Perry Rhodan der Erbe des Universums Nr. 1729 Kristallbrand von H. G. Francis
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Perry Rhodan der Erbe des Universums Nr. 1729 Kristallbrand von H. G. Francis
Die Menschheit im Jahr 1217 Neuer Galaktischer Zeitrechnung das entspricht dem Jahr 4804 alter Zeit - ist an mehreren Stellen des Kosmos in Ereignisse verwickelt, die auf den ersten Blick zwar nichts miteinander zu tun haben, in Wirklichkeit aber in enger Beziehung stehen: im Arresum, der Minus-Seite des Universums, ebenso wie in der heimatlichen Milchstraße. Im Solsystem erreicht die Todesstrahlung vom Mars von Tag zu Tag eine größere Ausdehnung; wer in ihren Bann kommt, muß sterben. Illusionen verunsichern die Menschen, und das Mondgehirn NATHAN geht merkwürdigen Tätigkeiten nach. Seit einiger Zeit sorgen darüber hinaus die mysteriösen Waren der Hamamesch in den Magellanschen Wolken und in der Milchstraße für Probleme. Perry Rhodan und seine Begleiter operieren mit drei Rochenschiffen der Ayindi auf der »anderen Seite« des Universums. Im Nihhat-Nebel stießen die Galaktiker auf das Volk der Barrayd und erhielten von diesen neue Informationen. Auf einem Werftplaneten konnte das Enterkommando der Beausoleils einen Kommandanten der Abruse »gefangennehmen«; seiner »Eising«Attacke entkamen die Terraner nur mit Mühe. Perry Rhodan will weitere Erkenntnisse über das System der Abruse gewinnen. Doch bei einem neuen Vorstoß in die Todeszone treffen die Terraner auf ein gefährliches Phänomen - es ist der KRISTALLBRAND…
Die Hauptpersonen des Romans: Perry Rhodan - Der Terraner übt Druck auf einen Ennox aus. Atlan - Der Arkonide sieht seine TYRONA in größter Not. Ronald Tekener - Der Smiler liebt die Gefahr. Alexius Bullet - Anführer einer Beausoleils-Truppe. Karla Zazis - Die Kämpferin hat eine merkwürdige Begegnung.
1. Alexius Bullet war auf Terra geboren, und er war stolz darauf. »Eigentlich müßten Männer wie wir den Zusatz TG hinter ihrem Namen tragen«, verkündete Alex, wie ihn alle nur nannten, während er sich im Fitneßraum der BASIS von einem der Geräte erhob. Sein beinahe zwei Meter großer, muskulöser Körper glänzte vor Schweiß. »Es wäre eine Auszeichnung, die von vornherein gewisse Unterschiede deutlich macht.« Er fuhr sich mit beiden Händen durch das schwarze Haar und blickte herausfordernd in die Runde. »Oder ist jemand anderer Ansicht?« »Niemand«, antwortete Paul Conte, der den Beinamen Bebe trug, und ein breites Lächeln glitt über sein jungenhaftes Gesicht. Er war 75 Jahre alt, etwa von der Größe wie Bullet, hatte jedoch eine massige, beinahe bullige Figur. Er arbeitete an einer der Kraftmaschinen, die er auf höchste Belastung gestellt hatte und die er dennoch so leicht bediente, als erfordere es keine besondere Anstrengung, die Gewichte zu bewegen. Dabei hätten nur wenige andere mit so hohen Belastungen fertig werden können. Von Bebe sagten Freunde wie Feinde respektvoll, daß er stark wie ein Stier sei und es sogar mit einem Ertruser hätte aufnehmen können. Paul Conte war Rüstzeugwart der Beausoleils und zugleich für den Nachschub verantwortlich. Er pflegte seine Aufgaben mit äußerster Akribie zu erledigen. »Es sei denn, daß man unter TG etwas anderes als Turngnom oder Tortenguß zu verstehen hat!« Mit seiner Antwort erntete er das donnernde Gelächter der anderen Beausoleils im Fitneßraum der BASIS. Nina »Muscel« Kessel, die 39jährige Nahkampfspezialistin, »Petit« Karla Zazis, die Mineralogin und
Chemikerin sowie Zacharias »Zach« Crichton, der 83jährige Senior der Gruppe, lachten lauthals hinaus. Alex Bullet ließ sich auf eine Bank sinken und schaute sich grinsend um. »Haben wir noch einen Witzbold in unserer Gruppe, der sich mit einer dämlichen Bemerkung auszeichnen möchte?« fragte er. Das Gelächter störte ihn nicht. Er wußte, daß die Frotzeleien nicht gegen seine Autorität gerichtet waren und sie eher als Ausdruck der Freundschaft und des Respekts zu werten waren. »Laß die Luft ab«, forderte Nina Kessel, ohne ihre Arbeit an der Kraftmaschine zu unterbrechen. Sie wurde »Muscel« genannt, weil sie ihr Körpertraining mit geradezu fanatischem Eifer betrieb. Ihr Ehrgeiz war es, kräftemäßig zu Alex aufzuschließen. Sie war nur 1,75 Meter groß, und sie war trotz des harten Trainings kein Muskelprotz. Das rotbraune Haar fiel ihr locker gewellt bis auf die Schultern. »Wir alle wissen, daß du Terraner bist, aber wir wissen auch, daß irgendeiner deiner Vorfahren irgendwann einmal mit einem Feuermelder verwechselt worden ist. Woher solltest du sonst so ein Gesicht haben?« Während Bullet nun doch etwas ernster wurde und sein Lächeln gequält wirkte, unterbrachen die anderen Beausoleils ihr Training. »Petit« Karla Zazis lachte, bis sie einen Hustenanfall bekam. »Hüte deine Zunge, Kleine«, warnte sie Bullet. Er kam langsam auf sie zu. Dabei öffnete und schloß er seine Hände in rascher Folge, um die Finger geschmeidig zu machen. »Ich hätte gute Lust, mein Fitneßtraining an deinem Kinn fortzusetzen.« Sie hüpfte auf den Fußballen, um sich zu lockern. Zugleich schüttelte sie die Arme aus. »Nur zu«, forderte sie ihn auf. »Ich bin gut genug, dir eine Tracht Prügel zu verabreichen. Wenn ich dich weich geklopft habe, bist du vielleicht in einer Verfassung, in der du über unsere zukünftigen Einsätze nachdenken kannst.« Alex beruhigte sich. Er wandte sich ab, stieg in eine Kraftmaschine und stemmte sich gegen die Gewichte. Es gelang ihm nicht, sie mehr als ein oder zwei Zentimeter in die Höhe zu bringen. Sein Gesicht rötete sich, und die Adern an seinem Hals schwollen dick an. Mit äußerster Mühe schaffte er einen weiteren Zentimeter.
»Was ist mit dir?« spottete Nina. »Hast du einen Schwächeanfall?« Bullet ächzte wütend. Unter höchster Kraftanstrengung wuchtete er die Gewichte einen, weiteren Zentimeter höher, doch dann begannen seine Arme zu zittern. So sehr er sich auch abmühte, er kam nicht weiter und mußte schließlich erschöpft aufgeben. Die Gewichte fielen krachend in ihre Halterungen zurück. »Steh mal auf«, forderte Nina ihn auf. »Mit den Dingen spiele ich normalerweise Jojo!« Alexius Bullet schüttelte verwundert den Kopf. Sein Zorn war vergessen. Er stand auf und machte ihr Platz. Sie legte sich in die Maschine und wuchtete die Gewichte schwungvoll in die Höhe - weitaus höher als er. Sie ließ sie in die Halterungen sinken und stemmte sie danach noch einige Male nach oben. Ärgerlich zog Bullet sie zur Seite, um es selbst erneut zu versuchen. Jetzt schaffte er nur noch die Hälfte der vorherigen Leistung. »Altersschwäche«, kommentierte »Zach« Crichton. »So was kenne ich. Mein Großvater hat so etwas Ähnliches erlebt. Das war ausgerechnet, als er seiner Nachbarin imponieren wollte, einer hübschen Blondine, die eine Figur hatte wie…« »Halt den Schnabel!« fuhr Bullet ihn an. »Das ist ein übler Trick. Ihr habt die Maschine manipuliert. Ihr glaubt doch nicht, daß ihr mich damit ärgern könnt!« Er kehrte zu der Maschine zurück, an der er zuvor gearbeitet hatte, überprüfte sie sorgfältig, stieg hinein und versuchte, die Gewichte mit den Beinen zu bewegen. Die Maschine knarrte leise, doch die Gewichte blieben, wo sie waren. Bullet lief rot an, seine Muskeln schwollen zu mächtigen Paketen, und sein Körper spannte sich in höchster Kraftanstrengung. »Du hast recht, Opa«, kommentierte Karla Zazis. Sie war nur 1,72 Meter groß, hatte kurzes, blondes Haar. In ihren blauen Augen funkelte es, und ihre Mundwinkel zuckten. »Altersschwäche! Anders kann man sich das nicht erklären.« »Wie alt ist Alex eigentlich?« fragte Bebe Conte, immerhin schon 75 Jahre alt und ebenso groß wie Alex Bullet. Das rostbraune Haar klebte ihm am verschwitzten Kopf.
»Zu alt«, antwortete Muscel Kessel mit einem vergnügten Lächeln auf ihren vollen Lippen. »Aber noch lange nicht so alt wie Gucky!« Alexius Bullet sprang wie von der Feder geschnellt aus der Kraftmaschine und blickte sich wild um. »Das ist es also«, stöhnte er. »Der Ilt mischt mal wieder mit. Er hat die Maschine blockiert.« »Hat aber lange gedauert, bis du das gemerkt hast!« rief der Mausbiber. Er kam hinter einer anderen Maschine hervor, schwebte anderthalb Meter in die Höhe, verschränkte die Arme vor der Brust und blickte ihn vergnügt an. »Vielleicht solltest du es mal mit Gehirntraining versuchen?« Alex Bullet war hitzig, aber nicht dumm. Er wußte nur zu gut, daß es sinnlos war, sich mit Gucky einzulassen. Dabei zog jeder den kürzeren. »Gehirntraining habe ich für heute schon hinter mir«, konterte er. »Das Resultat dürfte nicht gerade erfreulich für deinen Freund Perry Rhodan sein!« Gucky ließ sich wie eine Feder auf den Boden sinken, wobei er abwechselnd nach links und rechts schaukelte. »Du spinnst«, sagte er. Alex Bullet setzte sich auf eine Bank, nahm ein Handtuch und trocknete sich den Schweiß von Gesicht, Schultern und Armen. »Du weißt genau, daß ich es sehr ernst meine, Kleiner«, entgegnete er. »Und ich wette, daß du meine Gedanken schon sondiert hast. Du kannst dir deine Bemerkungen also sparen.« »Du könntest mir einen Gefallen tun, Alex«, sagte der Ilt. »Steig noch einmal in die Kraftmaschine. Dann walke ich dich durch, bis du nicht mehr weißt, ob du Muskeln auf den Armen hast oder wackelnde Götterspeise!« Der Beausoleil blickte ihn ernst an. »Lassen wir mal die Spaße, Kleiner. Wir haben uns schon genau überlegt, was wir zu tun haben. Und bei aller Freundschaft - wir sind nicht bereit, mit dir darüber zu diskutieren. Wegen der vielen tödlichen Ausfälle bei den Einsätzen im Arresum nennt man uns bereits die Beaumortels.« »Die schönen Sterblichen!« »Genau! Und das reicht.« Gucky ließ seinen Nagezahn zwischen den Zähnen verschwinden.
»Euch ist’s wirklich ernst!« stellte er verblüfft fest, nachdem er die Gedanken der fünf Beausoleils sondiert hatte. »Denken die anderen von euch etwa ebenso?« * Auch Atlan hielt sich an Bord der BASIS auf. In einem kleinen Raum saß er dem Ennox Philip gegenüber; zwischen ihnen bewegten sich in einem holografischen Würfel allerlei Figuren und Symbole. Ständig bildeten sich neue Figuren, während andere langsam verblaßten und verschwanden. Die Blicke der beiden Männer waren auf das Innere des Würfels gerichtet. »Endlich!« rief der Ennox. Er berührte zwei Tasten, und zwölf Figuren reihten sich zu einer sich ergänzenden Kette zusammen, die ein harmonisches Ganzes bildete. Die einzelnen Bausteine der Kette paßten in der logischen, farblichen und gestalterischen Reihenfolge zusammen. Eine andere Kombination hätte keinen Sinn ergeben. »Lange genug hat es gedauert, bis ich richtig kombiniert habe. Habe ich das?« »Hast du«, bestätigte Atlan, der weitaus weniger Mühe hatte als der Ennox, logische Ketten zu bilden. Sein fotografisches Gedächtnis half dem Arkoniden ebenso wie sein Logiksektor. Damit Philip die gleichen Chancen hatte wie er, spielte er mit Ketten von achtzehn Figuren und Symbolen, also mit einem deutlich höheren Schwierigkeitsgrad. Er fügte einen Baustein an den anderen, konzentrierte sich jedoch nicht ausschließlich auf das Spiel. »Ich wollte nicht nur mit dir spielen«, versetzte er. »Weiß ich doch«, antwortete Philip und blickte ihn mit schiefem Lächeln an. »Dann kann ich mir meine Worte ja sparen«, sagte der Arkonide. »Was sagst du?« »Gar nichts.« »Wie soll ich das verstehen? « »Ich habe noch nicht darüber nachgedacht.« Atlan lachte. »Jetzt machst du Witze! Ich wette, daß du ständig daran denkst, nicht nur jetzt.«
Philip ließ die leicht erhobenen Arme schlaff herunterfallen. Enttäuscht blickte er den Arkoniden an. »Jetzt habe ich es beinahe gehabt, und du hast mich aus dem Konzept gebracht. Mir fehlten nur noch drei Figuren zu einer kompletten Kette.« Atlan legte die Finger auf die Tasten und wirbelte die Figuren und Symbole im Holo-Würfel durcheinander. »Fangen wir von vorn an«, schlug er vor. »Allerdings sollten wir nicht vergessen, uns über das zu unterhalten, was wirklich wichtig ist. Deine Einsätze!« »Aber doch nicht jetzt!« protestierte der Ennox. »Das Spiel erfordert meine höchste Konzentration. Ich kann nicht mit dir spielen und zugleich über diese Dinge reden.« Der Arkonide lachte. »Und ob du das kannst«, behauptete er. »Du willst nur ablenken, aber das solltest du nicht.« Der Ennox lehnte sich in seinem Sessel zurück und ließ die Figuren und Symbole für eine Weile aus den Augen. In seinem Gesicht arbeitete es, und die Lippen wurden schmal. »Warum läßt du mich nicht in Ruhe?« fragte er. »Du müßtest doch wissen, daß mir dieses Thema nicht schmeckt.« »Und ob ich es weiß! Aber ich bin nun mal nicht der Typ, der unangenehme Themen auf die lange Bank schiebt. Ich möchte jetzt eine Antwort. Deine Fähigkeit des Kurzen Weges ist für uns von größter Bedeutung bei Kommandounternehmen im Arresum.« »Können wir nicht darüber reden, wenn Perry wieder da ist?« versuchte Philip abzulenken. Atlan schüttelte lächelnd den Kopf. Perry Rhodan war mit Reginald Bull, seinem Sohn Michael, Homer G. Adams und den beiden ayindischen Wissenschaftlerinnen Densee und Ciriac in die Milchstraße geflogen. »Sie sind vor drei Wochen gestartet. Es ist eine Riesenstrecke, trotz Ayindi-Technik. Perry kann also frühestens in einer Woche zurück sein. Aber du weißt selbst, daß wir sehr wahrscheinlich noch viel länger auf ihn warten müssen. So lange können und werden wir diesem Thema nicht ausweichen.«
Der Ennox rutschte unbehaglich in seinem Sessel hin und her. Er bereute wohl bereits, daß er zu dem Arkoniden gegangen war. Das Spiel mit den Figuren und Symbolen war der Hauptgrund dafür gewesen. Vor wenigen Tagen hatte er sich mit Atlan bei diesem Spiel gemessen und verloren. Er wollte eine Revanche. Und jetzt kam der Arkonide ihm mit seiner Fähigkeit des Kurzen Sprungs und einem Einsatz im Arresum. »Es hat sich gezeigt, daß du auch auf der Minusseite des Universums von jedem beliebigen Ausgangspunkt zu jedem angepeilten Punkt kommen kannst.« »Richtig«, bestätigte Philip. »Das war kein Problem - bis es diesen Fehlschlag gab.« Damit erinnerte der Ennox an den Unfall, den er hatte, als er völlig entkräftet nach Mystery verschlagen wurde. Atlan schüttelte den Kopf. Das sich abzeichnende Argument Philips wollte er nicht gelten lassen, und er trat ihm schon entgegen, bevor er es geäußert hatte. »Dieser Unfall ist ja nur passiert, weil du versucht hast, per Kurzem Weg direkt vom Arresum ins Parresum zu gehen«, erwiderte er. »Dir hätte von Anfang an klar sein müssen, daß so etwas nicht möglich ist.« In rascher Folge fügte er eine Reihe von Figuren und Symbolen zusammen, bis sie eine achtzehnteilige Kette bildeten. Philip blickte sie prüfend an und gab zu, daß der Arkonide mal wieder eine Aufgabe gelöst hatte und somit ein deutlich besseres Spielergebnis vorweisen konnte als er. »Wenn du solche Experimente in Zukunft unterläßt«, fuhr Atlan fort, »kann dir nichts geschehen. Und zum Schutz gibt es ja längst die SERUNS für Ennox.« »Ich werde darüber nachdenken.« Der Ennox stand auf und machte Anstalten, den Raum zu verlassen. Doch damit war Atlan nicht einverstanden. Er erhob sich ebenfalls und folgte ihm bis zur Tür. »Einen Moment noch.« Philip blieb stehen. Er wich Atlans Blicken aus. »Um es klar zu sagen: Ich erwarte, daß du von nun an aktiver wirst, dich weniger um deine geistige und körperliche Erholung kümmerst und
bei künftigen Vorstößen in die Todeszone der Abruse auf einem der drei Rochenschiffe mitfliegst.« »Das erwartest du.« »So ist es.« Philip lächelte stolz. »Es ist mir gleich, was du erwartest.« »Du weigerst dich?« »Meine Zusammenarbeit mit dir und jedem anderen war bisher stets freiwillig«, betonte der Ennox. »Und so wird es auch in Zukunft bleiben.« Abermals wollte er den Raum verlassen, doch dieses Mal ging Atlan einen Schritt weiter. Er legte ihm die Hand auf die Schulter und hielt ihn fest. Langsam drehte sich der Ennox um. »Was gibt es noch?« Atlan ließ ihn los. »Wir werden das Gespräch nicht so beenden, Philip«, beharrte er. »Wir werden zu einem Ergebnis kommen.« Philip blickte ihn ernst und durchdringend an. Seine Miene drückte Ablehnung aus. »Ich bin für mich zu einem Resultat gekommen, und das genügt mir«, entgegnete er. »Das genügt nicht. ES hat dir einen Unsterblichkeitschip verliehen, und das ist nicht ohne Grund geschehen.« »Sicher nicht.« »Der Chip bringt gewisse Verpflichtungen mit sich, die ganz sicher nicht im Müßiggang liegen«, betonte der Arkonide. »Wir stehen vor einer großen Aufgabe, und wir haben uns der kosmischen Verantwortung zu stellen.« »Große Worte«, spottete der Ennox. »Sie treffen den Kern der Geschichte. Du wirst deiner Verantwortung nicht länger ausweichen.« Philip atmete tief ein, hielt die Luft einige Sekunden lang an und atmete dann tief und lange aus. Er kehrte zu seinem Sessel zurück. »Vielleicht hast du recht«, entgegnete er. »Der Chip bringt in der Tat Verpflichtungen mit sich.« »Also?« »Ich werde an Bord der BASIS bleiben und den nächsten Einsatz
mitmachen«, versprach Philip. »Dann bist du bereit, erneut im Arresum den Kurzen Weg zu gehen? « Der Ennox ließ sich viel Zeit mit seiner Antwort. »Wir werden sehen«, erwiderte er schließlich ausweichend. Mehr war ihm nicht zu entlocken. Er wandte sich wieder dem Spiel zu, und der Arkonide ließ ihn vorerst in Ruhe. * »Wir denken alle so«, bekräftigte Alex Bullet. Gucky schüttelte den Kopf; jetzt kam sein Nagezahn wieder zum Vorschein. Telekinetisch bewegte er eine der Kraftmaschinen. Krachend schossen die schweren Gewichte im Gestänge hin und her. »Da staunst du, was?« Blinzelnd blickte der Ilt Karla Zazis an, die für den flüchtigen Betrachter den Eindruck erweckte, als sei sie schutzbedürftig. Er kannte sie gut genug, um zu wissen, daß sie zäh und kräftig war. Was ihr an Kraft fehlte, machte sie mit Intelligenz und Schnelligkeit wett. »Die Kraft des Geistes ist, wie man sieht, jener der Muskeln weit überlegen. « Sie lachte. Gerade ihr gegenüber brauchte er sich in dieser Weise nicht zu äußern, versuchte sie doch, die ihr gestellten Aufgaben stets eher mit Intelligenz als mit Körpereinsatz zu bewältigen. Er wandte sich an Alexius Bullet. »Joseph Broussard junior hat Perry in die Hand versprochen, daß euer Einsatz weitergeht«, sagte er. »Das ist mir bekannt.« »Und doch willst du dich weigern?« »Was Joseph verspricht, ist eine Sache; was wir dazu sagen, ist eine andere.« Bullet rückte nicht von seinem Standpunkt ab. Seine Gruppe und er waren nicht ohne weiteres bereit, für Rhodan zu kämpfen. »Wir haben einige Wochen Zeit gehabt, über die ganze Geschichte nachzudenken, und wir sind zu dem Schluß gekommen, daß wir uns nicht ins Feuer schicken lassen. Soll Perry sich doch andere suchen, wenn er wieder einmal eine Expedition ins Arresum plant. Wir sind jedenfalls nicht so schnell dabei.« Gucky blickte fragend in die Runde. Es war eine überflüssige Geste, da er die Gedanken der Beausoleils lesen konnte. Die Ablehnung war einhellig.
»Bisher hattet ihr den Ruf, eine besonders mutige Truppe zu sein«, stellte er fest. »Jetzt wird sich an dem Ruf wohl etwas ändern.« »Hüte deine Zunge, Kleiner«, fuhr Alex ihn an. »An unserem Mut hat sich nichts geändert. Niemand kann uns Feigheit vorwerfen. Wir sind Beausoleils - aber keine Selbstmörder. Schreib dir das hinter die Löffel.« 2. Atlan und die anderen Zellaktivatorträger pendelten ständig zwischen der BASIS, die über Achtzehn im Parresum stand, und dem AariamSystem im Arresum. Dabei benutzten sie die Raumschiffe der BASIS, etwa die ATLANTIS oder die CIMARRON oder Beiboote. Die Rochenschiffe hatten sie allesamt im Aariam-System geparkt. Einsätze sollten erst wieder geflogen werden, wenn die Ayindi konkrete Ziele anzubieten hatten. Atlan führte mehrere Gespräche mit den Koordinatorinnen. Die Ayindi waren davon überzeugt, daß es sich bei den 123 unidentifizierbaren Koordinaten des ABKOS, die Smezz geliefert hatte, um Werftplaneten handelte, die in einem bestimmten Muster angeordnet waren. Die Ayindi bedauerten, daß sie nicht genügend Bezugspunkte hatten, um ihre Positionen bestimmen zu können. »Und wie soll es weitergehen?« fragte Philip, als er mit Atlan darüber sprach. »Die Koordinatorinnen meinen, daß wir erst einmal einen oder zwei dieser Werftplaneten finden und identifizieren müßten«, antwortete der Arkonide. »Wenn es gelingt, ihre Position innerhalb der ABKOS zu bestimmen, können wir von ihnen auf die anderen Werftplaneten schließen.« »Klingt überzeugend«, sagte der Ennox - aber ohne große Überzeugung. »Es ist eine Binsenweisheit, daß man den Faden weiterspinnen kann, wenn man den Anfang hat. Leider haben wir den Anfang nicht.« »Wir werden ihn schon noch finden«, gab sich Atlan optimistisch. »Jedenfalls haben die Ayindi die Theorie entwickelt, daß es neben den Werften Welten der Abruse geben muß, aus denen Kommandanten wie Cryzz und Smezz hervorgehen - oder auf denen sie wachsen, wie sie sich ausdrücken.«
»Das kann ich mir sogar vorstellen.« »Sie meinen, daß es unsere Aufgabe ist, solche Akademien, wie die Ayindi sie nennen, ausfindig zu machen«, fuhr der Arkonide fort. »Die denkenden und handlungsfähigen Strategen müssen der Abruse sehr nahe stehen.« »Richtig«, stimmte Philip zu. Er blickte sehnsüchtig zu dem Holowürfel hinüber, in dem sich die verschiedenen Figuren und Symbole als Bausteine bewegten. Es verlangte ihn nach einer Revanche gegen Atlan, nachdem er das letzte Spiel ebenfalls verloren hatte. Er wollte unbedingt beweisen, daß er in der Lage war, den Arkoniden bei diesem anspruchsvollen Intelligenzspiel zu schlagen. »Das Beispiel von Smezz hat es bewiesen. Er hat es ja geschafft, eine energiegeladene abrusische Projektion zur MANAGA zu rufen und das Rochenschiff zu zerstören.« Atlan hatte längst bemerkt, daß Philip sich erneut im Spiel mit ihm messen wollte. Er ging zu dem Würfel, setzte sich und zeigte auffordernd auf den zweiten Sessel. »Nach diesem unberechenbaren Vorfall sind die Ayindi überzeugt, daß wir in der Todeszone mit weiteren tödlichen Überraschungen rechnen müssen. Sie haben versprochen, den neuen Gegebenheiten angepaßte Waffen- und Schutzsysteme zu entwickeln und diese dann in die Rochenschiffe einzubauen.« »Ich habe gehört, daß weitere Rochenschiffe produziert und entsprechend ausgerüstet werden sollen.« »Das haben mir die Koordinatorinnen gesagt«, bestätigte der Unsterbliche. »Um sie richtig ausrüsten zu können, erwarten die Ayindi von uns Informationen über die Art der zu erwartenden Gefahren - wie etwa über die Beschaffenheit der Killerkristalle oder die Art der zuletzt von einer abrusischen Projektion verwendeten Energie.« Philip eröffnete das Spiel. Geschickt fügte er eine Reihe von Bausteinen zusammen. Sie symbolisierten einen Vers eines arkonidischen Heldengedichts. Er lachte, als es ihm gelang, binnen weniger Sekunden zu punkten und die Reihe bis zum letzten Baustein zu ergänzen. Jetzt hatte er den Arkoniden verblüfft, da dieser nicht damit gerechnet hatte, daß der Ennox diese Verse kannte. »Haben Mila und Nadja ihnen keine ausreichenden Informationen
gegeben?« fragte er. »Leider nicht.« Atlan erholte sich schnell von seiner Überraschung. »Die Analysen, die sie ihnen geliefert haben, reichen nicht aus, um auf dieser Basis wirksame Waffen gegen die möglichen Gefahren zu entwickeln. Die Ayindi werden Mila und Nadja bezüglich ihrer Fähigkeiten testen. Vielleicht führen die Ergebnisse dieser Tests ja zu neuen Waffen.« Der Ennox merkte auf. »Höre ich da heraus, daß du vorhast, in die Todeszone zu fliegen, um neue Informationen zu gewinnen?« »Das ist die Überlegung«, erwiderte der Arkonide. »Und ich möchte, daß du an einem solchen Flug teilnimmst. Paunaro wird hierbleiben. Du wirst seine Position auf der TYRONA einnehmen.« »Warum?« »Vielleicht nur, um dir deine Angst vor dem Fliegen durchs Arresum zu nehmen.« Der Ennox erhob sich. Ihm war im Moment nicht anzusehen, was er empfand. »Ich werde mitfliegen«, versprach er. »Erwarte jedoch nicht zuviel von mir. Wann starten wir?« »Die CADRION und die TYRONA werden zur Zeit vorbereitet«, antwortete der Arkonide. »In zwei Stunden geht es los.« Philip schien ihn nicht gehört zu haben. Er setzte sich wieder und versuchte, sich erneut auf das Spiel zu konzentrieren. Er brachte jedoch keine logischen Ketten zustande. Atlan beobachtete ihn. Er merkte, daß der Ennox nicht bei der Sache war. Er hat Angst! stellte der Logiksektor fest. Verflogen war die Unbekümmertheit, mit der Philip anfangs aufgetreten war. Sein Unfall, bei dem er entkräftet auf Mystery gelandet war, hatte Spuren hinterlassen, und die hatten ihn verändert. Nach einer Weile ließ Philip die Arme sinken und stand erneut auf. »Es hat keinen Sinn«, eröffnete er seinem Gegenüber. »Ich kann mich nicht richtig konzentrieren. Ich schaffe die Basis nicht, auf der ich aufbauen muß, und wenn die nicht da ist, kann man keine logische Kette errichten.« »Wie wahr!« Der Arkonide erhob sich ebenfalls. »Wenn das
Fundament nicht stimmt, kann kein standfestes Gebäude entstehen.« Philip blickte ihn an, und er erfaßte, was Atlan meinte. Wenn die nötigen Voraussetzungen nicht geschaffen wurden, waren keine erfolgversprechenden Expeditionen in die Todeszone der Abruse möglich. Dann konnte es keine Fortschritte geben. Er verließ den Arkoniden, um einige Vorbereitungen zu treffen. Atlan setzte sich über Interkom mit Alexius Bullet in Verbindung. Er hatte kaum eingeschaltet, als das kantige Gesicht im Holo des Gerätes erschien. »Alex«, sagte er. »Wir starten eine kleine Expedition. Dafür brauchen wir euch.« »Tut mir leid«, erwiderte der Leiter der Einsatztruppe. »Wir stehen dir nicht zur Verfügung.« »Was soll das heißen?« fragte der Arkonide verblüfft. »Genau das, was ich gesagt habe«, antwortete Bullet kühl. »Wir fliegen nicht mit.« Er ließ keine Fragen zu, und er ließ sich nicht auf Diskussionen ein. Er schaltete ab, und als Atlan eine neue Verbindung zu ihm haben wollte, meldete er sich nicht. Der Arkonide hielt sich nicht lange auf. Er verzichtete auf Gespräche mit anderen Beausoleils, weil er ein ähnliches Ergebnis befürchtete, und wandte sich den vor ihm liegenden Aufgaben zu. Damit war die Ablehnung Bullets nicht vergessen. Eine derartige Verweigerung hatte er noch nicht erlebt, und er war nicht gewillt, sie hinzunehmen. Daß die hohen Verluste der Beausoleils in der letzten Zeit der ursächliche Grund für die Ablehnung war, mußte ihm niemand sagen. Er wußte es. Ronald Tekener, Dao-Lin-H’ay und Julian Tifflor erwarteten ihn und Philip an Bord der TYRONA. Wenigstens vier Zellaktivatorträger waren notwendig, das Raumschiff zu lenken. Die Schwierigkeiten, die sie anfänglich mit den Rochenschiffen gehabt hatten, waren allerdings längst überwunden, und sie kamen von Tag zu Tag besser mit den Raumschiffen zurecht. Das Innere der Rochenschiffe hatten sie nach eigenen architektonischen Vorstellungen mittels Formenergie gestaltet und so die nötigen Unterkünfte mit den entsprechenden Dienstleistungseinrichtungen
wie etwa den Forschungs- und Informationszentren, automatischen Küchen, den Messen, kleinen Bars, Freizeiträumen oder Medo-Centern ausgestattet. In der kugelförmigen Zentrale hielten sich nur die Zellaktivatorträger auf. Philip hatte keinen eigenen Sessel, der auf ihn wartete, doch ein solcher war rasch aus Formenergie gestaltet und seinen körperlichen Bedürfnissen angepaßt. An den Wänden der Hohlkugel dienten die nötigen Projektionen zu ihrer Orientierung. An ihnen zeigten entsprechende Holografien an, wie das Raumschiff gesteuert und die verschiedenen Defensiv- und Offensivwaffensysteme gelenkt werden konnten. Atlan hatte das Kommando über die TYRONA. Von seinem Sessel aus, in dessen Lehnen Sensorfelder eingebaut waren, gab er die Befehle. Mit hoher Beschleunigung verließen die CADRION unter dem Kommando von Julian Tifflor und die TYRONA das Aariam-System und nahmen Kurs auf die Todeszone. An Bord der CADRION befanden sich außer Tifflor und 50 Mann Landetruppe noch Mila und Nadja Vandemar, Alaska Saedelaere und Gucky. Paunaro blieb zurück, um sich zusammen mit den Ayindi ganz auf die Datenauswertung zu konzentrieren. Mit Überlichtgeschwindigkeit stießen die beiden Raumschiffe in einer einzigen Sprungetappe tief in die Galaxis Maridur vor, die am stärksten gefährdete, kugelförmige Galaxis im Lebensbereich der Ayindi. Am Rande eines Sonnensystems mit zwölf Planeten beendete die TYRONA den Vorstoß zunächst, während die CADRION sich für ein anderes Ziel entschied. In der Zentrale begann eine fieberhafte Erfassungsarbeit, während der in wenigen Stunden Hunderttausende von Informationen über das Sonnensystem und die Umgebung gesammelt wurden. »Wie sieht’s aus, Philip?« fragte Atlan den Ennox. »Wir brauchen ein paar Eindrücke vom dritten Planeten. Du könntest den Kurzen Weg gehen und uns das besorgen, was wir haben wollen.« Philip schüttelte den Kopf. Er blieb in seinem Sessel sitzen und blickte unverwandt auf die Bildwand, die optische Eindrücke von den
verschiedenen Planeten vermittelte. »Nein«, lehnte er ab. »Du denkst immer noch an deinen Unfall«, sagte der Arkonide. »Und dabei entwickelst du allmählich eine Phobie vor dem Kurzen Weg im Arresum. Du solltest es nicht soweit kommen lassen, bis du diese Phobie nicht mehr überwinden kannst.« »Es tut mir leid«, widersetzte sich der Ennox, und dabei wurden seine Lippen schmal. »Ich kann den Kurzen Weg jetzt nicht gehen.« »Es ist eine Frage des Willens.« »Du verstehst nicht, Arkonide! Es ist nicht die Angst, die mich daran hindert, den Kurzen Weg zu gehen. Es ist die reine Vernunft.« »Das verstehe ich nicht«, gab Atlan zu. »Erklär’s mir.« »Ich muß mit meinen Kräften haushalten, um sie für den Ernstfall zu schonen«, behauptete der Ennox. »Was hätte es für einen Sinn, wenn ich meine Kräfte jetzt verschwende, um dir Informationen zu beschaffen, die du dir auch mit Hilfe von Robotern und der Bordinstrumente besorgen kannst? Später, wenn es vielleicht lebenswichtig ist, daß ich den Kurzen Weg gehe, fehlen mir dann die nötigen Kräfte! Ich möchte nicht so bald wieder nach Mystery zum Auftanken müssen.« Er lügt! signalisierte der Logiksektor des Arkoniden. Er hat Angst vor einem neuen Unfall, und damit wird er nicht fertig. Du mußt ihm mehr Zeit lassen. Er redet sich heraus. Allerdings hat er eine gute Ausrede gefunden! Am 19. August des Jahres 1217 NGZ kehrten sowohl die TYRONA als auch die CADRION zur BASIS im Parresum zurück. Das Ergebnis der Expedition konnte nur als dürftig bezeichnet werden. Es gab keine neuen Erkenntnisse, sah man einmal davon ab, daß der Ennox Philip sich nicht in der Lage sah, innerhalb des Arresums den Kurzen Weg zu gehen. * Am 20. August verspätete sich Nina Kessel zum gemeinsamen Training im Fitneßraum der BASIS, in dem mehr als dreißig Beausoleils an der Härtung und der Ausbildung ihrer Muskeln arbeiteten. »Freunde!« rief sie, als sie eintrat. Sie blieb mitten im Raum stehen und sah den anderen zu, die sich an den Kraftmaschinen quälten. Sie wartete ab, bis alle ihr Programm unterbrochen hatten und ihr zuhörten. »Perry Rhodan und die STYX sind aus der Milchstraße zurück! Wenn mich nicht alles täuscht, haben sie aufregende Nachrichten für uns alle mitgebracht.«
»Und das ist ein Grund für dich, heute nicht zu trainieren, Muscel?« fragte Bullet. »Wie willst du mit mir Schritt halten, wenn du dich auf die faule Haut legst? Zugegeben - auf eine hübsche Haut.« Nina lächelte unbeeindruckt, und sie ging auch über seine Anzüglichkeit hinweg. Sie hatte mal ein Liebesverhältnis mit Bullet gehabt, doch die Leidenschaft war längst verflogen. Geblieben war lediglich Sympathie. Jetzt war sie in einer außerordentlich guten Verfassung. Daß sie ihr Training an diesem Tag um ein paar Stunden aufschob, änderte daran überhaupt nichts. »Ich habe gehört, daß Perry in einer öffentlichen Sitzung berichten wird«, fuhr sie fort. »Wenn ihr also hören wollt, was zu Hause los ist, dann seht zu, daß ihr unter die Dusche kommt. In ein paar Minuten geht’s los.« Sie trat zur Seite, um die anderen vorbeizulassen. Alle eilten unter die Dusche. Ernst blickte sie hinter ihnen her. Sie mußte daran denken, mit welcher Euphorie sie sich der BASISExpedition angeschlossen und mit ihnen zusammen die Erde verlassen hatte, um in den Weiten des Universums ein abenteuerliches Leben zu führen. Es war ganz anders gekommen, als sie erwartet hatte, und in gewisser Weise war sie ernüchtert und enttäuscht. Allzuviel Zeit verbrachte sie an Bord der BASIS, wo es nicht sehr viel zu tun gab. Allmählich ließ die Motivation nach, sich für bevorstehende Einsätze fit zu halten. Ihr Ehrgeiz war es allerdings nach wie vor, mit Alex Bullet mitzuhalten und sich kräftemäßig mit ihm vergleichen zu können. Doch das war nicht das Ziel gewesen, das sie sich für ihr Leben gesetzt hatte. Sie wollte viele fremde Welten kennenlernen. Sie suchte die Begegnung mit den Wundern exotischer Planeten. Deshalb hatte sie sich nicht nur als Schützin und Nahkampfspezialistin ausbilden lassen, sondern sich auch ein umfassendes Wissen in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen angeeignet. Davon hatte sie sich eine Verbesserung ihrer Chancen auf interessante Einsätze auf fremden Planeten versprochen. Sie wollte nicht nur kämpfen. Anfänglich war sie derselben Ansicht wie die anderen Beausoleils gewesen. Die Verluste hatten sie erschreckt, und wie viele andere hatte sie den Eindruck gewonnen, daß sie leichtfertig herbeigeführt worden waren.
Mittlerweile dachte sie etwas anders: Sie konnte sich nicht vorstellen, daß irgendeiner der Verantwortlichen der Expedition fahrlässig handelte. Sie war nun bereit, an weiteren Einsätzen teilzunehmen, auch wenn diese sich als sehr gefährlich erweisen sollten. Die anderen Beausoleils waren es im Moment nicht. Das wußte sie genau. Doch nun war offenbar eine Änderung bei den äußeren Bedingungen eingetreten. Der von der Erde zurückgekehrte Perry Rhodan wollte Bericht erstatten. Sie war sich klar darüber, daß er einen Grund hatte, es in der vorgesehenen Form zu tun. Irgend etwas mußte sich im Solsystem ereignet haben, und es mußte etwas sein, was alle Terrageborenen an Bord berührte. Die Erde war in Gefahr! Nur das konnte es sein. Der Gedanke daran, daß die Erde in Gefahr war, tat ihr weh. Die Erde war ihre ganz persönliche Basis. Auch wenn sie mit Alex Bullet hin und wieder Spottworte über die Erde und ihre Herkunft wechselte, blieben die Erde und das Solsystem ihre Heimat. Dort waren ihre Wurzeln, und zu keinem anderen Planeten waren die gefühlsmäßigen Verbindungen so stark wie zur Erde. Wenn dieser Planet in Gefahr war, würde sie kämpfen. Sie war bereit, auch dann in den Einsatz zu gehen, wenn ihr mit hoher Wahrscheinlichkeit der Tod drohte. Ich muß ja nicht ständig mit Alex und den anderen darüber sprechen! dachte sie. Minuten nach dem Abbruch des Trainings fanden sich Alexius Bullet und mehr als fünfzig Beausoleils aus seiner Gruppe in einem Gemeinschaftsraum ein, in dem bereits eine wandhohe Holografie Einblick in eine der Messen gestattete. Das Holo Perry Rhodan mit den anderen Zellaktivatorträgern und wichtigen Persönlichkeiten der Schiffsführung. Ausführlich schilderte er die Situation im Solsystem, und was sich während seines Aufenthaltes dort ereignet hatte. »Die Bedrohung der Erde durch das sich ausweitende Todesfeld wird immer größer«, erklärte er. »Die Ayindi haben versprochen, sich dieses Problems anzunehmen.« »Sie haben versprochen, sich dieses Problems anzunehmen?« fragte
Julian Tifflor. »Wie soll ich das verstehen? Sie tun also bisher gar nichts. Oder?« »Im Solsystem können sie nichts tun«, erläuterte Rhodan. »Hilfe können sie nur aus dem Arresum bringen.« Er hob in einer Geste der Hilflosigkeit die Arme und ließ sie danach wieder fallen. »Wir selber können leider überhaupt nichts unternehmen«, gestand er ein. »Wir müssen uns ganz auf die Ayindi verlassen.« »Und wenn sie nur versprechen, etwas zu tun, tatsächlich aber die Hände in den Schoß legen?« fragte Ronald Tekener. »Dann ist die Erde verloren«, entgegnete Rhodan. Danach herrschte betretenes Schweigen im Raum. Alex Bullet und die anderen Beausoleils blickten sich betroffen an. Mit derart schlechten Nachrichten von der Erde hatte niemand gerechnet. »Ich bin jedoch sicher, daß die Ayindi ihr Wort halten werden«, betonte Rhodan. »Sie haben keinen Grund, es nicht zu tun.« »Ich habe gehört, daß es Ciriac nicht besonders gutgeht«, bemerkte Julian Tifflor. »Das ist richtig«, bestätigte Rhodan. »Ciriac ist bei dem Unternehmen ins kritische Alter gekommen und dem Altersschwachsinn verfallen. Moira hat sie mit ins Aariam-System genommen.« »Und was geschieht dort?« fragte Tifflor. »Das entzieht sich meiner Kenntnis, Julian. Du weißt doch, daß die Ayindi über eine Reihe von Tabus nicht mit uns sprechen.« Tifflor nickte nur. Das war allgemein bekannt. Damit endete die Berichterstattung Rhodans, und der Holowürfel erlosch. Schweigend erhoben sich die Beausoleils und verließen den Raum. Nur Nina Kessel blieb in einem der Sessel sitzen. Alex Bullet bemerkte es. Er kehrte um und ging zu ihr, um sich zu ihr zu setzen. »Ist was?« fragte er. »Ich habe meine Meinung geändert«, erwiderte sie. »Ich bin nicht der Ansicht, daß wir das Recht haben, uns vor einem Einsatz zu drücken. Und jetzt schon gar nicht. Wir sind auf die Hilfe der Ayindi angewiesen. Das war bisher nicht der Fall. Dadurch ändert sich die Situation.«
»Wir drücken uns nicht«, antwortete er mit schneidender Schärfe in der Stimme. Mit Widerstand von ihrer Seite hatte er offensichtlich nicht gerechnet. »Nur: Wenn wir in den Einsatz gehen, dann müssen die Vorbereitungen so gründlich sein, daß unser Risiko minimiert wird.« Er erhob sich. »Um eines klarzustellen, Muscel«, sagte er. »Solange du meinem Kommando unterstehst, wirst du dich unserer Disziplin unterordnen. Man hat uns den Spottnamen Beaumortels gegeben; das sagt ja wohl alles. Wir gehen nicht in den Einsatz. Und dabei bleibt es. Ich habe mit den anderen gesprochen, und kein einziger ist anderer Meinung als ich. Daß du es jetzt bist, überrascht mich, und es bleibt unter uns beiden.« Damit drehte er sich um und verließ den Raum. Nina blieb noch lange sitzen. Als sie schließlich ebenfalls hinausging, kamen ihr Paunaro mit zwei Koordinatorinnen und zwei terranischen Begleitern entgegen. Der Nakk glitt auf der verdickten Kriechsohle, getragen von einem Antigrav, an ihr vorbei. Er trug einen Gliederpanzer als äußeres Stützskelett und eine Sprechsichtmaske. Die Ayindi sahen imponierend aus. Sie waren beide etwa 2,70 Meter groß, hatten eine dunkle, bronzefarbene Haut und muskulöse, kräftige Körper. Nina war überrascht, Paunaro zu sehen. Er mußte erst vor wenigen Minuten mit der TARFALA eingetroffen sein. Neugierig folgte sie der Gruppe, die bis in die Nähe der Zentrale ging und dort eine der Messen betrat. Am Eingang blieb Nina stehen. Sie beobachtete, daß sich die Gruppe zu Perry Rhodan, Atlan, Alaska Saedelaere, Philip, Reginald Bull und Julian Tifflor begab, die an einem der Tische saßen, um eine Mahlzeit einzunehmen. Die Zellaktivatorträger erhoben sich, um die Eintreffenden zu begrüßen. Nina Kessel ahnte, daß der Nakk aus einem wichtigen Grund gekommen war. Da sie ihn kennenlernen wollte, setzte sie sich nahe dem Eingang auf einen Hocker. Außer den Unsterblichen und der Besuchergruppe hielten sich noch eine Reihe von anderen Besatzungsmitgliedern in der Messe auf. Sie alle wurden Zeuge der Unterredung, bei der es nichts zu verheimlichen gab. »Wir bitten alle Zellaktivatorträger um Unterstützung«, sagte Paunaro
nach der Begrüßung, bei der einige unverbindliche Worte vor allem mit den beiden Koordinatorinnen der Ayindi gewechselt wurden. »Ziel ist: Flug ins Aariam-System; dann ein neuer Auftrag.« »Sicher«, antwortete Rhodan. »Um was geht es?« »Weitere Werftplaneten aufspüren und Akademien nachweisen«, erklärte Paunaro mit Hilfe seiner Sprechmaske. »Aussage der Ayindi: mit den drei Rochenschiffen drei aneinandergrenzende Raumsektoren absuchen, in denen mit großer Wahrscheinlichkeit Werftplaneten existieren.« »Das ist etwas, was uns unbedingt interessiert«, stellte Rhodan fest. »Woher hast du deine Informationen?« »Die Wahrscheinlichkeit folgt Berechnungen der Ayindi«, versetzte der Nakk. »Wir sind dazu bereit«, unterstrich Rhodan. »Allerdings sind wir in großer Sorge wegen der Ereignisse im Solsystem. Dir ist bekannt, daß die Ayindi die einzigen sind, die uns helfen können.« Das war der Zeitpunkt, an dem die Koordinatorinnen aus dem AariamSystem sich zu Wort meldeten. »Wir arbeiten mit hoher Energie an diesem Problem«, sagte eine von ihnen mit großem Ernst. Nina beobachtete sie, und sie hatte nicht den Eindruck, daß Rhodan sie bereits kannte. »Ihr könnt euch darauf verlassen, daß wir alles tun, was in unseren Kräften steht, um so schnell wie möglich eine Problemlösung für den Mars zu erarbeiten.« »Uns ist bewußt, wie dringlich eben diese Lösung ist«, fügte die andere Ayindi hinzu. »Macht euch keine Sorgen. Wir arbeiten mit Hochdruck an dem Problem; wir werden es lösen, bevor es zu einer Katastrophe kommt und eure Erde erfaßt wird.« Nina Kessel erhob sich ‘und verließ den Raum. Sie hörte noch, daß Rhodan den Ayindi eine Zusage erteilte, und ihr war klar, daß ein Unternehmen starten würde. »Es geht los, Alex!« sagte sie leise, während sie sich aus einem Automaten eine schmackhafte Frucht nahm, um sie auf ihrem Weg zum Fitneßraum zu essen. »Ich gehe jede Wette ein, daß Perry sehr schnell bei dir antanzt.« 3.
Atlan saß Perry Rhodan an einem Tisch in einer kleinen Messe gegenüber. Sie waren allein im Raum. »Einige weigern sich«, berichtete der Arkonide. »Ich habe nicht nur mit Alex Bullet, sondern selbstverständlich auch mit Joseph Broussard junior gesprochen. Er hält angesichts der hohen Verlustquote die Weigerung für gerechtfertigt.« »Dabei hat er mir in die Hand versprochen, daß uns die Beausoleils auch weiterhin zur Verfügung stehen«, entgegnete Rhodan, der eine kleine Mahlzeit zu sich nahm. Er hatte schon lange nichts mehr gegessen. »Wir berufen eine Mannschaftsbesprechung für die Beausoleils ein. Es sind doch alles Freiwillige!« »Das habe ich bereits berücksichtigt«, erwiderte der Arkonide. »Ich habe entsprechende Vorbereitungen getroffen. Die Beausoleils können in einer halben Stunde im Hangar VII versammelt sein. Dort ist zur Zeit Platz genug für alle.« »Also gut«, stimmte der Terraner zu. »Treten wir den Gang nach Canossa an. Es bleibt wohl nichts anderes übrig. Irgendwie kann ich die Beausoleils sogar verstehen - aber durchgehen lassen können wir eine solche Weigerung selbstverständlich nicht.« Während der Arkonide den Raum kurz verließ, um die Beausoleils in dem Hangar zusammenzurufen, beendete Rhodan seine Mahlzeit. Er hatte gerade den letzten Bissen zu sich genommen, als der weißhaarige Freund zurückkehrte. »Wir werden uns durchsetzen«, sagte er. »Eine Weigerung dieser Art können wir nicht durchgehen lassen. Die Borddisziplin ginge zum Teufel, wenn wir es täten. Die Beausoleils haben sich zu fügen. Gnadenlos. Notfalls müssen wir mit aller gebotenen Härte durchgreifen. Oder wir nehmen andere Leute aus Arlo Rutans Landetruppe.« »Wir werden sie überzeugen«, erwiderte Rhodan. »Und wir werden das Problem lösen.« Sie machten sich auf den Weg zum Hangar VII. Je mehr sie sich ihm näherten, desto mehr Beausoleils gesellten sich zu ihnen. Sie kamen aus allen Richtungen, und sie drängten sich schweigend oder betont leise miteinander redend in den Hangar. Einige von ihnen suchten das Gespräch mit Rhodan, um einige unverbindliche Worte mit ihm zu wechseln.
Dicht neben dem Eingang im Hangar stand Joseph Broussard jr. mit Alex Bullet zusammen. Er kam zu Rhodan, als er ihn sah, um ihn zu begrüßen. »Hallo, Joseph«, sagte Perry. »Es ist noch nicht allzu lange her, daß wir miteinander gesprochen haben. Deine Worte klingen mir noch in den Ohren.« »Ich weiß.« Dem Anführer der Beausoleils war die Bemerkung Rhodans sichtlich unangenehm. »Du hast gesagt, daß wir weiterhin mit der vollen Unterstützung der Beausoleils rechnen können«, fuhr Rhodan fort. »Jetzt erst recht! Du meintest, daß der Tod deiner Kameraden gezeigt habe, wie notwendig es ist, eine so lebensfeindliche Macht wie die Abruse zu bekämpfen und auszulöschen. Du hast betont, daß die Beausoleils und du einen wichtigen Beitrag in diesem Kampf leisten wollen. Ist das alles schon vergessen?« »Durchaus nicht«, antwortete der »Cajun« mit wachsender Verlegenheit. »Ich war jedoch etwas voreilig, und ich habe die Stimmung unter meinen Leuten nicht richtig beurteilt. Jeder meiner Kämpfer ist eine Persönlichkeit, und jeder von ihnen hat eine Stimme, die etwas gilt, wenn er sich äußert. Mit ganz wenigen Ausnahmen haben sich die Männer und Frauen gegen Selbstmordeinsätze ausgesprochen, und das habe auch ich zu respektieren. « »Die Einsätze sind akribisch genau überprüft worden«, stellte Atlan ruhig fest. »Der Untersuchungsausschuß ist nicht zu dem Ergebnis gekommen, daß ein schuldhaftes Verhalten von irgendeiner Seite vorliegt, schon gar nicht von selten der Einsatzleitung.« »Ich weiß.« »Was gilt für dich persönlich, falls ich dich anfordere?« fragte Rhodan. »Das wirst du nicht tun«, konterte Broussard. »Es wäre mehr als enttäuschend und würde überhaupt nicht zu dir passen.« Perry ging zusammen mit Atlan zu einer Antigravplattform und ließ sie etwa anderthalb Meter hoch ansteigen, so daß er über die Köpfe aller Beausoleils hinwegsehen konnte und auch noch im Blickfeld von jenen Männern und Frauen war, die weit hinten im Hangar standen. »Es hat bei den letzten Einsätzen leider Opfer gegeben«, begann Rhodan. »Niemand bedauert den Tod so vieler Menschen mehr als ich. In
meinem langen Leben habe ich viele Freunde verloren, und jeder einzelne schmerzt mich. Doch gefahrlose Einsätze gibt es nicht. Als ihr euch für diese Expedition der BASIS gemeldet habt, muß sich jeder von euch darüber klar gewesen sein, daß er auch ein Risiko eingeht. Niemand hat jemals die Gefahren geleugnet, und niemand hat je einen Hehl daraus gemacht, daß es Verluste geben kann.« Er blickte in die Runde, und er erwartete, daß sich jemand zu Wort melden würde; doch die Beausoleils schwiegen. »Drei Rochenschiffe werden in etwa zwei Stunden starten, um nach weiteren Werftplaneten zu suchen und die Existenz von Akademien nachzuweisen«, fuhr er fort. »Es sind die CADRION, die unter Bullys Kommando steht, Atlans TYRONA und ein Rochenschiff, das ich aus Dankbarkeit und Erinnerung an eine ayindische Freundin CIRIAC getauft habe. Für diese drei Raumschiffe suche ich 150 Freiwillige. Wir brauchen ihre Hilfe, um unsere Aufgaben erfüllen und den Erwartungen der Ayindi gerecht werden zu können.« Wieder machte Rhodan eine Pause, um seine Worte wirken zu lassen. Er wollte die Beausoleils nicht überrumpeln, sondern überzeugen. »Atlan hat mich darüber informiert, daß die überwiegende Mehrheit der Beausoleils weitere Aufträge ablehnt«, sagte er, nachdem er ausreichend lange gewartet hatte. »Ich nehme diese Weigerung zur Kenntnis, akzeptiere sie jedoch nicht. Jedes einzelne Mitglied unserer Expedition hat eine wichtige Funktion. Es ist nicht ein einziger an Bord der BASIS, der nicht in irgendeiner Weise Verantwortung übernommen hat. Das gilt auch für die Beausoleils. Niemand hat das Recht, sich außerhalb unserer Gemeinschaft zu stellen und den anderen dadurch den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Wer sich verweigern will, hätte das vor dem Start im Solsystem tun sollen. Wer an Bord der BASIS gegangen ist, hat damit die Verpflichtung übernommen, von Anfang bis zum Ende dabeizubleiben auch und gerade dann, wenn es besonders schwer wird, seiner Verantwortung gerecht zu werden.« Seine Blicke suchten Joseph Broussard jr. »Bevor ich mit Moira und der STYX zur Erde geflogen bin, hat mir der Oberbefehlshaber der Beausoleils in die Hand versprochen, daß seine Männer und Frauen auch weiterhin für Kampfeinsätze zur Verfügung
stehen. Auf dieses Wort verlasse ich mich.« Er bemerkte, daß zahlreiche Männer und Frauen, die ihn bisher direkt angesehen hatten, seinen Blicken auswichen. Das war für ihn ein Zeichen dafür, daß sie unsicher geworden waren. »Ich komme gerade aus dem Solsystem«, schloß Rhodan. »Die Erde befindet sich in tödlicher Gefahr, und es sind allein die Ayindi, die sie retten können. Glaubt ihr wirklich, daß sie es tun werden, wenn wir ihnen im Arresum die Hilfe verweigern, die sie dringend benötigen? Ich bin sicher, daß sich 150 Freiwillige für die CADRION, die TYRONA und die CIRIAC finden werden. Wer an dem Einsatz teilnehmen will, soll sich für die CADRION bei Joseph Broussard melden. Wer auf Atlans TYRONA mitfliegen will, teilt dies Alex Bullet mit. Die übrigen wenden sich an Michael Doucet. Diese fliegen mit mir auf der CIRIAC. Daß ich die Namen dieser drei genannt habe, bedeutet noch nicht, daß sie ihre Weigerung aufgeben. Ihre Aufgabe ist zunächst lediglich, die jeweils 50 Freiwilligen für die Einsätze zusammenzustellen und einzuteilen. Die Freiwilligen müssen nicht aus den Reihen der Beausoleils stammen; es können gerne andere sein. Ich danke euch.« Kühl und beherrscht ließ Rhodan die Antigravplattform sinken. Zusammen mit Atlan verließ er den Hangar, um den Beausoleils Gelegenheit für eine Aussprache zu geben. »Und?« fragte der Arkonide. »Glaubst du, daß du es schaffst?« »Ich weiß es«, gab sich Rhodan zuversichtlich. »Wir werden unsere Freiwilligen in ausreichender Zahl haben. Und zwar Beausoleils.« Er hatte das ganze Gewicht seiner Persönlichkeit in die Waagschale geworfen; er war überzeugt davon, daß die Beausoleils ihren Widerstand aufgeben würden. * Die Gewichte bewegten sich lautlos in den Kraftmaschinen. Die meisten von ihnen waren ohnehin nur pure Show. Die tatsächlichen Widerstände wurden von Antigravfeldern geleistet, deren Kapazität den Anforderungen entsprechend eingestellt werden konnten. Nina Muscel Kessel befand sich in einer Kraftmaschine, die von einem Holo umgeben wurde. Das Bild täuschte den Aufenthalt auf einem Planeten mit großer Schwerkraft vor, auf der sich Tiere mit säulenartigen,
kurzen Beinen flach über den Boden bewegten und auf der die Pflanzen ebenfalls nur Kriechgewächse waren, die den Boden bedeckten. Alexius Bullet trat an die Maschine heran und schaltete sie aus. »Ich muß mit dir reden«, sagte er. »Das überrascht mich nicht«, versetzte sie und stand auf. Mit einem Handtuch trocknete sie den Schweiß ab. »Ich habe schon auf dich gewartet. « Sie bemerkte, daß die anderen Beausoleils der Gruppe sich ihnen neugierig näherten. Sie vermuteten, daß es zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung kommen würde, und die wollten sie sich nicht entgehen lassen. Der massige Paul Conte rieb sich die rechte Faust in der linken Handfläche, als wolle er sie zu einem mächtigen Schlag vorbereiten. Karla Zazis kratzte sich mit spitzen Fingern den Kopf und wirbelte das stoppelkurze Blondhaar durcheinander. Zacharias Crichtons schmales Gesicht mit der weit vorspringenden Hakennase war blaß. Das eisgraue Haar klebte ihm an der Stirn. Die Kraftübungen hatten ihn sichtlich angestrengt. »Was sagst du zu Perrys Vortrag?« fragte Bullet. Sie setzte sich auf einen Hocker und legte sich das Handtuch über den Kopf, so daß nur das Gesicht frei blieb. Mit einem Ende des Tuchs tupfte sie den Schweiß von der Stirn. »Perry hat recht«, erwiderte sie. »Wir haben von Anfang an gewußt, daß es bei einer Kampftruppe auch Tote geben kann. Keiner von uns kann so naiv sein, ernsthaft zu glauben, daß die Anzahl der möglichen Opfer von vornherein auf sehr wenige beschränkt ist. Wie wir gesehen haben, kann die Zahl der Opfer sogar hoch sein. Wen das überrascht, der hat sich selbst belogen.« »Wir haben beschlossen, uns für weitere Einsätze nicht zur Verfügung zu stellen!« »Dann muß dieser Beschluß eben wieder rückgängig gemacht werden«, entgegnete sie kühl. »Wir befinden uns alle im gleichen Boot. Unterwegs aussteigen kann niemand.« Zacharias Crichton trat näher an sie heran. »Soll Perry sich doch andere suchen«, sagte der Senior der Gruppe, der als der Besonnenste galt. »Warum müssen ausgerechnet wir es sein?
Es sind genügend Männer und Frauen in der Landetruppe, die sehr wohl für alle möglichen Einsätze geeignet sind.« »Das vielleicht schon«, stellte Nina klar. »An dieser Expedition nehmen aber nur Spezialisten teil. Jeder auf seine Art. Kämpfer, Wissenschaftler, Techniker, Kosmonauten. Wir sind die Spezialisten für Einsätze, bei denen es zum bewaffneten Kampf kommen kann, die aber auch Wissenschaft verlangen. Deshalb sind wir an Bord.« Die anderen murrten, doch es kamen keine Argumente. Schweigend wechselten sie Blicke. Jeder hoffte, daß der andere etwas sagen würde, was die Aussage Ninas entkräftete. »Perry, Atlan oder die anderen Unsterblichen haben sich niemals gedrückt«, fuhr Nina fort. »Auch sie haben Verluste hinnehmen müssen.« Es gehörte Mut dazu, sich den anderen zu widersetzen, sich gegen die Gruppe und ihre Meinung zu stellen. Bullet, Conte, Zazis und Crichton waren nicht nur Kampfgefährten, sie waren auch Freunde für Nina, und sie ging das Risiko ein, von ihnen ausgeschlossen zu werden. Doch sie wich nicht zurück. Nina gab nicht auf. »Wir sind keine Drückeberger«, sagte sie. »Schlimm genug, daß man uns bereits Beaumortels nennt. Das Wort von den Beauyellows, den Feiglingen, möchte ich gar nicht erst hören. Bisher sind wir wie die Haudraufs in die Einsätze gegangen. So muß das ja nicht bleiben. Wir müssen stärker die Roboter einsetzen, die uns als Vorhut absichern. Mit anderen Worten: Unsere Einsätze müssen intelligenter werden, und es ist nicht Perrys Problem, wie wir das machen, sondern unseres. Wir sollten uns freiwillig melden und mit der Einsatzplanung beginnen, sobald wir an Bord sind. Die üblichen Spaße, mit denen wir uns unterhalten, können wir dann immer noch machen.« »Das Kostbarste, was wir einzusetzen haben, ist das Menschenleben«, ergänzte Alexius Bullet. »Wir werden es besser als bisher schützen. Allerdings erwarte ich von Perry dabei massive Unterstützung.« »Die werden wir bekommen«, versetzte Nina. »Daran besteht für mich nicht der geringste Zweifel.« »Laß uns jetzt allein«, bat Alexius Bullet. »Wir sehen uns später.« Nina erhob sich wortlos und ging in den Hygieneraum, um zu duschen. Als sie erfrischt und angekleidet wieder hervorkam, erklärte sich die
Gruppe geschlossen bereit, an den bevorstehenden Einsätzen teilzunehmen. Die Krise war überwunden. »Ich habe bereits mit Joseph gesprochen, Muscel«, berichtete Bullet in seiner kumpelhaften Art. »Mit uns haben sich bereits über 150 Beausoleils für den Einsatz gemeldet. Wir gehen mit unserer Gruppe an Bord von Atlans TYRONA. Mit uns fliegen Ronald Tekener, Dao-Lin-H’ay und Julian Tifflor. Und natürlich Paunaro mit seiner TARFALA.« Er betrat die Hygienekabine und legte die Kleider ab, die er beim Training getragen hatte. »Wir fliegen mit Beibooten ins Arresum und gehen dort an Bord. In einer Stunde starten wir.« * Versehen mit ayindischen Informationen über die Position von zahlreichen Sonnensystemen, in denen Werftplaneten vermutet wurden, starteten die drei Rochenschiffe. Ihr Einsatzgebiet lag zehn Millionen Lichtjahre vom Lebensbereich der Ayindi entfernt. Der Flug dorthin dauerte knapp vier Tage. Im Zielgebiet trennten sich die drei Raumschiffe, um drei verschiedene, jeweils etwa eine Million Lichtjahre voneinander entfernte Sektoren aufzusuchen. Ein Pulsar, der den Kodenamen »Schneemann« erhielt, und der etwa im Mittelpunkt des Aktionsraumes lag, wurde als RendezvousPunkt vereinbart. Perry Rhodan war der Kommandant der CIRIAC. Mit ihm in der Zentrale waren sein Sohn Michael, der Ennox Philip, Icho Tolot und Myles Kantor. Homer G. Adams, der ursprünglich zur Besatzung von Rhodans Raumschiff gehört hatte, war im Solsystem geblieben und nicht mit zur BASIS zurückgekehrt. An Bord der CIRIAC waren neben einer großen Zahl von Wissenschaftlern und Technikern auch Michael Doucet mit seinen Beausoleils. »Die CIRIAC weist einige Neuerungen auf«, erklärte Michael Rhodan. »Sie sind während deiner Abwesenheit eingebaut worden.« In schneller Überlichtfahrt entfernten sie sich von der TYRONA und der CADRION. Von nun an waren sie auf sich allein gestellt. Funkkontakte würde es nicht geben. »Wenn sich die Neuerungen bewähren, sollen sie auch in andere Schiffe
eingebaut werden«, fuhr Michael fort. »Am meisten verspreche ich mir vom Strukturtaster. Damit soll es möglich sein, die speziellen Kristallstrukturen von Werftplaneten schon auf sehr große Entfernungen zu erkennen.« »Das ist schon mal ein Vorteil«, erkannte Rhodan an. »Mittels eines Offensiv-Zusatz-Moduls ist es dann möglich, Strukturbomben ins Ziel zu setzen«, ergänzte Michael. »Vergleichbar mit Transformkanonen. Damit sollen die abrusischen Kristalle zu einem sogenannten Kristallbrand angeregt werden. Ich bin gespannt, ob es klappt. Mehrere solcher Strukturbomben können, wie mir die Ayindi gesagt haben, eine Kettenreaktion auslösen und einen ganzen Werftplaneten vernichten.« »Es wurde Zeit, daß die Ayindi uns diese Waffen zur Verfügung gestellt haben«, versetzte Rhodan. »Sie selbst hatten sie schon lange.« Er erfuhr darüber hinaus, daß außerdem alle drei Rochenschiffe mit jenem Defensivgerät ausgestattet waren, das den Ortungsreflex einer Schneeflocke nachahmen konnte. Außerdem befand sich eine umfangreiche Ausrüstung an Bord des Schiffs, die von der BASIS stammte. Perry Rhodan war zufrieden. Alle Voraussetzungen für einen erfolgreichen Abschluß der Expedition waren gegeben. * Lichtjahre von der CIRIAC entfernt, lenkte Reginald Bull die CADRION auf das erste der von den Ayindi angegebenen Ziele. Es war ein kleines Sonnensystem mit acht Planeten und einer gelben Sonne. »Was sollen wir hier?« fragte Gucky in seiner respektlosen Art. »Hier ist nichts als tote Hose.« Mit ihnen in der Zentrale waren Mila und Nadja Vandemar und Alaska Saedelaere. »Manch totgesagte Hose hat sich noch belebt«, entgegnete Mila keß. »Ich würde nicht zu früh urteilen.« Als wollte sie die Worte der Strukturorterin bestätigen, schob sich eine riesige Schneeflocke hinter dem vierten Planeten hervor. Sie hatte einen Durchmesser von etwa 800 Metern, und sie glitzerte und schillerte im
Licht der gelben Sonne wie ein überdimensionaler Diamant, der alle Farben des Spektrums in sich barg. »Da geht es schon los«, sagte Nadja, die Strukturformerin. Sie warf Alaska Saedelaere einen nachdenklichen Blick zu. Er saß ruhig in seinem Sessel und konzentrierte sich auf den Gegner, schaute Nadja nicht an. »Was machen wir?« fragte er. »Verschwinden wir vorsichtshalber oder greifen wir an?« »Wir greifen an!« entschied Bully. Das Rochenschiff beschleunigte kurz, glitt auf das Kristallgebilde zu und eröffnete das Feuer. Energiestrahlen zuckten zur Schneeflocke hinüber und nahmen sie unter Beschuß. Die Zellaktivatorträger in der Zentrale beobachteten voller Spannung die Projektionen an den Wänden der Kugelzelle. Sekundenlang schien es, als bliebe der Beschuß ohne jede Wirkung. »Verdammt! Die Schneeflocken absorbieren die Energie«, stöhnte Bully. »Sie müssen eine neue Defensivwaffe entwickelt haben.« Doch dann plötzlich barst das riesige Kristallgebilde mit einem Schlag auseinander. Millionen und aber Millionen von Bruchstücken strebten auseinander und verbreiteten sich im All. »Na also«, seufzte Gucky befriedigt. »Ich dachte schon, ich müßte teleportieren und das Ding von innen her zerpflücken. « Die anderen gingen nicht auf seine Bemerkung ein. Sie wußten alle, daß er gar nicht in der Lage war, eine Schneeflocke allein mit seinen parapsychischen Kräften zu vernichten. Doch sie atmeten auf, denn jeder von ihnen hatte ein paar Sekunden lang befürchtet, daß die Schneeflocke tatsächlich eine neue Defensivwaffe an Bord hatte. Das hätte neue Probleme bedeutet. »Da ist noch eine Schneeflocke!« rief Mila plötzlich. Sie zeigte auf den zweiten Planeten des Sonnensystems. Hinter ihm schoß das kristalline Raumschiff hervor. »Und da noch eine!« Ein zweites Kristallschiff folgte dem ersten, und beide nahmen Kurs auf die CADRION. * An Bord der TYRONA herrschte angespannte Ruhe.
In der Zentrale saßen die Zellaktivatorträger, Alexius Bullet und Nina Kessel. Atlan hatte die beiden Beausoleils in die Zentrale gerufen, nachdem das Rochenschiff sich von den beiden anderen Raumschiffen der Expedition getrennt hatte. Nach der überstandenen Krise wollte er nicht, daß sie sich - ohne Zugang zu Informationen zu haben - irgendwo im Raumschiff aufhielten und tatenlos abwarteten, bis sie zum Einsatz kamen. Das Raumschiff glitt durch das System einer großen, roten Sonne mit 28 Planeten. Der Strukturtaster arbeitete und suchte jeden einzelnen der Planeten ab. »Wenn hier irgendwo ein Werftplanet ist, dann zeigt uns das Ding das an«, sagte der Arkonide zu Bullet und zeigte auf das ayindische Gerät. Der zwölfte Planet umkreiste in einer solchen Entfernung die Sonne, daß günstige Bedingungen für die Entwicklung von Leben gegeben waren. Grund genug für Atlan, das Rochenschiff näher zu dieser Welt heranzuführen. Gemeinsam mit Dao-Lin-H’ay steuerte er die TYRONA. Die Erfassungssysteme der Fernortung griffen nach dem Planeten, und die Wissenschaftler an Bord sammelten eine schier uferlose Zahl von Informationen. Zu den Neuerungen gehörte, daß das Schiff auch schon von zwei Zellaktivatorträgern gelenkt werden konnte. Im Notfall und bei schwierigen Manövern waren allerdings vier nötig. Am fortschrittlichsten war in dieser Hinsicht die CIRIAC, bei der auch schon zwei Aktivatorträger schwierige Manöver meistern konnten. Durch Gedankenbefehle konnten sie das Raumschiff allerdings nicht dirigieren. Das vermochten nur die Ayindi. »Kein intelligentes Leben«, meldete einer der Biologen. »Und keine Kristallstrukturen«, stellte Ronald Tekener enttäuscht fest. Er drehte einen fingerlangen Dolch in den Händen, den er bei einem Erkundungseinsatz auf einem exotischen Planeten im Bereich der Großen Leere gefunden hatte. Die Waffe war fein gearbeitet und trug auf der hell glänzenden Klinge eine Reihe von Symbolen, deren Sinngehalt er bisher noch nicht enträtselt hatte. Der Narbengesichtige war nach wie vor ein Waffennarr. Auf der Erde verfügte er über eine umfangreiche Waffensammlung, in der sich Exponate aus vielen Teilen des Universums fanden. Jeder an Bord wußte, daß Tek auch bei diesem Flug hoffte,
irgendwo ein Sammelstück zu finden, wie es ihm zuvor noch nie begegnet war. Die Wahrscheinlichkeit war allerdings gering. Wo die Todesstrahlung der Abruse wirksam geworden war, gab es nichts mehr zu entdecken, denn die Strahlung hatte buchstäblich alles auf der Oberfläche der betroffenen Planeten in Kristallstaub verwandelt. »Es wäre wohl auch zuviel verlangt gewesen, wenn wir gleich auf Anhieb Erfolg gehabt hätten«, murrte der Smiler. Nachdem der Strukturtaster auch die übrigen Planeten untersucht hatte, brachte der Arkonide das Rochenschiff auf Kurs zum nächsten Sonnensystem. Es war nur vier Lichtjahre entfernt. »Ich gehe zu meinen Leuten«, sagte Alexius Bullet zu Atlan. Er winkelte den rechten Arm an, drückte die linke Hand auf seinen Oberarmmuskel und massierte ihn. »Es genügt mir, wenn du mir Bescheid gibst, sobald es soweit ist.« Alexius Bullet kehrte in den Bereich der TYRONA zurück, in dem er mit seinen Beausoleils untergebracht war. Insgesamt standen Atlan 27 Männer und 23 Frauen dieser Gruppe zur Verfügung. In einem Antigravschacht glitt er nach unten, und noch während er im Schacht war, vernahm er die erregten Stimmen von zwei sich streitenden Frauen. Als er auf einen Gang hinaustrat, sah er die blonde Karla Zazis und die große, schlaksige Hanna Douen. Die beiden Frauen standen sich so dicht gegenüber, daß sich ihre Nasenspitzen beinahe berührten, wobei Karla steil nach oben blicken mußte. Wie ihr Spitzname Petit bereits verriet, war sie klein. Hanna überragte sie um eine Haupteslänge. »Hoppla, was ist denn hier los?« fragte er. »Wenn ihr euch schlagen wollt, geht in den Trainingsraum und tobt euch dort aus. Aber bitte, ohne euch zu verletzen. Wenn nicht alles täuscht, werden bei dem bevorstehenden Einsatz alle Kräfte benötigt.« Karla wandte sich ihm mit hochrotem Gesicht zu. »Sie geht mir auf den Geist«, beschwerte sie sich. »Mußte ich meine Kabine ausgerechnet mit ihr teilen? Du weißt doch, daß wir noch nie besonders gut miteinander ausgekommen sind.« »Die Kabinen sind viel zu eng«, klagte Hanna Douen. »So ein Quatsch! Wir haben Platz genug im Schiff und könnten die Formenergie so ausrichten, daß wir alle genügend Raum haben, um uns auszubreiten und
uns nicht gegenseitig auf den Geist zu gehen. Doch statt die Gelegenheit zu nutzen, haben wir eine Serie von 25 Käfigen gebaut, die so klein sind, daß man sich nicht umdrehen kann, ohne seinen Mitbewohner mit dem Hintern umzustoßen.« Das war maßlos übertrieben. Die Räume waren so groß gestaltet worden, daß sie genügend Platz boten. Alexius Bullet lächelte breit. »Spielen euch die Nerven einen Streich?« fragte er. »Noch sind wir nicht im Einsatz, und es wird auch noch etwas dauern, bis es soweit ist. Aber die Räume umzugestalten, das ist kein Problem. Ich kann euch mehr Platz verschaffen, wenn ihr unbedingt darauf besteht. Oder ich könnte euch umquartieren. Karla kommt zu mir, und Hanna zu Paul. Bebe ist schon lange scharf darauf, mit Hanna ein gemeinsames Quartier zu beziehen.« »Haha!« gab Karla verärgert zurück. »Geschmacklos«, kommentierte Hanna verächtlich. »Stimmt«, gab Bullet zu. »Das war nicht besonders originell. Also machen wir uns an die Umgestaltung!« Abgesehen von der kugelförmigen Hauptleitzentrale und dem Triebwerksbereich waren die meisten Einrichtungen des Rochenschiffes aus Formenergie gestaltet. Die Architektur des Beausoleil-Bereiches lag vollkommen in der Hand von Alexius Bullet. Doch er war, was die wissenschaftliche Bildung anbetraf, ein Allrounder, der von vielen Disziplinen ein wenig verstand, in keiner Disziplin jedoch überragend war. Deshalb hatte er mit Zacharias »Zach« Crichton zusammengearbeitet, der nicht nur über die ausreichende Phantasie verfügte, sondern auch ein technisches Genie war und die nötigen Entwürfe in kürzester Zeit mit dem Syntron erarbeitet hatte. »Ich rede mit Zach«, versprach er. »Mal sehen, ob wir einen Raum für euch schaffen können, der besser geeignet ist, oder ob euer Raum umgestaltet werden kann.« Damit waren die beiden Frauen zunächst einmal zufrieden. Ihr Zorn verrauchte, und ruhig miteinander redend gingen sie in den Trainingsraum. Verblüfft stellte Bullet fest, daß sie ihn nun nicht weiter beachteten und daß ihr Streit ausgestanden war. Das Problem war behoben und damit
vergessen. »Kein Problem, Alex«, antwortete Zacharias Crichton, der Senior der Gruppe, nachdem Bullet ihm erklärt hatte, um was es ging. Innerhalb von Sekunden projizierte sein Syntron einen architektonischen Lageplan der Unterkünfte der Beausoleils als holografisches Bild. »Der Raum der beiden läßt sich ohne Schwierigkeiten vergrößern, ohne daß die Unterkünfte der anderen dadurch beeinträchtigt werden. Wir können gleich damit beginnen.« »Dann laß uns keine Zeit verlieren, Zach. An die Arbeit!« * Nina Kessel blieb in der Zentrale. Für sie war der Raumflug immer wieder faszinierend, und nirgendwo konnte sie ihn intensiver erleben als an diesem Ort. Die TYRONA ging zum Überlichtflug über und wurde dabei wesentlich schneller, als galaktische Raumschiffe waren. Auf den Bildwänden zeichnete sich ein buntes Durcheinander von wallenden und ineinanderfließenden bizarren Formen und Strahlengebilden ab. Nina staunte über das Farbenspiel, das sie als wahre Farborgie empfand. Ähnliches hatte sie zuvor noch nicht gesehen, und sie freute sich darüber, in der Zentrale geblieben zu sein. Jetzt machte sie die Beobachtungen, von denen sie vor vielen Jahren auf der Erde geträumt und für die sie sich zum Weltraumflug entschlossen hatte. Sie lehnte sich in ihrem Sessel zurück und genoß das Farbenspiel. Dabei wußte sie, daß es nicht lange dauern würde. Schon bald würden sie das nächste Sonnensystem erreichen und vielleicht schon dort einen Werftplaneten entdecken. Dann war es vorbei nicht nur mit den wallenden und wirbelnden Farbschleiern, sondern auch mit der Ruhe. 4. Reginald Bull blickte gelassen den Schneeflocken entgegen, die sich ihnen näherten. »Feuer!« befahl er. Die Waffen der CADRION schleuderten ihre tödlichen Strahlen gegen eines der Kristallschiffe. Wiederum konzentrierte sich das Feuer auf einen Punkt. Mit Hilfe der Sensorfelder in den Armlehnen ihrer Sessel steuerten Alaska und Bully die Schiffsgeschütze, während die anderen sich auf die
Beobachtung beschränkten. Wieder vergingen lange Sekunden, in denen die Wirkung der Ayindi-Waffen ungewiß blieb. »Los doch!« rief Gucky, der besorgt verfolgte, daß sich ihnen das zweite Kristallschiff bedrohlich näherte. Plötzlich leuchtete es im Inneren der Schneeflocke auf, und dann barst das Raumschiff auseinander, löste sich in Millionen von Einzelteilen auf. Die Bruchstücke wirbelten ins All hinaus, und nun beschleunigte die zweite Schneeflocke. »Wir ziehen uns zurück«, beschloß Bully. Er beschleunigte das Rochenschiff und wich dem Angreifer aus, verließ das kleine Sonnensystem jedoch noch nicht. Der Strukturtaster arbeitete und lieferte die nötigen Informationen. Noch während des Manövers kam Bully zu dem Schluß, daß es in diesem Sonnensystem keine der gesuchten Werften gab. Er beschleunigte die CADRION und brachte sie auf Kurs zum nächsten Sonnensystem. Ein weiterer Überlichtflug mit den bekannten optischen Ereignissen begann. Er endete in einem kleinen Sonnensystem mit vier Planeten, die eine weiße Sonne umkreisten. Hunderte von Schneeflocken hatten sich in dem System versammelt. Sie bildeten einen zur einen Seite hin offenen Hohlkörper und wirkten so wie ein riesiges Netz, in dessen Öffnung die CADRION hineinflog. Bully zögerte keine Sekunde. Während die Instrumente eine ganze Serie von Energieentladungen in den Schutzschirmen registrierten, beschleunigte er die CADRION sofort wieder auf Überlichtgeschwindigkeit. Besorgt stellte er danach fest, daß das bunte Durcheinander von wallenden und ineinanderfließenden Formen und Strahlengebilden hauptsächlich von blauen und violetten Farben bestimmt wurde. »Was hat das zu bedeuten?« fragte er. »Keine Ahnung«, erwiderte Gucky, der neben ihm saß. In seinen Augen glitzerte ein eigenartiges Licht. »Irgend etwas scheint nicht in Ordnung zu sein.« Er sprach nicht aus, was er meinte, doch alle wußten es. Der Antrieb funktionierte offenbar nicht so, wie es sein sollte. Hatten die Schutzschirmsysteme versagt, die wirkungsvoller als alles
waren, was die Galaktiker aufzubieten hatten? War fremdartige Energie durchgeschlagen und hatte den Antrieb beschädigt? Niemand konnte eine Antwort darauf geben. Sie konnten das Rochenschiff mit einiger Mühe bedienen, über seine technische Funktion aber wußten sie überhaupt nichts. Wenn irgendwo an Bord etwas versagte, dann waren sie praktisch nicht in der Lage, es zu reparieren. Sie alle waren sich klar darüber, was der Ausfall oder auch nur die Beeinträchtigung der Leistung des Triebwerks bedeutete: Bei einem Angriff wären sie schutzlos den zerstörerischen Kräften der Abruse ausgeliefert. Doch schon nach wenigen Sekunden regulierten sich die Prozesse an Bord ein; alles war wieder so, wie sie es kennengelernt hatten. Die CADRION funktionierte einwandfrei. Alle atmeten erleichtert auf. »Wahrscheinlich war der Maschinist blau«, kommentierte Gucky. Niemand lachte. Ihnen allen wäre es lieber gewesen, wenn es so etwas wie einen Maschinisten im Triebwerksteil gegeben hätte, mit dem man im Notfall reden konnte. Doch es gab keinen. Keiner von ihnen hatte eine Vorstellung davon, wie es im versiegelten Triebwerksbereich aussah. * Die TYRONA erreichte ein weiteres Sonnensystem: eine gelbe Sonne, die von zwei kleinen Planeten umkreist wurde. »Schauen wir uns hier mal um«, sagte Atlan. »Irgendeinen Grund müssen die Ayindi ja gehabt haben, daß sie uns die Koordinaten dieses Systems gegeben haben.« »Leider haben sie uns nicht gesagt, weshalb sie hier einen Werftplaneten vermuten«, stellte Ronald Tekener fest. Der Smiler setzte den Strukturtaster ein. »Ortung«, bemerkte Dao-Lin-H’ay. Die Kartanin wies ruhig auf eine Schneeflocke, die sich im Orbit des inneren Planeten bewegte. Das Licht der Sonne ließ ihre unzähligen Kristalle in vielen Farben funkeln. Die TYRONA verzögerte, bis sie nur noch mit geringer Geschwindigkeit durch das Sonnensystem schwebte. »Wohin wir auch kommen, sämtliche Systeme sind von diesen
Schneeflocken verseucht«, sagte Nina Kessel. Sie hatte nicht damit gerechnet, daß sie auf ihren Flügen so vielen Kristallschiffen begegneten. »Nirgendwo können wir ungestört operieren.« Sie erwarteten, daß die Schneeflocke, die einen Durchmesser von etwa sechshundert Metern hatte, sich ihnen näherte. Doch das Raumschiff der Abruse zog sich langsam zurück. Schwerelos schwebte es vor ihnen her und bewegte sich dabei nur geringfügig schneller als die TYRONA, so daß der Abstand zwischen ihnen nur allmählich wuchs. »Sieht fast so aus, als wollte sie uns hinter sich her locken«, versetzte Atlan. »Ortung!« rief Dao-Lin-H’ay erneut, und dieses Mal wirkte sie nicht ganz so ruhig wie vorher. »Ein Schwarm von kleinen Objekten nähert sich uns.« Er berührte einige Sensoren, und auf den Projektionsflächen an der Wand wurden einige hundert kleine Objekte sichtbar, die auf die TYRONA zurasten. Unmittelbar darauf folgte eine Analyse der Objekte, aus der hervorging, daß es sich um Kristalle handelte. Nina Kessel erschrak. Todeskristalle? Waren es die Kristalle, aus denen auch die Schneeflocken bestanden? Dann drohte ihnen tödliche Gefahr. Die von den Kristallen ausgehende Strahlung konnte das Raumschiff schwer beschädigen. Plötzlich schien sich die Zentrale zu verändern. Atlan und Ronald Tekener waren für Nina nicht mehr zu sehen. Eine schemenhafte, humanoide Gestalt schob sich zwischen sie und hob drohend die dürren Arme gegen sie. Aus einem nebelhaften Etwas schienen sie konturlose Augen anzusehen. Es war eine Gestalt, die auf seltsame Art körperlich erschien und doch nicht greifbar war. »Ruhe bewahren!« vernahm sie die Stimme des Arkoniden. »Das ist nichts anderes als eine Projektion.« »Mit der die Abruse allerdings sehen kann, was hier in der Zentrale geschieht«, stellte der Mann mit den Lashat-Narben gelassen fest. »Alle Aufmerksamkeit den Ortungsschirmen!« forderte Dao-Lin-H’ay. »Wir müssen den Objekten ausweichen!« »Wir schießen sie ab«, entschied Atlan. »Tek, das ist deine Aufgabe.«
Ronald Tekener löste den Energiestrahler aus. Im gleichen Moment verschwand die eigenartige Projektion aus der Zentrale. Im Schwarm der heranrasenden Kristalle gab es eine Explosion. Eine kleine, weiße Sonne breitete sich blitzschnell in der Schwärze des Alls aus. Nina Kessel meinte sogar, eine leichte Erschütterung zu spüren, die durch die TYRONA ging. Atlan beobachtete, wie die Schneeflocke stark beschleunigte und sich in die Tiefen des Universums zurückzog. »Wir verschwinden ebenfalls«, sagte er. »In diesem Sonnensystem ist ohnehin kein Werftplanet zu finden.« Er betätigte die Sensoren, um das Rochenschiff zu beschleunigen und auf Überlichtgeschwindigkeit zu bringen. Die TYRONA reagierte nicht so, wie er es wollte. Es gelang ihm nicht, sie auf Überlichtgeschwindigkeit zu beschleunigen. * Als die CADRION das sechste von den Ayindi angegebene Sonnensystem erreichte - ein System mit sechs Planeten -, wurde man fündig. »Endlich«, sagte Alaska Saedelaere. »Der vierte Planet scheint ein Kandidat für uns zu sein.« Die Aufmerksamkeit aller richtete sich auf die Ortungsprojektionen. Sie zeigten an, was die Fernortung erfaßte. Danach starteten von Planet IV ständig Pulks von Schneeflocken und entfernten sich von ihm, während keine landeten. Die CADRION ging in Beobachtungsposition. Mehrere Stunden lang überwachte die Fernortung den vierten Planeten, und die ersten Eindrücke bestätigten sich: Mehrere Pulks von Schneeflocken starteten auf dem Planeten und verließen das Sonnensystem, doch kein einziges Kristallschiff kam aus den Weiten des Alls und landete. »Seltsam, daß man nicht auf unsere Anwesenheit reagiert«, bemerkte Mila Vandemar unbehaglich. »Man scheint uns für eine Schneeflocke zu halten, die auf Warteposition gegangen ist.« Als die CADRION das Sonnensystem erreicht hatte, war eine ihrer wichtigsten Defensivwaffen zum Einsatz gekommen: der sogenannte Kristallreflektor, der nach Art des galaktischen Virtuell-Bildners arbeitete und es erlaubte, den Ortungsreflex einer Schneeflocke nachzuahmen.
Daher mußten die überwachenden Kräfte auf dem vierten Planeten den Eindruck gewinnen - falls es sie überhaupt gab - daß sich eine Schneeflocke beim sechsten Planeten aufhielt. »Du hast recht«, sagte Bully. »Irgendwann werden sie auf unsere Anwesenheit reagieren und möglicherweise kontrollieren, was wir hier treiben. Vielleicht versuchen sie, eine Verbindung mit uns zu bekommen, und spätestens dann werden sie merken, daß sie es nicht mit einer Schneeflocke zu tun haben.« »Es geht also los!« stellte Gucky fest. Bully nickte. »Wir starten und fliegen zum Planet IV«, entschied er. »Und wenn wir dort sind, werde ich zum Nordpol teleportieren und mich mal ein bißchen umsehen«, versetzte der Ilt. »Falls ich nicht sofort zurückkehre, gibt es dort eine Gemüsesaftfabrik, in der ich Vitamine tanken kann. Macht euch dann keine Sorgen.« Vergnügt zeigte er seinen Nagezahn und rutschte dabei in seinem Sessel so lange hin und her, bis er mehr lag als saß. »Soll ich jemandem was mitbringen? Vielleicht ein Stück Original-Eis vom Nordpol?« »Nimm’s nicht auf die leichte Schulter«, warnte ihn Bully. »Kein unnötiges Risiko!« Gucky äffte seine Stimme nach. »Kein unnötiges Risiko«, betonte Bully. »Bei Gucky kribbelt es, weil er endlich herauskommt aus der CADRION«, stellte Nadja fest. »Richtig«, bestätigte der Mausbiber. »Hier setzt man ja Rost an! Das ist nichts für mich!« Das Rochenschiff beschleunigte und näherte sich dem vierten Planeten. Dabei blieb der Kristallreflektor in Aktion. »Wir gehen in den Orbit«, sagte Reginald Bull. »Dafür setze ich jedoch höchstens fünf Minuten an. In dieser Zeit mußt du zurück an Bord sein, damit wir uns notfalls verziehen können. Es könnte sein, daß wir angegriffen werden und flüchten müssen.« Gucky gähnte demonstrativ. Gelangweilt winkte er ab. »Ich weiß, großer Meister«, antwortete er. »Wenn wir flüchten müssen, besteht die Gefahr, daß wir nicht mehr
zurückkehren können, um dich abzuholen«, warnte Bully ihn. Gucky gähnte noch einmal, und dabei reckte er sich, als sei er gerade aus tiefem Schlaf erwacht. »Ist mir alles klar, Alter. Wenn ich nicht rechtzeitig zurück bin, verduftet ihr eben ohne, mich. Warum nennt man mich sonst den Retter des Universums?« Die CADRION erreichte den vierten Planeten, und Bully gab dem Ilt ein Zeichen. Der Mausbiber winkte feixend und teleportierte. * In der Hauptleitzentrale der TYRONA herrschte betroffenes Schweigen. Die Triebwerke des Rochenschiffes versagten. Sie beschleunigten den Raumer nicht mehr auf Überlichtgeschwindigkeit. Atlan, Ronald Tekener und Dao-Lin-H’ay untersuchten die Sensoren in den Lehnen ihrer Sessel, soweit dies möglich war. Ebenso wie der Triebwerksbereich waren sie versiegelt. Es schien keine Möglichkeit zu geben, sie in irgendeiner Weise zu beeinflussen. Eine Reparatur war nur den Ayindi möglich. Doch da keine Ayindi an Bord waren, wollte sich niemand mit diesem Gedanken abfinden. »Ob uns Paunaro helfen kann?« fragte die Kartanin. »Mit ihm können wir nicht rechnen«, erwiderte Atlan. »Während deiner Ruhepause vor einer Stunde ist er mit der TARFALA gestartet. Vielleicht kommt er bald zurück. Aber ich bezweifle, daß er die TYRONA reparieren kann.« Nina Kessel stand hilflos am Rande des Geschehens. Sie hätte sich gern in irgendeiner Weise nützlich gemacht, doch sie verstand noch weniger von der zentralen Lenkungseinheit des Rochenschiffes als die Unsterblichen. Dao-Lin-H’ay stellte ihre Bemühungen ein. »Das hat wenig Sinn«, stellte sie fest. »Irgend etwas in den Schaltungen hat sich verändert, so daß unsere Befehle nicht mehr korrekt beim Triebwerk ankommen. Irgendwo ist die Informationsbrücke zum Triebwerk unterbrochen, aber wir wissen ja nicht einmal, wie die Informationen von hier zum Triebwerk gelangen. Wie also sollten wir irgend etwas reparieren?«
»Du meinst, wir machen uns nur etwas vor, wenn wir nach dem Fehler suchen?« fragte Tek. »Klar. Genau das meine ich.« Atlan ließ sich in seinen Sessel sinken. Wieder versuchte er, die TYRONA auf Überlichtgeschwindigkeit zu bringen. Es gelang ihm nicht. Das Rochenschiff befand sich auf einem Kurs, der es an der Sonne und den Planeten vorbei in den freien Raum führte. Die Gefahr einer Kollision bestand nicht. Dafür rückte eine andere Gefahr immer näher: Die Schneeflocke, die sich zunächst vor ihnen zurückgezogen hatte, bewegte sich nun auf sie zu. »Hast du eine Idee, Muscel?« fragte Atlan. Nina erschrak. Mit einer ruckartigen Bewegung warf sie ihr rotbraunes Haar, das locker gewellt bis auf die Schultern herabreichte, in den Nakken zurück. Als es wieder nach vorn sank, schob sie es mit sanfter Hand zur Seite. Dabei überlegte sie fieberhaft. Sie wollte irgend etwas Sinnvolles sagen, doch ihr wollte nichts einfallen. »Du bringst Muscel in Verlegenheit«, mahnte Ronald Tekener. Der Narbengesichtige stand neben seinem Sessel. Das Lächeln, das ihn berühmt gemacht hatte, glitt über seine Lippen. Es war kühl und distanzierend und keineswegs Ausdruck von Belustigung. »Sie ist eine hervorragende Schützin und als Nahkämpferin unübertroffen, aber du darfst keine technischen Überraschungen von ihr erwarten, wo wir selbst mit unserem Latein am Ende sind.« »Ich spreche kein Latein«, erwiderte sie beherrscht, »aber eine Idee habe ich vielleicht doch.« »Dann heraus damit«, forderte der Arkonide sie freundlich auf. »Laß dich von Teks Sprüchen nicht beeindrucken.« Sie blickte auf die Projektionen, die ihnen den Weltraum zeigten. Mit bloßem Auge war zu erkennen, daß die Schneeflocke näher gekommen war. Die Bedrohung wuchs. »Ich finde, wir sollten zunächst rekonstruieren, was geschehen ist, bevor die Sensorsteuerung versagte«, schlug sie vor. »Dieser Schwarm aus Kristallstücken raste auf uns zu. Tek hat geschossen, und die Kristalle explodierten. Die Schneeflocke zog sich von uns zurück, und diese
seltsame Projektion war bei uns in der Zentrale. Das passierte alles gleichzeitig. Danach verspürte ich eine Erschütterung. Mir war, als ob der Boden unter meinen Füßen gebebt habe.« »Gut beobachtet«, lobte die Kartanin. »Du meinst, da könnte ein Zusammenhang bestehen?« fragte Tek. »Das wäre immerhin möglich«, meinte Atlan. Er ließ sich in seinen Sessel sinken. »Noch einmal: Die Schneeflocke zog sich zurück. Die Projektion erschien bei uns in der Zentrale. Der Kristallschauer raste auf uns zu. Tek hat geschossen.« »Danach war der Spuk vorbei«, stellte der Mann mit den LashatNarben fest. Er zeigte nicht die geringste Spur von Nervosität, obwohl sich die Schneeflocke immer schneller näherte und auf den Ortungsschirmen weitere Schwärme von kleinen Kristallen sichtbar wurden, die ebenfalls Kurs auf die TYRONA hielten. Von diesen Kristallen hatten die meisten einen Durchmesser von etwa einem halben Meter. Atlan schüttelte den Kopf. »Das bringt uns nicht weiter«, sagte er. »Selbst wenn wir davon ausgehen, daß diese auf einen Zeitpunkt zusammenfallenden Ereignisse den Bruch der Informationsbrücke verursacht haben, führt uns das nicht zur Bruchstelle. Wo sollten wir denn auch ansetzen bei einer Reparatur? Ich weiß es nicht.« »Tut mir leid«, entschuldigte sich Nina. »Es ist besser, wenn ich euch nicht störe.« Mit einem letzten Blick auf die Ortungsprojektionen verließ sie die Hauptleitzentrale. Die Schneeflocke war bereits bedrohlich nahe. Offensichtlich ließ sie sich durch den Kristallreflektor nicht täuschen. Plötzlich stieg ein beängstigender Gedanke in Nina auf. Der Überlichtantrieb versagte. Was war, wenn auch die OffensivWaffen der TYRONA aussetzten? War das Raumschiff dann noch schnell genug, um vor der Schneeflocke fliehen zu können? Natürlich nicht! dachte sie. Vielleicht ist in ein paar Minuten schon alles vorbei, und alle Systeme an Bord fallen aus! Die Vorstellungen, den Angriffen der Schneeflocke wehrlos ausgesetzt
zu sein, machte ihr angst. Plötzlich kamen Zweifel in ihr auf, ob es richtig gewesen war, sich für Perry Rhodan und für weitere Einsätze stark zu machen. Unter solchen Umständen hatten die Beausoleils gar keine Möglichkeit, sich gegen drohende Gefahren zu wehren. Sie waren zur Untätigkeit verdammt und konnten nur warten, bis der Tod sie ereilte. Alexius Bullet sah ihr an, daß etwas nicht stimmte. »Was ist los, Muscel?« fragte er. Sie sagte es ihm. Er blickte sie lange schweigend an, und seine ganze Haltung verriet, daß er ihr einen Vorwurf machte. Doch er sprach ihn nicht aus. Anders Paul Conte, Karla Zazis, Zacharias Crichton und Hanna Douen, die mit ihm in der kleinen für sie eingerichteten Messe standen. Einige von ihnen hielten Teller mit gegrilltem Fleisch in den Händen. Doch nun blieb ihnen der Bissen buchstäblich im Halse stecken. »Und das erfahren wir erst jetzt?« empörte sich Paul »Bebe« Conte. Der bullige Mann warf sein Essen in den Abfallkonverter. »Wieso hat man uns die Info nicht sofort gegeben?« wollte »Petit« Karla Zazis wissen. »Genau!« rief Zacharias »Zach« Crichton. »Man hätte uns längst über Interkom verständigen müssen.« »Doch wir erfahren erst durch dich, was los ist«, knurrte Bullet ärgerlich. »Da oben in der Zentrale sitzen wohl ziemlich hochnäsige Leute. Die Unsterblichen scheinen uns nicht auf der Rechnung zu haben.« »Höchstens, wenn es darum geht, uns ins Feuer zu schicken«, fügte Zach Crichton grimmig hinzu. »Vielleicht sind die Aktivatorträger ja gar nicht die einzigen, die das Schiff lenken können«, sagte Paul Conte. Sein rundliches Babygesicht rötete sich, seine Stimme wurde lauter. »Möglicherweise können wir es auch und sogar besser als sie.« »Was brüllst du mich an, Bebe?« fragte Nina. »Ich war nur zufällig in der Zentrale, als das Überlichtsystem ausfiel, aber du tust, als hätte ich diese ganze Geschichte verursacht.« »Tut mir leid, ich bin stinksauer«, erwiderte er, und sein kindlich wirkendes Gesicht wurde um eine Nuance dunkler. »Du kannst zwar
nichts dafür, daß der Überlichtantrieb ausgefallen ist, aber du hast uns dazu überredet, an diesem Einsatz teilzunehmen.« Von diesem Vorwurf konnte sie sich nicht freisprechen. So ohne weiteres wollte sie ihn aber nicht hinnehmen. »Dazu stehe ich«, antwortete sie, obwohl dies nicht ganz den Tatsachen entsprach. »Aber das ist nicht die Frage. Wichtig ist doch hur: Was unternehmen wir? Oder wollen wir abwarten?« »Auf keinen Fall«, sagte Karla Zazis. Die Mineralogin wirkte auf den ersten Blick schwach und schutzbedürftig. Doch dieser Eindruck täuschte. Sie war zäh und durchschlagskräftig; was ihr an Kraft fehlte, machte sie mit Intelligenz wett. »Ich werde denen in der Zentrale mal meine Meinung sagen«, kündigte Alexius Bullet an. Der Leiter der fünfzigköpfigen Beausoleilgruppe hatte nun nichts Kumpelhaftes mehr an sich. Sein Gesicht wirkte noch kantiger als sonst, und eine düstere Drohung in seinen braunen Augen verriet, auf welche Weise er sich mit den Zellaktivatorträgern auseinandersetzen wollte. »Was willst du von ihnen fordern?« fragte Nina, als er sich auf den Weg zur Zentrale machte. Alex blieb stehen und drehte sich zu ihr um. »Die Umkehr«, antwortete er. »Schlicht und einfach, daß wir uns auf den Rückweg machen.« »Das ist doch lächerlich«, versetzte sie. »Der Antrieb beschleunigt uns nicht auf Lichtgeschwindigkeit. Wir wären ganz sicher länger als 50 Tage unterwegs. Und was das bedeutet, weißt du: Wir sind tot, bevor die Reise zu Ende ist.« 5. Gucky materialisierte auf der Oberfläche des Planeten nahe dem Nordpol; inmitten einer felsigen Landschaft, die teilweise mit Schnee und Eis überzogen war. Ein kalter, unangenehmer Wind strich über die Felsen. Er war so stark, daß der Ilt sich gegen ihn stemmen mußte. Etwa zweihundert Meter von ihm entfernt erhob sich eine Kristallkuppel, die einen Durchmesser von etwa sechzig Metern hatte. Die Kuppel hatte das gleiche Aussehen wie jene, aus der die Galaktiker den abrusischen Standortkommandanten Smezz entführt hatten.
Gucky versuchte in die Kuppel zu springen, doch es gelang ihm nicht. Danach hielt er sich nicht länger auf und kehrte in die Zentrale der CADRION zurück. In seinem Sessel materialisierte er. »Da ist eine Kristallkuppel«, berichtete er. »Sie hat aber eine energetische Absicherung, die mich abgewehrt hat.« »Wir bleiben im Orbit«, entschied Bully. »Der Kristallreflektor gibt uns eine ausreichende Tarnung. Die Beausoleils kommen zum Einsatz.« »Und wir sind natürlich dabei«, stellte Mila fest. »Ohne euch Zwillinge geht es nicht«, bestätigte Bully. »Ohne euch kommen wir nicht in die Kuppel.« Er übermittelte seinen Auftrag an Joseph Broussard jr. und sagte ihm, daß er mit den Beausoleils in zwei Space-Jets starten sollte. Mila und Nadja Vandemar legten ihre SERUNS an und verließen wortlos die Zentrale. In einem Hangar trafen sie die ersten Beausoleils in voller Kampfausrüstung. Joseph Broussard stand groß und stämmig vor der Schleuse seiner Space-Jet. Er strich über seine hohe Stirn und seinen grauen Haarkranz. »Endlich, Freunde!« sagte er. »Die Zeit der Langeweile ist vorbei. Jetzt geht es los. Ich freue mich, daß die Zwillinge mit mir fliegen wollen.« Er lachte breit und zufrieden, als ginge es nicht in einen gefährlichen Einsatz, sondern zu einer sportlichen Veranstaltung. Mila fand wieder einmal, daß er übermütig war. Sie verzichtete aber darauf, es ihm zu sagen oder ihn einzubremsen. Sie hatte ein unangenehmes Gefühl in der Magengegend. Die Mutantin mußte an die Toten unter den Beausoleils denken, die es bisher gegeben hatte. Für einen Moment keimte der Gedanke in ihr, die Truppe der Beausoleils stehe unter einem unglücklichen Stern. Sie verdrängte den Gedanken und stieg zusammen mit Nadja zur Zentrale der Space-Jet auf. Während Broussard sich auf den Sitz des Piloten sinken ließ und den Start vorbereitete, blickten die beiden Schwestern sich an. Mila merkte, daß Nadja ähnlich empfand wie sie selbst. Sie legte ihr die Hand auf den Arm. »Es wird gutgehen«, sagte sie leise. »Ganz bestimmt.« Doch sie glaubte selbst nicht so recht daran.
Die Space-Jet glitt in den Weltraum hinaus, und zusammen mit einer zweiten Jet stürzte sie auf den Planeten hinab. Broussard steuerte den Nordpol direkt an; es dauerte nicht lange, bis sie die schimmernde Kristallkuppel sehen konnten. Mila blickte auf die Ortungsschirme. Weit von ihnen entfernt startete ein Pulk von Schneeflocken und verschwand im Weltraum. Niemand schien sich für die beiden Space-Jets zu interessieren. Doch gerade das beunruhigte sie. Sie schützten sich mit einem Kristallreflektor, doch mußte es nicht Aufmerksamkeit erregen, daß sie sich der Kuppel näherten? Die Space-Jets landeten etwa zweihundert Meter von der Kuppel entfernt. Mit den Gravo-Paks ihrer SERUNS schwebten die Beausoleils und die beiden Zwillinge auf das schimmernde Ziel zu. Kurz davor ließen sich Mila und Nadja auf den Boden sinken. Dann gingen die Mutantinnen in gleicher Weise vor wie schon einmal. Mila und Nadja standen dicht beieinander, und ihre Gehirne traten in eine Wechselbeziehung ein. Hinter ihnen wachte Joseph Broussard jr. der sehr wohl wußte, daß die beiden zu körperlichen Handlungen nun nicht mehr fähig waren. Milas Blick richtete sich auf die Kristallwand der Kuppel, und sie gewann ein holistisches Bild von ihr. Nadja filterte jenen Teil aus Milas Wahrnehmung heraus, der sich nicht mit dem Anblick der Kristallwand, sondern mit deren Struktur befaßte. Danach war sie in der Lage, sich auf die Struktur zu konzentrieren und diese zu verändern. Nadjas wahres Element war die Welt der Kristalle. In ihr konnte sie gestalterisch wirken. Sie vermochte, Kristallmoleküle neu zu gruppieren und auf diese Weise die gewünschte Instabilität herbeiführen. Schon nach Sekunden brach ein breites Segment der Kristallwand ein, und eine Öffnung tat sich auf. Joseph Broussard jr. hob die Zwillinge kurzerhand hoch und trug sie einige Schritte zur Seite, um den Männern und Frauen seiner Truppe Platz zu verschaffen. Nach einem hundertfach trainierten System drangen die Beausoleils mit schußbereiten Waffen in den Händen in die Kuppel ein, wobei einer den anderen gegen mögliche Überraschungen absicherte. Kleinstroboter schwebten ihnen voran und überwachten die Attacke von oben. Sie waren
darauf programmiert, Heckenschützen aufzuspüren und notfalls auszuschalten. Mila und Nadja warteten draußen vor der Kuppel. Einige Minuten vergingen, dann kam Joseph Broussard jr. als erster wieder heraus. »Nichts«, berichtete er enttäuscht. »Da drinnen ist kein Standortkommandant. Nichts. Wir haben nur einige der bekannten Maschinen gefunden und sonst gar nichts.« »Dann war die ganze Operation ein Fehlschlag?« fragte Nadja. »Das ist treffend formuliert«, bestätigte er, während die anderen Beausoleils aus der Kuppel kamen und zu den Space-Jets schwebten. »Wir ziehen uns zurück.« Die Syntroniken in den Schleusenkammern der Jets kontrollierten die Beausoleils. Nachdem sie festgestellt hatten, daß niemand fehlte, gaben sie eine entsprechende Information an die Zentralen, so daß die kleinen Raumschiffe starten konnten. Unbehelligt kehrten alle zur CADRION zurück. Als Broussard jr. ihm in der Zentrale von dem Fehlschlag berichtete, machte Bully kein Hehl aus seiner Enttäuschung. Augenblicklich startete er das Rochenschiff und brachte es auf einen Kurs aus dem Sonnensystem hinaus. »Schade«, sagte er. »Ich habe von diesem Einsatz wesentlich mehr erwartet. Aber man kann nicht alles haben.« »Obwohl wir keinen Standortkommandanten gefunden haben, würde ich die Operation nicht als völligen Fehlschlag bezeichnen«, versetzte Alaska Saedelaere, der sich von der Enttäuschung nicht anstecken ließ. »Immerhin wissen wir jetzt, daß die Abruse oder ihre Strategen, die Standortkommandanten, aus der Entführung von Smezz eine Lehre gezogen und ihre Positionen gewechselt haben.« Die CADRION beschleunigte auf Überlichtgeschwindigkeit und raste in den Weltraum hinaus. Das Ziel war der letzte von den Ayindi angegebene Anflugspunkt, ein Sonnensystem mit einem weiteren Werftplaneten. Nachdem das von Reginald Bull geführte Team auch dort keinen Standortkornmandanten entdeckte, flog die CADRION den RendezvousPunkt »Schneemann« an.
Damit war zumindest für sie die Operation abgeschlossen. * Mehr als zehn Tage waren vergangen, als Perry Rhodan mit der CIRIAC nach einigen Zwischenstationen das siebte Zielgebiet erreichte. Bis dahin hatten sich alle anderen angeflogenen Ziele als uninteressant erwiesen. Schon als die Sonne mit ihrem einzigen Planeten auf den Ortungsschirmen erschien, erkannten die Zellaktivatorträger in der Zentrale, daß sie dieses Mal mehr Glück haben würden. »Endlich«, sagte Icho Tolot mit der ihm eigenen Lautstärke. »Es scheint eine der üblichen Kristallwelten zu sein«, vermutete Michael Rhodan. »Der Planet stößt keine Pulks von Schneeflocken aus.« »Aber im Orbit des Planeten wimmelt es geradezu von Schneeflocken«, bemerkte Myles Kantor. Tatsächlich konnten sie kein Abstoßen von Schneeflocken beobachten, sonst das charakteristische Merkmal der Werftplaneten. »Es sind Diamantschiffe da«, stellte Perry Rhodan fest. »Also ist anzunehmen, daß es auch Kommandanten wie Cryzz gibt.« Die Diamantschiffe hatten einen Durchmesser von 1500 Metern. In den in vielfache Polygone unterteilten Oberflächen der Raumschiffe brach sich das Licht in allen Farben des Spektrums, so daß sie tatsächlich wie funkelnde Brillanten aussahen. Im Gegensatz zu den Schneeflocken wurden diese Raumschiffe von einer Besatzung der sogenannten Kommandanten geführt, während die Schneeflocken offenbar unbemannt waren. Rhodans Blick glitt zum Strukturtaster hinüber. Das Gerät schlug aus. Ein eindeutiges Zeichen dafür, daß man es mit einer Kristallwelt zu tun hatte, die ähnlich strukturiert war wie ein Werftplanet. »Und was jetzt?« fragte Michael. Perry Rhodan hatte längst eine Entscheidung getroffen. »Wir sehen uns diese Welt mal ein bißchen näher an«, erwiderte er. Die CIRIAC befand sich im Schutz des Kristallreflektors und erschien daher auf den Ortungsschirmen der Diamantschiffe und der Schneeflocken - falls es in diesen denn so etwas wie Ortungsschirme gab - als
Schneeflocke. Icho Tolot schätzte die Zahl der Schneeflocken auf einige tausend, eine Zahl, die den anderen eher zu niedrig erschien. Exakt war dagegen die Anzahl der Diamantschiffe zu ermitteln. Es waren dreizehn. Rhodan lenkte die CIRIAC näher an den Planeten heran. Er hoffte, gerade durch die geringe Distanz zu den Schneeflocken für die Kommandanten der Diamantschiffe unverdächtig zu sein. »Gefechtsbereitschaft«, befahl er, als die Distanz zum Planeten nur noch etwa 100.000 Kilometer betrug. Einige Schneeflocken glitten an der CIRIAC vorbei. Sie schwebten langsam ins All hinaus, waren jedoch weit genug entfernt, so daß die von ihnen ausgehende Strahlung dem Rochenschiff nicht gefährlich werden konnte. Längst hatte Rhodan einen Kurs errechnet, bei dem er die optimale Nähe zum Planeten erreichte und doch auf sicherer Distanz zu Schneeflocken und Diamantschiffen blieb. Rhodan wollte die Kristallwelt in Augenschein nehmen und so viele Informationen wie nur möglich gewinnen. Dazu war es absolut wichtig, sich der Oberfläche weiter zu nähern. »Achtung!« rief Icho Tolot. Seine mächtige Stimme ließ die Hauptleitzentrale erbeben. »Schneeflocken nähern sich!« Sieben Raumschiffe der Abruse hatten ihren Kurs geändert und glitten mit mäßiger Geschwindigkeit auf die CIRIAC zu. Die von ihnen ausgehende Gefahr war augenblicklich zu erkennen. Die Schneeflocken bildeten eine mächtige Zange, zwischen deren Flügeln das Rochenschiff gefangen werden sollte. Rhodan wandte sich an den Ennox. »Jetzt kommt es auf dich an«, sagte er. »Wir sind entdeckt worden.« »Dann müssen wir uns sofort zurückziehen«, konterte Philip. »Wir brauchen Informationen über die Kristallwelt«, betonte Rhodan. »Und die kannst nur du uns beschaffen.« »Ich?« Der Ennox blickte ihn überrascht an. In seinem Gesicht arbeitete es. »Was verlangst du von mir?« »Ich möchte, daß du per Kurzen Weg zur Oberfläche des Planeten gehst und dich dort umsiehst, während wir uns zurückziehen. Sobald du genügend Informationen eingesammelt hast, kehrst du zu uns an Bord
zurück.« Philip saß in dem Sessel neben ihm, und dort blieb er auch sitzen. Seine Hände krallten sich um die Armlehnen, als fürchte er, aus dem Gestühl zu fallen. »Nein!« widersetzte er sich. »Philip, jetzt ist die Stunde gekommen, in der es wirklich wichtig ist. Wir sind auf dich angewiesen.« Der Ennox schüttelte den Kopf. Er wich den Blicken des Terraners aus. »Ich gehe den Kurzen Weg nicht«, weigerte er sich. »Ich kann nicht!« Rhodan ließ die Ortungsschirme nicht aus den Augen. Er beobachtete, wie die Schneeflocken bedrohlich näher kamen. Länger konnte er nicht mehr warten. Er mußte auf ihr Manöver reagieren. Doch dann war es plötzlich zu spät. Wie aus dem Nichts heraus erschienen zwei gewaltige Kristallschiffe, mit einem Durchmesser von annähernd 1200 Metern. Mit scharfer Beschleunigung schossen sie heran und versperrten der CIRIAC den Weg in den freien Raum. Die Zange hatte sich geschlossen! Ein Entkommen schien unter diesen Umständen unmöglich zu sein. »Versuche es!« forderte Rhodan. Auf die anderen machte er den Eindruck, als habe er noch gar nicht bemerkt, in welch bedrohlicher Situation sie sich befanden. »Nein«, sträubte sich der Ennox. »Ich kann nicht, und ich will nicht.« »Perry, wir müssen was unternehmen«, drängte Michael. »Wir sitzen in der Falle. Wie lange willst du noch warten?« »Wir antworten auf unsere Weise. Wir schicken der Kristallwelt die nötige Dosis Kristallbrandbomben«, beschloß Rhodan. Die Schneeflocken rückten näher, und die CIRIAC geriet in höchste Bedrängnis. Nirgendwo bot sich eine Lücke, durch die sie entkommen konnte. Als Perry Rhodan das Zeichen gab, handelte Icho Tolot. Der Haluter feuerte sieben mit Kristallbrandbomben bestückte Raketen auf die Kristallwelt ab. Zugleich stellte Rhodan die Weichen für ein Fluchtmanöver; noch aber änderte das Rochenschiff seinen Kurs nicht. Er
schien nicht ausweichen zu können. Abgesehen davon, daß die Raumschiffe der Abruse langsam näher rückten, unternahmen sie aber nichts. Das war auch nicht nötig. Sie warteten darauf, daß die CIRIAC in den Einflußbereich ihrer Strahlung geriet. War das der Fall, fielen die wichtigsten Maschinen an Bord aus; das Rochenschiff wurde dann zu einem Gebilde, das weder agieren noch reagieren konnte. Auf der Oberfläche des Planeten explodierten die Kristallbomben - und lösten Irritationen bei den Schneeflocken aus. Eine Lücke öffnete sich, und plötzlich bot sich der CIRIAC eine Chance, doch zu entkommen. Perry Rhodan nutzte sie augenblicklich. Er brachte das Schiff auf einen neuen Kurs. Zugleich feuerte Michael Rhodan mit den großen Energiestrahlern auf die Schneeflocken. Es gelang ihm, zwei von ihnen zu vernichten und dadurch die Lücke zu erweitern. Rhodans Aufmerksamkeit richtete sich auf den Kristallplaneten; er stellte fest, daß die Bomben den angestrebten Effekt erzielten: Sie lösten eine Kettenreaktion aus. Eine in grellen Farben leuchtende Welle raste mit vernichtender Wirkung um den Planeten. »Das ist das Ende für die Kristallwelt«, stellte Myles Kantor emotionslos fest. Während in den ersten Sekunden nach den Explosionen der Bomben noch etwas zu erkennen war, hüllte sich der Planet nun zunehmend in graue Staubwolken. Zugleich zogen sich die Schneeflocken von der CIRIAC zurück. »Weg!« rief Michael Rhodan. »Nichts wie weg - bevor die es sich anders überlegen und uns für die Vernichtung ihrer Welt bezahlen lassen.« Perry Rhodan beschleunigte die CIRIAC. Weite Lücken in der Flotte der Schneeflocken taten sich auf, und er nutzte sie für eine Flucht in den freien Raum. »Wir können von Glück reden, daß die Schneeflocken nicht gesprungen sind«, stellte der Haluter fest. »Ihre Strahlung hätte uns gefährlich werden können.« Die Reaktion der Schneeflocken und der Kommandanten der Diamantschiffe blieb unverständlich. Allen an Bord war klar, daß sie selbst
anders reagiert und einem Angreifer keine Gelegenheit zur Flucht geboten hätten. Einige Sekunden lang blieb die Situation kritisch. Zu nahe waren die Schneeflocken. Doch dann stieß die CIRIAC in den freien Raum vor, und der verglühte Planet mit ‘seinen Diamantschiffen und den Schneeflocken blieb zurück. Rhodan beobachtete die Ortungsschirme. Aufatmend stellte er fest, daß ihnen niemand folgte. Für die Abruse schien die Niederlage kein Grund für einen sofortigen Gegenschlag zu sein. »Und jetzt?« fragte Icho Tolot. »Wir sind alle Zielgebiete angeflogen, die uns von den Ayindi genannt wurden«, erwiderte Rhodan. »Weitere haben wir nicht. Also fliegen wir zum Rendezvous-Punkt. Vielleicht sind die anderen schon dort und warten auf uns. Ich bin gespannt, ob sie erfolgreicher waren als wir.« * Die CIRIAC beschleunigte auf Überlichtgeschwindigkeit. »Ich weiß nicht mehr weiter«, gestand Atlan, nachdem er alle Möglichkeiten ausgeschöpft hatte, die sich ihnen boten. Für ihn und die anderen Aktivatorträger stand endgültig fest, daß eine Reparatur des Raumschiffs nicht möglich war. In diesem Moment betrat Alexius Bullet die Zentrale. »Muscel hat mir gesagt, was hier los ist«, begann er und setzte zu einem wütenden Protest an. Doch Atlan, der ahnte, was kommen sollte, ließ einen derartigen Ausbruch nicht zu. »Dann weißt du ja Bescheid«, fing er ihn ab, bevor der Beausoleil noch mehr sagen konnte. Alexius Bullet war sonst nicht so leicht einzuschüchtern. Nun aber begriff er, wie sinnlos es war, auf den Rechten der Beausoleils auf Informationen zu bestehen, während sich die TYRONA in einer derart schwierigen Situation befand. Er stellte seinen Protest zunächst erst einmal zurück. »Was genau ist passiert?« fragte Bullet. Atlan sagte es ihm. »Es kamen also mehrere Umstände zusammen«, resümierte der Beausoleil danach.
Er blickte den Arkoniden an und setzte ein schiefes Lächeln auf. »Wenn wir so etwas rekonstruieren könnten, hätten wir vielleicht die Chance, uns Zugang zur ayindischen Technik zu verschaffen.« »Wir können rekonstruieren, was geschehen ist, aber wir können es nicht wiederholen«, gab Atlan zurück. »Laß uns jetzt in Ruhe! Wir haben zu tun.« Bullet wandte sich ab und wollte die Zentrale gerade verlassen. Da fiel ihm ein, daß Atlan nicht alles wußte. »Es ist noch etwas passiert«, sagte er. »Genau zu dem Zeitpunkt, als ihr auf den Kristallschwarm gefeuert habt, waren wir dabei, das Schiffsinnere umzugestalten. Wir haben mit Formenergie gearbeitet.« »Bedeutungslos!« winkte Atlan ab. »Mit Formenergie kann man den Antrieb dieses Raumschiffs nicht beeinflussen.« »Ich dachte nur, ich könnte euch einen Tip geben.« Bullet hob die Schultern und machte sich auf den Rückweg zu seinen Beausoleils. »Moment mal.« Ronald Tekener erhob sich aus seinem Sessel. Das für ihn charakteristische Lächeln glitt über seine zernarbten Lippen. »Es gibt die verrücktesten Sachen. Wer hätte nicht schon von der Geschichte gehört, bei der ein Auszubildender auf dem Schlauch steht, während ein Schwarm von hochbezahlten Spezialisten eine ganze Fabrik auseinandernimmt, um den Fehler zu finden. Vielleicht hat Alex tatsächlich durch die Struktur der aufgebauten Formenergiefelder Bedingungen geschaffen, die der ayindischen Technik im Wege stehen. Dadurch könnte sich für uns dann die Möglichkeit eröffnen, die Siegel zu umgehen.« »Ortung«, meldete die Kartanin. »Ich zähle siebzehn Schneeflocken, die sich uns nähern.« »Das sind ein bißchen zuviel für ein Raumschiff, das sich nicht schnell genug von der Stelle bewegen kann«, kommentierte der Arkonide. Er verließ die Zentrale und folgte Bullet. Überrascht blickte der Beausoleil ihn an, als er ihm wenig später in dem von ihm bewohnten Raum aufsuchte. Atlan erklärte, in welcher Absicht er gekommen war. »Du willst, daß wir sämtliche Kabinen verschwinden lassen und erst wieder aufbauen, wenn wir am Rendezvous-Punkt angekommen sind, wo uns notfalls die anderen helfen können?« fragte Bullet.
»Genau das«, erwiderte Atlan. »Soll ich jetzt einen Probealarm auslösen, damit alle aus ihren Kabinen herauskommen, oder willst du deine Leute überraschen und alles verschwinden lassen, was aus Formenergie ist?« »Ich weiß nicht, was meine Leute gerade treiben. Deshalb geben wir ihnen erst die Information, daß etwas passiert«, sagte Bullet. Er lachte. »Sonst könnte es einige peinliche Überraschungen geben.« Über Interkom gab er die Information an die Beausoleils weiter. Wenig später traten alle Männer und Frauen seiner Gruppe auf die Gänge hinaus. Danach erst schaltete er das Formenergiegerüst ab. Zusammen mit Atlan kehrte er in die Zentrale zurück. Schon als die beiden Männer eintraten, konnten sie den Anwesenden ansehen, daß die Lösung gefunden war. »Wir gehen auf Überlichtgeschwindigkeit«, berichtete Ronald Tekener. »Der Antrieb funktioniert wieder. Es stand also doch jemand auf dem Schlauch.« Der Arkonide setzte sich nachdenklich in seinen Sessel, während Bullet es vorzog, stehenzubleiben. Die TYRONA beschleunigte und ging zur Überlichtgeschwindigkeit über. Damit entzog sie sich den angreifenden Schneeflocken. Atlan achtete kaum darauf. Hatte der Zufall ihnen aufgezeigt, wie sie die Siegel im Triebwerksbereich überwinden und damit Zugang zur ayindischen Technik finden konnten? Es sah so aus, und damit ergaben sich unerwartete Chancen für die Raumschiffswerften der Galaktiker. Mit der ayindischen Technik waren unerhörte Fortschritte zu erzielen. Somit hatte die Expedition auf diesem Gebiet Früchte getragen, auf dem niemand mit ihnen gerechnet hatte. Alle Informationen über die Arbeiten mit Formenergie waren gespeichert. Es würde die Aufgabe galaktischer Wissenschaftler und Techniker sein, sie zu analysieren und daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen. Tatsache war, daß die ayindischen Raumschiffe sehr viel schneller waren als die Raumschiffe der Galaktiker. Dem Geheimnis ihrer Technik auf den Grund zu kommen, bedeutete somit, Wissen von unschätzbarem Wert zu gewinnen.
Bevor es jedoch soweit war, daß die Auswirkungen eines ganz bestimmten Formenergiemusters auf den Antrieb erforscht werden konnten, würde noch einige Zeit vergehen. Noch hatte die TYRONA nicht alle Zielgebiete angeflogen, die ihnen von den Ayindi angegeben worden waren. Am Ende der Überlichtetappe wartete ein weiteres Sonnensystem auf sie. Den Unterlagen nach war es ein Sonnensystem mit zwei Planeten. Als die TYRONA sich der Bahn der äußeren Welt näherte, schien alles ruhig zu sein. Lediglich im unmittelbaren Bereich der Sonne bewegten sich Hunderte von Schneeflocken. Offenbar handelte es sich bei der Sonne um eines jener Energiereservoirs, an der sich die Schneeflocken mit Energie aufladen konnten. Beide Planeten waren offenbar Kristallwelten, die vor noch nicht allzu langer Zeit umgewandelt worden waren. Die Fernortung ergab, daß es vor allem auf dem zweiten Planeten zahlreiche Erhebungen und tiefe Täler gab, während der innere Planet weitgehend flach und eben war. Das konnte er aber auch schon vor der Umwandlung in eine Kristallwelt gewesen sein. Im Schütze des Kristallreflektors fühlten Atlan und die anderen Zellaktivatorträger sich sicher. »Keine besonderen Probleme«, bemerkte Ronald Tekener gelassen. »Wir sehen uns die beiden Planeten mal aus der Nähe an«, sagte der Arkonide. »Werftplaneten scheinen es nicht zu sein und um Akademien scheint es sich auch nicht zu handeln. Dennoch kann es nicht schaden, wenn wir die beiden Kristallwelten ein wenig genauer unter die Lupe nehmen.« Er brachte die TYRONA auf Rendezvous-Kurs zum zweiten Planeten. Zugleich richtete Dao-Lin-H’ay die Geräte der Fernortung auf diese Welt. Und dann geschah es! Von einem Punkt auf dem zweiten Planeten ausgehend breitete sich fächerförmig ein flimmerndes, hell strahlendes und blendendes Kristallfeld aus. Das Feld bewegte sich rasend schnell. »Paßt auf - ein Eventail!« rief der Beausoleil spontan und ohne zu überlegen. »Ein Fächer!« Die Aktivatorträger reagierten auf die neue Waffe der Abruse, jedoch nicht rasch genug. Auch die Sicherheitseinrichtungen der TYRONA
schalteten nicht so rechtzeitig, wie es nötig gewesen wäre. Plötzlich war das Kristallfeld da. Der Fächer hüllte das Rochenschiff ein… 6. Als die CIRIAC den Rendezvous-Punkt »Schneemann« erreichte, war die CADRION bereits dort. Rhodan nahm sofort Verbindung mit Reginald Bull auf. Während sich die beiden Raumschiffe bis auf wenige Kilometer näherten, sprachen die beiden Freunde miteinander. »Uns blieb nichts anderes übrig, als die Kristallwelt mit Kristallbrandbomben zu bepflastern«, berichtete Rhodan. »Erst danach hat sich die Falle der Schneeflocken-Flotte geöffnet.« »Glaubst du, daß der Planet von besonderer Bedeutung war?« fragte Bully, dessen Gesicht auf einer Projektionsfläche an der Wand der Zentrale der CIRIAC zu sehen war. »Ich denke, er war von besonderer Bedeutung«, erwiderte Rhodan, ohne zu zögern. »Wir haben uns über diese Frage bereits eingehend unterhalten. Nach der Auswertung der Ergebnisse der Fernortung sind wir davon überzeugt, daß es sich um eine der von den Ayindi vermuteten Akademien gehandelt hat, also um eine Welt, auf der solche Kommandanten und Strategen wie Cryzz und Smezz wachsen.« »Bist du sicher?« »Sicher sein kann ich nicht. Wir haben ja nur Indizien, die darauf hinweisen. Dennoch bedauern wir, daß wir diese Welt vernichtet haben. Uns blieb jedoch keine andere Wahl«, entgegnete Rhodan. »Aber wir haben ja noch die Möglichkeit und die Chance, andere Akademien zu finden.« »Das ist richtig, aber eine Gelegenheit ist vertan.« Nach diesem ersten Austausch von Informationen trafen sich die Unsterblichen an Bord der CIRIAC zu einer eingehenderen Besprechung. Am nächsten Tag - dem 3. September 1271 NGZ - meldete sich überraschend Paunaro. Kurz darauf gesellte er sich mit der TARFALA zu der CIRIAC und der CADRION. Der Nakk berichtete, daß er sich von der TYRONA getrennt hatte, um in Eigenregie Nachforschungen zu betreiben. Zu Atlan und dessen Mannschaft konnte er keine Auskünfte geben. Er hatte keine
Informationen darüber, was mit ihnen nach ihrer Trennung geschehen war. Perry Rhodan ging zu Philip, der sich allein in seiner Kabine aufhielt und sich die Zeit mit dem Studium von historischen Dokumenten aus dem Galaktikum vertrieb. Er hatte entsprechende syntronische Speichereinheiten von der BASIS aus dem Parresum mitgenommen. Höflich unterbrach der Ennox, als Rhodan eintrat. »Gibt es was Neues?« fragte er. Der Terraner setzte sich in einen Sessel und deutete auf den HoloWürfel, in dem die historischen Dokumente erschienen. »Du interessierst dich für Galaktische Geschichte?« Der Ennox ging nicht auf diese Bemerkung ein. »Deshalb bist du nicht gekommen«, stellte er fest. »Um was geht es?« »Um die TYRONA«, antwortete Rhodan. Der Terraner wußte, daß eine kleine Plauderei in diesem Fall nicht dazu dienen konnte, die Atmosphäre zwischen ihm und dem Ennox aufzulockern. Nach den letzten Forderungen, den Kurzen Weg zu gehen, hatte Philip sich mehr und mehr zurückgezogen und war ihm ausgewichen. Waren sie sich mal an Bord begegnet, hatte er sich kühl und distanziert verhalten, als ob er Rhodan für seinen seelischen Zustand verantwortlich machte. »Was ist mit der TYRONA?« fragte er. »Sie ist überfällig«, antwortete der Terraner, bemüht, sich so ungezwungen wie nur irgend möglich zu geben. Er wollte, daß Philip seine seelische Krise bald überwand und ihm wieder für kosmische Missionen zur Verfügung stand. »Daher machen wir uns Sorgen um Atlan und die anderen.« »Die TYRONA wird schon noch kommen«, gab sich Philip optimistisch. Er wußte längst, was Rhodan von ihm wollte. »Es könnte sein, daß die TYRONA Hilfe benötigt, und schließlich sind wir zu dritt ins Arresum geflogen, damit die beiden anderen eingreifen können, falls einer von uns in Not gerät.« »Was willst du von mir?« Philip ging unruhig auf und ab. »Los! Heraus damit!« »Ist das wirklich nötig? Du weißt doch längst, um was es geht.« Rhodan stand auf, und Philip blieb vor ihm stehen. Der Ennox
verschränkte die Arme vor der Brust und schüttelte den Kopf. »Du gibst nicht auf, wie?« »Sollte ich?« »Allerdings! Ich gehe den Kurzen Weg nicht.« »Philip, wir müssen herausfinden, was mit der TYRONA passiert ist, und warum sie nicht kommt. Willst du Atlan und die anderen wirklich im Stich lassen?« Die beiden Männer blickten sich in die Augen. Keiner wich dem Blick des anderen aus, doch die Mundwinkel des Ennox zogen sich leicht nach unten. »Ich warte darauf, daß du mich einen Feigling nennst«, sagte er leise und drohend. »Philip.« Rhodan blieb ruhig und beschwichtigend. »Du weißt, daß ich das niemals tun werde. Du bist kein Feigling. Das weiß ich. Wir kennen uns schon viel zu lange, als daß ich so etwas auch nur denken, geschweige denn sagen würde.« Philip wandte sich ab und setzte sich wieder vor den Holo-Würfel. »Wir haben schon viel zu lange geredet«, sagte er kühl und abweisend. »Und jetzt möchte ich allein sein.« Wortlos verließ Perry Rhodan den Raum. Ihm war klar, daß er den Ennox jetzt nicht dazu bewegen konnte, die TYRONA aufzusuchen. Seine Sorge um die Freunde stieg. Er hatte die ayindischen Informationen darüber, welche Zielgebiete die TYRONA aufsuchen sollte, doch er wußte nicht, für welche Reihenfolge sich Atlan entschieden hatte. Er beschloß, noch einen Tag abzuwarten. Dann aber wollte er alle Zielgebiete der TYRONA anfliegen und nach den Freunden suchen. * Atlan löste Alarm aus. Die optischen Systeme informierten ihn darüber, daß die Hülle der TYRONA von einem Kristallbrand erfaßt worden war. Die Abruse hatte überraschend eine neue Waffe eingesetzt und damit alle überrascht. Niemand von ihnen hatte damit gerechnet, von einem Planeten aus mit einem solchen Kristallfächer angegriffen zu werden. Die Kristalle des Eventail begannen, die Schiffshülle zu zersetzen, ein Prozeß, der mit keinen der an Bord zur Verfügung stehenden Mitteln
aufgehalten oder gar rückgängig gemacht werden konnte. Der Arkonide dachte nicht nur an sich und an die Besatzung der TYRONA, sondern auch an die anderen Galaktiker auf der CIRIAC, der CADRION und vor allem der BASIS. Es kam darauf an, sie möglichst schnell und eingehend von dieser neuen Waffe der Abruse zu warnen, um zu verhindern, daß sie ihr ebenfalls zum Opfer fiel. Das war vielleicht sogar wichtiger, als sich selbst und die Besatzung der TYRONA zu retten. Die Triebwerke fielen in Abständen Sekunden mehrmals aus. Auf einigen der Bildschirme waren nur noch flimmernde Linien zu sehen. Aus den Interkomgeräten schallte eine hysterisch klingende Frauenstimme, die Mitteilungen in einer unbekannten Sprache machte. Syntronische Geräte fielen aus, und trotz größter Bemühungen gelang es dem Arkoniden nicht, Funksprüche mit den Warnungen vor der neuen Waffe abzusetzen, die er nun auch ebenso wie der Beausoleil Eventail nannte. Mit einigen unkonventionellen Schaltungen gewann er die Herrschaft über die Interkoms zurück. »SERUNS anlegen!« befahl er den Besatzungsmitgliedern. »KristallEising hat die TYRONA erfaßt. Die gesamte Außenhaut des Schiffes ist davon betroffen.« Er brauchte niemandem an Bord zu sagen, was das zu bedeuten hatte. Die TYRONA war unrettbar verloren. Auf einem der Bildschirme in der Zentrale konnte Alexius Bullet verfolgen, wie die Kristalle auf der Oberfläche der TYRONA wucherten und sich wie Krebsgeschwüre ausdehnten. Einige der Kristalle explodierten, und die Sensoren meldeten unmittelbar darauf, daß die Bruchstücke die Schiffshülle durchschlagen hatten. Nun breiteten sich die rasch wachsenden Kristalle auch im Schiffsinneren aus. »Was jetzt?« fragte Bullet den Arkoniden. »Wir versuchen, den zweiten Planeten zu erreichen«, antwortete Atlan, der auch in dieser extremen Situation ruhig und beherrscht blieb und dessen charismatische Ausstrahlung dem Beausoleil half, das seelische Gleichgewicht zu bewahren. Atlan glaubte, die Gedanken Bullets lesen zu können. Bei allem Mut, der diesen Mann auszeichnete, konnte er doch nicht verhindern, daß sich
ihm die Gedanken an die Toten aufdrängte, die seine Truppe durch die besonderen Bedingungen im Arresum erlitten hatte. Und nun sah es aus, als ob wieder die Beausoleils die Hauptleidtragenden eines Kristallbrandes werden sollten. »Ich werde euch dort absetzen«, sagte Atlan. »Auf der Kristallwelt seid ihr nicht gefährdet. Macht euch bereit. Wir werden uns der Oberfläche bis auf etwa tausend Meter nähern, jedoch nicht landen. Ihr müßt das Schiff verlassen, sobald ich euch das Zeichen dazu gebe.« »Und ihr?« »Wir versuchen, die TYRONA zum Rendezvous-Punkt zu bringen. Wir kommen dann mit den beiden anderen Schiffen zurück und holen euch ab.« »Hoffentlich hat uns das Kristall-Eising bis dahin nicht schon alle aufgefressen«, hoffte Bullet. »Wir haben Informationen aus allen Teilen des Schiffes«, sagte Atlan. »Das ist klar. Aber die Informationsbrücken sind gestört. Wir wissen nicht genau, wie es in den Hangaren aussieht. Es ist deine Aufgabe, Alex, uns die nötigen Informationen zu beschaffen.« »Ich bin schon unterwegs!« rief er, während er aus der Zentrale eilte. Alexius war froh, daß es etwas für ihn zu tun gab. Nun mußte er nicht länger untätig danebenstehen, während der Arkonide und die anderen Unsterblichen um das Schiff kämpften. Atlan atmete auf, als Bullet die Zentrale verlassen hatte. Er wußte, daß die Beausoleils in einem viel höheren Maße gefährdet waren als die Zellaktivatorträger und er. Wurden die Unsterblichen von Kristallen erfaßt, erlebten sie zwar eine starke Beeinträchtigung, waren jedoch nicht sofort tödlich bedroht. Die betroffenen Körperteile kühlten stark ab und wurden von einer Lähmung erfaßt, doch der Zellschwingungsaktivator kämpfte gegen das Eising und hatte es im Fall Myles Kantor zurückgedrängt. Diese Abwehrmöglichkeiten hatten die Beausoleils nicht! Wurden sie von einem Kristall erfaßt, und mochte er noch so winzig sein, dann wucherten die Kristalle, bis sie die gesamte Materie ihres Körpers umgewandelt hatten. Nach allen bisher gemachten Erfahrungen waren die Beausoleils auf
dem Kristallplaneten in Sicherheit. Dort wurden sie nicht von Kristallen angegriffen und umgeformt. Man mußte sie nur vor Ablauf der 50-TagesFrist bergen. Alexius Bullet fand alle Beausoleils in der Halle vor, in der sich vorher die aus Formenergie gestalteten Wohnunterkünfte befunden hatten. Alle trugen SERUNS und waren mit Waffen unterschiedlichster Art ausgerüstet, und alle waren im höchsten Maße beunruhigt. Voller Sorge blickten sie Bullet an. Wohl jeder von ihnen dachte an das Schicksal, das bereits mehrere Beausoleils getroffen hatte. Sie hatten gelernt zu kämpfen, doch gegen das Kristall-Eising half die antrainierte Kampftechnik so gut wie gar nicht. Explosionen an der Schiffshülle erschütterten die TYRONA. Die Eising-Kristalle entfalteten ihre ganze Angriffswucht, und sie breiteten sich aus, indem sie Kristallmetastasen bildeten. Paul Conte stieß einen Fluch aus. »Ich habe es gewußt, daß es so kommt«, murrte er. »Verdammt noch mal, warum habe ich mich dazu überreden lassen, dennoch mitzufliegen!« »Beruhigt euch«, bat Nina Kessel. »Atlan wird uns auf der Kristallwelt absetzen, und dort sind wir in Sicherheit.« »Richtig«, unterstützte sie Bullet. »Muscel hat recht. Wenn Atlan davon ausgeht, daß er noch zum Rendezvous-Punkt fliegen kann, nachdem er uns abgesetzt hat, bleibt uns Zeit genug, uns in Sicherheit zu bringen. Wir dürfen uns nur nicht in den Bereich der Außenhaut des Schiffes begeben, weil wir dort vom Kristall-Eising erfaßt werden. Solange wir hier in dieser Halle bleiben, passiert nichts.« »Wir alle wissen, daß unsere Frist im Arresum begrenzt ist«, erinnerte Zacharias Crichton. »Zehn Tage sind wir bereits hier. Wie lange sollen wir bleiben? Wie lange braucht Atlan, um die CADRION und die CIRIAC zu holen?« »Und was ist, wenn er es nicht bis zum Rendezvous-Punkt schafft?« fragte Karla Zazis. »Seit wann machst du dir soviel Sorgen?« gab Alexius Bullet zurück. Es gelang ihm, ruhig und gefaßt zu erscheinen, obwohl auch er die ihnen drohenden Gefahren deutlich sah und Panik in sich aufkommen fühlte. »Wir haben Zeit genug. Wenn Atlan es nicht schafft, wird Perry oder ein
anderer uns holen. Die Flugpläne aller drei Schiffe sind schließlich den Kommandanten bekannt.« Niemand erhob einen Vorwurf gegen Nina Kessel, obwohl sie es gewesen war, die sie umgestimmt und somit veranlaßt hatte, an diesem Einsatz teilzunehmen. »Wir brauchen Informationen von den Hangaren«, sagte Bullet. »Schickt Kleinstroboter aus, die sich die Beiboote ansehen und uns danach Bericht erstatten. Aber paßt auf, daß sie sich nicht mit Kristallen infizieren!« Schon vor Monaten waren die Beausoleils auf Aufgaben wie diese vorbereitet worden. Jeder von ihnen wußte, was er zu tun hatte, und so dauerte es nur wenige Minuten, bis kleine Roboter paarweise aus dem Raum schwebten und zu allen Hangaren der TYRONA vordrangen. Bullet überwachte die Aktion zusammen mit Karla Zazis an mehreren Monitoren. Gespannt verfolgten sie, wie die Roboter die Hangare öffneten und wie einige von ihnen augenblicklich auf Kristallgebilde zu feuern begannen, die sich an den Wänden und vor allem an den Beibooten festgesetzt hatten und dort wucherten. »Sie sind überall«, stellte Bullet wenig später resignierend fest. »Bis jetzt haben wir nicht ein einziges Beiboot gefunden, das nicht von Kristallen befallen ist.« Karla Zazis glaubte Sekunden später, ein großes Beiboot entdeckt zu haben, das für eine Flucht geeignet war, doch dann merkte sie sehr schnell, daß sie sich geirrt hatte. Faustgroße Kristallsplitter klebten an den Antriebsschächten und fraßen sich in das Boot hinein. Damit stand fest, daß es keine Möglichkeit gab, mit einem Schiff aus der TYRONA zu fliehen. Sie waren auf Gedeih und Verderb auf die Hilfe der Aktivatorträger und das Absetzmanöver auf dem Kristallplaneten angewiesen. Bullet gab eine entsprechende Meldung an die Hauptleitzentrale durch. Danach gab es nichts mehr zu tun für die Beausoleils. Bullet rief die Roboter nicht einmal mehr zurück, sondern ließ sie in den Hangaren. Zunächst ließ er sie auf die Kristalle feuern und vernichtete auf diese Weise einige der Angreifer. Dann sah er aber ein, daß damit kein entscheidender Aufschub erreicht werden konnte.
»Wir richten lediglich zusätzliche Zerstörungen an«, stellte er fest und desaktivierte die Roboter. »Das Unangenehme ist, daß wir nichts tun können«, sagte Paul Conte, nachdem einige Minuten verstrichen waren, ohne daß etwas geschehen war. Der massige Mann fuhr sich mit beiden Händen durch das rostbraune, struwwelige Haar, und sein jungenhaftes Gesicht verzerrte sich. Krachend schlug er mit der Faust gegen eine Wand. »Wir können nur warten, und das geht mir auf den Geist.« »Dadurch kannst du immerhin feststellen, daß du nicht nur über Muskelmasse verfügst, sondern auch über so etwas wie einen Geist«, spöttelte die zierliche Karla Zazis. Neben dem bulligen Paul Conte wirkte sie wie ein Kind. »Noch so ein Spruch, du Floh, und ich versohle dir das Fell!« drohte Conte. Ermahnend hob er die Faust gegen sie. »Du kannst deine aufgestaute Wut abbauen, wenn hier die ersten Kristalle auftauchen«, konterte die Mineralogin gelassen. Ihre blauen Augen funkelten, als ob sie sich gut amüsierte. Nachdem Bullet ihr klargemacht hatte, daß man auf der CIRIAC und der CADRION wußte, wo sie waren, fürchtete sie sich nicht mehr. Die TYRONA war vom Kristall-Eising erfaßt worden, doch noch waren die wuchernden Kristalle weit von ihnen entfernt. Es würde Stunden oder vielleicht gar Tage dauern, bis sie die Halle erreichten. Bis dahin aber waren sie längst auf der Kristallwelt und in vorläufiger Sicherheit. Einer der Interkoms, die ausgefallen waren, erhellte sich überraschend und gewährte den Beausoleils Einblick in das Geschehen in der Zentrale. Auf den dort vorhandenen Projektionsschirmen konnten sie erkennen, wie schnell sich die TYRONA dem zweiten Kristallplaneten näherte. Die Lufthülle mußte in wenigen Minuten erreicht werden. Danach konnten bis zur Landung nur noch Minuten vergehen. »Wir machen uns zum Aussteigen bereit«, sagte Bullet. »Versorgt euch mit Nahrungsmitteln und Getränken. Wir nehmen an Vorräten mit, was wir in der kurzen Zeit, die uns zur Verfügung steht, transportieren können. Wer die TYRONA verlassen hat, kehrt danach nicht noch einmal an Bord zurück. «
Die Beausoleils verließen die Halle, um Transportbehälter mit den Versorgungsgütern bereitzustellen und zum Ausladen vorzubereiten. »Die größte Sorge macht mir der Ausstieg«, sagte Alexius Bullet zu Karla Zazis, durch die er sich immer mehr unterstützt fühlte. »Hoffentlich finden wir eine Schleuse, die noch nicht vom Kristall-Eising erfaßt worden ist. Ich möchte nicht mit der ganzen Gruppe durch einen Tunnel explodierender Kristalle marschieren.« »Das wäre das Schlechteste, was uns passieren kann«, stimmte sie zu. »Dann erwischt es uns alle.« Atlan meldete sich über Interkom. »Noch zwei Minuten«, gab er bekannt. »Habt ihr schon einen Plan, wie ihr die TYRONA verlassen werdet?« »Wir schießen uns den Weg frei«, antwortete Bullet. »Wir entscheiden uns für die große Äquatorschleuse. Dort gibt es relativ wenig Kristalle. Wir schießen sie mit Energiestrahlern weg, bevor wir rausgehen. Vorher riegeln wir den Bereich mit Formenergie ab.« »Einverstanden«, sagte der Arkonide. »Aber schafft nicht wieder ein kompliziertes Formenergiemuster. Es könnte Auswirkungen auf das Triebwerk haben.« Alexius Bullet lachte. »Ganz sicher nicht«, versicherte er. »Es war nur eine ganz bestimmte Variante, die den Einfluß hatte. Und sie erzielte ihn auch nur im Zusammenwirken mit anderen energetischen Ereignissen in und am Schiff.« »Viel Glück!« wünschte Atlan. »Wir sind bald zurück und holen euch ab.« »Ebenfalls viel Glück«, gab der Beausoleil zurück. »Seht zu, daß ihr heil zum Rendezvous-Punkt kommt.« »Bis später!« Atlan hob grüßend eine Hand. »Raus jetzt mit euch! Wir müssen ja nicht unbedingt Bodenberührung haben, um euch abzusetzen.« »Bis später!« Alexius Bullet gab das Kommando für die Beausoleils. Nina Kessel, eine der besten Schützen, drang zusammen mit dem bulligen Paul Conte zur genannten Äquatorschleuse vor. Als sie sich dem Bereich näherten, den sie zwangsläufig zerstören mußten, riegelten sie das Schiff hinter sich
mit Formenergie ab. Nina machte Paul Conte auf die ersten Kristalle aufmerksam, die sie an den Wänden vor dem Hangar bemerkte, und dann eröffnete sie das Feuer. Mehrere Männer und Frauen schlossen zu ihr auf und feuerten ebenfalls ihre Energiestrahler ab. Sie vernichteten die Kristalle, lösten aber auch eine Wand des Hangars mit den Energiestrahlen auf. Der Luftzug riß glühende Metallteile ins Freie und wirbelte sie davon. »Los - raus!« brüllte Alexius Bullet. Mit Hilfe ihrer Antigravs schwebten die Beausoleils aus dem Raumschiff. Sie flogen schnell und ließen sich vom Fahrtwind mitreißen; keiner von ihnen wurde von den tödlich wuchernden Kristallen erfaßt. Während sie mit ihrer gesamten Ausrüstung in die Tiefe sanken, blickten sie zur TYRONA zurück. Sie sahen, daß große Teile des Rochenschiffes bereits mit Kristallen bedeckt waren. Es sah aus, als habe die TYRONA Wunden, über denen sich dicker Schorf gebildet hatte. »Wir sind alle draußen«, meldete Bullet über Funk, nachdem er als letzter die TYRONA verlassen hatte. »Haut jetzt ab und vergeßt uns nicht. Keiner von uns ist scharf darauf, den Rest seiner wenigen Tage auf diesem Planeten zu verbringen. Allerdings werden wir uns ein wenig umsehen. Vielleicht entdecken wir etwas Wichtiges.« »Amüsiert euch gut«, lachte Atlan. Er vermittelte den Eindruck, er sei trotz der bedrohlichen Situation an Bord optimistisch. »Und beeilt euch dabei, dann wir sind schon sehr bald zurück und holen euch!« »Hoffentlich!« stöhnte Bullet. Der glitzernde und schillernde Planet lag unter ihnen. Sanft schwebten sie auf eine Oberfläche herab, die von Horizont zu Horizont von Kristallen geprägt war. Atlan hatte sich für ein Landegebiet entschieden, das von zwei hohen Bergketten aus Kristall eingefaßt wurde. Zwischen kleineren Erhebungen lagen mehrere umgewandelte Seen mit spiegelglatter Oberfläche. In ihnen fing sich das Licht der Sonne und ließ sie deutlich heller aussehen als ihre Umgebung. Irgendwelche Relikte aus der früheren Existenz des Planeten gab es
nicht mehr. Tiere und Pflanzen, die möglicherweise auf der Oberfläche dieser Welt gelebt hatten, waren ebenso in Kristalle umgewandelt worden wie Wasser und Erde. Nur noch Kristalle existierten. Sie bildeten sicher eine etwa dreißig bis vierzig Kilometer dicke Kruste, die sich um das heiße Innere gebildet hatte. Bebe landete als einer der ersten auf der Kuppe eines kleinen Hügels. In dem Bemühen, die Stimmung aufzulockern, streckte er in übertrieben theatralischer Weise beide Arme gen Himmel, so als seien sie soeben auf einer wahrhaft paradiesischen Welt angekommen, und rief: »Hiermit taufe ich diese Welt auf den Namen Opal!« Dann blickte sich Paul Conte breit grinsend um und fügte hinzu: »Tut mir leid. Ein besserer Name fällt mir nicht ein.« Er hatte den seelischen Druck überwunden, der auf ihnen lastete, und schien nun zuversichtlich in die Zukunft zu sehen. Sie hatten ausreichend Ausrüstungsmaterial und Verpflegung dabei, so daß sie es auf diesem Planeten sogar mehrere Monate lang hätten aushalten können. Damit verfügten sie über mehr, als sie benötigten, denn länger als 25 bis 30 Tage durften sie auf keinen Fall bleiben. Danach würden die Menschen der Todesstrahlung der Abruse erliegen und sterben. Die anderen Beausoleils beachteten ihn kaum. Sie begannen damit, die Ausrüstung auszupacken, um eine Druckkuppel zu errichten. In dieser konnten sie sich dann auch ohne schützenden SERUN aufhalten. Karla Zazis ging einige Schritte auf die schillernde und glitzernde Fläche eines ehemaligen Sees hinaus. In einiger Entfernung von ihnen entdeckte sie mehrere Gestalten, die sich bewegten. Sie war keineswegs überrascht, daß es sie gab, denn schon sehr viel früher waren ähnliche Gestalten von anderen Galaktikern beobachtet und mit dem Namen Skelettics bedacht worden. Karla fand nun, daß dieser Name recht zutreffend gewählt worden war: Mit einiger Phantasie war tatsächlich eine Ähnlichkeit mit einem menschlichen Skelett zu entdecken. Die Wesen bestanden vollkommen aus Kristallen. Aufgefallen waren sie Karla Zazis, weil sich das Licht der Sonne in den Kristallen brach. Bei jeder Bewegung der Gestalten zuckten grelle Blitze über die Kristallflächen.
»Sie kommen näher«, sagte sie leise. Ein Gefühl der Bedrohung beschlich sie. »Ich glaube, sie haben uns wahrgenommen, und sie sind nicht damit einverstanden, daß wir hier sind.« 7. Kameras lieferten Bilder für die Projektionsflächen in der Zentrale. Daher wußten Atlan und die anderen Aktivatorträger, wie es in der TYRONA aussah. Überall fraßen sich wuchernde Kristallmassen durch das Schiff. Wo sie Materie erreichten, wandelten sie diese in Kristalle um, und wenn sie eine bestimmte Größe erreicht hatten, platzten sie auseinander. Die Splitter wirbelten durch das Schiffsinnere; wo sie auftrafen, blieben sie haften, begannen sich zu teilen und wandelten Schiffsmaterie in kristalline Substanz um. Warnlichter flammten auf. Sie wiesen darauf hin, daß die Kristalle mittlerweile die Siegel des Triebwerksbereichs erfaßt und gebrochen hatten. »Die Kristalle arbeiten sich ins Triebwerk vor«, murmelte Ronald Tekener besorgt. »Es dauert nicht mehr lange, dann gibt es Ausfälle.« »Wie lange müssen wir durchhalten, um den Rendezvous-Punkt zu erreichen?« fragte Julian Tifflor. »Noch etwa vier Stunden«, antwortete der Arkonide. »Das schaffen wir nicht«, fürchtete die Kartanin. »Die Kristalle arbeiten sich zu schnell vor.« Ein Ruck ging durch das Rochenschiff, das sich nach wie vor mit vielfacher Überlichtgeschwindigkeit durch den Überraum bewegte. Sie spürten, daß sich im Triebwerk etwas verändert hatte. Mittlerweile hatten alle SERUNS angelegt, um im Notfall sofort das Raumschiff verlassen zu können. Einer der Bildschirme erlosch; die Wand der Kugelzelle wurde sichtbar. Atlan dachte an Alexius Bullet und seine Beausoleils. Verzweifelt überlegte er, wie er ihnen noch helfen konnte, wenn sie das Schiff verlassen mußten. Würde es weitere fünfzig Opfer unter den Männern und Frauen der Einsatztruppe geben? Der Arkonide nahm einige Schaltungen vor, um die verschiedenen
Schiffsbereiche auszuloten, und erschrak. Der Kristallbrand hatte sich deutlich beschleunigt und arbeitete sich mit einer Geschwindigkeit voran, die man nur noch als rasant bezeichnen konnte. Wir schaffen es nicht, du Narr! erkannte der Logiksektor. Nicht mehr lange, und der Kristallbrand erreicht entweder die Triebwerke oder die Zentrale. In beiden Fällen bleibt nur die Flucht in den Weltraum. Wenn ihr im Schiff bleibt, erfaßt euch der Kristallbrand ebenfalls, und dann werdet ihr von Kristallen förmlich eingeschlossen. Danach helfen dann auch die Unsterblichkeits-Chips nichts mehr! * »Du schon wieder?« Philip lächelte gequält. Erneut saß er vor dem Holo-Würfel und studierte einige Dokumente der Galaktischen Geschichte. »Siehst du dir die Unterlagen über mannhafte Gestalten an?« fragte Rhodan mit provozierendem Unterton. »Vielleicht von geschichtlichen Figuren, die ihrer Verantwortung nicht ausgewichen sind?« Der Ennox schaltete den Würfel aus. »Mit solchen Worten bringst du mich nicht dazu, den Kurzen Weg zu gehen«, erwiderte er hitzig und sprang auf, um Rhodan entgegenzutreten. »Atlan und die anderen sind in Not und brauchen unsere Hilfe«, versetzte der Terraner. »Ich bin ganz sicher, daß es so ist. Eine andere Erklärung für ihr Ausbleiben kann es nicht geben.« Philip setzte sich wieder. Er stützte den Kopf in die Hände und blickte auf den Boden. »Du läßt mir kaum Luft zum Atmen«, klagte er. »Mußt du mich so unter Druck setzen?« »Ich habe keine andere Wahl«, blieb Rhodan sehr ernst. »Und du hast sie auch nicht. Du mußt den Kurzen Weg gehen.« »Ich werde es mir überlegen«, beteuerte Philip, nachdem er eine Weile nachgedacht hatte. »Ernsthaft! Aber gib mir noch etwas Zeit.« »Wieviel?« »Eine Stunde!« »Einverstanden«, stimmte der Terraner zu, dem nicht anzusehen war, wie erleichtert er war. »Danach will ich eine Entscheidung. So oder so.« »Du bekommst sie«, versprach der Ennox.
* Henna Zazis wußte aus Berichten, daß die Skelettics den Galaktikern auswichen. Diese aber kamen immer näher. Als Henna schon glaubte, daß die Skelettics sie angreifen würden, zogen sich die Kristallgebilde plötzlich zurück. Sie entfernten sich einige Schritte von ihr, verschwanden hinter Erhebungen und tauchten nicht wieder auf. »Du bist beunruhigt?« fragte Nina Kessel, die sich zu ihr gesellt hatte. »Das brauchst du nicht, Petit. Nach allen bisherigen Erfahrungen sind die Dinger harmlos.« »Das haben wir von den Kristallwelten auch gedacht, Muscel«, erwiderte die Mineralogin. »Und doch hat uns dieser Planet mit dem Eventail überrascht.« »Das ist richtig«, bestätigte Nina Kessel. Nachdenklich blickte sie auf die glitzernde Kristallebene hinaus. »Keine von uns hat damit gerechnet, daß sich ein Kristallfächer auftun und sich so schnell über uns ausbreiten würde.« »Am liebsten würde ich danach suchen, von wo aus sich der Eventail geöffnet hat«, sagte Karla Zazis. Sie konnte sich nicht mit der Situation abfinden, in der sie sich befanden, und einfach nur abwarten. Ihre Gedanken befaßten sich unablässig mit dem Geschehen, ob sie wollte oder nicht. »Das würde ich auch gern tun«, seufzte Nina Kessel. »Leider ist das unmöglich. Wir können nicht mit fünfzig Männern und Frauen die gesamte Oberfläche des Planeten abfliegen und nach etwas Ausschau halten, von dem wir noch nicht einmal wissen, wie es aussieht. Das Ding, von dem aus sich der Eventail ausgebreitet hat, könnte ein Kristallberg wie da drüben sein, oder die Oberfläche eines ehemaligen Sees. Vielleicht ist es auch in einer tiefen Schlucht versteckt. Das kann niemand wissen. Wir haben weder die technischen Mittel, das alles herauszufinden, noch die nötige Zeit.« Karla nickte. »Du hast recht. Es war nur so ein Gedanke.« Danach schwieg sie, und Nina merkte, daß sie allein sein wollte. Sie zog sich diskret zurück, während die Mineralogin langsam auf die glitzernde Kristallfläche hinausglitt und sich weiter von den anderen
Beausoleils entfernte. Petit Karla mochte sich nicht damit abfinden, daß sie zur Untätigkeit verdämmt waren und nur warten konnten, bis sie abgeholt wurden. Waren sie nicht in den Bereich der Abruse vorgedrungen, um deren Rätsel zu lösen? War es nicht geradezu ihre Pflicht, den geheimnisvollen Vorgängen in diesem Teil des Universums auf den Grund zu gehen? Am Ufer eines ehemaligen Sees setzte sie sich auf eine kleine Kristallkuppe. Sie dachte nicht darüber nach, warum sie diese Haltung einnahm. Bequemlichkeit allein suchte sie sicher nicht, denn die bot ihr der SERUN. Sie blickte nachdenklich auf die bizarre Landschaft aus Kristallen hinaus. Als Mineralogin war sie von dem Anblick besonders fasziniert, und sie teilte die Meinung von Nina nicht. Zweifellos war der Eventail eine Waffe der Abruse. Also mußte es so etwas wie einen Projektor oder eine Abschußvorrichtung auf dem Planeten gehen, mit deren Hilfe die Kristalle fächerförmig ins All hinausgeschleudert worden waren. Für sie als Wissenschaftlerin stand fest, daß diese Vorrichtung sich deutlich von ihrer Umgebung unterschied, und sie war überzeugt davon, daß sie so etwas nicht übersehen würde, wenn sie in ihre Nähe geriet. Angesichts der Entfernung, auf die sich der Eventail beim Angriff ausgedehnt hatte, mußte eine ungeheure Menge von Kristallen ausgeschleudert worden sein, damit überhaupt eine ausreichende Menge bis zur TYRONA kommen konnte. Diese Menge mußte aus der Oberfläche des Planeten gekommen sein. Irgendwo mußte also ein gewaltiger Trichter oder eine Schlucht existieren. Und so eine Lücke in der Oberfläche der Kristallkruste sollte sie übersehen? Sie konnte es sich nicht vorstellen. Plötzlich fiel ihr glitzernder Kristallstaub auf, der sich auf der glatten Oberfläche des ehemaligen Gewässers bewegte. Obwohl die Instrumente des SERUNS keine Luftbewegungen in der Atmosphäre von Opal anzeigten, bildete der Staub kleine Wirbel, die zunächst nur wenige Zentimeter hoch aufstiegen, um dann langsam in sich zusammenzusinken. Karla schloß verwundert die Augen und öffnete sie wieder. Sie glaubte, sich getäuscht zu haben und durch das ständige Glitzern und Flimmern der Kristalle irritiert worden zu sein. Doch die Staubwirbel waren noch immer
da. »Hey, was ist das?« fragte sie leise. »Stimmt etwas nicht bei dir?« klang die Stimme von Nina Kessel in den Lautsprechern ihres SERUNS auf. »Es ist alles in Ordnung, Muscel«, antwortete sie rasch. »Es ist nett von dir, daß du dir Sorgen um mich machst, aber sie sind unnötig.« »Du scheinst müde zu sein, Petit. Jedenfalls hört sich deine Stimme so an.« Karla lachte leise. »Müde bin ich allerdings. Ich lege mich gleich aufs Ohr und schlafe ein paar Stunden. Ich suche nur noch nach einem hübschen Plätzchen, über dem ich in meinem SERUN schweben und träumen kann.« Nun lachte Nina ebenfalls. »Viel Vergnügen«, wünschte sie. »Ich habe es mir über einem Hügel gemütlich gemacht, der in seinem Innersten voller Smaragde zu sein scheint. Vielleicht lasse ich mir von einem Design-Roboter den schönsten Schmuck der Abruse daraus anfertigen!« Karla gähnte verhalten. Ihre Blicke richteten sich wieder auf die Staubwirbel, die nun höher als zuvor aufstiegen. Sie hatte den Eindruck, daß die Staubmenge zugenommen hatte. Die glitzernde Staub drehte und wendete sich wie ein schlanker Schlangenkörper; für Sekundenbruchteile bildete sich gar ein Kopf mit zwei Augen heraus. Die Mineralogin war plötzlich hellwach. Sie begriff, daß sie nicht träumte und die Erscheinung nicht von einer Luftbewegung hervorgerufen wurde. Unwillkürlich richtete sie sich auf. Der wirbelnde Staub schien ihrer Bewegung zu folgen. Er erreichte eine Höhe von mehr als anderthalb Metern, und er wuchs immer weiter. Zugleich nahm er an Masse zu, ohne daß Karla erkennen konnte, woher diese Masse stammte. Als die sich drehende und windende Staubsäule größer geworden war als sie, dehnte sie sich zu den Seiten aus. Verblüfft beobachtete die Frau, daß sich Arme und Beine bildeten. Nun drehte sich der glitzernde Kristallstaub nicht mehr, sondern er beruhigte sich, schien sich zu stabilisieren. Ein Gebilde formte sich, das in zunehmendem Maße humanoid wurde.
Lange und dünne Arme wuchsen aus dem Rumpf heraus, und ein ovaler Kopf bildete sich, in dem zwei Kristalle die Augen darstellten. Fasziniert beobachtete Karla Zazis, wie das Wesen nach Vollendung strebte. »Hallo«, flüsterte sie. »Ich glaube, du willst mir etwas sagen!« Weil sie nicht gestört werden wollte und weil sie fürchtete, das zerbrechliche Staubwesen werde wieder in sich zusammensinken, hatte sie ihr Funkgerät abgeschaltet, so daß die anderen sie nicht hören konnten. Die Terranerin lächelte. »Du bist hübsch, und du wirst immer hübscher, je vollkommener du wirst«, sagte sie freundlich. Sie fürchtete sich nicht vor dem Wesen, sondern fühlte sich eher zu ihm hingezogen. Sie hatte den Eindruck, daß die Staubwirbel an zwei Fronten kämpften. Auf der einen Seite waren sie bemüht, ein humanoides Gebilde zu formen, das ihr ähnelte, auf der anderen Seite schienen sie danach zu streben, ihr etwas mitzuteilen. Und dabei schien das Wesen ungeduldig zu sein, als ob es fürchtete, sie werde das Interesse an ihm verlieren und sich entfernen, bevor es ihr sagen konnte, um was es ging. »Keine Angst«, flüsterte Karla daher. »Ich bleibe bei dir. Ich möchte wissen, was du mir mitteilen möchtest. « Sie zog sich einen Schritt zurück und beobachtete. Doch das Wesen streckte seine Arme nach ihr aus und folgte ihr, so daß der Abstand zwischen ihnen nahezu gleich blieb. »Nur keine Sorge«, versuchte die Mineralogin es zu besänftigen. Sie war überzeugt davon, es mit einem Wesen zu tun zu haben, das über eine gewisse Intelligenz verfügte. Es mußte in der Lage sein, sie zu verstehen. Sie streckte eine Hand aus, um ihre Worte zu unterstreichen, und dabei berührte sie den Kristallstaub. Es war, als habe sie einen Schalter betätigt. Im gleichen Moment, als Karla den Staub berührte, fiel das Gebilde in sich zusammen. Der Kristallstaub prallte auf den Boden und verlor sich in Wolken, die sich rasch nach allen Seiten hin ausbreiteten. Schon nach wenigen Sekunden war nichts mehr davon zu sehen. Karla war so enttäuscht, daß ihr Tränen in die Augen traten. Für einen
kurzen Moment hatte sie große Sympathien für das Kristallwesen empfunden. Sie hatte geglaubt, daß es Kontakt mit ihr aufnehmen wollte. Und nun hatte sie das Gefühl, das Wesen am Werden und Entstehen gehindert, ja, es sogar getötet zu haben. Fassungslos verharrte sie auf der Stelle und blickte auf die spärlichen Staubreste hinab, die auf der Kristallfläche zu ihren Füßen lagen. Es schien ihr wie ein Symbol dafür zu sein, daß Menschen dieselbe tödliche Ausstrahlung auf die Geschöpfe der Abruse hatten, wie die Abruse auf die Ayindi. Einen gemeinsamen Weg schien es für alle Beteiligten nicht zu geben. Karla harrte noch lange Minuten an der Stelle ihrer Begegnung mit dem exotischen Staubwesen aus. Sie hoffte, daß es einen weiteren Versuch unternehmen würde. Doch sie wurde enttäuscht. Das Staubwesen kehrte nicht zurück. Schließlich sah die Mineralogin ein, daß es keinen Sinn hatte, länger zu warten. Sie schwebte langsam in die Höhe, blickte sich nach den anderen Beausoleils um und glitt dann zu ihnen hinüber. »Was war los, Petit?« fragte Nina Kessel, der sie auf halbem Wege begegnete. »Ich habe ein eigenartiges Erlebnis gehabt, Muscel«, berichtete die Mineralogin. Dann erzählte sie ausführlicher, als es eigentlich ihre Art war, von der Begegnung. Sie erwartete, daß Nina ähnlich fasziniert war wie sie, doch die Nahkampfspezialistin enttäuschte sie: Sie lachte leise. »Du bist einer Illusion der Abruse zum Opfer gefallen«, vermutete Nina. »Nein! Das glaube ich nicht, Muscel«, erwiderte Karla. »Das war keine Illusion. Das war echt.« »Du irrst dich, Petit. Diese Projektionen der Abruse sind täuschend echt, und sie sind raffiniert aufgebaut. Glaub mir, was du gesehen hast, war nicht wirklich da.« Doch damit wollte Karla sich nicht abfinden. Sie sprach nicht nur mit Nina, sondern auch mit einigen anderen Beausoleils. Sie hoffte, daß wenigstens einer von ihnen ihr glauben oder sie ernst nehmen würde. Doch sie wurde erneut enttäuscht. Nicht ein einziger der Beausoleils konnte sich vorstellen, daß sie tatsächlich kristallinen Staub gesehen hatte,
der versucht hatte, sich zu einem humanoiden Wesen zu formen. Alle waren davon überzeugt, daß sie Opfer einer Illusion geworden war. * Die Instrumente in der Zentrale der TYRONA fielen der Reihe nach aus. »Wie lange brauchen wir bis zum Rendezvous-Punkt?« fragte Ronald Tekener. »Etwa drei Stunden«, antwortete der Arkonide. Noch bewegte sich das Rochenschiff im Überlichtbereich. Doch wie lange konnte es sich darin noch halten? Der Kristallbrand breitete sich immer schneller in der TYRONA aus. Schon waren lebenswichtige Teile des Schiffs davon erfaßt. Eine Flanke des Raumers bestand nur noch aus Kristallen, und der Brand fraß sich mit atemberaubender Geschwindigkeit in Richtung Zentrale vor. »Wir schaffen es nicht«, stellte Atlan fest, nachdem er aktuelle Informationen über den Zustand des Raumschiffs eingeholt hatte. »Ich gehe davon aus, daß wir uns noch etwa eine halbe Stunde lang halten können.« »Dann sind wir nach wie vor viel zu weit vom Rendezvous-Punkt entfernt, um eine Chance zu haben«, befürchtete Dao-Lin-H’ay. Sie sprach ruhig, nüchtern und mit unbeteiligt klingender Stimme. Die Kartanin schien sich keine Sorgen um ihre Zukunft zu machen. »Wir müssen versuchen, ein Notsignal zu senden«, sagte Julian Tifflor, obwohl er wußte, daß sämtliche Funkgeräte ausgefallen waren. »Irgendwie muß es doch möglich sein.« Atlan wies auf die Hauptsyntronik, die den Verlust aller Sender anzeigte. »Ein Signal können wir nur losschicken, wenn wir in der uns noch verbleibenden Zeit einen Sender bauen könnten«, knurrte Ronald Tekener. »Wir wissen alle, daß wir es nicht können.« Julian Tifflor gab noch nicht auf. Mit Hilfe der Syntronik suchte er nach einem Ausweg. Er wollte sich nicht damit abfinden, daß sie aus dem ihnen verbleibenden Material keinen Sender konstruieren konnten. Doch nachdem er einen ausführlichen Dialog mit der Syntronik geführt hatte,
mußte er einsehen, daß ein Sender nicht zu realisieren war. Die Vorstellung, irgendwo im Weltraum, weitab vom nächsten Sonnensystem, die TYRONA verlassen zu müssen, um dann hilflos im Raum zu treiben, ließ nicht nur ihn frösteln. Doch sie hatten keine andere Wahl. Wenn sie an Bord blieben, würden sie früher oder später dem Kristallbrand zum Opfer fallen. Davor konnten sie auch die Unsterblichkeits-Chips nicht bewahren. Einen Kristall hätten die Chips besiegen können, nicht jedoch eine Masse, zu der sich die Kristalle aufbauen würden, wenn sie die gesamte TYRONA erfaßt hatten. Und dann geschah, worauf die Unsterblichen schon lange gewartet hatten. Das Überlicht-Triebwerk fiel aus; das Raumschiff flog plötzlich nur noch mit Unterlichtgeschwindigkeit. Für einige Minuten wurde es so still, daß die drei Männer und die Kartanin meinten, ihren eigenen Herzschlag vernehmen zu können. Dann aber hörten sie ein bedrohliches Knistern. Es wurde hin und wieder von einem Krachen überlagert. Sie wußten alle, was diese Geräusche zu bedeuten hatten. Der Kristallbrand hatte die unmittelbare Nähe der Zentrale erreicht. »Es ist soweit«, sagte Atlan. »Wir müssen raus«, bestätigte Ronald Tekener. Der Smiler blickte sich um, und ein eigenartiges Lächeln lag auf seinen Lippen. Eine unheilvolle Drohung lag in diesem Lächeln, und sie galt der Abruse, die sie in diese Situation gebracht hatte. Vorläufig sah es aber nicht danach aus, als könnte er ihr diese Niederlage heimzahlen. »Alles klar?« fragte der Arkonide, bevor er den Helm seines SERUNS schloß. Er fragte nicht nach Vorräten und lebensnotwendiger Ausrüstung. Er wußte, daß jeder von ihnen sich über die Situation klar war und mitnahm, was er brauchte. »Ihr wißt, welchen Weg wir zu nehmen haben«, sagte er. »Wir schießen jeden Kristall ab, der uns gefährlich werden kann.« Sie warteten noch einige Sekunden, um sich davon zu überzeugen, daß sie keinen Fehler gemacht hatten. Dann gab Atlan das entscheidende
Signal. Die Kugelzelle der Zentrale öffnete sich, und ein Schacht tat sich auf, der zur Oberseite des Rochenschiffes führte. Auf den ersten Blick erkannten sie, daß erst sehr wenige Kristalle an den Wänden des Schachts hafteten. Während sie aufstiegen, feuerten Atlan und Ronald Tekener auf die Kristalle und lösten sie so auf. Mit Hilfe ihrer Gravo-Paks beschleunigten sie; sie erreichten das Ende des Schachts ohne Zwischenfälle. Eine Schleuse öffnete sich. Während sie sich ihr mit hoher Geschwindigkeit näherten, sah Tek, daß sie von Kristallen verseucht war. »Aufpassen!« schrie er, und dann feuerte er zusammen mit dem Arkoniden schwere Energiestrahler ab. Eine Energieflut jagte vor ihnen her und brach über die Kristalle herein. In Bruchteilen von Sekunden verwandelte sich der Schleusenbereich in eine Gluthölle, in der sich wabernde Gasmassen ausbreiteten. Im Schutz der SERUNS rasten Atlan, Ronald Tekener, Julian Tifflor und Dao-Lin-H’ay durch die Glut und in den freien Weltraum hinaus. Sie behielten ihre Geschwindigkeit bei und entfernten sich rasch von der TYRONA, die mit gleichbleibender Geschwindigkeit durch den Weltraum flog. »Kontrolliert, ob irgendwo Kristalle an uns haften«, forderte sie der Arkonide auf. »Negativ«, antwortete Tifflor gleich darauf. Sie verzögerten ihren Flug. Dann dauerte es nicht mehr lange, bis sie die TYRONA vollständig aus den Augen verloren hatten. Sie waren allein in der Leere, viele Lichtjahre von den nächsten Sonnensystemen entfernt. Und auf der »falschen« Seite des Universums. Atlan blickte in die Richtung, in der die TYRONA verschwunden war. Das Raumschiff war verloren, und mit ihm gingen alle Daten unter, die Aufschluß darüber geben konnten, wie man die Siegel der Ayindi an den Triebwerken der Rochenschiffe umgehen konnte. * Als Perry Rhodan die Kabine des Ennox erneut betrat, stand dieser mit einem SERUN mitten im Raum. »Du hast gewonnen«, begrüßte ihn Philip. Sein Gesicht verriet, daß er sich in einer denkbar schlechten Laune befand.
»Irrtum«, erwiderte Rhodan. »Nicht ich habe gewonnen, sondern du bist gerade dabei zu gewinnen.« »Tatsächlich?« zweifelte Philip. »Daß ich recht habe, wirst du merken, sobald du den Kurzen Weg gegangen bist.« »Hoffentlich hast du recht!« Philip schloß den SERUN, grüßte kurz, indem er die rechte Hand hob - und verschwand. Rhodan atmete auf. Endlich hatte der Ennox seine Angst überwunden. Nun bestand wieder Hoffnung, daß sie etwas über das Schicksal der TYRONA und ihre Besatzung erfuhren. Er setzte sich in einen der Sessel und blickte in den Holo-Würfel, in dem Philip die Dokumente der Galaktischen Geschichte betrachtet hatte. Nur wenige Minuten vergingen, dann kehrte der Ennox zurück. »Die TYRONA ist Opfer eines Kristallbrands geworden«, berichtete er. »Ich war an Bord. Atlan und die anderen sind ausgestiegen.« Er überreichte Rhodan einen Chip mit Kursdaten, den er von der noch funktionierenden Schiffssyntronik erhalten hatte. »Damit müßte es uns eigentlich gelingen, sie zu finden«, hoffte er. Zusammen mit Rhodan eilte er in die Zentrale der CIRIAC, von wo aus sie die CADRION verständigten. Nur Minuten vergingen, bis die beiden Raumschiffe starteten und jenen kosmischen Bereich ansteuerten, der ihnen auf dem Chip der Syntronik angegeben wurde. Als die beiden Raumer vom Überlichtflug zum Normalflug übergingen, entdeckte Rhodan die TYRONA, die antriebslos mit hoher Geschwindigkeit durch den Raum trieb. Ihr Kurs ließ sich mühelos zurückverfolgen. »Wir finden sie«, gab er sich zuversichtlich. »Jetzt ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis wir sie geortet haben.« Philip stand neben ihm und blickte nachdenklich auf die Ortungsschirme. Er machte einen zufriedenen Eindruck. Nachdem er den Kurzen Weg gegangen war, hatte er seine innere Ruhe wiedergefunden. »Du hast recht«, sagte er, während sich alle Kräfte auf die Ortung der Kartanin und der drei Männer konzentrierten. »Ich bin es, der gewonnen hat. Es war sehr schwer für mich, aber ich habe mich überwunden. Und das war gut so.«
Auf dem Kurs der TYRONA flogen die CIRIAC und die CADRION mit mäßiger Geschwindigkeit zurück. Die drei Gesuchten bildeten winzige Objekte in der Unendlichkeit; dennoch war Rhodan fest davon überzeugt, daß er sie bald bergen konnte. Tatsächlich verstrichen knapp drei Stunden, bis Icho Tolot plötzlich seine Stimme erschallen ließ. »Da sind sie!« brüllte er so laut, daß Rhodan sich unwillkürlich die Ohren zuhielt. Der Haluter zeigte auf die Ortungsschirme, auf denen sich vier Ortungsreflexe abzeichneten. Rhodan zog eines der Mikrophone an die Lippen. »Hallo, ihr da draußen«, sagte er. »Findet ihr es gemütlich so allein im All, oder möchtet ihr lieber, daß wir eure Ruhe stören und euch an Bord nehmen?« Sie hörten, wie die Gesuchten erleichtert aufatmeten. Doch Atlan ließ sich nicht anmerken, unter welcher Anspannung er gestanden hatte. »Hallo, Barbar«, begrüßte er Perry Rhodan leichthin. »Es ist gar nicht schlecht, wenn man mal eine Weile ungestört im Weltraum herumtreiben und nachdenken kann. Ich erinnere mich gerade daran, wie wir beide uns kennengelernt haben und du damals behauptet hast, daß die Terraner tatsächlich so etwas wie eine Kultur hätten!« Rhodan lachte. »Ja, daran erinnere ich mich sogar noch. Das war zu der Zeit, als deine vom Wohlstand verweichlichten Brüder und Schwestern in Milch und Honig badeten und vor lauter Selbstmitleid und Weinerlichkeit nicht auf zwei Beinen stehen konnten!« Sie lachten beide, und die anderen stimmten ein. Sie wußten, wie dieser kleine, freundschaftliche Disput gemeint war. Minuten später glitten die beiden Raumschiffe an die Kartanin. Atlan, Tekener und Tifflor heran, und die CIRIAC nahm sie an Bord. Nach der Begrüßung, die hauptsächlich von Erleichterung gezeichnet war, kam Atlan auf die bis dahin unbekannte Waffe der Abruse zu sprechen. »Die Eventail ist ungeheuer gefährlich«, berichtete der Arkonide. »Wir sind von ihrem Angriff vollkommen überrascht worden und hatten nicht die
geringste Chance zur Abwehr.« »Wir müssen diese Waffe im Auge behalten«, fügte Tifflor hinzu. »Bei jeder Annäherung an einen Kristallplaneten müssen wir mit ihr rechnen.« Sie blickten sich ernst an; alle dachten das gleiche. Sie mußten die Beausoleils von jenem Planeten bergen, auf dem Atlan sie abgesetzt hatte. Doch diese Bergung war mit einem hohen Risiko verbunden, da sie jederzeit vom Eventail angegriffen werden konnten. »Ich muß darüber nachdenken, wie wir vorgehen«, sagte Perry Rhodan. »Zunächst werden wir ein Stück von der TYRONA bergen und für die wissenschaftliche Untersuchung mitnehmen. « Obwohl die Zeit drängte, folgten beide Raumschiffe der TYRONA. Mühelos holten sie das havarierte Raumschiff ein, und aus sicherer Entfernung schnitten die Spezialisten der CIRIAC mit einem Energiestrahler ein vom Kristall-Eising befallenes Segment des Raumschiffes heraus. Es wurde in ein Schirmfeld gehüllt und von der CIRIAC in Schlepptau genommen. Danach beschleunigten die beiden Raumschiffe wieder. Mit Überlichtgeschwindigkeit flogen sie das Sonnensystem an, in dem Atlan die Beausoleils zurückgelassen hatte. Da Rhodan auf keinen Fall die CIRIAC oder die CADRION gefährden wollte, stiegen die Zellaktivatorträger Atlan, Julian Tifflor, Ronald Tekener, Reginald Bull, Alaska Saedelaere und er selbst in Beiboote und flogen damit den Planeten an. Gucky teleportierte zu den Beausoleils auf den Kristallplaneten, um ihnen die Ankunft der Beiboote anzukündigen. »Das bequeme Leben auf diesem schönen Planeten ist vorbei«, verkündete er, als er zwischen ihnen stand. »Gleich holen Perry und seine Leute euch ab, und dann geht es zurück ins Aariam-System.« Bald darauf landeten die Beiboote, ohne vom Eventail angegriffen worden zu sein, den Atlan auf der entgegengesetzten Seite des Planeten vermutete. Ungehindert starteten die Beiboote wieder und brachten die Beausoleils zu den wartenden Raumschiffen. Die Beausoleils hatten bei diesem Einsatz keinen Verlust zu beklagen. Als sich die Schleusen geschlossen hatten, tauchte Paunaro mit der TARFALA auf. Er machte sich zusammen mit der CIRIAC und der
CADRION auf den Weg zurück ins Aariam-System. Die TYRONA war verlorengegangen. Aber die gesamte Expedition hatte zumindest einige Ergebnisse gebracht. ENDE Mit dem Eventail hat die Abruse eine neue Überraschung hervorgezaubert - der unheimliche Feind der Ayindi ist anscheinend in der Lage, auf die Bedrohung durch die Terraner recht schnell zu reagieren. Perry Rhodan und seine Begleiter müssen also nach Unterstützung suchen, am besten in Form von Verbündeten. DER VERBÜNDETE