, was ich für Sie tun soll, und ich werde es erledigen.« Keiner der beiden Männer antwortete. Framijian fuhr fort: »Wenn Sie hierher gekommen wären, um mich zu töten, wäre ich bereits tot. Also wollen Sie etwas anderes. Was immer das sein mag, Sie werden es von mir bekommen. Ich rechne damit, daß, wenn ich das sehr korrekt durchziehe, ich da lebend rauskommen kann. Ich meine, es gibt eine gute Chance für nach, daß Sie mich nicht töten, wenn ich kooperativ bin. Mir ist klar, daß es ein unkalkulierbares Restrisiko gibt, aber verdammt nochmal, es ist die einzige Chance, die ich habe. Soweit alles okay?« »Klingt vernünftig«, sagte der große Mann. »Das hier ist doch kein ganz normaler Raubüberfall, oder?« »Richtig«, sagte der jüngere Mann. »Aber es gibt etwas, das ich für Sie tun soll?« »Auch richtig. Sie können aus dieser Sache lebend herauskommen, Framijian«, sagte der große Mann, »aber Sie müssen sehr vorsichtig sein, genau das tun, was von Ihnen verlangt wird, und Sie sollten nicht versuchen, uns eins auszuwischen, kapiert?« »Also, wie kann ich Ihnen helfen?« fragte Framijian. »Was 117
kann ich für Sie tun?« Der große Mann sagte: »Mein Freund hier muß sich mit Alphonso Guzman treffen.« Framijian brauchte einen Augenblick, um das zu schlucken. Dann stellte er sich vor, daß diese Männer von dem Waffengeschäft wissen mußten. Und es konnte nur einen Grund geben, weshalb sie Guzman treffen wollten. »Das kann ich arrangieren«, sagte Framijian. Er begann, sich besser zu fühlen. Gott sei Dank, es gab immer einen Schutzengel. »Können wir dazu in die Küche gehen, Kaffee kochen und dort alles besprechen?« Eine halbe Stunde später sagte Framijian über Becher von dampfendem Espresso: »Okay, Sie wollen Guzman erledigen. Dazu müssen wir folgendes tun: Sie werden zu ihm als mein Repräsentant gehen. Sie und er werden zusammen Zeitpunkt und Ort bestimmen, an dem er die Waffen übernehmen kann und lassen sich schon einmal das Geld aushändigen. Wie klingt das?« »Nicht schlecht«, sagte der große Mann. »Überhaupt nicht schlecht.« »Dann lassen Sie uns die ganze Sache Schritt für Schritt durchsprechen. Haben Sie etwas dagegen, wenn ich noch eine Kanne Kaffee aufsetze? Es gibt noch eine Menge zu tun.« Framijian war anpassungsfähig. Guzman rief pünktlich um neun Uhr abends an. »Wie geht's?« fragte Guzman. 118
»Ausgezeichnet, ausgezeichnet«, sagte Framijian, »es könnte gar nicht besser sein.« Die Mündung der Pistole des großen Mannes war direkt auf sein linkes Auge gerichtet. Ein Lichtstrahl schien auf den Pistolenlauf bis nach hinten, wo die Kugel saß. Framijian konnte nur ein kurzes Stück in den Lauf sehen. Er sah blau-schwarz und glatt aus: ein Durchgang zur Hölle. Der jüngere, dünnere Typ saß auf der Couch und las den ersten Band der Abhandlungen des Epictetus in der Ausgabe von Leob. »Wir müssen uns treffen und die letzten Einzelheiten besprechen«, sagte Guzman. »Ja«, sagte Framijian. »Daran habe ich auch gerade gedacht. Ich werde jemanden zu Ihnen schicken.« »Was wollen Sie?« Guzman war gegenüber jeder Änderung von Abmachungen mißtrauisch. »Warum kommen Sie nicht selbst?« Framijian hatte in der kurzen Zeit, die er vor dem Anruf hatte, in aller Eile nach einem Grund gesucht. Es war unfair von den beiden, ihm nicht genügend Zeit gegeben zu haben, in der er eine ausreichend einleuchtende Geschichte hätte konstruieren können, um sein Leben zu retten. Nun, er hatte sich etwas einfallen lassen, und das würde wohl reichen. »Ich bin für ein paar Tage ans Bett gefesselt«, sagte Framijian. »Haben Sie schon mal was von Gicht gehört?« »Was ist das?« fragte Guzman. »Es ist eine Krankheit an der großen Zehe.« Wenn sie ihm Zeit gelassen hätten, hätte er nach dem spanischen Wort für Gicht schauen können. Nicht, daß man nun von einem Exkommandeur des Modell-Gefängnisses von Managua unbedingt 119
erwarten sollte, daß er das spanische Wort für Gicht verstand. Er ist wahrscheinlich während seiner Arbeit nur selten mit dem Wort konfrontiert worden. »Ja, klar, ich hab davon gehört.« Guzman war wirklich ein Mann mit ungeahnten Fähigkeiten. »Es kommt und geht. Hab ich geerbt. Jetzt hat's mich erstmal erwischt. Ich muß lediglich für eine Weile in meinem Bett sitzen und den Fuß auf ein Kissen legen, bis die Medizin wirkt. Drei Tage, höchstens eine Woche.« »Das tut mir leid«, sagte Guzman. »Aber ich bin selbstverständlich jederzeit für Sie telefonisch zu erreichen. Und ich werde Ihnen Frank, den Mann meiner Schwester, schicken. Er ist absolut vertrauenswürdig, er wird Ihnen gefallen.« »Woher kommt er, dieser Frank?« fragte Guzman. »Sie haben ihn vorher noch nie erwähnt.« »Natürlich nicht. Er ist Amerikaner und mit meiner Schwester Leah verheiratet. Sie waren in Haifa und haben sich um die familiären Interessen der Reederei gekümmert.« »Spricht er Englisch?« »Selbstverständlich, ich sagte Ihnen doch, daß er Amerikaner ist«, sagte Framijian. »Sie sind sich sicher, daß er okay ist?« »Ich würde ihm mein Leben anvertrauen«, sagte Framijian. »Ich habe ihn zurück nach Amerika geholt, weil ich seine Hilfe brauche.« »Okay«, sagte Guzman, »schicken Sie ihn morgen zum Mittagessen herüber.« 120
Guzman hängte auf. Framijian hängte auch auf und paßte auf, nicht mit den Handschellen zu klappern, die ihn mit einer langen Kette an einem heißen Wasserrohr sicherten. Er sah Minska an. Minska hängte die Mithörmuschel ein. »Das haben Sie gut gemacht«, sagte er. »Wenn Sie so weitermachen, werden Sie aus dieser Sache heil herauskommen.« »Ich sagte Ihnen doch, daß ich kooperativ bin«, sagte Framijian. »Wie wär's, wenn Sie mir die Dinger hier abnehmen würden?« »Wir werden sie dran lassen, um Sie nicht in Versuchung zu bringen.« »Gut, und wie wär's mit Abendbrot?« fragte Framijian. »Ich meine, man bietet seinen Gästen ja etwas an, oder? Und was ist, wenn ich ins Badezimmer muß, ich meine, wegen eines großen Geschäfts und so?« »Wir werden in ein paar Minuten darüber sprechen«, sagte Minska. »Jetzt muß ich erstmal mit meinem Partner etliche Einzelheiten besprechen. Sie haben nichts dagegen, wenn wir das Eßzimmer benutzen?« »Seien Sie meine Gäste«, sagte Framijian mit einem verhältnismäßig kurzen Winken seiner zusammengeknufften Hände.
23 »Okay«, sagte Minska zu Blackwell, »du hast für morgen eine Verabredung mit deinem Opfer. Du weißt, wie du hinkommst, ja?« »Ich habe mir einen Wagen gemietet«, sagte Blackwell. 121
»Gut, und nun hör mir mal zu, Frank. Ich weiß, es mag ein wenig zu früh für eure Bekanntschaft erscheinen, aber es wäre keine schlechte Idee, wenn du Guzman morgen tötest und es hinter dich bringst. Vielleicht nach dem Kaffee und nachdem du den Scheck für die Waffen erhalten hast. Wenn du den Scheck bekommst, steck ihn in diesen Umschlag, und wirf ihn in den nächsten Briefkasten.« Der Umschlag war an ein Postfach in Morristown in New Jersey adressiert. Blackwell steckte ihn in seine Tasche. »Ich wollte dich eigentlich fragen, wie ich ihn genau zu töten habe«, sagte Blackwell. »Ich meine, ich werde mich mitten auf seinem Anwesen befinden, und es könnte schon ein wenig verdächtig wirken, wenn ich einen Revolver ziehe und ihn einfach abknalle.« Minska sah gekränkt aus. »Ich bin dein Aufklärer! Ich würde dich in solch einer Situation niemals eine Knarre benutzen lassen. Ich will nicht einmal, daß du eine trägst. Ich denke, die Sache verlangt nach einer der neueren Techniken. Haben sie dir etwas von dem Killer-Straßenkarten-Trick erzählt?« »Ich habe den Kursus ›Neue Techniken‹ nie beendet«, sagte Blackwell. »Egal, es ist vollkommen einfach. Ich bin froh, daß ich zufällig einen Prototypen von der Killer-Straßenkarte dabei habe.« Er wühlte in seinem wasserdichten Sack herum und zog einen in Ölpapier eingewickelten, dünnen Umschlag heraus. Mit Handschuhen öffnete er den Umschlag und entfaltete die Karte darin. »Berühr sie bloß nicht! Sie sieht wie eine ganz normale Straßenkarte von Dade County aus, stimmt's? Falsch. Eine der 122
Kanten dieser Karte ist rasiermesserscharf. Die Überlegung ist die, daß du sie deinem Opfer übergibst, natürlich unter der Voraussetzung, daß er noch ahnungslos ist, und ihn fragst, wo man das eine oder andere findet. Zum Beispiel fragst du ihn nach dem Meeresaquarium. Wenn er die Karte in die Hand nimmt, gibst du ihr wie unbeabsichtigt einen kleinen Stoß, und die Kante zieht sich durch seine Finger und verursacht einen Papiereinschnitt. So etwas passiert Leuten jeden Tag, und man kümmert sich nicht weiter darum.« »Aber darum sollte man sich kümmern, richtig?« »Das kannst du mir glauben. Die Ecke ist mit Kosak 3 versehen, einem neuen sowjetischen Gift, ein Extrakt aus Läusekot. Das Gift verursacht einen Anfall, der grippeähnlich ist, verbunden mit Hypochondrie. Der Grippeanfall kommt nach einigen Stunden, so daß du ohne Schwierigkeiten herauskommen solltest. Was hast du?« »Ich denke nur gerade nach«, sagte Blackwell. »Es ist doch ziemlich unhöflich, einen Mann, den man zum ersten Mal trifft, gleich nach dem Mittagessen zu töten.« »Kümmer dich nicht um die Umgangsformen«, sagte Minska. »Das hier ist die Jagd.« »Ich weiß. Ich wollte lediglich einen Scherz machen«, sagte Blackwell. »Wir werden folgendes tun: Du wirst sehr leise aus der Vordertür herausgehen und bis zur 79. Straße laufen und dir dort ein Taxi nehmen. Es ist draußen stockfinster, niemand wird etwas sehen. Sieh zu, daß du heute nacht gut schläfst, morgen ist ein wichtiger Tag. Denk daran, Guzman erst zu töten, nachdem du den Scheck erhalten hast. Die Jagd braucht jede finanzielle 123
Unterstützung. Direkt nach dem Kill ruf mich hier an. Wir werden dann über die nächsten Schritte entscheiden.« Während sie sich besprachen, hatte Framijian die Chance genutzt, an einen alten Karamelriegel mit Schokoladenüberzug in der oberen linken Schublade seines Schreibtisches zu kommen. Er schmatzte und lachte in sich hinein. Diese Straßenräuber hielten sich für ganz schön clever. Aber es gab etwas, von dem sie, unabhängig von ihrer guten Vorbereitung, nichts wußten. Sie wußten nicht, daß hinter einem Brett im Hobbyraum ein kleines, starkes Funkgerät war. Sie wußten nicht, daß Framijian dazu verpflichtet war, täglich kurz nach Mitternacht eine Nachricht zu senden. Und da sie das nicht wußten, konnten sie auch nicht wissen, daß, wenn seine Nachricht ausbliebe, einige wichtige Leute auf Outer Cay höchst ungehalten sein würden. Und dann würde es interessant werden.
24 Der Radiomast war die höchste Konstruktion auf Outer Cay. In Verbindung mit beweglichen Antennenschüsseln, die auf dem Dach des Hauptgebäudes thronten, konnte man Signale aus der ganzen Welt empfangen. Ihre Hauptfunktion lag darin, die nächtlichen Funksprüche der Mitarbeiter der Bahamas Corporation von der ganzen westlichen Halbkugel zu empfangen. Diese Signale wurden normalerweise in konzentrierten ZweiSekunden-Impulsen gesendet und waren für jeden ohne entsprechende Auffassungsgabe und Dechiffrier-Vorrichtungen unverständlich. Der Funkspruch zeigte an, daß der Mitarbeiter 124
auf seinem Posten war und alles ohne besondere Vorkommnisse ablief. Seinen Bericht zu versäumen war schwerwiegend. Wenn man nicht zu seiner festgelegten Zeit sendete, wurde von einem erwartet, daß man zwei Stunden später über Funk kam, und später verlangte die Organisation auf dem jährlichen Regionaltreffen von einem eine stichhaltige Erklärung dafür. Als Framijian um fünf Minuten nach Mitternacht seinen Bericht versäumte, informierte der Cheffunker den Direktor Dahl. Dahl wartete zwei Stunden ab. Dann rief er, den Vorschriften der Bahamas Corporation entsprechend, eine Mitarbeiterin der Gesellschaft an, deren Aufgabe es war, sich um Unregelmäßigkeiten zu kümmern. Der Name der Mitarbeiterin war Mercedes Brannigan. Sie hatte gerade einen Fall in Victoria zu erledigen, der Hauptstadt des unabhängigen Königsreichs von Nord-Borneo.
25 Wir blicken auf einen tropischen Speiseraum, voll mit Bambusund Rattanmöbeln. An der Decke sind große, sich langsam drehende Ventilatoren, die die feuchte, dicke Luft verteilen. Überall im Restaurant stehen auffällige Arrangements tropischer Pflanzen; ganze Bananen- und Feigenbäume, die aus riesigen, mit heimischer Lava gefüllten Kübeln wachsen. Die Kellner bewegen sich langsam zwischen den speisenden Gästen auf und ab. An den rot-schwarz gestreiften Turbanen auf ihren Köpfen kann der erfahrene Weltenbummler erkennen, daß es Bajauen sind, Angehörige eines der einheimischen Völker in diesem Teil Borneos. 125
Vor noch nicht allzu vielen Jahren waren sie noch Kopfjäger und Kannibalen. Es hat auch Gerüchte gegeben, daß sie derlei Aktivitäten bis zum heutigen Tag nachgehen würden. Es war nicht so, daß die Regierung von Salambaki, dem winzigen unabhängigen Königreich, das erst kürzlich entstanden ist, so etwas erlaubte. Es waren nur wenige und zumeist ältere Gäste. Es war das älteste Restaurant an diesem Küstenabschnitt und das beste Restaurant auf ganz Borneo. Nur wenige Menschen können es sich leisten, hier zu essen. Die Gäste waren der kleine Rest von Überlebenden der alten Aristokratie, die in der blutigen Auseinandersetzung vernichtet wurde, die vor etwa zwei Monaten die Absetzung der alten Regierung und die Errichtung einer neuen Regierung unter Heeter Dyal, den neuernannten Präsidenten auf Lebenszeit der Republik von Salambaki, zur Folge hatte. Der Präsident auf Lebenszeit kommt gerade herein. Er trägt die goldenen Armreife der königlichen Würde, die mit großen Rubinen aus der Altenback-Mine im Landesinnern der Republik besetzt waren. Es gibt Rubine, Ebenholz und weitere seltene Holzarten im Innern des Urwalds und kostbare Gewürze von den Schwemmlandböden der Täler. Die frühere Regierung war konservativ. Es war noch Geld in der königlichen Schatzkammer, als Dyal und seine Pöbelarmee von Stammesbrüdern sie plünderten. Die Revolution war derart schnell und unerwartet vonstatten gegangen, daß der alte Premierminister nicht mehr genügend Zeit gehabt hatte, noch eine letzte Überweisung auf sein Schweizer Bankkonto zu tätigen. Er starb in einem Kugelhagel inmitten eines Wirrwarrs von Scheckbüchern, noch während sein Hubschrauber auf dem 126
sehr gepflegten Rasen des Präsidentenpalastes warmlief. In Anbetracht des blühenden Wohlstands im Lande könnte man meinen, daß Salambaki wenigstens die dringendsten Schulden hätte bezahlen können. Aber das war nicht der Fall. Das Land war pleite, das jedenfalls behauptete der neue Präsident auf Lebenszeit gegenüber seinen Gläubigern. Einer dieser Kreditgeber, die Bahamas Corporation, hatte eine Erklärung verlangt und schließlich ihre Repräsentantin Miss Mercedes Brannigan geschickt, um die Ursachen selbst herauszufinden. Mercedes war gerade angekommen. Sie war eine überwältigende Frau, ihr Haar hatte das Blau-Schwarz, das man von Zeit zu Zeit bei Keltinnen fand; ihre Haut war geschmeidig und dunkel und erinnerte an die kastilischen Vorfahren mütterlicherseits. Sie rauschte in einem elegant geschnittenen, weißen Leinenkostüm herein. Heeter Dyal erhob sich und grüßte sie. Er selbst war kein reinrassiger Dajak. Er hatte das Blut der Bewohner der Andaman Inseln in sich und einen leicht afghanischen Einschlag von einer abenteuerlustigen Urgroßmutter geerbt, die während des zweiten afghanischen Krieges Proviantlieferantin für die Briten gewesen war. Heeter Dyal war höflich und freundlich. »Meine liebe Miss Brannigan, Mercedes, wenn ich darf. Wie beglückt ich bin, Sie im Namen meiner Regierung und auch in meinem Namen hier begrüßen zu dürfen. Wir waren beglückt, als unser Außenministerium Ihr Telegramm erhielt, in dem Sie uns Ihren Besuch ankündigten. Ich nehme an, Sie hatten mit dem Zoll keine Probleme?« »Überhaupt keine«, sagte Mercedes. »Ihre Leuten haben nicht 127
einmal mein Gepäck durchsucht.« »Aber selbstverständlich nicht! Ich dachte, daß das geklärt sei. Ich habe Ihren Leuten gesagt, daß man hier auf dem Schwarzmarkt eine Menge für Rolex-Uhren bezahlt. Sie können das auch all Ihren Freunden sagen. Jeder Freund der Bahamas Corporation ist auch mein Freund.« »Das ist nett von Ihnen«, sagte Mercedes, ohne dabei ihre Belustigung über diesen kleinen Bestechungsversuch in ihrer Stimme zu verbergen. »Sie können natürlich auch soviel Devisen mitbringen, wie sie wollen und unbegrenzte Mengen Drogen. Ob für den Eigenbedarf oder zum Weiterverkauf ist egal. Sie werden bei unseren minderjährigen Jugendlichen einen guten Markt dafür vorfinden. Es gibt sowieso zuviele von ihnen, und sie würden uns allen einen Gefallen tun, wenn Ihre Substanzen einige von ihnen töten würden, aus Versehen natürlich. Ich hoffe, das klingt nicht allzu abgestumpft.« »Euer Exzellenz«, sagte Mercedes leicht gereizt, »ich bin nicht hierhergekommen, um mit Rolex-Uhren zu handeln oder Drogen zu schmuggeln. Die Bahamas Corporation hat mit solchen Angelegenheiten nichts zu tun.« »Das wollte ich auch nicht damit behaupten«, sagte Dyal, »aber ich weiß, daß Sie Revolutionen finanzieren. Schließlich bin ich nur durch Ihre Hilfe an die Macht gekommen … wofür ich Ihnen im übrigen auf Lebenszeit dankbar sein werde. Ich hatte lediglich gedacht, daß Sie oder Ihre Leute damit auch einen kleinen Gewinn machen wollten …« »Was wir gerne wollen, Euer Exzellenz, ist, daß das vorgestreckte Geld zurückgezahlt wird, mit dem Sie Ihre Männer 128
bewaffnen, den Präsidentenpalast mit Wanzen versehen und die Armee bestechen konnten.« »Aber selbstverständlich«, sagte Dyal. »Bitte, legen Sie Ihre Rechnung sobald wie möglich vor.« »Wir haben sie bereits geschickt, Euer Exzellenz«, sagte Mercedes. »Haben Sie?« »Etliche Male per Einschreiberückschein, die Euer Exzellenz selbst unterzeichnet haben. Ich habe zwei Empfangsbescheinigungen in meiner Handtasche.« »Dann muß da ein Fehler unterlaufen sein«, sagte Dyal mit einem leichten Lächeln. »Sie wissen, ich bin vertrauenswürdig.« »Zweifellos«, sagte Mercedes, »aber die Bahamas Corporation hat eine Polizei. Wenn der dritten Zahlungsaufforderung nicht nachgekommen wird, schickt sie mich.« »Und was haben Sie vor, meine Liebe?« »Ich werde das Konto auflösen.« Dyal lächelte matt, was seinem platten, schmalen Gesicht einen Ausdruck finsterer Boshaftigkeit gab, die durch seine unterentwickelten Ohrläppchen noch betont wurde. Er sah sich hastig um, sein ausgezeichneter peripherer Blick befähigte ihn, seine Leibwache von Scharfschützen auf der Gallerie des Restaurants wahrzunehmen, deren Gewehre auf die Frau gerichtet waren. »Ich hoffe nicht, Sie glauben, mir in meinem eigenen Land Gewalt androhen zu können«, sagte Dyal. »Meine Leibwache wurde dazu ausgebildet, bei der kleinsten Geste von mir sofort zu reagieren. Wenn Sie versuchen sollten, mich zu ermorden, 129
würden Sie diesen Raum nicht lebend verlassen.« »Seien Sie nicht albern«, sagte Mercedes. »Sie werden dieses Mal zahlen, okay?« »Natürlich … sobald wir die Konten zusammenlegen können. Unser Scheck wird spätestens Ende der Woche mit der Post abgeschickt.« »Ich verstehe. Also wäre das Problem vom Tisch. Und jetzt lassen Sie uns eines der Spezialgerichte Ihres Chefkochs bestellen, schließlich war das der halbe Grund, weshalb ich meine Reise hierher ins erste Haus am Platz gemacht habe.« »Sie haben von unserem Chefkoch gehört!« sagte Dyal strahlend. »Natürlich. Ich habe die Darstellung über ihn in der Vierteljahresschrift Die größten Köche Asiens gelesen. Seitdem habe ich mich danach gesehnt, seine Pickelstipper-Gerichte zu kosten.« »Davon wissen Sie also auch«, sagte Dyal erfreut. »Jawohl. Unsere gute alte Kannibalenküche. Heutzutage essen wir keine Menschen mehr, aber es gibt viele bemerkenswerte und geschmackvolle Gerichte aus der alten Zeit, die wir durch die Verwendung spezieller Zutaten, die ein Ersatz für das frühere Original sind, zubereiten können. Surgium Pulver ist zum Beispiel ein fast perfekter kulinarischer Ersatz für abgeschabte, kaukasische Fingernägel und notwendig, um süßen MetatarsalEintopf zuzubereiten … obwohl mittlerweile die echten Metatarsals ausgestorben sind. Es waren kleine, schweineähnliche Viecher, etwa in der Größe eines Quirrumburry. Egal, wir werden Ersatz dafür finden. Die vergleichende Sprachwissenschaft ist etwas Interessantes, nicht wahr?« 130
»Höchst interessant«, sagte Mercedes. »Ihr Koch muß ein Genie sein. Das schreiben alle Feinschmecker-Magazine.« »Oh, ja, er ist absolute Spitzenklasse. Er ist der einzige Mensch in der Welt, der noch weiß, wie man nach Pickelstipper-Art kocht. Die meisten unseres Volkes, egal, aus welcher Schicht sie kommen, haben diese Gerichte niemals probiert.« »Warum denn nicht?« »Weil Kannibalismus verboten wurde und Ersatzfleisch sehr teuer ist. Ah, da kommt der große Meisterkoch.« Ein kleiner, feister Mann, ganz in Weiß gekleidet und mit einer weißen Chefkochmütze, näherte sich ihrem Tisch. »Exzellenz, ich bin sehr erfreut, Sie hier zu sehen.« Die beiden Männer vollführten komplizierte Handbewegungen, die mit einer Geste endeten, die bedeutete ›das da ist ein süßes Täubchen‹, und nickten sich freundlich zu. »Ist das Festmahl zubereitet?« fragte Dyal. »Es gibt ein Problem«, gestand der Chefkoch. »Und was ist das?« »Sir, ich muß es Ihnen zeigen.« Der Chefkoch führte den verblüfften Präsidenten auf Lebenszeit in die Küche. Mercedes saß allein am Tisch. Sie hielt ihren Rücken sehr gerade; so wie es ihr schon als Kind beigebracht wurde. Sie sah zur Gallerie hinauf und sah die Leibwächter, die sie hinter ihren auf sie gerichteten Gewehren beobachteten. Mecedes rief zu ihnen in grammatisch richtigem Dajakanisch, allerdings mit einem leicht zamboanganischen Akzent, hinauf: »Zielt mit den Gewehren bitte irgendwo anders hin.« Oben waren sechs Leibwächter auf der schmalen Galerie eng 131
zusammengedrängelt. Ihre Gewehre waren alte Springfield Kolbengewehre. Sie trugen beige Uniformen mit khakifarbenen Gürteln. Sie sahen sich alle sehr ähnlich, wie es nach einer Weile alle Mitglieder einer Leibwache zu tun pflegen. Einer von ihnen war größer als die anderen, und sein blankpoliertes Rangabzeichen aus Haifischleder verriet ihn als einen Mann, der eine Stufe über den anderen stand. Er fragte: »Wo Boß?« Seine Stimme klang schwach, gelangweilt und unbeteiligt, aber der leichte Druck seiner Hand, mit der er die Springfield unter seinem Arm festhielt, blieb von der attraktiven, dunkelhaarigen jungen Frau nicht unbemerkt, die sieben Meter vor und sieben Meter unter ihm in dem plötzlich leeren Erdgeschoß des einzigen Drei-Sterne-Restaurants auf ganz Borneo saß. »Boß gleich zurück«, sagte Mercedes. »Er auf Herrentoilette.« Das Gesicht des Leibwächters zuckte zusammen zu einem Ausdruck der Unentschlossenheit, als Teile seines Denkvermögens, die schon längst durch jahrelanges Kiffen und Koksen abgestorben waren, das Problem zu erfassen suchten, um es in ein geeignetes Schema zu pressen. Die Abwesenheit des Bosses konnte vollkommen harmlos sein … wenn man Pinkeln überhaupt als harmlos betrachten konnte. Auf der anderen Seite hielt der Boß normalerweise einen Finger hoch, wenn er auf den Topf ging. Es war verwirrend. Und dann kam der Chefkoch aus der Küche. Er hielt eine dampfende Schüssel hoch, unter deren silbernen Deckel kräftig scharfes und ungewöhnlich fleischiges Aroma mit mehr als nur einem Hauch von Limonen- und Ingwersauce hervorströmte. 132
»Meine Freunde«, sagte der Chefkoch an die sechs Leibwächter gerichtet. »Dank des Wunders moderner Mikrowellenund Dampfdruckkochtopf-Techniken habe ich die Ehre, Sie alle sechs als erste Dajaken Ihrer Generation dazu einzuladen, an der legendären Pickelstipper Küche unserer Vorfahren in all seiner Echtheit teilzunehmen.« Er zeigte auf einen Tisch, der für sechs Gäste gedeckt war. »Bitte kommen Sie von der Galerie herunter und genießen Sie das Festmenü. Und dann geben Sie unserem neuen Präsidenten auf Lebenszeit, meinem Bruder Ernon, die Hand.« Ernon kam aus der Küche, groß, kahl werdend, lächelnd und winkend. Die Leibwächter waren intelligent genug zu begreifen, daß sich irgendwie das Schicksal gewendet haben mußte. Natürlich konnten sie als Vergeltungsmaßnahme jeden Anwesenden töten, und dieser Gedanke schien ihnen auch zu kommen; aber sie erkannten schnell die Vorteile, von Anfang an mit dem neuen Regime auf gutem Fuß zu stehen. Und natürlich hatten sie schon immer den Wunsch gehabt, die geniale Pickelstipper Kannibalen Küche zu probieren. Sie riefen einmal zurückhaltend, aber respektvoll ›Hurra‹ und kamen dann in das Erdgeschoß des Restaurants herunter. Der Bruder des Chefkochs, Ernon, ergriff dankbar die Hände von Mercedes. »All das haben wir Ihnen zu verdanken, Miss Brannigan. Sie haben uns geholfen, uns von dem Tyrannen Dyal zu befreien.« »Ich mußte es tun«, erwiderte Mercedes. »Das Gesetz der Gesellschaft ist eindeutig: ›Alle Anleihen müssen wie versprochen zurückgezahlt werden‹. Es kümmert uns nicht, woher man es bekommt, aber man muß es bekommen. Das ist die einzig 133
realistische Basis, auf der ausländische und illegale Geschäfte funktionieren können, aber Dyal hat das vergessen.« »Er dachte, er sei in seinem eigenen Restaurant mitten im Herzen seines eigenen Landes sicher«, grübelte Ernon nach. »Es soll für alle eine Warnung sein«, sagte Mercedes. »Ich meine, ich will damit keine Binsenweisheit von mir geben, aber ich muß noch einmal betonen, daß es die Gesellschaft nicht duldet, wenn man sie zum Narren hält.« »Ich habe Sie selbstverständlich bereits bezahlt«, sagte Ernon hastig. »Sie erinnern sich doch? Ich habe Ihnen den Scheck in meinem Büro übergeben.« »Natürlich, machen Sie sich deshalb keine Sorgen«, sagte Mercedes. »Vielleicht wollen Sie, für die Umstände die Sie hatten, noch etwas mehr?« fragte Ernon und zog sein Scheckbuch heraus. »Keine Umstände und kein Dankeschön«, sagte Mercedes. »Ich akzeptiere kein inoffizielles Geld. Ich bin eine Repräsentantin der Bahamas Corporation, und wir wollen nur das, was uns zusteht.« »Allah sei gepriesen, Sie sind verständige Menschen«, sagte Ernon. »Würden Sie uns die Ehre erweisen, uns beim Festmahl Gesellschaft zu leisten?« Mercedes schüttelte den Kopf. »Nein, danke. Für heute habe ich genug von Dyal.« Ernon verbeugte sich. Im selben Augenblick kam ein Page aus dem angrenzenden Hotel hereingelaufen. »Missy Blannigan! Teleglamm fül Sie!« Mercedes nahm es entgegen, öffnete es und las: »Melden 134
Sektor Zwei Tango Charlie Sofort«. Mercedes brauchte nicht viel Zeit zum Packen. Dieser eine Job war erledigt. Ihre Aufgabe als Schuldeneintreiberin der Bahamas Corporation hatte sie während ihrer Dienstjahre an viele fremde Orte gebracht. Jetzt mußte sie auf die Bahamas. Aber sie war nicht aufgeregt. Das war das Schlechte daran, wenn man regelmäßig Leute tötete. Es macht einen gegenüber vielem überheblich.
26 Das Wasserflugzeug flog von Südosten an, sein Motor summte in dem weiten leeren Himmel wie ein gigantischer Moskito. »Das da unten ist Outer Kay«, sagte ihr der Pilot. Sein Name war Jeffrey Blair. Er war Charterpilot und arbeitete draußen auf Saukie Field, einem der privaten Flugplätze in Nassau. Mercedes hatte ihn für den Flug zur Insel engagiert. Mercedes sah durch das zerkratzte Sicherheitsplexiglas nach unten. Unter der glühenden Nachmittagssonne der Karibik sah sie eine kleine, krabbenförmige Insel in einem aufgewühlten, blauen Ozean. »Sie ist zwölf Kilometer lang und drei Kilometer breit«, sagte Blair zu ihr. »Der Hafen wurde künstlich angelegt, und das Hafenbecken wurde bis zu einer durchschnittlichen Tiefe von drei Metern am Tankanleger ausgebaggert.« Blair kreiste über verflochtene Mangrovensträucher am Südende der Insel. Als sie um das nördliche Ende der Insel flogen, sah Mercedes das große, weitläufige Haus der Gesellschaft, in 135
einem Hain aus Kokospalmen gelegen. In der Nähe standen weißgetünchte Bungalows und jenseits davon verschiedene Schuppen und Nebengebäude. »Ich hoffe, Sie haben Ihre Einladung griffbereit«, sagte Blair. »Sie behandeln Fremde da unten nicht sehr freundlich. Privatbesitz, verstehen Sie?« »Ich weiß«, sagte Mercedes. »Das ist schon ein merkwürdiger Ort da unten«, fuhr Blair fort. »Wissenschaftler aus der ganzen Welt scheinen sich da rumzutreiben. So eine Art geistige Tankstelle, stimmt's?« »So in der Art«, sagte Mercedes. »Und so eine Art Arbeit machen Sie auch?« »Etwas Ähnliches«, sagte Mercedes. »Ich stell mir vor, den ganzen Tag nur herumzuhängen und zu denken«, sagte Blair in einem Ton, der implizierte, daß das nichts für ihn war. »Für einige Leute mag das ja ein schönes Leben sein. Weit weg von weltlichen Sorgen und all der Hektik zu leben, eh?« »Im Elfenbeinturm«, stimmte Mercedes zu. Blair landete und steuerte bis an den Landungssteg. Chardar, ein nepalesischer Mikropaläontologe aus dem Himalaya-Zentrum der Gesellschaft, wartete dort und begrüßte sie. Er nahm ihr Gepäck und brachte sie zum Haupthaus. Sie beobachteten von der Veranda aus, wie Blair abhob, sein kleines Schwimmerflugzeug schwand in den von Federwolken gestreiften, unendlichen Weiten des Himmels schnell dahin. 27 136
Mercedes sagte: »Ich möchte Ihnen meine Papiere zeigen.« »In Ordnung, Miss Brannigan«, sagte Chardar. »Sie wurden erwartet. Vielleicht will sie sich Dr. Dahl ansehen.« »Wo ist Dr. Dahl?« »Er nimmt an einer Sitzung des Projekt-Kommitees teil. Soll ich Sie zu ihm bringen?« »Nein, ich möchte die Sitzung nicht unterbrechen. Vielleicht kann ich ja in Dr. Dahls Wohnung warten, bis er fertig ist?« »Hier entlang, Miss«, sagte Chardar. Das Gebäude, in dem die Bahamas Corporation ihren Sitz hatte, war ein großes, niedriges Anwesen, in einem Teil waren Verwaltungsbüros untergebracht, ansonsten gab es Apartments mit Terrassen und Blick aufs Meer und angeschlossene Landhäuser mit einem eigenen Strandabschnitt. Dahl hatte eine Fünfzimmerwohnung. Drinnen legte Mercedes das schlichte, maßgeschneiderte Kostüm ab, das sie während der Flugreise getragen hatte. Sie wechselte in einen knappen, zweiteiligen Badeanzug, der ihre gutproportionierte Figur offenbarte. Der riesige Swimmingpool direkt hinter Dahls Veranda sah einladend aus. Sie zog die Glastür auf und ging schnurstracks hinein. Mercedes ließ keine Bademöglichkeit zwischen zwei Morden aus. Die Funktion eines Schuldeneintreibers, Druckausübers, Außendienstmitarbeiters, oder wie immer man es nennen will, spielt seit ewigen Zeiten eine wichtige Rolle in Geheimorgani137
sationen. Anfangs übertrug die Bahamas Corporation derlei rüde Arbeiten an verschiedene kriminelle Organisationen. Aber das Ergebnis war nicht gut. Kriminelle waren ideologisch verrufen, und dies war mit der idealistischen Überzeugung der Bahamas Corporation nicht vereinbar. Außerdem hatte man sie gar nicht nötig. Eine geheime Studie der Bahamas Corporation bewies, daß einige anerkannte Mitglieder der wissenschaftlichen Gemeinde sehr wohl zur Ausübung von Gewalttaten bereit waren, sofern diese Handlungen für eine gute Sache waren. So war das auch mit Mercedes. In England geboren, hatte sie ihr Vordiplom an der Universität von Cambridge und ihr Diplom an der Universität Oxford gemacht. Sie hatte bei ihrer Arbeit an visueller Datenverarbeitung verschiedene Forschungsaufträge und Universitätsstipendien in Kanada und den Vereinigten Staaten erhalten. Sie war eine sportliche, athletische Frau mit großer Geschicklichkeit im Umgang mit Handfeuerwaffen und beim Autorennen. Ihre Unterlagen wurden von der geheimen wissenschaftlichen Zentrale sorgfältig untersucht. Man beschloß, bei passender Gelegenheit einen ersten Versuch mit ihr zu machen. Die passende Gelegenheit kam noch im gleichen Sommer. Mercedes ging für ein Studiensemester nach Italien in den Club of Rome. Dort traf sie auf Arthur Selkirk, Nobelpreisträger für Astrophysik und Mitarbeiter der Bahamas Corporation. Das Treffen schien zufällig, doch Selkirk hatte es sorgfältig vorbereitet. Während ihres Gesprächs bemerkte Selkirk, daß das junge Mädchen furchtlos und ehrlich, verständig und sehr gepflegt, selbstbewußt und ehrgeizig war. 138
Bei ihrer nächsten Zusammenkunft beschrieb Selkirk die Ziele der Bahamas Corporation, erklärte ihr, was ihre Aufgaben wären, und bot ihr zu Beginn ein Gehalt von zweiundsechzigtausend Dollar jährlich an. »Das ist natürlich nur für den Einstieg«, sagte er. »Ein Anfangsgehalt. Es bringt mich in Verlegenheit, Ihnen nur so wenig anbieten zu können, aber eine der Verordnungen der Bahamas Corporation zwingt uns dazu, allen neuen Mitarbeitern dieses Gehalt anzubieten, um zu sehen, wie sie klarkommen.« »Und wenn sie klarkommen?« »Dann ist, bildlich gesprochen, nur noch der Himmel die Grenze. Es ist nicht sehr einfach, niveauvolle Leute zu finden, die, wenn es die Situation erfordert, auch leise und ohne großes Aufheben töten können und die zudem noch sehr gepflegt auftreten und korrektes Englisch sprechen.« »Ich will helfen, die Erde zu retten«, sagte Mercedes. »Wo muß ich unterschreiben?« Das war vor beinahe drei Jahren gewesen. Sie hatte sich zunächst in Genf, dann im Londoner Büro in Knightsbridge auf ihre Arbeit vorbereitet. Ihr erster Kampfeinsatz war als Ersatzfrau von Kristal Karter, der erfolgreichsten Killerin des Jahrzehnts, mit der sie ein Zimmer in der Rue de Halles teilte. Sie begleitete Kristal zwar bei einigen Einsätzen, durfte aber selbst nie auf den Abzug drücken. Kristal hatte die Einstellung einer Matadorin und erledigte ihre Kills alle selbst. Kristal war nun tot. Sie wurde während der Rückkehr von einem Massaker in Malaga das bizarre Opfer eines Verkehrsunfalls in Barcelona. Und so war Mercedes heute eine vollkommen selbständige Eintreiberin, mit dem Kill von Borneo auf 139
der Habenseite und einem geplanten in Miami. Für eine vierundzwanzig Jahre alte Frau eine beachtliche Verantwortung. Dahl gesellte sich zu ihr an den Pool und erklärte die Lage. Die Bahamas Corporation mußte herausfinden, was mit dem ihr angeschlossenen Waffenhändler Yitzhak Framijian geschehen war und warum es geschehen war, um dann dafür zu sorgen, daß es nie wieder geschehen könnte. Mercedes wurde über Alphonso Guzman informiert, und man gab ihr die Namen der Leute, die sie in Miami zu ihrer Unterstützung und als Rückendeckung anfordern konnte. Dahl schlug ihr vor, das morgendliche Postflugzeug nach Nassau zu nehmen und dann den Linienflug nach Miami. Aber Mercedes hatte eine andere Idee. »Ich werde das kleine Schnellboot nehmen, das neben dem Hauptanleger ankert.« »Finden Sie das klug? Der Golfstrom ist um diese Jahreszeit unberechenbar.« »Keine Sorge. Ich bin eine erfahrene Steuerfrau.« Zwei Stunden später winkte ihr Dahl zum Abschied hinterher, als sie die Leinen kappte und Kurs auf die Wellenbrecher außerhalb des Hafens nahm. Bei günstigen Windverhältnissen erwartete sie, am späten Morgen in Miami zu sein.
28 Das kleine, schmale Schnellboot bewegte sich mit mittlerer Geschwindigkeit über den kurzen, mäßigen Wellenschlag. Das 140
Sternbild des Orion strahlte, die Wellen warfen schwarzen Schaum auf, und es roch nach Salz. Der Mond spähte durch kleine Wolken. Mercedes paßte ihren Kurs der Abweichung durch die nördliche Strömung des Golfstroms an. Es tat gut, hier draußen allein auf dem Wasser zu sein. Kurz vor der Morgendämmerung entdeckte sie die schwachen Lichter an der Küste Floridas. Schon bald konnte sie sehen, daß sie etwa in Höhe von Baker's Haulover oberhalb Miamis war. Sie hatte den Goverments Cut um etwa zehn Meilen verpaßt. Sie korrigierte den Kurs und fuhr parallel zur Küste Floridas nach Süden. Gegen Mittag war sie im Goverments Cut, aber überall waren Frachter, die von Dodge Island ein- und ausliefen. Sie fuhr weiter nach Süden und erreichte über den Bear Cut die Bucht von Biscayne, fuhr um das Südende vom Virginia Key, durchquerte die Bucht und legte am Tankanleger von Forbes' Shipyard in Silver Bluff an, nördlich vom großen Dinner Key Marina. Sie ging zum Hafenmeister und besorgte sich für das Boot einen Liegeplatz. Von der Avisagentur im Hafen mietete sie sich einen Wagen und fuhr zu dem kleinen Haus im Coconut Grove, das die Bahamas Corporation dort unterhielt. Sie öffnete es, stellte die Klimaanlage an und zog ein kühles, rückenfreies Sommerkleid an. Dann rief sie Framijian an. Eine Stimme sagte: »Framijian. Wer dort?« Mercedes schürzte die Lippen und hängte leise den Telefonhörer ein. Sie mixte sich einen milden Gin Tonic. Framijian hatte seinen erforderten Funkspruch nicht gemacht, und er hatte auch in den letzten vierundzwanzig Stunden keinerlei Versuch unternommen, mit der Bahamas Corporation 141
Kontakt aufzunehmen. Doch nun saß er da in seinem Haus und meldete sich. Schlußfolgerung: Vorausgesetzt, der Kerl, der am Telefon antwortete, war wirklich Framijian, dann mußte jemand einen Revolver auf ihn halten. Jemand, der von den Funksprüchen nichts wußte. Das war die genaue Sachlage, und die Unregelmäßigkeiten bei den Funksprüchen sprachen dafür. Nun war es ihre Aufgabe herauszufinden, was genau geschehen war und wer dafür verantwortlich war, um dann etwas dagegen unternehmen zu können. Sie schaute auf die kurze Liste mit Telefonnummern aus SüdFlorida, die Dahl ihr mitgegeben hatte. Sie rief Antonio Alvarez an, stellte sich vor und erklärte ihm knapp, was sie von ihm wollte.
29 Antonio Alvarez lebte in einem luxuriösen Penthouse auf Brickel in der Nähe des Alice-Wainright-Parks. Seine Geschäfte erledigte er aber im Tropicabana Nachtclub in der 17. Straße. Er fuhr mit seinem weißen Porsche 912 vor, übergab ihn einem unterwürfigen Parkwächter, warf seinen Kaschmirmantel einer Garderobenfrau entgegen und nahm dann den Aufzug in sein Privatbüro. Antonio war keiner von diesen altmodischen Schnurrbartfritzen. Er war Amerikaner, in Miami geboren, Kind honduranischer Eltern. Er wuchs in den sonnverbrannten Slums von Hialeah auf, in dem sich die Jugendbanden eher unter Palmen als unter Straßenlaternen herumtreiben. Im Alter von sechzehn 142
schloß er sich der Bande von Pepito Braga an, den Companeros des Todes, eine in erster Linie cubanische Gruppe, die sich der Verbesserung der eigenen Lebensumstände durch Gewaltakte widmete. Als man auf Braga ein Kopfgeld aussetzte, wurde er in der Blüte seiner Jugend während einer Sauferei von einem Machatero, der aus Guatemala zu Besuch war, niedergestochen. Alvarez wurde die rechte Hand von Pedro Guiterrez-Flores, dem feisten, lustigen mexikanischen Killer, der für einige Jahre im Auftrag von Angel Paz die zentralamerikanische Einwohnerschaft in Süd-Florida terrorisierte. Danach beruhigte sich die Lage für eine ganze Weile, aber schon bald brach unter den verschiedenen Unterweltfraktionen in und um Miami erneut Streit aus. Guiterrez wurde tot in seinem Wagen aufgefunden, der mit den Rädern nach oben in einem Bewässerungskanal neben dem Tamiani Trail nahe der 144. Avenue lag. Unfalltod mußte ausgeschlossen werden, als die untersuchenden Beamten ermittelten, daß er erschossen und anschließend in den Kofferraum gestopft worden war. Dann beendete auch Angel Paz seine kurze, niederträchtige und doppelzüngige Karriere, als er nach einem Trip nach Havanna mit dem Kopf nach unten an einem Eisengitter in den Kerkern vom El Malecôn baumelte und das nicht lange gut ging. Alvarez erfuhr von diesen schweren Schicksalsschlägen und beschloß, daß das Leben zu aufregend wurde. Plötzlich sehnte er sich nach Sicherheit. Als die Bahamas Corporation wegen ihres Programms für ortsansässige Gangster an ihn herantrat, war er mehr als bereit, freiwillig seine Selbständigkeit zugunsten der Sicherheit aufzugeben, die ihm nur eine große, gutlaufende Organisation bieten konnte. Alvarez war ein kleiner Mann, hager und dunkelhäutig. Er hatte lange Koteletten, die sein 143
Friseur zu Krummsäbeln ausrasierte, die an ihren Spitzen mit dem Schnurrbart zusammenliefen. Er öffnete den kleinen Zugriegel in der Tür, der ihm einen heimlichen Blick auf die Bühne des Tropicabana gewährte. Die Revuegirls sangen ›Flyin' Down to Rio‹, und er summte eine Weile mit. Er nahm eine Platin-Vorratsbox aus seiner Tasche und zog sich etwa die Menge einer dreißig Zentimeter langen Straße in einem einzigen, kraftvollen Zug durch die löchrigen Nasenscheidewände, die er als Kokser hatte. Dann drückte er auf eine Klingel. Manitas de Cördoba kam herein, ein düsterer, kleiner Mann in einem gewaltig gestärkten, weißen Rüschenhemd. Zwischen den Verpflichtungen für Alvarez arbeitete er im Tropicabana als Rausschmeißer. Alvarez erklärte, was zu tun war. Cordoba sagte, er könnte sofort loslegen. Sie mußten lediglich noch zum Spind gehen und Arbeitsklamotten anziehen.
30 Es war kurz nach eins, als ein Lieferwagen der Telefongesellschaft Southern Bell nahe an Framijians Haus heranrollte. Zwei Männer stiegen aus, beide trugen Werkzeugkisten, und mit Werkzeugen vollgepfropfte Lederetuis baumelten an ihren Gürteln. Einer der Männer zog seine Spezialschuhe an und kletterte den Telefonmast hinauf. Während der andere Mann die Straße beobachtete, holte der erste Mann einen kleinen, starken Feldstecher hervor und richtete ihn auf Framijians Haus. Er hatte von seiner Position aus einen guten Blick auf das Wohn144
zimmer, das mit der Front zur Wasserstraße lag. Das Aussichtsfenster des Wohnzimmers war teilweise von einer halb heruntergelassenen Jalousie verdeckt. Der Mann beobachtete es etwa fünf Minuten lang sehr intensiv, dann hörte er einen Warnpfiff seines Partners, er versteckte den Feldstecher und arbeitete eifrig mit dem Werkzeug, bis der United-Parcel-Service Lieferwagen um die Ecke verschwand. Dieses Mal legte er sich länger als eine Viertelstunde auf die Lauer. Dann kletterte er nach unten. »Was hast du gesehen?« »Nicht viel«, sagte Cordoba, »aber möglicherweise genug. Ich hab Framijian gesehen.« »Bist du dir sicher, daß er es war?« »Sicher bin ich mir sicher.« »Und wen hast du noch gesehen?« »Sonst niemanden.« »Na, ausgezeichnet!« sagte Alvarez. »Das hast du wirklich ausgezeichnet gemacht.« »Aber ich habe gesehen, daß Framijian mit jemand gesprochen hat.« »Hast du ihn sehen können?« »Nein.« »Bist du dir sicher, daß da noch jemand war?« »Es sei denn, Framijian hielt eine Rede vor dem Spiegel.« Alvarez dachte darüber nach, dann schüttelte er den Kopf. »Nein, Framijian führt keine Selbstgespräche. Das hast du gut gemacht, Manitas. Laß uns ein Telefon suchen.«
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Vierter Teil Vorbereitung des Kills 31 Der Mann, der mit dem unterirdischen Aufzug in der JagdAnlage ankam, war ein auffallend gutaussehender Mann. Sein dunkelblauer Anzug mit diskreten, roten Nadelstreifen war tadellos geschnitten. Am auffallendsten an ihm war sein graumeliertes, buschiges Haar, das bis über den Kragen ging. Ein weiteres Merkmal, das es wert ist zu erwähnen, war sein rundgeschnittener, etwa zehn Zentimeter langer Bart. Den Bart hätte man möglicherweise übersehen können, wenn ihn nicht der Neuankömmling, gleich nachdem er in der Jagd-Anlage angekommen war, abgenommen, vorsichtig zusammengefaltet und in seinen Diplomatenkoffer gelegt hätte. Simmons betrat gerade den Empfangsraum, als der Mann die Metallverschlüsse an seiner Korduanleder-Aktentasche zuschnappte. »Senator Berenger!« begrüßte ihn Simmons erfreut. »Wie schön Sie einmal wiederzusehen. Kommen Sie in mein Büro.« Er führte Berenger durch den Flur zu seinem mit grünen und dunkelbeigen Möbeln vornehm ausgestatteten Büro. »Was verschafft mir die Ehre?« fragte Simmons. Berenger kratzte sich am Kinn; der unsichtbare Klebstoff, mit 146
dem der Bart befestigt worden war, juckte noch. »Ich bin froh, wenn diese Verkleidung nicht mehr nötig sein wird«, erklärte er. »Aber noch ist sie ausgesprochen wichtig«, sagte Simmons. »Es wäre für niemanden gut, unseren berühmten Senator aus Illinois hier im Herzen einer illegalen Organisation zu sehen. Einen Drink, Senator?« »Ein Schluck irischer Whiskey würde guttun«, sagte Berenger. »Illegal? Ja, noch ist die Jagd illegal, und das ist den flammenden Herzen der Liberalen in Washington zuzuschreiben. Aber all das wird bald vorbei sein, Simmons, denken Sie an meine Worte! Unser letztes Wahlergebnis beweist, daß die Menschen im ganzen Land es endgültig satt haben, daß geduldet wird, daß schmächtige, finstere Gestalten in ausgebeulten Armeeklamotten unschuldige Bürger umlegen. Die Menschen in diesem Land wollen diese Situation ändern, sie wollen endlich selbst diejenigen sein, die das Töten erledigen. Die Zeit ist reif für legalisierten Mord.« »Genau dafür arbeiten wir«, sagte Simmons. »Ob legal oder nicht, unterdessen geht die Jagd weiter.« »Ich bin nur gekommen, um zu überprüfen, wie Sie vorankommen«, sagte Berenger. »Meine Freunde und Kollegen, die Kongreßabgeordneten für Freimord, wollen sich vergewissern, ob sich die Jagd, illegal oder nicht, an die vereinbarten Regeln hält.« »Ich kann Ihnen versichern, daß alles, was getan wird, mit Ihren Richtlinien übereinstimmt. Aber kommen Sie mit in den Besprechungsraum, und sehen Sie selbst.« Simmons führte Berenger aus seinem Büro und den Flur 147
entlang zu einem großen Raum mit etlichen Computern. Riesige Wandbildschirme zeigten verschiedene Grafiken und Daten an. Auf einer Weltkarte flackerten Lichtpunkte. »Dort ist die Weltkarte mit dem aktuellen Stand der Jagd«, sagte Simmons. »Die eigentliche Idee war, für jede veranstaltete Jagd einen Lichtpunkt zu haben. Das war auch in Ordnung, als wir so um die zwanzig Jagden hatten, aber mittlerweile haben wir an die fünfhundert gleichzeitig. Also stellen wir je zehn Jagden in einer Stadt durch abgestufte Lichtstärken der Leuchtpunkte dar. Dort drüben ist das Jäger/Opfer Tötungsverhältnis, das sich durch stündlich neu eintreffende Resultate ändert und aktualisiert wird. Und hier ist die Spezialauflistung der nicht informierten Opfer, gegen Terroristen und Führer von Todesschwadronen gerichtet, was wir als einen Dienst an der Menschheit betrachten.« Senator Berenger sah mit lebhaftem Interesse über die Tafel. Sein Blick wanderte nach unten in Richtung Miami, wo ein einzelner grüner Lichtpunkt war. »Was ist mit dem da?« »Das ist einer unserer Leute, der hinter einem sehr bekannten Massenmörder her ist, Mr. Alphonso Guzman.« »Schön zu wissen, daß Sie hinter diesem Dreckskerl her sind. Aber was bedeutet das gelbe Licht da, das gerade neben dem grünen Licht angegangen ist?« Simmons sah entsetzt hin. Seine Stimme klang zurückhaltend, als er sagte: »Das gelbe Licht zeigt an, daß einem Opfer eine Meldung gemacht worden ist.« »Aber ich dachte, Sie würden die Meuchelmörder auf Ihrer Liste nicht benachrichtigen.« 148
»Das tun wir auch nicht.« Simmons preßte die Lippen zusammen. »Jemand muß einen Fehler gemacht haben. Entschuldigen Sie mich, Senator.« Simmons ging so schnell, wie es seine Würde zuließ, zum Kommunikationssystem in einer Ecke des Raums. Er schnappte sich die Ansagerin. »Holen Sie mir Stevens an den Apparat.« Die Vermittlung klappte sofort. »Hier Stevens.« »Stevens, überprüfen Sie Ihre Daten für Jagd 32224A.« »Ja, Sir, ich hab sie. Alles in Ordnung … Oh, Moment.« »Das Opfer wurde benachrichtigt.« »Ja, Sir, sieht so aus.« »Wie erklären Sie sich das? Ich habe genaue Anweisungen gegeben. Sie wissen, wie tödlich diese professionellen Killer sind. Unsere Jäger haben keine Chance mehr, wenn die Profis erst einmal benachrichtigt sind.« »Ich weiß, Sir. Es ist entweder Sabotage oder menschliches Versagen.« »Wer hat diese Jagd programmiert?« »Bwithins, Sir. Soll ich ihn rufen?« »Ich werde ihn mir später vorknöpfen. Der Schaden ist schon schlimm genug. Überprüfen Sie alle anderen Jagden, und zwar doppelt. Vielleicht gibt es noch eine Chance, diese eine zu retten.« Er unterbrach die Verbindung, dann sagte er der Telefonistin: »Geben Sie mir die Poststelle.« Kurze Zeit später war jemand am Apparat. »Hier Sawyer«, sagte die Stimme. »Benachrichtigung 32224B«, sagte Simmons. »Ist sie schon raus?« 149
»Ich denke schon, Sir.« »Und bereits befördert?« »Ich glaube nicht, Sir. Noch nicht.« »Jetzt hören Sie mir genau zu. Ich rufe an, damit Sie den Brief zurückhalten.« »Zurückhalten? Aber der Brief ist bereits unterwegs.« »Dieser eine hier entscheidet über das Leben eines unserer Jäger«, sagte Simmons leise. »Sie müssen den Brief abfangen, bevor er seinen eigentlichen Empfänger erreicht.« »Okay, Sir«, sagte Sawyer. »Ich werde mein Möglichstes tun. Auf welche Dringlichkeitsstufe kann ich bei den einzelnen Schritten jeweils gehen?« »Alle Schritte laufen auf der Dringlichkeitsstufe 3 ab, der Stufe für unerklärliche Unregelmäßigkeiten«, sagte Simmons. Sawyers Stimme klang verstimmt. »Verstanden, Sir. Ende.« Simmons wandte sich an Berenger. »Senator, ich bin froh, daß Sie das bemerkt haben. Ich hoffe nur, daß wir noch ausreichend Zeit haben, das Schreiben abzufangen.« »Ich muß zurück in den Senat«, sagte Berenger. »Ich würde gerne hier arbeiten und mehr Zeit mit Ihnen und all den guten Menschen verbringen. Nach meiner Überzeugung ist das hier die einzig wahre Stätte der Freiheit.« »Wir tun alles, was in unseren Kräften steht, auch demgemäß zu leben«, sagte Simmons. Nachdem Berenger gegangen war, eilte Simmons nach draußen, um den Jagdmeister aufzusuchen. Er stürmte in die Kammer des alten Mannes und kümmerte sich nicht um die üblichen Formalitäten. 150
»Eine Tasse Tee?« fragte der Jagdmeister. »Ich will etwas anderes«, sagte Simmons. »Ich weiß, daß Sie es waren. Sie haben Bwithins beauftragt, Guzman den Brief zu schicken. Aber warum?« »Es war notwendig, um ein bißchen Bewegung in die ganze Sache zu bringen«, sagte der Jagdmeister. »Notwendig für wen? Bestimmt nicht für Blackwell.« Der Jagdmeister lachte in sich hinein. »Blackwell wird ohne Zweifel alle Hände voll zu tun haben. Aber Minska ist ja da, um sich um ihn zu kümmern.« »Warum muß denn überhaupt Bewegung in die Sache gebracht werden?« »Das werden Sie noch früh genug merken. Ist unser Flugzeug vollgetankt und startbereit?« »Selbstverständlich. Aber wohin fliegen wir?« »Stellen Sie nicht so viele Fragen«, sagte der Jagdmeister. »Bleiben Sie nur auf Ihrem Posten. Wir werden kurzfristig abreisen. Wie wäre es jetzt mit einem Tee?«
32 Im großen Hauptpostgebäude von Newark gelang es einer betrunkenen oder verwirrten Person um fünf Uhr nachmittags irgendwie in die abgeschlossenen Räume der Zone 512 zu gelangen. Das dort entstandene Feuer beanspruchte zwei Löschzüge von Newarks Feuerwehr. Nachdem es gelöscht worden war, entdeckte man, daß jemand eingebrochen war und einen ursprünglich aus Nord New Jersey stammenden Postsack 151
gestohlen hatte. Sawyer überprüfte den Postsack eilig mit einem Infrarotabtaster. Die Sortiermaschine arbeitete laut und schnippte die Briefe an der verhüllten Öffnung des Abtasters vorbei. Als der Vorgang beendet war, konnte Sawyer beschwören, daß das entscheidende Dokument, durch seinen unsichtbaren, magnetischen Code wiedererkennbar, nicht im Sack gewesen war. Albert Geers war seit fast drei Jahren Briefträger in SüdMiami. Geers gefiel es, in dem rot-weiß-blauen Jeep des U.S. Postal Service herumzufahren. Er hatte einen besonderen Groll auf Postwurfsendungen, und er war bekannt dafür, daß er ein Anti-Hundespray bei sich trug, mit dem er sich um die streitsüchtigen Köter entlang der Straße kümmerte. Aber er war keinesfalls besonders ungewöhnlich. Das machte die Tatsache seines Verschwindens in Süd-Miami nur noch mysteriöser – seines Verschwindens und das seines kompletten Postsacks. Es wurden viele Theorien aufgestellt. Aber niemand kam auf die schlüssigste Erklärung – Geers war, kurz nachdem er die Post in Guzmans Residenz abgeliefert hatte, verschwunden. Selbst wenn jemand dieser Spur gefolgt wäre, wäre sie für eine Schlußfolgerung nur in Verbindung mit einer weiteren Tatsache zu verwenden, auf die die Kriminalbeamten bei den dürftigen Anhaltspunkten, die ihnen zur Verfügung standen, allerdings nicht kommen konnten: Das war die Tatsache, daß jemand versucht hatte, die Post abzufangen, bevor sie bei Guzman ausgeliefert wurde, aber um knapp fünf Minuten zu spät gekommen war.
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33 »Ich wünsche einen guten Tag, Sir!« Blackwell gab dem Pagen ein Trinkgeld und stieg am Eingang des Hotels in seinen Mietwagen. Das Lenkrad fühlte sich zwar heiß an, aber der Hoteldiener hatte die Klimaanlage eingeschaltet, und es war kühl im Wagen. Er schnallte den Gurt an, startete den Wagen und fuhr in Richtung Süden auf der Brickell Avenue an den von Palmen umgebenen, großen Glasund Aluminiumbauten vorbei. Er hatte keine Probleme damit, den Wegweisern zum South Dixie Highway zu folgen, und fuhr immer neben den Hochschienen der U-Bahn entlang. Der Highway führte am Coconut Grove und den Coral Gables vorbei. Als er die 72. Straße erreichte, war er in Süd-Miami. Er fand die 55. Avenue und bog nach rechts auf den Twin Lakes Drive ab. Am Ende dieser Einbahnstraße sah er hinter einer mächtigen Felssteinmauer und einem hohen Eisengitterzaun ein großes, rosafarbenes, weitläufiges Haus. Er sagte dem Mann am Tor, daß er Frank Blackwell sei und daß er eine Einladung habe. Der Mann rief im Haupthaus an und bekam eine Bestätigung. Er öffnete das Tor. Blackwell fuhr den langen, von Palmen beschatteten Weg zum Haupthaus hinauf. Ein sehr großer Mann mit einem gelangweilten, ausdruckslosen Gesicht grüßte ihn und zeigte ihm an, wo er seinen Wagen abstellen konnte. Guzmans Haus lag wie ein korallfarbenes Monster auf einem ein Hektar großen Stück Land hinter einem mit Sensoren bespickten Maschendrahtzaun und wurde von Dobermännern bewacht. Im spanischen Bezirk war es allgemein als Don Guzmans Rosa Palast bekannt. Es lag in Süd-Miami hinter den 153
Coral Gables mit seinen lästigen Bauvorschriften. Das Haus war eine Ansammlung europäischer Baustile: Es hatte etwas von einem griechischen Tempel, einem französischen Schloß und einem englischen Herrenhaus, und ein kurzer Seitentrakt (samt Garage, Kapelle und Stallungen) erinnerte an den spanischen Kolonialstil bis hin zum Mittelalter. Der Rosa Palast war eine kleine Abhandlung der Architekturgeschichte in rosa Stuck. Tito öffnete die Eingangstür. Er musterte Blackwell mit einem kurzen und fachmännischen Blick und ließ ihn herein. Ein kleines Dienstmädchen in schwarz-weißer Dienstkleidung wartete dort auf ihn, um ihn den Rest des Weges zu begleiten. Er folgte ihr durch einen langen Flur im Stil der Villa Borghese (Anfang 16. Jahrhundert erbaut) und auf der anderen Seite wieder hinaus bis zu einem großen, nierenförmigen Swimmingpool. Auf der Steinterrasse neben dem Swimmingpool lag ein wohlbeleibter Mann in einem Klubsessel. Seine Haut glänzte von Sonnenmilch und Schweiß. Er trug eine SpiegelglasSonnenbrille mit Guzzi-Rahmen. Sein Gesicht war rechteckig, nichtssagend und klumpig. Es sah wie ein indianisches Flachrelief aus. Alphonso Guzman war ein kleiner, fettbrüstiger, kastanienbrauner Mann mit einer verfilzten Matte gekräuselter Haare auf seiner Brust. Seine lederne Haut glänzte von der süßriechenden Sonnenmilch. Drei Männer saßen bei ihm. Einer war schlank, hatte eine Gangstervisage und trug eine weiße Hose und ein bis zur Taille geöffnetes, weißes Hemd. Der zweite war ein großer, beleibter Mann mittleren Alters mit einem schlaffen, vergrämten Gesicht und heruntergezogenen Mundwinkeln unter einem Banditenschnurrbart und trug einen Seidenmantel mit einem 154
Thunderbird auf dem Rücken. Der dritte Mann war jung, hatte einen Lockenkopf und lächelte verunsichert. Und dann war da noch Mercedes. Sie sah hübsch aus in ihrem dezenten, hellgelben Kostüm. »Schön, Sie zu sehen, Mr. Blackwell. Das hier sind meine Freunde Emilio und Chaco. Und das ist Mercedes Brannigan, eine Freundin des Hauses.« Mercedes lächelte ihn an. »Dürfen wir Ihnen einen Drink anbieten?« fragte Guzman. »Nur Soda mit viel Eis«, sagte Blackwell. Guzman schnippte mit den Fingern. »Juanito, erledigst du das bitte?« Der schlanke, junge Mann stand auf, nickte zu Blackwell herüber und ging an die Bar direkt unter dem Vordach. »Kommen Sie, ich möchte Ihnen das Haus zeigen«, sagte Guzman. Don Guzman liebte sein Haus, denn Überfluß entsprach seiner Vorstellung von Ästhetik, und das Haus erfüllte sein Bedürfnis, sich und andere zu beeindrucken. Es gab ein mit Rosenholz verkleidetes Zimmer, in dem seine Freunde die Waffensammlung bewundern und sich deren Geschichte anhören konnten. An das Zimmer schloß sich ein Schießstand an, in dem Guzman seine große Geschicklichkeit im Umgang mit allem, was Projektile abfeuerte, beweisen konnte. Aber was ihm am meisten Freude bereitete, war der große, nierenförmige Swimmingpool mit den bequemen Liegen und verstellbaren Lehnstühlen, an dem er und seine Freunde Rumdrinks zu sich nahmen und kubanische Zigarren rauchten (»Tabak ist unpolitisch«, pflegte Guzman zu sagen) und über die guten, alten Zeiten, die längst vergangen waren, und über die guten, neuen 155
Zeiten, die noch kommen würden, reden konnten. Sie kehrten an den Pool zurück. Guzman sagte: »In ein paar Minuten essen wir. Möchten Sie eine kleine Brise? Hey, Juanito, beweg deinen Arsch, Cabrŏn, hol ihm eine doppelte Straße von dem milchigblauen Inka Imperial Superkoks und einen gedeckten Scheck über eine Million Dollar, um es in die Nase zu ziehen. Wie Sie sehen, Amigo, läuft hier alles mit Stil ab.« »Danke, für mich nicht«, sagte Blackwell, »nicht vor dem Essen.« »Wir werden drinnen essen«, sagte Guzman, »im sogenannten Lanai. Ich würde gerne Ihre Meinung über meinen neuen Küchenchef erfahren. Ah, da kommt meine Frau. Gestatten Sie mir, sie Ihnen vorzustellen.« Catarina Guzman war eine große, steife Dame mit blasser Hautfarbe und einem strengen und unfreundlichen Gesicht. Sie trug ein hochgeschlossenes, graues Kleid und ein Kruzifix aus Ebenholz. Ihre elfenbeinfarbene Pergamenthaut verdeutlichte ihre Verachtung für die lebensbejahende Sonne und jene, die in ihr schwelgten. Ihre Erscheinung warf einen Schatten auf den Knoblauch-, Wein- und Tabakdunst des unbeschwerten LatinoLebens und erinnerte die Zecher an die Ungewißheit nach dem Tod, der noch vor ihnen lag. Sie drückte mit ihrer kalten Hand kurz Blackwells Finger, sah ihn mit einem eisigen, fanatischen Blick an, murmelte »Timor mortis conturbat me«, und ging weiter. »Sie ist sehr religiös«, sagte Guzman. »Kommen Sie, lassen Sie uns essen.« 156
»Wird uns die Seňora Gesellschaft leisten?« fragte Blackwell. Guzman schüttelte den Kopf. »Sie hat mal wieder eine ihrer Fastenzeiten.« Guzman wies den Weg zum Lanai. Er war klein und untersetzt und erinnerte Blackwell ein wenig an einen Leguan. Sein welliges, graues Haar und seine bedrohliche, aufrechte Körperhaltung verliehen ihm mehr als nur eine flüchtige Ähnlichkeit mit dem späten Erich von Stroheim. Er sah wie ein zentralamerikanischer General in einer Komödie aus, in schöner Aufmachung und mit häßlichem Charakter. Dann erinnerte sich Blackwell daran, daß dieser kleine, kaffeebraune Mann mit dem albernen Schnurrbart und den sorgsam gepflegten, graumelierten Haaren die berüchtigte 432. Brigade kommandiert hatte, die Sinvergüenzas, wie man sie nach der Plünderung von Tunbuncü nannte. Und derselbe Guzman hatte das Gringitos de Soledades Todesschwadron in Tegulcigapa angeführt und hatte drei Jahre lang das berüchtigte Modell-Gefängnis in Managua geleitet, das die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen als zu abscheulich für eine objektive Beurteilung erklärt hatte. Guzman mochte lächerlich wirken, aber er war nicht unbedeutend. Er war ein Mann, der brutal gelebt hatte und davon ausgehen konnte, daß er auch brutal sterben würde. Blackwell tastete nach der Straßenkarte in der Innentasche seiner Leinenjacke. Das Lanai war ein langer Raum mit vergitterten Jalousien und einem Eingang mit knorrigen Pinien. Guzman saß auf einem großen Stuhl am Kopf des Tisches, zu seiner Rechten war Blackwell. Mercedes saß links von ihm. Dann kamen Juanito und zwei weitere Gäste – Diego Garcia, ein Wirtschafts157
professor aus Paraguay, klein, bärtig und mit einer dicken Hornbrille, und seine Gattin, eine dürre, dunkelhäutige Frau mit gekräuseltem Haar. Am Ende des Tisches saßen Emilio und Chaco. Zum Einstieg gab es ein delikates Krabbenbiskuit, zubereitet mit Sherry, und Krebse nach kreolischer Art, gewürzt mit Knoblauch, rotem Pfeffer und Piri-Piri Sauce und Mangostücken als Beilage. Dann wurde Jambalaya aufgetragen, mit New Orleans Kartoffelpuffern und frischem jungen Mais. Es gab einen leichten Salat, angereichert mit Golfshrimps in Remouladensauce. Der abschließende Limonenkuchen war leicht, aber Blackwell hatte Mühe, eine zweite Portion zu schaffen. Schließlich gab es Kaffee, Brandy und Zigarren. Nach dem Kaffee gingen der paraguayanische Professor und seine Gattin zum Nachmittagsschlaf. Kurz darauf entschuldigten sich Emilio und Juanito, dann Chaco. Nun saßen nur noch Blackwell, Guzman und Mercedes am Tisch. Blackwell fühlte sich unangenehm übersättigt, aber noch immer imstande, den Mord auszuführen. Natürlich erst nachdem er den Scheck erhalten hatte. Guzman stand auf und sagte zu Blackwell: »Kommen Sie, lassen Sie uns für ein paar Minuten im Garten Spazierengehen. Wenn Sie uns für einen Augenblick entschuldigen würden, meine Liebe?« Blackwell und Guzman schlenderten zum Ziergarten hinter dem Swimmingpool. Es war ein schwüler, schläfriger FloridaNachmittag. Die Sonne kochte über ihnen und bleichte den Himmel zu einem verwaschenen, wolligen Blau aus. Sie blieben am Zierteich stehen. Sie standen auf einer kleinen, japanischen Zierbrücke, unter der große Goldfische träge umherschwam158
men. »Wir können jetzt miteinander reden«, sagte Guzman. »Wann bekomme ich die Gewehre?« »Morgen nacht«, sagte Blackwell. »Wo?« »Sie haben doch einen Frachter zur Verfügung, oder?« »Ja, El Espiritu de Guanjuato, der in Port Everglades aufgetankt wird.« »Wir werden die Gewehre morgen nacht an Bord bringen.« »Von woher kommen sie?« »Das ist unsere Sache, Mr. Guzman.« »Wir haben noch nie zuvor gemeinsam ein Geschäft gemacht, Mr. Blackwell«, sagte Guzman. »Ich möchte nur, daß Sie wissen, daß diese Fracht für mich sehr wichtig ist. Ich habe Ihren Preis akzeptiert und will die Ware.« »Das leuchtet ein.« »Vielleicht leuchtet das aber nicht allen ein. Es gibt eine Menge skrupelloser Leute in dieser Stadt, die einem alles Mögliche versprechen. Aber ob sie einem dann auch die Gelegenheit lassen, sein Geld auszugeben, steht auf einem anderen Blatt.« »Soll das eine Drohung sein, Mr. Guzman?« »Keineswegs. Es soll nur eine Warnung vor ein paar Leuten sein, denen Sie hier unten begegnen könnten. Ich nehme an, Sie wollen jetzt das Geld?« »Mr. Framijian sagte, das sei die übliche Vorgehensweise.« Guzman langte in sein Jackett und holte einen Umschlag hervor. Er öffnete ihn und zog einen Scheck heraus. Blackwell sah, daß es ein beglaubigter und somit gedeckter Barscheck über 159
neun Millionen Dollar war. »Ich dachte, es handelt sich um zwanzig Millionen«, sagte Blackwell. »Was Sie da haben, ist die Hälfte der Summe. Die andere Hälfte bekommen Sie morgen.« »Neun Millionen ist nicht die Hälfte von zwanzig«, betonte Blackwell. »Ich habe natürlich meine Provision abgezogen«, sagte Guzman. »Schließlich hat jeder Arbeiter ein Recht auf seinen Lohn.« Blackwell hatte nichts von einer Provision gehört und auch nichts von einer Hälfte heute / Hälfte morgen Vereinbarung. Sollte er Guzman jetzt oder später töten? Es wurde Zeit, seine Karte offen auf den Tisch zu legen. Er faltete den Scheck und steckte ihn in eine Jackeninnentasche. »Nun, ich muß jetzt gehen«, sagte er. »Es tut mir leid, daß ich nur zum Essen bleiben konnte, aber es gibt eine Menge zu tun.« »Dafür habe ich natürlich Verständnis. Sie kommen morgen abend zurück. Ich werde eine große Party mit viel Essen, Drogen, Frauen, Musik und Unterhaltung geben. Dann habe ich auch das restliche Geld für Sie.« »Okay«, sagte Blackwell. »Vielleicht können Sie mir nochmal den Weg auf der Karte zeigen.« Er nahm die vergiftete Straßenkarte aus seiner Innentasche. »Selbstverständlich, wohin wollen Sie?« fragte Guzman und langte nach der Karte. »Zum Meeresaquarium«, sagte Blackwell. »Ich habe gehört, es gibt dort Delphine. Ich liebe Delphine.« 160
Noch bevor Guzman die Karte nehmen konnte, langte eine Hand dazwischen und griff nach dem Straßenplan. Die Hand trug einen langen, weißen Handschuh und gehörte zu Mercedes. »Das Meeresaquarium? Sie müssen daran vorbeigefahren sein, als Sie aus Miami hierher fuhren. Da ist es, genau dort. Haben Sie wirklich Interesse an Fischen, Mr. Blackwell?« Sie lächelte ihn an. »Oh, ja«, sagte Blackwell hastig. »Aber in erster Linie an Delphinen.« »Ich fahre auch dorthin«, sagte Mercedes. »Sie können mir ja in Ihrem Wagen folgen.« »Ja, das trifft sich gut«, sagte Blackwell. Er war irgendwie erleichtert, daß er den Mord nicht in genau diesem Augenblick ausführen mußte. Jedenfalls hätte Minska ihn wahrscheinlich kritisiert, die anderen neun Millionen von morgen nacht nicht bekommen zu haben. Geschickt nahm er die Straßenkarte wieder an sich, und sie gingen gemeinsam zu ihren Autos. 34 Das Dienstmädchen räumte das restliche Essen weg und wusch ab. Emilio beobachtete sie dabei und ging dann, um die Post zu holen. Sie lag auf einem kleinen Mahagonitisch in der Eingangshalle neben dem ausgehöhlten Elefantenfuß, der als Schirmständer diente. Er sah sie durch. Da waren die üblichen Rechnungen. Die bekam Juanito. Dazwischen lagen Spendenaufrufe von Politikern und Anzeigen von neueröffneten Restaurants. Alles Abfall. Und es gab noch einen Brief in einem 161
cremefarbenen, steifen Pergamentumschlag, der irgendwie offiziell aussah, obwohl nach europäischer Sitte kein Absender darauf stand. Emilio, der in den schweren, alten Zeiten Guzmans Todesschwadron-Leutnant gewesen war und nun als Guzmans rechte Hand arbeitete, nahm den Umschlag zwischen seinem schwieligen Daumen und seinem geschwärzten Zeigefinger. Irgendeine düstere Vorahnung muß diesem grauhaarigen Veteranen gekommen sein, denn er schüttelte sich einmal wie ein nasser Hund und stülpte seine Unterlippe vor. Dann brachte er den Brief zu Guzman. Don Alphonso saß im großen Barcasessel seines Arbeitszimmers und kurierte seinen Kater, eine geschwollene Nase und eine Nebenhöhlenentzündung aus. Er hob den cremefarbenen Umschlag auf und besah ihn sich mißtrauisch. Dann nahm er ein scharfes Messer von seinem Schreibtisch, schlitzte den Brief auf und las den Inhalt. Das ist Ihre offizielle Benachrichtigung über Ihren Status als Opfer bei der Jagd 32224A. Viel Glück. Das Jagd-Komitee. »Emilio!« brüllte Guzman. Emilio eilte aus dem Flur herein, wo er geduldig darauf gewartet hatte, daß Guzman nach ihm brüllen würde. »Lies das hier«, sagte Guzman, »und sag mir, was du damit machen wirst.«
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35 Alvarez fragte am Autotelefon: »Von woher rufen Sie an?« »Vom Meeresaquarium«, sagte Mercedes. »Ich hatte erst jetzt die Gelegenheit, dort wegzukommen. Was ist passiert?« »Bis jetzt hat sich noch nichts getan. Framijian ist noch im Haus, ich habe ihn einige Male gesehen, und ich bin mir ziemlich sicher, daß jemand bei ihm ist, weiß aber noch nicht wer. Manitas ist auf dem Telefonmast und versucht hineinzusehen. Wir wechseln uns ab. Hören Sie, ich habe keine Zigaretten mehr, und im Umkreis von einer Meile bekomme ich hier auch keine. Wie lange muß ich hier noch bleiben?« »Bis wir herausgefunden haben, was los ist«, sagte Mercedes. »Wie lange wird das noch dauern? Ich habe heute abend eine Verabredung.« »Vergessen Sie's. Die Bahamas Corporation bezahlt Ihnen eine Menge Geld für Ihre seltenen Einsätze. Sie bleiben dort, bis, egal wer da drinnen ist, auch herauskommt.« Alvarez legte den Hörer auf und verfluchte sich selbst. Wie . konnte er nur vergessen, sich eine Stange Zigaretten ins Handschuhfach zu legen? Und was sollte aus der Verabredung heute abend mit Lola Montez werden? Eine Bewegung unten an der Straße erregte seine Aufmerksamkeit. Er sah eine Frau auf Framijians Haus zugehen. Er war sich sicher, daß sie vorbeigehen würde, aber nein, sie bog ab und ging zur Tür. Alvarez fragte sich, wer zum Teufel das sein könnte.
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36 »Rommé mit acht«, sagte Framijian. Er legte seine Karten mit einem Klirren ab. Das Klirren kam von der Kette, die von seinen Handschellen bis zum Tischbein ging. »Hurensohn!« sagte Minska. »Wie schaffen Sie es, mich jedesmal so zu packen?« »Hören Sie, Sie Anfänger«, sagte Framijian, »ich bin aus Miami. Wir haben hier die besten Romméspieler der Welt. Aber Sie sind wirklich gar nicht so schlecht.« »Vielen Dank«, sagte Minska. »Ich schulde Ihnen jetzt vierhundert.« »Sechshundert. Wir haben das letzte Spiel verdoppelt, erinnern Sie sich?« »Ich werde langsam müde«, sagte Minska. »Ich glaube, es ist jetzt zwanzig Stunden her, daß ich das letzte Mal geschlafen habe.« »Dieser andere Mann von Ihnen beiden, sind Sie sicher, daß er vertrauenswürdig ist?« »Oh, ja, selbstverständlich. Aber er ist neu. Kein alter Profi wie wir.« »Nun, das kann ich nur hoffen. Warum hat er noch nicht angerufen? Ihr Leben hängt genauso wie meins von dieser Telefonleitung ab. Was meinen Sie, wie lange ich meine Freunde mit so verrückten Entschuldigungen wie: ›Ich muß hier allein bleiben und mich um meine Gicht kümmern‹, hinhalten kann?« »Das ist genau einer der verrückten Gründe, allein bleiben zu 164
wollen, den Freunde akzeptieren. Glauben Sie mir, ich bin ein Experte darin, Leute gefangenzuhalten.« »Okay, wenn Sie das sagen«, sagte Framijian. »Hören Sie, warum lassen Sie sich nicht einfach von mir bestechen? Das Herumsitzen hier hat für uns dann beide ein Ende, und wir können etwas Interessanteres tun. Eine Million und einhunderttausend Dollar und die ewige Freundschaft von Yitzhak Framijian. Fairer geht's nicht, oder?« »Ein wirklich gutes Angebot«, sagte Minska, »und ich kann Ihnen versichern, daß ich es zu schätzen weiß. Aber es tut mir leid, ich kann es nicht annehmen.« »Warum nicht?« »Weil ich ein altmodischer, nonkonformistischer Mensch bin«, sagte Minska würdevoll. »Mein Pech«, sagte Framijian. »Noch ein Spiel?« »Sicher. Sie geben.« »Ich kann mit diesen Handschellen nicht gut mischen.« »Sie machen das ganz gut«, sagte Minska. Framijian griff nach den Karten und verharrte plötzlich. Beide Männer saßen unbeweglich da. Sie hatten ein bedenkliches Geräusch wahrgenommen: Ein Schlüssel wurde umgedreht. »Wer hat zu diesem Haus einen Schlüssel?« fragte Minska mit Nachdruck. »Niemand! Es sei denn, es ist …« Die Tür sprang auf. Eine kleine, energische Dame mit roten Haaren und einem lindgrünen Freizeitanzug marschierte auf hochhackigen Schuhen herein. 165
»Rosalie!« rief Framijian. »Ich konnte nicht mehr länger von dir fortbleiben«, sagte Rosalie. »Du weißt, daß ich dich Schafskopf noch immer liebe. Wer ist der Kerl?« »Nur ein Freund«, sagte Framijian. »Warum trägst du Handschellen, wenn er ein Freund ist?« »Weil wir ein Spiel spielen.« »Ach so«, sagte Rosalie. »Freust du dich denn nicht, mich wiederzusehen?« »Rosalie, mein Baby, ich bin überglücklich. Du weißt, wie ich dich auf Knien angefleht habe zurückzukommen. Die Sache ist nur, daß du gerade ein wenig unpassend kommst. Es wäre besser gewesen, du hättest vorher angerufen. Ich meine, ich schließe gerade ein kleines Geschäft ab.« »In Handschellen?« »Nun vergiß doch mal die Handschellen, wir spielen lediglich ein Spiel. Wo ist Hannah?« »Bei meinen Eltern.« »Sag ihr, daß ich sie liebe. Ich werde dieses Geschäft hier zu Ende bringen, mein Liebes, und dann werden wir Zusammensein.« »Du hast gesagt, wir könnten ein neues Leben beginnen, wenn ich zurückkomme.« »Machen wir. Aber vorher muß ich dieses Geschäft zu Ende bringen.« »Aber genau so war es doch schon im alten Leben.« »Rosalie, würdest du jetzt bitte wieder gehen?« Rosalie war verwirrt. Das war nicht ihr Framijian. Er ließ sie 166
immer dabeibleiben, wenn er Geschäfte abschloß. Sie musterte den neuen Mann von oben bis unten. Er war groß, unförmig und nicht sehr gutaussehend. Und da war etwas an ihm … Jawohl, er sah gefährlich aus. Und sie begann, darüber nachzudenken, daß das mit den Handschellen nicht so ganz in Ordnung war. Ich meine, was für eine Art Spiel können erwachsene Männer schon mit Handschellen spielen? Es lag etwas in der Luft, und Rosalie bemerkte plötzlich, daß sie das besser fünf Minuten eher bemerkt hätte. In so einem Ratespiel ist es aber immer noch besser spät, als gar nicht auf die Lösung zu kommen. »Nun, schön Sie gesehen zu haben, Mister … wie auch immer Sie heißen«, sagte sie. »Entschuldigen Sie, wenn ich hier einfach reingeplatzt bin. Ich werde später wiederkommen.« Minska hatte einen Entschluß gefaßt. »Nein, kommen Sie herein, Rosalie. Ich fürchte zwar, daß wir kein Rommé mehr spielen können, aber vielleicht kennen Sie Skat? Das läßt sich nur zu dritt spielen.« »Hee, wovon sprechen Sie?« Dann sah sie die Pistole in seiner Hand. Für die Pistole wurde eine respektvolle Schweigeminute abgehalten. Dann sagte Rosalie: »Sind Sie sich nicht sicher, daß ich ganz einfach vergessen würde, daß ich jemals hier hereinspaziert bin? Es würde für Sie alles einfacher machen, und ich würde niemals etwas sagen oder tun, was Yitzhak schaden könnte.« »Setzen Sie sich, Rosalie«, sagte Minska. Rosalie sah Framijian an. Er zuckte die Achseln und lächelte 167
verstört. Sie sah zu Minska herüber. Er sah wie so einer der Mistkerle aus, die auf Frauen schießen würden. Sie kam ins Wohnzimmer und setzte sich hin. »Ich hätte auf meine Mutter hören sollen«, sagte sie zu Minska. »›Laß die Hände von dem Kerl‹, sagte sie mir, ›er hat einen frühen und spektakulären Tod verdient.‹ Aber ich möchte nicht sentimental werden.« »Rosalie, es wird alles gut ausgehen«, sagte Framijian. »Spielen Sie nun Skat?« fragte Minska. »Nein«, sagte sie und seufzte. Dann lächelte sie, ein wenig nachlassend, aber es blieb ein Lächeln. »Aber ich kann es ja lernen.« Rosalie war zwar aufgeregt, aber sie war keine Spielverderberin.
37 Das Telefon läutete. Framijian antwortete so, wie es ihm befohlen worden war. »Hier Framijian.« »Ich möchte gern mit dem anderen Burschen sprechen«, sagte Blackwell. »Wie bitte?« »Der andere Bursche, der noch bei Ihnen ist.« »Wer sind Sie?« »Ich bin der Mann, der letzte Nacht mit ihm zusammen war.« »Ach, den Burschen meinen Sie. Nun, unser Freund ist mal 168
eben vor die Tür, Pizza holen. Er wollte gleich wieder zurückkommen.« Blackwell zweifelte an seinem Verstand. War Minska übergeschnappt? Dann hörte er über das Telefon ein lautes Geräusch, als ob einem klugen Jungen die Wangen getätschelt wurden, und Minska war an der Strippe und sagte: »Wie geht's, Junge? Hast den Kill noch nicht erledigt, wie?« »Es war nicht möglich. Aber ich habe morgen noch eine Chance, wenn Guzman diese Party gibt.« »Wo bist du jetzt?« »Ich bin mit einer Dame namens Mercedes hier im Coconut Grove. Ich denke, sie könnte in diese Sache mit verwickelt sein und hielt es für ratsam, sie lieber zu überprüfen.« »Das denke ich auch«, sagte Minska. »Bis morgen abend hast du nichts zu tun. Ich werde weiter mit Framijian und Rosalie Karten spielen.« »Wer ist Rosalie?« »Framijians Frau. Sie hat sich für eine Aussöhnung eine denkbar beschissene Zeit ausgesucht.« »Wie geht's weiter?« »Wir treffen uns morgen abend um acht Uhr in meinem Hotelzimmer. Dort besprechen wir dann die letzten Schritte.«
38 Blake und Coelli gingen in das Behördengebäude für den fünften Distrikt. Miss Eustachio drückte an der Rezeption auf die Gegen169
sprechanlage. »Sie sind da, Sir«, sagte sie. »Schicken Sie sie rein«, sagte Dickerson, wobei er seine Beunruhigung durch den Versuch verriet, seine Stimme neutral zu halten. Er legte sein neues Exemplar des Antiquitätensammler-Magazins in die obere Schublade seines glatten, metallbeschlagenen Schreibtisches. Es wurde ernst. Dickerson war der neue Bereichsleiter für CIA-Einsätze in dem Bereich von Süd-Florida, der sich von Fort Lauderdale bis Key West erstreckte. Er war ein großer Mann, der stets einen weißen Anzug und einen Panamahut mit Gummikrempe trug. Seine Agenten hatten darüber Wetten abgeschlossen, welche Filmrolle er wohl spielen würde. Blake meinte, er würde die Rolle John Houstons im Film ›Der Schatz der Sierra Madre‹ übernommen haben, in dem Humphrey Bogart diesen Mann anbettelt, der sich gerade die Schuhe hatte putzen lassen, und Houston ihm einen Silberdollar zuschnippt und ihn freundlich darum bittet, das nächste Mal jemand anderen anzubetteln. Mit diesem Silberdollar kauft sich Bogart ein Lotterielos und gewinnt am nächsten Tag einen kleinen Preis, der ausreicht, um mit Tim Holt in den Bergen nach Gold zu schürfen, nur um schließlich, schon in Sichtweite der rettenden Stadt, mit einer Machete erschlagen zu werden. Dickerson trug so einen Silberdollar bei sich. Manchmal schnippte er ihn geistesabwesend hoch, wenn er versuchte, irgendeine wichtige Entscheidung zu treffen, wie zum Beispiel über die Frage, wo er heute essen gehen sollte. Unabhängig davon würde es niemals jemand herausbekommen, ob er die Houston-Rolle nun fantasierte oder nicht, da niemand mit dem Bereichsleiter so vertraut war, daß er ihn danach hätte fragen können. 170
Dickerson war kein Mann, der zu Intimitäten einlud. »Was wissen Sie über Alphonso Guzman?« fragte er. Dickerson war neu in dieser Abteilung. Er war kürzlich von Phoenix hierher versetzt worden und hatte eine lange Liste spanischer Namen lernen müssen, um in dem neuen Einsatzgebiet nicht den Überblick zu verlieren. Hier in Miami mußte er sowohl eine weitere Liste mit spanischen als auch Listen mit anglo-amerikanischen und haitianischen Namen dazulernen. »Guzman ist einer unserer Freunde, Sir«, sagte Blake.» Einer aus Somozas alter Nationalgarde. Er hat immer noch Kontakte zu antisandinistischen Guerillagruppen in Zentralamerika und kauft für sie Waffen.« »Mit unserer Unterstützung?« »Natürlich, Sir«, sagte Blake. »Das jedenfalls war die Politik ihres Vorgängers Bradford, der, wie ich glaube, direkte Anweisungen von jemandem bekam, der einen direkten Draht zum Weißen Haus hatte.« Blake fuhr fort: »Darf ich fragen, Sir, ob es Schwierigkeiten mit Guzman gibt?« »Das versuche ich gerade herauszubekommen«, sagte Dickerson. »Ich habe soeben einen Anruf aus dem Haus von Guzman bekommen.« »Von Guzman selbst, Sir?« »Nein, von irgendeinem Typen, der sagte, er würde aus einer Telefonzelle anrufen. Aber wir haben dieses Telefon selbstverständlich angezapft. Oder besser gesagt, mein Vorgänger hatte dieses Telefon angezapft, und ich hatte noch nicht die Gelegenheit, es abzuschalten.« 171
»Was hat diese Person gesagt?« fragte Blake. »Er wollte mit Ihnen sprechen. Ohne Zweifel einer Ihrer Informanten. Ich sagte, daß Sie nicht da wären, er aber ruhig mit mir sprechen könne.« »Ich möchte nicht kritisch erscheinen, aber niemand ist berechtigt, mit einem Informanten zu sprechen, außer der Agent selbst.« »Wenn der entsprechende Agent zufällig anwesend ist, um den Anruf auch zu erhalten. Warum tragen Sie keinen Signalgeber bei sich?« »Das tu ich, Sir«, sagte Blake. »Aber ich mußte die Telefongesellschaften wechseln. Bei Phoneswift wurden meine Benachrichtigungen laufend verwechselt, und so bin ich nun bei PhonoTel. Juanito muß angerufen haben, kurz bevor mein Anschluß geändert wurde.« »Er hat nicht einmal seinen Namen hinterlassen«, sagte Dickerson. »Es muß Juanito gewesen sein, Guzmans Neffe. Er ist der einzige Informant, den ich in dem Haus habe. Was hat er gesagt, Sir, wenn ich danach fragen darf?« »Er sagte, daß sein Onkel gerade einen sehr seltsamen Brief von einer Gruppe, die sich selbst die Jäger nennt, erhalten habe. Sie behaupten, eine Organisation zu sein, die andere Menschen tötet. Sie teilten Guzman mit, daß sie Jagd auf ihn machen, aus Gründen, die er nicht weiter erklärten konnte. Blake, was wissen Sie darüber?« »Ich habe von Ihnen gehört, Sir. Sind Sie nicht so etwas wie eine Überwachungsorganisation?« »Nicht ganz. Sie wurden als die ›Anhänger für die Freiheit 172
des Mordes« bezeichnet. Sie vertreten den sogenannten extrem linken Flügel eines libertäranarchistischen Standpunkts gegenüber Mord. So wurde mir jedenfalls erzählt … wenn es sie überhaupt gibt.« »Nun, Sir, existiert so eine Organisation?« fragte Blake. »Vielleicht nicht. Es ist doch ein fast lächerlicher Gedanke, oder? Jäger … Aber auch die Mafia ist so etwas wie eine verrückte Idee – wer konnte sich schon vorstellen, daß einmal eine Bande ehemaliger Sizilianer alle Gewerkschaften der Vereinigten Staaten beherrschen und die Häfen und den Transportverkehr kontrollieren würde, ganz zu schweigen von der Prostitution und dem Glücksspiel, und daß sie sogar im zweiten Weltkrieg mit den Vereinigten Staaten geheime Abkommen zur Zeit der Landung auf Sizilien schließen würde?« Dickerson musterte für einen Augenblick nachdenklich seinen Silberdollar. »Dann meinen Sie, daß wir diese Jagd auf Guzman ernstnehmen sollten, Sir?« »Ich denke, das müssen wir. Die Beamten, die behaupteten, so etwas wie die Mafia gäbe es nicht, sind nicht mehr im Amt. Sie haben sich mit ihrer starren Haltung als zu altmodisch erwiesen.« »Wie die Dronte«, sagte Coelli unvermutet. »Wie bitte?« fragte Dickerson. »Eine ausgestorbene Riesentaube«, sagte Coelli und sah dabei ein wenig verwirrt aus, wie ein Mann, der mit offenen Augen träumte und dabei ertappt wurde. »Ich meine, es gibt da eine Parallele, Sir.« Dickerson sah Blake an. Blake sagte: »Vergleiche mögen 173
nicht gerade Coellis starke Seite sein, aber er ist unser bester Mann im Außendienst.« »Ohne Zweifel«, sagte Dickerson. »Gut, wir können also davon ausgehen, daß die Jäger einen Killer geschickt haben, der Alphonso Guzman töten soll. Wir wollen Guzmans Tod aber nicht, stimmt's, Blake?« Dickerson fragte irgendwie verunsichert. »Das meine ich auch, Sir. Wir wollen weiterhin die Contras unterstützen. Sie sind eine Bande von Arschlöchern, aber sie sind unsere Arschlöcher. Über Guzman können wir sie am besten unterstützen. Es spart uns die Kosten, eigene Kontakte mit den Guerillas zu knüpfen und selbst tätig werden zu müssen. Nach dem Fiasko von 1986 wich man von dieser Politik ab, wenn Sie sich daran erinnern, Sir.« »Selbstverständlich erinnere ich mich«, sagte Dickerson, »ich war von Anfang an dagegen.« »Genau wie ich, Sir«, sagte Blake. »Es war wirklich alles der Fehler Ihres Vorgängers, der mißverstanden haben mußte, was ihm ein dem Weißen Haus nahestehender Mann gesagt hatte. Das darf nicht noch einmal passieren. So wie es jetzt aussieht, hängt die politische Zukunft Nicaraguas und damit möglicherweise ganz Zentralamerikas von diesem einen Mann ab. Wir würden sehr dumm dastehen, wenn unser Kandidat am Tag der Befreiung, oder wie man es immer nennen will, nicht mit den anderen in der Hauptstadt sein wird.« »Von alldem hat mir bisher niemand etwas erzählt«, bemerkte Dickerson. »Es wäre sinnvoll gewesen, wenn mich jemand vorher über die Funktion Guzmans in Kenntnis gesetzt hätte.« »Es war nicht notwendig, Sie vorher darüber zu informieren«, 174
sagte Blake. »Aber ich bin der Chef dieser Abteilung!« »Wissen Sie, wieviele Abteilungschefs in den letzten zehn Jahren als Doppelagenten enttarnt wurden?« »Blake, wenn Sie damit andeuten wollen, daß ich …« »Das will ich nicht, Sir! Ich weise Sie nur darauf hin, daß es in letzter Zeit eine Menge undichter Stellen gegeben hat und alle angewiesen wurden, mit Informationen besonders vorsichtig umzugehen und sie nur bei unbedingtem Bedarf weiterzugeben.« »In Ordnung, langsam wird mir die Situation klarer. Über Guzman sind Waffen an die Contras unterwegs, oder?« Blake machte mit dem Kopf eine Geste, die man als Nicken hätte interpretieren können. »Es wird der entscheidende Durchbruch für die Contras sein.« Dieses Mal zwinkerte Blake zweimal, ein möglicher Hinweis für seine Zustimmung. »Und jetzt ist ein Jäger in die Sache verwickelt«, sann Dickerson nach. »Es sieht so aus«, stimmte Blake zu. »Da Sie erst gerade aus Washington gekommen sind, können Sie uns vielleicht verraten, wie die neue Politik gegenüber der ›Jagd‹ aussieht, Sir?« »Nur bedingt«, sagte Dickerson zurückhaltend. Er wollte nicht zugeben, daß er den neuen Chef bislang weder getroffen hatte noch seinen Namen wußte und es ihm lediglich gestattet worden war, telefonisch mit ihm in Kontakt zu treten, nachdem ein ganz bestimmter Erkennungscode ausgetauscht worden war. 175
Er sah Blake eine ganze Weile durchdringend an, und Blake begann, sich unwohl zu fühlen. Schließlich sagte er: »Hören Sie, Blake, Sie sind einer der alten Kämpfer mit Prinzipien, habe ich recht? Aus dem letzten Kongreß, meine ich. Aus der Zeit, als ihr Leute vom Geheimdienst noch Überzeugungen hattet. Kann man das so sagen?« »Ich würde sagen, man kann mich als Mann mit Prinzipien bezeichnen«, sagte Blake. »Ich hatte einige bevorzugte Freunde, aber ich bin flexibel. Anpassung ist mein Motto.« »Ich dachte mir, daß Sie so denken. Deshalb kann ich Sie auch immer noch gebrauchen. Es hat in letzter Zeit einige Veränderungen gegeben.« »Ja, Sir.« »Ich bin ein neuer Beamter und kann in dieser Abteilung behalten und feuern, wen ich will.« »Jawohl, Sir.« »Was Sie sich merken sollten, Blake, ist, daß wir hier nichts mehr aus ideologischer Überzeugung heraus machen. Nicht in dieser Verwaltungsbehörde. Was Sie früher gemacht haben, mag gut gewesen sein. Ich weiß nicht viel darüber, und es berührt mich auch nicht weiter. Es war aus ideologischer Überzeugung, und das ist das, was uns nicht mehr interessiert. Tun Sie nichts mehr aus irgendeinem ideologischen Grund.« »Ja, Sir. Was ist der neue Grund?« »Die neue Verwaltung legt Wert auf Pragmatismus und genaue Kalkulation.« »Sir?« »Egal, was immer wir oder irgendeine Dienststelle der Regie176
rung tut, es muß Profit abwerfen.« »Das ist nur vernünftig.« »Und es bedeutet zusätzlich, daß wir unsere ganze Kraft in das investieren, was den größten Gewinn bringt.« »Natürlich, Sir. Ich bin mit diesem Grund vollkommen einverstanden, Sir. Ich habe schon immer gemeint, daß finanzielle Verantwortung der einzige Weg zum Glück ist.« »Auch diese Dienststelle wird einen Profit erwirtschaften.« »Natürlich. Das ist die neue, geheime Direktive, nicht wahr, Sir? Ich will nur absolut sicher gehen, daß ich es verstanden habe. Ich komme damit klar, Sir. Und ehrlich gesagt, es ist durchaus nicht so, daß es das nicht schon gegeben hätte. Jedenfalls haben wir unter der letzten Verwaltung auch schon einige Zeit mit Profit gearbeitet.« »Das mag sein«, sagte Dickerson. »Aber nicht in dem Ausmaß, in dem wir es jetzt tun werden. Niemand ist der ProfitDoktrin tatsächlich konsequent gefolgt.« »Was soll ich wegen des Jägers unternehmen?« »Finden Sie heraus, wer er ist, nehmen Sie ihn fest, aber tun Sie ihm nichts an. Jedenfalls nicht, bevor Sie weitere Befehle erhalten haben.«
39 Mercedes wohnte in einem kleinen Haus, das von der Bahamas Corporation inmitten eines Miniatur-Dschungels aus Bananenbäumen, Kohlpalmen, verschiedenartigen Epiphyten und einem majestätischen, alten Feigenbaum unterhalten wurde. Das kleine 177
Haus hatte eine um zwei Seiten gezogene, verkleidete Veranda. An den Fenstern hingen Vorhänge aus rotem Gingan. Auf der Veranda standen zwei Schaukelstühle und ein altmodisches Schaukelbett. Alles wurde von tropischen Bäumen beschattet, und es war, abgesehen vom lauten Summen hartschaliger Insekten, sehr still. »Warum setzen Sie sich nicht in den Schaukelstuhl?« fragte Mercedes. »Ich werde uns etwas Kühles mixen. Wie wär's mit einem Rumpunsch?« Blackwell lehnte sich im Schaukelstuhl zurück, der gemütlich knatschte. Er legte seine Füße auf das Geländer und plazierte seine Absätze auf die abgewetzten Stellen, die zeigten, daß vor ihm schon andere die gleiche Idee gehabt hatten. Er verschränkte die Hände hinter dem Kopf, lehnte sich zurück und seufzte. Die Hitze war enorm, und er fühlte sich wie ausgetrocknet, aber nicht unwohl, eher friedlich. Es war eine Art feuchter, fruchtbarer und verfaulender Geruch in der Luft. Florida war eine Gegend, die einen immer wieder dazu zu zwingen schien, aus der Zeit hinauszuschlüpfen und in die Zeit des Paläozoikums zurückzugleiten, wo es hingehörte. Das Licht war ein lohfarbenes Gold, das durch eine poröse Wand von Grün gefiltert wurde. Mercedes kam nach einigen Minuten mit zwei vereisten Gläsern zurück, die mit rötlichgelbem Rumpunsch gefüllt waren. Sie hatte ihn kalt und herb gemixt, ein bißchen wie sie selbst war, und Blackwell nippte daran. Der goldene Nachmittag verlief in die violette Färbung des Abends. Einige Stunden später fragte Mercedes Blackwell: »Was machst du, wenn du keine Waffen verkaufst?« 178
Blackwell legte ihren Kopf etwas bequemer an seine Schulter. Sie lagen auf aufgetürmten Kopfkissen auf Mercedes' Doppelbett. Im Wohnzimmer brannte ein schwaches Licht. Es war kurz nach Mitternacht. Hinter dem beschatteten Fenster neigten sich die Silhouetten der Palmen einander zu. »Kannst du ein Geheimnis für dich behalten?« »Sicher.« »Ich gebe in New York Karate-Unterricht.«
40 Auf dem Bildschirm sagte Clint Eastwood: »Also los, mach mich kalt.« »Das ist der Spruch«, sagte Framijian. »Ich liebe diesen Spruch. ›Mach mich kalt‹. Das nenne ich hart. Stimmt's, Baby?« Rosalie, die mit müden Augen im Sessel hing, sagte: »Schatz, es ist ein wunderbarer Spruch, aber ich habe ihn heute abend bereits dreimal gehört.« »Er ist immer noch gut«, sagte Framijian. »Was ist mit Ihnen, Fremder? Gefällt Ihnen der Spruch?« Minska saß im Ohrensessel, seine Augenlider fielen herunter. Es war zwanzig nach drei. Minska hatte es aufgegeben, nachzurechnen, wann er das letzte Mal geschlafen hatte. Er raffte sich auf, streckte sich und gähnte. »Ja, ein guter Spruch«, sagte er. »Aber jetzt keine Filme mehr.« »Wollen Sie noch etwas Rommé spielen?« Minska schüttelte den Kopf. »Ich denke, es wird Zeit, daß wir etwas Schlaf bekommen.« 179
»Hey, das ist eine wirklich gute Idee, Sportsfreund«, sagte Framijian. »Wollen Sie das Gästezimmer nehmen? Wir haben auch eins von diesen japanischen Futon-Betten, besser kann man nicht schlafen. Rosalie und ich werden uns ins große Schlafzimmer legen. Wie klingt das?« »Es klingt so, als ob Sie denken, daß ich reichlich dämlich bin«, sagte Minska. Framijian erhob beide Hände mit den Handflächen nach oben zu einer flehendlichen Geste. »Mann, Sie haben mich falsch verstanden. Ich denke nie, daß der Mann mit der Waffe dämlich ist. Ich habe Respekt vor Waffen, ich handle selbst damit.« »Er hat damit gar nichts gemeint«, sagte Rosalie. Sie war selbst sehr müde und hoffte nur, daß Framijian nichts versuchen würde. Dieser große Kerl sah so aus, als würde er immer ein paar Schritte im voraus denken. Sie hatte das Gefühl, daß er sie nicht töten würde, wenn sie tun würden, was er sagte. Sie war sich zwar nicht sicher, hoffte es aber so. Sie hielt das jedenfalls für angebrachter, als zu versuchen, ihn hier im Hause anzugreifen. Aber die Frage war, was dachte Framijian? »Was haben Sie also vor?« fragte Framijian gähnend; es war für alle ein anstrengender Tag gewesen. »Sie schlafen beide hier auf der Couch, damit ich Sie sehen kann«, sagte Minska. Er holte den Schlüssel für die Handschellen hervor. »Und jetzt verhalten Sie sich vollkommen ruhig! Ich werde das mit einer Hand machen, damit ich in der anderen die Pistole halten kann. Versuchen Sie nicht, danach zu greifen!« Er schloß Framijians Handschellen linkshändig auf, die Pistole lag in der rechten. Sein Finger ruhte sanft, aber entschlossen 180
am Abzug. Bei Framijian rührte sich kein Haar, als Minska ihn mit Rosalie an den Handschellen zusammenschloß. »Bequem so?« fragte er. »Nun, es ist aufregend«, sagte Framijian. »Stimmt's, Baby?« »Ich wünschte nur, ich könnte mich hinlegen«, sagte Rosalie. »Entschuldigung, aber das wird nur schwer möglich sein«, sagte Minska. »Es gibt noch eine abschließende Sache.« Er nahm seine Tasche, wühlte einen Moment in ihr herum und brachte einen Apparat zum Vorschein, der wie ein Wecker aussah. Er drückte auf Knöpfe, stellte etwas ein und legte ihn dann neben Framijian auf die Couch. »Was ist das?« fragte Framijian. »Eine kleine Splitterbombe. Modell: Böse Falle. Sie ist so eingestellt, daß sie in zwölf Stunden zünden wird.« »Oh. Aber warum legen Sie sie dann hierher?« »In ihr ist ein kleiner Erschütterungskontakt eingebaut«, sagte Minska. »Wenn man dagegen stößt oder etwas Ähnliches passiert, geht sie hoch. Deshalb werden Sie nett und ruhig auf der Couch bleiben und nicht in den Polstern nach einer verstecken Pistole oder Handgranate wühlen.« »Ich habe nirgendwo Pistolen versteckt«, sagte Framijian. »Mag sein oder auch nicht. Ich habe jedenfalls nicht genügend Zeit, hier alles zu durchsuchen. Es stellt nur sicher, daß Sie sich ruhig verhalten.« Framijian protestierte. Aber Minska hatte seine Entscheidung getroffen. Er ging durch den Raum und legte sich auf den Teppich hin. Er stellte den Wecker seiner Armbanduhr, legte sich mit der Wange auf die Pistole und schlief sofort ein. 181
Nach einer Weile fragte Framijian: »Glaubst du, daß er blufft?« »Womit?« fragte Rosalie schläfrig. »Mit dem Ding, das eine böse Falle sein soll. Ich habe noch nie etwas von einer so bezeichneten Falle gehört, und ich müßte es wissen.« »Ist es das wert, unser Leben zu riskieren, nur um das herauszufinden?« fragte Rosalie. »Fast. Ich würde viel darum geben, diesem Hurensohn mit dem Tisch den Schädel einzuschlagen.« »Nicht, solange ich hier auch auf der Couch sitze«, sagte Rosalie mit sich überschlagender Stimme. »Keine Angst, Schatz, ich werde nichts unternehmen.« Von Minska kam mit Unterbrechungen ein Geräusch. Es klang wie ein Todesröcheln, nur leiser und in kürzeren Abständen. »Der Hurensohn schnarcht«, sagte Framijian. »Verdammt, ich weiß nicht, wie wir so schlafen sollen. Rosalie, hörst du mich?« Von Rosalie war ein sanftes Schnauben zu hören; es war ein damenhaftes Schnarchen. »Jesus«, sagte Framijian ergriffen. Er lehnte sich mit einer sehr gleichmäßigen und sanften Bewegung in der Couch zurück. Er dachte noch immer darüber nach, daß er so niemals einschlafen könnte, als er einschlief.
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Fünfter Teil Die große Jagd 41 Emilio wußte nicht, was er von dem Brief der Jagd-Leute halten sollte, aber er wußte, was er zu tun hatte. Er hatte bei Barnes Handelsgesellschaft im Behördengebäude an der Lincolnallee angerufen. Über sie liefen viele der legalen Geschäfte Guzmans. Man sagte ihm, daß das zwar nicht ihre eigentliche Aufgabe sei, aber sie würden es überprüfen und am Morgen zurückrufen. Sie riefen pünktlich um neun Uhr an. Nachdem er mit ihnen gesprochen hatte, ging Emilio in Guzmans Arbeitszimmer. »Erzähl, was hast du herausgefunden?« fragte Guzman. »Die Barnes Handelsgesellschaft hat mir gesagt, daß es ein Spiel namens ›Killer‹ gibt, das man auf Universitätsgeländen spielt. Es basiert auf einer Kurzgeschichte namens ›Das siebte Opfer‹ von Robert Sheckley und einem Film, der nach der Story gedreht wurde, mit dem Titel ›Das zehnte Opfer‹.« »Aha, den Film habe ich im Spätprogramm gesehen«, sagte Guzman. »Eine bescheuerte Geschichte über eine Frau, die einen Mann in Rom jagt und sich in ihn verliebt, jedenfalls so ungefähr. Aber das ist eine Fantasy-Story, Emilio.« »Nein«, sagte Emilio, »es ist wahr. Ich meine, das Spiel. In ganz Amerika spielen es die Studenten mit Wasserpistolen und 183
Mehltüten, und das schon seit über zwanzig Jahren.« »Und was heißt das?« »Das heißt, daß es eine ganze Generation gibt, die dieses Jäger-Spiel gespielt hat. Stellen Sie sich vor, daß einige von ihnen auf die Idee gekommen sind, es ganz realistisch zu versuchen.« »Aber das wäre doch verrückt!« »In Anbetracht dessen muß ich Sie daran erinnern, daß Encantado auch verrückt war, genauso wie Santa Inez und der Typ aus Zelle 61.« »Erinnere mich nicht daran, das waren grausame Zeiten«, sagte Guzman. »Und was ist heute? Die Situation ist fast die gleiche. Betrachten Sie doch einmal selbst Ihre derzeitige Arbeit, Don Alphonso. Hätten Sie vorher jemals daran gedacht, daß Sie so weit von zu Hause entfernt zum Killer von politischen Dissidenten würden?« »Es ist nicht das, was ich mir ausgewählt habe«, sagte Guzman. »Aber ein Mann sollte den Job verrichten, der ihm liegt. Ich habe immer gute und saubere Arbeit abgeliefert.« »Als Sie der Chef des Modell-Gefängnisses waren, haben Sie Leute gefoltert.« »Natürlich hab ich das. Das Foltern von Menschen gehört zum Job eines zentralamerikanischen Gefängnis-Kommandanten, und folglich macht man es sauber, was in diesem Fall gründlich heißt.« »Einige Leute könnten das für verrückt halten«, sagte Emilio. »Aber nur, weil sie nicht dort gewesen sind«, sagte Guzman 184
mit Nachdruck. »Ich wollte nur sagen, Don Alphonso, daß im Zusammenhang mit unserem Leben und unseren Erfahrungen, diese ›Jagd‹Organisation, die überall Leute umlegt, kein so fremdartiges Konzept hat. Ich meine, es gibt viele Gruppen, die Leute aus dem ein oder anderen Grund umlegen, warum nicht aus Gründen der ›Jagd‹-Organisation? Das ist nicht verrückter als einiges andere auch. Es ist sogar um einiges gescheiter, wenn man die anwachsende Radikalisierung der restlichen Weltbevölkerung berücksichtigt …« Guzman hob seine Hand. »Erspare mir einen Vortrag über deine Ansichten, Emilio. Man hat dich wegen deiner negativen Katastrophenhaltung aus der CPN geworfen.« »Das ist nur zu wahr. Aber, mi Commandante, ich flehe Sie an, diese Warnung ernst zu nehmen, selbst wenn es sich bei diesen Leuten um Verrückte handeln sollte. Seit der Erfindung des Schießpulvers sind Verrückte schon immer für schlechte Nachrichten gut.« Emilio hätte Guzman das nicht sagen sollen. Er dachte immer noch daran, als ihn an diesem Nachmittag Dr. Machado-Ropas anrief. Guzman hatte ganz vergessen, daß es für seine alle sechs Monate stattfindende Generaluntersuchung Zeit wurde. Dr. Machado-Ropas war ein kleiner, rundlicher Mann, Anfang Sechzig, mit einem Spitzbart und getönten Brillengläsern. Als er die Untersuchung beendet hatte und seinen Arztkoffer schloß, sagte Machado-Ropas geradeheraus: »Was bereitet Ihnen Kummer, Don Alphonso?« 185
»Überhaupt nichts, überhaupt nichts«, sagte Guzman. »Wie sind meine Ergebnisse?« »Vorausgesetzt, daß die Laborbefunde in Ordnung sind, geht's Ihnen gut. Aber Ihr Blutdruck ist bedenklich hoch. Das ist für einen Mann wie Sie ein gefährliches Anzeichen. Können Sie mir nicht sagen, was los ist? Ich bin Ihr Hausarzt und möchte Ihnen gerne helfen.« »Es gibt nichts, was Sie tun können. Ich hab ein bißchen Ärger. Nichts, womit ich nicht klarkommen würde.« »Hat es in der letzten Zeit in Ihrem Leben einschneidende Veränderungen gegeben?« »Nicht wirklich. Nun, es gibt da einen neuen Mann, mit dem ich Geschäfte abschließe.« »Ein neuer Mann? Ist er vertrauenswürdig?« »Ich bin mir nicht sicher. Irgend etwas an ihm ist merkwürdig.« »Und das hat Sie aus dem Gleichgewicht geworfen?« »Ich fürchte ja.« »Dann bitte ich Sie, mein lieber Don Guzman, töten Sie diese Person, und befreien Sie sich von Ihren Ängsten.« »Meinen Sie, daß das so einfach ist? Einfach jemanden umbringen, nur weil er einen aus dem Gleichgewicht gebracht hat?« fragte Guzman. »Ich habe nicht gesagt, daß es einfach ist. Ob leicht oder schwierig, geht mich nichts an. Ich ermahne Sie lediglich als Ihr Arzt eindringlich, sich von Ihren Ängsten zu befreien.« »Ich brauche meinen Arzt nicht, damit er mir sagt, daß ich mich von Leuten, die mir gefährlich werden könnten, befreien 186
muß. Das wäre dasselbe, als wenn ich meinen Anwalt darum bitten würde, mich für eine passende Frisur zu beraten.« »Ich sehe da keine Verbindung«, sagte Dr. Machado-Ropas. »Sie nehmen alles wörtlich, Doktor«, sagte Guzman, »und das gefällt mir an meinem Medizinmann. Für Sie sollte meine Gesundheit für sich stehen und kein Metapher für irgend etwas anderes sein. Vergeben Sie mir, daß ich in Ihrer Gegenwart einen Vergleich gezogen habe, alter Freund. Okay, ich werde mich um diese Person bei passender Gelegenheit kümmern, sobald ich die Zeit dazu habe.« »Das sagen Sie auch immer, wenn's um Ihr Rauchen geht«, sagte Dr. Machado-Ropas, aber er lächelte dabei nachsichtig. Er kannte Guzman schon eine lange Zeit. Seit seiner Kindheit. Alle seine Freunde und Feinde kannte er seit seiner Kindheit. Und auch seine Patienten. Alphonso Guzman wählte sich eine Montecristo Nummer 1 aus, zündete sie sich bedächtig an und lehnte sich eine Weile zu einem stummen Selbstgespräch zurück. Ich habe die Entscheidungen getroffen, die ich treffen mußte. Es war der damalige Zeitgeist. Ich brauche mich für nichts zu schämen. Aber was lamentiere ich? Ich habe kein Selbstvertrauen. Aber ich habe die Zeichen der Zeit erkannt, habe zu viele Erfahrungen gemacht, um ein schlechtes Gewissen zu haben. Aber die Ehrbarkeit eines Mannes verlangt danach, Schwierigkeiten ins Auge zu sehen und sie dann für immer zu beseitigen und weiterzuleben, denn erst das macht einen Mann aus. Der Gefahr ins Auge zu sehen, verlangt nach einem ganzen Mann. Ich mußte tun, was ich tat. Ja, es kam eine Zeit, als ich es 187
nicht länger hätte tun müssen. Man sagte mir, ich könnte nun das Gewehr an den Nagel hängen. Aber das war auch alles, von dem ich wußte, wie man es tat. Hätte ich davon Abstand genommen, meine Feinde umzubringen, hätte ich mir den Vorwurf meiner Freunde eingehandelt und meine Reue für das, was wir all die Jahre getan haben, eingestanden. Aber ich halte es nicht für unrecht. Es ist zu kompliziert, ich kann es nicht erklären. Die Geschichte mag uns verurteilen, aber wir waren nicht schlecht. Man wird in ein bestimmtes Leben geboren, man hat seine Freunde und Feinde. Was soll man tun? Sich selbst als moralisch minderwertig verurteilen und sich am Nordpol unter Hausarrest stellen? Guzman erklärte Tito die Lage. Tito sagte: »Was wollen Sie nun tun, Boß? Wollen Sie, daß ich den Kerl finde und ihm die Lichter ausknipse?« »Nur nichts überstürzen«, sagte Guzman. »Du kennst doch Shakespeares Lustspiel ›Viel Lärm um Nichts‹?« Tito dachte darüber nach. Schließlich glaubte er, etwas davon zu kapieren. »Wollen Sie, daß ich den Schalldämpfer benutze?« »Nein, nein«, sagte Guzman. »Ist ein Schauspieler in die Sache verwickelt?« fragte Tito. »Vergiß, was ich dir gesagt habe. Wir werden alles ganz in Ruhe planen.« »Aber Boß! Dieser Typ plant möglicherweise, Sie umzubringen! Ich weiß nicht, was in Sie gefahren ist!« »Ich werde dir sagen, was in mich gefahren ist!« sagte Guzman. »Es gibt immer noch Miguelito, als Garanten unseres Erfolgs, und mit der Waffentransaktion steht uns ein hübscher 188
Gewinn ins Haus.« »Meinen Sie, er wird die Sache schaukeln?« »Jawohl, das wird er.« »Warum sind Sie davon so überzeugt?« »Weil Framijian alles regelt. Framijian bringt alles zu Ende.« »Aber vielleicht hat man Framijian bestochen?« »Das ist egal. Das ist nicht meine Sache. Framijian wird von der Bahamas Corporation unterstützt. Ihre Repräsentantin Miss Brannigan steht ihm zur Seite. Sie garantieren für diese Operation. Es würde doch ziemlich lächerlich wirken, wenn ich jetzt kneifen würde, nur weil mir ein paar Spinner einen Brief geschickt haben, oder? Man würde sagen, ›dieser Guzman benimmt sich wie ein altes Waschweib, wir sollten mit ihm besser keine Geschäfte mehr machen‹, und das würde uns doch sicher nicht gefallen, stimmt's?« »Nein«, sagte Tito langsam und dachte darüber nach. »Aber es würde uns auch nicht gefallen, umgelegt zu werden.« »Gewarnt sein heißt, gewappnet sein.« »Ist das ein anderes Theaterstück, Boß?« »Tito, was ich versuche dir zu sagen, ist, daß wir alles wie geplant mit nur einem Unterschied durchziehen werden. Bevor dieser Blackwell einen Schritt unternehmen kann, wenn er überhaupt etwas unternehmen wird, werden wir ihn furchtbar zurichten.« »Ah, das verstehe ich; das ist wie in alten Zeiten.« Für einen Moment verschleierte sich Guzmans Blick. »Die alten Zeiten … damals in Zentralamerika. Als ich noch El Terror Blanco war und du Sergeant Muerte Tarde!« 189
»Die gute alte Zeit«, sagte Tito. »Wir werden dergleichen nie wieder erleben, alter Freund. Aber wir werden heute abend eine interessante Zeit haben.«
42 Nachdem sie das Büro des Bereichsleiters verlassen hatten, ging Blake schnurstracks auf eine Telefonzelle zu und führte ein dringendes Telefonat mit Johnny Romero. Romero war sein Hauptspitzel unter den Latinos. Blake gab eine knappe Beschreibung von Blackwell und erklärte Romero, daß er wissen müsse, wer er ist, und erwähnte, daß er die Information schneller als sofort benötige. Er bat Romero, ihn in der Telefonzelle im Rexall an der Ecke 8. Straße / 17. Avenue anzurufen. Johnny Romero gab die Losung an alle Barrios (Wohnviertel) weiter, die sich über die größere Umgebung von Miami wie eine zentralamerikanische Landplage ausgebreitet haben, wie eine Krankheit, durch die ergraute Leute braun werden und brauner Kaffee schwarz wird, Kartoffeln durch Frijoles ersetzt werden und Rindfleisch dem Schweinefleisch Platz machen muß. Die Losung – Findet Blackwell! – gelangte bis ins Sumpfland zu den Einwohnern in den buntgemischten Gemeinden Süd-Miamis. Ehe Kolumbianer, die in der 21. Avenue in einer engen Cafeteria mit Neonlicht Kaffee tranken, hörten von der Nachricht und erzählten sie den Guatemalteken, die im Hinterraum eines Wettbüros, wo der South Dixie Highway die Bird Avenue kreuzt, Pulque tranken und der Harfenmusik aus den Anden lauschten. Einer der Guatemalteken kannte einen Nicaraguaner 190
aus Isabella la Vieja – tatsächlich waren sie Cousins – und fragte ihn. Dieser Nicaraguaner, Danillo Tomasillo, der als Nachtportier im Turfrider arbeitete, überdachte die Losung sorgfältig. Dann ging er in einen als Kramladen getarnten Spielsalon und rief Johnny Romero an. Romero rief Blake an und sagte, er würde sofort zu ihnen herüberkommen. »Du weißt etwas über diese Jäger, stimmt's?« fragte Coelli, als Blake aus der Telefonzelle kam. Sie standen an der Ecke 8. Straße / 17. Avenue vor dem Rexall, während alle möglichen Latinos nach dem Rhythmus der Salsamusik – die aus den wetteifernden Lautsprechern der HiFi- und Plattenläden plärrte – tanzten, trippelten, hüpften und umhertollten. Die Wirkung erinnerte an eine Szene aus ›Spellbound‹, wo allmählich die Fantasie schwindet und sich alles in einem dissonanten, von Sekunde zu Sekunde bedrohlicher werdenden Gebrüll und Gekreische in eine andere Realität auflöst. Die Realität der 8. Straße war bis aufs Äußerste gespannt, aber sie entlud sich nie so recht. »In der Tat, ich weiß etwas«, sagte Blake. »Ich wollte es gegenüber Dickerson nicht erwähnen, aber letzten Monat war in Talahassee eine spezielle Einsatzbesprechung, kurz bevor du kamst.« Er zögerte. »Du hast eine Unbedenklichkeitsbescheinigung für die doppelte Sicherheitsstufe, ist das richtig?« Coelli nickte. »Vielleicht sollte ich mich lieber darum kümmern, dir eine für die dritte Stufe zu besorgen, weil diese Information für keine niedere Stufe bestimmt ist.« »Um Himmels willen!« sagte Coelli. »Ich bin dein Partner. Ich muß doch auf alle Fälle davon wissen, falls du in einer 191
Phase dieser Operation ausfällst und ich den Fall übernehmen muß.« »Schon gut, schon gut«, sagte Blake. »Ich fürchte, ich muß dir vertrauen.« Man merkte, es fiel ihm nicht leicht. »Die Jagd gibt es. Wir haben Grund zur Annahme, daß noch viele Jagden – so nennen sie jedenfalls ihre Meuchelmorde – gemacht werden.« Coelli vertilgte einen schwefelgelben Cuchifrito, als Johnny Romero in seinem gelben Ford-Carbrio mit roten Ralleystreifen an den Seiten vorfuhr. Die CIA-Männer stiegen ein, und Romero raste dem Julia Tuttle Causeway entgegen. »Wohin fahren wir?« fragte Blake. »Zu einer Party«, sagte Romero. »Blackwell wird heute abend auch dorthin kommen.« 43 Blackwell sah sich in einem ungewohnten Schlafzimmer um. Auf dem Fußboden schienen eine Menge Klamotten zu liegen. Das meiste davon war Frauenbekleidung. Einiges davon gehörte ihm. Er schien nackt im Bett von jemand anderem zu liegen. Auf Grund der langen Schatten draußen, schätzte er, daß es später Nachmittag sein mußte. Aus dem anderen Zimmer vernahm er Mercedes' Stimme: »Hey, bist du schon wach? Kaffee?« »Ja, bitte, ja«, sagte Blackwell. Sie kam mit dem dampfenden Becher zu ihm ans Bett. Sie trug ein hellrotes Neglige aus irgendeinem noppigen Material. Ihr Aussehen reichte, um sie 192
sofort in eine Kiste zu packen und sie sich dann selbst an eine Adresse in der Wüste oder im Hochgebirge zu schicken, um tagelang ununterbrochen Brunstschreie auszustoßen und nächtelang den Mond anzujaulen. Während sich Blackwell anzog, räumte Mercedes schnell die Küche auf. Sie hatte es im Laufe der Nacht und des Morgens geschafft, jeden Zentimeter von Blackwells Kleidungsstücken und seines Körpers zu untersuchen. Ein verräterisches Firmenzeichen von Bamberger in Newark schien sein Eingeständnis zu bestätigen, daß er entweder in New Jersey seinen Wohnsitz hatte oder es vor kurzem besucht hatte. Er besaß ausgezeichnete Waffen; besonders gefiel ihr die Rolex-Pistole. Sie hatte vor, die Bahamas Corporation zu fragen, ob sie ihr auch so eine bauen könnten. Aber für wen arbeitete er? Blackwell sah auf die Uhr. »Oh, es wird Zeit, daß ich zurück in mein Hotel komme. Ich muß vor der Party noch einiges erledigen.« »Ich muß mich vorher auch noch um einiges kümmern. Wir sehen uns dann dort.« Er hatte sich als weit unterhaltsamer erwiesen, als sie im voraus hätte erahnen können. Es hatte ohne Zweifel etwas mit dem Körperlichen zu tun. Einer dieser unheimlichen Klicks, von denen sie in Liebesromanen gelesen hatte, die sie aber selbst nie erfahren und auch nicht erwartet hatte. Sie war froh, daß sie ihm nicht alles über sich während einer der angenehmeren Momente ihrer gemeinsamen sexuellen Vorstellung erzählt hatte, besonders nicht während der extremen Nummer mit der Krake und dem Zwiesel, die sie jetzt, als sie daran dachte, erröten ließ. Sie wußte noch immer nicht, für wen er arbeitete. Auf dem 193
Höhepunkt fragt man nun mal nicht, »verdammt nochmal, Schatz, wer bist du eigentlich wirklich?« Mercedes wartete, bis sie das Startgeräusch seines Wagens hörte und er wegfuhr. Dann rief sie Alvarez an.
44 Es ging dem Abend entgegen. Durch die Schlitze der Jalousien fiel goldenes Sonnenlicht in Framijians Wohnzimmer. Minska trug jetzt eine leichte Freizeithose und ein Hawaiihemd. Er hatte gerade seine Taucherausrüstung in einen billigen Plastikmüllbeutel gesteckt. Mit Handschellen an Händen und Füßen zusammengekettet beobachteten ihn Framijian und Rosalie bei seinen Vorbereitungen. Sie waren sich beide der Tatsache bewußt, daß das der gefährlichste Moment war. Was würde er mit ihnen tun, bevor er sie verlassen würde? »Sie denken wahrscheinlich darüber nach, was ich mit Ihnen tun werde, bevor ich Sie verlasse«, sagte Minska. »Ach, nein, überhaupt nicht«, sagte Framijian mit einer Überzeugung, von der er selbst nichts spürte. »Wir haben uns die ganze Zeit kooperativ verhalten, und ich habe versprochen, daß wir in den nächsten 48 Stunden nichts verraten und nichts unternehmen werden. Wir sind hier auf der Couch angekettet, können uns nicht bewegen und nichts unternehmen. Also ist doch alles in Ordnung … oder?« Minska holte ein langes Messer mit einer rasiermesserscharfen, hohlgeschliffenen Klinge hervor. »Hey, was soll das?« fragte Rosalie. 194
»Entschuldigen Sie, gnädige Frau, ich muß es tun.« Minska durchquerte den Raum und durchschnitt die Telefonleitung. Dann sah er Framijian und Rosalie nachdenklich an. »Und was nun?« fragte Framijian ängstlich. »Ich dachte gerade darüber nach, ob Sie hier nicht irgendwo so etwas wie einen Dietrich versteckt haben. Soviel ich weiß, könnten Sie sich, fünf Minuten, nachdem ich gegangen bin, von diesen Handschellen befreien.« »Ja aber!« sagte Framijian aufrichtig empört. »Ich gab Ihnen mein Wort, daß ich hier 24 Stunden sitzen bleiben werde.« »Was sollten Sie auch sonst unter solchen Umständen sagen? Ich denke, ich benötige eine weitere Vorsichtsmaßnahme, lediglich als eine Vorsichtsmaßnahme«, sagte Minska. Minska öffnete den Sack, wühlte drin herum, fand einen kleineren Sack und öffnete ihn. Er nahm einen Gegenstand in der Größe einer Packung Filterzigaretten heraus. Der Gegenstand war aus schwarzem Metall und hatte zwei Ziffernblätter und zwei Drehregler. Minska drehte an einem der Regler, stellte die Zeitschaltuhr ein und ging mit dem kleinen Gerät in der Hand zu Framijian und Rosalie herüber. Rosalie fing an zu wimmern, Framijian begann zu stottern. »Keine Sorge, es wird nichts passieren«, sagte Minska. »Das ist nur eine Art Versicherung. Sie werden beide unversehrt bleiben, solange Sie sich ruhig verhalten.« Vorsichtig legte er das Gerät zwischen sie. »Was ist das?« fragte Framijian. »Eine kleine Bombe. Etwas anderes als die, die ich letzte Nacht benutzt habe. Diese ist mit einem C 27 ausgerüstet und wird sich in 24 Stunden selbst entschärfen, wenn Sie den 195
Kontakt nicht vorher auslösen.« »Was müssen wir tun, um ihn nicht auszulösen?« fragte Framijian. »Sie hat einen beweglichen Pendelsensor, der in einem leitenden Metallkegel hängt. Ihnen passiert nichts, solange Sie ruhig sitzen. Aber wenn Sie sich umherbewegen oder die Couch erschüttern, dann geht das Dingen hoch. Es wird der ›Steifmacher‹ genannt.« »Warten Sie eine Minute!« sagte Framijian. »Was geschieht, wenn einer von uns niest?« »Ein leichtes Niesen geht wahrscheinlich in Ordnung«, sagte Minska unsicher. »Sie können uns hier doch nicht so zurücklassen!« entrüstete sich Framijian. »Das ist doch besser, als tot zu sein. Und das wären Sie, wenn ich keine ethischen Grundsätze hätte«, sagte Minska. Er ging und schloß hinter sich leise die Tür zu.
45 Erneut ertönte die Türglocke. Framijian hatte eine von den Türklingeln, die ein ganzes Glockenspiel erklingen ließen. Er hatte schon lange vorgehabt, sie auszutauschen. Aber man weiß ja, wie das ist, wenn man soviel um die Ohren hat. Er sah zu Rosalie, indem er seine Augäpfel verdrehte, dann schielte er nach der Bombe zwischen ihnen auf der Couch. »Meinst du, wir könnten beide gleichzeitig aufstehen?« fragte Rosalie. 196
»Laß uns das bloß nicht versuchen«, sagte Framijian. Er räusperte sich und rief: »Hilfe!« Wieder erklang das Glockenspiel, dieses Mal ungeduldiger. Rosalie rief mit durchdringender Stimme: »Wer immer das ist, helfen Sie uns bitte!« »Man kann uns nicht hören«, sagte Framijian. »Spar dir deinen Atem.« »Wenn ich schreie, fühle ich mich aber besser«, sagte Rosalie. Dann hörten sie ein kratzendes Geräusch an der Eingangstür. »Was ist das?« fragte Rosalie. »Sie versuchen, mit einem Dietrich reinzukommen. Keine Chance.« Nach einer Weile hörten sie ein dumpfes Geräusch, als ob etwas Schweres gegen die Tür prallen würde. Ein Motorengeräusch war zu hören; dann wieder das andere Geräusch, dieses Mal nur lauter. Framijian und Rosalie beugten sich vorsichtig zurück. Die Tür sprang aus den Angeln und fiel quer auf den Wohnzimmerteppich. Sie wurde durch ein Viereck aus strahlendem Sonnenschein ersetzt, der nur teilweise von dem Weiß und Chrom eines neuen Buick Bushmaster unterbrochen wurde, der erheblich eingedellt war, seit er als Rammbock für die Tür eingesetzt worden war. »Ich glaube, ich werde ohnmächtig«, sagte Rosalie. »Nicht jetzt«, sagte ihr Framijian. »Wir haben hier eine Bombe, erinnerst du dich daran?« »Deshalb werde ich ja ohnmächtig.« »Halt noch etwas länger durch!« 197
Der Wagen fuhr zurück. Zwei Männer eilten durch die Tür. Einer von ihnen trug ein weißes Guyabara-Hemd, der andere ein lila-goldenes, kurzärmeliges Sporthemd. Sie hatten Pistolen in der Hand. »Halt!« kreischte Framijian. »Eine Minenbombe!« Die Männer hatten volles Tempo drauf und schienen kurz davor zu sein, gegen die Couch zu krachen. »Wo ist die Bombe?« fragte Alvarez. »Hier auf der Couch«, sagte Framijian. »Was soll ich am besten damit machen?« »Du machst gar nichts damit! Einer von euch hält sie dort an ihrem Platz fest, so daß sie sich nicht bewegen kann. Und du, Alvarez, hilfst Rosalie und mir beim Aufstehen.« Manitas hielt die Bombe fest, während Alvarez Framijian und Rosalie auf die Füße half. Er brachte sie nach draußen, und als sie weit genug vom Haus entfernt waren, rief er nach Manitas. »Was soll ich mit dem Ding hier machen?« fragte Manitas von drinnen. »Stell sie einfach hin … aber sachte, ja …? und komm heraus.« »Ich komme, Boß. So eine Bombe wie diese hier hab' ich noch nie gesehen. Ich stelle sie jetzt hier hin und … uups …!« Die folgende Explosion sprengte die vordere Wand heraus. Nach einigen Minuten betretenen Schweigens sagte Framijian: »Nun, das beantwortet die Frage, ob es eine echte Bombe war oder nicht. Komm, Alvarez, laß uns in die Gänge kommen.« Alvarez war noch von der Explosion und der plötzlichen Abwesenheit von Manitas eingeschüchtert, einem jungen Mann, 198
der eine außerordentliche Begabung für das Verbrechen besaß, aber einen fatalen Hang zur Ungeschicklichkeit hatte. »Wir müssen Sie von diesen Handschellen befreien«, sagte er zu Framijian. Alvarez durchtrennte die Handschellen mit einem Drahtschneider aus der Werkzeugkiste seines Bushmasters. »Komm, laß uns losfahren«, sagte Framijian ungeduldig. »Wohin?« »Ich will mir diese Scheißkerle schnappen«, sagte Framijian. »Jetzt ist Schluß mit diesem freundlichen Gehabe. Wir werden diese Trottel umlegen.« »Yitzhak!« sagte Rosalie empört. »Wenn du mich jetzt alleine läßt, ist alles vorbei!« »Besorg uns ein Zimmer im Fountainbleu, Schatz«, sagte Framijian und küßte flüchtig ihre Wange. »Wir müssen ja irgendwo unterkommen, bis jemand das Haus repariert hat.«
46 Blackwell traf sich mit Minska in dessen Zimmer im Hotel Nemo. Minska war gelassen und sachlich, Blackwell war überdreht, nervös und leicht ungehalten. »Die Rolex hast du um, okay. Was ist mit dem Auslöser für die Sprengladung? Gut. Hier, nimm das auch noch.« Er öffnete eine elegant gefertigte Florentiner Lederaktentasche, die für den Fall benutzt werden sollte, daß Guzman den Rest in bar bezahlen würde. Er zeigte Blackwell, wo er den Handgriff zu drücken hatte. Blackwell betätigte ihn, und ein 199
oberes Fach schnappte auf, in dem sich in einer ausgegossenen Form eine schmale, sehr flache Spectre SMG verbarg. Sie war von Sites S.p.A. aus Italien neu entwickelt worden und imstande, neunhundert Kugeln in der Minute abzufeuern. Die kleine Waffe hatte einen Pistolenschaft. Jedes ihrer vier Kolonnenmagazine enthielt fünfzig Kugeln. »Nicht gerade eine Waffe für einen Scharfschützen«, sagte Minska, »aber in der Menge nützlich. Ich glaube nicht, daß man sie entdeckt, selbst wenn sie ein Infrarotgerät haben. Sie wird mit Parabellum 9x19 geladen. Der sinusförmige Zug schützt den Lauf vor Abnutzung, aber darum brauchen wir uns in diesem Augenblick keine Sorgen zu machen. Spann sie so, und die erste Kugel ist geladen, und der Hahn ist vollgespannt. Du mußt hier den Hebel lösen, um den Hahn, ohne abzufeuern, zu lösen. Abfeuern ist einfach. Die Waffe ist nicht gesichert, hat nur einen doppelten Abzug. Du mußt das Baby nicht einmal ölen. Sie ist aus selbstschmierendem Metall gebaut.« Blackwell wog die Waffe ab, sie lag gut in der Hand. Er steckte sie zurück in die Aktentasche, hakte sie ein und setzte die Verkleidung wieder an Ort und Stelle. »Okay«, sagte Blackwell. Er machte auf Minska einen merkwürdigen Eindruck; mal war er überspannt und nervös, im nächsten Augenblick apathisch. »Ist irgendetwas nicht in Ordnung?« wollte Minska wissen. »Nicht ganz. Es ist nur, daß … also, es ist doch schwierig, einfach eine Pistole zu ziehen und einen Mann abzuknallen; egal wie sehr er es verdient hat, getötet zu werden.« »Ich weiß schon«, sagte Minska, »es ist die Cowboy-Moral. Man muß dem anderen Kerl eine Chance geben, laß ihn zuerst 200
ziehen und dann niete ihn mit verblüffender Geschwindigkeit um. Kulturelle Vorbehalte. Laß dich davon bloß nicht beeinflussen.« »Wird schon nicht passieren«, sagte Blackwell. »Erinnere dich daran, daß du ein Söldner werden wolltest. Söldner geben dem anderen keine Chance. Ein Söldner schließt einen Vertrag ab, um zu töten, und erfüllt ihn dann auch. Und genau das macht die Jagd.« »Ich werde es schon schaffen«, sagte Blackwell. »Wirst du auch da draußen sein?« »Ich werde in der Nähe sein. Wenn du Schwierigkeiten bekommst, werde ich dich unterstützen. Irgendwelcher Ärger, und ich werde da sein, irgendwelche Verwicklungen, und ich werde dich da rausholen. Mach dir also keine Sorgen.« »Minska, ich glaube, mir wird schlecht.« »Dann beeil dich und bring's hinter dich.« Blackwell ging ins Badezimmer und kam nach ein paar Minuten zurück. »Hast du gekotzt?« fragte Minska. »Nur ein trockener Brechreiz. Ich bin jetzt okay. Aber ich glaube, das ist meine erste und letzte Jagd.« »Das erste Mal ist immer am schlimmsten«, sagte Minska. »Es wird Zeit, laß uns gehen.« »Alles schaut auf dich, Junge«, sagte Blackwell ohne ersichtlichen Grund und ging aus der Tür, stieg in seinen Mietwagen und fuhr davon. Minska sah ihm hinterher. Selbst die besten hatten Lampenfieber. Sie waren nicht anders als die Schauspieler, diese Jäger. 201
Er hoffte nur, daß Blackwell seine Aufgabe erledigen und alles gut ausgehen würde. Er mochte Blackwell. Er fühlte sich mies, daß es ein paar Dinge gab, die er ihm nicht sagen konnte. Die Jagd-Organisation spielte ein gerissenes Spiel.
47 »Wenn dieses alte Ekel das nochmal versucht, werde ich ihn plattbügeln«, sagte Coelli. »Er ist kein altes Ekel«, sagte Blake, »viele lateinamerikanische Typen tragen solche Rüschenhemden.« »Kneifen sie einem deswegen auch alle in den Arsch?« »Er wollte nur, daß du dich hier wie zu Hause fühlst. Beruhige dich.« Blake und Coelli waren in Blakes uraltem Toyota bei der Party angekommen. Neben den Maseratis und Ferraris sah er wie ein Haufen Scheiße aus, ganz zu schweigen von den Cadillacs und Buicks. Eine Reihe Leute war mit nichts anderem beschäftigt, als die Wagen zu parken. Eine Menge Gäste trafen ein. Die meisten Männer trugen Rüschenhemden, und die Frauen sahen wie Orchideen auf hochhackigen Schuhen aus. Tito überprüfte die Gäste, und als er Blake sah, lächelte er. »Sie stehen nicht auf der Gästeliste, aber ich denke, das geht in Ordnung.« »Das hoffe ich für dich«, sagte Coelli. Sie starrten sich an; zwei Hünen, die für ihre fortwährenden Gemeinheiten bekannt waren, und sie tauschten ihre ›Wir sprechen uns noch, Freundchen‹-Blicke aus. Blake schickte den Hausangestellten fort und 202
parkte seinen Schrotthaufen selbst. »Die geben sich wirklich Mühe«, bemerkte Coelli. Am anderen Ende des Saals spielte eine brasilianische Tanzband, besetzt mit Schlagzeug, Trompeten, Gitarren, Saxophon und Percussion. Die Musiker waren angezogen wie KönigsSchmetterlinge kurz nach dem Schlüpfen. Die Sängerin hatte lange, schwarze Haare und Möpse wie kleine Kegel und eine jener rauchzarten Stimmen, die Coelli nervös machten und bei ihm augenblicklich einen Steifen verursachten. »Ah, da kommt unser Gastgeber«, sagte Blake. Guzman kam auf sie zu und schüttelte Blake die Hand. »Ich bin so erfreut, Sie hier zu sehen, Mr. Blake.« »Schönen guten Abend«, sagte Blake. »Läuft alles wie geplant?« »Oh ja, natürlich. Ich weiß nicht, ob Ihnen alle Gäste bekannt sind?« »Wer ist die gutaussehende Dame in dem schwarz-lila Kleid?« fragte Coelli. »Das ist Mercedes Brannigan. Sie arbeitet für die Bahamas Corporation.« »Heute auch?« fragte Blake. »Und der Mann mit der leicht gebeugten Haltung und dem besorgten Gesichtsausdruck ist Frank Blackwell, ein Mitarbeiter unseres gemeinsamen Bekannten Mr. Framijian.« Blakes Mine wurde nachdenklich. »Kann ich Sie mal einen Moment unter vier Augen sprechen, Al? Warte hier auf mich«, sagte er zu Coelli.
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Coelli besorgte sich einen großen, eisgekühlten Rumdrink. Juanito kam auf ihn zu. »Guten Abend«, sagte er. Coelli nickte. »Wer von denen ist Blackwell?« »Der da drüben«, sagte Juanito. Coelli musterte ihn. Er wirkte nicht sonderlich gefährlich. Es dürfte kein Problem sein, mit ihm fertigzuwerden. Die Party war wirklich nicht langweilig, das mußte Blackwell zugeben. Schon als er zur Tür hereingekommen war, hatte ihm jemand zwei Joints in die Hand gedrückt. Als nächstes sah er ein reizendes, lächelndes junges Mädchen mit entzückenden kleinen Brüsten, die aus einem tiefausgeschnittenen, roten Taftkleid hervorlugten. »Sie kommen gerade rechtzeitig«, sagte sie. »Rechtzeitig, wofür?« »Dafür«, sagte sie und schob ihm eine Kapsel in den Mund. Blackwell versuchte sie mit dem Finger herauszufischen, aber sie zerbrach. Etwas Bitteres mit einem seltsamen Nachgeschmack reizte seine Geschmacksnerven. »Was war das?« fragte er. Aber sie war bereits weitergegangen, um jemand anderem eine Kapsel in den Mund zu schieben. Coelli war nicht der einzige, der umherirrte. Mercedes war in ihrem Leben schon auf vielen Partys gewesen, aber so etwas hatte sie noch nie erlebt. Sie bewegte sich durch die einzelnen Räume, ohne dabei Blackwell aus den Augen zu verlieren. Betrunkene Hände berührten sie im Vorübergehen. Sie fühlte 204
sich durchgeschwitzt und gereizt. Anfangs hatte sie einen kleinen Kokainrausch gehabt, der sie eine Zeitlang bei guter Laune gehalten hatte, aber nun war der Rausch verflogen, und sie bekam langsam weiche Knie. Ein großer Mann mit einem schwarz gekräuselten Lockenkopf packte fest an ihre linke Brust und sagte irgend etwas Dämliches mit einem merkwürdigen Akzent, nach der weichen Aussprache und den geschnalzten th-Lauten zu schließen, war es möglicherweise Guarani. Sie wandte sich dem Mann zu und tastete nach seiner Leistengegend. Er grinste erstaunt und voller Entzücken, dann weiteten sich seine Augen, als ihn ein furchtbarer Schmerz durchflutete, der sein ohnehin von einer dubiosen Mixtur aus Kokain, Amphetaminen und Quaaludin aufgeputschtes Nervensystem überlastete. Seine Augen verdrehten sich in ihren Höhlen, und er brach zusammen. Es gab jede Menge Drogen. Was für einen Sinn hat es, reich und kriminell zu sein, wenn nicht den, sich genug Drogen für seine Gäste leisten zu können? Allein das Marihuana war ganz außergewöhnlich. Man konnte fünf verschiedene Sorten bekommen: Zwei Sorten Oregon Keime, von denen eine mit einer wirkungsverstärkenden Chemikalie behandelt worden war. Es gab große Plastikmülltüten, gefüllt mit den legendären Sorten Panama Rot, Acapulco Gold, Michoacan Grün und New Jersey Farblos. LSD konnte man in Gelb oder Rot erhalten. In einigen Dingen war Blackwell Traditionalist, manchmal sogar Nostalgiker. Was auch immer das gewesen sein mochte, was das Mädchen in dem roten Taftkleid ihm gegeben hatte, Blackwell fühlte sich plötzlich sehr gut. Er konnte ohne große Mühe dem Verlauf der 205
verschiedenen Gespräche um ihn herum folgen und sie alle sehr bedeutungsvoll finden. »… ich sagte Manolo, daß der Stier nach links geht, aber nein, er wollte nicht hören, paß auf, sagte er, und alle Leute im Plaza Mexico kreischen wie verrückt, er düst los und …« »… ich drehe bis hundertfünfzig Sachen auf, so daß es wie eine verdammte fliegende Untertasse über die Wellen hüpft, und ich verlor sie hinter mir aus den Augen, diese Schlappschwänze in ihren kleinen Polizeibooten, Höchstgeschwindigkeit vielleicht hundert Kilometer in der Stunde, und ich komme durch den Engpaß hinter Boje 5 an der Intracoastel Wasserstraße am Surfside, als ich merke, daß es da eine Reihe Tonnen gibt, die den Weg vollkommen blockieren und mußte deshalb …« »… kommt auf mich zu, hey Baby, was kostet es, wenn du es mir auf kubanische Art machst, und ich sage, was soll das heißen, auf kubanische Art, und er sagt, komm doch rein, Baby, und er führt mich in den Raum, in dem ein Bottich mit schwarzen Bohnen steht, und ein Typ rührt mit einer Machete darin herum, und ich fange an, mich gar nicht mehr so wohl zu fühlen, du weißt, was ich meine, und als er …« »… der Stier rast auf ihn zu wie eine Tonne schwarzes Fleisch, und da ist Manolo, der flach auf dem Rücken liegt und die Muleta auf den Schuhsohlen balanciert, er lächelt, und die Menge wird vollkommen hysterisch, als der Stier …« »… riß das Boot längsseits herum und deck es mit 'ner Tonne Wasser ein, und dann bin ich auf der anderen Seite der Zugbrücke und sehe, daß sie noch mehr Boote vor mir postiert haben, und daß sie das Feuer vom Ufer aus mit Maschinengewehren eröffnen, nur können sie mich nicht ins Visier 206
bekommen, weil ich das Boot aufgedreht habe, als ob an ihnen eine Titanrakete vorbeischießt und …« »… Gott sei Dank waren die Bohnen nur lauwarm, und dann klettert er mit mir in den Kübel und sitzt bis zu seinem haarigen Arsch in den Bohnen, und seine Freunde stehen um uns herum und bewerfen uns mit Gardenias, und ich denk mir, das ist keine leichte Art, fünfhundert Dollar zu verdienen, aber ein unschlagbarer Stundenlohn …« »… der Stier wird immer schneller, stürmt wie der schmierige Tod auf Eisenbahnschienen heran, und der Lärm in der Arena klingt wie das Jüngste Gericht hoch drei, und die Leute kippen mit Herzinfarkten auf den Tribünen um, und Manolo macht jetzt einen Kopfstand und wackelt mit der Muleta zwischen den Zähnen und …« »… jetzt setzt du alles auf eine Karte, sagte ich zu mir, jetzt geht's hart auf hart, und ich zielte mit meinem Boot direkt auf die Mitte des verdammten Küstenwachboots, und ich schoß von Bord, glücklicherweise tat ich das in einem Schleudersitz der Luftwaffe, denn wenn man mit einer Geschwindigkeit von über hundertfünfzig Stundenkilometern auf das Wasser schlägt, hüpft man drauf herum wie ein verdammter, flacher Stein, gewiß ein unvergleichliches Gefühl, eine außergewöhnliche Erfahrung, aber nicht gerade das, was man ständig erleben will, und dann …« »… ein Salto rückwärts auf die Füße und dann, perfektes Timing, springt er hoch in die Luft, und der Stier stürmt unter ihm durch, und er stößt mit dem Degen zu, als das Viech vorbeirast, und hol's der Teufel, wenn er das Ding nicht auf den Quadratzentimeter genau auf den Punkt hinter der Schulter nagelt, aber der Degen dringt wie eine heiße Nadel in Butter ein, 207
und die Zuschauer auf den Rängen explodieren, und das ist genau der Zeitpunkt, in dem General Obregon beschließt, die Revolution zu beginnen …« »… komm bald wieder, sagt er und stopft mir noch ein paar zusätzliche Hunderter in die Bluse, und beim nächsten Mal werden sie es dann auf mongolische Art versuchen, in einem heißen Topf …« »Mr. Blackwell, amüsieren Sie sich gut?« »Ganz ausgezeichnet«, sagte Blackwell. Er mußte dabei schreien, um die Fünf-Mann-Mariachi-Kapelle zu übertönen, die immer dann spielte, wenn die brasilianische Combo Pause machte. »Genießen Sie es«, sagte Guzman, klopfte ihm auf die Schulter und verschwand in der Menge. Blackwell wurde klar, daß es für ihn keinen besseren Zeitpunkt geben würde, als jetzt sein Opfer zu beseitigen. Er folgte ihm an der Küche vorbei, wo die Kellner mit Tabletts, voll mit Kasha Varnishkas, knusprig-saftigem Schweinebraten und dampfenden Yucca-Früchten hin und her eilten, während Hilfskräfte die Flaschen mit feurigem Cachaca herrichteten, die Guzmans eigener Schmuggler aus Bahia hergebracht hatte, und wo Küchenhilfen die schwarzen Bohnen und den Reis in den Töpfen umrührten, die Cocktail-Würstchen aus dem Mikrowellenherd nahmen, die leichten Maiskuchen hineinschoben und all die anderen Dinge taten, die es in der Küche zu tun gibt. Blackwell fühlte sich ein wenig beschwipst. Es beunruhigte ihn, daß er sich nicht erinnern konnte, warum er vorhin diese Drogen 208
genommen hatte. In jeder seiner Ausbildungsstunden zum Jäger war ihm eingehämmert worden, daß man seine Sinne voll unter Kontrolle halten mußte, wenn man einen Kill vor sich hatte. In jedem Menschen steckte das natürliche Verlangen, Dinge zu übertreiben, mehr fühlen und higher sein zu wollen, den göttlichen, kalten, weißen Rausch von Kokain und den bewußtseinserweiternden LSD-Rausch zu erfahren und die Reise ins großartige Traumland der Marihuana-Jahrgänge anzutreten. Aber Blackwell mußte sich das alles eingestehen. Zumindest glaubte er, sich das eingestehen zu müssen – jedenfalls zum größten Teil. Soweit er sich erinnern konnte, hatte er nur kleinste Dosen zu sich genommen, schon weil es ein wenig seltsam ausgesehen hätte, alles abzulehnen. Mal sehen; diese Kapsel, ja, und dann dieser Joint, so groß wie eine Montecristo Imperial Zigarre, und dann noch eine Handvoll aus einer der mit feinstem Kokain gefüllten Schüsseln aus geschliffenem Glas. Außerdem hatte er, nicht zu vergessen, die Haschisch-Tempelkugeln probiert, die schwarzen aus Afghanistan genauso wie die goldenen aus Kashmir. Es war eine Menge, aber er konnte damit umgehen, er fühlte sich okay. Er begann, sich im Raum umherzubewegen. Besser gesagt, umherzuschweben, denn er hatte das Gefühl, sich einen halben Meter über dem Boden zu befinden und sich nur mit Hilfe eines Propellers aus reiner Geisteskraft fortzubewegen. Er hörte jetzt zwei verschiedene Kapellen spielen – die Combo und irgend etwas Fremdes, Asiatisches aus einer Stereoanlage. Die Situation war perfekt: eine dichtgedrängte Menschenmenge; Leute kamen und gingen; die Leibwächter versuchten, viel zuviel Raum einzunehmen; alle waren high oder betrunken; viel laute Musik, die den Knall der kleinen Waffe übertönen 209
würde, die Blackwell am Handgelenk trug, die zweischüssige Rolex, die zudem die genaue Uhrzeit verriet und bis zu einer Tiefe von fünfundsechzig Metern wasserdicht war. Blackwell folgte Guzman. Er bewegte sich ganz leicht auf seinen Füßen, die über den weißen Fliesenboden zu schweben schienen. Er hatte auch andere lustige Empfindungen. Sein Kopf schien sehr leicht geworden zu sein, und er hatte das Gefühl, daß sich sein Hals dehnte und immer länger wurde. Er konnte nun über die Menge hinwegsehen, über die verrücktgewordene Schar der Feiernden. Dann schrumpfte er wieder zu seiner Normalgröße zusammen und bemerkte, daß er Guzman aus den Augen verloren hatte. Aber er mußte sich irgendwo da vorne aufhalten. In diesem Haus schien es eine unendliche Anzahl von Räumen zu geben; fast wie jene endlosen Flure in ›Letztes Jahr in Marienbad‹. Schließlich kam er, an dem im Haus befindlichen Swimmingpool vorbei, zu einer Tür, die in eine Umkleidekabine führte. Drinnen konnte er die Stimme eines Mannes hören. Blackwell entsicherte die Rolex und ging hinein. »Nanu, Mr. Blackwell, was machen Sie denn hier?« fragte Seňora Guzman. So unverhofft ertappt, hörte Blackwell sich selbst sagen: »Nur, um noch einen Blick auf Sie werfen zu dürfen, Seňora.« Sie starrte ihn an und brach dann in Gelächter aus. »Sie hätten als Lateinamerikaner zur Welt kommen sollen … Sie haben die richtige Eingebung, ›wenn du bei einem Fehler ertappt wirst, laß dir eine amouröse Ausrede einfallen‹. Das ist Pater Philus, der mir gerade mit lauter Stimme aus Seelen und Blumen, einem kürzlich erschienenen Buch über das Leben des Paters Pedro Murrieta aus Chihuahua, vorgelesen hat. Entschuldigen Sie uns bitte, Pater, ich möchte mich einen Moment mit 210
meinem Gast unterhalten.« Pater Philus, ein großer, bärtiger Priester, sagte: »Aber wir sind gerade bei dem Kapitel angekommen, in dem Pater Murrieta zu einem Zweikampf im Anstarren gegen Wahua, den Häuptling der Chiricahua Apachen, der unter dem Namen ›Der Nicht-Blinzelnde‹ bekannt ist, gezwungen wird, um das Leben von fünfundzwanzig in Gefangenschaft geratene Nonnen zu retten.« »Ich weiß, aber Sie können mir ja später weiter daraus vorlesen.« Pater Philus war irgendwie mürrisch, als er ging. »Erzählen Sie mir, was Sie mit Alphonso zu tun gedenken«, sagte Dona Catarina. Ihr Gesichtsausdruck verriet Blackwell, daß diese Frau wußte, daß er hier war, um Guzman zu töten. Ihm schwirrten eine Menge Lügen im Kopf herum, aber er wußte, daß es zwecklos war. Es würde unmöglich sein, diese strenge, adleräugige, habichtnasige Dame in Schwarz zu täuschen. Er versuchte, sich eine Geschichte einfallen zu lassen, um Zeit zu gewinnen, aber irgendeine seltsame Regung in seinem Kopf ließ ihn geradeheraus sagen: »Offen gesagt, Lady, habe ich geplant, ihn heute nacht umzulegen.« »Oh, fein«, sagte Dona Catarina. »Wie bitte?« »Scheidung ist uns nicht erlaubt, dafür aber manchmal Gewalt. Und es gibt nichts, was ich gegen Ihren Mord unternehmen kann, weil Sie fest dazu entschlossen sind, nicht wahr? Wenn ich versuchen würde, mich Ihnen in den Weg zu stellen, würden Sie mich töten und Alphonso danach sowieso. Das ist 211
jedenfalls meine Vorstellung von der Arbeitsweise eines ausgebildeten Killers.« »In Wahrheit habe ich Sie nur angeschwindelt«, sagte Black well. »Ich weiß alles über Sie«, sagte Dona Catarina. »Gut, und was werden Sie nun unternehmen, Seňora Guzman?« »Unternehmen? Nichts! Ich bin hocherfreut. Ich habe Guzman ohnehin nur wegen Hector geheiratet …« »Hector?« »Hector war der Sohn meines Vaters aus seiner ersten Ehe mit der berühmt berüchtigten Imelda. Hector und ich wuchsen zusammen auf. Er war immer kränklich, intellektuell und verrückt, trotzdem haben wir ihn alle geliebt. Aber dann schickte ihn unser Vater nach Paris auf die Universität.« »Das hat er getan?« »Oh, ja. Und als Hector nach Hause kam, hatte er den Kopf voll verrückter Ideen, wie ›alle Menschen sind gleich‹, sogar Miskitos Indianer. Er gab seinen Job als Frachtaufseher im Hafen von La Union auf, den Vater für ihn gefunden hatte, und ging nach Waspam, einem armseligen Ort am Rio Coco, wo er sich der MISURASATA anschloß.« »Wem?« fragte Blackwell. Er begann, sich unwohl zu fühlen. Er sollte jetzt wirklich mit seinem Mord weitermachen, aber er wußte nicht, wie er von Dona Catarina fortkommen sollte, ohne sie zu beleidigen oder töten zu müssen. »Die Initialen stehen für die Zusammenarbeit der Miskitos, Sumus, Ramas und Sandinistas. Damals war es noch eine linke 212
Organisation, obwohl sie später von den Contras geschluckt wurde. Egal, Hector hielt in ihrem Namen einige dumme Reden, wurde von der Nationalgarde verhaftet und in das ModellGefängnis von Managua gebracht. Das ist kein angenehmer Ort für empfindsame Intellektuelle, Mr. Blackwell. Selbst kerngesunde Bauerntypen überlebten dort höchstens die ersten sechs Monate. Mein Vater wußte, daß der Gefängniskommandant Colonel Guzman war, und Alphonsos Bewunderung für mich war bekannt. Sie reicht bis in die Zeit zurück, in der wir in der La Escuela de los Mártires an der Calle 42 in der Vorstadt von Santiago de Ochoabamba gemeinsam zur Schule gingen. Ich schenkte ihm keine Beachtung, denn ich gehörte einer der großen Familien an, und er war ein Niemand, der Sohn eines armenischen Kaufmanns. Aber wir mußten Hector retten, und so heiratete ich Alphonso.« »Ähm, hören Sie, es war ein sehr anregendes Gespräch mit Ihnen, aber jetzt muß ich wirklich …« »Zuerst war es gar nicht so schlecht«, fuhr Dona Catarina fort. »Alphonso holte Hector mit Hilfe seiner CIA-Freunde nach Miami und besorgte ihm ein schönes Haus in der Nähe von Brandenton, mit einem Golfplatz auf der einen und einem Contra-Ausbildungscamp auf der anderen Seite. Aber Hector lief fort, und es ist sechs Monate her, als wir zuletzt etwas von ihm hörten. Wir fanden heraus, daß er beim Versuch, einen Billardsalon in Key Largo auszurauben, um Geld für Greenpeace zu beschaffen, verhaftet worden war. Jetzt sitzt er in Talahassee im Gefängnis, und das ist alles Alphonsos Schuld, schließlich hat er ihn nach Florida geholt. Wenn Sie ihn also wirklich töten wollen – ich spreche von Alphonso – habe ich 213
nichts dagegen … falls es Ihnen gelingen sollte.« »Was meinen Sie mit ›falls es mir gelingen sollte‹?« »Es ist schwer, einen Mann wie Guzman zu töten, und im Gegensatz zu Ihnen, Mr. Blackwell, fällt es ihm keineswegs schwer, andere zu töten. Sie mögen glauben, daß Sie ihn jagen, aber seien Sie sich dessen nicht so sicher. Alphonso spielt dieses Spiel schon eine ganze Weile länger als Sie.« Blackwell verließ sie und drängelte sich weiter voran. Die Gesichter trieben im schnellen Pulsschlag des lateinamerikanischen Stakkato-Rhythmus einer nunmehr dritten Kapelle an ihm vorbei. Es war eine Gruppe aus Haiti mit Trommeln, Flöten und Waschtrögen, alle hatten unter den Bolerohemden gewaltige, schwarze Brustkörbe. Der Raum pulsierte zu einem Rhythmus, der schon alt war, als der Panamakanal noch eine Sumpflandschaft war, altertümlich, als der Suezkanal dem entschlossenen Hirn des begabten Herrn de Lesseps entsprang, urzeitlich, als der Wolgakanal unter Aufopferung von Millionen ländlicher Arbeitskräfte, von denen die meisten Bärte trugen, gegraben wurde. Dann, wie aus einem Traum hochgeschreckt, fand sich Blackwell in einem Schlafzimmer wieder. Dort standen mit Eisbärfellen bedeckte Betten. Ungefähr ein Dutzend Gäste war unter den Bettdecken begraben. Sie kicherten und warfen ihre Kleidungsstücke von sich. Ab und zu ließen sie ein nacktes Bein oder eine entblößte Brust sehen. Blackwell schwebte an ihnen vorbei, wobei er sich ausschließlich mit seinem GeisteskraftPropeller fortbewegte. Schließlich ließ er sich durch einen weiteren Flur treiben, und 214
durch eine spaltbreit geöffnete Tür sah er Guzman auf einem Bett liegen. Mercedes konnte ihn nirgends finden. Blackwell schien wie vom Erdboden verschwunden zu sein, und sie wandte sich in die Richtung, in die er vermutlich gegangen war. Sie kam in einen Flur, der von so etwas Ähnlichem wie menschlichen Armen, die in den Wänden verankert waren und Fackeln trugen, erleuchtet wurde, was darauf schließen ließ, daß Guzman ein Fan von Cocteau war. Dann sah sie ihn. Blackwell stand vornübergebeugt, als ob er etwas untersuchen würde, das auf einem mit Eisbärfellen bedeckten Bett lag. Sie zog das kleine Blasrohr aus ihrer Handtasche. Es sah exakt wie eine lange, silberne Zigarettenspitze aus, aber die Zigaretten, die man darauf steckte, konnten nicht angezündet werden. Ihre Enden waren mit Tabak verstopft, der die kleinen Stahlpfeile verbarg, die in ein Polster aus Schafwolle gebettet waren. Man setzte das gefährliche kleine Ding an die Lippen und zielte damit, indem man die Nase als Visier benutzte, blies, und der kleine Betäubungspfeil flog los, wobei er den Tabakschutzmantel durchbrach, bevor die Stahlspitze ihr Ziel erreichte. Es war eine Nahbereichswaffe; für eine Party genau das Richtige. Blackwells Nacken, der mal einen Haarschnitt nötig gehabt hätte, bot ein geeignetes Ziel. Sie holte tief Luft und setzte die Zigarettenspitze an die Lippen. Der Mann lag mit dem Gesicht nach unten auf dem Bett, seine mit Tanzschuhen aus echtem Leder bekleideten Füße baumelten über die Bettkante. 215
Zweifellos war es Guzman, bewußtlos, aber Blackwell mußte sicher gehen. Er wußte, daß er es um jeden Preis vermeiden mußte, den falschen Mann zu töten, und manchmal glich in der Erregung des Augenblicks des Kills ein Nacken ganz erstaunlich dem anderen. Nichtsdestoweniger hielt er eine Waffe bereit, eine zweischüssige Smith & Wesson Koppelschloß-Pistole, eine Kugel mit einem schnellwirkenden Nervengas, die andere Kaliber 22 mit weicher Bleispitze, die wie ein Dumdumgeschoß wirkte und deren Aufprall etwa die Wirkung einer Kugel Kaliber 45 auf sieben Meter Entfernung erreichte. Blackwell stellte den winzigen Wahlschalter auf Gas ein; das würde keine Spuren hinterlassen. Aber zunächst mußte er den Mann umdrehen, um ihn mit Sicherheit zu identifizieren. »Verzeihen Sie, Mr. Guzman, ich wollte Sie fragen, ob …« Er drehte den Mann um. Nur war es kein Mann. Es war eine lebensgroße Puppe, ein gefälschtes Duplikat Guzmans. Blackwell war völlig verwirrt und machte einen Schritt zurück. Er spürte einen leichten Stich im Nacken. Er sah Mercedes, die gerade eine albern aussehende Zigarettenspitze von den Lippen nahm. »Ich wollte mich gerade bei unserem Gastgeber für diesen wundervollen Abend bedanken«, sagte Blackwell und trat augenblicklich eine gummiweiche, haltlose Reise an, mit dem Fahrstuhl der Zeit hinunter ans Ende der Welt. Dies ist eine wohlbekannte Wirkung von Quaaludin, besonders im Zusammenwirken mit anderen Drogen.
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»Komm, wir gehen«, sagte Blake. »Warum diese Eile?« fragte Coelli, der den Mund voll von Kasha Varnishkas hatte. »Dieser kubanische Fraß, oder was das sein soll, ist wirklich gut.« »Pack dir was in die Serviette, und nimm es mit.« Draußen im Wagen sagte Coelli: »Ich dachte, wir wollten wegen Blackwell etwas unternehmen.« »Dafür wird schon gesorgt«, sagte Blake. »Warum gehen wir dann so überstürzt?« »Eine Grundregel für Agenten lautet, nicht da zu sein, wenn die Dreckarbeit erledigt wird.«
49 Blackwell hatte einen wunderschönen Traum. Da war etwas Blaues in seinem Traum, und irgend etwas mit einem Hund, und da war auch ein Mädchen, ein Mädchen wie Mercedes, aber sie war es nicht selbst. Es war ein angenehmer Traum, und es schien, als würde er noch ewig dauern. Manche Träume sind so befriedigend, daß man sie gar nicht unterbrechen und in die Realität zurückkehren will. Man fragt sich sogar, wie real diese sogenannte Realität eigentlich ist. Sie erinnern sich sicher an Chuang Tzu, der träumte, er wäre ein Schmetterling, und der dann aufwachte und nicht wußte, ob er Chuang Tzu oder der Schmetterling war. Und da war nun Blackwell, der aufwachte und für einen Moment mit geschlossenen Augen dalag und über die Müdigkeit nachdachte, sie einfach nie wieder zu öffnen, weil 217
er so ein Gefühl hatte, eine Vorahnung, daß, wenn er seine Augen öffnete, er sich in großen Schwierigkeiten befinden würde. Er setzte sich auf. Er lag auf einem Feldbett mit hellfarbigen, mexikanischen Decken. An der Wand hing ein zwei Jahre alter Kalender von irgendeiner Fleischerei in Hialeah. Auf der oberen Hälfte war eine Fotografie des Madrider Marktplatzes. Der Raum hatte ein Fenster, das jedoch mit schweren Holzfensterläden, die durch ein Vorhängeschloß verriegelt waren, versehen war. Es gab einen Schminktisch, auf dem eine Filmzeitschrift in spanischer Sprache lag: ›Novedades‹. Er stand auf und ging zur Tür. Sie war verschlossen. Er sah sich um und entdeckte einen Einbauschrank. Er öffnete ihn. Er war voll mit rüschenbesetzten Frauenkleidern. Er setzte sich an den Schminktisch und sah sich im Spiegel an. Er sah ein wenig mitgenommen aus und hatte Schmerzen im rechten Knie. Er mußte draufgefallen sein, als er ohnmächtig geworden war. Die nächste Frage war: Wo befand er sich? Jemand anderes würde diese Frage beantworten müssen, denn er hatte keinerlei Hinweise. Nun, ein oder zwei Anhaltspunkte hatte er vielleicht schon. Offenkundig wurde er von einem spanisch sprechenden Mädchen gefangengehalten, die eine Menge dünner Baumwollblusen trug. So viel zu den offensichtlichen Anhaltspunkten. Er ging im Zimmer auf und ab und setzte sich schließlich auf das Bett. Wie es schien, würde jemand anderes den nächsten Schritt unternehmen müssen.
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Guzman saß an seinem Schreibtisch und beobachtete Blackwell auf einem kleinen Fernsehmonitor. Er hatte die kleine, verborgene TV-Kamera damals in dem Zimmer installiert, als Conchita, das schönste Dienstmädchen, das er seit langer Zeit gehabt hatte, für ihn gearbeitet und dort geschlafen hatte. Er sagte, er hätte die Kamera installiert, weil er Conchita in Verdacht hatte, Silberbesteck zu stehlen. Aber alle im Haus wußten, daß er sie nur beim Ausziehen beobachten wollte. Nach einer Weile ging Conchita fort, und das andere Dienstmädchen, Francesca, schlief in dem anderen Dienstmädchenzimmer über der Garage am entgegengesetzten Ende des Hauses. Dieser Raum stand also leer und bot sich für die Aufnahme von Gefangenen förmlich an. Guzman war froh, daß dieses Zimmer für ihn eine andere Verwendung als für das Beobachten der runden Brüste Conchitas mit den großen, rotbraunen Aureolen gefunden hatte. Nun konnte er ihn für die Beobachtung Blackwells benutzen. Guzman drehte sich einen Joint, für den er fünf Bambú-Blättchen gebrauchte. Er streute großzügig etwas Kokain darüber und klebte ihn mit Haschischöl zusammen. Don Guzman gönnte sich selten etwas, aber wenn, dann wollte er auch wenigstens eine Wirkung verspüren. »Ist er schon wach geworden?« Tito wandte sich vom Fernsehschirm ab. »Er ist gerade dabei.« »Also, ich will, daß alle Bescheid wissen. Kein Wort von den Jägern. Anscheinend ahnt Blackwell nicht, daß ich von seiner Verbindung zu ihnen weiß. Wir tun so, als wäre er immer noch ein uns wohlgesonnener Geschäftsmann. Wir werden vorgeben zu glauben, daß Framijian einen schmutzigen Trick versucht 219
hat. Außerdem spricht einiges dafür, daß Framijian möglicherweise tatsächlich falsch spielt. Wir haben Informationen eingeholt. Etliche Waffen haben das Lager in Opa-Laka verlassen. Die Frage ist: Wo befinden sie sich jetzt? Eine weitere Frage ist: Wo ist mein Vorschuß von neun Millionen Dollar? Also laßt Blackwell in dem Glauben, alles sei in Ordnung. Er soll denken, daß er immer noch eine Chance hat, hier lebend herauszukommen. Wir werden ihn nicht aus den Augen lassen, bis wir die Gewehre oder das Geld haben – möglichst beides. Erst dann werden wir ihn beseitigen.« »Aber wenn er nicht redet?« »Ich denke, wir werden ihn zum Reden bringen. Mercedes, was meinen Sie dazu?« Mercedes hatte die ganze Zeit mißtrauisch am anderen Ende des Raumes gesessen und an einem Sodawasser genippt. »Aus der Sicht der Bahamas Corporation ist es wichtig zu wissen, für wen er arbeitet«, sagte Mercedes. »Es wäre auch sehr interessant zu wissen, ob sich seine Operation in erster Linie gegen Sie oder gegen uns richtet.« »Kann es denn da irgendeinen Zweifel geben?« fragte Guzman. »Der Mann ist offensichtlich auf der Jagd nach mir!« »Das halte ich überhaupt nicht für offensichtlich«, sagte Mercedes. »Er hatte mehrmals die Gelegenheit, Sie zu töten. Er hat sich mehr bloßgestellt, als es notwendig gewesen wäre, wenn er in erster Linie oder ausschließlich Jagd auf Sie machen würde.« »Wer ist dann der Jäger?« fragte Guzman. »Wer sagt Ihnen, daß es überhaupt einen Jäger gibt? Kaum erhalten Sie einen komischen Brief, und schon benehmen Sie 220
sich, als stünden die Kosaken vor der Tür.« »Kosaken? Welche Kosaken?« fragte Dona Catarina. »Bitte ziehen Sie in Gegenwart meiner Frau keine bildlichen Vergleiche, sie versteht sie nicht«, sagte Guzman. »Sehen Sie, ich wollte nicht, daß die Bahamas Corporation glaubt, ich sei nicht kooperativ. Was wir tun werden, ist, mit Blackwell zu Abend essen und ihm ein paar Fragen auf die nette Art zu stellen.« »Und angenommen, er antwortet nicht?« »Dann werden wir einige nicht ganz so feine Methoden ausprobieren müssen.«
51 Und so versammelt sich die Familie zum Abendessen. Nichts Besonderes, nur ein kleiner Imbiß hier in der Küche, wir bedienen uns selbst, seit wir unseren Butler und seine Kinder für einige Tage nach Disneyland geschickt haben. Wir sitzen hier nur im kleinen Kreis der Familie; Alphonso, Catarina, Juanito, Tito, Emilio und Chaco sind da, und natürlich auch unsere hochverehrten Gäste Mercedes und Frank. Juanito bereitet die chinesischen Essensreste zu; wir wärmen es nur im Mikrowellenherd auf. Wir haben noch eine Menge da; einige Rippchen auf chinesisch zubereitet, in etwas gedünstet, das wie mit Orangenmarmelade vermischte Sojasauce schmeckt. Und hier in diesen Pappschachteln haben wir noch in Sauce schwimmende Selleriescheiben, und probieren Sie noch den Limonenkuchen zum Dessert. 221
Mercedes schmatzt gedankenverloren und ihr Gesicht ist an Ausdruckslosigkeit kaum zu überbieten. In der gekachelten Küche wirkt alles sehr kultiviert mit dem dänischen Emailleherd, dem Mikrowellenherd, der Kochkunst, dem Geschirrspüler und all den anderen Kinkerlitzchen. Blackwell ißt; sich leicht vorzustellende Leute werden ihm bald auf den Magen schlagen. Schön, eine Verschnaufpause zu haben, aber er mag nicht an das denken, was vor ihm liegt. »Wir wollen keine Probleme«, sagt Guzman. Was Guzman betrifft, ist er die Freundlichkeit in Person. »Ich weiß nicht, was Sie von mir gehört haben, aber es ist alles Lüge. Ich habe getan, was ich tun mußte, nicht mehr und nicht weniger. Jetzt bin ich für eine offene und ehrliche Aussprache. Wir müssen keine Feinde sein. Alles, was Sie zu tun haben, ist, uns zu sagen, wo die Waffen sind, und auch wo Sie diesen Scheck über neun Millionen haben. Wir können alles in Ruhe klären. Wir können zusammen Geschäfte machen. Ich könnte einen so jungen und cleveren Burschen wie Sie in meiner Organisation gebrauchen. Was halten Sie davon, Frank?« Das ist ein angenehmer Augenblick. Es war wirklich wie in einer Familie, so mit Guzman und Catarina zusammenzusitzen und Mercedes gegenüber am Tisch zu haben. Blackwell kommt der Gedanke, daß er es sich selbst durchaus in Guzmans Organisation vorstellen kann. Er könnte Claire vergessen, die Jäger und Minska vergessen, könnte sein Leben retten und mit der nächsten Sache beginnen, egal, was das war. Und es reizt ihn. Er weiß, was danach passieren wird. Er wird gefoltert und anschließend getötet werden. Sie warten auf seine Antwort. Er sieht in ihre Gesichter. Recht nette Leute. Das war die Krise, der 222
Augenblick, den alle Jäger erleben. Simmons hatte ihm davon erzählt. Nach einer längeren Verbindung zu seinem Opfer kommt ein Zeitpunkt, an dem man anfängt, die Sache so zu sehen. Man identifiziert sich und sympathisiert mit ihm. Guzman läßt mit sich reden. Was könnte daran so schlimm sein? In dieser Gemütsverfassung wundert sich Blackwell selbst, als er sagt: »Friß Scheiße und erstick daran, Guzman!« Dann schlägt ihm Tito mit seiner Pistole über den Kopf, und er ist wieder im Niemandsland.
52 Während die Männer Blackwell in einen anderen Raum in den Keller trugen, sahen sich Mercedes und Catarina über den Küchentisch an. »Was werden Sie jetzt tun?« fragte Dona Catarina. »Was haben Sie mit diesem Mann vor?« Manchmal, spät in der Nacht, in Zeiten der seelischen Anspannung, weit von zu Hause entfernt, können sich zwei Frauen mit einer Aufrichtigkeit unterhalten, die unter anderen Umständen beide erstaunen würde. »Ich habe vor herauszufinden, wer er ist und für wen er arbeitet.« »Und danach?« Mercedes seufzte und zuckte die Achseln. »Finito.« »Das habe ich mir gedacht.« 223
»Das Dumme ist, daß ich den Typen irgendwie gern hab.« »Wie können Sie ihn dann töten?« fragte Catarina. »Nun, das ist mein Job, verstehen Sie? Ich meine, es ist nichts Persönliches.« »Und was ist mit der Liebe?« »Was soll damit sein?« fragte Mercedes. »Bedeutet Liebe denn gar nichts?« »Wovon in aller Welt sprechen Sie?« »Von der Zuneigung, die Sie diesem Mann entgegenbringen.« Catarina lächelte bewußt freundlich. »Man nennt es auch Liebe, mein Kind.« »Das ist doch lächerlich«, sagte Mercedes. »Eine Nacht, das war alles.« »So wie Sie ihn ansahen, als er auf den Flur fiel, nachdem Tito ihn niedergeschlagen hatte, offenbarten Sie mehr Gefühle, als Sie sich eingestehen wollen.« Mercedes schürzte die Lippen. »Er ist irgendwie süß. Wenn ich alleine entscheiden könnte, würde ich ihn möglicherweise leben lassen. Aber wenn ich das tun würde, hätte ich alle anderen im Nacken und würde meine Zukunft verspielen und auch meine Gegenwart. Sie würden es verstehen, wenn Sie die Bahamas Corporation kennen würden.« Catarina zuckte die Achseln. Sie stand auf und wollte gehen, dann zögerte sie und sagte: »Er liebt Sie.« »Wie können Sie so etwas behaupten?« »Als er vorhin wieder langsam das Bewußtsein erlangte, nannte er andauernd Ihren Namen.« »Hat er das wirklich getan?« fragte Mercedes ungeduldig. 224
»Ja, immer und immer wieder.« »Was hat er gesagt?« »Er sagte, ›Claire, Claire …‹« »Oh, nein, das darf doch nicht wahr sein!« schimpfte Mercedes. »Vielleicht war es auch so etwas wie ›mehr, mehr‹, manchmal verstehe ich Ihre Sprache nicht so gut.« »Ist auch egal«, sagte Mercedes und hoffte, daß sie ihr das abnahm.
53 Unter der Erde im nördlichen New Jersey läutete im JagdHauptquartier ein Telefon. Der diensthabende Mann am Vermittlungstisch nahm es an. Er schürzte die Lippen, als sich der Anrufer identifizierte und stellte das Gespräch sofort in die Wohnkammer des Jagdmeisters weiter. Etwas später klingelte das Telefon in dem verschwenderisch ausgestatteten Schlafzimmer, das Simmons für sich beanspruchte. »Ja, Jagdmeister … ja, ich verstehe.« Gut unterwiesen stellte Simmons keine weiteren Fragen. Er sprang auf und zog sich hastig an. Dann telefonierte er mit dem jagdeigenen Flugplatz. »Gregory? Mach den Jet fertig. Der Jagdmeister und ich werden in einer Stunde abheben.« Als er das erledigt hatte, machte er noch einen letzten Anruf; er galt dem geheimen europäischen Hauptquartier der ›Jagd‹ in 225
einem alten Lagerhaus in Basel in der Schweiz. Er identifizierte sich und sagte dann die bedeutungsvollen Worte: »Um sieben Uhr morgens in Ihrer Zeit beginnt der Plan Castor und Pollux.« Er wartete, bis die Anweisung wiederholt und bestätigt wurde, dann hängte er auf. Er ließ sich äußerlich zwar nichts anmerken, aber er spürte, daß sein Herz wie ein Preßlufthammer schlug. Das war also der große Augenblick: Der Jagdmeister setzte alles auf eine Karte.
54 »Wußtest du, daß es vier Uhr morgens ist?« fragte Coelli. Blake zündete sich eine weitere lange, schmale Zigarre an. »Und jetzt?« »Und jetzt sitzen wir seit drei Stunden in dieser Zufahrt zu Guzmans Haus.« »Und jetzt?« »Und jetzt werde ich ins Badezimmer gehen.« »Du kannst hier draußen vor dem Auto einen abstellen«, sagte Blake. »Es könnte mich aber jemand beim Aussteigen sehen.« Blake schüttelte den Kopf. »Ich habe das Oberlicht ausgemacht, halt nur deinen Kopf geduckt.« »Ich weiß nicht, warum wir hier noch länger herumhocken«, sagte Coelli. »Ich meinte, du hättest gesagt, daß sich Guzman um das Problem kümmert.« »Vielleicht weiß Guzman aber gar nicht, was das eigentliche 226
Problem ist«, antwortete Blake. Coelli fand das höchst interessant, Blake ließ sich aber nicht weiter darüber aus. Während Coelli gegen den Kühler von Blakes Toyota pinkelte, sah er eine Sternschnuppe und wünschte sich etwas. Er wünschte sich, er wäre nach Baltimore gegangen, um in der 1. Liga Baseball zu spielen, anstatt das Angebot des Geheimdienstes angenommen zu haben. Aber dazu war es nun zu spät.
55 »Hey, Boß, schauen Sie nur«, sagte Tito und hielt den farbenprächtigen Comic hoch. Tito und Guzman waren allein im Arbeitszimmer und besprachen Foltermethoden. Foltern war Männersache, und deshalb mußten die Frauen in der Küche bleiben, um über das zu tratschen, worüber Frauen auch immer reden mögen, während ihre Männer Folterungen planten. Selbst Juanito wurde fortgeschickt – er war noch zu jung. »Was ist das?« fragte Guzman. »Es ist diese hübsche Folter aus dieser Ausgabe der FolterComics. Aber man braucht einige Ausrüstung dazu: eine Grube und ein Pendel.« »Vergiß es, wir haben keine Zeit für aufwendige Folterungen.« »Können wir denn wenigstens die Eiserne Schraube und das Grüne Blatt machen, wie früher in Managua?« 227
Guzman schüttelte den Kopf. »Das ist eine wirklich phantastische Folter, aber dazu benötigen wir Bambussplitter. Unsere orientalische Lebensmittelhandlung führt keine.« »Was ist mit der Ratte und dem Sinkenden Schiff?« »Genauso schwierig, dazu brauchten wir Spezialausrüstung. Wo finden wir um diese Uhrzeit Polyester?« Tito dachte angestrengt nach, und man konnte seinem Gesicht die geistige Beanspruchung ansehen. »Ich hab's! Ich werde meine Black & Decker holen und wir zeigen dem Kerl, wie wir Nasenzahnarzt spielen!« »Ich mag das Geräusch nicht hören, wenn der Bohrer durch die Nasenscheidewand geht«, sagte Guzman. »Nein, ich werde niemals vergessen, was mir dieser Mafiosi gesagt hat. Er sagte: ›alles, was du brauchst, ist eine Lötlampe und eine Zange, und jeder wird dir sagen, was du willst‹.« »Saugut, das Zeug haben wir unten im Werkraum«, sagte Tito. »Ich werde es holen.« Guzman blies den Zigarrenrauch zu einer Wolke in die Luft. Er hatte die Zigarre gerade angefangen, und sie glühte ausgezeichnet. »Gib ihm noch ein paar Minuten«, sagte Guzman, »und wir sollten erstmal sehen, ob Dr. Machado-Ropas neues psychologisches Folterprogramm etwas taugt.« Guzman drehte sich in seinem Stuhl zu einem mit Hi-Fi Ausrüstung vollgepfropften Regal um. Er wählte ein Band aus einem Stapel, der als ›Bänder für spezielle Angelegenheiten‹ bezeichnet wurde, heraus, legte es in die Maschine ein und drehte an einem Regler. Blackwell kam in einem fünf Meter langen und drei Meter 228
breiten Raum zu sich. Die Wände und Decken waren mit Blech beschlagen. Der Boden war mit Beton ausgegossen und neigte sich zur Mitte, wo ein Abfluß eingelassen war. An den Wänden standen Metallschränke mit Sicherheitsschlössern. Oben hing eine einzelne Lampe aus Plexiglas. Auf einer Seite war ein ordentlich aufgerollter, roter Plastikschlauch, der an einen Wasserhahn angeschlossen war. Von einer Wand kam aus einem Lautsprecher mit einem Knopf darunter eine Stimme mit einem schwachen, spanischen Akzent. »Achtung, bitte! Sie sind im Folterraum. Sie werden hier unbeschreiblichen Qualen ausgesetzt werden. Das wird für Sie sehr schlimme Folgen haben. Die medizinische Wissenschaft stimmt darin überein, daß Folter schlecht für Ihre Gesundheit ist. Sie waren dumm genug, sich selbst in diese Situation zu bringen. Warum sind Sie jetzt nicht klug genug und machen es sich leicht? Die Leute, die Sie hierhergebracht haben, wollen von Ihnen ganz bestimmte Informationen. Tun Sie sich selbst den Gefallen und reden Sie geradeheraus und vollkommen aufrichtig. Beantworten Sie alle Fragen wahrheitsgemäß. Wenn Sie damit einverstanden sind, drücken Sie bitte den Knopf unter dem Lautsprecher, und es wird jemand kommen, um sich Ihre Aussage anzuhören. Wenn Sie den Knopf nicht drücken, beginnt die erste Foltersitzung in ungefähr fünfzehn Minuten.« Blackwell sah sich um. Es schien nichts da zu sein, was er als Waffe hätte benutzen können, außer dem roten Schlauch, und seine Trainer hatten ihm nicht verraten, wie man aus einem Plastikschlauch eine tödliche Waffe machen konnte, falls so etwas überhaupt möglich war. Es gab auch nichts, wohinter er sich hätte verstecken können, um im entscheidenden Moment 229
dahinter hervorzuspringen und den, der in die Zelle kam, zu überwältigen. Das einzige was er tun konnte, war, auf den, der die Tür öffnen würde, loszurasen und ihn dazu zu zwingen, ihn zu erschießen. Das war zwar auch nicht sonderlich befriedigend, aber es würde ihm wenigstens die Folter ersparen. Vielleicht würde ihm später noch eine bessere Idee einfallen. Er stand mit dem Rücken zur Wand, stützte seinen Fuß ab und wartete auf das Startzeichen zu seinem letzten Lebensabschnitt. Guzman nahm einen letzten, tiefen Zug von seiner Zigarre, drückte sie vorsichtig im Aschenbecher aus und stand auf. »Es wird Zeit, daß wir loslegen«, sagte er zu Tito. »Ich bin bereit, Boß«, sagte Tito lächelnd und sprang erregt auf. »Keine Sorge, ich werde mir etwas Schönes einfallen lassen.« »Zweifellos. Aber ich will nicht, daß du 'ne große Sauerei anrichtest.« »Nicht?« »Natürlich nicht. Die Zimmermädchen weigern sich, nach einer schweinischen Folter sauberzumachen. Mach nur dann 'ne Sauerei, wenn es unbedingt notwendig ist und wenn du anders nichts aus ihm herausbekommst.« Schmerzen ohne große Sauerei. Tito hielt das für eine interessante Herausforderung. Geradezu verlockend. Ihm würde bestimmt etwas Passendes einfallen, und er marschierte der Schlachtbank entgegen.
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Plötzlich hörte Blackwell ein scharfes Kratzen im Schlüsselloch. Er stützte sich an der gegenüberliegenden Wand ab, um loszustürmen, wenn sie sich öffnen würde. Sie öffnete sich. Blackwell rannte blindlings drauflos und prallte auf Dona Catarina. Selbst als sie da auf dem Hintern mit ihrem um sie herum ausgebreiteten Rock saß, unter dem sich weiße Schenkel und schwarze Unterröcke mit kleinen, weißen aufgestickten Kreuzen zeigten, verlor Dona Catarina nicht ihre Würde. Sie streifte ihr Kleid nach unten und kam wieder auf die Beine. »Was machen Sie denn hier?« fragte Blackwell. »Ich bin gekommen, um Sie zu retten.« »Um mich zu retten? Aber warum?« »Gott hat es mir befohlen.« »Oh, dann geht das in Ordnung. Was machen wir jetzt?« »Folgen Sie mir und seien Sie ganz still.« Blackwell folgte ihr in den Flur. Sie gingen den schäbigen Linoleumfußboden unter dem grellen Licht der elektrischen Deckenbeleuchtung auf Zehenspitzen hinunter. Juanito wartete auf sie. Er stand neben dem Dienstboteneingang und trug einen weißen Angorapullover mit hochgekrempelten Ärmeln, die seine schlanken, muskulösen und unbehaarten Unterarme freilegten. Dann hörten sie hinter sich von der Treppe her das Geräusch stampfender Schritte, kurz darauf aus dem Innern des Gebäudes aufgebrachtes Gebrüll und ein Gewirr wütender Stimmen. »Vorwärts!« sagte Juanito und lief zu einem Auto. Blackwell folgte ihm. Eine Hintertür sprang auf. Blackwell tauchte hinein, und jemand neben ihm zog die Tür zu. Der Fahrer schob den 231
Gang rein und raste auf das Tor zu. Vor ihnen erschienen geisterhaft zwei Männer mit Maschinenpistolen. Der Fahrer wich nicht vom Kurs ab. Er erwischte einen Mann mit dem linken, vorderen Kotflügel. Blackwell hörte ihn schreien, als er in die Luft katapultiert wurde. Dann rasten sie eine dunkle Straße mit einem Kanal an der rechten Seite hinunter. Blackwell sagte: »Jungs, ihr seid genau zum richtigen Zeitpunkt gekommen. Minska, bist du das da vorne?« Der Fahrer drehte sich um und warf mit seinem dunklen Gesicht einen boshaften und hämischen Seitenblick auf ihn, der durch den lässig in den Nacken geschobenen Panamahut noch einschüchternder wirkte. »Nein«, sagte Alvarez. »Ich bin's nur und noch einer Ihrer Busenfreunde.« Als sie an einer Straßenlaterne vorbeifuhren, konnte Blackwell das Profil des neben ihm sitzenden Mannes erkennen – es war Framijian. Er bohrte Blackwell irgend etwas Stumpfes und Metallisches in die Rippen, man konnte davon ausgehen, daß es sich um so etwas wie einen Revolver handelte.
56 Die Morgendämmerung bedeckte mit blutähnlichen Streifen den Horizont. Alvarez raste mit dem großen Wagen durch den schwachen Verkehr auf der U.S. 1 in Richtung Süden. Framijian summte ›Ha Tikua‹. Der Innenraum roch schwach nach geschmuggelten kubanischen Zigarren. 232
»Wie kommt es, daß ausgerechnet ihr hier seid?« fragte Blackwell. »Ohne Don Alphonso gegenüber unhöflich sein zu wollen, aber er neigt dazu, sich mitreißen zu lassen und ein Verhör statt mit Informationen mit einer Leiche zu beenden«, sagte Framijian. »Wir haben lebhaftes Interesse an diesem Fall, und wir haben beschlossen, Ihnen die Möglichkeit zu geben, uns zu helfen.« »Ihnen zu helfen? Wie meinen Sie das?« »Dieser Freund von Ihnen, der in meinem Haus campiert hat, hat mich um Waren im Wert von etwa zehn Millionen betrogen, und ich bin bisher noch nicht bezahlt worden, weil Alphonso Ihnen den Scheck gegeben hat.« Vom Fahrersitz aus sagte Alvarez: »Wir mögen solche krummen Dinger nicht, und offen gesagt, die Leute, für die wir arbeiten, mögen das noch weniger.« »Wir wollen, daß Sie uns dabei helfen, wieder alles in Ordnung zu bringen«, sagte Framijian. »Und zwar sofort! Sie können damit anfangen, uns zu verraten, wer, verflucht nochmal, Sie sind und warum Sie hinter Guzman her sind.« »Ich bin lediglich ein besorgter Bürger«, sagte Blackwell. »Sie wissen, wie so etwas ist.« »Sie sind ein Jäger, stimmt's?« »Ein Jäger? Wovon sprechen Sie?« »Guzman hat alles überprüft, als die Jagd-Leute ihm diesen Brief geschickt hatten. Wir wissen alles darüber. Es ist doch wohl klar, daß Sie der Jäger sind. Schöne Scheiße für Sie, Freundchen, aber Ihre eigenen Leute sind Ihnen in den Rücken gefallen.« 233
Die beiden Männer warteten ab, während die Klimaanlage leise die unerträgliche, echte Luft Floridas herauspumpte und sie durch ein weit angenehmeres, kühles Gemisch ersetzte. Sie kamen in die Homestead Gegend. Die flache und trostlose Landschaft der Everglades dehnte sich an beiden Seiten vor ihnen aus und wurde nur zeitweilig von Reklameflächen unterbrochen, die den ›Dell Ford‹, das ›Holiday Inn‹, den ›Parrot Jungle‹, die ›Dade Auto Parts‹, ›Mc Donald's‹ und den ›Computer Express‹ anpriesen. Der frühe Morgennebel war blaßblau, mit einem von Wolken umsäumten Horizont. Sie kamen am ›Samurai‹, an in der Dämmerung angepriesenen Steak- und Hühnchenfraß für 7.75, am ›Tamiana Waffenshop‹, an ›Wendy's Stinkburger‹, an bunt angemalten Fabrikhallen, am ›Video City‹ und ›Dixi Ribs Barbecue mit Parkplatz auf der Rückseite‹ vorbei. Sie bogen auf zweispurigen, schwarzen Asphalt ab, an beiden Seiten waren Palmen und nur wenige Häuser. Der Himmel bezog sich, und Windstöße rüttelten am Wagen. Vor ihnen tauchte am trüben Horizont ein schäbiges, allein stehendes, flaches Lokal auf. Sein rotes Neonschild verkündete ›Sallil's Shishkaburgers‹. »Da ist es«, sagte Framijian. Alvarez fuhr vor und parkte. Es war der einzige Wagen auf dem Parkplatz. »Wir werden da hineingehen und uns ein wenig unterhalten«, sagte Framijian. »Der Besitzer ist ein Freund von uns, ihm ist es egal, was wir mit Ihnen machen.« »Wenn Sie mit uns zusammenarbeiten, könnten wir ihnen sogar einen Hamburger ausgeben«, sagte Alvarez. 234
»Und wenn nicht«, sagte Framijian, »werden wir Sie zu einem Hamburger verarbeiten.« Unter einem finster drohenden Himmel mit tieftreibenden, schwarzen Wolken führten sie Blackwell ins Lokal.
57 Blake und Coelli waren Alvarez und Framijian mit diskretem Abstand gefolgt. »Halt hier an«, sagte Blake. Coelli hielt auf der Straße gegenüber von Sallil's Shishkaburger Schnellrestaurant, wo Alvarez geparkt hatte. Sie beobachteten das Lokal, und nach einigen Minuten hielt ein blauer BMW neben Alvarez' weißem Lincoln. »Höchst interessant«, sagte Blake, »ruf die Nachforschungsabteilung an und hol eine Auskunft über den Besitzer des Wagens ein.« Coelli drückte die Nummer in das Autotelefon. »Myra? Wie geht es Ihnen? Hören Sie, Schätzchen, schauen Sie mal, ob Sie mir eine Auskunft über folgende Autonummer besorgen können.« Er setzte den 7 x 30 Zeiss Weitwinkelfeldstecher an seine Augen und las die Nummer ab. »Und machen Sie fix, ja? Wir sitzen hier mit Code 16 und wissen nicht, ob wir abbrechen müssen.« »Sie steigen aus dem Wagen«, sagte Blake, »zwei Typen.« Er schnappte das unter dem Armaturenbrett verborgene Fach auf und nahm eine L-25 Parabellum mit langem Lauf heraus, die er für schwere Schießereien auf mittlere Distanz benutzte. Für 235
schwere Schießereien über große Distanz hatte er eine Winchester 400 in einem Dachgestell über seinem Kopf. Auf ihr war bereits ein Bausch & Lomb Zielfernrohr montiert. Coelli hatte schon seine Automatikwaffe, den Prototyp M1911A2, ein Modell auf neuestem Stand, das unter Geheimhaltung entwickelt wurde, nachdem die Produktion des großen, alten 45er Colt 1911A1 eingestellt worden war, um dem zuverlässigen, aber uninteressanten 9 Millimeter Colt 92SB-F Platz zu machen. Coellis Freunde in Fort Ord hatten ihm einen dieser neuen Colts besorgt, es war ihm aber nicht gelungen, auch einen für Blake zu bekommen. Coelli sagte: »Ja, schießen Sie los, Myra. Okay, danke.« Er hängte auf. »Sie ist eine prima Frau, diese Myra«, bemerkte er gegenüber Blake, »wenn sie nur nicht dauernd diese schwarzen Turnschuhe tragen würde.« »De gustibus …«, sagte Blake abwesend, während er die Vorderfront des Lokals durch das Bausch & Lomb Zielfernrohr beobachtete. »Willst du, daß wir da reingehen, um zu sehen, was da los ist?« fragte Coelli. Blake schüttelte den Kopf. »Es wird ein Gemetzel geben. Laß uns sitzen bleiben und alles beobachten.« »Das paßt mir gut, ich kenne den Laden. Die Shishkaburgers sind der letzte Dreck.«
58 Sallil Bey war ein großer Libanese in mittleren Jahren. In seinen 236
Kindheitsträumen von einer Existenzgründung in einer der exotischen, westlichen Städte war der mögliche Besitz eines lausigen Hamburgertreffs an einer unbedeutenden, endlos langen Straße irgendwo zwischen Homestead und den Everglades nicht enthalten. Daran hatte er nicht im Entferntesten gedacht, als er aus den zerbombten Ruinen von Souk er-Farah in der Nähe von Sur nach Amerika gekommen war, um seinen Cousin Immi aufzusuchen, den raffinierten Geschäftsmann aus Tripolis, weil er in Miami, dem Libanon Amerikas, eigentlich den Reichtum finden wollte. Nun fand er sich selbst in einem schmierigen Ketchup-Palast auf einem zerbröckelten Betonparkplatz halb zwischen dem Nirgendwo und dem südlichen Nichts wie in einer Falle wieder. Nicht nur, daß er hier festgenagelt war, er mußte sich auch noch um Jamshid, den idiotischen Neffen seines Onkels kümmern, was er ihm als Gegenleistung für die Flugkarte in die Staaten versprochen hatte. Und er hatte auch noch seine Frau Laila, die ihm auf der Tasche lag. Die dicke, selbstgefällige Laila mit dem Mondgesicht und dem dünnen, schwarzen Schnurrbart, der, verglichen mit den langbeinigen Schönheiten der Sonnenküste mit ihren Brüsten wie Tauben und Schenkeln wie junge Fohlen, Wie ein deutliches Überbleibsel aus einer Welt wirkte, der er voller Ekel den Rücken zugekehrt hatte, auch wenn er im Grunde seines Herzens noch Heimweh hatte. Doch er hatte jetzt eine Freundin aus der Wohnwagensiedlung in Key Largo, die er mit dem Geld unterstützte, das Leute wie Alvarez und Framijian dafür bezahlten, daß er einen sicheren Ort zur Verfügung stellte, wo sie Leute verschwinden lassen konnten. Aber Bettina Sue wurde in letzter Zeit ungeduldig, wollte, daß er mit ihr zusammenlebte und seine 237
Ersparnisse in eine Drogenschmuggelaktion steckte, die ein Freund von ihr durchziehen wollte. Was sollte er tun? Er würde es mit Imrak besprechen müssen, dem Guru der Ortsgruppe der Hadji Weisheits- und Aktionsgruppe. Die drei Männer saßen in einer der Nischen aus rotem Kunstleder und diskutierten. Ihre Diskussion war derart heftig, daß sie den BMW nicht auf den Parkplatz fahren hörten. Sallil dachte darüber nach, es ihnen zu sagen, aber er entschied sich dagegen: Niemand bezahlte ihn dafür, die Ankunft von BMWs oder von den anderen Wagen, die dem BMW folgten, zu melden. Einer der Männer aus dem BMW kam durch den Eingang. Er trug etwas, das Sallil nur zu gut kannte: eine AK 47. Sallil tauchte nach der schützenden Stelle unter dem Tresen, als eine Reihe Gläser an der Rückwand zersprangen. Alvarez reagierte sofort und erledigte den Schützen Chaco, als der mit seiner AK 47 herumballernd durch die Tür kam. Die Kugeln aus Alvarez' MAG 50 tanzten über die Plastiktische, zerschmetterten die Musikbox, während Cyndi Lauper ›Girls just want to have fun‹ sang, und schlugen Chaco gegen die gekachelte Wand und ließen ihn herumtanzen, bis er in seinen ihn zusammenhaltenden Bestandteilen aus Kunstseide, Schuhleder, schwarzen Bohnen und einigen Malzbonbons zusammenbrach. Tito sprang mit einer automatischen Schrotflinte über Chacos Körper in den Raum. Sein Gesicht war zu einem Grinsen verzogen, das seine hinteren plombierten Backenzähne offenbarte. Er metzelte Alvarez in einem Gestank aus Kordit und brauner Bratensauce nieder und wurde von Framijian umgeblasen, der mit einer Uzi unter dem Tisch hervor feuerte. 238
Blackwell rannte durch den Seiteneingang des Cafes auf den Parkplatz. Hinter ihm liefen Männer her, die ihn keuchend aufforderten stehenzubleiben. Er rannte zum Lincoln und entdeckte den Schlüssel im Zündschloß. Kugeln pfiffen um ihn herum. Er warf den Gang rein und startete.
59 Der Lincoln fuhr ausgezeichnet, aber ein kanonengrauer Lamborghini SL 300 zog schnell zu ihm auf. Blackwell wühlte in dem Waffenfach und entdeckte eine vernickelte Smith & Wesson Modell 38 mit einem 5-Zentimeter-Lauf. Er steckte sie in die Tasche. Der strömende Regen peitschte gegen die Windschutzscheibe, und um ihn herum war nicht viel außer Landschaft. Die zweispurige Asphaltdecke wurde vorne breiter, um das Überholen zu erleichtern. Der Lamborghini zog schnell links zu ihm auf. Als dessen vordere Stoßstange nur noch Zentimeter vom Auspuffrohr des Lincoln war, stieg Blackwell voll in die Bremse. Der Lamborghini mußte bremsen und kam schleudernd zum Stoppen. Blackwell machte eine quietschende Umdrehung auf zwei Rädern und fand sich auf einer staubigen Landstraße zweiter Ordnung wieder. Aber der Lamborghini war noch hinter ihm, und als er längsseits herankam, schlug Blackwell den Lincoln wieder hart nach links ein, ein Manöver, das ihm schon einmal geglückt war. Der Lincoln legte sich auf zwei Räder, schwenkte mit dem Hinterteil herum, stöhnte und kreischte elendig, aber kam irgendwie wieder auf die Räder. Der Lamborghini fiel zurück, schleuderte unkontrolliert und schaffte es noch gerade, aufrecht 239
stehenzubleiben. Blackwell beglückwünschte sich schon zu seinen Lenkmanövern, als sein Lincoln ein Rad verlor, von der Straße abkam und in die Küstensümpfe schoß.
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Sechster Teil Der Kill 60 Dickerson saß in seinem Büro und studierte geheime Unterlagen. Er verbrachte eine Menge Zeit damit, weil er viele Geheimnisse wissen mußte und auch deren verschiedenen Geheimhaltungsstufen – wie ›Höchste Geheimhaltung‹, ›Nur für den Dienstgebrauch‹, ›Vertraulich‹ oder ›Von kosmischer Bedeutung‹ – unterscheiden mußte. Er mußte sich auch daran erinnern, welche geheimen Dokumente freigegeben worden waren, damit er, wenn auch mit einer gewissen Zurückhaltung, mit Freunden und Nachbarn darüber reden konnte. Aber manchmal war es schwer, sich daran zu erinnern, welches Material noch geheim und welches bereits freigegeben worden war, besonders dann, wenn man einen Teil seines Gedächtnisses dafür benutzen mußte, sich an andere Dinge zu erinnern, wie seinen Namen, seine Sozialversicherungsnummer, Wohnungsadresse und Telefonnummer, die Einkaufsliste für den Tag, die Namen seiner Freunde, Frauen und Kinder, das abendliche Fernsehprogramm, politische und religiöse Überzeugungen und so weiter. Dickerson hatte stets Angst, daß er sein Gedächtnis, durch die Beanspruchung zwischen geheimen und nicht geheimen Dingen unterscheiden zu müssen, überforderte und daß eines Tages diese ganze verdammte Sache nicht mehr 241
funktionieren würde und er das, was er am ehesten hätte behalten müssen, vergessen könnte, so daß ihm zum Beispiel unabsichtlich bei seinem Friseur herausplatzen könnte: »Wußten Sie, daß einer unserer Maulwürfe jetzt Finanzminister in Somalia ist? Eine reife Leistung für einen einheimischen Burschen, was meinen Sie?« Dickerson würde natürlich niemals ein solches Geheimnis offenbaren, weil er niemals über das Geschäft sprach, keine Zeit mit sinnlosen Gesprächen vertrödelte und niemals betrunken oder zugekifft war. Und auf Grund einer Sondervereinbarung, die er mit seinem Unterbewußtsein getroffen hatte, unterliefen ihm auch keine Versprecher. Aber die Möglichkeit eines katastrophalen Irrtums beschäftigte ihn immer wieder. Je mehr neue Geheimnisse er behalten mußte, über die er auch nicht sprechen durfte, desto mehr wurde er von dem launischen, beinahe zwangsweisen Verlangen ergriffen, alles auszuplaudern, mit der ganzen Welt eine Lagebesprechung abzuhalten, einer zufälligen Bekanntschaft in einer Bar seine tiefsten Geheimnisse zu offenbaren oder sogar, als Gipfel des Horrors, als das absolut Undenkbare, sich einen der ihm bekannten KGB-Leute herauszusuchen, ihn zum Essen einzuladen, einen Geheimbericht einzupacken und ihm dann zu sagen: »Ich zeige Ihnen meinen, wenn Sie mir Ihren zeigen.« Ein solcher Vorfall war natürlich undenkbar, und er würde so etwas niemals tun. Aber warum hatte er dann fortwährend solche Fantasien? Sein Psychiater, Dr. Mensch, nannte es den Reiz des Perversen. Bleiben Sie ganz ruhig, sagte ihm Dr. Mensch, je mehr es Ihnen widerstrebt, diesen Drang einzugestehen, desto schlimmer wird er. Bleiben Sie ganz ruhig, läßt sich leicht für einen Menschen 242
wie Dr. Mensch sagen, aber er hat nicht das Problem mit echten Geheimnissen, sondern lediglich die kleinen Macken und Schwächen seiner Patienten zu behandeln, alles keine Angelegenheiten von nationaler Sicherheit. Dickerson sprach mit Mensch über seine Probleme mit Geheimnissen, aber er erzählte ihm nicht eines davon, obwohl Mensch ein loyaler und vertrauenswürdiger Bürger war, wie Dickerson durch die Sicherheitsprüfung des Doktors hatte feststellen können, bevor er die Therapie unter dem Vorwand, er solle ihn von seinen psychosomatischen Allergien befreien, begonnen hatte. Der Mann war zweifellos loyal, aber er hatte keine Unbedenklichkeitsbescheinigung und durfte nicht einmal wissen, daß Dickerson Geheimnisträger war. Dickersons Job wurde zudem noch schwieriger, weil es einen neuen Chef gab. Die wahre Identität dieses Mannes war ein Geheimnis. Dickerson hatte ihn nie getroffen und kannte ihn lediglich durch Telefonate, die er erst nach dem Austausch von täglich wechselnden Erkennungscodes führen durfte. Zur Zeit war Dickerson ganz besonders hektisch, weil ihn der Chef gestern angerufen hatte und ihm mit seiner wahrscheinlich verstellten, rauhen Reibeisenstimme mit Chicagoer Akzent gesagt hatte, er solle Gewehr bei Fuß stehen, da etwas Großes im Gange sei. Dickerson stierte auf das Telefon, wie ein Mann, der eine schlafende Cobra beobachtete, die jeden Moment bösartig werden und ihn mit ihren grausigen Giftzähnen beißen könnte, um seinen Organismus geistig zu vergiften und ihn dazu zu zwingen, den bewährten Pfad der Tugend in bezug auf Sicherheitsroutinen zu verlassen und ihn in das gefährliche und unvoraussehbare Ungewisse zu stürzen. 243
Er hatte sich gerade selbst eingeredet, daß überhaupt nichts geschehen würde, das Telefon nie klingeln würde und der Chef ihn lediglich testen wollte. Hat nicht jemand gesagt, daß observierte Telefone niemals klingelten? Dann klingelte das rote Telefon. Dickersons Herz begann zu rasen. Er schloß die Augen und versuchte, sich zu beruhigen, indem er die Mantra, die ihm Dr. Mensch gegeben hatte, aufsagte: »Om mane padme ham, ich riech das Blut vom englischen Mann.« Erstaunlich, daß so etwas Einfaches wie eine Geisteshaltung einem ein Gefühl der Erleichterung geben konnte, egal wie kurzfristig das war. Er nahm den Telefonhörer ab. »Hier Dickerson.« Er hörte aufmerksam zu, als die rauhe Stimme den heutigen Erkennungscode ableierte. Dann sagte er seinen Teil der Losung, und das eigentliche Gespräch konnte beginnen. »Ja, Sir. Richtig, Sir. Entschuldigen Sie, Sir, würde es Ihnen etwas ausmachen, das für mich noch einmal zu wiederholen? Ja, Sir, ich habe verstanden.« Als er den Hörer auflegte, zitterte seine Hand. Er wiederholte seine beruhigende Mantra. Dann nahm er den gelben Hörer auf und rief Blake an. »Blake? Sie und Coelli fahren sofort zum Flughafen. Sie wissen zu welchem. Lassen Sie alles andere stehen und liegen, wir sehen uns dort in einer halben Stunde.« Dickerson hängte auf und seufzte tief. Der Augenblick, vor dem er soviel Angst gehabt hatte, würde nun tatsächlich kommen. Er würde den Chef persönlich kennenlernen und mehr erfahren, als er möglicherweise von dem, was hier gespielt wurde, überhaupt wissen wollte. 244
Er drückte auf die Gegensprechanlage. »Miss Quigley, sagen Sie Friedrisch, er soll meinen Wagen zum Nebeneingang fahren. Und halten Sie sich zu meiner Verfügung. Nein, ich weiß nicht, wann ich zurückkommen werde.« Falls das überhaupt der Fall sein wird.
61 Zale war im Auftrag des Militärs schon auf einigen seltsamen Plätzen gelandet, aber dieser war ausgesprochen gefährlich. Er brachte die Militärmaschine mit einer holprigen Landung auf der schmalen Landebahn aus weißen, gemahlenen Muschelschalen herunter. Sie waren am äußersten Südende von Outer Cay. Dickerson, Blake und Coelli öffneten die Gurte. »Zale, Sie bleiben beim Flugzeug«, sagte Dickerson dem Piloten. »Halten Sie die Maschine startbereit. Dieses Treffen könnte nicht allzu friedlich ablaufen.« Zale nickte, aber er wunderte sich, weshalb Dickerson erwartete, zum Flugzeug zurückzukommen, wenn die Leute, die er hier traf, das nicht wollten. Und wenn sie das Flugzeug nicht starten lassen wollten, würde ein in den dichten Dschungelgewächsen am Rande der Landebahn versteckter Mann mit einer Bazooka reichen, das Flugzeug startunfähig zu machen. Aber, da er wußte, worauf es ankam, behielt er seine Gedanken für sich und sparte sie sich für seine Memoiren auf. Blake und Coelli überprüften die Magazine ihrer Spectre Maschinenpistolen. »Ich hoffe nur, daß der Affe keine Schraube locker hat«, sagte Coelli mit gedämpfter Stimme zu Blake. 245
»Was war das?« fragte Dickerson, der alles mit seinen gespitzten Ohren aufgeschnappt hatte. »Ich sagte nur, ›ich hoffe, daß die Waffe keine lockere Traube hat‹«, sagte Coelli. »Und was soll das heißen?« fragte Dickerson. Coelli sah ihn hilflos an, und eine weitere Ausrede fiel ihm nicht ein. Blake mischte sich ein. »Eine Traube nennt man den Sprengring an der Klemmspangenvorrichtung der neuen MCX.« »Wir haben jetzt keine Zeit, uns mit Fachsimpeleien aufzuhalten«, sagte Dickerson. »Ich brauche Sie, damit Sie mir Rückendeckung geben. Seien Sie also alarmbereit, halten Sie die Augen offen und unternehmen Sie nichts, solange es sich vermeiden läßt. Aber wenn Sie schießen müssen, hören Sie erst dann auf, wenn wir wieder beim Flugzeug sind.« Beide Männer spannten die kleinen selbstfeuernden Spectres und verbargen sie unter ihren dünnen Jacketts. »Öffnen Sie die Tür, Zale!« sagte Dickerson. Zale schwenkte die Tür auf und ließ die Leiter herab. Unten auf der Landebahn stand Dahl vor der Leiter. Der Direktor für den karibischen Raum der Bahamas Corporation trug ein leichtes Batikhemd, das in der starken Meeresbrise flatterte und unter dem sich zwar keine Waffe zeigte, aber das einen Blick auf seinen behaarten, sommersprossigen und sonnenverbrannten Bauch offenbarte. »Willkommen auf Outer Cay«, sagte Dahl. »Darf ich Sie zum Haupthaus führen, wo wir einige leichte Erfrischungen für Sie vorbereitet haben?« »Ja, und was noch?« flüsterte Blake zu Coelli. 246
62 Als er von der Straße abgekommen war, hatte sich Blackwells Wagen überschlagen. Er lag drei Meter unterhalb der Straßendecke auf der Seite und war halb unter Wasser. Blackwell kletterte erledigt, aber nicht sehr mitgenommen, in das einen halben Meter tiefe Wasser heraus. Er hatte noch immer die Smith & Wesson, die er im Handschuhfach gefunden hatte, und die Rolex trug er immer noch am Handgelenk, obwohl die Uhrzeit im Augenblick unwichtig war und es nichts gab, das nahe genug war, um darauf zu schießen. Er begann, die steile Böschung hinaufzukrabbeln, verharrte jedoch, als er ein lautes Motorengeräusch und das Quietschen von bremsenden Reifen hörte. Direkt über ihm kam ein Wagen zum Stehen. Blackwell sah sich nach einem Versteck um. Er war genau an der Grenze jenes Landstrichs, wo die Florida Bay auf die Küstensümpfe trifft. Er schaute über das Wasser und entdeckte einige kleine Erhebungen, Inseln, die nur ein paar Zentimeter aus dem Wasser ragten und von Seegras, Tamarinden und Mangroven überwuchert waren. Der Boden war matschig, aber fest genug, um voranzukommen, wenn auch nur mit großer Anstrengung. Er watete auf die nächste Mangroveninsel zu, und als er die Autotüren zuschlagen hörte, duckte er sich dahinter. Eine Stimme hallte über das Wasser. »Hey, Blackwell, sind Sie da draußen?« Guzman! Blackwell widerstand dem Verlangen zu antworten: Nein, ich bin nicht hier! Er wartete bewegungslos. 247
Mercedes brachte ihren Lamborghini abrupt hinter Guzmans Lincoln zum Stehen. Bevor sie den Wagen verließ, öffnete sie ihre Tasche und prüfte, ob ihre Magnum .357 mit langem Lauf geladen war. Dann stieg sie aus und ging zu Guzman. Alphonso Guzman stand am Rande der Böschung und sah über die Florida Bay hinaus. Er trug eine zerknitterte Khakihose, einen Sam Browne Gürtel und eine verwaschene, graubraune Jägerjacke. Er hielt eine Mannlicher .302 mit einem Zielfernrohr in der Hand. In einem Brusthalfter hatte er eine Uzi und zwei Ersatzmagazine. Der dunkelhäutige, untersetzte kleine Mann lächelte und sah wie ein zu früh aus der Schule entlassenes Kind aus. Er streichelte den glänzenden Kolben der Mannlicher, als sei sie ein Kuscheltier, ein guter Freund und ein hübsches Mädchen in einem. »Hey, Blackwell«, rief er, »ich weiß, daß Sie da sind, Hombre. Sie sind der Jäger, nicht wahr?« Er wartete einige Augenblicke. Der Wind zerrte an seiner Jacke und zerzauste seine kurzen Kräuselhaare. »Antworten Sie, Blackwell. Wenn Sie sagen, daß Sie nicht der Jäger sind, gehe ich fort, okay? Aber wenn Sie es sind, ist es vielleicht an der Zeit, es zuzugeben, eh?« »Ja!« rief Blackwell, und seine Stimme hallte dünn über das Wasser. »Ich bin der Jäger! Und Sie sind das Opfer!« Guzman drehte sich zu Mercedes um. »Sehen Sie, ich habe seinen Stolz getroffen«, sagte er ruhig und zufrieden. »Ich habe ihn dazu gebracht, seinen Standort zu verraten.« Er drehte sich wieder in die Richtung, aus der Blackwells Stimme gekommen war. »Jetzt ist alles andersherum, Hombre! Jetzt bin ich der Jäger, und Sie sind das Opfer. Wie gefällt dir 248
das, Gringo?« Ein staubiger, blauer Datsun hielt in einer Wolke aus Staub und Kiesel vor Guzmans Wagen an. Emilio kletterte heraus. Er trug eine Winchester mit Zielfernrohr. An einer Schulter baumelte eine zweiläufige, abgesägte Schrotflinte. »Er ist hier draußen, wie?« fragte Emilio. »Schnappen wir ihn uns, mi Colonel. Ich gehe rechts, Sie links. Er kann nicht stark bewaffnet sein, so wie der sich bewegt hat.« »Dein Plan ist gut«, sagte Guzman, »hört sich wie in alten Tagen an. Aber du wirst genau hier bleiben, alter Freund. Ich gehe allein.« »Das ist vielleicht nicht besonders schlau, Boß«, sagte Emilio. »Du verstehst das nicht«, sagte Guzman. »Das hier ist ein Mano a Mano, ein klassischer Zweikampf mit tödlichem Ausgang. Außerdem ist es der größte Spaß, den ich seit ewigen Zeiten hatte.« »Also, Boß«, sagte Emilio, »ich weiß, Sie sind ein Tiger, aber lassen Sie sich nicht hinreißen, lassen Sie mich Ihnen helfen.« »Du kannst mir Deckung geben«, sagte Guzman, »aber erschieß ihn nicht. Er gehört mir, tu sabes? Meine Beute!« Er glitt die Böschung hinunter und rief: »Blackwell, yo vengo\« und watete auf die Mangroveninsel zu. »Er war immer eigensinnig«, murmelte Emilio mit unverhohlener Bewunderung in der Stimme. Er schüttelte den Kopf, glitt dann die Böschung hinunter und folgte Guzman. Nachdem sie einen Augenblick gezögert hatte, glitt Mercedes ebenfalls die Böschung hinunter und folgte Emilio. 249
63 Unter den großen, sich langsam drehenden Deckenventilatoren im Sitzungszimmer war es kühl. Dickerson und Dahl nahmen an einem Ende des langen Tisches Platz. Blake und Coelli lehnten an der mit Rattan verkleideten Wand und waren jederzeit bereit, wenn es nötig sein sollte, ihre Waffen zu ziehen. So weit schien alles in Ordnung zu sein. Dahl mixte zwei große, schäumende Rumdrinks, probierte einen – »ah, gerade herb genug« – und reichte ihn Dickerson. »Cin-cin«, sagte Dickerson und nippte. »Mein Gott, sagen die Leute das immer noch?« fragte Dahl. »Mir ist egal, was die Leute sagen. Lassen Sie uns zum Geschäftlichen kommen.« »Sicherlich. Sie sind Mr. Dickerson, soviel ich weiß, Chef der CIA-Abteilung Süd-Florida, Sektion 2 mit neuer Direktive?« Dickerson nickte kurz. »Und Sie sind Dahl, Chef des karibischen Bereichs der Bahamas Corporation. Wir haben eine Menge Aktenmaterial über Sie und Ihre Organisation.« Dahl lächelte. »So wie wir über Sie und die Ihre.« »Ich denke, ich sollte darauf hinweisen, nur, um unsere Position klarzustellen, daß das meiste von dem, was die Bahamas Corporation tut, illegal und Grund genug für hohe Geld- und lange Gefängnisstrafen ist«, sagte Dickerson. »Natürlich sind wir illegal«, sagte Dahl. »Aber aus Gründen, die sowohl lebenswichtig als auch ehrenhaft sind. Und niemand kann uns hier auf unserer eigenen Insel etwas anhaben. Ich glaube nicht, Mr. Dickerson, daß Sie in der Position sind, uns zu 250
drohen.« »Oh, ich wollte Ihnen nicht drohen«, sagte Dickerson. »Ich wollte nur unseren Standpunkt verdeutlichen.« »Sie nennen uns illegal«, sagte Dahl, »aber tatsächlich sind wir die letzte große Hoffnung für die Menschheit.« »Nun, das mag sein«, sagte Dickerson. »Können wir jetzt zum Geschäftlichen kommen?« Dahl sah ihn spöttisch an. »Was meinen Sie damit?« »Sie haben dieses Treffen gewollt«, sagte Dickerson. »Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen«, sagte Dahl. »Ich habe von meinem Vorgesetzten die Instruktion erhalten, daß Sie dieses Treffen wünschten.« Die beiden Männer starrten sich an. Dahl war leicht außer Atem. Durch eine unfreiwillige Bewegung Dickersons, vielleicht eine physische Äußerung seiner langunterdrückten Versprecher, wurde ein Glas umgeworfen. Noch bevor die Eiswürfel den Tisch berührten, hatten Blake und Coelli ihre Waffen in der Hand. Über ihnen glitt eine Verkleidung hoch oben in der Wand zur Seite, und die lange Schnauze einer AK 47 lugte hervor und zielte auf Blake und Coelli. Dann öffnete sich die schmale Dienstbotentür am anderen Ende des Raums, und Zale, Dickersons Pilot, marschierte hindurch, dicht gefolgt von zwei Wissenschaftlern der Universität Los Angeles in Snoopy-T-Shirts. »Was ist los, Zale?« fragte Dickerson gereizt. »Ich dachte, ich hätte Ihnen gesagt, daß Sie beim Schiff, Verzeihung, beim Flugzeug bleiben sollen.« »Ich dachte, Sie sollten wissen, Sir, daß gerade ein zweites 251
Flugzeug gelandet ist.« Dickerson und Dahl sahen sich bestürzt und argwöhnisch an.
64 Dort, wo die Florida Bay mit der sumpfigen Küstenlinie der Everglades verschmilzt, lastete auf der hellen, mit kleinen Inseln gesprenkelten Wasseroberfläche eine große Stille. Unter der großen, weichgezeichneten, weißen Sonne durchdrangen sich Wasser und Land gegenseitig, feucht, schleimig und reuelos. Die Schnellstraße wirkte wie ein dunkler Einschnitt in die glühende Helligkeit der seichten Wasserwelt. Zwei Autos parkten am Rand der Straße, die die Gegend in zwei Hälften teilte. Etwas unterhalb von ihnen lag ein dritter Wagen auf der Seite im Wasser. Weit draußen, in Richtung auf den Golf von Mexiko, schickte ein Fischerboot mit zitternden Fangauslegern einen Hahnenschwanz weißen Rauchs in die Luft, als es nach Key West abdrehte. Etwas näher glitt ein schmales, niedriges Boot, das anscheinend nach Gräten fischte, nahe der Küste vorbei. Sein strohhütiger Insasse stakte es mit einem Stab voran. Guzman hatte die Mannlicher über die Schulter gehängt und verließ sich stattdessen auf die kleine, automatische Guzi. Er hielt sie im Anschlag, watete zum Rand der kleinen Insel und spähte hinein. Er konnte nur einen kleinen Weg sehen, der in das dunkle Gewirr aus Eisenholz, Gumbosträuchern und schwarzen Mangroven führte. Er blieb stehen. »Hey, Blackwell, komm raus und spiel mit mir!« »Komm rein und hol mich!« rief Blackwell von der anderen Seite der kleinen Insel. »Ich bin hier drinnen, du scheintotes, 252
stinkendes Wrack!« »Scheintot? Zum Teufel, du bist noch nicht einmal geboren, Bürschchen! Hast du schon jemals einen Menschen getötet? Glaubst du wirklich, daß du das kannst?« Er wartete ab. Plötzlich kam Blackwell mit wutentbranntem Gesicht hinter der kleinen Insel hervorgewatet, in der Hand hielt er die nutzlose, kurzläufige 38er. Guzman ballerte mit seiner Uzi los. Blackwell grunzte, sein rechter Arm verfärbte sich rot, und die Waffe fiel ihm aus der Hand. Er langte nach unten, um sie wieder aufzuheben, aber Guzman feuerte noch einmal, und er mußte hinter den Mangroven in Deckung gehen.
65 Die Tür zum großen Sitzungssaal der Bahamas Corporation öffnete sich. Dickerson und Dahl waren beide aufgesprungen und standen fast Seite an Seite. Am anderen Ende des Raums waren Blake und Coelli wie zu einer Reliefarbeit auf einem Gangster-Sarkophag erstarrt. Simmons kam durch die Tür. Hinter ihm ging aufrecht und lächelnd der kleine Jagdmeister. »Ich weiß, wer Sie sind«, sagte Dahl bedächtig, »unsere Akten sind vollständig, aber ich hätte nie gedacht, daß wir uns je begegnen würden.« »Sie und Ihre Leute haben sich redlich Mühe gegeben, mich zu meiden«, sagte der Jagdmeister, »das erklärt es vielleicht.« »Wir verfolgen unterschiedliche Ziele«, sagte Dahl. »Unsere Organisation versucht, die Welt vor ihrer eigenen törichten 253
Kurzsichtigkeit zu retten. Sie und Ihre Jagd sind Teile dieses Irrsinns.« »Das glauben Sie doch wohl selbst nicht«, sagte der Jagdmeister. »Wir von der Jagd sind ein Teil der Gesamtlösung. Wir schlagen Mord aus eigenem Antrieb als einen Ersatz für Krieg vor. Sie wissen, daß die Menschheit nie zufrieden sein wird, es sei denn, sie tötet etwas. Die Menschen können noch nicht einmal eine Landschaft richtig genießen, es sei denn, es bewegt sich etwas darauf, auf das man schießen kann. Die Triebe, die zu Krieg und Fortschritt führen, können nicht ausgeschaltet werden; und wir würden sie nur auf die Gefahr hin, die menschliche Rasse gänzlich zu vernichten, wegzüchten können. Wir Menschen sind jagende Tiere, Dr. Dahl, und uns ist die Beute ausgegangen. Es gibt nichts mehr zu töten, außer wir töten uns gegenseitig. Und töten müssen wir. Es müssen Vorkehrungen getroffen werden, damit wir das in einer akzeptablen Form tun können.« »Recht und Ordnung können immer noch erreicht werden!« erklärte Dahl. »Sie wissen, daß das nicht stimmt«, sagte der Jagdmeister, »vielleicht in vielen hundert Jahren, aber nicht in der vorhersehbaren Zukunft. Mein lieber Dahl, die erste, die vorrangige Aufgabe ist es, die Erde wieder in ihr ökologisches Gleichgewicht zu bringen. Das ist Ihre Aufgabe, Ihre und die der Bahamas Corporation. Während das geschieht, ist es unsere Aufgabe, den Leuten eine andere aufregende Beschäftigung als den Krieg zu geben. Ohne uns und unsere ›Jagd‹ würden Sie und Ihre hochbegabten Wissenschaftler nur eine weitere Gruppe von Träumern sein, die in einem imaginären Königreich der süßen Träume lebt, während der Irrsinn der realen Politik 254
überall um sich greift. Denken Sie praktisch, Dahl, und lassen Sie uns zusammen etwas dagegen unternehmen.« »An dem, was Sie da sagen, ist etwas dran«, gab Dahl zurückhaltend zu. »Ich weiß seit einiger Zeit von den angeborenen Mängeln unseres geistigen Verhaltens. Wir Wissenschaftler treten für sachliches Denken ein. Die Gesellschaft schenkt dem keine Aufmerksamkeit. Es sei denn, es geschieht ein unerwarteter Zwischenfall wie in Harrisburg oder Tschernobyl. Die Idee, die Erde und ihr Ökosystem aufrechtzuerhalten und zu verbessern, ist nicht gerade ein Kassenschlager. Und richtig, die Leute brauchen etwas Leidenschaftliches; und da sind die sinnlosen, freiwilligen Tötungen durch die Jagd besser als die sinnlosen, unfreiwilligen Tötungen von Millionen Menschen durch die standardisierten Methoden der modernen Kriegsführung. Wenn es nach mir ginge … aber das geht es ja nicht. Ich bin nur ein Regionaldirektor, nur einer von zehn, die die endgültigen Entscheidungen für die Bahamas Corporation treffen.« »Darf ich vorschlagen«, sagte der Jagdmeister, »daß es für einen aufgeweckten jungen Mann wie Sie an der Zeit ist, den Direktorposten in Ihrer Gesellschaft zu übernehmen? Mit unserer Hilfe natürlich.« Dahl lachte. »Ich muß zugeben, Jagdmeister, das klingt verführerisch. Aber ich kann Ihnen versichern, daß das völlig unmöglich ist.« »Oh, Sie sind nicht mehr weit davon entfernt«, sagte der Jagdmeister. Sein kleines Gesicht verzog sich zu einem verschmitzten Lächeln. »In der Tat ist das der einzige gangbare Weg für Sie. Ich habe mir die Freiheit herausgenommen, Ihre Mutterorganisation auf Ihren Treuebruch, was uns betrifft, 255
hinzuweisen.« »Man wird Ihnen niemals glauben!« »Man wird. Der Plan Castor und Pollux läuft bereits. Unser ausgebildetes Killerkommando tötet in diesem Augenblick Ihre anderen neun geschäftsführenden Direktoren.« »Das würden Sie nicht wagen!« sagte Dahl. »Nichts, was Sie oder ich dagegen tun könnten, wird das verhindern. Heute abend wird Ihre Vereinigung ohne Kopf sein. Dahl, kommen Sie, Mann, ergreifen Sie diese Gelegenheit. Ist Ihnen nicht klar, daß wir gemeinsam die Regierung der Vereinigten Staaten übernehmen können? Wir haben genauso wie Sie einflußreiche Freunde im Kongreß. Schließen Sie sich uns an, und seien Sie einer der Gründungsväter einer neuen Ordnung für die Menschheit!« Dahl kniff die Augen zusammen, als er seine Handlungsmöglichkeiten überprüfte und sie als sehr begrenzt empfand. »Nun, nach alledem«, sagte er, »was kümmert es mich, wenn sich eine Menge von Dummköpfen in Ihrer Jagd gegenseitig umbringt, solange meine Kollegen und ich die Welt erretten können. In Ordnung, Jagdmeister, ich bin Ihr Mann.« Dickerson hatte dieses Gespräch mit wachsender Besorgnis verfolgt. Nun trat er vor; ein kleiner Mann, der durch die Umstände groß wurde. »Wenn Sie glauben, daß ich Sie damit durchkommen lasse, dann sind Sie verrückt. Blake! Coelli!« Seine Männer zogen ihre Waffen. Die AK 47 in der Wandöffnung bewegte sich und zielte abwechselnd auf jeden. Es schien, als würde jeden Moment die Hölle losbrechen. »Bevor Sie etwas tun, das Sie bereuen könnten«, sagte der 256
Jagdmeister, »sagt Ihnen ›Orange Alpha 323 Weinender Schneeschuh‹ etwas?« »Das ist der heutige Erkennungscode«, sagte Dickerson. »Wo, zum Teufel, haben Sie den her?« »Das war nicht schwierig«, sagte der Jagdmeister, und seine Stimme bekam den wohlvertrauten, rauhen, Chicago-verdorbenen Akzent, den Dickerson nur zu gut kannte. »Boß!« sagte Dickerson, und seine Stimme klang heiser. »Sie werden meine Befehle befolgen!« sagte der Jagdmeister. »Jawohl, Sir! Aber Sir, warum genau tun wir das alles?« »Es ist zum Wohle unseres Landes«, sagte der Jagdmeister. Als er das hörte, entspannte sich Dickerson. Er hatte gehofft, an keinem Hochverrat beteiligt zu sein, denn das hätte in ihm einen Konflikt hervorgerufen, und Dr. Mensch hatte ihm geraten, Konflikte zu vermeiden. »Nun können Sie sehen, warum unser kleiner Plan Erfolg haben muß«, sagte der Jagdmeister zu Dahl. »Alle wichtigen Kräfte stehen auf unserer Seite. Innerhalb eines Jahres wird die Jagd in Amerika legal sein, und der Rest der Welt wird uns bald zufallen. Dann, Dahl, können wir unsere restliche Energie dazu verwenden, die Erde zu reparieren.« Dahl und der Jagdmeister schüttelten sich die Hände. Blake und Coelli grinsten sich in der Art von Männern zu, die gerade entdeckt haben, daß sie auf der gleichen Seite stehen. Der unsichtbare Mann zog die AK 47 aus der Luke zurück. Coelli fragte: »Was ist mit dem Jäger?« »Blackwell?« fragte Simmons. »Ich nehme an, daß er sein Opfer inzwischen getötet hat.« 257
»Das ist nicht so einfach«, sagte Dahl. »Ich fürchte, ich habe schlechte Neuigkeiten für Sie. Als dies hier begann, schickten wir eine unserer Kontrolleurinnen los, um herauszufinden, was mit unserem Waffenhändler geschehen ist und um etwaige Fehler zu korrigieren. Ich befürchte, das bedeutet, daß sie Mr. Blackwell beseitigen wird.« »Gibt es keine Möglichkeit, die Kontrolleurin zurückzurufen?« fragte Simmons. Dahl schüttelte den Kopf. »Sie steht mit uns in keinem Funkkontakt.« »In diesem Fall«, sagte der Jagdmeister, »wird Blackwell auf sich selbst aufpassen müssen. Ich bedaure das so sehr wie jeder von Ihnen, aber einige Opfer müssen gebracht werden, wenn die neue Ordnung Erfolg haben soll.« 66 Emilio hörte Guzmans Schuß und verdoppelte seine Bemühungen, den todbringenden Ort zu erreichen. Er zog bei jedem Schritt die Füße aus dem saugenden Morast, wobei er zwar seine Schuhe, aber nicht seine Entschlossenheit verlor. Mercedes war ein paar Meter hinter ihm und mühte sich ab, ihm zu folgen. Das Grätenfischerboot trieb näher heran, und der Mann mit dem Strohhut stand auf, um zu sehen, was los war. »Hau ab!« brüllte Emilio und winkte mit dem Gewehr. Der Grätenfischer drehte sich um und warf sich dann plötzlich wieder herum. Sein Hut fiel herunter und enthüllte dabei deutlich seine polnischen Gesichtszüge. Minska! Die Uzis in beiden Händen flammten kurz auf. Emilio brach zusammen. 258
Das Grätenfischboot schaukelte vom Rückstoß. Minska ruderte mit den Armen in der Luft und versuchte, die Balance zu halten. In dem Moment gab er eine prächtige Zielscheibe ab. Mercedes kippte ihn ohne Schwierigkeiten mit einer Kugel aus der Magnum .357 aus dem Boot.
67 Guzman watete näher heran und blieb etwa einen Meter entfernt stehen. Die Uzi hielt er schußbereit in seinen klobigen Händen. Blackwell lag im seichten Wasser. Mit dem rechten Arm hielt er den linken und versuchte, bei Bewußtsein zu bleiben. Der Schock klang langsam ab, und der Schmerz begann, sich von der zerschmetterten Schulter her auszubreiten. Hinter Guzman tauchte Mercedes auf. Ihr weißes Kleid war vom Dreck verschmiert, und ihre Haare waren zerzaust. »Wie gefällt dir die Jagd jetzt, Cono?« Blackwell antwortete nicht – was gab es da schon zu sagen? »Leb wohl, Dummkopf«, sagte Guzman und legte die Uzi an. »Nein!« schrie Mercedes und feuerte reflexartig ab. Das große Geschoß aus ihrer Magnum .357 zerfetzte Guzmans Hinterkopf. Er stürzte mit dem Gesicht nach vorne als menschlicher Cocktail für die Krebse ins Wasser. Mercedes kniete sich neben Blackwell. Sie hatte noch immer die Magnum in der Hand und zielte damit in die grobe Richtung von Blackwells Kopf. »Ich konnte nicht zulassen, daß dieser widerliche Fettwanst dich erschießt«, sagte sie. »Das ist keine Art zu sterben; von 259
einem Fettkloß getötet zu werden, der sich Vaseline ins Haar schmiert.« »Mercedes«, sagte Blackwell, »ich liebe dich. Das war alles ganz schön verrückt, wie? Was würdest du dazu sagen, wenn wir zusammen fortlaufen, nur du und ich. Wir gehen irgendwohin, wo man noch nie etwas von der Jagd gehört hat, vielleicht nach Neuguinea. Wir werden heiraten und uns für immer lieben, und alles wird gut sein. Was sagst du dazu?« Ihr Gesicht war von Tränen umwoben. »Wenn ich nur könnte!« sagte sie. »Ich bin verrückt nach dir, Frank. Du bist so klug und hilflos und nett und geradeheraus. Ich habe noch nie zuvor einen Mann wie dich kennengelernt. Aber es würde mit uns nie gutgehen, Liebling. Lustig, daß du gerade Neuguinea erwähnt hast, da bin ich gerade hergekommen. Ich mußte einen Kerl kaltmachen, der nicht den Regeln der Bahamas Corporation gehorchen wollte.« »Erzähl ihnen, daß Guzman mich erschossen hat und ich unter Wasser verschwunden bin oder irgend so etwas, und du hast mich gesucht, konntest mich aber nicht entdecken. Wir werden für uns einen noch weiter entfernten Ort finden. Wir treffen uns heute in einem Monat am Skidmore Springbrunnen in Portland in Oregon. Niemand würde jemals auf den Gedanken kommen, uns dort zu suchen.« »Ich würde das gern tun, Liebling, aber sie machen mit uns nach jeder Mission Polygrafen-Tests, um sicher zu gehen, daß wir nicht weich geworden sind. Es tut mir leid, aber besser ich erledige es als irgendein Fremder. Schließ die Augen. Du wirst nichts spüren als den Einschlag.« »Mercedes!« sagte Blackwell. »Hör auf zu spinnen!« 260
Sie beugte sich liebevoll und mörderisch über ihn und setzte die Magnum an seine Schläfe. Blackwell bekam seine linke Hand an das rechte Handgelenk und drückte auf den Rand seiner Rolex-Waffe. Der Schuß versengte Mercedes' Wange und trennte eine Locke ihres dunklen Haars ab. »Nun«, sagte sie mit zusammengekniffenen Lippen, »vielleicht bist du ja gar nicht so nett.« »Baby, laß uns darüber reden.« Ihre Lippen preßten sich zusammen, und ihr Finger drückte auf den Abzug. Blackwell schloß die Augen. Es fiel ein Schuß.
68 Sechs Monate später kam Blackwell in die geheime, unterirdische Anlage im nördlichen New Jersey und fuhr mit dem Fahrstuhl zur Arbeitsebene hinunter. Die Sekretärinnen schleusten ihn durch. Simmons kam aus seinem Büro und begleitete ihn zum Büro des Jagdmeisters. »Ich freue mich, Sie zu sehen, Frank«, sagte der Jagdmeister, »heilt die Schulter gut?« »Danke, ausgezeichnet«, sagte Blackwell. »Ich nehme an, Sie haben auf dem Weg hierher gehört, daß der Kongreß gerade das Gesetz zur Legalisierung von Mord, kombiniert mit der Gesetzesvorlage über die Reinerhaltung von Wasser, Erde und Luft, beschlossen hat. Endlich ist eine neue Zeit für die Menschheit angebrochen.« »Ja, Sir, ich bin sehr glücklich darüber«, sagte Blackwell und 261
hörte sich dabei überhaupt nicht glücklich an. »Sie sind noch immer verärgert, nicht wahr?« »Ja, Sir, das bin ich.« »Nun, Sie haben Ihren Groll lange genug mit sich herumgetragen. Ich möchte Ihnen zwei Dinge zeigen, um das wiedergutzumachen.« Der Jagdmeister machte eine Handbewegung. Minska trat aus dem Dunkel hervor. »Hey, Junge«, sagte er, »ich wollte dich schon im Krankenhaus besuchen, aber man sagte mir, daß du mich nicht sehen wolltest.« Blackwells Gesicht spannte sich an. »Ich will dich auch jetzt nicht sehen. Du hast gesagt, du würdest mir Rückendeckung geben. Aber du warst nicht da, als ich dich brauchte.« »Laß mich dir wenigstens erzählen, warum ich so spät gekommen bin.« »Ich will davon nichts hören«, sagte Blackwell, »du warst mein Freund und Aufklärer. Ich habe dir vertraut, und du warst nicht da.« »Das geschah auf meinen Befehl hin«, sagte der Jagdmeister. Er machte eine Handbewegung. Zwei Männer traten aus dem Schatten hervor. Es waren zwei kleine Männer mit weißen Panamahüten und schmalen Schnurrbärten. Es waren Valeriano und Panfilo, die sehr viel besser aussahen als in ihren ContraTagen auf den Hügeln vor den Toren von San Francisco de la Paz. »Vergeben Sie Ihrem Freund, Seňor«, sagte Valeriano, »er kam zu spät, weil er uns die Waffen, die er erbeutet hatte, liefern 262
mußte. Aber wenn er die Waffen nicht rechtzeitig zu uns gebracht hätte, wäre die Revolution fehlgeschlagen.« »Ich verstehe nicht«, sagte Blackwell, »ich dachte, die Contras haben verloren.« »Natürlich«, sagte Panfilo, »aber wir waren nie Contras. Valeriano und ich sind seit unserer Universitätszeit Geheimagenten der Jäger.« »Das ist wahr«, sagte Valeriano, »unsere Untergrundorganisation war in der Lage, die gesamte Waffenladung an unsere Gefolgsleute zu verteilen. Wir kämpfen für die großen, populären Ideen der Zeit: für legalisierten Mord, eine nicht übermäßig ungleiche Verteilung des Wohlstands und den Vorrang der Ökologie. Ihrem Freund ist es zu verdanken, Seňor, daß die Jagd in genau dieser Woche in allen Ländern Zentralamerikas, die unter unserer Herrschaft vereint sind, legalisiert wurde.« »Und außerdem bin ich noch rechtzeitig dorthin gekommen, um dein Leben zu retten.« »Du hättest sie nicht töten dürfen!« sagte Blackwell. Minska schüttelte den Kopf. »Ich mußte es tun, Frank. Sie wollte dich töten.« »Sie wollte mich nicht töten. Sie wollte mir nur Angst einjagen.« »Sie wollte dich todsicher töten, Frank. Und selbst wenn sie dir nur Angst einjagen wollte, wie sollte ich das auf dreißig Meter Entfernung erkennen?« »Du hättest sie verwunden können, statt sie zu töten.« »Soll das ein Witz sein? So wie ich da lag, mit dem 263
zerschmetterten linken Bein und halb bewußtlos? Du hast Glück gehabt, daß ich in dem Zustand, in dem ich war, irgendwie ihre Richtung getroffen habe.« Blackwell schüttelte den Kopf. »Minska, ich sage dir, sie hat mich geliebt.« Minska legte seinen Arm um Blackwells Schulter. »Vielleicht hat sie das, Junge, ja, vielleicht hat sie das. Aber sie hatte auch diese Ader in sich, nenn es eine böse Ader, denn todsicher wollte sie dich töten, selbst wenn sie dich geliebt hat; was ich irgendwie bezweifle.« Blackwells Schultern fielen herunter. Sein Gesicht fiel ein. Die Tränensäcke der Verzweiflung unter seinen Augen füllten sich mit den öligen Sekreten des Selbstmitleids. Er sagte: »Nun, es ist vorbei. Zuerst Claire und nun Mercedes. Was für ein Pech habe ich nur mit Frauen? Ständig werden sie um mich herum getötet. Aber was wirklich weh tut, ist, daß ich nun nichts mehr habe, worauf ich mich freuen kann.« »Doch, du hast etwas, Junge.« Minska lächelte zuversichtlich. »Wovon sprichst du?« »Sieh dir das an.« Minska nahm ein Stück Papier aus der Tasche und hielt es ihm hin. Blackwell nahm es, las es, las es noch einmal und begann, den Inhalt zu verstehen. »Eine Jagd? Wir gehen auf eine neue Jagd? Aber ich habe nicht unterschrieben.« »Ich war so frei, das für dich zu tun«, sagte Minska. »Du kannst natürlich immer noch aussteigen, aber dann müßte ich jemand anderes finden, für den ich als Aufklärer arbeiten könnte.« »Ich weiß nicht, ob ich für eine neue Jagd bereit bin«, sagte 264
Blackwell. »Ich habe das bei der letzten schon nicht sehr gut gemacht. Ich meine, es war Mercedes, die letztendlich das Opfer getötet hat, nicht ich.« Seine Stimme wurde heiser. »Sie hat ihn für mich getötet, Minska!« »Nun fang nicht schon wieder an, Frank. Ich weiß, du hast es beim letzten Mal nicht so gut gemacht. Aber du hast das Zeug dazu. Glaub mir, ich kenne mich mit diesen Dingen aus. Viele Leute brauchen eine Jagd, um warm zu werden. Diesmal wirst du's ihnen zeigen!« »Glaubst du wirklich?« fragte Blackwell mit heiserer Stimme. »Es ist besser, wenn du daran glaubst, Junge«, sagte Minska. »Warum würde ich sonst mein Leben und meinen guten Ruf aufs Spiel setzen, wenn ich für dich als Aufklärer arbeiten will?« »In Ordnung, Minska«, sagte Blackwell. Seine Stimme war unter Kontrolle. »Wir machen es noch einmal, und dieses Mal machen wir es richtig!« Nachdem sie gegangen waren und Panfilo und Valeriano den Fahrstuhl nach oben genommen hatten, um ihr Honorar an der Rezeption in Empfang zu nehmen, sagte Simmons zum Jagdmeister: »Ich bin wirklich froh, daß es für Blackwell gut ausgegangen ist, Sir. Man sollte zwar in diesen Dingen nicht persönlich werden, aber ich habe mir seinetwegen Sorgen gemacht.« »Das hätten Sie nicht zu tun brauchen«, sagte der Jagdmeister. »Ich hätte Ihnen von Anfang an sagen können, daß er das Zeug dazu hat. Und außerdem ist das Glück oder Unglück eines einzelnen Lebens – und sogar dessen plötzliche 265
Vernichtung – nichts im Vergleich zu der sozialen Veränderung, die wir damit zu bewirken hofften. Die Jagd ist nunmehr legal, Simmons, und alle Regeln, nach denen die Menschheit gelebt hat, sind verändert. Der Krieg ist vorüber! Die Erde ist gerettet! Endlich ist eine Epoche angebrochen, in dem allen ein glückliches Ende bereitet wird: das Zeitalter der Happy Ends.«
ENDE
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