Kritische Bürger
Studien zur Demokratieforschung Herausgegeben von Dirk Berg-Schlosser, Leo Kißler, Theo Schiller und...
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Kritische Bürger
Studien zur Demokratieforschung Herausgegeben von Dirk Berg-Schlosser, Leo Kißler, Theo Schiller und Bettina Westle Band 12
Brigitte Geißel, Prof. Dr., ist Professorin für Politikwissenschaft und politische Soziologie an der Goethe-Universität Frankfurt.
Brigitte Geißel
Kritische Bürger Gefahr oder Ressource für die Demokratie?
Campus Verlag Frankfurt/New York
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-593-39392-6 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Copyright © 2011 Campus Verlag GmbH, Frankfurt am Main Gedruckt auf Papier aus zertifizierten Rohstoffen (FSC/PEFC). Umschlaggestaltung: Campus Verlag, Frankfurt am Main Satz: Petra Schäfter, Textetage Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.campus.de
Inhalt
Einführung .............................................................................................................9 Zum Aufbau der Arbeit................................................................................ 10 Methodisches Vorgehen und Datenquellen .............................................. 11 1. Was ist Politische Kritik und wie verbreitet ist sie?.................................. 16 1.1 Politische Kritik: Begriffsbestimmung und Typologie ..................... 16 1.1.1 Ein historischer Abriss ............................................................... 16 1.1.2 Unzufriedenheit und Kritikbereitschaft – Begriffsbestimmung.................................................................... 19 1.1.3 Kritik-Typologie und Hypothesen............................................ 25 1.2 Zum Forschungsstand........................................................................... 28 1.2.1 Kritikbereitschaft......................................................................... 29 1.2.2 Politische Unzufriedenheit......................................................... 30 1.3 Empirische Analyse: Verbreitung und Verteilung............................. 39 1.3.1 Kommunen .................................................................................. 39 1.3.2 Bundesländer................................................................................ 44 1.3.3 Staaten........................................................................................... 46 1.4 Fazit: Kritikbereitschaft weit verbreitet und wenig erforscht .......... 48 2. Wie lassen sich Kritikbereitschaft und Unzufriedenheit erklären?......... 49 2.1 Forschungsstand und Hypothesen ...................................................... 49 2.1.1 Individualorientierte Ansätze..................................................... 50 2.1.2 Kontextorientierte Ansätze........................................................ 56 2.2 Empirische Analyse................................................................................ 68 2.2.1 Kommunen .................................................................................. 68 2.2.2 Bundesländer................................................................................ 81 2.2.3 Staaten........................................................................................... 88 2.3 Fazit: Zufriedenheit kontextabhängig, Kritikbereitschaft transsituative Grundüberzeugung........................................................ 95
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3. Haben kritische Bürger demokratieförderliche Profile? .......................... 97 3.1 Welche Orientierungen sind demokratieförderlich? ......................... 98 3.2 Orientierungen und Profile kritischer Bürger – Forschungsstand................................................................................... 110 3.3 Empirische Analyse.............................................................................. 114 3.3.1 Kommunen ................................................................................ 114 3.3.2 Bundesländer.............................................................................. 123 3.3.3 Staaten......................................................................................... 131 3.4 Fazit: Demokratieförderliches Profil bei den Kritikbereiten ......... 134 4. Sind kritische Einheiten demokratischer? ................................................ 136 4.1 Konzeptuelle Überlegungen und Hypothesen................................. 136 4.2 Indikatoren zur Messung des demokratischen Niveaus ................. 138 4.3 Empirische Analyse.............................................................................. 142 4.3.1 Kommunen ................................................................................ 143 4.3.2 Bundesländer.............................................................................. 144 4.3.3 Staaten......................................................................................... 146 4.4 Fazit: Kritikbereite Einheiten sind demokratischer......................... 151 5. Politisch-praktische Implikationen der Ergebnisse ................................ 152 5.1 Vorschläge zum Umgang mit politischer Kritik .............................. 153 5.2 Diskussion und Ausblick..................................................................... 158 6. Kritikbereitschaft als Anreiz für demokratische Weiterentwicklung – Ausblick ................................................................... 160 Verzeichnis der Abkürzungen ........................................................................ 168 Verzeichnis der Abbildungen ......................................................................... 169 Verzeichnis der Tabellen ................................................................................. 170 Anhang I: Datensätze ................................................................................... 173 Anhang II: Operationalisierungen................................................................ 177 Anhang III: Ergänzende Tabellen.................................................................. 189 Literatur.............................................................................................................. 205
Vorwort und Dank
In dieser Monographie fasse ich – erheblich gekürzt – die zentralen Ideen und empirischen Ergebnisse meiner Habilitation zusammen (Philipps-Universität Marburg, 2007). Im Zentrum steht die Frage, ob von kritischen Bürgern Gefahren für eine demokratische Entwicklung ausgehen oder ob sie ein demokratisches Potenzial darstellen. Das Buch bearbeitet damit einen Teilaspekt des größeren Themenkomplexes, der meine wissenschaftliche Arbeit bestimmt: Wie kann eine Gesellschaft ihre Probleme effektiv sowie legitim lösen und sich demokratisch weiterentwickeln? Mein besonderer Dank geht an Bettina Westle. Sie hat die Arbeit über Jahre hinweg begleitet und verschiedene Fassungen immer wieder kritisch kommentiert. Ebenso danke ich der Forschungsgruppe »Zivilgesellschaft, Citizenship und politische Mobilisierung« des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB), speziell Dieter Rucht, für alle Anregungen und Gespräche. Dem Teilprojekt »Lokale Eliten« des Sonderforschungsbereichs 580, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, danke ich für die freundliche und großzügige Überlassung umfangreicher Datensätze. Ebenso bedanke ich mich bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die Unterstützung verschiedener Tagungs-, Forschungs- und Vortragsreisen und bei Janice Cornwall, Petra Schäfter und Leena Ojansivu für geduldiges Korrekturlesen verschiedener Manuskript-Versionen. Ein besonderer Dank geht an Ronnie Kammer für alle Unterstützung und die Ermahnungen, auch mal zwischendurch Joggen zu gehen. Für Ronnie. Frankfurt am Main, November 2010
Einführung
Demokratie braucht politische Unterstützung – Demokratie braucht politische Kritik
Auf diese einfache, doch widersprüchliche Formel lassen sich Debatten zu politischer Kritik zusammenfassen. Während viele Autoren politische Unterstützung als die Grundvoraussetzung funktionierender Demokratien hervorheben, bestehen andere Autoren darauf, dass Demokratie ohne politische Kritik kaum existieren und sich nicht weiterentwickeln kann. Sowohl die Befürworter von Unterstützung als auch die Befürworter von Kritik können überzeugende Argumente präsentieren – eine systematische empirische Analyse fehlt gleichwohl bisher. Diese Forschungslücke füllt die folgende Studie. Doch was meint »Kritik« überhaupt? Die Begriffe Kritik und kritische Bürger sind facettenreich und werden uneinheitlich angewandt. Im alltäglichen Sprachgebrauch kann der Terminus »kritische Bürger« interessierte und involvierte Zeitgenossen beschreiben, aber auch unangenehme und überempfindliche Personen sowie Nörgler und Querulanten. In der Medizin und selten auch in der Politikwissenschaft kann kritisch synonym zu labil und unbeständig verstanden werden. Ein vollkommen anderes Verständnis dominierte in der Bundesrepublik Ende der sechziger Jahre, als die Debatte um politische Kritik ihren ersten Zenit erreichte. Vertreter der Kritischen Theorie wie Adorno, Marcuse oder Habermas forderten kritisches politisches Denken – geleitet von emanzipatorischen Interessen. Einen zweiten Aufschwung erfuhr der critical citizen Ende der neunziger Jahren auf dem internationalen Parkett (z. B. Norris 1999a). Unter Kritik wurde und wird dabei im Wesentlichen politische Unzufriedenheit verstanden. Im Gegensatz zu diesem eindimensionalen Verständnis von Kritik als Unzufriedenheit bezieht diese Studie eine zweite, bisher vernachlässigte normative Dimension ein, die Kritikbereitschaft (vgl. ausführlich Kap. 1).
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Politische Kritik wird somit anhand von zwei Dimensionen untersucht: 1. Kritikbereitschaft und 2. politische Unzufriedenheit. Somit lautet die Frage, ob und welche Kritik-Dimension – Kritikbereitschaft und/oder Unzufriedenheit – ein Potenzial bzw. eine Gefahr für Demokratien darstellt. Die Ergebnisse werden zunächst zeigen, ob der frühere Lehrsatz von der Überlegenheit politischer Unterstützung und Zufriedenheit nach wie vor gültig ist oder, wie die neuere Forschung vermutet, politische Unzufriedenheit eine Ressource für demokratische Systeme darstellt. Ich erwarte jedoch, dass weder der frühere Lehrsatz noch die neueren Vermutungen zutreffen. Vielmehr verhinderte meines Erachtens die bisherige Fokussierung auf (Un-)Zufriedenheit die Wahrnehmung der eigentlich zentralen Dimension. Meine Hypothese lautet, dass die Kritikbereitschaft, und nicht Zufriedenheit oder Unzufriedenheit, ein Potenzial für Demokratien darstellt.
Zum Aufbau der Arbeit Das erste Kapitel definiert und konzeptionalisiert politische Kritik. Dabei wird auch eine neue Kritik-Typologie eingeführt, welche es ermöglicht, interagierende Effekte zwischen politischer Zufriedenheit und Kritikbereitschaft zu erfassen. Empirisch wird anschließend die Verbreitung der KritikDimensionen und der Kritik-Typen in der Bundesrepublik sowie im internationalen Vergleich analysiert. Das zweite Kapitel untersucht, wie sich Kritikbereitschaft und Zufriedenheit erklären lassen. Wenn sich politische Zufriedenheit beispielsweise mit der ökonomischen Situation begründen ließe, könnten demokratische Hoffnungen kaum auf unzufriedene Bürger gesetzt werden. Unzufriedenheit wäre dann lediglich die Reaktion auf eine wirtschaftlich unbefriedigende Lage. Und wie steht es um die Kritikbereitschaft? Ist sie eine stabile, kontextunabhängige Grundüberzeugung? Diese Fragen werden im zweiten Kapitel empirisch beantwortet. Im Mittelpunkt des dritten Kapitels steht die Frage, ob kritische oder nichtkritische Bürger demokratieförderliche Profile aufweisen. Sind es also die zufriedenen Bürger, welche sich durch besonders demokratieförderliche Orientierungen wie beispielsweise Toleranz, politisches Interesse oder Partizipation auszeichnen, oder eher die unzufriedenen? Haben kritikbereite Bürger demokratieförderliche Profile oder ihr Gegenpart, also die
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Bürger, welche die politische Arbeitsteilung à la Schumpeter realisieren, das heißt sich nach der Wahl nicht mehr um Politik kümmern? Im vierten Kapitel wird gefragt, ob das Ausmaß von politischer Kritik in einer politischen Einheit, also beispielsweise in einem Land oder einer Kommune, mit dem jeweiligen demokratischen Niveau in Beziehung steht. Ich erwarte, dass die Verbreitung der Kritik-Dimensionen mit dem demokratischen Niveau zusammenhängt – aber welche Kritik-Dimension, die (Un-)Zufriedenheit oder die Kritikbereitschaft? Sind beispielsweise Länder demokratischer, in welchen die Kritikbereitschaft als besonders wichtig erachtet wird? Oder jene Länder mit (un-)zufriedener Bürgerschaft? Und wie kann das demokratische Niveau überhaupt gemessen werden? Nach der Diskussion des Forschungsstands und der Entwicklung eines Indikatoren-Sets zur Messung des demokratischen Niveaus folgen die entsprechenden empirischen Analysen. Im fünften Kapitel wird die praktisch-politische Bedeutung der empirischen Ergebnisse für den Umgang mit politischer Kritik diskutiert. Im Schlusskapitel werden die Ergebnisse zusammengefasst und weiterführende Thesen zum Zusammenhang zwischen politischer Kritik und demokratischer Weiterentwicklung formuliert.
Methodisches Vorgehen und Datenquellen Die empirische Studie basiert auf Datensätzen zu drei politischen Ebenen (Gemeinden, Bundesländer und Staaten). Die Kernstudie ist eine von mir als Gemeindestudie (GEM) bezeichnete Untersuchung in sechs Kommunen der Bundesrepublik – jeweils drei Kommunen in einem neuen und einem alten Bundesland.1 In dieser Untersuchung wurden ebenso Daten zu den jeweiligen lokalen politisch-administrativen Eliten sowie zum ökonomischen und institutionellen Kontext der Gemeinden erhoben (vgl. Anhang I). Ein zentraler Vorteil der Studie ist somit, dass umfangreiche Kontextinformationen vorliegen. Sie erlauben es in einer selten möglichen Weise, vielfältige Kontexteinflüsse auf politische Zufriedenheit und Kritikbereitschaft detailliert zu analysieren.
—————— 1 Die Studie wurde im Rahmen des Projekts »Lokale Eliten« des Sonderforschungsbereichs 580 »Gesellschaftliche Entwicklungen nach dem Systemumbruch. Diskontinuität, Tradition und Strukturbildung« an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg durchgeführt.
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Allerdings kann die Repräsentativität eines solchen Datensatzes zu Recht in Frage gestellt werden. Vielleicht treffen die entsprechenden Ergebnisse nur auf die untersuchten sechs Gemeinden zu? Um Fehlschlüsse zu vermeiden, wurden weitere Datensätze gleichsam als »Kontrolle« einbezogen. Die zweite Datenquelle ist das International Social Survey Program aus dem Jahr 2004 (ISSP, Modul »Citizenship«) zur Bundesrepublik2 (vgl. Anhang I). Die Bundesrepublik Deutschland ist aus mehreren Gründen ein besonders interessanter Fall für die Bearbeitung meiner Fragestellungen. Erstens führte die Erfahrung des Nationalsozialismus zu einer spezifischen Auseinandersetzung mit politischer Folge- und Kritikbereitschaft.3 Zweitens hat in der Bundesrepublik die sogenannte 68er-Generation die Debatte um politische Kritik besonders stark beeinflusst. Die historisch einmalige Situation der Wiedervereinigung ermöglicht drittens eine interessante Gegenüberstellung einer etablierten Demokratie mit einer jungen Demokratie.4 Allerdings könnte Deutschland aufgrund seiner Geschichte und der sich daraus entwickelnden Diskussionen um kritische Bürger ein Sonderfall sein. Erst die Untersuchung weiterer Staaten wird zeigen, ob die festgestellten Zusammenhangsmuster spezifisch für die Bundesrepublik sind oder generalisiert werden können. Deshalb wurden Daten aus dem ISSPSurvey zu weiteren Demokratien einbezogen. Die internationalen ISSPErhebungen konnten zum Zeitpunkt der Fertigstellung der Arbeit zwar noch nicht eingesehen werden; es war jedoch möglich, durch Anfrage bei Länderteams Datensätze zu einigen Staaten zu erhalten. Ausgewählt für die Analyse wurden sechs Demokratien: Kanada, Neuseeland und Schweden
—————— 2 Vier Bundesländer konnten aufgrund einer zu geringen Anzahl von Befragten in landesspezifischen Berechnungen nicht berücksichtigt werden (Berlin, Bremen, Hamburg und Saarland). 3 Beispielsweise wurden in der Bundesrepublik staatlich finanzierte, unabhängige und überparteiliche Zentralen für politische Bildung zur Demokratieerziehung eingerichtet. 4 In der Literatur wird die Frage, ob die Kluft zwischen Ost- und Westdeutschen in den letzten Jahren geschrumpft oder sogar größer geworden ist, widersprüchlich beantwortet. Während einige Autoren bei den politischen Einstellungen eine zunehmende Konvergenz konstatieren (z. B. Gabriel 1999b: 231), verweisen andere Autoren darauf, dass sich die politischen Einstellungen in den beiden Landesteilen keineswegs annähern, sondern die Distanz teilweise sogar wächst (z. B. Meulemann 2002: 22). So stellt Conradt (2002) treffend fest: »After ten years of research on Germany’s postunification political culture, there is no scholarly consensus on the critical question of east-west differences, the impact of unification on western German culture, and developmental trends in the two regions.« (ebd.: 43)
EINFÜHRUNG
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als etablierte und reiche Demokratien, Portugal als etablierte, wenn auch jüngere und ressourcenschwächere Demokratie, sowie die Slowakei und die Tschechische Republik als junge Demokratien (vgl. Almond/Verba 1963: 35 für eine ähnliche Begründung der Sampleauswahl). Zu einzelnen Aspekten wurden darüber hinaus zusätzliche Staaten berücksichtigt. Abbildung 1 gibt einen schematischen Überblick über die Datensätze. Im Folgenden werden im empirischen Teil die drei Datensätze jeweils getrennt berechnet und die Ergebnisse anschließend zusammenfassend interpretiert. Ich vermute, dass ähnliche Zusammenhangsmuster auf der lokalen und der Bundesländer-Ebene sowie im internationalen Vergleich zu finden sind. Der empirische Dreischritt mit Daten, die sich auf unterschiedliche politische Einheiten (Kommunen, Bundesländer und Staaten) beziehen, bietet Vorteile und Nachteile. Er ermöglicht einerseits ein in der Politikwissenschaft bisher selten angewandtes Verfahren: den Vergleich von drei verschiedenen Ebenen. Dies gestattet Schlussfolgerungen über die EbenenAbhängigkeit oder -Unempfindlichkeit der Ergebnisse. So kann festgestellt werden, ob beispielsweise die Kritikbereitschaft oder spezifische Kombinationen aus Kritikbereitschaft und Zufriedenheit nur auf kommunaler Ebene eine Ressource für (die Weiterentwicklung von) Demokratien darstellen, nicht jedoch auf nationaler Ebene, oder ob dies nur für die Bundesrepublik, jedoch nicht für andere Staaten gilt. Ein weiterer Vorteil des empirischen Dreischritts liegt – neben der Generalisierbarkeit der Aussagen – in den unterschiedlichen Lupenstärken. Die Gemeindestudie bietet umfangreiche, detaillierte Kontextdaten, stellt also gleichsam ein Zoom-Objektiv zur Verfügung. Die ISSP-Surveys ermöglichen demgegenüber eine Weitwinkel-Perspektive mit statistischer Repräsentativität, aber weniger Detailund Kontextinformationen. Die Verwendung verschiedener Datensätze birgt andererseits das in der empirischen Forschung mit Sekundärdaten bekannte Problem, nur auf vorhandene Daten zurückgreifen zu können. Beispielsweise wenden Surveys unterschiedliche Fragebatterien an, welche nur bedingt verglichen werden können. So setzen auch unterschiedliche Fragestellungen und damit einhergehende Operationalisierungsdifferenzen zwischen der Gemeindestudie und den ISSP-Surveys der Vergleichbarkeit Grenzen. Jedoch kann dies auch Erkenntnis fördernd sein. Denn wenn dasselbe Phänomen, zum Beispiel politische Zufriedenheit, mit Hilfe unterschiedlicher Indikatoren gemessen wird, die Verbreitung und die Zusammenhangsmuster aber ähn-
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lich aussehen, so weist dies auf robuste Resultate hin (vgl. zur Operationalisierung Anhang II). Mit der Verwendung von Sekundärdaten geht ein weiteres Manko einher: Die zur Verfügung stehenden Daten und Indikatoren sind häufig unzureichend zur Überprüfung der theoretischen Annahmen. Wie die meisten theoriegeleiteten empirischen Studien muss auch die vorliegende Arbeit komplexe theoretische Konzepte anhand ungenügender Indikatoren überprüfen: Die zur Verfügung stehenden Daten lassen vielfach nur unterkomplexe Operationalisierungen zu. So muss notwendigerweise vereinfacht werden und eine umfassende Beantwortung aller aufgeworfenen theoretischen Fragen ist nur bedingt möglich. Folglich besteht, wie häufig bei Sekundäranalysen, eine gewisse Diskrepanz zwischen den »großen« Theorien und der jeweils konkreten Operationalisierung. Gleichwohl werden die Ergebnisse zuverlässige empirische Anhaltspunkte zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen liefern.
EINFÜHRUNG
Abbildung 1: Die Datenquellen Gemeindestudie Bevölkerungsbefragung
Kontextdaten
Themen: Politische Kritik, soziodemographische Daten, Sozialkapital
Themen: Elite-Merkmale, ökonomische Situation, institutionelle Arrangements
Methode: Computerunterstütztes Telefoninterview (CATI)
Methode: Analyse amtlicher Statistiken, Dokumente usw., Computerunterstütztes Telefoninterview
Sample: Bevölkerung sechs ausgewählter Städte und Kreise, N = 2.023 Bürger
Sample: Lokale Eliten: 57 Personen, N = 6 Kommunen
Daten zu den deutschen Bundesländern und internationale Daten International Social Survey Program (ISSP) 2004
Kontextdaten
Themen: Politische Kritik, soziodemographische Daten, Sozialkapital
Themen: Situation in den Bundesländern und Staaten
Methode: Face-to-face-Interviews, schriftliche Befragung
Methode: Amtliche Statistiken usw.
Sample Bundesrepublik: N = 1.300 Bürger Sample internationale Daten: N = ca. 8.000 Bürger
Sample Bundesrepublik: N = 12 Bundesländer Sample Internationale Daten: N = 6 Staaten
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1. Was ist Politische Kritik und wie verbreitet ist sie?
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Politische Kritik: Begriffsbestimmung und Typologie
1.1.1 Ein historischer Abriss Lange Zeit galt politische Unterstützung als zentrale staatsbürgerliche Tugend, unentbehrliche Ressource und Garant für die Funktionsfähigkeit, die Effektivität und die Legitimität eines politischen Systems (zur Debatte: Westle 2003). Kritik – als Untugend und Gefahr – schwäche, so lautete das Argument, demokratische Institutionen5, erodiere den Glauben an Demokratie und führe schließlich unweigerlich zu ernsthaften Krisen oder sogar zu einem Zusammenbruch des politischen Systems. Dementsprechend stand bis in die achtziger Jahre politischer support im Zentrum der PolitischeKultur-6 und Einstellungsforschung. Negative Momente der Unterstützung sowie positive Aspekte von Kritik spielten eine untergeordnete Rolle. Protestwellen (Barnes/Kaase u.a. 1979) sowie vermeintliche oder tatsächliche Legitimationskrisen in den sechziger und siebziger Jahren (z.B. Crozier/ Huntington/Watanuki 1975; Habermas 1973; Offe 1972) änderten an dieser Sichtweise wenig. Bis in die achtziger Jahre bestand das Paradigma, dass die Kapazität eines politischen Systems, Unterstützung zu generieren und zu erhalten, essenziell für dessen Stabilität sei.7
—————— 5 In der Politikwissenschaft werden unter Institutionen im engen Sinne die Staatsorgane wie Bundestag sowie intermediäre Organisationen wie Gewerkschaften verstanden, im weiteren Sinne das durch Verfassung oder Gesetz vereinbarte dauerhafte Regelwerk für politisches sowie gesellschaftliches Handeln, z.B. Wahlsysteme. 6 Politische Kultur bedeutet in Anlehnung an Almond und Verba (1963) die Gesamtheit der Einstellungen, der Werte und Vorstellungen von Bürgern gegenüber dem politischen System, den politischen Institutionen, der Staatstätigkeit und den politischen Eliten. 7 Wichtig sei »the capacity of the system to engender and maintain the belief that the existing political institutions are the most appropriate ones for the society.« (Lipset 1981: 77). »As money is to an economic system, so is political support to a political system … support is the currency of democratic … polities.« (Rosenau 1974: 1; vgl. auch Dalton
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Allerdings wiesen einige Forscher schon früh darauf hin, dass Unterstützung und Zufriedenheit allein nicht ausreichen. Bereits Almond und Verba (1963) hatten Orientierungen, die als politische Kritik interpretiert werden können, eine besondere Bedeutung zugesprochen – ohne die Begriffe Kritik oder kritisch zu verwenden. In ihren Augen ist beispielsweise naive Autoritätshörigkeit keine Tugend einer demokratischen civic culture (z. B. 18, 341 ff.). Easton (1965) zeigte, dass »without some inflow of demands there would be no raw material for the system to process« (ebd.: 48). Inflow definierte er dabei explizit zweidimensional als »demand and support« (ebd.: 27). Auch wenn »demand« nicht mit Kritik gleichgesetzt werden kann, so verweist diese Aussage doch darauf, dass ein politisches System für seinen Erhalt und vor allem seine Weiterentwicklung mehr benötigt als nur Unterstützung.8 Sniderman (1981) untersuchte schließlich Anfang der achtziger Jahre, ob zu große Loyalität nicht ein ebenso gravierendes Problem darstellen könnte wie Entfremdung. Sein Ergebnis lautete, dass »allegiance may pose at least as serious a threat to democratic politics as alienation« (13; ähnlich: Parry 1976; Citrin 1974). Wenn etwa politische Eliten Fehler machten, sei es die Pflicht der Bürger, kritisch zu sein. Personen, deren Unterstützung durch politische Skandale und Fehlverhalten von Politikern nicht erschüttert würden, entsprächen nicht dem Ideal eines guten Demokraten. Vielmehr seien Bürger, die balanciert Vorzüge und Fehler der Regierung erkennen können, zu begrüßen, und politische Skepsis sei ein heilsamer Teil demokratischer Praxis. So nahmen Sniderman (1981) und einige andere Wissenschaftler aus den sechziger, siebziger und achtziger Jahren Argumente vorweg, die erst viele Jahre später intensiver diskutiert und empirisch erforscht wurden (vgl. auch Gabriel 1999b: 204 f.; Westle 1997). Auch in der politischen Ideengeschichte lässt sich eine Fülle von Beispielen finden, welche politische Kritik als zentralen Bestandteil demokratischer Systeme begreifen. Denn während einige Demokratie-Theoretiker eher dem Modell der politischen Arbeitsteilung anhängen, bei dem sich die Bürger nach der Wahl ihrer Repräsentanten am besten nicht mehr um
—————— 2004: 159; Westle 2003; Dalton 2002: 237 ff.; Niedermayer 2001; Mishler/Rose 1997; Westle 1997: 105; Westle 1989; Crozier u.a. 1975; Easton 1975; Miller 1974; Easton 1965). 8 Obwohl Easton (1965: 149) selbst die Fokussierung auf support kritisierte, entwickelte er in späteren Jahren vor allem das Konzept von politischer Unterstützung weiter (vgl. Easton 1975).
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Politik kümmern sollten (z.B. Schumpeter 1950), befürworten viele ein weniger arbeitsteiliges Modell. Einig sind sich zwar die meisten Autoren in ihrer Ablehnung der Rousseau’schen Vorstellung der radikalen Volkssouveränität, aber eine zumindest mentale Involvierung der Bürger auch über den Wahlakt hinaus erachten die meisten als sinnvoll. Vor allem die kritische Beobachtung der politischen Repräsentanten wird von vielen Demokratie-Theoretikern als untrennbar mit Demokratie erachtet. So verwies beispielsweise bereits Mill (1861/1985) darauf, dass eine kritische Wachsamkeit gegenüber der politischen Elite die Aufgabe kompetenter Bürger sei. Zwar setzte Mill einerseits gewisses Vertrauen in die Gemeinwohlorientierung der gebildeten Elite, andererseits war er sich dessen nicht völlig sicher. Denn jede Gruppe, die mit einem gewissen Ausmaß an Macht ausgestattet ist, sei geneigt, ihre eigenen Interessen zu verfolgen. So brauche eine Demokratie kompetente Bürger, die in der Lage und willens sind, sich mit dem politischen Geschehen zu befassen und sich einzumischen. Dies ist umso wichtiger, da Mill mögliche Mängel des demokratischen Führungspersonals als eine der zentralen Schwächen von Demokratie erachtete. Aus dieser Perspektive gehören somit demokratisches Regieren und eine gewisse kritische Wachsamkeit der kompetenten Bürgerschaft untrennbar zusammen. In ähnlicher Weise vertritt beispielsweise Dahl (1971) in seinem Standardwerk »Polyarchie« unter anderem die Bedeutung von Kritik- und Kontrollrechten, ohne die Bedeutung politischer Kritik jedoch auszubuchstabieren. Seit Beginn der neunziger Jahre wurde das Mainstream-Paradigma von politischer Kritik als Gefahr schließlich weitgehend verabschiedet. Kritik interpretieren aktuelle Autoren weniger als Krisenindikator und Bedrohung von Demokratie, sondern als Ressource für demokratische Weiterentwicklung, als Stimulus für politische Reformen und als kreatives Potenzial, kurz: als »good for democracy«.9 Beispielsweise hat Westle (1997) in einer wegweisenden und inspirierenden Studie zu kritischen Bürgern auf die demokratische Bedeutung kritischer Bürger verwiesen. Auch Studien von Welzel und Inglehart (2005), Axtmann (2001: 10) sowie Budge (1996: 190) lassen vermuten, dass Bürger, die als kritisch bezeichnet werden können,
—————— 9 Dalton 2004: 200 ff.; Gabriel 1999b: 204-205; Norris 1999a: 8; Nye 1999: vi; Westle 1999: 99; Westle 1989. Der englische Terminus critical citizen beinhaltet dabei ein Wortspiel: »Critical« bedeutet nicht nur kritisch, sondern auch »entscheidend«. Im Deutschen hat das Wortspiel keine Entsprechung.
DEFINITION UND VERBREITUNG
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demokratieförderlich sind.10 Politische Kritik sei ein Mittel zur Herstellung politischer Responsivität, also der Orientierung des Elite-Handelns an den Wünschen und Forderungen der Wählerschaft (Gabriel 1999b: 205, auch: Almond/Verba 1963). Durch kritische Bürger würden Regierungen gezwungen, ausführlich Rechenschaft über ihre Tätigkeit abzulegen und auf die Bedürfnisse sowie Interessen der Bürger einzugehen. Ohne kritische Bürger könnten sich Korruption und Selbstbereicherung der Eliten ausbreiten. Kritische Bürger seien also ein Mittel gegen den Missbrauch politischer Macht (z. B. Budge 1996: 190). Und mangelnde Kritik korreliert sogar nicht selten mit demokratischer Apathie und Entfremdung (für Peru: Seligson/Carrion 2002; für die USA: Sniderman 1981). Dabei werden auf kritische Bürger große Hoffnungen gesetzt. Dalton (2002: 253) schreibt beispielsweise euphorisch, dass die gegenwärtige politische Unzufriedenheit ein historischer Schritt für die nächsten demokratischen Reformen sei: »Current dissatisfaction with contemporary political systems may present another historic step in democracy’s progress.« Einige Autoren vermuten in ähnlicher Weise: »Dissatisfied democrats can be viewed as […] a force for reform and improvement of democratic processes and structures.« (Klingemann 1999: 32). »Die Unzufriedenheit mit dem aktuellen Zustand der Demokratie zeigt keine Abkehr von demokratischen Idealen, sondern genau das Gegenteil: gestiegene demokratische Ansprüche« (Welzel 2005: 73). Hofferbert und Klingemann (2000: 11) sind besonders überzeugt, dass unzufriedene Bürger auch demokratische und politisch wachsame Bürger seien: »So, the fact that half of the […] respondents are dissatisfied with the performance of their democracy may indicate nothing more than the reasonable, healthy wariness of attentive democratic citizens« (Hervorhebung B.G.).
1.1.2 Unzufriedenheit und Kritikbereitschaft – Begriffsbestimmung Wie aus den bisherigen Ausführungen bereits deutlich wurde, meinen die unterschiedlichen Autoren und Autorinnen zwar nicht immer genau das Gleiche, wenn sie von politischer Kritik sprechen. Die meisten Studien setzen Kritik jedoch schlicht synonym mit politischer Unzufriedenheit. Men-
—————— 10 Aktuell zeigten beispielsweise Foweraker und Landman (1997) anhand ihrer ländervergleichenden Studie über die Beziehung zwischen Mobilisierung und demokratischen Rechten, dass Demokratie in der Regel das Resultat von Forderungen kritisch-aktiver Bürger ist.
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schen, die politisch unzufrieden sind, werden als kritisch bezeichnet (vgl. Norris 1999a: 269; Nye 1999: vi). Doch sind Unzufriedenheit und Kritik identisch? Und, so ist weiter zu fragen, lässt politische Unzufriedenheit wirklich Aussagen über das demokratische Anspruchsniveau einer Bürgerschaft zu? Sind unzufriedene Bürger per se immer politisch aufmerksam und demokratieförderlich? Verweist Unzufriedenheit auf »reasonable, healthy wariness of attentive democratic citizens« (Hofferbert/Klingemann 2000: 11)? Ist Unzufriedenheit nicht auch die nüchterne Verarbeitung einer Politik, welche die Bedürfnisse der Bürger nicht befriedigen kann – also eine Antwort auf die ungenügende Performanz oder die mangelnde Vertrauenswürdigkeit der politischen Akteure und Institutionen (z. B. Hardin 2002; Parry 1976)? Eine große Anzahl an unzufriedenen Bürgern ist aus dieser Perspektive ein Beleg für ein schlecht funktionierendes politisches System, dient aber kaum als Nachweis für eine besonders politisch aufmerksame, demokratische Bürgerschaft. Offensichtlich reicht es nicht aus, politische Kritik ausschließlich als Unzufriedenheit zu betrachten, wenn deren Potenzial für Demokratien erfasst werden soll; eine komplexere Operationalisierung ist notwendig. Welche weiteren Dimensionen spielen eine Rolle? Einige Autoren fokussieren auf den Aspekt der politischen Aktivitäten, welche aus politischer Kritik entstanden. Diese Dimension ist in der Partizipations-, der NeueSoziale-Bewegungen- und Protestforschung bereits gut erforscht (z. B. Geißel 2006b; Rucht 2006). Auch die Kritik an einzelnen Policys, beispielsweise Unzufriedenheit mit der Sozial-, Wirtschafts- oder Schulpolitik, wird in der Wahl- und Einstellungsforschung umfassend untersucht. Kaum beachtet und unerforscht blieb bisher jedoch die normative Dimension: die Kritikbereitschaft. Dieser Terminus lässt sich zwar in den Sozialwissenschaften hin und wieder finden, er ist aber weder exakt definiert noch eindeutig in einen Theoriezusammenhang eingebunden.11 Ich definiere Kritikbereitschaft als die Befürwortung der Bürgerpflicht, politische Sachverhalte zu beobachten (Beobachtungspflicht) und möglicherweise zu intervenieren (Interventionspflicht). Die Beobachtungspflicht ist zu verstehen als die grundlegende normative Überzeugung, dass ein guter Bürger das politische Geschehen aufmerksam beobachten sollte ohne sich
—————— 11 Während einige Autoren Kritikbereitschaft beispielsweise eher als Teilaspekt von Unzufriedenheit verstehen (z. B. Gabriel 2002) oder als demokratisch sinnvolle Tätigkeit (z. B. Warren 1999), diskutieren sie andere Autoren im Kontext von normativen Orientierungen (vgl. Westle 1997).
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dabei beispielsweise auf einen Politiker oder einen Politikbereich zu konzentrieren. Die Befürwortung von kritischer Beobachtung als Bürgerpflicht heißt nicht, dass sich Bürger immer und überall en détail mit Politik befassen. Ein in diesem Sinne kritikbereiter Bürger postuliert vielmehr politische Aufmerksamkeit als Bürger-Pflicht (ähnlich: Westle 1997). Darüber hinaus geht die Interventionspflicht. Diese meint die Überzeugung, dass ein Bürger intervenieren sollte, sofern die Politik eine nicht mehr als akzeptabel wahrgenommene Richtung einschlägt bzw. als falsch wahrgenommene Entscheidungen gefällt werden. Die Befürwortung der Beobachtungs- oder möglicherweise sogar einer Interventionspflicht bezeichne ich als normative Kritikbereitschaft. Synonym dazu werden die Termini Kritikpflicht oder Kritikbereitschaft verwendet.12 Neben diesen Pflichtüberzeugungen gibt es auch situative, normativ nicht fundierte Beobachtungs- oder Interventionsbereitschaften. Beispielsweise könnten Bürger die Politik aus Langeweile verfolgen, weil ihre Partner oder Peers sich damit befassen oder weil sie sich aktuell für ein bestimmtes Gesetzesvorhaben interessieren (z. B. politische Entscheidungen zur Schulpolitik). Politische Aufmerksamkeit basiert bei diesen Personen jedoch nicht auf einer normativen Überzeugung, sondern ist ein beliebiges Verhalten, das von Faktoren wie Zufall, Gruppendruck oder spezifischen Policy-Interessen bestimmt wird. Auf den ersten Blick scheint es gewisse Ähnlichkeiten zwischen der Beobachtungsbereitschaft und dem politischen Interesse zu geben; sie unterscheiden sich jedoch fundamental. Denn politisches Interesse kann auch zufällig, auf wenige Policys ausgerichtet und situativ sein. So kann sich eine Person aktuell für Politik interessieren, weil beispielsweise gerade über ein für sie relevantes Thema diskutiert wird, aber ihr fehlt die Überzeugung, dass Bürger sich generell um Politik kümmern sollten. Ihr Staatsbürgerkonzept beinhaltet nicht die Überzeugung, dass ein guter Bürger die Pflicht zur Kritik hat. Als Kritik-Dimension interessiert dieses spezifische, situative politische Interesse jedoch nicht, sondern ausschließlich die Über-
—————— 12 Damit bewegt sich die Arbeit im Umfeld aktueller Debatten um Bürgerschaft und Citizenship, die seit den neunziger Jahren eine neue Renaissance erleben. In der Tradition von Marshall (z. B. Marshall/Bottomore 1992) standen dabei zunächst in erster Linie Rechte und Freiheiten im Mittelpunkt. Allerdings bemängeln einige Autoren, dass die Betonung der Rechte zu weit gegangen sei und nun das Pendel zurück zu den Aufgaben und Pflichten schwenken müsse (z. B. Heater 2004: 141; Kymlicka 2002: 288; Kymlicka/Wayne 1994: 353). Dabei wird auch die Pflicht der Bürger erwähnt, das politische Geschehen zu beobachten, jedoch selten ausgeführt.
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KRITISCHE BÜRGER
zeugung, dass eine Bürgerpflicht zur politischen Beobachtung und möglicherweise zur Intervention besteht. Das Konzept der Kritikbereitschaft ist ebenso wenig mit dem Konzept des Aktivbürgers identisch. Die Beobachtungspflicht kann, muss aber nicht in Aktivität münden. Personen, welche diese Pflicht befürworten, sind nicht per se als Aktivisten permanent politisch engagiert, vielmehr unterscheidet sich die Beobachtungspflicht grundlegend von Partizipation. Bei Ersterer geht es um ein Pflichtgefühl, bei Letzterer um das tatsächliche Handeln. Das Konzept der Kritikbereitschaft widerspricht diametral der Schumpeter’schen Vorstellung zur Pflicht von Bürgern in repräsentativen Demokratien. Eine Person, die ihre Bürgerpflicht im Sinne Schumpeters (1950) wahrnimmt, beschränkt sich auf die Auswahl der Elite bei den Wahlen. Ansonsten jedoch akzeptiert sie die Arbeitsteilung zwischen sich und den von ihr gewählten Politikern: Sie erachtet »die politische Sache« als eine Angelegenheit der Politiker und hält sich aus den Regierungsgeschäften heraus. Ein kritikbereiter Bürger sieht seine Aufgaben und Pflichten demgegenüber nicht im Gang zur Wahlurne und im Vertrauen erschöpft. Ebenso widerspricht die Kritikbereitschaft der Vorstellung Almond und Verbas (1963: 347), die für eine balancierte Mischung aus Partizipation und Passivität plädieren (vgl. auch Lipset 1959). In einer nach Almond und Verba idealen civic culture betrachten sich die Bürger zwar als aktiven Teil des politischen Systems, kombinieren dies aber mit passiven und parochialen Haltungen.13 Diese Aussagen wurden von den Befürwortern partizipativer Demokratieformen wie Barber (1984) und Pateman (1970) vehement kritisiert. Sie unterstellen Almond und Verba, politisches Desinteresse zu zelebrieren und damit das Ziel von Demokratie aus den Augen zu verlieren. Mein Konzept von Kritik als Bürgerpflicht liegt quer zu dieser Debatte um die richtige Mischung von politischer Aktivität und Passivität. Im Konzept der Kritikpflicht orientiert sich die Bestimmung einer idealen civic culture nicht am Aktivitätsgrad, sondern an dem Ausmaß und der Verbreitung der Kritikbereitschaft. In welcher Beziehung steht nun Kritikpflicht zur diffusen Unterstützung? Diffuse Unterstützung ist, nach Easton, unabhängig von spezifischen Re-
—————— 13 In den Augen von Almond und Verba ist ein idealer Bürger nicht ständig involviert in Politik, und es ist nicht seine Aufgabe, politische Entscheidungsträger permanent zu beobachten. Aber er hat das Potenzial, diese Eigenschaft falls nötig zu aktivieren. Unklar bleibt, woher die Bürger wissen können, »if there is need«.
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gimeleistungen und deren Bewertung (»independent of outputs and performance in the short run«, Easton 1975: 444). Sie basiert vielmehr auf der affektiven Bindung an politische Objekte14 sowie auf der Übereinstimmung zwischen eigenen und systemimmanenten Wertvorstellungen.15 Damit kann das Konzept der diffusen Unterstützung in allen politischen Systemen Anwendung finden, denn affektive Bindung und Werteübereinstimmungen sind in jedem politischen System möglich und für dessen Stabilität funktional. Auch in einer Diktatur oder einem totalitären System können die Bürger affektiv an die politische Ordnung gebunden sein, diese also diffus unterstützen. Dort schließen sich diffuse Unterstützung und die Befürwortung der Bürgerpflicht Kritik jedoch aus. Denn wer Kritik als Bürgerpflicht befürwortet, kann kaum mit den immanenten Wertvorstellungen eines undemokratischen Systems übereinstimmen. Im Gegensatz dazu ist in Demokratien – und nur in Demokratien – die Gleichzeitigkeit von diffuser Unterstützung und der Befürwortung von Kritikpflicht möglich. Nur in Demokratien ist es überhaupt sinnvoll, politische Aufmerksamkeit und möglicherweise Interventionsbereitschaft als Bürgerpflicht zu äußern; nur dort können diese Pflichten entfaltet und umgesetzt werden. So stellt die Vorstellung von Kritik als Bürgerpflicht keinen Gegensatz zur diffusen Unterstützung dar. Beide Einstellungen können in einer Person
—————— 14 Als politische Objekte gelten bei Easton die politische Gemeinschaft (z. B. die Nation), die politische Ordnung (z. B. die Verfassung) und die politischen »authorities« (z. B. Politiker). Norris (1999a) entwarf in Erweiterung des dreidimensionalen Schemas von Easton (1965) eine fünfdimensionale Objektdifferenzierung »political community, regime principles, regime performance, regime institutions, political actors« (Norris 1999a: 10). Almond und Verba (1963) unterschieden als politische Objekte bzw. Objektklassen (Fuchs 2002: 30) das politische System (»system as general object«), »input objects« bzw. »input processes«, »output objects« und das Selbst als politischer Akteur (»self as object«). »Input process« meint bei Almond und Verba (1963: 14 f.) »the flow of demands from the society into the polity and the conversion of these demands into authoritative policies«. Output meint die Prozesse und Strukturen »by which authoritative policies are applied or enforced« (z. B. Bürokratien und Gerichte). Unter politischem Selbst ist die Einstellung der Bürger zu ihrer Staatsbürgerrolle einschließlich ihrer Kompetenzen zu verstehen. 15 Ein möglichst großes Reservoir an diffuser Unterstützung sei notwendig, damit auch jene politischen Entscheidungen akzeptiert werden, welche nicht en détail den Wünschen der Bürger entsprechen. Dieses Reservoir »enables a system to weather the many storms when outputs cannot be balanced off against inputs of demands« (Easton 1965: 273). Ein System, in welchem politische Loyalität nur auf der positiven Bewertung seiner Performanz beruhe, sei instabil.
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KRITISCHE BÜRGER
gleichzeitig auftreten – jedoch ist dies ausschließlich in Demokratien möglich. Neben der Kritikbereitschaft wird bei der Analyse politischer Kritik als zweite Dimension das Ausmaß der politischen Zufriedenheit berücksichtigt. Politische Zufriedenheit ist ein schillernder Begriff und wird in der Einstellungsforschung häufig in einem Atemzug mit politischer Unterstützung, politischem Vertrauen und häufig auch Legitimität genannt (z. B. Norris 1999a: 1–13; Westle 1989). Trotz unzähliger Versuche, die verschiedenen Bedeutungen seit den grundlegenden Arbeiten von Easton (1965; 1975) zu entwirren, gibt es jedoch keinen Konsens (z. B. Citrin/Muste 1999: 466). In empirischen Untersuchungen wird politische Zufriedenheit deshalb auch mit Hilfe unterschiedlichster Fragen gemessen (beispielsweise »Wie zufrieden sind Sie mit …?« oder »Wie vertrauenswürdig finden Sie …?«; z. B. Norris 1999; Reef/Knoke 1999). Trotz dieser Unklarheiten gilt, wie beschrieben, die politische Unzufriedenheit als zentrale Dimension bei der Analyse politischer Kritik. Kritikbereitschaft und Unzufriedenheit stellen somit die beiden Dimensionen meiner Kritik-Studie dar. Ich vermute, dass diese beiden KritikDimensionen nicht korrelieren. Eine Person kann Kritikbereitschaft als staatsbürgerliche Tugend betrachten, aber aktuell mit allen politischen Objekten zufrieden sein. Sie ist demnach eine zufriedene Bürgerin – die allerdings die Überzeugung vertritt, dass ein guter Bürger und eine gute Bürgerin die Pflicht zur Beobachtung der Politik hat. Eine Umwandlung der Kritikpflicht in Unzufriedenheit vollzieht sich demnach nicht zwangsläufig. Und vice versa setzt die politische Unzufriedenheit keine Kritikbereitschaft voraus. Auch ein Bürger, der politische Beobachtung explizit nicht als staatsbürgerliche Pflicht betrachtet, kann mit der realen Situation unzufrieden sein, sich jedoch eine Demokratie mit gemeinwohlorientierten Eliten und Institutionen wünschen, in welcher eine beobachtende, kritikbereite Bürgerschaft unnötig ist. Seine Vorstellung eines guten Bürgers schließt die Pflicht zur politischen Beobachtung und Intervention nicht ein. Allerdings ist es wahrscheinlich, dass die beiden Kritik-Dimensionen in spezifischer Weise interagieren. Denn es ist bekannt, dass normative Überzeugungen, also beispielsweise die Befürwortung der Beobachtungspflicht, und die Bewertung der jeweiligen Situation, also beispielsweise politische Unzufriedenheit, addierende und interagierende Effekte haben.16 Zu den
—————— 16 Einerseits verweisen viele Studien auf Ausstrahlungseffekte normativer Orientierungen auf andere Orientierungen (z. B. Jacoby 2002: 177, 195; McCarty/Shrum 2000; Inglehart
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Autoren, die entsprechende Effekte zwischen normativen Überzeugungen und situativer Bewertung nachwiesen, gehören Sniderman, Tetlock und Elms (2001).17 Instruktiv ist ebenso ein Experiment von Darley und Batson (1973), bei dem der Zusammenhang zwischen normativer Hilfsbereitschaft und tatsächlich geleisteter Hilfe geprüft wurde.18 All diese Studien weisen darauf hin, dass normative Überzeugungen und situative Bewertungen interagieren. Wie interagieren also die normative Kritikbereitschaft und Zufriedenheit?
1.1.3 Kritik-Typologie und Hypothesen Die Interaktionseffekte zwischen Kritikbereitschaft und Unzufriedenheit können forschungspraktisch mit Hilfe einer Typenbildung aus der Kombination der beiden Dimensionen erfasst werden. Die sich dabei ergebenden vier Typen lassen sich in einer Vierfeldermatrix darstellen, nämlich der a) kritikbereit-zufriedene, b) kritikbereit-unzufriedene, c) nichtkritikbereit-zufriedene und d) nichtkritikbereit-unzufriedene Typus (vgl. Abbildung 2).19
—————— 1977). Wer beispielsweise Freiheit als zentralen Wert erachtet, lehnt die Erhöhung von Staatsausgaben eher ab als diejenigen Bürger, denen Gleichheit als wichtiger Wert erscheint (Feldman 1988). Andererseits konnte die empirische Umweltsoziologie nachweisen, dass zwischen normativer Disposition (z. B. »Jeder sollte etwas für die Umwelt tun«) und spezifischen Orientierungen kein oder bestenfalls ein geringer statistischer Zusammenhang besteht (z. B. de Haan/Kuckartz 1996: 107; ähnlich: Diekmann/Preisendörfer 1998). Denn neben normativen Überzeugungen spielen auch Situationsbewertungen eine zentrale Rolle. 17 In der Studie von Sniderman u.a. (2001) bewerteten Befragte das Handeln der Polizei zwar einerseits gemäß ihrer Grundüberzeugungen zu »Recht und Ordnung«, bezogen aber den spezifischen Kontext in ihre Entscheidungen ein. Wer also ein überzeugter Vertreter von »Recht und Ordnung« ist, aber eine Situation als ungefährlich einschätzt, bevorzugt ein ähnliches Polizeihandeln wie ein Bürger, der liberale Einstellungen vertritt, aber dieselbe Begebenheit als bedrohlich wahrnimmt. 18 Dabei wurden 40 Theologiestudenten beauftragt, eine Predigt zur Hilfsbereitschaft anhand der Parabel des guten Samariters auszuarbeiten. Die Bereitschaft zur tatsächlichen Hilfeleistung wurde überprüft, indem diese Studenten auf dem Weg zur Predigt einen auf dem Boden liegenden und über Schmerzen klagenden Mann »fanden«. Eine Kontrollgruppe von Studierenden erhielt die Aufgabe, von einem Raum in einen anderen zu gehen, jedoch war sie nicht mit der Ausarbeitung der Samariter-Predigt beauftragt worden. Auch diese Gruppe »fand« den leidenden Mann. Beide Gruppen unterschieden sich in ihrer Hilfsbereitschaft kaum, sofern sie extremem Zeitdruck ausgesetzt wurden. 19 Neben der Kritikbereitschaft und der Zufriedenheit wird bei der Typenbildung, soweit die Datenlage dies erlaubt, auch die Systempräferenz berücksichtigt.
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KRITISCHE BÜRGER
Abbildung 2: Kombinationsmöglichkeiten von Zufriedenheit und Kritikbereitschaft
Kritikbereitschaft
Ausgeprägt Schwach
Zufriedenheit Groß Klein kritikbereit-zufrieden kritikbereit-unzufrieden nichtkritikbereit-zufrieden nichtkritikbereit-unzufrieden
Die Typenbildung ist in den Sozialwissenschaften seit Jahrzehnten eine verbreitete Methode. Seit Max Weber und spätere Autoren wie Lijphart (1999) mit Typen gearbeitet haben, reißt die Debatte um die Vor- und Nachteile von Typenbildung jedoch nicht ab (z. B. Peters 1998: 97 ff.). Ein Vorteil der Typenbildung, wie sie hier durchgeführt wird, ist die übersichtliche, illustrative und intuitiv verständliche Darstellung sowie Berechnung von Zusammenhangsmustern unter Berücksichtigung von Interaktionseffekten zwischen zwei Dimensionen. Allerdings geht eine Typenbildung immer mit dem Verlust von differenzierten Informationen aufgrund der Reduktion des Datenmaterials einher. Denn zur Typenbildung müssen Phänomene dichotomisiert werden, welche nicht selten graduell sind.20 Diese Schwächen der Typenbildung werden generell und so auch hier in Kauf genommen, da die Vorteile, vor allem die Möglichkeiten der übersichtlichen Darstellung und Berechnung, überwiegen. Ich vermute, dass zwischen den verschiedenen Kritik-Typen Differenzen existieren und sich beispielsweise politische Einstellungen kritikbereitunzufriedener, kritikbereit-zufriedener oder nichtkritikbereit-unzufriedener Personen unterscheiden. Möglicherweise entpuppt sich der kritikbereitzufriedene Typus als besondere Ressource für Demokratien, während die Kritikbereit-Unzufriedenen eine besondere Gefahr darstellen? Vielleicht sind jene Einheiten besonders demokratisch, in welchen der kritikbereitzufriedene Typus dominiert und jene mit überwiegend nichtkritikbereitzufriedener Bevölkerung besonders undemokratisch? Dabei lassen sich an die Typologie je nach demokratietheoretischer Verortung verschiedene theoretische Erwartungen knüpfen. Je nachdem, ob Zufriedenheit oder Unzufriedenheit, Kritik- oder Folgebereitschaft in ihren jeweils unterschiedlichen Varianten als demokratieförderlich gewertet werden, ergeben sich unterschiedliche Annahmen. Aus einer Schumpeter’schen Perspektive dürfte der nichtkritikbereit-zufriedene Typus der ideale Typus für eine gut funktionierende Demokratie sein. Er akzeptiert die poli-
—————— 20 Variablen werden dichotomisiert, indem die einzelnen Ausprägungen ab einem gewissen Schwellenwert der einen oder anderen Kategorie zugeordnet werden, zum Beispiel den Kategorien »zufrieden« versus »unzufrieden«.
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tische Arbeitsteilung und stellt kaum Anforderungen an das politische System. Der nichtkritikbereit-unzufriedene Typus dürfte aus dieser Perspektive nicht eindeutig als positiv, aber auch nicht eindeutig als negativ zu bewerten sein. Denn trotz Unzufriedenheit wird er das politische System kaum belasten, sondern sich schlichtweg nicht darum kümmern. Aus seiner Unzufriedenheit sind also keine Überforderungen des Systems zu erwarten. Aus Sicht der partizipationsorientierten Demokratie ist der nichtkritikbereit-unzufriedene Typus die schlechteste Variante. Politische Unzufriedenheit, die in der Folgebereitschaft eine ideale Staatsbürgertugend sieht und ihre Forderungen nicht in das politische System einspeisen will, würde als besonders irritierender Typus erachtet. Auch der kritikbereit-unzufriedene Typus wird unterschiedlich bewertet: Aus einer eliteorientierten Perspektive à la Schumpeter ist dies die gefährlichste Variante. Unzufriedene Bürger, die Kritikbereitschaft als Bürgertugend betrachten, lähmen tendenziell mit ihren Anforderungen das politische System. Ihre Bereitschaft zur politischen Beobachtung – und eventuell auch zur Intervention – führe gepaart mit politischer Unzufriedenheit fast unweigerlich ins Chaos. Denn die politische Elite müsste sich unter diesen Bedingungen noch stärker anstrengen, »sich im Sattel zu halten«. Da die politische Elite um den »Gehorsam« der Untertanen sorgen müsse, wäre sie – Schumpeter spricht hier vor allem für den Regierungschef – wie ein »General, der vollauf damit beschäftigt ist, sich zu vergewissern, dass seine Armee seinen Befehlen gehorcht, dass er die Strategie sich selbst überlassen muss« (Schumpeter 1950: 456f.). Ein also keines keineswegs idealer Zustand, sondern ein gefährlicher. Aktuelle Autoren, beispielsweise Pippa Norris, dürften den kritikbereit-unzufriedenen Typus demgegenüber durchaus als Ressource für Demokratie betrachten. Dieser Typus bringt seinen Input ins politische System und versucht, an dessen Gestaltung mitzuwirken. Die politische Unzufriedenheit gilt wie beschrieben bei Norris und einer Reihe weiterer Autoren keineswegs als Nachteil, sondern könne sich als demokratiefördernd herausstellen. Denn die Unzufriedenheit könne zur Weiterentwicklung von Demokratie beitragen. Bei all den unterschiedlichen Bewertungen dürfte ein Typus aus verschiedenen Perspektiven als positiv und demokratieförderlich bewertet werden: der kritikbereit-zufriedene Typus. Er unterstützt die Politik, bringt nicht allzu viele unerfüllbare Wünsche ins System, ist aber gleichzeitig bereit, Politik zu beobachten. Er könnte als ideale »Demokratie-Feuerwehr« betrachtet werden, die im normalen Lauf der Dinge
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die Politik mehr oder weniger den Politikern überlässt, aber reagiert, wenn die Politik eine aus seiner Sicht falsche Richtung einschlägt. Folgende Hypothesen lassen sich zur Unzufriedenheit und zur Kritikpflicht sowie zur Typenbildung formulieren. Diese Hypothesen werden im Verlauf der Studie getestet: – Die Differenzierung von politischer Kritik in Kritikpflicht und Unzufriedenheit ermöglicht es, politische Kritik genauer als bisher zu erfassen und zu analysieren. – Kritikbereitschaft und politische Unzufriedenheit sind nicht aneinander gekoppelt und ebenso wenig Zufriedenheit und Ablehnung der Kritikpflicht. – Die Typenbildung, welche die Dimensionen Kritikpflicht und Zufriedenheit kombiniert, führt zu neuen Erkenntnissen, da interagierende Effekte erfasst werden können. – Je nach demokratietheoretischer Sichtweise kann der kritikbereit-zufriedene, der kritikbereit-unzufriedene oder der nichtkritikbereit-zufriedene Typus als demokratieförderlich betrachtet werden. Der nichtkritikbereit-unzufriedene Typus gilt demgegenüber kaum als Idealfall. Er stellt aufgrund seiner Folgebereitschaft zwar keine direkte Gefahr für ein politisches System dar, dürfte aber auch kaum zur Weiterentwicklung von Demokratie beitragen. Der kritikbereit-unzufriedene Typus gilt aus eliteorientierter Perspektive als besonders gefährlicher Typus, da er das politische System und die politische Elite mit seinen Ansprüchen überfordert. Der nichtkritikbereit-zufriedene Typus ist aus partizipationsorientierter Sichtweise eher als Gefahr denn als Ressource anzusehen, denn von ihm können keine demokratieförderlichen Impulse ausgehen. Der zufrieden-kritikbereite Typus ist besonders demokratieförderlich, da er das politische System nicht mit seinen Anforderungen überfordert, aber das politische Geschehen beobachtet.
1.2
Zum Forschungsstand
Studien zur politischen Zufriedenheit füllen die Regale sozialwissenschaftlicher Bibliotheken. Demgegenüber hat die Kritikbereitschaft bislang kaum wissenschaftliches Interesse erregt und blieb bis heute ein relativ unerforschtes Feld. Im Folgenden werden zunächst die wenigen Untersuchun-
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gen vorgestellt, in denen die normative Kritikbereitschaft im Mittelpunkt steht, und anschließend zentrale Publikationen, welche politische Kritik im Wesentlichen mit Unzufriedenheit gleichsetzen. Dabei werden auch die existierenden Typologien zur politischen Kritik berücksichtigt. Die meisten Studien beziehen sich dabei auf die nationale Ebene. Da jedoch aufgrund der Gemeindestudie die lokale Ebene eine wichtige Rolle spielt, wird auch der Forschungsstand zu dieser Ebene erörtert.
1.2.1 Kritikbereitschaft Die Studie von Westle (1997) gehört zu den wenigen Untersuchungen, die explizit das Konzept der Kritikbereitschaft aufgreifen und weiterentwickeln. Basierend auf Umfragedaten zu Ost- und Westdeutschen aus den Jahren 1992 und 1993 untersuchte sie die Verbreitung von Folge- und Kritikbereitschaft gegenüber den politischen Herrschaftsträgern, der politischen Ordnung und der Demokratieidee.21 In dieser Studie war die Kritikbereitschaft durchschnittlich höher ausgeprägt als die Folgebereitschaft. Jedoch unterschied sich das Ausmaß je nachdem, auf welches Objekt sich die Kritik bezog. Die Kritikbereitschaft an der Regierung und den Herrschaftsträgern war relativ verbreitet. Die meisten Bürger erachteten Skepsis gegenüber Politikern für (sehr) wichtig (42–58 Prozent); nur ein geringer Teil der Befragten befürwortete eine loyale Haltung. Demgegenüber wurde bezüglich der politischen Ordnung häufiger eine Mischung aus Kritik- und Folgebereitschaft befürwortet; nur ein Viertel der Bürger plädierte für eine reine Kritikbereitschaft gegenüber der politischen Ordnung. Westle fasste die Ergebnisse wie folgt zusammen:22
—————— 21 Ermittelt wurden die Kritik- und die Folgebereitschaft in Westles Studie mithilfe der folgenden Fragebatterie: »Auch in einer Demokratie hat der Bürger Verpflichtungen gegenüber seinem Land, den Mitbürgern und dem Staat. Sagen sie mir bitte anhand der Skala auf jeder Karte, inwieweit Sie das für eine wichtige Pflicht der Bürger halten: Sich mit Kritik an der Regierung grundsätzlich zurückhalten, den gewählten Politikern Vertrauen entgegenbringen, gegen Vorhaben der Regierung, die man für schlecht hält, öffentlich protestieren, gegenüber den Politikern beobachtend und misstrauisch sein, sich an ein bestehendes Gesetz halten, auch wenn man es für ungerecht hält, sich gegen ungerechte Gesetze öffentlich wehren, an der Demokratie im eigenen Land Kritik zulassen, die Demokratie gegen ihre Gegner verteidigen« (vgl. Westle 1997). 22 Die Beziehung zwischen Kritikbereitschaft und politischer Zufriedenheit ist dabei schwach: Folgebereite Personen sind mit der Realität der Demokratie und den Leistungen der Bundesregierung etwas zufriedener als die kritikbereiten Bürger (ebd.: 116).
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»Bei einer Kombination aller Haltungen ergeben sich damit nur ca. 5 Prozent Bürger, die sowohl bei den Herrschaftsträgern als auch bei der politischen Ordnung eine balancierte Kombination von Folge- und Kritikbereitschaft aufweisen, gegenüber etwa 15 Prozent, die eine umfassende parochiale Orientierung (alles unwichtig) zeigen. Etwa 35 Prozent bis 40 Prozent der Bürger kombinieren ihre primär skeptische Haltung gegenüber den Herrschaftsträgern mit einer balancierten Folgeund Kritikbereitschaft gegenüber der politischen Ordnung. Bei etwa 20 Prozent bis 25 Prozent dominiert auf beiden Objektebenen die primäre Konfliktbereitschaft. (Die restlichen 15–20 Prozent verteilen sich auf alle anderen möglichen Kombinationen.)« (ebd.: 115)
Weiterhin zeigte sich, dass Kritikbereitschaft gegenüber einem bestimmten Objekt nicht immer mit der Kritikbereitschaft gegenüber einem anderen Objekt einhergeht (110 f.). Zwar wiesen die gegenüber den Politikern kritikbereiten Befragten auch ein hohes Maß an Kritikbereitschaft gegenüber der politischen Ordnung auf, und die gegenüber den Herrschaftsträgern Loyalen waren überwiegend gegenüber der politischen Ordnung ebenso loyal, aber bei der Mehrzahl der Befragten lag eine Mischung aus folgeund kritikbereiten Haltungen vor. Soweit zu den Ergebnisse der Forschung zur Kritikbereitschaft. Zur politischen Unzufriedenheit liegt, wie bereits deutlich wurde, eine größere Anzahl an Studien vor.
1.2.2 Politische Unzufriedenheit Politische Unzufriedenheit ist keineswegs ein aktuelles Phänomen. Habermas (1973) und Offe (1972) sprachen bereits in den siebziger Jahren von Legitimationskrisen und -defiziten – wobei allerdings lange kontrovers diskutiert wurde, ob diese Krisen tatsächlich existierten. In der Bundesrepublik war im Jahr 1992 der Terminus Politikverdrossenheit, in der Regel assoziiert mit politischer Unzufriedenheit, zum »Wort des Jahres« gekürt worden.23 Die politische Unzufriedenheit beschränkt sich auch nicht nur auf die Bundesrepublik. Beispielsweise hatte im Jahr 1979 der damalige US-amerikanische Präsident Carter einen »fundamental threat to American
—————— 23 Die Politikverdrossenheit ist Gegenstand vieler politischer Debatten und wissenschaftlicher Studien. In der Politikwissenschaft wurde beispielsweise diskutiert, ob Verdrossenheit ein »demoskopisches (oder anderes) Konstrukt« sei und ob Verdrossenheits-Konzeptionen überhaupt einen heuristischen oder konzeptionellen Mehrwert und Erkenntniszuwachs bieten. Trotz einiger Versuche, Politik- und Politikerverdrossenheit zu »dekonstruieren«, ist die empirische Lage eindeutig (Norris 1999a: 10; vgl. zu Dekonstruktionsversuchen und deren Kritik z. B. Arzheimer 2002; Plasser/Ulram 1994):
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democracy« diagnostiziert, weil die Bürger wachsenden »disrespect« gegenüber der amerikanischen Regierung zeigen würden. Lipset und Schneider (1983) veröffentlichten in den achtziger Jahren ein Buch mit dem Titel »The Confidence Gap«, in welchem sie – bei einigen historischen Schwankungen – eine zunehmende Vertrauenskluft zwischen Bevölkerung und Regierung in den USA konstatierten. Dabei wurde die vermeintliche Zunahme politischer Unzufriedenheit jedoch zunächst kontrovers beurteilt. So stellten Klingemann und Fuchs (1995) Mitte der neunziger Jahre fest, das Verhältnis der Bevölkerung zum Staat habe sich nicht fundamental verändert,24 während Dalton (1999) oder auch Norris (1999a) eine deutliche Distanzierung der Bevölkerung vom politischen System sowie einen politischen Vertrauensverlust ausmachten. Heute ist es kaum übersehbar, dass die weltweite Durchsetzung der Demokratie begleitet wird von einer gewissen Entzauberung angesichts der praktischen Erfahrungen mit demokratischen Systemen. Politische Unterstützung erodiert in vielen demokratischen Ländern der Welt, Bürgerinnen und Bürger äußern immer häufiger Unzufriedenheit über die Politik.25 Lange Zeit wurde die Unzufriedenheit mit Politikern als weder stabilitäts- noch systemgefährdend für eine Demokratie erachtet (Norris 1999a). Denn das Unbehagen mit den gewählten Repräsentanten würde – sobald es weit genug verbreitet sei – lediglich zu deren demokratischer Abwahl führen. Doch die Vorstellung, dass sich politische Unzufriedenheit auflöst, wenn andere Eliten in die Entscheidungspositionen gewählt werden, bewahrheitete sich nicht. Zur Herstellung politischer Zufriedenheit reicht es offensichtlich nicht mehr aus, wenn die Bevölkerung lediglich die Option hat, politische Eliten abzuwählen. Viele Bürger können nicht (mehr) erkennen, dass das politische Führungspersonal das Vertrauen der Bürgerschaft verdient. Politische Unzufriedenheit bezieht sich nicht mehr nur auf einzelne Politiker und deren Entscheidungen, sondern zunehmend auf das gesamte politische Personal – die sogenannte politische Klasse – und darüber hinaus auf die politischen Institutionen und Verfahren, auf die Beteiligungsmöglichkeiten und damit auf die politische Ordnung insgesamt.
—————— 24 »[T]he postulated fundamental change in the citizens’ relationship with the state largely did not occur.« (Klingemann/Fuchs 1995: 429). Vergleiche auch das Projekt »Beliefs in Government Research Program«, finanziert von der European Science Foundation (1989-1994), oder das Projekt »Visions of Governance for the Twenty-first Century« an der John F. Kennedy School of Government, Harvard University. 25 Z.B. Dalton 2004: 200 ff.; Offe 2003: 11; Dalton 2002; Norris 2002; van Deth 2001: 278; Putnam/Pharr/Dalton 2000.
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In einigen aus dem angelsächsischen Sprachraum stammenden Studien werden andere, der politischen Unzufriedenheit angrenzende Begriffe wie disaffection, disenchantment (z. B. Sniderman 1981) oder skepticism (z. B. Seligson/Carrion 2002) verwendet. Diese Begriffe dienen zur Charakterisierung derjenigen Befragten, die zwischen völliger Unzufriedenheit und rückhaltloser Zufriedenheit oder zwischen Vertrauen und Misstrauen angesiedelt sind. Beispielsweise verorten Mishler und Rose (1997) sowie Seligson und Carrion (2002) jene Bürger als skeptical, deren politische Unterstützung weder sehr ausgeprägt noch sehr gering ist. Sniderman (1981) differenzierte zwischen Bürgern, die 1) sehr zufrieden mit dem politischen Führungspersonal und der Regierung (supportive), 2) eher unzufriedenen (disenchanted), 3) gänzlich unzufriedenen und ohne politisches Vertrauen sind (disaffected) oder 4) eine Mischung aus Zufriedenheit und Unzufriedenheit zeigen (committed). Typologien zur politischen Unzufriedenheit In der Literatur finden sich verschiedene Systematisierungen und Typologisierungen von politischer (Un-)Zufriedenheit. Hofferbert und Klingemann (2000) differenzieren beispielsweise zwischen zufriedenen Demokraten, unzufriedenen Demokraten und Nichtdemokraten. Als zufriedene Demokraten bezeichnen sie jene, die Demokratie für die beste Regierungsform halten und mit der real existierenden Demokratie zufrieden sind. Die unzufriedenen Demokraten stimmen zwar mit der Demokratieidee überein und unterstützen demokratische Prinzipien, sind aber unzufrieden mit dem Funktionieren der Demokratie. Die Nichtdemokraten lehnen Demokratie nicht völlig ab, unterstützen sie aber nicht explizit. Unter ihnen gibt es sowohl unzufriedene wie auch zufriedene Personen (Hofferbert/Klingemann 2001). Hofferbert und Klingemann (2000) haben auf der Grundlage von Daten aus dem Jahr 1996 die Verbreitung dieser Typen im Ost-West-Vergleich untersucht. Demnach ist in der Bundesrepublik die Zustimmung zur Demokratie als bester Staats- und Regierungsform sehr hoch. Die überwiegende Mehrzahl der Bürger zieht ein demokratisches System jedem anderen vor. Bei der Zufriedenheit mit der real existierenden Demokratie ist die Situation jedoch anders. Vor allem die Bewohner der neuen Bundesländer sind unzufrieden – deutlich unzufriedener als jene aus den alten Bundesländern. In einer weiteren Typologisierung von Gabriel (2000a) wird neben dem Typus, welcher demokratische Prinzipien ablehnt und eine Diktatur be-
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fürwortet (»Antidemokraten«), der Typus der Nichtdemokraten eingeführt, welche die demokratische Ordnungsvorstellungen weder generell ablehnen noch explizit befürworten. Diejenigen Bürger, die neben ihrer instabilen Demokratieüberzeugung nicht mit dem Funktionieren der Demokratie einverstanden sind, nennt er entfremdete Nichtdemokraten; zufriedene Nichtdemokraten sind demgegenüber mit dem Funktionieren der Demokratie zufrieden. Als kritische Demokraten werden in dieser Typologie jene Personen bezeichnet, die von demokratischen Prinzipien überzeugt sind, jedoch das Funktionieren der bundesdeutschen Demokratie negativ bewerten. Zufriedene Demokraten stimmen demokratischen Prinzipien zu und sind mit der Demokratie zufrieden (Gabriel 2000b: 200; Gabriel 2000a: 71–77).26 Niedermayer (2001) differenziert objektspezifisch die Einstellungen zum Demokratieideal, zu den verfassungsmäßigen Grundlagen (»konkrete politische Ordnung«) und zum Funktionieren der Demokratie. Personen, die mit beidem zufrieden sind, bezeichnet er als zufriedene Demokraten. Politikkritische Demokraten sind demgegenüber Bürger, die zwar mit den verfassungsmäßigen Grundlagen zufrieden sind, aber das Funktionieren der Demokratie negativ bewerten. Systemkritische Demokraten sind mit der konkreten politischen Ordnung unzufrieden, jedoch vom Demokratieideal überzeugt. Antidemokraten schließlich lehnen demokratische Prinzipien explizit ab (Niedermayer 2001: 91). Speziell für die Untersuchung ost- und mitteleuropäischer Gesellschaften legten Plasser und andere (1997) eine weitere Typologie vor, welche in der Transformationsforschung zunächst einigen Anklang gefunden hat (z. B. Merkel 1999: 525 ff.). Ihre fünf Einstellungstypen definieren Plasser und andere (1997) folgendermaßen: Überzeugte Demokraten geben Demokratie und Mehrparteiensystem den Vorzug vor Diktaturen und Einparteiensystem. Resignierte Entfremdete stehen der politischen Regierungsform indifferent gegenüber, optieren aber für ein Mehrparteiensystem. Latent Auto-
—————— 26 Die Zustimmungen zu demokratischen Prinzipien wurde anhand eines Index aus der Frage gemessen, ob unter bestimmten Umständen eine Diktatur die bessere Staatsform sei, sowie aus der Einstellungen zur Meinungsfreiheit (»Jeder sollte das Recht haben, für seine Meinung einzutreten, auch wenn eine Mehrheit anderer Meinung ist«), zum Recht auf Opposition (»Eine lebensfähige Opposition ist ohne Demokratie nicht denkbar«) und zur alternierenden Parteienregierung (»Jede demokratische Partei soll grundsätzlich die Chance haben, an die Regierung zu kommen«). Die Zufriedenheit mit der Demokratie wurde anhand der Frage nach der Zufriedenheit mit der »Demokratie, so wie sie in Deutschland besteht«, ermittelt.
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ritäre sind gleichgültig gegenüber der Regierungsform und bevorzugen ebenfalls ein Einparteiensystem. Antidemokraten würden eine Diktatur der Demokratie unter bestimmten Umständen vorziehen. Kritische Demokraten bevorzugen eine demokratische Regierungsform, präferieren aber aufgrund ihres Wunsches nach politischer Einigkeit ein Einparteiensystem.27 All diese Typologisierungen weisen methodisch und konzeptionell große Gemeinsamkeiten auf: Sie basieren auf theoretischen Ansätzen zur Objektdifferenzierung von Easton (1965) und beziehen sich auf die Zufriedenheit mit der Funktionsfähigkeit der Demokratie sowie auf die Systempräferenz. Die Operationalisierungen sind zumeist schlicht gehalten: Die Berechnungen erfolgen überwiegend anhand eines einzelnen Indikators, komplexe Operationalisierungen mit zwei oder mehr Indikatoren sind selten. Aufgrund unterschiedlicher Datenbasen (z. B. Sample, Zeitpunkt), verschiedener Operationalisierungen sowie Begriffsdefinitionen kommen die Untersuchungen dabei zu differenten Ergebnissen.28 Allerdings ähneln sich die Ergebnisse strukturell, so sind in allen Untersuchungen die Ostdeutschen unzufriedener als die Westdeutschen. Die Kritikbereitschaft wird in keiner Typologie erwähnt. Politische Zufriedenheit auf lokaler Ebene Die politische Einstellungsforschung hat sich bislang überwiegend auf die nationale Ebene konzentriert. Die Forschung zu lokalen Einstellungen war in der Bundesrepublik bis in die neunziger Jahre weitgehend »Brachland«
—————— 27 Diese Typologisierung kann jedoch nicht überzeugen: Erstens ist zu vermuten, dass Personen in Transformationsgesellschaften, welche erst seit wenigen Jahren Erfahrungen mit der Demokratie haben, selten zutiefst von grundlegenden demokratischen Prinzipien überzeugt sind (z.B. Conradt 2002). Entsprechende Einstellungen sind häufig zumindest in der Anfangsphase des Demokratisierungsprozesses oberflächlich. Die Zahlen zu Demokratieeinstellungen in den neuen Bundesländern weisen in diese Richtung: Während direkt nach der Wende, also auf der Basis fehlender eigener Erfahrungen in einem demokratischen System, die Zustimmung zur Demokratie sehr hoch war, verschwand diese Zustimmung im Laufe der neunziger Jahre. Der zweite Kritikpunkt lautet, dass kritische Demokraten als Vertreter eines Einparteiensystems definiert werden. Offensichtlich setzen Plasser und seine Koautoren »kritisch« synonym mit labil und unbeständig. 28 Während Hofferbert und Klingemann unter den Westdeutschen Mitte der neunziger Jahre über 50 Prozent zufriedene Demokraten entdeckten, ermittelte Gabriel 1994 lediglich 38 Prozent. Und während der Anteil der unzufriedenen Nichtdemokraten bei Hofferbert und Klingemann in den neuen Bundesländern 14 Prozent betrug, verwies Gabriel auf über 30 Prozent.
DEFINITION UND VERBREITUNG
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(Ausnahme: Arzberger 1980). Gabriel und andere (1997: 9) charakterisierten die damalige Situation als »Tabula-Rasa […] Jedenfalls soweit man an tragfähigen Informationen interessiert ist«. Daten zu den Einstellungen der Bürger zu lokalen politischen Objekten fehlten weitgehend: »Eine auch nur annähernd vollständige Beschreibung der lokalen Politischen Kultur der Bundesrepublik ist in Anbetracht der außerordentlich lückenhaften Datenbestände nicht möglich.« (Gabriel 1994: 216). Seit dieser Diagnose sind zwar einige Studien durchgeführt worden (z. B. Cusack 2003), im Großen und Ganzen trifft Gabriels Befund aber bis heute zu. So lassen sich bisher nur »beispielhaft einige charakteristische Züge im Verhältnis der Bürger zur Kommunalpolitik« (Gabriel 1994: 216) darstellen. Die Politikwissenschaft und so auch die Einstellungsforschung vernachlässigte die lokale Ebene bisher jedoch zu Unrecht. Die wissenschaftliche Missachtung der lokalen politischen Kultur steht im krassen Gegensatz zu ihrer gesellschaftspolitischen Bedeutung: Erstens ist spätestens seit der civic culture-Studie von Almond und Verba (1963) bekannt, dass die lokale Ebene als »Schule der Demokratie« ein zentraler Ort der demokratischen Sozialisation ist (auch: Vetter 2002). Auf lokaler Ebene lernen die Bürger demokratische Werte, Normen und Verhaltensweisen sowie Entscheidungsprozesse kennen; dort wird die »Basis der demokratischen Kultur gestärkt« (ebd.: 606, 145).29 Neben dem Sozialisationsargument gewinnt zweitens im Zeitalter der Globalisierung das Legitimationsargument an Gewicht. Die zunehmende internationale Verflechtung hinterlässt bei den Bürgern immer stärker das Gefühl eines Legitimationsdefizits, mangelnder politischer Transparenz und fehlender Einflussmöglichkeiten. Häufig wird vermutet, dass die lokale Ebene politische Legitimation wieder herstellen kann. Und die auf lokaler Ebene hergestellte Legitimation könne schließlich auf das gesamte politische System übertragen werden, also Legitimationsprobleme absorbieren (z. B. Vetter 2002: 614, 616; Arzberger 1980: 165). Drittens kommt der lokalen Ebene eine zentrale Funktion bei der PolicyImplementation zu. Beispielsweise werden in der Bundesrepublik zwei Drittel aller öffentlichen Investitionen von den Kommunen getätigt, und die Gemeinden setzen ungefähr 80 Prozent der Bundes- und Ländergesetze um. Wissenschaftlich interessant ist die lokale Ebene aus einem vierten Grund:
—————— 29 Theoretisch wäre auch eine andere Kausalrichtung möglich: Politische Einstellungen könnten im multimedialen Zeitalter auf der Basis bundespolitischer Erfahrungen entwickelt und auf die lokalen Politikorientierungen transferiert werden. Diese These lässt sich aber bislang empirisch nicht bestätigen.
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KRITISCHE BÜRGER
Sie stellt ein Experimentierfeld bei der Ergänzung repräsentativer Demokratie mit direktdemokratischen, deliberativen und kooperativen Elementen dar. Dazu zählen zum Beispiel Bürgerbegehren, Bürgerentscheide, Möglichkeiten des Kumulierens und Panaschierens bei Kommunalwahlen, die Direktwahl des Bürgermeisters, der Verzicht auf die 5-Prozent-Hürde bei Kommunalwahlen, die Lokale Agenda 21, Bürgerversammlungen oder Mediationen (Geissel 2009b; Bogumil 2001: 25).30 Die lokale politische Kultur ist somit von zentraler Bedeutung für das politische Leben. Doch was ist unter lokaler politischer Kultur zu verstehen? Der Terminus kann in zweifacher Weise verstanden werden. Zum einen kann lokale politische Kultur die Einstellungen der Bürger gegenüber den lokalen Institutionen, Prozessen und Eliten meinen. Zum anderen kann das Lokale als die in einer spezifischen Gemeinde vorherrschende politische Kultur interpretiert werden, also die spezifische Verbreitung politischer Einstellungen in einer Kommune. Analog zur »nationalen politischen Kultur« dient die Bezeichnung »lokale politische Kultur« somit zur Abgrenzung der in einer Gemeinde charakteristischen Orientierungen von jenen in einer anderen Gemeinde. Bei der Auswertung der Gemeindestudie spielen beide Aspekte eine Rolle. In den ausgewählten Städten und Kreisen werden politische Einstellungen der Bürger unterschiedlicher Kommunen in Bezug auf lokale politische Objekte ermittelt. Ebenso werden aber auch die lokalen Einstellungen innerhalb der einzelnen Kommunen erfasst und mit jenen aus den anderen Kommunen verglichen (Gabriel 1994: 210). Welche empirischen Informationen liegen nun zur politischen Kritik auf lokaler Ebene vor? Zur lokalen Kritikpflicht existieren keine Studien, jedoch zum Ausmaß der Zufriedenheit mit lokalen politischen Objekten. So ist für das Jahr 1995 bekannt, dass 66 Prozent der Westdeutschen und 52 Prozent der ostdeutschen Bevölkerung zufrieden mit der Demokratie in ihrer Gemeinde waren (Eurobarometer 1995). Insgesamt sind die Bewohner der alten Bundesländer im Durchschnitt lokal-politisch etwas zufriedener als Bürger aus den neuen Bundesländern. Detaillierten Aufschluss gibt eine Studie über 40 zufällig ausgewählte ost- und westdeutsche Kommunen, die Mitte der neunziger Jahre durchgeführt wurde (Cusack 1997; Cu-
—————— 30 Möglicherweise mündet das lokale Ausprobieren schließlich in Reformen auf Bundesebene. Beispielsweise plante die ehemalige rot-grüne Koalition »Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide auf Bundesebene einzuführen« (Koalitionsvertrag 20022006: 67). Eine Direktwahl des Bundespräsidenten, analog zur Direktwahl des Bürgermeisters, wurde in den Medien ebenfalls diskutiert.
DEFINITION UND VERBREITUNG
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sack/Wessels 1996). Im Durchschnitt lag die Zufriedenheit mit der lokalen Politik bei knapp 60 Prozent, wobei die Zufriedenheit in den Gemeinden zwischen 27 Prozent und 75 Prozent schwankte (Cusack 1997: 30 ff.). Während also in einigen Gemeinden lediglich ein Viertel der Bewohner zufrieden war, lag der Anteil in anderen Gemeinden bei drei Viertel. Ähnlich große Varianzen waren bei allen Fragen zu konstatieren, beispielsweise bei der Zufriedenheit mit den lokalen politischen Parteien. Das Vertrauen der Bürger in ihre lokalen Eliten erwies sich als erstaunlich niedrig. 31 Prozent der Ostdeutschen und 26 Prozent der Westdeutschen gaben an, dem lokalen Führungspersonal »sehr zu vertrauen«. Dabei erhält, so das Ergebnis weiterer Studien, der Bürgermeister beziehungsweise Landrat das höchste Vertrauen, gefolgt von den Bürgervertretungen in Gemeinde-, Kreis- und Stadträten; das Schlusslicht bilden die Parteien (z. B. Holtmann 2002: 414). Generell war die Spannweite der Aussagen sehr groß, so lag beispielsweise die Zufriedenheit mit den Bürgermeistern zwischen 30 Prozent und nahezu 80 Prozent (Cusack 2003: 144; Cusack/ Wessels 1996: 43 ff.).31 Insgesamt ist es also problematisch, Aussagen zur »durchschnittlichen« lokalen politischen Zufriedenheit zu machen. Die Differenzen zwischen den bundesrepublikanischen Kommunen sind so groß, dass Verallgemeinerungen und generelle Schlussfolgerungen Artefakte wären. Allerdings kann gesagt werden, dass in Deutschland die Zufriedenheit mit lokalen politischen Objekten im Durchschnitt etwas größer ist als mit politischen Objekten auf der Bundesebene. Exkurs: Demokratie-Präferenz und politische Zufriedenheit Auch zu den Beziehungen zwischen Demokratie-Präferenz und politischer Zufriedenheit liegen mehrere Studien vor. Einige von ihnen lassen einen positiven Zusammenhang zwischen demokratischer Regime-Präferenz und politischer Zufriedenheit vermuten: Je größer die politische Zufriedenheit ist, desto stärker werden demokratische Regime präferiert (Mishler/Rose 2002; Rohe 1994: 164). Andere Studien verweisen auf das Gegenteil: So
—————— 31 Neben diesen Studien mit hohen Fallzahlen gibt es einige Fallstudien zu einzelnen Gemeinden, deren Ergebnisse jedoch aufgrund unterschiedlicher Datengrundlagen, Forschungsdesigns, Fragestellungen und Methoden kaum miteinander verglichen werden können. Sie bestätigen, dass politische Einstellungen in den verschiedenen Kommunen enorme Varianzen aufweisen (z. B. Holtmann 2002: 415).
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KRITISCHE BÜRGER
lässt sich auf der Basis der Daten des Eurobarometers 1997 weder bei den zufriedenen noch den unzufriedenen Demokraten eine besondere demokratische Überzeugung feststellen (vgl. Westle 2003).32 Darüber hinaus konnte sogar nachgewiesen werden, dass politische Unzufriedenheit häufig mit einer starken Unterstützung demokratischer Grundprinzipien einhergeht; so korreliert im internationalen Vergleich politische Unzufriedenheit positiv mit der Unterstützung demokratischer Werte (Norris 1999a: 269). Einige Länder-Fallstudien weisen auf ähnliche Ergebnisse hin. Beispielsweise fragten Seligson und Carrion (2002) in Peru, ob unterstützende oder skeptische Bürger Garanten für die Konsolidierung der peruanischen Demokratie sind. Erstaunlicherweise hing die kritiklose Zufriedenheit mit dem derzeitigen peruanischen System signifikant mit der Bereitschaft zusammen, einen Militärputsch, die größte Bedrohung einer demokratischen Stabilisierung in Peru, zu unterstützen (ebd.: 72). Zufriedene Bürger befürworteten einen Militärputsch signifikant häufiger als skeptische Bürger.33 Dieses Ergebnis hatte auch Bestand, wenn soziodemographische Faktoren einbezogen wurden. Die Autoren schließen daraus: »We discover that political skepticism – neither extreme rejection nor extreme approval of the system – is associated with greater attitudinal resistance to military coups.« (Seligson/Carrion 2002: 75; ähnlich Sniderman 1981). Die divergierenden Ergebnisse zur Beziehung zwischen Regimepräferenz und Zufriedenheit lassen sich vermutlich mit den unterschiedlichen Fragestellungen erklären. Während in einigen Studien als Item für demokratische Überzeugung beziehungsweise Systempräferenz lediglich die Frage nach der idealen Staatsform ausgewertet wurde (z. B. »Demokratie ist die beste Staatsform von allen«), wurden in anderen Arbeiten die Befürwortung oder Ablehnung demokratischer Prinzipien detailliert erfragt. Offensichtlich korreliert einerseits politische Zufriedenheit mit einer allgemeinen Demokratiebefürwortung, andererseits korreliert aber politische Unzufriedenheit mit der Befürwortung zentraler demokratischer Prinzipien sowie Rechte.
—————— 32 Demokratiebefürwortung wurde anhand der Einstellung zur Diktatur gemessen, Demokratiezufriedenheit anhand der Frage nach der Zufriedenheit mit der Demokratie. 33 Skepticism ermittelten die Autoren anhand von Fragen zum Vertrauen in peruanische politische Institutionen, zur Einschätzung der dortigen Menschenrechtssituation, zum Stolz auf das peruanische politische System und zur generellen Unterstützung des Systems (66 f.).
39
DEFINITION UND VERBREITUNG
1.3
Empirische Analyse: Verbreitung und Verteilung
1.3.1 Kommunen Kritikbereitschaft Die Kritikbereitschaft der Befragten ist insgesamt auf einem hohen Niveau.34 In allen Städten und Kreisen der Gemeindestudie überwiegen die kritikbereiten Bevölkerungsgruppen. Die Bereitschaft zur Beobachtung von Politikern erreicht überraschend hohe Werte; die Interventionsbereitschaft wird etwas seltener als Bürgerpflicht verstanden (vgl. Tabelle 1). Ost-West-Unterschiede sind relativ gering (zwei beziehungsweise vier Prozentpunkte). Tabelle 1: Kritikbereitschaft (GEM) »Es ist eine Bürgerpflicht … … lokale Politiker zu beobachten.« … bei ungerechten Vorhaben d. Stadtrats/Kreistags zu intervenieren.« Beobachtungspflicht + Interventionspflicht N
Gesamt (in Prozent) 91 73 63 1.971
Datenbasis: Gemeindestudie: SFB 580, Teilprojekt A4: Lokale Eliten, Bevölkerungsbefragung.
Als kritikbereit werden im Folgenden jene Personen charakterisiert, die sowohl die Beobachtungspflicht als auch die Interventionspflicht befürworten. Die übrigen Befragten werden als nichtkritikbereit eingeordnet. Daraus ergibt sich ein Anteil von 63 Prozent kritikbereiten und 37 Prozent nicht-kritikbereiten Bürgern. Politische Zufriedenheit Das Ausmaß der politischen Unzufriedenheit wird in unterschiedlichen Studien mit verschiedenen Items erfasst.35 Weit verbreitet und etabliert ist
—————— 34 In der Gemeindestudie wurden in Anlehnung an die Studie Westles (1997) Einstellungen zur Beobachtungs- und Interventionspflicht erfasst (vgl. Anlage II). 35 Gefragt wird neben der Zufriedenheit (z. B. mit Politikern allgemein bzw. mit einzelnen Politikern oder mit Policys) auch nach der politischen Unterstützung oder dem Vertrauen, beispielsweise nach dem Institutionenvertrauen, wobei unterschiedliche Systematiken Verwendung finden. Gräf und Jagodzinski (1998) unterscheiden beispielsweise zwischen Verfassungsorganen (Bundesregierung, Bundestag, Bundesverfassungsgericht) und staatlichen Organen (z. B. Polizei, Kommunalverwaltung). Gabriel (2002) differen-
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KRITISCHE BÜRGER
die Frage »Wie zufrieden sind Sie damit, wie die Demokratie in Deutschland funktioniert?« oder »Wie zufrieden sind Sie mit der Demokratie in Ihrem Land?« (z. B. Falter/Gabriel/Rattinger 2000; Hofferbert/Klingemann 2000). Allerdings wird kritisiert, dass diese Frage den Gegenstand nur ungenau misst, da die Gedankenverknüpfungen der Befragten ebenso verborgen bleiben wie der jeweilige Kontext (z. B. Linde/Ekman 2003). Beispielsweise sind Wahlgewinner meistens politisch zufriedener mit dem Funktionieren der Demokratie als Wahlverlierer. Ein Sozialdemokrat wird unzufriedener sein, wenn eine konservative Regierung an der Macht ist, und vice versa (ebd.: 401). Die Frage nach dem Funktionieren der Demokratie wird außerdem als Indikator für unterschiedliche Dimensionen ausgewertet, nicht nur zur Messung von Zufriedenheit und von Unterstützung, sondern auch von Legitimität, von demokratischen Einstellungen (vgl. ebd.) oder von Entfremdung (Lockerbie 1993). Obwohl die Frage häufig angewandt wird, um die Demokratiezufriedenheit zu erfassen, gibt es somit auch Gegenargumente zur deren Validität. Aufgrund der Uneindeutigkeit der Frage wurden in der Gemeindestudie zur Erfassung der lokalen politischen Zufriedenheit multiple Indikatoren angewendet (vgl. zur Operationalisierung Anhang II; s. auch Almond/Verba 1963: 14). Die Zufriedenheit mit lokalen politischen Objekten ist insgesamt mäßig: 47 Prozent der Interviewten sind überzeugt, dass ihre Kommunen von den richtigen Personen geführt werden; 37 Prozent halten das Führungspersonal für nicht geeignet. Die Befragten aus den Kommunen Sachsen-Anhalts bewerten ihre lokalen Politiker etwas negativer als jene aus Nordrhein-Westfalen (ähnlich zur Bundesebene Niedermayer 2001: 67 ff.). Auffällig ist weiterhin, dass das lokale Führungspersonal in den beiden ländlichen Gegenden (Saalkreis und Oberbergischer Kreis) besser abschneiden als in den Mittel- und Großstädten. Die Politikerbewertung differiert somit auch hinsichtlich der Gemeindegröße. Mit der lokalen Politik sind durchschnittlich rund 50 Prozent der Befragten eher oder sehr zufrieden, wobei Halle bei dieser Frage mit einem Anteil von lediglich 30 Prozent deutlich abweicht. Der Stadtrat und der Kreistag werden insgesamt positiv bewertet36: 62 Prozent der Befragten vertrauen
—————— ziert zwischen regulativen Institutionen (Gerichte, Polizei) und parteienstaatlichen Institutionen (Parlament, Regierung, Parteien). 36 Während einige Autoren nachwiesen, dass die Bürger weitgehend zwischen den politischen Objekten, beispielsweise zwischen politischen Herrschaftsträgern und politischen Institutionen, differenzieren können (z. B. Klingemann 1999; Westle 1989), meldeten
DEFINITION UND VERBREITUNG
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diesen Institutionen, nur 29 Prozent vertrauen diesen Institutionen nicht, knapp 8 Prozent konnten diese Frage nicht beantworten (»weiß nicht«). Ost-West-Unterschiede sind beim Vertrauen in den Stadtrat beziehungsweise Kreistag relativ gering. Jene Befragten, die mindestens zwei Fragen positiv beantworteten (»richtige Personen in politischen Ämtern«, »vertraue Stadtrat/Kreistag«, »mit lokaler Politik […] zufrieden«) wurden als zufrieden kategorisiert (40 Prozent), die übrigen als unzufrieden (42 Prozent). Systempräferenz Die Mehrzahl der Befragten befürwortet ein demokratisches System, wobei einige Ost-West-Unterschiede existieren. Während die Befragten aus den neuen Bundesländern häufiger als die Westdeutschen die Entscheidungsvollmacht für eine Person in Krisenzeiten (Notstands-Diktatur) präferieren (Zustimmung LSA: 18 Prozent, NRW 8 Prozent; ähnlich Niedermayer 2001: 83), sind die Unterschiede hinsichtlich der Präferenz für ein Einparteiensystem gering (Zustimmung LSA: 10 Prozent, NRW: 9 Prozent).37 Fasst man die Befragten zusammen, die für ein Einparteiensystem, für eine Notstands-Diktatur oder für beides plädierten, so ergeben sich insgesamt 19 Prozent mit undemokratischer Systempräferenz. Dementsprechend kann 81 Prozent eine eindeutig demokratische Systempräferenz attestiert werden. Kritikpflicht und Zufriedenheit: Weitgehend independent Lassen sich nun in der Gemeindestudie die Thesen bestätigen, dass keine statistischen Beziehungen zwischen den Kritik-Dimensionen bestehen? Zwischen dem Ausmaß der Zufriedenheit und der Kritikbereitschaft be-
—————— andere Autoren Zweifel an einer solchen Differenzierungsfähigkeit an (z. B. Craig/ Niemi 1987; vgl. die Debatten um Miller 1974 und Citrin 1974). Gerade in neuen Demokratien sei die Fähigkeit, zwischen verschiedenen politischen Objekten unterscheiden zu können, noch schwach ausgeprägt (vgl. Norris 1999a). Viele Bürger seien dort kaum in der Lage, die unterschiedlichen Objekte unabhängig voneinander zu bewerten (z. B. Dalton 2004: 58 ff.; McAllister 1999: 189, 473 ff.; Westle 1992: 473, 478 ff). In etablierten Demokratien scheinen die Bürger etwas besser zwischen politischen Eliten und Institutionen unterscheiden zu können (Dalton 2004: 61; Klingemann 1999), aber auch deren Differenzierungsfähigkeit war keineswegs perfekt (Westle 1992: 478 ff.). 37 Dies ist insofern erstaunlich, als Studien aus den neunziger Jahren auf eine stärkere Ablehnung des Einparteien-Systems im Westen hinweisen (Niedermayer 2001: 86). Die Daten der Gemeindestudie aus dem Jahr 2003 lassen eine Angleichung der Einstellungen bei Ost- und Westdeutschen vermuten.
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KRITISCHE BÜRGER
steht wie vermutet kein signifikanter Zusammenhang. Es sind weder die Zufriedenen noch die Unzufriedenen, die in besonderem Maße kritikbereit wären. Offensichtlich kann aus dem Ausmaß der politischen Zufriedenheit nicht auf die Kritikbereitschaft geschlossen werden (vgl. Tabelle 2). Tabelle 2: Korrelationen zwischen den Kritik-Dimensionen GEM Kritikbereitschaft Zufriedenheit
Kritikbereitschaft 1.00 .03
Zufriedenheit 1.00
Signifikanzniveaus: * p < .01; ** p < .001. Datenbasis: Gemeindestudie: SFB 580, Teilprojekt A4: Lokale Eliten, Bevölkerungsbefragung.
Verteilung der Typen mit unterschiedlichen Orientierungen gegenüber politischer Kritik Auf der Basis der dichotomisierten Indices wurde die beschriebene Typologie empirisch umgesetzt und die Verteilungen berechnet. Unter den Typen mit demokratischer Systempräferenz taucht der kritikbereit-unzufriedene Typus mit 30 Prozent am häufigsten auf, gefolgt vom kritikbereitzufriedenen Typus (27 Prozent). Die nichtkritikbereiten Typen sind mit 13 Prozent (zufrieden) beziehungsweise 12 Prozent (unzufrieden) weniger stark verbreitet (vgl. Tabelle 3). Tabelle 3: Verteilung der Kritik- Typen (GEM) Kritikbereit-zufrieden Kritikbereit-unzufrieden Nichtkritikbereit-zufrieden Nichtkritikbereit-unzufrieden Undemokratische Systempräferenz Gesamt
Gültige Prozent 27 30 13 12 19 100
N 445 495 215 206 318 1.679
Datenbasis: Gemeindestudie: SFB 580, Teilprojekt A4: Lokale Eliten, Bevölkerungsbefragung.
Exkurs: Kritik an politischen Objekten – eine Objekt-Typologie Die Zufriedenheit mit den verschiedenen politischen Objekten und die Kritikbereitschaft ihnen gegenüber unterscheiden sich erheblich (ähnlich Niedermayer 2001: 42; Westle 1997). Beispielsweise sind die Bürger mit dem Führungspersonal in der Regel unzufriedener als mit den politischen Institutionen. Somit könnte sich eine Kritik-Typologie entlang der politischen Objekte als aufschlussreich erweisen. Um eine entsprechende Ty-
DEFINITION UND VERBREITUNG
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pologie zu testen, wurden die Einstellungen zur demokratischen Idee, zu politischen Institutionen, zum politischen Führungspersonal und zu Policys analysiert.38 Eines der zentralen Ergebnisse der Berechnung lautet, dass Kritik sich selten auf ein Objekt bezieht (vgl. Tabelle 4). Neben den wenigen Bürgern, deren Unzufriedenheit beziehungsweise Kritikbereitschaft sich nur auf ein Objekt fokussiert, existiert eine Vielzahl an Mischtypen, bei welchen die Kritik auf zwei, drei oder vier politischen Objekten kumuliert. Dabei ergeben sich vielfältige Kombinationsmöglichkeiten, zum Beispiel der Typus mit demokratischer Systempräferenz, der Policys und Politiker kritisiert, aber nicht die existierende politische Ordnung, oder der Typus, der mit der existierenden politischen Ordnung und den Politikern zufrieden, mit den Policys aber unzufrieden ist. Diese Kategorisierung ähnelt einer russischen Puppe: Die letzte Kategorie – das heißt die »größte Puppe« – ist jene, die alle Kritikobjekte erfasst, bei der »kleinsten Puppe« bezieht sich die Kritik nur auf ein Objekt. Die auf diese Weise entwickelten Typen verteilen sich wie folgt innerhalb des befragten Samples (vgl. Tabelle 4). Am häufigsten ist mit 18 Prozent der Typus des demokratischen Gesamt-Kritikers vertreten, also jene Personen mit demokratischer Systempräferenz, die Politiker, Policys und die politischen Institutionen kritisieren. Der Typus des demokratischen Politiker- und Institutionenkritikers (13 Prozent) sowie des »reinen« Institutionenkritikers (10 Prozent) erreichen ebenfalls relativ hohe Prozentwerte. Einige Typen kommen ausgesprochen selten vor: Der Typus mit undemokratischen Regimevorlieben, der an allen anderen politischen Objekten keine Kritik übt, ist mit 3 Prozent vernachlässigbar. Ähnliches gilt für jene Personen mit undemokratischer Regimevorliebe und Kritik am politischen Führungspersonal, die aber mit allen anderen politischen Objekten zufrieden sind. Schließlich sind noch die Bürger zu nennen, die lediglich an Policys Kritik üben, deren Anteil jedoch ausgesprochen gering ist. Vielmehr ist die Policy-Kritik in der Regel an andere Kritikobjekte gekoppelt. Der Typus des reinen Policyund Ordnungskritikers tritt ebenfalls nur vereinzelt auf. Offensichtlich geschieht es selten, dass Policys und die politische Ordnung kritisiert werden, ohne dass auch die Politiker ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Diese Typologie, die sich auf politische Objekte bezieht, ist umfangreich, differenziert und präzise. Sie bietet den Vorteil, politische Kritik ge-
—————— 38 Vgl. zur Operationalisierung und Indexbildung Anhang II.
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KRITISCHE BÜRGER
genüber unterschiedlichen Objekten analysieren und vergleichen zu können. Der Nachteil dieser Typologie ist allerdings, dass sie un-übersichtlich und für die weiteren Berechnungen aufgrund ihrer Überkomplexität kaum handhabbar ist. So ließen sich beispielsweise kaum in anschaulicher und lesbarer Weise die Orientierungsprofile der 16 Typen darstellen. Last but not least ermöglicht es diese Typologisierung nicht, zwischen Zufriedenheit und Kritikbereitschaft zu unterscheiden. Doch gerade die Entstehung und die Wirkungen der beiden Kritik-Dimensionen sollten in dieser Untersuchung ermittelt werden. So wurde im Folgenden auf die weitere Berechnung der Objekt-Typologie verzichtet. Tabelle 4: Kritik-Typologie nach politischen Objekten (GEM) Nicht-Kritik Undemokratische Systempräferenz Institutionenkritik Institutionenkritik + undemokratische Systempräferenz Politikerkritik Politikerkritik + undemokratische Systempräferenz Politiker- + Institutionenkritik Politiker- + Institutionenkritik + undemokratische Systempräferenz Policy-Kritik Policy-Kritik + undemokratische Systempräferenz Policy- + Institutionenkritik Policy- + Institutionenkritik + undemokratische Systempräferenz Policy- + Politikerkritik Policy- + Politikerkritik + undemokratische Systempräferenz Policy- + Politikerkritik + Institutionenkritik Policy- + Politikerkritik + Institutionenkritik + undemokrat. Systempräferenz Gesamt
Häufigkeit 154 60 210 76 123 68 253
Prozent 8 3 10 4 6 3 13
78
4
48 32 73
2 2 4
39
2
160 98 363
8 5 18
188
9
2.023
100
Datenbasis: Gemeindestudie: SFB 580, Teilprojekt A4: Lokale Eliten, Bevölkerungsbefragung.
1.3.2 Bundesländer Um festzustellen, ob sich die Ergebnisse der Gemeindestudie zur Verbreitung der Kritikbereitschaft, der Zufriedenheit sowie der vorgestellten Kritik-Typen für die Bundesrepublik bestätigen lassen, werden im Folgenden Daten des ISSP-Surveys zur Bundesrepublik analysiert. Allerdings liegen nicht zu allen in der Gemeindestudie untersuchten Variablen Daten vor. So
DEFINITION UND VERBREITUNG
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wurde in der ISSP-Befragung die Systempräferenz nicht erfragt und lediglich die Einstellung zur Beobachtungspflicht, nicht jedoch zur Interventionspflicht erhoben. Das heißt das Konzept der Kritikbereitschaft konnte nur in verschlankter Form angewandt werden und es kann lediglich von Beobachtungsbereitschaft gesprochen werden. Beobachtungsbereitschaft Ähnlich wie in der Gemeindestudie vertritt auch die Mehrheit der im Rahmen des ISSP-Surveys Befragten die Ansicht, dass politische Beobachtung eine Bürgerpflicht ist. Immerhin 51 Prozent der Befragten halten sie sogar für zentral (Werte von 6 bis 7 auf einer Antwortskala von 0 bis 7) und lediglich 13 Prozent für irrelevant (Werte von 0 bis 3). Die Befragten aus den alten Bundesländern erachten die Beobachtungspflicht für etwas bedeutsamer als die Befragten aus den neuen Bundesländern (Mittelwert in den neuen Bundesländern: 5,03; in den alten Bundesländern: 5,35; Durchschnitt: 5,24).39 Zufriedenheit Circa die Hälfte der Befragten (52 Prozent) ist relativ zufrieden mit dem Funktionieren der Demokratie in der Bundesrepublik (Werte 6 bis 10 auf einer Antwortskala von 0 bis 10), die andere Hälfte (48 Prozent) ist eher unzufrieden (Werte 5 bis 0). Damit ähnelt die Verteilung der Zufriedenen auf der Bundesebene in etwa dem Ergebnis zur kommunalen Ebene. Zwar überwiegen in der Bundesländer-Befragung knapp die Zufriedenen und in der Gemeindestudie ebenso knapp die Unzufriedenen, die Differenzen sind jedoch relativ gering. Wie in der Gemeindestudie erweisen sich auch hier die Bewohner der neuen Bundesländer als unzufriedener als jene in den alten Bundesländern (Mittelwert neue Bundesländer: 4,85; alte Bundesländer: 5,99; Durchschnitt: 5,59).
—————— 39 Demgegenüber befürworten in der Gemeindestudie die ost- und westdeutschen Befragten die Beobachtungspflicht in nahezu identischem Umfang. Möglicherweise lässt sich dies durch unterschiedliche Antwortvorgaben – dichotom versus skaliert – begründen: Die Bewohner der neuen Bundesländer halten die Beobachtungspflicht bei der Option einer skalierten Antwort zwar für etwas weniger wichtig, vor die Alternative zwischen »ist eine Bürgerpflicht«/»ist keine Bürgerpflicht« gestellt, sind sie aber doch wie die Westdeutschen von deren Bedeutung überzeugt.
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KRITISCHE BÜRGER
Die statistische Beziehung zwischen der Beobachtungspflicht und der Zufriedenheit ist minimal. Dies bestätigt die Annahme, dass vom Ausmaß der Zufriedenheit kaum auf die Einstellung zur Bobachtungspflicht geschlossen werden kann, sondern dass beide Kritik-Dimensionen relativ unabhängig voneinander auftreten. Typen mit unterschiedlichen Orientierungen gegenüber politischer Kritik Wie sind nun die Typen in den Bundesländern repräsentiert? Wie zu erwarten ist der beobachtend-zufriedene Typus in den alten Bundesländern häufiger zu finden als in den neuen Bundesländern. Demgegenüber taucht der nichtbeobachtend-unzufriedene Typus in den neuen Bundesländern deutlich häufiger auf (vgl. Tabelle 5). Tabelle 5: Kritik-Typen (BRD) Beobachtend- Beobachtend- Nichtbeobacht.- Nichtbeobacht.zufrieden unzufrieden zufrieden unzufrieden BW 45 29 11 14 BY 44 25 16 14 BB 24 43 14 19 HE 44 33 11 12 MV 15 36 17 32 NI 49 22 19 10 NRW 49 26 14 11 RP 35 27 17 21 SN 34 34 10 22 LSA 16 43 10 31 SH 49 24 7 19 TH 33 40 5 22 Durchschnitt 39 31 13 17 Gesamt N (1.224) 482 378 154 210 Angaben in Zeilenprozent Datenbasis: ISSP-Survey 2004, Modul »Citizenship« (BRD).
1.3.3 Staaten Die Bevölkerung in etablierten, langjährigen Demokratien wie Kanada und Schweden befürwortet eine politische Beobachtungspflicht am deutlichsten, am schwächsten ist die Zustimmung in den jungen postsozialistischen Demokratien Tschechische Republik und Slowakei. Ähnliches gilt für die Demokratiezufriedenheit; sie ist in den etablierten Demokratien Neusee-
DEFINITION UND VERBREITUNG
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land, Kanada und Schweden am höchsten und besonders niedrig in den jungen Demokratien (vgl. Tabelle 6). Zwischen der Beobachtungspflicht und der Zufriedenheit besteht auch im internationalen Vergleich keine signifikante Beziehung. Tabelle 6: Beobachtungspflicht und Zufriedenheit (Staaten)
Kanada Neuseeland Portugal Schweden Slowakei Tschech. Republ.
Beobachtungspflicht (1 = unwichtig, 7 = sehr wichtig) 6,31 5,52 5,87 5,94 4,61 4,12
Zufriedenheit (0 = sehr unzufrieden, 10 = sehr zufrieden) 6,79 6,91 5,68 6,38 4,11 5,30
N 1.211 1.370 1.602 1.295 1.072 1.322
Angaben der Mittelwerte Datenbasis: ISSP-Survey 2004, Modul »Citizenship« (Kanada, Neuseeland, Portugal, Schweden, Slowakei, Tschechische Republik).
Auch in diesem Datensatz sollen die interagierenden Effekte zwischen Zufriedenheit und Beobachtungsbereitschaft geprüft werden, und es wurden wie bisher Typen gebildet. Aus diesen Berechnungen ergibt sich die in Tabelle 7 wiedergegebene Verteilung der Typen (vgl. zur Berechnung Anhang II). Tabelle 7: Verteilung der Kritik-Typen (Staaten) Beobachtend-zufrieden Beobachtend-unzufrieden Nichtbeobachtend-zufrieden Nichtbeobachtend-unzufrieden Gesamt
N 3.884 2.549 962 1.115 8.510
Gültige Prozent 46 30 11 13 100
Datenbasis: ISSP-Survey 2004, Modul »Citizenship« (Kanada, Neuseeland, Portugal, Schweden, Slowakei, Tschechische Republik).
48
1.4
KRITISCHE BÜRGER
Fazit: Kritikbereitschaft weit verbreitet und wenig erforscht
Ziel dieses Kapitels war es, zunächst ein Konzept von politischer Kritik zu entwickeln, ohne Kritik – wie es normalerweise in der Literatur geschieht – mit Unzufriedenheit gleichzusetzen. Zwar wurde das Ausmaß der Zufriedenheit berücksichtigt, aber als neue Dimension die Kritikbereitschaft eingeführt. Diese beinhaltet in erster Linie die Einstellung zur Bürgerpflicht, Politik/-er zu beobachten (Beobachtungspflicht) und darüber hinaus wurde soweit möglich die Pflicht, gegebenenfalls zu intervenieren (Interventionspflicht), einbezogen. Die Beobachtungspflicht ist in den befragten Gemeinden, in der Bundesrepublik sowie in den untersuchten Staaten weit verbreitet. Während also die Mehrzahl der Bürger Kritikbereitschaft befürworten, finden sich in der Literatur kaum theoretische oder empirische Studien zu diesem Thema. Der Mangel an Forschung spiegelt sich also nicht in der realen Situation wider – oder umgekehrt formuliert: Die Politikwissenschaft hat eine weit verbreitet politische Einstellung bisher zu Unrecht ignoriert. Die Hypothese, dass zwischen Kritikbereitschaft und dem Ausmaß an politischer Zufriedenheit keine Beziehung besteht, ließ sich bestätigen. In allen drei Datensätzen existieren keine bzw. nur schwache statistische Beziehungen. Es sind weder die zufriedenen noch die unzufriedenen Bürger, welche die Kritikbereitschaft als Bürgerpflicht erachten, und umgekehrt zeichnen sich die kritikbereiten Personen auch nicht durch besondere Zufriedenheit oder Unzufriedenheit aus. Vielmehr sind die Einstellungen zur Kritikpflicht unabhängig von der Zufriedenheit verteilt. Die Beobachtungsbereitschaft und das Ausmaß der Zufriedenheit existieren weitgehend unabhängig voneinander. Aus den beiden Dimensionen politische Zufriedenheit und Beobachtungs-/Kritikbereitschaft wurden in den drei Datensätzen Typen gebildet. Diese Kritik-Typen sind in allen Untersuchungseinheiten in ähnlichen Relationen verbreitet. Der beobachtend-zufriedene Typus und der beobachtend-unzufriedene Typus sind deutlich stärker vertreten als die nichtbeobachtenden Typen.
2. Wie lassen sich Kritikbereitschaft und Unzufriedenheit erklären?
2.1
Forschungsstand und Hypothesen
Von individualorientierten zu kombinierten individual- und kontextorientierten Ansätzen Die Einstellungsforschung versucht seit vielen Jahren, politische Orientierungen empirisch zu erklären. Dabei überwiegen Ansätze, die den Einfluss individueller Merkmale fokussieren (kritisch: Anderson/Guillory 1997). Entsprechende Ansätze führen beispielsweise politische Zufriedenheit auf soziodemographische Faktoren, auf Einstellungen zu politischen Institutionen (Gabriel 2000a: 57; 65 f.), auf Parteiaffinität (Kaina 2000: 153), auf die Rechts-Links-Selbsteinschätzung (z. B. Brunner/Walz 2000), auf die Wahrnehmung ökonomischer und demokratischer Performanz (Performanzthese) oder auf Sozialisationserfahrungen (Sozialisationsthese) zurück.40 Faktoren, die außerhalb des Individuums liegen, finden erst nach und nach Beachtung. Allerdings sind kontextorientierte Ansätze nicht unbekannt (z. B. Kaase 1986: 215 ff.). Beispielsweise werden in der Wahlforschung Wahlsysteme als Erklärungsfaktor berücksichtigt oder in der Partizipationsforschung die Beteiligung mit der ökonomischen Entwicklung eines Landes erklärt (z. B. van Deth/Elff 2004). Seit einigen Jahren finden kontextorientierte Ansätze auch in der bundesrepublikanischen Einstellungsforschung Verbreitung. So wird beispielsweise untersucht, ob sich politische Zufriedenheit auf lokale institutionelle Arrangements (Cusack 2003), auf das in einer Ge-
—————— 40 Nicht selten werden aus Korrelationen Schlüsse über Kausalbeziehungen gezogen. Beispielsweise wird die Demokratiezufriedenheit mit Einstellungen zu politischen Institutionen und Akteuren oder mit der Parteiaffinität erklärt (vgl. Gabriel 2000a: 57; 65 f.; Kaina 2000: 153), obwohl ebenso gut eine andere Kausalrichtung möglich wäre. Denn eventuell hängen die Einstellungen zu politischen Institutionen sowie die Parteiaffinität eher von der Demokratiezufriedenheit ab.
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meinde vorhandene Sozialkapital (Cusack 2003; Putnam 1993) oder auf die Professionalität sowie Responsivität des lokalen Führungspersonals zurückführen lassen (Geißel 2006a; 2004). Dabei zeigt sich, dass individuelle politische Orientierungen durch politische, soziale, institutionelle und ökonomische Kontexte teilweise erheblich beeinflusst werden.41 Im Folgenden werden individualorientierte Erklärungsansätze (soziodemographische Faktoren, Performanzthese, Sozialisationsthese) und kontextorientierte Ansätze vorgestellt sowie Thesen entwickelt, welche den Analyserahmen für die empirische Analyse bilden.
2.1.1 Individualorientierte Ansätze Soziodemographische Faktoren Das Verständnis und die Operationalisierung soziodemographischer Faktoren unterscheiden sich zwar je nach spezifischen Fragestellungen, nach angewandten Methoden und theoretischen Prämissen erheblich. Generell werden jedoch Faktoren wie Bildung, Geschlecht und Alter berücksichtigt, die über spezifische Ressourcenausstattungen und Sozialisationserfahrungen von Individuen informieren (z. B. Geißel 1999: 46 ff.). Im Einzelnen lassen sich folgende Zusammenhänge zwischen diesen soziodemographischen Faktoren und den hier interessierenden Kritik-Dimensionen Zufriedenheit und Kritikbereitschaft erkennen: Bildung erweist sich vor allem in etablierten Demokratien als zentraler, häufig sogar stärkster Erklärungsfaktor für politische Zufriedenheit. Hochgebildete sind in der Regel zufriedener mit vielen politischen Objekten als Bürger mit einer niedrigeren Bildung (z. B. für junge Erwachsene: Gaiser u.a. 2003: 233). Erstere haben beispielsweise oft ein größeres Vertrauen in
—————— 41 Z. B. Schmitt/Wessels 2005; Dalton 2004; Oberwittler 2003; Anderson/Guillory 1997; Miller/Listhaug 1990. Van Deth und Elff (2004: 504) konnten beispielsweise zeigen, dass eine Verbindung von Individual- und Kontextdaten das Ausmaß politischer Involviertheit am besten erklärt. Die ökonomische Situation eines Staates kombiniert mit soziodemographischen Faktoren wies die beste Erklärungskraft für das politische »Involvement« auf Aggregatebene auf (504). Explizit makrotheoretische Ansätze begründen politische Einstellungen mit gesamtgesellschaftlichen Veränderungen, wie beispielsweise Modernisierungsprozessen (z. B. Norris 2002; Inglehart 1977), »Strukturproblemen« (Offe 1972), »Nichtregierbarkeit« (Crozier/Huntington/Watanuki 1975) oder »Legitimationskrisen« (Habermas 1973). Empirische Nachweise sind aus forschungsökonomischen Gründen schwierig und deshalb eher selten zu finden (z. B. Gabriel 2000a: 53).
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das Parlament und die Justizorgane (Brunner/Walz 2000: 193 ff.; Gräf/ Jagodzinski 1998: 297). In den meisten neuen Demokratien ist der Zusammenhang zwischen Bildung und Zufriedenheit zu Beginn des Transformationsprozesses schwächer ausgeprägt. Erst im Verlauf der politischen Konsolidierung gewinnt die Bildung auch in jüngeren Demokratien eine ähnliche Bedeutung für die politische Zufriedenheit wie in etablierten Demokratien. Anfang der neunziger Jahre wiesen auch in den neuen Bundesländern junge Erwachsene mit ähnlicher Demokratiezufriedenheit kaum Bildungsunterschiede auf, während im Jahr 2003 junge ostdeutsche Bürger mit hohem Bildungsniveau deutlich zufriedener waren als jene mit niedrigem Bildungsniveau (Gaiser u.a. 2003). Das Bildungsniveau stellte sich ebenfalls als erklärungskräftigster Faktor für die demokratische Systempräferenz heraus – jedenfalls in etablierten Demokratien (z. B. Gaiser u.a. 2003; Lipset 1959). Zum Zusammenhang zwischen Bildung und Kritikbereitschaft existieren bislang nur wenige Studien. Dabei erweisen sich die Personen mit höherer Schulbildung als etwas kritikbereiter, wenngleich der Erklärungswert der Bildung vernachlässigbar ist (Walsh u.a. 2004: 483; Westle 1997). Das Geschlecht hat Auswirkungen auf einige politische Orientierungen wie beispielsweise die Partizipationsbereitschaft, aber Effekte auf die politische Zufriedenheit sind gering (Dalton 2004: 64; Gräf/Jagodzinski 1998: 297). Die Daten des World Values Survey lassen nur minimale Unterschiede beim Ausmaß der politischen Zufriedenheit zwischen Frauen und Männern erkennen (Westle/Schoen 2002). Eine weitere Studie über politische Zufriedenheit in 14 konsolidierten Demokratien zeigte ähnliche Ergebnisse.42 In sieben Ländern existierte kein geschlechtsspezifischer Unterschied, in fünf Ländern waren Frauen signifikant unzufriedener als Männer (z. B. Schweiz, Großbritannien, Polen), und in zwei Staaten (USA und Südkorea) waren Frauen zufriedener (Claibourn/Sapiro 2002). Bei der Systempräferenz, der Unterstützung der Demokratie oder der Ablehnung undemokratischer Regierungsformen sind kaum geschlechtsspezifische Unterschiede festzustellen (vgl. Westle 2003: 425). Über die Beziehung zwischen normativer Kritikbereitschaft und Geschlecht liegen keine Daten vor. Da die Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht, so das Ergebnis der
—————— 42 Gefragt wurde nach der Einschätzung der Fairness der Wahl (»elections are conducted fairly«), der Responsivität der politischen Parteien (»political parties care what ordinary people think«) und der Wahlbedeutung (»who people vote for can make a difference to what happens«).
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meisten Studien, mit geringem politischen Interesse, niedriger Partizipationsbereitschaft sowie mangelnder Informiertheit korreliert, kann eine schwächere Kritikbereitschaft als bei Männern vermutet werden. Ergebnisse zum statistischen Zusammenhang zwischen Zufriedenheit und Alter sind uneinheitlich – nicht zuletzt je nachdem, ob Alter als lineare Variable berechnet oder kategorisiert und welche Alterskohorten gebildet wurden (vgl. die Ergebnisse bei Dalton 2004; Conradt 2002: 68; Rölle 2000). In etablierten Demokratien scheinen ältere Bürger politisch etwas zufriedener zu sein und politischen Institutionen eher zu vertrauen als jüngere Kohorten.43 Auch in den alten Bundesländern zeichnet sich ab, dass ältere Personen geringfügig zufriedener sind als die mittleren und jüngeren Altersgruppen. In jungen Demokratien und so auch in den neuen Bundesländern ist die Situation allerdings undurchsichtiger und wechselhafter (Rölle 2000: 126; Gräf/Jagodzinski 1998: 297).44 Studien zum Zusammenhang zwischen Alter und Kritikbereitschaft liegen zwar nicht vor, aber gewisse Plausibilitätsannahmen anhand von Ergebnissen zum politischen Interesse sind dennoch möglich. Generell steigt das politische Interesse, so das Ergebnis der meisten Studien, nach der Adoleszenz an, ist also bei Erwachsenen in der Regel größer als bei Jugendlichen. Auch in der Bundesrepublik ist das Interesse der Jugendlichen an Politik im Vergleich zu den Erwachsenen relativ gering.45 Aufgrund
—————— 43 Allerdings kann aufgrund spärlicher Längsschnitt- und Panelstudien nur selten festgestellt werden, ob Lebenszyklus- oder Generationeneffekte vorliegen. Die meisten Datensätze sind Querschnittsdaten. Sie informieren per se lediglich über die Einstellungen von unterschiedlichen Altersgruppen, lassen aber keine Rückschlüsse darüber zu, ob sich die untersuchten Einstellungen im Verlauf des Lebens veränderten, was auf einen Lebenszykluseffekt hinweisen würde, oder ob sie stabil blieben, was eher als Generationeneffekt gewertet werden könnte (zur Diskussion um Generationen- oder Lebenszykluseffekt z. B. van Deth/Elff 2000: 10). Insbesondere in jungen Demokratien könnte ein weiterer Faktor eine gewisse Erklärungskraft besitzen, nämlich die Dauer der Sozialisationserfahrungen in einem zunächst undemokratischen und später demokratischen System. 44 Dabei scheint sich die vielfach geäußerte Hoffnung, Demokratiezufriedenheit werde sich bei den »nachwachsenden« Ostdeutschen mehr oder weniger automatisch einstellen und Ost-West-Differenzen langsam verschwinden, nicht zu bewahrheiten. Im Gegensatz zur deutschen Nachkriegszeit existiert in den neuen Bundesländern kein Automatismus in Richtung zunehmender Demokratiezufriedenheit bei den jüngeren Kohorten. 45 Vgl.http://www.shell.com/home/Framework?siteId=de-de&FC2=/de-de/html /iwgen /about_shell/Jugendstudie/2002/zzz_lhn.html&FC3=/de-de/html/iwgen/about_shell /Jugendstudie/2002/jugendstudie2002_politikinteresse.html, September 2005.
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dieser Tendenzen ist zu vermuten, dass die jungen Erwachsenen Kritik seltener als Bürgerpflicht erachten als die älteren Altersgruppen. Zu den Auswirkungen des Erwerbsstatus auf die Kritikbereitschaft und die Zufriedenheit sind systematische empirische Studien selten. Im Ländervergleich korreliert eine hohe Erwerbslosenquote negativ mit politischer Zufriedenheit (Anderson/Mendes 2005; Clarke u.a. 1993: 1015) und aktuelle Studien bestätigen diesen Zusammenhang auf der Individualebene: Erwerbslosigkeit führt zu Deprivationsempfinden und mündet schließlich in politische Unzufriedenheit (Bacher 2006).46 Wie wirkt sich der Erwerbsstatus auf die Kritikbereitschaft aus? Aus älteren Studien ist bekannt, dass die Erfahrung von Erwerbslosigkeit bei den Betroffenen häufig zu einer gewissen Lethargie und Passivität führt. Bahnbrechend war die Studie von Jahoda, Lazarsfeld und Zeisel (1975, Erstausgabe: 1933) aus den dreißiger Jahren über ein Dorf, dessen Einwohner innerhalb weniger Monate ihre Arbeitsstellen verloren. Diese Entwicklung verursachte keinen Protest, sondern brachte im Gegenteil überwiegend Resignation, Verzweiflung und Apathie der Individuen sowie eine resignierte Grundhaltung der Dorfgemeinschaft hervor (ebd.: 73, 80). Aus den Dorfbewohnern wurde eine »müde Gemeinschaft«, in der die »Zeitstruktur zusammenbrach«, ein Ort der »abgestumpften Gleichmäßigkeit«. Der Überfluss an Zeit führte zu Langsamkeit, während in Zeiten der Erwerbstätigkeit jede Stunde aktiv genutzt worden war (ebd.: 83 ff.). Auch das Interesse an Politik wurde geringer; selbst ein führender politischer Funktionär berichtete: »Früher habe ich die Arbeiterzeitung auswendig können, jetzt schau ich sie nur ein biß’l an und werf sie weg, trotzdem ich mehr Zeit habe.« (ebd.: 58) Zu den wenigen neueren Arbeiten gehört eine Untersuchung von Brinkmann und Wiedemann (1994), welche bestätigt, dass Erwerbslose ihre »freie Zeit« häufig als Problem wahrnehmen und Sozialkontakte weniger pflegen als Erwerbstätige. Generell sinkt bei den Erwerbslosen das Aktivitätsniveau. Plausibel wäre auf der Basis dieser Ergebnisse, dass die Kritikpflicht von Erwerbslosen eher abgelehnt wird. Für meine Untersuchung ergeben sich aus diesen Überlegungen folgende Hypothesen:
—————— 46 Das Deprivationsempfinden wurde anhand der Variablen »Bewertung der eigenen Wirtschaftslage« und »Bewertung des eigenen Lebensstandards als gerecht bzw. ungerecht« gemessen, die politische Zufriedenheit anhand des Ausmaßes der Zustimmung zu den Aussagen »Politiker versuchen, ihre Versprechen zu halten« und »Regierungsbeamte tun das Beste für unser Land«.
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– Das Bildungsniveau korreliert positiv mit der Kritikbereitschaft und der politischen Zufriedenheit, wobei der Zusammenhang in den alten Bundesländern stärker ist als in den neuen. – Frauen sind politisch unzufriedener als Männer und erachten Kritikbereitschaft seltener als Bürgerpflicht. – Bezüglich des Alters ist davon auszugehen, dass kein eindeutiger, einheitlicher statistischer Zusammenhang mit der politischen Zufriedenheit existiert. Die Kritikbereitschaft wird jedoch vom Alter beeinflusst und ist eher bei den älteren Altersgruppen zu finden. – Der Erwerbsstatus beeinflusst die politische Kritik ebenfalls schwach, wobei die Erwerbslosen eher zu den Unzufriedenen und den Nichtkritikbereiten gehören. Zur Sozialisations- und Performanzthese Spätestens seit Easton (1975: 445) sowie Almond und Verba (1963) wird davon ausgegangen, dass sich politische Unterstützung aus zwei Quellen speisen kann: Erstens, so die Sozialisationsthese, aus der Sozialisation – wobei vor allem die primären Sozialisationsagenten die Werte des politischen Systems vermitteln – und zweitens, so die Performanzthese, aus den Erfahrungen als Erwachsener mit den Leistungen eines politischen Systems. Dabei besagt die Sozialisationsthese, dass die durch Prägungen langfristig angelegte Disposition zur politischen Unterstützung auch bei sich ändernder politischer Performanz stabil bleibt. Die Sozialisationsthese erfuhr in der Forschung zur Transformation und Wiedervereinigung eine gewisse Renaissance. Denn es zeigte sich, dass die Haltung zum Sozialismus beziehungsweise die Bindung an die DDR mit der aktuellen politischen Zufriedenheit korrelieren. Je günstiger der Sozialismus sowie die Lebensverhältnisse und die gesellschaftlichen Werte während der DDR-Zeit im Vergleich zu heute bewertet werden, umso größer ist die Unzufriedenheit mit dem gegenwärtigen politischen System und dessen Institutionen (z. B. Gabriel 2000a; Gräf/Jagodzinski 1998: 304). Die Sozialisationsthese erweist sich somit als relativ erklärungskräftig bezüglich der Zufriedenheit in den neuen Bundesländern. Gemäß der Vertreter der Performanzthese schwankt die Zufriedenheit in Abhängigkeit von den jeweils aktuellen Systemleistungen – beziehungsweise der Wahrnehmung dieser Leistungen (z. B. Mishler/Rose 2002: 5; Fuchs/Rohrschneider 2001; Jacobs 2001; Evans/Whitefield 1995). Und
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auch die Performanzthese-Befürworter können bestätigende Daten aufweisen. So wird beispielsweise die politische Zufriedenheit mit dem Bundestag durch die Wahrnehmung der Systemleistung bestimmt (z. B. Gaiser u.a. 2004: 77; Gräf/Jagodzinski 1998: 309). Bürgerinnen und Bürger, welche die aktuellen politischen Leistungen der Politik positiv wahrnehmen, tendieren eher zu politischer Zufriedenheit. Bei den Bewohnern der neuen Bundesländer hängt die Zufriedenheit – ähnlich wie in den meisten jungen, postsozialistischen Demokratien – dabei noch stärker von den wahrgenommenen Leistungen ab als bei den Westdeutschen (Conradt 2002: 61; Jacobs 2001). Je länger eine Demokratie existiert, so eine empirisch mehrfach bestätigte These, desto unabhängiger wird die Demokratieunterstützung von der Performanz, während junge Demokratien von ihren Bürgern stärker nach ihrer Leistung bewertet werden (z. B. Putnam u.a. 2000: 24). In einigen Arbeiten wurde die Performanzthese ausdifferenziert und zwischen ökonomischen versus demokratisch-politischen Leistungen unterschieden (z. B. Evans/Whitefield 1995; Klingemann/Hofferbert 1998: 5). Zeigt also die ökonomische oder die demokratisch-politische Performanz größere Auswirkungen auf die politische Zufriedenheit? Oder anders formuliert: Hängt die politische Zufriedenheit eher von ökonomischen oder politischen Leistungen ab? Einschränkend ist dabei festzuhalten, dass in den entsprechenden Studien in der Regel nicht die tatsächlichen Leistungen berücksichtigt werden, sondern lediglich die Wahrnehmung dieser Leistungen. Die bisherigen Ergebnisse sind uneinheitlich. Während einige Studien feststellen, dass die wahrgenommene politische Performanz entscheidender ist als die wirtschaftliche, weisen andere Arbeiten ähnliche Auswirkungen politischer und ökonomischer Regimeleistungen auf die politische Zufriedenheit nach. In ihrer Untersuchung von 18 postsozialistischen Ländern konstatierten beispielsweise Klingemann und Hofferbert (1998), dass Bürger die Leistungen demokratischer Systeme zwar sowohl hinsichtlich der wahrgenommenen demokratischen wie ökonomischen Ergebnisse bewerteten, die demokratische Performanz aber entscheidender für die Demokratiezufriedenheit war. In Übergangsperioden von einem postkommunistischen zu einem demokratischen Regime waren den Bürgern bei der Demokratiebewertung demokratische Leistungen, beispielsweise der Zustand der Menschenrechte, wichtiger als die wirtschaftliche Leistung. Die Demokratie wurde positiver beurteilt, wenn die Bürger den Eindruck hatten, dass demokratische Rechte gewährt wurden. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen Fuchs und Rohrschneider (2001): Es sei »empi-
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risch nicht gerechtfertigt und zudem theoretisch wenig plausibel, dass es ausschließlich die systemische Performanz ist, die die Unterstützung und Stabilität des demokratischen Regimes determiniert« (ebd.: 276). Während bis in die neunziger Jahre die Sozialisations- und die Performanzthese als konträre Erklärungsmodelle betrachtet wurden, hat sich dies heute geändert (z. B. Jacobs 2001). Denn das Ausmaß der Zufriedenheit mit den ökonomischen sowie politisch-demokratischen Leistungen eines politischen Regimes (Performanzthese) kann nur vor dem Hintergrund der durch Sozialisation internalisierten Demokratievorstellungen verstanden werden (Sozialisationsthese). Demokratievorstellungen als Ergebnisse von Sozialisationserfahrungen bilden den Referenzrahmen für die Bewertung der aktuellen Leistungen eines Regimes (z. B. Linde/Ekman 2003: 401; Mishler/Rose 2001: 37; Sniderman u.a. 2001). Wer beispielsweise Verteilungsgerechtigkeit oder Fürsorgepflichten als Aufgaben eines demokratischen Systems betrachtet, wird Verteilungsungerechtigkeit oder das Fehlen sozialstaatlicher Leistungen als mangelnde Performanz wahrnehmen. Dies lässt sich nach wie vor im Vergleich der neuen und alten Bundesländer zeigen: Die Maßstäbe, an denen die ostdeutsche Bevölkerung ihre Performanz-Bewertung orientiert, basieren nach wie vor auf Demokratievorstellungen, in denen Gerechtigkeit und Gleichheit eine große Rolle spielen (z. B. Westle 1994). Die Unzufriedenheit vieler Bürgerinnen und Bürger aus den neuen Bundesländern mit den Leistungen des bundesrepublikanischen Systems ist somit (auch) ein Ergebnis ihrer politischen Sozialisation. So lässt sich abschließend die These formulieren, dass das Ausmaß der Zufriedenheit sowohl von der politischen Sozialisation als auch von der Wahrnehmung der ökonomischen und demokratischen Performanz abhängt. Hypothesen zur Erklärungskraft der Sozialisations- bzw. Performanzthese im Hinblick auf Kritikbereitschaft sind aufgrund fehlender Studien nicht möglich.
2.1.2 Kontextorientierte Ansätze Neben den individualorientierten Ansätzen könnte politische Kritik auch mit kontextorientierten Ansätzen erklärt werden. Doch welche Kontexte sind zu berücksichtigen? Lazarsfeld und Menzel (1961) haben bereits in den sechziger Jahren eine Differenzierung von Kontextvariablen vorgelegt, welche trotz einiger Kritik bis heute weitgehend akzeptiert blieb (z. B. Engel 1998). Sie unterschieden zum einen Kontextvariablen, die aus der Ver-
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teilung von Individualmerkmalen der Mitglieder einer Einheit errechnet werden können, also Populationsmerkmale. Beispielsweise sind dies die Gesamtheit der politischen Einstellungen der Bürger eines Landes (Almond/Verba 1963) oder auch das Sozialkapital (Putnam 1993). Zum anderen gibt es Merkmale einer Einheit, die nicht auf den Merkmalen der Mitglieder basieren, zum Beispiel. die ökonomische Situation oder institutionelle Arrangements (z. B. Schmitt/Wessels 2005). Bezogen auf politische Kritik lassen sich vier kontextorientierte Ansätze nennen. Zunächst erscheint es plausibel, dass sich die ökonomische Situation sowie die institutionellen politischen Arrangements auf politische Kritik auswirken. Weiterhin dürften sich auch die sogenannten Populationsmerkmale auswirken. Exemplarisch wird hier das Sozialkapital aufgegriffen, dessen überragende Bedeutung für das politische Geschehen vielfach nachgewiesen wurde (Putnam 1993). Last but not least dürfte die politische Elite eine zentrale Rolle spielen, denn die politischen Repräsentanten prägen das politische Geschehen. Deshalb werden die Merkmale von politischen Eliten als weitere Kontextfaktoren berücksichtigt. Mit Blick auf die zur Verfügung stehenden Daten stehen dabei die Professionalität, die Responsivität und die Korruptionsanfälligkeit der politischen Eliten im Mittelpunkt. Objektive ökonomische Situation Es ist in der Politikwissenschaft unumstritten und vielfach belegt, dass ökonomische Kontexte sich auf politische Einstellungen auswirken. Eine gesunde Ökonomie und eine gute ökonomische Performanz scheinen die conditio sine qua non für eine demokratische politische Kultur zu sein (zur Diskussion z. B. Clarke/Stewart 1995). International vergleichende Studien zeigen immer wieder, dass demokratiebezogene Einstellungen mit ökonomischen Kontextfaktoren wie dem Bruttoinlandsprodukt (BIP), der Inflationsrate oder der Erwerbslosenquote korrelieren (z. B. van Deth/Elff 2004: 478; Lipset 1994; Clarke u.a. 1993; Diamond 1992: 109, 116).47 Allerdings geben diese Studien Auskunft über Ländervergleiche. Sie lassen keine Rückschlüsse darüber zu, ob und wie sich die ökonomische Situation auf
—————— 47 Eine florierende Wirtschaft ist jedoch nicht in jedem Fall eine Grundbedingung für eine funktionierende Demokratie. Ebenso wenig sind alle reichen Staaten demokratisch, und das demokratische Niveau eines politischen Systems steigt nicht linear mit dem Wohlstandszuwachs.
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politische Einstellungen von Individuen auswirkt. Der Zusammenhang zwischen der objektiven wirtschaftlichen Situation (Makroebene) und den politischen Einstellungen der Individuen (Mikroebene) wurde bislang selten erforscht (Ausnahme: McAllister 1999: 18848). Die meisten Studien analysieren lediglich, wie bereits beschrieben, ob sich die individuelle Wahrnehmung der ökonomischen Situation auf politische Einstellungen auswirkt. Folgende Zusammenhänge lassen sich vermuten, wohl wissend, dass es sich um sogenannte ökologische Fehlschlüsse handeln könnte: – Je ungünstiger der ökonomische Kontext ist, desto größer ist die Verbreitung politischer Unzufriedenheit. – Kritikpflicht wird durch die ökonomische Lage nicht beeinflusst. Als Grundüberzeugung ist sie unabhängig von Kontext-Faktoren. Institutionelle Arrangements Die Literatur zur Zufriedenheit mit politischen Institutionen füllt beinahe Bibliotheken. Die Wirkungen unterschiedlicher institutioneller Arrangements auf die politische Zufriedenheit blieben jedoch lange Zeit wissenschaftlich unterbelichtet – obwohl einzelne Studien einen erheblichen Einfluss nachweisen konnten. Zum Beispiel sind die politischen Verlierer in konsensualen Demokratien politisch zufriedener als die Verlierer in majoritären Systemen (z. B. Anderson/Guillory 1997). Und Bürger sind zufriedener in politischen Systemen, welche die Gründung und Etablierung neuer Parteien zulassen (Miller/Listhaug 1990; s. auch Inglehart 1988: 1216 ff.). Die Anzahl entsprechender Studien blieb jedoch so marginal, dass Norris (1999b: 218) noch Ende der neunziger Jahre den institutionellen Kontext sogar als einen der »most plausible, yet neglected explanatory framework« zur Erklärung politischer Einstellungen beschrieb. Seit einigen Jahren zeichnen sich jedoch Veränderungen ab (z. B. Schmitt/Wessels 2005). Einschlägig ist eine aktuelle Untersuchung von Norris (1999b: 223 ff.), in der sie die Effekte verschiedener institutioneller Arrangements auf das Institutionenvertrauen analysierte (z. B. politische
—————— 48 Der Vergleich von Einstellungen (Daten des World Values Survey 1990–91) und Systemleistung in 20 Ländern zeigt erstaunlicherweise einen negativen Zusammenhang: Je höher das BIP, desto geringer das Institutionenvertrauen – bei Konstanthaltung aller anderen Variablen (McAllister 1999: 197). Dabei wurden folgende Faktoren berücksichtigt: Lebenserwartung, Humankapital/Bildungsniveau, Erwerbslosenquote, Bruttoinlandsprodukt, Verbreitung von Massenmedien, Dauer der Demokratie.
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Rechte, Wahl- und Parteiensystem, präsidentielles versus parlamentarisches System). Viele der untersuchten Institutionen zeigten in der multivariaten Analyse keinen nennenswerten Einfluss auf das politische Vertrauen, so zum Beispiel ein präsidentielles versus ein parlamentarisches System oder ein föderaler versus ein unitarischer Staatsaufbau. Ein institutionelles Arrangement erwies sich jedoch als signifikant erklärungskräftig, nämlich der Demokratisierungsgrad, welchen Norris aus den gewährten politischen und bürgerlichen Rechten errechnet hatte. Das Vertrauen der Bürger war größer in den Ländern, die ihren Bürgern umfassende politische Rechte und Freiheiten gewährten. Das Institutionenvertrauen hing sogar stärker von diesem Faktor als von soziodemographischen Faktoren ab. Das Verhältnis zwischen institutionellen Arrangements und politischen Einstellungen auf lokaler Ebene untersuchte Cusack (2003). Er überprüfte anhand von 40 zufällig ausgewählten Gemeinden aus verschiedenen Bundesländern, ob lokale politische Zufriedenheit49 von der Verteilung der Machtkompetenzen zwischen Bürgermeister, Rat und Verwaltung, welche von Bundesland zu Bundesland verschieden ist, abhing. Er bezog eine Vielzahl an kommunalen Kompetenzregelungen in seine Analyse ein, zum Beispiel das Vetorecht des Bürgermeisters, dessen Autonomie im Alltagsgeschäft oder sein Recht zum Agenda-Setting (Cusack 2003: 163–172; s. auch Anhang III, Tab. 38). Als weitere Variablen, die sich auf die lokale Zufriedenheit auswirken könnten, berücksichtigte er das lokale Sozialkapital,50 die Gemeindegröße, die Zugehörigkeit zu den neuen und alten Bundesländern und das Ausmaß der Konflikte in den befragten Gemeinden. In der multivariaten Analyse korrelierte die Zufriedenheit am deutlichsten mit der Kompetenz- und Machtkonzentration. Cusack folgert aus seinem Ergebnis, dass unter Konstanthaltung aller anderen Variablen die Bürger etwas zufriedener sind in den Gemeinden, in welchen die politische Macht auf wenige Veto-Spieler konzentriert ist (Cusack/Wessels 1996: 49). Im Gegensatz zum Ergebnis Cusacks weisen international vergleichende Studien auf ein anderes institutionelles Arrangement hin, welches sich auf die Zufriedenheit auswirkt: direktdemokratische Optionen. Wäh-
—————— 49 Die lokale Zufriedenheit wurde gemessen anhand der Zufriedenheit mit der lokalen Verwaltung, dem Stadtrat bzw. Kreistag, dem Bürgermeister sowie den lokalen Parteien (Summenindex). 50 Sozialkapital wurde ermittelt anhand des sozialen Vertrauens der lokalen Elite (»degree of trust to be found among the elites within each community«). Dabei ging Cusack (2003) von der Annahme aus, dass das soziale Vertrauen der lokalen Elite in etwa dem sozialen Vertrauen in der Bevölkerung entspricht (ebd.: 176).
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rend 88 Prozent der Schweizer, einem Land mit starken direktdemokratischen Anteilen, politisch zufrieden sind, liegt der europäische Durchschnitt bei 50 bis 60 Prozent (European Social Survey 2004; Lindner 1999; ähnlich für Kalifornien: Möckli 1994). Auch ein innerschweizer Vergleich kommt zu einem ähnlichen Ergebnis: Kantone mit ausgeprägten direktdemokratischen Optionen beherbergen glücklichere Bürger als Kantone, in welchen direktdemokratische Option eher restriktiv sind (Frey/Stutzer 2000). Insgesamt ist das Forschungsfeld zum Verhältnis zwischen institutionellen Arrangements und politischen Einstellungen zwar noch relativ jung und disparat, dennoch lassen sich aus diesen Ergebnissen verschiedene Hypothesen entwickeln: – Institutionelle Arrangements beeinflussen politische Orientierungen; entsprechende Analysen sind also lohnenswert. – Positiv auf die politische Zufriedenheit wirken sich folgende Arrangements aus: die Gewährung politischer Rechte, die Zentralisierung von lokalen Machtkompetenzen sowie umfassende Mitbestimmungsmöglichkeiten durch direktdemokratische Elemente. Auf die Kritikbereitschaft haben sie keine Effekte. Der Sozialkapital-Ansatz Soziales Kapital meint, vereinfacht und auf den kleinsten Nenner gebracht, das Eingebundensein in soziale Netzwerke, welche – je nach theoretischem Hintergrund – unterschiedlich definiert und gewertet werden. Die derzeit prominenteste Richtung ist mit dem Namen Putnam verknüpft. Unter dem Begriff des sozialen Kapitals fasst Putnam drei Elemente zusammen: soziales, also zwischenmenschliches Vertrauen, Reziprozitätsnormen, das heißt Normen der Gegenseitigkeit im Sinne von Geben und Nehmen, und Netzwerke bzw. Assoziationen zivilen Engagements (Putnam 1995: 664– 665; 1993: 167–168). Putnam untersuchte in seiner Studie »Making Democracy Work« die Gründe für die guten demokratischen, ökonomischen und administrativen Leistungen norditalienischer Städte im Vergleich zu den erfolglosen Kommunen Süditaliens. Ihn interessierte, welche Faktoren die Leistungsdifferenzen zwischen dem Norden und dem Süden erklären. Institutionelle Faktoren konnten keine Rolle spielen, da alle italienischen Kommunen nach dem gleichen formalen Regelwerk aufgebaut sind. Auch andere Aspekte wie beispielsweise das Bildungsniveau in einer Kommune, deren
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Größe oder die Bevölkerungsdichte erwiesen sich als irrelevant (Putnam 1993: 118 f.). Die entscheidende Determinante war ein bis dato wissenschaftlich weitgehend vernachlässigtes Phänomen, das soziale Kapital. In den erfolgreichen Kommunen im Norden florierten eine aktive Zivilgesellschaft51, horizontale Vernetzungen und soziales Vertrauen; in den Städten des Südens war das Gegenteil der Fall. Dort überwogen hierarchische, vertikale Beziehungen und wenig Vertrauen in die Mitmenschen. Je höher das Ausmaß an sozialem Kapital, so folgerte Putnam, desto effektiver funktionieren lokale Wirtschaft, Regierung sowie Verwaltung und desto erfolgreicher können soziale Probleme gelöst werden (vgl. auch Geißel u.a. 2004). Den freiwilligen Gruppen mit direkter Kommunikation, wie beispielsweise Kirchenchören oder Fußballclubs, maß er eine besondere Bedeutung für die Entwicklung von sozialem Kapital bei. Die Interaktionen in diesen Gruppen führen nach Putnam zur Bildung von Vertrauen sowie verbindlichen Reziprozitätsnormen und fördern somit die Bildung von sozialem Kapital. Bis Mitte der neunziger Jahre wurde häufig die These geäußert, soziales Vertrauen sei mit politischem Vertrauen gekoppelt. Diese Beziehung ist jedoch umstritten. Während einige Untersuchungen relativ selbstverständlich von einem Zusammenhang ausgingen (Almond/Verba 1963), verweisen andere Studien auf eine lose oder gar keine Beziehung zwischen sozialem und politischem Vertrauen (zur Debatte: Geißel u.a. 2004: 9). Mittlerweile zeichnet sich ab, dass im Staatenvergleich eine Beziehung zwischen sozialem und politischem Vertrauen existiert, jedoch nicht auf Individualebene. Wenig ist jedoch noch bekannt darüber, ob und wie sich das Populationsmerkmal Sozialkapital auf politische (Un-)Zufriedenheit und Kritikbereitschaft von Individuen auswirkt. Auf der Basis der bisherigen Erkenntnisse lassen sich jedoch mit einiger Plausibilität folgende Hypothesen formulieren: – In Anlehnung an Putnam kann davon ausgegangen werden, dass niedriges Sozialkapital mit ineffizienter Politik und Verwaltung einhergeht
—————— 51 »Zivilgesellschaft« wird definiert als der Bereich der Gesellschaft zwischen Staat, Markt und Privatsphäre; ihre Akteure sind selbstorganisierte Initiativen, Netzwerke und Vereine. Neben dieser bereichsbezogenen Definition gibt es jedoch auch eine interaktionsbezogene, die »zivile« Handlungslogiken und -weisen in den Mittelpunkt stellt, vor allem Selbstorganisation, Anerkennung des Anderen, Gewaltlosigkeit, Toleranz, Fairness und Bezugnahme auf allgemeine Anliegen (z. B. Kocka 2001). Nicht zuletzt aus forschungsökonomischen Gründen hat sich die bereichsbezogene Definition durchgesetzt.
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und zu politischer Unzufriedenheit führt. Da Kommunen mit hohem lokalem Sozialkapital besser funktionieren, dürften die Bürger dort zufriedener sein. – Ich vermute, dass sich das lokale Sozialkapital nicht auf die Kritikbereitschaft auswirkt. Professionalität der politischen Eliten Das Verhältnis zwischen politischen Eliten und Bürgern ist von zentraler Bedeutung in allen Demokratien und erscheint gerade in Phasen politischer Transformation auf der wissenschaftlichen und politischen Agenda. Dabei wird der Elite-Professionalität eine besondere Bedeutung zugeschrieben (z.B. Best/Edinger 2003; Borchert 2003; Higley u.a. 1998). Zur PolitikerProfessionalität liegen mittlerweile einige empirische Arbeiten vor, welche sich in drei Gruppen unterteilen lassen. Die erste Gruppe umfasst Arbeiten zur Professionalität auf der Makroebene, das heißt zu institutionell-rechtlichen Veränderungen. Untersucht wird beispielsweise, wie sich die Einführung von Entschädigungen für Reichstagsabgeordnete seit 1906 auf die Zusammensetzung des Reichstags auswirkt. Professionalität der Politik wird weiterhin häufig unter berufsstrukturellen Gesichtspunkten diskutiert. So lässt sich die Professionalität politischer Organe beispielsweise anhand ihrer personellen Zusammensetzung messen. Eine politische Institution mit einem hohen Anteil an Personen mit umfassenden politisch-administrativen Erfahrungen gilt demnach als professioneller als ein Organ, das aus »Neulingen« besteht. Im Gegensatz hierzu fokussiert ein anderer Zweig die Professionalität als Eigenschaft der individuellen Akteure. Im Mittelpunkt der entsprechenden Forschungsarbeiten stehen die Professionalitäts- sowie Karrieremuster von Politikern (z. B. Golsch 1998; Herzog 1975). Im Rahmen meiner Studie interessiert die individuelle und berufsstrukturelle Professionalität. Wie wirken sich Professionalisierungsprozesse und Professionalität des politischen Führungspersonals auf die politischen Einstellungen der Bevölkerung aus? Über mögliche Zusammenhänge ist bislang nur wenig bekannt. Dieser Mangel an Daten lässt sich nicht zuletzt mit der Kluft zwischen der empirischen Elite- und der Einstellungsforschung erklären. Elitestudien haben kaum die Sicht der Bevölkerung berücksichtigt, und die Einstellungsforschung analysiert nur selten empirisch den Einfluss von Elite-Merkmalen auf politische Einstellungen. Empirische Studien, die Eliteforschung und Einstellungsforschung verknüpfen, sind eher rar. Die
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Auswirkungen der Elite-Professionalität auf die Einstellungen der Bürger werden seit einigen Jahren überwiegend aus theoretischer Perspektive diskutiert (s. Borchert 2003), wobei sich zwei Thesen gegenüberstehen: Die erste These lautet, dass die Professionalität von Politikern und die Politikerzufriedenheit der Bürger in einem Spannungsverhältnis stehen: Je professioneller die Politiker, desto kritischer ist die Bevölkerung. Denn wichtige Elemente von Professionalisierung, beispielsweise soziale Schließungsprozesse, die Ausgrenzung von »Neuen« als potenzielle Konkurrenten, die Entstehung einer Kluft zwischen Professionellen und Laien oder die Ansammlung von Privilegien werden bei der Profession Politik mit Argwohn betrachtet (z. B. Best 2003: 18). Die Bevölkerung lehnt diese typischen Professionalisierungsmechanismen bei Politikern vehement ab (z. B. Borchert 2003: 40). Beschäftigt mit dem Erhalt von Macht und Privilegien, so wird beklagt, kümmere sich die politische Elite kaum mehr um die Interessen der Bürger.52 Einige Politikwissenschaftler verweisen in ähnlicher Weise auf die Verwandlung der Volksparteien in »Parteien der Berufspolitiker« (v. Beyme 2002) bzw. in Kartellparteien (Katz/Mair 1995). In diesen Kartellparteien bilden, so die Annahme, Berufspolitiker eine neue parteiübergreifende politische Klasse. Sie fungieren dabei nicht mehr als Repräsentanten der gesellschaftlichen Konflikte und als Delegierte unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen. Ebenso wenig erfüllen sie ihre Vermittlungsfunktion als Bindeglied zwischen Bürgern und dem Staat (ähnlich: Scheuch/Scheuch 1992). Die Professionalisierung des politischen Führungspersonals führt aus dieser Perspektive zur Unzufriedenheit der Bürger. Eine zweite diametral andere These vertreten repräsentationsorientierte Autoren. Schon Burke (1901) hatte die Weisheit des erfahrenen Politikers den unwissenden Massen, die nicht einmal ihre eigenen Interessen kennen, gegenübergestellt. Max Weber (1997, Erstausgabe: 1919) vertritt unmissverständlich die Ansicht, dass nur wenige Menschen über das notwendige Können und Wissen für das Amt eines Politikers verfügen. Beispielsweise müsse ein Politiker über Leidenschaft, Verantwortung und Augenmaß verfügen – ein Anspruch, den nur wenige Personen erfüllten. Ähnlich argumentiert Schumpeter (1950), ein Politiker benötige einen großen Kompetenzvorsprung. Er müsse das Wahlvolk für sich gewinnen und die »Psychotechnik der Parteileitung und der Parteireklame« (ebd.: 459) beherr-
—————— 52 So wendet sich die Bevölkerung tatsächlich zunehmend vom professionellen politischen Führungspersonal ab und neuen Parteien bzw. Wählergemeinschaften zu, die sich häufig explizit als jenseits des »parteipolitischen Establishments« inszenieren.
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schen. Schumpeter macht deutlich, dass er eine »Regierung durch Amateure« für nicht funktionsfähig hält. Die »menschliche Natur«, das »Wesen der politischen Klasse« sowie das »Wesen der Organisation« mache die Existenz einer professionellen Elite unentbehrlich. Die Masse, so auch Michels (1908) habe ein »großes Führungsbedürfnis« und sei »froh, wenn sich Männer finden, welche bereit sind, die Geschäfte für sie zu besorgen« (1908: 58). So seien Menschen erforderlich, welche »die immer größer werdende Unübersichtlichkeit des politisch-staatlichen Geschäftes mit seinen komplizierten Mechanismen« überblicken (ebd.: 59). Nur derart professionalisierte Personen könnten Politik gestalten und den Massen die notwendige Führung geben. Während die Masse das »politische Getriebe« nicht kenne, da sie mit den Sorgen um das tägliche Leben beschäftigt sei, würden sich die Führungspersonen »mit den Technicismen der Politik und der Gesetzgebung auf das engste befreunden. Je komplizierter das politische Metier, je unübersehbarer die Bestimmungen […], je mehr Routine dazu gehört, sich im öffentlichen Leben zurechtzufinden, desto mehr steigt der persönliche Unentbehrlichkeitswert« der (professionellen) Führungspersonen (ebd.: 92). Aktuell verweisen beispielsweise Schüttemeyer (1998) oder Patzelt (1998) auf die Bedeutung professioneller Politiker. Nur professionelle Politiker seien in der Lage, kenntnisreich und effizient zu arbeiten – und letztlich führe gute Politik dazu, dass politische Kritik abnehme oder gar nicht erst entstehe. Damit einhergehende Schließungsprozesse seien zu vernachlässigen, da sie in der Gesamtsicht der Funktionalität und Leistungsfähigkeit des Systems dienten. Aus dieser Perspektive ist zu vermuten, dass politische Professionalität der Eliten politische Unzufriedenheit der Bürger vermindert oder verhindert, da professionelle Politiker kenntnisreicher sind und effizienter arbeiten: Je professioneller die Eliten sind, desto seltener tauchen kritische Stimmen in der Bevölkerung auf. Aus diesen Überlegungen lassen sich unterschiedliche Hypothesen entwickeln: – Einerseits ist denkbar, dass Zufriedenheit mit niedriger Professionalität korreliert, da Rekrutierungs- und Selektionsprozesse offener verlaufen. – Andererseits ist es vorstellbar, dass hohe Professionalität der Eliten aufgrund deren Leistungsfähigkeit mit einem hohen Maß an Zufriedenheit einhergeht. – Die Kritikbereitschaft ist vermutlich als Grundüberzeugung unabhängig von Kontext-Einflüssen und somit auch von der Politiker-Professionalität.
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Responsivität der politischen Eliten External efficacy, das heißt wahrgenommene Responsivität, gilt schon lange als Erklärungsfaktor für Demokratiezufriedenheit.53 Empirisch ließ sich nachweisen, dass die Zufriedenheit mit der bundesrepublikanischen Demokratie signifikant mit der Responsivitäts-Wahrnehmung korreliert. Halten die Bürger die politische Responsivität für gering, so steigt ihre Unzufriedenheit. Die tatsächliche Politiker-Responsivität und deren Einfluss auf politische Einstellungen der Bevölkerung wurden bislang jedoch kaum erforscht. Ein Grund hierfür dürfte die schwierige Erfassung von Responsivität sein. Unter politischer Responsivität wird einerseits die weitgehende Übereinstimmung zwischen politischen Entscheidungen mit den Einstellungen der Bürger verstanden (Jones/Baumgartner 2004: 2),54 also im Idealfall ein »government […] whose actions were always in perfect correspondence with the preference of all citizens« (Lijphart 1984: 1; ähnlich: Brettschneider 1996: 109). Andererseits kann Responsivität auch die Entscheidungsorientierungen der politischen Eliten am Willen des Wählers (oder einer spezifischen Interessen- bzw. Wählergruppe) meinen. Dabei werden politische Eliten gefragt, ob sie ihre Entscheidungen an den Präferenzen der Bürger orientieren.55 Über die Responsivität bundesrepublikanischer Eliten besteht nun keineswegs Einigkeit. Bisherige Ergebnisse unterscheiden sich je nach Ob-
—————— 53 »Political efficacy« wurde in den fünfziger Jahren definiert als »the feeling, that individual action does have, or can have, an impact on political process« (Campbell u.a. 1954: 187). Dieses Konzept erwies sich als zweidimensional und wird in der neueren Literatur in die zwei Aspekte der internal und der external efficacy aufgeteilt (z. B. Vetter 1997). Internal efficacy meint das Gefühl, selbst kompetent genug zu sein, Einfluss auf das politische System ausüben zu können. Von diesem subjektiven Kompetenzgefühl zu unterscheiden ist das sogenannte externe Kompetenzgefühl (external efficacy), das die Wahrnehmung der Einflussmöglichkeiten eines Bürgers auf ein politisches System meint und auch als Responsivitäts-Wahrnehmung bezeichnet wird. 54 Verba und Nie (1972) machten bereits vor 30 Jahren darauf aufmerksam, dass Übereinstimmungen zwischen Bürgern und Eliten nicht per se ein Zeichen von Responsivität sind: Eventuell haben nicht die Politiker responsiv auf die Wählerschaft, sondern die Wähler responsiv auf das politischen Personal reagiert (vgl. ausführlich zur theoretischen Debatte um den Zusammenhang zwischen Responsivität, Repräsentation und Kongruenz z. B. Brettschneider 2002; Eulau/Karps 1978: 61). 55 Hierzu überwiegen Studien zur nationalen Ebene (für die BRD z. B. Brettschneider 1996; Weßels 1993; Farah 1980; für die USA: Miller/Stokes 1963) oder international vergleichende Arbeiten (z. B. Dalton 2002: 215-235; vgl. die Übersicht in Geißel 2006a). Selten wird die lokale Ebene untersucht (Cusack 2003: 84 ff., 143 ff.; Walter 2002, 2000; Arzberger 1980).
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jekten und Thema (z. B. verschiedene Politikfelder), nach Sample (z. B. der Bundestag, lokale Politiker), nach Untersuchungszeitraum sowie nach angewandten Untersuchungsmethoden. Während ein Vergleich zwischen Bundestagsentscheidungen und Repräsentativumfragen zwischen 1950 und 1990 einen relativ kontinuierlichen, substanziellen Zusammenhang zwischen parlamentarischem Handeln und Bevölkerungseinstellungen vermuten lässt (Brettschneider 1996), zeigen andere Studien, dass die Volksvertreter die Wählerinteressen nicht besonders gut repräsentieren (für die Bundesrepublik: Farah 1980; für die USA: Burstein 2003). Vergleiche der Ansichten von Bundestagsabgeordneten und Bürgern zu verschiedenen Policys verweisen darauf, dass sich das Ausmaß der Übereinstimmungen von Themenfeld zu Themenfeld unterscheidet (Weßels 1993).56 Welche Informationen zur Responsivität der Eliten gibt es für die lokale Ebene? Die wenigen Fallstudien geben höchst unterschiedliche Hinweise: In einer Großstadt stimmten die Einstellungen der Bürger und der Kommunalpolitiker bezüglich der Sportpolitik weitgehend, wenngleich nicht völlig überein (Walter 2000). Andere Studien verweisen auf erhebliche Unterschiede zwischen den Präferenzen der Bürger und der politischen Eliten (nach Klages 1993: 104). Kommunalpolitiker orientieren sich, so das Ergebnis einer weiteren Fallstudie, stärker an den vermuteten Präferenzen ihrer spezifischen Wählerschaft als an jenen der Gesamtbürgerschaft (Gabriel u.a. 1993).57 Untersuchungen zu Policy-Übereinstimmungen zwischen lokalen Eliten und Bevölkerung kommen zu ähnlich Ergebnissen (Cusack 2003: 113 ff.; Cusack/Weßels 1996: 11–14): Die Übereinstimmung zwischen den Präferenz der Bevölkerung und den Entscheidungen der Kommunalpolitiker ist häufig minimal. Selten wurde in Responsivitäts-Studien überprüft, ob es eine Beziehung zwischen Responsivität und Zufriedenheit gibt. Zu den wenigen einschlägigen Studien gehören jene von Brettschneider und Walter (1996) sowie von Geißel (2004). Brettschneider und Walter (1996) prüften, ob eine Einstellungskongruenz zwischen Bürgern und Politikern Effekte auf das lokale poli-
—————— 56 In verschiedenen Ländern erwies sich die Responsivität der Eliten als themenabhängig. Beispielsweise stimmten in den USA die Einstellungen der Bevölkerung und das Abstimmungsverhalten der politischen Eliten im Bereich Bürgerrechte stark überein, bei der wohlfahrtsstaatlichen Politik lediglich in moderatem Ausmaß und im Bereich Außenpolitik überhaupt nicht (Miller/Stokes 1963). 57 Und die Ortsgröße wirkt sich ebenfalls aus: In den Kleinstädten waren die Übereinstimmungen zwischen Bürgern und Eliten größer als in den mittelgroßen Städten und in der untersuchten Großstadt am niedrigsten (Arzberger 1980: 143).
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tische Vertrauen hat. Der Zusammenhang war in der von ihnen analysierten Einheit lediglich schwach. Ähnlich stellte Geißel (2004) in einer Fallstudie fest, dass sich die Responsivität der lokalen Politiker kaum auf die lokale Zufriedenheit auswirkte und andere Faktoren größere Erklärungskraft besaßen. Meine Hypothesen lauten somit: – Die Responsivität lokaler politischer Eliten hat schwache Auswirkungen auf die politische Zufriedenheit. Große Diskrepanzen zwischen den Wünschen der Bürger und den Eliteentscheidungen führen eher zu Unzufriedenheit. – Die Kritikbereitschaft wird durch die Responsivität der lokalen Politiker nicht beeinflusst. Eliten-Integrität versus Eliten-Korruption Mittlerweile wird kaum noch angezweifelt, dass Elite-Korruption demokratieschädlich und Elite-Integrität für gut funktionierende Demokratien essenziell ist (z. B. Shen/Williamson 2005).58 Korruption hat erwartungsgemäß, so eine aktuelle Studie zu jungen und etablierten Demokratien, negative Wirkungen auf die Bewertung des politischen Systems, das Politikervertrauen und die politische Zufriedenheit der Bevölkerung (Anderson/Tverdova 2003). Schätzen die Bürger die Eliten als korrupt ein, sind sie häufiger unzufrieden (Delhey 2002: 24). Folgende Hypothesen lassen sich formulieren: – Politische Zufriedenheit korreliert positiv mit Eliten-Integrität. – Kritikbereitschaft kann in Einheiten mit besonders integren Eliten einerseits besonders niedrig sein, da sie nicht als nötig erachtet wird. – Kritikbereitschaft kann andererseits in Einheiten mit besonders integren Eliten besonders hoch sein, da eine kritikbereite Bevölkerung die Eliten gerade zu besonderer Integrität veranlasst. Als Gesamthypothese vermute ich, dass die Kritikbereitschaft sowie die politische Zufriedenheit von soziodemographischen Faktoren abhängen, jedoch
—————— 58 Von Korruption des politischen Führungspersonals wird in der Regel gesprochen, wenn dieses gegen Normen und Regeln verstößt und dadurch das Gemeinwohlinteresse verletzt, illegale Methoden anwendet bzw. seine Macht missbraucht (Inglehart/Welzel 2005: 192 ff.; Kaufmann u.a. 2005). Korruption kann sich auf verschiedene Weisen äußern, zum Beispiel durch die Verwendung öffentlicher Ressourcen für private Zwecke oder die Bevorteilung nahe stehender Personen.
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nur die Zufriedenheit auch eine Reaktion auf objektive Kontextfaktoren ist. Die Kritikbereitschaft ist demgegenüber als stabile Grundüberzeugung relativ unabhängig von Kontextfaktoren.
2.2
Empirische Analyse
2.2.1 Kommunen Tabelle 8 zeigt im Überblick die bivariaten Zusammenhangswerte zwischen Zufriedenheit, Kritikbereitschaft sowie Systempräferenz und den zu untersuchenden Variablen in der Gemeindestudie. Diese Ergebnisse werden im Folgenden in den zentralen Aspekten beschrieben. Bei besonders interessanten Ergebnissen werden die Ergebnisse zu den Kritik-Typen dargestellt. Unterschiede zwischen den Befragten aus den alten und den neuen Bundesländern werden nur erwähnt, wenn sie auffällig sind (vgl. Tabelle 8). Individualorientierte Ansätze: Moderate Einflüsse Soziodemographische Faktoren Eine signifikante, positive Beziehung zwischen dem Bildungsniveau und der politischen Zufriedenheit besteht wie erwartet bei den Befragten aus Nordrhein-Westfalen, nicht jedoch bei den Befragten aus Sachsen-Anhalt. Auf die Kritikbereitschaft hat das Bildungsniveau weder in den neuen noch den alten Bundesländern nennenswerte Auswirkungen. Unerwartet ist das Bildungsniveau der einzelnen Typen. Das formale Bildungsniveau der Kritikbereit-Unzufriedenen ist das höchste unter den drei untersuchten Gruppen: 41 Prozent der Befragten dieses Typus verfügen über mindestens einen Fachhochschulabschluss (Kritikbereit-Zufriedene: 32 Prozent). Demgegenüber beträgt der entsprechende Anteil bei den nichtkritikbereiten Typen lediglich circa 30 Prozent (nichtkritikbereit-zufrieden: 30 Prozent; nichtkritikbereit-unzufrieden: 29 Prozent). Kritikbereite und dabei vor allem die Kritikbereit-Unzufriedenen stehen somit nicht am Rand der Gesellschaft, sondern gehören im Gegenteil gerade zu den gut gebildeten Bevölkerungsgruppen.59 Einen detaillierten Überblick bietet Tabelle 9.
—————— 59 Auffällig ist weiterhin, dass der Anteil der Beamten unter den Kritikbereit-Unzufriedenen unterdurchschnittlich, der Anteil der Selbstständigen jedoch überdurchschnittlich ist.
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Tabelle 8: Korrelationen zwischen Kritik-Dimensionen und Erklärungsfaktoren (GEM) Variablen Individualorientiert Soziodemographische Faktoren Performanzthese – ökonomisch (subj.)
– demokratisch (subj.) Sozialisationsthese Kontextorientiert Ökonomisch (objektiv) Institutionen
Sozialkapital Elite
Alter Geschlecht Bildung Erwerbsstatus – Einschätzung lokale wirtschaftl. Situation – Einschätzung persönl. wirtschaftl. Situation External Efficacy Empfinden als Ost- bzw. Westdeutsche/r Arbeitslosenquote Gemeinde BIP pro Kopf, Gemeinde Administrative Autonomie d. Bürgermeisters Polit. Macht d. Bürgermeisters Direktdemokratie Lokales Sozialkapital Elite-Responsivität (nach Selbstaussage) Elite-Professionalität
Lokale Kritikbereit.
Lokale Zufriedenh.
.10** .02 .06 .05
.07 .07** .11* .08*
.04
.23**
.06
.13**
.05
.26**
.06
.08*
.09** .11
.19** .23**
.07**
-.17**
.07**
- .17**
.07** .11**
.17** .23**
.11**
.23**
.07*
.12**
Signifikanzniveaus: * p < .01; ** p < .001. Datenbasis: Gemeindestudie: SFB 580, Teilprojekt A4: Lokale Eliten, Bevölkerungsbefragung und Elitebefragung.
Es besteht, wie vermutet, ein vernachlässigbarer Zusammenhang zwischen Geschlecht und Zufriedenheit. Aber das Geschlecht hat wider Erwarten keinen Einfluss auf die Kritikbereitschaft. Die bei vielen politischen Einstellungen anzutreffende Geschlechterdifferenz ist bei der Kritikbereitschaft nicht zu finden. Obwohl Frauen in der Regel ein geringeres politisches Interesse und Engagement nachgesagt wird, bejahen sie in ebenso großem Umfang wie Männer, dass es eine Bürgerpflicht sei, Politiker zu beobachten und nötigenfalls zu intervenieren. Auf der normativen Ebene existiert die häufig konstatierte Distanz von Frauen zur Politik also nicht. Frauen empfinden politische Kritik in der gleichen Weise wie Männer als Bürgerpflicht.
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Tabelle 9: Bildungsniveau der Kritik-Typen (GEM) Höchster Bildungsabschluss Ohne Abschluss Haupt-/Volksschule Realschule Polytechnische Oberschule Fachhochschulreife EOS60/Hochschulreife Fachhochschule Hochschule Promotion Anderer Abschluss
Kritikb.zufrieden 0
Kritikb.- Nichtkritikb.- Nichtkritikb.- Undemok. unzufried. zufrieden unzufried. Systempr. 0 0 1 0
12
7
8
9
20
18
15
22
13
16
9
11
11
14
19
8
8
9
9
4
18
15
16
21
12
10 19 3 3
12 25 4 3
8 21 1 3
6 21 2 3
8 14 2 6
Datenbasis: Gemeindestudie: SFB 580, Teilprojekt A4: Lokale Eliten, Bevölkerungsbefragung.
Der Zusammenhang zwischen der normativen Kritikbereitschaft und dem Alter ist wie erwartet signifikant, wobei die kritikbereiten Befragten einen höheren Altersmedian aufweisen als die nichtkritikbereiten Bürger. Das Alter wirkt sich nicht auf die Zufriedenheit aus. Erwerbslosigkeit geht etwas häufiger mit politischer Unzufriedenheit einher. Erwerbslose sind am häufigsten unzufrieden (65 Prozent), Rentner äußern demgegenüber von allen Erwerbsgruppen am seltensten Unzufriedenheit (48 Prozent). Zwischen dem Erwerbsstatus und der Kritikbereitschaft gibt es allerdings keinen signifikanten statistischen Zusammenhang. Die Kritikbereitschaft ist relativ gleichmäßig auf alle Berufsgruppen ver-teilt. Zur Performanz- und Sozialisationsthese Die Zufriedenen schätzen, so das erwartbare Ergebnis, sowohl ihre eigene ökonomische Situation als auch die wirtschaftliche Lage der jeweiligen Kommune eher positiv ein. Demgegenüber wird die Kritikbereitschaft von der Einschätzung der ökonomischen Lage nicht beeinflusst. Zur Überprüfung der demokratischen Performanz wurde der Indikator Responsivitäts-
—————— 60 Erweiterte Oberschule, also Klasse 11 und 12, welche dem bundesrepublikanischen Abitur entspricht.
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Wahrnehmung (external efficacy) gewählt.61 External efficacy hängt signifikant und deutlich mit politischer Zufriedenheit zusammen. Die Zufriedenen schätzen die Responsivität besser ein als ihr Gegenpart. Demgegenüber gibt es keine statistische Beziehung zwischen Kritikbereitschaft und external efficacy. Die Performanzthese kann somit zusammenfassend für die Zufriedenheit bestätigt werden, wobei sowohl die ökonomische als auch die demokratische Performanzwahrnehmung eine gewisse Erklärungskraft haben. Für die Erklärung von Kritikbereitschaft muss die Performanzthese zurückgewiesen werden. Die Kritikbereitschaft wird weder von der Wahrnehmung der ökonomischen noch der demokratischen Performanz beeinflusst. Wie lässt sich nun die Sozialisationsthese überprüfen, also die Wirkung von Sozialisationserfahrungen in einem früheren System auf politische Einstellungen zum neuen System? Fragen zur Haltung zum Sozialismus, zur DDR-Bindung oder zur Einschätzung der Lebensverhältnisse in der DDR wurden in der Gemeindestudie nicht gestellt. So werden die Sozialisationseffekte anhand der Frage nach der Identifikation als West- oder Ostdeutscher ermittelt. Die Identifikation ist zwar nur ein suboptimaler Indikator, eine Validierung zeigt jedoch, dass die Identifikation mit der Einstellung zu sozialistischen Werten korreliert. So sind die Befragten aus den neuen Bundesländern, die sich sehr stark oder stark als Ostdeutsche identifizieren, signifikant häufiger der Meinung, dass Politik ausschließlich nach sozialen und nicht nach wirtschaftlichen Kriterien ausgerichtet sein sollte. Sie haben also offizielle Werte des Realsozialismus stärker verinnerlicht. Die sachsen-anhaltinischen Befragten identifizieren sich deutlich als Ostdeutsche (70 Prozent), während sich die Nordrhein-Westfalen seltener als Westdeutsche empfinden (35 Prozent). Zwischen der Identifikation als Ost- bzw. Westdeutscher und der Zufriedenheit existiert lediglich ein geringfügiger statistischer Zusammenhang. Unzufriedenheit geht etwas häufiger mit der Identifikation als Ost- bzw. Westdeutscher einher. Die Identifikation als Ost- oder Westdeutscher steht demgegenüber in keiner Beziehung mit der Kritikbereitschaft. Die Sozialisationsthese hat somit für die Zufriedenheit nur bedingte und für die Kritikpflicht gar keine Erklärungskraft – unter Berücksichtigung des nur suboptimalen Indikators.
—————— 61 External efficacy wurde erfasst anhand des folgenden Items: »Den meisten lokalen Politikern ist es egal, was die BürgerInnen denken.« (1 = stimme voll und ganz zu, 5 = stimme überhaupt nicht zu) (vgl. Niedermayer 2001: 30; Reef/Knoke 1999; Vetter 1997).
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Kontextorientierte Ansätze: Zufriedenheit kontextabhängiger als Kritikbereitschaft 62 Die ökonomische Situation in den Befragungsgebieten Besteht nun, wie vermutet, ein Zusammenhang zwischen politischer Unzufriedenheit und der objektiven ökonomischen Situation in den befragten Gemeinden? Standardindikatoren zur Messung der ökonomischen Situation sind das BIP pro Kopf sowie die Erwerbslosenquote, denn Gebiete mit hoher Erwerbslosenquote sind in der Regel ressourcenärmer als Gebiete mit niedriger Erwerbslosigkeit. Erwartungsgemäß gibt es einen signifikanten, deutlichen Zusammenhang zwischen diesen ökonomischen Indikatoren und der lokalen politischen Zufriedenheit.63 Die Zufriedenheit ist größer in den Kommunen mit überdurchschnittlichem BIP und niedriger Erwerbslosenquote. Demgegenüber ist die Kritikbereitschaft in den Kommunen relativ unabhängig vom BIP und der Erwerbslosenquote. So ist die Kritikbereitschaft in den Kommunen mit der höchsten und der niedrigsten Erwerbslosenquote ähnlich (70 Prozent bzw. 68 Prozent Kritikbereite) und dasselbe gilt für die Kommunen mit sehr hohem und sehr niedrigem BIP (in beiden 72 Prozent Kritikbereite). Institutionelle Arrangements Die meisten institutionellen Arrangements, zum Beispiel die Gewährung von politischen Rechten, sind in allen bundesrepublikanischen Kommunen
—————— 62 Generell können kontextorientierte Analysen durchgeführt werden, sofern hierarchisch strukturierte Informationen existieren. Dies bedeutet, dass die Daten der einen Ebene, also beispielsweise Daten zu Individuen, einer übergeordneten Einheit, also beispielsweise einer Gemeinde, zugeordnet werden können (Klein 2004). Wie lassen sich nun die Auswirkungen kontextueller Faktoren auf die individuellen Einstellungen prüfen? In der Regel kommen, so die übereinstimmende Meinung in der Literatur, 1) nach Aggregaten separierte Auswertungen – üblich vor allem bei einer kleinen Fallzahl auf der zweiten Ebene –, 2) konventionelle aggregatübergreifende Regressionen und 3) explizite Mehrebenenprogramme in Frage (z. B. Kuhn/Lipps 2006). Im Folgenden wende ich die beiden zuerst genannten Verfahren an. (vgl. zum Vorgehen auch Lieberman 2005: 499 ff.; Hox 1998: 147). In den Sozialwissenschaften wird diskutiert, ob konventionelle Regressionen oder Mehrebenenanalysen vorzuziehen sind; derzeit überwiegen jedoch nach wie vor konventionelle Regressionen – nicht zuletzt, da die Ergebnisse als robust eingeschätzt werden (z. B. Kuhn/Lipps 2006; Oberwittler 2003: 34; Hank/Kreyenfeld 2002: 14 ff.; Norris 1999b). 63 Die Daten zum BIP und den Erwerbslosenquoten der Kommunen entstammen den Statistiken des Bundesamts für Raumordnung und Raumwesen. Sie beziehen sich auf das Jahr 2002 und sind pro Kopf berechnet.
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identisch. Anders sieht es jedoch bei der Verteilung der lokalen Machtkompetenzen und der Ausgestaltung direktdemokratischer Elemente aus. Diese unterscheiden sich aufgrund des föderalen Aufbaus der Bundesrepublik von Bundesland zu Bundesland und es bestehen auch Differenzen zwischen den beiden Bundesländern, welche in der Gemeindestudie untersucht wurden. Die lokale Machtverteilung wird gemessen anhand der von mir aktualisierte Auswertung der Kommunalverfassungen von Cusack (2003: 163– 172; vgl. Anhang III, Tabelle 38). Wie beschrieben hat Cusack festgestellt, dass eine größere administrative und politische Macht des lokalen »chief executive« zu größerer lokaler Zufriedenheit führt (vgl. Kap. 2.1.2). In der Gemeindestudie lässt sich dieses Resultat nicht bestätigen. Die formale Machtzentralisierung wirkt sich vielmehr auf umgekehrte Weise aus: Stärkere Machtzentralisierung geht einher mit größerer Unzufriedenheit. Auf die Kritikbereitschaft wirkt sich die lokale Machtkonzentration kaum aus. Die Bundesländer unterscheiden sich weiterhin hinsichtlich der Optionen und Restriktionen für lokale direktdemokratische Verfahren, beispielsweise hinsichtlich der Anzahl der Unterschriften, die für ein Bürgerbegehren benötigt werden, des Zeitraums, innerhalb dessen Unterschriften gesammelt werden können, oder auch der Orte der Unterschriftensammlung (Rathaus oder freie Ortswahl). Je nachdem, wie offen oder restriktiv diese Normen sind, lässt sich eine Rangliste aufstellen, wobei ich mich hier auf das Volksentscheid-Ranking (2003) des Vereins Mehr Demokratie e.V. beziehe, welches analog zu Schulnoten zu lesen ist.64 Bayern belegt mit 2,45 die beste Note und Baden-Württemberg mit 5,15 die schlechteste; Nordrhein-Westfalen erhält den Wert 3,65 und Sachsen-Anhalt die Note 4,35. Bessere direktdemokratische Mitbestimmungsmöglichkeiten gehen, so das Ergebnis der Gemeindestudie, eher mit Zufriedenheit und demokratischer Systempräferenz einher. Die Auswirkungen auf die Kritikbereitschaft sind schwach.
—————— 64 Ausgewertet wurden in diesem Ranking das Ausmaß der inhaltlichen Einschränkungen (Positivlisten, in welchen festgelegt ist, zu welchen Themen Bürgerbegehren möglich sind, bzw. Negativlisten, welche jene Themen auflisten, die von Bürgerbegehren ausgeschlossen sind), Quoren- und Fristenregelungen sowie die Anforderungen an die Unterschriftensammlung, wobei die Regelungen zur Landes- und zur kommunalen Ebene jeweils mit 50 Prozent einflossen.
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Soziales Kapital in den befragten Kommunen Wie bereits beschrieben, ist im Folgenden das Sozialkapital als Kontextvariable von Interesse, nicht das Sozialkapital der einzelnen Individuen. Das heißt, es wird geprüft, ob das in einer Einheit vorhandene Sozialkapital sich auf die politischen Einstellungen der Individuen in dieser Einheit auswirkt. Wie aktiv sind nun die untersuchten Kommunen?65 Die Bewohner Dessaus engagieren sich am seltensten in Vereinen. Sie sind innerhalb der letzten Jahre vor der Befragung durchschnittlich 1,43 Mal zivilgesellschaftlich aktiv geworden. Halle (1,73) und Köln (1,58) sind ebenfalls nur wenig aktiv. Im Oberbergischen Kreis herrscht demgegenüber ein aktives Vereinsleben (3,56), der Saalkreis (2,20) und Jülich (2,36) sind im mittleren Feld zu finden. Die Trennlinie bei der Vereinsaktivität verläuft somit nicht zwischen den Kommunen der alten und der neuen Bundesländer, sondern entlang der Gemeindegröße. Mit der Zunahme des lokalen Sozialkapitals in einer Kommune steigt statistisch signifikant die Wahrscheinlichkeit, dass ein dort lebender Bürger zufrieden ist. So sind in der Kommune mit dem höchsten Durchschnitt bei den Vereinsaktivitäten zufriedene Personen besonders häufig zu finden. Die Beziehung zwischen dem lokalen Sozialkapital und der Kritikpflicht ist demgegenüber schwach. Professionalität der lokalen politisch-administrativen Elite Die Professionalität von Politikern wird in der Literatur mit Hilfe unterschiedlicher Indikatoren bestimmt, wobei sich die meisten Studien auf Bundestagsabgeordnete oder andere Berufspolitiker beziehen.66 Nicht alle
—————— 65 Sozialkapital wurde in der Gemeindestudie anhand der Vereinsaktivitäten der befragten Bewohner ermittelt. Die Interviewten waren aufgefordert anzugeben, wie oft sie in den letzten beiden Jahren vor der Befragung in Vereinen mitgearbeitet hatten. Die entsprechende Frage lautete: »Im Folgenden nenne ich Ihnen einige Möglichkeiten, sich zu beteiligen. Sagen Sie mir jeweils, wie häufig Sie sich in den letzten beiden Jahren, also seit Sommer 2000, beteiligt haben: […] in Vereinen mitgearbeitet« (offene Frage). Anschließend wurde für jede Kommune ein Durchschnittswert errechnet und der entsprechenden Gemeinde als Populationsmerkmal zugeschrieben (zur Diskussion dieser Vorgehensweise auf Bundesebene vgl. z. B. Longchamp 2004). 66 Die Professionalität von Politikern wird beispielsweise gemessen anhand der Politiknähe oder -ferne des Berufs, der Dauer der partei- bzw. kommunalpolitischen Laufbahn vor Annahme der jeweiligen Position (z.B. Golsch 1998), der Dauer der Berufstätigkeit vor dem Eintritt in die Politik, der Kenntnisse über Organisationstechniken, des Selbstver-
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dabei angewandten Professionalitätskriterien lassen sich auf lokale Politiker übertragen. Im Folgenden arbeite ich mit professionssoziologischen Kriterien, welche sich für die Analyse von Kommunalpolitikern eignen.67 1. Das Bildungsniveau und der Beruf, den ein Kommunalpolitiker vor dem Eintritt in die Eliteposition ausgeübt hat (Branchenzugehörigkeit), informieren über die Politiknähe seines Kenntnis- und Erfahrungshintergrunds, also über seine Professionalität. Als politiknah können allgemein Berufe bezeichnet werden, deren Inhalte und Anforderungsprofile jenen in Parteien und Parlamenten ähnlich sind, so zum Beispiel leitende Tätigkeiten in Verwaltungen.68 2. Für den Beruf »Politiker« gibt es keinen formellen, institutionalisierten Ausbildungsgang, in dessen Verlauf zertifizierbare, für die Ausübung von politischen Ämtern relevante Kenntnisse vermittelt werden, zum Beispiel rhetorische Fähigkeiten oder taktisches Geschick. Diese Kenntnisse müssen in einem Prozess des learning-by-doing angeeignet werden. Ein Indikator für die Messung dieses informellen Ausbildungsganges ist die Anzahl der Ämter und Mandate, welche das Führungspersonal vor dem Eintritt in eine Eliteposition eingenommen hatte. Sie gibt Auskunft über die Länge des informellen Ausbildungswegs und damit über die Professionalität. Je höher die Anzahl an Ämtern und Mandaten ist, die einer Eliteposition vorausgehen, desto professioneller – so kann vermutet werden – ist ein Politiker.
—————— ständnisses als Politiker, der Wiederwahlrate, der Dauer der Parlamentsangehörigkeit, des Durchschnittsalters bei der ersten Wahl in einen Landtag oder in den Bundestag (Borchert 2003; Saalfeld 1997: 34). Professionelle Kommunikationsformen, die Inszenierung symbolischer Responsivität oder professionelle Entscheidungen könnten ebenfalls als Professionalitätskriterien gewertet werden. Es ist jedoch kaum möglich, diese Variablen zu operationalisieren, und entsprechende empirische Studien werden auch kaum durchgeführt. 67 Bundesrepublikanische lokale Führungspersonen werden seit einigen Jahren hin und wieder analysiert – allerdings zu anderen Fragestellungen (z. B. Schulenburg 2001). Auch im internationalen Kontext stehen lokale Eliten, v. a. Bürgermeister, zunehmend im Zentrum des Interesses. Studien zu den Auswirkungen von lokalen Elite-Merkmalen auf lokale politische Einstellungen sind allerdings selten. 68 Berufe mit einem hohen Maß an »Selbstbestimmung im beruflichen Autoritätsgefälle« (Herzog 1975: 223), an Zeitflexibilität, professioneller Unabhängigkeit, finanzieller Sicherheit, öffentlicher Netzwerkarbeit, hohem sozialen Status, politischen Kontakten und unkomplizierten Gelegenheiten der Karriereunterbrechung werden in der Regel als politiknah oder günstig für eine politische Karriere erachtet (Herzog 1975: 22).
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3. Die Herausbildung eines spezifischen Selbstverständnisses als Politiker und die Bildung von Ingroups, welche in der Regel mit Abschottungstendenzen und der Angleichung an professionelle Verhaltensnormen und Ehrencodices einhergehen, werden als Anzeichen von Professionalität gewertet (Herzog 1975).69 Messbar ist diese Ingroup-Bildung beispielsweise anhand der (Dauer der) Parteimitgliedschaft sowie der zeitlichen Intensität des parteipolitischen Engagements. Für die Städte und Kreise, die im Rahmen der Gemeindestudie untersucht wurden, liegen detaillierte Informationen über das ehemalige und aktuell amtierende Führungspersonal vor. Im Mittelpunkt meiner Studie stehen die aktuellen lokalen Eliten, wobei an geeigneten Stellen ein Vergleich mit den ehemaligen Eliten gezogen wird. Berufliche Laufbahn vor der Elitenposition Wie in den meisten Studien zu Kommunalpolitikern liegt das durchschnittliche Bildungsniveau der befragten lokalen Führungspersonen über dem Bevölkerungsdurchschnitt, aber unter dem Niveau der Bundespolitiker (z. B. Cusack 2003: 24; Geißel 1999).70 Hohe Bildungsabschlüsse sind vor allem im Oberbergischen Kreis und in Köln zu finden, die niedrigsten Werte in Dessau und Jülich. Die Branchenzugehörigkeit ostdeutscher lokaler Eliten vor Eintritt in die Elitenposition traf vor allem in der Nach-Wendezeit auf wissenschaftliches Interesse, denn sie unterschied sich erheblich von den zivilen Berufen der lokalen Eliten in etablierten Demokratien. Technische, naturwissenschaftliche und medizinische Berufe waren damals stärker vertreten als im Westen (vgl. Cusack 2003; Birsl/Lösche 1998). Berufsbedingte Fachkompetenz galt in den neuen Bundesländern in der direkten Nachwendezeit nicht als
—————— 69 Das Wissen über die »angemessenen Verhaltensweisen zur Durchsetzung politischer Ziele« für politische Aushandlungsprozesse und Entscheidungsvorgänge (Herzog 1990: 11 f.) wird als weiteres Professionalitätsmerkmal für die Ingroup-Bildung von Berufspolitikern genannt. Da es aber empirisch schwierig zu erfassen ist, beziehen nur wenige Studien dieses Merkmal systematisch in ihre Analyse ein. Auch in meiner Studie wird dieser Indikator nicht direkt, sondern mit Hilfe des Substituts »Ingroup-Bildung« ermittelt. 70 Auffällig in der Stichprobe ist weiterhin der sowohl in den neuen wie in den alten Bundesländern hohe Bildungsstand der Herkunftsfamilien. In beiden Gruppen liegt der Anteil von Hochschulabsolventen bei den Eltern deutlich über dem jeweiligen Landesdurchschnitt und weist im Ost-West-Vergleich keine Differenz auf.
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zentrales Merkmal eines (zukünftigen) Politikers (z. B. Geißel 1999: 58 f.). Im Verlauf der neunziger Jahre änderte sich dies jedoch, und auch bei den lokalen Eliten aus den neuen Bundesländern entdifferenzierte sich die Branchenstruktur. Sowohl in den befragten ost- als auch westdeutschen Kommunen stammt heute die Mehrzahl des lokalen Führungspersonals aus politiknahen Berufen.71 Vor allem das lokale Führungspersonal der Großstädte verfügt über eine politiknahe Berufsausbildung bzw. übte vor Eintritt in die Eliteposition einen entsprechenden Beruf aus. Zum learning-by-doing: Die Ämterlaufbahn Nur wenige erfolgreiche Kandidaten der ersten freien Kommunalwahlen in Ostdeutschland hatten vor Eintritt in die Elite-Position politische Ämter inne – oder mit anderen Worten einen informellen politischen Ausbildungsweg durchlaufen. Politikrelevante Vorkenntnisse, die normalerweise in parteiinternen Ämtern und Positionen erworben werden, spielten in dieser Phase nur eine untergeordnete Rolle. Vielmehr suchten die Parteien potenzielle Kandidaten und stellten eher niedrige Anforderungen an deren bisherigen informellen politischen Ausbildungsweg. Birsl und Lösche (1998: 13) fassten dieses Phänomen folgendermaßen zusammen: »(W)er in Ostdeutschland in eine Partei eintritt, den erwarten […] kommunale Mandate«. Im Verlauf der neunziger Jahre hatte jedoch ein stetiger Anpassungsprozess an die typische westdeutsche Ämterlaufbahn stattgefunden, und auch in den neuen Bundesländern ist nun eine vorhergehende innerparteiliche Ämterlaufbahn für ein kommunalpolitisches Mandat unerlässlich. In den neuen Bundesländern stiegen trotz nach wie vor dünner Personaldecke die Ansprüche an eine informelle Ausbildung zukünftiger Politiker durch Positionserfahrungen, wobei Laufbahneliten, also Personen mit langjährigen Erfahrungen in politischen Positionen, heute vor allem in Halle und dem Oberbergischen Kreis zu finden sind. Aber auch in den anderen Städten verfügt das aktuelle lokale politische Führungspersonal über beachtliche Erfahrungen. Ost- und westdeutsche lokale politischadministrative Eliten weisen heute eine ähnliche Anzahl an kommunalpolitischen Positionen vor ihrem Eintritt in die jeweilige Eliteposition auf (vgl. Anhang III, Tabelle 39).
—————— 71 Als politikfern wurden Berufe wie Ingenieur, Handwerksberufe und Arzt gewertet, als politiknahe Berufe Jurist/Anwalt, Chefredakteur, Schulleiter, leitender Verwaltungsdirektor sowie generell eine leitende Tätigkeit in Verbänden und Verwaltungen. Ausgewertet wurden höchstens elf berufliche Tätigkeiten vor Eintritt in die Eliteposition.
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Zur Ingroup-Bildung: (Dauer der) Parteimitgliedschaft Obwohl Parteiarbeit auf lokaler Ebene nicht der einzige Zugangsweg zur Bildung von Ingroups ist, stellt die »parteipolitische Ochsentour« in den alten Bundesländern nach wie vor für viele lokale Eliten einen wichtigen Faktor der Ingroup-Bildung dar.72 Auch in den ostdeutschen Befragungsgebieten ist die parteipolitische Verankerung, gemessen anhand der Intensität parteipolitischen Engagements, zunehmend bedeutend für einen politischen Aufstieg. In den hier untersuchten Kommunen engagieren sich die lokalen Eliten in unterschiedlichem Ausmaß im Parteienleben. Die Parteiarbeit bedarf im Saalkreis mit unter einer Stunde nur wenig Zeitaufwand, während die lokalen Eliten in Jülich mit durchschnittlich 20 Stunden eine recht hohe Anzahl an Stunden mit Parteiarbeit verbringen. Der Aufwand für parteipolitische Tätigkeiten lag bei den Eliten aus den übrigen Befragungsgebieten zwischen diesen Polen (Halle: 3 Stunden, Köln: 2 Stunden, Dessau 12 Stunden, Oberbergischer Kreis 12 Stunden). Die Dauer der Parteimitgliedschaft vor dem Eintritt in die Eliteposition informiert ebenfalls über die Ingroup-Bildung. Langjährige Parteimitglieder dürften sich stärker an die dort vorhandenen Verhaltensnormen und Ehrenkodizes angepasst haben als jene, die erst seit wenigen Jahren ein Parteibuch ihr Eigen nennen. Wie sieht nun die Situation in den befragten Gemeinden aus? Zum Zeitpunkt der Befragung (2002/2003) wiesen die meisten amtierenden Funktionsträger in Ost und West eine langjährige Parteimitgliedschaft auf und verfügten damit über viele parteiinterne Erfahrungen und Kontakte. Unter den aktuellen politisch-administrativen Eliten haben die Kölner bei den meisten Professionalitätsindikatoren höchste oder sehr hohe Werte erreicht, die Hallenser und Jülicher Eliten liegen im oberen Mittelfeld. Das Dessauer Führungspersonal weist die schlechtesten Werte auf, und die beiden Kreise liegen im unteren Mittelfeld (vgl. Geißel 2006a). Die Professionalität des lokalen Führungspersonals wirkt sich signifikant, jedoch nur in geringem Ausmaß auf die Zufriedenheit aus. Hohe Elite-Professionalität geht etwas häufiger mit politischer Zufriedenheit einher. Das Ausmaß der Kritikbereitschaft lässt sich demgegenüber kaum mit der Professionalität der jeweiligen lokalen Eliten erklären.
—————— 72 Verschiedene Studien zu Landtags- und Bundestagsabgeordneten bestätigen die Bedeutung der Parteiarbeit für deren Karrieren, beispielsweise für die Absicherung der einzelnen Politiker gegenüber potenziellen Konkurrenten (z. B. Herzog 1990; 1975).
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Responsivität der politischen Elite Responsivität kann, wie bereits beschrieben, auf zwei Weisen gemessen werden (vgl. Kap. 2.1.2). Sie kann erstens erfasst werden, indem die Entscheidungsorientierungen der Eliten (am Bevölkerungswillen oder an den eigenen Überzeugungen) erfragt wird, und zweitens, indem die Übereinstimmungen zwischen Orientierungen von Elite und Bevölkerung ermittelt werden (vgl. Reef/Knoke 1999; Vetter 1997). Die im Rahmen der Gemeindestudie befragten Eliten orientierten sich nach ihren eigenen Angaben in unterschiedlichem Ausmaß an den Wünschen der Wähler, zum Beispiel in Dessau zu 24 Prozent sowie im Saalkreis zu 22 Prozent, im westdeutschen Kreis mit 6 Prozent dagegen nur ausgesprochen selten (vgl. Anhang II, Tabelle 41).73 Studien aus den neunziger Jahren bestätigen dieses Ergebnis: Ostdeutsche Politiker formulierten zum damaligen Zeitpunkt eine stärkere Bereitschaft, responsiv auf die Interessen der Bürger einzugehen (Birsl/Lösche 1998; Patzelt/Schirmer 1996: 20). Doch wie hängt dies mit politischer Kritik zusammen? Es besteht eine signifikante Beziehung zwischen den Entscheidungsorientierungen der lokalen Elite und der Zufriedenheit, allerdings sieht der Zusammenhang anders aus als erwartet. Eine starke Orientierung der Eliten an den Präferenzen der Bürger geht eher einher mit größerer Unzufriedenheit. Eine Beziehung zur Kritikbereitschaft besteht demgegenüber kaum. In welchem Zusammenhang stehen nun Orientierungen der lokalen Elite und der Bevölkerung? Gibt es Kommunen, in welchen Bevölkerung und Eliten die lokalen Policys ähnlich bewerten? Eliten und Bürger wurden in der Gemeindestudie gebeten, drei lokale Policys anzugeben, mit denen sie besonders zufrieden bzw. unzufrieden sind.74 Erstaunlicherweise über-
—————— 73 Die entsprechende Frage lautete: »Träger von Ämtern und Mandaten können bei bestimmten Entscheidungen in einen Konflikt zwischen ihrer eigenen Überzeugung und der Meinung der Wähler geraten. Woran sollten sie dann ihre Entscheidung ausrichten?« Folgende Antwortvorgaben standen zur Verfügung: »an ihrer eigenen Überzeugung«, »an der Meinung der Wähler«, »kann ich so nicht sagen«. 74 Die Frage wurde offen gestellt und lautete: »Mit welchen Bereichen lokaler Politik sind Sie besonders zufrieden? Mit welchen Bereichen lokaler Politik sind Sie besonders unzufrieden?« Nach Abschluss der Befragung wurden zwecks Vergleichbarkeit Kategorien gebildet, die sich zur Einteilung der Antworten sowohl der Bevölkerung als auch der Eliten eigneten. Diese Kategorien waren die folgenden: Wirtschaft/Finanzen, Soziales, Stadtplanung, Verkehr, Infrastruktur (vor allem Ver- und Entsorgung), Kultur, Umwelt, Bürgermitbestimmung, Politiker/Parteien/Korruption, Verwaltung (einschl. Sicherheit), lokale Arbeitsmarktpolitik, Öffentlichkeitsarbeit (der Stadt) sowie Freizeit/Sport. Als
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schneiden sich die Bewertungen beider Gruppen kaum. Beispielsweise sind lediglich 8 Prozent der befragten Kölner mit der lokalen Sozialpolitik besonders zufrieden, aber immerhin 55 Prozent der dortigen lokalen Eliten. Im Oberbergischen Kreis wiederum betrachtet kein Angehöriger der Elite den sozialen Bereich als besonders zufrieden stellend, die Bürger in diesem Kreis waren jedoch überdurchschnittlich zufrieden mit diesem Politikfeld. Aus der Analyse der Policy-Bewertung ergibt sich somit kein eindeutiges Responsivitätsranking der Kommunen. Die Aussagen sind in allen Kommunen zu disparat und es zeichnen sich keine klaren Tendenzen ab. Insgesamt tragen die beiden Responsivitäts-Indikatoren wenig zur Erklärung der Kritik-Dimensionen bei. Multivariate Analysen Zwischen der politischen Zufriedenheit und den untersuchten Erklärungsfaktoren bestehen vielfältige bivariate Beziehungen. Für die Kritikpflicht haben die untersuchten Faktoren zumindest bei den bivariaten Analysen wenig Erklärungskraft. Ein Verfahren, um mögliche Hintergrundvariablen von bivariaten Beziehungen zu ermitteln, sind multivariate Regressionen So kann erst eine multivariate Analyse ermitteln, welche Faktoren tatsächlich entscheidend sind.75 Die folgende Tabelle 10 beschreibt die. statistischen Beziehungen, wobei im Modell 1 die Individualmerkmale, in Modell 2 die Performanz- und die Sozialisationsthese, in Modell 3 die Kontextmerkmale76 und in Modelle 4 alle Variablen berücksichtigt wurden. Alle vier Modelle haben bezüglich der Kritikbereitschaft eine ausgesprochen niedrige Erklärungskraft; die erklärte Varianz ist mit einem bis drei Prozent minimal. Demgegenüber kann das Gesamtmodell 4 immerhin 20 Prozent der Zufriedenheit aufklären. Dabei tragen die soziodemographischen Merkmale zwar relativ wenig bei (Modell 1), aber vor allem die Performanzthese hat eine gewisse Erklärungskraft: Die Wahrnehmung der ökonomischen und politischen Performanz sowie darüber hinaus auch einige
—————— weitere Kategorien kamen jene hinzu, die sich nicht auf spezifische Bereiche bezogen wie etwa »bin mit allem zufrieden«, »bin mit nichts zufrieden«, »kann ich so nicht sagen«, »keine Angaben« sowie eine Kategorie für jene Probleme, die außerhalb des Kompetenzbereiches der Lokalpolitik liegen, zum Beispiel die Höhe der Rente. 75 Aufgrund des Skalenniveaus wurde eine logistische Regression durchgeführt, wobei die unabhängigen Variablen dichotomisiert oder metrisiert wurden. 76 Die Erwerbslosenquote der Gemeinde wurde aufgrund der hohen Korrelation mit dem BIP pro Kopf nicht aufgenommen.
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Kontextvariablen zeigen signifikante Effekte auf die Zufriedenheit, nicht jedoch auf die Kritikbereitschaft. Insgesamt lässt sich also die Gesamthypothese bestätigen, dass die Zufriedenheit eher kontextabhängig, die Kritikbereitschaft eine kontextunabhängige Orientierung ist (vgl. Tabelle 10).
2.2.2 Bundesländer Wie lassen sich nun die Zufriedenheit und die Beobachtungspflicht in der Bundesrepublik erklären? Erweist sich auch auf Bundesebene die Kritikbereitschaft als core value, während die Zufriedenheit stärker von der Performanzwahrnehmung, von soziodemographischen Faktoren und von Kontexten abhängt? Eine Zusammenstellung der Ergebnisse bietet die Tabelle 11, die anschließend en détail diskutiert wird. Soziodemographische Faktoren Zwischen der Schulbildung und der Beobachtungsbereitschaft gibt es auch im Bundesländervergleich keine signifikante Beziehung. Die Demokratiezufriedenheit korreliert demgegenüber wie in der Gemeindestudie signifikant mit der Bildung, wobei die Befragten mit mindestens Fach-/Hochschulreife das Funktionieren der Demokratie etwas besser bewerten. Werden die neuen und die alten Bundesländer getrennt untersucht, so zeigt sich ein ähnliches Bild wie bei der Gemeindebefragung: Die signifikante Beziehung zwischen Schulbildungsniveau und dem Ausmaß an Zufriedenheit geht im Wesentlichen auf die westdeutschen Befragten zurück. Die Befragten aus den neuen Bundesländern mit hohem Bildungsniveau (mindestens Fach-/ Hochschulreife) bewerten das Funktionieren der Demokratie in ähnlicher Weise wie die Befagten mit niedrigerem Bildungsniveau. Unter den KritikTypen haben die Nichtbeobachtend-Unzufriedenen das schlechteste Bildungsniveau, die Beobachtend-Zufriedenen sind überdurchschnittlich gut gebildet, die beiden anderen Typen liegen dazwischen (tab. nicht ausgewiesen). Es besteht wie in der Gemeindestudie keine signifikante Beziehung zwischen dem Geschlecht und der Beobachtungspflicht, aber ein signifikanter Zusammenhang zwischen Geschlecht und Zufriedenheit. Frauen sind mit dem Funktionieren der Demokratie in der Bundesrepublik unzufriedener als Männer, wobei die Frauen in den neuen Bundesländern dem Funktionieren der Demokratie noch schlechtere Noten ausstellen als ihre westdeutschen Geschlechtsgenossinnen.
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Tabelle 11: Korrelationen zwischen Beobachtungspflicht bzw. Zufriedenheit und Erklärungsfaktoren (BRD) Variablen Individualorientiert Soziodemographische Alter Geschlecht Faktoren Bildung Erwerbsstatus Performanzthese – ökonomisch – Einschätzung wirtschaftl. (subjektiv) Situation BRD – Einschätzung persönliche wirtschaftl. Situation – demokratisch External Efficacy Kontextorientiert Ökonomisch Erwerbslosenquote (objektiv) Bundesland 2002 BIP pro Kopf, Bundesland Institutionen Ausgestaltung Direktdemokratie Politische Macht BM Administrative Macht BM Sozialkapital Vereinsmitgliedschaft, Bundesland, Mittelwert
Beobachtungspflicht
Zufriedenheit
.12** -.02 .03 .04
.00 -.11** .08** -.03
.00
.19**
.03
.17**
.05*
.24**
-.06**
.14**
.08** .00
.14** -.06**
-.01 -.06* -.09*
-.10** -.06** -.14**
Signifikanzniveaus: * p < .01; ** p < .001. Datenbasis: ISSP-Survey 2004, Modul »Citizenship« (BRD).
Während weder in den alten noch in den neuen Bundesländern das Alter signifikant mit der politischen Zufriedenheit zusammenhängt, wirkt es sich in beiden Teilen Deutschlands auf die Beobachtungspflicht aus. So halten die älteren Kohorten (45–89 Jahre) dieses normative Ideal häufiger für sehr wichtig«, während die jüngeren Kohorten (18–44 Jahre) ihm wenig Bedeutung beimessen (vgl. Tabelle 12).77
—————— 77 Dieses Ergebnis spiegelt sich auch im Mittelwert wider: Der Altersmedian der Befragten, welche das Verfolgen der Regierungspolitik als sehr wichtig erachten, liegt bei 52,5 Jahren, während der Altersmedian bei denjenigen, die dies für »gar nicht wichtig« halten, 44,8 Jahre beträgt.
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Tabelle 12: Beziehung zwischen Beobachtungspflicht und Alter (BRD) Guter Bürger verfolgt Politik 1 Nicht wichtig 2 3 4 5 6 7 Sehr wichtig Gesamt-N
18–29 J. 3.5 5.2 9.6 21.8 18.8 24.0 17.0 229
30–44 J. 3.0 4.6 5.4 19.0 23.4 23.4 21.2 368
Alter 45–59 J. 2.2 3.5 5.8 16.9 16.0 23.0 32.6 313
N 60–74 J. über 75 J. 2.1 2.2 34 3.9 2.2 54 5.0 5.6 79 13.6 22.5 232 18.2 10.1 239 20.7 19.1 291 36.4 38.2 356 280 95 1.285
Angaben in Spaltenprozent, Datenbasis: ISSP-Survey 2004, Modul »Citizenship«(BRD).
Die statistischen Beziehungen zwischen dem Erwerbsstatus und den Kritikdimensionen bestätigen ebenfalls die Ergebnisse der Gemeindestudie. Die Werte für die Demokratiezufriedenheit unterscheiden sich deutlich zwischen den Erwerbsstatusgruppen. Während beispielsweise die Schülerinnen, Schüler und Studierenden mit dem Funktionieren der Demokratie recht zufrieden sind, liegt der Mittelwert bei den Erwerbslosen deutlich unter dem Durchschnitt. Demgegenüber sind die Unterschiede zwischen den Erwerbsstatusgruppen bei der Beobachtungspflicht gering. Die Mittelwerte der Beobachtungspflicht bewegen sich bei den Erwerbsstatusgruppen zwischen 5,0 und 5,5, das heißt Unterschiede zwischen den Erwerbsstatusgruppen sind minimal. Über Einzelheiten informiert die folgende Tabelle 13.78
—————— 78 Die Tabelle wurde aus zwei Variablen des ALLBUS-Surveys berechnet: »Berufstätig« (»ganztags, halbtags, nebenher erwerbstätig, nicht erwerbstätig«) und »Status der Nichterwerbstätigkeit« (»Schüler/Student, Rentner/Pensionär, zurzeit arbeitslos, Hausfrau/ Hausmann, Wehr-/Zivildienstleistender, aus anderen Gründen nicht hauptberuflich erwerbstätig bzw. Befragter ist hauptberuflich erwerbstätig«).
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Tabelle 13: Erwerbsstatus, Beobachtungspflicht und Zufriedenheit (BRD) Erwerbsstatus
Ganztags erwerbstätig Halbtags erwerbstätig Nebenher erwerbstätig SchülerIn/Studierende Rentner Erwerbslos Hausfrau/-mann
Guter Bürger verfolgt Regierungspolitik (1 = nicht wichtig, 7 = sehr wichtig) Gesamt Ost West 5,19 4,96 5,31 5,20 # 5,28 5,19 # 5,23 5,07 # 5,02 5,51 5,24 5,69 5,01 4,86 5,25 5,16 # 5,15
Zufriedenh. mit Funktionieren Demokratie in BRD (0 = sehr schlecht, 10 = sehr gut) Gesamt Ost West 5,71 5,10 6,02 5,45 # 5,67 5,96 # 6,20 6,18 # 6,39 5,56 4,63 6,11 4,72 4,33 5,34 5,85 # 5,94
Mittelwerte # = Mittelwert kann aufgrund der zu geringen N (unter 30) nicht ausgewertet werden. Datenbasis: ISSP-Survey 2004, Modul »Citizenship« (BRD).
Zur Performanz- und zur Sozialisationsthese Die Beziehung zwischen der politischen Zufriedenheit und der Einschätzung der eigenen sowie der bundesrepublikanischen ökonomischen Situation ist signifikant und deutlich. Personen, die ihre eigene wirtschaftliche Situation sowie die wirtschaftliche Lage der Bundesrepublik positiv bewerten, sind zufriedener als jene, die sie negativ beurteilen.79 Demgegenüber ist die Beobachtungsbereitschaft unabhängig von der ökonomischen Performanzwahrnehmung. Die Wahrnehmung der demokratischen Performanz, gemessen anhand der external efficacy, korreliert ebenfalls signifikant und deutlich mit der politischen Zufriedenheit.80 Mit dem Ausmaß der external efficacy steigt auch das Ausmaß der Zufriedenheit. Demgegenüber gibt es nur eine schwache Beziehung zwischen Beobachtungspflicht und external efficacy.
—————— 79 Die Fragen lauteten: »Wie beurteilen sie ganz allgemein die heutige wirtschaftliche Situation in Deutschland«, »Und ihre eigene wirtschaftliche Lage heute?« Antwortvorgaben: Sehr gut, gut, teils gut/teils schlecht, schlecht, sehr schlecht. 80 Die Fragen lauteten: »Die Regierung kümmert sich nicht viel darum, was Menschen wie ich denken«, Antwortvorgaben: »stimme voll und ganz zu«, »stimme zu«, »weder noch«, »stimme nicht zu«, »stimme überhaupt nicht zu«.
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Kontextvariablen: objektive ökonomische Situation, institutionelle Arrangements, Sozialkapital Wie in der Gemeindestudie wird auch in der folgenden Analyse als ökonomische Kontextvariablen das BIP (pro Kopf) und die Erwerbslosenquote der Bundesländer berechnet.81 Beide Indikatoren korrelieren signifikant mit dem Ausmaß der Zufriedenheit, jedoch kaum mit der Beobachtungspflicht. Wie in der Gemeindestudie werden als weiterer Indikator die Optionen und Restriktionen für direktdemokratische Verfahren berücksichtigt. Die direktdemokratischen Optionen stehen zwar in keiner Beziehung zur Beobachtungsbereitschaft. Je größer die direktdemokratischen Möglichkeiten, desto größer ist jedoch die Zufriedenheit der Befragten – wobei der Zusammenhang allerdings schwach ist. Die bivariate Analyse zum Sozialkapital82 verweist, ähnlich wie in der Gemeindestudie, auf eine signifikante Beziehung mit der politischen Zufriedenheit. Die Beziehung zur Beobachtungsbereitschaft ist schwach. Zur Erklärung politischer Kritik: Multivariate Analyse Die multivariate Analyse der Bundesländer führt zu ähnlichen Ergebnissen wie jene zur kommunalen Ebene: Das Gesamt-Modell kann die Zufriedenheit deutlich besser erklären als die Beobachtungspflicht. Die erklärte Varianz der Zufriedenheit beträgt 16 Prozent, bei der Beobachtungspflicht jedoch lediglich 5 Prozent (vgl. Tabelle 14). Die Zufriedenheit lässt sich zum Teil als Reaktion auf aktuelle wirtschaftliche Leistungen und deren Wahrnehmung begründen. Die Beobachtungspflicht erweist sich wie in der Gemeindestudie als eine von Kontexten und deren Einschätzung relativ unabhängige Werteinstellung.
—————— 81 Vgl. statistische Informationen zum BIP und zur Erwerbslosenquote der Bundesländer im Anhang III, Tabelle 43. 82 Das Sozialkapital wurde gemessen anhand der Vereinsmitgliedschaften der befragten Landesbewohner, woraus ein landesspezifischer Mittelwert errechnet wurde. Die entsprechende Frage lautete: »Man kann Mitglied in verschiedenen Organisationen sein. Einige sind unten aufgeführt. Bitte kreuzen Sie jeweils an, was für Sie zutrifft. […] Einem Sport- oder Freizeitverein oder einer Gruppe mit kulturellen Interessen.« Antwortvorgaben: »Sind Sie …/Waren Sie …: aktives Mitglied, passives Mitglied, früher Mitglied, aber jetzt nicht mehr, nie Mitglied gewesen.«
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2.2.3 Staaten Die bivariaten Beziehungen entsprechen in den ausgewählten Staaten in vielen Aspekten den Befunden zur Gemeindestudie und zur Bundesrepublik. Beispielsweise kann die Zufriedenheit mit einigen Kontextvariablen relativ gut erklärt werden. Neu ist, dass die Beobachtungspflicht im Gegensatz zu den bisherigen Resultaten bei der bivariaten Analyse mit einigen der untersuchten Variablen schwach korreliert. Die Ergebnisse werden im Folgenden detailliert vorgestellt (vgl. Tabelle 15). Tabelle 15: Bivariate Korrelationen zwischen Beobachtungspflicht bzw. Zufriedenheit und Erklärungsfaktoren (Staaten) Variablen Individualorientiert Soziodemographische Alter Faktoren Geschlecht Bildungsniveau Erwerbsstatus Performanzthese – demokratisch (subj.) External Efficacy Kontextorientiert Institutionen Pol. Rechte: Voice and Accountability Ökonomisch BIP pro Kopf, (objektiv) kaufkraftbereinigt Elite Elite-Korruption
Beobachtungspflicht
Zufriedenheit
.13** -.04** -.02** .02
.01 -.05** .11** -.02
.03*
.26**
.27**
.23**
.31**
.27**
.24**
.25**
Signifikanzniveaus: * p < .01; ** p < .001. Datenbasis: ISSP-Survey 2004, Modul »Citizenship« (Kanada, Neuseeland, Portugal, Schweden, Slowakei, Tschechische Republik), Voice-and-Accountability- und Elite-Corruption-Index, vgl. Kaufmann u.a. 2005.
Individualdaten Das Bildungsniveau, gemessen anhand der Anzahl an Schuljahren, korreliert kaum mit der Beobachtungsbereitschaft, jedoch signifikant mit der Zufriedenheit. Eine höhere Schulbildung geht eher mit Zufriedenheit einher.83 Das Geschlecht hängt zwar mit der Beobachtungsbereitschaft und der Zufriedenheit zusammen, die Korrelationskoeffizienten sind aber niedrig. Im Gegensatz dazu gibt es eine signifikante, nennenswerte Korrelation zwi-
—————— 83 Im internationalen Vergleich ist dabei kein Unterschied zwischen etablierten und postsozialistischen Demokratien festzustellen.
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schen dem Alter und der Beobachtungspflicht. Mit zunehmendem Alter steigt auch in den untersuchten Staaten die Überzeugung, dass die Beobachtungspflicht wichtig ist. Der Zusammenhang zwischen dem Alter und der Zufriedenheit ist demgegenüber nicht signifikant. Die Erwerbslosen weisen sowohl bei der Beobachtungspflicht als auch bei der Zufriedenheit die niedrigsten Werte auf. Sie erachten die Beobachtung der Regierung seltener als alle anderen Gruppen als Bürgerpflicht und sind gleichzeitig am unzufriedensten mit der Demokratie. Im internationalen Vergleich erreichen die SchülerInnen und Studierenden die höchsten Zufriedenheitswerte, während sie die Gruppe sind, die – nach den Erwerbslosen – am seltensten für eine Beobachtungspflicht plädiert (vgl. Abbildung 3 und Abbildung 4). Abbildung 3: Beobachtungspflicht nach Erwerbsstatusgruppen (Staaten), Mittelwerte 5,8
5,6
5,4
5,2
5
4,8
4,6 Erwerbstätig
Erwerbslos
Student, Schüler, Ausbildung
Rentner
Datenbasis: ISSP-Survey 2004, Modul »Citizenship« (Kanada, Neuseeland, Portugal, Schweden, Slowakei, Tschechische Republik).
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Abbildung 4: Demokratiezufriedenheit nach Erwerbsstatusgruppen (Staaten), Mittelwerte 7 6 5 4 3 2 1 0 Erwerbstätig
Erwerbslos
Student, Schüler, Ausbildung
Rentner
Datenbasis: ISSP-Survey 2004, Modul »Citizenship« (Kanada, Neuseeland, Portugal, Schweden, Slowakei, Tschechische Republik).
Bezüglich der Performanzthese ähneln die Ergebnisse den bisherigen Resultaten: Die Wahrnehmung der demokratischen Performanz (Responsivität)84, also die external efficacy, korreliert signifikant mit der Demokratiezufriedenheit, jedoch nicht mit der Beobachtungspflicht. Die Einschätzung der ökonomischen Performanz wurde in den ISSP-Surveys nicht erfragt. Kontextdaten: Ökonomische Situation, Institutionen und Elite-Merkmale Ökonomische und institutionelle Kontextvariablen sowie Elite-Merkmale dürften auch die politische Kritik in Staaten beeinflussen. Welche Indikatoren können bei der Analyse dieser Kontext-Variablen angewandt werden? Die ökonomische Situation wird anhand des kaufkraftbereinigten (»purchasing power parities«, PPP) Bruttoinlandsprodukts pro Kopf (»gross national income«, GNI) gemessen.85 Die Bedeutung verschiedener institutioneller
—————— 84 Die Befragten wurden nach ihrer Einschätzung zu dem Statement »I don’t think the government cares much what people like me think« gefragt (Antwortvorgaben: von 1 = »I strongly agree« bis 5 = »I strongly disagree«). 85 Die Definition der Weltbank für die PPP lautet: »Purchasing power parity (PPP) conversion factors take into account differences in the relative prices of goods and services – particularly non-tradables – and therefore provide a better overall measure of the real
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Arrangements wurde wie erwähnt von Norris (1999b) untersucht (vgl. Kap. 2.1.2). Sie stellte fest, dass der Demokratisierungsgrad, gemessen anhand der Gewährung politischer Rechte und Freiheiten, politische Einstellungen besser erklären kann als alle anderen institutionellen Faktoren. So habe ich vermutet, dass die Gewährung politischer Rechte und Freiheiten auch eine wichtige Hintergrundvariable für die Entstehung von Zufriedenheit und Beobachtungspflicht ist.86 Wie können nun die zwischen den Staaten existierenden Varianzen bezüglich politischer Rechte und Freiheiten gemessen werden? Viele Demokratiemessungs-Indices differenzieren nicht ausreichend für meine Fragestellung, beispielsweise Freedom House oder die Messungen nach Marshall, Jaggers und Gurr (2004). Sie bescheinigen konsolidierten Demokratien in der Regel die höchsten Punktzahlen; so erhalten beispielsweise bei Freedom House die Tschechische Republik, Deutschland, Slowakei und Schweden einhellig den Wert 1. Der Voiceand-Accountability-Index der Weltbank ermöglicht demgegenüber eine detaillierte Differenzierung (UNDP 2006: 50; Berg-Schlosser 2004a: 38). Der Index misst verschiedene Aspekte des politischen Prozesses, der bürgerlichen Freiheiten und politischen Rechte, so beispielsweise die Möglichkeiten der Bürger, auf die Regierung Einfluss zu nehmen, die Medienfreiheit oder den politischen Minderheitenschutz. Die Daten basieren auf 37 unterschiedlichen Ressourcen, beispielsweise quantifizierbaren, prozessproduzierten Informationen oder Einschätzungen von Experten. Die Werte schwanken zwischen +2.5 für die beste Benotung bis zu -2.5 für die schlechteste (zur Indexbildung und den Datenquellen vgl. Kaufmann u.a. 2005).87 Bei der Gemeindestudie wurden die Elite-Merkmale Professionalität und Responsivität als potenzielle Erklärungsfaktoren für Zufriedenheit und
—————— value of output produced by an economy compared to other economies. PPP GNI is measured in current international dollars which, in principal, have the same purchasing power as a dollar spent on GNI in the U.S. economy.« (http://web.worldbank.org/WB SITE/EXTERNAL/DATASTATISTICS/0,,contentMDK:20399244~menuPK:150447 4~pagePK:64133150~piPK:64133175~theSitePK:239419,00.html, Sept. 2005). 86 Bei den Untersuchungen zur Bundesrepublik wurde die Ausgestaltung der direktdemokratischen Elemente berücksichtigt. Ein entsprechendes Ranking liegt im interna-tionalen Vergleich vor, ist aber nur bedingt anwendbar (vgl. www.iri-europe.org, Sep-tember 2006). 87 Die Werte des Voice-and-Accountability-Index korrelieren signifikant und stark mit anderen Demokratien-Messungen, z. B. mit Freedom House und Polity III (vgl. BergSchlosser 2004a: 39). So kann davon ausgegangen werden, dass der Voice-and-Accountability-Index valide Daten zur Verfügung stellt.
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Kritikbereitschaft getestet. Auf internationaler Ebene liegen keine Daten zu diesen Elite-Merkmalen vor, jedoch zur Elite-Integrität bzw. -Korruption. Der Elite-Korruptions-Index der Weltbank misst das Elite-Verhalten, das Ausmaß von Machtmissbrauch und damit die Elite-Integrität (z. B. Shen/Williamson 2005). Einen Überblick über die Kontextfaktoren in den sechs untersuchten Staaten gibt Tabelle 16. Tabelle 16: BIP, politische Rechte und Elite-Korruption (Staaten)
Kanada Neuseeland Portugal Schweden Slowakei Tschech. Republ.
Kaufkraftbereinigtes Bruttoinlandsprodukt pro Kopf 30.760 22.260 19.240 29.880 14.480 18.420
Politische Rechte (-2,5 = minimal, +2,5 = optimal) 1,38 1,47 1,31 1,52 1,10 1,03
Elite-Integrität (-2,5 = minimal, 2,5 = optimal) 1.99 2.38 1.23 2.20 0.39 0.30
Quelle: Weltbank: Voice-and-Accountability-Index und Elite-Corruption-Index, vgl. Kaufmann u.a. 2005.
Bereits auf den ersten Blick und ohne statistische Berechnungen fällt auf, dass alle drei Kontextfaktoren relativ eng zusammenhängen. In den ausgewählten ressourcenstarken Demokratien werden umfangreiche politische Rechte gewährt, und dort sind auch die Eliten verhältnismäßig integer. Ersichtlich ist ebenfalls, dass die Dauer der Demokratie mit diesen Werten zusammenhängt. So sind Kanada, Neuseeland und Schweden etablierte Demokratien, Portugal ist etwas »jünger« und die beiden postsozialistischen Staaten können erst auf einige wenige Jahre demokratischer Entwicklung zurückblicken. Und in erstaunlich ähnlicher Weise, wenngleich in nicht identischer Reihenfolge verteilen sich das BIP pro Kopf, die Gewährung politischer Rechte und die Elite-Korruption. Wie wirken sich diese Kontextfaktoren nun auf die Bürger und deren Zufriedenheit bzw. Beobachtungsbereitschaft aus? Die Beobachtungsbereitschaft sowie die Demokratiezufriedenheit korrelieren signifikant mit allen drei Kontextfaktoren. Je besser die wirtschaftliche Entwicklung, je mehr politische Rechte der Bevölkerung zugestanden werden und je integrer die Eliten sind, desto größer ist die Zufriedenheit und desto eher befürworten die Bürger Kritik als Bürgerpflicht. Die positiven Beziehungen zwischen Elite-Integrität, politischen Rechten und Zufriedenheit erstaunen kaum. Während korrupte Eliten vermutlich mit schlechter Responsivität und Performanz einhergehen, dürften integre Eliten eher für eine gut
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funktionierende, erfolgreiche Demokratie stehen. Und politische Rechte wirken sich, wie bereits diskutiert, in der Regel positiv auf die politische Zufriedenheit aus (Norris 1999b). Doch auch die Kritikpflicht korreliert positiv mit diesen Phänomenen. Die Befürwortung von Kritikpflicht verschwindet nicht mit der Gewährung von politischen Rechten, sondern steigt sogar. Ebenso geht die Integrität der Eliten mit der Befürwortung von Kritikpflicht einher. Möglicherweise ist aber auch das Ursache-Wirkungs-Verhältnis komplexer, das heißt Elite-Integrität und Bürgerrechte wirken sich nicht auf die Einstellungen der Bürgerschaft zur Kritikpflicht aus, sondern werden umgekehrt auch von diesen Einstellungen beeinflusst. Diese Fragen werden im Kapitel 4 diskutiert. Zur Erklärung politischer Kritik: Multivariate Analysen Die folgende multivariate Analyse bestätigt in vielen Punkten die Ergebnisse zur Bundesrepublik und zur Gemeindestudie. Ähnlich wie bei allen bisherigen Analysen lässt sich die Zufriedenheit auch im internationalen Datensatz besser mit dem Gesamtmodell erklären als die Beobachtungspflicht, nämlich 21 Prozent der Varianz bei der Zufriedenheit und lediglich 6 Prozent der Varianz bei der Beobachtungspflicht (Tabelle 17, Modell 3). Die Zufriedenheit wird ähnlich wie in der Gemeinde- und der Bundesländerstudie in der multivariaten Analyse am besten mit Faktoren wie external efficacy, BIP (Modell 2) und Elite-Merkmalen, hier das Ausmaß an Korruption, (Modell 3) erklärt.
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2.3
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Fazit: Zufriedenheit kontextabhängig, Kritikbereitschaft transsituative Grundüberzeugung
Im Mittelpunkt dieses Kapitels stand die Frage, wie sich die KritikDimensionen Kritikbereitschaft und Zufriedenheit erklären lassen. Dabei wurde von den Hypothesen ausgegangen, dass beide Kritik-Dimensionen zwar mit einigen Individualfaktoren zusammenhängen, aber politische Zufriedenheit auch von Kontextvariablen abhängig ist und beispielsweise je nach Ausprägung der Kontextfaktoren schwankt, während Kritikbereitschaft als eine stabile Orientierung vermutet wurde, die weitgehend unabhängig von Kontextvariablen existiert. Die Überzeugung, dass ein guter Bürger die Regierungspolitik verfolgen soll, sei, so lautet die Annahme, im Gegensatz zur Zufriedenheit eine relativ independente Grundüberzeugung. Zur Überprüfung dieser Thesen entwickelte ich zunächst einen Analyserahmen, welcher vielfach untersuchte Erklärungsfaktoren wie soziodemographische Faktoren oder die Einschätzungen der ökonomischen und demokratischen Situation (Performanzthese), aber auch wenig erforschte Faktoren wie beispielsweise institutionelle Arrangements oder Elite-Merkmale berücksichtigt. Die Zusammenhangsmuster ähneln sich trotz Operationalisierungsunterschiede in den drei Datensätzen weitgehend (vgl. zur Synopse der Ergebnisse Anhang III, Tabelle 49): Erstens zeigte sich wie erwartet, dass das Ausmaß politischer Zufriedenheit mit den untersuchten Faktoren relativ gut erklärt werden kann. Erklärungskräftig sind dabei vor allem die Wahrnehmung der ökonomischen und demokratischen Performanz sowie die objektive ökonomische Situation. Etwas schwächer ist der Einfluss des Bildungsniveaus, welches wiederum statistisch stark mit dem Einkommen korreliert. Weiterhin zeigen auch die in der bisherigen Forschung wenig untersuchten Kontextfaktoren Elite-Merkmale (Professionalität, Korruption) und institutionelle Arrangements (lokale Machtverteilung, Ausgestaltung direktdemokratischer Elemente) eine gewisse Erklärungskraft. Unzufriedenheit verweist teilweise auf ein demokratisches Anspruchsdenken, wie einige Autoren vermuten, aber sie bezieht sich ebenso auf ökonomische Faktoren. Unzufriedene sind sowohl unter den gut situierten als auch unter den deprivierten Bevölkerungsgruppen zu finden, jedoch vor allem in den ressourcenschwachen Kommunen. Politische Unzufriedenheit ist auch das Ergebnis (gefühlter) ökonomischer Deprivation.
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Zweitens ist die Beobachtungsbereitschaft eine relativ unabhängige Disposition. Es bestehen in allen Datensätzen kaum statistische Beziehungen zwischen der Kritikpflicht und den soziodemographischen Merkmalen. Beispielsweise hängt die Kritikpflicht nicht ab vom Bildungsniveau. Die Kritikbereiten gehören nicht zu sozial deprivierten Schichten oder Randgruppen, sondern sind häufig gut gebildet. Lediglich das Alter korreliert eindeutig mit der Kritikpflicht: Junge Befragte sind weniger von deren Notwendigkeit überzeugt als Ältere. Besonders erstaunlich ist das Ergebnis, dass Frauen und Männer die Kritikpflicht in ähnlicher Weise befürworten. Während Frauen bei politischen Orientierungen wie der Partizipationsbereitschaft oder dem politischen Interesse niedrigere Werte als Männer aufweisen, befürworten sie in gleicher Weise wie Männer, dass es die Aufgabe einer guten Bürgerin und eines guten Bürgers ist, Politik zu beobachten. Ebenso wenig wie das Geschlecht hängt die Wahrnehmung der ökonomischen Situation oder der demokratischen Performanz mit der Beobachtungsbereitschaft zusammen. Die Kritikbereitschaft steigt und fällt also nicht mit der Bewertung der wirtschaftlichen Lage. Aufschlussreich war ebenfalls die Sozialstrukturanalyse der Kritik-Typen; so erwiesen sich die kritikbereiten Typen, gleichgültig ob zufrieden oder nicht, in allen drei Datensätzen als die Personen mit besserer Bildung. Und der Typus der nichtkritikbereit-unzufriedenen Befragten hat neben jenem mit undemokratischer Systempräferenz das niedrigste Bildungsniveau. So lässt sich zusammenfassend festhalten: Die Beobachtungsbereitschaft lässt sich weder mit soziodemographischen noch mit Kontext-Faktoren erklären. Die These von der Kritikbereitschaft als unabhängiger Grundüberzeugung ließ sich somit weitgehend bestätigen.
3. Haben kritische Bürger demokratieförderliche Profile?
Bisher wurde die Frage nach den Gefahren und Potenzialen von politischer Kritik für Demokratien noch umkreist. In diesem sowie im folgenden Kapitel wird sie im Mittelpunkt stehen. In der Literatur stehen sich, wie beschrieben zwei unvereinbare Positionen gegenüber – Kritik ist gut versus Kritik ist schlecht für Demokratien. Deshalb wird eine aus Verhandlungstheorien abgeleitete Verfahrenslogik angewandt. Dabei werden zunächst gemeinsam vertretene Zielvorstellungen identifiziert, auf die sich die Kontrahenten einigen können. In diesem Fall ist das die Förderung von Demokratie. So gilt es zu erfassen, welche Orientierungen von den Kontrahenten als demokratieförderlich erachtet werden. Bürger mit den Orientierungen, welche die Kontrahenten für demokratieförderlich halten, wären als Ressource für Demokratien zu charakterisieren. Umgekehrt wären jene Bürger, bei denen demokratieförderliche Orientierungen besonders selten vorliegen, eher als demokratische Bedrohung zu bezeichnen. So kann die Frage, ob Kritik gut oder schlecht für Demokratie ist, empirisch beantwortet werden. Da politische Kritik jedoch zweidimensional konzipiert ist, muss die Frage noch verfeinert werden: Welche Kritik-Dimensionen korrelieren mit demokratieförderlichen Orientierungen? Sind es beispielsweise die zufriedenen Bürger, welche sich durch besonders demokratieförderliche Profile auszeichnen, oder eher die kritikbereiten? Welche Kritik-Typen weisen besonders demokratieförderliche Profile auf? Zunächst werden demokratieförderliche Orientierungen auf der Basis unterschiedlicher theoretischer und empirischer Studien identifiziert, definiert und operationalisiert. In der Literatur existieren verschiedene, teils kontroverse Vorstellungen zur Frage, welche Einstellungen demokratieförderlich seien – wie im Verlauf des Kapitels noch deutlich werden wird. Nach der Darstellung des Forschungsstands und der Bestimmung, was in dieser Studie unter demokratieförderlichen Merkmalen zu verstehen ist, werden die Profile (un-)kritischer Bürger empirisch untersucht.
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3.1
Welche Orientierungen sind demokratieförderlich?
Debatten über die idealen Einstellungen eines guten Bürgers oder einer guten Bürgerin für Demokratien sind so alt wie die Diskussion um Demokratie selbst. Die Kultur- und Geistesgeschichte ist reich an Versuchen von politischen Philosophen, Sozialwissenschaftlern und nicht zuletzt Vertretern der politischen Bildung, die Einstellungen eines »homo democraticus« und einer »femina democratica« normativ zu setzen (Schmitz 2000), empirisch zu erfassen (z. B. Almond/Verba 1963) oder didaktisch zu vermitteln (z. B. Westheimer/Kahne 2004). Und derzeit ist die Debatte wieder hochaktuell (z. B. Himmelmann/Lange 2005). Die Abneigung gegen undemokratische Regime reicht, so die Annahme, nicht aus für das gute Funktionieren einer Demokratie, sondern weitere demokratieförderliche Orientierungen der Bürgerschaft sind erforderlich. In der Literatur wird eine Vielzahl notwendiger demokratieförderlicher Einstellungen der Bürger genannt, darunter zum Beispiel Patriotismus, soziale Verantwortungsübernahme, Gesetzestreue, Rücksichtnahme, Toleranz, sozialer Mut, Gemeinwohlorientierung, Empathie, Engagement in der Gemeinde, Anerkennung der Rechtsstaatlichkeit, Zivilität oder Sozialkompetenz, ein »offenes« im Gegensatz zu einem »geschlossenen« Ego, ein Weltbild, das eine Pluralität von Werten umfasst, ohne dabei ein einzelnes absolut zu setzen, ein grundlegendes soziales Vertrauen oder eine ausgewogene psychische Struktur (Berg-Schlosser 2002).88 Jedoch besteht keine Einigkeit darüber, welche dieser Einstellungen prioritär und welche eher nachrangig für demokratische Systeme sind. Die Bewertung und die Prioritätensetzung hängen ab von den jeweiligen – konkurrierenden – Demokratiekonzepten, deren Vielfalt mittlerweile ein nahezu unüberschaubares Ausmaß erreicht. Bereits ein kursorischer Einblick illustriert die Bandbreite der Konzepte sowie der Versuche, sie zu systematisieren. Genannt werden beispielsweise – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – repräsentative, partizipative, liberale, ökonomische, pluralistische, deliberative, kommunitaristische, diskursive, assoziative, konstruktivistische, republikanische, soziale bzw. sozialistische Ansätze (z. B. Ferree u.a. 2002; Rose/Pettersen 2002; Schmidt 2000). Wenn also im Folgenden ermittelt wird, welche Orientierungen als demokratieförderlich erachtet werden, können nicht alle Ansätze berücksichtigt werden. Ich konzentriere
—————— 88 Z. B. Heater 2004; Westheimer/Kahne 2004; Rose/Pettersen 2002; Galston 2001: 217; Diamond 1993: 8 ff.; Easton 1965; Almond/Verba 1963.
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mich auf die derzeit in Wissenschaft, Gesellschaft und Politik debattierten Konzepte. Dies sind in erster Linie elite- bzw. repräsentationsorientierte und liberale sowie partizipative und deliberative Ansätze. Die Aufarbeitung der theoretischen Ansätze wird ergänzt durch Debatten und empirische Ergebnisse der Civic-Education- und der Politische-Kultur-Forschung. Jede dieser theoretischen Ansätze und empirischen Studien schreibt den Bürgern spezifische Aufgaben im jeweils als ideal erachteten demokratischen System zu und beurteilt dementsprechend unterschiedliche Orientierungen als demokratieförderlich.89 In einer Synopse werden abschließend die idealen Bürgerorientierungen zusammengefasst und ihre Auswahl begründet. Elite- bzw. repräsentationsorientierte und liberale Demokratietheorien Theorien, die vor allem repräsentative Elemente von Demokratie betonen, fokussieren aufgrund der aus ihrer Sicht überragenden Bedeutung des politischen Führungspersonals besonders auf die idealen Charakteristika und Aufgaben der Elite (Michels 1908: 49). Schumpeter (1950), einer der bekanntesten Vertreter dieser Richtung, ist überzeugt, dass die Masse kaum zu einem eigenen politischen Willen in der Lage ist, vielmehr erscheint ihm der Volkswille als »das Erzeugnis und nicht die Triebkraft des politischen Prozesses« (ebd.: 418). Die Einstellungen der Bürger sind aus dieser Sicht eher irrelevant, da sie von den Eliten weitgehend modelliert werden können. Auch in liberalen Demokratietheorien sind die Einstellungen der Bürger nicht von zentralem Interesse. Als entscheidend gelten jedoch die politischen Institutionen. Ein demokratisches System funktioniert aus dieser Sichtweise, wenn durch gut konzipierte und funktionierende institutionelle Arrangements aus der Summe individueller Interessen und nutzenmaximierender Entscheidungen das Allgemeinwohl entwickelt wird – gleichgültig wie tugendhaft die Bürger sind (z. B. Münkler/Loll 2005: 46). So sind die meisten Autoren überzeugt, dass »a liberal democracy could function effectively even in the absence of an especially virtuous citizenry, by creating checks and balances« (Kymlicka 2002: 285; Kymlicka/Norman 1994: 359). Für die politische Kontrolle sind in erster Linie, wenngleich nicht ausschließlich, verfassungsrechtliche oder gesetzlich legitimierte Institutio-
—————— 89 Vorgestellt wird, welche Orientierungen als demokratieförderlich gelten – unabhängig davon, ob die jeweiligen Ansätze politische Kritik befürworten oder nicht.
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nen zuständig, wie beispielsweise Verfassungsgerichte oder Rechnungshöfe (horizontale »accountability«, Lauth 2004: 86). Aus der Perspektive dieser Ansätze sind in Demokratien nur wenige spezifische Bürgertugenden nötig (vgl. zur Diskussion auch Barber 2003: 143; v. Beyme 2003: 28). Allerdings stellen Vertreter dieses Demokratieverständnisses insofern klare Anforderungen an die Bürger, als eine ihrer Bedingungen für den Erfolg der »demokratischen Methode« lautet, dass die Wählerschaft auf »hohem intellektuellen und moralischen Niveau« sein müsse, um »gegen Angebote von Schwindlern und Querulanten gefeit zu sein« (Schumpeter 1950: 467 f.). Als Grundvoraussetzung für stabile Demokratien gilt die politische Informiertheit (Dahl 1992: 45 ff.), wobei Bürger allerdings keine umfassenden Kenntnisse benötigen. Wichtig ist vielmehr, dass die Bürger ihre Interessen kennen und ausreichend über Durchsetzungsmöglichkeiten Bescheid wissen. Sie brauchen ein minimales Verständnis für politische Sachverhalte und ein »enlightened understanding of possible government actions and policies« (ebd.: 96 f., Hervorhebungen im Original, B.G.). Die politische Informiertheit der Bürger ist vor allem notwendig für eine sinnvolle Eliteauswahl aus einer Gruppe von wettstreitenden Politiker-Kandidaten. Weiterhin muss die große Mehrheit gewillt sein, die demokratischen Spielregeln einzuhalten. Sie muss also »über die Grundlagen ihrer institutionellen Struktur im wesentlichen einig« sein (Schumpeter 1950: 478). Wichtig ist ebenfalls die Teilnahme an Wahlen, also ein gewisses Ausmaß an politischer Partizipation. Denn ohne Beteiligung bei der Eliteauswahl gäbe es keine Konkurrenz unter den Kandidaten und damit keinen politischen Markt, das heißt keine Demokratie. Aktuell führt Patzelt (1998) die repräsentationsorientierte Argumentationslinie weiter. Ähnlich wie bei Schumpeter spielt auch bei Patzelt die politische Informiertheit der Bürger eine für Demokratien zentrale Rolle. Eine gut funktionierende Demokratie benötige vor allem politisch aufgeklärte Bürger, die zumindest bei Wahlen partizipieren (vgl. auch Kap. 5). Partizipationsorientierte Demokratietheorien Partizipative Theorien gehen auf Rousseau zurück, der in seinen Schriften das Ideal einer Demokratie ohne Trennung zwischen Repräsentant und Repräsentierten beschrieb. Eine solche radikale Forderung nach Identität von Herrschern und Beherrschten wird heute allerdings kaum noch vertreten; die meisten Befürworter partizipativer Demokratie plädieren zwar
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für ein Maximum an (freiwilliger) politischer Beteiligung, wollen dabei jedoch die repräsentative Demokratie beibehalten und um partizipative Elemente erweitern. Verschiedene Ansätze wie strong democracy, deep democracy oder participatory governance meinen dabei trotz unterschiedlicher Begriffe ähnliche Formen der weitgehenden, jedoch nicht ausschließlichen Selbstregierung und Selbstorganisation der Bürger. Demokratie wird nicht als Markt konkurrierender Eliten gesehen, sondern als Gesellschafts- und Lebensform. Bürger haben dabei auch zwischen den Wahlen die Möglichkeit, aktiv an Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen teilzunehmen (Fung/ Wright 2001; Barber 1984; Pateman 1970). Diese partizipativen Vorstellungen werden mit unterschiedlichen Argumenten begründet: Erstens würden die Ergebnisse politischer Entscheidungen verbessert sowie zweitens deren Implementation vereinfacht; drittens setze eine politische Qualifizierung der Bürger ein, die nicht nur deren politische Kenntnisse vertiefe, sondern egoistische Menschen in verantwortungsvolle, gemeinwohlorientierte Bürger transformiere (Fung/Wright 2001; Mansbridge 1999; Barber 1984: 232; Pateman 1970). Chief virtue ist in diesen Theorieansätzen die partizipative Orientierung (z.B. Barber 2003: 133). Die Demokratie ist, so lautet die generelle Prämisse, »auf aktive Bürger angewiesen, und wo diese fehlen, kann keine Demokratie entstehen oder wird sehr schnell wieder zerfallen« (Münkler/ Krause 2001: 299). Partizipation gilt als Funktionsvoraussetzung demokratischer Systeme und als Ausdruck menschlicher Selbstverwirklichung. Als demokratieförderlich zählen Einstellungen, die entweder die Partizipation fördern oder durch Partizipation gefördert werden. Beispielsweise wird politische Informiertheit als Voraussetzung für Partizipation betrachtet, gleichzeitig führt aber, so die Annahme, Partizipation zur besseren politischen Informiertheit. Manche Vertreter dieses Ansatzes betonen sogar, dass die Anforderungen an die Bürger in partizipativen Demokratien niedrig seien, da alle für die Partizipation notwendigen Eigenschaften durch die Partizipation erlernt werden (z. B. Pateman 1970). Als weitere zentrale demokratieförderliche Orientierung gilt auch in diesem Ansatz die politische Informiertheit, worunter einerseits konkrete Kenntnisse zu verstehen sind, aber andererseits auch ein offenes, flexibles und sich im Akt der Partizipation veränderndes Wissen (z. B. Barber 2003: 169; Pateman 1970). Der »sense of political efficacy« ist eine weitere bedeutsame Orientierung (Pateman 1970: 45 ff.), denn das Vertrauen in die eigenen Kompetenzen ist eine Grundvoraussetzung für jegliches Engage-
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ment (internal efficacy). Ohne dieses allgemeine Gefühl von Selbstvertrauen, die Welt zu verstehen und in ihr agieren zu können, sei Partizipation, so Pateman, nicht möglich. Ebenso wichtig für erfolgreiche partizipative Demokratie ist eine nicht-parochiale Haltung der Bürger. Sie sollen in der Lage sein, die Beziehung zwischen dem öffentlichen und ihrem privaten Leben zu erkennen (»that public and private interest are linked«, Pateman 1970: 25).90 Die Fähigkeit zur Toleranz ist eine weitere günstige Voraussetzung für das Gelingen von partizipativer Demokratie. Damit geht die Anerkennung der Meinung des Anderen einher sowie ein verantwortungsvoller, respektvoller Umgang miteinander (Barber 2003: 175, 219; vgl. auch Pateman 1970). Neben diesen Orientierungen werden weitere vage Eigenschaften wie beispielsweise Kooperations-, Kommunikations- und Mobilisierungsfähigkeit, das »commitment« gegenüber kollektiven Entscheidungen oder soziale Kompetenzen als Voraussetzungen für partizipative Demokratien erachtet (z. B. Elkin/Soltan 1999). Diskursiv-deliberative Demokratietheorien Partizipative und diskursiv-deliberative Demokratietheorien weisen eine Vielzahl an Übereinstimmungen auf, und die Zuordnung von Autoren und Ansätzen zu dem einen oder anderen Theoriestrang ist nicht in jedem Fall möglich. Beispielsweise wird Barber, einer der bekanntesten Vertreter partizipativer Ansätze, auch als deliberativer Theoretiker etikettiert (z.B. von Fuchs 1998). Partizipative Ansätze betonen jedoch eher den Akt der Beteiligung, zum Beispiel den Wahlakt bei Bürgerentscheiden. Bei diskursivdeliberativen Ansätzen stehen demgegenüber vor allem die Prozesse der Willensbildung und Entscheidungsfindung durch Deliberation im Mittelpunkt. Kernelement deliberativer Ansätze ist »the emphasises on public discussion, reasoning and judgement« (Bohman 1998: 400). Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse finden idealerweise durch inklusiven, öffentlichen Austausch von Argumenten zwischen allen Betroffenen und Interessierten als gleichberechtigten Akteuren statt. Deliberation schließt explizit die politische Peripherie, das heißt vor allem die Zivilgesellschaft, ein und ist nicht nur auf die Repräsentanten in den Vertretungskörperschaften und formale Experten beschränkt (z. B. Habermas 1982). Die
—————— 90 Nach Barber (2003) haben sich die Bürger durch das »outsourcen« politischer Verantwortung auf die Führungskräfte von der Politik entfremdet, sichtbar zum Beispiel an der niedrigen Wahlbeteiligung bei gleichzeitiger politischer Unzufriedenheit.
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Vorstellung von Demokratie als Deliberation, Inklusion und Konsensfindung bildet dabei das Gegenkonzept zur Konzeption von Demokratie als Markt und Elitenauswahl. Über welche demokratieförderlichen Einstellungen sollte ein Bürger aus dieser Perspektive idealerweise verfügen? Aus verschiedenen Publikationen kann eine Vielzahl an Orientierungen herausgelesen werden (z.B. Ferree u.a., 2002: 302–306). Vor allem in älteren Veröffentlichungen wurde die Befähigung zum vernunftorientierten Argumentieren als notwendig erachtet, welche ein hohes kognitives Niveau impliziert. Zweckmäßig ist ein Mindestmaß an politischer Informiertheit, um Argumente austauschen zu können. Allerdings werden in neueren Arbeiten nicht mehr nur das rationale Argument, sondern auch andere Formen der Kommunikation, zum Beispiel das Erzählen oder der Erfahrungsaustausch, als deliberationsfähig erachtet. Bürger müssen hierfür die Fähigkeit besitzen, zuzuhören und andere zu verstehen, sowie über ein hohes Maß an Toleranz verfügen. Denn sie werden auch mit Personen, die andere Wertesysteme vertreten und deren Argumente sie vielleicht sogar ablehnen, in einen Dialog treten. Als ideal gilt ebenso die Fähigkeit, Eigeninteressen im Kontext von Allgemeinwohlinteressen zu sehen oder sogar erstere den letzteren unterzuordnen (Gutman/Thompson 1996: 43). Notwendig ist ebenso eine partizipative Orientierung, denn ohne eine derartige Orientierung würden Bürger nicht an Deliberationsprozessen teilnehmen. Politische-Kultur-Forschung Spätestens seit den sechziger Jahren führte die Frage, welche Orientierungen in stabilen Demokratien besonders verbreitet sind, zu einer Vielzahl an empirischen Analysen. Vor allem die Politische-Kultur-Forschung befasst sich von Beginn an mit den idealen Einstellungen der Staatsbürger in demokratischen Systemen (z. B. Dalton 1999: 69; Adorno u.a. 1969; Almond/ Verba 1963). Sie überprüft nicht nur, welche politischen Einstellungen in konsolidierten, stabilen Demokratien vorherrschen (Almond/Verba 1963), sondern auch, ob sie mit dem Funktionieren (z. B. Putnam 1993), der Konsolidierung (z. B. Merkel 1997) oder dem demokratischen Niveau eines politischen Systems (z. B. Inglehart/Welzel 2005) zusammenhängen. Dabei arbeitet die Politische-Kultur-Forschung mit unterschiedlichen Metho-
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den.91 Zu finden sind beispielsweise internationale Vergleiche mit relativ großen Fallzahlen (z. B. Welzel/Inglehart 2005), (historische) Fallstudien einzelner Staaten (z. B. Merkel 1999) oder Analysen von Kommunen in einem Land (z. B. Putnam 1993). Es überwiegen Querschnittstudien, welche beispielsweise die Verbreitung verschiedener Orientierungen in einem Staat zu einem bestimmten Zeitpunkt mit dessen demokratischem Entwicklungsniveau zum selben Zeitpunkt vergleichen. Seltener werden langfristige Effekte analysiert, indem beispielsweise frühere politische Orientierungen der Bürger mit demokratischen Institutionen in späteren Jahren verglichen werden (z. B. Inglehart/Welzel 2005). Verschiedene als demokratieförderlich erachtete Orientierungen sind in der empirischen Literatur zu finden. So stellten Almond und Verba fest: »(T)he informed, involved, rational, and active citizen« ist häufiger in gut funktionierenden Demokratien zu finden als in weniger erfolgreichen (Almond/Verba 1963: 339). Im Gegenzug bedeutet dies: »The passive citizen, the nonvoter, the poorly informed or apathic citizen – all indicate a weak democracy« (ebd.: 338). Dabei betonen Almond und Verba (1963) die Überzeitlichkeit dieser Resultate: »Theorists of democracy from Aristotle to Bryce have stressed that democracies are maintained by active citizen participation in civic affairs, by a high level of information about public affairs, and a widespread sense of responsibility.« (ebd.: 9). Und tatsächlich haben sie mit diesen Aussagen bereits im Kern umschrieben, was in späteren Jahren vielfach bestätigt wurde (z. B. Galston 2001). Bis heute werden auf ähnliche für gut funktionierende Demokratien notwendige Orientierungen verwiesen: Die Bedeutung der Partizipation für ein demokratisches System ist in der Politische-Kultur-Forschung unbestritten. Bürger müssen in einem demokratischen System ihre Wünsche, Forderungen und Erwartungen äußern und durch Beteiligung einbringen, wenn ein demokratisches System Bestand haben soll (van Deth/Elff 2004; Lafferty 2002). Es herrscht weiter-
—————— 91 Bis in die achtziger Jahre waren umfangreiche Analysen aufgrund von Datenmangel und begrenzten Auswertungsmethoden nur schwer möglich. So konnten zwar statistische Zusammenhänge zwischen den Einstellungsverteilungen und dem Entwicklungsstand demokratischer Systeme in einzelnen Ländern geprüft werden, Ländervergleiche mit vielen Variablen ließen sich jedoch kaum durchführen. Erst mit der Etablierung großer ländervergleichender Surveys wie beispielsweise des World Values Surveys, des Eurobarometers oder des Latino-Barometers sowie mit der Entwicklung immer besserer statistischer Methoden waren weitergehende empirische Analysen möglich (Muller/Seligson 1994: 635).
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hin Konsens darüber, dass Bürger in Demokratien ein Minimum an politischem Wissen und Informiertheit benötigen. So verweist beispielsweise Galston (2001) darauf, dass erst politisches Wissen die Bürger befähigt, den Zusammenhang zwischen Politik und ihrem Leben zu erkennen, ihre Interessen zu verstehen und im politischen Prozess durchzusetzen. Als demokratieförderlich gelten ebenso die Unterstützung demokratischer Prinzipien (Galston 2001) sowie internal efficacy, also das subjektive politische Kompetenzgefühl (Niedermayer 2001: 28; Reef/Knoke 1999; Vetter 1997). Verschiedene Gründe werden hierfür angeführt. So schrieben Almond und Verba in den sechziger Jahren: »(T)he belief in one’s competence is a key political attitude. The self-confident citizen appears to be the democratic citizen.« (Almond/Verba 1963: 207). Politisch selbstbewusste Bürger seien, dies zeigen auch andere Studien, demokratischer und toleranter (Sniderman 1975). Bürger sollen weiterhin ein Gefühl der Verbindung zwischen ihrem Leben und der Politik erkennen, also keine parochiale Haltung einnehmen (Lafferty 2002). Schließlich werden noch Patriotismus und Nationalstolz als zentrale Orientierungen eines guten, demokratischen Bürgers gewertet (z. B. Dalton 2004; Heater 2004). Bereits Easton hatte die affektive Bindung an die politische Gemeinschaft als wichtigen Pfeiler eines politischen Systems hervorgehoben und bis heute stimmen vor allem US-amerikanische Autoren darin überein, dass ein guter, demokratischer Bürger sein Land in patriotischer Weise lieben sollte. Politische Bildungs-Forschung Die Frage nach dem idealen Bürger erlebt derzeit vor allem in internationalen Debatten zur demokratischen Bildung (civic education) eine Blüte. Dabei wird vor allem diskutiert, welche Tugenden als Erziehungsideal der civic education gelten bzw. gelten sollten.92 Um zu erfahren, welche Ziele das Lehrpersonal für politische Bildung in verschiedenen Staaten verfolgt, analysierten Torney-Purta und andere (2001) deren Bildungsideale im internationalen Vergleich.93 Die meisten Experten, so das Ergebnis, betrachteten es als zentrale Aufgabe der politischen Bildung, politisches Wissen und
—————— 92 Vgl. beispielsweise Westheimer/Kahne 2004; Galston 2001: 219; Mendelsohn/Cutler 2000; Elkin/Soltan 1999; Torney-Purta u.a. 1999; Patzelt 1998. 93 Torney-Purta u.a. (1999: 15): »The goal of the study is to identify and examine in a comparative framework the ways in which young people are prepared to undertake their role as citizens in democracies and societies aspiring to democracy.«
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Fähigkeiten zur Teilnahme am politischen Geschehen, also politische Partizipation(-sbereitschaft) zu vermitteln. Auch in der Bundesrepublik nannten 90 Prozent der befragten Lehrer für politische Bildung Ende der neunziger Jahre politische Informiertheit und Partizipationsbereitschaft als Leitorientierung (Händle u.a. 1999: 264). Eine Face-to-Face-Befragung deutscher Experten der politischen Bildung aus dem Jahr 2005 erlaubt es, ein detailliertes Bild der Bildungsideale in der Bundesrepublik nachzuzeichnen (s. Buck/Geissel 2009).94 Befragt wurden Führungspersonen aus dem Bundesministerium für Bildung und Forschung, aus der Bundeszentrale für politische Bildung und aus allen parteinahen politischen Stiftungen, einflussreiche Personen aus Kultur und Medien sowie Vertreter der Kultusministerkonferenz. Die politische Bildung war, so die Bildungsexperten, »in den ersten beiden Jahrzehnten (der Nachkriegszeit, B.G.) dadurch geprägt, dass man sehr viel Wert legte auf die Stabilisierung der Demokratie«. Ziel war in erster Linie die Integration der Bürger in den demokratischen Staat. Ab Mitte der neunziger Jahre sei es stärker um die Entwicklung des politischen und kritischen Bewusstseins sowie um Partizipation gegangen. Der kritische Bürger, so meinten mehrere der interviewten Bildungsexperten, sei ein Begriff aus dieser Zeit; gerade in der 68-Bewegung sei der kritische Bürger »ein Lernziel der politischen Bildung gewesen«. Nach wie vor soll politische Bildung, bei diesem Punkt stimmen alle Befragten überein, dazu führen, dass die Bürger »aufgeklärt und informiert [sind], kritisch hinterfragen […] und politische Sachverhalte erkennen, durchschauen, analysieren können«. Es herrscht weitgehend Konsens darüber, dass das Ziel der politischen Bildung die Vermittlung von »praktischem Wissen um Rechte und Pflichten, aber auch von Handlungsbereitschaft« ist. Als konstitutive demokratierelevante Einstellungen wurden genannt: Die Bürger sollen aktiv am politischen Leben teilnehmen (»in der Politik, in der Gemeindearbeit oder in der Zivilgesellschaft«, »sich nicht völlig zurückziehen«), kompetent und informiert sein (»mit der Wertordnung des Grundgesetzes vertraut sein«, »die Institutionen kennen«). Sie sollen also »mündig, kritisch und aktiv am gesellschaftlichen und politischen Leben teilnehmen« und sich informieren. Weiterhin sollen sie sich in
—————— 94 Durchgeführt wurde die Befragung von Alexy Buck (London School of Economics und Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung). Die folgenden Zitate beziehen sich auf die nicht veröffentlichten Interviews und können bei der Autorin eingesehen werden.
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gewisser Weise mit der politischen Ordnung und demokratischen Prinzipien verbunden fühlen, »nicht staatshörig sein, sondern den Staat mittragen, aber eben aus einer Überzeugung heraus«, und sich »innerhalb der Rechtsordnung« bewegen. Auch die Bereitschaft zur Verteidigung von Demokratie wird als Zielorientierung genannt. Auffällig ist, dass sich unter bundesrepublikanischen politischen Bildungsexperten seit den neunziger Jahren eine Verschiebung feststellen lässt vom Idealbild des politisch-kritischen Bürgers hin zum ökonomisch selbstständigen, eigenverantwortlichen Bürger, der möglichst wenig sozialstaatliche Leistungen erwartet, erwerbsfähig ist und mit neuen wirtschaftlichen Anforderungen umgehen kann. Das Leitmotiv ist heute nicht mehr nur der in erster Linie politisch kritische, sondern der politisch und ökonomisch mündige Bürger. Viele Experten sehen heute als ideale Einstellungen die Selbstständigkeit (»für sich selber sorgen«), die »Verantwortungsübernahme für das eigene Handeln, die Bereitschaft zur Verantwortung für den Staat, die Gesellschaft, die Gruppe«, die Fähigkeit für den eigenen Broterwerb aufzukommen, sowie geringes Anspruchsdenken gegenüber dem Staat. Ziel sei es, »einen mündigen Bürger zu erziehen, der weiß, ich muss […] in Zukunft sehr viel stärker für mich selber sorgen, als das früher der Fall gewesen ist«. Demokratieförderliche Orientierungen: Synopse und Auswahl Die Diskussion der Staatsbürgerideale in unterschiedlichen theoretischen Ansätzen und empirischen Studien illustriert die Spannbreite der als demokratieförderlich erachteten Orientierungen. Doch nicht alle Orientierungen, die als ideal und optimal dargestellt werden, können als explizit konstitutiv für demokratische Systeme erachtet werden. Viele dieser Einstellungen sind nicht demokratiespezifisch, sondern auch in nichtdemokratischen Systemen funktional. Beispielsweise wird jedes System, gleichgültig ob demokratisch oder nicht, von Patriotismus und Nationalstolz profitieren. Patriotismus beschränkt sich dabei keineswegs nur auf Demokratien und kann undemokratische Züge annehmen. Eine demokratieförderliche Eigenschaft des Patriotismus kann somit angezweifelt werden. Gerade in einem Land wie der Bundesrepublik mit seiner nationalsozialistischen Vergangenheit lehnen Bürger mit ausgeprägter Demokratieüberzeugung überdurchschnittlich häufig Patriotismus ab. Die Vorstellung von Patriotismus
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als demokratienotwendiger oder -förderlicher Orientierung konnte sich dort kaum durchsetzen. Auch andere Eigenschaften, wie beispielsweise Gesetzestreue, ökonomische Selbstständigkeit, Anspruchslosigkeit gegenüber dem Staat oder das Bedürfnis nach stabiler Ordnung sind zweifellos in Demokratien wichtig, aber auch nichtdemokratische Regime ziehen daraus Nutzen. Entsprechende Orientierungen dürften die Funktionstüchtigkeit der meisten politischen Systeme stärken und können nur bedingt als speziell förderlich für Demokratien bezeichnet werden. Desgleichen ist die Gemeinwohlorientierung der Bürger zahlreichen Gesellschafts- und Regierungsformen zuträglicher als ausschließlich auf ihr eigenes Wohl bedachte Individuen. Als optimal erachtete Bürgertugenden wie das Handeln nach gemeinsamen Werten und Normen, die Übernahme von Gemeinschaftspflichten sowie moralisches Handeln sind ebenso wenig nur in Demokratien zweckmäßig. In welchem politischen System wären entsprechende Orientierungen nicht erstrebenswert? Sie werden auch in Kulturkreisen für wichtig erachtet, in welchen funktionierende Demokratien noch eher die Ausnahme sind. Einige als demokratieförderlich gewertete Einstellungen können nicht berücksichtigen werden, da sie mit Hilfe von Umfragedaten nur schwer zu ermitteln sind. Beispielsweise kann die Fähigkeit zuzuhören und die Toleranz im direkten Austausch mit Andersdenkenden nur durch Feldstudien nachgeprüft werden. In Umfrageforschungen kann lediglich erfasst werden, ob Toleranz als demokratischer Wert erachtet wird. Als konstitutiv für Demokratien – aber dysfunktional und kontraproduktiv in nichtdemokratischen Systemen – sind die in Tabelle 18 aufgelisteten Orientierungen zu werten.
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Tabelle 18: Synopse: Demokratieförderliche Orientierungen
Einstellungen Partizipation Informiertheit/ Interesse Keine politisch bzw. demokr. Entfremdung Internal Efficacy Demokratieverteidigung Toleranz Unterstützung demokr. Prinzipien
Eliteorientiert
Partizip.
Diskursiv/ Politische Polititische deliberativ Kult.-F. Bildung
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
(+)
+
+
+
+
0 0 0
+ (+) +
+ (+) +
+ 0 +
+ (+) +
0
+
+
+
+
Legende: + = explizit genannt und in großem Ausmaß erwünscht (+) = implizit erwähnt und in gewissem Ausmaß notwendig 0 = nicht besonders erwähnt, in einem Mindestmaß als sinnvoll erachtet
In allen Theorien wird davon ausgegangen, dass Demokratien eines gewissen Maßes an Partizipation bedürfen, zumindest der Teilnahme an Wahlen. Über den Sinn einer weitergehenden Beteiligung herrscht zwar Dissens, aber eine Demokratie, die nur aus politisch passiven Bürgern besteht, wird in keiner Theorie angestrebt. Partizipation erscheint somit als eine Einstellung, die als demokratieförderlich betrachtet werden kann. Als zweite Einstellung ist politische Informiertheit zu nennen, welcher alle Ansätze eine gewisse Bedeutung zuschreiben. Die Frage, wie viel politisches Wissen Bürger haben, haben können oder haben müssen, wird zwar kontrovers diskutiert, aber ein Mindestmaß wird generell als notwendig für ein demokratisches System erachtet. Selbst elitetheoretische Ansätze, die von der politischen Masse in erster Linie Vertrauen und Loyalität erwarten, verlangen, dass Wähler zumindest über ausreichende Informationen verfügen, um das politische Führungspersonal sinnvoll auswählen zu können. Eine dritte, in der Literatur weitgehend einheitlich als demokratieförderlich betrachtete Orientierung ist das Fehlen politischer Entfremdung, oder mit anderen Worten, eine nicht-parochiale Einstellung und eine gewisse politisch-demokratische Verbundenheit.95 Demokratietheorien aller Couleur erachten es als demokratieschädlich, wenn die Bürger keine Verbindung zwischen sich selbst
—————— 95 Begriffe wie politische Entfremdung sind zum einen Sammelbegriffe für unterschiedliche Phänomene. Andererseits »verstecken« sich Einstellungen, die als Entfremdung bezeichnet werden können, ebenso hinter anderen Termini wie beispielsweise hinter dem Terminus Politikverdrossenheit.
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und der Politik sehen können. Wenn es beispielsweise der Mehrzahl der Bürger gleichgültig ist, ob sie in einer Demokratie oder in einem nichtdemokratischen System leben, hat dies demokratieschädliche Auswirkungen. Viertens ist der Glaube an die eigenen politischen Kompetenzen (internal efficacy) zu berücksichtigen. Ein Staat mit einer Bevölkerung ohne internal efficacy dürfte Schwierigkeiten haben, sich als Demokratie zu etablieren. Weiterhin werden die Befürwortung von Toleranz, die Unterstützung demokratischer Prinzipien sowie die Bereitschaft zur Demokratieverteidigung als demokratieförderlich beschrieben. Es wird im Folgenden zu prüfen sein, welche Kritik-Dimensionen mit welchen demokratieförderlichen Einstellungen zusammenhängen und welche der vorgestellten Kritik-Typen demokratieförderliche Profile aufweisen. Aufgrund der Datenlage können dabei nicht in allen Datensätzen alle demokratieförderlichen Orientierungen untersucht werden (vgl. zum vergleichenden Überblick Anhang II und Anhang III, Tabelle 50)
3.2
Orientierungen und Profile kritischer Bürger – Forschungsstand
Profile kritikbereiter Bürger Wie bereits beschrieben, liegen nur wenige Studien zur Kritikbereitschaft vor. Einschlägig ist die Studie von Westle (1997), die ergab, dass Personen mit ausgeprägter Kritikbereitschaft eher partizipieren, überdurchschnittliches politisches Interesse sowie subjektives politisches Kompetenzgefühl aufweisen und demokratische Prinzipien häufiger unterstützen. Nichtkritikbereite interessieren sich demgegenüber weniger für Politik, fühlen sich in geringerem Ausmaß kompetent und zeigen eine geringere Bereitschaft, sich zu engagieren. Sie verzichten eher auf demokratische Rechte wie Meinungsfreiheit oder rechtsstaatliche Grundsätze, während die Kritikbereiten diese eher als unabdingbare demokratische Prinzipien erachten. Das Profil der Kritikbereiten ist somit insgesamt demokratieadäquater als das Profil jener Personen, die Folgebereitschaft postulieren (Westle 1997). So lassen sich für meine Studie folgende Hypothesen formulieren: – Kritikbereite sind politisch aktiv, während die Nichtkritikbereiten eine geringere politische Aktivität(-sbereitschaft) zeigen.
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– Da die Kritikbereiten sich stärker für Politik interessieren als die Nichtkritikbereiten, ist bei ihnen eine überdurchschnittliche politische Informiertheit zu erwarten. Dasselbe gilt für die internal efficacy. – Zur Beziehung zwischen politischer Entfremdung und Kritikbereitschaft sind konträre Hypothesen möglich. Da kritikbereite Bürger möglicherweise eine größere Distanz zu den politischen Führungskräften und Institutionen aufweisen, könnte ihre politische Verbundenheit relativ gering sein. Ebenso nahe liegend ist jedoch auch, dass sie sich besonders stark mit dem politischen Leben verbunden fühlen, weil sie es als Pflicht empfinden, sich damit zu beschäftigen. Auch könnte besonders den Kritikbereiten die Demokratie und deren Entwicklung am Herzen liegen. – Kritikbereite sind eher bereit zur Toleranz und befürworten demokratische Prinzipien in besonderem Maß. Profile bezüglich der politischen Zufriedenheit In der Literatur sind einige Hypothesen und empirische Befunde zum Zusammenhang zwischen politischer Zufriedenheit und den hier interessierenden Einstellungen zu finden, wobei die Zufriedenheit teilweise als abhängige und teilweise als unabhängige Variable fungiert: Manchmal werden mit der politischen Zufriedenheit andere politische Orientierungen wie Partizipationsbereitschaft, Informiertheit, internal efficacy usw. erklärt. Manchmal wird die gegenteilige Einflussrichtung angenommen und Orientierungen wie Informiertheit oder Partizipationsbereitschaft werden als Erklärungsfaktoren für Zufriedenheit gewertet (z. B. Gabriel 2000a; Norris 1999a). Im Einzelnen sind folgende Beziehungen zu erkennen: Der Zusammenhang zwischen Partizipation und Zufriedenheit kann zunächst anhand der in Demokratien konstitutiven Beteiligungsform, dem Wahlakt, beantwortet werden: Personen, die mit dem Funktionieren der Demokratie zufrieden sind, wählen etwas häufiger als die Unzufriedenen, und auch das Vertrauen in politische Institutionen korreliert positiv mit der Bereitschaft zur konventionellen Partizipation (Norris 1999a: 261). Unzufriedene und zufriedene Bürger unterstützen außerdem unterschiedliche Parteien. Während die Zufriedenen eher die »Mainstream«-Parteien wählen, entscheiden sich die unzufriedenen Wähler häufiger für Oppositionsund Protestparteien (Hofferbert/Klingemann 2001: 374 ff.; Kleinhenz 1995: 183).
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Werden weitere Partizipationsformen berücksichtigt, erweisen sich die unzufriedenen Bürger im Vergleich mit den zufriedenen als partizipationsfreudiger und aktiver, wie auch das Ergebnis einer aktuellen Untersuchung von Gaiser u.a. (2003), basierend auf Daten des DJI-Jugendsurvey, zeigt.96 Eine Studie aus den USA der siebziger Jahre stellte ebenfalls fest, dass Bürger, die politisch teilweise zufrieden und teilweise unzufrieden waren, ein größeres politisches Beteiligungspotenzial aufwiesen als die zufriedenunterstützenden Bürger (Sniderman 1981: 90 f.).97 Und Dalton (2002) ermittelte in den USA, Großbritannien, Deutschland und Frankreich einen – wenngleich schwachen – Zusammenhang zwischen der politischen Unzufriedenheit und der Beteiligung an politischem Protest (ebd.: 68). Politische Zufriedenheit scheint eher die parteiförmige Beteiligung sowie die Wahlbeteiligung zu stimulieren, während politische Unzufriedenheit sich eher in nicht-institutionalisierten Formen äußert – aber robust sind diese Zusammenhänge keineswegs (Dalton 2004: 171 ff.). Je nachdem, welche Art der Partizipation in welchem Kontext untersucht wurde, variieren die Ergebnisse und lassen zusammenfassend keine eindeutige Vorreiterrolle der zufriedenen oder unzufriedenen Bürger bei der Partizipation erkennen. Was ist nun über die politische Informiertheit bekannt? In einer US-amerikanischen Studie aus den achtziger Jahren standen die moderat Unzufriedenen bei der politischen Informiertheit an der Spitze. 35 Prozent dieser Gruppe erreichten die höchsten Informiertheitswerte. Demgegenüber waren Personen mit hohem politischem Wissen am seltensten unter den Zufriedenen zu finden (13 Prozent).98 Politisch ahnungslos waren unter den Zufriedenen immerhin 42 Prozent, bei den moderat Unzufriedenen waren es lediglich 18 Prozent (Sniderman 1981: 106 ff.). Ähnlich verweisen aktuell Gaiser u.a. (2003) in der Bundesrepublik darauf, dass die unzufriedenen Demokraten eine überdurchschnittliche politische Kompetenz aufweisen.
—————— 96 Erfragt wurden die Mitgliedschaft und die Aktivitäten in politischen Organisationen und verschiedene andere Formen politischen Engagements. 97 Gefragt wurde nach der Teilnahme bei einem »Sit-In«, bei einem »Boycott« oder bei einer »Protest rally or march« sowie nach der Bereitschaft, sich an diesen Protestformen zu beteiligen (ebd.: 69). 98 Politisches Wissen wurde anhand von Fragen nach konkreten Kenntnissen wie beispielsweise den folgenden ermittelt: »Wie häufig kann der Präsident in den USA wiedergewählt werden?«, »Wie hoch ist der Anteil des Verteidigungsetats am Budget der USA?«, »Welche Positionen hatten die folgenden Personen inne (z. B. Henry Kissinger, William Fulbright)?« (Sniderman 1981: 178 ff., Übersetzung B.G.).
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Weit verbreitet ist die Vorstellung, dass politische Unterstützung (»system support«) und politische Entfremdung (»political alienation«) ein Gegensatzpaar darstellen (z. B. Reef/Knoke 1999). Damit einher geht häufig die Auffassung, dass Bürger, die politische Kritik üben, auch politisch entfremdet seien.99 In meiner Studie können diese Konzeptualisierungen jedoch nicht angewandt werden. Denn Unzufriedenheit mit dem politischen System wird nicht per se als Zeichen für politische bzw. demokratische Entfremdung erachte. Tatsächlich liegen zum Zusammenhang zwischen politischer Unzufriedenheit und demokratischer beziehungsweise politischer Entfremdung unterschiedliche Ergebnisse vor. Einerseits stellte Westle (2003) fest, dass weder zufriedene noch unzufriedene Bürger demokratische Prinzipien, wie beispielsweise Rede- oder Versammlungsfreiheit, in besonderer Weise unterstützen. In anderen Studien korreliert politische Unzufriedenheit jedoch mit einer ausgeprägten Befürwortung demokratischer Rechte und hohen Erwartungen an die Demokratie (Dalton 2004: 192; 2002: 253). Welzel (2002: 123) vermutet sogar, dass die Unterstützung demokratischer Rechte und institutionelles Misstrauen zwei Seiten derselben Medaille darstellen. Bürger, die demokratische Freiheiten präferieren, seien autoritätskritisch und begegneten deshalb den staatlichen und politischen Institutionen mit Misstrauen, während institutionelles Vertrauen »zu einem Gutteil Ausdruck von Autoritätsvertrauen, wenn nicht gar Autoritätsgläubigkeit« sei und auf »einen gewissen Mangel an Kritikfähigkeit« hinweise (vgl. ähnlich Dalton 2004).100 Sniderman (1981) zog aus seinen empirischen Ergebnissen noch weitergehende Konsequenzen: Der völlig zufriedene Typus sei eine »especially threatening species« (ebd.: 42), denn er unterstütze die Regierung blind (ebd.: 43). Demgegenüber würden die moderat Unzufriedenen überdurchschnittliche demokratieförderliche Orientierungen aufweisen: »They have shown themselves to be better citizens than the committed […] (and) come closer to being good citizens in a democratic society.« (35 f.). Aus den bisherigen teilweise widersprüchlichen Ergebnissen können einige, wenngleich noch vage Hypothesen abgeleitet werden:
—————— 99 So erfassen einige Autoren politische Entfremdung anhand der Indikatoren Politikerbewertung, wirtschaftliche bzw. politische Zufriedenheit, politisches Vertrauen oder (vor allem in der US-amerikanischen Literatur) Einstellungen zum »government« (z. B. Kleinhenz 1995; Lockerbie 1993). 100 Bestätigt wird dies von dem erstaunlichen Resultat, dass einige autoritäre Regime wie beispielsweise China oder Belarus relativ hohe Werte beim institutionellen Vertrauen aufweisen – höher als in manchen etablierten Demokratien (Welzel 2002: 123 f.).
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– Das Ausmaß der Zufriedenheit wirkt sich auf die Ausprägung und die Struktur der Partizipation aus, wobei Zufriedene eher konventionelle und Unzufriedene eher nicht-institutionalisierte Partizipationsformen präferieren. – Unzufriedene sind politisch informierter als Zufriedene. – Politische Entfremdung sowie internal efficacy korrelieren mit dem Ausmaß an Zufriedenheit, wobei unklar bleibt, ob die Beziehung positiv oder negativ ist. – Bezüglich der Unterstützung von Toleranz sowie demokratischer Prinzipien sind die Ergebnisse uneindeutig. Ich gehe als Arbeitshypothese davon aus, dass die Zufriedenen die jeweils demokratieförderlichen Ausprägungen aufweisen. – Studien zu den interagierenden Effekten von normativer Disposition (Kritikpflicht) und situativer Bewertung (Zufriedenheit) liegen zwar nicht vor. Ich vermute, dass interagierende Effekte zwischen Kritikbereitschaft und Unzufriedenheit existieren.
3.3
Empirische Analyse
3.3.1 Kommunen Partizipation und partizipative Orientierung Zwischen der Zufriedenheit und der politischen Partizipation bestehen bezüglich der Wahlbeteiligung nur schwache, bezüglich aller anderen Beteiligungsformen keine Beziehungen.101 Die Kritikbereitschaft steht dem-
—————— 101 89 Prozent der Befragten gaben an, bei der letzten Kommunalwahl gewählt zu haben, 92 Prozent wollen sich bei der nächsten Kommunalwahl beteiligen. Die Mehrheit der Befragten (ca. 70 Prozent) hatte sich darüber hinaus in dem erfragten Zeitraum in der einen oder anderen Form mindestens einmal politisch engagiert. Die Bürgerinnen und Bürger der neuen Bundesländer sind dabei aktiver bei der Eingabe von Petitionen und weniger aktiv in Bürgerinitiativen (Ausnahme: Saalkreis). Die Teilnahme an genehmigten Demonstrationen ist in größeren Städten (Halle, Köln, Dessau) weiter verbreitet als in ländlichen Gegenden. Die BürgerInnen der neuen Bundesländer beteiligen sich etwas seltener parteipolitisch als jene der alten Bundesländer. In Dessau und im Saalkreis hat sich sogar ein höherer Prozentanteil für Sachplebiszite engagiert als in Parteien. Ein genereller Zusammenhang zwischen Gemeindegröße und Wahl der Partizipationsform konnte, entgegen einigen Ergebnissen älterer Studien (Arzberger 1980: 115 ff.), nicht festgestellt werden.
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gegenüber in signifikantem statistischem Zusammenhang mit allen Partizipationsformen – der Wahlbeteiligung, dem Einreichen von Petitionen, dem Kontakt mit Politikern, dem Engagement in Bürgerinitiativen, der Teilnahme an Unterschriftenaktionen und der Teilnahme an Demonstrationen. Die Kritikbereiten weisen die besten Werte bei der Partizipation auf, gleichgültig ob sie zufrieden oder unzufrieden sind. Demgegenüber sind die Nichtkritikbereiten weniger partizipationsfreudig, wobei auch bei dieser Gruppe das Ausmaß der Zufriedenheit irrelevant ist. Zufriedenheit ist somit nicht die zentrale Bezugsdimension für die Partizipation, sondern die Kritikbereitschaft. Die Partizipation/-sbereitschaft der Bürger mit undemokratischer Systempräferenz ähnelt dabei in erstaunlicher Weise der partizipativen Orientierung der nichtkritikbereiten Bürger. Nichtkritikbereite Bürger haben sich in ähnlicher Weise vom politischen Leben verabschiedet wie jene, die undemokratische Systeme befürworten. Wie sehen nun die Partizipationsprofile der Typen aus? Eine Übersicht gibt Tabelle 19. Tabelle 19: Partizipation/-sbereitschaft der Kritik-Typen (GEM) Kritikbereit- Kritikbereit- Nichtkritikb.- Nichtkritikb.- Undemokr. zufrieden unzufried. zufrieden unzufried. Systempräf. Passive Wähler/ Nichtwähler Aktive Wähler
24
24
33
35
34
76
76
67
65
66
Datenbasis: Gemeindestudie: SFB 580, Teilprojekt A4: Lokale Eliten, Bevölkerungsbefragung.
Favorisieren die verschiedenen Typen nun unterschiedliche Partizipationsformen? Bei der Teilnahme an Wahlen existieren keine Unterschiede (tab. nicht ausgewiesen). Der Typus der Kritikbereit-Unzufriedenen ist jedoch bei den meisten anderen Beteiligungsformen am stärksten vertreten. 20 Prozent dieser Gruppe engagierte sich in den letzen drei Jahren mindestens einmal in einer Bürgerinitiative (Durchschnitt: 14 Prozent; Nichtkritikbereite: ca. 10 Prozent). Auch bei Unterschriftenaktionen sind die Kritikbereit-Unzufriedenen besonders stark vertreten. Oder negativ formuliert: Nur 25 Prozent der Kritikbereit-Unzufriedenen haben im Befragungszeitraum an keiner Unterschriftenaktion teilgenommen. Demgegenüber waren 43 Prozent der Nichtkritikbereit-Zufriedenen, 36 Prozent der Nichtkritikbereit-Unzufriedenen und immerhin 32 Prozent der Kritikbereit-Zufriedenen nicht an Unterschriftenaktionen beteiligt. Bei den Petitionen und Eingaben liegt der kritikbereit-unzufriedene Typus ebenfalls vorn (16 Prozent versus Durchschnitt: 13 Prozent). Die kritikbereiten Zufriede-
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nen gaben demgegenüber etwas häufiger als die kritikbereiten Unzufriedenen an, in Parteien mitzuarbeiten.102 Die Kritikbereit-Unzufriedenen dominieren somit eher bei Aktivitäten, die nicht auf Parteien bezogen sind, die zufriedenen Kritikbereiten eher die Parteien-Welt.103 Politische Informiertheit Die empirische Erfassung von politischer Informiertheit ist relativ jung und trifft auf eine Vielzahl von Schwierigkeiten (z. B. Price 1999: 591 f.; Delli Carpini/Keeter 1996). Einheitliche und im (inter-)nationalen Maßstab vergleichbare Analyseinstrumentarien zur Messung politischer Informiertheit fehlen. Auch ist umstritten, welches Wissen vorhanden sein muss, um als politisch informiert zu gelten.104 Die politische Informiertheit wird in der Gemeindestudie in Form des Wissens über die lokale Politik erfasst (vgl. Anhang II). Die meisten Befragten sind beispielsweise überzeugt zu wissen, wer der Bürgermeister bzw. Landrat in ihrer Gemeinde ist (81 Prozent). Tatsächlich nennen knapp 70 Prozent den richtigen Namen (s. zur Debatte um »vorgetäuschtes Wissen« Reuband 2001).105 Im Durchschnitt nimmt etwa die Hälfte der Interviewten lokal-politische Ereignisse intensiv wahr (47 Prozent) und etwa genauso viele geben an, lokale Ereignisse lediglich schwach zu verfolgen. Ein Fünftel der Befragten kennt keine einzige Möglichkeit, Einfluss auf das lokale politische Geschehen zu nehmen, knapp die Hälfte der Befragten kennt eine Form der politischen Ein-
—————— 102 Kritikbereit-Zufriedene: 7 Prozent, Kritikbereit-Unzufriedene: 5 Prozent, NichtkritikbereitZufriedene: 6 Prozent, Nichtkritikbereit-Unzufriedene: 4 Prozent, undemokratische Systempräferenz: 4 Prozent. 103 Wenig erstaunlich ist dabei, dass vor allem die Kritikbereit-Unzufriedenen für erweiterte politische Einflussmöglichkeiten und stärkere Mitspracherechte der Bürger plädieren. Während 64 Prozent von ihnen der Ansicht sind, dass die Bürger ihre lokalen Angelegenheiten selbst bestimmen sollten, stimmen die Nichtkritikbereit-Zufriedenen nur zu 48 Prozent dieser Aussage zu. Die übrigen Gruppen befinden sich zwischen diesen Polen (kritikbereit-zufriedener Typus: 57 Prozent, nichtkritikbereit-unzufriedener Typus: 53 Prozent). 104 Diskutiert wird beispielsweise, ob Fakten- und Datenwissen, Prozesswissen oder Kenntnisse über Politiker Aussagen über die politische Informiertheit zulassen. 105 In den größeren Städten sind die Namen der Bürgermeister bzw. Landräte etwas häufiger bekannt als in den Kreisen. Die Befragten aus den ostdeutschen Kommunen kennen den Namen des Bürgermeisters signifikant häufiger als die Befragten aus den westdeutschen Kommunen.
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flussnahme, ein Viertel nennt zwei Formen und 7 Prozent drei oder mehr Optionen.106 Die Kritikbereitschaft hängt signifikant mit der Informiertheit über die lokale Politik zusammen (Zusammenhangswerte um .1). Wie erwartet sind die kritikbereiten Bürger besser informiert als die nichtkritikbereiten Bürger. Demgegenüber ist es für die meisten Arten lokal-politischer Informiertheit irrelevant, ob die Befragten zufrieden oder unzufrieden sind; eine statistische Beziehung zwischen lokal-politischer Informiertheit und der politischen Zufriedenheit existiert nicht. In welchem Verhältnis steht nun die Informiertheit zu den untersuchten Typen?107 Die Kritikbereit-Zufriedenen nehmen den Spitzenplatz bei der Informiertheit ein, sie sind besonders häufig gut informiert. Die Personen mit undemokratischer Systempräferenz sind demgegenüber am anderen Ende der Skala zu finden. Die Informiertheit der beiden nichtkritikbereiten Typen liegt zwischen jenen der kritikbereiten Typen und dem Typus mit undemokratischer Systempräferenz. Keine politische Entfremdung Als politisch entfremdet werden in der Gemeindestudie jene Personen definiert, welche die Ansicht vertreten, dass es »egal ist, was in der lokalen Politik passiert«. Diese Personen können offensichtlich keinen Zusammenhang zwischen der Politik und ihrem Leben erkennen. Als demokratisch entfremdet gelten jene, denen es gleichgültig ist, ob sie in einer Demokratie oder einer anderen Staatsform leben. Wie verteilen sich nun demokratische und politische Entfremdung unter den Befragten der Gemeindestudie? Die
—————— 106 Dabei bestehen zwischen den Bewohnern der beiden befragten Kreise und der größeren Städte ebenso wie zwischen den Befragten der alten und der neuen Bundesländer nur marginale Unterschiede. Dieses Ergebnis entspricht dem Fazit der meisten Studien, dass »im gesamten Jahrzehnt nach der Vereinigung […] keine wesentlichen und systematischen Ost-West-Unterschiede im politischen Interesse festzustellen sind« (Niedermayer 2001: 24). 107 Für diese Berechnung wurde aus Gründen der Vereinfachung ein Informiertheits-Index gebildet und die Werte dichotomisiert. Als »informiert« werden dabei jene Personen bezeichnet, die alle drei Informiertheits-Variablen kenntnisreich beantworten konnten. Personen, die zwei oder weniger der Items informiert beantworteten, werden als »nicht/wenig informiert« gewertet. Die Beschreibung von Bürgern als »gut informiert« bedeutet in meiner Studie somit nicht, dass sie umfassend und detailliert über Politik Bescheid wissen, sondern lediglich, dass sie über einige grundlegende Informationen verfügen. Die Mehrzahl der Befragten kann nach dieser niedrigschwelligen Zuschreibung als gut informiert (63 Prozent) gelten, 37 Prozent sind als uninformiert zu bewerten.
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meisten Interviewten sind überzeugt, dass es eine Rolle für sie spielt, ob die lokale Politik demokratisch ist oder nicht (85 Prozent), allerdings halten immerhin 14 Prozent dies für unwichtig. Die Anzahl der Befragten, welche keinen Zusammenhang zwischen ihrem Leben und der lokalen Politik sehen, ist erheblich höher. 34 Prozent sind der Ansicht, dass die lokale Politik wenig oder keinen Einfluss auf ihr Leben hat. Hinsichtlich politischer Zufriedenheit und Kritikbereitschaft zeigt sich das bekannte Muster. Die Kritikbereitschaft korreliert deutlicher mit der politischen und demokratischen Verbundenheit als die politische Zufriedenheit. Gibt es nun einen Zusammenhang zwischen Entfremdung und den Kritik-Typen? Tabelle 20 stellt beispielhaft die Zusammenhänge zwischen den Typen und der politischen Verbundenheit dar. Die Kritikbereit-Zufriedenen empfinden erwartungsgemäß die stärkste Verbundenheit mit der lokalen Politik und der lokalen Demokratie. Sie lehnen die Aussagen zur Irrelevanz von lokaler Politik und Demokratie am deutlichsten ab. Die Kritikbereit-Unzufriedenen belegen den zweiten Rang. Die Nichtkritikbereiten haben relativ hohe Verbundenheitswerte, erreichen aber nicht das Niveau der kritikbereiten Typen. Tabelle 20: Politische Entfremdung bzw. Verbundenheit der Typen (GEM) »Lokale Politik Kritikbereit- Kritikbereit- Nichtkritikb.- Nichtkritikb.- Undemokr. egal« zufrieden unzufried. zufrieden unzufried. Systempräf. Stimme über44 42 37 36 23 haupt nicht zu Stimme nicht zu 28 26 34 26 20 Stimme zu 13 13 13 15 20 Stimme voll und 13 16 16 20 33 ganz zu Angaben in Spaltenprozent, Datenbasis: Gemeindestudie: SFB 580, Teilprojekt A4: Lokale Eliten, Bevölkerungsbefragung.
Subjektives politisches Kompetenzgefühl/internal efficacy Die Mehrzahl der Befragten hat den Eindruck, lokale Politik zu verstehen (67 Prozent), wobei Bürgerinnen und Bürger in den alten Bundesländern etwas häufiger diese Ansicht vertreten als in den neuen Bundesländern (ähnlich für die Bundesebene: Niedermayer 2001: 31 f.). Tabelle 21 demonstriert die signifikante Beziehung zwischen den Typen und der internal efficacy.
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Es ist die Kombination aus Kritikbereitschaft und Zufriedenheit, die mit einem ausgeprägten Kompetenzbewusstsein einhergeht: Die Kritikbereit-Zufriedenen sind am stärksten von ihren Kompetenzen überzeugt. Nahezu die Hälfte von ihnen stimmt der Aussage, dass Politik zu kompliziert sei, überhaupt nicht zu. Bei den übrigen Typen mit demokratischer Systempräferenz zeigen sich nur geringe Differenzen. Tabelle 21: Internal Efficacy der Kritik-Typen (GEM) »Politik zu Kritikbereit- Kritikbereit- Nichtkritikb.- Nichtkritikb.- Undemokr. kompliziert« zufrieden unzufrieden zufrieden unzufried. Systempräf. Stimme über48 39 42 37 29 haupt nicht zu Stimme nicht zu 25 30 30 33 25 Stimme zu 21 21 20 18 25 Stimme voll und 5 9 7 9 17 ganz zu Angaben in Spaltenprozent, Datenbasis: Gemeindestudie: SFB 580, Teilprojekt A4: Lokale Eliten, Bevölkerungsbefragung.
Bereitschaft zur Demokratieverteidigung Die Mehrzahl der Befragten erachtet es als Bürgerpflicht, die Demokratie in der Stadt bzw. dem Kreis zu verteidigen (83 Prozent). Lediglich 13 Prozent lehnen dies ab. Die Kritikbereitschaft korreliert signifikant, die Zufriedenheit schwach mit der Bereitschaft zur Demokratieverteidigung. Auch bei dieser Orientierung unterscheiden sich vor allem die kritikbereiten und die nichtkritikbereiten Typen. Die beiden kritikbereiten Typen beurteilen die Verteidigung der lokalen Demokratie häufiger als alle anderen Typen als Bürgerpflicht. Besonders schlecht schneiden die Nichtkritikbereit-Unzufriedenen ab. Über ein Viertel dieses Typus hält Demokratieverteidigung für irrelevant. Einstellungen zu demokratischen Bürgerrechten In der Gemeindestudie wurden die Interviewten gebeten, aus einer Liste mit zentralen Freiheits- und Bürgerrechten jenes Recht auszuwählen, auf welches sie am ehesten verzichten würden. Circa 60 Prozent der Befragten vertreten die Position, auf keines der Rechte verzichten zu wollen. Zwischen dem Verzicht auf Bürgerrechte und der Kritikbereitschaft existiert eine signifikante Beziehung. 65 Prozent der kritikbereiten Befragten sagen
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aus, dass sie keines der aufgelisteten Rechte aufgeben würden, aber die Hälfte der Nichtkritikbereiten könnte sich vorstellen, eines der Rechte abzugeben. Das Ausmaß der Zufriedenheit hängt demgegenüber nicht mit der Bereitschaft zum Bürgerrechtsverzicht zusammen. Zufriedene und Unzufriedene unterscheiden sich diesbezüglich nicht. Der kritikbereit-unzufriedene Typus gibt am häufigsten an, auf kein Bürgerrecht verzichten zu wollen, gefolgt von den Kritikbereit-Zufriedenen. Demgegenüber können sich die beiden nichtkritikbereiten Typen eher vorstellen, ohne eines dieser Rechte auszukommen. Die NichtkritikbereitZufriedenen sind ebenso häufig zum Verzicht auf Bürgerrechte bereit wie Personen mit undemokratischer Systempräferenz. Und einzelne Bürgerrechte wie beispielsweise die politische Mitbestimmung würden die Nichtkritikbereit-Zufriedenen sogar häufiger als alle anderen Typen preisgeben. Blickt man auf die Beziehungen zwischen den Typen und den demokratiefreundlichen Einstellungen, so zeigt sich zusammenfassend ein eindeutiges Ergebnis (vgl. Tabelle 22): Es sind vor allem die kritikbereiten Typen, die besonders demokratieförderliche Profile ausweisen. Dabei treten bei einigen Aspekten die Kritikbereit-Zufriedenen, bei anderen Aspekten die Kritikbereit-Unzufriedenen hervor. Tabelle 22: Profile der Kritik-Typen (GEM) Kritikber.- Kritikber.- Nichtkritikb.- Nichtkritikb.- Undemokr. zufrieden unzufried. zufrieden unzufried. Systempr. Aktive Partizipation 76 76 67 65 66 Gute politische 72 67 63 62 59 Informiertheit Keine Entfremdung/ 71 69 70 62 43 nicht-parochial Starkes Kompetenz73 69 72 71 55 bewusstsein Demokratie91 90 84 73 86 verteidigung Kein Verzicht auf 64 68 50 55 50 Bürgerrechte Datenbasis: Gemeindestudie: SFB 580, Teilprojekt A4: Lokale Eliten, Bevölkerungsbefragung. Alle Beziehungen sind signifikant. Prozentangaben, Lesehilfe: 76 Prozent der Kritikbereit-Zufriedenen partizipieren aktiv; 62 Prozent der Nichtkritikbereit-Unzufriedenen haben eine nicht-parochiale Einstellung (»Politik nicht egal«).
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Erklären soziodemographische Faktoren die Profile? Nachdem die bivariaten Zusammenhänge zwischen den Kritik-Dimensionen und den demokratieförderlichen Einstellungen berechnet wurden, stellt sich die Frage, ob hier nicht Scheinbeziehungen vorliegen, die unter Einbeziehung von soziodemographischen Faktoren verschwinden. Denn es wäre denkbar, dass sowohl die Kritik-Dimensionen als auch die demokratieförderlichen Orientierungen auf ähnliche soziodemographische Hintergrundvariablen zurückzuführen sind. Beispielsweise könnten Kritikbereitschaft und Partizipation statistisch zusammenhängen, da sowohl Kritikbereite als auch politisch Aktive über ein relativ hohes Bildungsniveau verfügen. Die bivariate Beziehung zwischen Kritikpflicht und Partizipation würde also in einer multivariaten Analyse verschwinden. So ist also zu prüfen, ob sich bivariate Zusammenhänge zwischen den Kritik-Dimensionen und den demokratieförderlichen Orientierungen in multivariaten Analysen mit soziodemographischen Hintergrundvariablen weg-erklären lassen. Während das Modell 1 in Tabelle 23 über den Einfluss von Kritikpflicht und Zufriedenheit auf die jeweilige demokratieförderliche Orientierung informiert, zeigt das Modell 2, wie sich die Wirkungen der beiden Kritik-Dimensionen verändern, wenn die soziodemographischen Faktoren Bildung, Geschlecht, Alter und Erwerbsstatus konstant gehalten werden.108 Wie die Tabelle zeigt, verändern sich die Effektkoeffizienten von Modell 1 und Modell 2 zur Kritikbereitschaft und zur Zufriedenheit auch bei Konstanthaltung der soziodemographischen Faktoren kaum. Dies bedeutet, dass die statistischen Beziehungen zwischen den Kritik-Dimensionen und demokratieförderlichen Profilen auch dann erhalten bleiben, wenn soziodemographische Faktoren berücksichtigt werden.
—————— 108 Aufgrund des Skalenniveaus der abhängigen Variablen wird eine logistische Regression durchgeführt. Für eine vereinfachte Darstellung wurden die unabhängigen Variablen dichotomisiert oder metrisiert.
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3.3.2 Bundesländer Die Zusammenhangsmuster zwischen politischer Kritik und demokratieförderlichen Orientierungen sind keine Spezifika der Gemeindestudie, sondern sehen in der Bundesrepublik ähnlich aus. Die Beobachtungspflicht korreliert deutlicher mit demokratieförderlichen Orientierungen als das Ausmaß der Zufriedenheit, wie in der folgenden Auswertung deutlich werden wird (vgl. Tabelle 24). Tabelle 24: Kritik-Dimensionen und demokratieförderliche Orientierungen, bivariate Korrelationen (BRD) Partizipation Politisches Interesse Internal Efficacy Toleranz Unterstützung demokr. Rechte: Minderheitenschutz Unterstützung demokr. Rechte: Rechtsstaatliche Gleichheit
Beobachtungspflicht .16** .34** .27** .26**
Zufriedenheit .10** .14** .12** .14**
.15**
n.s.
.13**
.05*
Signifikanzniveaus: * p < .01; **p < .001. Datenbasis: ISSP-Survey 2004, Modul »Citizenship« (BRD)
Ebenso wie in der Gemeindestudie hängt die Partizipation/-sbereitschaft stärker mit der Beobachtungsbereitschaft zusammen als mit der Zufriedenheit. Bürger, welche die Politik-Beobachtung als Aufgabe eines guten Bürgers erachten, beteiligen sich in ihrer Freizeit signifikant häufiger an der Politik, als jene, welche diese Überzeugung nicht teilen. Die Erstgenannten sagen öfter aus, dass sie sich an Unterschriftensammlungen sowie an politischen Diskussionen beteiligen würden. Sie treten eher in eine politische Partei ein und befürworten, dass ein guter Bürger sich zivilgesellschaftlich betätigen sollte. Anschaulich lässt sich der Unterschied zwischen den Beobachtungsbereiten und jenen, die Beobachtungsbereitschaft für wenig bedeutsam ansehen, anhand der Teilnahme an politischen Veranstaltungen illustrieren. Kritikbereite haben in den letzten 12 Monaten vor Durchführung der Interviews deutlich häufiger an politischen Versammlungen teilgenommen. Auch behaupten sie seltener, nie an einer politischen Versammlung partizipieren zu wollen (vgl. Tabelle 25).
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Tabelle 25: Beobachtungspflicht und pol. Versammlungen (BRD) Bürgerpflicht: Regierungspolitik beobachten 1 Gar nicht wichtig 2 3 4 5 6 7 Sehr wichtig
Teilnahme an politischer Versammlung in letzten 12 nur früher nie beteiligt, nie, auf Monaten möglich keinen Fall 6 12 16 66 4 23 34 40 5 19 32 43 5 24 32 39 8 27 37 27 11 28 36 26 12 35 29 24
Angaben in Zeilenprozent, Datenbasis: ISSP-Survey 2004, Modul »Citizenship«(BRD).
Zwischen dem Ausmaß an Zufriedenheit und der Partizipation bzw. Partizipationsbereitschaft bestehen demgegenüber keine oder nur geringe statistische Beziehungen. Die Zufriedenheit korreliert beispielsweise weder signifikant mit der Freizeitaktivität »Beteiligung in der Politik« noch mit einer Parteimitgliedschaft oder der Teilnahme an Unterschriftensammlungen. Gibt es nun in diesem Datensatz interagierende Effekte zwischen der Beobachtungspflicht und der Zufriedenheit? Der nichtbeobachtend-unzufriedene Typus entpuppt sich auch in diesem Sample als politisch passive Gruppe, die sich weitgehend vom politischen Leben verabschiedet hat. Nahezu die Hälfte dieses Typus sagt aus, niemals an einer politischen Versammlung teilgenommen zu haben und auf keinen Fall jemals teilnehmen zu wollen. Der beobachtend-zufriedene Typus ist am aktivsten, gefolgt vom beobachtend-unzufriedenen Typus (vgl. Tabelle 26). Tabelle 26: Teilnahme an politischen Versammlungen der Kritik-Typen (BRD) Teilnahme an politischer Versammlung In den letzten 12 Monaten Nur früher Nie, aber möglich Nie, auf keinen Fall N
Beobacht.zufrieden
Beobacht.unzufrieden
Nichtbeob.zufrieden
Nichtbeob.unzufrieden
12
10
9
2
31 34 23 475
30 33 27 366
28 31 32 151
20 32 46 203
Angaben in Spaltenprozent, Datenbasis: ISSP-Survey 2004, Modul »Citizenship« (BRD).
Politische Informiertheit wurde im ISSP-Survey nicht abgefragt. Die Ermittlung des politischen Wissens ist forschungspraktisch gerade bei internationalen Surveys generell nicht einfach. Deshalb werden häufig andere Phä-
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nomene als Äquivalente herangezogen – in erster Linie das politische Interesse, welches zumindest Aussagen über die kognitive Orientierung zulässt (Niedermayer 2001; Price 1999: 593). So wird auch in dieser Studie das politische Interesse herangezogen. Der Zusammenhang zwischen dem politischen Interesse und der Beobachtungspflicht ist signifikant und auffällig. Personen mit einer ausgeprägten Beobachtungspflicht zeigen ein starkes bis mittleres Interesse an Politik. Demgegenüber interessieren sich Bürger, die Kritik kaum als Bürgerpflicht erachten, selten für das politische Geschehen. Unter den Nichtkritikbereiten sind politisch Desinteressierte am häufigsten zu finden. Das politische Interesse korreliert ebenfalls mit der Zufriedenheit, aber deutlich schwächer, wobei die Zufriedenen sich politisch interessierter beschreiben. Die Analyse des politischen Interesses nach Kritik-Typen verweist auf ein bekanntes Ergebnis: Es ist vor allem der beobachtend-zufriedene Typus, welcher politisch interessiert ist, während die NichtbeobachtendenUnzufriedenen sich ähnlich wie bei der politischen Beteiligung stärker vom politischen Leben zurückgezogen haben und wenig Interesse zeigen (vgl. Tabelle 27). Tabelle 27: Politisches Interesse der Kritik-Typen (BRD)
Sehr interessiert Interessiert Nicht sehr interessiert Gar nicht interessiert N
Beobacht.zufrieden 28 56 13 4 476
Beobacht.unzufrieden 23 52 20 5 374
Nichtbeob.zufrieden 17 41 34 8 147
Nichtbeob.unzufrieden 9 36 36 19 203
Angaben in Spaltenprozent, Datenbasis: ISSP-Survey 2004, Modul »Citizenship« (BRD).
Beobachtungsbereite verfügen weiterhin über ein ausgeprägtes politisches Kompetenzbewusstsein. Sie sind signifikant häufiger der Ansicht, dass sie »über die wichtigen politischen Themen in Deutschland ziemlich gut Bescheid wissen«. 26 Prozent aus dieser Gruppe kennen sich nach eigenen Angaben in der Politik aus und lediglich 1 Prozent halten sich selbst für uninformiert. Im Gegensatz dazu erachten lediglich knapp 10 Prozent der Befragten, die eine Beobachtungspflicht ablehnen, ihre politischen Kompetenzen als sehr gut; 26 Prozent von ihnen meinen, keine Ahnung in diesem Feld zu haben. Auch Unzufriedenheit hängt signifikant mit der internal efficacy zusammen, jedoch schwächer als die Beobachtungsbereitschaft.
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Die Analyse der Kritik-Typen bestätigt auch bezüglich der internal efficacy die bisherigen Ergebnisse: Die beiden Typen, welche eine Beobachtungspflicht befürworten, verfügen über ein größeres Kompetenzgefühl als jene, die sich einen guten Bürger ohne politische Beobachtungspflicht vorstellen. Der Typus der Nichtbeobachtend-Unzufriedenen schneidet auch bei der internal efficacy deutlich schlechter ab als alle anderen Typen (vgl. Tabelle 28). Tabelle 28: Internal Efficacy der Kritik- Typen (BRD) Über politische Themen Bescheid wissen Stimme voll zu Stimme zu Weder noch Stimme nicht zu Stimme gar nicht zu N
Beobacht.zufrieden 16 60 14 9 1 472
Beobacht.unzufrieden 16 51 16 13 4 363
Nichtbeob.zufrieden 12 42 23 18 5 147
Nichtbeob.unzufrieden 8 35 23 22 12 204
Angaben in Spaltenprozent, Datenbasis: ISSP-Survey 2004, Modul »Citizenship« (BRD).
Bürger, welche die Beobachtungspflicht befürworten, erachten weiterhin signifikant häufiger Toleranz als konstitutive Eigenschaft eines guten Bürgers. Vor allem sie vertreten die Ansicht, dass ein guter Bürger versuchen sollte, Andersdenkende zu verstehen, während die Nichtkritikbereiten dieser Aussage seltener zustimmen. Das Ausmaß der Zufriedenheit korreliert deutlich schwächer mit dem Verständnis für Andersdenkende. Zufriedene befürworten eine Bürgerpflicht zur Toleranz eher als Unzufriedene. Der beobachtend-zufriedene Typus sticht auch bei dieser Orientierung heraus. Er ist häufiger als alle anderen davon überzeugt, dass Toleranz eine Bürgerpflicht darstellt (39 Prozent), während der Typus der Nichtbeobachtend-Unzufriedenen diese Einstellung am seltensten teilt. Lediglich 13 Prozent dieses Typus hält das Verständnis für Andersdenkende für eine sehr wichtige Pflicht (vgl. Tabelle 29).
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Tabelle 29: Toleranz der Kritik-Typen (BRD) Guter Bürger: Andersdenkende verstehen 1 Gar nicht wichtig 2 3 4 5 6 7 Sehr wichtig N
Beobacht.zufrieden 0 1 1 10 20 29 39 475
Beobacht.- Nichtbeobacht.- Nichtbeobacht.unzufrieden zufrieden unzufrieden 1 1 2 13 21 30 32 362
1 5 11 16 22 28 17 256
4 4 8 23 23 25 13 203
Angaben in Spaltenprozent, Datenbasis: ISSP-Survey 2004, Modul »Citizenship« (BRD).
Die Beobachtungsbereitschaft, nicht jedoch die Zufriedenheit, korreliert signifikant und positiv ebenso mit der Anerkennung des Minderheitenschutzes. Bezogen auf die Typen bedeutet dies, dass 59 Prozent des beobachtend-zufriedenen Typus und 54 Prozent des beobachtend-unzufriedenen Typus den Minderheitenschutz als sehr wichtig erachten, während von den nichtbeobachtend-zufriedenen Bürgern lediglich 41 Prozent diese Ansicht teilen. Bei der Einstellung zur rechtsstaatlichen Gleichheit wiederholt sich dieses Muster. Eine ausgeprägte Zustimmung zur Beobachtungspflicht geht mit einer Befürwortung des rechtsstaatlichen Grundsatzes einher. Das Ausmaß der Zufriedenheit hängt demgegenüber kaum mit der Unterstützung dieses Grundsatzes zusammen. Während der beobachtend-zufriedene Typus zu 76 Prozent und der beobachtend-unzufriedene Typus zu 72 Prozent dieses Bürgerrecht als sehr wichtig erachtet, sind es bei den beiden nichtbeobachtenden Typen 68 Prozent bzw. 65 Prozent (vgl. Tabelle 30). Bei den Profilen der Typen ergibt sich somit ein der Gemeindestudie ähnliches Bild. Die beobachtenden Typen weisen das höchste Ausmaß an demokratieförderlichen Orientierungen auf und der nichtbeobachtendunzufriedene Typus hat bei den meisten Orientierungen die schlechtesten Werte. Dieser Typus partizipiert seltener als alle anderen Typen, er äußert kaum politisches Interesse, seine internal efficacy ist im Vergleich mit den anderen Typen unterdurchschnittlich, und er hält seltener als alle anderen Toleranz für eine Bürgerpflicht (vgl. Tabelle 31).
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Tabelle 30: Einstellung der Kritik-Typen zur Rechtsstaatlichkeit (BRD) Bürgerrecht: Gleichheitsgrundsatz 1 Gar nicht wichtig 2 3 4 5 6 7 Sehr wichtig
Beobacht.zufrieden
Beobacht.- Nichtbeobacht.- Nichtbeobacht.unzufrieden zufrieden unzufrieden
0 0 0 2 4 17 76
0 1 1 2 8 15 72
0 4 1 3 8 15 68
2 1 2 4 8 17 65
Angaben in Spaltenprozent, Datenbasis: ISSP-Survey 2004, Modul »Citizenship« (BRD).
Tabelle 31: Demokratieförderliche Orientierungen der Kritik-Typen (BRD)
Partizipation: Besuch pol. Versammlung Partizipation: nie Besuch pol. Versamml. Politisches Interesse: sehr groß Internal Efficacy: sehr hoch Toleranz: sehr wichtig Rechtsstaatl. Gleichheit: sehr wichtig
Beobacht.zufrieden
Beobacht.unzufrieden
Nichtbeob.zufrieden
Nichtbeob.unzufrieden
12
10
9
2
23
27
31
46
28
23
17
9
16
16
12
8
39
32
18
13
76
72
68
65
Datenbasis: ISSP-Survey 2004, Modul »Citizenship« (BRD). Prozentangaben, Lesehilfe: 38,5 Prozent des beobachtend-zufriedenen Typus sind der Ansicht, dass es die Pflicht eines guten Bürgers ist, Andersdenkende zu verstehen, und 59 Prozent von ihnen denken, dass Minderheitenschutz sehr wichtig ist (Wert 7 auf einer Skala von 1–7)
Erklären soziodemographische Faktoren die Profile? In der Gemeindestudie blieben die Beziehungen zwischen den KritikDimensionen und den demokratieförderlichen Merkmalen zwar bei der Kontrolle durch soziodemographische Faktoren konstant. Aber gilt dies auch für die Bundesrepublik? Während das Modell 1 der folgenden Tabelle (Tabelle 32) die Wirkungen der beiden Kritik-Dimensionen auf die demokratieförderlichen Orientierungen darstellt, lässt sich aus dem Modell 2
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ablesen, ob sich diese Werte verändern, wenn die soziodemographischen Faktoren konstant gehalten werden.109 Die statistischen Beziehungen zwischen den Kritik-Dimensionen und den demokratiefreundlichen Einstellungen verschwinden in der multivariaten Analyse nicht, sondern bleiben relativ konstant – wie im Vergleich zwischen Modell 1 und Modell 2 zu erkennen ist. Die bivariat ermittelten Zusammenhänge sind also keine Scheinbeziehungen. Die Beobachtungspflicht verliert auch unter Konstanthaltung soziodemographischer Faktoren ihre statistischen Beziehungen zu den demokratieförderlichen Orientierungen kaum. Die multivariate Analyse zeigt darüber hinaus einige interessante Besonderheiten. So korreliert das politische Interesse stärker mit der Beobachtungspflicht als mit soziodemographischen Daten. Und für die internal efficacy ist die Beobachtungspflicht ebenso bedeutsam wie die Bildung. Politisches Interesse und internal efficacy werden mit keiner der untersuchten Variablen besser »erklärt« als mit der Beobachtungspflicht.
—————— 109 Da die abhängigen Variablen intervallskaliert sind, ist im Gegensatz zur Gemeindestudie eine lineare Regression möglich.
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3.3.3 Staaten Die folgende Tabelle 33 zeigt die statistischen Zusammenhänge zwischen den demokratieförderlichen Orientierungen und den beiden Kritik-Dimensionen in den untersuchten Staaten. Tabelle 33: Kritik-Dimensionen und demokratieförderliche Orientierungen, Korrelationen (Staaten) Partizipation: Besuch pol. Veranstaltung Partizipation: Politische Diskussion Partizipation: Parteimitgliedschaft Politisches Interesse Internal Efficacy Toleranz Minderheitenschutz Rechtsstaatliche Gleichheit
Beobachtungspflicht Demokratiezufriedenh. .15** .08** .20** .08** .13** .04** .23** .10** .23** .10** .33** .09** .23** .04** .18** .01
Signifikanzniveaus: * p < .01; ** p < .001. Datenbasis: ISSP-Survey 2004, Modul »Citizenship« (Kanada, Neuseeland, Portugal, Schweden, Slowakei, Tschechische Republik). Beobachtungspflicht: 1 = überhaupt nicht, 7 = sehr wichtig. Demokratiezufriedenheit: 1 = schlecht, 10 = sehr gut Besuch politische Veranstaltung: 1 = im letzten Jahr, 4 = würde ich niemals tun. Politische Diskussion: 1 = oft, 4 = nie
Demokratieförderliche Orientierungen korrelieren auch im internationalen Datensatz deutlich stärker mit der Beobachtungspflicht als mit dem Ausmaß der Zufriedenheit.110 So ist es auch kaum erstaunlich, dass die Profile der Kritik-Typen ähnlich aussehen wie jene zur Bundesrepublik oder in der Gemeindestudie (vgl. Tabelle 34). Vor allem die beobachtenden Typen weisen wie in den bisher analysierten Datensätzen demokratieförderliche Profile auf. Dabei haben teilweise der beobachtend-zufriedene Typus und teilweise der bebachtend-nichtzufriedene Typus die besten Werte. Die nichtbeobachtenden Typen zeigen demgegenüber deutlich seltener demokratieförderliche Orientierungen.
—————— 110 Dies gilt sowohl im gepoolten Datensatz als auch innerhalb der einzelnen Staaten.
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Tabelle 34: Profile der Kritik-Typen (Staaten) Beobacht.zufrieden Partizipation: Besuch pol. Versammlung Partizipation: nie Besuch pol. Versamml. Politisches Interesse: sehr groß Internal Efficacy: sehr hoch Toleranz: sehr wichtig Rechtsstaatl. Gleichheit: sehr wichtig
Beobacht.unzufrieden
Nichtbeob.zufrieden
Nichtbeob.unzufrieden
11
8
4
4
27
37
45
51
10
11
3
3
12
12
5
5
42
45
21
21
74
79
60
53
Datenbasis: ISSP-Survey 2004, Modul »Citizenship« (Kanada, Neuseeland, Portugal, Schweden, Slowakei, Tschechische Republik). Prozentangaben, Lesehilfe: 11 Prozent des beobachtend-zufriedenen Typus besuchte in den letzten 12 Monaten eine politische Veranstaltung, 51 Prozent des nicht-beobachtenden-unzufriedenen Typus hat nie eine politische Versammlung besucht und würde dies auch nicht tun.
Erklären soziodemographische Faktoren die Profile? Können soziodemographische Faktoren nun bei den internationalen Daten die statistischen Beziehungen zwischen den Kritik-Dimensionen und den demokratieförderlichen Orientierungen weg-erklären? Im Vergleich zwischen Modell 1 und Modell 2 (vgl. Tabelle 35) zeigt sich, dass die statistischen Zusammenhänge zwischen den demokratieförderlichen Orientierungen und der Beobachtungspflicht auch bei Konstanthaltung soziodemographischer Faktoren erhalten bleiben.111 Einige Orientierungen werden durch die Beobachtungsbereitschaft sogar besser »erklärt« als durch alle anderen Faktoren, zum Beispiel Toleranz oder die Befürwortung des rechtsstaatlichen Gleichheitsgrundsatzes (vgl. Tabelle 35).
—————— 111 Die Korrelationen ändern sich auch kaum unter Konstanthaltung des BIP pro Kopf (ohne tab. Nachweis).
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134
3.4
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Fazit: Demokratieförderliches Profil bei den Kritikbereiten
Die Frage, ob politische Kritik eine Ressource oder eine Bedrohung für demokratische Systeme darstellt, wird in diesem Kapitel beantwortet. Korrelieren, so wurde untersucht, demokratieförderliche Orientierungen mit politischer (Un-)Zufriedenheit oder mit der Kritik- bzw. Beobachtungsbereitschaft? Um interagierende Effekte von Zufriedenheit und Kritikbereitschaft zu erfassen wurde ebenso geprüft, welche Kritik-Typen demokratieförderliche Orientierungen aufweisen. Wenn beispielsweise die kritikbereitzufriedenen Bürger häufiger ein demokratieförderliches Profil hätten als die Nichtkritikbereit-Zufriedenen, so wären erstere als Potenzial für Demokratie und letztere möglicherweise als Gefahr zu bezeichnen. Doch welche Orientierungen lassen sich überhaupt als demokratieförderlich bezeichnen? Für die Profilanalyse wurden jene Orientierungen ausgewählt, die in den meisten demokratietheoretischen Ansätzen, in der Politische-Kultur- sowie in der politischen Bildungsforschung als conditio sine qua non für das Funktionieren von Demokratien erachtet werden. Dies sind politische Informiertheit, politische Partizipation, keine Entfremdung, internal efficacy, Toleranz sowie die Befürwortung demokratischer Prinzipien. Einstellungen, die zwar als demokratiefreundlich gelten, aber auch in nichtdemokratischen Systemen funktional sind, zum Beispiel Patriotismus oder soziales Verantwortungsgefühl, sowie empirisch schwer fassbare Aspekte, beispielsweise eine »relativ ausgewogene psychische Struktur« oder ein »offenes Ego« (Berg-Schlosser 2002), wurden nicht berücksichtigt. Wie erwartet, verweisen die empirischen Analysen auf enge Zusammenhänge zwischen demokratieförderlichen Orientierungen und Kritikbereitschaft. Demokratieförderliche Orientierungen korrelieren deutlich stärker mit der Beobachtungsbereitschaft als mit der Zufriedenheit. Wer die Beobachtungspflicht für richtig erachtet, partizipiert stärker, befürwortet demokratische Rechte in besonderer Weise, hat ein höheres Kompetenzbewusstsein und ist politisch interessierter. Das Ausmaß der Zufriedenheit lässt demgegenüber kaum Rückschlüsse darauf zu, ob eine Person demokratieförderliche Orientierungen aufweist oder nicht: Es ist ebenso wahrscheinlich, dass ein zufriedener Bürger demokratieförderliche Orientierungen zeigt wie ein unzufriedener Bürger. Dieses Ergebnis spiegelt sich auch bei der Analyse der Kritik-Typen wider. Es sind vor allem die kritikbereiten Typen, welche sich durch ein
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besonders demokratieförderliches Profil auszeichnen. Die kritikbereiten Typen sind – unabhängig vom Ausmaß ihrer Zufriedenheit – informierter; sie partizipieren stärker, fühlen sich in höherem Maß mit dem demokratischen System verbunden und haben ein größeres politisches Kompetenzgefühl. Ihnen liegen demokratische Bürgerrechte überdurchschnittlich am Herzen und sie halten Toleranz für besonders wichtig. Kritik-Typen, welche die Beobachtungspflicht befürworten, weisen häufiger ein demokratieförderliches Profil auf als die nichtkritikbereiten Typen, während das Ausmaß der Zufriedenheit von geringerer Bedeutung ist. Die zufriedenen Typen zeigen dementsprechend ein gemischtes Bild. Zufriedenheit ohne Kritikpflicht geht nur selten mit besonders demokratieförderlichen Orientierungen einher. In allen drei Datensätzen weist der nichtkritikbereit-zufriedene Typus durchschnittliche oder sogar unterdurchschnittliche Werte auf. Der nichtbeobachtend-unzufriedene Typus schneidet noch deutlich schlechter ab als alle anderen Typen. Er ist besonders demokratiefern, entfremdet, resigniert sowie uninformiert und befürwortet am seltensten demokratische Bürgerrechte und -freiheiten. Mit gewisser Plausibilität könnte nun vermutet werden, dass die bivariaten Zusammenhänge zwischen Beobachtungsbereitschaft und demokratieförderlichen Einstellungen verschwinden, sofern in multivariaten Analysen soziodemographische Variablen berücksichtigt werden. Die multivariate Analyse widerspricht jedoch dieser Vermutung: Die statistischen Beziehungen zwischen der Kritikbereitschaft und den demokratieförderlichen Merkmalen bleiben in allen drei Datensätzen auch unter Einbeziehung soziodemographischer Faktoren bestehen. Die Kritikbereitschaft hängt in allen Bildungs- und Altersgruppen mit den demokratieförderlichen Orientierungen zusammen. Soziodemographische Faktoren können die demokratiefreundlichen Ausprägungen bei den Kritikbereiten nicht weg-erklären.
4. Sind kritische Einheiten demokratischer?
Wie gestalten sich nun die Beziehungen zwischen politischer Kritik in einer Kommune oder einem Staat und dessen demokratischem Niveau? Sind politische Einheiten mit einem hohen Anteil an kritikbereiten, nicht-kritikbereiten, unzufriedenen oder zufriedenen Bürgern »demokratischer«? Und wie lässt sich dies messen?
4.1
Konzeptuelle Überlegungen und Hypothesen
Wirkungsrichtungen zwischen politischer Kritik und dem gesellschaftspolitischen Kontext wurden in dieser Arbeit bereits in Kapitel 2 diskutiert. Die Annahme lautete, dass der Kontext sich auf das Ausmaß politischer Kritik bei den Bürgern auswirkt. Beispielsweise wurde analysiert, ob institutionelle Merkmale die Kritikbereitschaft von Bürgern beeinflussen. Eine umgekehrte Wirkungsrichtung, also die Beeinflussung des Kontextes durch einzelnen Bürger, wäre unwahrscheinlich gewesen. Auf der Aggregatebene ist der Fall jedoch anders. Wenn nämlich in einer Einheit eine ausreichende Masse an kritischen Bürgern112 vorhanden ist, wäre auch eine andere Kausalrichtung denkbar. Es könnte sein, dass eine Bürgerschaft mit ausgeprägter Kritikbereitschaft das demokratische Niveau einer Einheit positiv oder auch negativ beeinflusst. Welche Hypothesen zur Beziehung zwischen politischer Kritik und Demokratieniveau lassen sich hierzu finden?
—————— 112 Die Aussagefähigkeit von Populationsmerkmalen wird manchmal bezweifelt, da sie keine »echten« Kontextmerkmale darstellten und eine nicht vorhandene gesellschaftliche Homogenität vortäuschten. Jedoch beschreiben diese Merkmale durchaus den Zustand eines Aggregats (z. B. Welzel 2003: 182). Zwar sind Durchschnittswerte kaum aussagekräftig, wenn starke gesellschaftliche Spaltungen existieren. In den hier untersuchten Einheiten ist dies jedoch nicht der Fall.
SIND KRITISCHE EINHEITEN DEMOKRATISCHER?
137
Hypothesen zu den Wechselbeziehungen zwischen politischer Kritik und demokratischem Niveau Bisher existieren keine Theorien und nur wenige empirische Studien zum Zusammenhang zwischen politischer Kritik – und speziell Kritik- bzw. Beobachtungspflicht – und der Qualität von Demokratie. Allerdings können einige existierende Ansätze zur Hypothesenentwicklung herangezogen werden können. Vier vorläufige Hypothesen lassen sich dabei unterscheiden: Hypothese 1) Aus der Perspektive partizipativer und emanzipativer Ansätze wird das demokratische Niveau einer politischen Einheit durch politische Kritik zweifellos verbessert (s. auch Kap. 3.1.). Politische Kritik geht Hand in Hand mit demokratischer Qualität und Weiterentwicklung. Denn die Qualität von Demokratie wird erhöht, je mehr Bürger sich mit Politik befassen und konsequenterweise politische Kritik als Bürgerpflicht betrachten. Hypothese 2) In Anlehnung an eliteorientierte Autoren wie Schumpeter (1950) oder Sartori (1992: 181) ließe sich vermuten, dass eine Bevölkerung mit ausgeprägter Beobachtungspflicht schlecht für eine Demokratie ist. Durch die ständige Überwachung des Regierungshandelns könnten die Eliten in ihren Entscheidungen behindert werden und nur solche Entscheidungen fällen, die für die Bürger einsichtig sind. Dabei würden sowohl langfristige Aufgaben vernachlässigt als auch notwendige, aber für große Teile der Bevölkerung schmerzhafte oder unakzeptable Entscheidungen unterlassen. Demzufolge wären in ausgeprägt kritikbereiten Einheiten den Eliten gleichsam die Hände gebunden und effektives Regieren unmöglich, während die Eliten in Einheiten mit weniger beobachtungsfreudiger Bevölkerung gemäß ihres Sachverstands schalten und walten, also erfolgreich regieren könnten. Eine kritische Bürgerschaft würde somit Hand in Hand gehen mit schlechter Regierung und damit letztlich schlechter demokratischer Qualität. Hypothese 3) Nach einer Argumentation, welche im Anschluss an Dahl (1994) entwickelt werden kann, wird zwar durch eine kritische Bürgerschaft demokratische Legitimität und damit auch das demokratische Niveau befördert, aber politische Effektivität verhindert. Kritische Wachsamkeit gegenüber dem politischen Geschehen ist gut für das Demokratieniveau aber schlecht für die Effektivität. Eine nicht-kritikbereite Bürger-
138
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schaft wäre hingegen zwar nachteilig für das Demokratieniveau, gewährleiste aber effektives Regieren. Hypothese 4) Schließlich ist es ebenso möglich, dass keine Beziehung zwischen politischer Kritik und dem demokratischen Niveau einer Einheit existiert. Oder mögliche Beziehungen können zufällig sein und auf andere Erklärungsvariabeln, vor allem auf die ökonomische Entwicklung, zurückgeführt werden.
4.2
Indikatoren zur Messung des demokratischen Niveaus
Die Diskussion um geeignete Indikatoren zur Messung von Demokratie ist seit einigen Jahren in vollem Gange, und es liegen mehrere Verfahren vor (vgl. Lauth 2004; Berg-Schlosser 2000). Zwischen diesen Demokratiemessungs-Verfahren bestehen zwar vielfache Unterschiede, sie ähneln sich jedoch in (zumindest) dreierlei Hinsicht: Sie konzentrieren sich erstens auf Staaten, während die subnationale Ebene (Kommunen, Gliedstaaten in föderalen Systemen) bislang kaum berücksichtigt wurde. Gängige Demokratiemessungen fokussierten zweitens, zumindest bis in die neunziger Jahre, eher auf die Unterscheidung zwischen Demokratien und Nichtdemokratien. Somit waren sie »keine reinen Demokratiemessungen, sondern Regimetypbestimmungen« (Lauth 2004: 298). Erst seit Kurzem werden auch Qualitätsunterschiede zwischen Demokratien gemessen.113 Drittens beziehen sich Demokratiemessungen vorwiegend auf spezifische politische Strukturen und Institutionen (z. B. Freedom House; Jaggers/Gurr 1995). Ein politisches System wird als Demokratie identifiziert, sofern es spezifische institutionelle Arrangements zur Gewährleistung demokratischer prozeduraler Verfahren, in erster Linie Wahlen, aufweist. Politische Einstellungen der Bevölkerung und Elite-Merkmale blieben lange Zeit außerhalb des Blickfelds von Demokratiemessung.114
—————— 113 Vgl. z. B. UNDP 2006; Diamond/Morlino 2005: ix; Inglehart/Welzel 2005; Berg-Schlosser 2004a/b; Lauth 2004: 238 ff.; Landman/Häusermann 2003. 114 Ausnahmen sind das »democratic audit« (Weir/Beetham 1999) sowie der Transformationsindex zum demokratischen Status der Bertelsmann-Stiftung (www.bertelsmanntransformation-index.de, September 2006; s. auch: Pickel 2000; Welzel 2000; Merkel 1999). Bei einigen Messverfahren spielten zwar die Bürger eine zentrale Rolle, jedoch nur hinsichtlich ihres Partizipationsverhaltens bei den Wahlen (Vanhanen 1997; Dahl
SIND KRITISCHE EINHEITEN DEMOKRATISCHER?
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Die meisten gängigen Demokratiemessungen sind für meine Studie wenig ergiebig, denn sie berücksichtigen die subnationale Ebene nicht und lassen kaum Differenzierungen zwischen den hier interessierenden Demokratien zu (vgl. Kap. 2.2.3). Problematisch erscheint weiterhin, dass politische Einstellungen der Bürgerschaft und Elite-Merkmale nicht als Indikatoren demokratischer Qualität gewertet werden. Demgegenüber gelten in meiner Studie als Gradmesser für das demokratische Niveau einer Einheit neben den üblicherweise berücksichtigten politischen Institutionen auch Einstellungen der Bevölkerung und Elite-Merkmale (s. Welzel 2003/2005; Pickel 2000; Almond 1993; Diamond 1993: 423). Dies soll im Folgenden begründet werden. 115 Die Frage, ob und wie politische Einstellungen der Bürger und die Qualität von Demokratie zusammenhängen, wird diskutiert seitdem es Demokratien gibt (vgl. Kap. 3.1.). Sie erlebte eine Renaissance in der PolitischeKultur-Forschung beginnend mit Almond und Verba (1963) sowie Easton (1965). Dabei versucht die Politische-Kultur-Forschung nicht zuletzt nachzuweisen, dass politische Einstellungen der Bürgerschaft konstitutive Ingredienzien für eine erfolgreiche Implementation und Konsolidierung demokratischer Systeme sind. Eine Demokratie kann, so das Argument, erst als konsolidiert gelten, wenn auch die Bevölkerung demokratische Orientierungen aufweist. Entsprechende Studien zeigen, dass historisch be-
—————— 1989: 109). Die zögerliche Annäherung ist erstaunlich, denn die Politische-Kultur-Forschung und die vergleichende Demokratieforschung verfolgen ähnliche Ziele – beide generieren Informationen über Demokratisierungsprozesse und demokratische Stabilität. Lauth (2004: 301f) begründet die Zurückhaltung der Demokratieforschung, die politischen Einstellungen der Bevölkerung als Indikator für die Qualität einer Demokratie zu bewerten, vage mit der »Ungewissheit, nicht zu wissen, in welchem Maße die Messung von Einstellungen als valides Instrument zur Messung der Qualität der Demokratie zu verwenden ist« (ebd.: 302). Andererseits könne die Einstellungsforschung aber »als sinnvolle Ergänzung und zur Kontrolle anderer Messungen eingesetzt werden« (ebd.: 303). 115 Vor allem in der Transformationsforschung wird gefragt, in welchen Phasen eines Demokratisierungsprozesses den demokratischen Institutionen, der politischen Elite oder der Bevölkerung die zentrale Bedeutung zukommt. (z.B. Merkel 1999: 53 ff., 1997: 27; Barnes/Simon 1998: VIII). Die Wichtigkeit, die den Eliten, den Institutionen und der Bevölkerung für die demokratische Konsolidierung zugeschrieben wird, lässt sich auch an den Zyklen der bundesrepublikanischen Transformationsforschung erkennen. Sie interessierte sich bis Mitte der neunziger Jahre eher für Eliten und Institutionen, im Verlauf der neunziger Jahre trat die politische Kultur jedoch zunehmend in den Vordergrund (z. B. Falter/Gabriel/Rattinger 2000; Merkel 1997: 27 ff.; s. auch: Barnes/Simon 1998; Dahl 1998: 157).
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trachtet demokratische Einstellungen der Bürger der Einführung demokratischer Institutionen häufig vorausgingen (Welzel 2002). Basierend auf einer international vergleichenden Analyse kam zum Beispiel Inglehart (1988: 46), ein prononcierter Vertreter dieses Arguments, in den achtziger Jahren zu dem Schluss, dass »over a half of the variance on the persistence of democratic institutions can be attributed to the effects of political culture alone«. Einige Jahre später untersuchte er anhand von Daten des World Values Survey gemeinsam mit Welzel (2005) die Beziehung zwischen demokratischer Entwicklung und emanzipativen Forderungen. Ihre Analyse zeigte, dass demokratische Institutionen die emanzipativen Orientierungen nur gering beeinflussten, diese Orientierungen umgekehrt aber einen starken und signifikanten Einfluss auf die demokratischen Institutionen hatten (Inglehart/Welzel 2005: 246). Die Autoren zogen aus den empirischen Ergebnissen die Konsequenz, dass »the main causal arrow operates from mass values to democratic institutions, and not the other way round« (ebd.; zur Kritik z. B. Berg-Schlosser 2000: 303 f.; Seligson 2000).116 Eine politische Einheit, in welcher demokratieförderliche Orientierungen besonders häufig zu finden sind, kann somit als demokratischer gelten als eine Einheit, in welcher die entsprechenden Orientierungen seltener vertreten sind. Dementsprechend kann die Verteilung demokratieförderlicher Orientierungen in der Bevölkerung – ein Populationsmerkmal – als Gradmesser für das demokratische Niveau einer Einheit gewertet werden.117
—————— 116 Doch nicht alle Wissenschaftler teilen diese Einschätzung. Institutionenorientierte Autoren argumentieren, dass Bürger demokratische Einstellungen entwickeln, sobald demokratische Institutionen implementiert wurden. Eine demokratische politische Kultur ist aus dieser Sicht die Folge demokratischer Institutionen, jedoch nicht deren Ursache oder Voraussetzung. Als Beleg für die These, dass Bevölkerungseinstellungen eher irrelevant für die Konsolidierung und Stabilität einer Demokratie sind, werden häufig Deutschland, Österreich und Japan herangezogen (z. B. Merkel 1999: 117). Diese historischen Beispiele scheinen darauf hinzudeuten, dass sich die politische Kultur eines Landes demokratisiert, sobald die Institutionen demokratisch sind. Ähnlich betonen Lijphart und Waisman (1996), dass Erfolg und Misserfolg von Demokratien im Wesentlichen vom »institutional engineering« abhängen. Demokratische Institutionen würden nach der erfolgreichen Einführung per se zu demokratischen Einstellungen führen. Aus dieser Perspektive beeinflussen Institutionen die politischen Einstellungen der Bevölkerung stärker als die Bevölkerungseinstellungen die politischen Institutionen. 117 In Kapitel 3 wurde zwar bereits festgestellt, dass eine statistisch signifikante Beziehung zwischen der Kritikbereitschaft eines Individuums und seinen demokratieförderlichen Orientierungen besteht. Doch sind aus diesen Ergebnissen zu Individuen keineswegs Rückschlüsse auf Kollektive, also Kommunen oder Länder, zulässig – wie aus der Lite-
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Vertreter eliteorientierter Ansätze schreiben den politischen Eliten die entscheidende Rolle für die Etablierung, Konsolidierung und Stabilität von Demokratien zu. »Whether democracy succeeds or fails continues to depend significantly on the choices, behaviours, and decisions of political leaders and groups« (Lipset 1994: 18). »The survival of democracy depends upon the commitment of elites to democratic ideals rather than upon broad support for democracy by the masses.« (Dye/Zeigler 1970: 328, nach Dalton 2002: 18).118 Ohne die Unterstützung der politischen Eliten lassen sich demokratische Institutionen kaum installieren. Und die Eliten müssen gewährleisten, dass demokratische Institutionen mit Leben gefüllt werden. Erst wenn die Eliten von demokratischen Prinzipien überzeugt sind, demokratisieren sich die Bürger sowie die Institutionen formal und de facto, so lautet dieses Credo.119 Einstellungen und Merkmale von Eliten können somit durchaus als Gradmesser zur Bewertung des demokratischen Niveaus einer Einheit gewertet werden (z. B. Diamond/Morlino 2005: xxix; Inglehart/Welzel 2005: 192 ff.; Bertelsmann-Transformationsindex). Somit lassen sich die vier genannten Hypothesen zu den Wechselbeziehungen zwischen politischer Kritik und demokratischem Niveau einer Einheit – gemessen anhand von Bürgereinstellungen, Elite-Merkmale und Institutionen – verfeinern:
—————— ratur zu individualistischen Fehlschlüssen bekannt ist. Beispielsweise korrelieren soziales und politisches Vertrauen auf individueller Ebene nicht, während auf Aggregatebene eine positive statistische Beziehung existiert (Newton 2001: 203, 207 ff.). Ein zweites Beispiel basiert auf den Daten des East Asia Barometers: Auf der Aggregatebene bewertet eine Bevölkerung, die demokratische Rechte unterstützt, mit großer Wahrscheinlichkeit auch die Qualität der Demokratie in ihrem Staat positiv. Mit anderen Worten: Die Populationsmerkmale »Unterstützung demokratischer Rechte« und »Zufriedenheit mit der Demokratiequalität« korrelieren positiv. Demgegenüber ist die Beziehung zwischen diesen Phänomenen auf individueller Ebene negativ: Personen mit hohen demokratischen Anforderungen sind politisch unzufriedener (Chu/Wu 2006: 15 ff.). 118 Vgl. auch Best 2003; Higley u.a. 1998; Field/Higley 1983; Dahl 1971; zur Bedeutung der Elite speziell in Transformationsprozessen: Merkel 1999: 112-118. 119 Allerdings können vice versa Merkmale politischer Eliten auch mit der politischen Kultur in einem Land erklärt werden. Beispielsweise wiesen Almond und Verba darauf hin, dass Responsivität von Eliten eher in einer partizipativen politischen Kultur zu finden ist. Auch Inglehart und Welzel (2005: 191) zeigten, dass Elitehandeln durch politische Einstellungen der Bevölkerung erklärt werden kann. Gleichgültig wie die Wirkungsrichtung aussieht – Merkmale des politischen Führungspersonals sind zentral für Demokratien und lassen Rückschlüsse auf das demokratische Niveau einer politischen Einheit zu.
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Hypothese 1_verfeinert) Kritische, also kritikbereite und unzufriedene Einheiten erreichen ein besonders hohes demokratisches Niveau hinsichtlich der Verbreitung demokratieförderlicher Orientierungen in der jeweiligen Bürgerschaft, der Merkmale politischer Eliten sowie des demokratischen Niveaus politischer Institutionen. Hypothese 2_verfeinert) Eine ausgeprägte Kritikbereitschaft in einer politischen Einheit wirkt sich negativ aus. Auf lange Sicht führt sie zu politischer Ineffizienz, was letztlich negative Reaktionen in den anderen Bereichen mit sich bringt. So verschwinden demokratieförderliche Orientierungen in der Bürgerschaft, da die Bürger mit ökonomischen und anderen Problemen zu kämpfen haben. Politische Eliten und Institutionen werden nur noch ein Minimum an demokratischer und ökonomischer Performanz leisten können und zunehmend undemokratischer. Hypothese 3_verfeinert) Eine ausgeprägte Kritikbereitschaft und/oder Unzufriedenheit in einer politischen Einheit hat teilweise positive, teilweise negative Effekte auf das demokratische Niveau einer Einheit. Politische Kritik geht einerseits mit überdurchschnittlichen demokratieförderlichen Orientierungen der Bürger einher und kann der Elite-Korruption entgegenwirken. Aber die Elite-Handlungsfähigkeit wird andererseits so weit einschränken, dass politische Eliten kaum mehr effektiv arbeiten können und damit Politik letztlich ineffizient wird. Das demokratische Niveau politischer Institutionen mag zwar gefördert werden, aber aufgrund des ineffektiven Regierens werden langfristig ökonomische und vermutlich auch demokratische Leistungen kaum mehr erbracht werden können. Hypothese 4_verfeinert) Es gibt keine Beziehung zwischen politischer Kritik und dem demokratischen Niveau einer Einheit, weder mit demokratieförderlichen Orientierungen, dem demokratischen Niveau der Eliten oder der Institutionen.
4.3
Empirische Analyse
Die drei analysierten Datensätze erlauben jeweils die Überprüfung unterschiedlicher Indikatoren. Beispielsweise wurde das demokratische Niveau der institutionellen Arrangements bei der Gemeindestudie nicht analysiert. Denn es erschien höchst unwahrscheinlich, dass die Bewohner einer Ge-
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meinde die jeweils landesspezifische Kommunalverfassung, in welcher die institutionellen Arrangements von Kommunen festgelegt sind, beeinflussen könnten. Auch standen nicht zu allen Einheiten ausreichende Daten zur Verfügung. Beispielsweise gibt es keine Daten zur Elite-Integrität im Bundesländervergleich. So mussten die Indikatoren für jede Einheit jeweils spezifisch ausgewählt und angepasst werden. Aus statistischer Sicht problematisch sind die niedrigen Fallzahlen der Aggregate, welche aus sechs Kommunen (Gemeindestudie), zwölf Bundesländern (Bundesrepublik) und sechs Demokratien bestehen.120 Zur Überprüfung der Befunde wird deshalb abschließend eine größere Anzahl an Demokratien einbezogen.
4.3.1 Kommunen Zur Verbreitung demokratieförderlicher Orientierungen Die Vermutung, dass in besonders kritikbereiten Einheiten auch die höchsten Werte bei den demokratieförderlichen Orientierungen zu finden sind, lässt sich für die Kommunen bestätigen. Kommunen mit hohen Mittelwerten bei der Kritikbereitschaft haben besonders demokratieförderliche Profile (Jülich, Köln). Kommunen mit der geringsten Mittel-werten bei der Kritikbereitschaft (Halle, Saalkreis) weisen demgegenüber bei keiner der demokratieförderlichen Orientierungen höchste Werte auf, sondern liegen im unteren Mittelfeld (vgl. Anhang III, Tabelle 41). Werden die Typen in die Analyse einbezogen, so ergibt sich ebenfalls ein klares Bild. In drei der untersuchten Kommunen mit einem hohen Anteil an kritikbereit-zufriedenen Typen sind auch demokratieförderliche Orientierungen überdurchschnittlich verbreitet. Ohne individualistischen oder ökologischen Fehlschluss lässt sich also empirisch nachweisen, dass sich die Ergebnisse der Individualebene bei den Kommunen wiederholen. Kritikbereitschaft und demokratieförderliche Orientierungen korrelieren auch auf Aggregatebene positiv.
—————— 120 Allerdings waren kleine Fallzahlen in der Vergangenheit eher die Regel als die Ausnahme. Beispielsweise beschrieben Almond und Verba (1963: 43) ein ähnliches Problem: »If we want to test the relationship between a pattern of attitudes in a nation and some characteristics of a political system […] we have few cases in which to test it.« Sie lösten das Problem, indem sie die ausgewählten Einheiten als Exempel betrachteten.
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Politische Kritik und Elite-Merkmale In Kapitel 2 wurde diskutiert, wie Elite-Merkmale politische Kritik auf Individualebene beeinflussen. Nun interessieren die Zusammenhänge zwischen dem Populationsmerkmal Kritik und dem demokratischen Niveau der dortigen Eliten. Elite-Responsivität wird dabei als Indikator zur Messung des demokratischen Niveaus ausgewählt.121 Betrachtet man die Selbstaussagen der Eliten zu ihrer Responsivität, so ist diese in den Kommunen mit überdurchschnittlicher Unzufriedenheit zu finden, während das Ausmaß der Kritikbereitschaft keine Rolle spielt. Im Gegensatz dazu schätzt die Bevölkerung die Responsivitätseinschätzung der Elite-Responsivität vor allem in den Gemeinden mit einer überdurchschnittlichen Verbreitung des kritikbereit-zufriedenen Typus hoch ein. Dort werden die Eliten als besonders responsiv wahrgenommen. Bezüglich der Policy-Übereinstimmungen von Elite und Bevölkerung zeichnen sich keine einheitlichen Tendenzen ab. Die Zusammenhänge zwischen dem Elite-Merkmal Responsivität und dem Populationsmerkmal Kritik sind somit uneindeutig. Je nachdem, welcher Indikator angewandt wird, sehen die Beziehungen unterschiedlich aus.
4.3.2 Bundesländer Zur Verbreitung demokratieförderlicher Orientierungen In den Bundesländern, in welchen die Beobachtungspflicht verhältnismäßig klein geschrieben wird und die Zufriedenheit unter dem Durchschnitt liegt, sind auch demokratieförderliche Orientierungen schwächer vertreten als in den kritischen Länder (Ausnahme: Sachsen). Die Bewohner in Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt sind unterdurchschnittlich zufrieden und halten die Beobachtung der Politik relativ selten für eine Bürgerpflicht. In diesen Staaten sind auch die Mittelwerte für die Beteiligung in der Politik, für das politische Interesse, die internal efficacy sowie für die Toleranz besonders niedrig. Im Gegensatz dazu sind demokratieförderliche Orientierungen stärker in denjenigen Bundesländern ver-
—————— 121 Nun ist die Messung von Responsivität, wie bereits beschrieben, ausgesprochen kompliziert, da unterschiedliche Operationalisierungen in Frage kommen: die ResponsivitätsWahrnehmung der Bevölkerung, die Selbstaussagen der Eliten oder die Policy-Übereinstimmungen zwischen Bürgern und lokalen Eliten (vgl. Kap. 2.1.2; vgl. Anhang III, Tab. 40).
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treten, deren Bevölkerung eine Beobachtungspflicht deutlich befürwortet; zum Beispiel weist Hessen, wo die Beobachtungsbereitschaft den höchsten Mittelwert erreicht, ein überdurchschnittlich demokratieförderliches Profil auf (vgl. Anhang III, Tabellen 43 und 44). Demokratisches Niveau institutioneller Arrangements Die institutionellen Arrangements der Bundesländer unterscheiden sich – wie bereits beschrieben – nicht wesentlich. Differenzen gibt es jedoch hinsichtlich der Bereitstellung direktdemokratischer Mitbestimmungsmöglichkeiten (vgl. Kap. 2). Diese können trotz Bedenken als Indikator zur Messung des demokratischen Niveaus politischer Institutionen herangezogen werden. Die Bereitstellung umfassender direktdemokratischer Mitbestimmungsmöglichkeiten gilt dabei als demokratischer, eine restriktive Handhabung als undemokratischer. Einige Gegenstimmen warnen zwar vor den Gefahren, die mit direktdemokratischen Elementen für die Demokratie einhergehen, denn es würden sich vor allem die Sonderinteressen finanz- und organisationsstarker Gruppen zum Nachteil des Allgemeinwohls durchsetzen. Auf der Basis vielfältiger Studien verweisen jedoch Schiller und andere Autoren auf demokratie-qualifizierende Aspekte. Beispielsweise werden Probleme frühzeitig erkannt und möglicherweise sogar vermieden, Bürger qualifizieren sich politisch, da sie intensiv in die öffentliche Sachdiskussion einbezogen würden, die politische Responsivität verbessert sich und den Schließungstendenzen der Politik werden Offenheit und Transparenz entgegen gesetzt (z. B. Schiller 2002: 44 ff. und 161 ff.). So gibt es also Hinweise, welche es gerechtfertigt erscheinen lassen, direktdemokratische Elemente als Anzeichen für das demokratische Niveau einer Einheit zu verstehen. Allerdings zeigt die empirische Analyse: Gute direktdemokratische Optionen korrelieren weder mit ausgeprägter Beobachtungspflicht noch mit Zufriedenheit (vgl. Anhang III, Tabelle 45). Erst die Einbeziehung der Kritik-Typen ergibt ein deutliches Bild. Es existiert ein klarer Zusammenhang zwischen der Verbreitung des beobachtend-zufriedenen Typus und direktdemokratischen Optionen. In fünf Bundesländern mit einem überdurchschnittlichen Anteil dieses Typus sind sehr gute bis gute direktdemokratische Möglichkeiten zu finden.
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4.3.3 Staaten Zur Verbreitung demokratieförderlicher Merkmale Demokratieförderliche Merkmale der Bürgerschaft sind erwartungsgemäß vor allem, wenngleich nicht nur, in Staaten mit ausgeprägter Beobachtungspflicht vertreten (vgl. Anhang III, Tabelle 46). So sind in Schweden, einem Staat mit überdurchschnittlichem Wert bei der Beobachtungspflicht, demokratieförderliche Orientierungen überdurchschnittlich verbreitet. Und wie vermutet, weisen Staaten, in welchen die Bevölkerung der Beobachtungspflicht geringe Bedeutung beimisst, auch die niedrigsten Mittelwerte bei der Partizipation, der internal efficacy sowie bei der Befürwortung von Toleranz auf (z.B. Tschechische Republik). Demokratisches Niveau institutioneller Arrangements und Elite-Integrität Zusammenhänge zwischen dem demokratischen Niveau politischer Institutionen und den Kritik-Dimensionen lassen sich im internationalen Vergleich besonders gut analysieren. Denn die Staaten unterscheiden sich deutlicher als die Bundesländer und Kommunen, bieten also eine gewisse Varianz. Korreliert nun das demokratische Niveau politischer Institutionen mit politischer Kritik in einem Staat? Konkret: Gibt es Zusammenhänge zwischen dem Voice-and-Accountability-Index (vgl. Kap. 2.2.3) mit der Beobachtungspflicht und der Zufriedenheit auf Aggregatebene? Ein hohes Maß an Beobachtungspflicht sowie größere Zufriedenheit sind in jenen Ländern vorhanden, in welchen die Bevölkerung umfassende demokratische Rechte genießt, sichtbar anhand der hohen Werte beim Voice-and-Accountability-Index. Die beiden Staaten mit schwach ausgeprägter Beobachtungspflicht zeichnen sich demgegenüber durch eine besonders mangelhafte Gewährung politischer und bürgerlicher Rechte aus. Oder vice versa formuliert: Freiheiten werden vor allem in jenen Staaten mit überdurchschnittlicher Zufriedenheit und Beobachtungspflicht gewährt. Wird die Verteilung der Typen mit einbezogen, so ergibt sich ebenfalls ein klares Bild. Politische Rechte sind in jenen Ländern umfassend, in welchen der beobachtend-zufriedene Typus besonders stark vertreten ist. Dasselbe gilt für die Elite-Integrität.122 So sind die Eliten besonders integer, wenn die Bevölkerung überdurchschnittlich häufig der Beobachtungs-
—————— 122 Zur Messung des demokratischen Niveaus politischer Eliten wird der bereits vorgestellte Elite-Korruptions-Index der Weltbank angewandt (vgl. Kap. 2.2.3).
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pflicht zustimmt. Und wie vermutet ist Elite-Korruption vor allem dort verbreitet, wo die politische Beobachtung als besonders unwichtig erachtet wird (vgl. Tabelle 36). Tabelle 36: Voice-and-Accountability-Index, Elite-Korruption und politische Kritik (Staaten) Beobachtungs- Zufriedenpflicht heit (Mittelwert) (Mittelwert) Kanada 6,31 (+) 6,79 (+) Neuseeland 5,52 (+) 6,91 (+) Portugal 5,87 (+) 5,68 (-) Schweden 5,94 (+) 6,38 (+) Slowakei 4,69 (-) 4,17 (-) Tschech. 4,12 (-) 5,30 (-) Republik Durchschnitt 5,43 5,86
Beobacht.zufr.Typ (Prozent) 73 (+) 60 (+) 50 (+) 59 (+) 15 (-)
Voice and Accountab.
EliteKorruption
+1,38 (+) +1,47 (+) +1,31 (+) +1,52 (+) +1,10 (-)
+1.99 (+) +2.38 (+) +1.23 (-) +2.20 (+) +0.39 (-)
23 (-)
+1,03 (-)
+0.30 (-)
46,67
+1,30
+1,41
Datenbasis: ISSP-Survey 2004, Modul »Citizenship« (Kanada, Neuseeland, Portugal, Schweden, Slowakei, Tschechische Republik); Weltbank: Voice-and-Accountability-Index und Elite-Corruption-Index, vgl. Kaufmann u.a. 2005. Legende: + = überdurchschnittlich = unterdurchschnittlich
Exkurs: Kritische Bürgerschaft und effektives Regieren Die Zustimmung zur Beobachtungspflicht mag zwar mit einem hohen Ausmaß an Elite-Integrität einhergehen, sie erschwert aber möglicherweise effektives Regieren. Lässt sich diese Hypothese bestätigen? Staatliche Effektivität wird bei der empirischen Analyse mit Hilfe des GovernmentEffectiveness-Index der Weltbank gemessen. Dieser Index misst die Fähigkeiten von Regierungen, Policys zu formulieren und zu implementieren. Einbezogen in diesen Index wurden beispielsweise die Qualität des öffentlichen Dienstes oder die Bereitstellung öffentlicher Güter (Kaufmann u.a. 2005). Tabelle 37 gibt die Mittelwerte der Demokratiezufriedenheit und der Bewertung der Beobachtungspflicht in den untersuchten Staaten wieder.
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Tabelle 37: Beobachtungspflicht, Zufriedenheit und effektives Regieren (Staaten)
Kanada Neuseeland Portugal Schweden Slowakei Tschechische Republik
Beobachtungspflicht (1 = unwichtig, 7 = sehr wichtig) 6,13 5,52 5,87 5,94 4,61 4,12
Zufriedenheit Government Effectiv. (0 = sehr unzufrieden, (-2,5 = sehr schlecht, 10 = sehr zufrieden) +2,5 = sehr gut) 6,79 1,96 6,91 2,05 5,68 0,92 6,38 1,92 4,11 0,67 5,30
0,63
Datenbasis: ISSP-Survey 2004, Modul »Citizenship« (Kanada, Neuseeland, Portugal, Schweden, Slowakei, Tschechische Republik); Weltbank: Government-Effectiveness-Index, vgl. Kaufmann u.a. 2005.
Die Ergebnisse sind eindeutig: Staaten mit einer ausgesprochen kritikbereiten Bevölkerung weisen beeindruckende Werte bei der Regierungseffektivität auf.123 Demgegenüber korreliert eine schwach ausgeprägte Beobachtungspflicht mit niedriger politischer Effektivität. Niedrige Werte bei der Beobachtungspflicht erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer ineffektiven Regierung. Kritikbereitschaft, demokratische Rechte, effektives Regieren, Eliten-Integrität: Untrennbar verbunden? Drei der sechs untersuchten Demokratien zeichnen sich durch besonders ausgeprägte Kritikbereitschaft, effizientes Regieren, Elite-Integrität und die Gewährung politischer Rechte aus. Sind dies Einzelfälle? Um diese Frage zu prüfen, wurden Daten zu 22 jungen und etablierten westlichen Demokratien betrachtet (vgl. Anhang III, Tabelle 47). Die folgende Graphik demonstriert, dass die bisherigen Ergebnisse keine Einzelfälle sind. Vielmehr korreliert eine wachsame, kritische Bürgerschaft generell positiv mit einem gut funktionierenden Staatswesen (Sig. =.000). Staaten, in welchen die Bürger die Beobachtungspflicht besonders befürworten, weisen eine besonders gute Leistungsfähigkeit auf (vgl. Abbildung 5).
—————— 123 Allerdings ist eine hohe Priorität für die Beobachtungspflicht seitens der Bevölkerung auch keine Garantie für effektives Regieren. So sind die Bewohner in Portugal zwar überdurchschnittlich kritikbereit, die Regierungseffektivität in diesen Ländern ist jedoch unterdurchschnittlich.
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Abbildung 5: Zusammenhang zwischen effektiver Governance und Beobachtungsbereitschaft
Index: Government Effectiveness
2,50
2,00
1,50
1,00
0,50 R-Quadrat linear = 0,226
0,00 4,00
4,50
5,00
5,50
6,00
Politische Wachsamkeit, Landesdurchschnitt
Quelle: International Social Survey Programme (ISSP) 2004, Modul »Citizenship«; Weltbank Governance Index; europäische Länder: Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Litauen, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Schweden, Slowakische Republik, Slowenien, Spanien, Tschechische Republik, Ungarn.
Auch die folgende Graphik (Abbildung 6) zeigt: Zwischen den demokratischen Rechten und der Beobachtungspflicht bestehen eindeutige statistische Beziehungen. Beobachtungsbereitschaft ist deutlicher in den Staaten ausgeprägt, in welchen ein hohes Maß an Rechten gewährt wird. Gesellschaften mit besonders kritikbereiter Bevölkerung haben den Prozess der Demokratisierung am weitesten vorangetrieben und ihre Entscheidungsinstitutionen am stärksten demokratisiert (Sig. =.000).
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Abbildung 6: Zusammenhang zwischen demokratischem Niveau von Institutionen und Beobachtungsbereitschaft
Index: Voice and Accountability
1,50
1,25
1,00
0,75
R-Quadrat linear = 0,396
0,50
4,00
4,50
5,00
5,50
6,00
Politische Wachsamkeit, Landesdurchschnitt
Quelle: International Social Survey Programme (ISSP) 2004, Modul »Citizenship«; Weltbank Governance Index; europäische Länder: Bulgarien, Dänemark, Deutschland (West-/Ost-), Finnland, Frankreich, Großbritannien, Litauen, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Schweden, Slowakische Republik, Slowenien, Spanien, Tschechische Republik, Ungarn.
Diese Analysen demonstrieren anschaulich, dass ein hohes Maß an Beobachtungsbereitschaft auch im internationalen Vergleich positiv mit dem demokratischen Niveau einer Einheit zusammenwirkt. Die Staaten mit kritikbereiter Bevölkerung haben bei allen Indikatoren zur Messung des demokratischen Niveaus überdurchschnittliche Werte. Und umgekehrt erreichen Staaten, in welchen die Kritikpflicht nur schwach ausgebildet ist, nicht das demokratische Niveau der kritischen Staaten. Die Demokratien mit wenig kritikbereiter Bevölkerung liegen auch bei den politischen Rechten, der Effizienz und der Elite-Integrität unter dem Durchschnitt. Diese Zusammenhänge bleiben auch bestehen, wenn die ökonomische Entwicklung eines Landes berücksichtigt wird (vgl. Geissel 2008).
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4.4
151
Fazit: Kritikbereite Einheiten sind demokratischer
In diesem Kapitel stand die Frage im Mittelpunkt, ob kritische Einheiten sich durch ein besonders hohes demokratisches Niveau auszeichnen und welche Kritik-Dimension zentral ist. Da es nicht möglich war, das demokratische Niveau der hier untersuchten Einheiten umfassend zu analysieren, beschränkte ich mich auf exemplarische Indikatoren, welche aussagekräftige Schlüsse zulassen. Ausgewählt wurden die Indikatoren (1) Verbreitung von demokratieförderlichen Einstellungen, (2) das demokratische Niveau politischer Eliten sowie (3) das demokratische Niveau politischer Institutionen. Die Ergebnisse sind eindeutig (zur Synopse vgl. Anhang III, Tab. 51): Es gibt einen positiven Zusammenhang zwischen der Verbreitung politischer Kritik, und dabei in erster Linie der Beobachtungsbereitschaft, und dem demokratischen Niveau einer Einheit. Es sind vor allem die kritikbereiten Kommunen, Bundesländer und Staaten, in welchen demokratieförderliche Orientierungen, demokratische Eliten und Institutionen zu finden sind. Beispielsweise haben Eliten in Staaten, in welchen die Bevölkerung politische Beobachtung besonders wichtig findet, höhere Integritätswerte. Und Eliten sind vor allem dort korrupt, wo die Beobachtungspflicht relativ schwach vertreten ist. Ebenso bieten Staaten mit besonders kritikbereiter Bevölkerung bessere demokratische Mitbestimmungsrechte. Und dort wird auch am effektivsten regiert. Demgegenüber erreicht kein einziger Staat mit einer schwach ausgeprägten kritikbereiten Bürgerschaft ein hohes demokratisches Niveau – gleichgültig, welcher Demokratie-Indikator zugrunde gelegt wird.
5. Politisch-praktische Implikationen der Ergebnisse
Die Analyse von politischer Kritik ist nicht nur für die akademische Welt, sondern auch gesellschaftspolitisch von Belang. Wissenschaftler, Politiker und Bürger fordern seit vielen Jahren eine ganze Reihe unterschiedlichster Reformen im Umgang mit politischer Kritik (z. B. v. Beyme 2003: 42; Offe 2003). Die verschiedenen Reformansätze verfolgen zwei verschiedene Ziele: Gilt politische Kritik als problematisches Krankheitsbild und Gefahr, so zielen die Ideen darauf, Kritik zu minimieren, zu neutralisieren bzw. schon im Ansatz zu verhindern. Vertreter dieser Sichtweise schlagen Reformen zur Verbesserung erstens der politischen Eliten, zweitens der politischen Institutionen zur Elitenkontrolle und drittens der politischen Bildung der Bürger vor. Demgegenüber stehen jene Autoren, die politische Kritik als Indikator für die Gesundheit und als unverzichtbare Ressource eines demokratischen Systems betrachten und auf sie Hoffnungen setzt. Deren Vorschläge zielen darauf ab, politische Kritik für weitere demokratische Reformen zu nutzen. Deshalb plädieren sie für die Erweiterung politischer Mitsprachemöglichkeiten. Diese Diskussionen werden im Folgenden vorgestellt. Dabei wechsle ich gewissermaßen das Genre und stelle in eher essayistischem Stil verschiedene Argumente zum Umgang mit politischer Kritik zusammen, die anschließend auf der Basis meiner empirischen Forschungsergebnisse bewertet werden.
IMPLIKATIONEN
5.1
153
Vorschläge zum Umgang mit politischer Kritik
Politische Elite als Erzeuger und Zerstörer von politischer Zufriedenheit Vor allem Vertreter repräsentativer Demokratietheorien sowie Befürworter elitetheoretischer Ansätze plädieren dafür, der politischen Kritik seitens der Bürger nicht allzu viel Beachtung zu schenken, da sie eine zu starke politische Involvierung der Bevölkerung für demokratieschädlich halten. Einige Argumente aus den frühen Jahren der Demokratie kehren dabei – mit veränderter Terminologie – beständig wieder, so zum Beispiel die Befürchtung, dass ein zu großer Einfluss der Bevölkerung zu einer »Vergröberung und Verrohung des öffentlichen Lebens« führen würde (Treitschke 1922: 179 ff.; ähnlich Burke 1901). Dies könne nur verhindert werden, indem »die höheren Stände, die wirklich gebildeten Klassen« das Staatsleben bestimmten. Die Vorstellung, dass der Wille des Volkes zu unklar und zu »roh« sei, ließ sich sogar bei Befürwortern einer demokratischen Volksherrschaft finden. Ein Ausweg aus dem demokratischen Dilemma, dass alle Staatsgewalt vom Volk ausgehen soll, obwohl das Volk politisch nicht ausreichend informiert und sein Wille zu »roh« sei, war das Konzept der »Verfeinerung« und der »Veredelung« des Volkswillens durch die Eliten. Dieses Konzept wurde vor allem von Fraenkel (1974, Erstausgabe: 1964) in Anlehnung an Burke forcierte. Da der »Volkswille« nicht existiere, benötige ein Volk einen Mittler, »der ihm den Zugang zur Erkenntnis des Gemeinwohls ermöglicht« (ebd.: 119). Ein Volk ohne Repräsentant wisse nicht wirklich, »was es will« (ebd.: 119). Dem Parlament komme somit die »Rolle des Erzeugers eines […] variablen Gemeinwohls zu« (ebd.: 120), wobei es sich keinesfalls »völlig abhängig […] von den Regungen des subjektiven Volkswillens« machen dürfe (ebd.: 139). Die »Intuition des Staatsmanns« könne nicht durch die »Addiermaschine der Meinungsforscher« ersetzt werden (ebd.: 172). Denn »nur ein Parlament, das nicht Volksvertretung, sondern Volksrepräsentation zu sein beansprucht, ist nach oben und unten souverän« (ebd.: 140). Das Parlament habe somit das Recht, »auch gegen das Volk Recht zu haben« (ebd.: 147). Lächerlich erschien Fraenkel vor diesem Hintergrund die »Heiligsprechung der öffentlichen Meinung« (ebd.: 182). Eine Demoskopieherrschaft sei zu vermeiden. In ähnlicher Weise argumentierte Sartori (1992: 181), dass eine politische Führung, die den Forderungen der Bevölkerung nachgebe, »ihrer Verantwortung nicht gerecht« werde.
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Bis heute werden mit anderer Begrifflichkeit ähnliche Argumente vertreten: Die Bevölkerung sei zu wenig informiert und zu selbstbezogen, könne große politische Zusammenhänge nicht überblicken und sei somit nicht zu sinnvollen politischen Entscheidungen in der Lage. Auch in einer Demokratie müssten deshalb die politischen Geschicke am besten von einer Elite geleitet werden, die qua ihres Amtes und ihrer Erfahrungen sachkundiger in ihren je spezifischen Politikfeldern sei als die Bürger, längerfristige Wirkungsbeziehungen besser überblicke und über die notwendige Weitsicht verfüge (z. B. Patzelt 1998; Dye/Zeigler 1970). Aus dieser Perspektive ist politische Kritik seitens der Bevölkerung zu ignorieren oder in ungefährliche Bahnen zu kanalisieren, wo sie sich nicht auf Eliteentscheidungen auswirken kann. Ebenso könnte ihr mit symbolischer, jedoch keinesfalls mit substanzieller Responsivität begegnet werden. Allerdings tauchen sogar bei einigen Vertretern elite- und repräsentationsorientierter Ansätze Zweifel auf, ob die politische Elite ihre Aufgaben optimal erfüllt und tatsächlich in erster Linie das Ziel verfolgt, einen gemeinwohlorientierten Volkswillen zu erzeugen und entsprechend zu agieren. Beispielsweise veränderten zwei ehemals glühende Vertreter einer eliteorientierten Demokratie, Dye und Zeigler, ihre Meinung im Verlauf mehrerer Jahrzehnte diametral. Während sie in den ersten Auflagen ihres Buches zur amerikanischen Politik in den siebziger und achtziger Jahren vehement für eine eliteorientierte, repräsentative Demokratie plädierten, schrieben sie im Vorwort der Auflage aus den neunziger Jahren: »We are tempted to label this our elite-bashing edition, because it reflects our increasing disenchantment with narrow, self-serving elite behaviour, and the threats such behaviour poses […] Our elitist theory of democracy has always recognized the potential of danger in mass movements […] But we have become convinced that the principal threat to democracy in the United States today arises from irresponsible elites seeking relative advantages at the expense of shared social values« (Dye/Zeigler 1993: vii).
Aus der Sicht dieser und anderer elitekritischer Autoren haben sich die Hoffnungen, welche auf die Eliten und deren gemeinwohlorientierte Entscheidungsfähigkeiten gesetzt wurden, nicht erfüllt. Das politische Führungspersonal sei kein Garant für eine gemeinwohlorientierte Politik. Politiker würden häufig nur noch Privilegien unter sich verteilen und sich nicht mehr ausreichend um das Gemeinwohl kümmern (v. Arnim 1997; Scheuch/ Scheuch 1992).
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Verbesserte Mechanismen zur Rekrutierung der politischen Elite werden nun von eliteorientierten Autoren als Lösung ins Spiel gebracht, damit »das im Land verfügbare Humankapital wirklich gut genug [genutzt wird]« (Patzelt 2005: 35). Der richtige Ansatz zur Eliminierung politischer Kritik ist aus dieser Perspektive eine Veränderung der Eliten-Auswahl, so dass jene Personen in Elite-Positionen aufsteigen, welche ohne »selbstische Interessen« die Regierungsgeschäfte mit all ihren Anforderungen bewältigen (vgl. Vorschläge in Offe 2003). Institutionelle Machtkontrolle als Garant für Zufriedenheit Eine zweite Richtung fokussiert Reformen institutioneller Arrangements, wobei vor allem institutionalisierte Kontrollmechanismen diskutiert werden (z. B. verschiedene Beiträge in Offe 2003; Gabriel 1999b: 205). Institutionelle Machtdezentralisierung und Machtkontrolle stellen sicher, so das Argument, dass Eliten ihren Einfluss nicht missbrauchen und keinen (allzu großen) Schaden für die Bürger anrichten können. Sofern diese »misstrauenden« Institutionen funktionieren, stellen sie das Wohlverhalten der Politiker sicher und sorgen für das Funktionieren demokratischer Systeme im Bevölkerungsinteresse – auch dann, wenn die Eliten nicht gänzlich vertrauenswürdig sind. Entsprechende Maßnahmen sind neben den Wahlen verschiedene Verfahren von Checks und Balances sowie horizontale EliteKontrollmechanismen.124 Eine Beobachtung der Politik(er) durch die Bürger würde sich dann weitgehend erübrigen. Sztompka (1997: 16) vermutet beispielsweise: »the more of institutionalized distrust, the more of spontaneous trust« (»institutionalizing distrust for the sake of trust«).125 Wären also ausreichend »misstrauische« Institutionen implementiert, könnte und
—————— 124 Diskutiert wird etwa die Institutionalisierung eines unparteiischen Gremiums, das nicht an Legislaturperioden gekoppelt ist und somit jenseits von Machterhaltungskalkül über perspektivische Grundsatzfragen entscheiden soll, oder Beschränkungen der Amtszeiten von Abgeordneten und Ministern (z. B. v. Beyme 2003: 31–42; Offe 2003: 17). 125 Zu weiteren Ausführungen zu den strukturellen Bedingungen für eine Vertrauenskultur siehe Sztompka (1997: 9 ff.) sowie Schweer 2000: 12; Warren 1999; Lepsius 1997: 285. »Bei Vertrauen zu Institutionen bezieht sich das Vertrauen nicht auf das Verhalten von Personen, deren Motive und Gesinnungen. An die Stelle des Vertrauens in die Gesinnung einer Person tritt das Vertrauen in die Leitidee der Institution. An die Stelle des Vertrauens in die Motive einer Person tritt das Vertrauen in die Verfahrensordnung einer Institution. An die Stelle der Beobachtung und Kontrolle des Handelns einer Person tritt die Beobachtung der Leistungen, die einer Institution zugeschrieben werden, und der Kontrollmechanismen, die eine Institution überwachen.« (Lepsius 1997: 285).
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würde politische Kritik der Bürger mehr oder weniger überflüssig werden und verschwinden. Politische Bildung als Medium zur Eliminierung von politischer Kritik Schließlich wird dafür plädiert, politischer Kritik mit einer besseren politischen Bildung der Bürger entgegenzutreten. Denn vor allem unwissende Bürger stehen der Politik kritisch gegenüber. In der Bundesrepublik vertritt vor allem Patzelt (1998) diese Position. Anhand von Umfragedaten konnte er zeigen, dass die Vorstellungen der Deutschen über das Regierungssystem, über die Aufgaben des Parlaments und über die Rolle der Abgeordneten nicht der Wirklichkeit entsprechen (Patzelt 1998: 728). So konstatiert er einen »Konflikt zwischen der tatsächlichen Funktionsweise eines […] parlamentarischen Regierungssystems und jenen Vorstellungen, anhand welcher die Bürger beurteilen, ob ihr Regierungssystem ordnungsgemäß funktioniert« (ebd.: 728). Es sind vor allem die mangelnden Kenntnisse der Bürger, welche nach Patzelt zu unrealistischen Erwartungen und zu Missverständnissen führen: Die Bürger verstünden die Spielregeln des politischen Geschäftes nicht, bewerteten sie deshalb auf der Basis falscher Vorstellungen und seien deshalb unzufrieden. Ebenso fehlten ihnen Kenntnisse zu »globalen Unübersichtlichkeiten«, weshalb sie die Politiker mit unrealistischen Erwartungen überforderten (Patzelt 2005: 37). Würden die Bürger das politische Geschehen, die politischen Spielregeln und die vielfältigen Probleme im Zuge von Globalisierungsprozessen besser kennen, könnte die Unzufriedenheit abgebaut werden (ebd.). Wären die Bürger politisch informiert und verstünden sie das moderne Regierungssystem, verschwände ein großer Teil der politischen Kritik. Transformation politischer Unzufriedenheit durch die Ausweitung von Mitbestimmungsrechten der Bürger Wissenschaftler wie beispielsweise Jänicke (1993) kritisieren seit Jahren, dass einer kleinen Gruppe von derzeit mehreren Dutzend Ministern in Bund und Ländern und circa 2.800 Parlamentariern (einschließlich der deutschen EU-Parlamentarier) zugetraut wird, einen Staatsapparat mit Millionen von Bediensteten und Milliarden von Euros umfassend zu steuern. »Die erwählten Legitimatoren tragen eine Art Universal-Verantwortung. Und sie spielen dieses Spiel ihrer fiktiven Allverantwortlichkeit auch
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noch ernsthaft mit« (ebd.: 66). Die gegenwärtige Demokratie sei, so überspitzt formuliert von Budge (1996: 192), »the elective dictatorship of a majority party« und führe dazu, dass »unpopular policies can be enforced years after support for them [the parties, B.G.] has evaporated – even without putting them in an electoral programme«. Um diese Tendenzen zu verhindern, fordern Wissenschaftler, zivilgesellschaftliche Akteure und Politiker in vielen Ländern, den Bürgern größere Mitbestimmungsmöglichkeiten einzuräumen (vgl. Dalton 2004: 202 ff.). Vorgeschlagen werden neben der Erweiterung der direkten Demokratie neue Verfahren einer »deliberative democracy«, in der Bürger an politischen Deliberationen über Policys teilhaben können, entweder direkt oder durch Interessengruppen, während die Entscheidungen weiterhin den Eliten überlassen bleiben. Diskutiert werden auch die flächendeckende Gewährung von Akteneinsicht in Behörden wie beispielsweise in Schweden, oder eine zweite Kammer mit »virtuellen« Wählergemeinschaften (z. B. v. Beyme 2003: 31–42; Offe 2003: 17). Auch große Teile der Bevölkerung befürworten solche Reformvorschläge. So stimmten beispielsweise im Jahr 2004 über 80 Prozent der Befragten der Aussage zu, dass Volksabstimmungen eine gute Methode zur Entscheidung politischer Fragen seien (vgl. ALLBUS 2004). An die Ausweitung von Beteiligungsmöglichkeiten wird eine Vielzahl von Hoffnungen geknüpft. Eine »Demokratisierung der Demokratie« (vgl. Offe 2003) sei geeignet, die Anpassungsprozesse eines demokratischen Systems an veränderte Anforderungen zu unterstützen, würde Bürger »verbessern« (»make better citizens«, Barber 2003: 235; Mansbridge 1999), »a sense of political efficacy« stärken, den politischen Horizont erweitern (z. B. Pateman 1970: 73 f.) und zu einer verstärkten Unterstützung des Demokratieideals in der Bevölkerung führen (vgl. auch Kap. 3.1.). Einige Studien bestätigen diese Annahmen. Politische Informiertheit, politisches Interesse oder internal efficacy – all diese Orientierungen scheinen durch direktdemokratische Optionen verbessert zu werden (Gilens u.a. 2001; Lindner 1999: 64; Möckli 1994). Möglichkeiten bürgerschaftlicher Teilhabe an der Politik bestimmen weiterhin, so ein Ergebnis von Gabriel (2000a: 68), demokratieförderliche Orientierungen. Basierend auf Erfahrungen in Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein zieht beispielsweise Holtmann (1996) den Schluss, dass plebiszitäre Elemente sich als grundsätzlich geeignet erwiesen, »bei den Bürgerinnen und Bürgern Interesse für Gemeindeangelegenheiten zu wecken« (Holtmann 1996: 214). Auch Schmidt, eigentlich kein dezidierter Befürworter direktdemokratischer Verfahren,
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betont, dass diese »den politischen Prozess für die Bürger besonders interessant« machen (2003: 121). Sogar die finanzielle Performanz werde verbessert – so lautet das Ergebnis eines Vergleichs schweizer Kantone. Je intensiver die Mitsprache des Volkes bei Finanzfragen ausfällt, desto stärker ist die ökonomische Leistungskraft (Freitag/Vatter 2000). Aus dieser Perspektive wäre eine politisch kritische Bürgerschaft, welche demokratische Reformen einsetzt und nutzt, also zu begrüßen und zu fördern.
5.2
Diskussion und Ausblick
Vorschläge zum Umgang mit politischer Kritik lassen sich in vier Gruppen einteilen, in Empfehlungen zur Verbesserung (1) von Eliten/-Rekrutierung, (2) von politischen Institutionen sowie (3) von politischen Kenntnissen der Bürger und (4) Vorschläge zu erweiterten Mitspracherechten. Auf der Basis der empirischen Ergebnisse meiner Studie werden diese Vorschläge im Folgenden diskutiert. Ad (1): Die älteren Konzepte vom Expertentum und der Gemeinwohlorientierung der Elite scheinen einerseits ausgedient zu haben, andererseits ist jedoch eine Demokratie ohne politisches Führungspersonal kaum vorstellbar. So wird es in Zukunft darum gehen, Eliten anders und besser zu rekrutieren sowie das Verhältnis zwischen Bürger und Elite neu zu gestalten. Eine Bürgerschaft, die von der Kritik als Bürgerpflicht überzeugt ist, wäre hierfür nötig. Bürger, die das kontinuierliche Verfolgen von Politik als ihre Aufgabe betrachten, dürften für die Entwicklung bessere Mechanismen der Elite-Rekrutierung und für die Bildung eines neuen Verhältnisses zwischen dem Führungspersonal und den Bürgern besonders geeignet sein. Ad (2): Zweifel an der These ist angebracht, dass auf die Kritikbereitschaft in der Bevölkerung verzichtet werden könne, wenn die Institutionen optimal entworfen und implementiert wurden. Denn Institutionen, auch »misstrauende« Institutionen, entwickeln, sobald sie etabliert wurden, ein Eigenleben und verfolgen Eigeninteressen, die nicht zwangsläufig deckungsgleich mit den Interessen der Bevölkerung sind. Sie zeigen ein gewisses Beharrungsvermögen, selbst wenn das Problem, zu dessen Lösung sie einmal geschaffen wurden, nicht mehr existiert (Scharpf 2000: 82). Institutionen bedürfen einer ständigen Kontrolle – auch durch die Bevölkerung. So muss kontinuierlich geprüft werden, ob sie nach wie vor »die
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Formulierung und Implementation gemeinwohlorientierter Politik begünstigen« (ebd.: 85). Gerade eine kritikbereite Bürgerschaft wird für diese Prüfung ebenso wie für die Entwicklung neuer »misstrauender« Institutionen besonders geeignet sein. Ad (3): Dabei schadet es sicherlich nicht, die Bürger durch politische Bildung umfassend über die Spielregeln in der Politik und die Handlungsprobleme des Führungspersonals aufzuklären. Doch alle Experten der politischen Bildung lehnen es ab, politische Bildung auf die Vermittlung von Wissen zu reduzieren (Buck/Geissel 2009). Für die Entwicklung einer demokratischen Bürgerschaft reicht die reine Information nicht aus, so lautet ihr einhelliges Urteil. Sie verlangen vielmehr, neben der Wissensvermittlung auch die politische Beteiligung und die Beteiligungsbereitschaft zu fördern. Hierzu erscheint es auch notwendig, insbesondere bei den Bürgern, die sich mehr oder weniger aus der politischen Arena verabschiedet haben, Kritik als Bürgerpflicht zu stärken. Denn gerade kritikbereite Bürger sind informiert und interessiert – und dies nicht nur aufgrund situativer Geschehnisse, sondern aufgrund ihrer Grundüberzeugung. Ad (4): Auf der Basis der empirischen Ergebnisse dieser Studie lautet mein Reformvorschlag, die Kritik als Bürgerpflicht zu fördern, und Optionen der Intervention bereitzustellen. Politische Systeme erreichen ein besonders demokratisches Niveau, wenn die Bürger die Eliten mit Aufmerksamkeit beobachten – oder wenigstens die Pflicht dazu empfinden. Und diese Kritikbereitschaft kann besonders durch die Bereitstellung von Mitsprachmöglichkeiten unterstützt werden.
6. Kritikbereitschaft als Anreiz für demokratische Weiterentwicklung – Ausblick
Die Studie widmet sich einem Kernproblem der Politikwissenschaft: die Beziehung zwischen Bürgerorientierungen und demokratischer Entwicklung. Konkret wird die Frage beantwortet, ob politische Kritik eine Gefahr für Demokratien ist, wie in den meisten älteren Arbeiten der PolitischeKultur-Forschung angenommen wurde, oder ein Potenzial für Demokratien, wie die neuere Forschung vermutet. Kritik wird dabei nicht wie üblicherweise nur als Unzufriedenheit operationalisiert, sondern eine bislang vernachlässigte, normative Dimension eingeführt: die Vorstellung von Kritik als Bürgerpflicht – bezeichnet als Kritikbereitschaft. Sind also, so lässt sich konkretisieren, Zufriedenheit oder Unzufriedenheit, Befürwortung oder Ablehnung der Kritikbereitschaft Gefahr oder Potenzial? Anhand von drei Themenkomplexen wurde diese Frage empirisch bearbeitet. Geprüft wurde (1) wie sich die Einstellung zur Kritikbereitschaft und das Ausmaß politischer Zufriedenheit erklären lassen, (2) ob zufriedene oder unzufriedene, kritikbereite oder nichtkritikbereite Bürger besonders demokratieförderliche Einstellungen aufweisen, und (3) ob die Verbreitung der Kritik-Dimensionen mit dem demokratischen Niveau einer politischen Einheit zusammenhängt. Die Untersuchung basiert auf drei verschiedenen Datensätzen: erstens eine Studie zu sechs bundesrepublikanischen Kommunen, zweitens ein Survey zur Bundesrepublik sowie drittens ein Survey zu ausgewählten konsolidierten Demokratien (International Social Survey Program, 2004). Die Synopse der empirischen Analysen ergibt ein einheitliches Bild. In allen drei Datensätzen, das heißt auf allen drei politischen Ebenen, zeichnen sich trotz unterschiedlicher Operationalisierungen erstaunlich ähnliche Zusammenhangsmuster ab.126 Und alle Analysen weisen darauf hin, dass gerade die Kritikbereitschaft die Weiterentwicklung von Demokratie befördert.
—————— 126 Die Synopsen der zentralen Ergebnisse zu den drei Untersuchungseinheiten sind im Anhang III zu finden.
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Weiterentwicklung von Demokratie – was ist gemeint? In der Politikwissenschaft herrscht weitgehend Konsens, dass sich ein demokratisches System nicht in der (einmaligen) Installierung und Implementierung demokratischer Institutionen erschöpft, sondern sich an neue Herausforderungen anpassen muss. Beispielsweise beschreibt Easton (1965) das ideale politische System als »an open and adaptive system«, in welchem Persistenz nur durch Wandel erreicht werden kann (»persistence through change«, ebd.: 475). Zwar besteht keine Einigkeit darüber, welche Elemente en détail stabil bleiben und welche sich verändern können, sollen oder müssen. Doch die meisten zeitgenössischen Autoren gehen davon aus, dass die konkrete Ausgestaltung demokratischer Systeme und damit auch die für (frühere) Aufgaben angemessenen Regeln kontinuierlich zur Diskussion gestellt werden und veränderbar sein müssen. Nur so können Demokratien mit neuen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Herausforderungen Schritt halten (z.B. Diamond/Morlino 2005: xix ff.; Dalton 2004; Offe 2003; Schiller 2002). Dementsprechend benötigen Demokratien eine Bürgerschaft, die grundlegende demokratische Prinzipien anerkennt, spezifische Ausformungen und die konkrete Umsetzung jedoch immer wieder auf den Prüfstand stellt (vgl. Cohen 1999: 222 f.). Die Persistenz demokratischer Systeme ergibt sich dieser Sichtweise zufolge aus der Verbindlichkeit demokratischer Prinzipien einerseits und andererseits der Reformierbarkeit konkreter Regelungen. Existierende Demokratien werden derzeit häufig als reformbedürftig erachtet. So werden deren Fähigkeiten, komplexe Gesellschaften zu steuern und aktuelle Probleme zu lösen, zunehmend bezweifelt. Damit zusammenhängend wächst die Kluft zwischen der rechtlichen Legitimitätserzeugung durch Wahlen und den Legitimitätsüberzeugungen der Bürgerschaft. Politische Unterstützung und Legitimität werden offensichtlich nicht mehr durch die Option der Abwahl und des Austauschs politischer Eliten durch den Wahlakt hergestellt. Die sinkende Wahlbeteiligung – bei zunehmendem Engagement in nicht-institutionalisierten Beteiligungsformen – und das erschreckend niedrige Vertrauen in das gewählte Führungspersonal sowie in politische Institutionen sind deutliche Zeichen für diese Entwicklung. Weiterhin werden im Zeitalter von Globalisierungs-, Europäisierungs-, Regionalisierungs- und Lokalisierungstendenzen die Entscheidungskompetenzen neu gemischt, und es entstehen weitere Legitimitätsbedürfnisse.
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»Modernisierung« oder »Demokratisierung« der Demokratie erscheinen dabei als neue Zauberworte (z.B. Offe 2003). So werden verschiedene Ideen diskutiert, wie einer Dekonsolidierung etablierter Demokratien entgegengewirkt werden könnte. Einige Überlegungen fokussieren auf Kompetenzverschiebungen zwischen repräsentativen Institutionen oder auf neue Entscheidungsakteure, wie beispielsweise die Stärkung autonomer, sachverständiger, langfristig amtierender und unparteiischer Gremien. Andere Vorschläge setzen auf Innovationen beim Verhältnis zwischen Bürgern und Eliten, beispielsweise durch die Stärkung direktdemokratischer Entscheidungsmöglichkeiten oder deliberative Konsultationen mit Bürgern (s. Geißel 2009b; v. Beyme 2003; Offe 2003: 18 ff.). Gerade diese institutionellen Ergänzungen zur repräsentativen Form der Demokratie scheinen auf dem Vormarsch zu sein. Welche Bürger sind geeignet, diese Reformen mitzutragen? Oder in den Worten von Almond und Verba (1963), welche Bürger sind congruent für entsprechende Entwicklungen? Kritikbereitschaft und kritikbereite Bürger – günstig für die Weiterentwicklung demokratischer Systeme Der Bürger und die Bürgerin, die Zufriedenheit und Nichtkritikbereitschaft in sich vereinen, dürfte der Lieblingstypus des Führungspersonals in allen politischen Systemen sein. Auch in demokratischen Systemen weist dieser Typus einige Vorteile auf. Seine politische Beteiligung/-sbereitschaft sowie seine Informiertheit sind zwar relativ niedrig, reichen aber für den Gang zur Wahlurne aus. Und auch von demokratischen Prinzipien ist dieser Typus einigermaßen überzeugt. Er wird keinen schädlichen oder gar zerstörenden Einfluss auf ein demokratisches System haben. Allerdings ist das Potenzial dieses Typus für die Weiterentwicklung von Demokratie begrenzt, da er kaum innovative demokratische Ideen hervorbringen wird. Der nichtkritikbereit-unzufriedene Typus bringt demgegenüber Probleme für das politische Leben. Dieser Typus hebt sich negativ von allen anderen Typen ab, denn er weist besonders demokratieschädliche Einstellungen auf. Er ist in den drei untersuchten Samples relativ schwach vertreten und es wäre sinnvoll, diesen Anteil auch klein zu halten. Denn gerade von nichtkritikbereit-unzufriedenen Bürgern gehen – neben den Bürgern mit undemokratischer Systempräferenz – negative Auswirkungen auf demokratische Stabilität und Weiterentwicklung aus. Sie befürworten beispielsweise seltener als alle anderen Typen Toleranz, sind politisch wenig
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informiert sowie interessiert und eher geneigt, rechtsstaatliche Prinzipien preiszugeben. Zwar ist dieser Typus politisch wenig aktiv, aber seine Orientierungen finden vermutlich nicht zuletzt in Wahlen ihren Ausdruck, beispielsweise bei der Stimmabgabe für Parteien, die demokratische Rechte wie Minderheitenschutz oder Rechtsstaatlichkeit beschneiden wollen. Die kritikbereiten Bürger bieten dagegen ein Potenzial zur demokratischen Weiterentwicklung, wobei das Ausmaß der Zufriedenheit irrelevant ist. Denn zwischen den zufriedenen und den unzufriedenen kritikbereiten Bürgern bestehen geringe Unterschiede. Ihre Profile sind demokratieförderlich; sie entsprechen am besten dem informiert-involviert-kompetenten, von demokratischen Prinzipien überzeugten Idealbürger. Sie unterstützen Bürger- und Mitbestimmungsrechte, während nichtkritikbereite Personen seltener von deren Bedeutung überzeugt sind. Kritikbereitschaft ist vor allem in Einheiten mit hohem demokratischem Niveau vertreten, die sich durch besonders weitgehende demokratische Rechte auszeichnen. Eine kritikbereite Bürgerschaft geht ebenso einher mit integren Eliten. Politische Entscheidungsträger scheinen sich eher um Integrität zu bemühen, wenn eine kritikbereite Bürgerschaft Kontrolle ausübt. Und Kritikbereitschaft bringt noch einen weiteren Vorteil mit sich: Entgegen der These vom Spannungsverhältnis zwischen Bürgerinvolviertheit und Effektivität (z. B. Dahl 1994; Almond/Verba 1963: 341 ff., 352 ff.; Schumpeter 1950) korreliert Kritikbereitschaft mit effektiver Politik. Eliten arbeiten gerade in jenen Ländern besonders effektiv, in welchen die Bevölkerung politische Beobachtung als Pflicht erachtet, während in den Staaten mit schwach ausgeprägter Kritikpflicht seltener effektiv regiert wird. Wie lässt sich dieser Zusammenhang erklären? Aus den zur Verfügung stehenden Daten können keine eindeutigen Kausalrichtungen abgeleitet werden. Theoretisch kann jedoch begründet werden, dass Kritikbereitschaft eher eine Voraussetzung als ein Ergebnis von Elite-Integrität und -Effizienz ist. Korruption und Ineffizienz dürften auf lange Sicht durch die Kritikbereitschaft vermindert, durch einen Kritikmangel jedoch befördert werden. Der häufig als realistisch bezeichnete Demokratieansatz von Schumpeter (1950) und ähnlichen eliteorientierten Vertretern ist aus dieser Sicht geradezu unrealistisch. Die Schumpeter’sche These, dass es für einen demokratischen Staat am besten sei, wenn sich die Bürger nach der Wahl der Eliten nicht mehr um Politik kümmern, stimmt heute nicht mehr. Desinteresse und fehlende Wachsamkeit der Bürger, welche die Eliten
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ganz im Sinne Schumpeters regieren lassen, erwiesen sich als effektivitätsschädlich. Ebenso wenig dürfte heute, wie Almond und Verba (1963) in den sechziger Jahren vermuteten, eine gemischt partizipativ-apathische Kultur ideal für die Weiterentwicklung von Demokratien sein, sondern kritikbereite Einstellungen. Nicht die von den beiden Autoren befürwortete Balance zwischen politischer Aktivität und Passivität wäre als Leitbild einer optimalen demokratischen Bürgerschaft zu erheben. Vielmehr ist die AktivPassiv-Dichotomie wenig zielführend. Politische Aktivitäten können ebenso schädlich sein wie politische Passivität. Eine Demokratie kann sich in einem Land mit politisch sehr aktiven und involvierten Bürgern ebenso weiterentwickeln wie in einem Land, in dem die Bürger eher in anderen Bereichen aktiv sind. Wichtig ist die Unterstützung von Kritik als Bürgerpflicht. Denn gerade jene Einheiten mit kritikbereiter Bürgerschaft zeichnen sich durch ein hohes demokratisches Niveau der Eliten und der politischen Institutionen aus. Kritikbereitschaft ist also die politische Kultur, die congruent ist für die Weiterentwicklung von Demokratien. Lässt sich nun für die Kritikbereitschaft in konsolidierten Demokratien ein sinnvolles Limit setzen? Kann es »zu viel« Kritikbereitschaft geben? In der Literatur wird häufig vermutet, dass ein demokratisches Optimum in einer ausgewogenen Balance zwischen Kritik- und Folgebereitschaft liegen könnte (vgl. zur Debatte: Westle 1997: 106 ff.) oder eine »produktive Verbindung von Loyalität und Kritikbereitschaft« anzustreben sei (Gabriel 2000b: 200). Diese Überlegungen können vor dem Hintergrund meiner empirischen Ergebnisse neu diskutiert werden. Denn die Ergebnisse geben keinen Hinweis darauf, dass ein zu hohes Maß an Kritikbereitschaft negative Auswirkungen haben könnte. Das Gegenteil ist der Fall: Je mehr Kritikbereitschaft, je legitimer, effektiver und demokratischer werden Staaten geführt, je integrer und demokratischer sind die politischen Eliten und Institutionen. Eine einseitige kritikbereite Bürgerschaft mit demokratischer Systempräferenz, die ja mit überdurchschnittlich demokratieförderlichen Orientierungen ausgestattet ist, dürfte für die Weiterentwicklung demokratischer Systeme hilfreicher sein als einseitige Folgebereitschaft oder gemischte Folge- und Kritikbereitschaft. Allerdings ist die positive Einschätzung der Kritikpflicht nur eine Seite der Medaille. Die Effekte der Kritikpflicht sind differenziert zu bewerten, denn auch sie hat ihre Gefahren und Fallen. So stellt eine Kritikbereitschaft, die nicht mit demokratischer Systempräferenz verbunden ist, eine Gefahr
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für demokratische Systeme dar. Kritikpflicht bei gleichzeitiger Befürwortung undemokratischer Systeme geht gerade nicht mit politischer Informiertheit oder der Befürwortung demokratischer Prinzipien einher. Auch historische Beispiele wie die Weimarer Republik, in der die Bevölkerung hoch politisiert und kritikbereit war, allerdings die Überzeugung von demokratischen Grundprinzipien fehlte, belegen, dass Kritikbereitschaft ohne demokratische Grundüberzeugung schon in kleinen Dosen demokratieschädlich ist. Kritikbereitschaft gepaart mit der Befürwortung eines undemokratischen Regimes dürfte in der Gründungsphase von Demokratien noch gefährlicher als fehlende Kritikbereitschaft sein. Wenn politische Aktivität, die sich aus der Kritikbereitschaft ergeben kann, nicht an demokratische Prinzipien wie Gewaltfreiheit gekoppelt ist, wenn Toleranz nicht als wichtiges Gut erachtet oder Minderheitenschutz übergangen wird, bedroht die Bereitschaft zur Kritik eine demokratische Entwicklung. Allerdings sollte das Kind nicht mit dem Bade ausgeschüttet und Kritikbereitschaft in jungen Demokratien generell unterdrückt werden. Denn die Kritikbereitschaft geht eher mit der Befürwortung demokratischer Prinzipien einher, während Folgebereitschaft – in der Terminologie von Almond und Verba (1963: 16) – eine »parochial« oder »subject« politische Kultur fördert, in welcher die Bürger sich nicht als aktiver Teil des demokratischen Systems wahrnehmen. Das Erlernen der Kritikbereitschaft auch in jungen Demokratien könnte zentral für deren Konsolidierung sein. Denn Korruption sowie Ineffizienz sind in den Staaten verbreitet, in welchen die Kritikpflicht selten befürwortet wird. Gerade in diesen Staaten ist es wichtig, neben der Vermittlung demokratischer Systempräferenz auch die Kritikbereitschaft zu fördern. Methodischer Ausblick Auf der Basis meiner Ergebnisse lassen sich einige Vorschläge für zukünftige Indikatorenentwicklungen, Operationalisierungen und Fragestellungen zur Erforschung politischer Kritik formulieren: Es wäre sinnvoll, das Konzept der Kritikbereitschaft in zukünftigen Studien weiterzuentwickeln und verfeinerte sowie neue Indikatoren zu erproben. Beispielsweise könnten die Objekte, auf welche sich die Kritikbereitschaft bezieht, stärker differenziert werden. Weiterhin ist die derzeitige Typenbildung statisch, während der Wechsel einer Person von einem Typus zu einem anderen durchaus plausibel ist. Ein Konzept, das entsprechende dynamische Entwicklun-
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gen erfassen kann, wäre vermutlich Erkenntnis fördernd. Ferner bezogen sich die Fragen zur Kritikpflicht ausschließlich auf die institutionalisierte Politik innerhalb der jeweiligen politischen Einheit. Vielleicht befürworten einige Bürger eine Kritikpflicht, die sich auf andere oder internationale Politikformen bezieht, zum Beispiel auf die Europäische Union oder internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen, während sie die Politik im eigenen Land als unwichtig erachten. Ebenso wären Fragen zu berücksichtigen, die nicht nur die Einstellung zur Kritikpflicht erfassen, sondern auch die Faktoren, welche die Umsetzung dieser Pflicht erleichtern oder verhindern. Das erstaunliche Ergebnis, dass Frauen in ähnlicher Weise wie Männer von der Kritikpflicht überzeugt sind, diese aber seltener umsetzen, wäre eines von weiteren Themen, welches detaillierter zu untersuchen ist. Und nicht zuletzt: Während in meiner Studie demokratische Pflichten untersucht wurden, werden derzeit auch die demokratisierenden Wirkungen von Rechts- und Freiheitsforderungen erforscht (Welzel/Inglehart 2005; Foweraker/Landman 1997). Gerade in jenen Ländern, in welchen die Bevölkerung entsprechende Forderungen erhob, scheinen sich demokratische Institutionen konsolidiert und weiterentwickelt zu haben. Zu prüfen wäre nun, ob gerade die Kombination aus politischen Freiheitsforderungen und Kritikpflicht die Weiterentwicklung demokratischer Institutionen vorantreibt. Ist eine Bürgerschaft, die Rechte einfordert, ohne politische Pflichten zu befürworten, gut für demokratische Entwicklungen? Oder eine Bürgerschaft, welche Rechte einfordert und Kritikpflicht befürwortet? Entsprechende Fragen wären in zukünftigen Studien zu beantworten. Fazit: Kritische Bürger – Gefahr oder Ressource für Demokratien? Eine Gefahr geht von kritischen Bürgern, sofern sie von demokratischen Prinzipien überzeugt sind, nicht aus. Es gibt keinerlei Hinweise, dass die Verbreitung von politischer Kritik zu einer ernsthaften Krise oder gar einem Zusammenbruch der Demokratie führen würde. Doch ist sie eine Ressource? Die zwei Kritik-Dimensionen, Unzufriedenheit und Kritikbereitschaft, wirken sich in unterschiedlicher Weise aus. Die empirischen Ergebnisse weisen darauf hin, dass das Ausmaß der Zufriedenheit weder demokratieschädlich noch demokratieförderlich ist. Vielmehr bestätigt sich die Hypothese von Kritikbereitschaft als Ressource. Auf das demokratische Potenzial kritikbereiter Bürger verweisen erstens deren Einstellungs-
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profile, welche deutlich demokratieförderlicher sind als jene der nichtkritikbereiten Bürger. Zweitens wirkt sich Kritikbereitschaft positiv auf das demokratische Niveau politischer Gemeinschaften aus. Gerade jene Staaten, in welchen die Bürger besonders kritikbereit sind, zeichnen sich durch integre politische Eliten, geringe Korruption, umfassende Mitspracherechte sowie politische Effektivität aus. Weder politische Zufriedenheit, wie die ältere Politische-Kultur-Forschung vermutete, noch die Unzufriedenheit, wie die neuere Forschung annimmt, sind die konstitutiven demokratischen Ressourcen, sondern die Kritikbereitschaft. Jene Bürger, die Kritik als Bürgerpflicht erachten, sind als Potenzial für eine demokratische Entwicklung zu werten. Zentral für die Weiterentwicklung eines demokratischen Systems ist somit dessen Fähigkeit, Kritikbereitschaft in seiner Bürgerschaft zu generieren und zu fördern.
Verzeichnis der Abkürzungen
BB BW BY GEM HE ISSP ISSP-D ISSPStaaten LSA MV n.s. NI NRW RP SH SN TH
Brandenburg Baden-Württemberg Bayern Gemeindestudie, SFB 580, Teilprojekt A4 Hessen International Social Survey Program International Social Survey, Bundesrepublik Deutschland International Social Survey: Kanada, Neuseeland, Portugal, Schweden, Slowakei, Tschechische Republik (Land) Sachsen-Anhalt Mecklenburg-Vorpommern nicht signifikant Niedersachsen Nordrhein-Westfalen Rheinland-Pfalz Schleswig-Holstein Sachsen Thüringen
Verzeichnis der Abbildungen
Abbildung 1: Die Datenquellen ....................................................................... 15 Abbildung 2: Kombinationsmöglichkeiten von Zufriedenheit und Kritikbereitschaft ....................................................................... 26 Abbildung 3: Beobachtungspflicht nach Erwerbsstatusgruppen (Staaten), Mittelwerte................................................................. 89 Abbildung 4: Demokratiezufriedenheit nach Erwerbsstatusgruppen (Staaten), Mittelwerte................................................................. 90 Abbildung 5: Zusammenhang zwischen effektiver Governance und Beobachtungsbereitschaft....................................................... 149 Abbildung 6: Zusammenhang zwischen demokratischem Niveau von Institutionen und Beobachtungsbereitschaft ............... 150
Verzeichnis der Tabellen
Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3: Tabelle 4: Tabelle 5: Tabelle 6: Tabelle 7: Tabelle 8: Tabelle 9: Tabelle 10: Tabelle 11: Tabelle 12: Tabelle 13: Tabelle 14: Tabelle 15:
Tabelle 16: Tabelle 17: Tabelle 18:
Kritikbereitschaft (GEM) ......................................................... 39 Korrelationen zwischen den Kritik-Dimensionen (GEM) ......................................................................................... 42 Verteilung der Kritik- Typen (GEM)...................................... 42 Kritik-Typologie nach politischen Objekten (GEM) ........... 44 Kritik-Typen (BRD) .................................................................. 46 Beobachtungspflicht und Zufriedenheit (Staaten) ................ 47 Verteilung der Kritik-Typen (Staaten) .................................... 47 Korrelationen zwischen Kritik-Dimensionen und Erklärungsfaktoren (GEM) ...................................................... 69 Bildungsniveau der Kritik-Typen (GEM) .............................. 70 Multivariate Analyse: Kritikbereitschaft, Zufriedenheit und Erklärungsfaktoren (GEM) .............................................. 82 Korrelationen zwischen Beobachtungspflicht bzw. Zufriedenheit und Erklärungsfaktoren (BRD) ...................... 83 Beziehung zwischen Beobachtungspflicht und Alter (BRD)........................................................................................... 84 Erwerbsstatus, Beobachtungspflicht und Zufriedenheit (BRD) ................................................................. 85 Multivariate Analyse: Beobachtungsbereitschaft, Zufriedenheit und Erklärungsfaktoren (BRD) ...................... 87 Bivariate Korrelationen zwischen Beobachtungspflicht bzw. Zufriedenheit und Erklärungsfaktoren (Staaten).................................................... 88 BIP, politische Rechte und Elite-Korruption (Staaten)........ 92 Multivariate Analyse: Beobachtungsbereitschaft, Zufriedenheit und Erklärungsfaktoren (Staaten) .................. 94 Synopse: Demokratieförderliche Orientierungen ............... 109
VERZEICHNIS DER TABELLEN
Tabelle 19: Tabelle 20: Tabelle 21: Tabelle 22: Tabelle 23:
Tabelle 24: Tabelle 25: Tabelle 26: Tabelle 27: Tabelle 28: Tabelle 29: Tabelle 30: Tabelle 31: Tabelle 32:
Tabelle 33: Tabelle 34: Tabelle 35: Tabelle 36: Tabelle 37: Tabelle 38: Tabelle 39:
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Partizipation/-sbereitschaft der Kritik-Typen (GEM) ....... 115 Politische Entfremdung bzw. Verbundenheit der Typen (GEM) ........................................................................... 118 Internal Efficacy der Kritik-Typen (GEM).......................... 119 Profile der Kritik-Typen (GEM) ........................................... 120 Multivariate Analyse: Kritik-Dimensionen, demokratieförderliche Orientierungen und soziodemographische Faktoren (GEM) ............................... 122 Kritik-Dimensionen und demokratieförderliche Orientierungen, bivariate Korrelationen (BRD).................. 123 Beobachtungspflicht und pol. Versammlungen (BRD) ..... 124 Teilnahme an politischen Versammlungen der KritikTypen (BRD) ............................................................................ 124 Politisches Interesse der Kritik-Typen (BRD)..................... 125 Internal Efficacy der Kritik- Typen (BRD).......................... 126 Toleranz der Kritik-Typen (BRD)......................................... 127 Einstellung der Kritik-Typen zur Rechtsstaatlichkeit (BRD)......................................................................................... 128 Demokratieförderliche Orientierungen der KritikTypen (BRD) ............................................................................ 128 Multivariate Analyse: Kritik-Dimensionen, demokratieförderliche Orientierungen und soziodemographische Faktoren (BRD) ................................ 130 Kritik-Dimensionen und demokratieförderliche Orientierungen, Korrelationen (Staaten) .............................. 131 Profile der Kritik-Typen (Staaten) ......................................... 132 Multivariate Analyse: Einflussfaktoren demokratieförderlicher Merkmale (Staaten)......................... 133 Voice-and-Accountability-Index, Elite-Korruption und politische Kritik (Staaten) ............................................... 147 Beobachtungspflicht, Zufriedenheit und effektives Regieren (Staaten) .................................................................... 148 Institutionelle Arrangements auf der Gemeindeebene in LSA und NRW..................................................................... 191 Anzahl der Parteiämter aktueller Eliten vor Positionsübernahme (GEM) .................................................. 192
172 Tabelle 40: Tabelle 41: Tabelle 42: Tabelle 43: Tabelle 44: Tabelle 45: Tabelle 46: Tabelle 47: Tabelle 48: Tabelle 49: Tabelle 50: Tabelle 51:
KRITISCHE BÜRGER
Responsivität der Eliten und External Efficacy der Bevölkerung (GEM) ................................................................ 192 Kritik-Dimensionen und demokratieförderliche Orientierungen (GEM) ........................................................... 193 Ökonomische Kontextdaten und Kritik-Dimensionen (BRD)......................................................................................... 194 Kritik-Dimensionen und demokratieförderliche Merkmale, Korrelationen (BRD) ........................................... 195 Beobachtungsbereitschaft, Zufriedenheit und demokratieförderliche Orientierungen (BRD)..................... 196 Beobachtungspflicht, Zufriedenheit und Direktdemokratie (BRD) ........................................................ 197 Partizipation, politisches Interesse und Internal Efficacy (Staaten) ..................................................................... 198 Kritik-Dimensionen und Kontext-Daten (Staaten) ............ 199 Verteilung der Kritik-Typen (Synopse)................................. 200 Kritik-Dimensionen und Erklärungsfaktoren (Synopse) ................................................................................... 201 Demokratieförderliche Einstellungen der KritikTypen (Synopse)....................................................................... 202 Kritik-Typen und demokratisches Niveau pol. Einheiten (Synopse)................................................................. 203
Anhang I: Datensätze
ANHANG I: DATENSÄTZE
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Gemeindestudie Teilprojekt: »Lokale Eliten« des Sonderforschungsbereichs 580 »Gesellschaftliche Entwicklungen nach dem Systemumbruch. Diskontinuität, Tradition und Strukturbildung«, Finanzierung: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG): In jeweils drei Kommunen in Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalen (Köln, Halle, Dessau, Jülich, Oberbergischer Kreis, Saalkreis) wurden jeweils eine Bevölkerungs- und eine Elitebefragung durchgeführt. Datenerhebung: CATI-Labor, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Bevölkerungsbefragung Erhebungszeitraum: Herbst 2002 bis Januar 2003 Sample: insgesamt 2.000 Wahlberechtigte aus den sechs genannten Kommunen Auswahl der Interviewten: gemäß spezifischer CATI-Stichprobenziehung (Häder/Gabler 1998: 69) und der sogenannten Geburtstagsmethode127 Elitebefragung Erhebungszeitraum: März 2003 bis Mai 2003 Sample: Ehemalige (seit 1990) und aktuelle politische Eliten: (Ober-)Bürgermeister beziehungsweise Landräte, Dezernenten, Vorsitzende des Stadtoder Gemeinderates, Vorsitzende der im Rat vertretenen Fraktionen.128
—————— 127 Werden die Daten zu den Befragten mit vorhandenen Informationen auf Länderebene verglichen, lässt sich eine relativ gute Abbildung der Grundgesamtheit feststellen. Das befragte Sample entspricht in etwa dem jeweiligen Landesdurchschnitt: So ähnelt die Einkommensstruktur des befragten Samples in den nordrhein-westfälischen und sachsenanhaltinischen Gemeinden der Einkommensstruktur in den neuen bzw. den alten Bundesländern. Hinsichtlich des Bildungsabschlusses sind, wie bei den meisten Befragungen, Personen mit höherem Bildungsabschluss etwas stärker vertreten, als es ihrem Durchschnitt in den neuen und alten Bundesländern entspricht. Die Stichprobe enthält 50 Prozent Männer und 50 Prozent Frauen. Für die Repräsentativität der Stichprobe spricht auch, dass die Verteilung im vorliegenden Sample große Ähnlichkeiten mit der Verteilung in anderen repräsentativen Studien aufweist. Beispielsweise sagten knapp 37 Prozent der Befragten aus, dass Deutschland von den richtigen Personen geführt wird, 45 Prozent schätzten die führenden Personen nicht als die richtigen ein und 12 Prozent konnten die Frage nicht beantworten oder machten keine Angaben. Dieses Ergebnis entspricht den Ergebnissen des Politbarometers aus dem Jahr 2000. Dort bejahten ungefähr 35 Prozent der Befragten die fast gleichlautende Frage »Sind die richtigen Leute in führenden Positionen?«, circa 50 Prozent verneinten, und circa 10 Prozent konnten die Frage nicht beantworten. Insgesamt lässt sich demnach mit einiger Evidenz vermuten, dass die Befragten die Grundgesamtheit widerspiegeln.
176
KRITISCHE BÜRGER
International Social Survey Programme (ISSP) 2004 Das International Social Survey Programme (ISSP) wird parallel in 39 Staaten durchgeführt. Die im Rahmen meiner Studie interessierenden Daten wurden im Modul »Citizenship« (»Bürger und Staat«) erhoben, welches Fragen zu den Schwerpunktthemen Rechte und Pflichten des Bürgers, Toleranz, politische Partizipation, politisches und soziales Vertrauen, politische Institutionen und Demokratie enthält.129 BRD Sample: 1.300 Interviewte Datenerhebung im Rahmen der ALLBUS-Befragungen: TNS Infratest Sozialforschung, München Personenstichprobe: Zweistufige, disproportional geschichtete Zufallsauswahl in West- (inkl. West-Berlin) und Ostdeutschland (inkl. Ost-Berlin) aus allen deutschsprachigen Personen, geboren vor 1.1.1986. Erhebungsverfahren: Schriftlicher Fragebogen, den die Befragten im Anschluss an das ALLBUS-Interview ausfüllten, Hintergrundvariablen faceto-face erfragt. Staaten Detaillierte Informationen zu den ISSP-Surveys wurden von folgende Institutionen und Personen zugesandt: Kanada: Carleton University Survey Centre, Jon Pammett Neuseeland: Department of Marketing, Massey University, Philip Gendall Portugal: Instituto de Ciências Sociais, Universidade de Lisboa, Manuel Villaverde Cabral Schweden: Dept. of Sociology, University of Umeå, Jonas Edlund Slowakei: Institut for Sociology, Slovac Academy of Sciences, Magdalena Piscova Tschechische Republik: Institute of Sociology, Academy of Sciences of the Czech Republic, Petr Mateju
—————— 128 Nach der Recherche der kommunalen Positionsstrukturen wurde eine Bruttostichprobe von 209 Personen ermittelt. Von dieser Bruttostichprobe standen, nach stichprobenneutralen Ausfällen, als Nettostichprobe 176 Personen für Interviews zur Verfügung. 129 Vgl. www.issp.org, August 2006.
Anhang II: Operationalisierungen
ANHANG II: OPERATIONALISIERUNGEN
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ANHANG II: OPERATIONALISIERUNGEN
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ANHANG II: OPERATIONALISIERUNGEN
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ANHANG II: OPERATIONALISIERUNGEN
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Operationalisierung und Indexbildung bei der Objekt-Typologie (GEM) Bei der Operationalisierung der Objekt-Typologie (Kap. 1.3.1. Exkurs) wurden Orientierungen, die sich auf verschiedene politische Objekte bezogen, zusammengefasst, also beispielsweise die Zufriedenheit sowie die Folge- und Kritikbereitschaft gegenüber politischen Institutionen. Die Einstellung zur demokratischen Idee wurde anhand der beschriebenen Fragen zur Systempräferenz (Einparteiensystem bzw. Notstands-Diktatur) sowie der Einstellung zu Demokratieverteidigung als Bürgerpflicht erfasst. Aus diesen Items wurde ein multiplikativer Index gebildet, wobei bereits eine nichtdemokratische Aussage ausreichte, um als nichtdemokratisch eingestuft zu werden. Institutionenkritik wurde anhand des Vertrauens in politische Institutionen und der Kritikbereitschaft gegenüber diesen Institutionen ermittelt (z.B. Direktdemokratie; Westle 1997: 110). 130 Aus diesen Items wurde ein multiplikativer Index gebildet, wobei den Befragten, die mindestens zwei dieser Dimensionen als unzufrieden oder kritikbereit beantworteten, »Institutionenkritik« bescheinigt wurde. Die Kritik an den lokalen Politikern wurde gemessen anhand der Einschätzung, ob die lokalen Politiker »die richtigen« sind, der Bewertung der Karrieremotive von Politikern und der normativen Kritikbereitschaft gegenüber Politikern (Beobachtungspflicht).131 Jene Interviewten wurden als
—————— 130 »Die Bürger sollen über die lokalen Angelegenheiten selbst bestimmen können.« »In der lokalen Politik soll die Parteipolitik keine Rolle spielen.« (Antwortvorgabe jeweils: »stimme zu«, »lehne ab«). »Alle Entscheidungen der lokalen Politik sollen ausschließlich unter sozialen Gesichtspunkten und nicht unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten getroffen werden.« (Antwortvorgabe: »stimme zu«, »lehne ab«). »Es ist eine Bürgerpflicht, gegen Vorhaben des Stadtrats/Kreistags, die man für schlecht hält, öffentlich zu protestieren.« (Antwortvorgabe: »ist eine Bürgerpflicht«, »ist keine Bürgerpflicht«) (ähnlich Westle 1997). 131 »Glauben Sie, dass Ihre Stadt/Ihr Kreis derzeit von den richtigen Personen geführt und verwaltet wird oder glauben Sie, dass es nicht die richtigen Personen sind?« (Antwortvorgabe: »sind (nicht) die Richtigen«). »Was denken Sie: Warum wird jemand Kommunalpolitiker?« (Antwortvorgabe: »aus idealistischen Gründen um die Welt zu verbessern«, »aus Machtstreben, Karriereinteressen oder wegen des Geldes«). »Sagen Sie mir bitte, ob Sie die folgenden Aspekte für eine Bürgerpflicht halten oder nicht: … den gewählten lokalen Politikern Vertrauen entgegenbringen«, »… gegenüber den lokalen Politikern beobachtend sein« (Antwortvorgabe jeweils: »ist eine Bürgerpflicht«, »ist keine Bürgerpflicht«).
ANHANG II: OPERATIONALISIERUNGEN
187
»Politikerkritiker« eingestuft, die sowohl mindestens ein Evaluationsitem negativ bewerteten als auch kritikbereit waren. Bei den Einstellungen der Bevölkerung zu den lokalen Policys interessierte lediglich die Frage, ob die Bürger damit zufrieden oder unzufrieden waren.132
—————— 132 »Wie zufrieden oder unzufrieden sind Sie mit der lokalen Politik in ihrer Stadt/ihrem Kreis alles in allem?« (Antwortvorgabe: »sehr zufrieden«, »zufrieden«, »unzufrieden«, »sehr unzufrieden«). Die Antworten »unzufrieden« und »sehr unzufrieden« wurden zusammengefasst.
Anhang III: Ergänzende Tabellen
ANHANG III: ERGÄNZENDE TABELLEN
191
Tabelle 38: Institutionelle Arrangements auf der Gemeindeebene in LSA und NRW Sachsen-Anhalt
Nordrhein-Westfalen
Zentralisierung der Verwaltungsleitung
Verwaltungsleiter mit unbegrenztem Weisungsrecht, BM Leiter der Gemeindeverwaltung
BM: beschränktes Weisungsrecht;, seit 1998: Bürgermeister Leiter Gemeindeverwaltung
Autonomie BM im Routinegeschäft
Unbeschränkte Autonomie Vorbehalt- und beim Bürgermeister Rückholrecht des Rates
Geschäftskreise der Beigeordneten
BM bestimmt allein
Vom Rat alleine bestimmt
Autorität des Rats
Beschränkte Autorität
Weit reichende Autorität
Formale Veto-Macht BM
Vorhanden
Vorhanden
Recht des BM dringende Entscheidungen zu treffen
(Unbeschränkt) Vorhanden Bedingt möglich
Möglichkeit der Abwahl des Einleitung durch Rat, dann Einleitung durch Rat, dann Bürgermeisters Volksentscheid Volksentscheid Vorsitz in Ratsausschüssen In der Regel BM
BM Vorsitz Hauptausschuss
Doppelspitze; BM und Ratsvorsitz
»einfache« Spitze
Wahl BM und Rat
Nicht gleichzeitig
Gleichzeitig
Bürgermeisterwahl und Kommunalwahl
Getrennt
Immer gleichzeitig
Admin. Autonomie BM (0 = geringste Autonomie, 1 = größte Autonomie)
0.9
0.5
Politische Macht BM gegenüber Rat (0 = geringste Macht , 1 = größte Macht)
0.8
0.25
Gesamt
Quelle: Cusack 2003: 169 f. (Übersetzung B.G.); Holtkamp 2003; Bogumil 2001: 180: 25; aktualisiert entsprechend der landesspezifischen Gemeindeordnungen und Kommunalverfassungen.
192
KRITISCHE BÜRGER
Tabelle 39: Anzahl der Parteiämter aktueller Eliten vor Positionsübernahme (GEM) Anzahl der Positionen 1 2 3 4 5 6 7 8 mehr als 8
Halle
Köln
Dessau
Jülich
Saalkreis
Oberb. Kr.
N = 11 9 7 6 4 4 1 1 1 1
N = 14 11 6 4 3 3 1 – – –
N=8 6 2 1 – – – – – –
N=9 6 6 5 3 3 1 1 1 1
N=9 8 4 3 3 3 1 1 1 –
N=6 6 6 6 5 4 4 2 1 1
Datenbasis: Gemeindestudie: SFB 580, Teilprojekt A4: Lokale Eliten, Elitebefragung.
Tabelle 40: Responsivität der Eliten und External Efficacy der Bevölkerung (GEM) Halle Köln Dessau Elitebefragung (N = 57) Orientierung politischer Entscheidungen an der Wählermeinung
9
12
24
Jülich Saalk. Oberb. Kr. 14
22
6
Bevölkerungsbefragung (N = 2.011) Lokale Politiker responsiv 47 60 50 55
42
61
Prozentangaben, Datenbasis: Gemeindestudie: SFB 580, Teilprojekt A4: Lokale Eliten, Elitebefragung und Bevölkerungsbefragung.
193
ANHANG III: ERGÄNZENDE TABELLEN
Tabelle 41: Kritik-Dimensionen und demokratieförderliche Orientierungen (GEM)
Kritik-Dimensionen Kritikbereitschaft Zufriedenheit Typen Kritikbereit-zufrieden Kritikbereit-unzufrieden Nichtkritikbereit-zufrieden Nichtkritikbereit-unzufrieden Undemokrat. Systempräferenz Demokratieförderliche Orientierungen Partizipation: aktive Wähler Informiertheit Keine Entfremd./ Demokratie wichtig Keine Entfremd./ nicht-parochial Internal Efficacy Demokratieverteidigung Kein Verzicht auf demokrat. Rechte
Halle
Köln
Dessau
Jülich
64 26
70 53
72 46
73 56
14 37 8 19 22
33 30 15 10 12
23 26 10 11 30
34 28 14 7 16
Saalkr. Oberb. Kreis 57 49 25 22 17 18 19
70 57 33 27 15 9 15
70 73 71
71 68 80
70 78 64
69 52 78
67 49 60
70 40 77
33
45
28
42
27
39
39 85 59
45 89 62
38 89 60
48 86 63
39 78 61
44 90 60
Datenbasis: Gemeindestudie: SFB 580, Teilprojekt A4: Lokale Eliten, Bevölkerungsbefragung. Prozentangaben, Lesehilfe: 71 Prozent der befragten Kölner sind aktive Wähler, 57 Prozent der Interviewten aus dem Oberbergischen Kreis sind zufrieden, 78 Prozent der Befragten aus dem Saalkreis erachten die Demokratieverteidigung als Bürgerpflicht.
194
KRITISCHE BÜRGER
Tabelle 42: Ökonomische Kontextdaten und Kritik-Dimensionen (BRD)
BW BY BB HE MV NI NRW RP SN LSA SH TH Mittelwert
NettoBIP/Kopf Erwerbslosen Beobacht.- Zufriedenh., Haushaltsein(in Euro quote 2003 bereitsch. (Mittelwert) kommen/Monat 2002) (in Prozent) (Mittelwert) (in Euro, 2003) 3.144 29.39 6,8 5,51 5,94 3.131 29.72 7,3 5,15 6,02 2.409 17.28 19,7 5,32 4,99 3.098 31.56 8,7 5,66 5,84 2.234 16.94 20,6 4,51 4,92 2.780 22.66 9,9 5,28 6,42 2.784 25.69 10,7 5,37 6,03 2.949 22.65 8,1 5,10 5,64 2.206 17.25 18,4 5,15 5,15 2.279 16.92 21,1 4,79 4,34 2.827 23.29 10,4 5,30 6,00 2.303 17.12 17,3 5,17 4,81 2.679 22.54 13,25 5,19 5,51
Datenbasis: ISSP-Survey 2004, Modul »Citizenship« (BRD); Haushaltseinkommen: Statistisches Bundesamt, statistisches Jahrbuch 2005; vgl. http://www.destatis.de/ download/jahrbuch/stjb10.pdf, Februar 2006; BIP: Daten des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung: Indikatoren und Karten zur Raumentwicklung, Ausgabe 2004;
ANHANG III: ERGÄNZENDE TABELLEN
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ANHANG III: ERGÄNZENDE TABELLEN
Tabelle 45: Beobachtungspflicht, Zufriedenheit und Direktdemokratie (BRD) Beobachtungs- Zufriedenheit pflicht BW BY BB HE MV NI NRW RP SN LSA SH TH
+ + + + + + -
+ + + + + + + -
beobachtendzufriedener Typ (Prozent) 45 (+) 44 (+) 24 (-) 44 (+) 15 (-) 49 (+) 49 (+) 35 (-) 34 (-) 16 (-) 49 (+) 33 (-)
Direktdemokratie (»Schulnoten«)
Datenbasis: ISSP-Survey 2004, Modul »Citizenship« (BRD); Direktdemokratie (»Schulnoten«) nach dem Volksentscheid-Ranking von Mehr Demokratie e.V. Legende: + = überdurchschnittlich = unterdurchschnittlich ø = Durchschnitt
5,15 (-) 2,45 (+) 4,20 (-) 3,90 (+) 4,45 (-) 4,10 (ø) 3,65 (+) 4,85 (-) 3,60 (+) 4,35 (-) 3,65 (+) 4,85 (-)
198
KRITISCHE BÜRGER
ANHANG III: ERGÄNZENDE TABELLEN
199
Tabelle 47: Kritik-Dimensionen und Kontext-Daten (Staaten)
Australien Deutschland, West Deutschland, Ost Großbritannien USA Österreich Ungarn Niederlande Norwegen Schweden Tschechische Republik Slowenien Polen Bulgarien Neuseeland Kanada Spanien Litauen Slowakei Frankreich Portugal Dänemark Durchschnitt
Beobachtungs- Zufrieden- politische Effizientes Elitenbereitschaft heit Rechte Regieren Integrität (Mittelwert) (Mittelwert) (Voice+Acc.- (Govern.- (Corrupti.Index) Effect.-Index) Index) 6,06 (+) 6,88 (+) 1,32 (+) 1,88 (+) 1,95 (+) 5,35 (+)
5,99 (+)
5,03 (-)
4,85 (-)
5,22 (-)
1,31 (+)
1,51 (+)
1,92 (+)
6,13 (+)
1,30 (+)
1,70 (+)
1,94 (+)
6,14 (+) 5,37 (+) 4,69 (-) 5,69 (+) 5,55 (+) 5,94 (+)
6,58 (+) 7,03 (+) 4,95 (-) 6,64 (+) 6,67 (+) 6,38 (+)
1,19 (-) 1,24 (+) 1,10 (-) 1,45 (+) 1,45 (+) 1,41 (+)
1,59 (+) 1,60 (+) 0,79 (-) 1,95 (+) 1,99 (+) 1,93 (+)
1,56 (+) 1,99 (+) 0,63 (-) 1,99 (+) 2,04 (+) 2,10 (+)
4,12 (-)
5,30 (-)
0,01 (-)
0,74 (-)
0,42 (-)
4,92 (-) 5,60 (+) 4,28 (-) 5,52 (+) 6,31 (+) 5,23 (-) 4,56 (-) 4,69 (-) 5,25 (-) 5,87 (+) 5,45 (+) 5,31
4,97 (-) 4,22 (-) 3,05 (-) 6,91 (+) 6,78 (+) 6,13 (+) 4,91 (-) 4,17 (-) 5,57 (-) 5,68 (-) 7,77 (+) 5,80
1,08 (-) 1,04 (-) 0,59 (-) 1,39 (+) 1,32 (+) 1,12 (-) 0,89 (-) 1,04 (-) 1,28 (+) 1,32 (+) 1,51 (+) 1,21
0,99 (-) 0,58 (-) 0,23 (-) 1,90 (+) 1,92 (+) 1,40 (+) 0,68 (-) 0,95 (-) 1,46 (+) 1,03 (-) 2,12 (+) 1,34
0,88 (-) 0,19 (-) -0,05 (-) 2,24 (+) 1,92 (+) 1,34 (-) 0,33 (-) 0,43 (-) 1,40 (+) 1,13 (-) 2,23 (+) 1,36
Angaben der Mittelwerte, Datenbasis: ISSP-Survey, Citizenship (gesamt) 2004, Weltbank: Voice-and-Accountability-Index, Elite-Corruption-Index, Government-Effectiveness-Index, vgl. Kaufmann u.a. 2005. Legende: + = überdurchschnittlich, = unterdurchschnittlich
200
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Tabelle 48: Verteilung der Kritik-Typen (Synopse)
Kritikbereit/beobachtend-zufrieden Kritikbereit/beobachtend-unzufrieden Nichtkritikb./nichtbeobachtend-zufrieden Nichtkritikb./nichtbeobachtend-unzufrieden Undemokratische Systempräferenz
GEM
ISSP-D
27 30 13 12 19
39 31 13 17
ISSPStaaten 46 30 11 13
Angaben in Spaltenprozent, Datenbasis: Gemeindestudie: SFB 580, Teilprojekt A4: Lokale Eliten, Bevölkerungsbefragung; ISSP-Survey 2004, Modul »Citizenship« (BRD); ISSP-Survey 2004, Modul »Citizenship« (Kanada, Neuseeland, Portugal, Schweden, Slowakei, Tschechische Republik).
201
ANHANG III: ERGÄNZENDE TABELLEN
Tabelle 49: Kritik-Dimensionen und Erklärungsfaktoren (Synopse) Kritik-/ Zufriedenheit Beobachtungsber. GEM D Staat. GEM D Staat. Individualorientiert Soziodemographische Alter Faktoren Geschlecht Bildung Erwerbsstatus Performanzthese – ökonomisch (subj.) – wirtschaft. Sit. Einheit – wirtschaft. Sit. Befragte – demokratisch (subj.) External Efficacy Sozialisationsthese Identifikation Ostbzw. Westdeut. Kontextorientiert Ökonomisch (objek.) Erwerbslosenquote BIP pro Kopf, Gemeinde Institutionen Admin. Auton. Bürgermeist. Pol. Macht Bürgermeister Direktdemokratie Voice and Accountability Sozialkapital Vereinsmitgliedschaften, Mittelwert Elite Elite-Responsivität (nicht ausgewertet) Elite-Professionalität Elite-Korruption
++ 0 0 0
++ 0 0 0
0
0 + ++ +
0 ++ 0 0
0
+++
++
0
0
++
++
0 0
0
0 ++
0 0
0
0
++
0
0
0
++
0
0 ++
++ 0 0 0
0
+++ +++ +++ +
++ +++ +++
+++
0
++ ++
0+
+++
0
0 0 ++ 0
+++
+++
++
++ +++
+++
Datenbasis: Gemeindestudie: SFB 580, Teilprojekt A4: Lokale Eliten, Bevölkerungsbefragung; ISSP-Survey 2004, Modul »Citizenship« (BRD; Kanada, Neuseeland, Portugal, Schweden, Slowakei, Tschechische Republik). Legende: ++ = signifikante Beziehung, Zusammenhangswerte .1 bis .2, +++ = signifikante Beziehung, Zusammenhangswerte über .2 0 = keine signifikante Beziehung oder Beziehung unter .1, (leeres Feld) = nicht erfasst Die Zusammenhangsmaße entsprechen den jeweiligen Skalenniveaus, d.h. Cramers-V bzw. Korrelationskoeffizient. Lesehilfe: Das Alter hängt in allen drei Datensätzen signifikant mit der normativen Kritikbereitschaft bzw. der Beobachtungspflicht zusammen, in allen drei Datensätzen besteht jedoch keine signifikante Beziehung mit der Zufriedenheit. Die Elite-Korruption wurde nur im Datensatz zu den Staaten erfasst; sie korreliert sowohl mit der Beobachtungspflicht als auch mit der Zufriedenheit positiv signifikant.
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ANHANG III: ERGÄNZENDE TABELLEN
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Literatur
Adorno, Theodor W./Else Frenkel-Brunswik/Daniel J. Levinson/Nevitt R. Sanford, 1969: The Authoritarian Personality. New York: Harper & Row. Almond, Gabriel A./Sidney Verba, 1963: The Civic Culture: Political Attitudes and Democracy in Five Nations. Newbury Park, CA.: Sage Publications. Anderson, Christopher J./Christine A. Guillory, 1997: »Political Institutions and Satisfaction with Democracy: A Cross-National Analysis of Consensus and Majoritarian Systems.« In: American Political Science Review, Jg. 91, Heft 1, 66–81. — /Silvia M. Mendes, 2005: Personal Economic Hardship, Happiness, and Political Satisfaction: A Cross-National Analysis. Binghampton, NY: Manuskript. — /Yuliya V. Tverdova, 2003: »Corruption, Political Allegiances, and Attitudes Toward Government in Contemporary Democracy.« In: American Journal of Political Science, Jg. 47, Heft 1, 91–109. Arnim, Hans Herbert von, 1997: Fetter Bauch regiert nicht gern. Die politische Klasse – selbstbezogen und abgehoben. München: Kindler. Arzberger, Klaus, 1980: Bürger und Eliten in der Kommunalpolitik. Stuttgart u.a.: Kohlhammer Deutscher Gemeindeverlag. Arzheimer, Kai, 2002: Politikverdrossenheit. Bedeutung, Verwendung und empirische Relevanz eines politikwissenschaftlichen Begriffs. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag. Axtmann, Roland (Hg.), 2001: Balancing Democracy. London u.a.: Continuum. Bacher, Johann, 2006: Macht Arbeitslosigkeit rechtsextrem? Nürnberg: Manuskript. Barber, Benjamin, 1984: Strong Democracy. Berkeley: University of California Press. — 2003: Strong Democracy. Participatory Politics for a New Age. Berkeley, Los Angeles, London: University of California Press. Barnes, Samuel H./János Simon, 1998: The Postcommunist Citizen. Washington, D.C.: Alfadat-Press. — /Max Kaase, 1979: Political Action. Mass Participation in Five Western Democracies. Beverly Hills, CA. u.a.: Sage Publications. Berg-Schlosser, Dirk, 2000: »Messungen und Indizes von Demokratie: Leistungsfähigkeit, Kritikpunkte, Probleme.« In: Lauth, Hans-Joachim/Welzel, Christian/ Pickel, Gert (Hg.), Demokratiemessung. Konzepte und Befunde im internationalen Vergleich. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, 298–315.
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KRITISCHE BÜRGER
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Politikwissenschaft
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Hubertus Buchstein Demokratie und Lotterie Das Los als politisches Entscheidungsinstrument von der Antike bis zur EU 2009, 493 Seiten ISBN 978-3-593-38729-1 Fritz W. Scharpf Föderalismusreform Kein Ausweg aus der Politikverflechtungsfalle? 2009, 174 Seiten, ISBN 978-3-593-38901-1 Renate Mayntz Über Governance Institutionen und Prozesse politischer Regelung 2009, 171 Seiten, ISBN 978-3-593-38892-2 Frank Berner Der hybride Sozialstaat Die Neuordnung von öffentlich und privat in der sozialen Sicherung 2009, 345 Seiten, ISBN 978-3-593-38862-5
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Globalisierung
Michael Hardt, Antonio Negri Common Wealth Das Ende des Eigentums 2010, 437 Seiten, ISBN 978-3-593-39169-4 Stefan Luft Staat und Migration Zur Steuerbarkeit von Zuwanderung und Integration 2009, 417 Seiten, ISBN 978-3-593-38888-5 Regina Kreide Globale Politik und Menschenrechte Macht und Ohnmacht eines politischen Instruments 2008, 264 Seiten, ISBN 978-3-593-38597-6 Thorsten Bonacker, Christoph Weller (Hg.) Konflikte der Weltgesellschaft Akteure – Strukturen – Dynamiken 2006, 324 Seiten, ISBN 978-3-593-38226-5
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