Adam Hardy
Kriegsgericht Seeabenteuer-Roman
DIE AUTHENTISCHEN ERLEBNISSE, KAPERFAHKTEN UND SEESCHLACHTEN DES KÖNIGLIC...
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Adam Hardy
Kriegsgericht Seeabenteuer-Roman
DIE AUTHENTISCHEN ERLEBNISSE, KAPERFAHKTEN UND SEESCHLACHTEN DES KÖNIGLICHEN LIEUTENANTS FOX UNTER ADMIRAL NELSON Seewölfe Nr.6 Mit einem Glossarium seemännischer Begriffe am Ende dieses Bandes
Originaltitel: COURT MARTIAL Aus dem Englischen übertragen von Dr, E, Sander
SEEWÖLFE-Bücher erscheinen 14täglich im Erich Pabel Verlag KG, 7550 Rastatt, Pabelhaus. Copyright © 1974 by Adam Hardy, 1975 by Erich Pabel Verlag KG. Redaktion: Pabel Verlag KG, 8 München 2, Augustenstraße 10. Vertrieb: Erich Pabel Verlag KG. Gesamtherstellung: Erich Pabel Verlag KG. Einzelpreis: DM 1,80 (inkl. 5,5% Mwst.). Alleinvertrieb und Auslieferung in Österreich: Waldbaur-Vertrieb, A-5020 Salzburg, Franz-Josef-Straße 21. NACHDRUCKDIENST: Edith Wöhlbier, 2 Hamburg 1, Buchardstraße 11, Telefon 040/33961629, Telex 02/161024. Printed in Germany. Juni 1975
1. Fox hörte hinter sich das Eisen klirren, fuhr herum und umklammerte die Gitterstäbe seiner Zelle. Dieser Klang, dieser teuflische Klang von Eisen, das aneinanderschlug, dieser verdammte Klang schrillte ihm in den Ohren. Dieser grauenhafte Klang von Eisentüren, die sich hinter einem Mann schlossen, ihn von der Welt abriegelten, dieser Klang war in jedem Gefängnis der Welt gleich -vernichtend, bösartig laut, gnadenlos. Fox' gebräunte, rissige Hände mit den abgebrochenen Fingernägeln schlossen sich um die schwarzgestrichenen, rauhen Eisenstäbe. Er starrte zu dem Mann, der ihn hergebracht hatte. Der junge Offizier, der vor seinen Seesoldaten stand, sah Fox' Gesicht, und instinktiv zuckte seine Hand zum Säbelgriff. Fox entging nicht die Unsicherheit im Blick des Mannes, er sah sein Zögern, sein Erschrecken. Der Gefangenenwärter ließ die Schlüssel an dem großen Ring klirren. Das Schloß rastete ein, donnernd wie eine 32Pfünder- Kanone. Befehle hallten in dem Steingang, folgten dem Echo des klirrenden Eisens, das in dem engen Raum die Ohren zu betäuben drohte. Die Seesoldaten marschierten davon, der Gefangenenwärter schlurfte hinter ihnen her, das Klingeln seiner Schlüssel mischte sich in das Dröhnen der Schritte auf kaltem Stein. Nur einmal blickte sich der junge Offizier um. Keiner der Männer hatte ein Wort gesagt. Beinahe - nur beinahe - hätte George Abercrombie Fox ihnen nachgebrüllt: „Zum Teufel mit euch!" Aber er tat es nicht. Er hatte nicht die Kraft dazu. Nach allem, was er geleistet hatte, nach all den Mühen, der Tapferkeit, dem 5
Blut, das er und seine Männer vergossen hatten, warf man ihn in eine Gefängniszelle. Daß er so etwas ähnliches erwartet hatte, zumindest im symbolischen Sinn, besänftigte seinen Zorn keineswegs. Aber das Schicksal gab sich nicht mit Symbolen zufrieden, wenn es um George Abercrombie Fox ging. Er hatte im Augenblick kein Schiff, und kein Captain hielt sich zur Zeit in Port Mahon auf, der ihn unter die Fittiche nahm, so daß er im noblen Gewahrsam einer Offiziersunterkunft seinen Prozeß erwarten konnte, statt in einer feuchtkalten Zelle zu sitzen. Natürlich - wenn er ein ehrenwerter Adelssproß gewesen wäre, hätte man ihn nicht hinter Gitter gebracht. Aber wie die Dinge lagen, durfte er nicht einmal in der schönen Villa der freundlichen spanischen Familie bleiben, in der Captain Percy Staunton ihn einquartiert und wo er sich von seinen Verletzungen erholt hatte. Als er jetzt hinter den Eisenstäben stand, drohte ihn bittere Verzweiflung zu überwältigen. Man konnte ihm keine Illusionen rauben, weil er nie welche gehabt hatte. Er ließ sich niemals entmutigen, denn er würde fluchen und kämpfen, bis man ihn in eine Hängematte wickelte und in die See warf, mit einer Kanonenkugel als einziger und letzter Gefährtin. Aber manchmal überfiel ihn finstere Verzweiflung, wenn ihm schmerzhaft bewußt wurde, wie unbedeutend er doch war. Er würde kämpfen, unbeirrt, denn das lag in seinem Wesen. Aber wenn er sich dem Feind entgegenstürzte, wenn er wütend um sich schlug, gab es immer wieder Augenblicke, da er sich fragte, ob das alles überhaupt einen Sinn hatte. Nur der Gedanke an seine Familie, die an der Themse lebte, bewegte ihn, weiterhin seine Pflicht zu tun. Wenn seine Familie nicht wäre, dann würde er sich jetzt vielleicht von seiner Verzweiflung endgültig besiegen lassen. Er zwang sich, die Fäuste zu öffnen, die Gitterstäbe loszulassen und sich umzudrehen. Er war aus dem Haus Salvator Hernandos hierhergebracht worden, um seinen Prozeß vor dem Kriegsgericht abzuwarten. Obwohl Hernando ein Spanier war, 6
verstand er sich gut mit den englischen Seeleuten, und es war Captain Staunton nicht schwergefallen, ihn zu überreden, daß er den verwundeten Lieutenant Fox bei sich aufnahm und gesund pflegte. Fox war nicht in das Lazarett auf der Insel gebracht worden, und dafür war er dankbar. Jetzt war er wieder gesund und bei Kräften, sehnte sich unbändig danach, zur See zu fahren, ein Schiff zu manövrieren, was er so perfekt wie kaum ein anderer beherrschte, sich Prisengeld zu verdienen. Statt dessen saß er im Kerker. Für einen Seemann, der ständig den Geruch des Meeres in der Nase hatte, dem das Meerwasser beinahe schon durch die Adern floß, war dies das demütigendste Schicksal, das man sich vorstellen konnte. Jetzt verstand Fox nur zu gut, daß sich die britischen Seeleute lieber auspeitschen als in eine Gefängniszelle stecken ließen. Da er George Abercrombie Fox hieß, kam ihm natürlich auch der Gedanke, aus seinem Kerker auszubrechen. Wäre dies eine französische Zelle gewesen, eines dieser übelriechenden Höllenlöcher von Verdun oder Valincent, oder ein spanischer Kerker, vom grausamen Wüten der Inquisition behaftet, hätte Fox keine Skrupel gekannt. Er hätte nicht gezögert, ein paar Schädel einzuschlagen. Keine noch so festen Mauern, keine Eisenstäbe hatten ihn gehindert, auszubrechen. Aber dies war ein britisches Gefängnis, und das lähmte seinen Tatendurst. Denn wenn er aus diesen Gefängnismauern entkam, würde er zum Piratendasein verdammt sein. Eine Zeitlang würde er ein herrliches, abenteuerliches Leben führen, doch dann würde er am Galgen baumeln, genauso wie Onkel Abercrombie, der ein unrühmliches Ende auf dem Tyburn gefunden hatte. Nein, es war sinnlos, sich gegen das Schicksal aufzulehnen, sagte sich George Abercrombie Fox, und er war mutlos wie noch nie in seinem Leben. Aus der Ferne hörte er das Klirren von Eisenriegeln, das durch den langen Steinkorridor hallte, 7
und dann erklang wieder dieses rythmische Stampfen der Schritte. Irgend jemand hatte ihm eine neue Uniform gebracht. Er war fast sicher, daß es dieser Satansbraten gewesen war - Mr. Midshipman Grey. Er hatte diese neue Uniform angezogen, als er von seinem Krankenbett aufgestanden war - eine blaue Jacke, sehr hübsch mit weißen Aufschlägen, weiße Hosen und Seidenstrümpfe - Seidenstrümpfe! - und ein Paar Schuhe, die ihm recht gut paßten. Carker, der Bootsmann, hatte ihm den Säbel gebracht, Lord Kintleshams Geschenk. Diesen Säbel hatte ihm der noble Lord in jenen glücklichen Tagen überreicht, als er noch mit der fetten Sophie Kintlesham verlobt gewesen war. Mr. Carker hatte ihn wie einen Augapfel gehütet, nachdem Fox ihn angeschrien hatte, er solle ihn nicht ins Meer fallen lassen. Man würde Fox den Säbel geben, bevor man ihn vor das Kriegsgericht führte. Dann würde ihm die Waffe sofort wieder abgenommen werden. Dieses Ritual war genauso alt wie unsinnig. Die Seesoldaten marschierten heran, der junge Offizier an ihrer Spitze war derselbe wie vorhin. Er musterte Fox mit schiefem Blick. Fox wartete geduldig, bis der junge Mann zu sprechen begann. Um die Wahrheit zu sagen - er hätte sich jetzt am liebsten zusammengerollt, um im Schlaf Vergessen zu finden. Aller Kampfgeist hatte ihn verlassen, er war bereit, aufzugeben und sich in das Unvermeidliche zu fügen. Hatte es denn überhaupt noch einen Sinn, sich aufzulehnen? Als Lohn für seine Taten hätte er einen diamantenbesetzten Ehrensäbel verdient, den Titel eines Earls, den Dank beider Houses of Parliament, den Posten eines Captains auf der schönsten französischen Fregatte, die in letzter Zeit gekapert worden war. Alles hätte er verdient, was er sich zum Wohl seiner Familie ersehnte. Statt dessen warf man ihn in eine Kerkerzelle, zerrte ihn vor ein Kriegsgericht. Der junge Offizier befeuchtete seine Lippen, setzte zweimal 8
zum Sprechen an, schluckte die Worte hinunter und begann von neuem. Endlich brachte er hervor: „Captain Copeland hat soeben den Anker gelichtet. Die Sybil wurde nach Palermo beordert." Offenbar dachte der Offizier, daß diese Neuigkeit Fox interessieren würde. Fox kannte Captain Copeland flüchtig, und es war natürlich ärgerlich, daß dieser nun nicht am Tisch der Richter sitzen würde, die Fox verurteilen sollten. Denn Fox hatte gehofft, daß Copeland Verständnis für ihn haben würde. „Und jetzt liegen in Mahon nur vier Schiffe mit Captains vor Anker, die vor über drei Jahren befördert worden sind ..." Fox begriff. Um ein Kriegsgericht zu bilden, waren fünf Captains erforderlich. O ja, Fox wußte nur zu gut, daß die Oberbefehlshaber das Recht hatten, auch mit weniger Captains ein Kriegsgericht einzuberufen. Aber er bezweifelte, ob dieses Recht Anwendung finden würde - jetzt, da die Schiffe der Royal Navy ständig im Mittelmeer segelten, um die Macht zu festigen, die England mit dem Sieg vom Nil gewonnen hatte. Der junge Offizier schluckte. „Die Verhandlung wurde vertagt, Mr. Fox. Das Gericht wird wieder einberufen, wenn genügend Captains in Port Mahon anwesend sind." „Und?" „Und bis dahin stehen Sie unter Arrest, Mr. Fox." Fox sagte keineswegs: Nein, zum Teufel! Nicht ich! Nicht George Abererombie Fox! Statt dessen stöhnte er auf, krallte beide Hände in das weiße Leinenhemd unter der neuen Uniformjacke, taumelte gegen die Eisenstäbe, brach zusammen. Der Zellenboden war verdammt hart und kalt, aber er machte es sich darauf so bequem wie möglich, während er sich ächzend zusammenkrümmte und die Beine krampfhaft zucken ließ. Diese verfluchten Bastarde! Ihn hier einzusperren, in diesem stinkigen unterirdischen Loch! Er würde es ihnen schon zeigen! 9
Er würgte und stieß einen gurgelnden Schrei aus. „Diese Schmerzen!" Er stöhnte zum Gotterbarmen. „Diese Schmerzen! Ich brauche einen Arzt - dottore! Ich sterbe ..." Wenn er übertrieben hatte, so würde das dieser junge Offizier, der sich wahrscheinlich nur einmal in der Woche zu rasieren brauchte, bestimmt nicht feststellen können. Mit halbgeschlossenen Augen musterte Fox die Gesichter der Seesoldaten. Jedes Gesicht war unbewegt, wie aus dem Stamm einer alten englischen Eiche geschnitzt. Natürlich - wenn einer auch nur blinzelte, würde ihm die Peitsche bald ein besseres Benehmen beibringen. „Sergeant!" schrie der Offizier. „Rasch, holen Sie einen Arzt!" „Luft!" würgte Fox hervor und griff sich dramatisch an die Kehle. „Luft! Sonne! Ich ersticke ..." „Noch etwas, Sergeant!" rief der junge Offizier in wachsender Verwirrung. „Meine Empfehlung an Captain Prothero. Sagen Sie ihm, was hier geschehen ist. Mr. Fox kann nicht in der Zelle bleiben." Nein, bei Gott, das konnte George Abercrombie Fox tatsächlich nicht. Er streckte den zitternden rechten Arm aus, die gebräunte, eisenharte Faust öffnete sich, die Finger krallten sich in den Schenkel des Offiziers, der sich jetzt über ihn beugte, und der junge Mann unterdrückte mühsam einen Schmerzensschrei. „Luft! Sonne! Meine Wunden - Schlachtenfeuer, Tod ... Ich sterbe..." Wenn das Kriegsgericht ihn verurteilte, würde er hängen. Aber bis dahin war noch ein weiter Weg, und Fox würde diese verdammten Bastarde schon noch auf Trab bringen. Als der Arzt erschien, war das bleiche Pickelgesicht des jungen Offiziers grün geworden vor Entsetzen über die unmenschlichen Qualen, die Fox erlitt. Mit zitternder Stimme erklärte er, Mr. Fox würde ersticken, wenn man ihn nicht sofort ins Lazarett einliefere. „Das werde ich entscheiden, junger Mann, wenn Sie gestat10
ten..." Der Arzt, ein mürrischer alter Knacker mit schütterem Haar, war sichtlich nicht bereit, sich von einem jungen Grünschnabel etwas vorschreiben zu lassen. Fox mußte rasch dafür sorgen, daß ihm der Doktor nicht alles verpatzte. Dicht vor seiner Nase sah er das dünne, aber muskulöse Handgelenk des Arztes, das aus einem ausgefransten schwarzen Ärmel ragte. Doch kaum hatte der alte Mann begonnen, ihm die Brust abzutasten, als Fox auch schon blitzschnell den Kopf vorstieß und mit aller Kraft in dieses schmale Handgelenk biß. Der Arzt schrie gellend auf. Fox zuckte zurück, bevor ihm sein Opfer mit einer instinktiven Bewegung die Zähne ausreißen konnte. „Verflucht! Der Hundesohn hat mich gebissen!" Captain Prothero, eine breite Masse von Scharlachrot und Weiß und Gold und schwarzen Stiefeln, in denen sich Fox' häßliches Gesicht spiegelte, beugte sich hinunter. „Bringt ihn hinauf! Sergeant-rasch!" „Mein Arm!" Aus dem Gesicht des Arztes war alles Blut gewichen. „Bei Gott, er muß verrückt geworden sein! Mein Arm ich muß ihn amputieren ..." Schreiend rannte er davon. Fox gurgelte effektvoll und ließ den Kopf nach hinten hängen, als ihn die Seesoldaten hochhoben. Sie trugen ihn aus der Zelle, die Steinstufen hoch, hinaus in den strahlenden Sonnenschein. Wenn er ein einfacher Seemann gewesen wäre, hätten sie ihn einfach an die Zellenwand gekettet, ihm einen Lumpen in den Mund gestopft, damit er nicht mehr schreien konnte, und ihn verrotten lassen. Da er ein Offizier war, stand ihm natürlich eine bessere Behandlung zu. Fox wußte nur zu gut, wie es auf einem Unterdeck, inmitten der einfache Seeleute, zuging. War er nicht einer von ihnen gewesen? Obwohl er in bitterer Armut am Ufer der Themse aufgewachsen war, hatte er es geschafft, durch die Klüse das ruhmreiche Achterdeck zu entern. Egal, wie sehr ihn auch die Besatzung und die Vorgesetzten verach11
teten - er, George Abercrombie Fox, war ein Offizier, ob das den anderen nun paßte oder nicht. Eine Weile stritt man sich über die Frage, wohin Fox gebracht werden sollte. Captain Prothero wollte ihn ins Insellazarett verfrachten, aber schließlich entschied man sich dafür, ihn in das Haus Salvator Hernandos zurückzubringen. Dort hatte er schon einmal auf dem Krankenbett gelegen, also konnte er das wieder tun. Der Kommandant gab seine Zustimmung. Es würde ja nicht ewig dauern, denn im Hafen von Mahon herrschte reger Verkehr, täglich gingen mehrere Schiffe vor Anker oder liefen aus, und so würde man bald genügend Captains beisammen haben, um das Kriegsgericht einberufen zu können. Fox wußte, welch hohes Risiko er eingegangen war, denn man pflegte einen verrückten Offizier keineswegs mit solcher Milde zu behandeln wie verrückte Captains. Und so war er sehr zufrieden, als man ihn in Don Salvators hübsche Villa trug. Dona Isabella begrüßte mit viel Geflatter von Lidern, Händen und Spitzentüchlein die Wiederkehr des verwundeten Helden. Fox hatte sich bereits damit abgefunden, als Held zu gelten, obgleich er dieses Wort verachtete. Aber da seine Leute und Grey und Carker nicht aufhörten, ihn mit dem Glorienschein des Helden zu umgeben, hatte er sich in sein Schicksal gefügt um so lieber, als in Kriegszeiten der Heldennimbus oft nützlich sein konnte. Widerspruchslos unterwarf er sich Hernandos Fürsorge. „Captain Staunton war untröstlich, weil er Sie nicht mitnehmen konnte, Mr. Fox." Don Salvator sprach ein sehr gutes, fast akzentfreies Englisch. „Die Furieuse bot einen wundervollen Anblick, als sie heute in See ging," Nun ja ... Bald hatte Fox alle Einzelheiten erfahren. Captain Percy Staunton hatte vor dem Kriegsgericht gestanden und war freigesprochen worden. Seine Fregatte Pylas hatte gegen einen Schwarm bissiger französischer Kanonenboote gekämpft und war mit wehender Flagge untergegangen. Die Zahl der Todes12
opfer war hoch, von den Verwundeten überlebten nur wenige, als Captain Staunton in Booten und auf Flößen nach Minorca zurückkehrte. Ja, es war eine schöne und rührende Geschichte, die nur den Makel hatte, daß weder die Rolle erwähnt wurde, die Lieutenant Fox darin gespielt hatte, noch die Princessa Cristina Maria. Fox war diese Art von Behandlung gewöhnt. Schon vor langer Zeit hatte er sich widerstrebend eingestehen müssen, daß er von seiner Laufbahn in der Royal Navy nichts anderes erwarten durfte. Aber aus irgendwelchen Gründen, die er jetzt besser vergaß, hatte er sich eingebildet, Percy Staunton würde sich trotz seiner Hohlköpfigkeit von der übrigen, stümperhaften, niederträchtigen Aristokratie unterscheiden. Nun, der Bericht, den Fox in sorgfältig gewählten Worten verfaßt hatte, war abgeschickt worden, und darin wurde natürlich der spanische Dreidecker erwähnt. Jetzt mußte er sich wirklich ernsthaft überlegen, was er zu seiner Verteidigung vor dem Kriegsgericht vorbringen sollte. Natürlich konnte er Grey und Carker als Zeugen nennen, ebenso den Zimmermann Hogan und Joachim, den Stückmeistersmaat. Fox stellte eine Liste von Zeugen zusammen, die er seinem Verteidiger geben würde. Er hätte auch Staunton als Zeugen angeben können, natürlich. Aber dieser Glückspilz hatte das Kommando über eine gekaperte französische Fregatte erhalten und befand sich auf Kreuzfahrt. Er erfuhr auch, daß Sanders, der fettgesichtige, blauäugige, stets lärmende Captain der Brigg Raccoon ebenfalls wieder ein Kommando erhalten hatte. Bei seiner Vernehmung vor dem Kriegsgericht war es ihm gelungen, seine Flucht in einem gekaperten französischen Boot von der Insel, wo die Raccoon auf Grund gelaufen war, als Heldentat hinzustellen. Zu diesem Thema würde Fox noch einiges zu sagen haben. Im Lauf der nächsten Tage gelangte Fox immer mehr zu der Überzeugung, daß er eigentlich keinen Grund zur Sorge hatte. Er konnte leicht beweisen, daß er nicht desertiert war. Im 13
Gegenteil, er hatte die Raccoon nicht im Stich gelassen. Und all die alten Raccoons, mit denen er die abenteuerliche Rückfahrt angetreten hatte, würden zu seinen Gunsten aussagen. Sie würden der Navy klarmachen, was der ehrenwerte Kommandant Sanders getan hatte. Beim Gedanken an Sanders, der in einem französischen Boot davongesegelt war und ihn und seine Leute auf der Insel zurückgelassen hatte, biß Fox zu Zähne zusammen. Nein, so leicht sollte dieser Bastard nicht davonkommen. Von Don Salvator Hernandos Veranda konnte er nur einen kleinen Teil des Ankerplatzes von Port Mahon sehen. Zwei Fregatten schaukelten an ihren Ankern auf und ab. Sicher standen sie unter dem Kommando der beiden Captains, die mit drei anderen über ihn zu Gericht sitzen würden. Als er Hernando danach fragte, erfuhr er eine unangenehme Neuigkeit. „Der eine ist Captain Lanchester von der Sea Foam, Mr. Fox. Ein sehr sympathischer Gentleman, in der Tat. Er hat bereits zwei Geliebte hier, wie jedermann weiß, und ich habe gehört, daß er jetzt auch der guten Mrs. Pratt, der Frau des Proviantmeisters, den Hof macht." „Scheint ein unmöglicher Bursche zu sein", sagte Fox. „Aber die andere Fregatte - der Teufel soll mich holen, wenn ich die kenne." „Das ist die Lynx, Mr. Fox, und Captain Stone ist ihr Kommandant." Hernando leckte sich über die Lippen. „Also wirklich, ein sehr netter Gentleman ..." „Stone", wiederholte Fox langsam. „Doch nicht etwa Lemuel Stone?" ,Si, Mr. Fox. Captain Lemuel Stone. Kennen Sie ihn vielleicht?" „Den Captain Stone kenne ich nicht, Don Salvator. Aber ich kannte ihn, als er noch Midshipman Stone hieß." Hernando wich Fox' Blick aus und leckte sich noch einmal über die Lippen. Er wollte etwas sagen, doch dann überlegte er es sich anders. 14
Stone! Von Stone konnte Fox nichts anderes als erbitterte Feindschaft erwarten. Stone, den Speichellecker, wie ihn die Midshipmen an Bord der alten Nicodemus genannt hatten. Stone, der Speichellecker, der Captain Cuthbert Rowlands in den Hintern gekrochen war, bis es sogar diesem höflichen, kultivierten Mann zuviel geworden war. Nein, Lieutenant Fox konnte von Captain Stone keine Gnade erwarten, nicht einmal um der guten alten Zeit willen. Aber, zum Teufel, auch Stone konnte an den Tatsachen nichts ändern. Fox' Männer würden als Zeugen aussagen, sie würden ganz einfach erzählen, was geschehen war, und das Kriegsgericht würde einsehen, daß er alles getan hatte, was ein britischer Seemann tun konnte, aye, und noch mehr. Und dann, ganz beiläufig, aus heiterem Himmel heraus, feuerte Don Salvator die Breitseite ab, die alle Hoffnungen Fox' vernichtete. „Die Furieuse - wie schön, daß der gute Captain Staunton ein so wunderbares Schiff übernommen hat! Er war überglücklich, daß er alle Männer anheuern konnte, die früher bei Ihnen waren, Mr. Fox, und er bat mich, Ihnen zu sagen, wie zufrieden er mit den Leuten sei. Besonders Mr. Grey und Mr. Carker genießen sein Wohlwollen ..." Fox hörte schweigend zu, und die harten Linien in seinem wettergegerbten Gesicht vertieften sich. Staunton hatte alle seine Zeugen mitgenommen! Niemand in Port Mahon konnte ihm helfen, seine Unschuld zu beweisen. Er mußte allein vor das Kriegsgericht treten, seinen Anklägern und Richtern ins Auge blicken, und sie würden ihn verurteilen, ihn an einer Rah aufknüpfen. 2. George Abercrombie Fox schwebte in Lebensgefahr. Das war nichts Neues für ihn. Aber während er früher seinen 15
starrsinnigen Kopf in Sturm und Feuer riskiert, in die rauchenden Mündungen feindlicher Kanonen geblickt und Festungswälle gestürmt hatte, drohte ihm jetzt Gefahr von seinen eigenen Landsleuten, von der kalten, tödlichen Maschinerie der Navy-Gesetze. Dieses Gesetz der Navy war ein Mechanismus, der methodisch arbeitete, nach unabänderlichen Regeln, ob ein Gerichtsverfahren nun an Bord eines Schiffes stattfand, das in irgendeinem ausländischen Hafen vor Anker lag, oder in Spithead. Jetzt, da alle Raccoons an Bord der Furieuse dienten, würde Fox keinen Beistand finden. Er konnte keinen einzigen Zeugen angeben, der ihm helfen würde, die Wahrheit zu beweisen. Captain Sanders' Handlungsweise war bereits vom Kriegsgericht gebilligt worden, und jetzt kreuzte dieser elende, dahergelaufene Lieutenant Fox auf und behauptete von allem das Gegenteil. Sanders, so erklärte dieser verrückte Fox, hätte absichtlich seinen Ersten Offizier und den Großteil seiner Besatzung auf der Insel zurückgelassen. Fox schenkte dem hübschen, drallen Dienstmädchen, Rosaria mit dem tiefen Dekollete und den zarten Fußknöcheln, nur einen kurzen Blick. Und dann vertiefte er sich wieder in seine Überlegungen, was er dem Kriegsgericht sagen sollte, wenn man ihn der Feigheit vor dem Feind und der Desertation beschuldigte. Er rief sich alles noch einmal in die Erinnerung zurück, was geschehen war, seit dieser Narr Macbridge, der Steuermann der Raccoon, die Brigg so zuversichtlich in die Bucht navigiert hatte, in der sie dann auf Grund gelaufen war. Die Ereignisse tanzten vor seinem geistigen Auge in makabrer Szenenfolge. Ab und zu glitt auch das blutige Bild von Akka dazwischen. Er schüttelte fluchend den Kopf und schob es beiseite. Denn Akka gehörte zu einer Zeit, die längst vergangen schien, zu einer Zeit, da er das Kommando über die Raccoon gehabt hatte und mit der fetten Sophie verlobt gewesen war, der einzigen Tochter Lord Kintleshams. Damals war er auf dem besten Weg gewe16
sen, sich eine goldene Epaulette zu erwerben. Zumindest hatte er sich das eingebildet. Lemuel Stone! Als Midshipman war Stone bösartig, feige und arrogant gewesen. Irgendwie mußte er seine Feigheit überwunden haben, denn sonst würde er jetzt nicht eine Fregatte seiner Majestät befehligen. Aber was Stones andere Eigenschaften betraf ... Fox' Gedanken wanderten unablässig im Kreis, während er auf das Schiff wartete, das den Hafen von Mahon anlaufen und den fünften Captain bringen würde, der über ihn zu Gericht sitzen sollte. Einen willkommenen Trost während dieser qualvollen Zeit fand er bei den ausgezeichneten Moliere-Ausgaben, die er in Hernandos kleiner, aber erlesener Bibliothek entdeckt hatte. Fox las mit Vergnügen die Werke des Meisters in der französischen Originalsprache, genoß jede kleine Nuance, jeden Witz, das raffinierte Zwischenspiel von Charakter und Motiv. Der alte Moliere hatte wirklich genau gewußt, aus welchem Stoff die Menschheit geformt war. Die gelegentlichen Besucher in Don Salvators Villa stellten fest, daß der Offizier mit dem wettergegerbten Gesicht sehr schweigsam und zurückhaltend war und schrieben das dem Kriegsgerichtsprozeß zu, der ihn erwartete. Das genügte ja auch, um jedem Mann den Mut zu nehmen. Aber Fox war weit davon entfernt, mutlos zu sein. Im Gegenteil, er schmiedete bereits Pläne für alle Fälle. Wenn man ihn schuldig sprach, würde er dem Wachtposten eins über den Schädel schlagen und über Bord springen. Wenn er erst wartete, bis sie ihn packten, würde er keine Chance mehr haben. Er konnte ein Boot stehlen, jeden Unglücklichen niederschlagen, der das Pech hatte, ihm über den Weg zu laufen, und danach? Nun, da würde ihm nichts anderes übrigbleiben, als Pirat zu werden. Aber was dann aus seiner Familie werden sollte, daran wagte er nicht zu denken. Archie brachte zwar von Zeit zu Zeit Geld 17
nach Hause, aber aufgrund seiner revolutionären Vergangenheit konnte er keine feste Stellung finden. Bert diente unter Captain Rupert Colborn beim dreiundvierzigstens Regiment. Ebenezeer war auf und davongegangen und hatte nichts mehr von sich hören lassen. Er mußte jetzt sechsundzwanzig sein. Entweder lebte er mittlerweile wie ein Fürst von unrecht erworbenem Gut, oder er hatte wie Onkel Abercrombie am Galgen vom Tyburn sein Ende gefunden. Die älteste Schwester Susan war im Haus an der Themse geblieben, um für die Familie zu sorgen. Und Alice? Fox wußte nicht, was sie vorhatte, und er konnte nur hoffen, daß sie sich gut verheiraten würde. Denn für ein Mädchen aus armer Familie war es nur zu leicht, der Prostitution zu verfallen. Die jüngste Schwester, Charlotte, mußte jetzt neunzehn sein. Als Fox sie zum letztenmal gesehen hatte, war sie den ganzen Tag singend durch die Wohnung getanzt und hatte keinen Sinn für den Ernst des Lebens gezeigt. Vielleicht hatte sie sich inzwischen geändert. Fox war nicht mehr zu Hause gewesen, seit er an Bord der Duchess gegangen war. Nein, George Abercrombie Fox konnte sich wirklich nicht an einer Rah aufhängen lassen. Wenn man ihn schuldig sprach, mußte er fliehen. Und dann würde er irgendeinen Weg finden, die Früchte seines Piratenlebens seiner Familie zu schicken. Das war also geregelt. In dieser Nacht holte er sich Rosaria mit dem tiefen Dekollete und den zarten Fußknöcheln ins Bett und umarmte sie stürmisch, als sei es zum letztenmal in seinem Leben. Kichernd und lachend fachte sie immer wieder seine Leidenschaft an, bis er sich neben sie legte, eine Hand auf ihrem nackten Magen, und zum erstenmal seit Wochen wieder mit sich und der Welt zufrieden war. Sie richtete sich auf einem Ellbogen auf, beugte sich über ihn, ihr schwarzes Haar hing herab, ihre weichen Brüste schimmerten weiß im schwachen Mondschein. „Bist du schon müde, Engländer?" 18
„Das ist eine Herausforderung, der ich noch nie widerstehen konnte", erwiderte er in seinem perfekten Katalanisch, riß sie in die Arme, und sie kreischte vor Entzücken, als er ihr bewies, daß ein ehrlicher Seemann niemals müde war. Fox hatte keine Ahnung, warum ausgerechnet er so stark auf Frauen wirkte, und in Augenblicken wie diesem war ihm das auch völlig gleichgültig. Er hatte ein Gesicht wie eine verwitterte alte Gallionsfigur und Augen, die seine Mitmenschen so gnadenlos durchbohren konnten wie die Ladung einer 68Pfünder-Kanone eine Schiffswand. Er war unzugänglich, ruppig, hatte sich nie um Freundschaft bemüht, und doch gab es bei der britischen Navy Männer, die ihm ohne zu zögern in eine Kanonenmündung folgen würden. Er gab der hübschen Rosaria noch einen Klaps auf das wohlgerundete Hinterteil, dann warf er sie aus dem Bett, streckte Arme und Beine auf dem zerwühlten Leinen von sich und schlief ein. So etwas hatte Rosaria noch nie erlebt. Diese Leidenschaft, diese Kraft! Das nächstemal würde sie diesen unverschämten jungen Alfonso in die Schranken weisen. Eine kleine Handbewegung würde genügen. Sie mußte nur den Daumen und den kleinen Finger spreizen. Das würde er schon verstehen. Am nächsten Tag lief ein Kutter im Hafen ein und brachte die Neuigkeit mit, daß Commodore Duckworth wahrscheinlich nach Minorca zurückkehren würde. Er hatte im letzten Jahr mitgeholfen, die Insel zu besetzen. Im Schatten der drohenden Gefahr, daß die Franzosen den Briten erneut die Vormachtstellung im Mittelmeer abjagen konnten, feierte man rauschende Fest für Nelson, dessen Name sich immer enger mit dem der schönen Lady Hamilton verknüpfte. Neapel war zurückerobert worden, Malta hielt gegen Ball stand, Nelson hieß jetzt Duke of Bronte, die Türken und die Russen bereiteten Schwierigkeiten - es geschah einiges in der Welt. Und Fox saß in Don Salvators Villa fest und wartete auf seinen Kriegsgerichtsprozeß. Er sah so unglücklich aus, daß 19
sich Rosaria schon vor Einbruch der Dunkelheit dreimal seiner erbarmte. Am nächsten Tag - ein verdammter Tag nach dem anderen wollte Fox gerade den Salon betreten, als er beim Klang erregter Stimmen den Schritt verhielt. Er erkannte die Stimme Don Salvators, die Stimmen zweier Bekannter die von einem arroganten, selbstsicheren Bariton übertönt wurden. Fox spitzte die Ohren. Eine schwache Erinnerung regte sich in ihm. Ja, das mußte die Stimme des Midshipman Lemuel Stone sein, der inzwischen zum Captain Lemuel Stone avanciert war. „So eine verdammte Schande!" donnerte die Stimme. „Lord Nelson hat zu nichts anderem mehr Lust, als am Rock seiner Hure zu hängen. Und wir segeln kreuz und quer durch das Mittelmeer und hätten längst schon die Franzosen angreifen sollen." Fox riskierte einen Blick durch die halboffene Tür. Ja - dieses rote Gesicht, die gedrungene Gestalt, die im Lauf der Jahre fülliger geworden war, diese dunklen, unsteten Augen, ja, das war Stone, der Speichellecker, der sein Ziel erreicht hatte. Zwei Epauletten glitzerten an seinen Schultern und verkündeten seinen Ruhm im Glanz der Morgensonne. „Troubridge liegt ihm ständig in den Ohren. Und wenn Nelson nicht einmal auf Troubridge hört, auf wen soll er dann überhaupt noch hören, verdammt? Lord Saint Vincent ist nach England zurückgekehrt." Hier triefte Stones Stimme geradezu vor Hohn. „Aber ihre Lordschaften haben sich noch nicht dazu durchgerungen, Nelson zum Oberbefehlshaber zu ernennen. Nein! Er ist nur ältester Admiral." Fox warf wieder einen Blick durch die Tür. Stone schien sehr zufrieden mit sich zu sein, obwohl er sich so unzufrieden äußerte. „Und er wird auch nicht Oberbefehlshaber, solange er an diesem verderbten neapolitanischen Hof herumlungert. Der König und die Königin müssen ihn um den Verstand gebracht haben. Es gibt gewiß keinen loyaleren Captain als mich. Aber es gibt Grenzen, Sir, es gibt Grenzen." 20
Fox zog sich zurück. Er mußte sich zurückziehen. Denn sonst wäre er hineingestürmt und hätte Stone verprügelt. Wie konnte es dieser Bastard wagen, so über Admiral Nelson zu sprechen ! Gott wußte, wie sehr Fox die Admiräle haßte. Aber Nelson bildete eine Ausnahme. Was Fox betraf, der Lady Hamilton gesehen hatte und dabei lebhaft an Kitty Higgins erinnert worden war, er hätte keine Sekunde gezögert, mit dieser schönen Frau ins Bett zu steigen. Wenn Nelson sich selbst zum Narren machte - wer in aller Welt hatte ein größeres Recht dazu? Als Stone gegangen war, erschien Don Salvator aufgeregt bei Fox. „Er hat mir erzählt, sein Sekretär sei zum stellvertretenden Kriegsgerichtsrat ernannt worden. Morgen soll ein 74-Kanonen-Schiff eintreffen, Mr. Fox, und morgen ..." Hernando hüstelte und suchte nach möglichst feinfühlenden Worten. „Morgen, mein lieber Mr. Fox ..." „Ich weiß." „Ich bin sicher, daß alles gutgehen wird. Nach dem, was Captain Staunton und Ihre Männer gesagt haben." „Aber Staunton und meine Männer sind leider nicht hier." Don Salvator räusperte sich und fuhr fort: „Captain Stone sprach auch von Admiral Nelson. Seltsam. Es scheint, daß man Admiral Nelson überzeugt hat, mit Hilfe der Elektrizität könne die Sehkraft seines schlechten Auges verbessert werden. Vielleicht wird er sogar auf seinem blinden Auge wieder sehen." „Ich kann nur hoffen, daß die Behandlung Erfolg hat", sagte Fox. Er wußte aus eigener Erfahrung, wie sehr man unter einer beeinträchtigten Sehkraft leiden konnte. Denn fast immer, wenn er in Gefahr schwebte oder sich aus irgendeinem anderen Grund erregte, schloß sich dieser verdammte Ring aus Rot und Schwarz um sein linkes Auge. Wenn es ganz schlimm wurde, sah er auch auf dem rechten Auge nichts. Er konnte Nelson nur wünschen, daß die elektrische Behandlung seine Sehkraft verbesserte. 21
Am nächsten Tag ging das 74-Kanonen-Linienschiff Balthazar in Port Mahon vor Anker. Es wurde abgetakelt, und die Besatzung begann mit den Ausbesserungsarbeiten. Fox stand am Fenster und blickte düster über das Wasser. Er konnte die Balthazar nicht sehen. Aber er hörte, wie sich hinter ihm die Tür öffnete, wie sich Schritte näherten. Noch bevor er sich umdrehen konnte, sprach eine Stimme. Sie klang hart und doch weich, streng und doch wohltuend. „Nun, Fox? Was haben Sie denn schon wieder ausgefressen?" 3. Captain Richard Cloughton, der Kommandant der Balthazar, stand in der Tür, das Bulldoggengesicht in ernste Falten gelegt, das breite Kinn aggressiv vorgeschoben. Die Augen mit den schweren Lidern hefteten sich auf Lieutenant Fox, sein dicker Bauch drohte die Weste zu sprengen. Seine blaue Jacke war zerknittert, obwohl sie neu aussah. Captain Cloughton gehörte zu den Offizieren, die den Verlust der weißen Aufschläge an den Captainsjacken am 1. Juni 1795 sehr beklagt hatten. Eine feine Art, den ersten Jahrestag des „Glorreichen Ersten Juni" zu feiern, hatte Captain Black Dick Cloughton gesagt, seine vom Portwein geröteten Wangen waren scharlachrot geworden, dann karmesinrot und schließlich purpurn, und er hatte gehustet, bis ihm die Tränen in die Augen getreten waren. Black Dick Cloughton liebte seinen Portwein über alles. Er schlug mit seinem Spazierstock aus Elfenbein und Ebenholz, auf Don Salvators Mosaikfußboden, der Griff seines Ehrensabels zitterte. „Nun, Sie junger Spund? Was soll dieser Unsinn?" Er wedelte mit einem Spitzentaschentuch durch die Luft. „Ich habe Ihren Bericht gelesen, Mr. Fox. Erwarten Sie, daß ich das alles glaube? Halten Sie mich eigentlich für einen Volltrottel?" „Natürlich nicht, Sir." 22
„Also dann, Sie Satansbraten, was haben Sie vorzubringen?" Black Dick Cloughton war schon immer so gewesen. Er schrie und fluchte und schimpfte und drohte, die ganze Flotte auspeitschen zu lassen. Und das würde er auch sicher tun, wenn er die Möglichkeit dazu hätte. Fox hatte vor fünfeinhalb Jahren als junger Offizier auf Captain Cloughtons Invulnerable gedient. In jenen hektischen Tagen hatte er erkannt, daß Cloughton dem Ideal eines Captains ziemlich nahe kam, wenn er auch Cuthbert Rowlands nicht das Wasser reichen konnte. Keiner der Offiziere, weder Troubridge noch Collingwood noch irgendeiner aus dem brillanten Kreis um Nelson, konnte sich mit Rowlands messen. Aber von allen Captains, die derzeit Dienst taten, würde sich Fox Cloughton als Kommandanten aussuchen. „Jedes Wort meines Berichtes ist wahr, Sir." „Zum Teufel mit Ihnen!" „Es freut mich sehr, Sie wiederzusehen, Sir, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf." „Hmpf! Sie haben einen riesigen spanischen Dreidecker gekapert, mit einer Bootsmannschaft, einem halben Dutzend Seesoldaten, einem Haufen Türken und ..." Cloughton legte eine Pause ein und wischte sich den Schweiß von der Stirn und den puterroten Wangen. Dann stieß er mit sichtlicher Anstrengung hervor: und einen verdammten Harem?" „Ja, Sir." „Ein Harem!" Cloughton sah sich in dem elegant möblierten Raum um. „Da will ich doch glatt auf Grund laufen. Fox, dieser junge Esel, als Captain eines schwimmenden Bordells!" Das hatte Fox erwartet. Sein Abenteuer würde die wildesten Gerüchte, die derbsten Spaße in der Navy hervorrufen. Ein sechster Sinn verriet ihm bereits, was Captain Cloughton als nächstes sagen würde. Als Nelson die San Nicholas geentert und sie als eine Art Brücke benutzt hatte, um in der Schlacht bei Vincent vor zweieinhalb Jahren die San Josef zu entern, hatte man das als das „Nelsonsche Patent-Enterverfahren" bezeich23
net. Und Fox wußte bereits, wie die Navy sein Abenteuer nennen würde. Cloughton zögerte nicht, das zu bestätigen. „Gott soll mich verrotten lassen!" röhrte er. „Das Foxsche Patent-Bordellenterverfahren!" Fox verzog keine Miene und enthielt sich einer Antwort. Captain Cloughton lachte, bis ihm Tränen in die Augen traten, er hustete und spuckte und wedelte mit seinem Spazierstock durch die Luft. Fox brachte einen kleinen vergoldeten Stuhl, der korpulente Captain sank darauf. Der Stuhl verschwand völlig unter seinem Hintern und knarrte schmerzlich. „Da will ich doch tatsächlich mit Mann und Maus untergehen!" schrie Cloughton. „Es ist alles wahr, Sir." Beim Klang von Fox' Stimme hob Cloughton ruckartig den Kopf. „He? Ich kann mich noch gut erinnern, wie Sie sich auf der Invulnerable aufgeführt haben, Mr. Fox. Und ich weiß noch immer nicht, was mit Mr. Travers-Smith passiert ist. Es ist mir ziemlich übel gegangen, kurz bevor wir den Hafen erreichten." „Ja, Sir." Wozu noch einmal die Geschichte aufwärmen, wie Fox die Invulnerable sicher über Untiefen hinweggesteuert hatte, die einer Fregatte und einer Schaluppe die Schiffböden aufgerissen hatten? Cloughton, der ausnahmsweise nicht betrunken gewesen war, sondern an einer geheimnisvollen Krankheit gelitten hatte, war unzurechnungsfähig gewesen. Und Mr. Travers-Smith? Fox hätte auch gern gewußt, was der damals getrieben hatte. Aber all das lag in ferner Vergangenheit. Offenbar wußte Cloughton noch immer nicht, das es Fox gewesen war, der sein Schiff gerettet hatte. Aber wenn er ihm das jetzt erzählte, würde er nur das Mißtrauen des Captains erregen. „Mr. Fox, man will Sie morgen wegen Feigheit vorm Feind und Fahnenflucht vor das Kriegsgericht stellen." „Ja, Sir." Cloughton stellte den Spazierstock auf den Mosaikboden, stützte sich schwer darauf und hievte sich mühsam aus dem 24
kleinen vergoldeten Stuhl. Langsam ging er auf Fox zu und starrte auf ihn hinunter. Fox konnte unmöglich zurücktreten, verdammt, er sah sich gezwungen, zu dem größeren Cloughton aufzublicken. „Nun, Mr. Fox?" Mit einer Stimme, die genauso gefährlich klang wie eine krachende Breitseite, sagte Fox: „Die Anklagen entsprechen nicht den Tatsachen, Sir." „Sehr gut." Cloughton wedelte erneut mit seinem Spazierstock. Und Fox, der lange genug unter diesem Mann auf dem Achterdeck der Invulnerable gedient hatte, wußte, was der Captain damit sagen wollte. Er trat hinaus in den Sonnenschein, der warm auf die Terrasse fiel. Rosaria begrüßte ihn mit einem Kichern und warf ihm über die bloße Schulter lockende Blicke zu. „Wein! Bring uns von Don Salvators bestem Portwein, Rosaria, mein kleines Hühnchen. Der tapfere Captain hat in den langen Tagen auf hoher See einen enormen Durst entwickelt." Rosaria lachte und hätte zweifellos eine passende Antwort gegeben, wenn Fox nicht drohend die Hand gehoben hätte, um ihr einen Klaps auf das runde Hinterteil zu verpassen. Kreischend rannte sie davon. Nachdem Cloughton und Fox ein paar Allgemeinheiten ausgetauscht hatten, servierte Rosaria den Wein auf einem Silbertablett. „Dieser Captain Stone kommt mir ziemlich sonderbar vor", sagte Cloughton, als Fox den Wein eingoß. Fox reichte ihm das randvolle Glas. „Ich glaube nicht, daß er mir sehr wohlgesonnen ist, Sir." „Hmpf. Der Meinung bin ich auch. Der Bursche war überglücklich, als er von Ihrer mißlichen Lage hörte. Sein Sekretär hat den ganzen verfluchten Papierkram erledigt. Dieser Parkinson ist nämlich zum stellvertretenden Kriegsgerichtsrat bestimmt worden. Die beiden wetzen bereits das Messer." „Ja, Sir." 25
„Trotzdem, er ist jünger als ich, und ich bin der Vorsitzende dieses Kriegsgerichts." Cloughton beugte sich vor, um seinen nächsten Worten mehr Wirkung zu verleihen. Sie klangen auch tatsächlich großartig - großartig für Cloughton. „Ich stehe jetzt bald an der Spitze der Rangliste, Mr. Fox. Bald werde ich unter eigener Flagge segeln, darauf können Sie sich verlassen." „Meinen herzlichsten Glückwunsch, Sir." „Aber ich bin nicht einer von diesen Emporkömmlingen." Cloughton ließ sich sein Glas nachfüllen. „Ich habe keine Beziehungen, ich kenne keinen Menschen in den Houses of Parliament. Was ich erreicht habe, das habe ich einzig und allen meinen Leistungen zu verdanken. Jawohl, so ist das, Mr. Fox." Fox nickte. Er wußte so gut wie jeder andere, daß Cloughton aus einer Kleinadelsfamilie stammte, die mit Eisen und Kohle reich geworden war und ihn geschickt in die Liste der Captains manövriert hatte. Von diesem Augenblick an war es so gut wie sicher, daß er eines Tages unter eigener Flagge segeln würde vorausgesetzt, daß er lange genug lebte. Außerdem war er ein Tory, was zu jeder Zeit sehr nützlich war und was er auch lauthals verkündete. Fox hingegen hütete sich, seine politische Meinung auszusprechen, denn vielleicht dauerte es nicht mehr lange, und die Whigs verdrängten die Torys. Dann würde es sich als sehr schädlich erweisen, sich als Tory gebrüstet zu haben. Cloughtons schwitzendes Gesicht glänzte dicht vor seiner Nase, und Fox zuckte erschrocken zurück. Der Captain sah sich nach seinem Spazierstock um. „Der Teufel soll ihn holen! Vor einer Minute hatte ich ihn doch noch!" Einen entsetzlichen Augenblick lang dachte Fox, daß Cloughton wieder einen seiner Anfälle kriegen würde. Der Mann durfte ganz einfach nicht trinken. Aber er trank trotzdem und würde es auch weiterhin tun, bis er wieder einmal zusammensackte, sich mit Schaum vor dem Mund auf dem Boden wälzte und wie ein Verrückter lallte. 26
Der Spazierstock wurde gefunden, ein drittes Glas geleert, und dann stürzte Don Salvator herein, mit strahlendem Lächeln und höchst zufrieden, daß er einen weiteren britischen Captain kennenlernen durfte, der sich als nützlicher Freund erweisen könnte. Das Leben ging weiter, sagte sich Fox - gleichgültig, ob er nun an einer Rah baumelte oder nicht. Als die Sprache auf die verschwundenen Zeugen kam, runzelte Cloughton bekümmert die Stirn. „Ein verdammtes Mißgeschick, Mr. Fox. Da ist Captain Sanders' Bericht, da ist Captain Stauntons Bericht. Aber Sie müssen verstehen, daß ich zum jetzigen Zeitpunkt über gewisse Dinge nicht mit Ihnen sprechen kann. Aber ich kann immerhin feststellen, daß es keine Aussagen gibt, die die Wahrheit ihres Berichts beweisen. Also, mein lieber Fox, morgen werden fünf Captains über Sie zu Gericht sitzen. Wie der eine über Sie denkt, wissen wir bereits. Und was die anderen betrifft - wir werden sehen." Fox fragte sich, ob Cloughton vielleicht besser wußte, als er zugeben wollte, wer damals die Invulnerable über die Untiefen gesteuert hatte. Andererseits konnte er sich nicht vorstellen, daß dieser rauhbeinige, selbstsüchtige, trinkfreudige alte Seebär auch nur einen mitleidigen Gedanken an einen so unbedeutenden Offizier wie George Abercrombie Fox verschwendete. Aber vielleicht hatte Cloughton eine alte Rechnung mit Stone zu begleichen. Das war immerhin möglich. Die persönlichen Fehden innerhalb der Royal Navy waren dicht gesät und variantenreich und ließen gesellschaftliche Kontakte oft zu unvorhergesehenen Hindernisrennen werden. Als Cloughton sich verabschiedete, beschloß Fox, ihn zu begleiten. Der Captain zog seine Uniformjacke zurecht, die danach aber auch nicht besser saß, stülpte sich den Hut auf den Kopf, griff nach Spazierstock und Spitzentuch. Als er sich zu Fox umblickte, verschwanden seine Augen beinahe, als sich seine schweißglänzenden, puterroten Backen hoben. Sein run27
der Bauch wackelte vor Vergnügen. „Das wird die Navy nie vergessen. Bei Gott, nein! Das Foxsche Patent-Bordellenter ..." Er lachte und spuckte und hustete noch immer, als Fox sich abwandte, um eine Flasche Rum zu holen. Wie schön, ein Captain zu sein. Als Captain brauchte man es nicht zu riskieren, seinen Hals womöglich eines Tages in eine Hanf schlinge stecken zu müssen. 4. Der Gedanke an Gott erfüllte Fox immer dann, wenn andere Seeleute ihn vergessen zu haben schienen. Denn die meisten Seeleute dachten nur an Gott, wenn eine Schlacht bevorstand oder wenn sie wegen eines Vergehens ausgepeitscht wurden, aber nicht, wenn ihr Schiff im Hafen lag. Jetzt mußte Fox an Dr. Johnsons Worte denken, der einmal gesagt hatte, ein drohender Galgentod bringe die Menschen zur Besinnung auf sich selbst. Fox fragte sich oft, warum Gott sich eigentlich mit der Sorte von Männern abmühte, die man in der Navy traf - mit Männern, die Fox leichten Herzens über Bord werfen würde, wenn er die Möglichkeit dazu hätte. Aber irgendwo mußte es einen tieferen Sinn haben, warum die Lords und Ladys soviel Macht und Geld besaßen, warum so viele arme Männer und Frauen verhungerten, sich verkauften, in Schmerz und Schmutz und Elend starben. Fox hatte genug Gottesdienste an Bord von Schiffen miterlebt, um zwischen Zeremonien unterscheiden zu können, die religiösen Trost für die Besatzung bedeutete, und solchen, die nichts weiter als Formalitäten darstellten, dem Gesetz der Navy entsprechend. Aber wenn ein Captain die Kriegsartikel vorlas, dann erhielt der anschließende Gottesdienst plötzlich tiefere Bedeutung. Fox war diesen Pflichten immer sehr sorgfältig nachgegangen, als er noch die Raccoon kommandiert hatte. Aber auf anderen Schiffen hatte er oft Gottesdienste 28
miterlebt, die zur bloßen Farce, zur Maskerade herabgewürdigt worden waren, die man nur abgehalten hatte, um Sand in die Augen der Besatzung zu streuen. Wenn er jetzt an Gott dachte - jetzt, da er in der Gefahr schwebte, verurteilt, gehängt und gevierteilt zu werden, so erschien ihm das nicht unnatürlich. Fox vertraute sich seinem Schöpfer an, nachdem er beschlossen hatte, den ersten Wachtposten niederzuschlagen, der sich seiner Flucht in den Weg stellen würde. Nun konnte er ruhigen Herzens vor das Kriegsgericht treten, dem er auf Gnade oder Ungnade ausgeliefert war. Rosaria tanzte mit schwingenden Hüften in sein Zimmer und brachte ihm seine Schuhe, die sie auf Hochglanz poliert hatte. Fox schleuderte die Pantoffeln von den Füßen, die Don Salvator ihm geliehen hatte. Einer flog dicht an Rosarias Ohr vorbei, und sie quiekte erschrocken. Ein verwirrendes Gefühl erfaßte Fox. Einerseits wollte er dieses Mädchen mit den strahlenden Augen und der üppigen Figur angrinsen, die Hände ausstrecken, die ganze Welt umarmen - und gleichzeitig wollte er sich am liebsten in einem Mauseloch verkriechen. „Ein Hidalgo", sagte Rosaria und rollte die Augen. „Er redet unten mit dem Herrn." Plötzlich seufzte sie, und zwei dicke Tränen glänzten in ihren Wimpern. „Estupido", sagte Fox, und dann fand er mit ein paar gezielten Fragen heraus, warum Rosaria weinte. Sie weinte, weil man Fox aufhängen würde, weil der Gentleman unten gekommen war, um ihn zu holen. „Que mujer", sagte Fox, sprang vom Bett auf und ging auf Rosaria zu. Sie ließ die Schuhe fallen, weil sie wußte, was sie jetzt erwartete. „Con prisa", sagte sie. Fox wußte, daß sie ihn zur Eile antreiben wollte. Er mußte sich rasch anziehen, die Treppe hinunter und in sein Verderben laufen. Aber er beschloß, ihre Worte anders auszulegen, riß sie in die 29
Arme und drückte einen leidenschaftlichen Kuß auf ihre vollen roten Lippen. Sie schmeckten süß und verlockend wie Wein. Rosaria sank kraftlos gegen ihn und stieß einen wohligen Seufzer aus. Das Kriegsgericht der Royal Navy würde ihn also heute verurteilen. Sehr gut. Aber vorher würde sich George Abercrombie Fox noch einmal auf seine Weise amüsieren, auf eine Weise, in der er ein absoluter Experte war. Er warf Rosaria auf das Bett und bekundete, was er von diesem verdammten Kriegsgericht hielt. Und erst dann zog er sich an. Sein brandneuer Hut war verschwunden. „Dios mios!" schrie er. Rosaria, noch etwas außer Atem und mit hochroten Wangen, durchsuchte das Zimmer, aber sie konnte nirgend eine Spur des Hutes finden. Die Röcke flatterten um ihre so schlanken und so provozierenden Fußknöchel, als sie davonrannte. Als sie zurückkehrte, erstrahlte Fox bereits im Glanz seiner neuen Uniform. Er nahm an, daß der Offizier, der ihn unten erwartet, der Generalprofoß war, der für dieses Kriegsgericht ernannt worden war. Zweifellos fragte sich Don Salvator schon verwundert, was seinen Hausgast so lange aufhielt. Wenn Fox den Auftrag erhalten hätte, als Generalprofoß zu fungieren, hätte er nicht so zahm und geduldig unten gesessen. Er wäre die Treppe hinaufgerast und hätte den Gefangenen unbarmherzig aus dem Bett gezerrt. Rosaria stolperte zur Tür hinein, seine alte Karikatur von Hut in der Hand. Ihr Gesicht war blaß geworden. Fox war nahe daran, den Hut auf den Boden zu werfen und darauf herumzutrampeln, was dem formlosen Ding kaum mehr viel geschadet hätte. Aber er beherrschte sich, denn Rosaria hatte seinen alten Hut mit Tinte und Bürste bearbeitet und hatte den Säbelschnitt viel kunstfertiger als Parsons wieder zusammengestichelt. Mit zitternder Stimme erzählte sie, daß Alfredos Ziege den neuen Hut, der zum Trocknen in der Sonne lag, gefunden und aufgefressen hätte. Typisch, dachte Fox, typisch. Er mußte vor das Kriegsgericht 30
treten, das über sein Leben oder seinen Tod entscheiden würde, und eine verdammte Ziege fraß seinen brandneuen Hut. Er mußte mit diesem alten Ding auf dem Kopf vor seinen Richtern erscheinen, mit diesem Putzlappen, der von unzähligen Kugellöchern, von Stürmen und Säbelhieben deformiert war. Fluchend stülpte sich Fox den verbeulten Hut auf den Kopf, gab Rosaria einen Klaps auf das Hinterteil und stürmte die Treppe hinunter. Aber, zum Teufel, dies war der Hut, der alle seine unglaublichen Abenteuer miterlebt hatte. Warum sollte er nicht auch noch das Ende des Dramas mitansehen? Der Generalprofoß war sehr mager und elegant und von eisiger Höflichkeit. Er war dafür verantwortlich, daß Lieutenant Fox pünktlich vor dem Gericht erschien. Um acht Glasen, wenn die Bootsmannsmaaten zum Frühstück pfiffen, würde die Kanone des Kriegsgerichts donnern, und der Unionjack würde flatternd am Besanmast der Balthazar hochsteigen. Um diese Zeit sollten bereits alle Personen, die mit dem Kriegsgericht zu tun hatten, an Bord sein. Fox fragte sich, wie das Gericht wohl reagieren würde, wenn es lange warten mußte. Irgendwie erheiterte ihn dieser Gedanke. „Lieutenant Fox?" Wenn dieser Offizier auch sehr kühl und unnahbar wirkte, so merkte Fox ihm doch die Nervosität an, das Unbehagen, das der Generalprofoß vor Don Salvator geschickt verborgen hatte. „Ja." Die Vollmacht knisterte in der Hand des Offiziers. Diese Vollmacht berechtigte ihn, Fox abzuführen. Als die nötigen Formalitäten erledigt waren, fragte Fox diesen Lieutenant Aiken, der an Bord der Balthazar als 2. Offizier diente: „Sie haben meinen Säbel?" Ein leichtes Zittern der Nasenflügel verriet, was Aiken von diesem Säbel hielt. Sein eigener Säbel schimmerte an seiner Hüfte, elegant, schön, nach der letzten Mode geformt. Im Gegensatz zu Fox' Elfenbeingriff war der Griff von Aikens Sä31
bel kielartig geformt und ging in einen geschwungenen Messingteil über, der den Knauf ersetzte. Fox fand, daß der Säbel zu stark geschwungen war, aber er war zweifellos eine wirksame Waffe und würde ihn gnadenlos durchbohren, wenn er einen Fluchtversuch unternahm. Vielleicht aber auch war dieser hochnäsige Lieutenant Aiken heute der erste, der Fox' Faust zwischen den Zähnen, seinen Finger um die Kehle spüren würde ... Dieser Gedanke stimmte Fox zuversichtlich, als Aiken ihn hinausführte. Zahlreiche Boote tanzten über das Wasser, lavierten zwischen den Fallreeps der Schiffe. Hier lagen hauptsächlich Handelsschiffe der verschiedensten Typen vor Anker. Fox' Blick wanderte über die Lynx und die Sea Foam zu Captain Cloughtons Balthazar, die ein wenig abseits an ihrer Ankerkette schwojte, wie es sich für ein Dickschiff gehörte. Fox hatte sich mit vielen Dankesworten von Don Salvator verabschiedet. Er hatte Rosaria eine Handvoll Goldstücke gegeben, die er eigentlich für seine Männer hatte aufheben wollen, einen Bruchteil all des Goldes, das sie von feindlichen Schiffen erbeutet hatten. Der Rest war mit der Princessa Cristina Maria untergegangen. Wie hatte er sich darauf gefreut, die alte Maria in diesen Hafen zu steuern! Sie hätte alle anderen Schiffe ausgestochen und hätte diesen arroganten Lords gezeigt, wozu ein simpler Offizier wie George Abercrombie Fox fähig war. Aber die alte Maria war gesunken. All die Männer, die beweisen konnten, daß er nicht desertiert war, hatten Port Mahon verlassen. Die Lords würden ihre Papiere und Berichte durchsehen, ihn anstarren und dann verdammen. „Captain Cloughton hat Ihnen sein eigenes Boot geschickt, Mr. Fox." Aiken hatte ganz offenbar nicht gewußt, was er von diesem Befehl halten sollte, nachdem er ihn gehört hatte. Die Boote des Captains waren natürlich nicht nur dazu da, die Captains in einem Hafengewässer spazierenzufahren, sondern wurden auch 32
für andere Zwecke eingesetzt. Einem Gefangenen, der dem Kriegsgericht vorgeführt werden sollte, das Boot eines Captains zu schicken, bedeutete nach Aikens Meinung einen groben Verstoß gegen die Regeln der Navy. Der Gedanke, das Kriegsgericht warten zu lassen, reizte Fox. Aber dann überlegte er, daß Captain Cloughton als Vorsitzender fungierte, und wenn Fox das Gericht warten ließ, könnte er Cloughtons Zorn erregen. Wenn der rauhbeinige alte Bastard ihm wegen der seinerzeitigen Affäre mit der Invulnerable wohlgesonnen war, dann wäre Fox ein Narr, wenn er sich diese Gunst mutwillig verscherzte. Und wenn er an seine schutzlose Familie dachte, wäre es sogar ein Verbrechen, sich die einzige Chance zu verderben, diesen Prozeß ungeschoren zu überstehen. So stieg Fox mit leichtem Bedauern, aber ohne zu zögern, in das wartende Boot. Die Bootsgäste waren sehr flott in blaue Jacken, rote Westen, rot-weiß-gestreiften Hosen und Strohhüte mit breiten Krempen gekleidet. Captain Cloughton konnte es sich natürlich leisten, seine Leute in stilvolle Uniformen zu stecken. Die Riemen blitzten im Sonnenschein, die Riemenblätter tauchten ins Wasser, das Boot setzte sich in Bewegung. Die Männer trugen alle lange Zöpfe. Das war ein höchst ungewohnter Anblick, und Fox war überzeugt, daß die meisten dieser Haarschwänze falsch waren. Der gute Cloughton hatte in der Tat eine individuelle Auffassung von Lebensstil. Als das Boot auf das 74-Kanonen-Schiff zuglitt, von dessen Besantop fröhlich der Unionjack flatterte, wurde Fox wieder von jenem seltsam leichten, verwirrenden Gefühl ergriffen. Vielleicht war er auch ein wenig verrückt. Nein, in der Navy war ja ohnehin jeder verrückt. Aber dies war eine andere Art von Verrücktheit, die sich in einem unheimlichen Getrenntsein von der Wirklichkeit ausdrückte. Das Kriegsgericht würde ihn schuldig sprechen. Angesichts des vorliegenden Beweismaterials konnte er auch gar nichts anderes tun, das wußte Fox. Wenn 33
nur schon alles vorbei wäre, damit er diesem hochmütigen Lieutenant Aiken eins über den wohlfrisierten Kopf geben und seine Piratenlaufbahn antreten könnte! Denn weil er George Abercrombie Fox hieß, würde er natürlich nicht schon jetzt fliehen. Er würde kämpfen bis zuletzt, bis kein Atemzug mehr in ihm sein würde. Er würde alles durchstehen bis zu seiner Verurteilung, und dann würde er sie alle verfluchen, und dann ... Nun, man würde sehen. Die Balthazar war ein schönes, gutgebautes Schiff. Ihre geräumige Achterkajüte war in goldenes Licht getaucht, als die Morgensonne ihre Strahlenbündel durch das Heckfenster warf. Der glänzend polierte Tisch war querschiffs geschoben worden. Die fünf Captains, die daran Platz genommen hatten, wandten der Sonne den Rücken zu. Fox wurde in einen Stuhl auf der rechten Seite gesetzt. Links von ihm wartete ein leerer Stuhl auf den ersten Zeugen. Fox hatte seine Zeugenliste eingereicht, aber natürlich war kein einziger dieser Männer verfügbar. Am linken anderen Ende des Tisches saß der stellvertretende Kriegsgerichtsrat, an der Steuerbordseite, von den Attributen seines Berufs umringt. Während Fox sich von Kanonen und Masten und Segeln umgeben sah, wenn er seinen Beruf ausübte, lebte dieser Sekretär mit Papieren und Tintenfässern, mit Federn und den Gesetzesbüchern der Navy. Fox bedauerte, daß dem Gericht nicht die Logbücher der Raccoon vorlagen. Das wäre bestimmt eine interessante Lektüre für diesen kleinen, dürren Mann mit der tropfenden Nase gewesen. Wieder umhüllte Fox eine seltsam schwerelose, traumhafte Sphäre. Stimmen und Geräusche drangen wie aus weiter Ferne zu ihm. Das Sonnenlicht flimmerte vor seinen Augen, und er gewöhnte sich nur allmählich daran. Jetzt konnte er auch die massiven Umrisse Cloughtons erkennen, der an der Mitte des Tisches saß. Zu seiner Rechten saß Hyatt, nach Cloughton der dienstälte34
ste Captain, ein Mann mit mahagonifarbenem Gesicht und dem kummervollen Ausdruck eines Gepreßten. Fox brauchte nicht lange zu überlegen, was Hyatt von einem nichtadeligen Offizier halten würde. Wie Cloughton trug auch Captain Hyatt eine Goldmedaille an einem Band um den Hals. An Cloughtons linker Seite saß der drittälteste Captain, Kommandant Lanchester von der Sea Foam. Fox fragte sich flüchtig, wie Lanchester bei Mrs. Pratt vorankam. Und rechts von Hyatt saß Captain Lemuel Stone. Er kauerte zusammengesunken auf seinem Stuhl, brütete vor sich hin und blickte Fox nicht an. Fox sah erschreckend klar das Bild einer Ratte vor sich, die in der Falle hockt, vor der ein riesiger Terrier lauert. Stone und Lanchester hatten sicher einige Flaschen gemeinsam geleert, und dabei hatte Stone den anderen Captain geschickt beeinflußt. Nein, Stone würde nicht ruhen und rasten, bis Fox an der Rah baumelte. Der fünfte Captain saß links neben Lanchester, ein kleiner Mann, dessen Oberlippe von einem Säbelhieb getroffen worden war und wie eine Hasenscharte aussah. Er starrte Fox lange und durchdringend an, als suche er in dem häßlichen, wettergegerbten Gesicht nach einem Schuldbeweis. Als Mr. Parkinson, der stellvertretende Kriegsgerichtsrat, die Namen der Captains vorlas, bevor sie vereidigt wurden, erfuhr Fox, daß der kleine Captain Falconer hieß. Nach der Vereidigung wurde die Anklageschrift verlesen. Fox hatte keine Zeugen, die aufgerufen werden konnten, obwohl seine Zeugenliste vor Cloughton auf dem Tisch lag. Überraschenderweise las Cloughton jeden einzelnen Namen vor und sah Parkinson fragend an, der jedesmal mit trockener Stimme antwortete, der Genannte sei nicht anwesend. Man rief auch keine Zeugen gegen Fox auf, denn die wichtigsten waren mit Captain Sanders auf hoher See. Fox fragte sich, ob man seinen Prozeß überhaupt noch als regulär bezeichnen durfte und ob er aus diesem Grund nicht um Aufschub bitten 35
sollte. Aber da erklärte Parkinson schon, alle erforderlichen Beweise lägen ohnehin auf dem Tisch, folglich brauche man keine Zeugen mehr vorzuladen. Da wären Captain Sanders' Bericht, seine beeidigte Aussage, die Aussagen der Besatzungsmitglieder der Raccoon, die mit ihm in See gegangen waren, das Protokoll seines Kriegsgerichtsprozesses. Schon aufgrund dieses Beweismaterials müsse man Fox verurteilen. Der stellvertretende Kriegsgerichtsrat schluckte und räusperte sich, fuhr sich mit dem Finger in den Kragen und begann Fox' Bericht vorzulesen. Dabei nannte er Fox den „Gefangenen". In dieser Verhandlung ging es nur um die Geschehnisse, die mit Fox' angeblicher Desertation zwischen dem Zeitpunkt, als die Raccoon auf Grund gelaufen war, und dem Angriff der Franzosen beziehungsweise Sanders' Flucht in dem französischen Boot zu tun hatte. Alles, was danach passiert war, war für dieses Gericht unerheblich. Aber Parkinson las alles vor - von der Wassersuche, vom gekaperten Lateinsegler, von Fox' Expedition in die Toskana, von der wunderbaren Errettung seiner Männer aus französischer Kriegsgefangenschaft im Hafen von Cavallo. Natürlich hatte Fox nicht erwähnt, daß er in Cavallo den Schatz gefunden hatte, den ihm der sterbende französische Captain Louis Lebonnet sozusagen vererbt hatte - den Schatz, den Bonapartes Truppen aus italienischen Kirchen geraubt hatten, dessen Lockung Fox so sehr verfallen war, den er nur widerstrebend Maria und ihren frommen Freunden überlassen hatte. Der Bericht fuhr fort mit der gekaperten Brigg Clothilde, ihrem Untergang nach der Errettung der Türken und dieses verdammten Harems. Fox sah die erhobenen Brauen, spürte die spöttischen Blicke. Aber sein Gesicht blieb unbewegt, während Parkinson nun vorlas, wie sie auf der Insel gelandet waren und dann den spanischen 112-Kanonen-Dreidecker Princessa Cristina Maria ge36
kapert hatten. Hier unterbrach Captain Stone. „Erwarten Sie wirklich, daß wir diesen Unsinn glauben?" Bevor Fox antworten konnte, befahl Cloughton, den Bericht bis zu Ende vorzulesen. Stone lehnte sich in seinem Stuhl zurück, verzog verächtlich die Lippen und spielte ostentativ mit seinem Federkiel. Parkinson las vor, wie Fox und seine Männer Captain Percy Staunton und dessen Besatzung gerettet hatten, als die Fregatte Pylas von französischen Kanonenbooten versenkt worden war, wie dann die alte Maria in Flammen aufgegangen, wie ihre Reste versunken waren. Cloughton heftete seine in Fettpolster gebetteten Augen auf Parkinson. „Haben wir das Protokoll von Captain Stauntons Prozeß vorliegen?" Parkinson wühlte in seinen Papieren. „Dieses Protokoll wurde auf Befehl nach Gibraltar gesandt, Sir." Wenigstens konnte bewiesen werden, daß er tatsächlich mit einem gekaperten spanischen Dreidecker Captain Staunton zu Hilfe gekommen war. Dieser Gedanke hob Fox' Stimmung ein wenig, wenn für seine Richter auch zweifelhaft blieb, wo er der alten Maria begegnet war. Verdammt, glaubten sie etwa, er hätte sie in einer dunklen Seitengasse von Cadiz aufgelesen? „Wir haben uns hier versammelt, um über den Gefangenen wegen Feigheit vorm Feind und Desertion zu richten", warf Stone ein. „Ich denke, Captain Sanders' Bericht enthält für diesen Zweck genügend Beweismaterial." Natürlich, Stone würde sich darauf konzentrieren, wie Fox erwartet hatte. Cloughtons Versuch, Fox' Taten nach dem Verlust der Raccoon ins rechte Licht zu rücken, ein Versuch, der die Anklageschrift gründlich widerlegen würde, mußte fehlschlagen, wenn kein einziger Zeuge Fox' Bericht bestätigte. Und gegen ihn hatten genug Zeugen ausgesagt. 37
Fox spürte beinahe körperlich die erbitterte Feindschaft, die zwischen Cloughton und Stone lag. Eine Feindschaft, die seine einzige Chance bedeutete. Captain Falconer, der mit seiner Hasenscharte ein wenig undeutlich sprach, fragte: „Und Sie haben mit einer Bootsbesatzung, mit Türken und einem Harem einen Dreidecker gekapert?" „Ja, Sir." „Ich würde wirklich gern hören, wie..." Cloughton hustete und spuckte, und Fox wußte, was der alte Bastard dachte - Foxsches Patent und so weiter ... Captain Stone sagte mit leiser Stimme etwas, das Fox nicht verstehen konnte. Automatisch wandte er sich der breiten Gestalt zu, dem fetten Körper, der nach wie vor eine kleingeistige Seele beherbergte, und plötzlich konnte er nichts mehr sehen. Das Licht, das durch das Heckfenster strömte, begann vor seinen Augen zu flimmern. Der teuflische Ring in Rot und Schwarz legte sich wieder um sein linkes Auge. Er rieb sich das Auge, was immer sinnlos war, und dann ließ er die Hand wieder sinken. Er mußte vorsichtig sein. Wenn einer dieser Captains bemerkte, daß sie über einen halbblinden Offizier zu Gericht saßen, würde er ein toter Mann sein, bevor er noch richtig zur Besinnung kam. Er wußte, was Captain Falconer meinte. Im Jargon der Navy-Berichte war der Zwischenfall, wie die Haremsmädchen die französischen Soldaten abgelenkt hatten und Fox und seine Männer wie die Verrückten auf den Dreidecker zugepullt waren, mit ein paar nichtssagenden Phrasen abgetan worden. Aber damit wollte sich Falconer offenbar nicht zufriedengeben. Er schien ein netter Mann zu sein, den seine Verletzung an der Lippe nicht verbittert hatte. Eine kleine Pause entstand, und Fox, der nun so gut wie nichts mehr sah, hörte Lieutenant Aiken an seiner Seite husten und unbehaglich auf dem Stuhl hin und her rutschen. Ein Federkiel kratzte emsig über Papier und verriet Fox, daß Parkin38
son seine Notizen niederschrieb. Jetzt konnte Fox überhaupt nichts mehr sehen. Auch vor seinem rechten Auge war der letzte Lichtschimmer erloschen. Er saß da, von völliger Schwärze umgeben. Sein Gesicht verriet nichts von dem Handicap, seine eisblauen Augen waren geöffnet und starrten vor sich hin. Wenn er jetzt aufstehen mußte, konnte er sich nur auf seine Erinnerung an die Anlage der großen Kajüte verlassen, auf sein Wissen, wie man sich auf einem leicht schaukelnden Schiff bewegte. „Aus welchem Grund haben Sie Ihrem Captain nicht Meldung erstattet, nachdem die Raccoon auf Grund gelaufen war?" fragte ihn Lanchester. Das stand ohnehin alles in seinem Bericht. Aber sie wollten, daß er sich mit seinen eigenen Worten den Todesstoß versetzte. Lanchester steckte wahrscheinlich mit Stone unter einer Dekke. „Ein Trupp französischer Soldaten griff uns an, Sir. Ich führte unsere Männer den Strand hinauf, um den Feind zurückzuschlagen." Wie gut konnte er sich an diese wilde Jagd über Sand und Kies erinnern, an die hämmernden Musketen, die Bajonette, an die blutroten Säbel, an den Blick des sterbenden Phillips ... „Ich führte einen erfolgreichen Angriff gegen die französischen Soldaten an und trieb sie vom Grat über der Bucht. Als ich zum Wrack der Raccoon zurückkehrte, war Commander Sanders in einem französischen Boot davongefahren ..." Bevor er weitersprechen konnte, unterbrach ihn Stones Stimme. „Zu diesem Punkt haben wir nur Ihre Aussage." „Ja", sagte Lanchester. „Wir haben keine Beweise." Cloughton grunzte und hustete, und Fox konnte sich lebhaft vorstellen, wie die hochroten Wangen jetzt glänzten, wie der runde Bauch zitterte. Endlich brachte der Captain hervor: „Sie meinen wohl, daß der Beweis bis jetzt noch nicht erbracht werden konnte, nicht wahr, Mr. Lanchester?" „Das ist doch wohl klar genug, Sir." „Haben Sie alles aufgeschrieben, Mr, Parkinson?" 39
„So schnell ich konnte, Sir." „Dann können wir ja fortfahren." Fox hätte sich gern an die Hoffnung geklammert, daß man ihn nicht schuldig sprechen würde. Völlig unschuldig war ja ohnehin niemand in der Navy. Aber trotz der wachsenden Feindschaft zwischen Cloughton und Stone, die er deutlich spürte,,wußte er, daß er sich mit einer Verurteilung würde abfinden müssen. Er mußte seinen Wachtposten niederschlagen, über Bord springen, Pirat werden ... Aber er war doch blind! Wie sollte er fliehen, wenn er nicht einmal den Schädel sah, den er einschlagen mußte? Es war ihm klar, daß ihn Lieutenant Aiken, der Generalprofoß, beim ersten Fluchtversuch sofort niederstechen würde. Aiken hatte diesen kühlen skrupellosen Blick, der verriet, daß er ohne zu zögern über Leichen ging. Der Schmerz in Fox' Augen war gar nichts. Er würde diese Schmerzen zehnfach ertragen, wenn er nur wieder sehen könnte. Der Fall lag ganz klar. Stone und Lanchester konnten den schweigsamen Captain Hyatt überreden, sich ihrer Meinung anzuschließen. Falconer war vielleicht unentschlossen. Cloughton würde allein auf weiter Flur stehen - immer vorausgesetzt, daß er tatsächlich eine gewisse Schwäche für Lieutenant Fox hegte. Es war also alles vorbei. Man würde ihn schuldig sprechen. Und wenn er dann aufstand, würde er über irgend etwas stolpern, hinfallen, sie würden ihn hochzerren, aufhängen, vierteilen ... Ja, es gab keine Hoffnung mehr für George Abercrombie Fox. Plötzlich übertönte eine Stimme die halblauten Gespräche rings um ihn, auf deren Wortlaut er längst nicht mehr achtete. Und diese Stimme, die er kannte, sagte: „Aye, aye, Sir." 40
5. In seiner schmerzhaften Blindheit drehte sich Fox um - und sah nichts. Aber er hörte Stimmen, die schöner klangen als der Chor der himmlischen Heerscharen. Parkinson vereidigte einen Zeugen. „Sie sind Mr. Carker, Bootsmann auf der Fregatte Seiner Majestät Furieuse?" „Der bin ich." „Bitte Mr. Carker", warf Cloughton ein. „Antworten Sie bitte mit ja oder nein." „Aye, aye, Sir." „Und Sie waren vorher Bootsmann auf der Brigg Seiner Majestät Raccoon?" fuhr Parkinson fort. „Jawohl." Fox saß nur reglos da, war kaum fähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Carker! Der gute Carker, wie Aphrodite dem Meeresschaum entstiegen, war ihm zu Hilfe geeilt! Unmöglich... Percy Staunton sollte doch mit seiner Furieuse viele Wochen auf hoher See bleiben. Warum war die Fregatte nach Port Manon zurückgekehrt? War sie in eine Schlacht geraten? Hatten Staunton und seine Besatzung eine Prise gekapert? Vielleicht, und bei diesem Gedanken sank Fox' Herz, hatte es Todesfälle gegeben, vielleicht lebten einige seiner Männer nicht mehr. Quälende Angst um seine Männer erfüllte ihn plötzlich - ihn, George Abercrombie Fox, den härtesten Bastard in der Navy, der sich um niemanden kümmerte und auch nicht erwartete, daß sich jemand um ihn kümmerte. Wenn der junge Ben Ferris getötet worden war - oder Barnabas oder Wilson oder Slattery? Er konnte den Gedanken nicht ertragen, Joachim zu verlieren, seinen deutschen Stückmeister, oder Parsons, seinen Aufkla41
rer. Und was war aus diesem jungen Satansbraten geworden, aus Mr. Midshipman Lionel Grey? Er zwang sich mühsam, ruhig zuzuhören, als Carker berichtete, was geschehen war. Carkers Version glich der seinen aufs Haar. Und dann, dem Himmel sei Dank, saß Grey im Zeugenstuhl und erzählte alles aus seiner Sicht. Ein schwacher Lichtschimmer flimmerte unter Fox' rechtem Auge. Dann konnte er die rechteckigen hellen Flecke erkennen, aus denen sich das große Heckfenster zusammensetzte. Sie wurden immer lichter, und dann tauchte eine Reihe schwarzer Flecken davor auf - die Köpfe der fünf Richter. Grey sprach weiter, ruhig und gleichmütig. Er fand genau den richtigen Tonfall. Als er seine Aussage beendete, hatte Fox seine volle Sehkraft wiedererlangt. „Ich muß sagen, daß ich noch nie in meinem ganzen Leben eine mutigere Tat gesehen habe. Ohne Mr. Fox' kühne Entschlossenheit wäre die ganze Mannschaft draufgegangen." Fox' erster Blick traf Captain Stone. Stones Gesicht war bleich geworden, mit zitternden Fingern riß er die Federn aus seinem Kiel. Und erst dann gönnte sich Fox die Freude, Mr. Midshipman Lionel Grey anzusehen. Grey war kein Junge mehr. Natürlich war er von dem Augenblick an kein Junge mehr gewesen, als er Fox zum erstenmal an Bord der Raccoon Meldung erstattet hatte. Aber nach der langen Trennung sah Fox ihn mit anderen Augen. Grey war tatsächlich ein Mann geworden. Er war jetzt zwanzig und konnte von heute auf morgen Offizier werden. Und dann würde es vielleicht nur mehr ein Jahr dauern, bis er das Captainspatent erhielt. Natürlich hatte Fox versucht, deswegen gegen den jungen Satansbraten Groll zu hegen, und es war ihm auch beinahe geglückt. Aber das war jedenfalls nichts im Vergleich zu dem tiefen Haß, den er gegen aufgeblasene Hohlköpfe wie Stone und Beckworth alias Lord Lymm empfand. Einer nach dem anderen nahm auf dem Zeugenstuhl Platz. 42
Sogar Hogan, der anfangs nicht zu Fox' Männern gezählt hatte, konnte nun das Lob des Angeklagten nicht hoch genug singen. Joachim fügte in seinem unbeholfenen Englisch die technischen Einzelheiten der raffinierten Tricks hinzu, die Mr. Fox angewandt hatte. Er erzählte von der Wurfmaschine, mit der sie eine Hafensperre zerstört und eine französische Korvette niedergebrannt hatten. Danach trat Barnabas vor, der bullige rothaarige Riese. Er sagte wahrheitsgemäß aus, doch man sah ihm an, daß es ihn große Überwindung kostete, vor dem Kriegsgericht zu erscheinen. Aber er war gekommen, weil er Fox nicht im Stich lassen wollte. Als nächster trat Josephs, der Bootssteurer, vor den Richtertisch. Captain Stone unterbrach die Zeugenvernahme. „Haben wir jetzt nicht genug gehört? Diese Männer sind gut präpariert, sie erzählen doch alle das gleiche." Fox sah Cloughton an. Der Captain gluckste, schob seinen mächtigen Bauch in eine bequemere Lage und genoß die Szene sichtlich. „Ich glaube, es ist unerläßlich, daß wir alle Fakten sammeln, die wir nur erhalten können, Captain Stone." „Ich würde gern den Sergeanten der Seesoldaten hören", sagte Falconer und blickte in seine Notizen.„Sergeant Cartwright. Er hat sich um die türkischen Frauen gekümmert." Du lüsterner alter Bock, dachte Fox. Aber er hatte Verständnis für die Gefühle Falconers. Mit seiner gespaltenen Lippe konnte er wohl kaum ein hübsches Mädchen dazu bringen, ihn zu küssen. Cartwright, untadelig in leuchtend scharlachroter Uniform, machte seine Aussagen, die zu Falconers sichtlichem Leidwesen in einem Hustenanfall Cloughtons unterging. Als Halliwell und Wilson vernommen worden waren, hatte Stone endgültig genug. Er warf die Reste seines Federkiels auf den Tisch. „Das ist doch alles unnötig! Wir sitzen hier, um den Gefange43
nen wegen seiner Desertion in der Bucht von Santa Clara zu verhören ..." „Wenn Sie erlauben, Sir", sagte Fox, „Santa Clara haben wir im Sturm umsegelt. Captain Sanders und Mr. Macbridge haben die Raccoon vor Santa Anna auf Grund laufen lassen." Schwere Stille hing in der Kajüte. Vielleicht hatte Fox mit diesen Worten zuviel riskiert. Aber die bitteren Erinnerungen waren stärker gewesen als seine Selbstbeherrschung. „Santa Clara oder Santa Anna", stieß Stone wütend hervor, „das ist doch einerlei. Jedenfalls sind Sie in der Bucht desertiert, wie wir aus Captain Sanders' Bericht erfahren haben. Der Rest von all diesem Seemannsgarn ist völlig unwesentlich." Captain Hyatt richtete sich auf. „Da kann ich Captain Stone nur zustimmen. Wesentlich ist nur, was in der Bucht geschehen ist." Cloughton räusperte sich. „Soviel ich weiß, wirft man dem Gefangenen Feigheit vor. Aber nach all dem, was wir jetzt gehört haben, kann man Mr. Fox wohl kaum als feige bezeichnen." „Das mag sein, Sir!" rief Stone. „Aber die Desertion? Wollen Sie die Aussage Captain Sanders' einfach außer acht lassen?" „Vielleicht hat es in der Bucht irgendwelche Mißverständnisse gegeben, Sir." „Mißverständnisse! Der Gefangene und seine Raufbolde da haben die Gelegenheit ergriffen, davonzulaufen, und dabei sind sie auf eine kleine französische Patrouille gestoßen." Fox sah, daß Captain Stone tatsächlich glaubte, was er da sagte. Lanchester nickte, aber er blickte nicht auf, sondern starrte auf seine Papiere hinunter. „Ich verstehe nicht, wieso es zwischen Captain Sanders und dem Gefangenen Mißverständnisse gegeben haben sollte", sagte Hyatt. „Es lag in Captain Sanders' Kompetenz, einen Angriff auf die Franzosen zu befehligen. Wenn er das getan hätte, wäre er nicht davongesegelt, ohne den Angriff durchzuführen. Aber er ist davongesegelt, also kann er auch nicht befohlen haben, 44
die Franzosen anzugreifen." Raffiniert, dachte Fox. Und wahr, verdammt! Aber diese Wahrheit wandte sich gegen ihn und nicht gegen diesen Wunderknaben Sanders. „Captain Sanders ist ein tapferer Offizier und eine Zierde seines Berufsstandes", sagte Stone, dessen Gesicht jetzt genauso hochrot angelaufen war wie das Cloughtons. Cloughton zog sein Taschentuch hervor, wischte sich den Schweiß von der Stirn, schneuzte sich donnernd wie ein 11-Kanonen-Salut und schüttelte das weiße Spitzentuch ein paarmal aus, bevor er es wieder einsteckte. „Ich glaube nicht, daß wir hier zusammengekommen sind, um über Captain Sanders' Fähigkeiten zu diskutieren ...", begann er. Aber Stone ließ ihn nicht aussprechen. Er beugte sich vor, sah an Captain Hyatt vorbei und sagte giftig: „Sie können es Captain Sanders nur nicht verzeihen, daß er das Kommando der Raccoon erhalten hat, das Sie dem Sohn Ihres Freundes Captain Laker zuschanzen wollten." Es war unüblich, eine solche Beschuldigung in aller Öffentlichkeit auszusprechen. Aber diese Verhandlung hatte ohnehin längst den Rahmen des Üblichen gesprengt. Fox erwartete, daß Cloughton jetzt explodieren würde. Statt dessen legte der dicke Captain beide Handflächen auf den Tisch und lehnte sich zurück. Die Adern an seinen puterroten Schläfen schwollen an, er sagte mit gefährlich leiser Stimme: „Ich wußte nicht, daß meine Freundschaft mit Captain Laker oder seinem Sohn eine Regelwidrigkeit darstellt. Aber ich erinnere mich, Captain Stone, daß ich Ihnen gratuliert habe, als Ihr Neffe, Captain Sanders, dieses Kommando erhalten hat." Stille. Kein Wunder, daß Stone sich so erbittert gegen Fox wandte. Dabei trieb ihn nicht nur die alte Feindschaft an, die noch aus den Zeiten der Nicodemus herrührte. Denn wenn Fox nicht schuldig gesprochen wurde, was wurde dann aus Sanders, dem 45
Neffen Stones? Hyatt richtete sich ruckartig auf, sein Ellbogen stieß gegen ein Tintenfaß, die blauschwarze Flüssigkeit ergoß sich über die polierte Tischplatte. Die dunklen Flecken wirkten seltsam drohend und unheimlich. Bei einem Sturm pflegte man stets alle Tintenfässer zu verschließen. Parkinson, der hastig vor sich hingekritzelt hatte, quiekte und sprang auf, als die Tinte über den Tischrand floß. Natürlich wollte auch er wie alle anderen keine Tintenflecken auf den weißen Hosen haben. In Parkinsons Fall waren Tintenflecken sogar eine Beleidigung seines Berufsstandes, wie es für Fox unmöglich gewesen wäre, im Kanonendonner den Kopf einzuziehen. Es war Fox nicht entgangen, daß Cloughton das Kriegsgericht in eine Farce hatte ausarten lassen. Aber er fühlte, daß der schlaue alte Bastard genau wußte, was er tat. Cloughton hatte dafür gesorgt, daß es ins Protokoll aufgenommen wurde, was er über Stone wußte. Wenn es auch gang und gäbe war, daß Captains ihre Beziehungen spielen ließen, um Verwandten oder Freunden gute Positionen zu verschaffen, so wollte man in gewissen Kreisen doch vermeiden, daß es an die große Glocke gehängt wurde. Jedenfalls zierte seit heute ein großer schwarzer Fleck die weiße Weste Stones, ein Fleck, der sich noch vergrößerte, da Stone versucht hatte, die Gesetze zu umgehen, um seinem Neffen Sanders aus der Klemme zu helfen. Und Cloughton spuckte und hustete und grunzte vor Vergnügen. Sollen sie doch alle zum Teufel gehen! Solange George Abercrombie Fox nur ungeschoren davonkam ... Der Urteilsspruch wurde bald gefällt. Lanchester hielt treu zu Stone und fällte einen Schuldspruch. Cloughton und Falconer hatten schon vorher deutlich gezeigt, daß sie Fox für unschuldig hielten. Hyatt drehte sich mit dem Wind, und der blies nun in eine für Stone ungünstige Richtung. Die verschüttete Tinte wurde weggewischt, und dann nahm der stellvertretende Kriegsgerichtsrat wieder seinen Platz ein. 46
Alles versank in Schweigen. Captain Black Dick Cloughton machte es kurz. „Das Gericht befindet Sie für nicht schuldig im Sinn der vorgebrachten Anklagen. Wir beglückwünschen Sie zu Ihrer muti gen Entschlossenheit, die Sie im Anschluß an die Ereignisse in der Bucht von Santa Anna bewiesen haben. Sie sind frei." 6. Jetzt brauchte er Lieutenant Aiken doch nicht den Schädel einzuschlagen. Wie schön war der Sonnenschein, wie süß die sanfte Brise! Er war frei, konnte wieder Kopf und Kragen riskieren, konnte sich den Schädel von einem Säbel spalten oder von einer Kanonenkugel abreißen lassen. Aber um wieviel schöner war es doch, allen diesen Gefahren ins Auge blicken zu können, statt hinter Eisenstäben zu schmachten oder vom Ende einer Rah zu baumeln. Frei! „Meinen Glückwunsch, Sir", sagte John Carker, und sein ehrliches Gesicht strahlte vor Freude. „Meinen Glückwunsch, Sir", sagte Grey. Auch er schien sich von Herzen zu freuen, wenn auch in seinen Augen ein kleines spöttisches Funkeln lag - wie immer, wenn ihn starke Gefühle bewegten. Fox schüttelte den beiden feierlich die Hände, steckte seinen Säbel in die Scheide, den man ihm wieder zurückgegeben hatte, und setzte sich den alten Hut auf. Grey hob die Brauen. Mr. Midshipman Grey und dieser verdammte alte Hut! „Mr. Grey, vielleicht wird es Sie interessieren, daß eine Ziege meinen schönen neuen Hut gefressen hat." „Eine-Ziege, Sir?" Sie standen auf der Gangplanke über dem Fallreep und warteten auf das Boot der Furieuse. Sie mußten warten, bis die 47
Boote der Captains längsseits angelegt hatten, bis die Pfeifen der Bootsmannsmaaten erklungen waren, bis die Captains Hyatt, Lanchester, Stone und Falkoner in angemessener Feierlichkeit von Bord gegangen waren. Fox hatte noch kurz mit Cloughton gesprochen, hatte sich erlaubt, ihm höflich zu danken, und Black Dick hatte wegwerfend geantwortet: „Erwarten Sie nur ja nicht, daß ich Ihnen jedesmal aus der Patsche helfe, wenn Sie sich wieder einmal in eine solch verzwickte Sache manövriert haben." „Nein, Sir." „Ich kann mich gut an Sie erinnern, als Sie noch an Bord der Invulnerable waren, Mr. Fox. Ein verdammter Bastard, aber ein Offizier, der für Ordnung sorgte." Cloughton blickte sich um, wedelte mit seinem Taschentuch und beugte sich dann vertraulich zu Fox herab. „Hat Aiken Sie höflich behandelt?" „Ja, Sir." „Hmpf! Sagen Sie mir einmal, Mr. Fox - dieser Captain Staunton ... Kennen Sie ihn gut ?" „Nein, Sir. Er hat darum gebeten, mich als seinen ersten ..." „Verdammt, Sie junger Spund, das weiß ich! Der Bursche ist jedenfalls kein Dummkopf. Er ist ein Neffe von Admiral Staunton, nicht wahr?" „Ja, Sir." „Und jetzt hat er beide Epauletten." Das bedeutete, daß Percy Staunton drei Jahre als diensttuender Captain vollendet hatte. Fox war nicht ganz klar, wie Staunton das geschafft hatte, aber offenbar waren ihm die Meeresgötter gnädig gesinnt gewesen. Cloughton hatte noch ein bißchen geächzt und gespuckt, und dann hatte er Fox die Hand geschüttelt. „Ich werde zweifellos bald wieder von Ihnen hören, Mr. Fox." „Das wäre mir eine große Ehre, Sir, und noch einmal vielen Dank." „Und jetzt verschwinden Sie, Sie Satansbraten! Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf - lassen Sie sich nicht mit Frauen ein, 48
halten Sie sich lieber an den Rum. Da kann nichts schiefgehen." Und Cloughton hatte gehustet und gespuckt, bis sein purpurrotes Gesicht zu explodieren drohte. Als Fox jetzt auf das Boot des Captains Percy Staunton wartete, das ihn an Bord der Furieuse bringen sollte, hörte er Carker mit erstaunter Stimme wiederholen: „Eine Ziege, Sir?" „Aye, Mr. Carker, eine Ziege. Und wenn ich einen neuen Hut habe, Mr. Carker ..." Er verstummte gerade rechtzeitig. Denn er hatte seiner Hoffnung Ausdruck geben wollen, Carker würde dann auf den neuen Hut genauso gut aufpassen wie auf Fox' Säbel. Damit hatte er den guten Carker aufheitern wollen, aber der würde das so tödlich ernst nehmen, daß er in der Hitze des Gefechts sogar sein Leben opfern würde, um Fox' verdammten neuen Hut zu retten. Statt dessen sagte Fox, was er schon längst hätte sagen sollen. „Ich danke Ihnen, Mr. Carker. Ich danke Ihnen, Mr. Grey. Sie und die anderen haben mir das Leben gerettet, und ich ..." Verdammt, er wurde doch jetzt nicht etwa sentimental? Glücklicherweise legte das Boot der Furieuse am Fallreep an, bevor er sich noch weiter auslassen mußte. Er konnte das Fallreep hinunterklettern, ohne noch einmal in die Gesichter von Carker und Grey blicken zu müssen. Nicht nur, weil ihn das Schicksal Ben Ferris' interessierte, sondern auch, weil er irgend etwas von sich geben mußte, das die Stimmung normalisierte, fragte er: „Macht Ben Ferris gute Fortschritte, Mr. Carker?" „Aye, Sir-ein sehr tüchtiger Bursche." „Das freut mich. Ich setze nämlich große Hoffnungen in ihn, Mr. Carker." Fox konnte sich noch lebhaft, an die Tage erinnern, da er in Captain Cuthbert Rowlands' harte Schule gegangen war. Wenigstens hatte Ben Ferris den Vorteil, daß er bereits lesen und schreiben konnte. Daß Fox und seine Bootsmannschaft Kopf und Kragen riskiert hatten, um Ben Ferris in jenem wilden Sturm bei Palermo zu retten, konnte nicht ganz die Gefühle er49
klären, die er für den Jungen hegte. Vielleicht lag es auch daran, daß er Bens Mutter in der Bucht von Palermo hatte sterben sehen. Es war verdammt schwierig für einen Jungen, sich auf die harte Schule des Unterdecks zu konzentrieren, wenn er ständig dem rauhen Spott der Leute ausgesetzt war. Aber Ben war hart im Nehmen, und er hatte schon ein paarmal bewiesen, daß er auch Ausdauer besaß. Vielleicht konnte Fox ihn bald als Freiwilligen einsetzen. Dann stand ihm auch das Raumdeck offen und danach das Achterdeck. Und vielleicht segelte Ben eines Tages sogar unter eigener Flagge. Jetzt, da Fox wieder frei war - oder so frei, wie man als Offizier der Royal Navy sein konnte, wenn man nicht gerade Captain war -, konnte er sich endlich wieder aufatmend umsehen, den Anblick des Hafens und seine Geräusche genießen. Die Sonne schien achtlos Goldmünzen auf die Wasserfläche zu werfen - ein Gedanke, den Fox in diesen glücklichen Minuten nicht weiter verfolgen wollte. Erstens wollte er sich nicht schon wieder ärgern, weil er auf den Schatz von Cavallo verzichtet hatte, zweitens konnte er es nicht ausstehen, wenn jemand achtlos mit Geld umging. Die Sea Foam und die Lynx lagen noch immer dicht nebeneinander vertäut. Achtern von den beiden lag eine weitere Fregatte, und dieses Fahrzeug war es, auf das sich Fox' unduldsames Auge konzentrierte, als das Boot näher glitt. Bei Gott! Die Fregatte sah grauenhaft aus! Er wollte sich erst gar nicht vorstellen, was die Leute an Land bei diesem Anblick sagen würden. Die Rahen waren schief gebraßt und bildeten ein heilloses Durcheinander. Ein Tauende baumelte über die Fockrüste. Die Bemalung sah an manchen Stellen aus, als hätte man sie mit einem borstenlosen Pinsel aufgetragen. Eine Schiffsbemalung war natürlich nur dann eindrucksvoll, wenn ein Captain bereit war, dafür tief in seine Börse zu greifen. Und Captain Percy Staunton, Admiral Stauntons Lieblingsneffe, sollte eigentlich eine tiefe Börse haben. 50
Wenn Fox tatsächlich Erster Offizier der Furieuse werden sollte, würde er Staunton veranlassen, sich die Restaurierung der Fregatte einiges kosten zu lassen. Ein bißchen Gold, das man gezielt in der Werft verteilte - und man würde Malfarbe in Hülle und Fülle erhalten. Mit einer haarfeinen Zahnbürste würde Fox über die Decks der Fregatte gehen, wie man zu sagen pflegte, jeden einzelnen Zoll von ihr würde er kennenlernen. George Abercrombie Fox war wieder einmal verliebt - verliebt in ein neues Schiff. Bewundernd betrachtete er die Linien der Furieuse - leicht und frei und dennoch kühn geschwungen, und das Überhängen der Masten! Fox ballte die Hände, als sie auf die Fregatte zupullten. Er würde ihre Segel führen, wie sie es verdiente. Er würde die Leute schwitzen lassen. Er würde schon dafür sorgen, daß sie den Ballast so lange verteilten, bis die Furieuse so leicht und frei dahinglitt, wie es ihrer Natur lag. Plötzlich bemerkte er, daß Grey und Carker im Heck hockten und ihn anstarrten. Sein Gesicht verschloß sich, und die beiden blickten hastig zur Seite. Der Bootsführer war ein robuster Mann mit lockigem Haar. Er trug einen Strohhut, den er sich schief über ein Auge gezogen hatte, der aber wie durch ein Wunder nicht ins Kielwasser fiel. Der Mann steuerte sogar für Fox' hohe Ansprüche gut genug, das Boot hielt direkt auf die Fallreeptreppe zu. Fox stieg als erster hinauf. Eines Tages, so Gott wollte, würden die Bootsmannsmaaten Seite pfeifen, wenn er an Bord kam, die Seesoldaten würden die Waffen präsentieren, die Offiziere würden die Hüte abnehmen. Aber vorläufig blieb ihm nichts anderes übrig, als vor dem Achterdeck zu salutieren. Da stand Captain Percy Staunton mit seinen Segelohren. Sein Adamsapfel tanzte auf und ab wie ein Leichter auf gekreuzter See, als er strahlend auf Fox zueilte und beide Hände ausstreckte. „Mein lieber Mr. Fox! Ich will tot umfallen, wenn es mich nicht schrecklich freut, Sie wiederzusehen! Aber mein Wort 51
darauf - ich habe keine Sekunde lang geglaubt, daß der Prozeß anders ausgehen könnte." „Vielen Dank, Sir." „Kommen Sie mit mir unter Deck, Mr. Fox. Ich habe einen guten Madeira in meiner Kammer und würde gern hören, was Sie davon halten." „Das ist sehr freundlich von Ihnen, Sir." Fox fixierte den gutmütigen Einfaltspinsel scharf, worauf Staunton blinzelte und schluckte. „Ich habe Sie doch richtig verstanden, Sir? Sie sagten, daß Sie mir die Ehre erweisen wollen, mich als Ihren Ersten Offizier zu übernehmen?" „Natürlich, Mr. Fox! Der Teufel soll mich holen, wenn ich das nicht ernst gemeint habe. Die Burschen, die ich jetzt habe..." Staunton verstummte und wiederholte dann seine Bitte, Fox möge mit in seine Kajüte kommen. „Einen Augenblick noch, Sir." Fox ging an die Achterdeckreling. Es tat verdammt gut, wieder einmal auf dem Achterdeck zu stehen, die Masten und die Schatten der Takelage zu sehen, Decksplanken unter den Füßen zu spüren. Er stieß einen so wilden Freudenschrei aus, daß ein Seemann seinen Marlspieker fallen ließ und ein Schiffsjunge sich in die Hosen machte. „Bringt das lose Tauende dort innenbords! Aber rasch, sonst zieh ich euch die Haut über den Hintern! Bootsmann!" Woher der Bootsmann kam, sah Fox nicht. Aber in zwei Sekunden stand er vor ihm und tippte sich an die Schläfe. „Bootsmann! Haben Sie heute morgen schon den Stand der Rahen inspiziert?" „Aye, Sir." Fox konnte die Leute auf zwei Arten behandeln. Er konnte freundlich und nett sein, ab und zu einen kleinen Scherz einflechten, die Männer mit Samthandschuhen anfassen. Oder er konnte toben und drohen, mit eiserner Hand regieren, die Leute prügeln und auspeitschen lassen. „Sehen Sie sich doch einmal auf dem Schiff um, Bootsmann", 52
sagte Fox, „und sorgen Sie dafür, daß die Rahen ordentlich gebraßt sind. Ich komme dann noch einmal an Deck und überzeuge mich selbst davon. Wenn sie nicht exakt gebraßt sind, mein Freund, dann können Sie was erleben. Das verspreche ich Ihnen. Und jetzt flitzen Sie!'' „Aye, aye, Sir." Der Bootsmann rannte hastig davon. Fox blieb noch ein paar Sekunden lang stehen, ließ seinen harten, unbestechlichen Blick über das Deck wandern und sah, daß sich die Leute sofort an die Arbeit begaben. Die Bootsmannsmaate hoben ihre Knüppel, hektische Geschäftigkeit breitete sich in Windeseile auf der ganzen Fregatte aus. Fox wartete noch einen Augenblick, dann wandte er sich ab und ging nach achtern. Captain Staunton erwartete ihn in seiner Kammer, die sehr elegant eingerichtet war. Viele Bilder hingen an den Wänden, ein Schnapsschränkchen war zum Bersten gefüllt, teures Silber schimmerte und blitzte. Fox betrat die Kammer eines Offiziers, der sichtlich Geld, Beziehungen und glänzende Zukunftsaussichten hatte. „Trinken Sie diesen Sherry, Mr. Fox, und sagen Sie mir, wie er Ihnen schmeckt." Fox war ein guter Weinkenner. „Er ist gut genug, Sir", sagte er, als er getrunken hatte. „Wenn Sie mir meine Offenheit verzeihen wollen - den Sherry haben Sie sicher von einem schurkischen Weinhändler zu Wucherpreisen gekauft, nicht wahr?" „Ich verstehe nicht..." Percy Staunton blinzelte verwirrt. „Ich werde mit den Schiffslieferanten reden. Wenn genug Geld da ist, was zum Fenster hinausgeworfen werden kann, dann haben wir auch Geld, das wir in die Fregatte stecken können. Wir brauchen dringend Farbe, Sir." Fox zählte auf, was alles benötigt wurde, und überschüttete dabei den armen Percy Staunton mit Fachausdrücken, bis dieser mit schwachem Lächeln abwinkte, krampfhaft schluckte und sagte: „Ich überlasse das alles Ihnen, Mr. Fox. Ich bin nämlich nur zur See gegan53
gen, weil mein Onkel es wollte." „Dann werde ich mich jetzt am besten mit den Offizieren besprechen, Sir." Aber davon wollte Percy Staunton nichts wissen. „Das hat doch noch Zeit, Mr. Fox." Fox wollte nicht noch länger im ungewissen sein über die Frage, die ihm am meisten auf der Seele lag. Er ließ sich sein Glas noch einmal nachfüllen, und dann sagte er: „Ich dachte, Sie würden erst nach einigen Wochen zurückkehren, und war sehr überrascht, daß die Furieuse schon nach wenigen Tagen wieder in Port Mahon eingelaufen ist." „Ich will tot umfallen, Mr. Fox, wenn ich wüßte, warum. Ich kann Ihnen nur sagen, daß wir beinahe untergegangen wären. Aber ich begreife das nicht. Ich habe Vormarsstenge und Großmarsstenge verloren, innerhalb von wenigen Augenblicken, irgendwann während der Mittelwache, einfach so! Und da mußten wir nach Port Mahon zurücksegeln, um neue Stengen zu besorgen, Mr. Fox." Er schüttelte den Kopf. „Und dabei hatte ein tüchtiger Mann die Mittelwache. Verdammt merkwürdig." „Es tut mir in der Seele weh, auch nur eine Spiere zu verlieren. Aber es gibt wohl kaum einen Seemann, der noch nie etwas verloren hat. Sogar Admiral Nelson mußte in einem lebenswichtigen Augenblick seine Großmarsstenge einbüßen, sehr zu Bonapartes Vergnügen." „Ah-ganz recht." „Wie sind wir denn besetzt, Sir?" Staunton runzelte ein wenig hilflos die Stirn. „Ich habe sechzig Mann von der alten Pylas mitgebracht, fünfzig weitere, die gerade frei waren, konnte ich dazu anheuern. Dann übernahm ich noch die Leute von der Lancebrook, die bei Cape Dartuch auf Grund gelaufen ist. Der arme Lascelles Knightly hat dabei sein Leben verloren, ist jämmerlich ertrunken. Wirklich zu traurig." Percy Staunton goß noch einmal Sherry ein. „Wenigstens konnten wir die meisten seiner Männer an Bord nehmen." 54
Damit meinte der gute Percy Staunton natürlich nicht, daß er und die Furieuse Knightlys Männer vor dem Ertrinkungstod gerettet hatten, als ihr Schiff auf Grund lief. Wenn man einen Admiral als Onkel hatte, kriegte man natürlich die Männer, die man für eine schöne Fregatte brauchte, auf einfachere Art. Man erhielt die besten Leute, die gerade frei auf dem Markt waren, weil sie aus dem einen oder anderen Grund ihr Schiff verloren hatten. Fox' Stimmung hob sich, als er überlegte, daß er unter diesen Umständen vielleicht kein Preßkommando losschicken mußte. „Das bedeutet, daß wir mit Ihren Leuten jetzt zweihundertsechzig Mann an Bord haben." Fox unterdrückte nur mühsam die stolze Freude, die in ihm aufwallte. Es gab kaum ein Schiff in der Royal Navy, das derzeit so gut bemannt war wie die Furieuse. Zufrieden rieb er sich die Hände, und Staunton, dem diese Geste nicht entging, mißverstand sie in gastfreundlicher Großmut und goß seinem neuen Ersten Offizier einen weiteren Sherry ein. „Zweihundertsechzig", sagte Fox. „Bei Gott, wenn ich die Fu----se nicht zur schönsten, seetüchtigsten Fregatte der ganzen Flotte mache, will ich nicht George Abercrombie Fox heißen." „Darauf wollen wir trinken, Mr. Fox." „Ich nehme an, für die Witwengelder ist bereits gesorgt?" „Natürlich, Mr. Fox. Wenn Sie mit dem Zahlmeister sprechen wollen ..." „Ja, Sir", sagte Fox, dankbar für die Gelegenheit, diese törichte, wenn auch sehr befriedigende Konversation abbrechen zu können. „Ich werde jetzt mit den Offizieren sprechen." Nachdem er noch ein paar Höflichkeitsfloskeln mit Staunton gewechselt hatte, ging er an Deck, um nach den Offizieren zu sehen, die er nun durch Autorität, Strenge und Härte beeindrucken mußte. Hier vor Anker standen keine Offiziere Wache, sondern die Maate übernahmen die Ankerwache. Als Fox an Deck kam, warteten Mr. Carker und Mr. Grey auf dem Achterdeck. 55
Wie leicht wäre es jetzt, die beiden einfach anzulächeln und sie zu bitten, ihm die nötigen Informationen über die Offiziere zu geben! Aber es fiel Fox stets schwer, zu lächeln. Und er hatte seine ureigensten Methoden. „Sie haben ein bißchen Holz verloren, wie ich höre, Mr. Carker." „Aye, Sir." „Waren Sie zu diesem Zeitpunkt an Deck?" „Ja, Sir." „Ich bin überrascht, Mr. Carker." Grey scharrte mit der Schuhspitze über die Decksplanken, und dann sagte er mit seiner glasklaren Stimme: „Ich war auch an Deck, Sir. Es ist einfach passiert... Der Wind ist umgesprungen. Ein paar von den alten Raccoons waren ebenfalls an Deck. Und der wachhabende Offizier war Mr. Haining." „Und was sagte er - von Flüchen abgesehen?" Weder Grey noch Carker lächelten. „Er verstand auch nicht, wieso das passieren konnte, Sir." „Sehr gut. Ich werde jetzt mit den Offizieren sprechen. Der Captain wird in kurzer Zeit an Deck kommen. Und noch etwas, Mr. Carker, Mr. Grey. Wenn Sie die Vormarsstenge und die Großmarsstenge verlieren sollten, solange ich Erster Offizier auf der Furieuse bin, würde ich gern erfahren, wie so etwas geschehen konnte ..." Er verstummte hilflos. Zum Teufel, allmählich wurde er weich wie billige Butter. Aber er konnte nicht anders, und so fügte er mit butterweicher Stimme hinzu: „Ob ich mich allerdings noch einmal so sehr darüber freuen werde, weiß ich nicht." „Aye, aye, Sir", sagte Carker, und Grey echote: „Aye, aye, Sir." Er hatte also recht gehabt, und die verdammten Bastarde wußten, daß er es wußte. Sie hatten das Eigentum der englischen Krone vernichtet, die Marsstengen einer schönen, seetüchtigen Fregatte abgetakelt, nur damit sie wieder Kurs auf Minorca nehmen konnten. Und warum hatten sie das getan? Damit sie bei seinem Kriegsgerichtsprozeß aussagen konnten. 56
Wer wohl am Steuer gestanden haben mochte? Wahrscheinlich Ben Ferris oder Barnabas. Sie konnten die Marssegel blitzschnell backbrassen - im Verein mit den anderen alten Raccoonern -, und dann waren die Marsstengen in wenigen Augenblikken beim Teufel. Meuterei! Das war es gewesen, bei Gott. Meuterei, ihm zuliebe ... Aber - sie waren ja auch seine Männer. Natürlich durfte er sie seine Dankbarkeit nicht zu deutlich spüren lassen, sonst würden bald Gerüchte an Bord entstehen, daß er Favoriten hatte. Dann hätte er als Erster Offizier keinen leichten Stand. Einerseits mußte er ein straffes Regiment führen, andererseits mußte er auch große Feinfühligkeit beweisen. Denn Seeleute, wenn sie auch an Knüppel und Peitsche gewöhnt waren und sogar dem Galgentod furchtlos ins Auge sehen konnten, besaßen vielleicht einen empfindlicheren, ausgeprägteren Gerechtigkeitssinn als die Kerle an Land. Captain Staunton erschien an Deck, erteilte seine Befehle, und nach kurzer Zeit traten alle Offiziere in der großen Achterkajüte an. Noch bevor das erste Wort fiel, spürte Fox die Feindseligkeit, mit der ihm die Männer begegneten, ihren Haß, ihre Verachtung. Das war nichts Neues für ihn. Fox würde schon mit ihnen fertig werden. Mr. Haining, der jetzt 2. Offizier war und für kurze Zeit als Erster fungiert hatte, schüttelte ihm mit kaum verhohlenem Widerwillen die Hand. „Es freut mich, daß Sie an Bord gekommen sind, Sir." Fox ließ sich nicht anmerken, daß er Hainings Lüge durchschaute. Der 2. Offizier war von der Lancebrook gekommen. Er war ein hochgewachsener Mann mit kohlschwarzem Haar und dunklen Augen, die stets unruhig flackerten. Sein linkes Ohrläppchen fehlte, zweifellos aufgrund eines Säbelhiebs. Alle Schiffsoffiziere hatten sich in der Kajüte versammelt Mr. Burlington, der Navigationsoffizier, ein rundlicher Mann 57
mit grauem Haar, Mr. Gyver, der Zahlmeister, Mr. Smythe, der Offizier der Seesoldaten, hager und knochig, sehr förmlich und vielleicht ein bißchen schüchtern. Mr. Morgen, der 3. Offizier, und Mr. Dillon, der 4., vervollständigten die Reihe der Offiziersmesse. Unglücklicherweise gab es keinen Schiffsarzt und glücklicherweise, zumindest nach Fox' Meinung, keinen Kaplan. Staunton setzte sich groß in Szene, als er seinen neuen Ersten Offizier vorstellte, befahl seinem Aufklarer Getränke zu servieren, und benahm sich, als gebe er eine Party. Fox beobachtete seine Offizierskameraden, die ihn nach wie vor mit kalten, feindseligen Blicken musterten, versuchte durch Gespräche und Gesten Einblick in Charaktere zu gewinnen. Staunton zog ihn diskret in eine Ecke. „Wissen Sie, Mr. Fox, mein lieber alter Onkel hat Nelson einen tüchtigen jungen Offizier vor der Nase weggeschnappt und wollte ihn mir als Ersten Offizier geben. Aber ich wollte ihn nicht, du lieber Gott, nein! Joshua kann ihn haben, habe ich gesagt. Und so ist der Platz für Sie frei gewesen." Staunton kicherte und trank, und sein Adamsapfel tanzte. Er sah ein wenig gewöhnlich aus - verschwitzt, mit rotem Gesicht und Glotzaugen. Das Raffinement seiner Gesellschaftsklasse ging ihm völlig ab. „Ich habe meinem Onkel erzählt, daß ich bereits einen Ersten gefunden habe, der mir gefällt. Und ich muß sagen, Mr. Fox, er hat mich deswegen ziemlich heruntergeputzt." Als hätte der Wind sich unerwartet gedreht und eine Nebelbank zerteilt, sah Fox plötzlich eine Seite von Stauntons Charakter, die er zuvor nur undeutlich wahrgenommen hatte - damals, als er mit dem Hohlkopf in dem Beiboot gesprochen hatte, das sie nach Minorca brachte. Percy Staunton war also tatsächlich dazu fähig, das Mißfallen seines Onkels zu riskieren, von dessen Protektion er abhängig war. Und doch erriet Fox, daß Staunton ihn nicht nur aus einer Laune heraus zum Ersten Offizier erwählt hatte, um seinem Onkel eigenen Willen zu beweisen. Er ahnte, daß Staunton sich sehr genau nach ihm er58
kundigt und ausreichende Informationen eingeholt hatte. Wieder einmal glaubte er fast körperlich zu spüren, wie mächtig und rücksichtslos die Mühlsteine der Navy mahlten, ohne daß er etwas davon sah oder etwas dagegen tun konnte. Dieser Gedanke brachte ihn in Wut. Immer hatte er allein gestanden, nie hatte er Beziehungen gehabt, die seiner Karriere förderlich gewesen wären - mit Ausnahme seiner Bekanntschaft mit Captain Cuthbert Rowlands. Und als ihm das Schicksal zum erstenmal gnädig schien, als er beinahe in eine einflußreiche Familie eingeheiratet hätte - die Erinnerung an die liebe, arme fette Sophie kam plötzlich über ihn wie eine warme Dusche -, hatte er sich kopfüber in jene Schwierigkeiten gestürzt, die heute morgen vor dem Kriegsgericht geendet hatten. „Das war sehr nett von Ihnen, Sir", sagte er förmlich. Eins war klar: er würde Percy Staunton anders behandeln müssen als seine früheren Captains. Dieser Mann war kein zweiter Mortlock, und glücklicherweise war er auch kein zweiter Sanders. Endlich lag die Zukunft wieder hell und strahlend vor ihm. Wenn er jetzt nicht nach einem erfolgreichen Manöver und einem gewinnbringenden Raid zum Captain befördert wurde, hieß er nicht George Abercrombie Fox. 7. Wenn die Admiralität verrückt genug war, einem Schwachkopf wie Percy Staunton das Kommando einer so kostbaren und fragilen Fregatte wie der Furieuse zu übergeben, so waren sie doch wenigstens auch schlau genug, dafür zu sorgen, daß die Besatzung aus rauhen alten Seebären bestand, die ihr Handwerk verstanden. Mr. Burlington, der Navigationsoffizier, fand Fox' ungeteilte Zustimmung. Mr. Sneyd, der Oberbootsmann, bereitete ihm ein wenig Sorgen, da er die Fregatte in keinem zufriedenstellenden Zustand vorgefunden hatte. Irgend etwas stimmte nicht an 59
Bord der Furieuse, aber er würde bald herausfinden, was das war, und dann würden die Köpfe rollen. Den Gedanken an eine Beförderung Barnabas' schlug er sich aus dem Kopf, denn Barnabas würde das bleiben wollen, was er war - Seemann. Der Stückmeister und der Zimmermann machten einen soliden, verläßlichen Eindruck. Mr. Jones und Mr. O'Hara hatten schon so lange auf Kriegsschiffen gedient, daß ihre Zehen beinahe mit den Decksplanken verwachsen schienen. Die anderen Deck- und Unteroffiziere schienen auch in Ordnung zu sein. Aber irgend etwas war faul auf dieser Fregatte, und Fox wußte, daß dies nicht nur an der Unfähigkeit des Captains lag. Es gab viele Schiffe, die von noch viel schlimmeren Kommandanten als Staunton befehligt wurden. Vermutlich trug Haining die Hauptschuld an dem Schlendrian, der auf der Furieuse herrschte. Vielleicht hatte er ganz einfach nicht die Begabung, einem Schiff Leben einzuhauchen, es aus einer Masse aus Holz und Eisen und Segeltuch und Männern in ein Meereswesen voll Kühnheit und Kampfgeist zu verwandeln. Fox wußte, daß er diese Begabung besaß, und er wußte sie auch einzusetzen. Er würde den Haß, den die Leute gegen ihn empfanden, in Furcht und Respekt umwandeln. Mehr wollte er nicht. Er mochte die Männer nicht, und es lag ihm auch nichts daran, ob sie ihn mochten oder nicht. Er war kein Nelson. Er wollte nur, daß die Leute ihre Befehle ausführten, und zwar gut und vor allem schnell. Staunton schenkte ihm gleich von Anfang an sein volles Vertrauen. Fox nahm an, daß es kaum in der Natur seines Captains gelegen hätte, ihm anders als offen und ehrlich zu begegnen. Aber Fox hatte noch nie einem Adeligen getraut, nicht einmal dem alten Lord Kintlesham, und er hegte auch nicht die Absicht, jetzt damit zu beginnen. Die Furieuse wartete nur auf die Order, um ihre nächste Kreuzfahrt anzutreten. Staunton wußte nicht mehr darüber, als daß er genauso versessen auf Prisengeld war wie Fox. Prisengeld! 60
Es war merkwürdig, aber Fox erkannte, daß seine Hoffnungen sich jetzt nicht mehr nur um bloßes Prisengeld drehten. Natürlich bedauerte er den Verlust der Princessa Cristina Maria. Seine Raccoons hatten angedeutet, daß einer von Stauntons Leuten die Schuld am Brand des spanischen Dreideckers trage. Das würde zu der Meinung passen, die sich Fox bereits über einen Teil der Besatzung gebildet hatte. Was das Geld betraf - er wollte Geld verdienen, soviel er nur konnte, um es seiner Familie zu schicken. Denn diese Verantwortung gehörte zu seinem Leben wie der Wind und der Geruch des Meeres. Jetzt regten sich jedoch auch noch andere Gefühle in ihm. Er hatte immer geglaubt, man würde ihn nie zum Captain befördern, wenn er auch oft von solch hohem Ruhm geträumt hatte. Aber jetzt war er Erster Offizier einer Fregatte, die von einem jungen Mann mit den besten Beziehungen befehligt wurde. Normalerweise wäre das bedeutungslos gewesen, denn Staunton konnte größere und bessere Kommandos erhalten und auf dem Weg seiner Karriere einen ganzen Schwanz von enttäuschten Ersten Offizieren zurücklassen. Aber das würde er Fox nicht antun. Bei Gott nicht! Je schneller sie in See gingen, je rascher sie sich in die Schlacht stürzten, die ihm die Beförderung einbringen würde, desto besser. Natürlich glaubte er nicht wirklich daran. Nur einmal hatte er diesbezügliche Hoffnungen gehegt - als die süße, fette Sophie in seinen Armen gelegen und ihn Darling Foxey genannt, als ihr Vater vom Titel eines Earls gesprochen hatte. Damals hatte er geglaubt, er sei auf dem besten Weg dazu, Karriere zu machen. Aber diesmal würde er nur ganz einfach dafür sorgen, daß man ihm keinen faulen Streich spielte. Es tat gut, mit einer Geldbörse an Land zu gehen, die Münzen dort klingeln zu lassen, wo sie den größten Gewinn versprachen. Kein Mensch wäre auf die Idee verfallen, das Bestechung oder Korruption zu nennen. Auf diese Weise vereinfachte man 61
nur ein wenig die Geschäfte. Wie jeder sparsame Ladenbesitzer, so trennte sich auch ein Werftbesitzer nur ungern von seinen Waren, die die Schiffe des Königs benötigten, um in den Krieg zu segeln. Aber im Ernstfall war Fox durchaus bereit, mit einer Bande Desperados die Werftmauern zu stürmen und sich zu holen, was er brauchte. Als Erster Offizier einer hübschen 36-Kanonen-Fregatte konnte er ein schiffseigenes Boot nehmen, während minderwertigere Sterbliche sich ein Bumboot an Land mieten mußten. Er ging in die Stadt hinauf, mit sich und der Welt zufrieden wie selten zuvor. Ein Wermutstropfen im Becher seiner Freude war allerdings die Tatsache, daß er Grey und Carker als unmittelbare Untergebene verlor. Es gab eine ganze Menge Midshipmen an Bord der Furieuse und ebenso eine umfangreiche Crew von Bootsleuten. Carker und Grey waren nur zwei unter vielen. Seltsam, daß dieser Gedanke einen Schatten auf sein Glück warf. Er fluchte und steuerte eine Bodega an. Später genoß er den leichten Wein, starrte auf die Brüste und Fußknöchel der Mädchen und lehnte sich in seinem Stuhl zurück, von tiefer Zufriedenheit erfüllt. Grünpflanzen warfen angenehme Schatten auf die Terrasse. Während er trank, dachte er an die Zukunft, die hell und schön vor ihm lag. Percy Staunton hatte ihn zu einer Party in der Villa Don Salvator Hernandos eingeladen, wo sich die besten Spieler von Port Mahon einfinden würden. Gutes Essen, guter Wein, Frauen und Spielkarten, die durch seine geschickten Hände glitten -das war die Art von Leben, wie Fox es schätzte. Und danach würde er zu einer Kreuzfahrt aufbrechen, die Decksplanken einer schönen 36-Kanonen-Fregatte unter seinen Füßen. Wie schön konnte doch das Leben sein. Auch wenn sie zum Konvoidienst abbeordert wurden - ein Schicksal, das nach Fox' Meinung einen Admiralsneffen kaum treffen konnte, so würde er doch irgendwie eine spektakuläre Aktion herbeiführen. Das fühlte er. Diesmal strebte er höhere Ziele an, die jenseits von bloßen Prisengeld lagen. 62
Ein Hut! Ja, verdammt, er brauchte einen neuen Hut. Die Schneider der Navy würden sicher glücklich sein, ihm einen schönen, neuen Hut verkaufen zu dürfen. Der Wein ließ die Umwelt in noch rosigerem Licht erscheinen, als George Abercrombie Fox davonschlenderte, um sich einen brandneuen Hut zu kaufen - einen schön geformten Hut mit schimmernder, neuer schwarzer Kokarde, einen Hut, der sogar auf einen Admiralskopf passen könnte, mit Goldborten verziert. Die Transaktion erlebte er wie in verschwimmenden Dunstschleiern. Er gab noch etwas mehr von seinem Gold aus. Ob es sein eigenes oder Stauntons Gold war, wußte er zu diesem Zeitpunkt nicht mehr genau. Er stülpte sich den neuen Hut auf den Kopf. Er war ein bißchen hart. Fox klemmte sich seine alte Karikatur von Hut unter den Arm und ging aus dem Geschäft, ein Ladendiener hielt ihm mit einer tiefen Verbeugung die Tür auf. Das Kaffeehaus reizte ihn nicht. Er ging zum Hafen zurück und spürte das feierliche Gewicht seines neuen Huts. Jetzt hatte er noch tiefer in den Goldsack gegriffen, in dem auch noch die Anteile seiner Männer steckten, das Gold, das sie zusammen erbeutet hätten, von dessen Existenz sie nichts wußten. Denn sie mußten glauben, daß alles mit der alten Maria untergegangen war. Natürlich war es illegal, daß er das Gold behalten hatte. Doch jetzt war es zu spät, davon noch zu sprechen. Es hatte zu der Beute gehört - aber es stammte aus dem Erlös der Wertgegenstände, die auf dem Oberdeck verstreut gelegen hatten. Und es gehörte zum unsterblichen Recht jedes kämpfenden Seemanns, sich dergleichen anzueignen. Als er stolz seinen neuen Hut spazierenführte, fiel ihm ein, Angelique Labiche zu besuchen. Er hatte ihren Adelsnamen herausgefunden, den sie trug, der französischen Revolution zum Trotz, weil der Titel „Bürgerin" in ihren Ohren verächtlich klang. Madame la Comtessa d'Arachon - so hieß Angelique Labiche wirklich. Das heißt, so hatte sie früher geheißen. Schwankend ging er durch den Sonnenschein. Verdammt, 63
wenn man etwas zu trinken kriegte, mußte man auch trinken. Er würde Angelique besuchen - Angelique, die Hure. Vielleicht lud sie ihn zum Dinner ein, stellte eine neue Flasche vor ihn auf den Tisch. Vielleicht fielen sie dann miteinander auf das breite Bett mit den weißen Seidentüchern, die nach Lavendel dufteten und im diskreten Kerzenlicht schimmerten. Niemals würde er jene Nacht in der großen, kalten Kammer der alten Maria vergessen. Eine zauberhafte Frau, die Angelique ... Diese verdammten neuen Hosen waren wirklich verflucht eng. Viel lieber hätte er seine alten, bequemen Hosen getragen. Aber der neue Hut und die neuen Hosen paßten zusammen. Und sein neuer Uniformrock! Wenn er erst einmal Ruhm erlangt hatte, würde er sich ein Dutzend Röcke kaufen, und jeder würde seine großen, schweren, glänzenden, goldenen Epauletten sehen. Ja, verdammt, das würde er tun! George Abercrombie Fox blieb stehen, als ihm ein Eisengitter den Weg versperrte. Diese verdammten Eisenstäbe! Ungeduldig rüttelte er daran. Der Anblick des Gitters drang deutlich genug in sein Bewußtsein, um ihm zu sagen, daß er nicht betrunken war. Er war glücklich. Der Sonnenschein, die Atmosphäre an Land, der Lärm, die Gerüche - all das beglückte ihn. Und dazu noch der Wein, dem er nicht gerade bescheiden zugesprochen hatte. Aber er war nicht betrunken, nur fröhlich - das war alles. Und er war gerade in der rechten Stimmung zu einem kleinen Nahkampf mit Angelique. Das mußte er ihr unbedingt sagen. Er stieß mit einiger Anstrengung das eiserne Gittertor auf. Eine Auffahrt lud ihn ein, von Bäumen gesäumt, ziemlich kurz, aber geschwungen, so daß die Villa der reichen royalistischen Familie außerhalb seines Blickfeldes am anderen Ende lag. Fox marschierte weiter, den verbeulten alten Hut unter dem Arm, der Säbel baumelte an seiner linken Hüfte. Er roch den Duft der Blumen und Büsche, fremdartiger Mittelmeergewächse, üppig und exotisch und farbenreicher als das vertraute 64
Gebüsch am Themseufer seiner Kindheit. Ein Mann trat,dicht vor ihm zwischen den Büschen hervor. Fox starrte ihn verwirrt an und blieb stehen. Ein Kriegsschiffmatrose - das war deutlich an der blauen Jacke, an den rotgestreiften Hosen, am rotweißen Tuch um den Kopf und an dem kurzen Zopf zu erkennen. Der Mann hatte eine flachgedrückte Nase und war ziemlich groß. Er überragte Fox um mindestens sechs Zoll. Fox maß ihn mit einem kurzen Blick, schätzte, daß er mit ihm fertig werden konnte, falls dies nötig sein sollte, und marschierte weiter. Er erwartete, daß der Kerl nun beiseite treten und ehrfurchtsvoll an die Schläfe tippen würde. Aber nein, der Bastard blieb stur stehen. Fox hielt ein zweites Mal an und blinzelte erstaunt. Hinter sich hörte er Schritte im Kies scharren und drehte sich halb um. Plötzlich klammerten sich Arme wie sechs Zoll dicke Kabeltaue um seine Mitte, preßten ihm seine Ellbogen gegen die Rippen, ein zweites Paar von Armen preßte sich um seinen Hals. Aber die Überraschung lähmte Fox nur für einen trunkenen Augenblick. Er schnappte nach Luft, der Seemann sprang vor und hieb ihm die Faust in den Magen. Fox krümmte sich zusammen, brachte ein Knie hoch und wollte zustoßen. Aber der Mann mit dem häßlichen, flachnasigen Gesicht wich aus und schlug ihm eins über den Schädel. Eine Stimme dröhnte, hart, selbstbewußt, kräftig. Die Stimme eines Offiziers der Royal Navy, die es gewohnt war, Befehle zu erteilen. „Schlagt diesen Bastard nicht bewußtlos! Er soll spüren, wie ihm alle Knochen weh tun !" Fox schüttelte den Kopf, und das irritierende Klingeln in seinen Schläfen verstummte. Er drehte sich, bückte sich, und dann richtete er sich auf, indem er Brustkorb, Schultern und Arme straffte. Der Griff der Arme, die ihn festhielten, lockerte sich, und im selben Augenblick vollführte Fox eine blitzschnelle Wendung und trat zu. Er wußte genau, wohin er treten mußte. Der erste Mann, der ihn umklammert hatte, brüllte auf und 65
taumelte mit grünem Gesicht zurück. Wieder griff Fox an, aber da warf sich ein vierter Mann auf ihn, und Fox fiel auf den Rücken. Sein neuer Hut flog vom Kopf und rollte davon. Er rappelte sich auf, seine Fäuste schlugen nach allen Seiten, er trat mit beiden Beinen um sich. Viele seiner Hiebe und Fußtritte fanden ein Ziel. Aber dann stürzten sich mindestens acht Gegner auf ihn. Sein Hinterkopf schlug auf den Boden. Er sah ein seltsam verzerrtes Bild von behosten Beinen, die sich rings um ihn tummelten, von Schuhen, die seinen neuen Hut zertrampelten. Als er sich um die eigene Achse rollte, traf eine Schuhspitze seine Rippen, er wollte sich aufbäumen, aber eine Faust streckte ihn wieder zu Boden. Über sich sah er den Himmel, klar und blau - und das Gesicht Captain Lemuel Stones, der sich über ihn beugte. „Ich werde Sie nicht töten lassen, Fox, Sie dreckiger Bastard! Aber meine Leute werden Sie ein wenig zerzausen!" „Dafür wirst du büßen, du Speichellecker!" brachte Fox mühsam über seine zerschundenen Lippen. „Los, gebt es ihm!" Eine Faust traf seine Nase. „Man wird Sie entlassen ..." Ein Fausthieb traf seine Lippen und ließ ihn verstummen. „O nein, Fox, man wird mich nicht entlassen. Niemand wird erfahren, was hier passiert ist. Es gibt keine Zeugen. In diesem Augenblick sitze ich ganz unschuldig an Bord der Lynx. Wer immer Sie zusammengeschlagen hat, Sie mieser kleiner Emporkömmling, Sie stinkender Haufen Abfall - ich kann es niemals gewesen sein." Fox stieß einen erstickten Fluch aus. „Ich werde Sie schon lehren, wer Ihnen überlegen ist, Fox. Ich werde Ihnen zeigen, wo Ihr Platz ist. Es wird Ihnen noch leid tun, daß Sie sich gegen mich und Captain Sanders gestellt haben. O ja, Fox, das wird Ihnen noch höllisch leid tun!" Aber da irrte sich Stone. Es tat Fox nur leid, daß er diesen 66
Speichellecker nicht über Bord geworfen hatte, als sich ihm die Gelegenheit dazu bot. Aber wenn er noch einmal eine Möglichkeit dazu haben sollte - er würde nicht mehr zögern. Sie zogen ihn auf die Beine, preßten ihm die Arme an den Brustkorb, und der Mann mit der Flachnase fuhr fort, seinen Magen zu bearbeiten. Fox sah die glasigen Augen des Kerls, seine Zunge, die immer wieder über die Lippen leckte, als bereitete ihm jeder Hieb, den er austeilte, ein geradezu wollüstiges Vergnügen. Fox hatte das Gefühl, als gehörten seine Eingeweide nicht mehr zu ihm. Ein Gedanke flackerte durch sein halbbetäubtes Gehirn. Wenn er Barnabas oder Josephs oder Ben oder Wilson befehlen würde, Lemuel Stone zu verprügeln - sie würden es mit der gleichen inbrünstigen Freude tun wie dieser flachnasige Bursche. So war der Lauf der grausamen Welt. Seine Knie wurden weich, allmählich schlossen sich schwarze Nebelschwaden um ihn. Aber sie waren schlau genug, ihn nicht ganz bewußtlos zu schlagen. Stone wollte, daß er litt, und bei Gott, er litt... Zum Schluß beugte sich Stone erneut über ihn, hob eines von Fox' Lidern an. Fox sah deutlich das höhnische Gesicht vor sich. „Daran wirst du lange denken, du Hurensohn!" Lemuel Stone schlug ihm die Faust in den Magen, und da erlosch das Sonnenlicht endgültig. 8. Zwei Tage später leuchtete seine Leibgegend noch immer in allen Farben. Im Gesicht sah man keine Kampfspuren mehr, denn Stones Schläger hatten sich bemüht, Fox' sichtbare Körperstellen nicht anzugreifen. Außerdem hätte es mehr als einer bloßen Männerfaust bedurft, um in Fox' narbigem, verwitterten Gesicht erkennbare Spuren zu hinterlassen. Sein Körper würde sich also von den Schlägen erholen. Und sein Geist - nun, der war hinlänglich an die Ungerechtigkeiten dieser Welt gewöhnt. 67
Aber Gott helfe Stone, wenn er ihm noch einmal unter anderen Umständen begegnete! An Bord der Furieuse gingen diverse Veränderungen vor sich. Eines Tages begannen plötzlich auf dem Kanonendeck Schüsseln, Teller und Becher ohrenbetäubend zu klirren, und Percy Staunton stürzte aus seiner Kajüte, die Pistole in der Faust, das Haar zerzaust, um die vermeintlichen Meuterer zu bekämpfen. Aber Fox beruhigte ihn. „Wir werden schon noch erfahren, was da los ist, Sir. Der Schiffsprofoß wird uns informieren. Die Backsältesten haben entdeckt, daß einer aus ihrer Mitte lange Finger oder sich sonst in irgendeiner Weise unehrenhaft benommen hat, und da haben sie über ihn zu Gericht gesessen. Kümmern Sie sich nicht darum, Sir. Die Männer sind selbst ihre besten Richter, wenn es nötig ist." „Sehr gut, Mr. Fox. Wenn Sie es sagen ... Wirklich, ich bin sehr zufrieden mit Ihren Methoden. Auf der Stelle will ich tot umfallen, wenn Sie die Furieuse nicht noch zu einem Schiff machen, wie ich es mir erträumt habe." Er warf Fox einen scharfen Blick zu. „Haben Sie Schmerzen? Sie stöhnen ja! Hoffentlich ist es nichts Ernstes. Immer noch die alte Wunde?" „Ja", erwiderte Fox und nahm die Hand von der kleinen Schwellung an seinem Bauch. „Aber es ist nichts Ernstes, Sir, das kann ich Ihnen versichern, sosehr ich auch Ihre Fürsorge schätze." Staunton schlenderte davon, die Pistole noch immer in der Hand, als habe er sie vergessen. Und Fox wandte sich einer angenehmeren Beschäftigung zu als der sinnlosen Konversation mit seinem Captain. Heute morgen hatte er ein versiegeltes Päckchen Briefe erhalten, direkt aus Gibraltar. Endlich! Leider enthielt das Päckchen nicht nur gute Nachrichten. Aber immerhin schrieb Susanne, daß es der Mutter gut ginge, daß sie noch immer darauf bestand, viel mehr zu arbeiten, als sie sollte, daß die jüngeren Mädchen sich ordentlich benahmen. 68
Allerdings hegte Charlotte den „verrückten Ehrgeiz", wie Susanne sich ausdrückte, Schauspielerin zu werden. Archie schrieb nicht. Aber Susanne versicherte, daß er noch immer davon träume, König Georg zu erschießen und das ganze verderbte System auf den Kopf zu stellen. Fox schnitt diesen Teil des Briefes sorgfältig heraus. Ärgerlicherweise standen auf der anderen Seite an eben dieser Stelle Neuigkeiten über Bert und Captain Rupert Colburn. Aber er konnte es nicht riskieren, daß bei seinen Sachen ein Brief gefunden wurde, der rebellische Gedanken in seiner Familie verriet. Susanne hätte das eigentlich besser wissen müssen. Fox las weiter und hielt den Atem an. Die Ernte in diesem Jahr l799 sei katastrophal, schrieb seine Schwester. Wenn sie so schlecht war wie 1795 und 1796, würden magere Zeiten anbrechen. 1795 hatte ein Laib Brot schon über neuneinhalb Penny gekostet, und 1796 war der Preis noch angestiegen. 1797 und 1798 war er dann zurückgegangen, auf etwa sieben Penny. Was nun jetzt oder im Jahr 1800 passieren würde, mochte Gott allein wissen. Vielleicht stieg der Brotpreis über einen Shilling - ein Gedanke, der Fox mit Schrecken erfüllte. Es wurde zwar immer mehr Land für die Landwirtschaft erschlossen, aber der Boden war schlecht. Niemand hätte auch nur einen Gedanken daran verschwendet, wenn sich England nicht im Kriegszustand befunden hätte. Ein Brief von Godwin, der ihm seit den Tagen an Bord der Duchess über die Meere gefolgt war, enthielt die traurige Nachricht, daß Mary gestorben war. Sie hatte eine Tochter hinterlassen, und Fox nahm sich vor, Godwin zu besuchen, sobald er wieder einen Fuß auf englischen Boden setzen würde. Er dachte an die guten alten Zeiten, als sie miteinander über die Berechtigung von Gewalt gestritten hatten. Damals hatte er die Ansicht vertreten, Gewalt sei das einzig taugliche Kriegsmittel. Inzwischen hatte er sich längst zur Gewaltlosigkeit bekannt. -Aber was nutzte ihm das? Er mußte gegen einen verrückten Korsen kämpfen, im Dienst eines Königs, dessen Bruder seinen 69
rechten Arm geben würde, ihn vom Thron zu stürzen. Aber so war eben das Leben. Fox rieb sich fluchend die noch immer schmerzenden Rippen und sah dann nach, was Parsons mit seinem neuen Hut angestellt hatte. Parsons sah erschrokken auf, als Fox in seine abgeschirmte Kammer neben der Kadettenmesse stürmte. „He, Parsons, hast du ein schlechtes Gewissen? Was war das eigentlich für ein Lärm ?" Parsons wußte das sicher noch früher als der Schiffsprofoß. „Hat ein Backsgast seine Finger an der falschen Stelle gehabt?" „Nein, Sir, Verzeihung, Sir." Parsons sah ziemlich irritiert aus. Er hielt Fox' neuen Hut in der Hand, und Fox brauchte nur einen Blick darauf zu werfen, um zu erkennen, daß man den Hut keineswegs mehr als neu bezeichnen konnte. Er sah sogar noch schlimmer aus als der alte. Aber das schien nicht der einzige Grund für Parsons Nervosität zu sein. „Heraus mit der Sprache!" „Es war der junge Ben Ferris, Sir!" Und dann sprudelte die ganze Geschichte über Parsons Lippen. Einer der Männer von der Lancebrook, ein Vollmatrose, der es also hätte besser wissen sollen, hatte sich über den neuen Ersten Offizier den Mund zerrissen. Er hatte ziemlich übel von ihm geredet. Hier schluckte Parsons, seine Blicke schweiften ab, die Verwirrung auf seinem Gesicht wandelte sich in tiefen Kummer. Der Mann hatte behauptet, daß Fox der niederträchtigste Bastard in der ganzen Navy sei. „Das bin ich auch, Parsons. Reden Sie weiter!" Parsons schluckte und stotterte: „Und da hat Ben ihn niedergeschlagen, und er fiel mitten in den Geschirrkorb." „Hat Ben ihn noch getreten, als er hingefallen war?" „Nein, Sir..." „Idiot." „Aye, aye, Sir." 70
„Also - und warum der Lärm?" „Die anderen wollten sich auf Ben stürzen, aber da griffen Barnabas und Josephs ein, und dann war der Teufel los. Schließlich erschien der Schiffsprofoß, und wir entschieden, ein Kombüsengericht abzuhalten." „Kluge Burschen ... Wir, Parsons? Wir?" Parsons hatte wenigstens soviel Anstand, den Blick zu senken, „Nun, Sir, Verzeihen Sie. Aber da traf ich in der Kleiderkammer einen Kerl, der so allerhand sagte, und da schlug ich ihn nieder. Verzeihung, Sir." Fox starrte seinen Aufklarer an. O Gott, wie weit war es mit der Navy gekommen! Zuerst rissen seine eigenen Offiziere die Marsstengen aus einer königlichen Fregatte, und jetzt prügelten sich seine Leute auch noch auf den Zwischendecks herum. Offiziell konnte er nichts dagegen tun - und er wollte auch gar nichts tun. Aber . . . „Recht so, Parsons. Aber das hatte ich vergessen. Wir waren ja alle einmal Raccoons. Doch die Zeiten haben sich geändert. Hier gibt es keine Lancebrooks mehr, keine Pylases oder Raccoons. Wir sind alle Furieuses. Das kannst du Ben ruhig erzählen, und du schreibst es dir auch hinter die Ohren. Wir alle sind Furieuses." Er verzog das häßliche Gesicht zu einer furchterregenden Grimasse. „Und nun verschwinde, du schwacher Abklatsch eines Hohlkopfs! Und laß dieses Ding hier, das wie ein vergammelter Hut aussieht." „Aye, aye, Sir", stammelte Parsons, und bevor er hinausrannte, hörte Fox noch, wie er einen Fluch zwischen den Zähnen zerdrückte. Ja, sie waren alle Furieuses. Daran mußte auch Fox sich erst gewöhnen. Er warf seinen Hut in die Koje. Dieses Mistding! Da hatte er sich einen neuen Hut gekauft, ihn mit stolzgeschwellter Brust getragen. Und dann war er auf miese Art verdroschen worden. Jetzt blieb ihm nichts anderes übrig, als wieder zu seinem alten Hut mit dem Säbelschnitt zurückzukehren. Nachdem Stone ihn bewußtlos geschlagen hatte, mußten ihn 71
seine Leute in ein Gebüsch geschleift haben. Als er wieder zu sich gekommen war, hatte er sogar aufstehen und gehen können. Stone hatte recht. Niemand würde Fox glauben, wenn er diese unglaubliche Geschichte erzählte. Zwar war es üblich, daß die reichen Adeligen ihre Feinde von gedungenen Schlägern verprügeln ließen, aber man würde niemals glauben, daß der Captain eines königlichen Schiffes den simplen Lieutenant Fox hatte niederschlagen lassen. Und wenn man es glaubte, würde man nichts unternehmen. „Man" - das waren die Burschen mit den Goldepauletten auf den Schultern, mit den vielen Goldkinkerlitzchen an Uniform und Hut. Immerhin - auch Percy Staunton, Lieblingsneffe von Admiral Staunton und Lord Smithgates Sohn, gehörte zu diesen adeligen Scheißkerlen. Aber Fox war weit davon entfernt, ihm die Pest an den Hals zu wünschen - wie all den anderen. Derselbe Percy Staunton kletterte abends mit strahlendem Gesicht in das Heck seiner Gig und nahm neben Fox Platz. Fox hatte keine Erlaubnis erhalten, die Nacht an Land zu verbringen, und so würde er an Bord zurückkehren, bevor der Morgen graute. George Abercrombie Fox hatte bereits feste Vorstellungen, wie er die nächtlichen Stunden verbringen würde, und dabei stand die üppige Rosaria nicht an letzter Stelle. O ja, er würde eine explodierende Nacht verlebt haben, wenn er sich im ersten Dämmerlicht an Bord eines Bumboots hievte. Staunton sah in seiner Feiertagsuniform mit den blitzenden Epauletten sehr eindrucksvoll aus. Die Goldlitzen verbreiteten jenen Glanz, der von höchster Qualität zeugte. Sein fröhliches Gesicht mit den Glotzaugen, dem fliehenden Kinn und den Segelohren zu beiden Seiten glühte in erwartungsvoller Vorfreude. Fox fragte sich, ob sein Captain ein guter Kartenspieler war, ob er die Nerven besaß, die zu einem erfolgreichen Spieler gehörten. Aber vielleicht war er auch nur ein Bluffer. „Verdammt will ich sein, wenn das nicht ein wunderschöner Abend ist, Mr. Fox." „Ja, Sir, der Abend ist in der Tat sehr schön." 72
„Ich habe gehört, daß die Signorinas hier verteufelt hübsch sind." „Da haben Sie richtig gehört, Sir." Die Gig glitt über die sanft gekräuselte Wasserfläche, der Ankerplatz zog vorbei. Von den grünen Hügeln der Nordküste trug der Wind die Düfte der Mittelmeerflora heran. Die Bootsgasten trugen makellose blaue, weißgesäumte Jacken und rote Hosen. Ihre Stohhüte schimmerten, nachdem sie sichtlich lange mit den Ellbogen poliert worden waren. Fox musterte die Leute stirnrunzelnd. Sie waren alle Pylases - oder Ex-Pylases, fügte er in Gedanken hinzu, als er sich an die Instruktionen erinnerte, die er Parsons erteilt hatte. Schienen tüchtige Leute zu sein. Lieutenant Greaves, der Erste Offizier der Pylas, der im Feuer der alten Maria ums Leben gekommen war, mußte unverhältnismäßig viel Zeit für die Bootsbesatzung seines Captains verschwendet haben. Auf diese Weise hatte er sowohl beim Captain als auch bei dessen Onkel, dem Admiral, Eindruck schinden können, wie Fox überlegte. Fox hatte sich nie viel um die Bootsbesatzung gekümmert. Das hatte er Macey, dem Bootssteuerer, überlassen. Aber jetzt beobachtete er mit scharfem Blick den Schlagmann Lestock, denn von dessen Ruderschlag hing es ab, wie rhythmisch sich die anderen bewegten. Lestock, ein Mann mit breiter Brust und fettigen Haaren, legte sich mit aller Kraft in die Riemen. Na, Fox hätte vieles darum gegeben, Josephs an diesem Platz zu sehen - oder sogar den großen, dummen alten Affleck. Als sie die Stufen des Landeplatzes erreichten, erhob sich Staunton, um als erster aus dem Boot zu steigen, wie es ihm gebührte. Sein Säbel bereitete ihm einige Schwierigkeiten, als dessen Spitze den Schenkel des einen und das Schienbein des anderen Beins inspizieren wollte. Fox gab seinem Captain einen kräftigen Stoß, und Percy Staunton stolperte die Steinstufen hoch. Mit Mühe bewahrte er das Gleichgewicht, hielt seinen Hut fest und wirbelte mit gezücktem Säbel herum. Aber da hielt Fox schon seinen Arm fest. 73
„Alles in Ordnung, Sir", sagte er und kam sich vor wie eine Kinderfrau, die einen stinkenden Babyhintern abwischt. Der Säbel war mit Juwelen üppig geschmückt, klein und zierlich, mit dünner Klinge. Der Griff war wie eine griechische Amphore geformt. Zu Fox' Befriedigung war er genauso altmodisch wie sein eigener, den ihm Lord Kintlesham geschenkt hatte. Die neuen modischen Säbel, wie dieser eiskalte, arrogante Aiken einen trug, waren dicker, schwerer - und brutaler, was Fox als ein Ergebnis des fortschreitenden Krieges verstand. Don Salvator begrüßte sie mit offenen Armen. Es irritierte ihn genausowenig wie Fox, die ranghöchsten Offiziere ein und derselben Fregatte gleichzeitig an Land zu sehen. Denn wenn inzwischen irgend etwas Faules an Bord der Furieuse passierte, würde Fox die Verantwortlichen in kleine Stücke hacken. Staunton girrte und gurrte, die Damen stiegen die Treppe hinunter, und Fox schaute sich nach einer Flasche Wein und lukullischen Freuden um. In absehbarer Zeit würde er den guten Percy wieder an Bord der Furieuse verfrachten. Sollte sich der Captain ruhig einen andudeln, seine Kartenspiele und kleinen Flirts genießen. Fox wußte nicht, ob Staunton schon einmal ein Mädchen gehabt hatte. Er sah noch ziemlich unreif aus. Aber das war nicht Fox' Problem. Percy mußte heute nacht wieder auf die Furieuse zurückkehren, und Fox würde dafür sorgen, daß er sicher an Bord kam. Er begriff sehr gut, daß dies zu den Pflichten eines Ersten Offiziers gehörte, der sich um das Wohl eines Admiralsneffen zu kümmern hatte. Fox blickte sich zufrieden um. Zarter Kerzenschimmer, zarte Frauenschultern, zartes Fleisch auf der üppig gedeckten Tafel, elegante Möbel, weichfallende Vorhänge, die kleine, für private Freuden bestimmte Alkoven abtrennten. Immer, wenn Fox solch traumhaften Luxus sah, wurde er an das Leben erinnert, wie es wirklich sein konnte - draußen auf hoher See. Brüllender Wind, grüne Wellenberge, zerfetzte Segel, Männer, die hilflos über Bord stürzten ... 74
Aber vielleicht war er Don Salvator gegenüber undankbar. Captain Cloughton ging durch den Raum, in dem sich die Gäste drängten. Er hatte ein Weinglas bei sich, das er unterwegs leerte. Automatisch nahm Fox ein neues Glas von Alfredos Tablett und hielt es Black Dick entgegen. „Blitzschnell wie immer, Fox, Sie junger Spund!" Cloughton trank, sein Bauch wölbte sich vor, sein schwitzendes Gesicht wurde noch röter. Aber er hatte Fox das Leben gerettet, und das allein zählte. Cloughton rollte seine verquollenen Augen zu Percy Staunton hinüber. „Jawohl, Sir", sagte Fox. „Soll ich Sie Mr. Staunton vorstellen?" „Ich bitte darum, Mr. Fox." Als Fox seinen Captain von zwei bemalten Ladys wegmanövriert hatte, die sich mit wedelnden Fächern um seine Gunst stritten, und ihn zu Cloughton führte, fragte er sich noch immer im stillen, was Black Dick vorhatte. Nach dem Austausch der konventionellen Förmlichkeiten unterhielten sich Percy Staunton und Cloughton und ignorierten Fox, der sich diskret zurückzog. Er ließ sich genießerisch Zeit, als er sich den köstlichen Lekkerbissen widmete. Es war von großem Vorteil, im Mittelmeer stationiert zu sein, denn hier erhielt man viel leichter frische Kost als beispielsweise die armen Teufel, die vor Brest ihren Blockadedienst verrichteten. Fox strich sich über den Bauch. Bei hartem Seegang und trokkenem Pökelfleisch würde er sich das Übergewicht schon wieder abtrainieren. Er trank mit Maßen. Später, nach der Kartenpartie würde er dem Alkohol etwas stärker zusprechen. Fox hatte vor, diesmal absolut ehrlich zu spielen. Vor ihm lag eine glänzende Zukunft, reich an Gelegenheiten, und so war es völlig unwichtig, ob er sich jetzt rasch ein bißchen Geld verdiente oder nicht. Er lächelte spöttisch bei diesem Gedanken. Er, George Abercrombie Fox, versäumte absichtlich eine Gelegenheit, Geld zu verdienen! Seine Ziele waren tatsächlich hö75
her gesteckt als je zuvor. Der Captain, der Staunton die Furieuse überlassen hatte, mußte einen gewaltigen Sprung nach oben getan haben. Denn es war doch das Paradies auf Erden, eine Fregatte zu kommandieren. Als Fox sich vorstellte, daß dieses Paradies ihm bald offenstehen könnte, hob sich seine Stimmung noch mehr. Er nickte Don Salvator zu, der eifrig auf Captain Falconer einsprach, und ging mit dem Glas in der Hand zum Spielzimmer hinüber. Flüchtig erinnerte er sich an jene Kartenpartie in Lord Kintleshams Haus in Palermo, an jenen Abend, an dem er sich zwei Duelle eingehandelt hatte. Der Bastard Lord Fotherby, dieser Glücksjäger, hatte sich vor dem Duell gedrückt und Sophie nach England mitgenommen. Das andere Duell hatte stattgefunden, nachdem der Marchese di Perogna, Benedetto Fogazzaro, Fox des Falschspiels beschuldigt hatte. Und dabei hatte Fox ausnahmsweise ehrlich gespielt! Er schüttelte diese unangenehme Erinnerung ab, straffte die Schultern, und dabei fiel ihm ein, daß er heute abend nicht seine kleine Pistole im Ärmel trug. Nun, vielleicht lief ihm heute abend keine Ratte über den Weg, gegen die er sich mit Waffengewalt verteidigen mußte. Don Salvator hatte viel mehr Gäste eingeladen, als Fox erwartet hatte. Die Räume der Villa waren von Gelächter, Stimmengewirr und den Klängen eines kleinen Streichensembles erfüllt, das Hernando engagiert hatte und das in einem Alkoven musizierte. Überall brannten Kerzen, Fächer flatterten, die Gesichter röteten sich. Fox bahnte sich einen Weg zum Spielzimmer und hielt die Augen gesenkt, um nicht schon so früh am Abend von den weißen Schultern und Armen und verführerischen Blicken abgelenkt zu werden. Erst einmal mußte er sich selbst beweisen, daß er geschickter spielen konnte als die Lokalgrößen von Mahon, nachher mußte er Staunton in seine Gig packen - und dann konnte er nach den Freuden greifen, die das Schicksal für ihn 76
bereithielt. Der erste Mensch, den er beim Betreten des Spielzimmers sah, war Captain Lemuel Stone. Er hockte auf der Kante seines kleinen vergoldeten Stuhls, im Bann seiner Spielleidenschaft. Seine Augen glänzten fiebrig, Schweiß perlte auf seiner Oberlippe. Seine Beine steckten unter dem Stuhl, sein Säbel ragte zur Seite und erschwerte es den Vorbeigehenden, einen Blick in Stones Karten zu werfen. Nicht übel, dachte Fox, der es auch nicht mochte, wenn man ihm beim Spielen über die Schulter sah. Und dann blieb sein Blick auf der Frau haften, die neben Stone am grünen Spieltisch saß. Sie lachte, fächelte sich Luft zu, ihre weißbehandschuhten Finger hielten graziös die Karten. Fox sah diese tanzenden schwarzen Locken, die großen violetten Augen, all die Schönheit und Lebhaftigkeit, und gleichzeitig erinnerte er sich an den Stolz, der von Geburt an untrennbar mit ihr verbunden war. Aber er erinnerte sich auch an die Angelique Labiche, die zitternd und mit halbgeöffneten Lippen auf dem kostbaren Teppich in der großen Achterkajüte der alten Maria gelegen hatte. Wie leidenschaftlich war sie gewesen! Er ballte die Hände, ein flackernder Ring in Rot und Schwarz schloß sich um sein linkes Auge. Stone und Angelique! Nun, sie mußte trotz ihrer französischen Royalistenfreunde Beschützer finden. Also war Stone auf dem Weg zu ihr gewesen, als er seine Schläger auf ihn gehetzt hatte, dachte Fox und sah seine Chance, wie er das dem elenden Dreckskerl heimzahlen konnte. Angelique sah von dem grünen Tisch auf, erblickte ihn - ihr Gesicht verlor alle Farbe, ihre Augen verschlangen ihn. Dann flatterte der Fächer hoch, bedeckte den unteren Teil ihres Gesichts, so daß ihn nur mehr die großen violetten Augen anstrahlten. Heute würde er ihr Stone, den Speichellecker, in neuem Licht zeigen! Er würde sich heute abend rächen, bei Gott! Eine Stimme ertönte an seinem Ellbogen, ein eleganter Mann 77
erhob sich und streckte die Hand aus. „Captain Fox! Was für eine Überraschung! Ein höchst unerwartetes Zusammentreffen!" Fox starrte in das dunkle, lächelnde Gesicht Benedetto Fogazzaros, des Marchese di Perogna, des Mannes, der ihn des Falschspiels bezichtigt hatte. 9. Fox schüttelte fest die dargebotene Hand. „Marchese ..." Fogazzaro sah ihn aus schmalen Augen an. Das war der Mann, den Fox in den rechten Arm geschossen hatte. Und dann, am Ende des Duells hatte Fox gesagt: „Ich habe nicht falsch gespielt. Ich habe fair gewonnen. Hoffentlich sind Sie inzwischen auch zu dieser Überzeugung gelangt." „War mein Händedruck fest genug, Captain Fox?" Fox nickte. „Ich freue mich, daß Sie unsere Fehde als beendet ansehen, Marchese." Aus dem Nebenraum drang eine dröhnende Stimme herüber. „Verteufelte Ideen hat dieser Billy Pitt! Unser Einkommen zu versteuern! Unseren Frauen und Kindern das hart verdiente Brot aus den Mündern zu reißen! Bei Gott, Sir, an diesem Krieg werden wir alle noch verhungern - noch bevor er zu Ende ist!" Fox überlegte, daß Cloughton mit seinem fetten Bauch in absehbarer Zeit kaum verhungern würde. William Pitt hatte im letzten Dezember die Einkommensteuer eingeführt. Fox hatte Glück, denn bei seinem geringen Verdienst fiel die Steuer kaum ins Gewicht. „Sie haben mich also nicht vergessen, Captain Fox?" „Nein, Marchese. Lieutenant Fox, bitte." Benedetto Fogazzaro mußte bemerkt haben, daß die anderen Spieler Fox ansahen, daß Madame la Comtesse bei seinem Eintritt erbleicht war, daß Captain Stone spöttisch grinste. Aber der Marchese war ein Marchese, er tat, was ihm beliebte, und pfiff auf die Meinung seiner Umwelt. 78
Fox blickte sich um, verbeugte sich vor Angelique und ignorierte Stone. „Und jetzt heiße ich schlicht und einfach Mr. Fox, Marchese. Mein Kommando ist verbrannt - nachdem es bereits von einem anderen übernommen worden war." Er setzte sich auf einen Stuhl, Stone gegenüber. Angeliques Fächer flatterte heftig. Konnte dieser simple Lieutenant Fox sie tatsächlich so sehr aus der Fassung gebracht haben? Fogazzaro nahm wieder seinen Platz ein. „Es tut mir sehr leid, daß Sie Ihr Kommando verloren haben, Captain - eh - Mr. Fox." Fox' Italienisch hatte sich erheblich verbessert, seit er dem Marchese zum letztenmal begegnet war, aber er zog es vor, sich auch englisch weiter zu unterhalten. Dieser Italiener irritierte ihn ein wenig. Er hatte erwartet, daß Fogazzaro ihn mit eisiger Höflichkeit begrüßen würde. Statt dessen behandelte ihn der Marchese fast kameradschaftlich. Fox blickte auf die Karten, die vor Fogazzaro auf dem Tisch lagen. „Hoffentlich haben Sie heute mehr Glück im Spiel als damals." „Das hoffe ich auch, Mr. Fox." „Sitzen wir eigentlich hier, um Karten zu spielen, oder nicht?" unterbrach ihn Stone bissig. Dann senkte er den Kopf, als Angelique ihm etwas ins Ohr flüsterte, hinter ihrem Fächer verborgen. Fox sah sie an. Sie war bezaubernder denn je. Das Kleid aus elfenbeinfarbener Spitze brachte ihre dunkle Schönheit vollendet zur Geltung, und Fox überlegte, daß es viel mehr gekostet haben mußte, als sein monatliches Gehalt betrug. Sie war hinreißend - aber sie war eine Comtesse - sie war nicht mehr jene leidenschaftliche Schöne, die in die Achterkajüte des spanischen Dreideckers eingedrungen war. Das Kartenspiel fand seinen Fortgang, Fox spielte mit Geschick und gewann. Aber auch vor Stones Platz wuchs das Goldhäuflein. Fox hätte ihn gern betrogen. Aber wenn er dabei nicht mit äußerster Vorsicht vorging, mochte der Marchese glauben, daß Fox tatsächlich der Betrüger war, für den er ihn 79
damals gehalten hatte, und das konnte unangenehme Folgen haben. Aber verdammt - hieß er George Abercrombie Fox oder nicht? Sollte ihn der Marchese doch beobachten! Seine Hände waren geschickt genug, um unbemerkt die Karten so zu verteilen, wie es ihm in den Plan paßte. Er mischte, hob ab, gab die Karten aus, mit fliegenden Fingern. Stone verlor, fluchte und erklärte, daß er dies kaum glauben könne. Gnadenlos nahm ihm Fox seinen Gewinn wieder ab. Angelique und Fogazzaro ließ er unbehelligt. Gegen sie hegte er keine Rachegefühle - wie gegen Stone. „Ich begreife das einfach nicht!" stieß Stone wütend hervor und starrte Fox an. „Sie haben verdammt viel Glück, Mr. Fox. Ist das tatsächlich reiner Zufall?" „Wenn Sie mir etwas zu sagen haben - Sir, dann sagen Sie es." Und weil Angelique ihn mit diesen himmlischen violetten Augen flehend ansah, weil ihre Brüste unter der elfenbeinfarbenen Spitze sich heftig hoben und senkten, fügte er in sanfterem Ton hinzu: „Es würde mich sehr interessieren, ob Sie irgend etwas beobachtet haben, Sir." Stone legte beide Handflächen auf die Tischplatte und lehnte sich in dem vergoldeten Stuhl zurück. „Ich habe nur beobachtet, daß Sie verdammt viel Glück haben, Mr. Fox." Stone befeuchtete seine Lippen, rang mit sich selbst. Sollte er sagen, was er sagen wollte? Der Bastard ist noch genauso feige wie früher, dachte Fox. Fogazzaro mischte sich lachend ein, ließ seine Karten fallen und bestellte neuen Wein. „Ich kann Ihnen sagen, Ladys und Gentlemen, Mr. Fox ist der glücklichste Spieler, der mir je begegnet ist. Ich war einst dumm genug, ihn des Falschspiels zu bezichtigen. Aber ich kann Ihnen versichern - Mr. Fox hat es gar nicht nötig, zu betrügen." Der Marchese erzählte die ganze Geschichte und verschwieg auch den Hergang des Duells nicht, bei dem er nicht gerade gut abgeschnitten hatte. Seine Landsleute hätten ihn vielleicht 80
verachtet, wenn er dies alles so offen erzählt hätte. Er hätte das „Gesicht" verloren. Aber die Engländer, die rings um den Spieltisch saßen, dachten in dieser Beziehung anders. Für sie war der Marchese ein fairer Sportsmann, der auch eine Niederlage einstecken konnte. Später stopfte Fox seinen Gewinn in die Tasche, las Percy Staunton auf und verlud ihn in die Gig. Macey, der Bootssteuerer schluckte, als sein Captain beinahe in das Boot fiel. Staunton war nicht betrunken, nur ein wenig beschwipst, aber immerhin. Was Fox jetzt tat, verstieß gegen alle Prinzipien seines schurkischen Lebens. Aber seine Intuition sagte ihm, daß er richtig handelte. Er zog seine schwere Geldbörse aus der Tasche. „Macey, Sie übernehmen diese Börse für mich. Übergeben Sie sie dem Navigationsoffizier. Ich weiß genau, wieviel darin ist. Wenn auch nur eine Münze fehlt, erhalten Sie morgen hundert Peitschenhiebe, verstanden?" „Aye, aye, Sir. Ich werde gut darauf aufpassen, das schwöre ich Ihnen." Mr. Midshipman Gruber saß im Heck und starrte Fox beleidigt an. Er war noch ein Kind, kaum dreizehn Jahre alt, und hatte ein Milchgesicht. „Mr. Gruber! Seien Sie doch so nett und blicken Sie ein bißchen freundlicher drein. Putzen Sie sich die Nase, aber nicht mit dem Ärmel. Ich betraue Sie mit der verantwortungsvollen Aufgabe, den Captain sicher an Bord zu bringen. Daß ihm ja nichts passiert! Sonst gibt's morgen noch mehr Peitschenschläge." „Aye, aye, Sir", stammelte Gruber verschreckt. Fox sah zu, wie die Barke ablegte, und seufzte. Gruber war ein rotznasiger kleiner Lümmel ohne Mumm, aber seine Familie hatte anscheinend unbedingt gewollt, daß er zur See fuhr und Admiral wurde. Fox war überzeugt, daß der Kleine in die Hosen machen würde, wenn es zur ersten Kampfhandlung kam. 81
Als er wieder zu Don Salvators Villa zurückkehrte, brach Captain Stone gerade auf. Die beiden Männer trafen sich in der schattigen Säulenhalle. Sie waren allein. Fox spürte die Wut, die siedendheiß in ihm aufstieg. Stone wich zurück, seine Hand zuckte zum Säbelgriff. „Fox! Sie schwarzer Bastard! Diesmal hacke ich Sie in Stükke!" Fox beherrschte sich mühsam. Er ließ die rechte Hand sinken. „Lieber nicht, Speichellecker! Ich könnte Sie töten." Er schob sich an Stone vorbei und betrat die Villa. Im selben Augenblick trat Cloughton heraus, und Fox wußte, daß sein guter Instinkt ihn wieder einmal gerettet hatte. Stone hätte den Säbel erhoben, Fox hätte ihm die Brust durchbohrt, wie er es ernsthaft vorgehabt hatte. Stone würde sich jetzt im Todeskampf am Boden winden, Fox würde über ihm stehen, den blutigen Säbel in der Faust - und der rangälteste Captain wäre in diesem Moment am Schauplatz des Kampfes erschienen. „Gute Nacht, Fox!" Black Dick schwang sich mit Grandezza den Umhang um die Schultern. Lichter flammten auf, Pferdehufe trampelten, Stimmengewirr ertönte, Don Salvator stand im Eingang, verbeugte sich, strahlte vor Freude über die guten Geschäfte, die er heute nacht wieder einmal abgeschlossen hatte. Die Party war vorbei. Angelique Labiche trat in die Säulenhalle, in einen Pelzumhang gehüllt. Über dem dunklen Pelz stand ihr Gesicht wie eine weiße Wasserrose, die auf einem nächtlichen Teich schwimmt. „Wenn Sie wollen, können Sie in meiner Kutsche mitfahren, Mr. Fox." Ein anderer hätte jetzt wahrscheinlich gesagt: „Enchante, Madame la Comtesse." Aber weil Fox eben Fox war, zögerte er. Er sah Don Salvator, der sich von seinen Gästen verabschiedete. Er sah Angeliques Gesicht, das hell im Dunkel schimmerte. Fast glaubte er ihren Körper zu spüren, der sich unter dem Pelz verbarg - wie er sein 82
eigenes Blut spürte, das immer rascher durch die Adern strömte. „Ich wäre sehr glücklich, Angelique. Ich glaube, wir haben uns noch viel zu sagen." „Sicher, mon brave, sicher." Sie stiegen in die Kutsche, und noch bevor er richtig saß, bevor der Kutscher Zeit fand, die Peitsche zu heben, preßten sich Angeliques Lippen auf die seinen, schlangen sich ihre Arme um seinen Hals, fühlte er ihren warmen, zitternden Körper. „O Foxey, Foxey", stöhnte sie zwischen zwei Küssen und ließ ihre Hände über seine Brust gleiten. „Wie ich dich brauche!" Er erwiderte ihre Küsse, preßte sie an sich, als die Kutsche anrollte. „Und Stone, der Speichellecker?" fragte er leise. „So nennst du diesen schrecklichen Kerl? Aber was soll ich denn tun? Mein ganzes Geld ist weg. Ich bin allein und hilflos." „Und deine royalistischen Freunde?" „Den meisten geht es nicht viel besser als mir. Nur der Count de Carsonois ist reich, und der will mich sogar heiraten. Aber er ist alt und häßlich und vertrocknet." „Das dürfte für ein Mädchen wie dich doch kein Hinderungsgrund sein, Angelique." „Was meinst du?" „Ach, nichts. Du mußt dein Leben selbst leben. Hast du Stone den Laufpaß gegeben?" Sie zitterte und schmiegte sich noch enger an ihn. „Das würde ich am liebsten tun. Er ekelt mich an. Aber von irgend etwas muß ich schließlich leben. Nur heute nacht - da will ich einmal alles vergessen." „Heirate Carsonois und verriegle deine Tür." Fox grinste und drückte sie an sich. „Oder laß deine Tür offen, und du wirst ihn in sechs Monaten ins Grab bringen." „O Foxey..." Die Kutsche rollte über die Auffahrt, wo Stones Schläger ihn überfallen hatten. Aber daran dachte er jetzt nicht. Rasch 83
brachten sie ihre Kleider halbwegs in Ordnung, bevor sie aus der Kutsche taumelten und ins Haus liefen. Fox riß einem Mädchen mit schläfrigen Augen eine Kerze aus der Hand, hastete mit Angelique die Treppe hinauf, sie ließen sich aufs Bett fallen. Sollte doch der Teufel alle Winde und Meere holen - nur für diese kurzen, süßen Stunden! Als die Morgensonne durch den geschlossenen Vorhang schimmerte, wälzte sich Fox stöhnend aus dem Bett, streckte sich, streichelte Angeliques nacktes Hinterteil und zog sich an. Sie umarmte ihn, bevor er ging. Er wußte, daß dieses Haus, die Dienerschaft und die Kutsche bezahlt werden mußte. Aber Stone, der Speichellecker, würde sich jetzt wohl kaum mehr darum kümmern. „Laß es mich wissen, wenn du Madame la Comtesse Caronois geworden bist, Angelique. Ich wünsche dir alles Gute." Ihre weiße Hand glitt aus seinen narbigen, rauhen Fingern. „Auf Wiedersehen, Foxey." „Auf Wiedersehen, Angelique." Ja, auf Wiedersehen, dachte er träumerisch. Wie schön wäre es, noch eine solche Nacht zu erleben. Es gab nur selten solche Nächte, und immer lag lange Einsamkeit dazwischen. Grey wartete im Kutter am Landeplatz. Sein Gesicht leuchtete auf, als er Fox sah. „Wir haben den Befehl erhalten, sofort in See zu gehen, Sir. Ich warte schon seit dem Morgengrauen." Fox starrte ihn an. Dieser unverschämte junge Teufel! 10. Die Fahrt nach Gibraltar gab Fox Gelegenheit, aus den bunt zusammengewürfelten Leuten, die sich an Bord der Furieuse versammelt hatten, eine erstklassige Besatzung zu formen. Den Papierkram hatte er bereits mit Staunton erledigt. Sie hatten einen Plan für die Schiffswachen aufgestellt und dabei bemerkt, daß alle Offiziere fähig waren, Wache zu gehen. In der 84
Mannschaft befanden sich ausgezeichnete Seeleute, die überall mit anpacken konnten, an den Segeln und am Ruder. Fox hatte das seltsame Gefühl, daß der Name des Admiralsneffen nicht nur den Goldtopf, sondern auch ein Füllhorn der begabtesten Seefahrer geöffnet hatte. Er ließ dem Oberbootsmann, Mr. Sneyd, freie Hand, was sich als richtig erweisen sollte. Auch die anderen Abteilungen funktionierten gut. Hogan, der alte Zimmermann aus den wilden Tagen der Raccoon, war nicht angeheuert worden. Aber Mr. O'Hara war ein guter, hartgesottener Mann, der Hogans Tradition ehrenvoll fortsetzen würde. Mr. Jones, der Stückmeister, fand Joachims Billigung, wie Fox von Parsons erfuhr. Fox hatte es längst aufgegeben, sich darüber zu wundern, daß er sich auf seine alten, erprobten Männer so unbedingt verließ. Und er mußte immer wieder seinen Verdacht unterdrükken, daß er seine eigenen Leute den anderen in vielleicht ungebührlicher Weise vorzog. An einem sonnigen Morgen ging die Furieuse über Backbordbug in See, glitt summend und dröhnend durch schneeweiße Gischt, mit glänzenden, vollen Segeln. Fox stieg auf das Achterdeck, sah sich um und erfaßte mit einem Blick die Situation. Der Bootsmann John Carker stand am Kompaßgehäuse und verglich die Sanduhren, wobei ihm Midshipman Gruber assistierte. Der Wachoffizier, Mr. Morgan, dritter in der Rangordnung, hielt Fox erfolgreich davon ab, in seiner üblichen ungezwungenen Weise mit Carker zu sprechen. Nur widerstrebend fügte sich Fox. Er vermißte den leichten, kameradschaftlichen Umgang mit Carker und Grey. Das war nicht richtig, es war ein Zeichen von unvernünftiger Schwäche und Sentimentalität. Aber Fox hätte nur allzugern jene Zeiten wieder heraufbeschworen, als er an Bord der Raccoon von Rangunterschieden ungetrübte Freundschaften gepflegt hatte. Bei starkem Wind und Seegang von achtern mußten die Segel umgetrimmt werden. Morgans entsprechende Befehle fanden bei Fox nur teilweise Zustimmung. Die Leute fierten, das Tau85
werk verfing sich im Block, allgemeine Verwirrung entstand. Fox lief an die Achterdeckreling. „Los, Furieuses!" schrie er. „Zeigt, daß ihr echte Seeleute seid! Haltet euch ran!" Der Block kam frei. John Carker beugte sich besorgt vor, und all die Monate, die er als Rangzweiter hinter Fox zur See gefahren war, wurden wieder lebendig in ihm. „Gut so!" brüllte er. „Nur nicht nachlassen, ihr verdammten Schlafmützen!" Offenbar war der gute Carker nicht mehr Herr seiner selbst. Aber Fox zögerte nicht, an die Seite des Bootsmanns zu stürzen, wie um den Schaden aus der Nähe zu inspizieren. In Wirklichkeit wollte er nur erreichen, daß Morgan, der diensthabende Offizier, zweimal nachdachte, bevor er seine Wut an dem vorlauten Carker ausließ. Morgan würde sich noch daran gewöhnen müssen, daß der Bootsmann manchmal seine Kompetenzen überschritt. „Los, strengt euch an, ihr verdammten Himmelhunde!" schrie Fox. Als der Lärm und die Verwirrung sich gelegt hatte, kamen die Unteroffiziere zu Fox, dem Ersten Offizier, und meldeten, daß sich alle Mann auf ihren Stationen befanden - die Seesoldaten auf dem Quarterdeck, die Geschützmannschaft mitsamt ihrer Ausrüstung bei den Kanonen. Auch die Kuhlgasten befanden sich dort, wo sie hingehörten - auf dem Mitteldeck, wenn sie auch erschreckend wenige waren. Nachdem dies geregelt war, überquerte Fox mit der ganzen Würde seiner vierundzwanzigjährigen See-Erfahrung das Achterdeck und salutierte vor dem Captain. „Alle Mann auf ihren Stationen, wenn es beliebt, Sir." „Sehr gut, Mr. Fox", sagte Captain Staunton. Er ging ein paar Schritte auf und ab, sah sich um, sog die Lippen zwischen die Zähne. Außer ihm rührte sich kein Mann an Bord der schwankenden Fregatte. Fox überlegte. Normalerweise stürzte er sich Hals über Kopf 86
in seine Aktionen, aber diesmal war Vorsicht geboten. Die Rollenübungen an einem Exerziernachmittag waren für die Disziplin an Bord lebenswichtig. Man mußte jeden Mann, wo immer er auch stand, so auf Trab bringen, daß er sein Bestes gab, daß er sich anstrengte, als sei ihm der Teufel mit einer rotglühenden Mistgabel auf den Fersen. Fox lief zwar nicht mit einer Mistgabel an Bord herum, aber er war der Teufel dieser Leute, und er besaß die schreckliche Macht, den Captain zu einer Prügelstrafe zu animieren. Vorsichtig begann er: „Ich würde gern an den schweren Geschützen exerzieren, Sir ..." „Ausgezeichnet, Mr. Fox! Eine glänzende Idee! Der arme Mr. Greaves war auch dauernd dran, die Kanonen aus- und einzufahren. Ich kriegte schon Kopfschmerzen davon. Aber ich bin sicher, es ist das Beste, was Sie tun können." Fox hatte sich seine eigene Meinung über Lieutenant Greaves gebildet. Er hatte ihn nur einmal gesehen - damals, als er auf das Achterdeck der alten Maria gestürzt war, wo Fox zusammengeschossen gelegen hatte. Und Fox war beeindruckt gewesen von der Haltung dieses Mannes, der ihm selbst so sehr geglichen hatte. „Bleiben Sie ruhig liegen, Mr. Fox", hatte Greaves gesagt. „Ich übernehme jetzt das Kommando." O ja, Greaves hatte Staunton gut erzogen. Greaves würde den Captain nicht in aller Bescheidenheit fragen, ob er vielleicht mit den Kanonen erxerzieren dürfe. Aber Fox hatte ein seltsames Gefühl für Staunton entwickelt. Er wagte nicht, es Zuneigung zu nennen. Und dies trotz seiner Verachtung, trotz des bitteren Hasses, den er der Autorität gegenüber empfand. Natürlich wagte er nicht, das vor sich selbst zuzugeben. Er wagte es nicht? Was für eine verrückte Idee! Fox würde sogar Jupiter ins Auge spucken, wenn das Wohl seiner Familie auf dem Spiel stünde! Wütend auf sich selbst fuhr er herum und schrie den Geschützbedienungen seine Befehle entgegen. Die Laschungen 87
wurden gelöst, der vorgeschriebene Drill nahm seinen Lauf, als die Kanonen ausgefahren wurden. Man tat so, als feuere man sie ab, dann fuhr man sie wieder ein, täuschte eine Ladung vor und fuhr sie erneut aus. Midshipman Grey stand auf seinem Posten als Signalgeber, und als solcher befand er sich dicht neben Fox. Die Gefühle, die Fox für Grey, diesen Satansbraten, hegte, waren anders geartet als seine Empfindungen für Staunton. Fox wußte sehr genau, daß Grey einmal ein verdammt guter Captain sein würde, der keine Speichellecker um sich duldete. Und es sprach alles dafür, daß Grey noch vor Fox zum Captain befördert werden würde - wenn letzterer dieses Ziel überhaupt jemals erreichte. Sie segelten nach Gibraltar, um dort Befehle entgegenzunehmen. Die Lynx hatte Port Mahon noch vor der Furieuse verlassen. Stone war an Bord gegangen, nachdem es zu dem Zwischenfall in der Säulenhalle gekommen war. Und Fox konnte nur hoffen, daß die Lynx nicht mehr an der Ankerboje schaukelte, wenn die Furieuse in den Hafen von Gibraltar einlief. Unter dem Eindruck dieser deprimierenden Gedanken feuerte Fox mit erhöhter Bissigkeit eine neue Salve von Befehlen ab, die Grey eiligst weitergab. Fox konnte erraten, was Grey dachte. Sicher lachte sich der Midshipman heimlich einen Bukkel voll über diesen merkwürdigen alten Seebären Lieutenant Fox. Die Übung war durchgeführt, und Fox trieb die Leute gnadenlos an, um aus ihnen eine Besatzung zu machen, mit der er im Ernstfall rechnen konnte. Die Furieuse war eine schöne, große 36-Kanonen-Fregatte von 29 Tonnen und 146 Fuß am Unterdeck. Ihre Breite maß 39 Fuß und 9 Zoll, was einen ausreichenden Aktionsraum garantierte, wenn Fox auch der Meinung war, daß sie ruhig noch ein bißchen breiter sein könnte. Allerdings hatte er sich mit dem kundigen Auge des erfahrenen Seemanns sofort in die Neigung ihres Bugspriets verliebt. Wenn man bedachte, daß sie von den Franzosen erbeutet worden war, konnte die Furieuse durchaus 88
gefallen. Aber Mr. O'Hara ging mit langem Gesicht umher und erzählte seinen Leuten immer wieder mit unheilvollem Blick, daß diese verdammten Franzosen nicht einmal einen Hühnerstall bauen könnten, geschweige denn eine Fregatte. Das war oft das Problem bei französischen Schiffen - sie waren wundervoll anzusehende Gebilde, geschaffen von einem nautischen Architekturgenie, aber aus minderwertigem Holz gebaut. „Die alte Furieuse wird ihren Dienst tun", hatte Fox zu Staunton gesagt. „Aber nicht lange. Eines Tages wird sie zusammenbrechen und uns ihre Bretter um die Ohren schlagen." Worauf der gute Percy aufgekreischt und bemerkt hatte, er würde täglich darum beten, daß er dann nicht an Bord dieser Fregatte weilen würde. Denn sonst könne er ja genausogut gleich auf der Stelle tot umfallen. Die reguläre Bewaffnung für eine 36-Kanonen-Fregatte enthielt 26 18-Pfünder-Geschütze auf dem Oberdeck, acht Neunpfünder auf dem Achterdeck und zwei Zwölfpfünder auf dem Backdeck. Aber die Furieuse war unterbestückt, die Neunpfünder existierten überhaupt nicht. Als man sie gekapert hatte, waren schimmernde 36-Pfünder-Karronaden an Bord gewesen - zwölf Stück. Und noch zwei weitere auf dem Vorkastell. Die Furieuse war eine feine, gute Fregatte, die sich in Wind und Wetter wacker hielt. Aber sie neigte dazu, unten ein wenig zu lecken, und brauchte ständige Pflege - und einen sechsten Sinn, um den Tag ihres endgültigen Zusammenbruchs vorauszuahnen. Schon bei der ersten Gelegenheit, als Fox beschloß, ein paar Kästen des weißen Ersatzpulvers zu verwenden, das er im allgemeinen verabscheute, passierte ein Unfall. Er hatte eine schöne Stange von Percys Geld verwendet, um die Kanäle zu ölen, durch die das rote Pulver an Bord gelangte, das Pulver, das man im Ernstfall verwendete. Fox legte Wert darauf, stets genug Munitionsvorräte zu haben. Das Lockern der Geschütze, das Öffnen der Pforten, das 89
Richten der Kanonen, das Entfernen der Mündungspfropfen, das Ausfahren - alles ging glatt vor sich. Die Geschützführer strahlten. Fox beobachtete die Übung, die Hände auf dem Rükken verschränkt. An seiner Seite stand Percy Staunton in der gleichen Haltung, den Kopf vielleicht ein wenig höher erhoben. Fox sah mit der ihm eigenen Intoleranz gegenüber jedem Detail zu, die er stets an Bord eines Kriegsschiffes an den Tag legte. Früher war er bei der Geschützbedienung gewesen, und dieser Gedanke erinnerte ihn an die alten Tage an Bord der Henrietta. Diese Tage würde er genausowenig vergessen wie die Nicodemus. Und das erinnerte ihn wieder an Stone, den Speichellecker. Er brauchte so lange, um seinen Zorn zu unterdrücken, daß die Männer sich eine volle Minute von den anstrengenden Waffenübungen erholen konnten. „Feuer!" Feuersteine klirrten, Funken sprühten, ein Donner rollte über die See, Rauch entfaltete sich wie eine Blüte, Pulvergeruch stieg Fox in die Nase, schien jede seiner Poren zu füllen. Und dann geschah es. Das Sicherungstau der Kanone Nummer 6 verfing sich im Block, und statt mit der Explosionskraft zurückzurollen, brach der Achtzehnpfünder nach achtern aus, kippte um und überschlug sich, das alles passierte in Sekundenschnelle. Der Krach der Geschütze hing in der Luft und verschluckte die gräßlichen Schreie des Seemanns Pontoppidan, eines Dänen aus Odense. Die Lafette des Achtzehnpfünders rutschte über sein Fußgelenk. Pontoppidan, von seinen Kameraden Ponty genannt, war sehr beliebt. Auch Fox hatte Respekt vor den Dänen, die er als harte, entschlossene Männer kannte - Männer, mit denen er sehr gut zurechtkam. Der Leichtmatrose Ponty hätte schon in allernächster Zukunft zum Vollmatrosen befördert werden sollen. Und jetzt war der Fuß des armen Teufels zerschmettert, weil sich ein Tau verfangen hatte. Auf der Furieuse gab es keinen Schiffsarzt. 90
Der Zahlmeister? Der Bootsmann? Der Zimmermann? Wenn er O'Hara an Pontys Fuß heranließ, konnte Fox genausogut selbst eine Säge in die Hand nehmen. Er stieß einen Fluch zwischen den Zähnen hervor. „Mr. Haining! Bitte übernehmen Sie das Kommando der Schießübung!" Fox sah, wie der Oberbootsmann Sneyd den Dänen auf die Schultern hob. Pontys Schmerzensschreie waren verstummt. Er schwieg jetzt tapfer. „Mr. Sneyd! Seien Sie vorsichtig mit Ponty!" Alle Männer wollten zu Hilfe eilen, aber Fox befahl ihnen mit rauher Stimme, auf ihre Stationen zurückzukehren. Er folgte Sneyd und einem Bootsmannsmaat, die Ponty in den Krankenraum an der Steuerbordseite trugen. Die Geschützmannschaft ging wieder hinter den Kanonen in Stellung. Scharfer Rauch hing in der Luft. Im Vorbeigehen hörte Fox, wie jemand sagte: „Dieser schwarze Bastard Fox kennt Pontys Namen ..." „Der alte Foxey kennt uns alle ganz genau", lautete die Antwort. „In-und auswendig." Er nahm sich nicht die Zeit, herauszufinden, wer gesprochen hatte. Er würde sich nicht einmal die Mühe machen, Mr. Midshipman Callaghan, der die Geschützmannschaft befehligte, nach dem Namen dieser Männer zu fragen. Fox hatte bereits erkannt, daß die Besatzung der Furieuse ihn genauso einschätzte wie die anderen Männer, die er vorher in die Gefechte geführt hatte. Es ließ ihn gleichgültig, wenn sie ihn einen schwarzen Bastard oder den alten Foxey nannten, solange sie nur ihren letzten Tropfen Blut opferten, wenn es darauf ankam. „Sieht schlimm aus, Sir", sagte Mr. Gyver, der Zahlmeister. „Aye. Ich brauche eine Teerwanne. Und meine Empfehlung an Mr. O'Hara!" rief Fox einem phlegmatisch aussehenden Jungen zu, einem gewissen Halbkretin namens Absalom. „Ich brauche die beste, schärfste Säge, die er hat. Los, hau ab!" „Ja - eh, aye, aye, Sir", stotterte Absalom und verschwand. 91
Fox sah auf Ponty hinunter, der auf dem mit einer Decke verhüllten Tisch lag. Durch die offene Luke schien die Sonne. „Es kommt schon alles wieder in Ordnung, Ponty." Fox nahm die Rumflasche, die der Zahlmeister ihm reichte. „Trink das aber alles." „Aye, aye, Sir", sagte Ponty. Sein Englisch war tadellos, so wie seine sonstigen Fähigkeiten. Und jetzt war es aus mit ihm. „Es ist noch lange nicht aus mit dir", sagte Fox. „Vielleicht kannst du Koch werden. Das wäre ein Job, bei dem du dir einen Bauch anfuttern könntest." Der Rum gluckerte aus der Flasche. Fox bückte sich und sah sich den Fuß an - wenn man diese Masse aus Blut und Knochen überhaupt noch als Fuß bezeichnen konnte. Absalom hatte eine Schüssel mit Teerwasser gebracht, und Fox wusch sich darin sorgfältig die Hände. O'Hara erschien mit einer Säge. Fox griff danach und holte tief Luft. Die Gerüche verdichteten sich zu einer beinah überwältigenden Mischung aus Tod, heißem Teer und Salzwasser. Und dann begann er. Sie hielten Ponty fest. Aber der Rum und die innere Kraft des Dänen erleichterten Fox' Aufgabe. Rasch durchsägte er den Knochen. Er mußte den Fuß möglichst schnell amputieren. Als er es geschafft hatte, drehte er sich zu Ponty um, blickte in die geweiteten Augen, auf die schweißnasse Stirn, den zusammengepreßten Mund, aus dessen Winkel noch Rum rann. Er ballte die Hand, schlug gegen Pontys Kinn und versetzte ihn in barmherzige Ohnmacht. Jetzt mußte er alles weitere der Natur überlassen. Wenn Ponty Gangräne kriegte, die gefürchtete Brandkrankheit, konnte man nichts mehr tun - nur noch beten. Er warf noch einen letzten Blick auf Ponty, der jetzt schwer atmend und mit aschgrauem Gesicht auf der Koje des Krankenraums lag. Dann zog er den Kopf ein und ging durch die niedrige Tür hinaus. Dieser verdammte Block, dieses verfluchte Tau! Er würde alle zur Rechenschaft ziehen, die dafür verant92
wortlich waren. So etwas durfte unter seinem Kommando einfach nicht passieren! Er hatte die Haut am Knochen vor dem Amputieren so weit wie möglich gelüftet, damit man sie nachher wieder gut zusammennähen konnte. Hoffentlich lief die Furieuse den Hafen von Gibraltar an, bevor er auch das selbst tun mußte. Staunton hätte seinem Onkel wirklich einen Schiffsarzt herauslocken können. Dieser Gedanke, so unangenehm er auch war, befriedigte Fox doch irgendwie. Denn er bewies, daß der Captain trotz seiner guten Beziehungen nicht alles erreichen konnte. Aber dann erkannte Fox die Sinnlosigkeit seiner ketzerischen Ideen. Gute Schiffsärzte waren Mangelware. Und die halbgebildeten Mediziner, die meist betrunken auf ihrer Koje lagen, konnte er entbehren. Er war ein intoleranter Mann, das wußte er, und er scherte sich keinen Deut darum. Es war ihm nur wichtig, daß es seiner Mannschaft gut ging, ganz einfach, weil seine Karriere von der Fähigkeit seiner Besatzung abhing. Jeder betrunkene Doktor hätte den Fuß amputieren können. Das war kaum die Pflicht eines Ersten Offiziers. Aber die Art, wie die Besatzung auf seine Aktion reagierte, zeigte Fox, wie man ihn eingestuft hatte. So etwas traute man ihm zu und ging also ohne große Worte zur Tagesordnung über. Was die Leute viel mehr interessierte, war die Tatsache, daß Fox Pontys Namen gewußt hatte. Jetzt hatte jeder das Gefühl, daß der Erste Offizier ihn persönlich kannte. Und bis sie Gibraltar erreichten, würde er auch wirklich alle Namen kennen und sich die Fähigkeiten jedes einzelnen einprägen. Kurz vor diesem herbeigesehnten Ereignis erschien Mr. O'Hara mit langem Gesicht bei Fox. Es war zwei Glasen nach dem ersten Plattfuß, wie die Zweistundenwache von sechs bis acht Uhr abends genannt wurde. „Was ist los, Mr. O'Hara?" „Diese verflixten Franzosen! Die feinsten, kostbarsten Gewänder, aber stümperhaft zugenäht." 93
Gott bewahre mich vor einem Poeten, dachte Fox. Der Zimmermann schüttelte den Kopf, von dem er die Kappe abgenommen hatte, um sich besser auf der Glatze kratzen zu können. „Untenauf dem vorderen Plattformdeck,Sir, StationH." O'Hara holte tief Atem, um diesem hoch erhabenen Seeoffizier, der ja keine Ahnung vom Schiffsbau hatte, die Konstruktion einer Mittelschiffsektion zu erklären. Diese sei nämlich die Trennlinie zwischen Vorschiff und Mittelschiff, und achtern davon seien die Spanten numeriert, während sie nach vorn zu mit Buchstaben beziffert seien ... Fox, dem das Gerede von Deckbändern, Kimmstücken, Auflanger und so weiter schon von der Geburt an in den Ohren geklungen hatte, unterbrach den Zimmermann seufzend: „Ich komme, Mr. O'Hara." O'Hara kratzte sich am Kopf, schob seinen Kautabak von den linken Eckzähnen zu den rechten und stapfte hinter dem Ersten Offizier her. Auf dem Plattformdeck stiegen Fox die vertrauten Gerüche des darunterliegenden Kielraums in die Nase. Die Fregatte stöhnte und knarrte, als das Wasser am Rumpf vorbeischoß. Ein erfahrenes Ohr konnte aus dem Ächzen der Balken einzelne Geräusche heraushören und genau feststellen, was sie verursachte. O'Hara ließ von einem seiner Männer eine Laterne holen, und Fox sah sich die Sektion H an. Hier waren die Franzosen ihrer Methode gefolgt, Auflanger und senkrechtes Knie aus einem Stück Holz anzufertigen. Das horizontale Knie, das an dem einen Balken und der inneren Schiffswand verbolzt war, würde bestimmt nicht mehr lange halten. Fox unterdrückte einen Fluch, als er das splitternde Geräusch hörte. „Unten im Kielraum ist auch fast alles morsch, Sir", sagte O'Hara. „Die Franzosen scheinen überhaupt kein vernünftiges Holz zu haben ..." Bevor O'Hara noch eingehend erklären konnte, was er sich unter vernünftigem Holz vorstellte, sagte Fox hastig: „Da 94
bleibt uns nur eins übrig. Wir müssen das Holzknie stroppen. Ist sonst noch was in diesem unmöglichen Zustand?" „Aye, aye, Sir. Aber die anderen Spanten und Knie halten noch bis Gibraltar." „Gut." Der Schein der Laterne glitt über das schön geschwungene Holz, das der Furieuse die exquisite Linie gab. Aber wozu all die Schönheit, wenn die Qualität des Holzes zu wünschen übrigließ? Wieder bewies Fox, daß er die einzelnen Besatzungsmitglieder sehr gut kannte. „Rawlinson soll eine passende Eisenkette herstellen, damit Sie das Knie feststroppen können." Rawlinson war der Schmied. „Und ich verlasse mich auf Sie, Mr. O'Hara, daß Sie auch weiterhin solche Schäden sofort entdecken." Fox sah sich noch einmal um in der Vielfalt der Balken und Spanten, die die lebendige Konstruktion eines Schiffes ausmachten. Wenn er schon einmal hier war, konnte er genausogut noch in das Orlopdeck gehen und das Holz dort untersuchen. Die langen Passagen zu beiden Seiten des Kielschweins mußten frei sein, damit das Wasser in den Pumpensod fließen konnte. Er trat in die dunkle Höhle des Schiffsraums, in dem er sich genauso heimisch wie auf dem Oberdeck fühlte und der, wie er wußte, jeder Landratte unheimlich erscheinen mußte. Er befahl Garrity, einem Zimmermannsmaat, ein Füllungsbrett hochzuheben. Garrity gehorchte mit einem nur mühsam unterdrückten Fluch. Fox blickte im flackernden Lampenlicht hinunter. Das Wasser lief frei - und doch entdeckte Fox ein kleines Hindernis, ein seltsam geformtes Bündel. „Holen Sie das heraus, Garrity." Garrity gehorchte widerstrebend. Fox griff nach dem übelriechenden Bündel und wickelte es auseinander. Ein frischer, scharfer Geruch durchdrang den Kielraum. „Das dachte ich mir", sagte Lieutenant Fox humorlos, wandte sich um und zerschmetterte die Brandyflasche an einem Bal95
ken. Der Alkohol versickerte zwischen den Ritzen, Garrity leckte sich über die Lippen und sagte nichts. Er war ein großer Ire, hart wie altes Eisen, der ein Beil tiefer ins Holz schlagen konnte als sonst jemand an Bord. „Gehen wir hinauf", sagte Fox. Sie stiegen zurück auf das Plattformdeck. Ein aufgeregter, atemloser Midshipman Gruber mit laufender Nase kam Fox entgegen. „Bitte, Sir ..." Er keuchte und schneuzte sich zwischen zwei Fingern. „Ja, Mr. Gruber?" Fox sah den Jungen fragend an, während sich die anderen Männer näher drängten. „Bitte, Sir, die besten Empfehlungen von Mr. Burlington und, bitte, ich soll Ihnen melden, daß Gibraltar in Sicht ist, sechs Strich an Steuerbord." „Danke, Mr. Gruber." Ein Bosheitsteufel veranlaßte Fox hinzuzufügen: „Und beten Sie, daß wir Gibraltar erreichen bevor der Kielraum auseinanderbricht." „Aye, aye, Sir", stammelte Midshipman Gruber und flüchtete. 11. Die Furieuse segelte über Backbordbug, krängte stark und versuchte ihren Bug innerhalb von sechs Strich am Wind zu halten. Immer wieder spritzte weiße Gischt innenbords. Sie trug Bram- und Royalsegel, und George Abercrombie Fox stand mit gespreizten Beinen auf dem Achterdeck und trieb die Fregatte durch Wind und Wetter. Der Wind heulte von Westen her, legte ungehindert den weiten Weg von Amerika bis zur spanischen Küste zurück, fegte zwischen Segel und Masten. Sie hatten die Brassen hart an den Wind geholt, die straffgespannten Segel bebten, die Furieuse schaukelte auf und ab, ihr Bugspriet und ihr Klüverbaum senkten sich so weit nach Westen, wie Fox es zuließ. „Bei Gott!" sagte er, ohne an jemand Bestimmten das Wort zu richten. „Das ist ein Tag, an dem sich das Leben lohnt!" 96
„Da kann ich Ihnen nur recht geben, Mr. Fox." Captain Percy Staunton war kreidebleich und klammerte sich mit beiden Händen an der Reling fest. Er sah, wie Fox hungrig die 38-Kanonen-Fregatte Lynx anstarrte, die sich von der Furieuse durch die aufgewühlte See kämpfte und weißen Schaum aufwirbelte, die Segel straff gespannt, die Masten im Wind schwankend. „Dieses verdammte Äquinoktium", sagte Staunton stöhnend. „Da bläst immer ein so scharfer Wind aus Westen." Fox grunzte. „Das wird allgemein angenommen. Dieser Wind bereitet den spanischen Dons viel Kopfzerbrechen - aber er gibt ihnen auch Gelegenheit, uns zu entschlüpfen." Sie hatten nur kurz vor Gibraltar vor Anker gelegen - so kurz, daß sie nicht einmal Zeit gefunden hatten, in Tetuan Wasser an Bord zu holen. Man hatte ihnen direkt von Gibraltar Wasser gebracht, ein deutliches Zeichen, daß der Admiral vor Ungeduld brannte, sie wieder in See gehen zu lassen. Einige Stunden, nachdem sie die Meeresenge durchsegelt hatten, war der Westwind aufgekommen. Wenn er etwas früher so heftig eingesetzt hätte, wären sie jetzt noch immer im Mittelmeer gefangen. Die beiden Fregatten Lynx und Furieuse hatten spezielle Order erhalten. Während Fox die Lynx beobachtete, überlegte er, wie sehr die Befehle, die Captain Staunton erhalten hatte, sein ganzes Leben von Grund auf ändern konnten. Spanien war von dem enormen Reichtum abhängig, den es aus seinen süd- und zentralamerikanischen Besitzungen heranschiffte - wie schon seit Jahrhunderten. Die Flotte, die alljährlich über den Atlantik segelte, brachte Millionen an Gold und Silber und Juwelen an die spanische Küste. Wenn ein britischer Seemann diese Kostbarkeiten erbeutete, würde er nicht nur seinem Vaterland einen Dienst erweisen, er hätte auch für sein Leben ausgesorgt. Die Besatzung eines Schiffes, das einen spanischen Frachter kaperte, würde mehr Prisengeld verdienen, als sie in ihrem ganzen Leben als Lohn erhalten würde. 97
Und der Lohn für die Offiziere würde geradezu gigantisch ausfallen. Irgendwo hinter dem westlichen Horizont segelte eine spanische Flotte. Und sie brachte Geld von Amerika heran, das bald in Fox' Taschen klingeln würde. Wenigstens erhoffte er sich das. Das war die Chance, von der er schon jahrelang träumte. Er erinnerte sich, daß 1762, als die Briten das spanische Schatzschiff Hermione gekapert hatten, jeder Offizier 13.000 Pfund erhalten hatte. Er spürte die Reling unter seinen kräftigen, bronzefarbenen Händen. Unter sich spürte er das Schwanken der Fregatte. Er spürte das Leben, das sich frei und kühn und mächtig rings um ihn regte. Und doch war ihm in diesem Moment nicht das Jetzt wichtig, sondern der Zukunftstraum von klingender Münze. Diese Chance würde er mit beiden Händen ergreifen. Captain Stone war der dienstälteste Captain der beiden Fregatten. Sie segelten den vier Fregatten nach, die die spanische Flotte bereits erwarteten, und würden deren Linie nach Süden hin verlängern. Man erwartete, daß die spanischen Schatzschiffe den Hafen von Cadiz anlaufen würden. Aber irgendwie war man auf die Idee gekommen, daß sie auch einen nördliche- * ren Kurs nehmen könnten und vielleicht Ferrol oder Corunna ansteuerten. Fox fand es höchst befriedigend, daß die Furieuse sich südlich postieren sollte. Die vier Fregatten, mit denen sie zusammentreffen sollten, hießen Naiad, Ethalion, Triton und Alcmene - zwei 38- und zwei 32-Kanonen-Fregatten. Die Furieuse und die Lynx stellten eine zusätzliche Sicherung dar, um die spanische Flotte rechtzeitig zu sichten, zu verfolgen, zum Gefecht zu zwingen und niederzukämpfen. Und dann - Fox spürte, wie ihm ein wohliger Schauer über den Rücken lief. Dann gab es Prisengeld, so viel, daß es beinah über seine Vorstellungskraft ging. Das Äquinoktium war verstrichen, auch Fox' Geburtstag war vorbeigegangen, ohne daß er oder irgend jemand anderer 98
sich darum gekümmert hätte. Zu Fox' größter Zufriedenheit ließ der Wind nach, als der Tag weiter voranschritt. Fox stellte überhaupt fest, daß er in letzter Zeit dazu neigte, Zufriedenheit zu empfinden, wenn es um irgendwelche Trivialitäten ging. Noch vor ein paar Monaten war er ein wütender, intoleranter schwarzer Bastard gewesen. Vielleicht lag das daran, weil er Erster Offizier eines Captains mit glänzenden Zukunftsaussichten war - und weil er bald eine Breitseite auf eine spanische Schatzflotte abfeuern konnte. Die Routine an Bord nahm wie gewöhnlich ihren Lauf. Niemand außer Staunton und Fox wußte, warum sie so überhastet von Gibraltar aufgebrochen waren. Als sie am nächsten Tag den Verband sichteten und den Befehl erhielten, südlich der Linie Stellung zu beziehen, fuhren die Leute ganz einfach fort, ihrer Bordarbeit nachzugehen. Die Brise sprang um, drehte noch einmal, anscheinend unentschlossen, und endlich blies ein sanfter Wind nach Nordwesten. Die Linie der sechs Fregatten, die durch je fünfzehn Meilen Seeraum voneinander getrennt waren, segelten tagsüber weiter nach Westen und drehten nachts bei, die Breitseiten nach Osten gerichtet. Auf diese Weise konnten die Spanier im Dunkel nicht unbemerkt vorbeigleiten. Im Oktober war das Wetter meist unberechenbar. Man konnte genausogut von glühender Hitze als auch von Schneestürmen überrascht werden. Am Abend des 14. Oktober schnüffelte Fox in die Luft und stellte fest, daß der Wind bei Nacht drehen würde. Vielleicht ließ er dann ganz nach und kehrte am Morgen mit neuer Frische aus nordwestlicher Richtung zurück. Zwar würde es nicht notwendig sein, die Reffe auszustecken, aber immerhin. Er befahl Parsons, ihn am Morgen zu wecken, und legte sich auf seine Koje. Parsons weckte ihn mit sorgenvollem Gesicht. Fox setzte sich auf und wußte, daß seine Ahnung sich bewahrheitet hatte. Die Kadettenmesse lag in geisterhaftem Dunkel, als er sie durchquerte, das Achterdeck schimmerte blaß. Morgan hatte die Wa99
che. Er unternahm einen schwachen Versuch, ein Gespräch mit dem Ersten Offizier zu beginnen, was Fox sofort unterband, indem er zur Luvseite hinüberging, wo er langsam auf und ab schritt. Eines Tages würde er auf seinem eigenen Achterdeck auf und ab gehen. Gäbe Gott, daß dieser Tag bald kommen möge. Das Drehen des Windes, das Fox mit dem sechsten Sinn des erfahrenen Seemanns vorausgeahnt hatte, zwang sie, über Stag zu gehen. Die Rahen schwangen herum, und die Furieuse richtete ihren Bug geradewegs nach Osten. Obwohl auch an Bord der Furieuse nicht die Disziplin herrschte, die Fox mit seinen hohen Ansprüchen verlangte, sah er doch, daß die Leute jetzt schon schneller und geschickter arbeiteten als in den ersten Tagen, nachdem sie den Hafen von Mahon verlassen hatten. Sie hatten ihn alle abgelehnt - von dem Augenblick an, da er an Bord erschienen war. Natürlich mit Ausnahme seiner alten Raccoons. Und sie waren eine ziemlich faule Bande gewesen, die sich unter dem Ersten Offizier Haining ein schönes Leben eingerichtet hatten. Fox hatte ihnen dieses Wohlleben bald ausgetrieben und war dabei nicht gerade sparsam mit Prügelstrafen gewesen. Jetzt konnte er sich bereits der Hoffnung hingeben, daß sich die Furieuse vielleicht einmal in ein Schiff verwandeln würde, das sogar der anspruchsvolle Captain Cuthbert Rowlands gern kommandiert hätte. Die Furieuse glitt nach Osten, über Backbordbug, mit leichten Segeln. Sobald es hell genug war, würden sie sich durch ein Signal mit der Lynx verständigen, um volle sechzehn Strich drehen und über Steuerbordbug zurück nach Westen segeln. Grey kam auf das Achterdeck und blieb bei den Besanwanten auf der Backbordseite stehen. Als Fox zurückblickte, entdeckte er überrascht, daß Barnabas das Steuerrad übernommen hatte. War es tatsächlich eine solche Überraschung für ihn, Barnabas zu sehen? Er mußte es zugeben - seit er Stauntons Erster Offizier war und die schönsten Zukunftshoffnungen hegen durfte -, daß er kaum mehr Kontakt mit seinen 100
alten Leuten hatte. Andererseits war es völlig normal. Männer und Offiziere wurden von Schiff zu Schiff versetzt, eine Zeitlang waren sie Kameraden, dann trennten sie sich wieder. Ein Ruf klang vom Mars herunter. „Deck!" Alle blickten nach oben. Helle Streifen durchzogen das Dunkel und kündeten an, daß die See bald in reichem Farbenspiel schimmern würde. „Segel - zwei Strich Backbord voraus!" Wer immer auch im Mars saß - der Kerl konnte ein paar kräftige Peitschenhiebe vertragen, sagte sich Fox wütend. Er wollte schon losbrüllen, als Morgan, der die Wache hatte, rief: „Was für Segel?" „Ein Schiff, Sir. Ich kann es nicht genau erkennen." Es war unerträglich. Schon nach wenigen Sekunden schrie der Ausguckmann erschrocken auf, und Fox sah das geisterhafte Gitterwerk dunkelgrüner Masten und Spieren, das schwache Schimmern grauer Segel. „Steuerbord, Barnabas!" brüllte er. Die Furieuse drehte ab, und eine große Fregatte sauste an ihrem Backbordbug vorbei, der Klüverbaum streifte beinahe das Steuerbordheck des Fremden. „Das ist die Lynx!'' rief Morgan. „Dieser verdammte Idiot!" schrie Fox. „Ruder mittschiffs, Barnabas!" Die Furieuse fiel wieder auf ihren ursprünglichen Kurs zurück, ihre Segel schlugen wie Negertrommeln. Als sich die Aufregung gelegt hatte, war die Lynx an Steuerbord nach Südosten davongesegelt, und Fox überlegte wütend, welch ätzende Kommentare er im Logbuch festhalten wollte. Dieser geistesschwache Stone hätte die Furieuse tatsächlich beinahe gerammt. Offenbar hatte die Drehung des Windes die Lynx aus ihrer Position gebracht, und wer immer gerade Wache gehabt hatte, sollte schleunigst kilgeholt werden. 101
Als die Morgendämmerung anbrach, flaute der Wind zu einem sanften Wispern ab. Die Lynx segelte jetzt in vier Meilen Entfernung nach Südosten. „Segel ho!" rief der Ausguckposten. „Steuerbord voraus!" Fox wußte, was das für Segel waren. Der ganze Verband war nachts herangekommen, oder die Furieuse war etwas nach Norden abgetrieben worden. Die Lynx verschwand jetzt hinter der Kimm. Sie mußte in einem Wind segeln, der die Furieuse nicht erreichte. „Ein Signal, Sir", sagte Morgan. Man signalisierte ihnen mit wiederholten Flaggenzeichen, daß sie nach Westen abdrehen sollten. Und im nächsten Augenblick folgte das Signal, das Fox so sehnlich erwartet hatte. Grey sagte mit ausdrucksloser Stimme: „Segel in Sicht, Sir. Im Norden." Captain Staunton erschien an Deck und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Fox tippte an den Hut. „Die Dons sind gesichtet worden, Sir. Irgendwo im Norden. Wir drehen jetzt ab, um die Verfolgung aufzunehmen." Staunton starrte Fox an. „Da will ich glatt tot umfallen! Was für erfreuliche Neuigkeiten - und schon so früh am Morgen!" Fox hätte am liebsten die Hand des Captains ergriffen und wie einen Pumpenschwengel geschüttelt. Sie würden sich in eine kurze Schlacht stürzen, einen raschen Sieg erkämpfen - und dann Geld, Ruhm und Ehre! Nach dem Frühstück würde er die Leute auf ihre Stationen schicken und die Fregatte gefechtsklar machen. Was für ein Tag! Er würde in Goldstücken wühlen, Hunderte - nein, Tausende von Münzen würden durch seine Finger rieseln! Die Besatzung stolperte an Bord, als die Pfeifen schrillten. Fox blickte zur Takelage hoch. Er würde Royalsegel setzen lassen, ja, bei Gott! Er würde das Letzte aus der Furieuse herausholen. In strahlendem Glanz würden sie die spanischen Dons angreifen. Er sagte zu Midshipman O'Leary, einem Jungen mit Pickel102
gesicht und spitzen Zähnen: „Wilson soll die Quersaling geben." „Aye, aye, Sir", quiekte O'Leary und rannte davon, um einen Bootsmannsmaat zu suchen, der den Befehl weitergeben Würde. Erleichtert sah Fox, daß Wilson seinen Posten als Ausguckmann einnahm. Er wußte, daß er sich auf ihn verlassen konnte. Wilson hatte die schärfsten Augen im ganzen Verband, und es gab kaum Schiffe, die er nicht identifizieren konnte, wenn sie sich auch eben erst über den Horizont hoben. „Deck!" rief Wilson schon nach wenigen Minuten. „Ein zweiter Segler bei der Lynx!" Fox' erster Gedanke war, daß Stone sich allein ein Schatzschiff geschnappt hatte. Wenn die Lynx aus dem Blickfeld verschwand, konnte Stone, der Speichellecker, die ganze Prise für sich behalten. Aber der Verband im Norden hatte doch signalisiert, daß die Spanier nördlich segelten. Warum war Stone dann im Südosten auf ein Schatzschiff gestoßen? Fox signalisierte der Lynx, erhielt aber keine Antwort. „Ein Linienschiff, Sir!" rief Wilson. „Ein französisches 74-Kanonen-Schiff!" „O Mann!" Fox hielt den Atem an. Er dachte an all das, was auf dem Spiel stand. Die fetten, goldüberladenen spanischen Fregatten segelten im Norden, dicht unter dem Horizont. Vier britische Fregatten wollten sie verfolgen, und die Verfolgungsjagd würde etwa einen Tag dauern und noch bis in die Nacht hinein dauern, bevor es endlich zum Kampf kam. Wenn die Furieuse sich nicht im Blickfeld der Kampfhandlung befand, hatte sie keinen Anspruch auf Prisengeld. Er dachte an seine Familie an der Themse, die von ihm abhängig war. Er dachte an Stone, der ihn haßte und verabscheute, und erneut Wuchs sein Rachedurst. Wie himmlich wäre es jetzt, einfach nach Norden zu segeln, sich dem Verband britischer Fregatten anzuschließen und Stone in die falsche Richtung segeln zu lassen. Wenn der Speichellecker seinen Fehler erst einmal entdeckte, würde es längst zu spät sein. 103
Als Morgan, Staunton und die anderen auf das Achterdeck kamen und ihn erwartungsvoll ansahen, erwiderte er Morgans Blick, ohne mit der Wimper zu zucken, verschränkte die Hände auf dem Rücken und sagte nichts. Sollte Stone doch zum Teufel gehen! Er war nicht der Captain der Furieuse, aber er hatte eine Position, die man dem Kommando fast gleichsetzen konnte. Sollte Stone, der Speichellecker, doch verrotten für all seine Missetaten und Schurkereien! „Feuerrauch, Sir!" rief Wilson. „Der Franzose greift die Lynx an!" In diesem schwachen Wind würde das Donnern der Kanonen nicht bis zur Furieuse dringen. Aber Wilson konnte sehen, daß gefeuert wurde. Und auch der Rest der Schwadron konnte es sehen. Eine britische Fregatte wurde von einem französischen 74-Kanonen-Schiff angegriffen, und die Furieuse segelte davon. Alle konnten es sehen. Aber George Abercrombie Fox konnte das nicht sehen ... Plötzlich tanzten ihm schwarzrote Kreise vor beiden Augen. Nur mit Hilfe des Windes, der ihm ins Gesicht wehte, konnte er sich orientieren. Er wagte nicht, die Reling loszulassen. Stone, der Speichellecker! Noch fünf Minuten, und der Schwachkopf wäre hinter dem Horizont verschwunden gewesen. Dann hätte ihn der Franzose versenken können, ohne daß Fox es bemerkte. Er hatte Wilson in den Mars geschickt, damit dieser möglichst früh die spanischen Schatzfregatten sichtete. Und nun hatte Wilson ihn mit einem unerwarteten Problem konfrontiert. Er hörte, wie Staunton sich räusperte. „Eh - Mr. Fox - Captain Stone - eh - die Lynx..." Wenigstens war er nicht mit einem Captain belastet, der genau zu wissen glaubte, wie man ein Schiff führte. Percy Staunton würde tun, was Fox sagte. Aber danach? Er hatte bereits andere Wesenszüge an Staunton entdeckt. Vielleicht würde der Admiralsneffe nicht stumm zusehen, wie seine Fregatte vor 104
dem französischen Schiff davonsegelte. Und die Offiziere auf dem Achterdeck, deren Blick Fox jetzt spürte? Sie mochten ihn nicht, sie würden zu seinen Ungunsten aussagen, wenn die Geschichte ruchbar wurde. Aber - seine Familie! Und all das viele Gold! Die alte, vergessene Wunde, die sein linkes Auge und manchmal auch das rechte mit diesem verdammten schwarzroten Ring umnebelte, erleichterte ihm die Entscheidung nicht. Im Norden segelten fette Prisen, aber da unten in Südosten kämpfte eine britische 38-Kanonen-Fregatte gegen ein französisches 74-Kanonen-Schiff. Eigentlich gab es nur einen einzigen Befehl, den er jetzt erteilen mußte - nicht aus Patriotismus, sondern um seine Karriere nicht mit einem Schlag zu zerstören. „Wir drehen! Wir werden es diesem Franzosen zeigen!" 12. Alles war befeit Ketten sicherten die Rahen, die Decks waren mit Sand bestreut. Der Stückmeister stand unten im Pulvermagazin, um die Vorbereitungen zu überwachen, die Schiffsjungen warteten darauf, in wilder Hast die Lederbeutel mit den Patronen heranzuschleppen. Das Kombüsenfeuer war erloschen. Schweigend standen die Männer bei den Kanonen, die Seesoldaten hatten ihre Positionen eingenommen. Staunton hatte sich in seine Galauniform geworfen und sah wie ein Pfau aus. Fox trug seinen ältesten Rock. Er hatte sich schon genug neue Uniformen in Schlachten ruinieren lassen. Zum Teufel mit den alten Gefechtstraditionen! Der Zahlmeister würde die Verwundeten auf das hintere Raumdeck schaffen lassen, wo die zusammengeschobenen Seekisten der Midshipmen als Operationsfläche dienen sollten. Die Laschungen der Kanonen waren gelöst, die Mündungspfropfen entfernt, die Geschütze in die Stückpforten geschoben. 105
Die Furieuse segelte auf die Lynx und auf den Franzosen zu, und jetzt hörten sie bereits aus der Ferne den rollenden Donner der Breitseiten. Fox schnitt eine Grimasse. Mußte Stone seine Fregatte ausgerechnet in eine Position bringen, die es den Franzosen erleichterte, eine Breitseite nach der anderen abzufeuern? Fox hatte sich bei der Aufstellung der Gefechtsrolle selbst als wachhabenden Offizier eingeteilt. Grey fungierte als sein Signalmidshipman, Carker befehligte vier Karronaden auf dem Achterdeck. Steuermannsmaat Andrew Williamson und Midshipman Simpson befehligten unter Dillon die restlichen Karronaden. Haining und Morgan kommandierten auf dem Oberdeck die Hauptbatterie der Achtzehnpf under. Fox hatte den ersten Eindruck nicht vergessen, den er von Smythe, dem Offizier der Seesoldaten, gewonnen hatte, und so war er froh, daß Sergeant Cartwright, wenn nötig, eingreifen konnte. Während Fox nach Südosten segelte, um eine britische Fregatte mit einem unfähigen Captain aus den Klauen der Franzosen zu retten, schlüpfte ihm hinter dem nördlichen Horizont ein Vermögen durch die Finger. Die Ironie dieser Situation erheiterte George Abercrombie Fox keine Sekunde lang. Neben Moliere war Francois Villon sein zweiter französischer Lieblingsdichter. Fox fühlte, daß die traurige Aura von versäumten Gelegenheiten und vergeudeter Zeit, die Villon so meisterlich besungen hatte, gut zu seiner augenblicklichen Lage paßte. Morgan und Haining standen auf dem Oberdeck, in ein Gespräch vertieft. Fox nahm an, daß sie über Frauen, Rennpferde oder den Weinvorrat in der Offiziersmesse diskutierten - über alles, nur nicht über das 74-Kanonen-Schiff, auf das sie jetzt zusegelten. Die Furieuse segelte mit sieben Knoten und fand in südöstlicher Richtung kaum einen Hauch des Windes vor, der die Lynx so weit getrieben hatte. Wenn die Brise restlos wegblieb und sie sich in der Reichweite der französischen Kanonen befanden - dann gute Nacht, Furieuse! 106
Der Kanonendonner schwoll an, und Staunton kicherte, daß sein Adamsapfel nur so auf und ab tanzte. „Ein verdammt schöner Tag für ein Gefecht, nicht wahr, Mr. Fox?" „Jeder Tag ist gut für ein Gefecht. Vorausgesetzt, daß man zuerst auf den Gegner feuert - und nicht umgekehrt." Fox ging nach vorn und sprang in die Großwanten auf der Leeseite. Er kletterte ein paar Webeleinen hinauf, blickte sich um, balancierte das Teleskop geschickt gegen die Bewegungen der Fregatte. Aus der Rauchwolke ragten die Masten der kämpfenden Schiffe, ohne Segel, aber von bunten Flaggen umweht. Fox zählte sechs Masten, also war noch keiner ernsthaft beschädigt. Nach der Lage der Masten der Lynx mußte Fox allerdings annehmen, daß sie bereits etwas lädiert waren. Die höheren Masten des Franzosen, der etwas weiter vorn lag, überragten die der Lynx. Immer wieder quollen Rauchschwaden auf, flogen sanft im Wind davon. Fox beobachtete den Schauplatz des Gefechts. Jetzt, nachdem er seine schwere Entscheidung getroffen hatte, funktionierten seine beiden Augen wieder tadellos. Er mußte die Luvseite behalten. Er hatte keine Chance, an dem Franzosen vorbeizuschlüpfen und an dessen Leeseite hochzuluven, um ihn zur Schlacht zu zwingen. Das 74-Kanonen-Schiff würde nicht zögern, die britische Fregatte sofort zu beschießen. Aber zwei Fregatten - vielleicht lag hier die Chance, den Franzosen zu verjagen und danach in Windeseile zu den spanischen Schatzfregatten zurückzusegeln. Dann könnte sich Fox vielleicht doch noch ein Stück vom Kuchen abschneiden ... „Deck!" schrie Wilson. „Noch ein Franzose! Eine Korvette! Sie segelt auf das Linienschiff zu!" Fox riß sich nicht den Hut vom Kopf, sprang nicht darauf. Er kletterte ruhig wieder die Webeleinen nach unten, stieg auf das Achterdeck, das Teleskop unter den Arm geklemmt, und ging auf Captain Staunton zu. Er wußte, daß jedes Auge an Bord jetzt auf ihn gerichtet war. Fox unterdrückte einen Fluch, der Staunton tödlichen 107
Schrecken eingejagt hätte, wenn er ihn gehört hätte. „Ja, Mr. Fox?" Fox erinnerte sich, daß er diesen Ignoranten von Captain vor den französischen Kanonenbooten gerettet hatte, die Stauntons Schiff in Stücke geschossen und versenkt hatten. Aber wie Staunton oder sein Erster Offizier Greaves in diese Misere ge-. raten waren - er war zu taktvoll gewesen, um danach zu fragen. Aber jetzt konnte es gewiß nicht schaden, wenn er Percy informierte, in welche Situation er sich soeben begab. Er zog den Captain außer Hörweite der anderen Offiziere, die auf dem Achterdeck standen. „Wir hätten das Linienschiff umsegelt, es der Länge nach beschossen, dann auf das Heck gefeuert. Und die Franzosen hätten es sicher bitter bereut, die Lynx angegriffen zu haben. Aber jetzt wird diese verflixte Korvette wohl das gleiche mit uns tun." „Ich verstehe, Mr. Fox. Beim Jupiter! Das klingt ziemlich ungesund." „Also, was wollen wir befehlen?" Wie gern hätte Fox geantwortet: Sie sind der Captain, Sie geben hier die Befehle. Aber Staunton hatte sich nie benommen, als sei er tatsächlich der Kommandant. Er hatte Fox immer fair behandelt. Und unübersehbar stand immer der Schatten des mächtigen Onkels im Hintergrund, der Schatten Admiral Stauntons. „Wir werden dem Franzosen die Zähne zeigen, Sir, und dann werden wir zurückdrehen und die Korvette entern." „Großartig, Mr. Fox, großartig!" Percy strahlte, als wäre die Schlacht bereits gewonnen. Die Männer standen bei den Kanonen, ebenso standen die Männer für die Segel bereit, falls plötzlich Segel eingeholt werden mußten, die Entermannschaft wartete bewaffnet mit Säbeln und Pistolen. Ja, Fox hatte eine Mannschaft, die gut kämpfen würde, wenn sie auch noch nicht zu einer Einheit verschmolzen war, wie er 108
es sich wünschte. Fox dachte an Ponty, den sie an der Küste von Gibraltar zurückgelassen hatten. Er bedauerte es, ihn verloren zu haben. Die Dänen waren kühne Kämpfer, genau wie die Schweden. Er hatte Glück, daß mindestens zehn Schweden zur Besatzung der Furieuse zählten. Joachim, der Geschützführer, war ein Deutscher, Slattery ein Amerikaner. Auch die Amerikaner konnten wie die Wilden kämpfen, wenn es darauf ankam. Dann waren da noch ein Lette, ein Pole, fünf Italiener und zwei Russen - eine buntgemischte Mannschaft, die jetzt gegen Monsieur Johnny Crapaud in die Schlacht zog. Auf dem Achterdeck, neben einer der Karronaden, die Grey befehligte, stand Abdul, der schwarze Riese, den sie von den Türken abgeworben hatten. Er stand so, daß er rasch hinüberspringen und das Steuerrad übernehmen konnte, falls der Steuermann getroffen würde. Vorausgesetzt, dachte Fox stirnrunzelnd, daß das Steuerrad dann noch existierte. Mit vollen Segeln glitt die Furieuse dahin. Das 74-KanonenSchif f war wahrscheinlich mit dreißig Sechspf ündern auf dem Unterdeck bestückt, mit Zwölf- oder Achtzehnpfündern auf dem Oberdeck, und vielleicht trug das Achterdeck dreißig 6Pfünder-Messingkarronaden. Eine volle Breitseite konnte die Furieuse spielend leicht versenken. Was Stone in dieser unmöglichen Situation an Bord der Lynx trieb, wußte Fox nicht. Der Donner des Kanonenfeuers schwoll an, als sich die Furieuse dem Gefechtsschauplatz näherte. Jetzt konnte Fox die beiden Schiffe deutlicher erkennen. Die Lynx hatte es geschafft, sich aus der unmittelbaren Gefahrenzone, der Reichweite der französischen Breitseiten, zu entfernen. Sie hatte sich dwars vom Bug des 74-Kanonen-Schiffs postiert, wandte ihm fast direkt das Heck zu und konnte wenigstens ein paar Achtzehnpfunder vom Achterdeck abfeuern. Für einen Augenblick ließ das Feuer nach, der Rauch trieb leewärts davon. Da Fox von der Windseite kam, befand er sich in bester Position. Er ging zu Barnabas hinüber, der am Steuer109
rad stand, Ben Ferris neben sich. Der Posten des Steuermanns war auf einer Fregatte wie der Furieuse ziemlich exponiert, keine Achterhütte schützte ihn. „Barnabas, Ben - wir segeln an der Gillung des Franzosen vorbei, und dabei treten wir ihn in den Hintern. Dann drehen wir sauber herum und beschießen seine Breitseite." „Aye, aye, Sir", sagte Barnabas, und Ben Ferris echote: „Aye, aye, Sir." Beide Raccoons - nein, korrigierte sich Fox. Jetzt waren sie Furieuses. Er kehrte an die Achterdeckreling zurück. Staunton hüpfte von einem Fuß auf den anderen, Grey wartete geduldig. Jetzt hatte er noch lange keine Signale zu geben. Und wenn es soweit war, hatten sie vielleicht gar keine Masten oder Rahen mehr, an denen sie die Signalflaggen vorheißen konnten. Aber Fox konnte Grey nicht befehlen, das Achterdeck zu verlassen. Grey hatte ein Recht, hier zu stehen. Auf diese Weise lernten die jungen Gentlemen, wie man sich für König Georg in eine blutige Seeschlacht stürzte. Der Franzose war anscheinend irgendwie durch die Blockade geschlüpft, die die Briten ein wenig gelockert hatten. Und vielleicht waren dieses Linienschiff und seine Begleitkorvette nicht die einzigen feindlichen Schiffe, die die Blockade durchbrochen hatten. Vielleicht bildeten sie nur die Vorhut eines größeren französischen Verbands. Und zu diesem Verband konnten 80- und 84-Kanonen-Schiffe gehören. Womöglich segelte eine ganze Flotte heran. Aber dann beschloß Fox, sich diese wilden Spekulationen aus dem Kopf zu schlagen. Erst einmal hatte er es nur mit einem Linienschiff zu tun. Es hatte eine britische Fregatte gesichtet und angegriffen wie ein Hund, der nach einer Ratte schnappte. Na, Fox näherte sich auf einer zweiten Ratte. Sie würden den Hund in die Mitte nehmen, ihn zerreißen und dann schleunigst das Weite suchen. „Die Lynx hat ihren Besanmast verloren, Sir", meldete Grey. „Danke, Mr. Grey." Staunton sprach mit einer Selbstverständlichkeit, als gehöre es für ihn zum Alltag, auf dem Achter110
deck seiner Fregatte zu stehen und sie in die Schlacht zu führen. Nun, einmal hatte er das zumindest schon getan, wie Fox wußte. Jetzt würde es der Lynx schwerfallen, aus der Gefahrenzone zu fliehen. „Deck!" schrie Wilson vom Top herab. „Die Korvette hat uns gesehen! Sie hält auf uns zu !'' Staunton warf Fox einen Blick zu, aber im häßlichen Gesicht des Ersten Offiziers regte sich kein Muskel. „Wenn die Korvette so dumm ist, uns in einen Kampf zu verwickeln, bevor wir das 74-Kanonen-Schiff getroffen haben, so ist das ihre Schuld." Der Rauch schwebte über die blaue See der Furieuse entgegen, der Kanonendonner rollte wieder mit neuer Kraft. Die Korvette, die mit ihren geblähten Segeln zauberhaft aussah, glitt durch weiße Gischt heran. Fox berechnete die Winkel der Entfernung. Er zielte auf das Heck des 74-Kanonen-Schiffs. Wenn die Korvette seinen Kurs kreuzte, würde sie es noch bereuen. Er würde sie ignorieren, bis er die erste Breitseite auf das Deck des Linienschiffes gefeuert hatte. Die Vorstenge der Lynx brach zusammen. Jetzt war Stone endgültig besiegt. Fox lehnte sich über die Achterdeckreling. „Mr. Haining! Halten Sie Ihre Leute bereit! Ich will sofort über Stag gehen!" „Aye, aye, Sir!" rief Haining zurück. Fox erinnerte sich, was von einem Captain in einer solchen Situation erwartet wurde, wandte sich zu Staunton um und sagte leise: „Vielleicht wollen Sie ein paar Worte an die Leute richten, Sir?" Percy strahlte über das ganze bartlose Gesicht. Er erzählte den Männern, was sie hören wollten, bombastischen Unsinn, in dem Rum und Peitschenschläge, der gute König Georg und korsische Banditen und Englands Ehre die Hauptrollen spielten. Und Fox dachte an die spanischen Prisen, die sich hinter 111
dem nördlichen Horizont immer weiter entfernten. Aber trotz dieser niederschmetternden Gedanken beobachtete er die beiden feindlichen Fahrzeuge und sah, wie der Wind die Rauchwolken verjagte. Wenn diese Rauchschleier nun plötzlich nicht mehr davontrieben ... Nein, die Korvette segelte mit günstigem Wind heran. Sie luvte an, sichtlich nicht gewillt, es allein mit der großen Fregatte aufzunehmen. Fox erteilte mit heiserer Stimme die nötigen Befehle, und die Furieuse lavierte so, daß sie am Heck des Linienschiffes einen Pistolenschuß entfernt vorbeisegeln würde. Ein Pistolenschuß hatte im allgemeinen eine Reichweite von fünfzig Yards. Fox plante, seine Backbordbreitseite mit einem Zwölf-, dreizehn Achtzehn- und sieben Zweiunddreißigpfündern direkt auf das vergoldete, mit Fenstern versehene Heck des Franzosen abzufeuern. Auf eine Entfernung von fünfzig Yards konnte er so dem Feind beträchtlichen Schaden zufügen. „Erst feuern, wenn ihr den Franzosen in Peilung habt!" schrie er. „Morgen wird jeder Geschützführer seiner Mannschaft ausgepeitscht, wenn er zu früh ballert!" Sie wußten alle, daß das keine leere Drohung war. Die Entfernung verringerte sich jetzt mit phantastischer Geschwindigkeit. Die Korvette hatte gedreht und segelte jetzt über Steuerbordbug näher. Jeden Augenblick konnten ihre zehn Neunpfünder auf der Backbordseite die Furieuse treffen, sie vor die Kanonen des Linienschiffes treiben. Zum Teufel mit der Korvette! Weiter! Die Furieuse segelte auf das 74-Kanonen-Schiff zu. Fox sah, wie Staunton schluckte, daß seine Rechte zum Säbel griff und zuckte. Die Korvette feuerte, die Geschosse pfiffen über die Furieuse hinweg, peitschend brach ein Segelfall, ein rundes schwarzes Loch erschien im Besanmarssegel. Der Bugspriet der Furieuse glitt am Heck des Linienschiffes vorbei. Jetzt! Die Fregatte feuerte. 112
13. „Großartig!" schrie Captain Staunton. „Phantastisch!" rief der alte Navigationsoffizier Burlington. Dillon hüpfte vor Ungeduld. Er konnte es kaum erwarten, auch seine Karronaden in Aktion zu bringen. Die Linie der Achtzehnpfünder spuckte einen langen Rauchschleier über das Deck der Furieuse, als sie am Heck des Franzosen vorbeisegelte. Der Wind zerriß den Rauch und trieb einzelne Schwaden leewärts. Fox stand an der Reling, starrte zu dem 74-Kanonen-Schiff hinüber und sagte kein Wort. Er sah die zerfetzten Segel, die explodierten Laternen, die zerschmetterten Heckfenster, das zersplitterte Holz auf dem Kanonendeck. Er sah ein keilförmiges Wrackteil, das vom Steuerrad hochflog, als hätte ein unartiges Kind ein Stück Kuchen abgebissen und es wieder ausgespuckt. Er sah das alles, bevor der Rauch alles in graubraunen Nebel hüllte. Und er sah auch den Namen des 74-Kanonen-Schiffs, der sich über das Heck zog - Zodiaque. Eine Sekunde später feuerten Dillons Karronaden und wischten die Buchstaben „que" weg. Die arme Zodiaque war schwer angeschlagen. Und die Lynx bildete ein heilloses Durcheinander. Sie hatte inzwischen alle ihre Masten verloren, ein Wirrwarr von Wrackteilen hing an ihrer Längsseite herab. Der Rauch verhüllte sie fast ganz. Die Seesoldaten feuerten unermüdlich von Mittelschiff und Achterdeck aus. Zweifellos hatten die Franzosen sie zu entern versucht. Die Zodiaque ragte aus dem Rauch. Alle ihre Masten standen noch, wenn sie auch die Großbramstenge verloren hatte. Der Großteil der Takelage hing in Fetzen herab. Fox runzelte die Stirn. Die Furieuse drehte, wie er es befohlen hatte. Haining hatte dieses Manöver mit einer Sorgfalt beaufsichtigt, die Fox' Befehlen entsprach. Aber die herabhängenden Segelfetzen der Zodiaque verrieten, wie launisch der Wind war. Wenn Fox jetzt den Windvorteil verlor, konnte er mitten in die 113
Hölle geraten. Die Furieuse segelte zurück, und ihre Steuerbordseite donnerte. Morgan stieg unter Deck, um jeden Achtzehnpfünder zu kontrollieren. Als er unter dem Achterdeck verschwand, übernahm Dillon das Kommando der Karronaden. Wieder wurde die Zodiaque empfindlich getroffen. Fox konnte sich nur zu gut vorstellen, was sich jetzt auf den Kanonendecks des Linienschiffes abspielte. Er war selbst schon an Bord eines Schiffes gewesen, das von Breitseiten beschossen worden war. Aber er sah jetzt nicht mehr zur Zodiaque hinüber. Er beugte sich vor, blickte am Backbordbug der Furieuse vorbei. Ja! Da war die Korvette, schwang herum, feuerte ihre zehn Neunpf ünder ab. Das vertraute, gefürchtete, splitternde Geräusch drang zu ihm. Wenigstens eine Kanonenkugel der Korvette hatte ihr Ziel gefunden. Die Blöcke unter dem Vormars krachten, Doppelblöcke für die Sprietsegelbrasse, die Gording und die Bauchgording, und vier Einzelblöcke für die Marssprietsegelbrasse. Die Segel der Vorstenge verfingen sich. Bevor die Blöcke noch Zeit fanden, an Deck zu fallen, feuerte Fox eine Salve von Flüchen ab. Der Oberbootsmann Sneyd und seine Maate sowie die anderen Leute, die Fox für den Augenblick entbehren konnte kletterten blitzschnell die Wanten hinauf, um den Schaden zu beheben, so gut es ging. Der Bug der Furieuse schwang nach Steuerbord. Wenn Fox jetzt falsch reagierte, würden sie in wenigen Minuten ein unrettbares Wrack sein. Er rief Barnabas und Dillon seine Befehle zu, und der Rudergänger brachte sein Rad herum, die Fregatte schoß durch das Wasser. Der Pole Jecmyk, von der Mannschaft Jammy genannt, war am Kopf getroffen und über Bord geworfen worden. Verwirrung kam auf, dann hatte Fox die Furieuse wieder fest in der Hand, drehte mit seinen restlichen Segeln und griff an. Als sie an der Korvette vorbeiglitten, sah er mit Befriedigung, wie die Breitseite der Fregatte den Großmast des Feindes zu einem Z formte. Dann brach er zusammen, in einem Gewirr von Holz, 114
wogenden Segeln und Tauwerk. Um die Korvette brauchte er sich nicht mehr zu kümmern. Aber der Captain des 74-Kanonen-Schiffs hatte seinen Verstand noch beisammen. Zweifellos kommandierte er eine nur halbtrainierte Mannschaft, der es zwar nicht an Begeisterung und Tapferkeit fehlte, aber an seemännischer Erfahrung. Und nur wenn man über reiche Erfahrung verfügte, konnte man eine lange Kampfhandlung durchstehen. Die Zodiaque hatte sich von der Lynx entfernt, ihr Bug schwang herum. Sie hatte sich von ihrem hilflosen Feind befreit, um mehr Aktionsraum zu haben, sich aus der Gefahrenzone zu bringen, da ihr eine weitere Breitseite des neuen Gegners drohte. Fox bezweifelte ernsthaft, daß die Franzosen bei den Kanonen stehenbleiben würden, wenn jeder andere gewöhnliche Sterbliche aufgeben, sich weigern würde, noch einmal die Geschütze aus- und einzufahren, Rohre auszuwischen, nachzuladen. Daß die britischen Seeleute das taten, lag nur an ihrem Training und an der Entschlossenheit ihrer Offiziere, die eiserne Disziplin forderten. Die Franzosen waren keineswegs mutiger als die Briten. Sie hatten nur andere Prinzipien - Prinzipien, die Fox vom menschlichen Standpunkt her teilte, die er aber als Offizier der Royal Navy nur ablehnen konnte. Die Zodiaque schwang weiter herum, so daß ihre ganze Doppeldeckerbreitseite auf die britische Fregatte zeigte. Fox rief Barnabas einen Befehl zu, und der Rudergänger brachte die Furieuse aus der Reichweite der französischen Geschütze. Fox würde sich nicht Rahnock an Rahnock an ein 74-KanonenSchiff heranwagen. Wütend blickte er in den Himmel hoch. Dieser verdammte launenhafte Wind! Der Captain der Zodiaque nutzte seinen Vorteil, dem Gegner die Breitseite zuzuwenden. Aber Fox hatte das wendigere Fahrzeug unter den Füßen, das um das plumpe Linienschiff Kreise ziehen konnte. Die Lynx war aktionsunfähig, ein mastenloses Wrack. Die Furieuse segelte geradewegs auf die Zodiaque zu, luvte an und glitt an ihrem Heck vorbei. Ihre Breitseite krachte, immer noch 115
fielen keine Masten an Bord des Franzosen, und Fox fluchte erbittert. Sie drehten wieder, und im selben Augenblick erstarb der Wind, die Segel hingen traurig herab. Die Zodiaque hielt im letzten Rest der Brise auf sie zu, würde ihren Kurs kreuzen, sie würde die britische Fregatte der Länge nach beschießen ... Fox sah zu Staunton hinüber. Der Captain starrte mit glasigen Glotzaugen nach vorn. Jeder sah, daß das Linienschiff langsam und unabwendbar vom Backbordbug der Furieuse zum Vordersteven segelte, jeden Augenblick würde es in einer Rauchwand verschwinden, und dann würde an Bord der Fregatte die Hölle losbrechen. Fox spürte, wie ein Lufthauch seine Wange streifte. Er brüllte, seine Leute rannten an die Brassen, langsam drehte der Bug der Fregatte, folgte dem Bug der Zodiaque. Jetzt bildeten die beiden Fahrzeuge einen Winkel von fünfundvierzig Grad, ihre Bugspriete waren etwa dreihundert Yards voneinander entfernt. Fox wagte nicht noch länger zu warten. Sobald die Kanonen gerichtet waren ... Sie konnten mit Handspaken herumgewuchtet werden. Die Geschützmannschaften konnten die Kanonen der Furieuse etwa um drei Strich seitwärts richten. In diesem Augenblick war Fox froh, daß er so oft mit den Kanonen exerziert hatte. Er hatte persönlich die Haltetaue jedes einzelnen Geschützes inspiziert. Wenn eine Kanone nicht direkt auf der Breitseite abgefeuert wurde, mußten die Haltetaue eine enorme Belastung aushalten. Er konnte nur hoffen, daß niemand von einer losgerissenen Kanone getötet oder verstümmelt wurde wie der arme Ponty. Ohne ein Wort zu Staunton zu sagen, lief Fox vom Achterdeck herab und das Oberdeck entlang. Als er die vorderen Achtzehnpfünder erreichte, kreischte Midshipman Gruber gerade seine Mannschaft an: „Dreht die Kanone herum, ihr faulen Landratten und Hurensöhne!" Diese Kinder eigneten sich heutzutage doch wirklich einen schockierenden Wortschatz an. Fox beobachtete, wie Grimes, ein schielender Seemann mit rotem Haar, seine Handspake 116
herumwuchtete. Die 18-Pf ünder-Kanone drehte sich zur Seite. Fox blickte an dem Metallrohr entlang. In zwei Minuten würde das Geschütz korrekt gerichtet sein. „Weiter so, Mr. Gruber!" „Aye, aye, Sir!" schrie der Junge aufgeregt. Fox inspizierte noch die Richtung der anderen Kanonen, dann kehrte er auf das Achterdeck zurück. Die Geschütze spien Feuer, ein Ruck ging durch die Fregatte. Der Rauch zerteilte sich, ein Zeichen, daß erneut Wind aufgekommen war. Die Zodiaque, deren Besatzung nicht so gut ausgebildet war wie die eines britischen Schiffs, konnte natürlich ihre Kanonen nicht so effektvoll richten. Die Furieuse konnte zwei volle Breitseiten abfeuern, bevor Fox die Rauchwolken aus der Seite des Zweideckers quellen sah. Aber dann trafen die französischen Kanonenkugeln. Dillon wurde quer über das Oberdeck geschleudert, sein Kopf eine blutige Masse. Die Großbramstenge schwankte, brach dann zusammen, riß Taue und zerfetzte Segel mit sich. Die Achterdeckreling stürzte an der Backbordseite krachend auf die Planken, der Besanmast zerbarst in tausend Stücke. Drei Männer, die neben Fox an einer Karronade standen, taumelten schreiend zurück, lange Splitter steckten in ihren verkrümmten Körpern. Blutgeruch erfüllte die Luft und mischte sich mit dem Gestank des Pulverrauchs. Midshipman Callaghan starrte auf sein linkes Handgelenk, aus dem Blut quoll. Er wußte nicht, wo die Hand war. Lestock, der große Schlagmann, sank auf die Knie, ein zwei Fuß langer Splitter ragte aus seinem Rücken. Mr. Burlington, der Navigationsoffizier, nahm seinen Hut ab und starrte verwirrt die Krempe an, die zerrissen und ausgefranst war, als hätte ein wilder Wolfshund sie zerbissen. „Weiterfeuern, Mr. Haining!" brüllte Fox. „Aye, aye, Sir!" schrie Morgan zurück. Er blickte zum Achterdeck hoch, sein Gesicht war pulvergeschwärzt, seine Augen glühten wie Kohlen. „Mr. Haining ist zweigeteilt worden, Sir!" „Kanonen auf die Breitseite richten!" befahl Fox. 117
Er ließ die Furieuse herumdrehen, sie entfernte sich von der Zodiaque. Trotzdem mußte sie noch zwei Breitseiten mit katastrophaler Wirkung hinnehmen. Eine Achtzehnpfünderkugel tötete Rawlinson und Callaghan, Blöcke zersplitterten, Takelage krachte herunter. Die Besanbramstenge stürzte über Bord, wie von einer Riesenfaust geschleudert. Dann waren sie der Gefahrenzone entflohen, und Fox befahl Sneyd, die dringendsten Reparaturen vorzunehmen, damit er die Fregatte herumbringen und sich erneut in das Inferno wagen konnte. „Schwerarbeit, was, Mr. Fox?" Percy Staunton strahlte. „Aye, Sir. Und es wird noch schwieriger, wenn die verdammten Franzosen jetzt nicht endgültig den Rückzug antreten." „Sie können ja nicht wissen, was für eine tolle Fregatte die Furieuse ist. Deshalb bilden sie sich ja auch ein, sie könnten sie mit ihrem 74-Kanonen-Schiff ohne großen Aufwand versenken." Fox sagte nicht: Gäbe Gott, daß Sie mit Ihrer Zuversicht recht behalten ... Statt dessen sagte er: „Die Dons können jedenfalls froh sein, daß uns die Zodiaque über den Weg gesegelt ist." „Geld!" rief Staunton. „Was ist schon Geld im Vergleich zu unserem heutigen glorreichen Sieg, Mr. Fox!" Darauf gab es keine Antwort. Zumindest keine, die Fox geben konnte. Die Furieuse stürzte sich wieder in die Schlacht, es gab keinen anderen Weg. Sie mußte ihre Leute opfern. Bis dieser verdammte Zweidecker seinen Großmast verloren hatte, wagte Fox nicht, sich den vier britischen Fregatten anzuschließen. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Die ganze Aktion hatte begonnen, als er Stone widerstrebend zu Hilfe gekommen war. Und jetzt war es seine Pflicht, diesen großen Zweidecker davon abzuhalten, die Pläne der britischen Admiralität durcheinanderzubringen. Wieder griffen sie an, wieder fauchten die französischen Kanonenkugeln über das Deck der Furieuse. Midshipman Simp118
son und ein Maat brachen neben ihren Karronaden zusammen. Fox brüllte zu Carker hinüber: „Jetzt liegt alles bei Ihnen, Mr. Carker! Weiterfeuern!" „Aye, aye, Sir", erwiderte Carker in seiner phlegmatischen Art, nur darum besorgt, daß er seine Pflicht so gut wie möglich erfüllte. Midshipman Gruber rannte auf das Achterdeck, sein Gesicht war eine schwarze Maske, er hielt sich mit einer Hand den Mund zu, zwischen seinen Fingern tropfte Blut herab. Als er sprach, konnte Fox ihn kaum verstehen. „Bitte, Schir, Mischter Morgan ischt tot..." Fox legte die Hand auf Grubers schmale Schulter. „Gehen Sie unter Deck, Gruber, und lassen Sie Ihre Wunde verarzten!" Er stieß den Jungen beiseite und brüllte wütend: „Mr. Grey! Würden Sie bitte das Kommando der Hauptbatterie übernehmen!" Er runzelte die Stirn, als Grey zu ihm trat, den vertrauten halb fragenden, halb spöttischen Ausdruck in den Augenwinkeln, der Lieutenant Fox bis auf den Grund der Seele zu dringen schien. „Weiterfeuern, Mr. Grey !" „Aye, aye, Sir." Grey wandte sich ab und sprang sehr athletisch und sehr lässig zum Quarterdeck hinunter. „Wir verlieren eine Menge guter Männer, Mr. Fox." „Ja." Fox starrte Staunton an und fragte sich, warum man als Admiralsneffe unbedingt zur See fahren mußte. Wieder griff die Furieuse an, und diesmal brachte Fox sie geschickt vor den Bug der Zodiaque. Greys Bemühungen bei den Oberdeckkanonen, Carkers gezieltes Abfeuern der Achterdeckkarronaden trugen blutige Früchte. Rauch wallte auf, das Donnern betäubte die Ohren, die ganze Welt schien sich mit äzendem Pulverrauch zu füllen. „Der Franzose ist erledigt!" schrie irgend jemand. Fox kniff die Augen zusammen und starrte durch die Rauchschwaden. Die Vorstenge der Zodiaque schwankte, Splitter brachen nach allen Seiten, die Segel bauschten sich, und dann sank das ganze Gewirr von Holz und Segeltuch und Tauwerk 119
ins Meer. Noch immer feuerte der Zweidecker, Flammenzungen entzündeten die zerfetzten Segel. Fox sah die dunklen Gestalten, die aufgeregt zum Vorkastell der Zodiaque rannten und Wassereimer schleppten. Er sah Goldepauletten auf der Schulter eines Mannes blitzen, der eine Axt schwang. „Sergeant Cartwright! ' schrie er. „Feuern Sie auf die Schnekkenfresser da drüben! Rasch!" Wenn Cartwright antwortete, so hörte Fox es nicht. Aber die Schüsse der Seesoldaten schleuderten die Feinde vom Vorkastell. Trotzdem fluchte Fox. Er hätte die Chance gehabt, das 74-Kanonen-Schiff in Brand zu setzen, und die Chance hatte er verpaßt. Verdammt! Und während er diese düsteren Gedanken wälzte, erzitterte die Furieuse unter dem Rückstoß ihrer nächsten Breitseite. Die Franzosen konnten jetzt nicht mehr lange durchhalten. Ohne Vormarssegel konnte der Zweidecker kaum manövrieren. Trotzdem würde es schwierig sein, die Zodiaque zu entern. Sie war mit mindestens sechshundert Mann besetzt, und mehr als zweihundert hatten in diesem Gefecht kaum den Tod gefunden. Wieder drehte die Furieuse in den Rauchschleiern. Fox beschloß, die Fregatte leewärts vom Heck der Zodiaque zu halten und zu schießen, bis der Zweidecker sank. Auf dem Deck der Furieuse lagen viel zuviele Tote. Zwei Seesoldaten trugen einen verwundeten Kameraden nach unten. Fox schrie seine Befehle, und die Männer benutzten die kurze Feuerpause, um die Toten über Bord zu werfen. Die zerschmetterten Körper versanken lautlos im Kielwasser. An drei oder vier Stellen rann dunkles Blut aus den Speigatten des Zweideckers. Wer immer der Captain der Zodiaque war, er verdiente Fox' Respekt. Als die Furieuse zum nächsten Angriff an das Heck des Gegners heransegelte, hatten die Franzosen bereits eine improvisierte Vorstenge errichtet und befestigten die Rahen daran. Dieser Captain war eine wahre Kämpfernatur, und unter anderen Umständen hätte Fox ihn 120
gern kennengelernt. Fox hatte die beiden vernichtenden Breitseiten nicht vergessen, die die Furieuse gleich zu Beginn der Schlacht abgefeuert hatte - Breitseiten, die den Zweidecker hätten vernichten müssen. Und dabei hatte er vorher noch gegen die Lynx gekämpft. Bei diesem Gedanken wandte er sich um und suchte in den Rauchschwaden nach der britischen Fregatte. Sie lag einfach auf dem Wasser, ein entmasteter, hilfloser Rumpf. Jenseits von ihr lag die Korvette, ein verbogener Großmast erhob sich mittschiffs. Fox grinste spöttisch. Er würde der Korvette bald einen Besuch abstatten. Auf diese Weise konnte er seinen Männer eine Ruhepause verschaffen und ihnen Gelegenheit geben, die Früchte ihrer Arbeit zu besichtigen. Noch während er hinübersah, begann sich an Bord der Lynx ein Ersatzmast aufzurichten. Irgend jemand hatte da drüben also noch alle Sinne beisammen - wenn Stone tot war. Fox wußte nicht so recht, ob er sich freuen sollte oder nicht, falls sein Intimfeind auf solche Weise den Tod gefunden hatte. Die Furieuse segelte wieder am Heck der Zodiaque vorbei und spie Feuer aus allen Karronaden und Kanonen, die Grey und Carker zur Verfügung hatten. Schwarzer Rauch legte sich über die Szene, Männer brüllten auf, als das Antwortfeuer kam. Der Großmast der Furieuse zitterte, Fox sah mit Entsetzen, wie sich ein großer Splitter löste, sechs Fuß über den Decksplanken. Er stieß einen wilden Fluch aus. Es war nur mehr eine Frage der Zeit, wie lange der Mast noch halten würde. Als die Furieuse zurückwich, als der auffrischende Wind die Rauchwolken leewärts trieb, zeigte die Zodiaque ihre volle Breitseite, und Fox war nicht darauf vorbereitet, seine schwerbeschädigte Fregatte erneut diesem teuflischen Feuer auszusetzen. Seine Stimme klirrte. „Abdrehen, Barnabas!" Der Bug der Furieuse schwang herum, das Großsegel wurde aufgegeit. Fox konnte dem Großmast diese Belastung nicht 121
mehr zumuten. Mr. O'Hara trat auf ihn zu und tippte an die Schläfe. „Drei Fuß Wasser im Pumpensod, Sir." „Danke, Mr. O'Hara." „Wir könnten es schaffen, Sir, wenn wir nicht noch mehr Wasser hereinkriegen." „Das wird aber der Fall sein, Mr. O'Hara." „Aye, aye, Sir." O'Hara ging davon. „Mr. O'Hara!" rief Fox ihm nach. „Sehen Sie sich den Großmast an! Bringen Sie das sofort in Ordnung!" Fox erteilte rasche Instruktionen, wie er Spieren befestigt und Taue gespleißt haben wollte. Woher das Holz kam, das man für die Ausbesserungsarbeiten brauchte, darum kümmerte er sich nicht. O'Hara mußte den Großmast irgendwie flicken. Aber das Großsegel konnte auf keinen Fall mehr gesetzt werden. Die Großluke war zerschmettert, als hätte man ein Riesenkratzeisen hindurchgezogen, die Sülle lagen zerborsten auf den Decksplanken. Die Betings waren in Stücke zerfetzt. Die herumliegenden Fallen- und Brassenteile wurden zum Flicken verwendet, wo es nur ging. Fox überlegte, daß dies Sneyds Qualitäten als Bootsmann unter Beweis stellen würde, wenn er noch lebte. Zu viele Männer waren getötet worden. Und noch immer erwartete die Zodiaque ihren nächsten Angriff. Nein, bei Gott! Sie drehte, ihre Segel füllten sich, sie segelte geradewegs auf die britische Fregatte zu! Fox verzog keine Miene. Jetzt konnte er nur noch zu einem Ausweichmanöver Zuflucht nehmen, seine letzte Trumpfkarte ausspielen. „Die Lynx hat einen Ersatzgroßmast, Mr. Fox", sagte Percy Staunton. „Wir brauchen auch einen, Sir." „Oh, natürlich - ich will tot umfallen, Mr. Fox, wenn ich nicht auch schon längst auf diese Idee gekommen wäre." Staunton umklammerte seinen Säbelgriff. „Glauben Sie, daß wir den Zweidecker entern können? Diese verdammten Franzosen! Haben mir meine schöne Fregatte so übel zugerichtet! Ich wür122
de das Schiff wirklich gern entern und denen da drüben Manieren beibringen." „Wenn wir entern, Captain Staunton, werden uns die Männer sicher tapfer folgen." Staunton starrte ihn an. „Natürlich werden sie das! Verdammt merkwürdig, daß Sie das sagen ..." Fox wandte sich ab. Die Vordersteven der Furieuse und der Zodiaque glitten aufeinander zu. Fox wußte, daß er es mit keinem normalen Captain zu tun hatte. Dieser Mann würde nicht aufgeben. Wenn der Zweidecker die Furieuse rammte, würde es gewiß nicht der Fanzose sein, dem der größere Schaden zugefügt wurde. Fox mußte ausweichen. Er berechnete den Winkel der Entfernung, erteilte seine Befehle. Sanft schwang die Furieuse herum, wieder donnerten ihre Kanonen, wieder wirbelte Rauch auf, antworteten die französischen Breitseiten. Noch mehr Blut floß über das Deck, noch mehr Tote wurden über Bord geworfen, weitere Verwundete wurden unter Deck gebracht. Fox wendete vorsichtig, und der Franzose folgte seinem Beispiel. Aber die Zodiaque kam nicht voll herum. Fox sah seine Chance. Mit rauher Stimme befahl er über Stag zu gehen, die See schäumte vorbei, die Takelage summte unter der zusätzlichen Belastung. Er sah, wie sich die Vorderstenge neigte, und lief zu Barnabas und Ben Ferris. Die Fregatte hielt mühsam ihren neuen Kurs. Der Franzose sah, was Fox vorhatte, die Rahen des Zweideckers schwangen herum. „Zu spät, du Bastard!" schrie Fox. Die Fregatte glitt am Heck des 74-Kanonen-Schiffs vorbei. „Diesmal wirst du mehr als eine einzige verdammte Spiere verlieren!" schrie Fox. Seine Männer lachten. Diese Narren! Sie bückten sich zu den glühendheißen Kanonen. Carker und Grey gingen zwischen den Geschützmannschaften auf und ab, ruhig und gelassen und doch von der gleichen Erregung erfüllt, die Fox so erfolg123
reich verbarg. Jetzt! Die Breitseite donnerte, die Karronaden stimmten in das Inferno von Rauch und Eisen ein. Mit gemischten Gefühlen verfolgte Fox, was jetzt an Bord der Zodiaque geschah. Einerseits bedauerte er, daß gute, tapfere Männer getötet oder verstümmelt wurden. Aber andererseits ergriff ihn wilder, instinktiver Triumph, weil er den Feind blutig vernichtete. Die Furieuse segelte weiter, die Zodiaque drehte ab. Im selben Augenblick ging ein Ruck durch die Vorstenge, sie wand sich wie eine Schlange - und dann brach sie ächzend zusammen. Endgültiges Verderben! Bevor er das Durcheinander entfernen, bevor er eine Ersatzstenge errichten konnte, würde der Franzose längst gedreht und eine Breitseite auf das Heck der Furieuse abgefeuert haben. Und diese Breitseite würde die Fregatte in ein blutiges Wrack verwandeln. Er starrte den Zweidecker an, und die Zodiaque löste sich in Nichts auf, als sich quälende rotschwarze Ringe um seine Augen schlossen, von tanzenden rosa Punkten durchsetzt. Er stand nur einfach da, wie betäubt, begriff die volle Tragweite der Katastrophe, hörte die Schreie, das Tappen nackter Füße auf den Decksplanken, das Klirren fallender Spieren. Staunton schrie ihm ins Ohr: „Sie drehen ab, Mr. Fox! Sie ergreifen die Flucht!" Und als ob eine Hand über eine vereiste Fensterscheibe gewischt hätte, konnte er wieder sehen. Die Zodiaque segelte davon, mit allen Segeln, die ihr noch verblieben waren. Sie breitete ihr Flügel aus, verließ ihr Opfer, nahm Kurs auf Cadiz. Und die Furieuse lag hilflos im Wasser. Ganz langsam wandte Fox sich um und blickte nach Nordosten. Deutlich sah er die Mars- und Bramsegel eines Linienschiffes 124
herangleiten. Er erkannte sofort die Form. Die Balthazar. Captain Black Dick Cloughton. Das Schiff, auf dem man ihn vor das Kriegsgericht gestellt hatte, segelte jetzt zu seiner Rettung herbei. Dieser Gedanke erschütterte ihn so sehr, daß er schon glaubte, er würde erneut die Sehkraft verlieren. Die Korvette war längst verschwunden. Die Zodiaque war im letzten Wehen eines Windes davongesegelt, der jetzt erstarb, als sich die Balthazar näherte. Bald lagen die drei britischen Fahrzeuge, die zwei Fregatten und das Linienschiff, beigedreht im Wasser. Die Balthazar sah wunderbar aus - solide, stark und seetüchtig. Ihre Stückpforten waren in doppelter Reihe geöffnet, ihre Kanonen ausgefahren. Das Scharlachrot der Seesoldatenuniformen schimmerte auf der Achterhütte, die Segel leuchteten weiß in der Sonne. Black Dick hatte gesagt, er würde bald unter eigener Flagge segeln. Das war ein Vorgeschmack auf den Glanz, den er dann entfalten würde. Er signalisierte, aber die Flaggensignale waren schwer zu lesen. Grey hatte wieder seinen Posten als Signalmidshipman eingenommen. „Er fragt, ob wir Hilfe brauchen." Fox grinste. Typisch Black Dick! Sogar angesichts von Blut und Schmerz und Tod mußte er seine Witze reißen. Lionel Grey sah längst nicht mehr so glatt und poliert aus wie sonst. Sein Gesicht war grau von Pulverrauch, eine Kugel hatte ein Stück aus seinem Kragen gerissen, seine Hosen waren schmutzig. Aber Fox sah das feste Kinn Greys, den klaren Blick, und da wußte er, daß der Midshipman das Inferno gut überstanden hatte. Auch Carker, der gute Carker, war bereits eifrig mit den Aufgaben beschäftigt, die sich ihm nach beendeter Schlacht stellten. „Ich glaube, wir brauchen tatsächlich Hilfe", sagte Fox. „Bitten Sie ihn, er möge uns einen Arzt an Bord schicken." „Aye, aye, Sir." Grey ging zu der Kiste, die die Signalflaggen 125
enthielt, so ruhig, als sei dies eine einfache praktische Übung. Einige Männer lagen an Deck, völlig erschöpft. Erst jetzt trat die Reaktion auf die Anspannung der letzten Stunden ein. Die Fregatte war ein Trümmerhaufen, die Gangplanken und Relings an der Backbordseite des Mitteldecks waren geborsten, mindestens fünf 18-Pfünder-Kanonen waren von den Lafetten gerissen. Grey hatte es nicht leicht gehabt. „Oh. Mr. Grey, signalisieren Sie auch noch, daß wir um Hilfe für die Lynx bitten!" „Aye, aye, Sir." Damit hatte er genug für Stone, den Speichellecker, getan. Wenn er überhaupt noch am Leben war. Captain Cloughton würde ein Boot schicken, denn die Beiboote der Furieuse waren zu Kleinholz zerfallen. Er würde die Gratulation der Navy aussprechen, wie es die Formalitäten verlangten, aber darüber hinaus würde er verstehen, was die Furieuse geleistet hatte, als sie ein französisches Linienschiff daran hinderte, die Pläne der britischen Admiralität zu durchkreuzen. George Abercrombie Fox hatte seine Segel gesetzt, um beide Hände tief in das Gold der spanischen Schatzschiffe zu tauchen. Statt dessen stand er nun auf dem Wrack einer britischen Fregatte, hatte viele tapfere Männer verloren und nichts dafür erhalten. Keine spanische Flotte - keine Prise. Und die Zodiaque war verschwunden, überließ ihn dem Nichts. Er hatte nichts weiter getan, als tapfer gekämpft. Und das wurde in der Royal Navy nicht nur erwartet, es wurde verlangt, daß man sich bedingungslos einsetzte. Aber einen Lohn durfte er nicht erhoffen. Die Furieuse hatte daran glauben müssen. Denn jetzt waren die Hölzer ihres Rumpfes wacklig wie die Zähne dieser Josephine. Captain Staunton streckte ihm die Hand hin. In der Luft hing eine seltsame Stille, nachdem der Kanonendonner verstummt war. 126
„Meinen Glückwunsch, Mr. Fox. Ich will verdammt sein, wenn das nicht das großartigste Gefecht war, das ich je erlebt habe." Es fiel ihm schwer, höflich zu sein. „Danke, Sir. Die ganze Besatzung hat wirklich hervorragend gekämpft." Was für Platitüden! Und rings umher die Toten, das Blut... Aber dann riß sich Fox zusammen. Dieser Mann war ja immer noch Percy Staunton, der Neffe des Admirals. Vielleicht, beim nächstenmal! „Da kommt ein Boot von der Balthazar, Sir!" rief Wilson. Fox würde einen Blick ins Musterbuch werfen und die Namen der Toten streichen müssen. Er fragte sich, wie viele von seinen Männern überlebt hatten. Bald würde er die Meldungen erhalten. Er mußte wieder Ordnung an Bord schaffen, auftakeln, die Toten in einer feierlichen Zeremonie über Bord geben, einen Bericht schreiben ... Hunderte von Aufgaben warteten auf ihn. Die Sonne schien, der Rauch hatte sich beinahe aufgelöst, es gab viel zu tun. Und all die Anstrengung, all das Leid waren verschwendet worden, weil sein verhaßter Feind Stone es nicht verstanden hatte, seine Fregatte im Kampf mit einem Zweidecker zu handhaben. „Captain Cloughton kommt selbst!" rief Staunton. Natürlich mußte die Furieuse ihn mit allen Ehren empfangen, wie es einem Commodore gebührt, auch wenn sie fast nur mehr aus Wrackteilen bestand. Fox richtete sich auf. Ein erfreuliches Ereignis dieser Schlacht blieb immerhin bestehen - oder zwei, wenn die Tatsache mitzählte, daß er noch am Leben war. Die Furieuse und ihre Männer hatten verdammt gut gekämpft. ENDE
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Als Band 7 der Seewölfe-Serie erscheint in 14Tagen
Unter der Flagge des Admirals von Adam Hardy Sie zeigten ihm ihre gutbestückten Breitseiten - vier Franzosen und drei Spanier. Ihre Kanonen würden diese vier lächerlichen Schiffe der Royal Navy glatt von der Wasseroberfläche pusten. Es war eine gefährliche Situation. Denn auf dem Flaggschiff „Hector" war Konteradmiral „Black" Dick Cloughton total am Boden zerstört, weil er mit zuviel Rum gegurgelt hatte. Lieutenant George Abercrombie Fox wußte, wie man eine Schlacht auch ohne seinen Admiral zu schlagen hatte, und er war sich über die möglichen Folgen im klaren. Sein Befehl lautete: Wir greifen den Gegner an und vernichten ihn . . .
Glossarium seemännischer Ausdrücke Auflanger Beting
Bumboot
Deckbänder
Deckplanken Fallreep
Fregatte Glasen
Teile der Spanten, die auf den Kimmstücken (s. d.) folgen. starke, aufrecht stehende Balken, durch Querbalken verstärkt, an denen die Ankerketten befestigt werden, wenn das Schiff vor Anker liegt. ein Boot, das in den Häfen mit dem Kleinverkauf von Eßwaren usw. an die Mannschaften der einzelnen Schiffe beschäftigt ist. Verbindungen starker Hölzer, die in der Höhe der verschiedenen Decks im Bug und Heck angebracht werden und zur Verbindung der Steven mit den Seiten des Schiffsgebäudes dienen. die Planken, die über die Deckbalken gelegt werden und so das Deck bilden. früher die Taue an einer Strickleiter, dann Gesamtbezeichnung für eine schräg von oben nach unten an der Schiffswand verlaufende Treppe - von einem Beiboot aus erreichbar, um an Bord zu steigen. Das Fallreep ist aufholbar. siehe FOX Nr. 1. Methode, um an Bord die Zeit anzugeben. Ursprünglich wurde zur Zeitmessung an Bord eine Sanduhr verwendet, die eine halbe Stunde lief. Wenn sie ausgelaufen war, wurde sie umgedreht. Dabei wurde als Zeitsignal für alle Besatzungsmitglieder ein Schlag mit der Schiffsglocke gegeben — es wurde „geglast". Nach der nächsten halben Stunde erfolgten zwei Schläge, nach eineinhalb Stunden drei usw. Nach vier Stunden wurde achtmal geglast. Dann erfolgte die
Großmarsstenge
Kiel Kielraum Kielschwein
Kimmstücke Knie Kuhl Marlspieker
Orlopdeck Pumpensod Quersaling Raid Rüsten
Schwojen
Seite pfeifen
Stroppen
Wachablösung, und die aufziehende Wache begann mit der Zählung von vom. Mastteil des Großmastes, der das Marssegel trägt. Das Großmarssegel ist das zweite Segel von unten. das erste Stück Holz, das die Basis des Schiffsgebäudes bildet. der Raum direkt über dem Kiel. ein Balken, der vertikal über dem Kiel auf die Innenseite der Spanten gelegt wird und über diese nach vorn und achtern reicht. die auf die Bodenwrangen folgenden Hölzer in der Zusammensetzung eines Spants. ein Stück Holz oder Eisen mit zwei einen Winkel bildenden Armen. Teil eines Oberdecks zwischen Back und Poop. eine Art hölzerner oder eiserner Pfriem, mit dem beim Spleißen das Tauwerk auseinandergedrückt wird. das unterste Deck eines Schiffes. tiefste Stelle an Bord, wo sich der Saugkorb der Pumpe befindet. Holz quer über der Längssaling eines Mastes, das zum Spreizen der Wanten dient. englischer Ausdruck für Beutezug. starke, außerhalb des Schiffes horizontal angebrachte Hölzer zum Spreizen der Unterwanten. das Herumschwingen eines Schiffes, das an einer Boje oder vor Anker liegt. Es folgt dabei jeweils den Winddrehungen. Ehrenbezeigung an Bord von Kriegsschiffen, wenn ein höherer Offizier oder der Kommandant an Bord oder von Bord geht. einen Stropp (Tau, Bändsei usw.) um etwas legen, damit eine zusätzliche Sicherung entsteht.