Nr. 427
Koordinator der Ewigkeit Er verspricht die Unsterblichkeit von Peter Terrid
Nachdem Atlantis-Pthor, der Dimen...
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Nr. 427
Koordinator der Ewigkeit Er verspricht die Unsterblichkeit von Peter Terrid
Nachdem Atlantis-Pthor, der Dimensionsfahrstuhl, in der Peripherie der Schwarzen Galaxis zum Stillstand gekommen ist, hat Atlan die Flucht nach vorn ergriffen. Nicht gewillt, untätig auf die Dinge zu warten, die nun zwangsläufig auf Pthor zu kommen werden, fliegt er zusammen mit Thalia, der Odinstochter, die Randbezirke der Schwarzen Galaxis an und erreicht das sogenannte Marantroner-Revier, das von Chirmor Flog, einem Neffen des Dunklen Oheims, beherrscht wird. Dort, von Planet zu Planet eilend und die Geheimnisse der Schwarzen Galaxis ausspähend, haben Atlan und seine Gefährtin schon so manche tödliche Gefahr ge meinsam bestanden – bis der Planet Dykoor zu Thalias Grab wurde. Doch auch nach Thalias Tod geht für den Arkoniden die kosmische Odyssee wei ter. Seit Atlans Zellaktivator eindeutig seine Heilkräfte bewiesen hat, ist Chirmor Flog an dem Gerät und seinem Träger ungemein stark interessiert und läßt den Arkoniden schließlich nach Säggallo, seinem Regierungssitz, bringen. Doch die Dinge auf Säggallo verlaufen völlig unprogrammgemäß für alle Beteilig ten. Atlan muß wieder einmal die Flucht ergreifen, und er bekommt es zu tun mit ei nem KOORDINATOR DER EWIGKEIT …
Koordinator der Ewigkeit
3
Die Hautpersonen des Romans:
Atlan und Artin - Zwei ungleiche Verbündete.
Tolfex - Ein Koordinator der Ewigkeit.
Därwellsknull - Ein junger Ghyxaner.
Kniesterbeiner - Oberhaupt der Stadt Kudonaber.
1. »Schau«, sagte Därwellsknull. »Sie kom men!« »Es ist immer wieder das gleiche«, stellte Haptenfell erbittert fest. »Sie können uns einfach nicht in Ruhe lassen. Bleib du auf Posten, ich ziehe los und alarmiere die Kniesterbeiner!« »Aber beeile dich«, sagte Därwellsknull. Er deutete auf die Abteilung der Durlaner, die sich in gleichmäßigem Marschtritt nä herte. »Sie werden die Stadtgrenze bald er reicht haben!« Haptenfell gab einen Laut der Zustim mung von sich, dann hastete er davon. Där wellsknull sah ihm einen Augenblick lang nach, dann konzentrierte er sich wieder auf die heranrückenden Durlaner. Es war immer wieder das gleiche mit diesen Leuten, stellte Därwellsknull fest. Jedes Jahr um diese Zeit versuchten die Durlaner Kudonaber einzu nehmen, und jedes Jahr wurden sie zurück geschlagen. Stets marschierten die Durlaner mit großem Getöse und viel Aufwand heran, stets besetzten die Kudonaberer ihre Stadt mauern, und ebenso regelmäßig kam es vor den Toren der Stadt zu einem wüsten Geran gel, bei dem Hunderte von Kämpfern auf beiden Seiten verletzt wurden. Nach Ab schluß der Schlacht sammelten die Unterle genen, also die Durlaner, ihre Verletzten ein und trabten in ihr Drecksnest zurück, um Kräfte zu sammeln für den Angriff des dar auffolgenden Jahres. Därwellsknull beugte sich etwas vor und sah an der Mauer hinab auf den Boden. Al les war bestens für den Angriff der Durlaner vorbereitet. Die Mauer war glattpoliert und mit Nerqusaft eingerieben worden. Der Dur laner, der den Fehler machte, an dieser Mau
er hochklettern zu wollen, handelte sich ei nige Tage ein, die mit einem beständigen Juckreiz erfüllt sein würden – falls er über haupt so weit kam. Denn zunächst mußte die Armee der Durlaner eine breite Zone durch queren, in der die Kudonaberer trockenen Sand gestreut hatten, durchmischt mit ge mahlenem Glas. Hundert Meter breit war dieser Streifen, und wer ihn durchqueren wollte, mußte Füße aus Eisen haben. Die wenigen Zufahrtsstraßen nach Kudonaber wurden von Wachen sorgfältig abgeriegelt, dort gab es für die Durlaner kein Durchkom men. »Wo kommen sie, und wann kommen Sie?« Därwellsknull erkannte das Organ des alten Kniesterbeiners. Mühsam kam der Alte herangewackelt. Er sah nicht mehr gut, hörte noch schlechter und mußte von vier Kudo naberern getragen werden, um sich über haupt noch von einem Ort zum anderen be wegen zu können. Aber die Kniesterbeiner waren die älteste und vornehmste Sippe in Kudonaber, daher gebührte selbst dem klapprigen Alten Ehrfurcht und Respekt. Die Träger schnauften und schnappten nach Luft, als sie den Alten die Treppe zur Stadt mauer hinaufwuchteten. Begleitet wurde der Alte von einer Abordnung der jüngeren Kniesterbeiner, einer affiger als der andere, fand Därwellsknull. »Dort hinten, seht ihr?« Därwellsknull deutete auf die Heersäule der Durlaner. »Tatsächlich«, keifte der Alte. »Das Ge sindel rückt wieder heran. Ist alles vorberei tet?« »Selbstverständlich, ehrwürdiger Knies terbeiner«, sagte Därwellsknull respektvoll. An dem Alten vorbei schielte Därwellsknull nach Hellendhurr, der jüngsten Tochter des
4 Alten; sie war heiratsfähig, Därwellsknull heiratswillig, und der alte Kniesterbeiner wußte einstweilen von nichts. Wenn er et was zu hören bekam, würde er Därwells knull eigenhändig die Hörner abreißen. Hel lendhurr war nämlich seit langem dazu aus ersehen, den jungen Glibberbrr zu ehelichen, einen sehr wohlhabenden jungen Mann, dem außer Geld alles fehlte, was einen Ghyxaner auszeichnen konnte. Därwellsknull wußte, daß er entweder sich selbst, den alten Knies terbeiner oder aber Glibberbrr würde um bringen müssen, und er war sich auch des betrüblichen Umstands bewußt, daß nur sein eigener Tod – aus seiner Sicht – ein unwi derrufliches Ende seines Liebeskummers mit sich bringen konnte. Zum einen gab es außer dem Alten noch eine entsetzlich lange Reihe von jüngeren Kniesterbeinern, die allesamt an Geld mehr als an dem Liebesglück ihrer kleinen Schwester interessiert waren; zum anderen folgten auf Glibberbrr eine lange Reihe anderer Heiratskandidaten, nicht min der reich, nicht minder widerwärtig. Wie immer man die Dinge auch betrach tete, es sah nicht gut aus, was das eheliche Glück des Ghyxaners Därwellsknull anging. Hellendhurr erlaubte sich ein verschämtes Winken, das glücklicherweise der Aufmerk samkeit ihrer älteren Brüder entging. Där wellsknull produzierte ein idiotisches Grin sen, das seine Zuneigung überdeutlich zum Ausdruck bringen sollte. Rechts und links von der Gruppe zogen die anderen Verteidiger der Festung Kudo naber auf ihre Posten. Hunderte von Schleimbällen lagen griffbereit, den an griffslustigen Durlanern an die Köpfe ge worfen zu werden. »Diesmal wird kein Pardon gegeben«, sagte der alte Kniesterbeiner. Därwellsknull sah den Kniesterbeiner an, sein Gesicht drückte Verwirrung aus. »Hocherwürdiger Kniesterbeiner«, sagte Därwellsknull entgeistert. »Ich verstehe Euch nicht recht. Was meint Ihr damit: es soll kein Pardon gegeben werden?« »Das liegt doch auf der Hand«, ereiferte
Peter Terrid sich der Alte. »Wir werden dafür sorgen, daß die Durlaner niemals wieder unsere herrliche Stadt angreifen werden, versteht ihr? Ich bin es endgültig leid.« »O Inbegriff der Ehrwürdigkeit«, versetz te Därwellsknull, noch immer entgeistert. »Soll das bedeuten, daß wir beim Kampf den Durlanern nicht wiedergutzumachenden Schaden zufügen sollen?« »Ihr sollt diese Lumpen umbringen!« schrie der Alte, außer sich vor Wut. Därwellsknull taumelte einige Schritte zu rück. Er wedelte mit den Händen, als versu che er, böse Geister von sich zu scheuchen. »Nicht doch!« begehrte er auf. »Das wäre … ja, wirklich, das wäre …« Ihm fehlten die Worte. Ein solcher Befehl war unerhört in der Geschichte der Ghyxa ner. Noch niemals waren Auseinanderset zungen zwischen den Großmächten derart ausgeartet, wie es Kniesterbeiner jetzt be stimmte. »Ich verlasse mich darauf, daß meine Be fehle ausgeführt werden«, erklärte der alte Kniesterbeiner. Seine rechte Hand begann zu zittern. »Leute, packt an. Schafft mich in meine Hütte!« Offenbar bekam der Alte seine Stunden, ausgerechnet in diesem kritischen Augen blick der Geschichte Kudonabers. Fassungs los sah Därwellsknull zu, wie die Träger den Alten abtransportierten. »Was jetzt?« fragte Haptenfell und starrte dem Transport hinterdrein. »Wir können doch nicht …?« »Befehl ist Befehl«, warf Garrenpitz ein. »Wenn der Kniesterbeiner sagt, wir sollen die Durlaner umbringen, dann werden wir das tun.« »Und wie?« fragte Därwellsknull wütend. »Hast du schon einmal jemanden umge bracht?« Garrenpitz machte eine Geste der Empö rung. »Selbstverständlich nicht«, entrüstete er sich. »Na also«, kommentierte Därwellsknull. »Jetzt stehen wir hier, und was sollen wir
Koordinator der Ewigkeit tun?« Die anderen machten Gesten der Unsi cherheit. Das Problem war knifflig, ganz be sonders für Därwellsknull. Wenn er sich überhaupt noch eine Chance ausrechnen wollte, die schöne Hellendhurr in sein Schlammloch zu bekommen, durfte er sich die Sympathien des griesgrämigen Kniester beiners nicht verderben. Obendrein wußten praktisch nur die Wachen auf diesem einen Mauerabschnitt von dem Befehl des Staats oberhaupts; bis sich die Sache herumgespro chen hatte, mußte einige Zeit vergehen. Und dann war noch das Problem zu lösen, wie man ohne jede praktische Erfahrung einen anderen Ghyxaner umbrachte. »Sie kommen immer näher«, sagte Gar renpitz. Seine Hörhörner zitterten vor Aufre gung. »Wir müssen bald etwas unterneh men.« »Laßt sie kommen«, sagte Därwellsknull. Er war Abschnittskommandant, und er be mühte sich, seine Stimme so befehlsgewohnt wie möglich klingen zu lassen. Er war das erste Mal Gruppenbefehlshaber, und er sah in dieser Aufgabe eine Möglichkeit, sich hervorzutun. Insgeheim träumte er davon, Heldentaten vollbringen zu können – wie beispielsweise Pellenvoort, der dem Ober kommandierenden der Durlaner alle vier Hörhörner mit eigener Hand abgebrochen hatte. Das war vor mehr als siebenhundert Jahren gewesen, und seither hatte es nie mand mehr geschafft, einen solchen Streich durchzuführen. Wenn es aber Därwellsknull gelang, ein ähnliches Kunststück zuwege zu bringen, dann hatte er berechtigte Aussichten, Schwiegersohn des alten Kniesterbeiners zu werden. »Immer kommen lassen«, sagte Därwells knull. Er bemerkte, daß er am ganzen Kör per zu beben begann. Ein rascher Blick belehrte ihn, daß auch die anderen vor Erregung fast platzten. »Vielleicht kommt es gar nicht soweit, daß wir sie umbringen müssen«, wünschte sich Garrenpitz.
5 Die Durlaner aber machten keinerlei An stalten, ihm diesen Wunsch zu erfüllen. In geordneten Kolonnen marschierten sie auf die Stadt zu. »Seltsam, wie sie marschieren«, murmelte Därwellsknull. »Immer einer neben dem an deren, und sie bewegen die Beine alle ganz gleichzeitig. Was sie sich wohl davon ver sprechen?« »Es sieht hübscher aus«, bemerkte Hap tenfell. »Wir sollten das bei uns vielleicht auch einführen, diesen gleichmäßigen Schritt.« »Und was haben sie denn da an den Fü ßen?« fragte Garrenpitz plötzlich. »Könnt ihr es sehen?« Därwellsknull spähte zu den heranrücken den Durlanern hinüber. Tatsächlich, sie hat ten ihre Füße verhüllt. Sie schienen sich selt sam aussehende Futterale hergestellt zu ha ben, in die sie ihre Füße gesteckt hatten. »Lächerlich«, entfuhr es Därwellsknull. »Kein Wunder, daß sie so seltsam marschie ren, mit diesen Dingern an den Füßen. Wahrscheinlich müssen sie sich einander festhalten, um nicht umzufallen!« Die Vorstellung war dazu angetan, Heiter keit zu erregen, und tatsächlich lachten auch alle Umstehenden, daß ihre Hörhörner sich spiralig zu kräuseln begannen. Das Lachen verging den Verteidigern von Kudonaber, als der Trupp der Durlaner sei nen Marsch fortsetzte, obwohl längst der er ste Verteidigungsgürtel erreicht war. Anstatt sich, wie es das Herkommen verlangte, ent lang der Straßen zu bewegen und als erstes die dort aufgestellten Wachen gefangenzu nehmen, marschierten die Durlaner dreist neben den Straßen her, auf freiem Gelände. »Heiliges Sekret!« entfuhr es Därwells knull. »Seht euch das an, Leute. Das gemah lene Glas hält sie überhaupt nicht auf.« Er sah, daß sich einige vor Erregung ver färbten. Offensichtlich war nicht nur der alte Kniesterbeiner entschlossen, dem Kampf zwischen Durlanern und Kudonaberern eine neue Qualität zu geben. Auch die angreifen den Durlaner schienen fest entschlossen,
6 diesen Kampf zur unwiderruflich letzten Schlacht um die Vorherrschaft zwischen den beiden Reichen zu machen. »Was schleppen sie da mit sich herum?« fragte Haptenfell. »Seht ihr es? Die langen Stangen, mit den Querstangen daran? Was wollen sie mit den Dingern?« Därwellsknull stieß einen heiseren Laut der Erregung aus. Er kannte solche Kon struktionen, weil sie beim Hallenbau ver wendet worden waren. Man konnte aus ver schiedenen Stangen, die kunstfertig mitein ander verbunden wurden, eine Gerüstkon struktion herstellen. »Rufe den ältesten Kniesterbeiner, den du finden kannst, Garrenpitz!« rief Därwells knull. »Und mach schnell, es eilt. Eine Kata strophe steht uns bevor.« »Was denn«, rief Garrenpitz erregt. »Diese Durlaner sollen uns gefährlich wer den können?« »Seht nur, sie kommen immer näher!« rief Haptenfell. »Nun, an der Mauer werden sie sich die Hörner verätzen.« Därwellsknull machte eine Geste der Ver neinung. »Das werden sie nicht«, rief er laut. »Sie werden an der Mauer ein Gerüst errichten, so wie wir es mit den Hallen zu tun pfle gen.« Er hatte das zweifelhafte Vergnügen zu sehen, daß Haptenfell taumelte. »Das ist infam!« schrie der Jüngere. »Dann können sie die Mauer übersteigen, ohne sie auch nur zu berühren.« Därwellsknull sah an der Mauer herab. »Genau das werden sie tun«, sagte er dü ster. »Lauf, Garrenpitz. Sie fangen nämlich schon damit an.« Garrenpitz sah zu, daß er sich davon machte. Unten, am Fuß der Mauer, erklan gen die Rufe der Durlaner, von oben er scholl das Geheul der überraschten Verteidi ger. Im Hintergrund konnte Därwellsknull ein paar ratlose Wachen sehen, die es nicht wagten, ihre Posten zu verlassen. Sie hätten sonst den Durlanern folgen und durch den Glassand marschieren müssen, und das hät-
Peter Terrid ten ihre Füße nicht überstanden. »Werft ihnen Schleimballen auf die Köp fe!« schrie Därwellsknull. »Los, Leute, kämpft. Gebt euer Bestes!« Ob das genügen würde, stand auf einem anderen Blatt. Am Fuß der Mauer, minde stens einen Schritt davon entfernt, begannen die Durlaner in aller Ruhe damit, ihre Ge rüstkonstruktionen aufzurichten. Schon sah Därwellsknull, wie sich eine solche Latten konstruktion in die Höhe bewegte. Ein Stück Holz tauchte vor seinen Augen auf – in Hö he der Mauerkrone, wie Därwellsknull er schreckt feststellen mußte. Die Durlaner machten sich unverdrossen daran, diese Höl zer mit Seilen zu halten, deren Enden sie im Boden an hölzernen Pflöcken befestigten. Därwellsknull spürte, wie seine Haut spröde zu werden begann, ein sicheres Zeichen, daß er sich geistig völlig verausgabt hatte. Där wellsknull spürte, daß er in spätestens einer Stunde sein Schlammloch würde aufsuchen müssen. Wenn er Glück hatte, würde er die Invasion Kudonabers im Koma erleben. Einstweilen aber sah es so aus, als müßte er den ersten Angriff der Durlaner mit eige ner Hand zurückschlagen. Därwellsknull griff nach einem Schleimballen und beugte sich über die Mauer. Unten wimmelten die Durlaner durchein ander. Därwellsknull holte aus, zielte und warf. Der Schleimballen sauste durch die Luft und landete zielsicher auf dem Kopf ei nes der angreifenden Durlaner. Der Angrei fer stieß ein entsetztes Quieken aus, als er die glitschige Masse an seinem Schädel spürte. Binnen weniger Herzschläge war sein ganzer Körper von den Absonderungen des Schleimballens bedeckt, einer glitschi gen, durchsichtigen Masse, die nicht nur pe netrant stank, sondern es auch unmöglich machte, den betreffenden Durlaner anzufas sen. Jeder Griff verlor unweigerlich den Halt und hatte höchstens zur Folge, daß nun auch der Angreifer den widerlichen, zähen Schleim an den Händen hatte. Der Umgang mit Schleimbällen wollte gelernt sein, und Därwellsknull war ein Meister auf diesem
Koordinator der Ewigkeit Gebiet. Binnen kurzer Zeit verschleuderte er sieben Schleimbälle, und er traf jedesmal ins Ziel. Auf dem Boden vor der Mauer wälzten sich sieben Durlaner, von den Hörnern bis an die vermummten Füße mit seifigem Schleim bedeckt, unfähig, sich wieder zu er heben. Auf dem Boden bildeten die sieben ein zuckendes Knäuel aus schleimbedeckten Leibern. Därwellsknull kicherte unterdrückt. Seine Erheiterung verflog schlagartig, als er – mehr zufällig als absichtlich – in die Höhe sah. Am Himmel war ein dunkler Punkt auf getaucht, der sich rasch über das Blau des Himmels bewegte. Därwellsknull machte ei ne Geste der Freude. »Wenn das keine angenehme Überra schung ist«, sagte er froh. »Jetzt hat der Krieg ein Ende – der Koordinator ist gekom men!«
2. Wohl war mir nicht bei dem, was ich se hen konnte. Der Weltraum in der Nähe von Säggallo wimmelte von Schiffen, hauptsäch lich handelte es sich um Organschiffe der Scuddamoren. Vor mir saß ein Scuddamore; er steuerte das kleine Schiff, mit dem wir von Säggallo geflogen waren – eine Art dreigeteilter Wurst, in deren Mittelteil wir saßen. Fünf Meter lang war unsere Kabine, sie durchmaß zwei Meter. »Keine Raserei!« ermahnte ich Artin. »Wir wollen um keinen Preis auffallen.« Der Scuddamore machte eine Bewegung, die ich als zustimmende Geste deutete. Bei Scuddamoren war man nie sicher, ob eine Bewegung in der schwärzlichen Aura der Schattenschilde nun auf die Eigentümlich keit des Schildes oder auf eine Bewegung des Trägers zurückzuführen war. Artin jedenfalls, mein seltsamer Verbün deter, folgte meiner Empfehlung. Die Ge schwindigkeit unseres Schiffchens verriet Geschäftigkeit, aber sie deutete nicht auf Flucht hin. Es kostete Nerven, dieses Ver steckspiel im Raum durchzustehen. In un
7 mittelbarer Nähe unseres Bootes fegte ein Organschiff durch den Raum, gerade so, als mache es Jagd auf uns. In der Tat passierte es unsere Position so knapp, daß man fast an ein Rammanöver hätte glauben können. Artin bewies Nervenstärke und behielt den Kurs bei; das Organschiff passierte uns und verschwand in den Weiten des Raumes. Wie der Scuddamore die Nervenbelastung ertrug, war mir ein Rätsel – mir jedenfalls stand der kalte Schweiß auf der Stirn. Es waren Hunderte von Schiffen, die sich im Raum um Säggallo bewegten, größten teils natürlich Schiffe des Neffen Chirmor Flog. Wie es an Bord dieser Schiffe aussah, wußte ich nicht. Möglich, daß der Konflikt zwischen beiden Scuddamoren-Formationen früher oder später auch auf die Flotten im Marantroner-Revier übergriff. Alles, was die unheimliche Macht des Neffen und seines Dunklen Oheims brach, konnte mir und den Bewohnern des Reviers nur hochwillkom men sein. Um so paradoxer war die Situation an Bord unseres kleinen Schiffes. Es gab nur zwei lebende Wesen an Bord dieses Fahr zeugs. Da war ich, der ich mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln versuchen wollte, den Ring des Grauens zu sprengen, mit dem der Dunkle Oheim die Schwarze Galaxis gefangenhielt. Und da war Artin, der Scuddamore, der kein höheres Ziel kannte, als die »Rebellion« der roten Scuddamoren zu zer schlagen und dem Neffen Chirmor Flog zu helfen, seine alte Geistesverfassung zurück zugewinnen – mithin waren meine und Ar tins Ziele das genaue Gegenteil voneinander. Denn Chirmor Flogs »Geisteskrankheit«, die Artin zu heilen versuchte, bestand darin, daß er nicht mehr die eiskalte Härte an den Tag legte, die früher seine Maßnahmen bestimmt hatte. Was aus Artin und mir werden sollte, wußte der Himmel. Einstweilen verband uns nur der Umstand, daß die roten Scuddamo ren hinter uns beiden her waren. »Wir müssen den nächsten loyalen Stütz
8 punkt anfliegen«, erklärte Artin. »Mit diesem Ding?« fragte ich zurück. »Wir werden uns an ein anderes Schiff anhängen«, schlug Artin vor. »Beispielsweise an diese dort …!« Erst jetzt sah ich die Schiffe auf den Schirmen. Sie waren anders geformt als die Organschiffe. Sie bestanden in der Hauptsa che aus einer sechszackigen, sternförmigen Grundplatte; der Durchmesser des Umkrei ses mochte einhundertzwanzig Meter betra gen. Auf dieser Grundplatte gab es zwei Aufwölbungen – eine kleine auf der unteren Seite, eine Kuppel von fünfzig Metern lich ter Höhe auf der Oberseite. Es waren insge samt sechzehn Schiffe, die dort durch den Raum flogen. Die Schiffe wurden von den Organschiffen des Neffen nicht behelligt – folglich gehörten sie auf die eine oder ande re Weise zu den gewohnten Gegebenheiten des Marantroner-Reviers. Auf seltsame Wei se wirkten die sechzehn Schiffe auf mich be drohlicher als die geballte Macht der Organ schiffe, die sich im Raum Säggallo tummel ten. Wie sie so lautlos durch den Raum trie ben, erinnerten sie mich an jene Gespenster schiffe, von denen in irdischen Märchen und Sagen die Rede gewesen war. Zu meinem Entsetzen steuerte Artin unser Boot zielsicher auf den Sternenkonvoi zu. »Was sind das für Schiffe?« fragte ich den Scuddamoren. »Bist du sicher, daß wir dort auf Freunde treffen werden?« Auf meine Verhältnisse übersetzt hieß die Frage, ob es dort etwa Scuddamoren gab, die ich zu fürchten hatte. »Wenn ich mich nicht sehr täusche«, sag te Artin, während er das Schiff in die Nähe der Flotte brachte, »handelt es sich um Ro botschiffe.« »Wozu dienen diese Schiffe?« fragte ich. »Und warum Robotschiffe? Will dort nie mand Dienst tun?« »Was heißt wollen?« fragte Artin nach bester Scuddamoren-Art zurück. »Es sind Transporter, mehr nicht. Die Koordinatoren der Ewigkeit verwenden solche Schiffe.« Koordinatoren der Ewigkeit?
Peter Terrid Was mochte sich hinter diesem Begriff verbergen? Ich hatte gelernt, in dieser Gala xis hinter jedem Wort das Entsetzen zu wit tern. Die Verhältnisse in diesem Bereich des Universums zwangen einfach zu solchem Pessimismus. »Und was transportieren diese Schiffe im Auftrag der Koordinatoren der Ewigkeit?« Ich drang in den Scuddamoren, der unver wandt auf die Robotschiffe zusteuerte. »Ich weiß es nicht«, sagte Artin. Er führte ein Steuermanöver aus. »Ich habe mich nie mit solchen Problemen befaßt. Ich weiß nur, daß es viele solcher Verbände gibt, jeden falls im MarantronerRevier. Wahrscheinlich ist auch dieser Konvoi zum ›Stern der Läu terung‹ unterwegs.« Ein neuer Begriff, verschwommen und unklar. Was mochte sich hinter diesen Wor ten verstecken? Beide Formeln klangen eher beruhigend, ja, das Wort Läuterung erweck te auf den ersten Blick sogar angenehme Empfindungen. Auf der anderen Seite aber wußte ich, daß sich hinter fast allem, was es in dieser Gala xis gab, ein Schrecken verbarg – und mein Verstand sagte mir, daß die Sache, um die es ging, wahrscheinlich um so grauenvoller war, je friedfertiger und anheimelnder der Name war, mit dem der Sachverhalt ver schleiert werden sollte. Ich mußte an das Mittlere Fort denken, an die Lichtkabinen, an den Meisterträumer. Hatte der Stern der Läuterung etwas mit den entsetzlichen Experimenten der Scuddamo ren auf Breisterkähl-Fehr zu tun, mit ihren angestrengten Versuchen, nicht nur die Kör per ihrer Untergebenen zu versklaven, son dern auch ihren Geist in immerwährende Fesseln zu schlagen. Müßige Spekulation, bemerkte der Extra sinn. »Du bist sicher, daß es keine Besatzungen gibt?« fragte ich Artin. »Ziemlich«, lautete die Auskunft, die mich naturgemäß nicht befriedigen konnte. »Wäre es nicht besser, wir würden uns einen anderen Fluchtweg aussuchen?«
Koordinator der Ewigkeit schlug ich Artin vor. Der Scuddamore gab einen Laut der Erheiterung von sich. Nun, wenn es auf der anderen Seite eine aufmerksame Besatzung gab, dann hatten wir ohnehin keine Chance mehr. Wir waren einem der sechzehn Schiffe inzwischen so nahe gekommen, daß jedes Ausweichmanö ver unschwer als Flucht zu deuten war. An gesichts der geringen Reserven unseres Schiffchens war an eine Flucht nicht zu den ken. Artin war ein geschickter Pilot. Er konnte hervorragend mit den Steuereinrichtungen des Schiffes umgehen. Nach kurzer Zeit hat te er den Kurs der beiden Schiffe angegli chen. Dann ließ er das Boot langsam absin ken, bis sich die beiden Hüllen berührten. Mit einem Knopfdruck koppelte Artin die beiden Schiffe zusammen. »Geschafft!« sagte er schließlich. Er machte eine Geste der Befriedigung. »Nun brauchen wir nur noch abzuwarten.« »Warten?« wollte ich wissen. »Worauf?« »Auf den Weiterflug dieses Schiffes«, er klärte Artin. »Auf den Schirmen kannst du sehen, daß der ganze Konvoi langsam aus dem Raumsektor Säggallo hinausdriftet. Ir gendwann werden die Schiffe in den über lichtschnellen Flug übergehen, und sobald sie im Zielsystem angekommen sind, brau chen wir uns nur abzukoppeln. Im Zielsy stem werden wir bestimmt einen Stützpunkt mit loyalen Scuddamoren finden, die uns helfen werden, Säggallo für unsere Sache zurückzugewinnen und dem Neffen zu hel fen.« Nichts konnte weiter von meinen Plänen entfernt sein als diese Aussicht des eifrigen Scuddamoren Artin, aber ich hütete mich, dem Scuddamoren davon auch nur ein Wört chen zu sagen. Tun konnte ich unter diesen Umständen ohnehin nichts. Die sechzehn Schiffe des Gespensterkonvois drifteten durch den Raum, antriebslos, aber mit hoher Fahrt. Ich wußte nicht, woher sie kamen – Artin, dazu befragt, wußte ebenfalls keine Antwort –, noch wußte ich, wohin diese Reise ging, ge
9 schweige denn, welchen Zweck sie hatte. Es war still in unserem kleinen Boot. Ich blickte ab und zu auf die Schirme, auf denen zu sehen war, wie wir uns von Säggallo ent fernten. Ich stellte nicht ohne Erleichterung fest, daß wir längst außer Reichweite der Bodenforts des Planeten waren, und es gab kein einziges Organschiff in Reichweite. Vor dieser Bedrohung waren wir also sicher. Wenn uns Gefahr bedrohte, dann mußte sie von den Gespensterschiffen ausgehen. »Ich würde mir ein solches Schiff gerne von innen ansehen«, sagte ich. »Vielleicht stoßen wir trotz allem auf eine Besatzung, die uns helfen kann.« »Keine schlechte Idee«, sagte Artin prompt. »Ich werde es versuchen.«
* Unsere Schritte hallten auf dem metalle nen Boden. Wir hatten die Schleuse passiert, ohne auf Schwierigkeiten gestoßen zu sein. Und bisher waren wir auf kein einziges Le bewesen gestoßen. Gefunden hatten wir etli che Roboter, teilweise ortsfeste Maschinen, teilweise frei bewegliche Einheiten. Die Vorstellung von den Geisterschiffen hatte ich schnell begraben müssen. An Bord des Schiffes herrschte eifrige Tätigkeit. Maschi nen liefen. Wir konnten die sanften Vibra tionen deutlich spüren. Auf den Fluren brannten Leuchtkörper, in einigen Räumen sahen wir Roboter bei der Arbeit. Womit ge nau sie sich beschäftigten, ließ sich ohne weiteres nicht erkennen. In jedem Fall machte das Sternenschiff auf mich den Ein druck einer voll funktionsfähigen robotge steuerten Einheit, nicht unähnlich den Ro botschiffen des Regenten, mit denen ich öf ter zu tun gehabt hatte, als mir lieb gewesen war … Ich riß mich zusammen. Es war eine der unangenehmen Begleiterscheinungen des Extrasinns, daß er mich zu völlig unpassen den Zeiten mit Erinnerungen bestürmte. Wir erreichten einen Antigravschacht, der in die Höhe führte. Nach meiner Schätzung muß
10 ten wir uns unterhalb der großen Kuppel der Oberfläche aufhalten, und ich brannte dar auf, diese Kuppel zu studieren. Artin ging voran. Noch während wir in die Höhe schwebten, wurde es an Bord laut. Wir sa hen zu, daß wir den Antigravschacht schnellstens verließen. Das Vibrieren unter unseren Füßen wurde stärker und stärker. »Die Schiffe beschleunigen«, vermutete Artin. Wir suchten nach einem Raum, in dem wir Instrumente und Schirme finden konn ten, die uns zu zeigen vermochten, was sich außerhalb abspielte. Ich überließ es Artin, einen solchen Raum zu finden. Was ich da bei zu sehen bekam, war nicht viel. Es gab durcheinanderhastende Roboter, die sich nach Form und Funktion stark voneinander unterschieden, und deren Zweckbestimmung mir unklar blieb. Des weiteren stießen wir auf riesige Hallen. Bei einem Transporter war das nicht weiter verwunderlich, aber diese Hallen waren leer, sorgsam blankge fegt. Über das, was in diesen Hallen trans portiert wurde, ließen sich keine Anhalts punkte gewinnen. Endlich hatte Artin einen Raum gefunden, der seinen Vorstellungen entsprach. Um die Zentrale des Schiffes konnte es sich dabei nicht handeln, dafür war der Raum entschie den zu klein. Es gab dort aber Anschlüsse für Kommunikationsanlagen, und mit ein paar geschickten Handgriffen hatte Artin den Raum an das Beobachtungssystem des Schiffes angeschlossen. Ein Bildschirm flammte auf. Der Konvoi wurde sichtbar, und im Hintergrund Säggal lo. Deutlich war zu sehen, daß die Sternen schiffe stark beschleunigten. Offenbar hielt der Befehlshaber der Robotflotte die Zeit für gekommen, sich davonzumachen. Von wo aus die sechzehn Schiffe gesteuert wurden, ließ sich ebenfalls nicht sagen. Möglich, daß es auf irgendeiner Welt im Marantroner-Re vier einen Sender gab, über den die Robot anlagen der Sternschiffe ferngesteuert wer den konnten; möglich auch, daß die großen Bordrechner genaue Befehle enthielten, die
Peter Terrid den Schiffen ein eigenständiges Operieren gestatteten. »Wir werden bald in den überlichtschnel len Flug eintreten«, verhieß Artin. »Fliegen wir zum Stern der Läuterung?« fragte ich. »Ich weiß es nicht«, sagte Artin. »Ich weiß nicht einmal, wo dieser Stern über haupt liegt.« »Du hast ihn nie gesehen?« Artin machte eine Geste der Verneinung. Das gab mir zu denken. Wer oder was wur de auf diesem Stern geläutert? Mir fiel ein, daß der Begriff auch etwas mit Metallurgie zu tun haben konnte. Gewisse Erze wurden geläutert. Bezog sich das Wort nun auf die Seele von Lebewesen oder auf die Qualität von Erzen? Daß in diesem Zusammenhang ein Wesen erwähnt wurde, das Koordinator der Ewigkeit genannt wurde, machte die Sa che eher komplizierter als einfacher. Was war in diesem Zusammenhang unter Ewig keit zu verstehen? Kümmere dich um Dinge, die näher lie gen, ermahnte mich der Logiksektor. Der Einwand war berechtigt. In diesem Augenblick gingen die Sternen schiffe in überlichtschnellen Flug. Säggallo verschwand von dem Bildschirm, und mit dem Planeten die Scuddamoren-Flotten im Raum von Säggallo. Unwillkürlich atmete ich erleichtert auf. Seit ich zum ersten Mal ein Organschiff und seinen unglücklichen Lotsen gesehen hatte, verspürte ich beim Anblick dieser Schiffe ein Gefühl des Grau ens. Artin schaltete die Bildschirme ab. »Ich schlage vor, wir kehren an Bord un seres Beiboots zurück«, sagte er. Ich wagte nicht, ihm zu widersprechen. Artin und ich befanden uns auf einer Reise ins Unbekannte, und in dieser Galaxis kann te sich der Scuddamore besser aus als ich. Einstweilen war es für mich besser, wenn ich seinen Ratschlägen und Hinweisen folg te.
3.
Koordinator der Ewigkeit »He da, ihr da unten!« schrie Därwells knull. »Hört auf mit dem Unfug. Der Krieg ist beendet. Der Koordinator landet.« Er tat so, als wäre das die normalste Bot schaft, die man sich nur denken konnte. Die Wirklichkeit aber sah anders aus. Zwar lan dete der Koordinator in jeder Generation einmal auf Ghyx, aber es war durchaus nicht sicher, welcher Stadt er den Vorzug gab. In diesem Fall aber konnte es keinen Zweifel geben, daß Kudonaber die auserwählte Stadt war. Därwellsknull verspürte ein intensives Glücksgefühl, als er daran dachte, daß auch er jetzt zu den Auserwählten zählen konnte. Alles hing von ihm ab. Aber zunächst einmal mußte der Koordi nator der Ewigkeit landen. Därwellsknull sah wieder in die Höhe. Der Körper am Himmel wurde zusehends größer. Langsam senkte er sich auf den Boden des Planeten herab. Es war ein Organschiff, die alten Sa gen hatten sich also nicht geirrt. Därwellsknull bemerkte, daß er heftiger zu atmen begann. Nun, das war kein Wun der. Schließlich war die Landung eines Ko ordinators der Ewigkeit ein einmaliger Vor gang, und das galt in buchstäblichem Sinn. Nur ein einziges Mal im Leben eines Ghyx aners landete der Koordinator auf dem Pla neten; wer dann nicht zu den Auserwählten gehörte, hatte in seinem Leben keine weitere Chance, der Segnungen teilhaftig zu werden, die der Besuch eines Koordinators mit sich brachte. Atemlos vor Spannung sah Där wellsknull zu, wie sich das Organschiff auf den Boden herabsenkte. In Sichtweite der Stadt Kudonaber blieb das Organschiff des Koordinators stehen, ein Zeichen der Ver heißung für jeden Bewohner der großen Stadt. »Verschwindet!« rief Haptenfell den Dur lanern zu. »Das ist unsere Stadt, und der Ko ordinator will uns besuchen.« Die Durlaner sahen sehr grimmig drein, und das war kein Wunder. Sie warteten schon seit vier Generationen darauf, daß sie wieder einmal an der Reihe waren, vom Ko ordinator besucht zu werden – wohingegen
11 Kudonaber das Glück gehabt hatte, zum zweiten Mal nacheinander beehrt zu werden. »Wo ist er? Sagt mir wo er ist! Ich muß ihn sehen!« Das war nicht die Stimme des alten Kniesterbeiners, erkannte Därwellsknull so fort. Der Alte lag vermutlich in einem erhol samen Koma in seinem Schlammloch. Er hatte wirklich Pech, dachte Därwellsknull. Ein Leben lang hatte der boshafte Alte Ku donaber beherrscht und seine Einwohner herumgescheucht – und ausgerechnet im wichtigsten Augenblick der jüngsten Ge schichte verfiel er ins Koma. Es war Niddengran, der die Treppen hin aufhastete, einer der zahlreichen Söhne des Alten aus seiner ersten Ehe zur linken Hand. Von der ganzen Kniesterbeiner-Sippe war er der affigste und eingebildetste. Därwells knull hätte ihm am liebsten die Hörhörner verbogen, aber er unterließ es wohlweislich, diesem Impuls zu folgen. Wenn es das Schicksal wollte, traf den alten Kniesterbei ner sehr bald der Schlag, und dann konnte sehr leicht Niddengran Sippenältester und Staatsoberhaupt werden. »Dort steht das Schiff, Kniesterbeiner«, sagte Därwellsknull. Niddengran produzierte ein amüsiertes Glucksen. Er machte eine herrische Geste. »Auf denn, Leute. Wir wollen den Koor dinator begrüßen!« Därwellsknull hatte noch nie gehört, daß sich ein Koordinator hätte blicken lassen, nicht in allen Generationen. Der Koordinator blieb für gewöhnlich in seinem Schiff und schickte nur seine metallenen Diener hinaus. Sie verhandelten mit den Ghyxanern über Lebensmittellieferungen und alle wichtigen Dinge – vor allem natürlich über den »Immerwährenden Segen«. Niddengran hastete die Stufen wieder zu rück. Därwellsknull warf einen Blick über die Mauer, um nach den Durlanern zu sehen. Die Angreifer zogen sich zurück, und ihre Laune war sehr schlecht. Sie fluchten ent setzlich, wahrscheinlich, so sagte sich Där wellsknull, weil der Koordinator ausgerech
12 net in den wirkungsvollsten Angriff hinein geplatzt war, den die Durlaner jemals auf Kudonaber unternommen hatten. »Macht, daß ihr fortkommt!« keifte Där wellsknull. »Und wagt es nicht, dem Koor dinator unter die Augen zu treten.« Einer der Durlaner machte eine sehr un schöne Geste. Därwellsknull schämte sich, daß er die Beleidigung überhaupt verstand, und er sah zu, daß er sich an Niddengrans Fersen heftete. Der vorläufige Sippenälteste strebte dem Stadttor entgegen, wo sich bereits eine große Menge versammelt hatte. Eine freudige Stimmung lag über der Menge, alles drängte und schubste und schrie und zankte. Där wellsknull wäre bei seinem Bemühen, die Nähe des Kniesterbeiners zu suchen, um ein Haar in ein fremdes Schlammloch gefallen. Er entschuldigte sich umständlich bei dem Bewohner, obwohl er sich sagte, daß es schließlich Sache des Schlammlocheigners war, für eine Hütte Sorge zu tragen. Es schickte sich nicht, ein Schlammloch unter freiem Himmel anzulegen, so etwas verriet seltsame Neigungen oder gar Schlimmeres. Vor dem Stadttor mußte selbst Nidden gran ein wenig warten. Erst nach einigem Hin und Her öffneten die Posten die schwe ren Türflügel. Vernehmlich ächzten die Flü gel in den Angeln. Das Publikum seufzte vor Ungeduld. »Alles folgt mir, und wehe dem, der mir vorauseilt!« schrie Niddengran. Er nahm sich selbst unglaublich wichtig, fand Där wellsknull. Die Aussicht, in diese Sippe hin einzuheiraten, war alles andere als ange nehm. Wären nicht Hellendhurrs Vorzüge gewesen … Ein kräftiger Puff ließ Därwellsknull aus seinen verliebten Träumen aufwachen. Er setzte ein möglichst wichtigtuerisches Ge sicht auf und beeilte sich, Niddengran zu folgen. Die erste Komplikation gab es be reits ein paar Schritte hinter dem Tor. Dort hatten sich nämlich die Straßenwachen ver sammelt, und deren Eifer, in die Stadt hin einzukommen, traf sich mit Niddengrans
Peter Terrid Verlangen, die Stadt zu verlassen. Es dauer te nur ein paar Herzschläge, dann hatten sich beide Gruppen ineinander verheddert, stie ßen und rempelten sich an, fluchten und schrien wild durcheinander. Von der Straße abweichen wollte niemand, denn hart neben der Straße erstreckte sich das Schutzfeld mit dem Glassand, der durchaus seine Wirkung tat, wenn man nicht die seltsamen DurlanerFutterale für die Füße trug. Die Ghyxaner, die sich von der Straße abdrängen ließen, mischten sehr bald in das allgemeine Chaos schmerzliche Schreie und lautes Rufen nach Heilkundigen. Es dauerte eine halbe Stunde, bis das Cha os einigermaßen entwirrt war. Die Wachen nahmen mit mißtrauischen Gesichtern an den Rändern der Straße Aufstellung und lie ßen die Delegation aus der Stadt passieren – nicht ohne darauf zu achten, daß keiner der stadtauswärts Marschierenden den Wachen zu nahe kam und sie etwa in den Glassand stoßen konnte. Während des Durcheinanders hatte es Därwellsknull geschafft, sich zu Niddengran durchzuschlagen. Mit feierlichen Bewegungen stapfte dieser über die Straße. Er bewegte sich entsetzlich komisch, fand Därwellsknull, bis ihm auf fiel, daß er ähnlich hoheitsvoll zu schreiten versuchte und einen ähnlich erheiternden Anblick bieten mußte. Das nächste Hindernis auf dem Weg zum Koordinator waren einige Bewohner von Durl, die offenbar allen Anstand vergessen hatten und in der Nähe der Straße standen. Sie konnten es in dem Glassand aushalten, und sie überschütteten die Kudonaberer mit allerlei boshaften Bemerkungen. Einige machten sogar Anstalten, handgreiflich zu werden, wurden aber von besonneneren Ge fährten daran gehindert. »Trollt euch«, sagte Niddengran hoheits voll. »Aus den Augen!« Seine Sprache war nach Därwellsknulls Einschätzung noch eine Spur affektierter als seine Bewegungen. Auf halber Strecke zwischen Stadt und
Koordinator der Ewigkeit Organschiff blieb die Delegation stehen. Bis dorthin vorzurücken, war ein Zeichen der Ehrerbietung und des Respekts. Jeder Schritt weiter wäre Anmaßung gewesen. Minuten vergingen, dann öffnete sich ein Loch im Leib des Organschiffs. Ein Raunen ging durch die Menge, als eine Gestalt er schien die im Licht der Sonne glänzte und schimmerte. »Ein stählerner Diener!« flüsterte es in der Menge. Därwellsknull konnte sich nicht erinnern, jemals etwas so Herrliches gesehen zu haben – eine seltsame, bizarre Gestalt aus Metall, die im Licht der Sonne gleißte und glänzte, von fast überirdischer Schönheit. Ein Aufschrei ging durch die Menge, als sich der stählerne Diener in Bewegung zu setzen begann. Das Organschiff blieb in der Sonne liegen – übrigens mitten im Glassand, wie Därwellsknull entgeistert bemerkte –, während sich nacheinander fünf metallene Diener des Koordinators aus dem Innern schoben und auf die Kudonaberer zukamen. Därwellsknull spürte, wie Schauer der Er regung über seinen Körper liefen. Hunderte, Tausende von Kudonaberern hatten diesem Augenblick entgegengefiebert. Jetzt war er Wirklichkeit geworden. Der Koordinator der Ewigkeit war ge kommen. Der vorderste der stählernen Diener blieb stehen, einen Schritt vor Niddengran. »Ich grüße den Abgesandten des Koordi nators der Ewigkeit«, sagte Niddengran. »Ich grüße dich, Ghyxaner«, sagte der stählerne Diener. Wenn es etwas gab, was Därwellsknull besonders verwunderte, dann war es der Umstand, daß diese Gebilde aus Stahl sich nicht nur bewegen, sondern sogar reden konnten. Die Sprache der stählernen Diener war seltsam und schwer verständlich, aber Därwellsknull war einer der wenigen, die den stählernen Diener verstehen konn ten. Seine Eltern hatten darauf geachtet, daß er die Sprache der Koordinatoren erlernt hat te, obwohl nicht zu erwarten gewesen war, daß er sie jemals würde anwenden können.
13 »Des weiteren bestelle ich den Gruß des Ko ordinators der Ewigkeit, Ghyxaner«, sagte der Diener des Koordinators. »Tolfex ent bietet euch allen seinen Gruß.« Schon der Name verriet, daß es sich bei dem Koordina tor um ein sehr seltsames Lebewesen han delte. Wer hieß schon Tolfex? Glarrenbranz, oder Lodderguz, Haskenrell, das waren nor male Namen, so hießen Lebewesen – aber einfach nur Tolfex? Vielleicht verriet die Kürze des Namens die ganze Machtfülle und Herrlichkeit dieses geheimnisvollen Wesens. »Der hohe Gebieter läßt fragen, ob das Volk von Ghyx bereit ist, dem Ruf zu fol gen, der aus der Ewigkeit ergeht.« Därwellsknull fühlte sich von feurigen Strömen durchspült. Er stand nur drei Schritte von Niddengran entfernt. Er konnte die Sonne auf der Haut des stählernen Die ners glänzen sehen. Er, Därwellsknull, so nahe einem großen Augenblick der Ge schichte von Kudonaber. Der junge Ghyxa ner fühlte sich gleichsam erhöht über die Wirklichkeit hinaus, entrückt in die Einsam keit historischer Größe. »Wir sind bereit«, sagte Niddengran ha stig. »Natürlich sind wir bereit. Alle sind wir bereit, nicht wahr? Alle!« Därwellsknull hätte ihn prügeln können. Jetzt wäre die Zeit für eine Rede gewesen, für eine richtige große Rede, von der man noch sprechen konnte, wenn Jahrzehnte ver gangen waren. Statt dessen stammelte dieser Tropf Unsinn daher, verschenkte diesen wunderbaren Augenblick, ja, holte ihn mit seinem dümmlichen Geschwätz sogar auf das Niveau des Trivialen herunter. »So rüstet euch«, sagte der stählerne Die ner. »Wir werden morgen in eure Stadt kom men und den immerwährenden Segen spen den. Bis dahin empfangt die Grüße unseres Herr Tolfex.« Der stählerne Diener machte eine Bewe gung, die Därwellsknull nicht verstand, weil sie im Gestenschatz der Ghyxaner nicht vor handen war. Wahrscheinlich sollte sie Freundschaft ausdrücken, oder Ehrerbie
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tung. Wahrscheinlich wußte der stählerne Diener, daß er es mit einem leibhaftigen Kniesterbeiner zu tun gehabt hatte. »Niddengran soll leben!« schrie Därwells knull. Er stand neben dem jungen Kniester beiner und schrie so laut, daß der solcherart Gepriesene schmerzlich zusammenzuckte. Genau das hatte Därwellsknull erreichen wollen – man mußte den Augenblick nutzen. »Hoch!« schrie Därwellsknull. »Hoch, hoch, und sein Schlammloch sei gesegnet und gepriesen.« Niddengran wand sich verlegen unter den Hochrufen der Bevölkerung, die kein Ende nehmen wollten. Immer wieder heizte Där wellsknull den Jubel an. Er hörte erst damit auf, als eine tiefe, em pörte Stimme fragte: »Wer hat das angeordnet?« Därwellsknull fuhr herum – und sah in die bösen Augen des alten Kniesterbeiners. Der Alte hatte sich in seinem Schlammloch we sentlich schneller erholt, als man ihm zuge traut hatte. »Du?« fragte Kniesterbeiner grimmig. Wider Willen machte Därwellsknull eine Geste der Bejahung. »Das wirst du bezahlen, Söhnchen!« sagte Kniesterbeiner. »So wahr ich der Herr bin über Kudonaber, das wirst du mir büßen.« Därwellsknull seufzte und fiel in Ohn macht.
* Als er wieder zu sich kam, war er allein und lag, wie er sich mit einem kurzen Rund blick vergewissern konnte, in seiner eigenen Hütte. »Heiliges Sekret«, entfuhr es Därwells knull, als er sich erinnerte, was geschehen war. Offenbar hatte man ihn hierher ver frachtet und neben seinem Schlammloch ab gelegt. Därwellsknull stand auf und trat an den Eingang der Hütte. »Zurück!« fauchte ihn eine herrische Stimme an.
Därwellsknull stieß einen empörten Laut aus. Man hatte ihm zwei Wachen vor die Tür gestellt, und einer der Posten war nie mand anderes als der vermaledeite Glibber brr, den Därwellsknull aus tiefster Seele haßte – was im übrigen höchstwahrschein lich auf Gegenseitigkeit beruhte. »Was soll das heißen?« fragte Därwells knull empört. »Wer hat das angeordnet – und vor allem, warum?« »Du stehst unter Hausarrest«, wurde ihm eröffnet. »Wegen Beleidigung des Staats oberhaupts.« »Ein sehr dehnbarer Begriff«, spottete Därwellsknull. »Und wie lange soll dieser Hausarrest andauern?« Die Antwort war für Därwellsknull über raschend. »Bis der Koordinator wieder abgereist ist!« sagte Glibberbrr, dem diese Aufgabe sichtlich Vergnügen bereitete. »Aber …«, rief Därwellsknull entgeistert. Er weigerte sich zu glauben, was ihm erklärt wurde. »Dann kann ich ja gar nicht des im merwährenden Segens teilhaftig werden!« Glibberbrr machte eine Geste der Verach tung und des Hohnes. »Genau das ist die Absicht des Staats oberhaupts!« sagte er finster. »Am besten ist, du fügst dich drein.« Därwellsknull taumelte in die Sicherheit seiner Hütte zurück. Dieser Vorgang war unerhört. Was sich der alte Kniesterbeiner erlaubte, war in der Geschichte der Ghyxa ner noch nicht vorgekommen. Kniesterbei ner wollte ihm allen Ernstes den immerwäh renden Segen verweigern. Praktisch kam das auf ein Todesurteil hin aus. Därwellsknull hatte zufällig alte Leute ge sehen, die bei der letzten Verteilung des Se gens aus irgendwelchen Gründen leer ausge gangen waren. Diese Ghyxaner waren im Lauf der Jahre immer älter und häßlicher ge worden und eines Tages regelrecht gestor ben, sie waren getrocknet, kleiner geworden, zusammengeschrumpelt – ein Anblick des Grauens.
Koordinator der Ewigkeit Wenn Kniesterbeiner Därwellsknull den immerwährenden Segen verweigerte, hieß das, daß Därwellsknull niemals jenen Zu stand der beständigen Rune erleben konnte, in den früher oder später alle verfielen, die den Segen gespendet bekommen hatten. Das hieß, daß er niemals in eine der Vorhallen der Ewigkeit eingeliefert werden würde. Das hieß, daß Därwellsknull niemals mit dem Koordinator der Ewigkeit Ghyx verlas sen würde, um zum Stern der Läuterung zu fliegen. Es hieß, daß Därwellsknull niemals geläu tert werden würde. Es hieß, daß Därwells knull niemals die Unsterblichkeit erreichen konnte. »Mord!« stöhnte Därwellsknull auf. »Es ist Mord!« Er verfluchte seine Unbesonnenheit. Da hatte er das unverdiente Glück, daß Kudona ber zum zweiten Mal hintereinander vom Koordinator besucht wurde – was bedeutete, daß viele Bewohner der Stadt des Segens teilhaftig werden konnten. Die Durlaner platzten jetzt sicherlich vor Neid, denn sie gehörten nicht zu den Auserwählten, die den Segen gespendet bekamen. Da hatte er das Glück, genau im richtigen Alter zu sein. Der Segen wirkte nämlich nur bei jüngeren und kräftigen Ghyxanern, bei Älteren versagte die Wirkung, daher wurden sie auch gar nicht gesegnet. Und ausgerechnet in diesem Augenblick mußte er den Fehler begehen, sich bei einer politischen Demonstration auf die falsche Seite zu schlagen. »O Hellendhurr!« seufzte Därwellsknull. Er hatte aus Liebe gehandelt, gepaart mit ein wenig Eigennutz. Und das hatte er zum Lohn dafür erhalten – Hausarrest. Die Die ner des Koordinators würden an ihm vorbei gehen, ihm nicht den immerwährenden Se gen spenden. Sie würden Ghyx verlassen, und wahrscheinlich würden sie auch Hel lendhurr mitnehmen, um ihr die Unsterblich keit verleihen zu können. Därwellsknull würde zurückbleiben müs sen, ungesegnet, ohne Weib, allein – und
15 sterblich. Was ihn entsetzte und mit fürch terlichem Schrecken erfüllte, war nicht der Gedanke, sterben zu müssen. Jeder ungeseg nete Ghyxaner mußte sterben – aber er hatte beste Aussichten, gesegnet zu werden. Die Entscheidung des alten Kniesterbei ners kostete Därwellsknull nicht nur das Le ben. Sie brachte ihn um die Unsterblichkeit.
4. Es war ein ganz normales Sonnensystem. Eine Sonne war zu sehen, mehrere Planeten, davon mindestens einer in jenem Bereich, in dem sich höheres organisches Leben ent wickeln konnte – nach dem Maßstab, den Menschen anlegten. Ich wußte aus langer Erfahrung, daß es Welten gab, die von Erd menschen als Wirklichkeit gewordene Höl len bezeichnet wurden – und die dennoch hochentwickeltes Leben hervorgebracht hat ten. Bestes Beispiel dafür waren die Maahks, die Methanatmer. Ich drängte die Erinnerung zurück, die aus den Tiefen meines Gedächtnisses aufzu steigen begannen. Jetzt zählte nicht die Ver gangenheit, nur die Zukunft war wichtig. Artin brütete über den Sternenkarten, die zur Ausrüstung des Raumgleiters gehörten. »Schade«, sagte er nach langem Nachden ken. »Wir haben Pech gehabt. Dies ist kein System, in dem Stützpunkte der Scuddamo ren zu finden wären.« Artin hätte sich wahrscheinlich sehr ge wundert, hätte er gewußt, mit was für Ge danken ich mich trug – ich verspürte den lebhaften Wunsch, den Scuddamoren für diese Glücksbotschaft in den Arm zu neh men. »Der zweite Planet heißt Ghyx«, erklärte Artin. »Dort leben die Ghyxaner.« »Und wie sehen diese Wesen aus? Wel chen Rang nehmen sie im Gefüge des Ma rantroner-Reviers ein.« Artin machte eine Geste der Verachtung. »Gar keinen«, sagte er. »Sie sind ein Nutzvolk, wie viele. Mehr nicht.« Da war es wieder, das typisch Scuddamo
16 renhafte. Es war charakteristisch für die Ge schöpfe mit den Schattenschilden, daß sie bei der Erwähnung anderer Lebewesen aus schließlich nach Begriffen wie Nützlichkeit dachten. Was nicht für die Scuddamoren ar beiten konnte oder sonstwie von Nutzen war, galt den Scuddamoren als eigentlich überflüssig im Kosmos. Die Sternenschiffe nahmen Kurs auf Ghyx. Was hatten sie dort zu suchen, fragte ich mich. »Was sollen wir tun?« fragte ich Artin. »Sollen wir uns loskoppeln?« Der Scuddamore machte eine Geste der Verneinung. »Wir bleiben mit diesem Schiff verbun den«, schlug er vor. »Wenn diese Transpor ter tatsächlich auf Ghyx landen, dann müßte dort eigentlich ein Koordinator der Ewigkeit zu finden sein.« Diese Aussicht reizte naturgemäß auch mich. Ich wußte zwar nicht, was für eine Aufgabe diese Koordinatoren hatten, aber das würde sich herausfinden lassen. »Das Ganze hat irgendwie mit den Organ schiffen zu tun«, sagte Artin plötzlich. »Es ist mir während des Fluges eingefallen. Ir gendwie haben die Koordinatoren der Ewig keit mit der Herstellung der Organschiffe zu tun.« Das war ein hochbedeutsamer Hinweis – auch wenn ich mir dieses irgendwie nicht gut vorstellen konnte. Nun, darauf würde es vielleicht auf Ghyx eine Antwort geben. Ich war gespannt auf das, was wir auf diesem Planeten finden würden. In geordneter Formation steuerte der Kon voi den Planeten an, in geordneter Formati on gingen sie in einen Orbit, und im Forma tionsflug gingen sie schließlich auf dem Pla neten nieder. Wir brauchten dabei keine Hand zu rüh ren, wir konnten uns darauf konzentrieren, das Land unter uns zu betrachten. Eine sehr einladende Welt war Ghyx nicht. Sie lag relativ gesehen etwas weiter vom Zentralgestirn entfernt als die Erde von der Sonne. Ghyx war eine ziemlich feuchte
Peter Terrid Welt, das bewiesen die ausgedehnten Feuchtgebiete. Die Ozeane schienen extrem flach zu sein, mehr Seen zu gleichen als sturmgepeitschten Meeren. Beinahe sofort kam die Erinnerung. Vor nicht allzu langer Zeit hatte ich es mit einer ähnlichen Sumpfwelt zu tun gehabt. Dykoor. Bilder stiegen in mir hoch, entsetzliche Bilder, Bilder des Grauens. Ich kämpfte ge gen diese Erinnerung an. Ich durfte jetzt nicht daran denken. Nicht daran denken, nicht daran denken. Der Extrasinn half mir, blockte die Erin nerung ab, bevor ich den Verstand verlor. Unser Schiff sank auf den Boden des Plane ten herab. Sehr hochentwickelt konnte die Kultur der Planetenbewohner nicht sein. Es waren keine Spuren einer Hochkultur zu se hen. Was hast du erwartet, Stahlgebirge, Mee re von Beton, plastiküberzogene Natur, höhnte der Extrasinn. Verwechsle nicht einen technologischen Kraftprotz mit einem Naturkind! Sekunden später sah ich die ersten Gebäu de. Sie waren klein und bescheiden und da her aus der Luft nur schwer zu entdecken. Am auffälligsten war der Mauergürtel rings um die Siedlung, der wiederum von einem hellen, glitzernden Ring umgeben war. Mit ten auf diesem Ring stand, schwarz, dro hend, unheilverkündend, ein Organschiff. Das mußte das Schiff des Koordinators der Ewigkeit sein, und wenn es noch einen Zweifel gegeben hatte, auf welcher Seite dieser Koordinator stand, dann waren diese Zweifel jetzt beseitigt. Die Koordinatoren der Ewigkeit standen im Dienst des Dunklen Oheims oder eines seiner Neffen. Für die Bewohner von Ghyx lief das auf das gleiche hinaus. Was mochte dieser Koordinator auf dieser Welt wollen? Wozu benötigte er diese Ster nenschiffe? Auf diese Frage bekam ich vorläufig kei ne Antwort. Ich betrachtete weiter die Kul tur der Ghyxaner.
Koordinator der Ewigkeit Der Stadtstaat, in dessen Nähe die Ster nenschiffe offenbar landen sollten, war rie sig. Die Gebäude waren zwar in der Regel recht klein aber dafür gab es ein wahres Meer von Hütten. Im geometrischen Zen trum der Stadt waren riesige Hallen zu er kennen, deren Architektur sich kraß von der Primitivität der normalen Gebäude abhob. Ich ahnte, daß dort der Schlüssel zu dem Ge heimnis zu finden war. Ein Ruck ging durch das Schiff, als der Konvoi auf dem Boden aufsetzte. Wir waren auf Ghyx gelandet. »Was nun?« fragte Artin. »Sollen wir so fort losgehen und uns dem Koordinator der Ewigkeit vorstellen?« »Ich schlage vor, zu warten«, antwortete ich. Der Extrasinn half mir, diesen Vor schlag auch zu begründen. »Wir wissen noch nicht, ob die Rebellion unter den Scud damoren nicht schon Kreise gezogen hat. Bevor wir uns dem Koordinator anvertrauen, sollten wir feststellen, auf welcher Seite er steht.« Artin gab nach kurzem Überlegen einen Laut der Zustimmung von sich. »Wir werden es so machen!« entschied Artin. »Wir werden am Abend diese Stadt aufsuchen und uns dort umsehen.« Der Vorschlag gefiel mir. In der Nacht war von einem Scuddamoren in der Regel nicht sehr viel zu sehen, der tagsüber auf dem weißen Ring um die Stadt mehr als auf fällig sein würde. Ähnliches galt auch für mich. Wir brauchten glücklicherweise nicht sehr lange zu warten. Der Zufall wollte es, daß wir kurz vor Einbruch der Dämmerung auf Ghyx gelandet waren. Daher brauchten wir weniger als zwei Stunden zu warten, bis wir ungesehen das Sternenschiff verlassen konnten. Sehr leise und vorsichtig bewegten wir uns auf die Stadt zu. Es gab eine Straße, die auf die Siedlung zuführte, aber wir mieden diesen Weg. Statt dessen bewegten wir uns über das freie Land. Ziemlich bald mußte ich feststellen, daß die Eingeborenen von
17 Ghyx ziemlich raffiniert waren. Ihre Stadt wurde nicht nur von einer Mauer umgeben. Der weiße Ring, über den wir zu marschie ren hatten, bestand aus einer bösartigen Mixtur aus Sand und winzigen Glassplittern. Wenn bei einer Belagerung Wind aufkam, mochte ich nicht in den Reihen der Angrei fer stehen. Nach kurzer Zeit hatten wir die Grenze der Stadt erreicht. Die Mauer war respektge bietend hoch, mindestens zwanzig Meter. Obendrein stank sie ganz entsetzlich, und daher hütete ich mich, die Steine anzufassen. Vielleicht war die Mauer chemisch präpa riert worden – zwar deutete eine Stadtmauer als Defensivwaffe auf keinen sehr hohen Stand der Waffentechnologie hin, aber das schloß keineswegs aus, daß die Erbauer sol cher Abwehranlagen nicht die eine oder an dere Überraschung bereithielten, die auch technologisch fortgeschritteneren Angreifern zum Verderben werden konnte. Auch ein Raumfahrer mit Kampfanzug und Energie waffe konnte am Gift eines Blasrohrpfeils sterben – ich entsann mich eines Antis, der mir meinen Zellaktivator gestohlen hatte, und an den wir nicht herangekommen wa ren, weil er dank seines psiverstärkten Indi vidualschirmes praktisch unangreifbar ge wesen war, bis ich ihn mit Pfeil und Bogen getötet hatte. Nicht du, es war Perry Rhodan, erinnerte mich der Logiksektor. Wir schlichen uns langsam an der Stadt mauer entlang auf das Tor zu, das uns am nächsten lag. Dort verharrten wir für kurze Zeit. Das Tor war offen, und das wunderte mich nicht wenig. Von Wachen war nichts zu sehen – wozu dann ein Tor, wenn man es weder versperrte noch bewachte? Großen Widerstand konnte das Tor ohnehin nicht liefern – es waren ziemlich dünne Bretter, wie ich im Schein der Feuer erkennen konn te, die auf den beiden Türmen brannten, rechts und links von der Pforte. Mit größter Vorsicht schlich ich mich näher. »Bleib hinter mir«, ermahnte ich Artin. Ich spähte um die Biegung, in die Stadt
18 hinein. Auf den Straßen konnte ich die Bewohner sehen, die Ghyxaner. Sie erinnerten auf den ersten Blick an auf recht gehende Kröten, knapp zwei Meter hoch, mit Hörnerpaaren an den Schädeln. Die Körper waren braun, teilweise grau braun, soweit sich das im unsicheren Schein der Fackeln und der Feuer beurteilen ließ. Die Augen, in der Mitte des Gesichts, waren gelblich, das war deutlich zu erkennen. Sehr rasch ließen sich zwei verschiedene Spielar ten unterscheiden. Die eine Sorte Ghyxaner wies nur ein Hörnerpaar auf, war kleiner und gedrungener. Ihre Artgenossen wirkten schlanker und hatten vier Hörner am Schä del aufzuweisen. Wahrscheinlich handelte es sich bei den vierfach Gehörnten um die Männchen dieses Volkes. Die Sprache der Ghyxaner konnte ich nicht verstehen, sie bestand vornehmlich aus zirpenden Lauten, die ich mit meinen Stimmwerkzeugen vermutlich niemals genü gend gut würde nachbilden können, um mich in der Sprache der Ghyxaner verständ lich machen zu können. Aber vielleicht gab es in diesem Völkchen einige, die Garva-Gu va beherrschten oder doch zumindest rade brechten. »Worauf wartest du?« fragte mich Artin. Die Antwort auf diese Frage mußte ich schuldig bleiben. So oder so, wir mußten Kontakt mit den Ghyxanern aufnehmen. Die Bewohner der Stadt schienen gerade ein Fest zu feiern. Sie liefen aufgeregt zwi schen ihren schäbigen Hütten umher, spran gen und tanzten, und irgendwo im Hinter grund produzierte eine Gruppe von Speziali sten einen infernalischen Lärm, der aber den Ghyxanern sehr zu gefallen schien. Ganz so universell, wie es die Fachleute behauptet hatten, war die Sprache der Musik nicht – mir jedenfalls ging der unstrukturierte Krach entsetzlich auf die Nerven. »Sie feiern ein Fest«, sagte Artin neben mir. »Wahrscheinlich ist der Koordinator der Ewigkeit erst vor kurzer Zeit gelandet. Das würde den Freudentaumel erklären.«
Peter Terrid Das Erscheinen eines Beauftragten des Dunklen Oheims konnte in meinen Augen allerhand erklären, aber ganz bestimmt kei nen Freudentaumel. Wo immer sich die Scuddamoren oder andere Dienstbare des Neffen Chirmor Flog sehen ließen, waren Trauer und Schmerz an der Tagesordnung. Die Angelegenheit Ghyx und der Koordi nator der Ewigkeit war faul, sie stank förm lich zum Himmel. Artin war nicht länger zu halten. Er marschierte in die Stadt. Anders als ich erwartet hatte, brach beim Anblick des schwärzlichen Schemen keine Panik aus. Es wurde still auf der Straße, und die Bewohner wichen respektvoll zur Seite – von Panik war keine Rede. Wenn die Ghyxaner den Anblick eines Scuddamoren so gefaßt aufnehmen, würden sie wohl auch meinen Anblick schadlos er tragen. Ich machte ein paar Schritte und pas sierte das Tor. Ich verstand nicht viel von der Psyche dieser Wesen, aber daß einige kleinere Ghyxaner bei meinem Anblick Deckung hinter den Zweihörnern suchten, war ziem lich leicht zu interpretieren – die Kleinen suchten bei ihren Müttern Schutz vor dem Unbekannten. Ich wedelte mit der Hand durch die Luft. Die Geste war so unsinnig und so nützlich wie irgendeine. Ich wollte lediglich eine Handlung erkennbar vollziehen, die den Ghyxaner keinen Schaden zufügte, das war der ganze Sinn des Manövers. »Freunde!« sagte ich. Ich benutzte GarvaGuva, und man schien mich zu verstehen. Jedenfalls brach spontaner Beifall los, von allen Seiten wurde gezischt und gepfiffen, und beinahe sofort kamen die Kleinen aus ihren Deckungen heraus, um mich zu be staunen. Es war mein Glück, daß ich das Goldene Vlies trug, die kleinen Ghyxaner hätten mich sonst bei lebendigen Leibe ge häutet, so begierig grabschten sie nach mir. Ich versuchte Artin zu finden, aber der hatte sich bereits abgesetzt und war irgendwo in der Menge untergetaucht. Das gefiel
Koordinator der Ewigkeit mir gar nicht, aber es ließ sich vorläufig nichts daran ändern. Solange der Scuddamo re nicht auf dumme Gedanken kam und ir gend etwas auf eigene Faust plante und un ternahm, konnte es mir gleichgültig sein, wo er steckte. Ein sehr betrunkener – oder sehr alter – Ghyxaner kam auf mich zugetorkelt. »Willkommen, Freund«, sagte er in einem schandbar schlechten Garva-Guva, das ich nur mit Hilfe des Extrasinns verstehen konn te. »Wir begrüßen den Abgesandten des Ko ordinators Tolfex«, krächzte die Kröte in schrecklichem Falsett. Offenbar hielt man mich für einen Mitar beiter des Koordinators der Ewigkeit, des halb wurde ich so freudig begrüßt. Diese Freundlichkeit konnte meinem Argwohn nur neue Nahrung geben. Etwas stimmte hier nicht. »Hat der Koordinator uns eine Botschaft mitzuteilen?« fragte der Ghyxaner. Dabei vollführte er einige Gesten, die unschwer als Demuts und Unterwerfungsgebärden zu deu ten waren. »Nein«, sagte ich knapp. »Ich wollte mir nur eure Stadt ansehen.« »Gern will ich dich überall herumführen«, erklärte der Ghyxaner. »Ich bin Kniesterbei ner.« »Aha!« sagte ich, denn aus dieser Bemer kung ließ sich wenig folgern. Kniesterbeiner konnte ein Name sein, einen Rang bezeich nen, aber auch – für mich die wahrschein lichste Interpretation – einen Gemütszustand bezeichnen. »Geh voran!« bestimmte ich. »Ich werde folgen.« Vergeblich hielt ich nach Artin Ausschau. Wohin mochte sich der Scuddamore gewen det haben! Wenn er nur keinen Unfug veran staltete. »Du weißt sicherlich, o Abgesandter des Koordinators, daß sich unsere Stadt Kudona ber nennt.« »Ich weiß«, bestätigte ich. Die Unterhal tung mit der kniesterbeinerischen Kröte war
19 recht schwierig. Der Ghyxaner sprach ein kaum verständliches Garva-Guva. »Wir sind natürlich überglücklich, daß wir schon zum zweiten Mal nacheinander vom Besuch des Koordinators beglückt wer den. Auf der anderen Seite möchte ich mir den Hinweis erlauben, daß die Durlaner, die ses schäbige Gesindel, einer solchen Ehrung gar nicht würdig wären. Wird der Segen morgen gespendet?« »Der Koordinator wird darüber entschei den«, erklärte ich. Ich begriff nicht einmal annähernd, wovon überhaupt die Rede war. Segen? Von einem Koordinator, der im Dienst des Dunklen Oheims stand? Was wurde hier für ein Spiel gespielt? »Kudonaber ist eine sehr große und mäch tige Stadt«, erklärte der Ghyxaner. »Die größte und schönste dieses Planeten, nicht wahr?« »Gewiß«, beschied ich ihm. Kudonaber war eine Ansammlung primi tiv gebauter Hütten, mehr nicht. Die Straßen dazwischen waren lediglich gestampft, es gab kein Pflaster. Überall waren Bewohner der Stadt zu sehen, und nach kurzer Zeit nahm auch das allgemeine Freudenfest sei nen Fortgang. Es fiel mir nicht ein, die harmlosen Kröten davon abzuhalten, auch wenn mir schwante, daß hier – einmal mehr – eine Teufelei ersten Ranges ausgebrütet wurde. »Das hat Kudonaber hauptsächlich uns Kniesterbeinern zu verdanken«, belehrte mich der Anführer der Bewohner. Ich ver mutete nun, daß Kniesterbeiner eine Art Amtsbezeichnung war. »Deine Verdienste werden ihre Berück sichtigung finden«, sagte ich um dem Knies terbeiner eine Freude zu machen. »Was? Wieso?« Der Kniesterbeiner war sehr erstaunt, das wurde sogar mir klar. Stimme und Gestik verrieten Aufregung. »Man wird dich nicht vergessen«, erklärte ich freundlich. »Und was ist das für ein Ge bäude?« »Selbstverständlich die Vorhallen der
20 Ewigkeit«, sagte der Kniesterbeiner. »Du willst eine sehen, o Abgesandter?« »Führe mich hin«, befahl ich dem Ghyxa ner. Vorhallen der Ewigkeit? Was mochte sich hinter dieser hochtrabenden Bezeich nung verbergen? Zu sehen waren einstwei len nichts als große, ziemlich schmucklose Hallen. Es waren die bei weitem größten Gebäude dieser Stadt, und da sie sich im Mittelpunkt der Siedlung befanden, vermu tete ich, daß sie auch von besonderer Wich tigkeit für die Bewohner der Stadt waren. Neugierig stapfte ich hinter dem schwan kenden Kniesterbeiner her. Inzwischen hatte ich begriffen, daß der unsichere Gang auf das hohe Alter des Kniesterbeiners zurück zuführen war. Ich konnte außerdem, als ich mich einmal umwandte, hinter mir eine Gruppe Sänftenträger erkennen. Aber ver mutlich setzte der Alte seinen ganzen Stolz darein, mich auf eigenen Beinen zu führen. Wir erreichten eine der Hallen. Aus der Nähe wurde sichtbar, daß sie nicht nur archi tektonisch reizlos waren, sondern auch au ßerordentlich schlicht. Vorkammern zur Ewigkeit hätte ich mir anders vorgestellt. Ei nes aber mußte man den Kudonaberern las sen, die Konstruktion war sauber und sehr stabil, ganz anders als die Hütten der Einge borenen, die ich bisher gesehen hatte. Auch das sprach für die Wichtigkeit dieser Gebäu de. Es gab sogar elektrisches Licht im Innern. Mit feierlicher Geste knipste der Kniester beiner die Beleuchtung an. Was ich zu sehen bekam, war eine sehr einfache Konstruktion. Die Halle war recht eckig, nicht sonderlich groß und nahezu leer. Der Boden zwischen den Wänden war frei. An den Wänden aber gab es ein Gerüstsy stem, einem großen Warenlager nicht un ähnlich. »Hier züchten wir unsere Fettpilze«, wuß te der Kniesterbeiner zu vermelden. Tatsächlich konnte ich jetzt auch die Pilze sehen. Sie waren groß und grün und daher kaum von dem bemoosten Boden zu unter scheiden.
Peter Terrid »Sehr schön«, ließ ich mich vernehmen. »Wirklich, sehr eindrucksvoll.« Mit dieser Formel war ich auf fast allen Planeten des Universums gut durchgekom men – nur nicht beim Kniesterbeiner von Kudonaber auf Ghyx. Als er erkannte, daß ich mich zum Gehen wandte, hielt er mich einfach fest. »Willst du, o Abgesandter des Tolfex, denn nicht das Wichtigste sehen?« »Das Wichtigste?« fragte ich unbesonnen. »Was denn?« Der Kniesterbeiner machte eine Geste der Verwunderung. »Die Unsterblichen, selbstverständlich.«
5. Ich glaubte mich verhört zu haben. »Unsterbliche?« stotterte ich. Das durfte nicht wahr sein. Es gab Un sterbliche auf diesem Planeten? Wem oder was verdankten sie ihre Unsterblichkeit? Doch nicht … der Gedanke war einfach ab surd. Aber er ließ sich nicht vertreiben. War es denkbar, daß dieser geheimnisvolle Tolfex, der sich Koordinator der Ewigkeit nennen ließ, bei den Ghyxanern in dem Ruf stand, die Unsterblichkeit verleihen zu können? Nichts erschien mir absurder als eine sol che Gabe aus solcher Hand. Sie hätte in krassem Widerspruch zu allem gestanden, was ich bisher an Informationen über die Schwarze Galaxis hatte sammeln können. In dieser Sterneninsel hatte das Entsetzen sein Zuhause, hier herrschte die Angst, allenthal ben spürte man den Würgegriff einer allum fassenden Furcht. Niemals zuvor hatte ich Lebewesen so geknechtet gesehen, so ge quält, so hoffnungslos unterdrückt. Und ausgerechnet hier, in diesem Meer von Grauen, sollte ein Koordinator, der Ewigkeit die Unsterblichkeit verschenken? Ausgeschlossen. Hier war etwas faul, hier wurde ein ar mes, unwissendes Völkchen grob miß braucht. Wenn ein Machthaber vom Rang
Koordinator der Ewigkeit des Neffen Chirmor Flog beständig um sein Leben fürchten mußte, dann war es ausge schlossen, daß einer seiner Beauftragten die Unsterblichkeit wie einen Ramschartikel un ters Volk streute. »Natürlich, die Unsterblichen«, stotterte ich. Der Kniesterbeiner hatte offenbar ähnli che Schwierigkeiten wie ich mit dem Ver stehen des Gesprächspartners. »Ich will sie sehen.« »Ich führe dich«, erklärte der Ghyxaner und ging voran. Er stieg an der Seite der Halle eine metallene Treppe hinauf. »Hierher!« rief er mir zu. Ich folgte ihm, noch immer zweifelnd, von Sorgen und Befürchtungen gepeinigt. Ich wappnete mich mit aller Kraft, darauf gefaßt, einmal mehr dem Wirklichkeit ge wordenen Grauen entgegentreten zu müssen. »Hier«, sagte der Kniesterbeiner. »Ich ha be ihn gut gekannt.« Ich schluckte. Wie ein vergessenes Aktenbündel lag ein Körper in einem Regal. In mir stieg sofort die Erinnerung an die Lichtkabinen der Scuddamoren auf Breisterkähl-Fehr auf. »Er hat es damals nicht geschafft«, erklär te Kniesterbeiner. »Wie auch einige andere. Sie liegen ebenfalls in dieser Vorhalle der Ewigkeit. Wir Kniesterbeiner haben gute Arbeit geleistet.« »Sehr schön«, sagte ich stereotyp. »Ganz ausgezeichnet.« Was für Arbeit meinte das Wesen? Arbeit für wen? Ich wandte mich zum Gehen. Ich war mir plötzlich sicher, daß ich an diesem Abend nicht mehr viel würde in Erfahrung bringen können. Langsam stieg ich die Stufen hinab, lobte noch einmal die Fettpilze, hütete mich aber, davon zu kosten. Niemand konnte wis sen, wie weit voneinander unterschieden un sere Metabolismen waren. Gefolgt von dem Kniesterbeiner, verließ ich die Vorhalle zur Ewigkeit, von der ich in immer stärkerem Maß zu ahnen begann, daß sie eher eine Art Vorhölle war. Wenn ich den Sachverhalt richtig inter
21 pretierte, dann gab es auf Ghyx Lebewesen, die nicht starben, sondern in diesen Hallen aufbewahrt wurden. Und alle paar Genera tionen erschien dann der Koordinator der Ewigkeit und sammelte die Unsterblichen ein. Wozu das gut war, wußte ich nicht – im Interesse der Ghyxaner war die Sache ge wißlich nicht. Dafür kannte ich die Scudda moren und ihre Helfer zu gut. »Feiert weiter, Freunde«, rief ich. »Laßt euch das Fest nicht verderben.« »Wir können also damit rechnen, daß von morgen an der immerwährende Segen ge spendet wird?« erkundigte sich der Kniester beiner lauernd. »Eine Entscheidung, die der Koordinator zu treffen hat. Sie fällt nicht in meine Kom petenz«, antwortete ich ausweichend. »Ihr werdet rechtzeitig vom Fortgang der Sache erfahren.« Ich drosch Phrasen, mehr nicht, aber der Kniesterbeiner und seine Freunde gaben sich damit zufrieden. Offenbar genoß ich als Ab gesandter des Koordinators einen hohen Ruf, jedenfalls wagte es der Kniesterbeiner nicht, weiter in mich zu dringen, und ich war heilfroh darüber. Ich begriff nicht, was hier gespielt wurde. Ich begriff nur, daß ich offenbar einem neuen, schrecklichen Geheimnis der Schwarzen Galaxis auf die Spur gekommen war. Und was hatte dies alles mit der Herstel lung der Organschiffe zu tun? Die Sache war schon seltsam genug; wenn man sie mit dem Problem der Organ schiffe auf einen Nenner zu bringen ver suchte, wurde die Angelegenheit so un durchsichtig, daß man keinen vernünftigen Schluß mehr ziehen konnte. Geistesabwesend schritt ich durch die Gassen von Kudonaber. Noch immer war die halbe Stadt auf den Beinen und feierte. Der Geruch, der über der Stadt lag, war eindeutig. Am stärksten war der Rauch, er stammte von den großen Feuern auf den Plätzen und den zahlreichen Fackeln. Der andere Hauptbestandteil der Luft ver dankte sein Entstehen einem Gärungspro
22 zeß, wie er überall im bekannten Universum bekannt und beliebt war. Offenbar waren auch die Ghyxaner hinter das biochemische Geheimnis der Alkoholherstellung gekom men – über Kudonaber lag eine buchstäblich atemberaubende Schnapswolke. Einige, die es besonders gut mit mir meinten, boten mir von ihrem Getränk an, aber ich lehnte ab, um mich nicht zu vergiften. Die Stimmung auf den Straßen jedenfalls hatte inzwischen ihren Siedepunkt erreicht. Wilde Gesänge schallten durch die Nacht, es wurde gejohlt und getanzt, ab und zu auch gerauft. Die Ghyxaner schienen mir ein überaus friedfertiges Völkchen zu sein, tech nisch nicht sehr weit entwickelt, aber mit sich und ihrer Welt im Einklang lebend – was nicht für jede Hochkultur zutreffen mußte. Von Artin war noch immer keine Spur zu sehen. Ob die Ghyxaner ihm ebenfalls mit ihrem Schnaps auf den Leib gerückt waren? Und wie verhielt sich ein betrunkener Scud damore? Ich bekam naturgemäß keine Antwort auf diese Fragen. Statt dessen stellte sich mir ein neues Problem. Plötzlich drängte sich eine Gestalt durch die Reihen der Zuschauer und Festgäste. Der Hörnerzahl nach zu schließen, handelte es sich um ein Weibchen. Die Ghyxanerin rannte auf uns zu, und ich sah aus den Augenwinkeln heraus, daß der Kniesterbeiner eine unwillige Geste machte. Dann hatte die Ghyxanerin uns erreicht. »Gnade, hoher Herr!« rief sie. »Gnade für Därwellsknull. Mein Vater will ihn umbrin gen.« Die Ghyxanerin sprach ein erstaunlich klares Garva-Guva. Ich verstand sie sofort, und ich brauchte auch nicht lange, um zu be greifen, daß der böse Vater der Ghyxanerin neben mir stand. Ich hatte es offenkundig mit der Kniesterbeiner-Tochter zu tun. »Was soll das heißen, Hellendhurr!« schrie der Alte. »Was wagst du es, uns zu belästigen!« »Gnade!« schrie das Mädchen noch ein-
Peter Terrid mal. »Gnade für Därwellsknull.« Offenbar wurde ich gerade in eine herz zerreißende Liebesgeschichte verstrickt – und nichts konnte ich in diesem Augenblick weniger brauchen als so etwas. Es war schon ein selbstmörderisches Unterfangen, sich in menschliche Liebesdramen einzumischen – in der Regel bekam man als Schlichter die Prügel beider Parteien ab. In diesem Fall aber hatte ich es mit dem Seelenleben der Ghyxaner zu tun, und davon verstand ich noch weniger als von menschlicher Psycho logie. Wenn ich den Sachverhalt richtig inter pretierte, handelte es sich bei Därwellsknull um einen Ghyxaner, in den Hellendhurr ver liebt war – ob es sich dabei um ihren Bräuti gam, Ehemann oder Sohn handelte, blieb einstweilen unklar. Ihr Vater – ich begriff allmählich, daß er kein Kniesterbeiner war, sondern nur so hieß – hatte besagten Där wellsknull offenbar zum Tode verurteilt oder war willens, ihn zu töten. Und ausge rechnet bei mir suchte die verzweifelte Ghyxanerin Hilfe … »Was hat Därwellsknull getan?« fragte ich und bemühte mich, meine Stimme mög lichst streng klingen zu lassen. Blitzschnell hatte ich mir einen Plan zu rechtgelegt. Ich war auf der Flucht, mußte gewärtig sein, von jedem Scuddamoren er kannt und sofort erschossen zu werden. In dieser Lage konnte mir ein anderer Flücht ling vielleicht nützlich sein – Därwellsknull würde sich wahrscheinlich nicht so sehr wundern, wenn ich ihm verfängliche Fragen stellte. »Er hat das Staatsoberhaupt beleidigt, her abgesetzt und entwürdigt.« Der alte Kniesterbeiner platzte fast vor Wut. Seine ganze Haut verfärbte sich, und er sonderte ein stechend riechendes Sekret ab. Dazu kreischte und keifte er, daß man kaum ein Wort verstehen konnte. »Er hat nur meinen Bruder hochleben las sen, als der Koordinator landete«, warf Hel lendhurr ein. Ihre Stimme bekam einen ähn lich überschnappenden Tonfall wie die ihres
Koordinator der Ewigkeit Vaters. »Deswegen soll er sterben?« fragte ich. »Weil er ihren Bruder hat hochleben las sen?« Der alte Kniesterbeiner krümmte sich vor innerer Wut, die er in meiner Gegenwart nicht entladen durfte. »Es ist niemals ratsam, ein neues Staats oberhaupt zu bejubeln, wenn das alte noch lebt«, sagte er schließlich. »Ich habe ihn nur für seine Unverfrorenheit gerecht bestraft.« Nun, ich konnte mich einschlägig erin nern, daß in der Regel kaum ein Verbrechen so schnell mit dem Tode gesühnt wurde wie Majestätsbeleidigung. »Ich frage dich, Tochter, was dich dazu treibt, dich in dieser Weise für diesen krummhörnigen, übelriechenden Tauge nichts einzusetzen. Was wird dein zukünfti ger Gemahl dazu sagen, wenn er dich so sieht.« »Das interessiert mich überhaupt nicht«, keifte die Tochter zurück. Sie stand an Kniesterbeinigkeit ihrem Vater in nichts nach. »Ich liebe Därwellsknull, und seine Hörner sind kerzengerade, und schlecht rie chen tut er auch nicht, und Glibberbrr werde ich nie, nie, nie heiraten!« Das konnte ich ihr recht gut nachfühlen. Mit einem Wesen namens Glibberbrr wollte ich auch nicht verheiratet sein. Indes war dies alles nicht mein Problem, und angesichts der berechtigten Sorgen, die ich mir machen mußte, wirkte diese Ghyxa nische Romanze eher makaber und neben sächlich. »Kann man das Todesurteil nicht rück gängig machen?« erkundigte ich mich. »Oder wurde es etwa schon vollstreckt?« »Vollstreckt?« wunderte sich Kniesterbei ner. »Wieso vollstreckt? Ich habe ihm ledig lich Hausarrest verordnet – sein Pech, wenn er dadurch nicht des immerwährenden Se gens teilhaftig wird.« Damit bekam die Angelegenheit einen völlig neuen Aspekt. Der alte Kniesterbeiner hatte Därwellsknull nicht zum Tode verur teilt – er hatte ihm lediglich den Zugang zur
23 Unsterblichkeit verwehrt. Ich war mir sehr sicher – ich hätte meinen Zellaktivator darauf verwettet –, daß es auf diesem Planeten keine Unsterblichkeit zu er ringen gab, am allerwenigsten umgeben mit pseudoreligiösem Brimbrorium und zu Schleuderpreisen. Es konnte gar keinen Zweifel geben, daß irgend jemand, höchst wahrscheinlich der geheimnisvolle Koordi nator der Ewigkeit, die armen Ghyxaner mit diesem Unsterblichkeitsrummel grauenvoll neppte, ausplünderte und betrog. Es war aber erschreckend mitanzusehen, mit welcher Verbissenheit die Opfer dieses fürchterlichen Betrugs an ihrem Aberglau ben festhielten. Der leidenschaftliche Protest der Kniesterbeiner-Tochter sprach da Bände – sie flehte darum, daß auch ihr Geliebter geschröpft wurde. Wahrscheinlich handelte ich mir nur Ärger ohne Maß ein, wenn ich mich einmischte, aber ich konnte nicht an ders. Vielleicht lag es daran, daß ich gerade einen Menschen, den ich geliebt hatte, verlo ren hatte … Ich konnte die inneren Qualen des Knies terbeiner-Mädchens gut verstehen. Und ein mal mehr machte mir die sentimentale Ter ra-Erziehung einen Strich durch die harte Arkon-Logik. Vor zehntausend Jahren hätte ich mich wahrscheinlich nicht für die Zeit eines Herzschlags um solche Probleme ge kümmert – jetzt aber riskierte ich Kopf und Kragen für das Liebesglück zweier ghyxani scher Kröten namens Därwellsknull und Hellendhurr. »Ich möchte den Verurteilten sehen«, er klärte ich. Der alte Kniesterbeiner gab einen grimmi gen Laut von sich; in den Zuschauerreihen fiel jemand geräuschvoll in Ohnmacht – ent weder die Mutter des Mädchens oder aber der geprellte Bräutigam Glibberbrr. Hellendhurr wußte sich vor Freude kaum zu halten. Sie rammte mir ihre Hörhörner dankbar in den Unterleib, daß mir der Schmerz fast die Besinnung nahm. Ich wur de blaß und taumelte einen Schritt zurück. Der alte Kniesterbeiner verhinderte, daß ich
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der Länge nach hinschlug, indem er mich losen anderen Hütten unterschied, an denen mit seinen feuchten Pfoten an den Schultern wir vorbeigegangen waren. Es gab weder packte und festhielt. Derart angeschlagen, Straßennamen noch Häusernummern, und konnte ich mich gegen weitere Dankbar doch fanden die Kudonaberer offenbar ohne keitsbeweise der begeisterten Hellendhurr jedes Zögern stets die richtige Adresse. kaum zur Wehr setzen. Vielleicht orientierten sie sich am Geruch. »Zeigt mir den Gefangenen«, rief ich, als Ich folgte Hellendhurr ins Innere der Hüt mir Hellendhurr endlich genügend Luft zum te. Atmen ließ. Angesichts dieses begeisterten Die Hütte war kreisrund, maß knapp sie Ausbruchs bekam ich es mit der Angst zu ben Meter und war etwa sechs Meter hoch. tun, wenn ich mir vorstellte, was die beiden An Einrichtungsgegenständen sah ich prak Liebenden mit mir anfangen würden, wenn tisch nichts; die wenigen Gegenstände, die ich die Freilassung des Häftlings durchsetz in dem schlechten Licht der mitgebrachten te. Fackel zu sehen waren, verrieten mir nicht, Der Kniesterbeiner sagte kein Wort, aber wozu sie zu gebrauchen waren. er produzierte auf dem Weg Geräusche, die Zentrum der Wohnung war offenbar eine an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig Vertiefung im Boden, die mit einem grau ließen. Mir konnte das gleichgültig sein, ich grünen Brei angefüllt war, dessen Geruch hatte ohnehin vor, diesen Planeten möglichst mir fast den Atem verschlug. »Därwellsknull!« rief das Ghyxanermäd bald zu verlassen. chen ein ums andere Mal und rührte in dem Kniesterbeiner ging voraus, dann folgte Brei herum. ich, und hinter uns stapfte die Tochter. Ein Zug von einigen hundert Kudonaberern be »Hellendhurr!« brüllte ihr Vater. »Unterstehe dich! Komm zu mir und unter schloß diesen Aufzug. Begleitet vom Jaulen der Musiker und lasse diese unanständigen Handlungen. Was dem Singen und Tanzen der Stadtbewohner fällt dir ein, in Därwellsknulls Schlammloch schritten wir in feierlicher Prozession durch herumzuwühlen.« die Straßen der Stadt. Die Tochter richtete sich auf. »Hier wohnt der … der …«, knurrte der »Er ist verschwunden«, sagte sie traurig. Kniesterbeiner. Wenn ich seine Mimik rich »Das Schlammloch ist leer.« tig interpretierte, bedachte er seine Tochter Offenbar hielten sich die Ghyxaner nachts mit einem wahrhaft mörderischen Blick. vorzugsweise in diesen Löchern auf. »Tritt zur Seite!« forderte ich den Posten »Was soll das heißen, verschwunden?« auf, der vor dem Eingang stand. »Er ist weg, Vater!« jammerte das Mäd Ein rascher Blickkontakt zwischen Wach chen. »Keine Spur von Därwellsknull.« mann und Kniesterbeiner, dann trat die Wa Der Kniesterbeiner wandte sich an die che zur Seite. Mir war allerdings ein Rätsel, Wachen. womit die waffenlose Wache den Häftling in »Habt ihr ihn nicht gesehen? Wozu habe Schach halten wollte, wenn Därwellsknull ich euch hierhin gestellt, hä?« Anstalten machen sollte, das Weite zu su »Wir haben nur vorne Augen, o ehrwürdi chen. ger Kniesterbeiner!« antwortete einer der »Därwellsknull!« rief die Kniesterbeiner-Toch-beiden Posten. ter. »Geliebter!« Ich stellte grimmig fest, Was der Alte daraufhin von sich gab, daß Dialoge zwischen Liebenden offenbar in konnte ich nicht einmal mit Hilfe des Extra allen Winkeln des bekannten und unbekann sinns übersetzen. ten Universums ähnlich aussahen. An uns vorbei drängte sich das Mädchen 6. in die Hütte, die sich in nichts von den zahl-
Koordinator der Ewigkeit Traurig saß Därwellsknull auf der Mauer. Er wußte, daß die Durlaner den augen blicklichen Zustand respektieren würden. Ein neuer Angriff war in keinem Fall zu be fürchten. Infolgedessen war auch keine Ver teidigung mehr nötig. Die Mauern waren verlassen. Der einzige Ghyxaner, der sich auf dem Festungswerk herumtrieb, war Där wellsknull. Hungrig war er nicht, er hatte genügend gegessen, um die nächsten zehn Tage über stehen zu können. Auch Durst brauchte er nicht zu leiden, es gab genügend Wasser auf der Mauer, und erholt war er ebenfalls – er hatte die letzten Stunden vor seiner Flucht im Koma in seinem Schlammloch verbracht. Därwellsknull fühlte sich dennoch sehr elend. Er saß auf der Mauer, ließ die Beine her unterbaumeln und sah betrübt zu, wie seine Leute den immerwährenden Segen empfin den, der ihnen die Unsterblichkeit sicherte. Es hatte alles so gut ausgesehen, und nun das. Alle wurden sie gesegnet, nur er allein mußte abseits stehen. Auf den Straßen der Stadt tanzten die Gesegneten, aber er durfte nicht mitfeiern. Irgendwo in dem Getümmel mußte Hellendhurr stecken, wahrscheinlich unausgesetzt von diesem widerlichen Glib berbrr verfolgt. Die Vorstellung, wie dieses Scheusal seiner Geliebten den Hof machte, ließ Därwellsknull fast platzen vor Eifer sucht. Das Schlimmste war, daß er überhaupt nichts unternehmen konnte. Die Dinge nah men ihren Lauf, und er war davon ausge schlossen. Allein die Tatsache, daß man ihm die Unsterblichkeit verwehrt hatte, würde Därwellsknull für alle Zeiten brandmarken. Därwellsknull konnte sich an Fälle erinnern, in denen der immerwährende Segen zu einer sofortigen Verwandlung geführt hatte. Es gab auch, sehr selten allerdings, Fälle, in de nen die Segnung völlig ohne Wirkung blieb – aber Därwellsknull konnte sich nicht erin nern, jemals davon gehört zu haben, daß ei nem Ghyxaner verboten worden wäre, un sterblich zu werden. Was sich der alte
25 Kniesterbeiner herausgenommen hatte, war schlechterdings unerhört. Därwellsknull seufzte leise. Was sollte er gegen den Alten unterneh men? Er konnte sich an den Rat der Stadt wenden. Von den siebzehn Mitgliedern stammten zehn von dem Alten in direkter Erbfolge ab, drei weitere hatten in die Fami lie eingeheiratet, und die vier restlichen wa ren so feige, wie man es mit Worten nur aus drücken konnte. Es wäre möglich gewesen, den Obersten Priester um Hilfe anzurufen – wenn nicht dieses Hohe Amt von einem Kniesterbeiner versehen worden wäre. Von den drei Richtern, die es in Kudonaber gab, waren zwei Angehörige der Kniesterbeiner-Sip pe. Es kam ab und zu vor, daß ein Kudona berer gefunden wurde, der eines unnatürli chen Todes gestorben war – also weder ver unglückt war, noch entrückt, noch an Alters schwäche gestorben. In einigen Fällen dieser Art hatte, so hieß es allgemein, ein Verbre cher seine Hand im Spiel gehabt, ein ruchlo ser Schurke, der um des materiellen Vorteils willen andere Ghyxaner regelrecht tötete. Wie das genau vonstatten ging, wußte Där wellsknull leider nicht, und er hätte sich selbst die Durchführung eines kaltblütigen Mordes auch niemals zugetraut. Abgesehen davon, daß sich an der Ge samtkonstellation nichts geändert hätte – Därwellsknull wußte nicht genau, ob nicht auch die geheimnisvollen Mörder Angehöri ge der Familie der Kniesterbeiner waren. In diesem Fall hätte ein Mordauftrag höchstens Därwellsknulls Ende beschleunigt. So oder so, die Lage sah sehr, sehr trübe aus, und Därwellsknull war dementspre chend niedergeschlagen. »Kummer?« fragte eine ungeheuer tiefe Stimme neben Därwellsknull. Der Kudonaberer erschrak und sprang auf. Neben ihm stand ein seltsames Wesen, das an seinem oberen Ende – wie ein Tier – mit Haar bewachsen war. »Du mußt Därwellsknull sein«, sagte der Fremde in merkwürdig klingendem GarvaGuva. Er sah fast schon widerlich aus, fand
26 Därwellsknull. Aber er war ein sehr fortge schrittener Ghyxaner, über kleinliche Vorur teile erhaben. Außerdem stammte der Frem de vermutlich aus dem Raumschiff … Därwellsknull machte eine Geste des Ent setzens. Hatte er es womöglich mit dem geheim nisvollen Koordinator der Ewigkeit zu tun, mit Tolfex höchstpersönlich? Hatte es der alte Kniesterbeiner geschafft, den Koordina tor von der Gefährlichkeit des Rebellen Där wellsknull zu überzeugen? »Ja!« Zu mehr an Antwort war Därwellsknull nicht fähig. Er war sicher, daß er im näch sten Augenblick würde sterben müssen. Wahrscheinlich mußte der grausam ausse hende Fremde nur die Hand ausstrecken, und Därwellsknulls Leben würde vergehen wie das Leben einer Sandfliege, bei der die Spanne zwischen Geburt und Tod sich nach Stunden bemaß. »Ich habe dich gesucht«, sagte der Frem de. Er hatte sehr gefährlich aussehende Au gen, die in düsterem, unheilverkündendem Rot schimmerten. »Wirklich?« Därwellsknull begann am ganzen Leib zu zittern. Hoffentlich tat es der Fremde schnell und ohne Schmerzen. »Du brauchst keine Angst vor mir zu ha ben«, sagte der Fremde. Er setzte sich neben Därwellsknull auf eine Zinne. »Ich bin nicht gekommen, um dir zu schaden.« Das war ein sehr umfassendes Verspre chen, fand Därwellsknull. Er war von seiner eigenen Geringwertigkeit überzeugt, zumal einem Abgesandten des Koordinators der Ewigkeit gegenüber, und er sah keinen Sinn darin, daß man ihn belog. Wenn der Fremde sagte, daß er Därwellsknull nicht schaden wollte, dann mußte er es ehrlich meinen. Därwellsknull stieß einen Seufzer der Er leichterung aus. »Dann kann ich also auch den immerwäh renden Segen bekommen?« fragte er nach kurzer Pause. »Natürlich«, sagte der Fremde. »Aber
Peter Terrid vielleicht erklärst du mir erst einmal ganz genau, was du alles über diesen Segen und seine Folgen weißt.« Därwellsknull erlaubte sich ein verständ nisvolles Grunzen. Offenbar wollte ihn der Fremde erst prüfen, bevor er ihn für würdig erachtete, den immerwährenden Segen zu empfangen. Nun, das konnte er haben. Där wellsknull kannte sich hervorragend aus. Er hatte in der Schule aufgepaßt, während ge wisse andere Bewohner von Kudonaber be reits damals den Weibchen nachgestellt hat ten, allen voran Glibberbrr. »Also«, sagte Därwellsknull. »Der im merwährende Segen wird von den Dienern des Koordinators der Ewigkeit gespendet. Dort unten in den Straßen von Kudonaber sind sie gerade damit beschäftigt. Jeder er wachsene Ghyxaner von Kudonaber ist be rechtigt, den Segen zu empfangen. Der Se gen macht uns unsterblich.« »Bist du dir sicher?« Därwellsknull fand, daß der Fremde das Verhör ein wenig weit trieb. So blöde brauchte er sich wahrlich nicht zu stellen. Immerhin mußte er sich als Mitarbeiter des Koordinators in diesen Dingen besser aus kennen als irgend jemand sonst. Und daß er ein Mitarbeiter des Koordinators war, lag auf der Hand – er war kein Ghyxaner. »Sehr sicher«, sagte Därwellsknull. »Wer nämlich nicht den immerwährenden Segen empfangen hat, wird immer älter und stirbt eines Tages. Sein Leib wird dabei immer kleiner und häßlicher, und nichts kann die sen Vorgang aufhalten oder rückgängig ma chen.« »Und die Gesegneten?« Därwellsknull lächelte in der Vorfreude. »Sie werden entrückt«, sagte er. »Sie schlafen den großen Schlaf, sie altern nicht. Sie schlafen, bis der Koordinator sie holen läßt.« »Wirklich?« »Ich habe es gesehen«, erwiderte Där wellsknull. »Ich habe Leute unseres Volkes sterben sehen, was ein sehr häßlicher Vor gang ist, und ich habe selbst mitgeholfen,
Koordinator der Ewigkeit Entrückte in die Vorhallen der Ewigkeit zu schaffen, die vom Koordinator nicht geholt worden sind. Sie liegen seit dem letzten Be such des Koordinators in den Vorhallen, und sie sind um keinen Tag gealtert, das kann man sehen.« »Wer kann den immerwährenden Segen bekommen?« fragte der Fremde. »Junge, kräftige, gesunde Ghyxaner«, ant wortete Därwellsknull. »Kudonaberer wie ich, beispielsweise.« »Keine alten?« »Bei ihnen käme der Segen zu spät. Nur bei zeugungsfähigen Ghyxanern wirkt der Segen.« »Also auch nicht bei den jungen?« »Auch die Kinder werden des immerwäh renden Segens nicht teilhaftig«, wußte Där wellsknull. »Sie haben Pech, es sei denn, der Koordinator käme wieder nach Kudonaber, wenn sie erwachsen sind.« »Und was geschieht mit den Entrückten?« »Das müßtest du eigentlich besser wis sen«, meinte Därwellsknull. »Berichte!« befahl der Fremde. Därwellsknull zog es vor zu gehorchen. »Sie werden zunächst in den Vorhallen der Ewigkeit gesammelt«, erzählte Där wellsknull. »Und irgendwann wird der Ko ordinator der Ewigkeit seine Dienerscharen aussenden. Sie werden die Entrückten auf Händen tragen, sie werden sie geleiten zum Stern der Läuterung.« »Was geschieht dort?« Därwellsknull kannte die Worte der Großen Verheißung fast auswendig. »Verwandelt werden sie werden, aufge hen im Großen, teilhaftig werden der unteil baren Freiheit. Ihre Leiber werden der Ewig keit angepaßt, ihre Seelen werden sich sam meln auf den grenzenlosen Gefilden der Zeitlosigkeit. Nimmer enden wird die Glückseligkeit derer, die entrückt wurden und berufen.« »Und das glaubst du?« Därwellsknull war völlig verwirrt. Er verstand die Sprache des Koordinators nicht sehr gut, aber er hatte das sichere Ge
27 fühl, als habe der Fremde mit seiner Frage Zweifel ausdrücken wollen. Zweifel an der Großen Verheißung? Ab surd, dachte Därwellsknull, völlig unsinnig. Wenn nicht wahr war, was berichtet wor den war von den Ahnen – wozu war der Ko ordinator dann gekommen? Därwellsknull entschloß sich, nun seinerseits dem Fremden ein paar Fragen zu stellen. »Wer bist du?« fragte er. »Der Koordina tor selbst?« Eine kurze Pause entstand. Wieder be gann Därwellsknull, am ganzen Leib zu zit tern, dann aber wurde ihm klar, daß er nicht neben dem Koordinator saß. Noch nie hatte sich ein Koordinator gezeigt, warum sollte es diesmal eine Ausnahme geben – dazu war Därwellsknull nicht wichtig genug. »Ich heiße Atlan«, sagte der Fremde. »Und ich glaube kein Wort von dem, was du mir erzählt hast.« Därwellsknull hatte mit vielem gerechnet, damit nicht. Dieser Frem de stellte alles auf den Kopf, was bislang für Därwellsknull Bestandteil seines Weltbilds gewesen waren. »Ich glaube kein Wort«, wiederholte At lan. »Ich glaube, daß ihr Ghyxaner von dem Koordinator der Ewigkeit in ungeheurer Weise belogen und betrogen werdet.« »Aber wieso denn?« rief Därwellsknull entsetzt. Atlan war offenbar ein noch viel größerer Ketzer und Rebell als er selbst. Wenn der alte Kniesterbeiner davon erfuhr … So etwas von Hochverrat, von Nieder trächtigkeit, von Unsinn hatte es in der Ge schichte der Ghyxaner noch nicht gegeben. Wenn Därwellsknull diesen Fremden auslie ferte und verriet, hatte er sich selbst bei dem bösen alten Kniesterbeiner rehabilitiert. Dennoch glaubte er, sich zunächst einmal rechtfertigen zu müssen. »Du kannst doch sehen«, rief er aus. »Dort in den Straßen gehen die Diener des Koordinators umher und spenden jedem, der berufen ist, den immerwährenden Segen.« »Ich sehe Roboter«, sagte Atlan. »Maschinen, die alle erwachsenen gesunden
28 Ghyxaner impfen, ihnen ein Medikament einspritzen.« Mit den Worten, die Atlan gebraucht hat te, konnte Därwellsknull nicht viel anfan gen. Er wußte nicht, was Roboter waren, auch Maschinen waren ihm unbekannt – er hatte nicht einmal eine annähernde Vorstel lung von dem, was Atlan sagen wollte. Was mit dem Wort impfen gemeint war, lag gleichfalls im dunkeln. Er wußte nur, daß die Diener des Koordinators durch die Stra ßen gingen und jeden Ghyxaner, der ihnen berufen erschien, anfaßten. Das war der Se gen, und er währte, wenn er wirkte, für im mer, daher sein Name. »Du kannst doch sehen, nicht wahr?« fragte Därwellsknull. »Siehst du denn nicht die Berufenen. Sie fallen teilweise schon kurz nach dem Segen in den Zustand der Entrückung.« »Ich sehe Bewohner der Stadt, die auf den Straßen zusammenbrechen«, sagte Atlan. »Und siehst du nicht, wie die anderen ih nen helfen, sie aufheben und sanft in die Vorhallen der Ewigkeit tragen? Siehst du ir gendeinen, der aufbegehrt, der sich wehrt? Was soll daran Täuschung sein – du kannst alles sehen. Und du wirst sehen können, wie die Boten und Diener des Koordinators kommen, um die Erwählten abzuholen und sie zum Stern der Läuterung zu bringen.« Atlan schwieg. In der Stadt nahm die Prozedur ihren Lauf. Därwellsknull sah zu, wie die Diener den Segen spendeten. Nur wenige Schritte entfernt, genau zu sehen für die beiden Be obachter auf der Mauer, wurde einem jun gen Kudonaberer der Segen gespendet. Freudig hielt er den Dienern die ausge streckten Hände entgegen. Die Diener erfaß ten die Hände, hielten sie für einen Augen blick fest und ließen den jungen Kudonabe rer dann los, um sich dem nächsten Kandi daten zuzuwenden. Keine Aufregung war zu sehen, niemand hatte Angst. Die Alten zeigten teilweise nei derfüllte, teilweise resignierende Mienen. Die Jungen staunten mit offenen Mäulern.
Peter Terrid Daß ihre Väter und älteren Brüder erwählt wurden, erfüllte die Kinder mit Staunen. Därwellsknull konnte sehen, wie der jun ge Kudonaberer, der gerade erst den Segen empfangen hatte, zu schwanken begann. Mit verklärtem Gesicht sank er auf den Boden. Sofort eilten drei Ältere zu ihm, hoben ihn sanft auf und schafften ihn davon. Därwellsknull verspürte ein heftiges Ge fühl des Neides. Warum mußte Atlan diesen weihevollen Vorgang herabwürdigen, ihn mit sinnlosen Verdächtigungen zerstören? Glaubte der Fremde denn nicht, was er se hen konnte? Er brauchte doch nur die Augen aufzumachen. Er konnte die Diener sehen, er konnte das Schiff des Koordinators sehen, er konnte die Sternenschiffe sehen, er konnte die glücklichen Gesichter der Entrückten se hen? Was wollte er denn noch sehen, bis er überzeugt war. »Kann ich jetzt zu den anderen gehen?« fragte Därwellsknull. »Ich werde dich nicht hindern«, sagte At lan. »Nicht einmal, wenn du in dein Un glück rennen willst.« Därwellsknull stand auf und schickte sich an, die Treppe hinabzusteigen. »Därwellsknull?« Der Ghyxaner blieb auf der obersten Stufe stehen. »Ist eigentlich jemals irgendein Bewohner dieses Planeten vom Planeten der Läuterung zurückgekehrt?« »Natürlich nicht«, erwiderte Därwells knull. »Was sollten die Geläuterten denn hier? Sie sind anders als wir, körperlich und geistig. Vor allem sind sie unsterblich.« Atlan zögerte einen Augenblick. »Die könnten euch beweisen, daß alles wahr ist, was die Koordinatoren euch erzäh len. Sie könnten euch beweisen, daß sie tat sächlich unsterblich sind, daß sie geläutert und glückhaft verwandelt worden sind.« Därwellsknull war verwirrt. »Was willst du damit sagen?« fragte er. »Was soll deine Frage?« »Ich versuche dir klarzumachen, Där wellsknull, daß du keinen Beweis hast für
Koordinator der Ewigkeit das, was dir andere erzählt haben. Du hast deinen Glauben, aber du hast keinen Be weis.« »Aber …«, stammelte Därwellsknull. »Sieh doch hin!« »Das sind Beweise für den ersten Teil deiner Erzählung. Diesen Teil glaube ich dir. Ich glaube, daß der Koordinator seine Knechte ausschicken wird, dich und deine Freunde einzusammeln. Ich werde dies alles sehen können. Aber du, Därwellsknull, du kannst jetzt noch nicht sehen, wie es im In nern der Sternenschiffe aussieht. Du kannst nicht sehen, wie der Stern der Läuterung aussieht. Du kannst nicht sehen, wie du ein mal aussehen wirst. Für alles, was sich nach deiner Entrückung abspielen wird, hast du nicht den geringsten Beweis. Nur Erzählun gen, keine Tatsachen.« Därwellsknull machte eine abwehrende Geste. Er war des Diskutierens müde. Der Fremde hatte immer noch nicht begriffen, worum es eigentlich ging. »Aber, wenn das alles Täuschung sein soll«, sagte Därwellsknull. »Wozu? Wenn es nicht stimmt, daß wir unsterblich werden, daß wir verwandelt und geläutert werden … aus welchem Grund landen dann in jeder Generation die Schiffe des Koordinators auf unserem Planeten? Wenn wir nicht berufen sind, unsterblich zu werden, warum bekom men wir dann den Segen gespendet, einen Segen, der wirkt. Dafür haben wir Beweise. Noch nie ist ein Entrückter gestorben. Wozu also der ganze Aufwand? Was sollte der Ko ordinator denn im Sinn haben, wenn nicht unser Glück? Vielleicht ist er einer von uns, nur gewandelt, unsterblich geworden.« Atlan antwortete mit einer Frage, deren Härte und Schrecklichkeit Därwellsknull be stürzte. »Was hast du, Därwellsknull, getan, daß du einer der wenigen Ghyxaner deiner Ge neration werden sollst, der die Unsterblich keit erlangt? Warum nicht alle anderen? Wa rum ausgerechnet die Bewohner dieser Stadt? Bist du so wichtig, so einmalig, daß man dich unsterblich machen soll, ausge
29 rechnet dich?« »Ich weiß es nicht«, mußte Därwellsknull antworten. »Und ich weiß nicht, aus welchem Grund man euch täuscht und hintergeht. Dein Volk wird betrogen, Därwellsknull, und an dem Aufwand, der getrieben wird, kannst du er messen, wie schrecklich das Schicksal derer sein wird, die man mit soviel Mühe täuscht.« Därwellsknull wollte eigentlich seinen Weg fortsetzen. Er hatte keine Lust mehr, mit dem Fremden zu diskutieren, von dem er nicht wußte, woher er kam und was er woll te. Nur diese eine, die letzte Frage, die woll te Därwellsknull noch beantworten. Auf die sen Unsinn einen vernünftigen Einwand zu finden, mußte einem intelligenten jungen Kudonaberer relativ leicht fallen. Und dann merkte Därwellsknull, und mit jedem Augenblick, der verging, wurde die Angst größer, daß ihm keine Antwort einfal len wollte.
7. Mir tat der junge Ghyxaner leid, aber ich konnte nichts daran ändern. Ich sah, wie er taumelte, und ich verstand inzwischen genug von den Eigentümlichkeiten dieses Volkes, um zu wissen, daß er einen Laut des Entset zens ausstieß. Es gab zwischen den beiden Extremen kein Zwischenfeld. Entweder war die Geschichte wahr, die Därwellsknull mir erzählt hatte, dann konnte er unsterblich werden. Oder aber sie war gelogen, und dann stell te sich zwangsläufig die Frage, welchen schrecklichen Hintergedanken die Koordina toren haben mußten, daß sie mit den Ghyxa nern als Hauptdarstellern ein so aufwendiges Schauspiel betrieben. Därwellsknull mußte sich gegen die Mau er lehnen, um nicht umzufallen. Auf meine Verhältnisse übertragen, bedeuteten seine Laute ein ersticktes Wimmern. Offenbar hatte ich ihn schlagartig über zeugt, und der Absturz in die Wirklichkeit
30 war daher hart und grausam gewesen. Ich konnte es dem Ghyxaner nicht ersparen. Insgeheim hoffte ich natürlich, daß ich mich geirrt hatte, daß Därwellsknull und sei ne Leute tatsächlich die Unsterblichkeit ge wannen. Aber die Wahrscheinlichkeit sprach so deutlich dagegen, daß sie zur Gewißheit wurde. Dabei hatte ich von den Informatio nen, die ich besaß, so gut wie keinen Ge brauch gemacht. Ich hatte gleichsam nur mit ghyxanischen Daten argumentiert, und be reits das hatte genügt. Därwellsknull hatte ich überzeugt. Konnte es mir gelingen, auch die anderen zu überzeugen? »Aber warum tun sie das?« stammelte der Ghyxaner. »Was ist der Grund für einen sol chen Betrug? Wenn sie uns nicht unsterblich machen – was machen sie sonst mit uns?« Ich zuckte mit den Schultern. Därwells knull konnte die Geste natürlich nicht inter pretieren. »Vielleicht brauchen sie Sklaven, gehor same Diener, die keinen Befehl verweigern. Vielleicht brauchen sie auch Soldaten.« »Was sind Soldaten?« »Kämpfer, die im Auftrag der Koordina toren andere Völker überfallen und töten.« »Töten?« Ich hörte das Entsetzen in Därwellsknulls Stimme. »Wir töten nie«, behauptete er. »Wir ha ben einen anständigen Krieg seit vielen Jahr hunderten mit den Durlanern, die uns immer wieder angreifen – aber wir haben noch nie einen Durlaner getötet. Dann könnte er ja gar nicht mehr mitkämpfen.« Die Logik des Krieges schien noch nicht auf Ghyx übergegriffen zu haben. Därwells knulls Vorstellungen von einem Krieg wa ren jedenfalls eher erheiternd. Als Kämpfer fielen die Ghyxaner also aus. Woher weißt du, welche Wirkung die be täubende Droge hat? Dieser Hinweis des Logiksektors war wertvoll. Ich konnte tatsächlich nicht wis sen, wie sich die Ghyxaner gebärdeten, wenn sie aus dem seltsamen Schlaf wieder erwachten, in den sie von den Robotern ver-
Peter Terrid setzt worden waren. »Es muß eine Erklärung geben, Därwells knull«, sagte ich. »Ich kenne sie noch nicht, aber ich werde alles daransetzen, die Wahr heit herauszufinden. Und noch eines, wir müssen sofort zum Oberhaupt von Kudona ber eilen, damit diese Aktion gestoppt wer den kann!« »Hellendhurr!« schrie Därwellsknull auf, dann folgte eine sprudelnde Tirade, von der ich kein Wort verstand. Erst nach Minuten konnte sich der Ghyxaner wieder soweit sammeln, daß er Garva-Guva sprechen konnte. »Ich will meine Braut warnen«, sagte er. »Hoffentlich ist sie noch nicht gesegnet wor den!« Es galt, keine Zeit zu verlieren. Zusammen verließen wir die Stadtmauer, auf der ich Därwellsknull entdeckt hatte. Außer ihm trieb sich keiner auf der Mauer herum. Die Ghyxaner seines Alters irrten durch die Straßen, auf der Suche nach einem Robot des Koordinators. Ich war gespannt, wie der alte Kniester beiner reagieren würde. Immerhin hatte er als Staatschef sein Volk in diese Katastrophe geführt – ohne die geringste böse Absicht, natürlich. Ich vermutete, daß ich mit Kniesterbeiner senior erheblich mehr Arbeit haben würde als mit Därwellsknull. Der Alte würde sich gegen die Einsicht noch heftiger sträuben – und meine Geschichten über die gnadenlose Grausamkeit der Scuddamoren waren eben so beweiskräftig wie die Legende vom Stern der Läuterung. Zwei Geschichten, die sich widersprachen. Eine dieser Geschichten ver sprach den Ghyxanern die Unsterblichkeit, sie wurde von den Kniesterbeinern vorgetra gen, einer alteingesessenen Familie. Die an dere Geschichte verhieß den Ghyxanern ein nicht näher bezeichnetes düsteres Schicksal und wurde von einem hergelaufenen Fremd ling vorgetragen. Wem würden die Bewoh ner der Stadt glauben? Wem würdest du glauben? Ich gab auf die knappe, scharfe Frage des
Koordinator der Ewigkeit Extrasinns keine Antwort; sie lag ohnedies auf der Hand. Därwellsknull hastete die Treppe hinun ter. Seine Bewegungen waren ein wenig un gelenk, ich hatte keine Mühe, ihm zu folgen. Ich hatte während des Marsches durch Kudonaber genügend Zeit, mir die Konse quenzen meines Tuns auszurechnen. Konnte ich überhaupt erfolgreich sein? Konnte ich es schaffen, den Ghyxanern die Augen zu öffnen? Einmal davon abgesehen, daß ich für meine haarsträubenden Thesen nicht den geringsten vorzeigbaren Beweis hatte – was half es den Ghyxanern, wenn ich sie aufklärte? Dieses harmlose Völkchen hatte nicht die geringste Chance, sich gegen eine kosmische Großmacht wie die der Scuddamoren zur Wehr setzen zu können, geschweige denn gegen die Mächte, die im Hintergrund standen. Ich war mir einigerma ßen sicher, daß ich mich, was die Schwarze Galaxis betraf, bisher gleichsam im Vorzim mer der Macht herumgetrieben hatte. Durfte ich den Ghyxanern den mörderi schen Traum zerstören – diesen künstlichen, verlogenen Traum von der Unsterblichkeit? Wenn ich bei diesem Besuch des Koordi nators Erfolg hatte und er unverrichteter Dinge wieder abzog … er kam doch sicher nach kurzer Zeit wieder, um seine Opfer ein zusammeln. Und dann würde man die armen Ghyxaner wie Vieh zusammentreiben und fortschleppen. So oder so, der Koordinator würde seine Beute bekommen. Ich allein konnte ihn nicht daran hindern. Und was war damit gewonnen, wenn die Ghyxaner ihrem ungewissen Schicksal wis send entgegengingen? Wenn sie nicht ver zückt auf der Straße umfielen, sondern mit roher Gewalt abtransportiert wurden? Viel leicht würden sie sich mit dem Mut der Ver zweiflung zu wehren versuchen – und das konnte höchstens die Zahl der ghyxanischen Opfer in die Höhe treiben, mehr nicht. Tech nologisch und kämpferisch waren die Ghyxaner für ihre Gegner praktisch nicht vorhanden. Mit Schleimbällen konnte man sich nicht gegen Robotarmeen zur Wehr set
31 zen. Es war entsetzlich, mit diesen Gedanken durch die Straßen zu gehen. Die Ghyxaner waren ein unbeschwertes Völkchen, harm los, selbstgenügsam. Und ausgerechnet über diese Wesen war ein Verhängnis hereinge brochen, das ich mir in aller Schrecklichkeit gar nicht vorstellen konnte. Noch immer hatte ich nicht einmal eine grobe Ahnung, in welcher Weise die Ver schleppung der Ghyxaner mit dem Bau von Organschiffen zu tun haben konnte. Mir fiel auf, daß trotz der Sonnenhitze die Haut des vor mir gehenden Därwellsknull stets gleichmäßig feucht blieb. Die Ghyxa ner waren Kröten entfernt verwandt – lag darin ihr besonderer Wert für die Scuddamo ren, oder wer auch immer hinter dieser Mas senverschleppung stecken mochte? Vielleicht verfügten sie, ohne es selbst zu wissen, über gewisse körperliche oder biolo gischchemische Besonderheiten, die für den Bau der Organschiffe unerläßlich waren? Vielleicht wurden ihre Körpersekrete ge braucht, um die Organmasse der Schiffe ge schmeidig und verarbeitbar zu machen. Vielleicht waren die Ghyxaner in der Lage, die Organmasse parapsychologisch zu be einflussen. Arbeitssklaven, das schien mir das Schlüsselwort zu sein für das Geheimnis. Man brauchte die Ghyxaner als Sklaven beim Bau der Organschiffe. Unter Umstän den – auch das war denkbar – diente dieser ekelhafte pseudoreligiöse Rummel dazu, die Ghyxaner bei guter Laune zu halten. Viel leicht hatte dies alles den einzigen Zweck, die Bewohner dieses Planeten zwar dienst bar zu machen, aber nicht regelrecht auszu beuten. Vielleicht hatten die Ghyxaner das Glück im Unglück, für die Scuddamoren un ersetzlich zu sein. Das hätte erklärt, warum sie sich ihre Opfer auf so – vergleichsweise – sanfte Art beschafften. Für Scuddamoren jedenfalls war nach meiner Erfahrung diese Art des Vorgehens ungewöhnlich. Nichts als müßige Spekulation. Du hast nicht genügend Tatsachen zur Verfügung,
32 um solche Spekulationen mit Aussicht auf Erfolg anstellen zu können. Woher willst du wissen, daß Tolfex ein Scuddamore ist? Auf diesen Einwand war ich gefaßt gewe sen. Der Extrasinn hatte mit seiner kurzen Analyse natürlich recht, aber ich wollte mir lieber müßige Gedanken machen, als planlos herumzulaufen und alle Aktion dem Gegner zu überlassen. Vergiß Artin nicht! Richtig, mein seltsamer Partner trieb sich auch noch in der Nähe herum. Wo mochte er stecken? Bei Scuddamoren ließ sich das so genau nicht sagen. Ich wußte nur eines: Ar tin war nur daran interessiert, den Neffen Chirmor Flog wieder zu jenem unerbittli chen harten Herrscher des Marantroner-Re viers zu machen, der er früher gewesen war. Und da Artin ein typischer Scuddamore war, würde er auf dem Weg zu diesem Ziel jedes nötige Opfer erbringen – und das schloß die Opferung meines Lebens ebenso ein wie die des eigenen. Was mochte der Scuddamore bei dem An blick empfinden, der sich auf den Straßen von Kudonaber bot. Überall lagen Ghyxaner herum, die Augen verdreht oder geschlos sen. Ich wußte inzwischen genug von der Mimik dieser Wesen, um beurteilen zu kön nen, daß die Bewußtlosen oder Scheintoten die letzten wachen Augenblicke im Zustand der Euphorie verbracht hatten. Sie wirkten verzückt. Wie würden sie aussehen, wenn sie wie der zu sich kamen? Kamen sie wieder zu sich? Ein Fragezeichen mehr in diesem Feld von Fragezeichen, in dem ich mich verirrt hatte. Einer der Tolfex-Roboter näherte sich Därwellsknull. Der Ghyxaner wollte zu nächst auf den Robot zugehen, der einen sei ner Handlungsarme nach Därwellsknull aus gestreckt hatte. Ich konnte sehen, daß der Arm in einer Injektionspistole endete – also genau so aussah, wie ich mir das vorgestellt hatte. Hier wurde kein Segen gespendet, hier wurden Drogen verteilt, deren Wirkung
Peter Terrid überall zu sehen war. In letzter Sekunde besann sich Därwells knull. Er machte einen weiten Satz und ent fernte sich aus der Reichweite der Roboter. Die metallenen Diener des Koordinators störten sich nicht daran – es schien genü gend Ghyxaner zu geben, die sich nach dem immerwährenden Segen sehnten. Gelächter kam auf. Einige ältere Bewoh ner machten unwillige Gebärden. »Dummkopf!« hörte ich jemanden rufen. Dann näherte sich der Robot mir. Einen Augenblick lang spielte ich mit dem Gedan ken, das Spiel des Gegners mitzuspielen. Ich konnte mich ebenfalls segnen lassen und dann abwarten, was geschah. Tu's nur, Narr! Ich tat es nicht. Ich konnte nicht wissen, welche Wirkung der Impfstoff, der auf die Ghyxaner zugeschnitten war, bei einem Ar kon-Geborenen haben würde. Und ich wußte auch nicht, was mit mir geschah, wenn ich jemals wieder zu mir kommen sollte. Bei al ler Liebe zum Risiko – dieses Spiel war mir entschieden zu gefährlich. »Zurück!« herrschte ich die Robots an. »Kehrt in eure Arsenale zurück!« Ich sprach scharf, und ich hatte Garva-Gu va gesprochen. Dennoch wunderte ich mich nicht schlecht. Der Robot machte quasi auf dem Absatz kehrt und marschierte zum Stadttor. Ge horchte er mir – oder hatte er von anderswo einen entsprechenden Befehl bekommen? »He, du – kehre ebenfalls in dein Arsenal zurück.« Der nächste Roboter, den ich ansprach, machte ebenfalls kehrt. Er gehorchte mir. Ich überlegte nicht lange. Was ich tat, war eine Provokation, aber ohne solche Mittel war hier nichts auszurichten. Ich gab jedem Impfroboter, auf den ich traf, den Befehl zur Umkehr – und die Maschinen folgten ge treulich diesen Befehlen. Natürlich blieb diese Aktion nicht ohne Folgen. »Was soll das?« rief mir ein junger Ghyxaner zu. »Warum unterbrichst du die
Koordinator der Ewigkeit Segnung?« »Das werde ich später erklären«, gab ich bekannt, aber die Bewohner von Kudonaber gaben sich damit nicht zufrieden. »Wir wollen den immerwährenden Segen. Wir wollen die Unsterblichkeit!« Die Menge, die uns folgte, wurde mit jedem Häuserblock, den wir passierten, größer und wütender. »Därwellsknull, was hast du dem Frem den gesagt, du Verräter!« An mich wagte man sich einstweilen nicht heran. Hauptziel der Attacken war zunächst der arme Därwellsknull. Er wurde mit Ver wünschungen überschüttet, und wenig später kamen Lehmbrocken geflogen. »Aufhören!« schrie ich. »Oder ich werde wütend …!« Noch genoß ich einen guten Ruf als Ab gesandter des Koordinators. Mein Brüllen hatte daher Erfolg, es wurde nicht mehr ge worfen. Die boshaften, wütenden und belei digenden Kommentare an die Adresse Där wellsknulls konnte ich damit nicht eindäm men. Mein Spiel als Abgesandter des Koordi nators würde bald ein Ende haben – und ich nahm an, daß sich Tolfex dann um den Je mand kümmern würde, der ihm das Spiel zu verderben trachtete. Genau das wollte ich erreichen. Wenn ich auf dieser Welt nicht verschim meln wollte, mußte ich ein Raumschiff fin den, daß mich mitnahm – und das ging nur, wenn ich in irgendeiner Form auf mich und mein Hiersein aufmerksam machen konnte. Das Schlimmste, was mir passieren konnte, war, auf dieser Welt vergessen zu werden, wenn Tolfex mit seinem Organschiff und die Flotte der Sternenschifffe Ghyx verließ. Den Rummel, den ich in Kudonaber ent fachte, konnte mir also nur dienlich sein – er konnte mich aber auch den Kopf kosten. In gewisser Weise konnte mir dabei Artin sehr behilflich sein. Der Scuddamore nämlich wußte, daß ich für den Neffen Chirmor Flog von Wichtig keit war. Grundsätzlich und rücksichtslos,
33 nur am Gesichtspunkt der Nützlichkeit für die Scuddamoren-Macht im Marantroner-Re vier orientiert, stellte er so etwas wie eine Lebensversicherung für mich dar. Hundert prozentig sicher, das war mir klar, durfte ich mich nicht fühlen – wenn dem Scuddamoren ein logisch erscheinender Gedanke kam, der einschloß, daß ich geopfert wurde, dann würde Artin keine Sekunde zögern. Als wir die Hütte des alten Kniesterbei ners erreicht hatten, gab es kein Zurück mehr. Hinter uns drängten sich die Ghyxa ner, soweit sie noch bei Besinnung waren. Auf den freien Straßen konnte ich sehen, daß immer neue Entrückte in die Vorhallen der Ewigkeit getragen wurden. Die Schein toten, so mußte man sie wohl bezeichnen, wurden von den Ghyxanern mit größter Ehr erbietung behandelt stets sehr behutsam auf genommen und getragen. Ob der Koordina tor mit ihnen ähnlich verfahren würde? »Ruhe!« brüllte ich mit höchster Stimm kraft, als wir vor der Tür des Kniesterbeiner-Hei mes standen. Wenn ich den Sachverhalt richtig interpretierte, stand neben der Tür Därwellsknulls Braut und starrte ihren Ge liebten an. Därwellsknull war kein Meister der großen Diplomatie und des kunstvoll kon struierten Satzes. Er überfiel seine Braut oh ne Zögern mit der für ihn wichtigsten Frage. »Hast du schon den Segen empfangen, Hellendhurr? Wurdest du von den Dienern des Koordinators gesegnet?« Das Mädchen machte eine mir unklar bleibende Geste. »Nein«, sagte sie dann. »Ich wollte erst wissen, wie es dir ergangen ist.« »Der Himmel sei gepriesen!« entfuhr es Därwellsknull. »Was soll das heißen?« erklang es aus der Menge. »Willst du den immerwährenden Se gen verächtlich machen? Was hat das alles überhaupt zu bedeuten? Warum schickt der Abgesandte die Diener des Koordinators fort? Was hast du verbrochen, Därwells knull, daß wir so bestraft werden sollen?« Die Bevölkerung von Kudonaber verstand
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Peter Terrid
von der ganzen Angelegenheit überhaupt nichts, und offenbar wurde das Mißverständ nis mit jedem Augenblick größer. »Nun rede schon, Därwellsknull! Rede, oder du wirst unseren Zorn zu spüren be kommen!« Die Stimmung wurde feindseliger. Där wellsknull umschlang seine Braut, was einen anderen Ghyxaner veranlaßte, auf ihn loszu gehen – vermutlich ein Rivale um die Gunst von Hellendhurr. Därwellsknull hatte nur ei ne Hand frei, wußte davon aber guten Ge brauch zu machen. Als erstes riß er dem An greifer eines der Hörner vom Schädel, da nach trat er ihn in den Unterleib. Der An greifer jaulte auf und taumelte zurück. Därwellsknull sah sich das Horn an, das er in der Hand hielt, dann warf er es mit ei ner unverkennbar verächtlichen Gebärde auf den Boden. »Ooohh«, machte die Menge, und der sol cherart Beschimpfte brach ohnmächtig zu sammen. Wieder kamen Lehmbrocken angeflogen. Därwellsknull wurde getroffen und zuckte zusammen. Es wurde Zeit zum Handeln. »Kniesterbeiner!« rief ich laut. »Komm heraus, Kniesterbeiner, wir müssen mitein ander reden!« Wenig später wurde die Tür geöffnet, und der Alte trat heraus. Er musterte mich feind selig. »Es gibt wichtige Dinge zu bereden, Kniesterbeiner …« »… o Kniesterbeiner!« versuchte mich der Alte zu verbessern. Ich ließ es auf eine kleine Machtprobe an kommen. Ich faßte ihn ins Auge und sah ihn durchbohrend an. Der Alte war starrsinnig, aber er war nicht blöde. »Komm herein, o Abgesandter«, sagte er schließlich.
8. Kniesterbeiner verstand von dem, was der hellhäutige Fremde vorzutragen hatte, nicht
sehr viel. Was der Fremde erzählte, war al bern und konfus, widersprach dem Herkom men und gehörte sich einfach nicht. Zweierlei aber war Kniesterbeiner sehr bald klargeworden. Zum einen stand für ihn fest, daß dieser Atlan völlig übergeschnappt war, geistes krank, wahnsinnig, man konnte es nennen wie man wollte. Zum zweiten war sich Kniesterbeiner sehr rasch darüber klar geworden, daß er sich je de Menge Ärger und Verdruß einhandelte, wenn er diesen Konflikt einfach weiter schwelen ließ. Kniesterbeiner wußte, daß draußen vor dem Tor Tausende von Kudo naberern standen und auf das Ende der Ver handlung warteten. Ärger konnte Kniesterbeiner bekommen, wenn er die Einwände und Bedenken des Fremden einfach beiseite schob. Mit einem Abgesandten des Koordinators der Ewigkeit legte man sich besser nicht an, nicht einmal dann, wenn dieser Abgesandte klar erkenn bar den Verstand verloren hatte. Ärger bekam Kniesterbeiner aber auch, wenn er auf den Irrsinn dieses Abgesandten einging und sein Volk aufforderte, die Seg nung durch die Diener des Koordinators nicht mehr anzunehmen. Kniesterbeiner empfand dieses Dilemma als höchst ärgerlich. Er und seine an Ahnen reiche Familie beherrschten seit achtzehn Generationen die Stadt Kudonaber, und die Kniesterbeiner taten dies selbstverständlich nicht, um sich dafür Ärger, Unannehmlich keiten und Verdruß einzuhandeln. »Nun ja«, bemerkte Kniesterbeiner. »Das ist alles recht interessant, aber leider nicht sehr beweiskräftig. Und die augenblickliche Stimmung in der Bevölkerung …« »Was wird die Bevölkerung tun, wenn sie erfährt, was ich zu sagen habe?« fragte At lan. Kniesterbeiner empfand es als höchst un gehörig, daß der Fremde ihn derart unter Druck zu setzen versuchte. Was fiel Atlan ein, ihm dem alten Kniesterbeiner, mit dem Pöbel auf der Straße zu drohen?
Koordinator der Ewigkeit Indes fiel dem Oberhaupt von Kudonaber ein, daß zum einen ein erheblicher Prozent satz der Bewohner der Stadt bereits – wie nannte Atlan das – geimpft worden war. Diese Ghyxaner würden sich nicht mehr be schweren, soviel stand fest. Und – gleichgül tig, wer in diesem Streit nun Recht hatte – zurückkehren würden die Entrückten auch nicht. Dieser Gedankengang gab den Über legungen des Kniesterbeiners die nötige Ru he, die er brauchte, um seine Schlußfolge rungen ziehen zu können. »Es könnte Unruhen geben«, sagte Där wellsknull, als Kniesterbeiner auf Atlans Frage nicht antwortete. Kniesterbeiner ging auf diese Bemerkung nicht ein. Mit dem jungen Frechling und Mädchenbeäugler wollte Kniesterbeiner spä ter reden – von Vater zu Bewerber, ernst und aufrichtig. Daß Därwellsknull Hellend hurr nicht würde heimführen können, lag für den Kniesterbeiner auf der Hand. Därwells knull hatte nichts, war nichts und würde ver mutlich auch nicht sehr alt werden, wenn er in diesem Stil fortfuhr, die Leute zu verär gern. Überhaupt waren die Pläne des alten Kniesterbeiners empfindlich durcheinander gebracht worden. Er hatte nicht im gering sten damit gerechnet, daß der Koordinator ausgerechnet Kudonaber ein zweites Mal zu seinen Lebzeiten aufsuchen würde. Beim er sten Besuch war er zu jung gewesen, nun war er zu alt, um … geimpft zu werden, richtig, so hieß das. Sein Favorit als Schwiegersohn war ein für allemal ausgeschieden. Därwellsknull hatte ihn unmöglich gemacht, ihn nicht nur enthörnt, sondern auch noch zum Gespött der Menge gemacht. Glibberbrr hatte ohne hin erklärt, daß er die Unsterblichkeit der Braut vorzog, es sei denn, auch Hellendhurr würde gesegnet. »Also«, sagte Atlan drängend. »Was soll nun werden?« »Ich überlege«, antwortete Kniesterbei ner. »Ich denke nach, angestrengt und gründlich. Ich bin Kniesterbeiner, ich trage
35 die Verantwortung, und ich fälle meine Ent scheidungen erst, wenn ich nachgedacht ha be. Also stört mich nicht.« Einen Augenblick lang überlegte er, ob er sich nicht in die angenehme Kühle seines Schlammlochs zurückziehen sollte, aber dann fiel ihm ein, daß er – höflichkeitshalber – auch Atlan würde einladen müssen, und mit so einem wollte er sein Schlammloch nicht teilen. Was also sollte er tun? Noch nie in sei nem langen, erfolgreichen Leben hatte Kniesterbeiner eine solche Last auf seinen Schultern gespürt. So oder so, es sah aus, als würde er um sehr viel Verdruß und Unannehmlichkeiten nicht herumkommen. Die Frage war nur, wer von den Beteiligten ihm am meisten Är ger bereiten konnte. Wenn er es sich mit dem Volk verdarb, würde man ihn womöglich absetzen. Der Vorgang wäre einzigartig in der Geschichte Kudonabers gewesen, war aber sehr wohl denkbar. Legte er sich hingegen mit Atlan an, konnte er Ärger mit dem Koordinator der Ewigkeit bekommen. In diesem Fall stand möglicherweise nicht nur sein Amt sondern auch sein Kopf auf dem Spiel. Das galt es zu bedenken. »Du scheinst kein Freund des Koordina tors zu sein«, wandte sich Kniesterbeiner an Atlan. »Und doch bist du mit seinem Schiff zu uns gekommen. Wie erklärst du das?« Kniesterbeiner war an einer echten Erklä rung gar nicht interessiert. Er wollte nur Zeit gewinnen. Ein Beteiligter hatte sich in diesem Kon flikt noch gar nicht zur Sache geäußert, Tol fex, der Koordinator der Ewigkeit. Viel leicht war es ratsam, Atlan zu übergeben und Tolfex selbst um Rat zu bitten. Tolfex gebot über mehrere Raumschiffe. Er besaß eine Macht, die für die Ghyxaner schier un vorstellbar war. Tolfex war sogar Kniester beiner überlegen, und das hieß bei dem aus geprägten Selbstbewußtsein des Alten eini ges, wenn er dies zugab.
36 Wenn Tolfex um so vieles stärker war, mußte er dann nicht auch moralisch, sittlich, ethisch stärker und besser sein. Tolfex ver fügte über die besseren Waffen, also mußte er auch ein besseres Wesen sein – das sagte sich Kniesterbeiner, während Atlan unauf hörlich redete, ohne zu merken, daß Knies terbeiner ihm gar nicht zuhörte. Womöglich war dieser Atlan, überlegte sich Kniesterbeiner, ein Rebell, ein Renegat, ein Aufrührer. Sein Reden paßte dazu. Viel leicht log er, um sich einen Vorteil zu ver schaffen. Ja, jetzt fiel es dem alten Kniester beiner wie Schuppen von den Augen, viel leicht wollte dieser Atlan Tolfex stürzen, um sich an seine Stelle zu setzen. Gedankengän ge dieser Art waren Kniesterbeiner überaus vertraut. Ein noch besser Gedanke tauchte im Hirn des Ghyxaners auf. Wenn er ihn verriet … wenn er Atlan an Tolfex verkaufte … oder besser andersherum?… nein, es war besser, Atlan an Tolfex auszuliefern, denn Tolfex hatte ein Schiff und Atlan keines … war es dann nicht möglich … gut, es war keiner zu rückgekehrt vom Stern der Läuterung, aber es hatte auch noch keiner dem Koordinator der Ewigkeit einen solchen Dienst erwiesen … warum also sollte er, Kniesterbeiner, nicht ungeachtet seines hohen Alters … als Belohnung gleichsam … nicht nur unsterb lich … hatte er sich durch seine Arbeit für das Volk die Unsterblichkeit nicht mehr ver dient als irgendein anderer?… sondern auch zurückkehren … einziger unsterblicher Ghyxaner … er Kniesterbeiner … denn er hatte Tolfex geholfen … man mußte nur die sen Atlan an Tolfex verraten, dann stand al ledem nichts mehr im Wege … groß würde er sein, unsterblich … und er würde zurück kehren, als einziger … Stadthalter des Koor dinators der Ewigkeit, mit einem Wort Kniesterbeiner … »Was soll der Lärm?« Därwellsknull war aufgesprungen und riß Kniesterbeiner aus seinen Überlegungen. »Hä?« machte der Alte. Därwellsknull stürzte aus der Hütte. Nach
Peter Terrid wenigen Augenblicken kehrte er zurück. »Sie sind zurückgekommen!« schrie er. »Die Roboter sind zurückgekommen. Sie marschieren zu den Vorhallen der Ewig keit.« Kniesterbeiner erhob sich langsam. Nun, dann war der Sachverhalt einigerma ßen klar. Atlan hatte die Diener des Koordi nators zurückgeschickt in die Schiffe, und nun hatte der Koordinator diese Befehle auf gehoben. Wer der Stärkere war von den bei den, war nun offenkundig geworden. Es war an der Zeit, eine Entscheidung zu treffen. »Geh!« sagte Kniesterbeiner feierlich zum Abgesandten. »Geh und kehre niemals wie der.« »Was soll das heißen, Vater?« rief Hel lendhurr. »Ich verstoße ihn«, erklärte Kniesterbei ner. »Er hat eine Stunde Zeit, unser Reich zu verlassen. Wird er nach dieser Frist noch im Weichbild von Kudonaber angetroffen, so hat jeder Einwohner nicht nur das Recht, sondern auch die heilige Pflicht, ihn zu tö ten. Er ist ein Hochverräter, er wollte uns um die Unsterblichkeit bringen!« »Vater!« rief Hellendhurr. »Hast du denn nicht zugehört? Er will uns vor dem Verder ben retten!« »Geh!« wiederholte Kniesterbeiner. Der Fremde stand auf. »Du machst einen Fehler, Kniesterbei ner«, sagte er grob. »Ich bedaure nur, daß du in deiner Verbohrtheit niemals begreifen wirst, was du tatsächlich anrichtest. Denn leider mußt nicht du den Preis für diesen Fehler zahlen.« Ohne ein weiteres Wort verließ der Frem de die Hütte. Hellendhurr sank auf dem Bo den zusammen. Hoheitsvoll verließ Knies terbeiner seine Hütte. Er kam gerade zurecht, um die ersten Ko lonnen der Diener sehen zu können. Sie marschierten in die Stadt. »Ich habe erreicht, daß der Koordinator weiterhin unser Freund ist«, erklärte Knies terbeiner. »Die Befehle des verräterischen Abgesandten sind aufgehoben worden.«
Koordinator der Ewigkeit »Hoch Kniesterbeiner!« schrie die Menge jubelnd. Kniesterbeiner nahm die Danksa gungen huldvoll entgegen. Sein Spiel war glänzend aufgegangen. »Du bist ein Narr, o ehrwürdiger Knies terbeiner«, sagte Därwellsknull, ohne darauf zu achten, daß er Frechheit mit Höflichkeit zu einem seltsamen Satz vermischte. »Schweig!« herrschte Kniesterbeiner den jungen Kudonaberer an. Er hatte keine Lust, sich von dem Jungen diesen Triumph verderben zu lassen. Damals, als die Kudonaberer zum ersten Mal auserwählt worden waren, die Entrück ten zu stellen, war der alte Kniesterbeiner viel zu jung gewesen, um die Dinge richtig begreifen zu können. Erst jetzt, im hohen Alter, vermochte er die Vorgänge zu würdi gen. Erst jetzt begriff er die eigentümliche Schönheit der Kolonnen, in denen die Die ner des Koordinators heranmarschiert ka men. Erst jetzt verstand er, warum die Ah nen diese Augenblicke priesen und sich im mer wieder mit Verzückung daran erinner ten. Kniesterbeiner sah, wie die Diener sich näherten. Es war kurz vor Sonnenuntergang, die Sonne überstrahlte die Diener mit schim mernden Reflexen. Von rötlichem Licht übergossen, hehr schimmernd, marschierten sie heran. Nichts konnte deutlicher machen als dies, daß sie von einer anderen, höheren Welt stammen mußten. Die Vollkommen heit der Bewegungen war unerreicht. Der Boden vibrierte leicht unter den Tritten der Diener. Es war ein eigentümliches Gefühl, daß den Ghyxanern durch und durch ging. Es vermittelte den Schauder des Großarti gen, das sichere Gefühl, an einem großen, erhabenen Schauspiel teilnehmen zu dürfen. Die Diener kamen, um die Erwählten abzu holen, sie heimzuführen in die Gefilde der Läuterung und der Unsterblichkeit. Diesmal war es still auf den Straßen. Die Kudonaberer, die keinen Segen emp fangen hatten, säumten die Straßen als Zu schauer. Nur dort, wo die Diener gingen,
37 waren die Bewohner der Stadt zu finden. Al le anderen Orte waren leer und verlassen. Auch um die Befestigung kümmerte sich niemand. Es war auch überflüssig. Bei aller Unverschämtheit und Anmaßung, deren die Durlaner fähig waren – sie hätten sich nie unterfangen, einen Vorgang dieser Art zu stören. In geordneten Reihen marschierten die Diener des Koordinators auf die Vorhallen der Ewigkeit zu. Kniesterbeiner wußte, daß sie wohlgefüllt waren. Es hatte viele Er wählte gegeben in dieser Generation, trotz des Eingreifens dieser Fremden. Kniesterbeiner sah sich kurz um. Von At lan war nichts zu sehen. Gut so, dachte Kniesterbeiner. Am besten verschwand der Behaarte zusammen mit dem Koordinator. Wenn nicht, sollte sein Schädel die Hütte des Kniesterbeiner zieren. Einige sorgsam ausgesuchte Bewohner der Stadt erwarteten die Diener an den Ein gängen zu den Hallen. Mit feierlichen Ge bärden öffneten sie die großen Tore. Sie wurden nur einmal in jeder Generation ge öffnet, nur dann, wenn die Diener des Koor dinators kamen, um die Erwählten abzuho len. Es gab viele solcher Vorhallen der Ewigkeit auf Ghyx, und die meisten der aus erwählten Türhüter kam nie dazu, die feierli che Handlung der Öffnung auch tatsächlich vollziehen zu dürfen. Kniesterbeiner konnte die Gesichter der Hüter sehen; sie strahlten. Der alte Kniesterbeiner war zufrieden mit sich und seiner Arbeit. Der Aufruhr der letz ten Stunden hatte sich gelegt. Er konnte auch sehen, daß am Stadtrand weitere Be wohner von Kudonaber der immerwährenden Segnung unterzogen wurden. Offenbar hielt es der Koordinator nicht für nötig, die Anordnungen zu respektieren, die sein Ab gesandter getroffen hatte. Er wollte auch de nen die Beglückung zukommen lassen, die sonst durch das Verschulden Atlans um ihre Unsterblichkeit betrogen worden wären. Die ganze Aktion nahm einen überaus erfreuli chen Verlauf – fand Kniesterbeiner.
38 Er konnte sehen, wie die Kolonnen in die Vorhallen der Ewigkeit eintraten und darin verschwanden. Die Menge bewahrte ehr fürchtiges Schweigen. »Kniesterbeiner!« drängte Därwellsknull. »Unternimm etwas. Du mußt verhindern …« Mit einer zornigen Handbewegung brach te Kniesterbeiner den jungen Schwätzer zum Schweigen. »Vater«, drängte Hellendhurr. Auch sie verstummte, nachdem der Alte sie wütend angestarrt hatte. Der erste der Diener kehrte aus der Halle der Ewigkeit zurück. Er trug einen der Ent rückten auf den Armen. Wenig später folgte der zweite. Vor der Halle blieben die Diener stehen. Sie warteten dort, um ihre Kolonne neu for mieren zu können. Es gehörte von alters her zu diesem Vorgang, daß die Diener des Ko ordinators das Feierliche und Erhabene her ausarbeiteten und durch formvollendetes Be tragen krönten. »Sieht das so aus, als trügen sie Erwähl te?« fragte Därwellsknull scharf. »Trägt man so Unsterbliche?« »Woher willst du wissen, wie ein Diener des Koordinators einen Unsterblichen zu tra gen hat?« fragte Kniesterbeiner wütend zu rück. »Hast du schon einmal einen Unsterb lichen getragen?« Auf diese Frage wußte Därwellsknull kei ne Antwort. »Sie behandeln unsere Freunde nicht ehr fürchtig, sie schleppen sie ab wie eine La dung Fettpilze!« Därwellsknulls bissige Bemerkung wurde von Umstehenden ausgezischt. Kniesterbei ner verhielt sich ruhig. Wenn der junge Mann so fortfuhr, sich unmöglich zu ma chen, konnte sich der alte Kniesterbeiner die Mühe sparen, Därwellsknull zu bestrafen. Das würde der Volkszorn schon überneh men. »Es sieht entsetzlich aus, Vater«, fiel Hel lendhurr in die Tirade ihres Geliebten ein. Kniesterbeiner nahm sich vor, seine Tochter bei Gelegenheit für diese Frechheiten zur
Peter Terrid Rechenschaft zu ziehen. Die Marschkolon nen der Diener hatten sich wieder formiert. Auf ein Zeichen hin setzten sie sich alle gleichzeitig in Bewegung, und mit dem gleichmäßigen ruhigen Marschtritt, mit dem sie Kudonaber betreten hatten, schritten sie über die Straßen wieder aus der Stadt hin aus. Jeder Diener trug einen Entrückten auf seinen Armen. Insgeheim mußte Kniesterbeiner seiner Tochter recht geben. Sehr rücksichtsvoll gingen die Diener mit den Entrückten nicht um. Der Alte konnte sehen, daß bei einem der Abtransportierten ein Arm herabhing und immer wieder gegen den Leib des Die ners schlug. Das mußte eigentlich schmer zen, aber Kniesterbeiner sagte sich, daß die Entrückten darauf schwerlich achten wür den. Wahrscheinlich nahmen sie von diesen Kleinigkeiten gar keine Notiz mehr. Insgeheim beneidete Kniesterbeiner die Entrückten um ihr Schicksal. Er wünschte sich, er selbst würde in diesem Augenblick ebenfalls von einem der Roboter getragen und solcherart der Unsterblichkeit zugeführt. Kniesterbeiner überlegte sich, daß noch lange nicht alle Chancen vergeben waren. Wenn er die Angelegenheit mit Atlan so durchführte, wie er sich das vorstellte, konn te er sehr wohl seine Ziele erreichen – viel leicht nicht alle, wohl aber die wesentlichen. Kniesterbeiner sah sich um. Von Atlan war keine Spur zu sehen. Wahrscheinlich hatte er sich vorsichtshalber abgesetzt. Kniesterbeiner hatte es nicht an ders erwartet. Sich mit dem Maul zu empö ren und tatsächlich gegen einen Koordinator der Ewigkeit vorzugehen, das waren zwei verschiedene Dinge. Dann stellte Kniesterbeiner fest, daß auch seine Tochter und ihr Freund verschwunden waren. Mochten sie nur, dachte Kniesterbei ner. Sie waren nicht gesegnet worden, muß ten also sterben. Wenn es Kniesterbeiner ge lang, selbst unsterblich zu werden, mußte er sich ohnehin daran gewöhnen, ab und zu von sterblichen Familienangehörigen Ab schied zu nehmen. Besser, er fing gleich da
Koordinator der Ewigkeit mit an. Dann sah Kniesterbeiner jemanden, auf den er gewartet hatte. Aus einer Gasse schob sich langsam ein schwärzlicher Schemen auf das Oberhaupt der Stadt Kudonaber zu. Kniesterbeiner war über diesen Anblick sehr erfreut. Er empfand beinahe instinktiv Vertrauen zu diesem Schemen. »Wir müssen etwas miteinander bere den«, sagte der Scuddamore, als er Kniester beiner erreicht hatte. Das Oberhaupt von Kudonaber spähte hinüber zum Zug der Entrückten. Es wurde Zeit zu handeln. »Ganz richtig«, sagte Kniesterbeiner. »Wir müssen miteinander reden. Komm, Freund …!«
9. Wieder breitete sich Nacht über diesen Teil des Planeten. Kudonaber versank lang sam im Grau der Dämmerung. Nebel stiegen aus dem Umland auf und wickelten die Stadt gleichsam ein. Die Geräusche wurden ge dämpft, nur schwach leuchteten die Feuer der Wachen durch das milchige Weiß der Schwaden. Ich fröstelte. Vielleicht lag es an der Wit terung, vielleicht auch an anderen Ursachen. Ich wartete. Irgend etwas mußte passie ren, aber ich war mir nicht sicher, was – und ich wußte auch nicht, welche Rolle ich zu spielen hatte. Därwellsknull hatte mich am Nachmittag gefunden und zu trösten ver sucht. Nun wartete ich auf ihn – er wollte in der Stadt ausspähen, was zu tun möglich oder ratsam war. »Hallo!« Die Stimme des Ghyxaners klang durch den dichten Nebel, von der kühlen Feuchtig keit stark gedämpft. »Hierher!« rief ich. Wenig später erschien Därwellsknull, zu sammen mit seiner Braut. Die beiden mach ten, wenn ich ihre Gesichter richtig las, einen ausgesprochen energischen Eindruck. »Wir haben mit Kniesterbeiner gespro
39 chen«, sagte Därwellsknull. »Er hat uns aus der Stadt gejagt – wahrscheinlich werden wir uns jetzt den Durlanern anschließen.« »Wie schön für euch«, sagte ich, obwohl ich die Tragweite dieser Entscheidung nicht zu ermessen vermochte. »Außerdem haben wir über dich gespro chen«, fuhr Därwellsknull fort. »Der alte Kniesterbeiner bittet dich um Verzeihung, weil er so grob zu dir war.« Eine Falle! Des Impulses des Logiksek tors hätte es nicht bedurft. So gut kannte ich den alten Kniesterbeiner bereits, daß ich von seiner Heimtücke überzeugt war. »Ist das alles?« fragte ich. »Er läßt dir mitteilen, daß er sich in der Angelegenheit an den Koordinator der Ewigkeit gewandt hat.« Damit war der Kontakt hergestellt. Jetzt lag es an mir, was daraus wurde. »Tolfex möchte mit dir reden, weil er meint, du seiest einem furchtbaren Mißver ständnis aufgesessen.« Ich kicherte leise. Soviel Höflichkeit von einem Scuddamoren? Es ist nicht sicher, daß er ein Scuddamo re ist! »Er wird deinen Freund Artin zu einem Treffpunkt schicken, noch in dieser Stunde. Mit ihm sollst du alles weitere bereden.« So also lief der Hase. Artin hatte also, das folgerte ich aus diesen Sätzen, Kontakt zu Tolfex aufgenommen. Vermutlich hatten sich die beiden prächtig verstanden. »Wo soll das Treffen stattfinden?« »Am Tor von Kudonaber, in Richtung der Sternenschiffe.« »Wer wird mich erwarten?« »Artin, so habe ich gehört. Mehr kann ich nicht sagen.« »Ich bedanke mich, Därwellsknull und Hellendhurr.« Die beiden Ghyxaner sahen mich mit ih ren gelblichen Augen an. Sie waren so verschieden von mir, wie zwei Lebewesen nur sein konnten. Auf der Erde galten Kröten als unappetitliche Tiere, und es war durchaus denkbar, daß es auf
40 Ghyx ein Schönheitsideal gab, dem ich in keiner Weise entsprach. Und doch: in diesem Augenblick, ein gehüllt in den kühlen Nebel über Kudona ber, der die Stadt und die Schiffe gnädig be deckte, in diesem Augenblick verstanden wir uns, stumm, ohne des anderen Sprache zu sprechen, aber dennoch mit großer Klar heit und Eindeutigkeit. »Du willst hingehen, Atlan? Es wird dein Tod sein – wenn du mit deinen Befürchtun gen recht hast.« »Es gibt Dinge, die schlimmer sind als der Tod«, sagte ich. »Ich werde gehen – nur so kann ich dazu beitragen, die Macht der Fin sternis zu brechen, die über dieser Welt herrscht.« »Wir wünschen dir viel Glück«, sagte Hellendhurr. Die beiden machten eine Handbewegung, dann gingen sie davon, in die Verbannung. Nach wenigen Schritten hatte der Nebel sie verschluckt. Ich wußte, daß ich diese beiden niemals mehr sehen würde. Der Gedanke schmerzte. Nimm dich zusammen! Ratschläge wie dieser, der vom Extrasinn stammte, waren leichter zu verteilen als zu befolgen. Ich machte mich auf den Weg zum Stadt tor. Ich ahnte, daß man mir eine Falle stellen wollte – aber ich konnte nichts dagegen un ternehmen. Ich hatte es nicht eilig. Langsam schritt ich die Straße entlang, durch den immer dichter werdenden Nebel. Es war nicht nur deswegen ein Marsch ins Ungewisse. »Atlan!« Ich blieb stehen. Schwarz auf dem weiß lichgrauen Hintergrund des Nebels tauchte er auf. Artin, der Scuddamore. »Ich habe auf dich gewartet«, sagte er. »Du hast dich mit dem Koordinator in Verbindung gesetzt?« fragte ich zurück. »Er steht auf unserer Seite, hoffe ich«, antwortete Artin. »Er wird die Sache der loyalen Scuddamoren sicherlich unterstüt-
Peter Terrid zen. Einstweilen will er uns helfen.« Eine kurze Pause entstand. »Tolfex möchte aber, daß du dich vorher davon überzeugst, daß er kein böses Spiel mit den Eingeborenen treibt. Du sollst, so läßt er dir sagen, an Bord eines der Sternen schiffe gehen und dich selbst dort überzeu gen. Es wird alles getan, um den Ghyxanern das Leben angenehm und leicht zu machen.« Ein solches Angebot konnte ich nicht aus schlagen. Es gab ja immer wieder Fälle, in denen selbst das unmögliche Erscheinende eine einfache und plausible Erklärung fand. Schließlich hatte ich Tolfex ungeheurer Ver brechen bezichtigt, ohne auch nur annähernd sagen zu können, was das für Verbrechen sein sollten. »Er will mir sein Schiff zeigen?« »Er hat dir einen Robot geschickt, seinen Stellvertreter«, erläuterte Artin. »Er wartet mit einem Fahrzeug in der Nähe.« »Sehr freundlich«, sagte ich. Ich wußte in diesem Augenblick nicht recht, was ich von der Sache halten sollte. Tolfex reagierte an ders, als ich erwartet hatte. Artin hat dich vermutlich als treuen An hänger der Scuddamoren geschildert, schätzte der Extrasinn. »Und dann?« »Wir werden diese Welt verlassen«, er klärte Artin. »Daher soll ich dich bitten, nicht zu lange zu säumen. Die Revolte der Rebellen muß schnell niedergeschlagen wer den, je früher desto besser.« Dieses Argument war einsichtig. »Wo ist der Robot?« wollte ich wissen. »Folge mir!« bestimmte Artin. Nach kurz er Zeit hatten wir das Ziel erreicht. In der Nähe des Stadttors warteten zwei Gleiter fahrzeuge auf uns. »Zwei?« »Ja. Ich werde mit dem freien Gleiter zu Tolfex fliegen. Wir starten sehr bald. Dich bittet Tolfex, daß du dich an Bord eines der Robotschiffe selbst von der Redlichkeit die ser Aktion überzeugen kannst. Die Aktion soll dann morgen abgeschlossen werden. Du kannst den Eingeborenen dann klarmachen,
Koordinator der Ewigkeit daß es für sie keine Gefahr gibt, sondern tat sächlich die verheißene Unsterblichkeit.« »Glaubst du daran?« »Ich zweifle nicht am Wort eines Koordi nators der Ewigkeit«, gab Artin zurück. »Zwar kenne ich keine Einzelheiten dieses Programms, es geht mich auch nichts an, aber ich glaube Tolfex.« »Wenn ihr sehr bald starten wollt – was wird aus mir?« »Tolfex bittet dich, die Aktion zum Ende zu bringen. Morgen sollen die letzten Ent rückten an Bord gebracht werden, dann wer den die Schiffe starten. Dieser Robot hat Be fehlsvollmacht für die Schiffe. Er wird dei nen Befehlen unterstellt. Der Stellvertreter wird dich so bald als möglich ans Ziel brin gen.« Das klang seltsam. Verlockend und absto ßend zugleich. Tolfex reagierte auf meine Vorwürfe mit Sanftmut, und er handelte so, wie ein redlicher Mann in einer ähnlichen Situation vielleicht ebenfalls handeln würde. Auf der anderen Seite sagte mir mein stets wacher Instinkt, daß dies mit größter Wahr scheinlichkeit eine Falle sein konnte, ja bei nahe mußte. »Ich werde die Bitte des Koordinators er füllen.« »Ich habe mit keiner anderen Reaktion gerechnet, Atlan«, sagte Artin. »Wir werden uns in kurzer Zeit wiedersehen. Tolfex' Or ganschiff und die Sternenschiffe haben das gleiche Ziel.« Der Scuddamore verschwendete kein wei teres Wort. Sentimentale Abschiedsszenen waren bei ihm unbekannt. Er hatte gesagt, was er hatte sagen wollen; er drehte sich um, ging zu dem zweiten Gleiter und stieg ein. Die Aggregate des Fahrzeugs wurden ein wenig lauter, der Gleiter beschleunigte und war einen Herzschlag später im Nebel ver schwunden. Deine Schuld, wenn du in eine Falle tappst! Es lag auf der Hand, daß Artin und Tolfex zusammenarbeiteten, und das konnte mir sehr leicht zum Verhängnis werden. Ich sah
41 indes keine andere Wahl. Ich mußte den Er eignissen Beschleunigung verleihen. Je län ger ich wartete, um so gefährlicher wurde meine Lage. Als Einzelkämpfer auf der Ebe ne der Schwarzen Galaxis konnte ich mei nen Widersachern nur dann widerstehen, wenn ich dafür sorgte, daß in die Aktionen Tempo kam, nach Möglichkeit ein Tempo, das von den teilweise bürokratisch organi sierten Gegner nicht nachvollzogen werden konnte. Vorwärts, hieß die Devise, und keinen Schritt zurück. Ich ging auf den für mich be stimmten Gleiter zu. Was hatte sich Tolfex einfallen lassen? Mein Freund war er gewiß lich nicht, also mußte ich auf der Hut sein. »Ich grüße dich, Atlan!« Ein sehr höfli cher Robot, stellte ich fest. Der Stellvertre ter-Robot war nicht mehr als ein Faß mit etlichen unidentifizierbaren Auswüchsen dar an. »Ich bin befugt, dir Befehle zu geben?« »Ich bin angewiesen, deinen Befehlen zu folgen, sofern sie mit grundsätzlichen An ordnungen nicht im Widerspruch stehen.« »Ich könnte dir also befehlen, den Start der Sternenschiffe zu verschieben.« »Ich würde der Anordnung Folge leisten.« Ich war ehrlich verblüfft. Tolfex schien mir tatsächlich zu trauen; sein Stellvertreter hatte offenbar tatsächlich entsprechende Programmbefehle erhalten. Das erweiterte meinen Handlungsspielraum ganz beträcht lich. »Fahre mich zu einem der Sternenschif fe!« befahl ich. Ich nahm in dem Gleiter Platz, der Robot übernahm die Steuerung. Das Fahrzeug fuhr an, hinter uns versank die gerade noch wahr nehmbare Silhouette der Stadt im Nebel. Mit gemäßigter Fahrt glitt das Fahrzeug über die Landschaft hinweg, von der prak tisch nichts zu sehen war. Die Sichtweite lag in dem Bereich zwischen vier und sieben Metern, was darüber hinaus ging, verlor sich in müßigen Spekulationen. »Welches Sternschiff wünschst du zu se hen?« fragte der Robot.
42 »Irgendeines«, sagte ich. »Fahr auf eines zu; ich werde dir sagen, ob es mir gefällt.« »Ich darf auf den Umstand aufmerksam machen, daß angesichts der allgemeinen La ge Eile nottut. Mein Gebieter ersucht dich, keine überflüssige Zeit zu vertun.« Daß mich die Maschine zur Eile drängte, gefiel mir nicht. Auf der anderen Seite aber war dieser Wunsch des Koordinators sehr verständlich. Aus der Sicht meiner Gegner wurde die Zeit tatsächlich ein wenig knapp. Wahrscheinlich hatte Artin ganz massiv ge drängt, um den Abflug zu beschleunigen. Vor einer Wand aus Metall, die plötzlich vor uns auftauchte, blieb der Gleiter stehen. »Hier?« »Nein!« Auf eine knappe Frage gab ich knappe Antwort. Der Gleiter fuhr wieder an. Zehn Minuten später standen wir erneut vor einer Bordwand. In diesem Nebel konnte ich die Sternen schiffe ohnehin nicht voneinander unter scheiden. Wenn der Robot Auftrag hatte, mich durch List zu einem ganz bestimmten Schiff zu locken – ich konnte ihn nicht daran hindern. »Halt!« befahl ich. »Ich will dieses Schiff sehen.« Wortlos machte sich der Stellvertreterro bot an die Arbeit. Eine Schleuse wurde ge öffnet, wir fuhren hinein und stellten den Gleiter ab. Von den Ghyxanern, die man an Bord geschafft hatte, war nichts zu sehen. Der Stellvertreterrobot arretierte den Glei ter, ein reines Landfahrzeug, das mir im Raum nicht nutzen konnte. Ein leises, kaum merkliches Zittern ging durch das Schiff. Die Schleuse stand noch offen, auch dies ein gutes Zeichen. Ich konnte sehen, daß unser Schiff sich nicht ge rührt hatte. »Tolfex ist gerade gestartet«, vermutete ich. »Das Schiff des Koordinators stößt in die sem Augenblick in den Weltraum vor.« »Ich möchte jetzt die Unterbringung der Entrückten sehen!« ordnete ich an.
Peter Terrid »Ich gehe voran!« sagte der Stellvertreter robot.
* Von Unsterblichkeit konnte keine Rede sein. Ein Blick genügte, meinen schlimm sten Verdacht zu bestätigen. So behandelt man keine Unsterblichen. So wurden Feinde behandelt, Schlachtvieh, Ge päckstücke. Sie lagen auf den Gängen, sie lagen in den Hallen, sie lagen auf dem Boden, sie la gen in Regalen. Sie lagen kreuz und quer übereinander. Sie lagen mit den Köpfen nach unten, sie lagen mit verdrehten Glied maßen, daß einem das Hinsehen schon Schmerz bereitete. Nie und nimmer waren die armen Lebe wesen ausersehen, die Unsterblichkeit zu er werben. Hätte mich schon der rüde Abtrans port der Scheintoten warnen sollen, so war die Art und Weise, wie man in diesem Raumschiff mit lebenden Wesen umging, eindeutig und absolut unzweifelhaft. Die Ghyxaner, die glaubten, der Unsterblichkeit geweiht zu sein, waren im Innern des Ster nenschiffs behandelt worden wie minder wertige Schüttladung. »Was soll das heißen!« herrschte ich den Tolfex-Roboter an. Er antwortete nicht. Er blieb einfach stehen und rührte sich nicht mehr. »Ich befehle, daß dieses Schiff auf dem Boden bleibt, bis ich zurückgekehrt bin.« Ich sprach laut und deutlich, der Robot mußte den Befehl gehört haben. Er hatte mir noch einmal, kurze Zeit vor dieser grausigen Entdeckung, bestätigt, daß er angewiesen sei, alle meine Befehle genau auszuführen. Ich ließ das Ding stehen und rannte den Gang zurück, den ich gekommen war. Unter allen Umständen mußte ich jetzt ein Mitglied der Kniesterbeiner-Sippe finden. Wenn ich dem alten Kniesterbeiner zeigte, wie man mit den Bewohnern seiner Stadt verfuhr, dann mußten selbst einem so ver bohrten und sturen alten Mann Zweifel kom
Koordinator der Ewigkeit men. Nie und nimmer ging dies mit rechten Dingen zu. Ich mußte etwas unternehmen. Vielleicht gelang es mir, das Sternenschiff evakuieren zu lassen, bevor es startete. Das hieß, daß die Geimpften in ihrem scheintoten Zustand bleiben würden, bis der nächste Konvoi des Grauens auf Ghyx landete. War den armen Teufeln damit geholfen? Ich rannte durch die Gänge des Sternen schiffs, dem Ausgang entgegen. Meine Lungen keuchten, ich schnappte nach Luft. Ich lief so schnell ich überhaupt nur konnte, getrieben von der Angst, den Unglücklichen nicht helfen zu können, die man rücksichtslos in den Gängen des Schif fes ausgeladen hatte wie minderwertiges Ge brauchsgut. Wenn dies der Anfang der Reise war, wie mochte dann das Ziel aussehen? Ich wagte nicht, mir das auszumalen. Zu spät! Ich konnte spüren, wie sich das Schiff be wegte. Zu spät, das Sternenschiff startete. Ich konnte die Kniesterbeiner nicht mehr er reichen, ihnen nicht mehr zeigen, was aus ihren Freunden, Nachbarn und Gefährten ge worden war. Ich bremste meinen Lauf, kehrte um. Ich konnte nichts mehr tun, mir waren die Hände gebunden. Tolfex hatte das Spiel ge wonnen. Er hatte einen Roboter geopfert, nicht mehr. »Warum hast du meine Befehle nicht be folgt?« schrie ich die Maschine an, sobald ich sie erreicht hatte. Sie rührte sich nicht. Sie kann deine Befehle nicht befolgen, weil sie deine Befehle nicht mehr aufnehmen kann. Ein simpler Trick, so grobgestrickt, daß ich mich schämen mußte, darauf überhaupt hereingefallen zu sein. Natürlich, der Robot war – auch das war vorprogrammiert – ein fach taub geworden. Kein Wunder, daß er auf keines meiner Kommandos reagierte. Befehle, die das Po sitronengehirn nicht erreichten, brauchten
43 auch nicht befolgt zu werden. So einfach war das. Bevor ich auch nur den Versuch unterneh men konnte, diesen Trick mit einem anderen zu kontern, trat ein weiterer Sicherheitsme chanismus in Kraft. Der Tolfex-Roboter begann langsam von innen heraus zu verglühen. Ich überließ die wertlos gewordene Maschine sich selbst und suchte mir einen anderen Raum. Dort stan den ebenfalls Roboter, aber sie reagierten auf keines meiner Kommandos. Ich griff nach einem der scheintoten Ghyxaner. Reden, Schreien, Stoßen, Zerren, nichts half. Der Zustand, in dem sich die Unglücklichen befanden, war von mir nicht zu ändern. Ich konnte sie nicht ins Leben zu rückrufen. Der Verband der Sternenschiffe stieg in die Schwärze des Weltraums auf, jagte ei nem unbekannten Ziel entgegen. An Bord befanden sich nur Roboter, die stur ihre Pflicht taten, Tausende von Schein toten, die überall herumlagen – und ich. Und mit jeder Minute, die in dieser Um gebung des Grauens verging, wuchs in mir das Gefühl, daß ich noch größerem Grauen entgegenflog.
10. »Deckung!« rief Därwellsknull. Er zog Hellendhurr an sich und preßte sie auf den Boden. Der Untergrund zitterte und bebte. »Was ist das?« fragte Hellendhurr. Därwellsknull ahnte die Antwort mehr, als daß er sie gewußt hätte. »Ich glaube, der Koordinator der Ewigkeit verläßt mit seinen Schiffen unsere Welt.« »Dann ist die Gefahr vorüber?« Därwellsknull zögerte mit der Antwort. »Ja«, sagte er dann und wußte, daß er log. »Sie ist vorüber.« Erst nach einer längeren Pause setzte er hinzu: »Wenigstens für unsere Generation.« Das Beben des Bodens wurde stärker, und
44 dann konnte Därwellsknull durch den Schleier des Nebels hindurch die Triebwer ke der großen Transportschiffe flammen se hen. Ihre Leuchtkraft war so groß, daß sie selbst diesen Nebel durchdrangen. »Sie verschwinden!« sagte er. Er mußte an Atlan denken. Was hatte der seltsame Fremde erreicht, wenn er überhaupt etwas erreicht hatte? Sechzehn glutende Punkte stiegen in den Himmel über Ghyx. Das bedeutete, daß kein einziges Schiff zurückgeblieben war. So be trachtet, war Kudonaber nun sicher vor ei nem weiteren Besuch des Koordinators. »Was machen wir jetzt?« fragte Hellend hurr. »Wir suchen den Weg nach Durl!« schlug Därwellsknull vor. »Wir brauchen schließ lich eine neue Heimat.« Sie standen wieder auf. Das Zittern des Bodens hatte aufgehört. Es war sehr dunkel, aber Därwellsknull konnte auch in der Nacht sehr gut sehen. Außerdem kannte er sich in der näheren Umgebung der Stadt Kudonaber aus. Es fiel ihm nicht schwer, für sich und seine Gefähr tin einen sicheren Weg zu finden. Es gab eine breite Straße, die von Durl nach Kudonaber führte. Därwellsknull hatte überlegt, ob er diesen Weg hätte einschlagen sollen. Dann aber hatte er sich gesagt, daß dieser Weg wahrscheinlich von den Durla nern bewacht werden würde. Därwellsknull hatte es vorgezogen, sich nach Durl hineinzuschleichen. Es hatte we nig Sinn, sich mit den streitlustigen Wachen zu raufen und danach einen Schleichweg zu benutzen; Därwellsknull zog das weniger beschwerliche Verfahren vor. »Ob sie uns überhaupt aufnehmen wer den?« fragte Hellendhurr. »Wir haben nichts, was wir in die Gemeinschaft einbrin gen könnten, nicht einmal eine Traglast Fett pilze.« »Wir werden eine Lösung finden«, sagte Därwellsknull. »Bisher haben wir für jedes Problem eine Lösung gefunden, warum soll te das in Zukunft anders sein?«
Peter Terrid Hellendhurr beließ es bei einem leisen Seufzer, mehr hatte sie dazu nicht zu sagen. Langsam und vorsichtig marschierten die beiden Kudonaberer über das verlassene Land. Därwellsknull war noch nie während der Nacht im Freien gewesen, jedenfalls nicht so weit von der heimischen Schlammkuhle ent fernt, nach der er sich über die Maßen sehn te. Er wußte, daß er Monate brauchen würde, bis er in Durl eine ähnlich behagliche Schlammkuhle hergestellt haben konnte. Die Durlaner waren bekannt dafür, daß die Schlammlöcher nichts taugten. Wahrschein lich lag es daran, daß sie so aggressiv waren und Kudonaber ein ums andere Mal angrif fen. Ab und zu blieb Därwellsknull stehen, um sich umzusehen. Es war nicht einfach, sich des Nachts im Freien zu orientieren, wenn man nicht ab und zu genau prüfte, wo man sich befand. »Weiter!« entschied Därwellsknull. Hellendhurr blieb stehen. »Ich möchte lieber zurück«, sagte sie energisch. »Was?« fragte Därwellsknull entgeistert. »Zum alten Kniesterbeiner? Kannst du dich nicht mehr erinnern, wie er uns hinausge worfen hat?« »Trotzdem«, sagte Hellendhurr. »Ich fin de, wir sollten es noch einmal versuchen. Vater war aufgeregt, weil der Koordinator vor der Stadt lag. Das hat ihn nervös ge macht, und darum war er ein wenig un freundlich zu uns.« Wenn das, was Kniesterbeiner über Där wellsknulls Person und seine Heiratsabsich ten gesagt hatte, ein wenig unfreundlich war, dann wollte Därwellsknull nicht wissen, wie der Alte tobte, wenn er wirklich einmal grob werden wollte. »Er wird uns steinigen lassen«, behaupte te Därwellsknull. »Bei lebendigem Leibe!« »Ich glaube nicht, daß er dazu fähig wä re«, versetzte Hellendhurr. Sie rührte sich nicht von der Stelle.
Koordinator der Ewigkeit »Wir sollten umkehren.« »Nein!« sagte Därwellsknull. »Doch!« In dieser kurzen Form setzte sich der Dia log noch eine Zeitlang fort, dann erklang ein »Nun gut«, und der Marsch wurde fortge setzt – einstweilen in Richtung auf Durl. »Die Durlaner sind gar keine so üblen Leute«, sagte Därwellsknull. »Wenn sie so schlecht nicht sind, warum müssen wir dann so hohe Mauern bauen, um uns vor ihnen in Sicherheit zu bringen?« Gegen dieses Argument kam Därwells knull nicht an, zumal er sich in diesem Au genblick auch erinnerte, mit was für infamen Tricks die Durlaner vor kurzem erst versucht hatten, Kudonaber einzunehmen. Ghyxa nern, die sich Futterale über die Füße streif ten, um damit die Glassandbarrieren durch queren zu können, war nicht zu trauen. »Uns werden sie jedenfalls nichts tun«, behauptete Därwellsknull. Es klang nicht sehr zuversichtlich. »Still!« flüsterte Hellendhurr plötzlich. »Ich habe Stimmen gehört. Dort vorn!« Därwellsknull blieb stehen und lauschte nach vorn. Hellendhurr hatte sehr feine Hörhörner, das mußte Därwellsknull zugeben. Dort vorn waren tatsächlich Stimmen zu hören, weit entfernt, und es war nicht zu verstehen, was gesprochen wurde. »Die Stimmen kommen näher«, murmelte Därwellsknull. »Ich schlage vor, daß wir hier warten.« »Ich habe Angst«, sagte Hellendhurr ein fach. »Außerdem beginne ich zu frieren.« »Mir geht es ebenso«, erklärte Därwells knull, ohne darauf zu achten, daß Hellend hurr dieses Eingeständnis auch auf ihre Furcht beziehen konnte. Die beiden Kudonaberer blieben stehen. »Durlaner!« flüsterte Därwellsknull. »Ich kenne diesen Akzent, kein Zweifel, es sind Durlaner.« »Wer sonst?« fragte Hellendhurr bissig zurück. »Wir sind kurz vor der Stadtgrenze von Durl, wer außer den Durlanern und uns
45 beiden sollte sich hier herumtreiben? Kedde rer etwa?« Kedderer lag einige Dutzend Tagesreisen im Süden, und Därwellsknull wußte das na türlich. »Still!« zischte er. »Ich will hören, was die Durlaner zu sagen haben.« Er drückte Hellendhurr auf den Boden nieder und preßte sich ebenfalls an den Un tergrund. Die Stimmen wurden lauter, langsam so gar verständlich. »Geschwächt«, konnte Därwellsknull sa gen hören. »Tausende Entrückte. Angriff.« »Diese Lumpen«, knurrte Därwellsknull. »Blasphemisches Gesindel!« »Vor morgen früh«, lautete der nächste Gesprächsfetzen, den Därwellsknull auffan gen konnte. Es gehörte nicht viel dazu, sich auf diese Worte einen Reim zu machen. Offenbar hatten die Durlaner vor, ein un geschriebenes Gesetz des Planeten zu bre chen – daß nämlich eine Stadt, die des Be suchs eines Koordinators würdig gewesen war und Tausende von Entrückten für die Unsterblichkeit gestellt hatte, von anderen Siedlungen für lange Zeit nicht attackiert werden durfte. Die Regel besagte, daß die Durlaner mindestens dreißig Jahre hätten warten müssen – nobel wäre gewesen, hät ten sie abgewartet, bis der nächste Besuch eines Koordinators beendet war, sofern er anderswo stattgefunden hätte. Die Durlaner wollten Kudonaber überfal len, noch in der gleichen Nacht. Es verstand sich von selbst, daß Kudonaber einer sol chen Attacke nicht gewachsen war – es fehl ten tatsächlich Tausende von Verteidigern. Die Mauern der Stadt konnten nicht einmal notdürftig bemannt werden. »Niedermachen?« konnte Därwellsknull hören, die Antwort verstand er nicht. »Sie wollen uns töten«, stammelte Hel lendhurr. »Sie wollen uns töten, alle!« »Das wird sich zeigen«, knurrte Därwells knull. Er stand auf und zog auch Hellendhurr in
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die Höhe. »Los, komm. Wir müssen unsere Freunde warnen.« »Aber die Durlaner wissen doch Bescheid …« »Pah, Durlaner«, machte Därwellsknull. »Ich rede von unseren Leuten. Wir sind doch Kudonaberer, oder etwa nicht? Von ei ner echten Kniesterbeinerin hätte ich mehr Patriotismus erwartet. Komm, wir haben nicht viel Zeit.«
* Als der letzte Handgriff getan war, wisch te sich Därwellsknull den Schleim der Er schöpfung aus dem Gesicht. Seine Muskeln schmerzten, aber das Werk war vollbracht. Mochten die Durlaner kommen, sie würden eine üble Überraschung erleben. »Wie lange haben wir gebraucht, mein Sohn?« fragte der alte Kniesterbeiner. »Sechs Stunden!« schätzte Därwellsknull nach einem Blick auf die Sonne. Es war früher Morgen. Die Durlaner muß ten bald kommen. Sie würden sich wundern – in der Nacht hatte sich allerlei getan in und um Kudonaber. Därwellsknull und Hellend hurr hatten sich fast die Seele aus dem Leib gerannt, um rechtzeitig in der Stadt sein zu können, und als sie angekommen waren, war nur noch ein Tor der Stadt geöffnet gewe sen. Man hatte sie eingelassen, trotz des Ver botes des alten Kniesterbeiners. Der Alte hatte sich von Därwellsknull eine längere, nicht gerade formvollendete Ansprache an hören müssen, die seinen Gemütszustand sehr grundlegend gewandelt hatte. Hellend hurr, die von ihrem grimmigen Vater aller hand gewohnt gewesen war, hatte noch nie erlebt, daß ein Kudonaberer einen anderen derart mit Worten verprügelt hätte, wie es Därwellsknull mit dem alten Kniesterbeiner getan hatte. Das Ergebnis dieser Aussprache war ge wesen, daß der alte Kniesterbeiner sein Amt als Staatsoberhaupt zur Verfügung gestellt
und Därwellsknull zum kommissarischen Verwalter ernannt hatte. Die Gesetze des Reiches von Kudonaber waren ungeschrie ben, aber alt und ehrwürdig. Eine kommissa rische Verwaltung war darin überhaupt nicht vorgesehen, aber alle Zeugen, die Därwells knulls Tirade angehört hatten – und er hatte laut genug gebrüllt, daß halb Kudonaber den Text hatte verstehen können –, hatten sich gehütet, sich Därwellsknull und dem alten Kniesterbeiner zu widersetzen. Diesem Dop pelangriff wäre niemand gewachsen gewe sen. Es war auch nur diesem Bündnis zu ver danken gewesen, daß die merkwürdigen, ja geradezu selbstmörderischen Befehle von Därwellsknull überhaupt befolgt worden wa ren. Das galt insbesondere deswegen, weil die Ausführung dieser Befehle es nötig machte, die gesamte Bevölkerung von Ku donaber zusammenzurufen und an die Ar beit zu schicken. Stundenlang hatten die Ku donaberer, angetrieben von Därwellsknull und dem alten Kniesterbeiner, gearbeitet, dann war das große Werk gelungen. Därwellsknull konnte stolz auf sich sein. Er hatte Späher vorausgeschickt, die ihm melden sollten, wann die Durlaner zum An griff heranrückten. Es war Haptenfell, der die Vorhut der An greifer als erster erblickte und zu Därwells knull gestürmt kam. »Dort sind sie!« schrie Haptenfell. »Sie kommen!« Därwellsknull setzte seinen Weg dem Feind entgegen nicht sehr lange fort. Nach kurzer Zeit kamen die ersten Durlaner in Sicht. Sie marschierten mit ihrer seltsamen Ausrüstung und auf ihre merkwürdige Art. Diesmal, stellte Därwellsknull fest, waren sie noch reichlicher ausgerüstet als beim letzten Angriff. »Wir warten hier!« bestimmte Därwells knull. Er blieb stehen. Die Durlaner setzten ihren Marsch fort, bis sie Därwellsknull erreicht hatten. Der Anblick der kleinen Gruppe ließ die ganze Armee der Durlaner zum Stillstand kom
Koordinator der Ewigkeit men. Nach kurzer Zeit drängte sich der Oberbefehlshaber der Durlaner durch die Reihen, erkenntlich an den Bänden in sei nem Gehörn. »Was soll das heißen!« schrie der Be fehlshaber, ohne sich um die Etikette zu kümmern. »Warum habt ihr das gemacht?« »Wir haben keine Lust mehr«, sagte Där wellsknull. »Wir ergeben uns bedingungs los.« »Das ist gegen jede Abrede!« ereiferte sich der Durlaner. Er gestikulierte wütend. Der Grund für seine Aufregung war leicht zu sehen. In mühevoller Nachtarbeit hatten die Kudonaberer den weitaus größten Teil ihrer Stadtbefestigung eingerissen. Kudona ber war praktisch wehrlos. »Stellt euch zum Kampf!« schrie der Dur laner. »Wir werden euch besiegen und die Stadt erobern.« »Und dann?« fragte Därwellsknull. Der Durlaner rollte mit den Augen. »Was heißt, und dann?« schrie er. »Ihr werdet einen Aufstand machen, vielleicht erst nach dreißig oder mehr Jahren, und dann werdet ihr uns aus der Stadt hinaus werfen.« »Und dann?« Langsam dämmerte dem Durlaner, wor auf Därwellsknull hinauswollte. »Ihr wollt keine Kriege mehr?« fragte er betroffen. »Gar keinen? Nicht einmal …« »Wir wollen uns nicht mehr streiten«, sagte Därwellsknull. »Es gibt schönere Din ge zu tun. Und es gibt andere, größere Auf gaben zu lösen als solche Probleme.« Der Durlaner verstummte. »Unser Volk muß sich erst von einem harten Schlag erholen«, sagte Därwellsknull. »Ich werde euch berichten, was sich zuge tragen hat. Ich werde euch sagen, daß der Koordinator der Ewigkeit uns belogen und betrogen hat, daß man mit uns ein grausa mes Spiel der Hinterlist getrieben hat.« Der Durlaner schwieg noch immer. Ab und zu schielte er zu den Trümmern der Stadtbefestigung hinüber. Offenbar begriff er immer noch nicht ganz, was sich über
47 haupt zugetragen hatte. »Wir sollten unsere Kräfte nicht in sol chen Streitigkeiten verzetteln«, sagte Där wellsknull. »Wir sollten vielmehr zusammen daran arbeiten, ein anderes Ziel zu errei chen.« Er deutete in die Höhe. »Dort«, sagte er beschwörend, »ist Platz genug für jeden von uns. Dort werden wir viele Freunde finden, Freunde, die uns ähn lich sind. Freunde, die ganz anders aussehen als wir. Eines Tages werden wir es schaffen, aus eigener Kraft dorthin zu gelangen – für diesen Tag sollten wir arbeiten.« »Freunde?« zweifelte der Durlaner. »Freunde«, bestätigte Därwellsknull, der an einen sehr unschön aussehenden Fremden denken mußte, den er niemals wiedersehen würde, wie er sehr genau wußte. »Noch liegt die Bedrohung über uns, die von den Koordinatoren der Ewigkeit aus geht«, sagte Därwellsknull. Er wunderte sich selbst darüber, wie leicht ihm diese unge heuerlichen Formulierungen über die Lippen kamen. »Aber wir werden diesen Schatten beseitigen können, wenn wir alle, die wir diese Welt bewohnen, zusammenhalten. Seid ihr aus Durl dazu bereit?« »Also, was mich angeht«, begann der Durlaner und verstummte. Er war offen sichtlich im Augenblick mehr daran interes siert, zu dem Kampf zu kommen, auf den er sich gefreut hatte. Das seltsame Gebaren der Kudonaberer warf alle Konzepte der Durla ner völlig über den Haufen. Und was Därwellsknull über den Koordi nator der Ewigkeit sagte, verwirrte den Dur laner vollends. Da in seiner Stadt seit eini gen Generationen kein Koordinator mehr gelandet war, konnte er nicht wissen, was es damit wirklich auf sich hatte. »Was ist nun?« fragte einer der Durlaner. »Greifen wir an? Oder bleiben wir hier ste hen? Oder was soll nun geschehen?« »Bleibt an euren Plätzen!« bestimmte der Oberkommandierende. Er wandte sich wieder an Därwellsknull. »Wir werden über alles reden«, sagte er
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schließlich. »Ich verstehe noch nicht alles, aber wir werden darüber reden können. Wir werden jetzt zurückkehren in unsere Stadt, und morgen werden wir mit einer kleinen Abordnung zurückkehren zu euch.« »Wir werden euch erwarten«, sagte Där wellsknull. Es war üblich, daß sich die jeweiligen Be fehlshaber beim Ende eines Krieges umarm ten, um damit allen Beteiligten anzuzeigen, daß der Krieg anständig und ehrlich geführt worden war. Därwellsknull umarmte sein Gegenüber, dann trennten sich die beiden. Därwellsknull wandte sich zur Stadt und ging langsam den Weg zurück, den er ge kommen war. Leise murrend setzten sich die Durlaner in Bewegung und trotteten nach Durl zurück. »Glaubst du wirklich, daß sich alles än dern wird?« fragte Hellendhurr. Därwellsknull dachte an Atlan und das,
was der Fremde gesagt hatte. »Es wird sich alles ändern müssen«, sagte er leise. »Und unsere Freunde, die Entrückten? Die Kudonaberer, die mit dem Koordinator zum Stern der Läuterung fliegen … werden wir je erfahren, was aus ihnen geworden ist?« Därwellsknull überlegte nicht lange. »Nein«, sagte er. »Wir werden nie wieder von ihnen hören, so wie wir auch von den Entrückten früherer Generation nie wieder etwas gehört haben.« Und ahnungsvoll fügte er hinzu: »Vielleicht ist es besser, wenn wir nicht zuviel wissen über das Schicksal unserer Freunde.«
ENDE
Weiter geht es in Atlan Band 428 von König von Atlantis mit: Der Saboteur von Horst Hoffmann