C.H. GUENTER
KÖNIG
SALOMONS
VERLAGSUNION ERICH PABEL-ARTHUR MOEWIG KG, 7550 RASTATT
1.
Seit zwanzig Stunden ließ...
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C.H. GUENTER
KÖNIG
SALOMONS
VERLAGSUNION ERICH PABEL-ARTHUR MOEWIG KG, 7550 RASTATT
1.
Seit zwanzig Stunden ließ Frankenheimer sich von dem bockigen Jeep durchschütteln. Jetzt zeigte er Ermüdungserscheinungen. Der Jeep, ein fünfund dreißig Jahre alter CJ-38 Willys, auch. Sein Kreuz schmerzte, und der Motor des Jeeps lief nicht mehr richtig rund. Lag wohl am ver dreckten Kanisterbenzin, daß er ständig nachge tankt hatte. Zum letzten Mal in der Nacht. An die Nächte dachte er nicht gern. Was für eine Saukälte in der Wüste. In der Hoffnung, die Verfolger abzuschütteln, war er vom Sinai nach Norden in den Negev hinübergewechselt. Aber sie hingen noch immer hinter ihm. Jetzt war es Tag und heiß und staubig. Israel im Sommer. Das flimmernde Licht über den ockerfarbigen Hügeln schmerzte trotz der Sonnenbrille. In den Dörfern warfen vermummte Kinder auf alles, was vorbeikam, Steine. Und was für Brocken. Die eisernen Rolläden der Geschäfte waren zu. Aus Protest gegen irgend etwas. Ab und zu kläffte ein Köter, Lucas Frankenheimer gab Gas. Bloß durch, bloß weiter. Eine kurvige Straße führte nach Nagba. Auf den Bäumen hockten Geier. Im Ort sah man ein paar orthodoxe Juden mit Hüten und Zöpfchen und
scheue Frauen mit blauschwarzem Haar. Dann kam ein Palmenwald, die Blätter grau statt grün. Busse und Lastwagen fuhren ihm entgegen, mitten auf der Straße, als gehörte sie nur ihnen. Alles Armeefahrzeuge. Von denen war keine Hilfe zu erwarten. Sie hatten genug mit sich selbst zu tun. Frankenheimer rechnete. Das Benzin konnte knapp reichen. Noch sechzig Kilometer bis Tel Aviv, Er war zum Umfallen fertig. Er klammerte sich ans Lenkrad, um in den Kehren nicht aus dem Jeep zu kippen. Und dann sah er sie wieder hinter sich. Die drei Typen in dem staubbedeckten Mercedes. Oder war es schon eine Wahnvorstellung? In der Oase hatte er sie zum ersten Mal bemerkt. In der Dämmerung waren sie hereingerollt. Einen von ihnen kannte er. Um seine Begleiterin nicht zu gefährden, hatte er sich von ihr getrennt. Dies auch in der Hoffnung, die Verfolger zu irritieren. Doch es war mißlungen. Sie wollten nur ihn. Alles mögliche hatte er versucht. Den Korkenzie hertrick und den Gabeltrick. Aber die Burschen kannten sich aus. Sie blieben an ihm haften wie Knoblauchgestank. Sie hielten immer Abstand. Schwarze Barte umrahmten ihre arabischen Gesichter, und sie trugen grüne Armeeklamotten. — Sie kamen nicht näher, aber wenn sie Schußdi stanz hatten, dann würden sie auch schießen. Frankenheimer war ganz sicher. Mehrmals war er nahe daran, bei einer Polizei station vorzufahren und dem israelischen Komman danten zu sagen, der alte 220er da hinten ist voller Killer. - Ganz sicher war er eben nicht. So hatte er sich selbst geholfen. Nun dachte er an den Kaffeehaustrick.
L.F. wußte nicht wie der Ort hieß. Irgend etwas Arabisches. Aber die Bedingungen schienen gün stig. Um einen weiten, sandigen Platz standen Pal men. Zwischen weißen Häuserwürfeln sah man eine offene Teeküche. Davor eine Bushaltestelle. Er kurvte den Jeep in den Schatten, sprang heraus und nahm die zwei Gepäckstücke mit, die ihm geblieben waren. Die gelbe Segeltuchtasche und den Bondwell Portable, den tragbaren Personal computer. Zusammen mit dem Hartplastikkoffer war er nicht größer als eine Reiseschreibmaschine. — Von ihm würde er sich zuletzt trennen. Nur im Falle seines Todes. - Im Bondwell war alles gespeichert, was er auf dieser Reise gesehen, gehört und gefunden hatte. Auf dieser verfluchten ver dammten Reise in die Vergangenheit. Er trat in die Teeküche. Er wollte wieder fort sein, ehe der Mercedes auftauchte und sie seine Absicht errieten. „Taxi!" rief er dem Jungen zu, der die Tische abwischte. „Hier kein Taxi." Frankenheimer warf ihm eine Dollarnote hin, einen Greenback, den sie auf der ganzen Welt kannten. Der Junge nahm ihn und steckte ihn ein. „Bus."
„Kein Bus, Sir." „Verdammt, wie kommt man weiter? Ich hab' es eilig." Der Junge nahm einen Besen, kehrte zur Tür, schaute hinaus, kam wieder herein. „Alle immer verdammt eilig", sagte er. „Was ist mit dem Jeep?" 9
„Kaputt." Frankenheimer zog noch eine Dollarnote aus dem Gummiband, das seine Banknoten zusammen hielt. Der Junge kam ihm irgendwie recht clever vor. Der Araber musterte die Banknote und ließ sie mit einer eleganten Bewegung verschwinden. „Ich habe ein Motorrad. Ist aber teuer, Mister." „Egal, was es kostet." Der Junge stellte den Besen weg und winkte den Fremden nach hinten. Dort stand eine rote Yamaha. Vielleicht eine 250er. Der Junge öffnete den Benzinhahn, trat sie an. Frankenheimer setzte sich hinter ihn auf die Sitz bank. Links die Reisetasche, rechts den portablen PC. — Ungedämpftes Knattern, Vollgas, und ab ging's. Durch enge Höfe, über einen hoppligen Weg, quer über Felder, zu einer Nebenstraße und dann auf eine Hauptstraße. Tempo hundert. Sie machten die Rücken krumm. Zwanzig Kilometer weiter kamen die Vororte von Jaffa. Der Junge hielt an. „Dort Taxi. Zehn Dollar, Mister." Eine halbe Minute später saß der Amerikaner in einem Peugeot, hinten wie eingemauert von seinem Gepäck. „Zum Flughafen", hatte er dem Fahrer zuge rufen. „Lod oder Ben Gurion, Sir?" „Egal. Wo ich eine Maschine nach New York kriege", antwortete er.
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L.F. saß oben in der first class der Boeing 747 und nahm seinen ersten astreinen Drink entgegen. Einen Martini. Gin mit süßem Wermut, ein paar Tropfen nur, schaumig geschüttelt, eiskalt. Was für eine Wohltat nach dieser Hölle. Er war das Wild gewesen. In einem Augenblick der Dummheit hatte es sich zu weit aus dem schützenden Dickicht gewagt, und die Jäger hatten es aufs Korn genommen. — Aber es war den Jägern entwischt. So ungefähr mußte einem alten Hirsch zumute sein, der den Jäger genarrt hatte und jetzt junge Fichtensprossen äste. Der Jumbo-Jet hatte seinen Steigflug beendet. Tief unter ihm war die Küste zurückgeblieben. Er querte erst das Mittelmeer, dann ein Stück Sizi lien, später Spanien, ehe er sich auf den Atlantik hinausschwang. Kurs West. Kurs Heimat. In siche rer Höhe von 27 000 Fuß. Wieder, dachte L.F., bist du dem Tod von der Schippe gesprungen. „Noch einen Drink?" fragte die blonde, frisch geduschte Stewardeß. „Danke." „Ich dachte, Sie sagten etwas, Sir." Er hatte nichts gesagt, sondern sich verkrochen. So wie er aussah, unrasiert, verdreckt. Er hatte die Wahl gehabt, entweder zu baden und sich umzu kleiden oder den Platz in der Pan Am anzunehmen, die schon abgefertigt auf dem Rollfeld stand. Außerdem war es ihm scheißegal. Er kam sich ohnehin so vor, als sei er aus einer anderen Welt in die Zivilisation zurückgekehrt. Vor wenigen Stunden in der Wüste war er noch hundemüde gewesen. Hier im luxuriösen Schlaf 11
sessel war er aufgekratzt wie einer, der im Lotto gewonnen hatte, unfähig, ein Auge zu schließen. L.F. brachte seine Gedanken in Ordnung. Jetzt, da es nicht mehr ums nackte Leben ging, machte er sich Sorgen, daß er von all dem, was er gesehen, erkundet und erlebt hatte, auch nichts vergaß. Er mußte es sofort aufschreiben, festhalten, in den Computer einspeichern. Schon begann der sensationelle Artikel, den er darüber schreiben würde, Gestalt anzunehmen. Er würde ihn erst einmal skizzieren, dann zu Hause ausarbeiten - und auf jeden Fall in mehrere Folgen aufteilen. Er würde ihn an Sam Higget von Science Voice schicken oder noch besser an Future World, das seriösere Magazin. Es hatte allerdings die kleinere Auflage. Sie zahlten auch dementsprechend schlechter. SV hingegen hatte eine weltweite Ver breitung. — Nun, man würde sehen. Die fabelhaft nach blonder Frische duftende Stewardeß nahm seinen Blick auf. „Vielleicht doch noch einen Martini, Sir?" „Könnte sein", sagte er, „daß Martinis inzwi schen veraltet sind. Aber erstens habe ich lange keinen mehr gehabt, und zweitens mag ich sie genau so, wie Sie sie mixen. Gin, drei Tropfen süßen Wermut, nicht eiskalt, nur so kalt, daß das Glas beschlägt, und dann schütteln, bis es schäumt." Sie ging in ihre Pantry und machte einen neuen Drink. Als sie kam, lächelte er, weil er sich freute, daß es so etwas Hübsches noch gab. So eine Frau und so einen Drink. „Und eine Zigarre", bat er. Die anderen Fluggäste hier oben rauchten zwar nicht, aber die vorzügliche Klimaanlage schaffte 12
den Smoke rasch fort, so daß er keine Belästigung darstellte. „Sumatra oder Brasil, Sir?" „Eine helle, darf auch eine Grüne sein." „Havanna?" „Ja, Coronaform. Ich schneide sie mir selbst." Sie servierte ihm die Havanna auf dem Tablett, daneben Messer und Streichhölzer. Er roch daran und ließ sie am Ohr knistern. Fast feierlich steckte er sie an und rauchte sie mit hohem Genuß. Bei Zigarren, anders als bei Zigaretten, wo der erste Zug der beste war, gab es einen Abschnitt, wo das Aroma sich erst voll entwickelte. Dieser Abschnitt lag ungefähr zwischen dem Ende des vorderen Viertels und der Hälfte. Weiter hinten wurden die meisten zu stark, während sie vorne zu ausdruckslos waren. Wirklich eine erstklassige Handgewickelte. L.F. richtete sich auf, holte den Bondwell 16-Bit-AT aus dem Gepäcknetz und klappte ihn auf. Die Akkus gingen langsam zu Ende. Aber was er einzuspeichern hatte, das würden sie wohl noch schaffen. Erst rief er die letzten Notizen ab. Die Schrift erschien grün auf dem Plasma-Bildschirm im Deckel. Er frage dies und jenes, sah, daß es wohlver wahrt im Speicher ruhte, und ergänzte es mit seinen letzten Erkenntnissen. Im Kopf hatte er schon die Überschrift seines Artikels, die Unterzeile und die ersten Sätze fertig. Während der vierstrahlige Jet sich allmählich Cypern näherte, begann der Zukunftsforscher Lucas Frankenheimer, die Computertastatur zu betätigen. Es genügte schon eine hauchzarte 13
Berührung, und der Buchstabe stand auf dem Schirm. Die Buchstaben wurden zu Wörtern, die Wörter zu Sätzen, Er schrieb. SALOMONS RING Eine Rekonstruktion der letzten Jahre im Leben des Königs von Israel sowie Analyse der rätselhaf ten Ereignisse, die zu seinem langsamen Sterben im Jahr 927 vor Christus führten . . . von Lucas Frankenheimer jun. Durch Brudermord kam Salomon auf den Thron. Der altersschwache König David ernannte nach dem Tode des rechtmäßigen Thronfolgers seinen jüngsten Sohn zum König von Israel. Sechzig Jahre lang herrschte Salomon über das Land. Er wahrte die Grenzen des Reiches gegen innere und äußere Feinde, indem er das Heer vergrößerte und modernes Kriegsgerät, nämlich Streitwagen, aus Ägypten bezog. Er eröffnete den Handel und die Schiffahrt nach Arabien, was ihm große Reichtümer brachte. Der Bau der Burg mit dem Tempel von Jerusa lem ebenso wie die verschwenderische Pracht sei ner Hofhaltung verschlangen jedoch unermeßliche Summen. Auch sein mit Hunderten von Frauen bevölkerter Harem, der dem eines orientalischen Sultans glich, nahm die Steuerkraft und die Fron dienste seines Volkes so sehr in Anspruch, daß Aufstände ausbrachen. Obwohl Salomon diese brutal niederschlug, war er ein kluger, geistvoller Fürst, dessen Richtersprü 14
che und Weisheiten von der ganzen damaligen Welt bewundert wurden. Salomon war ein Despot, trotzdem wird seine Regierungszeit als das ,Goldene Zeitalter' des isra elitischen Volkes bezeichnet. Das spätere Hinneigen Salomons zu den heidni schen Kulturen der Nachbarvölker wird immer wieder als Grund für den Verfall des Reiches ausgelegt. Die wahren Ursachen sind andere. Gegen Ende des Lebens von König Salomon häuften sich eine Reihe von rätselhaften Vorgän gen. Überliefert ist, daß eines Tages nicht nur eine Sonne, sondern zwei aufgestiegen seien. Die neue Sonne habe sogar des Nachts geschienen. Es habe Erdbeben gegeben. Gegenstände aus Eisen, einem damals neuen Material, hätten sich, wie von Gei sterhand angezogen, an die Mauern und südlichen Wände der Häuser geheftet. Nachts seien Boten im Palast angekommen, und der König sei ihnen gefolgt. Der Bau des Tempels sei eingestellt worden. Salomon habe alle Architekten und Bauleute zu sich in die Wüste gerufen. Die Wüste sei ein ganzes Jahr lang von der Armee abgesperrt worden. Viele Menschen seien in der Wüste gestorben. Als Salomon nach elf Monaten aus der Wüste zurückkehrte, sei er ein kranker alter Mann gewe sen. Die Architekten und Bauleute, die sich Lob und hohen Lohn erhofften, habe er alle in einer Nacht töten lassen, damit es keine Zeugen gebe von den Ereignissen, die selbst Salomon sich mit seiner Weisheit nicht erklären konnte. Der König ließ einen Siegelring anfertigen. Er zeigte ein auf der Spitze stehendes Dreieck mit einem strahlenden Auge in der Mitte. Nun begann das langsame Sterben des Königs, 15
Das Haar und die Zähne fielen ihm aus. Er litt unter unbeschreiblichen Schmerzen. Sein Körper begann sich zu zersetzen. Seine Leibärzte, welche die Krankheit nicht kannten, behaupteten, sein Körper habe kurz vor dem Tod im Dunklen geleuchtet. Seit meiner letzten Reise nach Nahost ist es mir nun möglich, die auch bei Historikern noch offenen Fragen über König Salomons letzte Jahre weitge hend zu beantworten . . .
Als Lucas Frankenheimer den ersten Entwurf seines Artikels über König Salomon fertig hatte, überfiel ihn eine Mischung aus Erleichterung, Glück und Erschöpfung. Er klappte den PC zusammen. Im Begriff, ihn ins Gepäckfach zu schieben, behielt er ihn doch lieber zwischen den Füßen oder neben sich. Die Gentlemen und die zwei Ladies in der first class waren gewiß aller Ehren wert. Niemand würde ihm das Ding wegnehmen. Aber das Ergeb nis der Expedition war einfach zu sensationell und auch zu gefährlich, als daß er schlafen konnte, wenn die Notizen mehr als zwei Meter von ihm entfernt waren. Außerdem waren sie äußerst kost bar. Er schätzte ihren Wert doppelt so hoch wie das Gewicht des zehn Kilo schweren PC in Fein gold. Vorausgesetzt, der Goldwert stand minde stens bei siebenhundert Dollar pro Unze. Er kippte den Sitz an, stellte den Bondwell neben sich, legte seinen Arm um ihn wie um ein Kind und war im Nu eingeschlafen. Lucas Frankenheimer schlief sieben Stunden. 16
Als der Jumbo-Jet sich New York näherte, mußte die Stewardeß ihn kräftig rütteln, um ihn zu wecken. „Wir landen in wenigen Minuten, Sir." „Wo?" lallte er schlaftrunken. Dann wußte er wieder, wo er war, und grinste zufrieden. 2.
Nach einer verschleppten afrikanischen Legionärs grippe war der BND-Agent Robert Urban noch nicht wieder voll auf den Beinen. Trotzdem rief der Boß an. „Wie wäre es, wenn Sie Ihren Körper mal wieder in Richtung Pullach bewegen würden?" Der Alte verfuhr stets nach dem Motto: Nette Leute sind schlechte Vorgesetzte. Und Urban verfuhr nach dem Rezept: Domesti ken sind keine guten Mitarbeiter. „Ich stinke noch", sagte er. „Geheimagenten werden dafür bezahlt, daß sie schneller gesund werden als andere", brummte Speckbauch Sebastian. Er war ein echter Blöd mann. Urban leerte die Tasse mit dem Aufbaudrink Bourbon pur. Im Moment interessierte ihn nur sein Bett in seiner Wohnung in Schwabing. Von ihm aus konnte der Rest von München ebensogut auch Kalkutta sein. Aber Krankheit machte noch mehr krank. Seine Stimme drang wie aus einem Abwasserka nal, als er sagte: „Bis später." „Später? Heute, morgen, nächste Woche?" 17
„Später", sagte Urban.
„Wir bekamen da eine anonyme Drohung. Eine Erpressung, Sieht nicht gut aus," „Gegen wen?" fragte Urban. „Gegen die Bundesregierung." Nicht, daß gleich eine Signallampe in Urban blinkte, aber so kurz vor Mittag scherzte der Alte gewöhnlich nicht, und Übertreibung war nicht seine Natur. Zum Übertreiben gehörte ein gewisser Wortschatz, und daran mangelte es ihm. „Bis später", sagte Urban noch einmal. Er ging ins Bad. Als er den Bademantel fallen ließ, um sich im Spiegel zu betrachten, war er sicher, daß er derzeit für Badeölreklame nicht zu gebrauchen war. Die Farbe seiner Gesichtshaut war ein Mittelding zwischen einem Hundescheiße braun und Gänsekackegrün. Vorsichtshalber schmiß er eine ThomapyrinTablette hinein. — Nein. Zwei.
Oberst i. G. a.D. Wolf Sebastian hatte leicht über trieben. Es ging nicht um das Vaterland, sondern um Mercedes-Benz-Dieselmotoren. Allerdings um das stärkste LKW-Triebwerk mit Turboaufladung. „Was hat das mit dem Wohl der Bundesrepublik zu tun?" fragte Urban ironisch. „So ein Diesel hat immerhin fünfhundert PS." „Gegen Düsentriebwerke mit zehntausend PS kaum ein sanfter Wind." „Nur", fuhr der alte Herr der Reserve außer Diensten fort, „brauchen Panzer keine Turbinen." „Amerikanische schon." „Nicht in Afrika, in Nahost, in Arabien und 18
Persien. Aber sie lassen sich mit dem DB-Diesel nachrüsten. Es geht um einige tausend Stück," Urban ahnte, was los war. Zwar hatte er einige Tage gefehlt und war in der Lektion hintennach, aber so weit nun auch wiederum nicht. „LKW-Motoren stehen nicht auf der Sperrliste." „Und wenn sie sich für Panzer eignen?" „Dann eignen sie sich auch für Wasserpumpen oder transportable Kraftwerke." „In diesem Fall kam der Wink von der CIA. Die Amerikaner protestieren." „Klar, um ihre eigenen GMC-Diesel zu verkau fen", bemerkte Urban. „Es ist immer dasselbe. Konkurrenzneid. Ob bei Bomben und Granaten oder bei der ewigen Seligkeit. Selbst Gottvater, der große gasförmige, hat den Kampf gegen Dummheit längst aufgegeben." „Was frömmeln Sie da?" fragte der Alte erstaunt. „Unwichtig. Ich habe nur den Eindruck, daß derjenige, der die Erde und die Menschen geschaf fen hat, sein Haupt verhüllt angesichts dieser Mißgeburten und sich endgültig in die Weite des Weltraums auf Reisen begeben hat. Schamvoll wie ein schlechter Konstrukteur." Der Alte klemmte das Monokel ein. „Das muß an Ihrer Grippe liegen." Er griff einen von den Schnellheftern, einen ganz normalen ohne Geheimstreifen. „Lesen Sie erst, dann hören wir uns die Bandaufzeichnung an." Für Urban war der Sachverhalt bereits klar. Ein Importeur in Nahost hatte tausend Stück LKWMotoren von Daimler-Benz, die stärksten Turbo diesel unterhalb der Leopard-Klasse, geordert. Das Stück zu einem satten Preis. Gesamtwert des Auftrags fünfzig Millionen Dollar. Da es so viele kaputte Schwerlastwagen gar nicht gab, war anzu 19
nehmen, daß einer auf die Idee gekommen war, diesen Motor für defekte Panzer zu verwenden. Die Amerikaner hatten den Deal spitzgekriegt und in Bonn interveniert. Nun lagen die Container mit den Dieseln in Bremerhaven, und das Wirtschafts ministerium ließ sie nicht raus. Die Akte war aufgeputzt wie der Hochglanzpro spekt für eine Ware, die es nicht zu kaufen gab. Fotos, Leistungsdiagramme, Einbau- und War tungsanleitungen, Kopien von Verträgen, Fern schreiben aus Washington und so fort. Urban legte sie beiseite. Was soll das, was ist damit bewiesen? drückte seine Miene aus. „Es gibt Luftaufnahmen", fuhr der Alte fort. „Sie zeigen die Reparaturparks der im Golfkrieg beschädigten Panzer. Im Irak ebenso wie in Per sien. Die Schäden sind für jeden Fachmann erkennbar. Die meisten dieser älteren Panzertypen wurden im harten Wüsteneinsatz zuschanden gefahren. Ohne Ersatzmotoren stehen sie nutzlos herum." Erstaunlich gut vorbereitet watschelte Sebastian krummbeinig zur Längswand seines Büros, wo aufgebaut war, was man in den meisten deutschen Wohnzimmern fand: Farbfernseher, Videogerät, Stereoanlage, Plattenspieler, Lautsprecherboxen, in Teakholz eingebaut. Alles solide Markenwaren, schon ein wenig veraltet. Sebastian schob die Kassette in den Recorder und drückte Knöpfe. Offenbar die falschen. Weil nichts kam, drehte er sich hilfesuchend zu Urban um. Der deutete nach links unten zur Tür. „Der Stecker ist raus, Großmeister." „Diese Putzweiber." 20
Der Alte bückte sich ächzend und stellte die Verbindung zum Stromnetz der Isar-Amperwerke wieder hier. Die Skalen und ein paar Lämpchen leuchteten auf. Sebastian setzte sich hinter seinen Schreibtisch und wartete wie auf den ersten Geigenstrich in einem Karajan-Konzert.
Urban gab seiner MC-Zigarette Feuer. „War das alles?" Kaum hatte der Mann zu reden begonnen, hörte er schon wieder auf. „Ein Unbekannter." „Warum die Aufregung?" „Man muß das ernst nehmen." „Das kommt davon, wenn man jede Blähung, die über die Telefonleitung hereinkommt aufzeichnet", äußerte Urban geringschätzig. „Er sprach englisch." „Ach ja."
„Er wußte von den LKW-Motoren in Bremen." „Wie hundert andere Leute", wandte Urban ein. Der Alte ging zu der Anlage, ließ das Ganze wiederholen und dann noch einmal. „Spricht er nicht englisch wie ein Araber?" „Eher wie ein Sachse", meinte Urban. Der Alte hatte sich das Band so oft angehört, daß er trotz mittelmäßiger Sprachkenntnisse in der Lage war, es ohne Konzept zu übersetzen. „Geben Sie die Ausfuhr der Lastwagenmotoren frei, oder es wird etwas Böses passieren." „Was ist etwas Böses?" fragte Urban. „Komische Wortwahl, finden Sie nicht?" 21
„Ich fand es gar nicht komisch. Eher gefährlich", entgegnete der Alte. „Gefährlich wie der Fünfuhrtee im Altersheim", spottete Urban. „Solche Drohungen erfolgen doch täglich, im Dutzend gebündelt. Oder?" „ I h n e n . . . " Der Alte zog tief Luft, „Ihnen ist aber auch gar nichts heilig." Urban drückte die MC aus. Sie hatte auf der Zunge den Geschmack von gammelndem Stroh hinterlassen. Ein Zeichen, daß er noch nicht auf der Höhe war. „Es gibt Drohungen", kommentierte Urban, „die nehme ich sogar verdammt ernst. Aber nicht in dieser neckischen Form." Er drückte sich hoch. Wurde Zeit, daß sie Sebastian in den Ruhestand schickten. Was wichtig war, erkannte er nicht, das Unbedeutende spielte er hoch. — Er kann es nicht, dachte Urban, er konnte es nie. Er hat es in fünfundvierzig Jahren nicht gelernt. Er lernt es nimmermehr. „Der Präsident wünscht, daß wir dranbleiben", erwähnte der Alte, um bei seinem Agenten Nr. 18 irgendeine Form von Interesse zu wecken. „Ja, morgen." „Sie gehn doch nicht schon wieder?" „Ich fahre nach Haus und schlafe ein bißchen", sagte Urban. Und wegen so was hatten sie ihn herbestellt. Gleich wurde ihm schlecht. Da konnte man nur noch bei der nächsten Apotheke vorbei schauen oder in einer Bar, die gepflegten Bourbon führte.
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3.
Sie trafen sich bei Jim McMullen in der Third Avenue, einem der Dinner-Restaurants, wo die Kellner feiner waren als die Gäste. Sam Higget, Chefredakteur beim Science Voice, hatte einen guten Tisch bestellt. Am Fenster, nicht weit weg vom Eingang. „Prima Platz, wie?" sagte er zu Lucas Franken heimer. „Nun ja, an der Lokustür ist er nicht, aber ich sitze gern in einer Nische." Frankenheimer wußte, warum er Nischen bevor zugte, wenn er sich mit Typen wie Higget traf. Dieser Bursche, zweifellos ein tüchtiger Verlags manager, kleidete sich leider wie ein Zuhälter. Leopardenmantel, breitrandiger Hut, so schwarz wie sein Schnurrbart, und Brillant im Ohr. O Mann, dachte Frankenheimer, einen Brilli im Ohr, es darf nicht wahr sein. Das nächste Mal klebt er sich einen auf die Nase. Er selbst war das Gegenteil von Higget. Nicht windig, sondern massiv, nicht blaß, sondern gebräunt, nicht dunkel, sondern blond mit grauen Strähnen. Wenn Higget seidene Maßanzüge zu 1300 Dollar das Stück trug, dann trug Frankenhei mer Safariklamotten. Hose, Hemd, Lederjacke plus Stiefel für 99,99 bei Macys. Wenn Frankenheimer nicht gewußt hätte, daß Higget jeden erreichbaren Schlüpfer über jeden erreichbaren Damenhintern zog, hätte er ihn für homosexuell gehalten. — So konnte man sich irren. Aber irgendeinen Schwulentick hatte er schon. Allein die Art, wie er die Drinks bestellte. „Für dich auch Mineralwasser?" fragte er seinen Autor, den Zukunftsforscher. 23
„Ja, als Eiswürfel gefroren zum Kühlen der Gläser, bevor der Whisky reinkommt." Higget verstieg sich tatsächlich zu einem Likör. Er war zweifarbig. Oben blau, unten rosa. Damit, dachte Frankenheimer, ist der absolute Tiefpunkt wohl überschritten. Er irrte sich. Noch vor der Suppe kam Higget sehr clever zur Sache. „Du weißt, Lucas, ich bin Feinschmecker." „Klar, Kaviar, Amselzungenpastete, Frosch schenkel." „O Gott, die sind doch out. Total. Nein, in dieser Saison bevorzugt man wieder Schwalbennester und Shrimps, in Mehl gestäubt und in Öl fritiert. Aber nur die ganz kleinen Shrimps aus dem sauberen südlichen Polarmeer. Nicht die aus In dien. " „Und Steaks à la Salomon", ergänzte Lucas Frankenheimer, „außen krustig, innen blutig. - Du hast meinen Artikel bekommen und gelesen. Also, geh nicht um den Brei. Reden wir davon." Higget nahm eine Serviette und strich darüber hinweg, als gäbe es etwas zu glätten. „Das tu' ich schon die ganze Zeit, mein Freund." „Nichts bemerkt." „Man hat mich nur mit diesem ordinären Angebot an Hors d'oeuvres unterbrochen. Also . . ." Er löffelte die Tomatencremesuppe, sprach aber nicht weiter. Frankenheimer kannte ihn. Eigentlich konnte er jetzt schon nach Hause gehen, machte aber noch einen Versuch. Er brockte geröstetes Weißbrot in die Suppe und fragte: „Also ist die Sache ein Nagel oder ein Hammer?" Higget nickte. Das konnte alles bedeuten. 24
„Der Hammer holt zum Schlage aus", sagte Higget. „Man wartet darauf, daß er fällt." „Er fällt im letzten Kapitel." „Der Hammer kann auch aus Gummi sein." „Er ist aus gutem Hammerstahl", versicherte der Autor. „Glaub mir. Ein echter Knüller." Higget winkte ab. „Das hast du mir auch damals bei der Amazo nasgeschichte versprochen. Und was kam raus? Heiße Luft. Keine goldene Stadt, kein Eldorado. Tausend Quadratmeilen dichter Urwald und India ner mit Lepra und Syphilis." „Ich war da", betonte Frankenheimer, „und hab' es angefaßt. Das Gold und die ganze goldene Stadt. Deine Expedition hat nur nicht richtig gesucht. Aber so geht es jedem, der behauptet, es gehe um Kultur, und in Wahrheit geht es um Geld." Higget war mit der Suppe fertig. Er schob den Teller weg. „Geht es bei dir nicht um Geld?" „Bin noch nicht pleite." „Aber fast." „Nun, die Reise war nicht billig. Aber die Artikelserie bringt es." „Du hast Wahnvorstellungen von einem Ho norar. " „Ich verlange eine Sondernummer nur mit mei nem Material." „Und später ein Buch." „Das ist es wert." Higget spülte den Mund mit Perrier. „Du spinnst, Lucas. Hunderttausend Dollar für dreimal zehn Seiten. Keine achttausend Wörter." „Es ist es wert", behauptete der Zukunftsfor scher. „Glaub mir, es ist ein Ding wie die erste Atombombe." 25
„Ich glaube keinem Autor auch nur ein Wort", entgegnete der Chefredakteur von Science Voice. „Sie versprechen dir die Quadratur des Kreises, und am Ende ist es ein Hut mit null Ecken. Ich wurde schon zu oft beschissen, Mann." Der zweite Gang kam. Irgend etwas sehr Winzi ges, umgeben von nichts als einem Löffel Soße und obendrauf ein Blatt Minze oder Kerbel, Kaum ausreichend für einen Mann mit Magenge schwüren. „Wolltest du noch etwas sagen?" fragte der Autor. „Du gibst mir das letzte Kapitel zu lesen."
C.F. winkte ab.
„Erst den Vertrag, dann den Vorschuß, dann das
letzte Kapitel." „Kommt nicht in Frage." „Dann laß es." „Die Henne gackert", höhnte Higget. „Aber wo ist das Ei, bitte?"
Sam Higget speiste und trank so langsam, daß man dabei verzweifeln konnte. Zumindest wurde man nervös. Und darauf zielte er ab, dieser Hun desohn. „Weißt du, Lucas", sagte er beim Dessert. „Von diesen ausgeleierten Gruftistories von Salomon, König David, Dschingis Khan und anderen Schnul zen gibt es schon ein paar zu viele." „Meine Story ist fundiert in Fotos, in Messungen und Beweisen." „Auch nur ein Hammer für die Behämmerten", tat Higget es ab. Wenn er mir noch das Zahlen in diesem Luxus 26
schuppen überläßt, wo man hungriger rauskommt als reingeht und wo man sich nur damit rächen kann, daß man das Silberbesteck klaut, dachte Frankenheimer, murkse ich ihn ab. Und dann setzte Higget allem noch die Krone auf. „Daß du", sagte er, „als Jude, dich mit so was überhaupt abgibst, Lucas." „Gerade als Jude." Higget lachte hämisch. „Ich druckte mal einen Artikel, da schrieb einer, Salomon sei gar nicht vom Stamme Israel gewesen, sondern irgend so ein Wechselbalg, den man David in die Wiege legte." „Damals waren alle Menschen in dieser Region Semiten."
Higget deutete voll Spott auf den Zukunftsfor scher. „Aber du kannst es nicht völlig ausschließen." Es ist auch nicht auszuschließen, dachte Fran kenheimer, daß du ein Arschloch bist, Mann. Aber ich werde es dir zeigen. Dir und euch allen. Das, was er aus Nahost über Salomon mitge bracht hatte, das war, zum Teufel, nicht alles. Es gab da noch mehr. Und es war so sicher und echt wie seine Salomonstory. Der Likör, der Wein und das Dessert hatten Higget ein wenig sanfter gemacht. Vielleicht war sein kleiner Zickenmagen auch von diesem Freß trip randvoll gefüllt, sein Kreislauf hatte mit der Verdauung zu tun und dazu Blut vom Herzen abgezogen. „Einen Blick in das letzte Kapitel, Lucas", schlug er vor, „und wir werden uns einig." „Du wirfst einen Blick hinein", befürchtete Frankenheimer, der so seine Erfahrungen hatte, 27
„und morgen ist es so, als hätte ihn Manhattan, übermorgen ganz Amerika gelesen. No, Sir." Higget verstand, daß der Autor vorsichtig war. Demnach hielt er viel von seinen Expeditionser gebnissen. Andererseits war er auf diesen Trick auch schon hereingefallen. Er war sicher, daß Frankenheimer nachgab. Gab er nicht nach, dann war, verdammt, dann war was dran an der Ge schichte. Er begann zu pokern. „Wir treffen uns in meinem Büro, Lucas", schlug er vor. „Ich lese das letzte Kapitel, du bist dabei. Wenn es wirklich der absolute Hit ist, gehst du mit fünfzigtausend Dollar und dem Vertrag raus." „No, Sir."
„Hab Vertrauen, Lucas!"
„Zu dir?"
„Wie ich zu dir, Lucas."
Der Autor faltete die Serviette zusammen und
steckte sich eine von seinen stinkenden 25-CentStumpen an. „Dann bringt es eben Future World." Wenn etwas unklug war und wenn Chefredak teure etwas nicht vertragen konnten, dann war es, wenn sie mit dem Namen anderer Verlage erpreßt wurden. Dann machten sie die Luken total dicht. Das war L.F. aber egal, denn er war wütend. Was bildeten die sich ein? Seine Story war super. Vielleicht sogar literaturpreisverdächtig. Nur weil er früher mal den einen oder anderen Flop geschrieben hatte, spielten sie jetzt gebranntes Kind. „Ich denke, du zahlst", sagte Frankenheimer aufstehend. „Nur die Hälfte." Lumpen ließ Higget sich also auch noch. 28
Daraufhin fielen ein paar böse Worte. Franken heimer bezeichnete den Science Voice als ein Scheißmagazin und Higget Frankenheimer als einen unverschämten halbseidenen Autor dritter Klasse. Nun titulierte Frankenheimer Higget einen schwulen Modefatzke, und Higget nannte Fran kenheimer unseriös, einen Spinner, der besser Drehbücher für Weltraum-Filme schreiben solle. Es ging hin und her. Frankenheimer warf einen zerknüllten Fünfziger auf den Tisch, was ungefähr dem entsprach, was er gern konsumiert hätte. Sie beleidigten sich weiter in einer Form, daß sie nie mehr auch nur ein Wort miteinander reden würden. Mindestens ein halbes Jahr lang.
Schriftsteller, die sich Zukunftsforscher nannten, ohne Wissenschaftler zu sein, genossen im allge meinen und ganz besonders in den USA wenig Ansehen. Lucas Frankenheimer wußte das. Und er war entschlossen, dieses - zumindest was seine Person betraf - zu ändern. Neben seinen Erkenntnissen über das Jahr Salo mons in der Wüste, hatte er noch anderes nicht weniger brisantes Material mitgebracht. Das würde er jetzt Stück für Stück weitergeben, und zwar an eine Stelle, wo man solche Informationen schätzte wie das tägliche Stück Brot. Wo man einen Mann nicht mit intellektuellem Spott fertig machte und seinen Stolz aufs tiefste kränkte. Lucas Frankenheimer setzte sich an den Compu 29
ter, tippte das geheime Codewort ein und rief die eingespeicherten Daten ab. Die aktuellen ließ er ausdrucken, formulierte sie griffig und erfragte von der Fernauskunft die Nummer der Zentrale des amerikanischen Geheim dienstes CIA in Langley/Virginia. Er schaute auf die Uhr. Besser er wartete noch eine Stunde. Am späten Nachmittag erreichte man die richtigen Leute mit Sicherheit. 4.
Zu Hause erreichte den BND-Agenten Robert Urban der Anruf aus London. Ein Kollege vom britischen Geheimdienst MI-6, mit dem er einiger maßen gut konnte — er schätzte seinen tiefschwar zen Humor —, erwischte ihn bei den Abendnach richten. „Eben kam ein Päckchen mit eingewickelter Hundescheiße aus den USA", sagte der Engländer. „Wann kommen von dort schon Blumen", bemerkte Urban. „Nur als ein letzter Gruß auf mein und auf dein Grab." „Ich würde mich in demselben herumdrehen." „Sie nerven uns allmählich", fuhr der Engländer fort. „Mich schon lange." „Terroristenangst hat sie wieder gepackt." „Wer ist es diesmal?" erkundigte Urban sich und zählte die altbekannten Terroristenquellen auf. „Die Libyer, die Palästinenser, die Perser, die Kubaner . . . " Der Engländer ergänzte: 30
„Die Hottentotten. Die mit den Plattfüßen." „Dann aber volle Deckung." „Washington kennt nur das Zielobjekt", über mittelte der Engländer. „Angeblich. Sie liegen doch immer haarscharf daneben." Doch dann verging Urban die Spottlust. Wenn die Amerikaner die Briten informierten, dann mußte es sich bei dem erkannten Ziel um britische Einrichtungen oder Personen handeln. Warum also rief der Kollege ihn an? „Sie wollen etwas von einem Anschlag auf einen Passagierdampfer gehört haben." „Einen britischen?" „Nein, einen deutschen Kreuzfahrer, wie wir ermittelten. Weil die Reise von Portsmouth aus losging, dachten sie, die Nautic fahre unter briti scher Flagge. Sie fährt zwar unter panamesischer, aber bereedert wird sie von Hamburg aus. Das Schiff ist mit ungefähr tausend Passagieren an Bord unterwegs zu einer Nordlandreise." Urban war nicht nur nachdenklich, sondern auch still geworden. Erst die Drohung des Anru fers, jetzt die Warnung aus Washington. Um herauszufinden, ob es sich um ein und dieselbe Gruppe von Terroristen handelte, fragte er: „Ein anonymer Anruf?" Nun zögerte der Brite. „Nein." „Ist der Mann, der die CIA warnte, bekannt?" „Ja", kam es zögerlich. „Hör zu, Dynamit, der Informant ist sogar ziemlich gut bekannt." Also handelte es sich um verschiedene Quellen. Warum auch sollten sich Terroristen, um deutsche Dieselmotoren freizupressen, damit an die Ameri 31
kaner wenden? Außerdem gaben sie ihre Operatio nen nie vorher bekannt. Sie wären nur ins offene Messer gerannt. Urban hatte ungefähr hundert Fragen und stellte sie der Reihe nach. „Wer ist der Mann?" „Die Kollegen in Langley rücken nicht damit heraus." „Woher kennt ihr ihn denn?" „Da lief inoffiziell etwas." Man hatte den Namen also unterderhand weiter gegeben. Warum? - Um die Information damit zu erhärten oder um sie aufzuweichen. „Ich behalte es für mich", versprach Urban. Der Engländer räusperte sich. „Schon mal von Lucas Frankenheimer gehört?" „Den sogenannten Zukunftsforscher", fiel Urban dazu ein. „Wegen seiner Horrorgeschichten nennen sie ihn hier den Frankensteiner." Urban hütete sich, erleichtert zu sein. „Also eine Horrorgeschichte." „Diesmal offenbar nicht." „Nun, wenn der Mann nicht unbedingt als seriös gilt, ist er es wohl auch nicht." Der Engländer meinte, in diesem Falle liege die Sache wohl ein wenig anders. Es gebe gewisse Zusammenhänge. „Welche?" wollte Urban wissen. „Wir arbeiten noch daran", wich der Engländer aus. „Du hörst von mir. Sofort. Kümmert ihr euch schon mal um das Schiff. Ich meine prophylak tisch, vorbeugend." „Ich bleibe neben dem Telefon", versicherte Urban und legte auf. 32
Der Mann erschien aus dem Archiv mit einem Schnellhefter, so dünn als sei er leer. Er schlug ihn auf und begann, vom Computerausdruck abzu lesen. „Nautic, ehemals Pacific, vorher Atlantis, gebaut vor zwölf Jahren auf einer Bremer Werft, wech selte mehrmals den Eigner. Vor acht Monaten um zweiundzwanzig Meter verlängert und moderni siert, fährt sie jetzt für eine Touristikfirma mit Sitz in Hamburg. Das Schiff hat sechsundzwanzigtau send Tonnen, ist hundertfünfundsechzig Meter lang, verfügt über Dieselantrieb und kann zwölf hundert Passagiere aufnehmen. Und zwar in fol genden Klassen . . . " Urban stoppte ihn mit einer Handbewegung. „Bei so vielen Passagieren und der Tonnage ist sie wohl mehr ein Massengutfrachter." „Aber sie bieten ihren Kunden ein gesundes Preis-Leistungs-Verhältnis. Der Kahn ist immer proppenvoll. Im Winter macht er die Karibikroute und Südamerika, im Sommer die Nordlandroute, rauf bis zum Polarkreis, rüber bis Island." „Wir haben gerade Sommer", sagte Urban. „Heute nacht läuft das Schiff in einen norwegi schen Fjord ein oder liegt schon dort vor Anker." „Wir müssen ein Telex rausschicken", entschied Urban, „oder funken. Ich spreche das noch mit dem BKA und dem Präsidenten ab." Der Gedanke, das bedrohte Schiff könne in einem engen Fjord liegen, war nur im ersten Augenblick beruhigend. Katastrophen mochten unter Land glimpflicher abgehen als auf hoher See, aber wenn Panik ausbrach, dann war es wohl egal. Der graue Apparat, über den die Ferngespräche hereinkamen, zirpte. 33
Urban war überrascht, den MI-6-Kollegen so bald wieder zu hören. „Frankenheim sagte, es würde binnen vierund zwanzig Stunden knallen." Urban schaute auf die Uhr. „Wann rief er bei der CIA an?" „Gestern abend." „In Washington ist jetzt wieder Abend. Also vor einem Tag. Dann wäre es auf der Nautic jetzt soweit." „Nun, wenn man ihm glauben kann." Bevor Urban Maßnahmen einleitete, die einen mittleren Wirbelsturm auslösen würden, vergewis serte er sich. „Woher hat Frankenheimer diese Weisheit?" „ Er kam vor kurzem von einer Nahostreise zurück," „Hatte er Kontakt zu Palästinensern?" „Nichts bekannt." Es gab Möglichkeiten, speziell für Journalisten, an solche Informationen heranzukommen. „Was suchte er in Nahost?" erkundigte Urban sich. „Spuren von König Salomon. So wird in ein schlägigen Kreisen kolportiert. Und damit beant worte ich schon deine nächste Frage. Warum informierte Frankenheimer die CIA? Er tat es aus Eitelkeit, aus verletztem Stolz. Er muß da ein ungeheures Ding über König Salomon ausgegraben haben, aber keines der Fachmagazine will es drucken. Frankenheimers Ruf ist nicht der beste. Er hat schon einige Flops gelandet. Nun ist er eingeschnappt und böse und will ein bißchen Rache." 34
„Zunächst möchte er wohl seine Glaubwürdig keit beweisen", vermutete Urban. „Oder wiederherstellen", ergänzte der Eng länder. „Dann", so fürchtete Urban, „muß etwas an der Warnung dran sein. Er kann sich keinen Patzer mehr leisten, oder er ist für immer weg vom Fenster." „Und die Konsequenz?" fragte der Brite. „Was können wir tun?" „Wir alarmieren das Schiff, die Reederei, den Kapitän und die Norweger." „Der BND veranlaßt das?" „Ja, wir drücken auf den roten Knopf", erklärte Urban. Binnen weniger Minuten war instanzenmäßig alles besprochen. Das gefährdete Kreuzfahrerschiff wurde auf allen Kanälen zu erreichen versucht. Über Funk, Funk-Telex, Radio und Telefon.
In München war es Mitternacht, in New York früher Abend. Die Stimme des Mannes, der sich mit Hallo meldete, war rauchig wie ein verstopfter Kamin. Urban sagte, wer er sei, um was es ging, und bekam als Antwort: „Verdammt, hat sich das schon so weit herumge sprochen." „Sollte es das nicht, Mister Frankenheimcr?" Noch während Urban den Namen aussprach, fiel ihm ein geflügeltes Wort aus dem Drama Wallen stesns Tod von Schiller ein. Der Angriff des Reitergenerals Pappenheim wurde mit Daran 35
erkenne ich meine Pappenheimer kommentiert. Gemeint war eine typische Verhaltensform. Urban glaubte, die Psyche der Menschen studiert zu haben. Insbesondere die von kreativen. Wenn sie etwas entrüstet ablehnten, dann wollten sie es meist unbedingt. „Nein, das sollte es ganz und gar nicht", erwi derte Frankenheimer. „Warum informierten Sie dann ausgerechnet die CIA?" Frankenheimer tat entrüstet. „Hören Sie zu, Colonel Urban - übrigens sind Sie für mich kein Nobody, kein Niemand, ich möchte sogar behaupten, ich kenne Sie dem Namen und dem Rufe nach. — Okay also, wenn ich mit dieser Information nur geil auf Publicity wäre, hätte ich die Presse unterrichtet und nicht diesen Geheimniskrämerladen in Langley." Genau umgekehrt stimmt es, dachte Urban. Die Presse hätte ihm die Story wohl nicht abgekauft. In den Redaktionen hielt man L.F. für einen Spinner. Aber der Geheimdienst mußte die Infor mation weiterverfolgen. Wenn es nun zu dem Attentat kam, würde bald durchsickern, daß Fran kenheimer es gemeldet hatte, Konnte das Attentat verhindert werden, würde Mister Frankenheimer recht gut dastehen. Als Quelle war die CIA sogar um einen Tick besser als die New York Time. „Das war klug von Ihnen", äußerte Urban gegen seine Überzeugung, „und höchst uneigennützig, Mister Frankenheimer." „Danke", sagte der Autor, der sich Zukunftsfor scher nannte. „Und was kann ich für Sie tun?" „Sie haben genug Vorstellungskraft", schätzte Urban, „um sich auszumalen, was binnen kurzem an Bord der Nautic los sein wird, nämlich ungefähr 36
dasselbe wie bei einer Bombendrohung im Weißen Haus. Nur schwimmt das Weiße Haus nicht drau ßen auf dem Meer herum und hat nicht tausend Einwohner." „Eine klare und eindeutige Shit-Situation", stimmte Frankenheimer ihm zu. „Ich höre von Ihnen, wie es ausgegangen ist. Okay?" „Oder aus den Medien." „Hoffentlich nichts Schlimmes." Verlogener Bastard, dachte Urban. Dir kommt es doch nur auf die Schlagzeile an: Lucas Franken heimer verhindert Schiffskatastrophe. „Letzte Frage, Mister Frankenheimer", sagte Urban. „Sie kennen den in Frage kommenden Täterkreis nicht?" „Das mußte ich schon der CIA gegenüber bedauern. Aber die Information ist so echt w i e . . . " Er suchte nach etwas Überzeugendem. „... wie .. ."
„Gold?" „Wie das Wort Gottes." „Nur sprach Gott nie selbst zu den Menschen. Er ließ seine Worte von anderen sprechen. Und da schleichen sich mitunter Übertragungsfehler ein", gab Urban zu bedenken. Frankenheimer lachte so rauchig, wie er sprach. „Colonel Urban", sagte er, „Mister Dynamit, ich weiß doch, worauf Sie hinauswollen, Sie Halunke. Sie interessiert nur, wer in diesem Fall der Gott und wer sein Prohpet ist. Damit müßte ich preisge ben, woher ich die Information habe. Verzeihen Sie bitte, daß ich nicht lebensmüde bin." „Danke, Sir." „Hat mich gefreut, Sie kennengelernt zu haben", log Lucas Frankenheimer artig. 37
Urban fuhr mit dem Paternoster zur Nachrich tenzentrale hinunter. „Schon Kontakt mit der Nautic?" „Wir sind noch dabei", vertröstete man ihn. 5.
Mit langsamer Fahrt und kaum hörbar drehenden Maschinen tastete das Kreuzfahrerschiff sich in den nachtdunklen Sognefjord. Er war der längste der norwegischen Fjorde und einer der schönsten. Herb, wild und malerisch zog er sich vielästig ins Land und wurde zwischen steil aufragenden Bergwänden immer enger. Die weißen Riesen, wie die Luxusdampfer hier genannt wurden, blieben meist vor Balholm liegen. Auf der Brücke der Nautic stand der Lotse vor dem Radarschirm. Neben ihm der Kapitän des Schiffes. „Ruder Backbord zehn", sagte der Lotse, „Bug propeller zwanzig Umdrehungen mehr." Er sprach ruhig, fast leise, aber klar artikuliert. „Verflucht enges Fahrwasser", bemerkte der Ka pitän. „Mit Ecken", ergänzte der Lotse und beobach tete das Herumschwoien des Dampfers. „Ruder Mittschiffs, Bugstrahlruder stopp." Das Schiff hatte um einige Grad nach links gedreht und sich präzise in die Fahrrinne eingefä delt. Aber schon kam die nächste Schwierigkeit. Querab von Vik reichten unterseeische Felsnasen in die Fahrrinne herein, Durch Echolot kam man ihnen nicht bei, nicht mit Radar, auch per Unter wasserschall waren sie nicht auszumachen. Es erforderte hohes navigatorisches Können, an ihnen nicht entlangzuschrammen. 38
„Bei Tag geht es." Der Lotse gab neue Kommandos.
„Bedaure", sagte der Kapitän. Mit dem Scheinwerfer ließ der Lotse das Ufer nach Landmarken absuchen und im letzten Moment hart Ruder legen. Dazu forderte er eine höhere Gangart der Hauptmaschinen an. „Wird Ihre verehrten Passagiere schon nicht aufwecken", bemerkte er dazu. „Hoffentlich", meinte der Kapitän. „Aber nach einer Woche sind sie ja perfekte Seeleute. Ist wie beim Fliegen. Wenn die Triebwerke nicht mehr singen, denken alle gleich an Absturz." „Bei Tag wäre es leichter", äußerte der Lotse noch einmal. „Mag sein", pflichtete der Kapitän ihm bei. „Aber die Reederei legt nun einmal Wert darauf, daß wir nachts einlaufen. Was glauben Sie, was für ein Effekt das ist, wenn unsere Leute morgens aufwa chen, aus dem Bulleye schauen, und wir liegen in der Sonne zwischen schneebedeckten Bergen vor Anker. Das ist. . . eine Wucht soll das sein." „Beim ersten Mal", schränkte der Lotse ein. „Für die meisten unserer Passagiere ist es das erste Mal." „Und deshalb riskieren wir Kopf und Kragen, Schiff und Patent", bemerkte der Lotse ein wenig vorwurfsvoll. Er hatte auch diese gefährliche Untiefe passiert und brachte das weiße Traumschiff auf Kurs Baiholm quer durch den Fjord. Von Balholm herüber schimmerten ein paar Lichter. Noch fünf Meilen oder etwas weniger, dann würden sie ankern, Maschinen stopp, Licht aus, Ruhe im Schiff. Es ging auf null Uhr 45. 39
Zwei Bars hatten noch Betrieb. Die in der ersten Klasse und die weiter unten. Bei den Billigreisenden legte ein Discjockey Platten auf. Mehr Haevy Metal brutal als Bruce Springsteen. In der feinen Nußbaumholz-Messing-Leder-Bar der first class spielte ein Bartrio für elegant gekleidete Menschen ohne Tennisschuhe. - Ein Pianist, einer am Baß, einer am Schlagzeug. Mitun ter griff er auch zur Gitarre. Der Pianist sang mit näselnder Stimme Blue Moon. Ein paar müde Gestalten - die Herren im Smoking, die Damen in Seidenfutteralen schwoften slow über das von unten beschimmerte Glasparkett. Und da passierte es. Nicht alle registrierten den feinen Bums hinten und unten im Schiff. Wenig später klang es, als platzten hundert Luftballons. Dann ein kreischendes Schrammen, als würde Stahl massakriert. - Der Rumpf des Schiffes war aus Stahl. Einer der Tänzer wollte zu seiner Dame etwas Sinnvolles sagen. „Wie damals auf der Titanic." „Warst tu tabei, Tarling." „Als sie am Eisberg entlangschmierte . . . " „Tu warst ja toch nicht tabei, Tarling." „. . . und der Eisberg die Bordwand aufriß." „Und woher weißt tu das, Fretty?" „Aus dem Kino, Tarling." Nur kurz hatte die Kapelle den Rhythmus verlo ren. Sie fing ihn wieder ein, und der Sänger quetschte weiter ins Mikro: „Blue Moon ..." Wenig später erfolgte der nächste Stoß. Diesmal 40
hart, als pralle eine Lokomotive gegen eine andere Lokomotive. Den Tanzenden zog es das Parkett unter den Füßen fort, ebenso wie die Gläser an der Bar den Halt verloren. Sie fielen hinunter und zerbrachen klirrend. Zwei Paare stürzten zu Boden, kamen aber wieder auf die Beine. „Na so watt", staunte ein Paar aus dem Ruhrge biet. „Watt war datt denn?" Die Kapelle spielte weiter. An der Bar ging ein Telefon. Danach wurden merkwürdigerweise Gra tisdrinks ausgeschenkt. Irgendwie schien das Schiff Schlagseite einzu nehmen. Gegen 1.00 Uhr kam eine Durchsage. „Hier spricht der Kapitän. Wir haben eine kleine Havarie. Nichts Schlimmes, meine Damen und Herren. Bitte begeben Sie sich an Deck zu Ihren Rettungsbooten, und legen Sie Schwimmwesten an." „Mein Jott!" rief eine Dame aus Köln. „Mer wern doch nit unterjehen! " Da hatte der weiße Kreuzfahrtdampfer Nautic schon mehrere hundert Tonnen Wasser genommen. Unaufhaltsam strömte es durch ein Leck der Bordwand in den Rudermaschinenraum.
Es kam nur deshalb zu keiner Panik, weil die Passagiere den Alarm für eine Übung hielten oder für eine Showeinlage, denn es gab Champagner, und die Musik spielte. Den Ernst der Lage kannte nur die Schiffsfüh rung. 41
Die Nautic war noch zwei Meilen vom Ufer entfernt, hatte unter sich neunzig Meter Wasser und sank. In dieser verzweifelten Lage traf der Kapitän über den Lotsen hinweg eine Entscheidung. Er ließ die Hauptmaschinen volle Kraft voraus gehen. Er wollte so nahe wie möglich ans Ufer heran, auch wenn er den Kasten in die Felsen setzte. „Das kostet Sie das Schiff", erklärte der Lotse. „Besser als Menschenleben." „Ihre Entscheidung, Käpten Larsen." „Verdammt, das war eine Bombe", fluchte der Kapitän, „oder mehrere," Der Funkoffizier trat auf die Brücke. Er brachte die Warnung aus München. - Zu spät. Mit dreimal äußerster Kraft versuchte der Kapi tän, Schiff und Passagiere zu retten. Von den Schären brachte man es, sobald man die Lecks abgedichtet hatte, immer wieder herunter. Und die Passagiere konnten sicher das Land erreichen. — Aber wenn das Schiff in der Fahrrinne sank, konnte man es vergessen. Unmittelbar nach der ersten Detonation waren alle Schotten geschlossen worden. Die Signallam pen brannten grün, bis auf eine. Die letzte Sektion achtern, die Sektion Nr. 19, blinkte rot. Verdreckt und aus einer Stirnwunde blutend, stürzte der I. Ingenieur auf die Brücke und machte die Schadenmeldung. „Bordwand von Achtersteven bis Generatorraum aufgerissen. Schiff macht durch Leck und Wellent unnel Wasser. Etwa zehn Tonnen pro Minute." „Was schaffen die Pumpen?" fragte der Kapitän. „Die Hälfte. Aber nur, solange wir Strom haben." „Und wie lange haben wir Strom?" Der Chief schwieg. 42
Auf den Decks hatten die Passagiere sich schon versammelt. Noch brannten alle Lichter und Scheinwerfer. In ihren Schwimmwesten sahen die Menschen wie aufgeblasene Teddybären aus. Die Seeleute bei den Rettungsbooten schwenkten die Davits aus und machten die Boote klar zum Wegfieren. Das war aber erst möglich, wenn das Schiff keine Fahrt mehr lief. Nicht alle Passagiere hatten Platz in den Booten. Für ein Drittel von ihnen gab es Gummiflöße und Rettungsinseln. Der I. Offizier, der das Manöver an Deck leitete, meldete über Sprechfunk auf die Brücke: „Flöße, Rettungsinseln und Boote klar zum Aus setzen."
„Und wie lange haben wir noch Strom?" fragte der Kapitän den Chief noch einmal. Der Ingenieur zuckte mit der Schulter. Strom hatten sie, solange die Diesel die Generatoren antrieben. Die Diesel liefen, bis innen das Wasser an den Luftfiltern stand. Das war die Regel. Noch stieg das Wasser langsam, aber es konnte bald sehr schnell gehen. Das Ufer kam deutlich näher. Der Lotse am Radar versuchte, indem er der Backbordschraube weniger Drehzahl geben ließ, den Bug der Nautic um wenige Grade nach Westen zu drehen. Er kannte dort einen Einschnitt im Fjord mit sanft ansteigendem Grund. Allerdings felsig. Aber bei Ebbe, und das hatten sie derzeit, war die Stelle nur zwölf Meter tief. Das Schiff würde also nicht absaufen und auch nicht kentern. Drunten an Deck wurden die Massen mit einem mal unruhig. Man hörte hysterische Schreie. Offenbar hatten die Passagiere erkannt, daß es 43
keine Übung war, sondern eine echte Notlage. Panik drohte auszubrechen. Offiziere und Mannschaften versuchten, die Leute zu beruhigen. Aber wenn es erst losging mit der Angst, war alles vergebens. „Noch knapp eine Minute", rechnete der Kapitän. Da fetzte eine neue Detonation ihm das Wort von den Lippen. Es kam zu Stromunterbrechungen. Die Lampen flackerten, gingen aus und wieder an. Sie verglüh ten wie im Kino, wurden wieder hell. „Notsignal abfeuern! " befahl der Kapitän, nahm das Mikrofon und ließ seine Durchsage auf alle Lautsprecher schalten. Er mußte zu den Leuten reden, solange die Anlage funktionierte. „Meine Damen und Herren", begann er schein bar ruhig. „Es besteht keine Gefahr. Nicht für Sie. In weniger als zwei Minuten erreichen wir die Anlegestelle. Möglicherweise berühren wir die Pier etwas unsanft. Also, bitte, halten Sie sich fest. Es wird nicht nötig sein, daß Sie in die Boote gehen. Wir versuchen, die Gangway auszufahren. Bitte behalten Sie Ruhe. - Danke." Das Fahrwasser wurde so eng wie ein Flaschen hals aus Granit, in dem noch der Korken saß. Der Rumpf schrammte an einem Unterwasser hindernis entlang. Aber die Diesel stampften und dröhnten weiter. „Noch eine halbe Meile", sagte der Lotse am Radar. „Lassen Sie die Maschine stoppen, Ka pitän." Larsen wartete noch. Wenn er mit voller Fahrt in die Klippen raste, ging eine Menge zu Bruch, aber es kam auf Sekunden an. Niemand wußte, wie viele Sprengsätze noch an Bord versteckt waren, in denen Zünduhren tickten. 44
„Wassertiefe neunzig Fuß, rasch abnehmend", meldete der Matrose am Echolot. Noch immer ließ der Kapitän die Maschinen äußerste Fahrt gehen. Nerven hat der Bursche, schien der Lotse zu denken. „An Funkraum!" rief der Kapitän. „Senden Sie SOS und Position." „SOS und Position." „Bitten um Krankenwagen, Notärzte, eventuell Rettungshubschrauber." „Ja, es wird Verletzte geben", befürchtete der Lotse. Jetzt erst, als im Scheinwerferlicht das Ende des kleinen Meeresarmes schon auszumachen war, der Bootsanleger, das rot-weiße Holzhaus, die Bake mit dem Leuchtfeuer, jetzt gab der Kapitän das Kommando: „Beide Maschinen stopp. Alle Mann an Deck. Festhalten oder hinlegen . . . " Der Rumpf krachte an beiden Seiten gegen Felsen. Das Schiff wurde vorne hin und her geworfen. Gleichzeitig entstand ein Geräusch, so schrill, als würde man Nägel über Glas ziehen. So hörte es sich an, wenn Schiffsstahl von Felsen zerbeult und mit ungeheurer Gewalt aufgespalten wurde. Auf wenige Meter wurden zwanzig Knoten Fahrt, die Energie von dreißig rollenden Güterzü gen, aus dem Koloß genommen. Das Schiff schien sich aufzubäumen, als rutschte es eine Rampe hinauf. An Deck ein Fallen, Stürzen, Schreien. Und mit einemmal Stille. Die Felswand an Backbord war zum Greifen nahe. 45
Der Kapitän erteilte seine letzten Befehle. Er ließ die Gangway ausfahren sowie an Steuerbordseite die Boote zu Wasser bringen. Alle mußten so schnell, aber auch so geordnet wie möglich von Bord. Frauen, Kinder und ältere Leute zuerst. Der Chief meldete über Bordtelefon: „Wasser steht. Schiff sinkt nicht weiter." „Kein Wunder", kommentierte der Lotse. „Hier sitzt es in einem gigantischen Schraubstock." Erschwerend kam hinzu, daß nur noch ein Gene rator lief. Aber die Besatzung verfügte über genü gend Batterielampen. Binnen einer Stunde waren sämtliche Passagiere bis auf die, die betrunken in ihren Kabinen lagen und nichts bemerkt hatten, von Bord. Einige hatten sich nasse Füße geholt. Es gab etwa ein Dutzend Leicht- und zwei Schwerver letzte. Um sie kümmerten sich die norwegischen Hilfsorganisationen.
Kapitän Larsen blieb an Bord. Er erstattete Meldung an die Reederei und gab einen umfassenden Lagebericht. Dann ließ er das Schiff absuchen. Gegen Morgen stand fest, daß sämtliche Spreng ladungen explodiert waren und sich keine weitere mehr an Bord befand. „Es waren vier", vermutete der Chief. „Die erste setzte das Bugstrahlruder außer Funktion, die zweite die Rudermaschine, die dritte und vierte detonierten irgendwo in der Bilge unter dem Hauptdiesel." Als der Lotse von Bord ging, sagte er: „Sie hatten keine andere Wahl, Kapitän Larsen. 46
Ich stehe bei der Seeamtsverhandlung als Zeuge zur Verfügung." Von Bremen erfuhr der Kapitän, daß die Exper tenkommission bereits unterwegs sei, unter ande rem auch ein Spezialist des Bundesnachrichten dienstes. Jetzt geht's los, dachte der Kapitän und fürch tete, daß das Schlimmste noch vor ihm lag. Er stand auf der Brücke und sah zu, wie das Gepäck der Passagiere ausgeschifft wurde, wie Busse kamen um die Passagiere wegzubringen. Nach Bergen, nach Oslo, nach Hause. Dann rief er seinen Steward. „Bringen Sie mir Cognac", befahl er. „Einen Doppelten, Käpt'n." „Eine Flasche", sagte Larsen. 6.
Zwei Gentlemen in dunkelblauen Anzügen betra ten das Büro von Sam Higget, Chefredakteur bei Science Voice. Der Kleidung nach waren sie Wall street-Broker, den Gesichtern nach Polizisten in Zivil. Da sie sich angemeldet hatten, wußte Higget, daß sie aus Washington, genauer aus Langley von der Geheimdienstzentrale kamen. Einiges war schon fernmündlich geklärt worden. Aber es gab Dinge, die trieb man durch persönli chen Kontakt schneller voran. „Außerdem", sagte der Bulligere, der mit dem gekerbten Quaderkinn, „hatten wir sowieso in New York zu tun." Dieser Bemerkung sollte Higget entnehmen, daß er so wichtig nun auch wieder nicht sei. 47
Er blieb freundlich, aber innerlich schnappte er ein. Doch als er den Grund erfuhr, schnappte er ziemlich schnell wieder aus. ,,Wir suchen diesen verdammten Frankenhei mer", sagte der andere CIA-Agent, „und kriegen ihn nicht." „Könnte es sein, daß Sie vielleicht etwas falsch machen", tat Higget ein wenig überheblich. „Wo sollen wir mit der Suche beginnen, wenn er nicht zu Hause ist?" „Ist er nicht da? Er war doch erst lange Zeit weg." Der kleinere der Besucher schlug die Beine übereinander, ohne auf die Bügelfalte zu achten. Man sah es der Hose auch an, daß er es nie tat. „Wir hoffen, Sie können uns helfen, Higget." Higget haßte Polizisten, noch mehr haßte er Geheimdienste, aber er arrangierte sich lieber, als es sich anmerken zu lassen. Diese Leute suchten seinen Autor, und deshalb half er ihnen. „Frankenheimer hat für eine Artikelserie hun derttausend Dollar gefordert. Wir lehnten erst ab. Inzwischen, ich meine heute, sieht die Sache jedoch anders aus. Ich rief ihn an und sagte zu. Nun verlangt er das Doppelte." „Also zweihunderttausend", multiplizierte der ohne Bügelfalte. „Ich bitte Sie, Gentlemen", sagte der Chefredak teur. „Auch nach dieser Katastrophenvorhersage im Sognefjord ist seine Artikelserie das nicht wert." „Sie werden trotzdem bezahlen, oder?" Der Chefredakteur nickte, wenn auch langsam. „Es grenzt an Erpressung, aber wir würden zahlen. Im Augenblick ist Frankenheimer unge 48
heuer gut drauf. Jeder schreibt, sendet oder spricht über ihn. Sein Artikel würde unsere Auflage für Monate verdoppeln. Wenn ein Mann scharf auf Dollars ist, dann Lucas Frankenheimer. Sobald ich ihm das Angebot mache, ist er eine Stunde später bei mir im Büro und anschließend an der Kasse. — Da er aber bis jetzt weder hier noch an der Kasse erschien, war mir klar, daß auch Sie ihn nicht finden konnten," „Klingt ungeheuer logisch", sagte der zweite, der hagere Besucher. „Was ist das für eine Artikelserie, Sir?" „Eine König-Salomon-Story." „Und die ist so viel wert? Dann liefere ich Ihnen auch mal ein paar Stories, Sir." „Es gibt nur einen König Salomon. Man hat sein Leben erforscht bis auf ein einziges Jahr. Dieses Jahr steckt voller Geheimnisse. Frankenheimer gelang es, sie zu lüften." Das erregte die Neugier der CIA-Leute. „Um was geht es dabei?" „Um Salomons rätselhaften Aufenthalt in der Wüste, ausgelöst durch eine astronomisch nicht erklärbare Sonnenunregelmäßigkeit, verbunden mit Magnetstürmen. Salomon ging mit Tausenden von Bauarbeitern und Soldaten fort und kehrte nach einem Jahr fast allein, krank und siech zurück. Was ist in diesen Monaten passiert?" „Und was ist wirklich passiert, Sir?" lautete die naive Frage eines der beiden Agenten. „Das steht in der letzten Folge von Frankenhei mers Artikelserie." „Und er ist nicht erreichbar?" fragte der bullige der zwei Besucher. „Auch nicht, für viel Money?" „Und das beunruhigt mich", gestand der Maga 49
zinmanager. „Zumal Frankenheimer noch andere Dinge zu wissen scheint. Weitaus gefährlichere." „Sie meinen das Attentat auf den Kreuzfahrer in Norwegen." „War etwa nicht Terrorismus im Spiel?" „Möglich. Vielmehr wahrscheinlich." „Das ist typisch für Lucas Frankenheimer. Kommt er mit einer Sache nicht durch, dann haut er einem etwas anderes um die Ohren, so daß man auf seine Forderungen eingeht. Ich fürchte, er hat noch viel mehr in petto." „Das fürchten wir auch", sagte der mit der Kerbe im Kinn. „Deshalb suchen wir ihn, damit er uns davon erzählt. Übrigens, Ihr Autor war längere Zeit fort. In Nahost, wie man hört." „Ja, in Israel, Ägypten, Jordanien, Syrien." „Dort grub er die Salomon-Story aus." „Und wohl auch die anderen Geschichten." Der kleinere CIA-Mann spitzte die Ohren. „Was für Geschichten?" „Unter anderem dieses Wissen um den Anschlag auf die Nautic." Die Agenten wurden mißtrauisch. „Gibt es vielleicht noch etwas, das Sie uns verschweigen, Sir?" „Nun", setzte der Chefredakteur an, „nicht wis sentlich. Aber als wir das letzte Mal miteinander sprachen, sagte Frankenheimer, wir würden uns alle wundern. Er habe noch mehr auf Lager. Er fürchte nur, wenn er es preisgebe, werde man ihn für einen Mitwisser oder gar Mittäter halten." „Mitwisser ist ja wohl nicht ganz unfalsch, oder?" „Nun, angenommen, man belauscht das Gespräch von zwei Killern. Ist man dann schon Mitwisser?" gab Higget zu bedenken. 50
„Das ist eine komplizierte juristische Frage", räumte einer der Besucher aus Langley ein. „Und was, bitte, deutete Frankenheimer an?" Higget setzte sich anders hin, indem er die linke Gesäßhälfte belastete, und versuchte, es wortwört lich wiederzugeben. „Meine Salomon-Story, sagte Frankenheimer, ist so echt wie die Information über das NauticAttentat und das, was ich über die Tom-DowneyEntführung aussagen könnte." Die CIA-Agenten blickten sich an. „Haben Sie richtig gehört? Erwähnte er wirklich Tom Downey?" Der Magazinmanager zuckte mit den Schultern. „Aber ja. Doch ich kann damit nichts anfangen. Wer, bitte, ist Tom Downey?" Die beiden CIA-Agenten erklärten es ihm nicht, verabschiedeten sich aber überraschend schnell.
Sie fuhren noch einmal zu Frankenheimers Apart ment nördlich der Bronx am Hudson. „Tom Downey", begann der eine Agent. „Ist das nun Scheiße oder keine Scheiße?" „Ich würde sagen, es ist allerschönste MarilynMonroe-Scheiße. Kein Frühling, trotzdem ein Duft von Flieder." Sie gehörten zu den wenigen, die es überhaupt wissen konnten. Die Regierung, das FBI, das State Department, alle US-Botschaften hatten Order, es streng geheimzuhalten. „Verdammt, wie kann ein Schreiberling wie Frankenheimer etwas über die Entführung unseres Botschafters im Libanon wissen?" 51
„Wenn man bedenkt, daß das Weiße Haus es geheimhält, um die Verhandlungen nicht zu stören. Sie versuchen es doch auf allen nur denkbaren Kanälen." „Ohne Erfolg." „Nun", bemerkte der zweite Agent, der ohne Bügelfalten am Knie, „immerhin ist jetzt raus, warum sie Tom Downey kidnappten. Weil wir an die Israelis Ersatzteile für die F-fünfzehn-Jagd bomber liefern." „Und Radar."
„Okay, und ein paar Marschflugkörper."
„Und Baupläne für Flugabwehrraketen."
„Die Liste ist ellenlang. Sie fordern, daß wir die
Lieferungen und die finanzielle Unterstützung Israels einstellen. Ohne diese Garantie rücken sie Tom Downey nicht heraus." „Fürchte, da können sie lange warten." „Fragt sich nur, wie lange Botschafter Downey noch warten kann." „Unglaublich", sagte der andere. „Da behaup tet nun dieser Frankenheimer, er wisse alles über die Entführung. Ich fresse 'nen Besen mit samt der Putzfrau, selbst wenn sie eine Schwarze ist, wenn Frankenheimer nicht sogar weiß . . . " „Was?" Der andere winkte ab. Nach einem Umweg über den Highway, der den Vorteil hatte, daß sie die Bronx mit ihren Jugend banden und Reifenschützern umfahren konnten, erreichten sie den Vorort Meadows. Frankenheimer bewohnte in einem herunterge kommenen Apartmenthaus das Dachgeschoß im Vierzehnten. 52
Sie fuhren hinauf. Es war wie am Vortag. Niemand öffnete. Bevor sie sich mit Gewalt Zugang verschaffen wollten, fuhren sie wieder hinunter und suchten den Hausmeister. Er mähte Gras und blieb bei laufendem Motor auf seinem Bock sitzen. Die Geheimdienstleute wollten nicht so laut schreien, daß es jeder mitbe kam. Also nahmen sie dem Motor das Gas weg. Der Schwarze protestierte nur so lange, bis er ihre Ausweise sah. „Sir", sagte er, zu jeder Auskunft bereit. „Wo ist Frankenheimer?" „Abgereist, Sir. Mit seinem alten Kombi." „Wohin?" „Keine Ahnung, Sir." Ein Mann mit drei Zentnern Gewicht und einer Stimme wie ein piepsender Luftballon wirkte ziemlich glaubwürdig. „Er war doch erst längere Zeit fort." „Hatte es wohl mächtig eilig, Sir." „Wie kommen Sie darauf?" „Wenig Gepäck, Sir." „Eine Art Flucht?" „So ist es, Sir. Er entschloß sich ziemlich unver mittelt, nachdem . . . " „Was nachdem?" „Diese Gentlemen nach ihm fragten." „Was für Gentlemen?" Der Hausmeister beschrieb sie als mittelgroß, von mittlerer Statur und mittlerer Hautfarbe. Nicht dunkel, nicht hell. „Aber schwarze Barte und Augen", ergänzte er. „Latinos?" „Eher Araber, Sir." Die Agenten wechselten Blicke. 53
Frankenheimer wußte von Terroraktivitäten. Jetzt waren Araber hinter ihm her. Kein Wunder. „Los, Mann", forderte der Agent mit der Kinn spalte. „Sperren Sie uns seine Bude auf."
Das Apartment — Wohnraum, Schlafzimmer, Küche, Bad und ein kleiner Dachgarten - war nicht so aufgeräumt, daß es der Spindordnung der Marine-Infanterie entsprochen hätte. Alles deutete auf einen hastigen Abmarsch hin. Die CIA-Agenten suchten professionell. Sie fan den dies und jenes, aber nichts von Bedeutung. Im Papierkorb fanden sie ein paar zusammenge knüllte Notizblätter. Eines mit Zeichnung. „Ein Ring", sagte der blaßhagere Agent. „Siegel", ergänzte der andere, „mit 'nem auf die Spitze gestellten Dreieck und im Dreieck eingra viert ein Auge." „Kein Auge." „Was dann?" Auf dem Block stand eine Reihe siebenstelliger Ziffern. Telefonnummern. Während der eine Agent sich mit Frankenhei mers Computeranlage befaßte, rief der andere die Nummern an. Eine gehörte dem Manhattan-Juwe lier Tiffany's. „Ja, Mister Frankenheimer hat bei uns einen Siegelring anfertigen lassen", lautete die Auskunft. „Das heißt, er lieferte uns den Ring, ein altes Familienerbstück aus Gold. Wir mußten die Siegel platte planschleifen, polieren und mit einer Gra vierung versehen." „Mit einem auf der Spitze stehenden Dreieck." „Richtig, Sir." 54
„Und einem Auge in der Mitte." „Das ist kein Auge, Sir." „Was drumherum ist, müssen Wimpern sein." „Es handelt sich um Strahlen, Sir. Der Auftrag geber wünschte Strahlen, so wie die Sonne strahlt oder ein Brillant. Und einen schwarzen Stein im Zentrum." Der CIA-Agent, gewohnt, den Dingen auf den Grund zu gehen, fragte: „Was für einen Stein?" „Schwarzer Achat", sagte der Juwelier. „Er lieferte uns diesen Stein. Er ist etwa so groß wie ein Streichholzkopf, nein, eher kleiner. Ich erkundigte mich nach der Bedeutung des Siegels und erfuhr, daß es eine Imitation des Ringes von König Salomon sei." „Der Ring wurde geliefert?" „Und unsere Arbeit wurde sofort bezahlt. Bar. Zweihundertachtzig Dollar." „Danke." Der CIA-Agent legte auf und blickte seinen Kollegen an. „Komisch, wie?" Der andere, ein Computerexperte, erklärte: „Auch folgendes ist komisch: Frankenheimer hat zwei Geräte. Einen stationären Atari mit allem Drum und Dran. Tastatur, farbiger Bildschirm, Rechner mit Festplatte, Floppy, Maus und Druk ker. Außerdem hat er noch einen Portable, einen akkubetriebenen Bondwell-PC für unterwegs, aber voll kompatibel." „Und was ist drin, dran, drauf?" „Nur alte Sachen." „Was sind alte Sachen?" „Er hat alles mit Datum versehen. Jede Eingabe. Aber bis zurück in den April ist alles gelöscht." „Wenig später trat er seine Nahostreise an." „Aber wo steckt das letzte Salomon-Kapitel?" 55
„Oder die Notizen über den Nautic-Anschlag und Tom Downey." Der Computerspezialist schlug sich gegen die Stirn. „In Frankenheimers Kopf. Wo sonst?" Sie suchten weiter, aber wo sollten sie beginnen bei den tausend Büchern und zigtausend beschrie benen Blättern in den Aktenheftern? Im Kamin fanden sie viel Papierasche. „Das Wichtigste hat er ohnehin verbrannt", befürchtete der mit der ungebügelten Hose. „Also stellte er sich auf eine längere Verduftung ein." Sie benutzten Frankenheimers Telefon und mel deten sich im Hauptquartier. Ihr Abteilungsleiter sagte, es gebe Neuigkeiten und er werde sofort zurückrufen. Dann dauerte es doch eine halbe Stunde, aber was sie erfuhren, war aufregender als das, was sie zu melden hatten. „Stichwort Botschafter Tom Downey", unter richtete sie ihr Vizedirektor. „Er wurde gefunden," „Von wem?" „Von einer israelischen Kommandoeinheit, die in den Südlibanon vorstieß. Er lag im Keller einer Ruine, die einmal als Moschee diente, gefesselt und bewacht. Gab auch ein paar Tote und Verletzte, aber als die Israelis sich zurückzogen, hatten sie Tom Downey lebend bei sich," Sie waren Insider und wußten, daß es im Li banon ungefähr zehn Millionen Möglichkeiten gab, um einen gekidnappten Prominenten zu verstek ken. Deshalb lautete ihre Frage: „Und wer gab den Tip, Sir?" „Ein Brief", erklärte der Abteilungsdirektor. „Nur ein paar Zeilen. Aber der Ort, wo der 56
Botschafter schrieben." „Anonym?" weise.
schmachtete, fragten
die
wurde
genau
be
Agenten
überflüssiger
„Nein. Raten Sie mal, wer den Brief schrieb."
„Wenn es nicht Sherlock Holmes war, dann . . . "
„Ihr kommt nie drauf."
„Dann kann es nur Lucas Frankenheimer gewe
sen sein", nahmen sie dem Boß den Stich aus der Hand. „Da hat einer von euch Burschen gelauscht." „Nur kombiniert, Sir", versicherte der eine. Nachdem er von dem Ring erzählt hatte, riet der Boß in Langley: „Dann bringt uns Frankenheimer. Der Mann weiß noch mehr und ist deshalb hochgefährdet." Die Agenten verließen das Haus, den Vorort und New York. „Suchen, aber wo?" „Mannequin-Scheiße", lachte der andere. „Wie Frühlingsdüfte, aber nicht eine Blume weit und breit." 7.
Der Mann im Neopren-Anzug, der aus dem Bilgen wasser des gestrandeten Kreuzfahrtschiffes Nautic auftauchte, war erst zu erkennen, als er die Brille hochgeschoben, den Schnorchel aus dem Mund genommen und sich die Fettschmiere vom Gesicht gewischt hatte. Der norwegische Geheimdienstoffizier ging in die Hocke und fragte: „Noch etwas gefunden, Colonel Urban?" „Nicht mehr als Sie." 57
„Vier Sprengsätze mit Uhrwerkzünder."
Urban zog sich an einer Rohrstrebe heraus.
„Die Nautic hatte mehr als Schwein. Das Glück
ihres Lebens war, daß die Bomben nicht auf See hochgingen." „Die Attentäter kannten offenbar den Fahr plan." „Sie benutzten anständigerweise genaugehende Schweizer Uhrwerke und nicht welche aus dem Warenhaus." „Professionelle Arbeit."
Das befürchtete Urban auch.
„Die beschäftigen keine Laiendarsteller mehr. Ein Sprengmeister hätte es nicht besser gekonnt. Sie wollten ihre Warnungen unterstreichen, aber kein Massaker anrichten." „Noch nicht." Eine Bergungsfirma war dabei, die Lecks abzu dichten und das Schiff leerzupumpen. Bei der nächsten Springflut würden Schlepper die Nautic aus den Klippen ziehen und in die Werft bugsieren. Urban ließ sich an Land bringen. Im Hotel in Baiholm duschte er ungefähr eine Stunde, bis der Schmierölfilm runter war. Dann studierte er Ver hörprotokolle, stellte an die Offiziere der Nautic noch ein paar Fragen und fuhr dann zum Flug platz, wo die BND-Cessna stand. Der Chefpilot, Stabsoberfeldwebel Bubi Spiegel, startete gleich darauf. Urban, zu kaputt, um selbst zu fliegen, fläzte im Copilotensessel und grübelte vor sich hin. „Geht's nicht schneller?" „Du weißt genau, wie schnell es geht", sagte der schwarzlockige Spiegel. „Fünf Stunden bis Mün chen und keine Minute länger." „Zu lange." 58
„So dringend wird dein Körper verlangt?"
„Hab` ein verdammt schlechtes Gefühl." „Terroristenarbeit?" fragte Spiegel. „Ungekochte Eier kann man nicht in Scheiben schneiden." „Damit hast du es mir bereits bestätigt", stellte der Pilot fest. „Nichts habe ich gesagt." Es war ein langweiliger Instrumentenflug in den Wolken. Urban schlief eine Runde. Er schien schlecht geträumt zu haben, denn als er erwachte, griff er zu der silbernen Reiseflasche, nahm einen tüchtigen Schluck Bourbon und schraubte sie umständlich zu. „Woher konnte Frankensteiner das wissen?" „Wer ist Frankensteiner?" „Gehst du nie ins Kino?" „Mein Job ist Horror genug", äußerte Spiegel, „und nimmt auch diesmal kein Ende. Über ganz Westeuropa bis runter zu den Alpen ist Nebel." „Frankensteiner", sagte Urban, „wußte es. Das ist der Hebel." „Übrigens", fiel Spiegel ein, „da war noch ein Anruf über Funktelefon." „Sebastian, der Kettenhund." Urban war nahe daran, seine Ohren auf Durch zug zu schalten, als Spiegel berichtete. „Sie fanden einen gewissen Tom Downey." „Tom Downey." „Wer is'n das schon wieder?" Urban war im Nu hellwach. „Der entführte US-Botschafter." „Die Israelis befreiten ihn aus einem Verlies im Libanon." „Hochachtung. Reife Leistung." „Auf einen Tip an die CIA, soll ich dir sagen." 59
„Tip von wem?"
„ Frankensteiner."
„Der Mann heißt Frankenheimer", verbesserte
Urban. „Was weiß ein Nichtakademiker?" Die Information war angetan, Urban für minde stens eine Stunde zum Schweigen und Nachdenken zu bringen. Sie flogen schon über Hannover, als er sich äußerte. „Dieser Frankenheimer wird mir von Mal zu Mal unheimlicher." Ganz unheimlich wurde die Sache erst, als sie in München gelandet waren, im BND-Hauptquartier ankamen und Urban in die Abendkonferenz platzte. - Dort erfuhr er den neuesten Stand der Dinge. Der Vizepräsident blickte kurz von den Akten auf und antwortete, ehe Urban auch nur eine Frage gestellt hatte. „Frankenheimer ist spurlos verschwunden." „Das wäre ich an seiner Stelle auch. Er wußte etwas, gab es weiter und hat in den Augen der PLO, oder wer dahintersteht, sein Leben ver wirkt." „Nicht nur das. Es geht noch weiter." Der Vizepräsident reichte Urban die Nieder schrift eines Telefonanrufes. „Neue Drohungen. Das mit der Nautic war erst der Anfang." „Alles wegen dieser verdammten LKW-Diesel motoren", fluchte Urban. „Gebt ihnen die Dinger doch. Wenn wir es nicht tun, kriegen sie sie von Renault oder von Fiat, von Rolls-Royce oder von Volvo." 60
„Das", äußerte der Vizepräsident, „wäre wirk lich die allerletzte Konsequenz." „Die vorletzte wäre, über Frankenheimer die Terroristen zu fassen." „Aber nachgeben können wir nicht." „Klar, bloß nicht klein beigeben. Es ist wie bei Rambo: Ein Mann wird gerettet, aber dreihundert müssen dafür sterben." „Das ist die Politik." Urban unterdrückte eine bitterböse Bemerkung. „Und Ihr Fall", erklärte der Vize, „Nummer achtzehn." „Meinen Dank", sagte Urban, „meinen allerherz lichsten."
Der Gedanke, daß Frankenheimers Nahostexpedi tion der Schlüssel sei, setzte sich in Urban fest, Die stets mißtrauischen Kollegen von der CIA wollte er nicht fragen. Sie waren zu neugierig und zogen meist falsche Schlüsse. In ihrem Bestreben, stets alles wissen, alles unter Kontrolle haben zu müssen, schössen sie zu schnell mit zu großen Kanonen auf zu kleine Spatzen. Daß der unauffindbare Frankenheimer etwas über König Salomon ausgegraben hatte, war allge mein bekannt, Das stand schon in der Provinz presse. Er hatte seine angebliche Sensation von einer Reise mitgebracht, und es gab keine Reise auf den Spuren des großen Königs, die nicht über Jerusalem führte. — Deshalb versuchte Urban, einen Kollegen beim israelischen Geheimdienst Mossad zu erreichen. Es dauerte einige Zeit. Der Zuständige, nämlich Major Jeremy Zucker, war immer unterwegs. Und 61
einem anderen wollte Urban sein Problem nicht anvertrauen. Außerdem hatte er bei Jeremias Zuk kerhut, wie der Kollege in Wirklichkeit hieß, noch ein Guthaben. Urban war schon nahe daran aufzugeben, da meldete Zucker sich plötzlich und unerwartet. „Dynamit rief an", meldete der Geheimdienst major sich aufgekratzt wie immer. Er war auch noch fröhlich, wenn er mit zwei Krücken hum pelte, wie es schon vorgekommen war. „Wenn Dynamit anruft, ist was am Kochen. Stimmt's?" Urban, der das Hauptproblem der Israelis kannte, nämlich ihre stets knappen Finanzen, rief zurück und erlaubte sich nun, ausführlicher zu werden. Major Zucker zeigte sich gut informiert, wenn auch bei weitem nicht so beunruhigt wie Urban. Immerhin hatte Israel nicht eben erst ein Kreuz fahrtschiff verloren. „Ja, schlimme Sache mit der Nautic in diesem Fjord." „Ging noch mal haarscharf an einer Katastrophe vorbei", sagte Urban. „Aber wir erhalten wegen des Dieselmotorenstopps für Panzer weitere Dro hungen." Mehr brauchte Urban nicht zu sagen. Zucker war klar, daß reparierte Panzer, egal welchem arabischen Staat sie gehörten, irgendwarm gegen Israel eingesetzt werden konnten. Jeder, der die Lieferungen von Kriegsgerät oder Ersatzteilen ver weigerte, mußte unterstützt werden. „Dieser No-Future-Forscher Frankenheimer hat es vorhergesagt." „Und ist leider abgetaucht", fuhr Urban fort, „so daß man ihn nicht mehr über neu zu erwartende Anschläge befragen kann." 62
„Falls er noch etwas weiß." „Er lieferte der CIA auch den Tip, wo die PLO den Botschafter Tom Downey versteckt hatte, und ihr schlugt ihn heraus. Ist es nicht so?" „Ja, aus den Kellern einer zerstörten Moschee im Südlibanon." „Zucker, ich brauche diesen Frankensteiner", sagte Urban, sich des Spitznamens bedienend. Es kam zu einer kurzen Pause. „Was willst du wissen, Bob?" „Wie kam er an diese Informationen?" „Beim besten Willen, das weiß . . ." Der Major sprach nicht weiter. Entweder nahm er einen Schluck Tee, oder er dachte so angestrengt nach, daß er vergaß, den Satz zu vollenden. „Das weiß der Teufel." „Es muß auf seiner Reise passiert sein", erwähnte Urban. „Anzunehmen." „Er muß Kontakte zu Palästinensern oder Terro risten geknüpft haben." „Wir konnten derartiges nicht ermitteln. Fran kenheimer bekam bei der Rückreise ein paar Probleme. Das war aber alles. Zugegeben, wir haben uns nicht sehr um ihn gekümmert. Und schon gar nicht, als er im Libanon, in Syrien, in Jordanien und im ägyptischen Sinai Sandkasten spiele veranstaltete." „Ich würde seine Reise gerne rekonstruieren", deutete Urban an. Wieder eine Pause im Draht. „Dann . . . dann . . .", ließ der Major sich verneh men, „. . . dann frag doch mal Modesty Clark." Von ihr hatte Urban noch nie gehört.
Zucker beseitigte diesen Mangel mit wenigen Sätzen. 63
„Frankenheimer suchte einen Reisebegleiter. Einen kräftigen fixen Jungen, der ihm auf der Expedition zur Hand gehen sollte. Der mal den Jeep fuhr, ihn be- oder entlud, das Nachtlager aufbaute, kochte, einkaufte, der Arabisch sprach und mit Waffen ebenso umgehen konnte wie mit kaputten Reifen, mit Meßgeräten und Generatoren, der mutig war und ihm als Leibwächter notfalls auch Skorpione und Sandvipern vom Leibe hielt." „Das alles erfüllte Modesty Clark", begriff Urban. „Nur ist Modesty ein weiblicher Vorname." „Frankenheimer fand wohl keinen besseren Scout als diese Miß Clark." „Dann hat er nicht allzu lange gesucht." „Oder viel zu lange. Am Ende hatte er es eilig und nahm Modesty Clark. Hübsche Person übri gens, in irgendeiner Ecke sogar ein Superweib. Aber nicht ganz koscher." „Amerikanerin?" „Engländerin aus London", steuerte Zucker bei. „Wir haben sie bei der Einreise natürlich durch leuchtet. Laß mir Zeit, und ich suche das Dossier heraus." Im Laufe des nächsten Tages erfuhr Robert Urban über Modesty Clark alles, was er brauchte, und noch etwas mehr. Sie hatte das Studium der Archäologie eines Kerls zuliebe aufgegeben. Die Ehe war bald gescheitert. Sie versuchte sich durchzuschlagen. In der Hauptsache als Reiseleiterin in der Levante. Wegen der Krise im Libanon und am Golf kam der Tourismus dort fast zum Erliegen. Da sie leben mußte, hatte sie sich auf heiße Geschäfte eingelas sen, auf Gold- und Devisenschmuggel sowie auf Ausfuhr von Antiquitäten aus Ländern, die das streng verboten, wie die Türkei etwa. — Man hatte 64
sie prompt erwischt. Aber sie war mit einem blauen Auge davongekommen. Irgendein gnädiger Staatsanwalt hatte die Verfahren niederge schlagen. Jetzt arbeitete sie in einem Reisebüro in Paris und war froh über den kleinsten Extra-Job. „Aber", schränkte Major Zucker ein, „von einem Schauplatz hat sie garantiert die Nase voll. Und das ist unsere Gegend hier." „Wie kommst du darauf?" erkundigte sich Urban. „Sie trennte sich von Frankenheimer, noch ehe er Tel Aviv erreichte." „Und der Grund? Wollte er sie unter dem Sternenzelt der Wüste bumsen?" „Fraglich, ob das die Dame irritiert hätte", meinte der Mossad-Offizier. „Es muß schon mehr vorgefallen sein. Warum sollten sonst Palästinen ser hinter ihnen hergewesen sein? Jedenfalls trenn ten sie sich. Wahrscheinlich nach einem Zwischen fall. Frankenheimer wollte Modesty Clark wohl nicht gefährden. Irgendwo im Sinai setzte er sie ab. Sie nahm den Bus nach Kairo. Aus Israel ist sie jedenfalls nicht nach Hause geflogen." „Für gutes Honorar wird sie schon zu heuern sein", hoffte Urban. „Ich fürchte, du kriegst sie eher zum Nordpol", bemerkte der Major. „Aber eines könnte, wenn du dir von dieser Modesty etwas versprichst, helfen. Es muß eine Strafakte über sie geben. Damit könnte man sie unter Druck setzen." Der Hinweis kam bei Urban an. Doch wenn er jemanden erpreßte, dann wirklich nur im äußer sten Notfall. Er bekam noch ein paar Tips, was Modesty Clark betraf, bedankte sich und entwarf eine Strategie. 65
Nachdem abgeklärt war, daß es nur zwei Wege gab, um die anstehenden Probleme zu lösen, ent weder Frankenheimer zu finden oder seine Reise zu rekonstruieren, entschloß man sich beim BND für letzteres. „Da selbst die CIA den Burschen nicht auf treibt", äußerte der Operationschef. „Und die PLO-Killer", ergänzte Urban. „Müssen Sie den Weg durch Sand und Dünen gehen", forderte Sebastian nicht ohne Schaden freude. „Das wird Ihre Grippe endgültig ausku rieren. " „Oder ich kriege einen Rückfall", sagte Urban, „und das wäre schlimmer als Heimweh." Mit seinen Wurstfingern winkte der Alte ab. „Einer wie Sie macht keinen Fehler zweimal und hat auch nicht öfter als einmal im Jahr die Influenza." Die Kosten wurden durchgerechnet. Man kam zu dem Schluß, daß sie keine allzu große Rolle spielte, ten, wenn man bedachte, was die Terroristen als nächstes unternehmen konnten. „Bonn hebt auf keinen Fall die Exportsperre auf", bemerkte Sebastian. „Davon müssen wir ausgehen." „Bieten wir dieser Frau zehntausend Dollar," „Ich würde mit fünftausend beginnen", geizte der Alte. Aber sie gingen immer von ihrem Gehalt als Beamte aus. Der Oberst verdiente ungefähr soviel wie ein Oberministerialdirektor und konnte nie begreifen, daß man als Freiberufler das Doppelte brauchte, um klarzukommen. „Ihnen wäre es am liebsten, sie täte es umsonst", spottete Urban. 66
„Für einen Ladykiller wie Sie doch kein Pro blem." Urban hatte oft genug für Volk und Vaterland mit Frauen geschlafen.
„Zehntausend", beharrte er. „Und wenn sie die Zicke spielt?" „Dann das da.'' Urban öffnete einen Schnellhefter. Sebastian überflog ihn. „Die Strafakte Clark. Angelegt von BKA und Interpol. Es gibt Länder, dort buchtet man sie ein, wenn sie nur zufällig falsch parkt. Für eine Frau wie diese Clark ist das kein Dauerzustand. Das könnten wir mit einem Knopfdruck aus den Com putern entfernen." „Ja, das wäre ein Angebot", stimmte der Alte zu.
„Eine Andeutung, die Fahndung auch nach Frankreich auszuweiten, ist ebenfalls ein Angebot, oder?" „Aber ein weniger feines", meinte der Alte überraschend feinfühlig. Es handelte sich hier aber lediglich um ein zufälliges Zusammenspiel von Kehlkopf und Stimmbändern. Es kam ihm nicht aus dem Herzen. Das war so verkalkt wie seine Arterien. - Panzerherz nannte man so etwas.
Lucas Frankenheimer hatte insgeheim damit gerechnet. Er hatte es sogar befürchtet. Und als es eintrat, hatte er schnell reagiert. Bevor die Kerle wiederkamen, hatte er die wich tigsten Unterlagen vernichtet, verbrannt oder 67
gelöscht, und war mit seinem rostigen 75er Che vrolet Caprice losgefahren. Im Radio hörte er, daß die Israelis den USBotschafter befreit hatten. Sein Brief hatte also gewirkt. — Schön und schlecht. Die Palästinenser waren leider nicht blöd. Sie mußten annehmen, daß er auch hinter diesem Coup steckte. Es gab keine andere Erklärung. Okay, ihre Schuld, nicht die seine. Aber eines war logo: Sie würden blutige Rache üben. Das forderte nicht nur ihre Ehre, sondern ihr Anführer. - Deshalb wür den die Killer nicht aufgeben, bis sie ihn hatten. Und das mußte er vermeiden. Denn er lebte gern. Besonders jetzt, da sein Salomon-Artikel wie eine Bombe einschlagen würde und die Verleger sich darum rissen. Dieses Pokerspiel war es, was Frankenheimer ungeheuren Schwung verlieh und die nötige Ener gie, um seine Flucht professionell zu organisieren. Er machte den Korkenziehertrick. Zunächst rei ste er nach Süden, tauchte in den großen Küsten städten, in Philadelphia und Baltimore unter. Dann schlug er einen weiten Bogen und ver schwand in einem Rutsch, in einer langen Nacht fahrt, Richtung Kanada. In Ottawa verscherbelte er seinen Wagen für dreihundert Dollar. Mit dem Bus fuhr er nach Montreal, übernachtete dort, kaufte ein Flugticket nach Hawaii, kehrte aber zurück in die USA. — In Boston buchte er den Flug nach Paris um, also in die entgegengesetzte Richtung. Dazu verwendete er seinen uralten holländischen Paß. Mit ihm war er vor dreißig Jahren in die USA eingewandert. Daß er das Foto ausgewechselt und ihn mit Phantasiestempeln verlängert hatte, merkte 68
im Reisebüro keiner. Es interessierte auch nie manden. „Ihr Ticket nach Paris, Mijnheer van Frank huis", sagte der Angestellte. „Muß ich was drauflegen?" „Siebzig Dollar."
Er bezahlte bar und war schon draußen. In zwei Stunden ging die KLM-Maschine. Vom Postamt aus rief er noch einmal Sam Higget bei Science Voice an. „Zum Teufel, wo steckst du?" schrie der Chefre dakteur in die Muschel. „Gemach, gemach, Vetter", beruhigte Franken heimer ihn. „Ich hatte große Mühe, mich abzuset zen, und werde dir nicht verraten, wo ich weile und wohin ich mich begebe." „Zum Teufel, warum dieses Versteckspiel?" „Ich bin ein wenig in Gefahr", sagte der Anrufer, „Außerdem genieße ich meine weltweite Publicity lieber aus der Deckung heraus." „Und wo ist das, deine Deckung? In Australien, in Südamerika, auf einer griechischen Insel?" „Dir traue ich zu, daß du mich findest, ebenso wie diesem Killer." „He, Mann, was phantasierst du da?" „Ich hatte in der Wüste eine unangenehme Begegnung", deutete L.F. an. „Na ja, kein Wunder, wenn einer solche Sachen aufreißt." „Es erhöht aber die Preise." „Was verlangst du jetzt für diesen verdammten Salomon-Schmonzes?" Genau deswegen rief Frankenheimer an und war froh, daß Higget von sich aus davon sprach. „Future World bietet eine halbe Million Dollar." 69
„Fünfhunderttausend? Sind die wahnsinnig, Mann!" „Mein Ernst." „Warum verkaufst du es nicht sofort?" „Weil ich es dir als erstem anbot und ich seriös bin," Vielleicht war seriös nicht das richtige Wort. Normalerweise hätte Higget jetzt höhnisch gelacht. Aber er saß wohl mit kalter Zigarre an seinem Schreibtisch und wollte die Salomonstory unbe dingt haben. Er und sein Magazin brauchten das. „Dreihundert", bot er. „Fünfhundert Mille." „Dreihundertfünfzig", handelte Higget. Frankenheimer überlegte. Er war nicht pleite, nicht total. Aber Geld machte beweglich, und vor allem machte es nicht unglücklich. — Es gab immer zwei Grenzlinien, die sogenannten Traumgrenzen. Jeder hatte eine. Der Käufer und der Verkäufer. Die eine Grenze war das äußerste Gebot, die andere die maximal durchsetzbare Forderung. Wenn man eine Sache haben wollte, dann legte man auf den aktuellen Tagespreis ein wenig drauf, und wenn man eine Sache unbedingt verkaufen wollte, ging man von seiner Forderung ein Stück herunter. Es sei denn, es war einem egal, ob man es loswurde oder nicht. Oder man war ein sturer Pokerer. „Ich überleg es mir", antwortete Frankenheimer. „Vierhundert." „Du hörst von mir, Sam." „He, Lucas!" hinderte Higget ihn am Auflegen. „Deshalb rufst du doch nicht an, du Hundesohn." „Natürlich nur, um den Preis in die Höhe zu treiben." „Der ist ja schon der absolute Irrsinn." 70
„Vielleicht hab' ich etwas, das ihn bis zu den Sternen treibt", deutete der Autor an. „Und der mich von dem Verdacht entlastet, ich könnte mit den Terroristen unter einer Decke stecken. Aber diesmal bewegt sich die Geschichte auf einem anderen Niveau." „Bei Gott, Lucas, laß das Gefasel. Denk daran, was das Gespräch kostet." „Es kostet mein Geld, oder?" „Also, was hast du noch in der Hinterhand?" „Daß ich ein ungeheuer begabter Zukunftsfor scher bin, dem nichts verborgen bleibt, ist bekannt. Aber was ich dir jetzt anvertraue, ist so wahr wie meine König-Salomon-Story. — Du kennst doch Stone Morris?" „Ich kenne zwei Morris. Den Baseballspieler und den Dichter." „Ich meine den Literaturpreisträger." „Okay, dann den Dichter." „Er hat sogar den Friedensnobelpreis bekom men", erinnerte der Anrufer. „Stone Morris wird leider sterben." „Man hört nicht mal, daß er krank ist." „Auch Gesunde sollen sterben. Die haut es oft um wie der Blitz den Baum." „Stone Morris? Wie alt ist er eigentlich?" „Keine sechzig." „Lehrt er nicht an der Stanford University?" „Harvard", verbesserte der Anrufer. „Ich rate dir, posaune es nicht sofort raus wie Harry James mit der Trompete. Besser abwarten. Aber in weni gen Tagen ist es soweit." Higget war sprachlos. „Und es ist. . . es ist kein fauler Trick, kein Bluff, keine Finte?" „Mach damit, was du willst", sagte Frankenhei 71
mer. „Nur noch folgendes: Stone Morris wird irgendwo sterben. Zu Hause, unterwegs, in seinem Automobil oder, wenn er Pech hat, im Hospital. Es wird kein Mord sein, eher Selbstmord. Aber vergiß eines nicht: Ich hab' es vorhergesagt und werde, wenn es geschieht, zehntausend Meilen von Stone Morris entfernt sein. Dies als Beweis, daß ich auch mit der Nautic und mit der Tom-Downey-Affäre nichts zu tun hatte," Higget geriet aus dem Häuschen. „Lucas, wenn das stimmt, ich meine, wenn das mit Morris eintrifft, dann ist eine halbe Million okay." „Und wenn ich dann eine Million verlange?" „Dann haue ich dir den Schädel mit der Axt ein", versprach Higget. „Abwarten! " Damit legte der Anrufer auf. Am Airport buchte er sein Ticket noch einmal um, - Nach London.
In London hatte L.F. noch den Rücken frei. Aber auf der Kanalfähre war es ihm, als würde er beobachtet. Lucas Frankenheimer ging bei Regen und Dun kelheit auf dem verlassenen Oberdeck des Town send-Fährschiffes spazieren. Er war zu allem ent schlossen. Er würde diesen Burschen niederschla gen, ihn abstechen, erschießen oder über Bord werfen. Aber er wollte endlich seine Ruhe. Einmal sah er in einer Nische eine Zigarette glimmen. Als er hinkam, war niemand da. Später ging er wieder hinunter in den Salon. Mit einem doppelten Scotch setzte er sich in die Nähe 72
anderer Passagiere, nickte ein und wurde von dem Anlegemanöver der Fähre in Zeebrügge geweckt. Als einer der ersten drängte er von Bord und stieg ins nächste Taxi. „Fahren Sie auch nach Holland?" fragte er den Fahrer. „Sogar zum Mond, Monsieur." „Dann nach Brüssel." Sie kamen an, als es dämmerte. L.F. ließ sich am Bahnhof absetzen. Das Postamt gegenüber machte gerade auf. Er rief in dem Nest an, in dem seine Eltern vor der Judenverfolgung der Nazis untergetaucht waren und später ein Landgut gekauft hatten. Das Land, schwere schwarze Moorerde, war an einen Gemüsebauern verpachtet. Er bewohnte auch das große Haus. Aber es gab am Deich noch ein Vorwerk, eine reetgedeckte Klinkerkate ohne Luxus, aber bequem und hübsch einsam gelegen. Die Frau des Pächters meldete sich. „Hier Lucas", sagte er. Sie kannte ihn schon, als er noch ein Junge war, seine Eltern bei der großen Flut umkamen und er zu Verwandten in die USA auswanderte. In den letzten dreißig Jahren war er immer wieder vorbeigekommen, um nach dem Rechten zu sehen. „Hallo, Mijnheer Lucas!" „Wie geht's?" „Gut." „Ist das Haus am Deich in Ordnung?" „Wenn es Staub gibt und Spinnen, mache ich sofort sauber. Wann kommst du, Mijnheer?" „Morgen", sagte er. „Vielleicht heute schon." „Wir freuen uns." „Aber nicht darüber reden", bat er. „Ich brauche meine Ruhe." 73
Er legte auf und überquerte den Platz zum Bahnhof. Taxi, Bus oder Zug, das war nun die Frage. Er nahm die Eisenbahn. Bei öffentlichen Trans portmitteln gab es keine größere Anonymität als in Zügen. Frankenheimer loste ein Billett nach Breda, von dort eines nach Herzogenbosch. Mit dem Bus fuhr er bis Dordrecht. In Dordrecht nahm er ein Taxi zur Fähre. Er wollte zu der Insel im Vliet zwischen Maas und Waalmündung. Bei Dunkelheit kam er endlich an. Das reetge deckte Klinkerhaus am Deich war blitzsauber. Es duftete wie immer nach Torf, Tabak und JamaikaRum. Im Kamin war Holz aufgeschichtet. Er brauchte es nur anzustecken. Brot, Wurst und Käse waren im Eiskasten. Müde setzte er sich hin, trank ein Bier, aß ein wenig. Endlich daheim, dachte er. Wenn sie dich hier finden, dann ist es ein Wunder. Dann wird aber ein Wunder nötig sein, daß du es überlebst. Aber es ist deine letzte Zuflucht.
Lucas Frankenheimer besuchte seinen Pächter, unternahm weite Spaziergänge, kaufte im Dorf ein und dachte daran, sich ein Velo-Solex anzuschaf fen, um in der Gegend herumzufahren. Aber das hatte Zeit. Als erstes kaufte er eine Schreibmaschine, eine ganz billige. Dies in der Hoffnung, sie würde bald kaputtgehen. Auf ihr phantasierte er ein wenig, legte 74
Gedanken nieder, Ideen für eine neue Artikelserie, für einen Roman. Er trank weniger, rauchte auch weniger, seine Hände zitterten nicht mehr so stark. Er begann, sich wohl zu fühlen. Und dann, eines Mittags, entdeckte er den schwarzen Wagen. Er parkte oben am Deich. Dort stand er viel zu lange. Zwei Stunden. Der schwarze Mercedes fuhr wieder weg. Einen Tag später sah L.F., wie sich ein in Schwarz gekleideter Mann an das Haus heranschlich. Er nützte jeden Entwässerungsgraben und jedes Stück Hecke, aber Lucas sah ihn. Er wartete, bis der Fremde nahe genug heran war. Er trug einen schwarzen Trenchcoat, schwarze Hosen, schwarze Schuhe, eine schwarze Six-Pence-Mütze und einen schwarzen Bart. Mit Barten tarnten sie sich alle. Aber Franken heimer erkannte ihn. Wußte der Himmel, wußte der Teufel, wie sie ihn gefunden hatten. Sie hatten Nasen wie Lawinenhunde. Er war ganz ruhig und wunderte sich selbst darüber. Er holte den schweren 45er aus der Schublade, schraubte die Laufverlängerung drauf und lud das Magazin mit den gemeinsten Patronen, die es überhaupt gab, mit Pilzmunition. Sie reichte nicht so weit wie andere, aber wen sie am Ohrläpp chen trafen, den machten sie zu Hackfleisch. Nein, zu blutigem Mus. Am Fenster stehend, wartete Frankenheimer auf den Killer. Im Grunde war er ein Mann mit Moralprinzi pien. In ihrer Urform bedeutete das, wenn dich einer töten will, dann töte ihn vorher. Plötzlich sah er den Killer nicht mehr. Er näherte sich dem Haus offenbar von hinten. Also 75
begab L.F. sich dorthin, wo der Killer ins Haus kommen konnte - zur Küche. Im Korridor wartete er. Der schwarze Schatten tauchte auf und machte sich am Riegel zu schaffen. Er knackte ihn und kam wie auf Samtpfoten herein. Als er noch vier oder fünf Meter von Frankenhei mer entfernt war und im Gegenlicht ein vorzügli ches Ziel bot, während Frankenheimer im Dunkeln stand, rief er: „Sie wünschen, mein Freund?" Der Killer riß die Maschinenpistole, die er seit lich zwischen Mantel und dem rechten Arm festge halten hatte, hoch. Aber zum Schuß kam er nicht mehr. Breitbeinig stand Frankenheimer da, die Kanone in der ausgestreckten Rechten, unterstützt von der Linken. Er schoß, schoß, schoß. Niemand würde etwas hören. Keiner würde die Kugeln spüren außer diesem arabischen Killer. Der nahm die erste Kugel auf und zuckte nur. Die zweite erwischte ihn im Bauch, und er krümmte sich vor Schmerz. Bei der dritten auf Herzhöhe änderte sich die Krümmung zu einem Bogen nach hinten. Bei der vierten Kugel stürzte er vorwärts. Bei der letzten war er schon mehr als tot. Lucas Frankenheimer fühlte sich im Recht. Es war Notwehr. - Er verzichtete auf die Polizei, schleifte den Toten PLO-Killer hinaus und warf ihn in den Brunnen. Der war tief und reichte fünfzehn Meter hinab bis zum Grundwasser. Bevor er den Killer über den Rand kippte, befestigte er Steine an ihm. Dazu nahm er Draht, verzinkten Draht, der nicht so schnell rostete. Später beseitigte er die Spuren. Das Blut von den Bodenklinkern ließ sich leicht entfernen. Die 76
roten Spritzer an den Wänden wischte er ab. Am nächsten Tag besorgte er sich Kalk und weißelte die Wände frisch. Den Mercedes versenkte er bei Ebbe im Fleet. Lucas Frankenheimer lebte weiter, als sei nichts geschehen. Er hoffte, daß es das gewesen sei. Ein für allemal. 9. Schon bei ihrer ersten Begegnung fing es an. Modesty Clark war muffig. Nicht beleidigt, nicht gerade gehässig, nur muffig. Dazu kam die Hitze in Tel Aviv, und im Landro ver funktionierte die Klimaanlage nicht. Man hatte Urban gewarnt. Sie sei ein schönes, intellektuelles Biest. - Das mochte zutreffen. Sie war auch sehr athletisch. Meisterin in so vielen Disziplinen, daß man beim Aufzählen besser zurechtkam, wenn man die Sportarten wegließ, die sie nicht beherrschte. Es hieß, sie reite, segle, fahre Rallyes und mit Männern Schlitten. Im olympi schen Fünfkampf sei sie zum Fürchten, ebenso wie mit ihrem schauderhaften Mundwerk. Unter hundert Frauen hätte Urban Modesty Clark herausgefunden. Das kurzgelockte, weiß blonde Haar, die großen grünen Augen, der noch größere sinnliche Mund, alles wie auf den Fotos. Sie trug ein hellgrünes Khakikostüm, keine Hose, sondern Rock. Die Füße steckten in teurem engli schen Jagdschuhwerk. Sie hatte nur ein Gepäck stück. Es sah aus wie eine Nackenrolle, halb so lang, doppelt so dick und Leder, das in der Farbe zu ihrem Teint paßte. Und was waren das für Beine, was für Titten und was für ein Hintern! 77
Sie warf die Tasche nach hinten in den Land rover. „Ist das alles?" fragte Urban. „Mehr als genug." „Wie lange waren Sie mit Frankenheimer unter wegs?" „Länger, als ich mit Ihnen unterwegs sein werde", schnappte sie zurück und stieg ein. Er startete den Diesel. Der alte Bock rollte los. „Was Besseres gab's wohl nicht als diese Karre", lästerte sie. „Nichts Solideres." „Ich meinte nur, wo Kosten bei Ihrem Verein offenbar keine Rolle spielen." „Mit dem Mercedes fahren sie hier in die Syn agoge oder in den Krieg", entgegnete er. Sie hatte, soweit er es beurteilen konnte, gebräunte Haut mit einem merkwürdig seidigen Schimmer. „Sie sind Engländerin", sagte Urban, nur um irgend etwas Unverfängliches zu äußern. Aber Derartiges gab es bei ihr wohl nicht. „Das wissen Sie doch." „Woher?" „Aus dem Material, das Sie sich besorgten, um mich zu erpressen. Im übrigen bin ich Irin." „Dachte, die seien alle rothaarig." „Die Blonden sind die schärfsten." „Es war keine Erpressung. Es sei denn, Sie betrachten zehntausend Dollar als eine solche. In dem Fall muß man zehntausend Dollar aber ver dammt schief angucken, Lady." Sie blickte ihn ungefähr so an wie die Dollars und sagte: „Damit das klar ist: Freiwillig bin ich nicht hier. Meine Mitarbeit beschränkt sich auf das Allernö 78
tigste. Und quatschen Sie mich nicht auf die freundschaftliche Tour an, Sir." Für Sekunden ließ er das knochige LKW-Lenk rad des Rovers los. „Okay, ich halte den Mund, wenn wir miteinan der reden." „Hoffentlich." „Wo fuhren Sie mit Frankenheimer zuerst hin?" „Er war ein Gentleman. Im Gegensatz zu ande ren Herren." „Wohin also?" „Nach Jerusalem." „Und dort?" „Diese Auskünfte kosten extra." „Wieviel?" „Pro Wort zehn Dollar."
„Nicht die feine englische Art, Gnädigste." „Es ist die feine irische Art. In Jerusalem besuchten wir das Historische Museum." Urban nahm die Straße vom Airport nach Ara matia. Man brauchte von Lot nicht erst durch Tel Aviv. Bald zog sich die mehrspurige Autobahn hinauf in die Berge. Es war glühend heiß, und die Klimaanlage war noch immer defekt. Aber Madame schwitzte nicht einen einzigen Tropfen aus.
Sie kassierte stets ab, bevor sie beantwortete. Die Scheine steckte stenhalter. Urban überlegte, ob es nicht wäre, einen schriftlichen Vertrag schließen.
weitere Fragen sie in den Bü besser gewesen mit ihr abzu 79
Sie schlenderten durch das Museum. Da es
Tausende von Exponaten gab, fragte Urban:
„Wofür interessierte sich Frankenheimer?''
„Für König Salomons Zeit und nur für ihn."
Die Zehndollaruhr tickte bei jedem Satz,
Urban widmete der Abteilung Salomon beson
dere Aufmerksamkeit. Besonders dem Gemälde,
das den greisen König in Lebensgröße auf der
Tempelbaustelle zeigte,
Im Grunde war an dem Bild nichts dran. Salo mon hatte einen Despotenkopf und den Wanst eines feisten Sultans. Vielleicht lag es auch am Maler. - Was Urban auffiel war die Hand, ausge streckt in einer drohenden Gebärde gegen die müßigen Bauleute. Ein alter Malertrick. Von einem Reizpunkt wurde das Auge des Betrachters dorthin gelockt, wo der Maler es haben wollte. Sei es auf eine Fliege auf einem angebissenen Stück Käse oder wie hier auf den Ring am Zeigefinger der rechten Hand des Königs. Wie von einer Magnet bahn-Schiene wurde man über Kopf, Schulter, das Muster im Mantelärmel zum Handgelenk, weiter zum Finger und schließlich zum Ring geführt. Es war ein schwerer goldener Siegelring mit runder Platte. Darauf ein gleichseitiges Dreieck, das offenbar mit der Spitze nach unten zeigte, also umgekehrt wie eine Pyramide. In der Mitte hatte es ein Auge mit Wimpern, konnte aber auch die Sonne oder ein strahlender Brillant sein. Um die Kosten niedrig zu halten, fragte Urban im Telegrammstil und hoffte auf ebensolche Antworten. „Um was ging es Frankenheimer bei Salomon?" Modesty Clark deutete ins Zentrum des Bildes. Urban stellte staunend fest, daß der Ring in der Tat den Mittelpunkt bildete. „Um den Ring." 80
Als sie das Museum verließen, war es Abend. „Und der Tempel?" fragte er. „Den würdigte Frankenheimer keines Blickes." Im Hotel speisten sie auf der Terrasse bei Kerzenlicht mit Blick auf die Hügel von Golgatha. „Und wie ging es weiter?" „Über den Jordan nach Jordanien." Es war schwierig, über die Brücke in das Nach barland zu gelangen. Es klappte nur, wenn man ein Visum hatte und keinen israelischen Stempel im Paß. Also Pässe und Beziehungen. - Über beides verfügte Urban. „Nach Amman?" „Nur in die Wüste." „Sie kennen den Weg, Modesty." „Ich bin Pfadfinder", erwiderte sie. „Aber neh men Sie genug Wasser und genug Sprit mit." „Und was zu futtern." Sie zuckte mit den Schultern. Sie trug ein dunkles, geblümtes Kleid aus leich tem fließenden Stoff mit spitzem Ausschnitt. Das Dekollete gab etwa ein Drittel der Rundungen ihrer Brüste frei. „Was schauen Sie so gestochen?" fragte Modesty Clark aggressiv. „Ich starre immer nur Sie an." „Okay, meinetwegen. Aber lassen Sie sich nie einfallen, an etwas anderes zu denken. Ich weiß, wo man bei Männern reintreten muß." „Eigentlich beobachte ich die Zecke, die auf Ihrer Schulter sitzt und sich gerade in Ihrer Haut festbeißt, um Sie auszusaugen." Angeekelt wischte sie über die Stelle. Sie riß die Zecke von der Haut und hatte Blut an den Fingern. Verärgert stand sie auf und ging. „Gute Nacht", zischte sie. 81
Vor einer Woche hatte Urban sie angerufen. Sie hatte den Auftrag, ihn zu begleiten, rundweg abgelehnt. Mit Geheimdienstleuten wolle sie nichts zu tun haben. Außerdem pflege sie. was Kunden schutz betreffe, äußerste Loyalität. Dann müsse sie ihnen erst recht helfen, hatte Urban erklärt, denn Frankenheimer sei in Gefahr und verschwunden. Vielleicht gelinge es, seine Probleme zu lösen, wenn man die Nahostreise rekonstruiere. Sie hatte das für einen schmutzigen Trick ge halten. Nun hatte er seine Verbindungen spielen lassen und wieder angerufen. Sie reagierte empört und verdächtigte ihn, ihr die Fremdenpolizei auf den Hals gehetzt zu haben. Er riet ihr, für eine Weile zu verschwinden. Und zehntausend Dollar seien auch nicht gerade auf die Hand gespuckt. - Daraufhin hatte sie eingehängt. Nun hatte er mehr Druck gemacht und sie bei der Kripo vorladen lassen. Am Abend hatte sie ihn angerufen und wütend ihr Okay gegeben. Jetzt, an diesem frischen Morgen, rollten sie über die Brücke und damit über die Grenze nach Jordanien. Sie fuhren erst Richtung Amman, dann nach Süden auf den Mount Nebo zu. Als es keine Straße mehr gab, nahmen sie die Wüstenpiste. Gegen Mittag machten sie im Schatten einer knochenbleichen Felsformation halt. „Muß eine verrufene Gegend sein", sagte Urban. „Man trifft keine Beduinen." Sie waren nicht einem einzigen Zelt begegnet. Das einzige, was sie angetroffen hatten, war die Radspur eines Wüstenspähwagens. 82
„Sie waren doch hier?" vergewisserte Urban sich. „Sicher." Urban kochte a u f d e m Es b i t f e u e r Mineralwasser und hängte einen Teebeutel hinein. Er trank den Tee. wie hier üblich, mit viel Zucker. „Abscheulich", meinte Modesty Clark. „In Eng land würde man das k e i n e m WC als Spulwasser zumuten." „Morgen brühen Sie den Tee."
„Ich bin nicht als Koch angestellt." Sie saß vor ihm mit gespreizten Beinen auf einem Stein. Sie versteckte ihre Oberschenkel nicht ge rade. Unter ihr bewegte sich etwas. Etwas Dunkelgrü nes, Glitzerndes, nicht dicker als ein Bleistift. Es schlängelte sich auf ihren linken Fuß zu. - Jede Schlange in der Wüste war gefährlich, der Biß mancher Viper sogar tödlich. Da half kein Serum. Es brachte einen binnen weniger Stunden um. Urban richtete sich in Zeitlupe auf, dann packte er Miß Clark blitzschnell, riß sie erst an sich, dann schleuderte er sie seitswärts in den Sand. Dabei trat er mit dem Absatz auf die Sandviper. Für einen Moment war Modesty Clark benom men. Sie stand auf und wollte sich auf ihn stürzen. Da sah sie die grüne Viper zwischen seinen Fingern zappeln. Zischend sperrte die Schlange das Maul auf. „Vorsicht!" schrie Modesty Clark.
Urban grinste nur. „Das ist eine arabische Viper. Eine Vipera Aspis. Sie beißt sofort zu. Die Giftzähne sitzen ganz vorn im Kiefer. Sie trifft immer. Meist tödlich. Aber sie würde niemals wagen, einen 83
Deutschen zu beißen. Wir und die Araber waren immer dicke Freunde." ..Eine israelische Viper hätte Sie getötet. Sie Großkotz. Sie." ,,Das haben Sie gesagt." Urban schleuderte die Viper weit weg. Vielleicht überlebte sie es. Auch grüne Sandvipern waren wichtig und hatten ihre Funktion innerhalb der Wüstengemeinschaft. „Fahren wir weiter", schlug Modesty Clark vor. „Haben Sie Angst?" „Nein", log sie. „Ich schon", gestand er. Südlich von Quasr-et-tuba kamen sie in ein Tal zwischen zwei tafelartigen Bergen. Das Tal hatte eine pfannenflache Senke. Daran erkannte Miß Clark, daß sie hier gelagert hatten. „Wie lange?" „Mehrere Tage." „Was machte Frankenheimer?" „Messungen." „Womit?" „Mit einem Gerät, das tickte, vermutlich einem Geigerzähler." „Tickte er schneller?" „Was bitte, ist bei einem Geigerzähler langsam Pulsfrequenz?" „Fotografierte er auch?" „Ganze Filmpacks." „Und?" „Er hatte eine Art Kompaß. Der drehte sich immerzu in alle Richtungen." „Magnetfeldmessungen", kombinierte Urban. „Hatten Sie den Eindruck, daß Frankenheimer fand, was er suchte?" Sie zögerte mit der Antwort. Das mußte man anerkennen, sie gab keine falschen Auskünfte. 84
„Wohl nicht." Sie blieben noch eine Nacht. Jeder in seinem Zelt und in seinem Schlafsack.
Am nächsten Morgen bereitete Modesty Clark zum ersten Mal den Tee, Aber nur deshalb, weil es aussah, als würde ein Sturm losbrechen. Urban hatte mit dem Rover zu tun. Er mußte nachtanken, abschmieren, kleine Servicearbeiten verrichten. Im Reifen vorn links steckte ein Kamel dorn. Urban entfernte ihn, reparierte den Reifen und pumpte ihn mit dem Kompressor wieder auf. Es wurde drückend heiß. Kein Hauch regte sich. Die Luft stand da wie ein Block. Aus Nordwesten kam die breite gelbe Wolkenfront immer näher. Sie versuchten, dem Ghibli zu entkommen, Aber er holte sie ein. Der Diesel mühte sich ab, doch der Sandsturm war schneller. Bald steckten sie mitten drin. Urban stellte den Motor ab, ehe die Filter zugingen. Sie saßen in der brütenden Hitze des Blechka stens. Überall drang feiner gelber Staub herein. Ihre Kleidung war wie von gelbem Mehl bestäubt, ihre Gesichter wirkten wie gepudert. Urban hustete bis zum Erbrechen. Modesty Clark faßte nach hinten und holte ein weißes Handtuch. Das band sie ihm ohne große Worte um Mund und Nase. Wie Beduinen sahen sie aus. „Kostet nichts", sagte sie. „Etwa ein Friedensangebot?" ,,Im Kampf pflegt man auch die Verwundeten der anderen Seite." „Toller Kampf." 85
„Ich bin ungeheuer nachtragend", murmelte sie unter ihrer Atemmaske. Jeder Sandsturm ließ einmal nach. Irgendwann in der Nacht war seine Kraft gebrochen. Sie fuhren weiter. Erst quer durch die Wüste nach Karal, später auf der Lastwagenpiste nach Sodom. Wieder in Israel, hielten sie sich nach Süden. „Der Negev", sagte sie, „war nicht das, was Frankenheimer beeindruckte. Zuviel Touristen scheiße, pflegte er zu scherzen."
Sie fuhren Stunden bei wenig Verkehr. Einige Kibbuzlastwagen kamen ihnen entgegen, haupt sächlich aber Militärfahrzeuge. Die gefleckten Hügel beiderseits der Straße waren israelische Panzer in Bereitstellung. Bald hatten sie die Panzer hinter sich und waren in Ägypten. Es gab hier keine sichtbare Grenze. Keinen Zaun, keinen Stacheldraht, nur ein paar Minenfelder. Man mußte verteufelt aufpassen. Der Mossad-Major Zucker hatte Urban eine Karte mitgegeben. Sie zeigte schraffiert, wo man besser nicht hinfuhr. — Die Karte ist aus Reispa pier, hatte Zucker gesagt, du wirst sie aufessen, falls sie dich schnappen, Oder wir sind Freunde gewesen." Daß sie nicht für nichts bezahlt wurde, ging daraus hervor, daß Modesty Clark plötzlich behauptete, das hier sei die Gegend gewesen, wo sie den zusammengebrochenen Jeep gefunden hätten. „Ich sehe keinen Jeep. Normalerweise laßt man die Wracks stehen.'' „Lucas brachte ihn wieder in Gang", sagte sie. Auf Frankenheimer ließ sie nichts kommen. „Es 86
war irgend etwas am Motor mit der Benzinpumpe. Er bastelte mit einem Schlauch und einem leeren Plastikkanister einen Fallbenzintank. Sie mußten allerdings alle zwanzig Meilen den Kanister nach füllen. Und das nahmen sie ihm wohl übel." „Geht's auch der Reihe nach?" fragte Urban. Sie erzählte von der Begegnung in der SinaiWüste. „Es waren wohl zwei Palästinenser. Der eine nannte den anderen Kommandant. Sie waren schon restlos fertig. Wir luden sie zum Essen ins Camp ein. Erst waren sie verdammt einsilbig und mißtrauten uns. Sie dachten wohl, wir seien eine neue Art israelischer Wüstenspähtrupp. Als sie herausfanden, daß Frankenheimer kein Wort Hebräisch, Arabisch oder Französisch verstand, wurden sie freundlicher, Wir krochen in die Zelte, und die beiden redeten noch lange am Lagerfeuer. „Worüber?" fragte Urban. „Keine Ahnung. Ich schlief. Das heißt, einmal wurde ich wach und sah durch den halbgeöffneten Reißverschluß der Zeltbahn etwas kriechen, flach wie ein Krokodil. Es war Lucas. Er belauschte die zwei Burschen." „Dachte, er kann nur Englisch." „Was weiß man schon von seinem Nächsten? Er robbte wie ein Indianer zu ihnen hinüber und hörte wohl lange zu. Am Morgen wirkte er recht ver schlafen." „Und die zwei Typen?" „Sagen Sie ruhig Palästinenser. PLO-Terrori sten. Sie bedankten sich mit keinem Wort." „Vielleicht entdeckten sie Frankenheimers Kriechspur." „Wir bauten das Camp ab und fuhren los. In 87
anderer Richtung", berichtete sie weiter. „Endlich fand Frankenheimer sein Tal des Königs." „Wo?" „Ich bin kein Kartograph", entgegnete sie, wie der muffig. „In einer Senke zwischen zwei etwa tausend Meter hohen Bergen. Wieder die gleiche Prozedur wie in Jordanien. Geigerzähler, Magnet messung, Fotos. Jetzt fing er auch noch zu graben an. Unter dem Sand fand er Felsenplatten. Er bohrte zwischen den Spalten herum und behauptete, das sehe aus, als hätte man hier einen Flugplatz angelegt." „Flugplatz?" bemerkte Urban. „Vor dreitausend Jahren?" „Da war Lucas wohl schon ein wenig behäm mert", meinte Modesty Clark. „Allmählich, als die erste Euphorie vorbei war, wurde er wieder ver nünftig. Er meinte, es sei ein Talplateau, das die Sandstürme glattgeschliffen hätten." Sie schwieg und bat ihn um eine Zigarette. „Und wie ging es weiter?" „Wenige Stunden später war Schluß", berichtete sie. „Mit einemmal hatte er genug. Wir warfen alles in den Jeep. Er drosch ihn wie ein Verrückter nach Norden." „Weil er hatte, was er suchte", vermutete Urban. „Vielleicht", räumte sie ein. „Vielleicht aber auch, weil er sah, daß uns jemand folgte. Außer halb der Oase Hadira hielt er einige Male an, benutzte sein Zeissglas und das Tele seiner Kamera. Er fluchte nicht schlecht. Selten habe ich einen Mann so fluchen gehört. Es waren jiddische Flüche. Er nannte sie dreckige Schweine, Bastarde und Scheißhaufen. Er hatte sie gerettet, nun waren sie hinter ihm her."
„Warum er sie verfluchte und was er von ihnen erfuhr, erwähnte er das?" „Mit keinem Wort." Urban ahnte, was Frankenheimer gehört hatte, nämlich die Pläne des Anschlags auf die Nautic und wo die PLO den US-Botschafter versteckt hielt. Zu spät mußten die beiden bemerkt haben, daß er doch etwas Arabisch sprach. Sie hatten umgedreht und ihn gejagt. Sie jagten ihn immer noch. Jetzt, da er ihre Pläne verraten hatte, um so mehr. „Er wollte mich nicht mit hineinziehen", sagte Modesty Clark. „Er ist ein feiner Bursche. Wir trennten uns." Urban gewann den Eindruck, daß diese Fahrt nicht vergeblich gewesen sei. Um Begeisterung zu zeigen, war er zu kühl. Aber er küßte Modesty Clark spontan. „Danke", sagte er. Sie holte aus und versetzte ihm eine Ohrfeige. Ein Gefühl, als hätte ihn eine eiskalte Dusche in Vollnarkose erwischt. Er ließ an und fuhr weiter. „Trotzdem danke", sagte er.
Die letzte Nacht verbrachten sie in einem Hotel in Bersheba. Beim Essen sprachen sie über den Rest der Reise. „Bis Mittag sind wir in Tel Aviv", rechnete Urban. „Ich gebe den Rover zurück und nehme dann noch die Abendmaschine nach München. Merci für alles, Madam." „Wozu merci? Sie haben bezahlt." Sie zog einen Zettel mit Zahlen aus ihrer Bluse. 89
„Ich kriege noch vierhundertsiebzig Dollar für außerordentliche Tätigkeiten." Er löhnte anstandslos. Die Stimmung war weg. Sie speisten stumm. Modesty Clark zog sich bald zurück. Urban saß noch in der Bar. Der israelische Bourbon war nicht von umwerfender Qualität. Also stieg er auf Scotch um. Der war so gut wie schottischer. Wahrscheinlich hatten sie echten in israelische Flaschen abgefüllt. Beim dritten Doppelten dachte er die paar Möglichkeiten durch. Aufhören oder weiterma chen. Schluß oder vollaufen lassen. Dazu war genügend Zeit. Leicht angeschlagen ging er hinauf. Es war eine heiße Nacht. Eine ziemlich helle Laterne warf Licht durch die Jalousien. Er schlief sofort ein, erwachte aber, denn plötzlich stand ein Geist vor seinem Bett. Ein weiblicher Körper, nackt und verdammt sinnerregend. „He", sagte er, „wo gibt's denn so was?" „Machst du mir Platz?" Er rückte zur Seite, doch sie ließ sich Zeit damit, zu ihm auf die Matratze zu kommen. Sie stand da wie ein Gemälde, das nur dazu da war, sich betrachten zu lassen. Sie genoß seinen Blick und er ihren Anblick. Er tastete nach ihr, nach ihrer Hüfte, ihrem Oberschenkel, nach der Innenseite. Er tastete aufwärts. Sie reagierte leise stöhnend. „Hast du Angst?" fragte Urban. „Nein." „Ich schon", gestand er. Er war überrascht, auch über seine spontane Reaktion, und wollte noch etwas klären. Aber sie warf sich auf ihn, verschloß seine Lippen mit einem Kuß und sagte dann: „Du hältst den Mund, wenn ich mit dir schlafe." 90
Es wurde alles andere als ein Schlaf. Es wurde das Gegenteil davon. Okay, sie war sportlich, und angeblich hatte sie auch im Ballett getanzt, doch dieser Tanz war ein Furioso, das war Himmel und Hölle. Feuer und Eis. Er hatte Mühe, mitzuhalten. Einmal wünschte sie, daß er üben war, dann gab sie keine Ruhe, bis sie wieder auf ihm lag. Sie hatte Varianten drauf wie ein Schachcomputer. Erst gegen Morgen legten sie eine Pause ein. „Von dir", sagte Urban hinterher, „könnte man glatt schwanger werden."
In Tel Aviv kauften sie die ersten Zeitungen seit einer Woche. Die meisten Titelseiten brachten das Foto eines Mannes mit Trauerrand und Kreuz. „Stone Morris ist tot." Modesty Clark hatte Trauer in der Stimme. „Ich mochte seine Gedichte", sagte Urban, ver mied aber, eines aufzusagen. Sie massierte ihr Kinn mit zwei Fingern und dachte nach. „Ist noch gar nicht lange her, da sprach jemand über ihn. Ich weiß im Moment nicht, wer es war, wo und wann." „Er bekam den Nobelpreis für irgendwas", ergänzte Urban. „Warum müssen so gute Leute so früh und an diesem Killerkrebs . . . " „Besser als an Schizophrenie und Verfolgungs wahn", meinte Urban, auf Hemingway anspielend, „die man nur mit einem Kopfschuß beheben kann. Oder?" „Oder nie", erwiderte sie. „Aber irgend etwas war mit Stone Morris." 91
„Es wird dir schon noch einfallen", hoffte er. Dann ging alles schnell. Modesty Clark flog mit Air France, Urban nahm die Lufthansa-Maschine. „Schade", sagte sie. „War 'ne kurze Reise." „Und schmerzlos, Lady." Er erinnerte sich an ihre erste Bemerkung, daß sie mit Frankenheimer länger unterwegs gewesen war, als sie mit ihm je zu sein hoffe. „Es war dein Wunsch, Modesty." Sie schluckte. „Trotzdem meinen Dank für die Märchen aus Tausendundeiner Nacht." „Aber das Leben ist anders", bedauerte er. 10. Die Motive für Geheimdienstoperationen wurden meist in Kurzform gebracht, Sie lauteten: aus vielerlei Gründen. „Aus vielerlei Gründen", sagte der Manager der CIA-Abteilung Abwehr/Terror/Inland, „müssen wir Frankenheimer finden. Er hat dreimal ins Schwarze getroffen. Mit der Vorhersage des Nau tic-Anschlags, mit dem Versteck des Botschafters im Libanon und nun bei diesem Dichter. Wie war doch sein Name?" „Stone Morris." „Klar, Morris. An dem Burschen, Frankenheimer meine ich, muß was dran sein. Entweder ist er Hellseher oder Magier oder . . . " „Sein King-Salomon-Artikel, über den alles spricht und den keiner druckt, würde mich interes sieren", äußerte einer aus der Runde. Die Diskussion wurde zur Debatte. Es ging hin und her. Hypothesen wurden aufgestellt, vernich 92
tet, neue konstruiert, bis der Abteilungsleiter mit der Faust auf den Tisch schlug, daß das Telefon schepperte. „Genug!" rief er. „Genug und basta! Bringt mir diesen Frankenheimer. Übrigens klingt verdammt jiddisch der Name." „Er ist Jude." „Das wäre doch schon etwas." „Was, bitte, wäre das, Sir?" „Ist er nicht mal in die USA eingewandert?" „Vor dreißig Jahren." „Und aus welchem Land?" „Europa." „Europa ist kein Land", schulmeisterte der Ab teilungsleiter. „Benelux, Sir." „Das sind drei Länder. Verdammt, sind wir hier bei der Steuerschätzstelle für illegale Spielclubs, oder geht es auch genauer, Gentlemen?" „Niederlande", meinte einer. „Ist das Holland?" „Wo der Käse rot und die Holzschuhe gelb sind." „Man hört, es heißt, die Familie Frankenheimer wurde von den Nazis verfolgt, flüchtete aber rechtzeitig." „Findet das raus", ordnete der Abteilungschef an. Er sagte, das sei ein Befehl. Befehle mußten ausgeführt werden und führten so oder so stets zu einem Ergebnis. Was herauskam, war leider dürftig. Lucas Frankenheimer hatte New York verlassen. Er hatte keinem gesagt, wohin er sich begab, hatte nichts hinterlassen und war unauffindbar.
Die amerikanische Bundeskriminalpolizei FBI fand in Zusammenarbeit mit Interpol Kanada eine Spur, denn Frankenheimers Chevrolet war zur Fahndung ausgeschrieben worden. Ein Händler in Ottawa, Provinz Quebec, meldete sich. Er habe einen 75er Caprice stehen, beigefarben, die Seitenteile in Holzimitation. Gekauft für ein paar hundert Dollar, dreihundert genau. Tacho stand neunzigtausend Meilen. Der Verkäufer habe aber erklärt, die Tachowalze sei schon einmal auf Null zurückgesprungen. Der mit der Suche nach Frankenheimer beauf tragte Agent flog nach Ottawa und untersuchte das Fahrzeug. Alles stimmte. Fahrgestellnummer, New Yorker Zulassung und Papiere. „Name des Verkäufers?" fragte der Amerikaner. „Den nannte er nicht", hieß es. „Sie kauften ohne Vertrag?" „Er hatte die Papiere, und das genügt bei uns. Zollformalitäten erledigen wir selbst. Auf die alte Rostlaube ist praktisch null Steuer zu entrichten." Der Agent wurde mißtrauisch. „Warum kauften Sie die alte Rostlaube über haupt?" „Weil dieser Typ bei den Farmern hier gefragt ist. Er hat noch Fahrgestell und robuste V-achtMaschine. Hundertzweiundachtzig PS. Nicht umzubringen. Hält dreißig Jahre, der Dampfham mer. Die vom Land sind wie wild hinter so was her." „Und er nannte keinen Namen?" vergewisserte der Fahnder sich noch einmal. „In den Papieren steht Lucas Frankenheimer. Genügt doch, oder?" „Uns nicht. Verkäufer und Wageneigentümer 94
müssen nicht ein und dieselbe Person gewesen sein. Soll schon mal ein Auto gestohlen worden sein, samt Papieren und Schwiegermutter." „Vielleicht ein Mercedes oder ein Cadillac", wandte der Altwagenhändler ein, „nicht so was. Kommen Sie mit in mein Büro." Dort legte er den Ankaufvertrag vor. Die Unter schrift war unleserlich. Nun zeigte der CIA-Fahnder ihm ein Foto. „War er das?" Ein kurzer Blick. Kopfschütteln. „Nie im Leben." Es konnte Frankenheimer gar nicht sein, denn es war ein Foto vom Vater des Fahnders. Der Agent zeigte das nächste Foto. Es stammte aus dem Archiv des Science Voice. Der Händler betrachtete es aus der Nähe, hielt es weiter weg, setzte die Brille auf und war dennoch unsicher. „Könnte sein. Aber eher nicht." Nur die Angabe über Körpergröße und Gewicht stimmten annähernd. „Ja, ein Bursche, gebaut wie der Eiffelturm." Dann hat er sein Aussehen verändert, dachte der Fahnder. Was ich an seiner Stelle auch gemacht hätte. „Warum verkaufte er den Wagen?" „Weil er ihn nicht mehr brauchte", lautete die Antwort. „Jedes Wort ist wichtig. Warum brauchte er keinen Wagen mehr?" „Er wollte, glaube ich, auswandern." „Sagte er wohin?" Dem Händler fiel etwas ein. Er grinste. „Dahin, wovon jeder träumt. Palmen, Sand 95
Strand, kaffeebraune Mädchen, Hula-Hula, Ha waii." „Fiel das Wort Hawaii?" Der Händer verengte die Brauen bis zur Nase. Dann richtete er die bunte Krawatte über dem bunten Hemd unter dem bunten Sakko über der bunten Hose. „Glaube, mich zu erinnern, Sir." Der Fahnder verständigte seine Dienststelle, FBI und Interpol. Wenn ein Mann vom Aussehen Fran kenheimers Kanada in Richtung Pazifikküste ver lassen hatte, mußte das irgend jemand wissen. Egal welchen Paß er benutzte.
„Welchen Paß kann er benutzt haben?" fragte einer aus der Sondergruppe Frankenheim er im fünften Stock des CIA-Headquarters im Wald von Langley. „Wahrscheinlich, den, den er vorher hatte." „Wann vorher?" „Vor dem Jahre achtundfünfzig. Da kam er nämlich in die USA. Er war damals um die Fünfzehn herum und besuchte Verwandte. Sie bürgten für ihn. Nach sechs Jahren, mit einund zwanzig, wurde er eingebürgert." „Mit Namensänderung?" „Ein paar Buchstaben werden meist so geändert, daß man es hier aussprechen kann. Der Name Czitcworeckz zum Beispiel läßt sich schwer aus sprechen. Das haben die Behörden nicht so gerne." „Ist er Tscheche?" „Nein, Jude." „Das eine schließt das andere nicht aus, Mann." „Angeblich flohen seine Eltern vor den Nazis und versteckten sich in den Niederlanden. Sie 96
kamen beide um, und Verwandte nahmen Klein Lucas auf." „Wo steht das geschrieben?" „In dem, was von seiner Einbürgerungsakte noch vorhanden ist." „Kann man die Verwandten fragen?" „Alle gestorben." Das Telefon ging. Ein Anruf aus Montreal. Die Verbindung wurde offenbar von einer Hotel zentrale unterbrochen. Wenig später erfolgte ein zweiter Anruf. „Ein Mann mit einem holländischen Paß, der wie der Gesuchte aussah, buchte einen Flug nach Hawaii", lautete die Meldung. „Weiter dranbleiben", forderte Langley. „Wir tun hier dasselbe." Sie veranlaßten, daß der Zentralcomputer, an den alle großen Fluglinien angeschlossen waren, mit den bekannten Daten wie Name, Personenbe schreibung, Datum der Hawaiibuchung, Montreal Airport et cetera gefüttert wurde. Dann warteten sie und diskutierten weiter die Möglichkeit, Frankenheimer zu finden. Später wurde der Abteilungsleiter zu einer Direktorenkonferenz abberufen.
Die Experten saßen in einem kleinen Konferenz zimmer um den grünen Tisch. Brainstorming nann ten sie es. Gedankenaustausch. Zunächst einmal tauschten sie frische Luft gegen stark nikotinhaltigen Atem aus sowie Whisky und Kaffee gegen Hohlräume in Flaschen und Kannen. Es waren immer die gleichen Fragen, die gestellt 97
wurden, und die gleichen Antworten, die gegeben wurden. Es ging im Kreis herum. „Wie konnte Frankenheimer diese Vorhersagen treffen?" „Er hatte Kontakt mit Terroristen." „Warum verfolgen sie ihn dann?" „Weil er sie verriet." „Wie kam er zu den Kontakten?" „Während seiner Reise, bei der er König Salo mon ausgrub." „Was kann er gefunden haben, das in dreitau send Jahren historischer Forschung unentdeckt blieb?" „Lesen Sie die Artikel, diese ungedruckten, die er Science Voice und Future World anbot." „Noch fehlt ja die Hauptsache, nämlich das letzte Kapitel mit der Auflösung und der Erklä rung. Wie beim Kriminalroman," „Ich mag keine Kriminalromane", sagte einer. „Unwichtig, ob wir etwas mögen oder nicht." „Nun, Frankenheimers Glaubwürdigkeit wurde durch seine Vorhersagen stark untermauert." „Aber wie, zum Teufel, konnte er wissen, daß Stone Morris, unser Oberdichter, an Krebs sterben würde?" „Er nennt sich Zukunftsforscher", höhnte einer der nüchternen Wissenschaftler. „Die stehen doch mit dem Jenseits, mit der Zukunft, mit Teufeln und mit Göttern in Verbindung." „Nun. Hellseherei, Telepathie, all diese Dinge sind weitgehend unerforscht", äußerte ein Profes sor von der Columbia University, die allerdings als zweitklassig galt. „Nun hat er es mit der Angst gekriegt und tauchte ab." 98
„Warum aus Angst? Vor Verfolgern oder vor dem, was er über Salomon ausgrub?" Der Kreis schloß sich. „Was also kann er gefunden haben?" Einer deutete auf die Fotokopie des Artikels, von dem die letzten zehn Seiten fehlten. „Noch haben wir keine Antwort darauf, wo Salomon ein Jahr seines Lebens verbrachte." „In der Wüste, na und?" „In welcher Wüste?" „Da kommen nur drei oder vier in Frage. Die Syrische, die Jordanische, die Negev oder der Sinai." „Wir brauchen keine Nachhilfe in Geographie", bemerkte ein weißhaariger Gelehrter mit Pfeife und gelben Fingern. „Salomon zog mit Tausenden von Arbeitern und Soldaten aus und kam allein zurück." „Arm und krank." „Das Haar fiel ihm aus, die Nägel, die Zähne." „Typisch für einige damals in Mode kommenden Krankheiten", meinte der Mediziner. „Den Vorstu fen von Pest und Syphilis." „Maul- und Klauenseuche", spottete jemand. „An Strahlen hat wohl keiner gedacht." „Was für Strahlen?" „Erdstrahlen oder starke kosmische Strahlen." „Salomon müßte sich tief in den Berg hineinge graben haben. Aber um was zu finden — Fragezei chen," „Gold." „Gold kann in der Nähe von Uran liegen", meinte der Geologe. Der Atomphysiker, ein Mitarbeiter der NASA, hob den Zeigefinger. 99
„Ich bitte diese merkwürdige Erscheinung nicht zu vergessen." „Sie meinen die zweite Sonne." „Angeblich standen Sonnen in Ost und West." „Spiegeleffekte." „Unmöglich. Außerdem wurde überliefert, daß eisenhaltige Gegenstände an den Wänden hafteten oder einfach in die Luft gesaugt wurden." „Das alles ist durch nichts bewiesen", wandte einer der jüngeren Professoren ein. „Wir haben die gesamten kosmischen Ereignisse bis ins Jahr tau send vor Christus zurückgerechnet. Zu Salomons Zeiten gab es wirklich nichts Besonderes. Keinen Kometen, keinen Asteroiden, der der Erde zu nahe kam, keine Mond-Erde-Sonne-Konstellation, kei nen Einschlag von irgendeinem im Raum vagabun dierenden Riesenmeteor. Ebensowenig bedeutende Erdbeben oder Überschwemmungen. Nur die übli chen Sonnenfinsternisse. Erst später, um das Jahr Null, tauchte der Halleysche Komet, der Stern mit dem Schweif, auf." „Es gab keine Sonnenflecken besonderer Art, geschweige denn Magnetstürme, Veränderungen der Schwerkraft und was sonst noch alles speku liert wird", fügte der Geologe hinzu. „Aber was tat Salomon in der Wüste?" „Beten." „Vielleicht traf er heimlich die Königin von Saba." „Warum heimlich? Salomon hatte dreihundert Konkubinen, da kam es auf eine mehr oder weni ger nicht an." „Folgendes noch, Gentlemen", erwähnte einer der Historiker, der bisher geschwiegen hatte. „Salomon mußte für einige Zeit den Tempelbau unterbrechen, weil ihm das Geld dazu fehlte. Er 100
nahm sogar Kredite auf, In der Zeit nach seiner Rückkehr schienen seine finanziellen Probleme gelöst zu sein." „Zumindest entspannt." „Und er ließ alle Mitwisser töten." „Man fand nie etwas darüber in den Schrift rollen. " „Nun, seine Bibliothek verbrannte." „Wurde sie etwa angezündet?" Die Theorie, daß König Salomon in der Wüste etwas gefunden hatte, das die damalige Welt zu verändern drohte und das er deshalb verschwinden ließ, lag nahe. „Gold verändert immer die Welt." „Gold und Diamanten." Die Experten diskutierten lange, kamen aber zu keinem schlüssigen Ergebnis. „Man muß Frankenheimer finden", lautete der Schlußkommentar. Alle blickten jenen Mann an, der die Suche nach dem Zukunftsforscher inzwischen weltweit und mit allen der CIA zur Verfügung stehenden Mitteln betrieb. Er saß so klein da, als sei er in seinen Kamm garnanzug hineingeschrumpft. „Frankenheimer buchte in Boston seinen Flug von Hawaii nach Paris um, dann aber im letzten Moment von Paris nach London. Und dort ist er verschwunden. Er hat sich in nichts aufgelöst wie der Teufel beim Anblick des Erzengels Gabriel." „Vom Teufel", sagte der Vizedirektor, „soll wenigstens ein bißchen Schwefelgestank übrigge blieben sein."
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11.
Modesty Clark rief nicht um Mitternacht an, sondern am hellen Tag, als Urban im Casino saß und lustlos in Rindsrouladen mit Petersilienkartof feln herumstocherte. Er betrat die Zelle und hob ab. „Wie geht's?" „Es ist ungeheuer wichtig, Darling, mir fiel noch etwas ein." „Ich rufe zurück", sagte er. „Welche Nummer?" „Meine private. Ich bin zu Hause." Plötzlich hatte Urban Hunger. Er wußte nicht warum. Er nahm sogar das Dessert, Himbeergrütze mit Vanillesoße. Den Kaffee trank er im Büro. Er wählte nach Paris und kam sofort durch. „Bist du krank?" fragte er. „Krank nach dir, Darling." Es klang zuwenig echt, um wahr zu sein. „Stimmt es, daß ihr Frankenheimer sucht wie Science Voice das letzte Kapitel?" „Das ist kein, Geheimnis. Sein Foto lief über viele TV-Stationen." „Mir fiel noch etwas ein." Sie räusperte sich. „Wir sprachen über eine Agentur, die vom Miet baron für Partys über Schornsteinfeger mit Ferkel unterm Arm zum Geburtstag bis zu Leibwächtern im Dschungel alles vermittelt." „Ja, das hast du erzählt. Richtig." „Als Lucas Kontakt aufnahm, rief er mich an." „Das ist der übliche Weg." „Aus Holland." „Wie kommst du auf Holland?" „Hör zu, Urbanoffsky, ich habe schon ein-, zweimal im Leben telefoniert. Der Anruf kam aus 102
einem finsteren Nest in Holland. Sie hatten noch Handvermittlung, und das Meisje, die Deern, quas selte, wie nennt man das, Platt, glaube ich." „Leider gibt es in Holland noch eine Masse kleiner Orte." „Könnte eine Insel gewesen sein. Das Fernamt Dordrecht war dazwischen." Möglicherweise, dachte Urban, hat Frankenhei mer in Holland einen Zufluchtsort. Warum sonst sollte er aus Holland angerufen haben? Wenn sie Glück hatten, war er dort in Deckung gegangen. „Ich versuche es. Merci, Chérie." „Kostet dich einen Tausender." „Bei Erfolg", schränkte er ein. Er legte auf und sprach in Deutschland und in den Benelux-Staaten mit allen Dienststellen, die ihm helfen konnten, mit Interpol Holland, dem Geheimdienst in Den Haag und der jüdischen Dachorganisation. Sie führten Akten über ver folgte Familien, auch über solche, die den Gaskam mern entrinnen konnten. Es waren nur Atome, aber sie fügten sich zu einem Molekül zusammen. Die Frankenheimers, eine Würzburger Kauf mannsfamilie, hatten bei der Flucht den Namen Frankhuis hollandisiert. Irgendwo zwischen Waal und Maas hatten sie ein Landgut erworben. Damit kamen die Kollegen in Den Haag schon weiter. Am nächsten Morgen lag Urban eine unge fähre Lokalisation vor. Er forderte das Dienstflugzeug an und bekam es ohne Schwierigkeiten, obwohl der Einsatzplan für die Wochen bis zum Herbst voll war. Einige Reservierungen wurden gestrichen, andere ver schoben. Urban griff also die Reisetasche, setzte sich in sein 103
BMW-Coupe und raste zum Flugplatz. Auf dem Weg dahin gab er dem 633 CSi so brutale Gasstöße, daß mindestens drei Bäume daran starben. Was soll's, dachte er. - Er war unterwegs zwecks Erledigung einer hoheitsrechtlichen Aufgabe.
Die Insel hieß Overflakee. Man erreichte sie von Rotterdam aus, indem man nach Westen über Schiedamm, über Lek und Maas nach New Helvoet fuhr. Dort benutzte man die Autofähre. Sie brachte einen in zwanzig Minuten über den Haringvliet, den breiten Arm der Maasmündung, auf die Insel. Flaches Weideland mit ein paar Dörfern und Windmühlen. Dirksland hieß der Ort, den Urban mit dem Mietwagen ansteuerte. Er fragte sich zu Frankenheimers Pächter durch. Von ihm erfuhr er, daß das Haus, ein Vorwerk, dicht hinter dem Deich lag. Es roch nach Salzwasser, nach Tang, Torf, Kühen und Käse. Erst fürchtete Urban, er sei auf dem falschen Weg, dann aber tauchte hinter Hek ken das Haus auf. Rote Klinker, Reetdach, ohne Zaun, mit einem Brunnen an der Seite. Urban ließ den Miet-Volvo am Weg hinter dem Deich stehen und ging die paar Schritte zum Haus hinüber. Nichts rührte sich, nicht einmal das Windrad beim Brunnen. Er rief „Hallo!" und „Mister Frankenheimer!" Er ging um das Haus herum. Hinten lehnte ein Fahrrad mit Solexmotor. Der Schmutz war trok ken, im Tank schwappte ein Liter Benzin. Die Küchentür war zu. Ebenso die Haustür. 104
Niemand da. Es gab Fußabdrücke. - Als sie erzeugt worden waren, mußte das kurz nach einem Regen gewesen sein oder morgens, wenn Tau die Erde aufgeweicht hatte. Jetzt waren die Spuren hart. Es gab Abdrücke verschiedener Größen und Formen. Einige vom Kaliber fünfzig, andere um eine Absatzbreite kleiner. Die Fünfziger hatten Profilsohle. Wahrscheinlich gehörten sie Franken heimer, der als groß und schwer galt. Männer von zwei Zentnern Gewicht und 190 Zentimeter Länge spazierten nicht mit Boulevardtretern im Dreck herum. Im schrägen Licht erkannte Urban, daß die 41er Spur vom Fenster herkam. Die 50er lief hinten herum zum Brunnen und vom Brunnen nach vorn zu dem Plattenweg, der ins Haus führte. Urban folgte Frankenheimers Spur. Wahrschein lich hatte er Wasser aus dem Brunnen geholt. Es gab einen Eimer und ein aufgerolltes Seil. Urban beugte sich über den Brunnenrand. Aus mehreren Metern Tiefe schimmerte schwarzes Moorwasser mit Steinen darin. Aber dann war es ihm, als sehe er etwas Helles, wie eine menschliche Hand, die sich aus dem Moorwasser hilfesuchend nach oben streckte. Die Finger waren mager, fast skelettartig, und krallenförmig gebogen. Es gab keine sichtbare Schleifspur zum Brunnen. Also war die Leiche zum Brunnen getragen wor den. — Die 50er Spur lief vom Brunnen zurück ins Haus. — Demnach war der Tote nicht Lucas Frankenheimer. Der mit den Slippern aber auch nicht. Der war offensichtlich abgehauen. - Aber warum hatte er das Haus durch das Fenster verlassen? Vor dem niederen Fenster - es hatte sechs kleine 105
Scheiben, und der Sims reichte Urban kaum bis zum Nabel - ging er in die Hocke. Die gewölbten Scheiben spiegelten. Er schattete den Lichteinfall mit der flachen Hand ab. Drinnen in der Stube sah es nicht sonderlich aufgeräumt aus, eher so, als habe man in Eile etwas gesucht, die Schubladen und das Bücherre gal ausgeräumt, Zeitungen, Papiere, Gläser, Fla schen, alles lag herum. Urban entdeckte den Spalt im Fenster. Es war innen nicht verriegelt. Der Besucher hatte es nur zugezogen. — Warum hatte er nicht die Haustür benutzt? Millimeterweise drückte Urban den Fensterflü gel auf. Mit dem Nagelreiniger tastete er den Spalt ab. Vorne oben, wo der Flügel endete, spürte er Widerstand. — Der Riegel konnte es nicht sein, der saß tiefer. - Etwas aus Metall. Urban verdrehte den Kopf. Nichts war zu sehen. Er vergrößerte den Öffnungswinkel um einige Grad und nahm seinen Taschenspiegel zu Hilfe. Oben lag etwas Graues, mattglänzend, als hätte man ein Ofenrohr mit Graphit eingerieben. Sein Zeigefinger ertastete den Umriß. Rund, leicht oval, apfelgroß, aus Eisen mit Rillen. Das Ding balancierte am oberen Fensterrahmen. - Ein Kunststück, es dort hinzukriegen, aber der Mann war wohl Experte, speziell im Anbringen von Sprengkörpern. Das Ding war eine Eierhandgranate. Und Urban hatte den Faden gespürt, mit dem der Federbügel umwickelt war. Es gab Eierhandgranaten mit Sicherungsstift und Federbügel. Erst zog man den Messingstift, woraufhin eine Feder den Abzugsbügel wegspreizte. Dann hatte man noch drei oder vier Sekunden, um 106
sich von dem Ding, oder das Ding von sich, zu entfernen. Wickelte man einen Faden herum, blieb der Bügel in seiner Grundstellung. Fiel die Hand granate aber aus der Balance zu Boden, entrollte sich der Faden, der Bügel schnappte auf - und wummm! Urban drückte das Fenster weiter auf und griff herzhaft zu. Er hatte das tödliche Ei in der Hand. Aber der Faden war gerissen. Der Federbügel stand offen. Ohne lange zu überlegen, warf Urban das Ding wie einen Tennisball weg. Die Handgranate flog weit und hoch hinaus. Noch ehe sie zur Erde zurückkam, explodierte sie. Drinnen im Haus hätte sie zweifellos die Größe des Fensters vervielfacht und die Aussicht nicht unerheblich verbessert. Vorsichtig stieg Urban ein. *
Das Haus war mit explosiven Schweinereien nur so gespickt. Er sah den gespannten Faden und holte eine Handgranate aus dem Kamin. Stolperte einer über den Faden, brachte die Explosion den Kamin zum Bersten, und wie es aussah, hielt der Kamin die ganze Hütte. An der Tür zum Flur fand Urban weitere Hand granaten und eine unten an der Haustür. Sie war von dem Typ, der auf Druck reagierte. Schließlich entdeckte er Frankenheimer. Er lag im Bad, Gesicht nach unten, zwischen der alten Zinkwanne und dem Holzofenboiler. Urban tastete nach seiner Halsschlagader. Da pulste nichts mehr. Frankenheimer fühlte sich kalt und sehr steif an. Um seinen Kopf herum hatte sich 107
ein roter Heiligenschein gebildet. - Eine Blut pfütze. Im Begriff nach der Todesursache zu sehen — es konnte sich nur um einen Kopfschuß handeln —, fiel Urbans Blick auf Frankenheimers rechte Hand. Sogleich lieferte sein Gedächtnis eine Kopie zu dem, was er sah: Es war die Hand König Salomons mit dem Siegelring am Zeigefinger. Der gleiche goldene Ring, der Reif mit reptilartigen Schuppen, das Siegel, eine Platte mit der gleichen Gravur wie hier, einem auf der Spitze ruhenden Dreieck. Das Zentrum des Dreiecks bildete etwas Rundes, ein Auge mit Wimpern, die Sonne oder ein Edelstein mit Strahlen. In einem Punkt unterschied sich der Ring Salo mons von dem des Zukunftsforschers: Der Kreis, die Sonne oder auch das Auge, war hier schwarz. Urban tastete darüber. Ja, schwarz und erhaben. - Ein Stein also. Es war unmöglich, Frankenheimer den Ring abzuziehen. Man hätte den Ring aufsägen oder dem Toten den Finger abschneiden müssen. Urban nahm sein Universalwerkzeug, den Nagelreiniger. Vorne war er scharf wie ein Skal pell. Die Schneide hebelte er unter den schwarzen Stein. Er war kaum doppelt so groß wie ein Nadelkopf, nicht mit goldenen Klammern befe stigt, aber er saß sehr fest. Es dauerte eine Weile und kostete Mühe, den Stein loszubrechen, ohne ihn unnötig zu beschä digen. Warum er das machte, konnte Urban nicht definieren. Aber das Instinkt genannte Tier im Bauch hatte sich zu regen begonnen. Endlich lag der schwarze Punkt im Taschentuch.
Er trat damit ans Licht. Ohne Lupe sah man
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wenig. Unten war der Punkt flach, oben gewölbt wie Kunstharz, das man auf eine glatte Fläche getropft hatte. Zweifellos Kunstharz. An den Rän dern schimmerte es farblos klar. Die Schwärzung innen rührte von einer dunklen Folie her, etwa vier Quadratmillimeter klein und dünn wie ein Haar. Kein Zweifel, es handelte sich um Mikrofilme. Urban verwahrte den Stein aus Lucas Franken heimers König-Salomon-Ring, als wäre er eine Million Dollar wert. Dann verließ er das reetge deckte Klinkerhaus zwischen Marsch und Geest. Er fuhr mit dem Leihwagen zur Nordseite der Insel, wartete im milden Abendlicht auf die Fähre, rauchte eine MC und nahm einen Schluck Bourbon. Drüben auf dem Festland in Vlaardingen rief er den Kollegen vom niederländischen Geheimdienst an. „Zwei Tote", meldete Urban. „Einer im Brun nen, einer im Haus. Der im Brunnen ist wohl nicht der Killer. Der Killer entkam. Aber der Tote im Haus ist Lucas Frankenheimer. Das Haus wurde erst durchsucht, dann mit Sprengmaterial gespickt wie ein Rehrücken mit Speckstreifen. Ich habe die Bomben entschärft. Das Haus kann ohne Gefahr betreten werden." „Frankenheimers Todesursache?" „Vermutlich Kopfschuß. Ich habe ihn nicht be rührt." „Und wie lautet deine Rekonstruktion?" wollte der Holländer wissen. Urban konnte nur vermuten, und das tat er nicht gerne. „Er wurde verfolgt. Den ersten Killer legte er um und warf ihn in den Brunnen. Nun, hoffte er, 109
würden sie aufgeben. Dann kam überraschend der zweite Killer und erwischte ihn kalt." „Araber?" „Da fragst du mich zuviel", bedauerte Urban. „Holt die Leiche aus dem Brunnen, und ihr werdet es wissen." Urban bedankte sich, und der Holländer bedankte sich ebenfalls. „Haltet uns auf dem laufenden", bat Urban. „Ihr uns auch." Urban fuhr zum Flugplatz, gab den Leihwagen zurück und startete nach München. Es wurde wieder ein Flug in die Nacht. Aber wenn er an den Mikropunkt dachte, dann zeigte sich am Horizont ein Silberstreifen. 12. Der ägyptische Bauunternehmer Fasal Ben Suef, einer der größten zwischen Gazah und Port-Said, erwachte nicht von der Hitze. - Seine Villa verfügte über eine Klimaanlage. - Es war ein Geräusch. Er tastete zum Lichtschalter. Als die Lampe anging, spürte er den Lauf einer Armeepistole unter dem Kinn. Zwischen den gelben Zähnen des bärtigen Man nes vor ihm hing noch der Flomen einer Hammel mahlzeit. Aber sein Atem war nicht widerlich. Eigentlich war sein Atem so neutral wie sein Gesicht alltäglich. Der Fremde legte den Zeigefinger der linken Hand vor Suefs Mund. „Ganz ruhig, Suef. Dann vergewaltigen wir weder deine Frauen noch deine Hunde." 110
„Diese verdammten Viecher. Sonst verbellen sie jedes Karnickel." „Sie leckten uns die Hände.'' Der Ägypter glaubte ihnen nicht. Der Bärtige in der gefleckten Panzerkombina tion eines PLO-Kommandanten lächelte zynisch, „Wir haben die Hände in Hühnerblut getaucht." Er zeigte seine Handfläche und schmierte Ben Suef das Blut ins Gesicht. Der Ägypter - reich und fett geworden, nicht weil er der Fleißigste war, sondern der Schlaueste, der seine Tochter mit einem einflußreichen Mann im Ministerium verheiratet hatte - bekam es mit der Angst zu tun. „Was wollt ihr? Geld? Ich habe immer bezahlt. Ich zahle Steuern und leiste andere Abgaben. Ich weiß nicht mal wofür." „Für die PTC." „Was ist das?" „Eine Unterabteilung der POF." „Nie gehört." „Die POF ist die POD in der PLI und in der Al Fatah organisiert. Schon mal was von dieser Bru derschaft gehört?" „Denke schon." „Dann vergiß es. - Schon mal was von Khomeini gehört, von Hassan und von Gaddafi?" „Wer hat das nicht?" „Vergiß sie alle", sagte der Mann, der zweifellos den Palästinensern angehörte. Er verstärkte nicht den Druck seiner Waffe, sondern drehte sie ein wenig, was schmerzhaft war, denn vorne am Lauf saß ein scharfgeschliffe nes Korn. „Was kann ich für euch tun?" stotterte der Ägypter mit Tränen in den Augen. 111
Der Kommandant steckte die Waffe weg, aber nur so weit, daß sie jederzeit erreichbar blieb. Er setzte sich auf das Luxusbett des Bauunternehmers und verschränkte die Arme. „Du bist ziemlich fertig", sagte er, „siehst krank aus, Fasal Ben Suef." „Sorgen", jammerte der Bauunternehmer. „Schwere." „Wir kennen deine Sorgen, Bruder." „Wohl kaum." „Wie viele Leute beschäftigst du, Suef?" „Mehr als fünfhundert." „Du hast ein Großunternehmen. Wie viele Bagger?" „Ein Dutzend." „Kräne, Muldenkipper, Zementmischer, Planier raupen, Kompressoren, Barco-Bohrer." Der Ägypter nannte keine Zahlen. Es waren genug Maschinen. Manchmal zu viele. Sie standen herum, wenn es keine Anschlußaufträge gab. Der Ägypter wußte offenbar gar nicht, was er alles besaß. „Es gibt da eine neue Ausschreibung", fuhr der Mann in der Uniform eines Palästinenser-Kom mandanten fort, „das Wadi-El-Arah-Projekt." „Erinnert mich nicht daran", bat der Ägypter verzweifelt. „Die Wadis im Sinai sollen zu Sammelkanälen für Wasser ausgebaut werden, am Ende einen Stausee bilden, um eines Tages die Wüste zu bewässern." „Ein gigantisches Projekt", sagte der Ägypter und winkte müde ab. „Aber das ziehen die Gano ven in Kairo an Land. Sie haben zwar keine Ahnung, wie man so was baut, aber sie werden den Auftrag kriegen." 112
„Was verdient man bei so was?" erkundigte sich der Mann mit dem Bart. „Wenn man die Kosten niedrig hält, wenn alles hinhaut und man sich nicht verkalkuliert, bleiben am Ende vielleicht fünf Prozent hängen." „Das sind fünfzig Millionen." „Ungefähr, aber diesmal fließt es in die Taschen anderer Leute." Nun rückte der Fremde damit heraus, was er Fasal Ben Suef bei diesem nächtlichen Besuch unterbreiten wollte. „Angenommen, wir schanzen dir den Auftrag zu." „Das El-Arah-Projekt?" „Genau das meine ich." „Unmöglich." Der Fremde steckte sich eine Zigarette an, als beginne nun der gemütliche Teil des Abends. „Nichts ist unmöglich. Wir wissen viel und erreichen alles. Jeder Mann hat eine Familie, eine Geliebte und zwei Eier. Und die möchte er behal ten. Dafür tut er wer weiß was. - Du bekommst den Auftrag, Suef." „Für welche Gegenleistung?" fragte der Ägypter mißtrauisch gegen Wohltaten. „Für deinen vorbehaltlosen Einsatz." „Für meine Firma, mein ganzes Unternehmen?" „Nur für deine Bagger, Raupen, Lastwagen, Kräne, Bohrer, Ingenieure und Sprengmeister." „Dann kann ich gleich Konkurs anmelden." „Für ungefähr eine Woche, höchstens zwei", ließ der Fremde nun die Katze aus dem Sack. Der Ägypter verkrampfte sich. „Du willst mich fertigmachen. Dann töte mich, bevor ich es tue." 113
Der Besucher hob drei Finger einer Hand, als wolle er schwören. „Bei Allah", sagte er, „beim Herzen meiner Mutter. Deine Maschinen für einen Einsatz im Sinai, und du kriegst das El-Arah-Projekt." Der Bauunternehmer hätte den Beteuerungen zu gerne geglaubt, aber sie beschworen doch alles. Sie schworen bei Allah, an den sie nicht glaubten, und sie schworen beim Herzen ihrer Mutter. Dabei hatten sie gar keine Mutter, diese Hurensöhne.
Der Bauunternehmer Fasal Ben Suef erhielt aus Kairo den Auftrag, mit den Vorarbeiten für das Stauseeprojekt El Arah zu beginnen. Damit war der Einsatz seines Maschinenparks in der SinaiWüste offiziell abgesegnet. Wußte der Teufel, wie die Palästinenser das gefingert hatten, aber die Bestätigung und die nötigen militärischen Permits trafen fernschriftlich ein. An dem Morgen, als der Kommandant Ben Suefs Maschinenpark besuchte und dies und jenes anord nete, fragte der Bauunternehmer: „Wohin geht es eigentlich?" „Wir nehmen die MAN- und die MercedesDreiachser mit", entschied der Palästinenserfüh rer, „außerdem die Bagger, soweit sie auf Tieflader passen." „Tieflader versinken im Sand", warnte Suef „Dann fahren die Bagger auf ihren eigenen Raupen weiter." „Sie sind zu langsam." „Wir haben Zeit." 114
„Wir müssen genug Diesel mitnehmen. Schätze, den großen Tankwagen voll." „Auch Zelte, Proviant und der Nachschub an Wasser muß organisiert werden.'' „Zu welcher Oase?" Der Palästinenser schwieg über das Ziel. „Das erfährst du noch." „Wie viele Leute brauchen wir?" „Unsere Experten denken an hundertfünfzig Mann für drei Schichten. Jede Schicht fünfzig." „Das bedeutet Nachtarbeit", wandte Ben Suef ein. „Es gibt Scheinwerfer." „Sie erfordern Stromaggregate." „Dort in der Halle steht eines." Offensichtlich hatte der Kommandant überall seine Augen. „Wir brauchen täglich mehrere Tonnen an Nach schub." „Den rufen wir über Funk ab." „Es gibt immer Kranke und Verletzte." „Wir haben einen eigenen Arzt", erklärte der Kommandant. „Ihr?" „Er hat in Tübingen, in Deutschland, studiert. Keine Sorge." Ohne den Auftrag der Regierung wäre Ben Suef entweder geflüchtet, oder er hätte sich erschossen. Aber irgendwer in Kairo schien diese Leute zu unterstützen. Also tat er es auch. Sie würden eines Tages siegen. Dann war es gut, wenn man sie zu Freunden hatte. Aber was sie im Sinai wollten, davon hatte er nicht die geringste Ahnung. „Nimm die besten Ingenieure mit", forderte der Kommandant. „Für Hoch- oder Tiefbau?"
„Tiefbau." „Ziehen wir Gräben, bohren wir nach Grund wasser, buddeln wir etwas ein oder aus, Bruder?" „Das erfährst du noch", vertröstete der Kom mandant ihn immer wieder. „Es ist aber wichtig." „Dann triff alle Vorbereitungen, als würden wir Gräben ziehen, nach Wasser bohren, etwas einund ausbaggern, und vergiß das Ekrasit nicht. Die Gegend ist felsig." „Was für eine Gegend?" „Davon später", wich der Kommandant aus. Sollte er zugeben, daß er die genaue Position selbst noch nicht kannte? Der Ägypter gab keine Ruhe. „Und die Entfernung? Sind es hundert Meilen, zweihundert oder mehr?" „Tausend", sagte der Führer der Palästinenser gruppe lachend. Er zeigte seine Zähne. Sie waren wie die eines jungen Löwen, regelmäßig, gelb und sehr kräftig. Als er alles begutachtet hatte, fragte er den Bauunternehmer: „Wann können wir loslegen, Suef?" „Ende der Woche." „Nein, morgen." „Unmöglich." „Du trittst deinen Leuten gefälligst in den Arsch, sonst machen wir das mit deinem. Klar?" Der Ägypter hatte noch einen Einwand. „Wissen wir morgen, wohin es geht?" „Wir fahren los", entschied der Palästinenser. „Richtung Ost. Weg ist Zeit. Binnen achtundvier zig Stunden haben wir das Geheimnis ohnehin gelöst." „Ein Geheimnis?" 116
„Noch nie von König Salomon gehört?" tat der Palästinenser erstaunt. „Gehört schon. Aber ich ging nur drei Jahre zur Schule." „Du wirst", versprach der Kommandant, „noch eine Menge mit ihm zu tun kriegen, Ben Suef." Er tippte einen militärischen Gruß an die grüne Castro-Mütze, schwang sich in den Jeep und fuhr weg. Als die Staubwolke sich gelegt hatte, war er nicht mehr zu sehen. Dieser Mann kam und ging. Keiner wußte, woher und wohin. Suef hätte etwas dafür gegeben, wenn er die nächsten Wochen seines Lebens hinter sich gehabt hätte. Wenn das vorbei war, wollte er fromm werden, in der Moschee beten, mindestens zweimal am Tag, wenn der Muezzin rief, im Koran lesen oder sich vorlesen lassen. Polternd betrat er die Baracke, wo seine Inge nieure und Maschinenmeister warteten. Er stand da wie ein britischer Exerzierfeldwebel. „Morgen geht's los, Herrschaften!" schrie er. „Wenn auch nur einer nicht spurt, dann reiße ich ihm die Hammelbeine aus, und er wird sie auffres sen. Roh, ungekocht und samt den Knochen." 13. Im BND-Labor in Pullach vor München begann das letzte Kapitel der Serie KÖNIG SALOMONS RING von Lucas Frankenheimer. Der Laborchef erläuterte Urban, wie sie bei dem angelieferten Material vorgegangen seien. „Wir haben diesen Mückenschiß behandelt", sagte er, „als wäre er der Kohinoor-Diamant." 117
„Dann seid ihr verdammt grob damit umgegan gen", fürchtete Urban. Der Laborchef, erfahren in Mikrofotografie und allem, was damit zusammenhing, aber nicht in Materialkunde, gestand, daß sie zunächst ratlos gewesen seien. „Unter extremer Vergrößerung konnten wir zwar feststellen, daß es sich um die Eins-zu-hundertVerkleinerung von Schreibmaschinenseiten im USFormat handelt, aber das Plastikmaterial verzerrte alles. Wir mußten den Film also irgendwie frei legen. „Und ihr habt ihn herausgeholt." Urban wurde ungeduldig. „Nun überlegten wir: Macht man es chemisch, sucht man eine Substanz, welche den Kunststoff aufweicht oder gar auflöst? Wir dachten an die üblichen Kunststoffentferner, stellten auch Versu che an, hielten das Risiko aber für zu groß. Die Gefahr, daß das Lösungsmittel auch den Film zerstört, bestand immerhin." „Okay, dann habt ihr den Tropfen zerschnitten." „Moment noch. So einfach ging das nicht. Wir besorgten uns verschiedene Skalpelle, wie man sie in der Gehirnchirurgie verwendet. Wir erhitzten den Tropfen, machten also das den Film umge bende Material elastisch und versuchten es scheib chenweise. Es wurde eine Katastrophe. Als wür dest du mit dem Hammer auf Knochenleim ein schlagen." „Warum", unterbrach Urban ihn gereizt, „habt ihr Urban nicht gefragt, Erwärmen war falsch. Ihr mußtet den Tropfen tiefkühlen und Schicht um Schicht abhobeln. Dafür gibt es Maschinen . . . " „Die wir nicht haben." „Aber zum nächsten Krankenhaus mit einem 118
histologischen Labor ist es nicht weit. Apparate, die von tiefgefrorenem Gewebe hauchdünne Schei ben für die Krebsuntersuchung abnehmen, die können das perfekt." Jetzt grinste der Laborchef. „Wir lösten das Problem noch viel eleganter." Urban, der genug hatte und sich weder aufhalten noch in Spannung versetzen lassen wollte, nahm ihm den letzten Pfeil aus dem Köcher. „Mit Laser. Na und?" Der Laborchef war beleidigt wie einer, dem man die Pointe kaputtgemacht hatte. „Wir schnitten mit dem Laserstrahlmesser eine Scheibe aus dem Kunstharztropfen. Eine Scheibe so dünn, daß nur noch eine fünfzigstel Millimeter schicht den Film umgab. Dann hatten wir es." Er ging an den Safe und nahm einen Schnellhef ter mit Geheimstreifen heraus. „Die Zeilen sind nicht gestochen scharf." „Hauptsache leserlich." „Das bestimmt." Urban ließ den Hefter geschlossen. „Wer kennt den Inhalt?" Der Laborchef hob die Faust, ohne einen Finger wegzustrecken. „Keiner von meinen Leuten. Ich kann es be schwören. " „Und du?" „Ich prüfte nur die Lesbarkeit. Ansonsten beherrsche ich Englisch nur unzureichend." „Und der Mikrofilm?"
Urban bekam einen Container aus Metall ausge händigt, klein wie eine Tablettenschachtel. Er ließ ihn aufschnappen. Der Film war zwischen zwei briefmarkengroßen Glasscheiben eingeklemmt. „Danke", sagte Urban. „Schnelle Arbeit." 119
„Hoffentlich auch gute." Urban fuhr hinauf in sein Büro. Dabei verkniff er sich, schon im Lift mit dem Lesen zu beginnen. Oben setzte er sich hinter den Schreibtisch, stellte die Lampe tief und überflog erst einmal das letzte Kapitel des Berichtes über König Salomons Ring. Anschließend las er ihn noch einmal lang sam und buchstabengetreu. Was er erfuhr, nahm ihm noch immer den Atem. Da er für die Analyse einen kompetenten Wis senschaftler hinzuziehen wollte, nahm er den Schnellhefter und fuhr damit ins Basement, wo Professor Stralman seine Eierkopfabteilung ver sammelt hatte. Die Wissenschaftlich-Technische Sektion des BND umfaßte einige tausend Quadratmeter, war bombensicher und mit säurefesten Boden- und Wandkacheln gefliest. Hier bearbeitete eine Meute junger Experten Themen von A wie Abbruchbirne bis Z wie Ziegenkäse. Über allem thronte Stralman, einer Mischung aus Einstein und Gottvater gleich. Als Urban sein Büro betrat, hielt er stumm die Geheimakte hoch. Der weißhaarige Zwickerträger Stralman hatte schon auf ihn gewartet, zeigte seine Ungeduld aber nicht. „Was ist das?" fragte er. „Das Ende von Lucas Frankenheimers Buch über König Salomons Ring." Im Lateinlehrergesicht des Professors zuckte kein Muskel. „Ein Buch, was ist das?" fragte er. „Rund oder eckig?"
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Stralman polierte sorgsam den Zwicker. Dann lehnte er sich in seinem Stahlrohrsessel zurück, las, blätterte, las, schwitzte ein wenig und atmete immer schwerer. Als er durch war, hörte er auf zu lesen, starrte aber unentwegt auf die letzte Seite. Endlich klappte er den Hefter zu, legte ihn weg und faltete die Hände. „Das", murmelte er, „das darf überhaupt gar nicht wahr sein." „Was? Daß es passierte?" „Daß man es erst heute erfährt." „Sie meinen also, daß es geschah und keiner damit etwas anzufangen wußte, niemand es zu deuten vermochte. - Nur einer handelte." „Der alte Salomon", resümierte Stralman, „war eben doch ein Genie. Ich sag's ja immer. Wenn einer ein großer Mann ist, hat er auch was auf dem Kasten." Sie gingen die Substanz des letzten Kapitels noch einmal durch. „Nicht, daß ich diesen Frankensteiner" Stralman benutzte den Spitznamen — „für kom petenter als andere Zukunftsforscher - ich will keine Namen nennen - halte, aber hier traf er offenbar ins Schwarze." „Fassen wir zusammen", tat Urban den ersten Schritt. „Was bedeutet die Erscheinung der zwei Sonnen?" „Das ist nur durch einen meteorartigen Körper erklärbar", stimmte Stralman dem Autor des Berichtes zu. „Er tauchte in die Umlaufbahn ein, die Reibung ließ ihn erglühen." „Glühen ist nicht hell scheinen wie die Sonne." „Kommt auf das Material an, aus dem der Meteor bestand." „Kann es sich um spaltbares Material handeln?" 121
,,Warum nicht? Was wissen wir schon davon, was die Natur draußen im Weltraum in den Millionen von Galaxien zusammenbraut." „Oder war es etwas anderes?" „Ich würde vorschlagen, wir stellen das vorerst zurück. Es schienen also zwei Sonnen. Eine im Osten, eine im Westen. Demnach muß es früher Morgen oder später Abend gewesen sein." „Und dann der Magnetsturm", erwähnte Urban als nächsten Punkt. „Ein wahrer Magnetsog, ein Magnetstrudel, der Gegenstände aus Eisen an die Wände der Häuser heftete oder auf Nimmerwiedersehen in den Him mel riß." Hier erhob Urban den ersten Einwand. „Salomon lebte ungefähr neunhundert vor Chri stus. In der Bronzezeit also." „Die Eisenzeit wird zwar allgemein in das achte Jahrhundert vor Christus datiert", dozierte Stralman, „aber die Übergänge sind fließend. In Ägypten und Babylon ist Eisen um zweitausend vor Christus nachgewiesen. Man spricht im achten Jahrhundert von einem Übergang in die ältere Vorrömische Eisenzeit oder auch Hallstattzeit. Es ist also durchaus möglich, daß im Jahre neunhun dertdreißig schon Gebrauchsgegenstände aus Eisen existierten. Und wenn es sie gab, können sie durch Magnetismus angezogen worden sein." Sie hakten auch diesen Punkt ab. „Salomon erhielt Kunde, daß die neue Sonne in die Wüste gestürzt sei", fuhr Urban fort, „und eilte dorthin, begleitet von seinen Wissenschaftlern, Schriftgelehrten und Baumeistern." „Und Astrologen", ergänzte Stralman. „Die dürften aber in allerhöchste Ungnade gefallen 122
sein, weil sie das Himmelsereignis nicht vorherge sehen hatten." „Sie zogen also los. Wohin, das erfahren wir später. Sie konnten sich dem Ding offenbar nicht so weit nähern, um es zu berühren, denn es war noch ziemlich warm." „Ich würde sagen, knapp unter dem Schmelz punkt, doch es begann, weiter abzukühlen." „Außerdem dürfte es in der Wüste eine Art Bombenkegel gebildet haben. Dort lag es, mit Sand bedeckt." „Aber Salomon war wie alle Weisen auch neu gierig. Vielleicht dachte er an ein Zeichen Je hovas." „Dafür war er zu abgebrüht", befürchtete Urban. „Er war damals schon auf dem Trip zu den heidnischen Religionen, die ihm die Königin von Saba schmackhaft gemacht hatte." Stralman holte aus seinem Bauernschrank den fürchterlichen Rachenputzer, den er Obstbrannt wein nannte. Er goß ein. Das Zeug schockte die Nervenbahnen bis hinauf zu den Gehirnen. „Salomon ließ das Gebiet von der Armee absperren und grub so lange, bis das ungeheure Ding in der Tiefe freilag. Und was sah er? Entwe der einen schwarzen verschrumpelten Brocken, außen wie Schlacke, innen noch glühend, oder . . . " „Oder etwas anderes, das noch kein Auge je erblickt hatte, aus glänzend weißem Material, vielleicht verchromt oder aus Titan, mit Kuppeln aus Glas, innen mit blinkenden Lichtern. Wer wußte damals schon was von Computern." „Das wäre dann die Raumschifftheorie", meinte der Professor. „Und mit einemmal fürchtete Salo mon, es wäre wirklich ein Zeichen Jehovas, an 123
den er nicht mehr glaubte, der längst nicht mehr der Größte für ihn war. Also ließ er das Ding verbuddeln." „So tief es ging." „Er ließ Material wegräumen, damit das Ding in der Spitze des Kegels bis zum Geht-nicht-weiter versank. Dann ließ er den Kegel mit Schutt auf füllen, mit Tausenden von Tonnen Gestein und oben mit einer massiven Platte aus flachen Fels brocken abdecken." „Die auf dem Kopf stehende Pyramide", erwähnte Urban. „Und das Auge darin mit den Strahlen ist das geheimnisvolle Ding." „Für die damalige Zeit war diese heute erklär bare Erscheinung etwas Ungeheures, etwas Göttli ches oder Diabolisches. Etwas Unfaßbares, das die Menschen verwirrte." „Deshalb ließ Salomon alle, die das Ding gese hen hatten, köpfen." „Köpfen war zu zeitaufwendig", fürchtete Stralman. „Er ließ ihnen mit Knüppeln die Schä del zertrümmern." „Salomon kehrte nach Jerusalem zurück und war fortan ein anderer Mensch." „Kein Wunder", erklärte der Professor. „Salo mon erwischte mit Sicherheit eine lebensgefährli che Strahlendosis. Die Zähne und die Haare fielen ihm aus. Die Knochen wurden weich, der ganze Körper begann sich zu zersetzen. Was übrigblieb, soll wie Radium geleuchtet haben." „Ziemlich schmerzhaft", befürchtete Urban. „Salomon war also der erste Strahlentote von dem wir wissen. Und was schließen wir daraus?" Der Professor leerte sein Glas und goß noch einmal auf. Als einziger vertrug er seinen Schwarzbrannten ohne Nachwirkungen. 124
„Der Gegenstand in der Wüste strahlte, also fand in ihm eine Atomreaktion statt, eine Kern verschmelzung. Das Ding war demnach ein Uran meiler oder ein Plutoniumbrenner, zumindest wurde er von atomarer Energie angetrieben." „Also kein Meteorit." „Wir sollten auch ein Raumschiff aus fernen Galaxien in Betracht ziehen, von Sternen, auf denen Lebewesen schon weiter waren, als wir in tausend Jahren sein werden." „Gibt es das?" „Ja, das gibt es. Ist sogar wahrscheinlicher als unwahrscheinlich." Urban zündete sich eine MC an, der Professor seine Pfeife. Er wählte die kurze englische. „Letzter Punkt." „Der Ort." „Es gab eigentlich nur zwei", sagte Urban. „Nun wissen wir immerhin, daß es nicht das Tal in Jordanien ist, sondern die Senke im Sinai zwischen den zwei Bergen, die sie damals Kain und Abel nannten." „Frankenheimer hat den Platz durch Messungen ermittelt." „In der heutigen Sahara et Tih", ergänzte Urban. „Ich war dort. Der Punkt liegt im Dreieck eines Wadisystems, das von zwei sechshundert Meter hohen Bergen am Zusammenfluß gehindert wird." Stralman, ein stets mißtrauischer Wissenschaft ler, fragte: „Ob das nun Tatsache oder nur ungeheuer gut ausgedacht ist?" „Frankenheimer fand eine starke Isotopenstrah lung, Magnetfeldabweichungen sowie kunstvoll verlegte und verfugte Granitplatten." 125
„Wie groß ist das Ganze?" „Ich würde schätzen, daß die Basis der umge kehrten Pyramide die Abmessungen von einem Dutzend Fußballfeldern hat. Dreihundert mal dreihundert Meter. Das würde nach der damaligen Pyramidenformel einer Tiefe von hundertfünfzig Metern bis zur Spitze entsprechen." „Sie haben geklotzt, wenn man bedenkt, wie lange es dauerte die Gizeh-Pyramiden zu er richten." „Na ja, die sind sorgsam gefügt, außerdem Hoch- und keine Tiefbauten. Salomon ließ den Kegel einfach mit Gesteinschutt füllen und setzte obendrauf die Abschlußplatte. „Trotzdem, was für eine Leistung, was für eine gewaltige Tat." Stralman war so hingerissen, daß er noch ein mal Obstschnaps nachgoß. „Und jetzt?" fragte er. Urban wußte es auch nicht. „Meine Arbeit ist beendet." „Nicht ganz." „Natürlich werde ich die zuständigen Dienste und Stellen unterrichten." „Und ihnen einen guten Rat geben." Urban winkte ab. „Davor werde ich mich hüten. Ein Rat, wie auch immer, kann nur zu Komplikationen führen. Zu weiteren Nachforschungen, zu Ausgrabungen. Der eine vermutet Gold, der andere glaubt, seine Sicherheit sei beeinträchtigt. Die Israelis verfol gen eine andere Strategie als die Ägypter oder die Jordanier. Alle werden Anspruch erheben. Streite reien brechen aus, vielleicht sogar Krieg. No Sir, nicht meine Sache. Diese Verantwortung überlasse 126
ich anderen. Ich steige aus, vielmehr, ich bin hiermit ausgestiegen." „Wer", fragte Stralman, „war eigentlich Richard Sorge?" „Ein Superagent." „Dann bist du ein Megaagent." „Mega, was ist das?" fragte Urban. „Hat das mit Megarine zu tun?"
Urban fuhr nach Hause. Seine Euphorie war stärker als die Müdigkeit. Aber irgendwann würde die Erschöpfung siegen und der Gedanke, daß immer alles vergebens war. Er dachte an ein Glas voll Bourbon, um das Gewinnergefühl ein wenig zu verlängern. Kaum war er zu Hause und hatte eine Swing platte aufgelegt, Take the A-Train, ging der Tür summer. Er drückte den Knopf der Sichtsprechanlage, sah auf dem Bildschirm aber nur den Schatten einer Gestalt. Der Besucher trug einen hellen Trenchcoat und hatte einen aufgespannten Regen schirm. „Ja, bitte?" fragte er.
„Zum Teufel, mach schon auf!" plärrte jemand
ins Mikrofon. Gar kein Zweifel, daß das Modesty Clark war. Er wähnte sie in Paris oder sonstwo. Was machte sie in München? „Hallo, Gnädigste." „Es regnet. Mach auf. Es ist wichtig und drin gend. " Er betätigte den anderen Knopf und ließ sie herein. Er hörte unten ihre Schritte. Die hohen 127
Absätze ihrer Pumps hämmerten auf den Marmor ein. Nach einer Weile ging der Lift. Er stand an der Tür, als sie heraustrat. Sie wirkte verändert. Statt der kurzen Locken hatte sie jetzt dünne Zöpfe und sah nicht aus, als bringe sie frohe Botschaft. „Ich weiß", sagte sie noch vor der Tür, „woher Lucas Frankenheimer wußte, daß dieser Nobel preisdichter sterben würde. Wenn du ihn triffst, frag ihn. Er muß es dir bestätigen." „Wird schwierig sein", befürchtete Urban. Sie setzte ein maskenhaftes Komödiantenlä cheln auf. Sofort wußte er, daß sie aus einem anderen Grund gekommen war. Damit er nicht erriet, was sie wirklich wollte, bemerkte sie mit philosophischer Nachdenklich keit: „Wir haben alle nur Fehler gemacht. Aber wie wir sie gemacht haben, das soll uns erst mal einer nachmachen." „Komm rein", sagte Robert Urban. 14. Auf den Anruf des amerikanischen Außenmini sters hin eilte der israelische Botschafter sofort ins State Departement. Der Secretary of State empfing den Ex-General in seinem Arbeitszimmer, vor der Fahne mit den Sternen und Streifen stehend. - Stehend wurden in der Regel Protestnoten ausgetauscht. Oder es ging um noch Schlimmeres. Der Amerikaner sagte: „Mußte Sie aus dem Bett holen. Da kam eben eine ungeheure Sache vom BND aus München 128
durch. Ist noch ganz warm. Nur der Präsident, der Sicherheitsbeauftragte des Pentagon und ich wis sen davon. Der Präsident läßt mir freie Hand, Sie als ersten . . . Bitte nehmen Sie Platz." Der Botschafter im offiziellen Audienzanzug spürte den Umschwung in der Atmosphäre. Der Druck ließ nach. Offenbar ein Gespräch unter Freunden. Der Minister holte aus der Schublade eine Klar sichthülle, die offenbar ein Telex enthielt. Indem er die flache Hand darauf legte, sagte er: „Das da macht uns schon Sorgen, und noch schwerere Sorgen wird es Ihnen bereiten." „Um was handelt es sich, Exzellenz?" fragte der Botschafter höflich, obwohl sie sich privat mit Vornamen ansprachen. „Um den King-Salomon-Report."
„Diese Frankenheimer-Story?"
„Ein BND-Agent, sie nennen ihn Mister Dyna
mit, schaffte, was keinem dieser Presse-Bluthunde gelang, nämlich die letzten Kapitel des leidlich berühmten, in allen Medien breitgetretenen Berichtes aufzufinden. - Übrigens, Frankenhei mer ist tot." Der Israeli setzte die für solche Fälle ange brachte Miene auf. „Wir nehmen es mit Trauer zur Kenntnis." Der Minister behielt die Hand auf dem Telex als Zeichen, daß er nicht bereit war, dem Botschafter Einblick zu gewähren. Aber er übermittelte ihm die wesentlichen Fakten. „Es geht um das Ereignis im Jahre neunhun dertneunundzwanzig vor Christus, Vielleicht fiel ein Meteorit herunter, eine Art durch den Welt raum geisternder Kernreaktor. Kann aber auch ein Raumschiff gewesen sein." 129
Mit schmalen Augen, sonst aber ausdruckslos, sagte der Botschafter: „Es gingen einige Gerüchte um." „Das Ding soll im Sinai liegen." Der Botschafter nickte bedächtig. „Wußten Sie das?" „Nein", erwiderte der Ex-General. „Aber unser Geheimdienst beobachtet Bewegungen im nördli chen Zentral-Sinai, die uns mißfallen." Der Minister hob die Brauen. „Bewegungen welcher Art? Militärischer?" „Privatinitiativen. So zum Beispiel die Maschi nenkolonne eines ägyptischen Bauunternehmers. Aber sie wird wohl begleitet, geschützt und diri giert von Männern in gefleckten Kampfanzügen." „Der Armee?"
„Der Palästinenser." Der Minister sagte nicht Mein Gott!, sondern: „Shit!" „Sie sind also schon unterwegs." „Offensichtlich. - Aber wohin, bitte?" „Zum Lageplatz der umgekehrten Pyramide." „Von Salomons Ring", ergänzte der Israeli. Was weiß er, und was weiß er noch nicht? fragte sich der Amerikaner. „Aber woher kennen die Palästinenser den Lageort des . . . hm, Absturzes, der Landung, der Vergrabung?" Der Botschafter richtete den Oberkörper bol zengerade auf. „Exzellenz", sagte er. „Wir sind der Überzeu gung, daß diese niederträchtigen Kulturschänder keine Ahnung haben, wo das Ding liegt. Sie vermuten es nur und nehmen die Gerüchte als Tatsache hin. Sie fuhren los, um den nötigen 130
Vorsprung zu haben, und warten auf die präzise Ortsangabe." Der Minister lächelte so fein, wie es einem Cowboy möglich gewesen wäre. „Von uns kriegen sie sie nicht." „Von uns auch nicht. Denn wir haben sie nicht." „Und der BND wird ebenfalls schweigen." „Sind Sie da sicher, Exzellenz?" „Unbedingt. Auszuschließen ist aber nicht, daß die Palästinenser erfuhren, wo Frankenheimer seine Messungen veranstaltete. Demnach gibt es nur zwei wirklich aktuelle Orte. Einen in Jorda nien bei Kahn ez Zäbib. Und an dem liegt das Ding wohl nicht. - Hätte Frankenheimer sonst im Sinai weitergemacht?" Der israelische Botschafter sah deutlich die Konsequenzen vor sich. „Eine zweite Sonne, ein Magnetfeld. Kann es sich um einen kosmischen Reaktor handeln, um eine außerirdische Atombombe, um ein Raum schiff mit wer weiß welchen Zukunftstechnolo gien?" „Die Palästinenser denken wohl eher an einen sagenhaften Goldschatz." „Egal, woran sie denken. Sie werden es gegen uns verwenden", erregte sich der Botschafter. Mit geschlossenen Augen dachte der Israeli lange nach. „Danke", sagte er schließlich. „Deshalb bat ich Sie zu mitternächtlicher Stunde her." „Man wird etwas tun müssen, Exzellenz." Sie versuchten, die praktischen Möglichkeiten zu analysieren. „Wie wäre es mit einem Aufruf an die arabi 131
sehen Staaten? An Ägypten, Jordanien, die Saudis, auch an die Iraker und Iraner, die noch an ihren Kriegswunden lecken." „Das würde wenig nützen", befürchtete der Botschafter. „Sie alle wollen die arabische Atom bombe." „Dann gibt es nur eines", äußerte der Amerika ner leise. „Sie meinen . . .?" „Genau das." „Alarmierung unserer Armee?" „Und Luftwaffe", ergänzte der Außenminister, „wie wir unsere sechste Flotte und unsere Air force bereits alarmiert haben." Die Auswirkungen eines solchen Verhaltens waren unkalkulierbar, aber mit Sicherheit so ver heerend wie ein Feuer in einem Benzindepot. „Bereitsein ist alles", bemerkte der Amerikaner. „Wir werden bereit sein", versicherte der Bot schafter und schaute auf die Uhr. „Von jetzt ab in sechs Stunden." Es war weltweit bekannt, daß die Fähigkeit der israelischen Armee, sich zu mobilisieren, weniger lange dauerte als ein koscheres Gericht, wie gefüllte Fische, zuzubereiten. 15. Modesty Clark hatte ihr strohhelles Haar zu lusti gen Zöpfchen geflochten. Trotzdem sah sie nicht aus, als brächte sie nur Liebesgrüße. Sie trug ein irres Ensemble, bestehend aus einem engen schwarzen Seidenrock und einem glitzernden kasackähnlichen Oberteil, graphitgrau und tief dekolletiert. Das Ganze in feinen Falten 132
nach rechts hin gerafft und in Gürtelhöhe von einer silbernen Brosche gehalten. Dazu schwarze Strümpfe, Krokopumps und eine Krokotasche, an einer silbernen Kette über der Schulter hängend. Sie hatte ihr Honorar gut investiert. Sie strahlte einen Sex aus, frisch, knusprig und leicht pervers wie ein Croissant mit Kaviarfüllung. Sie kam herein und schaute sich um, als wollte sie Urbans Penthouse kaufen. „Eine scharfe Machobude. Echt." Im bodentiefen Barockspiegel richtete sie das Chaos der Zöpfe. „Warum ist es schwierig, Frankenheimer zu fragen?" „Was soll ich ihn fragen?" „Woher er vom nahenden Tod dieses Nobel preisdichters wußte." „Stone Morris?" „So hieß er wohl." Sie hob das linke Bein und schaute, ob die Strumpfnaht mittig saß. Zufrieden schlenderte sie die Stufen hinab in die Wohnhalle, ging durch bis zur Terrassentür, steckte aber nur den Kopf hinaus. „Das ist München." Sie meinte wohl die Lichter. „Und der Mond", ergänzte Urban. „Dachpool. Kann man da drin auch schwimmen?" „Nur komme ich selten dazu." Er stand hinter ihr mit Gläsern in der Hand. Drei Daumen breit gefüllt mit brauner Flüssig keit, etwas heller als Kaffee. Der Bourbon duftete. Sie nahm einen Schluck. „Was macht die Jagd nach Frankenheimer?" „Wir sind schlechte Jäger", antwortete Urban. 133
„Noch immer wissen wir nicht, wer die Nautic versenkte und wer uns wegen der Turbodiesel in Bremen erpreßt. Wahrscheinlich kommt alles aus derselben Ecke." „Geht das noch immer weiter?" Urban mußte zugeben, daß seit einigen Tagen keine neue Drohung mehr eingelaufen war. Viel leicht lag es daran, daß die Terroristen mit ande ren Aufgaben eingedeckt waren, „Woher wußte Frankenheimer, daß Stone Mor ris sterben würde?" fragte er. „Willst du mir nichts zu knabbern anbieten, Monsieur?" „Was möchtest du? Ich kann uns etwas bringen lassen." „Danke, keinen Hunger." Sie nahm aus der Dose eine von seinen Goldmundstück-Zigaretten. Er reichte ihr Streichhölzer. Mit einemmal lachte sie hell auf. „Wenn wir davon ausgehen, daß Frankenheimer am Lagerfeuer im Sinai von Terroranschlägen erfuhr, dann müssen wir weiterhin annehmen, daß er von der tödlichen Erkrankung des Dichters von seinem Arzt erfuhr. Stone Morris und Lucas Fran kenheimer hatten nämlich denselben Doktor." „Ärzte reden nicht über andere Patienten." „Die beiden können sich im Wartezimmer begegnet sein. Kranke bilden oft eine Solidarge meinschaft, was den Austausch von medizinischen Erfahrungen betrifft. Ich habe dies und jenes, was was hast du, und was tust du dagegen." Urban konnte sich vorstellen, daß der stets neugierige Frankenheimer sogar die Patientenkar tei seines Arztes angezapft hatte. Es gab aber auch bestechliche Assistentinnen oder Arzthelfe rinnen. Viele Möglichkeiten also. 134
„Stone Morris starb an Leberkrebs." „Lucas war auch eine Schnapsdrossel." Urban schaltete so prompt wie ein elektroni sches Relais. „War?" Sie drückte die nur angerauchte Zigarette aus. „Weil Tote nicht sind, sondern gewesen sind." „Woher weißt du das?" „Es spricht sich herum", sagte sie. „Urban, deine Wohnung gefällt mir. Hier könnte ich mich wohl fühlen. Aber nicht gemeinsam mit einer Trauerweide, wie du eine bist. Was ist dir über die Leber gelaufen, Kumpel? Hat dich unsere Tren nung so mitgenommen?" Er packte sie bei den Schultern, drehte ihr Gesicht ins Licht und fragte noch einmal: „Woher weißt du, daß Lucas Frankenheimer tot ist?" Sie nahm seine Handgelenke und zog sie weg. „Ganz einfach. Reine Kombination. Ich bin doch kein dummes Kind. Ich gab dir den Tip, wie du ihn finden konntest. Daraufhin hast du ihn gefunden. Aber nirgendwo, in keiner Zeitung, in keinem Radio wurde etwas darüber verlautet, daß L.F. aufgetaucht ist. Logische Folgerung, er muß tot sein." „Ich habe eine andere Lösung", sagte Urban. „Wenn er tot ist, warum verbreiten die Medien es nicht? Könnte ja sein, daß ich ihn gar nicht fand." „Dann wärst du nicht hier, sondern würdest weiter hinter ihm herhecheln wie ein Hund. Statt dessen . . . " „Was?"
„Bist du in München, Darling."
„Sprich ruhig weiter."
„Mit der Beute."
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„Beute? Mit welcher Beute?" Sie nahm die Treppe hinauf zur Galerie. Wenn sie ging, eierte ihr Hinterteil. Sie verschwand im oberen Stockwerk und stieß plötzlich einen Schrei aus. Er eilte ihr nach. Wie entgeistert starrte sie auf sein Himmelbett. „In so was schläfst du?" „Bei Beute waren wir stehengeblieben", erin nerte er sie. Sie machte eine Liegeprobe auf dem Bett des Schmieds von Kochel. Dann federte sie wieder auf. „Robby", sagte sie, nicht Bob oder Bobby, son dern Robby. „Dir ging es nie um die Person Frankenheimers, sondern nur um das, was er wußte und nicht preisgab. Du fandest ihn. Er ist tot. Du suchtest sein Umfeld ab und entdecktest etwas, sonst wärst du nicht schon wieder in München. Wir telefonierten vor zwei Tagen. Gestern warst du in Holland, heute bist du hier. Das ging etwas zu schnell for nothing, oder?" Urban mußte einräumen, daß sie logisch, wenn auch phantasiereich und kühn zu kombinieren pflegte. „Irgendwo", erklärte Urban, „müßten zwei Dinge sein: die letzten Seiten seines König-Salo mon-Reports und der Ring, den er laut CIA bei einem New Yorker Juwelier in Auftrag gab. Sogar die Speicher seines Personalcomputers waren ge löscht." „Von Frankenheimers Ring weiß ich nichts." „Ich erfuhr davon, als ich aus Israel zurückkam. Es handelt sich um einen goldenen Siegelring mit einem Dreieck und einem strahlenden Auge in der Mitte." Sie bewies ihr gutes Gedächtnis. 136
„König Salomons Ring. Er trägt ihn auf dem Bild in Jerusalem am Zeigefinger rechts." „Die Lösung befand sich im Ring", erzählte Urban, „damals wie heute. Was wie ein schwarzer Stein aussah, war ein Mikrofilm." Sie schüttelte den Kopf vor Staunen und Be wunderung. „Mann, bist du eine Kanone." „Ich bin nur den richtigen Weg gegangen." „Was ist auf dem Film?" „Alles." „Alles, was ist das?" „Die letzten acht Seiten des Salomon-Reports." „Erzähle, oder ich werde wahnsinnig." „Hier oben oder unten?" „Warum nicht hier?" „Whisky oder Champagner?" „Darf auch Sprudelwasser sein." Er schloß die Glaswand zur oberen Terrasse, die mit der unteren durch eine Steintreppe verbunden war, und zog die Vorhänge zu. Als er sich umdrehte, war sie ins Badezimmer verschwunden. Eine Wand des Badezimmers war verspiegelt. Er sah, wie sie sich auszog. Offenbar genoß sie es zu strippen. Sie legte erst das Oberteil, dann den Rock ab und hatte nur noch den BH und das Höschen aus schwarzer Spitze an. Dazu die Strümpfe und Schuhe. Sie frischte ihr Make-up auf und gab einen Hauch Parfüm hierhin und dorthin. Urban ging hinunter, um den Pommery zu holen.
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Sie lag auf dem antiken Himmelbett. Sie wollte wer weiß wie cool wirken und hätte auch einen Hundertjährigen zu unsittlichen Gedanken verlei tet. — Urban wäre in Stimmung gewesen, wenn es da nicht eine unerklärliche Warnung gegeben hätte. Er entkorkte den Champagner und erzählte die Geschichte des Schmieds von Kochel, dem das Bett einst gehört hatte. „Später wurde Urban der Besitzer", sagte sie. „Es paßt irgendwie zu unserer Zeit." „Die Dinge wiederholen sich." „Nun liege ich drin." „Nicht, daß du die erste wärst. . ." Der Korken knallte heraus. Der Wein schäumte über Urbans Hand. Er goß ein. Sie nahm seine Hand und leckte den Champagner ab. Dann zog sie ihn zu sich herunter und klammerte sich an ihm fest. Urban vermutete, daß sie nicht nur nach Schampus durstig war. „Willst du mich nicht ausziehen?" „Mit einem bißchen an ist es besser als mit gar nichts an." „Und wenn es nur eine Perlenkette ist." Sie beugte links das Knie und zog den schwar zen Strumpf aus. Er hatte oben ein breites Gum miband. „Und du den anderen. Es geht leicht", forderte sie ihn auf. Dann knöpfte sie sein Hemd auf, streifte es über die Schultern und berührte seine Narben. „Ich mag deinen Bizeps", flüsterte sie, „deine Deltamuskeln. Die Brustmuskeln, die Rückenmus keln und das da besonders." Sie faßte tiefer und hielt ihn fest. Dabei räkelte sie sich wie eine Badeölreklame. 138
Doch mit einemmal lag sie wie erstarrt auf dem Rücken. „Was ist?" „Jetzt siehst du aus, als wäre gerade dein bester Freund gestorben, Robby." „Kann auch die beste Freundin sein, oder?" „Meinst du mich damit? Nun, ich lebe, und wie ich lebe. Aber ich habe das Gefühl, Darling, du möchtest jetzt nicht mit mir schlafen, sondern reden." Urban nahm einen Schluck Pommery, stellte das Glas neben das ihre, holte vom Regal ein großformatiges Buch und schlug es auf. „Was ist das? Eine Landkarte?" „Eine chinesische aus tausend vor Christus", scherzte er. Sie las, was oben stand: „Rekonstruktion der Einflußgebiete zur Zeit Königs David. — Und was bedeuten die roten Linien?" „Unsere Reise." „Du hast dich sogar im Bett damit beschäftigt?" „Es gibt Dinge, die lassen einem keine Ruhe." Sie fuhr die Reiseroute mit dem Fingernagel ab. Am Ende deutete sie auf das Kreuz. „Hier hat Lucas das zweite Mal seine Messun gen gemacht." „Und wurde fündig", ergänzte Urban. „Bist du sicher?" „Zwischen diesen Bergen, die sie auf ihren primitiven Karten Kain und Abel nannten, auf der Linie von Bir el Themada nach Nakhi." „Zwischen den Wadis." „Dort, wo die Ägypter die Niederschläge in einem Stausee auffangen wollen." Er erzählte ihr, was auf der letzten Seite des 139
König-Salomon-Reports stand. Sie hatte ein Recht darauf, es zu erfahren. Mit einemmal hielt er inne. Ihre Augen wurden feucht, als fange sie gleich zu heulen an. „Jetzt ist bei dir ein Freund gestorben", sagte er. „Laß uns die Flasche leeren und dann . . . " „Was", fragte sie, „was werdet ihr nun unter nehmen?" „Die für den Sinai zuständigen Regierungen unterrichten." „Und wer sind die?" „Eigentlich nur Ägypten. Aber weil es darüber zu Streitereien kommen kann, und das ist anzu nehmen, muß man Eskalationen verhindern. Also werden auch andere Regierungen verständigt." „Die USA und Israel." „Runden wir auf", schlug er vor. „Zählen wir noch Jordanien dazu, den Irak und Saudi-Ara bien." Von einem Herzschlag zum anderen entwickel ten sich nun Dinge, mit denen Urban in dieser Form nicht gerechnet hatte. Modesty warf ihr Sektglas zum Fenster hin. Aber was zerbarst war nicht der Champagner kelch, sondern die Scheibe. Und während sich der Vorhang bewegte und von außen aufbauschte, packte Modesty Urban und riß ihn mit sich vom Bett zu Boden. - Ein Schuß fiel. Die Bewegung brachte sie knapp aus der Schuß linie, aber es nützte wenig. Ein Mann sprang quer durch den Raum auf das Bett. Die Matratze federte unter seinem Gewicht. Er hatte eine Kanone in der Hand, eine von den überdimensio nalen Dingern, die gerade noch als Faustfeuerwaf fen durchgingen. Eine Elfmillimeter mit Schall dämpfer. 140
Breitbeinig stand der Bursche, der aus dem Dunkel kam, da. Er trug eine schwarze Hose, einen schwarzen Pullover, hatte einen schwarzen Bart, und sein Profil erinnerte Urban an einen Wasserhahn. Die Nase reichte gebogen weit her unter. In seinen Augen standen Entschlossenheit und Haß. Er preßte Urban den Lauf der Waffe gegen die Schläfe und entriß Modesty den Atlas. „Danke, ich habe genug gehört", zischte er. „Gute Arbeit, Schwester." Im Schlafzimmer brannte nur eine einzige Lampe. Die neben dem Bett. Urban tastete nach der Schnur und riß daran. Der Stecker schnellte aus der Dose. Das Licht ging aus. Urban wirbelte zur Seite, mit der Absicht, hochzuschnellen und den Kerl irgendwie zu kriegen. Da fiel der nächste Schuß. Es dröhnte, als feuerte man in seinem Ohr eine Feldhaubitze ab.
Der Araber schoß das Magazin leer. Weißrote Mündungsflammen gewitterten durch den Kaum. Dann zog er sich zurück. Dabei verwickelte er sich in dem Vorhang. Fluchend fetzte er ihn beiseite. Wieder splitterte Glas, als er das Schlafzimmer in Richtung Ter rasse verließ. Schon war Urban auf den Beinen und hinter ihm her. Es gab nur einen Fluchtweg für den Killer, denselben Weg, den er genommen hatte, um sie zu überraschen, nämlich über das Dach 141
und von dort irgendwie in den Garten des Nach bargrundstückes. Urban glaubte, seinen Schatten zu sehen. Als er das flache kiesbelegte Dach erreichte, war der Bursche weg. — Hinter dem Kamin auch nichts. — Urban stolperte über ein straffgespanntes Seil. Das Ende war um eine Entlüftung geschlungen und führte an der Westseite nach unten. Als Urban hinkam, ließ der andere den letzten Knoten im Seil los, sprang unten auf und war nicht mehr zu sehen. Wenige Sekunden später horte Urban den Anlasser eines schweren Motorrads. — Sinnlos, diesem Mann zu folgen. Er war weg, und Urban war fast nackt. Er stieg hinunter in seine Wohnung, sorgte für Licht und sah Modesty liegen. Eine Kugel hatte sie bös erwischt. Sie hatte Schmerzen und verlor viel Blut. Aber wenn sie Glück hatte, würde sie nicht daran sterben. Er verband die Schußwunde zwischen Herz und Schulter und gab ihr eine Morphiuminjektion. Dann telefonierte er. „Einen Notarzt mit Krankenwagen", forderte er im Hauptquartier an. „Nehmt einen unserer Ver trauensärzte und keinen weiß-roten Wagen, der mit Blaulicht und Sirene daherkommt." „Wir schicken einen neutralen Kombi." Er ging wieder hinauf zu Modesty Clark. Die Spritze wirkte. Sie war blaß bis zu den Lippen, aber sie lächelte. „Wie geht's, Schwester?" „Nicht, daß dieser Bursche mein Bruder wäre." „Man nennt sich so in Terroristenkreisen." „Sie fanden mich eben früher als dich." Er verstand die Andeutung. 142
„Sie stellten dich vor die Wahl: Mitarbeit oder Tod", sagte er. „Den Tod umsonst, die Mitarbeit hochbezahlt." „Du nimmst nicht jeden Job an, dachte ich." „Nur, wenn man mich unter Druck setzt. So wie du. Oder wenn einer kommt und nett zu mir ist, so wie Lucas Frankenheimer." „Ich war auch nett", erwähnte er. Sie bewegte den Kopf. „Du hast mich nur benutzt. Du benutzt immer alle Menschen. Oder gibt es welche, die du um ihrer selbst willen liebst? Freunde, nichts als Freunde." „Wenige", gestand er. „Du bist ein Bastard, Urban." „Und du eine Kanaille." „Und du ein Hundesohn." Sie sagte es so, wie man sagt ich liebe dich, langsam und ehrlich. „Die Verhältnisse sind nun mal so, Gnädigste." „Scheißverhältnisse." Wenig später war sie eingeschlafen. Er trug sie hinunter zum Lift. Er hatte sie noch auf dem Arm, als der Lift in der Tiefgarage ankam. Nahe der Tür stand ein dunkelblauer Kombi. Der Arzt und sein Helfer legten Modesty Clark auf eine Trage. Der Arzt untersuchte sie. Dann schob der Pfleger sie hinten in den Mercedes. Wieder in seiner Wohnung, befürchtete Urban, daß der Palästinenserkiller längst an einem Tele fon hing und mit Beirut sprach. Er verständigte die Operationsabteilung.
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16.
Der Funkspruch war um 2.50 Uhr Nahostzeit eingelaufen. Noch vor der Morgendämmerung änderte die Fahrzeugkolonne des ägyptischen Bauunterneh mers Fasal Ben Suef die Richtung. Bis hier war der aus neunzehn Dreiachsern, Geländewagen und Tiefladern bestehende Maschi nenwurm dicht zusammengehalten worden. Jetzt, da das endgültige Ziel feststand, wandte sich der Kommandant an den Ägypter: „Wir können jetzt die schnellen von den langsa men Fahrzeugen trennen", sagte er. „Dadurch gewinnen wir Zeit, Zeit ist das, was wir nicht haben." Die allradgetriebenen LKWs scherten aus und bogen nach Südosten ab. Geführt wurden sie von einem ortskundigen PLO-Scout. Die Sattelzugmaschinen mit den Aufliegern, deren jeweils sechzig Vollgummiräder vom Gewicht der Bagger und Radlader tief in den Sand gedrückt wurden, kamen nur mit dem Tempo eines Kamels vorwärts. Die meisten hatten luftgekühlte Deutz-Motoren. Aber selbst die litten an Überhitzung. Immer wieder machte die Kolonne halt. Die Motorhauben wurden geöffnet. Im Leerlauf mußten die Gebläse die Diesel herun terkühlen. Dann ging es wieder eine Stunde, bis die Tem peraturanzeiger erneut in den roten Bereich wan derten. Gegen Mittag, als es warm wurde und besonders kritisch, hatten die Fahrzeuge endlich festen Grund unter den Rädern. 144
Einer der bis an die Zähne bewaffneten Palästi nenser vom Vortrupp stieß zur Hauptkolonne. „Wir sind bis zum Abend da", meldete er. „Flugzeuge gesichtet?" „Bis jetzt nicht." „Patrouillen?" „Ein ägyptischer Half-Track kam vorbei." „Und?" „Wir sagten, wir seien von der Firma Suef. Als sie unsere Waffen sahen, stillten wir ihre Neugier mit Konserven und kaltem Bier." „Okay", sagte der Kommandant. „Beeilt euch."
Mit Planierraupen legten sie das Geviert frei, Was unter dem Sand zum Vorschein kam, waren Granitplatten unterschiedlicher Form und Größe, von den Stürmen dreier Jahrtausende spiegelglatt geschliffen. Die Ecken wurden durch Fahnen markiert, dann das Ganze in Sektionen eingeteilt. Die Bagger begannen, die schweren Platten ab zuheben. „Das sind keine Platten", sagte einer der Inge nieure, „sondern Felsbrocken, die oben flach behauen wurden. Den Rest besorgte die Sand strahlwirkung." Bald war der Deckel aus Felsgestein im Zen trum aufgebrochen. „Jetzt gehen wir in die Tiefe", sagte der Ägypter zu dem Kommandanten. „Daran liegt Ihnen doch." „Nur daran." „Welche Abmessungen hat der Kegel?" „Den einer Pyramide." 145
„Schön, aber wie weit reicht er bis in die Tiefe?" „Berechnet es auf Grund der Basis.'' „Das wird zu ungenau", befürchtete Suef. „Wir kennen die Neigung und die Winkelmaße nicht." „Richten wir uns nach Salomons Ring." „Das ist mir kein Begriff." „Aber doch wohl eine Königspyramide." „Gehen wir also von Sechzig-Grad-Winkeln aus", entschied Suef. „Das kommt sicher hin." „Dann liegt das, was Sie suchen, Kommandant, zweihundert Meter tief." „Wie lange brauchen wir dazu, Suef?" „Kommt auf das Füllmaterial an." Eine Stunde später wußten sie, woraus das Füllmaterial bestand. Der Kegel war nur an den Wänden mit Steinen ausgekleidet. Innen hatte man ihn mit dem, was man als Schutt bezeich nete, gefüllt. Schutt und Kies in einer Körnung, wie Bagger ihn gerade noch aufnehmen konnten. Bei jedem Hub wurden zwei Tonnen Gestein ausgehoben. Damit sie sich nicht in die Quere kamen, wühlten die Hydraulikbagger sich von mehreren Seiten ins Zentrum vor. Sie schütteten den Inhalt ihrer Schaufeln auf die Muldenkipper. Die fuhren damit weg, entluden ihn seitlich und kehrten wieder zurück. Ständig wurde die Zufahrtsrampe von Planier raupen geglättet und verbreitert. Wo es nicht weiterging, setzten sie Preßluftbohrer ein, und wo die Bohrer versagten, nahm man Steinbruch sprengstoff zu Hilfe. So schafften sie pro Stunde nahezu tausend Tonnen Abraum weg. Und sie arbeiteten vierund zwanzig Stunden pro Tag. 146
Die Hitze nahm zu, je tiefer sie kamen.
Schon klagten einige Arbeiter über starke Er schöpfung. „Gebt ihnen Pervitin", befahl der Kommandant. „Wir müssen fertig sein, ehe die anderen kommen." „Was für andere?" fragte der Ägypter. „Die anderen. Ich weiß nicht wer, aber sie kommen." Einer der Ingenieure betrat den Bürowagen der Bauleitung und brachte ein Thermometer mit. „Das geht nicht mit normalen Dingen zu", sagte er. „Wo stehen wir?" „Bei siebzig Grad." „Siebzig Grad in der Wüste, na und?" „Heute nacht", erklärte der Ingenieur, „hatten wir oben Frost, unten aber fast vierzig Grad. Mit der geothermischen Tiefenstufe hat das nichts mehr zu tun." „Geothermische Tiefenstufe", wiederholte der Kommandant. „Was ist das?" „Die Temperaturzunahme pro Meter. Ungefähr ein dreißigstel Grad. Also kaum meßbar, oder?" „Auf hundert Meter immerhin drei Grad." „Wenn wir nur schon so tief wären." „Bald sind wir auf achtzig Meter. Aber die Temperatur ist unerträglich." „Und?" „Noch zehn Grad, dann ist Schluß." „Wo wurde gemessen, in der Luft oder in der Erde?" „Im Erdreich." „Warum kommt kein Grundwasser?" 147
„Alles ist staubtrocken." „Weitermachen!" befahl der Palästinenser. „Wir werden Schutzanzüge brauchen, und wenn die Hitze weiter steigt, gekühlte Schutzanzüge." „Kriegen Sie", versprach der Kommandant. Sie arbeiteten hektisch. Wenn eine Schicht zum Umfallen fertig war, kam die nächste. Über Funk liefen Meldungen ein, die nicht dazu angetan waren, den Kommandanten zu beruhigen, Es hieß, die israelische Armee mache mobil. Die amerikanische 6. Flotte liege vor der Levantekü ste, und ins Rote Meer liefen schwere Einheiten ein. Flugzeugträger und Schlachtschiffe mit Kurs auf den Golf von Akaba. „Wer zuerst kommt, ist zuerst da", sagte der Palästinenser, in der Tarnuniform schwitzend. „Und wenn sie unsere Arbeit stören, geben wir ihnen Zunder." Trotzdem machte sich eine gewisse Nervosität breit. Die Bagger baggerten, die Bohrer bohrten, die Sprengmeister beseitigten Hindernisse mit TNT, und die Muldenkipper fuhren den Abraum weg. — Doch mit einemmal stoppten die Arbeiten an dem jetzt nahezu hundertvierzig Meter tiefen Loch in der Sinai-Wüste. „Was ist los?" schrie der Kommandant, aufge schreckt von der plötzlichen Stille. „Wir haben es", wurde gemeldet. „Was haben wir?" „Das Ding", sagte einer der Ingenieure. Seine Haut war weiß wie Gips. „Weitermachen." „Sehen Sie sich das erst mal an, Kommandant", riet der Ingenieur. „Aber ziehen Sie den Alumi 148
niumanzug an und vergessen Sie die Schutzmaske und den Helm nicht." Mit dem Jeep fuhren sie zum Bohrloch. Noch bevor sie hinkamen, war es, als strahle aus der Tiefe eine gebündelte Scheinwerferbatte rie himmelwärts. 17.
Die israelische Armee stand wie ein Block aus Panzerstahl an den Grenzen zum Sinai, bereit, jeden Augenblick die Motoren anzulassen. In Tel Aviv traf der BND-Agent Robert Urban sich mit dem Mossad-Kollegen Jeremy Zucker. „Wir werden binnen vierundzwanzig Stunden losschlagen", sagte der Major. „Gibt es ein Ultimatum?" „An wen soll man es richten?" „Es ist ägyptisches Territorium." „Wir ließen unsere Verbindungen spielen. In Kairo weiß man nur so viel, daß ein Bauunterneh mer Vorarbeiten für ein Stauseeprojekt betreibt." „Zwischen den Bergen Kain und Abel." „Das liegt ziemlich weit ab vom geplanten Stausee." „Was geht dort genau vor?" wollte Urban wissen. Zucker hatte Aufklärerfotos gesehen. „Sie sind schon auf hundertvierzig Meter Tiefe. Berechnet nach dem Schatteneinfall in der Bau grube." „Macht und Moneten", bemerkte Urban bitter. „Es geht immer um Moneten und Macht. Sie glauben an Salomons gigantischen Goldschatz." „Salomon war in Wirklichkeit pleite. Er pumpte 149
Hiram von Tyrus um elf Millionen an und ver pfändete dafür zwanzig galiläische Orte." „Und wer pleite ist, vergräbt kein Gold." „Was aber vergrub er dann?" Urban konnte diese Frage noch immer nicht präzise beantworten. „Einen Meteor, ein intergalaktisches Raum schiff, weiß der Teufel was." „Wir dürfen diese Bande nicht weitergraben lassen." „Warum eigentlich nicht? Sie werden sich die Finger verbrennen — höchstwahrscheinlich." „Höchstwahrscheinlich ist zuwenig", entgegnete der Major. „Angenommen, es hat wirklich etwas mit einem vor sich hinbrütenden außerirdischen Kernreaktor zu tun, dann denk an Tschernobyl. Die Strahlung kann uns vernichten." „Wann", fragte Urban, „marschiert ihr los?" Der Major schaute nicht einmal auf die Uhr. „Wenn es an der Zeit ist." „Ich würde mir die Stelle gerne einmal anse hen", erklärte Urban. „Niemand hält dich auf, Colonel." „Von oben aus einem Flugzeug." Der Mossad-Major überlegte. „Es wird keinem nützen und keinem schaden", entschied er. „Wir verdanken dir aber alle Infor mationen. Nicht, daß wir dir einen Dienst schul dig wären, doch irgendeine klapprige Sportma schine werde ich wohl auftreiben." „Dann tu's", drängte Urban.
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Es war keine uralte, aber eine alte einmotorige Piper. Modell Comanche, Baujahr 1959. Kabinen tiefdecker, viersitzig mit Einziehfahrwerk und Vierzylinder-Boxermotor. Von seinen ursprünglich hundertachtzig PS hatte er vielleicht noch zwei Drittel auf den Muskeln. — Aber was waren schon dreißig Jahre für ein Flugzeug? - Es war jünger als er selbst, Robert Urban, BND-Agent Nummer achtzehn, genannt Mister Dynamit. Ja, eine Kiste Dynamit hätte er gerne mitge nommen. Aufgeteilt in kleine Portionen mit einem Zünder unten dran, geeignet als Schreckschuß bomben. Jeremy Zucker war dabei, als Urban um die Piper herumschlich. Er tat es mit unbewegtem Gesicht, um seine Zweifel zu verbergen. So wie er in Tel Aviv angekommen war, wie er sich stets zu kleiden pflegte, dunkle Hose, helles Hemd, ungemusterter Strickbinder, Glencheck sakko, kletterte Urban hinauf und stieg ein. „Mit diesen Guccilatschen", sagte der Major abfällig. „Sieh zu, daß du die Goldspange nicht verlierst und dir keinen Dorn eintrittst." „Seht ihr lieber zu, daß es die Flakkanoniere an der Grenze nicht am Abzugsfinger juckt." „Hinten ist ein Karton voll Wasserdosen." „Wozu?" fragte Urban. „Ich vertraue der arabi schen Gastfreundschaft." „Was hast du eigentlich vor, du verdammter Irrer?" Urban betätigte den Batteriehauptschalter. Die Anzeigennadeln der Armaturen zuckten. Die Tanks waren voll. Wenn er sich richtig erinnerte, bedeutete das bei dieser Kiste, daß man fünf Stunden in der Luft bleiben konnte. 151
„Wenn ich gegen Abend nicht zurück bin, dann vergeßt mich." „Was für Blumen möchtest du auf dein Grab?" „Kein Grab. Urnen sind pflegeleichter", ant wortete Urban. „Falls es euch gelingt, meine Reste auszusortieren." Er zog den Choke, ließ an. Zündung. Der Motor quälte sich die ersten eigenen Umdrehungen ab. Dabei qualmte zuviel verbranntes öl weiß aus dem Auspuff, als daß es Urban gefallen hätte. Aber der Major hatte versichert, die Mühle sei in Ordnung. Also hatte sie auch in Ordnung zu sein. Urban schloß die Kabinentür. Der Motor lief rund und wurde warm. Die Kopftemperaturanzeige hob sich aus der Nullstel lung. Zucker klopfte gegen das Dach und sprang von der Fläche. Urban schob das Gas rein, rollte an, richtete die Nase aus und ließ den Motor surren, daß die Piper wackelte. Sie bockte und hüpfte über die Graspi ste. Mit einemmal war es, als hätte sie glattgebü gelten Asphalt unter sich. Die Piper hatte abge hoben. Fahrwerk rein, Generalrichtung Südwest, Kom paßkurs 225 Grad. - Distanz bis zum Ziel 260 Kilometer. Dann Gott mit uns, dachte Urban. Halten Sie, wenn möglich, Ihren Daumen dazwischen, Sir.
Sie hatten ihm die Flugroute, einen schmalen Korridor, auf der Karte vorgezeichnet. Bis zur Grenze, wo die israelischen Truppen standen, betrug die Flughöhe maximal hundert Meter über 152
Grund, damit sie ihn mit ihren MGs auch sicher trafen. Die Piper war sandgelb gespritzt. Die Farbe blätterte ab, graue Aluminiumflecken kamen schon durch. Sie führte das israelische 4-X-Kenn zeichen und dahinter noch vier Buchstaben. — Sie hatte sogar Sprechfunk. Der Motor machte noch keinen Ärger. Das Wetter entsprach dem, was der Meteorologe vor hergesagt hatte. Bedeckt, Wolkenuntergenze bis auf 250 Meter hängend. Immerhin war die Sicht im Cockpit ausreichend, und es war nur 35 Grad warm. Urban flog die Comanche mit fünfundsiebzig Prozent Leistung. Das entsprach 257 km/h. Noch flog er in Küstennähe. Doch schon Minu ten nach dem Start sah man die Aufstellung der Armee. In Richtung Negev waren getarnte Panzer, Raketenbatterien auf Dreiachsern, Nachschubko lonnen, Munitions- und Tankwagen versammelt. Von Soldaten sah man nichts. Über Funk gab Urban das Kennwort durch. „Salomon, Salomon!" rief er. „Hier four-XViktor-Samuel-David-Jacob!" „Verstanden", quäkte es von unten herauf. Sie schössen Leuchtsignale. Drei grüne Sterne. Jetzt war er also in Ägypten. Unten nur noch Sand, Kies und sich aufwellendes Vorgebirge. Ansonsten leere Wüste. Der Sinai. Er ging etwas höher, bis er an die Wolken stieß. Als der Propeller schon in der Milchsuppe rührte, drückte er den Knüppel leicht an. Drehzahl, Temperatur, Öldruck, alles so lala. Er querte die große Überlandstraße, die von Ismaüia am Suez nach Bersheba führt. Die übli 153
chen LKW-Kolonnen, darüber Dieselabgase wie eine schwarze Wolke. Normaler Verkehr. Rasch wurde es wieder einsam. Er folgte bizar ren Wüstentälern, die bei Regen Wasser führten. Sie hatten sich mäanderartig durch Felsformatio nen gefressen. Am Horizont ein dunkler Punkt. Der Punkt nahm die Farbe Grün an. - Die Oase El Hadira, überragt vom El Halal, einem Berg. Was sie hier so Berg nannten. Neunhundert Meter hoch. Aber wie er aus der Ebene wuchs, das sah gewaltig aus. Urban ließ ihn rechts liegen und folgte den Schatten, die die schräge Sonne an den Rändern der Wadis warf. Bald kam er ins El-Arish-Gebiet. Ein wahrer Irrgarten von Tälern. Ein Blick auf die Platin-Rolex. Eigentlich mußte er schon da sein. Aus dem Dunst in der Ferne tauchten zwei Berge auf. Wie strotzende Frauen brüste. Antike Karten bezeichneten sie als Kain und Abel. Urban visierte die Senke zwischen ihnen an. Dabei ging er tiefer, so tief wie nur möglich. Er flog so erdnah, daß es staubte. Aber je dichter man über ihre Köpfe hinwegflog, desto schneller war man für sie, und sie kamen mit dem Nachziehen der MGs nicht mit. Ein Nachteil war, daß sie hinterherballern konnten. Und die Chance zu treffen wurde ver dammt groß.
Da waren sie. Das Tal, die Ebene, Zelte wie eine Wagenburg. Dann ein Ring von Maschinen, Bag gern, Planierraupen, Überkopfladern, Muldenkip pern, Kompressoren. Neben einem Wagen mit 154
Kommandeurskabine ragte der Teleskop-Funk mast empor. - Im Zentrum das Loch, dunkler als die Kieswüste. Ein Loch, kegelförmig, wie es Ameisenbären warfen. Aus dem Loch heraus und hinein rollten Fahr zeuge. Im Zentrum des Loches glänzte etwas wie ein runder Spiegel, in dem sich die Sonne fing und blendete. Jetzt hatten sie ihn gehört. Sie spritzten ausein ander, warfen sich in Deckung. Und schon ging die Ballerei los. Urban kam als Freund, als Warner. Er wackelte mit den Tragflächen, aber sie achteten nicht dar auf. Sie schössen, was sie in den Magazinen hatten. Urban donnerte über das Camp hinweg, zog scharf nach Westen und kurvte nach links ein. Er hatte eine Reihe von Möglichkeiten. Die verrückteste war zu landen und mit ihnen zu reden. Die zweite war der Funk. Die dritte, rote Signalraketen zu feuern. Die letzte war, ihnen ein paar Bibeln abzuwerfen und einen Kranz mit Ruhe sanft, denn die Katastrophe, das fühlte er, ließ nicht mehr lange auf sich warten. Er ging noch tiefer. Höhe über der Baukolonne zehn Meter. So flog er auf das Camp zu und gab sich den Anschein, als wolle er zur Landung ansetzen. Er wäre sogar gelandet. Was ihn daran hinderte, war eine geballte Ladung aus Eisen. Verfluchte Idioten, Dummköpfe. Ihr seht doch, daß ich unbewaffnet bin, ein Sportflugzeug, eine uralte Kiste. Aluminium mit ein paar Streben, ein paar Drähten, einem lumpigen Motörchen. Er konnte dem Feuer nur entkommen, indem er 155
die Kiste torkeln ließ. Pilotenakrobatik, Artistik. - Sie schössen aus allen Rohren. Die ersten Treffer pilzten Löcher im Blech auf. Ihr verdammten Arschlöcher! Außer Reichweite, griff er zum Sprechfunk. Die Israelis hatten sie abgehört und ihre Frequenz ermittelt. Er versuchte es mit Englisch, dann Arabisch, so gut er es konnte. „Hier spricht ein Freund! Warnung! Sie graben ein stark radioaktiv strahlendes Objekt aus. Zie hen Sie sich zurück. Sie finden kein Gold, auch keine Bombe. Verhindern Sie eine internationale Katastrophe!" Keine Antwort. Er war sicher, daß sie ihn hörten und auch verstanden. Aber sie glaubten ihm nicht. Hitze, okay, die fühlte man, aber Strahlen, die spürte man nicht. Das Ende war um so grausamer. Ein letzter Versuch. Er flog an und schoß Rot. Drei Sterne - das Zeichen für Gefahr. Wer das nicht kapierte, dem war nicht zu helfen. Die Sonne sank. Der Teleskopmast warf einen langen Schatten. Aber das Ding in dem Loch strahlte heller als die Sonne. Sie schössen und jagten ihn weg. Arme Irre. Sture Büffel. Wenn ihnen das Ding nicht um die Ohren flog, würden sie auf andere Art daran sterben. Gegen Radioaktivität gab es keine Therapie. Urban drehte endgültig ab und ging auf eine andere Frequenz. „Hier four-X-Viktor-Samuel-David-Jacob! Trete Rückflug an. Im Bohrloch stark strahlender Kern. Rate zu Schutzmaßnahmen."
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Er lag auf Nordkurs Tel Aviv, 340 Grad, Geschwindigkeit 260 Stundenkilometer. Es war trübe, aber es wurde nicht Nacht. Warum, dachte er, geht die Sonne nicht unter? Es schien eher heller zu werden, wie am frühen Morgen, aber so schnell, als hätte man den Son nenaufgang mit Zeitraffer gefilmt. Es war ein engelgleicher Flug, nicht die kleinste Bö. Aber warum wurde es so hell? Urban drehte sich um. Die Sicht nach hinten war miserabel. Im Süden stand ein Regenbogen über dem Sinai. Woher kam der Regenbogen? Es hatte nicht geregnet, und es war kein bunter Regenbogen, sondern ein weißer. Grellweiß, als würde man Magnesium abbrennen. Er setzte die dunkle Brille auf, legte die Piper auf die Fläche, um sich die Himmelserscheinung anzusehen. Er griff nach dem Fotoapparat und ließ einen ganzen Film durchlaufen. Filme waren Beweise. — Träumte er, oder war es wirklich ein Regenbogen? - Nein, mehr ein Lichtbogen mit Protuberanzen, kleinen Stichflammen an den Rän dern. Da hatte einer ein gigantisches Feuerwerk ent zündet. Der Regenbogen weitete sich zusehends aus, schon hatte er die Rundung eines Dreiviertel kreises. Aber es blieb gespenstisch still. Kein Geräusch, keine Luftbewegung. - Urban war sicher, daß die Welt jetzt gerade den Atem anhielt. Nur der Motor seiner Comanche brummte vor sich hin. Das Licht des Regenbogens war von seltener Intensität. Ein derartiges Licht trat nicht ohne unsichtbare Strahlung auf. 157
Trotz der Brille schmerzten seine Augen. Und sie benebelte schon sein Gehirn. Wie fasziniert starrte er auf die Himmelser scheinung. Mit einemmal schien es, als habe der Lichtbogen seine größte Ausdehnung erreicht und begann sich einzudellen. Erst oben, dann an den Seiten, wie ein Ball, dem die Luft ausging. An den absackenden Stellen bekam er schwarze Ränder. Er schrumpfte, wurde dunkel und matt. Noch einmal schien er sich aufzublasen zu einem phantastisch unwirklichen Gleißen, und dann herrschte schlagartig absolute Dunkelheit am Süd osthimmel. Urban befreite sich aus der Faszination und ging auf den alten Kurs. Das Ding, ganz egal, was es war, hatte sich . . . es war ganz einfach zerstrahlt. Ob es sich in Energie aufgelöst hatte, in den Weltraum enteilt, geplatzt, explodiert oder, verdammt was auch immer war . . . es gab keine Erklärung. Verdammt keine. „Mann", sagte Urban laut zu sich selbst. „Das gibt's doch einfach gar nicht," Was war das bloß für ein Ding gewesen? Es kam von irgendwoher, ängstigte die Menschen seiner Zeit so sehr, daß sie es vergruben, und nach dreitausend Jahren . . . Dreitausend Jahre bedeuteten im Kosmos nur eine Sekunde. Und eine Sekunde, was war das schon? Er würde den Film nach Tel Aviv bringen. Sie würden ihn entwickeln und vielleicht etwas dar auf finden oder auch nicht. Dann würden sie irgendwann Kommandos losschicken, Selbstmord kommandos. Aber erst einmal würden sie die Toten zählen und begraben. 158
Das einmotorige Flugzeug landete aus dem Grau des Himmels heraus in Richtung Sonnenunter gang. Kaum war es ausgerollt, rannte ein Mann mit einem klappernden Bauchladen herüber. Er hatte Fotoapparate umgehängt, links am Riemen ein Futteral mit Tonbandgerät und ein Mikrofon in der Hand. Behende schwang er sich auf die Tragfläche der Piper und schrie: „Was, zum Teufel, war da los, Colonel Urban?" Urban Öffnete die Cockpittür und streckte ein Bein heraus. „Zum Teufel", antwortete er. „Ich weiß es nicht." „Wie Götterdämmerung, als wollte die Erde in einem Lichtbogen verbrennen." „Es war nichts", sagte Urban. „Es gibt Millionen Zeugen dafür." „Es war nichts", wiederholte Urban. „Aber nie wurde durch nichts die Welt so verändert wie heute." Der Reporter bat um nähere Aufklärung. „Was soll sich verändert haben?" „Wie gesagt, nichts. Nichts Greifbares. Aber vielleicht in den Köpfen der Menschen." „Das verstehe ich nicht, Colonel." Urban holte auch das andere Bein heraus, drückte sich hoch und sprang zu Boden. „Ich auch nicht", antwortete er. „Aber glauben Sie mir." „Was?" ließ der Reporter ihm keine Ruhe. „Bitte! " „Sie werden es schon begreifen. Morgen, über 159
morgen, irgendwann. Hat keine Eile. Vielleicht dauert es ja noch einmal dreitausend Jahre . . . " Urban wankte quer über das staubige, heiße Flugfeld. Der Reporter eilte hinter ihm her. Er fragte immerzu und versuchte, Urban aufzuhalten. Der aber sagte kein Wort mehr. Bis der Reporter aufgab. Urban ging weiter wie ein alter, müder Soldat, der tagelang nicht aus den Stiefeln gekommen war . . . ENDE
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