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G. F. UNGER Ein Begriff für Western-Kenner G. F. UNGER ist der erfolgreichste WesternSchriftsteller deutscher Sprache. BASTEI LÜBBE veröffentlicht in dieser Reihe exklusiv seine großen Taschenbuch-Bestseller.
Kutsche nach Last Chance City Mit einer Dreihunderttausend-Dollar-Fracht und sechs zwielichtigen Passagieren wagte Otis Chugwater die Fahrt ins blizzardgepeitschte Goldland. Es wurde ein Unternehmen, im Vergleich zu dem der Weg durch die Hölle eine reine Vergnügungsreise war ...
BASTEI LÜBBE TASCHENBUCH
Band 43 396
1. Auflage: November 2003
Vollständige Taschenbuchausgabe
Bastei Lübbe Taschenbücher
ist ein Imprint der Verlagsgruppe Lübbe
Originalausgabe
All rights reserved
©2003by
Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG,
Bergisch Gladbach
Lektorat: Will Platten
Titelillustration: Faba/Bassols, Barcelona
Umschlaggestaltung: QuadroGrafik, Bensberg
Satz: Wildpanner, München
Druck und Verarbeitung:
AIT Trondheim, Norwegen
Printed in Norway
ISBN 3-404-43396-3
Sie finden uns im Internet unter
http://www.bastei.de
oder
http://www.luebbe.de
Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer
1
Als es zu laut klopft, nimmt Otis Chugwater einen seiner beiden neben dem Bett stehenden Stiefel und wirft ihn gegen die Tür. »Ruhe dort draußen!«, ruft er, während der Stiefel zuerst gegen die Tür und dann zu Boden poltert. In seiner Stimme ist zwar kein böses Grollen, aber doch ein Klang, den nur Dummköpfe nicht als Warnung begreifen würden. »Ich möchte die nächsten drei Tage nicht gestört werden – savvy?«, fügt er hinzu. Und dann widmet er sich wieder Dasy McMullen, die sich an ihn schmiegt, so, als wäre sie mit einem Leim an ihn festgekleistert worden und könnte durch nichts mehr von ihm gelöst werden. »Lass sie nur klopfen«, flüstert Dasy ihm ins Ohr, bevor sie in sein Ohrläppchen beißt. »Wir hören gar nicht hin.« »Richtig«, knurrt Otis Chugwater, »der dort draußen hat sich sicherlich an der Tür geirrt.« Aber dann klopft es wieder hart und fordernd an der Tür. »Mach auf, Chugwater – mach auf!« Aber Chugwater wirft erst noch seinen zweiten Stiefel gegen die Tür und ruft, nun doch mit einem deutlich drohenden Klang in der Stimme: »Wenn ich aufmache, dann nur, um dich Hammel dort draußen die Treppe
hinunterzustoßen. Hau ab! Hau ab, sag ich dir im Guten!« Dasy kichert indes in sein Ohr: »Gib's ihnen! Oh, Süßer, gib's ihnen nur! Die sind ja nur neidisch, weil ich mich so schrecklich in dich verliebt habe, seit du mir die Heirat versprochen hast und ...« Otis Chugwater hört nicht länger zu, denn er springt plötzlich aus dem Bett, als hätte ihn eine Schlange gebissen. »Heiheiheiraten?«, stottert er, indes er in seine Hose fährt. »Hahabe ich wawawas vom Heiraten gesagt?« Dasy wird einer Antwort enthoben. Die Tür wird von einem schwergewichtigen Mann gerammt und fliegt mit lautem Krach auf. Und Otis Chugwater, der zwar seine Hose noch nicht richtig an hat, hält jetzt seinen Colt in der Linken, den er sich aus dem Holster holte, das mit dem Waffengürtel über einer Stuhllehne hing. Aber er senkt die Waffe wieder, weil er die beiden Männer gut genug kennt, die sich so gewaltsam Zutritt verschafften. Wäre er nicht so betrunken, der gute Otis Chugwater, so hätte er den Marshal von Great Falls schon vorher an der Stimme erkennen müssen. Was Dasy vom Heiraten zu ihm sagte, machte ihn schon merklich nüchtern. Der Anblick der beiden Männer aber macht ihn richtig nüchtern.
»Wenn ihr keinen guten Grund habt«, sagt er, »dann macht euch auf was gefasst. Das nehm ich auch von dir nicht hin, Jed Carpenter.« Marshal Jed Carpenter nickt beschwichtigend. »Junge, nimm's nicht so persönlich. Mister Yorktown bat mich um Hilfe. Und ich bin verpflichtet, dem Agenten der Post- und Frachtlinie Hilfe zu geben. Unsere Stadt lebt nicht zuletzt vom Post- und Frachtverkehr. Also, Chugwater, es ist nicht persönlich gemeint.« Bevor Otis Chugwater etwas erwidern kann, sagt Dasy vom Bett her: »Ihr könnt nicht einfach in das Zimmer einer Lady eindringen wie zwei wilde Indianer. Geht raus! Los, geht raus – alle! Ihr sollt euch zum Teufel scheren, ihr dämlichen Affen!« Und nun, da sie sich in die richtige Erregung hineingesteigert hat, beginnt sie zu kreischen und böse zu schimpfen. Die beiden eingedrungenen Männer helfen Otis Chugwater, dessen Siebensachen im Zimmer einzusammeln. Sie flüchten nach draußen, und als der Marshal die Tür hinter sich zuzieht, da wirft die kreischende Dasy drinnen gegen die Tür, was ihr nur zwischen die Finger kommt. Chugwater lehnt schnaufend an der Wand und zieht die Kleidungsstücke an, die ihm die beiden Männer nacheinander reichen.
»Ich weiß noch nicht richtig«, schnauft er, »ob ihr mich um ein Vergnügen gebracht – oder gerettet habt. Aber euer Freund bin ich heute nicht. Was wollt ihr von einem Mann, der sich ein paar schöne Tage und Nächte verdient hat? Störe ich euch vielleicht in eurem Privatleben? Warum tut ihr das dann bei mir?« Er ist immer noch leicht betrunken, obwohl er sich Mühe gibt, nüchtern zu werden. Ganz jedoch gelingt ihm das nicht. »Trink erst mal unten einen starken Kaffee«, brummt Marshal Jed Carpenter und klopft ihm begütigend auf die Schulter. Der Postagent Abe Yorktown aber sagt: »Mister Chugwater, die Postlinie braucht Ihre Hilfe.« »Und auch die Stadt«, sagt der Marshal. »Denn es muss noch eine letzte Kutsche nach Last Chance gehen. Das muss unbedingt noch sein.« Sie gehen indes die Treppe nach unten und betreten den Speiseraum des Hotels. Jake Wells, der Besitzer, bringt selbst die Kaffeekanne, und man kann riechen, wie stark der Kaffee ist. Wahrscheinlich würde eine Gewehrkugel auf ihm schwimmen können wie ein Flaschenkorken. Die drei Männer sehen dann schweigend zu, wie Otis Chugwater trinkt, und sie sehen einen großen, sehnigen, dunklen und indianerhaften
Burschen, der sich ohne große Schwierigkeiten als Sioux verkleiden könnte. Als Otis Chugwater die zweite Tasse geleert hat, wischt er sich übers Gesicht und sieht die drei Männer der Reihe nach an. »Hab ich das vorhin richtig gehört? Es muss noch 'ne Postkutsche nach Last Chance in der Last Chance Gulch fahren? Und ihr habt mich als Fahrer oder Begleitmann ausersehen?« Sie nicken. Da tippt er mit dem Finger gegen die Schläfe. »Ihr seht zwar ganz normal aus«, sagt er und grinst verächtlich, »doch ihr könnt es gewiss nicht sein. Bei euch klappern die Erbsen in der Schüssel. Aber der Kaffee war gut – Kaffee kannst du kochen, Jake Wells.« Er will sich erheben. Doch der schwergewichtige Marshal drückt ihn freundschaftlich auf den Stuhl zurück. »Du wirst fahren müssen«, sagt er. »Denn wir haben dich in der Klemme. Als du gestern mit Dasy anfingst und mit auf ihr Zimmer wolltest, da sagte sie dir, dass sie dies nur täte, wenn ihr euch als Verlobte betrachten und du sie heiraten würdest, sobald der Pater aus der Indianermission zurückgekehrt wäre. Es gibt Zeugen, dass du ihr die Ehe versprochen hast. Und du hast nur eine einzige Chance – nämlich die, dass wir dich laufen lassen, weil wir dich als Fahrer nach Last
Chance brauchen. Denn Dasy, die macht mit, wenn wir erst damit anfangen, dich klein zu machen. Hast du mich verstanden, großer Scout und Lederstrumpf?« Otis Chugwater trinkt noch eine dritte Tasse. »Ihr seid schlechte Menschen«, stellt er fest. »Ihr habt euch als redliche Bürger getarnt. Der da trägt sogar einen Blechstern. Aber ihr seid so schlecht, dass ich den Kaffee wieder ausspeien möchte.« »Nicht so schlecht wie du, Otis«, grollt der Marshal. »Es gibt ein paar Leute hier in Great Falls ... He, wie war das mit dem Maultier, das du Pete Hammer verkauft hast? Das legte sich hin, wenn man ihm was aufladen wollte. Und ...« »Schon gut, Jed, schon gut«, seufzt Otis Chugwater. »Kommt mal zur Sache. Was wollt ihr wirklich von mir?« »Dass du 'ne noble Abbot-&-DowningKutsche nach Last Chance fährst, mehr nicht. Und dass sie auch dort ankommt.« »Und was ist drinnen in der Kutsche?« »Nun, ein paar Leute, die mit dem letzten Schiff kamen, ein paar Säcke Post und mehr als dreihunderttausend Dollar in Papiergeld.« »Dreihunderttausend Dollar?« Otis Chugwater ächzt. »Und diesen Berg Geld wollt ihr mir anvertrauen, mir, den ihr für schlechter haltet, als ihr es seid?«
Sie nicken. »Wir müssen, Mister Chugwater, wir müssen. Das Geld wird von den Bankfilialen in den Goldgräbercamps dringend gebraucht. Die machen dort nämlich beim Goldumtausch in Papiergeld gute Geschäfte. Aber die Goldsucher werden dabei immer noch nicht so betrogen wie in den Saloons, Tingeltangel und Geschäften. Kaum eine Goldwaage stimmt. Viele Goldgräber tauschen deshalb ihr Gold lieber bei einer Bankfiliale ein und zahlen mit Papiergeld. Sie erfüllen eine wichtige Mission, Mister Chugwater.« Abe Yorktown, der Post- und Frachtagent von Great Falls, zwingt sich ein freundliches Lächeln ab. »Aber ich bin doch kein Fahrer der Postgesellschaft. Die hat doch Fahrer und Begleitmänner in Hülle und Fülle. Ich bin doch nur ein Biberjäger, der Maultierkäufer übers Ohr haut.« Otis Chugwater sagt es höhnisch. Da grinsen die drei Männer. »Deinen Ruf«, sagt der Marshal, »kennen wir. Es macht dir Spaß, einem Dummkopf ein unbrauchbares Maultier anzudrehen. Aber wenn ein Mann hier die Postkutsche mit Inhalt ans Ziel bringen kann, dann bist du es. Und überdies hat die Postlinie keinen Fahrer mehr. Die Banditen ... Na ja, du weißt schon. Und dann hält jeder Mensch es für Blödsinn, jetzt noch vor dem
großen Schnee aufzubrechen. Sie haben alle Angst, unterwegs stecken zu bleiben.« »Richtig.« Otis Chugwater nickt. »Diese Angst habe ich auch. Oh, ihr seid ja noch schlechter, als ich dachte. Da gibt es doch noch einen Haken. Wollt ihr mir jetzt endlich reinen Wein einschenken, ihr drei Strolche?« Sie schlucken mühsam. Dann murmelt der Marshal: »Nun, es kamen mit dem letzten Schiff einige Passagiere, die hier bei uns in der Stadt überwintern würden, wenn sie nicht sofort weiter ins Goldland können. Wir möchten sie aber hier nicht bis zum Frühjahr haben. Das gäbe Mord und Totschlag. Otis, schaff sie fort. Dann haben wir bis zur Ankunft der ersten Schiffe im nächsten Frühjahr Ruhe. Du brauchst ja nichts anderes tun, als die Kutsche nach Last Chance zu fahren. Das ist in drei Tagen zu schaffen. Schon in sieben Tagen könntest du wieder bei uns sein. Vielleicht machen wir dich dann zum Ehrenbürger der Stadt.« »Darauf pfeife ich«, sagt Otis Chugwater überzeugt. »He, was für Passagiere sind es denn? Revolverhelden? Spieler? Banditen? Oder Aussätzige?« »Sechs Passagiere«, murmelt der Postagent, »vier Männer und zwei Frauen. Ich zahle Ihnen über den üblichen Lohn hinaus noch eine Prämie von zehn Dollar für jeden Tag, den Sie mit der
Kutsche unterwegs sind. Zu diesen hohen Prämien bin ich in Sonderfällen befugt.« »Oh, wie nobel! Wie großzügig! Männer, ihr könnt mich mal!« Er erhebt sich. Aber dann bemerken sie, dass sie nicht allein im Raum sind. In der dunkelsten Ecke, in die der Lichtschein der einzigen noch brennenden Lampe nicht reicht, sitzt eine junge Frau. Nun tritt sie hervor. »Einen Moment, Mister Otis Chugwater! Das ist doch Ihr Name, wie ich aus dem Gespräch hören konnte, nicht wahr? Einen Moment, Mister Chugwater!« Schon ihre Stimme trifft ihn bis tief in den Kern hinein. Sie hat eine dunkle, kehlige Stimme mit einem eigenartigen Timbre, das ihm unter die Haut geht. Noch bevor er ihr Gesicht im Lampenschein überhaupt richtig erkennen kann, ist er sicher, dass sie ihm mächtig gefallen wird. Und er wird nicht enttäuscht. Ja, das Gesicht passt zu der Stimme. Rassig ist es. Lebendig. Grüne, etwas schräge Augen. Und rabenschwarzes Haar. Es geht etwas von ihr aus; er spürt es stark. Ihre Zähne blitzen. Vielleicht ist ihr Mund etwas zu voll. Aber er ist dennoch nicht zu weich, eher etwas gierig.
Dieses Girl könnte mich verrückt machen, denkt er. Gegen die ist die hübsche Dasy dort oben, die man für das schönste Girl von Great Falls hält, nur eine miese Henne. Er ertappt sich dabei, dass er den Atem anhält. Dann hört er sich sagen: »Kneifen Sie mich mal – hier in den Arm. Kneifen Sie mich ruhig fest, damit ich auch wirklich merke, dass ich wach bin und nicht nur von Ihnen träume.« Sie lächelt und kneift ihn wirklich. »Es stimmt also«, sagt er. »Es gibt auf dieser Erde ein Mädchen, das genau meinen Träumen entspricht. Oh, ich kenne Sie schon lange.« Wieder lächelt sie. Und sie muss zu ihm aufsehen, obwohl sie mittelgroß ist und gewiss nicht weniger als hundertzehn Pfund wiegt. »Ich muss nach Last Chance«, sagt sie. »Mein Name ist Georgia Shannon. Bitte helfen Sie mir. Bringen Sie uns alle nach Last Chance.« Sie sagt es ziemlich leise, so, als wäre es nur für ihn bestimmt. Und dabei sieht sie ihn fest mit ihren grünen und schrägen Katzenaugen an. Verdammt noch mal, denkt Otis Chugwater, die ist ja eine Hexe. Bei der kann man ja gar nicht Nein sagen. Und er sieht ihr immer noch in die Augen, tut es wieder und wieder, sodass eine volle Minute vergeht. Schließlich wendet er den Kopf und blickt auf die Männer.
»Wann soll die Kutsche denn abfahren?« »So bald wie möglich – denn das wird ohnehin ein Wettrennen gegen den großen Schnee. Sobald wie möglich, Otis Chugwater.« Der Postagent spricht es feierlich beschwörend. »In einer halben Stunde könnten wir die Kutsche fertig haben«, fügt er hinzu. »Na los«, sagt Otis Chugwater und wendet sich wieder Georgia Shannon zu. »Wenn es so wichtig ist für Sie, Georgia Shannon, dann will ich Sie mal nach Last Chance bringen. Ist es wirklich wichtig?« Sie nickt heftig. »Sehr. Ich würde zu Fuß hingehen führe keine Kutsche und gäbe es kein Pferd oder Maultier.« Sie sagt es sehr ernst – und er spürt genau, dass sie wahrhaftig Hilfe braucht. Er hebt den Finger. »In einer halben Stunde«, sagt er.
2
Die Nacht ist hell und klar, aber nicht sehr kalt, obwohl der Boden hart gefroren ist und sich im Fluss sogar schon Eis bildet. Weit, weit im Norden – wo schon Kanada beginnt – da ist der Himmel dunkel. Man könnte fast denken, es wäre eine gleichförmige Gebirgskette. Otis Chugwater, der prüfend um die Kutsche geht und im Laternenschein alles, auf was es ankommen wird, noch einmal kontrolliert, saugt mit vibrierenden Nasenflügeln die Luft ein. Er kann den Schnee im Norden schon riechen. Und er weiß, dass dieser Schnee in einigen Stunden hier sein wird. Nach Last Chance geht es nach Süden, auf gefährlichen Wegen mitten durch die Big Belt Mountains, an Abgründen entlang, über hohe Pässe. Wenn sie dort vom Schnee überrascht werden ... Noch einmal zögert er. Dann ruft er: »Einsteigen, es geht jetzt los! Einsteigen!« Und er klettert zum hohen Sitz hinauf, überzeugt sich, dass die beiden Gewehre in Reichweite stecken und schlägt den Kragen des Büffelfellmantels hoch.
Den drei Männern, die ihn von Dasy weggeholt hatten, spuckt er vor die Füße. Dann fährt er los, und er hat dann fast eine halbe Meile lang zu tun, bis er das Sechsergespann unter Kontrolle hat und die Tiere begriffen haben, dass er ein Boss ist, der all ihre Tricks kennt. Das Sechsergespann zieht nun gleichmäßig und gehorcht jedem Zügelruck oder Zuruf. Eigentlich hat Otis Postkutschen immer nur zum Spaß gefahren, weil ihn das Schwierige an dieser Sache reizte. Überhaupt hat er schon viele Dinge in seinem Leben nur deshalb getan, weil er sich von schwierigen Aufgaben stets herausgefordert fühlt. Er muss jetzt wieder an die grünäugige Schöne in der Kutsche denken. Auch die anderen fünf Passagiere sah er sich an. Aber er verschwendet keinen Gedanken an sie – auch nicht an die zweite Frau, die – wie er sah – ebenfalls mehr als nur hübsch ist. Sie kommen die ersten Meilen gut vorwärts, denn das Gelände steigt zunächst nur langsam an. Nach einer Stunde etwa blickt er zurück nach Norden. Die schwarze Wand dort ist näher gekommen. Aber wahrscheinlich bewegt sie sich nicht viel schneller als die Kutsche.
Er grinst. Eigentlich ist das Ganze nach seinem Geschmack. Er kann wieder einmal zeigen, was er auf dem Kasten hat, er kann es sich selbst beweisen. Es ist wie bei einem Wettkampf, oder wenn es darum geht, ein wildes Pferd zu reiten. Ja, so ähnlich fasst er es auf. Aber da ist noch die rassige Georgia Shannon in der Kutsche. Er hat ihr Bild immer wieder vor Augen, indes er das Sechsergespann durch die Nacht lenkt. Eigentlich gab sie endgültig den Ausschlag, dass er sich zum Fahren entschloss. Es war etwas zwischen ihr und ihm – irgendwie eine geheimnisvolle Verwandtschaft, so, als kennten sie sich schon sehr lange. Und eigentlich kennt er sie ja auch wirklich schon sehr lange. Denn sie entspricht äußerlich fast haargenau dem Bild, das er sich in einsamen Stunden von einer Frau machte – und von dem er glaubte, dass es ewig nur ein Wunschbild bleiben würde. Aber dann sah er sie plötzlich in Wirklichkeit. Das traf ihn sehr. Und nun fährt er vor dem großen Schnee durch raues Land. Last Chance in der Last Chance Gulch ist nur eines der vielen Goldgräber- und Minencamps.
Eine Kutsche nach Last Chance, so denkt er. Und er fragt sich, ob Last Chance für seine Passagiere wahrhaftig die letzte Chance ist. Denn das könnte sein, jawohl, das könnte wahrhaftig sein. Last Chance, die letzte Chance vor der Hölle. Aber Last Chance ist ja die Hölle. Er weiß es, denn er war oft genug dort, weil er die Goldgräber mit Frischfleisch, Rindern und Pferden versorgte. Dies brachte ihm mehr ein als die Goldsuche. Last Chance ist die Hölle. Und dennoch wollen zwei schöne Frauen und vier Männer hin vor dem großen Schnee, so, als wäre Last Chance eine rettende Insel. Als das Sechsergespann die erste lange Steigung erreicht und im Schritt gehen muss, blickt er wieder zurück nach Norden. Ja, die schwarze Wand ist näher gekommen. Wenn sie die Kutsche vor Tag eingeholt haben sollte, wird es so dunkel sein wie unter dem alten Hut auf Otis Chugwaters Kopf. Er flucht leise. Verdammt, in was hat er sich da eingelassen, nur um den Hammeln in Great Falls ihre Sorgen abzunehmen – ja, und um der Schönen, deren grüne Katzenaugen ihn hypnotisierten, einen Gefallen zu tun? Verdammt, dreimal verdammt!
Als sie das Ende der Steigung erreichen, muss er die Pferde verschnaufen lassen, denn das letzte Stück war ziemlich steil. Er springt vom Wagen und geht von Tier zu Tier, umrundet auch den Wagen und überprüft noch einmal alles. Er tut es vor allen Dingen, um sich bewegen zu können. Denn seine Füße sind schon ziemlich kalt. Im Gepäckfach der Kutsche findet er einen leeren Futtersack. In ihn will er gleich oben auf dem Bock die Beine stecken. Dann wird es vielleicht besser werden. Als er am Fenster der Kutsche vorbei will, wird der heruntergezogene Ledervorhang hochgerollt. Eine raue Stimme sagt: »He!« Aber er geht weiter. »He, Fahrer!« Die Stimme klingt schärfer und unduldsamer. Er hält inne und blickt über die Schulter. »Was wünschen Sie, Sir?«, fragt er höflich. »Dass es weitergeht und du deinen sechs Meerschweinchen Beine machst, Bruder«, spricht die raue und unduldsame Stimme aus dem offenen Fenster. Otis Chugwater seufzt leise. Denn er kennt diese Sorte Burschen. Wenn er jetzt höflich bleibt, wird dieser Kerl immer
schlimmer werden, weil er Höflichkeit mit Schwäche verwechselt. Langsam tritt er ans Fenster. »Mach deine Ohren richtig auf, Freund«, sagt er. »Ich bin kein fest angestellter Fahrer dieser Linie. Ich mach das heute nur aus Gefälligkeit. Mich können die nachher nicht rauswerfen, nur weil sich jemand bei ihnen über mich beschwert hat. Ich fahre diese Kutsche mit meinen sechs Meerschweinchen nach Last Chance, so wie ich will. Wem das nicht passt, der kann laufen. Hast du mich genau verstanden, Bruder?« »Wenn ich rauskomme, erschlag ich dich mit meinem Hut«, grollt der Mann aus dem Fenster. Da macht Otis Chugwater den Wagenschlag auf. »Dann komm, mein Junge – komm doch! Ja, wir klären es auf der Stelle! Komm endlich!« Der Mann grollt und macht wahrhaftig Anstalten, aus der Kutsche zu klettern. Aber ein anderer Mann hält ihn zurück und sagt mit einer beruhigend klingenden Stimme: »Schon gut, Fahrer, schon gut. Das hat nichts zu bedeuten – gar nichts. Er ist nur betrunken. Kümmern Sie sich nicht um ihn, Fahrer. Ich halte ihn jetzt unter Kontrolle.« Der Mann verfügt offenbar über große Körperkraft und großen Einfluss. Denn es gelingt ihm, den sich nur mäßig Sträubenden wieder auf
den Sitz zu zwingen. Otis Chugwater steht noch drei Sekunden lang am offenen Wagenschlag. »Wenn der unterwegs in seiner Trunkenheit die Ladys belästigt«, warnt er, »dann schmeiß ich ihn raus – einfach raus. Verstanden?« Er wartet die Antwort gar nicht ab, sondern schlägt den Schlag wieder zu. Er geht nach vorn, sitzt auf, steckt die Füße in den Futtersack und löst die Bremse. »Hoiiiyaah, ihr alten Tanten!«, ruft er dem Sechsergespann zu. Die Fahrt geht weiter. Die schwarze Wand hinter ihnen aber ist noch näher gekommen. Otis sieht sich gar nicht mehr danach um. Denn er weiß jetzt, dass der Schnee die Kutsche noch vor dem Morgen einholen wird. Die Nächte sind ja jetzt so lang, dass man glaubt, sie würden kein Ende mehr nehmen.
Sie sind noch etwa zwei Meilen von der ersten Pferdewechselstation entfernt, als die ersten Flocken fallen und der Rand der schwarzen Wand über ihnen ist. Er kennt die Two Dance Station gut genug und wundert sich nicht, ihre Lichter selbst zu dieser Stunde durch die Dunkelheit blinken zu sehen.
Es ist kälter geworden, und dies beunruhigt ihn. Bei Schneefall hätte es eigentlich wärmer werden müssen. Aber es wurde kälter. Sollte dieser ersten Schneefallfront ein Eisblizzard folgen? Er knallt mehrmals mit der Peitsche, sodass es wie Gewehrschüsse durch das kleine Tal hallt. Auch das Räderrollen der Kutsche und der Hufschlag der sechs Pferde verursachen ein rollendes Echo. Als er vor der Two Dance Station die Bremse zieht, treten einige Männer aus der Tür. Als es still wird nach all dem Lärm der haltenden Kutsche, sagt eine Stimme: »Hoiii, das ist wahrhaftig noch eine richtige Linien-Kutsche nach Last Chance. Und wer fährt das Ding? Seht es euch an! Wer fährt das Ding in heiliger Einfalt und mit Gottvertrauen? Kennt ihr den?« »Aah, das ist doch Chugwater. He, Chugwater, hast du 'ne Wette abgeschlossen?« Aber Chugwater, der vom hohen Bock klettert, gibt dem Frager keine Antwort. Er hat unter der Männergruppe den Stationsmann entdeckt und fragt scharf: »Warum steht das Gespann noch nicht bereit? Du hast mich doch schon gehört, als ich noch 'ne halbe Meile entfernt war? Soll ich dir Beine machen, Humphy?«
Die Männer starren ihn schweigend an. Eine feindliche Strömung geht jäh von ihnen aus. Dann aber nickt Humphy Boggart. »Schon gut«, sagt er. »Wir haben dich gehört. Aber wer konnte ahnen, dass du ein Verrückter bist, der noch eine Kutsche nach Last Chance bringen will?« »Das muss doch einen wichtigen Grund haben!« Einer der anderen Männer ruft es scharf wie von einer plötzlichen Eingebung beflügelt. Wieder schweigen sie alle, starren auf Chugwater und die Kutsche. »He, hast du Geld mit, Chugwater – viel Geld? Hoi, er muss viel Geld in der Kutsche haben! Die warten in den Goldgräber-Camps auf Geld, weil sie mit Goldstaub als Zahlungsmittel grausam betrogen werden. Die warten auf viel Geld für viel Gold! Gold wiegt schwer. Doch Papiergeld kann man im Stiefelfutter verstecken. Jungens, der hat eine Million in Schemen in der Kutsche! Wetten?« »Ihr Blödmänner«, sagt Chugwater und öffnet den Kutschenschlag. »Wenn die Ladys für einige Minuten aussteigen und sich drinnen aufwärmen möchten bei einem Schluck heißen Kaffee«, sagt er, »dann ließe sich das machen. Denn es wird noch viel kälter werden.«
Die Zuschauer vergessen nun, dass sie ziemlich unzulänglich bekleidet aus dem Haus traten und zu frieren begannen. Denn im Lichtschein erkennen sie zwei besonders bemerkenswerte Exemplare der Gattung Frau, wie sie sie auf tausend Meilen in der Runde so schnell nicht wieder zu Gesicht bekommen. Sie machen ooh, und einige pfeifen sogar. Auch die männlichen Fahrgäste klettern aus der Kutsche. Sie alle haben jetzt schon tüchtig gefroren. Otis Chugwater wendet sich wieder an Humphy Boggart. »Jetzt mach ich dir aber wirklich Beine, Humphy! Und ich brauch noch zwei Futtersäcke mit Hafer, ein Dutzend Decken und ein halbes Dutzend Flaschen Whisky. Alles auf Rechnung der Postlinie. Hast du mich verstanden?« Humphy Boggart nickt. Dann setzt er sich in Bewegung, ruft nach seinen Helfern, die im Stallanbau schlafen. Einer der Männer sagt: »Chugwater, wir haben dich gefragt, ob du Geld in der Kutsche hast. Also?« »Und ich habe nicht geantwortet«, sagte Chugwater und macht sich daran, das dampfende Sechsergespann auszuspannen. »Ich glaube, wir sollten ihm mal Manieren beibringen«, lässt sich eine harte und verwegen klingende Stimme vernehmen.
Da hält Chugwater inne, so, als hätte er nur auf diese Stimme gewartet, deren Besitzer er längst unter den anderen Männern erkannte. Chugwater tritt vorwärts und stößt dabei rechts und links zwei Männer zur Seite, die ihm den Weg versperren. Nach einem weiteren Schritt hält er vor dem Sprecher. »Hope Prado«, knirscht er, »du möchtest mir Manieren beibringen? Welche Manieren? Deine vielleicht? Na los, Hope Prado – na los!« Es ist fast die gleiche Szene wie unterwegs. Otis Chugwater nimmt offenbar von ganz bestimmten Männern jede Herausforderung an. Ist das eine Schwäche von ihm? Oder weiß er ganz genau, wem er gleich zu Beginn auf die Zehen treten muss? Hope Prado ist so groß wie Chugwater, vielleicht sogar noch etwas schwerer als dieser. Sie stehen sich einige Atemzüge lang schweigend gegenüber. Alle anderen Männer verharren ebenfalls. Sie warten. Es sind einige von Hope Prados Freunden dabei – zum Beispiel Oregon Pete, dessen Nachnamen keiner kennt. Und fast jeder Mensch zwischen Last Chance und Great Falls am Missouri weiß, dass Hope Prado und Oregon Pete wahrscheinlich Banditen sind, zumindest jedoch Claimräuber und Pferdediebe. Man munkelt auch, dass einige Postkutschenüberfälle
im vergangenen Herbst, als viele Goldsucher vor dem Winter mit ihrer Ausbeute die Heimreise antraten, von ihnen ausgeführt worden sein sollen. Es ist eine merkwürdige Gesellschaft hier bei der Two Dance Station versammelt. Der Stationsmann Humphy Boggart sah auch so aus, als fühlte er sich nicht recht wohl in seiner Haut. Sekunden vergehen also, indes Chugwater und Prado sich gegenüberstehen. Der Atem von Gefahr und drohender Gewalttat ist deutlich spürbar. Aber dann lacht Hope Prado leise und kehlig. »Aah, wir sind füreinander bestimmt, Chugwater – ja, das wissen wir beide. Und wenn wir's mal austragen, dann gibt es eine Schlacht, dass die Fetzen nur so fliegen. Doch es muss sich lohnen. Es muss sich lohnen für mich. Hab Geduld, mein Freund – hab Geduld!« Er wendet sich ab und geht in die Station. Einige Männer, auch Oregon Pete, folgen ihm. Andere helfen jetzt beim Pferdewechsel.
Otis Chugwater hat schon ziemlich viel Schnee auf dem Büffelfellmantel, als er in die Gaststube tritt. Es ist eine ziemlich große Gaststube, denn die Two Dance Station ist zugleich auch Saloon
und Handelsstore. Etwa ein Dutzend Menschen leben hier ständig, und fast immer sind Gäste da. Chugwater schüttelt den Schnee vom Mantel und tritt an den großen Tisch beim Ofen. Humphy Boggarts indianische Frau schiebt ihm einen dampfenden Kaffeetopf und eine noch halb volle Whiskyflasche hin. Chugwater gießt ziemlich viel Whisky in den Kaffee. Indes er das heiße Gebräu trinkt, mustern seine rauchgrauen Augen, an denen man ihn zuerst als Weißen erkennen kann, die Menschen im Raum. Seine männlichen Fahrgäste sieht er zum ersten Mal beim Lampenschein, und er stellt fest, dass sie ihm allesamt nicht gefallen. Der Bursche, mit dem er unterwegs fast Streit bekam, lässt ihn an einen schrägäugigen Kojoten denken. Der Mann, der ihn zurückhielt und sich für ihn entschuldigte, hat rötliche Haare und ist gewiss ein zweibeiniger Wolf. Der dritte Mann ist wahrscheinlich ein Spieler, doch einer von der gefährlichen Sorte, die auch mit einem Colt kämpfen kann. Und der vierte Mann – oha, dies ist einer von diesen blonden, sichelbärtigen, texanischen Revolverschwingern, die nach dem Krieg von Texas aus überallhin ausschwärmten. Eine feine Blase ist das, denkt Chugwater und leert den Kaffeetopf, in dem gewiss drei normale Tassen enthalten sind, bis auf den Grund.
Ihm wird sofort heiß. Der starke Kaffee und der Whisky werden ihn vielleicht eine Weile warm halten. Zuletzt blickt er auf die beiden Frauen. Jene Georgia Shannon ist dunkelhaarig und grünäugig. Auf ihrer kleinen Nase entdeckt er einige Sommersprossen. Er freut sich darüber, denn es gefällt ihm, macht ihre rassige Schönheit für ihn natürlicher. Sie sieht ihn mit ihren grünen Augen an, und wieder ist etwas zwischen ihnen. Er spürt es genau. Er denkt: Girl, ich werde dir helfen. Du willst nach Last Chance, weil es wichtig für dich ist. Und ich bring dich hin. Da kannst du dich drauf verlassen! Zuletzt sieht er die andere Frau voll und forschend an. Sie ist blond und braunäugig, etwas größer als die andere, etwas weiblicher und wahrscheinlich sehr viel erfahrener, eine Frau, der nichts mehr fremd ist auf dieser Welt – und die sich dennoch etwas von ihrer Mädchenhaftigkeit bewahrt hat. Er hält sie sofort für eine Frau, die auch inmitten einer rauen Männerwelt für sich sorgen kann. Wahrscheinlich ist sie eine hartgesottene Abenteuerin. Er stellt den leeren Topf auf den Tisch. »Es geht los«, sagt er und wendet sich zur Tür.
Unterwegs hält er noch einmal bei einem Tisch an, um auf Hope Prado und Oregon Pete niederzublicken, die hier beim Kartenspiel mit anderen Männern sitzen. Sie starren zu ihm hoch. Er grinst sie stoppelbärtig an. »Ich weiß«, sagt er, »ihr werdet gleich losreiten. Euch juckt es mächtig. Aber ich sage euch, versucht es nicht. Lasst es lieber jucken und versucht es nicht. Sollte ich euch zwischen hier und Last Chance treffen, dann fang ich gleich an zu schießen. Savvy?« Er wartet nicht auf Antwort – und er bekommt auch keine. Er geht hinaus und klettert auf den Bock. Humphy Boggart, der das Gespann gehalten hat, kommt zu ihm und klettert bis auf das vordere Wagenrad, um nahe bei ihm sein und leiser sprechen zu können. »Die hocken schon drei Tage bei mir herum. Die warteten bestimmt auf die letzte Postkutsche. Nimm dich in acht, Chugwater! Und wenn du die Geldkiste unterwegs verstecken musst, so wäre das immer noch besser, als sie ...« »Schon gut, Humphy«, unterbricht ihn Chugwater. Dann ruft er scharf: »Einsteigen! Zuerst die Ladys. Es geht los!« Er löst wenig später die Bremse.
Hogjaw Pallace, der Mann, der ihn an einen verschlagenen Kojoten erinnert und mit dem er unterwegs Streit bekam, kann sich noch mit Mühe in die Kutsche schwingen und den Schlag zuziehen. Er flucht dabei. »Den Hundesohn bring ich um!« Aber da sagt die blonde Frau: »Mister, hören Sie auf damit. Dieser Chugwater bringt uns nach Last Chance, vergessen Sie das nicht. Oder können Sie uns nach Last Chance bringen? Hängen Sie Decken vor die Fenster. Die Lederrollos sind nicht dicht genug.« Da lacht Hogjaw Pallace. »He, Honey, wenn dir zu kalt ist, dann komm in meine Arme. Komm rüber zu mir. Ich mach dich nicht nur warm, sondern heiß! Komm schon, wenn dir kalt ist!« Er beugt sich vor. Die Laterne im Innern der Kutsche beleuchtet sein dreieckiges und schrägäugiges Kojotengesicht. Da tritt ihm die blonde Schöne vor das linke Schienbein. Und als er sich aufbrüllend auf sie werfen will, um sie zu greifen oder ins Gesicht zu schlagen, da nimmt sie eine Hand aus dem Pelzmuff auf ihren Schoß. Es ist hell genug, dass sie alle den doppelläufigen Derringer in ihrer Hand sehen
können, denn die Öllampe ist über ihren Köpfen angebracht. »Versuchen Sie mal was«, sagt sie herb. Und sie fügt hinzu: »Solche Burschen wie Sie, Mann, hab ich aus meinen Saloons schon zu Dutzenden rausgeworfen – allein.« »Ich krieg dich schon noch«, grollt Hogjaw Pallace. »Die Fahrt ist noch lang. Ich krieg dich schon noch.« »Aber nicht, wenn ich in der Nähe bin«, mischt sich Georgia Shannon ein. Sie wendet sich an ihre Nachbarin. »Ich glaube, wir werden ein wenig zusammenhalten müssen, Schwester. Dann wird es ganz gut zu schaffen sein. Ich hab auch solch ein Schießding.« »In Ordnung, Schwester.« Die Blonde lächelt. »Ja, wir werden ein wenig zusammenhalten.«
3
Indes hat Otis Chugwater oben auf dem hohen Bock ganz andere Sorgen. Der Schnee fällt jetzt schon ziemlich dicht, doch es sind kleine und sehr leichte Flocken. Sie schweben langsam nieder wie Flaumfedern. Noch ist der Wagenweg gut zu erkennen im Schein der beiden Laternen, die rechts und links an den vorderen Ecken des roten Kutschkastens brennen. Ihr Schein reicht freilich kaum ein bis zwei Schritte über die beiden Führungspferde hinaus. Das Sechsergespann ist ungebärdig. Es wurde aus dem warmen Stall geholt und wittert hinter sich das drohende Unheil. Vielleicht – weil sie hinter der Schneefallfront den Blizzard wittern, lassen sie sich trotz ihres Unwillens nach Süden lenken. Otis Chugwater hat mit den sechs Zügeln zu tun. Und er droht und schmeichelt mit ständig wechselnder Stimme. Einige Male lässt er die Peitsche sausen, deren Metallknaller bis zu den Ohrspitzen der Führungspferde reicht. Nach und nach bekommt er auch dieses Gespann unter Kontrolle, sodass es folgsam sein wird, wenn er die ersten Kehren zum Snake Pass erreicht hat. Es kann keine zwei Meilen mehr entfernt sein.
Und dann? Seine Gedanken beschäftigen sich fortwährend damit. Ja, was wird am Beginn des Aufstiegs zum Snake Pass sein? Aber eigentlich ist die Frage sehr leicht zu beantworten, wenn man Hope Prado, Oregon Pete und deren Freunde und Partner kennt. Otis Chugwater denkt, indes er sein Gespann immer besser unter Kontrolle bekommt und stetig traben lässt: Diesen Schuften ist es hier draußen zu kalt und zu ungemütlich. Die wollen nicht lange reiten und nicht lange im Schnee waten. Die wollen schnelles Geld machen und sich dann noch vor dem Winter – wenn alle Wege unpassierbar sind – irgendwo bis zum Frühling festsetzen, wo es viel Spaß für sie gibt. Also werden sie mich am Snake Pass erwarten, mir das Geld abzunehmen versuchen und dann nach Great Falls reiten, wo sie vielleicht noch ein kleines Dampfboot erwischen, das sie vor dem Eis den Strom abwärts bringt. Mit einer solchen Menge Geld können die sich ein kleines Dampfboot mieten, das sie in drei Wochen bis nach Saint Louis hinunterbringt. Ja, das versuchen die glatt. Als er mit seinen Gedanken so weit ist, hält er an. Die Nacht ist schwarz. Der Schneewirbel wird immer dichter, und der Schein der beiden
Kutschlaternen kämpft immer mühsamer dagegen an. Als die Kutsche hält, fragt auch schon Hogjaw Pallaces unangenehme Stimme: »He, warum stehen wir?« Aber Otis Chugwater gibt ihm gar keine Antwort. Er klettert vom Bock und geht zu einigen Büschen hinüber. Es sind irgendwelche immergrüne Nadelbüsche und kleine Bäumchen, die jetzt von dem pulvertrockenen Schnee bedeckt sind. Jemand blickt aus dem Kutschfenster und sagt dann: »Aah, der muss mal. Warum ist er denn nicht vorhin ...« Das Fenster wird wieder mit dem Lederrollo und einer Decke verhängt. Die Stimme ist nicht mehr hörbar. Otis Chugwater aber schneidet ein Bäumchen ab und schüttelt den Schnee aus den Nadeln der Zweige. Dann kehrte er damit zur Kutsche zurück, entfernt mit seinem Messer, das er aus dem Stiefelschaft holt, noch einige Zweige und verkürzt andere. Als er bei der Kutsche ist, entledigt er sich seines Büffelmantels und umhüllt das Bäumchen damit. Er setzt ihm auch seinen Hut auf und bringt das Ding hinauf auf den Bock. Dort oben klemmt er das untere Ende zwischen Fahrersitz und Kutschkasten, sodass es in der dunklen Nacht
und bei dem dichten Schneefall aus einiger Entfernung aussieht, als säße er noch oben auf dem Bock. Aber er setzt sich so unterhalb des Bockes auf die Deichsel, dass ihm die beiden hinteren Pferde leicht ihre Schwänze um die Ohren schlagen könnten, würden sie diese nicht hängen lassen. Zuvor löste er oben noch die Bremse und legte die Schrotflinte griffbereit hinter sich auf das Fußbrett des Kutschbockes. Mit einer Hand hält er sich – dabei über die Schulter zurückgreifend – am Fußbrett fest. Mit der anderen Hand hält er die sechs Zügel. »Na los, ihr Äpfelmacher«, sagt er laut. »Lauft schon, meine lieben Lämmchen! Enttäuscht euren Onkel nicht und seid schön brav. Lauft, als säße ich oben über euch und könnte noch mit der Peitsche nach euren Ohrspitzen knallen.« Das Gespann gehorcht ihm wahrhaftig, so, als wären sie schon tausend Meilen weit zusammen unterwegs.
Hope Prado und Oregon Pete haben ihre Männer rechts und links der Wagenstraße am Fuß des Snake Passes verteilt. Hope Prado sagte zuvor laut: »Also, wir haben die Postkutsche bestimmt überholt. Sie muss in einigen Minuten kommen. Pete und ich, wir
werden Otis Chugwater vom Bock schießen, bevor er seine Drohung, selbst zu schießen, wahrmachen kann. Es wird genügen, wenn ihr ein paar Kugeln abfeuert, sodass die Fahrgäste in der Kutsche begreifen, dass wir ein Sieb aus der Kutsche machen könnten, würden wir das nur wollen. Ich denke, dass wir uns das Geld dann mühelos aus der Kiste unter dem Fahrersitz holen können. Also los, verteilt euch!« Und da warten sie also nun. Es ist ihnen ungemütlich. Sie denken an die warme Gaststube der Two Dance Station. Und obwohl sie sich ziemlich viel Feuerwasser in die Bäuche laufen ließen, beginnen sie schon bald zu frieren. Der Schnee fällt lautlos. Und die Nacht ist schwarz. Irgendwie wittern sie alle, dass sich da im Norden ein Unheil zusammenbraut. Denn es ist außergewöhnlich, dass es bei Schneefall so kalt werden konnte. Die Kutsche kommt später, als sie dachten, viel später. Doch sie messen dieser Tatsache kaum Bedeutung bei, ja, sie glauben, dass vielleicht schon der knöchelhohe Schnee daran die Schuld haben könnte. Sie hören die Stimme von Otis Chugwater immer wieder rufen: »So ist's gut, meine Pferdchen, so ist's gut! Schön gleichmäßig ziehen! He, du da, links in der Mitte, wirst du
wohl ziehen! Oh, ihr Mäuseohren, ich geb euch was, wenn ihr nicht gleichmäßig zieht!« Sie kennen die Stimme alle, denn sie haben sie ja erst vor kurzer Zeit gehört. Hope Prado und Oregon Pete machen ihre Revolver schussbereit. »Wir bleiben auf dieser Seite – beide«, bestimmt Hope Prado. »Denn wir wollen uns durch Fehlschüsse nicht gegenseitig verletzen. Wir beginnen auf ihn zu schießen, sobald wir seine Gestalt oben auf dem Bock erkennen können. Dann aber schießen wir solange, bis er runterfällt. Klar?« »Sonnenklar«, erwidert Oregon Pete und stellt dann die Frage: »Bist du sicher, dass er Geld mit hat? Warum hat er da nicht einen bewaffneten Begleitmann neben sich, sondern fährt ganz allein? Wenn er kein Geld in der Kutsche hat, ist alles umsonst.« »Er hat Geld mit«, sagt Hope Prado überzeugt. »Es kam ein Schiff den Strom herauf. Deshalb die Passagiere in der Kutsche. Er hat eine Menge Post und gewiss auch eine Menge Geld. Die warten im Goldland darauf. Und dass er die Kutsche fährt, ist nur der Beweis, dass die Postlinie keinen anderen Mann mehr bekommen konnte. Nur er wagte es noch – nur er! Vielleicht überredete ihn eine der beiden Schönen dazu.« Er lacht leise.
Dann schweigen sie beide und ducken sich hinter die schneebedeckten Büsche und kleinen Tannen. Die Kutsche ist nun ganz nahe. Sie sehen im dichten Schneefall das gelbe Licht der beiden Laternen blinzeln, erkennen die dunkle Doppelreihe der Pferde, dahinter den Wagenkasten – und endlich auch die vermummte Gestalt auf dem Bock. Sie beginnen zur gleichen Zeit zu schießen. Und sie sind sicher, dass sie treffen, denn sie sind beide gefährliche Coltschützen, die es mit fast jedem Gegner aufnehmen können. Schießend springen sie näher an die Kutsche heran. Da erwischt es sie – und es erwischt sie voll. Eine Schrotflinte donnert zweimal. Es ist eine starke Flinte, die so genanntes Indianerschrot ausspuckt wie ein Ventil der Hölle. Doch die Pferde stehen still. Sie sind an das Krachen von Schüssen gewöhnt wie an Peitschenknallen. Es krachen noch einige Schüsse, aber Otis Chugwaters Stimme ruft nun scharf: »Hört auf, Jungens! Es ist vorbei! Ich habe die beiden Dummköpfe voll erwischt. Ihr schafft es nicht mehr!« Und aus der Kutsche brüllt eine Stimme: »Wenn die nicht aufhören dort draußen, dann
kommen wir aus der Kutsche und helfen ein wenig! Sind das die dämlichen Hammel aus der Two Dance Station?« »Sicher«, erwidert Otis Chugwater laut genug. »Die sind es! Die haben sich nicht warnen lassen. Und sie haben zuerst geschossen!« Nach diesen Worten ist es still. Dann entfernen sich Männer durch den Schnee und die raschelnden Büsche. Eine Stimme – schon ein Stück entfernt – ruft dumpf durch den Schneefall: »Ist ja gut! Wir haben ja schon aufgehört! Reg dich nur nicht auf, Chugwater! Wir sind ja mit Prado und Pete nur mitgeritten, weil wir zusehen wollten, ob sie es schaffen oder nicht. Wir machen ja nur Zuschauer!« Otis Chugwater holt seinen Mantel und hüllt sich wieder darin ein. Auch den Hut setzt er wieder auf. Nachdem er die Schrotflinte mit großen Papppatronen nachlud, zieht er die Handschuhe wieder an und tritt an den Wagenschlag. Das Fenster ist offen. Er erkennt die Gesichter einiger Passagiere. »Ist drinnen alles in Ordnung?«, fragt er. »Wie geht es den Ladys?« »Alles in Ordnung«, erwidert die Stimme jenes Mannes, der vorhin noch den Banditen gedroht hat, dass sie alle aus der Kutsche
kommen und Chugwater helfen würden. Es ist jener rothaarige Bursche, den Chugwater für sehr viel gefährlicher hält als diesen Hogjaw Pallace. »Haben Sie tatsächlich viel Geld im Kasten?«, fragt er. »Und wenn schon«, erwidert Chugwater, »es wird mir gewiss niemand abnehmen. Da wette ich gegen jede andere Meinung.« Er wartet auf keine Antwort, sondern stapft noch einmal um das Gespann und sieht nach, ob auch keines der Pferde etwas abbekommen hat. In seinem Büffelfellmantel sind ein paar Löcher. Das weiß er mit Sicherheit. Doch es wird gewiss nicht durchziehen, dass er sich eine Erkältung holen wird durch diese Löcher. Der Schnee ist jetzt etwas mehr als knöchelhoch. Er liegt auch auf der Kutsche und den Pferderücken. Einen Moment noch zögert Chugwater. Soll er weiterfahren? Es ist noch ein verdammt langer Weg. Wäre es nicht besser für ihn, umzukehren? Er sieht dorthin, wo die beiden Banditen liegen müssen, die er voll mit dem Indianerschrot erwischte. Wahrscheinlich werden ihre Kumpane kommen, sobald die Postkutsche fort ist, um nach ihnen zu sehen. Zumindest werden sie ihnen die
Taschen leeren. Oh, er kennt diese MontanaWölfe gut genug. Er blickt nach Osten. Dort scheint es hinter dem wirbelnden Schnee irgendwie heller geworden zu sein. Chugwater entschließt sich. Er klettert hinauf, nachdem er unten die sechs Zügel zusammenraffte und sortierte in seinen Händen. »Ihr seid brave Pferdchen«, spricht er auf das Gespann nieder, »sehr brave und gute Tierchen. Mit euch werde ich es gewiss über den Snake Pass schaffen. Hooiyaah! Lauft, meine Engel!« Sie ziehen an, so, als könnten sie seine Worte verstehen. Und die Fahrt geht weiter. Noch drücken sich die Räder durch den leichten, trockenen Schnee bis auf den gefrorenen Boden durch. Noch spürt man in der Kutsche jede Unebenheit, jeden Stein. Deshalb ist an ein Steckenbleiben noch nicht zu denken. Doch wenn der Schnee schwerer werden sollte – oder wenn es wirklich einen Eisblizzard geben sollte ... Oha, er wagt es sich nicht vorzustellen, wie es sein würde, sollten sie stecken bleiben. Wieder muss er an die schwarzhaarige Georgia Shannon denken, für die es so wichtig ist, nach Last Chance zu kommen.
Was für einen Anlass mag sie haben? Oha, er muss sehr, sehr wichtig sein. Doch auch die anderen Fahrgäste haben gewiss nicht weniger triftige Gründe. Denn sonst wären sie das Wagnis nicht eingegangen. Es wird allmählich etwas heller. Er kann die Ränder des Wagenweges nun besser erkennen – und dies wieder ist sehr notwendig, denn die Kehren weiter oben führen an tiefen Abgründen entlang. Der Snake Pass ist gefährlich. Er denkt auch über die Banditen Hope Prado und Oregon Pete nach. Hat er die beiden Burschen bisher stets überschätzt? Oder waren die Umstände nur so glücklich für ihn? Jedenfalls hat er sie glatt erledigen können. Er verspürt etwas Bitterkeit. Würde er die Kutsche nicht fahren müssen, so müsste er noch mehr darüber nachdenken, dass er getötet hat. Aber jetzt ist er regelrecht froh, dass der Weg über den Pass all seine Aufmerksamkeit beansprucht.
Als der graue Tag da ist und der Schneefall etwas nachlässt, weil es auf der Wasserscheide noch kälter wurde, da erreichen sie die Snake Pass
Station und haben seit Great Falls etwas mehr als vierzig Meilen geschafft. Sie haben für den Weg die doppelte Zeit gebraucht als normal. Carlo Angelo, der die Station führt, weckt seine Frau, damit sie für die Fahrgäste Frühstück macht. Als Chugwater mit ihm das erschöpfte Gespann in den Stall führt und sie allein sind, sagt Carlo Angelo: »Glaubst du, dass du es schaffen kannst? Ich wette mit dir, dass euch ein Blizzard einholt. Und dann ist da noch etwas.« Er macht eine Pause und rollt seine dunklen Augen, denn er ist ein Mexikaner, den es bis herauf nach Montana verschlug. »Was ist noch?« Chugwater fragt es etwas mürrisch. »Indianer«, sagt Carlo Angelo. »Blackfeet!« »Na und?«, gibt Chugwater zurück. »Von denen kenn ich nicht wenige. Die tun mir nichts.« »Vielleicht doch, denn sie sind Säufer. Verstehst du? Da ist eine Bande von BlackfeetSäufern, denen der Handelswhisky ausgegangen ist. Nun sausen sie im Winter herum und suchen überall nach Feuerwasser. Die sind verrückt nach Feuerwasser. Nichts ist schlimmer als Indianer, die an Feuerwasser gewöhnt sind und keines mehr haben. Pass auf, Chugwater!«
»Sicher, ich passe auf«, murmelt dieser bitter, und er denkt: Nach Prado und Oregon Pete jetzt verrückte Schwarzfüße, verdammt, was kommt denn noch? Und dann diese Kerle in meiner Kutsche. Die wollen doch wohl nach Last Chance, um Geld zu machen auf irgendeine Art. Vielleicht denken sie schon lange darüber nach, dass es vielleicht die leichteste Art sein könnte, mir das viele Geld abzunehmen. Hey! Er bringt mit dem Stationsmann die frischen Pferde aus dem Stall. Sie müssen fast mit jedem Tier kämpfen, bevor sie es im Geschirr haben. Denn die Tiere wollen im Stall bleiben. Als sie fertig sind, schwitzt Otis trotz der Kälte. Er geht hinein, um ein paar Bissen zu essen und sich einen Topf Höllenkaffee mit viel Whisky in den Hals zu gießen. Die Männer und die beiden Frauen betrachten ihn dabei forschend. Sie alle sehen ihn heute mit anderen Augen, als hätten sie erst jetzt begriffen, dass er ein besonderer Mann sein muss, ein Mann, dem man eine Postkutsche nach Last Chance anvertrauen konnte wie keinem zweiten. In diesem Otis Chugwater sind offenbar noch sehr viel mehr Möglichkeiten verborgen. Dies spüren und ahnen sie. Er nickt ihnen zu.
»Hat jemand Angst? Dann kann er ja bis zum Frühling hier warten?« Nach diesem Scherz geht er kauend hinaus. Sie folgen ihm – und er hat immer noch den Blick dieser Georgia Shannon im Kopf. Denn sie hat ihn unverwandt angesehen. Der Gedanke an sie wärmt ihn mehr als der Kaffee mit Whisky. Er geht draußen noch einmal um die Kutsche herum. Als er das linke Vorderrad erreicht, steht dort jener rotblonde, gefährlich und hart wirkende Bursche, den er für einen zweibeinigen Wolf hält. Vorhin, als er seinen Kaffee trank und ein belegtes Brot aß, hörte er, dass der andere Kerl, der dieses dreieckige und schrägäugige Kojotengesicht hat, den Mann Louis nannte. Jener Louis fragt ihn nun: »Haben wir viel Geld mit? Ist es sehr viel?« In seiner Stimme ist ein Lauern, ja, eine unverhohlene Gier. Oder ist es nur die Kälte, die die Stimme so vibrieren lässt? »Ob tausend Dollar – oder eine Million, Mister«, sagt Otis Chugwater langsam, »das spielt doch keine Rolle. Mir nimmt niemand auch nur einen Hosenknopf weg, es sei denn, er könnte mich so klein machen, dass ich mich nicht mehr rühren kann. Doch wenn ich kleingemacht werde, dann seid ihr in diesem Land verloren, es sei denn, jemand von euch kennt den Weg, wenn er
zugeschneit ist, und kann mit sechs Gäulen vor einer Kutsche zurechtkommen. Am besten ist es, ihr alle vergesst das Geld – ihr alle, was die Männer in der Kutsche betrifft. Denn wir werden eine Menge anderer Sorgen bekommen. Eine ganze Menge. Wie ist Ihr Name?« Der Mann zögert. Er ist etwas kleiner als Otis Chugwater, doch dafür breiter und schwerer. Aber er ist nicht fett, nicht einmal fleischig. Er hat außergewöhnlich starke Knochen. »Ich bin Louis Borgnine«, sagt er. »Ich dachte, Sie wüssten das. Denn man wollte uns den Winter über nicht in Great Falls haben. Hörten Sie noch nie etwas von mir und Hogjaw Pallace? Uns haben sie im vergangenen Sommer zuerst aus Cheyenne und dann aus Laramie verjagt. Denn dort wurde das Gesetz stärker als wir. Wir hätten uns einen ganzen Winter lang Great Falls in die Tasche stecken können. Doch uns wird es in Last Chance gewiss besser gefallen.« Er wendet Chugwater den Rücken zu und steigt in die Kutsche. Der Schlag knallt zu. Carlo Angelo kommt zu Chugwater. »Wenn es noch kälter wird«, sagt er, »wird das Schmierfett in den Radlagern gefrieren, Mister. Aber zumindest bis zur Station bei den Green Flats wirst du es schaffen.«
Das ist für Chugwater ein schwacher Trost. Er klettert auf den Bock und fährt los. Der Schneefall hat fast völlig aufgehört. Doch der Himmel im Norden hat eine merkwürdig gelblich-graublaue Farbe. Es ist die Farbe der Blaueisblizzards. Indes er anfährt, weiß er, dass es verrückt ist, jetzt noch Meilen zu machen. Doch er wird es versuchen. Denn ob sie hier überwintern oder erst in der Green Flats Station, ist ja wohl gleich. »Schon gut, Carlo«, sagt er und macht Anstalten, über das Vorderrad auf den hohen Bock zu klettern. Aber er hält noch einmal inne. »Von wem weißt du das – ich meine das mit den Indianern, Carlo?« »Von Silvertip Frank. Der kam gestern hier vorbei. Es ist eine starke Bande. Sie sucht sich einsame Camps und kleine Siedlungen für ihre Überfälle aus. Sie wollen Schnaps, Proviant – und Frauen. Und sie ziehen nach Süden. Hoffentlich haben sie die Green Flats Station nicht klein gemacht. Ihr müsst aufpassen. Aber du hast ja eine Kutsche voller Schießer. Ja, es sind Schießer, alle vier Mann. Ich habe sie mir genau angesehen. Die sind als Kämpfer mehr wert als eine Armeepatrouille.« Otis Chugwater nickt leicht.
Dann klettert er auf den Bock, löst die Bremse und fährt an. Es ist wie schon vorher bei den anderen Relaisstationen. Er hat wieder erst mal alle Hände voll zu tun, um das frische Gespann unter Kontrolle zu bringen. Die Pferde wollen nicht. Als er sich einmal umdreht, ist die Station schon nicht mehr zu sehen. Aber der Himmel im Norden hat sich noch intensiver gefärbt. Er flucht leise. Denn er hat schon kämpfen und töten müssen auf diesem Trail. In der Kutsche hat er ein paar Banditen und Hartgesottene, die vor dem Gesetz ins Goldland flüchten. Denn im Goldland gibt es kein Gesetz. Er hat dreihunderttausend Dollar dabei, die ihm seine eigenen Passagiere gewiss abnehmen wollen, sobald sie ihn und die Kutsche nicht mehr brauchen. Und nun wird er es vielleicht auch noch mit einer Bande alkoholsüchtiger Blackfeet zu tun bekommen. Dies gibt es bei den Indianern in zunehmenden Maße. Die schuftigen Händler schaffen den barbarischen Handelswhisky mit Dampfbooten den Strom hinauf zu irgendwelchen Treffpunkten.
Handelswhisky ist das billigste Tauschobjekt für gute Felle und Pelze. Mit billigem Whisky machen die schurkischen Händler fünftausend Prozent Gewinn und noch mehr. Gleichzeitig machen sie ganze Dörfer damit süchtig. Und süchtige Indianer sind noch viel schlimmer als solche, die sich von den Weißen betrogen fühlen. Ein Indianer, der Feuerwasser will, ist wie ein Irrer. Mehrmals spürt Otis Chugwater während der ersten Meilen die Zweifel, und er fragt sich, ob er nicht lieber umkehren soll. Aber hinter ihnen ist der Blizzard, er wird kommen, wird sie einholen. Vielleicht verkriechen sich die Indianer vor dem Blizzard. Also fährt er weiter durch die Berge auf die Green Flats zu. »Hoiii, lauft gleichmäßig, ihr Meerschweinchen!«, ruft er manchmal.
Es ist schon Mittag, als sie aus den Hügeln auf die Ebene rollen, die man allgemein hier Green Flats nennt, weil es grüne Flächen sind, die sich im Sommer auch bei längerer Trockenheit lange halten.
Der Schnee liegt auch hier nur wenig mehr als knöchelhoch, und die Postkutsche rollt mühelos dahin. Otis Chugwater lässt die sechs Pferde traben. Die Sicht ist nicht gut. Es ist völlig windstill. Die Kälte nahm zu. Es fällt nicht eine einzige Schneeflocke mehr. Und der Himmel hat immer noch die intensive gelbgraublaue Farbe. Manchmal blickt Chugwater zurück. Und dann denkt er immer wieder: Warum kommt der verdammte Blizzard nicht? Warum kommt er jetzt nicht endlich, damit ich entscheiden kann, ob wir bei der Green Flats Station bleiben oder nicht. Verdammt, was ist mit diesem Blizzard los? Warum ballt er sich dort im Norden und kommt nicht? Er spürt zum ersten Mal eine nagende Ungeduld, die ihn etwas unsicher macht. Aber er fährt weiter, stetig weiter, und hält das Gespann in Bewegung. Er kann die Green Flats Station erst richtig sehen, als sie schon fast bis auf eine Viertelmeile heran sind. Aber dann sieht er noch mehr – und er hält sofort an. Spuren sind im Schnee, ganz besondere Spuren.
Obwohl die Sicht nicht viel besser ist als in einer hellen Nacht, kann er die Bedeutung dieser Spuren sofort erfassen. Sie stammen von Indianermustangs. Und drüben bei der Station rührt sich nichts, gar nichts. Nicht einmal Rauch steigt aus dem Kamin. Die Corrals sind leer. Alles ist bewegungslos, tot. Ja, tot, dies ist der richtige Ausdruck, so denkt er bitter. Aus einem der Kutschenfenster fragt Louis Borgnines Stimme auch schon: »He, Chugwater, ist was?« »Ja«, sagt Chugwater trocken. »Einer von euch soll raufkommen zu mir, damit er mit meinen beiden Gewehren schießen kann, indes ich das Gespann lenke. Ein zweiter Mann soll sich zwischen das Gepäck aufs Wagendach legen. Die beiden übrigen Gentlemen sollten die Kutschenfenster besetzen und zu ballern beginnen, sollte dies notwendig werden. Denn es kann notwendig werden, es kann, ihr lieben Leute!« Nachdem er dies gesagt hat, grinst er grimmig. Und indes er die Station weiterhin scharfäugig beobachtet, fragt er sich, wer wohl zu ihm auf den hohen Bock kommen und wer sich hinter ihnen aufs Kutschdach legen wird.
Drinnen in der Kutsche gibt es einen kurzen Wortwechsel. Dann kommen zwei Mann heraus. Einer von ihnen ist jener hellblonde, sichelbärtige Texaner, den Otis von Anfang an für einen Revolverhelden hielt. Er klettert wortlos zu Chugwater auf den hohen Bock. Dann murmelt er: »Was das Schießen betrifft, Chugwater, so bin ich wirklich recht gut mit Revolver und Gewehr. Ich sage das, damit Sie wissen, was für ein Risiko Sie eingehen können.« Chugwater nickt nur. »Wie ist denn Ihr Name, Tex?« »Aaah, einfach nur Jim, Jim San Saba vom San Saba River – oder irgendetwas in dieser Art. Dann weiß ich schon, dass ich gemeint bin.« »Sicher«, nickt Chugwater und wendet den Kopf. Hogjaw Pallace macht es sich auf dem Kutschdach zwischen einigen Gepäckstücken bequem. Er grinst Chugwater an. »Wir passen schon auf dich auf, Chugwater«, sagt er. »Dich brauchen wir noch, obwohl ich mich vielleicht auch trauen würde, dieses Gespann zu lenken. Und dieser Tex hier sieht mir auch ganz so aus, als könnte er es zur Not. Na, was ist?«
»Seht die Spuren im Schnee«, erwidert Chugwater ruhig. »Die Indianer waren bei der Station. Vielleicht sind sie noch dort und haben sich mit Feuerwasser vollaufen lassen. Wenn genug vorhanden war, wird dies der Fall sein. Dann wird es nicht schwer für uns. Doch wenn ... Nun, wir werden sehen, ob die Fährte wieder von der Station fortführt. Das ist ja gut zu sehen im Schnee, nicht wahr? Ich vermute aber, dass sie nicht genug Schnaps fanden. Ich werde einen Trick anwenden. Zuerst werde ich die Kutsche kurz anhalten, dann aber das Gespann wieder antreiben, als hätte ich eine lauernde Gefahr erkannt. Ihr müsst dann aus allen Knopflöchern schießen. Verstanden?« Er hört ihre zustimmenden Antworten. Auch Louis Borgnine und der andere Mann, den Chugwater für einen Spieler hält, hörten zu, weil sie sich weit genug aus den Fenstern lehnten. Er fährt wieder an. Sie nähern sich der Station im Schritt. Nun können sie schon mehr erkennen, immer mehr. Es sind auch Fußspuren zu sehen. Und vor dem Stall ist der Schnee rot. Das kann nur Blut sein. Aber wurde dort ein Wild geschlachtet oder ein Mensch umgebracht? Die Wagenstraße führt etwa einen halben Steinwurf weit an der Station vorbei und verbreitert sich vor dieser zu einem Hof, über den
hinwegfahren muss, wer ohne anzuhalten weiter will. Chugwater sieht noch mehr Zeichen, Pfeile stecken in der Hauswand. Und auch auf der Türschwelle sieht er Blut. Kleiderfetzen liegen auf dem Hof, darunter ein halbes Frauenkleid. Otis schluckt mühsam, denn er kennt Paul Stonebrakers Frau Ellen gut genug. Die Roten haben sie offenbar über den Hof gejagt und ihr dabei schon die Kleider vom Leib gerissen. Die Tür steht halb offen. Auch die Fenster sind nicht geschlossen, obwohl die Kälte doch gewaltig ins Haus ziehen muss. Chugwater verlässt sich nicht nur auf seine Augen – auch nicht darauf, dass eine breite Spur vieler Mustangs auch wieder von der Station wegführt, so, als wäre die Horde schon weitergeritten – nein, er lauscht auch auf seinen Instinkt, und dieser ist jetzt so scharf wie der eines Wolfes. Ja, er wittert die Gefahr, spürt die Falle. Und so hält er nicht mal richtig an, sondern brüllt plötzlich: »Braaah! Oiiiyaaa! Braaah! Yiiipppiii!« Das Sechsergespann springt wieder an, beginnt sofort zu galoppieren. Die Kutsche macht einen Satz durch den zerstampften Schnee auf dem Hof.
Und dann tönt auch schon das wilde, giftig böse Gebrüll der enttäuschten Roten. Es wird vom Krachen der Revolver und Gewehre begleitet. Sie kommen aus dem Haus gesprungen wie die Teufel aus dem Kasten, erscheinen im offenen Stalltor und an den Hausecken. Und sie schießen mit Gewehren oder Kriegsbögen und brüllen dabei all ihre Wut und Enttäuschung heraus. Chugwater braucht sein Gespann gar nicht mehr anzutreiben. Das gellende Gebrüll der Roten jagt die Pferde vorwärts. Der Texaner neben ihm, der sich Jim San Saba nennt, schießt wahrhaftig unheimlich gut und auch schnell. Er leert zuerst die Schrotflinte und trifft auch damit. Dann nimmt er den SpencerKarabiner und schießt alle sieben Kugeln unheimlich schnell heraus, wobei er mehrmals trifft, sodass die laufenden Roten sich überschlagen. Hinter ihnen feuert Hogjaw Pallace aus zwei Revolvern. Und auch aus den Wagenfenstern fliegen mehr Kugeln, als es den Roten lieb ist. Die Postkutsche entkommt glatt, weil sie ja schon in Schwung war, bevor die Indianer begriffen, dass sie nicht halten würde.
Chugwater lässt das Gespann eine halbe Meile lang galoppieren. Dann lässt er es in Schritt fallen. Denn die Pferde sind ziemlich erledigt. Sie hätten hier bei der Green Flats Station ausgetauscht werden müssen. Nun aber müssen sie nochmals etwa fünfundzwanzig Meilen laufen. Er muss sie schonen. Es wird schon wieder Nacht sein, wenn sie die nächste Station erreichen. Und mit Sicherheit werden die Indianer vor ihnen dort sein. Sie hatten gewiss noch ein paar Pferde im Stall, werden einige ihrer Krieger aussenden, um die anderen Tiere zu holen, die sie fortgetrieben hatten, weil sie sie nicht alle verstecken konnten und es ja überdies auch so aussehen sollte, als hätte sich die ganze Horde wieder entfernt. Chugwater sieht sich um. Und nun sieht er, dass der Himmel im Norden von einem grünlichen Blau ist, in dem es manchmal gelblich aufleuchtet. Er sagt hart: »Der Blizzard lauert schon seit gestern dort. Jetzt kommt er in Bewegung. Was sich dort im Norden auch zusammenbraut, es kommt jetzt. Jetzt kommt der Hundesohn von einem Blaueisblizzard!« Auch Jim San Saba nickt. »Ja, jetzt kommt er«, sagt er lässig. »Na und?«
Chugwater grinst ihn schief an. »Bruder«, sagt er, »du kannst zwar mächtig gut schießen, doch von einem Blaueisblizzard hast du keine Ahnung. Dir werden die Hinterbacken zusammenfrieren hier oben. Geh lieber wieder ins warme Stübchen dort unten. Und nimm den hübschen Hogjaw Pallace mit.« Letzterer hat – dicht hinter ihnen auf dem Kutschdach kauernd – jedes Wort gehört, denn es ist immer noch windstill. Die Kutsche fährt ziemlich leise durch den Schnee. »So schön wie du, Chugwater, bin ich allemal«, sagt er. »Es kommt bei einem Mann nicht auf Schönheit an. Ich wette mit euch, dass ich noch eines der beiden Weiber da drinnen bekommen werde.« Chugwater sagt nichts. Er hält die Kutsche an. »Passt auf«, sagt er. »Nehmt zwei der vollen Haferfuttersäcke. Gießt drinnen in der Kutsche in jeden Hafersack eine volle Flasche Whisky und rührt es gut um mit dem ganzen Arm. Ich werde das Zeug in etwa einer Stunde den Pferden zu fressen geben, damit sie durchhalten. Und eine weitere Flasche gebt mir auf den Bock, dazu noch eine Decke. Habt ihr verstanden?« »Genau«, sagen sie beide. Und der Texaner fügt hinzu: »Und die Pferde werden den WhiskyHaferbrei auch fressen?«
»Das werden sie, weil sie instinktiv das Richtige tun«, erwidert Chugwater überzeugt. »Die können nur durchhalten bis zur nächsten Station, wenn sie im richtigen Moment noch mal Feuer in den Bäuchen haben.« Der Texaner nickt. Und Hogjaw Pallace grinst und sagt: »Eigentlich mag ich dich ja nicht, Chugwater. Aber Ideen hast du, das muss man dir lassen.«
4
Eine halbe Stunde später kommt der erste kalte Wind. Obwohl es ohnehin schon kalt war, ist dieser Wind wie der eisige Hauch eines gewaltigen Eisriesen, der die ganze Welt erstarren lassen will. Chugwater hat sich den Schal um Hut und Ohren geschlungen und unter dem Kinn verknotet. Er blickt gar nicht zurück, sondern wartet auf den zweiten Eishauch. Dieser kommt wenige Minuten später. Das Gespann trottet stetig. Die sechs Pferde haben die Ohren nach hinten gerichtet, und sie wissen aus ihren Erfahrungen in diesem Land, was bald kommen wird. Sie fürchten sich davor. Auch Chugwater hat Furcht. Sein Atem droht ihm schon zu gefrieren. Er holt die Whiskyflasche aus der Manteltasche und nimmt einen langen Schluck, der ihm heiß in den Magen rinnt und dort noch eine ganze Weile eine feurige Wärme erzeugen wird. »Oh, ihr armen Mäuse«, sagt er krächzend zu den Pferden. Doch dann macht er den Mund nicht mehr auf, denn seine Zähne schmerzen vor Kälte, obwohl er doch zwei sehr gesunde Zahnreihen hat. Es kommt noch ein dritter Eiswind. Aber dann es ist es so weit. Es bricht los. Der Blizzard
hat sie eingeholt und lädt taubeneigroßen Hagel ab, prügelt den Mann auf dem hohen Bock und die Pferde wie ein böser Steinregen und trommelt auf die Kutsche. Die Sicht wird sofort schlecht. Otis kann nicht mehr über die Spitze seines Gespanns hinweg nach Süden sehen, aber er ist sicher, dass die Pferde auf dem Wagenweg bleiben werden. Diese sechs Pferde kennen natürlich die nächste Station; sie sind ja diesen Weg schon oft gelaufen, denn sie wechseln von Station zu Station bis zum Ende der Linie und von dort aus wieder zurück bis nach Great Falls. Der Boden ist bald schon mit Hagelkörnern bedeckt, durch die sich das Gespann durcharbeiten muss wie durch Glasmurmeln. Knöchelhoch liegen die Eiskörner. Manche sind größer als Taubeneier. Auch auf dem Kutschdach liegen sie hoch zwischen dem Gepäck. Und der Eisregen lässt immer noch nicht nach. Kleingetier, das sich nicht in Deckung bringen kann, wird jetzt erschlagen. Otis Chugwater spürt die Eisstücke durch den Hut, obwohl er seinen Schal darüber band und den Kragen seines Büffelfellmantels hochschlug, der ihm bis zur Hutkrempe reicht, wenn er den Hals einzieht und die Schultern hebt. So hockt er da, hält die Zügel in den behandschuhten Händen und kann nichts anderes
tun, als alles geduldig zu ertragen und das Gespann laufen zu lassen. Denn die Ränder des Wagenweges sind nicht mehr zu erkennen. Er muss sich darauf verlassen, dass die beiden klugen Führungspferde die Kutsche richtig leiten und trotz Schnee und Eis unter den Hufen weiter auf dem Trail bleiben. Otis Chugwater möchte gern einen Schluck aus der Whiskyflasche nehmen, doch er wagt es nicht, sie aus der Manteltasche zu holen, wo sie vom dicken Büffelfell geschützt wird. Er könnte sein Gesicht auch nicht gen Himmel heben. Es würde zerschlagen werden. Auch die Flasche könnte den Hagel nicht aushalten. Nein, er muss warten, bis der erste Überfall des Eisblizzards vorbei ist. Die sechs Pferde tun ihm Leid, denn sie werden erbarmungslos geprügelt. Und dennoch trotten sie weiter, immer weiter und ziehen den Wagen durch den jetzt fast schon wadenhoch liegenden Hagel. Manchmal gleiten sie aus, stolpern, rutschen im Eis. Und der Wagen schleudert. Aber es geht weiter, immer weiter. Otis Chugwater verliert bald jedes Gefühl für Zeit. Die Füße beginnen ihm abzusterben. Es muss unheimlich kalt sein. Er beginnt mit den Füßen auf das Fußbrett des Kutschbocks zu stapfen.
Manchmal denkt er: Verdammt, in was hab ich mich da bloß eingelassen. Bin ich denn verrückt gewesen? Hatten mich alle guten Geister verlassen? Ja, ich muss völlig närrisch gewesen sein, völlig. Dann fällt ihm wieder diese Georgia Shannon ein. Er spürt den Blick ihrer Augen, spürt noch einmal die Strömung, die von ihr ausging, und erlebt noch einmal, wie sehr er ihre stumme Bitte fühlen konnte, die Bitte um Hilfe. Deshalb sitzt er jetzt hier oben, lässt sich mit seinem Gespann vom Eishagel prügeln, halb erfroren, und hat sich all den Verdruss aufgeladen, den er noch bekommen wird. Verdammt, er könnte immer noch mit Dasy McMullen zusammen sein in einem warmen Zimmer! Der erbarmungslose Eishagel lässt jäh nach. Das ist für einige Sekunden ein unheimliches Gefühl, denn man glaubt, die Welt hielte den Atem an und es gäbe nirgendwo noch Leben. Aber dann kommt von Norden her ein fauchendes Orgeln, ein Brüllen. Und dann trifft der Windstoß die Kutsche von hinten, als wollte er sie hochheben und auf das Gespann werfen. Aber »Windstoß«, dies ist lächerlich milde ausgedrückt.
Es ist das Pusten eines Riesen, der offenbar versuchen will, Menschen und Tiere von der Erde zu blasen wie Kuchenkrümel vom Tisch. Auch Otis Chugwater bekommt es zu spüren. Der böse losfauchende Blizzard stößt ihn fast vom hohen Bock. Dann wird es wieder für eine Minute still, sehr still. Aber Chugwater bereitet sich auf das zweite Fauchen vor. Jetzt stemmt er sich fester ein, rutscht noch tiefer in seinen Sitz. Und dann kommt es schon. Wieder ist es ein orgelnder Sturmstoß – und dann kommt der Schnee. Zuerst ist er noch mit Eis durchsetzt, doch dann wird es purer Schnee, den der Sturm fast waagerecht von Nord nach Süd jagt, zum Glück also in die Richtung, in die auch die Kutsche will. Die Sicht wird noch schlechter. Otis Chugwater sieht manchmal nicht einmal mehr die beiden Führungspferde. Aber er ist ganz sicher, dass sie auf dem Wagenweg bleiben werden. Diese Tiere wissen jetzt ganz instinktiv, dass bei der nächsten Station der Stall auf sie wartet. Die bleiben jetzt in Bewegung und auf dem Wagenweg. Er glaubt es fest. Und endlich kann er es auch wagen, die Flasche aus der Manteltasche zu holen. Er muss
nur aufpassen, dass ihm der Schneesturm die Flasche nicht aus der Hand reißt. Er trinkt einen langen, sehr langen Schluck – und dann noch einen. Oha, es rinnt ihm feurig zum Magen herunter und regt seine Lebensgeister wieder an. Plötzlich denkt er an die Pferde. Denen geht es sicherlich nicht viel anders als ihm. Er hält an und klettert schwerfällig vom Bock. Er ist fast steifgefroren und hat den Eindruck, als könnte er sich nur mit knirschenden Gelenken bewegen. Als er bei der linken Tür ist, wird diese geöffnet. »Ist es so weit?«, fragt die Stimme von Jim San Saba heiser. »Ja, jetzt müssen wir den Pferden etwas Feuer in die Bäuche stopfen!«, erwidert Otis misstönig, aber Jim San Saba kommt schon heraus. Auch er hat sich seinen Schal über den Hut gebunden. Man reicht ihm und Chugwater die beiden Hafersäcke. Bevor Chugwater den Wagenschlag zuwirft, fragt er noch: »Wie geht es unseren Ladys?« »Machen Sie sich nur keine Sorgen um uns, Otis Chugwater«, hört er eine Stimme erwidern.
»Wir sind ziemlich gut dran, Otis«, sagt die andere Stimme, aber er kann sie im Schneesturm nicht unterscheiden. Er wirft den Schlag zu, nimmt einen der Haferfuttersäcke und geht damit zum linken Führungspferd. Jim San Saba beginnt mit dem rechten. Die Pferde stehen ruhig im Schnee. Dieser reicht den Männern schon bis zu den Waden. Unter dem Schnee ist das Eis des Hagels. Das erste Führungspferd steckt die Nase in den Hafersack. Zuerst zuckt es zurück, so, als wollte es nicht fressen. Der scharfe Geruch des Whiskys erschreckt das Tier. Aber dann frisst es doch – ja, es frisst mehr und mehr, gierig. Denn es spürt nun wohl auch die Wärme, die dieses Futter in ihm erzeugt. Seine Lebensgeister werden angeregt, und das Tier weiß plötzlich ganz genau, dass seine Chancen dadurch größer werden. Otis Chugwater muss ihm den Futtersack mit Gewalt wegnehmen, da er ja alles Futter gleichmäßig verteilen will. Bei den anderen Pferden wiederholt sich alles. Als er um das Gespann geht, um nach Jim San Saba zu sehen, ist auch dieser gerade fertig mit der Fütterung. Sie stecken die Köpfe im Schneesturm zusammen. »Geht es noch, Chugwater?«
»Immer noch, San Saba!« »Und die Indianer? Sind die vor uns bei der nächsten Station?« »Wahrscheinlich nicht. Sie können nach Westen zur Wica-Kanaska-Mission geritten sein, um dort Schutz zu suchen. Das ist eine alte Mission ohne Pater. Es leben dort ein paar Säufer, die ihren Schnaps selbst brennen. Aber viel ist dort nicht zu holen. Die rote Horde wäre vorbeigeritten. Doch jetzt ...« Jim San Saba nickt heftig. Dann klettert er in die Kutsche hinein. Chugwater aber schlägt den Schlag hinter ihm zu und nimmt noch einmal einen langen Schluck aus der Flasche. Als er auf den hohen Bock klettert und die Bremse löst, sind seine Bewegungen etwas leichter, aber er weiß, dass er bald wieder steifgefroren sein wird dort oben im eisigen Blizzard.
Drinnen in der Kutsche hört man den Schneesturm nicht ganz so laut orgeln und brüllen. Man kann sich einigermaßen unterhalten, wenn man laut genug redet. Nur die Kälte ist auch hier erbarmungslos, denn der dünne Holzkasten auf vier Rädern ist natürlich kein schützendes Haus, zumal die Wagenschläge ja
keine Fensterscheiben, sondern nur lederne Rollos besitzen. Louis Borgnine lässt eine Flasche kreisen. »Ich brauche euch Schwestern wohl nicht erst zu sagen, dass dies kein Versuch ist, euch betrunken zu machen, um euch zum Lustigsein zu animieren?«, fragt er heiser. »Ha – ha – ha«, sagt die Blonde langsam und ironisch, nimmt ihm die Flasche ab, trinkt einen großen Schluck und reicht sie an Georgia Shannon weiter. »Trinken wir Brüderschaft«, sagt sie dabei. »Ich bin Barbara Laramie.« »Und ich bin Georgia Shannon«, sagt diese, nimmt die Flasche und trinkt daraus. Sie reicht die Flasche an den dunkelgesichtigen Spieler weiter, der kaum etwas spricht und nur immer beobachtet. »Wer sind Sie denn?«, fragt sie dabei. »Es wird wohl Zeit, dass wir zumindest unsere Namen erfahren. Denn diese Fuhre wird wohl nicht einfach nur eine Fahrt von Great Falls nach Last Chance – oder?« »Ich bin Ernest Hacket«, sagt der Spieler. »Ja, es sieht so aus, als würde unsere Reise nicht völlig glatt vonstatten gehen. Ich kann Ihnen die anderen Gentlemen leider nicht vorstellen, Ma'am, denn ich kenne sie nicht.« Da lacht Louis Borgnine laut los.
»Mann«, sagt er, »o Mann, wir sollten dieses vornehme Gequatsche lassen. Denn wir werden uns menschlich so nahe kommen, dass uns nichts mehr voneinander fremd sein wird. Also, ich bin Louis Borgnine. Das ist mein Partner Hogjaw Pallace.« »Und mich könnt ihr Jim San Saba nennen«, meldet sich der Texaner aus der Ecke hinten links. »Wir sollten die Ladys aber dennoch wie Ladys behandeln«, fügt er hinzu. »He, ist das an meine Adresse gerichtet?«, fragt Hogjaw Pallace sofort wie ein Bursche, der sich herausgefordert fühlt. »Ich bin, wie ich bin«, fügt er hinzu. »Und ich habe längst herausgefunden, dass auf dieser Welt die Weiber alle nur Weiber sind. Versteht ihr? Manche, die zuerst so stolz und unnahbar tun, wird man später gar nicht mehr los. Haha! Ich kannte mal eine, die ...« »Das interessiert uns nicht, Pallace«, sagt da der Texaner kühl. »Es ist am besten, du machst deinen Mund fest zu.« »Dir werde ich noch ...«, beginnt Hogjaw Pallace, aber auch Ernest Hacket sagt in diesem Moment: »Ja, ich würde auch sagen, dass er seinen Mund halten soll. Denn es kommt da nicht viel heraus, was hörenswert ist. Ich bin ganz deiner Meinung, Jim San Saba.«
»He«, macht Hogjaw Pallace, »he, Louis!« Aber sein Partner Louis Borgnine steht ihm nicht bei, sondern sagt: »Es ist wirklich besser, du hältst für eine Weile deine Klappe, Hogjaw. Denn du bist hier unter Ladys und Gentlemen. Hier sieht man noch auf Stil, verstehst du? Nun, wechseln wir lieber das Thema. Wer glaubt denn, dass unser Fahrer es schaffen wird? Und wer glaubt es nicht?« Sie alle denken darüber nach, indes die Kutsche schwerfällig im Sturm schwankt und umorgelt wird von Eis und Schnee. Sie spüren auch, wie die Räder unter ihnen schwerfälliger durch den tiefer gewordenen Schnee drehen, und sie können sich denken, wie es zunehmend schwerer wird für das Gespann, das ja eigentlich schon längst gegen ein frisches hätte ausgetauscht werden sollen. Jeder von ihnen für sich allein denkt an diesen Mann dort draußen auf dem hohen Bock. Und jeder prüft, ob er Zweifel hat. Dann schütteln sie im Halbdunkel der Kutsche die Köpfe. »Er ist der beste Mann für diese Sache«, sagt der Texaner dann überzeugt. »Der hätte es gar nicht erst angefangen, würde es keine Chancen geben.« »Richtig.« Ernest Hacket nickt. »Ob er der beste Mann von uns ist, wird sich noch zeigen«, stößt Hogjaw Pallace hervor. Er
beugt sich vor, um die beiden Frauen besser anstarren zu können. »Auch ihr zwei Honeys werdet noch rausfinden, wer hier der beste Mann ist. Und dann werdet ihr euch ihm an den Hals hängen, damit er euch beschützt. Das ist immer so. Jede Langhaarige braucht früher oder später einen Burschen, der sie beschützt. Jede! Das ist das Los der Weiber!« Er ruft es höhnisch, und es ist jetzt schon ziemlich klar zu erkennen, dass er irgendwelche Probleme haben muss. Aber vielleicht liegt es einfach daran, dass er bisher nur mit einer einzigen Sorte Frauen zu tun hatte.
5
Indes kämpft Otis Chugwater oben auf dem Bock einen verzweifelten Kampf gegen das Erfrieren. Er kann sich ja nicht viel bewegen, und der Blizzard ist auch jetzt noch so eisig wie am Anfang. Schnee wechselt mit Hagel ab. Der Sturm lässt die Kälte noch eisiger wirken. In seinen Beinen hat er schon längst kein Gefühl mehr. Nur dort, wo der Büffelfellmantel ihn schützt, spürt er noch Wärme in seinem Körper. Seine Augen tränen. Sein Bart ist zu Eis geworden. Er hat jedes Gefühl für Zeit verloren – und er könnte nicht sagen, ob er erst eine Stunde oder einen ganzen Tag auf dem Bock sitzt. Aber das Gespann bewegt sich immer noch. Manchmal, wenn sie durch Schneewehen müssen und er den Eindruck hat, die Pferde könnten es nicht schaffen, da hört er sich heiser rufen: »Hoiiiyaaa! Hooo! Braaah! Hoiiiyaaa! Zieht, meine Engelchen, zieht nur! Ihr bekommt bald einen warmen Stall! Ja, ein warmer Stall wartet auf euch. Zieht nur, zieht, meine Augensterne!« Er brüllt mit aller Kraft, denn das Brüllen scheint auch gut zu sein gegen die Kälte. Aber irgendwann kann er nicht mal mehr brüllen.
Es wird allmählich dunkel. Er begreift dumpf, dass der Tag stirbt. Aber es war ja ohnehin dunkel vom Blizzard. Einen großen Unterschied zur Nacht gibt es nicht. Irgendwann merkt er, dass sein Gespann nicht mehr zieht. Fluchend bewegt er sich, will vom hohen Bock klettern, doch er ist so steif gefroren, dass er es nicht schafft. Er rutscht ab, kann sich nicht halten und fällt neben dem Vorderrad in den Schnee. Aber der Schnee ist fast kniehoch, sodass er einigermaßen weich fällt und sich nicht die steifgefrorenen Glieder bricht. Er rappelt sich auf, arbeitet sich dann durch den Schnee an den Pferden entlang nach vorn. Warum sind sie stehen geblieben? Dies fragt er sich müde, und es ist ihm irgendwie gleichgültig, welchen Grund es haben könnte. Er weiß, dass diese Gleichgültigkeit der Beginn des Erfrierens sein muss – und dennoch lässt ihn die dumpfe Erkenntnis gleichgültig. Er erreicht die Führungspferde, stößt ein Krächzen aus und will sie weiterziehen. Aber dann erkennt er endlich die Wand vor sich. Eine Wand? Es ist das große, doppelflügelige Stalltor. Er stößt ein zufriedenes Krächzen aus, drängt die Pferde zur Seite, sodass er einen Flügel des
Stalltores aufbekommen kann – und dann drängt auch schon das Gespann hinein. Er taumelt zur Seite und wartet, bis der Schlag der Kutsche neben ihm ist. Er bekommt ihn gar nicht auf, aber von drinnen wird dagegen gerammt, sodass er sich ganz plötzlich öffnet. Eine Stimme ruft: »Wir sind da! Ho, er hat uns wahrhaftig durch diesen verdammten Blizzard zur nächsten Station gebracht!« Sie klettern alle heraus. Chugwater aber geht tiefer in den Stall hinein. Ein paar Pferde sind da – keine Indianerpferde. Er sieht es aus tränenden Augen und holt die Flasche aus der Manteltasche, um noch einen Schluck zu nehmen. Aber sie enthält nur noch einen ganz kleinen Schluck. Wenn ihm unterwegs nichts ausgelaufen ist und er nichts verschüttet hat, dann trank er diese Flasche allein aus auf den letzten zwanzig Meilen. Er taumelt wieder nach vorn. »Spannt die Pferde aus«, krächzt er. »Gebt den Pferden noch mal den Whisky-Hafer zu fressen. Die sind am Ende. Spannt die Pferde aus, schiebt die Kutsche zurück und schließt das Tor.« Dann geben die Knie unter ihm nach.
Als er wieder zu sich kommt, liegt er im Heu. Man hat ihm die Stiefel ausgezogen, auch die Socken. Georgia Shannon und Barbara Laramie kneten und massieren seine Füße bis hinauf zu den Waden. Er ist dankbar dafür, denn er hatte kein Gefühl mehr in den Füßen und musste befürchten, sich die Beine erfroren zu haben. Nun spürt er die knetenden und reibenden Hände der Frauen deutlich. Dann muss er daran denken, dass seine Füße nicht besonders sauber sein können. »He«, krächzt er, »was macht ihr da mit mir? Gewiss hatte ich eine Menge Löcher in den Socken.« »Die stopfen wir dir auch noch«, sagt die blonde Frau zu ihm. »Nicht wahr, Georgia?« »Sicher.« Georgia Shannon lächelt. »Für einen Mann, der zum Salz der Erde gehört, würden wir noch eine Menge mehr tun.« Sie benimmt sich merkwürdig, diese Georgia, so denkt er. Und auch die andere lacht ihm zu viel. Plötzlich begreift er, dass die beiden Frauen leicht betrunken sind. Sie alle haben wohl kräftig vom Whisky getrunken, um Wärme in den Bauch zu bekommen.
Er grinst – und als seine Beine allmählich zu prickeln beginnen, da setzt er sich auf. »Jetzt ist es genug, ihr Honeybees«, sagt er. »Ich werde euch das niemals vergessen. Vielleicht habt ihr meine Füße gerettet. Ihr seid eine Wucht. Und ich denke fast, dass ihr zwei Engel seid, die man auf die Erde schickte, damit sie sich hier umsehen und Erfahrungen sammeln sollen.« Sie lassen von ihm ab, und sie atmen schwer. Sie haben so angestrengt gearbeitet, dass ihnen selbst warm dabei wurde. Er zieht sich die löchrigen Socken an und fährt wieder in die Stiefel. Dann sieht er sich um. Das Stalltor ist zu. Die Männer sind noch mit den Pferden in den Boxen beschäftigt. Er hört die Stimme des Texaners sagen: »Bringt mir nur die Gäule in Ordnung und versorgt sie gut. Dieses Gespann hat uns brav ans Ziel gebracht, und nun verdient es unsere Fürsorge. Also kümmert euch gut um die Tiere!« »Wem erzählst du das, du schlauer Tex – mir vielleicht?«, ruft auch schon Hogjaw Pallace, der fast alles auf dieser Welt für eine Herausforderung hält und auf sich bezieht. »Ach, halt doch dein dämliches Maul, Hogjaw«, sagt Louis Borgnine zu ihm aus einer anderen Box. »Es ist ja bald nicht mehr
auszuhalten mit dir. Immer wieder bekommen wir Streit wegen deiner Empfindlichkeit. Hör auf, Hogjaw! Hör auf und nimm dir fest vor, in der nächsten Kirche eine Kerze zu spendieren. Wo mögen denn jetzt die Roten stecken, he?« Sie halten alle inne. Nur Chugwater erhebt sich und stapft auf, damit seine von tausend Nadelstichen prickelnden Beine besser in die Stiefel kommen. »Wenn der Blizzard fort ist«, sagt er zuerst heiser und dann besser verständlich, »wirst du die Roten bald zu sehen bekommen. Dann kannst du sie fragen, wo sie während des Blizzards waren. Ich denke mir, dass es die alte Kanaska-Mission gewesen ist. Dort wohnen ein paar Schnapsbrenner. Denen werden sie alles weggesoffen haben. Und vielleicht brachten sie auch welche um. Aber sobald die Sonne scheint, kommen sie.« Er bewegt sich nach diesen Worten, wandert ein wenig umher. Dann nimmt er einige Lassos und Leinen vom Haken an der Stallwand, knotet sie zusammen. »Ich gehe jetzt hinüber zum Wohnhaus«, sagt er laut. »Die haben dort wahrscheinlich noch gar nicht gemerkt, dass wir gekommen sind. Ich spanne die Leine von der Scheune bis zum Wohnhaus. Ihr braucht dann, wenn ihr fertig seid, nur daran entlangzugehen. Aber einer von uns
bleibt immer im Stall und wird alle zwei Stunden abgelöst. San Saba, willst du den Anfang machen?« »Sicher«, sagt dieser. »Wenn wir hier fertig sind, bleibe ich.« Chugwater nickt den beiden Frauen zu. »Gehen wir, Girls, gehen wir. Oder habt ihr keinen Appetit auf einen starken Kaffee und ein Steak?« Sie folgen ihm sofort, als er das Stalltor einen Spalt öffnet, sodass sie sich seitwärts herausschieben können. Draußen bindet er das Ende der Leine an einen Eisenring im Stalltor. Dann klettert er auf die Kutsche hinauf und holt unter dem Fahrersitz die Eisenkiste mit dem Geld hervor, wirft sie in den Schnee und springt hinterher. Er kann schon wieder springen. Der Blizzard tobt immer noch unbarmherzig, aber der Stall und die Kutsche geben ihnen etwas Schutz. »Die Gewehre und etwas Gepäck müssen wir auch noch haben«, sagt er. »Was benötigt ihr denn, Girls?« Sie rufen es ihm ins Ohr, und sie alle drei sind dann damit beschäftigt, die benötigten Siebensachen aus der Kutsche oder von deren Dach zu holen.
Als sie sich im eisigen Blizzard auf den Weg machen, sind sie alle schwer beladen. Er tritt dann kräftig gegen die Tür des Wohnhauses. Es muss jemand drinnen sein, denn durch die Fensterläden schimmert Licht. Auch liegt vor der Tür der Schnee weniger hoch, so als hätte ihn dort jemand schon mal weggeschaufelt. Endlich wird die Tür geöffnet. Drinnen steht ein gedrungener Mann mit einer Schrotflinte im Anschlag. »He, wer seid ihr denn?«, brüllt er durch den orgelnden Sturm und gegen den Schneewirbel an, der in das Haus weht oder von den schneebedeckten und vermummten Gestalten hereingetragen wird. »Die Postkutsche aus Great Falls!« Otis Chugwater brüllt es zurück, und er ist nun dicht genug bei ihm, um ihm den Doppellauf der Schrotflinte zur Seite drücken zu können. »Nimm das Gewehr weg, Rae Breahitt«, brüllt er grimmig. »Du bist ja besoffen wie zehn Indianer. Willst du wohl den Finger von den Abzugshähnen nehmen? Ich bin Chugwater, der gute, alte Otis, mein Junge! Dreh nur nicht durch, Bruder!« Der Stationsmann zuckt zusammen. Er entspannt die Schrotflinte und tritt damit zur Seite, um sie ins Gewehrregal zu stellen. Er tut dies alles mit unbeholfenen Bewegungen, die
allein schon erkennen lassen, dass er entweder krank oder betrunken sein muss. Doch wahrscheinlich ist Letzteres der Fall, denn auf dem großen Tisch im Gast- und Wohnraum der Station, an dem ein Dutzend Leute sitzen und essen könnten, steht eine leere Flasche. Am Boden liegt noch eine zweite. Ein großes Wasserglas ist noch halb voll Whisky. Inzwischen hat eine der beiden Frauen mit ihrem ganzen Körper die Tür hinter sich zugedrückt. Der orgelnde Blizzard ist nun gewissermaßen ausgesperrt. Er orgelt nur noch draußen ums Haus. Obwohl es natürlich immer noch sehr laut ist, wirkt alles hier drinnen einen Moment wie eine geradezu atemlose Stille. Es ist warm gegen die Kälte draußen. Der Schnee, der hereingefegt oder auch hereingetragen wurde, beginnt schon zu schmelzen. Rae Breahitt starrt die Ankömmlinge immer noch an. Sprachlos, staunend. »Eine Postkutsche aus Great Falls?«, fragt er und schüttelt den mit zottigem Haar bedeckten Kopf. Er ist unverkennbar ein Halbblut. Doch das ist nicht ungewöhnlich für die Stationsmänner einer Post- und Frachtlinie im Indianerland. Für diesen Job sind Halbblutmänner, die zumeist mit Indianerinnen verheiratet sind, die besten Leute.
Denn sie können in der Einsamkeit leben, ohne verrückt zu werden. Sie verstehen sich auf Pferde und aufs Wetter. Ihre roten Schwäger und Vettern tun ihnen nichts, und sie haben zumeist den ganz besonderen Ehrgeiz, zuverlässiger zu sein als Weiße. Aber Rae Breahitts Staunen wird noch größer, als er erkennt, dass mit Otis Chugwater zwei Frauen kamen, die sich nun aus ihren Mänteln und Schals schälen und die Decken abwerfen, die sie sich im Stall umhängten. Er will es zuerst noch gar nicht glauben, sondern wischt sich mit der Hand mehrmals übers Gesicht, so, als könnte er so seine Trunkenheit wegwischen. Doch dann begreift er, dass er nicht irgendwelche Bilder seiner Trunkenheit sieht, sondern die Wirklichkeit. »He, da ... da sind ja zwei La ... Ladys«, sagt er mit schwerer Zunge. Und er wendet sich zum Tisch, nimmt das noch halb volle Glas und trinkt es mit durstigen Zügen leer. Aber es ist kein Wasser, auch kein Tee – es ist starker Whisky, der einem normalen Mann fast die Hosenträger springen lässt. »Jetzt sind es vier«, sagt er merkwürdig präzise und ohne zu lallen. »Wo hast du die vielen Weiber her, Chugwater?«
Doch dieser braucht ihm keine Antwort mehr zu geben. Der gedrungene Rae Breahitt beginnt sich merkwürdig zu verdrehen, als wäre er ein Korkenzieher, der sich selber in den Boden bohren will. Er dreht sich zweimal um die eigene Achse, wird kleiner und kleiner dabei, weil seine Beine nachgeben. Und dann fällt er völlig volltrunken auf sein Gesicht und atmet röchelnd aus. »Ich schaffe ihn weg«, sagt Otis Chugwater zu den beiden Frauen. »Aber es kann gar nicht sein, dass er allein ist. Er lebt hier mit seiner indianischen Frau, seinem Schwager und zwei Kindern zwischen zehn und zwölf Jahren. Die müssen doch in den Schlafräumen sein.« Er entledigt sich seines Büffelfellmantels und verlässt den Gast- und Wohnraum, um die anderen Räume des Stationshauses zu durchsuchen. Als er wiederkommt, haben Georgia Shannon und Barbara Laramie schon einen mit Schnee gefüllten Kessel auf dem Herd. Sie sehen ihn erwartungsvoll an. Aber er sagt: »Er war allein. Es ist niemand da. Seine Frau, sein Schwager und die Kinder sind weg. Er war allein. Gewiss hat er sich betrunken vor Kummer – oder auch aus Angst. Ich schaffe ihn jetzt fort.«
Er bückt sich nach dem Stationsmann und nimmt ihn auf. Es ist erstaunlich, wie schnell er sich erholt hat, nachdem er im Stall für eine Weile umgekippt war. Er trägt den gewiss nicht leichten Stationsmann in die Schlafkammer und legt ihn auf das zerwühlte Bett. Einen Moment verhält er dann und denkt darüber nach, was Rae Breahitts Familie wohl bewogen haben mochte, fortzugehen. Aber es gibt eigentlich nur eine einzige Antwort: Indianer! Rae Breahitts indianische Frau, deren Bruder und die beiden Kinder sind gewarnt worden. Sie erhielten irgendwelche Zeichen, eine Nachricht oder Signale von Gefahr. Und da ergriffen sie die Flucht und ließen Rae Breahitt allein. Er aber betrank sich. Otis Chugwater seufzt leise. Denn nun kann er sicher sein, dass die Indianer nach dem Blizzard herkommen werden. Die Station war wahrscheinlich von Anfang an ihr Ziel. Er zerbeißt einen Fluch und kehrt in den großen Gastraum zurück, der die Hälfte des ganzen einstöckigen Hauses einnimmt und in dessen Ecke sich der Küchenherd befindet. Barbara Laramie steht am Herd.
Georgia Shannon aber deckt schon den Tisch, den sie inzwischen säuberte. »Es wird Pfannkuchen mit Speck und Kaffee geben«, sagt sie zu ihm. »Das geht am schnellsten. Wir beeilen uns.« Er nickt und sieht sie fest an. Sie macht impulsiv drei Schritte auf ihn zu und sieht zu ihm auf. »Otis«, sagt sie, »ich danke dir für alles.« Er schüttelt den Kopf. »Nicht danken«, murmelt er. »Und mach dir keine Sorgen. Als ich in Great Falls spürte, wie sehr dir daran liegt, nach Last Chance zu kommen, und dir versprach, die Kutsche zu fahren, da war mir auch klar, wie schwer es sein würde. Aber ich bring dich hin. Ich bring dich bestimmt hin. Denn es ist dir wichtig.« »Ja«, sagt sie, »es ist mir wichtig. Und du stelltest keine Fragen, Otis. Du halfst mir allein deshalb, weil du spüren konntest, wie wichtig es für mich ist.« Sie stellt sich auf die Zehenspitzen und küsst ihn auf den Mund. »Oho«, sagt Barbara Laramie vom Herd her. »Willst du ihn dir auf diese Art angeln, Schwester? Aber auf solche Burschen wie diesen da bin auch ich ziemlich scharf. Die gehören zum Salz der Erde, und man trifft sie nicht oft. Den
möchte auch ich. Oder hätte ich keine Chance bei dir, Otis Chugwater?« Dieser ist einen Moment sprachlos über so viel Offenheit. Aber dann wird auch er sich darüber klar, dass für sie alle schon längst die Stunde der Wahrheit begann. Es hat keinen Sinn mehr, sich etwas vorzumachen. Sie stecken ziemlich schlimm in der Klemme – und wahrscheinlich werden einige von ihnen sterben. Also, warum sich dann noch etwas vormachen? Warum dann nicht ehrlich sein bis zur letzten Konsequenz? Diese Barbara Laramie hat alles ganz offensichtlich längst begriffen. Und sie wartet noch immer auf eine Antwort. Otis Chugwater deutet auf Georgia Shannon. »Als ich sie sah, war ich weg«, sagt er. »Kannst du das verstehen?« Barbara Laramie nickt. »Und wie«, sagt sie. »Ich danke dir für deine ehrliche Antwort, Otis. Ja, wir alle sollten ehrlich zueinander sein. Georgia, wenn du ihn nicht haben willst, dann sag es jetzt. Oder wenn du nicht kannst. Sag es jetzt und hier.«
Georgia Shannon nagt an ihrer Unterlippe. Sie sieht Barbara Laramie fast zornig an. Doch dann nickt sie. »Ja, du siehst es wohl richtig, Barbara«, murmelt sie. »Ja, schleichen wir nicht wie Katzen um ihn herum – wo wir doch morgen schon tot sein können. Ja, ich mochte ihn vom ersten Moment an. Und als er mich ansah und mir sagte, dass er fahren würde, da wusste ich, dass er es nur meinetwegen tun würde. Ja, ich wollte ihn vom ersten Moment an, wie eine Frau einen Mann nur haben will. Alles klar?« »Alles klar, Schwester.« Barbara Laramie lächelt und kehrt zum Herd zurück, denn es wird Zeit, die Pfannkuchen zu wenden. Otis Chugwater und Georgia Shannon aber stehen noch voreinander und sehen sich an. Nein, sie fallen sich nicht in die Arme. Dies wäre wahrscheinlich ein Zeichen von Dummheit. Sie werden sich erst kennen lernen müssen. Und vielleicht werden sich dann ihre Erwartungen und Wünsche bestätigen. Aber das müssen sie erst noch herausfinden, wenn sie mehr, sehr viel mehr voneinander wissen. Doch es zieht sie zueinander. Sie sind neugierig auf sich. Und vielleicht ist das nicht die schlechteste Art, wie ein Paar zusammenfindet.
Bevor einer von ihnen etwas sagen kann, wird die Tür aufgestoßen. Drei Männer kommen herein – voller Schnee und die Kälte mitbringend. Es sind Louis Borgnine, Hogjaw Pallace und Ernest Hacket. Der Texaner Jim San Saba blieb tatsächlich im Stall bei den Pferden. »Hoii, das hätten wir!«, ruft Hogjaw Pallace, wirft seinen Mantel und den Hut in die Ecke und klatscht in die Hände. »Ich bin der Pascha von Patschpatschpur! Ich habe hundert Haremsfrauen, und ihr zwei seid mir heute die liebsten! He, von welcher bekomme ich einen heißen Kuss? Welche wird mich wärmen in einer kalten Blizzardnacht und will von mir gewärmt werden in dieser verdammten Welt?« Sie alle starren ihn an. Aber dann begreifen sie, dass er sehr betrunken ist. Er hat sich drüben im Stall noch weiter aus den Flaschen bedient, die sie für sich und die Pferde mitgenommen hatten. Nun haut ihn die Wärme hier im Raum gewissermaßen um. Er schwankt zu einem Sessel, setzt sich hinein und beginnt sofort zu schnarchen. Otis Chugwater sieht zu Louis Borgnine hin, der seinen Blick grinsend erwidert und nach einer Weile sagt: »Ja, er ist schon ein Unikum, der gute Hogjaw. Aber haltet ihn nur nicht für närrisch.
Der ist bauernschlau, und er hätte sich schon mehr als zwei Dutzend Kerben in den Revolverkolben schnitzen können – versteht ihr? Mehr als zwei Dutzend Kerben, wenn er das gewollt hätte nach jedem Revolverkampf, bei dem der Gegner starb.« Er sieht sich nun um. Sein Blick fällt auf die Geldkiste, die noch mit all dem anderen Gepäck am Boden steht. »He, wie viel ist da drinnen?«, fragt er – und diesmal gibt es keinen Zweifel, dass er einen Klang von Gier in seiner Stimme hat. Er gibt sich keine Mühe, es zu verbergen. Er gleicht einem hungrigen Wolf – nur dass er nicht nach frischer Büffelleber, sondern nach dem Geld giert. »Eine Menge«, sagt Otis Chugwater, »eine ganze Menge. Dafür müsste meine Tante gewaltig lange stricken und häkeln – vielleicht hundert oder zweihundert Jahre. Aber was nützt dir das Geld, Borgnine, wenn du ein toter Mann bist?« Louis Borgnine zuckt zusammen. »Mal sehen, wer von uns tot sein oder am Leben bleiben wird«, sagt er dann mürrisch. Er stößt die Geldkiste mit der Stiefelspitze an. »Na schön«, sagt er, »jetzt kann ich mir dafür nichts kaufen, gar nichts. Aber ...« Er spricht nicht weiter, sondern sieht auf Georgia Shannon, die den ersten Stapel
Pfannkuchen vom Herd in der Ecke zum großen Tisch bringt. »Na endlich«, sagt er. »Sind die mit Liebe gemacht?« Georgia Shannon erwidert nichts, aber sie sieht ihn etwas schrägäugig an. Barbara Laramie aber, die mit der Kaffeekanne kommt, sagt spröde: »Kleiner Witzbold – wie? Immer zu lustigen Sprüchen aufgelegt, ja? Ist ja auch kein Wunder bei dem ständigen Umgang mit einem Irren.« Beim letzten Wort blickt sie auf Hogjaw Pallace. Und dieser schnuppert schlafend mit der Nase und öffnet dann plötzlich die Augen. »Verdammt, warum weckt mich niemand, wenn es was zu essen gibt?«, fragt er sofort scharf und misstrauisch. Aber niemand gibt ihm eine Antwort. Sie alle fallen mehr oder minder heißhungrig über die Pfannkuchen mit Speck her. Ja, sie sind hungrig wie ein Wolfsrudel. Und jeder von ihnen will überleben. Das Schicksal hat sie zusammengewürfelt in einer Kutsche nach Last Chance.
6
Als Otis Chugwater sich nach etwa zwei Stunden wieder seinen Büffelfellmantel anzieht und den Hut aufsetzt, da kleidet auch Georgia Shannon sich zum Schutz gegen Kälte und Schnee an. Er betrachtet sie erstaunt. »Ich gehe mit hinüber«, sagt sie schlicht. »Sicher, das täte ich auch«, spricht Barbara Laramie ruhig vom Herd her. »Aber da er mich nicht will, werde ich hier auf diesen Texaner Jim San Saba warten und ihm was Essbares vorsetzen wie eine gute Wirtin. Geht nur, ihr zwei Glückskinder.« Sie ist nicht mehr betrunken wie vor mehr als zwei Stunden. Ihre Stimme klingt ernster, doch warm und herzlich. Sie sagen nichts mehr. Und Otis Chugwater versucht auch nicht, Georgia Shannon davon abzuhalten, mit ihm zu gehen. Die anderen Menschen im Haus schlafen alle. Sie haben sich überall in die Kammern verteilt, in denen Betten und Lagerstätten sind. Am schlimmsten schnarcht Rae Breahitt, der Stationsmann. Doch Hogjaw Pallace steht ihm nicht viel nach. Borgnine und Hacket schlafen ruhig. Der Blizzard orgelt einen Moment wieder sehr laut, als sie die Tür öffnen und hinaustreten.
Barbara wirft die Tür hinter ihnen zu. Sie aber sind nun allein in der heulenden Blizzardnacht. Sie gehen an dem ausgespannten Seil entlang und erreichen den Stall. Die Kutsche, an der sie vorbei müssen und die ihnen etwas Schutz gibt, ist längst ein riesiger Schneeklotz geworden, zugeweht. Jim San Saba hockt unter der Stalllaterne auf der Futterkiste. Er grinst sie stoppelbärtig an, erhebt sich und schließt seinen Fellmantel. Erst am Stalltor wendet er sich um. »Wen soll ich nach zwei Stunden schicken?« »Hogjaw Pallace«, erwidert Otis Chugwater. »Und wenn er sich aufregt, dann sag ihm, dass der Blizzard wahrscheinlich eine ganze Woche dauern wird und er noch viele Male hier Wache halten muss.« Jim San Saba nickt nur. Er richtet den Blick auf Georgia Shannon. »Manche Frauen«, sagt er, »erkennen auf den ersten Blick den Besten in einem Rudel. Ob diese Barbara den Zweitbesten erkennen kann?« Georgia sagt nichts zu diesen Worten. Aber sie lächelt seltsam. Da geht er und drückt von außen das Tor zu, bevor zu viel Kälte in den Stall kommen kann. Es ist kalt genug hier – und dennoch wäre der Stall für jedes Lebewesen, das jetzt draußen sein
muss, ein barmherziger Schutz. Die Pferde stehen oder liegen ruhig in ihren Boxen. Nur der Blizzard tobt draußen und rüttelt manchmal am Stall. Georgia und Otis stehen sich gegenüber. Sie öffnen langsam ihre Mäntel. Otis nimmt seinen Hut ab. Dann setzen auch sie sich auf die Futterkiste. Sie sind jetzt so allein und abseits aller anderen Menschen wie auf einer einsamen Insel. Er hebt die Hand und streicht ihr mit dem Zeigefinger über die Rundung der Wange bis unters Kinn. Sie rückt dichter neben ihn, lehnt sich an ihn und legt ihren Kopf gegen seine Schulter. Sie lehnen beide mit ihren Rücken gegen die Abgrenzung der ersten Box. »Ich habe ein Hotel in Kansas City«, sagt sie dann an seiner Schulter. »Und nach dem Tode der Eltern – sie kamen während des Krieges durch Typhus um – hatte ich meine kleine Schwester bei mir. Sie war sehr lebendig, schnell begeisterungsfähig und hungrig nach dem Leben. Sie wollte immerzu etwas unternehmen, etwas erleben. Und sie war arglos und glaubte nicht an die Schlechtigkeit der Welt. Ich passte auf sie auf, so gut ich konnte. Doch im vergangenen Herbst ist sie mit einem Burschen verschwunden, der bei uns im Hotel gewohnt hatte. Oh, er sah
aus wie ein Sieger, wie ein auf diese Erde herabgestiegener junger Gott. Aber sein Ruf war denkbar schlecht. Stellas Hilferuf an mich kam aus Last Chance. Ich weiß, dass sie den Winter nicht überstehen wird. Deshalb muss ich zu ihr. Und überdies will ich diesen Johnny Duane erschießen.« Sie spricht die letzten Worte mit einer erschütternden Sachlichkeit. »He, was willst du tun – einen Mann töten?«, fragt Otis Chugwater sofort. Sie nickt, und er hat seinen Arm um sie gelegt. »Ja, ich werde ihn töten. Er hat meine Schwester an ein Haus verkauft, vor dem eine rote Laterne hängt – verstehst du, Otis?« »Ja«, sagt er. »Und er heißt Johnny Duane, ja?« Sie nickt und er spürt, wie sie in seinem Arm. müde wird und einzuschlafen beginnt.
Nach fast drei Stunden kommt Jim San Saba in den Stall. Otis Chugwater, der Georgia inzwischen ins Heu bettete und mit genügend Decken zudeckte, hockte dicht bei ihr, erhebt sich aber jetzt und tritt ihm entgegen. »Es ist so«, sagt Jim Saba, »dass ich dem schönen Hogjaw Pallace mit roher Gewalt hätte Beine machen müssen. Der sagte mir, dass du
ihm den Buckel rauf und runter und kreuz und quer könntest. Der kommt dich nicht ablösen. Ich hätte ihm also mit Gewalt Beine machen müssen. Aber da ist noch Borgnine. Und beide sind ein böses Pärchen. Von denen hab ich schon gehört. Sie haben übrigens die Geldkiste aufgemacht und nachgesehen, wie viel Geld drinnen ist. Es sollen dreihunderttausend Dollar sein. Stimmt das?« »Es stimmt«, seufzt Otis Chugwater und knöpft seinen Mantel zu, setzt sich den Hut auf. Er geht zum Stalltor und nickt dabei Jim San Saba zu. »Soll ich mitkommen?«, fragt dieser und wirft einen schnellen Blick auf die immer noch schlafende Georgia Shannon. »Nein«, erwidert Chugwater. »Du bleibst hier. Ich habe schon mal erlebt, wie ein Rudel hungriger Wölfe während eines Blizzards in einen Stall gekommen ist. Sie fanden ein Loch, das sie erweiterten. Die haben unter den Pferden ein Blutbad angerichtet, wie du es dir nicht vorstellen kannst. Die waren verrückt nach Fleisch.« Er geht plötzlich hinaus, und der orgelnde Blizzard wird für einen Moment laut. Dennoch erwacht Georgia Shannon nicht. Jim San Saba betrachtet die Schläferin einen Moment.
Ein Zug von Mitleid umspielt seine Mundwinkel, und auch in seinen Augen ist solch ein Ausdruck. Aber dann geht er von Box zu Box und sieht bei den Pferden nach dem Rechten. Seine Gedanken jedoch sind bei Otis Chugwater. Plötzlich grinst er und murmelt: »Aah, wenn er es nicht allein schafft, ist er nicht so gut, wie ich denke. Aber er wird es schaffen. Bestimmt! Warum sollte ich es tun? Denn es kommt ihm zu. Er fährt die Kutsche. Er ist der Boss!«
Als Otis Chugwater ins Haus kommt, sitzt Barbara Laramie am Tisch. Sie hatte den Kopf in ihre auf dem Tisch verschränkten Arme gelegt und sitzend geschlafen. Nun sieht sie Chugwater an. »Kaffee? Suppe? Ich habe Bohnensuppe mit Rauchfleisch gekocht. Willst du? Wo ist Georgia?« »Drüben im Heu. Sie schläft fest. Ich wollte sie nicht wecken. Du kannst mir in einigen Minuten etwas von deiner guten Suppe geben. Gleich, wenn ich erledigt habe, was zu erledigen ist.« Er will sich wieder in Bewegung setzen, denn er weiß ja, in welcher Kammer das gefährliche
Paar Hogjaw Pallace und Louis Borgnine liegen und schnarchen. Aber er hält noch einmal inne. »Warum heißt du Laramie, Barbara? Bist du nach Fort Laramie benannt?« Sie nickt. »Als die Indianer einmal einen Auswandererzug überfielen, ließen sie nur ein paar kleine Kinder am Leben, die sie mitnahmen in ihre Dörfer. Ich war solch ein Kind. Ein Händler, den man Laramie-Charly nannte, kaufte mich dann für ein Gewehr im Werte von neun Dollar. Ich war noch zu klein, um meinen Nachnamen zu wissen. Nur meinen Vornamen wusste ich. Also nannte man mich Barbara Laramie. Und Fort Laramie war auch viele Jahre meine Heimat.« Sie verstummt mit einem Lächeln, das irgendwie weise, nachsichtig und so erfahren wirkt, als wäre sie schon sehr, sehr viel älter und gäbe es keine Geheimnisse mehr für sie auf dieser Erde. Er begreift in diesem Moment erst richtig, dass ihre Wege rau waren. Da tritt er näher, entledigt sich des Fellmantels und stemmt die Hände auf den Tisch. Aus dieser Haltung blickt er auf sie nieder.
»Und warum bist du unterwegs nach Last Chance? Was war für dich so zwingend, diese Reise zu wagen?« Wieder lächelt sie, und er begreift, dass sie gelernt hat, im tiefsten Verdruss so zu lächeln, alles in ihrem Kern zu verbergen, was nur sie etwas angeht. »Vielleicht erzähl ich es dir mal«, sagt sie langsam, und das Lächeln ist immer noch auf ihren Lippen. In ihren braunen Augen aber glitzert es. »Ein Mann also«, murmelt Otis Chugwater. Sofort werden ihre Augen schmal. »Sieht man mir das so sehr an, Otis? Kann man das spüren?« Sie fragt es fast heftig. Er schüttelt den Kopf. Dann sagt er: »Wenn Leute so wie ihr hier bereit sind, alles zu wagen, noch vor dem Winter nach Last Chance zu kommen – nun, dann kann es sich nur um Flucht oder um Rache handeln. Sonst reist man nicht um diese Jahreszeit mit der allerletzten Postkutsche in dieses verdammte Camp, das bald eine Hölle sein wird. Rache oder Flucht. Es gibt kaum noch andere Beweggründe. Und ich wette, es handelt sich auch bei dir um einen Mann.« »Bei wem noch? Bei Georgia auch?« Sie fragt es scharf. Er blickt nachdenklich auf sie nieder.
Dann nickt er. »Willst du ihn auch töten, Barbara?« Ihre Augen werden wieder groß. »Und wenn?« Er schüttelt den Kopf. »Das wäre falsch«, murmelt er. »Eine Frau sollte niemals töten wollen. Eine Frau sollte Liebe, Wärme und all die guten Dinge geben können, die mit Glück und Leben zusammenhängen, mit Duldung, Schonung, Erhaltung und Freude. Frauen schenken Leben. Deshalb dürfen sie nicht vernichten wollen – auch nicht aus Rache oder Hass. Ich werde das auch Georgia ausreden müssen. Wie heißt denn der Mann, hinter dem du her bist, Barbara?« »Aaah, der hatte viele Namen – sehr viele, wie ich inzwischen herausfand. Und er findet auch immer wieder dumme Gänse wie ein Fuchs. Auf sein Konto kommen viele dumme Eulen, die noch einmal an das große Glück glauben wollten. Auch ich – die ich mich für erfahren hielt – fiel auf ihn herein. Es wäre zum Lachen, wenn Georgia und ich denselben Mann jagten. Nicht wahr?« Er nickt langsam. »Ja, das wäre zum Lachen«, murmelt er grimmig. »Und obwohl dich also ein Kerl reingelegt hat, hätte ich dich haben können, würde es keine Georgia geben?« Wieder lächelt sie.
»Sicher, Otis, sicher. Ich hätte mich mit dir eingelassen. Warum nicht? Schlechter als er konntest du nicht sein, eher besser. Und das wäre doch ein Gewinn für mich, nicht wahr?« Nun erst erkennt er ihre ganze Bitterkeit. Sie tut ihm Leid, denn sie ist wahrscheinlich verloren für immer. Sie wird nicht mehr lieben können – nie mehr wieder. Aber sie will es nicht wahrhaben, und deshalb wird sie immer weiter suchen und dabei zu Grunde gehen. Ja, sie tut ihm Leid. Und er kann sie nicht mehr länger ansehen. Er möchte nicht, dass sie sein Mitleid erkennen kann. Er verlässt den Tisch, denn es wird endlich Zeit, Hogjaw Pallace Beine zu machen.
Er reißt ihn an den Beinen vom Lager und schleift ihn mit einem einzigen Kraftausbruch bis in die große Gaststube, wo er mehr Platz hat. Hogjaw Pallace heult los wie ein Wolf. Er beginnt zu strampeln und zu treten, aber er reagiert zu spät. Denn Chugwater hat ihn schon dort, wo er ihn haben will. Jetzt wartet er, dass der aufbrüllende Mann hochspringt und sich gegen ihn wirft. Dies geschieht auch. Hogjaw Pallace ist schnell und
gefährlich wie ein Wolf. Er ist auch erfahren in solchen wilden Grenzkämpfen und kennt viele Tricks. Doch sie nützen ihm nichts. Als er Chugwater angreift, bekommt er es. Eine Rechte stößt ihm fast den Kopf von den Schultern. Und eine Linke trifft ihn wie ein Hufschlag auf die Leber. Und dann wird er klein gemacht, ja, gnadenlos verprügelt. Denn Otis Chugwater will hier keinen Zweikampf – nein, es ist eine Bestrafung, ein erbarmungsloses Kleinmachen. Und als er endlich innehält, liegt Hogjaw Pallace stöhnend am Boden. Er will hochkommen, aber er schafft es nicht mehr. Er kann nicht mehr kämpfen. Aber er würde es tun, könnte er sich noch erheben. Erst nach einer Weile hebt er mühsam den Kopf und blickt an Chugwater vorbei auf einen bestimmten Punkt. Dann stöhnt er heiser: »Bring ihn um, Louis – bring ihn um, diesen verdammten Hundesohn!« Chugwater wendet den Kopf und blickt über die Schulter zurück. Louis Borgnine steht neben der Tür der Schlafkammer an der Wand. Er hält einen Colt in der Faust, mit dem er auf Chugwater zielt.
Chugwater wendet sich ihm zu. Es ist keinerlei Furcht an ihm zu erkennen. Obwohl er einen Colt trägt, berührt er nicht einmal mit den Fingerspitzen den glatten Walnussholzkolben. »Borgnine«, sagt er, »du bist doch ein Bursche, der erst nachdenkt, bevor er zu schießen beginnt.« Mehr sagt er nicht. Aber Borgnine hat gewiss schon vorher nachgedacht. Sonst hätte er längst schon geschossen, als sein Partner von Chugwater kleingemacht wurde. Sonst hätte er nie und nimmer zugesehen. Nun nickt er und steckt die Waffe wieder ins Holster. »Sicher«, sagt er, »ich denke immer nach, bevor ich schieße. Das war soeben dein Glück, Chugwater. Oder hast du das vorher einkalkuliert? Dann bist du ein schlauer Bursche.« Er sieht auf Hogjaw Pallace. »Du blöder Hund«, sagt er. »Wir brauchen ihn. Und er ist jetzt der Boss, bis wir ihn nicht mehr brauchen. Er ist es allein, der uns nach Last Chance bringt durch diesen Schnee. Hast du verstanden, du Bumskopf? Wir brauchen ihn, und deshalb tu endlich, was er dir sagt.« Nach diesen Worten geht Borgnine wieder in die Schlafkammer zurück.
Neben der anderen Tür, die ebenfalls zu einem Schlafraum führt, verharrt der Spieler Ernest Hacket noch einige Atemzüge. Er steckt jetzt seinen kurzläufigen Revolver weg und nickt Chugwater zu. Chugwater glaubt plötzlich, dass Hacket auf Borgnine geschossen hätte, und Borgnine hatte das gewiss erkannt. »Wenn ich hinüber soll zum Stall«, sagt Hacket, »dann werde ich gehen. Aber warum muss jemand von uns im Stall sein?« »Weil ich mal erlebte, wie Wölfe sich nach einem langen Blizzard Zugang durch ein Loch in einen Stall verschafften«, erwidert Chugwater. »Und weil die Indianer sehr nahe sein können – vielleicht sogar schon drüben in der Scheune.« Da nickt Hacket. »Ja, das sind zwei wichtige Gründe«, sagt er und verschwindet im Schlafraum, aus dem die Schnarchtöne des betrunkenen Stationsmannes dringen. Barbara Laramie ist ebenfalls verschwunden. Dies beweist einmal mehr ihre Erfahrung und Klugheit. Denn dieser Hogjaw Pallace hätte sie gehasst, würde sie Zeugin seiner Bestrafung gewesen sein. »Also los, Hogjaw Pallace«, sagt Chugwater hart. »Komm hoch! Zieh dich an und geh hinüber! Oder ich werfe dich so wie du bist in den Blizzard hinaus! Denn hier drückt sich
keiner. Hier übernimmt jeder den vollen Anteil. Also, Freund Pallace!« Dieser erhebt sich endlich mühsam. Er hat überall Schmerzen. Seine Nase wurde etwas schief und schwillt an. Der Mund ist zerschlagen; er bekommt dicke Lippen und leckt sein eigenes Blut. Besonders schlimm aber schmerzt ihn sicherlich die Leberpartie. Er verschwindet in der Schlafkammer und kommt wenig später angekleidet wieder heraus. Seinen Revolver hat er in der Manteltasche, aber er macht nicht den Versuch, ihn auf Chugwater zu richten. »Dich bring ich in Last Chance um«, sagt er heiser. »Ich schwöre, dass ich dich umbringen werde, sobald wir aus diesem Mist hier raus sind und dich nicht mehr brauchen.« Chugwater nickt nur. »Jim San Saba und Georgia Shannon sollen rüberkommen, wenn du deine Wache übernommen hast«, sagt er. »Hast du mich verstanden? Sie sollen rüberkommen.« »Vielleicht möchte ich dieses Flittchen lieber bei mir behalten«, grollt Pallace schon wieder aufsässig. Da ist Chugwater mit drei gleitenden Schritten bei ihm. »Mann, wie dämlich bist du eigentlich?«, fragt er ihn ganz sanft.
Und da erschrickt Pallace. Ja, er erschrickt, denn er spürt ganz deutlich, dass er noch nie dem Tod so nahe war wie jetzt. Er schluckt mühsam und geht dann endlich. Als die Tür hinter ihm geschlossen ist, kommt Barbara Laramie wieder zum Vorschein und tritt zum Herd. »Ich glaube«, sagt sie von dort, »ich werde für uns alle die Teller mit Suppe füllen – für Georgia, Jim, dich und mich.« Chugwater nickt. Er tritt langsam zu der großen Geldkiste, die jetzt am Ende des Tisches auf der dicken Tischplatte steht. Es ist eine große Blechkiste mit einem Vorhängeschloss. Aber das Schloss wurde gewaltsam geöffnet, vielleicht mit einem Hammer oder einem Beil. Er klappt den Deckel auf. Einen Moment starrt er auf die vielen Geldscheinbündel. Dreihunderttausend Dollar, denkt er, die wären gewiss auch was für mich. Aber man hat sie mir anvertraut, und was man mir anvertraut, stehle ich nicht. Verdammt, was hab ich mir da aufgeladen? Ein paar zweibeinige hungrige und verrückte Wölfe – einen Blizzard – zwei Girls, die einen Mann töten wollen, wobei es fast kein Zufall wäre, wenn es der gleiche Mann wäre –
und eine Horde Indianer, die verrückt sind nach Feuerwasser. Heiliger Rauch ... Barbara bringt ihm nun den gefüllten Teller an den Tisch. Er schlägt den Deckel der Geldkiste zu und setzt sich. Die Bohnensuppe duftet köstlich. Offenbar fand Barbara genügend Gewürze und auch Kartoffeln und irgendwelches Gemüse. Es ist eine vorzügliche Bohnensuppe, wie er sie bisher noch nie irgendwo bekommen hat. Er beginnt mit Appetit zu löffeln, doch bald schon stellt sich eine Unruhe bei ihm ein. Denn er wartet darauf, dass die Tür aufgehen und Jim mit Georgia hereinkommen möge. Er wird unruhiger mit jeder Sekunde, die vergeht. Plötzlich hält er es nicht mehr aus. Er springt auf, wirft sich den Fellmantel wieder um, setzt den Hut auf und steckt den Colt in die Manteltasche. »Ich gehe mal nachsehen!«, ruft er Barbara zu. Als er die Tür öffnet, orgelt und braust der Blizzard wieder laut ins Haus. Dann wird es wieder still. Barbara Laramie steht einen Moment still neben dem Ofen. Dann bewegt auch sie sich, so, als hätte sie ein geheimes Signal empfangen.
Sie gleitet dorthin, wo in einem Gewehrständer einige Gewehre und auch die schwere Schrotflinte stehen, die der Stationsmann bei ihrer Ankunft so bedrohlich auf sie gerichtet hatte. Nun nimmt sie die Schrotflinte unter den Arm und hält sie im Hüftanschlag auf die Tür gerichtet. Sie wartet, und sie weiß nicht, warum sie plötzlich ein so ungutes Gefühl hat und eine Ahnung sie dazu zwingt, sich hinter das Gewehr zu stellen. Indes ist Otis Chugwater draußen. Er kann etwa zwei Schritte weit sehen. Der Schnee reicht ihm nun bis über die Knie. Er geht an der ausgespannten Leine entlang. Hogjaw Pallaces Spuren sind schon nicht mehr zu sehen. Der Schnee fällt zu dicht. Es ist auch wieder Eishagel darunter. Der Wind ist erbarmungslos, eiskalt und wirbelt wie wild, so, als wollte er alle Gebäude der Station umwerfen oder gar in die Luft heben. Als Chugwater etwa ein Dutzend Schritte gemacht hat, stößt er auf einen im tiefen Schnee liegenden Mann. Es ist der Texaner Jim San Saba – und er liegt auf dem Bauch. Zuerst glaubt er, dass Jim San Saba tot sei. Doch dann merkt er, dass er sich bewegt.
Aber er kann nichts anderes für ihn tun, als ihn in den tiefen Schnee zu setzen. Denn in ihm ist der Gedanke an Georgia wie ein scharfer Schrei – oder wie der böse Schmerz eines Messerstiches. Er beugt sich tief nieder. Und dann sieht er in der Dunkelheit und trotz des dichten Schnee- und Eisfalles die Furche. Ihm ist sofort klar, dass hier ein Mensch durch den tiefen Schnee geschleift wurde. Georgia! Es kann nicht anders sein. Er glaubt sofort, dass es nur Indianer gewesen sein können. Niemand sonst würde bei diesem Blizzard die Station gefunden haben, nachdem auch der Wagenweg so tief unter dem Schnee liegt, dass kein Pferd ihn mehr unter den Hufen spüren kann. Indianer! Und wo sind sie mit Georgia? Auch auf diese Frage gibt es nur eine einzige Antwort. Wenn sie im Stall nicht sind, kommt nur noch die Scheune als Schutz für sie in Betracht. Chugwater kennt die Lage der Gebäude dieser Station gut genug. Er ist oft genug hier vorbeigeritten oder mit einer Postkutsche durchgefahren. Er hat keinen schlechteren Orientierungssinn als die Indianer. Und so macht er sich auf den Weg.
Er kommt keine einzige Sekunde zu früh. Im linken Torflügel der Scheune befindet sich eine kleine Tür, durch die man hineingehen kann, will man nicht den großen Flügel öffnen. Die beiden Indianer sind gerade dabei, die bewusstlose Georgia Shannon durch diese schmale Tür zu ziehen. Einer geht rückwärts und hat sie von hinten unter die Achseln gefasst. Der andere hält die Beine in Höhe der Knie. So schleifen und tragen sie Georgia und wollen mit ihr hinein. Wahrscheinlich sind sie ziemlich geschwächt, halb erfroren und steif. Dennoch wurden sie mit Jim San Saba fertig und hatten die Idee, sich eine Geisel zu beschaffen. Otis Chugwater gibt ihnen keine Chance. Er zieht sich mit den Zähnen den Handschuh herunter, greift in die Manteltasche, holt den Colt heraus und schießt auch schon. Er schießt sie beide nieder und gleitet dann über Georgia und die Indianer hinweg in die Scheune. Denn es brennt Licht dort drinnen. Die beiden Schüsse wurden im Orgeln des Blizzards kaum gehört – aber in der Scheune wurde man dennoch aufmerksam. Es sind noch drei Indianer, die unter der Laterne im Stroh oder Heu hocken, eingehüllt in
ihre Decken. Auch ihre mageren Pferde haben sie hier drinnen. Die drei Indianer werfen ihre Decken ab, springen hoch und greifen an. Sie schwingen Messer und Kriegskeulen. Ihre Bewegungen sind langsamer als sonst. Wenn sie nicht betrunken sind, ist es Schwäche oder die Steifheit der Kälte. Otis Chugwater muss schießen. Er hat gar keine andere Wahl. Er muss sie von den Beinen schießen, will er sich und Georgia retten. Und so schießt er.
7
Barbara Laramie weiß nicht, wie lange sie so verharrt mit der Schrotflinte im Anschlag. Aber es ist eine Ahnung in ihr, dass dort draußen irgendwo im Blizzard etwas Schreckliches geschieht. Die Suppe wird kalt werden, denkt Barbara. Dann geht die Tür auf. Der Blizzard fegt den Schnee herein – und Gestalten tauchen auf in diesem Wirbel, eingehüllt in Pelze. Wie Teufel wirken sie, die aus der Hölle kommen. Der Kriegsschrei der Indianer tönt nur im ersten Ansatz. Dann kracht die Schrotflinte. Barbara drückt zweimal hintereinander ab, und die groben Sauposten pusten die Roten regelrecht hinaus. Während sie noch nachlädt, kommen Louis Borgnine, Ernest Hacket und sogar Rae Breahitt aus ihren Schlafräumen. Sie alle haben schussbereite Waffen in den Händen. »Lauft hinaus und seht nach Georgia, Chugwater, San Saba und Pallace! Los, lauft hinaus und seht nach ihnen! Verdammt, beeilt euch!« Sie kreischt es schrill, und sie verliert einen Moment die Nerven, denn es war so schrecklich
für sie, in diese Indianer hineinfeuern zu müssen. Es war fürchterlich und ist es immer noch. Die Männer starren sie sekundenlang an. Aber sie begreifen schnell. Sie wissen, dass es vielleicht um Sekunden geht. Sie laufen hinaus in den eisigen Blizzard, achten nicht darauf, dass sie eigentlich zu spärlich bekleidet sind. Barbara aber wartet. Manchmal seufzt sie, dann flucht sie. Aber dann kommt zuerst Jim San Saba herein. Er schwankt wie ein Betrunkener und stolpert über einen Indianer, der tot in der offenen Tür liegt. Barbara läuft zu ihm hin, will ihm auf die Beine helfen. »Sie haben mir den Schädel eingeschlagen«, ächzt Jim San Saba und wird wieder bewusstlos. Sie entdeckt nun die hässliche Wunde an seinem Kopf unter dem Haar und sieht auch das Blut, Sie zerrt ihn über den Boden bis in die Ecke beim Herd. Als sie sich wieder aufrichtet, kommt Otis Chugwater mit Georgia herein. Er muss sie tragen. Chugwater setzt Georgia auf einen Stuhl. Dann nickt er Barbara zu, und eilt zur Tür. Er räumt dort die Leichname fort und verschwindet im Blizzard, die Tür hinter sich zudrückend.
Barbara lauscht. Sie meint, Schüsse zu hören im bösen Orgeln des Blizzards. Georgia erwacht inzwischen aus einer halben Bewusstlosigkeit. Sie sieht sich um und begreift schnell alles. »Das ist eine verdammte Fahrt nach Last Chance«, sagt Barbara zu ihr. »Aber wir halten durch, nicht wahr, Schwester?« Georgia nickt nur. »Diese Indianer«, flüstert sie nach einer Weile, »diese Indianer ... Sie hatten mich schon in ihrer Gewalt.« Nacheinander kommen Louis Borgnine, Ernest Hacket und der Stationsmann Rae Breahitt zurück. Sie alle laden ihre Waffen nach, sobald sich ihre kälteerstarrten Finger wieder bewegen lassen. Der Schnee taut von ihrer Kleidung, und sie sind von den wenigen Minuten dort draußen sehr mitgenommen, weil sie ohne schützende Kleidung hinausgelaufen waren. Barbara Laramie sagt: »Wir müssen Jim San Saba auf ein bequemes Lager legen. Sie haben ihm fast den Schädel eingeschlagen. Er hat eine böse Kopfwunde und mit Sicherheit eine Gehirnerschütterung. Helft mir, Männer. Wir müssen ihn vorsichtig tragen.«
Sie helfen ihr wortlos und bringen Jim San Saba in Rae Breahitts Ehebett, denn es ist am bequemsten. Bis auf Barbara Laramie, die sich weiter um Jim San Saba kümmert, kehren sie alle zum großen Tisch zurück. Bisher schwiegen sie, denn sie mussten alles erst noch verarbeiten. Doch nun, da Georgia ihnen Kaffee einschenkt und sie einige Schlucke schlürfen konnten, beginnen sie zu reden. »Hogjaw Pallace drüben im Stall ist in Ordnung«, sagt Louis Borgnine. »Der hat gut aufgepasst. Als die Roten zu ihm reinkamen, schoss er sofort. Er hätte dann auch uns fast erschossen, als wir nach ihm sehen wollten.« Die anderen nicken. Sie richten dann ihre Blicke auf Otis Chugwater. Ernest Hacket sagt langsam: »Der hat diese rote Horde fast ganz allein niedergekämpft, als er Georgia zurückholte. Wir erwischten draußen zwei. Pallace erschoss ebenfalls zwei. Chugwater aber fünf. Das macht neun. Ich frage mich, ob dies die Bande war, die uns schon mal bei einer Station auflauerte. Wenn das so ist, dann waren es mehr als neun. Dann laufen noch welche dort draußen rum.« »Die laufen nicht mehr herum«, spricht Chugwater. »Die verkriechen sich jetzt. Denn sie
waren am Ende ihrer Kraft. Sie waren halb erfroren und schon zu lange ohne warme Nahrung. Auch fehlte diesen Säufern das Feuerwasser. Die waren so sehr am Ende, dass wir neun von ihnen töten konnten, ohne selbst Verluste zu erleiden. Versteht ihr, die waren gar nicht mehr so gefährlich. Aber das konnten wir nicht wissen. Wir mussten schießen, weil wir das alles ja nicht wissen konnten. Sie waren ziemlich am Ende. Sie wollten Georgia als Geisel, weil sie sich dann von uns Schnaps und Proviant erhofften. Ja, ein paar von ihnen sind noch übrig. Doch sie werden sich verkriechen – wahrscheinlich in der Scheune im Stroh und Heu. Wenn der Blizzard lange dauert, werden sie verhungern. Die tun uns vorerst nichts – und später wahrscheinlich auch nicht.« Sie denken über seine Worte nach. Und sie glauben, dass seine Beurteilung zutrifft. Georgia Shannon hat sich inzwischen wieder gefangen und ihr schreckliches Erlebnis tief in ihrem Kern verbannt. »Hier ist eine gute Suppe im Topf«, meldet sie sich. »Sie ist von Barbara gekocht worden. Wem soll ich den Teller füllen?« Sie wollen alle, denn sie alle haben den instinktiven Wunsch, möglichst viele Säfte und Kräfte in sich zu sammeln. Sie haben die
offensichtliche Erschöpfung der Indianer in ihren Gedanken, und dies treibt sie ganz instinktiv dazu, Essen einzunehmen. Eine Weile sitzen sie dann alle schweigend am Tisch und löffeln. Sie wirken nun wie eine Mannschaft, wie eine Gemeinschaft, in der es nur bindende Gemeinsamkeiten gibt. Doch am Ende des großen Gasttisches steht immer noch die große Geldkiste der Post- und Frachtgesellschaft. Es ist eine große, schwarz angestrichene, etwas verbeulte und verkratzte Kiste. Aber es ist nicht die Kiste selbst, sondern deren Inhalt, der immer wieder ihre Gedanken beschäftigt. Immer dann, wenn sie ihre Blicke auf die Kiste richten, stellen sie sich das viele Geld vor – all die vielen Packen von Geldscheinen der verschiedensten Werte. Otis Chugwater richtet seinen Blick nun auf den Stationsmann Rae Breahitt. »Was ist mit deinen Angehörigen? Du warst bei unserem Kommen zu betrunken, um es uns richtig zu erklären. Hol es jetzt nach.« Aber Rae Breahitt schüttelt den Kopf. »Da gibt es nicht viel zu erklären«, sagt er. »Du weißt ja, dass ich eine indianische Frau habe. Und wenn man eine indianische Frau hat, besitzt
man auch jede Menge indianischer Schwäger, Onkel, Vettern, dazu die Schwiegereltern und ...« Er bricht ab und macht eine Bewegung, als ginge es über seine Kraft, all die angeheiratete Verwandtschaft aufzuzählen. Er löffelt erst wieder Suppe. Dann erzählt er weiter: »Sie schickten all die Jahre in jedem Herbst eine Abordnung, um von mir Geschenke zu holen. Ich glaube, diese ganze faule Bande lebte nur von meinen Geschenken. Die wollten jedes Jahr mehr. Und sie konnten alles gebrauchen, einfach alles, was man sich nur denken kann. Ich aber kam hier auf keinen grünen Zweig. Gewiss, meine Frau war fleißig. Sie hatte mir auch zwei prächtige Kinder geschenkt. Und ihr jüngster Bruder, den ich hier als Helfer beschäftigte, war auch in Ordnung. Doch wir alle arbeiteten praktisch nur für ihre Sippe. Auch dieses Jahr kam ihre Abordnung – zwei Onkel waren es diesmal. Sie machten sich hier eine ganze Woche lang breit, soffen wie die Löcher und fraßen wie die Wölfe. Dann sagten sie mir, was sie diesmal haben wollten an Geschenken. Und es war so viel, dass wir hier wieder einmal ein ganzes Jahr umsonst – oder vielmehr für sie gearbeitet hatten. Vier Packpferde voll Zeug! Vier Packlasten – und natürlich auch die Pferde, die sie sich selbst aussuchten. Nun, ich glaube, ich wurde an diesem
Tage mal richtig verrückt. Ich nahm die Schrotflinte und jagte sie zum Teufel. Und ich rief ihnen nach, dass sich keiner von ihrer lausigen Bande hier blicken lassen sollte – nie mehr wieder.« Wieder macht Rae Breahitt eine Pause, löffelt erst den Teller leer und wischt ihn mit einem Brotstück sauber. Aber dann wirkt er plötzlich sehr müde, verbittert und deprimiert. Er sagt mit deutlich resignierend klingender Stimme: »Mit dem Eheleben war es von diesem Tag an aus. Versteht ihr? Meine Frau bestrafte mich gewissermaßen, weil ich ihrer faulen Sippe keine Geschenke mehr machen wollte. Und eines Tages war sie mit den Kindern und ihrem Bruder verschwunden. Oh, ich wusste, was das zu bedeuten hatte. Und so wartete ich auf die Bande. Ja, ich betrank mich, um mir Mut zu machen. Und ich lief deshalb nicht fort. Ich wartete. Die Roten dort draußen, die kamen, um mich klein zu machen, um sich zu rächen. Vielleicht glaubten sie, ich hätte schon wieder eine neue Frau. Deshalb schleppten sie Georgia Shannon weg. Versteht ihr? Die Bande hier hat gewiss nichts mit der anderen Bande zu tun, mit der ihr offenbar Verdruss hattet. Oder doch? Aaah, ich weiß es nicht. Und es ist mir auch egal. Wir
haben sie geschlagen. Aber was habe ich davon. Ich habe keine Frau mehr – und auch keine Kinder. Sie sind fort. Vielleicht ist sie überhaupt nur meine Frau geworden, damit es ihrer Sippe besser geht. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als mich wieder schlimm zu betrinken. Das versteht ihr doch – oder?« Er blickt fragend in die Runde. Und er sieht fast so aus, als würde er im nächsten Moment weinen. Dabei ist er ein harter Bursche. Er verschwindet in der Vorratskammer und kommt wenig später mit einem Krug zum Vorschein, wie ihn die Händler für ihren starken Handelswhisky nehmen, um ihn in möglichst großen Portionen an den Mann zu bringen. Er öffnet ihn und trinkt daraus. Das Zeug ist so scharf, dass er sich schüttelt und für einen Moment einen glasigen Ausdruck in die Augen bekommt. Dann rülpst er und sagt: »Das ist das einzig Wahre auf dieser Welt! Das ist der einzige Freudenspender. Alles sonst ist Mist, nichts als großer Mist!« Und nach diesen Worten geht er in eine der Schlafkammern, um sich dort aufs Lager zu werfen.
»Das ist vielleicht ein armer Hund«, murmelt Louis Borgnine und schiebt den leeren Teller weg. »Der tut mir wirklich Leid.« Er richtet seinen Blick auf Georgia, die nun die leeren Teller einsammelt und zur Spülwanne neben dem Herd trägt. »Da sieht man mal wieder, was Weiber alles so anrichten können«, sagt er. »Aber nur pure Dummköpfe laden sich ein Weib mit Anhang fürs ganze Leben auf. Und dann auch noch die Kinder ...« Er verstummt. Alle schweigen. Draußen tobt und orgelt der Blizzard. Er hat noch nicht ums Mindeste nachgelassen. Es klingt, als wollte es nie mehr ein Ende nehmen. Chugwater erhebt sich. Er sieht Borgnine an. »Du musst Pallace im Stall ablösen«, sagt er. »Und dann ist Hacket an der Reihe. Bis dahin wird wohl auch Breahitt seinen neuen Rausch ausgeschlafen haben. Nehmt ihm gleich die Flasche weg. Auch ich brauche Schlaf.« Er geht in eine der Schlafkammern und wirft sich bäuchlings aufs Lager. Er schläft von einem Atemzug zum anderen ein. Und er hat sich seinen Schlaf sicherlich am meisten von allen verdient dort oben auf dem hohen Bock im Blizzard.
Irgendwann erwacht er – und er hört den Blizzard draußen immer noch orgeln und brausen. Aber er ist nicht mehr allein auf dem Lager. Bei ihm – und mit ihm unter seiner Decke – da ist Georgia Shannon. Er kann sie nicht sehen, denn es ist dunkel in der Kammer. Aber er fühlt sofort, dass es nur Georgia sein kann. »Bist du wach, Otis?«, flüstert sie. »Ja«, sagt er und nimmt sie in seinen Arm. »Verzeih mir, wenn ich zu dir kroch«, sagt sie. »Doch wohin hätte ich sonst gehen sollen, wenn nicht zu dir? Ich fürchtete mich allein. Ich fühlte mich wie ein kleines Kind in dunkler Nacht. Ich musste zu dir.« »Das ist gut – und richtig – und schön«, flüstert er zurück. »Ich bin dem Schicksal dankbar, das uns zusammenführte.« Sie schweigen dann, denn sie brauchen keine Worte. Sie haben Zeit, viel Zeit. Der Blizzard tobt. Nach einer langen Zeit flüstert sie: »Wenn du dann zu deiner Wache in den Stall musst, komme ich mit. Ich lasse dich hier nicht mehr allein. Denn ich will nicht allein sein.« »Ja, Georgia«, murmelt er, »wir wollen die Stunden nutzen.«
8
Es ist ein Blizzard, der nicht enden will, ein Blizzard, der alles vernichten will, was auf dieser Erde lebt. Tag und Nacht wütet dieser Eis- und Schneesturm, lädt immer wieder neue Massen ab, schüttet alles zu und macht alle Wege und Pfade unpassierbar. Die Männer legen die toten Indianer in die Scheune – aber zwei oder drei Tage später sind sie verschwunden. Auch die Indianerpferde, die noch in der Scheune waren, sind fort. Rae Breahitt sagt dazu: »Es waren also noch welche da von der Sippe meiner Frau. Sie müssen in der Nähe noch einen anderen Unterschlupf gefunden haben – vielleicht ist es die alte Trappersiedlung etwa vier Meilen von hier. Dorthin haben sie sich mit den Toten zurückgezogen. Wahrscheinlich haben sie auch ein Pferd geschlachtet. Sie sind fort. Wir sind sie los.« »Das ist ihr Glück«, brummt Hogjaw Pallace. »Denn wir hätten jeden umgelegt, den wir gefunden hätten nach dem Blizzard – jeden!« Hogjaw Pallace trägt noch die Zeichen von Chugwaters Fäusten im Gesicht, aber er hat nichts von seiner Art verloren, stets drohend und
herausfordernd zu sein und sich immerzu herausgefordert zu fühlen. Er wird in diesen Tagen immer mehr zu einem unruhig und rastlos umherlaufenden Wolf. Einmal verhält er vor dem Tisch, auf dem immer noch die Geldkiste steht, sodass sie jeder sehen kann. »Heiliger Rauch«, sagt er. »Da ist eine Kiste voller Geld! Was könnte man sich dafür alles kaufen! Tausend Freuden! Und Weiber, die noch schöner sind als diese beiden hier. Noch viel schöner! He, Georgia, was versprach Chugwater dir, dass du mit ihm ins Bett gehst? Weißt du denn nicht, dass ich ihn töten werde, sobald wir ihn nicht mehr brauchen? Weißt du das nicht, du grünäugige Hexe?« »Halt dein Maul, Pallace«, sagt Chugwater zu ihm. »Ich halte dir zugute, dass wir alle früher oder später eine Art Koller bekommen werden, wenn wir noch lange hier zusammen eingesperrt sind. Du musstest ihn natürlich zuerst bekommen. Aber jetzt hältst du dein Maul.« Er wendet sich an Louis Borgnine. »Kannst du mir erklären, warum du mit solch einem Burschen als Partner durch die Welt ziehst? Der ist doch völlig loco, ja loco, wie ein Kojote, der Locokraut fraß und nun auf Wolfund Pumajagd gehen will. Warum ist solch ein Bursche dein Partner?«
Alle starren sie auf Louis Borgnine, auch Hogjaw Pallace. Und Borgnine lässt sie noch ein wenig warten. Erst nach einer Weile – nachdem er Pallace mit einem nachdenklichen Blick betrachtete, sagt er: »Wir ergänzen uns, doch ohne mich wäre er längst schon in der Hölle. Er kennt keine Furcht. Da fehlt ihm etwas, und es fehlt ihm so sehr, dass er einem Selbstmörder gleicht. Wir ergänzen uns so sehr, weil ich das Kämpfen besorge und er mir dabei den Rücken deckt. Und weil ich nur dann kämpfe, wenn es sich lohnt und die Gewinnchance groß genug ist, kommt er immer wieder davon. Er hat kein Gefühl für seine Grenzen. Aber weil er auf mich hört und mich für sich denken lässt, ist er ein guter Partner.« Sie alle blicken nun von Borgnine auf Pallace. Und sie sehen diesen grinsen. »Und ohne mich«, sagt Pallace fast höhnisch, »wärst du schon ein Dutzend Mal gestorben!« »Richtig.« Borgnine grinst. »Deshalb ergänzen wir uns ja auch so sehr. Dies wird sich auch herausstellen, wenn wir um dieses Geld kämpfen. Oder glaubt ihr, dass ihr es uns streitig machen könnt?« Chugwater grinst nur wortlos und sagt nichts mehr. Der Spieler Ernest Hacket aber hat eine Patience ausgelegt – und er sagt nun ruhig: »Die
Karten geben mir eine Antwort. Seht, ich habe den Kreuz- und den Pikbuben für euch gemischt. Ihr zwei seid also der Kreuz- und der Pikbube. Seht mal, wo diese beiden Buben jetzt liegen.« Sie alle beugen sich vor. Und sie sehen die beiden bezeichneten Buben beim Kreuz-Ass liegen. »Das ist ein Grabkreuz«, sagt Ernest Hacket. »Versteht ihr?« »Aaah, was ist das denn für ein Spiel?«, höhnt Hogjaw Pallace. »Das ist wohl ein Spiel ganz nach deiner Erfindung? Das ist ein Mistspiel, das gar nichts besagt. Mir hat eine alte Mexikanerin im Süden aus der Hand gelesen und mir gesagt, dass ich in den Armen einer schönen Frau sterben werde. Versteht ihr, ihr Hammel? Ihr könnt mich nicht bluffen.« Da bewegt sich der Texaner Jim San Saba, der bisher still dabeigesessen hat mit seinem verbundenen Kopf. Er ist zum ersten Mal auf und sitzt mit am Tisch. Er sagt: »Wenn das nur ein Mistspiel ist, dann müsste, wenn ich es mische und neu auslege, ein völlig anderes Bild auf dem Tisch liegen, nicht wahr? Aber wenn die beiden Buben wieder beim Kreuz-Ass zu liegen kommen, dann ist vielleicht doch etwas Wahres dran – oder?«
Sie starren ihn an. Er sprach leise, müde und lässig. Man sieht ihm an, dass er seinem Kopf noch nicht viel zumuten kann. Barbara, die neben ihm sitzt und ihn immer wieder beobachtet wie eine gute Krankenschwester, sagt nun: »Geh wieder ins Bett, Jim! Leg dich wieder hin. Das wird zu viel für dich!« »Nein«, grinst Louis Borgnine, »das will ich jetzt wissen. Los, misch die Karten und leg sie aus. Und dann werden wir sehen, ob Hackets Spiel Mist ist oder nicht. Aber lass dich von mir nicht bei einem Kartentrick erwischen, Texas. Mische nur recht langsam.« »Sicher«, sagt Jim San Saba und nimmt die Karten, die ihm der Spieler Hacket zusammenstreicht und als Päckchen hinschiebt. Er mischt langsam – und niemand kann einen Trick erkennen. Nur des Spielers Ernest Hackets Augen werden einen Moment schmal. Dann hebt Louis Borgnine selbst ab. Und dann tut auch Hogjaw Pallace es noch einmal, wobei er sagt: »Da wir beide daran beteiligt sind, müssen wir wohl auch beide durch Abheben die Karten beeinflussen können – oder?« »Richtig«, nickt Jim San Saba und beginnt auszulegen.
Er nimmt sich Zeit. Seine Bewegungen sind langsam. Nach menschlichem Ermessen kann er keine Tricks anwenden. Doch als er fertig ist, sehen sie es alle. Der Kreuz- und der Pik-Bube liegen wieder beim Kreuz-Ass. »Beim Grabkreuz«, sagt Jim San Saba. Und da beginnt Hogjaw Pallace böse und wild zu fluchen. »Du verdammter Falschspieler von einem Texaner«, sagt er, nimmt die Karten vom Tisch und beginnt sie genau zu untersuchen. Doch er findet nichts, nicht einmal feine Kratzer oder sonstige Unebenheiten, die man mit den Fingerkuppen fühlen könnte. Seine Blicke sind dennoch weiterhin misstrauisch. Er richtet sie abwechselnd von Ernest Hacket auf Jim San Saba und dann wieder auf Hacket. Einmal blickt er wie Hilfe suchend auf Louis Borgnine. »Diesen Trick haben die beiden Hundesöhne einstudiert«, sagt er dann. »Die wollen uns unsicher machen. Wir sollen uns Sorgen machen und Angst bekommen. Das ist ein psychologischer Trick, ein ...« »Well«, unterbricht ihn Louis Borgnine, »das könnte sein. Aber lassen wir uns denn verrückt machen, Hogjaw, mein guter Freund?«
»Nein«, sagt Hogjaw Pallace. »Dieser Tex vom San Saba River und dieser Kartenhai aus Mississippi haben gar keine Chance. Die verputzen wir – wenn es sein muss – auch quer zum Frühstück. Habt ihr das verstanden?« Sein herausfordernder Blick geht wieder zwischen Jim San Saba und Ernest Hacket hin und her. Der Spieler Ernest Hacket lächelt nur fein. »Sicher«, nickt er, »gegen dich hätte ich keine Chance, nicht die allergeringste. Glaube es schön und träume davon. Gegen dich bin ich ein Wicht. Gut so, Sir?« Hogjaw Pallace holt Luft, um etwas loszulassen. Aber da sagt Louis Borgnine, der den Texaner Jim San Saba angesehen hat und genau erkennen und spüren konnte, wie sehr dieser plötzlich bereit ist und einem lauernden Wolf gleicht: »Geh hinüber, Hogjaw, um Rae Breahitt im Stall abzulösen. Du bist an der Reihe. Geh schon, Hogjaw!« In seiner Stimme ist nicht nur ein deutlich warnender Klang, nein, es ist auch eine Spur von Verständnis und Brüderlichkeit enthalten. Allen wird klar, wie sehr dieser Louis Borgnine Hogjaw Pallace steuern kann. Für Borgnine ist Hogjaw Pallace ein Instrument,
dessen er sich bedienen kann. So und nicht anders ist es. Denn alle sehen, wie Hogjaw Pallace zu sich kommt, sehen ihn mühsam schlucken und dann gehorchen. Er wendet sich ab, wirft dabei das Kartenspiel auf den Tisch, dass die Karten nach allen Seiten fliegen, geht zu den Kleiderhaken an der Wand, nimmt den Mantel und verschwindet. Nachdem er die Tür zuknallt, bleibt es eine Weile still. Dann aber sammelt und sortiert der Spieler seine Karten wieder zu einem Päckchen. Sein Blick gilt nun Otis Chugwater. »Wir müssen uns über eines klar werden, Chugwater«, spricht er kühl und sachlich. »Ich höre«, sagt Chugwater. »Ich höre immer zu, wenn jemand etwas zu sagen hat und es sachlich vortragen will.« Nun blicken sie alle auf den Spieler, auch Barbara Laramie und Georgia Shannon. Hacket legt das Kartenhäufchen vorsichtig vor sich auf den Tisch. Dann hebt er den Finger und deutet auf die Geldkiste am anderen Ende des Tisches. »Ich habe die ganzen Tage und Nächte schon darüber nachgedacht«, spricht er. »Und nicht so sehr über das Geld, sondern über uns alle. Wir sind die letzte Kutsche dieses Winters nach Last Chance, und es ist geradezu symbolisch, dass
unser Ziel Last Chance heißt. Versteht ihr? Für jeden von uns ist es irgendwie ein Weg zur letzten Chance. Oder nicht? Denkt mal nach.« Er macht eine kleine Pause. Dann deutet er wieder auf die Geldkiste. »Wenn die Indianer uns erwischt hätten, würde das Geld ja auch nicht in Last Chance ankommen – und die Welt wäre davon gewiss nicht untergegangen. Also könnten wir das Geld ebenso gut auch unter uns aufteilen und jeder von uns könnte seiner Wege gehen. Selbst wenn wir auch noch mit Rae Breahitt teilen, kommen auf jeden von uns etwa siebenunddreißigtausend Dollar. Man muss einen guten Goldclaim finden, um siebenunddreißigtausend Dollar Gewinn daraus zu machen. Wir alle wären reich. Und wir brauchten um unsere Anteile gar nicht zu kämpfen, würden wir alle nur vernünftig sein und uns damit zufrieden geben. Denkt mal nach. Denkt mal über euch selbst ehrlich nach. Was mich betrifft, ich bin nur ein Spieler, der mehrmals Pech hatte und dessen Spielkapital zu klein wurde für wirklich große Spiele. Ich werde mich in Last Chance vorerst mit Dollarspielen am Leben erhalten müssen. Um mit den großen Burschen zu spielen, braucht man Kapital. Ich bin also zurzeit ein kleiner Wicht. Und dann nehmt euch selbst mal ehrlich vor. Da sind Borgnine und Pallace, Revolverschwinger, die man sich
mieten konnte in den wilden Städten oder dort, wo um Wasser und Weide gekämpft wurde. Da und dort kennt man sie auch als Banditen. Und überall, wo es nun Recht und Gesetz gibt, mussten sie flüchten. Jetzt wollen sie nach Last Chance, weil dieses Camp wild und gesetzlos ist, ein Babylon der Berge. Sie wollen noch einmal in einer wilden Stadt wie zwei Tiger sein im Dschungel. Doch es wird die letzte Stadt für sie sein, weil auch in ihr bald Recht und Gesetz die Oberhand bekommen. Vielleicht wird man sie abschießen oder aufhängen – oder sie werden bald wieder auf der Flucht sein und auf der Suche nach einer neuen Stadt. Oh, sie würden sich gern zur Ruhe setzen. Ich weiß es. Deshalb möchten sie noch einmal einen großen Coup landen, möglichst einen Dreihunderttausend-DollarCoup. Deshalb möchten sie auch nicht mit uns teilen. Doch das wäre Dummheit. He, Borgnine, kannst du es nicht endlich so sehen? Nachgedacht hast du gewiss schon in dieser Richtung – oder?« Nun blicken sie alle auf Borgnine. Dieser grinst jetzt, und noch nie ließ er an einen rötlichen Wolf so sehr denken wie jetzt – an einen hungrigen, schlauen, erfahrenen, mitleidlosen Büffelwolf im Herbst, wenn die Natur schon bunt wird und auch ein Wolf sich an diese Buntheit anpasst mit seinem Fell.
»Alles oder nichts«, sagt er nun. »Das war immer meine Devise, wenn ihr es genau wissen wollt. Alles oder nichts!« Damit hat er zu dieser Sache alles gesagt. Doch fertig ist er noch nicht, was sie alle als Personen angeht. Denn er deutet mit dem Daumen nach rechts auf den Texaner, spricht jedoch zu Hacket gewandt: »Du hast uns schon zum Teil so trefflich analysiert«, grinst er. »Nun mach mal weiter, Kartenhai, dir liegt so etwas. Ich erkannte es schon. Na, was ist mit diesem Tex, der sich Jim San Saba nennt und ganz gewiss anders heißt – na, was ist mit ihm?« Jetzt richten sich alle Blicke auf den blonden Jim San Saba, der die Blicke ruhig erwidert und dann den Spieler ansieht. »Der ...«, beginnt Ernest Hacket, »oh, der ist auf einer Fährte. Der sucht einen Burschen, um ihn voll Blei zu füllen. Das ist ganz einfach. Der ist bestimmt nicht auf der Flucht vor dem Gesetz so wie du und Pallace, Borgnine. Der ist auf der Jagd. Und auch er würde einen Anteil von mehr als siebenunddreißigtausend Dollar nicht abschlagen. Oder, Jim San Saba?« »Ich denke noch darüber nach«, erwidert dieser. »Doch auf jeden Fall würde ich diese beiden Townwölfe Borgnine und Pallace nicht damit ziehen lassen.«
Hacket und Borgnine nicken zu diesen Worten. Dann deutet Borgnine auf Barbara und Georgia. »Mach weiter, Kartenhai, mach weiter! Was denkst du über unsere beiden Schönen, unsere Ladys? Was ist mit denen?« Aber da schüttelt der Spieler Ernest Hacket den Kopf. »Über die beiden Ladys spreche ich nicht. Was immer sie auch für Ziele in Last Chance haben mögen, es geht mich nichts an. Das ist tabu für mich. Doch bin ich sicher, dass auch diese beiden Ladys gern einen Anteil hätten, sehr sicher.« Damit hat er offenbar alles gesagt. Denn er beginnt wieder seine Karten zu mischen. Es ist still. Rae Breahitt kommt vom Stall herüber. Er schüttelt den Schnee vom Mantel und stellt das Gewehr in den Ständer. »Der Blizzard wird schwächer«, sagt er. Dann sieht er sich um und spürt, dass etwas nicht stimmt. Er schnüffelt. »Was ist los?«, fragt er. »Ihr starrt mich an, als hätte ich zwei Köpfe – was ist los?« »Sie glauben, dass du damit einverstanden wärst, wenn sie das Geld unter sich aufteilen. Sie glauben, dass auch du einen Anteil nehmen und
die Post- und Frachtgesellschaft reinlegen würdest, Rae Breahitt.« Otis Chugwater sagt es ruhig und gelassen. Da staunt Rae Breahitt. Er sieht sich um. »Die Ladys glauben das auch?«, fragt er. »Die sind nicht mit im Spiel, Rae.« »Ach so«, knurrt dieser und sieht Georgia und Barbara an. »Was glaubt ihr also von mir?« »Einem Mann«, sagt Barbara Laramie, »dem die Frau mit den Kindern weglief und den die ganze Verwandtschaft töten wollte, dem muss eine solche Summe Geld eine Menge bedeuten, nicht wahr? Ich hatte einmal den zehnten Teil dieser Summe zusammengespart und glaubte, reich zu sein. Ich wollte mir einen kleinen Laden in Boston dafür kaufen. Jetzt könnte ich für meinen Anteil einen großen Laden bekommen, mit vier oder fünf Angestellten und Änderungsschneiderinnen. Denn es würde ein Modegeschäft sein. Aber auch San Francisco wäre mir recht.« Sie endet schrill, und es ist klar, dass sie irgendwie von einem Fieber gepackt ist, das dem so genannten »Goldfieber« sehr ähnelt. Rae Breahitt blickt auf Chugwater, denn von Georgia kann er keine Antwort erhalten. »Und was denkst du, Chugwater?«, fragt er. Chugwater lächelt.
»Dass es Narren sind«, sagt Chugwater. »Und Narren können sich nicht in das Denken und Fühlen von Männern hineinversetzen, die für eine Post- und Frachtgesellschaft arbeiten. Uns vertraut man Menschen und Wertgegenstände an. Uns vertraut man. Das ist der Unterschied zwischen diesen da und uns. Uns vertraut man. Uns übergab man etwas zu treuen Händen. Diese da sind nur Fahrgäste. Ich glaube nicht, Rae, dass du ein Dieb werden könntest.« Da richtet sich der Stationsmann auf. »So ist es«, sagt er. »Ich bin zwar nur ein Halbblutmann, der ein Weißer sein will – aber weil das so ist, muss ich alles doppelt so gut machen. Und ich muss doppelt zuverlässig sein. Ihr Narren!« Die beiden letzten Worte spricht er in die Runde. Und dann tritt er an den Herd, um sich eine Kaffeetasse voll zu schenken. Es ist still im Raum. Sie alle stellen fest, dass der Blizzard wirklich schwächer orgelt. Louis Borgnine sagt langsam: »Nun, es wird sich alles finden, wenn wir hier nicht mehr vom Blizzard eingesperrt sind wie in einem Käfig. Es wird sich alles finden.« Seine Stimme wirkt auf alle zuerst sehr ruhig, fast lässig.
Doch erst nachdem sie verklungen ist, werden sie sich eines Untertones bewusst, der darin mitschwang. Sie spüren erst jetzt die verborgene Härte und Unbarmherzigkeit. Er ist ein Killer, ein zweibeiniger Wolf, der Beute machen will und genau weiß, dass er nie wieder nach solch einem großen Bissen wird schnappen können. Aber nun meldet sich auch Chugwater mit scheinbar ebenso ruhiger und lässiger Stimme. Er sagt: »Oh, wir werden ja sehen, nicht wahr? Vorerst sind wir noch Gefangene eines Blizzards.«
In der kommenden Nacht erlahmt die Gewalt des Blizzards. Es wird plötzlich still, und diese Stille wirkt auf alle unheimlich. Selbst die Schläfer werden wach davon, als sie im Unterbewusstsein nicht mehr das ständige Orgeln und Brausen hören und das Haus nicht mehr immer wieder erzittert, ächzt und stöhnt. Sie alle werden wach. Als sie aus der Tür ins Freie treten, ist es Tag. Und der Himmel ist klar. Keine einzige Flocke fällt mehr. Im Osten kommt die Sonne empor. Und ein warmer Wind weht von Süden herauf.
Es ist, als wäre der Blizzard von diesem warmen Wind gefressen worden, einfach getilgt von einer gewaltigen Weite, die angefüllt war mit warmer Luft. Der Schnee liegt überall riesig hoch. Sie haben sich längst schon Wege zum Stall und zur Scheune freischaufeln müssen. Und überall, wo sich dem Blizzard aufragende Hindernisse entgegenstemmten, da sind gewaltige Schneewehen. Die Postkutsche ist völlig zugeschneit und gleicht einem Schneehügel. Louis Borgnine, der zuletzt Stallwache hatte, kommt vom Stall herüber. Nur sein Oberkörper ragt über den Schnee, und erst, als er den vor dem Haus freigeschaufelten Platz erreicht, kann man ihn ganz sehen. »Na, wie lange werden wir hier noch festsitzen, Chugwater?«, fragt er barsch. »Bin ich Jesus?«, gibt Chugwater zurück – und er steht nur scheinbar lässig da. Jeder ahnt sein Lauern – und auch Borgnine sieht, dass Chugwaters Linke dicht beim Colt hängt. Georgia stellt sich neben ihn, so als wollte sie damit zeigen, wie sehr sie auch jetzt noch zu ihm gehört. Sie alle betrachten sich schweigend im ersten Tages- und Sonnenlicht. Ihre Gesichter sind blass. Es fehlte ihnen die frische Luft. Sie wirken
irgendwie wie Höhlenmenschen, die nach langer Zeit endlich ans Licht kamen. »Es gibt Arbeit für uns«, sagt Chugwater. »Wir müssen die Kutsche freischaufeln, denn der Schnee wird zwar für eine Weile zerfließen wie Butter in der Pfanne, doch irgendwann wird es wieder frieren. Dann müssten wir die Kutschräder mit Hammer und Meißel aus dem Eis herausspitzen. Also los! Die Bewegung in frischer Luft tut uns gut!« Sie bewegen sich gern. Es macht ihnen Freude, und sie schaufeln nicht nur die Kutsche frei, sondern schaffen Platz auf dem Hof und auch rings um das Haus und die anderen Gebäude. Von den Dächern gehen schon die ersten Schneelawinen ab. Es sackt alles zusammen, fließt und rinnt, plätschert. Die Sonne beginnt sogar ziemlich stark zu wärmen. Das Wetter schlug total um, und man könnte meinen, der Frühling wäre schon da.
9
Es taut drei Tage und drei Nächte lang. Der hohe Schnee sackt zusammen. Und nach der vierten Nacht ist der zusammengesackte Rest gefroren wie das Wasser eines Sees. Chugwater weiß, dass es jetzt ernst wird. Das ganze Land ist jetzt mit festgefrorenem Schnee bedeckt. Man kann auf der festen Schneedecke jetzt gehen, reiten und auch fahren. Die Reise nach Last Chance kann weitergehen. Als sie an diesem Morgen beim Frühstück sitzen, steht die Kiste mit dem Geld immer noch am Ende des Tisches. Doch das beschädigte Schloss wurde durch ein neues ersetzt. Es herrscht eine lauernde Stimmung. Besonders Hogjaw Pallace wirkt unruhig und auf lauernde Weise angespannt wie noch nie zuvor. Und das will etwas heißen, ist er doch stets der unruhigste Bursche von allen gewesen. Otis Chugwater sagt plötzlich kauend: »Borgnine, es wäre immer noch zu früh für euren Coup. Ihr braucht mich immer noch. Alle Wege und Pfade sind mit diesem gefrorenen Schnee bedeckt. Aber es ist noch weit bis nach Last Chance. Ihr könntet nicht hinfinden. Nicht mal die nächste Pferdewechselstation könntet ihr
finden. Es gibt keine Wagenstraße mehr. Sie ist zugeweht. Und viele der Canyons vor uns führen in ganz andere Richtungen. Sie krümmen sich oder enden vor Felswänden oder Bergrücken. Na?« Er fragt das letzte Wort lächelnd und wie ein Mann, der sich keine Sorgen zu machen braucht. Dann blickt er plötzlich Jim San Saba an, der neben Barbara sitzt. »Du hast dich damals nicht festgelegt, Jim San Saba. Aber ich wüsste gern, auf welcher Seite du stehst.« »Auf meiner«, erwidert Jim San Saba, »auf meiner Seite.« Niemand sagt etwas, auch Barbara Laramie nicht, die neben ihm sitzt und ihn nun ansieht, als könnte sie in seinem Gesicht etwas erkennen. Louis Borgnine lacht plötzlich und schlägt mit der flachen Hand auf den Tisch. »Chugwater«, sagt er, »die Umstände sind immer noch für dich. Na gut, wir können ja noch ein Stück fahren. Wir können das alles noch eine Weile aufschieben. Wir werden sehen. Wann fahren wir endlich los?« »In einer Stunde«, sagt Chugwater. Er tauscht mit Georgia Shannon einen ruhigen Blick. Und dann sieht er auf Rae Breahitt, der ihm gegenübersitzt. Es ist, als tauschten sie mit
diesem Blick auch ein schweigendes Einverständnis. Und es wird überhaupt nicht mehr viel gesprochen. Es gibt nichts mehr zu sagen. Sie alle brauchen einander noch.
Als sie alle eingestiegen sind, geht Otis Chugwater noch einmal die drei oder vier Schritte bis zu Rae Breahitt zurück. Der Stationsagent steht vor der Haustür. »Es ist also alles klar, Rae?«, murmelt Chugwater. »Darauf kannst du dich verlassen, Otis.« Rae Breahitt nickt. »Ich bin zwar nur ein Halbblutmann, doch diese Linie wird noch mächtig stolz auf mich sein. Und ich auch. Ein Mann wie ich, dem die Frau mit den Kindern fortlief, der braucht etwas anderes, auf das er stolz sein kann. Gute Fahrt, Otis.« Dieser nickt nur, wendet sich um und klettert bald darauf hinauf auf den hohen Bock. Das Sechsergespann muss sehr vorsichtig laufen. Die Kutsche schleudert bei den geringsten Unebenheiten. Pferde, Fahrer und Kutsche müssen jetzt mit völlig anderen Verhältnissen zurechtkommen.
Es ist auch keinerlei Weg oder gar Wagenstraße zu erkennen. Chugwater muss sich nach den Landmarken in der Ferne richten und einen Weg für sein Gespann suchen, der ihm möglichst günstig erscheint. Es ist ein zwar heller und sonniger, doch eisig kalter Tag. Der Wind kommt wieder von Nordosten. Bis zur Talla-Talla-Station sind es normalerweise dreiundzwanzig Meilen, aber bei dieser Fahrt über den vereisten Schnee ist es für das Gespann ein Weg, der doppelt zählt. Einige Male stürzt sogar ein Pferd. Zumeist müssen sie im Schritt fahren. Chugwater wünscht sich etwas Schneefall, denn frischer Schnee würde die vereiste Oberfläche besser befahrbar machen. Als er die Station in Sicht bekommt, ist er sehr erleichtert, denn obwohl er das Land gut kennt, wurde er manchmal doch etwas unsicher. Schneebedeckt sieht alles ganz anders aus. Sie bekommen ein frisches Gespann und ein Mittagessen, und sie wirken wie eine Reisegesellschaft, die sich gut verträgt und die im Verlauf des langen Blizzards menschlich irgendwie zusammenfand. Die Stationsleute merken nichts von all den Dingen, die unter der Oberfläche dieser Reisegesellschaft schweben. Sogar Hogjaw
Pallace verstellt sich gut und verzichtet auf seine wilden Ausbrüche und Herausforderungen. Aber als Otis Chugwater dann wieder auf den hohen Sitz klettert und die Fahrt fortsetzt, weiß er, dass es jetzt bald geschehen wird. Bis nach Last Chance sind es noch etwa fünfzig Meilen. Aber auf den nächsten fünfundzwanzig wird es geschehen, dessen ist er sicher. Was geschehen wird? Nun, sie werden versuchen, ihn auszuschalten und sich das Geld und die Kutsche anzueignen. Wahrscheinlich brachten sie Jim San Saba auch auf ihre Seite – und da Rae Breahitt zurückblieb, ist er allein gegen alle. Aber nein, nicht allein. Er glaubt fest daran, dass Georgia zu ihm stehen wird.
Nach etwa zehn Meilen muss er das Gespann nach einer langen, eisigen Steigung verschnaufen lassen. Die Passagiere steigen aus der Kutsche. Und da geschieht es. Chugwater hat es erwartet, und deshalb ist er nicht überrascht, sondern hebt die Hände, als sie ihn mit ihren Colts bedrohen.
Borgnine und Pallace von der linken Seite her – und Hacket mit Jim San Saba von der rechten Seite. »Komm runter vom Bock, Chugwater«, sagt Borgnine. »Und versuch keine Dummheiten, denn gegen vier Colts bist du verdammt allein, nicht wahr, Bruderherz?« »Sehr allein«, pflichtet Chugwater bei. »Und auch überrascht. Warum versucht ihr das jetzt schon und nicht näher bei Last Chance? Es sind noch viele Meilen bis nach Last Chance. Glaubt ihr denn, den Weg finden zu können, obwohl er gar nicht zu sehen ist unter dem Schnee?« Da lacht Borgnine mit einem Klang von Selbstgefälligkeit. »O du Narr«, sagt er, »du hast uns tatsächlich für dumm gehalten. Es war für Barbara Laramie ganz einfach, sich mit der Frau des letzten Stationsmannes in der Küche zu unterhalten und sie nach dem Weg zu fragen. Barbara Laramie kennt den Weg jetzt sehr genau. Sie hat alle Landmarken im Kopf. Und sie kann uns jetzt führen.« »Und wer wird die Kutsche fahren?«, fragt Otis Chugwater sanft. Er blickt mit schief geneigtem Kopf zu Borgnine hinunter. »Ich fahre«, sagt da Jim San Saba. »Diese dreißig oder fünfunddreißig Meilen schaffe ich. Komm runter vom Bock, Freund Chugwater. Wir
haben beschlossen, dir nichts zu tun, wenn du vernünftig bist. Das war Barbaras, Hackets und meine Bedingung. Na, dann komm endlich!« Otis Chugwater gehorcht. Als er unten neben der Kutsche steht, tritt Hogjaw Pallace zu ihm, rammt ihm die Revolvermündung in den Magen und holt ihm den Colt aus der Manteltasche. Er wirft die Waffe weit weg. Sie fällt in einen Busch, der aus dem Schnee ragt. »Nimm die Hände hoch, Chugwater – nimm sie hoch!« Hogjaw Pallace knurrt es, und sein dreieckiges Kojotengesicht ist verzerrt. In seinen Augen glitzert es. Er trägt immer noch die Zeichen von Chugwaters Fäusten im Gesicht. Chugwater hebt langsam die Hände und blickt den Mann dabei fest an. »Lass ihn in Ruhe, Hogjaw«, sagt Borgnine ruhig. »Lass ihn in Ruhe.« »Sicher.« Hogjaw Pallace grinst. »Ich lass ihn ja.« Er nimmt die Revolvermündung von Chugwaters Magenpartie und wendet sich schon etwas zur Seite, so als wollte er gehen. Doch dann kommt sein gemeiner Trick. Er schlägt mit dem Colt zu, wobei er Chugwater die rechte Seite zuwendet, und er
schlägt von der Höhe seiner linken Schulterspitze nach rechts, bis sein Arm sich streckt. Er trifft Chugwater quer übers Gesicht. Unter dem Revolverlauf bricht Chugwaters Nasenbein. Es ist ein gemeiner Schlag, der Otis fast blind macht. Er muss auf die Knie, aber er wirft sich vor, so übel ihm auch ist. Er umfasst Pallaces Beine in Höhe der Kniekehlen, rammt seine Schulter gegen Pallaces Oberschenkel und bringt ihn zu Fall. Pallace schießt – rücklings am Boden liegend – überhastet in die Luft. Aber dann ist Chugwater über ihm. Und er gibt es ihm mit erbittertem Zorn. Er »reitet« gewissermaßen auf Pallaces Bauch, entwindet ihm den Colt, wirft ihn weg und schlägt dann beidhändig auf Pallace ein, bis dieser sich nicht mehr rührt. Er erhebt sich stöhnend. Es fehlt ihm an Luft nach diesem heftigen Ausbruch und dieser rasenden Tätigkeit. Sein Gesicht ist voller Blut, das aus seiner Nase und der aufgeplatzten Stirn rinnt. Der Schlag mit dem Colt hat ihn übel verletzt. Für einen Moment ist er blind, und er sucht nach seinem Halstuch, um es abzureißen und sich damit das Blut abwischen zu können. Doch da ist jemand bei ihm.
Es ist Georgia Shannon. Er hört ihre Stimme.
»Komm mit, Otis – komm und setz dich auf das Trittbrett der Kutsche, damit ich dir helfen kann. Ich habe hier ein Handtuch aus meiner Reisetasche und Wundpuder. Komm, Otis, ich will dir helfen!« Er gehorcht. Und nach einer Weile geht es ihm besser. Man hat auch inzwischen den Verbandkasten der Postkutsche gefunden. Georgia richtet ihm das Nasenbein und klebt ein breites Pflaster darüber, das ihm bis zu den Backenknochen reicht. Er sieht seltsam damit aus, fast komisch, so, als hätte er sich maskiert. »Wir müssen jetzt weiter«, drängt Borgnine. »Wir müssen Pallace in die Kutsche schaffen und selbst einsteigen. Helft mir! Er hat Pallace fast totgeschlagen. Also los, los, Leute!« »Ich bleibe bei ihm«, sagt Georgia. »Ich werde mit ihm die zehn Meilen zur Talla-Talla-Station zurückmarschieren. Das schaffen wir.« »Aber dann verlierst du deinen Anteil«, sagt Borgnine mit einem kehligen Lachen in der Stimme. »Ich pfeife darauf«, sagt sie. »Ich wollte nie einen Anteil von eurem Raubgeld haben. Ich wollte nur nach Last Chance kommen. Aber nun bleibe ich bei ihm!« Er hört ihre Worte, indes er noch auf dem Trittbrett der Kutsche sitzt und ihm allmählich besser wird.
Jim San Saba reicht ihm eine Whiskyflasche. »Nimm einen Schluck, Bruderherz«, sagt Jim San Saba dabei. »Und verüble mir diese Sache nicht zu sehr. Weißt du, bei solch einer Möglichkeit muss man einfach zupacken.« Chugwater trinkt zwei lange Schlucke, und sie tun ihm gut. Er versucht zu grinsen, doch er lässt es, weil seine gebrochene Nase zu sehr dabei schmerzt. Er blickt auf Hogjaw Pallace, der immer noch nicht wieder beisammen ist und dem Borgnine und Hacket nun auf die Beine helfen und ihn zur Kutsche bringen. Chugwater erhebt sich vom Trittbrett und macht ihnen Platz, damit sie Pallace in die Kutsche bringen können. Er hält immer noch die Flasche in der Hand und macht noch einen dritten Schluck. Dann gibt er sie Jim San Saba zurück. »Ich hätte dich für klüger gehalten, Jim San Saba«, sagt er. »Dich und Barbara. Ihr seid ein Paar geworden während der letzten Tage. Und wahrscheinlich wollt ihr gemeinsam ein neues Leben beginnen. Aber solch ein Raub ist ein schlechter Start in eine neue Zeit – ein sehr schlechter Start.« »Es kommt darauf an, von welcher Seite man es sieht«, sagt Jim San Saba. »Für einen Burschen wie mich, dessen Revolver man mieten konnte,
ist es der ganz große Coup und wahrscheinlich die letzte Chance. Wir alle in dieser Kutsche nach Last Chance haben irgendwie auch zugleich die letzte Chance, unser Leben zu ändern. Nun, mach es gut, Junge.« Er geht nach vorn und klettert zum hohen Bock hinauf. Nur noch Georgia Shannon steht bei Otis Chugwater. Er sieht sie nun an. »Steig ein«, sagt er. »Ich bleibe bei dir. Wir gehen die zehn Meilen zurück. Ich will dich nicht allein lassen.« Dies sagt sie trotzig. Aber er schüttelt den Kopf und murmelt: »Georgia, ich liebe dich. Das weißt du längst. Aber du hilfst mir am meisten, wenn du mit der Kutsche fährst. Denn allein komme ich besser zurecht als mit dir. Du würdest mir nur ein Hindernis sein. Wir sehen uns in Last Chance. Fahr also mit. Ich bitte dich darum.« Sie will trotzig reagieren. Doch dann erkennt sie in seinen Augen, dass noch mehr hinter seiner Bitte steckt. Aber er kann und will es nicht sagen. Sie begreift endlich, dass er sich längst noch nicht geschlagen fühlt und auch noch nicht aufgegeben hat. Einen Moment fühlt sie sich hilflos, weil sie ihm doch so gern helfen und beistehen möchte und er dies zurückweist. Aber dann erinnert sie
sich wieder an seine Worte. Er hat zu ihr gesagt: Du hilfst mir am meisten, wenn du mit der Kutsche fährst. Denn allein komme ich besser zurecht als mit dir. Der Ausdruck in seinem Blick bekommt nun für sie eine andere Bedeutung. Aus der Kutsche ruft Borgnine: »Also, wir fahren jetzt, Saba, auf was wartest du noch?« Georgia Shannon wendet sich halb und blickt zum hohen Bock der Kutsche hinauf. Oben sitzt Jim San Saba. Aber neben ihm nimmt Barbara Laramie den Platz des Begleitmannes ein. Sie ist von der anderen Seite hinaufgeklettert, und sie blickt starr geradeaus nach Süden. Aber Jim San Saba blickt zu Georgia nieder. »Ich warte noch zehn Sekunden«, sagt er. »Dann fahre ich los. Und ich nehme dich gern mit, obwohl dies meinen Anteil schmälern wird.« Georgia zögert noch immer. Drinnen in der Kutsche klingt Hogjaw Pallaces stöhnende und heiser klingende Stimme: »Lasst mich raus und gebt mir meinen Colt! Ich will ihn umbringen! Oh, ich will diesen Hundesohn umbringen – und wenn ich selbst dabei verrecke! Ich will ihn töten!« Da entschließt Georgia sich. »Ich warte in Last Chance auf dich«, sagt sie und steigt ein.
Hacket ist es, der den Wagenschlag zuzieht. Dann fährt die Kutsche an. Otis Chugwater steht neben der Fährte, die sechs Pferde und vier Räder hinterlassen und sieht der Kutsche nach. Dann betastet er stöhnend seine Nase und das zweite Pflaster auf der Stirn. Dennoch ist er froh, dass alles so gut abging. Es hätte schlimmer kommen können. Was sind schon eine gebrochene Nase und eine Platzwunde auf der Stirn, wenn es dafür keine Toten gab? Als die Kutsche hinter einem Hügel verschwunden ist, bewegt Chugwater sich wieder. Er geht zu dem Busch hin, um zwischen dessen eiserstarrten Gerten nach seinem Colt zu suchen. Als er die Waffe gefunden hat, überprüft er sie sorgfältig. Denn ohne Colt wäre er verloren. Nach diesem Blizzard streifen gewiss Wölfe umher und suchen nach Wild. Wenn sie von ihm Witterung bekommen, wird er ziemlich übel in eine Klemme geraten – es sei denn, die Wölfe wittern ein anderes Wild, welches leichter zu töten ist. Doch er marschiert nicht zur Talla-TallaStation zurück, von der sie kamen und die am nächsten ist. Nein, er geht hinter der davongefahrenen Kutsche her. Und er grinst dabei.
Barbara Laramie hat die Landmarken, die ihr die Frau des Stationsmannes in der Küche beschrieb, genau im Gedächtnis. Sie gibt Jim San Saba immer wieder die Richtung an. Manchmal betrachten sie sich. Und sie wissen, dass sie sich einig sind und es gemeinsam noch einmal in diesem Leben versuchen wollen. Ein Revolverheld und eine Abenteuerin, die an eine letzte Chance glauben und die es für symbolisch halten, dass sie nach Last Chance unterwegs sind. Nach einer Weile sagt sie: »Du gehst mit dem Gespann fast genauso gut um wie Otis Chugwater. Auch du hast gewiss schon Postkutschen gefahren.« »Nur einmal«, sagt er. »Und nur wenige Meilen. Doch ich bin ein Bursche, der stets schnell lernen musste. Es gab immer wieder Situationen in meinem Leben, da half mir nur schnelles Lernen.« Er macht eine Pause. Dann spricht er weiter: »Ich war nach Last Chance unterwegs, um dort für tausend Dollar einen Mann zu töten. Aber ich werde es nicht tun. Ich werde dem Mann, der mich anwarb, die tausend Dollar zurücksenden
und mit dir ein neues Leben beginnen. Ich will nicht mehr töten, nicht mehr ein Killer mit einem Colt sein. Nein, alles soll anders werden!« Er verstummt sehr entschlossen. Und Barbara Laramie schweigt eine Weile. Sie blickt auf die ferne hornartige Bergspitze, die ihnen für die nächsten Meilen als Richtpunkt dient. Dann fragt sie: »Jim, wie heißt der Mann, den du töten solltest? Und wann wirst du mir endlich deinen richtigen Namen nennen?« Er lächelt seltsam. »Ach, ich bin Jim Sabasan«, sagt er, »YellowJim Sabasan. Drunten im Süden bin ich bekannt. Manche Leute sprechen meinen Namen wie einen Fluch aus. Aber ich will das alles vergessen – mit dir, Barbara.« »Und der andere Name?«, fragt sie ernst. »Wie ist der Name des Mannes, den du für tausend Dollar töten sollst?« Er zögert nur kurz. »Den können wir vergessen«, sagt er dann. Aber sie schüttelt den Kopf. »Nein«, sagt sie, »denn auch ich war hinter einem Mann her, um ihn zu töten. Und auch Georgia Shannon war es. Es ist ein Mann mit vielen Namen. Georgia Shannon nannte ihn Johnny Duane, und er soll groß sein, sehr groß, blond und wie ein Sieger wirken, mit einem
Lächeln, das jedes Misstrauen zerstört. Der Name stimmt nicht, wohl aber die Beschreibung. Denn so sah auch der Mann aus, den ich suchen und töten wollte. Nur hieß er bei mir Johnny Johnstone. Wie hat man dir den Mann beschrieben, den du töten solltest, Jim?« »Es könnte fast mein Zwillingsbruder sein«, sagt Jim Sabasan, »blond, groß, mit blitzenden Zähnen – nur als Mann hübscher, einer von der Sorte, bei der die Frauen ihren Atem anhalten. Und er hieß Johnny Jacks.« »Dreimal Johnny, das kann kein Zufall sein«, murmelt Barbara Laramie. »Dreimal Johnny und dreimal die gleiche Beschreibung. Jim, du, Georgia und ich, wir waren hinter dem gleichen Burschen her.« »Ja, wahrscheinlich. Aber wir waren es, nicht wahr? Wir sind es nicht mehr, oder?« Barbara Laramie zögert. Dann nickt sie. »Ja, das ist wohl vorbei – ich meine, dieser Wunsch nach Rache. Wir werden eine neue Zeit beginnen, eine völlig neue Zeit, Jim. Ich bin sehr froh, dass ich mit dieser Kutsche fuhr – und dass der Blizzard kam, der uns einschloss in diesem Stationshaus. So lernten wir uns kennen und kamen uns näher. Jim, ich bin ein gebranntes Kind, doch ich will es noch einmal versuchen. Ich will noch einmal einem Mann vertrauen, noch
einmal einen Mann lieben und ihm geben, was eine Frau zu geben vermag.« »Und du sollst es nicht zu bedauern haben«, erwidert Jim Sabasan. »Ich will dich achten und lieben wie bisher keine. Denn irgendwie sind wir artverwandt. Ja, für uns beginnt in Last Chance eine neue Zeit. Wir werden uns dort nur so lange aufhalten, bis die nächste Kutsche nach Oregon fährt. Doch vorher müssen wir mit den anderen teilen. Und wir werden aufpassen müssen, dass Borgnine und Pallace uns nicht betrügen.« Sie schweigen wieder eine Weile. Jim Sabasan kommt mit dem Sechsergespann wirklich gut zurecht. Er ist ein Mann, der schnell lernt. Nach einigen Meilen weist Barbara Laramie ihn auf eine neue Landmarke ein. Diesmal ist es ein Hügelsattel, auf dem ein roter Felsen zu erkennen ist, und rote Felsen sind selten in diesem Land. »Dort liegt die letzte Station vor Last Chance«, sagt sie. »Das ist die Red Rock Station.« Er nickt nur. Aber als er zu sprechen beginnt, zeigt er, mit was seine Gedanken sich beschäftigen. »Dieser Johnny mit den drei Nachnamen«, beginnt er, »muss wahrhaftig eine Menge auf dem Kerbholz haben. Und weil er so außergewöhnlich gut aussieht, war es sehr leicht
für uns, seiner Fährte zu folgen. Er kam im vergangenen Sommer mit einem Schiff nach Great Falls – und er hatte ein hübsches Girl bei sich. Sie wohnten etwa eine Woche in Great Falls und nahmen dann die nächste Postkutsche. So war es doch – oder? Das hast auch du herausgefunden, ja?« Sie nickt. »Und Georgia bekam einen Hilferuf von ihrer Schwester Stella«, sagt sie. »Denn diese Stella muss das hübsche Mädchen gewesen sein, mit dem er hier ankam. Er lässt Stella in einem Bordell arbeiten. Er ist wahrhaftig ein Bursche, den man eigentlich nicht davonkommen lassen sollte.« Aber er schüttelt sofort den Kopf. »Nein, ich mache das nicht mehr. Aber Otis Chugwater wird es machen. Georgia wird von ihm in Last Chance Hilfe bekommen. Bestimmt! Wir brauchen uns nicht darum zu kümmern.« Er schweigt einen Moment und lässt die Peitsche knallen. Dann pfeift er durch die Zähne. »Das Schicksal«, sagt er, »treibt doch mit uns Menschen oft merkwürdige Spaße. Wir waren zu dritt hinter dem gleichen Schuft her, ohne es zu wissen. Doch zwei von uns geben jetzt auf. Aber das nützt ihm wenig, diesem Johnny. Dass wir alle in der gleichen Kutsche fuhren, war vielleicht nicht mehr besonders zufällig. Es war die letzte
Kutsche. Führe noch eine, dann kämen vielleicht noch weitere Rächer auf der Fährte dieses Burschen. Er muss es schlimm getrieben haben.« Er beugt sich zur Seite. »Gib mir einen Kuss, Barbara. Ich werde dir treu sein. Mit mir kannst du es unbesorgt versuchen. Küss mich!«
10
Etwa zur selben Zeit, da sich Barbara Laramie und Jim Sabasan hoch oben auf dem Bock der fahrenden Kutsche im kalten Wind küssen, sieht Otis Chugwater auf seiner Fährte den Reiter mit dem ledigen Pferd kommen. Ja, es ist der Stationsmann Rae Breahitt, in dessen Station sie den Blizzard abgewartet haben, der Halbblutmann, der zu stolz war, ein Dieb zu werden. Er trabt mit seinen beiden Pferden heran und hält bald schon bei Chugwater. Sie betrachten einander einige Atemzüge lang schweigend. Dann sagt Rae Breahitt: »Die haben also immer noch nicht gemerkt, dass in der Geldkiste gar kein Geld mehr ist. Sonst ständest du nicht hier. Oho, die glauben immer noch, dass die Kiste voller Geld ist?« Chugwater nickt. »Sie werden das neue Vorhängeschloss erst sprengen, wenn sie das Geld teilen wollen. Das wird kurz vor Last Chance sein, denke ich. Vielleicht hole ich sie ein, wenn die Eisen des Pferdes scharf genug sind an ihren Stollen, sodass ich scharf reiten kann auf diesem vereisten Schnee.« »Sie sind scharf«, sagt Rae Breahitt und wirft ihm die Zügelenden zu. »Es ist alles dabei – ein
Gewehr, eine Flasche Whisky gegen die Kälte, etwas Proviant und Munition in den Satteltaschen. Und hinter dem Sattel in der Deckenrolle der wasserdichte Postsack mit dem Geld. Bis auf den letzten Dollar ist es vorhanden. Willst du nachsehen?« Er fragt es mit einer Spur von Stolz. Chugwater schüttelt den Kopf. »Dir traue ich«, sagt er. »Denn du gehörst zur Postlinie. Dir vertraut man, so wie man mir vertraute. Nein, ich will nicht nachsehen.« Er sitzt auf. Als er auf Breahitt blickt, wirkt dieser nachdenklich. »Ist noch etwas, Rae?« Der nickt. »Es wird nicht ganz einfach sein«, sagt er dann. »Ich habe den ganzen Weg bis hierher über das Geld nachgedacht – und darüber, was man alles damit machen könnte. Für einen Mann, dem die Frau und die Kinder wegliefen, war das eine verlockende Sache. Es wird gewiss auch schwer für dich sein. Du wirst dir überlegen, ob es vielleicht lohnend wäre, sich einfach davonzumachen mit dem vielen Geld. Es ist ein ganzer Sack voll. Nun, ich denke, dass es dir helfen wird, zu wissen, dass auch ich fast der Verlockung erlag und dennoch widerstand. Dir wird es nicht anders ergehen.« Nach diesen Worten wendet er sein Pferd.
»Vielleicht kommt meine Frau mit den Kindern im Frühling wieder zu mir auf die Station«, sagt er und reitet davon. Chugwater sieht ihm einige Atemzüge lang nach. Und er verspürt eine Menge Achtung und Respekt vor diesem Halbblutmann. Dann reitet er an. Und er merkt gleich, dass die Stollen der Eisen seines Pferdes gerade richtig sind für Schnee und Eis. Und es ist ein gutes Pferd, das man hundert Meilen reiten könnte.
Auch die letzte Station bringt die Kutsche hinter sich. Nur hat Jim Sabasan mit dem frischen Gespann höllisch viel Arbeit. Er schafft es erst nach einigen Meilen, es einigermaßen unter Kontrolle zu bekommen. Der Tag nähert sich dem Ende. Sie befinden sich schon in der großen mächtigen Last Chance Gulch, die sich durch die Big Belt Mountains zieht und überall durch Quercanyons geteilt wird. Lichter sind da und dort in der Dämmerung zu erkennen. Es sind schon Minen- oder GoldgräberCamps. Dies ist alles schon Goldland.
Wenn es dunkler sein wird, muss man gewiss schon die Lichter von Last Chance in der Gulch erkennen können. Borgnine steckt den Kopf zum Fenster heraus und ruft schräg nach oben: »Du kannst jetzt anhalten, San Saba! Anhalten! Wir werden hier teilen, bevor wir weiterfahren. Die Kiste werfen wir einfach weg. Wir machen alles so, wie wir es besprochen haben.« Jim Sabasan hält sofort an. Die Männer klettern aus der Kutsche, und nur Georgia bleibt drinnen sitzen. Sie denkt an Otis Chugwater und bedauert, dass sie nicht ausgestiegen und bei ihm geblieben ist. Borgnine und Hacket strecken ihre Hände empor, um die Kiste in Empfang zu nehmen, die ihnen Jim Sabasan reicht. »Wer hat denn eigentlich das neue Schloss davor gehängt?«, will nun Hacket wissen, indes er zusieht, wie Borgnine aus dem Werkzeugkasten der Kutsche eine Brechstange nach vorn bringt. Er steckt das Ende in den Bügel des Vorhängeschlosses und bricht es dann mit roher Gewalt auf. »Es war doch idiotisch, dieses Schloss zu erneuern«, sagt Borgnine, indes er niederkniet, den Deckel zu öffnen. »Da hat sich dieser
Chugwater gedacht, er könnte mit einem neuen Schloss verhindern, dass sich jemand von uns schon ein paar Geldpäckchen in die Taschen steckt. Na ...« Weiter spricht er nicht. Denn inzwischen hat er den Deckel geöffnet. Und nun sehen sie alle, was in der Kiste ist. Holzscheite sind es, Holzscheite, wie sie in der Holzkiste neben dem Kochherd der Station lagen, in der sie den Blizzard überlebten. Sie starren alle auf die Holzscheite in der Geldkiste, so, als könnten sie nicht glauben, was sie sehen. Zuerst beginnt Hogjaw Pallace zu fluchen. Es sind scheußliche Flüche, und er gebärdet sich dabei, als würde ihn die Wut innerlich zerreißen, als könne er nur weiterleben, wenn er die ganze Welt verfluchte. Er bückt sich dann und kippt den Inhalt der Kiste aus. Aber es sind nur Holzscheite darinnen, nichts sonst. Die anderen starren immer noch ungläubig. Dann sagt Ernest Hacket: »Er hat uns reingelegt. Er verstand es, das Geld gegen Holzscheite auszutauschen, ohne dass wir es merkten. Und weil das Schloss vorgehängt wurde, sah niemand mehr nach. Ja, jeder von uns war sogar irgendwie froh darüber, dass niemand in die Versuchung geriet, sich schon vor dem
großen Teilen ein paar Päckchen in die Tasche zu stecken. So war es doch! Wir alle waren insgeheim froh über das neue Vorhängeschloss. Aber er legte uns rein. Der hat es ganz genau ausgerechnet, wusste ziemlich genau, was wir tun würden, und handelte danach. Jetzt denkt mal nach, Leute, denkt mal gründlich nach.« Auch in Ernest Hackets Stimme trat mehr und mehr der Klang von böser Wut. Und dennoch spricht er auch mit einer Spur von Bewunderung und Respekt. Die anderen aber denken nach. Sogar Hogjaw Pallace ist jetzt still und versucht es mit Nachdenken. Barbara Laramie und Jim Sabasan stehen ein paar Schritte abseits der anderen Gruppe. Und auch Georgia gehört nicht dazu. Sie blickt durch die offene Tür aus der Kutsche. Borgnine, Pallace und Hacket sind der Kern, von dem jedes neue Handeln ausgehen wird. Barbara Laramie sucht Jim Sabasans Hand, und Jim Sabasan nimmt diese Hand und hält sie fest. Sie spüren an ihrem Händedruck, dass sie auch ohne das viele Geld zusammenbleiben werden. Es hat nicht geklappt mit dem großen Coup. Es hatte nicht sollen sein, dass sie einen so leichten und großartigen Anfang bekommen
sollten. Nein, so leicht macht ihnen das Schicksal den neuen Anfang nicht. Es gibt nichts geschenkt. Dies alles erkennen und begreifen sie, indes sie nebeneinander verharren und die Hände halten. Dabei beobachten sie die drei anderen Männer, die um die ausgeleerte Kiste und die Holzscheite stehen und darauf starren in der zunehmenden Dämmerung, als könnten sie durch hypnotische Kräfte aus den Holzscheiten wieder Geld machen. Doch das geht nicht. »Oh, mir fällt nichts ein«, stöhnt Hogjaw Pallace dann knirschend. »Mir aber«, knurrt Borgnine und sieht Ernest Hacket an. »In der Kutsche wird das Geld nicht sein«, sagt er. »Doch wir können gleich mal nachsehen, damit wir auch wirklich keinen Fehler mehr machen. Es wird so sein, dass Chugwater mit dem verdammten Halbblutmann zusammengearbeitet hat. Ich denke mir die Sache etwa so: Einer von den beiden Hundesöhnen hat das Geld mit den Holzscheiten vertauscht. Und sie haben sich genau abgesprochen. Ich wette, dass Breahitt das Geld auf unserer Fährte nachgebracht hat und inzwischen längst auf Chugwater gestoßen ist. Chugwater sitzt jetzt mit dem Geld auf einem Gaul und ist nach Last Chance unterwegs. Richtig?«
»Richtig«, nickt Hacket. »So sehe ich es auch. Und wenn Chugwater kommt, muss er auf diesem Weg in die Gulch rein. Und er muss das Geld bei der Post- und Frachtagentur abliefern. Er kann sich vielleicht hier in der Gulch an uns vorbeischleichen – doch nicht, wenn wir dicht genug bei der Post- und Frachtagentur auf ihn warten. Wenn wir ihn rechtzeitig packen, wird es wie eine persönliche Fehde aussehen. Denn bis jetzt weiß noch niemand etwas von dieser Postkutsche und einem Geldtransport. Na?« Borgnine nickt. Er sieht Hogjaw Pallace an. »Hast du das verstanden?« »Haltet ihr mich für blöd?«, faucht dieser. »Der soll nur kommen. Den fülle ich mit Blei, dass er in der Hölle bis auf den tiefsten Grund sinkt!« Borgnine wendet sich an Jim Sabasan. »Also los, San Saba«, sagt er. »Wir fahren weiter. Wir fahren so dicht wie möglich an die Stadt heran, bevor wir die Kutsche stehen lassen und den letzten Rest des Weges zu Fuß gehen. Dann bleibt es noch eine Weile unbekannt, dass eine Kutsche aus Great Falls gekommen ist. Na los, auf was warten wir noch!« Barbara Laramie blickt zu Jim Sabasan empor. Aber dieser nickt Borgnine zu. »Sicher, wir fahren weiter«, sagt er. »Wir können hier wirklich nicht übernachten. Es ist zu kalt.«
Er setzt sich in Bewegung. Barbara Laramie bleibt an seiner Seite. Selbst jetzt noch – als das Ziel längst vor ihren Augen erkennbar ist und sie ihn nicht mehr nach Landmarken dirigieren muss, bleibt sie bei ihm und klettert zu ihm auf den hohen Bock. Er fährt wieder an, und er lässt die Kutsche vorsichtig rollen, damit sie nicht so großen Lärm macht. Die Nacht bricht schnell herein, und es wird eine sehr dunkle Nacht. Überall leuchten jetzt Feuer und Lichter. Die Straße, auf der sie fahren, ist auch wieder erkennbar, denn es gibt hier Huf- und Wagenspuren. Auch Schlitten verkehrten schon. Aber leider wird die Sicht von der zunehmenden Nacht immer mehr verschlechtert. Sie zünden jedoch die Laternen der Kutsche nicht an. Jim Sabasan fährt auf die Lichter von Last Chance zu und verlässt sich darauf, dass die Führungspferde das Gespann auf der Straße halten werden. Sie schweigen die erste Meile. Einmal kommen ihnen einige Reiter, dann etwas später ein Schlitten und zwei Wagen entgegen. Eine Stimme ruft: »He, ist das eine Post aus Great Falls? Warum habt ihr eure Lampen nicht angezündet?« Aber sie geben keine Antwort, sind im Gegenverkehr auch schnell vorbei.
Erst als die Lichter rechts und links unterhalb der Gulchhänge immer zahlreicher werden und Last Chance kaum noch eine knappe Meile vor ihnen liegt, sagt Barbara Laramie spröde: »Willst du das mitmachen, Jim? Willst auch du ihm auflauern vor der Posthalterei?« »Oh, darüber denke ich schon die ganze Zeit nach«, erwidert er heiser. »Was soll ich denn tun, Barbara – was soll ich tun? Es geht um eine Menge Geld. Jeder von uns bekäme einen Anteil. Das ist viel Geld, gewaltig viel Geld. Kann man das so einfach aufgeben?« »Es würde uns kein Glück bringen, Jim«, sagt sie. »Denn sie werden Chugwater töten müssen, um es zu bekommen. Ja, diesmal wird Chugwater kämpfen. Und er ist ein redlicher Mann. Wahrscheinlich verdanken wir ihm sogar unser Leben, denn er brachte uns mitten durch einen tobenden Blizzard zu einem geschützten Ort. Jim, du musst ihm beistehen. Ja, ich sehe es jetzt so, dass es für uns kein Glück geben kann, wenn wir durch einen Mord zu Geld kommen. Ich habe es mir den ganzen Weg überlegt. Jim, ich möchte ohne Schatten der Vergangenheit mit dir glücklich sein. Bitte, Jim ...« Er nickt in der Dunkelheit neben ihr auf dem hohen Bock. Dann biegt er von der Straße ab, denn in der Dunkelheit erkannte er mit scharfen Augen einen
großen Felsen, der so groß wie eine Kirche gegen den nur wenig helleren Himmel ragt. Es gelingt ihm, die Kutsche so dicht wie möglich an diesen Felsklotz heranzufahren. »Na schön«, murmelt er und hilft Barbara herunter, nachdem er zu Boden sprang. Die drei anderen Männer klettern indes aus der Kutsche. »Gut gemacht, Jim«, sagt Borgnines Stimme. »Jetzt nehmen wir unser Gepäck und gehen zu Fuß nach Last Chance weiter. Nein, nicht zu Pferd! Wir müssten die Tiere ohne Sättel reiten. Überdies tragen sie alle das Brandzeichen der Postlinie. Nein, wir sickern unauffällig in die Stadt ein. Barbara und Georgia können gleich in ein Hotel gehen und dort auf uns warten. Wir lauern diesem schlauen Fuchs Chugwater auf. Na?« Niemand erhebt Einspruch – auch Georgia nicht. Denn es ist ja klar, dass sie erst einmal in die Stadt müssen. Doch »Stadt« – das ist wahrscheinlich für Last Chance zu großartig ausgedrückt. Denn es ist ja eigentlich nur ein wildes Goldgräber-Camp, auch wenn jetzt an die fünftausend Menschen dort leben sollen, wie man schon in Great Falls hörte. »Wir müssten eigentlich die Pferde ausspannen«, sagt Jim Sabasan.
»Nein«, widerspricht Borgnine sofort. »Die laufen sofort zum Stall der Postlinie und verraten, dass etwas nicht stimmt. Nein, die erfrieren schon nicht. Und morgen sieht man sie ohnehin von der Wagenstraße her. Also los! Gehen wir!«
Die Post- und Frachtstation von Last Chance liegt gleich am Anfang der Goldgräber- und Minenstadt. Es ist relativ still und ruhig hier am Anfang von Last Chance. Wahrscheinlich fahren auch die Postkutschen erst weiter hinein und halten bei den größeren Hotels, um dann wieder zu wenden. Louis Borgnine hat das Kommando übernommen. »Ihr beide geht in das erste größere Hotel auf der rechten Straßenseite«, sagt er zu Georgia Shannon und Barbara Laramie. »Und wenn euch jemand fragt, woher ihr kommt, dann sagt, dass ihr mit Freunden in eigenen Fahrzeugen aus Bozeman von Süden her kommt. Von Laramie her also. Verstanden?« Georgia will etwas erwidern, doch Barbara drückt ihren Arm; es ist ein deutliches Zeichen, still zu sein und zu gehorchen. Sie gehen. Doch als sie außer Hörweite sind, hält Georgia inne.
»Ich setze mich doch nicht in ein Hotel und warte dort, dass sie Otis umbringen«, sagt sie. »Das glaubt ihr doch wohl nicht?« »Nein, ich nicht«, sagt Barbara. »Und ich kann dir jetzt sagen, dass Jim ihm beistehen wird. Jim ist auf Chugwaters Seite. Ich gebe dir mein Wort darauf. Er hilft ihm – und zusammen werden sie es schaffen. Also gehen wir weiter. Jim sagte mir, dass er und Otis sicherlich besser kämpfen könnten, wenn sie uns in Sicherheit wüssten. Na?« Georgia begreift sofort, was dieses »Na« zu bedeuten hat. Barbara hätte auch fragen können: Traust du mir oder nicht? »Ich vertraue dir«, sagt Georgia. Sie gehen weiter und tragen ihr Gepäck. Je weiter sie in die Stadt hineinkommen, umso lebendiger wird diese. Obwohl es Winter ist, die Kälte nach Anbruch der Nacht zunimmt und überall noch hartgefrorener Schnee liegt, ist überall Bewegung auf der Hauptstraße. Da und dort sind Pferde und Fahrzeuge abgestellt. Männer wandern von einem Lokal zum anderen. Sie kommen auch aus den Gassen heraus von irgendwoher. Es gibt Bratstände neben Holzkohleöfen. Saloons, Spielhallen und kleine Kneipen reihen sich aneinander.
Ein Rudel von Minenarbeitern und Goldgräbern entdeckt die beiden Frauen. Sie umringen diese. Einige versuchen, ihnen das Gepäck abzunehmen. Und es werden allerlei anzügliche Worte gerufen, denn die meisten der Burschen sind schon angetrunken. »Schwester, wie wär es denn mit uns beiden? Du wärst ganz genau mein Fall, Honey!« Oder: »Seht euch diese Bienen an! Wo kommen die denn her? He, für euch würden wir eine Menge springen lassen! Wie wär es denn?« Es fallen noch weitere Reden von größerer Deutlichkeit. Denn die Männer hier gehen wahrscheinlich davon aus, dass zu dieser Stunde keine anständigen Frauen mehr auf der Straße sind. Barbara und Georgia begreifen schnell, in was für ein wildes Camp sie gekommen sind. Sie weichen bis an die Hauswand zurück. Dann lassen sie ihre Gepäckstücke fallen und greifen in die Manteltaschen. Als sie ihre kleinen Waffen herausholen, merken die sie umringenden Männer noch nicht viel. Doch dann schießt Barbara vor sich in den Boden. Und da weicht das wilde Rudel zurück. Das Lachen, Grölen und Zotenreißen verstummt jäh.
In diese Stille sagt Barbara Laramies Stimme herb: »Vor ein paar Tagen mussten wir draußen in der Prärie ein paar Indianer umlegen, und wir sehnten uns nach einer Stadt mit weißen Gentlemen. Doch wir kamen in ein Drecknest voller Strolche. Jetzt müssen wir wahrscheinlich ein paar von euch Dreckskerlen umlegen. Na los doch! Kommt her oder haut ab! Wie wollt ihr es haben?« Sie stehen da, sind plötzlich ernüchtert und staunen. Denn in ihrer Stimme lag die ganze Verachtung der Welt. »Richtig«, sagt nun Georgia mit genau der gleichen Verachtung in der Stimme. »Was ist schon ein Unterschied zwischen denen und den betrunkenen Indianern? Denen da würde ich genauso in die Bäuche schießen.« Sie wirken nun noch nüchterner. Immer noch stehen sie staunend da. Das Camp summt und braust. Man hört da und dort aus einigen Tingeltangel Musik. Einer der Männer nimmt seine Pelzmütze ab, zwei andere ihren Hut. Und einer der beiden letzteren sagt: »Bitte entschuldigen Sie, Ladys! Ja, wir sind wohl etwas verwildert. Aber Sie haben uns schon zur Vernunft gebracht. Bitte verzeihen Sie uns haarigen Affen die Belästigung.«
Er setzt seinen Hut wieder auf und wendet sich an die anderen. Es sind sieben oder acht. »Also kommt, Jungs! Betrinken wir uns weiter! Halten wir die beiden schönen Ladys nur für einen Traum. Gehen wir!« Georgia und Barbara nehmen ihr Gepäck wieder auf. Als sie den Eingang des Last-Chance-Hotels erreichen, halten sie nicht inne. Es ist ihnen völlig gleich, was für ein Hotel es ist. Sie gehen hinein, denn es kann jetzt für sie nur noch besser werden. Die Anmeldung erfolgt schnell und glatt. Ein alter Mann erledigt das, und er wundert sich nicht einmal über das so plötzliche Auftauchen zweier besonders schöner Frauen, die allerdings etwas mitgenommen wirken. Er fragt nicht einmal, woher sie kommen. Aber wahrscheinlich leben in einigen nahegelegenen Camps einige Frauen, und so nimmt er vielleicht an, die zwei hier wären nach Last Chance gekommen, weil ihre Lebensverhältnisse in den Camps für Frauen zu hart waren. Er gibt ihnen den Zimmerschlüssel. »Ich kann hier nicht weg«, sagt er. »Und unser Bursche ist beim Abendessen.«
»Oh, wir tragen das Gepäck schon allein«, sagt Barbara. Als sie auf dem Weg zur Treppe sind, kommen sie an einer offenen Tür vorbei, die von der Hotelhalle in den Speisesaal führt. Düfte dringen zu ihnen, herrliche Speisedüfte, die ihnen ein Gefühl der Schwäche und des Hungers verschaffen. Sie verhalten und werfen einen Blick in den Speisesaal. Aber dann vergessen sie ihr Hungergefühl. Denn beide – unabhängig voneinander und ohne zu wissen, dass es gewissermaßen doppelt geschieht – starren auf einen Mann, der an einem Tisch sitzt und es sich offensichtlich schmecken lässt. Der Mann sieht sie nicht, denn er ist mit Essen und Trinken beschäftigt an einem kleinen Tisch mit Kerzenlicht. Wie auf Kommando gehen Barbara und Georgia nach dem sekundenlangen Verhalten und Starren weiter. Und wieder tun sie es gemeinsam, so als würden sie von einem einzigen Gedanken bewegt. Aber am Fuß der Treppe halten sie an. Sie betrachten sich. Dann fragt Barbara: »War er das?« Georgia nickt.
»Dann ist es derselbe Bursche«, murmelt Barbara. »Sollen wir zu ihm hingehen und ihn vom Stuhl schießen?« Georgia erschrickt. Sie wirkt einen Moment hilflos, ja sogar erschüttert. »Ich kann es kaum glauben«, murmelt sie und hält sich am Ende des Treppengeländers fest. »Wir haben denselben Mann verfolgt und ...« »... und wahrscheinlich ist es auch derselbe Mann, den Jim für jemanden töten sollte«, unterbricht Barbara sie. »Wir fanden uns nicht zufällig, sondern irgendwie ganz folgerichtig in der letzten Kutsche nach Last Chance zusammen. Das musste sich eigentlich so ergeben, wenn ein Bursche wie der da eine solche Menge Schatten auf seiner Fährte hat. Überall dort, wo er längere Zeit blieb, musste ihn seine Vergangenheit einholen. Ich bekomme von ihm fast viertausend Dollar.« »Und ich meine Schwester Stella«, sagt Georgia. »Wenn er uns nicht sagt, in welchem Hause er sie arbeiten lässt, werden wir alle Häuser dieser Art durchsuchen müssen.« »Pah, das wäre leicht«, sagt da Barbara geringschätzig. »Ein nettes Mädchen, das Stella heißt und käuflich ist, kennen hier viele Männer.« Sie verstummt spröde und hart.
Georgia zuckt zusammen wie unter einem Messerstich. »Daran wirst du dich gewöhnen müssen – an diese nackte Tatsache«, sagt Barbara zu ihr. »Da hilft nichts, gar nichts!« Georgia nickt. »Er wird noch eine Weile essen. Wir gehen hinauf und bringen uns etwas in Ordnung. Denn ich möchte nicht von einer Reise so mitgenommen aussehen, wenn wir ihn uns vornehmen. Und wir werden ihn uns vornehmen. Nicht wahr, Schwester?« Barbara nickt. Sie nehmen ihr Gepäck wieder auf. Aber oben auf dem Zimmer fallen sie einander in die Arme. Sie weinen ein wenig und können ihre Erregung nicht so schnell unter Kontrolle bekommen. »Alles ist verrückt. Die ganze Welt ist verrückt«, sagt Georgia immer wieder mit zitternder Stimme. »Und das Schicksal spielt mit uns. Wir haben unsere eigenen Sorgen und müssen überdies auch noch Angst haben um die Männer, die wir lieben. Was ist, wenn Otis in die Falle rennt und Jim ihm nicht helfen kann? Wenn ich daran denke, könnte ich vor Angst verrückt werden. Und dann scheint mir die Rache an diesem Johnny unwichtig zu sein. Oh, meine arme Schwester ...«
Sie ist verwirrt und ratlos. Aber sie gibt sich Mühe, dagegen anzukämpfen, zumal Barbara überzeugt sagt: »Jim hilft ihm, und zusammen schaffen sie es bestimmt. Und auch wir schaffen diesen Johnny und holen deine Schwester heraus. Wir schaffen ihn. Verlass dich darauf!«
11
Als sie in der Nähe der Postagentur sind, halten sie an. Louis Borgnine sagt leise: »Es ist ganz einfach. Dort, wo die beiden Laternen brennen, ist die Post-und Frachtagentur. Ihr könnt das auf dem Schild lesen. Chugwater muss dort sein. Es wird noch einen Hintereingang geben. Nun, ich denke, dass Hogjaw und ich vorn und ihr zwei hinten wartet. Ich wette, er kommt innerhalb einer Stunde. Wir schießen ihn nieder und nehmen das Geld. Er wird es in einem Sack transportieren. Und er wird wahrscheinlich zu Fuß kommen, weil er mit einem Hinterhalt rechnet. Doch er kommt. Dessen bin ich sicher. Der gehört zu jenen Burschen, die es bis zum Ende auskämpfen.« Sie trennen sich nun. Hacket und Sabasan gehen in den Wagenhof hinein und gelangen zwischen den Corrals hindurch zur Hinterseite der Postagentur. Sie verharren bei einem Stapel Bretter und Bauholz, der sie etwas vor dem kalten Nachtwind schützt, der durch die Gulch weht. Zwei Hinterfenster der Agentur sind erleuchtet. Im herausfallenden Lichtschein kann man die Hintertür erkennen. Ihr Platz ist gut gewählt.
Eine Weile verharren sie schweigend nebeneinander. Nur Jims Magen knurrt manchmal hörbar. Nach einer Weile murmelt Jim Sabasan: »Hast du wirklich vor, ihn einfach abzuknallen, Hacket?« Dieser lässt ihn eine Weile auf eine Antwort warten. Jim Sabasan jedoch spürt, dass Hacket gründlich nachdenkt und sich die Antwort reiflich überlegt. Erst nach einer Weile sagt der Spieler: »Für eine solche Menge Geld muss man wohl auch eine Menge tun und auf sein Gewissen nehmen. Eine solche Menge Geld bekommt man nicht für einen Apfel und ein Ei. Ja, ich werde auf ihn schießen, um endlich mal reich zu sein. Ich habe die Schnauze voll vom Spielen und den Kartenkunststückchen. Ja, ich habe genug. Ich wage es und setze all meine Chips auf dieses Spiel. Voller Einsatz, voller Gewinn. So ist es wohl. Richtig?« Nun denkt Jim Sabasan nach – aber nein, es ist kein Nachdenken, es ist mehr ein Zögern. Denn er mag den Spieler irgendwie. Denn obwohl Hacket ein Spieler und er, Jim Sabasan, ein Revolvermann ist, sind sie sich ähnlich. Sie vertrauen auf ihr Glück und ihre Geschicklichkeit.
Manchmal verloren sie – doch nie so sehr, dass es aus war mit ihnen. Ja, er mag diesen Hacket. Dennoch muss er ihn jetzt ausschalten. Er wendet sich Hacket zu, als wollte er ihm etwas sagen. Hacket wartet ja auch auf eine Antwort. »Du wirst mir das verzeihen müssen, Hacket«, murmelt Jim Sabasan, und er murmelt es etwas undeutlich, sodass Hacket die Worte nicht sogleich versteht und etwas Zeit braucht, sie zu begreifen. Dann schlägt Sabasan zu. Es ist ein kurzer, trockener, präziser Schlag an Hackets Kinn. Sabasan schlägt mit der Rechten. Denn die Linke ist seine Revolverhand. Er trifft Hacket genau auf die Kinnspitze. Hacket kippt nach hinten und prallt hart mit dem Kopf gegen das Bauholz. Er fällt zu Boden wie vom Blitz getroffen. Sabasan atmet langsam aus. Er leckt seine Handknöchel. Und er denkt: Wenn Otis Chugwater nur bald kommt! Er lauscht, aber es ist nichts in der näheren Umgebung zu hören. Nur die wilde Stadt summt und braust. Es ist wie der Atem eines großen Tieres, dessen Blut pulsiert.
Jim Sabasan kennt solche Campstädte. Sie sind wie Ungeheuer, und sie verschlingen so manches Leben. Wenn in dieser Stadt bekannt würde, dass ein einzelner Mann mit dreihunderttausend Dollar unterwegs zu ihr ist, dann würden sich noch eine Menge anderer Männer und auch ganze Banden auf die Lauer legen, ihn abzufangen. Dann bekämen Borgnine und Pallace Konkurrenz. Jim Sabasan grinst bei dem Gedanken. Aber eigentlich war er ja wohl auch nur ein Bursche, der immerzu hinter dem Geld her war und auf den großen Coup wartete. Und dann geschah das Wunder. Zum ersten Mal lehnte er es innerlich völlig ab, einen Mann zu töten – und sei es auch in einem offenen Zweikampf. Ja, er war bereit, das Geld zu stehlen, solange Chugwater nichts geschah. Doch jetzt kann er Chugwater nicht in einen Hinterhalt rennen lassen. Indes er noch neben dem bewusstlosen Ernest Hacket verharrt und lauscht, denkt er über die Veränderung in seinem Kern nach. Ja, in seinem Kern veränderte sich etwas. Und dies liegt an Barbara Laramie. Denn auch das ist ihm klar. Sie hat ihn verändert, indes sie in den vergangenen Tagen
zueinander fanden, so etwa wie zwei Menschen, die in dunkler Nacht ein Licht erkennen, sich bei den Händen nehmen und gemeinsam auf dieses Licht losgehen. Ja, so war es. Barbara Laramie hat ihn verändert. Und auch sie will nicht Chugwaters Tod, auch sie will Chugwater jetzt helfen und verlässt sich auf ihn, Jim Sabasan, den Revolvermann. Er überlegt, was er nun zu tun ist. Auf der anderen Seite der Post- und Frachtagentur sind Louis Borgnine und Hogjaw Pallace. Wie kann er sie ausschalten?
Indes findet Otis Chugwater die abgestellte Postkutsche. Es war mehr als eine Idee, die ihn hinüber zu dem dunklen Felsen reiten ließ. Es war eine Ahnung, denn er dachte natürlich den ganzen Weg lang darüber nach, was Louis Borgnine – und diesen hält er für den Anführer – wohl unternehmen würde. Er wäre aber auch zum dunklen Felsen hinübergeritten, um dort sein eigenes Pferd abzustellen und den Weg dann zu Fuß fortzusetzen. Er findet also die Kutsche. Eine Weile verhält er im Sattel und denkt nach.
Dann grinst er, sitzt ab, bindet sein Pferd hinten an die Kutsche und nimmt den Postsack mit dem Geld aus dem großen Bündel hinter dem Sattel. Er stellt ihn erst mal ab und geht wieder nach vorn. Zuerst klettert er hinauf auf die Kutsche, um die Bremse zu lösen. Die sechs Zügelenden sind oben angebunden. Er lässt es dabei, springt wieder herunter und geht nach vorn zu den Führpferden. Er nimmt sie rechts und links von sich an den Halftern und braucht sie gar nicht mitzuziehen. Sie gehorchen willig. In einem Halbkreis führt er Gespann und Kutsche auf den Wagenweg zurück und tritt dann zur Seite. Das Gespann trottet weiter. Es bleibt nicht stehen. Die sechs Pferde wissen nach alter Gewohnheit zu genau, dass dort vorn bei den Lichtern ein warmer Stall und gutes Futter auf sie warten. Das erlebten sie schon viele Male. Die Überlandpost aus Great Falls ist also wieder unterwegs. Sie legt die letzte Viertelmeile wie eine Geisterkutsche zurück, nämlich ohne Fahrer und Fahrgäste. Chugwater wartet nicht lange. Er holt den Sack mit dem Geld und macht sich auf den Weg. Er kann nur hoffen, dass sich alle Aufmerksamkeit auf die ankommende Postkutsche richten wird und er deshalb ohne
Aufenthalt durch den Hintereingang ins Post Office gelangen kann. Er trottet abseits der Straße über freies Feld. Dies ist jedoch gar nicht so einfach für ihn. Denn er hat keine scharfen Eisen unter den Füßen wie die Pferde unter ihren Hufen. Er gleitet immer wieder auf dem gefrorenen Schnee aus. Auch gibt es viele Hindernisse in der dunklen Nacht. Überall wurde nämlich im Verlauf des Jahres der Boden von Goldgräbern durchwühlt. Es ist fast eine Kraterlandschaft, von zuerst getautem und dann gefrorenem Schnee, wie mit dickem Zuckerguss überzogen, über die Chugwater laufen muss. Ihm wird mächtig warm dabei.
Die Kutsche wird sofort von einigen Leuten am Eingang der Campstadt gehört. Jemand brüllt laut und gellend: »Eine Postkutsche kommt! Hoiiii! Hoiiii, Post aus Great Falls! Eine Überlandpost kommt angerollt!« Ein Reiter, der aus Last Chance nach Norden wollte, reißt noch vor der Kutsche sein Pferd wieder herum und reitet vor ihr in die Stadt. Dabei brüllt er nach allen Seiten: »Post aus Great Falls! Hoooiiiyaaa! Jungs, ihr bekommt Post von daheim! Eine Kutsche ist da! Und der verdammte Blizzard hat sie nicht gefressen!«
Die Nachricht vom Eintreffen einer Postkutsche verbreitet sich unheimlich rasch. Es geht so schnell wie ein Präriebrand im Sturm. Auch Louis Borgnine und Hogjaw Pallace hören die Rufe – und sie hören dann auch das typische Geräusch einer näher kommenden Postkutsche. Hogjaw Pallace flucht sofort wie ein Erstickender, dem ein Kloß im Hals sitzt und der dennoch eine wilde Wut herausfluchen muss, weil sie der Kloß ist, an dem er zu ersticken droht. Aber Louis Borgnine hat schon wieder nachgedacht und stößt ihm die Faust gegen die Rippen. »Halts Maul, du Hammel!«, zischt er ihm zu, und es liegt so viel Drohung und verächtlicher Grimm in seiner Stimme, dass Hogjaw Pallace gehorcht. Sie befinden sich in diesem Moment noch gegenüber dem Vordereingang der Post- und Frachtagentur auf der anderen Straßenseite und lehnen an der Seitenwand der Schmiede, die hier die Straße begrenzt. »Komm, Hogjaw!« Borgnine ruft es grimmig und läuft auch schon los, und zwar der Kutsche entgegen. Hogjaw Pallace folgt ihm, aber er liegt nach wenigen Schritten auf der Nase, weil der gefrorene Schnee so glatt wie Eis ist. Er rappelt
sich hoch und flucht wieder seine Wut hinaus. Er folgt Borgnine unverzüglich. Sie überqueren dabei auch die Straße und befinden sich auf der Seite der Posthalterei, laufen jedoch immer noch der Kutsche entgegen, die sie hören können, ohne sie jedoch schon zu sehen. Doch das ändert sich schnell. Die Kutsche ist plötzlich vor ihnen. Sie halten an, wenden sich gegen sie. Doch sie sehen, dass der Fahrersitz leer ist. Borgnine läuft neben der Kutsche her und reißt den Schlag auf. Er kann nicht viel erkennen im dunklen Wagenkasten, doch er ist überzeugt, dass sich drinnen etwas gerührt hätte, wäre jemand in der Kutsche gesessen. Er wirbelt herum, denn nun glaubt er zu wissen, wie Chugwater sich die Sache gedacht hat. Er reißt Hogjaw Pallace am Arm herum und zieht ihn mit sich. »Wir müssen ihm den Weg verlegen!«, ruft er Pallace zu, und ihm ist es nun sehr recht, dass die Kutsche vor der Postagentur die Aufmerksamkeit der Leute auf sich ziehen wird. Er ist sich nun sicher, dass Chugwater durch die Hintertür hineinschlüpfen möchte. Deshalb
ruft er seinem Partner Hogjaw Pallace im Laufen zu: »Auf seinen Trick fallen wir nicht rein! Den erwischen wir jetzt, weil er glaubt, dass wir seinen Trick nicht durchschauen!« Nur die Lichter der Campstadt spenden da und dort etwas Helligkeit.
12
Chugwater ist etwas im Vorteil, denn hinter ihm ist die Dunkelheit stärker als vor ihm. Vor ihm ist jetzt der Wagenhof, rechts und links sind Corrals, ist ein Schuppen und ragt vor ihm eine Scheune schwarz empor. Er hält inne, wittert fast wie ein Wolf zum Schuppen hinüber. Aber es rührt sich nichts. Er will weiter – und er läuft auch weiter, hat dabei schon das Haus fest im Auge, aus dessen Fenster zwei Lichtbahnen fallen. Alles ist nur einen einzigen Steinwurf weit vor ihm. Nach dem dritten Schritt gleitet er aus und fällt hin. Es ist sein vierter Sturz, und er war eigentlich nicht zu verhindern. Denn es gibt immer wieder besonders glatte Stellen. Man kann sie in der Dunkelheit nicht sehen. Er fällt also hin, und zwar auf den Bauch. Er muss den Sack loslassen, um seinen Fall mit den Händen abzufangen. Er verflucht unwillkürlich das glatte Eis. Er ist hier auf eine besonders tückische Stelle geraten. Hier muss viel getauter Schnee als Wasser abgeflossen und dann gefroren sein wie ein flacher Creek. Als er sich aufrichten will, sagt eine harte Stimme dicht bei ihm: »Bleib auf deiner schönen
Nase liegen, Chugwater – bleib liegen, sag ich dir!« Es ist Louis Borgnines Stimme. Er erkennt sie sofort. Und so möchte er aufbrüllen vor Enttäuschung und Zorn. Nur noch einen knappen Steinwurf weit vom Ziel entfernt befindet er sich in einer denkbar schlechten Position. Da hat er einen so guten Plan gehabt, und alles hat geklappt bis zu dieser Minute. Nur weil er hier auf dem glatten Boden ausrutschte, sitzt er nun in der Klemme. Er verbeißt ein bitteres Stöhnen. »Dem geben wir jetzt was«, sagt eine andere Stimme drohend. Er erkennt auch diese Stimme. Sie gehört »Freund« Hogjaw Pallace, und dieser tritt von der anderen Seite heran und tritt ihm gegen die Rippen. Doch dabei verliert er auf dem glatten Boden ebenfalls den Halt und setzt sich auf den Hosenboden. Und wieder fängt er an zu fluchen. Offenbar kann dieser Hogjaw Pallace nicht leben, ohne zu fluchen. »Oh, halt doch endlich dein Maul!« Louis Borgnine knirscht es bitter. »Kommt hoch – ihr beiden – kommt hoch! Wir gehen ein Stück weg. Hogjaw, nimm den Sack mit dem Geld. Und du,
Chugwater, streckst die Arme und Hände schön über den Kopf empor, ja! Ich ziele ständig mit meinem Colt auf deinen Rücken und halte den Hammer der Waffe nur mit dem Daumen zurück. Verstehst du?« Oha, und wie Chugwater das versteht. Chugwater bleibt noch einige Sekunden lang auf dem Bauch liegen. Eine tiefe Resignation hat von ihm Besitz ergriffen. Es war alles umsonst – es war alles sinnlos, so denkt er. »Na, dann komm schon, großer Meister«, sagt Borgnine zu ihm nieder. Otis erhebt sich langsam, und er kann sehen, dass Borgnine wirklich mit dem Colt auf ihn zielt. Chugwater hat seine Waffe in der Manteltasche. Er könnte sie nicht so schnell herausziehen wie aus einem glatten Holster. Bevor er sie schussbereit hätte, müsste Borgnine selbst dreimal abgedrückt haben. Und dennoch ist Hoffnung in Chugwater. Er sagt sich, dass auch Borgnine ausgleiten und hinfallen kann wie Pallace und er, Chugwater. Warum sollte Borgnine nicht fallen, wenn sie nur weit genug gehen? An diese Hoffnung klammert er sich. Und so setzt er sich in Bewegung. Er geht auf den
Schuppen zu und dann an diesem entlang. Borgnine und Pallace halten sich hinter ihm. Pallace hat ein heiseres Jauchzen in der Stimme, denn er sagt immer wieder: »Wir haben es! Heiliger Rauch, wir haben es! Und jetzt brauchen wir mit keinem zu teilen. Es gehört uns – uns allein. He, ist das prächtig! Ist das ein schöner Tag.« Er jubelt wahrhaftig. Borgnine aber schweigt, schnauft nur manchmal durch die Nase. Sie gehen vom Schuppen aus noch etwa hundert Schritte. Rechts und links von ihnen sind Erdhügel, liegt Bauholz, stehen kleine Hütten, die nur bis zum Anbruch des Winters bewohnt wurden und jetzt verlassen sind. Auch Gerümpel liegt da und dort, denn in Last Chance gibt es ja keinerlei Ordnung. Mehr als fünftausend Menschen und all die vielen Besucher der Stadt machen eine Menge Müll. Und alles wird außerhalb der Stadt weggeworfen. »Halt jetzt!« Borgnines Stimme klingt scharf und rau. Und Otis Chugwater, der die ganze Zeit gehofft hat, dass zumindest Borgnine, der den Colt schussbereit auf ihn gerichtet hält, stürzen würde, sieht sich enttäuscht.
Der Weg war unterwegs an mehreren Stellen glatt. Chugwater rutschte und glitt mehrmals bedenklich aus. Doch Borgnine sah sich vor. Er fiel nicht. Auch Pallace setzte sich nicht mehr hin wie am Anfang. »Du sollst stehen!«, ruft Borgnine nun schärfer und etwas lauter. Otis Chugwater überlegt, ob er nicht versuchen soll, in der Nacht zu entkommen. Schon nach drei oder vier Sprüngen müsste er für Borgnine nicht mehr zu erkennen sein. Doch eine Zeitspanne von drei oder vier Sprüngen reicht für Borgnine aus, um drei- oder viermal abzudrücken. Chugwater sieht keine Chance. Und so wendet er sich um, damit er dem Tod wenigstens ins Auge sehen kann. Doch was er da sieht, kann er zuerst nicht glauben. Er selbst hat die dunkle Nacht hinter sich. Er blickt nun in Richtung der Stadt. Dort ist Helligkeit. Und gegen diese Helligkeit heben sich alle Dinge einigermaßen deutlich ab. Otis Chugwater sieht Louis Borgnine. Er sieht auch Hogjaw Pallace. Die beiden Silhouetten vor dem etwas helleren Hintergrund sind unverkennbar. Doch da ist noch jemand. Es ist kein Pfahl, den jemand einrammte und den man bisher noch
nicht herauszog. Nein, das ist kein Pfahl, sondern ein dritter Mann. Daran gibt es keinen Zweifel. Haben Borgnine und Pallace noch einen Komplicen? Als Otis Chugwater sich das fragt, fallen ihm der Texaner Jim San Saba und der Spieler Ernest Hacket wieder ein. Heiliger Rauch, wo stecken die beiden Männer? Ist das einer von ihnen? Bevor er sich diese Frage beantworten kann, hört er auch schon die Stimme des lässigen Texaners sagen: »Ihr spielt dieses Spiel doch wohl nicht ohne mich, Amigos?« Louis Borgnine stößt nur einen knurrenden Laut aus. Aber Pallace flucht wieder, wie es seine Art ist. Aber er fügt fast entschuldigend hinzu: »Hast du mich aber erschreckt, San Saba. Du bist wohl wie ein Indianer hinter uns hergeschlichen, was?« »Ja – und ich habe gehört, wie du sagtest, dass ihr mit keinem zu teilen brauchtet und euch die Beute nun allein gehört. Hey, das hörte ich wahrhaftig!« Hogjaw Pallace sagt nichts mehr. Er flucht auch nicht, und das ist wahrhaftig ein Wunder. Borgnine aber sagt mit einem etwas übertrieben wirkenden Tonfall der Erleichterung:
»Aaah, du bist das, San Saba? Wo ist denn Hacket? Und wo wart ihr denn die ganze Zeit? Auf das, was Pallace redet, musst du nicht so achten. Du musst doch inzwischen schon gemerkt haben, was für einen Blödsinn er oft redet und dass ich es bin, der sagt, was gemacht wird.« Der Texaner schweigt eine Weile. Auch er hat einen Colt in der Hand. Er sagt nun: »Na, dann möchte ich jetzt wissen, was gemacht wird. Sag es mir und Pallace. Hat der da das Geld im Sack auf der Schulter?« »Sicher«, sagt Pallace mit trotziger Herausforderung und wirft den Sack zu Boden. »Und was wir jetzt machen werden, ist doch wohl ganz klar. Wir müssen diesen Chugwater erledigen. Das wollte ich ja schon die ganze Zeit tun. Wir brauchten ihn jedoch als Fahrer. Und dann überstimmtet ihr anderen uns, sodass wir ihn am Leben ließen. Doch jetzt ...« »Daraus wird nichts«, sagt Jim Sabasan hart in Pallaces Rede. Er hat kaum ausgesprochen, als Louis Borgnine das Unaufhaltsame in Gang bringt und den ersten Schuss abgibt. Er trifft den Texaner – aber er trifft ihn nicht gut genug. Bevor er zum zweiten Mal abdrücken kann, sieht er in Sabasans Mündungsfeuer und spürt den Anprall der Kugel. Sie stößt in seine
Herzgegend wie ein Huftritt. Er stirbt auf den Knien und fällt erst dann um. Pallace aber macht den Fehler, zuerst auf den Texaner feuern zu wollen, der seinen Partner Borgnine von den Beinen schoss. Pallace bekommt seinen Colt sehr schnell frei, denn er hielt ihn schon in der Manteltasche gepackt. Aber Jim Sabasan wartet nicht lange. Er schießt gleich weiter und trifft auch Pallace, der fluchend auf ein Knie fällt und noch dreimal abdrückt. Doch weil er den Revolverlauf nicht mehr hoch genug heben kann, feuert er vor sich in den Eisschnee. Und dann ist es vorbei. Chugwater hat seinen eigenen Colt nun frei und schussbereit. Aber Jim Sabasan schießt nicht weiter. Er ist tatsächlich nur gekommen, um ihm beizustehen. Otis Chugwater seufzt leise. Dann nimmt er den Geldsack auf, wirft ihn sich über die Schulter und nähert sich Sabasan. Vor ihm hält er inne. »Danke«, sagt er. »Und warum warst du plötzlich auf meiner Seite?« »Wenn du mich zu einem Drink einlädst, werde ich es dir vielleicht erklären«, murmelt Sabasan. »Aber ich sage dir schon jetzt, dass es nicht nur mit Barbara zusammenhängt. Ich wollte nicht daran beteiligt sein, dich umzulegen.«
Otis Chugwater nickt, so, als könnte er ihn gut verstehen. Dann gehen sie nebeneinander zurück. Und das ist typisch für diese wilde CampStadt. Es fielen einige Schüsse – und es wurde hier gekämpft. Zwei Männer starben, und Jim Sabasan ist angeschossen. Er schwankt ein wenig und atmet gepresst. Doch niemand kommt nachsehen. Niemand kümmert sich darum, dass offenbar nicht nur herumgeschossen, sondern gekämpft wurde. »Geht's denn noch, Jim?«, fragt Chugwater. »Wo wurdest du getroffen?« »Aaah, nur über einer Rippe. Es blutet ziemlich schlimm. Aber man wird mich doch wohl im Post Office verbinden können, damit ich zu Barbara gehen kann. Die beiden Honeys warten im ersten Hotel auf der rechten Straßenseite, verstehst du? Da müssen wir gleich hin, wenn wir das Geld abgeliefert haben.« Sie gehen weiter und kommen an dem Bauholzstapel vorbei, bei dem der bewusstlose Hacket liegen muss. Aber Hacket ist fort. Jim Sabasan hält inne. Er schnappt wieder seinen Colt heraus. »Vorsicht! Da muss noch Hacket sein!« So zischt er. Doch es ist zu spät.
Hinter ihm kracht plötzlich ein Colt. Die Kugel stößt Jim Sabasan nach vorn. Er will noch herumwirbeln, will schießen – doch er schafft es nicht mehr. Auch Otis Chugwater blickt in Hackets Mündungsfeuer. Die Kugel fetzt durch seinen dicken Mantel, brennt über seine Haut eine Handbreit unter seiner Achselhöhle. Er erwidert das Feuer – und er blickt noch zweimal in das Mündungsfeuer, doch treffen ihn die Kugeln nicht so schlimm, dass sie ihn aufhalten könnten. Als er bei Ernest Hacket ist, liegt dieser am Boden. Aber er atmet noch. Chugwater blickt auf ihn nieder. »Du Narr«, sagt er. »Es war alles schon vorbei. Warum musstest du weitermachen?« »Diese verdammte Kutsche nach Last Chance«, keucht Ernest Hacket. »Hätte ich sie doch nie genommen. Ich wollte mal etwas wagen, was mir besonders großen Gewinn bringen sollte. Aber ...« Er spricht nun nicht mehr weiter. Er kann es nicht. Denn er hat plötzlich keinen Atem mehr. Chugwater wendet sich zur Seite, als nun doch einige Männer um das Haus herum kommen.
»He, was ist dort los?«, fragt eine tiefe Stimme. Chugwater kennt sie, denn sie gehört dem hiesigen Postagenten. »Holt einen Doc! Los, schnell einen Doc her, wenn es in diesem Mistcamp einen gibt. Los, Jedson Allister! Bring was in Gang! Ich bin Chugwater, und ich brachte die Postkutsche her!« Er ruft es laut genug hinüber, sodass sie alle seine Worte verstehen können. Dann bewegt er sich dorthin, wo die anderen Männer liegen, und schnappt sich den Geldsack mit einem schnellen Griff. Als er dann bei Jim Sabasan kniet, der für ihn kämpfte und ihm das Leben rettete, seufzt er bitter. Er fühlt nach Jims Puls. Zuerst glaubt er, nichts fühlen zu können. Doch dann spürt er unter dem Daumen, dass Jims Puls schlägt. Männer kommen heran, umringen ihn und Jim. »He, Chugwater ...«, sagt die Stimme des Postagenten Jedson Allister. Aber Otis unterbricht ihn sofort mit der Frage: »Habt ihr einen Doc? Kommt der Doc her? Verdammt, Allister, dieser Mann hier hat der Post- und Frachtlinie einen großen Dienst erwiesen. Wir müssen ihm helfen.« »Der Doc wird geholt«, sagt Allister mit seiner Bassstimme. »Und da es noch früh ist, wird er
noch nicht zu betrunken sein. Er ist ein guter Arzt, solange er noch allein auf den Beinen stehen kann. Der macht sogar Tote lebendig, glaub es mir, Chugwater.« »Dann fasst mal mit an – alle«, sagt dieser. »Wir tragen ihn sehr vorsichtig auf unseren Armen. Und du, Jedson Allister, nimmst diesen Sack. Ich übergebe dir hier vor Zeugen ganz offiziell einen Postsack mit Geld. Hast du verstanden, Allister? Da sind dreihunderttausend Dollar. Schließe sie höllisch schnell in den Tresor ein. Los, hebt ihn hoch! Gehen wir!«
13
Johnny Duane, der sich manchmal auch Johnstone und Jacks nennt, ist zufrieden mit dem Abendessen. Bei einem Glas Wein und einer guten Zigarre denkt er wieder einmal über sein großes Glück nach. Mit Stella Shannon und mehr als fünftausend Dollar in der Tasche ist er hergekommen. Und jetzt ist er Teilhaber an Golden Lilys Etablissement, in das er sein ganzes Geld und Stella Shannon einbrachte. Das war im Spätsommer. Und jetzt haben Lily und er zwei Dutzend Girls im Laden, fleißige Bienen, die viel Honig machen. Er sieht auf seine Uhr und denkt: Jetzt muss ich mal hingehen und nach dem Rechten sehen. Lily kann nicht alles allein machen, obwohl sie eine tüchtige Frau ist. Wenn sie nicht so fett wäre, würde ich sie heiraten. Er zieht schon die ausgestreckten Beine an, um aufzustehen, da treten zwei Frauen von hinten rechts und links neben ihn und setzen sich an seinen Tisch. Ihm fällt fast die Zigarre aus dem Mund. Denn er kennt die beiden Schönen sofort wieder.
Ja, da ist Georgia Shannon, deren Bild er bei Stella sah. Und da ist diese Barbara Laramie, die er eigentlich heiraten wollte, was aber nicht ging, weil sie sich einen festen Platz und ein Heim wünschte, er aber auf der Flucht war. Er fängt sich schnell, dieser Johnny Duane, aber er war ja schon immer kaltschnäuzig und frech. Er sagt: »Ihr seid mir doch wohl nicht nachgereist, Honeys? Du bist doch sicher Stellas große Schwester – ja? Die Ähnlichkeit ist verblüffend. Und überdies hat Stella ein Bild von dir. Es geht ihr übrigens gut. Sie macht jede Nacht eine Menge Männerbekanntschaften und amüsiert sich so richtig. Das ist ein lustiges Leben, das sie führt. Oh, was hat die für eine Menge Spaß! Man könnte direkt neidisch werden auf das Girl.« Dann wendet er sich Barbara zu. »Dich habe ich lange nicht vergessen können, Babsy«, sagt er und grinst. »Du warst für mich wie eine rosarote Wolke, auf der ich schwebte. Leider musste ich dann höllisch schnell verschwinden, weil die Brüder eines Girls nach mir suchten, das ich vor dir, Babsy, und vor Stella hatte. Was kann ich dafür, dass die Weiber auf mich fliegen? O ja, Babsy, du bekommst noch Geld von mir. Vielleicht gebe ich dir davon etwas
zurück. Aber eigentlich musst du doch zugeben, dass du eine Menge Glück von mir dafür bekommen hast. Wenn du jede glückliche Minute nur mit einem Dollar ...« »Schluss jetzt«, sagt Georgia Shannon ruhig. Er will in seinem Stil weiterreden, der so gemein und höhnisch ist, so beleidigend und frech. Doch nun blickt er in Georgia Shannons Augen. Und er weiß plötzlich diesen Blick zu deuten, auch den Ausdruck ihrer Lippen und das leichte Vibrieren ihrer Nasenflügel. Er denkt plötzlich: Tigerkatze! He, das ist ja eine zweibeinige Tigerkatze! Plötzlich ist er alarmiert – und mit einem Mal verspürt er eine stärker werdende Unruhe. Georgia Shannon sitzt rechts neben ihm auf dem Stuhl. Auf ihrem Schoß hat sie einen modischen Pelzmuff, wie ihn die Frauen in den eleganten Städten zur Winterzeit tragen. Sie nimmt nun eine Hand aus diesem Muff und hebt ihn mit der anderen Hand so, dass er in die runde Öffnung sehen kann. Was er da sieht, ist eine Revolvermündung, und sofort wird die Unruhe in seinem Kern zu einer heißen Sorge. »Pass auf, du Strolch«, hört er Georgia Shannon sagen. »Es macht mir nichts aus, dir das
Blei in den Bauch zu schießen. Vor einigen Tagen musste ich ein paar Indianer töten, und ich stand das durch. Dich würde ich noch leichter töten können. Hast du verstanden, Strolch?« Er nimmt langsam die Zigarre aus dem Mund und legt sie in den Aschenbecher. Plötzlich schwitzt er. Nur einen Moment denkt er daran, seinen Revolver aus dem Schulterholster zu zaubern. Aber er verwirft den Gedanken schnell wieder. Man würde ihn hier lynchen, sollte er es wagen, diese Frau zu töten. Überdies sagt Barbara, die links von ihm am Tisch sitzt: »Ich habe auch solch ein Ding, mein lieber Johnny. Und du kannst mir glauben, dass wir dich in Stücke schießen würden, solltest du nicht brav sein und nicht tun, was wir verlangen.« Heiliger Rauch, er war schon in vielen Klemmen – und er hat sich immer wieder herauswinden oder herausschießen können. Jetzt aber ist es anders. Wenn die beiden Frauen ihn zusammenschießen und dann eine nette Geschichte erzählen, wird man ihnen glauben. Nichts wird ihnen geschehen in dieser Campstadt. Doch er wird tot sein – mausetot. Er denkt bedauernd an das schöne Leben, das er als Golden Lilys Geschäftspartner führt. So gut hat er es noch niemals gehabt.
Und er hat auch geglaubt, dass ihn all seine Verfolger nicht würden einholen können, solange der Winter alle Wege von Laramie oder vom Missouri her blockiert. Aber dann ist doch noch eine letzte Postkutsche nach Last Chance gekommen. Und nun sitzt er in der Klemme. Verdammt noch mal! »Was wollt ihr denn, Rache?«, fragt er heiser, und der Schweiß steht sichtbar auf seinem männlichhübschen Gesicht. Er blickt von einer zur anderen – mit unruhigen Augen. »Was will ich wohl von dir, mein Bester?«, fragt Barbara kühl. Und sie fügt hinzu: »Ich weiß, dass du stets eine Menge Geld bei dir trägst, weil du ja damit rechnen musst, Hals über Kopf die Flucht ergreifen zu müssen. Ein Bursche wie du, der muss seinen Besitz stets mit sich herumschleppen. Also gib mir mein Geld wieder. Mach deine Jacke und dein Hemd auf. Hol den Geldgürtel hervor, den du auf dem bloßen Leib trägst. Gib ihn mir!« »Da-da-da sind mehr als fünftausend Dollar drin«, stottert er. »Sicher, so muss das auch sein.« Barbara nickt. »Denn ich bekomme Zinsen. Ich hatte Auslagen und Unbequemlichkeiten, dich zu finden. Wenn ich noch an den Blizzard denke, so
glaube ich, dass du das, was ich mitmachte, mit tausend Dollar Schmerzensgeld nicht bezahlen könntest. Also?« »Ihr seid ja verrückt«, knirscht er. »Damit kommt ihr bei mir nicht durch. Ich lasse mich nicht von zwei solchen Zimtzicken bluffen.« Wieder blickt er zwischen beiden hin und her. Und weil er ein guter Menschenkenner ist, denn das muss er ja immerhin sein als Betrüger, kann er sehen, wie sie sich verständigen und einander zunicken. Er spürt nun deutlich mit seinem ganzen Instinkt, dass sie nicht bluffen, sondern es völlig ernst meinen. Georgia sagt dann ganz ruhig und kühl: »Nun, Mister, wir werden gleich herausfinden, wer wen blufft. Ich zähle bis zehn. Dann bekommen Sie von uns was in den Bauch aus nächster Nähe. Wir werden ja sehen. Eins ...« Sie beginnt langsam und leise zu zählen. Ihre Lippen bewegen sich kaum dabei. Und beide Frauen starren ihn an. Sein Blick irrt wieder zwischen beiden hin und her. Aber er erkennt nur kalte Gnadenlosigkeit und feste Entschlossenheit. Er begreift, dass sie ihn töten werden, sollte er nicht nachgeben.
»Ihr Tigerkatzen – ihr verdammten Tigerkatzen. Ihr seid Tigerkatzen, die durch den Dschungel schleichen.« Er stöhnt es fast. »... sieben ...«, zählt Georgia Shannon inzwischen. Er fühlt sich verloren. Sein ganzer Instinkt sagt es ihm endgültig. Er weiß plötzlich hundertprozentig, dass sie nicht bluffen. »Schon gut«, knirscht er, »schon gut, ich gebe auf. Ihr habt mich überzeugt. Zwei solch verrückte Besen wie ihr bringen es wirklich fertig, einen Mann zu ermorden.« Er öffnet die Weste und das Hemd, löst den Geldgürtel, den er auf dem bloßen Leib trägt und zieht ihn heraus. Er reicht ihn Barbara, und es juckt ihn dabei, seinen Revolver aus dem Schulterholster zu ziehen. Aber er lässt es abermals. Er knöpft Hemd und Weste wieder zu. »Der Colt in deinem Schulterholster nützt dir nichts«, sagt Barbara zu ihm, indes sie prüft, ob auch genügend Geld im Gürtel ist. Aber das ist gewiss der Fall. Sie sieht in den kleinen weichen Geldtaschen überwiegend Hundertdollarscheine. Neben ihr am Boden steht ihre Reisetasche. Es ist eine größere Handtasche. Sie rollt den weichen und geschmeidigen Gürtel mitsamt der daran befestigten Tasche zusammen und bringt ihn in der Tasche unter.
Indes sie damit beschäftigt ist, passt Georgia auf, und Johnny Duane schielt fortwährend auf die Öffnung des Pelzmuffs, aus der die Mündung des Revolvers ragt. »Was jetzt? Nachdem ihr mich ausgeplündert habt, was wollt ihr noch?«, fragt er voller Unruhe. »Was wohl noch?«, gibt Georgia Shannon kalt zurück. »Das ist doch wohl klar? Ich bin hergekommen, um meine kleine Schwester zu holen. Und ich habe nicht die Absicht, in allen Tingeltangels und Etablissements herumzusuchen, bis ich sie gefunden habe. Gehen wir, Mister! Und wir gehen Arm in Arm, wie drei gute Freunde. Alle Männer auf der Straße werden dich beneiden, mein lieber Johnny Duane, oder wie du heißen magst. Du darfst mit zwei Schönen am Arm durch die Stadt spazieren. Na los!« Sie erheben sich. Ihre Taschen hängen sie in die Armbeugen. Und die Pelzmuffs, in denen ihre Waffen verborgen sind, befinden sich an den gleichen Armen. Die Revolvermündungen zielen auf Johnny Duane, den sie zwischen sich nehmen. So machen sie sich auf den Weg. Es ist für ihn nicht daran zu denken, seine Waffe aus dem Schulterholster zu ziehen. Er denkt immer wieder: Sie wissen genau, dass ich
eine Waffe habe. Warum nehmen sie mir diese Waffe nicht ab? Wollen sie, dass ich ziehe, damit sie mich erschießen können? Oh, wie können zwei solch schöne Weiber wie die beiden hier so böse! Sie begegnen auf der Straße vielen Männern. Man ruft ihnen Scherzworte und auch zotige Bemerkungen zu. Einer der Burschen bietet sich an für den Fall, dass Johnny Duane zwei Weiber nicht schaffen kann. Es ist alles rau und primitiv. Ein anderer Bursche, der aus einem Schwarm tritt und Johnny Duane offenbar gut kennt, fragt geradezu: »Ist das Nachschub für die Golden Lily? Bringst du sie dorthin? Dann kommen wir gleich mit!« »Nein-nein«, sagt Johnny Duane, »sol-sol solche sind das nicht. Das sind ehrenwerte Freundinnen von mir, Geschäftsfreundinnen.« Sie biegen endlich in eine Quergasse ein und gelangen an deren Ende zu einem großen Haus, über dessen Eingang eine rote Laterne hängt. »Jetzt sei klug, Johnny, mein Guter, sei klug«, sagt Barbara neben ihm. »Uns ist es höllisch ernst, mein großer Frauenbetörer«, spricht Georgia von der anderen Seite zu ihm empor. »Wir wollen nichts anderes als Stella. Wenn wir sie haben, gehen wir ganz
friedlich mit ihr weg. Also sei klug. Da kommst du noch ganz gut davon.« Er sagt nichts. Wortlos geht er zwischen ihnen durch die Tür. Drinnen ist ein nobler Empfangsraum. Denn in diesem Etablissement verkehren nur Männer mit viel Geld in den Taschen. Und diesen bietet man auch was, selbst wenn sie mit Lehm an den Stiefeln hereinkommen. Golden Lily, die etwa zweihundertfünfzig Pfund wiegt, sitzt hinter dem Anmeldepult. Denn man muss hier seinen Revolver abgeben und eine Eintrittskarte kaufen. Damit wird man Mitglied des Clubs für eine Nacht und einen Tag. Solch eine Karte kostet hundert Dollar. Aber dafür bekommt man vierundzwanzig Stunden lang, was das Haus zu bieten hat. Golden Lily Maffit – ihr Haus ist berühmt im ganzen Goldland – staunt über Johnny Duane und dessen Begleiterinnen. Dann sieht sie Georgia an und begreift schnell, denn die Ähnlichkeit ist unverkennbar. Johnny Duane aber sagt: »Sie haben jede einen Revolver im Muff. Die schießen mich tot, wenn sie Stella nicht bekommen. Gib Stella heraus. Was ist schon ein Girl wie Stella gegen mich?«
Golden Lily betrachtet ihn gar nicht. Sie sieht nur Georgia an. Und diese erwidert ihren Blick. Erst nach einer Weile nickt Lily. »Ja, Sie sind ihre Schwester, ihre große Schwester, dies erkannte ich gleich. Und wenn ich eine kleine Schwester hätte, die mit solch einem Hurensohn durchgegangen wäre, so würde auch ich sie zurückholen auf diese Art, wenn es nicht anders möglich ist. Ja, ich gebe Stella heraus. Ich tue es sogar gern, obwohl man mir das vielleicht nicht glauben wird.« »Doch«, sagt Georgia, »ich glaube das jetzt in diesem Moment, da Sie es sagen und ich Sie ansehen kann. Ich glaube es.«
Otis Chugwater, der die beiden Frauen mit Johnny Duane aus dem Hotelrestaurant kommen sah und ihnen folgte, steht noch draußen vor Golden Lilys Etablissement, als sie mit Stella herauskommen. Stella trägt über dem dünnen Fähnchen von Kleid einen dicken Mantel. Georgia und Barbara erkennen nun Chugwater. Sie halten mit Stella inne. Denn ihnen fällt alles andere wieder ein. »Was ist mit Jim?«, ruft Barbara. Ihre Stimme klingt etwas schrill.
»Ging alles gut?«, will Georgia wissen. Er will etwas sagen. Doch dann sieht er, dass sich die Tür des Hauses öffnet. Und er sieht den Mann herauskommen, mit dem Barbara und Georgia herkamen. Johnny Duane hält seinen Revolver in der Hand. Und er ruft wild: »Jetzt sieht es anders aus! Jetzt ...« Weiter kommt er nicht. Denn er hob den Colt und zielte auf die Gruppe. Und da sieht er in ein Mündungsfeuer und bekommt im selben Moment die Kugel. Als er fällt, bleibt es eine Weile still. Golden Lily kommt dann heraus, sieht auf ihn nieder und dann auf Chugwater. »Bist du das, Chugwater?«, fragt sie und deutet dann auf Johnny Duane. »Er war ein Narr. Aber ich lasse ihn beerdigen. Wusste er nicht, dass du auf der Seite dieser Girls warst?« »Nein«, sagt Chugwater, »aber ich weiß, dass er schon lange eine Kugel verdient hat.« Er wendet sich an die drei Mädchen. »Gehen wir«, sagt er. »Du wirst Jim eine Weile pflegen müssen, Barbara. Er rettete mir das Leben und bekam selbst etwas dabei ab. Aber er wird es überstehen, meint der Doc. Gehen wir!«
Er sieht auf Georgia und Stella, die zitternd neben ihr steht. »Wir bleiben doch zusammen?«, fragt er. Georgia nickt. »Ja, Otis, wir bleiben zusammen.«
ENDE